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Full text of "Geschichte des Pietismus"

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^ 


o 


©efdiidlie 


bCÖ 


^  i  e  t  i  0  m  tt  ^. 


ISon 


91Ibred)t  9{ttfd|L 


S  r  ft  c  r  S8  a  u  b. 
9er  |lieti$mii$  in  ^n  reformirten  ^iri^f. 


^   »orni, 

Slbolpt)  Süiarcua. 

1880. 


^e^i^iifyte 


bcö 


$  i  e  t  i  0  m  u  # 


in  ber 


reformirtcn  ^irc^c» 


9)on 


91(Bred^t  ^itfi^L 


A 

"    »orni, 

Stbolp^  SDiorcud. 

1880. 


/Vi' 


XoB  Siedet  bet  Uebetfe^unQ  ifl  oorbe^altcn. 


$  0  r  r  e  b  e* 


^nbcnt  iij  bicfc  ©cfd^i^tc  bcS  ^tcttämuS  in  bcr  rc^ 
formirtcu  Ätrc^c  veröffentliche,  ^ege  id)  bie  2lbfic^t,  aud^  bcn 
gleii^artigcn  (£rfd)einungen  in  bcr  lut^erifc^en  Äir^e  naii- 
juge^en,  unb  cnblid^  ben  pietifHfd^en  ©tjnIretiSmuS  barju^ 
flelten,  in  »cl^en  beibe  Steigen  im  19.  l^fal^rl^unbert  ein- 
münben,  ber  fic^  and)  auf  bie  0r^c  ber  franjöfifc^en 
2d)n)ei5  erflrerft.  ^nbeffen  Oerfpred^e  ic^  nid^t,  biefe  3lrbeit 
o^ne  Säumen  üorjune^mcn.  3)a§  id^  ben  üorliegenben 
©toff  bearbeitet  ^abe,  oBgleid)  mir  Bei  bem  SSeginn  beS 
Unternehmend  bie  Sla^ri^f  entgegenfam,  ber  ^rofeffor  §eppe 
in  iWarburg  roibme  fi^  berfelben  2lufgabe,  ^abe  id^  na(i^ 
bem  ©rfd^einen  feineS  concurrirenben  SSud^eä  nid^t  ju  be- 
reuen  gehabt.  Ueber  biefe  le^te  ^ubUcation  beS  injroifd^en 
Dcrftorbenen  ©ele^rten  i)af)c  id)  mid^  in  ber  2^eoIogif(]^en 
?itcraturjeitung  1879  9ir.  14  au8gefproc^en,  unb  braud^e 
um  fo  weniger  barauf  jurürfjufommen,  al8  iii  au§er  einigen 
Uterarifd)en  5Rotijen  üon  biefem  JBorgänger  nichts  enttel^nt 
^abe.  tjreilic^  mußte  i^  tl^eiltoeife  mit  einem  tueit  lürfen^ 
^öfteren  ^^pparate  arbeiten,  atö  tt}e(c^er  i^m  ju  Gebote 
jianb.  Unb  au(^  bie  ton  mir  benufete  Stteratur  ^ätte  tc^ 
nic^t   erreic^t^   wenn  iii   nic^t  oon   befreunbcten  ©ele^rten 


VI 

burd^  9Jifittl^ei(uug  ober  5)iad)tDeifung  Dou  ^öücftcrn  uiiterftü^t 
toorbcn  Ȋrc.  Unter  btefen  Stotl^^elferu  l^abeii  fic^  bte 
.^erren  D.  Sepp  in  Setben  unb  D,  Ärafft  in  93onn  bag 
meifie  SSerbtenfi  um  mi(^  ertt3orben.  S)a8  biefem  93anbe 
beigegebene  9legifter  ^at  §err  Lic.  Dr.  Senbt,  ^riüatbocent 
an  ber  I^iefigen  tl^eologtfd^en  ^acnltät,  anfjufteüen  bie  ®üte 
gehabt.  SDiefen  genannten  ^rennben,  fott)ic  allen  'Jlnberen, 
beren  tl^ättge  ^^^etlna^me  mir  bie  Slbfaffung  biefeä  93uc^e8 
möglich  gemad^t  l^at^  fage  i^  meinen  oerbinbü^en  !^anl. 
2)te  üon  mir  bargeftcüte  ©efd^ic^te  be8  ^ieti8mn8  l^abe 
Ol  nic^t  üerftänblid^  machen  lönnen,  o!^ne  bie  einjelnen  ®r^ 
[(Meinungen  jn  beurt^eilen.  ^c^  ^a(te  eS  für  jroerfmäfeig, 
im  SSorauS  feftjufleßen,  ba§  id)  baju  meinen  ©tanbpunit 
in  bem  ©efenntntß  ber  hitl^erifd^en  Äiri^e  einnehme. 


®öttingen,  10.  Januar  1880. 


^er  i^erf affer. 


S  n  l|  a  I  t- 


6r{te^  Snc^.    $ro(egometta. 

1.  ®cr  Umfang  bcr  Aufgabe 3 

2.  Stcformation  in  bcr  abcnbfänbifd^cu  Äird^e  beS  3Kit» 
tclaltcrö 7 

3.  3)ie  (Sigcnt^ümlid^feit  unb  bie  Sbftammung  ber  3&xt» 
bcrtäufer 22 

4.  ßatl^olictdmu^  unb  ^roteftanti^mu^ 36 

5.  Sut^crtl^um  unb  6alt)ini§mug 61 

6.  2)ad  IBebürfnig  bed  fird^Iid^en  ^roteftantidnmd  nad^^ 
atcform 80 

gwtxM  9näf.     Ser  ^ttttdmttd  in  ber  refonittrtett  SKrc^e 
ber  9{teberlanbe. 

7.  ®i§bcrt  SSoct  unb  bic  ßuftönbc  ber  nieberlönbifd^cu 
reformirtcu  ftird^c  ju  feiner  Seit 101 

8.  3o]^anu  EoccejuS 130 

9.  Sobocu^  ban  Sobenfte^n.    ©eine  Snftd^ten  Dom  d^rift« 
lid^en  Seben  unb  Don  9ieformation  ber  ßird^e     .     .     152 

10.  gobocuö  t)an  Sobenfte^n.     ©ein  religiöfer  unb  fird^- 
lid^er  ©tanbpunft 173 

11.  S^^^i^""  ^^  Sababic,  ber  Urheber  be^  Separatismus 

in  bcr  reformirten  ftird^e 194 

12.  ®ic  Oemeinbe  ßababic'S 220 

13.  2)ie  6)runbfd^e  t>on  Sababie  unb  feinen  ®enoffen     .  246 

14.  2)ie  bollft&nbige  m^fHfd^e  Xl^eorie  bon  X^eobor  Srafel 

unb  ^ermann  SBitftuS 268 


VIII 

Seite 

15.  ®ip  fogcnanntc   cöangclifd^c  SRid^timg  bc§  niebcriön* 
bifd^cn  5ßicti8muai 283 

16.  2)te  gortfe^ung  ber  cbaugelifd^eit  9üci^tung  bi§  511 
i^rcr  Ärifi§  um  bog  Sa^r  1750 317 

17.  Die  gortfcftung  bc§  5ßicti§mu§  bi^  ju  feiner  Sonfti^ 
tuirung  ate  fcparirtc  ftird^c  1839 342 

Sritiei^  Snc^.     Der  ^tetidtnui^   in  ber   refonttirten  ^rc^e 
Setttff^Iattb^  ttttb  ber  Sf^iotij. 

18.  Unmittelbare  @inmirfungen  bed  niebertänbifd^en  $ie« 
tiSmug  in  bie  norbbeutfd^en  ©ebiete  ber  rcformirten 
Äird^e 3r>7 

19.  3)cr  5ßietiSmu§  in  ben  mittelbentfd^en  ©ebietcn  ber 
rcformirten  ftird^e 397 

20.  gfriebrid^  «bolf  Sampc 427 

21.  ®er^arb  Icrfteegen 455 

22.  Sol^Qnn  ßa§par  Saüater 494 

23.  ^einrid^  Sung-Stitting 523 

24.  anna  ©d^Iattcr 541 

25.  @amue(  (EoUenbufd^  unb  feine  @ci^u(e 5G5 

26.  ®ottfrieb  ®auiel  Ärummad^cr  unb  ^ermann  gfricbric^ 

«o^Ibrügge.     ©c^Iufe 582 

atcgifier 597 


• 


Ser(effentngen. 

@.  560.  S.  19  b.  0.  lie§  .^anbl^abc. 
©.  574.  S.  18  b.  0.  Iic$  I^eobiccc. 


eiftcg  SBu*. 


]^r0le$0tn(nfl. 


I. 


1.    Ser  Umfang  ber  Slttf gabt. 

3)cr  ^ictiömu^  ift  eine  (Jrfc^cinuncj  in  ber  ©cfd^ic^tc  bcr 
ctoanflclif^en  Äirc^cn,  bercn  SBcfcn  unb  SBcrtl^  nic^t  nur  gcrabc 
entflCflcngcfclt  bcurt^cilt,  foubcrn  beten  Umfang  aut^  ganj  ücr*= 
f (Rieben  bcftimmt  njirb*.  S)iefcr  boppcite  Slbftanb  ber  Sluffaffuhcj 
bcd  @egenftanbe^  fäQt  in  bie  9(ugen,  menn  man  bie  beiben  mono«« 
grap^ifc^cn  Bearbeitungen  bcffclben  mit  cinanber  üergteic^t,  njel^e 
in  bcm  leiten  ÜRcnfd)cnaUcr  üpn  äJiaj  ©oebcl  unb  üonJpein*^ 
rid^  ©c^mib  unternommen  tüorben  finb.  ©ci^mib*)  fcnnt  unter 
bcm  litel  beö  ^ieti^muö  nur  eine  SRei^e  üon  (Srfc^einungen  auf 
bem  @ebiet  ber  (ut^erifc^en  Jiirc^e  Seutfci^IanbS,  n)el^e  uon  @pe« 
ncr  ücranlafet  ftnb,  unb  ttjerdie  i^re  ©renge  an  bem  Slblauf  be^ 
@treiteiS  ;(n)ifc^en  3oa^im  Sauge  in  ^aQe  unb  Valentin  @rnft 
fiocfc^er  in  S)re^ben  finben.  @r  (eugnet  mit  Stecht,  bag  ©pener, 
inbem  er  ftc^  jur  ISinrid§tung  ber  ßonüentifel  l^erbeiUeg,  fi^ 
bircct  unb  obfic^tUc^  nac^  feinem  ätt^rn  3^itgcnoffen,  bem  refor^ 
mirten  ©cporotiften  Sababie  gerichtet  f)abc.  2)emgcmäg  aber 
trennt  er  bie  ISrfc^einungen  be^  ^ietidmud  in  ber  (ut^erifci^en 
Stixd^c  Don  ben  ä^nlic^en  SSorgängen  im  SabiniSmud  fo,  bag 
er  ben  Icfetercn  gar  feine  äufmerffamfeit  fci^enft,  unb  nic^t  ein* 
mal  in  ISnoägung  jie^t,  ob  beibe  9lei^en  nid^t  au^  bemfelben 
ajiotiüe  abjuleiten  finb.  (Jr  fielet  ferner  bie  bur^  ©pener  ange* 
regte  93ett)egung  fo  fc^r  alg  Die  ^auptfad^e  an,  bag  er  (©.  468) 
bie  falfc^e  Angabe  mac^t,  ber^ietidmu^  fei  Don  bem  lut{)enfd)en 
i£ir^engebiet  aud  auc^~  in  bie  reformirten  Sauber  eingebrungen. 
aber  tt)eiterl)in  fällt  cd  auf,  ba§  er  Don  „ber  ©efc^ic^te  beö  ^ie^ 
tidmud"  nid^t  nur  bie  ©rünbung  ber  SBrttbergemeiube  burci^ 
ßinjenborf  unb  i^ren  gefci^id)tlic^en  SBerlauf,    fonberu    auc^  bie 


1)  ^te  d^efc^ic^te  be6  ^ieUdmuS.    92ötbUnden  1863. 


i 

I 


%t^t^aä)t  be^  tDÜrttembergifci^en  ^ieti^muS  unb  bic  ^^co(oc)ic  t)on 
Sodann  Sllbrc^t  öengel  unb  feinen  Sladifolgern  augfcf)liegt. 
©c^on  biefe.  SJerjnjeigungcn  beö  ^pietiömu!^  miberteflcn  bic  Slngabe 
t)on  ©c^mib,  mit  tüeld)er  er  ben  Uebcrgang  üon  feiner  ©cfdjic^t^^^ 
barftetluhfl  jur  83eurtl)eilun9  be^  SBcfcnö  bcr  SRid^tuno  mac^t, 
ba§  ,,ber  5ßicti^mu3  fotlful^u  anjuregcn  unb  einjetne  ©eclcn  ju 
flett)inncn, .  aber  anä)  fortfuhr  in  ürdjlid^er  ÖejicI^Ung  auflöfenb 
unb  jerfefcehb  ju  tüirfen"  (a.  a.0>).  3fi  ferner  für  biefcn  ©efc^idjt* 
fc^rciber  anti)  bic  SRci^e  üon  ©rf^cinunflen  nic^t  ha,'  in  n)elc^cn 
ber  5ßietiömuö  flcrabe  alö  ber  SSertreter  ber  fir^Iid)en  Sntereffen 
auftritt  unb  fein  Söeftreben  ücrrät^,  bie  ©eelen,  bic  fid)  üon  i^ni 
nid^t  flcnjinnen  laffen,  feiner  ^errfc^aft  3U  unterwerfen  unb  in 
(irc^enrec^tlic^er  ^infid^t  ;;u  beuormunben ,  obet  munbtobt  ju 
mad^en?  @d  fönnte  fel)t  g(eic^gültfg  fein,  bie  SrHarung  biefer 
fel)lerl)aften  öefd^ranfunfl  beö  ©toffeö  burc^  ben  ©rianger  'Äir= 
c^en^iftorilcr  ju  ücrfuc^en,  ttjenn  fie  fic^  nic^t  bei  ber  SBergleidöunfl 
mit  3oI).  ©corfl  SBalc^'g  „^iftorifd^cr  unb  tl^eologifc^er  @inlei= 
tung  in  bie  SReligionöftreitigleiten  ber  cüangelifc^slutljcrifc^enÄirdje" 
(3  SBänbc.  Sena  1730)  unnjiberftel)ac^  aufbrängt'e.  2)a^  Söud) 
Don  ©c^mib  ift  nic^t  mel)r  unb  nid^t  n)eniger  atö  ein  gefd^macf« 
Vollerer  Äu^jug  auö  bem  fünften  Kapitel  jene^  SBerte^,  ttjclc^ce 
t)on  ben  ^ietiftifc^en  ©treitigfeiten  ^anbelt,  unb  fic^  Dott  ber 
aRitte  beö  erftcn  Sanbc^  biö  in  bie  ÜÄittc  beg  britten  erftrccft. 
S)abnrc^  alfo  luirb  ber  Sinbrucf  ^erüorgebrad^t,  a(^  ob  ber  $ie« 
tiömuö  blo^  in  ©treitigfeiten  feine  ©cf^id^tc  \)abt,  njätjrenb  feine 
Siocumente  öor  Slllem  a^fetifd^e  Sucher  unb  rctigiöfe  Sieber  finb, 
(£ine  befonbere  S3eftätigung  für  |ene  ^ermut^ung  über  biefcS 
IsBuc^  bietet  ieboc^  ber  Umftanb  bar,  bag  ©d^mib  an^angdn)eife 
über  @ottfrieb  Ärnolb  unb  E^riftian  2;^omafiug  fic^  Verbreitet 
(©.  472),  ebenfo  tt)ie  SBatc^  bicfc  beiben  ÜRänner  an  bem  ©c^lu§ 
feiner  ©arftcHung  ber  ©treitigfeiten  vorführt,  nur  getrennt  burc^ 
eine  SRei^e  üon  m^ftifc^en  ©^tt)ärmcrn,  oon  benen  ©^mib  mit 
9lec^t  Umgang  nimmt.  $abe  id^  nun  rid^tig  üermut^et,  bag 
©d^mib'g  „©efc^id^te,  bc«  ^ieti^mu^''  in^infic^t  be^©tüffeö  nur 
ein  Slu^jug  au«  bem  SBcrfc  üon  3o^.  ®eorg  SBald^  ift,  fo  ift 
c«  üöttig  ücrftänblic^,  ba§  man  in  feinem  93uc^e  ücrgeblic^  nad^ 
ßinjenborf  unb  nac^  SBengel  fuc^t,  üon  benen  jener  erft  in  ber 
1739  erfc^icnenen  gortfe|ung  be«  genannten  SBcrfcg  üorfommt. 
SKan  möd^te  faft  baö  ©erfahren  bc«  Srlangcr  Äirc^en^iftoriterö,  ba§ 


5 

er  im  3al^rc  1863  feine  ©arftcHung  bcö  5ßictigmuö  auf  beu  Qia^ 
fic^töfreiiJ  t)on  1730  befc^ränft  ^at,aU  einen  Setpciö  ber^ictät, 
burc^  n)e((^e  fonft  oOein  bie  Sogmatif  beoorjugt  n)irb,  ber  aUge« 
meinen  X^et(nQ^me  nnb  ^en)unberung  empfe^en,  totnn  fic^  nid^t 
flerabc  in  bem  Sucöc  üon  ©d^mib  (©.  454)  bie  SBcmerfung 
fioefc^eu'!^  ongefül^rt  fänbe,  bog  ed  auc^  ein  übel  gcorbnetei^, 
übel  gefeftte^  ©uc^en,  treiben  unb  gorbern  ber  ^ictät  giebt. 
©d^mib  mxb  [xi)  ber  iBeurt^eilung  feined  gefc^ic^tlic^en  Qic^idjt^* 
freifeö  nad)  biefer  fe^r  ücrftäublic^en  Seoba^tung  um  fo  tücniger 
entjie^en  lönnen,  otö  er  eben  jenen  Slu^fpruc^  2ocf(^cr'd  jur  Se« 
ftimmung  be^  SEßert^e^  bed  ^ieti^mu^  fid^  aneignet.  S)en  t^e^Ier 
biefer  Slrt  t)on  grömmigfeit  finbet  er  nun  in  einem  Sel^rirrtl^um 
©pener'd  begrünbet.  2)erfclbe  fei  jtt)ar  mit  ber  lut^crifc^en  Sc^re 
imöanjen  einöcrftanben  genjefcn,  fei  aber  üon  ber  richtigen  SBflr= 
bigung  ber  Serfaffung  ber  lut^erifc^en  jfird)e  abgen)i(i^en.  S)ie 
@rünbung  ber  Sonuentitet  nämtic^  neljme  b(od  ben  britten  ©tanb, 
bie  @emeinbe  in  Änfpruc^,  njäl^renb  bcrfelbe  nur  unter  SJätnjir^^ 
fung  ber  beiben  anberen  ©tänbe  berechtigt  fei,  fic^  firc^Ii^  ju 
bet^ätigen  (©.  436.  445).  gerncr  aber  tt)enbct  ©d^mib  gegen 
ben  ^icti^mu^  ein,  ba§  bie  Art,  wie  ©pener  bie  Slotl^menbigleit 
bed  tätigen  glaubend  betonte,  ober  bie  guten  äBerfe  al$  bie 
$robe  ber  SRe^tfertigung  forbcrte,  ben  Slnlaß  jur  Sermifc^ung 
berfelben  mit  ber  Heiligung  gegeben  ^abe  (©.  448). 

^urc^  biefe  2)eutung  unb  Ableitung  n)irb  bie  X^atfac^c  bed 
$iettdmud  n^eit  nic^t  erfc^öpft.  S)iefen  Sinbrucf  gen)tnnt  man 
fd)on,  njenn  man  an  ber  ^anb  üon  @oebet  ^)  bie  gleichartigen 
(Jrfd)einungen  in  ber  reformirten  unb  ber  lutberifc^en  Äir^e  über* 
blicft.  5Die  ©rforfd^ung  biefeö  gefammten  ©toffc^  ^at  nun  biefen 
©c^riftftetter  ju  ber  Srflärung  gefüljrt,  bafe  ber  ^-ßictiömuö  in 
aßen  feinen  arten  bie  ermäßigte  ober  abgefc^tt)äc^te  ©eftalt  ber* 
felben  8iid)tung  fei,  welche  im  16.  So^r^unbcrt  al^  bie  aBicber:» 
täuferei  aufgetreten  ift.  hiermit  eröffnet  ©oebel  eine  m\tc^n^=^ 
fic^t  für  bie  fird^engcfd^ic^tlic^e  gorfd^ng,  unb  ber  SBert^  biefer 


1)  ®f!4t4te  beS  4nf!It(^n  SebenS  in  ber  r^einif^-ioeftfaUf^en  Jtir^e. 
DretSfinbe,  GoMena  1849.  52.  60.  ^er  britteSonb  tfl  no^  bem  am  13.  ^ec. 
1857  erfolgten  Sobe  bed  Serf.  ^eTQu60egeben  üon  S^eobor  Stnf.  3n  bie  t)or- 
tieoenbe  «ufgobe  fd^Ugen  bie  SAnbe  2.  3.  ein ;  bie  gortfctung  beS  SBerfeS  bis 
in  baS  19.  3a^r^.  ift  bur(^  ben  frühen  £ob  OoebeU  oer^inbert  tootben. 


SBcobad^tung  ift  gan;;  unabhängig  t)on  bcm  @cixa\\ä),  bcn  Oocbcl 
fclbft  bat)on  gemocht  f)at  Snbcm  er  nämlic^  mit  feiner  perfön:^ 
liefen  Ucbcrjeugung  für  bcn  ^ietiönmö  eintritt,  ben  er  für  ein 
Iräftigeö  Jpeiintittct  gegen  bie  SSerfumpfuitg  unb  gäulniß  in  ber 
eüangetifd^en  Slirc^e  ^anfie^t  I)at  er  and)  ber  SBiebcrtäuferci  ein 
fel^r  günftigcö  Urtl)eil  ,gett)ibmet.  3u  bem' 93eftrcben  ber  SBieber- 
täufer,  Quc^  bie  fitttid^c  unb  pplitifc^e  Drbnung'  ju  reformircn, 
crfennt  er  neben*  ber  @ett)altfamfeit  i^rc^  iBcrfal)rcn^  We  grünb^ 
liefere,  entfc^iebcnere,  üoUftänbigere  3)urcl)ffl^rung  ber 
ajeforniation  Sut^er'g  unb  3tt)ingli'ö  (I.  ®.  137—139).  '3)icfe 
SBertl)fc^äfcung  ber  einen  wk  ber  anbern  Srfc^einung  erforbcrt 
nun  um  fo  me^r  eine  S3erid)tigung,  atö  ©oebet  fetbft  gcn)iffe  ©in^ 
fd^ränfungen  feiner  Slnerfennung  nid^t  \)at  jurüdf^alten  fönnen. 
S)enn  bie  SReform  ber  SBiebertäufer  nennt  er  juglcid)  eine  Slug* 
artung  ber  ^Reformation  Sut^er'ö,  unb  bag  im  5ßictigmuö  auf= 
trctenbe  Jpeilmittet  für  bie  cuangelifd)c  ftird^e  finbet  er  einfcitig. 
S)iefe  Unfic^er^cit  beö  Urtl^eifö  n^cift  barauf  I)in,  ba§  and)  bie 
Beobachtung  ber  beurt^eilten  2;^otfad^en  feine  üoüftänbige  unb  er:^ 
fc^öpfenbe  fein  njirb.  ©orto^l  bie  pietiftifd)cn  @rfd)cinungen  alö 
aixäi  bie  SEBicbertäuferei  njerben  einer  genaueren  Unterfud)ung 
bebürfen,  ttjenn  i^re  SSenoanbtfc^aft  beftätigt  unb  i^re  gemeinfame 
ärt  o^ne  ©ci^roanfen  beurt^eilt  ttjerben  fott.  3)enn  in  jebcm^cittc 
I)at  eine  gettjiffenl^afte  Srforfc^ung  beö  ^ietiömuö  fidj  auf  ben 
Umjang  be^  ©cfici^t^frcife^  cinjuri^ten,  n^clc^en  ©ocbcl  eröffnet 
l^at.  3n  biefem  ©innc  I)abc  ic^  i^m  nachgearbeitet.  (£ö  ift  mir 
aber  ein  perfönlic^eö  Slnliegen  ju  bejeugen,  njie  förbcrlid)  bie 
fleißige  unb  öielfeitigc  gorfc^ung  ©oebel'^  jur  ßeitung  meiner 
Arbeit  gett)efen  ift.  2)enn  auc^  ha,  too  ici^  feinem  Urt^eil  ^ju 
toiberfprec^en  l^abe,  unb  tt)o  feine  Siarftellung  meinen  ?lnfprüd)en 
an  bie  gorfc^ung  nic^t  genuggetl^an  ^at,  ^ot  mic^  immer  bie  leb^ 
^afte  Erinnerung  an  feinen  eifrigen  gleiß  unb  an  feine  eigen^^ 
t^ümlic^c  SEBaI)r^aftigfeit  begleitet.  3nbem  er  burd)  ba^  oor* 
liegcnbc  SEBerl  fid^  eine  bauernbe  Geltung  in  ber  itircl)cngefd)id)t= 
fc^reibung  ernjorben  ^at,  fo  ift  er  mir  n)ie  Slllen,  bie  iijw  gelaunt 
unb  mit  il)m  üerfe^rt  ^aben,  unuergeglid)  burc^  bie  ^Jreunb-- 
Ud^Ieit,  ©ienftfertigfeit,  Unbefangenf)eit  unb  ©d^lic^t^cit  feinet 
SBefcnö. 


2.    mt^omaüon  in  ber  abenUättbifd^en  Stird^e  bei»  mtttlalttt^. 

3n  allen  gäUcn  maci^t  bcr  ^ictiöinuö  Slnfprudö  öuf  refor>- 
matorifci^e  Söcbeutung  für  bie  eüangelifc^en  Äirc^eu.  $Rid)t  minber 
l^aben  bie  SEBiebcrtäufer  fici^  bafür  angefeljen,  ba§  fic  baö  Don 
Sutl^cr  unb  Stt^^^Ö^i  begonnene  SBerf  ber  SBieber^erftettung  bcr 
Äirc^e  ju  feinem  rechten  ^üt  führten.  Söeibc  Srfdieinungcn 
^abcn  Qlfo  eine  ftorfe  Analogie  ju  einonber,  unb  cd  n^äre  bem^^ 
nad)  ntd^t  untoo^rfc^einli^,  bag  ber  ^ieti^mu^  noc^  in  bem  näf)ern 
93er^ältnig  jur  äßiebertäuferei  ftc^t,  n)elc()e^  @oebeI  anerlennt. 
9((letn  man  mag  aU  proteftantifc^cr  X^colog  in  bem  ^ieti^mud 
bie  abgefc^mäc^te  ©eftalt  ber  SRic^tung  erfennen,  in  njelc^cr  bie 
äBiebertäufcrei  bie  lCird)c  reformiren  n)oOte,  fo  ift  ed  nid^t  gleid^ 
unDerfänglic^,  ba§  man  bie  Sßicbertäuferei  al^  bie  folgerechte 
SSoQenbung  ber  Sieformotion  fiut^er'^  6eurt()ci(t.'  Senn  Sut^cr 
unb  3^ii^9li  unb  i^re  gleichseitigen  eigentlichen  Sln^änger  finb 
ganj  anberer  ÜReinung  genjcfen.  ©ic  ^aben  in  bcr  SBiebcrtäufcrci 
cttooS  oon  i^ren  ßiclcn  unb  2Kitteln  ganj  ücrf^iebcnartigeS,  näm* 
lic^  eine  (Srneucrung  ber  SJ^önd^erei  gefe^en.  S(I^  proteftontifc^er 
X^eolog  ipirb  man  ftc^  nictjt  mit  Stcd^t  barüber  ^intocgfc^en, 
Don  biefcm  Urt^eil  ber  9leformatorcn  absutoeid^cn.  SSictme^r 
mu§  man  fici^  fel^r  genau  bie  ^rage  ftellcn,  ob  bie  SBiebertäuferci 
nur  quantitatib,  aU  bie  folgerechte  SuiSbe^nung  unb  2)urc^« 
fü^rung  ber  gemeinfamen  aufgäbe  fic^  öon  ber  {Reformation  fiu* 
t^et'iS  unb  3^i»9li'^  unterfc^eibet,  ober  ob  ein  qualitativer 
Unterf^ieb,  ein  Unterfc^ieb  ber  Art  jtoifc^cn  ben  beiben  Untere 
nel^mungcn  Don  äBieber^erftcUung  ber  j^irc^e  obtualtet.  3n 
biefem  Dilemma  ^at  man  fic^  bie  Aufgabe  nod^  nic^t  üergegen^ 
loartigt.  55icfe  Unterlaffung  aber  l^ängt  bamit  jujammen,  ba§ 
bie  Vertreter  ber  proteftantifc^cn  Äirc^engefc^ic^te  ben  Segriff  bcr 
aiefonnation,  mit  toelc^em  fic  eine  Äei^e  üon  ©rfc^einungen  be* 
leuchten,  Diel  ju  eng  auffaffen. 

SBefanntlic^  werben  getoiffc  Dppofitionörid^tungen  in  ber 
jtueiten  ^älftc  bcö  ÜRittelaltcr«  Don  ben  proteftantifc^en  Sirenen:» 
^iftorifern  atö  reformatorifd^,  als  bie  iBorgefc^ic^tc  ber  ^icforma^^ 


8 

tion  beS  16.  So^tljunbertö,  afö  bic  SJorläufcr  unfcrcr,  bcr  cin^ 
jigen  unb  eigentlichen  ^Reformation  anögeäcicftnct.  Slig  SRcrhnalc 
bicfer  ßwfontmengc^örigieit  öern)ertl)et  man  t^cilö  bic  Slblc^nung 
üon  ^eüiflcnbienft  unb  bcrgteid^en,  t^eife  bic  tt)irtli^e  ober 
fd^einborc  Änerlennung  ber  Seigre  üon  bcr  SRed^tfertigung  au^ 
bcm  ©louben  unb  ber  augfc^lieglic^en  Sluctorität  bcr  ^eiligen 
©c^rift  für  bic  d)riftlid^c  Sc^rc.  Slber  ferner  red^net  man  a(ö 
ein  ^auptmerlmal  reformotorifci^en  C^araltcrö  bic  Dppofition 
gegen  bic  ücrfaffung^mafeigen  Vertreter  be^  fat^olifc^en  Äir^en* 
tl^um^.  S)ag  gc^t  fo  »eit,  ba§  aud^  bic  bualiftifd^  bcntcnbcn 
unb  o^fetif^  Icbcnben  älbigcnfcr  lange  Qeh  für  ,,SBorläufer  bcr 
{Reformation"  angcfct)en  tDorben  finb,  bloö  toeil  fie  pc^  in  SBi^ 
berfpru^  mit  ber  römifd^en  ^ierarc^ic  ücrfe|t  ^abcn.  äRit  bcm:= 
felben  SRec^tc  fann  man  aUerbingg  auc^  bie  näc^fte  SScrtt)anbt» 
fd^aft  jtoifc^en  ben  SEBiebertäufern  unb  unfcren  {Reformatoren  fidt) 
t)orf piegetn ;  benn  jene  ftanben  in  einer  noc^  fd^ärferen  Dppofition 
gegen  bie  römifd^c  Äird^e  alö  biefe.  SBenn  alfo  biefe^  2Rer!mal 
für  ben  Söegrif[  bcr  {Reformation  ber  Äirc^e  njcfentlidt)  unb  cnt^ 
fd^cibenb  ift,  fonjirb  man  im  Siamcn  Sut^er'ö  unb  gtüingli'^  ju  @un^ 
ften  ber  toiebertäuferifd^en  ober  aud^  ber  manid^äifd^cn  {Reformation 
abjubanfen  l)aben.  ©d^abe  nur,  bafe  beibe  in  Slut  erftidt  finb! 
S)iefe  @efc^id^t^betrac^tung  aber,  njclc^e  in  Ullmann'ö  „{Rcforma* 
toren  üor  ber  {Reformation"  culminirt  *),  bient  baju,  alleö  ju  Der» 
tüirren.  Urfprüuglid^  ift  fie  getragen  üon  bcr  auöfd^licfelid^ftcn 
SBcrtljfd^äfeung  ber  {Reformation  Sutt)er'ig;  jebodjmit  benSJütteln  ber 
Sergleic^ung  ber  gefd^id^tlid^en  Srfc^einungen,  auf  ttjcld^e  fie  fid^  bc- 
fc^ränft,  bringt  fie  c^  nur  jur  ajertt)ifd^ung  aller  il^rcr  @igcn^ 
t§ümlid)ieiten.  Siamcntlic^  mad^t  fic^  biefe  aWet^obe  bcr  größten 
Ungcrct^tigfeit  gegen  ba^  SRittclalter  bcr  abenblänbifd^cn  Äir^c 
fd^ulbig.  S)affelbe  ttjirb  immer  nur  aU  ber  gugfc^cmcl  für  bie 
lut^crifc^c  {Reformation  angefc^en,  unb  faft  niemals  nad^  feinen 
eigenen,  unter  ben  obmaltenben  Umftänben,  alfo  rclatiü  bcredö= 
tigten  lenbcnjen  gefragt.  S)ag  liegt  aber  im  ©runbc  an  bcm 
JU  engen  unb  engl^erjigen  Segriff  üon  {Reformation.  3Jian  ben!t 
bei  {Reformation  immer  juerft  an  ba»  ÜRcrfmal  ber  Dppofition 
gegen  bie  legitime  ober  bie  hergebrachte  gorm  ber  ifiri^e,  unb 
legt  ftc^  faum  j[emafö  bie  t^tage  t)or,  ob  nic^t  in  ber  ^irc^e  {Re- 


1)  $01.  Se^re  ooit  ber  Ste^ifedtgung  unb  SerfS^nung  I.  6.  112—120. 


9 

formattonen  i^orfommen  fönnen,  totid^e  bircct  Don  bcr  (ird^Iid^cn 
Obrigfctt  ober  im  SinDerftanbnig  mit  i()r  üoOjogcn  toerben. 
SDcö^alb  aber  Derftel^t  man  auc^  bie  Slcformation  Sut^cr'g  fclbft 
nic^t  in  rid^tigcr  unb  üoOftänbigcr  äBeife. 

Eine  .ä^nung  öon  ber  Slot^njenbicjfcit,  baß  bcr  Äird^cnI)ifto=^ 
riter  fici^  eincö  umfangreicheren  SScgriffö  üon  Sieformation  ju  üer:^ 
fiebern  l^abe,  ^at  freilid)  neuerbingg  Sed)Ier*)  üerrat^en.  3nbem 
er  bie  ^SBorgcfc^id^te  bcr  Sieformation"  (nämlid^  bcö  16.  Sa^r^.) 
barjuftcUcn  unternimmt,  um  feinen  gelben  SBiclif  in  baö  richtige 
Sic^t  iu  fc^en,  finbet  er  auf  feinem  Sffiege  ben  ^apft  ®regor  VII. 
alg  ben  gö^^^i^  einer  SReformpartei,  tücld^c  bie  fittlid)c  9icini=^ 
gung  unb  bie  Befreiung  bcr  ^irci^e  auö  i^rcr  Slb^ängigleit 
Don  bcr  SBelt,  b.  f).  oon  bcr  ©taatögcmalt  jum  ßielc  fefetc 
(©.  37).  Sbenfo  ertcnnt  er  in  ben  beiben  großen  Söettelorbcn 
beg  13. 3a^r^.  ben  Slntricb  ju  einer  inncrn  Srneuerung  unb 
Seform  bcr  6^riftenl)eit  (©.  80).  3)aö  finb  nun  njirflic^ 
bie  beiben  Spoc^c  mad^enben  Sata,  burd^  mld)t  bie  ©efc^id^tc  bcr 
abenblänbifc^en  Äir^e  geglicbert  njirb,  unb  tocld^e  Jtuglcid^  ben 
©toff  liefern,  ju  beffcn  ©unften  bcr  Segriff  üon  Sieformation 
bcr  Sirdjc  ju  ermeitern  njärc.  Unb  cö  wirb  fid)  steigen,  bag  biefe 
(Srttjeitcrung  bem  SSerftänbnig  unb  bcr  ^ocI)fd)ä^ung  bcr  SRcfor^ 
motion  Sut^cr'iJ  nic^t  jum  ©d^aben  gcreid^t.  Segler  aber  l^at 
fic^  iene 93eobac^tungcn  nid^t  ju9in^en  gemacht;  er  I)at  bie  i{)ncn 
jufommcnbe  öcbeutung  für  bie  ÄirdE)cngcfd^id^te  beö  aRittcIaltcrö 
atebalb  üernjifc^t  burc^  Söemcrfungcn,  toclc^e  t^cilö  anö  bcr  SSor^ 
liebe  für  bie  inbioibueüc  2lrt  bcr  lutl^crifc^en  Sieformation  gc» 
fcppft  finb,  tljcilö  ben  ffirfolg  ober  bie  ©rfolglofigtcit  ai^  ben 
SBert^meffer  bcr  Äbfid^t  gcltcnb  mad^en.  SBcil  man  bei  bcm 
großen  ^apfte  „ben  tüarmcn  5ßulg  bcö  frommen  ß^riftcnl)erjenö" 
faum  fpürt,  meil  bcr  öon  il)m  jur  fittlic^cn  Reinigung  bcr  ^irc^c 
beftimmte  5ßricftercölibat  ba^  ©cgcnt^cil  feiner  ?lbfid)t  erleidet, 
meil  bie  äuäfdiließung  ber  Saieninücftitur  bie  ©ntnjcltlidjung  bcr 
Äir^c  nic^t  herbeigeführt  ^at,  fo  meint  Scd&ler  bei  bcr  reforma* 
torifc^cn  Söcbcutung  ©regor'ö  nic^t  üertDcilcn  j^u  follen,  fonbern 
ipcnbet  fic^  atöbalb  ju  ben  mannigfachen  ffirfd^cinungen  bcr  fird^* 
liefen  Dppofition,  bereu  Siefomiabfidötcn  in  befannter  SBcife  aU 


1)  äo^ann  t)on  SDicUf  unb  bie  Sorßffc^t^te    ber  9leforinatton.    @rfler 
9anb.    2apii%  1873. 


10 

^mhjcifuttgcn  auf  Sut^cr'^  833crf  gcrofirbigt  toerbcn.  Sft  biefc  Se^ 
urtl^eilung  ©regor'ig  gerecht?  SBie  toürbe  man  too^l  tioci^  biefem 
8Äa§ftabc  über  bic  ^Reformation  Sut^cr'g  ju  urt^eilen  ^abcn  ? 
@^lägt  cttDü  in  bem  Kampfe  für  feine  S(6enbma^l^Ie^re  ber  $ul^ 
bcg  frommen  ß^riften^erien^,  ober  nic^t  üielme^r  ba^  Sntcreffc 
für  bic  ©arantieen  ber  objcctiöcn  Äird)lic^fcit?  Dedt  fic^  femer 
ber  ffirfolfl  feiner  Sieformation,  bie  ^articulartird^e  nnter  bem 
Spange  ber  fd^ulmäßigen  Se^re,  unb  feine  reformatorifd^e  ?16* 
fid^t,  bie  gefammtcn  C^riften  anf  il^re  religiöfe  grei^cit  über 
bie  SBelt  nnb  i()re  fittlic^en  $erpf(id^tungen  gegen  bie  menfc^^ 
lic^c  ©efettfc^aft  ^iniuleiten?  SEBcr  bie  Sieformation  fiut^er'g  gegen 
baö  Stttereffe  beg  frommen  ß^riften^erjenö  unb  bie  Xlbfic^t  be^ 
9ieformator^  gegen  feinen  @rfo(g  abtoägt,  fönnte  n)o^I  an  bem 
SBertl)e  ber  Keformotion  be^  10.  3a^r^.  irre  n^erben;  unb  un* 
jä^Ug  %iele  ^aben  biefc  @rfa^rung  gemad^t.  fiaffen  n)ir  uns 
aber  in  ber  @c^ä^ung  fiutf)cr'^  burd)  bic  @rfal)rungen  ber  3)l\)' 
ftifer  unb  ber  .fat^otifc^en  (Sionücrtiten  feit  ber  Spoc^e  bc^  @Qn« 
hretidmu^  unb  ber  ber  Siomantif  ni^t  irre  mad^cn,  fo  n)irb  aud^ 
©rcgor'g  Sieform  ber  Äird^e  burdij  Sc^Icr'iS  Semerfungcn  noc^ 
nic^t  in^  Unrecht  gefegt!  ®anfi  obcrpc^Iic^  aber  finbet  fic^  ber- 
felbc  mit  ber  Sieform  bed  ^eiligen  t^ranj  ab.'  @r  unterlägt  e^, 
beren  QicU  unb  SKittel  aud^  nur  ju  bejeic^ncn;  er  fprid^t  nur 
au^,  bag  bic  befannten  Spaltungen  im  ^ranciiScancrorbcn  bic 
burc^  benfetben  erregten  Hoffnungen  abgefüllt  ^aben.  ©oH  baö 
l^cigen,  bag  baburc^  ieber  Srfolg  ber  erftrebten  SRcform  ber  Äirc^c 
burc^freuit  njorben  fei,  fo  ift  bag,  loic  fic^  äcigen  tt)irb,  ni^t 
rid)tig. 

Um  ieboc^  ben  Umfang  üon  Srfc^einuugcn  in  ber  Äird)cn:= 
gcfd^iditc  be^  ÜÄittclaltcrö,  mld)cx  für  einen  Segriff  ber  Siefor* 
mation  ju  ücnoerttjcn  toäre,  tjoüftänbig  ju  fiberfd)oucn,  mug  man 
noc^  golgcnbeö  ^injune^men.  S)ie  beibcn  üon  Sed^lcr  jugeftan^^ 
bencn  Sieformationen,  bie  öon  ©regor  VII.  unb  bie  üon  S^^an^  oon 
Slffip  ^abcn  irjren  gemcinfamen  Ort  in  ber  Sieform  beö  SRönd^^ 
t^um^,  loeldie  in  allen  möglichen  Srten  unb  ©raben  fic^  bur^ 
bic  ®e|d^ic^tc  ber  abcnblänbifc^en  Äird^e  beö  SJiittcIaltcrö  ^in* 
burdöjiel)t.  Qnmal  bic  Befreiung  ber  iiird^e  öon  ber  ©taatdge:^ 
toolt,  ttjclc^e  ber  groge  ^apft  unternahm,  l^at  i^rc  aBurjetn  in 
ber  Sieform  beö  öencbictincrorbcng,  toeli^c  fic^  in  ber  ßongrega^ 
tion  Don  ß(ugnt^  t)oaiog.    Unb  bie  Sieform  ber  Jiirc^e,  n^eld^c 


11 

granj  crftrcbtc,  bcgrunbetc  er  auf  bie  Stiftung  bc^  granciöcancr* 
orbettd,  »cld^e,  tüic  oUc  neuen  Drbcnöftiftungen,  bie  Slbfid^t  einer 
aicform  beg  ÜWönc^tJ^umg  in  fid^  fdjliegt.  9iun  gilt  in  bcr  fatl^o^ 
lifd^en  äuffaffung  be^  ß^riftcnt^umö  baö  ber  äBelt  abgett)enbctc 
SKönd^t^um  für  baö  eigentliche,  üDÜfornntene  ci^riftlic^e  SeOen, 
neben  toelci^ent  baö  üermeltlic^te  6{)riftent^um  ber  Saien,  baö  nur 
auf  bie  paffiüe  Siegelung  burd^  bie  ©acramente  angetoiefen  njar, 
junäd^ft  ganj  jurüdEgefteüt  tDurbe.  Unter  {Reformation  ücrftanb 
man  im  9JiittelaIter  aud^  gonj  birect  nur  bie  immer  tüieber  fid^ 
aufnöt^igenbe  JBerfdjärfung  ber  ffintfagung  öon  ber  SBelt.  ®afür 
ift  bie  ©teQe  Köm.  12,  2  in  ber  SBulgata  mafegebenb:  Nolite 
coDformari  huic  seculo,  8ed  reformamini  in  novitate  sensus 
vestri.  Sieformation  beö  äRönc^tl^um^  alfo  ober  bie  äbnje^r  ber 
toieber  eingeriffenen  SSertoeltUc^ung  üon  bemfelben  gilt  im  TOittet 
alter  aU  {Reformation  \>c^  K^riftentl^umg  überhaupt;  l)icnodö  gc* 
meffcn  aber  ift  bie  ©efc^id^te  ber  abenblänbifc^en  ilir^e  im  ajüttcl^^ 
alter  eine  faft  ununterbrochene  Äette  üon  fircf)lid^en  {Reformation^^ 
beftrcbungen.  Snbeffen  auf  biefem  ^intcrgrunbe  ^ebcn  fid^  bie 
cluniacenftfc^c  {Reform  beö  Senebictinerorbenö  unb  bie  Stiftung 
bed  ^ranei^eanerorbens^  ald  bie  @pod^e  mac^enben  @rcigniffe  ab. 
3n  ber  engften  Sesie^ung  benjä^rt  fic^  bieö  barin,  baß  bie  SJe^ 
nebictinerregel  ju  6lugn^  burc^  baö  (Sebot  be^  ©titlfd)njeigenö 
üerfc^ärft,  unb  baß  in  bie  allgemeinen  ÜÄöncf)gpfli(^ten  burc^  grau* 
ci^u^  ber  JBerjid^t  auf  eigent^ümlic^en  SBefife  aud)  ber  ©efcH* 
fc^aft  cingefc^oben  tourbe.  S5eibe§  ^at  bcn  ibcntifc^en  Qtocd,  bie 
beftimmungömägige  grci^eit  öon  ber  SBelt,  mlä)c  man  in  ber 
gorm  bed  ÜÄönc^t^umö  erftrebte,  gegen  bie  {RüdEföUe  in  bie  SBer* 
tt)eltlic^ung  fieser  ju  fteßen.  ©e^en  nun  alle  {Reformen  bcr 
STOönc^orben  unb  alle  ©rünbungen  neuer  Drben  auf  biefeiS  ge* 
meinfame  ßi^l  öw^r  fo  ift  bie  {Reform  be^^  SJer^ältniffe^jJ  jiuifdtjen 
Äir^c  unb  ©taat^getoalt,  auf  njcldje  ©regor  VII.  cö  abfa^,  nur 
bie  a[ntt)enbung  beö  für  baö  eigentliche  ct)riftlic£)e  Sebcn  geltenben 
©runbfafee^  auf  bie  red^tlic^e  Drbnung  ber  großen  religiöfen  ©e^: 
meinbe.  ©ollte  baS  d)riftlid^e  Seben  in  bcr  ©eftalt  bc^  Mönä)^ 
t^umij  oon  ben  toeltlic^en  3lnläffen  feiner  Sßerfümmerung  frei 
gcfteUt  njcrben,  fo  jiemte  e^  fic^  auc^  nidjt,  baß  bie  ©etoalt  be^ 
meltUc^en  Staate^  in  bie  Sled^tdorbnung  ber  föirc^e  Sfirifti  ein^ 
griff,  ffiö  ift  nun  nic^t  juföUig,  ba§  ein  Glunioccnfermönd^  biefe 
^freiung  ber  fiird^e  fic^  jur  Aufgabe  fegte.    2)enn  bie  refor- 


12 

mitte  Kongregation  Don  Slugn^  toat  mit  ben  Sntereffen  ber 
ganjen  ftirc^e  bobur^  in  SSerbinbnng  gebracht,  bog  fie  birect  bem 
^pftc  nntergcorbnct  njurbe.  Unb  bog  fie  be^  SEBert^eö  bicfer 
€teQung  in  i^rer  Slüt^ejeit  fici^  too^l  6en)ugt  n)QT,  ge^t  barou^ 
^cröor,  bafe  bic  ßluniaeenfcr  bcfttebt  gcrocfcn  finb,  bic  ^EielU 
geiftlic^feit  jur  ?[nnQ^me  be^  fononifd^en  b.  f).  bem  SJ^önc^t^um 
möglid^ft  analogen  ficbend  ju  beftimmen.  3n  biefer  Stiftung 
liegt  auc^  bic  SuSfic^t  auf  bie  3lu^fd)(iegung  ber  ^rieftcre^e, 
bur^  beren  SBcrbot  ©regor  VII.  feine  'Befreiung  ber  fiird^e  oom 
©taate  am  tt)irtfamften  ju  unterftüftcn  ücrflanb.  S)ic  c(uniacen= 
fifc^e  SReform  beö  3Jiönc^t^um^  jie^t  alfo  bie  mönc^ifc^e  Sieform 
be^  ft(eruS  nac^  fid^;  eine  burc^  folc^en  ^(eru^  vertretene  ^irc^c 
fonnte  bie  9(6^ängigfeit  oom  n)c(tlic^en  ©taate  nid)t  ertragen; 
bad  ift  ber  ßufammen^ang,  in  n^elc^em  bic  Spotte  mac^enbe93e^ 
beutung  ©regor'g  alö  eine  rcformatorifc^e  ju  üerfte^cn  ift. 

lieber  ben  SBertl^  ber  cluniacenfifc^en  unb  gregorianifc^cn 
Sleform  fann  man  aber  ein  jurcic^enbed  Urt^cil  f^on  aug  bem 
SSerlaufc  bilbcn,  n)el(^en  iene  Sen)egung  innerhalb  beg  9}2ittet« 
alters  na^m.  (Einmal  ift  bic  Slbfid^t  auf  bie  9{eform  bed  Wlondi^ 
t^umS  allein  ein  Unrecht  gegen  bie  groge  äRaffe  ber  jhrc^en:: 
glieber.  3)ann  ift  bic  immer  toieber  eintretenbe  Slot^wenbigfeit 
t)on  {Reformen  beö  3Jiöncf)t^umg  ein  beutlii^er  93ett)eiö  für  bie 
3ieUofigfeit  beS  Unterncljmenö,  bic  c^riftli^c  SoIIfommcn^eit  in 
ftatutarifd)cn  formen  ber  blogcn  Verneinung  ber  SBelt  au^u* 
Vrögen.  Snblic^  ift  bie  Unab^ängigtcit  einer  mit  reichem  ©igen* 
t^um  aui^geftatteten  unb  re^tlic^  georbneten  Jlirc^e  uom  @taate 
feine  Söürgfc^aft  für  i^rc  Befreiung  oon  bem,  toaö  im  fittlidicn 
@inne  äBcIt  ju  nennen  ift.  Senn  @igentl)um  unb  9ie^t  finb 
in  bicfem  ©inne  burc^auef  njcltlic^c  SJejie^ungen  unb  Drbnungcn. 
S)ic  Stixd)c,  tücld^e  njcf entließ  unter  ben  3Jierf malen  beö  finnen* 
fälligen  Sigent^umS  unb  ber  Stec^tSfunctionen  aufgefaßt  fein 
tt)ill,  ift  gerobcju  ein  2;^eil  ber  SBett.  9lun  fommt  ^inju,  bag 
bie  t)on  ber  faiferlii^cn  Snüeftitur  frei  gemad^te  £irdt)e,  toeld^e  in 
bemfelbcn  SRaumc  ober  öiclme^r  in  benfelben  ^Perfoucn  nid^t 
gleichgültig  gegen  ben  ©taat  cjiftiren  fonnte,  fid^  jur  Dber^err:! 
fd^aft  über  benfelben  auffd^toingen  mußte.  Snbem  alfo  bie  Äird^c 
fi^  aud^  aU  bie  urfprünglid^e  3nl)aberin  beS  tueltli^cn  @d)n)ertcS 
barfteütc,  ücrrät^  fie,  bag  fie  burc^  @regor  erft  rcd)t  auf  ben 
äBeg  ber  Sermeltlic^ung  geführt  morben  n^ar.    tiefer  @rfolg  ^at 


13 

nun  aber  anä)  fd^on  im  SKittclaltcr  feine  factifd^e  Söeric^tigung 
gefunben.  greilic^  nici^t  burd^  bie  SReformconcilicn  beö  15.  ^af)x^ 
^unbert^,  aber  bur^  baö  ©^[tem  ber  SanbeöKrc^cn.  (J^  ift  eine 
birectc  Äbfd^affunfl  ber  flreflorianifd^cn  {Reform,  bag  in  Sngtanb, 
@<)anien  unb  granfreic^,  in  ben  beiben  legten  Sänbern  fogar 
bur^  förmlid^e  (Sonceffion  be^  $apfted,  bie  Ernennung  ber 
JBif^öfe  in  bie  ^anb  ber  Könige  geiangte.  ©elbft  in  2)eutf^* 
lanb  tt?urbe  ein  lanbe^firc^lic^eö  Softem  in  bem  SKafee  erreicht, 
afe  baö  römifc^e  SReid^  beutfc^er  Station  fid^  in  einen  öunb  todU 
lieber  unb  geiftlid^er  gflrften  üerwanbelte,  unb  bie  Söcfcfcung  ber 
Sidtpmer  in  Z)eutfd^(anb  ben  fociatcn  unb  politifd^en  Stnfprüc^en 
bed  l^o^en  unb  mittleren  ^beld  bienftbar  gemad^t  n)urbe. 

Snbeffen  gcrabc  in  ber  Qdi,  alö  bad  gregorianifd^e  ©Aftern 
feine  am  njeiteftcu  gel^cnben  Folgerungen  entfaltet  I)atte,  be^ 
jeic^net  bie  Sfleformation  bed  ^eiligen  t^ranj  bon  ^ffifi  eine  neue 
Spoc^  ber  abenblänbifc^en  Jiirc^e.  ^Id  ©tifter  eineö  neuen 
OrbeniS  fc^eint  er  fic^  freili^  nur  ber  SRci^e  feiner  Vorgänger 
anjufc^liegen,  unb  bag  er  bie  (Sntfrembung  feiner  Orbenöbräber 
Don  ber  äBelt  burc^  bad  ftarfe  äßittel  ber  böQigen  Srmut^  ju 
fid^ern  fud^te,  f^eint  i^n  nur  bem  ®rabe  nadö  bon  ben  früheren 
Drbenöftiftern  ju  untcrfc^eiben.  3ebodö  ^at  er  bie  unberfcnnbare 
Abfielt  gehabt,  in  ber  gorm  feinet  Drbeng  baö  ec^te  ©Triften« 
t^um,  fo  JU  fagen  bie  Religion  3efu  ju  erneuem,  unb  ber  ©r* 
folg  feineö  Sebenö  ift  bon  ben  3eit9C"offen  gcrabe  in  biefcm 
©innc  berftanben  worben.  S)ie  ältere  auöfü^rlid^ere  9tegel  beö 
^eiligen  t^ranj  in  23  Sapiteln  toirb  im  Eingänge  ba^in  beftimmt 
vivere  in  obedientia  et  in  castitate  et  sine  proprio,  et  domini 
nostri  Jesu  Christi  doctrinam  et  vestigia  sequi,  qui  dieit 
9»att^.  19,  21;  16,  24;  Suc.  14,  26;  ÜRatt^.  19,  29.  2)ie  jüngere 
Don  ^onoriuö  III.  genehmigte  9{egcl  (in  12  Sapiteln)  beftimmt 
bie  vita  fratrum  rainorum  bal^in,  eyangelium  d.  n.  J.  Chr.  ob- 
servare  vivendo  in  obedientia,  sine  proprio  et  in  castitate. 
Sd  fommt  alfo  barauf  an,  bag  bie  mönd^ifc^en  (£nt{)altungen  biö 
ba^tn  gefteigert,  aber  auc^  in  bem  ©inne  beabfic^tigt  tDerben,  bag 
pc  ben  allgemeinen  Slnforberungen  Scfu  an  feine  Sünger 
unb  feinem  eigenften  ^orbilbe  entfpred^en.  S)eö^alb  mirb  aud^ 
in  ben  einjelnen  Orbenöuorfc^riften  ftetö  9ittcffic^t  genommen  auf 
bie  @runbfäge  ber  allgemeinen  S)ienftfertigfeit  unb  9lad^giebigfeit, 
toA^  baö  SDangelium  aufftellt.    Snöbefonbere  merben  bie  Sor- 


14 

fdjtiftcn  Sefu  an  feine  Sflngcr,  ba§  jte  o^ne  Za\ä)c,  ®clb,  ©tab 
burc^  bic  aOSett  flc()cn,  überall  mit  bem  griebcn^gruge  einic^ren 
unb  ©aftfreunbfd^aft  fud^en  foßcn,  toörtli^  auf  bic  Drbcnggc*^ 
noffen  be^  ^eiligen  granj  übertragen.  3)aäu  aber  lommt  bie 
Verpflichtung  junt  ^rebigen  üor  bem  SJolf,  in  ber  abfielt,  bafe 
bie  c^riftlic^en  ©rnubfäfee  aQfeitiger  ©clbftüerlcugnung  fo  üiel  xoic 
möglici^  aud^  in  bem  bid  ba^in  burd^  bie  ^ird^e  i^emac^Iäffigten 
fiaienftanbe  jur  Geltung  unb  Uebung  gebrad^t  n^urben.  ^a^  tuar 
fc^on  ba^  S3eftrcben  bed  $etru^  äßalbu^  gcn)efen ;  i^m  aber  l^atte 
e^  bie  fir^li^e  S(uctorität  nic^t  jugeftanben.  3nbeffen  tuirb 
ein  aWenfc^enaltcr  fpäter  bie  aufgäbe  üon  granci^uö  unb  üon 
^ominicud  gleid^jeitig  n^ieber  aufgenommen;  unb  i^rem  antriebe 
tt)ie  il)ren  Sinric^tungen  ju  bicfem  Qxoede  ttjirb  bie  ürd^Uc^e  @e*= 
ne^mtgung  ju  X^eiL  Sie  ^lebigt  ber  93uge  aber,  ober  bie  (Sm^^ 
Vfe^Iung  be^  a^fetifc^cn  Sebcn^  an  bie  Saien  ^at  ben  ©inn,  bag 
innerl^alb  ber  fat^olifd^en  ^irc^e  fclbft  eine  Ausgleichung  beS 
SbftanbeS  jn^ifc^en  ber  c^riftlid^en  SSoUtommen^eit  beS  äJ^önc^« 
t^umS  unb  bem  blod  v^ffiDen  (S^riftent^um  ber  Saien  üerfuc^t 
tt)erben  foll.  3)a§  nun  bicfe  Unternehmungen,  ingbefonbere  bie 
beS  ^eiligen  t^ranj,  auf  Steformation  ber  j^irc^e,  b.  1^.  auf  bie 
^erftedung  beS  urfprflnglic^en  (Si^riftent^umS  ^inauSfommen,  ift 
t)on  gleictijcitigen  unb  nad^folgenben  S^^fl^n  ganj  auSbrüdlid^ 
anerfannt  ttjorben  *).     An  bem  {Reformator  an^  Äffifi  ift  auc^ 


1)  Jacobas  a  Vitriaco'  (f  1244)  Historia  occidentalis  cap.  32: 
Addidit  dominus  in  diebus  istis  quartam  religionis  institutionem  (n&m* 
It4  ))(n  S^ranclScancrorben).  Si  tarnen  ecclesiae  i^rimitivae  statura  et  or- 
dinem  diligenier  attendamus,  non  tarn  novam  addidit  regulam,  quam 
yeterem  renovavit;  relevavit  iacentem  et  paene  mortuam  suscitavit 
religionem  in  vespere  mundi  tendentis  ad  occasum,  imminente  tempore 
fiUi  perditionis,  ut  contra  Antichristi  periculosa  tempora  novos  athletas 
praepararet  et  ecclesiam  praemuniendo  fulciret.  —  Ubertinus  de  Casali 
(^inorit  um  1312)  Arbor  vitae  cruciiixae  lib.  Y.  cap.  3:  Jesus  ulti- 
mam  citationem  ad  ecclesiam  quinti  temporis  destinavit,  suscitans  viros 
veritatis  excelsae,  qui  et  exemplo  snae  vitae  fortissime  argaerunt  de- 
formatam  ecclesiam,  et  verbo  praedicationis  excitarunt  plebem  ad  poe- 
nitentiam  ....  Inter  quos  in  typo  Heliae  et  Enoch  Franciscus  et 
Dominicas  singulariter  claruemnt  ....  Quia  vero  totum  malum  quinti 
temporis  fuit  in  depravatione  vanitatis  multiplicis,  quae  ex  cupiditate 
et  abundantia  temporaliam  trahit  fomentum,  idciroo  ille,  qui  tempo- 
ralia  radicalius  a  se  et  a  suo  statu  exclasit,    ilie  (Franciscus)  princi- 


15 

nxd)t  bcr  hjarmc  $ufö  bc3  frommen  ^crjenö  ju  Dermiffen,  aud& 
nt^t  bte  ernfte  äBert^Iegung  auf  bie  Snftonj  be^  St^angcUumd; 
mclme^r  üerbflrgt  bie  ganje  Sebendf&^rung  bed  augerorbentlid^en 
äRonned  eine  ^ö^c  unb  ^nnerlic^fcit  ber  c^ri[tHd)cn  ©efinnung, 
fotoic  einen  Umfang  bcr  ÜÄenfd^enliebc,  an  tt)elc^c  feiner  t)on 
bcnjenigen  l^inanrcid^t,  tt)cld)c  fonft  burci^  ben  2;itel  eine^  SRefor^ 
mator^  ber  ^irc^e  au^geicid^net  n)crben.  ^ie  rcformatorifc^e 
Hbftc^t  bcd  ^eiligen  t$i^<^nj  i[t  aud)  nic^tö  tDeniger  als  erfolglos 
gen)efen;  man  mug  nnr  nid^t  ben  3(nfpruc^  mad^cn,  bag  feine 
aSBirlungen  benen  Sut^er'^  unb  3^üingli'^  glei^artig  fein  müßten, 
um  überhaupt  aU  ©rfd^cinungen  rcformirten  E^riftent^um^ 
gelten  }u  f önnen.  S)enn  Der  3^^^/  ^^^  aSfetifdje  fiebcn  aud  ben 
äRauern  ber  Älöftcr  in  bie  ©cfeUfd^aft  ber  SScItlcutc  ju  über* 
tragen,  ift  ben  SJeftrebungen  ber  {Reformatoren  bcö  16.  3a^r* 
^unbertd  gänjlid^  ungleid^,  unb  ebenfo  ift  bad  fpecififd^e  SJ^ittet 
boju,  toelc^ed  Stanj  angctoenbet  ^at,  jenen  äWänncrn  frcmb. 

Sd  tDirb  erjä^lt,  bag  bie  33ugprebigt  bed  ^eiligen  t^ranj 
einen  gemattigen  Drang  jum  Ätofterleben  unter  bcm  SSoIte  er« 
regt  ^at;  unb  bad  ift  fe^r  i^crftänblid^,  ba  bie  @}runbfä^e,  tDeld^e 
^ranj  ald  ben  Sn^alt  bcd  allgemeinen  S^riftcnt^umd  oerfünbigte, 
bid^er  nur  in  bcr  befonbcrn  goilb  bcö  ÜÄönd^t^umö  jur  Slu^- 
Übung  gelommen  maren.  @^  (am  aber  bcm  Steformator  barauf 
an,  bie  a^fetifc^c  Scbcn^meifc  auc^  in  bie  bürgertid^c  ©cfcUfc^aft 
cinäufü^ren.  3"  biefcm  3roccfc  ^at  er  nun  neben  bcm  mann« 
liefen  Orben  bcr  fratres  minores  unb  bem  meibtic^en  bcrSIarif* 
finncn  ben  ordo  tertius  de  poenitentia,  nämlid^  fiaicncongrega* 
tioncn  t)on  9Rännern,  bejie^ung^meife  üon  SBcibcrn  in«  Seben 
gerufen,  unb  mit  einer  20  Slrtifcl  umfaffenben  SRcgel  *)  üerfctjcn. 
3n  bicfer  l^albmönc^ifc^cn  ^crbinbung  ))on  Saicn,  tDcI^e  in  i^rcr 
tt)e(tUc^cn  ficben^ftcUung  bleiben,  ^at  man  ben  bircctcn  @rfo(g 
feiner  SBicber^crftcUung  bed  urfprünglic^en  &^riftcntf)umi$  ju  er« 
fennen.  S)cr  nad^  bestimmter  Prüfung  erreichbare  Sintritt  in 
bicfe  IcrtiariergefcIIfd^aften  foU  fo  üerpflic^tenb  fein,  bafe  man 


palis    dicitur  huias  temporis  reformator.     $et  ®tefeter  P.  ®.  II.  2. 
6.  325.  850. 

1)  Sergt.  Lqc.  Holstenias,  Codex  regularum  monasticarum  et 
cmnonicamm  aoctiiB  a  Mariano  Brookie.  Aug.  Vindelic  1759  (VI 
tomi  fol.)  Tom.  III.  S)Q{eIbp  au4i  bte  anbeten  Siegeln  beS  ^tlioen  gfroncUcuS. 


16 

nur  austreten  fann,  mcnn  man  in  einen  DoDftänbigen  Orbcn 
übergebt.  (Ehefrauen  bebürfen  ^ur  Slufna^me  ber  (Einn^tOigung 
i()rer  äßönner.  Sie  9)Mtglieber  [ollen  alöbalb  noc^  bem  (Eintritt 
i^r  Xeftament  machen,  um  in  biejer  ^^orm  ber  Sorge  um  i^r 
Sigent^um  }u  entfagen.  Xie  X^ei(na()me  an  Belagen  unb 
2;äni\en,  namentlich  ober  an  Sc^aufpielen,  fogar  bie  inbirccte 
Uuterftü^ung  fotd)er  Vergnügungen  n)irb  i^nen  verboten.  S)er 
6ib  tüirb  bcn  Xcrtiariern  nur  in  genau  bcftimmten  ^äden  er* 
laubt,  baS  @d)n)öreu  im  täglichen  Seben  bagegen  verboten;  bad 
fragen  uon  SSaffen  nur  jur  Vert^eibigung  ber  römifd^en  ^irc^ 
unb  beS  SBatcrIanbed  geftattet.  Senn  im  SÖiagemeinen  n^erben  [te 
jur  t^öQigen  ^ricbfertigfeit  angehalten.  Qnx  £leibung  n7irb  ge« 
ringet  %u6)  Don  lueber  meiger,  nod^  fc^marjer,  alfo  Don  grauer 
garbe  Dorgef (^rieben.  Jlufeerbem  ttjerben  bie  Sertiarier  ju  ftei* 
gigem  '^efud^  be^  @otte^bienfte^,  Slb^altung  ber  fanontf^en 
©tuuben,  [läufiger  Seichte,  regelmäßiger  Gommunion,  ju  Dicr 
tüöd)entlic^en  gafttagen,  jum  Söefud)  ber  Üranfen  auig  i^rer  ®e» 
noffenfc^aft,  jur  2;t)eilnat)me  an  ber  Öeerbigung  ucrftorbencr 
GJenoffcn,  enblic^  jur  Unterwerfung  unter  bie  regelmäßige  SifU 
tation  burc^  i^re  Vorfte^er  (ministri)  angehalten,  ©leid^artige 
@emeinfc^aften  entftanben  au^  aU  Sn^änge  beiS  Sominieaner« 
orbeng  uub  ber  fpätercn  Drben  ber  Äuguftiner,  SKinimen,  ©er* 
oiten  unb  SCrappiften.  Slud^  bie  Scfuiten  I)aben  folc^e  Songre» 
gationen  Don  fiaien  gebilbet.  Ser  eintrieb  be^  l^eiligen  t^ranj 
mxtt  alfo  in  biefer  ^ejie^ung  burd^  bie  ganje  Spotte  ber  {at^o>« 
lifc^en  Jiirc^e,  tuelc^e  feit  i^m  Derfloffen  ift.  SBod  aber  hai 
!IDdttelalter  betrifft,  fo  bcn^ä^rt  bie  franciScanifdie  unb  bomtni« 
canifdje  ^rebigt  il)re  reformatorifc^e  Slbfic^t  in  ber  Ausbreitung 
einer  an  bad  e^elid^e  unb  an  baS  bflrgerlid^e  Berufsleben  aceom« 
mobirten  SlSfefe,  tueldje  ben  9lbftanb  jmifc^en  äRönc^en  unb  Soien 
«jenigftenö  Derminbert.  3m  SlUgemeinen  entfprid^t  biefeä  Unter^ 
nehmen  bem  Slnfpruc^e  ber  @leic^^eit  unb  @emeinfd^aft(id^feit 
beS  6:^riftent^umS  mel)r,  alS  bie  ä3efd^ränfung  ber  9leform  auf 
ba^  aKönd)t^um  in  ber  erften  ^älfte  beS  aWittelalterS.  3m  öc* 
fonbcrn  aber  ergiebt  fic^  ber  bloö  relatiDe  SBert^  ber  franciS* 
canifd)en  9{efonnation  auS  bem  SJJittel  ju  jenem  Qtoed.  (fö  tarn 
nämlic^  boc^  nur  jur  ©rünbung  einer  neuen  Art  Don  Drben. 

Sbfic^tlid^   fte[)t  bie  franciSeanifc^e  ^Reformation  ebenfo  im 
Dienfte  beS   mittclaltrigen  ©ijftcmS  ber  abenblänbifd^en  SHtc^e, 


17 

toic  fic  fid^  in  bcr  fat^otifd^cn  Änfc^auung  t)om  c^riftUd^cn  Sebcn 
^ält.  andn  in  bcm  ©runbfaftc  bcr  t)oII!ommenen  Slrmutf)  unb 
©flcnt^um^lofiflfcit,  ttjcld^cn  S^anj  öon  Slffifi  für  feinen  Drben 
aufftcHte,  tag  ein  Slnla§  jur  SoQifion  jroifc^en  ber  agfetifd^cn 
Sicform  bcr  Äir^c  unb  ber  päpftlid^en  SBelt^errfd^aft.  S)ic  SSer* 
treter  be^  ^apftt^um^  n^aren  fic^  xdo\)1  bemüht,  ba&  bem  geift* 
lid^cn  ©c^ttJcrtc  boö  Uebergett)id^t  über  baö  tüclttid^c  nid^t  ju  gcs* 
»innen  ober  ju  erhalten  mar,  njcnn  nid^t  bic  3Kaffe  t)on  ttjclt^ 
lid^em  (£igentf|um  mit  ber  geifttid^en  Äuctorität  öcrbunben  ttjar. 
3)ic  cntgegcngefcftte  änfid^t,  ba^  ber  SIeruö  unb  bic  SKönc^e, 
toeld^c  (8igentf|um  befäfeen,  nic^t  fctig  merben  fönntcn,  ^atte 
Ärnolb  Don  SörciScia  mit  bem  Seben  büßen  muffen.  3)eöf|alb  ift 
cS  Dcrftänblidi;  baß  bic  5ßäpftc  bcn  ®runbfa§  ber  öoQftänbigen 
Sepfelofiglcit  aud^  nid^t  in  bem  befc^ränften  ©ebiete  bcö  granciö* 
cancrorben^  bulben  moQten.  ®enn  fic  mußten  barin  einen  ftiQcn 
SSonourf  gegen  i^r  ©^ftem  crfcnncn  unb  befürd^ten,  baß  barauö 
ein  allgemeiner  SBiberftanb  gegen  bic  ©igent^umörcd^tc  berSird^c 
an  njcltlid^cn  ©ütern  ^crDorge^en  ttjcrbe.  3)iefe  Dppofition  Iiabcn 
i^ncn  nun  aud^  bic  ©piritualen  im  granciöcanerorben  gemacht, 
unb  jtoar  in  einem  SÄaßc,  baß  fic  nid|t  fdjärfer  gebadet  toerben 
!ann.  ^ier  finbet  fic^  alfo  bie  ffirfc^cinung,  baß  eine  fo  tat\)o^ 
lifd^^gcartcte  ^Reformation  mie  bie  francigcanifd)c  tt)cnigften^  t^eil^ 
tocifc  in  bic  Dppofition  gegen  baö  fird^Iid)e  ©t)ftem  umgcfc^Iagcn 
ift.  S)enn  bic  ©pirituaten  urt^ciltcn  nur  in  bcr  golgcrid^tigteit 
be^  reformatorifd^cn  ^rincip^  ifire^  SÄciftcrö,  baß  baö  ^apftt^um 
unb  bic  Äirc^e,  njctc^c  nid^t  auf  baS  Sorbilb  bcr  apoftolifd^cn 
3rorm  bc^  d^riftlic^en  SebenS  jurüdEgcl^en,  fonbern  ba§  (S^riftcntl)um 
bcr  ©piritualen,  njclc^c^  bcm  ßDangclium  S^rifti  fetbft  cntfprid)t, 
unterbrüdEcn  njoUten,  bcm  Slntid^rift  angehörten,  ©ic  befd^ränftcn 
fid)  nun  aber  barauf,  bie  {Reformation,  meldte  biefcr  §ö^e  beö 
Scrbcrbcng  in  ber  Äird^e  gett)ad^fcn  fein  mürbe,  ber  Sulunft  an^ 
^cimjuftcncn^  toenn  baS  eroige  ©öangcüum  be^  ©eifteS  roirlfam 
fein  werbe.  63  ift  ba^  öicUcic^t  ein  ftiQcö  ©ingcftänbniß  baöon, 
baß  aud^  bic  ©teigerung  i^rer  a^fetifc^en  SRcformmittet  für  bie 
unmittelbare  ffiinfü^rung  ber  9JoQfommcnf|cit  ber  Äircf)c  nid^t 
jurei^e.  3)ircct  freiließ  rid^tet  fid^  bie  Hoffnung  auf  bie  julünf* 
tigc  9teformation  bur^  ba^  eroige  Süangelium  banad^,  baß  auc^ 
ba^  twbammcnbc  Urt^eil  über  bie  antid^riftlid^e  Serberbniß  ber 
Airc^e  an  ber  Stpofal^pfe  be^  So^anncd  orientirt  roar.    tiefer 

L  2 


18 

Sctocguttg  nun  ift  bic  mtttelaltrigc  Äir^c  mäd^tig  gctüorbcn. 
SRad^  bcn  ©türmen  unb  Sonflicten,  rocld^c  bic  ©piritualen  im  13. 
unb  14.  3a^t^unbcrt  erregt  \)abcn,  unb  n^eld^e  i^rcr  SSicle  auf 
bcm  ©c^citcrfiaufen  büßen  mußten,  ließen  fie  fic^  jur  JRu^e 
bringen,  inbem  \>a^  Soncil  t)on  Sonftanj  fie  aU  Fratres  regu- 
laris  observantiae  ancriannte.  SSon  ha  an  bringt,  fo  weit  baS 
SWittelattcr  reid^t,  t)on  if)rer  Stbgencigt^eit  gegen  bic  römifd)e 
Äirc^c  nic^tg  mel^r  an  bic  Dberfläd)e.  5Daß  jcbod^  biefe  ©tim^ 
mung  im  Greife  beS  genannten  DrbenS  ööHig  Derfiegt  fein  foHtc, 
ift  fd^n)cr  ju  glauben.  ®er  fd^tücigenbe  ©c^orfam  Don  äßönc^cn 
Der^ünt  bem  ferner  ©tc^cnben  manche  {Regungen,  tüclc^e  aud^ 
burd^  ^atbe  änbeutungcn  im  engern  Äreifc  jum  ©cmeingutc 
SBieler  toerben  lönnen.  2(lfo  n^enn  auc^  baö  15.  3al)r^unbert 
lein  3)ocumcnt  baüon  barbieten  follte,  baß  bic  granciöcancr* 
Dbfcrüanten  i^rcn  grünblid^en  SBiberfpruc^  gegen  bie  SJcrttJctt^ 
tid^ung  bc^  römifc^en  ^apftt^umS  unter  fid^  unb  ifiren  %extia^ 
ricrn  fortgcpflanjt  ^aben,  fo  folgt  barau^  nid^t,  baß  berfetbc  in 
jenem  ß^traum  DoQftänbig  aui^gcftorbcn  toar. 

2)ie  ©rfd^einungen  be^  äRittelatterg,  ttjclc^e  in  furjem  Uebcr* 
blidEc  t)orgefü^rt  toorben  finb,  faden  unter  einen  Segriff  t)on 
{Reformation,  ber  einen  t)icl  njcitcrn  Umfang  l^at,  als  berjcnigc 
ift,  öon  toelc^em  bie  proteftantifc^c  @efd^id^t3betrad)tung  fi^ 
leiten  läßt.  {Reformation  ift  bie  ^erftcQung  beö  richtigen  Ser* 
l^ältniffeg  jtoifc^cn  S^riftent^um  unb  SBclt,  unter  ber  SSorauS^ 
fcfcung,  baß  baffclbc  in  eine  SSermifc^ung  beS  Sliriftcnt^umS  mit 
ber  SBclt  übergegangen  ift.  3nner^alb  bicfeS  allgemeinen  93e* 
griffe«  !ommt  ebenfo  bie  {Rücffic^t  auf  bag  c^riftlic^c  ^crfonlcbcn 
njic  bic  auf  bic  SBcUftclIung  ber  Äird^c  in  SBctrac^t.  SRun  finb 
aber  bie  beiben  bejeid^neten  reformatorifc^cn  (8pocf)cn  baburc^  bc* 
fonberö  bebingt,  baß  fie  üon  ber  fatl^olifc^cn  ©Haftung  beS 
^riftlic^cn  ßebenS  als  beS  SRönc^t^umS  unb  ber  Äird^c  alö  ber 
{Red^tSanftalt  bclierrfd^t  finb.  ©eS^alb  bcättJcdEen  biefe  gälic  öon 
{Reformation  t^cilS  bic  immer  njicberfc^rcnbc  unb  immer  gc^^ 
ftcigcrtc  Slblöfung  ber  mönd^ifd^en  aSolMommen^eit  üon  bem  Seben 
in  ber  SBclt,  t^cilS  bie  möglic^ftc  SluSbrcitung  ber  mönc^ifc^cn 
SBoHfommcn^cit  auf  bie  Saien,  bic  in  ber  gamilic  unb  im  bürgcr* 
liefen  Söerufe  bleiben  foUcn.  (Sbcnfo  betrifft  bic  {Reformation  ber 
Äird^c,  toclc^cOrcgorVII.  unternimmt,  bicäblöfung  biefeS  göttlichen 
Sied^tSinftitutS  öon  bcn  ffiinPffcn  bcS  rocltlid^cn  ©taatcS,  ber  ateOr* 


19 

ganfömu^  bcr  ©ütibc  ouSgcgcbcn  toirb.  ®tc  Sieformation  ber  ÄirdEjc 
aber,  tocld^c  bic  ©piritualen  in  Slu^fic^t  nahmen,  bebeutet  bic  Sc^ 
freiung  berfelben  Don  bcr  allgemeinen  aSernjettli^ung ;  ba^  fBla% 
unb  bcr  Umfang,  in  xod^tm  biefe^  crftrebt  tt)irb,  bleiben  frcilid^ 
im  S)unfcln,  ba  bad  @cfc^äft  einem  übernatürlid^en  Eingreifen 
©ottcö  in  ber  B^^t^^f*  an^eimgcftcQt  unb  t)on  feinem  3)ienfd)en 
unmittelbar  in  bic  §anb  genommen  n)irb. 

3rür  bic  franci^camfc^e  {Reformation  bcr  fatl^olifd^en  Äirc^c 
ift  nun  aber  befonberS  bemcrlengmert^,  ba§  biefelbe  an  bcn 
SKagftab  ber  urfprünglid^en,  öon  ber  SSermifd^ung  mit  ber  SBclt 
nod^  freien  Äird^e  angelehnt  teirb  (@.  14).  3)iefe  {Rficffid)t  ift 
jcboc^  nic^t  auf  bcn  Ärei^  bcr  franci^anifc^en  Unternehmung 
befc^rönft,  unb  atd  eine  au^fc^liegUc^c  SigentpmUd^feit  berfelben 
ju  betrachten;  t)ielme^r  ift  bic  SSorbitblic^tcit  ber  gcfeUfd^aftlid^cn 
Suftänbc  bcr  crften  ©emeinbc  ju  Scrufalcm  ba«  ©tid^tüort  faft 
aller  äteformationöbeftrebungen  in  ber  jtt)citen  §älfte  beö  äRitteU 
attcrö.  ©affelbc  taucht  juerft  in  bcn  ©d^riften  bc«  3oac^im 
Don  gioriö  (t  1212)  auf»),  @lci%itig  (um  1170)  ift  5ßetrug 
SEBalbug,  ber  aSorgdngcr  bc«  ^eiligen  granj,  um  bic  ©rneucrung 
bc«  apoftotifc^en  Seben«  in  bcr  toirllic^cn  Söeobad^tung  bcr  ©c- 
böte  E^rifti,  in  freiwilliger  Slrmut^,  überfiaupt  in  euangclifd)cr 
(aöfetifc^cr)  SJoQfommenljcit  bemüht.  @«  ift  noc^  immer  nöt^ig, 
gegen  bic  öulgärc  Irabition  oon  ber  nat)ern  SScrnjanbtfd^aft 
bicfcr  ©rfd^cinung  mit  ber  {Reformation  be«  16.  Sa^r^unbcrt« 
auf  ba«  3<^wfl^i6  ^^^  Ö^^i^g*)  ju  öcttücifcn,  baß  biefc  „{Reform 
auf  lat^olifc^cm  ©oben  ftcljt  unb  in  it)m  murjclt".  SBcnn  auc^ 
bcr  Änfpruc^,  bic  urfprilnglicl^c  Äirc^e  ju  erneuen,  t)on  Slnfang 
an  bur^  SEBalbu«  nic^t  Vertreten  ttjorben  fein  foHtc,  fo  I)aben  bic 
S33albcnfer  fic^  baburd^  ju  legitimiren  gelernt  ^).  gcrncr  fjcgt  bic 
Xbfic^t   einer  fold^en  {Reformation   ber  93ö^mc  SRatt^ia«  wn 


1)  ©ei  ^it]tUx,  Ä.  ®.  IL  2.  6.  353.  Quam  vero  longo  sit  omnis 
moderaa  religio  a  forma  primitivae  ecclesiae,  ex  multis  intelligi  potest. 
Unter  beffen  SBeiffagungen,  toeld^e  bie  granciScancr  auf  fi^  bejogeu,  mö^te  nod^ 
9.'8  Uri^U  (6.  8M)  fotgenbe  fi^t  fein.  Necesse  est,  ut  succedat  simili- 
tudo  Vera  apostolicae  vitae,  in  qua  non  acquirebatur  possessio  terrenao 
haereditatis  sed  potius  vendobatur. 

2)  f)!e  romanil^en  gBan)en|er  (©aflc  1853)  6.  131.  141.  189. 

8)  S^re  iQt^oIif^en  Gegner  flreitcn  e8  i^nen  ob.  ^gl.  ©iefeler, 
St.  «.  IL  2.  6.  565. 


20 

Sanoto  (t  1394)  ^),  imb  in  bcm  burc^  bic  ^uffttcnfäm^fc  oufgc^* 
lüfi^ltcn  Sanbe  beginnt  (feit  1457)  bie  ©emcinbe  bcr  bö^mifd)cn 
©ruber  naä)  jenem  SJiufter  eine  bem  SBalbenfert^um  ä^nlid^c 
SebenSmeife,  welche  burc^  ifiren  ©tifter,  ben  SJarfüSer,  Sruber 
©regor,  t)om  granciöcanert^um  abgeleitet  ju  fein  fc^eint*).  Äud^ 
biefe  9lac^bilbung  ber  ©emeinbc  ju  Scrufalem  behauptet  biä  in^ 
16.  3a^ri  ben  fpccififc^  fat^otifc^en  I^pu«.  ©affelbe  3beal  f^ai 
jene  3)oppelgeftalt  ber  „mobemen  S^eöotion"  in  ben  SRiebertanben, 
bie  SBinbeS^eimifc^e  (Kongregation  ber  regulirten  Sluguftiner  unb 
bie  Srüber  unb  ©d^njeftern  be^  gcmeinfamen  Scbenö  geleitet, 
eine  SSerbinbung,  an  beren  fpecififc^  fat^olifd^em  S^arafter  nic^t 
gejmeifelt  werben  fann  ^).  SBie  fe^r  nämlic^  biefe  reformatorifc^c 
3nftanj  ber  fatf)oIifc^en  Slrt  entfpric^t,  er!ennt  man  enblic^ 
barau^,  bag  bie  S^fuiten  bie  t)on  i^nen  in  $aragua^  gebilbeten 
unb  regierten  3nbianergemeinben  aliS  baö  SRad^bilb  bcr  erften 
G^riftengcmeinben  gerühmt  ^aben*). 

@ö  njirb  njeiter  unten  gegeigt  tt)erben,  n^ie  ftc^  bie  SReforma* 
tion  beS  16.  3a^r^.  ju  bemjenigen  Segriff  öon  SReformation 
öer^ält,  uj^ld^er  für  bie  beurt^eilten  Srfc^einungcn  beö  abenb* 
länbifd^en  äRittetalterö  fic^  atö  mafegebenb  erliefen  ^at.  Sei  ber 
^ier  angebeuteten  ©lieberung  ber  ©efd^id^te  ber  abenblänbifc^en 
Äirc^e  njirb  aber  bie  feit  glaciuö  gangbare  Äategorie  ber  SSor* 
läufcr  ber  ^Reformation  ßut^er'S  er^eblid^  ju  rebuciren,  unb  eö 
ttjerben  namenttid^  bie  oben  befprod^enen  ©rfd^einungen  ju  bem 
©ebiete  ber  franci^canifd^cn  ^Reformation  ju  fd^lagen  fein.  @ö 
fäme  ferner  nod)  barauf  an,  bie  fat^olifc^e  ßontrareformation  be^ 
16.  3a^t^.  nac^  jener  gotmet  ju  beftimmen.  3nbeffen  foH  jum 
Slbfc^luß  biefer  Erörterung  nur  noc^  baran  erinnert  njerben,  ba§ 
bie  morgenlänbifd^c  ^irc^e  öon  reformatorifd^en  Söeftrebungen  ber 
?trt,  tt)oburd^  bie  abenblänbifc^e  ftetS  in  S8ett)egung  gefefet  njorben 
ift,  nic^tö  barbictet.  3)iefelbe  ift  in  i^rer  Siturgie  unb  iljrer 
lirc^lic^en  ©itte  feit  bem  6.  3a^r^.  jur  SRu^e  gelangt.  Stuf  i^rem 


1)  Stxummtl,  (Sef4.  ber  bö^m.  9leformation  im  15.  3aH.  8.  89  ff. 

2)  a^inbelQ,   (S^efd^i^te   bec  bö^mtf(^en  Araber  (ißrag  1857)  Sb.  1. 
8.  21.  26  ff.    $gl.  3eitf4rift  fttc  ((ir^engef^i^te  IL  8.  397. 

8)  Acquoyi  Het  klooster  te  WindeBheim  en  sijn  invioed  (2  ^^etle, 
Utre^t  1875.  76)  II.  6.  336.  671. 

4)  (8iefeler,P.  (5.  III.  2.  6.  676. 


21 

©cbictc  finb  Äird^c  unb  ©toat  cnfl  t)crfIod^tcn,  tDcil  bic  Iird)Ud^c 
©ittc  jugleic^  SSolföfittc  ift,  unb  tpcil  bic  Äirc^e,  bcr  cö  blo^  auf 
bic  ©tetigfcit  bcr  liturgifd^cn  Drbnunfl  unb  ©itte  anlommt,  fic^ 
mit  bem  patriarcl^alifd)cn  3)c^poti^muö  im  ©taatc  ibcntificircn 
fann,  ober  fo  neutral  gegen  il^n  ift,  baß  feine  EoDifionen  erfolgen, 
auf  biefcm  ©ebiete  ift  c^  öielmclir  möglid)  getoefen,  baß  toic 
früher  bic  b^jantinifc^en,  fo  je^t  bic  ruffifc^cn  Äaifer  bic  ^ircl^c 
i^rer  {Rcid)e  inbirect  regieren,  unb  baß  umgefe^rt  bcr  ^atriarc^ 
Don  Sonftantinopcl  inncrljalb  be^  türfifd)cn  JReic^eö  ate  bag 
politifc^e  ^aupt  feiner  Äird^engenoffen  ober  feiner  Station  mit 
©crid^tiSbarleit  unb  ©teuerer^ebung  auögeftattct  gcnjcfen  ift.  2)a^ 
^Problem  be^  SBcr^ältniffeö  jnjifc^en  ©taat  unb  ^irdje,  weldicg 
im  Äbenblanbe  feit  Sal^r^unbcrten  immer  tt)ieber  bic  Äird^e  bett)egt 
unb  ben  ©taat  bcfd^äftigt,  ift  für  bic  morgenlänbifd^e  Äird^c  gar 
nid^t  uor^anben  *).  (Sbcnfo  njcnig  ^at  man  bort  je  einen  Slnlaß 
jur  {Reform  bciS  SKönd^t^umö  ober  jur  ©tiftung  neuer  Drben 
gcfunben,  nod^  ift  bic  ©teHung  beffclbcn  jum  Saiend^riftcnt^um 
ober  bic  be^  SBcltflerug  ju  ben  5Jlönd^cn  jemals  in  ^^^gc  gc^^ 
!ommen.  S)ort  giebt  e^  feine  befonberen  a^fctifc^cn  ßongrega* 
tioncn  t)on  Saien,  unb  bic  @^e  bcr  ^riefter  ift  nie  angetaftet 
toorben.  ©agegen  ^aben  aud^  nie  bic  benjcibten  ^riefter  bem 
?ßrioilegium  bcr  Sloftergeiftlic^fcit,  baß  au^  if|r  bic  Sifc^öfe  l^er- 
Dorgc^en,  fic^  tt)ibcrfe^t.  SBcil  biefe  2)inge  in  bcr  morgenlänbi* 
fc^en  Äird^e  ftetS  in  i^rer  feften  Drbnung  geblieben  finb,  ober 
weil  man  bic  baran  ^aftenben  Unorbnungen  nic^t  tief  empfunben 
^at,  fommcn  bort  feine  SReformationen  im  ©inne  bcö  Äbenb^ 
lanbeS  t)or. 

©c^einbar  ^at  bic  abenblänbifc^e  Äird)e  ju  bem  SRcid^c  Sarrs 
be§  ®roßen  in  bemfelbcn  SScrljältniß  geftanben,  tok  bic  morgen* 
länbifd^e  ju  ben  b^jantinifc^cn  Äaifern.  3)ic  Äirc^e  erf^cint  als 
cingegliebert  in  ben  fränfifc^cn  ©taat;  bic  Organe  bcr  Äird)e 
fielen  bem  Dber^aupte  beS  ©taatcö  jur  Serfügung  für  ©itten* 
juc^t   unb  ©d^ulc;    felbft  bic  ÄirdieuDcrfammlungen   unterliegen 


1)  Die  Kbfonberung  ber  SiarotDerjen  t)on  ber  niffif^en  f^taotSfir^e 
unb  bte  fanatif^e  ^bnei^ung  0e0en  biefelbe,  toeld^e  bei  jener  Partei  t)or» 
fomtnt,  ifi  nur  bte  accibenteüe  golge  bat)on,  bog  iene  WtgtAubigen  bie  unter 
bem  €4u^e  ber  ruffifd^en  StoatSgettolt  burc^eftt^rie  Sleform  ber  liturgifd^en 
9fl4er  iu  (fünften  i^reS  überlieferten  corrum))irien  ^efianbeS  abgelel^ut  l^aben. 


22 

bcm  tcitcnben  @influ&  unb  ber  ©cftätigunfl  beS  Saifcrö,  ber  ate 
bcr  JRegcnt  ber  ^eiligen  Äirc^c  bcjcid)nct  lüirb.  6rft  ber  Qcx^aü 
ber  faroUngifdien  SD^onar^ic  f)at  e^  bem  ^apfttl^um  tnöglid^  ge« 
ma^t,  auf  ben  SBcg  jur  ©elbftonbigfeit  unb  jur  ^errfd^aft  ber 
Ätrd)c  über  ben  ©taat  einjulcnfen.  ÄHein  biefe  Semegung  ift 
nid^t  jufäHtg  blo^  burd^  ben  SerfaQ  beö  larotingifc^cn  JRci^eö 
herbeigeführt  ttjorben;  unb  nid^t  rid)tig  wäre  bic  Slnna^mc,  ba§ 
ttjenn  berfelbe  ^ättc  unterbleiben  fönnen,  bie  abcubtänbifd^e  Äird)c 
in  einer  ben  b^jantinifd^en  SScr^ältniffcn  gleid^en  2lb^ängig!cit 
bom  ©taate  ber^arrt  ttjöre.  ®enn  bie  obenblänbifd^e  ^ird^e  be* 
faß  in  Sluguftin'ö  fie^re  bon  ber  Ueberorbnung  beö  ©otteiSftaatcg 
über  ben  tt)eltlid^en  ein  geiftigeö  aSermäd^tnig,  baö  jur  ^nxd)^ 
freu^ung  ber  btijantinifc^en  (Kombination  t)on  ©taat  unb  ^irc^e 
brängte.  @ine  foldjc  et^ifd)=politifcf)e  ©runbanfc^auung  fe^lt  bem 
b^jantinifc^en  Sl^riftent^um.  S)e^^aI6  ift  baffelbe  inbiffercnt 
gegen  ben  SBe^fcI  ber  (Kombinationen  Don  (Jfiriftent^um  unb 
SBelt,  in  n^eld^em  bie  abenbtönbifc^e  ftird^e  fic^  ju  ben  njieber* 
I|olten  {Reformationen  auffc^liefet,  beren  SBirfungen  unb  SBec^feU 
roirlungen  bie  ©cfc^ic^te  jener  Äirc^e  auöfüQen  unb  auSjeid^nen. 


3.  3)ie  Stgentpmlid^reit  unb  bie  Slbftammung  bet  SSiebertSufet. 

2)ie  SBiebertäuferei  alfo  foU  nad^  ©oebel  bie  grünblid^ere, 
entfd^iebenere,  boQftänbigere  {Reformation  fein,  xodd)c  aU  ,,^inb 
ber  9leformation"  ßut^er'ö  unb  gnjingli'ö  ju  er!enncn,  aber  Don 
ßutljer  feit  1522,  bon  3^ingli  feit  1524  aufgegeben  toorben  toäre. 
SRe^men  njir  cS  genau  mit  biefer  öe^auptung,  fo  fann  bie  ab* 
ftammung  ber  SBiebertäuferei  bon  Sut^er  unb  ßmingli  iunä^ft 
an  bie  It)atfad)e  ge!nflpft  tt)erben,  baß  bie  erften  ©rfd^einungcn 
jener  {Richtung  mefjrcre  3a^re  fpäter  auftreten  alö  bie  reforma* 
torifd^e  SBirfJam!eit  bon  Sutlier  unb  ßmingli  begonnen  l^at,  ferner 
baran,  baß  mand^e  gü^rer  jener  Partei  juerft  Sln^änger  ber 
beiben  {Reformatoren  gemefen  finb,  elje  fie  mit  il^rcn  Slbmcic^un^ 
gen  üon  benfelben  ^erbortraten.  SlQein  biefe  Umftänbe  bilben 
leinen  jurei^enben  SJen^eiö  für  bic  tt)irflic^e  äbftammung  ber 
einen  ®röße  bon  ber  anbern.  SBag  fpäter  ift,  ate  ettt)ag  anbereiS, 


23 

ift  barum  nid^t  batjon  Dcrurfac^t,  unb  bic  STngcIjörigteit  fpätercr 
ffiicbcrtäufcr  ju  Sut^er  unb  S^ingli  lonn  jufäQig  fein.  @^ 
lommt  alfo  barauf  an,  ob  ^ie  eine  unb  bic  anbcre  SRcfonnation 
im  Scfonbcrn  bic  glcid^c  ?l6ätt)C(fun8  unb  {Richtung  innehalten. 
S)aä  ift  nun  aber  nid^t  ber  gaH.  3)ag  c^riftlid^e  Seben  ift  bnrc^ 
Sutfter  ba^in  beftimmt,  ba§  man  burc^  bic  rcligiöfcn  Sugcnbcn 
ber  3)emut^,  be^  ©ottöcrtraucn^  unb  bcr  ©ebulb  freier  §err 
über  alle  ®inge  unb  !einem  SWcnfc^en  unterttjorfen,  unb  burc^ 
bic  fittüc^e  Ausübung  beg  bürgcrlid^cu  93crufeS  aßen  SÄcnfd^en 
verpflichtet  fei;  für  3^ingli  gilt  bic  gleiche  Drbnung,  tt)enn  er 
fic  auc^  nic^t  fo  genau  formulirt  ffat  öeibe  äßönner  ermitteln 
bag  ©ittengefeft  in  bcr  gorm  ber  freien  felbftänbigen  6rtenntni§ 
bcr  ^flid^tgebotc,  fteHen  ba^  c^riftlic^c  Seben  in  ben  Screid^  bcr 
bürgerlichen  ©cfeUfc^aft,  unb  öcrlci^en  ber  rec^tUd^en  Drbnung 
bc^  Staate^  ben  SBcrtl^  einer  l^crDorragenben  93ürgfc^aft  für  bic 
gü^rung  bc^  d^riftlic^en  ßeben^  unb  für  bic  Drbnung  bcS  ©ot^^ 
te^bienfteS  unb  be^  rcligiöfcn  Unterrid)tcg.  3m  SScrgleic^  ^iemit 
fann  man  öicUcid^t  bcr  njicbcrtäufcrifc^cn  ßcbcnöorbnung  einen 
Sorjug  bcr  SSoUftänbigfcit  beilegen,  njcnn  man  betaillirte  ftatu* 
tarif^e  ©ebote  über  äußcrlid^c  aScr^öltniffc  für  eine  notljnjcnbigc 
unb  tt)crtl^t)olIe  Crgänjung  ber  mit  bem  ©ittengefefe  erfüllten 
grei^eit  ^ält.  9Äan  mag  ferner  ben  SBiebertäufern  eine  größere 
©rünbli^fcit  in  bcr  Sieform  bcS  Sebenö  juerfenncn,  toenn  man 
c^  für  jttjccfma^igcr  unb  crfolgrcid^er  ^ält,  ba^  ß^riftent^um  in 
allen  möglichen  SSerncinungen  menfc^lid)cr  SSerpltniffc  ju  üben, 
ate  bic  gegebenen  Drbnungen  menfd^lid^cr  ©cfcHfd^aft  burc^  bag 
SRotit)  ber  allgemeinen  Släc^ftcnlicbc  ju  öcrflären  unb  ju  reinigen. 
Snblic^  mag  man  e^  al^  größere  Sntfd^icbcn^cit  rül^men,  bag 
öon  ben  aBiebertäufern  bcr  SBcg  ju  einer  ftatutarifc^cn  §eilig!eit 
ober  gar  ©ünblofigfeit  eingefc^lagen  n^irb.  SBic  njcnig  aber  ba= 
burc^  bic  ©elbftänbigfeit  unb  Sauterfeit  bcr  (£^ara!tcrbilbung 
erreicht  wirb,  bcttjcift  bic  Scic^tigfeit  ber  antinomiftifd^en  SSer^ 
irrungen  bei  jenen  rounbcrlid^cn  ^eiligen.  3)ic  SBiebertäufcrci 
alfo  verfolgt  bic  Aufgabe  ber  SRcform  be^  cl)riftlid^cn  Sebeng  in 
einer  SRic^tung,  njcld^e  ben  Äbfic^ten  ßutl^er'^  unb  Smingli'ö  gc^^ 
rabc  entgegengcfcftt  ift.  3113  {Reformen  finb  beibe  ©rfc^cinungen 
mit  cinanber  vergleichbar  unb  in  einigen  Umftänben  äl^nlic^;  aber 
nad^  bcr  öefonberl^eit  i^rer  9lic^tungen  Vcrglid^cn  erfc^cinen  fic 
nic^t  aU  ocnoanbi  mit  cinanber,  fonbern  als  entgegengefegter  Slrt. 


/ 


24 

gür  protcftantifd^c  2;^colo9cn  ftc^t  cö  feft,  bag  bie  JRcfor^^ 
mation  Sutl^er'g  unb  ß^'^flli'^  tücnigftcniS  im  ^rincip  bie  ©tufc 
beö  Sf)riftcntf)um^  übcrfc^rittcn  f)ai,  toddjc  öom  jtpcitcn  3a^r* 
l^unbcrt  an  [i^  au^gcftaltet  f)ai,  unb  im  Scfonbcrn  ote  bie  fa^ 
tl^otifc^e  ©tufc  beö  Sl^riftent^umö  beäcid)net  tüirb.  hingegen  i[t 
c^  ct)ibcnt,  baß  bie  SRotiöe  unb  giclc,  bie  SKittel  unb  bie  ein* 
jetnen  Siegeln  ber  SBiebertäufcrei  fämmtlid^  bie  Sinie  beöSWitteU 
alters  innehalten,  unb  i^rc  näc^ften  Slnalogieen  in  jenem  QciU 
alter  finben.  3""^  S3en)eife  biefer  öcl^auptung  greife  id^  auf  bie 
8lngaben  öon  §einrid^  SuHinger*)  jurüdE.  3nbem  bie  SBieber^ 
täufer  fid^  felbft  für  bie  eine,  rechte,  @ott  wol^lgefällige  @e* 
meinbe  (Sl^rifti  erHären,  legen  fie  ia^  ©enjid^t  auf  baS  actiüe 
§anbeln,  auf  bie  „fd)einbare  SScfferung"  beö  SebeniS  in  il^rem 
Greife,  meldte  ebenfo  menig  in  ber  eöangelifd^en  Äirc^e  crftrebt 
njerbe,  n)ie  in  ber  päpftli^en.  SSon  l^ier  auö  rügen  fie  bie  coan^ 
gelifc^e  ßefjre  üon  ber  ©enugtl^uung  St)rifti  unb  ber  SRed^tferti^ 
gung  burc^  ben  ©lauben,  nämlic^  baß  ber  äßenfc^  t)or  @ott 
fromm  njerbe  burdi  ben  ©lauben  unb  nid^t  burd^  bie  SBerfc. 
©ie  rügen  ferner  bie  Se^re  öon  ber  UnerfüBbarfeit  beö  ©cfe^eö, 
ba  boc^  alle  ©c^rift  bie  Haltung  beS  ©efe^eS  t)orfc^reibe.  3n 
biefen  beiben  ©runbfä^en  beö  ßebenS  ftelien  bie  SBiebertäufer 
auf  ber  ©eitc  beS  Äat^oliciSmuS.  ©ic  jie^en  ferner  aus  ber 
c^riftlid^en  Slufgabe  ber  Siebe  bie  Folgerung,  baß  ber  S^rift  lein 
©igent^um  unb  leinen  SRcic^t^um  ^aben  bürfe,  ba  bießicbe  öielme^r 
aQc  3)inge  mit  ben  örübern  gemein  l^abe.  S)iefcr  ©runbfa^ 
ift  nur  bie  SSeraUgcmeinerung  einer  Siegel,  njeld^c  biöl^er  für 
baS  äRönd^tl^um  als  SBebingung  ber  d^riftlic^en  aSoHtommcn^eit 
gegolten  ^at*).  ®ie  SBiebertäufer  [teilen  fid^  ferner  tt)cilS  ganj 
gleid^gültig,  t^eilö  abgeneigt  gegen  ben  ©taat  unb  feine  @in« 
ric^tungen.  ©ie  leugnen,  baß  bie  Sleligion  jur  Eompetenj  ber 
Dbrigfeit  gehöre,  unb  baß  ber  6t|rift  übcrl^aupt  ein  SBebflrfniß 
nad^  ftaatlid^er  3ied^tSorbnung  l^abe.  Sl^rer  änfid^t  gemäß  tüiber- 
fefcen  fic^  bie  S^riften  !ciner  ©en^alt,  machen  fid^  allein  auf  baS 


1)  S)er  aötcbertöufer  Urfprung,  gürganö,  Secten,  fflc|cn.   3üri4  1560. 

2)  di  tfl  nt^t  sufanig,  bag  bie  erfte  (Smpfe^Iung  btefeS  ®runb{a^eS  im 
16.  Sa^t^unbert  ton  5t^oma8  9noru8  (in  bei  Utopia)  ^errü^rt,  einem  ^anne 
t)on  bur^auS  aSfetif^er  SebenSri^tung  unb  SRfirt^rer  für  ben  Primat  beS 
$a))fte8. 


25 

Seiben  gefaßt,  barum  fud^cn  fie  beim  ©taat  feinen  9lcd)töfd)u|. 
S)cö^alb  ober  !önnen  jtc  aud^  fein  obrißfcittic^cö  ämt  bcflcibcn, 
unb  bürfcn  feine  SBaffen  tragen  unb  gebraudien,  feinen  @ib  Iciften. 
S)iefe  ©runbfäfee  entfpringen  aud  einer  Unterfd^eibung  ätt)ifdjen 
d^riftlic^er  9leligionögemeinfd^aft  unb  njeltlidjem  ©taate,  lueld^e 
i^rc  nddifte  Hnalogie  an  ben  ©runbfäfcen  ©regor'ö  VII.  I^at, 
unb  juteftt  auf  äuguftin'^  Cntgegenfeftung  jnjifd^en  bem  göttlichen 
unb  bem  irbifd^en  Staate  jurüdEmeift.  Äuö  allen  biefen  ©runb^ 
fä^n  folgt  not^ttjenbig,  bag  biefe  ©emeinbe  ber  ©ercd^ten  unb 
Unfc^ulbigcn  fid^  öon  ber  ®emeinfd]aft  mit  ben  ©liebern  ber 
eöangelifc^en  unb  ber  päpftlid^en  Sirenen  abfonbert.  3)a  fie  nun 
eine  junäc^ft  paffiöe  änge^örigfeit  jur  ©emeinbe  ber  ^eiligen, 
toic  pc  in  biefen  Äirc^en  burd^  bie  Slugübung  ber  ^inbertaufe 
anerfannt  tt)irb,  überhaupt  nic^t  julaffen,  fonbcrn  nur  bie  actiue 
o^fetifc^c  lugenb  i^rer  ©enoffenfc^aft,  fo  werben  fie  jur  laufe 
ber  ©rtoac^fenen  ate  ber  cinjig  richtigen  gorm  ber  Slufna^me  in 
bie  öc^tc  ©emeinbe  E^rifti  geführt,  ober  pr  SBiebertaufc  ber  in 
ber  Äinb^eit  ©etauften.  3)iefe  einjige  Steuerung  unter  ben  ©runb« 
fäften  ber  Partei  ift  alfo  atö  Folgerung  auö  bem  ©efüge  üon 
ScbenSorbnungen  ju  begreifen,  beren  einzelne  güge  me^r  ober 
toeniger  cntmidCelt  im  mittelaltrigen  Äatl^olici^muig  nac^getoiefen 
tocrben  fönnen. 

S)iefe  SÄerfmalc  ber  SBiebertäufer  ttjerben  öon  SöuDinger 
ate  biejenigen  bejeic^net,  n^eld^e  tfjeilö  allen  il^ren  ©ecten  (mit 
JBorbe^alt  einjelner  SKobificationen)  gemeinfam  finb,  t^eil^  (mit 
Äuöfc^luß  t)on  Slbnjeic^ungen)  jur  S^arafteriftif  ber  äRaffe  bienen, 
für  toeldie  er  ben  litcl  „©eneraU  ober  gemeine  2:äufer"  em^^ 
pfic^lt.  Uebrigeng  jerfaHen  fie  in  jn)ei  ©ruppen,  öon  benen  bie 
eine  fid^  auf  bie  inbiDibuelle  3nfpiration,  bie  anbere  auf  ben  93uc^^ 
ftaben  ber  öibel  ftüfetc.  3)er  erfte  t^aü  tritt  juerft  bei  ben 
3tDi(fauer  ^rop^eten,  ber  anbere  bei  ben  ßönc^cm  auf.  3Jian  pflegt 
in  beiben  gäUcn  eine  Ueberbietung  ber  reformatorifc^en  ^rincir 
pienSut^er'ö  unb  ßtoingli'ö  ju  finben.  S)ie  (Steigerung  ber  8luc* 
toritdt  ber  ^eiligen  ©d^rift  fd^eint  in  ber  Äbtt)eid)ung  Sonrab 
©rebcr^  öon  S^ingli  et)ibent  ju  fein,  unb  bie  Offenbarungen  be^ 
^eiligen  ©eifteö  in  ben  2:äufern  wären  nur  bie  folgered^te  ffint* 
roicfelung  ber  unmittelbaren  §cilÄgemi§^eit  ber  ©injelnen,  auf 
toelc^e  bie  Seigre  Don  ber  ^Rechtfertigung  burd^  ben  ©lauben  ^in^ 
aui^fü^rt.    3nbef[en  bietet  biefe  Steige  Don   (Srfd^einungen  noc^ 


26 

eine  aiibcrc  Seite  bar.     SSenn  man  bcn  SiMictömu^  ©rcbel'^ 
unb  bcn  ßwingli'^  mit  cinanbcr  öerglcid^t,    fo  ift  bcrfelbe  todf 
nur  ba^  SWittel  ba.yi,   gan,^   öcrfc^iebcnartigc  Änfprflc^c  an  bic 
c^riftlic^c  dJcligion  auf  bic  Icicfttcftc  unb  für  jene  3<^it  eöibcnteflc 
"Art  ju  ücrtöcibigen.    S^inflli  öcrtritt  mit  bcr  ©ibcl  in  ber  ^anb 
ba^  Soangclium  ber  göttlic^n  @nabc  unb  bad  @ittcngefc^,  ®rc« 
bei  bic  SJcrbinblic^feit  einer  gefc^ic^tlic^  weit  jurücflicflcnbcn  focia* 
Icn   unb  fittlid)en   Serfaffunc)    ber  ^riftlid)en    ©emcinbc.    3n 
biefer  Stic^tung  bat   bcr  wiffenfc^aftlic^   c^cbilbcte  SRann  ftc^  auf 
bic  gcftftenung  ber  allgemeinen  @runb}äge  bcfc^rdnft.    Aber  jur 
Srgänjung  biefed  '^tlbce   muB  man   auc^  bic  9[nn>enbuns  bcr« 
gleichen,  roclc^e  ber  @runbfa^  unter  ben  ungcbilbetcn  Snl^ngcrn 
bcr  ^rtci  fanb.     S^ic    .apoftolifc^cu  Xaufer"  fa^cn,  toie  SBut 
lingcr  crjal)lt,   auf  ben  bloßen  öudöftaben   bcr  ©^rift.    Snbcm 
fie  alfo  fid)  auf  ba^  Sorbilb  ber  «poftel  flufttcn,  jogcn  ftc  ate 
$rebigcr  um^er  o^ne  Stab,  Sc^u^c,  Zafc^  unb  @clb;  tt)ci(  bcr 
^crc  gefagt  ^at,   bag  bic  Spoftel,   wad  i^ncn  in^  D^r  geraunt 
fei,  Don  ben  Xac^cm  prebigen  foHcn,   ftiegen  fie  auf  bic  ©Seiner 
unb  prebigten  Don  bort:    ba  man  mit  bcn  ftinbcm  ju  ftinbem 
werben  follte,   fo  bcnaljmcn  fie  fic^   finbifc^;   tiwil  jur  ©cmcin* 
fc^aft  mit  S^riftuS  gct)ören  foH,  \>a%  man  äBeib  unb  JHnb,  $au8 
unb  ©cnMrrbc  ocrlaffc,    fo  mürben   fie  fianbftrcid^cr  unb  ließen 
fic^  üon  bcn  Örfibem  unterhalten.    (Sine  ocrmanbtc  @ruppc,  bic 
^abgcfc^icbcncn   gciftlic^cn  laufer"   wollen  nid^td  mc^r  mit  bcr 
SBclt  gemein  ^aben,  machen  beSt)alb  ätcgcln  über  Stoff  unb  ^o^n 
bcr  Älcibcr,  über  (Effen,  Irin!en,  Schlafen,  Stehen  unb  @c^; 
wo  fic^emanb  lac^n  fc^cn,  rufen  fie  aud  bem  (£t)angclium  SEBe^c; 
ebenfo  fd)euen   fie  alle  ^odjgcitcn,    greubenma^le,   ©cfang  unb 
Saitcnfpiel;  baju  Dcrwcrfen  fie  Öünbniffe  (Scrbrüberungni,  ®\U 
ben),   in  benen  man  mit  ocrfc^icbcnartigcn  SKenfc^cn  jufammen» 
trifft,   unb  \>a^  Iragcn  uon  SSäaffcn.    Soll   man  wirflic^  bicfc 
Slbfonbcrlic^fcitcn,  bic  if)rc^  ©Icid^cn  in  ber  Äirc^cngcf^ic^te  nur 
an  bcn  ä)^onomaniccn  unter  bcn  rufftfc^cn  gutgläubigen   ^ben, 
ald  folgerechte  5<>^U<^6ww9  ^^^  ^on  3^*"fl'i  eingcfc^lagcncn  Wic^ 
tung  anfcften?  SWan  foll  ju  bicfcr  ännal)mc  gejwungcn  werben 
burd)  bic  ficgcnbc,   bag  3^*^91^  flcrabc  bad  „formale  ^ßrincip" 
in   feiner  Slcformation   t)orl)errfc^cnb  befolgt   l)abc.     3)?an  fann 
fic^  aber  an  ben  wiebertdufcrif^cn  gfolgerungcn  auS  bemfclben 
Dorgeblid)cn  $rincip  überjcugen,   bag  bad  wirflic^  £ebcn  fic^ 


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27 

nicmate  in  folc^cm  cicnbcn  ©^ema  betDcgt  3)ie  5liific^t  ßtüincili'^ 
unb  bic  feiner  wiebfertäuferifc^en  ©egncr  öom  S^riftcntl^um  finb 
im  tiefftcn  ©runbe  öerfd^icben,  in  bem  äJiafec  olö  jener  öon  ber 
fat^oUfc^en  Scben^form  fid^  entfernt,  bicfe  aber  fid^  bem  ceremo* 
nialgefelflic^en  ß^flc  berfelben  anf  bo^  näc^fte  anfd^lic&en.  S)a§ 
nun  beibc  i^re  gerabe  cntgcgengcfefeten  Änfprüdie  auf  bie  SScr^ 
binblic^feit  beg  JBorteö  ©ottcö  unb  ber  ^eiligen  ©djrift  ftüfecn, 
loeift  barouf  ^in,  ba§  biefe  3nftanj  nid|t  crft  für  bic  SReformo* 
tion  Sut^cr'ö  unb  ßwingli'j^  c^arafteriftifd^  ift,  fonbcrn  an^  in 
anbercn  SBeftrebungen  mitgefpiclt  ^at;  unb  bereu  ceremonialgcfcft* 
lid^cr  3n^alt  Iä§t  üermutl^en,  bo^  fie  im  äRittetalter  njurjcln. 

%qA  efftatifd^e  unb  infpirirte  auftreten  ber  anbern  ©ruppe 
Don  äBiebertäufem  ^at  ebenfaOd  nidjts  gemein  mit  ber  perfön^ 
liefen  ^eil^emig^eit,  mel^e  ber  ©laube  aud  ber  9lec^tfertigung 
burd^  C^riftuig  gcn^innen  foD.  SJielmel^r  ftel^en  jene  pat^ologifd^en 
(Srfc^einungcn,  weld^c  bie  njillfürlic^ften,  mert^lofcftcn  ober  freöel* 
^afteftcn  Antriebe  ote  göttliche  Sefe^le  barfteUcn,  im  äugcrften 
8(bftQnbe  Don  ber  2)emut^  unb  ®ebu(b,  mic  Don  ber  Xreue  im 
berufsmäßigen  $anbeln,  in  benen  fic^  bie  cDange(ifc^e  $ei(Sge^ 
loig^eit  barlegen  mirb.  S)er  ibentifd^e  Sn^att  aber,  meldten  bie 
SSiebettSufcr  in  e!ftatif^er  (Erregung  auSfpred^en,  nämlid^  bie 
Slä^e  ber  SBieberfunft  ß^rifti  unb  feinet  ©eri^tcS  jur  5luf^ 
rtc^tung  feined  Steid^ed,  ift  jn^ar  ber  SSorauSfegung  Dom  na^en 
SSeltenbe  ä^nltc^,  h)elc^e  bie  Sßirffamfeit  Sutf)er'S  unb  feiner 
@enoffen  begleitet;  biefer  Umftanb  ift  aber  niemals  Don  ben* 
felben  atö  ein  befonberS  mid^tigeS  @lieb  il^rcS  SoangetiumS, 
gefc^meige  benn,  toie  bei  biefen  SBiebertäufern,  olg  ber  ^aupt* 
in^alt  unb  atö  baS  leitenbe  3RotiD  ber  93ugprebigt  geltenb  ge« 
mac^t  h)orben.  Sfftafe  unb  Snfpiration  finb  nun  fold^e  Srfc^ei^ 
nungen,  bie  a($  mögliche  SSir!ungen  aSfctifc^cn  ficbcnS  i^re  ^tu 
mat^  Dielme^r  im  ä)iön(^t^um  unb  eine  be[onbere  9ld)tung  inner« 
^Ib  bed  aRittelaltenS  befi|en.  S((fo  aud)  biefeS  ajeerfmal  ber 
SBicbertäuferei  ttjeift  auf  baffelbe  gelb  ^in,  wie  bie  bisher  beur* 
t^lten  Umftänbe.  2)ie  efftatif^e  Stnfiinbigung  ber  naiven  äBie« 
bcrfunft  S^rifti  finbet  ebenfaOd  i^re  Slnalogieen  im  ^Mittelalter; 
i^r  befonberer  Ort  aber  toirb  im  njcitern  SSerlauf  biefer  Unter:: 
fuc^ung  nad^gemiefen  n^erben. 

2)ie  SBicbertäuferei  entfpringt  überaO  im  ©c^ooge  ber  $anb« 
toerf  trcibenben  ftäbtifd^en  l^cDötferung.    ©ie  ^at  freilid^  au4 


28 

maixdjc  Stkxitcx  unb  äßönc^c  für  fic^  getponncn,  bcrcn  öilbung^* 
grab  btcfclben  jur  gü^rung  bcr  5ßartci  unb  jur  SJert^eibigung 
i[)rer  ©runbfäfec  burc^  SBort  unb  ©c^rift  befähigte;  inbcffcn  ift 
bicfe  rcformatorifc^c  öetüeguug  im  ©runbc  unt^cologtfc^.  2)cnn 
an  \\ä)  [inb  bic  j.  3J.  burc^  Sarlftabt  unb  3)cncf  Vertretene  mt):= 
ftifcf)c  Ideologie  unb  bic  allgemeine  lenbcnj  auf  bte  §erftcQung 
ber  öorgcblid^en  apoftolifd^cn  ©tufc  ber  d)riftlic^en  ©efeUfd^aft 
gänjlid)  glei^gültig  gegen  einanber.  9iun  fte^t  ja  frcili^  bie 
2)it)ftif  in  bcm  SRufe  einer  befonberiS  na^en  S8ertt)anbtfd^aft  mit 
ber  lut^erifc^eu  9fleformatton.  Snbeffen  ift  fie  öielmefjr  nur  bie 
prononcirte  ©tufe  ber  tattiolifd^en  grömmigfeit,  njie  fid)  im  fot 
gcnben  Slbfc^nitt  jeigen  mirb.  Unb  fofern  Sutl^cr  an  jener  tl^eo* 
logifc^en  9licf)tung  eine  geitlang  I^eil  genommen  ^at,  l^at  fie 
il)n  ni^t  auf  biejenigen  ©ebanfen  geführt,  burc^  lüeld^c  er  aiefor* 
mator  gettjorbcn  ift ;  öielme^r  Dcrf d^toinben  bie  ©puren  ber  SK^ftif 
in  feinen  ©c^riften  in  bem  Wla^t,  aU  fein  rcformatorifd)er  @e* 
fid^tötreiö  fi^  abgeflärt  ^at.  3)ie  Sutl|er  eigeutpmlid^e  2lnfc^au= 
ung  bcö  c^riftlid^en  Sebenö,  tt)ie  fie  in  ber  ©d)rift  de  libertate 
christiana  vorliegt,  ift  ber  äR^ftif  gerabeju  entgegengefefet.  2)iefe 
lefirt  bie  SBeltfludjt  unb  SBeltDerneinung  unb  fteQt  ben  SBcrt^ 
beö  fittlid) ::  guten  §anbetnö  unb  ber  lugenbbilbung  meit  unter 
bic  efftatifd^e  Einigung  mit  @ott.  ßut^cr  le^rt,  ba§  bic  ^rift* 
Uc^c  Sieligion  jur  gciftigen  §errfc^aft  über  bic  SBclt  fü^rt,  unb 
ftcDt  ben  2)ienft  be3  fittlic^en  §anbeln^  gegen  bic  SDicnfc^cn  in 
gleichem  SBert()e  mit  jenen  Functionen  bar,  in  bcnen  bcr  6I)a^ 
rafter  ber  SSerfö^nung  mit  @ott  bcftcl^t.  ©igcntlid^  ift  ja  bic  9Jlt)« 
ftif  in  bcr  c^riftlic^en  Äirdjc  ein  Slbfcntcr  beö  SReuplatoniömuö. 
S)enn  ber  Icitenbe  ©cbante,  ttjcld^er  biefer  ^^ilofopl^ie  unb  bcr 
aji^ftif  gemeinfam  ift,  nämlidj  ba§  @ott  nid^t  bic  SBcIt,  ober 
ba§  er  bic  Verneinung  ber  SBcIt  fei,  ift  bcr  StuöbrudE  bc^  an 
feiner  ©runblage  Dcrjiücifclnben  ^eibent^umö,  unb  eben  bcö^alb 
an  fid)  unterc^riftlic^.  3)ie  grömmigteit  ferner,  toeld^c  biefer 
©ottcdibcc  entfprid^t,  n^clc^e  bic  efftatifd^c  ^Bereinigung  mit  @ott 
fuc^t,  um  fo  bic  SBclt  überhaupt  unb  bie  Sreatürlidöfeit  in  bcr 
eigenen  5ßerfon  Jiu  Dcrneincn,  ift  nur  mögtid^,  tt)enn  bie  aöfetifc^c 
aSerncinung  ber  förpcrlid^en  unb  ber  gcfcUfc^aftlid^cn  Sebingungen 
beö  mcnfd)li^cn  ßeben^  Dorl^ergegangen  ift.  S)cö^alb  lann  bie 
aieformation  Sut^cr'ö,  njcld^c  bic  mönd^ifc^c  Äölcfe  überhaupt 
für  ungültig  crtlärt,   in  feiner  Sßcrtoanbtfc^aft  mit  ber  SK^ftif 


29 

fielen.  3a  ed  fd^Hegt  ftc^  gcrabeju  an^,  bag  Sutl^er  bad  menfd^« 
lid^c  Sieben  nad)  bem  ®C(jenfQ|  ber  ©ünbe,  für  bie  tpir  öerant:* 
tDortüc^  ftnb,  unb  ber  göttlichen  @nabe  in  S^riftud  beurt^cilen 
le^rt,  unb  ba§  bie  SÄ^ftif  bie  @elbft6eurti)eilung  bc^  äWenf^en 
in  ben  @egenfa^  ber  (Sreotürli^feit  unb  bci^  S(ufge^cnd  in  ba^ 
allflemcine,  flöttlid^c  ©ein  ^incinftcQt.  3)ic  SW^ftif  bietet  ani) 
nic^t  eine  ^5^ere  religiöfe  SCnfd^auung  bar,  q(^  n^elc^e  Sut^er 
eröffnet  f)at ;  unb  ßutf)er'^  %t)zoloQk  finbet  nid^t  cixoa  i^re  folgen 
rechte  SSoOenbung  in  ber  SJZ^ftif  Don  Sariftabt  unb  Don  ^encf. 
©onbem  Sut^er'^  ^eiUprbnung  ift  Don  unDergleidjlid^  l^öl^ercm 
S33ert^e  afö  jene  ätoar  ^oc^flicgenbe  aber  unfrud^tbare  äRct^obe. 
ginbet  alfo  im  Äreife  ber  SJBicbertäufcr  bie  mtjftifd^c  Sf|cologie 
eine  ^eimat^,  fo  n^eift  auc^  biefe  ffirf^einung  barauf  l^in,  ba§ 
bie  toiebertäuferifd^e  ^Reformation  i^r  leitenbeö  SJiotiD  auö  bem 
!at§oIifc^*aöIetifd^cn  6^riftentl)um  be^  SÄittelalterg  empfangen 
^at,  tt^elc^em  bie  äJt^fti!  minbeften^  n^al^lDermanbt  ift. 

fflelc^e^  ift  nun  aber  baS  befonbcre  ©cbiet  beg  mittelaltri= 
gen  S^riftent^umd,  aud  n^elc^em  bie  SCßiebertäuferei  entfpringt? 
Um  biefe  f^rage  ju  beantn)orten  Or  ^at  man  junäd^ft  barauf  5U 
ad^ten,  ba%  biefe  Dorgeblic^  gränblid^ere  Steformation  al^  folc^e 
o^ne  3weifel  erft  burd^  ba^  ©eifpiet  ßutl^er'g  unb  gmingli^ö  in 
Senjegung  gefeftt  njorben  ift,  unb  ba§  bie  anljänger  jener  9lc= 
formation  mit  geringen  ?lu^na^men  erft  burdi  bie  SRcformation 
Sut^cr'd  unb  ßroingli'^  angejogen  ttjorben  tt)aren,  e^e  fie  fid^  auf 
bie  SScrfd^iebenartlgfeit  i^rer  lenbenjen  Don  benen  bicjer  SKönner 
befannen.  Aber  rool^l  l^ätten  bie  Sut^eraner  auf  fie  ben  ©pru^ 
(1  3o^.  2, 19)  antoenben  fönnen :  Don  un^  finb  fie  ausgegangen, 
aber  fie  gehörten  nic^t  ju  uniS.  SBo^er  alfo  xoäxc  ju  crtlären, 
ba§  bie  auf  legale  unb  ceremonieHe^ciligfeit  unb  auf  ^erftcDung 
eine«  DoQfommenen  focialen  ß^ftanbcS  ber  Äird^e  gerid^tcten 
SRenfc^en  auc^  nur  Dorläufig  ßutrauen  ju  fintier  unb  B^^^d^i 


1)  CotneltuS,  eief4.  beS  9Rfinflenf4en  9[ufr4r8,  2.  $anb  6.  10  ff. 
fii^t  bie  9Bur|eIn  ber  aBtebertauferet  au  fe^r  an  bet  Oberflfi4e,  namlid^  in  ber 
Irt,  »ie  bte  Un0eMn)den  ftd^  beS  burd^  Sutier  eraffnften  SugangS  )ur  Sibel 
oima^inen.  drbfatn,  ^roieftantif^e  @ecten  im  Seitalter  ber  Sieformation 
6.  485  Tfit^  ^inoeoen  auf  bie  t)or  ber  ^Deformation  tor^anbenen  9lefte  beS 
ntUelaltiioen  6ectenttefen8,  toelc^e  bur4  ben  Vorgang  Sut^er'S  neu  erregt  »or« 
ben  feien.    Slebo^  iß  bicfcft  feine  beuUi^e  «uSfunft. 


30 

gefaxt  l^abcn?  ®^  ift  ju  t)crmut^cn,  baß  bic  3nftanj  bcr  ^rebiflt 
beö  göttttd)en  SBorte^,  teclc^c  bicfe  {Reformatoren  erhoben,  bic 
fpQteren  SBiebertäufer  junäd^ft  gctoonncn  l^at,  tocil  biefclbe  unter 
i^ncn  fc^on  immer  aU  bcr  I)öd^fte  äWa^ftab  einer  aSerbefferung 
bc^  c^riftlic^cn  ßcbcnö  galt.  SBcnn  man  biefcö  öorauöfc^cn  barf, 
}o  ift  erllärtid^,  ba§  junöd^ft  bic  $ßrcbigt  Sut^er'ö  unb  ß^oingti'ö 
fo  fd^ncD  bic  SSolfömaffcn  in  ben  ©tobten  für  fic^  getoann,  unb 
bann  toieber  öon  il)ncn  tjcrlaffen  ttjurbc,  atö  eS  fic^  ergab,  ba§ 
Sut^cr'ö  unb  Stoingli'S  ^rebigt  bcg  ®t)angelium§  nic^t  ben  fielen 
einer  bcfonbcrn  aöfetifc^cn  ^eiligfeit  fic^  bicnftbar  machte,  nad^ 
benen  man  gctt)o^nt  njar  bic  Scftimmung  be^  S^riftent^umig  ju 
beurt^eiten.  9lun  ift  bic  ,,5ßrebigt  bcö  ©öangcliumS"  aud^  bcr 
9Jed^tötitcI  für  bic  ^Reformation  bcö  Ijciligcn  granciöcu^,  unb 
bicfe  l^attc  eine  t)on  Sut^cr'ö  SBcftrcbungen  ganj  Dcrfc^iebcnartigc 
2:cnbcnj.  S)emgcmä§  füt)rt  bic  Srage  nac^  bcr  §erfunft  bcr 
SBicbcrtäufcr  unb  4iac^  bem  ©runbc  bcr  njcc^fclnbcn  ©tcQung, 
meiere  fie  aU  Änpnger  unb  alö  ©cgner  Sut^cr'^  unb  ß^Jingli'^ 
eingenommen  l^aben,  ju  ber  Ännal^me,  ba§  in  ben  SBiebertäufem 
eine  Slcubclcbung  ber  {Reformation  beö  l^eitigcn  ^ranj  auftritt, 
ttjclc^c  burd^  bic  SRad^eiferung  gegen  Sutfier  unb  S^i^fl^i  onge^ 
\regt  ift.  813  id^  bicfe  Unterfu^ung  jiuerft  in  ber  g^i^f^^ft 
für  Äird^eugefc^ic^te  (Söanb  2.  ^eft  1.)  öorlegte,  f)aic  xd)  bicfe 
SBcrmut^ung  ju  ber  §t)pot^efc  jugefpi^t,  ba§  bic  aBiebertäufer 
birect  au3  bem  Greife  bcr  franciiScanifc^cn  lertiaricr,  inöbcfonbcrc 
bcr  Dbferüanten  hervorgegangen  finb.  3^  fonntc  bicfe  §5po* 
t^efc  aDcrbingö  burc^  leinen  urfunblid^cn  85cn)ci3  unterftüften; 
inbeffen  tooßte  id^  mit  i^r  Vielmehr  einen  iJi^flc^il^ifl  ^^\^^  geben, 
toorauf  eine  (Srforfc^ung  ber  Urtunben,  bic  I)tcr  cinf^tagen,  ju 
ad^ten  ^aic,  ©oQtc  nun  in  biefer  Sejic^ung  bennoc^  nichts  bc* 
ftimmte^  ermittelt  njcrbcn  tonnen,  fo  tuiU  ic^  auf  biefer  fpccicUcn 
§5pot^efe  nid^t  befte^cn,  ba  baiSicnigc,  tt)orauf  c^  bei  ber  SBieber* 
täuferei  anfommt,  aud^  ol^nc  fie  anfd^auUc^  gemad^t  njc.rben  fann. 
älfo  bic  aBiebcrtäufer,  bereu  grömmigfeit  baö  mönd^ifd^c 
unb  ccrcmonialgcfc^lidEic  ©eprägc  an  fic^  trägt,  geben  burc^  i^rc 
Dppofitiou  gegen  Sut^er  unb  S^'^Sl^  nad^bem  fie  erft  i^nen 
angefangen  ^aben,  lunb,  ba§  fie  unter  {Reform  beö  S^riftent^umS 
urfprünglid^  etn^aö  Slnbcrc^  öerftanben,  atö  fie  bei  ienen  {Rcfor* 
matoren  !ennen  gelernt  ^aben.  3)ic  SBicbcrtäufcr  finb  nun  mit 
toenigen  ?luönal|mcn  literarifd^  gebilbetcr  SRänner  bem  nicbem 


31 

^anbiuerfcrftanb  angcl^örifl.  S)icfcr  ©tanb  aber  toax  bamaU  feit 
brci^nbcrt  gölten  ber  SBirfungötrci^  bcr  in  bcn  ©täbtcn  angc^ 
ftcbcttcn  öcttclorben,  unter  bencn  ber  granci^canerorben  ber 
populärere  ttjar.  ®ie  Settclorben  äcigcn  frcilid^  im  15.  3o^r^. 
allerlei  ©puren  öon  SSerttJeltlid^ung,  unb  an  manchen  Drtcn  in 
S)eutf^tanb  geben  fic  ber  njelttid^cn  Dbrig!eit  bcn  Anlaß  ju  rc:= 
formatorifd^cm  Sinf^reiten.  SlQcin  baburd)  ift  i^re  (Sintoirlung 
auf  baiS  aSotf  nic^t  gcfc^mölcrt  tüorben.  ©ie  lagen  bcr  ^rebigt 
unb  bcS^alb  auc^  bcr  öcfd^äftigung  mit  bcr  ^eiligen  ©c^rift  ob, 
unb  behielten  baburd^  bic  Dbcrl^anb  über  bcn  ^farrfleruö,  toetc^cr 
ungebilbet  war  unb  fd^metgcrif^  lebte.  SBä^rcnb  fic  bicfcn  ©tanb 
in  JBcrad^tung  jju  fefcen  t)crftanben,  imponirten  fie  nacl)  bem  3cug* 
nig  be^  Cra^muö  bem  aSolte  burc^  bcn  ©c^cin  ber  §ciligfcit  *). 
S33enn  man  atfo  fic^  öorftcllcn  foD,  ttjcld^e  Stnfid^t  t)om  S^riftcn:5 
t^um  unter  bem  nicbcrn  SBürgerftanbe  in  bcn  ©täbtcn  am  SKu^» 
gange  be^  SJiittclaltcr^  verbreitet  gettjcfcn  ift,  fo  fann  man  an  nid^t^ 
anbcrcö  beuten  afö  an  bic  ©runbfäfce  bcr  gtanciScancr,  aud^  wenn  - 
babci  bcr  Söeftanb  i^rcr  IcrtiaricrsSongrcgationcn  außer  änfafe 
bleibt.  Unb  ttjcnn  in  bicfcn  Sreifen  auf  {Reformation  bcr  Äird^e 
gerechnet  würbe,  fo  fann  biefclbe  in  feinem  anbern  aK  im  franciö^ 
conif^cn  ©inne,  nämlid^  afö  birectc  SRcfonn  bcr  ©ittcn  öerftanben 
loorbcn  fein.  9Kit  bicfcr  ffirwartung,  omnia  fore  purius  christia- 
na,  fam  auc^  @corg  SBifect  ^)  ju  Sut^er,  um  nac^l^er  an  i^m 
irre  ju  werben,  atö  bcrfelbc  feine  birecten  9KaßrcgcIn  ju  biefem 
Stt)cdc  unternahm.  SCuc^  aQe  bic  SSor^erfagungen  einer  aUgcs^ 
meinen  Äirc^enreformation,  weldie  gegen  ffinbe  bcö  15.  3a^r» 
^unbertd  erwähnt  werben,  unb  welche  man  nac^^er  auf  fintier 
^cjog,  finb  o^ne  Swcifcl  im  ©inne  jener  ©noartung  ge* 
meint.  9lun  fommen  bic  ©ittcn  unb  bic  äbfic^ten  bcr  SBieber^ 
täufer  t^ciU  mit  bcr  {Regel  ber  franciöcanifc^cn  Sicrtiarier,  tl^cite 
mit  ber  erften  Siegel  bcS  Ijeiligen  granj  fo  genau  überein,  baß 
taan  hierin  einen  genetif^en  ßufammcnl^ang  nic^t  t)erfenncn  fann. 
(fö  ift  fogar  gerabcju  auffaQcnb,  baß  biefe  Slc^nlid^tcit  öon  feinem 
Äird^en^iftorifer  bi^l^cr  bcmerflic^  gemacht  worben  ift.  ®ie  „apo* 
ftolifc^cn  läufcr"  JBullinger'^,  wcld^e  jum  ^rebigen  unter  bcn 
aWcrfmalcn  au^jic^en,   welche  Scfu^  feinen  3ilngern  (9Rarc.  6, 


1)  Riefelet,  St.  9.  U.  4.  6.  290—302. 

2)  Sgl.  meine  «b^.  Aber  benjelben  in  3eit|((rtft  fUr  ITir^engef«.  IL  S.  390. 


32 

7—9)  üorgcfc^ricben  f^at,  cntfprcc^cn  toörtlic^  bcr  Borfd^rift  in 
ber  crften  Siegel  beS  ^eiligen  t$tanj  9rt.  14.  quomodo  fratres 
debeant  ire  per  mundam.  ß^m  Ueberflug  gieDt  Sullinger  an, 
bag  unter  ben  apoftoltfc^en  Xaufern,  n^elc^e  bod  ^riüateigent^um 
aufgeben,  „(Stücke  neue  Sarfüßer,  bag  Reifet  ben  S^anci^aner^ 
mönc^en  gletc!^''  n^aren,  nielc^e  cd  für  @ünbe  hielten,  überhaupt 
mit  @elb  umjugefien,  n^äf^renb  Snbere  bem  @elbc  aU  i^rem  9m 
tf)etl  an  ber  @utcrgcmcinfc^aft  nic^t  abgeneigt  tparen.  ^ie  flb* 
lefinung  jeber  Sompctenj  bed  Staate^  in  ber  fiirc^e  ftä|t  ft^ 
bei  ben  S^iebertäufcrn  auf  ben  @runbfa|,  bag  bie  Sänften  jum 
Seiben  bcftimmt,  alfo  ftaatlic^en  <Sc^uged  gegen  Unre^t  nic^t 
bebürftig  feien.  3)iefed  cntfpric^t  burc^aud  ber  ?lntt)eifung  bci^ 
^eiligen  granj  an  bemfelben  Crte,  ba§  feine  Srübcr  in  ber  SBelt 
fic^  birect  nad)  fUlattf).  5,  39—42  richten  follcn.  2)cmgcma§ 
Derfte^t  man  auc^,  baß  bie  ben  ^ertiaricrn  auferlegte  (Sinfd^rän- 
fung  bed  (Sibed  unb  bed  Xragend  Don  Sßaffen  t)on  ben  Sßieber^ 
täufern  burc^  bad  abfolute  Serbot  bciber  überfc^ritten  lourbc* 
©ie  waren  genau  genug  mit  ber  Sergprebigt  belannt,  um  fid^ 
unter  alle  Seftimmungen  biefe«  (Süangeliumd  ß^rifti  ju  beugen. 
3)en  S^crtiariern  war  geringe  fileibung  Don  grauer  ^rbe  unb 
beftimmtem  Schnitt  in  ber  näc^ften  Analogie  mit  bcr  3Rönd)^ 
futte  Dorgefc^rieben,  unb  bie  I^eilna^me  an  loeltlid^en  Vergnü- 
gungen verboten.  Son  ben  „abgefc^icbcncn  geiftlic^cn  SÄufem" 
berichtet  nun  SöuDinger,  baß  fie,  um  ber  SBclt  nic^t  gleichförmig 
ju  fein,  „gleich  ald  ein  neuer  äKönc^dorbcn"  Siegeln  über  bie 
Äleibung  geben,  unb  alle  SBcjcugungcn  Don  greube  unb  Reiter* 
feit  rügen.  Sllfo  in  allen  bicfen  S8ejiet)ungen  fpringt  bie  Sben^^ 
tität  ber  njicbertäuferifc^en  Sieformation  mit  ber  be3  t)eiligcn 
tJranj  in  bie  Slugen.  I)abei  ift  aber  noc^  ein  ^unft  fe^r  le^r«^ 
reic^.  Slld  bie  ?ßartei  burc^  i^re  fc^roffe  Ablehnung  bed  ©bed 
unb  bed  SBaffengebrau^ed  if^rc  ©Eiftenj  im  ©taatc  auf  ba§  ©piel 
fefete,  ^ai  ber  fo  überaus  cinflußreid^c  SReld^ior  §ofmann  bie 
Serpfli^tung  gegen  ben  ©taat  in  §infic^t  bed  6ibed  unb  beö 
SBaffengebrauc^eS  wieber  anerlannt ;  t^atfäc^lid^  ging  er  in  biefer 
öejie^ung  auf  bie  ©nfc^ränfungen  jurücf,  welche  ber  Siegel  ber 
francidcanifc^en  lertiarier  entfprec^en. 

äWan  ift  n)of|l  berechtigt,  aud  allen  biefen  SÄerfmalen  ber 
Uebereinftimmung  barauf  ju  fd^ließen,  baß  bie  SBiebertäufer  f olc^e 
?ßerfonen  finb,  welche  Don  bem  francidcanifc^en  Sbeal  beg  6^ri* 


V 


33 

ftent^umg  erfüllt  toarcn,  aU  fic  in  Sut^cr  unb  S^i^flli  bie  Dr= 
(jane  bcr  cntfprec^cnbcn  Äird^cnrcform  ju  erfenncn  glaubten,  ©ic 
^abcn  fic^  bann  gcnöt^igt  gefeiten,  bic  {Heformotion  bcg  f)eiligcn 
granj  loicbcr  oufjunc^men,  na^bem  fic  fic^  in  bcr  ©rnjartung 
gctäufc^t  fanben,  bofe  jene  äWänner  c^  auf  bic  Steigerung  bcr 
«ölcfc  für  ba^  d^riftlic^e  SJolf  abgcfe^en  Ratten.  3Jiit  jener  §t)= 
pot^cfc  ftel)t  nun  aud^  in  @inflang,  bag  bic  aSiebcrtäufcr  faft  burc^« 
gängig  bic  SBicberlunft  (Sf^rifti  unb  bic  Slufrid^tung  feincö  irbifd^cn 
taufcnbiä^rigcn  JRcic^eö  Derfünbigtcn.  35ie  SSerän^cifelung  an  bcr 
©cffcrung  bcr  ß^riftcn^eit  burc^  bic  regelmäßigen  SKittel  bcr  fitt* 
lid^cn  Crjie^ung,  wcl^c  hierin  au^gebrücft  ift,  ftcllt  iunäd^ft 
einen  cigcnt^ümlic^en  ßwfl  i>c^  ?lbneigung  gegen  bic  SBclt  bar. 
2)ic  Icitcnbe  Sorftellung  baüon  ift  bie,  bafe  bic  öeftimniung  beö 
S^riftent^umd  nid^t  fei,  bic  fittlid^en  Drbnungen  bed  £cben^  in 
bcr  SBcIt  ju  ibealipren  unb  übernatürlich  ju  orbnen,  fonbern 
ba§  bic  regelmäßige  Drbnung  be$  fittlid^cn  fiebenö  in  bcr  SBclt 
unb  bic  Stcgcl  bei^  S^riftent^umd  fic^  gegenfeitig  auSfc^liegcn. 
®icfe^  nun  ift  auc^  bic  ©runbaufd^auung  aller  mönc^ifd^en  ^^^ 
fcfc  innerhalb  ttjic  augcrfialb  ber  Sloftermauern.  35ic  bringcnbc 
©npartung  cineö  gcnjaltfamcn  Srud^cö  aller  mcnfd^lid^cn  Drb* 
nungcn  burc^  bic  SBiebertunft  K^rifti  lägt  alfo  tpicbcrum  auf 
bcn  mönc^ifc^cn  Untergrunb  bcr  ttjicbertäufcrifc^cn  5ßartei  fd^licßcn. 
9lun  fte^t  aber,  ttjic  e^  fc^eiut,  mit  bem  angegebenen  ©cfidjt^« 
punfte  ber  Umftanb  im  SBiberfprud^,  bag  bod  f^crrlic^c  dicid) 
ß^rifti  auf  ber  @rbc,  alfo  unter  bcrgortbauer  ber  Söcbingungcn 
bcr  SSäclt  eintreten  foll.  Snbeffen  biefe  gorberung  entfpringt 
aus  bem  anbern  ajtotiüc  bed  mittelaltrigen  St)riftcnt^umd,  aud 
bcr  auguftinifc^ '  gregorianifc^cn  SorauSfe^ung,  bag  baS  91eic^ 
@otted  burc^  ct^ifc^  «politifc^c  Drbnungen  auf  ber  Srbe  ^eimifc^ 
werben  muffe.  35cr  SBiberfpruc^,  ttjcld^en  wir  jwifc^cn  bem  mön» 
ci)ifc^cn  ©runbfafte  ber  aScltflud^t  unb  bem  ^ierard^ifd^cn  @runb* 
fafec  ber  politifc^cn  Scficrrfc^ung  ber  SBclt  unb  bcö  ©taate^  cr^ 
fennen,  \)ai  ba8  beibcö  jufammenfaffenbc  ©t)ftem  bei^  abenblän^ 
bifc^en  Slatf)olicidmud  nic^t  unausführbar  gemad^t.  (£S  ift  aber 
nur  eine  äWobification  biefcr  ©t)nt^cfe,  baß  bic  SBicbertäufcr  in 
i^rer  mönd^ifc^cn  lenbcnj  jwar  an  bem  Dcrttjcltlic^cn  l^icrarc^i* 
fd^n  ©Aftern  beö  ©tatt^altcrS  ß^rifti  Dcrjnjcifeln,  aber  bafür 
auf  baS  irbifc^c  Sleid^  ß^rifti  felbft  als  auf  eine  auSfül)rbarc 
©eftaltung  beS  ^riftlic^cn  SebenS  rechnen.  3ft  bcmgcmäg  feft- 
I.  3 


34 

geftcHt,  bag  in  bicfer  (Srtpartung  gcrabc  mittcIaUrigc  Sieben^ 
motiüe  fortoirlcn,  fo  tpcift  bie  bcfonbcrc  ?lugprägung  bcrfclben 
toicbcrum  auf  bcn  ©oben  Ijiu,  tvclc^er  burd^  bie  bcfanntc  Dppo* 
fitionöftellung  bcr  granci^cancr*©piritualcn  befruchtet  fein  toirb. 
S)iefelbe  ift  freiließ  tjerftummt,  feitbem  bie  DbferUanten  burdö  ba5 
ßoncil  ju  ßonftanj  legalifirt  roorben  finb;  ja  e§  jeigt  fic^  im 
15.  ^aJ)x\).  eine  burc^ge^enbe  einträchtige  SBec^felbejie^ung  ^tou 
fc^en  bem  Sß(4)ftt^um  unb  bem  granciöcanerorbcn.  Allein  e^ 
tpirb  Don  @raömu§  bcmerlt,  bie  SBettelorben  fümmertcn  fic^  um 
ben  5ßa))ft,  fotDcit  eS  if)ncn  SJort^eil  brächte,  im  umgefc^rten 
gaHe  gelte  er  if)nen  nur  fo  biet  als  ein  Iraum^).  ÜWan  ttjirb 
nun  anjunel^men  fiabcn,  bag  biefe  innere  Unabpngigfeit  t)om 
Sßapftt^um  unter  ben  granci^canern  [tarier  unb  tueiter  Derbreitet 
toax,  al^  unter  ben  mit  ber  Snquifition  beauftragten,  alfo  bem 
^a^ftt^um  enger  üerbunbenen  3)ominicanern.  ^ied  n^irb  aud^ 
baburd^  beftätigt,  bag  Sutf)er'ö  auftreten  gegen  bcn  Sßa))ft  einen 
großen  Slnflang  bei  ben  gtanciöcancrn  fanb.  Db  biefe  Änjie^ 
[]ung  me^r  burd^  bad  @oangeIium  Don  ber  freien  @nabe  @otte§ 
unb  Don  ber  Sied^tfertigung  im  @Iauben,  al&  burd^  bie  Siiige 
ber  aSerttjeltlic^ung  ber  Äird^e  unb  beg  ?ßapftt^um§  t)erbeigefü^rt 
mar,  ift  ju  bejtoeifeln.  Siegen  fic^  nun  aber  bie  burc^  bie  man* 
nigfodtie  @innjirlung  ber  granci^caner  afficirten  §anbtt)erfer  burd^ 
Sut^cr  an  bie  aSeriüeItIid)ung  ber  Äirc^e  unter  bem  ^a))ftt^um 
erinnern,  unb  madjtcn  fie  bod^  an  Sutfier'ö  Sieformation  bie  (Sr* 
fa^rung,  ba§  aud^  biefe  bie  SJertoeltUc^ung  ber  Sirene  nic^t  ju 
bred)en  üermod^te,  fo  ift  eö  fel^r  erflärlic^,  baß  fie  in  if^rem  aöfe* 
tifdjen  JReformbrange  auc^  njieber  ben  3"8^"9  ä"  ^^^  ffirinne= 
rung  an  baö  enjige  @oangelium  fanben,  beffen  §tuöfü^rung  um 
fo  näl^er  bcUorjufte^en  fd)ien,  je  beutlii^er  ber  rettungslos  anti^ 
d)riftlid)e  ß^aralter  ber  Sirene  in  bie  äugen  fiel.  ?lllerbingi3 
bilbet  nun  nid^t  baS  eroige  ©oangelium  auS  bem  ^eiligen  (Seifte, 
fonbern  bie  fi^tbare  SBiebcrfunft  ß^rifti  felbft  baS  ©d^lagroort 
bcr  Sßartei  im  16.  3af|r^unbert.  Snbeffen  ift  bod^  in  ben  joa^ 
c^itifc^en  Suchern  aud^  bicfer  ?lu§brudf  Uertreten  ^)  unb  ol^nc  ßroei- 
fei  roar  biefe  Slufd^auung  ber  äpofal^pfe  ))opulärer  atö  bie  beö 
croigen  ©Uangcliumö  auö  bem  l^eiligen  ©eiftc.    Unter  bicfer  3Ro^ 


1)  Sgl.  (Stefeler,  P.  ®.  II.  4.  6.802. 

2)  $9(.  iReuter,  ^ufüörung  im  ^H.  II.  8.  3G4.  9löte  17. 


35 

bification  alfo  ift  bic  ©rtuartung  bcr  SBiebcrtäufcr  xüdji^  onbcrcä 
atö  bic  Erneuerung  beö  ©türmet  ber  franciöcanifc^cn  ©))irttualcn. 
©nblid^  finbct  and)  bie  Söetfieiligung  t)on  SBiebcrtäuf ern  an  bcr 
m^ftifd^cn  3;^coIogic  i^re  üoHc  (Srllärung  barau^,  bog  bie  Sßrebigt 
,  t)on  ©cnoffen  ber  SBcttelorben  bie  mt)ftifd)e  grömmigleit  auö  ber 
Pflege  ber  Älöfter  in  bie  ©emeinbe  l^inauögetragen  f)at.  SSäenn 
bie  SBiebcrtäufcr  fold^cn  güljrern  anfiingen,  tod6)e  bie  ©elaffcn* 
l^eit  in  @ott  ate  bie  f)öc^fte  Slufgabe  rühmten,  unb  tDcnn  fic 
(Sfftafen  unb  SSifionen  nid^t  nur  erfuhren,  fonbern  in  il^nen  bie 
Snipulfc  @ottc^  ju  üeme^men  glaubten,  fo  gaben  fic  baburc^ 
lunb,  ba§  fic  Don  jcl^er  unter  beut  ©influffe  aud^  ber  m^ftifc^en 
Ucbcrliefcrungen  geftanben  l^aben,  tpcldic  t)on  ben  SJettcIorbcn 
an  xf)xt  bcfonbcren  ©emeinben  übergegangen  finb.  6^  ift  atfo 
nic^t^  unter  ben  leitcnben  ©cfic^ti^punlten  bcr  SBiebcrtäufcr,  toai 
fxä)  nid^t  auö  ber  ©intpirlung  ber  Söcttelorben,  fpccieU  bergran^: 
ci^aner,  auf  bic  nieberen  SSoIföflaffcn  in  ben  ®täbten  erllärt. 
S)emgemä6  ift  bic  Don  ben  SBiebertäufern  unternommene  SHcfor^ 
mation,  äugerlic^  angefe^cn,  cntfd^icbener  unb  üoUftänbiger  atö 
bic  Don  fintier  unb  ß^oingli.  35enn  2utf)er  f)at  birect  gar  nid^t 
eine  JRcform  bc^  d^riftlid^en  Scben^,  fonbern  eine  SReform  ber 
fic^rc  unb  bcd  ©otte^bienfte^  foioie  bc^  fic^rftanbeö  bcjtoedEt  unb 
auf  bic  SBcrbcffcrung  bcö  Sebenö  nur  inbirect  l^ingetoirft,  inbem 
er  rid^tige  ©runbtagen  bcr  fittlid^en  @rjiet)ung  fcftfteütc.  3^^i"9li 
frcilid)  ^otte  c^  birect  auf  Scffcrung  bcr  ©itte  abgefcl^en,  inbem 
er  bic  cinfc^ränlenbc  {Hcd^t^gctoalt  bcö  ©taatcö  mit  ber  anrcgcn- 
bcn  SWac^t  bcr  ^rebigt  Dom  ©tauben  unb  Dom  ©c^orfam  in 
Scrbinbung  fcftte.  Aber  ttjcr  fann  bei  jenem  günftigen  Urt^eil 
über  bic  SBiebertäuferei  fteficn  bleiben,  locld^c  bic  Sefferung  bc^ 
d^riftlic^cn  fiebcniS  auf  bic  SBcUflud^t  unb  bic  SScrad^tung  ber 
©taat'Sorbnung  ftüftt,  mcldjc  ©ütcrgcmcinfd^aft  unb  ©c^nitt  bcr 
Älcibung  Dorfc^reibt,  welche  §citcrfeit  unb  grö^lidjfeit  Dcrbietet, 
unb  rocldjc  burd^  bie  cingcbilbctc  ©ünblofigtcit  I)inburd^  ben  SBcg 
äur  grunbfäfclic^en  greil)eit  bcö  glcifdjcö  toeift?  ®enn  jene  @runb= 
fä^  finb  auf  gerabe  cntgcgengefe^te  ßicic  gerid^tct  alö  bie  ?lb== 
fiepten  2\xtf)cf^  unb  ß^ingli'ö,  unb  bic  antinomiftifd^c  ^ctjrfcitc  ift 
fein  jufäQiged  Sntjängfet  bcr  ganjen  iRid^tung.  SBcnn  übcr{)aupt 
bie  Siorm  be^  c^riftlid^cn  ficben^  burd^  a^Ictifdjc  JRcgeln  in  fta* 
tutarifc^cr  g^rm  erreid^t  toirb,  bann  mag  man  fid)  burd^  bic 
Sorberfcitc  bcg  toiebertäufcrifc^cn  SRcformbrangcig  imponiren  laffcn. 


36 

SBcnit  aber  baS  d^riftlid^c  ScBcn  auf  bie  S^otalität  bcr  S^araltcr^ 
bilbung  quo  bcm  ©efefec  bcr  ^^eil^cit  angetüicfcn  ift,  bann  ift 
bcr  geiler  bcr  mönd^ifd^cn  nnb  ftatutarifd^cn  Haltung  bcr  Sffiicbcr^ 
täufcr  außer  ß^^cifcl.  3)aran  aber  erprobt  e§  fic^,  bag  bicfe 
{Reform  nid^t  bie  grünblidjere  unb  öoQftänbigere,  fonbern  bag  fic 
Icbiglid^  anbcrcr,  ja  entgcgcngcfefeter  Slrt  ift  ate  bie  üou  fintier 
unb  3^i"8l'-  35iefeö  ©rgebnig  toirb  nun  üoUftänbig  aufgeüärt 
burd)  bie  SBal^rfd^cinlid^Ieit,  bag'bie  SBicbertäuferei  i^ren  Urfprung 
au§  bcm  Sercid^c  bcr  franciöcanifd^en  SRcform  genommen  I)at. 
®cnn  bcr  ©cgcnfafc  jtoifd^en  biefer  Sicform  unb  bcr  fiutl^cr'ö  ift 
feftgcftcHt.  SlUcrbingg  l^abcn  nun  bicj|cnigen,  toeld^e  nad^Ijer  alö 
SBiebertäufcr  auftreten,  inätrifd^cn  ju  ben  Slnl^ängcrn  Sut^cr'ö  unb 
ßtvingli'ö  gcljört.  9lber  aud^  bicfe  @rfd^einung  ftört  bie  aufgc* 
[teilte  $l)pot^efe  nid^t.  3)cr  Slnfd^Iug  jener  aölctifd^  geftnnten 
§anbtoerfer  an  fiut^er  unb  S^^^Ö^i  ^^^  nämlid^  barum  möglid^, 
tt)cil  bie  3nftanäcn  bcö  göttlid^en  SBorteS  unb  bcr  j^ciligen  ©(^rift 
für  bie  Sln^ängcr  ber  franciöcanifc^en  {Reformation  ebenfo  ma^^ 
gcbenb  n^aren,  ttjie  für  fintier  unb  ß^i^flli-  greilid^  finb  jene 
Sluctoritätcn  auf  ben  bciben  SReformationSftufeu  in  ganj  ücrf^ic* 
benem  ©inne  Dcrftanben,  unb  ein  entgcgcngefefctcr  ficbendinl^alt 
au§  i^nen  abgeleitet  toorben.  §attc  fid^  alfo  bie  aölctifc^  gefinnte 
äWaffe  ber  ftäbtifd^en  ^anbtoerler  juerft  burd^  bag  ©d^Iagtoort 
ber  {Reform  aug  ©ottcö  SBort  auf  bie  ©cite  fiutl^er'ö  unb  Stüingli'ö 
jicl^en  laffen,  fo  l^abcn  fic  al^balb  fid^  üon  bcnfclbcn  abgett^enbet 
unb  ben  SBcg  bcr  SBicbertäuferei  eingcfd^Iagen,  alö  fie  i\)x  aölc* 
tifd^cg  Sbeal  bei  jenen  {Reformatoren  nid^t  tt)icberfanben.  Unter 
biefen  Umftänbcn  ift  cö  and)  crflärlid),  ba§  bie  bloö  formale 
9Iuctoritat  bcr  f|ciligen  ©d^rift,  njcld^e  auf  bciben  ©eiten  \)cx- 
fd)icben  ausgebeutet  tourbe,  ben  ©treit  nid^t  fc^Iic^tcn  lonnte. 
S)eö^alb  ift  bie  @ntfd^eibung  ju  Ungunftcn  bcr  Sffiiebcrtäufer 
burd^  bie  ©eioalt  ber  Dbrigfeiten  Ijcrbcigcfü^rt  toorben. 


4*  $tat^oItcii»tnttd  unb  ^roteftanttötnui»* 

SBcnn  bie  Stuctorität  bcr  ^eiligen  ©d^rift  gleidEijcitig  in  cnt= 
flcgcngcfc^tcm  ©innc  Don  unferen  {Reformatoren  unb  Don  ben 
Sffiicbcrtäuferu  angerufen  toorbcn  ift,  fo  ift  fc^on  I)icrburd^  angc- 


37 

jcigt,  bog  toir  bic  ©igent^ümlid^Icit  uufercr  Scformation  tucbcr 
crllärcn  uod^  jurcid^cnb  bcjcic^ncn  tonnen  burd^  bic  gcbräud^lid^c 
gormcl  Don  ben  beibcn  5ßrincipien  bcrfclben.  ^a^  fogcnanntc 
formale  5ßrincip,  bie  auöfc^Iieglid^c  Sluctorität  bcr  ^eiligen  ©c^rift 
für  ©tauben,  Scbcn  unb  tJ^eoIogifd^c  ©rfenntnig  ift  ^Dirflid)  aud) 
fc^on  Don  bem  franciöcanifd^en  Drben^tf|cotogen  2)nnö  ©cotuS 
anerfannt  ttjorben  ^).  S)aj3  bie  I^ologic  ber  granciöcaner  fic^ 
bennoc^  fc^r  ftarf  bcr  fird^lid^en  S^rabition  annimmt,  Verringert 
bic  SBcbeutung  jener  S^^atfad^e  ebenfo  tpcnig,  ald  bic  3JicngcUon 
firci^Uc^en  Uebcrlieferungcn,  tpclc^e  bic  eUangcUfd)c  Ideologie  üon 
Anfang  an  fortgepflanzt  ^at,  ben  SBcrt^  i^rer  grunbfäfcliciöen 
®d)ä^ung  ber  l^ciligen  ©d^rift  beeinträchtigt.  35un§  aber  ift 
burc^  biefe  9lnfic|t  ni^t  als  öerfprengter  Sorläufcr  fiut^cr'ä  be* 
jcici^nct,  fonbern  atö  ber'  Vertreter  ber  reformatorifd^en  Kic^tung 
feinet  Drbenöftifterö.  S)er  gleid^c  ©runbfafe  ift  alfo  bei  fiutl^er 
unb  feinen  ©enoffen  erft  baburd^  ju  fpecififd^er  SBcbcutung  gc* 
lommen,  bag  fie  bie  Dominicaner  unb  i^omiften  fid^  gegenüber 
fanben,  unb  ba§  beren  @Icid)fteIIung  ber  Irabition  mit  bcr 
©^rift  in  Orient  5um  ©runbfa^  ber  lat^oUfc^cn  Äird^c  erhoben 
lourbc.  aSicl  mel^r  ?lnfprud^  auf  urfprünglic^c  Sebcutung  für 
bie  Deformation  beö  16.  ^a\)xf),  barf  bag  fogcnanntc  materialc 
^rincip,  bic  Se^rc  t)on  bcr  Slcc^tfcrtigung  bur^  ben  ©laubcn 
ergeben.  35enn  locnn  aud^  biefer  ©cbanfe  fc^on  uor  Sut^er, 
j.  S.  Don  bem  l^ciligcn  Söernfjarb  *)  auögcfprod^en  toorben  ift,  fo 
ift  bicö  nur  jufäniger  SBcife  gcfc^e^en,  o^ne  ba§  bamit  bic  Dppo* 
fition  gegen  bag  latl^olifd^c  ©^ftem  üerbunben  ttjar,  burd^  toeld^c 
bic  ßc^rc  fiutf)er'ö  bebeutfam  getoorben  ift.  8lbcr  ein  fic^rprtncip 
fann  in  bem  ©afee  nid^t  nad^getoiefen  toerben,  fonbern  nur  eine 
d^rafteriftifdt)c  Folgerung  aud  bem  $rincip  bcr  göttlid^en  @nabc, 
mld)c  in  SBcrbinbung  mit  anberen  (Srfenntniffen  über  bic 
Siegelung  unb  SBcrt^bcftimmung  bed  d^riftlid^en  Sebend  an  biefcö 
©cbiet  junäc^ft  I)inanreid)t.  ©o  ttjic  bic  gormcl  Don  ben  bcibcn 
^rincipien  bcr  Slcformation  gel^anb^abt  ju  toerben  pflegt,  brüdEt 
fie  eine  uniurcic^enbc  ©d^ä^ung  biefer  (Spod^c  mad^enben  @r[c^ct^ 


1)  In  Hbr.   sentent.  (opus  Oxoniensc)  Prologi  Qa.  III.  14:  Sacra 
Scriptlira  sufficicnter  conti  net  doctrinam  neccssariam  viatori. 

2)  Sermo  in  Cantica  cant.  XXII.  7.  8.  11.    Sgl.  Gtubien  unb  Stxu 
iifm  1879,  2.  ^ft  6.  320. 


38 

nung  auö.  Tlan  tann  fic^  nämtid)  fjicrbci  nur  beulen,  ba§  bic 
JRcformation  Sut[)cr'ö  unb  bcr  ?lnbercn  eine  neue  ©cftalt  t^co* 
Iogifd)cr  ©djule  inö  fielien  gerufen,  iebod)  nic^t,  ba§  fie  eine 
neue  ©tufe  d)riftUd)er  Scbenöfüfjrung  in§  SBäerf  gefegt  ^abe. 
S)aju  lommt,  bag  bie  gormcl  in  fcl^r  anfälliger  SEBeife,  ol^nc 
umfaffenbe  Ucberlegung  ber  X^atfad^en  jufammengeftümpcrt  ift  >). 
S)a^,  njQö  in  i()r  mit  SRed^t  gemeint  unb  gefud^t  ttJcrbcn  fann, 
^at  ©c^Ieicrmad^cr  *)  auögefprod^en,  nämlid^  bafi  innerl^ölb  bcr 
8lbtt)cid^ungcn  unter  bcn  cüangetifdjen  Ideologen  bie  Slncrlen* 
nung  bcr  beiben  ©ä^e  ba^  SDiinimum  fei,  tt)aö  6inem  jugemut^et 
ttjcrbcn  muffe,  um  als  cUangeUfd)er  X^colog  ju  gelten. 

35ie  ©igent^ümlid^tcit  bcö  lirdjlic^cn  ^roteftantiömuS,  b.  ^. 
beSienigen,  toa^  in  bcn  ©tiftungcn  fiutf|er%  3^i"9^^'^  ^"^  ^^^' 
Uin'ö  gemeinfam  ift,  gegenüber  bem  lateinifdjen  föat^oIiciSmuö 
lann  unter  SSorauöfefcung  ber  gcmcinfamen  aWcrfmalc  bcö  abenb« 
länbifc^cn  S^riftentl^umS  nur  in  brei  Sejiel^ungcn  auSgebrüdt 
ttjcrben.  S)aö  ift  ber  3nl^alt  bcö  ScbenSibeafö,  ferner  bie  ©c^äfeung 
beffen,  njaö  an  ber  d)riftlid)cn  ©cmeinfdjaft  bic  §auptfad^c  ift, 
enblid^  bic  Scurt^cilung  bcö  ©taateS  im  SScrl^ältnig  ju  bcr  rcü* 
giöfcn  unb  fittlic^cn  ©emeinfc^aft  am  S^riftent^um. 

SBcnn  bie  SRcformation  bc^  16.  Sa^r^.  lein  Sbeal  bci&  c^rift* 
lid^en  ScbeniS  aufjcigte,  bann  tüürbc  man  in  großer  Scrlcgcnl)cit 
fein,  i^r  eine  @podje  mad^enbc  93cbeutung  unb  ein  baucrnbcS 
SRcd^t  gegen  bie  fat^olifd^c  Slrt  unb  ©tufe  beö  6()riftcntf)umS  ju 
fidlem.  3)ann  lüörbc  nad)  einer  brcirjunbcrtjäl^rigcn  ©efc^ic^tc 
fortfd^reitenbcr  S^i^fplittcrung  i()rcö  ©cmcintücfcnö  ber  ©laubc  an 
il^re  ©cUJä^rteiftung  burdj  ®ott  b\^  auf  bcn  ©runb  crfc^üttcrt 
tücrbcn.  ®aö  fatljolifd^e  S^riftcnt^um  I)at  fein  ficbenSibeal  in 
bem  aÄöndötf)um,  in  ber  SScrbinbung  bcr  über  (Sotteö  aUgc- 
mciuci^  ©cfcfc  ^inauögreifcnben  üciftungcn  bcr  Slrmutf),  ber 
Scufd)]^cit,  bcö  ®ef|orfümi3  (gegen  bic  Drbcnöoberen).  3n  bicfcn 
lugenbcn  crrcidjt  man,  tpic  e§  ^cißt,  bie  im  ß^riftent^um  bar* 
gebotene  übernatürtid^c  Söcftimmung  bcr  SÄcnfc^cn,  ttjcl^c  in 
i^rer  urfprünglidjcn  ©rfc^affung  nic^t  üorgcfeljcn  toar;  man  tritt 


1)  SSqI.   meine   ^b^.  «Uebec   bie  beiben   ^nnctpien  beS   $rote{lanttS« 
muS*  in  «rieöet'S  geitld^r.  für  Pird^engeWid^te  I.  5Banb.  @.  897-413. 

2)  Ueber  ben  eigent^Umlid^en  lEBett^   unb  ba§  binbenbe  ^Infe^en   f^mbo- 
lifc^ec  md^tx  (1819),   20ec!e^ur  Zi)tol  SBanD  5.   6.  451.  ^.  a.  O.  @.  404. 


39 

fo  in  ba§  Scbcn  bcr  Sngcl  ein;  bcr  9Äönd)§ftanb,  fo  Derftanbcn, 
ift  bic  c^riftUc^c  SJontommen^cit.  @ö  ift  lein  burc^fc^Iagenber 
©cgcnfafe  ^icrju,  ba§  man  im  Sßrotcftanti^muS  fid^  Don  bcr 
quontitatiücn  Unüollfommenljcit  aller  feiner  ficiftungen  burd^^ 
bringen  barf.  3)enn  im  ®runbc  tpirb  baö  brüben  nid^t  geleugnet, 
fonbern  nur  öerf d^tciert ;  unb  bie  SBerl?  ober  ©elDftgerec^tigfeit, 
tpclc^c  bic  öulgärc  eomparatiüe  ©^mbolif  un§  ben  Äatfiolilen  ju* 
jutraucn  k\)it,  bürfte  unter  i^nen  nic^t  Ijäufigcr  gefunben  tuerben 
qIö  unter  red^tgläubigen  unb  pietiftifd^en  fiutl^eranern.  SBcnn 
bcr  ^rotcftantiömuö  gegen  baö  praltifd^c  ©ctpic^t  auftommen  foH, 
tüddfc^  bcr  ftatl^oliciömug  in  jener  ©d^äfcung  beö  aWönd^t^um^ 
unb  in  bcr  SSerbrcitung  mönc^ifd^er  grömmigleit  aud^  unter  ben 
fiaicn  befiftt,  fo  muß  aud^  er  einen  SKagftab  qualitativer  SBoIt 
lommcn^eit  aufnjeifen  fönnen.  5Run  baö  ift  aud^  bcr  gaU  0.  ©o 
toie  am  ©flnbenftanbe  ein  ^auptfäd^lidE)e5  3JicrImal  bcr  SRangcI 
an  (S^rfurc^t  unb  an  Sertrauen  ju  ®ott  ift,  fo  befteljt  bie  SSoH^ 
fommcn^cit  nac^  bcr  Seljauptung  bcr  Slug^burgifd^en  Sonfcffion 
eben  in  ffil^rfur^t  unb  Scrtrauen  ju  ®ott  in  allen  Sagen  be^ 
fiebcnS;  DÖßftänbiger  au^gcbrüdEt  in  S^rfurd^t,  SSertrauen  ju 
©ottcS  plfrcid^cr  SSorfe^ung,  in  @ebet  unb  in  bcr  treuen  ®v- 
füBung  beö  Söcrufcö  ^).  SluöbrüdElid^  ift  babei  bic  (Sntgegenfefeung 
gegen  bic  fatl^olifc^c  ?lnfidjt  Dom  SRönd^tl^um  beabfic^tigt.  SHIer:^ 
bingS  ift  in  fiut^er'd  ?ßrit)atfc^riftcn  biefer  ©cbante  nic^t  ^äufig '), 


1)  fß^l.  meinen  Vortrag  über  bie  d^rißlic^  Sonfommen^eti,  1874. 
Se^re  t>on  ber  die^tferiigung  unb  ^erfö^nung  III.  @.  573  ff. 

2)  C.  A.  II.  Omnes  homines  secundum  naturam  propagati  nas- 
ouDtur  cum  peccato,  hoo  est  sino  metu  dei,  sine  fiducia  erga  deum  et 
cam  Goncupiscentia.  XVI.  Damnant  et  illos,  qui  evangelicam  perfcc- 
ttouem  Don  coUocant  in  timore  doi  et  fide,  scd  in  deserendis  civilibus 
officiis.  XXVII,  49.  50.  Perfectio  christiana  est  serio  timero  dcum  et 
rursus  ooneipere  magnam  fidem  et  confidore  propter  Christum,  quod 
habeamus  deum  plaoatnm,  petero  a  doo  et  certo  exspectare  auxilium 
in  Omnibus  rebus  gerendis  iuxta  vocationcm,  interim  foris  diligenter 
facere  bona  opera  et  servire  vocationi.  In  bis  rebus  est  yera  perfectio 
et  Terns  caltus  dei;  non  est  in  caelibatu  aut  mendicitate  aut  Teste 
flordida« 

3)  De  votis  monasticis  (1522).  Opera  lat.  ad  reform.  bist,  perti- 
ncntia«  Tom.  VI.  p.  254.  Perfectionis  status  est,  animosa  fide  contem- 
torem  esse  mortis,  vitae,   gloriae  et  totius  mundi  et   fervente  caritate 


40 

unb  SKcIan^t^on  l^at  in  feinen  £e^rf(!^rtften  bemfelben  feinen 
^lafe  eingeräumt.  Um  fo  ttjertfjüoner  ift  bö6  berfelbe  in  bcr 
Spologie  ber  SlugSburgifcl^en  Sonfeffton  nid^t  nur  me^rmold  i^n 
f)at  anflingen  loffen,  fonbern  i^m  aud^  noc^  einmal  claffifc^en 
Äuöbrurf  üerlie^en  f)at  ^).  3n  bicfem  ßwfömmen^ang  hctD&\)xt 
[xd)  bie  93ebeutung  beS  ©a^eS  t)on  ber  Stec^tfertigung  auS  bem 
@lQuben,  namlic^  baran,  bag  aud  i()r  ber@en7inn  bedSertrauen^^ 
auf  @otteS  SSorfel^ung  in  allen  Sagen  be^  Sebend,  n)el(^ed  bem 
©ünbcr  abgef)t  erllärt  unb  abgeleitet  ttjirb  *).  DiefeS  ift  bic 
eigentpmlid^e  $robe  ber  ^erfö^nung  mit  @ott,  ha%  man  auc^ 
mit  bem  Don  ®ott  geleiteten  SBeltlauf,  loie  fd^toer  er  unö  etwm 
fönt,  ücrfö^nt  tt)irb.  hingegen  I)at  bie  Seigre  feine  birecte  80* 
jttjerfung  barauf,  bie  guten  SBerle  beö  ©laubigen  ju  erllären, 
ober  fic  l^erüorjurufen.  Sollte  baö  beabfic^tigt  fein,  fo  loürbc 
bie  fatl^olifd^e  Se^re  Don  ber  Suftipcation  borgejogen  »erben 
muffen.  3n  jenem  3"fönimen^ange  aber  erf)ellt  biejenige  prafc 
tifc^e  Söebeutung  ber  lut^erifc^cn  Sel)rformel,  welche  pe  al8  ben 
primus   et  principalis  articnlus  erlennen  lägt.     9lämli(^  bie 


omnium  servum.  —  p.  344.  Melior  et  perfectior  est  obedientia  filii, 
conjugis,  servi,  captivi  quam  monacbi  obedientia  .  .  Igitur  si  ab  imper- 
fecto  ad  perfectum  eundum  est,  ab  obedientia  monastica  ad  obedien- 
tiam  parentum,  dominorum,  mariti,  tyrannorum,  adversariorum  et  om- 
nium eundum  est.  —  $on  SBeltlid^cr  Obtiofeit  (1523),  SBal^  X.  @.  432.  Soll' 
fominen^eit  ober  UntooIIfonimen^eit  fle^t  nid^t  mit  ben  SBerfen,  modlet  ou^ 
feinen  äugerlid^en  Stanb  unter  ben  @:^rtften  ;  fonbern  fte^t  im  ^er^en,  bag  man 
mel^r  glaubt  unb  liebt;  ber  ift  boßfommen,  er  fei  fiugerli^  ^ann  ober  9Beib, 
surft  ober  Sauer,  ^önd^  ober  Saie.  —  iS^aufi^oftiOe  über  ^t^.  22,  34-46. 
lEBald^XIII.  8.2029.  @in  G^rift  fprid^t:  Soßtommen  fein  (eigt,  ®ott  ffir<(ten 
unb  lieben  unb  bem  9{ä(i^ften  aUe8  ®ute  t^un;  benn  ®ott  ^t  fonfi  nid^tS  an« 
bereS  geboten. 

1)  Apologia  C.  A.  III,  71.  232.  VIII,  25.  61.  XIII.  37.  Omues 
homines  in  quaeunquo  vocatione  perfectionem  expeterc  debent,  hoc  est 
crescere  in  timore  dei,  in  fide,  in  dilectione  proximi  et  similibua  virtu- 
tibus  spiritualibus.  48 — 50. 

2)  C.  A.  XX,  24.  25.  lam  qui  seit  se  per  Christum  habere  pro- 
pitium  deum,  is  vere  novit  deum,  seit  se  ei  ourae  esse,  invocat  eum, 
denique  non  est  sine  deo  sicut  gentes.  Nam  diaboli  et  impii  non  pos- 
sunt  hune  articulum  credere,  remissionem  peccatorum.  Ideo  deum  tan- 
quam  hostem  oderunt,  non  invocant  eum,  nihil  boni  ab  eo  exspectant.  — 
Apol  C.  A.  III,  4.  46.  180—182.   VIII,  73.  74. 


41 

Sßid^ttgfeit  bcrfctbcn  giebt  ftc^  ouc^  nur  bann  luitb,  tDenu  bic 
S^riftcn  it)rc  SSoIKommcn^cit  gcrabc  iiincr^ötb  il^rcö  ftctcn  SScr^ 
Uf)x&  mit  ber  SBelt  unb  in  bcn  Söcrufcn  bcr  tüdtli^cn  ©cmcin* 
fd^aftögcbictc  j^  crftrcbcn  ^abcn.  SBclc^c  ©orgcn  unb  fßcx^ 
fuc^ungcn  jum  Slcinmutl^  geben  bcnn  bcn  aj{önd)cn  bcn  Slnlag 
ju  bcm  bcjcid^netcn  ©laubcn  an  ©ottcö  §ulfc,  ©d^ufe  unb  9ict- 
tung  au^  Slötl^cn?  il^ncn,  n)clciöcn  bcr  l^ciligc  Scrn^arb  bejcugt, 
ba§  ftc  baüon  frei  finb  ')•  ^^o  in  bcm  ficbenöibcot  unfcrcr 
3lcformation  ftctcn  bcr  ©laubc  an  ®ottcö  SJorfc^ung  ncbft  bcm 
@cbct  unb  bic  ©c^äftung  bcr  tt)cltlid)cn  Scrufc  aU  bcö  Drtcö 
für  bic  Ucbung  bcr  fiicbc  gegen  bic  3Jicnfci^cn  in  gcgcnfcitigcr 
SSäcd^fclbcjic^ung.  35icfc  35eutung  bcr  tt)eUIi^cn  SScrufc  ift  nun 
ebcnfaUö  ein  fpccififd^cr  ©runbfafc  be^  ?ßrotcftantiömuö;  fic  ift 
bcr  prottifd^c  SluöbrudE  bafilr,  bafe  ba^  S^riftent^um  nid^t  aU 
locltflüc^tig,  fonbern  afö  tpcitcrfüncnb  unb  tpcltburdöbringcnb 
aufgefaßt  ttjirb.  Diefe  SJebeutung  unb  SBirfung  tt)o]^nt  bcm 
©runbfafcc  bei,  obgleich  er  Don  bcn  Slcformatoren  nid^t  f^ftema^ 
tifc^  begrünbet  unb  abgeleitet  ift*). 

Aber,  fagt  man,  ber  SJegriff  bcr  SJoIKommcnfjcit  ift  filr  bic 
^Reformatoren  ctxoa^  Untcrgeorbnetcd,  ba  er  iljncn  nur  burd^  bic 
$olcmif  gegen  bcn  gleid^namigcn  lat^olifd^en  93egriff  an  bic  §anb 
gegeben  ift ').  ©oH  ic^  biefe  Scmerlung  fo  üerftc^cn,  bag  bcr  Segriff 
ber  d^riftUc^en  SBoIKommcnl^cit  für  bic  reformatorifd^e  ©cfammtan« 
fc^auung  beö  fieben^  ate  fol^c  gleichgültig  fei,  fo  lommt  bicfer 
Se^auptung  allcrbingö  bic  Ifjatfadjc  ju  @utc,  bog  bcr  ©cbanle 
feiten  genug  an^gefprod^cn  toirb.  Slbgefe^en  baüon  aber  bünft 
mic^,  ba§  ttjcnn  berfelbe  bcn  JReformatoren  auc^  nur  bei  ifjrcr 
Oppofition  gegen  bic  fatl)olifd)c  ©d^ä^ung  be^  9)lönd)tf)umS  auS 
ber  gebcr  gcfloffen  ift,  er  baburd^  eine  SBcbcutung  erften  SRangeö 
für  fic  be^uptet.  Ober  ift  bic  ffiigcntt)ümlid)Icit  bcr  Wefonnation 
bed  16.  Sal^r^.  auc^  nur  auf  ßinem  fünfte  außerhalb  if)rcr 
Uebcreinftimmung  unb  toieber  i^rcö  ©egenfafecö  gegen  bcn  Sat^o* 
lici^muiJ  JU  Dcrfteficn,  unb  toirb  ni(^t  bag  äRönd^t^um  in  biefem 
atö  bai^  cigcntlii^e  S^riftent^um  gcltcnb  gemacht?  SBcr  feine  fieb* 


1)  In  Cant.  cant.  sermo  XLYI,  2.    In  monasteriis  quiete  a   curis 
vivitur  seculi  ot  sollicitudinibus  vitac. 

2)  gut  eabtn  toergl.  man  in  ber  ftürae  Instii.  ehr.  rel.  III.  2, 16;  10,  6. 

3)  «fixier,  in  bec  Xf^tol  SUerduraeitung  1878.    6.  296. 


42 

tage  im  19.  ^Qi)x\).  unBcrül^rt  üon  lot^olif^cm  fie6cn  jiigcbrodjt 
f)at,  mag  \xd)  baö  Urt^eil  bilbcn,  baß  ein  bcm  SRönd^tljum  cnt* 
gcgengcfcfeter  SBcgriff  bcr  {Reformatoren  für  iljn  fclbft  eine  nntcr^ 
gcorbnete  Scbeutung  ^abc.  Aber  für  bie  bamalige  Qext  gilt  bie§ 
troft  beg  cntgcgengefe^ten  Slnfi^einö  nid^t.  Unb  mag  bic  SoII= 
lommcn^cit  in  bcr  gormel  ber  äugöburgifc^cn  Gonfeffion  noc^ 
fo  feiten  auögefprod^en  fein,  fo  ftef)t  für  il^ren  ^nt)alt  unb  SBert^ 
junäc^ft  bie  übereinftimmenbe  S)eutung  ber  SoHfommen^eit  ?lbam'§ 
t)or  feinem  ^aüc  ein,  ttjcldje  2utl)er  unb  Salüin  barbieten  *) ; 
benn  ju  ber  Gattung,  n^etd^e  $lbam  gegen  @ott  eingenommen 
l^at,  foll  ja  bic  d^riftlid^e  ffirlöfung  jurürffüf)ren.  SBa^  aber  in 
ber  Sd^ilberung  Jtbam'iS  ben  Umftänbcn  gemäß  fe^It,  nämlic^  bie 
Aufgabe,  bag  man  als  ß^rift  fid^  iunerl^alb  ber  ttjcltlid^en  S3c* 
rufe  burc^  gutciS  ober  gcmeinnü^igeS  ^anbeln  ju  bcn)ä^rcn  ^at, 
f)abcn  ferner  bic  {Reformatoren  fo  ftetig  betont,  bag  bicfciS  äWerf« 
mal  ber  SSollfommenl^cit  für  bic  ©cltung  ber  anberen  Sürgf^aft 
Iciftct.  3)iefer  ©runbfafc  i)at  bie  ganje  ©cfeHfd^aft  grünbli(|  um= 
geftattct,  unb  er  t)at  ben  fatl^olifd^cn  ©egnern  j.  33.  einem 
äBifeel  ben  Slnlaß  ju  bcr  93el)auptung  gegeben,  bag  bie  {Refor:^ 
mation  bcm  @pi!uräi£fmud  unb  bcm  ^eibent^um  jutreibc.  äSienn 
bic  {Reformatoren  ungead^tet  ber  S3crn)cttlid^ung  im  fdl^lcd^tcn 
©inne,  ttjcld^c  fic^  aud^  junäd^ft  an  bie  ?ßrajis  bicfeg  ©runb^ 
fa^cS  fieftete,  niemals  an  i^m  irre  getoorben  finb,  fonbern  x\)\i 
immer  ^od^  gcl^altcn  ^aben,  foHen  wir  bann  annefimcn,  bag  fie 
fid^  aU  ?ßatronc  einer  cigcnt^mlid^cn  UnüoHfommcnfieit  beS  fitt- 
lid^en  Sebenö  angefe^en  ttJiffen  tooUten  ?  ober  ^aben  wir  nid^t  fic 
in  biefcr  Scäicfiung  ju  üerftel^cn  ate  bie  SSertreter  unb  ?ßflcger 
einer  eigentl)ümlid^en  SSollfommcn^eit  d^riftlid^cn  Sieben^?  3d^  fefec 
ben  umgefc^rten  gall;  bic  {Reformatoren  l^abcn  nur  jum  3^^^ 
ber  ^olemil,  otine  pofitit»eö  3ntercffe  an  bcr  äiufgabe  bic  JBoIt 
lommcnt)eit  beiS  d^rifttic^cn  fiebenö  fo  gebadet  wie  eS  tjorliegt; 
bann  ^aben  fic  alfo  auS  fid^  feinen  antrieb  gehabt,  ein  Sebeni^ 
ibeal  a[S  ©anjed  aufjuftcDcn,  bann  ^aben  fie  alfo  nur  fragmen« 
tarifd^c  Scbcnäregcln  geben  fönnen  unb  tooHen.  hiermit  aber 
Würbe  id^  jugefte^en,  bag  ber  ?ßroteftantiömuö  in  einem  unermeg:^ 
liefen  9lac^t^eil  gegen  ben  J$atl)oliciSmuS  ftänbc,  unb  müßte  um 


1)  Sutl^er  im   (Kommentar  )ur  (SeneftS  (^p.  1,  26;  2,  17.  21.  Calvin! 
Inst.  ehr.  rel.  I.  2. 


43 

meine  Swfti^wiung  ju  icnem  bcforgt  tperbcn.  Ober  iä)  foU  Diel* 
leidet  annehmen,  bag  ber  bcieic^itctc  Sd^abcn  burd^  bic  im  ^icti^«' 
mud  tpirffam  gctDorbcite  Srgänjung  beS  in  fic^  unt)oIIfommcncn 
Siut^crt^umö  au^cglic^cn  fei;  bann  aber  tpürbc  fic^  ftagcn, 
ob  nid^t  ber  lefetc  ©c^aben  fd^Iimmer  ift  alö  ber  erfte.  fturj  tDcnn 
bie  fclbftftänbige  Sebcutung  be^  rcformatorifc^cn  Segriffö  ber 
c^rtftUc^en  SoHtommen^eit  t)crneint  tDtrb,  fo  fann  ic^  nic^t  um:: 
§in,  barin  bie  petitio  principii  für  bie  feligmac^cnbc  ©cbentung 
beg  ?ßietiömuö  ju  crfenncn.  allein  baö  Scben^ibeal  ober  bi^ 
eoangclifc^c  SSoIIfommcn^eit,  toclc^e  bie  {Reformatoren  beljauptet 
^aben,  be^eid^net  bie  @igent[)ümlic^feit  i^re^  Untemel^menS  be- 
[onbcrS  in  ber  Slüdfic^t,  bag  bie  Slbftufung  jtoifd^en  t)oQfommenen 
unb  unoollfommenen  Sl^riften,  SRönd^en  unb  Saien,  ober  ^ietiften 
unb  JRic^tpietiftcn  burd^  eine  Siorm  abgefteüt  toirb,  toelc^c  für 
8(ne  gleid^  gilt,  ©etoiffermagen  ^at  ber  l^eitige  t^ranj  baffelbe 
3iel  öerfolgt;  aber  burd^  ba^  entgcgengefefete  äWittel,  bie  mön^ 
c^ifd^e  ^römmigfeit  fo  üiet  aU  möglich  auf  bie  Saien  au^jubef^nen. 
"Shx^  £ofung^n)ort  bafür  l^atte  man  im  äJ^ittelalter  in  ber  91efor^ 
mation  nac^  bcm  Sorbilbe  ber  ©emeinbe  ju  3ferufalem  gefunben. 
S)iefe  Snftanj  ttJurbe  auc^  ben  ^Reformatoren  in  SBittcnberg  jur 
SBerbefferung  i^reg  Unternel)mcng  in  ber  Sichtung  auf  bie  Stuf^ 
gäbe  ber  @itt(id^Ieit  burc^  @eorg  äSii^el  entgegengetragen  ^) ; 
äRe(anc^tt)on  aber  ()at  mit  fieserem  Xafte  barin  bie  mönd^ifc^e 
9lrt  erfannt.  @oIIte  cd  fic^  nun  beftätigen,  bag  ber  ^ieti^^muS 
ebenfaQS  burc^  bie  Snftanj  bcä  SSorbilbcS  ber  ))rimitit)en  jfirc^e 
getragen  mirb,  fo  ift  äReland^t^on'd  oenoerfcnbed  Urtl^eil  gegen 
äßi^l  ebenfo  beac^tendtoertl);  aU  ed  ben  befanntcn  @cbanfen 
t)on  ber  c^riftlic^en  SSoQfommenficit  üorauSfe^t. 

2)er  jtoeite  $auptpunft  in  ber  SScrgleid^nng  jmifd^en  ^at^o« 
liciSmud  unb  ^rotcftantidmud  ift  bie  ^eftimmung  bcd  SScr^ält:: 
niffed  gtoifc^en  ber  religiöfen  unb  ber  red^tlic^en  @cmeinfc^aft, 
tfs>dd)e  {ugleic^  unter  bem  Xitel  ber  Jiirc^e  jufammengefagt  finb. 
2)ec  fat^otifd^e  @runbfa|}  hierüber  lautet  bat)in,  bog  biefe  beiben 
Schiebungen  fic^  burc^aud  beden,  bag  cd  feine  rcligiöfe  t$unction 
c^riftlic^er  9lrt  gebe,  tocld^e  nic^t  in  ben  Stammen  ber  iRcc^tdorb:» 
nung  ber  abenb(änbifd^en  ^irc^e  {lincinfäQt,  unb  bag  biefe  ^Icc^td- 


1)  Sfll.  meine  fib^.  »deorg  SBttel'S  fibfe^t  k)om  Sut^t^um'.  SetlMr. 
ffit  ftir^enaefc^t^te  11.  9anb  @.  386-417. 


44 

orbnung  bic  bircctc  ®ma\)x  für  bic  rid^tigc  Uebung,  ©rl^attung 
unb  gortpflanjung  aller  rcUgiöfcn  Functionen  in  ber  ©emein* 
fd^aft  leifte.  35emgcmd§  lönnen  abttjed^fclnb  jebc  bicfcr  Sejieljungcn 
ote  ber  3^^*  ""^  bi^  anberc  alö  ba^  äl^iittel  gcltenb  gemacht 
tuerbcn.  Allein  im  ?ßroteftantiömuö  gilt  bie  gemeinfame  9ied^tö= 
orbnung  ber  Jfird)c  unbebingt  nur  aU  bag  äWittel  für  bie  ©cmeinfam^ 
feit  ber  religiöfcn  Il^ätigfcit,  ober  biefe  tpirb  ftetö  bal^in  bcurt^eilt, 
bog  fie  über  ben  iRal^men  ber  Sfled^tSorbnung  ^inau^get)!,  unb 
niemate  Don  berfelben  gebedt  ttjirb. 

©ritten^  wirb  ber  ©taat  üom  fiatf)oticiömu^  entttjebcr  ofe 
bie  gorm  ber  fünbigen  Sffielt  ober  aU  @otte^  Orbnung  in  ber 
Söcfc^ränlung  üerftanben,  bag  er  ber  ürd^Iid^en  Sled^töorbnung  an 
SDäert^  nad)ftcl^t,  unb  fi^  ben  Slnfprüd^en  berfelben  unbebingt  ju 
fügen  f)at.  3m  ©inne  beö  5ßroteftantiömug  ift  ber  ©taat  ale 
bic  atec^töorbnung  beö  menfd^lid^en  §anbetn^  ein  @ut,  tüelc^eS 
ate  folcj^e^  üon  ®ott  getpäljrleiftet  ift;  aUerbingö  geringeren 
SSäcrt^e^  atö  bie  religiöfe  ©cmeinfd^aft  am  ß^riftentfium,  aber  an 
\id)  eine  ©tüfce  berfelben,  tueil  bie  Qn6)i  bcö  SRec^teö  ba^  ent* 
f))re^enbe  ÜWittel  für  bie  greil^eit  beö  retigiöfen  unb  fittlid^en 
§anbeln§  ift. 

SBenn  man  bei  ben  angegebenen  SÄerfmaten  beö  ?ßroteftan* 
tiömuS  bie  grage  fteHt,  tpie  fid)  berfelbe  ju  bem  Segriff  ber  Sle^» 
formation  au^  bem  12.  6a))itel  beö  {Römerbriefe^  üerl^ält,  fo 
ttjaltet  aüerbing^  ein  ftarler  ©d^ein  ob,  bag  er  fid^  Don  biefem 
SÄagftabe  toeit  entferne.  Nolite  conformari  huic  seculo!  3ft 
nidjt  bie  SBerttjfd^ä^ung  be«  bürgerli^en  SBerufc^  jufllcic^  mit 
ber  Slble^nung  beö  äWönd^t^umö  in  birectcm  SBiberjpruc^  ju 
jener  JRegel?  3ft  nid)t  bie  ©djäfcung  be$  ©taate^  al§  einer  be* 
fonbern  ©tüfee  be^  religiöfen  unb  fittlid^en  äufön^i^^^ii^f^^i^^  ^^ 
ßfiriftentl^um  eine  ftarle  ßonceffion  an  bie  SBelt,  jumal  tt)enn 
man  fid^  erinnert,  bog  barau«  bie  Uebertoeifung  ber  lird^Iid^en 
ate^töorbnung  an  ben  ©taat  entfprungeu  ift?  dagegen  bemerle 
ic^,  baß  e8  bei  bem  toeltlid^en  Serufe  barauf  anlommt,  i^n  eben 
nid^t  toeltlid^,  fonbern  geiftlic^  ju  führen,  unb  bei  ber  red^tli^en 
Scitung  ber  red^ttid^en  Functionen  ber  Sird&e  burc^  ben  ©taat 
barauf,  ba§  bie  religiöfen  ©emeintl^ätigfeiten,  toetd^e  eigentlich 
bic  Sirene  bilben,  um  fo  ttjcnigcr  beJ^eUigt  tocrben  burd^  bie 
red^tlid^en  alfo  njcUlic^cn  ©cfc^äfte.  S)ic  lenbenj  in  beibem  ift 
bed^alb  bem  anbern  ©a^e:  sed  reformamiui  in  novitate  sensus 


45 

vestri,  burc^aug  angcmcffcn.  3^9^^^^  ^^cr  ift  eben  bie  grunb* 
fäfcUd^e  Untcrfd^eibung  ber  red^tlid^en  unb  ber  religiöfcn  Functionen 
in  ber  Äird^e,  nnb  bie  grunbfäfelid^e  ©d^äfeung  bcö  Slbftanbe^ 
i^rer  SSäcrt^e  in  birectem  @inllang  mit  ber  crftcn  Siegel.  35ic 
fat^olifc^c  Snfid^t  Don  ber  Äirc^e  aber  läuft  berfelben  birect  ju* 
njibcr.  2)ag  Sfte^t  ift  nun  einmal  bie  fpccififc^  tpeltlid^e  Drb:= 
nung  menfc^lid^en  3"fömmenlebeng;  aud^  alleö  Äird^enred^t  ift 
barnm  tt)cltlid^.  S)ie  latfiolifd^e  ©d^ä^ung  be^  JRedjtcö  ber  latl^u* 
lifc^cn  Sirdje,  nämlic^  bag  baffelbe  birect  unb  unbebingt  göttlich 
unb  übcrtueltlid^  fei,  fc^ließt  eine  fpecififd^e  Sonformation  beg 
G^riftentl^umS  mit  ber  SBelt  in  fic^.  S)er  Sßroteftantiömuä 
alfo  fäHt  QUO  jener  Siegel  ber  ^Reformation  nic^t  ^erau^,  Diel« 
me^r  ift  er  öon  ber  Slbfid^t  getragen,  berfelben  in  größerem  Um* 
fang  ju  entfpred^en,  atö  e^  im  fatl^olifc^en  ß^riftent^um  bergati 
ift.  Ob  eine  biefer  beiben  gormen  trofebem  ftärleren  S(nla§  jur 
S3ertt)eltlic^ung  gicbt  alö  bie  anbcre,  foH  l^ier  nic^t  erörtert 
luerben. 

3n  ber  bisherigen  SScrgleic^ung  jtt^ifd^cn  ben  beiben  ?lrtcn 
bcS  abcnblänbifd^en  ßfiriftent^umg  toax  ber  fatf|olifd^e  Segriff 
ber  c^riftlic^en  SoBKommcn^eit  nad^  ber  l^ergebrad^ten  gormel 
Dom  äWöni^t^um  beftimmt  tt)orben.  DfficieU  ift  au^  bie  fatf|0* 
lifd^c  SBoDfommenl^eit  in  ben  brei  2Rönd;Stugenben  crfd^öpft; 
inbcffcn  t^atfäd^lic^  toirb  ber  üolle  Umfang  berfelben  crft  erreii^t 
burd^  bie  contem))latiüc  Strt  ber  grömmigleit,  ju  ttjeld^er  bie 
aWönc^c  anget)alten  ttjcrben.  3)iefe  ©rfc^einung  barf  an  biefer 
©teile  um  fo  weniger  überfeinen  tt)erben,  ate  crft  burd^  bcren 
Sca^tung  ber  @egcnfa^  }n)ifdnen  bem  et)angelifd)en  unb  bem  fa* 
t^oUfd^en  9)egriff  ber  SolKommeni^eit  t)öllig  t)erftänblic^  n^irb. 
Xtnn  ben  brei  äRönd^Stugenben  toirb  bie  Xreue  im  n^eltlic^en 
SBerufc  entgegengefefet.  SBelc^e  JRücffid^t  aber  gilt  barin,  ba§  ber 
@laube  an  @otteS  SSorfel^ung  unb  baS  baoon  getragene  @ebet  jur 
cöangelifc^en  SoUfommentieit  gerechnet  »erben  ?  35iefe  Functionen 
finben  i^rcn  cntfl^red^cnben  ©cgenfafe  in  ber  fd^einbar  oiel  ^öt)er 
greifenben  (Sontemt)lation,  n^eld^e  ben  äRönc^en  obliegt.  9iun 
fommt  aber  ^inju,  bag  in  ber  jn^eiten  $älfte  beS  äRittelalterS 
bicfe  2)et)otion  t^eilS  auSbrüdlic^  jur  93eftimmung  ber  aßönd^e 
flcrcd^net,  t^cilS  auf  bem  SBcge  ber  Xertiaricrorbcn  unb  öer* 
UKinbter  SBilbungcn,  ttjie  ber  ©otteiSfreunbe  unb  ber  Vorüber  unb 
©(^meftem  bcd  gemeinfamen  ScbenS,  fo  loeit  n^ie  möglich  unter 


46 

bcm  SSoIfc  verbreitet  tporben  ift.  3)ie  uorbilblid^e  unb  ba§  ganje 
SÄittelalter  l^inburd^  maggebenbe  IDarftcUuncj  biefer  3)ct)otion  ^at 
aber  bcr  ^eilige  Sern^arb  in  feinen  86  ^rcbigtcn  über  ba8 
§ot)eIieb  bargeboten.  Df^ne  Äcnntnife  biefeö  t^pifc^en  6nttt)urfeö 
t)on  ©eüotion  ^at  man  lein  üollftänbigeö  SSerftänbnife  Dom  Sat^o^ 
licl!§muö.  3)er  aUegorifd^en  Stuölegung  unb  lird^Ud^en  Senu|ung 
be^  §oI)enIiebeö  J)at  nämlid^  SBern^arb  bie  religiös  fo  l^öc^ft  ein- 
fluftrcidje  SBcnbung  gegeben,  baß  er  bie  S3raut  S^rifti  nid^t  mel^r 
al^  bie  JJirc^e,  fonbern  al^  bie  einjelne  gläubige  ©eele  beutete. 
SlHerbing^  fpielt  bei  i^m  aud^  jene  ben  Äird^enüätern  geläu* 
fige  Deutung  öfters  bajnjifd^en,  unb  einmal  (56,  1)  bringt  er 
auc^  bie  SluStegung  beS  Ät^anafiuö  jum  SluSbrucf,  bag  ber  S3e^ 
fuc^  beö  SBräutigamö  bei  ber  93raut  bie  SÄeufd^njerbung  beS  gött^ 
liefen  SBorteS  bejeid^ne.  SKan  lann  alfo  fic^  im  SSor auS  üor? 
ftellen,  bog  biefen  (Srflärungen  gegenüber  bie  Sluölegung  S3ern» 
^arb'g  l^ödEift  folgenreich  für  bie  Stic^tung  ber  grömmigleit  toer^ 
ben  mujgte.  9lur  bemerle  id^  jugleic^,  bag  Sut^er  in  feinen  9Sor^ 
Icfungen  über  baö  §o^elieb  gerabe  SBern^arb'S  (Srilärung  ablehnt, 
inbem  er  jene  ©c^rift  auf  ©alomo'g  politifdjeS  ^Regiment  beutet. 
3)en  ^intergrunb  für  ben  ^ier  ju  bead^tcnben  ©ebanfenireis 
Sernl^arb'8  bilbet  bie  umfaffenbfte  Änerfennung  ber  göttlid^en 
®nabe.  Söelanntlic^  gilt  i^m  biefelbe  in  feinen  ?ßrebigten  über* 
t)aupt  als  ber  oberfte  unb  leitenbe  @efid)t§punft,  bei  toelc^em  bie 
atürffic^t,  toeldje  er  in  ber  t^eologifdjen  X^eorie  auf  bie  menfc^* 
lid^e  grei^eit  nimmt,  gänjli^  ttjegfällt.  S)urd^  jene  Söetrac^tungö* 
mcife  bient  Söern^arb  jur  geftftellung  ber  Slnfic^t,  baß  bie  gleiche 
lenbenj  unferer  {Reformatoren  in  bem  mittelaltrigcn  ß^riften* 
t^um  i^re  SSäurjicln  I)at.  3nbeffen  lommt  eö  aud^  barouf  an, 
bie  ©renje  biefer  Uebcreinftimmung  in  ben  praftifd^en  gotgerungen 
ju  finben.  ®aju  ift  gerabe  bie  genaue  änal^fe  beö  ©ntwurfS 
Don  5^ömmigfeit  geeignet,  meieren  bie  ?ßrebigtcn  über  baö§of|e- 
lieb  einfc^liefeen.  ffiS  fte^t  alfo  bem  ^cil.  SBernf)arb  fcft,  bagbie 
©laubigen  mebcr  im  Vertrauen  auf  i^re  SSerbienfte,  no^  in  bem 
©efü^l  i()rer  eigenen  Äräfte  baö  geben  ju  führen  ^aben,  fonbern 
im  SSertrauen  auf  bie  güHe  ber  göttlichen  @rbarmungen  (14,  4; 
21,  11);  unb  er  l^at  eö  bei  ©elegenl^eit  Dermo^t,  ber  ated^tferti* 
gung  burd^  ben  ©lauben  einen  fo  präcifen  ?luSbrudf  ju  Uerlei^cn, 
tt)ie  ber  ?ßroteftant  nur  toünfd^en  lann  (22,  7.  8. 11).  3n  einem 
anbern  ßufammen^ange  freilid^  toirb  bie  ^armtjer^igfeit  ©otted 


47 

burd^  bic  SScrgcbuitg  bcr  ©ünben  ate  bcr  lüirtcnbc  ®runb  bcr 
»erbicnftc  aitcrfannt  (61,  5;  68,  2).  SKan  barf  baö  nic^t  fo 
anfe^cn,  aU  ob  bie  fat^olifd^c  grömmigfcit  üor^crrfc^cnb  ober 
fibcmicgcnb  auf  bic  SBcrfgcrcd^tigfeit  gcftimmt  fei.  S)icfc  Zxa^ 
bition  unter  ben  ?ßrotc[tantcn  ift  nad)  ben  fpeciellcn  unb  fe^r 
cinfcitigen  ©rfol^rungen  Sut^cr'ö  bcmeffen,  bcbarf  aber  einer  er^^ 
^eblid^en  Serid^tigung.  3nbe[fen  ba  SBern^arb  bei  feiner  energi- 
fc^en  §ert)or^ebung  bcr  @nabe  ©ottcö  baö  SSerbienft  nid^t  über- 
haupt aufgicbt,  fonbern  gerabc  aufrecht  crpit,  fo  ift  im  SSorau§ 
}u  bQtoeifeln,  ba§  jene  i^m  unb  unö  gcmcinfanie  @runbt)orauö:= 
fefeung  ju  tt)eit  reidjcnbcn  gemcinfamen  Folgerungen  filieren  n^irb. 
3u  bicfcr  JBejiel^ung  ift  t)or  ?inem  ju  bead^ten,  bafe  bic  ^xt^ 
bigteu  Sern^arb'g  nur  an  2ßönc^c  gerichtet  finb.  ®eren  Sage 
aber  ift  bie,  ba§  fie  in  ben  Slöftern  „bic  fRu^e  t)or  ben  ©orgcn 
ber  333elt  unb  ben  SBcd^fcIföUcn  unb  SBelümmerniffen  bc^  Scben^ 
gcniefecn,  inbem  fie  barauf  angett)icfcn  finb,  einen  burd^  ©eilig:« 
feit  unb  lugenben  glänjenben  Seben^ttjanbel  ju  führen"  (46,  2). 
5)ie  SBctrad^tung  über  ben  erften  ©afe  be^  ©ol^enliebeg:  „(Sr 
füffc  mic^  mit  bem  Äuffe  feinciS  äWunbei^",  fü^rt  nun  ju  bem 
©c^Iuffe,  baß  mon  „in  bcmfclben  äWaße  in  bag  SScrtraucn  (fidu- 
cia)  pc^  ausbreite,  ate  man  in  bic  @nabe  Ijineintoäd^ft"  (3,  4). 
allein  biefer  ©afe  finbct  im  3wfammcnf)ang  eine  ganj  anbere 
SScriDcnbung,  aU  er  im  eüaugclifdjcn  ©innc  finben  müßte.  S)cnn 
ba^  fjelb,  tt)elc§c§  bem  cüangeUfd^cn  S^riften  für  bic  Erprobung 
feinet  SSertrauenö  auf  @ott  angcn^iefen  tt)irb,  ift  für  bic  t)or  ben 
mannigfachen  ©orgen  beö  Sebcn^  in  bcr  SBelt  fic^cr  gcftcQtcn 
3uPrcr  be§  ^eiligen  Scrnljarb  gar  nid^t  üorl^anbcn  (©.  41). 
JBielme^r  tt)cift  baö  öon  i^m  gemeinte  SScrtraucn  ju  ©Ott  auf  ba^ 
@cbiet  bcr  einfamcn  Kontemplation  unb  auf  bic  in  i^r  ju  er« 
ftrcbenben  ®cnüffe  ^in;  jugleic^  wirb  cö  anberö  motiöirt,  aU 
burd^  bie  einfache  Snericnnung  bcr  SScrfö^nung  mit  @ott  burd[) 
(E^riftuö.  SBern^arb  nämlic^  fü^rt  in  bcr  brittcn  ?ßrcbigt  auö, 
baß  man  ju  bem  Suffe  bcö  äßunbcö  be^  93räutigami^  ni^t  ge- 
langt,  e^e  man  nid^t  ben  Äug  feiner  güße  unb  feiner  ^änbe 
Dolliogen  i)abc.  Sener  erfte  Stvi%  ift  ber  ?lct  ber  ffluße  über  bie 
©ünben;  er  rid^tet  fic^  auf  bic  gü^c  bcö  ftrengen  $cnn,  tocld^c 
feine  ©arml)erjigfeit  unb  feine  ©creC^tigteit  bebeuten;  in  bercn 
SSed^felbciic^ung  aber  ift  cd  begrünbet,  bag  man  aU  S^rift  n)cber 
in  Scrjtocifelung  noc§  in  falfd^er  ©ic^cr^cit  ücr^arrt  (6,  6—8; 


n 

11    9mz    ii.m..:^      Snr  isr  ir  ler  jcbsc  rri 

t/n  luro^  C'^iinxio:  r:.  i-,l.ai  iiini  itr  phi  f  iinn   9aasil€  mt^ 
Diuar  iiu:    tzr  z:r  i»r  juiacrJBczr  irtia  sxa  teic 
)!frr.-ui«'a    Ulf    irzi    tütt.!**  in     "üijei  jiäl    jmnlrii  -ilha 

tTtiiin    utvs    iil^zix    mf  üm=:  Snrii  Icr  SoilBiiiiiBisiäc:.  ikU^ 
*^i*nj   -x    «r.  1 .     ,3JL2it    äiüicaiz::   ^t  not    mö  ift  Ä  ioB* 

»^  V.»  ÄxV  -^  1^  tf^TT.nr:ür:iq:  iirji*x  ta:  Ä::^  Ä  Uetans 

H--vt  r,-rir  'lo,  .S;.  atm  t«  z=r.  x«  JVnbn^  cinraal 
l«ff^   ^>xt^  Sg«^Tf/.   Änd^l:  sr^  icsst  »o  nyrTObit.  boB  bicfe^ 

UiHh  \^ni,  n>9l  et  fi^utDig  \h,  l^^  ha  (Stun^dimn  ein  iranfi^r 
Uff*^ft  „Xie  <^botc  erfnOe  ic^  mfOeic^t  in  irgrab  einer  SSktfe; 
rtUr  »iMrfe  ^eele  ift  in  i^nen  wie  £anb  ohne  Saffcr;  bamit  alfo 
tiiftn  Lp\n  fett  werbe,  fo  möge  er  mic^  tfiffen  mit  bcm  ftuffc 
|fiiK#  ü/fuitbe*"  (U,  2). 

Xn  ft)anoeli|(^e  (£^rift,  toeld^er  ftd^  ald  einen  unnfi^n 
jWiifrf;t  l)futt()filt,  Inbcm  er  feine  ©^ulbigfcit  t§ut,  fieüt  jnglcid^ 
)«*liK  ^\\^U\i  unter  bie  burc^  et)riftu§  erfahrene  8erf6§nung 
IM II  ^Mi)lt.  Xcr  I)ciliflc  fflcm^arb  aber,  bcr  in  feiner  (Erfüllung 
»irr  (Wr(»ülr  feiiie  ©cliflleit  erfährt,  lagt  burc§  bie  ^robe,  welche 
\'\  bnrin  j\iiflltMcl)  Don  bcr  ©nobc  ®ottcg  nnb  bon  feinen  Scr» 
blni|lrn  mnrt)t,  fiel)  nu  bcmicnißcn  Betrauen  ju  @ott  ober  ju 
bnn  1^11  vfl  urtcj)  Wutt  crrcflcn,  welcher  feine  Sefriebigung  in  bcr 
iM/liillltljni  Ulcbc  AU  bcm  .^cnu  Scfuö  finben  wirb.    Snber^uf» 


49 

faffung  bicfer  ©cftalt  treten  nun  bie  2RcrfmaIc  bcö  crnicbriflten 
unb  Icibenbcn  @otteöfol^|iö  gclcgcntUd^  fel^r  bebeutcnb  \)cx\)ox, 
unb  bie  SRcrfinalc  feiner  ©ott^eit  ober  ^errfdjaft  toerben  burc^ 
bie  ©cfc^rcibung  ber  auf  i^n  gerichteten  Siebe  nad)  Umftänben 
abfid^tlid^  jurücfgebrängt.  Sluf  ber  anbern  ©eite  I)aftet  bod^  bie 
Sefriebigung,  toeld^e  in  bem  Sräutigam  gefud^t  tüirb,  baran,  ha^ 
er  jugleid^  bog  SBort  ®otte^  ift,  unb  baß  er  für  (Sott  eintritt. 
SJcingemdß  »irb  in  ber  ©arfteüung  ber  contemplatiüen  Vorgänge 
o^nc  ©^ttjierigteit  auc^  @ott  für  (£{)riftuö  untergefd^oben.  Um 
fo  auffaöenber  ift  cö,  baß  bie  SBefd^reibung  ber  Siebe,  welche 
Scm^arb  meint,  bie  ©d^rante  än)ifd)en  ®ott  (Sljriftui^)  unb  ber 
^crfon  beö  ©laubigen,  »elc^e  buid^  bie  ©r^aben^eit  ©otteö  feft* 
gefteHt  ift,  au^^brücflic^  beseitigt.  „S)ie  ©eele  liebt  glü^enb, 
»clc^e  fo  öon  ber  eigenen  Siebe  trunfen  loirb,  ia^  fie  auf  bie 
aKajeftät  nic^t  ad)tet.  D  welche  @ett)alt  ber  Siebe,  welc^eö  3"* 
trauen  in  bem  ©eifte  ber  grei^eit!  Die  üoUfommene  Siebe  treibt 
bie  gurc^t  (auc^  bie  (g^rfurc^t?)  au«"  (7,  2).  „SBon  ber  ©e^n:^ 
fuc^t  »erbe  id^  getrieben,  nic^t  t)on  ber  SSernunft;  crf)ebet  feine 
Älagc  über  Slnmaßung,  tüo  ber  Slffect  bröngt.  Die  ©d)eu  frei« 
U^  tt)arnt,  aber  eö  übertt)iegt  bie  Siebe.  3d|  weiß  wo^l,  baß  bie 
(Sfjre  beö  Sönigö  ©eric^t  liebt,  aber  bie  jä^  uoran  eilenbe  Siebe 
fefet  fic^  über  ©crid^  ^inioeg;  fie  ttjirb  ttjeber  burdt)  SRatl)  gc* 
mäßigt,  nod^  burc^  ©d^am  gejügelt,  nod)  bur^  bie  SSernunft  bc^ 
^crrfc^t"  (9,  2).  „©egenroärtig  ift  ber  ©eliebte,  entfernt  n)irb 
ber  ÜKeifter,  ber  Äönig  öerfd)minbet,  bie  SBürbe  ift  ausgesogen, 
bie  (£l)rfurc^t  mirb  abgelegt.  3^^if<^^"  ^^^^  SBort  ©otteö  unb 
ber  ©cele  ttjirb  tt)ie  jioifd^en  j^toci  Jlad^baren  eine  feljr  üertrau:: 
lic^e  3^üicfprac^e  unterhalten.  Sluö  bem  Sinen  Duell  ber  Siebe 
fließt  in  jeben  bie  gegenfcitige  Siebe,  bie  gleiche  Särtlidjteit.  Dem= 
gemäß  fliegen  üon  beiben  ©eiten  bie  SBortc  füßer  aU  ^onig, 
fc^mcbcn  bie  t)on  SBonne  ganj  erfüllten  93licfe.  ffinblid)  ^eißt  er 
^e  fjreunbin,  nennt  fie  bie  ©c^öne,  »ieberljolt  eö,  unb  empfängt 
baS  ©leiere  loieberum  bon  il)r.  SBa^rli(^  eine  erf)abene  ©^au:^ 
ung,  in  todäfcx  bie  ©eele  ju  bem  ©rabe  bon  3"*^QWcn  unb 
toicbcrum  öon  ©eltung  erhoben  tt)irb,  baß  fie  3cfud,  ben  $errn 
aller  Dinge,  aU  §errn  nid^t  me^r  fennt,  fonbern  nur  nod^  alö 
©eliebten"  (45,  1.  6).  „Die  liebenbe  ©eele  toirb  burc^  SBünfd^e 
getrieben,  burd^  ©e^nfud^t  gejogen,  fie  ocr^e^lt  i^re  SJerbienfte; 
gegen  bie  äKajcftät  fc^ließt   fie  bie  äugen,  öffnet  fie  ber  Suft, 

I.  4 


48 

11,  2).  ®a  icbod^  bic  Sugc  jicllog  lüärc,  toenn  uid^t  il^r  (Sx^cb^ 
nife  burd^  bic  Snt^altung  üon  ©ünbeii  unb  burd^  bic  SBerfc  ber 
grömmigfcit  fidjcr  cjcftellt  toürbc,  fo  bebeutet  ber  jiücitc  ihi6  bcn 
c^anjeu  Umfang  ber  t{)ätigen  Heiligung,  in  tpeld^cr  man  burc^ 
bic  §anb  beö  §errn  oufrei^t  crl^altcn  toirb.  ©o  ift  bag  SBod^:^ 
tl)um  in  bic  ®nabc  gemeint,  xodd)cx  bic  8lUöbreitung  in  ic^ 
Vertrauen  ju  ©Ott  entfpric^t.  9hir  toer  in  ben  beiben  crften 
Äüffen,  alfo  in  ber  üoQcnbctcn  SJu^c  unb  in  ber  fic§  üoDcnbcn^ 
ben  tl^ätigcn  Heiligung  bic  (Srfa^rung  ber  göttlid^cn  ®nabe  ge^ 
mad^t  ijat,  barf  mit  ber  glül^enbcrcn  Siebe  unb  bem  üermc^rtcn 
SJcrtraucn  auf  ben  inunbcrbar  fügen  unb  gnabenrcid^eu  ^ug 
Dom  ÜJiunbc  be^  S3räutigamö  Änfprud^  machen,  in  toddjtm  man 
mit  bem  §crrn  3cfuö  ju  ßinem  ©eifte  wirb.  Sllfo  biefen  Äug 
erfährt  man  allein  auf  einer  ©tufc  ber  SBoIKommcn^eit,  ttjcld^c 
feiten  ift  (4,  1).  „äWcin  ©clicbter  ift  mein,  unb  ic^  bin  fein" 
(Sant.  2,  16),  biefe  §ö^e  ber  locd^felfeitigen  Siebe,  ju  toeld^cr 
bic  ©eclc  burd^  tt)unber6arc  ®nabc  bered^tigt  tt)irb,  barf  9iicmanb 
erftreben,  ber  nid^t  burc^  bcfonbere  SRcin^eit  ber  ©efinnung  unb 
^eiligfeit  be^  Seibcö  folc^e^  ju  erfahren  ücrbicnt  (67,  8).  Ober 
wer  bie  SRu^c  in  ber  Kontemplation  begehrt,  l)at  hnxä)  bic  Uebung 
ber  lugenbcn  jener  l^ciligen  8tu^c  juüorjufommcn,  ba  nur  bem 
©c^orfam  gegen  bie  ©ebote  ber  @enu§  ber  Kontemplation  ge«« 
fdjulbct  wirb  (46,  5).  SRan  lefc  nur,  wie  S3em^orb  einmal 
feine  guten  SBcrfc  aufjä^lt  unb  banad^  fo  fortfährt,  ba§  biefc^ 
ÄDcö  in  ©cwo^nl^eit  beftc^e,  nic^t  in  ©ügigfeit;  wer  alfo  ge* 
Iciftet  I)at,  was  er  fc^ulbig  ift,  l^eige  im  Soangclium  ein  unnfl|er 
iined^t.  ;,S)ic  ©ebote  erfüQe  id^  üieUeid^t  in  irgenb  einer  SEBeifc; 
aber  meine  ©ecle  ift  in  i^ncn  wie  Sanb  o^nc  SBaffcr;  bamit  alfo 
mein  Opfer  fett  werbe,  fo  möge  er  mid^  Kiffen  mit  bem  Äuffe 
feines  äRunbcS"  (9,  2). 

Ser  cDangclifd^c  S^rift,  weld^er  fic^  als  einen  unnfi|en 
Stncd^t  beurt^eilt,  inbem  er  feine  ©^ulbigfeit  t^ut,  [teilt  juglcic^ 
feine  ©eligfcit  unter  bic  burd^  St)riftuS  crfal;rcnc  SSerfö^nung 
mit  ©Ott.  S)cr  ^eilige  SBcm^arb  aber,  ber  in  feiner  ffirfüllung 
ber  ©ebote  feine  ©eligfcit  erfährt,  lägt  burc^  bie  5ßrobe,  welche 
er  barin  juglcid^  Don  ber  ©nabc  ©otteS  unb  t)on  feinen  SBcr* 
bicnften  mac^t,  fi^  ju  bcmienigcn  S^traucn  ju  ©Ott  ober  ju 
bem  ®urft  na(^  ©ott  erregen.  Welcher  feine  S3efriebigung  in  ber 
bräutlid^cn  Siebe  ju  bem  §cnn  SefuS  finbcn  wirb.    3u  ber  Äuf^ 


49 

faffung  bicfcr  ©cftdt  treten  nun  bie  SKcrfmalc  bcö  crnicbrigten 
unb  Icibcnbcn  ®ottei^fo^)iä  gclcgcnttid^  fel^r  bcbeutcnb  ^cröor, 
unb  bic  SRcrfinalc  feiner  ©ott^eit  ober  ^errfdjaft  n)erbcn  bur^ 
bic  ©cf^rcibung  bcr  auf  \\)n  gerid^tetcn  Siebe  nad)  Umftänbcn 
abfid^tlid^  jurücfgebrängt.  Sluf  ber  anbern  ©eite  ^aftet  bod^  bie 
SBcfriebigung,  toeld^e  in  bcm  öräuticjam  gefud^t  lüirb,  baran,  ha^ 
er  xuglcic^  bog  SBort  @ottc^  ift,  unb  baß  er  für  (Sott  eintritt. 
Seingemaß  mirb  in  ber  ©arfteüung  ber  contemplotiüen  SSorgängc 
o^nc  ©c^mierigteit  awd)  ®ott  für  ®{)riftuö  untcrgefdjoben.  Um 
fo  auffaDcnber  ift  eö,  baß  bie  SBefd^reibung  ber  Siebe,  toelc^e 
SBcrn^arb  meint,  bie  ©d^rantc  jnjifdjcn  ®ott  (S^riftuö)  unb  bcr 
^erfon  beg  ©laubigen,  toeld^e  burd^  bie  Sr^abenl^eit  ©otteö  feft* 
gcfteHt  ift,  au^^brüdElic^  befeitigt.  „S)ie  ©eele  liebt  glü^enb, 
welche  fo  öon  ber  eigenen  Siebe  trunfen  tüirb,  ba%  fie  auf  bic 
aWaicftdt  nic^t  ad^tet.  D  ttjcl^e  ©ewalt  ber  Siebe,  melc^cö  3^1* 
trauen  in  bcm  ©eifte  ber  grei^eit!  5)ie  üoUfommene  Siebe  treibt 
bic  gurd^t  (auc^  bie  g^rfurdjt?)  auö"  (7,  2).  „SBon  ber  ©e^U:: 
fuc^t  iDcrbe  id^  getrieben,  ni(^t  bon  bcr  SBcrnunft;  crf)ebet  feine 
Älage  Aber  Slnmaßung,  too  ber  Slffcct  brängt.  S)ic  ©d)eu  frei* 
li^  iDürnt.  aber  eö  übern^iegt  bic  Siebe.  3c^  toeiß  ttjo^l,  baß  bic 
6f)rc  bciS  Sönigö  ©cric^t  liebt,  aber  bie  jäf)  uoran  eilenbe  Siebe 
fcfet  fic^  Aber  ©erid^  ^inioeg;  fie  mirb  ttjcbcr  burdt)  SRatl)  gc^ 
mäßigt,  noc^  burc^  ©c^am  gejügelt,  nod)  bur^  bic  SScrnunft  bc^ 
^crrfc^t"  (9,  2).  „©cgcmoärtig  ift  ber  ©eliebte,  entfernt  \v\x\> 
ber  Söiciftcr,  ber  Äönig  ücrfdjioinbct,  bie  SBürbe  ift  auggejogen, 
bic  (S^rfurc^t  »irb  abgelegt.  3^^H^)cn  bcm  SBort  ©otteö  unb 
bcr  ©eck  ttjirb  tt)ic  jtoifc^cn  j^toci  Jlad^baren  eine  feljr  üertrau^ 
lic^c  3^^icfprac^c  unterhalten.  ?luö  bcm  Sinen  Duell  ber  Siebe 
fließt  in  ieben  bie  gegcnfeitige  Siebe,  bic  gleiche  3ärtlidjteit.  ©cm* 
gemäß  fliegen  oon  beiben  ©eiten  bic  SBorte  füßer  alö  §onig, 
fc^n^eben  bic  Don  SEßonne  ganj  erfüllten  ^ticfe.  Snblid)  ^eißt  er 
fie  greunbin,  nennt  fie  bie  ©d^one,  loiebertjolt  eö,  unb  empfängt 
bad  ©Icic^c  n)icbcrum  bon  il)r.  SBa^rli(^  eine  crljabcnc  ©c^au« 
ung,  in  ttjclc^cr  bie  ©eele  ju  bcm  ©rabe  uon  3"trauen  unb 
toicbcrum  üon  ©cltung  erf)obcn  wirb,  baß  fie  3cfud,  ben  $errn 
aller  33inge,  afö  §errn  ni^t  me^r  lennt,  fonbern  nur  nod^  aU 
©clicbten*'  (45,  1.  6).  „S)ie  liebcnbc  ©eele  toirb  burd^  SBünfc^e 
getrieben,  burc^  ©e^nfuc^t  gejogen,  fie  oerl^c^lt  i^re  Jöerbienfte; 
gegen  bie  äRajcftät  fc^licßt  fie  bie  Äugen,  öffnet  fie  ber  Suft, 
I.  4 


50 

tnbcm  fic  biefclben  auf  ba§  §cil  rld^tct,  unb  t)oQ  ßi^t^^^wcn  auf 
baffelDe  ftd^  regt.  D^nc  3^**^^!^  cnblic^  unb  ol^ne  ©d^eu  (invere- 
cunda)  ruft  fic  baö  SBort  ®otte^  jurücf,  unb  mit  SBertrauen 
tüieber^olt  fic  baö  ©picl  (deliciae),  inbcm  fic  in  gewohnter  grei^cit 
baffelbc  nic^t  bcn  §crrn  fonbcrn  bcn  ©clicbten  nennt"  (74,  4; 
ögl.  bic  noc^  ftärfercn  ?ludbrüdEe  79,  1).  SBcrn^orb  gcfte^t  cö 
fogar  ^^u,  baß  biefe  Sic6c  ju  bcm  ©ottmcnfd^cn  in  gemiffer  S3c=f 
jic^ung  finnlic^  gefärbt  fein  foU.  „SBemerfe,  ba§  bic  ^crjenö* 
liebe  gelüiffermaßcn  fleifc^lid)  (carnalis)  ift,  »eil  fie  me^r  auf 
baö  glcifc^  6I)rifti  fid^  richtet  unb  meil  ba«  xoa^  e^riftu^  im 
glcifd^  tl^ut  unb  anorbnetc,  baö  mcnfd^Iid^e  §erj  ergreift.  SSon 
biefer  Siebe  erfüllt  tüirb  eö  leidet  ju  allem  berartigen  ©cfpräc^ 
angeftad^elt."  Slbcr  bie  Siebe,  tt)eld^c  in  biefer  Sejic^ung  leiben^ 
fc^aftlid^  fein  foU,  foH  juglcic^  umfid^tig  unb  Iräftig  fein,  um^ 
fid^tig  infofern,  aU  ber  finnlic^e  Qwq  berfelben  gcrabe  bie  Sorfungcn 
besJ  gleifd^cö  untoirffam  madjt;  Iräftig  barin,  baß  bie  Sinic  ber 
fird^lid^en  ©laubcnöregcl  eingel)alten  tt)irb  (20,  4—9).  Slußerbem 
aber  fommt  in  Setrad^t,  baß  bie  finnlid^  gearteten  (Srregungen, 
ttjcldje  ber  Icjt  be^  §o^enliebe^  an  bic  §anb  giebt,  allegorifd^ 
in  bie  geiftigen  Functionen  fibergcleitet  tt)erben.  Die  ©eetc,  tt)cld^e 
nac^  ßant.  2,  6  glücflid)  gepricfen  mirb,  baß  fie  an  ber  95ruft 
unb  ^ttjifdjcn  bcn  Slrmcn  E^rifti  liegt,  tüirb  barauf  l^ingcmicfen, 
baß  fie  fic^  burc^  gurd^t  unb  Hoffnung  ju  bcttjäl^ren  ^at  (51,  5), 
Ueber^aupt  aber  ^at  baö  Q\d  ber  contemplatiüen  ffifftafc  ben 
©inn,  baß  man  bie  9leinl)eit  ber  ffingel  errei^t,  alfo  beim  (Sr^ 
fennen  @ottc^  nid^t  in  bie  finnlid^en  93ilbcr  ücrmidEclt  bleibt, 
fonbcrn  bie  Jrugbilber  förperlic^er  ?le^nlic^feitcn  fiberftiegt.  6^e 
man  baju  gelangt,  barf  man  fid^  bic  erftrebtc  SRu^e  nic^t  t)er« 
fpred)en  (52,  4.  5). 

^Ran  muß  fid^  bie  angegebenen  EJ^araftcrjügc  biefer  Siebe 
XU  ß^riftuö,  tüclc^c  hcn  SJolltommencn  jugcmutl^ct  tt)irb,  fc^r 
genau  fijiren;  bcnn  fic  ift  ber  cDangelifd^en  grömmigicit  üon 
^aufe  aug  fremb.  SSor  aQcm  aber  tüiberfpric^t  bic  ©c^ilberung 
Icibcnfd^aftlii^cr  Siebe  ju  ß^riftuö  ber  bei  bcn  ?ßrotcftantcn  gang^ 
baren  Annahme,  baß  eg  lat^olifi^e  Art  fei,  ben  ©ottmenfd^en 
nur  alg  bcn  ftrengen  SRic^ter  in  möglic^ftem  ?lbftanb  bcm  ®läu* 
bigen  gegenüber  ju  ftellen.  ©o  wie  man  nad^  bcn  ffirfa^rungen 
Sutt)cr'ö  meint,  baß  bag  lat^olif^c  Sljriftcnt^um  in  bem  Streben 
nad^   SBcrfgered^tigfeit  unb  in  ber  fc^cuen  gurd^t,  toclc^c  ben 


51 

Äticd^töbicnft  bcfltcitct,  aufgelle,  fo  f)at  ]iä)  bie  Ännal^mc  bei  un8 
fcftflcfefet,  ba§  ßl^riftuS  bcm  Äat^otifcn  praftifc^  nur  atö  bcr 
ftrengc,  an  fic^  unnahbare  SRid^tcr  gelte,  bcffcn  ®nabe  man  auf 
bem  SSkge  bcr  gürfprad)e  ber  ^eiligen  ju  erfd)teic^cn  ^ab^.  2Ran 
^at  aQe  Urfac^e,  biefe  Slnfidjt  ju  berid^tigen.  3cne  ©cltung  be« 
Rauptet  (£t)riftu8  in  ber  fat^olifc^en  grömmigfeit  aüerbingö  ffir 
ben  Seginn  bc^  Scben^  mit*  ber  SBuße  (f.  o.  ©.  47),  aber  nic^t 
augfd^lic^lic^.  darüber  ergebt  fid^  biefe  ganj  anberö  geartete 
ober  Dielmel^r  entgegengefefete  3luffaffung,  n)el(^e  bcr  l^ciligc  S3em^ 
^arb  ücrtritt.  S)a§  man  in  ber  comparatiuen  ©^mbolif  nic^t 
baju  angeleitet  tt)irb,  fic  fennen  ju  lernen,  rüt)rt,  n)ie  gcfagt,  ba^cr, 
bag  fiut^er  au8  jufäQigcn  @rünbcn  feine  ISrfa^rung  bat)on  in 
feinem  äRönd^dlcben  gemad^t  t)at.  Slllcin  in  3Birtli(^fcit  bient 
gerabc  biefe  auf  bcm  SBoben  ber  göttlichen  ©nabc  fußenbc  %n^ 
Icitung  jur  Icibenf^aftlii^cn  Siebe,  gegen  S^riftug  baju,  bie 
SBlflt^e  ber  mönd^ifd)en  grömmigicit  erfennen  ju  laffcn.  Sutl^er 
hingegen  ^at  atö  "SJlönä)  nur  bie  t)ertrodnetcn,  i^rer  ^x\i(i)i  ent^ 
leerten  ©amenlapfeln  ber  3)ct}Otion  fennen  gelernt.  8llfo  nad^ 
ber  Anleitung  beö  l^ciligen  Scrnlöarb  ffir  bie  in  ber  Heiligung 
befeftigten  äKönc^c  foQ  bie  Siebe  gegen  ß^riftuö  üon  bcr  gött:: 
Ud^cn  (Erhabenheit  beffelben  abfet)cn;  bad,  n)oburd^  ber  @ottmcnfc^ 
ba^  ©Clanen  bc8  ©laubigen  bcfricbigt,  foll  Don  bcr  bcgnabigtcn 
©ecle  auf  bcm  guße  ber  ©Icic^^eit  mit  i^m  erfahren  unb  gc* 
noffen  toerbcn.  5)ie  ©cclc  barf  fic^  aber  barin  eben  fo  gut  einer 
(Erhebung  ober  i^rc  urfprünglid^c  Stellung  erfreuen,  ate  fic  oon 
ber  (Erniebrigung  ®ottcö  ben  älnlafe  jur  (Erregung  i^rcr  finn* 
Ud^en  Seibenfd^aft  für  il)n  nehmen  barf.  Snbem  bcr  @cgcnfa| 
bicfcr  bciben  SBctrad^tungötueifen  üon  üorn  l^crcin  nid^t  jur  Älar* 
§e!t  gelangt,  fo  übcrtoicgt  junäc^ft  bie  Ic^tcrc  fRödtfic^t  infofern, 
atö  bie  Seibenfd^aft  ffir  (S^riftuS  baju  bient,  ben  Xrieb  nac^  ben 
@fitern  bcr  SBelt  unb  bem  i^r  zugehörigen  ©innengenug  unmirf^ 
fant  JU  mad^en.  Srft  unter  bicfcr  SSoraudfe^ung  tritt  bie  anbere 
Stfidftc^t  in  ©cltung,  bag  bie  finnlid^e  Intuition  beS  fic^  ernie« 
brigenben  @ottcd  in  bie  (Efftafe,  bie  bilblofe  geiftige  SJcrfcnfung 
in  @ott  fibcrgc^t,  baS  Qid  ber  ©cligfcit,  in  locld^cr  bad  ®nt  bed 
enrigcn  Sebend  Donoeg  erfahren  n)irb.  Sie  ^udglcic^ung  bcr 
bftben  entgegengefe|ten  äRct^obcn,  bcr  ^crabjic^ung  (E^rifti  in 
bod  3ntereffe  einer  Icibcnfd^aftlid^^innlid^en  ^nnäl^crung  an  i^n 
auf  ftoften  feiner  (Erhabenheit,  unb  bie  iBcrbinbung  mit  i^m  ju 


52 

ßincm  ©elfte  burc^  bie  Äuöfdöeibung  ber  finnlid^en  äWotiöe  unb 
bie  I^eilna^me  on  ber  ®r^abcn^cit  S[)rifti,  cjc^t  r\aä)  bem  ©c- 
fcfec  beö  ©efii^lö  öor  fiel).  5)cnn  fofcrn  üuä)  bie  finulic^rgcfärbte 
Seibeufd^aft  für  bcn  ©ottmcnfd^en  eine  geiftige  Intention  ein* 
fd^tiefet,  fo  erflärt  fi(^  an^  ber  ju  erwarteiibcn  Slbfpannung  ber 
überfpanntcu  fhinlid^en  ÜJiotiöe  bie  fdjeinbor  rein  geiftige  ©tei« 
geruncj  besf  @efäf)l^  jur  ©tftafe. 

StHcin  bie  bcutUdjen  SSorftellungen  t)on  Sl^riftuö,  auf  toelc^c 
fidi  biefe  Slntpeifung  ju  ber  an  il^n  ju  tnüpfenben  ©efü^löcr« 
regung  ftd^  ftüfet,  finb  eben  nid&t  cin^eitlid)  ausgeprägt.  5)er 
(SinbrudE  beS  fid^  emiebrigenbcn  ©ottcS  ift  für  öcrn^arb  ein 
jttjiefadjer ;  er  ift  einmal  mit  bem  ?lbfel^cn  bon  feiner  ©r^abenl^eit 
auSgeftattet,  um  i)anad)  lebiglid^  auf  bie  (Sr^abenl^eit  geftimmt 
äu  tt)erben,  tocld^e  bie  ©r^eOung  ber  ©eele  über  il^re  gef^öpflic^e 
©d^ranfe  verbürgt.  Sllö  eüangelifi^cr  S^rift  ift  man  jeboc^  barauf 
ongett)iefen,  fid^  bie  ßrniebrigung  beS  ©ottmcnf^cn  in  ber  3ben* 
tität  mit  feiner  göttlid^cn  @r^abcnl)eit  unb  umgefe^rt  ju  ber^ 
gegeniüärtigen.  ©eSl^alb  mufe  man  uorfid^tig  fein,  um  nid^t  in 
ben  folgenben  ©rtlärungen  SBern^arb'S  ben  ©d^ein  ber  Ueberein* 
ftimmung  mit  ber  cüangelifc^en  äuffaffung  ju  überfc^ä^en.  ®ic 
Siebe  beS  Söräutigamö  nämlid^  erfennt  SBern^arb  in  feinem  SBerfe 
ber  ©rlüfung,  bcffen  (Erinnerung,  toie  er  fagt,  in  irgenb  einem 
2Ra§e  jebem  ber  ©rlöften  gegentoärtig  fein  muß.  An  bicfem 
©egenftanbc  ^cbt  er  nun  im  allgemeinen  ätocierlei  l^erüor,  bie 
ärt  unb  ben  ffirfolg.  Die  8lrt  ift  bie  (Jrniebrigung  ©otteS,  ber 
ßrfolg  unfere  (Erfüllung  mit  ©Ott  (11,  3).  8lllein  eö  fommt 
nun  für  Siern^arb  im  Scfonbern  barauf  an,  biefe  Seftimmungen 
alö  baö  äWotit)  ber  eigent^ümlic^en  Deöotion  wirffam  ju  machen, 
n)el^e  feine  ?ßrebigten  l^cröorrufen  follcn.  ^a^  SBerf  ber  (Sr- 
löfung  alfo  foll  l^ier  nic^t  fo  üerftanben  werben,  tt)ie  eö  für  3cben 
feine  ^erfteHung  in  baS  (äbenbilb  ©ottcö  unb  in  bie  ^errfd^aft 
über  bie  SBelt  erttärt  (21,  6.  7),  fonbern  in  ber  befonbcrn  «rt, 
tüie  eö  bie  Siebe,  bie  leibenfi^aftlid^e  (Erregung  für  S^riftuS 
„fc^meic^elnber  anlocft,  beredjtigter  erjttjingt,  enger  üerbinbet  unb 
l)eftiger  erregt."  Dagu  aber  gehört,  baß  man  fid^  ben  ganjen 
Umfang  ber  SBemfiljungen,  burd)  toeld^e  ber  fid^  erniebrigcnbe  ©ott 
feine  Siebe  bettjü^rt  l)at,  im  Sinjelncn  üergegenttjörtigt.  Denn 
„berfelbe  ©Ott,  n)eld)cr  o^ne  ÜRü^e  burdö  baö  einfädle  SSefe^fö^ 
tt)ort  bie  SBelt   gefd^affen  f)at,  f)at  in  feinen  {Reben  bie  SBiber* 


53 

fprcc^cr,  in  feinen  ^anbtungen  bie  feinbfclicjcn  Scobadjtcr,  in 
feinen  Dualen  bie  Spötter,  im  lobe  bie  Serläumbcr  ertragen, 
©ie^  n)ie  er  geliebt  l)at!  Seme  alfo  üon  S^riftuö,  mie  S)u  il)n 
lieben  foHft"  (20,  2.  4).  5)ie  einfadje  aBertljbcftimmuncj  ber 
Siebe  ©otteö,  tt)eldt)e  in  bem  ©e^orfam  S^rifti  jur  ßrlöfung 
luirffam  tt)irb,  ift  baö  SKotit)  bcö  eDangelifd^en  ©tauben^,  lucld^er 
fic§  S^rifto  nnterorbnet;  aber  bie  Don  SBern^arb  Vertretene  leiben^ 
fd^oftlid^e  Siebe  beö  @Ieid)en  jum  @feid)en  crforbert  e§,  \>a^  bie 
©efammtleiftung  ber  Siebe  S^rifti  in  i^re  einzelnen  Quqc  jer* 
fplittcrt  tt)erbe.  Semgemäfe  erflärt  er  im  Änfi^tufe  an  ßant.  1, 13 
(ein  Sfinbel  uon  äW^rr^en  ift  mein  ©eliebter,  loeld^e^  än)ifd^en 
meinen  ©ruften  ru^t):  „©eit  bem  Seginne  meiner  Sefeljrung 
b.  i),  be^  äWönd^ftanbeö  I)abe  id^  mir  biefe^  ©ünbel  ju  binben 
unb  auf  meine  ©ruft  ju  legen  unternommen,  n^cli^eö  gefammelt 
ift  an^  aQen  ?lengften  unb  SBittcrIeiten  meineö  §errn,  junäc^ft 
benen,  tt)el(^e  mit  ben  Sßängcln  beö  finblid)en  Sebenö  jufammen^ 
l)ängcn,  bann  ben  SWül^en,  njcldje  er  in  ber  Serlünbigung  ertrug, 
ben  (Ermübungen  auf  ben  SRcifen,  ben  SRac^ttuad^en  beim  @ebet, 
ben  SSerfu^ungen  im  gaften,  ben  2;t)ränen  im  äWitgefül^l,  cnblic^ 
ben  ©cfa^ren  burd^  falfd^e  SBrüber,  ben  ©d^eItn)orten,  ©dalägen, 
SBcrp^nungen,  ©^mät)ungen,  Siägeln  unb  bergleid^eu.  Unter 
fo  Dielen  3^^<^i9<^"  ^^^^^^  buftenben  SK^rr^e  Ijabe  id)  and)  bie^ 
Jen  ige  nic^t  au^gelaffe«,  mit  ber  er  am  Äreuj  getränft,  unb  beim 
Segräbnife  gefalbt  ift.  S)ie  (Erinnerung  an  bie  gülle  ber  ©üfeig* 
feit  bief er  Singe  toiD  id)  au^fpred^en,  fo  lange  idj  lebe;  inSttjig* 
feit  iDiH  id)  nid^t  Dergeffen  biefc  ©rbarmungen,  in  bcncn  id^  ba^ 
Seben  gefunben  ^abc"  (43,  3) ').  3n  einer  anbern  SBenbung  er* 
fc^eint  biefeö  Sntereffe  bei  ber  Sluölegung  Don  6ant.  2,  14  (meine 
laube  in  ben  gelfenflfiften,  Dcrftecft  in  ber  ftlippe).  hierüber 
trägt  93ern^arb  eine  (grflärung  Dor,  bie  er  Don  einem  2lnbem 
entlehnt,  aber  mit  feiner  Ueberjeugung  Dertritt,  baß  nämlid^  „bie 
gelfenflüftc  bie  SBunben  (Sl^rifti  bebeuten,  benn  ber  gelö  ift 
E^riftud.  3n  iljnen  finbet  ber  ©perling  fein  ^auö,  bie  Surtel* 
taube  i^r  SReft  in  i^nen  finbet  bie  laube  ©d^u^  Dor  bem  ^abid^t. 
Unb   nnil^rlid^  mo  ift  für  bie  ©d^wad^en  ©id^erl)eit  unb  8iul)e, 

1)  Ziffern  ®eban!en  tp  unter  ben  Siebern  %ernl(iarb^S  getoibmet  bie  Rhyth- 
mica  oratio  ad  unumquodlibet  membrorum  Christi  patientis  a  cruce 
pendentis. 


54 

auBer  in  bcn  SBunbcn  bcö  ^cilanbö?  Tlan  burd^bol^rtc  feine 
§änbc  unb  güßc  unb  burd^flad)  feine  ©eite  mit  ber  Sanäc,  unb 
burd^  biefe  ©palten  ift  mir  cjcftottet  bcn  §onig  auö  bem  fjclfen 
jn  fangen,  unb  Del  auö  bem  garten  ©tein,  ba§  Ijei^t,  id^  barf 
fd^mecfen  nnb  feigen,  ba§  ber  §err  füg  ift.  Dffentiar  ift  baö  ©el^eim* 
ni§  beg  ©erjeng  burd^  bie  üoc^er  be^  Seibei^,  offenbar  ift  jene^ 
®et)eimni6  ber  grömmigfeit,  unb  bie  @ingett)eibe  ber  SBorml^erjigs 
feit  @otte^.  ©inb  nic^t  bie  @ingen)eibe  burd^  bie  SBunben  offen 
gelegt?  S33orin  tüäre  e§  benn  beutlid^er  alö  in  deinen  SBunben, 
ba§  bu  §err  füg  unb  milbe  bift  unb  reid^  an  ©rbarmen'' 
(61,  3.  4)?  2Kan  fielet,  bie  ^auptfa^e  n^irb  auc^  in  biefer  Som:^ 
bination  gen)a^rt,  unb  jn^ar  gemäß  bem  ®runbfa|c,  ba§  man 
nur.  auf  bem  SBege  ber  Slnfdjauung  be§  erniebrigten  ©otteö  5U 
ber  ©^auung  feiner  äRajeftät  gelangen  fann.  „3)enn  üoQ  ©c^rerfen 
ift  bie  birecte  ©rforfdjung  ber  SKajeftät,  bie  (grforfd^ung  bcö 
©nabenujillenö  aber  ift  ebenfo  fromm  ate  fidler"  (62,  5).  Slid^tö 
befto  tneniger  ift  bie  SBed^felbejic^ung  gtüif^en  ber  in  ben  ein- 
jelnen  3*^9*^^  borjufü^renben  Seibenögeftalt  ß^rifti  unb  ber 
leibenfi^qftlid^en  Siebe,  ujcldje  ftd^  über  bie  äWojeftät  S^iifti  ^in* 
ttjegfe^t  unb  i^n  alö  ©leid^en,  afö  Slod^bar,  alö  greunb  in  bie 
Arme  fd^ließt,  auf  eine  abfd^fiffige  Sa^n  geftellt. 

3n  ber  Seibenggeftalt  ß^rifti  roiil  SBernl^arb  allerbingö  baö 
ffirbannen  ©otteö  ergreifen,  ober  er  n)iH  in  bcn  einjelncn  Cr* 
fd^einungen  beö  Seibenö  S^rifti  ben  leibcnbcn  @ott  anfd^auen, 
beffen  Seiben  eben  fein  (Srbarmen  gegen  bie  SRenfd^en  bejeugt. 
Sd  fommt  i^m  in  biefer  93etrad^tung  burd^aud  auf  ben  göttlichen 
SBert^  6l)rifti  an.  S)iefe§  brüdEt  er  barin  auö,  bag  er  in  ber 
©^mpatl^ie  mit  ben  cinäclncn  Seibenöacten  bie  „Sülle  ber  ©ü§ig* 
leit"  finbet,  unb  in  ben  SBunben  3cfu  ben  ffiinbrudt  ^aben  tniQ, 
baß  ber  §err  „füg  unb  milbe  ift  unb  reid^  an  ßrbarmen".  Allein 
bicfe  SBert^beftimmung  beg  Seibenö  E^rifti  foH  hoä)  in  bem 
Stammen  be^  SBerfel^rcö  auf  glei^em  guge  mit  bem  ©räutigam 
gemad^t  n)erben.  3ubem  man  in  bem  unt)erfc^ulbeten  unb  frei* 
»iHigen  Seiben  3cfu  bie  güHe  feiner  Siebe  gegen  ben  (Sinjelncn, 
ber  bie  Sontemplation  übt,  erfennt,  foQ  man  fid^  ju  einem  ent* 
fpred^enb  l^o^en  äWaße  Don  ©cgenliebe  nnb  Aufopferung  für 
3cfug  bettjcgen  laffen.  S)iefe  SBebingt^eit  ber  gangen  Snfd^auung 
ergiebt  fid^  aud^  auö  ber  gormel,  ba§  bie  bitteren  ffirfal^rungcn 
3cfu  in  einem  fügen  ©cfc^mac!  feiner  Siebe  angeeignet  unb  ein* 


55 

geprägt  »erben  foöen.  ^icrauö  crgicbt  fid^  frcilid^,  bag  SBcrn- 
^arb  ttid^t  ba5U  anleiten  n)iQ,  ba^  man  fi^  in  bad  uuerfdjöpf« 
Ud^c  äRitleib  unb  in  bie  ^liebergefd^lagen^cit  Derliere,  lueld^e 
avL^  ber  Sergleid^ung  ber  eigenen  ©djulb  mit  ber  Unfc^ulb  3efn 
^ert)orge^en  tüirb.  ffir  ^at  eö  tüirtlid^  abgefe^en  auf  einen  reli* 
giöfen  ffiinbruc!  entgegengefefetcr  ?lrt.  ?inein  eö  fragt  ftdj,  ob  bie 
Don  i^m  öorgefi^riebenc  äRetl^obe  eine  Siötl^igung  in  fic^  fi^Ueßt, 
burc§  bie  Sitterfeit  be^  äWitleibg  ^inburi^  bm  ©efc^mad  ber 
©üfeigfcit  im  ficiben  ß^rifti  ju  erreii^cn,  unb  ferner,  ob  in  biefet 
erftrebten  ßmppnbung  mirllid^  ber  Dolle  S33ert^  ber  ffirlöfung  ju 
feinem  Siedete  lommt.  ?llö  i^eolog  ttjeiß  S3ern^arb  feljr  tpol^l, 
bag  bie  n)eltflbern)inbenbe  j£raft  bei^@(aubenS  au^  ber  SBergegen- 
tt)ärtigung  ber  aRajeftät,  ber  ©ott^eit,  ber  SBelt^errfd^aft  ß^rifti 
entfpringt  (21,  6.  7).  (Sr  I)at  ferner  ben  SBert^  ber  5ßerfon 
ß^rifti  als  beö  [xä)  emiebrigenben  ©otteö  einmal  in  mufterl^after 
SScife  auSjufpred^en  Dermoc^t  0-  Slßein  ber  ©cfd^madE  ber  ©üfeig^ 
feit,  ju  ioeld^em  er  in  ber  ffinoögung  ber  Siebe  Sefu  burd;  bie 
Sitterleit  feiner  ficiben  burc^jubringen  Dcrmod^t  f)at,  fann  n)cber 
atö  folgerichtig  erfannt  merben,  nod^  ift  er  bie  flare  5ßrobe  für 
bie  ©öttlid^feit  ber  fiiebe  E^rifti.  äug  ben  ©rfd^einungcn  ber 
grömmigfeit  im  äWittelalter,  n)eld^e  fid^  gcrabe  an  ber  SBctrad^^^ 
tung  ber  fieiben  Sl^rifti  nä^rt,  ergiebt  fid^,  bafe  unenblic^  SSiele 
bie  fiinie  beS  jiellofen  äRitleibö  unb  ber  9iiebergefdjlagcn^eit 
nic^t  überfd^ritten  l^aben.  3n  ber  S)eDotion  ber  SKönd^c  unb 
Können  tritt  Diel  mel)r  ber  SinbrudE  ber  trüben  S)emütt)igung 
burc^  biefe  äRet^obe  l^erDor,  aU  bag  fie  il^nen  jur  Sr^ebung  unb 


1)  Sermo  6,  3:  Dum  ia  carne  et  per  oamem  deus  facit  opera 
non  camis  sed  dei,  naturae  utique  imperans  superansque  fortunam,  stultam 
faciens  sapientiam  homiDum  daemonumque  debellans  tyranuidem,  mani- 
feate  ipsum  se  indicat  esse,  per  quem  eadem  et  ante  fiebant,  quando 
fiebant.  In  carnc,  inquam,  et  per  carnem  potenter  et  patenter  opera- 
tu8  miniy  locutus  salubria,  passus  indigna  evidenter  ostcndit,  quia 
ipse  sit,  qui  potenter  et  invisibiliter  secula  condidisset,  sapientor 
reger  et,  benigne  protegeret.  Deniquo  dum  evangelizat  ingratis, 
Signa  praebet  infidelibus,  pro  suis  cruci  fixoribus  orat,  nenne 
liquide,  ipsum  se  esse  dcclarat,  qui  cum  patro  suo  oriri  facit  solem 
suum  super  bonos  et  malos,  pluit  super  justos  et  injustos?  ^txQl, 
ScfefrUd^te  au8  bem  (cittgen  ^ernljiarb,  in  €iub.  unb  l^ritüen  1879. 
e.  821  ff. 


56 

^Befreiung  gcbicnt  ^ätte.  gcrncr  aber  ift  bie  öon  S3crnl^orb  6e* 
jcugte  Umbicguug  ber  (Jmpfinbung  ber  Sittcrfcit  in  bic  bcr 
©üfeifltcit  bei  bcr  ßriüägung  be^  SiebeK^tücrtI)e3  bcr  Seiben  ß^rifti, 
ober  biefcö  Bwfonimcnflingcn  bcr  finft  mit  ber  Unluft  ber  SBonne 
mit  bem  ®d)merj  burdjauö  feine  juüerläffigc  5ßrobc  bafür,  baß 
er  bie  göttliche  ®r^abent)cit  S^rifti  mit  ber  (Srfaljrang  [einer 
menfctjUcljcn  Srniebrigung  sugleic^  fid)  eingeprägt  ^at.  greilic^ 
finbet  eine  gcmiffe  Stnalogic  jtoifc^cn  bicfcm  ffirfcnntiiißproblcm 
unb  jener  gemifd^tcn  (Smpfinbung  ftatt.  3n  ber  ©ott^eit  beö 
SüKenfc^en  Sefuö  foHen  ©egcnfnfee  änfammengcbad^t  tocrben,  \ot{6)c 
ben  ©inbrudE  beö  aBiberfprurfiö  machen.  Unb  ba§  bie  Seibenö^ 
erfdjeinung  K^rifti  jugleid^  aU  bitter  unb  alö  \n%  gcfd^mcdt 
tüirb,  bietet  ebenfalls  eine  ^ßarabojie  bar.  SlUein  biefe  ^ßarabojie 
ift  of)ne  SBiberfprud^  in  fid^;  benn  bie  SBitterIcit  folgt  bem  (Sin- 
brudE  bcö  Seibenö,  bcr  füfee  ©cfd^macf  ()aftet  an  bem  2Rotiö  bcr 
Siebe,  bie  i^n  frciiüillig  leiben  lägt.  Stugerbem  aber  ift  in  biefer 
ülg  füg  empfnnbenen  Siebe  gar  fein  n)efcntlid^eg  SKcrfmal  ber 
©üttlid^fcit  angejeigt,  toeld^c  ha^  3Ka6  bciS  SDicnfc^cu  überfd)ritte. 
6ö  ift  eben  bod)  nur  ber  ibealc  ÜJienfcl),  ber  eö  für  mi(^  ift,  bcr 
mir  feine  ©d^önl)cit  jutücnbct,  beffcn  Sctbcn  bic  bittere  Cmpfin^ 
bung  in  bic  Suft  an  bcr©ügigfcit  anöflingcn  lägt;  unb  nur  in* 
bem  93ernl)arb  aud^  in  biefer  Situation  mit  bem  $errn  3cfuö 
auf  bem  guge  ber  ©leidi^eit  ücrfcljrt,  taun  er  gerabe  auf  baö 
©cfü^l  bcr  ©ügigfeit  ^inau^  fommen.  S)ag  ©emifd^  üon  93itter= 
Icit  unb  ©ügigfeit,  rodä)t^  loir  ju  beuten  ^aben,  um  S3crn^arb'ö 
Scl^auptung  ju  uerfte^cn  unb  ju  bcurt^cilen,  f)at  nun  ein  @c* 
präge,  wcldjcö  bie  geifligc  ©cnugfud^t  ansugiclien  pflegt,  unb 
geigt  barin  üicl  mel)r  Scrnjanbtfd^aft  mit  gcioiffcn  finnlid&cn  ®e^ 
fü^löcrregungcn  aU  8lnalogic  mit  bem  ©rfcnntnigproblcm  bcr 
©üttmcnfd^ljcit.  ©oll  man  aber  biefe  (Srfenntnig  bnrc^  bie  3n* 
tuition  bcr  Seiben  S^rifli  fic^  einprägen  unb  baüon  ben  ffiinbrudt 
ber  ©rlöfung  f)abm,  fo  ift  e§  nic^t  ratljfam,  fic^  auf  bie  SinjcU 
f)eiten  einjiulaffen,  meldte  öern^arb  anfjäl^tt,  unb  an  i^nen  ben 
©djmcrj  unb  bic  SBonnc  bcr  ©^mpatl^ie  ju  erregen ;  fonbern  mon 
l)at  ftd^  iljrc^  @efammttt)crtl|cö  in  ber  toeltüberminbcnben  Sßad^t 
beö  ©c^orfamö  ßtirifti  j"  tJcrfid^crn.  ^enn  bag  in  ben  Seiben 
bic  Siebe  ®()rifti  bcr  ©icg  über  bic  S33clt  ift,  ift  bie  Srfenntnig 
feiner  ®ottt)eit;  unb  bic  ?ßrobe  biefer  ©rtenntnig  im  ©cfü^l 
mad^en  toir  barin,  bag  mir  auö  bcr  SScrfül;nung  mit  @ott  burd^ 


57 

ß^riftu^  bcn  erl^ebcnbcn  3inpul^  ju  unfcrcr  eigenen  fflc^crrfd^ung 
Don  2cibcn  unb  SEBcIt  erfahren.  S)ad  ift  bie  eDangclifd^c  Sluf^ 
foffunfl  bcv  ©od^e,  toelrfjc  ber  ©otttjcit  S^rifli  geredet  toirb. 
Scrn^arb'ig  ßontcmplation  l^ingegen  fann  ^toax  eine  Icibcnfd^aft:^ 
lid^e  ©egcnliebe  unb  eine  ©ienftfertigfcit  hervorrufen,  \üdd)c  auä) 
bad  SBitterftc  in  ©üßigfeit  öern^anbelt ;  bog  ift  aber  bod^  nur  ber 
ßultuö  beg  ibealen  3)ienfc^en,  Weld^cn  bie  mobernc  ©entimen* 
talitat  aud^  noc^  an  $(nbere  atö  an  ben  ^errn  Sefu^  ju  Der^ 
ttjenbcn  gelernt  ^at  §icr  alfo  treffen  tüir  ouf  einen  ganj  beut= 
lid)cn  ©cgenfafe  jttjifd^en  eDangelifd^er  unb  fot^olifc^er  i5römmig:= 
leit,  ber  nid^t  überfeinen  n^erbcn  borf. 

3nbem  nun  S3crn^arb  ben  SBcd^feberfel^r  jtt)if^en  ber  ©celc 
unb  i^rem  Bräutigam  Sefug  aU  etmaS  SßirtUc^eg  achtet,  fo  fragt 
fic^  weiter,  woran  bicfeg  erprobt  Werben  foD.  SBoburi^  wirb  bie 
Stnwenbung  befeitigt,  bag  eS  fid^  ^ier  um  ein  ©piel  ber 
©nbilbunggfraft  ^anbelt?  darauf  erfolgt  nun  biefe  Antwort: 
„SBenn  id^  ffi^le,  bafe  mir  ber  ©inn  für  baö  SSerftänbni§  ber 
^eiligen  ©d^rift  geöffnet  wirb,  ober  eine  SBei^^eitörebc  gleic^fam 
aud  bem  Snnerften  aufquillt,  ober  burd^  ^ö^ered  Sic^t  ©e^eim« 
niffe  enteilt  werben,  ober  mir  gleid^fam  ber  weite  §immelg^ 
fc^oog  ausgebreitet  unb  Don  oben  eine  reifere  ^ülle  Don  (Sr^ 
wägungen  in  ben  ®eift  eingegoffen  werben,  bann  zweifele  id^  nid)t, 
bag  ber  ^Bräutigam  gegenwärtig  ift"  (69,  6).  „®ie  ©eele  foQ 
nid^t  el^er  fic^  mit  @ott  Doüfommen  geeint  adljten,  big  fie  nid]t 
bag  ftarfe  ®efü^l  baoon  ^at,  ba§  er  in  i^r  unb  fie  in  il)m 
bleibt,  ^ä)  bin  mit  @ott  Sin  @eift  Wenn  ic^  einmal  burc^ 
fidlere  groben  überzeugt  bin,  ha%  iä)  ®ott  anl^änge  alg  einer 
Don  benen,  welche  in  ber  Siebe  bleiben"  (71,6).  „SBcnn  bag 
SBort  }u  mir  eingetreten  ift,  fo  l)abe  id]  mand^mal  ni^t  gefüllt, 
wann  biefeg  ftattfanb.  ©eine  ©egenwart  l^abe  ic^  gefüllt,  unb 
mic^  nac^^er  beffen  erinnert ;  manchmal  tonnte  i^  feinen  (Eintritt 
Doraugempfinbcn,  nid^t  aber  birect  wieber  feinen  Sintritt  no^ 
feinen  SBeggang.  SBoran  ptte  id)  feine  ©cgenwart  erfannt? 
Sebenbig  unb  wirffam  ift  eg;  fobalb  eg  in  mtd^  eingebt,  ^at  eg 
meine  fc^läfrige  ©eele  erWerft,  in  Bewegung  gefe|t,  befänftigt  unb 
mein  ^arteg  §erj  Derwunbet.  9lur  an  ber  ^Bewegung  beg  §erjen§ 
^abc  ic^  beö  SBräutigamg  ©egenwart  erfannt,  an  ber  iJluc^t  ber 
©finben  unb  ber  ISinfc^ränfung  ber  gleifd^eStriebe  ffabt  id)  feine 
Ätaft  crfal^rcn"  (74,  5.  6).    3n  ber  (Smpfinbung  überhaupt  ift 


58 

an  fic^  feine  Untcrfdjcibnng  audgcbrüctt  ^n^ifd^cn  bcm  ful^Ienben 
©uBjcct  unb  bcm  ©cQcnftanbe,  bcr  bic  ßmpfinbung  erregt,  ]o\u 
bern  biefe  Untcrfc^cibung  [teilt  immer  ber  bie  ffimpfinbungcn  be^ 
cjleitenbc  SScrflanb  feft.  ©emgcmäß  ift  t^  möglich,  in  ber  ab^ 
fidjtUdjen  unb  burd^  förperlid)e  S)iät  untcrftü^tcn  ©teigerung  be^ 
religiösen  Suftgefül)!^  bie  regelmäßige  Derftänbigc  Unterfc^eibung 
jn^ifd^en  fic^  unb  @ott  aufju^eben,  unb  mit  ®ott  ju  Sinem  @)eifte 
ju  n)erben.  ©e^l^alb  fteDt  S3ernt)arb  aU  \)a^  Qid  beö  toec^fct 
feitigen  Sicbcöüerfelör^  bic  ©d^auung  ©ottcö  in  Slu^fid^t.  ÄHcr» 
bingd  nid^t  ol)ne  Sefd^rantung.  Senn  ®ott  ju  fd^auen  n)ic  er 
ift,  beplt  er  bcm  jenfeitigen  Scben  \)ox,  unb  gcftctjt  nur  ju,  baß 
©Ott  in  ber  ©cgcntuart  benen,  welchen  er  erfc^einen  tüill,  fo  cr^ 
fc^cint  wie  er  iüill  (31,  2).  3a  gelegcntli(^  fd^ränft  er  ben 
SSorgang  nad)  ber  (Erfahrung  beS  äRofe  fo  ein,  bag  man  nid^t 
ba^  Slngcfid^t,  fonbern  nur  bie  Sc^rfeite  ÖJotte^  fd)auen  fönnc 
(61,  6).  3nbef[en  ift  baö  SBid^tigftc  babei,  baß  „biefe  (Srfal)rung 
ber  ©eele,  i^rc  SBermifdjung  mit  bcm  SBort  ©otte^,  tpel(^e  über 
iebcd  förderliche  ©cfiil^l  unb  über  bie  Sinbilbungi^fraft  ^inaui^^ 
liegt,  burd^  bie  $crablaffung  ©otted  nur  herbeigeführt  )uirb, 
n)cnn  bic  @lut^  bed  Ijciligen  93ege]^rend  unb  bic  unabläffigcn 
©cbct^fcufjcr  ben  Bräutigam  Ijcrbeijic^en"  (31,  4—6).  2Kan 
fönnte  üerfuc^t  fein,  biefe  öe^auptung  auf  ßanbcrei  ju  beurt^cilcn, 
tDcnn  nid^t  gemäß  einer  ergänjenben  (Erfahrung  bie  m^ftifc^c 
Sinigung  burc^au^  in  ben  SBiQcn  ©otted  ober  bed  Sräutigam^ 
gcftcltt  toürbe.  ®enn  „tt)cnn  man  burc^  SRac^tload^en  unb  93  e^» 
f^tt)örungen,  burd^  Diele  ?lnftrengung  unb  einen  Siegen  bon 
I^ränen  ben  SBräutigom  fuc^t  unb  er  bann  gegentnärtig  ift,  fo 
entgleitet  er  plögltd^,  mä^renb  man  i^n  feftju^alten  glaubt,  unb 
menn  er  bann  n^ieberum  ber  n^einenbcn  unb  i^m  nad^ge^eu:* 
ben  ©ecIc  begegnet,  läßt  er  fid^  jtnar  ergreifen,  aber  feineötocgeö 
feft^altcn,  inbem  er  plö^lid^  mtebernm  glcid^fam  aud  ben  $änben 
cntmifd^t"  (32,  2).  „SBcnn  bie  ©cele  bic  ®nabe  fü^lt,  erfennt 
fic  bie  @cgentt)art  beö  SBorte^,  wenn  nic^t,  beftagt  fie  feine  Ab* 
tt)cfen^eit  unb  erftrebt  feine  ©egcnmart.  ©o  toixb  bag  SBort  ju* 
rüdEgerufen  burc^  bic  ©c^nfuc^t  ber  ©eele,  ber  eö  einmal  bie' 
füge  (Smpfinbung  Don  i^m  gefd^enft  ^at.  Slbcr  er  ge^t  unb 
fc^rt  jurüd  nad^  feinem  S3eliebcn,  tüie  »enn  er  im  §albbunfct 
einen  löefud^  mad^t  unb  unertpartet  fid^  jeigt"  (74,  2.  3). 

Sllfo  immer  nur  auf  ä){omcnte  gelingt  ed,  bie  ©egentoart 


59 

bc^  Bräutigams  burd^  bic  leibenfd^aftUc^cn  Aufregungen  beS  @e^ 
füllte  5U  conftatircn.  3)er  ?ßrciö  bicfer  ®enüf[c  aber  ift  bic 
Irocfen^eit  unb  ©d)Iaff^cit,  in  tüclc^e  bie  Seele  um  fo  tiefer  unb 
bauernber  jurücffältt,  ate  bie  üorl^ergel^enbe  ?lnftrengung  tüiber* 
natürlich  ift  (9,  3;  U,  6;  32,  4;  74,  7).  Unb  laum'  ift  bie 
SBarnung  am  $Iage,  bag  man  bei  bem  Qicnn%  ber  @nabe  nid^t 
auf  einen  unbcriierbaren  burc^  ßrbrcd^t  fieser  gefteQten  SBefi^ 
ju  rechnen  ^abe,  bamit  man  nid^t,  wenn  ber  Söräutigam  feine 
^anb  }unlcl}ie^t,  ben  Tlnti)  uevliere  unb  trauriger  aU  nötl^ig 
tt)erbe  (21,  5).  ^enn  eine  ftetige  ®en)i6t)eit  ber  @nabe  n^irb  nun 
einmal  nic^t  in  ber  3foIirung  ertDorben,  tüdd)t  Scrn^arb  fo 
bejeic^net,  bag  „bie  @eele,  n^eld^e  @ott  fd^aut,  i^n  fo  fc^aut,  aU 
toenn  fte  aQein  Don  ®ott  gefc^aut  loerbe.  3n  fold^em  SSertrauen 
nimmt  fie  bie  n)ed^felfeitige  SSejie^ung  jmifc^en  ®ott  unb  i^r  fo 
auf,  bag  fte  außer  i^m  unb  fic^  nic^tö  bcad^tet"  (69,  8).  ^6) 
möchte  ^ieniber  nur  bie  93emerfung  J^in^ufügen,  bag  biefeS  $oftu^ 
lat  ber  äKt)ftiI  nic^t  feine  Erfüllung  in  ber  redeten  proteftan* 
tifd^en  grömmigfeit  finbet.  Qu  fold^em  ffigoiSmuö  giebt  ber 
fird^li^e  ^roteftantiSmuS  feine  !(nleitung.  93ernl^arb  aber  ift  im 
©taube,  bie  geiftli^en  äRenfc^en  auf  jeneS  $rioi(egium  ber 
m^ftifc^cn  ©c^auung  ju  ücrmeifen,  weil  er  pe  bei  anberer  @e* 
legeniiett  baran  erinnert,  bag  bod^  eigenttid^  bie  ^\x6)e  bie  Braut 
ift,. unb  baß  bic  Borred^tc  ber  ISinen  fatl^oUf^cn  äKcnge,  toelc^c 
ben  QtDcd  ber  Sßelt  bilbet,  nid^t  Uon  Siner  ©eelc,  bie  ju  i^r 
gehört,  in  9(nfprud^  genommen  Werben  bürfen,  wie  grog  auc^  i^re 
^ciligtcit  fein  mag  (68,  7).  i,33cnn  welcher  unter  uns  möd&tc 
eins  ber  ©nabengütcr  UoQftänbig  befi^en,  nämtic^  fo,  baß  er 
nid^t  juweiten  im  Steben  unfruchtbarer  unb  im  ^anbcln  lauer 
wäre?  Aber  bic  Äirc^e  ift  cö,  welche  in  it)rer  ©efammtl^cit 
niemals  einen  äKangcI  baran  ^at,  wouon  fte  trunfen  ift  unb 
toobon  fte  buftet.  3)enn  waS  i^r  in  bem  Sinen  fe^It,  ^at  fie 
im  Änbem.  (SS  buftet  bie  Äirc^e  in  bencn,  weld^c  fid6  grcunbc 
burd^  ben  ungered^ten  SRammon  mad^en,  fie  ift  trunfen  in  ben 
Dienern  am  SBort,  weld^e  mit  bem  SBein  ber  geiftlic^en  grcubc 
bie  (Erbe  befprengen,  fie  trunfen  machen  unb  bie  ^ruc^t  in  fjr^eube 
heimbringen,  ©ie  nennt  fid^  fü^n  unb  fidber  bie  Braut.  Obgleich 
alfo  9hemanb  Don  uns  fid^  ^erauSnimmt,  feine  ©ec(e  bie  Braut 
beS  ^erm  ^u  nennen,  f o  nehmen  wir  boc^,  ba  wir  ^ur  ^irc^e  ge« 
^ören,  nic^t  mit  Unred^t  an  biefem  9{u^m  unfern  Ant^eil.  SSSoS 


60 

nämlid^  tüir  ?lHc  jufammcn  bcfifecn,  baran  ncl^mcn  tüir  ol^uc 
SBibcrfpruc^  jcbcr  Xtjeil"  (12,  11).  S)a§  ift  ein  »clcnntnig, 
iuclc^cö  cigcntUd^  alle  uorljer  bargeftellten  Slnfprüdje  ber  ©eclc 
auf  bie  Sörautf^aft  burd^  ben  SRücfcjang  auf  bic  ältere  2lu§:^ 
leguug  be^  ^o^enlicbeö  burct)frcuät.  SlHe  jene  Slu^fagcn  über 
bic  bcfonbcre  Slui^jeid^nung  bcr  cinjclncu  ©eck,  tooburd^  fie 
gegen  alle  anberen  ©enoffen  ber  ftirdjc  im  unmittelbaren  SScr^ 
le^r  mit  S^riftnö  unb  ®ott  felbftftänbig  gcmad^t  ju  fein 
fd^ien,  finb  ^ienac^  cigentlid)  ungültig!  3Jun  biefe  Folgerung 
tüiß  icl)  nidjt  jic^cn;  für  ben  SRcbner  ift  an  feinem  Ort  Seibcö 
ttja^r,  —  ober  Söcibeö  cingcbilbet. 

Slber  fo  üicl  ift  iüo^l  !lar,  ba§  bie  m^ftifc^c  ©c^auung, 
iücldjc  unter  fo  ütoeibeutigen  Öebingungen  baS  unmittelbare  bc* 
fonbere  9Serf)ältni6  ber  einjelneu  ©eele  ju  ®ott  bilbet,  gar  ni^t 
barauf  angelegt  ift,  ba§  biefci^  auö  ben  fat^olifdjen  Söcbingungen 
ber  SJorftellung  in  ben  5ßroteftanti^muö  ^inauöivac^fe,  unb  fid) 
l)ier  al^  ben  eoangclifd^en  ß^riften  entpuppe,  toeldjcr  üoQ  üon 
S^rfurd^t  unb  9Sertrauen  gegen  Oott  unter  ben  Siötljen  beö 
fiebenö  unb  üoU  Xrcuc  be«  ©icnfteS  gegen  @ott  in  bem  ttjelt^ 
li^en  Söerufe  ift.  Söeibe  ©eftaltungen  finb  üerfdjiebenartig  ober 
Dielme^r  entgegengcfefet  in  i^ren  toefentlic^cn  SKertmalen.  Unb 
l^iebei  ift  lein  geringe^  ©emid^t  bem  Umftanbe  bcijulegen,  ba§ 
bie  fentimentale  grömmigteit  mit  il)rer  m^ftifd^en  ©pifee  eben 
nur  ÜWönd^en  jugcmut[)et  ttjirb,  mel^c  gar  feine  ©elcgcn^eit 
^abcn,  i^ren  Olauben  an  ben  9Serfuc^ungen  burd^  bie  ©orgen 
bejS  menfd^lic^cn  Sebenö  ju  erproben,  ©o  bient  biefe  3lac^tt)eifung 
baju,  ben  ©cgenfafe  be«  latljolif^en  unb  euangelifdjen  ß^riften* 
tl)umö  oollftänbigäu  beftimmen.  Sllfo  bie®nabeiftbcroberfte  ©efid^t^ 
puntt  nidjt  augfc^liegl.idj  für  bie  eüangelifd^e  grömmigfeit,  fie  ift  cö 
an6)  für  bie  tatljolifd^e.  9iur  bie  Folgerungen  unb  äntocnbungen 
bicfei^  oberften  ©cbauten!^  finb  anberc  bei  ben  im  forgenfreicn 
Seben  fte^enben  SKönc^en,  unb  bei  ben  eoangelif^en  ß^riften, 
tocld^c  in  bem  loeltlic^en  ©taube  i^rcS  ßcben^  bleiben  unb  in 
ben  unumgänglid^en  ©orgen  beffelben  bie  5ßrobe  il^reö  ©laubenS 
Iciften  follen.  S)iefe  alfo  ^aben  fid^  oon  il^rcr  SBerfö^nung  mit 
©Ott  ober  i^rer  ffirlöfung  üon  ©c^ulb  unb  Ucbel  baburc^  ju 
überführen,  bag  fie  bic  Hemmungen  bc^  Seben^  burc^  bo^  Skr* 
trauen  auf  ©ott  unb  ba^  üon  bemfclbcn  erfüllte  ©cbct  übcr^ 
n^inben.    hingegen  bic  ^önd^e  unb  bie  mönd^ifd^  S)cüoten  in  ber 


61 

tat^oUfd^cn  Äird^c  bürfcn  fid^  if)tc  ffirlöfung  burd^  ß^riftug  bc^ 
toä^rcn  in  bcr  Ucbung  ber  ©Icid^l^cit  mit  itjm  in  fcntimentalcm 
©^meti  unb  fcntimentaler  fiuft  biö  jur  $ö^c  bcr  (Sinigung  beö 
©cifte^  mit  i^m  nnb  @ott,  —  fo  lange  mic  biefcr  @cnu§  bauert 
unb  nid^t  ber  Siroden^eit  bcr  (Smpfinbung  5ßla^  mad^t.  S)aju 
fommt,  ba6  bie  ©eroi^^eit  ber  SSerfö^nung  in  bem  9Sertraucn 
auf  @ott  für  bie  Suangetifc^en  bie  notljmenbige  SSorauefe^ung 
ber  Heiligung,  ba§  aber  ber  ÖJenug  ber  ©rlöfung  in  bem  järt^ 
liefen  Umgang  mit  bem  ^etlanb  für  bie  ^at^olifd^en  ein  mög< 
lieber  Anfang  i^rer  Heiligung  ift. 


5.  2ntfftttf^nm  ttnk  SalHinidmuS. 

©efefct  nun,  bag  bcr  5ßieti§muö  auf  ben  ©ebieten  bcr 
lut^crifd^en  unb  bcr  reformirten  Äird^e  im  ©runbc  bie  Xenbenj 
ber  SEBiebertäufer  erneuert  ^at,  jo  toirb  e§  ferner  barauf  anfommen, 
welche  bcr  beiben  cbangclifd^en  fiird^en  für  jene  ©aat  empfang* 
lid^cr  njar.  S3on  biefcr  allgemeinen  Unterfud^ung  ift  junäd^ft  bie 
Sorfragc  abjujttjcigcn,  toie  tocit  bie  Slnalogic  jtoif^cn  ^ttjingli'ö 
Wcformationöabfid^t  unb  ber  SBiebcrtäufcrci  rci^t.  S)enn  bie 
t^colratifd^c  Slrt,  in  tüclc^cr  3^i"9'i  feinen  SRcformation^plan 
QUi^cbilbct  l^at,  ift  befanntUd^  für  bie  reformirtc  Äird^enbilbung 
in  ber  ©c^toeij  nid^t  maggebenb  get^orben  ober  geblieben;  jene 
Scnbcnj  3^i"flli'^  berührt  fid^  aber  mit  bem  S^arafter  ttjcnigftcnä 
eined  X^eilci^  bcr  SSSiebertäufer.  3^i^S^i  ^^t  befanntlic^  nic^t 
Wog  bem  ©taat  bie  birccte  Aufgabe  ber  Pflege  bcö  K^riftcn* 
t^umö  unb  bcr  Deformation  bcr  ftird^c  beigemeffen,  fonbern  aud^ 
bie  Verbreitung  bcr  lc|tern  burc^  poUtifd^e  @{cn)aU  für  angc» 
jcigt  gehalten.  3n  d^nüd^cr  Steife  ^at  bie  n^icbcrtöufcrifc^e 
@ruppe  unter  ber  fieitung  bon  $ang  $ut  fid^  vorgenommen,  a\& 
büd  koa^re  Sfracl  aUc  gottlofen  ßanaaniter  mit  bem  ©d^mertc 
auSjurotten,  unb  bie  SSStcbertäufer  in  äRünfter  ^aben  nac^  biefcm 
antriebe  gcl^anbclt.  ^iefe  gcn^altt^ätigc  Haltung  ift  frcili^ 
unter  ben  SEBiebertäufern  eine  ^u^na^mc  bon  ber  grunbfä^Ud^cn 
(Irriebfertigfcit  unb    9iac^gicbigfcit   gegen  bie  il^ncn    angetl^ane 


62 

©etpalt.  Snbeffcn  t[t  biefe  SlDtoeid^ung  atö  SSortDegnal^me  ber 
crtrartetcn  ©crtd^t«*  unb  ^errfd^crgcttjalt  S^rifti  fcl^r  t)crftonb= 
l\6).  S)ic  t^cofratifd^c  ?lnfic^t  erjcugt  alfo  auf  bcibcn  ©eitcn  bic 
SiUigung  ber  ®ctoalt  jum  gtucdc  bcv  SJurc^fu^rung  bcr  d^rift^ 
liefen  9{cform.  Slllcin  babei  tualtct  bcr  gro^e  Slbftanb  ob,  bag 
Sroinglt  bic  ÜRittel  bc«  bcftctienbcn  ©toate^  ^u  bem  Qmdc  einer 
mirEUc^  fitttic^cn  Seben^orbnung  ücnpcnbct  f)at,  bog  hingegen 
bic  aBicbertäufcr  i^rc  in  fittlic^cr  fflejie^ung  öcrbäd^tigen  ober 
gar  ücnocrflid^en  ßrocclc  auf  ben  Sirümmcrn  bcr  ©taatSorbnung 
burc^ä^fä^^cn  fudjten.  S)cmnad)  lann  bie  ÜRünfterifd^c  I^eo* 
hatte  bcr  aBiebertäufer  fc^toerlid^  atö  bic  folgerechte  ßoufcquenj 
bcr  ßüric^cr  3;[)eoIratie  3n)ingli'e  erfd^cincn.  (S^  gicbt  eben  feine 
golgerid^tigfeit,  ttjcbcr  eine  logifd^c  nod^  eine  moralifc^e,  jtuifc^cn 
ben  fittlid^en  unb  ben  toiberfittlid^en  ßrocdtcn  bcr  einen  unb  ber 
anbern  Mid^tung,  jioifd^en  bem  legalen  Slnfd^tufe  Sttjingli'ö  an 
bie  bcftcljcnbc  ©taat^orbnung  unb  bem  rabicalcn  Umfturj  ber* 
felben  in  ÜRünfter.  Ätfo  ift  bic  SScrfaffung  bcö  ©taate^  unb  bcr 
Äird^e  oon  Sä^cl^  gerabe  unter  ber  Scitung  ßmingli'^  am 
njcnigften  baju  bisponirt  getoefen,  bie  Änfprüd^e  bcr  SEÖiebertäufer 
auf  bie  Geltung  i^reS  t)oG[(ommenen  S^riftent^umd  jujulaffen. 
SSielme^r  ift  ber  SBibcrftanb  bagegen  in  Sätidj  gerabe  bcö^alb 
fo  fraftooH  gcttjefcn,  weil  man  bort  ber  d^riftlid^en  SBcrid^tigung 
ber  bcfteljenbcn  ©taatS«  unb  ©ittenorbnung  fieser  toax. 

?luf  bie  t^eofratifc^c  Änfid^t  gmingli'ö  ift  fd^on  njfi^renb 
fcinciS  Seben^  feiner  ber  fd^meijerifc^en  ©tänbe  eingegangen,  unb 
in  S^irid^  felbft  njurbc  biefe  ^od^  angelegte  83al)n  öerlaffen,  al« 
bie  Äataftrop^e  Ijcrcinbrad^,  in  ber  S^ii^flti  feinen  lob  fanb. 
iBon  ba  an  fam  auf  bem  ganjen  @ebiete  ber  reformatorifd^en 
Setoegung  be«  16.  Sal^rl^unbcrt«  ber  ©runbfafc  jur  ©eltung,  bag 
ber  S)ienft,  ttjcld^en  bcr  ©taat  ber  d^riftlic^en  SRcligion  ju  leiftcn 
ptte,  nur  in  ben  cinjelncn  Territorien  bered^tigt,  unb  ba§  er 
nur  befenfiö  fei,  bag  alfo  bic  d^riftlid^c  ©in^cit  nur  in  bem 
SBcIcnntnig,  nic^t  in  bcr  rechtlichen  SSerfaffung,  ja  faum  einmal 
in  ber  Drbnung  bcö  ©ottei^bienfte^  ju  erftreben  fei.  SBic  nun 
bic  ©emeinfd^aft  im  Scfcnntnig  fid^  in  ben  lutfierifc^en  unb  ben 
reformirten  3^eig  gefpaltcn  ^at,  braucht  l^icr  nid^t  erörtert  ju 
ttJcrbcH.  hingegen  fommt  noc^  eine  gunction  ber  Äirc^e  in  83e^ 
trac^t,  toelc^e  eine  anbere  ©ruppirung  ber  Xerritorialfird^cn  nad^ 
ftc^  jie^t,  als  welche  eben   bejcic^nct  ift.     S)iefc  ^^unction  ber 


63 

Äird^c  ift  bic  3)töciplin.  3)0^  in  bcr  ©d^ölung  bcrfclbcn  ätoifd^cn 
bcr  lut^erifc^cn  unb  bcr  rcformitten  Sird^c  Slbtocid^unacn  üou 
cr^cblid^em  ©ctpid^t  üorfommen,  l^oben  bie  ©trcittl^eologcn  bc^  16. 
Sa^v^unbert^  fid^  nid^t  ftar  gemacht.  SRan  \)at  aber  aud^  in 
unfercm  So^t^unbcrt  Icinc  jnrcic^cnbc  Slufmerffamteit  auf  bicfen 
©cgcnftanb  gerid^tet  0.  ®ö  ift  aber  fe^f  leicht  fcftjuftcHen,  bag 
in  biefcr  §infic^t  ber  Salüini^muö  nic^t  nur  bem  gefammten 
Sut^ert^um  gegenüber  fte^t,  fonbern  auc^  ber  tlrd^Ud^cn  Drbnung 
in  ber  beutfd^en  ©c^toeis,  ober  bem  cigentlid^en  ©ebietc  gmingU'^. 
3)iefc^  ^at  bcr  ßalüiniömu^  mit  feiner  ßel^rc  unb  feinem  officicHcn 
Se!enntnig  (nur  mit  Slu^na^me  üon  ®afelj  ju  occuviren  öcr^ 
niod^t,  ni^t  aber  mit  feiner  S)iöciplin;  unb  aud^  in  jener  $in« 
ftd^t  ift  eine  Swingli'fc^e  Unterftrömung  immer  toirffom  ge* 
blieben,  aber  ferner  ^at  ber  Eabini^mu^  ouc^  in  ben  beutfc^cn 
3^rritorien,  bie  feiner  Sel^rauctorität  folgen,  in  bcr  5ßfalj,  Söremcn, 
Reffen,  Stn^alt  u.  f.  \x),,  feine  Slrt  ber  S)iöciplin  nidjt  geltenb 
mad^cn  bürfen.  3n  biefcr  SBcjicI^ung  l^at  er  feine  ©cltung  nur 
in  ben  Sanbern  auger^atb  ^cutfd^Ianbd  burc^jufe^en  uermod^t, 
unb  l^at  in  ^eutfc^Ianb  nur  üon  ben  92ieberlanben  au^  l^inübcr^ 
gegriffen  nod^  Dftfric^lonb,  fotoic  nad^  ^iilid),  Klcöc  unb  ®erg. 
?llfo  wenn  bie  ©i^iplin  aU  ein  beac^tenömert^cr  ©d^eibung^ 
grunb  im  Ärcife  bcr  reformatorifd^en  Äirc^en  bcrüdtfic^tigt  toirb, 
fo  ftnb  ber  augerbeutfc^e  Satüini^muS  unb  ba^  beutfd^e  j^ird^en^« 
gebiet,  h)e(d^ed  ba$  fiut^ert^um  unb  ben  ßminglianiSmu^  umfaßt, 
einanber  gegenüberjuftellen. 

ßalüin  \)at  oHerbingö  feine  Äird^engrünbung  in  @enf  auf 
feinem  anbern  SBcge  bur^fefeen  fönnen,  aU  auf  ttjcld^em  bie  re^ 
formatorifd^en  Stird^enbilbungen  in  Sut^er'^  unb  in  g^i^flli'^ 
SBirfungöfrei^  erfolgt  toaren,  nämlid^  burd^  bie  Sluctorität  bc^ 
©taateä.  Unter  biefen  Umftänben  njar  überall  in  ben  beutfd^en 
unb  fc^weijerifd^en  Sierritorien  bie  firc^lid^c  S)i§ciplin  in  bie 
^finbe  ber  Dbrigfcit  gefommcn.     ©aju  aber  Ratten  öerfc^icbenc 


1)  94  ^^  (tniufUgen,  baft  Gd^tnib  a.  a.  O.  6.  442  eine  Innung 
bat^on  ^t,  bag  )tDtf4en  fiut^ert^um  unb  (EabiniSmuS  auf  btefem  $unft  ein 
Unterf^ieb  obUHiItet;  er  f^ai  nur  benfelben  ni(^t  flar  gefieUt,  »etl  er  ben  Segriff 
iHm  ber  ftird^,  toel^en  er  ben  iReforntirten  tm^utirt,  t)on  <!)oebeI  annimmt; 
all  ob  ef  feine  reformtrten  Sefenntni^f^nftcn  gfibe,  bie  an  i^rem  Ort  ebenfo 
^^n  SBert^  ^aben,  aU  bie  fUr  S^mib  oerbinblic^en  lut^rifd^n. 


64 

©rünbc  gctüirlt.  SRämlid^  t^eiltocifc  l^attc  bic  lirc^Ud^c  ©iöciplin 
in  bcr  mittelaltrigen  ^ßrajiö  bie  ©cftalt  ttJcltUd^cr  ©trofcn  an« 
genommen,  ttjclc^c  nun  in  Solge  bcr  Deformation  bcr  ©taat  ein* 
fad^  ü6crnat)m.  I^cife  tonnte  bie  eigentlid^e  Sird^enftrafe,  bic 
Hug[c^Itegung  üom  Slbcnbma^t,  nid^t  ben  einjelnen  ^aftoren 
überlaffen,  fonbern  mugte  oon  ben  lanbeöljerrlid^en  ßonfiftorien 
übernommen  werben.  Ober  tt)ü,  wk  burd)  Sucer  (1531)  in  Ulm, 
eine  befonbcre  Scl^örbc  jur  SluöüDung  beä  Sännet  (oier  an«  bem 
SRat^,  jttjei  ^rebiger,  itoei  ©emeinbeglieber)  eingefefet  tourbe,  toar 
Dorbe^alten,  ba§  fie  bie  ffijcommunication  nur  auf  Sefe^l  bc« 
3iatl)e«  er!ennen  burfte  *).  Scboc^  ift  biefer  9Serlauf  bcr  ©ac^c 
inncrljalb  bcr  beutfd^en,  ingbefonbere  bcr  lut^erifc^en  Äird^en^ 
bilbung  nid^t  b(o«  au«  jenen  äugeren  unb  iufäQigen  iRfidfid^ten 
eingetreten;  fonbern  toirb  üon  Anfang  an  burd^  eine  bestimmte 
X^eorie  über  bic  ßompetcnj  bcr  Äirc^c  unb  bic  bc«  ©taate« 
geleitet. 

S)ie  beiben  S^c^Ö^  ^^^  ^Reformation,  toeld^e  ^ier  ju  untere 
fc^eiben  finb,  ftimmen  barin  überein,  ba§  bie  ©iöci^lin  nic^t  bloö 
au«  ber  allgemeinen  SRüdfic^t  bcr  gcfellfc^aftlidjcn  Drbnung, 
fonbern  aud^  au«  ber  9ifidEficf)t  auf  bic  ®^re  S^rifti  ober  auf 
ben  befonbern  ß^aratter  ber  d^riftlic^en  @emcinfcf)aft  not^ttjcnbig 
fei  -).  §ierau«  folgert  nun  bctanntlid^  Saloin,  ba§  bie  Äirc^c 
beftimmte  red^tlic^e  Organe  jur  8lu«fc^eibung  ber  offenbaren 
©ünber  befifeen  muffe.  3nbcm  biefelben  nid^t  o^ne  Untcrftüfeung, 
bejiel^ung«tocife  SWitmirInng  be«  ©taate«  gebilbet  toerben,  foHcn 
fie  bod^  unabhängig  üom  Staate  tptig  n^erben;  jcbenfan«  foQcn 
bic  ©trafbcfd^lüffe  be«  Sonfiftorium«  an  ber  @taat«gctoalt  nid^t 
eine  l^ö^erc  Snftanj,  fonbern  nur  eine  bereitwillige  Wienerin 
finbcn.  S)enn  bie  2)i«ciplinargen)alt  fei  üon  ®ottc«  wegen  unb 
nad^  ber  9Sorfc^rift  ber  ^eiligen  ©^rift  ein  unverlierbare«  Stttri^ 
but  ber  Äirc^e.  §ierüon  Weichen  aber  bie  ßut^eraner  burd^au« 
ab.  Uebcreinftimmenb  crllärcn  Slepinu«  in  ber  ÄD.  für  ©tral= 
funb  (1525)  unb  ®renj  in  ber  ÄD.  für  Sc^wöbifc^^^aC  (1526), 
bag  bic  Sirdjc  nur  Organe  ber  ®nabe  an  fid^  trage,  bag  bem^ 
nad^  bic  Stufrcd^tcrl^altung  be«  c^riftli^en  Seben«  burc§  2Kittel 


1)  Wxd^itx  ftOO.  I.  6.  158. 

2)  Calvini  Inst.  ehr.  rel.  IV.  12,  1.  »rcnj  ÄO.  für   ®din)«bif*^tt 
(1526)  bei  9H4ter  I.  @.  45. 


65 

'  bc^  8lcd)tc^,  ober  bic  ©iöciplin  Icbiglid^  ein  ?lttri6ut  ber  tüAU 
liefen  Dbrtgfcit  ober  bcjg  ©toateö  fei^).  ©entgemSß  bcl^auptet 
Srcnj,  bag  bic  S)iöciplin  in  ber  alten  Äird^e  x\aä)  ber  SSorfd^rift 
be^  $Qulu$  nur  bed^alb  geübt  toorben  fei,  tocil  iamaU  nod^ 
feine  c^riftlic^e  Dbrigleit  öor^anben  twtr.  ©citbem  alfo  bie  aU^ 
gemeine  Stec^tSgetoalt  in  ben  ^anben  üon  (S^riften  ift  fc^Qe  bie 

1)  9.  a.  O.  I.  6.  25:  3n)ei  StUcfe  ftnb,  barin  ein  (Sl^rlßent^um  (e* 
{le^t,  bai  man  ®otteS  SBort  (5re  unb  bem  glaubt,  unb  feinen  9{a4ften  liebe, 
^r  $rebiger  Vmt  ift,  ba^  fie  ®otte8  9Bort  (auier  unb  rein  prebigen,  ber 
toeltlid^n  Obrigfett  gehört,  orbentli(^  )u  orbnen,  bag  (^riftlid^e  Siebe  unb  dHn« 
tra(^t  gegolten  toerbe,  unb  baS  t>er^inberi,  ia  geftrafet  toerbe,  toaQ  bur(^  ®otte8 
SBort  t)er6oten  »irb.  —  6.  40 :  QS  finb  )»ei  toefentlid^e  etüde  gbttlid^en 
S)tenfle8  einem  ieben  S^rißen  nöt(|tg,  nSmlid^  glauben  unb  lieben,  glauben  gegen 
(^oH  unb  lieben  gegen  ben  9{ä(^f!en.  Sin  d^^rifl  ifl  fd^ulbig  fie  )u  (alten,  au(( 
loenn  er  in  ber  2:UrIei  to)o(nte.  9ber  toeil  ^ott  ben  &(rif!en  eine  fol((e  <!)nabe 
betoiefen  ^t,  ba^  fie  eigen  Sanb  in  toeltlii^er  (Setoalt  inne  (aben,  fo  ift  bie 
Cbrigieit  al8  ^riftli^c  ®Iieber  unb  ^itgenoffen  ber  ftinb{((aft  ®otte8  {((ulbig 
anjurid^ten  aüe%  »aS  (^(rifluS  in  einer  (^rifilic^en  Serfammlung  öffentli^  )u 
t^un  befohlen  ^t.  S)aS  pnb  oorne^mli^  brei  StUcfe,  nAmlid^  $rebtgen  baS 
Q^angelium,  Saufen  unb  baS  ^aä^imafH  (E^rifti  (alten.  9ei  biefen  StUcfen, 
fo  fie  orbentli^  unb  ber  (Sinfe^ung  (E(rif!i  gemAg  gehalten  »erben,  mag  man 
nennen  unb  erlennen  eine  4nflli((e  Pirc^e.  —  6.  45:  ^ie  Cbrigieit  (at 
ttberaQ  ben  Qeruf,  bie  Söfen  oon  ber  ®emeinf((aft,  ber  fie  na((t(eilig  finb, 
bur4  bie  0e»olt  beS  8((»erte8  absufonbern.  Snbem  nun  (l(ri^8  feine 
ftir^e  bur((  9Bort  unb  @acrament  berfammelt,  toiO  er  )uglei((,  ba^  fie  e(r« 
baren  S^anbel  fü(re.  gferner  »iH  ^(riftuS,  t>ai  bur((  böfen  SBanbel  ber  ((rifl« 
lii^e  9{ame  m((t  oerune^rt  unb  bie  ®uten  ni((t  oerfü^rt  »erben,  ^a  nun  ober 
in  ber  filteflen  Pir((e  bie  ^(riften  feinen  $efe(l  »eltli^en  €((to)erte8  gehabt 
(üben,  ba8  bamal8  in  ber  ^anb  ber  l^eiben  unb  äuben  »ar,  fo  (at  €(rifht8 
bie  Orbnung  be8  9anne8  na((  Ttt  18  eingefe^t.  ^ie  ^u8Ubung  beffelben 
iommt  in  bie  ^nbe  ber  9[elteflen  ber  ®emeinbe,  ju  benen  ber  @pidcoj;)u8  al8 
Serffinbiger  beS  9ßorte8  (SotteS  gehört.  —  @.  46.  2Beil  aber  ie^  ba8  @4»ert 
nic^t  me(r  in  b(r  i^anb  ber  Ungläubigen  ifl,  fo  ift  e8  oiel  itxätUx,  ein  ((riftli^ 
ehrbares  2eben  unter  bem  (^riftü^en  ^olt  )u  erhalten.  S)enn  eine  f oI((e  Obrig« 
feit  trfigt  ni((t  aQetn  @orge,  bag  eine  »elt(i((e  6(rbar!eit  on  ben  Untert(anen 
erlogen  »erbe,  fonbern  fit  (ilft  auät,  ^<^i  ^ic  ((rtftli^e  6(rbarlett  t(ren 
3&rgang  (abe.  3tbo<(  giebt  e8  9erge(en,  beren  ft((  bie  »elt(i((e  Obrigfeit 
ni^t  annimmt,  s.  5B.  $erftt(rung  oon  Jungfrauen  ober  SBitt»en  unb  (i(ebru((, 
obgIet4  biefelben  ni((t  blo8  im  mofatf^en,  fonbern  au((  im  faiferli((en  9^e4t 
fftr  ^afbar  erHfirt  »erben.  Um  nun  biefen  SUnben,  »el^e  bie  Obrigfeit  unge« 
fhraft  I&ftt,  entgegen)u»irlen,  ift  ber  Sann  bur^  eine  S^nobe  oon  ^rebiger  unb 
Bürgern  )u  üben,  bamit  ni((t  bie  (eiligen  ^acramente  oor  bie  ^unbe  ge« 
»orfen  uub  bie  frommen  (l^(rifien  ni((t  gedrgert  »erben. 

I.  5 


66 

iRotl^toenbigfcit  ftrd^Iic^er  ^isciplin  im  ©attjen  toeg.  SBcnn  bie^^ 
felbc  aber  für  gctoiffc  gäHc  anä)  üon  Srcnj  üorbcl^altcn  toirb,  fo 
gcfd^ic^t  e§  nur  im  ©innc  bcö  ©urrogatc^,  tpcil  unb  fo  lange 
bie  Dbrigfcit  gefc^Ic^tlic^e  SSergc^cn,  obglcid^  fic  gegen  göttU^e 
unb  laif  erliefe  ©cfefee  öerftofecn,  nic^t  für  ftrafbar  ad^tet. 

3n  bicfer  (Srörterung  ift  bcutlic^  bcr  ®cban!c  auggebrüdt, 
ba§  bie  Äirc^c,  fofern  fie  bie  ©emeinfc^aft  auö  ber  göttlichen 
@nabe  unb  bie  Zrägerin  ber  @nabenüerfünbigung  ift,  grunbfä^^ 
lid^  feine  ftvafred^tlid^e  Sompetenj  über  i^re  Slngel^örigen  l^aben 
lönne.  SBenn  alfo  biefeö  ?Ittribut  an  bcr  Äird^e  üor!ommt,  fo 
ift  ed  nur  burc^  ein  jufäUigcS  3J2igücr^ä(tnig  jtotfc^en  JSird^e  unb 
©taat  in  einer  getoiffen  ßeit  ju  erlldren.  SBenn  jeboc^  bcr  ©taat 
ber  fittlic^en  SBeftimmung  feiner  ©trafgetoalt  im  ©innc  beiJ 
(^^riftent^umd  ftd^  bcn^ugt  mirb,  fo  l^at  bie  ^ird^e  ftc^  i()rer 
^iSciplinargen^att  ju  entlebigen,  um  i^ren  S^araftcr  aU  Steligiond« 
gemeinfd^aft  um  fo  ungetrübter  audjuprägen.  ^iefc  ^ebuction 
ber  blo^  bcbingtcn  Siot^ioenbigleit  ber  S)i^ciplin  für  bie  Sirene 
ftammt  üon  einem  ©enoffen  Sut^cr'g  ^er,  toeld^cr  iXoax  nur  ben 
itoeiten  9iang  einnimmt,  unb  feine  bcr  fpäteren  Sird^enorbnungen 
enthält  ä^nlid^e  ©ebanfen;  nid^t^befton)cniger  ift  biefe  Erörterung 
für  ben  SScrlauf  ber  ©ad^e  im  ©ebiete  ber  lut^erifc^en  8lefor* 
mation  atö  maggebenb  ju  ad^ten,  n)eil  fte  auf  bad  ©cnaufte  ju 
bem  teitenben  SSegriff  Don  ber  Äird^c  paßt.  SKan  l^at,  o^nc  c8 
iu  tüiffen,  ba^  calüinifd^e  Sbeal  im  ©inne,  toenn  man  ein  SKcrt 
mal  ber  ©c^ioäc^e  ber  bcutfdien  {Reformation  barin  erfennt,  baß 
fie  bie  firc^lid^e  S)i^ciplinargen)alt  t^eiU  birect  bem  ©taate  über^ 
lieg,  t^eilig  ber  Cognition  ber  ftaat^fird^Uc^en  ^e^örben  untere 
ttjarf.  35iefer  JBerlauf  tüirb  üielme^r  principieß  gerechtfertigt 
burd^  ben  lut^crifd^cn  ©ebanfen,  ben  Äepinuö  unb  SBrenj  öer^ 
treten,  baß  bie  Sird^c  al$  Organ  ber  götttid^en  ©nabe  nid^t  ju^ 
gleich  grunbfä|lid^  Organ  be^  ©trafred^teö  fein  fönne.  Unb  biefer 
©tanbpunft  toirb  auc^  nod^  burd^  anbere  ä^^^^flniffc  inbirect  be* 
[tätigt. 

3n  ber  jn)eiten  ©eneration  ber  lut^erifd^en  ^ird^enbilbung 
nämlic^  ^at  Sra^muS  ©arceriuS,  ©uperintenbent  ber  lab'- 
liefen  ©raffd^aft  aRanöfelb,  einen  golianten  „S3on  einer  S)i^iplin, 
baburd^  S^d^t,  Zugenb  unb  S^rbarteit  mögen  gepflanjet  unb 
erl^atten  toerben"  (1556)  —  gefd^rieben,  morin  er  ba^  bringenbc 
®ebürfni6  nad^  biefer  ginrid^tung  unb  bie  2Kittel  ju  i^rer  $er- 


67 

ftcQunfl  erörtert  0-  ®*  fäöt  nun  auf,  bag  er  Don  öoml^crein 
ntc^t  bte  firc^Uc^e  ©enoffenfd^oft,  fonbern  bad  bcutfd^e  SSotf  ol^ 
ba^  ©uDjeet  ber  ^i^cipttn  inS  %uge  fa§t.  tiefem  n)tvb  junä^ft 
bad  @ctt)iffen  ttjcgcn  be^  9ScrfalIeö  bcr  ©ittcn  gefc^ärft,  inbem 
bte  ©egeniDart  mit  ber  taetteifd^en  @d^i(berung  ber  ^eutfd^en 
Dcrgüc^eu  n)trb.  ^emgemäg  n)irb  bie  me(tlic^e  Dbrigtett  als  bte 
@tQtt^a(terin  @otteg  j^ur  ^erftetlung  einer  ^i^ciplin  in  ^nfprud^ 
genommen;  unb  inbem  boj^u  übergegangen  toirb,  ba§  oud^  bie 
fi(trd|enbiener  boju  berufen  [inb,  fo  lautet  ber  Sludbrud  ba^in, 
bag  biefelben  i^rem  %mte  fd^ulbig  [inb,  eine  ^i^ciplin  l^elfen 
aufrundeten.  SRan  glaubt  ferner,  in  bem  ^nä)  gar  nic^t  mit 
einer  Slufgabe  bed  lirc^lid^en  Sebend  bejd^äftigt  ju  fein,  n^enu 
bie  ftaatlic^en  i^unetionen  ber  ©efe^gebung  unb  9iec^t^übung 
gcmäg  ben  S3eifpie(en  aud  d^riftUd^er  unb  (jeibnifd^er  3<^it/unb 
menn  SReid^^tage,  Sanbtage,  @täbteorbnungcn  unb  ade  Hrten  ber 
@eric^te  als  bie  SRittet  }ur  Slufrid^tung  einer  ^töeiplin  empfohlen 
mcrben.  35iefeS  ©erfahren  toirb  mand^en  Ideologen  ber  @egen= 
mart  um  fo  me^r  befremben,  wenn  er  mit  biefen  SSorfc^Iägen  bie 
boimtfd^en  laufenben  klagen  über  bie  Smmoralität  ber  $ö[e  unb 
bie  Suriften  oergleic^t,  n^elc^e  gegen  baS  Sntereffe  ber  JHrc^e 
gleichgültig  ftnb.  S)iefed  @efäge  Don  ^orberungen  unb  9iat^< 
fc^lägen,  in  n^eld^em  bie  toeltlic^^red^tlid^en  unb  bie  lird^lic^en 
SKottDe  für  bie  ^i^iplin  jufammengefagt  merben,  toürbe  DöQig 
unDerftänblic^  fein,  toenn  man  bei  „einer  S)i!^ciplin"  an  bag  lat^o^ 
üfc^c  unb  an  boS  calüinifd^e  Snftitut  ber  Stbfonberung  ber  offen* 
baren  @ünber  Don  ber  (Sultu^emeinfr^aft  beulen  mügte.  hinein 
btefe  Sebeutung  bed  äSorted  fommt  bei  ©areeriuS  nur  gelegent^ 
lic^  jur  Geltung.  Stegelmägig  Derfte^t  er  unter  einer  ^iSeiplin 
bie  Diel  umfaffenbere  Aufgabe  ber  guten  ©itte,  ttjeld^e  bie 
^ruc^t  ber  n)a^ren  Su§e,  unb  p  bereu  ^erftellung  neben  ben 
@efe^en  beS  ©taateS  ^auptfäd^lid^  bie  $rebigt  beS  SDangeliumS 
iDtrffam  ift.  93ad  bie  ^iSciplin  gemö^nlid^  bebeutet,  nämlid^  bie 
©trafen  ber  Äirc^e  gegen  bie  öffentlichen  Uebertreter  beö  gött^ 
lic^n  SSiüenS  „ju  i^rer  felbft  ^efferung  unb   anberen  fieuten 

1)  i)tefe  e^rift  ifl  ni^t  htxMfxä^W^i  in  ber  %b^.  oon  engel^arbt 
(lofilanb  $rof.  ju  d^rlangen)  »SraSmuS  SorcenuS  in  feinem  Ser^filtniB  )ur 
•cfimte  ber  ftir^ensu^t  unb  be8  ftir^enregimentS  in  ber  lut^erif^en  ftir^e' ; 
Sfüf^rift  fflr  bte  (i^orifc^e  t^ologie  3o(rg.  1850,  ^eft  1.  3nbef|en  n)irb 
ber  (eitenbe  (Monfe  bei  6arceriu8  bafelbfl  S.  89  au4  angebeutct. 


6g 

jum  Sjcmpcl  be§  Jlbfd^redtcnö",  ipirb  üon  ©arceriuS  nut  ange^^ 
^ättgt  an  bie  äJ^ttel  unb  fSScQt,  in  benen  ba^  göttliche  ©efe^ 
jur  Sludfü^rung  im  iBoÜc  gcbrad^t  tuirb.  ,,(£tn  fd^öncr  unb  lüb^ 
lieber  Stnfang  tüärc  cg  ju  einer  ©iöcipUn,  ba§  ein  {cbcr  Unter« 
t^an  einen  SJiann  befferte;  alöbann  ioürben  pe  mit  bcr  ßeit  alle 
gebeffert.  Stern  ba§  ein  jeber  ^au^üater  in  feinem  $aufe  erft* 
lic^  für  fid^  unb  bie  ©einen  einen  ©runb  jur  gemeinen  ^i^iplin 
legte,  inbem  ein  jeber  fein  SBeib,  Äinber  unb  ©efinbe  jum  SBeften 
ant)ielte.  Sltöbann  wäre  c«  ber  Dbrigfeit  unb  ben  itirc^enbienern 
befto  leidster,  eine  gemeine  unb  öffentlid^e  ©i^ciplin  (nämlic^  burd^ 
©trafgeto'alt)  anjufteHen."  Äud^  inbem  ©arceriuö  ben  Äirc^en- 
bienern  Dorfd^reibt,  mit  welchen  SKitteln  fie  eine  S)i^ciplin  ^erju^ 
fteHen  l^aben,  fo  bejie^en  fid^  äef)n  Kapitel  auf  il^rc  perfönßc^e 
Haltung,  il^re  gute  §au^uc^t,  i^re  Ireue  in  ber  ^ebigt  öon 
ber  Öufee,  ber  ©nabe,  ben  Saftern  unb  2;ugenben,  auf  ?lb^altung 
t)on  ©^noben  unb  Sifitationen;  unb  erft  banac^  n^erben  i^nen 
bie  Äirc^enftrafen  unb  bie  Auflegung  öffentlicher  35u§c  angcrat^en. 
^ie  beiben  @d^lugca))itel  bed  ganjen  93ud^e$  aber  finb  p^ft 
d^aralteriftifd^,  inbem  afö  bie  fonberlic^en  unb  fräftigen  SRittel 
ju  Aufteilung  unb  Srl^altung  einer  ^iSciplin  bie  (Sinrid^tung 
guter  ©d^ulen  unb  n^ieberum  bie  gemeine  unb  brüberlid^e  Sr« 
ma^nung  angegeben  n)erben. 

S38enn  man  fic^  erinnert,  in  njcld^em  ©inne  bie  Sleforma^^ 
toren  bed  16.  Sa^r^unbertd  bie  Slufgabe  ber  f ird^lic^en  ^iiSeiplin 
aus  ber  allgemeinen  Ueberlieferung  übernommen  ^aben,  unb  in 
n^elc^em  ©inne  fie  bie  gleid^jeitige  Lebensaufgabe  Salüin'd  bilbete, 
fo  ertennt  man,  bag  ©arceriug  bie  3lufgabe  erl^eblid^  öerfd^oben 
^at.  ®r  meint  unter  ber  S)iSciplin,  bie  er  burd^fefeen  tt)ill,  bie 
moralifc^e  ©rsie^ung  beö  ganjen  SSolfeö.  ßu  biefem 
Qtocd  tonnte  er  bie  ftaatlic^e  ©efefegebung  unb  SBemjaltung  mit 
ben  Sebenömotiüen  ber  d^riftlid^cn  8?eligion  jufammenfaffen,  unb 
jnwr  in  ber  Drbnung,  baß  jene  2Kittel  ber  njeltlid^en  Dbrigfeit 
ben  JBortritt  ^aben.  ©ofern  er  nun  aber  aud^  noc^  ben  urfprüng- 
liefen  ©inn  ber  firc^lid^en  ©traf*^iSeiplin  im  Slugc  bel^alten  ^at, 
tonnte  er  mit  9{ec^t  behaupten,  bag  biefed  äRittel  gur  $er« 
ftellung  ber  öffentU^en  SKoralität  nur  auf  jener  Unterlage  bcr 
moralifc^en  (£r)iet)ung  beS  SSolEeS  ausführbar  unb  gmecfmägig 
fei.  Seboc^  nid^t  unbeutlid^  taud^t  bie  Ueberjeugung  auf,  bog 
in   bem  äRage   als  biefe  ^(ufgabe   gelöft  toirb,  ieneS  fird^ltd^e 


69 

©traföcrfo^rcn  afö  flbcrpffig  crfc^cincu  muß.  ,,3)cnn  tt)o  eine 
Sidciptin  ift,  ba  gelten  alle  ^inf)e  in  [einer  Orbnung  rec^t  unb 
tDO^l  ju;  ba  t^ut  ein  jeber  Untert^an  in  feinem  93eruf,  toa^  er 
ju  t^un  fd^ulbig  unb  pflid^tig  ift;  ba  ift  @e^orfam  unb  aUe^ 
@VLtc^;  ba  ift  griebe  unb  ffiinigleit;  ba  ifüirb  @ott  gegeben  toa^ 
©ottcd  ift  ber  Dbrigfeit  toaö  i^r  ift." 

aSenn  man  njiffen  toiH,  ttjeld^cg  bie  Haltung  bcg  Sut^er^ 
t^umiS  in  ^infic^t  ber  Iircl)lic^en  ^i^cipün  ift,  fo  barf  man  fid^ 
nid^t  auf  bie  äBa^rne^mung  befc^ränfen,  bag  biefelbe  burc^  i^re 
Ucbcrtragung  auf  ftaatlic^e  Organe  üerlümmert  fei.  3n  ber 
©egcnttwrt  fc^liegf  biefe  Slnfid^t  meifteng  bag  Urtl^eil  in  fid^, 
bag  baburd^  ber  tut^erifc^en  jfirc^e  eine  tuefentlic^e  Function 
verloren  gegangen  fei,  in  bereu  Beibehaltung  ber  Salüini^mud  fte 
übertreffe.  3n  biefcr  Stimmung  ^jflegt  man  fid^  barüber  ^intpeg* 
jufetien,  bag  bie  ^idciplin  im  Salüinidmu^  nid^t  minber  unaud« 
fahrbar  geblieben  ift,  toie  in  ber  tutl^erifd^en  Sird^e.  äRan  barf 
aber,  um  bie  ©teQung  bei^  fiut^ert^umd  ju  ber  ©ad^e  autl^en^ 
tifd^  unb  t)onftänbig  ju  erfennen,  üon  ©arccriuS  lernen,  n^eld^e 
uiel  umfaffenbere  unb  gefunbere  älufgabe  er  an  bie  ©teile  ber 
fird^lic^en  ©trafgemalt  gefegt  \)at.  Unb  biefe  Aufgabe  ift  in  bem 
e))angelifc^en  ^eutfc^lanb  tro^  aller  ©c^mierigfeiten  nic^t  unge^ 
löft  geblieben.  äSenn  man  aber  in  ©arceriud'  Buc^e  bie  tief 
bunfelen  ©d^ilberungen  ber  fittlid^en  ßuftänbe  feiner  ßeit,  fo 
wie  bie  Älagen  über  bag  Sireiben  ber  ftaatlid^  ^eröorragenben 
@efellfc^aft  lieft,  meld^er  er  bod^  jumut^et,  auf  feine  Stat^fc^läge 
einjugel^en,  fo  muß  man  bie  $raft  feinet  praftifc^en  Sbealidmu^ 
unb  bie  @ebulb  bemunbern,  in  meld^er  er  an  bie  ^ui^fü^rung 
ber  Aufgabe  glaubt.  Slud^  an  ber  §anb  biefe^  Bcnf^tn  alfo  er-- 
giebt  fic^,  bag  bie  lut^erifc^e  änerlennung  ber  fird^lid^en  ^iicu 
plin  nur  eine  bebingte  ift.  ©ie  ift  in  folgenber  ^ormel  auiSju^ 
brüden:  ^SBcnn  lird^lid^e  ©trafgetoalt  ftattfinben  foll,  fo  ift  fie 
nur  möglich  unter  SSorauSfe^ung  ber  ftaatlid^en  unb  religiöfen 
(Erjie^ung  bed  SSolfed  jur  äRoralität."  Snbeffen  mirb  bagegen 
eingemenbet  n^erben,  bag  ©arceriuc^  nid^t  genügenb  legitimtrt  fei, 
um  auf  biefem  $elbe  als  SSertreter  be^  fiutl^ert^umd  ju  gelten, 
ütö  ob  ben  Sln^ängern  Sut^er'i^,  ju  meieren  ©arceriu^  gehört, 
jujutrauen  »äre,  ba§  fie  über  eigene  ©ebanlen  üerfügt  ptten! 
3)er  itertt  feiner  Stuftest  nämlid^  fann  gerabe  bei  Sut^er  nac^^ 
geiotefen  werben. 


70     ' 

3n  bct  ffirllärung  bcö  ?ßrop^ctcn  Socl,  welche  SBcit  Dictri^ 
nad^  bcit  SSorträgen  fiut^er'i^  1547  ^craui^gcgcbcn  l^at  ^),  Ocjic^t 
fid^  Sut^er  auf  bie  ucrbreitctc  ^nftd^t,  bag  bct  SBann,  atö  bie 
Sudfd^Itegung  Dom  ^benbma^l  t()eilS  burc^  bie  9iaci^Iäfftgfeit  bcr 
Äirc^cnbicncr,  t^citö  burd^  bie  Ungunft  bcr  Dbrigfcit  in  äbgang 
gclommeu  fei.  §icgcgen  aber  madöt  er  geltcnb,  baß  bie  ©c^ulb 
baran  bei  ber  ganjen  d^riftlic^eu  ©efellfcftaft  fei.  Seber  laffe  ^ 
haxan  fehlen,  feinen  Slad^bar  tüegen  Unred^t  unb  ßuc^tlofigfeit 
ju  n^arnen  unb  ju  ermahnen,  um  i()n  ju  beffern.  Tlan  pte  fid^ 
baüor  a\\^  äßenfc^enfurd^t  unb  auS  ^cforgnig,  in  gleid^er  SSSeife 
t)on  ben  Slnberen  be^anbelt  ju  n^erben.  ^ie  eigentliche  Urfad^e 
beg  SSerfüQe^  be^  Söanneö  fei  alfo  ber  Umftanb,  bog  bie  tpa^ren 
ß^riften  in  fo  geringer  3^^^  üor^anben  feien.  S)iefe  Setrad^tung 
fiut^er'^  fü^rt  atfo  not^menbig  ju  ber  Folgerung,  bog  tpenn  ber 
Sann  in  Uebung  fommen  foQ,  Dor  SlHem  bie  Srjte^ung  beS 
fßolk^  jur  magren  c^riftlid^en  aJtoralität  not^menbig  ift.  3^9^^^^ 
aber  mac^t  Sut^er  nod^  üon  anbercr  ©eite  l^er  barauf  aufmert 
fam,  bo§  ber  Sann  nur  rclatiüen  SBert^  für  bie  Äirdöe  ^abe. 
S)enn  berfelbe  rid^tet  fid^  nur  gegen  öffentliche  Slergerniffe.  Siic^t^ 
beftü  weniger  finb  bie  l^eimlid^en  ©ünber,  toelc^e  in  ber  c^rift^ 
lid^en  @emeinbe  an  ben  @a(!ramenten  t^eilne^men,  tuie  Sut^er 
crllärt,  de  facto  üon  @ott  gebannt.  SEÖenn  biefelben  burd^  i^re 
fc^cinbare  Haltung  2Kenfd^en  betrügen,  fo  finb  fie  boc^  ©otteö 
©eric^t  ücrfallen.  §ierauö  folgt,  bag  bie  Uebung  ber  firc^Ud^en 
©träfe  gegen  bie  öffentlid^en  ©ünber  ben  Qtocd  gar  nid^t  eneid^t, 
bie  ©emcinbe  öon  ben  ©ünbcrn  ju  reinigen ;  üielme^r  tuirb  burc^ 
jene  gunction  bie  Seforgnig  nal)e  gelegt,  ba§  bie  ^eud^ler  fic^ 
in  ber  Äird^e  gerabe  alö  bie  berechtigten  behaupten.  SBenn  auc^ 
fintier  fic^  fo  nid^t  auögef^roc^en  ^at,  fo  legt  er  boc^  biefe  öe* 
trad^tungen  ebenfo  na^e,  al§  biefelben  baju  bienen,  bie  blo^  rela* 
tioe  SBebeutung  beö  Sannen  für  bie  Äird^e,  bie  er  einräumt,  in 
ber  üon  il)m  eingef^lagenen  Mid^tung  ju  erproben,  ©o  fel^r  er 
in  thesi  bie  S^^^^^^Bid^^i^  ^^^  Saunet  unb  bie  ^flid^t  ber 
Äirc^enbiener,  i^n  ju  üben,  aud^  bei  biefer  ©elegcn^eit  öorbe^ält, 
fo  menig  ift  er  ber  SKeinung,  bafe  bie  Äird^e  um  eine  i^r  njefcnt* 
lid^e  Function  üerlürjt  roirb,  toeil  ber  Sann  in  Abgang  gc* 
fommen  ift. 

2)ie  entgegengefe^te  Slnfic^t  Saloin'd  finbet  i^re  am  näc^ften 

l)  Opp.  latina,  ed.  Witeb.  Tom.  IV.  fol.  614^;  SBolc^  VI.  2404. 


71 

ftc^cnbc  Siegel  an  ber  Art,  tote  er  bic  Sluctoritfit  beg  9i.  Z.  in 
btefem  ^alle  jur  9(nn)enbuna  brad^te.  %l^  Tlann  ber  itocittn 
©encration  [tcl&t  et  ber  Äuctorität  ber  ^eiligen  ©d^rift  toentger 
frei  gegenüber  atö  Sut^er;  allein  er  untcrfd^eibet  fid^  auf  biefem 
fünfte  aud^  öon  ben  Sut^eranern  überhaupt.  S)icfer  Äbftanb 
fommt  nun  barauf  ^inauS,  bag  Satüin  nid^t  blo^  ben  reltgtöfen 
@ebanfen(reid  bed  91.  %.,  fonbern  auc^  gen)iffe  fociate  Stn^ 
rid^tungen  ber  erften  d^riftUd^en  @emeinben  für  bauernb  üerbinb^ 
Uc^  achtet,  n)ä]^renb  Sut^er  unb  bie  etgentlid^cn  Sut^eraner  auf 
bte  le^teren  üerjtd^ten.  9lad^  Salüin'^  Slnftc^t  tft  bie  Stnfe^ung 
uon  ^aftoren  unb  ^octoren  als  Settern  ber  ^rd^e  nad^  ben 
Slpofteln,  o^ne  bag  ein  Stangunterfd^ieb  unter  jenen  Beamten 
juläfftg  xoäxt,  ein  l^eiliged,  unüerle|ltc^ed  unb  en)iged  ®efe|,  eine 
(Einrid^tung  @otted  unb  leine  'menfc^lid^e  (Srfinbung  (Inst.  IV. 
4,  6.  7);  eOenfo  bte  S)igcil)Iin  ate  ©traf gemalt  ein  Slttribut  ber 
Äirc^,  tt)elc^e8  ber  §err  atö  notl^njcnbig  öorgefel^en  ^at  (IV.  12, 4). 
Sie  ©trafbro^ung,  toeldjt  $aulu$  im  Flamen  ber  ^ird^e  gegen 
bad  äXitgiteb  ber  forint^ifd^en  @emetnbe  rid^tet,  gilt  für  Salüin 
atö  bie  göttlid^e  @emä^r  be^  t)oQen  Umfangt  ber  SiSci^Iin, 
n)e(c^e  ber  ^irc^e  gufte^t.  ®renj  hingegen  üermoc^te  barin  nur 
ein  momentane^  ^ebürfnig  ber  Aird^e  ju  erfennen,  mil  e^  nod^ 
feine  c^riftli^e  ©taat^orbnung  gab.  3n  biefer  Hbn)etc^ung  ift 
ber  Unterfc^ieb  ber  lut^erifd^en  unb  cabinifc^cn  ^nfid^t  nid^t 
blo^  t)on  ber  Sideiplin,  fonbern  aud^  üon  bem  @ebrauc^  ber 
Sibel  in  ber  Äird^e  offenbar.  Der  Sut^craner  fonnte,  toaö  bic 
focialen  Drbnungen  ber  erften  c^riftUc^cn  ©emeinben  betrifft,  baö 
91.  %.  aU  Urfunbe  üon  Vergangenen  Suftänbcn  anfeilen,  tDcld^e 
unter  Deränberten  gcfc^id^tUc^cn  ^ebingungen  nic^t  mcl)r  t)er« 
binb(id^  finb.  Saloin  fa^  in  ber  Sorfd^rift  eincS  SlpoftetS  über 
Si^iplin,  fo  h)ie  in  ber  burd)  bas^  91.  %.  bezeugten  ©cmeinbe- 
uerfaffung  ber  erften  Spod^e  unüberfc^reitbarc  9lormcn,  auf  meldte 
bie  ^irc^e  jurüdtgefübrt  n)erben  muffe. 

©0  ioie  nun  Salüin  bie  9lot^tt)enbig!eit  beö  Söanneö,  unb 
fo  mic  er  bie  «uöbc^nung  ber  «uctorität  be«  91.  2;.  üerftanb, 
tritt  er  in  bemfelben  SWafee  auf  bie  ©eite  ber  SEÖiebertäufer,  afö 
er  fic^  t)on  bem  Sut^ert^um  entfernt.  ^^  fommt  nämlic^  ^iebei 
nidft  auf  bte  Srage  ber  Siikiplin  allein  an,  beren  Unterlaffung 
au^  bie  SBiebertäufer,  nad^  SButlinger'd  3^u9"i6'  ^^^  tut^erifd^en 
^räbicanten  jum  SBonourf  machten.    Wlaix  fönnte  t)ielme^r  in 


72 

bicfcr  Scjicl^ung  gcltcnb  mad^cn,  ba§  tt)cnn  jtoei  baffclbc  fagcn, 
eö  nid^t  baffclbc  ift.  S)cnn  bic  ßalüinifd^c  Äuffaffung  bcr  ijxx^U 
lid^cn  SRcUgion  unb  ©ittlid^Icit  ift  üon  bcm  gefc^licftcn  unb  mönd^i* 
fd^cn  ^ciligfcit^ftrcbcn  bcr  SBicbcrtäufcr  ju  Dcrfd^icbcn,  alö 
bag  bloS  bic  ^nna^crung  in  bcr  @d^ä^ung  be^  ^anncS  eine 
cigentli^c  SScrtpanbtfd^aft  jtüifdö^n  6ciben  crtoicfc.  allein  aud^ 
njcnn  bicfc  Mficffic^t  vorbehalten  toirb,  fo  ift  boc^  eine  Ucbcrein* 
ftimmung  jtDifd^en  beiben  barin  offenbar,  bag  bic  Stuctorität  beö 
SR.  %.  nid^t  bloö  für  bic  rcligiöfc  SSSclt^^  unb  ©otte^anfd^auung, 
fonbern  aud^  für  bie  SSerbinblic^feit  getoiffcr  SebenSorbnungen 
ücrtoenbct  toirb,  toelc^e  in  bcr  erften  ©eneration  bcr  Äird^c  üor^ 
lommen.  S)icfe  Ucbercinftimmung  toirb  nid^t  aufgel^obcn  burc^ 
bcn  üerfd^iebenen  Umfang  bcr  Slnwenbung  jencg  @runbfa|cö. 
3)ie  SBicbcrtäufcr  folgerten  auö  bcr  ?luctorität  be^  91.  %.,  baß 
bic  ß^riften  ate  fold^c  ni^t  X^eilne^mer  am  meltlid^en  ®taat,  ba§ 
fic  üiclmcl^r  nur  auf  bog  Bulben  allfcitigcn  Unred^teö  angetoiefen 
fein  Knuten,  toeil  bicfeö  bic  Sage  bcr  erften  ß^riftenl^eit  ttjar. 
$ierüon  toar  Sabin  toeit  genug  entfernt ;  aber  bic  SRot^ttJcnbig* 
leit  bcr  ©trafgetoalt  bcr  Äird^e  unb  bie  Stuöfd^licfeung  icber 
SRangabftufung  jn^ifd^cn  bcn  Se^rern  unb  $irtcn  bcr  Sirene  ht- 
l^auptete  er  boc^  nur  beö^alb,  tocil  eö  in  bcr  erften  ©eneration 
fo  gemefen  ift,  unb  bereu  (Sinridjtungen  i^m  alö  unbebingt  ocr» 
binblid^  gelten,  ba  fic  in  bcr  ^eiligen  ©cftrift  bejeugt  toaren. 
?llfo,  fo  toeit  gegenttjärtig  gcurtl^cilt  uierbcn  lann,  ift  bag  Sebenö^ 
ibeal  ßalüin'ö  unb  baö  bcr  SBicbcrtäufcr  total  üerfd^ieben ;  bc^^alb 
^at  auc^  bie  ©ii^ciplin  für  beibe  ein  ücrfd^iebcneö  ©ettjid^t.  gür 
bie  SBicbcrtäufcr  ift  fie  bag  äRittcl,  bic  toirflic^e  $eiligleit  bcr 
iüa^ren  ©emeinbc  ^erjuftcHen ;  für  Sabin  ift  fic  unter  allen  Um* 
ftänben  ein  ÜRittet  äugerer  Drbnung,  roelc^eö  man  bcr  ffi^re 
ß^rifti  unb  bcr  fittUd^cn  ©efunb^eit  bcr  einjelnen  ©emeinbc:* 
glieber  fd^ulbig  ift  (IV.  12,  5).  Scbod^  bie  Slrt,  tt)ie  er  fie  au^ 
bcm  91.  %.  aü  bcm  infpirirten  ©efefebud^  ableitet,  lägt  bcn 
©runbfafe  bcr  Deformation  beö  ^eiligen  granj  wieber  anflingen, 
bag  bic  fociale  Drbnung  bcr  ©l^riftcn^cit  auf  bic  SÖebingungen 
jurüdjufü^ren  fei,  meldte  für  bie  erfte  ©cncration  galten.  SBon 
bicfcr  bloö  formenen  Ucbercinftimmung  auö  ift  cö  aüerbing^  nocft 
nid^t  toa^rfd^einlidö,  bag  bcr  ßaloini^mu^  eine  befonbere  S)i^po* 
fition  jur  Slufna^m^  ober  SBiebererjeugung  franciiScanifd^er  ober 
toiebertäuferif^er  Seben^formen  in  fic^  fd^licgt.    3)enn  bic  c^rift^ 


73 

lid^e  Seben^orbnung  Sabin'^  ift  barin  mit  ber  (ut^ert[d^cn  tben« 
tif^,  ba§  fie  an  bte  ^ui^übung  bcS  ScruM  unb  an  bic  (Sinrci:^ 
^ung  in  ben  Staat  gctnäpft  tutrb.  9lG[cin  Sabin  ^at  bcnnod^ 
feiner  ©emcinbe  um  ber  ?lufrcc^tcrl^aUunfl  bor  S)iöcipUn  toiQcn 
ein  fittlid^eg  ©cprägc  beigebrad^t,  toelcfieö  ba^  gcmcinfamc  pro- 
tcftantifc^e  Scbcn^ibcal  erl^cblic^  mobificirt.  Um  biefeg  üerftänbi» 
lid^  ju  machen,  fommt  bic  pcrfönlid^e  fittlic^e  93egabung  (S:abin% 
jugteid^  aber  feine  9iationatität  in  ^etrac^t. 

Sd  ift  bod^  mcrfmürbig,  bag  bie  ^ranjofcn,  n^eld^c  für  bic 
Deformation  beö  16.  3a^r]^unbert^  tl^atig  eintreten,  ganj  ent* 
fd^teben  auf  bie  f irc^Iid^e  3)i^ctp(in  bttad^t  finb ;  üor  Sabin  fd^on 
SBil^elm  garel  unb  tJranj  Sambert.  @anj  befonberö  le^rreic^ 
ift  aber  bag  Unternehmen  biefeö  cl^emaligen  granciöcanerö  bie 
^rc^e  ^effcnS  mit  einem  3nftitut  ber  ^i^iptin  au^;;uftatten. 
fintier  ^atte  in  ber  1526  ücröffentUd^tcn  „S)eutfd^en  2J^effe  unb 
Drbnung  beö  ©otteöbicnfte^"  ben  frommen  SBunfd^  nad^  einer 
@emeinbe  üon  folc^en  auSgcfprod^en,  tve(d^e  mit  (Srnft  S^riften 
fein  ttJoQen.  S)iefe,  meint  er,  müßten  fid^  mit  Flamen  cinjeid^nen, 
unb  fid^  in  einem  befonbem  $aufe  jum  ©cbct,  Scfcn  unb  Uebung 
ber  ©acramentc  ücrfammeln.  3n  biefer  ©emeinbe  lönnte  man 
bic,  fo  fid^  nid^t  cftriftlid^  I)ielten,  lennen,  ftrafen,  beffern,  aug^ 
ftogcn  ober  in  ben  SSann  tl^un.  StQcin  Sut^er  fügt  ^inju,  bag 
er  eine  fold^e  @emeinbe  nid^t  cinrid^ten  fönne,  n)eit  er  noc^  nic^t 
bie  £cute  baju  f)abc,  unb  nid)t  Diele  fe^e,  bie  baju  geneigt  feien. 
Sr  fürchtet,  bag  e^  eine  Siotterei  gäbe,  toenn  er  auf  feinen  ^opf 
l^in  jenen  5ßlan  öerfotgcn  mürbe.  „S)enn  mir  S)eutfd^en  finb 
ein  milb,  ro^,  tobenb  SSotf,  mit  bem  nic^t  (eid^ttid^  ift  etma^  an« 
anfangen,  e^  treibe  benn  bie  P^ftc  9lotI)"  *).  S)er  bgifd^e  Qn^ 
fammen^ang  biefe«  richtigen,  aber  menig  fc^mcid^el^aften  Qcn^^ 
niffeö  fiut^er'd  über  fein  JBoK  mit  ber  üorauggefd^idtten  Seforg* 
nig,  bag  bie  Stu^fü^rung  feinet  $Iancd  einer  engern  (Scmcinbe* 
bilbung  aiüttcrei  nad^  fic^  jie^cn  merbe,  ift  o^ne  3^cifel  ba^in 
äu  öerfte^en,  bag  bie  3)eutfd^cn  im  ©anjen  auf  jene^  ©^ftem 
nid|t  eingel^cn  mürben,  ^arin  ift  bie  jmeifellod  richtige  Sinfid^t 
auigebrfidtt,  bag  ben  ^cutfc^en  ber  @inn  für  bie  @(eic^^eit  unb 
für  bie  unfreie  ©efefelid^teit  fel)It,  toelc^er  ju  bem  ©^ftem  ber 
Iir(^Iid^en  3)i^iplin  erforbcrlid^  ift.  2)eö^ab  ift  ba^  ^ßroject 
einer  fold^en  engem  @emeinbe,  meiere  frcimiäig  fid^  jur  Sludübung 

1)  »t4t  er  ÄOD.  I.  ©.  36. 


74 

ber  35iöciplin  l^crbeitaffcn  toürbc,  eine  ^^antafic  ober  ein  frommer 
ffiunfd^,  ber  noc^tociöltd)  Sut^er'g  ©cbanten  nld^t  Leiter  bcfc^öf^ 
tigt  ^at.  ^cr  (^ranjofc  fiambert  aber  I)Qt  nid^tö  Sttigered  ju 
t^un  gcl^abt,  atö  jened  $rojcct  Sutl^er'^  ber  ^trd^enorbnung  etn^ 
guücrieiben,  mit  tocld^er  er  jn  ^omberg  bic  {Reformation  ber 
^cffifd^en  Äird^c  bcgrünben  ttJoUtc.  3n  bem  15.  Sap.  biefcr 
Aird^enorbnung  ^  fd^reibt  er  üor,  ba§  nod^  bem  fonntäglid^en 
©otteöbicnft  biejenigen  ÜÄänncr  unb  SBcibcr  jufammentreten 
foQen,  met^e  mit  (Srnft  baS  S^riftent^um  treiben  unb  jur  ßa^t 
ber  ^eiligen  gegä^lt  tuerben.  ©ie  foHen  fid^  anl^eifd^ig  machen, 
ber  @£communicQtion  ^id)  gu  untertverfen,  n^enu  cd  nöt^tg  tft, 
unb  in  biefcr  Söcgic^ung  aufgcfdiricbcn  tüerbcn.  3)iefe  ©emeinbe 
foH  alle  8lngclegenf)citcn  unter  ber  ficitung  bed  SBifc^of«  beforgen; 
fie  foQ  nic^t  blöd  bic  äSa^Icn  ber  Beamten,  fonbern  auc^  bic 
Sludfc^Iiegung  aud  ber  ©emeinbe  unb  bic  SSieberaufna^mc  %ud^ 
gefc^loffeitcr  üorne^men.  3n  biefem  engern  Greife  foH  aud^  atled 
mitget^cilt  n^erben,  toad  Ermahnungen  not^n)cnbig  mad^t.  äßer 
nun  üon  bcu  übrigen  ©cmcinbegtiebcrn  nad^  bem  ©eginnc  ber 
eüangelifd^en  $rebigt  ni^t  binnen  14  klagen  fid^  ernftlic^  befe^rt, 
luirb  nid^t  nur  üom  Slbcnbma^l,  fonbern  aud^  üon  ber  $rebigt 
unb  aQer  brüberlid^en  ©cmein jc^aft  audgefc^loffcn.  S)ie  eüangc« 
lifdjc  ©cmcinbc  toürbe  I)icburd)  auf  ben  gu§  einer  Kongregation 
ijon  lertiariern  gefegt  werben!  3)icfed  meinte  ber  ©übfrangofc 
unb  c(jcmalige  ^rancidcaner  ben  Reffen  bieten  ju  fönnen,  o^ne 
fid^  burd^  ßutl)cr'd  Urt^cit  über  bic  3)eutfc^en  ttKirnen  gu  laffen! 
^rcilic^  blieb  feine  ^irc^cnorbnung  auf  bem  $a))ier  fte^cn,  auc^ 
in  golgc  bed  3iatf)cd,  tocld^cn  Sutljcr  auf  ©rfuc^en  bcd  2anb= 
grafcn  ^ß^ilipp  gegeben  f)at  3n  bem  Srief  *)  an  biefen  gürftcn 
betont  er  ^auptfäd^Iid^,  bag  ©efe^c  nur  braud^bar  feien,  n)cun 
i^nen  irgenb  ein  äWaß  üon  ©ittc  entgegen  fomme;  l^iemit  bc* 
ric^tigt  aber  bcftätigt  er  aud^  bad  Urtljcil,  toarum  bie  3)eutfc^cn 
fic^  bad  Snftitut  ber  fird)lidöenS)idciplin  nic^t  gefallen  laffen  tt)ürben. 
9lämlic^  unter  ber  oonSutl)cr  gerügten 9Iol)^cit  unb  Unbänbigfett  ber 
ffieutfd^cn  ift  i[)r  ©inn  für  inbiüibuelle  grei^eit,  aber  aud^  für  bic 
grei^eit  in  ber  Sitte  ber  eigcntlid^e  ®runb,  ioarum  fie  fic^  gegen 
ein  allgemeine^  ®cfe6  ber  lirdjlid^en  S)idciplin  fträuben.    3nbem 


1)  fft'xäiUx  I.  6.  62. 

2)  7. 3anuar  1527  im  VI.  9anb  t)on  %)t  äBette'S  Brieffammlung  6. 80. 


75 

llingcflcn  bcr  gi^onjofc  c^  ote  fclbftücrftänblid^  anfielet,  bic  fßox^ 
fc^riftcn  über  bic  ©iöciplin,  ttjclc^c  i^m  baö  5R.  %.  ju  bieten  fd^icn, 
unmittelbar  in  Uebung  jtu  fe^cn,  reddnctc  er  auf  bcn  Xrieb  uac^ 
@(eic^^cit  unb  auf  bie  Geneigtheit,  fic^  in  aDen  äSejiel^ungen 
bt^ipliniren  ju  laffen,  tporin  feine  93olfdgenuffen  gerabe  ftd^ 
Don  ben  STeutfi^eu  unterfc^eibcn. 

®ie  gefe^lic^e  Strenge  unb  ber  Snfprud)  auf  ^i^ipUnirung 
ber  SKaffen,  »elc^e  biefe  Scanner  mit  ber  SReformation  be^  16. 3a^r« 
^unbertd  in  SSerbinbung  fe^en,  finb  aber  überJ^aupt  bie  ÜRertmale, 
burc^  n^elc^e  ftc^  bie  burdige^enbe  Haltung  ber  ^ranjofen  in  bcr 
itirc^engef^ic^tc  aud/^eid^net.  3d^  erinnere  baran,  bag  bad  alte 
in  Steg^pten  au^ebilbete  9J2önc^t^um  in  @aDien  5ucrft  unb  mit 
(Sifer  aufgenommen  n^orben  ift,  ferner  bag  in  ber  erftcn  $älftc 
bcd  äKittclaltcrd  bic  äJJönd^drcformcn  unb  Stiftungen  ju  (Slugn^, 
S^artreufe,  Siteau;,  $rämontr^  eintreten,  tocld^c  um  fo  beut^ 
li^crciJ  öcugnife  fö^  ^^^  franjöfifc^c  S^riftcnt^um  ablegen, 
ate  bie  ©tifter  öon  jttjci  biefcr  Drben  3)eutfc^c  toaxcn.  grant 
xdü)  ift  gleichzeitig  bic  ^eimat^  bcr  Äreujjüge.  3n  bcr  ä^citcn 
$älfte  bed  SKittclalterd  ift  bie  Uniücrfität  $arid  auc^  bcr  SRittel^ 
punft  bcbeutcnbcr  firc^lid)er  Seftrebungen ;  immcrl^in  ift  jene 
@emeinbc  ber  SBiffenf^aft  ein  großartiger  S3ett)ci!^  bon  3)i^ciplu 
nirung  ja^lrcidöcr  aKenfc^cn.  ©cit  bcr  (Spoc^c  bei^  16.  3al^r« 
^unbert«  brid^t  ber  ai^fetifd)e  Qmq  ber  granjofcn  t^eiU  in  bcr 
Orben^ftiftung  Don  Sa  Sirappe,  t^cilS  im  Sanfenidmud,  nic^t 
minbcr  in  ber  quietiftifc^en  SK^ftif  ^croor,  bie  jtt)ar  nid^t  unter 
ben  granjofen  entftanbcn  ift,  bodl)  unter  i^ncn  bic  crl^eblid^ftc  9Scr* 
tretung  gefunben  ^at.  daneben  barf  an  bic  ©rttnbungcn  bed 
Sincenj  Don  $aula  erinnert  tt)erbcn.  ©nblic^  ift  feit  bcr  SRcoo:« 
lution  unb  9icftauration  ber  franjöfifd^e  Jtat^olici^mu^  in  immer 
geftcigcrtcr  SBcife  im  ©ienfte  ber  päpftlic^cn  aSäcltl^errfc^aft  hi^^ 
ciplinirt  tt)orben.  S)ie  ©iöpofition  bcr  granjofcn  ^icju  crfd^eint 
um  fo  bcutlic^er,  je  bürftigcr  unb  alberner  bie  rcligiöfen  An* 
regungcn  finb,  n^etc^c  gcgcnn^ärtig  mit  ben  focialen  unb  politifc^en 
Unternehmungen  ju  ben  QtotdQn  bed  $apftt^umi^  uerbunben 
»erben.  Ätö  Vertreter  ber  ftrengen  ifirc^cnbi^cipliu  unb  inbem 
fie  auf  bcren  3)urc^fü^rung  rechnen,  gehören  bie  franjöfifc^en 
atcformatoren  bed  16.  3al^r^unbcrtd  tro^  ber  8bn)cic^ung  in  ber 
@laubendle^rc  in  bie  9ici^e  bcd  franjöftfc^cn  (£t)riftcnt^umd,  unb 
fie  füQen  eine  fiüde  in  berfelbcn  au^,  ba  ber  römifc^fattjolifd^e 


76 

(Seift  im  16.  ^cil^rl^unbcrt  feine  bemcrfen^tocrtl^en  SBirfungen 
aufeutDeifen  ^at. 

SlDcin  Soluin  l)ai  um  ber  3)i^cipUn  tüiDeit  ber  üon  il^m 
beflriinbetcH  SRid^tunfl  beö  euanflcUfdien  ei^riflentl^umi^  fletüiffe 
3üfle  eingeprägt,  tt)elc]^e  eine  unDerlennbare  Slnnäl^crunfl  an  bie 
mönc^ifc^e  SBeltflud^t  au^brüdcn.  3m  ©runbfafe  toai  er  ja  mit 
ßutl^er  einuerftanben,  baß  baö  c^riftlidie  Seben  in  bem  JRa^men 
beg  bürgerlid^en  Söerufö  unb  innerhalb  beö  ©taate^  ju  führen 
unb  JU  erproben  fei.  STDein  »ie  Satüin  für  feine  ^ßerfon  feiner 
(Sr^olung  bebürftig  ttjar,  fo  erlannte  er  in  bcn  regelmäßigen 
formen  gefclliger  ©r^olung  unb  in  ben  baran  gefnüpften  (Sx^ 
fd^einungen  beö  Suju^  nur  bie  bringenbe  SScrfud^ung  jur  ©ünbe. 
9lun  fann  bie  tirc^lid^e  S)iöciplin  eben  alö  firc^lid^e  fi(^  nur  be- 
haupten, tt)enn  fie  üer^ältnißmäßig  feiten  jur  Änttjenbung  fommt. 
©eö^alb  ergab  fic^  für  Sabin  bie  golgcrung,  baß  bie  änläffe 
JU  Äirc^enftrafen  befeitigt  tt)crben  müßten,  tüdä)c  öon  ben  ge* 
felligen  @rt)oIungen  ausgeben  fönnen.  ?lu§  bicfem  ©runbe  be* 
fämpfte  er  alleö  tt)aö  bem  Leitern  unb  freien  Sebeni^*  unb  Jiunft* 
genuffe  angehört;  unb  inbem  er  bie  i^m  gleic^gefinntcn  franjö^ 
fifc^en  ©inttjanbercr  ju  Ferren  in  ®enf  gemacl)t  t)at,  ift  e^  i^m 
gelungen,  bem  Don  i^m  geleiteten  ®emeinn)efen  eine  Haltung 
cinjuprägen,  meiere  jiemlic^  in  bemfelben  9J?aße  Don  ber  aSäclt 
abgcmenbct  ift,  tt)ie  eö  bie  franciöcanifd^en  lertiarier  fein  foQten. 
®enn  bei  biefen  fommt  bad  SSerbot  Don  Xl^eilna^me  an  gcfeQigen 
Vergnügungen,  namentlid^  an  ©d^aufpielcn  ebenfo  beftimmt  in 
SSetrad^t,  \oic  im  SaluiniSmu^. 

demgemäß  läßt  fic^  jefet  aud^  ber  ©egenfafe  ätt)ifc^en  bem 
£ut^ertl)um  unb  bem  ßalDiniömuö  in  ©d[)äfeung  ber  S)i^ciplin 
DoUftänbig  beftimmen.  S)ie  lutl^erifc^e  gormel  lautete:  „SBenn 
fird^li(^c  5)i^ciplin  burdigefüljrt  mcrbcn  foD,  fo  ift  überhaupt  eine 
moraIifd[)e  ©r^ie^ung  beö  SSolfesg  notljtocnbig."  S)ie  catoinifd^e 
gormel  ift  fo  auö^ubrüctcn :  „SBeil  bie  firc^lic^c  ©iöciplin  fein 
foll,  fo  ift  baö  Seben  beig  SSolte«  au^  nodl)  tt)eiter  einjufc^ränfen, 
namentlidlj  in  ^infidjt  ber  gefcHigen  @rt)olung  unb  ber  öffent= 
lid^en  ©piclc."  ©o  tt)eit  alfo  ba^  d^riftlidjc  Sebenöibeal  be^  SaU 
öiniömuö  antitat^olif^  ift  ift  cö  auö  Sutl)cr'ö  Slnregung  ent= 
fprungcn;  fofcrn  cö  üon  2utI)er'jS  Sluffaffung  abioei^t,  ift  e^  auf 
bie  Sinic  be^  franciöcanifc^en  Sebem^ibealö  jurüdEgebogen.  ffi^  er* 
gab  fic^  nun  oben,  baß  fd^on  Saluin'd  SJern^enbung  ber  Sluctorität 


77 

bc^  iß.  %.  jur  Scfltfinbung  bcr  fird^Ud^cn  3)t^pltn  ön  bert 
franci^conifc^en  unb  ipicbcrtäuferifc^cn  ©runbfafe  erinnerte,  bic 
erftc  unb  elcmentorfte  ©cftalt  ber  c^riftltc^cn  ©emcinbc  fei  für 
oBe  3citcn  ma§gebcnb.  S)iefc  formcQe  Uebcrcinftimmung  toirb 
ie^t  ergänst  burd^  bie  beiben  @ruppen  gemeinforne  Abneigung 
gegen  gefeQige  (Srl^olung  unb  öffentU(^ed  ©piel.  SBenn  alfo  ber 
^ietii^mu^  au^  berfelben  Anficht  Dom  ^rifttic^en  SeOen  be^  9Solfe§ 
entfpringt,  n)e(d^e  in  ber  franci^canifc^en  unb  n^iebertäuferifc^en 
Sleformation  wirffam  n^ar,  fo  ift  ju  enporten,  baß  ber  Salüiniö* 
mug  jur  Slufna^me  ober  f^nx  ©rjieugung  biefer  lenbcnj  ntel^r 
biSponirt  ift,  atö  ber  beutfd^e  $roteftantidmud  fon)o^(  lut^erifc^er 
atö  jioinglifc^er  Slic^tung. 

(SolDin  ^Qt  betanntlid^  feine  (Einrichtung  ber  ifirdje  ju  ®enf 
nur  unter  ber  äuctorität  be^  ©taoteg  ausführen  tonnen.  2)em= 
gemög  ^ot  er  ouc^  in  bie  firc^lii^e  ^i^eiplinarbet)örbe,  baS  (Son^ 
ftftorium,  eine  Slnja^l  obriglcitlic^er  ^erfonen  alö  folc^er  aufge^^ 
nommen.  SlDein  bie  SBefd^lfiffe  biefer  Äir^enbe^örbe  toollte  er 
Don  ber  ^eftötigung  burc^  ben  @taat  burc^meg  aufgenommen 
wiffcn.  3n  biefem  äWaßc  erftrcbtc  er  grunbfäfelic^  bie  Unab^^ 
^ängigfeit  ber  Äirc^e  öom  ©taat.  S)er  S)urd^fül)rung  biefeiS 
@runbfa^eS  famen  nun  in  Derfc^iebenen  (Siebieten  \>e^  (Satoini^ 
mu^  Derfd^iebene  Umftänbe  pifreid^  entgegen.  3n  ^ranfreid^ 
Derbanite  bic  reformirte  Äiri^e  i^re  Unabl^ängigleit  Dom  ©taate 
bem  SBiberftreben  beffelben  gegen  bie  ^Reformation  überhaupt. 
3n  ©^ottlanb  hingegen  ift  ber  Äeim  ju  jenem  immer  tt)iebcr  er»* 
ftrebten  unb  t^ciltt)eife  burd^gefül)rten  ^er()ältni6  burc^  eine 
mittelaltrige  Slnfid^t  uom  ©taat  auögebrudt,  tt)clc^e  bie  ®rünber 
ber  reformirten  Äirc^e  jene^  Sanbe^S  feftge^alten  tiaben.  Slämlid) 
So^n  Änoj  unb  ®corg  Sud^anan  t^eilcn  mit  i^rem  Sefjrer  3»)^ann 
äRajor  JU  ©t.  Slnbremd  bie  Ueberjeugung,  bag  ber  ©taat,  alfo 
auc^  bie  9J2onarc^ie,  unbefc^abet  ber  göttlichen  Snorbnung  i^ren 
btreeten  @runb  im  äJolfömillen  ^abe,  unb  bag  bad  93olf  berechtigt 
fei  einen  ungereimten  gürften  abjufefeen  *).  2)icfer  ©afe,  welcher 
bie  Suetorität  be^  X^omad  Don  Squino  für  fic^  ^^t^),  rei^net 
auf  bic  (Ergänjung,  bag  bic  ^irc^e,  beren  Organe  unb  Seiter 
bircct  bic  göttlii^c  Sluctorität  uertreten,  ^ö^eren  SBertl^cö  aU  ber 


1)  ftSpItn,  bte  ]^otmt  fttr((e.  6.  26  ff. 

2)  Naumann,  bie  Staatslehre  beS^^omaS  bon  ^quino.  6.  23  ff.  141. 


78 

Staat  unb  bcSl^alb  bon  il^m  andj  in  re^tlid^er  93ciic!^utig  unab^ 
gängig  {ei.  ^cmgcmäg  ^at  3o^n  ^no£  ber  fcl)ottifc^cn  ^ird^c 
bie  analoge  Snfic^t  eingepflanzt,  bag  C^riftud,  a(d  tai^  ^aupt 
ber  ^ird^e,  bie  göttliche  S(uctorität  i()rer  rechtlichen  SSerfaffnng, 
i^rer  gotteöbienftlid^cn  Orbimng  unb  i^rer  ©iöciplin  birect  ücr^ 
bürge  *).  S)icfe  gormel  l^at  Änoj  uon  3o^ann  Saöti  übernom*^ 
nien,  tt)eld^er  aU  SSorftcl^er  ber  grembengemeinbe  in  fionbon 
burd^  bie  Umftänbe  auf  bie  jfir^enbilbung  ^ingebrängt  ivurbe, 
n^eld^e  nad^^er  gnbepenbentitgmuö  beißt.  ®ie  flüchtigen  Slieber* 
länber  unb  tJ^anjofen  in  fionbon,  benen  er  atö  $aftor  biente, 
bid  fie  t)or  ber  blutigen  Üßaria  enttoid^en,  mußten  atö  StuSlänber 
auf  bie  Unterftüfeung  iljrcö  Äirc^enn^efenö  burd^  bie  territoriale 
©taatögett)alt  Uerjic^ten;  if)re  inbepenbente  rec^tlic^e  SSerfaffung 
fteDte  bemgemäg  fiadfi  unter  ben  @d^u^  bed  ^önigtl^umi^  S^rifti, 
alg  bie  birecte  golge  ber  gefefegebenben  ©ettjalt  beffelben.  3)er 
©runb  bafür  toar  bie  Uebereinftimmung  ber  Äirc^enDerfaffung 
mit  ben  in  ber  Urgemcinbe  bcftel^cnben  Drbnungen.  2)iefc^ 
Äirc^enibeal,  n^elc^eö  bei  biefen  grembengemeinben  junäd^ft  au^ 
5Rotl)  in  SBirffamfeit  gefe&t,  unb  ber  fc^ottifc^en  Äirdlje  junäc^ft 
tt)enigfteng  in  ber  Xljeorie  eingeprägt  tt)orben  ift,  ^at  im  17.  3al^r:^ 
l^unbert  eine  3^t^l^nfl  ^i^  Ueberl)anb  über  bie  epifEopale  unb  bie 
predb^terianifd^e  ©eftaltung  ber  Sirene  in  Snglanb  gen)onnen. 
SBeil  man  in  ber  Sonfequenj  bed  SaSfifc^en  SnbepenbentiSmui^ 
bie  äSoQmac^t  bei^  ©taated  5ur  rec^tlid^en  Orbnung  ber  ^ird^e 
überl)aupt  uertoarf,  fo  ^at  man  auc^  bie  lanbedfirc^lic^e  (Einheit 
gegen  bie  Unabpngigteit  jeber  Soealgemeinbe  Don  allen  anberen 
aufgegeben.  8luf  biefe  SBeife  errei^te  man  eine  Konformität  mit 
ber  Äirc^e  ber  älteftcn  gcit,  tt)clcöe  nod^  über  Salöin'«  fflbfid^ten 
^inau^ging.  Itllein  hierin  ergiebt  fid^,  baß  ba^  antifat^olifc^e 
iiir^enibeal  bed  (Salüini^mud  in  bem  Wla^e,  aU  eS  folgered^t 
burc^gefü^rt  ttjtrb,  fid^  ju  einem  Snbepenbenti^mu«  cntwidEelt, 
todd)cx  n)ieber  ben  Songregationen  ber  SBicbertäufer  na^e  fte^t. 
Unb  ed  ift  ni^t  jufällig,  baß  aud^  ba^  Seben^ibeal  ber  3nbe« 
penbenten  fi(^  auf  ba^  ber  SBiebertäufer  jurüdgebogen  l^at.  ^ie 
Kongregationen  ber  englifd^en  3nbepenbenten  grünbeten  i^re  9n^ 
fprüc^e  tt)efentli^  auf  bie  in  i^ren  (Slicbcnt  offenbare  aöletifc^e 
^eiligfeit,  nämlic^  auf  il^re  ftrenge  Slble^nung  aller  n}eltlic^en 


1)  Sgl.  Se^re  bon  ber  ^Rechtfertigung  unb  l^erfö^nung  III.  S.  S68. 


7d 

Sr^oluitg  unb  allen  ©pieleS.  @ie  fitib  beSl^alb  auc^  grültctt^ 
t^ette  aU  93Q))ttftcn  auf  bie  SScrtpcrfung  bcr  Sinbcrtaufc  l^inoud« 
gefommen.  d^fll^^'^  l^abcu  im  17.  3a^r^unbert  in  intern  Greife 
eben  folc^e  t^coEratif^^rcüoIutiunäre  (£rfc^cinun()en  fid^  fiejeigt, 
roit  ^unbert  ^af)Xt  früher  bei  ben  beutfc^en  SBiebertöufctn.  3)ie[e 
ßuftänbe  ftnb  itoax  nur  auf  einem  befonbern  Gebiete  be^  SaU 
DiniSmud  in^  &cbcn  getreten  unb  unter  befonberen  93ebingungen. 
@ie  ftnb  jebod^  nur  in  f^olge  Don  6$runbfQ^en  möglid^  gen^orben, 
meldte  ben  Salüini^mu^  überhaupt  Don  bem  fiut^ert^um  unb 
bem  ftOQtdfirc^tic^en  ß^ingliani^mud  untcrfd^eiben,  unb  im  ©aui^eu 
mit  bem  Sebeni^ibeal  ber  fronciöconifd^en  unb  ber  tt)icbertäuferi:: 
fc^cn  Sieformation  übereinftimmen.  $at  nun  biefc  Uebereinftim« 
mung  ju  ber  umfangreicheren  9iüctbilbung  bed  inbepenbenten 
cngUfd^en  CaloiniMud  auf  bie  Sinie  ber  SSSiebertäuferei  geführt, 
fo  ift  baburc^  auc^  bie  aUgemeine  ^i^pofttion  beS  S^aluinidmud 
jur  Aufnahme  ober  Sleuerjeugung  folc^er  Scben^formcn  beriefen, 
tocld^e  ber  franci^anifc^cn  Sieformation  entfpred^en. 

3)iefe  ^uSpofttion  too^nt  bem  CalDini^mu^  bei,  obgteid^  ber 
Urheber  biefer  gorm  eüangelifc^en  Sl^tiftentliumg  fic^  crnftli^ 
bagegen  uenoal^rt,  ia^  bie  SKc^tung  feiner  ©emcinbe  auf  fittUc^e 
SoQtommen^eit  not^n)enbig  in  feparatiftifd^e  Folgerungen  an^^ 
fc^Iag'e").  Um  bem  juöorjulommen  tt^iD  er  ben  Seftanb  ber 
Jiirc^e  bod^  nur  an  bie  redete  Seigre  bed  (SüangeliumS  unb  bie 
SSermaltung  ber  ©acramente  gcfnüpft  tt)iffen;  unb  inbcm  er  bie 
gorbcrung  fittUc^er  8tetnl)eit  ber  ©emeiube  afö  eine  SSerfud^ung 
bejeic^nct,  mutzet  er  ben  ®uten,  toddjt  gerabe  barauf  verfallen, 
bie  ißac^ftd^t  unb  bie  @ebulb  ju,  loelc^e  unter  ben  Xugenben  ber 
©cparatiften  ju  fehlen  pflegen.  Sber  e«  ift  bejeic^ncnb,  bag  er 
gerabe  biefen  ©trengen  unb  Ungebutbigen  bad  $räbieat  ber  @uteu 
jugefte^t.  3)emgemäg  ^aben  in  ber  t^^Ig^  i>te  ftrengen  unb  un^ 
gebulbigen  Vertreter  ber  fittUc^en  SSoUfommen^eit  ber  @emeinbe 
ftc^  für  bie  @uten  unb  bie  heften  in  ber  reformirten  ßird^e  ge< 
acbtet.  Unb  fic  ^aben  barum  fid^  ilber  alle  bie  @rfinbe  ^inmeg« 
gefegt,  mit  loeld^en  Sabin  i^nen  im  SSoraud  entgegengetreten  ift. 
Z)tefe  @rfinbe  aber  ftnb  ^öc^ft  beac^tendn^ert^.  Sabin  beruft  fid^ 
einmal  barauf,  ba%  $aulud  bie  torint^ifi^e  @emeinbe  atö  @c* 
metnbe  S^rifti  anfielt  obgleid^  fie  Doli  fittli^er  @d^aben  ift,  unb 


1)  Inst.  ehr.  rel.  IV.  1,  13-27. 


8Ö 

eBcnfo  bte  gatatifd^en  S^riften,  tpcld^e  fogar  ba^  @t)angelium  Dcr^ 
laffcn  ^abcn.  6r  erinnert  ferner  baran,  baß  bie  Äird^e  onf  bic 
©ünbcnüergebung  gegrünbet  ift  unb  hieran  i^rcn  Scftanb  fort* 
bauernb  erhält.  (Er  bejeic^net  e^  enblid)  otd  @e[6fttäufc^ung,  baß  man 
blü^  bie  Ocmeinfc^aft  mit  bcn  ©ottlofcn  aufgeben  ioerbe,  inbem 
man  fic^  öon  ber  bcftc^enben  Äird^c  trennt,  ffiin  folc^er  ©d^ritt 
jie^t  Dtelme^r  ben  SBerluft  Der  ^ir^e  überhaupt  nac^  fid^.  SalDin 
^at  biefc  Setrad^tungen  unb  SBamungen  uor  bem  ©eparati^muö 
nur  an  bie  I^atfad^c  ber  SBiebertäuferci  feiner  Qdt  angelnüpft. 
3m  Umfreife  feiner  Äird^enbilbung  ftnb  i^m  gleichartige  ?lb' 
n)eid^ungen  nic^t  entgegengetreten.  (S^  ift  aber  faft  fo,  aU  ob  er 
Doraudgefel^en  ^ätte,  bag  feine  )Hbftd^t  auf  gefeglid^e  unb  bidet^ 
pünarifd^e  ^eiltgfeit  ber  ©emeinbe  gerabe  treue  Slnpnger,  @ute 
in  feinem  @inne,  auf  ben  9(bn)eg  be^  ©eparatiSmu^  führen  n^erbe. 
^ad  ift  nun  aud^  eingetreten,  inbem  Salüin'^  cb^M  angeführte 
@rünbe  an  benjenigen  üöQig  uerloren  n^aren,  n^eld^e  gerabe  in 
ber  golgerid^tigteit  ber  üon  Sabin  geftcDten  Aufgabe  ju  t)er* 
fahren  meinten. 


6.  ^a»  Sebilrfnig  M  tirc^Iii^eu  ^roteftantidmn«  ttai^  ^Reform» 

S)ag  Sebürfnife  einer  erneuten  ober  einer  ergänjenben  9te* 
form  be^  $roteftanti^mud  fd^eint  ftd^  junöc^ft  nac^  bem  @rabe 
ber  inneren  unb  äußeren  ©^tt)ierigleiten  ju  ridöten,  locld^e  bie 
einjelnen  {Reformatoren  bei  ber  geftfteDung  i^rer  lird^lid^en  STuf^ 
gaben  erfahren  ^aben.  2)iefe  ©c^toierigfeiten  maren  bei  Sut^er 
unb  bei  äJtelan^tl^on  am  bebeutenbften.  yi\d)t  blo^  au^  fic^ 
fetbft  ^eraug  Ratten  fie  9J?ü^e  unb  beburften  langer  ßcit,  um  ftc^ 
aud  ber  ^npnglic^fett  an  bie  gegebenen  f^ormen  beS  @)otte^ 
bienfte^  unb  ber  SScrfaffung  ber  Äirc^e  ^erauöjiufinben ;  fonbern 
barin  erfuhren  fie  nod^  befonbere  Hemmungen  burd^  bie  SRürffic^t 
auf  bie  ^ebingungen,  n^elc^e  i^nen  bad  ^eilige  römifc^e  9ie\ü) 
beutf^er  Station  fteDte.  3^ii^9li  ^ciW  ii^  beiben  93e}iel^ungen 
eine  Diel  günftigere  ©teQung  ein  ate  bie  ^Reformatoren  in  ©ac^fen. 
(£r  nmr  einmal  unge^inbert  burc^  bie  3)lad)t  bed  l^eiligen  9teid^ed, 
aber  aud^  burd^  bie  ^bn^efen^eit  ber  ^ietät  gegen  baffelbe,  n}el(^e 


81 

ßut^cr  unb  SRclond^t^on  bcfccitc.  gcrncr  toor  er  mit  feiner  reti:» 
gidfen  Ueberjeugung  unb  i^ren  Folgerungen  für  @ottei^bienft 
unb  SSerfaffung  frü^  ju  einer  entfc^iebenen  Älar^eit  gelangt. 
3lo6)  gfinftiger  ftanb  e^  Sterin  mit  Sabin.  (£r  ^atte  aU  (Spu 
gone  ben  SSort^eil,  ftd^  einer  fc^on  auS  bem  ©d^ooge  ber  mittel^ 
altrigen  Sird^e  entbunbenen  Ueberüeferung  bemäd^tigen  ju  lönnen. 
Unb  er  ^at  ftd^  i^rer  mit  feiner  93er ftanb  eiSflarl^eit  unb  SBiDend- 
ftärte  eben  bemäd^tigt,  inbem  er  i^r  bie  üoDenbetfte  t^eologif^e 
Su^prägung  Derlie^  unb  mit  i^r  Stufgaben  Derfnüpfle,  bie  il^r 
bid^er  fremb  getuefen  ivaren.  I£r  l^at  ferner  für  feine  Sird^en« 
grünbung  einen  93oben  gefunben,  ber  Don  ben  btrecten  ISinflüffen 
bed  ^eiligen  Sfteid^g  noc^  entfernter  toar,  atö  ß^^^S^i'^  SBirfungS^ 
treiS.  9n  biefen  Unterfd^teben  unter  ben  Steformatoren  fann 
man  e^  abmeffen,  tparum  bie  proteftantifd^e  ^ird^enbilbung  im 
Umfang  bed  beutfd^en  Steic^ed  ben  (£inbrudt  einer  bleibenben 
Unfertigfeit  mad^t  unb  jugleic^  bem  fat^olifi^en  ^ird^enmefen 
nä^er  ju  fte^en  fd^eint  als  bie  ^irc^en  au^  ber  @rünbung 
3tPingli'i3  unb  Sabin'^.  3n  ber  lut^erifc^en  ^ird^e  finb  mirflid^ 
manche  Elemente  mittelattriger  ^erfunft  fortgepflanzt  ober  mit 
SKobtficationen  reprobucirt  n^orben,  todäfc  in  ben  anberen  ^irc^en 
UieggefaDen  finb.  (ES  fd^eint  bemnad^,  aU  mügte  ein  Sebürfnig 
na(^  Sleform  atöbalb  in  ber  (ut^erifd^en  j£ird^e  empfunben  n)or^ 
ben  fein,  früher  ate  etwa  in  ber  catöinifc^-reformirten.  3)aS  ift 
nun  freiüd^  bod^  nid^t  ber  ^aQ.  2)ie  etablirte  ^ird^e  in  @ng^ 
lanb  bot  noc^  auffaDenbere  ©puren  üon  Sompromiffen  mit  ber 
fat^oUfc^en  Vergangenheit  bar,  in  Orbnung  beS  ©otteSbienfteS 
tote  in  SSerfaffung.  ^eS^alb  beginnt  bie  reformatorifc^e  S3en)egung 
ber  Puritaner  in  i^r  unmittelbar  nac^bem  bie  @i^er^eit  ber 
englifc^en  ßird^e  na^  Sugen  burc^  bie  Königin  SUfabetl^  ^erbei« 
geführt  loorben  toar.  Aber  aud^  in  ber  reformirten  Äirc^e  ber 
t)ereinigten  9lieber(anbe  ergreift  man  bie  Slufgabe  einer  SBoQenbung 
ber  ateformation  früher,  atö  fic^  in  ber  beutf^4ut^erifd^en  ^iri^e 
bie  X^efiberien  ju  mirfüd^en  Unternehmungen  üerbid^ten.  2)amit 
man  aber  vorbereitet  fei,  ben  reformatorifd^en  ^nfpruc^  bed 
^ietidmud  innerhalb  ber  lut^erifc^en  ^irc^e  ju  Derfte^en,  bebarf 
ed  einer  gefc^ic^tUc^en  (Erflärung  ber  fc^ulmägigen  Sinfc^ränfung 
bed  Sut^ert^umd,  loorin  na^  feftfte^enber  Slnna^me  bie  9ieform^ 
bebflrftigleit  biefer  Äird^engeftalt  erfc^eint.  3d^  ^abe  nun  oor^ 
toeg  jtt  bemerfen,  bog  ber  SalDiniSmu«  hieran  ebenfo  ftarl  be^ 
L  6 


82 

tfieiligt  ift  tok  baö  Sut]^evtl)um.  S33cnn  bicfcr  Umftanb  für  gc* 
ivö^nlic^  tgitorirt  ipirb,  fo  ift  ci^  baburc^  ju  cntfc^ulbigen,  bog 
jener  (S^arofterjug  be^  SalDiniSmud  burd^  ben  gefc^lt^en  3^9 
ber  @itte  unb  ber  2)t^ctpltii,  ben  ber  SalDinii^muiS  Dor  bem 
Sutl^ert^um  DorauS^at,  conipenftrt  unb  t)erfc^leiert  toirb. 

Aber  ber  bezeichnete  ^^ler  ift  nid^t  erft  noc^trfiglic^  in  bie 
lut^crifd^e  ober  bie  reformirtc  Striae  eingetreten,  fonbern  er  ift 
in  ben  Umftänben  begrünbet,  unter  toelc^en  btc  JRcformotion  ju 
befonberen  ^irc^enbilbungen  gelangte.  (SS  ift  belannt,  bag  bie 
politifdien  SScrpltniffe  bc^  römifc^en  JReidje^  beutfcfter  Station 
bie  ^Reformation  £utl)er'^  ebenfo  begflnftigt  n^ie  eingefd^ränft 
l^aben.  3)ie  Socfcr^eit  jeneiS  poUtifd^en  SSerbanbeö  gcftattete  einer 
Steige  uon  JReic^^ftänben  juerft  ben  ©d^ufe  ber  JReformatoren, 
tt)eitcrt)in  bie  SSeränberungcn  be^  ©otte^bienfte^  unb  bie  t^atfäc^* 
lid^e  Slblöfung  bcö  neuen  Se^rftanbe^  öon  ber  ©ettjalt  ber  Sifc^öfe. 
Slber  bie  Stabilität  bcg  8icic^eg  unb  beffen  SSerbinbung  mit  ber 
römifc^cn  Äirc^e  öerjögerte  bie  ©elbftänbigfeit  be«  proteftantifc^en 
i£trd^entuefend,  n^etc^e  in  ber  ©c^metj^  Don  ben  @tabtobrtgteiten 
burc^  einen  einfad^en  Sntfd^tug  für  bie  Steformation  ^ergefteUt 
ttjurbc.  3nbcm  nun  bie  proteftantifd^en  ©tänbc  für  ben  Scftanb 
be^  SRcic^e^  nid^t  minber  intereffirt  toaren,  wie  bie  päpftlic^  ge= 
finnten,  fa^en  fie  fic^  gcnöt^igt  aud^  ben  SBeftanb  ber  @inen  aUgc^ 
meinen  Äir^e  üorjubel^alten,  an  tt)eld^en  nun  einmal  bie  po-- 
litifd^e  Geltung  bed  9ieid^ed  gebunben  toax.  @ie  toaxm  auf  ben 
aSerfuc^  angetoiefcn,  i^re  eüangelif(f)e  äuffaffung  ber  Seftimmung 
unb  ben  S3ebingungen  ber  (Sinen  allgemeinen  ^ird^e  bei  allen 
©liebem  best  SReic^eg  burd^jufefeen.  ©o  lange  i^nen  biefed  nid^t 
gelungen  tDar,  unb  fo  lange  e^  bur^  SReligion^gefpräc^e  erftrebt 
tourbe,  erfanntcn  aud^  bie  proteftantifc^en  9ieid^i^ftänbe  fid^  unb 
i^re  ^irc^enbilbung  aU  eine  $artei  in  ber^ird^e  an.  wie  fie  bie 
^äpftUc^en  für  bie  anbere  $artei  ausgaben.  ®iefe  93etrac^tung^ 
toeife  betierrfd^t  nid^t  nur  bie  Slug^bnrgifd^e  Sonfeffion  1530, 
fonbern  bebingt  audj  ben  Äug^burger  SReligiondfrieben  1555, 
n)clc^er  bie  9J{öglic^feit  ber  SSergleid^ung  noc^  üorbe^ält.  SBad 
nun  politifc^  ald  Parteien  in  ber^irc^e  fid^  barfteDt,  fann  t^eo« 
logifc^  nur  auf  einen  Unterf^ieb  Don  ©c^ulen  beurtl^eilt  n)erben. 
S)ie  S^ci^e  uon  Se^rartifcln  unb  uon  ®runbfäfeen  beS  ®ottc8- 
bienfte«,  toeldje  in  bem  ?lug«burgifd^en  Selenntnig  jufammenge» 
fteHt  n)urben  aU  fold^e,  toel^e  t^eil^  ni^t  ftreitig,  t^eitö  ftreitig 


83 

finb,  ift  unmittelbar  bcr  Äu^brucf  einer  ©c^ulanft^t  in  ber 
Jiirc^e,  in  n^elc^er  bie  ©egncr  andj  aU  eine  @d^ule  DorauSgefe^t 
ttierben.  3)od  tt)ar  bcn  obmaltenben  SSerpItniffen  in  ber  lateinifd^en 
Sirene  unb  im  ^eiligen  Steic^e  oQcin  angemcffen.  2)enn  ein  @egen^ 
faft  Don  ©deuten  toax  in  ber  ätt)eiten  ^älfte  be«  SKittcIalter^  in 
ber  ßird^e  unb  auf  ben  Don  ber  ^ird^e  legitimirten  Unioerfitäten 
rccipirt.  S)ag  ber  ©treit  im  16.  3öl&rl^unbert  fid)  auf  öiel  \>xah 
tifc^crc  3ntereffen  bejog,  a\&  tod6)t  bie  I^omiftcn  unb  Slomi:^ 
naUften  Don  einanber  trennten,  fam  eben  noc^  nic^t  ju  offieieDer 
©eltung,  fo  lange  bie  Snnal^me  aufredet  ermatten  n)urbe,  bag 
man  ftc^  burd^  9ietigiondgefpräc^e,  atfo  auf  fc^ulmägigem  SBege 
Derftänbigen  tonnte. 

3n  SBirfUc^feit  lehrte  jebe  Unternehmung  biefer  ?lrt,  bag 
ber  @egenfa$  ber  Parteien  in  ber  ßird^e,  n^elc^e  burc^  bie  Steic^^^ 
politil  iufammenge^alten  n)urbcn,  nic^t  auf  ben  jn^eier  ©c^ulen 
^inau^fam.  S)ie  Xl^eologen  bcr  Sfleformation  l^aben  ftd^  auc^  nie 
ouf  biefe  Setrac^tungött)eife  bcfd^ränft,  fonbern  bie  römifd^e  Äird^c 
für  bie  folfd^e,  bie  eöangelifd^e  für  bie  toa^re  erllärt.  Unb  fd^on 
im  Su^r  1537  ^abcn  bie  ©d)malfalbifd^en  Sunbe^genoffen,  bei 
ber  Slble^nung  ber  lEinlabung  jum  Soncit,  fic^  biefe  93etrad^tung 
angeeignet  0*  3)iefe  Slrt  ber  9ludeinanberfe^ung  n)ar  auc^  unum^ 
günglic^.  3)enn  ber  ßat^olicidmuS  unb  ber  ^roteftantidmuiS  be« 
l^oupten  ate  d^riftlid^  Derfc^iebene  SBeltanfc^auungen  unb  fiebend« 
ibeale.  SBäre  i^r  Unterfd^ieb  bloi^  ber  Don  ©d)u(en,  fo  n)ürben 
fte  beibe  fid^  berfelben  ß^ccf beftimmung  be^  Sl^riftent^umö  unter« 
orbnen.  Älfo  feit  1537  Derftummt  nii^t  me^r  bie  proteftantifc^c 
SJe^auptung,  bag  bie  burd^  bie  Itugdburgifc^e  Sonfeffion  be^ 
jeic^nete  ßird^e  bie  aDgemeine^ird^e  fei,  bie  päpftlid^e  hingegen 
eine  SBerte^rung  ber  ^ird^e  überhaupt.  9lUein  jener  %nfpruc^ 
niirb  nun  in  einer  SBeife  aufrecht  erhalten,  in  n^eli^er  bie  ©c^ä^ung 
ber  neuen  ßird^enbilbung  als  einer  Strt  Don  ©c^ule  nid^t  auSge« 
fc^ieben  n)irb.  Äflerbingö  wirb  ftets  gettenb  gemad^t,  baß  biefe 
fiirc^e  burc^  baS  Don  i^r  Dertretene  lEDangelium  bem  Qivcdt  bed 
^d(ed  bient,  )oelc^er  fat^olifc^er  ©eitd  burd^  aUerlet  3trt^ümer 
Derfe^U  n^erbe.  ^iemit  n)irb  angebeutet,  bag  bie  eDangelifc^e 
ftir^   bie  rid^tige   SSeltanf^auung    unb    fiebenSorbnung    aU 


1)  ^(.   meine   Vb^.    Aber  bie  (Sntpel^ung  ber  (utl^ertf((en  Stirbt,  in 
3etii4r.  fflr  ftird^ngefc^i^ie  I.  S.  72. 


84 

©anjcö  in  fid^  f daließt.  Allein  biefc  Slnbcutunfl  tpirb  jurüd= 
gefteUt  unb  6ef chattet  bnxd)  bie  S3e^au))tuiig,  bog  man  an  bcr 
Sug^burgifd^cn  Sonfcffion  bic  gormel  bcr  richtigen  Sc^rc  be^ 
SoangeUum^  bcfige,  unb  ba§  man  burc^  bie  ^oc^l^attung  ber 
alten  Sefcnntniffe  bcr  allgemeinen  üirc^c  fid)  atö  biefc  fiirc^c 
funbgebe.  hierin  tt)irb  eben  baö  ©lement  ber  ©d^ulc  afö  bcr 
©runbjug  ber  ©Eiftenj  ber  Äirc^c  behauptet;  jur  SBcftättgung 
bicfeö  Ürt^eilä  bient  e^,  ba§  2WeIanc^tI)on,  ber  SBortfü^rer  in  biefen 
3)ingen,  bic  Äirdje,  tt)elc^c  nic^t  ©taat  fein  foH,  nur  al«  eine 
Art  üon  ©c^ulc  begreift  *)•  3Ran  braucht  j[cbo^  für  biefen  üer^äng- 
nigbuQen  @a^  nic^t  9J2elanc^t()on  aQcin  uerantmortlid^  ju  machen. 
(Sr  tt)ar  ba^  (£rgebni§  ber  ©treitart,  burd)  tDcld^c  fic^  bic  JRcfor^ 
mation  auö  bem  mittctaltrigen  üirc^cnttjcfen  entbunben  ^atte; 
bie  gortttjirfung  biefer  urfpvünglidjcn  Stuöeinanberfe^ung  für  ba§ 
©elbftgefü^I  ber  cDangelifd^en  ^ir^e  tuar  unüermeiblii^. 

(&^  ift  eine  (Srfa^rung,  meldte  an  jeber  neuen  Itudprägung 
bcr  djriftlid^en  SBal^r^cit  gemacht  mirb,  bag  bicj[enigen,  )t)e((^en 
ber  alte  SBcin  beffer  munbet  al^  ber  neue,  i^re  SBeiiS^cit  barin 
üben,  baß  fie  bie  cinjcinen  fie  befrembenben  Umftänbe  bcr  neuen 
@efammtanfc^auung  l^craudjupfen   unb   eben  al^  einselne  Se^r« 

punfte  lebfjaft  beftreitcn,  01^"^  P^^  ^^f*  ^^  ^^^  3"fö^"^^w^^"8 
bcr  neuen  ©rfd^einung  ^incinjuöerfcfeen.  3n  ben  mciften  gäUcn 
finb  bie  voreiligen  SBeftrciter  bcr  ©injiel^citcn  cbenfo  wenig  bc= 
fät)igt  alö  toiCKg  baju.  SBcnn  nun  ber  SJertrctcr  einer  neuen  ®c^ 
jammtanfc^auung  fic^  barauf  einläßt,  aDen  folc^en  fragmentari^ 
f(^en  Slnfcc^tungcn  SRebe  ju  fte^en,  fo  begiebt  er  fid)  in  bic  ®efa^r, 
feinen  ffirtpcrb,  bcffen  SEBert^  in  ber  Xotalität  feiner  Slui^prägung 
befte^t,  in  lauter  (Sinjcl^citen  ju  jcrfplittern,  ttjclc^c  ate  folc^e 
i^rc  S3eiicl)ung  jum  ©anjen  nic^t  beutlid^  crfennen  laffen.  Sut^cr 
aber  trat  überhaupt  in  ben  ^ampf  um  feine  üon  ber  hergebrachten 
SKeinung  abn^eic^enbe  Ucberjeugung,  noc^  e^e  er  bie  neue  Sio^ 
talanfd^auung  uon  Sl^riftent^um  al^  folc^c  für  fid^  fctbft  fcftge^ 
ftellt  unb  gegliebcrt  ^atte.  ®r  ließ  fic^  üon  feinen  ©cgnern  ben 
©treit  um  lauter  Sinjel^citcn  aufnöt^igeu,  unb  l^at  benfelben 
auc^  niemals  burd)  eine  f^ftematifc^e  SluSfü^rung  feiner  äuffaffung 
be^  (Süangcliumd  cumpenfirt.  ^^elanc^t^on  gar  ^at  überhaupt 
nur  baö  lodEcre  ©c^ema  ber  Loci  theologici  ju  öerwenben  öcr- 


1)  «.  tt.  D.  ©.  89. 


85 

mo^t,  toclä)t  ba«  (Scgcnt^cil  eine^  tI)eoIogifd^cn  ©t)ftein«  bilbcn. 
Unb  cnblic^  in  ber  Stufl^burgifc^en  ßonfcffion,  fo  fc^r  ftc^  il^rc 
Haltung  ju  i^rcm  SSortfieil  bon  beii  ?ßrit)Qtfclöriftcii  ber  SReformo* 
torcn  untcrfd)ctbct,  ift  bie  3"fonimcii[)an8lofiflfcit  ber  ctnjelncn 
ftrcitiflcn  Seigren  unb  3nftitutioncn  mit  ^änbcn  ju  greifen.  Ate 
Eümpcnbium  ber  ftreitigen  Sc^rcn  bient  biefc  SRec^t^grunblaflc 
ber  neuen  ^rc^e  eben  baju,  ba§  ia^  ©lement  ber  ©c^ule  in  i()r 
öon  Anfang  an  ein  Uebcrgett)ic^t  über  bie  anbcren  not^tt^enbigen 
Functionen  belommen  Ijat.  S)iefcr  Umftanb  ift  jeboc^  burd^  eine 
anbere  JRücffic^t  nod)  üerftärft  ttjorben.  Um  bie  eüangelifd^e 
Sirene  ate  bie  fat^uüfc^e  uor  ft^aifer  unb  9leic^  }U  (egitimiren, 
^at  9J{eland^t^on  n)ie  fintier  ben  alten  S3efenntniffen  ein  ^anpU 
getDic^t  beigelegt  unb  i^nen  fogar  ben  SBortritt  Dor  ber  neuen 
2)eutung  ber  beneficia  Christi  öerlie^cn").  9lun  n^ar  bie  nicä^ 
nifc^e  Slu^prägung  ber  fiepte  Don  ber  $erfou  S^rifti  urfprfinglic^ 
für  bie  gricd^ifd^e  Sirene  birect  ))raftifc^  unb  SScljifel  ber  i^r  eigen:* 
t^fimlic^en  9[nfd)auung  üom  ^cite  gen^efen.  ^ber  fc^on  ffir  bie 
lateinifd^e  Sirene  bei^  9J{ittelalterS  tvax  j[ene  ^ormel  nic^t  mel^r 
ber  birecte  9Ka§ftab  beö  ^eitebett)U§tfcin^,  mar  öielme^r  in  jener 
(S))oc^e  jjum  SBcfife  ber  ©c^ule  geworben,  meld)er  ba^  Icbcnbigc 
3ntereffe  ber  grömmigleit  bcö  ÜJiittelalterö  nid^t  mcl^r  bedte. 
gür  bie  Sieformation  gilt  baffclbe.  Ober  Sutl^er  tonnte  fic^  für 
jene^  3)ogma  nur  Darum  perfönlic^  intereffircn,  »eil  er  cö  um« 
beutete  unb  feine  Äuffaffung  ber  Siebe  unb  ©nabe  ©otteg  in 
E^riftud  ber  gormcl  üon  ben  beiben  Staturen  unterfd^ob.  gür 
SKelanc^tl^on  aber,  welcher  in  bicfer  ^infic^t  ben  Ion  für  bie 
Slo^folgcr  angab,  ift  bie  Se^re  oon  ber  ?ßerfon  S^rifti  unb  ber 
Irinität  nur  ein  ^arteö  Problem  ber  ©c^ule,  ba^  er  birect  für 
bog  proteftantifc^e  ^eitebemugtfcin  nid^t  ju  üenoertticn  oerftanb*). 
©ollte  alfo  bie  eoangclifc^e  Stird)e  il)re  ffijiftenj  unb  i^r  SRcc^t 
an  biefe  unüerftänblid)  geworbene  Seigre  fnüpfen,  fo  ift  aud^ 
barum  baS  (Element  ber  ©d^ule  aU  ©runbbebingung  bed  pro- 
teftantifc^en  Äird^enmefcnö  anerfannt. 

Auf  biefem  SBege,  burc^  bie  Hemmungen,  mel^c  bie  beutfc^e 
Steformation  oon  ben  t^eologifc^cn  ©egnern  unb  Don  ben  poli« 
tifc^en  Slnfprüc^en  bed  ^eiligen  Steid^ed  erfuhr,  ift  bie  fc^ulmägigc 


1)  «.  tt.  O.  6.  81. 

2)  fU  a.  O.  6.  68. 


86 

lEtnfcl^ränhing  bcd  ^eitöbetDugtfeinS  in  ber  (ut^erifd^en  ^ird^e  ju 
crf lärcn.  ^tcburd^  ift  biefclbc  ba^in  flefü()rt  tDorbcn,  i^r  ©clbft^ 
betDugtfein  nur  in  einer  Steige  Don  Se^rfä^en  f unbiugeben,  an- 
ftatt  eine  praltifd^e  unb  jn^edmägig  gegtiebertc  Xotalanfc^auung 
aufjufteDen.  ^aju  n)trft  aber  nod^  gan}  befunberd  bie  mangeU 
^afte  ttjiffenfd^aftticl^e  SJi^pofition,  welche  an  bcn  3;t)coIogen  beS 
16.  Sal^r^unbertd  unter  bem  SSorgang  Don  9J2eIanc^t^on  beobad^tet 
n)erben  mug.  @ie  befielet  in  ber  Unfä^igfeit  ober  Ungeneigt^eit, 
einmal  bie  c^riftlidlje  JReligion  auf  i^ren  üoQftänbigen  Qtocd  an= 
jufe^en,  unb  bann  bie  ^ett  mit  @ott  unb  bem  äRenfc^en  ala 
bie  brei  fünfte  feftjuftellen,  burd)  welche  ber  Ärei^lauf  berÄeli* 
gton  erft  DoQftänbig  angefd^aut  unb  bem  SSerftänbniffe  eröffnet 
n^irb.  (Es  ift  gerabeju  auffaDenb,  bag  in  bem  vierten  ^rtifel 
ber  ?lugi^burgifd^en  Sonfeffion  fein  ))raftifd^er  Q^cd  ber  Äcd^t* 
fertigung  aud  bem  ®(aubcn  angegeben  n)irb.  Slber  xomn  man 
ftc^  benfelben  nac^  anberer  Einleitung  ali^  bie  ©eligfeit,  unb  jmar 
ate  bie  gegenwärtig  ju  erfal^renbe,  beutet,  tt)ie  fann  benn  bicfelbe 
eigent^fimlic^  eDangelif^  üerftanben  n)erben,  xomn  man  nid^t  bie 
SBeltfteQung  bed  ©laubigen  babei  in  Itnfd^lag  bringt?  8Dein 
biefer  Umftanb  n)irb  eben  niemals  atö  t^eologifd^e  9lorm  geltenb 
gemad^t.  äBaS  ber  ßn^edt  ber  9ied)tfcrtigung  aud  bem  ©tauben 
ift,  nämlid^  bie  Sicherung  beiü  menf^lic^en  ©elbftgefü^fö  burc^ 
bie  ^orfe^ung  ©otteS  gegenüber  ber  S93elt,  fann  man  an  ber 
$anb  biefer  5Rorm  fe^r  leicht  auö  ber  Äug^burgifd^en  (Sonfeffion 
nac^ttjeifen.  Allein  für  bie  Si^eologen  be^  16.  3a^r^unbert^  tt)ar 
biefe  not^ttjcnbige  Setrad^tungött)eife  eigentlid^  verborgen.  SBeil 
fte  alfo  nid^t  im  @tanbe  n)aren,  bie  praftifc^e  äBeltanfd^auung 
beiS  ^rotcftantiömu^  aU  fold^e  unter  ben  bejeic^neten  ©efid^ti^ 
fünften  flar  ju  ftcllen,  fo  blieben  bie  einjelnen  Se^ren  in  ber 
fc^ulmägigen  3<^^fp(itterung,  unb  bienten  beiS^alb  nic^t  jur  n^irt^ 
lid^en  Siegelung  be^  d^rtftlic^en  £ebend,  n)enn  fie  nic^t  berfelben 
gar  ©(^tt)ierigfeiten  bereiteten.  S)ie  birecte  SSerfe^rung  ber  eöan* 
gelifd^en  Se^re  burc^  bie  ©c^ult^eologie  ^at  aber  3o^.  ©erwarb 
herbeigeführt,  inbem  er  nai^  ber  übel  gen^ä^lten  jlorm  öon 
X^omad  Don  |[quino  bie  fogenannte  natürlid^e  {Religion  ober 
X^eologie  aboptirte,  unb  ben  ©lauben  an  ©otteS  SSorfe^ung, 
biefe  fpecififc^e  $robe  unfcrcr  SSerfö^nung  mit  ©Ott  burc^  Sl^riftu^, 
für  eine  Ueberjcugung  natürli^er  ^erfunft  erflärte.  3d^  ^öbe 
anbenoärt^  barauf  oenoiefen,   bag  bie  lut^erifd^en  SlSfetifer  bie 


87 

SBa^rl^ctt  aufredet  erl^alten  ^aOen  ^),  todäjc  bic  Slad^folflcr  üon 
3o^.  ®crl)arb  in  t^rcr  ancrfanntcn  JRc^tgläubigfeit  unter  bcn 
©d)cffel  flcfteDt  ^abcn.  greilii^  anä)  bei  bcn  il^eolüflcn  bicfer 
3eit  ift  bic  SBirlung  bcö  ^cilögloubcn^  auf  bic  ©tcUung  ber 
©laubigen  jur  SBelt  nic^t  ()änjlici5  t^crfd^oQen ;'  aDein  fie  fommt 
nic6t  in  crftcr  Sinic  in  Sctrad^t.  ©in  älterer  ß^itgenoffe  ©cr^* 
^arb'«,  granj  Satbuin,  $rofc[[or  in  SBittcnbcrg  1605—27,  fteOt 
in  feiner  SafuiftiC  bic  $rage:  cum  inter  ea,  quibus  animus  ho- 
minis excolitur,  prima  sit  fides,  quaeritur,  quae  circa  hunc 
animi  cultum  consideranda  sint?  unb  giebt  a(S  Sennseid^en, 
ex  quibus  coUigere  possumua,  animum  hominis  vera  fide 
excultum  esse,  jmar  juerft  bic  begicitenbe  Siebe  an,  aber  Uiciter:' 
t)in  2.  bic  ßuberftc^t  in  S93ibcrn)ärtigfeitcn,  5.  ba^  @cbet,  n)eld^cd 
auf  bic  lErfäDung  bcffcn  red)net,  toa^  bcm  göttUd^cn  SBiDen  ge^ 
mo§  ift,  6.  bic  gcftigicit  ber  Hoffnung  in  ber  3^it  bcr  SScrjögc* 
rung  ber  ^ulfc  *).  S)ajtt)ifd&en  treten  aber  3.  bic  3)cmüt^igung 
gegen  ©Ott  unb  \>cn  Släc^ftcn,  4.  bag  SSefenntnig  bcö®Iauben8; 
man  fte^t  a(fo,  bag  au(^  bicfer  X^cijlog  nic^t  bic  Dolle  93cbeu^ 
tung  bed  @[aubenS  für  bic  äBcItftcQung  bc!^  ©laubigen  erfannt 
^at.  Unb  obglcid^  er  aud  bcn  S3cifpielen  2)aDib'S  unb  ^iob'd  bic 
einfielt  fc^öpft,  bag  baS  ©ottücrtrauen  alle  SBogen  bed  Unglüdtd 
überroinbct,  fo  rcd^net  er  bod^  nic^t  regelmäßig  auf  biefc  58e* 
Währung  feiner  ©täric,  inbcm  er  cntfc^ulbigenb  l^injufcfet,  bag 
ber  ©taube  in  äl^nlic^cn  Sagen  oft  fc^n)ad|),  aber  bann  aud^  in 
feiner  ©d^mäc^c  no(^  richtiger  ©laubc  ift.  (£^  fam  aber  boc^ 
luol^l  mel^r  barauf  an,  in  biefem  %aü  bcn  ©lauben  jum  ftarfcn 
Sertraucn  auf  ©ott  ju  ermuntern,  als  i^m  in  feiner  ®6fio&ä)c 
bic  ©cioä^r  formaler  SRic^tigfcit  ju  Iciftcn !  3)a§  ift  eben  nic^t  bic 
praftifc^c,  fonbcrn  bic  fd^ulmäßige  ©ctrad^tungömcifc;  mit  berfclbcn 
tt)irb  nur  ber  ©d)lafff)cit  SSorfc^ub  gclciftet.  ®enn  tDcnn  bcr 
©loubc,  »clever  bic  ^Rechtfertigung  burdj  Sl)riftuS  erfätirt,  JBcr^ 
trauen  (fiducia)  auf  ©Ott  fein  mu^,  um  bcn  Srfolg  beS  IrofteS 
unb  bcr  ©etDiffendbcrul)igung,  b.  f).  bic  ^crftcüung  beS  ©elbft^ 
gefill)U  aud  ber  Dorl^ergcgangenen  Unfic^cr^eit  ju  gewinnen »),  fo 


1)  Seigre  bon  ber  Sted^tfertigung  unb  iSet{5(nung  III.  S.  158. 

2)  Do   casibus   conscientiae.     Opus   posthumum.  Francof.  ad.  M. 
1654.     P.  670. 

3)  ApoL  C.  A.  III.  §  178—184. 


•    88 

• 

tft  biefer  B^f^^^^  ü6cr]^au))t  nid^t  anfd^aulic^,  totnn  nx6)i  bad 
JBcrtrauen  auf  @ott  bcr  Sage  in  ber  S33clt  cntgcgcngcfe^t  toirb, 
rodele  bic  Unfid^er^ctt  bc^  ©elbftgcfü^Iö  bcbiitßt. 

3)icfe  atnfc^QuIid^fcit  unb  ©eutUd^Icit  ift  für  bcn  ^Qupt* 
unb  @Srunbfa$  bcr  (ut^erifdien  {Reformation  Don  Anfang  an  ni^t 
erreicht  toorbcn.  hingegen  ift  bie  ©arfteüung  bc§  Begriffe  Dom 
stauben  burd^  (Sabin  möglic^ft  DoQfommen,  inbem  er  fic^  n^ie  bei 
ben  anberen  ©liebern  ber  §eil8orbnung,  fo  aud^  l^ier  ate  ben 
umftd^tigften  3ntcr))rctcn  Sutl)er'^  betDö^rt.  SBenn  man  auö  ben 
Derfd^iebenen  Slnfä^en  jur  Definition  be^  9ied^tfertigungi^g(au6en^, 
bie  er  nad^  einanber  vornimmt,  ba^  ©anje  jafammenfagt,  fo  ift 
ber  ©taube  bie  burd^  baö  ©efü^l  öon  bem  SBert^e  ber  erlannten 
@nabe  ©otte^  in  ß^riftuö  vermittelte  affectöoDe,  alfo  ))erfönlid^c 
Ueberjeugung  ^).  3Ran  barf  namentlich  ba^  le^te  @(ieb  W  an« 
geführten  ©ä^e  nid^t  fo  üerfteF)en,  ate  ob  bie  fiducia  nur  ate 
eine  Folgerung  auS  bem  ©lauben  gemeint  fei.  Die  SlMcitung 
be^  Vertrauend  aud  bem  ©tauben  burd^  ben  ^oftel  meint  (S.aU 
Diu  ol^ne  B^^^f^l  ölö  anal^tifdiciJ  Urtfteil.  Denn  er  erKärt  nur 
ben  ffir  n)ir!Iic^  gläubig,  todä^cx  biefed  SBcrtrauen  auf  ©Ott  auc^ 
ben  Uebeln  in  ber  SBelt  entgegenfe^t,  unb  ed  auf  alle  Don  ©Ott 
ju  ern^artenben  ©aben  beS  £ebcnd  ausbreitet  ^).     @oOte  man 

1)  Inst.  ehr.  rel.  III.  2,  §  7.  Nunc  iasta  fidei  definitio  nobis  con- 
stabit,  bI  dicamus  esse  divinae  erga  nos  benevolentiae  firmam 
c  er  tarn  qua  cognitionem,  qaae  gratuitae  in  Christo  promissionis 
veritate  fundata  per  spiritum  sanctum  et  revelatur  mentibus  nostris  et 
cordibus  obsignatur.  §  8.  Assensionem  ipsam  iterum  repetam  cor- 
dis  esse  magis  quam  cerebri,  et  affectus  magis  quam  intelligentiae. 
Qua  ratione  obedientia  Yocatur  fidei.  §  14.  Cognitionem  non  intelli- 
gimus  coroprebensionem,  qualis  esse  solet  earum  rerum,  quae  sub  hu- 
manum  sensum  cadunt  ....  Sed  dum  persuasum  habet,  quod  non 
capit,  plus  ipsa  persuasionis  certitudine  intelligit,  quam  si  hu- 
manum  aliquid  sua  capacitate  perciperet  ....  Unde  statuimus,  fidei 
notitiam  certitudine  magis  quam  apprehensione  contineri.  §  15. 
Sensus  pleropborias,  quae  fidei  tribuitur  est,  nempe  qui  dei  bonitatem 
perspicue  nobis  propositam  extra  dubium  ponat.  Id  autem  fieri  ne- 
quit,  quin  eins  suavitatem  vere  sentiamus  et  experiamus  in 
nobis  ipsis.  Quare  apostolus  ex  fide  deducit  fiduciam  .  .  .  .Ostendit, 
non  esse  rectam  fidem,  nisi  cum  tranquillis  animis  audemus  nos  in 
conspectum  dei  sistere. 

2)  §  16.  In  summa,  vere  fidelis  non  est,  nisi  qui  solida  persua- 
sione  deum  sibi  propitium   benevolumque    patrem    esse   porsuasus,   de 


89 

nun  nic^t  cmartcn,  bafe  btcfc  gcftftcHung  bcn  %f)coloQm  ani 
Satotn'«  ©c^ulc  unöcrlicrbor  fi^  eingeprägt  f)ätte?  ®er  größte 
unter  benfelbcn,  (Stöbert  Soet,  1634—76  ?ßrofeffor  in  Utre^t, 
f^at  iebod^  n)ie  bie  ganje  SolDinifc^e  @d^ule  bie  Mucia  nic^t  in 
ben  93egriff  ber  fides  eingercd^net,  fonbern  ate  golge  bnüon 
untcrfc^iebcn ;  er  f)at  alfo  ben  ©afcSatmn'ö  in  §  15  ft)ntl^ctifd^ 
Dcrftanben.  S)cmgcmä6  fennt  er  bie  ^Regelung,  ttwld^e  bie  Stellung 
bc8  SRenfc^en  jur  SBelt  burd^  ben  ©lauben  erfährt,  auc^  nur  alö 
eine  Dom  @S(Quben  Derfd^iebenartige  9nn)enbung  beffctben.  3n 
ber  Disputation  de  praxi  fidel  *)  fommt  ber  ©egenftanb  üor  unter 
btn  actus  consequentes  fidem,  quos  operatur  non  in  se,  sed 
in  aliis  virtutibus  theologicis,  —  et  tales  sunt  actus  eliciti 
spei,  caritatis,  novae  obedientiae,  patientiae,  renovatae 
resipiscentiae.  Slber  anä)  nur  in  ber  angetpanbten  $orm  ber 
©ebulb,  nic^t  in  ber  be^  @ottt)crtraucnö  mad^t  er  geltenb,  bag  ber 
©laube  feine  Äraft  in  jeber  günftigcn  unb  n)ibrigen  SJebenölage, 
in  93erfu(^ung  unb  Zo\>  ben^ä^rt.  SBoet  olfo  fennt  bie  ©ad^e, 
auf  bie  eS  anfommt,  aber  er  tpürbigt  fie  nur  aU  einen  %nf|ang 
jum  @(auben  an  S^riftuS;  biefen  ]ebod^  beftimmt  er  ftetS  in  ber 
(Sinfc^ränfung  auf  ben  t^eoretifd^en  (Srfenntnigact  über  (SbtiftuS. 
ißSmlid^  in  ber  cat))inif(^«reformirten  ^irc^e  ift  bie  fd^uU 
mäßige  XrodEen^eit  aQer  religiöfen  (Srfenntniß  nid^t  geringer, 
fonbern  nod^  ftärfer  aufgetreten,  alö  in  ber  lutl^erifc^en.  Den 
Stnlag  baju  l^at  Saluin  felbft  tro^  feiner  oben  bargelegten  (Sin^ 
ft(^t  in  baiS  SBefen  bed  @(aubend  gegeben,  unb  j^oar  burc^  feine 
Erörterung  gegen  bie  fat{|oIifd)e  ßu^^ffung  ber  fides  implicita. 
Daß  man  o^ne  bie  Dogmen  ju  oerfte^en  bereit  ift,  aQed  ju 
glauben,  too^  bie  ßird^e  uorfdjreibt,  Denvirft  Sabin  auS  bem 
@irunbfa^,  baß  ber  @(aube  nic^t   in  Unmiffenl^eit,   fonbern  in 


eins  benignitate  omnia  sibi  pollicetur  ....  Fidelis,  inquam,  non  est, 
nisi  qui  suae  salutis  securitati  innixus,  diabolo  et  inorti  con- 
fidenter  insultet,  quomodo  ex  pracciaro  illo  Pauli  epiphoneinate 
(RoTD.  8,  88)  doGemur.  §  28.  In  divina  benevolentin,  qaam  respiccro 
dicttar  fides,  intelligimns  salutis  ac  vitae  aetemae  possessionem  obti- 
neri.  Nam  deo  propitio  nihil  boni  deesse  potest  ....  Deo  nobis  re- 
coooiliato  nihil  manet  periculi,  quin  omnia  nobis  bene  sucoedant.  Quare 
fides  promissiones  habet  vitae  praesentis  et  futurae,  solidamque  bo- 
noram  omnium  secaritatem. 

1)  Selectae  disputationes  Tom.  IL  p.  501. 


90 

6rfenntni§,  unb  jiuar  bcr  SScrfö^nung  burc^  ßl^riftu^  befielet »). 
3)ie[c  @rlcnntni§  alfo,  luic  er  fic  unter  ben  Äird^etiflcnoffen  ^er^^ 
beijufül^ren  ftrcbt,  foQ  au^^geiuidEclt,  bcutlidö,  bctaiHirt  fein,  fic 
foU  aug  einer  reflclmägiflcn  ficfung  ber  l^eiliflen  ©c^rift  fiQT\)ox^ 
flehen,  fic  foQ  über  einen  SBiffenöftoff  t)on  nid^t  geringem  Umfang 
üerfügen,  alfo  fd^ulmägig  genau  fein,  ßalüin  geftef)t  freilid^  ju, 
bafe  in  fielen  SBcjie^ungcn  ber  ©laube  bcr  ©l^riften  eingctoidelt 
bleiben  tücrbe;  t)iele§  bleibe  üerborgen  t)on  ben  gügungen  ©ottcö, 
unb  tjielc  ©teilen  ber  t)eiligen  ©d^rift  tofirben  nicl)t  uerftanben; 
l)iebci  lomme  eö  nur  barauf  an,  in  (£f)riftu§  ben  beften  Sc^rer 
anäuerlennen.  Stilein  biefeg  ßi^fl^^ftänbnig  ift  im  ©inne  ßabin'ö 
gleichgültig,  tuenn  man  baran  benft,  tucld^eS  l^o^c  iD^ag  religiöfen 
SBiffeng  er  t)or  SlHem  bei  feiner  Äird^engrünbung  üorauögefcfet 
unb  erftrebt  ^at.  ©o  tt)ic  er  in  ®enf  eintrat,  f)at  er  ben  bürgern 
jugcmutfiet,  ein  in  21  Sirtiteln  beftel^enbcg  Selcnntnig  ju  be^ 
fd^tüören.  3)ag  ift  jtüar  nidjt  burd^fü^rbar  getoefen.  Slber  um 
fo  eifriger  mar  fein  ©treben,  burd^  feinen  Äatedjiömu^  unb  bie 
öffentliche  Sated)ifation,  mit  ber  SlQen  auferlegten  Verpflichtung 
ber  I^eilna^mc  baran,  baöjenigc  in  bie  Äirdöenglieber  ju  pflanjen, 
xoa^  er  t)on  tjorn  l^crein  ju  ücrmiffen  fanb,  ein  fc^ulmäfeig  ge^ 
orbnctei^  SBiffen  t)on  ber  c^riftlid^en  Sc^rc.  Darum  be!am  auc^ 
in  feiner  Äirct)e  bie  inteHectucHc  Sebeutung  be^  ©taubcnö  fo  fe^r 
baiS  Uebergctoid^t,  baß  bie  praftifc^e  Ucbcrjeugung  oon  bem  gc^ 
tuugtcn  @laubcndin^alt  aldbalb  in  bie  ©tellung  cinci^  ^In^angS 
trat,  fo  notl)tücnbig  unb  tücrt^Uoll  berfelbe  audö  toar.  SBeun 
olfo  aud^  in  biefcm  ©cbietc  bcr  ©laubc  trodEcn  unb  fc^ulmafeig 
rourbe,  fo  liegt. bcr  Icfete  @runb  bafür  bod^  lieber  in  bem  85c^ 
bürfnife  bcr  Slbgrcuäung  gegen  ben  itat^olici^mu^.  Um  fid^  per« 
fönlidE)  üon  bem  fat()olifcl)cn  ©laubcn  ju  unterfd^eiben,  mugte  bcr 
SBiffen^ftoff  bcö  rcformirten  ©^ftcmö   oon  icbem  ©cmcinbcglicb 


1)  L.  c.  §  2.  Hoccine  crodere  est,  nihil  inielligere,  modo  seDSum 
tuum  obedienter  ecclesiae  submittas?  Non  in  ignoratioDe  sed  incog- 
nitione  sita  est  fides  ....  Nee  enim  ex  eo  salutem  consequimur,  quod 
parati  sumus  pro  vero  amplecti  quicquid  ecclesia  praescripserit,  sed  quando 
deum  agDoscimus  nobis  esse  propitium  patrem  reconciliatione  per 
Christum  facta,  Christum  vero  in  iustitiam,  sanctificationem  et  vitam 
nobis  datum.  §  3.  Fides  in  dei  et  Christi  cognitione,  non  in  eoolosiae 
reverentia  iacet. 


91 

angeeignet  ttjcrbcn.  S)Qbei  toarb  borauf  gered^nct,  ba§  bic  Uebcr:^ 
jeugung  mit  aßen  if)ren  prattifc^en  SBirfungen  nad^folgen  werbe. 
Selber  ift  nur  bic  pra!tifdE)c  Uebcrjeugung  nic£)t  not^tüenbig  au 
einen  no^  fo  rcid^en  SBcfift  überlieferten  SBiffenö  gcfnüpft.  3)e^:^ 
f)alb  ttjcrben  aud^  im  ©ebiet  beiS  Ealuini^muö  nad^  einigen  ®e^ 
nerationen  biefelben  Älagen  über  3)ürr^eit  unb  @eiftIofig!eit  be§ 
Su^ftabenglaubend  laut,  mie  in  ber  lut^erif^en  ^ir(4e. 

@ö  ift  jeboc^  intereffant,  ipic  120  Saläre  nac^  ßalt)in  ein 
nieberlänbifd^er  I^eolog,  ^ermann  SBitfiuö  ju  granefer  in  gric^ 
lanb  fid^  über  bic  ^rage  ber  fides  implicita  äußert  *).  S)iefcr 
SKann  t^eilt  nämlic^  cinerfeitS  bic  Älagc  über  bic  SSerfommen* 
^eit  unb  ®eift(oftg!eit  bci^  bud^ftäblid^en  Sl^riftentl^umig,  anberer« 
feit^  ift  er  weit  bat)on  entfernt,  bic  fd^ulmäßigc  3lu§prägung 
bclfelbcn  ju  unterfd^äftcn.  Snbem  er  aber  j;uglci(f)  $ßraftifer  im 
befonbern  @innc  ift,  tonnte  i^m  nid^t  entgelten,  ba^  bie  Unge^ 
bilbeten  im  intellectueQen  unb  im  d^riftlid^en  @inne  einen  reic^^ 
liefen  ®ebrauc^  t)on  ber  fides  implicita  machen.  Sr  red^tfertigt 
biefc  I^atfa^e  burc^  jluci  ©rünbe,  t)on  benen  ber  eine.lat^olifc^ 
geartet,  ber  anbere  eine  tt)eoretifc^e  ©elbfttäufc^ung  ift.  9iäm* 
Iid§  er  nimmt  erftenS  an,  baß  biefe  Slrt  t)on.  ©laubigen  im  Slll:= 
gemeinen  bie  l^eiligc  @d^rift  atö  bie  unfef)lbare  DueQc  aller 
not^mcnbigen  @laubeni^artifel  julaffen,  aud^  luenn  biefelben  nict)t 
ücrftanben  merben;  ilueitcnig  bag  fie  bie  $unbamentaln)at)r^eiten 
mit  9en)ugtfcin  feft^altcn,  aud  meldten  bie  übrigen  aU  notl^« 
wenbig  abgeleitet  toerbcn.  S33a^  biefen  Iroft  betrifft,  fo  ift  näm* 
Itc^  nid§t  einiufel^en,  luie  (Einem  $unbamentalma^rt)eitca  ju 
toilfen  frommen  lönne,  auö  loeld^en  Slnbere  bie  übrigen  not^^ 
menbigen  ©rlenntniffc  absuleiten  vermögen.  Unb  bod^  !ennt  aBit:= 
ftu^  ben  ^aQ,  nt  aliqnis,  cui  parcam  cognitionis  portionem 
admeosus  est  deas,  in  fide  tarnen  firmissimus  sit  ad 
martyrium  nsque.  SEßaS  leitet  er  barauS  ab'i  äJJan  bürfc 
barum  bod^  nid^t  bie  Untoiffenl)cit  für  bie. Duelle  be^  @laubenS 
unb  ber  grömmigfeit  l)altcn!  Unb  bic  ©ntfc^eibung?  SBaS  ber 
Gläubige  notl^mcnbig  loiffen  mug,  ift  im  Slllgemeincn  bie  gött- 
Iid§e  Äuctorität  ber  ©c^rift,  im  Scfonbcrn,  bag  er  fclbft  burc^  bie 
©ünbe  bem  loal^ren  Sebcn   in  @ott   entfrembct,  bag  ber  ^err 


y 


1)  Exercitationes    in    symbolum    apostolorum,      Franeker    1681, 
Exerc  III,  9.  10. 


92 

6f)rtftuS  \)oü  ®nobc  unb  SSa^rl^ctt  bog  e$  nöt^ig  fei,  mit 
S^riftitS  burc^  ben  ^eiligen  @cift  unb  ben  @lau6cn  Dereinigt  ju 
toerbcn,  nic^t  bloö  jur  SRedjtfcrtigung,  fonbern  and)  jur  Heiligung 
unb  ©rgebung  in  feine  ^errfd^aft.  Diefc^  Quantum  t^eorctifd^cr 
grienntnife  ift  alfo  bag  SWinimum  bc^  SBiffcn^  für  ben  ®täubi= 
gen!  3mcin  tt)ie  ift  bcnn  in  biefem  SBiffen  aud^  nur  ein  geringer 
®rab  üon  ©lauben^feftigfett  begrünbet,  toddj^  entfernt  üerglei^« 
bar  njäre  mit  bcm  @ntfd^lu§  jum  SWart^rium?  3ft  benn  bie  Slei^e 
ber  not^njenbigen  SBiffenöartifcI  auö  congruenten  Scftanbtl^eilen 
jufammengcfefet?  3(^  foQ  fpccicU  niiffen,  bag  id^  in  ber  ©ünbe 
üon  ©Ott  entfrembct  bin,  unb  bann  im  SlUgemeinen  bie  ®nabc 
in  Etiriftuö  unb  i^re  möglid^en  SBirfungcn  fennen!  3cner  fpecieQdt 
(Srlcnntniß  beS  Unniertl^c^  ber  eigenen  ©ünbe  muß  bod^  baS 
fpecieUc  ©clbft*  unb  8BcrtI)gcfüt)l,  bag  id^  troft  ber  ©ünbe  ein 
Siinb  ®otteg  bin,  i^injugefügt  n)erben;  o^nc  biefeö  f)at  aUe^reli- 
giöfe  SBiffen  leine  Sebeutung  für  ben  feften  ©tauben.  SBenn 
alfo  auf  biefem  ?ßunftc  eine  fides  implicita  jugeftanben  toerben 
foQ  unb  muß,  fonn  man  fie  bann  in  einem  anbcm  ©afcc  jtoerf* 
mäßig  auöbrüdten,  alö  baß  benen,  n)eld)c  in  ber  d^riftlid^en  @e* 
meinbe  @ott  lieben,  afleö  jum  Scften  bienen  muß?  S)iefe  ©r* 
fenntniß  ift  aud^  nur  nad^nieidbar  aU  perfönlic^e  Ueberjeugung, 
unb  in  biefem  gaU  alö  bie  praftifc^e  SBelt«  unb  Sebenöanfc^au* 
ung,  ujelc^e  gerabe  burc^  K^riftug  Vermittelt  ift.  5)aß  bicfe  ©pifte 
nid^t  entbedEt  tt)irb,  aud^  inbem  man  längft  ben  SBiffenSglauben 
afö  unjureid^cnb  crfannt  l)at,  ift  bie  fd^lagenbfte  Seftätigung 
batjon,  baß  aud^  bie  reformirte  Äirc^e  an  ber  SHa^giebigfeit  gegen 
ben  SnteQectualiömug  fc^ujcr  litt  unb  in  biefer  ^infidjt  ber  8*e^ 
form  bebürftig  toar. 

3)iefcr  burd)  bie  Umftänbe  l)erbeigefüt)rte  gelter  ujürbe  fid) 
aber  nic^t  fo  feftgefeftt  l)aben,  n)ic  eg  gefd^e^cn  ift,  toenn  nic^t 
bie  äJienfd^en  bcö  SReformation^jalir^unbert^  mit  einer  eigcntpm* 
Jid^  bef darauf ten  geiftigen  Di^pofttion  bel)aftct  getoefen  wären. 
3c^  meine  bie  Unbelanntfdöaft  mit  bem  @efüf)l  im  StUgemcinen 
unb  mit  feinen  Söcbingungcn  unb  Sejie^ungen  im  geiftigen  Seben. 
5)ie  SRenfc^en  jener  3cit  frcilid)  Ijabcn  gefüllt,  ^aben  fid^  aud) 
im  religiöfcn  iJeben  burd^  2uft  unb  Unluft  in  Scroegung  fefecn 
laffen;  aber  baß  bie  ©eele  neben  ©rlennen  unb  Segcl^ren  eine 
britte  eigentümliche  ^^unction  ausübe,  bleibt  berborgen.  ©ogar 
ein  pietiftifc^er  ©^riftftcller  bcö  17.  Sal^r^unberti^,  ßobenfte^n. 


93 

tocl^er  bog  ©cffil^I  ftorl  in  Änfprud^  nimmt,  toeiß  bod^  nur  t)Ott 
SScrftanb  unb  SBiUcn  qU  bcm  ©^ema  bcr  geiftigen  SBirfungcn. 
3m  16.  Sal^rl^unbcrt  aber  fd^cint  bcr  ?ßroteftanti^muö  für  ba^ 
rcligiöfc  ©cfü^t  überhaupt  nic^t  fc^r  bi^ponirt  gcroefcn  ju  fein. 
Slud^  bic  %^Ut\t  fül^rt  bamate,  tvk  ©tep^an  ?ßraetoriu^'  @eift* 
lic^e  ©^aftfammer  berocift  eine  fteife  boctrinäre  SRebe.  ffi«  fte^t 
faft  fo  au^,  alö  ob  ber  ?ßroteftanti^muö,  tnbcm  er  bog  Siloftcr* 
leben  aufgab,  fic^  ben  d^S^i^S  h^  ^^^  Uebung  beS  bort  l^eimifd^ 
genjcfenen  religiöfen  @efüt)l^  üerfperrt  l^ätte.  Ober  toax  baffelbe 
in  3)eutf^tanb  auc^  fc^on  im  15.  Sal^rl^unbert  öertrodEnet?  Jiurj 
ba  man  im  Greife  ber  9leformatii)n  ber  allgemeinen  Slufmerffam^ 
feit  unb  bcr  rid^tigen  ©d^äftung  be^  ®efüt)lölebcng  entbehrte,  fo 
ift  bie  boctrinäre  ©arfteßung  ber  {Religion  unb  i()re  auöfd^licß« 
lic^e  ©eltung  im  16.  3a^r^unbert  um  fo  uerftänblid^er. 

Sllfo  in  ber  bloS  UerftanbcSmägigen  ^luSprägung  ber 
Acoren  be§  (Suangelium^  n)irb  bic  ber  SRcformation  entfpred^enbc 
Xotalanfc^auung  beS  6^t)riftent()umS  no^  nid^t  jum  entfprec^enben 
äu^brudf  gebrad^t,  f onbern  einerfeitö  gcrfplittcrt,  anbererfeitS  t)er« 
^üHt  unb  befc^attet.  3n  biefer  boctrinären  Sluffaffung  be^ 
Glaubend,  toclc^c  man  ber  fat^oUfd^en  fides  implicita  entgegen« 
fcftte,  Übte  man  boc^  aud^  nur  eine  anbere  Art  t)on  fides  impli- 
cita. S)aS  perfönlid^c  ©clbftgcfül)!  bc^  ©ottöcrtrauenö,  toelc^cig 
bie  $robe  bcr  SSerjö^nung  burc^  St)riftud  ift,  befag  man  nid^t 
in  bcr  beutlic^en  ©rfcnntnife  feiner  Art  unb  feinet  SBcrt^cg,  fon« 
bcrn  nur  cingen)icfdt  in  bcm  ^odjgcfü^I  beö  93eftfec3  bcr  reinen 
ßc^rc,  ober  im  beffern  gaUc  ate  einen  2lnt)ang  ju  ber  tcfetern. 
2)cr  ^roteftantiömug  ift  jcfet  fo  tvdt  in  feiner  ®igentt)ümlid^feit 
erfennbar,  bag  faft  Siflc,  bie  fic^  ju  i^m  red^nen,  in  feiner 
urfprfing(td)cn  (Erfd^einung  eine  SSerfümmerung  ober  eine  fOli^^ 
btlbung  erfennen.  ^üc&,  toa^  pietiftifd^  unb  rationaliftifc^  ift, 
ftimmt  in  bie  fem  Urt^eil  überein;  unb  befanntlic^  finb  aud) 
bieienigen,  bcren  Sbcal  oorgeblic^  in  ber  Drtt)obojic  be§  16.  unb 
17.  3a^r^unbertS  befte^t,  ju  tief  bnrd^brungcn  Don  ^icti^mud 
unb  9tationaIi^mu^,  als  bag  fte  nic^t  bie  fc^ulmägige  Einengung 
bcr  Sleformation  in  jener  Spod^c  rügten,  allein  id^  meine  biefe 
Setrad^tung  bur^  bie  entgegengefc^te  crganjen  ju  bürfcn,  bag 
bte  t)erftanbcdmägigc  Sinfd^rftnfung  bed  ^roteftantiSmud,  n^clc^e 
ben  Umftänben  gemäg  unDcrmciblid^  war,  bcnfclben  Umftänben 
gemfil  nio§It§ättg  unb  für  bie  Sr^altung  bcr  SVeformation  }toctf« 


94 

mägig  tDor.  Sie  boctrtnäre  (Sincnc)unc)  ber  iReformatipn  möi^te  i^ 
bcn  Äcimblättd^en  einer  .^ßflanjc  üerflleic^n,  toelc^c  fo  lanjc  ba 
fein  muffen,  bi§  bic  ffir  baig  Sebcn  bcv  ^flanje  not^ttjenbigen 
eigent^ämlid^en  Glättet  gebilbet  unb  hervorgetreten  finb.  2)ie 
Äeimblättdjen  l^abcn  nid^t  ben  X^puig  ber  ber  ^ßflonjc  »cfent* 
lid^en  Slättcr,  fonbern  cntfprec^en  ben  Umftönben,  unter  bcnen 
ein  ©ame  fcimfä^ig  ift.  3nt  SSergleic^  mit  ben  cigcnttid^en 
Slättcru  ber  ^flanje  erfd^eincn  fic  öerfümmcrt  ober  miggebilbet, 
aber  fte  finb  ^ugleid^  unentbehrlich  unb,  tool^ltI)ätig  für  bie  erftc 
(Epod^e  bcd  £cben$  ber  $flanjc.  S^  toiQ  Snbcren  ba§  Urt^eil 
fiberlaffen,  ob  ber  ?ßietiömu^  unb  ber  {Rationalismus  fold^e  Dr* 
gane  bcS  $ßroteftantiSmuö  finb,  tt?eldE)e  feiner  Seftimmuug  ebenfo 
entfpred^en,  tt)ie  bie  Slätter  ber  beftimmten  Art  bon  5ßflanje;  baS 
S3eftreben  ber  Eonfeffioneüen  aber  l^at  ben  ©inn,  ba§  bic  ?ßflanjc 
beS  ^roteftantiSmuS  immer  nur  mit  mobificirtcn  Keimblättern 
ejiftircn  foU.  9iun  baS  finb  SSerglcid^ungcn,  bie  nur  in  be* 
ftimmtcn  ©rcnjcn  trcffenb  finb.  3)er  $ßroteftanti§muö  aU  gc^ 
meinfamc  geiftige  JRid^tung  ift  bis  jefet  nod^  uic^t  ju  ©runbe  qc^ 
gangen,  tocnn  er  auc^  nod^  nid^t  feine  cntfprcc^enbc  Crganifation 
^eruorgebra^t  ^at,  fonbern  auf  feine  urfprünglid^e  Einengung 
miebcr  anberc  8Ser!ümmerungcn  gefolgt  finb. 

3n  biefcr  Sejie^ung  fönnen  ©eftalten  beS  gciftigen  ©cmcin« 
lebenS  me^r  ertragen  als  bic  @ebilbe  ber  organifc^en  9latur.  (£S 
ift  uielme^r  eine  JRcgcI,  tocld^e  immer  beobachtet  loirb,  bafe  neue 
cigent^ümlic^e  eintriebe  Don  bcn  iD^enf^cn  nid^t  birect  unb  in 
i^rer  ganjen  unb  reinen  gfillc  angeeignet  loerben,  foubem  immer 
nur  fo,  ba§  gctt)ot)nte  Antriebe  unb  l^ergcbra^te  Siormen  in  irgcnb 
einer  SSerbinbung  mit  bem  neuen  antriebe  fortn)irfcn.  ©olc^c 
Sompromiffe  beS  bleuen  mit  bem  Sitten  mögen  in  ber  t^olge  noc^ 
fo  unlogifcl)  unb  unerträglid^  erfd^cinen;  für  bic  üJienfd^cn,  bie 
cS  junäd^ft  angebt,  finb  fic  nic^t  bloS  möglid^,  fonbern  gerabe 
praftifd^,  toeil  fic  biejenige  Kontinuität  beS  gciftigen  SebenS  oer- 
bürgen,  bereu  bic  SSiclI^eit  ber  SDienfd^cn  nid^t  fc^eint  cntbel^ren 
}u  !önncn.  Scr  (Sinjcinc  f)at  feine  Kontinuität,  au^  toenn  fein 
Seben  bur^  Sntbedtung  einer  neuen  SebenSric^tung  ober  burc^ 
93e!c^rung  einen  ScbenSin^alt  gen)innt,  ber  ber  frühem  Stic^tung 
gerabe  cntgcgengefefet  ift.  3)ie  äWaffen,  toelc^e  nid^t  geiftig  pro* 
buctit),  fonbern  l^öc^ftcnS  in  abgeftuftem  ®rabe  empfänglid^  finb, 
fönnen  für  etioaS  SRcucS  ni^t  geioonnen  ttjcrbcn,  toenn  nid^t  gu^ 


95 

nS^ft  Sccommobatiimcn  an  bad  Site  ober  atfidbilbiingcn  bed 
Sllteti  in  bo^  iReue  emtteten.  2)tf  äRaffe  btr  blöd  (Sinpfangltc^n 
loürbc  corrumpirt  loerben,  loenn  fie  ben  8nic^  im  gciftigen  Scbcn 
in  DoQer  Steinzeit  unb  ytadtf^cit  erfahren  mfigte.  Sd  fonimt  nur 
nacl^cr  barauf  an,  bafi  bicfeSompromiffc  nic^t  loieba  aU  c^nmirbigc 
Orbnungen  ftjirt  votibtu  foOen,  loenn  ftc  i^re  urfprfingli^e  @el^ 
tung  Derlorcn  l^aben  unb  im  begriff  finb  abgeflogen  ju  n)erben. 
@o(^e  Slutfbilbnngen  finb  nun  ouc^  in  ben  Derfc^iebenen 
3toeigen  beiS  ^roteftontismud  eingetrden.  3n  ber  lut^erijd^n 
$ir(^e  gel^drt  unter  biefen  ©eftd^tdpunft  baS  ^eic^tinftitut,  melc^ed 
nur  eine  aRobificotion  bed  fat^olifc^en  SugfacramenteS  ift  unb 
mie  biefei^  bie  ^eftimmung  ^t,  bie  äRaffen  bie  ftttlic^religiofe 
SluctoritQt  ber  Sirene  empfinben  ju  laffen,  bie  fie  auc^  im  $ro- 
teftantidmud  beburfen.  Ob  biefer  Qtfxd  hnxd)  jenes  äRittel  xdixU 
lic^  in  toünf^endn)ert^em  Umfange  erreicht  niorben  ift,  l^at  be^ 
fanntlicl  ber  ^ictidmud  in  ß^'M  gcjogen.  SlQerbingd  pagt 
biefed  Snftitut  nic^t  jur  proteftantifc^en  @eltung  ber  9iec^t^ 
fertigungdle^re.  ^enn  bie  Seic^tüor^ttung  .  brätft  immer  ben 
@ebanfen  an^,  bag  bie  Snnal^me  ber  äRenfc^en  bur^  @oii 
eigentlid^  unb  ber  SVegel  nad^  üon  beren  guten  SSerfen  abl^ange, 
unb  t)on  ber  ®ünbent)ergebung  nur  atö  Surrogat,  n^eil  bie  guten 
SEBerfe  mangell^aft  finb.  ®o  fommt  in  biefem  ßufammenl^ange 
bie  @unbent)ergebung  U)ie  im  &at()olicidmud  nur  als  bie  ^n^^ 
na^me  jur  Sntuenbung;  proteftantifd^  aber  ^at  fie  boc^  ben 
SEBert^  aU  bie  regelmägige  @runblage  beS  gemeinf(^aftUc^en  unb 
be!^  perfönlic^en  religiöfen  Scbend.  SlOein  n)ie  bem  aud^  fei,  biefe 
Stutfbilbung  eines  fat^olifd^en  SnftituteS  in  ber  lut^erifd^en 
Jtirc^c  ift  im  16.  unb  17.  3al^r()unbert  populär  gemefen,  unb 
n)a^rfc^ein(i^  fein  ^inbernig  für  bie  Sinlebung  ber  SRaffen  in 
bie  Aufgaben  beS  $ßroteftantiSmuS.  3n  ber  reformirtcn  Ifird^e 
befte^t  biefe  Einrichtung  nic^t.  9)iefer  Umftanb  loirb  nun  neben 
anbercn  3)ingen  getoö^nlic^  ju  bem  Urtl^eil  octtocrttjet,  bag  bie 
caloinifc^^reformirte  Sird^e  an  8leinf)cit  beS  proteftantif^cn  &c^ 
präget  bie  l^albfal^olifc^  gebliebene  lutt)erifc^e  n^eit  überflügele. 
S)as  ift  ber  ©inn  beS  litelö  „unfcrcr  nac^  ©otteS  SEBort  refor* 
mirten  Äirc^e"  gegen  bie  nac^  ©otteS  SBort,  aber  auc^  nad^  ben 
Kücfftc^ten  auf  baS  ^eilige  rdmifc^e  Steid^  unb  bie  ®etoot)nl^eiten 
bcd  ,,groben  gemeinen  SRanneS"  reformirten  lut^erifc^en.  SRun 
biefer  Sbt^m  ift  nid^t  ganj  fein.    S)enn  jener  Xitel  ^at  bie  93e' 


96 

beutung,  bag  ber  Sabini^muS  in  SSerfaffung  unb  in  ti)e(tf(fld^^ 
tigcr  ©ittc  bic  primitive  Äird^c  fo  tocit  copiren  tuill,  ote  c^  feine 
gjiftenä  im  Staate  juläfet  (©.  76).  Slllerbing^  gegen  aOe  SnftU 
tute  unb  Sultudformen  ber  mittelaltrigen  Sirene  uer^ält  ftc^  ber 
SatuintSmuS  au^fd^liegenb;  aber  mit  £utl^er'd  ©runbfä^en  l^at 
eben  Sabin  bie  IKufgabe  ber  n)eltflü(^tig  ^eiligen  ©emeinbe, 
[o  tt)eit  eg  im  ©taate  mögtidE)  njar,  öerbunbcn.  Diefe  Aufgabe 
nun  entfprid^t,  tt)ic  eö  bie  S33iebertäuferei  funbgicbt,  bem  Sleform» 
trieb,  toelc^er  beim  Slui^gange  be^  SWittelalterS  in  ben  SSoItemaffen 
lebte,  ^urd^  bie  perfönlic^e  ^uffaffung  biefed  (Elemente^  unb 
beffen  (Etnuerleibung  in  feine  ^rd^enbilbung  l^at  Sabin  biefer 
eine  SSSiberftanbotraft  t)erlie^en,  njclc^e  bem  Sutl^ertt)um  nici^t 
eigen  toax,  Wim  hierin  liegt  bod)  nur  eine  SVücfbilbung  bed 
mittelaltrigen  SRcformation^ibeaU  in  baö  ©ebiet  ber  Sflefor* 
mation  Sutl^er'ö  uor.  3n  bem  ßabiniämu^  alfo  finb  frembartige 
demente  in  größerem  Umfange  mit  einanber  toerbunben,  alö  in 
bem  Dorgeblic^  ^aibfat()olifd^  gebliebenen  £ut^ert()um.  Sie  Sfte:: 
formbebürftigfeit  ber  beiben  Steige  beg  ?ßroteftantiömu^  ift  nun 
gemeinfam  in  ^infid^t  ber  boctrinären  ©inengung  beS  ©laubend:^ 
bemufetfeinö,  uerfd^iebcn  in  ^infid^t  ber  SBieberaufnal^me  fat^o* 
\^  lifc^er  Sebenöorbnungen.  Die  Sieform,  nield^c  ber  $ßietii^muig  in 
^  ben  proteftantifc^cn  Sirenen  unternimmt,  ift  be^^alb  in  beiben 
gleichartig  aU  @egenn)irfung  gegen  baS  Uo^  bud^ftäblic^e  SSer^^ 
ftanbe^d^riftent^um;  hingegen  ift  nid^t  ju  erniartcn,  bafe  berfelbe 
in  ber  reformirten  ^trd^e  ebenfo  gegen  bie  meltflfld^tigen  Sle^ 
mente  ber  geltenben  SebenSorbnung  reagircn  njirb,  toie  er  in  ber 
(utl^erifd^en  gegen  bad  Seic^tinftitut  auftritt.  SSielmel^r  ergeben 
fid^  in  biefer  Söejie^ung  auf  beiben  ©ebieten  gerabe  entgegenge^ 
fegte  Srfd^einungen.  Die  Somplication  biefer  Seniegungen  {ennen 
JU  lernen  ift  bie  Aufgabe  ber  folgcnben  ©ef^i^te. 

SBenn  eö  aber  junäc^ft  barauf  anfommen  mirb,  ben  Anfang 
berfelben  ju  fu^en,  fo  f)abc  id^  ^icr  noc^  ju  bemerfen,  bag  ber* 
felbe  ni^t  mit  SSalentin  ^cjflal  (Pfarrer  in  ßfd^opau  bei  (£^em* 
nife,  geb.  1533  gcft.  1588),  unb  Safob  Söfemc  (in  ©örlife  geb. 
1575  geft.  1624)  ju  machen  ift.  Dicfelben  ^aben  jnjar  bai^  mit 
bem  ^ßieti^mug  gemein,  bag  fie  bem  in  ber  lut^erifd^en  Äirc^e 
üorl^errfc^enben  SSerftanbe^toefen  fic^  entgegenfegen  unb  ®c» 
bingungen  innerli^er  unb  praftifc^er  $lrt  für  bai^  d^riftlic^e  Seben 
ouffteüen.    ?lbcr  in  allen  anbcren  Sejie^ungen  finb  fie  bem  $ßie* 


9? 

ttemuS  unglcidö.  95cibc  STOänner  ücrjid^tcn  btrcct  auf  btc  Seilte 
Don  ber  Sted^tferttgung  burd^  ben  QUanbcn,  unb  treten  bedt)Qlb 
auf  einen  ber  lut^erifd^en  Sird^e  fremben  ©oben;  baffelbe  gilt 
öon  i^rem  im  Allgemeinen  pl^ilofop^ifci^en  Sntereffe.  Sllö  3lai)^ 
folger  oon  X^eopt)raftuiS  ^araeclfud  ($rofeffor  ber  äRebicin  in 
Safel  geb.  1493  gcft.  1541)  üerfled^ten  fie  bie  erlöfenbe  95ebeu« 
tung  ber  d^riftlic£)en  SRcIigion  in  eine  t^eoretifc^e  SBclterfcnntniß, 
»elc^e  fic^  burcft  bie  Korrefponbcnj  jnjifd^cn  ber  Statur  unb  bcm 
geiftigen  £eben  leiten  lögt,  unb  balb  in  ^ant^eii^mud,  balb  in 
bualiftifc^em  äßateriali^mu^  verläuft,  ^iefe^  t^eofop^ifd^e  äBefen 
ftel^t  nun  auc^  Don  Dornl^erein  gar  nic^t  auf  bem  ^oben  ber 
Deformation.  ?ßaracelfuö  roar  unb  blieb  al^  ß^itgenoffe  ber  JRe^ 
formation  ^at^olif.  @eine  SBeltanfd^auung  ift  barum,  bag  fie 
Don  ber  officiellen  Siegel  be^  X^omidmu^  abniid^,  nod^  nic^t  ber 
Reformation  Derroanbt  unb  analog.  3nbem  fie  Dtelmc^r  alö  Sfla- 
turp^ilofop^ie  ben  antrieb  giebt,  bie  geiftigen  Srfc^einungen  auf 
Waturpotenjen  jurüdäufü^ren,  fo  ift  fie  im  SBiberfpruc^  mit  ber 
lenbenj  ber  Sieformation,  njeld^c  bie  Ueberorbnung  beö  religiöö:^ 
fittlic^cn  Sebenö  über  alle  Statur  praftifd^  fic^cr  fteQt.  Stbgc:^ 
fe^cn  Don  bem  t^eofopl^ifc^en  Qn^ai^,  njcld^er  eine  ganj  pantl^eifti* 
f^c  aSerroenbung  finbet,  fte^t  SBeigeP^  praltifd^e  SBeltaufd^auung 
in  ber  näd^ften  SBcrmanbtfd^aft  mit  ber  Wi^tung  ber  ©piritualen. 
(Sr  rennet  barauf,  baß  feine  ficbenöanfic^t  in  bem  beoorftel^enben 
©eculum  bed  ^eiligen  ©eifteö  jur  Äu^fül^rung  !ommen  njcrbe, 
»enn  bag  l)immlifc^e  Äönigreic^  E^rifti  auf  6rbcn  burc^  bie 
feligc  §errfct)aft  be§  S^riftuö  in  unö  befielt.  @r  glaubt  an  DoQ^ 
fommene  ©efefterf üHung  burc^  bie  ©laubigen  eincrfcitö,  unb  fd^rcibt 
bie  ©elaffcii^eit  be^  SBillen«  Dor,  um  ben  6t)riftud  in  unö  jur 
fflirfung  fommcn  ju  laffen.  (£r  redE)net  auf  DöHigc  Umgeftaltung 
ber  bürgerlichen  ©efellfd^oft;  nic^t  met)r  3uftinian'g,  fonbern 
ß^rifti  ©efeft  foll  in  i^r  gelten ;  bie  Dbrigleit  barf  feine  ©teucrn 
nehmen,  feine  lobeöftrafc  Dert)ängen,  feinen  Äricg  fütjren.  @e= 
meinfrfiaft  ber  @üter  füll  ^errf^en;  bcr^anbcl  mirb  aU  unc^rift^ 
li(^  bcjeic^net;  bie  ©rjeugung  ber  Äinber,  alfo  auc^  bie  (£l)e  wirb 
oU  eine  Drbnung  ber  ©ünbe  geftempelt.  SBaö  ift  benn  hierin 
ber  lut^erifc^en  Deformation  unb  waö  ift  nidbt  ber  SBicbertouferei 
onalog?  i)er  einjigc  Unterfc^ieb  beö  ?luftrcten^  SBeigers^  Don 
bicfer  öffentlichen  ffirfc^einung  liegt  barin,  bafe  SBeigel  feine 
SKrinungen  im  ©tillen  bem  Rapier  anoertraut  ^at.  Unb  bies^ 
I.  7 


98 

ift  an^  ber  ^all  bei  bcn  Slnl^ängem  ytucfen,  tod6)c  er  gefunben 
unb  tt)eld)e  @ottfrieb  %[molb  in  ber  Jllrd^en^  unb  Sie^ergefd^td^te 
toor  ber  SBergcffcn^eit  gerettet  \iat  Der  SBeigeliantömu^  l^ot  nur 
eine  Uterartfc^e  (S^iftenj  gelobt.  Ober,  tote  ber^Q  ))on  d^cdfid 
äl^et^  unb  SfaiaS  ©tiefet  in  fiangenfaljo  ben)eift  ift  einmal  ein 
gamiUen*  unb  greunbeölrei^  für  bie  Sbeen  SBeigeriS  intercffirt 
tüorben. 

3afob  S3ö[)me  unterfd^eibet  fic^  Don  SBcigel  babur^,  bag  er 
nur  bie  fo^mologifd^e  ©peculotion,  ni^t  aber  ^ßrojectc  einer  Um^ 
geftaltung  ber  bürgerlid^cn  ©efcHfd^aft  mit  ber  c^riftUc^en  3bee 
ber  Srlöfung  in  SSerbinbung  gebracht  ^at.  Dedt)alb  ift  feine 
birectc  ©uttjirfung  aud^  nur  in  ber  SSerbinbung  feiner  @e* 
finnungSgenoffen  ju  perfönlid^er  ^reunbfc^aft  na^n^ei^^bar. 
S)iefe  gorm  ift  au^  innegehalten  tt)orbcn,  aU  einjclne  feiner 
Sln^änger  fi^  jugleic^  mit  praftifc^en  Smpulfen  t)on  SBeigel 
burd^brangen.  S)aS  ift  ber  gaü  mit  Sol^ann  QJeorg  ©i^tel 
(1638—1710)  unb  ber  t)on  i^m  ausgegangenen  ©efeüf^aft  ber 
(Sngelj^brüber,  ferner  mit  ber  englifd^cn  ©ruppe  ber  $ß^ilabclp^ier 
3ane  Seabe  (1623—1704),  3üJ)n  ^orbage  (1608-1688)  unb 
Stomas  Sromlctj  (1629—1691).  3)eutfd)e  ?ßietiften  ^aben  nun 
freiließ  fic^  üiel  bamit  bcfcftäftigt,  Sö^me'ö  ©Triften  ju  lefen ; 
einzelne  @ruppen  unter  i^nen  ^aben  aud^  gen)iffe  praftifc^e  @runb^ 
fäfte  Don  ©id^tel  übernommen;  aQein  jur  (Sntfte^ung  beö  ^ietiS= 
muS  ()abeu  biefe  praftifc^en  Sö^miften  birect  ebenfo  menig  bie 
Anregung  gegeben,  ald  i^re  älteren  SSermanbten  auS  SBeigePS 
©^ule. 


3weite8  ©ud^. 


Jer  prtismus  in  htx  nfurmirten  ^irdfe  ^rr 


7.  (»mtxt  Soet  nnb  bie  ^nftSttbe  bet  tticbetlSttbiff^ett 
tcf0nttirtcit  ftitf^c  31t  feinet  3tit* 

äRit  bem  Flamen  bcd  ^tcttdmui^  tft  urfprüngli^  eine  Sleil^e 
t)on  Srfd^einungeu  auf  bem  Soben  ber  lut^erifc^en  ftttc^e  in 
2)eutf(^(anb  bejetc^net  n^orben,  n^etc^e  Don  ba  qu^  quc^  in  bie 
reformirte  Äird^e  ber  bentfc^en  ©d^ttjeij  fi^  verbreitet  l^aben. 
S)iefe  Srfc^einungen  finb  Dorläufio  beutlid^  genng  abgegrenzt  atö 
bie  JBilbung  von  ftänbtgen  @emeinbegrn))))en,  n^eld^e  fi^  burc^ 
einen  befonbern  (Smft  ber  Heiligung  nnb  bur(^  Slbtoenbung  bed 
Sebeni^  von  ber  SBett  wv  ben  übrigen  ©emeinbegliebem  oui^ 
{deinen  n^oUen.  Stuf  bie  anberen  äRerhnoIe,  \od6)c  [xä)  neben 
btefen  beobod^ten  loffen,  brandet  ^ier  noc^  nid^t  eingegangen  ju 
nierben.  9lun  j^eigt  fic^  aber,  bag  bor  bem  auftreten  ber  pietifti^ 
fc^en  (£ont)enti(et  in  ber  lut^erifc^en  ^irc^e  Seutfc^Ianbd  ä^nlid^e 
Serbinbungen  innerl^alb  ber  calmnifd^^reformirten  ftird^e  in  ben 
9lieberlanben  fic^  Dorfinben.  ^ierburc|  fommt  bie  äßögUc^feit 
in  Setrac^t,  bag  bie  fpätere  (Etf^einung  üon  ber  frühem  ab^ 
^ngig  ift  S)emnacl^  mu§  bie  t^orfd^ung  itd§  juerft  auf  bie  Um« 
ftänbe  richten,  unter  bcnen  fic^  in  ber  calDinif^^reformirten  Sirene 
bie  Serbinbungen  Oilben  fonnten,  beren  äRitglieber  man  mit  bem 
Flamen  ber  feinen  ober  ISrnftigen  belegt  ^at. 

2)ie  mA^tigfte  unb  einflugreid^fte  fo  n)ie  bie  am  meiften 
c^rafteriftifd^e  $erf5nlic^feit  in  bet  nieberlänbifd^^reformirten 
ftirc^c  be^  17.  3a^r^unbertö  ift  ©iöbert  Soet,  geboren  ju 
^eu^ben  in  ^ollanb  1588,  im  ^irc^enbienft  feit  1611  }u  SSt^men, 
feit  1617  in  feiner  Saterftabt,  atö  ^rebiger  bafelbft  Slbgeorbneter 
jur  giationalf^nobe  in  S)ortred^t  1618,  Don  1634  biö  1676^  ^fo* 
feffor  ber  Ideologie  in  Utrecht.  Sine  öffentli^e  ©irffam!eft  üon 
65  3a^ren,  innerhalb  biefer  Qtit  eine  afabemif^e  fie^rt^ätigfeit  '',/.;., 
Don  42  ^a^ren,  beibe^  ^ebt  bie  ^o^e  Sebeutung  biefeiS  iDtanneiS 


102 

für  bie  Äirc^c  feincS  SSolfc^  fc^on  äußerlich  ^crüor;  er  f)ai  aber 
aud^  biefc  Sebcnöfrift  bur^  feinen  gleiß  unb  ffiifer  in  einem 
äRüge  aufgefüllt,  bag  feine  (Sigentpmlid^feit  für  bie  Stiftung 
unb  bie  Äraft  beö  t)on  i^m  üertretencn  unb  üert^eibiglen  fiirc^en:^ 
njefeng  birect  eintritt.  ®r  ^ot  bie  JHeformation  gegen  ben  römi* 
fd^en  Äat^olici^mu^,  ferner  \>ah  ortftobojc  ©Aftern  bei^  Kalt)iniö:= 
muS  gegen  ben  SrminianiiSmu^  unb  na^()er  gegen  bie  göberal:« 
tl)eologie  t)on  Soccej[u^,  fottjie  gegen  ben  Eartefianifc^en  SRationaliös 
muS  Dert^eibigt,  enblid^  bo^  Stecht  ber  befte^enben  Jtirc^e  gegen 
ben  ©eparatiSmuig  Don  Sababie  aufrecht  erhalten;  er  ^at  aber 
namentlich  aud^  ber  praltifc^en  Il^eologie,  ber  ^Pflege  ber  inbiüi* 
bueQen  grömmigfeit  n)ie  ber  ftrengen  @itte  bed  SalDint^mud  mit 
Seigre  unb  mit  X^at  unb  Seifpicl  ftd^  getoibmct.  3nbem  er  über 
eine  l^enntnig  ber  claffifd^en,  ber  patriftifd^en,  ber  mtttelaltrig:^ 
tl^eologifd^en  £iteratur  Verfügte,  n)elc^e  bie  gegenn)ärtigen  äKag- 
ftäbe  t^eologifd^er  ©ele^rfamfeit  n^eit  überbietet,  fo  §at  er  burd^ 
bie  ftrenge  fd^ulmägige  ^orm  ber  ^arfteüung,  ipeld^e  er  l^anb^ 
^abt,  meiftent^eitö  bad  SSerftänbnig  feiner  Se^ren  nic^t  erf(^tt?ert^ 
fonbern  erleichtert,  unb  l^at  in  ©treit  unb^  SSertljeibigung  unter 
Umftänben  eine  ^iUigfeit  unb  Humanität  bemä^rt,  n>eld^e  burc^ 
bie  pebantifc^e  Slrt  ber  Sen^eiSfü^rung  nid^t  t>erbedt  n)irb.  Sin 
ganjer  SWann  ift  er,  ber  biö  in  fein  ^o^eg  Älter  feine  üielfet^ 
tige  X^ätigfeit  ni^t  ^at  ftiQe  ftel^en  laffen.  (Er  bejeid^net  nac^ 
aQen  ©eiten  l^in  bie  ^ö^fte  Seiftung  bei^  Satoinidmud  in  ber 
nieberlänbifc^en  Äird^e  0- 

SBenn  eS  nun  barauf  anfommt,  eine  Slnfc^auung  Don  ber 
Stic^tung  beS  c^riftHc^en  Sebend  ju  gewinnen,  melc^ei^  um  bie 
SÄitte  beö  17.  Sci^r^unbertö  in  ben  Slieberlanben  am  birecteften 
ben  9lormen  beS  6^alt)inidmud  entfprac^,  fo  bieten  bie  Schriften 
SSoet'ö  einen  reichen  ©toff  bafür  bar.  Äbgefe^en  öon  feinen  po^ 
lemifc^en  Unternehmungen  fiat  er  ganj  i)orn)iegenb  ber  2)arftellung 
be^  praftifc^en  Sebend  feine  Slrbeit  geniibmet.  Sr  l^at  feinen 
DoUftänbigen  @ntn)urf  ber  loci  communes  ober  ber  S)ogmattf 
audgefül)rt,  unb  in  ben  oier  Ouartbänben  feiner  Selectae  dis- 
putationes  theologicae  füllen  bie  t^eoretifc^en  X^emata  noc^  nic^t 


1)  IBetgl.  X^olnd,  ^fabem.  Seben  bcS  17.  Sa^t^.  2.  «ibt^.  e.  214 
bt§  223.  Chr.  Sepp,  Ilet  godgeleerd  onderwijs  in  Nederland  geda- 
rende  de  16.  en  17.  eeuw.  (Leiden  1873.  75)  2.  deel  p.  151. 


103 

bic  jluei  erftcn  Sänbc  an^,  fonbern  erft  mit  ßw^^^^wtifl  einer 
Sflei^e  Don  X^emata  qu^  bcr  9^eligiond^  unb  ber  ^ir^cn^@efc^ic^tc. 
^er  britte  ^onb  aber  toirb  eröffnet  bur^  fe^d  Disputationen  de 
theologia  practica,  beren  @toff  ni^t  nur  bie  beiben  (e^ten 
Sänbe  audfüQt,  fonbern  aud^  nod^  in  befonberen  S93erfen  be^an^^ 
belt  loorben  ift.  (£r  gliebert'  nämlid^  bie  praftifd^e  X^eologie 
in  bie  brei  X^eile  ber  äßoral  unb  ß^afuiftü,  ber  ^[iSfetif  atö  S(n« 
leitung  jur  Suge,  ^römmigfeit  unb  @ebet,  enblid^  ber  ^irc^en« 
ücnoaltung  (poiitica  ecclesiastica),  meiere  Siturgif,  äJerfaffung, 
^rd^enjuc^t  unb  ^omiletif  umfagt.  9)ic  beiben  legieren  ^aupt* 
bi^iplinen  ber  praftifc^en  Xl^eologie  l^at  iBoet  in  befonberen 
©c^riften  bearbeitet,  l^ingegen  ift  bie  iD^o^I  unb  Safuiftif,  o^ne 
3weifel  in  bem  Umfanflc,  toel^er  aU  erf^öpfenb  anjufe^en  ift, 
in  ben  jaei  legten  93änben  ber  2)iSputationen  jur  DarfteOung 
gebraut. 

3n  ber  cafuiftif^cn  älui^fü^rung  ber  SKoral  ift  ein  ©efügc 
ton  Siegeln  beabfi^tigt,  n)eld^e  baS  erfc^einenbe  |)anbe(n  bireet 
beftimmen  foUen.  (£S  ift  alfo  jfl  eüoarten,  bag  bie  bat)in  ge* 
^örcnben  (Erörterungen  Don  äJoet  jugleic^  bie  Slnfd^auung  bon 
ber  ©ittenorbnu'ng  barbieten,  mel^e  oon  ben  ftrengen  (Salbiniften 
in  feinem  SSSirfunggfreife  n)irflic^  geübt  mürbe,  ©eine  S)arfteQung 
lägt  aber  auc^  erfennen,  bag  bie  oon  SSoet'S  @efinnungdgenoffen 
befolgte  ^omi  beS  d)riftlid^en  Sebend  nid^t  ben  ganjen  Umfang 
ber  nieberlänbifd&«reformirten  Äirc^c  be^errfc^te.  ©erobe  inbem 
er  ed  rü^mt,  bag  bie  ftrengen  äJtagftäbe  bei^  fiebend  in  Utre^t, 
Slmfterbam,  $arlem  unb  anberen  @täbten  gelten,  lägt  er  fdC)liegen, 
bag  biefelben  in  bem  übrigen  ©ebiete  ber  vereinigten  9iieberlanbe 
ni^t  burc^gängig  beobad^tet  toerben.  SlUerbingS  n^ar  burd^  bie 
äuefd^eibung  bcr  Stemonftronten  aud^  ein  bebeutenbcr  X^eil  bcr^^ 
jenigen  oon  ber  reformirten  ^ir^c  getrennt  morben,  meiere  bie 
@ittenftrenge  unb  bic  felbftänbige  ^irc^cnjud^t  grunbfä|lid^  mig« 
billigten.  SUein  trogbem  mug  bie  firc^lic^e  Geltung  biefer 
6)runbfäge  noc^  ja^lreic^e  ®egncr  in  ber  reformirten  Stix(i)c  felbft 
gefunben  ^aben,  l^auptfäd^lid^  unter  ben  ^olitifern  oon  @efin- 
nung  unb  oon  Seruf.  Diefe  Oppofition  mug  auc^  @runb  ge« 
^abt  l^aben,  bie  calbinifc^en  Siegeln  bcS  d^riftlic^en  fiebernd  aU 
Steuerungen  gu  bejcic^nen,  toa^rfd^einlic^  aui^  ber  9{üdEfid^t, 
bag  biefelben  feit  ^unbert  3al^ren  in  bieten  fällen  überhaupt 
xuy^  nid^t  jur  Sudfü^rung  gefommcn  n^aren«    SJ'Jan  erfährt  biefe 


104 

Xl^atfac^e  unb  jugleid^  qQc  bic  nod^  immer  ftrettioen  fünfte,  in 
toelc^cn  ber  Katbiniömu^  bem  Scbcn  ©d^ranfcn  fcftt,  au^  einer 
©teQc  in  ben  ©iöputationcn  SSoet'^  über  bie  praftifc^e  S^cologic  ^). 
6r  flaflt  f)icr  nämtid^,  bag  bie  ^rebiger  nid^t  bloi^  Don  ben 
$ßapi[ten  unb  ben  Siemonftranten,  fonbcrn  oud^  üon  SKitgliebem 
ber  fiird^e  ben  SSortourf  ber  Sieuerung  unb  ber  Ucbertreibung 
crfal^ren,  fo  oft  fie  officieü  bai^  ©d^n)ert  bei^  göttlid^cn  SBorte^ 
gießen  gegen  ben  äßigbraud^  bed  9lamenS  @otte^,  gegen  (£nif)eu 
ligung  be^  ©abbat^d,  Xanjc  unb  93allette,  ©d^aufpiele,  äßud^er 
unb  SBec^felgefd^äfte,  unmäßigen  @^mutf  be^  ^aax^,  bed  @e^ 
fid^tö  unb  ber  ^leibung,  9)ueQe  unb  getoaltfame  ©elbft^Ülfe,  ®t^ 
lüge  unb  Irunlen^eit,  Irinfen  t)on  ©efunb^eiten,  SSSflrfelfpiel, 
gegen  ^tnmogung  bon  ^atronatred^ten  unb  9lid^tQ(!^tung  ber 
^ird^enjud^t  burd^  Cbrigfeiten,  gegen  STZigbrauc^  ber  ^ird^en^ 
guter  unb  gegen  bie  gortbaucr  üon  3n[titutionen  unb  ©itten 
fat^olifd^er  ^erfunft.  Äuö  biefem  SSerjeic^nig  üon  Unfitten, 
loeld^e  SSoet  befämpft  unb  au^erottet  miffen  toiQ,  erfennt  man 
Qlfo  jugtetd^  biejenigen  Regierungen  be^  fiebend,  benen  bie  ftrengen 
©Triften  fern  gu  bleiben  entfd^Ioffen  finb,  unb  in  bereu  SScrmei* 
bung  fie  it)rcn  ß^aralter,  i^re  „?ßräcifität"  ber  ^Pflichtübung  ober 
i^ren  „^uritani^mu^"  gu  betoä^ren  l^aben.  Allein  ei^  ift  begreif- 
lich, bag  biefe  9iid^tung  in  einem  fßolU,  toeld^e]^  bur^  ©etnerbe 
unb  ^anbel  nac^  aßen  ©eiten  ^in  in  SSerfe^r  mit  anberen  SSöIfeni 
ftanb,  unb  einen  fteten  gwioad^S  materieller  ©fiter  erfuhr,  nic^t 
burd^aui^  unb  nid^t  fiberaü  ben  Su^fd^Iag  gab.  Snbeffen  um  fo 
entfc^iebener  ^ielt  ein  äßann  toie  SSoet  ba^  ^cd)t  unb  bie  ^flid^t 
ber  ^ird)e  gu  ununterbrocfiener  Sfteformation  circa  praxin  pie- 
tati8   et   bonorum  opernm  aufredet  ^).     @^   fommt  t^m  ^iebei 


1)  Disputationes  Tom.  III.  p.  12. 

2)  Politioa  ecclesiastica  Tom.  II.  p.  456.  9(l8  einen  Sorg&nger  in 
biefer  9lid^tung  rül^mt  fßott  »ieberl^olt  ben  ^tebiget  )u  ^Jlibbelbutg  in  Seelanb, 
SEBill^elm  2:eeIIin(f ,  namenUid^  in  ^infi^t  feiner  64rift:  Noodwendig 
vertoog  aangaande  den  bedroefden  staat  van  gods  volk.  1628.  —  XttU 
lind,  geboren  1080  )u  Sicttffee  in  Seelanb,  urfprünglid^  Surifl,  in  d^glanb 
fflr  ben  Pttd^enbienfi  gewonnen,  $rebiget  in  SRibbelburg  1613,  geflorben  1629, 
ift  ein  überaus  frud^tbarer  S^rififtellcr  gemefen.  (Ir  (dbe  127  Xradate  t^er* 
\aii,  gemäg  ber  9(ngabe  don  P.  de  la  Rue,  Geletterd  Zeeland  (Wbbelburg 
1741)  8.  334  f.  Sine  don  )tt)ei  feiner  65(ne  uniernommene  defammtauS« 
gäbe  {einer  2Ber!e,  »oüon   mir   3  t:i^eile  in  2  ftarfen  Ouaribfinben  vorliegen 


105 

^auptfäd^lid^  auf  bie  Sludrottung  bcr  ©etpinnf^icle,  bed  Xanged 
unb  bcr  t^catraltfd^cn  SSorftellungcn  an,  tüeld^e  er  mit  bcn  an* 
beten  Srfc^etnungen  bed  fiu^ud  unter  bem  Xitel  de  excelsis 
mundi  im  üierten  Sanbe  ber  2)idputationen  mit  groger  Sludffi^r:« 
lic^Iett  beurt^eilt  ^at.  3)icfel6en  gief)en  eine  befonbere  Äufmerfc 
famleit  auf  fid^,  ba  in  i^nen  ein  fpecififc^eö  Sntereffe  beö  ed^ten 
SatoiniSmuS  geltenb  gemacht  n)trb. 

93ei  ber  $rage  nad^  ber  ©eftattung  bed  Xanjed  ^anbelt  ed 
fic^  um  ,,bic  funftmägigc  jförperben)egung,  xodäjt  gemeinfc^aftlid^ 
unb  üor  3"^^"^!^"  ^on  ^erfonen  beiber  ©efc^Icd^tcr  auöge^ 
fü^rt  tt)irb".  @egen  bie  Xänje,  lüeld^e  SRönner  aflein  unb  »eld^e 
grauen  attein  borftcHen  (mit  Äu^nal^me  ber  lujuriöfen  Sallette), 
erflärt  SSoet  leinen  ©treit  ju  ergeben,  ebenfo  wenig  gegen  einen 
ehrbaren  lanj,  welchen  ber  (Seemann  mit  feiner  ^xan  pxioatm 
o^ne  Sufdlöucröorne^men  foHte!  3ebod|  gegen  bie  ben  ©efc^Ied^tern 
gemeinfamen  Xänje,  xok  fie  in  g^anfreic^  unb  ben  SRieberlanben 
üblich  feien,  erlägt  er,  in  Uebereinftimmung  mit  allen  £ef)rern 
feiner  ßird^c,  ein  üoQftänbige^  SSerbot.  (£r  finbet  biefe  saltationes 
yvvaixavdgixai  innädj^t  überflüfftg  unb  nichtig,  er  fie^t  ferner  in 

(Utre^t  unb  9lm^erbam  1655.  56.  59.  62),  f^eint  nt^t  boüenbet  au  fein,  unb 
umfaßt  nur  einen  ganj  geringen  2:(ei(  ber  {ebeSmal  (54fl  auSftt^rlid^n  64riften. 
Die  oben  angeffi^rte  64rift  ift  ni^t  barunter,  inbeffen  fann  man  i^re  2:enben) 
an  anberen  erfennen,  toeld^e  mir  oorHegen.  Der  erfte  t:(ei(  ber  SOerfe  ent^dU 
anä^  eine  Sorrebe,  met^e  $oet  1681  einem  pofl^umen  S^raciat  S^eeQindE'i  über 
Mm.  7  üorauSgefc^idt  (at.  Darin  nennt  er  benfelben  einen  atoeiten  tl^omaS 
iMm  Sttmpen.  DaS  ifl  jebo^  eine  ^axU  Uebertreibung.  (S§  ift  fein  größerer 
Oegenfa^  benlbar  al§  stoif^en  ber  Inappen,  bttnbigen  unb  ^albpoetif^en  9lebe 
bef  2;^oma8  unb  ber  breiten,  serfloffenen,  le^r^aften  $rofa  beS  ®fin{}Iing§  t>on 
Soet.  9[uf  eine  aSfetif^e  Schrift  beffelben,  toeldie  bie  tion  i^m  anlegt  berSffent« 
lid^te  \%  Soliloquiam,  fomme  i4  unten  jurüdE.  —  (S8  giebt  übrigeng  au4  eine 
f9pematif((e  DarfleÜung  beS  Sn^alteS  ber  S^riften  bon  XetUxnd  in  Franc. 
Ridderas,  predicant  tot  Rotterdam,  De  mensche  Godts,  uyt  de  ge- 
■ehriften  en  tractaten  van  Mr.  Willem  TeelinjB^h.  Hoorn  1668.  1106 
Seiten  4.  Die  toörtlic^n  ^tuSjfige  auS  ben  64riften  finb  ^ier  unter  bie  bogma« 
Hfi^n  unb  et^if^en  S^itel  gebraut.  Vn  bem  Uebergetoiii^t  beS  moralif^en 
6toffef  erprobt  fi4  au4  bie  Pen  Soet  auSgefpro^ene  Sulommenftetlung  ber 
S^riften  S^eeÜincf'S  mit  Guil.  Amesius  de  oonscientia.  — -  9n  berfelben  9li4« 
tnng  »ie  %M\nd  finb  als  populäre  S^riftfteQer  t^ätig  getoefcn  ®ottfrieb  d^or« 
Nclittft  ttbemanf,  $rebiger  )u  Steriffee  (1582—1634)  unb  $etru«  SBitteorongel, 
91^0^^  )tt  Itmflerbam.  Uebet  beren  64riften  pgl.  ^eppe,  (Ikfc^te  bef 
9i(tt9mtt9  unb  ber  SR^flil  in  ber  reformirten  Pir^e  6.  98.  115.  167. 


106 

i^ncn  nur  SSerfud^ung  jur  Süftcrnl&cit,  toelcftc  in  bcn  Qa^(S^anein 
cbcnfü  njic  in  ben  länjem  erregt  »erbe,  er  crflärt  fte  tt)cgcn 
i^rer  ^erfunft  auiS  bcm  ^eibcnti^um  für  ein  SKerl  beö  Xcufetö, 
er  rügt  cnblic^  an  i^nen  bic  Ißerlc^ung  bcr  (S^rfurd^t  gegen  bie 
Äird^e,  mld)c  fic  ftetö  unterfagt  ^at.  3)ag  loar  ber  Ucberlicfe^ 
rung  üon  SalDtn  gemäg.  @d  n)irb  aber  bienlid^  fein,  ftd^  be^ 
Urt^eilö  ju  erinnern,  n)cld|cö  üutl^er  über  bic  ©ad^e  geföHt  f)at  ^). 
3)enigemäg  erflärten  bie  Iut()ertfd^en  X^eotogen  ben  2^nj,  ba 
er  in  ber  l^eiligen  @d)rift  nid^t  als  @ünbe  bejeic^net  ttierbe,  im 
angemeinen  für  eine  fittUd^  inbifferentc  ^anblung,  unb  bc* 
fd^ronften  i^re  Stüge  unb  S9^arnung  auf  fold^en  Xan},  ber  üon 
Süftern^eit  ober  Ueppigfeit  begleitet  wäre*).  S)abei  ^at  bic 
geinbfcligfeit  gegen  ben  SalöiniSmuS  SRcigncr  öcrmod&t,  bic  cnt:: 
gcgenfte^enbe  Slnfic^t  nod&  2Ratt^.  23,  23.  24  atö  SJiüdtenfci^en 
ju  beurt^eilen,  neben  toelc^em  bic  fc^n^ercren  Slufgabcn  bcS  @c« 
fc^cS  übertreten  n)ürben,  näm(id()  burd^  bie  bogmatifc^cn  Slb» 
roeid()ungen  ber  Salüiniften  öon  bcr  ort^obojen  (lut^erifd^cn) 
Seigre!  SSoct  begnügt  fid^,  i()m  bie  Ungcfä^rlic^tcit  ber  bcutfc^en 
Xänjc  jujugeben,  ba  ber  ä93iberfprud()  ber  reformirten  X^cologen 
nur  ber  franjöftfd^en  unb  ber  nieberlänbifd^en  Xansweife  gelte. 
Snbeffen  fann  ftd^  SSoet  boc^   nic^t  ent[)altcn,  bie  X^eilna^me 


1)  Jhrd^en))o^iae  )um  (&t>,  2.  (Sptp^an.  (3o(.  2,  1—11)  bei  SBal^  XI. 
8.  642:  Ob  e§  benn  au^  @ünbe  fei,  pfeifen  unb  tanken  )ur  ^o^seit,  ftntemal 
man  fpric^t  bag  oiel  €Unbe  t>om  2:anien  fomme?  Ob  bei  ben  3uben  2:än)e 
fieuefen  finb,  totii  i^  nic^t.  ^6et  »eil  eS  SanbeS  @itte  ifl,  glei^toie  ®äfie 
laben,  fc^müdEen,  cffen,  lrtn!en  unb  frS^li^  fein,  toeift  t4  «^  ni^t  )u  t)erbammen, 
o^n  bie  Uebermag,  fo  eS  unsü^tig  ober  )u  oiel  if}.  ^ag  aber  @ünbe  ba  ge« 
f^^en,  ift  be§  SlanjenS  64u(b  nic^t  aUein.  ftntemal  auc^  »o^I  über  Sif4  unb 
in  ber  j^ir^e  berglei^en  gef^ie^en;  glei^imie  eS  ni^t  beS  ^ffenS  unb  tIrintenS 
Bä^nit  ift,  bag  etliche  )u  Säuen  barüber  »erben.  2Bo  ed  aber  itt^tifi  )u« 
ge^et,  laffe  i^l  ber  ^or^jeit  i^r  die^t  unb  ^ebrau^,  unb  tanje  immerhin.  S)er 
(8(aube  unb  bie  Siebe  lägt  [lä^  nxä^i  andtonjen  nb^i  auSfl^en,  fo  bu  afic^tig  unb 
mägig  barin  btft.  ^ie  jungen  i(inber  tanken  ja  o^ne  Sttnbe,  baS 
tl^ue  au4  unb  »erbe  ein  ftinb,  fo  f^abet  bir  ber2:an)  nic^t.  8onft, 
mo  Jansen  an  i^m  felbft  Cttnbe  märe,  milgte  man  e§  ben  itinbern  ni^t 
iulaffen. 

2)  %I.  ).  9.  Baltiiasar  Meisner^Philosophia  sobria,  Giessae  1613. 
p.  575.  Joh.  Conr.  Dannhauer,  CoUegium  decalogioum.  Argentorati 
1669.  p.  814. 


107 

anä)  an  jenen  ju  n^iberrat^cn,  toeil  fie  ja  nid^t  not^tpenbig  feien, 
unb  toei(  in  biefem  %aüt  bie  (Enthaltung  leicht  ift.  3)enn  ipä^renb 
äReii^ner  ben  fittlid^  inbifferenten  S^arafter  bed  Xanjed  burd^ 
fto^elet^  3,  4;  11,  9  birect  unb  inbirect  bejeugt  finbet,  betpeift 
SBoet  au«  1  $etr.  4,  3;  8iönt.  13,  13,  bag  ßcmaS  bem  ftäm 
bigen  @ebraucl^  bed  SSSorte«  xwinoi  ber  Xanj  Verboten  toerbe. 
Uebcr  Sut^er'S  Slnfid^t  üon  bcr  @ad^e  ^at  SBoet  fic^  nic^t  erllärt. 
Sr  n)ürbe  toa^rfc^einlid^  feinen  äßiberf^rud^  aud^  gegen  beffen 
3(uctorität  nid^t  jurücfge^aUen  ^aben,  ba  er  ju  einer  fo  naiüen 
unb  reinen  Se^anblung  ber  ^rage  nad^  feinen  (Erfahrungen  unb 
feiner  Stellung  nid^t  befähigt  toar,  unb  er  toiirbe  e«  ma^rfd^ein^ 
üä)  nid^t  geg(aubt  ^abcn,  bag  fiflfternl^eit  erft  red^t  burd^  bie 
peinlid^e  (Entfernung  bcr  ©efc^Iec^ter  üon  einanber  l^erüorgerufen, 
hingegen  burd^  bereu  @emeinfd^aft  im  Xanje  gerabe  gebannt 
werben  fann. 

Sielme^r  üollenbet  fid^  SBoet'i^  3lnfid()t  ba^in,  bag  bie  Obrig:» 
feit  teine  Xauile^rcr  bulben  unb  bag  fie  biejenigen  mit  @elb^ 
ftrafen  belegen  foH,  »elc^e  i^rc  ^äufer  bem  lanje  öffnen;  ja  er 
loflnfd^t  fogar,  bag  ade  einjelnen  X^eilnel^mer  an  bemfelben  jur 
©träfe  gej^ogen  n)ürben.  Ueberbied  xoiU  er  nic^t  nur,  bag  in  ber 
dffentlid^en  ^ebigt  unb  bcr  @eeIforge  bor  bem  Xanjen  getoarnt 
n>erbe,  fonbern  er  \mü  anä)  bie  firc^Uc^e  3ud^t  bi«  jur  Slud^ 
fd^Iiegung  pom  Slbenbma^Ie  gegen  bie  ^artnädtigen  $(npnger 
jene«  Sergnflgend  aufgeboten  fe^en.  (Er  tonnte  fic^  in  biefer 
Segiel^ung  auf  93efc^tüffe  ber  9lationalf^nobe  ju  3)ortrec^t  1578 
unb  öcrfd^iebencr  nieberWnbifd^en  ^oöincialf^noben  1622—48 
ftü|en.  (Er  lägt  fic^  hieran  aud^  nid^t  irre  machen  burc^  bie 
(Einh^enbungen,  bag  ed  fd^Hmmere  @flnben  atö  ba«  ^anjen  gebe, 
meiere  bie  3)i«ciplin  nid)t  erfahren,  bag  biefe  menig  ober  nid^t« 
erreiche,  um  jene«  Unlraut,  ben  Xanj,  au«  ber  (S^riften^eit  au«ju« 
rotten,  enbli^  bag  bie  Strenge  bagegen  me^r  jum  Schaben  al«  jum 
Sort^cil  ber  ^ird^e  gereiche,  ba  fie  oiele  ber  ^irc^e  entfrembe,  toeld^e 
ft(^  fonft  JU  i^r  galten  nJürben.  (Er  giebt  bie  X^atfad^e  ju,  bag  bie 
Strenge  gegen  ba«  Xanjen  nid)t«  ^ilft,  befielt  aber  auf  bem  (Satoni:^ 
fc^en  Sludfpruc^,  bag  n)enn  aud^  ber  %rjt  oft  genug  nid^t  Reiten  fönne, 
er  boc^  bie  Slrjenei  barum  nid^t  n)eniger  anjumenbcn  l^abe,  unb 
ifi  ferner  ber  9Reinung,  bag  bie  c^riftUc^e  Steligion  fid^  nic^t 
jeber  9rt  t)on  äRenfc^en  anjubequemen  ^abe,  fonbern*  bag  ba« 
Umgefe^rte  gelte.    (Er  ^at  ^iebei  nic^t  beachtet,  bag  bie  fpecififd^c 


108 

Stfolgloftglett  bct  2)töcip(in  in  biefem  ^Ile  ben  äßert^  ber 
^rd^e,  xoüd)t  baran  feft^alt,  überhaupt  iipetfclJ^aft  ju  mad^n 
brol^t,  unb  bag  bic  Slufgabe  ber  (Srjie^ung,  tueld^e  ber  ßtrd^e 
gefteQt  ift,  not^menbig  mand^erlei  9lad^gtebigfeit  anempfehlen 
wirb,  loä^renb  baö  ©trcben  nad^  ,,$räcifttät",  »eld^ei^  feinen 
SBert^unterfd^ieb  in)ifd^en  grogen  unb  fleinen  SSerpflid^tungen  gu^ 
lägt,  bie  päbagogifd^e  Aufgabe  ber  ^ird^e  befd^äbigt. 

@teid^c  Strenge  n)ie  gegen  ben  Xanj  übt  SBoet  im  Sinflang 
mit  ben  calüiniftifd^en  X^eologen  gegen  alle  Gattungen  öffent^ 
lieber  @d^aufpiele,  unb  bie  Slu^na^men  baDon,  xodd)t  er  mac^t, 
nimmt  er  boc^  mieber  jurüd  g^i^^^ft  ^ic  getftlic^en  @c^au^ 
fpiele,  n^eld^e  im  äRittelatter  eine  regelmäßige  Snftitution  tparen, 
t)ern)irft  er  als  $rofantrung  beS  ^eiligen,  unb  bejie^t  fid^  babei 
barauf,  bag  bie  in  ben  nieberlänbifc^en  @täbten  beftanbenen  @e« 
feßfd^aften  ber  ai^etorifer,  »eld^e  jene  ©arfteßungen  pflegten, 
burc^  bie  fird^lic^en  unb  ftaatlic^en  ^iuctoritäten  befämpft  morben 
feien.  (Sbenfo  n^enig  lägt  er  bie  fatirifc^en  ^omöbien,  t>k  ^ax=^ 
ftellung  üon  fiiebedgefd()id^ten,  ferner  bie  aud  beiben  Slrten  ge^ 
mifd^ten,  unb  bie  ^iftorifc^en  ©c^aujpiele  mit  fittlid^  öertoerflic^en 
^auptperfonen  gelten.  Aber  aud^  ^iftorifd^e  ©d^aufptele  mit 
tugenb^aften  gelben  unb  moralifc^e  l^omöbicn,  lüel^e  atö  3Rittel 
jur  Uebung  ber  Serebtfamfeit  üor  il)m  einige  @nabe  finben, 
tt)iberrät^  er  anjufe^en,  tt)eil  fie  jtt^ar  nid^t  an  fid^  böfe,  aber 
na^e  am  Söfcn  feien,  ©d^aufpieler  unb  ß^f^^uer  n^tll  er  ber 
lird^lic^cn  2)idciplin  unterwerfen.  (Ed  fällt  babei  auf,  bag  bad 
3ufc^aucn,  mclc^eS  er  fämmtlid^en  ©laubigen  verbietet,  noc^  be« 
fonberS  ben  SSiäbd^en  unb  grauen,  roeiterbin  ben  5ßrebigern,  unb 
biefen  nod^  bann,  xocnn  bie  2)arftellung  in  einem  ^riüat^aufe 
ftattfinbet,  unterfagt  ttjirb.  2)iefeö  lägt  barauf  fcftliegcn,  bag  ber 
(Erfolg  bed  allgemeinen  SSerboteS  nic^t  gerabe  fe^r  fidler  gefteüt 
mar.  2)affelbe  bürfte  aud^  auö  ber  Stngabe  l^erüorge^en,  bag  bie 
©d^aufpiele  auö  faft  allen  nieberlänbifc^en  Stäbten  üerbannt  feien, 
namentlid^  auS  lltred)t.  2)enn  er  fügt*felbft  bie  Sinfd^ränfung 
^inju,  bag  fomo^l  ^ier  als  in  üerfc^iebenen  l^oUänbifd^en  ©täbten 
in  ben  3a^ren  1662  unb  1663  burd^  bie  ©c^ulb  eines  Xl^eild 
ber  ©cnatoren  ein  JRücffall  eingetreten  unb  ©c^aufpiele  aufge* 
filiert  feien.  3ronifc^  meint  er,  biefeS  feien  tool)l  bie  SBorfpielc 
ju  ber  in  ben  folgcnben  Sauren  abgefpielten  Iragöbie  ber  $eft 
unb  beS  JiriegeS  gen^efen.  ^ennod^  ^at  auc^  biefer  ftrenge  ©itten« 


löö 

rid^tcr  bcm  SBcbcnIcn  ftd^  nid^t  öcrfd^Iiefecn  löttncn,  baß  baS  öc< 
bürfntg  nac^  Srl^olung  burc^  unfd^ulbige  @d^QufpieIe  beftiebigt 
ju  »erben  üerbicnt.  Slbcr  loo  fud^t  er  fold^c  SWittcI?  3n  mili* 
t&rifc^en  $araben  unb  3Jlanöt>ein,  unb  nad^  bem  SBorbilbe  ber 
%lten  in  SSSettrennen  unb  äSettrubern !  S)tefe  ganje  93etrQc^tungd^ 
toeife  ift  ja  üSIIig  unberührt  üon  ber  äßert^fd^ägung  beS  S^rama 
als  ber  pd^ften  ©tufe  ber  S)id^t!unft,  unb  unaufgcfd^loffen  für 
bie  Sinfic^t,  bag  bie  Sludbilbung  ber  äft^etifc^en  Anlage  unb  bte 
(Erfahrung  beS  @d^dnen  in  ber  ^unft  ein  not^menbigeS  @lteb  in 
ber  geifiigen  Seftinimung  ber  2Renfd^eu  ift.  Aber  bicfe  f&tUnnU 
nig  jeid^net  aud^  bie  lut^erifd^ett  Safuiften  jener  ßeit  nic^t  aud; 
unb  nic^t  um  i^retn^iüen  erflären  fie  bie  X^eilna^me  an  anftän« 
bigen  ©c^aufpielen  unb  ^omöbien  für  erlaubt.  @ie  n)iffen  bafflr 
nur  ben  allgemeinen  Qxocd  ber  (Srl^olung  unb  jugteid^  ben  fpe:: 
cietten  Stufen  anjufüt)ren,  baß  bie  Äenntniffe  crn^eitert  unb  baö 
lugenbftreben  angeregt  tt)irb  0-  ®ö  nun  biefe  ©rünbe  an  ben 
eigentlid^en  äßert^  ber  bramatifd()en  $oefie  nid^t  ]^inanreid()en.  fo 
finb  fie  aud^  nic^t  geeignet,  gegen  baS  moralifd^e  ©emid^t  ber 
(Sm^ägungen  aufjulommen,  burd^  xodcSjc  ein  9J2ann  n)ie  SSoet  bie 
©c^aufpiele  t^eilS  für  birect  t)ern)erflid^,  t^eild  für  bebenflic^ 
of^tet,   unb  bie  DöQige  (Enthaltung  üon  i^nen  üorfc^reibt. 

SRit  berfelben  ©enauigfeit  unb  Sorgfalt  n)ie  bem  Xanj 
unb  ben  ©c^aufpielen  fe^t  SSoet  aud^  bem  2u£ud  in  @peifcgebraud^, 
@(aftmä^lern,  ^leibung  unb  ^uSftattung  ber  SSio^nung  möglic^ft 
enge  ©renjen.  (Er  entfc^eibet  fic^  babei  auc^  gegen  baS  Xabaf^ 
raud^en,  meld^eS  }n)ar  an  \id)  nid^t  unerlaubt,  aber  ehrbaren 
Scannern  in  @egenn)art  anberer  unb  in  @efellfc^aft,  namentltd^ 
ober  ben  $rebigern  unb  Sanbibaten  bed  $rebigtamteS  nic^t  5ieme. 
(£r  min  bie  ©aftmä^ler  gemürjt  feigen  burd)  Unterhaltungen  nur 
aber  ateligion,  ^^ilofop^ie  unb  @efd^ic^te.  (Er  lägt  ^n  benfelben 
jUKir  auc^  $erfonen  anberer  Sieligton  ju,  meil  bie  (S^riften  nid^t 
aus  ber  SSklt  audfd^eiben  tonnen  unb  follen;  inbeffen  eigentlich 
mfirbe  er  loünfd^en,  bag  bie  ©aftmä^ler  ju  Slgapen  »erben  n)ic 
in  ber  ftlteften  ©emeinb^  ju  Serufalem.  2)en  SSefud^  üon  äßirt^d« 
Rufern  geftattet  er  nur  für  bie  äugerften  9lot^fälle.  Uebcr  bie 
ftletbung  unb  ben  @c^muct  ber  grauen  giebt  er  bie  genauften 
9eftimmungen,  unb   plt  namentlich   auf  bie  SBermeibung  aller 


1)  9Ret9neT,  1.  c.  p.  666. 


110 

SntMögung,  todäje  bte  Sfiftern^ett  erregen  unb  ber  gSttlid^en 
Orbnung  jutoibcrlaufcn  würbe,  bag  bie  SWenfc^en  feit  bem  ©fin- 
benfall  befletbet  unb  üer^üUt  fein  follen.  @egen  alle  ba^in  ein- 
fd^Iagenben  @itelfeiten,  toie  ©c^minlen  bed  ©eftd^ted  unb  fiber^ 
magigen  ©d^mucf  ber  ^aare  foQ  bte  ^irc^e  mit  ßud^tmitteln  ein« 
fd^reiten.  3n  ^infid^t  ber  ^erüden  beruft  er  fic^  auf  SSerbote 
t)on  nieberlänbifc^en  ^roüincialf^noben  juiifd^en  1622  unb  1643. 
Unb  ba  ber  Sut^craner  ^ann^auer  in  ©tragburg  bie  l^iemit  ju- 
fammen^ängcnben  literarifd^en  (Srörterungen  nieberlänbif^er  iJ^eo- 
logen  über  1  Äor.  11,  14.  15  aU  alberne  unb  ^o^le  ©piftfinbig* 
feiten  gerügt  ^atte,  fo  »eift  i^m  SSoet  auf  27  jQuartfeiten  nad^, 
bajs  üon  (Siemens  Sllej^anbrinud  an  alle  d^riftlid^en  fie^rer  ben 
falfd^en  ^aarfd^mudC  verboten  ^aben.  ^er  Sutl^eraner  ^atte  eben 
gar  feinen  ©inn  bafür^  bag  bie  abfid^tUd^en  ober  jufäUigen  %n^ 
toeifungen  jur  Orbnung  bed  fociaten  fiebend,  toeld^e  bad  91.  Z. 
barbietet,  auc^  auf  einer  ganj  anberd  bebingten  Sulturftufe  üer^ 
^)flic^tenb  feien,  ober  öielme^r  baft  bedtoegen  bie  moberne  fieben§^ 
orbnung  auf  bie  ber  @emeinben  ber  Stpofteljeit  jurüdCgefd^raubt 
toerben  foQte.  Huf  biefe  Siegel  aber  toeifen  alle  bie  Cinfd^rän* 
fungen  ber  Sebendtoeife,  meldte  93oet  üorfd^reibt,  beutlic^  jurfidC. 
SSergteid^t  man  nun  biefe  cabinifc^e  Slrt  üon  SBcltflud^t  mit  ber 
franci^anifd^en  unb  toiebcrtäuferifc^en,  fo  ^at  man  äunod^ft  ben 
Sinbrud  eineiS  blo^  quantitativen  Slbftanbed.  6$  erfd^eint  aU 
jiemlid^  n)illfürlid^,  bag  SSoet  einmal  toie  ^ranci^cud  aud^  bie 
inbirecte  pecuniäre  Untcrftfi^ung  oon  ©c^aufpielen  für  ©ünbe 
achtet,  bann  aber  feine  ßleiberorbnung  nid^t  bis  auf  bie  SBor^ 
fc^rift  ber  grauen  Äuttc  üereinfad^t.  gemer  barf  man  fragen, 
niarum,  toenn  alle  @aftmä^ler  ju  Slgapen  merben  follen,  nic^t 
aud^  bie  communiftifd^e  lenbenj  ber  ©emcinbc  ju  Serufalem  für 
bie  Calöiniften  maggebenb  fein  füll,  wie  für  bie  SBiebertäufer? 
3cboc^  bie  «uölegung  üon  «ct.  5,  32—37  burd^  Catoin,  ba§  bie 
SBerji^tleiftung  auf  ba^  ^riüateigent^um  in  ber  @emeinbe  ju 
Serufalem  bie  «u^nol^me  gewefen  fei,  ift  jwar  bem  SBortlaut  ju* 
toiber  aber  ben  Umftänben  entfpred^enb.  Älfo  bie  «nmenbung 
ber  Siegel,  bag  bag  SSorbilb  ber  im  91.  %.  bejeugten  focialen 
(Einrichtungen  für  alle  Qtit  üerbinblic^  fei,  fd^ließt  bei  ben  SStebcr* 
täufern  unb  ben  ßaluiniften  bennoc^  einen  qualitatiöen  Unter* 
fd^icb  in  fic^.  ®er  ©alüiniömug  ücrfä^rt  toeber  in  ber  SBelt^ 
findet  noc^  in  ber  SSieltuerbefferung  rabical.    SSietme^r  ift  er  ge* 


111 

ttiäfi  feiner  Äbpttgifllcit  üon  ber  aiefonnation  fiutl&er'g  üott  bom 
leerem  confert)Qtit),  fotoo^I  in  ber  @d^ägung  bed  gcorbneten  3^' 
ftanbeS  im  dffentlicf)en  wie  im  $nt)Qt«9ied^t,  aU  and)  in  ber 
@ci^Q|ung  ber  mirt^fd^afttidien  Orbnung,  ber  probuctiüen  Strbeit 
unb  bed  SSerfe^rd  im  ^anbel.  2)er  SabiniSmuS  na^m  bed^alb 
junäc^ft  and)  bie  Xl^atfad^e  bed  fortfd^reitenben  SSio^Iftanbed  im 
nieberlanbifc^en  93ol!  qI^  etn^a^  begebenes  an,  unb  blieb  ber 
SSerfud^unfl  fern,  bie  ©emeinfc^aft  afler  ©üter  in  ber  ©emeinbc 
iu  Serufalem  im  toörtUd^en  unb  eigentlicf)cn  (Sinne  ju  üerfte^en  0- 
2)em8emäg  ift  SSoet  ber  SReinung,  bog  bie  ^Icibung  ber  Sl^riften 
i^rem  bürgerlichen  unb  n)trt^f^aftlid^en  @tanbe  entfprec^enb, 
unb  bog  fie  nad)  @elegenl^cit  and)  fünftlic^  unb  'gefd^mficft  fein 
bürfe,  mit  Berufung  auf  1  Xim.  2,  9. 

"Und)  in  fird^enpolitifc^cr  ^infid^t  ift  SSoet  frei  üon  bem 
SüabicaliSmud,  tüAd)cv  ^n  feinen  fiebjeiten  bei  ben  3nbe)?enbenten 
in  Snglanb  jur  @eltung  fam.  @r  beftritt  baS  $atronatrec^t 
üon  Soien,  um  fo  me^r  uon  fat^olifd^en  ^Korporationen,  n^elc^ei^ 
bie  nieberlänbifc^en  @t)noben  feit  bem  SlbfaQ  t)on  (Spanien  ab^ 
jufc^affen  bemüht  maren,  mld)t^  jebod^  üon  ben  Ferren  (Stäuben, 
nic^t  anberd  n)ic  üon  Sromn^ell,  aud  begreiflichen  @rünben  auf« 
reci^t  erhalten  tourbe.  S)er  entfc^eibenbc  @runb  bagegen  toar, 
bag  ein  folc^eiS  3nftitut  burd^  bad  91.  %.  md)t  b'ejeugt  toerbe, 
unb  bag  fein  göttltd^e^  äted^t  für  baffelbe  nac^gen)iefen  n^erben 
tonne.  Dabei  ift  aber  SSoet  feineönjcge^  ein  SBertreter  ber  grunb* 
fä|Uc^en  Trennung  }n)ifc^en  ^ixd)c  unb  Staat.  (Sr  geftet)t  ber 
Dbrigfeit  aU  einem  @liebe  ber  &ird^e  au^brücflicf)  ju,  bag  fie 
nic^t  nur  bie  fird^lid^e  Orbnung  ber  Berufung  ber  $rebiger  ju 
fc^ü^n  unb  aufrecht  ju  erhalten,  fonbern  and)  bie  Don  ben  @e^ 
meinbcn  felbftänbig  @en)ä^Iten  ju  beftätigen  ^abe').  9lici^t 
minber  plt  er  an  ber  Äird&enöerfaffung  feft,  todd)t  \id)  an^  bem 
9[nfc^(ug  ber  ftirc^enreformation  an  bie  politifc^e  Befreiung  ber 
^roDtnjen  t)on  ber  fpanifcf)en  ^errfc^aft  ergeben  ^atte,  nämlid^ 
an  ber  regelmägigeu  unb  orbentlic^en  %uctorität  ber  (Slaffen  unb 
ber  ^oüincialf^noben  über  bie  fiocalgemeinben  ober  ^arod^ieen. 
5E)te  3nbepenbenten  in  Snglanb  Ratten  bad  93eifpiel  ber  älteften 
JHrc^ngefc^tc^te  gerabe  bafür  aufgeboten,  bag  jebe  (Kongregation, 

1)  9q,1  daitixtCi  Kommentar  aur  Itpoflelgef^td^e. 

2)  Politica  eoolesiastica  IL  p.  597  seq. 


112 

b.  1^.  jcbc  SJicngc  üoit  ©Triften,  toeld^e  regelmäßig  in  Citicm 
Staume  jum  @ottedbtcnfte  ^ufammenfoinint,  re^tlic^  felbftanbig 
gegen  bie  anbeten  fei,  unb  nur  einen  jufäHigen  SSerfe^r  mitben* 
felben  burc^  Stat^der^olung  ju  unterhalten  ^abe.  S)ad  üon  beiben 
©eiten  angerufene  SSorbilb  be^  fog.  8lpoftelconciI§  ju  Serufalem 
ttjar  nid^t  beutlic^  entfc^eibenb,  ober  erfd^ien  bem  Snbcpenbcntiö^ 
muö  günftig;  furj  SSoet  fonnte  für  ba8  ©^nobalf^ftem  nid^t  bie 
unbebingte  9lot^tt)enbig!eit  nad^  göttlichem  Äcd^t,  fonbern  nur 
bie  9lfifelid^feit  ober  bie  relative  Siot^ttjcnbigfeit  in  «nfpruc^ 
nehmen  ^).  Stid^tö  befto  weniger  genügte  i^m  biefe  Crtoägung 
um  ber  überfommenen  SSerfaffung  ber  fiird^e  feine«  fianbe«  treu 
ju  bleiben. 

SScnn  man  alfo  oon  ben  @runbfägen  SBoef d  au«  ©d^lüffe 
auf  bie  Haltung  ber  ftrengen  Saloiniften  in  ben  SRieberlanben, 
in«befonbere  auf  bie  ©cftnnung  berjenigen  jiel^en  fann,  »eld^c  in 
Utred^t  feiner  äuctorität  ergeben  tt^aren,  fo  ujirb  man  junod^ft 
bei  benfelben  auf  feine  inbcpenbentifdje  Steigung  ju  rechnen  ^aben. 
(Sine  folc^e  fonnte  pd^  bei  gettjiffen  Sn^ängern  öon  SSoet  erft 
unter  befonberen  noc^  nid^t  üorgefe^enen  ^ebingungen  entmicteln. 
Snbeffen  nac^  bem,  mag  au«  feinen  S)i«putationen  de  excelsis 
mundi  mitget^eilt  ift,  unb  ma«  ic^  mid^  gefd^eut  ^abc  burd^  ju 
genaue  änfü^rung  feiner  ®rünbe  unb  reid&ere«  cafuiftifc^e«  5)e=^ 
tail  au«jufpinncn,  fann  man  fid^  eine  beutlid^e  SSorftellung  üon 
ber  fiebenömeife  feiner  @cfinnung«genoffcn  machen,  meldte  in 
Utred^t  bie  Dber^anb  gehabt  ^aben  muffen.  Snbeffen  ju  bicfem 
Silbe  fommt  nod^  ein  Qvlq  ^in^u,  meld^er  i^re  fpecieUe  religio«^ 
fittlic^c  Stimmung  bejeid^net.  SBoet  nämlid^  fü^rt  in  einer  Di«^ 
putation  de  praecisitate  ^)  au«,  baft  alle  feine  cafuiftif^en  siegeln 
auf  bie  üoQfte  ©enauigfeit  ber  2lu«fü^rung  red^nen.  3ener  Äunft* 
au«brucf,  mit  melc^em  «5ßuritani«mu«"  gleic^bebcutenb  ift,  be* 
jeic^net  bie  „ejracte  unb  DoQfommene  Uebereinftimmung  ber 
menfc^lic^en  ^anblungen  mit  bem  @efe^e,  toclc^e«  üon  ®ott  \)ou 
gefd^rieben  unb  üon  ben  n^irflid^  ©laubigen  angenommen  unb 
mit  (Sifer  befolgt  tt)irb".  ©aju  ge^rt,  bag  ,,man  fott)of)t  auf 
ba«  ganje  @efe^  al«  auc^  auf  feine  X^eile,  X^eilc^en  unb  ^leinig- 
feiten  (minutiae)  achtet,  in  ^infic^t  ber  allerinnerften  Biegungen, 


1)  L.  c.  III.  p.  119  seq. 

2)  Disputt.  III.  p.  59. 


113 

ber  fletnften  ©ebanfen,  SSiorte  unb  @eberben,  bcr  Kcinften  unb 
&u§crftcn  ©etDiffen^fällc,  um  nic^t  ein  3ota  beS  @uten  ju  untere 
laffen  unb  au^  nic^t  bcn  @d^etn  bed  Söfen  ^u  begeben/'  SBoet 
fügt  ^inj^u,  bag  burd^  folc^e  Uebung  gefegUd^cr  SSoQfommen^eit 
bte  Seic^tigfett  unb  ^ruc^tbarfeit  im  @ut^anbeln,  bie  geiftige 
^rei^it  in  ber  Siebe  ju  S^riftuS,  ber  triebe  bed  ©emüt^ed  unb 
bie  Unab^ängigfeit  Don  bem  ©potte  ber  äßeltmenfd^en  ertuorben 
»erbe,  ^ifburd^  untcrfc^cibe  fic^  bie  üon  i^m  gemeinte  5ßräcift 
tot  t)on  ber  p^arifaifc^en,  fo  n)ie  üon  ber  falfc^en  ©frupulofität. 
6r  fcnnt  o^ne  S^^^Ud  in  feiner  Umgebung  5ßerfoncn  üon  folc^er 
Steife  unb  @id^er^eit  bediS^arafterd;  unb  man  i^ai  feine  Urfac^, 
ba^  behauptete  ßwföntmentreffen  ber  peinlid^cn  ©enauigfeit  in  ber 
93eurt^eilung  jeber  cinjelnen  not^menbigen  ^anblung  ober  (&nU 
l^altung,  aiebenSart  ober  ©eberbe  mit  ber  ^Jrei^eit  unb  ©eligfeit 
ber  IHnber  @otted  ubcrl^aupt  in  3^<^if^^  h^  f^^^^^,  toeil  ei^  ge^ 
miffen  gergcbrad^ten  S(nna^men  entgegentritt.  Slllein  man  üer^ 
migt  boc^  bei  SSoet  bie  fidlere  S(nteitung  baju,  n)ie  man  in  jcbem 
einjelnen  j^aüt,  in  ber  ©cfdjroinbigicit  bie  ^Äleinigfciten"  bei8 
^göttlic^en  @efe|ed  üon  ben  gleic^gilltigen  ^leinigfeiten,  bie  er  aU 
folc^e  nic^t  beutlid^  befd)reibt,  ^u  unterfd^eiben  Dermag.  S)ie 
Se^re  üon  SSoet  ift  übrigen^  im  (Einflang  mit  bem  fird^lic^en 
@runbfa|e  bed  ß^atüiniiSmud,  bag,  tro|  ber  in  ber  irbifc^en  £auf^ 
bal^n  bleibenben  UnüoQfommcnl^eit  be^  fittlid^en  äBirfem^  unb  ber 
(S^arafterbilbung,  ein  regelmäßiger  abgeftufter  ^ortfc^ritt  in  ber 
(Erfüllung  bei^  @efe^eS  mdgli^  unb  not^menbig  fei  >).  (Er  ^at 
aQerbingd  bei  biefer  Disputation  bcn  SSorbc^alt,  bag  bie  SSoCU 
fommcn^eit  erft  im  jcnfeitigen  fiebcn  erreid^bar  ift,  nicftt  ^in^ju* 
gefügt;  er  l^at  aber  benfetben  o^ne  3^<^U^(  "'^^  auSfd^liegen 
tt)oUen.  S)enn  bei  bem  Slnlag  beS  Streitet  gegen  fiababie  ^at 
er  i^n  audbrfidlid^  in  Erinnerung  gebracht.  Snbeffcn  fo  n)ie  er 
bie  ^räcifität  ald  not^n)enbig  unb  aU  möglid^  be()auptet,  n)irb 
bie  ©timmung  ber  ernften  ß^riften,  weldje  ber  Äuctorität  Don 
Soet  gefolgt  finb,  aud^  bei  aQer  Demut^  gegen  Qiott,  bie  fic  ge::: 
leiftet  ^aben,   mit  einer  großen  ©ic^erl^eit  au^cftattct  gewcfen 


1)  Catech.  Palat.  qu.  115.  IIoc  perpetuo  agamus,  ut  in  dies 
magis  ac  magis  ad  imagineni  dei  renovemur,  doncc  aliquando  tflndero, 
postquam  ex  hac  vita  dccesserimus,  propositam  nobis  perfectionem 
laeti  assequamur.    ^^l  Sobfiein,  bie  St^if  Saloin'fi  e.  133  ff. 

I.  8 


114 

fein  unb  fid^  in  einer  ftarfen  Äbgefd^Ioffen^eit  gegen  bic  Anbeten, 
namentlid)  gegen  bie  ber  SESeltItebe  ^erbäd^tigen  ben^a^rt  ^aben. 
3u  bcm  Silbe  biefcd  l^reifeS  bieten  aber  nod^  gen)iffe  Sr^ 
örterungcn  üon  Soet  über  bie  firc^Uc^e  ^idciptin  einen  d^arafte« 
riftifc^en  Seitrag,  moburc^  ber  eben  ait^gefproc^ene  (Einbrud  be> 
ftätigt  tpirb.  2)ie  allgemeine  Sebeutung  ber  2)idciplin  in  ben 
ca(üinif^*reforniirtcn  ^ird^en  n^ürbe  unüerftänblic^  fein,  n^enn 
man  fic^  nic^t  erinnerte,  bog  in  ber  ßcit,  weld&e  ^ier  in  SBetrac^t 
lommt,  bie  gefeüfd^aftlid^c  S^iftenj  übermiegenb  fid^  in  bem 
Stammen  ber  fird^lic^en  Functionen  bemegte.  S^emgemäg  geben 
$flic^t  unb  Stecht  ber  X^eilna^me  an  ber  regelmäßigen  freier  bed 
Slbenbma^tö  ben  SU2agftab  für  bie  %c^tung  unb  S^re  ab,  bie 
(Einer  aud^  in  feinen  bürgerlid^cn  S9e;;ie^ungen  beburfte.  9lun  ^at 
bie  ©iöciplin  ben  ©inn,  bag  burd^  bie  abgcftuften  Suchtmittel 
ber  (Ermahnung,  ber  Stfige,  enblid^  ber  S^communication  ober 
Slu^fd^Uegung  üom  %benbma^l  bie  öffentlichen  ^^älle  üon 
@ünben  geal^nbct  n^erben  follen,  um  fon^obl  bie  S^re  ber  ßirc^e 
}u  n^a^ren,  aU  bie  @ünber  j^ur  ©innedänberung  ju  bemegen, 
aU  aud^  bie  SInbcren  bor  ber  @flnbe  ju  n)arnen  unb  üon  i^r^ 
abi^ufd^recfcn.  3m  Sinflang  mit  ber  Uebung  ber  alten  fiirc^e 
tourbe  bie  ßuc^t  grunbfä|li^  gcltenb  gemacht  gegen  bie  öffent« 
liefen  Uebertretungen,  qaandoqaidem  de  occnltis  non  indicat 
ecclesia.  3nbeffen  f)at  fc^on  Ealüin  felbft  biefen  ®runbfa|  nur 
mit  einer  geioiffen  Sinfd^ränfung  anerfannt  ^).  (Er  unterfi^cibet 
nämlic^  bie  abfolute  Verborgenheit  eine^  Vergeltend,  n^elc^e  im 
gaße  ber  habituellen  §eud()elei  ftattfinbet,  unb  bie  relative  SJer^ 
borgen^eit,  bei  loelc^er  bie  jfenntnig  meniger  nic^t  audgefc^loffen 
ift.  (Er  untcnoirft  nun  audj'biefe  le|tere  Älaffe  ber  (Eompctenj 
bed  firc^lid^cn  ©iöciplinargeric^ted,  unter  ber  Söebingung,  bag  bie 
bei  'SJlattf).  18.  aufgegebenen  Verfud^e,  einen  ©ilnber  burd^ 
^riDaterma^nung  unb  Siüge  ju  beffern,  feinen  (Erfolg  l^ätten. 
3n  biefem  j^aüc  ber  ^artnäcfigfeit  eined  ©ünberö  würben  bie 
3eugen  feinet  relatiü  Verborgenen  Vergeltend  Der^)flic^tct  fein, 
baffclbe  gur  Cognition  bed  ^rcdb^tcriumd  ju  bringen.  Siefe 
mifeli^c  änorbnung  ift  nun,  n)ie  bie  (Erörterungen  oon  Voet  be* 
toeifen  *),  ju  einem  Softem  oon  Snquifition  audgeroac^fen,  inbem 


1)  Instit.  ehr.  relig.  IV.  12,  6. 

2)  Politica  eccl.  III.  p.  852  seq. 


115 

ein  SBerfa^ren  aufgenommen  ift  tpelc^e^  baS  fanonifd^e  9led^t 
für  bie  2)i^ip(tn  ber  @eiftlid^en  t)orfc^reibt.  SSoet  nämüd^  be^ 
jeic^net  ben  üon  Salutn  gefegten  ^aü  ald  ben  eined  nid^t  noto« 
rifd^en  SSerge^enS  eines  ßird^engliebed,  n)eld^eS  ju  erforfd^en  bie 
ßirc^e  bad  9led^t  ^abe.  3n  ber  Sefd^retbung  biefeS  ^alled  fe^It 
nun  bie  üon  Sabin  gefteUte  93ebingung,  bog  ber  ßeuge  eines 
üerborgenen  SBergel^enS  erft  bie  abgeftuften  ^riüatüerfuc^e  jur 
SBefferung  beS  @finberS  gemacht  l^aben  muffe,  e^e  er  gehalten 
ift  fein  beftimmteS  3<^ugnig  üor  bcm  ^rcSb^terium  abjulegen. 
Sielmel^r  n^irb  ber  %aü  fo  befc^riebcn,  bag  baS  $reSbt)terium 
über  ein  anftögigeS  SBergel^en  eines  @(äubigcn  burc^  baS  @e^ 
rflc^t  erfährt,  ober  burc^  bie  Slnjeige  eines  ober  mehrerer  @e- 
meinbegUeber,  fei  eS  meil  biefelben  klugen-  unb  D^renjeugen 
maren,  fei  eS  n^eil  fie  eine  genügenb  begrünbete  SSermut^ung 
^egen  (ex  valida  praesumtione),  fei  eS  n)etl  fie  ein  ©eriid^t 
unter  einigen  ©laubigen,  ober  fremben  SonfcffionSgenoffen  oer^ 
nommen  ^aben.  3n  biefem  f^aQe  fd^reibt  nun  SBoet  eine  fe^r  oorfid^ 
ttge  Unterfud^ung  oor,  n^elc^e  fid^  ber  ftrengen  QcnQcn\)cxi)'6ic 
beS  mettUd^en  $roceffeS  ju  entl^atten  f)abc.  SBenn  bann  bieSlb« 
^rung  üon  k)erfd()iebenen  fieuten,  benen  boS  ungünftige  @erüc^t 
jugefommen  ift  unb  bie  Befragung  beS  SSerbäd^tigen  felbft  ju 
feinem  ^idc  fü^rt,  fo  foQ  n^egen  ber  @^re  ber  @emeinbe  unb 
beS  ^reSb^teriumS  bie  @ad^e  lieber  unentf^ieben  unb  bem  @e^ 
miffen  beS  SBerbäd^tigcn  felbft  überlaffen  bleiben,  jugleic^  bem 
@eric^t  ©otteS,  bis  berfelbe  bie  äRittcl  jur  (Sntbedung  beS  ^alleS 
an  bie  ^anb  geben  mag.  Ob  nun  aber  in  biefem  casus  non 
liquet  ein  SBerbäc^tiger  jum  ^benbma^l  n^eiter^in  jujulaffen  ift 
ober  nic^t,  ift  toieber  ©egenftanb  fpecieUcr  Unterfud^ung  für 
Soet.  9lämlic^  bie  SluSfc^Uegung  oom  Slbenbma^le  lam  in  ber 
caloinifc^^reformirten  Jiird^e  nid^t  bloS  oor  als  bie  äugerfte  Strafe 
für  ^artnödEige  SBenoeigerung  ber  Steue  unb  ber  ber  jl^ird^e  ju 
(etftenben  ©enugt^uung,  fonbern  fie  erfolgte  auc^  unter  bem 
Xitel  ber  simplex  abstentio  in  anberen  f^öllen  0-  biefelben 
ftnb  oon  üerfc^iebener  ja  entgegengefegter  Krt.  (Einmal  nämlid^ 
ift  (Enthaltung  üom  %benbma^l  nac^  eigenem  (Entfc^lug  mög« 
lic^.  @ie  ift  unter  bem  83om)iffen  beS  $reSb^teriumS  für  bie 
(Einjctnen  juläffig  toegcn  @ett)iffenSbrucf  ober  gctftreut^eit,   ober 


1)  L.  c.  III.  p.  859. 


116 

um  3^it  h^  getoinuen,  ftd^  Don  einem  erl^obenen  SSerbac^t  ju 
reinigen,  ober  um  im  legtern  ^all  anbcren  feinen  %[nftog  burd^ 
bie  Xl^etlnal^me  am  Slbenbma^l  ju  geben  unb  beren  Qütüä^ 
Siel^ung  üon  bemfelben  ju  üerfc^ulben.  Unter  biefen  Um« 
ftonben  ift  bie  (Enthaltung  jur  Sl^re  berSteligton  unb  berji^irci^e 
als  eine  befonbere  $robe  üon  ^rdmmigfeit  unb  Krd^lic^er  @c« 
ftnnung  ju  berfte^cn.  S)em  fte^t  aber  eine  ^u^^^^^itung  üom 
Stbenbma^Ie  gegenüber,  n^elc^e  @emeinbegliebern  bur^  bad  $reiS« 
b^tcrium  auferlegt  tt)irb.  2)iefe  SÄagregel  erfolgt  unter  Umftän* 
ben  im  3ufammen^ang  mit  bem  eigentlichen  2)i^ipIinarDerfa^ren, 
}.  93.  ipenn  baiS  notorifc^e  SSerge^en,  für  loeld^eS  9{eue  unb  @c« 
nugt^uung  bem  ^re^bQterium  geleiftet  ift,  befonberd  fd^mer  ge^ 
n^efen  ober  erft  üor  furjer  ßeitung  begangen  ift.  Slujserbem  aber 
ift  bie  ßiti^fic^^^ltung  üom  Slbenbma^l  burc^  bod  $redb^terium  be^ 
rec^tigt,  menn  Siner  in  ber  Untcrfud^ung  tocgen  eined  nic^t  noto« 
rifd^en  Sergel^end  fte^t,  n)enn  er  loegen  eined  üerfud^ten  SBcr^ 
bred^end  in  SSerbac^t  ftel^t,  ober  n^enigftend  nod^  unter  ber  9[n« 
flage  bor  bem  ftaatlic^en  @eric^t,  aud^  n^enn  er  bad  $redbQterium 
üon  feiner  Unf^ulb  überzeugt.  3)aju  lommt  enblic^  ber  ^aU, 
n)cnn  ein  mit  übelem  @erfid^te  unb  SBerbad^te  behafteter  bie  ®c* 
fol^r  beg  ©c^iöma  ober  öffentlicher  Unorbnung  in  ber 
@emeinbe  burc^  feine  S^'^ff^^ß  h^^  Slbenbmal^le  l^erbeifii^ren 
mürbe,  ©icfer  @runb  jur  officieDen  gw^ö^^öltung  üom  ?lbenb* 
mat)le  entf^ric^t  nun  ber  9iüdfic^tna^me  auf  gemiffc  ©emcinbc* 
glieber,  meiere  oben  al<^  ein  bebeutfamer  @runb  be^  freimiQigen 
SBerjic^te^  auf  bad  übenbma^l  angeführt  mar.  9)eibe  Angaben 
bezeugen  alfo,  bag  in  ber  Jiirc^e  ©rupfen  fold^r  S^riften  oor^ 
l^anben  finb,  meldte  i^re  X^eilna^me  am  Slbenbma^l  baDon  ab^ 
l^ängig  madjen,  bag  nic^t  blöd  bie  red^tlid^  qrcommunicirten  ^cr^^ 
fönen  üon  ber  l^eiligen  ^anblung  fern  bleiben,  fonbern  aud^  fold^e, 
beren  9iuf  nic^t  ganj  rein  unb  mafellod  ift.  SKenn  cö  bem  ^reö^ 
b^terium  nid()t  gelingen  follte,  folc^e  SSerbä^tige  abju^alten,  fo 
mürben  bie  ftrcngen  S^riftcn  cntmeber  oerfuc^en  i^rer  Anficht 
Geltung  ju  ücrf^affen,  auc^  auf  bie  @efa^r  bed  ©treited  unb 
ber  Unorbnung,  ober  fic  mürben  fid^  felbft  öon  ber  Äbcnbma^ld- 
fcier,   bie  nac^  i^rem  Urtljeil  nid^t  correct  märe,  jurücfsiel^en  V- 


1)  ^tegcgen  (£alt)tn,  Inst.  IV.  1,  15:   Qui  indigne  manduoat,   iudi- 
cium  sibi  manducat  et  bibit.     Non  dicit  aliis   sed   sibi.    Et  merito: 


117 

Dicfe  fhrcngcn  ß^rtftcn  tocrben  »ir  nid^t  »eit  üon  SBoet  fclbft 
ju  fud^en  ^aben;  benn  er  billigt  bie  frcitoilligc  ober  bie  ju  er« 
jtoingenbe  9lü(fftd^t  auf  i^re  Slnfprfic^e. 

Sieben  ben  ftrcngen  (Sbrtften,  tDeld^e  in  ber  bejeic^netcn 
SSetfe  auf  bie  Unüerbä^tigfeit  aller  Slbcnbmal^lSgäfte  Italien,  unb 
lieber  auf  bie  Sommunion  üerjic^ten,  a(d  in  jener  SSejiel^ung 
nachgiebig  fein  n^ollen,  fommt  nod)  bie  ji^laffc  berjenigen  in  Se* 
trad^t,  meldte  ftd^  felbft  niemals  für  n^ürbig  genug  jur  X^eil« 
na^me  om  ©acrament  anfe^cn  *)•  SScibc  ©nippen  gehören  info* 
fern  j^ufammen,  ate  fie  offenbar  in  bem  @runbfa^  ber  $räcifität 
fiberetnftimmen,  bem  aber  bie  Sinen  ju  genügen,  bie  Slnberen 
immer  nod^  nid^t  üoüftönbig  ju  genügen  überjeugt  finb.  SlUein 
bcibc  nnirbcn  nid^t  nur  in  bem  Peinigen  öcfuc^e  ber  öffentlid^n 
$rebtgten  unb  ^atec^ifationen  i^re  fird^Iid^e  ©eftnnung  bet^ätigt 
l^aben,  fonbern  fie  finb  aud^  burc^  il^r  befonbered  ©treben  ju 
fte^enben  ^riDatDereinigungen  iufammengefü()rt  n^orben.  SBoet 
n&mlid^  (egt  bei  Gelegenheit  bad  d^^S^i^  ^^f  i>o6  ^^  mand^en 
rcformirten  ©emeinben  ber.  SRieberlanbe  priöate  Äated^ifationen, 
Sßieber^olungen  ber  $rebigt  unb  anbere  gemeinfame  Uebungen 
ber  Ortömmigfeit  bcftef)en,  t^eild  unter  ber  fieitung  be^  $rebigerd, 
tl^eild  o^ne  biefelbe,  bag  aber  babei  bie  Sliüd^td^t  genommen  n^erbe, 
bag  foldie  äSerfammlungen  nidjt  für  beibe  ©efd^lec^ter  gemeinfam 
finb  *).  S)iefe  Slotij  bcttjeift,  t>a^  ber  öeftanb  ber  ^alb  öffent* 
lid^en  ^rii^atüereinigungen  jur  Uebung  ber  ^römmig!eit  im  l^a^re 
1671  bie  ©d^ranfen  jiemlic^  weit  überfd^ritten  l^atte,  in  welchen 
biefe  Snftitution  burd^  bie  SRationolf^nobe  ju  SJortred^t  1618—19 
anerfannt  worben  war*).  3n  ber  17.  ©cffton  berfelben  ift  \>oi^ 
gefd^rieben  worben,   bag  bie  SSäter,   bejie^ungdweife  bie  Mütter 


oeque  enim  in  singulorum  arbitrio  situm  esse  debet,  qiii  recipiendi  et 
qui  repellendi  sint.  .  .  .  Iniquum  ergo  erit  privatum  aliquem  alterius 
iniquitate  pollui,  quem  arcere  ab  acceesu  nee  potest  nee  debet. 

1)  Pol.  eccl.  III.  p.  505 :  Qui  in  nostris  ecclesiis  nunquam  adduci 
poBsuot  ad  cucharistiae  receptiooem. 

2)  L.  c.  III.  p.  525:  In  ecclesiis  reformatis  Belgii,  ubi  privatae 
catechisationes,  aat  concionum  repetitiones  aut  alia  quaocunque  pietatia 
aoeia  exercitia  vigent,  hoc  sedulo  curatur,  ut  congregationes  exercen- 
tium,  sive  absque  aive  cum  praesidio  et  directione  concionatoris,  yiro- 
rum  et  mulierum  aeorsim  habeantur. 

3)  Sum  folflenben  «)0l.  Polit  eccl.  P.  I.  IIb.  K  p.  835  sq. 


118 

mit  ben  Jiinbern  ^au^ottc^bienft  5U  Italien  l^aben,  befte^citb  in 
@cbet,  SBorlefung  ber  @d^rift,  @inäbung  üon  ©d^riftfprfid^en, 
SEBteber()oIung  ber  öffentlid^en  $rebigten,  ttamentUd^  ber  fated^e« 
tifc^en  (über  ben  ^eibelberger  ßatcc^i^mui^).  3)iefe  SSorbereitung 
ber  ^inber  jum  9leIigion^unterric^t  in  ber  öffcntUd^en  @c^ule 
n)irb  ben  Keltern  ju  einer  $flid^t  gemacht,  n)e(c^e  burc^  bie 
officieüen  ^efud^c  bed  ^aftord  controUirt  unb  ben  Umftanben 
gemäg  burc^  Saugen  bci^  $rciSb^teriumd  erjn^ungen  toerben  fo(L 
Äugerbem  aber  tt)trb  ben  ^aftoren  neben  ben  öffentlid^en  Äate^^ 
d^idmuSprebigten  aufgegeben,  n)öd)entlid^e  SBerfammlungen  in  einem 
^riüat«  ober  fonft  geeigneten  ^aufe  mit  fold^cn  (Em)acl^fenen  ^n 
galten,  n^elc^c  entn)eber  im  9leIigiondunterric^t  Dernad^Iäfftgt, 
ober  fonft  baju  bereit  finb,  in  eine  freunbfd^aftlid^e  unb  familiäre 
Unterhaltung  über  bie  d^riftlic^e  fie^re  fic^  einjulaffen,  um  in 
berfelben  befeftigt  ju  n)erben.  ^iefe  fated^etifc^en  $rioatübungen 
foHen  Nmit  ©ebet  unb  (Srma^nung  eröffnet  unb  gefd^loffen,  unb 
ed  foU  üon  ben  $aftoren  barauf  gead^tet  toerben,  bag  folc^e  an 
il^nen  t^eilne^men,  meiere  um  i^r  @eelenl^eil  bemüht  finb  unb 
eine  Hoffnung  be^  Srfolged  enoecfen;  ferner  follen  fold^e  &c^ 
noffen  mit  einanber  j^u  (Einer  SSerfammlung  berufen  merben, 
bercn  äugere  £age  ern^arten  tagt,  bag  fie  fid^  offen  audfprec^en 
toerben.  @o  toeit  ^at  bie  S)ortrec^ter  @^nobe  bie  ®aä)e  ge< 
orbnet. 

S)ie  (Erörterungen  aber,  toeld^e  SSoet  an  biefe  fird^Uc^e  @c« 
feggebung  anfnüpft,  betoeifen,  bag  bie  religiöfen  $riüatberfamm« 
iungen  in  ber  nieberlänbifd^en  ^ird^e  bid  jum  3a^r  1663  (üon 
toeld^em  ber  erfte  ©anb  feiner  Äird^cnpolitil  batirt  ift)  eine  t^eil§ 
reid&ere,  t^eitö  freiere  (Sntioidetung  genommen  ^aben  *).  Unb 
für  biefe  tritt  er  mit  feiner  Billigung  gegen  öerfd^iebenc  bon  ibm 
bemerflid^  gemad^te  (Eintoenbungen  ein.  ^ie  ^ated^iSmu^übungen, 
um  bie  eS  fid^  nac^  ber  SBorfd^rift  ber  @^nobe  ^anbelt,  fennt 
er  in  breierlei  Art,  erftcnd  bie  öffentlid^en  ober  l^alb  öffentlichen. 


1)  ^)laäi  ber  Eingabe  oon  H.  van  Berkum,  Labadie  2.  9b.  6.  190 
^t  f(4on  1629  eine  S^nobe  5U  Setben  Qefitmmungen  getroffen  fibcr  donbentifel, 
bie  )u  9lotterbam  ootQefommen  naren.  ferner  f^ai  SBil^elm  SeeQincf,  alfo  Dor 
1629  in  ^ibbelburg  (£ont>enttfeI  gehalten.  Uebrigend  bienen  bie  oben  ^t%thtntn 
9}a(i^tDeifungen  )ur  ^en^tigung  ber  tinnaime  t)on  t>an  9erfum,  ba^  erf}  Sababte 
bie  Konten  tuet  toieber  in  ®ebrau4  %^W  unb  i^nen  )tt  neuem  Seben  t>eT« 
l^olfen  ^abe. 


119 

tDctd^e  am  @onntag  mit  bcn  toeniger  geübten  @emeinbcgliebem 
t^eitö  in  felbftänbiger  Stebe,  tl^eitö  in  ber  $orm  ber  äßiebcrl^olung 
ongefteüt  toerben,  an  äSoc^entagen  hingegen  jmeitend  ben  Sugenb^ 
untcrrid^t  jur  SBorbereitung  auf  bie  erfte  Sommunton,  brittend 
bie  Uebungen,  ju  meieren  ftd^  bur^ebilbete  unb  üollbere^tigtc 
©cmcinbeglicbcr  jufammenfinbcn.  S)eu  ßrocd  biefer  Älaffc  ber 
Serfantmlungen  bejeid^net  er  ba^in,  bäg  tl^re  SRitglieber  ju  einer 
größeren  @lauben^en)ig^eit  gegen  bie  SSerfuc^ungen  burc^  falfd^c 
Seigre  unb  burc^  SBeltluft  gebracht  merben.  9lun  befte{)t  SBoet 
barauf,  ba§  bie  öffentlichen  unb  bie  ()alb  öffentlichen  j^atec^ifa^^ 
tionen  nid^t  au^fd^Iieglic^  ben  $aftoren  ju  überlaffen  feien,  fonbern 
bag  auger  il^nen  auc^  alle  orbinirten  ^j^rebiger,  n)enn  fie  aucb 
nur  im  Amt  ber  Äranfenbefud^er  ftel^en,  ferner  bie  3)octorcn  ber 
Z^eo(ogie  ju  jenem  ©efd^äfte  berechtigt  feien,  o{)ne  einer  befonbem 
Srtaubnig  üon  ben  $aftoren  über  bem  ^reiSb^terium  ju  bebfirfen. 
SKan  fte^t  n)o()(,  bag  biefe  Slnfid^t  Sßiberfprucl^  fanb,  unb  ju« 
gleic^,  bag  fie  bod^  nur  bei  ben  l^alb  dffenttid^en,  b.  1^.  ben^ri:' 
Datüerfammlungen  praftifd^  n^erben  !onnte.  SBoct  mad^t  aber 
geltenb,  bog  leincr,  ber  ju  jenen  fieiftungen  befähigt  fei,  fein 
$funb  üergraben  bürfe,  unb  leitet  ben  äßiberfpruc^  bagegen  aud 
bem  3^itgeift  ab,  ttjelc^er  ber  SKeltluft  ergeben  unb  in  ber 
^römmigfeit  unfrud^tbar  fei.  äßeiter^in  finbet  er  ed  burc^auS 
nic^t  anftögig,  bag  ju  ben  ^au^gotte^bienften,  n^eld^e  t)on  S^ran« 
fenbefuc^ern,  Don  Sanbibaten  ober  Don  ^au^Iel^rern  ge()alten 
»erben,  auc^  nod^  anbere  ^erfonen,  SSerroanbte,  Sefreunbete, 
9lad)baren  jugelaffen  merben.  „SSelc^e  @efa^r  ober  n^eld^c  @d^ulb 
foQ  barin  Hegen?  ßie^t  man  boc^  aud^  ju  anbercm  ^äudlid^en 
Unterrtd^t  frembe  jl^inber,  unb  mirb  boc^  ba^  t)äu^lic^e  ^Ial)l 
fein  öffentliche^,  n)enn  auc^  ein  ^rembcr  an  einem  beftimmten 
SBoc^entage  regelmägig  baran  t^eilnimmt/'  ®egen  ba^  Sor« 
trec^ter  Decret  meint  er  Derftoge  jcne^S  5Berfat)ren  nid^t;  in  iaf)U 
reid^en  ©emeinben  aber  em^fe^le  ed  fid^  al^  notl^toenbig.  @S  fie^t 
fo  aud,  a(S  ob  SSoct  an  biefem  Drte  nic^t  bcn  ganzen  uon  i^m 
gebilligten  X^atbeftanb  ber  SonDentifel  befd^reibt,  um  nic^t  ge« 
nöt^igt  ju  fein,  bie  gemig  nic^t  leidste  SSert^cibigung  berfelben 
gegen  gangbare  unb  aud  9iäcffic^t  auf  bie  fird^lic^e  Orbnung 
ni^t  unberechtigte  (Sinn^enbungcn  ju  führen.  SSon  ben  SScrfamm- 
lungen  ber  burc^gcbilbeteu  unb  gereiften  @emeinbegliebcr  jur 
grögeren  SBerfic^erung   i^red  @laubendftanbei^  ift  alfo   in   bem 


120 

Sopitel  nid^t  mcl)r  btc  9f{ebe.  SBie  toeit  cd  aber  auf  biefetn  ^elbe 
unter  feiner  ßuftimmung  getommen  fein  mu%,  üerrat^  er  an 
einem  ganj^  anbern  Ort,  loo  er  über  bte  9f{ec^te  ber  grauen  in 
ber  £^irci^e  ^anbelt.  SDJit  $aulud  tterbtctct  er  t^nen  natürlid^ 
in  bem  öffentli^en  ©ottcdbienft  %u  reben;  aber  er  bere^tigt 
nid^t  bloi^  bie  äRüttcr  baju,  ben  Umftänbcn  gcmäg  ben  ^auSgotted« 
bicnft  ju  galten,  fonbern  er  er! (ärt  aud^,  bag  in  ben  (Sonbentifeln 
Don  grauen  gelegentlich  aud^  eine  grau,  toenur  fie  bie  Jienntnig 
unb  bie  ^crmencutifd^e  gertigfeit  ^at,  bie  ©c^rift  aui^Iegen  unb 
ber  Slnbac^t  üorftc()en  barf  ^).  2)er  ^udbrud  coUatio  scripturaria 
nämlid^  bejcic^net  eine  $rit)att)erfamm(ung,  mlä)t  fi^  mit  ©c^rift:: 
audlegung  befc^äftigt,  alfo  Sibelftunbe.  äSicQeid^t  aber  ^at  er 
bicfc  befonbere  Studnal^me  nur  im  @cbanfen  an  eine  Sinjige 
il^red  @efd^led)td  gemacht;  bad  ift  feine  @c^ü(erin  Slnna  SJ^aria 
Don  @c^urman,  Don  welcher  fpäter  nod^  bie  9iebe  fein  mirb. 
Uebrigenö  fpric^t  er  ft^  über  bie  Söefä^igung  ju  Sibelftunbcn 
Diel  t)orfi($tiger  an^,  aU  über  bie  Sered^tigung  ju  ben  S^atcäfi\a* 
tioncn,  n^elc^e  nac^  officieQer  Slnnal^me  bie  $rit)ati)erfammtungen 
auSfüQcn  foUen. 

Snbem  ber  (Salüinis^mud  bem  eintrieb  folgte,  bie  ß^ft^nbe 
bed  Sultud  in  ben  Urgemeinben  ju  erneuern,  n^el^e  au^  ben  Ur- 
funben  be^S  91.  %.  nac^meidbar  finb,  fo  foUte  aud^  bie  1  j^or.  14 
bezeugte  grci^eit  unb  Orbnung  ber  prop^etifd^cn  Sieben  nad^gc« 
al^mt  »erben  *).  3Kan  Derftanb  freiließ  ju  ©unften  biefer  9iac^* 
a^mung  unter  $rop()etie  (^rop^ejei)  bie  Sludlegung  unb  praf« 
tifd^e  ^nmcnbung  ber  ^eiligen  (Schrift,  unb  ^n^ar  biejenige,  n)el^e 
Don  ben  ^aftoren  unb  ben  @cmeinbegliebern  gemeinfam  }u  üben 
märe.  3n  einer  fold^en  Unterl^altung  fam  cd  urfprünglic^  auf 
bie  äJergteic^ung  ber  Derfc^iebencu  @d^riftte£te  ^inauS,  meiere  im 
Saufe  ber  SSJod^e  in  ben  öffentlid^en  ^rebigten  bcl^anbelt  maren; 
ba^er  ber  Xitel  coUatio  scripturarum.  S)iefeö  mar  bieOrbnung 
in  ber  nicberlänbifd^en  grembengcmeinbe  ju  Sonbon,  meiere  1550 
unter  ber  oberen  Seitung  Don  So^anned  äaäti  ftanb.    hingegen 


1)  L.  c.  IT.  p.  209:  Nee  tantum  domi  suae,  sed  et  alibi  in  sociis 
et  occasionatis  religiouis  et  pietatis  exercitiis  aut  privatis  colloquiis 
et  collationibus,  ubi  aliqua,  quae  soieotia  et  Swafift  (QfjtTjvivTixj 
praevalet,  si  res  et  occasio  ita  tulerit,  in  femineo  ooetu  praeire  posset. 

2)  3um  folgcnben  ügl.  Pol.  eccl.  P.  I.  lib.  1.  p.  873  sq. 


121 

in  ber  gleid^ieitigen  franjöfifc^cn  (iDaQonifd^cn)  ©emeinbe  bafetbft 
ttKir  bie  Drbnunfl  bic,  baß  ein  ?l6fci^nitt  bcr  ©d^rift,  wdäftx 
t>ux6)  bcn  ^aftor  erflärt  lonrbc,  bcn  ©emeinbcgliebern  ben  %n^ 
lag  ju  S^^fl^n  ^^^  Stntocnbungen  borbot,  beten  S3cantn)ortung 
ober  £öfung  jenem  oblag.  ^iefeS  ^nftitut  l^attcn  btc  in  bcn 
Slieberlanben  befte^enbcn  calöinifc^en  ©cmeinbcn  mit  geringen 
SRobificQtionen  auf  ben  t)on  il^ncn  im  SluStanbe,  p  SEBefet  15(58, 
}u  (Emben  1571  gel^altenen  grunbicgenben  9lationa(f9noben  auf:: 
genommen.  3n  bcr  jafilrcic^en  Solföürc^c,  unter  äRenfc^en  bcr 
t)erf^iebcnftcn  93ilbung^grabe  fonnte  biefc  Sinrid^tung  natürli^ 
ntc^t  gebci^cn,  unb  i^rc  öffcntlid^e  regelmäßige  Uebung  bcl^aupten. 
Soet  erflärt  bemnac^,  bag  bie  ^^^rop^etiC  feine  unumgängliche 
Function  ber  fiir^e,  unb  bag  fie  nic^t  al^  öffcntlid^e  Ucbung  ber 
ganjen  @$emeinbe  }u  üeranftaltcn  fei,  bag  fie  bielme^r  fid^  nur 
für  5ßrioatöerfommlungcn  eigene,  entweber  fo  bag  feine  ^w^örer 
auger  ben  SoUoquentcn  babei  loären,  ober  fo,  bag  bie  ^u^örcr 
(toetd^e  nic^t  mitrcben)  einer  befonbern  Sluötoa^l  unterjogen 
tt^firben.  (£r  bef^ränft  aber  aud^  biefc  Slnorbnung  babur^,  bag 
ber  JBorfi^  ober  bie  Icitcnbe  Slu«^lcgung  ber  ©c^rift  in  biefen 
„ecciesiolae"  einem  t^eologifd^  gebilbetcn  äRanne,  alfo  nebefi  ben 
$aftoren  aud^  bcn  S)octoren  ber  X^eologie  unb  ben  übrigen 
ministri  Vorbehalten  bleibe.  ©oQ  man  nun  anne()men,  bag  iSoet 
ein  Sluge  jugcbrüdt  pttc,  auc^  loenn  gclegentlid^  Saicn  bie  iitu 
tung  foldier  ^ibclftunbcn  übernommen  ptten?  S)ie  Slui^na^me, 
meldte  er  in  biefer  Scjie^ung  ju  fünften  ber  tl^eologifd^  gebil^ 
beten  grau  jugclaffen  ^at,  fc^eint  ju  biefer  Sermutl^ung  aufju- 
forbern.  3nbeffen  wenn  ic^  SRcc^t  l^abe,  l^iebei  an  bie  einjige 
©c^urman  ju  benfen,  fo  loar  beren  t()cologifc^e  ä3cfäl^igung  frei:: 
lic^  ber  ^rt,  bag  i()r  barin  faum  ein  Saie  männli^cn  @efc^le^td 
unter  ben  ä^^tfl^^offc"  gleid)gcfommen  fein  roirb.  SSoct  ^atte 
alfo  roa^rfc^einlic^  feinen  Slnlag,  beren  SJerec^tigung  jur  ÄbJ^al- 
tung  oon  Sibclftunben  befonbern  ju  rechtfertigen.  Allein  fein 
3cugnig,  bag  in  ben  nacft  @cfd^lcct)tern  gcfc^icbcnen  Sonüentifeln 
auc^  iRic^tgeiftlict)e  al^  93orfi^cnbe  üorfommen,  ^at  bod^  fein  @e« 
roic^t,  auc^  ttjcnn  folc^c  fic^  nur  für  ©cbct,  ©d^riftDorlcfnng  unb 
SBieberl^olung  ber  Äatedjiömu^prcbigten  geeignet  ad^teten. 

älfo  t)or  bem  3a^rc  1663  gab  e^  in  ber  niebcrlänbifc^en 
reformtrten  ^irc^c  t^eiU  öffentlid)e  ^ated^ifationen,  t^eilS  ^alb 
öffentli^c  ober  ganj  gefd^loffenc  ©rbauungöüercine,  in  bcnen  ent^^ 


122 

tocbcr  unter  bcr  Scitung  eincd  @eiftltc^en,  ober  auc^  unter  bem 
SSorfi^  üon  £aien  gemeinfc^aftlid^  gebetet  gefungen,  ber  ^ated^tö» 
mud  iDteber^olt  ober  bte  ©d^rtft  aufgelegt  unb  im  %[nfc^Iug 
baran  aud^  ©emiffcnöfäDe  erörtert  würben.  3)iefe  nad^  ben  ®e- 
fd^lec^tern  getrennten  SSerbinbungen  finb  bie  ^eerbe  bcr  ftreng 
ea(t)inifd^en,  alfo  ber  fird^lt^  gerabe  bered^tigten  @eftnnung  ge« 
toorben,  in  bem  SD^oge,  aU  bie  großen  @emeinben  t)on  äßettfinn 
erfüQt  \iä)  ber  ^räcifität  üerfi^loffen,  in  n^eld^er  ber  toeltflüd^tige 
3ug  bed  @a(ütnidmu^  ftd^  DoQenbete.  2)iefe  in  ben  ecclesiolae 
gepflegte  9iid^tung  ftanb  für  bie  ftrenge  Sfu^äbung  ber  ^rd^en« 
jud^t  ein,  unb  i^re  Sln^änger  übten  eine  genaue  Kontrolle  über 
bie  regelmäßigen  Slbenbma^Idfeiern,  um  ju  l^inbern,  bag  and) 
nur  S3erbä($tige  baran  tl^eilna^men.  3n  bem  ^aÜQ,  bag  bie  Sou:» 
fiftorien  (^reSb^terien)  in  bereu  Slbn^e^r  fd^mad^  ober  nad^täfftg 
toaren,  jeigten  fid^  jene  ^^i^ommen  bereit,  ftc^  felbft  t)on  einer 
i^eier  jurücfju^alten,  burd^  met^e  fie  t)erunretnigt  ju  werben 
fürd^teten. 

Sie  Stellung,  toeld^e  SSoet  in  ber  nieberlänbifd^^reformirten 
^rd^e  einnahm,  würbe  unbeutli^  werben,  wenn  er,  wie  @oebet 
bel^afiptet,  ber  m^ftifc^en  Ideologie  ergeben  gewefen  wäre  *).  3n* 
beffen  biefe  Slnfid^t  wirb  burd)  beftimmte  (Srflärungen  in  t>tx:^ 
fc^iebenen  ©Triften  üon  SSoet  wiberlcgt.  3u  feinem  SBerfe:  Ta 
aaxTjTixa  sive  exercitia  pietatis,  Cap.  3  de  meditatione  spiri- 
tuali,  unterfd^eibet  er  abfic^ttid^  jwifc^en  ber  meditatio  ober 
contemplatio,  Wel^e  er  biQigt,  unb  ber  superessentialis  contem- 
platio  ober  tbeologia  mystica,  Weld^e  er  für  unftatt^aft  ertlärt. 
Sr  wenbet  fid^  nament(i(^  gegen  ben  Sprachgebrauch  fat^olifc^er 
^(dtetifer,  welche  aOe  biefe  begriffe  gleid^  fe^en.  Später  in  ber 
Politica  ecclesiastica  P.  II.  (1669)  ge^t  er  genauer  auf  bie 
äR^ftif  ein.  Sr  nimmt  als  2)efinitionen  berfetben  einmal  ben 
Sa^  Don  @erfon  an:  Vita  contemplativa  est  statos  bominum 
extra  mundum,  bann  ben  ©afe  bcö  3efuiten  Äjoriuö  (t  1607) 
aud  beffen  Tbeologia  moralis:  Intelligitur  id  vitae  institntum, 
noD   quod   nudam   et  simplicem  dei  speculationem  profitetnr, 


1)  %.  Q.  O.  IT.  8.  144.  „(&t  ttmr  felber  ein  tiefer  unb  erfo(nneT 
SR^flifer,  unb  borum  au((  ein  eifriger  Pfleger  unb  IBeförberer  ber  prafttf^en 
(m^ßif^en)  ^^eologie."  9ei  ^er^og  9l@.  YIII.  6.  450  bejetd^net  0.  i(n  foQaT 
als  »ort^obosen  ^t^ßtter'. 


123 

sed  qnod  se  exercet  in  contemplando  deo  eoque  diligendo, 
ita  nt  Sit  positum  in  rerum  divinarum  contemplatione  cum 
dei  amore  coniuncta;  tooju  noc^  bag  SJ^crfmal  gel^ört,  vitam 
activam  esse  praeparationem  ad  vitam  contemplativam  (1.  c.  p. 
927).  JBoet  erfcnnt  nun  in  bicfcr  Sebcnörid^tung  bic  ©mnblaflc 
beS  äRönd^t^unt^  unb  ^ectt  bie  rid^tige  93ermutl^ung,  ba^  fte  i^re 
SBurjcI  in  her  philosophia  ethnica  f^abt.  SBcitcr^in  flicbt  Äjo« 
riu^  i^m  ben  ®a^  an  bic  ^anb,  vitam  contemplativam  esse 
perfectiorem  activa,  quod  illa  in  deo  contemplando,  amando 
ae  fruendo  consistat  nee  in  hac  vita  cesset,  illam  vero,  sci- 
licet  activam  tantnm  respicere  proximos  *),  tnogcgcn  SSoct  cin^ 
njcnbct :  Unde  ipsos  videre  est  separare  invlcem  primae  tabu- 
lae  praecepta  a  praeceptis  secnndae  tabulae.  ^iefe  Urt^eile 
aber  bie  äR^fttC  finb  ebenso  beutlid^,  a(^  fte  ol^ne  unmittelbare 
einzelne  SSeranloffung  in  rein  alabcmifd^er  ^orm  gehalten  finb. 
Allein  aSoet  würbe  noc^  genöt^igt,  fid^  ber  SK^ftif  birect  ju  er* 
tocffxtn,  aU  Sababie  biefelbe  in  bem  Greife  ber  frommen,  toelc^e 
bisher  Soct'^  Slnpnger  getoefen  maren,  jur  ©eltung  brad^te. 
9[lS  auf  aSoet'^  Diatribe  de  separationibus  et  secessionibus 
(Polit.  eccl.  P.  III.)  Sababie  eine  ©c^ntä^fc^rift  I)erauggegeben 
^atte,  antwortete  SSoet  mit  einer  Slppenbij  (1671)  meldte  a.  a.  D. 
^injugefügt  ift.  ^ier  ffl()rt  er  bie  f)od^mflt^ige  ^feugerung  feinet 
@egnerd  an,  bag  93oet'd  Urt^eil  t)iel  ju  wenig  erleuchtet  fei,  um 
über  gragen  JU  entfd^etben,  welche  nid^t  auf  bem  Stdfer  wac^fen, 
wo  er  feine  Äe^renlefen  ^alte,  unb  fagt  barauf:  Si  talem  mysti- 
cam  theologiam  intelligit,  qualem  ego  in  Exercitiis  pietatis 
cap.  3.  notavi,  fateor  me  eam  historice  intelligere,  sed  assen- 
sum  ei  non  posse  praebere  (1.  c.  p.  565).  SBeitcr^in  red^net 
er  Sababie'i^  praxis  mystieae  theologiae  ju  ben  reliqua  nova 
ac   insolita   in  orbe  reformato  theologemata  (p.  569).    SBenn 


1)  3n  ben  brei  gfoliobfinben  be§  angeführten  SBerfeS  f)aht  i^  freUt^ 
biefe  tion  ^od  angeführten  €a^e  nic^t  gefunben.  ®enn  alfo  Vxtt  ein  geiler 
im  dittren  ttorliegt,  fo  ift  et  boc^  glet^flUIttg.  ^enn  bie  Angaben  Soet'S  ftnb 
oti4  üuS  Thomas  Summa  theol.  II.  2.  qu.  182  )u  belegen.  Snbeffen  ergiebt 
fi4  (ier  iuglei^,  bag  bie  Baä^e  mit  ber  angefit^rten  gormel  nic^t  abgemalt 
tfi,  inbem  au4  eine  9Be4fe(tDirhing  ^ttif^en  beiben  SebenSfotmen  ftatutrt,  unb 
bfin  octioen  Seben  unter  Umftfinben  ber  Vorrang  t)or  bem  contempIatit)en  ein« 
gerAumt  toirb,  fo  ba^  Soet'S  ^egenbemerfung  ni^t  antrifft,  fonbern  gegen« 
fianblol  i^ 


124 

nun  tro|  bicfer  Srtlärungen  93oet  auf  Xeiulcr  ctoa^  gegolten 
f)at,  fu  crgiebt  [id)  aug  ben  Ascetica  (p.  78),  bafe  er  bemfclbcn 
bcn  aBibcrfprud^  gegen  bic  fd^tpärmerif^e  b.  ^.  freigeiftifd^e  ®e= 
laffen^eit  in  @ott  ^od^  angerechnet  \)at  (SnbUd^  feine  @c^ä|ung 
ber  Imitatio  Christi  bed  X^omad  Don  jiüempen  mad)t  93oet  nid)t 
bed  9}{l)ftictSmud  üerbä^ttg.  2)enn  in  ben  Ascetica  (p.  8)  billigt 
er  an  biefem  ^ocument  mönc^ifd^er  Floxal  bie  @runbfä^e  ber 
©elbftDerleugnung  unb  S)emut^  unb  bie  i^al^lretd^en  3^U(t"iff^ 
für  bie  ©eltung  ber  @nabe  ®utte^  gegen  bie  menf^ü^en  Ser^ 
bienfte.    2)ad  aber  ift  eben  noc^  feine  äR^ftif  *). 

%oet  l^at  olfo  auc^  bad  Soliloquium,  bie  Dorle^te  @c^rift 
beS  üon  il^m  fo  l^od^  gefc^ä^ten  äBill^elm  SeelUndt^)  nic^t  f&r 
ein  ©ocument  ber  äJi^ftil  gef)alten,  obgleich  baffclbe  in  einer 
9f{id)tung  fi^  belegt,  iDeld^e  an  £ababie  am  näc^ften  l^eranfäl^rt. 
2)iefe  ©c^rift  nämlic^  fteDt  in  ©ebetöform  bie  ©efel^rung  einei^ 
©ünberg  bar.  $Run  f)at  jeeüindf  in  einer  altern  ©c^rift  Toetsteen 
des  geloofs  ®)  feine  ß^ftintmung  gu  Saloin'd  93e[)auptung  erflärt, 
bag  bie  SSete^rnng   @lauben   Doraudfe^e;   aüerbingd  nic^t  ben 


1)  $oet'8  Ascetica  eive  exercitia  pietatis  in  iisum  luveotutis  acade- 
micae  nunc  edita  (^orinc^em  1664.  828  6.  8)  finb  nt4t§  toentger  al§  ein 
@Tbauung8bu4,  ionbern  eine  t(eorett{4e  84rift,  meiere  bte  übertrtebenfle  SRonier 
ber  ^iflinction  unb  bie  grSgte  $ebantette  be§  S^emotiftrenS  auf  einen  6toff 
t)ertt)enbet,  ber  ^iebur^  ben  €4tt(ern  nur  verleibet  n)erben  fonnte.  ^emertend» 
»ert^  ift  babei,  bafc  ber  ort^obos  reformirte  X^eolog  feinen  ^nftanb  nimmt, 
ben  ganzen  Apparat  fat^olif^er  %§!eti!  mit  ben  gleichartigen  S^tiften  tefor« 
mirter  Gönner  juiammen  )u  fa|fen,  »enn  ni^t  in  befoiiberen  göllen,  mie  in 
bem  oben  )ur  Sprache  gefommenen  gaUe  ber  eigentli^en  effiatifc^en  SJlt^fii!, 
eine  ®renje  für  bie  ?lner!ennung  fat^oliWer  3Äei^obe  gegogen  »irb.  ?lber 
nomentlit^  in  ben  Kapiteln  über  bie  5Jlebitation,  boS  ®ebet,  bie  ®u§e  beruft 
fl(j^  9oet  ebenfo  ftar!  auf  fatl^olif^e  »ie  auf  reformirte  Seugen.  hingegen  ba, 
too  bie  reformirte  @igent(üm(i(^teit  ^fitte  ^erDortrcten  muffen,  nömli^  in  bem 
€aptte(  de  praxi  fidei  ftnbet  fi^  nur  bie  ^erttetfung  auf  ben  itoeiten  9anb 
ber  Selectae  disputationes  (@.  89).  $ergli((en  mit  ber  9{ei^e  t)on  ür* 
f^einungen,  n)el4e  bemnöd^ft  in  t)erfo(gen  ift,  bezeugt  biefeS  $u4  bie  toi^tige 
X^atfac^e,  ba6  man  in  ber  ort^obo^en  reformirten  Itird^e  ber  9{teber(anbe  für 
lat^olifd^e  9lS!etiI  fe^r  gugfingli^  »or. 

2)  Soliloquium  ofte  betrachtingen  cens  sondaers,  die  hij  gehadt 
haeft  in  den  angst  sijner  weedergeboorte.  9{eue  9iuSg.  9Ribbelburg  1663. 
164  6.  12. 

3)  ^rüfftein  beS  ®(auben§,  in  ber  ®efammtauSgabe  2.  %^t\i  8.  469—71. 


125 

feltgmad^enben  @lau6en,  ober  bod^  ben  ®lanbcn,  bag  \d\x  fünbtg 
ftttb  uttb  bag  @ott  und  toill  gnäbtg  fein,  n)enn  n)ir  und  befehlen. 
(Ealöin  nämlic^,  inbcm  er  bic  urfprüngli^e  «nfi^t  ßutl^cr'd  in 
®ettung  l^ält,  leitet  bie  ^efe^rung  an^  bem  @lau6en  an  bie 
Serfö^nung  mit  @ott  ab,  fegt  babei  bie  ungewujste  ©emeinfc^aft 
mit  S^riftud  ober  bie  Slngel^örigfeit  bed  ^oenitenten  ^ur  ^irc^e 
t)oraud,  unb  lägt  bie  Slbn^enbung  üon  ber  @ünbe  aud  ber  in 
trgenb  einem  3)2Qge  üor^anbenen  Siebe  jum  ©uten  unb  Sf)X^ 
furd^t  t)or  @ott  ^erüorgel^en  *).  ®iefed  ©d^ema  fo  tote  fein 
früheres  ß^fl^^f^ä^^^^B  ^^^  jebod^  Xeeüind  im  Soliloquium  oöllig 
ignorirt,  inbem  er  ben  ©ünDer  gänj  ifolirt  unb  abfolut  aU  ben^ 
jjenigen  barfteüt,  toeld^er  in  ben  toeltlid^en  S)ingen  feinen  @enug 
fud^t,  aber  toal^rnimmt,  bag  bie  äBelt  nichtig  ift,  unb  feine  bauernbe 
SJcfriebigung  borbietet,  ferner  bog  er  fclbft  in  ber  Slid^tigfeit 
fted!t,  unb  für  fein  eigene^  &IM  ju  forgen  o{)nmäc^tig  ift.  S)er 
fo  befd^affcne  @ünber  fc^liegt  nun,  bog  bie  n^ol^re  ©lüdfeligfeit 
in  @{ott  bur^  S()riftud  5U  finben  ift,  unb  nimmt  fic^  Oor,  @Sott 
oor  Sllem  ju  fud^en.  S)iefer  ^nfa^  ^ur  9lad^n7eifung  ber  SBe^ 
fe^rung  ift  eine  ganj  zufällige  Kombination,  toddic  feine  ^olge^ 
rtd^tigfeit  in  fid^  fd)liegt.  Sener  ^^pot^etifd^e  @ünber  fönnte  ja 
aud  ber  Sitetfeit  oQer  ®inge  ben  ©c^lug  jie^en,  bog  man  bie« 
fjelbe  entn^eber  überhaupt  nic^t  loS  werben  fann,  ober  auc^  burd^ 
ftoifd^e  ober  bubbljiftifc^e  9iefignation.  3)ag  er  jur  ^riftlic^en 
Srlöfung  greift,  ift  in  bem  ^nfa^,  ben  Xeellind  mac^t,  nur  barouS 
t)crftanbli^,  bog  ber  ©ünber  nid^t  obfolut  unb  ifolirt,  fonbern 
bog  er  in  ber  c^riftlic^en  Äirc^e  erjogen  ift.  aber  biefe^^  »irb  nic^t 
erfannt.  ©onft  ^ätte  ber  ©ünber  barauf  ^ingewiefen  werben  muffen, 
bog  er  fd^on  in  einem  gemiffen  ©inne  gläubig  fei,  in  ber  SBelt  nid^t 
blöd  baö  Slid^tige  begehre,  fonbern  fd^on  gemiffen  Qtotd^n  ©ottcd 
btene.  Die  93efe^rung,  n^elc^e  unter  biefer  93oraudfe^ung  erforberlid^ 
ift,  mürbe  als  Slblcgung  bed  get^eilten  SEkfend  in  ber  f^olgeric^tig«^ 
feit  bed  ju  t)oQer  Jilar^eit  p  entmidfelnben  Glaubend  ju  be« 
greifen  fein.  2)ad  ©ubjeet  olfo  mürbe  ald  ber  in  bem  ^ortfd^ritt 
jur  Cntfc^iebenl^eit  begriffene  ©laubige  bargeftellt  toerben  muffen. 
leeQindt  aber  gebraucht  öon  ben  30  Sapiteln  feiner  ^Betrachtungen 
22,  um  ben  ©ünber  bid  jur  Slefe^rung  ju  t)erfolgen,  inbem  ber- 


1)  Inst.  ehr.  rel.  III.  3,  2.    $g(.  Sobfiein,  (St^l  iEafotn'9  6.  65  f. 


126 

felbe  me^r  unb  mel^r  auf  bic  ©eftd^töpuntte  bed  (i^riftlid^en 
©tauben^  eingebt,  aber  jugleid^  nod^  immer  in  einer  entgegenge^ 
festen  SRic^tung  beö  Sntereffc^  feftge^alten  toirb.  hierbei  tritt 
als  Siegel  bie  abftracte  Sntgegenfe^ung  jmifc^en  ber  9lici^tig« 
feit  ber  SBclt  tpic  ber  menfc^lic^en  95e[trebungen  unb  ber  ÄU* 
genugfamfeit  @iotted,  jmifc^en  ber  @c^ä|ung  ber  menfc^lic^en 
SBiUenöfrnft  unb  ben  SBirfungen  bei^  ^eiligen  ©eifteS  ^er* 
t)or.  3n  bem  njirlUd^en  fieben  fann  biefer  ©egenfafe  nur  mo* 
mentan  fid^  t)ergegenn)Qrtigen,  n^enn  nid^t  %Qed  jum  ©tiQftanb 
gebracht  n^erben  foll.  3n  bem  äRage  al\o,  aU  XeeQindS  Dar« 
fteQung  auS  ben  t)on  Saluin  fär  bie  poenitentia  abgefted^ten 
©renjen  heraustritt,  ^at  er  ben  erften  I^eil  ber  S8e!e^rung  als 
ben  förmlichen  ^ugfampf  ausgeprägt;  unb  n^ie  ber  9leben^ 
titel  beS  ^uc^eS  anzeigt,  fommt  eS  il^m  gerabe  barauf  an,  baS 
Stngftgefü^l  beS  ungelöften  SBiberfpruc^S  jmif^en  bem  ©Sn- 
ben«  unb  bem  erftrebten  ©nabenftanbe  auf  jeber  neuen  ©tufe  ber 
SBetrad^tung  möglic^ft  j^u  fd^ärfen.  2)abei  mirb  bie  ©^mierigfeit, 
todd)c  bie  Se^re  Don  ber  boppelten  $räbeftination  infofern  mad^t, 
als  ber  ©ünber  in  feiner  O^nmac^t  fürdjten  mug,  ju  ben  S3er« 
toorfenen  }u  gehören,  baburc^  gelöft,  bajs  ja  @ott  ben  3BiQen 
^abe,  bag  aQen  äRenfc^en  geholfen  merbe!  @o  mtb  baS  ^ogma 
Don  ber  partieularen  ©nabe  für  bie  SBefel^rung  n)irflic^  auger 
©eltung  gefegt,  unb  nad^^er  nur  als  9J2otiD  ber  $eilSgen)ig^ett 
beS  SJefel^rten  jtoedmägig  befunben. 

Snblic^  im  22.  Sapitel  lägt  XeeQind  ben  befämmerten  @un^ 
ber  ju  bem  Sntfc^lug  fommen,  fid^  an  ben  ^erm  3efuS,  ben 
äJ'Jittler  unb  ©eligmac^er  ffi  n)enben.  ^er  ©ünber  bittet  ben 
^errn  3efuS,  i^m  feine  Serbienfte  ju  ©ute  fommen  ju  laffcn 
unb  bie  Siebe  ju  S^riftuS  in  feinen  SBillen  einju- 
giegen,  um  bie  £iebe  jur  SBelt  barauS  }u  Der  treiben,  unb  i^n 
ben  93efel^rten  in  baS  geiftlid^e  fieben  einzuführen.  3}lan  fann 
biefen  Entlang  an  bie  fat^olif^e  SluSbrudSn^eife  unmöglich  Aber« 
^ören,  ba  ^eeQindt  bemnäi^ft  ben  ©tanb  ber  93efel^rung  mit  ben 
äßitteln  beS  $ol^enliebeS  nad^  ber  SluSlegung  ^ern^arb'S  he^ 
fd^reibt.  Sener  ©taub  tuirb  nic^t  bloS  im  SlQgemeinen  als  bie 
jur  Heiligung  beS  fiebenS  kuirffame  Siebe  gegen  ©Ott  bargeftellt, 
fonbern  als  bie  bräutlid^e  Siebe  ju  bem  allerfd^önften  unb  liebenS* 
»ürbigften  Sräutigam,  bem  §erm  ScfuS,  njelc^e  in  bem  ©cfü^lS* 
genug  ber  ©egenfeitigfeit  auSru^t.    SlQerbingS  finbet   bann  baS 


127 

t^rafttfd^e  fieben  feine  Siegel  barin,  bog  man  @ott  me§r  liebt 
atö  bie  äBelt,  unb  bag  man  bei  bcm  Scben  in  ber  3Belt  biefelbc 
ni^t  fo  anfielt,  mie  fie  in  fiti^  ift,  fonbern  tok  fie  Don  @ott 
fommt  ober  feine  3^^^^  i"  fi^  f^Uegt.  ^ad  Qkl  al\o,  meld^ed 
XeeQind  erreicht,  ift  ebenfo  n)enig  im  @inf(ang  mit  bem  ed^ten 
(EalDtnii^mud,  mie  ber  Slnfa^  feiner  ^Betrachtungen  unb  bie  Sin- 
leitung  be^  ©ünberö  bi^  ju  feiner  Selel^mng.  S)ie  ßwföJnmen* 
fteQung  üon  33ug{ampf  unb  bräutlid^er  3ä^tli^t<^it  für  ben  ^erm 
Scfu^  ift  ein  überrafd^enbeö  3<^W9"i6  ^^^  ^^^  ^on  inbiöibueller 
Srömmigfeit,  roel^e  S^eUind  neben  feinen  ^emfi^ungen  um  cal^ 
Diniftifd^e  ©ittcnftrenge  fc^lieglic^  erreicht  ^at.  Unb  eS  tommt  il^m 
anäi  in  biefer  @c^rift  barauf  an,  biejjenigen  ju  fammeln^  meldte 
ben  ^errn  3efuS  lieb  l^oben  unb  fic^  am  meiften  auf  bie  ®t^ 
meinfd^aft  mit  i^m  üerfte^en;  b.  f).  er  n^iQ  fie  in  befonberen 
Gruppen  uereinigen.  Sie  (Stellung,  n^elc^e  XeeQind  in  ber  ®e^ 
fd^id^te  ber  nieberlänbifd^-reformirten  Sir^e  einnimmt,  lägt  fic^ 
folgenbermagen  erflären.  Sr  fud^t  gegen  bie  93ern)eltlid)ung  ber 
©itte  unb  gegen  bie  ä^ernüc^terung  ober  @rftarrung  ber  inbiDi^ 
bueQen  ^römmigfeit  gleid^jeitig  ju  reagiren.  2)ie  @m)edung  ber 
le^tern  bebarf  er  and)  jur  ^erfteQung  ber  DerfaOenen  ©itten^^ 
ftrenge.  Aber  ber  Salüini^muö  toax  auf  eine  nüchterne  ©tim^ 
mung  bed  inbiuibuellen  Scbend  angelegt.  Srfd^ien  nun  biefe 
Haltung  aU  unjureic^enb  in  fi^  unb  ju  jenem  3^^^*  f^^  ^^^ 
^iemit  ein  %[nlag  geboten,  eine  aufregcnbere  9J2et()obe  auf/^ufteUen, 
aU  tocld^e  bem  Sabinidmud  eigen  mar.  2)emgemä6  l^at  Xeellind 
gu  bem  iQpuö  ber  SBern^arbinifd^en  grömmigfeit  gegriffen,  meiere 
bem  protcftantifd^en  93ertrauen  auf  bie  @Snabe  @9tte^  üermanbt 
ju  fein  ober  i^m  ni^t  }U  miberfpred^en  fc^eint.  Unb  boc^  leiert 
bie  SSergleic^ung  mit  bem,  toa^  Sabin  unter  bem  @Iauben  an 
C^riftud  Derfte^t  (@.  88),  bag  bei  93ern^arb  nid^t  eine  nur  leb« 
^öftere  gärbung  berfelben  @a^e  obmaltet,  fonbern  eine  ganj 
anbere  Haltung  bcd  ©emüt^g  mit  einem  anbern  ©toff  ber  Sln^ 
fc^auung  Derbunben  ift.  Ser  Xitel  ber  £iebe  5um  ^errn  3efud, 
loelc^en  Xeellind  anftatt  bed  Glaubend  an  bie  burc^  S^riftud  üer^ 
bürgte  @nabentier^eigung  fe^t,  ift  aud)  nic^t  ettoa  Doller  unb 
reifer  als  bie  gemein^eoangelifd^e  ^ormel,  fonbern  ift  nnbe:» 
ftimmter,  toeic^lic^er  unb  fraftlofer  aU  biefe.  Unb  fomie  bie 
X^eorie  Dom  S9ugfampf  burc^  @aloin  aui^efc^loffen  ift,  fo 
Dergegentoärtigt    fie    aud^    nur  bie   3uge,   meiere   ben    3Rönd^ 


128 

Don  ber  S93clt  fd^tben  foQ  unb  tDtiä)e  93ern^arb  bei  ber 
ffirtpcdung  ber  Siebe  jum  §errn  3cfu^  borQugfe|t  (©.  47).  3n 
ben  früheren  Schriften  XeeQind'd  flingt  gelegentlich  einmal  baS 
^o^elieb  an;  aOein  er  fd^eint  erft  gegen  bo^  Snbe  feinet  Bebend 
bajn  gefommen  j^u  fein,  fid^  ganj  auf  ben  Zon  beffelben  ju 
ftimmen,  unb  jugleid^  bie  äßetl^obe  bed  SugfompfeS  aufjugreifen, 
ipcld^er  auc^  feine  legte  ©d^rift  über  SRom.  7  unter  bem  litel: 
Worstelinghe  (l^ämpfe)  eenes  bekeerden  sondaers,  gen)tbntct  gu 
fein  fd^eint. 

§at  benn  nun  JBoet  ignoriren  lönncn,  bag  leeUind  im 
Soliloquiam  ber  SBern^arbinifc^en  ^römmigfeit  SluSbrudF  Derlie^, 
unb  einen  bis  ba^in  fremben  X^puS  in  bie  ^ra^i^S  ber  Sfieformirten 
einführte?  ÜÄufete  er  nid^t  üielme^r  anerlennen,  baß  fc^on  Xeet 
lind  bie  äR^ftif  auf  bie  ^Jdaf)n  gebrad^t  l^at?  Seboi!^  I^at  er  o^ne 
ßtueifel  barauf  geachtet,  bag  XeeQind,  n)ie  e^  im  Soliloqnium 
ber  ^aO  ift,  mit  SSern^arb  nid^t  fo  n)eit  ge^t,  um  bie  gläubige 
©eele  in  ber  jartlid^en  ©emeinfc^aft  mit  bem  §errn  Sefud  ju 
(Sinem  @eifte  mit  i^m  kuerben  ju  laffen.  ^enn  ba^  ift  bie 
fpecififc^e  gormel  ber  üß^ftif  unb  ba§  3Äer!mal  ber  Ueberfd^rci^ 
tung  ber  meltüd^en  Öebingungen  ber  menfc^lic^en  ffijiftenj.  ^ic- 
nac^  gemeffen  ift  IceUind  noc^  nic^t  SDi^ftifer.  Slid^t^S  befta 
weniger  bcbarf  bie  (ärflärung  Don  Soet,  bag  bie  aW^ftif,  mie  fic 
öon  Sababie  vertreten  mürbe,  in  orbe  reformato  ctma^  Sleuc^ 
unb  Ungemo^nteß  fei,  einer  (Sinfc^ränfung.  SIU  er  1671  biefe 
(Srflärung  niebcrfc^rieb,  lag  fd^on  feit  Sauren  ein  ©ocument 
jener  Slrt  öon  ber  §anb  eineö  SReformirten  üor,  meld^e^  für  SSoct 
fc^merlic^  verborgen  geblieben  mar.  3m  3a^rc  1655  nämlic^ 
ift  JU  Äonbon  unter  bem  ©efammttitel  Interiora  regni  dei  eine 
^rei^a^l  t)on  Xractaten  Äcademia  coelcstis,  Grande  oraculum, 
Mysticnm  matrimoninm  Christi  cum  ecclesia,  meldte  Dörfer  in 
englifd^er  ©prad^c  fc^on  einzeln  ^erau^^gegeben  maren,  crfd^ienen  ')• 
3)ercn  Scrfaffer  ift'granciöSRüUö,  ein  inbepenbentifd^er  ^uri^ 
taner,  ?lnf)anger  SrommeU'sJ,  Praepositus  Etonensis  Collegii.  (Sr 
mar  äRitglieb  be^  langen  Parlament«,  ©pred^er  beö  furjen  5ßar«^ 
lament^,  a)iitglicb  Don  ßromtpell'jS  ©taat^ratl^,  enblic^  auc^  noc^ 
be^  Don  bem  ^rotector  J^ergefteUten  Dber^aufed,  ift  geftorben  1659 
im  9llter  Don  80   3a^ren.    (Sr  ^at  bie  ^falmen  metrifc^  übcr^ 


1)  iQüi  mir  oorgefegen  in  einem  9{a((brudE  Budingae  1725.  274  S.  12. 


129 

fcfet;  in  biefcr  Ueberfcfeung  tocrbcn  ftc  no6)  jc^t  in  bcr  fc^otti* 
fc^cn  Äird^c  gefangen.  Slnj^erbem  \)at  er  Stu^jflgc  auö  Äirc^en*^ 
üätcrn  unter  bem  Ittel  Mella  patrum,  Sonbon  1650,  öeröffent^ 
Ud^t.  3m  Äßgcmcincn  fü^rt  er  bic  Aufgabe  ber  religiöfen  6r^ 
fenntntg  auf  bie  @rfa^rung  §inau^,  n^eld^e  Dom  ®eift  @Sotted 
begrünbct,  unb  burc^  bMj^ünbenertenntnig  unb  bie  2)emut§  be« 
btngt  fein  n)trb.  ^ber  ei:  tft  ber  SReinung,  bie  äBirfung  bed 
göttlid^en  ©eifted  burd^  ba^  äBort  ober  bie  ^eilige  ©c^rift  gu  er^ 
fahren;  hierauf  bej^ie^t  ftc^  ber  j^meite  Xractat.  Snbeffen  fommt 
er  prafttfc^  auf  bie  iV^^ftif  ^eraud,  n^etc^e  er  au^  93ern^arb'd 
^rcbtgten  über  bad  ^o^clieb  gef^ö^ft  Ijat ;  biefe  citirt  er  gelegen!« 
Itc^  neben  bem  S(reopagiten,  9iupre^t  Don  2)eu|  unb  $ugo  Don 
®t.  SSictor.  S)ad  ©d^ema  oon  S^riftu^  atö  bem  Bräutigam  unb 
ber  einjelnen  Seele  ate  ber  Sraut,  toeld^e  nac^  JRöm.  7,  2—4 
in  einer  2n)eiten  (£§e  mit  Sl^riftud  Derbunben  unb  nad^  1.  ^or. 
6,  17  ju  einem  @eifte  mit  i^m  geworben  ift  bilbet  bie  reli^^ 
giöfe  ©runbuorftcQung  biefe^  ©d^rif tfteQerd ;  biefetbc  loirb  nid^t 
nur  in  bem  britten  Xractat  burd^geffi^rt,  fonbern  flingt  auc^  in 
ben  beiben  üor^erge^enben  an.  3Bie  in  ber  engli^en  jfird^e  ber 
inbepenbentifc^e  SalDinidmu^  fid^  ber  äßiebertäuferei  ann&^ert 
(©.  78),  fo  betoeift  biefe  ©c^rift,  ba§  mau  in  jener  SRid^tung 
auc^  auf  ba^  mittetaltrige  93orbilb  ber  SJi^ftif  mieber  jurficfge^ 
gri^en  ^at.  Unb  j^mar  folgt  9ioud  barin  bem  Zeitigen  93ern^arb 
gauj  birect,  baß  ber  bräutlic^c  Serfc^r  bcr  ©cele  mit  S^riftuö 
unb  i^re  m^ftifd^e  (Siuigung  mit  i^m  erft  atd  bie  jfrönung  ber 
Heiligung  eintreten  tann.  3)cnn,  toie  er  fagt,  concupiscentia 
interfici  debet,  antequam  novus  et  verus  maritus  per  regene- 
rationem  posset  snperinduci.  S(uf  bicfcu  ©taub  ber  geifttid^en 
(E^e  fü^rt  er  bann  adeS  jurüdC,  maiS  fouft  aus  bem  Zutriebe  bcS 
®(aubcnd  unb  SSertraueud  gegen  S()riftuS  erflärt  wirb,  bic  Sr« 
fenntnife  bcr  9lat§fdölüffc  ©otteS,  bic  grcubigfcit,  bie  ScreitmiUig* 
feit  JU  IeiJ)cn,  ben  freien  ©e^orfam  im  §anbcln.  3n  bem  %xac^ 
tat  Mysticom  matrimoniam  crgc()t  fid^  bic  ^^antafie  unb  bie 
Siebe  bed  Serfafferd  in  ber  märmftcn  unb  ge^obenftcn  ©ttmmung. 
Unb  fo  fe^r  ber  ©efd^mad  berfetben  ben  fiefer  in  ha^  äRittet^ 
alter  iiurfidCt)erfe^t,  fo  ftnb  bod^  brei  fünfte  ju  bemerfen,  in  n^eld^en 
bie  ©c^rift  ben  ©eftc^tSfreiS  bcr  SRcf ormation  bcö  16.  3a^r^un= 
bertd  beutüd^  inne  ()ält.  ßu^^^ft  bejeugt  'Sßß  fe^r  beftimmt,  bag 
bie  äSirtungen  bcS  ^eiligen  ©eiftcS  an  bil%itigc  ©d^rift  gebun^ 
I.  9 


130 

ben  ftnb,  unb  bag  bte  (Ec^tl^eit  iener  SBidungen  an  t^rer  Ucber« 
cinftimmung  mit  bcr  ©c^rift  ju  erproben  ift.  grerner  erinnert  er 
baran,  bag  bie  @^e  nid^t  blöd  jum  ^ffen  ba  ift,  fonbern  quc^ 
boju,  bag  bie  ^rau  biene ;  baburc^  toirb  bad  tpttge  fieben  anberd 
gef^ä^t  ald  ed  ben  SDJ^ftifern  gelingt.  Snblic^  n)erben  bie  S3er« 
laffungen  ber  gläubigen  @eele  im  ©onjen  baraud  erflart,  bog 
biefelbe  burd^  i^re  ®ünbe  unfic^er  toirb  über  i^r  SSer^filtnig  ifl 
bem  @eltebten.  ^enn  n^ä^renb  93ern^arb  ben  äßed^fel  in)ifci^en 
93efeligung  unb  Xroden^eit  a\x^  ber  launenhaften  äBillffir  bed 
SBräutigamd  ableitet,  fo  n^irb  bem  gegenüber  ^ier  erflärt:  Dens 
amor  est,  ideoque  pro  natura  amoris  semper  dilecto  benefacit. 
3)iefe  gefunbe  Sinie  l^at  bie  in  bie  reformirte  Äird^e  einbringenbe 
aji^ftit  nic^t  innegel^alten.  SBenn  nun  alfo  Soet  1671  ba«  ©uc^ 
Don  9iouS  gefannt  ^aben  n)irb,  fo  ^at  er  bo^  ni^t  mit  Unrecht 
behaupten  f önnen,  bag  bie  m^ftifc^e  S^^eologie  ju  ben  ungemo^nten 
fingen  innert)alb  ber  reformirten  ©efammtürd^e  gcl^öre.  9lur  §at 
er  baburd^  bie  nieberlänbifc^e  l^ird^e  gerabe  Dor  ber  (Sinmirfung 
biefer  ©d^rift  nic^t  ju  fc^ü^en  öermoc^t.  ©ein  ?ln]^änger  ÄoeU 
man  ^at  freiließ  nur  ben  crften  Iractat  überfefet,  beffen  litel 
fpäter  n^icber^olt  berül^rt  toirb.  allein  bie  lateinifd^  gefc^riebene 
©c^rift  loar  boc^  aQen  @elet)rten  jugänglic^;  unb  ed  mirb  ft(^ 
jeigen,  bog  fie  auf  ben  einflugreid^ften  Z^eologen  ber  folgenben 
©encratiou  fe^r  ftar!  eingemirft  ^at. 


8.   3[o^ann  Socce|nd. 

^atron  ber  SonDentifel  toie  ©idbert  SSoet  tft  fein  S^^tge^ 
genoffe  3of)ann  ©occejuö')  nic^t  gettjefen;  bennoc^  fann  ber^ 
felbe  in  bcr  Ijier  beabfi^tigten  ©cfd^ic^töbarftetlung  nid^t  über* 
gangen  njerben.  ©ein  Äbftanb  Don  ber  firc^lic^en  ©tellung  unb 
ber  praltifc^en  9iic^tung  bcd  Utrec^ter  Ideologen  ift  leicht  ju 
meffen.  Dbglcid^  fid^  Soccejug  burd^auö  auf  bcr  ßinie  be«  SoI« 
üiniömu«  unb  im  ©iiillang  mit  beffen  ße^mormen  ju  galten  gc^: 


1)  ©cboren   )u    Bremen  1603,   ^rofeffor  bafelbfl  1629,  gu  graneter  in 
SrieSlonb  1686,  ju  Selben  1650,  gefiorben  1669. 


131 

tougt  ffat,  fo  fagte  er  ftc^  bo(^  üon  bcr  äRetl^obe  lod,  toeld^e  fett 
bcr  aSefcfttflung  beö  reformirtcn  ß^riftentl^um^  in  ben  3lkhtx^ 
tonbett  bte  t^eologifd^e  Ueberlieferung  bafetbft  au^fd^tiegtici^  ge« 
leitet  ^atte.  ^ed^olb  f^attt  ber  Oppofition^t^eolog,  toelc^er  nod^ 
baju  fluflänber  iDar,  fein  ganje^  fieben  lang  um  bie  Slnerfennung 
ju  ringen  unb  oft  genug  ju  beforgen,  bag  bie  ©^noben  feiner  afa^ 
bemifd^en  f^rei^eit  unb  ©id^erl^eit  ju  na^e  treten  ntöd^ten.  (Sr 
tomr  aU  Sabinift  unb  atd  SBibetauSleger  fo  ftarf  mie  ntöglid^ 
boffir  intereffirt,  bag  bad  Sl^rtftent^um  nic^t  b(od  Seigre  fonbern 
auäi  £eben  fei;  aber  t)on  bem  @runbfa|e  ber  ^räcifität  bleibt  er 
burd^au^  fern.  3nbem  er  üor^errfc^enb  Sieget  toar,  unb  aud^ 
feine  f^ftematifc^en  SSerfud^e  nur  ben  ^nfpruc^  mad^en,  bie  Sr« 
gebniffe  ber  %udlegung  ber  99ibel  nad^  bereu  eigenen  &c\x(S)t^^ 
punften  ju  orbnen,  fo  ift  er  burd^ouS  gleichgültig  bagegen,  bog 
feine  Z^eotogie  eine  unmittelbare  (Einn^irfung  auf  bie  ©itte, 
3ud^t  unb  93erfaffung  ber  ^irc^e  auSiibe.  (Er  fi&ttc  fic^  baburd^ 
unb  burd^  feine  aui^efproc^ene  Slbneigung  gegen  aQe  $arteifud^t 
burc^aud  boju  geeignet,  uon  ben  fird^lid^en  iV^ac^ern  feiner  3^^^ 
ate  „Partei  ber  öorne^men  SBiffenfd^aft"  aufgerufen  ju  tt)erben. 
@c^on  biefe  Qüqc  feiner  t^eologifd^en  unb  praftifc^en  Haltung 
bürgen  bafür,  baß  er  in  feiner  ©cmeinfc^aft  mit  ben  Sonüentifeln 
ftanb,  toeldje  bie  Burgen  ber  l^oc^fird^lid^en  Xrabition,  unb  bie 
@i^e  eines  pebantifc^en  ©trebenS  nac^  93oUfommenl^eit  n^aren, 
jugleid^  bie  @efolgf(^aft  berer  bilbcten,  meiere  bereit  luaren 
etn)aigen  Sleuerungen  in  ber  t^eologifd^en  Se^re  mit  bem  ganjen 
@emi^t  i^rer  roiffenfdjaftlic^en  S^üftung  unb  i^rer  tird^li^en  ^ue^^ 
torität  entgegenjutreten.  ^ennoc^  ^at  bie  X^eologie  beS  SoccejuS 
nid^t  nur  fdjon  in  ber  näc^ften  Generation  gerabe  bem  Sl^riften« 
t^um  bed  Utrei^ter  Äreifeg  beutlic^  er!ennbare  ©puren  eingebrüdt; 
fonbern  eö  läßt  ftc^  nad^meifen,  ba§  in  bem  Greife  Don  Sljriften, 
ttielc^er  ^ier  in  93etrac^t  tommt,  bie  Sinflüffe  Don  SSoet  tl^eitö 
über^upt  nur  fortmirten  in  i^rer  SSerbinbung  mit  benen  t)on 
(SoccejjuiS,  tl^eitö  längft  jurüdgetreten  finb  l^inter  ber  fortbauern^: 
ben  Sintoirfung  biefeS  9J2anneS,  ben  man  in  Utrecht  unb  Gro- 
ningen unb  an  anberen  Orten  als  9leuerer,  als  S3ibliciften,  als 
S^ilioften,  als  $elagianer,  als  Siationaliften  (bamals  fagte  man 
©ociniancr),  als  ©egner  ber  ^^ilofop^ie  unb  ©peculation,  enb- 
lic^  als  3uben  ober  (f bjoniten  Denoorfen  unb  ju  unterbrüden 
\>erfud^t   ^atte.     9lur  gefc^iel^t  i^m  aud^  n^ieber  Unred^t,  inbem 


132 

bcr  ©c))aratij't  Steife  (fleftorbcn  1724)  burc^  unöoUftänbigc  "Hn^ 
ffi^rung  unb  birccte  äJtigbeutung  t)on  ©äfecn  be$  Soccejud  tl^n  ju 
einem  grunbfäfelid^cn  Vertreter  bc§  ©eparnti^mug  ftcmpcin  tuiQ  ^). 
®te  S(tt  aber  unb  bad  3Rag,  in  n)eld^em  er  jur  Sntotctelung 
bed  calDtniftifc^en  ^tett^mud  beigetragen  Ijat,  lägt  fic^  nur  feft« 
fteQen,  menn  ber  aQgemeine  Unterfd^ieb  jmifti^en  ber  burc^  SSoet 
vertretenen  nieberlänbtfd)en  Z^eologte  unb  bem  t^eotogifti^en 
©tanbpunfte  beS  Socceju^  erörtert  luirb.  3)iefe  Slufgabe  ffi^rt 
iurfld  auf  bie  93ebeutung,  n)eld^e  bie  burc^  Sut^er  gebitbete  unb 
burd^  @alüin  übernommene  fie^re  Don  ber  boppelten  ^räbeftination 
im  Verlauf  ber  Don  Sabin  abftammenben  X^eotogie  gemonnen 
^at,  unb  jiüar  gcrabe  bei  bcn  nicberlänbifd^en  Ideologen,  tocld^c 
fic^  bed  ^rminiani^muS  ju  em)el^ren  Ratten.  SS  ^anbelt  ftc^ 
^tebei  um  Siefultate  filr  ben  begriff  Don  @Sott,  bie  al^  fotc^e 
nic^t  blöd  tbeoretifc^en  3Bert^  l^aben,  fonbern  fe§r  praftifc^c 
golgen  emjarten  taffcn  *). 

Sut^er  fonnte  bie  Unfreiheit  bed  menfd)Iid)en  SBiQend  gegen 
SraSmui^  nic^t  betoeifen,  toenn  er  fid^  inner()alb  ber  ^renjen  beS 
cftriftlid)en  ©otteöbegriffd  l^ielt,  ben  er  bei  feiner  äuffaffung  ber 
c^riftlic^en  ©rlöfung  jum  erftenmal  eingefefet  l^at.  ®er  ®ott, 
melti^er  in  ber  Srfd^einung  unb  rctigiöfen  SBirfung  S^rifti  offene 
bar  ift,  melc^er  fid^  eben  hierin  afe  bie  @üte,  @nabe,  ßiebc  jur 
Herbeiführung  ber  ©eligfeit  ber  STOenfc^en  funbgiebt,  red^nct  im 
Singemeinen  auf  Srrei^eit  ober  ©elbftbeftimmung  bei  ben  üer* 
nünftigcn  ö)cfd|öpfen,  bie  i^ren  ©elbftjmed  in  ber  SRec^tfertigung 
unb  ^efeligung  erreid^en  foQen.  S3on  ^ier  au^  maren  bie  Sluf« 
fteUungen  bed  (SraSmud  er^eblic^  ju  mobificiren,  i^re  allgemeine 
Slbfic^t  aber  anjuertennen.  Snbeffen  in  Sutl^er'«  ©ebanicnbilbung 
n^ar  biefe  3bee  t)on  @ott  nid^t  müd^tig  genug,  um  eine  fd^o^ 
laftifc^e  Unterftrömung  audjufdjeiben,  in  »etc^cr  gettjiffe  i^m 
überlieferte  S3egriffe  Don  ®ütt  einen  fortbauernben  SReij  auf  feine 
perfönlic^e  religiöfe  ©mpfinbung  ausübten.  3)icfeö  Slement  bcd 
aud  ber  nominaliftifc^en  X^eologie  entlehnten  ©ottei^begriffd  ^at 


1)  l^iflorie  ber  SBirbergeborenen,  4.  tf^tW  6.  13—18.  (S^oebel  a.a.O. 
S.  157  folgt  i^m  unDOT{t(^tig. 

2)  %I.  sunt  Sfoloenben  meine  i^^ef^ic^tli^en  Stubten  sur  d^riftlt^en 
Se^re  t)on  ®ott ;  a^eiter  9lrti!el'  in  ben  äa^rbfld^ern  fflr  beutf^e  X^ol.  XIII. 
?Banb.  (1868)  ©.  67—133. 


133 

nun  fiut^cr  etngefe^t,  um  bte  üöQtge  Unftott^aftigfett  üon  ^ei^ett 
bc^  äRcnfd^cu  gegen  @ott  ju  ettpcifen.  3)ie  polemif^c  SBvQüour, 
meiere  er  iabci  geäbt  l)at,  ^at  er  freilid^  burc^  bic  2)arfteIIung 
felbft  ntd^t  ju  rechtfertigen  Dermoc^t,  in  tvel^er  bie  beiben  unt)er^ 
einbaren  ^Begriffe  t)on  @Sott  unter  ben  Ziteln  bed  deus  relevatus 
unb  beiS  deo8  absconditus  abn^ed^felnb  gan}  bi^parate  äSetrod^:' 
tungen  bed  fittlic^en  SBeltlaufd  nad)  ftd^  jie^en.  ä^ietme^r  fonn 
man  bei  ber  £ef ung  ber  ©d^rift  de  servo  arbitrio  faum  bte  ä^er^ 
mut^ung  unterbrücfen,  bag  Sut^er  burd^  ben  Xro^  feiner  Sßaxa^ 
bojrieen  bie  eigene  Unfic^er^eit  ber  Ueberjeugung  nieberju^alten 
bemüht  geipefen  ift.  Sr  ben)ä^rt  alfo  bie  üoQfommene  Unfreiheit 
bed  äRenfd^en  jum  Söfcn  n^ie  jum  @uten  baburci^,  ha%  @ott, 
beffen  äßiUe  feinem  @Sefe6  unterliegt,  bie  einjelnen  SKenfc^en 
o^ne  einen  in  i^nen  fetbft  ju  fu^enben  ©runb  jur  ©cligfeit 
ober  )ur  Unfeügfeit  üor^erbeftimmt  unb  bemgemäg  and)  bie 
@unbe  erft  herbeigeführt  ^at.  äRan  folltc  beuten,  bag  biefe 
S)arlegung  be^  Verborgenen  äBiüend  @otted  unbered|tigt  ift 
erftend,  toeil  biefe  SBeftimmungen  @otted  feinem  offenbaren  Saiden 
koiberfpred^en,  ber  auf  bie  9iettung  aDer  äJtenf^en  gerid^tet  ift, 
jioeitend  roeil  ber  ^ierbon  t)ic(Ieid)t  abmeid^enbe  SSiUe  @Sotted  atö 
fold^er  überhaupt  unerEennbar  ift.  2)ag  aber  fiut{)er  biefe  Siefig^ 
notion  nid^t  geübt  f)at,  cntfpringt  aud  ber  f^ortmirfung  ber  fd^o^ 
loftifd^en  äRet^obe  in  i^m;  beim  biefe  fannte  fold^e  Sinfd^rän« 
fung  ber  (Srfenntnig  nid^t.  Sr  felbft  f)at  freilid^  ber  2)reiftigfeit, 
in  melc^r  er  fogar  bie  öffentlid^e  fird^Iid^e  SSerfünbigung  biefer 
Se^rc  Don  ber  boppelten  ^rübeftinotion  gettenb  mad^en  sollte, 
fe^r  balb  ein  3'^^  8^f<^ftt.  Slic^t  nur  ^at  er  fetbft  biefe  £e^re 
feit  1525  nid^t  me^r  Dorgetrogen,  fonbern  er  ^at,  o^ne  fie  jurüd: 
june^men,  t)or  bem  @eftd|t^puntt  gemarnt,  aud  midiem  fie  ent^ 
iDorfen  ift.  SÄan  foU,  fogt  er,  bie  3rwge  nac^  bem  eigenen  §cile 
nic^t  an  bie  Snftanj  ber  ^ödjften  SRajeftät  @otted  bringen,  fon* 
bern  nur  uad^  feinem  offenbaren  äBiQen  ber  aQgemeinen  @nabe 
JU  beantworten  fud^en.  2)ad  ^eigt,  bie  fie^rc  Don  ber  boppelten 
^räbeflination  ift  atö  unprattifc^  bei  Seite  gefefet.  S)e^^alb  ift 
biefelbe  aud^  in  ber  lut^erifc^en  ^irc^cnbilbung  ni^t  toieber  jur 
Geltung  gefommen;  Dielmel^r  entfdjeibet  bie  Soncorbienformel  nur 
Aber  bad  Problem  ber  etoigen  ISm^ä^Iung  jum  $ei(e. 

(£a(Din  hingegen   ^at  bad  DoQftänbigc  @efüge  ber  fie^re 
£ut^er'd  ftc^  angeeignet,  toeil  er  aU  X^eolog  im  ©anjen  Sut^er'^ 


134 

^luffteUunflen  treuer  gefolgt  ift,  ate  irgenb  ein  Slnberer,  nament» 
lid|  and)  atö  2KelQuclötf)on.  Sin  ber  ßef)rc  Sutl^er'^  Don  ber 
boppelten  ^ßräbeftination  toai  er  aber  ipefentlic^  baburdj  mtcrefftrt, 
bag  er  fie  im  Sinflong  mit  bem  poulinifd^en  Sfiömerbrief  fanb 
unb  bem  Se^rgefe^  ber  ^eiligen  ©d^rift  and)  ha  fic^  ju  unter:« 
werfen  entfc^Ioffcn  mar,  wo  eine  Se^rc  feinen  proltifd^cn  Qtocd 
ju  erfüDen  üerfprad^.  3)enn  ttjenn  and)  biefe  Se^re  alö  formcUe 
^robc  ber  Unfreil^cit  beö  SBiUenö  jiücdmäjsig  toax,  fo  erfdjien 
fie  i^rem  eigentlid^en  3nl^alte  nad)  ffir  iEaWxn  felbft  als  fo 
fc^redlic^,  bajs  er  bie  größte  Sorftc^t  in  i^rem  Vortrage  für  bic 
©emeinbe  öorgefc^rteben  l^at.  ©ie  ift  aud^  fo  wenig  bie  ©tamm^ 
le^re  ober  ber  principieQe  @ebanfe  ber  X^eologie  SalDin'S,  toofür 
man  fie  anjufe^en  pflegt,  bag  fie  in  feinem  Unterrid^t  in  ber 
diriftlid^en  {Religion  erft  im  britten  8ud)e  Eap.  21—24  afö  3ln= 
^ang  jur  ßel^re  t)on  ber  ©rlöfung  Dorfommt.  3)er  ©otteSbegriff, 
ber  bie  ^räbefttnationSlel^re  leitet,  nämlic^  ber  ®eban!e  Don  bem 
allmächtigen,  toillfürlid^en,  gefefelofen  SBiUen,  Welcher  feinen  ©elbft^ 
gtoedf  ober  feine  Sl^re  burd^  bie  gerabe  entgegengefefeten  äRittcl  ber 
(frmä^lung  unb  ber  SSerwerfung  jugleic^  erftrebt,  ift  aud^  total 
unäl^nlid^  bem  ©ebanlen  Don  @ott,  toeld^er  im  erften  ^udje  ent^^ 
widelt  wirb,  unb  bag  ganje  ©^ftcm  be^errfc^t.  3)er  gute,  liebe- 
DoUe  unb  juglei^  gcred|te  SBillc,  unter  weld^em  l^ier  ®ott  er« 
fannt  wirb,  erreicht  feinen  ©elbftjwcd  auf  bem  SBege  ber  georb- 
neten  SttJcdfefeungen  in  ber  ®rfc^affung  unb  fieitung  ber  SBclt, 
alfo  alö  Providentia,  in  ber  nad^  ©otteö  @ered|tigleit  geregelten 
(Srlöfung  ber  2Renfd|en  unb  bcmgemäg  in  ber  §erDorbringung 
unb  ®rl^altung  ber  ©emeinbe  ber  ©laubigen,  weld^e  aU  ber  93c:= 
jiel^ungöpunlt  ber  ewigen  Siebe  in  ber  d^riftli^en  6rfenntni6  Don 
©Ott  ebenfo  untrennbar  ift.  Wie  Don  feinem  ©ol^ne,  ber  i^r 
§aupt  ift.  $Run  Derl^alten  fid^  biefe  beiben  ©otteöbegriffe  in 
CalDinö  Unterrid|t  gerabe  ebenfo  ju  einanber  wie  ber  deus  abs- 
conditus  unb  ber  deus  revelatus  in  Sutl^cr'S  ©d^rift  gegen 
SradmuS.  2)ad  ^eigt,  in  @^alDin'd  ^räbeftinationSlel^re  ift  ber^ 
felbe  ©otteSbegriff  ber  nominaliftifd^en  ©c^ule  eingefd|loffen, 
meldten  Sutl^er  in  bem  deus  absconditus  auSbrüdt,  unb  welcher 
mit  ber  ©üte  wie  mit  ber  ©erec^tigteit,  baS  l^eigt  mit  ben  Ättri* 
buten  beö  d^riftlic^eu  ©otteSbegriffS  uuDereinbar  ift.  SBelc^e 
SBtrfung  wirb  eS  nun  ^aben,  wenn  bie  ße^re  Don  ber  boppelten 
^räbeftination  eine  ©eltung  gewinnt,   welche  über  i^re  ©teQung 


135 

atö  Sln^ang  }ur  Srlöfungdlel^re  in  (Sabm'd  Sel^r6ud^  l^inaud^ 
greift?  ^iefe  üer^ängnigüolle  ISnttpicfelung  ^at  Sabin  baburc^ 
vorbereitet,  ba§  er  auf  8tnla§  beö  üon  öotfcc  erhobenen  SBiber^ 
fpruc^ed  bie  Se^re  burd^  ben  Consensns  Genevensis  (1552)  für 
bie  $a[toren  in  @ienf  obligatorifc^  machte,  ^ie  Se^rc  ift  jmar 
nad^^er  nic^t  in  bad  jmeite  ^elüetifc^e  Sefenntnig  (1566)  aufge^ 
nommen  morben,  meil  bie  JHrd^n  ber  beutfc^en  ©d^n^eij  gemäg 
ber  erften  Safeler  Sonfeffion  nur  bie  (Ern^ä^Iung  jum  $ei(e 
fannten.  Slllein  in  ber  ©adifc^en  unb  in  ber  üon  einem  ^xan^ 
äjofen  öerfaßten  JBelgifd^en  Confeffton  ^at  bie  Se^re  i^re  ©teöe 
gefunben. 

S)ie)e  lird^Iic^e  Geltung  ber  Se^re  üon  ber  boppelten  $rä« 
beftination  ift  nun  o^ne  ßtoeifet  ber  Stnlafe  ju  berjenigen  t^eorc* 
tifd^en  Bearbeitung  geworben,  n^elc^e  i^r  SSeja  unb  nac^  i^m  ber 
niebcrlänbifc^e  ^^eolog  @omaru$  jugemenbet  ^ben,  unb  n^elc^e 
n^efentlid^  aud^  üon  3)daccoüiuS  nnb  ä^oetiud  befolgt  n)irb.  3ene 
unternehmen  c^,  eben  biefe  Se^re  mit  ber  calDinifc^en  ©tamm^^ 
le^re  üpn  ber  SSorfe^ung  @otte^  in  einanber  ^u  arbeiten.  (ES 
fam  itinen  barauf  an,  bie  Se^re  üon  ber  boppeUen  ^räbeftination, 
meiere  baS  entgegengefe^te  ©d^idfal  ber  einj(e(nen  SDtenfc^en  nur 
nacf)  bem  formalen  @e(bftjn)ecf  @otted  beurt^eilt,  in  ben  @e^ 
banfen  ber  ^roüibenj  @ottei^  einjugliebern,  tueld^e  feine  @ilte  in 
ber  ^nerfennung  burc^  bie  @iemeinbe  ber  Gläubigen  bemä^rt. 
aber  biefeö  83eftreben  führte  nid^t  jum  Qxocd,  ba  ber  bejeid^nete 
@ebanfe  bie  ©(eid^ftellung  ber  SSermorfenen  mit  ben  (Em^ä^lten 
im  S3ert|ältnig  ju  @ott  nid^t  julägt.  ^e^^alb  fd^lng  biefe  Unter* 
ne^mung  in  ba^  @egent^eil  aud.  S)er  nominaliftifd^e  @ebanfe 
üon  bem  dominium  dei  absolntum,  unter  tveld^em  bie  @i(eic^^ 
ftellung  ber  ä}ertt)erfung  mit  ber  (£m)ä()lung  b(oi^  jur  (S\)xc  @otteS 
begriffen  n^irb,  n)irb  üon  @omarud  al^  ber  Seitpunft  fär  bad 
t^ologifc^e  (Softem  eingefe^t.  ^a^in  ging  eben  bie  allgemeine 
Zenbeng  bed  Salt)ini^mud,  fo  bag  aud^  bie  Slrminianer  in  biefem 
@ottedbegriff  mit  i^rem  @egner  @omarud  fic^  jufammenfanben. 
Der  @treit  jn^ifc^en  i^nen  breite  ftd^  bei  biefer  gemeinfamen 
@ninbanna^me  nur  barum,  ob  @ott  al$  abfoluter  ^err  jebe 
(Irrct^ctt  in  ben  t)ernünftigen  Kreaturen  audfc^liege,  ober  ob  er 
nadf  SiQigfeit  i^nen  gen^iffe  {Redete  unb  bemgemäg  einen  @e< 
brauch  ber  (Jrtei^eit  gegen  i^n  felbft  jugefte^e.  9tun  ^at  aber 
ffir  bie  ort^obojren  nieberlänbifc^en  Satoiniften  biefer  93egriff  bed 


136 

absointnm  dei  domininm  nid^t  bie  SBebeutung  gctponnen,  bag 
naä)  i^m  baS  ganje  tl^eologifd^c  ©tjffem  umgearbeitet,  alfo  jum 
SBcifpiel  bic  (grlöfung  burd^  (S^riftuö  auf  bic  SBinffir  @ottc^  ju* 
rficfgefü^rt  unb  i^rc  ©lieberung  burd^  bic  n^ed^felnbeu  Scjiel^ungcn 
bcr  ®nabe  unb  ber  ©ere^tigfeit  ®otteö  aufgehoben  ttjorben  n^äre. 
liefen  SBeg  fc^lug  btclntc^r  bcr  ?lrminianiöntug  ein  unb  gelangte 
beö^alb  ju  Äufftellungen,  ttjclc^e  mit  bcr  Änfid^t  bc§  I^ontaS 
^quinaS  am  näd^ftcn  üem^anbt  finb.  ^nd)  unter  ben  ort^obo^en 
rcformirten  Ideologen  ^at  bcr  (Snglänber  %m%  bie  ©ered^tigfeit 
@otte«,  ben  SHafeftab  für  ben  »erlauf  bcr  ©rlöfung,  nid^t  alö 
bag  innere  ®cfcfe  ®ottcö  felbft,  fonbern  afö  einen  freien  ®ntfc^lu§ 
bcffetben  bariuftcKcn  unternommen;  aber  bie  ^errfc^cnbe  SReinung 
toax  auf  bic  erfte  Annahme  gcrid^tet.  SBenn  atfo  baö  tl^eologifc^e 
Unternehmen  üon  Scja  auö  bem  Antriebe  entfprang,  ben  Slb^ 
ftanb  ber  ^ßräbeftinationöle^re  üon  bem  übrigen  S3cftanbc  bcö 
©^ftem^  au^juglcid^cn,  fo  äcigen  bic  SBcrfc  bcr  nieberlänbifd^cn 
Drt^obojcn,  bag  anftatt  beffcn  ein  ?lbftanb  jttjifc^en  bcr  allgc* 
meinen  ficl^rc  oon  ®ott  unb  bem  SBcgriff  öon  ®ott  erreicht  ift, 
n^elc^er  bie  concretcn  ^eilölel^ren  bc^errfd^t.  S)ag  baburc^  leine 
Scrbefferung  gegen  Sabin  erreicht  ift,  fonbern  eine  Serfd^led^te- 
rung,  fann  feinem  Stueifcl  unterliegen.  Unb  ttjcnn  nun  boc^  in 
ber  f^ftematif^en  S^^eologic  bic  allgemeine  Se^re  üon  ®ott  unb 
bon  feinen  S)ecretcn  bic  Sor^anb  behaupten  foH  gegen  bie  3)ar^ 
ftellung  beö  3n^alteg  ber  d^riftlid^en  Offenbarung,  fo  ergiebt  fid^ 
l^icr  eine  ber^ngnigöollc  ?lbttjeidöung  üon  bcr  allgemeinen  ^ienbenj 
bcr  Sieformation  beö  16.  ^cil)X^.  überhaupt  unb  öon  Salüin'g 
Unterricht  im  Scfonbcrn.  83ei  einem  SRanne  n)ie  SSoct  toirb 
man  bicfeö  menigcr  getoa^r,  t^citö  ttjcil  er  bem  praftifc^en  X^cile 
ber  X^eologic  ein  fo  groge«  3ntereffc  gcttjibmet  ^at,  t^eitö  unb 
l^auptfä^Uc^,  ttjcil  er  fid^  bei  einer  fragmentarifd^cn  S)arftcllung 
bcr  ©ac^en  begnügt  unb  bcr  f^ftematifd^en  enthalten  ^at. 

@§  ift  baö  Serbienft  be§  ßocccjug,  bag  er  bic  I^cotpgie 
ttjiebcr  an  bem  J'octor  bcr  pofitiüen  Offenbarung  orientttt'']^at. 
®r  ergänjt  aber  bCft»SC^cologic  ber  ^Reformatoren  felbfi, '  um  fo 
mc^r  bic  in  ber  Glb^bojrie  ausgeprägte  Uebcrlieferung  bcrfclben, 
barin,  baß  er  ben  ganjen  3nl^alt  ber  Dffenbarungöurlunbc  in 
einer  i^r  eigcntl^ümlid^en  ®liebcrung  pffig  unb  frud^tbar  ju 
mad^en  bcmül^t  ttjar.  "HU  ©d^riftauSlcgcr  unb  atö  biblifc^er 
Xl^eolog  ift  er  üielleidöt  meljr  aU  irgenb  ein  Änbcrcr  bcred^tigt, 


137 

in  bct  crflctt  Slcil^c  nad)  unfcren  SReformatorcn  genannt  ju  tocr:^ 
bcn;  aber  aud^  nod^  rocften  einer  eigentümlichen  (Srweiterung 
be§  praftifd^en  ®efic^tölrcife§  tüirb  i^m  jener  SSorjug  öinbicirt 
ttjerbcn  muffen.  ®er  ©ebanle  be^  ©nabenbunbe^  ®otte§  mit 
ben  3WenfcI)en,  weld^em  Soccejujg  ben  beg  SReid^cö  ®otteö  gleich 
fefet,  ift  baburd^  njirfli^  geeignet,  ben  in  ben  biblifd^en  Urfunben 
erfd^einenben  gefd^ic^tlic^en  Serlauf  ber  Offenbarung  fotpo^l  ju^ 
fammenjufaffen  atö  audl^  beren  Äbftufungen  ju  orbnen.  5)iefe 
Äuffaffung  üerliert  n^enig  an  i^rcr  Sebeutung  in  ber  ®efc^id^te 
ber  Ideologie,  ttjenn  andj  feftgefteHt  ttjerben  barf,  ba§  bie  Se^ 
bingungen,  unter  benen  ber  ©nabenbunb  öerttjirllic^t  ift,  Don 
©occejug  nid^t  in  mufterl^after  SBeife  gebeutet  n^orben  finb. 
*S>alj\\\  gel^ört  bie  ber  fogenannten  natürlid^en  Urreligion  glei^ 
geltenbe  S5orau§fe|ung  beg  foedus  operum,  ferner  bag  ttjunber^ 
lid^e  ©erfahren,  bie  ©nabenoffenbarung  nur  aU  abrogatio  foe- 
deris operum  einjuffi^ren '),  unb  ffloax  fo,  ia^  unter  biefem 
Sitel  bie  ©ünbe,  ber  ©nabenbunb  in  feinen  jtt)ei  ©tufen,  ber 
förderliche  lob  be^  in  ber  Heiligung  fortfd^reiteiiben  ©laubigen, 
enblic^  bie  Äuferfte^ung  jur  ©eligfeit  an  einanber  gereift  n^erben. 
SBcnn  fc^on  biefer  (Sntrourf  ber  gefammten  X^eologie  gegen  ben 
guten  ©cfd^madt  in  ber  Äuffaffung  ber  ^iftorif^en  ffirfenntniß^ 
obiecte  Derftößt,  fo  mac^t  fid^  biefer  %cf)Ux  and)  in  ber  t^polo- 
gifc^en  SSerfnflpfung  ber  beiben  Xcftamente  burd^gängig  geltenb  *). 
Snbeffcn  ift  bag  SSerbienft  be^  Soccejuö  um  bie  Ideologie  nament* 
lid^  barin  ju  erfennen,  baß  bie  immer  mieber  geftelltc  Aufgabe, 
bad  fird^lir^e  fiel^rf^ftem  au^  ber  biblif^en  X^eologie  ju  berid^^ 
tigen  unb  ju  erneuern,  bcm  Antriebe  beffelben  ju  üerbanfen  ift. 
(Kr  ^at  nun,  ttjie  fc^on  bemerft  worben  ift,  bie  Sinie  beö  f^mbo^ 
lifc^en  fie^rbegriffö  feiner  Äird^c  innejul^alten  fid)  bemüht;  er 
^at  aber  auc^  bie  {Rfictfid^t  auf  bie  ^errfc^enbe  fiel^rtrabition  ni^t 
burc^aud  üemad^läffigt,  obgleid^  fein  biblifc^^l^eologifd^er  ©tanb^^ 
imntt  i^n  ju  bem  X^ema  ber  göttli^en  betrete 'ni^t  ^intt)ie$. 
IHe  steige  Uebercinfunft  (pactum)  ©otteS  mit  bem  @o^ne,  baß 
berfelft  jur  (Sinfü^rung  beö  ©nabenbunbeö  um  ber  @bte  ©otteö 


1)  Samma  doctrinae  de  foedere  et  testamcnto  dei.  1648. 

2)  8gl.  DieÜef,  «rfd^^te  M  «.  %.  in  ber  d^nftli^rn  fttrc^e  6.  426. 
527 ;  etubien  iur  85b(ra{%o{o0tr,  in  ^o^rb.  f.  beuii(i^  X^ül  X.  @.  219—276. 


138 

toiflcn  SWcnfd^  tocrbcit,  bic  ©cfcfec^ftrafc  auf  fid^  nehmen  unb  ben 
Satcr  ücrfö^ncn  toerbc,  iic^t  natürüd^  feine  folc^c  SSerfügung 
n^iUtürli^en  ffintfc^luffeö  nod^  pc^,  tpclc^e  in  bem  endigen  Dcirct 
bcr  boppcttcn  ?ßräbe[tination  auöfleDrücft  ift.  3)e^&alb  ift  auc^ 
in  bcr  oben  angeführten  ©d)rift  be^  ßoccejuiS  feine  Siebe  üon  bicfem 
©egenftanbe.  Snbcffcn  fommt  in  bem  f^ftematifc^cn  SBerfe: 
Summa  theologiae  ex  scripturis  repetitae  (1662),  aud^  ber 
©toff  jener  Se()re  jum  SSortrag.  5Rur  ift  l^icr  bcr  8iatf)fd^lu6 
bcr  ©d^öpfung  bcr  2öclt,  in^befonbere  bcr  Vernünftigen  Sreatur 
jur  6f)re  ©ottcö,  unb  bcr  Siat^fc^tuß  bcr  ffirwä^lung  unb  Ser= 
tocrfung  fc^on  ber  räumlichen  ©tellung  nad)  au^  einanber  gc== 
l&altcn,  unb  ber  lefetere  ift  infratapfarifd^  bargcftellt.  6occeju§  alfo 
l^at  an  biefem  ©egenftanbe  ein  üiel  geringere^  Sntcreffc,  al^  bie 
fupralapfarifd^en  Ideologen  au§  bcr  ©c^ule  bcö  @omaru§. 

9iun  bebient  fic^  jwar  SoccejuS  n^icberum  bcr  Äuöbrücfe  für 
\>a^  JBcr^ältniß  jwifc^en  ®ott  unb  SRenfc^cn,  ttjcld^c  bie  ®c* 
fammtaufd^auung  biefer  ©d^ule  bcl^crrfd^tcn ;  er  betont  baö  do- 
minium dei  unb  bie  servitus  hominum,  tt)elc^e  auf  bie  gloria 
dei  gerichtet  fein  foll.  allein  bie  oollftänbigc  SSBertl^lofigfcit  aud) 
bcr  Dernünftigen  Kreaturen,  ttjcld^c  bie  Drt^obojcn  mit  biefen 
^Begriffen  bejeic^neten,  nimmt  EoccejuS  nic^t  an.  @r  erfennt  üiet* 
me^r  in  bcr  SBeftimmung  ber  SWcnfdben  jum  (äbenbitbc  ©ottcö 
ober  in  bcr  rectitudo,  mcl^e  bem  erften  ättcnfc^en  anerfc^affen 
ttjar,  unb  burc^  bie  c^riftlic^e  (ärneuerung  wieber  ju  gewinnen 
ift,  eine  Ännöl^crung  ber  oernünftigen  Kreatur  an  ®ott,  ber  ge*= 
maß  ©Ott  baö  SWufter  ber  2Kcnfd^cn  ift,  unb  bicfc  mit  @ott  bic 
ffirfenntniß  bcr  SBa^rJö^it  unb  bic  Siebe  gemein  ^aben,  fo  bag 
fte  Sic^t  finb,  wie  @ott  Sid^t  ift.  Eoccejug  alfo  nimmt  gerabc 
eine  birectc  ^Proportion  jwifd^cn  bem  SRenfc^en  unb  ®ott  in  bic 
SSeftimmung  i^rer  begriffe  auf,  wät)renb  eine  fold^e  in  ber  ort^o^ 
bojen  Ueberfpannung  be§  dominium  dei  eben  au^gefd^loffen  war. 
Diefe  ücrfdöicbcncn  Segriffe  oon  ®ott  finb  aud^  bie  legten  ÜRo* 
tioe  in  bem  ©treit  über  bic  SBebcutung  be^  ©abbat^ö,  welcher 
gwifd^en  ben  SJoetianern  unb  ben  Socccianern  feit  1658  fo  ^eftig 
entbrannte,  bag  er  burc^  einen  Scfc^lufe  ber  ^oHänbifc^en  ©tänbc 
alöbalb  Don  ben  ©tjnobcn  Derbannt  werben  mußte,  wcld^cr  aber 
nodö  t)on  1660  biö  1670  fic^  in  einem  wiebcr^o'lten  ©d^riftwed^fel 
jwifc^cn  ben  Utred^ter  Ideologen  Slnbrcae  ©ffeniuö  (SSoetianer) 
unb  granj  93urmann  (Eoccciancr)  fortfefcte,   unb  bie  Äird^e  mit 


139 

einem  ©d^idma  bebrol^te.  @occej[uiS  i^atte  ^unäd^ft  aud  ber  96^ 
ftufung  ber  beibcn  Sieftamciite  aU  gorntcn  beö  ©nabenbunbeö, 
unb  inbem  et  bcn  Sefalog  gerabe  ald  ^ocumcnt  bc$  le^tern 
Quffagtc,  gefolgert,  bog  baS  @ebot  ber  9{u^e  am  fiebenten  Xage 
für  bic  ©Triften  feine  ©rfüUung  in  ber  SSer^cifeung  ber  ewigen 
9hi^e  finbe.  @r  ^atte  be^^alb  geleugnet,  bag  ber  ccremonielle 
©inn  beö  ©abbat^geboteö,  weld^er  bic  3uben  öerpfli^tetc,  für 
bie  (S^riften  gelte.  (Sr  behauptete  beS^alb  ferner,  bag  bic  i^eier 
beö  Sluferftebungötaged  C^rifti  im  SJeginn  ber  SBod^e  fein  ccre* 
monicQeö  @ebot  @otteö  fei,  fonbcrn  ein  moralifd)eö,  loeld^eö 
burc^  ben  ©ebraud^  ber  jitird^e  @e(tung  erl^altcn  \)abt.  IHuö  biefen 
@a^en  ergab  fic^  für  Socceiuö  nic^tö  n^eniger,  aU  eine  SSetänbe^ 
rung  ber  cmften  unb  gemeffenen  8trt,  in  tpelc^er  bie  geier  beö 
©onntagö  in  ber  reformirten  £fird^e  hergebracht  n^ar.  $(ber  nic^t 
crft  bic  ©cftattung  Don  ftifler  bürgerlicher  Slrbeit  nad^  bem  Sc^ 
fuc^  beö  @ottcöbienfteö  am  Sonntage,  fonbcrn  fd^on  bie  ^cv^ 
änbcrung  ber  ©timmung,  welche  burd^  biefe  äufftcUungcn  an* 
gegeigt  loar,  erregte  bie  SBeforgni^  um  baö  ^ei(igtt)um  bei  ben 
Sn^ängem  ber  faft  p^arifäifd^cn  ©abbat^öfcier,  n^elc^e  fic^  um 
Soet  fd^aarten.  ^cr  Untcrfc^icb  ber  ©timmung  aber  n)ci[t  auf 
ben  Unterfc^icb  beö  @otteöbegriffö  ^^urücf.  S)ic  Socccjaner  unter« 
fc^ieben  nämlic^  moraüfc^e  Gebote  unb  pofitioe  (x^ijtlidjc  ober 
cercmoniclle)  banac^,  \>a%  jene  auö  ber  roec^fclfeitigcn  ©emein^ 
fc^ft  jioifd^en  @ott  unb  feinem  (Ebcnbilbc,  bem  äßenfd^en  ab^^u* 
leiten  feien,  biefe  auö  ber  Öefel)lmadöt  unb  bem  beftimmenben 
Stilen  @otteö.  hingegen  bie  Soctianer  mad^ten  feinen  Unter« 
fd^teb  gmifc^cn  bem  moratifd^cn  unb  pofitit)en  S^araftcr  göttlicher 
©ebote,  inbcm  fie  bic  unter  aQen  Umftäuben  pofitiüen  (moralifc^en, 
cercmonieQen ,  rccf)tlicf)en)  ©cbote  nur  Don  ber  $)cfeblmac^t 
©otteö  ableiteten  *).  3>amit  ift  eben  bie  Snftanj  ber  „natürlicf)en'' 


1)  3ttt  (Srldutftung  bienrn  folgenbe  S&^e  auS  Sranc.  Surntann, 
Vindioiae  disquUitionis  de  moralitate  sabbati  hebdomadalis  (Ultrajecti 
1665)  p.  4:  Morale  proprie  est,  quod  fluit  ex  imagine  dei  seu  ante  la- 
psum  homini  concreata,  neu  post  eum  ex  gratia  restaurata,  adeoque 
qaod  resultat  ex  natura  et  attributis  dei  et  hominis  naturali  statu  sab 
dao.  Gttm  qaibus  dei  hominisque  attributis  quicquid  convenit  et  ex 
illit  fluit,  illud  proprie  moraliter  bonum  est.  Quicqaid  autem  ad 
iatam  imaginem  dei  reduci  non  potest,  nee  ex  ea  fluit,  illud  positivum 


140 

©cmeinfd^aft  unb  Sertpanbtfc^aft  bcr  äRcnfc^en  mit  @ott  au§= 
gcfd^loffcn ;  unb  bcr  (Sinbrucf  öon  g^ct^cit  unb  3"t^ouIicl^tcit  in 
bcr  ©ottcööcrcl^rung  mug  bcr  ©orgc  um  bic  pünftüc^e  ©rfüHuncj 
einc§  ©cfcfecg  toeid^en,  welche«  boö  abfolutc  Ucbcrgcwic^t  bcr 
Wtadft  @ottcg  Qudbrficft.  äScIc^c  t)on  bcibcn  Stimmungen  bem 
Antriebe  bcr  9lcformation  bcö  16.  ^afjxl),  nä^cr  ftc^t,  braucht 
too^l  nid^t  befonbcrg  bcmcrft  ju  ttjerben;  l^ingcgcn  jcigt  fid^  in 
bicfem  %aüe,  bag  bic  unfd)einbarftcn  ?lbttjcid^ungcn  in  gotte§:= 
bicnftlic^cn  Äicinigfeitcn  i^r  Icfetc^  3Ra^  an  üerfc^icbcncn  Sc« 
griffen  Don  ®ott  finben. 

Um  bic  praftifc^c  unb  gcwiffermaßcn  reformatorifd^e  I)i«po- 
fition  Don  ßocccjui^  cticnnen  ju  laffcn,  bicnt  nun  aber  bic  ?luf^ 
faffung  bcö  3^^^^^  tt)clc^cö  ben  (Sbenbitbern  ©ottcö  gefegt  unb 
burd)  S^riftuS  möglich  gemad^t  n^irb,  namlic^  feine  Seigre  Dom 
JRcic^c  ©otte^.  SBcr  ba§  eine  ober  ba^  anberc  f^ftema^ 
tifc^e  SBcrf  bei8  ©occciuö  burd^lieft,  njirb  DicUeid^t  pd^  ttjunbcm, 
bag  in  benfclben  ein  befonbcrer  locus  de  ecclesia  nic^t  ju  finben 
ift.  3)ie  ©arfteüung  gel)t  Dom  SBcrIc  G^rifti  ju  bem  ©oangetium 
unb  ben  ©ocramenten  ate  ben  SÄittcln  bcr  ?lueignung  unb 
SJeftätigung  beffelbcn  an  bic  (Sinjclnen  über,  auf  bic  Sc^rc  Don 
bcr  Suftification  folgt  bann  bic  (ärörtcrung  über  ben  Unterfc^ieb 
ber  ©emeinbe  be^  neuen  SSunbeS  Don  bcr  beö  alten,  ober  über 
bic  ber  Äncd^tfd^aft  entgegcngefe|tc  g^ei^cit  ber  Sfjriftcn.  §ier== 
an  n)irb  in  ber  fvätern  Summa  theologiae  eine  Steige  Don 
fird^enrcc^tlic^en  X^emata  gefnüpft,  nämlid)  Dom  Primat  beS 
5ßapfte§,  Don  ben  ©cfc^cn  unb  ©eric^ten  ber  Äird)e,  Don  bcr  8c^ 
rufung  ber  Jfird^enbiencr,  Dom  SSerljältniß  jtoifd^cn  Äird^e  unb 
©taat.  @t^if(^  ift  bann  nod^  bic  ©rörtcrung  über  bic  ©tcllung 
ber  Äirc^e  in  ber  gegenmärtigen  SBclt.  Aber  ber  allgemein  rc:= 
formatorifc^e  ©cbanfe,  weld^er  ade  biefe  Srörterungen  ju  bc^err* 
fc^en  ^at,  baß  bic  Äird^c  bic  ©emeinfd^aft  ber  ©laubigen  fei 
unter  ben  SHcrfmalcn  beö  reinen  ©Dangclium^  unb  ber  ftiftung«= 
gemäßen  SJerwaltung  ber  ©acramcnte,  tt)irb  in  ben  bcibcn  I)ar= 
fteHungen  bcgSocceiu^  Dergebtid^  gcfuc^t.    ®r  ^at  ja  bicf«ÜRetf* 

est.  Quamvis  enim  iUud  quoque  conveniens  sit  deo  hominique,  ez  quo 
a  deo  illi  praescriptam  est,  nou  tarnen  ita  ex  attributis  dei  hominisque 
fluit,  ut  ex  sese  notum  sit  et  inde  deduci  pussit,  cum  duntazat  a  po- 
sitiva  dei  voluntate  et  imperio  pendeat. 


141 

male  aU  bie  Organe  ber  ^erüorrufung  unb  SSeftätiguitg  bei^ 
Glaubend  buvd^  @ott  unb  ber  Suftification  anerfannt.  allein 
n)€nn  man  fie^t,  tt)orauf  eg  i^m  bei  bcm  3)egriff  ber  @iemeinbe 
bed  neuen  Sunbc^  anfommt,  fo  lotrb  man  auf  bie  ä^ermut^ung 
flefü^rt,  baß  i^m  jener  gangbare  Segriff  üon  ber  Äirc^e  ju  fel^r 
inftttutioneQ  Dorgefommen  ift,  n^eit  bie  (Erfahrung  ed  barbot,  bag 
unter  jenen  äRerfmalen  Ungläubige  mit  ©laubigen  jufammen  finb, 
unb  n)etl  alle  firc^ltd^cn  {Rec^t^inftitute  fic^  an  jene  ^^unctionen 
anlehnen  ober  aud  i^nen  entfpringen.  S)enn  bad  erfc^ien  i^m 
aU  bie  ©d^ranfe  be^  ©nabenbunbeö  auf  ber  SSorftufe  in  Sfrael, 
bag  bort  bie  ^errfc^aft  @otted  Ungel^orfame  mit  @e^orfamen 
umfaßte,  unb  bag  biefelben  ber  red^tlic^en  Sluctorität  menfc^ltd^er 
äRitteUperfonen  untem)orfen  tt)aren.  gu  ben  Gütern  bed  neuen 
JBunbed  foll  aber  neben  ber  DoUftänbigen  Srfenntnig  @otte^,  ber 
Xufna^me  bed  @efe^e^  in  bad  $erj,  ber  Befreiung  be^  @ett)iffend, 
bem  t^rieben  jn)ifd^en  ben  Golfern,  ^auptfäc^lid)  bie  t^reil^eit 
gehören  0-  S)iefe  greil^ctt  wirb  feftgeftellt  ate  bie  Sefeitigung 
ber  Xobedfurc^t  unb  ber  ä^ormunbfd^aft  oon  Se^rcrn,  @efe^gebern 
unb  $rop^eten,  fetner  ald  ba^  ^rieftert^um,  in  bem  man  @ott 
in  finbtid^em  ä^ertrauen  na^t,  unb  bad  ^önigt^um,  bie  ^errfc^aft 
fiber  alle  S)ingc  burd^  S^riftu^,  n^eiter  als  bie  audfd^lie^lic^e 
UnterfteQung  unter  bie  Seigre  (S^rifti,  ba  bie  ^^ortbauet  beS  $re- 
bigtamted  nur  bad  richtige  Organ  für  biefe^  SBer^ältnig  ift,  unb 
iugleic^  bafär  bärgt,  bag  bie  Offenbarung  niematö  über  S^riftud 
^inau^e^t,  nod^  an  eine  beftimmte  $erfon,  SoQegium,  @tti  unb 
Ort  gefnüpft  ift.  ©o  ttjirb  an  ber  ©cmcinbe  be^  neuen  öunbeö 
erffiat,  bag  @}ott  i^r  @ott  unb  fie  fein  ^oit  ift.  Hinc 
tempus  novi  testamenti  vocatur  regnum  dei  et  regnum 
eoeloram,  qnia  cessat  principatUH  hominum  et  servitus  in 
ecclesia;  et  praedicatio  eius  vocatur  evangelium  regni.  S)er 
Segriff  ber  ecclesia  crfd^eint  l)ier  nur  aU  ©ubject  bed  regnum 
dei,  alfo  ntc^t  aU  ©ubject  unb  Object  ber  bcfanntcn  SJ^erfmatc, 
ber  @nabenmittel,  meldte  einen  toenn  auc^  relatioen  Unterfc^ieb 
ilDtfc^en  ecclesia  unb  regnum  dei  begrflnben  n)ürben.  ^iefed 
mtrb  beftättgt  burc^  bie  Se^anblung  ber  ©ac^e  in  ber  Summa 
theologiae  Gap.  78.  $ier  rebet  Soccejud  aUerbingd  üon  ber 
ftird^  birect,  aber  auc^  nur  auf  %ntag  ber  t$rage  über  i^r  93er^ 


1^  Summa  doctrinae  de  foedere  et  test.  dei  cap.  XII.  354. 


142 

l^ältniß  jum  ©taatc.  (Sr  Dcrftc^t  aber  unter  ber  Äir^c  bie  @Je= 
mcinfd^aft  ber  berufenen  unter  S^riftu^  ofö  Äönig,  welche  nic^t 
aug  ber  SBcIt  unb  nic^t  tocUtic^en  gleichen  glcic^cjeartct,  fonbern 
innerlich  unb  unfid^tbar  ift,  tueld^e  beöfjalb  Dielntc^r  geglaubt 
aU  gefe^en,  aber  bod)  burc^  SBefcnntniß  unb  Sebenöwanbel  offen« 
bar  tt)irb.  ©aß  biefc  3)arfteQung  ct\r>a^  ücrfc^leiert  ift,  crgiebt 
fic^  leidet;  jeboc^  bie  SJeränberung  im  Segriff  ber  ^ird^e,  welche 
l^ieburc^  angebeutet  ift,  erfäfjrt  man  Dollftänbig  an^  einem  anbern 
i)ocument  Don  Soccejuö. 

®r  f)at  am  8.  gebruar  1660,  ate  er  ha^  SRectorat  ber  Uni« 
Derfität  fieiben  niebcriegte,  einen  Panegyricus  de  regno  del  ge« 
I)alten  0.  tuelc^er  für  bie  religiö^^fittli^e  ©cfammtanfid^t  inner^^ 
l^alb  be§  ©ebieteS  unferer  ^Reformation  eine  (Spod)e  bejcic^net. 
I)en  SReformatorcu  njar  eö  nid^t  gelungen,  bie  praftifc^en  83e« 
}ie^ungen  be^  @lauben$  unb  bie  Slufgabe  ber  guten  äSerfe,  \>a^ 
3ntereffe  ber  (Sinjetnen  an  if)rer  ©eligfeit  unb  bie  georbnete 
görberung  ber  c^riftlid^en  ©efeUfc^aft  unter  ®inem  Siitel  beutlic^ 
^n  mad^en.  3n  ber  unfreien  Anlehnung  an  bie  SReforinatoren 
ließen  be^I)alb  i^re  red^tgläubigen  giad^folger  bie  (St^il  üerfüm« 
mern.  3)enn  bie  ariftotelifd^e  lugenble^re  unb  bie  ftoifd^e  ®e« 
ttjiffenöle^re,  tt^elc^e  nac^  äWelanc^t^on'ö  SSorgang  bei  fiut^eranern 
unb  SReformirten  in  einen  mäßigen  ^Betrieb  gefegt  ttjurbcn,  fönnen 
boc^  nur  al^  Surrogate  Don  jweifelfiaftem  2Bertl)e  angefel^en 
»erben,  ©occeju^  aber  ^at  mit  ber  $ülfe  feinet  umfaffcnben 
S3ibelftubium$  unb  mit  feinem  9Raße  Don  Unab^ängigfeit  gegen 
bie  t^eologifc^e  Uebcrlieferung  e^  erreid^t,  in  bem  SRei^c  ©otte^g 
baö  ©anje  be^  gemcinfamen  toie  beö  inbiüibuellen  d^riftlid^en 
ScbenS  ju  begreifen.  2)aö  X^ema  jener  JRebe  lautet  in  bejeic^« 
nenber  SBeife  auf  ha^  JReid^  beöjenigen  $erni,  beffeu  Änc(^te 
toa^rt)aft  greic  unb  Äönigc  finb.  SRog  biefer  Slnflang  an  Sutljer'ö 
©c^rift  de  libertate  christiana  beabfic^tigt  fein  ober  nic^t,  fo  ift 
biefe  Stninüvfung  an  baS  ^Programm  ber  Sieformation  unüerfenn- 
bar,  nic^t  minber  ber  gortfd^ritt  in  ber  (Jrfenntnife,  baß  bie  cnt- 
gegenfte^enben  ^ßräbicatc  ber  grei^cit  unb  ber  Äned^tfc^aft  be§ 
Sänften  burc^  ben  SSegriff  be^  SReic^eö  @otte^  mirflic^  jufommen- 
gebracht  werben.  3c^  fcinn  c^  übergeben,  baß  Soccejui^  fid^  feinen 
SBeg  bal)nt  burc^  bie  SBejie^ung   ber  ^errfd^aft  ®otte^  auf  bie 

1)  Opera  theologica  Tom.  VI.  Orationes. 


143 

©rfenntniß  ber  Sloturtüclt  unb  bic  fitttid^c  Dricnttrunfl  aui  bcm 
©cioiffcn.  S)enn  bic  neue  §errfd)aft  ©otteg,  tuet^c  er  meint, 
f)at  xi)xt  Soraui^fe^ung  an  ber  @ünbe  unb  baran,  bog  bie  natura 
lid^e  Srfcnntnig  üon  @ott  unb  feinem  äSiden  jerftört  ift.  „^a^ 
neue  Äeic^,  n^etd^eiS  au«  ber  SBarm^erjigleit  ©otteö  cntfprincjt, 
ift  feiner  SBorauöfefeung  me^r  cntgegengefefet,  ate  baö  erfte.  S)enn 
bie  urfprünglic^e  ^crrfd^aft  ©ottcig  fe|te  ba«  Sflid^tfcin  üorau«, 
bie  neue  baj^  Sflid^tfeinfönnen/  S)amit  alfo  biefcj^  neue  SReic^ 
entftel^e,  mußte  Unmöglicl)c«  fid^  ereignen,  nämlid^  bie  ©rlöfung, 
unb  bamit  eö  in  bem  ©ünbcr  fei,  bebarf  eS  bc«  ©lauben«,  burd^ 
nielc^en  @ott  fid^  un§  angelobt,  unb  in  und  n)0^nt  unb  tebt. 
Unfer  ©laubc  ift  bie  SBirhmg  ber  ©erec^tigfeit  SI)rifti  unb  bad 
Srjeugnig  feine«  @cifted.  2)urc^  i^n  werben  \mx  (Ein  Seib  mit 
bem  f^auptc  unb  aQen  ©liebem,  ^enn  ni^t  fo  ift  ba«  SReic^ 
©ottc«  in  ben  ©niclncn,  baß  nid^t  baffelbc,  toie  e«  in  ben  än^ 
beren  ift,  3cben  anginge.  3)ur^  bie  ©emcinfd^aft  ber  SBebflrf^^ 
niffe,  ber  ©aben,  ber  Siebe  ift  in  bicfem  Sicic^e  feiner  fo  fein 
eigen,  baß  er  nic^t  jcbem  Änbern  angehörte,  ©o  Dcrbinbet  ber 
©Ott  bc«  gricben«  aDe  unter  einanber,  baß  jeber  bie  Saften  be« 
änbern  trägt  unb  feine  Sergct)cn  Derjci[)t.  3u  biefcr  %üüt  gegen* 
fettiger  SWitt^eilung  üon  ©aben,  üon  Siebe,  üon  greubc  über 
ha^  gemeinfame  §eil  genießen  fic  bie  ©eligfeit".  S)icfe  innere 
^rbinbung,  n)eld^c  in  feinen  formen  be«  Stecht«  barftedbar  ift, 
entjiel^t  ftc^  nad^  fiuc.  17,  20  ber  birecten  Seobad^tung.  3n* 
bcffen  ift  fie  inbirect  n^a^rnel^mbar  burd^  bo«  (EDangetium,  ba« 
©ort  be«  Äönig«  unb  bur(^  ba«  Sob,  ttjelc^e«  bie  3"^$!^  ^^^ 
©täubigen  i^m  n)ibmet  (Sefenntniß  al«  ©ebet),  femer  burd^  bie 
Seränberung  be«  fittlid^en  SBanbcI«  berfelben.  ^cn  Ungläubigen 
freiließ  bleibt  SBefen  unb  SBcrt^  be«  SReid^e«  ©ottc«  verborgen, 
obgleich  fie  c«  in  ifjrer  SRitte  fe^cn,  unb  barum  fcd)tcn  fie  baö- 
felbe  an. 

,,9lUcin  ni^t  blo«  fold^e  jeigcn  fid^  al«  @eguer  be«  SRcic^e« 
©otted,  fonbern  aud^  üiclc  öon  bcnen,  welche  e«  im  2Kunbc 
ffi^ren.  ^nn  nid^t  alle  gehören  ju  Sf)riftu«,  n^eld^c  i^n  $errn 
nennen."  S«  folgt  eine  I^coric  ber  Äirc^engcfc^ic^tc.  äu«  ber 
SRac^tfteQung,  meldte  bie  c^riftlic^e  Jiird^e  gemonnen  ^at,  \>q% 
fiaifer  i^ren  ©c^u^  übernahmen,  baß  i^re  Sorfte^er  (Einfluß  ge* 
toannen,  baß  i^r  ISefenntniß  nic^t  me^r  al«  X^or^eit  galt 
nahmen  bie  ^inbe  ©ottc«  ben  Knlaß,   al«  (E^riften   erfc^einen 


144 

)u  tPoQen.  Unb  ber  Xeufel  tPtrfte  bemgema^  ba^in,  bog  bad 
SBort,  bcffcn  ?lnnal)mc  er  nic^t  ^inbcrn  lonnte,  unfrud^tbar 
tourbc.  3)cnn  baä  ©cfcnntniß  ju  ß^riftug  fc^tic^t  nic^t  not^^ 
toenbig  bie  (Srfcnntnife  beffclbcn  unb  ben  ©tauben  in  fi^.  ©er 
@lQube,  n)cld^er  jur  (Sinigung  mit  S^riftuS  fu^rt,  mug  fruchtbar 
an  guten  SBcrIen  unb  bie  SBurjel  ber  Siebe  fein;  berfclbe  übt 
fid^  in  ber  ^emutl),  für  alle  fieiftungen  @ott  bie  (£^re  ju  geben, 
bantt  für  alle^  feinem  SSater  unb  legt  ben  fic^tbaren  3)ingen 
feinen  SBert^  bei,  inbem  er  auf  bie  unfid^tbaren  feine  Hoffnung 
rid^tet.  2)ag  burc^  ben  leufel  eingeführte  8Serberben  ber  Äirc^e 
^at  aber  weiterhin  ju  bem  offenen  ?lbfan  Don  ber  SEBal^r^eit  ge^ 
fü^rt,  toeld^er  in  ber  ©c^rift  ba^S  3^icr  genannt  wirb,  toeld^er 
in  ber  fic^  lat^olifd^  nennenben  Äirc^e  ^errfc^t,  unb  ben  Ärieg 
gegen  bad  9teic^  @otteS  in  ber  SBelt  aufredet  erplt,  burd^  toeld^en 
Diete  SJermirrung  erregt,  unb  fpeciell  ben  Suben  ber  aSonoanb 
geboten  mirb,  ftc^  nid^t  ju  befe^ren.  Ungead^tet  biefer  92ot^Iage 
erfreut  fic^  bag  SSolt  ©otte^  eineö  brcifac^en  griebenö.  (ärftenig 
^at  baffelbe  ni^td  ju  fürd)ten.  „^enn  toa^  allen  ©ünberu 
SBiberftanb  (eiftete,  ift  aufgehoben  unb  Dernic^tet.  äSer  foQ 
bcnen  juroiber  fein,  für  welche  @ott  einfielt?"  3^eiten§  befte^t 
ber  f^xkic  unter  ben  üerfd^iebenften  SSöIfern,  ©täuben,  @e^ 
fc^ted^tern,  bie  bem  Solfe  ©ottcö  angehören,  ©ritteni^  befteljt 
ber  griebe  barin,  baß  alle  SJölfer  wenn  auc^  in  mannigfacher 
?tbftufung  ber  Äird^e  bienen,  in^befonbere  borin,  baß  bag  refor^^ 
mirte  ß^riftent^um  unter  ftaatUc^em  ©d^u^e  gefiebert  ift.  S33enn 
nun  bennoc^  bei  ben  mannigfadben  ^enoirrungen  unb  SSerfoIgungen 
Don  ß^riften  auf  eine  (Sntfd^eibung  ju  rechnen  ift,  fo  ift  eö 
unfercr  (Sinfid^t  üerborgen,  „Xüawn  ber  griebe  fommen  ttjirb,  toann 
bie  Belehrung  ber  Suben  ju  erwarten  ift,  wie  Sabcl  (bie  römifd^e 
Siirc^c)  feinem  Untergang  entgegen  ge^t,  wie  bad  SReic^  ß^rifti, 
in  welchem  ade  SSöKer  i^m  bienen  unb  baö  ©üangclium  auf  ber 
ganjen  @rbe  üerlünbigt  werben  wirb,  ^erannal)t".  Äu^  ber 
©d^rift  wiffen  wir  nur,  baß  bicfeö  alleö  fc^neU  eintreten  wirb, 
unb  gerabe  ju  ber  Qdt,  wo  ba§  ©elbftgefübl  ber  ontic^riftlic^en 
ÜRac^t  feinen  ^öc^ften  @rab  erreicht. 

2)a^  finb  bie  wefenttic^eu  ©runbjüge  jener  SRebe  Don  1660. 
3um  genaueren  SBerftänbniß  i^reä  3nl)alte^  wirb  junäc^ft  barauf 
ftinjuweifen  fein,  baß  ber  eben  mitget^eitte  ©d^luß  nid^t  alö 
birecteö  SJelenntniß  beö  S^ilia^mu^  gebeutet  werben  barf.  ßocccjuö 


145 

l^t  nSmlid^  bei  anbeten  Gelegenheiten,  }.  f8.  bei  ber  Sludlegung 
ber  Slpolal^pfe  au^brücfUc^  bejeugt,  bag  er  bie  taufenb  Setzte 
bed  9ieic^ed  S^rifti  auf  ber  (Erbe  ni^t  auf  bie  3^^"?^  rechne. 
S)ad  l^at  i^n  natflrli^  nic^t  baDor  gefc^fi^t,  bag  er  auc^  ber 
fie^erei  bei^  S^ilia^mui^  flejie^en  n)orbcn  ift.  ^er  namenlofe 
@d|riftfteller,  gegen  toeld^en  ber  @o^n  3o^.  ^einric^  Socceiud  in 
ber  93orrebe  ju  ber  @ammlung  ber  SSBerle  feinen  Sater  ^at  t)er^ 
t^ibigen  ntäffen,  mochte  üteUeid^t  gerabe  jene  Scugerung  in  bem 
Panegyricus  de  regno  dei  fo  Dcrfte^en,  ba§  fic  für  btc  SSerffius 
bigung  bed  (Süangetiumd  auf  ber  ganjen  Srbe  unb  ben  d^rift« 
liefen  @ottedbienft  aller  S^ölfer  eine  längere  3<^i^fi^ifl  Doraud« 
fe^.  Soccejud  aber  ben!t  an  eine  munberbare  @efcl^n)inbigteit 
oller  ber  Sreigntffe,  meiere  mit  ber  Sßieberlunft  S^rtfti  iufammen« 
treffenb,  bad  cioige  ^immltfc^e  {Reic^  Stjrtfti  einleiten  follen.  %üx 
bie  f^olge  loiQ  ic^  aber  barau  erinnert  ^aben,  bag  bie  93elebung 
beS  praftifd^en  @ebau{enS  üom  SRetc^  @otted  für  bie  irbifd^e 
@egenioart  burc^  Socceiud  nid^t  erreicht  tt)orben  ift  o^ne  ben 
ni^t  minber  Icbenbigen  ^u^blid  auf  bie  mer  tueig  n)ie  na^e  Qn^ 
!unft,  in  lueld^er  bie  Sefe^rung  ber  3uben  unb  aller  Reiben  ein 
bebeutfamei^  9J^erfmal  fein  foU.  Sllleiu  eben  biefe  Belebung  ber 
3bee  bcd  {Reiches  ©ottei^,  bie  (Einfe^ung  berfelben  ald  äRagftab 
bed  religiöfen  ISrIenncnS,  n)ic  bed  fittlid^cn,  gemcinnü^igen  $an« 
belni^,  ald  SRotiD  ber  ^einut^,  @ebulb,  Siebe,  Hoffnung,  @clig^ 
feit  ift  nid^t  blo^  fc^r  folgenrei^  auf  bem  @ebiet  ber  reformirten 
unb  ber  lutl^erifc^en  ^ird^e  geworben,  fonbern  bejeid^net  eine 
etgentfjümlic^c  SSSenbung  in  bereu  @efid^tsfreife.  ^U  bie  äSicbcr^ 
taufet  bad  9ieic^  @ottci^  al$  eine  jugleic^  politifc^e  unb  feciale, 
loie  fittlid^e  unb  religiöfe  Orbnung  üerfünbcten,  trat  i^ncn  aud 
bem  lut^rtfc^en  unb  jn)inglifc^eu  SRcformation^freife  bie  "äxtU 
wort  entgegen:  ,M^  9{eic^  S^rifti  auf  (Erben  ift  bie  Hirc^c"  ')• 
Z)ad  ^eigt,  ha^  bie  genau  bcftimmbarc  Gcmcinfc^aft  bcd 
Glaubend  unter  ber  Seitung  S^rifti  nur  gcfuc^t  n)crbcn  bürfc  in 
bem  ßufammenl^ange  bed  ©otteSbienfted  unb  bcd  religiöfen  unb 
ftttlic^en  Unterrichtet.  Diefc  Sludfunft  xoax  bamald  Dielleid^t 
^rahifc^;  allein  bem  loirf liefen  @ebanfen  bed  {Rcid^ed  Gottei^  t^ut 
fte  ni(^t  genug,  unb  fie  ift  Dielleid^t  baran  mit  fd^ulb,  bag  bie 


1)  Sgl.  fBuIIinger ,  ber  SBtebert&ufer  Urf|)rung  u.  f.  id.  QI.  60  verso; 
avftfrbem  &(te  tion  ber  Sted^tferitgung  unb  3krf5^nung  lU.  8.  244— 2&0. 

I.  10 


146 

fittlid^e  Aufgabe  im  5ßrotcftantiöinu3  burd^  fird^tic^cn  gormati^ 
mu$  beeinträ^tigt  tpurbe.  S)en  ©cbanfen  bc^  Soccejud  l^at  man 
nun  fo  jju  ücrftc^cn:  „Snncr^alb  bcr  Äird^c  iai^  SRcic^  ©otteö." 
^icmit  tt)in  er  natürtid^  bic  gottcöbicnftüd^e  unb  Untcrri^tiSflcmein- 
fd^aft  nt^t  roegmcrfen;  fie  ift  i^m  aber  nur  fo  Diel  ttjertl^,  aU 
fic  tt)irflic]^  ba»  Sel^ifcl  bcr  actiuen  pttHd^cn  ©emcinf^aft  ber 
E^riften  ift.  Snfofern  übcrfd^reitct  Socccjujg  bic  Sinie  bcr  ?ln^ 
fic^t  bcr  ^Reformatoren  nic^t,  fonbern  gicbt  berfelben  nur  eine 
neue  SBenbung.  Aber  eben  burd)  biefc  SBcnbung  gcttjinnt  Eocce« 
jug  einen  anbern  ©efid^t^Ireiö,  aU  ttjeld^er  burd^  bic  befannte 
Definition  bcr  ^irc^e  bejeid^net  tt)irb.  S)iefc  nämlid^  ^at  rein 
religiöfen  ©inn  unb  bient  jur  Sflormirung  bc3  gcmeinfc^aftlic^en 
d^riftlic^en  Sebend  Don  ©otte^  n)egen.  SSenn  aber  bad  9{eic^ 
©otteö  an  bem  göttlid^en  SBorte  unb  bcn  ©acramenten  nur  feine 
SSorauöfc^ungcn  finbet,  übrigcnö  aber  für  ben  ©cbanfen  ber  Äird^e 
eintritt,  fo  wirb  eine  5Rorm  gettenb  gemacht,  in  lücld^cr  bic 
göttli^en  eintriebe  unb  bie  mcnfc^Iic^cn  %ctionen  auf  ha^  ge^ 
meinfc^aftlic^c  Qid  äufammengcfagt  njcrbcn.  Diefc^  gcmcinfc^aft^ 
lid^e  religiöfe  unb  fittUd^c  3bca(  bcjcic^nct  a(fo  ein  anbcre^  ^n^^ 
tcrcffe,  aU  roetd^eö  burc^  bic  blo^S  religiöfe  9lorm  beg  l^crgebrad^tcn 
Segriffs  üon  ber  Äird^e  befriebigt  loirb.  ätö  fittlic^cö  3beal  ift 
ber  ©ebanfe  beS  SoccejuS  mert^ooll  genug.  3nbcffen  bei  feiner 
S(udprägung  ift  ein  ^auptgebanfe  ber  9{eformatoren  unbeachtet 
geblieben,  nämlic^  baß  ber  bürgerliche  Seruf  ber  regelmäßige  Ort 
ber  ^riftlic^en  SJollfommen^cit  unb  be^  fittlid^en  S)icnfte§  gegen 
@ott  ift.  3nbem  (Socccjud  baS  9{eic^  @otteS  aU  ba^  ©anje  bed 
religiöfen  unb  fittlic^en  fiebenö  ber  ß^riften  bcpnirt,  fo  jie^t  bie 
©Icic^gültiglcit  gegen  jenen  fpecififc^  reformatorifc^cn  ©cbanfen 
eS  nac^  fic^,  baß  feine  3bce  üom  SRcid^e  ©otteS  bod^  nic^t  ate 
ber  öollftänbigc  Stuöbrucf  bcS  eüangelifd^en  ScbcnSprincipc«  aner^^ 
lannt  toerben  fann.  SBcun  baö  ®anje,  baö  er  benft,  wirflic^  ba« 
©anjc  fein  foU,  fo  muß  eS  gegliebert  fein,  b.  1^.  bie  ©lieber 
muffen  nicl)t  bloS  nad^  i^rer  ©leic^fjcit  in  beni  ibentifd^en  c^rift* 
licf)en  Sebenöftoff,  fonbern  aud^  nac^  i^rem  Unterfd^ieb,  olfo  nac^ 
i^rer  ISigentpmlic^feit  in  bem  ©ansen  gebadet  U^erben  fönnen. 
2)ie  normale  fittlid^e  (äigcnt^ümlid^fcit  ber  ffiinjelncn  in  ber 
d)riftlic^en  ®efellfcf)aft  tt)irb  nun  gerabe  üon  unferen  Sicforma* 
toren  in  richtiger  (ärfenntniß  ber  ©a^e  nad^  ben  befonberen 
fittli^cn   Söerufen   bcftimmt.    Darauf   aber  ^at   ©occcjui^  nid^t 


147 

flcad^tct ;  unb  USf)ali  ift  in  bcn  d^riftlid^cn  Ärctfcn,  tücld^c  feinem 
©cbanfen  folgen,  bic  ©^äfeung  beg  bürgcrUd^cn  SBcrufö  ofö 
einer  ©cftimmung  üon  fpecififd^em  SBertl^  für  bie  d^riftlid^^fittlic^e 
ScbenSflemeinfc^aft  me^r  ober  toeniger  unfic^er  geworben. 

^a^  SReic^  ®otte^  in  ben  ibeolen  Attributen,  roeld^e  bie 
Webe  bei^  Soccejuö  entttjldfelt,  flilt  i^m  atö  ber  ttjirltic^e  S3eftanb 
beS  neuen  SBunbe^  unter  ben  SRenfd^cn.  3)iefe  änfid^t  erfährt 
nun  ixoax  eine  ISinfd^ränfung  baburc^,  bag  bie  ^eilige  ©d^rift 
aud^  bad  Sefte^en  eine^  antic^riftlic^en  SReid^eiS  bezeugt,  tt}clä)c§ 
unter  d^riftlic^em  Slamen  fid^  eingebrängt  ^at;  inbcffen  biefc 
©röße  begnügte  fid^  SoccejujS  ganj  bor^errfc^enb  in  ber  römifd^en 
Äird^e  aufjujeigen.  3)iefe«  ift  nomentlid^  ber  gall  im  f^ftcma^ 
tifd^cn  ßwfömmen^ang,  alfo  in  ber  Sfiebe  de  regno  dei  unb  ber 
Summa  theologiae;  aber  aud^  an  unjä^Iigen  Orten  ber  ejrege^^ 
tifc^en  SBerfe.  3cbod^  ift  ßoccejug  aud^  nid^t  blinb  gettjefen  gegen 
bie  ©c^ftben  ber  c^riftlid^eu  ©efellfc^aft,  tueld^e  in  ber  reformirten 
ftirc^e  beftanb.  ?HIein  er  berührt  biefe  ©ac^e  mit  fel^r  leifen  an= 
fpielungen  barauf,  bag  SRand^e  SBab^Ion  t)er(affen  ju  ^obcn 
glauben,  wenn  fie  gegen  ben  ?ßapft  lämpfeu^),  ober  bag  bic 
©finben  fd^ulb  feien  an  ber  Hemmung  ber  ^Reformation  unb  bei^ 
gortfc^rittg  beö  (Söangeliumjg  *).  3)euttid^er  ergebt  er  fic^  einmal 
über  bie  geiler  feiner  ©tanbc^genoffen  unb  bercn  übele  golgen 
jur  Senoirrung  ber  ^ird^e,  in  ben  Gogitationes  de  apocalypsi 
Johannis*).    2)en  äTJagftab  für  biefe  ^e^let  nimmt  er  ba^er, 

1)  Cantioa  cap.  VIII.  §  466.  Jesaia  cap.  XIII.  §  S. 

2)  Jesaia  cap.  L1X.  §  4.  5. 

8)  L.  c.  ad  cap.  14, 12.  Non  omnes,  qui  ad  occlesiam  reformaiam 
acceduDt,  ad  eam  pertinent.  Quemadmodum  antea  ad  ecclesiam  accede- 
bant,  qui  vaniiatem  idolorum  agnoverant,  et  agnoverant  Christum  ve- 
nisse,  Christum  tarnen  non  cognoscebant,  ita  posteriori  hoc  tempore 
fieri  potuit,  ut  ad  ecclesiam  accederent,  qui  quasdam  abominationes 
bettiae  agnovissent,  et  tarnen  nescirent,  quae  esset  natura  ßdei  in 
Christum.  Et  quis  praestabit  tales  non  reperiri  inter  docentes?  Pro- 
Tooat  ecelesia  reformata  ad  scripturas.  Sed  annon  potest  fieri,  ut  ali- 
qait  non  intelligat  scripturas,  et  eas  non  scrutetur,  et  cum  adversariis 
disputant  coniecturas  suas  opponat  coniecturis  illorum,  ingenium 
ingenio?  Annon  fieri  potest,  ut  omittatur  solida  demonstratio 
veritatit,  quae  est  secundum  pietatem,  ad  conscientiam  ?  Ut  in 
plebe  tit  aynaa(a  ^iov7  ut  doctores  inter  se  litigent  et  ingenio 
inter    se    confligant     per     xivodo^taVy     dum     quisque    vult     es  so 


148 

ba§  bic  riri^ttge  X^eologte,  tücld^c  auö  betn  ©elfte  entfpringt,  fic^ 
an  bcr  SBirtunfl  auf  bie  ©cioiffen  ju  betpä^rcn  l^abe.  ?lber  qx\6) 
biefe  Sleugerung  tft  fe^r  magüoll  gehalten  unb  md)t  in  einem 
fd^eltenbcn  unb  ttjegwerfenbcn  Jone.  SSieücic^t  l^at  fic^  ßocceju« 
Ilar  gcmod^t,  bag  biefe  ?lrt  öon  ©trenge  am  wcnigften  geeignet 
ift,  bic  erfannten  ©d^äben  ju  befeitigen.  S>enn  in  ^ßriöatbriefen 
legt  er  getegentUd^  3^w9"i6  i^^filr  ab,  ba^  er  bie  Sage  ber  2)inge 
in  ber  reformirten  ^ird^e  für  öer^ngni^öoH  genug  ad^tet.  ffir 
n)ilnfd^t,  bag  bie  scandala  auS  i^r  befeitigt  werben  mögen,  meldte 
bie  SSefe^rung  ber  3uben  ^emmen,  unb  erfcnnt  in  bcn  §cim* 
fud^ungen  bcr  Äird^e  bie  Slä^e  ber  SJoHenbung  be§  3leic^e^  ß^rifti. 
©päter  meint  er  bie  §ö^e  beö  ÄbfaKö  erreicht  ju  fe^en,  tt)elc^em 
bie  ^ülfe  be§  tt)ieberfe^renben  Sfjriftu^  auf  bem  gufee  folgen 
toirb  >).  Slber  öieüeid^t  finb  aud^  biefe  nid^t  gerabe  pupgen 
Sleu^erungen  nid^t  fo  ftreng  ju  nehmen,  um  Soccejud  burd^ge^enbe 
unb  allgemeine  SBeltanfic^t  feftjufteUen.  ©enn  mld)tx  emfte 
SWann  beurtl^eitt  nic^t  gelegentlich  bic  ©^äben  feinet  ä^^it^l*^^^ 
in  üertroulid^en  Äunbgebungen  mit  fc^werer  ©orge?  ^üx  einen 
Si^eologen  jener  Spod^e  aber  bot  fic^  bann  bad  efc^atologifc^e 
©d^ema  ber  SBeltanfic^t  ate  ofpcielle  SluöbrudE^ttjeife  bar.  i)er 
SBriefttjec^fel  im  ©anjen  bettjeift  aber,  baß  Soccejuö  nid^t  ein  9Wann 
Don  grübelnber  SJerftimmt^it  gemefen  ift  fonbem,  ba§  er  ben 
njcd^felnben  Sefd^äftigungen  feinet  Sebeng  mit  grifc^e  unb  mit 
5Rüd^tern^eit  jugcroenbet  toar.  ©eSl^alb  ift  eö  auc^  nic^t  ju 
üermunbern,  ba^  er  bem  ©cbanfen  einer  {Reformation  nac^ 
bem  SSorbilbe  ber  älteften  fieben^orbnungen  in  ber  Äirc^e,  ber 
ja  innerl^alb  beö  Sabiniömuö  feiner  ßctt  bie  i^m  urfprünglid^ 
gefegten  ©cf)ranfen  ju  enocitem  brängte,  nic^t  nad^^ing.  @r  er» 
innert  mit  Siecht  baran,  bajg  nic^t  aQeö  Site  für  ha^  Urfprflng* 
lic^e  unb  5Rormale  ju  galten  fei,  ba  bic  ganje  Äird^e  unter  ber 


potior  altero?  Ct  vigeant  ipt^vgiafiol  xal  xaraXakian  Nemo  idoneus 
est  ad  aedificandam  dorauro  dei,  qui  non  accedit  ad  lapidem  vivum 
J.  Chr.  et  ei  se  ut  lapidem  yivum  inaedificat.  —  Comment.  ad  ep.  ad 
Colossenses  cap.  4,  3  (§  26):  Mysterium  Christi  loqui  non  possumas 
absque  fide  et  fiducia  in  deo,  proinde  absque  gratia  iUaminante  et 
roborante.  Potest  quidem  yerba  dei  recitare  homo  carnalis,  sed  non 
spiritualia  cum  spiritualibus  comparare  et  mysterium  illud  (pavtgovv 
ad  consüientiam  et  avveaiv,  ut  audiens  habeat  radicem  in  se. 
1)  Epp.  29.  95.  126  in  Tom.  VI.  Opp. 


149 

Äbrcffc  bcr  ©cmcinbe  }u  (Spl^cfug  bcn  SBortourf  crfal^rcn  ^abc, 
ba§  fic  i^rc  crften  SBerfe  öcriaffcn  f)abt  *).  3nöbcfonbcrc  fprid^t 
et  ftc§  über  bie  in  bcr  forint^ifc^en  ©emcinbe  öorgclommencn 
prop^etifd^en  {Reben,  tpeld^e  in  ber  calDinifd^cn  ^ir^e  ben  Snlag 
jur  (Sinric^tunfl  ber  fogenanntcn^ßrop^ejei  gegeben  Ratten  (©.  120), 
bal^in  aM,  ba§  gemeinfc^aftlid^e  unb  conuerfatorifc^e  ©d^riftau^:^ 
legung  nid^t  ju  migbiUigen,  bog  fie  and)  in  ben  tl^eologifc^en 
©deuten  fiblid^  fei^  bag  jebod^  bie  öffentlid^e  SluSfibung  berfelben, 
n)enn  fte  überhaupt  ftattfinben  foQc,  Dor  anmagenben  unb  tyot:^ 
tt)i^igen  X^ettnel^mern  gefd^tt^t  werben  mfiffe*).  S)Qffel6e  Urt^eil 
^Qt  and)  Soet  gefäat  (@.  121);  eS  ^at  ben  praftifd^en  @inn,  ha^ 
bie  öffentlichen  ©c^riftcollqtionen  in  bcn  reformirten  ©emeinben 
tto^  bed  Sorbilbed  ber  alten  ^rd^e  nid^t  aufredet  erhalten  n)erben 
!onnten. 

Sllfo  Soccejud  roax  birect  auf  nid^td  tpcnigcr  gerid^tet,  atö 
auf  eine  Sieformation  ber  reformirten  ^ir^e,  n)elc^c  nac^  äBil^elm 
XeeDind'i^  Vorgang  Soet  atö  ein  not^menbiged  ©lieb  ber  ^ird^en^ 
potitif  anerfannt  l^attc,  auf  toetc^e  ferner  bie  t)on  i^m  gebilligten 
SonDentifel  bad  9{ed^t  il^re^  (Einfluffed  in  ber  ^ird^e  begrfinbeten, 
meld^  enblid^  nod^  in  ben  legten  SebenSja^ren  bed  Soccciud  an 
£ababie  t^rcn  erfolgreid^en  Xräger  gefunben  ju  l^aben  fd^ien. 
SSBenn  tro^bem  Soccejui^  auf  biefe  ©efammtbett)egung  eine  un^ 
innrifel^afte  (Einmirfung  tDciteften  Umfanget  geübt  f)at,  fo  fommt 
bied  bal^er,  bag  feine  ibealiftifc^e  Slnfic^t  bon  ber  ßird^e  atö  bem 
9leid^e  @otteS  Slnbcrc  angeregt  unb  befruchtet  ^at.  ^ie  Umbeu« 
tung  überlieferter  ISrfenntniffe  unb  praftifd^er  Slnfc^auungcn 
ift  in  ber  ©efd^id^te  ber  ftirc^e  eine  uncnblid^  ^Sufige  t^orm  Don 
SerSnberungen,  unb  fie  pflegt  Der^ängniguoll  ju  fein,  menn  fie 
o^ne  beiougte  Slbfid^t,  o^ne  ben  Dollftänbigen  Uebcrblicf  über  bie 
Serl^ältniffe  unb  unter  ber  Scitung  rein  inbiDibueller  antriebe 
t)orgenommen  toirb.  ^a§  finb  SBebingungen,  in  benen  cd  nad^:' 
trftglic^  nic^t  fd^ioer  fällt,  bie  menfd^lid^e  ©d^n^äd^e  ju  erfennen ; 
hn  aRoment  aber  l^aftet  an  i^nen  regelmäßig  ber  Dcrblcnbenbe 
Stnbrud  göttlid^er  ftraft,  unb  baburc^  werben  bie  SRaffen  fort« 
geriffen  unb  t)erffll^rt. 

9uf  eine  anbere  Umbeutung,  n^elc^e  burd^  Soccejui^  iDttan^^ 


1)  Apoo.  oap.  U.  §  8;  III.  §  9. 

2)  In  ep.  I.  ad  Corinth.  cap.  XIV.  §.  105->107. 


150 

logt  ju  fein  fd^etnt,  inug  nod^  aufmcrlfam  gcmad^t  tDcrbcn.  Sd 
ift  ein  SSorjug  ber  reformirtcn  I^eolocjtc  gegenüber  ber  lut^ert* 
fd^en,  bag  S^^riftud  in  feinen  Functionen  ber  Srlöfung  ald  bad 
^aupt  ber  ©emetnbe  gebadet  wirb,  tpeld^c  er  burd^  bie  ©rlöfung 
begrünben  roxU.  ^e^^alb  tpirb  e^  möglid^,  bie  äicd^tfertigung  aU 
^rabicQt  biefcr  @emeinbe  birect  abl^angig  ju  mad^en  i3on  bem 
abfd^Iug  beö  SBerfcö  E^rtftt,  nämlid^  feiner  ÄufertoedEung.  S)em* 
gemäg  n^irb  bie  äied^tfertigung  ber  in  ber  @emeinbe  ern^a^Iten 
©injelnen  alg  ha^  freie  Urtl^eil  ©otteö  über  bie  ©laubigen  bc* 
griffen,  unb  jugleid^  ai^  i^orau^gel^enb  bem  ©lauben^act  in 
n)et(^em  man  fid^  aU  gered^tfertigt  crfennt  ^).  (Soccejud  nun  l^at 
in  ber  Summa  theologiae  (cap.  XLVIII.  25—30)  ficft  burc^auö 
i3orfid^tig  ba^in  erllart,  bie  9ied^tfcrtigung  fei  ba^  geredete  Urt^eil 
®otic^,  in  n)eld^cm  er  bie,  n^eld^c  an  (S^riftuS  glauben  unb  in 
SSerbinbung  mit  i^m  ftel^en,  wegen  ber  ©erec^tigfeit  i^re^  §aupte8 
nid^t  mel^r  a[d  ©ünber,  fonbcrn  a(iS  @ö^ne  unb  Srben  annimmt. 
Sbenfo  fd^Iiegt  er  in  ber  altem  doctrina  de  foedere  (cap.  XII.  353) 
fic^  ber  ^iftinction  jn)ifc^en  iustificatio  passiva  unb  actira 
an,  jtoifd^en  bem  t)oraudgel^cnben  Urt^eil  @otted  über  bie  ju 
(S^riftud  gered^neten  @ünber  unb  ber  ben^ugten  ^(neignung  bed- 
felbcn  burd^  ben  cingelnen  ©laubigen,  allein  bicfc  äi^ft^^^niung 
ju  ber  correcten  fjorm  ber  reformirten  fie^re  öon  ber  aied^t» 
fertigung  ift  in  bem  genannten  SEBerfe  uur  beiläufig  au^gefprod^cn ; 
an  bem  cigentlid^en  Orte  biefcr  fie^re  begegnet  unö  eine  fd^laffere 
©arfteQung  berfelbcn.  Slämlic^  im  fed^ftcn  Kapitel  de  applica- 
tione  testamenti,  ober  de  declaratione  foederis  gratiae  ad  sin- 
gulos  toirb  ein  ßwfcimmenl^ang  enttoidEclt,  loeld^cr  ber  lut^crifc^cn 
fie^rform  am  aQernäd^ften  fommt.  ^aS  toai^  (S^riftud  i3on 
@ott  für  bie  äJJenfd^en  ertoorben  f)at,  n)irb  unter  93oraudfe|ung 
ber  befannten  ©nabenmittel  auf  ben  ©laubcn  ber  ©injclnen  be:^ 
jogen.  SEBenn  nun  bie  iustificatio  erft  in  biefcm  @d^ema  gebeutet 
toirb,  fo  ergicbt  fid^  bei  einer  nic^t  ganj  oorfid^tigen  93el^anblung 
leidet  ber  Stnbrud,  al^  ob  bie  SRed^tfertigung  nid^t  bie  t)oraui^« 
ge^enbe  SBeftimmung  @otte^  über  ©ünbcr,  fonbern  crft  bad  Sie* 
fultat  bed  betougten  actioen  ©laubend  bc^  Sinjelnen  fei,  ober 
gar  ber  Stu^brud!  baoon,  bag  ber  ©laube  burd^  bie  Sluftmi^me 
(S^rifti  feinen  SEBertl^  l^abe.  3nbem  alfo  (Soccejud  bie  93unbftiftung 


1)  Se^re  t)on  ber  SRed^tfertigung  unb  Serfö^nung  I.  6.  283—288. 


151 

Sl^rtfti  auf  ben  ©lauben  ber  Sinjelnen  (ejie^t,  fo  mad^t  er  ju^^ 
näd^ft  flcltcnb,  baß  mit  bcm  ©tauben  bic  Scfe^rung,  b.  1^.  bic 
Siebe  unb  bad  Vertrauen  ;(U  @ott  unb  S^rtftud  unb  bad  ©trcben 
nad^  Sied^tferttgung  unb  i^ren  SEBirfungen  t)erbunben  fein  mug. 
®ad  ift  ja  üoUftänbifl  in  ber  Drbnung.  ÄUctn  ben  ©cfammt:' 
au^brud  f flr  bie  ©ac^c  bringt  er  in  folgcnben  ©ä|en  ju  ©tanbe: 
§  186.  Haec  fides  est  radix  salutis,  cui  attribuitnr  effectns 
nnionis  et  communionis  cum  Christo,  iustificationis,  operationis 
per  caritatem  aut  sanctificationis,  denique  vitae  aeternae.  §  187. 
Atqne  ea  quidem  ita  attribuantur  fidei,  ut  propter  complan- 
tationem  et  adcorporationem,  quam  babemus  cum  Christo  per 
eam,  omnia  alia  consequantur  ex  Christo.  §  190.  At  fides 
in  Christum,  qua  anima  laborans  et  aestuans  eum  apprehen- 
dit,  et  se  ei  committit,  nos  inserit  Christo  et  iustificat.  Siefe 
gormein  lönnen  in  Uebereinftimmung  mit  ber  Drt^obojie  Der* 
ftanben  »erben,  toenn  ber  öcgriff  ber  iustificatio  passiva,  aU 
%udbrud  ber  Srlöfung  burd^  S^^riftui^,  unb  n)enn  bie  insertio  in 
Christum  aU  3lud(egung  bed  in  bem  SBerfe  S^rifti  maggcbenben 
Ser^ältniffeg  jnjif^en  i^m  al§  ©aupt  unb  ben  ju  ^Rechtfertigen* 
ben  aU  ©liebern  t)orau§gcfc|t  njerben  bürfen.  ?inein  ßocceju^ 
^at  im  ßiifow^wten^ange  ber  angeführten  ©c^rift  btefe  93eftim« 
mungen  nid^t  öorau^gefd^idft,  ba  er  in  feiner  2lrt  ber  biblifdE)en 
Drientirung  &btxf)aupt  tocniger  für  ben  S3egriff  ber  Sied^tferttgung 
intcrcffirt  toar.  ©e^^alb  öerleitct  er  burc^  feine  3)arftellung 
einen  weniger  öorfic^tigen  fiefer  ju  ber  Ännal^me,  baß  bie  8fied^t^ 
fertigung  ben  SBcrtl^  ber  insertio  in  Christum  per  fidem  be^ 
seidene,  ober  baß  ber  SWenfd^  im  ©lauben  gcred^tfertigt  njerbe, 
fofcm  er  mit  eigener  Änftrcngung  fic^  mit  ßfiriftuö  öerbunben, 
ober  benfetben  jum  äJ^otiüe  feinet  gcmjen  praftifd^en  fiebenS  ge^^ 
moc^t  ^at.  äßie  gefugt  ift  bied  nid^t  bie  abfic^tlic^e  Sc^re  beigf 
(Eoccejud  üon  ber  9led^tfertigung.  S)aß  er  aber  fo  üerftanben 
ivorben  ift  tuirb  ad^balb  fe^r  n^a^rfd^einlid^  n)erben.  Unb  man 
fiberlege  ftc^  toofil,  baß  biefe  irreleitenbc  Sel^rnjcifc  in  bem  ^aiipU 
werfe  bed  SWanne«  enthalten  ift  tocld&e«  üon  Sielen,  unb  jwar 
o^ne  Sergleid^ung  mit  ber  öorfid^tigercn  fpätern  S)arftenung  ber 
©ac^e  gelefen  luorben  fein  mag,  unb  jumal  üon  ©old^en,  bie 
auf  praftif^ed  (S^riftent^um  bebad^t,  ber  forgfältigen  tl^eologifd^en 
SRet^obe  immer  abgeneigter  ju  werben  beginnen.  3d^  lann  nic^t 
nm^in  anjune^men,  baß  bie  pietiftifc^e  Ißerfc^iebung  beS  Segriff^ 


152 

bcr  SRcc^tfcrtigung,  beten  tnannigfQd^e  gönnen  id^  anber^wo  be* 
jeic^nct  unb  beurt^eilt  ^abe  %  i^ren  Urfprung  ou^  btefem  SBud^e 
t)on  Soccejnö  genommen  t|at.  SBenn  ftd)  biefe^  beftätigt,  fo  ge^ 
^ört  freiltd^  ßoccejuö  burd^  feine  biblifd^c  Ideologie  cbenfo 
tt)enig  n)ie  ffloet  burd^  feine  praftifc^e  Ifieologic  ju  ben  birecten 
Urhebern  einer  ffleränberung  bejB  Salöiniömug  in  ptetiftifd^em  unb 
feparatiftif^em  ©inne.  Aber  cä  njirb  ftd^  jeigen,  baß  jeber  in 
feiner  SBeife  eine  JBerfd^iebnng  beg  Solöini^nmö  in  jener  8lid^tung 
t)erQn(a§t  ^Qt. 


9.  ^obocnS  nan  fiobenfte^n.    Seine  Slnft^ten  tiom  ^rifUt^ttt 
Seien  nnb  kiiin  9{efiirmaiiiin  bet  ftit^e. 

S)ie  ©nflflffe  bon  JBoet  unb  öon  Socceju^  treffen  in  i^rem 
©d^ülcr  Sobocuö  Dan  Sobenfte^n  jufammen,  unb  pnben  in 
il^m  eine  ^öc^ft  d^arafteriftifd^e  StuSprägung  t)on  n^eit  reic^enbem 
ffiinfluß.  ©cboren  ju  5)elft  1620,  ^at  er  nad^  SSoQenbung  feiner 
©tubicn  unter  SSoet  nod^  jtoci  3af|re  in  granefer  afö  §aug*  unb 
lifd^genoffe  Don  (Soccejug  fi^  ^auptfSd^lid^  ben  orientalifc^cn 
©prac^n  gen)ibmet.  @r  tourbe  ^rebiger  1644  ju  ©octemcer  in 
^^oHanb,  1650  ju  ©lui«  in  gionbcrn,  1652  ju  Utred^t,  tt)o  er 
24  3ot)rc  in  unmittelbarer  SRS^e  üon  SSoet  ba8  Amt  geführt  ^at, 
unb  1677  balb  nac^  bemfelben  geftorben  ift «).  SSoct  l^at  il^n  bur^ 
bie  gurfflnung  bed  öierten  Sanbe^  feiner  5)i8putationen  geeiert. 
3n  bem  ©treit  toegen  be^  ©abbat^ö  ^at  er  auf  ber  ©eite  üon 
SSoet  geftanbcn.j  5)ie  SBiograp^cn  rühmen  t^n  au§  eigener  genauer 
Äenntniß   afö   einen  SRann   öoH  SBürbe  unb  S)emut^  in  feiner 


1)  Se^re  t)on  ber  Sted^iferttgung  unb  ^erfö^nung  I.  6.  559. 565. 583.  586. 

2j  ^tograp^if^fS  unb  S^orafteriflif^fS  über  i^  bietet  bie  Seid^enrebe 
{eines  Kollegen  t)Qn  ^t)p  in  ber  toeiter^in  onsuffl^renben  S^rift  fi.'§  Beschou- 
winge  van  ZioD,  ferner  (St^erorb  t)Qn  ber  ^oog^t,  $rebiger  )u  S^ieumen« 
bom  in  QoHanb  (befonnt  als  Herausgeber  ber  ^ebröii^en  Sibel  1705)  in  bet 
Sorrebe  ^u  Negen  Predicatien  Sobenftet^n'S  (juerft  1697 ;  in  neuem  ^libbrud 
0.  3.  9mfterbam\  l^ie  Siograp^ie  fiobenttel^n'S  bei  9tet|,  ^iftorie  ber  3Bieber- 
geborenen  4.  t^til  (1717)  S.  23—43,  loeld^e  ©oebel  a.  a.  D.  2.  Xff. 
©.  160—180  reprobucirt  ^at,  benu^t  btoS  bie  Ie|tcre  Oueüe. 


153 

Srfd^emung,  aU  einen  ffir  'fici^  befd^eibenen,  flehen  Slnbere  btenft:* 
fertigen  unb  überaus  tDo^lt^ätigen  äJJann,  enblic^  ald  einen  $re« 
biger  Doü  ©albung  unb  gebiegener  ^raft,  n^eld^cr  einen  Stnbrud 
mo^te,  n)ie  man  if)n  bcn  Slpofteln  jutraute.  (Er  ift  ber  ^elb 
unb  bad  eigen tUd^e  ^aupt  ber  @^onüentife(d^riften  gen>efen,  unb 
jUKir  ntd^t  blod  berer,  meldte  ber  Utred^ter  ©emeinbe  angehörten. 
San  ber  .^oog^t  berichtet,  ba§  man  eben  bie  „Srnftigen  ober 
tJfcinen"  bie  Sobenfte^nifd^cn  genannt  l^abe,  unb  fd^ilbert  felbft 
fte  atö  ,,bie,  n^eld^e  jmar  nid^t  t)onfommen  finb,  aber  ed  ju  fein 
n)unf(^en,  nield^e  ^^einbe  ber  SSergnägungen  finb,  unb  i^re  3^it 
ju  gottfeligen  Uebungen  au^faufen,  toel^e  üorfid^ttg  unb  genau 
}u  manbeln  ftreben,  n^el^e  mit  großem  (Sifer  unb  befonberer 
@tetigfeit  ftd^  t)on  ber  @ottlofigfeit  unb  ben  böfen  @itten  ber 
SSBelt  abfonbem,  unb  be^^alb  ben  geiftlofen  ^ird^gängern  fe^r 
ium  Slnftog  gereid^en,  fo  bag  biefe  fie  me^r  ^ffen,  aU  bie 
SRenfc^en  Don  ärgerlichem  SEBanbel/ 

hiermit  ftimmt  ed  nun  äberein,  bog  bie  SSoQfommen^eit  in 
ber  ^eiligfeit  unb  in  ben  Xugenben,  n^elc^c  atö  bie  n)efent(ic^e 
^errlid^feit  ber  ©laubigen  fid)  in  baö  jenfeitigc  Scben  erftrcctt, 
ber  SRaMtab  ift  »eld^en  fiobenfte^n  ffir  ba^  c^riftlic^e  Seben  im 
(Sinjelnen  n)ie  im  ©anjen  anerfcnnt.  ^ie  beiben  größeren  pro- 
faifd^en  ©c^riften,  n)eld)e  er  ^interlaffen  ^at,  bie  ,,S3ägfc^ale  ber 
ttnüoQfommen^eitcn  ber  ^eiligen"  unb  „bie  93efc^auungen  Bii^n^"» 
ftt^en  gemeinfam  auf  jenem  ©ebanfcn,  tl^eilen  fic^  aber  in  bie 
9ntt)enbuug  beffelben  auf  bie  Seurt^eilung  ber  n^irflic^  äSieber^ 
geborenen  unb  ber  im  ©anjen  entarteten  SRaffe  ber  ^rd^englieber. 
SBie  oben(©.  113)  angeführt  ift,  ift  ber  ftufenweife  gortfc^ritt  in 
ber  Heiligung  ober  ber  @cfe|erffillung  in  ber  caluiniftifc^en  Se^re 
ebenfo  beftimmt  eingefd^ärft  n)orben,  ald  biefelbe  jugleic^  Dotbe^ 
^ält,  bag  bie  Uebenoinbung  jeber  noc^  bleibcnben  UnooUfommens 
^eit  erft  mit  bem  Uebergang  in  \>a^  jenfeitigc  Seben  erreid^t 
loerben  fann.  /  Diefe  Sinie  ber  Se^re  ^ält  fiobenfte^n  mit  befon« 
berer  @enauigfeit  inne.  Unb  ed  ift  eine  bead^ten^mcrtbe  $robe 
üon  @ere(^tigfcit  bag  er  als  ©c^riftfteller  bie  ©d^ärfe  biefcS 
äRagftobed  }uerft  gegen  feine  @efinnungdgenoffen  gemenbet  f)ay 
5Die  juerft  genannte  ©d^rift*)  ift  eine  cmfte  SSarnung  ffir  bie* 

1)  Weegschale  der  onvolmaaktheden,  ofte  bedenkingen  nopende  t 
fewigfie  of  de  regtmatige  agtinge  te  maken  van  de  gebreken  en  struy- 
keUngen  der  geheyligden  op  der  aarden.    Utrecht  1664.  16  (350  €.). 


154 

jenigen,  tDcId^e  auf  t)oQfommene  Heiligung  bebod^t,  ben  Ctnbrud 
i^rer  Srfolge  für  fid^  baburd)  übertreiben  unb  I3erfä(fd^en,  bag 
fic  il^rc  unteriQufenbcn  unrechten  ©egel^rungen  unb  il^re  äufeeren 
gefjltritte  unterfc^dfeen.  Sobenftc^n  lelirt  alfo,  bofe  bte  ©tufc 
ber  SBicbcrgcburt  burd^  ben  Scfife  üon  lugcnben  ate  eine  ©tufe 
bcr  SoQfommen^ett  bejetd^net  ift,  aber  nod^  ntc^t  atö  bte  ^öd^fte. 
'S)enn  bic  lugcnben,  tpelc^c  in  ber  SBiebergeburt  etngefc^Ioffen 
finb,  tt)irfen  nid^t  tpie  2)i«pofitionen  ober  in  berSrt  öon  9latur=^ 
fräften,  fonbern  atö  habituelle  Dualitäten,  ujcld^e  emjorben  finb, 
unb  in  allen  i^ren  93et^ätigungcn  immer  ermorben  toerben  muffen. 
®enn  bicfen  Gräften  fte^en  aud^  im  SEBiebergeborenen  mannig« 
fac^e  Unüodfommenl^eitcn  unb  ©ebrec^en  gegenüber,  n^eld^e  burc^ 
bie  lugenben  öernid^tet  »erben  muffen.  Um  ber  SSoIIIommen^eit 
ber  Xugenben  n)inen  muffen  biefe  ©ebred^en  ri^tig  geadbtet  unb 
gewogen  ujerbcn;  unb  je  me^r  einer  geheiligt  ift,  um  fo  me^r 
fallen  für  i^n  biefe  (Jrfd^einungen  al§  ücrbammlic^e  ©ünben  in'^ 
©emic^t.  Diefer  S3eurt^eilung  foQ  man  fid^  nun  nid^t  ent}iel|en. 
®enn  toenn  bie  ftufentoeifc  SSoEttommen^eit  ^fli^t  ift,  fo  ift  bie 
äSerfür^ung  berfelben  burd^  bie  unterlaufenben  Uni3oQfommen« 
Reiten  eine  tfiatfäd^Kc^e  ©d^ulb.  ^iefe  Ueberjeugung  loirb  nun 
unterftüftt  burd^  bie  gemeinfame  eöangelifclje  Se^re  öon  ber  Un«» 
üoIHommenf)ejt,  njeld^c   im   irbifd^en  Seben  bcr  SSBiebergeborencn 

~y  nid^t  überfd^ritten  toirb.  Allein  fiobenfte^n  roeift  nun  barauf 
^in,  ia%  biefer  Se^rfaff  mannigfad^em  fDli%bxan(t)t  au^gefe^t  ift; 
unb  bie  Beleuchtung  berfelben  übt  er  mit  aller  ©orgfalt.  Sin« 
mal  bemerft  er,  äJJand^e  gäben  bie  X^atfad^e  ber  allgemeinen 
Unüollfommen^eit  ju,  näl^men  aber  fid^  felbft  baüon  au^,  ober 
feien  auc^  n^enn  fie  ed  nic^t  t^un,  bod^  babei  fo  Don  bem  ®rabe 

.  i^rer  SBollfommenl^eit  überjeugt,  ba§  jener  ©ebanfe  in  i^nen  nur 
eine  oberfläc^lid^e  @emütf)«bett)egung  lieröorruft.  Ober  menn 
au^  einer,  ber  nad^  ber  SSollIommen^eit  ftrebt,  feinen  SWangel 
baran  unb  feine  Stbroeid^ungen  ate  fold^e  anerfennt,  fo  wirb  er 
oft  genug  fie  atö  etwaig  fieic^ted  acf)tcn,  nur  nic^t  ald  t)erbamm« 
lic^e  ©ünbcn,  ober  er  rebet  fid)  bie  ©d^ulb  an  i^rer  Söegel^ung 
au§.  3n  einem  nod^  fd)limmern  gaUe  acf|tet  ein  SBiebcrgeborcner 
feine  ©cbred^en  al^  SReije  für  bie  SBert^fc^äffung  ber  ©ünbenücr* 
gebung  unb  i^reg  Xrofte§.  Ate  ben  fc^limmften  gaQ,  Weld^er 
mit  bem  S^arafter  ber  SEßiebergeburt  fd^on  ni^t  me^r  verträglich 
ift,  bejeid^net  fiobenfte^n  bie  Slnnal^me,   bag  bie  Ißolllommen^eit 


155 

übtx^anpt  uitmöglid^  fei,  unb  man  t^  bei  ber  Unt)oQ!ommen]^eit 
beiDenben  laffen  {önne;  bod  J^icgc  bie  gemetnfame  eüangelif^e 
fiepte  )um  Slu^cfiffen  ju  machen.  Sobenfte^n  ernannt  bei  btefem 
fünfte  feiner  S)arfteQung,  ba§  bic  JBcrtretcr  biefci^  ©runbfatfe^ 
ben  Slnfprud^  machen,  gerabe  bic  Sfiec^tgläubigen  ju  fein,  unb 
bafe  fie  bic  „SSonfommcn^eitdtrcibcr",  bic  „^räcififtcn  ober  ^uri* 
toncr"  bed  ^bfaU^  Don  ber  SRec^tgläubigfeit  bejid^tigen.  SEBie 
bicf©?  }U  üerftc^cn  ift  wirb  fpäter  ju  erörtern  fein;  ben  SBort* 
laut  bcd  ^eibelbergcr  ^atec^idmud  ^atte  aber  Sobenftc^n  für  fic^. 
Unb  il^n  bünfcn  bie  SRcnfc^en  mit  i^ren  fünf  ©innen  toQ  ju 
fein,  tocl^e  aud  ber  fie^re  i3on  ber  bleibenbcn  Unt)oQtommen^eit 
ber  ^eiligen  ben  @d)Iug  jie^en,  \>a%  au^  nur  einige  @cf)lQff^eit 
in  ber  Uebung  ber  @ottfe(igfeit  bercd^tigt  fei.  S)er  ©ipfcl  ber 
@ottfcUgfeit  lann  frctli^  erft  im  jenfeitigen  fiebcn  erreid)t  nierben ; 
oQein  bie  UnüoQfommen^eit,  nield^e  unDermeiblid^  ift,  borf  ftd^l 
JU  bem  SBad^dtl^um  in  ber  ^eiligfeit  nicf)t  priüatit),  foiibern  nur 
negotii  Dcr^alten,  atö  Sludbrud  bafür,  bog  eine  beftimmtc  @tufe 
bcd  äßad^t^umd  noc^  nic^t  erreicht  ift. 

SBenn  bic  Strenge  gegen  fic^  felbft  3cmanb  baö  {Reci^t  Uer* 
lei^t,  noc^fic^tdfofc  ©trenge  gegen  9(nbere  ju  üben,  fo  l^at  fioben« 
fte^  burc^  bad  eben  befproc^cnc  9ud^  fid^  jur  Uebung  beS  @e« 
ric^tö  über  bic  reformirte  Äirc^e  feinet  Sanbeö  unb  feiner  3cit 
(eflitimirt,  mcld^ed  er  „Scf^auungen  3ii>nd"  genannt  ^at^). 
(Er  miU  jcboc^  baffclbe  o^ne  3^cif<^I  nidjt  bloS  als  fein  inbiüibucQcd 
Urt^eil  angefel^en  niiffcn,  fonbcm  auc^  als  ba§  Urt^eil  ber 
fjfrommen,  tt>e(d^e  er  üon  bem  „gemeinen  ©d^Iag"  in  ber  5Hrc^e 
unterfc^ibet.  S)iefe  frommen,  nielc^c  nad^  feiner  Eingabe  i3on 
bcti  %ibercn  gesagt  unb  mit  ben  ©c^eltnamcn  ber  feinen,  ber 
Stioppcn  (Seguinen),  ber  OuefcIS  (^etfc^meftem),  auc^  too\)l  ber 
Ouftfer  belegt  tnerben,  finb  immer  audbrüdlid^  ober  felbftücr« 
ftänblic^  t)on  aQem  bem  angenommen,  toa^  an  ber  äJJaffe  ber 


1)  BeschoQwinge  van  Zioa,  ofie  aandagten  en  opmerkingen  over 
den  iegenwoordigen  toestand  van  't  gereformeerde  Christen  volk.  1678 ; 
5.  Vnfl.  Imßerbam  1729.  4.  (3e$n  deiprfi^e  in  250  @.  ^aS  ftBerl  ifl  burd^ 
ben  i:ob  Sobenfle^n'S  untoollfnbet  geblieben.)  9leue  VuSgobe  1839,  beforgt 
%wtäf  ^nr.  ^er  S^olte,  einen  ber  Sü^^er  ber  1884  t)oIl)ogenen  Separation  ber 
ftrengcn  ober  tncfme^i  liiettfHf^en  (la(t)iniflen  t>on  ber  reformirten  ftird^e  in  ben 
SKcberfanben.j  8»  biefem  9uä^  gehört  no<!^  bie  fiet^enrebe  flbei  Soben^et^n 
imi  femew  Coflcfien  6.  ban  ffbfp  (38  6.). 


156 

ftird^englieber  gerügt  iDtrb.  @tc  ftnb  aber  eben  auc^  burd^  bie 
©cfprädööform  beö  Suc^eö  in  bie  SBeronttPortlid^teit  i^rerg  gü^^ 
rerö  mit  einflefd^Ioffcn.  3)iefcr  tritt  al^  ber  ^ßrebiger  Urbanuö 
auf,  bie  (SoQoquenten  ftnb  jn)ei  ^redb^ter  9(^ifam  unb  ©tep^anuS, 
üon  benen  jener  bie  ganje  @d^ärfe  ber  ©timmung  be^  Urbanud 
t^eilt,  biefer  einen  milbern  ©tanbpunft  burd^  aUerlei  (Sinken* 
bungen  funbgiebt,  aber  iebe^mal  Unrecht  befommt  unb  nad^geben 
mug.  äJicdeic^t  ift  biefe  Slbftufung  ber  ajtcinungen  nid^t  blöd 
als  ein  Srforbernig  ber  ^unftform,  fonbem  auc^  ald  eine 
X^atfac^e  in  bem  i^oraudgefe^ten  fird^lic^en  ©efeQfc^aftdfreife 
ju  betrachten,  unb  beiS^alb  einiger  93ead^tung  n)ertl^.  ^d)  untere 
nel^me  t^,  ben  @ebanfengang  biefer  ebenfo  n^ic^tigen  n^ie  toenig 
gcfannten  ©d^rift  n^ieberjugeben.  S)iefelbe  ift  jtoar  nid^t  üon 
Sßieber^olungen  frei,  inbeffen  ift  fie  im  @anjen,  n^ie  man  bon 
einem  ©d^fllcr  JBoet'ö  erwarten  barf,  njol^l  georbnct. 

1.  ^ie  93efd^auung  ricf)tet  ftd^  auf  bie  burc^  ben  Xempel 
auf  3ion  borgebilbete  ftird^e.  SEBie  jener  burd^  aQe  möglid^en 
ftoftbarfeiten  gefd^mfidt  n)ar,  fo  ift  ed  ein  not^n^enbiged  (Erfor^ 
bemig  ber  d^riftlic^enjiird^e,  bag  fteburd^  bie  auiSgejeid^nete 
^eiügfeit  ber  @(äubigen  fid^tbar  toerbe.  S)ie  flnnenf&Uige  ©^ön:: 
^eit  bed  Xempeld  mug  hierin,  unb  fann  nic^t  blod  in  ber  Siein^ 
l^eit  ber  ^erjen  a(d  bem  Seftanbe  ber  i3orgebIid^  unfid^tbaren  ßirc^e 
il^r  ©egenbilb  finben.  ®ie  innere  §eiligleit  muß  ja,  toenn  fie 
ba  ift,  aud^  in  bie  (Erfc^einung  treten;  unb  ber  Unterfd^ieb 
jnjifd^en  fid^tbarer  unb  unfic^tbarer  Äirc^e  bcjeid^net  nur  ben  rc- 
latiücn  ?l6ftanb  ^iioifc^en  bem  fcl^Ibaren  Urtl^eit  ber  äWenfti^en 
unb  bem  unfehlbaren  @otted  über  ben  Umfang  bed  S3eftanbei^ 
t)on  ©laubigen,  meldte  bie  ßird^e  audmac^en^).  Sin  auSgejetd^:^ 
neteS  fiic^t  ber  ^eiligfeit  alfo  ift  unumgängliche^  SRerfmal  ber 
©lieber  ber  fi^tbarcn  Jtird^e,  fo  njie  bie  ^ciligfeit  ber  S^riftcn 
überhaupt  nidjt  bloiS  atö  eine  f^olge  ber  (Erfd^einung  3efu,  fon« 
bem  beutlid^  afö  ber  öorne^mftc  Qtotd  berfelben  erfennbar  ift. 
(Ed  ift  bei^^alb  burd^aui^  ni^t  rid^tig,  ben  SEßert^  @^^rtfti  allein 
nad^  ber  SSergebung  ber  ©ünben  unb  ber  baraud  entfpringenben 
@en)iffendberu^igung  unb  f^reubigfeit  ju  bemeffen,  gu  ber  man 
aud  ^anfbarfeit  ein  äRaag  bon  guten  Sßerfen  l^inguffigen  tofirbe. 
S)icfe  t^ormel   (n^eld^e  ettoa  bie   lut^erifd^e  Slnfic^t  auSbrüdtt) 

l)  ^teS  ifi  Der  ?e$re  (^iDtn'S  entfiire^enb.  $dL  Inst.  IV,  1.  §  2.  7. 8. 


157 

meint  man  fretltd^  hnxä)  ben  $etbeI6erger  fiated^iSmnd  belegen 
)U  fönnen.  Unb  ed  ift  toaf)T,  bag  berfe(6e  im  ©egenfo^  }um 
^pfttlium  bie  9iec^tfertij)ung  bed  @ünberi^  burd^  ©otted  ©nabe 
foft  Qtö  bie  ^ax\ptiad)t  erfc^einen  logt  unb  bie  Sanfborfeit  in 
guten  äßerfen  old  einen  notl^n)enbigen  Slnl^ang  baju.  Snbeffen 
ift  boc^  f^on  in  bem  ISingang  beffetben  bie  Sbjniecfung  ber  fßcx^ 
f5^nung  auf  bad  fieben  im  2)tenfte  S^rifti  anerfannt,  unb  bicfer 
$au))tgebanfe  finbet  in  bem  Katechismus  nod^  fonft  SuSbrud. 
S)eS^aIb  ift  ber  ©inn  ber  SSerfö^nung  burd^  S^riftuS  freilid^  ber, 
bag,  mie  {t^  fiobenfte^n  mit  SoccejuS  auSbrfitf t,  @ott  unfer  @ott  ge^ 
n>orben  ift,  aber  eS  ift  ein  älä^grtff,  biefeS  Ser^ältnig  für  baS 
®anje  ju  l^alten.  2)enn  ®ott  ift  ber  unfere  burd^  (S^riftuS  ju 
bem  Stotd,  bag  n)ir  niürbig  feien  i^m  ju  bienen.  Unb  tDenn  eS 
mol^l  auc^  barauf  anfommt,  bag  @ott  unfer  @^ilb  unb  3)e« 
fc^irmer  niirb,  fo  bod^  l^auptfäc^Iid^  barauf,  bag  feine  SD^ajeft&t 
unb  @out)cr&netät  me^r  fenntti^  unb  anbetungdn^ürbig  n^erbe, 
unb  als  fo  aQgenugfam  erfd^eine,  toieman  baSSSer^ältni^ 
ber  ©ott^eit  )ur  Vernünftigen  Kreatur  begreifen 
lann  unb  mug. 

2.  3n  biefem  lefften  ©a^  ift  bem  ©ebanfen  ber  JBerfö^nung 
eine  ungetDöt)n(ic^e  ßn'etfbejie^ung  gegeben,  n^eld^e  ^ier  nod^  nid^t 
erörtert  »erben  fann.  ©ie  ift  aber  eine  Änjeige  bafür,  ba%  Soben^ 
fte^n  mit  bem  urfprünglid^cn  ©inne  ber  eüangelifd^en  9}ec^tf  er^ 
tigungSle^re  nid^t  me^r  burd^auS  einüerftanbcn  ift.  2)iefeS 
ergiebt  ftd^  aud^  barauS,  bag  er  baS  Sorrelat  beS  l|ert)orragenben 
Sßert^eS  ber  Sted^tfertigung  im  ©tauben,  nämlic^  ben  ©a^  üon 
ber  bleibenben  Unt)onfommen^cit  ber  guten  SBerfe  mit  bem  größten 
älHigtrauen  anfielt  (Er  finbet  nämlid^,  bag  ber©a|  meiftent^eilS 
t)on  ber  UnboQtommen^eit  ber  X^cile  (beS  guten  SBerfeS)  t)^u 
ftanben  mirb,  ba  bod^  nur  bie  Unt)onfommen()eit  ber  ©tufen  (ber 
^(igung)  jugeftanben  »erben  bfirfe.  3n  jenem  ©inne  ber  ©ad^c 
liege  aber  ber  eintrieb  jur  Srfdjiaffung  beS  fittlid^en  ©trebenS 
unb  bie  Serfu^ung  ju  falfd^cr  93eru^igung  beS  @en)iffenS; 
»fi^renb  man  auc^  auf  einer  unt)eUfommenen  ©tufe  ber  ^tu 
Itgung  fä^ig  unb  t>er))f{t(^tet  fei,  aQe  einzelnen  i^r  entfpre^cnben 
X^l^anbtungen  mit  @enauigfeit  ($räcifität)  auSjuüben.  (ES  ift 
nur  fd^toer  einjufe^en,  mie  bie  ©elbftbeobadjtung  biefen  Unter- 
fc^eb  nrirb  bett>ä^ren  fönnen.  (Er  ift  iebenfaQS  aud^  für  baS 
Setft&nbnig  ber  Slec^tfertigungSle^re  »irfungSloS.    2)enn  biefe 


158 

brüdt  naä)  Sobcnftc^n  bie  Xl^atfad^c  aud,  bag  @ott  um  S^^rifti  tuiden 
bic  Unüottfommcn^cttcn  in  bett  SBcrlen  ber  ©laubigen  öcrgiebt; 
Q(fo  nid^t  beten  unt)o(Ifommcne  SEBerfe  filr  t)oQfommen  anfielit, 
fonbern  bic  $erfon  in  Sl^riftud  atö  DoQfommen,  ald  ^atte  fte 
feine  ©ilnbc  get^an,  ertennt.  Riebet  ift  offenbar  bie  relative 
SBoUfornmenl^eit  ber  @tufe  ber  Heiligung  cbenfo  gleid^gfiUig  n^ie 
bie  größere  ober  geringere  UnüoQftänbigfeit  ber  I^etle  ber  ge*^ 
fammten  fiebenSleiftung,  jumal  ba  bie  quantitatii^en  Unterfc^iebc 
in  bem  @ebiete  biefer  Betrachtung  fid^  mit  ben  grabueüen  Unter« 
fc^ieben  in  jenem  Gebiete  beden  nierben.  ^a  nun  aber  ba$  piaU 
tifci^e3ntercffe  öon  fiobenfte^n  ganj  entfc^ieben  barauf  gerichtet  ift,  bag 
man  in  bem  burc^  bie  SScrföl^nung  ober  Wed^tfertigung  eröffneten 
Scben  fid)  eine§  immer  ^ö^eren  ©rabe^  üon  Heiligung  Derfic^ere, 
fo  bebeutet  i^m  bie  Serfö^nung  nur  eine  f^ftematifc^e  SBoraud- 
fe^ung  be§  d^riftlid^en  Scben«.  gür  fiut^cr  bilbete  fie  ben  lei^ 
tcnben  SRittelpunft  ber  ©efammtanfic^t  Dom  d^riftlic^en  Seben. 
^ag  @ott  für  bie  mit  if)m  Ißerfö^nten  ber  @d^ug  unb  S^irm 
gegen  bie  SBclt  ift,  fommt  für  fiobenfte^n,  ujic  t§  oben  bieg, 
auc^  tt)ol)l  in  SSetrac^t,  aber  nur  neben  fäc^lic^.  gür  Sut^er 
galt  biefe  (Erfahrung  als  bie  eigentlid^e  birecte  $robe  ber  fRcd)U 
fertigung  im  ©tauben.  Äurj  für  Sobenfte^n  ift  bie  9icc^tfer*= 
tigung  burc^  (£l)riftud  im  ©lauben  ni^t  me^r  ber  9}egulator  be« 
©clbft*  unb  SBert^gefü^l«  ber  (S^riften  im  »er^ältnife  ju  @ott 
unb  jur  SBelt,  fonbern  ber  Sn^alt  einer  überlieferten  ße^re, 
ujcld^e  im  S3egriff  ift  il^m  unbeutlic^  ju  werben,  ba  fein  prafc 
tifd^eö  Sntereffc  gonj  anberen  ©ebürfniffen  jugewenbet  ift,  atö 
ttjclc^en  iene  Se^rc  entfpric^t.  @inen  Semeiö  für  biefen  ©a^^ 
I3erl)alt  bietet  fiobcnfte^n,  inbem  er  ben  ©ebanfen  ber  ^cä^U 
fertigung  in  einer  SBcife  Dcränbert,  ttjcld^e  ber  Deutung 
burd^  ßocceju«  (<S.  151)  entfpric^t.  „Die  ®nabe,  locld^e  bur^ 
ben  ©lauben  und  jugeeignet  ift,  ift  nic^td  anberei^  al«  S^riftuiS 
in  und  n)o^ncnb  unb  jugleic^  und  red^tfertigenb ,  alfo  in 
und  lebenb  unb  fruchtbar  mac^enb,  ber  ald  unfer  ^aupt  und 
feinen  ©liebern  ben  l^eiligen  ©eift  mitt^eilt  unb  und  in  aUem 
unferem  S^un  regiert.  S)a  nun  ber  Smpfang  ber  ©eligfeit 
fic^  nad^  ber  ßueignung  ber  ©nabe  richtet,  fo  rietet  fid^  bad 
SBcrf  (S^rifti  auf  bie  ^eiligmad^ung  ber  ©laubigen."  9latürlic^! 
n^enn  bie  9iec^tfertigung  ald  bad  äJ^ittel  für  bie  Heiligung  t)ci> 
ftanben  merben  foll,  fo  mug  i^re  eüangelifc^  ^udprSgung  auf« 
gegeben  toerben. 


I5d 

3.  ®tc  l^auptfäd^Itd^c  »ebcutung  e^rifti  tft  alfo  nid^t,  baß 
er  bcr  JBcrfö^ncr,  fonbcm  baß  er  bcrÄönig  be§  l^immUfd)en 
Weid^e^  tft,  weld^er  bie  Sänften  be^errfc^cn  totD  unb  Don  i^ncn 
ben  fretmtQtgen  @c^orfam  in  ber  Heiligung  unb  in  ber  t)oll^ 
fiänbigen  (Erfüllung  bei^  göttUc^en  ®efe|ed  ern^artet,  bejte^ungd« 
metfe  burc^  feine  (Einn^o^nung  in  ben  ®(äu6igen  ben^irft.  tiefer 
@ebQnfe  unb  bQ§  ®croid)t,  n^etc^ed  il^m  ^ier  beigelegt  n)irb,  er« 
innert  burd^oud  an  Socceju^.  9lur  in  ber  9ejiel|ung  fd^eint 
beffen  Slnfd^auung  bed  9teid^e^  @otted  nid^t  erreid^t  ju  fein,  atö 
Sobenfte^n  ben  freien  SBec^fetoerfe^r  ber  ©lieber  bed  Sfieic^ed 
®otte^  unter  einanber  bal^inter  jurüdftedt,  bag  jeber  ben  @c* 
boten  ober  ben  Sinroirfungen  bed  ^aupted  t^otgc  leiftet.  Um  fo 
roeniger  jeigt  er  fid^  fä^ig,  bie  Slnfd^auung  bed  SoccejuS  bur^ 
bie  rid^ttge  ©d^ägung  ber  fittUd^en  Berufe  ju  ergänzen.  %Qer^ 
btngd  befennt  ou^  er  fi^  ju  bem  @ebanfen,  bag  man  in  feinem 
SBeruf  ba«  gemeine  Sefte  me^r  afö  fi^  felbft  in  ©etrac^t  ju 
jte^en  ^abe.  Sr  beflagt  eiS,  baß  biefer  @runbfQ|  Don  ben  QciU 
genoffen  nid^t  oui^eübt,  bag  er  Dietmc^r  ^intangefe|t  n)erbe, 
inbem  jeber  meint,  in  feinen  SSeruf^gefd^äften  öon  bem  Umfange 
bed  ©ittengefetfed  ausgenommen  ju  fein.  Sldein  Sobenftc^n  ^at 
feine  entgegengefe^te  ?lnfid&t  öom  fittlic^en  SBertbe  ber  ttjelt« 
liefen  SBeruf^rten  nid^t  in  bie  SScrbinbung  mit  feiner  ^nfid^t 
Don  bem  Sleic^e  (S^otteiS  g^^|t,  tooburc^  biefe  Derftänblid^  unb 
bem  „gemeinen  ©c^Iag"  ber  reformirten  S^riften  öicüeic^t  jUs 
gänglic^er  gen^orben  n^äre. 

4.  3ft  bie  Heiligung  unb  @etbftt)erleugnung  ber  ®(äubigen 
Qte  ber  le|te  3^^^  ^^^  (Erfd^einung  S^rifti  anjufe^en,  fo  ift  bie 
^erfleÜung  ber  ^riftlid^en  Sef)re  aus  ber  SJerunreinigung  burd^ 
SRenfc^nfatfungen  nic^t  bie  Dornc^mfte  ober  bie  eineiige  9[bfid^t 
einet  Reformation  ber  Äird^e.  Sine  8leformation,  ujelc^e 
biefen  9tamen  üerbient,  mug  ftd^  auf  bie  n)al)re  ^eiligmad^ung 
unb  ©etbfiberteugnung  rid^ten.  @o  gen^ig  nun  bie  9teformation 
ber  Se^re  baju  gel^ört  als  not^n)enbigeS  SRittel  jum  gn^ed,  fo  ift 
boä)  bie  b(o|e  Aenntnig  unb  baS  Sefenntnig  ber  Se^rma^r^eit 
lux^  gar  nic^t  atS  ein  X^eil  ber  Heiligung  f^n  achten,  ba  bie 
ftenntnig,  tocl^e  ber  §err  erforbert,  ganj  anberer  Art  ift.  S)enn 
eine  Sieformation,  metd^e  burc^  ®otteS  @etft  geleitet  n>äre,  ift 
bie  ^erfteQung  bon  SBa^r^eit,  Sid^t  unb  Sebcn;  eine  {Reformation 
o^ne  ®otteS  (Seift  aber  ffi^rt  ju  einer  nod^  fd^nöberen  lEntfteQung 


160 

bc«  S^riftcnt^um^,  ober  jur  baarcn  ©ottlofigfctt.  S)ie  ^tx^ 
ftellung  bei^  apoftolifd^cn  geitaltcri^  ber  Äird^e,  rcd^t  gc^ 
fagt,  nämlid^  fo  tpeit  fic  unfcrcn  3?^*«"  angepaßt  iDerben  fann, 
tuätc  eine  l^immltfc^e  @ac^e;  abct  aud  geiftlofer  Sieformatton 
entfprinflt  natürlich  nur  Unbänbiflfeit,  gleifd^lid^feit,  3trelifliüfität 
unb  SBerfaQ  ber  ©otte^^furd^t,  mie  loir  gegenn^ärtig  ba^  %n* 
flcfid^t  be«  reformirten  Äirdjenwcfen^  (btc 8fic(i^tfd)affencn 
aufgenommen)  entftedt  {el^eh.  ^enn  ein  in  feinem  Scienntntg 
Sieformirter,  welcher  iebod^  nic^t  toiebergeboren  unb  nt^t  bur(| 
@otted  @eift  geleitet  ift,  fann  nur  atö  gotttoi^  gead^tet  loerben. 
Sobcnfte^n  fprid^t  in  bicfem  3"fönimen^ange  fein  btrecte«  Urt^ctl 
ber  3lrt  au§,  bag  bic  Sieformatoren  be^  16.  3a^rl^unberti^,  auf 
bereu  ©futtern  er  fielet,  i^re  Aufgabe  falfd^  unb  „geiftloö"  ouf^ 
gefaßt  ^abcn.  ÜKan  möchte  alfo  um  feiner  fclbft  roiHen  Der* 
fudjcn,  feine  Slnfid^t  ba^in  ju  beuten,  bag  aQe  Uebelftdnbe,  totldit 
er  mit  fd^onungdtofer  ©c^ärfe  an  bem  reformirten  93oIfe  rügt, 
nur  aus  iDtigDerftanb  ber  Slbfic^t  bet  äieformatoren  entfprungeu 
feien.  Snbcffen  biefe  Äuffaffung  fann  nic^t  mit  ber  I^atfac^c 
befleißen,  bag  er  bie  SlbfteQung  einer  SRengc  üon  Snftituten  ber 
fat^olifd^en  ^irc^e  bebauert,  unb  jn^ar  fold^er,  gegen  n)etd^c  gc* 
rabe  ßalüin  am  cntfc^iebenftcn  vorgegangen  Xüax.  §ier  ftoßeu 
mir  nämlic^  auf  fc^r  merfroürbige  öefenntniffe  üon  Sobenfte^n, 
Um  t)on  bem  Steugerlid^ften  ju  beginnen,  fo  bcflagt  c^  fioben- 
ftc^n,  baß  man  bei  ber  Sieformation  beö  16.  Sal^r^unbcrt«  bic 
Äird^e  um  bie  ©elbmittel  f)ahc  fommcn  laffen,  meldte  il^r  unter 
bem  ^apftt^um  jur  SJcrfflgung  ftanben.  9Wan  l^abc  bamaU  gc* 
meint,  bic  Äird^e  bcbürfe  feine  ättittel  ber  Art,  ba  man  bie  un* 
menfd^lid^c  @ier  unb  ben  ÜRißbrauc^  ber  ©fiter  bei  bcn  fat^o* 
Uferen  ©ciftlid^en  njal^rgenommen  ^abc,  Der  SBißbraud^,  meint 
£obenfte^n,  fönne  ben  redeten  @ebraud^  bed  Sieic^t^umd  nid^t 
Derbäc^tig  mad)cn;  ber  äRangcI  ber  ©elbmtttcl  aber  ^inbcre  bic 
Äird^e,  i^re  aufgäbe  ber  SSefe^rung  Don  Reiben,  Suben  unb 
5ßapiften  ju  löfen.  9lid&t  minber  befd^merjt  er  fid^  baruber,  bajä 
bie  Sieformation  bie  Qaf)l  ber  ©eiftlic^cn  unb  fiird^enbiencr  Der* 
minbert  f)abe,  todl  fo  Diele  berfclben  it)rem  Berufe  nid^t  ent* 
fprad)en.  @r  ift  baDon  burd^brungen,  bag  bie  Aufgaben  bed 
fird^lic^en  Unterrid^te^  unb  ber  ©eelforge  ein  Diel  größere«  ^er* 
fonal  in  Snfprud^  nehmen,  atö  Derfflgbar  ift.  Sllfo  ^ätt^  man 
nid^t  bie  (Kollegien  unb  Stifter  ber  mittelaltrigen  ^irc^e  aufgeben 


161 

foflcn,  fonbcm  „man  mufetc  an  btc  ©tcQc  bcr  trägen  Söäuc^c 
ebcnfo  öiclc  toirfenbe  unb  für  S^riftuö  Icbcnbc  ©ccicn  bringen; 
unb  bo^  ttKire  nja^rlid^  SReformtren  gctt)efcn"!  9lac^  jenem  @runb* 
fatfe:  abusns  non  tollit  usum  f)ält  fiobenfte^n  n^citer^in  berSRe» 
formation  t)or,  baß  fie  mit  bem  ©d^Iec^tcn,  toa^  an  gett)iffcn  ^n^ 
ftitutionen  Dorfam,  aud^  bad  ®ute  ausgerottet  ^abe,  jum  großen 
Slac^t^etl  ber  SBa^r^ctt.  3)ie  Drbcn  ber  ÜJiönc^e  unb  Sionnen 
^abcn  i^rcn  Urfprung  Don  ben  alten  StSfetcn,  meldte  fid^  jur 
@ottfe(ig!ett  übten;  fonnte  man  nun  nid^t  bie  ^löfter  gebrauchen 
jur  SSorbilbung  ber  Äirc^enbtener,  unb  jur  Drganifation  üon 
SBerfcn  bcr  SBarm^erjigleit  ?  3)ie  äRetten  unb  SSefpern  ftnb  if)rem 
Urfprung  nad^  bie  äJJorgen«  unb  ^benbgebete;  barauf  Ratten  fie 
^ur  iSrbauung  ber  ©emeinbe  jurüdEgefü^rt  n^erben  foUen.  S)ie 
D^rcnbcid^te  foU  tl^re  notorifd^e  §crfunft  auö  bcr  ©erat^ung  ber 
aRcnfd^en  mit  i^rem  ©eclforgcr  ^abcn;  anftatt  fie  üon  i^rem 
SRißbrau^  ju  reinigen,  ^abe  man  fie  Dern^orfen,  unb  bamit  ju^» 
glei^  bcn  fo  not^tt)enbigen  ©cbrauc^  ber  ©ctoiffcnScröffnung  an 
btc  ^irten  ber  ©emeinbe  üerloren.  „®o  ift  cS  gegangen  unb 
ge^t  cd  in  unjä^Iigen  anberen  @ad^cn ;  inbem  man  bie  ^errfd^aft 
bed  ^^ftt^umS  über  beS  §crrn  6rbc  üerttjarf,  ift  man  jur  SBcr* 
ac^tung  ber  firc^lid^en  SKad^t  unb  3"^*  gefommen,  unb  faum 
fic^t  jemanb  bcn  j^önig  SefuS  regieren  in  feinen  S)iencrn."  Die 
Sluf^cbung  ber  abergläubifc^en  ^aften  unb  bcr  Seibedjuc^t  t)at 
auc^  bie  richtigen  t^aften  unb  bie  UcbenoäUigung  beS  Seibcd 
burd^  ben  @cift  in  Slbgang  gebracht;  unb  bie  ttuf^ebung  beS 
Unterfc^iebcd  jn)ifd^cn  ©ciftlic^  unb  Sßeltlid^  ^at  ni^t  etn^a  SdleS 
gciftlic^  gemad^t,  fonbern  aQcö  tocltlic^  unb  fleifct)lid^.  3a  fo 
iDcit  gcl^t  fiobenfte^n,  baß  er  n)ieber^olt  bie  äbfctiaffung  ber 
Srani^fubftantiationSlc^rc  bcflagt,  inbem  bie  üor^errfd^enbc  (jttjing* 
lif^c)  Suffaffung  beö  cabinifct)en  ScgriffS  üom  Sd6)cn  unb 
@icgc(  bcd  Sbcnbma^leS  ben  @Sebanfen  oon  bem  ©enicßcn  bcd 
ganj^n  ©ottmenfc^cn  bei  ©citc  fe|e.  (Sine  fcl)r  auffaücnbc  Sr* 
fc^cinung!  S)icfelbc  ujirb  ücrftänbltd^er  i>uxd)  ben  ^injugefügtcn 
oOgemcincn  ©a^,  baß  ein  abcrgläubifd^er  ?ßapift  boc^  im  goum 
gehalten  »erbe  burd^  feinen  Aberglauben ;  mit  SSermerfung  be3= 
fclben  fei  man  bei  bcr  öoQen  Unbänbigfeit  angelangt.  3)icfed 
imrb  nid^t  fo  ju  öerftc^en  fein,  alö  ob  Sobenfte^n  an  irgcnb 
einem  fünfte  bcr  ref ormirtcn  Seigre  irre  geworben  wäre ;  er  mcift 
melme^r  audbrfitfHc^  na^  baß  btc  S3elgifd^c  (Sonfeffion  unb  ber 
I.  11 


162 

^eibclBcrgcr  ÄQted^i^muS  bic  ©d^älung  bc^  Slbcnbmal^I^  Qii^brfirfen, 
toeld^c  er  gegen  bic  jtoingltantfd^c  Deutung  bcffelben  aufredet  cr= 
f)ält.  Sincin  ba  er  nid^t  biejenigen  praltifd^en  folgen  ber  {Rcfor^: 
mation  ber  Se^re  toal^rnimmt,  bte  er  forbert,  unb  inbem  er  bic 
mittelaltrigcn  ßuftänbc  ber  Sird^c  bencn  öorjie^t,  in  toelc^en  er 
bic  reformirte  iiirc^c  feiner  3^^*  erblidtt,  fo  urt^cilt  er,  baß  c^ 
für  bie  SKenfc^cn  tocniger  fd^ltmm  fein  toiirbe,  toenn 
fic  unter  bem  5ßapftt^um  geblieben  toärcn  unb  bic 
l^ciligc  SBaljr^eit  niemals  Icnnen  gelernt  l^ättcn. 

5.  3)icfc  tiefgreifenben  SBcbenfen  gegen  bic  ^Reformation  bcö 
16.  Sal^rl^unbcrt^  bilben  ben  ^intergrunb  für  baö  buntele  Söilb, 
ttjetc^cö  Sobcnftetjn  t)on  bem  S^f^^nbc  ber  rcformirtcn 
ftird^c  in  bcn  Siieberlanbcn  enttoirft.  grcili^  toirb  angenommen 
njcrbcn  muffen,  baß  biefc  Beobachtungen  i^n  crft  ju  jenen  Ur* 
t^cilen  über  bie  9leformation  geführt  l)aben.  3n  ben  SBcrfall  ber 
Äirdjc  feiner  ßeit  fcljließt  er  aber  nic^t  bie  öffentlid^c  ScEirc  ein. 
SSielme^r  erf lärt  er  außbrüd lic^,  baß  biefelbe  burc^  ®otte^  ®nabe 
ju  feiner  3^»^  unDcrfe^rtcn  Seftanb  ^abe,  unb  ba^er  Siicmanb 
au^  {Rüd fidjt  auf  ettoaigcn  SScrfaH  ber  fie^rc  fid^  Don  ber  Sird^e 
abäufonbcrn  brauct)e*).    ?lber  feitbcm  bic  I}errfd)enbe  SKac^t  au^ 


1)  @ine  geiDiffe  ^inft^ränfung  boif  man  }uto(ge  ber  eigenen  Angaben  üon 
Sobenfte^n  biefem  Scugnijfe  ^in^ufügen.  3n  bem  catüintflift^en  jür^ent^um  ber 
IRieberlanbe  ^at  eS  no^  bamals  eine  (utl^erij^e  unb  }tt)ingU((^e  UnterflrSmung 
gegeben  ({.  o.  6.  103).  „^xt  unDorftd^tigen  ^lomen^riflen'  Italien  baS  Vbenb* 
mol^I  für  eine  fiugerlid^e  Zeremonie,  bur4  toeld^e  @ott  gebient  unb  S^rifti  ®e6ot 
erfüllt  h)trb.  @ie  »ollen  guglei^  ben  äOorten  be§  SefenntniffeS,  bofi  e6  ein 
Seiten  unb  Siegel  üon  ^^rifluS  fei,  entjpred^en,  inbem  fie  babei  ba§  ®ebfi4tni§ 
beS  STobfS  e^riiti  üben.  <Oie  ^uffaffung  beS  3Ber!eS  (S^rtpi  als  O^runb  ber 
©eioiffenSberul^igung  unb  ber  guten  2Ber!e  oIS  ^etoeife  ber  ^onfbarfeit  für  bie 
(S^nabe  ber  9{e4tfertigung,  meldte  , unter  unferem  tBoIf  Derbreitet  ift,  ift  lut^e^ 
rif(i^.  ®egen  biefelbe  ^uffaffung  rietet  fid^  aut^  bie  @4urman  in  berEakleria 
P.  II.  Cap.  III,  7.  3ur  (5r!(ärung  biefer  ©rfd^einungen  bient  m.  6.  bie 
9{Q(^toei|ung  üon  DeHoop  Scheffer(Ge8chiedeni8  der  hervorming  in  Ne- 
derland  van  haar  ontstaan  tot  1531,  in  ben  Studien  en  bijdragen  op'tge- 
bied  der  historische  theologie.  1870.  71.  SBefonberS  er^ienen,  2  59be.  1873), 
bog  bie  erpe  ßpod^e  ber  reformatoriWen  Betoegung  in  ben  9lieberIonben  burd^ 
Sutjer,  unb  in  ber  9lbenbmQbI§Ieire  burd^  Sroingli  beftimmt  gewefen  ifl,  bo§ 
(entere  um  fo  me^r,  als  beffen  ^benbmal^Idlel^re  burd^  ben  9{iebetrfinber  Sodann 
SBeffel  ®anSfort  Dorgebilbet  »ar  unb  loa^rfd^eintid^  beeinflußt  ifi.  ^ur4  bte 
^Verfolgungen   toirb  biefe  SBewegung  bis  1531   unterbrüdft  ober  auiüdfgebiöngt. 


163 

bcr  Äird^e  tocggcnommcn  ift,  ift  iebcr  3Kcnfd^'fctn  eigener  Äönig, 
berÄopf  eiltet  3eben  feine  eigene  93ibel,  bieSegierbe  eineö  !3eben 
fein  ®efe^  geworben;  jjeber  tt)\xt,  toa^  gut  ift  in  feinen  Slugen, 
ate  ob  3efu§  nid^t  Äönig  in  3örael  ttjäre.  „(Sinige  groinme  nel^me 
ic^  aQejeit  auö".  S)ie  JReformirten  im  ®anjen  tfaben  bie  römifd^c 
»irc^e,  ba§  geiftlid^e  93abel  üerlaffen,  um  jum  fleifc^li^en  Säbel 
ju  tüerben.  2)emgemä§  tDerben  bie  groben  ©ünben  gerügt,  n)el^e 
man  gemö^nlid^  nic^t  lennt,  ba  fte  meift  verborgen  ftnb  unb 
nur  mandömal  burc^bredjen:  gottlofe  Sieben,  gräulidie  Unjuc^tö* 
fälle,  betrfigerifc^e  Unterbrüdfung  ber  ©eringen.  3n  bie  Dcffent^ 
lic^fclt  aber  brängt  fic^  ber  Suju§  in  Käufern,  Äleibern,  ©aft^ 
freil^ett,  fo  tt)ie  bie  9lic^tigfeit  ber  {Reben  in  ber  ©efeKfc^aft.  3n 
jener  ^inftc^t  mirb  fogar  über  bie  befannte  ^ollänbifc^e  Steinlid^* 
feit  geurtf)eilt,  bag  burd^  beren  Uebung  @elb  unb  ßctt  @ott  abge^ 
fto^len  toerben;  unb  ber  ÄlauSner  im  ^opfttf)um,  ber  fic^  mit 
einer  §ütte  begnügt,  tt)irb  jur  93efd)ämung  berer  angefüf)rt, 
todä)c  al^  reformirtc  S^riften  für  fic^  föftlic^e  t^änfer  unb  ©arten 
einrichten.  ®enn  eö  ift  ein  abfolute^  ©ebot  für  Stile,  ber  SKelt 
nic^t  gleichförmig  ju  fein  (9löm.  12,  2);  unb  in  Slllem,  auc^  in 
ben  Äleibern  foH  man  S^rifti  93ilb  an  ftd^  tragen.  ®ie  SJie^r* 
ja^l  ber  Äird^englieber  betoegt  fidE)  aüerbing^  in  einem  e^rlid^en 
bürgerlichen  Scben  unb  ift  in  ben  fird^lic^en,  gotte^bienftIidE)efi 
^flic^tcn  im  ©anjen  correct.  Slber  biefeö  ganje  Xreiben  ift 
gctftloö  unb  blo^  8ud)ftabenbienft,  nic^t  üerfd^ieben  üon  ber 
Art  ber  Reiben  unb  ber  ^ßapiften.  3)ie  SRenfd^cn  jagen  üielme^r 
nad^  93rot,  nad^  ©elb,  nac^^gerrfdE)aft,  ttjö^renb  fie  ©ott  fucf)en 
foQten,  ttjeld^er  Der^ei^en  ^at,  tDa^  unö  jur  Srt)altung  beö  Se* 
bcn^  nöt^ig  ift,  auc^  auf  unfere  niebrigfte  Slrbeit  ju  üerlei^en. 
S)cr  ©ottcöbienft  ber  ,,e^rIidE)en,  bürgerlid)en  Seute"  ift  nid^t^ 
tocrt^;  er  ift  nur  ber  Sln^ang  ju  i[)rer  tt)eltlid^en  Sefc^äftigung, 
ober  gar  bie  ®elegen{)eit  ju  fd^Iafen.  Unter  ben  ©roßen  be^ 
Sanbe^  aber  gilt  eö  überhaupt  al§  Unehre,  ©ott  ju  fennen,  ju 


9a4  bcm  Smii^enfplel  ber  äBieberifiuferei  getoinnt  feit  1560  ber  6:Qloint6mu6 
bat  gr5ft(en  Xt^ii  beS  nieberlfinbii^en  $p(!§.  3n  bie  cdDinifttjd^e  Stixä^triblU 
bung  mtxhtn  nun  au^  bie  ftillen  ^n^än^er  ber  tut^erif^en  unb  iföingtif^en 
ne6fr(teferun0fn  eingemfinbet  fein,  ^ag  fte  nod^  nad^  100  Sorten  ftd^  babet 
erhalten  ^aben,  erflfirt  fid^  t^ieHei^t  barau§,  bag  bie  beutf^e  ^olfSort  ffir  bie 
fTan}5flf<^  Strenge  be§  (SloIüintSmuS  (6.  73)  nid^t  {el^r  empffingtid^  ifi. 


164 

fürd^tcn  unb  ju  öerl^crrUdöcn.  SKcnn  baö  el^rltd^c  Scbcn  bcr 
bürgcrlid^en  Slaffen  ttjirfUd^  in  @rlenntni§  ber  göttlid^en  Sefe^te^ 
mod^t  unb  in  ©elbftDerIcugnung  flefü^rt  tDürbe,  fo  bürftcn  btc 
Dbrigfcttcn,  ©olbaten,  fiaufleute,  ©tubcnten,  §anbtt)erfer  nid^t, 
ttjie  e§  regelmäßig  gefd^ic^t,  bie  3KetI)oben  i^reö  befonbcrn  S8e* 
ruf^  l)on  bcm  göttli^cn  ©efcfec  auiSnel^men,  unb  fie  müßten  aiid^ 
burd^  i^re  8?eben  bejcugen,  baß  fie  in  i^rcm  SJcrufe  auf  ein 
fieben  nad^  bem  göttli^en  ©efefee  bebad^t  finb.  SBcnn  toirflic^ 
ber  ©cift  bei  ben  Scuten  n)ärc,  fo  toürben  fie  ferner  burd^  gcift* 
lic^c  Unterhaltungen  unb  ©efpräd^c  biefeö  funb  t^un;  aber  bie 
^©prad^e  Äanaanö"  ift  nid^t  nur  in  bcr  öffentlichen  ©cfeHigfeit 
üerpönt,  fonbern  auc^  im  ^äu^lid^en  SBerle^r  t)erfd^n)unben. 
SBeiterl^tn  ift  unter  bem  „e^rlid^cn  ©d^lag"  bcr  JReformirtcn  faum 
(Sincr,  bcr  eine  9iüge  be«  ?ßrebtgeri8  gcbulbig  erträgt;  ttjirb  eine 
fold()c  auSgefprod^en,  fo  beflagcn  fic^  bie  fieute  über  Snquifition, 
SScrrat^  ober  ©pionerie.  Dcö^atb  laffcn  fie  fid^  burd^  bie 
Uebung  ber  5Dt^ciplin  öielmcl^r  öcrl^ärtcn  alö  beffern,  inbem  fie 
überhaupt  bcr  SÄeinung  finb,  baß  bie  ©ciftli^cn  jur  ©rbauung 
n)irffam  fein  foücn,  unb  beö^alb  milberc  ÜKittel  anjutocnben 
^aben,  um  bie  bilrgcrlid^e  Unbcfd^oltenl^eit  ju  toal^ren.  S)te  ©roßen 
aber,  ujcld^c  ber  DiSciplin  üerfanen,  legen  fogleid^  ^IppcHation  an 
Sic  n)eltlid)e  Dbrigleit  ein.  ^lUc  biefe  gcl^ler  tt)crben  baburd^ 
Derfd^limmert,  baß  bie  religiöfe  ffiricnntniß  burd^auö  mangelf)aft 
ift.  3)aö  aSerftänbniß  beg  ©nabenbunbeö  entgeht  ben  gemö^n= 
tid^en  bürgcrlid^en  ß^riften  burdjau^..  3)ie  religiöfcn  ©egriffc 
finb  i^nen  ungewohnt,  toerben  mißbeutet  unb  öerfcl^rt  gebrandet. 
3n  öielen  Öejie^ungcn  ift  ein  SRüdEfaQ  in  papiftifc^c  3rrtpmer 
eingetreten;  man  ift  gänjlid^  bem  ©treben  nad^  ©elbftgerec^tigfcit 
üerfaltcn;  man  erüärt  bie  ^eilige  ©c^rift  für  bunicl;  man  meint, 
baß  bie  ^ßrebiger,  inbem  fie  an  ber  ©pifee  ber  ÄirdE)e  fte^en,  bie 
Unfc^lbarfeit  für  fic^  in  5lnfpru^  nehmen.  SBäl^renb  ieber  Sl^rift 
©üttcö  SBort  grünblid^  ju  unterfud^en  ^at,  um  fi^  eine  felbfts: 
ftänbige  Srfcnntniß  bcr  Sürgfd^aften  beö  §eile§  ju  üerfd^affcn, 
unb  um  feineö  eigenen  ©laubcn^  ju  leben,  fo  ift  bag  ©egent^eil 
ber  5^11.  3)ie  Scfung  bcr  ^eiligen  ©d^rift  ift  in  Abgang  gc^ 
fommen,  unb  ber  Iird)lid^e  9lcligion§unterrid^t  ift  erfolglos.  3n 
bcr  ^ergebrad^ten  ©d^lenberei  berufen  fic^  bie  öcrtocltlid^ten  SRe- 
formirten,  nid^t  anberö  aU  bie  Äat^olifcn,  auf  bie  Ueberlieferung, 
um  ieben  ernftcn  SBcrfu^  t)on  Söeffcrung  alö  unbered^tigte  9lcu=« 


165 

erung  abjulc^nen.  ©aß  alfo  ®ott,  tüic  c«  fd^cint,  mit  feiner 
Sciiüo^nung  im  ^eiligen  ©cifte  ba§  gonje  2anb  üerlaffcn  f)at,  ift 
fd^lieglid^  aud^  bic  ©d^ulb  ber  öJciftloftgleit  bcr  ?ßrebiger.  i)k^ 
felbcn  prüfen  ficl^  fclbft  nid^t  barauf,  ob  fie  mit  bem  @cift  gefalbt 
unb  iDirflid^  t)on  @ott  berufen  feien,  ©ie  meffen  ben  S33ert^  ifirer 
SBtrffamleit  an  il^rer  bud^ftäblid^en  JRec^tglaubiglcit  unb  an  bem 
oberflächlich  gcmeffenen  ©rfolg,  o^ne  ju  bebcnfen,  bag  man  in  bem 
wahren  ©e^orfam  gegen  ®ott  auf  biefc  ?ßrobe  p  tjerjid^ten  l^at. 
Sener  (Jrfolg  mirb  ^auptfäd^licf)  burc^  bie  fe^Ierl^afte  SKet^obe 
erreid^t,  ba§  bie  ?ßrcbiger  bai^  ganje  SSoII  für  ^eilig  anfe^en  unb 
oU  fold^eö  be^anbeln,  aud^  aQe  3BeItmenfcf)en,  Sauen,  fjormaliften 
unb  Sud^ftabenbiencr,  »elc^e  ber  ft^tbaren  Seicl)en  ber  ^eiliglcit 
entbehren;  ferner  ba§  fie  nid^t  aQe  ©ünben,  fonbern  nur  bie 
groben  ber  gi^^t  unterttjerfen,  unb  baburc^  bie  SKeinung  be^ 
günftigen,  aU  ob  geioiffe  ©ünben  überhaupt  nid^t  ©ünben  feien. 
Unter  biefen  SBerpItniffen  ift  eö  f^on  fo  loeit  gelommen,  ba§ 
man  ba^  Scrberben  ber  Äirc^c  in  Sbrebe  fteQt  unb  ba§  „geift* 
lofe  SBefen"  aU  bie  vq6)U  unb  regelmäßige  (Jrfd^einung  be« 
^riftlid^en  Scben^  ad&tet.  35er  §auptgrunb  biefer  Uebelftänbe 
aber  ift  in  ber  Sorbilbung  ber  ^ßrebiger  auf  ben  Slfabemicen  ju 
fuc^en,  njo  fie  bloö  in  ben  bud^ftäblid^en  SSerftanb  ber  d^riftUd&en 
fie^re  eingefül^rt  tocrben. 

6.  aSie  foß  man  alfo  ben  SÄaßftab  beö  l^eiligen  (Seiftet 
üerfte^cn,  nad^  toeld^em  ßobenfte^n  bie  reformirte  Äird^e  in  feiner 
Umgebung  mit  unbefc^ränltcr  §ärte  ber  ©eiftlofigteit  bejic^tigt? 
SBirb  eg  i^m  jugcftanben  merben  muffen,  baß  bie  ©egner  if|n  unb 
feine  ©enoffen  ber  «©eifttreiberei"  mit  Unred^t  befd^ulbigen  ? 
SBirb  er  im  öefife  t)on  toirllid^  üerftänblicf)en  unb  prattifd^en 
SRotiüen  fid^  befinben,  um  ba^  t)on  if|m  gebadete  ßiel  bcr  Sie* 
formotion  an  ber  Äirc^e  feinet  Soltek  ju  errei^en?  (Jr  unter* 
fc^eibet  nämlic^  bic  SJiittl^eilung  ber  SBorte  ober  93egriffc  oou 
ber  SBa^^eit,  meldte  in  ber  l^ci(igen  @d^rift  unb  im  ilatec^iiSmu^ 
enttjalten  finb,  unb  bie  SBa^rfieit  fclbft,  ttjeld^c  aU  bcr  Sinn 
©ottcg  mit  jener  (Jricnntnijs  nic^t  notl)n)enbig  üerbunben  ift, 
fonbern  bur^  ba^  innere  SBort  t)on  ©Ott  felbft  gelehrt  fein 
mu§.  5£)tcfe  SBejeugung  bcö  ^eiligen  ©eifte^  in  ben  §erjen  ift 
Don  Sabin  als  bie  f^orm  gebadet,  in  tocld^er  bie  äBo^ltliatcn 
®otteS  bur^  6:^riftu$,  alfo    auc^  bie  entfpred^enbe  Srfenntnijs 


166 

bcrfclBen  ben  ©liebern  bcr  Äird^e  eigen  njetben*)-  ßobenftc^n  er* 
läutert  biefe  ^ejie^ung  beiläufig  ganj(  rid^tig  burd^  bie  allgemein 
reformatürifdje  Unterfd)eibung  ber  fides  quae  creditur  unb  ber 
fides  qua  creditur.  Der  feiig  mad^enbe  ©laubc  fann  nic^t  bloS 
bie  inteHectueHe,  fiiftorifd^e,  bud^ftäblid^e  Slnerfennung  ber  ©lau* 
benöregel  fein.  SBenn  alfo  ber  Untuiebergeborene  bie  religiöfe 
SBaljrl^cit  nur  in  ben  ^Begriffen  unb  SBorten  !cnnt  unb  fie  bcö^ 
^alb  falfc^  augfpric^t,  fo  ift  ber  ®runb  baüon  ber,  bag  biefelbe 
nid^t  mit  feinem  ^crjen  übcreinftimmt.  SBenn  bicfe  jugleic^ 
äft^etifd^e  unb  moralifc^e  Setrad^tungöttjeife  inne  gcfialtcn  unb 
toeiter  verfolgt  ujürbe,  fo  ergäbe  fid^  bieHeid^t,  bag  ber  ©cgenfa^ 
i^ifc^en  ben  ©ruppcn  ber  Äirc^englicber  nid^t  abfolut,  fonbern 
relatit)  ift;  unb  bie  öcnjö^rung  biefer  I^atfac^e  tüürbc  üieUeic^t 
nodö  jur  Sluffinbung  inteHcctueHer  SKerfmate  führen,  in  benen 
bie  firc^lid^e  Se^rc  cntmeber  alö  uollftänbig  unb  prattifc^  ttjirffam 
ober  alö  uuDolIftänbig  unb  unmirffam  ertannt  ttjürbe.  35a^  ift 
jeboc^  nic^t  bie  äbftd^t  üon  ßobenftc^n.  S3ci  ber  völligen  mate^ 
rietten  @leid^f)eit  bcr  religiöfen  ©rienntnig  unter  SBiebergcborenen 
unb  Uuttjiebergeborenen  behauptet  er  ben  äußerften  ©cgenfafe 
jnjifc^cn  i^nen  barin,  ba§  bie  (Sinen  bie  SBa^r^eit  toa\)v,  bie  än= 
bereu  fie  falfd^  vortragen.  35ie  öebingung  ju  jenem  fJaU  ift  be^ 
l^alb  lebiglid^  in  ©otteö  SBirtung  gcftettt.  9Äan  toirb  öon  ®ott 
gelehrt  bur^  eine  wahrhaftige,  nid^t  »efentlid^e,  fonbern 
gnäbige  SKittbeilung  ber  ©ott^eit  ober  beö  »efentli^en  SBortcö, 
beö  unerfc^affenen  Sid^teö  ober  ber  SBal^r^cit  fclbft,  toeld)e  in 
bem  äKenfd^en  alö  in  ifirem  lentpel  toolint.  SJliemanb  l^at  ober 
toeiß  bie  SBa^rfieit  alg  ber,  ttjeld^eni  ©ott  felbft  bie  ©ac^e  ju 
fügten  unb  ju  genießen  giebt  unb  alfo  offenbart.  Darum  fönnen 
bie  Verborgenheiten  be§  §immelö  mand^mal  oon  geringen  unb 
übrigenö  fel|r  uuttjiffenben  SÄcnfc^cn  Ilar  oerftanben  unb  gefaßt 
toerben,  obgleich  fie  bie  ^Begriffe  nid)t  oerftc^en,  mit  lDcld)cn  bie 
©elcl)rten  bie  ©ad^e  bert^eibigen.  Diefe  Ijingcgen  ocrfel^len  fic^ 
mciftenö  babur^,  baß  fie  bie  SBorte  ber  aBaf)rf|eit  für  bie  SBa^r* 
^eit  felbft  Ratten;  aber  inbem  fie  in  it)ren  Segriffen  l^angen 
bleiben,  fterben  unb  oerborren  fie  im  Söuc^ftaben.  Die  ©runb= 
läge  biefer  Setrad^tung  ift  o^ne  ßtoeifcl  caloinifd^ ;  bennoc^  fu^rt 
bie  praltifd^e  SSerttjertl^ung  bcrfelben  oon  ßaloin  ab.    Diefer  er* 


1)  Instit.  ehr.  rcl.  III.  1,  1. 


167 

fennt  in  bcr  geheimen  ©intpirluug  bc§  ®cifte§  auf  bic  ©laubigen 
bic  Siegel,  Jpeld^e  bei  ben  ÜÄitgliebcrn  ber  itird^e  aU  folc^en  ein- 
treffen wirb,  ober  burc^  ein  Urt^eil  ber  ßiebe  bei  ber  SÄe^rja^l 
bcrer  uorauögefefet  »erben  barf,  bie  jur  Äird^e,  bem  m^ftifc^en 
Scibe  Sfirifti  ge^ren  unb  il)m  a(§  il^rem  Raupte  angereif)t  ftnb. 
Sobenfte^n  hingegen  traut  ben  üon  i^m  geforberten  Sefife  be^ 
©eifteö  nur  einer  geringen  Qaf)l  üon  Äirc^engliebern  ju,  unb  er^ 
lennt  barin  eine  Sluöua^me  Don  ber  Siegel.  3)e^f|alb  gewinnt  er 
auc^  ber  unio  mystica  einen  anbcrn  ©inn  ab,  afö  Ealüin.  gür 
(Eatüin  bebeutet  bicfelbe  bie  allgemeine  gornt  ber  ST^cilnal^me  an 
bcr  Äird^e,  für  £obenftct)n  ein  befonbercä  Slttribut  berer,  xodd)t 
^d)  über  bie  allgemeinen  Sebingungen  beö  Dafeinö  in  ber  Äird^e 
ergeben.  5)eö^alb  Derfte^t  er  biefer  unio  mystica  in  Slnalogie  ju 
bem  ©inne,  melc^er  bei  ben  Sut^eranern  üblich  geworben  war, 
namentlich  auc^  in  ber  Sluöprägung  aU  ©inmo^nung  bcr  ganjen 
S)rcieinigfeit  0-  ®egcn  biefeö  3lcfultat  läßt  nun  ßobenfte^n  bic 
(Sinwenbung  erl^eben,  ob  baffelbe  nid^t  ber  ©eifttreiberci  ((gnt^u= 
fiaigmuö)  günftig  fei,  unb  ob  eö  nid)t  na^  ber  m^ftifd^cn  ober 
oerborgenen  Ideologie  l^inneige,  welche  aU  eine  $eft  ber  wal^ren 
Ideologie  anjjufc^en  fei.  Daö  erfte  Sebenlen  wirb  bur^  brei 
©rfinbc  abgelehnt.  Die  Sntl^ufiaften  nömlic^  Ratten  für  ©otteö 
@cift,  waö  er  nic^t  ift,  baö  ^eißt  ein  ber  ©eele  eingeborene^  ßid^t, 
bem  man  in  freiem  SBiUen  folgfam  ift  ober  nid^t.  Ober  fte  bc:* 
^oupten,  ber  ©eift  mirte  in  bem  SKenfc^en  fo,  baß  eS  oftne  il^n 
gcfc^iel^t,  um  benfelben  oon  ber  SBerantwortlidjfeit  5U  befreien, 
wenn  er  nic^t  baö  @ute  tl^ut,  wö^renb  bod^  im  ©nabenftanbc 
©Ott  unb  bcr  SÄcnfc^  alö  jwci  Urfad)en  jufammcn  wirfen. 
X)rittenS  achten  bie  (Snt^ufiaften  bad  SQSort  gering,  nämlid) 
^öd^ftenö  alö  ein  Öcbürfniß  für  bie  Slnfängcr,  nic^t  abct  alö  ba3 
Organ  beö  göttlichen  ©eiftcig  in  aUen  gsUcn.  Unter  Söeac^tung 
bicfcr  öebingungen  alfo  muffen  bic  9lcformirten  auögeäcicfinctc 
©cifttreibcr  fein,  in  allem  bcö  ^errn  ©eift  treiben  unb  oon  i^m  gc* 
trieben  fein,  alö  fold^e  wclcf)c  burdöauö  gciftlid^  finb.  ©egen  ba§  jweitc 
©ebcnfcn  wegen  ber  mt)ftifd^en  Ificologie  ffellt  ßobenfte^n  feft, 
baß  bicfelbe,  „im  gefunbcn  ©inne  oerftanben,  eine  SBcfc^rcibung 
t)on  bcr  ^^Jrajiö  unb  Uebung  ber  l)eiligen  SBa^r^cit  ift,  welche 


1)    Sgl.  @(^neifenburger,    Serglei^enbe  ^arfleflung   beS  lut^r.  u. 
refomu  Seirbegr.  I.  ^.  200  ff. 


168 

öorftcHt  bcn  verborgenen  ÜÄenfcf)cn  beö  §erjcn^,  bie  ©efül^lc,  SBc^ 
toeßungen  uub  SBirfungen  eincö  5Kenfd^en,  in  bcm  Sfiriftu^  wol^nt, 
unb  bcr  geleitet  »irb  burc^  ben  ^eiligen  ©cift.  @in  Dcean  t)on 
taufenberlei  ©ebonlen,  »cld^cr  über  bie  ganje  ©otteögela^rt^cit 
unb  aße  i^re  I^cile  ftc^  erftredt,  in  bem  öeftrebcn,  bie  Seigren 
unb  ßeitungcn  beö  ^eiligen  ©ciftc«  borüber  auSjubrüden,  unb 
bie  ©clbftöcrieugnung  ju  beförbern.  3n  biefem  ©inne  tft 
bie  m^ftifc^e  Ifieologie  nid^t  ju  mifebilligen,  fonbern  ju  erftreben; 
fie  ift  nid^t^  anbere^  alö  bie  reformirte  ^^eologie  felbft  fofern 
biefelbe  burd^  ©otteö  @ei[t  in  bcn  ©laubigen,  ben  ©liebern  an 
etirifti  mt)[tif^em  Seibe  mitgetljcilt  i[t".  &  ift  alfo  nid^t  erft 
ber  neuern  ßeit  Dorbc^alten  geblieben,  ba§  man  ber  SIR^ftif, 
tpeld^e  einen  ganj  beftimmten  ©ebanlenge^alt  ^at,  unb  eine  ge* 
fd^ic^tlid^  burd^auö  abgegrenzte  ®eftalt  jeigt,  einen  ganj  anbern 
Sn^alt  unterlegt,  um  burd^  bie  Siebfiaberei  für  ben  litel  ju 
glänjen.  Soet  beurt^eilt  biefe  (Jrfd^einung  gefd^ic^tlic^  gonj 
rid^tig  nad^  bem  ^ertmal,  bag  bie  Slnfd^auung  @ottc$  al^  etn^aS 
erftrebt  tüirb,  toa^  über  bie  ßiele  beg  praftifd^en  Seben^  ^inau§* 
fü^rt(©.  123);  Sobenfte^n,  »cl^er  bei  biefer  ©elegenl^eit  ficf)  bemüht, 
baö  ®int)crftänbnij3  mit  SSoet  ju  bewahren,  erllärt  e^  für  eine 
migbräud^lid^e  Scrfd^iebung  ber  SK^ftif  burd^  unerfahrene,  bud^^ 
ftäbtid^e  unb  unred^tgläubige  ©d^riftfteßer  in  bcr  @<)od^c  be^ 
?ßa<)ftt^um§,  baj3  bie  via  illuminativa  ober  bie  l^öd^fte  @rleud)tung 
im  ©egenfaft  ju  ber  via  purgativa  sive  perfectiva,  unb  auf 
Äoften  berfclben  gelten  foUc.  S)ie  ma§t)oIle  Gattung,  ttJcl^cSBoct 
in  biefer  S3eäicf|ung  an  lauler  atö  Sluönal^me  anerfannt  ^attc, 
mad^t  Sobenftc^n  atö  bie  Siegel  ber  m^ftif^en  SWebitation  geU 
tenb.  Unb  inbem  er  ftc^  jugleid^  auf  %f)oma^  t)on  Äem^)en  ate 
einen  normalen  Vertreter  bcr  äK^ftil  beruft,  bettjcift  er  nur,  bag 
er  ^iftorifc^  nic^t  orientirt  ift. 

7.  Slßcin  biefe  Umbeutung  ber  richtigen  3lnfic^t  feincö 
Se^rerö  ttjar  für  ßobenftet)n  ein  ben  Umftönben  nac^  not^njcnbigc^ 
SÄittel,  um  feinen  Uebergang  ju  einer  m^ftifc^en  I^eorie  bcg 
d^riftlic^en  Sebenö  'su  maöüren.  SBie  in  ber  oben  angeführten 
Definition  bcr  3Ät)ftit  fcf)on  l^crüorgcliobcu  ift,  l^anbelt  e§  fic^ 
für  i^n  um  bie  Slufgabc  ber  ©elbftüer leugnung.  Dicfelbc 
gilt  bei  Sabin  aU  ber  lurje  Slugbrucf  bcö  ^riftlic^en  ßebenS, 
unb  ift  baran  orientirt,  bag  bie  Sl^riften  i^ren  Qmcd  in  @ott, 
i^rc  Siegel  an  feinem  SBiUen  finben,  bag  fie  aUe^  ju  feiner  (S^re 


169 

t^un,  unb  be^l^alb  auf  oQe^  ju  t^crjic^tcn  l^aben,  toa^  als  t^r 
Sortl^eil  na^  bcm  gl^H^  erfc^cincn  fönntc^.  S)aburd^  alfo 
toirb  bic  foHncßc  ßtpecfbeftimmung  bcö  ^d),  totlä)c  in  bcm  ©clig* 
Icitgftrcbcn  auggcbrücft  ift,  vorbehalten.    Snbcm  man  fid^  »egen 

bcö  3^^^^^  ^^'^  ^^^  ®^^<^  ®otteg  verleugnet  fo  ift  baüon  un- 
trennbar ber  ©ebanfe,  bag  man  um  feiner  eigenen  ©elbfterl^aU 
tung  lottlen  bie  ©eligleit  burd^  ©Ott  erftrebt.  Unb  toie  fic^  jene 
aiufgabc  für  Ealvin  au^  ber  Offenbarung  burd^  S^riftuö  ergicbt, 
fo  beruht  fte  barauf,  ba§  ®ott  ben  SBcrt^  ber  ®rlöften  anerfennt, 
tnbem  er  biefelben  burd^  bie  ßiebe  in  feinen  eigenen  3^^^  ^^f* 
genommen,  alfo  in  birecte  Proportion  ju  ftc^  fclbft  Verfemt  ^at. 
2)ag  ift  ber  unbcjnjcifelbare  3"fömmen^ang,  in  meldten  Salvin 
bic  ©elbfttjcrlcugnung  be^  S^riften  ^incinfteflt.  hingegen  ßobcn^ 
ftc^n  ffi^rt  bie  Aufgabe  auf  einem  ganj  vcrönbcrtcn^intergrunbc 
ein.;  Cr  beruft  ft^  auf  bie  unfehlbare  toefentlic^c  SBalirl^eit,  bag 
®ott  SlQeö  unb  bag  ©cf^öpf  nic^tö  ift.  „a)ie  reformirte  Se^re 
leiert,  \>Q%  aßc  ©efc^öpfe  fo  bcm  §errn  @ott  eigen  finb,  njie  ber 
Scf)m  in  ber  $anb  be«  löpferö".  „@ö  giebt  abfolut  feine  @leid^= 
^eit  (^Proportion)  jnjifd^cn  feiner  unb  unferer  SSürbigfeit".  35ic 
aflgcnugfamleit  ober  ©ouöcränetät  ®ottc^  läßt  nur  baran  beulen, 
ba6  bic  öernfinftigen  ©cfd^öpfe  mie  Unter  trauen  unb  ©flauen 
feiner  SScrl^enlidjung  bienen.  S)icfe§  wäre  baö  erhobene  ßebcn, 
wctd^eS  einem  S^riften  jicmt.  Unb  ^toax  ftetlt  ßobcnftc^n  alg 
©cgenfafe  jnjifd^cn  einem  ©laubigen  unb  einem  Unnjicbcrgeborcncn 
feft,  bog  biefer  (ber  Unloicbergeborenc)  ©Ott  fud)t,  fürchtet,  üer« 
^crrtic^l  unb  bie  ©ünben  unterlägt,/  bamit  er  feiig  merbe,  alfo 
um  feiner  fclbft  toillcn,  ba§  hingegen  ber  Ijmrtlid^  ©laubige  feine 
©eligfeit  fud^t,  um  ©Ott  öoUfommen  5U  üerl^crrlic^en,  au^  einer 
Änfc^auung  üon  ©ottcö  SBürbe,  alfo  nur  um  ©ottcg  willen.  3n* 
bcm  alfo  Sobenfte^n  bic  Sejie^ungen  trennt  unb  in  ©cgenfafe 
JU  cinanbcr  bringt,  weld^e  in  Saltjin'ö  S)cutung  ber  ©elbftocr:»  ^ 
Icugnung  fa^gemäg  fid^  bcdten,  fo  verlangt  er  bie  formelle  ©elbft- 
oemic^tuttg  beS  3d^  alö  ©efd^öpfe^  aU  baö,  waö  ber  SlUgenug* 
famfeit  ©otteg  correlat  wäre.  35ic  (Sntftellung  beö  G^riftent^umg 


1)  Infft.  ehr.  rel.  III.  7,  1:  Nostri  non  sumus:  ergo  ne  slatuainus 
nobis  hone  finem,  at  quacramus,  quod  nobis  secnndum  carnem 
ezpediat.  Nostri  non  sumus;  ergo  quoad  licet  obliviscamur  nos- 
metipsos  ei  nostra  omnia. 


170 

in  bem  Solle  finbct  er  barin,  bag  man  bic  ©eliglcit  f ud^t  aufeer* 
I)alb  ber  ööHigcn  ©clbftüericugnung,  baß  man  alfo  hierin  mc^r 
fic^  fclbft  aU  ben  §errn  fuc^t.  5)enn  bic  Scfc^rung  bcftcl^t 
nidöt  fci^on  barin,  bag  man  t)on  bcr  S3cgef)rnng  ber  S!BeIt  über* 
gcftc  jur  Scgel^rung  beö  ^immclö,  um  für  fid^  9luf)c  ju  finbcn. 
§icrin  nämlicl^  fe|t  man  fic^  fclbft  jium  legten  Qtocd.  2JJan  l^at 
t)ielmel|r  in  ber  85cfcf)rung  nid^t  bloö  auf  bic  fttnbigcn  Sorfäfee, 
fonbcrn  aud)  auf  bic  guten  ju  üerjic^tcn,  »eil  fotc^er  SBille,  ber 
ijttjar  nid)t  böfe  ift,  böfc  »erben  »ürbe,  »enn  er  nid^t  gänjlic^ 
gcfd^molsen  unb  verloren  mürbe  in  (Sottet  SBiUcn.  3)aö  ^eil 
alfo  beftel^t  nic^t  in  bcr  SSeränberung  ber  ©cgcnftönbc  unfercö 
S3cgcf)renö  für  un§  felbft,  fonbcrn  in  bcr  SBcrIeugnung  unferer 
felbft  in  SBcjic^ung  barauf,  baß  mir  ©cfd^öpfe  finb.  2)cr  §crr 
aßein  um  feiner  felbft  millcn  muj3  ber  ®egcnftanb  unfercö  Sc^ 
gcfircnö  fein.  S)ie  SSSafir^eit  ift,  ba§  ber  §crr  allmürbig  ift,  meit 
afleiJ  oon  i^m  gefd^affen  ift,  unb  ba§  bic  ©cfd^öpfe  noc^  mcniger 
ate  nid^tig  finb;  alfo  befielet  bic  ©eliglcit  barin,  baß  man  in 
bcr  Stnfd^anung  bcr  §o^cit  ®ottc0  fid^  felbft  bei  bem  §crm  ju 
SHd^t«  mad^t,  fic^  felbft  öcrgißt,  alle  firäfte  unb  SBcrmögcn  ab* 
legt,  fic^  unb  alle  ©efd^öpfe  verliert,  um  ®ott  ju  ocrl^crrlid^en. 
Slud^  baö  Äönigt^um,  mcldieö  ben  S^riften  mit  ber  ©rlöfung 
öcrlic^en  ift,  befte^t  barin,  ba§  fie  3l'\ä)t^  unb  bcr  §crr  allein 
ergaben  ift,  unb  ba§  fie  fid^  felbft  be^errfd^en,  um  allen  il^ren 
SBiHcn  ©Ott  ju  untermerfen.  ©cit  bem  Slrcopagitcn  bcjcid^nct 
man  mit  äW^ftit  bic  grömmigicit,  meldte  fic^  ju  Slllem,  ma§ 
unter  bic  SBclt  ober  ben  Segriff  ber  Sreatur  fäUt,  negatiü  t)er* 
'  ^ält.  S)ie  öon  ßobenftc^n  befc^riebenc  ©clbftücrlcugnung  ift 
alfo  m^ftifd^.  S)iefc  ®ntfagung  oom  eigenen  SBillen  in  ber  ?ln= 
fd^auung  bcr  ©ouoeränetät  @otted  ift  aDcrbingiS  cigcnt^ümlic^ 
bebingt  burc^  ben  leitenbcn  Öegriff  oon  @ott,  beffen  §erfunft 
JU  beftimmen  oorbe^alten  bleibt.  9lbcr  ber  Einfluß  biefcö  ®c* 
banicnö  t)on  ©ottc^S  aUgenugfamfeit  auf  bic  gcfammtc  Slnfd^au* 
ung  ßobcnftc^n'd  oom  d^riftlic^en  ßcben  ift  baburrf)  bc^cid^nct, 
•baß  biefer  oon  Sobenfte^n  al^  allgemein  Vernünftig  gc* 
backte  Segriff  an  bic  ©teile  bcr  Serfö^nung  burd^ 
S^riftuö  gefegt  mirb.  /3m  urfprünglid^cn  cüangelifc^en  ©inne 
begrünbet  biefe  bic  ©cnnßl^cit  be^  SBcrtl^c^,  ttjcl^cn  bcr  ©laubige 
im  Scrljältniß  ju  ©ott  mic  jur  SBclt  ju  bettja^ren  l^at.  /  Dicfcr 
SBcrt^   mirb   erfahren  in  bcr  ©timmung  beiS  gricben*  unb  ber 


171 

tJrcubc,  toeld^e  ftd^  unter  ben  tüed^fclnbcn  ©tcHungcn  ber  SBelt 
jum  SKcnfd^cn  erl)ält  unb  im  ©cbet  ju  ©Ott  fid^  fierfteHt  aug 
bcn  cttoa  cintrctenben  ©c^ioanlungen.  @ö  ift  fd^on  barauf  \)xn» 
getpicfcn,  baß  fiobenfte^n  baö  griebenögeffifil  unb  bic  ©ewiffcnö^ 
bcrul^igung  auö  bcr  SJcrföf)nung  im  Allgemeinen  tjerbäd^tig  finbet, 
unb  bie  ©ettjißl^ett  bcr  göttlid^cn  §ülfe  geringfügig  Qd)tet  gegen 
bie  aSersid^tleiftung  auf  ba^  gaujc  eigene  ©elbft  jum  Qmd  ber 
Scr^errlic^ung  ©otted  (©.  157)  JCeöl^alb  ttjill  er  auc^  ben  ©tauben 
an  ©otteö  SSorfe^ung  unb  bic  ©ebulb  im  Seiben,  ebenfo  bag 
@ebet  an  biefer  ganjj  allgemeinen  3Ba^r(}eit  orientiren,  ba§  bcr 
aWenfd^  nid^tig  unb  ba§  @ott  afleö  fei.  35eöf)alb  follen  namcnt* 
lic^  bie  ©ebet^bege^ren  unter  ©otteö  Verborgenen  SBillen  ober 
bcn  SBißen  be^  S^ef^Iuffeä  gefteßt '  loerben,  mä^rcnb  bie  gctt)öl)m 
liefen  ©Triften  ben  geiler  begeben,  bur^  if)r  ©cbet  ben  ^errn 
ju  i^rcm  Äned^te  machen  ju  moUen,  bamit  er  ifiren  SBiQcn  unb 
i^rc  SBcgriffe  jur  ÄU!?füf)rung  bringe.  Slber  eben  nad^  feiner 
Verborgenen  SBci^l^eit  entjiclit  ©Ott  gcrabe  ben  glommen 
vielfad^  bcn  ©eift  ber  Ucbcrjcugung  unb  be^  Iroftei^. 
9laä)  bem,  ttjag  bi^ber  erörtert  ift,  fielet  cö  fo  au^,  afö  ob  Soben* 
ftcl)n  ba«  contcmplative  ßeben  ale  bic  cinjige  gorm  ber  ©elbfi* 
Verleugnung  barftcQtc.  SlUcin  feiner  f(^on  crioäl^ntcn  (©.  169) 
abfielt  gemäß  fuc^t  er  biefe  Kontemplation  ber  SlUgcnugfamfcit 
©ottcö  unb  bie  praftifc^e  SBirffamIcit  auä  ©otteö  Äraft  jiufammcn^' 
jufaffctt  unb  alö  bie  ein^eitlid^c  ?lufgabe  ju  beuten.  Slßcrbingö 
bü  aded  äßirfcn  auS  bem  ©eift  ©otte^  fommen  foll,  fo  ift  man 
junad^ft  attflcttjicfen,  ftille  auf  ben  ^errn  ju  warten.  Unb  biefe^ 
fc^lt  bem  SBolfe.  3)enn  ttjcr  ift  im  bauernben  ©ud)en  nacft  bem 
^immtifc^en  gcuer  begriffen,  meld^eö  allein  unfere  §crjen  ent* 
jfinbcn  unb  jum  Opfer  für  ©Ott  tauglid^  mad^en  fann?  SBcr 
liegt  fo  an  bc^  ^immclö  I^ür  wie  ein  Settier,  ber  auf  be« 
§crm  guten  SBißen  wartet?  Sffier  adelet  genau  auf  baö,  toa^  ber 
^err  in  i^m  f priest?  Damit  biefe  ©elaffenl^eit  nic^t  mißoerftanben 
werbe  unb  nid)t  ben  Anlaß  jur  SRac^laffigteit  unb  Untf)ätigfcit 
gebe,  muß  man  frcilid)  ben  ©eift  ^aben.  Aber  rid^tig  verftanben 
ift  bie  Sc^re  von  ©otteö  ©ouoerönetät  ber  cinjige  Duell  aller 
wahren  SBirIfomleit  eincö  ©Triften  jum  gielc  ber  SSoUtommcnl^cit, 
bemgemäß  baß  man  ©otted  ©tärte  an  bie  ©teile  ber  Unmad^t 
be^  9Äenfc^cn  unb  ben  ©eift  bcig  ßebcn^  an  bic  ©teile  ber  tobten 
iRatur  bringt.    S)ic  gorm  biefe^  Sorgangeö  ift  freiließ  bie,  baß 


y. 


172 

ein  Sl^rift  fo  tüirlt,  als  ob  er  cö  allein  t^äte,  unb  baß  er  fo 
auf  ©ottcg  ®eift  unb  §ülfc  märtet,  aU  ob  er  über» 
^aupt  nic^td  t^äte.  35enn  njenn  ein  ©laubiger  fic^  jju  feiner 
^ftid^t  oufrid^tet,  fo  ift  barin  enthalten,  bag  er  t)om  ^eiligen  ®eift 
baju  aufgemedt  njirb,  ba  bicfer  nid^t  außer  unb  oI|ne  i^n,  fonbern 
in  unb  burc^  il^n  tl^ätig  ift.  t$ill^lt  er  nun,  inbent  er  an^  SBerf 
ge^t,  großen  äWangel  an  ©cift,  fo  erwecft  er  in  fid^  oiele  S)e* 
mut^,  ßuc^t,  Sefd^ömung,  ©erlangen,  (Srnjartung,  burd)  »elc^c 
er  auö  bcm  ®eiftc  ®otte^  mel^r  bemcgt  wirb,  aU  er  fic^  felbft 
benjegt.  (Jnblic^  bel)auptet  Sobcnfte^n,  baß  biefe  SBirtfamlcit  beö 
©laubigen  il^ren  SBert^  nid^t  erft  baburc^  l)abe,  baß  fie  ftet^ 
t)on  bem  formellen  ober  actioen  ©ebanfen  an  ben  Söeiftanb  beg 
göttlid^cn  ©eifteö  begleitet  fei;  e^  foll  nur  auf  ben  l^abitueHen 
©ebanfen  baran,  alfo  auf  bie  ©timmung  anfommcn.  S)ic  Son- 
templation  ber  göttlid^en  SSoUIommenl^citen  unb  bie  barauö  ent^ 
fpringenbe  ^eiligleit  alö  Sonformitöt  be^  §anbelng  mit  ©otteö 
@efe|  mad^en  jufammen  ben  ©tanb  ber  SBer^errlid^ung  aug,  in 
toeld^em  baö  irbifc^c  ßeben  f^on  bem  jcnfeitigen  gleid^artig  ift. 
35iefcö  alfo  ift  aud^  ber  ©tanb  ber  ©eligleit,  trofebem  bag  ®e=^ 
ffi^l  beö  IroftejJ  unb  ber  Ueberjeugung  ni^t  in  allen  ^JäHcn 
unb  in  allen  Seiten  bamit  oerbunben  ift.  „S)enn  bie  Organe 
ber  ©eligf eit  finb  SSerftanb  unb  SBille ;  biejenigen  alfo  ftnb  feiig, 
meiere  ben  §crrn  lennen  unb  lieb  l^aben." 

3n  ben  „SBefd^auungen  S^^nö"  ift  ber  lefetere  ©ebanfc 
niemate  mit  ben  garbcn  beö  §ol^enliebe§  bclleibct.  Slid^t^  befto^ 
toeniger  muß  bie  öctrad^tungöttjeifc  üon  Sobenftet)n  außerbcm 
fe^r  ftarl  nad)  biefem  ßanon  fid^  gerid^tet  ^aben.  S)ie  gefü^ltge 
Siebe  ju  Stiriftu^  unb  bie  aUerinnigftc  ®emeinfd)aft  ber  ©eelc 
mit  i^m  fd^äftt  er  in  einer  ?ßrebigt  alö  bie  fidjere  Settja^rung 
oon  ®otte3  ifinbem.  3n  ber  ?ßrcbigtfammlung  oon  Dan  ber 
§oog^t  ftüfecn  ftc^  nämlid^  brei  ?ßrebigten  ßobenfte^n'g  auf  lejtc 
au§  bem  ^o^cnlicbc.  §ier  befolgt  er  jtoar  birect  bie  <)atriftifc^c 
Suglegung,  baß  bie  S3raut  bie  ^ird^c  atö  ®anjeg  bebeute;  in^ 
beffen  bie  praltifd^e  Änwenbung  filiert  it|n  auf  ba^  entfpred^enbc 
aSer^altcn  ber  einjelnen  ©eelen  ju  bem  §errn  3efu§.  „Scfud  ^at 
eine  §anb,  um  baö  §erj  ju  jie^en,  unb  eine  beöote  ©eele  ^at 
ein  §erj,  ba^  nac^  i^m  auggc^t.  Unb  baö  ift  bie  toal^re  Sicligion, 
bie  mit  bem  ®lauben  anfängt  unb  bur^  bie  Siebe  mirffam 
bleibt."    S)iefe3  ift  nun  aud^  bag  Sfiema  man^cr  ber  öiel  gc* 


173 

V 

tcfenen  itnb  gcfungcncn  Stcbcr  t)un  Sobenfte^n  ^).  SBcnn  bie 
Sonöeittttclc^riftcn  gegen  (Jnbc  beö  17. 3ö^rlöunbertd  nad)  ßobeit:: 
fte^n  genannt  njorbcn  finb,  fo  muß  bie  SBcftimmt^cit  bcr  gröm* 
migfeit  burd^  bie  ©c^emata  beö  ^o^enltcbe^  ate  ein  §auptmerl« 
mal  ber  Uebereinftimmung  jmifc^en  bcn  Slad^folgcrn  unb  bcm 
Sorgängcr  in  Sßetrdd^t  gebogen  toerben.  ©ie  mad^t  ftc^  aud^ 
fe^r  bemerllt(^  bei  mehreren  SÄännern  beutfc^cr  §crfunft,  öon 
toelc^en  bejcugt  tt)irb,  ba§  fic  al^  ©d)üler  Don  SSoct  aud^  ben 
Sinflug  fiobenfte^n'd  erfatjten  ^aben. 


10.   ^i'^i'cnd  nan  £obcnftci|n.    @ctn  rcIigtSfcr  unb  tirc^Itf^cr 

@tattb)ittnlt. 

S)ie  m^ftifd^e  SBenbung  in  ber  Slnfd^auung  Sobenftc^n'ö 
Dom  c^riftlid^en  ßeben,  nämlid^  bie  Deutung  ber  ©elbftücrleug^ 
nung  nad^  beni@runbfa^e:  ,,@ott  Siaed  unb  ba^  @efc^öpf  nic^t^" 
—  fd^Ucfet,  »ie  f^on  bemcrft  mürben  ift  (©.  169),  eine  Slbmcid)ung 
Don  ©alöin  in  ftc^.  S)ie  formale  ©elbftüerneinung,  welche  Soben* 
ftc^n  jur  &)xc  ®otte^  forbert,  »irft  auf  bad  ©treben  beö  äWen* 
fc^cn  nad)  ©cligfeit  um  feiner  felbft  »illen  ben  SSerbad^t  beö 
lEgoii^mui^,  ober  melme^r  ber  unberechtigten  ISr^ebung  bed  @e^ 
fc^öpfed  gegen  bie  äJ^aicftöt  unb  ©ouüeränetät  @otte^.  %nx  Salmn 
hingegen  üerfte^t  eö  ftd^  Don  felbft,  ba§  bcr  SÄcnfd^,  um  fic^  in 
ber  göttlichen  ^eltorbnung  enbgültig  ju  erbalten,  feine  ©cligfeit 
crftrebt;  unb  tocnn  er  babei  auf  eine  äWenge  Don  g^^^cn  enb* 
lid^cr  Srt  ju  Derjic^ten  l)at,  fo  foll  er  eben  burc^  bie  ^ufna^mc 
be^  göttlichen  Qmtdt^  and)  fein  Seben  al^  en)igci^  bema^ren. 
Dicfcr  ©ebanfc  fte^t  ben  Sieformatorcn  in  bcm  SKage  feft,  aU 
fie  im  S^riftent^um  bie  Offenbarung  bcr  @ätc  ober  Siebe  @otte^ 
crfennen;  benn  bie  äJJcnf^cn,  benen  burd)  Sl)riftuS  bie  Siebe 
@otted  bemä^rt  mirb,  n)crben  eben  baburc^  in  ben  ^ereid^  bei^ 
göttlichen  ©elbftjmecfd  eingefc^loffen.    ^ie  ©ouDeränetät  @otted 


1)  Uyttpauningren,  jucrjl  1676,  (oben  mir  in  13.  ?luf[.  (?lmJlerbom 
1752)  üorgelcflen;  docbet  notirt  bie  16.  %ufi.  t>on  1780. 


174 

^ingccjcn  i[t  ein  %itd  bcr  cjöttlic^cn  aBißen^mad^t  t)on  ber  Art, 
bafe  i^r  ®nbätücd,  bie  (g£|re  ©otteö,  \x6)  fpröbc  gegen  aCeiS  Än^ 
bere  üerpü,  alfo  and)  bie  ©rl^altung  ber  glommen  in  i^rer 
©cügfeit  ^öd^ftenö  nadj  SBiDfür,  aber  nic^t  in  erfennbarer  fjolge^: 
rid^tigteit  erhört.  5)iefer  Segriff  t)on  bcr  ©outeränetät  ober 
?lUgcnngfQmfcit  ®utte§  ift  nun  bie  befonnte  ©runblage  ber 
Se^re  üon  ber  boppelten  ?ßräbeftination,  unb  jugleic^  bcr  Xitel 
für  ©Ott,  njcldjcn  bie  nicberlanbifc^^^cotoiniftifdien  Drtf)oboEen  ju 
®^rcn  jener  £e[)re  al^  2luögangöpun!t  beö  ®t)ftentö  cingefeftt 
fiattcn  (®.  135).  3)a6  biefeö  I^cologumenon  oon  ©omaruö  unb 
tjon  SBoct  in  bcm  ®cban!enlrcifc  ßobenfte^n'^  eine  fo  fjcroor^ 
ragenbc  ©teile  einnimmt,  tann  burdjauö  nic^t  auffallen.  Slber 
übcrrafd^cnb  ift  bie  SSertoenbung  biefcr  3bce  burd^  il)n.  Jlämlic^ 
in  ben  „öcfd^auungen  3iö"^"f  ift  niemals  bie  Stcbe  oon  bcr 
^räbeftinationöle^re,  gcfc^njcige  baß  oon  bcr  Sbcc  ber  endigen 
Sermcrfung  gegen  bie  „geiftlofen"  Äirc^engenoffcn  ©cbrauc^  ge* 
mad^t  mürbe.  3)araug  folgt  natürli^  nid^t;  bag  Sobenftc^n 
bie  2cf)re  nic^t  anerlannt  l)ätte;  iebod)  bemäfjrt  ftdj  micbcrum 
an  jener  Ucbcrgcf)ung,  ba§  bie  boppelte  ^räbcftination  felbft  für 
einen  äd)tcn  Sieformirten  ein  unpraftifc^er  ©ebanfc  ift  (©.  134). 
äWan  fönnte  nun  frcilid)  nic^t  begreifen,  baß  biefe  ßc^re  baö 
t^corctifd)e  3)enfcn  ber  caloiniftifc^en  Xfjcologen  gcfeffclt  unb 
be^errfd^t  ^at,  unb  j^uglcic^  über^au^Jt  !cincn  ©influß  auf  bie 
religiöfc  ^ßraji^  geübt  ^aben  foQte.  ®in  fold^er  ift  ja  nun  aud^ 
bejeugt  bei  l^eroifc^en  ?ßerfoncn  in  gefä^rlid^en  ßagen  be^  Se6en§. 
SKan  benfc  an  SBil^elm  oon  Dranien  unb  an  Dlioer  SrommcH! 
Slber  mie  bie  ?ßräbcftinationöle^re  in  gemö^nlid^en  SSer^ältniffcn 
für  gemö^ntic^c  9Wenfd^en  bircct  prattifc^  merben  foHtc,  ift  eine 
biö^cr  nid^t  gclöfte  5^agc.  (Sine  3lrt  biefcr  ßöfung  mirb  nun 
burc^  Sobcnftet)n*ö  Se^re  oon  ber  ©elbftüerleugnung  bargeboten! 
3n  i^r  mirb  ber  @otteögeban!e  praltifd),  unter  mclc^em  SSer*^ 
mcrfung  unb  Srmö^lung  coorbinirt  merben,  ber  @eban!c  ber@r= 
^abenljcit  ®otteö,  mel^e  jebe  Proportion  jmif^en  ©cfd^öpf  unb 
©(^öpfer  au^fd^tießt,  ber  ©cbante  be^  unbebingten  SBillcn^,  in 
beffen  §anb  bie  @cfd)öpfe  mie  £el|m  in  ber  §anb  bciS  löpferö 
finb.  §ierau§  folgt  bie  SSerjic^tlciftung  ber  ®ott  bienenbcn 
Süienfc^en  nid^t  bloö  auf  bie  ©üter  biefcr  SBctt,  fonbern  auf 
jeben  eigenen  SSorfafe;  ^icrauö  folgt,  bag  man  feine  ©cligleit 
nid^t  um  fein  felbft  millen,  fonbern  nur  ju  ©otteö  ffi^re  erftrcben 


175 

barf.  S)iefe  formelle  ©clbfttjerlcugnunfl  ift  bie  ^rajtö,  toefc^c 
ber  f^ftemotifc^cn  ^ocfiftcUung  bcr  2cl)re  Don  ber  bo<)peltcu  ?ßrä^ 
beftination  entfprid^t,  locil  beibc  in  bem  Icitenbcn  ©otteöbegriff 
übercinftimmen. 

S)ie  Dorgef^riebcnc  Slbftraction  t)on  bcr  geiftigcn  ©clbft 
er^altung  unb  @e(bftbeftimmung  äbcrl^aupt  fann  ntd)t  anberiSju 
©tanbc  fommcn,  al§  in  bcr  Söegleitung  einc^  Dor^errfd)cnbcn  Qit^ 
ffif)l^  ber  Unluft.  3)q^  bezeugt  nun  Sobcnftc^n  t^eilö  in  bem 
3ugcftänbni6,  ba§  @ott  gerabc  ben  JJrommcn  Diclfac^  ben  ®eift 
bcr  Ucbcrjcugung  unb  bcö  Irofte^  entjiel)t,  t^eil^  in  bcr  93c* 
^QUptung,  ba§  SBcrftonb  unb  SStQc  bie  Organe  bcr  @cligfeit 
feien,  aU  ob  baö  ©cfü^l  ^icbci  au^gcfc^Ioffcn  ober  ignorirt 
njcrben  fönntc.  9ia^  bcr  Angabe  Dan  9i^<)'ö  ^at  auc^  Sobem 
ftet)n  monc^mal  gcflogt.  bag  er  menig  gcffi()I^niä^igc  9lnfc^auung 
Don  ©Ott  ^abc,  benn,  fügt  er  ^injn,  bem  §crrn  beliebte  c^,  i^n 
üicle  3<^it  in  S)unlel^cit  ju  leiten.  „S)er  §crr  offenbarte  oicle 
l^immlifc^e  SSerborgenl^eiten  an  it)n,  unb  eö  mar  beinahe  fo,  als 
ob  er  bauernb  in  baö  erleuc^tcnbe  Slngefidjt  ©ottcö  unmittelbar 
flaute;  nid^tS  bcfto  ttJcnigcr  ttjar  er  bunfel  jn  |)infid)t  gefüllter 
@nabe.  Äud^  unterwarf  er  fic^  biefem  ©utbcfinbcu  fcincd  ®ou^ 
öerän«  bcrcitnjiUig,  ba  er  wu^tc,  baß  wir  ^ier  nid^t  im  gül)len 
ober  änfd^aucn,  fonbern  im  ©laubcn  ttjanbcln".  ?ll§  er  in 
feiner  lc|tcn  Äranffictt  gefragt  ttjurbe,  ob  er  ttjol^l  bie  göttlicl)e 
Siebe  fü^le,  antttjortetc  er:  „3BaS  fül^lcn?  ÜRan  mu§  glauben, 
bog  ©Ott  gut  unb  aUgenugfam  ift;  id^  fä^le  nid^t,  aber  toei§, 
bafe  in  bem  §errn  3efuS  eine  %nilc  t)on  ®nabc  ift,  unb  id^  lege 
mic^  auf  ben  ©aljbunb  nieber,  ber  unücränbcrlid^  ift."  SBie- 
berum:  „3c^  bin  arm,  blinb  unb  nadtt,  \a  ein  tobter  §unb, 
bennoc^  njcrbc  id^  auf  biefem  ffiege,  ben  Scfuö  burc^  fein  Slut 
bereitet  ^at,  ju  @ott  cingcfien." 

CS  ift  im  allgemeinen  bem  ßalüiniömuö  entfpred^enb,  bag 
man  mit  einem  nfic^ternen  trodtenen  ©laubcn  fic^  jufricbenftcllt 
unb  abnmrtct,  ob  ba§  ©efü^l  beS  §rileS,  meldte«  in  bem  SJJafec 
liU  fliegen  pflegt  aU  man  eS  erftrebt,  fid^  cinftcUen  tt)irb*).  3c* 
bo<^  bie  Don  fiobenfte^n  befolgte  äJ^ct^obe  ber  @elbftoerleugnung 
ma^t  biefed  @efüt)l  gerabeju  unmöglid),  ba  fic  fic^  auSge« 
fproc^cnermagen   ni^t  auf  bie  Siebe  ©ottciS  ju   feinen  SÜinbern 


1)  Secgl.  Se^te  t)oti  ber  Ste^iferiigung  unb  Serfd^nung  III.  ®.  134. 


176 

in  ß^riftuö,  fonbcrn  auf  feine  f^ranlenlofe  SKad^t  über  feine 
®cfcf)ö<)fe  ftüfet.  aSer  fid^  @ott  gegenüber  alö  einen  tobten  §unb 
fennt,  ift  beS^alb  nur  auf  bie  »illlürUc^e  Verfügung  ©otteö 
angenjiefen,  bag  burc^  Sl^rifti  SBlut  ber  3^9^"9  h^  i^^  offen 
ftefjt.  9lac^  biefem  9WaJ3ftobe  alfo  gilt  eg  für  Sobenfte^n  alö 
ein  ^auptirrtl^um,  bie  ©eligfeit  in  @ott  alä  eine  greube  aufju^^ 
f  äffen,  meldte  bie  Sitter  feit  ber  ©elbftüerleugnung  auöfd^Iiejscn 
tüürbe.  SBenn  nun  bie  ©elbftüerleugnung  ftetö  burc^  ba^  ©e- 
ffil^I  ber  Unluft  auägeäcid^nct  fein  foU,  fo  foH  iuxd)  biefe  ?ln= 
nafime  bem  ©efd^madt  ber  ©elbftgered^tigteit  entgegengett)irlt 
»erben,  njetd^er  mit  bem  in  ber  ©clbftüerleugnung  eingefd^loffenen 
©treben  na^  SBoQfommenl^eit  fid^  leicf)t  üerbinben  fann. .  Um 
l  ßobenfte^n'ö  ©teUung  ^ieju  ju  erläutern,  f omme  ic^  nod^  einmal 
auf  feine  oben  (©.  153)  befproc^ene  ©c^rift  „öon  ben  UnöoII- 
lommen^eiten  ber  ^eiligen"  jurücf.  Den  birecten  ÜÄa§ftab  für 
bereu  Umfang  unb  Slrt  fd^öpft  Sobenfte^n  auö  ber  öon  iJut^cr 
unb  Salüin  Vertretenen  S)eutung  ber  SBefenntniffe  beg  5ßautug 
in  ber  jjttjeiten  §ötfte  bon  Siöm.  7.  (gö  foH  alfo  toon  bem  SBie^ 
bergeborenen  gelten,  bag  er  baS  ©egent^eil  Don  bem  t()ut,  toa^ 
er  ttjill.  9lun  tt)irb  aber  bie  SBemerlung  öon  ©omaru^  ^injuge^ 
nommen,  bafe  fid^  bieö  ni^t  auf  bie  ^anblungöroeife  beö  Slpoftctö 
bejielje,  ba  berfelbe  burc^  gute  SBerfe  auögejeid^net  toax.  Älfo 
tüirb  angenommen,  baj3  bie  innerften  unb  crften  SBillenäbctoegungen 
bc§  SBiebergcborenen  bon  ©elbftfuc^t  unb  (Sigenfinn  beftimmt, 
unb  aU  berbammlic^c  ©ünben  anjured^nen  finb.  SBir  muffen 
l^ierüber  fo  urtl^eiten.  ©efefet,  baß  biefeö  eine  allgemeine  I^at* 
fad^e  ift,  fo  ift  ber  ©taub  ber  SEBiebergeburt  ober  ber  c^riftlid^e 
S^aratter  übcrfiaupt  eine  ©inbilbung.  Ober  e^  giebt  c^riftUc^en  S^a^ 
rattcr,  bann  finb  bie  SSorfteUungen  t)on  mögtid^emfelbftfüd^tigcn 
§anbeln,  tt)elc^e  nad^  ber  med^anifc^en  Seibegung  beö  ©eclcn^ 
lebeng  burd^  üerfc^iebenartige  SRcijc  hervorgerufen,  aber  juglcid^ 
burc^  ben  georbneten  SQSillen  ungültig  gemacht  n^erben,  meldte 
alfo  ben  ä33illen  nid^t  einmal  als  SSerfuc^ungen  reiben,  um  fo 
tpeniger  ate  Verbammlid^e  ©ünben  jju  betrad^tcn.  SBcr  aber  biefe 
falfc^e  ©d^äfeung  ber  mec^anifd^en  Slffociationen  von  SSorfteflungcn 
übt,  bie  niemals  ju  Slntrieben  beS  SBiHenS  ttjerben,  ftürjt  fic^ 
in  eine  jieHofe  ©rübelei  unb  abfid^tlic^e  Unfic^er^eit  ber  ©tim* 
mung.  SBenn  alfo  fiobenfte^n  nac^  ber  angegebenen  ÜRet^obe 
fid^  felbft  beurt^eilt  f)at,  fo  ift  eS  boppclt  Verftänblic^,  bag  ©Ott  i^n 


177 

meiftcnt^ctte  in  3)unfcl^cit  gcffl^rt  l^ot.  SBic  mu§  er  aber  in 
biefer  $infi(^t  fid^  üon  feinem  Sc^rcr  Soct  unterfc^iebcn  l^aben? 
SSSenn  biefer  behaupten  fonnte,  bog  bie  Ucbung  ber  ^räcifität 
eine  er^cbltd^e  ^örberung  ber  geiftigen  g^eil^eit  unb  bei^  ©emütl^ 
friebend  nod^  fid^  jie^c  (©.  113),  fo  mirb  er  biefeig  tt)o^l  no^ 
ber  Srfa^rung  an  fid^  felbft  unb  Slnberen  I)Qben  bezeugen  fönnen. 
SSenn  man  aber  fiobenfte^n  nid^t  ju  biefer  @ru))pe  red^nen  fann, 
fo  öertritt  er  mit  feiner  ©ftupulofität  ofine  ßtüeifcl  biejenigen 
grommen,  njcld^e  nad^  SSoct'^  angäbe  (©.  117)  fid^  niemals  für 
würbig  genug  jum  ©enuffe  bed  äbenbmal^le^g  hielten.  Diefe  8b* 
n)eic^ung  in)ifd)en  ben  eng  üerbunbenen  9J2ännern  lägt  auf  einen 
@egenfa^  i^rer  lemperamentöanlagen  fc^Iiegen.  3n  biefer  SJer* 
glci^ung  aber  erf(^eint  Sobenfte^n  in  unöerfennbarem  Siad^t^eil. 
Snbcffen  mu§  bie  bidber  gefc^ilberte  religiöfe  Haltung  öon  Soben* 
fte^n  noc^  einer  befonbern  Seurtfieilung  untennorfen  »erben, 
bamit  i^re  SBcbcutung  in  ber  ©cfc^ic^te  Kar  njerbe. 

3unäd)ft  ift  e^  bcmerlcnönjert^,  bag  nod^  ben  Angaben  öon 
Soet  unb  t)on  fiobenfte^n  bie  9{id^tung  auf  $räcifität  unb  bie 
©trenge  gegen  bie  excelsa  mundi,  ttjeld^e  fie  Vertreten,  t)on  ber 
grogen  9Kenge  in  ber  rcformirten  ^r^e,  auc^  nad^  ber  9ud« 
fc^eibung  ber  Stemonftranten,  atö  unbered^tigte  iReuerung  unb  ald 
ni^t  rechtgläubig  angefel^en  njorbcn  ift  (©.  103. 165).  D^ne  3^cifel 
ift  biefe  fllbneigung  gegen  ben  ftrengen  (SatoiniiSmud  bei  benfelben 
SRitgliebern  ber  jfirc^e  ju  fud^en,  n^etc^e  bie  SSerfö^nung  lut^erifd^ 
auffaffen,  aber  bad  ^benbmal^l  jminglifd^  beuten,  unb  jugleid^  bie 
Competen5  ber  n^eltlic^en  Obrigfeiten  in  ber  ^ird^e,  namentlid^ 
in  bidcipltnorifc^en  Angelegenheiten  anerfennen.  S)icfe  lut^e* 
rifcfy=ätt)inglifd§e  Unterftrömung  mug  nad^  ben  Äeugcrungen  ber 
beiben  claffifd^cn  S^i^flc"  unter  ben  Saien  fogar  bao  Ucber* 
getoic^t  behauptet  ^aben.  ^er  Q^alDini^muS,  ber  ja  nad^  ben 
beutfd^en  9lieberlanben  t)on  bem  franjöfifd^en  X^eil  beS  burgun^ 
bifc^en  51treife§  an«  importirt  ttjorben,  unb  burc^  feine  SSerfted^tung 
mit  bem  politifc^en  SJefreiungSfampf  jur  ^errf^aft  gefommen 
loar,  ^ätte  bann  überhaupt  nur  in  einer  SKinorität  ber  fiaien 
üoQe  3ufttmmung  gefunben!  Unb  ))on  ben  @eiftlic^en  laffen  bie 
ftlagen  £obenftet)n'S  üermutlien,  bag  ein  groger  X^eil  berfelben 
SiDor  bogmatif^  ort^obojr,  aber  fflr  bie  gefteigerten  praftifc^en 
Xnforberungen  bed  Oiatoinidmu«  ni^t  befonberd  begeiftert,  fonbern 
nur  baffir   intereffirt  mar,  bag   bie  regelmägige  gottedbienftlic^e 

1.  12 


178 

©ittc  Scftanb  bettelt.  SBcnn  nun  baS  ß^riftentl^um  in  bcr  ®c» 
ftalt  einer  SSolf^firc^e  barauf  angetoiefen  ift,  in  einem  aWittclnta§ 
öon  öffentUdöcr  ©itte  unb  in  münnigfad^er  äbftufung  be^  reli^ 
giöfcn  Sntcreffe^  bcr  (Jinjelnen  aufredet  erlöaltcn  ju  tt)erben, 
toenn  ferner  ßobenfte^n  an  ber  bfiirgerlic^cn  (g^rbarleit  unb  firc^^ 
lid^en  9legelmä§igteit  feinet  SSoIfei^  nic^t^  auSjufe^en  finbet,  aber 
cö  bcmfelben  nic^t  gönnt  feinen  ^rieben  mit  @utt  in  bem  freu«^ 
bigen  ©efül^I  ber  (Sriöfung  \>\xx6)  S^riftu^  ju  fud^en,  njeil  bic 
ännal^me  ber  UnDoUfommen^eit  bcr  guten  SBcrfc  iux  9lac^^ 
läffigfeit  im  fittli^eu  Streben  herleiten  !ann,  fo  tpirb  man  an 
feiner  Slnfid^t  öon  ber  faft  völligen  ^©eiftloftgleit"  feiner  Äirc^e 
t)iel  abjujic^cn  l^aben.  S^  fommt  aber  noc^  Snbered  in  ä3etrac^t, 
woburd^  bcr  ©d^ein  befeitigt  toirb,  atö  ob  l^icrin  einer  <)arteiifc^en 
^  Anficht  nur  eine  anbcre  gegenüber  gefteßt  njürbe. 

äl^  Salöinift  nämli^  mu§  ßobenftc^n  fid^  gefallen  laffcn, 
nac^  feiner  ©tcQung  ju  bem  l)raltifc^en  §auptgcbanfcn  ßut^cr'i^ 
gefragt  unb  beurt^eilt  ju  »erben;  benn  Sabin  fclbft  tt)ill  in 
biefer  Scäic^ung  nur  ben  üon  Sutl^cr  eröffneten  SBeg  inne  galten. 
9lun  grenjt  \i6)  bic  cüangelifc^c  Äuffaffung  beg  S^riftentl^umö 
gegen  bic  mittcIaltrig:=IatftoIif(^c  baburd^  ab,  ba%  bcr  triebe  mit 
@ott  a($  gegeben  gilt,  inbem  man  an  bie  SSerfö^nung  mit  @ott 
burc^  ß^riftuö  glaubt,  unb  juglcic^  feinen  fittlid^cn  Scbcnöauf:^ 
gaben  im  ^ienfte  @ottcd  überhaupt  fid^  n^ibmet.  3Sla%  ber  gött^ 
lic^e  Iroft  im  Seben  auc^  nic^t  ftetig  fein,  mag  er  aud^  immer 
toieber  burc§  Sicuc  unb  bnxd)  ©cbulb  ermorben  ttjcrbcn  mfiffcn, 
unb  am  mcnigftcn  in  einer  glcic^  ^oc^  erhobenen  ©timmung 
religiöfcr  Suft  befeffen  tücrbcn,  fo  mu§  er  eben  bod^  in  bem 
©clbftgefü^I  ber  ©otteöünbfc^aft  überl^aupt  öorlianbcn  fein,  wenn 
man  in  erfolgrcid^er,  obglcid^  ftet^  aU  untjüßfommcn  erfd^einenbcr 
fittlid^er  Ifjätigfcit  begriffen  fein  foH.  S)icfe  rcligiöfe  unb  fttt» 
lid^e  Haltung  ift  möglid^,  menn  man  bic  Siebe  @ottc^,  bie  in 
S^riftu«  ung  offenbar  ift,  baf)in  öerftc^t,  baß  man  für  @ott 
etttjag  toert^  ift,  um  burc^  i^n  fclig  ju  fein.  Qn  biefer  Seben^^ 
anfid^t,  meiere  bic  Sieformation  beö  16.  Söljrl^unbcrt«  leitet,  ^at 
Sabin  nur  cigcnt^mlid^e  aRotit)c  ftrenger  ©ittc  ^injugefügt, 
aber  er  ^at  jene  ©runblagc  nic^t  öcränbert.  Unb  tocnn  bic 
Ideologen  feiner  ©^ulc  nid^t  in  iebem  galle  auf  eine  acute 
@egenn)art  ^o^en  ©eligleit^gefäl^tö  rcd^nen,  fo  ^aben  fie  bamit 
nur  bcjcugt,  bag  bie  @ebulb,   meiere  beffen  (Eintreten  ru^ig  ab^ 


179 

ttjartct,  gcrobc  ba«  fid^crftc  äÄittcl  ober  öiclmc^r  ba§  bircctc 
Organ  bcffclbcn  ift.  35aju  ücr^lt  ftd^  nun  Sobcnftc^n  in  au§* 
fd^Ucßcnbcm  ©cgcnfa^!  3n  feinem  ©trebcn  nad^  gcfeftlic^cr  SBoD:^ 
fommcn^eit,  wcld^e  mit  bcr  formellen  ©clbftöerleugnung  jufammen* 
fällt,  forbert  er  einen  birecten  SSerjic^t  auf  bad  ©effil^I  ber  @nabe, 
unb  inbcm  er  im  Sngcfic^te  bcö  lobe^  fic^  ®ott  gegenüber  tt)ie 
einen  tobten  ^unb  ad^tet,  l^at  er  nid^t  gelernt  fid^  atö  ©ottei^ 
Äinb  feiig  ^u  fuf)len.  Unb  bag  ^at  feinen  guten  ®runb,  ba  er 
mit  feinem  ©egriff  üon  ®otte§  foutjeräner  SKad^t  unter  bie  @r* 
fcnntnife  t)on  ber  burd^  S^riftu^  offenbarten  Siebe  ©otteö  fierab^ 
gegangen  ift,  toelc^e  fintier  jum  ^Reformator  be^^  (ateinifc^en 
S^riftent^umd  befähigt  l^at. 

S33ie  jener  gel^Ier  fd^licßlid^  aucf)  burd^  fintier  Veranlaßt 
ift,  inbem  bcrfclbc  ben  nominaliftifd^en  S3egriff  oon  ®ott  feiner 
^räbeftinationöle^re  ju  ©runbe  gelegt  ^at,  foU  nid^t  tt)ieber^oIt 
roerben.  ÄDein  eben,  Xütil  Sobcnfte^n  biefen  rein  tl^eoretifd^en 
S3egriff  atö  ben  einjigen  äWaßftab  beö  d^riftlid^cn  Seben«  für 
fic^  in  Sßirffamfelt  gcfcfet  I|at,  fo  ^at  er  eine  Änftd^t  t)on  biefem 
crreid^t,  toeld^e  im  ©ebiete  ber  latl^olifd^en  Äird^e  il^r  ^eimatl^^ 
red^t  l^at,  nid^t  aber  im  Umireifc  ber  t)on  Sutfier  eröffneten  Sie* 
formation.  2)er  ©efic^töpunft  bicfer  ®pod^c  ber  Äird^e  ift  ber: 
SBeil  ©Ott  in  ß^riftuö  ate  bie  Siebe  offenbar  ift,  fo  l^at  jeber 
g^riftgläubige  in  ber  d&riftlid^en  ©emeinbc  einen  cigent^mlid^cn 
SBertf)  für  @ott  unb  ift  jur  ©elbftönbigfeit  gegen  bie  SBelt  be» 
ftimmt.  S)ie  gormel  beö  ifatj^oliciömu^  ift  fo  ju  f äffen:  Snbem 
©Ott  ber  erhabene  unb  ttjiUfürlidj^Tcie  SBille  ift,  ju  ttjclc^em  bie 
SBclt  im  ©anjen  unb  ber  ÜÄenf(^  im  Scfonbern  feine  ?ßroportion 
bc^uptet,  fo  ^at  ©Ott  ben  ©laubigen  in  ber  Sfirc^e  einen  bt^ 
liebigen  fficrt^  für  fid^  felbft  beigelegt,  ttjenn  fte  t^eiU  Serbicnft 
erwerben,  t^eil^  bemüht  finb,  il^re  <)crfönlid^e  ©elbftSnbigfeit  in  ber 
SBelt  burd^  Ä^fefe  unb  m^ftifc^e  Kontemplation  aufiuopfern.  ®«  ift 
ni(^t  jtoeifelljaft,  baßSobcnftc^n'g  SBelt*  unbSebeni^anfid^t  unter  ben 
©ereid^  bei^  lefetem  ©runbfafeeö  gePrt.  ©eine  m^ftifcfie  S)eutung 
bcr  ©elbftüerleugnung  ift  in  ber  beftimmten  fjorm  innerhalb  beö 
9Xtttelalter£^  oielleid^t  nid^t  t^orgef ommen ;  allein  fie  fte^t  in  ber 
nSc^ften  Säerwanbtfc^aft  mit  bem  jüngften  S^^^9^  ^^^  Wid^tung, 
mit  ber  fogenannten  quietiftifd^en  SK^ftif.  Sobenfte^n'g  «nftc^t 
ift  aOerbingd  nic^t  aud  biefer  ©d^ule  entlehnt,  fie  t^eilt  aber  bie 
Üeberrcijt^eit,  bur^  ttjeld^e  biefetbe  belannt  ift,  nämti^  ben  81m 


180 

I 

fprud^,  fid^  bcr  ©eügleit  in  ®ott  ju  öcrfic^ern,  gcrabc  inbem 
man  fic^  nic^t  feiig,  ober  inbem  man  fic^  unfelig  fü^tt.  Sin 
Umftanb  freiließ  bejeic^net  noc^  eine  SSerfc^ieben^eit  jn)ifc^en 
beiben  ^^oi^nien.  äBä^renb  in  ber  fat^olifc^en  Wlt)\tit  unb  nac^ 
bem  @runbfage  ber  fat^olifc^en  ^irc^e  äber^aupt  bad  tptige 
£eben  regelmäßig  auf  einen  geringern  äBert^  atö  bie  Slnfc^auung 
©otte^  beurt^eilt  wirb,  mü  Sobenfte^n  in  feiner  ©elbftuerteugnung 
bie  Kontemplation  ber  ©ouDeränetät  @otteS  mit  bem  auf  SSoH- 
fommen^eit  gerichteten  äBirfen  in  ber  Erfüllung  bed  göttlichen 
@efe^ed  aU  (Einheit  jufammengefagt  n^iffen.  Snfofern  ^ält  er 
einen  ^auptgefid^tdpunft  be^  SaloiniSmud  feft.  Sd  fragt  fic^  nur, 
ob  c^  bentbar  ift,  biefe  SSorfc^rift  in  einem  anbern  S3erufc  aU 
bem  beg  ^rebiger^  unb  ©eelforgerj^  ju  erproben.  S)er  acute 
@ebanfe  an  (Sott,  nielc^en  fiobenfte^n  bei  bem  berufsmäßigen 
^anbeln  ber  e^rlid^en  fieute  uermigt,  fann  aud^  nur  in  einem 
folc^en  Serufe  ununterbrochen  gegenwärtig  fein,  wie  er  i^n  führte, 
—  ober  bei  Seutcn  ol^ne  Seruf,  namentlich  bei  ben  unüer^ 
^eirat^cten  grauen,  weld^c  bie  ^eroorragenbfte  ©tcUe  unter  2o* 
benfte^n'i^  Sln^ängern  eingenommen  ^aben.  SS  ergiebt  fic^  auS 
biefer  (Srörterung,  ba§  ber  ©ottcSbegriff,  auc^  wenn  er  jwifc^en 
Jiat^olifen  unb  $roteftanten  im  16.  Sal^r^unbert  nic^t  ftreitig 
geworben  war,  boc^  bei  i^nen  nid^tS  weniger  als  ibentifd^  ift. 
(Sin  9{äcffaa  in  ben  fat^olif^en  @otteSbegriff,  wie  i^n  Sobenftet)n 
beging,  war  jebod^  auc^  baburc^  möglid^  gemad^t,  bag  man  bie 
üblichen  EontroücrSpunIte  jwifd^en  ben  ^irc^en  für  erfc^öpfenb 
l^ielt,  unb  feine  Sl^nung  baüon  ^atte,  bafe  ber  Slbftanb  bcS  $ro^ 
teftantiSmuS  oom  J£at^oliciSmuS  auf  allen  fünften  beS  fiel^rftiftemS 
ffi  bead^ten  ift.  3m  uorliegenbeu  ^alle  war  aUerbingS  biefe  Sin- 
fid^t  babur^  erfc^wert,  ba§  ber  fatEjolifc^e  ©otteSbegriff  in  ber 
^räbeftinationSle^re  Sut^ef  S  unb  Salüin'ö  recipirt  war.  Aber 
eben  bcr  üble  (Srfolg  biefeS  £u£uSartifelS  crfc^eint  barin,  ha% 
fiobenftetju  feinen  Sln^ängern  eine  ScbenSanfic^t  beigcbrad^t  ^at, 
weld^e  nic^t  geeignet  war,  bie  äieformation  beS  16.  Sa^rl^unbertS 
in  i^rer  Strt  ju  ooQenbcn,  fonbern  nur,  bicfelbe  ju  öerfölfc^en. 

ffis  ift  ber  ©ebanfenfreiS  üon  SJoet,  in  beffen  S3ereid^  bie 
eben  c^arafterifirten  ©runbfä^e  Sobenftc^n'S  wurjeln.  allein  ber* 
felbe  ^at  fic^  üon  ber  $raj:is  biefcS  feineS  fiel^rerS  nic^t  uner^eb^ 
lic^  entfernt,  inbem  er  baS  ©treben  nad)  $räcifität  bis  ju  ber 
faft  quietiftifc^en  ©elbftDerleugnung  gefteigert  t)at.  Sieg  fi^  biefe 


181 

SScränbcmng  bcr  ^)ra!tifd^cn  lenbcnj  faum  au§  cttoaiS  STnbercm 
Qte  einem  S^cmperamcntöiinterfd^iebe  jtüifdjen  ©d)üler  unbSeftrer 
begreifen,  fo  wirb  man  auf  benfelben  ©efic^töpunft  burd^  bie  Sc* 
äie^ungcn  ^ingettJiefcn,  in  bencn  fid^  bie  Slbpngigteit  Sobenftc^n*^ 
t)on  feinem  anbern  Seigrer  ®occeju§  tunb  giebt.  81U  beffen 
©d^üler  läßt  \iä)  Sobenftc^n  fc^on  er!cnncn,  inbcm  er  gelegent:^ 
üd^  ben  äuöbnidt  ©nabcnbunb  gebraust,  ferner  inbem  er  auf 
bie  Scfcl^rung  ber  3uben  unb  ber  Reiben  ©emid^t  legt.  Slllein 
eine  bebeutfamere  Slnlel^nung  an  Soccejuö  ^aben  bie  Äeußerungen 
fiobenfte^n'ö  über  ben  Segriff  üon  ber  SRed^tfcrtigung  üerratl^en 
(3.  158).  Snbem  id^  baran  erinnere,  baß  bie  gormein  beö 
Goccejuö  in  ber  doctrina  de  foedere  ungenau,  unb  in  feinem 
©inne  burc^  anbere  (Srflärungen  ^u  ergänjen  ftnb  (©.  151),  fo 
finb  fic  bodö  für  Sobenfte^n  ot)nc  3^^^!^^  ^^^  Anlaß  gcmorben, 
fic  ote  bie  ganje  SDSa^rl^eit  ber  JRed^tfcrtigung  burd^  ben  ©lauben 
anjufel^en.  S)enn  tl^eiU  entfprcd^en  fie  feinem  ?ßratticigmuö,  tl^eitö 
ttjar  er  in  feinem  ^eiligungöftreben  gegen  jene§  Problem  gleic^:» 
gültig,  t^eilS  enblid^  ftellte  feine  Sbee  Don  @otte«  ©ouneränetöt 
-t^m  einiget  üon  bem  feft,  beffen  man  fid^  in  ber  IRcd^tfcrtigung 
öcrfii^ert,  ben  ©c^u^  ©otteö  unb  bie  Unabpngigfcit  üon  bem 
SBcc^fel  in  ber  S33elt.  SlHein  üiel  mid^tiger  ift  bie  Sib^ngigfeit 
2obcnftet)n'g  üon  Soccejuö  in  ber  änfid^t  Don  bem  IReic^c  ©otte« 
unter  bem  neuen  Sunbe.  3lIIc  3lnfprüd^c  nömlid^,  ttjcld^c  er  an 
bie  reformirte  ftird^c  ergebt,  ftnb  bircct  barauf  begrünbet,  baß  er 
biefelbc  aU  baö  Don  SoccejuS  gejeid^netc  Sfleicö  ©otteö  DorauS:* 
feftt,  in  ipeld^em  alleg  georbnet  ift  nad^  ber  3^^*6ejie^ung  auf 
S^rifti  ^errfd^aft  unb  nad^  ber  ©inmirtung  beö  ®eifte§  @otte§ 
auf  allen  fünften,  namentlich  aber  in  ber  Sesie^ung,  baß  bie 
cc^tc  unb  nic^t  blod  budiftäblid^e  ©rfenntniß  S^rifti  auö  bem 
öcftfte  bc^  erlcuc^tenben  unb  erneuemben  ©eifteö  ju  fd)öpfen  ift 
(©.  166).  S)ie  in  ben  „öef^auungen  S^on^"  immer  lieber* 
Ic^renbe  Betrachtung  ber  Äird^e  berührt  fid^  Dielfad^  toörtlidö 
mit  ßoccejug  Stuöfü^rungen  in  ber  JRebe  Dom  Steige  ®otte^ 
(®.  142).  Aber  ber  Sbeali^mug  beö  Se^rerg  ift  in  bem  melan= 
c^olifd^en  ©emütl^c  beö  3ünger§  jum  abfoluten  ?ßeffimiömuö  um- 
gefeftt  iporben,  ttjeil  er  baö  Sbeal  in  ber  ffirfa^rung  an  ber  refor« 
mitten  Äird^e  feineö  Saterlanbeö  nid^t  l^anbgreiflic^  l^at  erproben 
fönnen,  fonbcm  fo  Siele«  in  i^r  gefunben  ^at,  toaö  bem  Sbeale 
nur  loiberfpric^t. 


182 

5ßcffimiften  aber  finb  nidöt  flecignct  ju  rcformircn,  tpenn  fic 
nic^t  in  crfter  Sinie  9iealpolttifcr  finb,  tt)ie  Salöin,  weld^cr  fid^ 
nid^t  fc^cutc,  au^  burc^  bag  tocUlic^e  ©trofrcc^t  bcr  Drbnunfl 
ber  ^trc^e  Dorjuarbeitcn.  3n  btefcr  Stic^tung  finben  fid^  bei 
Sobcnftetjn  nur  me^r  ober  tt^eniger  fromme  S33ünfc^e,  aber  fein 
Sntfd^Iug  JU  birectem  Eingreifen.  Unpraftifc^  roax  aber  auc^ 
bie  gefc^i^tlic^e  9torm,  gemäg  n)e(d^er  er  bie  t)on  i^m  gemeinte 
9ieformation  ber  ^ird^e  burc^gefüEirt  ju  fe^en  n)ünfc^te.  3ebo^ 
mnn  man  auc^  baö  SSorbilb  ber  primitiven  Äirc^e,  nad^  beren 
^erfteHung  fic^  Sobenftetjn  fel^nte,  mit  ju  feinem  Sbealiömuö 
rechnen  barf,  fo  fommt  augerbem  in  Setrac^t,  bafe  baffelbe  nic^t 
alö  ber  JDiafeftab  jur  SSoQenbung  ber  Deformation  beö  16.  3a^r^ 
^unbertö  ancriannt  toerben  fann.  S)enn  biefe  Snftanj  ift  ber 
beutlic^en  Sienbenj  Sutl^er'^  gerabe  entgegengefcfet,  inbem  fie  ju:= 
gleich  baö  immer  toicberlel^renbe  üRotiö  für  bie  SReformbcftrebungen 
im  lateinifd^en  fiat^olici^muö  ift  (©.  19).  S)er  bef^ränlte  Um* 
fang,  in  toelc^em  Satoin  biefem  ©runbfa^  bei  ber  gotteöbienft* 
lid^en  unb  politifd^en  Drganifation  feiner  fiird^e  golge  gegeben 
l^atte  (©.  71),  ^atte  aüerbingiS  baju  gebient,  bie  äBiberftanb^:^ 
unb  Slu^bel^nungöfraft  berfelben  ju  ftärlen.  3nbeffen  ift  baburc^ 
ni^t  nur  ber  SaloiniSmud  al^  ^irc^e  mit  ber  lutl^erifd^en  ^ird^en« 
bilbung  unvereinbar,  fonbem  auc^  jenem  ©ebiete  be^  ^roteftan== 
ti^mu^  ein  SmpuU  ju  nieiter  gel^enben  Folgerungen  aus  bem 
@runbfa^e  eingepflanzt  n)orben,  n^elc^er  juglcic^  ber  ©runbfa^ 
beS  FranciScanidmuS  unb  ber  SBiebertäuferei  n)ar.  Sobenfte^n 
nun  ift  benjenigen  Sonfequenjen  fern  geblieben,  toeld^e  fid^  ju 
feinen  Sebjeiten  bei  ben  3nbepenbenten  in  (Snglanb  enttoicfelten. 
3lbcr  bemerfenömert^  ift  bod^,  mie  er  ben  ©prud^  Stöm.  12,  2, 
ber  ja  bie  ©runblage  für  aöe  innerfat^olifc^en  ^Reformen  bilbet, 
jur  8lntt)enbung  bringt.  „Äein  ©taub,  fagt  er,  barf  ben  ©Triften 
ber  SBelt  gleichförmig  mad^en,  baö  ift  ein  abfoluteS  SSerbot  für 
Me ;  muß  ni^t  ein  S^rift  aüeäeit  in  Slllem  unb  bann  befonberS 
in  bem  ©icötbarften,  ben  Ä  leib  er  n  u.  f.  tt).  ba^  93ilb  Sefu 
tragen,  ober  finb  bie  ©tanbeSperfonen  baoon  aufgenommen?" 
Soet  ^atte  tfiefe  Sluöna^me  jugelaffen  (©.  111);  fiobenfte^n'd 
SReinung  aber  ift  in  einer  bebenfli^cn  ännä^erung  an  bie  %cx^ 
tiarierregcl  unb  an  bie  lenbenj  ber  SBiebertäufer  begriffen.  SBaS 
fönten  ftc^  bie  5Rieberlänber,  biefeS  gett)erbflei§ige,  ^anbcl  treibcnbe 
SBolf   babei   beulen,   n^eun   fiobenfte^n   i^nen  Vorfielt,  ba%  ber 


183 

ÄlauöncT  im  ^apfttl^um  fid^  mit  einer  §fltte  begnügte  unb  bag 
©Ott  auä)  bei  ber  niebrigften  Slrbeit  bie  ffir^altung  bcd  Scbenö 
gett)ä^rleiftc  (©.  163)?  §at  baö  benn  einen  anbcrn  ©inn,  aU 
ba§  ein  ga^lrcid&c^  ßulturöolf  jur  öcbürfnifelofigfcit  einer  SKönd^g* 
gcfeUfc^aft  äi^rücffel^ren  folle?  (Sbcnfo  fc^njanft  er  ben  ®mnb- 
ffiftcn  ber  SBiebertäufer  über  ©ütergemeinfd^aft  entgegen.  „2Ran 
muß  fid^  gegen  biefelbe  nic^t  fo  frcmb  [teilen;  unter  ben  Sl^riften 
finb  bie  @üter  gemeinfd^aftlid^,  tt)ie  audbrficflic^  öon  ber  älteften 
Äirc^c  bejeugt  tt)irb."  @r  läßt  ftd^  bagcgen  einnjenben,  boß 
biefe^  nid^t  wörtlich  ju  tjcrfte^en  fei,  fonbern  nur  bie  große 
SRilbt^ätigfeit  ber  Serufalemifd^en  ©Triften  bejeic^ne,  antwortet 
ober  barauf:  „©o  toixb  ben  fräftigften  ©c^riftfteHen  begegnet, 
loenn  fic  bie  SJegierbc  ber  SWenfc^cn  frcugigen,  ober  bem  gemeinen 
©c^lenbrion  entgegenfteljen.  j)aö  Scifpiel  ber  älteften  Äird^c  ift 
für  unö  ein  äWufter  jur  SWad^al^mung,  fofern  eö  auf  unferc 
Reiten  paßt;  unb  follte  biefeg  nid^t  paffen,  toenn  nur  bie 
^er^ienöbefriebigung  an  bem  ©gentl^um  tt)eg  tt)äre?"  3nbeffcn 
bequemt  fic^ Sobenftc^n  bennod^  ben  Umftänbcn  an:  „3)cn@läu^ 
bigen  ift  SlQed  in  @^riftud  gemein;  bied  Derfte^en  tt)ir  aber  nad^ 
beö  ^immete  Urtlieil,  ni^t  nac^  bem  ber  äWenfd^en.  9lac^  SReur 
fd^cnrec^t  E|at  3eber  fein  ©gentium,  unb  baö  l^at  @ott  gebilligt; 
aber  tt)ir  finb  für  unfer  (Sigentl^um  SRentmeifter  ©ottej^,  al« 
f olc^e  gefid^ert  öor  jebem  Sfied^t^anfpruc^  ber  armen  an  bie  Sfiei^en, 
aber  öerpflid^tet,  ben  SWä^ften  an  bem  ©ebrauc^  unferer  ®üter 
t^eilncl^men  ju  laffen/'  SBenn  bicfeö  wirllid^  Sobenftet)n'«  le^ter 
©cbanle  üon  ber  ©ac^e  ift,  fo  l^at  er  bie  „fräftigen  ©d^rift* 
ftellen"  felbft  umgebeutet;  nal^m  er  «aber  l^ieran  Änftoß,  fo  \)at 
er  bie  fd^rifttoibrige  Slnbequemung  an  bie  gegentt)ärtige  ß^itlage, 
bie  er  begel^t,  nur  fe^r  fd^toad^  maöfirt.  SBarum  alfo  rügt  er 
baS  glcid^e  SSerfa^ren  Ruberer  in  anberen  Sejiel^ungen  fo  bitter? 
(Jnblidö  gebort  in  bie  9iei^e  biefer  äbirrungen  fein  Urt^eil,  baß 
bie  SSorbilbung  ber  ?ßrebiger  auf  ben  Äfabcmieen  an  i^rer  ©eift* 
lofigleit  unb  Söud^ftöbelei  fd^ulb  fei  (©.  165).  3n  einer  3cit, 
wo  JU  Utrecht,  Seiben,  granefer  gcrabe  bafür  geforgt  tourbe,  bie 
Z^eologie  ©tubirenben  in  ben  prafttfd^en  Qtocd  bed  (S^l^riftent^umd 
cinjuffii^rcn,  crfd^eint  biefer  SSorwurf  aßer  ©eltirer  gegen  bie  toiffen* 
fc^ftlic^  X^eologie  befonberiS  ungered^t  in  fiobenfte^n'd  äRunbe. 
Sobenfte^n  lonnte  fic^  nid^t  üerEie^len,  baß  fein  ©runbfo^ 
ber  ©elbftüerleugnung  unb  bie  iRorm  ber   älteften  ©emeinbe 


184 

leinen  Änflang  bei  feinen  Äird^engenoffen  finben  tpürben,  bie  er 
aU  üerloffen  Dom  l^eiligen  @eifte  unb  burd^auS  t^emeltlid^t  ge^ 
fd^ilbert  l^at.  9lac^  menfc^lid^cm  2Ra§ftabc,  b.  l).  fofern  ein  ®rab 
t)on  Uebercinftimmung  unb  gleid^  gerichtetem  95eftrcben  bei  benen 
t)orauggefefet  toerben  muß,  auf  tpelc^e  man  njirfen  njiH,  —  gilt 
il^m  bie  Äird^e  feiner  gcitgenoffen  im  ©onjen  aU  irreformabel. 
SBeld^er  Slntrieb  alfo  l^at  i^n  gel^inbert,  bie  unfruchtbare  Ser=: 
binbung  mit  ber  erftorbenen  Äirc^e  aufjugeben,  unb  mit  ben 
„SRed^tfd^offenen",  bie  er  t)on  feinen  ©c^ilberungen  immer  ent- 
nimmt, eine  neue  Äir^e  öoH  Seiftet  ju  bilben?  3n  feinem  amt^^ 
lid^en  SSerlialten  ift  er  biö  ^art  on  bie  ©renje  ber  Separation 
Dorgefd^ritten.  Eigenmächtig  ^anbeUe  er  junäd^ft,  inbem  er  bie 
borgefd^riebene  3xxufliturgie  gemäß  einem  i^m  nal^eliegenben  Sc:^ 
beulen  beränberte.  @3  toar  nämlic^  im  Slnfc^Iufe  an  1  Äor.  7, 14 
bie  Srage  an  bie  Äeltem  unb  Saugen  ju  [teilen:  „öelennet  i^r, 
ba§  biefe  Äinber  in  E^riftuö  gel^eiligt  finb  unb  alö  ©ottc^ 
Äinber  unb  ©lieber  feiner  fiird^e  getauft  »erben?"  SBeil 
nun  oft  genug  Äeltem  in  öetrad^t  lamen,  »eld^e  nad^  fioben* 
fte^n'ö  aWagftab  felbft  nid^t  gcl^eiligt  maren,  fo  ftellte  er  bie 
gragc  in  ber  gorm:  „Selennet  il^r,  ba%  biefe  ftinber  in  S^rifto 
geheiligt  tt^erben?"  äRan  ^at  i^m  biefeö  Serfa^ren  burd^gel^en 
loffen,  toegen  beffen  fein  ®efinnung^gcnoffc  3afob  fioelman  in 
©lui§  1675  bon  bem  äRagiftrate  feiner  ©tobt  abgefegt  njorben 
ift.  aber  Sobenfte^n  ^at  ferner  öon  1665  biö  an  feinen  Zoh 
1677  fid^  ber  SSertt^altung  beg  Slbenbma^Ig  unb  feinet  ©enuffcö 
entl^alten,  toeil  er  in  feinem  ©emiffcn  S^^^f^l  barüber  empfanb, 
ob  eg  bered^tigt  fei,  bag  Slbenbma^l  alg  ba^  ©iegel  ber  @nabc 
fold^en  ju  reid^en,  »eld^e  nid^t  bur^  pofitiöe  5;ugenben  unb  burc^ 
befonbere  ^eilige  Pflichtübung  i^ren  ©nabenftanb  lunb  gäben. 
S)ie  bloö  bürgerlid^e  ffi^rbarfeit  ober  bie  negative  grömmigicit 
achtete  er  nid^t  für  bie  genügenbe  Segitimotion  ju  ber  %f^txU 
na^me  am  Äbenbma^l.  3)er  allgemeine  ©runbfa^,  tt^el^er  biefer 
Slnfid^t  cntfpred^en  Ujürbe,  ujäre  etuja  fo  ju  formuliren:  2)a  bie 
ftirc^e  bie  gorm  ber  boülommenen  fittlid^en  ©emeinfd^aft  ber 
S^riften,  alfo  be^  Steid^ei^  ©otte^  ift,  fo  ift  bie  am  meiften  fpc* 
cififd^e  Sultu^^anblung  ber  ftiri^e  an  bie  fpecififd^en  fieiftungen 
für  bag  Steid^  ©otte«  gebunben,  unb  auf  biejenigen  ju  befd^ränfcn, 
toel^e  fold^e  Seiftungen  cr!ennen  laffen.  3)iefe  Siegel  ift  aUcr^ 
bingd  nod^  nid^t  ber  Slu^brudC  be^  boQftänbigen  ©eporatidmud,  unb 


185 

bcö^alb  ifl  bcrfelbe  and)  nod^  nid^t  Don  Sobcnflc^n  begangen 
toorben.  Snbcffcn  ift  ber  Sorbcvfa^  in  ber  aufgeftcHten  gormel 
anä)  ber  SSorberfa^  für  bcn  öoHftänbigen  ©eporati^muö ;  unb 
ipcnn  fiobenftc^n  nid^t  in  benfelben  eingemünbet  ift,  fo  ift  biefeS 
bicHeid^t  baburd^  mit  bebingt,  baß  er  in  feiner  eigenmä^tigen 
Untertaffung  einer  ämtöpflic^t  burd^  bic  lird^lid^en  Snftanjen 
nic^t  geftört  roorbcn  ift.  Sebod^  aud^  njenn  fein  $re^bl)terium, 
ferner  bic  ßlaffi^  unb  bie  ^roöincialftjnobe  i^m  fein  SJerfatjren 
gemehrt  ober  i^n  be«  SKmteö  entlaffen  Ratten,  fo  njürbe  er  laum 
jur  ©eparatton  gefc^ritten  fein,  ba  gegen  biefelbe  genjiffe  aöge^ 
meine  ©riinbe  in  il|m  njirifam  »aren. 

äüerbingö  f^at  tt)ot)l  baö  SSeifpiel  öon  Sababie  il|n  üielmel^r 
abgefd^recft  aü  angejogen  *).  Ucbrigenö  l^at  Sobenfte^n  in  ben 
„Scfd^auungen  SioniJ",  njelc^e  in  feinen  legten  Seben^ja^ren, 
nad)  Sobabie'ö  Xobc  (1674)  gefd^rieben  finb,  ganj  beutlic^  feine 
©tcUung  ju  ber  %xac^e  ber  ©eparation  bejeid^net.  Unbebingt  ift 
er  berfelben  nid^t  abgeneigt  gemef en.  3)enn  gegen  bie  fd^on  üon  Salmn 
bem  ©eporati^mug  entgegengel^oltenc  SSemerfung,  baß  c^  in  ber 
Äirc^e  immer  nid^t  anberg  getoefen  fei  n)ie  je^t,  unb  baß  fd^on 
in  ber  Äpofteljeit  bic  ©emeinbe  ju  Äorint^  i^re  geinter  gehabt 
^abe,  em)iba-t  Sobenftetjn,  baß  man  jtoifd^en  ben  aiterdftufen  ber 
Äirc^c  JU  unterfc^eiben  tjabc.  SBenn  eine  5;rennung  öon  ber 
primitiven  Äiri^c  burc^  beren  Äinberfranfl^eiten  ni^t  gerechtfertigt 
gettiefen  fei,  fo  gelte  biefcö  nid^t  in  SBejicI^ung  auf  bie  alt  ge^^ 
ttjorbene  Äird^e,  njclc^e  öoÜ  fd^lc^ter  ©äfte,  öerborbenen  ölutc^, 
unb  beren  Sebenöfraft  ju  @nbe  fei.  ÄHein  roa^  fiobenfte^n  ab^ 
^ält,  fid^  jum  SSorftel^er  einer  neuen  reformirten  ©cmeinbe  auf:^ 
jutoerfen,  ift  bie  8Wldtfid^t,  baß  bic  alö  not^iocnbig  erlannte  9fic* 
formation  burc^  bie  SBirfung  beö  l^eiligen  ©eifteö  unb  nic^t  burd^ 
mcnfc^Iid^e  Ueberlegungen  unb  SSorfä^e  l^erbeigefü^rt  ttjerbcn 
mflffe.  Älfo  bleibt  er  trofe  beö  äRangefö  an  ffirfolg  in  feiner 
firc^lic^en  Stellung,  inbem  er  jugleic^  gegen  fid^  felbft  ben  SSor« 
Wurf  ergebt,  baß  er  auö  äRanget  an  ®eift  baö  Sißerf  bcj^  §errn 
nid^t  gcnügenb  beförberc!  üRerftoürbige  3)emutl)!  SBenn  fie  i^n 
nur  ju  ber  ^xac^c  geführt  ()ätte,  ob  er  nic^t  auc^  auS  feinem 
äRangel  an  ©eift  bie  Sage  ber  ^irc^e  unrii^tig  beurt^eilt  unb 
ben  abftonb  gwifd^en  ben  SBelttinbern  unb  ben  glommen  in  ber 


1)  Sgl.  doebel  a.  a.  C.  @.  179. 


186 

Sird^e  ungebfil^rHd^  tpcit  bcmeffen  l^abe,  unb  ju  ber  Sinftd^t,  bag 
fein  eigener  ßalöini^mu^  fd^on  nic^t  mc^r  red^tgläubig  toax. 
allein  ju  fold^er  ©clbftprüfunfl  ^ot  i^m  feine  ©frupuloptät  nid^t 
öcrl^olfen.  3)enn,  tuenn  man  bic  SJinge  richtig  benennen  barf, 
fo  ^atte  er  nad^  biefer  ©eitc  ^in  ju  öiel  bc§  ©eifteö,  b.  ^.  be^ 
(Sifer^  für  feine  Ueberjeugung  unb  ber  leibenfd^aftlid^en  Energie, 
tt)cld^e  in  biefem,  ttjie  in  allen  ö^nlic^en  gällen,  bcn  Snl^alt  bt^ 
übernatürli^en  Äe^tötitelö  au^ma^en.  3n  bem  aufridjtig  gc* 
meinten  Sifer  für  bie  ©ad^e  (Sottet  unb  bie  SReform  ber  Äirc^c 
lag  aber  eben  ein  ^inbetniß  bafür,  ba^  er  bie  gel^ler  in  feiner 
eigenen  d^riftlicf)en  @rlenntni§  erfanntc,  ba  er  im  S3eftfec  be« 
©eifteg  folc^e  gar  nid^t  für  möglich  l^lelt.  Slbcr  inbem  er  fold^c 
geiler  beging,  fo  fc^ä^te  er  aud^  ben  ?Ibftanb  ber  Äird^e  üon 
bem  3beat  nid^t  richtig,  unb  mad^te  eö  fidt)  baburc^  unmöglich, 
in  jttJerfmäßiger  S33eife  auf  feine  Äir^engenoffen  ju  tpirfcn.  ?tlfo 
bcn  SWangel  an  ©cift  tt)irb  man  i^m  in  ^infid^t  ber  Sr!enntni§ 
jugefte^en  bürfen ;  aber  tt)enn  ber  ©eift  ©otteö  bie  perfönlid^c 
Energie  ber  Ueberjeugung  bebeutet,  fo  l^at  e^  il^m  an  biefer  nic^t 
gefehlt,  fonbern  er  ^atte  baran  gerabe  genug. 

3)ie  ©tellung  Sobcnfte^n*^,  toelc^e  burc^  bie  bi^Iierigen  ®r* 
mittelungen  bejeid^net  ift,  mu§  eine  ber  peinlid)ften  gctoefen  fein, 
tt)clc^e  man  fid^  benfen  fann.  eingetrieben,  fid^  öon  bem  Äird^eu:^ 
tl^um  lo^jufageUr  mit  bem  er  innerlich  nid^tS  me^r  gemein  ju 
l^aben  glaubt,  aber  jurüdCge^alten  burd^  bie  p^antaftifd^e  9{ücfftd)t, 
bafe  ber  ®cift  ©otteg  in  einer  öon  menfc^lid^em  SSorfa^  auöge^^ 
nommenen  SBeife  bie  notl^toenbige  9ieform  ausführen  muffe,  bc:* 
burftc  er  irgenb  tt)elc^er  ©egengetoid^te  gegen  biefe  aufreibenbc 
©pannung  beö  ©emüt^eö.  SBeld^e  ©nbrüdte,  Antriebe,  §off* 
nungen  l^aben  i^n  in  biefer  Sage  unterftü^t?  Sinmal  ift  eö  bie 
Hoffnung  auf  bie  na^e  beüorftelienbe  S33ieberfunft-  S^rifti,  auf 
ttjeld^e  er  feine  ©efinnung^genoffen  üertt^eift,  unb  toelc^e  in  i^m, 
loie  in  feinem  Seigrer  Eoccejuö,  gelegcntlid^  um  fo  beutlic^er  auf= 
fteigt,  ate  „bic  Äird^c  burc^  geiftlofen  SBuc^ftabcnbienft,  burd^ 
©d^lenbrian  unb  SBcrfc  öon  blöd  natürlid^em  ©epröge  fid^  aU 
baS  Säbel  funb  giebt,  n)cld^eS  nad^  bem  prop^ctifd^cn  3^ugnig 
ber  aSa^r^eit  ju  gallc  fommen  foll"*).    5Durc^  bad  SKuftau^cn 


1)  Srtrf  (1.  9(U0.  1675)  aan  zijne   godzalige  vrienden  te  Sluis  in 


187 

bicfcr  Hoffnung,  »cld^c  in  bcn  „Scfd^auitngcn  Qwn^"  toal^rfd^cin* 
lid^  nur  bcölialb  nic^t  auöflcfprod^cn  ift,  tt)eil  biefe^  SBcrf  un* 
üoBlcnbct  blieb,  bm&\)xte  \xd)  fiobcnfte^n  bie  IRid^tigleit  feinet 
Urt^cite  über  bic  Jfird^e  unb  feincd  abnjartenbcn  8erl)altenö 
innerhalb  berfelben.  Aber  »eil  er  bocjö  jugleid^  öon  feinem 
SKanget  an  göttlichem  @eift  überjcugt  toav,  fo  tt)irb  man  noc^ 
einen  anbem  ©runb  feinet  Stuö^arrcniJ  in  bcr  Äirc^c  in  feiner 
Slatur  fuc^en  bürfen.  @r  l^at  nämlid^  offenbar  einen  ^icrarc^ifd^en 
3wg  in  fic^,  tt^eld^er  feine  Sefriebigung  nur  an  ber  SSolt^firc^c 
finben  lonntc,  auc^  inbem  bic  große  äRe^rl^eit  berfelben  gegen 
feine  äuctorität  ujiberftrebtc.  SRit  feinen  ©cfinnung^genoffcn  in 
ben  Sonüentifeln,  ttjeld^e  äße  „geiftlid^"  »aren,  mußte  er  fic^  auf 
einen  ^n^  ubermiegenber  ©teid^^cit  ftellcn;  jeboci^  um  feine 
^errfd^fä^igfeit  ju  erproben,  beburftc  er  gerabe  bcrer,  njeld^e 
toegen  il^rer  UnöolKommenl^cit  bctjcrrfd^t  ju  njcrben  Derbienten. 
Unb  üieHeic^t  ^at  bcrcn  burc^gel^enbeö  SBibcrftrebcn  il^m  feine 
geringere  ©enugtl^uung  bei  feiner  Uebergeugung  Dcrf^afft,  atö 
loeld^e  er  aud  i^rcm  ©el^orfam  gewonnen  ^aben  möd^te.  Ober 
t^uc  i^  fiobenftc^n  mit  biefcn  SScrmut^ungen  Unrecht? 

S^  ift  f^on  gelegentlich  angeführt  n^orben,  bag  fiobenfte^n 
bie  in  ber  reformirten  Äird&e  cingcriffene  Unbänbigfeit  unb  @ott= 
loftgfeit  bamit  t)erglei^t,  bag  bie  3Renf^en  im  $apfttl)um  burd^ 
i^ren  Slberglaubcn  unb  bie  äRenfd^enfaJungen  ttjenigften^  im  Saum 
gehalten  njorben  feien  (©.  161).  Aber  bicfe  tt)ieber^olt  öorfonts 
menbe  93emerlung  tt)irb  nod^  baburd^  fiberboten,  baß  er  ben  8lb* 
gong  aller  äußerlichen  S^^^i^ittel,  n)ie  ber  gciftlic^en  ©erid^t^^ 
^öfe,  ber  ©eföngniffe,  ©trafen  u.  bergl.  beflagt,  bie  man  bod^  im 
^pftt^um  JU  fflrd^ten  ^atte.  3dö  meine,  baß  biefe  Urtl)eilc  einen 
^terarc^ifd^cn  &t\6)mad  ^aben.  3l6er  noc^  met)r!  iBobenfte^n 
fann  aud^  ben  parobojren  @ebanfcn  nic^t  unterbrfidCen,  ed  fei,  um 
hcA  ^riftlid^e  Scben  burd^juffi^ren,  too^l  nöt^ig,  baß  jeber  einen 
Sichrer  bauernb  bei  fic^  ^ätte,  »eitler  it)n  bei  jeber  §anblung  unb 
jjcbem  SSorfalle  anmicfe,  wag  er  ju  tl^un  ^abe!  9lur  bic  öußcrc 
Unmftglic^feit  unb  bie  unöertennbarc  9lu^lofigfeit  biefe^  Ser* 
fahrend  ^inbcrt  i^n,  bem  93orfc^lage  jujuftimmcn ;  benn,  fagt  er, 
bie  $anblungen  eines  äJtenfc^cn  finb  unjä^lig  unb  Dielfac^  üer^ 


viaanderen   bij    gelegenheid  der    afzetting    van    D.    Koelman    aldaar. 
fteuer  Ubnitf,  Vtm^bam. 


188 

borgen.  Stbcr  bei  anbcrer  ©clcgcnl^eit,  tpo  er  eö  rügt,  bofe  bic 
Seutc  immer  i^rcn  Söeruf  öom  Umfange  bcö  göttlichen  ®efe^eö 
QUöne^men,  anftatt  i^n  barunter  ju  [teilen,  unb  fid^  öon  ben  $re* 
bigern  baju  anl^alten  jn  laffen  (©.  164),  erinnert  er  junäc^ft  mit 
SBo^lgefaÖen  baran,  ba§  in  alten  ßcitcn  einige  ©eiftlid^e  in  bie 
{Regierung  berufen  morben  feien,  um  mit  i^rcm  9fiatl)e  bie  Drb*^ 
nung  ju  unterftä^cn.  I£r  fügt  aber  I)iniu,  bag  menn  man  aber 
bie  nöt^igc  Qaf)l  öon  ©eiftlid^en  öerfügtc,  biefclben  neben  i^rem 
tt)eologif(i^en  Stubium  je  nad^  i^rer  gä^igfeit  fic^  aud^  in  Staate* 
funbe,  Äaufmannfc^aft,  ©enterben  u.  f.  nj.  ju  üben  l^ätten,  um 
ben  cinjelnen  Söeruf^flaffen  gegenüber  ba§  göttliche  @efe|  ju 
vertreten,  o^ne  bem  oben  bemerken  ffiinwanbe  nachgeben  ju  muffen. 
3ft  \dot)l  ein  fold^er  ©ebante  noc^  irgenb  3emanb  außerhalb  be§ 
3ef uitcnorbenö  in  ben  ©inn  gefommcn  ?  Uhb  ^aben  nic^t  gerabc 
bie  3efuiten,  inbem  fie  bie  3nbianergemeinben  in  ?ßaraguatj  mit 
bicfem  SRittel  organifirten,  fid|  gerühmt,  bie  ß^ftönbe  ber  @e* 
meinbe  ju  Serufalem  lieber  in'ö  fieben  gerufen  ju  l^aben  (©.  20)? 
^ä)  meine,  bafe  fein  fd^lagenberer  S3ett)eig  für  ben  ^ierard^ifd^en 
3ug  in  Sobenfte^n'ö  ©emütl^e  angefüljrt  werben  fönnte,  alö 
jener  SSorfd^lag;  obgleid)  ber  SDlann  fid^  S^^glcic^  bagegen  Der^ 
tt)a^rt,  ba§  er  felbft  feine  ^anb  überall  ju  l^aben  ttjünfd^e,  benn 
„je  weniger  Dbrigfeit,  je  weniger  SScrantwortlid^feit".  S)a«  t^eo* 
retifd^e  SBo^lgefaöen  ift  in  biefem  galle  bie  genügenbe  $robe  ber 
praftifd^en  Xenbenj  im  SlQgcmeinen !  Sflid^t  aU  ob  er  barum  bie 
SSorauöfefeungen  be^  3efuitenorbenö  get^eilt  l^ätte.  S)en  ©runbfaft 
ber  fides  implicita,  weld^er  bie  fid^erfte  ^anbl^abe  aller  §ierarc^ie  biU 
bet,  mißbilligt  er  mieber{)olt  auöbrücflic^;  benn  er  ift  berSDieinung,  ba§ 
„jeber  S^rift  ®otteö  S33ort  grünblic^  unterfud^en  muß,  unb  baß  bie 
Äenntniß  ber  ^eiligen  SBürgfc^aftcn  jum  ©lauben  notl^wenbig  ift, 
bamit jeber  E^rift  feineö@laubeng  lebe".  Unb  er  beflagt,  bog 
ber  lird^lic^c  Unterricht  fo  wenig  fclbftänbige  ©infid^t  Ijeröorrufe, 
inbem  bie  fieute  immer  nur  bei  ber  med^anifd^en  (Sinprägung  ber 
Äunftworte  bed  Äatec^i^mud  ftel^en  bleiben.  3a  wo^l,  wenn  aUc 
ÜKitglieber  ber  Äirc^e  jene  Selbftänbigfeit  ber  ©lauben^rfenntniß 
unb  bie  entfpred^enbe  SReife  bcö  Sl)arafterö  bcfäßen,  bann  wäre 
lein  ?ßlafe  für  bie  TOaßregetn  geiftlid^er  SKac^tübung.  Senei^ 
3beal  einer  Äirc^c  ift  jebo^  fd^on  be^5^alb  unausführbar,  weil 
minbefteng  bie  Unter fc^icbe  ber  geiftigen  S3egabung  unb  ber  SIU 
terSftufen  Ungleic^Eieiten  unter  ben  ^rd^engliebem  l^eröorrufcn; 


189 

aufecvbcm  aber  ift  bic  Äird^c  allen  Mängeln  ber  ©rfd^einungSiPelt 
unb  fpccicH  ber  ©ünbe  cbenfo  auögcfeftt,  tpie  bic  übrigen  [innen» 
fälligen  ©emeinfd^aften  ber  "äKcnfci^en.  ^e^f)alb  liegt  eben  bod^ 
ein  ^icrard^ifc^er  änfprud)  ju  ®runbe,  tt)0  biefe  Umftänbe  nic^t 
in  Slnfd^lag  gebracht,  unb  ber  Stbftanb  ber  SBirflic^feit  Dom  3bcal 
in  ber  SBeife  übertrieben  wirb,  tok  Sobenftetjn  e^  getEian  E|at. 
^effimiftifc^e  SBeurt^eilung  ber  firc^lid^en  unb  ber  ntenfd^lid^en 
SBer^ältniffe  ift  fo  pufig  mit  notorifd^em  §ierarc^iömuö  öer= 
bunben,  ba§  man  auf  baö  SSorpnbenfein  biefer  (Kombination 
ratzen  barf,  tt)enn  aud^  nur  einö  biefer  (Slcinentc  greifbar  öor« 
liegt.  3n  §infid^t  Sobenftctin'ö  nun  glaube  ic^  beroiefen  j« 
ffdbcn,  ha%  ^ierarc^ifd^e  ©efid^t^punfte  njenigftensj  t^eoretifc^  öon  ' 
i^m  gebilligt  tourben,  n)enn  aud^  bie  Umftänbe  i()n  ge^inbert 
^aben,  nac^  benfelben  ju  t)anbeln.  Slber  aud^  nur  fein  SBol^U 
gefallen  an  folc^en  ©ebanfen  unb  antrieben  fonnte  er  nic^t  auf» 
re^t  erptten,  wenn  er  fid^  öon  ber  SSolföfird^e  lo^fagte,  fie 
gleichgültig  i^rem  ©c^idtfal  überliefe  unb  fid^  mit  ber  fleineu 
Qq\)1  ber  „Stec^tfc^affenen  unb  grommen"  auf  ben  ^"fe  ber 
geiftlic^en  ©Uic^^eit  einrid^tete.  §ieüon  fonnte  il)n  gerabe  baö 
Seifpiel  Sababie'ö  unb  ber  Sababiftifc^en  ©emeinbe  abfc^redten. 
f^reilic^  auc^  Sababie  mar  ^ierarc^,  aber  unter  ber  SRobifieation, 
bafe  er  öon  §aufe  au^  auf  ben  Drbend«  ober  ©ectenftifter  angc» 
legt  mar.  3n  ber  fatplifd^en  j^ird^e,  melc^er  er  urfprünglt^ 
angehörte,  ift  ^ierard^ic  bie  üon  felbft  fid^  t)erftet)enbe  Xenbenj 
be^  ©tanbeiS  ber  3)iener  ber  Äird)e.  SBer  alfo  bort,  o^ne  ben 
^5^eren  @rab  beS  Spiffopated  ju  erreichen,  fic^  l^ierarc^ifc^  aud» 
jcid^nen  mill,  muß  bie  öaf)n  be^  Drben^ftifterö  einfc^lagen.  S)ie« 
itHir  ber  $all  bei  fiababie;  unb  in  gleicher  Siic^tung  gelangte 
berfclbc  auf  bem  öoben  ber  reformirten  Äirc^e  /jur  Stiftung  einer 
©ccte.  Sobenfte^n  aber  fonnte  ald  äbfömmling  ber  reformirten 
Äirc^e  felbft  bie  tl^eoretifc^e  SBefriebigung  fcineö  ^ierarc^ifd^en 
Iriebe^  nur  finben,  menn  er  innerplb  berfclben  au^^ielt,  auc^ 
inbem  er  fortbauernb  an  \t)x  oerjmeifelte. 

3n  bem  l)icrarcöifc^en  Antriebe,  melc^er  Sobenfte^n  gelegent» 
lic^  in  bie  SWo^e  einer  jefuitifc^en  Wajime  geführt  ^at,  öabe  ic^ 
eine  Äeufeerung  feiner  Statur  finben  ju  bürfen  geglaubt.  S)enn 
bie  unimeifelpfte  (Kombination  jmifi^en  biefem  (Element  unb 
feiner  pcffimiftifd^en  93eurt^eilung  ber  Äirc^e  ift  bem  ÜKufter 
bcffen  fe^r  unä^nlic^,  melier  ba^  jerftogene  9io^r  nic^t  jerbric^t 


190 

unb  ben  glimmenben  2)o^t  ntd^t  ou^Iöfc^t.  Slbcr  an  fid^  ift  bte 
anläge  unb  ber  Slntricb  ju  l^crrfd^cn,  ober  bic  perfönlid^c  (Sncrflic 
nid^t  jur  SSetbcr6ni§  ber  mcnfc^tic^en  SWatur  jii  rcd^nen.  äuc^ 
tarn  fiobenftc^n  eben  gar  nid^t  baju,  feinen  ^errf^trieb  in  ber 
Jiirc^e  JU  mifebraud^en,  ba  er  na^  feiner  eigenen  SKuffaffung  ber 
S)inge  faft  nur  SBiberftanb  gegen  feine  Slbfic^ten  fanb.  Aber 
eben  bie  SSergleid^ung  mit  fiababie  fü^rt  no^  baju,  bag  man 
Sobenftctjn'^  Irene  gegen  bie  Äird^e  ju  beadjten  f^ai,  weld^c 
um  fo  anerfennen^toertl^er  ift,  toenn  man  fic  mit  bem  93ett)u6tfein 
ber  faft  Doüftänbigen  ffirfolglofigteit  öergleic^t,  bie  feinen  Sc^ 
mü^ungen  um  bie  Steform  feiner  notionalen  Äird^c  ju  I^cil 
•  ttjarb.  SBenn  man  in  feinem  Urtt)eil  Aber  biefclbe  bie  ©ebulb  ju 
öermiffen  Urfad^e  i)at,  fo  ^at  er  bie  ©ebulb  beö  S^aratter^ 
gegen  bie  angeftammte  Äirc^e  in  einem  üRafec  geübt,  ba§  fic  mit 
ber  Sctiroff^eit  unb  ffiinfeitigfeit  feiner  änfid^t  oom  c^riftli^en 
Seben  einigermaßen  öerfötjnen  fann.  S)enn  in  ber  überlegten  Stb^ 
le^nung  ber  »irflid^en  Separation,  ttjelc^c  bem  (^rembling  Sa* 
babic  gar  feine  Söebenlen  erregte,  l^at  8obenftct)n  gerabe  bie 
©etbftüerleugnung  geübt,  bie  er  üorfc^reibt.  (Sr  l^at  in  bicfer 
Xreue'  gegen  bie  jfirc^e  feinet  SSolfe^  Dielleid^t  Dormiegenb  nad^ 
bem  ebcln  Snftinctc  beö  ^atriotiömuö  ge^anbelt.  Allein  ben)u§ter* 
magen  ^at  er  in  bicfer  ^infid^t  fi^  in  ben  äBillen  feines  ©otteiS 
ergeben,  beffen  pofitioe  Stbfic^ten  i^m  oerborgen  loaren,  öon 
tocld^em  i^m  nur  flar  toar,  bafe  er  eigenmächtige  3lbjonbcrung 
t)on  ber  Äird^e  verbiete.  3n  bicfer  SBcifc  ^at  er  auc^  bie  Ircue 
gegen  feinen  ©runbfa^  beS  d^riftlid^cn  Sebenö  gehalten.  S)cS^alb 
barf  ni^t,  mie  eS  Don  ©oebel  gefd^icEit,  Sababie  mit  fiobenfte^n 
auf  einer  fiinie  genannt  unb  mit  gleid^er  SBemunberung  begleitet 
X  »erben.  Sobenfte^n'g  Änficftten  üon  ber  Äird^e,  Don  ber  IRefor* 
mation,  Don  ber  ©elbftDerleugnung  finb  nic^t  normal.  Slllein 
fein  S^arafter  ift  Don  einer  Steinzeit,  loelc^e  burd^  bie  äRängel 
feiner  ffirfenntnig  unb  feiner  Urtl^eilSroeife  nit^t  Derfc^leicrt  lucrbcn 
fann.  ©erabe  mit  feiner  Haltung  Derglid^en,  fann  Sababie  bie 
?ßrobe  nid^t  befte^en. 
^^  Sobenfte^n  ift  ber  erfte  ^ictift.    ^6)  fennc  fe^r  »ol^l   boS 

Sebenfcn,  toeld^eö  fic^  bem  SSerfa^ren  in  ber  Äirc^engef^i^te  ent* 
gegenftcllt,  bie  83ejeic^nungen  fpecicller  ffirfd^cinungen  nic^t  blo« 
JU  generalifiren,  fonbem  aud^  ju  antcbatiren.  Auf  biefem  SBcgc 
tt)irb  j.  8.  mit  ben  „Steformatoren   Dor  ber  Sieformation "  bic 


191 

möglid^ftc  SScrtüirrung  angcrid^tct  2)cnn  in  bicfem  fjallc  l^at 
man  eben  Srfc^cinungcn  aU  gleid^artig  be^anbelt,  tpel^e  ipirflic^ 
cntgcflengcfe^tc  Siele  unb  SRittel  neben  gett)iffen  äWerlmalen  ber 
©leid^^eit  ^aben.  Snbeffen  tuenn  Sobenftetjn  unb  feine  ©eftnnung^^ 
genoffen  in  ber  (Spoc^e  ©pener'jS  in  irgenb  einer  beutfc^en  San^^ 
be^firc^c  Iut()erifd^en  ober  jttjinglifd^en  ©eprägeö  aufgetreten  wären, 
fo  ttjürbe  man  fie  bort  mit  bemüblid^  geworbenen  Slameu  be* 
jeic^net  ^aben.  S)enn  alle  biejenigcn  9Rer!male,  weld^e  ben  ^ic^^ 
tiften  beigelegt  werben  al^  einer  ©efeüfd^aft,  welche  jugleid^  bie 
Sieformation  ber  Äird^e  forbert,  unb  fid^  felbft  t)on  bercn  öffent- 
lid^en  Sntereffen  möglid^ft  jiurüdäie^t,  treffen  birect  unb  inbirect 
auf  Sobenfte^n  ju.  (So  fommt  jenen  immer  an  auf  bog  ©treben 
nadi  moroUfd^er  Solltommenl^eit  ober  ?ßräcifität,  bie  ©nt^altung 
Don  lanj,  ©d^aufpielen,  ©ewinnfpielen  u.  bergl.,  bie  äRi&billigung 
bc^  (Sinfluffeg  bc^  ©taate^  auf  bie  Äird^e,  enblid^  bie  Se^ 
fc^äftigung  mit  ber  9Kt)ftiP),  Sf^^ilid^  erfc^eint  in  allen  biefen 
Sejiel^ungen  Sieellind  ald  ber  Vorgänger  Sobenfte^n'g.  Snbeffen 
ift  jener  t)on  biefem  baburc^  untcrfc^ieben,  bag  er  wie  aud^  93oet 
mit  feiner  ^^tberung  ber  8leformation  ber  ©itten  nod^  bie  öoHe 
Unbefangenl^eit  beö  Serfe^re^  mit  ber  reformbebürftigen  Äird^c 
Derbunbcn  l^at,  wä^renb  fiobenftetjn  in  ber  Serjweifelung  an  bem 
(Srfolg  feiner  Söeftrebungen  minbeften^  jene  wunberlic^e  Surüdt* 
äicl)ung  oon  feiner  amtli^en  ^ßflid^t  in  ©infid^t  be^  ?lbenbmal^leS 
geübt  ^at.  tiefer  latente  ©eparatidmu^  ift  ber  anfprud^^uollen 
ßurfidtgeiogen^eit  ber  ^ietiften  t)on  ber  öffentlichen  Äird^e  im 
@runbe  gleichartig.  9lu^  fein  ©runbfa^  ber  ©elbftDerleugnung 
Icnft  cbcnfo  gewiß  in  bie  SK^ftif  ein,  alö  er  fi^  üon  Saloin'^ 
Äuffaffuug  entfernt.  9lur  fc^eint  biefe  Slbweid^ung  cbenfo  wenig 
bemcrft  Worben  gu  fein,  wie  biejenige,  welche  ieeHindt  begangen 
^atte.  2)cd^alb  l^aben  fiobenfte^n'd  Sin^änger,  weld^e  ben  SaU 
mni^muö  gcrabe  in  ber  ©trenge  ber  ©itte  unb  in  ber  ©pröbig* 
feit  gegen  bag  ©taatöfir^ent^um  vertraten,  fi(^  aU  bie  am 
mciften  bered^tigte  ?ßartei  in  ber  nieberlänbif^en  Äirc^e  bet)auptet. 
^ierin  ift  ber  Umftanb  begrünbet,  bafe  biefelbe  SRid^tung  in  ber 
nicberlänbifd^^reformirten  Äird^e  legitim  war,  wetd^e  in  ben  lutt)es 


1)  SBa(4,  9{en0tonS|lretti0feiten  in  ben  lut^enf^en  i^tr^en.    Bb.  1. 
e.  594—598. 


192 

rifc^en  unb  itpincilifci^en  ^rc^en  beutfd^er  QunQc  aU  unbered^tigt 
auftreten  tPtrb. 

S)ie  tcgitime  ©tettung  in  bcr  Äirc^e,  ipcld^c  fiobenfteljn  ein^ 
genommen  unb  behauptet  l)at,  fann  jebod^  ntd^t  Derbergen,  bag 
bie  ^römmigfeit,  meldte  er  übt  unb  le^rt,  t^eil^  auf  bte  Sinie 
fat^oUfd^er  Unterfc^ä^ung  be^  SDlenfc^en  im  93erl^ä(tnig  ju  @ott 
}urädgegangen  ift,  t^eiU  an  bie  fentimentale  Kontemplation  ber 
©d^ön{)eit  unb  fiieben^n^ürbigfeit  Sefu  anfnfipft,  n)eld^e  in  Dad 
SKittelatter  geprt,  ferner  ba§  er  bei  feinen  lird^lic^en  SDefiberien 
mit  ben  l^ierard^ifdj^tat^oUfd^en  (Einrichtungen  liebäugelt.  3)ie 
erfte  Srfc^einung  bed  ^ieti^^mu^  alfo  fii^rt  in  biefer  93eAiel)ung 
ein  üKerfmal  mit  fid^,  welc^eö  auc^  bie  mobernfte  ©tufc 
be^  tt)ieber  firc^lic^  geworbenen  5ßietiömuö  jur  SSenounberung 
SBieler  auszeichnet.  9lun  bei  fiobenftetjn  ift  bie  @e^nfud^t  nac^ 
fatl^olifd^er  ^irctjenjud^t  t^eilS  auS  bem  ^ierardjif^en  ßuge  feinet 
©emütH  t^eild  barauS  ju  Derfte^en,  bag  fein  $ietidmud  nod^ 
ben  Söoben  ber  befte^enben  Sirene  behauptet.  Äann  man  fic^  aber 
über  fein  Äofettiren  mit  ßuftönben  ber  Äird^e  oor  ber  SReforma» 
tion  njunbern,  ttjenn  fiobenftetjn  jugleic^  eine  grömmigfcit  t)or» 
fc^reibt,  beren  Slrt  bem  SKittelalter  entfpri^t,  unb  fic^  mit  einem 
SReformationöibcal  trägt,  bcffen  eigentlicher  Drt  bai^  aWittcl» 
alter  ift? 

S)er  ?ßietiSmu3  in  biefer  feiner  erften  ©eftalt  ift  alfo  eine  (SdoIu* 
tion  beS  SalDinidmud  unb  i^ugleic^  eine  S3eeinträd^tigung  beS  pro^ 
teftantifc^cn  E^arafterö  beffelben,  unter  ©ebingungen,  tt^eld^c  ba^ 
malS  nur  in  ber  nieberlänbifc^^^reformirten  ^irc^e  vorlagen.  SBeil 
nämlid^  bie  große  5)laffe  i^rer  ©lieber  auö  ber  oor^errfd^cnben 
lutt)crifd)en  SebenSanfic^t  ^eraud  bie  ftrenge  ©itte  beS  Ealöiniömu^ 
jurücfioieö,  fo  fallen  fic^  bie  Vertreter  berfelben  genöt^igt,  fic^  j" 
befonbercn  ©enoffenfd^aften  ju  concentriren,  um  bie  Sfteformation 
beS  fiebcnS  im  SBolfe  burc^jufefeen.  S)amit  fic  aber  in  ficft  felbft 
unb  für  biefe  Slufgabe  geftärft  toürben,  burd^bringcn  fie  fic^  mit 
ber  Slid^tigteit  beS  gefc^öpflic^en  S)afeinö,  meiere  bem  allgemein 
eoangelifdjen  ©eligfeitsintereffe  tt)iberfprid)t,  unb  fuc^en  bie  SScr« 
fic^erung  ber  ©nabe  in  bem  järtlic^en  Umgange  mit  bem  ^crm 
3cfui^,  tüelc^cr  bie  fat^olifc^e  ärt  bcS  8}ett)u6tfeinö  ber  göttlichen 
@nabe,  unb  alö  folc^e  bem  urfprünglic^en  ©tanbpunft  unferer 
Sieformation  oöQig  fremb  ift. 

Unter  biefen  Umftänben  mirb  c^  jmecfmägig  fein,  fc^on  gleid^ 


193 

bie  ^xa^c  ju  fteUcn,  ob  nic^t  t)ieQeic]^t  bcnnod^  bicfcg  @rgcbni§ 
im  3ntcreffc  bc^  rcformirten  SJ^riftent^utnö  fclbft  ju  billigen 
ift.  2Ran  fönntc  alfo  ücrfu^^tocifc  annel^mcn,  bog  bic  aflcforma= 
tion  bc^  16.  ^ai)xi).  ju  uorfc^nell  bicjcnigc  Slbftufung  bc§  ß^riften^ 
t^umö  aufgegeben  Eiabe,  meldte  im  JDiittelalter  gegolten  l^at.  Unb 
loenn  man  aud^  bem  eigentlichen  üRönd^t^um  mit  Siecht  ein  Snbe 
ma^te,  fo  m'ö^te  eö  bod^  ein  SSerluft  für  bie  ftirc^e  gcmefen  fein, 
bag  aud^  für  bie  a^!etifc^en  Kongregationen  Don  fiaien  fein  9iaum 
me^r  geblieben  ttjare  (®.  15).  ®enn  bie  ©pannung  jtt)ifc^en 
bem  6l|riftcntl|um  ber  SBeltlinber  unb  bem  ber  Crnftgefinnten 
lönnte  tt)o^l  aU  eine  Söcbingung  ber  ©efunb^eit  cftriftlic^cr  3«* 
ftänbe  gelten.  SBenn  alfo  burd^  bic  Dorliegenben  Sonücntifel:^ 
bilbungen  biefer  Unterf^ieb  ber  Slöleten  gegen  bic  S33eltleute  in 
ber  rcformirten  Äirc^e  lieber  ^ergeftetlt  morben  ift,  fo  to&xt  bog 
Diellcid^t  n)irfli^  eine  münfc^en^^n^ert^e  Srgänjung  ber  Sflcformation 
beö  16.  Sa^r^.  burd^  ein  ©lemcnt  berienigen  SReform,  welche 
fi^on  in  ber  jnjciten  ©älftc  beö  2RittelalterS  i^ren  Sauf  beginnt. 
SBenn  auc^  bic  SRi^tung  biefer  beiben  Steformationcn  entgegen* 
gefegt  toar,  fo  fönnte  man  fic^  boc^  üorftellen,  ba§  ein  6om* 
promig  }mtfc^cn  bcnfelben  möglich  unb  bem  @anjen  n)ol|lt^ätig 
fein  burftc.  S)ag  ©etuid^t  ber  abenblänbif^en  Äird^c  im  äWittcU 
alter  ift  ja  eben  baburc^  fo  bebeutenb,  baß  in  i^r  ßompromiffc 
niannigfadjcr  ?lrt,  in  ber  Se^rbilbung,  in  ber  SSerfaffung,  in  bem 
Ser^ältnig  ber  t^eologifd^cn  ©d^ulen  ju  cinanber,  ja  aud^  in  ber 
Drbnung  be^  religiöfen  Seben^  gcfunbcn  njorben  finb.  Sllfo  tt)arum 
fönte  nic^t  auc^  bic  ©tcQung  ber  cDangelif^cn  ^irc^e  baburc^ 
Dcrftärft  werben,  ba§  man  in  i^r  bie  Kongregationen  aöfettfd^cr 
aflic^tung  neben  ber  tt)cltförmigen  Sitte  unb  ber  fittltc^en  Söeruf^:» 
arbeit  ber  SKcngc  julicße,  nad^bem  ber  antrieb  ju  jenen  SSer:: 
cinigungcn  fid^  njiebcr  eingcfteHt  ^atte?  SBarum  foQten  nid^t  in 
ber  cüangclifc^cn  ftird^e  biefe  beiben  gormen  d^riftlidjcn  Seben^ 
fic^  gegenfeitig  ertragen,  um  fid^  ju  ergänjen?  3a  XDoi)l,  fo 
fönnte  man  fragen!  SlHein  bic  Slntmort,  ttjcld^c  gerabe  Soben* 
ftc^n  in  aller  münfc^enömert^cn  S)eutlid^tcit  ert^eilt,  rüdt  ieben 
Sompromig  j^mifd^cn  bcn  beiben  angenommenen  ©tufen  Don 
ctiangclifd^em  ß^riftent^um  au^  bcn  Äugen.  ®cnn  bie  ©elbft* 
oerleugnung  unb  SBeltflüd^tigfeit,  n)eld^e  er  aU  bad  DoQftänbige 
(S^riftent^um  erfennt,  mutzet-  er  allen  ©liebern  ber  Äirc^e  ju, 
unb  ift  tt)eit  boDon  entfernt,  baneben  bem  „gemeinen  bürgerlichen 

L  13 


194 

©d^Iagc''  ber  E^riftcn  unb  bcm  „gciftlofcn  ©d^Icnbrian''  ba^ 
(Sjiftenjrcd^t  in  ber  Äird^c  einzuräumen.  Cr  glaubt  eben  nur  an 
bie  9KögIid^feit  einer  einjigen  Art  d^riftlid^en  Sebenö,  unb  mutzet 
bc^^alb  Stilen  o^ne  Sluöna^me  bie  beftimmungömäßigc  SBoIt 
fommcn^eit  ju,  toie  er  fie  üerftcFit.  ®iefe  Haltung  ober  nimmt 
er  ein,  tpeil  er  öon  §aufc  an^  auf  bem  ©oben  ber  ^Reformation 
bc^  16.  3a^r^unbcrtö  ftel&t !  ®enn  biefc  ^at  ben  ©ebanfen  cine^ 
jtoiefc^löcl^tigen  S^riftent^umS  in  ber  ftird^e  ober  bie  bere^tigte 
Äbftufung  öolltommenen  unb  unDoüIommenen  d^riftlid^en  Scbcni^ 
gerabe  ungfiltig  gemad^t.  Slllein  biejenige  SSoIKommen^eit,  nietete 
Sobenfte^n  forbert,  fie^t  öon  üorn  l^erein  nid^t  banad^  auS,  \)a% 
fk  (Semeingut  einer  SSolföfirc^e  ujerben  fönnte.  3)eä^alb  ^at  er 
mit  feinen  ®runbfä^en  unb  mit  ber  SSera^tung  unb  Serurt^eilung 
besS  ,,e^rlici^en  bürgerlid^cn"  S^riftent^umg  unb  feiner  lird^Iid^en 
©itte  ben  Äampf  innerhalb  be§  ?ßroteftantiSmu3  eröffnet,  ipelc^er, 
n)ie  id^  öermut^e,  an  aQen  übrigen  ©d^tt)icrigfeiten,  meiere  fcitbem 
bie  eüangclifdjcn  Äird^en  ^eimfud^en,  mitfc^ulbig  ift.  Um  biefen 
Äampf  mit  Unparteitid^!eit  ju  Dcrfolgen,  ftcQe  icft  ölfo  feft,  baß 
ber  erfte  Vertreter  beö  ?ßietiömuö  feine  änfprüd^e  an  bie  refor* 
mirte  Sirene  auf  fold^e  Ueberjeugungen  ftü^t,  meldte  i^rc  nSd^fte 
SSerttjanbtfc^aft  im  tatl^otifd^en  äKittelaltcr  Iiaben.  §ot  er  fiä) 
atfo  mit  ber  äbfi^t  getragen,  ^ienad^  bie  rcformirte  Äir^e  ju 
reformiren,  fo  ift  ber  ffirfolg  mie  ber  SWid^terfoIg  feiner  ©e* 
ftrebungen  banad^  ju  beurt^eiten,  ob  bie  ^Reformation  be^ 
16.  3a^rt).  i^re  SBerid^tigung,  Ujenn  fie  bereu  bebarf,  burc^  auf* 
nal^mc  fat^olifc^er  Seben^motiDe  ju  erfahren  l^at. 


11,  S^o^aun  be  £ababte^  bet  Utl^ebet  bed  ®tpatüti^mn^  in  btr 

teformirten  ^ttc^e* 

2)erjcnige,  toeld^em  ber  Seruf  jur  {Reform  ber  reformirten 
Äird^^  jugetraut  ujurbc,  toeld^er  jebod^  nur  einen  I^cil  ber  nicber» 
länbifc^en  ?ßietiften  jju  ber  Sirennung  Don  ber  Äird^^  geführt  l^at, 
bie  fiobenfte^n  üorbercitet  aber  ouöjufüEircn  fid^  gcfc^cut  l^attc,  ^t 
bie  ^älfte  feinet  öffentlid^cn  fiebenö  im  ©icnfte  ber  römifc^^at^o* 


195 

Itfc^cn  Äird^c  jugcftrad^t.  Unb  jtüar  fielet  cö  öon  tl^m  feft,  baß 
er  bic  ©runbfäfec,  ttad^  bcncn  er  bei  feinem  JReformbcftreben  tüic 
bei  feiner  Separation  öon  ber  nieberlänbifc^en  Äird^e  öerful^r, 
Don  Sugenb  auf  gel^egt  f)at  Scan  be  SababieO  ift  atö  ©ol^n 
Don  3ean  S^arleg  be  Sababie,  ©outjerneur  ber  ©u^enne,  in 
Sourg  für  ©ironbe  am  13.  ^Jebruar  1610  geboren.  3n  feinem 
ftebenten  Sebengja^re  tüurbe  er  bem  ScfuitensEoDegium  in  93or^ 
bcauj  anvertraut,  ©eine  @aben  unb  Seiftungen  empfal^len  i^n 
feinen  Se^rern  fo,  bag  biefelben  if|n  für  i^ren  Drben  ju  ge^ 
toiitnen  trachteten.  S)em  SBiberftrcben  feinet  Sßaterö  bagcgen 
fcfetc  beffen  früher  lob  ein  3icl,  unb  Sababie  trat  in  feinem 
17.  Sebenöjafir  aU  Sioüije  bei  ben  3cfuiten  ein.  SBä^renb  ber 
ä^ci  3a^re  feine«  Sloöijiatö  na^m  er  einen  Äuffd^ttjung  ber 
grftmmigleit,  in  roeld^em  ebenfo  beftimmt.  ber  ßug  jur  m^ftifd^en 
(Kontemplation  unb  bie  gcttigfeit  beö  ©ebetiS,  tt)ie  ber  glü^cnbc 
5Drang  nac^  bem  S)ienfte  im  5Reic^  ß^rifti  ausgeprägt  maren. 
Slac^  SBoHenbung  beS  SZoDijiatö  legte  er  bie  „einfallen  ©elübbc" 
5um  eintritt  in  ben  Drben  ab,  b.  ^.  er  öerpflid^tete  fic^  ju  Ar* 
mutl^,  ffieufc^^eit  unb  ©e^orfam  mit  bem  ftiUfd^meigenben  9Sor* 
bcl^alt,  baß  bie  ©efeDfd^aft  3cfu  bie  ^Jrei^eit  f)abt,  i^n  ju  ent* 


1)  %uitx  bem  ^tbfc^mtt  bei  ®oeb(l  IL  €.  181^257  t|l  au  üergrei^m 
H.  yan  Berkum,  De  Labadie  en  de  Labadisten,  2  ^(etle,  Sneek  1851. 
fllS  CueOen  er|len  SiangeS  i^aht  t^  benu^t  1.  ben  üon  Sabobie'8  (Senoffen 
gierte  ^bon  üerfaftien  Abrege  precis  de  la  vie  et  de  la  conduite  et 
des-  vrais  sentimens  de  feu  Mr.  de  Labadie,  ttelc^er  biS  ju  Sababie'S 
flnfunft  in  ben  92teberlanben  reid^t  (in  ®ottfr.  ^inolb'd  itird^en*  unb  ite^er* 
gef^id^te,  in  ber  lluSg.  granffurt  o.  ^.  1699  unter  ben  Supplementen  sum 
III.  IV.  t^eil  gap.  XVI.  S.  1234-1270).  (Soebel  fü^rt  eine  ^onöub.  Uebet- 
fetping,  9(mfierbam  1754,  an,  9er!um  (at  biefe  CueUe  ntc^t  gelaunt.  2.  Hi- 
stoire  curieose  de  la  vie,  de  la  conduite  et  des  vrais  sentimens  du  Sr. 
Jean  de  Labadie.  A  la  Haye  1670.  Serfaffer  finb  bie  beiDen  Sft^ne  bei 
Xi^lo^en  Samuel  ^arefiuS  ju  (Sroningen,  Qenri  unb  Saniet  beS  ^aretS, 
V^cbtger  an  ben  fran)5flf4en  (ttallomf^en)  ®emetnben  in  Seift  unb  im  ^aag. 
Cbglei^  biefe  @4rift  fiuger^  feinbfelig  ift,  unb  über  baS  frfi^ere  Seben  2abo« 
bie'8  bie  Serldumbungen  toiebergiebt,  welche  üon  ^eiuiten  gegen  t^n  auSgefireut 
finb,  fo  if!  fie  actenmfigig  genau  über  bie  ^önbel,  ttel^e  Sababie  üon 
1666—69  mit  ber  maQonif^en  Spnobe  \^aiU.  Sie  umfaßt  namentli^  bie  De- 
eUratioD,  mit  loel^er  fiobabie  feine  Separation  üottjog,  unb  eine  fe^r  einge^enbe 
Modeste  r^fatation.    SBeber  ®oebeI  no^  Zerium  lennen  biefe  S^rift. 


196 

laffen,  tocnn  fic  ®runb  l^ättc,  il^n  nic^t  fcftju^attcn  0-  3nbcm 
er  ald  ©d^olafitcud  bemnäc^fi  in  ba^  breijä^rige  ©tubiurn  ber 
JR^ctoril  überging,  burfte  er  feine  befonberen  religiöfen  3ntereffcn, 
namentlich  anä)  bie  fiefung  be^  9i.  SE.  fortfefeen.  ©c^on  in 
feinem  20.  Scbenöial^re  Derfafete  er  einen  Iractat  de  la  gräce  et 
vocation  efficace,  unb  trug  fid^  banac^  mit  bem  ^(an  eines 
fiebenö  3efu.  ©affelbe  foUte  in  üiet  Steilen  beffen  ©wigleit  in 
©Ott  unb  feine  Verborgenheit  ttjäl^rcnb  ber  30  erften  3ci^re 
feinet  irbifi^en  S)afeinS,  fein  t^ätigeS  Seben,  fein  fieiben,  enblid^ 
feine  ^immlifc^e  ^errlic^feit  unb  fein  ^errli^eS  Sleic^  auf  ber 
ffirbe  umfaffen.  @rft  furj  oor  feinem  SebenSenbe,  unter  ganj 
öeränberten  SBerl^öltniffen  l^at  er  ben  ^lan  feiner  3ugenb 
lieber  aufgenommen,  aber  nur  einjelne  I^eile  biefeö  ©toffeö 
au^efü^rt.  yiad)  bem  breijä^rigen  ©tubium  ber  9i^etorif  begann 
er  in  feinem  22.  fiebenSjal^re  baS  ber  Xl^eologie  ju  93orbeau£. 
(8r  tt)urbe  aber  burd^  bie  ÜRet^obe,  in  meli^er  man  bie  Si^eologie 
i^m  vortrug,  nid^t  angenehm  berfil^rt.  Xl^eitö  ftieg  i^n  bie 
Irocfen^eit  unb  ber  polemifc^e  3"fö6  ^^^  fie^rtoeife  ab,  t^eilS 
fiel  i^m  ber  2(bftanb  beS  Vortrag!^  üon  bemjenigen  auf,  n^aS 
i^n  ©Ott  burd^  fein  SBort  unb  feinen  ©eift  gelehrt 
§atte,  bcfonberö  über  ^räbeftination,  ©nabe  unb  über  9iid^tig= 
tigleit  beö  SÄenfd^en.  @r  concentrirte  fic^  alfo  tl^eiU  auf  bie 
fiefung  ber  Sibel,  mie  ber  SBerfe  Äuguftin'S  unb  Sern^arb'S, 
t^eiU  auf  feine  eigenen  ^Beobachtungen  unb  (Erfahrungen,  meldte 
i^n  üon  ber  @r^abenl)eit  beS  l£t)angeliumS  unb  ))on  bem  tiefen 
SBerfaH  unb  SSerberb  ber  S^riften^eit,  ferner  öon  ber  SRot^tt)enbig* 
leit  i^rer  ^erftcHung  fotüie  baüon  überzeugten,  ba§  biefelbe  fi^ 
nac^  bem  SRufter  ber  älteften  ©emeinbe  ju  3crufalem 
richten  muffe.  (£r  ge^rte  noc^  bem  3efuitenorben  an,  als  er 
1635  üon  bem  Sifd^of  üon  SBajaS  bie  5ßrieftertt)ei^e  empfing. 
Unter  »eitlen  ffiinbrüden  biefeS  gefc^a^,  l^at  er  fünfje^n  3a^re 
fpäter,  als  er  eben  jur  reformirten  Äirc^e  übergetreten  ttjor^), 
bejeugt,  nämtid^  bag  er  n^äl^renb  ber  ^anblung  gefül^lt  ^at,  bag 


1)  Sgl.  SOoIf,  %H.  ®({4t4t(  ber  Sefuiten  (Mpm  1B03)  Banb  I. 
6.  150. 

2)  Declaration  de  la  foi.  MontaubaB  1660.  Sei  Koelman» 
HiBtorisch  verhaal  nopende  der  Labadisten  soheuringhe.  Amsterdam  168S. 
p.  109. 


197 

Dtclmcl^r  Scfug  Sl^rtftug  t^m  bic  §änbc  auflegte  al8  ber  Stf^of, 
unb  ba§  et  bie  innere  ©albung,  mit  ber  bic  ^eilige  3)rcieinigleit 
fein  §ctj  übergoß,  üiel  fräftiger  getüa^r  mürbe  atö  bag  Del,  tt)o* 
mit  ber  Sifd^of  feine  §änbe  falbte.  Sababie  l^ot  biefen  ®e* 
ffi^teeinbrud,  atö  er  nad^^er  über  i^n  bcrid^tete,  fo  gebeutet,  bafe 
er  Dom  ÜRutterleibe  an  geheiligt  fei,  um  bie  d^riftUd^e  Äirc^c  gu 
reformiren.  SRoc^te  er  nun  aber  urfprünglid^  meinen,  biefen 
©eruf  innerhalb  beö  Sefuitenorbcnö  verfolgen  ju  lönnen,  jumal 
berfclbc  i^m  fc^on  fe^r  früf)  bag  Vertrauen  fc^enfte,  afö  ^rebiger 
unbSatec^et  toxxUn  ju  bürfcn,  fo  überjeugte  er  ftd^  boc^  in  ben 
folgcnben  Salären  baüon,  bag  bie  lebigli(4  politifc^e  unb  meltlic^e 
lenbenj  ber  ©efcDfc^aft  3efu  feinen  äbftd^ten  nur  tt)iberftrcben 
merbe.  (£r  fuc^te  alfo  feine  @ntlaffung  nadi,  n)cl(4e  i^m  auc^ 
auf  @runb  feiner  Äränflic^Ieit,  unb  meil  er  fein  (feierlichem)  ®e^ 
tübbe  abgelegt  ^atte,  o^ne  @c^n)ierigfeit  ertl^eilt  murbc  unter  bem 
17.  a^jrii  1639. 

Sababie  ftanb  nun  ald  SSeltgeiftlid^er  unter  bem  Srg^ 
bifd^of  üon  ©orbeauj,  ber  i^m  bic  (Krlaubnife,  in  ber  2)iöcefe  gu 
prcbigen,  crt^ciltc.  ©eine  Srfolgc  in  biefem  SBirIcn  ttjaren  fo 
^crtjorragenb,  bafe  er  bie  Äufmerf famleit  be^  in  ?ßariö  reftbirenben 
©enerate  ber  frangöfifd^en  Kongregation  beö  Oratorium^  erregte, 
einer  ©efcDfd^aft,  beren  aufgaben  benen  entfprad^cn,  »eld^e 
Sababie  felbft  burc^  göttlid^e  93erufung  empfangen  gu  ^aben 
glaubte.  3)urd^  jenen  üeranlafet  verlegte  er  alfo  feine  ^rebigt* 
t^ätigfeit  nac^  ^arim  unter  Genehmigung  be^  bortigen  @rgbifd^ofd. 
®cn  Sefuiten  aber  toax  biefeö  nic^t  genehm.  SBie  fic  fc^on  in 
Sorbcauj  gegen  i^n  intriguirt  Ratten,  fo  ftreuten  fie  jjcfet  in  ^ariS 
oud,  bag  er  im  ^ienfte  be^  SaluiniSmud  bad  93olf  gegen  ben 
(Sarbinal  Slid^clieu  aufrege.  S)iefe  SBcrbäd^tigung  ^attc  jnjar  für 
i^n  feine  birect  ^inberlid^c  SBirfung,  inbeffcn  üermod^te  fic 
bei  Sababie  fo  Diel,  bag  er  bem  SBunfc^c  bc^  93ifc^ofd  Don 
amieng  nachgab,  fic^  in  ben  S)ienft  feiner  S)iöcefc  gu  ftcllen. 
S)erfclbc  mad^tc  i^n  gum  Sanonicuö  unb  gum  5ßfarrer  an  einer 
Aird^e  gu  Smiend.  ©on)o^l  ^ier  atö  an  anberen  Orten  ber  S)iö^ 
cefe  cntn^idCcltc  er  nun  eine  cinflugrcid^e  $rebigtt^ätigfeit,  inbem 
er  nafttentlic^  auf  bie  Sefung  ber  ^eiligen  ©c^rift  brang, 
unb  babei  einfd^ärfte,  bag  Dad  Suangclium  bie  eingige  Sie« 
gel  bed  glaubend  unb  ber  ^^römmigfeit,  unb  bie  Sebendweife  ber 
ältcften  (S^riften  ba^äJtuftcr  für  alle  3^tten  fei.    Sinen 


198 

bcfonbcrn  ©rfolg  aber  gcxpann  et  in  ber  Scjicl^ung,  baß  pd^  in 
Ämicnö  mit  ©cncl^migung  be^  93ifc^ofö  eine  Kongregation  ober 
Söruberfc^aft  um  Sababie  bilbete.  Qu  berfelben  mürben  nur 
crtoecftc  ^crfonen  sugelaffen,  loetd^e  fic^  loöd^entUi^  jttjcimal  ju 
@ebct,  äBebitation,  Stnprung  ber  ^rebigt  oerfammelten,  unb  in 
il^ren  SBol^nungen  bie  SBibel  lafen.  3n  biefem  üreife  ^at  er  feine 
©e^nfuc^t  lunbgegeben,  baß  mit  ®ottc^  SSillen  bie  Qtii  fommen 
möge,  wo  bie  Äirc^e  in  if)ren  urfprünglidE)en  ©tanb  ^ergcfteUt, 
unb  tt)o  ed  ftatt^aft  fein  »erbe,  nac^  ber  ©emo^n^eit  ber 
älteften  Äird^e  baö  SBort  ©otte^  ju  lefen  unb  ju  prc*^ 
bigen  (gemäß  1  Äor.  14)  unb  baö  Slbenbma^l  unter 
beiben  @eft alten  ju  empfangen.  Snjtoifc^cn  tourbe  1643  öon 
bcn  3anfeniften  ber  SSerfud^  gemalt,  Sababie  für  i^re  $ßartei 
JU  gewinnen;  er  jog  aber  bei  allem  gegenfeitigen  @inoerftänbni§ 
öor,  feine  ©clbftänbigfeit  ju  bctiaupten,  »eil  er  ber  Ueberjeugung 
xoax,  baß  ©Ott  i^n  weiter  führen  würbe  aU  biefe  Ferren  fönnten ! 
SlDein  gleid^geitig  regten  fic^  nad^  bem  1642  erfolgten  Xobe  Don 
aiic^elieu  feine  jefuitifc^en  ©egner  wieber,  unb  fanbcn  bei  ÜKa= 
jarin  fo  weit  ©e^ör,  baß  berfelbe  1645  an  Sababie  oertraulic^ 
ein  SSerbot  feiner  ^rebigten  rid^tete,  weil  biefelben  bie  Slu^e  be^ 
©taate^  ftörten.  ffi^  erfd^ien  fiababie  rat^fam,  nid^t  blog 
golge  JU  leiften,  fonbern  au^  bie  ^icarbie  ju  Derlaffen,  unb  in 
bie  ^eimat^lic^e  ^rooinj  ©u^enne  jurücfjufe^ren.  ®a^in  be* 
gleiteten  i^n  mehrere  ©enoffen  feiner  SBruberfd^aft  aU  eine  rei* 
fcnbe  ©emeinbe.  S)aö  ift  eine  ffirfc^einung,  welche,  fo  auffaQenb 
fte  ift,  bie  geiftige  Stn/iiel^ungöfraft  fiababie'ö  beutlic^  anfd^au= 
lid^  mac^t,  aber  jugteic^  and)  beweift  baß  er  bie  SJ^enfc^en  burc^ 
feine  inbiuibuellen  ©aben  Dietme^r  an  fid^  ju  feffeln,  ate  burc^ 
baö  SBort  ©otteö  unb  beffen  ^rebigt  oon  menf^lic^er  Sluctorität 
JU  befreien  Dermoc^t  ^at.  auf  biefer  SReife  nun  ^at  Sababie 
jum  erften  9JJale  Salöin'ö  Unterricht  in  ber  c^riftlic^en  aieligion 
lennen  gelernt.  2)er  Siograpl^,  beffen  ©c^rift  o^ne  3^^ifcl  beu 
birecten  äRitt^eilungcn  feinet  gelben  folgt,  mad^t  baju  bie  nid^t 
ganj  Derftänblic^e  3emer!ung,  \>a%  Sababie  bis  ba^in  abfid^tlid^ 
niemals  ©d^riften  Saltjin'S  gelefen  l^abe,  um  behaupten  ju  bürfen, 
baß  er  nur  burd^  ©otteS  SBort  unb  ©eift  unb  burc^  bie  Se^rer 
ber  alten  Sird^e  geförbert  worben  fei ;  als  ob  er  bamals  fid^  ptte 
bewußt  fein  bürfen,  baß  er  bem  SaloiniSmuS  entgegen  gel^c! 
SlQeS  was  bie  S3iograp^ie  barbietet,  läßt  erlennen,  baß  Sababie 


199 

über  bic  Sc^rc  öon  bcr  @nabc  unb  ^räbcftination  janfcniftif^, 
bag  er  ii6er  bie  not^tücnbige  Slcfonnation  bcr  Äirc^e  ftanctö* 
cantfc^  gcbac^t,  bog  er  in  berfelben  {Richtung  bie  audfd^lieglic^e 
8tuctorität  ber  j^ciligcn  ©c^rift  auf  bie  eöangelifc^en  SBorfc^riften 
fär  ba^  adfetifc^e  fiebert  iugefpilt  l^at.  (£r  fc^eint  alfo  bicfe 
innerhalb  bed  fiat^oUci^mud  liegenbe  Sinie  nur  baburc^  über* 
fc^ritten  unb  in  bemfelben  SKafee  bcm  ^roteftanti^mug  fid^  an* 
genäl^ert  ju  ^aben,  ba%  er  bie  ficfung  ber  ^eiUflen  ©d^rift  ffir 
aDflemein  Derbinblidö  erflärt  \)at  *).  2)iefer  ©runbfafc  ift  e^  auc^ 
genefen,  melc^er  einmal  baiS  SScrbot  feiner  ^rebigten,  bann  aber 
bieienigcn  SBcrfolgungen  Veranlaßt  f)ai,  tüdä)c  \f)n  in  ©übfranf* 
reid^  erwarteten.  2)ic  aUgemeine  SBerpflic^tung  ber  Sänften,  bie 
^eil.  ©c^rift  ju  lefen,  ift  nun  jtoar  ebenfo  int  SBibcrf^jrud^  mit 
bem  Iribcntinifc^en  ©ecret,  tok  im  ©inflang  mit  bem  gefammten 
^roteftanti^muö.  Allein  an  unb  für  fic^  ift  fie  fein  fpecififc^eö 
SKerfmal  ^jroteftantifd^er  ©eifte^ric^tung,  tt)eil  fie  aud^  im  ßu* 
fammen^ang  mit  ber  franciöcanifc^en  SReformationdtchbcnj  (©.  37), 
f ott)ie  bei  ben  quictiftifc^en  ÜÄ^ftifcrn  in  granfreic^,  3ctfob  Seffeürc 
b'ffitaple«,  SBilljclm  öriQonnet,  ©erwarb  SRouffel  Dorlommt,  ttjclc^c 
im  Anfang  bc^  16.  3a^r^unbertg  fid^  mit  frommen  SBünf^en 
einer  ^Reformation  ber  Äirc^e  trugen*),  gür  Sababic  ^at  fic^ 
jebenfaüi^  ber  ©runbfa^  barau^  ergeben,  bag  er  in  ber  primitit)en 
^irc^e  bie  ^J^rei^eit  be^  ©ebrauc^^  ber  ^eiligen  ©c^rift  finben  ju 
bürfen  glaubte,  mad  er  a.  a.  D.  ©.  48  nic^t  ol^ne  93ebeutung 
audfprid^t.  S)ed^alb  ift  bie  Semerfung  bed  S3iograp^en,  ia% 
Sababic,  o^nc  fienntnig  be^  Satoini^muS  au^  feinen  aut^en« 
tifd^cn  3<^ugniffen^  nur  burc^  ©otte^  ®eift  unb  SBort  birect  auf 
ben  SBeg  bed  SafoinidmuS  geführt  n^orben  fei,  nad^  allen  lOcjicI^ungen 
ungtaublid^. 

Stö  fiababie  mit  feiner  Steifegemeinbe  in  ber   alten  ^ei^^ 


1)  ^ie  Biodrop^ie  bietet  btefe  Eingabe  ni^t  bar.  Sobobte  mad^t  |u  in 
Der  Protestatio  sincera  purae  ac  verae  reformatae  doctrinae  generalisque 
ortbodoxiae  Jobannis  de  Labadie,  tteld^e  flc^  ftnbet  in  ber  ^((rift  Veritas 
8ui  vindex  seu  solemnis  fidei  declaratio  Job.  de  Labadie,  Petri  Yyod, 
Petri  da  Lignon  Pastormn.    ^erforb  1672.  ^Dafelbf!  p.  67. 

2)  Statt  64mtbt,  ^eitrSge  jurlSefc^.  ber  Reformation  in  Sfranftei^. 
A.  Uebet  bm  m^IHfd^n  CmetiSmuS  )ur  3<it  t)on  gfran)  I.  Seitfclftr.  für  ^ißor. 
XM*  1850.  6.  8—25. 


200 

tnatl^  anlam,  fanb  er  jtoar  ttod^  bie  ©unft  bcö  Sifd^ofg  Don  Sa:^ 
jaig  unb  bc^  ffirjbifd^ofö  üon  Sorbcauj;  allein  nid^t  nur  galt  bo§ 
^rcbigtöerbot  für  i^n  aud^  ^ier,  fonbern  bic  3efuiten  rid^tcten 
atöbalb  il^rc  ?lufmertfamfeit  in  bcr  9trt  auf  i^n,  bag  er  eö  öorjog, 
fid^  in  einige  Serborgen f)cit  ju  begeben.  6r  ging  alfo  ju  ben 
Äarmelitern  in  ©raoillc  bei  SBajad,  tt)o  er  fec^ö  3Äonate  jubrad^te, 
inbem  er  unb  feine  (Sefeflf^aft  ftd^  ber  ftrengen  a^fetifd^cn 
S)i^ci^)lin  biefcö  Drbeng  unternjarfen,  unb  sjugleid^,  um  bcr 
umgebcnben  SBetJÖlfcrung  nid^t  aufzufallen,  bie  Äuttc  über 
i^re  Äleiber  anjogen.  2)ieg  ift  bie  I^atfac^e,  locld^e  nad^l^er 
fo  bargefteüt  tt)orben  ift,  bag  fiababic  in  ben  Drben  fclbft 
eingetreten  fei.  9Äan  fie^t  nid^t  ein,  mit  weli^em  SRec^tc 
ein  bamate  neu  eingetretener  Sifc^of  öon  S3aja§  cg  unternehmen 
fonnte,  fic^  ber  ^erfon  Sababic'ö  ju  bemä^tigen,  um  ber  am 
löniglic^en  ^ofe  mäd^tigen  antijanfeniftifd^cn  Partei  ju  gefallen, 
©iefer  ©efa^r  ju  entgegen,  §at  fiababie  jtoifc^en  1646  unb 
1650  me^rmdU  feinen  SScrftedt  in  ben  Söurgen  öon  oorne^men 
©önnern  tt)ec^feln  muffen.  @ö  bient  ju  feiner  S^araltcriftif,  ba§ 
er,  meld^er  mit  ber  ©rünbung  feiner  Söruberfc^aft  ben  SBeg  jur 
aieform  ber  römifd^cn  Äird^e  befc^ritten  ju  l^aben  meinte,  unter 
biefen  Hemmungen  bie  3leugerung  t^at,  baß  e^  enblid^  not^wenbig 
fein  »erbe,  bcm  römifd^en  Äleruö  unb  feinem  Raupte  offenen 
Ärieg  }u  erflären.  2)cr  Siograp^  brauchte  baju  nid^t  ju  be* 
merfen,  bag  fiababie  babei  noc^  nic^t  an  einen  Snfc^Iug  an 
bie  aieformirten  gebadet  f)abc,  ©etoiß  nidE)t!  6r  ber  9lefonnator 
ber  römifc^en  Äird^e  bat^tc  babei  nur  an  fein  felbftänbige«;  JRec^t. 
yiidjt^  anbered  ift  auc^  ber  «Sinn  eine^  fpätcrn  äuöfprud^^,  ha^ 
biefc  Verfolgung  bie  lefete  fei,  bic  i^n  innerhalb  ber  römifd^en 
Äirc^e  träfe;  nac^bem  er  i^r  öergeblid^  ju  bienen  unb  fie  ju 
feilen  üerfud^t  f)abc,  fei  e^  an  ber  ß^Jt  fid^  burd^au^  gegen  fie 
jU  erflären.  5D?it  toeldjem  Programm  biefe^  gefd^el)cn  folltc, 
wirb  ücrfc^njiegeu.  Sllfo  ber  SKann  füllte  \id)  ber  ganjen  römi^ 
fd^en  Äird^e  gemad^fen;  er  ber  mit  feinen  bi^^er  nad^toei^baren 
fieiftungen  öielleic^t  baju  geeignet  erfd^eint,  einen  neuen  Drben 
nad^  bem  ßwfd^nitt  ber  nac^tribcntinifd)en  5)eDotion  ju  grfinben. 
SS  toar  i^m  babei  gar  nid^t  flar,  bag  bie  Haltung  ber  j^ir^e  im 
17.  3a^t^unbert,  gefc^meige  bcnn  bic  fraujöfifd^e  SRegicrung  einen 
Stabicali^mui^  toic  ben  beS  ^eiligen  t^^^nj  bon  Slfftfi  auc^  nur 
in  irgenb  einer  Sejiel)ung,  n)ie  bie  äJerpflid^tung  }ur  fiefung  ber 


201 

SBibet  tft,  nid^t  geftattcn  tt)crbe.  ©eine  JRid^tung  auf  eine  autonome 
lir(4lt(4e  Stellung  foQtc  beSl^alb  junäi^ft  nod^  ntc^t  erfolgretd^ 
»erben.  ?luf  ber  ©urg  etncö  rcformtrten  §errn  bc  g^tjaö,  fßu 
comte  be  Saftete  fanb  er  bie  ©ctegcn^eit  unb  btc  ajJufee,  fid^  mit 
bem  Salutni^mud  genauer  befannt  ju  machen,  unb  fud^te  aui^  bcffen 
Urfunben  [id^  ju  überzeugen,  ob  er  in  ben  JReformirten  ein  Sßolf 
pnben  iperbc,  tt)cld)e^  für  ®ott  lebte,  unb  feine  Seigre,  ßultug 
unb  fieben^toeife  na^  ben  @runbfa|en  bed  <St)angeUumd  einrid^tete. 
SKan  pe^t  an^  bicfer  Slngabe  \>c^  öiograp^cn,  bafe  Sababie  fic^ 
bem  Ealuiniömu^  unter  bem  ©cfid^t^punftc  angenähert  l^at,  bafe  ber* 
felbe  fid^  mit  bem  §ciligfeitdftrcben  berührt,  toelc^eg  i^n  biö^er 
geleitet  l^atte.  S)ag  Reifet,  nid}t  biejenlge  ©eite  beiS  Eabini^mu^, 
toeld^e  bemfelben  mit  bem  fiutl^ertl^um  gemeinfam  ift,  l^at  eine 
fpccieHe  Stnjie^ung  auf  Sababie  ausgeübt,  alfo  nic^t  bie  anti* 
fat^olifd^e  ©c^ärfe  be^  calöinif^en  S)ogma,  fonbern  biejenige 
Stgentpmlid^feit  be^  SatoinidmuiS,  in  n)eld^er  bie  mittelaltrige 
®et)otion  fortgcfe^t  loirb,  !urj  bie  ©eite  an  i^m,  lueld^e  ben 
Hugenotten  (Messieurs  de  la  r^ligion)  atö  neued  mönd^ifd^eS 
SBefen  angerechnet  würbe.  Slud^  ba^  ©tubium  ber  Eontroüergs» 
fd^riften  t)on  ©arpi,  ß^emnife,  ©abeel  u.  81.,  ttjeld^em  er  ju 
(Saftete  oblag,  überjeugtc  i^n  nur  bat)on,  ba§  tt)enn  er  ju  ben  JRefor*' 
mir ten  überträte,  er  offen  bie  SBal^rl^eiten  befennen  bürfte, 
meldte  i^m  ®ott  feit  fo  langer  ßeit  in  fein  ^erj  ge* 
legt  l)atte.  3n  bem  SSerfe^r  mit  ber  reformirten  ^öutilie  be^ 
öurg^errn  ju  (Saftete  unb  beffen  ^auögeiftlid^em  tvax  er  aud^ 
feine^toegeö  ber  Smpfangcnbe,  fonbern  ber  ÜÄitt^eitenbe;  unb  er 
^at  inöbcfonbere  bafelbft  t)or  einem  großem  fireife  über  bie  red^t 
^eilige  unb  c^riftlid^e  geier  bcö  äbenbma^lö  SSortrag  gehalten. 
3n  Kaftet^  ^at  er  aud^  les  filövations  d'esprit  ä  Dieu  gefc^rie* 
ben,  unb  an^  biefem  ©ebetbuc^  *)  !ann  man  erfennen,  bag  in 
feiner  SÄöftit  bie  fpecififc^  ^jroteftantifdje  Sluffaffung  ber  ©naben* 
ijer^eifeung  ©otteiS  unb  ©unbenoergebung  feinen  ?ßlaft  finbet. 
Ober  ift  eö  eüaugelif^,  ©Ott  ju  bitten,  baß  er  ,,burdö  bie  ^ifee 
feiner  Sarml^erjigfeit  mel^r  alö  burd^  ba^  geuer  feiner  ©ered^tig» 

1)  (Setotbinet  feinem  (Bafifreunb  unb  bejfen  (Sema^Un  ouS  SRontauban 
om  1.  ^prtl  16Ö1;  liegt  mir  in  nteberlfinbifc^er  Uebeife^ung  bor:  Verheffin- 
gen  des  iifeestes  tot  godt,  9[mf!erbam  1667;  ent^SIi  brei  ®ebete  fUr  Wor* 
0cn,  9{ttta0  unb  9[6enb,  unb  eins  für  beliebigen  iSglid^en  (Sebraud^. 


202 

feit  unfcrc  Ungcted^tiglcitcn  Dcrje^rcn,  unb  burd^  feine  ©traj^lcn 
unferc  glecfen  reinigen"  möge,  —  baß  et  ,M^  ®iö  unferer  §er* 
jen  fc^mcljen,  unb  fic  üon  SBaffer  in  geuer  öerioanbeln  möge, 
bamit  fic  i^re  @änben  in  X^räneu  ertränfcn,  unb  burc^  @otted 
2iebc  jerftreuen",  —  baß  er  „unö  al^  Äinbern  ber  ©ünbe  unb 
Untt)iffen^eit,  n)enn  eö  i^m  beliebte,  unfere  Untoiffen^eit  unb 
©ünbcn  vergeben  möge"?  Sllfo  fein  SBort  üon  ber  ©d^ulb 
unferer  ©ünbe,  bie  tüir  täglid^  erneueni,  unb  öon  ber  ®ett)ä^r* 
leiftung  bc^  SBiUeng  (Sottet,  burd^  ß^riftuö  bie  trennenbc  SBir* 
fung  ber  äJerfc^ulbung  aufju^eben!  hingegen  fpielt  fiababie 
nur  bie  SÄclobie  aller  mittelaltrigen  S)et)Otiün  ab,  inbem  er 
S^riftuö  aU  ba$  SBorbilb  preift,  bemgemäß  man  an  fid^  felber 
ftirbt  um  @ott  ju  leben,  inbem  er  Don  ©otte^liebe  unb  @nabc 
bie  (Srleui^tung  unb  ben  Qnq  nad^  oben  erwartet,  bamit  toir  aU 
üoQfommene  ^inber  be^  fiid^td  und  @ott  jum  Opfer  bringen. 
Sei  biefem  lone  ber  m^ftif^en  grömmigleit  ift  er  fein  Scben 
lang  geblieben;  tjbäj^t  mal^rfc^einlic^  alfo  ift  bie  Angabe  eincd 
©egnerd,  baß  Sababie  ju  bel^aupten  pflegte,  alle  feine  wichtigen 
unb  entfd^eibenben  Ueberjeugungen  f)abc  er  fd^on  im  ^apfttl^um 
befeffen,  bie  SReformirten  Ratten  i^m  nid&tö  jugebrac^t  0-  S)tefc 
6r!lärung  nämlic^  lann  nic^t  fo  üerftanbcn  loerbcn,  baß  er 
innerl^alb  ber  römift^en  Äirc^c  fid^  ju  einem  jioeiten  ©atoin  cnt^ 
loicfelt  l^abe,  fonbern  nur  fo,  baß  er  innerhalb  ber  reformirtcn 
Äird^e  feinen  Anlaß  gefunben  f)abc,  feine  m^ftifc^e  ©emotion  ju 
berichtigen,  nac^bem  er  bort  ben  loillfommenen  ©pielraum  für 
bie  ©urd^fü^rung  feinet  ^eiligfeitöftrebend  gefunben  ^attc. 

SRac^   einem  Slufcnt^alt  öon  jtoei  äBonaten «)  fa^  ftd^  Sa^ 


1)  9ei  Jacob  KoelmaD,  Der  Labadisien  dwalingeB  grondig 
ontdekt  en  wederlegt.  Amsterdam  1684  p.  477.  5Dte  Stt^iigfctt  btcfet 
Vttfiabe  tttrb  ou^  bur^  btc  oben  (S.  197)  angefahrte  ^TfläTung  Sobabte'S 
Über  feine  Vrieflertoet^e  na^e  gelegt.  $g(.  ferner  bie  unterftrid^ne  ^eu^ntng 
über  feine  su  (SaftetS  angepeilten  Stubien  (8.  201). 

2)  ^ie  ^iograp^ie  lagt  bie  G^ronologie  beS  ^ufent$alte§  Sababie'S 
in  8übfran!rei(^  bur(]^auS  im  ^unfein.  Steiften  feinem  9[baug  üon  ^[mtenS 
(1645)  unb  feinem  Eintritt  in  ^ontauban  (1650)  liegen  me^r  als  4  Sa^re; 
babon  ftnb  6  Monate  bei  ben  Karmelitern,  unb  jule^t  2  HKonate  in  daßetS 
bur(^  bie  ^ebication  ber  l^levations  feftgefteUt;  eS  ift  bemna(]^  fe^r  toenigtier« 
ftSnbli^,  tt)o  ber  ^ann,  ber  don  feinem  SBerfolger  überafl  aufgefpfirt  unb  auf« 
gef^eu^t  toorben  i%  bie  Stü  ii^on  me^r  aU  3  darren  augebra^t  ^at 


203 

babte  burd^  bte  SBerfotgung  bed  93tfd^ofd  Don  Saja^  ge^toungeit, 
aud^  (Saftetö  tPteber  j^u  Derlaffcn,  unb  in  SJ^ontauban  ben  <Bä)u^ 
bcr  reformirtcn  ©cmeinbe  ju  fud^cn  (1650).  allein  auc^  ^icr 
toar  er  nic^t  fi^cr,  »enn  er  nic^t  afö  ÜRitgUeb  in  bicfclbe  auf* 
flenommen  tt)urbe.  S)cö^alb  entfd^lofe  er  fic^  gum  Eonfcffiond« 
njcc^fel  am  16.  Dctobcr  b.  3-,  nac^bem  er  fic^  mit  ben  ^rcbigcm 
über  bte  ftrcitigen  $ßunfte  unterhalten,  unb  fpeciell  bic  3"ft'"^* 
ntung  jur  catoinifd^en  fie^re  üom  Sbenbma^le  üon  feiner  m^fti« 
fc^en  @efammtanf(^auung  au^  o^ne  Diele  ©d^n^ierigfeit  eneic^t 
^atte.  3n  äRontauban  n)ar  man  ber  9J2einung,  bag  feit  SalDin 
unb  ben  erften  SReformatoren  laum  jemalö  ein  gleicher  ÜÄann  in 
bic  reformirtc  Äird^e  getreten  fei,  tok  jcfet  fiababie!  S)cr  geiftlic^e 
9Scr!e§r,  in  tt)eld^en  äRitglieber  ber  rcformirten  ©emeinbe  mit 
i^m  traten,  regte  nun  in  benfelben  ben  äBunfd^  an,  bag  fiaba« 
bie  bai^  $rebigtamt  fiberne^men  möchte.  3^n  l^ielt  aber  baüon 
5unä^ft  bie  9ifi(ffid^t  ab,  bag  bie  @itten  in  ber  @emeinbe  unb 
bic  trodenc  8rt  i^rer  g^-ömmigleit  feinen  Änfprüd^en  nid^t^ 
iveniger  atö  cntfprac^en.  Snbeffen  als  er  nac^  jmei  Sauren 
überl^aupt  bcrfaffungSmägig  befäl^igt  n)ar,  in  baS  $rcbtgtamt 
cinjutreten,  folgte  er  ber  üon  gal^lreic^cn  Stimmen  aus  ber  @e* 
meinbc  untcrftü^ten  Berufung  burc^  baS  Sonftftorium  unb  ben 
SRagiftrat  (1652).  3n  feinem  «mte  »ar  er  fe^r  energifc^  jur 
93e!Sn^)fung  ber  gcfelligen  SBergnflgungen,  beS  Il^caterS,  beS 
loeiblic^en  ÄleiberlujuS.  UebrigenS  aber  mürbe  burc^  3ntriguen 
beS  lat^olifc^cn  ÄleruS,  unb,  toit  eS  l^ei^t,  einer  Partei  unter 
ben  Reformirtcn  feine  Sßerbannung  aus  bem  Königreiche  ^erbei^ 
geführt  (1657).  Sr  begab  fid^  Don  äRontauban  nad^  Drange 
ttal^e  am  Stl^öne  nid^t  n^eit  Don  beffen  SRAnbung,  bem  ^auptort 
beS  gürftentl^umS,  toelc^eS  ber  in  ben  SRieberlanben  fo  einflufe^ 
rcid^cn  fiinie  beS  §aufeS  SRaffau  ben  SBeinamen  gegeben  l^at. 
^icr  tourbc  er  jum  augerorbentlid^en  ^aftor  ertoä^lt,  unb  be* 
mü^te  fid^  alsbalb  um  bie  ffimeuerung  ber  erfc^lafften  S)iSciplin 
unb  um  bic  Selampfung  Don  lanj,  itartenf^jiel,  ©efellfd^aften. 
3nbeffen  mar  ^icr  feines  93lcibcnS  nid^t  lange,  ba  bie  unfid^ere 
polttifd^e  ©teSung  beS  fianbeS  gegenfiber  ber  Krone  ^^ranfreid^ 
gcrabc  bamals  eine  Dccupation  burd^  Submig  XIV.  enoarten 
lieg.  Sababic  nal^m  alfo  eine  Berufung  an  bie  franjöfifc^e 
©emcinbc  ju  fionbon  an.  Sic  Steife  ba^in  burftc  er  aber  nid^t 
auf  bem  geraben  993cge  mad^cn,  toenn  er  nid^t   ber  franjöfifc^en 


204 

^Regierung  in  bic  §änbc  fallen  tt)oIItc.  Auf  bcm  Umttjegc  burd^ 
©aUü^cn  gelangte  Sababie  gegen  ÜRitte  1659  nac^  @enf.  ^icr 
l^ielt  man  i^n  fcft;  äRagiftrat,  Solf,  @eiftli(^c  bcftfirmten  il^n, 
in  ben  S)ienft  ber  ©enfer  Äird^c  ju  treten;  feine  Verpflichtung 
gegen  bie  ©cmeinbe  ju  fionbon  n)urbe  gelöft.  Slug  Drange  aber 
l^atte  er  fi^  entfernt,  o^ne  üon  ber  ©emeinbe  öffentlich  unb 
orbnung^mäßig  9lbfc^ieb  ju  nel^men.  @d  ift  nun  für  i^n 
ctiaralteriftifd^,  baß  er  biefen  Umftanb  in  SSerbinbung  mit  feiner 
§lnftellung  in  @enf  alö  einen  8lct  ber  befonbern  SBorfe^ung 
Ootteö  barfteüt,  ber  i^n  nac^  bem  SSorbilbe  feiner  ^ro* 
Poeten  unb  1^ eiligen  @efanbten  auc^  nod^  ^u  anberen  ®c^ 
meinben  ju  f^iden  befc^loffen,  unb  il^n  au^3  ben  ©efal^ren  ber 
9ieife  tounberbar  ^abe  ^ertjorge^en  laffen  ')•  3"  ®fnf  t}at  er 
bemnä(^ft  fieben  3a^re  lang  mit  gewaltigem  Eifer  bie  bort  im 
l^o^en  SKage  l^errfd^cnbe  SScrioeltlid^ung  ber  ©efcQfd^aft  befämpft 
unb  bie  S)iöciplin  gefcl)ärft.  ?lllein  ber  ffliograpl^  (n)elc^er  auö 
ajfontauban  ftammcnb,  öon  feinen  äeltern  in  feinem  16.  Seben^ 
ja^r  1662  ju  Sababie  nac^  @enf  gefanbt  tt)urbe,  unb  mit  ^eter 
bu  Signon  au^  Sangucboc  jufammen  feitbcm  ber  unjcrtrennlic^c  @c* 
fährte  feinet  SKeifter^  n)urbe)  berid^tet,  \>a%  bic  ffirfolge,  toctc^e 
Sababie  erfämpfte,  il^n  über  bie  SBirfung^lofigfeit  feiner  cigent* 
lid^ften  Seftrebungen  nic^t  täufd^ten.  (Jr  l^at  fel^r  oft  borübcr 
gefeufjt,  loie  tt)enige  ©eelen  fic^  ber  Slu^übung  ber  eDangelifc^cn 
SBal^r^eiten  gänjlic^  ergaben  burct)  einen  innerlichen  unb 
tt)irtfamen  SBcrfei^r  mit  ©Ott  unb  burd^  eine  njirtlic^e  Erneuerung 
i^reö  Sebenöloanbelö.  gür  fein  mt)ftifc^*a^Ietifd^e^  Äebenöibeal 
fanb  er  alfo  in  ber  Dolfrcic^en  3Jiuttcrgcmcinbe  be^  ©alüini^mug 
feinen  SRaum!  2)eö^alb  fpann  er  fid^  mit  feinen  beiben  3üngem 
fc^on  bamalö  in  biejenigcn  Slnfid^tcn  ein,  njeli^e  bie  Separation 
not^ioenbig  na6)  fidl)  jie^en  mußten.  @r  ftellte  in  ber  ju  @enf 
Uerfafeten  ©c^rift:  Le  discernement  de  la  v6ritable  ^glise,  ben 
©cbanten  feft,  baß  man  aU  Äirc^e  nur  bie  ©emeinfc^aft  ber 
ttjirflic^  tt)iebergeborenen  I^eilne^mcr  am  ©eifte  ß^rifti  aner^ 
fennen  bürfe,  —  in  einem  Xractat:  r^glise  ä  part,  baß  bicÄirc^c 
getrennt  t)on  ber  SBelt  cjiftiren  unb  bie  weltlich  ©efinnten  oon 


1)  LettreR  d'adieu  de  Mr.  de  Labadie  pasteur  se  retirant  de  reglise 
d'Orange  avec  les  reponses  et  les  repliques,  qui  les  ont  snivies,  1660. 
P.  8.  22.  88. 


205 

ficl^  fern  l^altcn  milffc;  —  enblid^  begann  er  bie  SBa^r^eit  be8 
^crrlic^en  9ietc^e^  Sl^rifti  in  bcn  lefetcn  Seiten,  meldte  i^n  fd^on 
in  feiner  fat^olifd^en  2cben^cpodjc  befd^äfttgt  ^otte,  an  ber  ^anb 
bcr  Slpofalqpfe  mit  Äraft  üorjutragen.  ©in  äR^ftifer,  ber  fid^  ju^ 
gleid^  berufen  fü^lt,  bie  Äir^e  ju  reformiren,  Verfällt  mit  einer 
getoiffen  golgerid^tiglcit  auf  biefe  Äu^fid^t,  unb  eö  ift  ganj  über* 
flüffig  barauf  ju  ratzen,  burd^  xod6)c  befonbere  Ueberliefcrung 
Sababie  auf  biefen  ©lauben^artifel  geführt  toorben  ift,  mit 
bcm  er  fid^  ebenfo  uon  ber  gangbaren  reformirten  Se^re  entfernte, 
n)ie  burd^  bie  Slnfid^ten  über  bie  Sird^e  Don  i^rer  t^atfäd^lid^en 
©efc^ic^te  unb  SSerfaffung.  8luf  bie  S)auer  füllte  er  fic^  mit 
biefen  Snfic^ten  in  @enf  m(i)t  ^eimifd^,  unb  glaubte  bed()alb  in 
bcr  Berufung  an  bie  iDaüonifd^e  ©emeinbe  ju  9Ribbelburg  in 
ber  ^roüinj  ©eelanb,  »elc^e  il^m  1666  ju  2;f)eil  mürbe,  roieberum 
bie  ©timme  @otte^  ju  erfennen.  ©onft,  wenn  feine  ©teDung 
ju  ber  ©emeinbe  in  ®enf  üoDfommen  tlar  gettjefen  ttjäre,  müßte 
man  fic^  ttjunbern,  baß  er  il^rcn  ®ienft  mit  bem  an  einer  @e* 
meinbe  t)on  faum  taufenb  ©eelen  uertaufd^t  ^at.  ^arum  werben 
bie  Serfaffer  ber  Histoire  curieuse  fic^  fd^wcrlid^  barin  täufd^en, 
baß  Sababie  in  ben  5Rieberlanben  ba5  freie  gelb  für  feine  fe* 
paratiftifc^en  ^rojecte  ju  finben  ern)artete,  ttjelc^e^  barjubieten 
il^m  @enf  nid^t  öerfprad^.  Qu  meld^em  Qxoed  fonft  na^m  er  nac^ 
ben  Slieberlanben  feine  beiben  3ünger  mit,  meiere  burc^  feine 
Berufung  veranlagt  maren,  fid^  in  baiS  il^nen  burc^aud  frcmbe 
fianb  JU  begeben?  S)iefe  Segleiter  bilbeten  ben  ©eneralftab  für 
feine  im  S)ienft  ©ottej^  beabfic^tigten  Unternehmungen.  3n  ^ei* 
belberg  gefeilte  \i6)  nod^  ein  britter  junger  SKann  ^inju,  3ean 
SR^nuret,  ber  früher  ©tubent  ber  Ideologie  in  ®enf  genjefen 
toar.  Sr  mürbe  bur^  bie  Sieben  unb  burd^  ben  :perfönlid^en  Sin« 
brucf  ber  SReifenben  fo  ergriffen,  baß  er  um  Aufnahme  in  i^re 
@efellf^aft  bat.  Unb  ba  fid^  biefelben  bauon  überjeugten,  baß 
fein  ^er)  lebhaft  t)on  @ott  gerührt  unb  er  entfc^loffen  mar, 
aQeS  über  fic^  ju  neljmen,  mad  i^n  in  ber  t^olge  im  Sienfte 
Ootteö  treffen  toerbe,  fo  würbe  er  jugelaffen.  (&^  mürbe  il^m 
aber  ))on  Sababie  vorgehalten,  baß  er  fid^  ju  l^eiligen  l^abe  bur^ 
Verleugnung  ber  SBelt,  i^rcr  @üter  unb  greuben,  um  3efu 
(S^rifto  JU  folgen  arm,  nadt,  verachtet,  Verfolgt;  femer  baß  er 
ft^  S^rifto  unb  bem  äBerf  beS  (SuangeliumS  ju  übergeben  ^abe, 
um  bie  Steformation  feiner  felbft  unb  ber  Snberen  ju  erftreben, 


206 

inbcm  er  pd^  ju  bcm  Qmcd  allen  ©ntbel^rungcn  untcrjögc,  unb 
bem  §a6  ber  tDiberc^riftlid^en  SBelt  fic^  au^fefete.  S)iefe  SSorl^al* 
tungen  fe^en  einem  @elübbe  }um  (Eintritt  in  einen  Orben  jum 
SSerttjec^fcIn  ä^nlidö;  w^b  inbem  fie  bic  SSorfä^e  bcjeic^nen;  mit 
tt)clc^en  Sababie  feinem  neuen  Scjtimmungöort  entgccjenginfl, 
fo  laffen  fie  nid^td  tt)eniger  ettüarten,  aU  baß  er  bie  firc^lic^en 
Orbnungen  beachten  mürbe,  auf  tod^c  i^n  bie  ^nnal^me  bed 
aiufe^  nad^  SÄibbelburg  iubirect  üerpflic^tete. 

S)enn  biejenigen  ?ßerfonen,  n)eld^e  biefen  Muf  heranlaßt 
unb  Sababie  jur  annähme  beffelben  bett)ogen  l^attcn,  »aren 
babei  Don  ber  änfid^t  aui^gegangcn,  bafe  er  ber  ÜRann  fei,  um 
bie  {Reformation  ber  niebcrlänbifc^en  Äird^e,  njeld^e  il^nen  am 
^erjen  lag,  nämlid^  bie  ffirneuerung  berfelben  aud  bem  ®cift 
©otteig  burd^jufu^ren.  Unter  biefer  Slufgabe  üerftanb  ©i^bctt 
SSoet  bie  ftrenge  ©itte  beö  Sabini^muö  unb  bie  $ßracifität  in 
ber  gefammten  ^anblung^tüeife,  Sobenfte^n  fügte  bie  m^ftifd^^ 
contemptatiüe  ©elbftüerleugnung  alö  bag  erfennbare  Organ  bcö 
®eifte^  @ottc^  [)iniu.  93eibe  fanben  in  ben  Sonüentifeln  bic 
©etegen^eit,  bie  ^erfteDüng  ber  Äirc^e  öorjubereiten;  in  bem 
ÜRage  aber  atö  fie  ^ier  Srfolg  fanben,  mugten  fie  fid^  uon  ber 
Steigerung  bei^  SBiberftanbe^  ber  äBenge  überjeugen.  S)a  mürben 
fie  unb  bie  gleich  ©epnnten  barauf  ^ingemiefen,  fid^  für  Saba- 
W^  Berufung  nad^  äRibbelburg  ju  intereffiren,  um  burd^  i^n 
i§re  öeftrebungen  ju  üerftärfen.  Eine  befonbere  ÜRitmirtung  ba* 
bei  fiel  aber  einer  grau  ju. 

S)iefelbc  ift  f^on  frül)er  (©.  120)  aU  eine  ©c^ülerin  üou 
SSoet  genannt  morben,  bei  ber  ©elegenl^eit,  bafe  biefer  I^eolog 
e«  anäi  unter  Umftänben  angejeigt  fanb,  einer  grau  bie  Äcitung 
ber  ^riüatanbac^ten  üon  grauen  anjuDertrauen.  Snna  9Karia 
öon  ©c^urman  0,  geboren  ju  ©öln  5.  SRoüember  1607,  mar  mit 

1)  »«rgr.  übet  Pe  (SJoebel  n.  S.  203  ff.  273  ff.,  ferner  if^acfett, 
91.  9R.  6.  64.  ber  Stern  Utrechts,  bie  Sünoerin  Sababte'8.  (Sin  9)ortrog.  ®ot(a 
1876.  3(re  SebenSumftönDe  bis  sunt  3a^re  1666  flnb  QuSftt^rlt^  unb  au« 
ber  genouften  Punbe  bargefleflt  in  ber  Siograpbie  i^obobie'S  don  ^Don,  bei  Hr« 
nolb  itir^en-  unb  ite^ergef^i^te  q.  o.  O.  6.  1261^1270.  3^re  fernere  Se- 
benSgef^id^te  feit  bem  ^inf^lug  an  Sababie  ip  eingeftreui  in  ibrem  iBudb<*  ^^^ 
clcria  seu  melioris  partis  electio.  Altona  1673.  3^<^ter  jt^eil  (no^ 
i^rem  Sobe)  Amsterdam  1686;  beibe  in  beutfcber  Ueberfetjung,  5Deffau  1782. 
S)ie  ^onogra^^ie  über  bie  64.  bon  S^otel,  Qerjogenbuf^  1863.  2  ^etle, 
ip  mir  unbefannt  geblieben. 


207 

fo  rctd^cn  ©oben  au^gcftattct,  baJ3  tl&r  JBatct  fid^  öcranlagt  fal^, 
t^r  eine  lüiffcnfd^afflid^c  (Srjiiel^ung  ju  crtl^cilen.  S)iefc  ^attc 
einen  umfaffcnben  ©rfolg,  tnhem  bic*©c^urman  ntc^t  nur  bie 
alten,  fonbcrn  and)  bie  neuen  ©prad^cn  in  ber  SRebe  tt)ie  in  ber 
©d^rift  be^errfc^te,  unb  in  SRat^ematif,  ?ß^^ftf  unb  ?ß^i(ofop]^ie 
^eimifd^  tourbe.  S^slcicl^  leiftete  fie  in  äRalerei,  ^olsfd^neiberei 
unb  Äupferftid^,  fo  xok  in  ©tiderei  nic^t  ©eroöl^nlic^eö,  unb  übte 
Snftrumentalmuftf  unb  ©efang.  SJiit  biefer  göDe  Don  Silbung 
öerbanb  fie  Don  3ugenb  auf  einen  emften  religiöfen  ©inn,  n)elc^er 
fid^  na(^  bem  ©a^e  be^  ^eibelberger  ^atcdjidmuS  rid^tete,  bag 
ber  ß^rift  nic^t  fein  eigen  ift,  fonbern  feinem  treuen  ^cilanbe 
angel^ftrt.  9lac^  *bem  lobe  i^re^  »aterg  (1623)  mit  ber  SWutter 
unb  ben  S5rübern  in  Utrecht  anfäffig,  fanb  fie  feit  1634  an 
©ii^bert  SBoet  einen  Se^rer  auc^  in  ber  Ideologie ;  unb  um  bie 
^eilige  ©d^rift  im  Urtejt  ju  lefen,  lernte  fie  bei  il^m  nid^t  blo^ 
§ebräifd^,  fonbern  titoaxb  fic^  auc^  Äenntniffe  in  ben  anberen 
fcmitifd^en  ©prad^en.  S)er  JRu^m  i^rer  ©ele^rfamleit  führte  fie 
in  SSerbinbung  mit  einer  SRenge  t)on  @elef)rten  unb  jog  bie  Sluf* 
mcrffamleit  l^öc^ftgcftellter  ^erfonen  in  allen  Säubern  auf  fic^. 
@ine  ©ammlung  i^rer  opuscula,  loeld^e  ber  ^rofcffor  /ju  fieibcn, 
3fricbri(^  ©panl^eim  1648  herausgeben  burfte,  erful^r  binnen 
üier  Salären  brei  Sluflagen.  8l§  nun  aber  um  biefe  ßeit  au^ 
i§re  aRutter  ftarb,  tourbe  fie  genöt^igt,  i^r  tt)iffenfd^aftlid^eS  unb 
fünftlerifd^ed  ©tillleben  mit  ber  ©orge  um  baS  ^auStoefen  ju 
Dertaufc^en,  an  weld^em  auger  i^rem  altern  ©ruber  3o^aun 
©ottfc^alf  t)on  ©d^.  jtt)ei  l^od^beja^rte  ©d^tt)eftern  i^rer  SDiutter 
t^eilna^men.  Unter  biefen  Umftänben  l^at  fie  i^re  Sefd^eibenl^eit 
iinb  ©elbftDerleugnung  Sa^re  lang  bett)äl^rt  burd^  bie?ßflege  ber 
fränllic^en  unb  fd^liefelid^  crblinbeten  ©reifinnen,  benen  fie  alle 
t^rc  früheren  Sefc^äftigungen  aufopferte.  Siac^bem  fie  mit  ben^ 
fclben  t^eite  in  Solu,  tl^eilö  irgenbtt)o  auf  bem  Sanbe  getoo^nt 
l^atte,  erlaubte  i^r  bereu  Xob,  etttja  1660  i^ren  SBo^nfife  toieber 
nad^  Utrecht  ju  Verlegen,  loo  fie  in  großer  Äbgefd^ieben^eit  üer^^ 
weilte,  toäl^renb  ber  Sruber  in  ben  folgenben  Salären  feinen  Auf* 
entölt  in  93afel  unb  in  @enf  na^m.  §ier  lernte  berfelbe  Sa* 
babic  nid^t  nur  fennen  (1662),  fonbern  tt)urbe  Don  i^m  fo  ange* 
jogen,  baß  er  in  fein  §au8tt)efen  eintrat,  um  ben  intimften  SSer* 
fe^r  mit  i^m  ju  genießen.  ÜKit  ber  S5ett)unberung  biefeS  ed^ten 
5£)ienerS  S^rifti  Derbanb  fic^  bei  ©d^urman  ber  lebhafte  ffiinbrud 


208 

bat)on,  ba§  bic  SRcl^rjal^I  feiner  Ämtögettoffen  in  ®enf  il^m  ent 
gegcnioirfte,  unb  baft  beö^alb  baS  SSerberbniß  in  biefcr  ©tabt 
^offnung^Io^  fei.  Sr  ging  alfo  auf  bic  9lnfc^auungdn)eife  Sa^ 
babic'^  öoUftänbig  ein,  unb  jurücfgefe^rt  öermod&te  er  biefelbc 
antS)  in  feiner  ©^roeftcr  ju  erroeden.  2llg  biefe,  naä)  bcm  1664 
erfolgten  lobe  if)red  SBrubcrö,  in  ber  ©infamleit  jurüdblieb,  pc 
felbft  57  3a^re  alt,  burd^brang  fie  fic^  mit  berfelben  ©rgebung 
in  ®otteg  @nabe  unb  ber  ©e^nfud^t  nac^  bcm  l^immlifc^cn  SSaters 
lanbc,  meiere  ber  Söruber  auf  feinem  firanfenlager  funb  gegeben 
I^Qtte;  aber  in  bcm  2Ra§c  aU  fie  felbft  fid^  ^\ix  contem^jlQtitJcn 
(Steigerung  it)rer  Siebe  ju  ®ott  burd^  fein  93eifpiel  aufgeforbert 
fa^,  ^ielt  fie  auc^  il^ren  93Iicf  auf  ben  SScrfaH  ber  fie  umgcbcnbcn 
d^riftlidjcn  ©cfcHfd^aft  gerichtet,  hierin  würbe  fie  burd^  ben  fort» 
bauernben  SSerfc^r  mit  SBoet  beftärft.  Slllcin  fo  ttjie  fie  mc^r  aU 
ieber  Slnbere  burd^  i^ren  ©ruber  für  Sababie  eingenommen  toat, 
fo  fann  man  nic^t  jrocifeln,  ba§  fie  in^bcfonbere  bic  Äufmcrl^ 
feit  ber  ju  feiner  ^Berufung  competenten  ^erfonen  auf  i^n  gc* 
Icnft  ^at,  toeö^alb  fie  oor  allen  änberen  burc^  Söriefe  fic^  barum 
bemühte,  il^n  jur  Slnna^mc  ber  Berufung  nad^  SRibbelburg  ju 
beftimmen. 

Sababie  empfing  feine  cl^renDolle  ©ntlaffung  üom  Eonfifto- 
rium  in  Oenf  am  3.  ÜJdärj  1666,  ttjirb  alfo  noc^  loälirenb  beö 
ÜÄonatö  ÜKär^  in  ben  SRieberlanbcn  angctommen  fein.  35a  er 
ben  legten  X^eil  ber  Meife  auf  bcm  5Rl)ein  mad^te,  fo  »ar  c^ 
natürlid),  ba%  er  UtredE)t  berührte,  e^e  er  äRibbetburg  erreichte. 
S)a6  er  alfo  bort  feine  ©önner  bcfudjte  unb  mit  i^nen  in  per* 
fönlid^en  SSerfc^r  trat,  ift  burc^au«  unoerfänglic^;  allein  eö  rourbc 
i^m  nad^^er  fc^r  öerbad^t,  bag  er  in  Utrecht  einen  längern  8luf* 
entt)alt  nal^m,  —  bie  ©d^urman  nennt  jel^u  läge,  —  um  in 
biefcr  3cit  toieber^olt  l)ier  unb  banac^  in  Slmfterbam  ju  prc* 
bigen.  Unb  mer  njirb  äiocifeln,  bafe  if)m  ^icr  ber  äÄunb  oon 
bcm  überging,  moUon  fein  ^erj  öoQ  loar!  Äam  er,  um  feine  ®e« 
finnungggenoffen  in  ben  JRicberlanben  bei  ber  „Deformation"  ber 
Äird^e  ju  unterftufeen,  fo  ttjirb  er  in  jenen  ©täbten  nic^t  Der* 
fc^toiegen  Ijabcn,  baß  er  bic  Äirc^e  auf  bic  ©emeinfc^aft  ber  er^ 
fennbar  SBicbergeborcncn  unb  auf  bercn  Trennung  oon  ber  833clt 
^inau^fü()ren  tooUe,  unb  um  fo  energifc^er,  als  ba^  SUcic^ 
ß^rifti   auf  Erben  unb  bie  ^errfc^aft  ber  ^eiligen  na^c  beöor» 


209 

ftanb  >)•  SJermutl^Itc^  l^at  er  fein  9lmt  in  SRibbelburg  am  Sln^^ 
fang  be^  3Konat^  8lprtl  angetreten.  §ieburd^  ^atte  er  [xä)  nun 
in  ben  SBerbanb  ber  toallonifd^cn  ©^nobc  in  bcn  Siieberlanben 
begeben,  bie  alle  franjöfifc^  rcbcnben  ©emeinben  unter  berfelben 
SBerfaffung  umfi^loß,  n?elc^e  für  bie  5ßroDinjiatf^noben  ber  niebcr» 
länbifd^  (ftamifi^)  rebenben  ©emeinben  galt.  S)ic  tüaHonifd&c 
@emeinbe  ju  9J2tbbeIburg  l^atte  bemgemäg  bie  ©enel^migung  ber 
©Qnobc  für  i^re  auf  fiababie  gefaflene  SSal^l,  tüie  eg  Stecht 
war,  nac^gefuc^t.  9ln  biefen  9lct  fnüpft  fid^  nun  aber  ein  Äam<)f 
äWtfd^en  Sababie  unb  bicfer  ©^nobe,  meld^er  brei  3a^re  lang 
nid^tujeniger  ate  fieben  SSerfammlungen  berfelben  befd^äftigt  l^at,  big 
er  burd^  bie  9tbfe^ung  beö  äRanne^  üon  feinem  ^mte  unb  feine 
(Sjrcommunication  ein  @nbc  fanb.  Um  bag  richtige  Urt^eil  über 
biefen  ©treit  ju  finben,  muß  man  fi(^  bie  cinjelnen  Schritte  btö 
ju  biefem  Qidc  ^in  üergegentüärtigen. 

S)ie  ©l)nobe,  ttjeld^e  jäl^rlid^  jttjeimal  jufammentrat,  ^attc 
auf  i^rer  (1)  SSerfammtung  ju  ÜRibbelburg  im  ÜKai  1666 
über  bie  üon  i^r  5U  gene()migenbe  Aufteilung  Sababie'^  ju 
urtl^eilen.  @ie  entfd^ieb,  bag  obgleid^  ^iebei  einige  Unregelmäßig:^ 
feiten  gegen  bie  befte^enben  SBorfd^riften  öorgelommen  feien,  bie 
^Berufung  Sababie'iS  anerfannt  loerbe.  3^^9l^i^  ^^^^  beauf^ 
tragte  fie  eine  bemnäc^ft  ju  SSlieffingen  äufammentretenbe  ßlaffi^, 
bie  Sntlaffung  fiababie'S  Don  @enf  ju  prüfen,  unb  i^n  baju 
anjul^alten,  baß  er  fic^  ber  ©tjnobe  untcm^erfe,  fon?ie  i^r  @lau= 
bcnöbefenntniß  unb  i^re  ©i^ciplin  (SSerfaffung)  unterfc^reibe.  S)ie 
(Slafftö,  »eld^e  nur  im  2tuftrag  ber  ©^nobe  fungirtc,  alfo  feine 
fclbftanbige  unb  befinitiüe  äuctorität  üben  burfte,  entlebigte  fid^ 
biefcr  ©ommiffion  nic^t  gefc^icft.  3nbem  Sababie  Umf^meife 
mad^te,  ließ  fie  fic^  öon  i^m  fo  imponiren,  baß  fie  feine  Berufung 
genehmigte,  o^ne  il^n  bie  angegebenen  93ebingungen  erfüllen  jju 
laffen.    Auf  ber  (2)  ©t)nobe  ju  ^euöben  im  ©eptember  1666 


1)  S)ie  $rebtgt,  tDcIc^c  8erlum  I.  6.  38—44  {ft})iTt,  t{t  t)on  i^m 
ium4  6.  180  oul  So6abte'8  Manuel  de  piete  frei  compontrt,  tote  überhaupt 
feine  ^orfleOung  manchmal  in  bie  92ot)eDe  ^inUbergleitet.  Jtaä^  Des  Marcts 
S.  23  loirb  aber  \pliUx  t>on  ber  ®cmeinbe  im  ^oag  ftloge  geführt  au  regard 
de  tet  preches  seditieux  et  de  ses  doctrines  nouvelles  et  erronecs, 
qa^il  avait  preche  en  diverses  de  nos  eglises,  avani  meme  que  d'etre 
oonfirme  en  coUe  de  Middelbourg. 

I.  14 


210 

gab   bic  ©cmctnbc  im  §aag  SWac^rid^t  öon  bcn  aufrül^rerifdöcn 

unb   in   ber  Seigre   abtueic^enbcn  ^rcbigten,   tucld^c  Sababic  ait 

Dcrfc^icbcncn  Orten  öor  feinem  (Eintritt  in  äßibbclburg  gehalten 

l^atte.    3"9tci^  mußte  man  baöon  SRotij  nehmen,   baß   er  bem 

Auftrag  ber  ßlafffe  ju  SBlieffingen  nid^t  cntfprod^en  ^attc.    Saba* 

bic  felbft   roax  in    ber   SScrfammlung  ju   §euöben  nid^t   er* 

fd^icnen.    S)iefelbc  erllärte  alfo,  fie  ^ätte  fc^r  geroünfc^t,  ba§ 

er  perfönlid^  fid^  eingcfunben  unb  burcl^  Unterfdjrift  ber  ßonfcffion 

unb  ber  3)i^ciplin  ftd^  t^atfäd^lid^  ben  Drbnungen   ber  ©ijnobc 

unterworfen  ^ätte.    S)a  e^  nun  ferner  fo  fc^eine,  bag  er  burc^ 

feine  ^rebigten  gegen  bie  geltenbc  Se^re  öerftoßcn  t)abe,  fo  follc 

er  fid^  t)or  einer  Klaffte  ju  Slmfterbam  am  29.  September  ftcllen, 

um  bie  genannten  SBebingungen  ju  erfüllen  unb  ben  gragen,  bic 

i^m  t)on  (Seiten  ber  ©^nobe  t)orgelegt  werben  würben,  8lcbe  ju 

ftelien.    SBon   bicfem  SBef^luß  würbe  il^m  unb  feiner  ©cmeinbc 

Äenntniß  gegeben.    S)ennod^  ift  er  t)or  ber  ßlaffi»  in  Slmfterbam 

unter  bem  SBorwanbc  t)on  5Kigräne  nic^t  erfc^iencn.    Sluf  bct 

(3)®5nobe  JU  Ämftcrbam  im  SRai  1667  finbet  er  fid^  cnblid^ 

ein,  um  bie  SurüdEna^me  beö  gegen  i^n  gerichteten  Srtilcte  ber 

@^nobe  ju^cuSben  beSl^alb  ju  verlangen,  weil  er  nic^t  orbnung^ 

mäßig  jur  ©^nobe  gelabcn  worben  fei.    3)ic  ßumutl^ung,  cnbli^ 

bie  belgifd^c  (Sonfeffion  j"   unterfd)reiben,  lehnte  er  ab,   t^citö 

Weil  er  fie  nod^  ni^t  gelcfcn  f)abt,  t^eilö  weil  er  wegen  Äranl- 

^cit  unfähig  fei,   fie  mit   ber  Slufmerlfamleit  ju  lefen,  wcl^c  er 

wegen   gewiffer  uerbäd^tiger  Sluöbrüdte  in  itjr  auf  fie  öerwcnbcn 

muffe.    6r  erllärte  fid^   aber  bereit  ben    latcinifd^en   Sicjt  ju 

utttcrfc^reiben,  wenn  er  i^n  Uollftänbig    gelcfcn    ^aben    werbe. 

§iemit  tritt  nun  Sababic  in  ein  S?erfal)rcn   gegen  bie  ©^nobe 

ein,  welches  burd^au^  c^icanöd  ift.     ^cnn  im   t)orangegangcncn 

3al|re   ^attc  er  ber  ßlaffiö  ju  SSlicffingcn  öerfprod^en,  bic  Gon« 

fcffion  JU   unterfd^reiben.    ©ad^lic^  aber  bient  jum  SScrftänbni§ 

feiner   (Sinwenbung  folgcnbeö.     3)ic  Sonfeffion,  weldje  ber  ^re* 

biger  ju  Salencicnneö,  @uibo  be  83r6ö  1561  franjöfifd^  »erfaßt 

l^at,   ift   öon  ber  nicbcrlänbifc^cn  Slationalf^nobc  ju  55ortrcd^t 

1618   beftätigt  Worben.     3n   bereu  Siac^acten  ift  nun  auc^  ein 

latcinifc^cr  Zqct  berfelbcn  alö  aut^entifc^  publicirt  worben,  welken 

eine  ßommiffion  t)on  2;^eologen  bearbeitet  ^attc.    SBcnn  c^  Wal^r 

ift,  baß  bei  biefer  SRcbaction  baö  franjöfifd^c  (Sjcmplar  bcfonbctÄ 

bead^tet  worben  ift,   Wclc^cö  im  ©ebraud)  ber  wallonifd^cn  @c* 


211 

tnciitbcn  in  bcn  SRiebcrtanbcn  toax  ^),  fo  ift  e«  aQcrbtngg  auffal* 
lenb,  bog  fid^  Slbwcic^unflcn  ä^iWcn  bciben  2;cstcn  öorfanbcn. 
3)icfclben  finb  aber  foc^li^  uoUftänbig  inclct)ant.  3)araug  ift 
c^  ju  erflärcn,  bog  bie  ttjallonifc^e  ©^nobc  baö  bei  i^r  t)or  1618 
Dor^anbene  l^anbfcl^riftli^e  Ssemplar  jur  Unterfd^reibung  burd^ 
i^re  ^cbiger  beibehielt,  obgleid^  e§  bem  3)ortrec^ter  2;ejt  nic^t 
toörtlid^  cntfpric^t.  Sabobie  bebucirt  aber  ^ierauiS  in  feiner  1669 
oufgeftelltcn  ^roteftfd^rift  ^)  gegen  bie  wollonifc^e  ©^nobe  bie 
Unüerbinbli^teit  il^rer  ßonfeffion.  Unb  baö  wiegt  lebenfaQS 
fc^njercr  atö  bie  jugleic^  erl)obenen  ©nroenbungen  gegen  gettjiffe 
gormein  in  brei  ?lrtifeln  berfelben.  darunter  ift  ber  äuöbrucl, 
bag  3cfuS  gelitten  l^abe  sur  Tautel  de  la  croix,  —  anftatt  sur 
le  bois  de  la  croix.  $ier  ^anbelt  ed  fic^  nnr  barum,  bag  bie 
eine  fjormel  an  §ebr.  13,  10,  bie  anbere  an  1  ^ctr.  2,  24  fid^ 
anlel^nt.  Sababie  ^at  burc^aud  nic^t,  tok  ©oebel  angiebt,  bie 
crftcre  gormel  beanftanbet,  weil  fie  romanifire,  fonbern  nur  au^ 
ber  aiüifid^t,  bafe  fie  nacft  bem  3)ortrec^ter  SKafeftabe  nic^t  au^* 
t^entifc^  fei.  äBar  nun  biefe  gefe^lic^e  ©frupulofität  für  Sababie 
entfc^eibenb,  fo  tommt  bod^  gegen  bie  9iec^tdgfiltigfeit  feinet  SBer« 
fo^renö  ber  Umftanb  in  Setrad^t,  ba§  er  noc^  gar  nic^t  rec^t- 
mägige«  3Ritglieb  ber  ©^nobe  war,  alö  er  bie  t)orliegenbe  JBe^ 
bingung  ber  Sflec^tmäßigfeit  i^reö  Seftanbeö  in  3^cifel  jog.  SBar 
cd  i^m  bamit  Srnft,  bag  bie  wallonif^e  ©^nobe  auf  ben  pofi:^ 
ttuen  ©oben  ber  S)ortred^ter  Siationalf^nobe  jurüdtgefü^rt  würbe, 
fo  mußte  er  erft  baö  ©ewobn^eitörec^t  berfelben  erfüllen,  um 
bann  atö  bered^tigteö  SRitglieb  ber  ©^nobe  bie  Slnnal^me  beö 
rcöibitten  Cjemplarö  ber  Sonfeffion  ju  erwirlen.  Ober  Werm  i^m 
icncd  unerträglid^  war,  fo  mußte  er  ba^  ?lmt  an  ber  ©emeinbe 
aufgeben,  Weld^e  ein  @lieb  ber  ©ijuobalgemeinbe  nad^  ben  bidl^er 


1)  Niemeyer  Collectio  confessionum  etc.  p.  LY.  3n  biefe  Samm« 
Img  ip  letber  ntd^i  bie  ^orired^ler  Slebaction  aufgenommen,  fonbern  bie  $ri« 
Mitar^i  Don  SfefhtS  ^ommiuS ;  beibe  toeid^en,  »ie  ^itmtt^tx  au8f|)rt(i^i,  fo  »eit 
ton  etnanber  ab,  bag  fie  felbfidnbig   neben   einanber   l^dtien   gefleQt  nerben 

nuifieii« 

2)  D^claration  chr6ticnne  et  sincere  de  plasieurs  membres  de 
l'^lite  de  dien  et  de  Jesus-Christ,  touchant  les  jiistes  raisons  et  motifs, 
qai  160  obligent  ä  n'avoir  point  de  communion  avee  le  Synode  dit 
Wallon.    M  Des  Marets  p.  310. 


212 

• 

Überlieferten  Scbingungen  toax.  %t)at  er  fcinö  t)on  beiben,  fon« 
bern  fefetc  fic^  ol«  Süd^ter  über  eine  ©emeinfd^aft,  ber  er  aU 
^rebiger  crft  t^atfäc^lid)  aber  noc^  nic^t  red^tlic^  angehörte,  fo 
erfennt  man,  bog  er  gar  nid)t  ben  guten  äBiQen  ^atte,  fid^  in 
ben  ©9noba(t)erbQnb  einjurei^en,  de  se  soumettre  anx  oi^res 
du  Synode.  S^ro^bem  ging  bte  @t)nobe  ju  Slmfterbam  fo  tueit 
auf  feinen  felbftgen)Q()Iten  ©tanbpuuEt  ein,  bag  er  auf  ber  näc^ften 
aScrfammlung  erfc^einen  follte,  um  ben  franjöfifd^en  Scjt  ber 
ßonfeffion  mit  bem  SSovbe^alt  ju  unterfd^reiben,  baß  er  bic  b^ 
benflic^en  $(uSbrüde  in  bemfelben  nad)  bem  lateinifc^en  Zqrt 
erfläre.  Snjwifc^en  aber  foüte  bie  ©eelänbif^e  ©^nobalRrd^ 
(b.  \).  bie  Vertretung  ber  tuaüünifc^en  ©emeinben  in  ber  ^roüinj 
©eelanb)  Sababie  jur  Untcrfdjrift  beö  lateinifdjen  lejtc^  an* 
galten,  unb  i^m  würbe  Verboten,  gegen  bic  Sonfeffion  ju  fd^reibcn 
unb  feinen  S^ilio^muö  ju  verbreiten. 

^iefe  9lac^ftd^t  fü()rte  ju  feinem  Erfolg,  unb  bie  (4)  ©Qn^be 
JU  Seiben  im  September  1667,  anftatt  Sababic  in  i^reraWittc 
5U  fe^en,  tnußte  bur^  bie  3)eputirten  feiner  ©emeinbe  feinen 
3lntrag  auf  3w^üdnat)me  ber  gegen  i()n  gerichteten  SBefc^lfiffc  ber 
beiben  uorangegangenen  ©^noben  üernel^men.  Snjwifc^cn  ^attc 
Sababie  einen  bcfonbern  SBricf  ueröffentlic^t,  in  loel^em  er  bic 
franjöfifc^c  Sonfeffion  befc^ulbigte,  mehrere  ungeeignete  Sluöbrüdc 
unb  irrige,  fc^riftmibrige  ©ä|c  ju  enthalten;  ferner  ^attc  er, 
o()nc  bur^  einen  ©Ecommunicationöbcfc^lufe  feineß  Sonfiftoriumd 
bered^tigt  ju  fein,  einem  fpecicilen  Slmtögcnoffcn  §enri)  bu  SO/oulin 
in  öffentlicher  SBerfammlung  baö  ?lbenbmai)l  ijcrn^eigert;  eublic^ 
^atte  er  feine  Slrt  uon  ©^ilia^mud  uerfünbigt  in  ber  ©c^rift: 
Le  härant  du  grand  roi  J^sus  et  de  son  r^gne  spiritael  et 
temporel  aar  la  terre  en  ses  saints  et  par  ses  saiuts  anx 
derniers  temps.  2)arauf  ^in  erflärte  bie  ©t)nobc,  bag  bic  @c* 
meinbc  ju  aWibbelburg  mit  Unrecht  Sababic  uon  bem  ScfucI)  ber 
©ijnobe  abget)alten  ^abc,  wo  feine  änmefen^eit  notJ^wenbig  toar, 
weiter  bag  er  oerpflic^tet  fei,  bie  ßonfeffion  ber  waDonifc^en  @c* 
mcinbcn  ju  untcrfdjrciben,  bie  er  ju  Unred^t  in  jenem  ©rief  om 
getaftet  f)abc.  ©ie  befd^loß  außerbem,  eine  ©IjnopfiS  ber  beiben 
Don  einanber  abtocic^enben  S^cjte  ber  Eonfeffion  brudten  ju  laffcn, 
unb  erflärte  cnblic^,  baß  Sababie  in  brei  fünften  fic^  oon  feiner 
$flic^t  entfernt  babc,  1.  burd)  SSerlefeung  ber  Dii^ipUn,  in  bem 
SSortrag  einer  fremben,  ber  c^iliaftifc^cn  Seljrc,  in  ber  5|Jublication 


213 

Don  Sücljcru  o^nc  ßuftimtnung  bcr  ©^nobc,  in  bct  tüilRur:; 
liefen  Sjrcommuntcation  t)on  bu  9J2ouIin,  2.  burd)  9lc6cQton  in  bcr 
SJcröffcntUc^ung  bo5  H^raut  gegen  ia^  SBerbot,  3.  burd^  bie 
fd^tücrcn  Snjuricn  gegen  bic  ©^nobc,  njcldje  fo  üiel  9lad^fid)t 
gegen  i^n  geübt,  bcn  Sauf  ber  ©ered^tigteit  angeJ^alten  öobe  unb 
nic^t  jn  ber  Don  ifjm  uerbicnten  2lbfc^ung  gefd^rittcri  fei. 
Ucbrigenö  orbnct  bic  ©t)nobe  eine  Slaffiö  ^n  Slicffingcn  auf 
10.  Dctobcr  an,  um  mit  i^m  nad^  ifjrcn  3nftructioncn  5U  r)tx^ 
^anbcln.  SU^an  ging  fo  n)eit  in  bcr  ßu^orfommcnl^eit  gegen  2a^ 
babie,  baß  öor  beni  angegebenen  S^ermin  bcfonbere  S)eputirtc  bic 
SBegc  ber  ?luöglcic^ung  mit  i^m  ebenen  foUtcn.  SlDein  bieö  war 
ücrgcbüc^,  unb  aud^  in  SSlicffingen  ftclltc  er  fid^  nid^t  ein, 
unter  bem  SBorgcbcn  uon  Äränflic^Ieit.  S)a  begiebt  bic  Slaf* 
fiö  fid)  in  \\)m  na6)  ÜÄibbelburg.  SKö  aber  bereu  SKobc^ 
rator  feine  Siebe  an  i^n  richtet,  crftärt  er  bcn  ocrfammeltcn 
aRitglicbcrn  berfclbcn,  baß  er  fie  gar  nic^t  aH  bic  Staffiö 
anerfcnnc.  8lud^  bem  ßureben  bcö  Eonfiftorium^  ber  flami^ 
fd^cn  ©cmcinbe  entjicftt  er  fid)  mit  ber  Semerfung,  wenn  bic 
©Qnoben  foldjc  ©cuialt  öättcn,  wären  fie  ^äpftc.  3)ie  ßlaffis 
no^m  c^  alfo  auf  fid^,  iljn  bi§  jur  näd^fteu  ©^nobe  t)om  Xlmte 
ju  fuöpcnbircn,  worauf  er  aber  gar  feine  Siudfid^t  nat)m.  S)enn 
o^nc  3"^cifcl  ^atte  l^ierin  bie  Slaffiö  iljrc  öefugniß  überf^ritten. 
©c^^alb  fa^  fid)  bie  (5)  ©^nobe  ju  SJlief fingen,  wcl(^e  fd)on 
im  Stpril  1668  ficö  oerfammelte,  ocranlagt,  bie  Prüfung  ber 
Ic|tcn  SSorgänge  ju  umgeben,  um  nic^t  il^rc  (Sommiffion  ju 
beäaoouircn,  unb  fud|tc  anftatt  beffen  bic  9Ritwir(ung  bcr  in 
SWibbclburg  oerfammclten  ©eelänbifd)cn  ©tänbc  nad^,  um  eine 
95ei(cgung  beö  ©trcitcö  ju  erftrebcn,  üiellcid^t  aud^,  um  für  alle 
loeiteren  Sreigniffe  fid)  bie  ßuftintmung  ber  politif^en  9Rac^t  ju 
ft4^n.  S)cr  JReceß,  über  welchen  bic  ©täube  unb  bic  ©t)nobc 
fic^  einigten,  um  i^n  Sababie  aufzuerlegen,  cntljictt  1.  bie  ^cx^ 
pflic^tung  für  ihn,  bie  ßonfeffion  in  bcr  lürjlicft  angeorbneten 
f^noptifc^cn  Sluögabc  ju  unterfdireiben  unb  bie  gefc|lid)e  9luctori* 
tat  bcr  ©t)noben  unb  Klaffen  über  bie  einjcinen  ©emeinben  unb 
i^rc  Confiftoricn,  gemäß  ber  Äird)enbiöciplin  bcr  Siationalf^nobc 
üon  ®ortrcc^t  (1618)  nnjucrlcuncn;  2.  ba^  ß^^fl^Pnbniß  an  i^n, 
bog  feine  belcibigcnbcn  ©d^riftcn  oIjp  nicftt  oorl^anbcn  angcfe^en, 
unb  iuglcic^  bic  Sflcfolutionen  ber  (4)  ©^nobe  5U  Seiben  gegen 
i^n  unb  baö  (Sonfiftorium  oon  ÜJiibbclburg,  fpcciell  bic  Don  bcr 


214 

Elafffe  t)cröänfltc  ©u^pcnpon  jurfidflcnotntncn  werben;  3.  bie 
Serppic^tung  für  i^n,  n^cbcr  münblid)  «od)  bur^  ©dirift  unb 
3)rud  bcn  S^iliodmuö  ju  Verbreiten,  unb  fic^  ber  8Seröffent= 
Ud^ung  icbcr  S^rift  ol^nc  (Srtaubniß  ber  ©tänbe  ber  ^romnj 
ju  cnt{)a(ten,  n^eld^e  fic^  barüber  mit  ber  ®^nobe  benehmen 
würben.  S)er  Sluöfü^rung  biejc^  Sfleccffe^  lam  jebod^  Sababie 
baburd^  äut)or,  baß  er  ben  ©treit  auf  baö  ©ebiet  ber  Sicc^tgläus 
bigleit  l^inüberfpiclte. 

3ni  ^af)xt  1665  l^atte  ber  ärjt  Subwig  aJie^er  in  amftcrbam, 
ein  Slit^nger  t)on  ©))inoja,  bie  ^ßl^Uofop^ie  ate  ben  ÜÄaßftab  ber 
Äugtcgung  ber  t)eiligen  ©dirift  proclamirt  *).  @egen  bicfc  Äu^* 
ffi^rung  war  auger  Slnberen  ber  ^rcbiger  an  ber  wallonifd^en 
©emeinbe  jU  Utrecht,  Subwig  aBoljogen  aufgetreten  mit 
einer  ©c^rift  de  scripturarum  interprete,  contra  exercitatorem 
paradoxum,  1668.  i)iefe  eben  erfc^ienene  ©dirift  eincö  üon  ber 
©ijnobe  abhängigen  ?ßrebigetd  benunciirte  nun  bie  SDiibbelburger 
©emeinbc,  b.  1^.  Sababie,  ber  Serfammlung  jju  SSIieffingen  wegen 
irrigen,  anftößigen,  pelagianifd^en,  papiftifc^en,  fc^riftwibrigen  3n^ 
^alteö.  SDian  burfte  au^  biefem  ©d^ritte  barauf  fc^Iiegcn,  baß 
fiababie  bem  Slnerbieten  beö  oben  bejcic^nctcu  8fleceffed  bamit  bc^ 
gegnen  würbe,  baß  er  oor  ber  SSerurtl^eilung  beö  SBoläogcn'fd^cn 
3)uc^eö,  atfo  üor  ber  fpecieHen  öewä^rung  ber  8flec^tgläubtgfcit 
ber  ©^nobe,  mit  berfelben  nic^t  üer^anbeln  lönne.  SHfo  blieb 
nid^tö  anbereg  übrig,  ate  baß  bie  ©^nobe  ju  SBlieffingen  ffijamina* 
toren  über  baö  angeflagtc  SBud^  befteßte,  beren  SBemerfungcn 
äBoljogen  junäd^ft  beantworten  foQte.  Um  aber  @(eid^^eit  jwi> 
f^en  ben  Kämpfern  ^erjufteHen,  würben  aud)  ffijaminatoren  über 
fiababie'S  Suc^  Lc  höraut  du  grand  roi  Jösus  beftimmt.  93eib€ 
©ad^en  foHten  auf  ber  näc^ften  ©^nobe  abgeurt^eilt  werben, 
S)iefe  (6)  ©^nobe  ju  SRaarben  im  ©eptember  1668  mußte 
äiunäd^ft  Siotij  net)men  uon  uerfd^iebenen  neuen  äBiberfeftlic^feiten 
Sababie'ö  unb  feiner  ©emeinbe.  3)icfe  nämlic^  t)atte  ^üon  jum 
jweiten  5ßaftor  gewäl)lt,  inbem  fic  baburd^  ben  üon  ben  ©ce» 
länbifc^en  ©täuben  anerfannten  ^aftor  bu  SDioulin  aU  nii^t 
üorl^anben    be^anbelt   ^atte;    Sababie    aber    ^atte    ücrfd^icbcne 


1)  Philosophia  sacrae  scipturae  interpres,  in  qua  veram  philoso* 
phiam  infallibilem  sacras  literas  interpretandi  normam  esse  demönstrao 
tar.    Eleutheropoli  (9(m|Utbam).  1665. 


215 

Sd^riftcit  inbcpcnbcntifd^cr  unb  cntl^ufiaftifd^er  Seitbcnj  ol^nc  ^cn^ 
für  tjcrauggcgcben.  5)icfe,  folpie  ber  H6raut  tüurbcn  auf  @runb 
bcr  angcftcDtcn  Prüfung  üon  bcr  ©l)nobc  t)erbamtnt.  hingegen 
nQt)m  man  juglcid)  Slottj  t)on  bcnt  Urt^eil  ber  (Sjcaminatorcu 
über  baö  SBoIsogen'fd^e  93uc^,  bag  baffelbc  ort^oboj  fei.  ©o 
tüenig  Sababie  fid^  burd)  feine  eigene  JBerurtl^eilung  toegeu  irriger 
2cl)rc  anfed)tcu  lieg,  fo  loenig  berul^igte  er  fid^  bei  ber  lefetern 
6ntfd)eibung.  Unb  unter  biefen  Umftänben  ift  eö  wieberum  eine 
taum  üerftänblidje  9iad)gicbigfeit,  bag  bie  ©ijnobc  erft  bem  Än^^ 
trag  ber  ©emeinbe  ju  3)iibbel6urg  fid^  fügte,  eine  berftärfte 
$rüfung^=Gomniiffion  über  SBoIjogen  einjufefeen,  unb,  alö  au(^ 
biefe  bie  Slnflage  jurüdroieö,  einem  neuen  eintrage  gemäß  in 
öoUer  aSerfammlung  burc^  üier  ©ifeungen  Ijinburc^  baö  öud^ 
i^rer  birecten  ?ßrüfung  untcnoarf.  SIU  nun  aud^  auf  biefcm 
SBegc  aBoljogen  einftimmig  (gegen  bie  SlRibbelburger  Stimmen) 
t)on  ber  Sfiflage  auf  ^ärefie  frei  gefprod^en  tt)urbe,  l^ielt  eö  bie 
©ijnobc  für  angezeigt,  Sababie  unb  ben  äRitgliebern  feinet  ßon^^ 
fiftoriumö  eine  C^renerflärung  an  ben  bon  i^nen  leid^tfertig  Sie^ 
fc^ulbigten  aufzuerlegen.  2)a  üerließ  er  bie  Serfammlung,  iubem 
er  einen  ©rief  uoH  uon  Singriffen  auf  biefelbe  i^r  burc^  feinen 
©onbeputirten  jufommen  lieB-  Slud^  jeftt  fprac^  bie  ©^nobe  feine 
unb  beö  ßonfiftorium^  ©uöpenfion  biö  jur  näd^ften  SSerfamm^ 
lung  nur  unter  bem  aSorbct)alt  au^,  menn  fie  nid^t  üor  einer 
am  10.  Dctober  angeorbneten  Slaffiö  in  ÜJiibbelburg  @enug^ 
t^uung  leifteten.  S)iefc  SSerfammlung  ließ  nun  Sababie  gett)alt= 
famer  SEBeife  gar  nic^t  }U  ©taube  fommen,  inbem  er  mit  feinem 
Slu^ang  ba^  für  fie  in  Slu^fic^t  genommene  amtliche  Socal  befcftt 
^iclt,  unb  fie  aud)  in  einem  anberen  8flaum  jufammenäutreten 
üer^inberte.  ®abei  finb  birecte  3)ro^tt)ortc  auö  bem  §aufen 
feiner  Slnpnger  laut  geujorben.  9lun  bcftätigten  bie  ©eelänbifd^en 
©tänbe  15.  SRou.  1668  bie  i)on  ber  ©^nobe  üer^ängte  ©u^pen^ 
fton.  Slllein  ha  biefelbe  nur  biö  jur  näd^ftcn  Serfammlung 
gültig  mar,  fo  erfolgte  ber  le^te  8lct  beö  ®rama  erft,  al^  bie 
(7)  ©tjnobe  ÄU  S)or treckt  im  3)iai  1669  jufammentrat.  §ier 
crllärten  bie  S)eputirten  üon  SDiibbelburg,  Sababie  an  i^rer  ©pifee, 
baß  fie  mit  ©rlaubniß  bcr  ©eelänbifd^en  ©täube  Derfd^iebene 
Scfd^ioerben  t)oräubringen  Ratten,  baß  unter  biefen  bie  gegen 
SBoljogen  bie  Dorne^mfte  fei,  unb  baß  bie  ©^nobe  auf  fie  juerft 
cinjuge^en  ^abe,  ba  uon  i^r  alle  anberen  3)iffcrcn5cn   bc^errfd^t 


216 

toärcn.  Auf  biefe  3"n^iitl|ung  ertüibcrtc  bic  ©tjnobe,  c§  cntfpred^c 
ber  (Sntfd^eibunfl  bcr  ©eelänbifd)cn  ©täube,  bag  bic  XlntragftcQcr 
junäd^ft  alle  i^rc  JBcfdjiperbcu  mittl)eiltcn,  unb  cö  fei  bie  ©oc^e 
bcr  ©^nobe,  bie  Drbnuug  i^rcr  SJerfianblungcn  feftäuftcUcn. 
S)arauf  l^in  ^at  Sobabic  mit  bcn  SJübbclburger  3)cputirtcu  bic 
©tabt  S)ortred^t  uerlaffcn.  3"9tc*^  ^^^^  ^^t  ^^  ^^"  gtuubfäfe* 
lic^eu  ^ruc^  bur^  bic  oben  (©.  211)  angcfü()ttc  D^claration 
au^gcfproc^cn,  bic  er  im  Flamen  öon  „mel^rcren  ©liebern  bcr 
Äir^c  ©otteö  unb  3cfu.  ß^rifti",  o^ne  bic  örtUd^e  Sef^ränfung 
auf  bic  ©cmeinbe  ju  äßibbclburg  burc^  bcn  2)rud  ^at  ergeben 
laffcn,  unb  tt)clc^c  bctt)cift,  ba§  bic  ©eparation  unter  feinen  Am 
f)ängcrn  fd^on  längft  befd^loffen  unb  vorbereitet  ttjar.  3)iefc 
©c^rift  ift  in  einem  il)rcr  2;f)cile  bie  offene  Slnflagc  beö  befielen* 
bcn  ©^nobalf^ftcm^,  alö  einer  ber  Stufgabc  bcr  Äird^e  ^inbcr- 
lii^cn  unb  jutuiberlaufcnben  ©inriri^tung.  S)iefc  3lnIIagen  ipcrbcn 
no(^  überboten  burc^  einen  ^riüatbricf  Sababie'ö,  bcn  er  inncc^ 
^alb  bcr  SJcrfammlung  alö  ed^t  anerfannt  ^at,  tüorin  er  fagt, 
baß  ©Ott  il^m  bag  SKittcl  ^u  einer  Separation  heureuse  \)cx^ 
liefen  f)abc.  Sllfo  auf  ©runb  ber  Snoägungcn,  tocti^c  in  bcr 
t)orlicgcnben  ©c^rift  ber3)cö  ÜÄaret^  me^r  aU  fünf  ©citcn  um* 
faffen,  bafe  er  nämlid^  gegen  bie  ©efefce  bcr  Äird)e  ungeljorfam 
genjcfcn  fei  unb  c^  barauf  abgefe^en  i)abt,  Spaltungen  ^croor^ 
jurufen,  fcfet  if)n  bic  ©^nobe  uon  feinem  Slmtc  ab  unb  fuepenbirt 
ifju  t)on  bcr  2;^cilna^me  am  Slbcnbma^Ic,  bi^  er  cmftlic^  8flcuc 
benjiefen  ^aben  tt)erbe.  3)iefcö  Urttjcil,  tt)clc^eö  auc^  bic  mit  i^m 
ücrbunbencn  aWitglicber  be^  ßonfiftoriumö  feiner  ©emeinbc  um» 
fagte,  na^m  fiababie  jum  Slnlag,  um  feinerfeitd  ju  nid^t  üorgc:« 
fc^cner  3^^^  ^^^  feinen  fpccicUcn  Sln^ängcrn  auö  ber  SÄibbcU 
burger  ©emeinbc,  njclc^c  etwa  ein  drittel  i^re^  Söcftanbcö  auö^ 
mad)ten,  bic  Äirc^e  ju  occupiren,  unb  mit  biefer  SScrfammlung 
?lbenbmal)I  ju  galten,  ©o  loar  er  brei  3at)rc  nac^  feinem  (Sin* 
jug  in  bcn  Slicbcrlanbcn  an  bie  ©pi|c  bcr  erften  fd^iömatifc^cn 
©emeinbc  inncrt)alb  be^  calüinifc^srcformirtcn  ^irc^cntoefenö 
gelangt. 

3)ie  SBoljogen'fd^c  Slngelegen^eit,  an  njclc^cr  f^ticßlic^  bic 
2)inge  jum  S9rud^  tarnen,  follte  für  Sababie  gen^iß  ebenfo  baju 
bienen,  feine  eigene  ^etcroboEie,  nämlid)  bcn  S^iliaömu^,  in  Scr^ 
geffen^eit  ju  bringen,  alö  baju,  bcr  toaUonifc^cn  ©^nobc  bcn 
äWafcl  aujupngcn,  bag  fie  ein  l^arctifd^eg  33uc^  bulbctc    S)a8 


217 

erftcre  Urtl^cil  tüirb  anö)  baburd^  ual^c  gelegt,  bog  Sababie  in 
feiner  oben  (©.  199)  angeführten  Protestatio  orthodoxiae,  toeldic 
t)om  1.  gebruar  16G9  batirt  ift,  unb  feine  SRed^tgläubigfeit 
wol^ren,  fotme  ben  SSerbad^t  abrocl&ren  foüte,  baß  er  nod^  im 
3)ienftc  ber  Sefuiten  ftel^e,  ben  (S^iliaömuö  t)oIIftänbig  mit  ©tili' 
fd^toeigen  übergel^t  ^),  Um  fo  lonter  Ijat  er  in  ber  gleidixeitigen 
D^elaration  chr^tienne  ben  SSorwurf  gegen  bie  njaüonifd^c 
©^nobe  erlauben,  baß  fie  in  ©lauben  unb  Sel&re  uerborben  fei. 
3n  mögli^ft  weitem  Umfange  beftrebt  er  fid^  biefeg  na^ju* 
toeifen.  §ier  lommt  er  alfo  junäc^ft  auf  bie  t)orgcbIid^en  ttjcfent- 
lid^en  ?!lbmcicf)ungen  ber  franjöfifd^en  Sonfeffion  Don  bem  aut^en^ 
ttfd^cn  ©ortred^terlejt,  njorüber  fd^on  berichtet  ift.  S)ann  folgt 
eine  Slei^e  üon  ©ä^en  au^  ber  SBoljogen'fd^en  ©^rift,  weld^e 
bereu  j^äretifd^en  Sl^arafter  bereifen  foüen.  gaClö  biefelben  rid^tig 
toicbergegeben  finb,  fo  bilben  fie  ot)ne  3^cifel  nur  bie  eine  &t^ 
banlenrei^e  in  ber  ©d^rift,  toeldtie,  ttjie  bie  R6fatation  raodeste 
ber  Srüber  3)e^  SJiaretg  jeigt,  aud^  äße  in  ber  ortl^obojen  S8e- 
trad^tung  üblichen  ©äfee  über  bie  ^eilige  ©d^rift  unb  i^rc  2lu§= 
legung  enthält.  S)ag  nad^  ber  9lbfid^t  aBoljogen'S  rechtgläubige 
S5ud&  l^at,  ttjie  eö  fd^eint,  feinen  apologetifc^en  Qtocd  nur  erreid^en 
lönnen,  inbem  fein  SSerfaffer  auf  ben  ©tanbpunft  be^  pt)ilofO' 
p^ifdien  ©egnerg  DerJ^ältnißmäfeig  eingegangen  ift.  ©o  ift  SBoI* 
jogcn  ju  mand^en  bem  ©egner  conformen  ©äfeen  gelangt,  toeld^e 
jcbo^  burd^auö  nid^t  jum  ©ociniani^muö  ausarten  *).  3)er  britte 
$unft,  in  ttjeld^em  Sababie  bie  SSerberbnife  ber  ©l)nobe  in  ©lauben 
unb  Seigre  feftftetten  ttjill,  bejiel^t  fid^  auf  bie  moralifd^e  9Serbinb= 
li^feit  ber  Orbnungen  ber  ©^nobe.  3n  einem  ber  ol^ne  Eenfur 
crfd^ienenen  Iractate  De  la  puissancc  ecclösiastique  bom6e 
ä  r^riture  et  par  eile  ^atte  Sababie  bel^auptet,  bafe  ber  ®Iäu^ 
bigc  ni^t  ücrpftid^tet  fei,  bie  ?lnorbnungen  ber  ©t)nobe  ju 
bcobad^ten,  unb  baß  berjenige,  ber  fid^  i^nen  nid^t  untertoirft, 
nic^t  fünbigc.    S)a  bie   ©^nobc  ju  Slaarben  biefen  ©afe  Der* 


1)  3n  ber  Dedaration  chretienne  p.  824  rebei  er  beUfiuftg  baüon, 
bo6  bie  6pnobe  [einen  Ilcraut  wegen  unerhörter,  fd^rifttolbrißer  unb  üerberb- 
lii^r  ße^rc  Uerbammt  ^obe,  o^ne  ©insel^eitcn  ju  bejeit^nen. 

2)  Ueber  baS  Sud^  oon  ^oIjoQen  Dgl.  %i)olud,  Stixä^l  Seben  be§ 
17.  3a^r^  flbt^.  2  6.  29.  Sepp,  Godgeleerd  onderwijs  in  Ncdcrland  2. 
Doel.  p.  383—387. 


218 

tuorfcn  l^attc,  fo  imputirt  Sababic  bcr  ©^nobc  bic  Sel^ouptung, 
bafe  bcr  ©laubige  im  ®  ctuiffen  ju  jenem  ©el^orfam  gegen  il^rc  5Sn^ 
orbnnng  üerpflidjtet  fei  uub  burc^  UngeI)orfam  bagcgen  ©ünbe  begel^c. 
6r  ergebt  t)icgcgcn  bic  ^luflage,  bajä  bloö  mcnfc^Iic^e  ©afeungen 
auf  bic  Sinie  bcr  göttlid)en  ©ebote  erhoben,  ba§  alfo  bic  pa^ 
piftifd)e  ©Icid^fteüung  bcr  Ueberlicferung  mit  ber  ^eil.  ©d^rift 
njieberf)olt  iDcrbe.  3)er  Refutation  fiel  c^  nic^t  fc^tuer,  bic  fo^ 
p^iftifc^c  Srt  biefer  UnterftcHung  unb  ben  icfuitifc^en  §inter^ 
gcbanfen  Sababic'iö  ju  cntpUcn,  nämlii^  bag  bcr  Ungcl^orfam 
gegen  bic  menfc^Iid^en  Drbnungeu  ber  ©^nobe  nur  eine  ©ünbe 
geringem  ©rabcö,  bic  eigentlich  feine  ©ünbe  fei,  entl^ielte.  3^* 
glei(^  weifen  bic  3)eö  aWarctö  barauf  f)\\\,  baß  tücnn  aud^  biefc 
firc^tic^en  SSorfd^riften  nid^t  baö  üolle  ©ciüidjt  ftaatlic^er  ©cfc^c 
^aben,  bic  man  um  beS  ©en)iffenS  n)iQen  glcid^  ©otteS  ©^^ 
boten  jju  erfüllen  ^at,  fie  bod^  eine  faft  glei^  i)crpflid)tenbe  ©eU 
tung  für  ben  ©laubigen  behaupten,  uoii  bem  anjunef)mcn  ift. 
ba§  er  burd)  Slufna^me  in  bie  Äird^e  fid)  inbirect  unb  ftiCU 
fc^iucigenbö  ben  Drbnungeu  berfelbcn  untcrtüirft.  S)ic  tpcitcrc 
Slntlagc,  baß  bie  ©^nobe  ben  Ungeljorfam  gegen  i^re  Sorfd^riftcn 
bur^  Slmtöentfe^ung  unb  burc^  ©jcommunication  beftraft 
l^abe,  alö  wenn  berfelbe  gegen  bie  jnjci  lafeln  bcig  göttlichen 
©cfefecö  uerftoße,  unb  baß  baburc^  wieberum  menfd^lic^c  Drb^ 
nungen  ben  göttlid)en  glcid^  gefefet  tuerben,  erlebigt  bie  Röfutation 
baburc^,  baß  biefe  ©trafen  gegen  bie  ^eud^elei  unb  ben  §o^ 
mut^  gerichtet  finb,  wcld^e  Sababic  burc^  bie  aBibcrfefelid^Ieit 
gegen  bic  ©Qnobe  rcidjlid^  beriefen  l)abc.  (Snblid;  grünbet  Sa= 
babie  bie  Slnflage  auf  3rrle^re  gegen  bic©^nobe  auf  bercnSScrs 
bammung  feiner  ©d^rift  L'exercice  prophetique.  §ierin  t)attc 
Sababic  feinen  ©runbfa^  ber  SRüdte^r  ju  allen  (Sinrid^tungen 
bcr  älteften  Äirdjc  barauf  angen)cnbet,  baß  man  öerpflid^tet  fei  na^ 
1  Äor.  14  freie  SJerfammlungen  aller  ©laubigen  ju  üeranftalten, 
in  tücld^cn  jebcr  nad^  bem  Slntricbc  bc^  göttlichen  ©eifte^  religiöfc 
SRcbc  üben  bürfc.  Dbgleicl)  er  fid^  l)iefür  auc^  auf  bie  recipirtcn 
SBcfc^lüffc  ber  S^nobcn  ju  SBefcl  unb  jju  @mben  berief,  fo  l^attc 
er  bod^  gerabe  bic  ©c^ranlcn  überf d^ritten,  meldte  biefe  Sluctoritätcn 
baburd^  aufgerid)tet  Ratten,  baß  fic  bie  „^ßrop^esei"  alö  ©c^rift- 
auglcgung  ucrftanbcn  unb  fie  an  bie  ftanbe^maßige  SBcfä^igung 
äu  berfelbcn  fnüpften.  S)ic  Refutation  fonnte  nidjt  bloä  hieran 
erinnern,  fonbern  and)  geltcnb  madjen,  baß  bic  t)on  $aulu8  unter 


219 

bcn  fortntl^ifd^cn  (S^riftcn  anerlanntcn  ©oben  cbcnfo  toic  bic  an^ 
bcrcn  aufgehört  f)abcu,  unb  baß  man  in  bic  Duäferci  fic^  t)cr= 
irre,  tocnn  man  ftd^  barübcr  l^inttjegfefec. 

3)ic  bcibcn  anbcrcn  Slbfc^nitte  bcr  Döclaration,  toelc^c  bic 
SSerbcrbniß  bcr  ttjaHonifc^en  Äirdje  in  i^rcn  gotteöbicnftlid^cn 
aScrfammlunflcn  unb  in  i^rer  Siegierunfl  na^meifcn,  finb  fc^r  bc» 
jcid^ncnbe  groben  ber  Slnmagung,  in  njctd^cr  bcr  3ßann,  ber 
ftc^  nod^  gar  nic^t  in  ein  rcd^tli(|  gcorbncteö  SBcr^ältniß  ju  bcr 
toaüonifc^cn  Äirc^c  in  bcn  SRicberlanbcn  gcfcftt  ^attc,  fid^  jum 
Mid^tcr  über  bicfclbc  auftt)irft.  §iec  bcrüt)rt  er  @ro§eg  toic 
ÄlcincS  mit  glcicf)cr  Sittcrfcit;  offenbare  ÜÄängcl  unb  i^m  nid^t 
jufagenbc  (Sinrid^tungen  rügt  er,  o^nc  i^rcn  Slbftanb  ju  bead^ten ; 
furj  in  bicfcm  il^cil  bcr  ©d^rift  tritt  bic  fcinbfcUgc  Ungcrccl^tig:= 
feit  unb  bic  Ucbcrfjcbung  bcö  ?ßrop^ctcn  in  pcinlicf)cr  SBcifc  an 
ben  lag.  Slußerbcm  aber  berrät^  fid^  in  bcr  Slnflage  gegen  bic 
©Qnobe  auf  papiftifc^c  2;^rannci  über  bic  5ßaftorcn  unb  bic  So- 
calgcmcinbcn  fein  ©runbfafe  bcö  Snbepenbenti^mu^.  3)crfelbe 
wäre  an  unb  für  fid^  bcr  jureid^enbc  ©runb  bafür  genjcfcn,  baß 
fiababic  fid)  üon  bem  ©Qnobalf^ftem  trennte.  SBarum  tonnte 
baö  nid^t  entiocber  öou  t)ornt)crcin,  ober  im  Saufe  ber  Qdt  mit 
Mu^e  unb  Älarl^eit  ju  ©tanbc  fommcn?  SBarum  mußte  Sa^ 
babie  fclbft  biefen  ©runbfafe  burc^  ba^  hinterhältige  unb  rcc^t= 
^abcrifdic  Setragen,  baö  er  in  ftcigcnbcni  aWagc  n)ä^rcnb  be§ 
brciiäl^rigen  Äampfeö  cntiüidtelt  ^attc.  ijergiftcn?  S)iefc^  iScr^altcn 
cntfprang,  wie  id)  meine,  barauö,  baß  er  t)on  Dorn^crein  uid^t 
fottjol^l  feinet  grunbfafelid^en  gnbepcnbcnti^mu^^  ate  feiner  refor^ 
matorifd)cn  Seftimmung  fid^  betüußt  ttjar.  ®inc  Ueberjcugung 
bicfer  ?lrt  pflegt  aber  übcrfjaupt  bic  Uebcriegung  rcc^tli^cr  SSer:^ 
^ältniffe,  alfo  aud^  firc^enrec^tlid^er  eonjuncturen  nid)t  ju  bc:: 
günftigen.  SffJit  bcr  Slbfic^t  auf  9fleformation  bcr  ©ittcn  trat  er 
in  bie  ©cmcinbc  ju  ÜJiibbcIburg  ein,  für  fic  aQcin  intcrcffirt, 
gleichgültig  gegen  i^rc  rcc^tlid^c  ©tcllung  in  bcr  ttjatlonifd^cn 
©^nobc.  Seren  ßornpctenj  über  \i\n  fuc^te  er  junäd)ft  ju  um:^ 
ge^cn,  um  nic^t  njeiter  burd^  fold)e  Slnfprüdjc  in  feiner  eigent^ 
liefen  Aufgabe  geftört  ju  werben.  Sllä  nun  bie  ©^nobe  gegen 
bicfe  groben  feinet  Snbcpenbcntiömug  reagirte,  empfanb  er  biefe^ 
(d^  SBibcrftrebcn  gegen  feinen  rcfomiatorifc^cn  SBcruf.  Snbem 
er  alfo  barunt  fein  felbftt)crrifc^eg  aBcfcn  nur  ftcigertc,  unb  fic^ 
barauf  fteiftc,   feine  göttliche  aKiffion   nid^t  ben  «nforberungen 


220 

flcincr  unb  ))ebantifcl^cr  JRcd^föformcu  anjubcqucmcn,  fo  ift  il^m 
bi§  jur  @ntfd)cibung  ni^t  flar  getüorbcn,  ba§  fein  3ub(H)cnbcn* 
tiömi^5  Don  t)ornI)erciu  im  Unrcd^t  (jcgcu  baö  ©l)ftcm  bcr  ©tjnobc 
tOQr,  iu  tüc(d)cö  er  inbirect  einfletDiÖigt  ()atte,  inbcm  er  bem  8fluf 
ixaä)  SJiibbelburg  folgte.  2)urc^  feine  aBiberfe|Iic^feit  gegen  bic 
©^uobe  compromittirte  er  aber  feine  reformatorifd)e  Stufgabc. 
S)cnn  ttjcr  bie  ©itten  ber  ?lnberen  ju  beffern  unternal^m,  burfte 
nid^t  ben  §oc^mutt)  in  fid^  cntroidfeln,  bie  rec^tlid^en  Drbnungen 
bcr  ©^nobe  alö  menfd^Iid^e  SBiQfür  ansufel^en,  in  bcren  yt\d)U 
ad^tung  feine  ©ünbe  begangen  merbe.  3luö  biefer  SScnmdelung 
alfo  Ijai  fid)  Sababie  nicftt  mit  bem  Haren  Urtl^eil  erhoben, 
weld^c^  Sugleid)  bie  Sauterfeit  feines  SBiUenö  unb  feine  tüirtlic^c 
Söefä^igung  jum  {Reformator  gcwäfjrleiften  würbe.  9iad^  ttjic  uor 
I)at  er  t)or  fi^  fclbft  fein  moralifdieö  Unred^t  gegen  bie  ©l)nobc 
I)inter  ber  guten  Slbfid)t  unb  bem  göttlidjen  {Redete  feiner  {Reform 
bcr  Äirc^c  ocrborgen.  6r  ift  bc^()alb  aud)  nic^t  im  ©tanbe  gc^ 
toefen,  baö  SBcr^altcn  ber  <St)nobc  auö  if)rem  red^tlic^en  ©^ftcm 
^crau^^,  unb  feine  Trennung  t)on  i^r  auö  bcr  Soüifion  uon  {RcdjtiJ^ 
grnnbfä|cn  ju  üerftelien.  SSicIme^r  Dcrfid^ert  er  in  bcr  Protestatio 
orthodoxiac  (p.  62),  bag  er  leih  anbercö  ®d)iöma  alö  ba^  gegen 
3rrtt)um  unb  Saftcr  beabfic^tigc,  unb  bajg  er  ein  böfcö  ©d^i^ma 
nicftt  mad^c,  fonbcrn  erleibe,  mcil  er  bic  Üird)e  auf  i^re  urfprüng« 
lid)c  9lcin()eit  äurüdfü^rcn  tooHc;  ba  alle  @in  ^crj  unb  @inc 
Seele  waren. 


12.  2)ie  @emctttbe  £ababte^i^. 

2lu^  melc^em  (Srunbe  unb  mit  welchem  {Redete  ^at  bie  6r* 
inneruug  an  bie  erfte  ©emeinbc  ju  Scrufalcm  in  bicfcm  xoic  in 
aßen  analogen  gätlen  bie  SBirlung  gel^abt,  neue  SBilbungcn  in  ben 
gefd^id^tUd^cn  3iifrtniincnl)ang  ber  Sfirc^e  eiuäufü^rcn?  SBir  beuten 
bie  comnumio  fidelium  ober  bie  ccclcsia  t)on  t)orn  l^ercin  in 
ber  gorm  ber  freien  ©efclligfeit.  3)ic  äßerfmale  berfelben  pnb, 
bag  eine  $tnjal)l  gleid)  gefinnter  unb  gleid^  gebilbcter  äJZenfd^cn 
fidj  bem  öinen  Qx\)cdc  bcö  ©ottcöbicnftci*  wibnict,  toeld^cr  me^r 


221 

bic  barftcHcnbe  alö  bie  ))robuctii)c  I^ätigfeit  ^eraugforbcrt. 
demgemäß  finbct  in  bcm  glcii^en,  göttlid^en  ©eiftc  bic  flottcö^ 
bienftlid^c  ©cmcinbc  bic  gönnen  i^rcö  SScrfcIjreö,  tücld)e  eben, 
inbcm  fie  banad^  gegeben  finb  ober  allgemein  gelten,  nid^t  aU 
jnjingenbe  ©d^ranfcn  em))funben,  fonbcrn  aU  gemeinfameö  @nt  in 
freier  Ueberjeugung  anertannt  nnb  geübt  tnerben.  3n  bieferSage 
loar  bie  d^riftlic^c  ©emeinbe,  wie  c^  Reifet,  nrfprünglic^  ©in  ^erj  nnb 
(Sine  ©eele.  ?lber  bie  2lui^breitung  in  Siaum  nnb  Qdt,  bie  auf  nannte 
Don  ÜÄenfi^en  ungleicher  religiöfer  nnb  geiftiger  3)ilbung,  bie  ^luf^» 
gäbe  ber  (Srjiefiung  berfclben,  bcr  ®cl^u|  ber  gegebenen  gormen  beg 
SJerfe^r^  gegen  SJerfälfd^ung,  bieig  ?llle^  crjeugt  neben  ben  Söe^ 
bingungen  bcr  freien  ©efeUigfeit  in  ber  Sirene  bie  frembartigen 
S3ebingungcn  ber  a?ec^tögemeinfd)Qft.  Unb  nic^t  bloö  neben  ben 
gegebenen  formen  ber  religiöfen  unb  gotte^bienftlid^en  ©efeHigfeit 
entfielen  gefefelic^e  SWornien  ber  Srjie^ung,  ber  Se^re,  ber  S)i^- 
ciplin  in  ber  Äirc^e;  fonbern  jene  elaftif^en  gormcn  be§  freien 
begcifterten  SBerfelirg  felbft  tüerben  für  bic  na^n^ac^fcnben  ®e* 
fc^lec^ter  unb  für  bie  ©enoffen  uon  gebunbenem  ©eifte  ju  gefe^* 
ii^en  SWorme'n  ausgeprägt.  3n  biefer  ©cftalt  gelangen  fie  ju 
benen,  njelc^e  crft  baju  angeleitet  iDcrbcn  follen,  fie  in  ber  grei* 
^eit  beS  ©eiftcS  ju  üben.  SBä^renb  ferner  icber  gefcllige  ÄreiS  fid^ 
Dorbeplt,  na^  ben  Umftänben  feine  Umgangs^formen  ju  mobifi^ 
cireu,  fo  bringt  t^  ber  @ang  bcr  Äirc^c  burd)  ben  (Srbraum  unb 
burd)  bie  3^**  "^tt  fid^,  ba§  bie  rec^tlic^  fijirten  gönnen  i^reS 
©emeinbcftanbeö  regelmäßig  benicnigen  ?ßerfoncn  SBiberftanb 
Iciftcn,  meiere  nac^  i^rer  geiftigen  üraft  befähigt  unb  berechtigt 
wären,  bie  ju  tobten  Zeremonien  gemorbcncn  gormcn  burc^  neue 
unb  frud^tbare  93ebingungen  begcifterten  religiöfen  SebenS  jU  er:= 
fe^en.  3ft  aber  nidjt  bic  freie  ©efcüigfcit  in  barftellenber  2;^ätig^ 
feit  am  weiteftcn  entfernt  Don  ber  gefefeli^en  Drbnung  fold^er 
I^ätigfcitcn,  burd^  weld^e  ber  gemeinfame  Söeftanb  oon  Seigre, 
©otteöbicnft  unb  (Sräie^ung  immer  neu  erworben  unb  oor  SSer^^ 
falfd^ung  unb  SSerirrung  gefc^üfet  werben  foH?  3n  bem  gefd^ic^t» 
liefen  SSerlauf  ber  Äircf)e  nun  ift  beibcg  auf  baS  ©ngfte  an  ein= 
anber  gcfnüpft  worben;  benn  bie  gefeftlii^e  Drbnung  imSöeftanbe 
bcr  Äirc^e  foll  bag  SKittel  abgeben,  o^na  welc^cö  auc^  bic  gort* 
pflanjung  ber  ©emeinf^aft  beS  ©eifte^  in  felbftänbiger  lieber* 
jcugung  unb  bereitwilligem  @ottcSbienft  nic^t  für  möglich  gehalten 
wirb.    SBcr   ^at  nic^t  in  irgenb   einem  ^la^c  bie  ^ncongrucnj 


222 

biefer  beibcn  ©lieber  be§  ©afciitiS  ber  Ätrd^e  gegen  etnanber  tm^ 
pfunben?  SBic  uicie  t)Qben  md)t  Die  SoClifion  biefe^  ÜÄitteW  mit 
jenem  3^^^'*  fo  crfafiren,  bafe  fic  an  i()rem  üöerufc  in  ber  Äirc^e 
ober  and)  gar  an  ber  C^riftlic^eu  SReligion  felbft  irre  geworben 
finb?  ?lber  nun  fommt  ^inju,  ba§  ber  red^tlic^e  Serbanb  ber 
c^riftlic^en  Äird^e  eine  ÜHaffc  Don  SUienfc^en  in  fid^  begreift,  bic 
in  abgcftuften  ©raben  fid^  ber  Öeftimmung  jur  ©emeinfd^aft  an^ 
bem  göttlicf)en  ©eifte  toiberfefeen,  unb  na^  aller  menfd^lic^en 
SBal^rfc^einlicI^feit  berfelben  cnbgültig  ttjibcrftreben  werben.  3Bcr 
alfo  einen  befonbcrö  lebl)aftcn  ffiinbrucf  t)on  bem  SBert^e  be^ 
©ütte^bienftcö  ^at,  ben  bic  gleid^  ©efinnten  nnb  bem  ffirnftc  bcd 
Sebenö  3ugetüenbetcn  in  freiem  antriebe  nnb  in  einfachen  formen 
ausüben  lönnen,  unge^inbert  burc§  ben  frembartigen  9[nl)ang  ber 
SSäeltlic^en  unb  Unüerbefferlic^en,  für  ben  mirb  bie  (Erinnerung 
an  bie  in  ficft  einige  ©emeinbe  ber  älteften  ß^tt  ni^t  nur  ju 
einem  Sfled^tötitel  ber  SIrennung  uon  bem  rec^tlfc^en  3)afein  ber 
Äird^c,  fonbern  auc^  ju  einem  ^flii^ttitel,  na^  biefem  Sorbilbc 
fid)  einjuric^ten.  S)ie  Sieformation  ber  Äird)e  nac^  biefem  ÜRuftcr 
fann  nun  ben  Slbftanb  biefe^  ßiele^  uon  ben  rechtlichen  gormcn 
be^  gegenmärtigcn  ©eftanbeö  ferner  ober  nä^er  fteden.  SBer  in 
ber  fat^olifd^en  Äirc^e  beö  3Kittelalterg  jene  Slufgabc  ergriff, 
fonnte  ben  Umftänben  gcmäp  fic^  mit  ben  ^ierarc^ifi^en  gönnen 
berfelben  abfinben,  o^ne  fie  ^u  burc^brec^en.  Ober  ber  99ruc^  mit 
il^nen  trat  erft  ein,  ttjenn  bie  firc^lic^e  Sluctorität  bcnfelben  ^er^ 
beifüt)rte.  3)er  Söruc^  nun,  weli^cn  Sababie  eräioang,  um  feine 
©emeinbc  jenem  SSorbilbe  gemäß  einjuric^tcn,  ttjar  rabical.  (5r 
löfte  feine  ^[n^änger  nic^t  bloö  auö  bem  SRec^töDerbanbe  ber  toaU 
lonifd^cn  ©l)nobe ;  fonbern  feine  Declaration  chr^tienne  in  Scr- 
binbung  mit  ben  Dort)ergegangenen  (Schriften  meift  eö  au^,  ba§ 
er  aud^  bie  feftftet)enben  gormen  beö  ©otte^bicnfteS  Don  fid^  ftic§, 
um  feiner  ©emeinbe  ben  Z\)pn^  ber  freien  ©efeUigleit  im  (Sottet 
bienfte  unuerfürjt  ju  njafiren.  3)ie  $rebigt  foUte  Dom  ©eifte  g^: 
falbt  fein,  unb  beö^alb  bie  hergebrachte  Siegelmägigfeit  ber  55ar:^ 
ftellungi^*  unb  Sludbrud^meifc  aufgeben,  bie  liturgifc^en  gormu^^ 
lare  im  ©onntag^gottcöbienft  unb  bei  ber  laufe  foüten  megfaUcn, 
bie  ^rop^ejei  foHte  nad^  ben  ©aben  ber  ©emeinbemitgliebcr  eine 
burd^  SJorfd^riften  nidjt  gehemmte  begeifterte  Unterl^altung  locrbcn. 
Snbem  Sababie  bie  {irc^lid^en  $od^;;eitdfeiem  unb  bie  fiugcre 
iBejeugung  ber  Xrauer  über  uerftorbene  %nge^5rtge,  fo  locit  fie 


223 

al^  fird^üd^c  ©tttc  anjufc^cn  toax,  rügte,  ttJoHtc  er  gormlofiglcit 
ald  bic  @mäf)v  bcr  djriftUd^cn  Scbcnöanfid^t  aufrichten.  3n  bicfen 
3ugcn  näherte  er  feine  ?lnfprüc^c  bem  Quätert^um;  unb  faum 
ein  anbcrcr  S^araftcrjug  unterfd^ieb  feine  ©emeinbe  Don  bcm* 
fclben,  atö  baß  in  jener  bie  ®eifte^!raft  be§  ©tiftcrö  bie  {Redete 
aßcr  Snbcrcn  überwog.  (S^  toerben  nod)  anbere  öebingungen  ju 
bcrücffi^tigen  fein,  unter  beuen  bicfe  (Scmeiubc  al§  bic  im  (^rift= 
Uc^cn  ©laubenöbctenntniß  gemeinte  communio  sanctorum  erfaunt 
tocrben  loollte;  für  jeftt  ift  toenigftenö  fd)on  bie  gorm,  toeld^c  il^r 
Sababic  Derlie^,  ober  bic  relatiue  gormlofigfcit  if)reö  SBerlc^re^ 
bem  ©runbbegriff  ber  Äirc^e  congruenter,  aU  bie  ©emciufc^aft 
gcfefelic^cr  Sc^ce,  S)iöciplin  unb  SSerfaffung,  toeld^c  be^  ©eifte^ 
unb  be^  SebenS  ju  entbehren  üerbäc^tig  ift.  hierin  ift  bad  Siecht 
einc^  f Otiten  Unternehmend  begrünbet').  Slber  bic  ©efc^ic^te  bcr 
Sababiftifc^en  ©emeinbc  ben)äl)rt  cö,  bag  biefe^  Kcd^t  bic®cs 
burt^ftunbe  einer  fotd^cn  Silbung  nic^t  äuüberbaueru 
pflegt.  3)ic  freie  ©cfelligteit,  in  ttjcld^cr  bic  SBa^r^cit  ber  c^rift* 
liefen  @cmeinfd^aft  gefunben  ju  fein  fd^cint,  artet  tl^eil^  in 
immer  weiter  grcifenbc  gormlofigfcit  auö,  tl)cil^  crjcugt  fie  neue 
gormcn  beö  8flec^teg;  fie  betritt  alfo  bic  33a]^n  cigent^ümlic^ct 
SScrweltlid^ung,  fo  toic  ba^  erftc  Sluftcuc^tcn  il)rc^  gcfc^idötlicften 
3)afcin^  Dorübcr  ift.  Unb  in  bicfen  SUicrfmalcn  fc^lcunigcn  SScr« 
faüciS  bcr  feparatiftij^en  @efcUf(^aft  bcioät)rt  fid^  ferner,  bag 
ber  Scftanb  unb  bic  JSraft  bcö  S^riftcntl^umö  auf  eine  breitere 
©runblcgung  unb  eine  reichere  güDc  mcnfd^Iic^er  unb  meltlic^er 
Öcjic^ungen  angetoiefen  ift,  al^  welche  in  bem  SRa^men  bcr  freien 
rcligiöfcn  ©cfeUigfeit  $lafe  finben. 

3)ic  3Bir!ung,  meiere  Sababic  auf  bicienigen  ausgeübt  l^at, 
meldte  il^m  mit  bcr  ©cl)nfud)t  nac^  einer  8flcfonnation  ber  Stirere 
aud  bem  @eiftc  @otteS  cntgegenfamen,  ift  burc^  Die  eigent^üm- 
liefen  @aben  erüärUc^,  wcl^e  er  in  bcr  rcligiöfcn  9{ebc  unb  im 


1)  Butler  ^at  momentan  btefen  6tanb|)un!t  eingenommen,  inbem  er  baS 
Sieb  v9^un  freut  eu4  .liebe  (E^rifien  gemein*  mit  ben  $er|en  [daliegt  .Unb  l^fti 
bi4  i^or  ber  SRenfd^en  6q$,  babei  berbirbt  ber  eble  64a$,  baS  lag  iä)  bir  jur 
Segte'.  Sgl*  aud^  do  libertate  christiana  p.  258.  lustitia  ßdei  in  cere- 
moniis  periclitatar.  9ber  fdf^on  in  bie|er  64rift  ()at  er  bie  feparatifiifd^e 
gfolflerung  abgelehnt:  Et  tarnen  in  ceremoniis,  id  est  in  pericalis  versari 
oportet. 


224 

fceljorgerifd^cn  Umgang  Dcrtücnbcn  fonnte.  (Sin  aWann  Don  Heiner, 
fc^wäc^lid^er  ©eftalt,  t)on  nerüöfer  SReijbarleit,  t)on  Icibcnfc^aft* 
li^em  religiöfen  Srnft,  gebot  er  über  eine  SBerebtfamfeit,  toeld^c 
feiner  tedönifc^cn  Vorbereitung  beburfte,  tvddjt  ober  um  fo  ftärlcr 
bie  @emütl)er  erregte,  alö  [ie  naä)  franjöfifdjer  Slrt  aüc  3RitteI 
ber  t^eatralifc^en  3)ar[tenung  ber  Scibenjd)aftcn  umfaßte,  unb 
Sababie  im  ©tanbe  n)ar,  [ie  in  gleich  blcibenber  ©etoalt  ftunbcn* 
lang  au^juüben.  daneben  na^m  er  bie  ©emittier  ebenfo  burd^ 
bie  @etoanbt[)eit  beö  S8ene^men§  ein,  in  welcher  bie  ®e^  äJJaretö 
ben  ©rtrag  feiner  jcfuitifc^en  ffirsic^ung  ma^rnelimen  tooütcn,  tok 
bni6)  bie  ©elbftgen)ißt)eit  beö  ?ßrop^eten,  njeld^e  ben  äbftanb 
feiner  ^erfon  üon  ber  Stuctorität  S^rifti  uerfd^ttjiuben  ließ.  Unter 
biefen  Umftänben  wirtte  ber  ungetoo^nte  SReij,  *toelc^en  feine 
mtjftifd^e  S8etrac^tungön)eife  auf  bie  ?ß^antafie,  namentlid^  ber 
grauen  auMbte,  gerabeju  überroältigenb.  3)rci  Sa^re  lang  l^attc 
er  biefe  SDiittel  in  ?ßrebigtcn  unb  prioatcn  Slnbad^t^übungcn  in 
SBettjegung  gefefet,  unb  ^atte  fie  unterftüfet  burd^  eine  big  ba^in 
in  SRibbelburg  uner^rte  ©nergie  in  ber  3)igciplin.  S)a  Sababie 
bie  ^robe  ber  Slii^tigfeit  feinet  SSerfa^renö  nic^t  barin  fud^te,  Slfle 
ju  gciüinnen,  fonbern  gerabe  barin,  bie  geiftlic^  ©efinnten  öon 
ben  SBeltlid^cn  ju  fc^eiDen,  fo  muß  e^  aU  ein  großer  ffirfolg  bc= 
trachtet  toerben,  ia^  ber  britte  2;^eil  ber  ©emeinbe  burd|  bie 
I^eilna^me  an  ber  erwähnten  äbenbma^löfeier  in  feine  ©epara* 
tion  einmiHigte.  Slber  bicfelbe  mar  oon  Slnfang  an  feine  örtlich 
befd^ränfte.  ©rfc^einung,  ba  in  ber  gcit  beö  Sampfcö  jtoifd^cn 
Sababie  unb  ber  ©^nobe  außer  ber  ©(^urman  unb  i^rcr  greunbin 
3lnna  be  SJeer  auö  2)ortred^t  auc^  noc^  anbere  gleicft  ©cfmnte 
ab  unb  JU  SKibbelburg  befuc^t  fjaben  merben,  um  mit  Sababie  in 
gotteöbienftli^e  ©emeinf^aft  ju  treten. 

3)ie  ©))altung,  meiere  er  in  bie  maüonif^e  ©emeinbe  ge^s 
bracht  ^atte,  jog  JRu^eftörungen  nad^  fic^,  unb  biefe  bewogen  ben 
äßagiftrat  ju  aWibbelburg,  Sababie  unb  feine  SJegleiter  ju  Ver- 
bannen, ©ie  mürben  aber  in  ber  benad^barten  ©tabt  SSeere  auf* 
genommen,  bereu  SDiagiftrat  eö  jmedfmäßig  fanb,  unter  3^ftint= 
mung  ber  flamifdien  unb  ber  fc^ottifdjen  ©emcinbc  in  i^r,  bie 
©tiftung  einer  mallonifc^en  ju  beförbern.  Sababie  mar  biefeö 
minfommen,  unb  bie  mit  i^m  eECommunicirten  §äupter  feiner  big* 
fjerigen  ©emeinbe  trafen  Slnftalt,  i^ren  SBo^nfi^  nac^  SSeere  ju 
Verlegen.  3"9lcic^  ftrömten  feine  übrigen  Sln^änger  ju  ^unberten 


225 

tood^cntlid^  j^n)eimQt  Don  3)?ibbcI6urg  nad^  SSeere,  um  an  bem  @otted« 
bicnft,  bcn  er  ^iclt,  t^ciljune^mcn.  3)icfe  ©reigniffc  brotitcn  einen 
offenen  Söürgerfricg  jtoifc^en  Den  beibcn  ©täbtcn  ^erüorjurufen. 
Um  i^n  ju  ocrI)!nbcrn  toanberte  fiababie  mit  feinen  Segleitern 
gegen  (Snbe  Äuguft  1669  nac^  ?(mftcrbam  au^.  Slud^  in  bicfer 
©tabt  njurbc  er  oon  ber  Dbrigfeit  mit  einer  geroiffen  ®unft  auf« 
genommen,  unb  eröffnete  in  einem  großen  Don  i^m  gemiet^eten 
§aufe  feine  änbac^tMbungen.  3)a  er  jebod^  nic^t  mel^r  in  ber 
Sage  mar,  öffentlichen  ©ottegbienft  ju  fialten,  fo  fanbte  er  feine 
Äbiutanten  au^,  um  überall  in  bcn  ßonDentifeln  Sln^önger  für 
i^n  iu  merben.  Slldbalb  ftcQte  fic^  auc^  bie  ©c^urman  nebfi 
einigen  if)rer  greunbinnen  (be  SSeer,  ^ut)genö)  in  ?lmfterbam  ein ; 
unb  ba  fie  feine  SBo^nung  in  ber  9lä^e  Sababie'g  fanb,  tourbe 
fic  feine  ^auögenoffin.  ©ic  ^atte  biefen  legten  ©d^ritt  gegen  ben 
Äat^  i^re^  alten  g^eunbe^S  Soet  getrau,  meld^er  toeber  bie  ÜJitjftil, 
noc^  ben  (£{)iliadmu^,  noc^  bie  ©eparation  bed  neuen  ^reunbed 
ber  ©c^urman  billigen  fonnte.  6ö  mar  fein  JRed^t,  aUbalb  eine  afa* 
bemifc^e  Disputation  gegen  benfelben  galten  ii\  laffen,  meldte  am 
30.  Dctober  unb  13.  SioDembcr  Dor  fii^  ging,  unb  ^iunäc^ft  o^ne 
fein  SSormiffen  in  nieberlänbifd^er  ©prad^e  gebrudtt  mürbe*).  3n 
biefer  ©c^rift  becfte  SSoet  bcn  mönd^ifd^cn  Stjarafter  ber  neuen 
©cmeinbeftiftung  unb  bie  grembartigteit  ber  SWtiftil  Sababie'S 
gegen  bie  in  ber  rcformirten  Äirc^e  üblid^e  grömmigfeit  auf 
(©.  123).  6r  fonnte  fic^  jcboc^  babei  ber  Unjart^eit  nic^t  ent* 
fc^tagen,  baS  SSerpltnig  jmifc^en  .^ieron^mud  unb  $aula  nad^ 
allen  Siegeln  ber  Sunft  ju  beurt^eilen,  um  baburc^  feine  ©c^ülerin 
unb  ^rcunbin  oon  bem  ?lufentl)alt  in  bem  coenobiura  yrm/xar- 
dgiTcov  abjufd^redten.  ÄQerbingö  oer^ielt  eö  fid)  nic^t  fo,  mie  ber 
alte  ^err  fic^  ju  erinnern  glaubte,  unb  nad^^er  in  ber  Appen- 
dix (p.  514)  brudfen  ließ,  baß  Sababie  burc^  einen  örief  ^Don'ö 
bie  ©(^urman  mit  bem  Scifpiel  Don  $ieront)mud  unb  $aula  an 
fic^  gelodt  ^abe.  ©ie  unb  2)Don  l)aben  biefe  Eingabe  cntfdjieben 
in  abrcbe  gefteHt*)  unb  bie  ©c^urman  ^at  jugleid^  bet^euert, 


1)  De  ecclesiarum  separatarum  unione  et  syncretismOf  mit  Appeiidix 
hitbd  Lib.  III.  Tract  III.  be6  3.  t^eilS  ber  Politica  ecolesiastica. 
Amst.  1676. 

2)  Tvon,  Leere  van  den  heiligen  doop  (Amsterdam  1683)  p.  144. 
Eacleria  P.  II.  cap.  IV,  6.    i)eutf(^e  Ueberje^une  II.  6.  118. 

I.  15 


226 

bag  fie  burd^  i^rc  Ucbcretnftimmung  mit  beit  ©runbfa^en  Soba^ 
bic'^  ju  i^m  gejogcn  tüorbcn  ift.  ©ic  f)at  fic^  fortan  nic^t  me^r 
öon  i^m  getrennt.  3)ic  ^au^gcmcinbc  in  3(m[tcrbam  bcfricbigte 
fie  öollftänbig.  SlUcin  bie  Sage  bcrfelben  tt)urbc  mannigfach  bc^^ 
einträd^tigt.  (Sinmal  fc^ränften  fic^  bie  Äuöfiti^tcn  Sababie'i^  auf 
eine  meitgrcifcnbc  SBirfung  feiner  Separation  jur  (Srneuerung  bcr 
Üird^e  baburd^  ein,  bafe  fo  gut  mie  gar  fein  ÜJiann  gciftlic^en 
©tanbcö  fic^  il)m  anfd^loß.  SSon  9iiebcrlänbifd)en  ^rebigern  fanb 
fic^  bei  fiababie  nur  @[)riftian  Coburg  aud  2at()um  bei  ßütp^en 
ein,  melc^er  megcn  ©d^roenffetbifcftcr  unb  Soriftifd^er  Slnfid^tcn 
uerbäc^tig,  gerabe  uom  Slmtc  fu^pcnbirt  morben  mar.  Aber  er 
f)at  \id)  nad)  furjcr  Qeit  miebcr  entfernt.  S)er  cinjigc  X^eolog, 
meld^er  üon  ^mn  fid^  ^erbeijie^en  liefe,  mar  ^cinrid)  ©^tüter, 
Sanbibat  in  SBefel,  alfo  ein  ^eutfc^er.  fiababie  unternahm  cd 
auc^,  Slntonie  93ourignon,  meldte  bamalö  in  ämfterbam  lebte, 
unb,  mcnn  ed  möglich  mar,  mit  i^r  i^re  ja^lreidjen  Sn^ängcr, 
ebenfo  auc^  ©id^tet  unb  feine  ©efellfc^aft  für  feine  ©emeinbc*' 
ftiftung  JU  geminnen.  9tic^td  bemeift  freilid^  beutlic^er  aU  jener 
aSerfud^,  bafe  Sababie'd  reformirte  JRec^tglöubigteit  i^m  felbft  t)iel 
mcniger  mert^  mar  ald  feine  aud  bcr  fat^otifd^cn  ^ird^e  mitge- 
brachte 9)?t)ftit,  in  mclc^er  er  fic^  mit  ber  Sourignon  begegnete. 
S)iefelbe  ^atte  jeboc^  ebenfo  menig  mie  ©ic^tel  ein  Sntereffc  an 
einer  befonbern  ©emeinbebilbung,  inbem  beibe  fic^  mit  bcm  ganj 
ungebunbenen  SSerfe^r  ber  gleich  ©efinnten  innerhalb  ber  t)er= 
fd)iebcnen  ßonfeffionötirc^en  befriebigt  füllten.  Sieben  biefen  (Sr* 
fal)rungen  aber  fanb  fic^  bie  ^auögcmcinbe  ju  ämfterbam  ge» 
^cmmt  nic^t  nur  burd^  längere  ii^ranf()eiten  uon  i^ababie  unb 
g)i)on,  fonbern  namentlid)  burd^  ben  äudbruc^  tobfüc^tigen  äSa^n^ 
finnö  bei  3Jienuret,  ber  fic^  in  SJcrjmeiflung  am  §eite  auöfprac^, 
unb  erft  nad)  ;;mei  3)2onaten  burc^  ben  Xob  beenbet  mürbe.  Sud^ 
fehlten  nad^  bem  öcric^te  ber  Sc^urman  nic^t  falfc^e  ©ruber, 
meldte  in  bem  §aufe  Sababie'ö  felbft  ben  na^e  liegenben  SEBeg 
Don  ber  3Jit)fti{  jum  ©ocinianidmu^^  einfd)(ugen,  unb  meiere  ftc^ 
für  i^re  Sluömeifung  baburdj  räd)ten,  bafe  fie  Sababie  befc^ulbigten, 
burc^  ÜKife^anblungen  beö  ©eifteöfranten  beffen  Xob  herbeigeführt 
JU  ^aben.  ©leic^jeitig  mehrten  fic^  bie  ©djriften  gegen  Sababie, 
meldte  fic^  nic^t  auf  bie  Erörterung  ber  fad^lic^en  ©trettpunfte 
befc^ränften,  fonbern  auc^  bie  ^erfon  be^  ©ectenftifterd  in  baö 
ungünftigfte  Sid^t  fteQten,  t^eiliS  burd^  äBieber^oIung  bcr  Set« 


227 

Icumbungcn,  ttjcld^e  feiner  ßcit  bic  3efuiten  gegen  i^n  auggcftrcut 
Ratten,  tiefte  burc^  bie  SSerbäd^tigung,  baß  er  bie  Sernjirrung  in 
ber  reformtrtcn  Äirc^c  alö  ©miffär  ber  Scfuiten  angerid^tet  ^abc'). 
Snblic^  aber  eaeid^ten  bie  ^rebiger  ju  ?tmfterbam,  n)eld)e  i^re 
aBirffamleit  bebro^t  fanbcn,  njcnn  bic  ^auögemcinbe  unbc^inberte 
Snjie^ung  ausüben  burfte,  ein  obrigfeitlid^e^  3)?QnbQt,  bag  an 
ben  Änbad^t^übungen  Sababic'ö  nur  feine  §auögenoffen  t^cil* 
nehmen  bürften.  ®erabe  in  bem  SKoment,  atö  bie  9Äibbelburger 
Änpngcr  i^re  Ueberfiebelung  nad^  Ämfterbam  Dorbereiteten, 
fc^nitt  biefe  Änorbnung  ber  Meinen  Kolonie  in  Ämfterbam  jebe 
Äuöftc^t  ab,  bort  ju  gebei^en  unb  ju  öffentlicher  SBirffamfeit  j^n 
gelangen. 

C^  ift  eine  ftarfe  Uebertreibung,  baß  bie  ©c^urman  erjä^lt, 
ba^  ®erud^t  üon  biefen  93ebrängniffen  fei  feit  ettoa  einem  Sal^r 
JU  ben  D^ren  frember  ^ö^Pcn  gelangt,  unb  einige  üon  i^nen 
feien  mit  bem  SBorfa^  umgegangen,  ber  Keinen  ftir^e  S^rifti 
tooHe  grei^eit  ju  öerfd^affen.  SebenfaQö  njar  eö  gerat^en  mit  bem 
^falmiften  ftd^  nic^t  auf  biefe  unfinbbaren  gürfteu  j«  t)erlaffen. 
Denn  eö  xoax  nur  bie  ^riu jeffin  ©lifabet^  öon  ber^falj*),  Äeb* 
tiffin  ber  freien  JReif^öabtei  §erf orb,  toeld^e  in  ber  ©rinncrung  an 
i^rc  früheren  gclefjrten  53ejie^ungeu  jur  ©c^urman,  unb  in  ber 
I^eilna^mc  an  bereu  gegentuärtiger  Sage  berfelben  bic  Äuffor^ 
berung  juge^eu  liefe,  mit  i^rer  ganjen  ®enoffenfc^aft  fic^  in  baö 
Xerritorium  ber  JReic^gabtei  ju  begeben,  tt)o  fie  tJoHc  grei^cit  ber 
aUcligion^übung  ^aben  foUten.  9){an  n^ar  n)o^l  gcnötl^igt  auf 
biefet^  ?lncrbieten  cinjugcf)en,  inbem  freiließ  Sababie  bemüht  tuar, 
inforoeit  ben  gufe  in  ben  5Rieberlanben  ju  behalten,  alö  er  ben 
bt^^erigcn  S)olmetfc^er  feiner  franjöfifc^en  JRcben,  einen  if aufmann 
S9arbon)i^  bafür  getuann,  nad)  bem  JRec^te  ber  ^roptiesei  bie  Sin- 
^nger  in  Ämfterbam  ju  bebienen.  Slufeerbeni  rechnete  er  eine 
inbe))enbentc  ©cmeinbc  t)on  28  ©cclen,  weld^e  ein  tuegen  SBer:^ 
änbcrung  bcö  laufformular^  abgefegter  ^rebigcr  Äbrian  be  |)erber 
au^  SBlc^^ttJ^I  bei  SfJottcrbam  in  biefer  ©tabt  um  fid^  gefammelt 


1)  luget  ber  angefahrten  ed^rlft  ber  «rUber  i)e8  9Raret§  (6.  195) 
^i  an^  beten  Sater  Samuel  ^areftud  im  3a(re  1670  ebirt  Propemticon  ad 
J.  Lmbadium  exjesuiiam,  fanaticum. 

2)  t:o4ter  beft  burc!^  fein  Unternehmen  in  95(men  betannten  l^urfUrfien 
gfriebri^  V.    6tc  ift  geboren  1618,  geftorben  1680. 


228 

l^atte,  ate  eine  ©tfifec  feiner  ©ac^e ').  6^  toar  nur  eine  ©cfammt.^ 
ja^l  Don  ^iiuf jig,  toetc^c  fid^  im©eptember  1670  üon  Ämftcrbam 
nac^  öremcn  ju  ©c^iff,  üon  ba  ju  SBageu  nac^  §erforb  begab. 
3)ie  ©efcafc^aft  fanb  ein  öerid^terftotter^)  im  ÜJJai  1671  fe^r 
ungleich  jufammengcfcfet.  Slußcr  Sababie,  ^uon,  bu  Signon  unb 
©c^lüter  ttjar  baö  männliche  ©efc^Iec^t  nur  burd^  5ßerfonen  nic^ 
bereu  ©tanbcö,  hingegen  baö  roeiblidjc  burd^  eine  SRei^e  tjon  un:^ 
üer^eirattjeten  grauen  Ijö^ercr  SBilbung  unb  t^eilweife  l^o^en 
Slbel^  vertreten.  Dicfc  Zf)at\a6)c  ift  fe^r  crflärttcft,  ba  bic  un^ 
üer^ciratfjeten  reichen  5Damen  unb  n)icberum  bie  minber  begüterten 
SÄänner  unter  SJababie'j^  Sln^ängern  am  leidjteftcn  ben  SBol^nort 
n)ed^feln  fonnten.  3nbeffen  ftnb  njö^renb  be^  sroeijä^rigen  Ser^^ 
toeiten^  ber  ©emeinbe  in  §crforb  bie  Anhänger  auö  ben  Siieber^ 
lanben  gefommen  unb  gegangen;  unb  manche  ftnb  aud^  bauemb 
geblieben,  ba  eine  größere  Qaijl  t)on  ©enoffcn  fpäter  ^erforb  ucr* 
liefe,  alö  jucrft  bal^in  gejogen  n)aren. 

gür  bie  inneren  SSer^ältniffc  ber  ©cmeinbe,  toddje  erft 
in  ^erforb  ftd^  feftftellen  fonnten,  bietet  junäc^ft  bie  Decla- 
ratio  doctriuae  nostrae  christianae,  n)eld^e  t)on  ^erforb  unter 
15.  October  1671  erlaffen  ift^),  ujic^tigen  ©toff  bar.  lieber  bie 
I^cilna^me  am  äbenbmaljl  tperben  ^ier  frcilid^  nur  bie  ©runb- 
fäfec  n)ieberl)olt,  toddjt  bei  ben  ©onöcntifeld^riften  in  ben  9lteber« 
lanben  galten  (©.  117).  SEßä^renb  nun  in  biefem  fünfte  eine 
ftarte  ©ebunben^eit  ber  ©emcinbeglieber  ^erüortritt,  n)elc^e  ftc^ 
JU  ^üten  l)aben,  mit  einem  Unroiebergeborenen  ba^  Sbenbma^l 
JU  tljeilen,  fo  tritt  bic  ßwttaljme  ber  gormlofigfeit  in  ben  fibrigen 
93ejie^ungen,  tDeld^e  ju  einer  c^riftlic^cn  ÖJemeinbe  gehören,  beut» 
lidö  ^erüor.  3nbem  nämlic^  auc^  bie  laufe  im  ftrengcn  catm< 
nifc^en  ©inne  ate  baö  ©iegel  ber  SEßiebergeburt  erflärt  xoxxb,  fo 
geben  bic  ^aftoren  ju,  bafe  man  ftc  oud^  Üinbern  ert^eilen  borf, 
xoel6)t  üon  micbergeborenen  Gleitern  abftammen,  in  ber  ©rtt^artung, 


1)  $g(.  Koelmann,  Historisch  verhaal  p.  97. 

2)  «rief  Don  $au(  ^ac^enberg  (^ofmeifter  beS  92effen  ber  «ebtifftn,  beS 
$nn)en  Staxl  Don  ber  $fal)),  »eitler  31.  ^ax  1671  Aber  einen  Sejud^  in 
^erforb  an  einen  ungenannten  Sreunb  beri(!^tet.  Vu8  ber  Bibl.  Brem.  YIII. 
p.  1008 — 1015  in  beutf^er  Ueberfe^ung  Dor  ber  beutf^en  t[u8gabe  ber  dnÜeria. 
3)eRau  1782  p.  XVII. 

3)  ^er  $aiq>tt(etl  in  Yeritas  sui  vindex.  Herford  1672.  Sie^e  oben 
6.  199. 


229 

baft  fic  i^neit  ä^nlid^  fein  tüerben.  Snbeffcn  erinnern  ftc  äufllcid^ 
baran,  bag  bic  primitiüc  Äirc^e  nic^t  unrecht  ge^anbclt  ^abc,  in« 
bem  fie  bie  laufe  bcr  Gtiriftenlinber  biö  jur  erfennbaren  SBiebcr* . 
flcburt  auffd^ob.  9iur  ücmaf)ren  fie  fic^  bagegen,  bag  njenn  bic 
^inbertaufe  anä)  o^ne  jene  Soraudfe^uno  ou^geäbt  njorben  to&xt, 
eine  SBiebertaufe  einjutreten  ^ätte.  lieber  bie  (Sl^e  urt^cilen  fie, 
bafe  fic  ein  befonberer  religiöfer  ©tanb  fei,  ttjclc^er  bem  SBieber» 
flcborenen  bie  JRötfjigung  auflegt,  fici^  Dortjcr  üon  aller  Segicrbc 
befreit  ju  ^abcn.  3)e^^alb  finben  fic  ferner,  baß  eine  6^e  ixou 
f^en  einem  @(äubigen  unb  einem  in  il^rem  ®inn  Ungläubigen 
bem  SBcgriff  ber  6^c  njibcrfprid^t,  SWit  ^autu^  njollen  fie  frei*: 
lic^  jugeben,  baß  in  biefem  S^Hc  bic  ffi^c  fortijufcfeen  ift,  n)enn 
ber  Ungläubige  bie  Sludfic^t  auf  9)cfe^rung  giebt.  %ber  fo  n)ie 
bieg  fein  ®efe^  ift,  menn  bie  SSorauöfcfeung  nid^t  eintritt,  fo  be* 
galten  fie  tien  bie  ^tei^eit  ber  S^etrennung  üor,  toenn  ber  @Iäu« 
bige  nid^t  bei  bem  Ungläubigen  bleiben  mü,  unb  fe^en  fic^  mit 
bem  Sugfprud)  S^rifti  über  bie  Unauflöölid^fcit  ber  ffi^e  fo  aug 
cinanber,  baß  ber  ^err  über  biefelbe  nur  in  thesi  gerebet  \)ahc, 
nid^t  in  hypothesi  aut  de  coniugio  bene  vel  male  inito.  Riebet 
ift  enbtic^  nocf)  ju  beachten,  \>a^  bie  öffentlid^c  gotm  ber  (5l^e* 
fd^licgung  alg  ungeeignet  für  n)a^re  @(äubigc  bcicid^nct  mirb, 
inbem  bie  (S^c  nur  in  ber  gegenfeitigen  (£inn)illigung  rcd^ti^fä^iger 
^crfonen  befiele,  unb  fo  üon  Slbam  unb  @Da,  njic  üon  ben  äU 
tcftcn  E^riften  eingegangen  fei.  S)iefc  JRid^tad^tung  befte^enber 
gönnen  bcr  c^riftlid^en  ©efeüfd^aft  fcfet  fid^  fort  in  bcr  ©c^äfeung 
bc«  ©onntag!^.  Slug  ber  JRüdfftd^t,  baß  bcr  3)efalog  nur  bem 
alten  ©unbe  angehört,  ba§  bic  ^roptictcn  einen  bauernben  (S>ai^ 
bat  in  Äuöftd^t  ftcClen,  ba§  ben  Sfiriftcn  feine  geicr  cinc^  befon:= 
bcrn  lagci^  üorgefc^rieben  ift  unb  enblic^,  ba§  alle  SBcrfe  cincg 
C^riften  nottjtoenbig  ?lctc  bcr  ©ottcöücrc^rung  fiub,  mirb  gefoU 
flcrt,  ba§  bie  alltägliche  Slrbcit  am  ©onntag  nic^t  j«  unterbrechen 
ober  au^jufcfecn  ift,  tocnn  nur  eben  babei  bie  Äbfid^t  bcr  ftärfern 
Siebe  fid^  auf  bie  üoQfommcnc  (8f)rc  ®ottcö  rid^tet.  3)ic  ©d^ur« 
man  crflärt  aut^brüdflic^,  in  biefer  ?(nfic^t,  bic  bcr  rcformirten 
^rajiö  birect  unb  üoHftänbig  jumiberläuft,  bie  ©ctoä^rlciftung 
eilied  mefentlic^cn  gortfcijrittcg  i^rer  grömmigfeit  über  ben  üo*: 
rigen  ©tanb  erfahren  ju  [)aben.  ^ic  Declaratio  ber  brei  ^aftoren 
enthalt  aber  noc^  ben  ©a^,  bag  bie  ©ouueränetät  @)otted  fic^ 
auc^  über  bic  irbifc^cn  ®ütcr  ber  ©laubigen  erftredt,  biefc  alfo 


230 

nur  ^QUd^alter  ü6er  btefelben  finb.  3ndbefonbere  toäre  (S^rifhid 
aU  ber  ^crr  aller  3)cfi|tpmcr  ber  ©emeinbc  anjucrfcnncn.  Da* 
raud  folgt,  bag  jeber  @(äubtge  als  @Ucb  am  Setbe  S^rifit  bereit 
fein  mug,  feine  TlxtUl  ber  @emeinbe  unb  i^ren  @liebern,  roie  ed 
jebed  bebarf,  ju  tuibmen.  Damit  tft  bie  %ern)altung  beS  $rtt)at^ 
eigent^umS  nic^t  audgefd)(offen ;  allein  gemeint  ift,  bag  ntemanb 
als  ©lieb  ber  ©emeinbe  angefe^en  werben  barf,  loelc^er  nic^t  fein 
ffiigent^um  ben  93ebürfniffcn  ber  ©emeinbcglieber  o^jfert. 

Diefe  ©ütergemeinfd^aft  inS  SBerl  ju  fefeeh  xoax  not^menbig, 
um  baö  aWufter  ber  ältcften  ©cmeinbc  in  bem  ^auptfdd^lid^ftcn 
unb  ber  SSelt  am  meiften  n)tberfprecl^enben  äJJerfmal  ju  befolgen, 
unb  eö  xoax  leicht  burc^jufü^ren,  einmal  ba  bie  reichen  weiblichen 
©enoffinnen  ber  ©emeinbc  an  i^ren  regelmäßigen  (Sintünftcn 
me[)r  einnahmen  als  fie  für  fid^  gebraud^ten,  bann  aber  ba  bie 
©efammtja^l  ber  ©emeinbe  unb  bie  örtlid^en  Ser^ältniffe  bie 
^ü^rung  (Eines  ^auS^alteS  an  bie  ^anb  gaben.  Die  (Sd^urman, 
Welche  biefeS  (Srcignig  nic^t  birect  erjä^lt,  fpielt  boc^  beutlid^ 
genug  barauf  an,  um  bie  (Kombination  beffelben  mit  einer  anbern 
für  bie  Sababiften  bebeutfamen  @rfc^einung  not^toenbig  ju 
mad^cn.  3n  jtoei  Äbfäfeen  >)  berid^tet  fie  juerft,  bie  Sieben  Sababie'S 
tjättcn  fo  mäd^tig  gctoirtt,  bafe  bie  ©cnoffenfd^aft  gleic^fam  eine 
allgemeine  Slufenoedung  erfahren  f)abe,  bie  fid^  in  einem  unauS^ 
fprec^lid^en  (Sntjüden  funbgab,  toie  eS  bie  SBelt  nic^t  fennt. 
DiefeS  fei  in  einem  bcfonbern  Iractat  Het  christelijke  gejuich 
flar  unb  bcutlid^  bcfd^rieben.  gerner  bejeid^net  fie  ben  (Erfolg 
bicfcr  (Srmcdfung  fo,  ba§  bie  ©emeinbeglieber  fid^felbft  unb 
alles  i^r  ffiigent^um  (Sott  jum  unwiberruflid^en  Opfer  ge* 
wei^t  Ratten,  fo  bag  bieS  nid^t  o{)ne  ®runb  als  bie  eigentliche 
©cburtsftunbe  ber  ©cmeinbe  angcfe^en  werben  fönnte. 
Deshalb  ptten  fie  btefeS  Sreignig  ber  ganjen  SSelt  bur^  bie 
geicr  beS  3lbenbmal)leS  lunb  geben  wollen,  nämlic^  fofern 
biefeS  baS  fic^tbare  ßeid^en  bcS  £eibeS  (S^^rifti  fei,  ber  auS 
i^ncn  allen  gebilbet  werbe.  9iun  bejiel)t  fid^  aber  jener 
Iractat  „Das  d^riftlid)e  ^xo\)lodm"  auf  bie  I^atfad^e,  ba§  bie 
Sababiften  nac^  ber  gcier  beS  8lbenbmaf)tS,  Welche  fie  im  ÜRai  1671 
jum  erftcumat  feit  jenem  entfc^eibenbem  Dage  in  SKibbelburg 
(©.  216)  l)ielten,  in  eine  Sjaltation  gerat^en  finb,  in  welcher  fte 


1)  Eucleria  Pars  I.  cap.  YIII,  4.  5. 


231 

gelungen,  gefpninflcn,  gciaud^jt,  ftd6  uml^alft  unb  gefügt  unb  ge^» 
ton^it  tiaben*).  S)arauö  ift  jii  fc^ltcgen,  bag  fic  bamal^  unter 
bem  Sinbrude  beS  n)td^ttgen  ®c^ritted  ftanben,  burd^  @mU)iOigung 
in  bie  ©ütergemeinfdiaft  i^re  ©emeinbe  alö  bic  ©rneucrung  bcr 
primitiven  istirc^c  erwiefcn  ju  ^abcn.  SBar  bic  bi^  haijin  nic^t 
üorgelommcne  geier  be^  Äbenbma^le^  ba^  ©iegel  auf  bie  5Rcu= 
grünbung  ber  njirflic^  reformirten  unb  öon  ber  SBelt  abgefc^ie^^ 
bcncn  ©emeinbe,  njar  Damit  naci^  allen  bi^fier  erfahrenen  §em« 
mungen  baö  3^^^^  erreicht,  bem  Sababie  öon  3ngcnb  auf  nac^ge* 
ftrebt  l^atte,  fo  lann  bie  bei  einer  eniften  ®eno[fenfci^aft  aller* 
bingö  auffallenbc  (Jrfd)einung,  njeldie  eine  ©tunbe  anfielt,  pf^* 
d^ologifd^  öcrftanben  toerbcn.  Aber  fo  unfd^ulbig  biefer  ?luöbru^ 
bcr  greube  im  ^eiligen  ©elfte  gcnjcfen  fein  mag,  fein  Cinbrud 
auf  manche  ber  Ännjcfenbcu  ift  bod^  ber  Slrt  gettjcfen,  bag  bic 
oben  (©.  223)  gemachte  Söcmerfung  beftätigt  njirb,  ba«  JRec^t 
einer  fo  formlofen  rcligiöfen  ©emcinbe  pflege  bic  ©eburt^ftunbc 
berfctbcn  nid^t  ju  Überbauern.  (Jö  njaren  Anhänger  bcr  ®c* 
meinbc  au^  ben  5RicberIanben  bei  ienem  Stete  gegennjärtig; 
foDten  fic  fid^  an  i^m  bet^eiligt  ^abcn,  fo  finb  fic  nad^l^cr.  üon 
©c^am  barüber  erfüllt  unb  fo  an  bem  ganjen  Unternctimen  Sa* 
babic'd  irre  gettjorben*).  @ö  ^alf  nid^t^,  bag  bu  Signon  an  5)a* 
bib'd  Xatif^tn  üor  ber  SJunbcöIabc  erinnerte;  SBoetiuö  fanb  in 
bem  ©c^afee  feiner  Äenntniffe  ba^  nä^er  liegcnbe  aber  abfd^redtenbc 
SBeifpicl  ber  tanjenben  3)ern)ifc^e  unb  ber  ä^nlid^en  ffirfc^einungcn 
im  römifc^en  roie  im  äg^ptifd^en  ^eibent^um*).  3)er  SWann, 
bcffen  Urt^eil  über  bie  saltationes  yvvar/MvdQr/.ai  voix  fennen 
(©.  105),  lieg  fic^  burd^  biefe  ?ßrobc  üon  ©d^njärmerci  nid)t  im* 
poniren.  Unb  mit  i^m  wirb  bic  große  SWengc  ber  ernften  G^riften 

1)  Koelmann,  Historisch  verhaal  p.  100:  dat  al  een  redelijk 
getal  raannen  en  vrouwen,  jonge  dochters  cd  jongeÜDgen  begonden 
door  malkander  heen  te  loopen,  te  huppclen  en  malkanderto  omhelzen 
en  te  küssen,  en  zoo  een  nur  tijds  min  of  meer  tot  zweetens  toe  te- 
samen  te  dangen,  hetwelk  zij  oordeelden  tc  zijn  zuyverlijk  door  be- 
wegingh  van  Gods  geest. 

2)  BptdtUtxt  Angaben  ftnben  fi(!^  no(!^  bei  Koelmann,  Der  Laba- 
disien  dwalingen  (Amst.  1G84)  p.  151—161.  fiababte'S  %xac\ai  )ur  Set« 
t^ibtgung  beS  SreigniffeS  fUbrt  ben  t\Ui :  Recht vaardiging  van  het  christe- 
lijk  gejuich  en  opspriugen.     Herford  1672. 

3)  Politica  ecclesiastica  P.  UI.  p.  566. 


232 

cinDcrftanbcn  gctpefen  fein,  bic  bi^l^cr  feiner  Sluctorität  folgten, 
unb  ber  pebantifcl^^ttenoen  Haltung  hc^  (S^almniSmu^  gu  treu 
tDoren,  um  in  fo  formlofed  äSefen  einiun)i(Iigen,  tok  e»  Sabobie 
ücrt^eibiflte. 

SSerpnflnijäbon  für  bie  ©emeinbe  tourbe  auc^  bie  ^raji^ 
be^  S^cftanbed,  lodere  man  in  ^erforb  md)  ben  oben  (©.  229) 
mitget^cilten  ©runbfäfeen  ^aub^abte.  3)enn  n)ie  biefclben  üon 
oorn  herein  cafuiftifd^  angelegt  ttjaren,  fo  fci^loffen  fie  aud^  bie 
3Köglid^feit  nod^  weiterer  cafuiftifdjer  Folgerungen  in  fic^.  S)ic 
©runbfäfee  Sababie'g;  über  bie  @^e  finb  in  gerabem  @egenfa|e  ju 
feinem  ßcitgenoffen  ©id^tel  ju  i)erftef)en.  ^Bä^renb  biefer  bic 
@^e  überhaupt  njegen  i^rer  natürlichen  SBejie^ungen  alö  unange^ 
meffen  für  bie  d^riftlic^e  SSollfommen^eit  betra^tete,  mill  Sababie 
fie  gerabe '  afö  einen  nur  für  bie  SSäicbergeborcnen  bered^tigten 
©tanb  ancrfcnnen,  fofern  bie  SBiebergcburt  bie  Jluf^ebung  ber 
natürlid^en  Segierbe  einfd^liefet.  hierin  ttjirb  ben  (Seeleuten  eine 
Slrt  bejg  gefd^le^tlid^en  Scrfe^rö  jugemut^et,  ttjelc^c  Sluguftin  im 
ßufammen^ange  feiner  Se^re  üon  ber  ffirbfünbe  auc^  ben  SBieber« 
geborenen  nid^t  jugetraut,  fonbern  nur  aU  bie  JRegel  bei  ben 
©tammältern  üor  bem  ©ünbenfaQ  fingirt  ^atO-  3)araug  folgt 
aud^  bie  6m?artung,  bajä  bie  ^inber  üon  SBiebcrgeborenen  üon 
ber  ffirbfünbc  unb  üon  ber  (Smpfinbung  beö  UebcU  beim  Eintritt 
in  ia^  ücbm  frei  fein  tperben.  Unter  biefen  Umftänben  aber 
toirb  bie  Sababiftifd^e  Ungebunbenl)eit  ber  ©laubigen  burc^  eine 
ffi^e  mit  einem  Ungläubigen  burd^  eine  um  fo  ftrengcre  3^^^*  i" 
legitimen  (S^en  unter  ben  ©laubigen  felbft  aufgenjogen;  unb  biefe 
toirb  ben  änlajä  ju  einer  ^öc^ft  peinlicljen  ßafuiftif  fomie  ju  einer 
üßenge  üon  f)eu^lerifd^en  ©clbfttäufc^ungen  gegeben  l^aben.  SJJan 
fann  fic^  alfo  benfen,  loa^  ein  fonft  nidjt  in  allen  Sejie^ungen 
juDerläffigcr  öeric^terftatter^)  mitttjeilt,  baft  bie  ©röffnung  iener 


1)  Augustinus  de  civitate  dei  üb.  XIV.  cap.  XXIII,  2.  Illae  nup- 
tiae  digDae  fclicitate  paradisi,  si  peccatum  non  fuisset,  et  diligendam 
prolem  gipfnerent  et  pudendam  libidinem  nou  babercnt.  3.  Hunc  renisum, 
banc  repugnantiam,  banc  voluDtatis  et  libidinis  rixam  ...  in  paradieo 
nuptiae  non  baberent,  sed  voluntati  membra  illa  ut  cetera  cuncta  ser^ 
virent.  Ita  genitale  arvum  vas  in  boc  opus  creatum  seminarei,  at 
nunc  terram  manus. 

2)  Dittelbacb,  Yerval  en  val  der  Labadisten  p.  25.  ^rftlbe  i^ 


233 

3^coric  über  bie  6^e  in  ber  ©emcinbc  jucrft  bei  SRand^en  eine 
pcinlid^c  Ueberrafc^ung  ^erDorrief.  SBctc^cö  3"tcreffe  ab^x  bic 
^aftoren  bübei  Derfolfltcn,  crgicbt  fic^  barau^,  ba§  alöbalb  g)t)on 
mit  ber  aungfrau  ÜKartini,  unb  bii  Signon  mit  ffimilie  üan  ber 
$acr  in  bic  @^e  traten.  Die  Angabe  bcffctben  öeric^terftatterö, 
baß  Sababic  fclbft  baö  jüngftc  gräuicin  üan  ©ommelöbijf  gel^ei* 
ratzet  f)abt,  wirb  öon  ®id)tel  in  einem  üon  1708  batirten  ©rief 
mit  ^Berufung  auf  bad  Seugnife  ber  Slebtiffin  toieberf)oIt  *).  3)ie 
Äui^fage  beö  Icbtcrn  fc^cint  auc^  feinen  begrünbeten  'SBiberfprud^ 
ju  geftatten,  fo  befrembenb  fie  ift;  benn  ©ic^tel  mac^t  fie  eben 
im  SBibctfpruc^  gegen  Scmanb,  ber  bie  JRid^tigfeit  beS  ®erüc^teS 
bejtpeifett  ^at.  Slber  nun  fommt  ^tnju,  bag  nac^  ben  oben 
(©.  229)  angeführten  ©rnubfä^en  eine  öffentlidje  Schließung 
ber  @fte  ben  5ßaftoren  aU  ?tnbequemung  an  bie  SBcIt  erf^ien, 
unb  bag  be^^alb  uon  i^nen  beliebt  tuurbc,  nur  bie  SJorfte^er 
brauchten  'oon  bem  gegenfeitigen  ©inDerftänbnijä  ber  Verlobten 
unterrid^tct  ju  ttjcrbcn,  um  bie  @^e  gültig  ^u  mad^en.  S)aö  njar 
boc^  ber  Slcbtiffiu  trofe  i^rer  ßw^cigung  ju  ber  ©emeinbe  ju 
[tarf,  unb  fie  ^at  j.  93.  ?)t)on  jur  öffentlichen  ©d^liefeung  feiner 
6t)c  genöt^igt,  nac^bem  bic  ©d^mangcrfc^aft  feiner  grau  nid^t 
me^r  ju  t)er§cl)len  mar*).  3)ic)e  S)ingc  ^aben  manche  aJiitgliebcr 
ber  ©emeinbc,  unter  i^nen  ^cinrid^  Schlüter,  tjcrmod^t,  fic^  üon 
ber  ©cfcHfc^aft  ju  trennen,  unb  lucnn  auc^  roicbcr  anbere  Qn^^ 
jöfller  an  il)re  ©tcQc  traten,  fo  ift  cö  au^cr  Snjcifcl,  bajä  ber 
Cinbrud  ber  S^eptaEi^   ber   Sababiften    bei   ben    ©efinnungö- 


fl^dtft  eine  3<it  lang  SItitglteb  ber  @emetnbe,  banac!^  ein  Gegner  ber|e(6en  ge- 
loefen.  (Sr  bcrici^tet  bie  ^eugcrung  ber  @miüe  ban  ber  ^aer:  „beginnt  man 
l^ter  bon  ^eirat^en  }u  reben?  ^ann  ift  e§  um  baS  SBer!  beS  ^errn  get^an." 
^gt.  Berkum  II.  @.  16. 

1)  Theosophia  practica  (Seiben  1722)  %\)l  VI.  S.  1710. 

2)  3ur  ^eftatigung    bejfen,  bag   bie  Sababiften   nad^  i^rer  S^orie    im 

%orauS  an  bie  grei^eit  ber  in  i^ren  Q^^en  erzeugten  Ihnber    bon  ber  @rb{ilnbe 

unb  bemgemäfi   bon  ber  ^mpfinbung   ber  Hebel  glaubten,    bient   fofgenbe  Wit« 

tl^Iung  ^ittelboc^'S  (bei  Berkum  II.  6.  17):    ms  ^bon'S  l^inb  in  Qerforb 

t^fboren    »ar,   bergingen    einige   3]^inuten  e^e    eS  f^rie.    3!ftün   berietet  bie§ 

8lft4  ön  Sababie:    Mon  pcre,   l'enfant  n'a  pas  encure  pleure,  unb  er  ant» 

VDortft:  c'eet  un  eufant  du  regne.    ^19  aber  glei^  barauf  ba§  i^inb  »toader 

loslegte  unb  ft((   ^ören  Vui",  meinte  Sababic,  bag  bie  (Seffigc  h)o(l  no(!^   nid^t 

genug  gereinigt  gemefen  mären. 


234 

genoffen    in    ben   9ltcbertanben   im    ©anjen    i^rer   ©oc^e   un« 
günftifl  tDar. 

3)ic  Sage  ber  ©cmcinbc  in  §crforb  xoax  übrigens  trofe  bct 
bauernbcn  @unft  ber  Slebtiffin  wn  Slnfang  an  unftc^er  burc^  bie 
Abneigung  ber  SBeüölferung  ber  ©tabt  unb  ber  lut^erifc^en  ^re* 
biger  in  berfelben.  3J}an  tpar  ^ier  gegen  bie  „Duäter"  fi^on 
eingenommen  e^e  fie  erfc^ienen,  unb  beffird^tetc  oon  i^nen  ju^ 
gleich  toirt^fc^aftUc^e  Soneurrenj.  ^ie  @äfte  mujsten  fid^  {jäten, 
bie  ©renje  jn^ifc^en  Slbtci^  unb  ©tabtgebiet  ju  überfc^reiten, 
ttjenn  fie  nidjt  ©d^impfmorten  unb  ©teinmürfen  fid^  ausfegen 
tooQten.  Der  SRatti  ber  ©tabt  t^at  auc^  atöbalb  feine  ©c^rittc 
um  bie  ©emeinbe  n)cgäufc^affen  unb  brad^te  fc^üegtic^  beim  9ieid^^ 
Äammergeric^t  jju  ©pe^er  ein  9Wanbat  an  bie  Äebtiffin  av^ 
(31.  Dct.  1671),  bafe  biefelbe  bei  ©träfe  ber  «d^t  auf  ®runb 
bcö  aSeftpl^älifcljen  griebenö,  ber  nur  bie  brei  SReligionen  fcöü|te, 
bie  ^äupter  ber  ©efellfc^aft  auSjuroeifen  tiabe ').  S)ie  äebtiffin 
fuc^te  bei  bem  Äurfürften  oon  Sranbenburg  atö  bem  ßanbe^ 
^errn  ber  ©tabt  ^erforb  $ülfe  bagegen,  reifte  auc^  ju  biefem 
Qwcd  perfönlic^  nac^  Serlin  (Sanuar  1672).  Slber  noc^  el^c  ftc 
jurüdfleörte,  befc^loffcn  bie  Sababiften,  ben  Ort  unb  bie  @egenb 
ju  ocrlaffen,  meiere  burc^  ben  Ärieg  grantreic^S,  ffinglanbS, 
Äur^SöInö  unb  ÜJlünfterig  gegen  bie  5RieberIanbe  nic^t  unberührt 
fc^ien  bleiben  ^u  fönnen.  3)er  größte  X^eil  oon  ibnen  fc^lug 
23.  3uni  1672  ben  SBeg  nac^  Slltona  ein,  eine  änjia^l  blieb  uor* 
läufig  juriidf,  um  baö  ^auSrocfen,  bie  Sibliotfief  unb  bie  ^ud^- 
brudEerei  jiu  beforgen,  ba  ber  5ßlan  in  Slltona  fic^  nieberjulaffcn, 
erft  untcrroegeS  jum  ffintfc^luffe  gebiel). 

3n  Slltona,  njo  ben  Slcfovmirten  greif)eit  beS  ©otteSbienftc« 
eingeräumt  loar,  loeld^e  auc^  ben  fiababiften  ju  @ute  fam,  ^aben 
fie  brei  3a^re  äufeerlid^  ungeftört  jugebrac^t,  unb  i^rc  inneren 
Scrljältniffc  befeftigt.  Der  S^h^i  ^"^  ^^"  Siieberlanben  »ar 
ftärter  alö  ber  Slbjug  berjenigen,  welche  mit  gutem  SJBiQen  ge- 
fommen,  fic^  fc^lieglic^  in  ben  Jon  unb  bie  Orbnungen  ber 
9Kuftergemcinbe  nid)t  finbeu  tonnten.  Demgemäß  ^ob  ft^  in 
Slltijna  ber  SJeftanb  ber  ©emeinbe  Don  etwa  100  auf  162  ©eelen. 
Stud)  ber  %o\>  fiababie'^  felbft,  njelc^er  13.  gebruar  1674  er* 
folgte,  jog   feine  ©c^roierigfeit  für  baö  oon  i^m  äurüd^gelaflenc 


1)  %(.  (S^oebel  a.  q.  O.  6.  2b\. 


235 

SSBcrf  nac^  ftd^ ;  ein  Settjci^  baf ür,  baft  er  feinem  Seben^enbe  mit 
ber  ©enugt^uung  entgegen  ge^en  burfte,  feine  ?lufgabe  erfüllt 
unb  eine  ©emeinbe  gegrünbet  ju  ^aben,  ujelc^c  bem  SKufter  ber 
t^rimittüen  Jtird^e  n^irflid^  unb  aufrichtig  entfprac^.  (£^  toax  i^m 
nid^t  nur  gelungen,  bie  ^auSgemeinbe  im  S)ienfte  @otte^  jur 
(Einmüt^igfeit  l^eranjubilben,  fonbern  er  ^atte  oud^  bie  äugere 
Sage  berfelben  fo  geftaltet,  baft  fie  fo  Diel  toic  möglid^  tjon  ber 
SBelt  abgefc^ieben  toax,  @ö  fc^ien  i^m  nid^td  ju  t^un  übrig, 
um  bie  SoHtommen^eit  feiner  Stiftung  ju  üermc^rcn;  er  toax 
bereit  in  grieben  abjiufd)eiben :  ?lngefic^t^  beö  SiobeS  finb  feine 
SEBorte  nur  S)anf  unb  $reid  gegen  @ott  unb  S^riftud  gen^efen. 
Sd^  fül^re  e§  ate  eine  ^robe  ber  Söitterfcit  an,  toeld^e  Sababie 
in  feinen  ©cgnern  hervorgerufen  f)ai,  baft  einer  nod)  je^n  3a^rc 
banac^  unter  ben  legten  SReben  Sababic'S  bie  ©ünbenbelenntniffc 
öcrmiftte,  toelc^e  er  ben  öon  i^m  beleibigten  SBelämpfern  feiner 
Separation  fc^ulbig  geujefen  n^äre  *).  SBir  bürfen  i^m  gönnen, 
ba§  er  mit  j)anf  gegen  @ott  au^  biefer  SBelt  gcfd^icben  ift.  aber 
feine  ®euugt^uung  über  feinen  Seben^erfolg  fann  man  unpar* 
teiifc^er  SEBeife  nic^t  bur^aud  t^eilcn.  @d  fe^It  mirflid^  etn^ad 
ipefentlid^cö  an  ber  Ucbereinftimmung  feiner  Stiftung  mit  ber 
jugenblid^en  ©emeinbe  ju  Serufalem.  Uufere  d^riftli^c  S^mpa* 
t^ie  umfagt  bie  (Erinnerung  an  biefclbe  jugleic^  mit  ber 
(Erinnerung  an  ben  ^eibenapoftel,  ber  baö  E^riftent^um  über 
bie  in  fid^  befriebigte  Selbftbefd^ränfung  ber  ätteftcn  ©cmeinbe 
^inau^gcfü^rt  ^at  jur  Ueberminbung  ber  SBelt.  3)iefe  Seite 
ber  jDarftellung  in  ber  äpoftelgefd^id^te  mar  für  Sababie  nid^t 
ba;  feine  Anlehnung  an  biefe  Urfunbc  mar  alfo  in  beren 
Sinne  felbft  nid^t  t^oQftänbig.  SBenn  bie  Slnalogie  jmifd^en 
ben  (Epochen  ber  Äird^e  unb  ben  Sllteröftufen  beö  iSnbiöibuumfJ 
treffenb  ift,  fo  ift  bie  Slbgcfd^ieben^eit  üon  ber  SBelt,  in  meldte 
Sababie  bie  Äird^e  jurücfgcfü^rt  ^at,  berjenigen  Haltung,  meiere 
fte  urfprünglid^  in  Serufalcm  einnahm,  gerabe  fo  ä^nlic^,  mic 
ber  Äbfc^lufe  gegen  ben  SSertc^r  mit  ber  SBelt,  meieren  ein  ®reiö 
vornimmt,  ber  ßurüdf^altung  t)on  ber  SBelt  ä^nlic^  ift,  meldte 
bem  Äinbe^alter  jiufommt.  derjenige,  melc^er  bie  3lpoftelgefd^id)tc 
bi^  JU  i^rem  ffinbc  verfolgt,  fie^t  jtuar  bai§  ibt)llifd)e  SJilb  ber 
©emeinbe  ju  Serufalem  mit  SBe^mut^  Verfc^minben,  allein  er 
begleitet  mit  entfc^loffenem  äSertrauen  bie  Jiird^e  auf  i^rem  burc^ 

1)  Koelmann,  Der  Labadisten  dwalingen.  p.  488, 


236 

bog  5ßfinflftfcft  eröffneten  ©ange  burc^  bie  SEBeltgcfd^ic^te,  ttjelc^er 
jtPQt  t)oQ  Don  9lieberlagen  unb  Verunreinigungen,  aber  auc^ 
DoU  Don  @iegen  unb  göttlid^en  ©egnungen  fein  n^irb.  Sababte 
^Qt  in  ber  jfird^engefd^ic^te  nur  bie  Srfc^einungen  ber  erften, 
nid^t  bie  ber  legten  Slrt  beachtet.  Sd  ift  i^m  babei  entgangen, 
bag  man  ben  ß^f^n^^^i^^^^S  ^^^  ^^^  Drbnungen  ber  j^ir^ 
nii^t  aufgeben  unb  bcö^alb  au^  bie  Serü^rung  mit  il^ren  fester* 
haften  unb  befrembenben  (SIementcn  nid^t  fd^cucn  barf,  n^enn 
man  überhaupt  bem  Qmcd  ber  Jiird)e  gcmäg  nac^  ber  mert^DoQen 
Verbinbung  ber  religiös  gleich  @efinnten  ftrebt.  S)enn  mie  gering 
an  Umfang  auc^  immer  bie  @emeinbe  ber  ^eiligen  fein  mag,  fo 
ift  fic  barauf  angen^iefen,  an  ben  SSoraudfe^ungen  ftc^  ju  bet^ei« 
Ugen,  unter  bencn  baö  ß^riftcnt^um  ber  ©cfc^id^te  angehört  unb 
einen  gefc^ic^tlid^en  Seftanb  behauptet.  S)enn  mie  fc^on  Sluguftin 
gegen  bie  bonatiftifc^e  Partei  erflärt  ^at,  fo  lautet  bie  S3er^ei§ung 
ber  mal)ren  ^Religion  ftetd  auf  bie  Serbinbung  oon  SRenfc^en 
aug  aUen  SSölfern  unb  allen  Sprai^cn ;  bcö^alb,  fagt  er,  fann  fie  nic^t 
i^re  cigentlidie  ©jiftenj  in  einem  SBinfct  Don  Slfrica  gefunben 
^aben.  S)aju  aber  fommt  bei  £ababie  noc^  ein  Umftanb,  meld^er 
feinen  Slnfpruc^  ujiberlegt,  ba§  feine  Heine  ©emeinbe  bie  auf  i^re 
Urgeftalt  jurüdgefüfirtc  Äird^e  fei.  Der  ÜJiann  nämlic^,  melier 
at^  SUiitglicb  ber  reformirtcn  Äird)e  nur  baö  JReformationöibeal 
feiner  römifc^^tattjolifci^cn  Sebenöepoc^e  DernjirfUc^t  ^at,  »irb 
burc^  ben  Icbiglicl)  tlöfterlic^en  ß^arafter  feiner  ©cmeinbeftiftung 
bcffen  übcrttjicfen,  baß  er  fpecififc^  tat{)oUfc^e  SebenömotiDc  gc^ 
eignet  gefunben  ^at,  um  burc^  fie  ben  ßaluiniömuö  ju  uerbeffcm. 
3)arum  ^at  er,  ber  urfprünglid^  auf  eine  Drbenöftiftung  in  ber 
römifc^-tat()olif^en  Äirc^e  angelegt  ju  fein  f^ien,  in  ber  refor^ 
mirten  Äirc^e  nur  einen  geringen  93rud^t[)eil  i^rer  ÜKitgliebcr 
JU  einer  ©ectc  ju  Dereinigen  Dermoc^t.  Denn  xoa^  al^  befonbcrc 
Drbenöftiftung  innertjalb  ber  römifdj^at^olifc^en  Äird^e  ^laft 
finbet,  weil  c^  beren  ©cfid^t^trei^  nid^t  überfd^reitet,  baffelbe  muß 
Don  ber  eDangelifc^cn  Äirc^e  aU  ©ecte  auöfc^ciben,  meil  cö  btefer 
im  ©ruube  frcmbartig  ift. 

3m  Slnfange  bcö  ^aijxc^  1675  lourbc  cö  ben  Sababiften  ju 
2lltona  im^eimlid^,  mcil  fic  fürd)teten  burd^  ben  beDorf te^en ben 
ttricg  jn)ifcl)en  Danemarf  unb  ©darneben  berührt  ju  »erben, 
©lei^jeitig  eröffnete  fic^  i^nen  eine  überaus  günftige  Äudfid^t, 
in  ben  9lieberlanbcn  felbft  i^r  SSerf  fortjufefeen.    S)cr  ©ruber 


287 

ber  brci  ju  i^ncn  gcl^örcnbcn  @d)tt)eftcnt  Dan  ©ommetebiif, 
©ouöcrncur  bcr  uicbcrlänbifdjcn  Solonie  ©urinam,  ücrglid^  ftd^ 
in  bcr  Srbtl^eilunfl  mit  bcnfctbcit  ba^in,  ba§  fic  baö  in  bcr  9lä^c 
oon  Seeuttjorbeu  in  grie^lanb  bei  bcm  S)orfc  SBicutperb  gelegene 
©c^lo§  I^ctinga  ober  SBalt^a  atö  ©igcnt^um  empfingen,  ©ort* 
Mn  jog  bie  ©emeinbc  im  9Rai  1675,  unb  f)at  unter  ber  l^nupt* 
fäd^Iic^en  Scitung  öon  g)t)on  um  baö  3a^r  1680  bie  §ö{)e  i^re« 
S)afcind  in  einem  SBcftanbc,  ber  jtoifc^en  300  unb  500  ©eelen 
fd^toanfte,  crreid^t.  ?inerbing8  tourbc  i^rc  ffisiftcnj  fogteic^  be* 
brot(t  burd^  bie  eben  in  Sceuioarben  jufammentretenbc  ©^nobe 
Don  grieSlanb,  meldte  um  bie  gefä^rlid)c  ©ecte  für  i^rc  Umge^ 
bung  unfc^äbUc^  ju  mad^en,  ficft  ber  Unterftüfeung  ber  friefifd^en 
©tänbe  ju  öerfic^ern  unternahm  *).  ©ic  ©tänbe  aber  fallen  bie 
©Qd^e  nict)t  fo  an,  bafe  fie  fd^on  bnrc^  bie  ©^nobc  entfd^ieben 
fei,  fonbern  oeranlagten  bie  9Rieberfe$ung  einer  gemeinfamcn 
fiommiffion,  ttjelc^e  erft  bie  Sababiften  über  it|r  löefenntnife  unb 
i^re  6inn)cnbungen  gegen  bie  rcformirte  Äird^e  öerncftmcn  foClte. 
Dicfe  Gommiffion  ^atte  fid^  burd^  SBerne^mung  g)t)on'ö,  bu  Sig? 
non'^  unb  einc^  ©ritten  i^rer  Aufgabe  am  3.  ©eptember  entlebigt. 
Huf  23  Don  ^ermann  SBitftuö,  bamaU  ^rofcffor  ;in  x^randex, 
gefteClte  J^ragcn  Ratten  bie  Sababiften  fd^riftlic^c  9Inttt)orten  ge^ 
geben  *),  fo  uorfid^tig,  unb  wie  93erfum  urt^eilt,  mit  bemienigen 
SRagc  Don  Sift  unb  3">cibeutig!eit,  baß  bie  ©tänbe  fid^  öon 
i^rer  Sled^tg  tau  bigfeit  bcfricbigt  fanben,  unb  i^nen  g^ei^cit  unb 
Oeffentlic^feit  beö  ©otte^bienfte^,  fo  ipie  bie  ©eltung  i^rer  S^e^^ 
fc^Iiefeungen  beroilligten.  SSicQcic^t  fam  bei  biefem  Sntfcftluffe 
bie  gefcHfc^aftlidie  Stfirffic^t  auf  bie  ^«milic  üan  ©ommcliSbiif 
mit  in  öetrad)t.  ©ie  ©^nobe  ^atte  baö  Slac^fe^en.  ©cnn  fo 
oft  fic  in  bcn  näc^ften  Sauren  ben  ©täuben  üorftcHte,  baß  fic 
bie  Unterfuc^ung  noc^  nidjt  a(S  gefc^Ioffen  anfe^en  fönne.  gaben 
boc^  bie  ©tänbe  i^r  fein  @c^ör.  ©nblic^  Prten  auc^  bie  !öefc^n)er= 
bcn  ber  Slaffiö  ^u  ©neef,  innerhalb  tt)elc^er  aBieuttJcrb  gelegen 
»ar,  in  ber  ©^nobe  felbft  auf,  weil  fie  feinen  (Srfolg  l^atten. 
a)ic  SBeforgniß  ber  ^rebiger  in  ber  Sanbeöfird^e,  baß  bie  Saba= 
biften  i^ncn  i^re  ÄngePrigen  entjic^en  würben,  toar  nic^t  gerabe 


1)  Berknm,  II.  S.  45  ff.,   Diest  Lorgion,  De  nederdnitsche 
heryormde  kerk  in  Friesland  (Groningen  1848)  p.  151—160. 

2)  Ypey  en  Dermout  8.  X^tW,  Vntnertungen  6.  60  ff. 


238 

baburd^  DcranlQJst,  bag  bicfe  o^ftd^tlic^e  ^ropogonba  tnad^eit 
loürbcn,  tDQö  fic  eben  nic^t  traten.  SlHcin  in  gricölanb  ttjarcn 
eine  SWcngc  üon  Äird^cnflenoffcn  gcrabc  burc^  ^cröorraflcnbe 
$rebtger  ba^u  angeleitet  ben  fiababtften  jujulaufen.  SaS  brin« 
flenbe  SBcbürfniß  ber  ucrttjeltlid^ten  Äird^c  naä)  einer  aicformation 
aud  bem  @etft  unb  bie  Uebanc)  m^ftifc^et  Kontemplation  atö  ber 
$robe  ber  uoQfonimenen  ^eiligunfl  toar  gerabe  in  ^rie^anb  jur 
Geltung  unter  ben  SonDentifeQeuten  gebracht  n^orben  burc^  ben 
1669  üerftorbenen  I^eobor  a  Srafel  ju  TOaftuni,  unb  gcipiffer 
äRajsen  auc^  burd^  feinen  @o()n  äSil^elm  a  9)rafel,  bamatö  ju 
©taüoren,  6i8  1683  ju  SecutoArben.  S)en  lefetern  burftc  ed 
nid^t  befremben,  baß  an  g)üoji  ein  grojäer  Xf)cit  ber  (Srnte  juju* 
faOcn  bro^te,  roeld^e  aud  feiner  @aat  aufgegangen  n?ar. 

8lm  4.  SRai  1678  ftarb  ju  SBieuroerb  «nna  SKaria  Don 
©c^urinan  im  71ften  Sebenöial)re.  ©eitbcm  bie  Slebtifftn  upn  $er* 
forb  i^r  unb  iljrer  ©efellfi^aft  ben  ßwffw^töort  geöffnet  ^atte, 
xoax  fie  üon  ßaOabie  felbft  alö  eine  ber  ©äulen  ber  ©emetnbe 
anerfannt  n^orben,  unb  ^atte  fici^  natürlid)  in  biefer  Geltung 
neben  bem  fo  uiel  jungem  g)üon  befjauptet.  3^re  Eucleria,  bcren 
jroeiten  lOcil  fic  furj  uor  if)rem  lobe  tJoHcnbct  ^at,  bcttieift,  btt§ 
fic  in  ber  ©emcinbe  i^re  üollfte  SBefriebigung  gefunben  unb  feine 
ffinttäufc^ung  über  i^rcn  Seitritt  ju  berfelben  erfahren  f)at  S)a« 
Suc^  bcmeift  ferner,  n^ie  audgejeic^net  if)re  t^eologifc^e  S3ilbung 
gcmefen,  unb  tDie  üoQftänbig  fic  in  £ababie'iS  ^(nftd^ten  Aber  bie 
Heiligung  unb  bie  m^ftifc^e  Siebe  ju  ®ott,  über  ben  93cgriff  unb 
bie  c^iUaftifc()e  3luöfid^t  ber  Äird^c  eingegangen  ift.  Die  t^colo« 
gifc^en  ^u^ftt^rungen  finb  jebod^  nur  epifobifc^  in  ia^  &anit 
eingeftreut,  toetd^cö  in  ber  ©d)ilberung  i^rer  in  ber  ©emeinbe 
Sababic'^  einmünbcnben  Sebenögcfc^id^tc  aU  einer  ^robc  ber 
bircctcftcn  gö^T^w^fl  ^^^^  ®»>tt  bcftc^t.  ©ic  ift  aud^  in  biefer 
^infid^t  in  bie  öetrad^tungörocife  unb  bie  ©clbftbeurt^eilung 
i^re^  SKeifterg  eingegangen,  njclc^cr  in  allen  aSenbungen  feine« 
©cfc^idfeS  ber  njunberbaren  gü^rung  burd^  ®ott  genjiß  toar. 
S33cr  n)irb  nid^t  bie  2J?cnf(^en  feiig  greifen,  tocld^e  in  biefer  SBeife 
i^re  ©eligfeit  erfahren  ju  ^aben  bejeugen?  allein  ein  ©d^toänner 
lann  aud^  feine  eigenen  ^c^tgönge  burd^  fein  SSertrauen  auf  ben 
befonbern  ©d^ufe  ©otteö  bemänteln.  3c^  erinnere  baran,  toie 
fiababie  ber  @emctnbe  ju  Orange,  tocld^e  er  um  feiner  perjön* 
liefen  ©ic^er^eit  toillen   ^eimlic^,   o^ne  ^bfc^ieb  üerlaffen  ^attc, 


239 

um  bem  Stuf  nac^  fionbon  ju  folgen,  feine  n)unberbare  ^fi^rung 
nad)  @enf  afö  bie  ^robe  baffir  DorfteQte,  boft  (Sott  i^n  and) 
uod^  an  anbeten  Orten  wirfcn  laffen  tPoHe  (©.  204).  Slbec  auc^ 
n)o  auf  fold^e  ^eilige  ©elbfttäufd^ung  nic^t  ju  rechnen  ifi,  ift  bie 
feufc^e  ßurüd^attung  ber  Erfahrungen  ber  göttUd^cn  SSorfe^ung, 
loeld^e  man  gemacht  ^at,  ein  ftc^ererer  ^en^eid  beffen,  bajs  man 
i^rer  gemürbigt  morben  ifi,  a(^  bie  abfid^tlid^e  unb  nod^  baju 
literartfd^e  SBcröffenttid^ung  berfelbcn.  Die  ©d^urman  fetbft  ^at 
einmal  ben  @runbfa^  au^iufpred^en  üermod^t,  n)elc^er  biefe  (&nU 
^üQung  bed  ^eiligen  Verbietet,  nämlic^,  bajs  9tiemanb  üon  er« 
jiä^lten  SSunbern  ben  (Einbrud  empfängt,  xoclditn  berjenige  ^at, 
ber  felbft  bie  ©rfa^rung  ber  fpccieHen  SSorfe^ung  ©otteö  an  fic^ 
mac^t  >).  Siic^t^  befto  weniger  ^at  fie  unermübet  ben  ßmecf 
öerfolgt,  itire  ©cmeinbc,  in  toel^er  fie,  ttjcnn  aud^  nic^t  auö- 
fc^licfelic^,  bie  ^cerbe  ß^rifti  ertennt,  burd)  bie  SRad^UJeifung  be8 
befonbcrn  ©d^ufeeö  ©ottcö  afö  folc^e  ju  legitimiren  ^).  3)ag  ift 
nid^t  ber  einzige  f^all,  in  toelc^em  bie  apologetifd^e  9tädfid^t  bie 
SSa^r^eit  ber  d^riftlic^en  Steligion  gerabe  pretSjugeben  angeleitet 
^at!  Um  fid^  ber  SSorfe^ung  ©otteö  in  ben  eigenen  Scbenöer« 
fal)rungen  jju  erfreuen,  bebarf  e^  einer  Unbefangenheit,  tt)eld^e 
jeben  bemonftratioen  ©ebrauc^  berfelben  ablehnen  ttjirb,  unb 
einer  SJcit^erjiigfeit,  weld^e  fid)  lautet,  bie  (Erfahrungen  ber  8ln- 
bcrcn  alö  golie  ber  göttlid)en  Seitung  unfereiS  eigenen  ©efd^idci^ 
JU  beuten.  3nbem  id^  tjierin  einen  not^n^enbigen  S^arafterjug 
ber  ftinber  ©otteö  ertenue,  bin  id^  im  ©tanbe,  bie  ^^ömmigfeit 
auc^  in  ber  (£r)d^einung  ber  ©d^urman  aufrid^tig  ju  n)ürbigen; 
ic^  ftcHc  aber  jugleic^  ben  ©c^aben  fcft,  ben  fie  felbft  fic^  juge« 
fugt  ^at,  inbem  fie  i^ren  ®efid)t$frciö  auf  bie  Sababiftifd^e  (Se* 

1)  Kucleria  P.  II.  cap.  III,  1.  9[uf  ber  €eeretf(  Don  %\ii>na  nad^ 
gfYteSlanb  multis  inodis  sensimus  divinae  gratiao  et  cusiodiae  singularis 
praesentiam  ....  Plura  evidcntissima  signa  auxilii  et  curae  patemae 
dei  Dostri  hie  mihi  commemorare  iuvaret,  si  eadem  effecta,  quae  in 
animis  nostris  produxeriint,  in  lectore  produoere  posaent.  8ed  cum 
aliud  sit  rem  praesentcm  oculis  cernere,  aliud  eam  ut  praeteritam  et 
absentem  in  Charta  legere,  et  ad  particularia  nimis  foret  descendendum, 
istis  inaistere  hie  non  pergam. 

2)  9{q4  Calvin  Instit.  I.  17,  1:  Totuvo  genus  humanum  aibi  esse 
curae  deos  oatendit,  praecipue  vero  in  regenda  ecclesia  se  excnbias 
agere. 


240 

mcinbc  eingcfd^ränft  f)at.  S)cnn  bic  SScrurt^cilung  bcr  Sanbc^ 
tird^e,  luetc^e  fie  Don  bicfem  ©tanbpunft  au^  fid)  erlaubt,  fyxt 
ben  Sinn,  bog  bicfelbc  auö  ©ottc^  bcfonbercr  SJorfc^uncj  t^tt- 
QU!§faüe,  unb  i^re  Se^auptung,  bog  bic  Sfirgcr  Don  ©crforb 
für  i^re  geinbfcliglcit  gegen  bie  ßabobiften  burd^  triegcrift^ 
Sinquartirung  unb  anftecfenbe  ftranfl)eiten  birect  beftraft  morbcn 
feien  ^),  greift  nid)t  minber  bcm  Urt^eil  ®otte^  öor.  Unb  ttjenn 
man  mit  ber  Eucleria  bie  X^atfac^e  uergleid^t,  bag  bie  ©emeinbe 
fiababie'S  ein  {tägliches  @nbe  genommen  ^at,  fo  f)at  man  hieran 
bie  ^robe  bafür,  ba§  bie  t^coretifd^e  golgeric^tigteit  menfd|ltc^ 
Unterncf)mungcn  im  S)ienfte  hc^  S^riftent^umd  ober  bcr  Äird)e 
nid)t  büö  juuerldffige  äRittel  ift,  um  fid^  bcr  gfolgcric^tigfeit  ber 
göttlidijcn  SJorfetjung  im  SJorau^  ju  ucrfic^ern. 

2)ie  ©emeinbe  ju  SBieumerb  Dcrlor  furj  nac^  ber  ©c^unnon  ' 
im  3.  1079  auc^  i^ren  SSorftc^cr  bu  fiignon,  ben  Serfaffer  i^red 
Jiatcc^i^mu!^.  @r  fanb  einen  Srfa^  an  bem  ^rcbiger  3o^anned 
^efener,  tpelc^cr  njcgcn  feinet  ?lnfd^Iuffe^3  an  bic  Sababiftcn  öon 
bcr  ^farrftefle  ju  SBicumerb  abgefefet  niorben  njar.  Uebrigend 
ift  unter  bereu  S0iitgIiebern  ber  ?lrjt  ^cinrid^  oan  S)eDenter 
ncnncnönjcrt^,  njclc^cr  1651  geboren,  biö  1(588  feinen  S5BoI)nflJ 
in  SBicmpcrb  l)attc.  ffir  l^at  burc^  ©djriftcn  über  ba^  SBuc^ 
SDanicl  unb  bie  Offenbarung  3ot)anni^  ben  &t|ilia$mu^  im  ©inne 
bcr  ©cmeinbe  vertreten-).  2)ie  ©emeinbc  tuar  nun  nid^t  auf 
bieicnigen  befc^ränft,  njcld^c  in  bem  ©^loffc  I^etinga  unb  ben 
neben  i^m  aufgerid^teten  ©eböuben  ober  in  bem  SDorfe  SBieutoerb 
Untcrfommen  fanben,  allein  bie  üolle  (Sütergemcinfc^aft  fanb  i^ 
9lnmenbung  nur  innerhalb  biefeg  Ärcifc^^).  3)erfelbe  tüar  ieboc^ 
auc^  infofern  flöfterlic^  gcorbnet,  alö  er  außer  ben  geprüften  unb 
t)ollbercd)tigtcn  örübcni  unb  ©ct)n)eftcrn  ftctö  eine  nic^t  geringe 
Qai)l  t)on  Slöpiranteu  umfaßte,  njclc^c  erft  bie  groben  ber  §ri« 
ligung  abzulegen  t)atteu.  Qm  Drbnung  ber  mancherlei  äußeren 
Slngelcgenf)eitcn,  njcld^e  bie  ©emcinbe  betrafen,  ttjar  eine  Äffcm« 
bl6c  compctcnt,  tüeld)c  auö  ben  ^rebigcrn,  ben  fprcd^enben  SBrfl« 
bern  unb  ben  t)orncf)mften  grauen  beftanb;  baneben  ift  unter 
Umftänbcn   auc^   bie  äJcrfammlung  aller  actiDcn  DoUbercc^tigten 


1)  Eucleria  P.  IL  cap.  I,  2. 

2)  Berkum  II.  S.  80. 

3)  3um  folgenben  ügl.  Berkum  II.  @.  111— 131. 


241 

SKitflHcbcr  berufen  ttjorbcn.  Aber  bie  SSertoaltuttfl  beö  ©anjen 
lag  in  Dt)on'^  ^anb,  unb  i^m  n^aren  aüc  }u  einem  ©el^orfam 
Derpflic^tet,  todäjex  üon  bem  ©e^orfam  gegen  einen  Drben^obern 
nic^t  ju  unterfc^eiben  ift.  S)er  Äatec^i^ntu^  t)on  bu  ßignon  be^ 
grünbet  biefe  ßeiftung  baburd),  ba§  ber  l^eilige  ©eift  bie  Ritten 
cingefeftt  \)Qbe,  toeld^e  man  tt)ie  ältere  Sörüber  ober  SSöter  ju 
lieben  gegolten  fei.  S)a^in  olfo  toar  bie  freie  ©efeüigfeit  in 
f^römmigteit  unb  Heiligung  gelangt,  um  bereu  toiüm  man  bie 
red^tlic^e  Untcrorbnung  unter  bie  ttjallonifd^e  ©t)nobe  fo  unerträg^ 
lid^  gefunben  l^atte!  Sefet  tourbe  jeber  eigene  SBille  ber  ÜRitglieber 
unterbrädt;  e«  toar  ein  ©prüc^toort  bei  ben  ßababiften:  „S)er 
Äopf  mu§  ab."  S8i«  in  bie  Heinften  üleinigfeiten  griff  berSBefel^t 
bcr  SSorftel^er  hinein:  Um  bereu  Sluffic^t  möglid^  ju  mad^en, 
mußten  ade  3i>nmer  ftetö  offen  ftc^en.  S)ie  Äleibung,  für  toeld^c 
bie  SSotfte^er  ebenfo  tt)ie  für  alleS  forgten,  ttjar  tuie  bei  ben  SBie*= 
bertäufem  öon  ber  größten  Sinfad^^eit,  unb  jeber  ©c^mucf 
berfelben  tDurbe  aU  meltlid^e^  Serberben  unb  als  3^'^^^  ^^^ 
X^iere^  ferngehalten.  S)ie  gemeinfamen  9)tal^lieiten  fanben  an 
brci  lafeln  unter  bem  SSorfifee  beftimmter  SSorfte^er  ftatt.  Sei 
biefem  3wfö"i"^c"^i"  ogen  bie  Äfpiranten  getrennt  öon  ben 
Srflbern  unb  ©c^meftern;  lif ergebet  unb  ©efang  fc^ränften  bie 
freie  Unterhaltung  babei  ein;  überbieö  tourbe  eine  ftrenge  Äuf^ 
pd^t  auf  bie  Haltung  ber  ^erf onen,  tt)ie  aud&  auf  ben  üorgefc^rie^ 
benen  ©ebrauc^  bed  Söffet^  unb  bergt,  geübt.  Qm  Sr^altung 
bcr  ©emeinbe  nic^t  blöd  nac^  i^rem  alltäglichen  Seburfnig,  fon^ 
bern  aud^  in  anberen  unumgänglid^en  SSe^iebungen  biente  ber 
(Ertrag  bed  Sapitalüermögend  ber  reichen  t^räuleind  unb  bie 
freien  ^Beiträge  ber  auömärtigen  -Witgliebcr,  ferner  einige  SSie^* 
ju^t  auf  ben  }U  Xf)etinga  ge^rigen  Sänbereien,  enblid^  ber  ^C' 
trieb  Don  ^anbioerfen.  9lic^t  nur  folc^e  mürben  geübt,  meldte 
burc^  ben  birectcn  Söebarf  ber  ©efellfd^aft  geforbert  mürben,  fon= 
bern  oud^  folc^e,  meldte  einen  Ueberfc^ug  uerfprad^en.  darunter 
ftonb  bie  SSuc^bruderei  unb  ©c^riftgiegcrei  oben  an;  bemnSd)ft 
famen  bie  SBoUfpinnerei,  bie  ©etfcfabrication,  bie  ©d^miebe  jur 
Sereitung  Don  Dfenplatten  in  Söetrac^t,  au^  Söäcfcrei  unb 
Sraueret  mürben  ju  ^anbel^i^medfen  getrieben,  hingegen  maren 
alle  ©emerbe  Derpönt,  melrfie  bemSu^ud  bienen  mürben.  Snblic^ 
mit  OpiumpiQen  nad^  bem  Slecept  ^eDenter'd  mürben  gute  ©e^ 
fc^fte  gemad^t.  Snuerl^alb  biefed  Sh:eifed  Don  Xl^ätigfeiten  mürbe 

I.  16 


242 

nun  aber  ben  Slfpirantcn  jum  ©riuci^  i^rcr  SBußfertigfcit  aUcrIci 
auferlegt,  toaä  i^nen  in  il^rcm  tuelttic^en  2)ofem  nid^t  gerabc 
geläufig  getuefen  toax.  iDJan  fa^  einen  ehemaligen  $rebtger  am 
aSafc^faffe  fielen,  üRännet  au^  guter  gamilie  ©c^afe  ptcn  unb 
©teine  tragen.  S)ic  ©elbftDerleugnung  nielc^e  ^ieburc^  gcflbt 
merbe  foQte,  n)urbe  gelegentlich  noc^  weiter  audgebe()nt.  @in  jjunger 
9Rann,  »elc^er  eine  natürlid)e  Abneigung  gegen  SÄilc^fpeifcw 
^atte,  njurbe  belehrt,  baß  biefeö  Don  feinem  alten  SRenfc^en  ^er= 
fäme,  ben  er  ju  tobten  ^abe.  ®r  begann  alfo  mut^ig  Wliläf  gu 
effen,  „um  ben  alten  6fel  ju  plagen  unb  i^n  Ijerunter  ju  bringen", 
b\^  er  ganj  franf  lourbe !  ©old^e  ßuniut^ungen,  meldte  ben  @eift 
ber  itlofterjud^t  at^men,  naljnien  in  ber  üRet^obe,  bie  ju  SBicuiDcrb 
geübt  ttjurbe,  um  bie  SBürbigfeit  eine^  Slfpiranten  feftjuftellen, 
i^ren  regelmäßigen  Drt  ein.  S)er  gortfc^ritt  in  ber  Heiligung 
aber  warb  burc^  bie  öffentliche  SBeic^te  controUirt,  in  welcher  feber 
fein  fieben  ent^üQen  unb  feine  ©elbftoerleugnung  ju  beiDä^ren 
^atte.  ^abei  tam  neben  ber  (Ermahnung  unb  S^röftung  burc^ 
ben  ,,^irten''  unter  Umftänben  aud)  bie  Auferlegung  Don  Spaßen 
oor.  Ttan  tann  ^ienac^  fic^  nid^t  wunbern,  baß  bie  große  SRe^r* 
ja^l  ber  ^emo^ner  Don  Z^etinga  ju  ben  Slfpiranten  unb  $oeni« 
tenten  ge^rte,  baß  alfo  unter  400—500  nur  etwa  100  ©eclcn 
als  trüber  unb  ©c^meftern  galten,  unb  \>q^  oft  genug  Seute 
entlaffen  würben,  welche  fic^  nic^t  qualifieirten.  S)er  @otte^ 
bienft,  roeld^er  täglid^  gelialten  würbe,  beftanb  in  ber  freien  Äebe 
eines  ber  ^rebiger  ober  „fprec^enben  ©ruber"  unb  in  ©efang 
öon  ^falmen  ober  oon  Siebern  Sababic'S.  ^iix  bie  w^top^ejei",  auf 
welche  fiababie  felbft  fo  ^eroorragenben  SBert^  gelegt  ^atte,  toax 
in  ber  abfolutiftifc^  geleiteten  @emeinbe  tein  $lag  übrig  geblieben. 
äBä^renb  bed  ©otteSbienfteS,  auc^  am  ©onntag,  pflegten  bie 
grauen  bie  grei^eit  unb  bie  ©eiftigfeit  i^rer  ©ottcSocre^rung 
baburc^  JU  bewäljren,  baß  fie  ftric!ten  ober  nähten.  S)aS  Äbcnb* 
mal)l  ift  feit  jener  ©cene  in  ^erforb,  alfo  jwifc^en  1671  unb 
1703  nur  fünfmal  gehalten  worben,  unb  in  bem  lefet  genannten 
3at)re  war  eS  fc^on  lange  t)er,  feit  eS  nic^t  me^r  öorgrfomnien 
war  ^).  SBaS  enblict)  bie  Äinbererjie^ung  betrifft,  fo  war  biefelbe 
natürlich  gemeinfam  wie  alles.  3c^  finbe  in  ben  mir  zugänglichen 

1)  @oe6eI  @.  265,  auS  bem  auf  ber   ^reSlauer  Umt>erfttfitSbtbrtottc( 
Dor^aiibcnen  ](ianb{(^rifilt(^en  ^Retfetngebuc^  bon  Q^.  @toIU. 


243 

OucIIcn  borflbcr  nur  bic  Slotij  öon  Dittelbad^  angcfül^rt  *),  ba| 
bic  Äinber  „um  ein  ^afcrftro^"  flcgci^elt  toutbcn,  unb  bann 
mußten  ftc  focjlcic^  ftillfdittjeigcn  unb  feinen  Saut  öon  ftd^  geben, 
üielme^r  auf  bie  ßniee  fallen  unb  ©Ott  bauten  für  folc^e  (Sr^ 
Steiger,  bic  fo  treu  maren,  fte  in  bem  9Ka§c  ju  jüc^tigen.  S)iefe 
Stngabe  ift  fo  roie  man  cd  enuarten  fann;  bad  begeid^nete  ^n^ 
fahren  aber  ift  ber  Art,  um  ben  armen  Äinbern  alle  {Religion  ju 
Derleiben.  SSicUeid^t  mar  ju  ermarten,  ba§  biefer  ©d^aben  in 
bcr  na^e  beöorfte^enben  ^errlici^en  ffipoci^e  be«  Weic^ed  S^rifti 
audgegUd^en  mfirbet 

9Kit  bem  Söilia^wiud  aber  '^ängt  anber^rfeitd  ein  großeö 
Sntereffe  an  ber  Söefe^rung  ber  Suben  unb  ber  Reiben  jufammen. 
S)en  Suben  ttjar  Sababie  furj  nad^  feiner  ?tnfunft  in  ben  Slieber^ 
tanben  toenigftenö  litcrarifc^  entgegengcfommen'J;  bic  ÜRiffion 
unter  ben  Reiben  ■)  ju  unternel^mcn  glaubte  bie  ©emeinbe  unter 
^on'd  eintrieb  berufen  ju  fein.  S)er  ^err  t)an  ©ommetebiif, 
welchem  bie  Sababiftcn  inbirect  i^re  gefid^erte  Sage  in  griedlanb 
öerbanften,  toar  1680  jum  britten  il^eil  ©igentpmer  unb  ju^ 
gleich  @ouDerneur  ber  Volonte  ©urinam  ober  9lieberlänbifcl)« 
©u^ana  gen)orbcn.  ^urc^  feine  ©d^n^eftern  l^atte  er  eine  getpiffe 
SBejiet)ung  ju  ber  ©emcinbe.  Darin  erfannte  biefelbc  eine  gött* 
Uc^  Äufforberung,  unter  feinem  ©c^ufee  eine  ©tation  jur  Reiben- 
bcfel^rung  anjulegen.  S)ieö  gefdE)a^  unter  ber  ßeitung  bed  ?ßre= 
btgeri^  ^efencr.  @d  ift  aber  bat)on  nid^td  meiter  ju  beridjten, 
otö  bag  bie  Sababiftcn  meber  an  i^ren  9legerff(aoen  nod^  an  ben 
eingeborenen  3nbtanern  irgenb  einen  ©eminn  für  ba§  Wei^ 
@otted  mad^ten,  obgleich  fic  für  angejeigt  l^ietten,  einige  ber 
fttnber  mitjufd^icfen  meldjc  bie  ©prad)e  bcr  SBilbcn  lei^ter  lernen 
unb  fic  bann  ))on  bem  (S^riftentt)um  fibergeugen  n^ürben,  n)elc^ed 
i^nen  anergogen  mar.  Die  audgefenbetc  ©cfellfc^aft  t)erftel  t^cild 
in  Uneinigfeit,  t^eiliS  erlag  fic  ben  örtlichen  Äranfl^citen ;  Sinige 
ff^rten  jurficf,  bie  Uebrigen  finb  öcrfrfjollcn.  Seffer  erging  c^ 
einem  Unternehmen   in  ber  englifc^cn  Kolonie  yitxo^^oxi,  meldte 


1)  Set  Berkum  II.  8.  79. 

2)  Jugement  charitable  ei  juste  sur  rstat  present  des  juifs,  con- 
ienant  une  douce  proposition  de  doiize  chefs  importans  et  la  pliipart 
iD^me  nouveaux,  qa'ils  sout  pries  de  mediter.    Amsterdam  1666. 

3)  Snm  fo{(|enben  ügl.  Berkum  II.  B.  132—161. 


244 

btö  1667  nieberlänbifc^c  Kolonie  gcttjefen  toax.  Sine  ©tation, 
ipeld^c  am  ^ubfonfluffc  angelegt  murbc,  fanb  burc^  ^eter  ©d^lüter 
einen  feftcn  ölonomifc^en  Seftanb;  aber  eben  auc^  nur  biefen. 
S)enn  bic  religiöfc  3"^*»  tuelc^e  er  nac^  bem  üRufter  ber  äßuttcr^ 
gemcinbe  übtt,  mar  für  i^n  nur  baö  aWittel,  um  burc^  bic  Arbeit 
ber  ©enoffen  ben  93efife  ju  fteigern;  feine  ©flaöen  be^anbelte  er 
mit  aHofi^eit.  ^urd^  ©flauen ^anbel  unb  burd)  ^od^müt^ige  9b^ 
fperrung  gegen  bic  nicbcrlänbifc^srcformirtc  ^ird^e  im  ßanbc  er* 
regte  er  Slergcrnig  bei  \>en  iioloniften.  *  ffir  ^at  noc^  1703  bort 
gelebt;  aber  ba^  fRcxd)  ®ottc^  tarn  bur^  i^n  nic^t  ju  ben 
Reiben. 

S)icfe  Unternehmungen  tofteten  @elb,  unb  trugen  ju  bcm 
öfonomifdien  SScrfaBl  ber  ©emeinbc  bei.  S)crfclbc  ift  aber  bic 
einfädle  golgc  ber  ©ütcrgemcinfc^af t,  unb  mußte  eintreten,  fobalb 
bic  93egeifterung  in'^  ©toden  geriet^,  unb  fid^  me^r  fllnfömmlingc 
in  S^^etinga  einfanben,  meiere  bei  ber  @ütcrgcmcinfc^aft  SSort^eil 
fanben,  al^  folc^e,  meiere  in  i^r  Dpfcr  brad^ten.  ferner  nmr 
bic  fteigenbe  Slnja^l  ber  Äinber  eine  öfonomifc^c  Saft,  ba  bie^ 
fclben  nic^t  nur  nic^t  ermarben,  fonbein  burd^  bad  )iBebürfnig 
i^rer  Sr^ie^ung  aud^  nod^  Slnberc  t)on  bem  Srmerbe  jurfict^ielteu. 
S)ie  Srjic^ung  ber  j^inber  tonnte  fic^  nid^t^  befto  weniger  feine 
^o^en  3i^lc  fe^en,  unb  wie  j^mecfmägig  fic  gc^anbl)abt  murbc,  ^aben 
mir  gehört.  3n  ber  fd^iefcn,  unfrud^tbaren  ober  fc^äblic^cn  Se^ 
()anblung  ber  Sinber  mirb  fid^  aber  ftct^  ber  ^auptfäd^lit^e  e^c^lcr 
unb  bic  eigentliche  SScrfc^ulbung  einer  foldbcn  ©emeinbe  bcr^ei^ 
ligcn  funb  geben,  ^olgercd^t  ()at  an  biefem  fünfte  aud|  bie 
Sluflöfung  ber  Sababiftengemeinbc  begonnen.  3m  Safjr  1688 
erflärtc  ber  Slrjt  öan  S)ct)enter,  baß  er  fic^  öerpflid^tet  finbc  fflr 
eine  bcffere  Crjie()ung  feiner  ^inber  ju  forgen,  alig  i^m  in  SEBieu* 
mcrb  möglid)  fei;  ju  jenem  Qtocde  aber  bebfirfe  er  feinoS  pcr^ 
fönlidjcn  Srmerbcd  uoUftänbig,  fönne  it)n  alfo  fortan  nid^t  nte^r 
in  bie  ©emeinbetaffe  fließen  laffcn.  So  je^r  er  übrigen^  mit 
ber  ©cmeinbc  religii)^  einig  mar,  fo  mar  i^m  bie  ©orgc  für  feine 
Äinbcr  miAtigcr  aU  bie  g^ttfegung  bcö  SSerbanbeö  mit  ber  ®c^ 
meinbe.  3n  bicfcr  ließen  fic^  3){anc^e  ba^in  Dcrnc^men,  baß  oan 
S)eöenter  ^oc^müt^ig  fei,  feine  Äinber  in  ber  SBelt  groß  mad^en 
motte,  unb  an  ben  ©ütcrn  ber  ffirbe  l)ange.  ©old^c  Söetrod^tungen 
cutfpringen  not^menbig  au^  ber  falf^en  pietifttfc^en  Sorftelbing 
t)om  aüeic^e  ©ottcs^,   in  melc^cd  bie  au^  bem  meltUd^en  SBeruf 


245 

flicßcnben  ^flid^tcn  nic^t  aU  S)tenft  gegen  @ott  cingcred^net 
»erben,  ffig  ift  oud^  ganj  folgeredit,  ba%  tpenn  bic  a^fctifc^e 
©clbftDerlcugnung  fid^  nur  in  ©ütcrgemeinfc^aft  unb  ^ctbcn^: 
miffion  genug  t^un  fann,  bic  nä^er  tiegcnbc  $flid^t  gegen  bie 
eigenen  Äinbcr  al«5  SluöbrudE  ber  ©clbftfud^t  gebeutet  tt)irb.  Sn* 
beffcn  öan  S)et)cnter  öerließ  bie  ©emeinbc  ju  SBieumcrb.  ©eitbcm 
nun  ttjurbe  bcrfelben  aümäljlid^  tlax,  ba§  bie  ©ütergemeinfd^oft 
ni^t  länger  aufrecht  erhalten  »erben  tonne.  3m  So^re  1692 
cnblid^  ttjurbc  ber  Scfc^Iuß  gefaxt,  boß  bie  roirtl^fd^aftlic^e  ©clbft:* 
ftänbigfeit  ber  einj^clnen  ^erfonen  unb  gamilien  ttjieber  eintreten 
folle.  S)aö  bebeutctc  im  Oanjen  bie  3<^^ftrcuung  ber  ©enoffen 
an^  i^rem  biö^erigen  SBo^nfifte.  grütjer  toat  bie  ©emcinbe  ju 
3erufalem  otö  bog  SKufter  einer  t)on  ber  SBelt  abgefd^iebenen 
©emeinbe  bargefteÜt  »orbcn;  jefet  erinnerte  fic^  ^Don  plöftlic^, 
baß  bie  SXpoftelgcfc^id^tc  auc^  bie  ß^^ftteuung  biefer  ©emeinbe 
6erid^tetc,  unb  machte  baDon  bie  ^nmenbung,  baß  bie  fiababiften 
bemnad^ft  baj^u  beftimmt  feien,  aU  ©auerteig  bei^  9ieic^o$  @otted 
auf  bie  SBclt  ju  njirfen.  ©ie  sogen  alfo  größtent^eifö  öon  SBieu:* 
tt)erb  ab,  uad^bem  ba§  eingebrachte  Vermögen,  o^ne  ba§  befonbere 
9{ec^nung  gelegt  njurbc,  mit  SSerfütjung  um  ein  Siertct  l^eraug* 
gegeben  tt)orben  ttjar.  SDicienigcn,  ttjclc^e  an  Ort  unb  ©teile 
bleiben  ttJoHten,  ttjaren  fo  lange  untertrieben,  alg  bie  6igcn= 
t^merinnen  be§  ©c^Ioffeö,  t)on  ttjetd^en  bie  eine  g)t)on'ö  jttjeite 
®attin  genjorben  toax,  lebten ;  fic  mußten  jcboc^  ÜRietl^c  entrichten 
unb  i^re  eigene  SBirt^fd^aft  führen.  3m  3af|re  1703  fanb  ©tolle 
(©.  242)  faum  nod^  breißig  ^erfoncn  an  bem  Ort.  3iu  3a^re 
1707  ftarb  g)t3on  im  Älter  t)on  61  3a^ren.  ffir  njar  an  giü^tem= 
^cit  unb  an  tl^eologifd^er  Söilbung  feinem  SWeifter  überlegen, 
auc^  me^r  toie  biefer  barauf  bebad^t,  fid^  bem  reformirten  2c^r^ 
begriff  entfprec^enb  ju  balten.  6r  njar  juglcic^  nic^t  minber  ab:^ 
folutiftifc^  gefinnt  unb  ^crrfc^fäf)ig  toie  ßababic,  aber  bicfe  ^aU 
tung  toar  bei  i^m  nict)t  tok  bei  feinem  Weifter  Äuöbrucf  beS 
prop^etifc^en  ©elbftbemußtfcinö,  fonbern  t)on  ber  Wrt  beö  3lo\)'u 
jcnmcifterö  im  Älofter.  3lad)  feinem  3;obe  blieb  jur  fieitung  bc§ 
ÄffteiS  ber  ©emeinbe  ber  „fpred^cnbe  Srubcr"  Iliomaö  ©erüaaöj 
übrig,  ein  Zimmermann  auö  ajtibbclburg,  »eld^er  unter  SScrlaf:: 
fung  feiner  ungläubigen  grau  na^  ^erforb  jur  ©emeinbe  ge* 
lommen  mar.  3^m  mürbe  nun  (£onrab  93o^man  mit  gleichen 
Siedeten  jur  ©eite  gefteUt.    %\xd)  X^oma^  ©erüaa^  ftarb  nod^ 


246 

ju  SBieutDcrb.  ^aS  @ci^log  X^etinga  ging  1725  in  ben  99efi^  bed 
©rafcn  üRorift  t)on  3la\\au  über,  eincS  SRcffcn  Don  mfittcrlic^r 
©cite  ber  brei  ©d^ipeftcrn  üan  ©ommclöbiit.  SBon  bicfcn  fc^eint 
alfo  bie  lefetc  bii^  ba^in  gelebt,  unb  i^re  ^anb  über  ber  abfter- 
benben  @emeinbe  gel^olten  ju  l^aben.  ^ud)  ber  @rbe  ^at  btefelbe 
in  feinem  Söefifee  noc^  gebulbet.  (Srft  1732  lieg  S3oi8man  fic^  in 
Seeuttjorben  nicber,  offenbar  loeil  bie  ©emeinbe  fo  gut  toic  locg* 
gefc^moljen  mar.  SRit  feinem  2;obe  1744  ift  fte  ju  (8nbe  ge* 
gangen. 


13.    Sie  (StttttbfS^e  Hon  Saiabte  unb  feinen  (Senoffen  ^). 

^a^,  mad  fiababie  unb  bie  ©einigen  gesollt  unb  gelehrt 
l)aben,  gerfätlt  in  jmei  @ruppen.  (Einmal  ftnb  ed  bie  ©runbfa^e 
aber  Heiligung,  Siebe  ju  @ott,  @elbftt)erleugnung,  m^ftifd^e  Son« 
tentplation,  bann  biejenigen  über  bie  Jl^irc^e   unb  bie  eigent^fim- 


1)  3ur  ^arfleQun^  btefeS  %(f(^nitt6  ^aben  mit  auftet  Veritas  sui 
vindex  (6.  199)  unb  bet  Eucleria  ber  @(^urman  (6.  206)  folgenbe  Sänften 
gebient:  bon  Saba bie  1.  Abrege  du  veritable  christianisme,  beutf4  mit 
^bfUtjungen:  (Sin  furjet  begriff  beS  mabren  S^rißent^umS.  gfranff.  a.  9X. 
1696.  —  2.  Practijcq  des  tweederleije  gebeds.  3  Deele.  Utrecht  1666.  — 
3.  Manuel  de  piete.  Middelburg  1668.  —  4.  Saintes  decades  de  qua- 
trains  de  piete.  2  Parts.  Amsterdam  1680.  —  6.  Poesies  sacrees  de 
Tamour  divio.  Amsterdam  1680.  —  6.  La  puissance  ecclesiastique 
bornee  aPecriture  et  par  eile.  Amsterdam.  —  7.  Le  disccrnement  d*une 
veritable  eglise  suivant  Pecriture  sainte.  Amsterdam  1668.  —  8.  L'exeroioe 
profetique  solon  S.  Paul.  Amsterdam  1668.  —  9.  Epistolae  duae,  prima 
Adriani  Pauli  ad  J.  de  Labadie,  altera  J.  de  Labadie  responsoria. 
1672.  —  Serner  üon  ^  ö  o  n  10.  De  weg  ten  bemel  of  tractaet  van  't  gebet. 
Amsterdam  1683.  —  11.  Essentia  religionis  chnstianae  patsfaota  seu 
doctrina  foederum  omnium  dei.  Prope  Hamburgum  1673.  —  12.  Leere 
van  den  h.  doop  —  met  aenmerkingen  over  het  boek  van  D.  Koelmann 
{].  0.  6.  196)  Amsterdam  1683.  —  13.  W.  Brakeis  onbillicke  en  verkeerde 
handelingen  geopenbaart  Amsterdam  1686.  —  14.  Besluyt  van  de  Schriften 
van  W.  Brakel  en  P.  Yvon.  ^mflerbam  1686.  —  So  unvoOflftnbig  bicfer 
Apparat  i[t,  bUrfte  er  bo(^  f Ur  bie  fiöfung  ber  gefleOten  Aufgabe  )urei<4en,  ol^ne 
bag  etwas  toe{entU(^eS  su  Dermiffen  tofirc. 


247 

lld^en  golgcrunflcit  über  2;oufe  unb  Äbcnbma^I,  looburd^  bic 
reformatorifd^c  Abfielt  be§  ÜÄanneö  bejeici^nct  luirb.  3n  bcm 
lc|ten  ©ebict  begegnet  iinö  nun  DöUige  Uebcreinftimmung  bcr 
anhänget  mit  bem  SOieifter.  lieber  bie  fünfte  ber  erftcn  ©ruppc 
^errfc^t  jebod^  nid^t  birecte  Ucbereinftimmung.  9SieImef)r  bctpätircn 
fotool)!  ^öon  toic  bie  ©c^urman  i^re  gut  reformirte  SSorbilbung 
baburc^,  bag  fie  auf  ben  mt)ftifci^en  SmpuU,  ben  Sabobie  auS 
feiner  lat^olifd^en  SSergangen^eit  mitbradöte.  t()eilö  nidjt  pofitiö 
eingegangen  finb,  t^eilö  i^n  nur  in  gemäßigter  SBeife  fic^  ange* 
eignet  ^aben.  ©o  weit  biefeö  aber  ftattgefunben  ^at,  läßt  fic^ 
ntc^t  öertennen,  baß  ber  begriff  Don  ®otte^  ©ouöerönetät  unb 
bcr  gefc^öpflic^en  5Rid^tigIeit  ber  SD^ieufd^en  für  bic  reformirtcn 
atnl^änger  Sababie'i^  ebenfo  n)ie  für  ben  geborenen  Äat^olifcn  ben 
oberften  ©cfi^tgpunft  aller  {Religion  bilbete.  63  liegt  auc^  in 
ber  ©ad^e,  baß  btefer  ©ebanle,  fo  toie  er  im  SWittelalter  bie 
S^cologie  unb  bie  grömmigfeit  bef)errfc^te,  unb  fo  n)ic  ber  Sat« 
Dinidmu«  um  ber  ^räbeftinationi^le^re  toitlcn  auf  i^n  jurüdEge* 
fommcn  tt)ar  (©.  135),  feine  ©cltung  jugleic^  au3  bem  ©runbe 
ber  SSernunft  mie  au3  bem  t)orgeblict)en  ©runbc  bcr  ©d^rift« 
mäßigleit  behauptete.  Die  ©c^urman  erflärt  auöbrücflic^,  baß 
©Ott,  ber  in  feiner  Unenblic^teit  njürbig  ift  geliebt  ju  tt)crben, 
icbem  9Kenfd^cn  bie  SJcrpflid^tung  auflege  i^n  ju  lieben,  aud^ 
wenn  ®ott  ben  aÄenfd)en  nicl)t  liebte,  ©onft  toürbc  bcr  2;eufel 
nid^t  barin  fünbigen,  baß  er  @ott  nic^t  liebt;  benn  @ott  liebt 
nic^t  ben  S^cufel.  2)er  lefetc  ©runb  (ratio  fundamentalis), 
burc^  n^clc^cn  bic  ©cfd^öpfe,  äJ^enfc^cn  unb  @ngel,  gebunbcn 
finb,  ®ott  t)on  ganjem  ^erjen  ju  lieben,  liegt  barin,  baß  @ott 
immer  bcr  cnbloö  lieben«n)ürbigc  ift,  er  mag  ^anbcln  ober  nic^t, 
roollen  ober  nid)t.  ffirft  unter  biefer  ?Jorau§feftung  ergiebt  fi^, 
baß  ber  jur  Siebe  gegen  @ott  an  fic^  öerpflidjtctc  SÄenfd^  bie* 
fclbe  nic^t  üben  fann,  oljnc  baß  @ott  i^m  burdl)  S^riftu^  feine 
Siebe  bcmiefcn  ^at  ^).  ffiö  ift  let)rreic^,  baß  bicfe  ^o^greifcnbc 
2rrömmigfeit  eine  fo  rationaliftifd)c  SBurjcl  t)at  (©.  157). 

l.  Sababie  befennt  fic^  übrigen^  jum  eöangclifd^en  95cgriff 
üon  ber  JRc^tfertigung^);  aOein  er  ttjciß  il)m  feine  praftifc^e  93c* 
jic^unfl  abjugcroinnen.    2)te  2et)rc  finbet  aU  f^ftematifc^e  SSor^ 


1)  Euoleria  P.  II.  cap.  III,  17. 

2)  Protestatio  orthod.  in  Vcritas  sui  vindex  p.  12. 


248 

auöfcftung  für  tie  Se^rc  t)on  bcr  Heiligung  in  feiner  „SSerfic^c* 
rung  ber  Ort^obojic"  il^re  ©teile;  hingegen  in  bcm  ,,!urjci!  8b* 
rife  bß^  tt)al)ren  S^riftent^umö"  ift  fic  ju  ücrmiffcn.  Äuc^  bic 
©d^urman  befd)äftigt  fic^  me^r  bamit,  bie  befannten  praftift^en 
äJiigbeutungen  btefer  Seigre  ju  rügen,  als  bag  fie  i^ren  energifd^ 
SSorfe^ung^glauben  gerabe  an  i^r  ju  orientiren  gelernt  ^tte. 
SBic  Sobenfte^n  Verwirft  fie  bie  unöorfic^tige  Deutung  bcr  Siecht» 
fertigung  burd^  @^riftud  atö  @ompenfation  ber  ftttlid^en  Unt)oIt 
fommen^eit  unb  (Schlaffheit,  ober  qU  @runb  be^  Iroftcg  für 
folc^e,  tüd6)e  einen  t)orübergel)enben  @c^merj  über  bie  @ünbe 
unb  ein  entferntet  SSerlangen  nad)  @nabe  o^ne  bie  ^Beobachtung 
ber  göttlichen  @ebote  erfennen  laffen  0-  ^^  fommt  alfo  burc^ 
au^  auf  bie  Heiligung,  auf  ben  prattifd^en  93en)eid  ber  Sßicber- 
geburt  in  ber  @elbftt)erleugnung  an.  (&^  lag  fe^r  nal^e,  biefed 
drängen  auf  bie  Heiligung  aU  ^intanfe^ung  bed  rec^tfertigenben 
(Glaubend  ju  üerfte^en,  unb  bie  Sababiften  ^aben  biefe  Sinioen^ 
bung  aud)  erfahren.  äJom  pd^ften  Sntereffe  ift  bie  (Entgegnung, 
n)elcf)e  bie  ©c^urman  bagegen  rid)tct  ^).  ,,äEBir  leiten  bic  äJJcnfc^ 
nid^t  baju  an,  bag  e^e  fie  ernftlic^  an  ©elbftüerlcugnung  unb 
@el)orfam  gegen  @ott  beuten,  fic  fic^  Dörfer  um  bie  ^etldgcnri^ 
^eit  bemühen  unb  um  bie  (Erfenntnig,  bag  fie  jur  Qaf^l  bcr  9u 
mahlten  gcl^ören,  bag  (£t)riftud  für  fie  geftorben  unb  fic  burd^ 
fein  33lut  mit  @ott  Dcrfö^nt  feien.  SBir  fnüpfen  auc^  bie  SBirt 
famtcit  be^  93luted  @^rifti,  un^  t)on  ben  @ünbcn  ju  reinigen, 
nic^t  an  bie  birecte  Ueberlegung,  meldte  aug  @otteS  @cift  ent^ 
fprungen  barauf  lauten  mürbe,  bag  S^rifti  93lut  für  unfcre 
@ünben  unb  im  Sinjelnen  für  bie  le^te,  bie  mir  begangen  ^abcn, 
öergoffen  fei.  S)er  lebenbigc  ©laube  an  C^riftuö,  burd^  tt)cl^ 
mir  mit  il)m  geeinigt  merben,  unb  bie  ©emeinfc^aft  mit  bem 
%atcr  ^abcn,  befte^t  nic^t  mefcntlic^  in  biefer  ©emig^eit  ober 
Ueberlegung,  t)on  ber  bie  9iebe  ift.  ^a  ber  @laube  nic^t  in 
jenem  reflectirten  Slcte  befte^t,  bag  mir  glauben,  ©^riftuö  fei  bcr 
unfrige,  fonbcrn  Dielmeljr  in  jenem  birecten  acte,  ben  bcr  ^iltgc 
@eift  in  und  ^ert)orruft,  menn  mir  geraben  SBegcd  burc^  S^riftud 
ju  ©Ott  gc^cn,  um  il)m  anzugehören  unb  oon  i^m  Dcr^ 
manbelt  unb  befeligt  ju  merben,   fo   mug  man    fe^r  non 

1)  Eucleria  P.  IL  cap.  II,  4;  III,  7.  8. 

2)  L.  c.  cap.  III,  20—23.  Sie  beruft  ftc^  äuglet^  auf  ^tton'f  Xrodai: 
Rechtveerdigmakingo  door^t  geloof. 


249 

SJorurt^cilcn  eingenommen  ober  bösartig  fein,  ttjcnn  man  behauptet, 
bag  totr  bie  Uebung  bcS  S()riftent{)um^  nid^t  burc^  Sl^riftu^ 
unb  ben  ©tauben  an  i^n  beginnen,  bed^alb  nämlid),  meil  niir 
in  jene  Aufgabe  nic^t  eintreten  ju  foHen  meinen  mit  jenem  reflec* 
tirten  @lauben,  in  metc^em  nid^t  ba^  SBefen  be^  staubend  be^ 
fte^t,  fonbcrn  nur  eine  SBirfung  beffelbcn,  unb  jmar  nid^t  eine 
üom  erften  Äange  unb  ttjelci^e  bauer^aft  tt)äre.  S)ag  SBInt  E^rifti 
reinigt  urnS  öon  unferen  ©flnben,  nid^t  aber  jene  Ucbcrlcgung 
ober  feftc  Ueberjeugung.  ©eine  Sfraft  ^at  jeneö  an  fic^  unb 
burc^  ben  ©lauben,  ber  jenem  Vertrauen  tjorouöge^t."  S)icfe 
Crflärung  ift  in  negati))er  ^infi^t  gelungener  aU  in  pofitiDer; 
fie  tt)eift  aber  beutlic^  auf  bie  @c^n)i.erigteit  l^in,  in  n)eld^e  ber 
@kbanfe  t)on  ber  äled^tfertigung  bur^  ben  ©tauben  gerätl),  menn 
feine  Sielation  auf  bie  au^  ber  93erf5^nung  mit  @ott  mögli^e 
äSeltanfc^auung  üerbunfelt  ift.  ^ic  Quälerei  um  bie  perfönlit^e 
@ctoi§^eit  ber  SSerfö^nung  mit  ®ott,  njelc^c  bie  ©d^urman  mit 
Wec^t  Dertoirft,  ift  ber  ÄuöbrudE  bafür,  ba§  man  in  ber  JRec^t- 
fertigung^Ie^re  nic^t  me^r  ben  ^Regulator  ber  praltifc^en  SBelt* 
anfc^auung,  ben  @runb  beS  S3orfe[)ungdgIaubenS,  ber  ^emutl^ 
unb  ©ebulb  erfennt.  %ber  ba  biefe  Srfenntnig  auc^  ber  @d^ur^ 
man  fern  liegt,  fo  fc^iebt  fie  bem  rerf)tfcrtigenben  ©lauben  eine 
frcmbe  S^ejie^ung,  nämtid^  ben  eintrieb  jur  Heiligung  unter, 
loclc^er  ol^ne  acute  ^eilögenjigtieit  tt)ir!en  fann.  Slber  ^temit  ift 
eben  boc^  bie  Sled^tfertigung  burd^  ben  ©tauben  eliminirt,  unb 
ber  SSonourf  ber  ©egncr  beftätigt,  baß  e^  ben  fiababiften 
nur  auf  bie  Heiligung  anlomme.  SBenn  nur  biefe  ©egner  felbft 
bie  $ra{iiS  bed  Slec^tfevtigungSglauben^  in  gefunber  unb  frucbt^ 
barer  äBeife  ju  beftimmen  t)ermocl)t  ()ättcn! 

2.  ©eine  Änfi^t  t)on  ber  Heiligung,  tt)eld^c  au§  ber  Sr^ 
löfung  oon  ben  ©ünbcn  unb  bem  tjeiligcn  ©cifte  entfpringt,  re^ 
capitulirt  Sababie  in  feiner  Protestatio  orthodoxiae  fotgenber- 
magf n.  ©ie  ift  im  ©anjen  bie  ©clbftDerleugnung ;  ba§  ift  bie  DoIIe 
unb  umfaffeube  lircnnung  beö  ^ergen^  öon  3lHem  toa^  nidE)t  ©ott 
felbft  ift,  ober  nid^t  fo  t)on  i^m  Ijcrfommt,  baß  eö  un^>birect  jur  feligcn 
©cmeinfc^oft  mit  i^m  führen  fann.  S)enn  ba  bie  Siebe  jn  fid^  felbft, 
meiere  bie  Siebe  jur  SBelt  in  fic^  f erließt,  bie  SBurjel  alle^  Söf en  ift, 
fo  fommt  ed  barauf  an,  nid^t  blo^  auf  bie  Safter,  fonbern  aud^ 
auf  alle  SBege^rungen,  Effecte  unb  .f^erjen^bcrocgungcn,  auf  ben 
eigenen  SSiQen   unb  bie   eigene  Vernunft  ju  öerjic^ten.    ©ofcrn 


250 

bicfc  ©clbftüerleuflnung  \iä)  in  crfd^eincnben  ^anbluitflcn  äußern 
ttjtrb,  beftc^t  fic  in  bcm  Opfer,  bcr  üöBigen  ©arbrinflung  beö 
geiftigen  unb  !örperlic[)en  SebenS  an  ®ott.  ^ofitit)  ift  bic  ^cu 
ligung  bie  t)on  @ott  in  bie  ^erjeu  gegoffene  Siebe  ju  i^m,  tuclc^e 
bie  Gläubigen  jur  (Sinigung  unb  ®emeinfd)aft  mit  ®ott  ^inauf^ 
jiet)t,  ja  jur  X()eilna^me  an  ber  göttlid^en  SRatuv.  S)enn  fo  »ic 
fie  aui?  ber  Siebe  ju  ®ott  fic^  aud)  nur  auf  folc^e  2)inge  richten, 
ttjclc^e  ©Ott  gemäß  finb,  unb  fid^  uon  ber  @ott  entfrembetcn 
SBelt  fern  l)alten,  fo  bereifen  fie,  baß  fie  nic^t  bercn  Äned^tc, 
fonbern  bereu  Ferren  unb  Äönige  finb.  2)iefer  Stammen  tt)irb 
aber  nodj  au^j\ufüHen  fein  burd)  ben  ©toff  ber  anbcren  ®d)riften, 
nämlic^  be^  „Äurjen  S3egriff§  beö  E^riftent^umö"  ber  ^^raji^ 
beö  jmeierlei  ©ebeteö"  unb  beö  „^anbbud^ö  ber  grömmigfeit." 

^er  SBeg,  auf  meldjem  bie  (Einigung  mit  ©Ott  ju  erftrebcn 
ift,  ift  ba^  innere  ©ebet,  bie  üRebitation  ober  Sontcmplation, 
meiere  o^ne  SBorte  unb  o^ne  Sitten  unb  ^orberungen  an  @ott 
i^n  JU  e^ren,  unb  bie  9lufopferung  ber  eigenen  menfc^li^cn  Sc* 
gedrungen  ju  DoUjieljen  ^at.  ^at  man  fid^  in  bie  ^änbe  @otted 
mit  fülc^cr  ®elaffent|eit  jU  begeben,  baß  man  nic^t  wiebcr  auf 
fic^  felbft  fällt,  fo  f erließt  baö  in  fid),  baß  man  auc^ , feine  guten 
Segierben  baran  gebe.  2)ann  l)ört  man  eben  aud^  auf,  ®ott 
anbcrö  ^^u  bitten,  al^  mit  ber  SBercitfc^aft,  fid)  in  feinen  SDSiUen 
JU  ergeben.  2)ao  innere  @ebet  ober  bie  Setradjtung  ift  nämltd^ 
ein  ftetiger  Umgang  mit  ®ott  unb  ein  ©efpräd)  mit  bemfclben 
t)on  feinem  SBefen  unb  feinen  ©el)eininiffen,  tooju  ber  ^eilige 
@cift  ben  Slntrieb  bietet.  3nbem  biefer  Umgang  mit  @ott  burt^ 
ben  gereinigten  SJerftanb  unb  SBillen  ober  burc^  bie  ffirfcnntniß 
unb  Siebe  ftattfinbet,  fo  erreidjt  man  auf  biefem  SBcgc  bic 
©inigung  mit  ®ott,  inbem  man  baö  ^öc^fte  @ut  fd^mecft.  SKit 
Berufung  auf  alle  d)aratteriftifd)en  ©äge  beö  §ol)enliebeö  tmrb 
Derfid)ert,  baß  ®ott  bem  TOenfc^en,  mit  bem  er  fic^  Dereinigt, 
feine  ©üßigteit,  §ifee  unb  Sieblidjteit  i^n  empfinben  gebe.  2)cm* 
gemäß  finb  bie  fünf  Sinne  Diel  geeigneter,  bic  (Sntjücfung  unb 
ben  ffienuß  beö  3^^^^^  ber  grömmigteit  Derftänblid^  ^^u  madjcn, 
alö  bic  Derftänbige  Siebe;  benn  man  lann  Diel  me^r  fagcn,  baß 
eö  ®ott  fei,  ben  man  euipfinbct,  alö  ba^  man  bie  SWcrfmale  ber 
(Smpfinbung  felbft  angeben  fann.  Allein  fo  tt)ie  in  bicfcm  3«' 
ftanbc  ber  ®inl)cit  mit  ®ott  bie  Seele  boc^  baö  ©efd^öpf  bleibt, 
fo  ift  eben  ®ott  felbft  meit  me^i*  alö  bie  (Srgö^lic^feit  unb   ber 


251 

©ef^tnad,  ben  man  t)on  il^m  f)at  ^cnn  aud^  bic  9(6ftd^t,  @ott 
ju  lieben  unb  feinem  SBiUcn  fid)  ju  fügen,  ift  me^r  al§  bic  ©e* 
ligfeitdcmpfinbunc)  an  i()m.  Ss  fommt  eben  baranf  an,  bag  man 
ftc^  au(^  bie  Sntbel^rung  bcrfelben  jnred^t  lege,  äßcnn  man  alfo 
nur  in  Siebe  mit  ®ott  üerbunben  ift,  fo  ^at  man  nidjt  ju  forgen, 
ob  man  in  bcr  S^etrad^tung  biet  ober  tpcnig  Sid^t  f)at,  alfo  ob 
man  fic^  öon  @ott  oerlaffen  fü^lt.  SSielme^r  muffen  feine  @c* 
richte  unb  ßü^tigungcn  ebenfo  geliebt  n^erben,  toie  feine  gnaben* 
reiche  unb  luftboHc  J^eimfuc^ung.  Unter  biefcr  ©leic^ftcllung  er^ 
reicht  man  c^,  bag  man  in  ber  (Kontemplation  ftc^  möglid^ft  lei^ 
benb  Dertjält,  ba  bad  %ijun  unb  SSirfen  nur  @ott  jutommt. 
@on)ie  ferner  Sababie  bie  Kontemplation  in  bem  jn^eiten  X^eil 
öon  ber  „^rajiö  be^  jtt)eicrlei  ©cbete^"  bef^reibt,  erfüllt  fie 
allein  bie  d^riftlic^e  SBeftimmung  ber  ©laubigen.  SBad  bie  Sfle? 
formatoren  bon  bem  SSertrauen  fagen,  in  toelc^em  man  fein  §eil 
auf  ®otte«  @nabe  unb  auf  bic  SSerfö^nung  burd^  (Sl)riftu«  ftü^t, 
bad  gilt  nac^  fiababie  Don  ber  Kontemplation.  D^ne  fie,  meint 
er,  fann  ber  SÄcnfc^  cigcntlid^  nirf)t  alö  aJicnfd)  leben,  nic^t  bie 
n^o^re  Sieligion  üben,  nicbt  aU  ^inb  @ottcS  fic^  erl)alten  unb 
ernähren,  überhaupt  nid^t  bie  nötljige  d^riftlid^e  Srfenntnig  ^aben, 
—  toa«  an  allen  Sc^ren  bcr  S)ogmatif  beroäl)rt  wirb,  gci^^cr 
foO  eiS  bic  Kontemplation  fein,  burd^  meiere  ber  SS^illc  gereinigt,  mit 
guten  ©cfü^lcn  erfüllt,  ju  @iott  gcjogcn,  burd^  n)cld^c  ferner  bad  ^crj 
beruhigt,  bic  Slffecte  rcgulirt,  bcr  antrieb  ju  lugcnben  unb  guten 
SBcrfcn,  unb  bie  Sfraft  jur  grtragung  beö  Ärcujcö  bcrlie^cn  njirb. 
S)icfc  äRcbitation  foll  ferner  baö  ©efc^id,  bic  Älar^eit  unb  (Sner:* 
gic  in  ber  )6erfflnbigung  be^  (St)angeliumS,  bcn  @efc^madF  bei 
bcr  fiefung  beg  göttlichen  SBorteö,  cnbtid)  bic  frud)tbarc  SBirInng 
bed  Sbenbma^l^enuffc^  ocrmittelu.  ^r^  miQ  nic^t  bic  i^ilbcr 
beö  $ol)enliebe3  roicber^olen,  in  ttjclc^cn  biefe  ©d^rift  bic  SBolluft 
ber  SWebitation  fd^ilbert,  nod&  aud^  auf  bie  SScrlaffungcn  jurüd^ 
tommen,  meldjc  jenen  @cnng  burc^freu^en. 

ß^arafteriftif^  aber  ift  bic  Srflärung,  ba§  nid)t  blo^  bic 
Kontemplation  bcr  Anfang  bcr  ©cligtcit  ift,  in  »clever  ba§  icn= 
fettige  fiebenöjiel  vorweg  genommen  mirb,  fonbcrn  bag  fie  aud^ 
ben  9Renfc^en  jum  ©taube  cinciS  KngclS  ergebt.  9{id)t  o^ne 
@runb  toirb  bie  im  Älofter  cinbcimifc^e  unb  für  aJiönd^c  gecig< 
netc  IRebitation  mit  bicjcm  Xitel  bcd  ^JU{önd)tl)umd  gcfc^müdt. 
5Denn  ganj  unmillfürlid^  aber  ganj  folgercd^t  uerbinbct  Sababic 


252 

mit  ben  Slntocifungcn  jur  SWcbitation  bte  Slufforbcrunfl  jur  ©n* 
famfeit.  3n  einem  ftillen  unb  cinfamen  Sebeit,  mo  ba^  @emut^ 
burdi  t)icle  ©efc^öftc  nic^t  jerftrcut  toirb,  t)at  man  bcffer  3^it  gu 
lefen,  ju  beten,  auf  fein  ^erj  ^d)tung  p  geben  unb  baffelbe  in 
bie  ©tiUe  ju  bringen,  al^  n)enn  bie  Slmt^forge  ber  @orge  für 
btc  @eete  nac^t^eiUg  mirb.  Qtoax  ^at  auc^  baS  einfamc  £e6en 
feine  @cfa^ren;  ed  bcförbert  leidet  ben  üRilgiggang,  bie  9la(^läfftg^ 
feit,  bie  3^flt)<^ftigteit.  Sllfo  im  SlUgemeinen  fann  ed  nic^t  borauf 
anfommen,  fid^  förperlic^  bon  ber  SBelt  jurüdjujie^en ;  inbeffen 
bie  gegenmärttge  S^^tlage  ift  fo  ücrberbt,  bag  man  ftc^  faft  bogu 
entf^tiegeu  möd^te.  Slber  inbem  bie  geiftige  (Entfrcmbung 
gegen  bie  SEBelt  bie  ^auptfac^e  ift,  fo  ift  ein  n^o^lgeorbneted 
^auSmefen,  baS  ben  @inn  ber  äBelt  nid^t  tfat,  eine  fc^öne  8rt 
eines  c^rifttic^en  J^lofterS!  SDaS  alfo  ift  baS  Sbeal  Don  2a^ 
babie.  tiefer  fatf)olifd^e  ©efic^ti^freiS  n)irb  auc^  noc^  burc^  on^ 
bereS  bejeic^net.  Wlan  barf  nämlic^  neben  bem  @ebiete  ber(Son* 
templation,  in  toelc^em  ber  @läubige  ftd^  ber  93ertrau(td^feit  mit 
©Ott  erfreueu  ttJiU,  nic^t  ben  Äbftanb  überfe[)en,  ttjelc^er  in  anberer 
^ejie^ung  unb  für  anbere  3)ebingungcn  j^mifc^en  bem  ©laubigen 
unb  ©Ott  aufredet  erhalten  toirb.  ^d)  meine  bie  fogcnonnte 
ÄlinbeSfurc^t  t)or  ©Ott,  meiere  tt>cfentlic^  auf  bie  ©d^cu  gcftimmt 
ift,  ©Ott  burc^  fünbige  ^anblungen  ju  beleibigen  ^).  Sababie  ^at 
biefem  ©ebanfcn  in  bem  für  feine  ©emeinbc  in  SKibbelburg  bc* 
ftimmten  „§anbbud^  ber  grömmigleif  StuSbrucf  in  einem  @e* 
betömuftcr  gegeben.  Äatbolifc^  ferner  ift  in  ben  Saintes  d^cades 
bie  Slnnal^me,  baß  bie  Öufetöränen  neben  bem  Ölute  C^rifti  jur 
©ü^nung  ber  ©ünben  gereichen,  fo  ha%  man  gemafd^en  ift  burc^ 
bie  X^röncu  unb  baö  SJlut.  Vlud^  bie  üon  Sababie  betonte,  unb 
t)on  ?)i)on  unb  ber  ©ct)urman  übernommene  Serftellung  öon  bem 
l^eiligen  Scben  al«  Opfer  Ijat,  obgleid^  fie  üon  ©aloin  111.  7,  1 
vertreten  ift,  öor^errfd^cnb  fatl)olifc^e  g^rbe.  2)aö  ge^t  fo 
n)eit,  ba§  bie  ©d^urmaa  in  bem  %obt  Sababieö  i^n  aU  ein  Opfer 
©otteö  ertcnnt,  in  iüelcl)em  gemäß  feiner  burc^gel^enben  Sladj* 
a^muug  ßtjrifti  auc^  beffen  Opfer  fid)  anjc^aulid^  gemacht  ^abc*). 

1)  Thomas  Aquin.  Summa  theol.  P.  II.  2.  qu.  19.  Sgl.  2e(re  bei 
9le4tf.  u.  SBerib^nung  III.  S.  152. 

2)  Eucleria  P.  IL  Cap.  I,  8.  ^Teinltc^  cap.  II,  8:  Elisabeth  Slaj-ter 
agni  instar  se  deo  exhibuit,  ridcnti  vultu  atque  animo  placido  mortem 
amplexa. 


253 

(Bnblid^  cntl^ält  i>ai  ,,^ani>bud)  bcr  grömmigfeit"  nod&  bie  Jpin* 
toeifung  barauf,  bog  bie  Serfd^iebenartigfett  ber  33lcn\ä)cn,  toeld^e 
5ur  Sontcmptation  bettjogcn  tDcrbcn  follcn,  befonbcrc  ©eelcnfü^rer 
nöt^ig  mad^c.  ®oi^  ift  eine  ©tettung,  toddjc  über  bog  bcid^t^ 
üäterlic^e  SSer^ältnig  ^inaudge^t  unb  Don  ben  SBebingungcn  bed 
^lofterlebend  entlehnt  ift. 

aber  tüie  ift  eö  möglid),  biefe  ©runbfäfee  mönd^ifc^cn  fie- 
beniS  unb  mönc^ifc^cr  ©eifteögenüffe  unter  reformirtcn  Sänften 
geltenb  ju  mad^en,  n^elc^e  bod^  auf  bie  (Erfüllung  i^rer  meltüd^en 
JBerufe  angeroiefen  finb?  S)iefe  grage  ift  öon  fiobabie  unb  t)on 
ber  ©c^urman  nic^t  unbeachtet  getaffcn.  gür  bie  (entere,  meiere 
fic^  bem  ^o^en  S^wge  ber  mt)ftifc^en  SJerfenfung  in  ®ott  über* 
^aupt  nic^t  angefd^loffen  f)at,  fiel  ed  nid^t  fc^mer  bie  !äababiftif^e 
Se^re  t)om  ©abbat  ba^in  ju  beuten,  bag  bie  Siebe  ju  @ott  auc^ 
alle  SEBerfe,  luel^e  jur  l£rl)altung  bcS  fiebernd  btenen,  al^  Wxittl 
jur  (S^re  ©otteö  auspräge,  mel^e  ben  3Renfd^en  nidE)t  beflerfen 
unb  feinen  Xag  entheiligen,  unb  bag  bie  ^anblungen  ber  (S^riften, 
alfo  audö  i^re  Arbeit,  ni^t  nac^  i^rem  ©toff,  fonbern  nac^  i^rer 
gorm  ober  i^rem  groecfe  ^n  beurt^cilcn  finb  *).  ßababic  aber, 
im  britten  Steile  bcr  „^rajiö  be«  jweierlei  ©ebetcd",  folgert  aug 
bcm  @runbfage  bed  unaufl)örlic^en  Setcm^,  bag  eg  nir^t  barauf 
ontomme,  in  allen  unferen  SBerlen  ben  ©cift  ju  baucrnber  Eon* 
templation  gefpannt  ju  galten,  um  jeben  ^ugenblidC  actueQ  an 
©Ott,  fein  ©efcfe  unb  feine  ^errlic^feit  ju  beulen.  S)enn  fo  »enig 
man  ben  ^immel  unb  bie  @rbc  ju  gleirf)er  Qdt  mit  ben  9lugen 
ju  befd^auen  unb  an  jmei  ^inge  jugleic^  ju  benfen  t)ermag,  fann 
c^  gelingen,  fein  ^er;;  gleidijeitig  auf  ben  $immel  unb  auf  ir^ 
bifd^c  3)ingc  ju  rid^ten.  (Sr  befd^ränlt  fid^  alfo  barauf,  baß  man 
in  ben  irbifc^cn  ©efc^äften  @ott  im  allgemeinen  jjum  ßwedE 
fc^n  folle;  bcnn  bie  Siebe  t^ut  häufig  t)iel,  o^nc  t)iel  ju  re  = 
f  lectiren.  Unter  bicfer  öebingung  erfüllt  mau  aud)  bie  un^ 
unterbrochene  @cbetggemcinfcf)aft  mit  ®ott.  Unb  ?)t)on  in  bem 
,,3Beg  jum  ^immel"  erllärt,  bie  ^Bereinigung  ber  ©eele  mit  ®ott 
burc^  S^riftui^,  al!^  ber  ®runb  beö  ganjen  übernatürlichen  Scbeng 
bcr  ©laubigen  erftredEe  fic^  t)iel  toeiter  aU  auf  bie  SKebitation; 
eS  fei  oielmel^r  eine  grobe  Unmiffen^cit  ju  meinen,  bag  man  ®e* 
meinfc^oft   mit   unb  Zutritt  ju  ®ott    burc^  S^riftu^  nur  1)abt, 


1)  Eucleria  P.  I.  Cap.  IV,  29.  31. 


254 

toenn  man  in  ©d)auunfl  begriffen  ift  unb  mebitirt.  Der  ®Iqu6c 
mu6  im  ©runbe  bcö  §crjcn^  mit  ber  Siebe  Derbunben  fein,  unb 
man  mug  biei^  befennen  fönncn,  menn  eS  erforbcrt  n)irb:  aud^ 
ber  actucüc  @cban!e  baran  ift  flut  unb  nüftlic^.  ?lber  e^  wäre 
nic^t  gut,  bag  bie  @eete  burd^  eigene  ISbfic^t  unb  ©emalt  ftc^  ju 
bcm  actuellen  ©ebanten  jminge.  Um  auf  einem  äBege  üoronjU' 
fommen,  ift  ed  nid^t  nöt^ig  ftctd  baran  ju  beulen,  bag  ber  SBeg 
ber  redete  unb  einzig  jmedhnägige  fei;  e^  genfigt,  bag  man  mit 
bicfem  @ebanfen  ben  äBeg  eingefd^lagen  [)at,  auf  bem  man  ft^ 
ben)egt.  2)ie  2Baf)r^eit  ber  @emeinfd^aft  mit  S^riftui^  pngt  alfo 
ni(4t  an  ber  äleflejrion  barauf,  unb  am  @effi^I  baüon;  man  fann 
bie  SSial^r^cit  bauon  aud^  o(}ne  ben  ©efd^madC,  ba^  @effi^(  unb 
bic  @c^auung  bauon  befi^en.  (Sr  ertlärt  mie  bie  ©c^urman 
(@.  248),  unb  fommt  barin  auf  bie  allgemein  reformirte  SLnftd^t 
jurücf,  büß  ber  ©laube  nic^t  erft  im  ©cfü^l  ber  SSerfic^erung 
gegenwärtig  ift,  unb  ha^  mau  bie  9ted)tfertigung  ber  (Srmä^lten 
ni^t  an  bie  gefu()lte  ^ejeugung  ber  Siebe  ©ottdS  in  S^riftud, 
unb  ba6  S^riftuö  für  mic^  bcfouber«  geftorben  fei,  fnupfen  bürfe. 
2)enn  ber  §err  fann  nad^  feinem  Sclieben  fold^en  Iroft  unb 
greubc  Dcrlci^cn,  unb  lieber  baö  @egentt|eil  ber  IroftlofigWt 
unb  3}etröbui§  fjerbeifü^ren '). 

SBüI)er  Sübabie  feine  ÜÄ^ftif  gefd)öpft  ^at,  berührt  er  in 
bem  brüten  I^eil  ber  „^rajiö  bcö  jtpeierlei  ©ebetd".  Cr  neunt 
©c^rtften  beö  2)ion5fiuö  Streopagita,  be«  §ugo  üon  ©t.  S8ictor 
unb  SBern^arb'^  ^rebigten  über  ba^  ^o^elicb.  3)a6  bie  leitete 
QucBe  bie  mic^tigfte  für  i^n  gctücfcn  ift,  bett)eifen  beutlit^  bie 
93csic[)ungcu  auf  \>a^  ^o^elicb,  \vdö)c  feine  ©c^ilberungen  beö 
^ö^cpunft^  ber  Kontemplation  begleiten.  Diefei$  aUe^  ^at  er  in 
feiner  fat^olifc^en  Seben^epodic  ober  üielme^r  innerhalb  feiner 
Scljrjcit  im  Sefuitenorben  ermorbeu.  SBeu  barf  biefe  SBc^auptuiig 
befremben?    Die  Kontemplation   ift  nun   einmal   bie  fat^olifd^ 


1)  3n  ber  Leere  van  den  h.  doop;  Generale  aen merkin j|ren  over 
het  bock  van  D.  Koelmann  (Historisch  verbaal)  S.  140  erfifirt  ^oon  fiber 
fiababie'S  mt^fttfc^e  gfotmeln  Don  ber  (Einigung  mit  ®ott,  bag  bteMben  fel^r  be« 
Ucat  feien,  bag  $ie(e  {te  migbrauc^t  b^ben,  bog  man  Don  tbnen  (einen  getoS^n« 
lieben  ®ebrau(b  nmcben  fo0,  unb  baft,  toenn  man  ni(bt  befonbere  Sfreibett  tiom 
i^errn  l^ahe,  um  ftcb  ibter  3u  bebienen,  e§  beffer  fei  fi4  i^ret  )u  ent« 
balten. 


255 

gorm  bcr  grömmigfeit,  mag  fic  nte^r  finnlid^  ober  mcl^r  geiftig 
fein,  in  SReflejion  ober  Sifion  beftetjen,  in  ber  Siirtjtung  auf  bie 
Srlöfung  burd^  S^riftud  unb  feine  ä&unben  ober  auf  bie  SSer« 
borgenE)eiten  @otte^  fic^  bewegen,  jur  Sonftatirung  ber  eigenen 
©ünben  bienen  ober  ben  iD^enf^en  t)on  feiner  gefd^öpflic^en  9iid^^ 
tigfeit  überfütiren;  in  allen  biefen  Spielarten  erftrebt  fie  bie 
@e(ig{eit  um  in  berfelben  au^uru^en  ober  auc^  um  fid^  }u 
ben  @efc^äften  beS  fieben^  ju  fräftigen.  Sind)  bie  ^römmigteit 
bed  3gnatiu^  t)on  fio^o(a  mar  eontemplatit),  benn  er  felbft  ^at 
bie  l^öl^ere  ©tufe  bcr  SSifion  erreicht.  3)ie  Slnleitung  aber,  meiere 
er  in  feinen  Exercitia  spiritualia  ertt)eilt  ()at,  orbnet  bie  mög^ 
lic^ft  finnUd^  gehaltene  Kontemplation,  unb  ben  in  i^r  ju  er« 
ftrebenben  ©enufe  ber  Untuft  unb  bcr  ßuft  bem  prattif^en 
3wec!e  eineö  ju  faffeuben  ober  ju  erftaltenben  ßebenöentfc^Iuffcö 
unter.  2)er  Sefuitenorben  ^at  fid^  barum  ber  eigentlich  mt)ftifd^en 
(Kontemplation  nac^  ber  SD?et{)obe  einei^  ÜBern^arb  nic^t  t)er« 
fd^loffen;  fd^on  feine  uniuerfaleXenbenj  mad^te  biefed  notI)menbig; 
man  ^ätte  fic^  mit  bem  mert^t^oUften  unb  am  meiften  c^araN 
tcriftif^en  (Elemente  beS  ^at^olict^mud  übermorfen,  menn  man 
nid^t  jene  SDtet^obe  ber  f^römmigfeit  überhaupt  anerfannt  unb  im 
eigenen  ©ebiete  jugelaffeu  tjättc.  S)ie  fpanifc^e  SRepriftination  be^ 
ftatt)olicidmud,  meldte  aud  bem  enbgfiltigcn  @iege  ber  fat^olifd^en 
jiönige  über  ben  3^lam  entfprang,  unb  burd)  bie  93ilbung  bei^ 
3cfuitenorben^  fid)  jur  SBeltmad^t  erl)ob,  ^at  auc^  ber  SJi^ftil 
einen  neuen  ^uffc^mung  Derlie^en.  SS  ift  nun  gänjlic^  un- 
benfbar,  bag  ber  Orben  fic^  uon  t)orn^erein  gleichgültig 
ober  able^nenb  gegen  biefeS  (Element  fat^olifd^er  f^römmigfeit 
ücrftalten  ^ätte.  Sielmet)r  finb  SDiitgtieber  beffelben  aud^  in  \>tn 
Sfiei^en  bcr  quietiftifd)en  ©d^ule  ber  äR^ftif  anjutreffcn.  3luc^ 
Sababie  giebt  feine  S(ngel)örigfeit  ju  biefer  9lic^tung  beutlid^ 
ju  ertennen,  inbem  er  baö  mortlofe  innere  GJebet  im  Untcrfd^iebe 
uom  93itten  al^  Dag  Organ  bcr  Kontemplation  unb  bie  uöllige 
(SJclaffcn^eit  in  &otic^  SBiüen  ald  baö  ßicl  ber  ©eligteit  in  (Sott 
bejeid^net  ^at.  ^ie  (Sntfc^eibung  beS  ^efuitenorbenS  gegen  ben 
Duietiömud,  meldte  burc^  ben  1675  erfc^ienenen  „©eiftlic^cn  SBeg* 
tDcifcr"  öon  äWi^ael  aJiolinoö  ^eroorgcrufen  mürbe,  fäÜt  über* 
^aupt  nit^t  mef)r  in  bie  Äeben^scit  ßababic'S;  in  feiner  tat^o« 
Itfc^en  fiebenSepoc^e  alfo  ^at  er  megen  feiner  mt)ftifd^en  lieber- 
jeugungen  (eine  Snfed^tung  ober  ©törung  erfahren  tonnen. 


256 

3.  SBarum  nun  biefcr  SScrtrctcr  ber  fatl^olifd^cn  ^^öntmig- 
fcit  im  ©cbictc  bcr  rcformirtcn  Stix6)c  jum  ©ectcnftiftcr  gen^orbcn 
ift,  crgicbt  fid^  auö  feiner  ße^rc  öon  ber  Äird^c.  SBenn  bie  Äin^e 
atö  aied^t^gcmeinfd^aft  aufgefaßt  tüirb  (externa  communio),  fo 
fann  man  in  i^r  bic  religiös  qualiflcirtcn  SWitglieber  öon  ben 
anberd  gearteten  nid^t  untcrfd^eiben.  3h  einer  fianbc^Krc^c  öcr^ 
fäl^rt  man  bemgemäg  fo,  bag  man  \id)  aDer  abfid^tlid^en  %0X' 
fc^ung  nad^  bem  religiöfen  S^arafter  ber  einj^elnen  ^irc^engliebcr 
ent()ält,  menn  fie  burd^  baS  93efenntnig  unb  bie  gjeid^geltenben 
§anblungen  fo  wie  burd^  unanftögigeö  ßeben  i^re  Uebcrcinftim^ 
mung  mit  bem  rechtlichen  ©cprage  ber  Äirc^e  bcn)ä^rcn.  SBcr  in 
biefem  ifreifc  wiebergeboren  ift,  ober  roie  (Sincr  baju  gelangt, 
ftellt  man  ®ott  anljeim,  inbem  man  glaubt,  bag  bie  ©nabcnmittel 
in  ber  iHrc^c  @ott  baju  bienen,  ©emeinbe  ber  ^eiligen  ()en>orsc 
jubringen  unb  ju  er{)alten.  ßababie  unb  feine  @enoffen  finb  nun 
üon  i^ren  ®egnern  ali^  Vertreter  bciS  ©a^o^  in  ?lnfpnic^  ge^^ 
nommen  n^crben:  Ecclesiam  nullam  esse  veram,  nisi  in  ejus 
coetu  etiam  externo  solos  foveat  Christianos  ac  regenitos. 
®iefc  ?lnfid)t  fnd^en  fic  jeboc^  öon  fic^  abjule^ncn ').  ©ic  er* 
flären  nämtid),  bag  fie  in  bem  äugern  red^tli^en  äJerbanbc  ber 
^ird^e  mit  bcn  SBiebergeborencn  jufammenfaffen  bie  einfa^en 
ßu^örcr  bcr  ^rcbigt,  ferner  folc^e  ©finber,  meiere  einen  ßu%  ju 
®ott  JU  Ijaben  Defennen,  bereu  SBuge  jebocf)  erft  geprüft  locrben 
mug,  enblid^  bic  Unroiffenben  alö  Äatec^umenen.  (So  ift  flar, 
bag  btefe  Deutung  ber  firc^lid)en  9lecf)t^emeinfc^aft  üon  ber  in 
ber  Sanbcigtird^e  üblichen  locfentlid^  ücrfc^icbcn  ift.  3)ic  angc» 
gebcnen  brei  Älaffen  njerben  alö  eine  ©ruppe  öon  93ercc^* 
tigtcn  in  ber  iJirdje,  aber  uon  minber  Söered^tigten  aW 
bic  bcfanntcn  SBiebergeborenen  anerfannt.  Sigentltc^  alfo  mtb 
bnxdj  biefe  Sluöfunft  bcr  ©aft,  ben  bie  ßababiften  öon  fid^  ab» 
lehnen  moQcn,  al^  il)rc  SDteinung  beftätigt.  ^enn  als  bie  minber 
SJcrecfitigtcn  mcrbcn  biefe  Älaffcn  öon  Slfpiranten  cbcnfo  beftimmt 
t)on  ben  uoll  bered^tigten  SBiebergeborenen  getrennt,  aU  mit 
i^nen  jufammcngefagt.  3)ie  SRcinung  bcr  ßababiften  ift  nämlic^, 
bag  man  bie,  meldte  miebergcborcn  finb,  unb  bic,  meldte  cö  nid^t 
finb,  genau  untcrfd^ciben  lönnc.  3ubcm  deiner  ein  wal^rer  S^rifl 
ift,  mcldjcr  nic^t  bcn  ©eift  S^rifti  ^at,  unb  inbem  bie  ^rc^e 
aus  allen  ben  ffiinjctnen   befielet,  »eld^e  ben  @eift  ^aben,   fo 

1)  Veritas  sui  vindex.     Declaratio  fidei  p.  71. 


257 

bleiben  ^btn  bie  aEBirlungcn  bcö  ©eifteg  nid^t  verborgen;  bie 
©laubigen  finb  bad  fii^t  ber  S33eU  unb  finb  rate  bie  ©tabt  auf 
bem  Serge,  ©iefer  @ett)iJB^eit,  ba§  bie  aSiebergeborenen  aU 
fold^e  erfennbar  finb,  entfpric^t  \>a^  3^^^^"^"'  ^^B  ^^^  ^^^ 
bicjenigen  aUbalb  conftatiren  raerbe,  meiere  atö  ßeitgläubige 
ober  ald  ^eud^ler  iufallig  auf  {)eimlici)e  SBeife  fic^  unter  bie 
äSSicbergeborencn  gemifci)t  {)aben,  unb  bag  man  allen  SSerge^en 
auf  bie  ©pur  fontmen  raerbe,  bur^  raeld^e  ein  SBiebergeborener 
ber  Sjccommunication  t^erfäUt,  bid  er  Suge  getrau  ^at.  Snbem 
bie  fiababiften  bie  Jlirc^e  ^ienac^  ju  reforntiren  beabfic^tigten. 
famen  fie  bod^  barauf  ^inaud,  bag  bie  ^ir^e  in  ISinem  atö  bie 
religiöfe  ©emeinbe  ber  actit)  ^eiligen  unb  ald  bie  rec^tlidje  @e« 
meinbe  ber  aSicbcrgeborenen  eingerichtet  werben  foHtc.  §ieju 
mürben  bie  ^fpiranten  einen  Sln^ang  üon  niinber  SSered^tigtcn 
bilben,  meldte  atö  folcf)e  aud^  nur  beibehalten  werben,  fo  lange 
fic  Äu^fid^t  geben,  ate  S33iebergeborcne  aufgenommen  ju  »erben. 
S)iefc  aufißt  üon  ber  djriftlic^en  Äird^c  entfprid^t  aber  nur  bem 
£t)pud  ber  äRönc^^gemeinbc  mit  i^ren  9looi2en,  ober  fie  con^ 
ftituirt  im  ©ebiete  \>c^  5ßrotcftantiömu^  bca  Segriff  ber  ©ecte. 

SRic^tg  bcfto  weniger  beruft  fic^  ßababie  für  feine  Änfi^t  öon 
ber  Äircfte  auf  bie  ^eilige  ©c^rift  unb  auf  bie  93elenntni§fc^riften 
calüiniftifc^er  ^erlunft.  I£i^  ift  ja  flar,  ba§  bad  91.  X.  nur  bie 
religiöfe,  nic^t  aud^  bie  red^tlid^e  Sorfiellung  Don  ber  ^irc^c  bar^ 
bietet,  bafe  e^  alfo  neutral  ift  gegen  biejenige  ©iftinction,  toeld^e 
firfj  unfercn  ^Reformatoren  not^menbig  ma^te,  um  i^rcn  @cgcn* 
fa^  gegen  bie  römifdEje  S(nficf)t  oon  ber  £^ird^e  aui^ubrücfen.  üa^ 
babie  brauchte  be^^alb  nur  alle  biblifc^en  $räbicate  ber  Jlird^e 
burc^juge^en,  bid  auf  bie  herunter,  rael^e  bad  $ot)elieb  barju^ 
bieten  ft^eint'),  um  feinen  ©aß  ju  bemeifen,  ba§  in  bie  Äird^e 
fein  Ungläubiger  unb  Unroicbergeborencr  eingered^nct  merbe.  Unb 
Dtion  fonnte  mit  ben  3Ritteln  bed  Soccejud  ^injufügen,  bag  baiS:^ 
felbe  au^  auö  bemSBegriffe  bed  neuen  Sunbe^  folge  ^).  SBid^tiger 
ift  e«,  baS  ßababie  unb  feine  ©enoffen  aud^  bie  caloiniftifd)en 
SSefenntnigf^riften,  bie  ©aHifd^e,  Sclgifcfie  unb  jmeite  ^etoetifc^e 
ffir  i^re  SReinung  in  Slnfpruc^  nel)men.  Unb  menn  man  bie  oon 
i^nen  angeführten  ^rtitel  berfelben  mit  einiger  Slufmerffamfeit 


1)  Le  discemeroent  d'une  veritable  eglise. 

2}  Religionis  ohristianae  essentia  patefaota  p.  173. 

I.  17 


258 

bctrad^tct,  fo  lägt  fid)  nic^t  leugnen,  bog  ^icr  bte  rcformirtc  $ar* 
ticulartird^c  mit  ganj  cmpirifd^en  ÜKcrImalen  befd^rieben,  unb 
baß  ju  biefcr  lüa^rcn  Äird^e  bie  ©laubigen  nid^t  o^nc  ba^ 
üRerfmal  ber  fittlic^en  äctiöität  gercd^nct  lüerbcn*).  ©ic^cud^ler 
unb  SRcpro bitten,  beren  Sermifc^ung  mit  ben  ©laubigen  ate 
3;t|atfac^e  eingegeben  ttjirb,  ttjerben  bo(^  eben  t)on  ben  ©laubigen 
unterfd^ieben,  alfo  t)om  begriffsmäßigen  Seftanbe  ber  Äirc^c  aui^ 
gefd^loffen.  3)ie  ßababiften  ^abcn  alfo  im  Sinflang  mit  biefcr 
befenntnigmägigcn  Se^re  e^^  unternommen,  fid)  als  bie  Äird^e  ju 
conftituircn,  beren  iDiitglieber  ©laubige  n)ären,  ttjel^e  in  i^rcr 
Unterwerfung  unter  ©otteS  SBort  unb  in  itjrer  XluSübung  ber 
wahren  SSeligion  jugleic^  bereit  finb,  im  fittlic^en  ßeben  gort^ 
fcf)ritte  ju  machen  unb  nac^  ©elegen^eit  baö  3oci^  ber  lirc^ü^cn 
©iöciplin  auf  fid|  ju  nehmen.  ®ie  ßababiften  roiberfpred^en  i^rcn 
©egnern,  ttjelc^e  biefe  unb  bie  analogen  Slrtitcl  in  ben  anbcrcn 
Setcnntniffen  auf  bie  unfid^tbare  Äird)e  bejie^en,  mit  DoBcm 
9ie^te.  2)ur^  bie  angefül)rten  3lrtitel  ift  bad  9ied^t  ber  Sabö* 
biftifd^en  ©ectcnbilbung  öoKtommen  gebedt. 

Slber  bie  Setjr«  t)on  ber  fiird^e  in  ben  bejeic^neten  6on< 
feffionen  ift  burd^  biefe  Strtitel  nidt)t  erfd^öpft;  auö  biefem  ©runbe 
^at  baö  ben  ßababiften  eben  gemad^te  3"9cftänbni6  ntd^t  ben 
©inn,  bag  bie  ßef)rc  öon  ber  Jiirc^e  in  ben  calöiniftifc^en  Sc* 
tenntniffcn  not^ttjcnbig  ber  Scctirerei  bie  SBege  ba^ne,  welche 
Kalmn  fel)r  entfc^ieben  äurüdgemiefen  l^atte  (@.  79).  35ic  Sirene 
aU  ©egenftanb  beö  religiöfen  ©laubenö,  als  not^ujenbigeö  ©lieb 
in  ber  et)angelif^en  ©efammtanfdjauung  uom  $eil   ift  ju  beut« 


1)  Conf.GaH.  25  (in  Der  ?ru§0Qbe  öon  Diieme^cr  pnb  25.  unb  27.  in- 
tpmllci^  )}ertaujd)t).  Crcdimus  summo  studio  et  prudentia  discernendam 
esse  veram  ecclesiam  .  .  .  Itaque  affirmamus  ex  dei  verbo,  ecclesiam  ewe 
fidelium  coetum,  qui  in  verbo  dei  sequendo  et  pura  religione  colenda 
conscntiunt,  in  qua  etiara  quotidie  proßciunt  cresccntes  et  confirmantes  se 
mutuo  in  dei  tiniore,  sicut  etiam  necesse  est,  ut  progressus  faciant  et 
semper  magis  ac  magis  progrediantur.  Minime  tarnen  iniiciamury  quin 
iidelibus  hypocritae  et  reprobi  multi  sint  permixti,  quorum  tamen  ma- 
litia  ecclesiae  nomen  delere  non  possit.  Art.  26.  Credimns  .  .  .  omnibus 
simal  tuendam  et  conservandam  esse  ecclesiae  unitatem,  sese  communi 
institutioni  et  iugo  Christi  subiiciendo,  ubicunque  deus  veram  illam  dis- 
ciplinam  ecclcsiasticam  instituerit.  Uebereinftimmenb  Gonf.  Belg.  29.  Uelv. 
post.  17  (Niemeyer  p.  502). 


259 

t[)eitcn  nad^  bem  ftebcnten  Ärttfcl  bcr  Äugöburgif^en  Sonfeffton, 
tocl^cr  üor  bcr  bcfinitiöen  ©c^ctbung  jioifd^cn  bcr  Sicformation 
unb  bcr  römif^cn  Äirc^e  aufgcftcHt  ift,  unb  bcgl^alb  bcn  notl^* 
tocnbigcn  UniücrfaliiSmu^  bcr  SorftcHung,  and)  in  SBcjicI^ung  auf 
bic  jcitUd^c  unb  räumliche  ©jiftenj  bcr  Äird^c  fidler  ftcQt.  ®ic 
Äirc^c,  n)cld)c  man  aU  bic  bcr  ©rlöfung  burd^  E^rtftuö  corrctatc 
@cfanimtn)trfung  glaubt,  innerhalb  bcrcn  jcbcr  @(äubigc  atö  fold^cr 
feinen  ß^fönimcn^ang  mit  allen  anbcrcn  burd^  äße  ß^it^n  unb 
9laumc  jj«  finbcn  gcn)i6  ift,  ift  bic  ©cmcinbc  bcr  ©laubigen, 
n)clc^c  ^crt)orgcbrad^t  n)irb  burd^  bic  @nabcnoffcnbarung  in 
S^riftuS  unb  an  bcrcn  f^ortbaucr  in  bcm  SBort  @ottc^  unb  bcn 
©acramcntcn  erfennbar  ift.  Qixi  richtigen  ffiintjcit  bcr  Äirc^e  ge* 
nfigt  neben  bicfcn  ^anbtungcn  ober  üiclmc^r  über  i^nen  bic 
pura  doctrina  evangelii,  bic  äScrfünbigung  beS  ri^tig  Der« 
ftanbencn  ©nabcnmiHcm^  @ottcS,  bcrcn  SBaltcn  t)on  je^cr  in  ir« 
gcnb  einem  üRa^c  üorauögcfcfet  n)crbcn  barf.  S)icfer  3)cutung 
ber  ^r^c,  n^etc^c  man  notf)mcnbig  glaubt,  l^at  fi^  Sabin  ange^ 
f^Ioffen.  Dbgtcicf)  feine  ©arftcHung  bcr  fic^re  dou  ber  Äirc^e 
beffcr  georbnet  unb"  gcglicbert  fein  bfirfte,  fo  errei^t  er  nad^ 
einigen  {(nfägcn,  in  benen  er  bic  ^ird^c  aU  ©{aubcndgegcnftanb 
ju  beftimmcn  unternimmt,  gcrabe  bic  gormel  ber  ?lugöburgifc^en 
Sonfeffion  ^).  9(ber  inbem  man  fo  im  Urt^cil  bed  @(auben^  bad 
Dafein  ber  ^irc^e  an  bcn  bejeid^neten  9)2crfmalen  er!ennt,  ^at 
man  juglcic^  bic  ftttticfie  SScrpflid^tung,  fid^  an  ber  ^ird^c  t^ätig 
ju  bct^ciligen  in  bcn  ^cj^ic^ungcn  be^  @ottc^bienftcd,  bcr  £c^r« 
Überlieferung,  bcr  (Srjic^ung  bcö  nad^wac^fenben  ©cfd^tc^teiS,  ber 
öfonomifd^cn  Seiftungen  unb  bcr  mannigfa^cn  red^tti^cn  Drb^ 
nungcn,  in  benen  bic  Sircfic  juglcid^  t)on  il^ren  aWitglicbcm  ^cr^^ 
öorgebra^t  unb  alö  gcfd^i^tlid^c  ©röge  erhalten  n)irb.  3n  bicfcn 
SRcrfmalcn  ift  bic  Äirc^c  nic^t  birectc  SBirlung  ®ottc^  unb  Db^ 
icct  be^  ©laubcnö,  fonbern  ^robuct  bcr  ju  \\)i  gerechneten  üRem 
fd^en,  foioic  ©runb  jur  fittlid^cn  Verpflichtung  bcrfclben.  Sluf 
bicfcn  abgeleiteten  et^ifd^cn  ©egriff  Don  bcr  Äird^e,  njcld^cr  gegen 


1)  Inst.  ehr.  rel.  IV.  1,  9:  übicunque  dei  verbam  sincere  prae- 
dicari  et  aodiri,  ubi  sacramenta  ex  Christi  instituto  administrari  vide- 
inas,  illic  aliquam  esse  dei  ecclesiam  nallo  modo  ambigendum  est; 
qnaado  eins  promissio  fallere  non  potest:  übicunque  duo  aut  tres  con- 
gregati  fuerint  in  nomine  meo,  ibi  in  medio  eorum  sum. 


260 

ben  gtek^namigcn  rcügiöfen  Segriff  abgeftuft  ift,  t)at  nun  Galöin 
befonbcre  äufmertfamteit  gerichtet,  n)ä^rcnb  bie  lut^crifd^en  SBc* 
fenntnißfd^riftcn  fic^  auf  bcnfelbcn  ntd)t  cinlaffcn.  ßatoin  ^at 
baö  Sapitel  feines  2cl)rbuc^e!^,  ttjclc^cö  bcm  Segriff  öon  bcr 
^ird^e  getuibmet  ift  gleich  mit  ber  ^inn^eifung  auf  bie  et^ifc^e 
Sebcutung  unb  t)erpflicf)tcnbe  ©emalt  bcr  Äirc^e  aU  ber  992utter 
ber  GJtäubigen  eröffnet;  benn  er  erinnert  baran,  ba§  bie  reget 
mäßigen  äRängel  beö  ©lauben^ftanbcö  bicfe  ©rgänjung  für  jebcn 
nöt^ig  machen.  Snbeffen  nac^^er,  tüo  er  barauf  nä^er  eingebt, 
bag  man  burd^  brüberlic^e  Uebereinftimmung  bie  ^ird)e  in  bem 
üufecrlid^en,  b.  \).  ettjifc^en  ©inne  überl)aupt  ju  ©tanbc  bringt, 
behauptet  er,  ba§  biefe^  im  ©laubenöbelcnntniB  burc^  bie  gormcl 
sanctorum  communicatio  bejeid)net  fei,  obgleich  biefelbc  in  bem 
Xe£te:  credo  ecclesiam,  saDCtorum  commuuicationem  gerabe  aU 
©laubeniägegenftanb  unb  uid^t  aU  5ßrobuct  mcnfc^lidjen  ©eftrcbcnö 
bargefteKt  roirb.  Snblid)  berichtigt  er  freilid^  biefe  Deutung  felbft, 
ttJü  er  bie  Slbftufung  gmifc^cn  bcm  boppclten  ©inn  ber  kird)c 
mit  ber  Slbftufung  jtDifi^en  ©laubcn  unb  fittUdjcr  SScrpflic^tung 
in  SSerbinbung  bringt*). 

2)iefe  unfic^erc  Söe^anblung  be^  ©egenftanbc^  burd^  ßabin 
ift  nun  ber  ©c^lüffel  jur  ©rflürung  ber  Se^rc  öon  ber  fiirc^c, 
welche  in  bcr  ©allifdjcn  unb  ben  beiben  paraüctcn  Sonfeffioncn 
öorliegt.  3n  bem  oben  angeführten  Slrtitct  bcr  ©allifc^cn  Eon* 
fcffion  ujirb  biefelbc  Ungenauigteit,  tt)ic  Don  Ealoin  begangen. 
®er  cttjifc^e  SJegriff  üon  ber  Äirc^c,  bie  Slufgabc  für  bie  I^ätig* 
feiten  ber  ©laubigen  mirb  burd)  Credimus  aU  ©lauben^SartifcI 
eingeführt,  xoa^  er  nic^t  fein  lann ;  um  fo  meniger,  ba  er  beutlic^ 
auf  baö  particulare  ©cbiet  ber  rcformirten  Äirc^e  cingefc^räntt 
ift.  SBcnn  ia^  Umgctcfjrtc  richtig  märe,  alfo  njcnn  bie  ^er* 
ftellung  ber  Äirc^e  bur(^  bie  bcjcic^netcn  menfc^lic^en  Sptig^ 
feiten  jugleic^  biefelbc  alig  (yiaubcn^object  erroiefe,  bann  n)ürbcn 


1)  L.  c.  §  3.  Articiilus  symboli  ad  externam  quoqae  eoclesiain 
aliqiiatenus  (?)  pertinet,  ut  so  quisque  nostrum  ia  fraterno  consensu 
cum  Omnibus  dei  filiis  contineat,  ecclesiac  defcrat  quam  meretur  aucto- 
ritatem,  denique  se  ita  gerat  ut  ovis  ex  grege.  Atque  ideo  adiuDgilui 
Sanctorum  communicatio.  §  7.  Quemadmodum  ergo  nobis  invisibilem  solius 
dei  oculis  conspicuam  ecciesiam  credere  uecesse  est,  ita  hanc,  qaae 
respectu  hominum  ecclesia  dicitur,  observare  eiusque  communionem  oo- 
lere  iubemur. 


261 

bic  Sababifteit  im  JRc^tc  fein,  tuenn  fic  bic  ^ird^c  aU  bic  ®c* 
nteinfcfiaft  bcr  SBtcbergeborencn  mit  Söcfeitigung  bcr  9lid^ttt)tebcr? 
geborenen  ju  ©tanbc  bräd)ten.  SBcnn  ferner  ber  calüinifd^^refor* 
mirte  öegriff  t)on  ber  Sfirdie  auf  bie  angeführten  ©äfee  befc^ränft 
wäre,  fo  müßte  geurt^eilt  tuerben,  bag  ber  Salöiniömu^  über^ 
^aupt  bie  Äircf)e  al§  bie  ©ecte  fe|e  unb  birect  auf  biefelbe  l^itt^ 
fü^re.  35ann  aber  ift  nic^t  ju  begreifen,  baß  Saluin  felbft  an= 
bcrg  geurtl)eilt  ijat,  unb  baß  feit  ber  XtufftcHung  jener  Sefennt* 
niffc  über  ^unbcrt  3aöre  uerfloffeu  finb,  e^e  man  biefe  not^ttjen* 
bige  Folgerung  ttja^rgcnommcn  ^at.  3nbeffcn  bie  ^^atfad^e  ift 
bie,  ba§  tuie  in  Salöin'^  3;f)eologie,  ebenfo  aud^  in  ben  genannten 
brei  S8efenntni§fcf)riften  bcr  lutl^erifc^e  Segriff  uon  ber  Äird^e 
au^gefproc^en  ttjirb,  au^  mcld^cm  eine  @infd)ränlung  ber  ct^ifd^en 
Deutung  ber  reformirten  ^articularfircl)e  folgt,  ttjenn  man  an* 
nehmen  barf,  baß  ein  georbneter  ßwfömmen^ang  bcr  fic^re  uon 
bcr  Äircfie  beabfic^tigt  ift.  S(m  tpcnigften  beutlitf)  ift  bieö  freilid^ 
gcrabc  in  ber  ©aHif^cn  ßonfeffion  auögebrürft.  35enn  bier  njirb 
crft  in  Slrt.  28  unb  jujar  inbircct  ber  rein  religiöfc  (lutl^erifdie) 
SBcgriff  uon  bcr  Äird^c  eingeführt,  aber  gcrabc  in  ber  fritifc^cn 
©cjic^ung,  in  njelc^cr  er  urfprüngtic^  aufgcftcHt  ift :  Itaque  dum 
hoc  ita  esse  credimus  (nämlid^  bie  fittlid^c  Slufgabe  an  ber 
Äirc^c,  bie  9lütl)tt)enbigfcit  ber  3"^*  ""^  ^ic  beö  5ßrcbigtamtcö) 
simul  etiam  palam  atfirmamus,  ubiverbum  dei  non  reeipitur, 
nee  Ulla  est  professio  obedientiae,  quae  Uli  debetur,  nee  ullus 
sacramentorum  usus,  ibi  proprie  loqueudo  non  posse  nos 
iudicare  uUam  esse  ecclesiam.  Snbeffen  n)irb  burd)  bic  ^ier 
angegebenen  2Wer!maIc  bic  reformirte  SSolföfird^c  gegen  bic  Saba*: 
biften  gered^tfertigt,  jumal  bereu  SJertreter  bic  in  3lrt.  25  bc* 
jcic^netc  Slufgabe  nic^t  Verleugnet  ^aben.  SHcrbingö  ift  cö  fa* 
tal,  baß  biefe  mit  bem  Credimus  eingefüt)rt  ttjirb,  al^  roenn  fic 
rin  ©laubenöartifcl  tpärc.  Slbcr  inbem  bie  SJertreter  bcr  SanbciS* 
Krcftc  ba^  3Bort  Credimus  l^icr  tt)ie  in  einer  Mci^c  öon  anberen 
Ärtifcln  fad^gemäß  afö:  „SBir  adjtcn  unö  ücrpflic^tet"  uerftanben 
^aben,  ^aben  fic  fid^  bic  Kontinuität  ber  ^Reformation  bc« 
16.  3af|rl).  gefid^ert.  35ie  Sababiften  hingegen  I)abcn  burc^  bie 
toörtlic^e  Äuffaffung  be^  Scitmortcö  bicfen  3"f^"^"^^"^^^9  f^^^ 
fjc^  abgebrochen.  Unb  jttjar  finb  fic  mit  iljrcr  Stuffaffung  in  bie 
römif^c  Slnfic^t  jurücfgeglittcn,  baß  bic  ©laubcn^gcmcinfc^aft  in 
i^rcr  empirif^cn  reci^tlid^cn  Slbgrcnjung   bie  üirc^c  fei,   UjcI^c 


262 

man  ju  glauben  l^at.  S)enn  toenn  oud^  bie  ©d^urman  nur  6e^ 
l^auptet,  nostram  congregationem  veram  esse  Christi  ecclesiam 
particularemO,  fo  beult  fte  babei  barau,  bag  auger  ber  @e* 
meinbe  ju  3Bieutt)erb  au^  nod)  bie  gtetd^geftnnten  (Sont^entifel  in 
aimfterbant,  SRotterbam  uub  anbertoärt^  ju  bem  Scftanbc  ber 
rici^tigeu  Äir^e  ju  jä^len  finb.  3ubeffen  meint  fte  boc^  öon 
jenem  lebcnbigcn  Slbbitbe  ber  ©cmeinbe  ju  3erufalcm,  ba§  eS  bie 
tDa\)Xt  ^ird^e  S^rtfti  barfteQe,  nou  tum  numero  quam  rei  essen- 
tia;  sed  potest  granum  sinapi  in  magnam  arborem  suo  tem- 
pore excrescere*). 

SBag  an  bem  S^f^nimen^angc  ber  ©allifc^en  Sonfcffion 
na^getoiefen  ift,  bctt)ä^rt  fic^  aud^  an  ben  beiben  aubcren.  S)er 
29.  Art.  ber  Söelgifd^en  Sonfeffion  fü^rt  ben  et^ifd^cn  Segriff  ber 
Äird^e  uub  bie  banad^  bemeffene  Aufgabe  ebenfalls  mit  Credimus 
ein;  allein  ber  27.  SIrt.  fdt)idtt  ben  religiöfcn  SJcgriff  öon  ber 
jiir^c  üorauiS,  üon  bereu  93eftaube  ^ier  in  Uebereinftimmung  mit 
ber  Sinologie  ber  8[ugöburgifc^en  Sonfcffiou  gefagt  wirb,  bafe  pe 
ni^t  an  beftimmte  Dcrter  uub  5ßerfoueu  gebunben,  foubcm  fibcr 
bie  ganje  ffirbe  Verbreitet  ift.  2)affetbe  tuirb  t)on  ber  Helvetica 
posterior  17  im  (Singauge  atö  ber  ©iuu  beö  ©laubenöartifcte 
credo  ganetam  ecclesiam  catholicam,  sanctorum  communionem 
beicid^net,  bte  3)ouatiften  tpcrbeu  üerbammt,  qui  ecclesiam  in 
nescio  quos  Africae  coarctabant  angulos.  ^nä)  xoxxi  ^ier  )}er« 
micben,  bie  ©eftimmuugeu  be^  et^ifd^cu  Segriffö  üou  ber  Äird^, 
ober  bie  pofitiöcu  Äeuuäcic^en  ber  rcformirteu  Äirdie  al3  ®Iau* 
beuöartifel  einjufü^ren.  älfo  bie  ^Berufung  ber  üababiften  auf 
biefe  ©elenutnigfd^riften  ift  mit  bereu  bcutlic^  erfeunbarer  Slbftd^t 
nic^t  im  Siuftang,  uub  tpirb  burd^  ben  julegt  angeführten  @at 
gerabeju  \n^  Unrecht  gefegt.  Söciberfcit^  n)attct  eine  gauj  t)er* 
fd^iebeue  Slnf^auuug  t)on  bem  ©toff  ob,  welcher  in  ber  gorm 
Äird^e  ju  beuten  ift.  3n  ber  ffipoc^e  bcö  16.  Sa^r^unbert«,  aud^ 
uo^  in  ber  ffipigoueujieit,  tt)elcl)er  jene  Soufeffioneu  angehören, 
glaubt  man  auf  eine  Sict^eit  xoxxUid)  ©laubiger  uub  SBieber^ 
geborener  in  allen  ^articularfird^eu  rcdönen'ju  bürfcn;  aber  jU* 
glei^  barauf,  ba§  mau  biefelbcu  ui^t  mit  gingern  äeigcn  unb 
ni^t  aui^  i^rer  Umgebung  mit  bcu  ex  hypothesi  Ungt&ubigcn 
^erauöjie^cu  bürfe.    S)ie  ßababiften  aber  red^nen  Don  Dom  herein 

1)  Euoleria  P.  II.  Cap.  III,  4. 

2)  L.  c.  Cap.  III,  10. 


263 

auf  eine  nur  geringe  3^51  berjenigen,  njeld^e  fie  alö  aBtcbcr^ 
geborene  genau  conftatircn,  unb  Don  meldten  fie  bie  §eud)ler  unb 
^citgläubigen  meinen  abfonbern  ju  tonnen*).  3ft  ber  ©cgenfafe 
fo  ju  Derfte^en,  fo  wirb  fid^  fragen,  ob  hierin  eine  reichere  @r= 
fa^rung  gegen  eine  ungcgrünbete  Sorauöfefeung  roirtfam  tt)irb, 
ober  ob  fic^  ^ier  bie  petitio  principii  tunbgicbt,  toclc^e  erft  ber 
©rfa^rung  i^re  9iict)tung  Derlei^t.  2Jian  toirb  fic^  für  ba^  lefetere 
entfd^ciben  muffen.  ®enn  ob  man  üiele  SBiebergeborene  aU  \)0X' 
Ijanben  öorauöfcfet,  ober  ob  man  mcnige  ber  8[rt  finbet,  mürbe 
alö  oerfd^icbenc  ©rfa^rung  SJerfd^iebener  oieIIeicI)t  ©egenftaub  beö 
©treite^,  nic^t  aber  @runb  i^rer  Xrennung  fein.  3nt  öortiegenben 
galle  aber  erfolgt  eint'  Xrennung  fo,  bag  bie  beiben  ©treitenben 
fid^  gar  nic^t  md)X  gcgenfeitig  oerfte^en  lönnen,  meil  fie  a  priori 
über  ben  mögli^en  @rab  ber  ju  mac^enben  @rfat)rung  uneinig 
finb.  aBeil  bie  Sababiften  oorauäfcfeen,  bie  X^atfact)e  ber  SBieber:* 
geburt  alö  fold^e  burcf)  (Erfahrung  an  jebem  ©näetnen  erreichen 
JU  tonnen,  fo  red^nen  fie  auf  SBenige  uon  berSlrt;  meil  bieSScr* 
treter  ber  SJoltöfirc^e  auf  eine  ©rfaljrung  mit  jener  ^räcifion 
üerjid^ten,  glauben  fie,  baß  (Sott  oiel  mel)r  SBiebergeborene 
Icnne,  aU  bie  bcfc^räntte  ©tellung  eineö  menfc^lic^en  8ieobad)terg 
crreid^en  fann.  Aber  nä^er  angefeljen  ift  baö  Urt^eil  ber  fiaba* 
biften,  ba§  nur  SBenige  miebergcboren  feien,  nic^t  fomo^l  baö 
©rgebnig  i^rer  präcifen  8}eobacf)tung,  alö  oielmel)r  ber  @runb  ba* 
für,  ba§  fiebiefe  SBcobadjtung  überhaupt  für  möglich  acfitcn. 
3nbem  fie  bie  ilird)e  bloö  in  ber  gorm  ber  freien  ©efeüigfeit 
Dertoirllidjen  moKen  (©.  222),  fo  tonnen  fie  nur  auf  eine  bc^ 
fc^räntte,  leid)t  überfid)tlid)e  Qa\)l  oon  2;t)eilne^mern  an  i^r 
rcd^nen.  3n  biefem  g^ßc  aber,  melc^er  bemSerte^r  unter  greun^* 
ben  am  näc^ftcn  ju  oergleid)en  ift,  ift  eö  in  ber  Drbuung,  bag 
man  über  bie  fittlic^e  Dualität  ber  Slnberen  ein  fidt)ereö  Urtl)eil 
geminnen;  unb  oon  ben  ßuoerläffigen  bie  ß^i^Ö^äubigen  unb 
Jpeuc^lcr  allmä^lic^  unterfc^eiben  lernt,  ^a^  ift  für  einen  ge» 
reiften  Süienfc^en  gar  feine  fc^mere  Äunft!  2)emgemä§  aber  ift 
bie  (Erfenntni§  ber  ?lnberen  in  ber  tleinen  ©efellfdjaft  ber  Saba^ 
biften  nid^t  aU  eine  befonbere  rcligiöfe  Seiftung,  fonbern  nur  alö 
bie  allgemeine  fjolge  if)rer  engen  ©efelligfeit  ju  bctrad)ten.  3)ie 
Slnnal^me  it)rer  (Segner,  ba§  eö  oiele  SBiebergeborene  gebe,  meiere 

1)  Rel.  Christ,  esscntia  patofacta  p.  313  seqq. 


264 

ate  fol^c  ®ott  befannt  finb,  aber  bcr  räumltd^  unb  jcitlt^  bc» 
fd^ränftcn  Scoba^tung  unb  bcr  gorfd^ung  beö  äWenfd^cn  ftd^  cnt^ 
jie^cn,  ift  bie  rcligiöfc  Slnfid^t  uon  ber  ©ad^c.  hingegen  bcr  auS 
ben  allgemeinen  Scbingungcn  ber  freien  ©efelligfeit  entfpringenbc 
Änfprud^  ber  ßababiften,  bag  fie  bie  SBiebergeborencn,  toelc^c  bic 
Äird^e  bilben,  ate  foldie  pd^er  erlennen,  ift  ni^t  religiös,  fonbcm 
natürlich  unb  n)eltlid^.  ^eSliatb  erreicf)en  fie  aud^  t)on  8{cd^t^ 
wegen  bie  ©ecte  unb  nid^t  bie  Äird^e. 

4.  aber  inbem  fie  i^re©ecte  alö  bie  üonS^riftuö  gemeinte 
Äird^e  anfe^en,  fo  crllären  fic^  i^re  ©runbfö^e  über  ba^  Äbenb* 
ma^I  unb  bie  Saufe  (©.  228),  aud^  inbem  fie  jugleic^  5oIge* 
rungen  au§  bem  calüiniftifc^en  ©acramentdbegriff  finb.  3n  biefcr 
SRid^tung  njaren  ßababic  bie  SBcftrebungen  uon  ßobenfte^n  unb 
?[nbercn  entgegcngefommen.  ®a6  ßobenftetjn  fic^  bcr  SBerttKittung 
be«  aibenbma^lg  begeben  I)atte  (©.  184),  um  ba«  ©iegel  ber 
©nabe  nid^t  Ungläubigen  reiben  ju  muffen,  entfpra^  ber  Sliebcr^ 
länbifd^en  ßiturgie,  in  \odä)cx  bie  Ungläubigen  gemarnt  tocrbcn, 
bag  fie  nid^t  burd^  i^re  X^eilna^me  am  Slbenbma^t  i^r  @eri(^t 
unb  i^re  SJerbammnig  ficf)  crfdinjcren.  3)ie  ßababiften  l^altcn 
bemnad^  barauf,  baß  bie  sanctificatio  ern)iefen  fein  muffe,  tt)cnn 
@iner  baö  Slbenbma^t  empfangen  füllte.  ®ie  nieberlänbifc^e  ßi* 
turgie  begrünbete  ferner  bie  Xaufe  ber  ifinber  ber  Äird^englicbcr 
auf  bie  öeia^ung  bcr  t^xa^c,  ob  man  befennc,  bag  biefe  JHnber 
gläubiger  Gleitern  nad^  1  Äor.  7,  14  in  Sf)rifto  geheiligt  finb. 
3)enn  nur  bann  tpar  bie  Saufe  aU  ©iegel  beö  ©nabenftanbcö 
antpenbbar.  9lun  faßten  aber  ßobenftc^n  unb  anbere  ^rebigcr 
ben  ©Irupel,  bag  bie  Sinber  öon  ni^t  pofitiu  gläubigen  Seltcm 
nid^t  al^  geheiligt  angcfe^en  njcrbcn  tonnten.  Um  jebod^  bie 
Sinbertaufe  fortfeften  ju  fönnen,  öeränberten  fie  eigcnmäd^tig  bie 
öorgefd^riebene  fjrage  bal^in,  ob  man  betenne,  bag  biefe  jifinber 
gel)eiligt  ttjcrben.  üoelmann  ift  bafür  1675  t)on  feinem  Amte  in 
©luijg  burc^  ben  üRagiftrat  abgefegt  n)orben  (©.  184).  ßababic 
unb  feine  ©enoffen  aber  erlennen  an,  ba§  manche  Äinber  glau^ 
biger  Sleltern  alö  gef)ciligt  ju  betrad^tcn,  be^^alb  al^  ©lieber  bcr 
Äirdt)e  jum  (Smpfang  ber  Saufe  bered^tigt  feien  uub  erflärcn  fi(^ 
gegen  bic  abttjcid^enbc  Slnfid^t  Jgycinrid)  ©d^lüter^  ')•  ^'^f^  3)iffc* 
rcnj  l)ängt  offenbar  mit  ber  SBcrmcrfung  bcr  lababiftifd^en  I^coric 


1)  Veritas  sui  vindex  p.  78. 


265 

Don  bcr  @^c  burd^  bcn  Icfetcren  jufammcn  (©.  233),  welcher  eben 
nid^t  glaubte,  bag  bie  Äinbcr  SBiebergeborener  t)on  ber  @rb[ünbc 
frei  feien.  3ubeffen  ift  ja  fd^on  angeführt  (©.  229),  baß  aud^ 
bie  aWeinung  ßababie'ö  auf  bie  Scrfd^iebung  bcr  laufe  biö  jur 
S^oc^c  ber  actit)en  Heiligung  ^inau^Iief;  nur  beliebte  er  feine 
SBiebertaufe  berer,  roeld^c  überl)aupt  bie  laufe  aU  Äinber  em^ 
pfangcn  l^attcn.  SIuc^  hierin  bciuä^rt  ftc^  bcr  S^arafter  ber 
©ccte,  nadö  bcnt  ©runbfafte :  singuli  fideles  ecclesiae.  corpus  •" 
nniversum  constituunt  0-  3)enn  ber  Unterfc^ieb,  ttjeld^en  man 
gegen  bie  aEBiebertäufcr  feftju^alten  beftrebt  ift,  betrifft  nur  unter^^ 
flcorbncte  5ßunftc.  ©cmein  aber  ift  beiben  ber  @runbfa|,  bag 
nur  bie  actiuc  §eiligfeit  bcr  ffiinjeluen  bie  Äir^e  begrünbet. 

5.  ©nblid)  bie  3wfii"ft^^öffnung,  roddjc  fiababie  üertritt, 
ift  nit^t  birect  d^iliaftifc^.  @r  rcd^net  nämlic^  nic^t  auf  bie  fidit* 
bare  SDäieberfunft  S^rifti  jum  3^^^  l>er  in  Sluöfid^t  genommenen 
tjoHen  ÄuMbung  feiner  §errfd^aft  über  bie  Äirc^e  unb  bie  SBelt. 
SSielmc^r^)  xoxxh  bicfelbe  in  ber  güüe  ber  geiftigen  SBirfungen 
eintreten,  burc^  bie  93efef)rung  ber  3uben  unb  ber  Reiben,  burc^  bie 
aDgemeine  ^eiligfeit  unb  fiiebc  unter  ben  S^riftcn,  n)elcf)e  bann 
ja^Ireic^  in  biefer  Art  fein  werben,  burdj  i^rc  SJerbinbung  ju 
bcr  ffiinen  beerbe,  burc^  bie  Befreiung  ber  9Jatur  Don  ber  Äncd^t* 
fc^aft  ber  5Ric^tigfeit,  burd^  bie  Unterwerfung  aller  Kreaturen, 
alfo  auc^  ber  bürgerlichen  Orbnung  unter  ben  ÜKaftftab  S^rifti. 
6rft  na^  bem  Ablaufe  bcr  fo  au^gcjeic^netcn  ©cfd^ic^t^cpodie  foU 
mit  ber  fic^tbaren  ©rfc^einung  Elirifti  baö  ©eric^t  herbeigeführt 
roerben.  3)icfc  ffirwartung  ^ölt,  wie  man  fie^t,  bie  Sinic  inne, 
roeld^c  Socceju^  uorgcäei^nct  l)atte  (©.  144).  Durd)  i^n  ift 
allcrbingö  fiababie  nic^t  auf  biefe  ©cbanfcn  gebrad^t  worben, 
fonbem  ^at  fte  f^on  in  feiner  fat^olifd^en  Qcii  gehegt  (©.  205). 
3«^  toin  aud)  nid^t  auf  ber  SKöglidjfcit  befielen,  ba§  fiababie 
burc^  ßocccjuö  in  biefer  8lnfid}t  befonberö  geförbcrt  morben  ift. 
Dem  3bcal  ber  ©emeinbc  jiu  Scrufalem,  roeld^eö  in  bem  SRefor^ 
mator  aufftieg,  finb  bie  Klänge  be^S  ,,cmigcn  ©Dangeliumio"  ju 
na^c  üerwanbt,  aU  bag  fie  fic^  nid)t  ju  jenem  ©runbton  feiner 
Ueberjeugung  gefeHen  fonnten.  ©cmgcmäg  ift  bie  Eingabe  fiaba^ 
btc'^  au^  bem  3a^re  1669,   bag    feine  ©d^rift    Le   h^raut   du 


1)  L.  0.  p.  126. 

2)  L.  c.  p.  180. 


266 

grand  roi  J6sus  (©.  212),  bei  5ßrofefforen  unb  ^ßrcbtgcm  3^f^"^ 
mung  gefunben  ^abc  nid^t  ung(aubltc^.  SocccjuS  unb  feine 
©d)ülcr  tonnten  gegen  bie  9lnfid)t  alö  fotc^e  nic^tö  einttJcnben. 
SlUcin  e^  ift  boc^  in  praftifd^er  SJe^ie^nng  ein  großer  Untcrfc^icb 
jtüifc^en  bcr  rein  afabemifdjen  Sejeugung  jener  Hoffnung  unb 
bem  Sifer,  mit  tt)el(i|em  Sababie  fie  auf  bie  Äanjet  gebracht  ^at, 
aU  er  feinen  ©injug  in  bie  SJlieberlanbe  ^ielt.  Sluf  ber  Äanjcl 
roQv  biefe  Se^re  unerfjört  unb  bie  ©egenujirlung  ber  n)anonifc^cn 
©ijnobe  bagegen  uöHig  bered)tigt.  S)enn  mag  biefe  Hoffnung  mit 
getüiffen  I^eilen  ber  ^eiligen  ©d^rift  im  ffiinllang  ftel)en,  für  bie 
gcfd)id)ttid^e  Äird)e  ^at  fie  bod^  bnrd)aug  reoolutionäre  ©ebeutung. 
3n  biefer  ^infid^t  ift  fie  bem  „ewigen  ©üangelium"  ber  g^an* 
ciöcaner*©piritualen  unb  bem  6I)iliaömu^  ber  SBiebcrtäufer  gtci^:^ 
artig;  unb  für  bie  praftifd)e  äöirfung  ift  eö  ganj  gleid^güttig,  wie 
fic^  biefe  ©arftellungen  übrigen^  unterfd)eiben.  ®enn  auc^fiaba« 
bie  f)at  mit  bem  ?Jorbet)alte  beö  wunberbarcn  S^arafterö  ber  bc- 
Seid^neten  Erfd^einungen  bie  Slbfid)t  öerbunben,  bereu  ©intreten 
vorzubereiten.  3nbem  er  bie  geringe  ßa^l  ber  SBiebergeborcnen 
au-5  ber  üermcltlic^en  Üird^e  ^erau^jujic^en  fud)tc,  moHtc  er  bie 
©Epanfiotraft  biefer  Slu^ertüä^lten  bereit  galten,  um  bie  großen 
©rfolge  ber  Äird^e  in  ben  legten  Qdicn  ju  erjieten. 

©eit  ßocceju«  unb  Sababie  ^at  fi^  auc^  bei  S8ic(cn  bie 
3Keinuug  feftgefe^t,  i>a%  biefer  ©laube  an  bie  lounberbare  Stuf* 
rid^tung  bcr  Äliri^c  in  ben  legten,  aber  bod^  immer  in  ber  9lä^e 
ermartetcn  3citen  eine  bcfonbcrio  n)crt()t)oüe  5ßrobc  oou  ^^^ömmig« 
feit  fei.  grömmigteit  unb  religiöfcr  ßifcr  ift  ja  o^ne  ßtpcifcl 
babci;  aber  menig  ©inn  für  bie  Se()rmeiftcriu  @ejd)id^te.  SBicI* 
lcid)t  bicut  e»5  jur  SScrftäiibigung  f)ievüber,  baß  bie  ganj  analogen 
.^Öffnungen  n)eltlid)cr  2lrt,  n)cld)c  baö  18.  unb  19.  3ci^r]^unbert 
auffüllen,  s^var  alö  3^'^^9"iffc  Ijumancr  ©efinnung,  aber  jugleic^ 
aU  uer()üngnißuolIc  Srrt^ümer  ju  ericnneu  finb.  3)ie  Sluftlärung 
in  gvantrcid)  im  18.  Sa^rtjunbcrt  trug  fic^  mit  ber  Hoffnung, 
t>a%  ein  allgemeiner  ©ieg  bcr  gcfunbcn  SJernunft  über  l^emmcnbe 
Ucbcrlicfcrungen  unb  inf)umanc  ©cwoOn^eiten  in  ber  näd^ften 
©cncration  bcüorftct)c,  unb  ber  @rfo(g  toar  bie  Sermirrung  unb 
loarcu  bie  ©uäucl  ber  Meüolution.  ©bcnfo  ^at  ber  politifc^e 
Siberali^imuö  in  Dcutfd^taub  fic^  burc^  bie  Hoffnung  antreiben 
laffen,  baß  bie  Snoeiterung  bcr  inbioibuellen  grei!)eit  in  aßen 
^öejicljungen,  unb  bie  SJcrbreitung  ber  miffenfc^aftlic^en  Öitbung 


267 

unfcr  SBoII  in  ungetüo^nter  ©d^ncüigfctt  jur  fittlid^en  unb  polu 
tifd^cn  ©clbftönbiflfett  aUcr  feiner  ©lieber  fiif)ren  werbe.  35ie 
übclen  grüc^te  liegen  in  bcr  gefteigerten  @ntfittlicf)nng  groger 
Solfömaffen  Dor.  SRämlid)  bie  fittlid)e  Öefunbtieit  bcr  iSölIcr 
ift  nic^t  barauf  angelegt,  burd)  fd^roffen  Slbbrud)  beö  longfamen 
©angeö  bcr  ©cfc^i^tc  unb  burd^  grogc  ©prünge  gcförbcrt  ju 
tüerbcn.  ©oUtc  eiS  mit  bcr  Äirc^e  anber^  befd)affen  fein?  ©odte 
l^ier  eine  Dorljerrfdöenbe  ©pannung  auf  na^c  6et)orftef)cnbe  \)äU 
ligc  Äenberung  jum  @utcn  weniger  gcfä^rlicf)  unb  ftörcnb  fein, 
aU  im  bürgerlid^en  unb  ftaatlid)en  ßcben?  9Äan  beruft  fid^  ba* 
gegen  auf  ©otteö  S33unbcrmac^t  unb  auf  bie  SScrl^cigungen  im 
H.  unb  5R.  X.,  inbem  man  ben@lauben  an  biefetben  für  obliga*' 
torifd^  ad^tet.  @ut !  ic^  miß  urierörtert  laff cn,  mit  roeld^cm  Siedete 
bic^  jum  fcligma^enbcn  ©tauben  gebogen  werben  barf;  aber  man 
foQ  mcnigftcnö  nid^t  jugleic^  ben  Stnfprudt)  mad)en,  bcr  Äird^c  jju 
bienen,  weW)c  afe  gefc^idt)tlirf)c  Srfd^einung  an  ben  üRagftab  be^ 
langfamen  unb  ftetigen  ©angeö  beö  menfc^Uc^cn  ©cifte^lebcn^ 
gcbunben  ift,  jcboc^  in  biefer  |)infid^t  um  fo  weniger  au^  ©otte^ 
Scitung  herausfällt,  als  eö  bem  ©laubigen  feftftef)t,  ba§  üor  bem 
J^crrn  taufenb  Sa^rc  alö  ©in  3;ag  gelten.  3)er  ©cfd^ic^tötunbige 
aber  barf  behaupten,  bag  bie  t)on  Soccej|uS  aufgebrad^te,  t)on  Sa^ 
babie  öerfc^ärfte,  feitbem  aber  fortgepflanzte  Erwartung  bcr  gänj* 
liefen  innern  unb  äußern  SSeränberung  ber  üircf)c  unb  ber  SBclt 
bie  eüangelifdie  Äirc^e  nid^t  minber  befd)äbigt  t)at,  als  bie  wo^l* 
gemeinten  Hoffnungen  ber  politifcfien  Sluftlärung  unb  beS  boctri^ 
itoren  ßiberaliSmuS  bie  ©cfunb^cit  beS  fittlid)en  SSolfSlcbcnö  auf 
baS  ©piel  fe|en.  Die  pictiftifd)e  grömmigteit  wirb  auf  biefcm 
fünfte  einer  na^en  Scrwanbtfc^aft  mit  bem  politifdjcn  üiberalis^ 
inuS  überwiefen,  wä^renb  fie  felbft  glaubt  ju  it)m  in  möglid^ft 
auSf^licfeenbem  ©egenfa|  ju  ftcl)cn.  35icfcr  ©d^cin  beruht  aber 
nur  barauf,  bag  ber  ^ietiSmuS  fic^  urfprüngtid)  nid)t  um  ben 
@taat  als  fold)en  fümmcrt,  fonbern  feine  bem  SiberaliSmuS  ana* 
-logen  SSerfuc^e  auf  bem  ©cbiete  ber  üirdjc  uornimmt.  Die  3ln:: 
ganger  ber  Sluftlärung  unb  beS  politi)d)en  SiberaliSmuS  aber 
wiffen,  bag  ber  ^ietiömuS  if)ncn  vorgearbeitet  ^at. 

SRan  wirb  äweifeln  fönnen,  ob  bcr  93eftanb  ober  ob  bcr 
3erfaQ  ber  ßababiftifc^en  ©emeinbe  j^u  SBicuwerb  für  bie  nieber^: 
lanbifc^e  rcformirte  Äird^c  ungünftiger  gewefen  ift.  ©o  lange 
jene  ©emeinbe  beftanb,   l^at  fie  allerbingS  alle  gleich  ©efinnten, 


268 

tpcld^e  fid^  ba  unb  bort  jufammenfanben,  ber  fianbedfirc^c  cnU 
frembct.  3)ic  Dppoption  bicfer  Sonöcntifcl  ftcgen  bie  Äirc^c  tüirb 
fid^  in  bem  9Ka§c  funb  gegeben  Ijaben,  atö  i^re  ©od^c  in  SBieu« 
wcrb  in  93lütfte  [tanb  unb  rocitcre  aiu^brcitung  berfprod^.  Allein 
burc^  ba^  9RiBlingcn  ber  ©ütcrgcmeinfc^aft  unb  burd^  bic  8lücf* 
fe^r  ber  Sababiftcn  an  i^rc  urfprfinglic^en  SBo^norte  njirb  bei 
bcnfelben  fc^iücrlic^  ein  SBerjic^t  auf  bie  fectirerif^c  Äuffaffung 
be^  6l)riftent^umö  unb  eine  SSerfö^nli^feit  gegen  bic  Sanbc^ 
firc^c  ^erbeigefü{)rt  morben  fein.  SBic  c^  bei  bcn  SWenfd^cn  Don 
befd^ränltem  ©efid^töfreiö  unb  oon  unfelbftänbigem  S^araltcr  jn 
fein  pflegt,  fo  ujirb  and)  bei  biefen  grommcn  bic  Vereitelung 
il^rer  Slbfid^tcn  nur  eine  ^artnärfigere  unb  ocrftimmtcrc  Sln^äng* 
lid^fcit  a\\  i^rc  ©runbfäfee  Ijeröorgerufen  ^aben.  ©ic  tocrbcn 
alfo  bic  Spannung  ber  ßonucntifel  gegen  bie  Sanbeöfirc^c  Der* 
fdjärft  ^aben.  3n  bemfelbcn  Sütafee  aber  roirb  bie  Unfä^iglcit 
bicfer  SSercinigungen,  crgänjenb  ober  beffernb  ober  rcformatorift^ 
auf  bie  ^irc^c  einjuniirfcn,  uerboppett  roorbcn  fein,  ^ienad)  mag 
man  ermcffen,  ob  ©ocbct  *)  ridjtig  urt^eilt,  ba§  bic  jerftrcuten 
Sababiftcn  an  bcn  Orten,  too  fie  fiel)  nicberlicßen,  ein  fräfttgcd 
©alj  für  ba^  d^riftlid)e  Sebcn  würben.  SicUcidjt  f)at  er  barin 
SRcd^t,  tücnn  \>a^  d)riftlid)c  ßcbcn  blos^  bei  bcn  SonbcntifcUcuten 
ju  fud^cn  ift.  SäJcnn  aber  baö  Gl)riftent^um  aud^  bei  bcm  „gc^ 
n)öl)nlid)en  bürgerlid^cu  ©daläge"  ^ötjer  ju  fc^äfeen  ift,  aU  c§  üon 
üobcnftc^n  unb  Üababic  angefc^en  rourbe,  fo  tonnten  bic  grunb^ 
fä^lid)en  ©cctircr  auf  biefen  Ärciö  cntiocbcr  überhaupt  nid^t 
mirten,  ober  njcnigftcni^  nid)t  aU  ein  tpo(jlt^uenbe§  unb  nähren* 
beö  ©alj. 


14.    2)te  tioUftänbige  m)|ftif(^e  Xl^eorie  Hon  2:^eobor  Srafel 

unb  ^ermann  SBitftud. 

Unter  bcn  ^rebigcrn,  auf  bereu  ßuftimmung  Sababie  meinte 
rcdinen  ju  bürfen,  nimmt  Xljcoboru^  a  SratcP)  inbcr?ßro* 

1)  «.  a.  o.  ©.  269. 

2}  X^coboruS  der^arbt  (<§^er^atb'd  @o^n)  ober  S)tt(  <9errttS  a  Stolel 


269 

öinj  fJricSlanb  eine  befonbcriS  ^cröorragcnbe  ©tcHc  ein.  ffir  ^attc 
in  frcunbfc^aftlic^cm  unb  rcligiöfem  SBcrIctir  mit  bcr  ©c^urman 
geftanben  unb  fie  ^attc  bei  einem  Scfuc^,  bcn  fie  1659  üon  i^m 
empfing,  einen  lebhaften  ISinbrncf  öon  feiner  mt)ftifc^cn  grömmig* 
feit  erhalten,  ^amalf^  na^m  fie  and)  feinen  Snftog  baran,  ha% 
SBrafel  bie  Sonntagsruhe  fo  crnft  auffaßte,  ba§  er  feine  ©peife 
berührte,  tt)elc^e  nacf)  ©ounabenb  um  8  Uf)r  Slbenbö  gefauft 
ober  bereitet  toar.  Ate  biefc  ©trenge  auf  i^rc  Seranlaffung 
nad^^er  jur  Ser^anblung  fam  0,  ^öt  ber  ©o^n  Srafet'3  mitgc:» 
t^eilt,  ba§  fie  me^r  eine  äßa^regel  jur  Herbeiführung  ber  Drb- 
nung  unter  ben  ^auSgcnoffen,  als  ein  birccter  SluSbrucf  ber 
Ueberjeugung  feines  SaterS  getoefcn  fei.  SBie  bem  nun  fein  mag, 
fo  ^at  2)öon  bie  SReinung  geäußert,  bag  wenn  nic^t  93rafcl  ge= 
ftorben  njäre,  er  fid^  tt)ot|l  noc^  ju  ber  gcrabe  entgegengefe|ten 
©onntagSprajiS  ber  fiababiften  ^ätte  beftimmen  laffcn.  35cnn 
mit  feiner  SJJet^obe  ber  grömmigfeit  ift  er  ßababie  auf  baS 
birectefte  entgegengcfommen.  3n  bem  ^intcrtaffenen  Suc^e  fü^rt 
er  aus,  „bie  wa^re  ©lud feligfeit  befte^e  barin,  ba§  tt)ir  mit  (Sott 
unb  bem  §erm  3efuS  EtiriftuS  @emeinfcf)aft  ^aben.  3)cmgemä§ 
tt)iffen  mir,  baft  er  unS  bei  Slamen  fennt,  unb  mir  in  feinen 
Äugen  ®nabe  gefunben  ^abcn,  bog  er  unS  öon  (Smigfeit  geliebt, 
burc§  feinen  ©o^n  erlöft,  uon  unfercn  ©ünben  gerechtfertigt  ftat, 
uns  bema()rt  unb  unS  lieben  mirb  in  aQe  Sroigteit;  ferner  füf)len 
mir  biefe  @cmeinfd)aft  in  unfercm  Hcrjen,  inbem  mir  im  @lau= 
ben  auf  fie  vertrauen.  3)arin  liegt,  ba§  mir  ®ott  fennen  unb 
fd)auen  in  gciftlid^em  ©inne  mit  ben  Slugen  ber  ©ecle,  il^n  um^ 
Ralfen  bur^  ben  ©tauben  unb  bie  fiicbe,  i^n  füljlcn  burc^  inner* 
lic^e  @nabe  unb  3"f^^^^^"f)citr  Sreube  unb  9iu^e,  feine  Siebe 
fd^merfen  unb  atfo  in  i^m  leben  unb  in  i^m  manbeln.  Darin 
ift  alle   greube  unb   ©lücffeligfeit  enthalten,  ba§  bie  ©cele  fo 

jgeb.  1008  )u  Q^nf^utsen  in  ^torb^ollanb,  1638  ^rebigcr  su  ^eerS  unb  3eaum, 
feit  KiftS  JU  3Ra!fum  in  SrieSlonb,  ßfflorbcn  1G69.  giotijen  über  t^n  am 
S^Iuffe  ber  na4  feinem  ^obe  oon  feinem  3o()ne  1G70  ^erauSgeflebenenSd^tift: 
Do  trappen  des  ^ecstelijkcu  levons  (nac^  ber  12.  ?(uj!.  »ieber  ab()ebru(!t 
Nijkerk  1864.  448  8.  tl.  8.  2)euti4c  Ucberfe^ung  5öcrn  1098)  Die  frühere 
Cd^tift  beffelben  S5erfofferS  Ilct  peeatolijko  levcn  en  dt^  stand  eens  pfclovi^en 
menschen  op  aarde  (juerft  1048)  \iaU  icb  ntd)t  errcid^en  fonncn,  obgteidt 
btefelbf  tot  1850  in  ^mflerbam  bei  i^.  ^öoefer  mieber  abgebrudt  toorben  ifl. 
2)  Euoleria  P.  I.  cap.  IV,  4.  —  Yvon,  Leere  van  den  doop. 
Voorreden.  —  Koelmann,  Historisch  verhaal.  Voorredeq. 


270 

mit  ©Ott  unb  S^riftu^  bereinigt  um  fo  gciftüd^cr  totrb, 
aU  fie  mit  @ott,  bcm  üollfommenen  @cift  üercintgt  tft 
unb  qU  bcffen  güUc  unb  ©cnugfamfcit  in  fie  flicSt; 
unb  je  me^r  bic  ©eelc  biefe  ©emeinfc^aft  unb  SSereinigung  ge- 
nießt unb  in  bicfelbe  .[)ö^er  ^inaufgesogen  tuirb,  fo  wirb  fie  ^äufig 
mit  einer  befonbcrn  gciftlic^cn  g^cube  unb  SRu^e  übergoffen  unb 
xoiü  nur  @ott  unb  S^riftuS  liebhaben,  unb  toiQ  ni^t  meljr 
fünbigcn  nad)  bem  erneuten  ®eift;  barin  befielt  bie  redete  ®lfid* 
feligfeit." 

S)iefeö  ©efü^I^ftreben,  loelc^cö  fic^  bi^  ju  ber  fpecipfc^ 
mt)ftifdjcn  gormel  ergebt,  unb  burc^  bie  Silber  be^  ^ol^cnlicbc« 
erläutert  lüirb,  toiD  93rafel  in  bie  näc^fte  Sesie^ung  ju  ber 
©onntagöfeicr  gebracht  loiffen.  „SBoUen  toir  in  ber  fügen  unb 
gefüllten  ®emeinfc^aft  mit  unferem  ®ott  unb  ©eligmad^er  leben, 
fo  muffen  tt)ir  an  bem  Sage  beS  §errn  unö  befleißigen  ju  t^un, 
loaö  ©Ott  geboten  f)at,  um  i{)n  ju  ^eiligen."  SWid^t  minbcr 
emt)fie^lt  er  al^  ein  fel^r  guteö  ^ülf^mittel  ju  jenem  8^td  bie 
^au^^anbac^ten;  er  meint  biefeö  Sßittel  aber  in  fe^r  au^ebel^ntcr 
Slnioenbung.  Siömlic^  jebe  gamilie  foD  täglid^  brcimal  fid^  ju 
©c^riftlefung  unb  ©cbet  vereinigen.  S)ie  ©iniücnbung,  baß  btcfe 
SSorfc^rift  in  fold)en  gamilicn  nic^t  burc^gefü^rt  werben  fann,  in 
benen  feine  3)ienftboten  finb,  ober  beren  ©lieber  burd^  i^ren 
93eruf  an^  bem  §aufe  geführt  werben,  le^nt  Sra!el  mit  äiemlic^ 
oberflächlichen  Söemertungen  ab.  Sm  3lllgemeinen  aber  ift  er 
nic^t  barauf  gefaßt,  baß  feine  SSorfc^riften  befolgt  werben.  SSiel* 
me^r  bcjeugt  er  faft  in  benfelben  SBorten  wie  Sobenfte^n,  baß 
bie  ©ottfeligfcit  unter  ben  SReformirten  mel^r  bem  9lamen  na^ 
alö  in  SSSirtlid^feit  üorl^anben  fei.  9iic^t^  befto  weniger  ücrrät^ 
er  feinen  Slntrieb  nac^  ^Reformation  ber  Äird^e,  wie  e§  bei  Soben* 
fte^n  unb  Äababie  ber  gaD  ift.  ©eine  perfönlic^e  Haltung  jcigt 
nid)t  bic  üorbringenbe  Äcibcnfc^aft  jener  äRänner.  ffir  begnügt 
fic^  mit  ber  contcmt)latiüen  ^}xxMc^^oqcn\)tit,  beren  ©epräge 
überwiegenb  bem  SRittetalter  entfpric^t.  Srafel  ^at  «ngcfid^tö 
feineö  Siobeö  bie  ©einigen  ermal^nt,  auc^  bie  ffirquidfung  bc« 
Äeibeg  burc^  ©peife  unb  Xranf  nic^t  ju  berfäumen.  „3)aß  tc^ 
e^  üerfäumt  ^abe,  fommt  ba^cr,  baß  ic^  feinen  Se^rmeiftcr 
l)atte;  ic^  t^at  eg,  um  mic^  fo  am  beften  nicbrig  ju  galten; 
man  fann  aber  bem  Äeibe  5U  oiel  jur  Saft  legen."  S)cm* 
gemäß  ^at  ä3rafel  aud^  eine  SSifion  gel^abt.  9lad^  ber  SSoQenbung 


271 

feiner  tl^eologifd^en  ©tubien  \)ai  er  gejögcrt,  burd^  Slblcgung  beö 
®jamen^  fic^  jur  Scrufuiig  in  ein  ^rebigtamt  ju  befähigen, 
inbem  er  bcm  ^Drängen  feiner  greunbe  unb  ©önner  ben  3^^cifci 
cntgegengefefete,  ob  er  aucf)  burc^  ®ott  berufen  fei.  2)a  \)at  \\d) 
in  einer  SSladjt  bcr  ^immcl  über  i^m  geöffnet  unb  ift  ein  Sic^t 
t)on  ber  ©tär!e  beö  ©onnenlic^tö  erfd^ienen,  unb  auö  bem  ^immel 
fam  eine  ©timme,  welche  jn)eimal  fagte :  Ik  hebbe  er  u  toe  ge- 
roepen.  ffir  tuufete,  ha%  bcr  §err  biefeö  ju  il)m  \pxad),  unb  ba§ 
war  i^m  genug;  er  war  t)oU  greube  unb  Iie§  mit  griJ^lid^Ieit 
unb  SRut^  fid)  ejaminiren.  ©o  tt)cnig  man  nun  folc^e  @rfd^ei= 
nungen  auf  bem  ©ebiete  be§  Sabini^mu§  ernjartet,  fo  fcfir  fd^eint 
bemfelbcn  bie  Aufgabe  be§  ^interlaffenen  ^auptwerfc^  üon  33rafel 
ju  entfprcd^en.  S)enn  auf  ©tufcn  in  ber  Heiligung  lel)rt  gcrabe 
bie  Se^re  Salüin'ö  befonber^  achten.  SlHein  auf  bie  üicUcic^t 
unlösbare  Aufgabe,  biefen  ©egenftanb  tfieoretifd^  ju  bcl^anbeln, 
ift  Srafel  gar  nid^t  eingegangen,  ©eine  ,,©tufen  beö  gciftlid)en 
SebenS"  befc^reiben  brei  ©tufen  ber  Kontemplation  unb  bie  gc= 
fteigerten  SRittel,  um  biefe  ju  erreichen  unb  feftjul^alten.  2lDer= 
bingd  mrb  babei  baS  ©treben  naij  Heiligung  beS  SBiUenS  unb 
nad^  Crtnerb  ber  lugenben  als  bie  Sebingung  ber  gefüt)lten 
©cmeinfdjaft  mit  @ott  üorauSgefeftt  unb  gcforbert.  ^Hein  ba 
aUcS  auf  bie  ©ontemplation,  auf  biefe  einfame  93efd[jäftigung 
jugefpifet  wirb,  ba  trofe  ber  SRügc  ber  allgemeinen  tirdjlic^cn  3"* 
ftänbe  feine  8lbfidE)t  auf  ^Reformation  in  biefcm  93ud}c  fidj  funb« 
fliebt,  fo  ift  eS  fe^r  unioa^rfc^einlic^,  ba§  biefer  ftiHe  aWijftifer 
fic^  burd^  Sababic  jemals  l^ätte  ^inrei^en  laffen. 

®ie  Kontemplation  Srafers  ift  t)on  jttjcicrlci  Art.  SBenn 
er  ungeftört  ift  burc^  ia^  93ett)u§tfein  t)on  ©ünben  ober  anbere 
©rünbe  ber  Sntfrembung  t)on  @ott,  fo  übt  er  bie  freie  unb 
banfbare  SSer^errlic^ung  ©otteS  in  ber  Setrad^tung  bcr  uubc^ 
grciflid^en  ÜWaieftät  unb  aUgenugfamfeit  ®ottcS,  ferner  ber  §err:= 
lid^feit  ß^rifti  als  beS  SßittlcrS  unb  UcbcrttjinbcrS,  beS  SirögerS 
aQer  SKad^t  über  §immel  unb  ffirbe.  ©ott  foD  rein  um  feiner 
fclbft  roiQcn  bcr^errlid^t  werben ;  an  ßt)riftuS  fommt  in  Setrac^t, 
bag  er  jur  {Rechten  ©otteS  J^errfdjt,  unS  jum  SSortfieil.  S)ann 
folgt  bie  (Jrwägung  ber  SBerfe  ©otteS,  ber  ©djöpfung  unb  (Sr* 
Haltung  bcr  SBäelt,  befonberS  ber  ©rlöfung  als  bcS  SBcrteS  ber 
Siebe,  enbli^  bie  Sinprägung  ber  S9?o^lt^aten  ©otteS  gegen  uns. 
5E)aS  ©efü^l  ber  ^Bereinigung,  meld^eS  an  biefe  Slei^enfolge  ber 


272 

öctradjtungcn  ftdj  onfnüpft,  erl^ebt  fidö  bctngcmäg  üon  bcm  (Sin* 
brucfe  ber  Srfd^roden^ctt  uub  SSemunberung  ju  ber  ©emig^eit, 
bag  aQe^  tDoS  @ott  ift,  und  jum  SBcftcn  bient  unb  tvir  unter 
feiner,  gnäbigen  Söettja^rung  unb  ©efd^irmung  fielen:  «»äBenn 
©Ott  für  und  ift,  wer  lüirb  gegen  und  fein!"  SRan  bnrftc  t)itU 
leidet  urtü)  eilen,  ia^  man  biefed  correct  eüangelifc^en  3^^^^  M 
leidster  üerfid^crn  lann,  ald  wenn  ed  in  bad  Sic^t  jener  fünftlid^en 
unb  Übertreibenben  ©efü^lderreguug  gcfteüt  wirb.  Aber  locnn 
ed  barauf  anfommt,  mit  Srafcl  fid^  in  ©ottcd  Siebe  üerfd^Iungen 
ju  füllen,  ober  bie  §errlid)leit  unb  SKajeftät  ©otted  fo  Hat  ju 
fe^en,  ald  ob  man  in  ben  ^immel  erl^oben  wäre  unb  bergt,  fo 
ift  ed  erilärlid^,  ba^,  wie  er  jugefte^t,  bie  Äinbcr  ©otted  bie 
füge  unb  gefüllte  ©emeinfd^aft  mit  ©ott  oft  genug  entbehren, 
unb  fid)  gegen  ©ott  entfrembet  unb  oerbunfelt  füllen.  ISd  ift 
unüerftänblid^,  bag  er  ben  ©runb  biefer  (Srfc^einung  nic^t  in  bem 
geiler  feiner  3)?et^obe,  nic^t  in  bem  §afc^cn  na^  etwad  Un* 
erreid[)baren  finbet.  aber  er  finbet  ben  ©runb  ber  ©ntfrembung 
Don  ©Ott  auc^  nidt)t  blöd  auf  ber  Öeite  ber  S^riften,  in  i^ra 
©ünbe,  9Serborben[)eit,  Iräg^eit,  in  ju  langem  unb  unjcitigem 
©c^lofe,  in  ber  übermäßigen  S8efcf)äftigung  mit  irbifc^en  fingen, 
namentlidj  foldjen,  bie  außerhalb  bed  Serufcd  liegen,  ferner  in 
JU  großer  ©orge  um  bie  eigene  Heiligung,  welche  ben  ©ebanfen 
an  ©otted  ©nabe  jurüdtbröngt,  enblid^  gerabe  in  bem  un^eitigen 
5)rangc  nad)  ©eligleitdgefü^l.  SSielme^r  ift  ed  für  ben  ©tanb« 
punft  bed  äßanned  bejcid^nenb,  baß  er  bie  Sntfrembung  Don  ©ott, 
welche  mit  bem  ©eligfeitdgefü^l  abwec^felt,  auc^  in  bem  belieben 
©ottcd  begrünbct  finbet,  ber  ein  freier  ©ott  ift,  Welcher  t^un 
tann,  wad  er  wiH,  unb  ber  aüc^  ju  feiner  ffi^re  t^ut,  ber  aber 
im  üorliegenben  ^aüt  ben  Qrocd  üerfolgt,  feine  ©nabe  ald  ben 
einjigen  ©runb  ber  vermißten  ©eligfeit  einjufd^ärfen.  S)iefcd  ift 
ber  Ion,  ben  auc^  Sobenftc^n  angcfc^lagen  ^at  (©.  171).  Srafel 
begleitet  aber  biefe  ffirörterung  mit  einer  SRei^e  bon  ©rünben, 
welche  bei  bem  ©cfü^l  ber  Cntfrembung  bie  Ueberjeugung  bc* 
feftigen  foDen,  baß  man  üon  ©ott  nid^t  berlaffen  fei,  unb  mit 
Sejeic^nung  üon  9Jiitteln,  burc^  welche  man  jenen  g^ftonb  über* 
winben  foQ.  3ene  ©rünbe  erfc^einen  nic^t  ald  bünbig,  toenn  bie 
ffirfa^rung  rid^tig  ift,  baß  bad  ©efü^l  gegen  bie  berftänbige  We* 
flqcion  fpröbe  ift.  Unter  i^nen  ift  ber  lefetc,  baß  man  an  feinem 
^eiligfeitdftreben  bad  wirflid^e  99efte^en   bon  ©emeinfd^ft  mit 


273 

®ott  crfcnncn  foUc.  SIDcr  tDurbc  nid^t  ba§  ©trcbcn  naä)  §eiIU 
gung,  n)cld)c^  fad^gcmäß  bic  ©infidjt  in  bic  eigene  ©ünbc  ftcigert, 
nnter  bcn  Urfad^en  bcr  Sntfrembnng  non  @ott  angefahrt,  aU3 
cttpa^,  Wübnrd)  ia^  ©eligfeit^gcffi()I  üerfdjenc^t  toitb?  Unb- nun 
foß  man  fidj  an  bemfelben  ©heben  in  allen  gäUcn  t)on  feiner 
©emeinfc^aft  mit  @ott  überführen.  S)a^  3(rgument  ift  fdjon  üon 
fflielanc^t^on  aufgeftellt  toorben;  aHein  eö  ift  ein  übeler  ßirfel! 
Unter  ben  SUiitteln  gegen  bie  Sntfrembung  \>on  ®ott  ^at 
nun  bie  anbere,  fo  jn  fagen,  auffteigenbe  SReifjc  bcr  Euntemplation 
i^ren  Ort  ©ie  beginnt  mit  ber  ftlage  über  bie  eigene  ©ünbe, 
in  !Matur,  §erj  nnb  Zijatcw,  unb  bcfennt  bie  ©d^ulb  al§  bie 
Urfac^c  ber  SSerminberung  ber  gefüllten  @nabc.  ©emnä^ft 
n)irb  burd^  bie  iöitte  um  SSergebnng  nnb  SRec^tfertigung  bajn 
fortgefc^ritten,  baß  „id)  Sl)riftua  burd^  ben  ©lanbcn  annat)m  unb 
mir  jenes  jueignete.  @§  foftete  in  Derfdjiebenen  gäUen  balb 
me^r  balb  weniger  ßcit  unb  Sßüfje,  aber  burdjgefienb»  gab  ber 
i^crr  mir  Onabe,  baß  id)  mic^  in  El^riftnS  gered)tfcrtigt  fanb, 
unb  ba  bic  ©c^eibcmüdnb  ätüifdjen  meinem  ©Ott  nnb  mir  njcg^ 
genommen  njar,  fo  befam  id^  mieber  bic  füge  unb  gefüljlte  @e= 
mcinfc^aft  mit  ifjm."  Um  nun  aber  biefcn  (5)cn)inn  ju  erl)alten 
unb  ju  befcftigen,  befd^reibt  Sratel  eine  9leif)e  üon  iöetrac^tungcn, 
toelc^c  an  bie  in  bcr  ffirlöfung  burd)  6l)riftu^  offenbare  Siebe 
(SJottcS  gcfnüpft  luerben.  S)icfer  ©cbante  toirb  burc^auö  auf 
bad  bctrad^tenbc  ©nbiect  jugefpi^t,  \>a^  ©ott  midj  eluig  geliebt 
I)at  in  bem  ©o^n  feiner  Siebe,  unb  mir  feinen  ctvigen  ©ol)n  al*3 
(Erlöfcr  gefc^enft  ^at.  ®ö  folgt  bie  ©rwägung  ber  ©rnicbrignug 
ß^rifti,  bcr  Söerufung  ber  ©flnber,  um  fie  ju  crquicfen  unb  jur 
Wu^e  ju  bringen,  unb  ber  ©infcftung  beS  Stbcnbmal^l^S  aU 
©iegcla  ber  ©nabc  unb  Siebe  S^rifti.  „S)ann  ging  id^  fort  j" 
ß^rifti  Seiben,  Öcöngftignngcn  unb  2;ob,  nnb  inbem  id)  biefcj^ 
©tüd  für  ©tücf  überlegte,  paßte  ic^  icbeS  3;i)eild^en  mir  ^n,  aU 
luegen  meiner  ©ünben  gefc^cl^en,  unb  betrübte  mid)  bann  über 
meine  ©ünben,  njcil  fie  meinem  3cfuö  baö  Seiben  anget[)an 
Rotten.  Unb  babnrd^  fud)tc  id)  meine  Siebe  ju  il^m  mc()r  unb 
mc^r  JU  crttjcden,  unb  burc^  bie  Siebe  jur  Heiligung  angetrieben 
JU  rocrbcn.  Unb  inbem  id^  alfo  bic  unenblic^e  Siebe  meinet 
Qhttc^  unb  ©cligmac^erS  unb  mein  tiefet  ffilenb  gegen  einanbcr 
abroog,  »urbe  id^  barin  njie  Verfehlungen."  Wit  ber  Betrachtung 
bcr  ^errfd^aft  bc^  cr^ö^ten   6t)riftud  münbet  biefer  Süeg  ber 

I.  18 


274 

Sontcmplation  in  bcn  crftcn  ein;  bcnn  er  tpiib  ja  nOerliauJ)! 
nnr  eingefc^lagcn,  um  üon  bcr  ©ntftembuufl  ju  ber  feiigen  ©c^^ 
meinfd^aft  mit  ®ütt  ju  führen. 

5)ic  ©tufen  beö  geiftlidjcn  Sebenö  bejcifl^nct  Srafcl  wadji 
1  3ol).  2,  13  al^  bie  hk  Äinbeg,  be§  aünglingö,  beö  Satcr^  in 
6[)rifto.  5)iefe  Slbftnfnng  mad^t  er  nun  bloö  nac^  quantitativem 
'  ajiaßftabe  anfc^aulic^  alö  3wn«t)ine  ber  ©rleuc^tung  unb  aU 
6inffl)ränfung  ber  immer  tt)icber  cintretcnben  SSerbuufelung.  Ate 
SSater  in  E^rifto  rü^mt  fid)  SJrafcI,  burdjgängig  mit  Diel  ^ö()crcr 
@nabe  aU  juüor  erfüllt  ju  fein,  bauernb  in  einer  genaueren 
©cmcinfd^aft  mit  @ott  ju  ftel)en  unb  eine  füßer  unb  liebli^cr 
gefÜ[)Ite  Bereinigung  ber  Siebe  mit  i[)m,  eine  Slufgejogen^cit  in 
ben  ^immel  unb  aSerfd)(ungenI)eit  in  bie  Siebe  ®otteä  ju  cr^ 
fa[)ren;  jugteic^  feien  bie  SSerlaffungen,  SInfedjtungen  ober  Snt^ 
frembungen  fo  groß  nid^t  met)r  gewcfen  olö  frn[)er.  ©cnaucrc 
eingaben  cv\\>axc  id)  mir,  loeil  bie  ©c^ilberung  ber  ©cligfcitö-^ 
juftänbe  jeber  inbiüibuellen  ;£)altung  unb  garbe  entbehrt.  S^a- 
rafteriftifd^  hingegen  ift  für  biefe  geiftlic^c  Scbenögefc^ic^tc  bie 
3Kett)obe,  nac^  toelc^er  Söralcl  auf  allen  brei  ©tufen  feiner 
grömmigfcit  bie  SSer^errlidjung  ©otteiS  unternommen  unb  baö 
©eligfeit^gefü^I  erftrcbt  Ijat  @r  fd)reibt  nämli^  für  icben  Xag 
brei  3lnbad)töübungen  Dor,  9Jiorgen§,  SlWittagö  unb  Slbcnbö.  Qn 
beufelben  fügt  er  für  bie  l)ö^fte  ©tufe  ber  geiftlic^en  SJüIKommen* 
Ijeit  eine  ÜKebitation  um  ÜWitternad)t,  e^e  er  ben  ©d^laf  fudjt, 
^inju.  S)urcl^  biefe  be^am)tct  er  bie  ©tctigfcit  ber  ©timniung 
innert)alb  beö  ©d^lafe^  unb  für  bie  2)auer  beö  folgenbcn  lageö 
fic^  JU  fidjern.  3u  eintöniger  ©reite  njirb  babei  bie  Safuiftif 
be-3  ©d^lafe^  erörtert,  beffcn  SUerfürjung  ober  üollftänbige  6nt= 
bel)rung  burd^  baö  gefteigerte  ©eligfeit^gefüt)!  compenftrt  lüerbcn 
foQ.  (S^  ift  freiließ  fad^gemäg,  ia%  menn  bie  Kontemplation, 
bercn  »^eimat^  ba§  Älofter  ift,  burdjgefü^rt  werben  foH,  ba^ 
©efcfe  ber  fanonifdjeu  ©tunben  mieber  entbedt  toirb.  Aber  ba§* 
felbe  foD  nun  gelten  innerhalb  ber  bürgerlid^en  ©efc^äftigfcit, 
meldte  in  ber  reformirten  Üird^e  ebenfo  legitimirt,  \mc  bem  nicbcr- 
länbifc^en  SSotte  geläufig  ift.  ©ralel  geftel^t  beö^alb  ju,  bag  er 
bie  9luöfül)rlid)feit  unb  2)auer  feiner  9lnbad^töfibungcn  fold^en 
nic^t  jumut^c,  benen  i()r  Sieruf  locniger  ßcit  laffe;  er  tt)iU  auc^ 
biefelben,  ttjenn  fie  nur  überhaupt  bie  täglid^en  ©tunben  innc- 
f)alten,   aU  Äinber  @otte!§  anerfennen.     3lbcr  er  fiet)t  fie  bod^ 


275 

nirf)t  al§  DoUflültifl  an.  Unb  tüic  famt  er  cö  and),  ba  er  bie 
^aft  im  ®cbct  unb  SDicbitiren  alö  ein  fpecififd^c^  §inbcrni§  für 
ba§  eintreten  beö  ©eIicjfeitögcfül)U  bctradjtet,  unb  ba  eine  ßon^^ 
teniplation,  tt)ie  bic  ^ier  üorgefc^riebcne,  an  fic^  bic  mögUc^ftc 
ßntfernung  Don  bcn  $flid)tcn  unb  ©orflen  beö  bürgerlichen 
fiebernd  erforbcrt.  ©eine  2)ietI)obe  mag  ferner  für  il)n  mit  ber 
^lufricfitigteit  Derträglid)  gelüefen  fein;  in  bem  @ebraud)e  SInbcrer, 
bie  im  ©ränge  bcö  Sebenö  fielen,  Derfpridjt  fie  ^u  einem  unnjirt 
fomen  ober  f^äblic^cn  ÜKed)ani^mug  aui^juarten.  S)enn  toenn  ba§ 
SSorbilb  öon  SJrafel  ma^gcbenb  ift,  fo  muß  minbeften^^  burc^  bic 
^rciögcbung  be-s^  näc^tlidjcn  ©d^lafeö  bie  gcttigleit  jjur  täglid^en 
Söcruf^übung  jerftört  werben.  SBenn  aber  bie  Don  93rafel  Dor^ 
flefdjricbencn  Slnbac^töftunben  nur  conDcntioneD  geübt  tt)erben,  fo 
tuirb  man  eben  nic^t  bie  fuße  unb  gefül)lte  öJemeinfdjaft  mit 
(Sljriftuö  errcidjen  ober  auf  bie  3)auer  feftljaltcn  lönnen. 

SBo^er  toirb  »rafel  feine  ÜJit)ftiI  gefc^öpft  I)abcn?  3ur 
iBeanttoortung  biefer  ^xac^c  l^abc  id)  geglaubt,  bie  9iotij  bead^tcn 
SU  bürfen,  baß  feine  gamilie  bi^^  auf  feinen  SUater  hinunter 
vömifd)4atI)olifc^  unb  baß  fie  urfprünglid)  in  5örabant  [)eimifd) 
war.  SBenn  unter  biefcn  Umftänben  IatI)oIifc^c  ?lnbad)töbüc^er 
an  Söralcl  gelangt  fein  tonnen,  meldte  i^n  auf  bcn  SBeg  jur 
aji^ftit  geführt  I)ätten,  fo  müßte  man  auf  ©d)riften  Don  3ot)ann 
Slu^brocf,  bem  ?ßrior  be§  Sluguftinerfloftcrö  f^n  ©rocnenbaal  bei 
iBrüffel  ratt)cn.  9iun  I)abcn  beibe  allerbingö  ba^  3*^1  ber  Kon^ 
tcmplation  übereinftimmenb  al$  ba^^  @eligfcitsgefül)l  in  berSini^ 
flung  ber  ©celc  mit  ®ott  angenommen,  gerner  finbet  fic^  in 
SlutjdbrocF^  @d)rift  Chierheit  der  glicestclekcr  brulocht  (ßicrbe 
ber  geiftlic^cn  ^oc^jeit)  bie  Slufjäl^Iung  ber  Reiben  Sl)rifti  al^^ 
@runb  ber  ®ett)iß()eit  ber  inbiDibueUcn  (Srlöfung,  unb  bic  Drbr 
nung  ber  ©ontcmplation,  tocld^e  Don  ber  @infadj[)eit  @ottci^  bc^ 
ginnt,  burc^  feine  ©igenfcl^aftcn  j^u  bcn  SBcrfen  ber  ©c^öpfung 
unb  Crlöfung  fortfc^reitet,  biö  fie  unter  bcn  ©acramenten  bei 
bem  Ä6cnbma()I  ;;um  ?lbfd)tuß  fommt.  S)icfc  3)arfteHung  tanii 
für  Sratcl  al§  SSorbilb  gebient  l^abcn.  aUein  bic  fpccififd)c  gär^- 
bung  ber  Änfd^auungSnjcifc  33raferö  burd)  baö  ^otielieb  toeift 
minbcftenö  auf  ein  anbercö  SWuftcr,  aU  auf  SRutjSbroef  I)in, 
welcher  aud^  „bie  geiftlid^c^oc^jcit"  nic^t  an  ba^  §o^clieb,  fonbern 
an  äRatt^.  25,  6  onge(e()nt  l)at,  unb  nirgenbd  eine  ^enn^ung 
icncr  Schrift  Dcrrät^.*   gür  biefe  ©eitc  ber  9}?t)ftif  ^xakV^  alfo 


276 

möcl)tc  bcr  SUorgang  üon  SBill&cIm  S^eeDind  ntaßjjcbcnb  flciDcfcn 
feilt.  3)cnn  and)  bie  brcl  t)on  Srafel  angenommenen  ©tufen 
be^  geiftlidjen  Äeben^S  ^at  IceDincf  nufgefteHt,  toie  id^  au^^bcr 
©ammlnng  Don  granc.  SRibbern^  (S.  105)  entncf)me.  SJaburt^ 
toirb  aber  ber  (ginbrncf  nidjt  aufgef)oben,  bag  Srafcl  innerhalb 
ber  veformirtcn  Äirtfje  einen  iDefentlidj  fatI)olifd)eu  ©ebantcnfrci^ 
vertreten  f)at. 

Sbenfo  wie  2;i)eobor  Örafel  [)atte  aud)  ber  an  Saljren 
jüngere  §  ermann  SBitfiuj^')  ben  Sababiften  bie  SSermutftung 
ermedt,  baß  er  i^nen  <^uftimmen  lönnte.  9Kan  fcnnt  i^n  freiließ 
für  gcioö^nlic^  nur  ate  ben  loirtfamen  SJermittler  jttjifd^cn  bcr 
5;{)eologie  be^  Soetiuö  unb  ber  beö  Eoccejuö.  6r  war  3"^)öter 
bc§  crftern  geiocfen,  unb  I)ätte  anä)  gern  ben  Untcrrid^t  bcö 
Icfetern  genoffen,  wenn  er  nid^t  Don  bem  SBefud)  bcr  Uniocr- 
fität  Seiben  burd^  eine  feiner  geit  bafelbft  ^crrfc^cnbc  ©cuc^c 
abgefd^redt  worben  wäre,  ©ein  t^eoretifd)c^  ^auptwer!,  Weldjc^ 
burd)  ben  Xitel  unb  burd)  bie  blo^^  biblif^e  ^BcwciSmct^obe 
fid^  auf  bie  ©eite  Don  ßoccej|uö  ftcllt*),  ift  bod^  auc^  in 
^infid^t  beö  3nI)alteS  nid)t  burd)Weg  auf  ber  ©eite  Don  SSoct. 
äUerbing^  f)at  SBitfiu^  ben  Slbftanb  bcS  alten  93unbcö  Dou  Dem 
neuen,  weldjcn  Soccejuö  nac^gcwiefen  I)atte,  beftrittcn,  unb  bcibc 
©tufen  atö  wefentlid)  gleich  bargeftcHt,  [jattc  fidj  alfo  Sterin 
ber  burc^  SSoct  Dertretenen  Ueberlieferung  angcf^loffeu.  allein 
in  bem  ©otte^bcgriff  fte^t  er  wieber  auf  bem  ©tanbpunft  Don 
Soecejug  (©.  138),  unb  feine  Äe[)re  Don  SBiebergeburt,  ®laubc 
unb  Siec^tfertigung  erinnert  an  biefen  SSorgängcr  (©.  150),  fofern 
fie  bie  Slufmerlfamleit  me[)r  auf  bie  Sntwidelung^ftnfeit  bc§ 
©laubenö,  al^  auf  bie  gegebene  aiedötfertigung  Durc^  ®^riftn§ 
ridjtet.  hierauf  wirb  fpäter  ju  achten  fein.  Surj,  er  ift  hoä) 
nid)t   bloö,  wie  ©ieftcl   urt^eilt,   ort^obojer  göbcralift   auf  bi^ 


1)  ®e6oren  su  (Snf^uiicn  in  9{orb(onanb  163G,  flubide  in  Utrecht,  Gro^ 
ningen  unb  »icber  in  Utrecht  1651-1G56,  feit  1657  ^rcbigcr  crfl  in  2Bffl« 
tooub,  bann  in  SBormer,  beibe  in  ^{orb^ollanb,  ®oe§  in  Stelanb,  !tieeutt)arbrn 
in  SricSlonb,  ^rofeffor  bcr  Xieologic  1075  ju  gronefer,  1680  auUlredSit.  1696 
ju  !t?eibcn,  »o  et  22.  Cd  1708  flarb. 

2)  Oeconomia  foederum  dei  cum  hominibiis.  3u^^  Leowardiae 
1677,  bann  1685.  !S)ritte  «uSgabe  Utre^t  1694.  9la4bru(f  bexfelben  O^bom 
1712.  SBßt.  ©icpel  Sa^rb.  für  beutf(^e  ^i^tol  X.  6.  260  ff. 


277 

blifdjcr  Orunblagc,  fonbcni  ücrfiält  fic^  cflcftifd)  ju  bcn  ®vunb= 
füfecn  feiner  bcibcii  SJorgäitflcr  0-  Scbod)  in  vrottifdjcr  S3cjicl)iing 
muß  er  all  ben  SSoctiancni  gered^net  tt)erbeii.  3n  bor  ©abbotlj^^ 
frage  (©.  139)  ftel)t  er  auf  ber  ©eite  Don  9Soet,  unb  bei  bcn 
a^fetifc^cn  unb  reforniatorifc^cn  ßiüedfen,  bie  er  üerfolgtc,  foniint 
in  Setrac^t,  \>a^  fold^c  bi^  baf)in  au^fd)lieglidj  üou  ben  ©djülcrn 
unb  Slnf)ängcrn  SSoct'ö  betrieben  luurben.  (£r  ^at  ttjä^reub 
feinet  ^ßrebigtamteö  eine  „Uebung  beö  S^riftent^umö"  Ijeranö- 
gegeben;  barauf,  unb  jujor  nod)  üor  Sobenfte^n  Ijat  er  bie  Sluf^ 
gäbe  ber  ^Reformation  ber  Sitten  einer  überaus  fd^arfcn  ©eleud^^ 
tung  untermorfen,  loeldje  it)m  eine  Grma^nung  jur  äßägigung 
üon  Seiten  ber  friefifc^en  ©ijnobe  eintrug  *).  SBenn  c8  fo  fc^einen 
fonnte,  alö  ob  SBitfiuö  f)ierin  ben  SBeg  ju  ben  fiababiften  ein* 
fd)lüge,  fo  I)Ot  er  frcilid)  beren  auf  if)n  gefefctc  ffirn^artung  al5^ 
balb  burc^  eine  ©c^rift  niebergefd^lagen,  toelc^e  er  mit  feinem 
3lmt^genoffeii  jii  Seentuarbeii,  Dan  ber  SBaeijen  f)erau^gab  *).  3ft 
burd)  biefe  ^^ublieationen,  foivie  enblid)  burc^  .  eine  allocutio 
irenica,  loeldie  er  ber  britten  ^^Ub^gabc  feiner  Oeconomia  foederum 
dei  boran^fdjidte,  unb  lueldjc  feinen  ©runbfafe  ber  t^eologifd)en 
gricbfertigfeit  in  anjiel)enbcr  SBcife  enttüidelt,  bie  lird^lic^e  ©tet 
hing  t)on  SBitfim^  bejeic^net,  fo  tommt  Ijier  nod)  eine  britte 
©igenfd^aft  beffclbcn,  nämlid)  feine  gerabejn  mtjftifdje  Sluffaffnng 
be^  S^riftentljum^  in  ^tBetrad^t.  @r  ^at  nämlic^  ald  afabemifc^er 
Sel)rer  SJorlefungcn  über  „^raltifdje  Xfjeologie"  gehalten  *),  n^elc^e 


1)  Sür  ll0ttfiu§  S^eologie  ftnb  ferner  ma^gebenb  fftne  Excrcitationcs 
sacrac  in  symbolum  apostolorum,  Franequerao  1681.  Stfllci^i  Vjt  biefeS 
fßtxi  am  metflen  ^orafteriflij^  für  ii)n,  »eil  ^ter  au4  bie  @tnflUjfe  ber  ^ern» 
^arbinifc^n  ^i^ftit  fi^  jetgen,  roel^e  prafttfc^  für  SDiirtuS  entfc^eibenb  ftnb. 

2)  Practijke  des  christoniloms,  iu  vragen  cn  aiitwoordoD.  1GC5.  — 
Twist  dfjs  Heeren  niet  sijn  wijngaert,  dcselve  overtuigende  van  mis- 
bniik  sijner  weldadon,  onvruchtbarheid  in  't  goede  en  al  te  dartelen 
weelderigheid.  iu  scliadelijke  nieuwiglieden  van  opinicn  en  schadelijko 
outheid  vanquadc  zeeden,niet  bedreigingo  van  sijn  uitcrsle  ongenade.  1669. 

3)  Ernstigo  botuiging  der  gereforineerde  kerk  aan  afdwaalende 
kindcrcn ,  tot  wedcrlegiug  van  de  grouden  van  de  Labadie  en  do 
zijnen.  1670. 

4)  Schediasma  thcologiae  practicac,  quo  veri  ac  interioris  Christi- 
antsoii  oxercitium,  ac  generaliora  saltem  aU\uq  univursaliora  pietatis 
officia  exponuntur.    Ex  editiouc  IL  C.  a  Bijlor    Groningen  1729. 


278 

junäd^ft  fid)  üoii  bcr  f(^olaftifd)cu  Slrt,  in  xvddjct  SJoct  auc^ 
bicfeu  ©toff  bct)aiibclt  I)attc,  burd^  bie  cinfadjc  ^öcfdjrcibung  bcr 
©ac^c  uutcrfd)eibcu,  ju  lueldjcr  nur  biblifc^c  Öclägc  I)in5U8cffl(|t 
tDcrbcn.  S)cr  ;g)crauö(jcbcr  tljcilt  mit,  ba§  er  baö  SBud^  nac^ 
ä^ci  9lad^fc^riftcn  au§  Utrcd^t  1G9(5  IjcrgcftcUt  I)abc,  S)icfc  Siotij 
fc^Uegt  natürlid^  nic^t  an^,  bag  SSJitfiuS  biefc  ^orlc|ungcn  dop 
^cr  unb  uadi^cr  tüicbcrl^olt  ^at. 

®icfei$  8ud)  Don  SBitfiud  nnn  umfaßt  eine  X^eoric  beS 
religiöfen  unb  fittUd^en  fiebend  bc^  (Sinjelnen;  unb  betbe  @toffe 
finb  in  jicmlid)  gleichem  Umfange  abgefjanbelt.  SlQcin  ftc  finb 
oon  Dorn  herein  uid^t  unter  ©inen  ©efidjti^punft  gefteßt.  3n  bcr 
erften  ^älftc  beö  Söuc^eö  toirb  bie  ©efc^äftigteit  bcr  ^eiligen 
@otteSerfcnntnig  unb  bie  ^luSübnng  beS  Glaubend  nur  auf  bie 
änfc^auung  (contemplatio)  ©ottcjS  in  ß^rifto  jum  Qtocd  bcr 
©cligfeit  gebeutet.  2)ie  fpccielle  Suöfü^rung  bicfcö  H)cma  gc* 
fc^icl^t  bann  in  brci  Slbfäften,  n)eld)e  auf  eine  ftufenartigc  Cr* 
gänjung  gegen  einanber  angelegt  finb.  Crft  mirb  bcr  bcfanntc 
@eban!e  Don  @otted  @ouDeränetät  unb  be^  ÜKcnfc^cn  StncdfU 
fc^aft  al^  @runb  bcr  5"^^)^  ^cr  Scmunberung,  be^  ©c^orfam^, 
ber  Ergebung  gegen  @ott  au^gefü^rt;  bann  toirb  an^  bcr  Siebe 
gegen  @ott  aU  baS  (jöc^fte  &nt  bie  9lac^a^mung  @otted  b.  ^. 
bie  Heiligung,  bie  Hoffnung,  baö  ©cbet  unb  bag  Sob  ©ottcö 
abgeleitet;  enblid)  toirb  unter  (Einfä()rung  ber  9tegel,  bag  @ott 
nur  in  S^riftug  angefd)aut  unb  erfannt  merben  fanu,  bie  (Sx* 
mägung  ber  ©e^eimniffe  S^rifti,  feine  Slufna^me  in  bie  ©cclc, 
bereu  ^ßftic^ten  gegen  Sfjriftuö  ate  $ßrop^et,  ^ßriefter  unb  Äönig 
entmidelt,  unb  mit  ber  Siac^a^mung  ß^rifti,  fo  mie  bcr  3^^ 
beftimmung  be^^  2cbcn^  für  if)n  ju  bem  anbern  Z^eil  übergc« 
gangen,  ^icr  begegnen  un^  bie  X^emata  Don  ©clbftpräfung 
unb  öufee,  Don  ©ctbftDcrlcugnung  unb  5ßräcifität,  Don  geiftti^cr 
S)urd)bringung  ber  toeltlic^en  @'efd)äfte  unb  ©trebcn  uac^  SBoIU 
tommcn^cit,  enblid)  Don  öffentlid^em  unb  ^ßriDatgotteöbicnft 

^ie  @igentt)ämlic^teit  ber  contemplatiDen  (£r!enntnig  ©ottcS 
mirb  fo  meit  ganj  corrcct  bejeid)net,  aU  fie  Don  ber  gnäbigcn 
©rleudjtung  burdj  ben  ©eift  ©ottcö  abgeleitet  unb  an  bie  tjcilige 
©djrift  gctnüpft  tuirb.  Slber  inbcm  ber  ©egenfa|  cincö  auger^ 
lid)cn  unb  eineö  innerlidjen  SSerftänbniffejS  berfelbcn  angenommen 
lüirb,  fo  Derlei^t  äöitfiua  ber  Snftanj  be^  ©eiftci^  baö  Ucber* 
getoidjt.    ®emgemäg  Ijat  man  \>a^  ^ciligttjum  bcr  „l^immlifd^n 


279 

Äfabemic"  fo  ju  erftrcbcn,  boß  man  nidjt  burd)  §örcn,  SBcr^ 
ftanbcögcbriuid)  (ratiocinando)  unb  ©laubcu,  fonbcrn  burd) 
©d)aucu  unb  ©rijmcdcn  über  @ott  unterrichtet  wirb;  bcnn 
barin  bcftcf)t  &otic^  ÖJüte,  baß  er  bie  ©einen  burc^  ffirfa^rung 
uuterrid)tet,  inbem  er  fie  in  feine  Kammer  unb  in  bag  SBcin^au^ 
cinffifjrt.  ajiit  biefer  9lnfpielung  ift  ber  ä^uberfrci^  bc§  ^oljen* 
licbeö  eröffnet.  SWad^  ben  3i^lcn  unb  ©enüffcn  beffelbcn  tuirb 
nun  aud)  bie  SSorfteQung  t)on  bem  prafttfd)en  @(auben  bcmeffen. 
S)crfe{be  wirb  baf)in  beftimmt,  ba§  er  eine  nici^t  einfache  fonbcrn 
jufammengefe^te  Öetpegung  ber  ganjen  Seele  inx  ffirgreifung 
@üttc^  ift.  ^a^  ift  ja  in  iebem  gaUe  rid^tig;  eö  fommt  nur 
barauf  an,  ob  man  in  biefer  Srgreifung  ©otteö  bie  eigene  ©tcU 
lung  jur  SBelt  mit  in  Slnfc^lag  bringt,  unb  bie  8flegulirung  ber= 
felbcn  in  ber  erftrebten  ©eligteit  erwartet  ober  nic^t.  3n  jener 
Kombination  wirb  fid)  bor  eüangelifdjc  ©laube  bewähren.  äBirb 
aber  auf  biefelbe  gar  nid)t  gead)tet,  fo  bewegt  man  fid^  in  bem 
©c^ema  ber  mönd)ifd)en  (Sontemplation.  Snbem  nun  SSitfiuS 
unter  ben  (gfcmenten  beö  Olaubenö  ©rfenntniß,  3"ft'i"wi""9» 
SBar)r]^eit^Iiebe,  junger  unb  5)urft  nad)  bem  perfönlid)en  §eiie 
Mntcrfd)eibet,  beutet  er  bie  enblic^  ju  erreid^enbe  Slufna^mc  S^rifti 
jum  §eilc,  alö  ben  wefentlidjen  8tct  tc^  ©laubenö,  auf  bie  gegen^ 
fettige  ?lngelobung  ber  8lngef|örigfeit  äWifd^en  ber  ©eelc  unb 
@ott,  in  bem  aud  bem  ^o^enliebe  betannten  ©d^ema,  woraus 
bann  ^eiliges  SJertraucn,  Slu^e  unb  greubc  fic^  ergiebt.  5)iefe 
©mpfinbungen  werben  aber  cUn  alö  folgen,  weld^e  aud)  ferjlen 
fdnnen,  nid^t  als  nott)Wcnbiger  $ludbrucf  bed  feligmac^enbcn 
@[aubenS  in  ^(nfpruc^  genommen,  bamit  aud)  ben  SSerlaffungcn 
unb  iöetrübuiffen  gegenüber  jene  ©e^auptung  aufrecht  erhalten 
werben  tönnc. 

SJon  ben  brei  ©ruppen,  in  weldjen  SBitfiuS  ben  3n^alt  ber 
contemplatiüen  (grfenntnifj  orbnet,  fd^Iicfeen  \iä)  bie  jtocite  unb 
britte  gcgenfeitig  ein.  2)ie  fiiebe  gegen  @ott  aU  baö  pd)ftc  @ut 
unb  bie  ffirfcnntniß  ßOtifti  fönnen  nur  fo  Derftanben  werben, 
ba6  i()r  Sn^alt  fid)  becft,  ba  ß^riftuö  ber  unumgängliche  ffir^ 
fenntnifegruub  für  ®ott  ift.  Slber  bie  Betrachtung  ©ottciS  aU 
beS  fouocränen  §errn  rcid)t  ja  nic^t  an  bie  Äinie  ber  c^riftUd&cn 
!öetrad)tung  (jeraii;  fie  burfte  alfo  entwcber  unterlaffen,  ober 
mufetc  im  SJcrgteic^  mit  ben  folgcnben  al«  unjnreid^enb  cnoiefcn 
nierbcn.    ÄUerbing^J  ift  feiuiS  oon  iöeibem   in  biefcm  JBuc^c  gc* 


280 

Iciftct,  lücil  jener  fatale  (8üttei?begriff  icn  orlljobojeu  unb  bcn 
pietiftifdjeu  (Salüiniften  flleicl)  tljeuer  fleiPürbeu  \mx,  SBitfiu^  hat 
beö[)alb  tu  ber  2)eiituni]  beö  timor  filialis  gegen  ben  erhabenen 
ÖJütt,  bcu  er  iiid^t  aU  Später  bejeidjuet,  gerabe  bic  Sinic  iiinc  g^ 
I)alten,  xoddjc  Xfiomaö  uon  2lquiuü  bcl)auptct,  inbem  er  baruntcr 
bie  ©djeu  üerftel)t,  Ö5ott  burd)  Uebertrctungcn  fcineö  ©cfc^c^  ju 
beleibigcu  (©.  252).  Srofebem,  über  DieQeid)t  gerabe  barum  fü^rt 
SSitfiuö  bie  ergänjenbe  iöeiüunberung  ber  SSoHfommcnljcitcn 
®ott^^  baljtii  auiS,  baß  bie  erleud)tete  ©eele  in  baö  ©cmadj 
be^i  Äiönig^  ber  Sfjre  crfjoben  mirb,  tP0l)in  nnr  bie  näd^fteu  grcunbc 
^ngelaffcn  tuerben,  um  bort  bic  göttlichen  SBoUfommcn^eitcn  ju 
fdjauen.  3)iefe  aber  mären  geeignet,  ben  ®eift  fo  in  Serjüdung 
SU  fe|en,  baß  er  in  SSergcf)en[)eit  feiner  felbft  unb  aßer  umgc^ 
benbeu  ®ingc  in  bem  9tbgrunb  ber  @ottl)eit  üerfd)lungen  mcrbc. 
S)ic  füuüeräne  SKiUfür  ©ottcö  nämlid)  ift  ebeufo  gut  ber  örunb 
biefer  ?lui^üeidjnuug  ber  ©eele,  ipie  ber  ®runb  ber  itinbeöfurdjt 
uor  ber  'J3eleibiguug  Öiottej^.  S)iefelbe  überfte  SJJac^t  ©ottcö  ift 
für  SKitfiuö  ebeufo  iuie  für  fiobenftelju  (©.  170)  ber  ÖJrunb  ber 
fd)ulbigen  ©rgebung  gegen  i^n,  in  iuclc^er  er  ben  einj^igen  SBcg 
jur  n)al)ren  Sfiut)e  ertenut.  @r  luilt  baburcl)  erüären,  roic  uuö 
9Uleö  jum  ©Uten  gercidjt,  faun  aber  ben  Icbiglid)  rationalen  ßlja^ 
rafter  be§  leitenben  ©ötteöbcgriffj^  an  biefer  Stelle  um  fo  nw* 
uiger  oerbergen,  al^  er  fid)  auf  bic  jal^lrcidjcu  Ijeibnifc^en  Öci- 
fpiele  ber  Srgcbung  in  ÖJotteö  3"9W"8  beruft.  Ucberljaupt  fällt 
c^  in  biefem  öud)e  auf,  toie  Diele  SScrlücifungen  auf  römifc^c  unb 
griec^ifdjc  ©d)riftftcller  barin  nebeu  bcn  Slnleitungcn  jur  mtjfti- 
fc^en  ©inigung  mit  ©ott  üorfommen.  2)icfc  beiben  ®cfd)ma(f^ 
rid)tungen  l)aben  alfo  in  bcrfelben  5ßerfon  jugleid)  5ßla^.  SBiel- 
leid)t  t)at  biefer  Umftanb  einen  Sinfluf^  barauf,  baß  SBitfiuö  ber 
qnictiftifd)en  33el)auptung  ber  @lcid)gültigtcit  jujifc^cu  ber  fiicbc 
(VI  ®ott  unb  unferem  Sutereffe  an  ber  eigenen  ©eligleit  uic^t  jU» 
ftimmt,  obgleid^  £obcnftet)n  biefer  Folgerung  auö  ber  ©ouücrönctot 
®otte^  nat)e  gefommen  toar  (©.  169).  SBitfiuö  fp^id^t  eö  au^, 
baß  unfer  Sntereffe  an  ber  @^re  ©otteö  unb  baö  an  bem  eigenen 
§eil  fid)  nidjt  trennen  laffeu,  ferner  baß  ber,  tt)eld)cr  ®ottc^  ©c- 
redjtigteit  unb  ;g)eiligfeit  liebt,  nid)t  unfromm  ift,  alfo  aud^  ntd)t 
üerbammt  tuerben  lann. 

2)ic  Siebe  ju  ®ott,   tücldjc  bie  Unterwerfung  unter  feine 
©ouücränetät  überbietet,  ergäuät,  beridjtigt,  wirb  an  bic  ©c^ön« 


281 

l^cit  unb  Äicbcn^^ürbiglcit  ©uttc^^  an9elnüt)ft,  alö  bcr  Zxicb  nad) 
bcr  Sluciflnnng  bcö  Ijöd^ftcn  ©iitej^.  Sllfo  aud^  I)icriu  ift  bic  ÜJic^ 
t^obc  bcr  (SontcinVlatiüii  bcgrüubct.  ©vccicHcr  bcftimmt  SBitfiu^^ 
bicfcö  8JcrlÖältiü§  mit  einem  Sitatc  auö  9)cvnl)arb'ö  Xroctat  de 
diligendo  deo,  nämlidj  mit  bcm  @}cbanfcn,  .bag  ^utt  burc^  bic 
Wliiljc  tc^  (Srlöfung^tucrfc^  bic  Dotlc  b.  ^.  bic  liebeüoQc  Srgcbunc) 
bcr  erlöftcn  ©eck  auf  bcm  gu^c  bcr  @lcid)()cit  I)crauöflcfmv 
bcrt  f)ai  (S.  49).  §icr  tritt  bic  (janjc  Xerminologic  bc^ö  ^üt)ciu 
Itebci^  in  ©cltung.  3nbcm  nun  nod)  bcr  ^arftcUung  Don  ^itfiuS 
biefc  Äiebc  ju  ®ott  mit  bcr  ÄicOc  5U  ß^riftuö  fid^  bedt,  fo  gilt 
e^  glcic^,  bog  man  in  GJott,  unb  baß  man  in  ß^riftu^  bic  ©c^ön:= 
^cit  lüal^rnimmt,  ju  bcr  man  burc^  bic  ffirregung  bcr  Suft  ^in^ 
gcjogcn  tDirb.  Snbcm  man  (S()ri[tuS  glcic^fam  als  gcgcnmärtig 
Dox  fic^  ^inftcDt,  unb  inbcm  man  ilju  fc^mcdt,  fo  ^at  man  aurf) 
ben  ©cfc^mad  üon  @ott  unb  ipirb  burc^  bic  Ocraufd^cnbcn  grcu= 
bcn  bicfcr  SScrcinigung  fo  ubcrfdjüttct,  ba^  man  in  bic  @nt^ 
jüdung  fortgcriffcn  luirb.  SBitfiuS  bcbicnt  fic^  jur  ÄuSfüI)rung 
bicfcr  rcligiöfcn  Suft  eincjJ  auöfü^rlidjcn  (Sitatcö  auj^  bcm  Xractat 
Don  JRouö  (©.  128),  üon  ipcld)cm  er  and)  bic  Ucbcrfdjrift  bcö 
Sapitcls^  de  receptionc  Christi  et  matriomonio  mystico  cntlcl^nt 
^t.  3n  bcm  t()corctifc^cn  ^auptmerlc  Don  SBitfiuö  Hingen  einige 
bicfcr  ^cjic(jungcn  bentiid^  an,  tuenn  aud^  nid)t  in  ben  am  meiften 
ciflcntt|ümlid^cn  löncu  be§  ^o^cnlieboö;  namentlich  rechnet  er 
auäi  bort  bic  Aufnahme  S^rifti  alö  bcn  iüefcntlid)cn  @loubcnö= 
Ott,  in  tDclc^cm  bcr  Dcrtraulid^c  SScrlc^r  mit  @ott  eröffnet  ttjirb. 
SBitfiuS  ()at  ^uglcic^  bic  Formel  bcr  Slcc^tfcrtigung  im  Oanjen 
correct  auöcinanbcrgefefct.  2tbcr  in  bcm  ©rbauungöbud)  finbct 
fid^  fein  SBort  Don  ^Rechtfertigung  auö  bcm  ©laubcn,  am  tuc:^ 
ntflften  ift  bic  ganjc  2lnfd)auung  bcö  geiftüd^cn  ÄcbenS  banadj 
rcgulirt.  ^Beiläufig  fommt  ^ier  jiüar  baö  ^riefterttjum  ß^rifti  in 
SBctrac^t,  aU  @runb  unferer  ©ünbcuüergcbung  unb  unfercS  3^^== 
gangiS  ju  ®ott,  aber  eben  beiläufig  unb  auc^  n^iebcr  unter  bcm 
©cfic^töpunft  bcr  aSfirbe  unb  ©d^önljcit  et)rifti.  ®aS  folgenbe 
(Eapitel  Vivendum  esse  Christo  pro  nobis  mortuo  cntmicfcU 
feine  anbercn  Siegeln,  als  meiere  unter  SSorauöfcfeung  bcr  ©ünbcu:: 
tjcrgebung  aud^  bcm  ^eiligen  Sern^arb  geläufig  finb.  Siämlid) 
man  muß  bcr  SBclt  abgeftorbcn  fein,  man  muß  fic^  in  eine  ^ei* 
Itflc  Cinfamfeit  begeben,  um  ßfiriftuS  Uertraulidjcr  ju  genießen, 
ober  im  orange  bcr  tt)cltlid)cn  ©cfc^äftc  fein  ©cmütlj  fo  ftimmen, 


282 

ia^  man  ftill  unb  faiift  mit  ßfjriftuö  iimgel^cn  fönnc,  unb  muß 
feinen  ©lanben  baranf  rid^ten,  baß  ß^riftu^  mir,  bec  feiner  Siebe 
lüürbic)  njar,  mit  [u  großer  Äiebe  na^gegangen  ift,  nnb  bag  td^ 
bemgemäß  itjn,  bcr  aller  Siebe  tuürbig  ift  mit  Änftrengung  aDcr 
iträftc  tüieber  liebe.  SBirb  nun  bie  9Zac^at)mung  ber  ^^ugenben 
S^rifti  unb  bie  SRic^tung  be§  Sebenö  auf  fein  2öol)lgefaßen  ^in* 
angefügt,  fo  ()ä{t  and)  biefe  ü)iütiDirung  beö  fitttic^en  ^anbelnö 
nur  bie  Sinie  bei3  mittelaltrigen  S^riftentl^um^  innc.  (gö  ^at 
einen  ganj  anbern  ©inn,  baß  Äutf)er  bie  ©antbarfeit  gegen  bie 
©nabe  ber  ^Rechtfertigung  alö  ben  ©runb  beö  Out^anbelnö  auf» 
ftellt.  3)iefe  SRegel  ^at  eö  beutlic^  auf  eine  gemeinfame  unb 
öffentlidje  gü^rung  bc^  Äebenö  abgcfef)en,  jumal  mcnn  mau 
^injunimmt,  baß  bie  9'lac^af)mnng  ß()rifti  auf  bie  treue  (Srfüttung 
jeben  öernfe^  gebeutet  n)irbO-  SBitfiuö  hingegen  t)at  blöd  bic 
möndöifdje  ^riüatfrömmigteit  gejeidjnet,  inbem  er  ber  ©pur  bc5 
^eiligen  Öernl^arb  folgt. 

SSon  allen  Siieberlänbern  jener  3^^*  t)at  feiner  bie  Sern* 
Ijarbinifdje  grömmigfeit  ju  fo  genauem  atnöbrucf  gebrad)t,  njic 
biefer  afabemifd^e  i^eolog.  3)er  @runb  ift  leid)t  ju  crfcnnen; 
er  l)at  fic^  jnnädjft  nad)  bem  2)iufter  t)on  5^anciö  SRouö  gerichtet. 
9lbcr  tüic  fe^r  t)at  fid)  bie  Sage  ber  niebertänbifc^cn  Äird^c  in 
25  3af)ren  geänbert,  feitbem  1071  SBoet  (©.  123)  bejeugte,  baß 
bie  aJi^ftit  ettoaö  in  ber  reformirten  Stird^e  Unerl^örtc^  fei!  Scfet 
1696  trägt  ber  angefe^enfte  2;i)eolog  eine  Einleitung  jur  ^tetSt 
öor,  n^elc^e  nad^  bem  bireeteften  Sßorbilbe  ber  mittelaltrigen 
ÜJitjftit  bemeffen  ift.  Unb  alg  biefe  SSorlefungen  naci^  mc^r  tt)te 
30  Salären  gebrudt  Ujorben  finb,  njerben  fie  burd^  ein  3<^"9"i6 
ber  ©roninger  ©tjnobe  für  i^re  9led)tglänbigfeit  begleitet.  S)iefcr 
©rfolg  aber,  baß  man  bie  gvembartigteit  biefeg  ©ebanfenfrctfcd 
für  bie  reformirte  Äird)e  gar  nidjt  bemertte  unb  an  i^m  feinen 
Slnftoß  mt)m,  ift  bod)  andj  burd)  SSoet  Dorbcreitct.  2)iefer  Wlann 
gerabe  t)at  atte  möglid)en  ©toffe  religiöfer  nnb  ttjeologifc^er  Sit 
bung  auö  bem  ÜÄittelaltcr  aufgenommen,  fofern  bicfelbcn  gegen 
ben  feftftet)enben  Umfang  ber  ßontroDerfe  mit  bem  ?ßapftt^um 
atö  neutral  erfc^ienen.  SBoet  ^at  in  ber  tl)eorctifd|en  Ideologie 
bie  ariftotelifc^e  $l)ilofopl)ie  unb  bie  fc^olaftifc^c  ÜWct^obc  ange» 
toenbet,  unb  ber  Slnctorität  beö  St)ümaö  Don  äquino  eine  breite 


1)  Apol.  C.  A.  XIII.  48—50. 


283 

©trage  eröffnet.  3n  bcr  ®if)it  ^at  er  benfelben  SJiaßftab  beö 
©eiüiffeiiö  ju  ©ruiibc  gelegt,  iuetd)er  fcl)ün  für  bic  prattifd^e 
©itteiile^re  beö  9KittelaIterö  gültig  \mx.  3)a§  [jaOen  freilid^  alle 
(£t()ifer  unter  ben  Sut()eranern  unb  Salüiniften  getl)an,  aber  feiner 
fo  mc  9Soet,  mit  abfidjtlid^er  2(ulef)nung  an  bie  SSorgänger  auö 
biefcr  (Spucke,  (äbenfo  ift  er  in  feiner  X^eoric  ber  Sli^fefe  Der= 
fahren,  unb  nur  auf  bic  mt)ftifcl)e  ^Bereinigung  ber  ©celc  mit 
©Ott  ift  er  nid^t  eingegangen.  Sud)  bie  Aufnahme  üon  Üiegeln 
bcö  fanonifc^cn  9ied)te^  jur  ©d^ärfung  ber  S)i^ciplin  ^at  i^n 
nic^t  befrembet  (©.  115).  itann  man  fic^  tuunbern,  ba§  bic 
Untcrfc^cibung  beöicnigen,  tva^  fattjolifd^  ift,  unter  feiner  ®in= 
wirtung  gefd^wäc^t  worben  ift?  ©cmgemög  tjat  and)  SBitfiuS 
nid|t  crfannt,  \)a^  er  in  ber  SWad^bilbung  ber  contenH)latiüen 
grömmigfeit  beö  ^ßuritaner^  SRou^  feine  Sluetorität  üon  ec^t  rc= 
formirter  Slrt  befolgt  I)at.  3nbeffen  ^at  bie  birectc  aJitjftit  üon 
I^eobor  93rafel  unb  SBitfiuö  in  bem  nieberlänbifdjen  Sßolfe  ferne 
Stufna^me  gefunben.  Sie  Sonüentifel  ^aben,  mie  fid^  jcigen  toirb, 
eine  itiebrigere  Äinie  innegehalten,  al^  j"  tt)etd^er  jene  Söeiben  fid^ 
5U  ergeben  fudjcn.  2)afür  ift  auc^  ber  Umftanb  nic^t  o^ne  SBc= 
beutung,  baß  felbft  in  ber  Sababiftifd^en  ©emeinbe  bie  m^ftifd^e 
Icnbcuj  bcö  ©tifterö  Don  ^üon  aufgegeben  toorben  ift  (©.  254). 


15.  Sie  eliangeliffl^e  9iid^tiutg  t>t^  nteberlSnbtfi^ett  ^tettdmud« 

S)ieienigcn  6onüentiteld)riften,  n)eld|c  fic^  auf  bie  Sluctorität 
wn  SJoct  ftüfeten,  f)abcn  fidj  o^ne  ß^^^iM  beö^alb  sufammen- 
flcfunben,  tücil  fie  für  itjr  §eiligungöftreOen  in  ber  öffentlichen 
Äirc^c  mc^r  Hemmung  aU  görberung  erfuhren.  3nbem  fie  auf 
bic  Ucbung  ber  ?ßräcifität  bebadjt  njaren,  ad^teten  fie  üorOerr:: 
fc^cnb  auf  baö  djriftlidje  ©efefe.  ©ie  ftü^en  bic  Aufgabe,  bie  fie 
jju  löfen  ^aben,  barauf,  bag  fie  alö  ftiuber  ©otteö  d)riftlid)e  S^a= 
rafterc'finb,  unb  fie  finb  it)rer  SJerfötjnung  mit  @ott  o^ne  SBci^ 
tcrc<3  gewiß,  ba  il)nen  bie  Heiligung  am  ^erjcu  liegt.  Um  bicfc 
Slufgabc  ju  löfen,  befc^äftigen  fie  fic^  in  i^ren  SSerfammlungen 
nid^t  bloS  mit  ^nbad)t$äbungen,  fonbcrn  aud^  mit  ber  Srörterung 
Don  ©cioiffcn^fallen  (©.  122).  Stuf  biefcr  Sinic  fte^t  auc^  So« 
bcnftct)n.    ^nn  feine  „SBägfd^alc  ber  UnDoQfommenf)eiten''  ift 


281 

gcrabc  baroiif  bcrcdjiict,  bic  flcfcfelidjc  ^altuiu]  bcr  SBicbcrgcborc- 
neu  bi^  in  bic  fcinftcn  33cjicf)uiu]cn  ju  rcfldu  unb  ju  fteigcrn. 
Seine  2;i)corie  Don  ber  ©elOftDerlcngnnng  ferner  ift  barauf  an» 
flclcflt,  ia^  man  bie  fittlid^e  ?ßflifl)tcrfüllun8  in  bemfelbcn  TOafec 
üben  füll,  nli>  man  fiel)  üon  ber  göttlidjen  (SJnobc  getragen  tücife. 
9tnf  bicfe  aKetI)obc  gefe^lidjer  ©enanigteit  Ijat  and)  Sababic  feine 
@et)aration  gegrünbet  nnb  gcrifl)tet.  giir  feine  Sleform  ber  ©ittcn 
fanb  er  bie  X^cilnetjmer  gerabe  in  ben  üün  SSoct  unb  Sobenfte^n 
geleiteten  Greifen.  ?lber  bic  gefefclidie  Xenbenj  ()at  in  ben  Eon* 
Dentiteln  faum  biö  jum  @nbc  bei^  17.  3a^r^unbcrt»  Dorgeljcrrft^t 
SJielmel^r  lann  man  Dom  Slnfange  bc^o  folgcnben  an  bentlid^  er* 
fennen,  bafi  je  mel)r  bie  Sonüentifel  fid)  Derftärft  unb  über  äße 
üereinigtcn  $rot)inj;en  fidj  ausgebreitet  l)aben,  eine  anbere  Siic^tung 
in  i()nen  bie  Dber^anb  geloann. 

2)iefc  SSeränbernng  fünbigt  fid)  urft)rünglid)  in  einem  bi* 
recten  Angriffe  gegen  bie  ßonDcntitcHentc  an,  loderen  SBil^elm 
Xeellinrf'i^ ©oljn,  3üf}anncg  Xeellind^)  burc^  eine  1661  ge^al= 
tene  ^rebigt  über  $f.  119,  50  unternal)m.  6r  ^ielt  nämlid^ 
benfelbcn  bie  unter  il)nen  öerrfdjenbe  gefefelidje  S)enl=  nnb  §anb* 
Inngölocife  t)or.  @r  erflörte,  büß  unter  benfelben  nur  loenigc 
feien,  meiere  burd)  loafjrcn  ©tauben  fid)  bie  3Jer()ei6ungcn  @ottc3 
3nred)neten,  uielmel)r  luirften  fic  nur  burd)  baS  ©efefe,  atö  ob 
bie  El)riften  noc^  unter  bem  ©efejjc  ftänben,  um  burd)  beffen  ^* 
füllung  ju  (eben.  S)er  SJJenfd)  muffe  freilicl^  bie  rechte  ffirfenntniß 
feineö  ©lenbeö  burd)  baS  @efe^  befommen,  biefelbe  bürfe  aber 
nid^t  Don  bem  §errn  3efu'3  äurflcfl)alten,  müffc  t)ielmc^r  ein 
©porn  fein,  um  feine  3iifIiJd)t  5"  beffen  reinigenbem  Slute  ju 
nehmen.  Söian  bürfe  fid^  nid^t  toeigern  getröftet  ju  werben,  fom 
bem  foQe  fid)  ©ottcS  9Serl)ei§ungen  mit  aller  greimüt^igfeit  ju- 
eignen.  S)icfe  ^rebigt,  meldte  juerft  Don  einem  böf^ioilligen  3^* 
prer  unliüUftänbig  Deröffentlid)t  ttjurbe,  rief  bei  ben  ^Jrommen 
einen  ©d^rei  beS  SntfefeenS  l)erüor;  fie  Uerurtf)ei(tcn  Seellincf  aU 
einen  ungetreuen  Slrbeiter  im  SBeinbcrge  beö  §errn,  ber  bic 
fruchtbaren  SRanten  njegfd)neibe  unb  bic  unfrnd^tbaren  nid^t  bc* 

1)  $rebtQer  feit  1641  an  t>cr{4tebenett  Orten,  in  Utred^t  t)om  ^RaDtRrot 
1660  abgelegt  »egen  {einer  Oppofttion  gegen  bie  ^ufre^ter^dtung  ber  !at(oItf4' 
{trd^Udden  «Stifter,  1661  in  Stam\>tn,  1673  in  Seeutoaarben,  in  bemfelben  Jatltt 
geflorben.    3""*  5olfl«"^f"  ^O^-  Ypeij  eu  Dermoutlll.  p.  311. 


285 

TÜfjrc.  3cfet  crft  lüurbc  bic  ^rebigt  mit  Scnfur  bcr  Sloffi^  Don 
Rampen  autfjcntifc^  ^crauögcflcbcn*).  3^  tonn  mic^  enthalten, 
bcn  nic^t  ganj  bcutlid)cu  SJcrtd^t  bcr  ©cfc^idjtfc^retbcr  bcr  nic^ 
bcr(äitbifd|ca  Äird^c  über  bcn  autfientifc^cn  lejt  bicfcr  ^rcbicjt 
ju  iuicbcr^ülcit,  ba  bic  ©tcnung,  tDcld^e  3ofj.  IccIIincf  in  bicfcr 
8[ngelc9cnl)eit  eingenommen  f)ai,  au§  feinem  SJudjc:  ,,S)er  frnd)t' 
bar  mac^cnbe  SBcinftüd  S^riftnö"  mit  alter  luünfc^cnöiocrtljcn 
Älarljcit  fid^  crgicbt^).  ©d^on  bcr  2:itel  jeigt  an,  ba§  bcr  SScr^ 
faffer  nic^tä  iueniflcr  a(^  gleichgültig  gegen  bic  guten  SBcrfe  ift, 
-ba^  er  Dtelmc^r  in  it)nen  bic  9Iufgabc  bcö  cl^riftlid^en  ficbcn^  cr^^ 
fcnnt.  ?llfo  toirb  feine  SRügc  gegen  bic  grommen  fid^  tpafjrfd^cin^ 
lid^  auf  einen  engem  (JJegenfa^  gegen  bereu  9Wct^obc  ein* 
fc^ränfen,  olö  bic  ungenaue  Äunbc  üon  jener  ?ßrcbigt  jucrft  an 
bie  ^anb  gab. 

3n  biefer  §infic^t  bietet  bic  ©inlcitung  in  bcn  britten  I^cif 

bcö  SBud^eö  folgcnbe  Sluötunft.    „35cr  §crr  Scfuö   ift  in  biefem 

legten  unb  gciftlofen  gcitnlter,  tpie  eö  fdjcint,  Don  njcnig  Äraft 

jur  Heiligung   felbft  in   feinen  tt)al)ren   ©liebem.    3)enn 

locun  man  einmal  auf  bcn  geiftlid^en  ßuftanb  bcr  uja^ren  ®läu== 

bigcn  im  SSBcrf  bcr  Heiligung  redöt  mcrtt,  fo  n^irb  man  finbcn, 

bag  in  bcn  SKciften  menig  Ä'raft  gegen  i^re  bcfonbercn  ©ünben 

Dor^anbcn  ift,  oielmc^r  im  ©cgcnt^cil  eine  große  gleifc^lic^teit, 

irbifdjc  ©efinnung,  große  Irägfjcit  jum  ©Uten,  ein  befonberer 

SÄangcl  an  @ifcr  unb  (Seift,  unb  beinahe  feine  Äraft  um  jum 

@utcn  bur^jubrcc^en,  fo  bag  ba  toenig  Unterfc^icb  smif^en  it)ncn 

iini)  bcn  SBclttinbcrn  gefpürt  njirb.    So  gc^t  eö  nid^t  allein  mit 

bcn  Stinberu  ®ottcö,   bereu  ®laube  nod)  fct)r  unter  bcn  güfecn 

liegt,    unb  njcldjcn  bcr  §err  3cfuö  mit   bcn  SBirtungcn  fcincö 

Reifte»  fc^r    fern    getreten    ift,   fonbcrn   felbft  mit   bcncn,   bic 

«iiigcrmagcn  im  ©laubcn  fcft  ftct)en,  unb  in  beren  ©celcn   bcr 


1)  De  levendigmakcnde    kracht   van    gods    beloften,   of  leerrede 
wyver  Ps.  119,  50. 

2)  Den  vruclitbaerniakenden  wijnstock  Christus.  Dat  is  een  eenvoii- 

^ige  onderrichtinge  aen  alle  wäre  Christencn,  hoc  dat  sij  sullon  mögen 

volharden  in  den  geloovo,  ende  den  gcest  des  Ueeren  Jesu  so  bij  haer 

hebben    ende   houden,   dat  sij    iiyt  Christo  moghon  deelachtigh  worden 

«en    geestebjke    kracht,   om    vruchtbaer   tc  wesen    in   goede   wercken. 

3  X^tiU  1G66.  G7.    3n  neuev  ^u^gabe  Utre^t  187G.  77.  Umfaßt  995  Seiten 

In  ttein  Ccloü. 


286 

§crr  3cfuö  mandjinol  fd^on  bcfonbcrg  mit  feinem  ©eiftc  tüirft. 
Unb  baö  fommt  fjauptfädjUd)  baDon,  ba§  fie  fein  ©cfc^äft  barau« 
mad^cn,  täglid^  itraft  j»^*  ^cilicjung  unb  jur  grud^tbarfeit  in 
fluten  SBerten  aus  3efu^  S()riftuö  ju  fc^öpfen.  Dbfd^on  bie 
tüat)ren  ©laubigen  ®emeinfd)aft  mit  bem  $crrn  Scfu«  ^abcn, 
fo  baß  fie  in  SäSaljrtjcit  facjcu  tonnen:  meinSiebftet  ift  mein  unb 
id^  bin  fein  (Kant.  2,  IG),  unb  obfdjon  bcr  §err  3cfu3  einigem 
magen  ber  ©eele  ualje  ift  mit  feinem  ®eift,  fo  erlangt  man^mol 
bie  ©eclc  uic^t  Diel  SSortljcil  üon  ©f)riftu§,  tueil  fie  nid^t  bie 
ifraft  bcr  Heiligung  auö  il)m  sicljt".  2)icfe^  Urtl)eil  ^oirb  n)citcD 
f)in  fpccificirt  äunäc^ft  auf  bie  n)a[)ren  ©laubigen,  loelc^e  noc^ 
unter  bcr  Maäfi  beö  Unglauben^  liegen,  b.  \).  wdifc  an  i^rcr 
SBicbergcburt  ober  itjreu  ©emcinf^aft  mit  (£()riftu§  jwcifcln,  \ot\i 
fie  fid)  unfrudjtbar  an  guten  SSJertcn  finben.  SBir  Ijabcn  biefc 
iilaffe  als  bie  firupulöfcn  S^riften  anäufet)cn,  ujcld^c  fidj  nicmaü 
mürbig  jum  ©enuffe  bc§  Slbcnbmafjleö  ad^ten  (©.  117).  3)ancbcn 
bcfdjulbigt  leeHind  eine  anbere  iflaffc  tual)rer  ß^riftcn,  bag  fie 
in  flcifd)lid)cr  ©orglofigfcit  bie  guten  SBerfc  üerfäumcu.  3)cut* 
lieber  ate  biefc  ift  bie  brittc  Älaffc,  U)cld)c  nac^  IccUind^ö  «n* 
gaben  einerfcitö  luftloö  unb  ucrbrießlic^  in  it)rer  ^ßflic^tcrfuHung, 
unb  5uglcid)  abiuedjfclnb  l)odjmfitt)ig  unb,  njcnn  i^nen  etiüaö  mig* 
lingt,  l^üffnung'^loö  fid)  ücigcn,  ujcil  fie  unter  ber  §anb  fi^  auf 
i^re  eigene  Äraft  üerlaffen.  S)icfcö  finb  bie  Srfc^einungen,  tuclc^c 
fic^  nur  ju  leid)t  mit  bem  ©treben  nad)  gefefelic^er  ^räcifität 
jufammenfinben.  Dtjue  ßmcifcl  finb  biefc  ®emütt)§suftänbc  bei 
benen  ju  fudl^en,  tucld^c  fid)  für  berechtigt  achten,  bie  äbcnbmal^te* 
fcicr  üor  bcr  3;0cilnat)mc  uon  Umuärbigen  unb  Scrbäc^tigcn  ju 
fd)üfeen  (©.  116).  ®g  fattt  auf,  bag  Sceüind  bcnfelben  beu  3tt)cifcl 
baran,  ob  auc^  Sl)riftu^  it)r  ©eligma^cr  fei,  nadjfagt.  Snbcffcit 
I)at  er  hierin  n)ol)l  mcl^r  eine  mögliche  ßonfcquenj  anS  bcr  fehler« 
l)aften  unb  ungcfuubcn  ©efcfelic^tcit  jener  grommen  crratt)en,  als 
ba^  biefer  ä^^if^l  ^^^  bcnfelben  beutlic^  ^cruorgctrcteu  luärc. 
©eine  eingaben  finb  aber  maljrfd^cinlic^  genug;  benn  fie  bcjcic^ 
neu  nur  bie  5ct)lcr,  n)cld)c  fid^  jcber  gorm  gcfe^lid)cr  grömmig* 
feit  anäul)ängen  pflegen.  Unb  cS  gcf)ört  tüirflid)  üicl  baju,  tpcnn 
ein  SKann  ttjie  Sßoet  bezeugen  fonnte,  bag  gcrabc  baS  ©treben 
nad)  ^räcifität  mit  bcr  ©rfa^rung  bcr  d^riftlic^cn  grci^cit  ju* 
fammcntreffc  (©.  113). 

SBaö  bebeutet  nun  aber  bie  2Rctt)obc,  u>eld^c  XccUindt  jur 


287 

SBcfcitigung  jener  Uebelftäitbc  in  ber  Heiligung  üorfd^lägt?  Sn 
Änleiinnnfl  on  Sol^.  15,  4.  5  bcjcldjuet  er  fic  fo,  ba^  bic  (S^riften 
burd^  ben  ©lauben  in  S^ri[tu§  DlciOen,  nnb  ben  in  if)ncn  Dloi^ 
bcnben  ß^riftuö  fcft^alten  muffen,  um  qu^  i[)m  fortn)ä()renb 
bie  Äroft  j\u  guten  SBcrten  ju  fcijöpfcn.  ©eine  SKeinunfl,  bie  er 
in  unenblid)cr  Srcite  unb  in  ermfibenben  SBicber^olungcn  au§* 
fü^rt,  ift  barouf  gerichtet,  ba§  unOcfongenc  ©elbftßcfüt)!,  in 
toclc^em  ber  SBiebcrgeborcnc  feiner  ^ftic^tcrfüDung  obliegt,  fflr 
ungültig  ju  ertlären.  Sobenftet)n  f)ai  ben  ©runbfafe  QUögcfprod)en, 
ein  6f)rift  ujirle  fo,  al^  ob  er  eö  allein  t^äte,  unb  ttjarte  fo,  aU 
ob  er  übcrl)Qupt  nic^t^  tpte;  n^enn  ein  ©laubiger  fic^  ju  feiner 
$fli(^t  aufmccfe,  fo  mcrbe  er  eben  üom  r)ciligcn  (Seift,  ber  in  il)m 
ift,  bewegt;  benn  bicfer  n)irfe  in  iljm  unb  bur^  i[)n  (©.  172). 
IceHincf  aber  fd^rcibt  Dor,  bag  ber  n)a^r[)aft  ©laubige,  inbcm  er 
im  ©tauben  befcftigt  ift,  fic^  ftet^  gegenmärtig  ju  galten  t)abe, 
aud)  feine  bcfteu  SBerfc  feien  uon  ber  it)m  noc^  anflebenben  ©iinbe 
bcfledt,  unb  ba§  er  in  feinem  ©nabenftanbe  ftet^  feine  perfönlidje 
O^nmac^t  uon  ber  in  i^m  ju  mirfen  beftimmten  j^raft  (S^^rifti  ju 
untcrfd^eiben  f)abe.  S)eren  l^abe  er  fic^  ju  bemäd)tigen,  inbem  er 
bie  fieiben  St)rifti  ju  feiner  SSerfö()nung  ernjögt,  unb  ben  §errn 
3cfuö  in  fiiebe  umtjalft  für  bie  große  Siebe,  bie  er  i^m  beujiefen 
I)Qt,  inbem  er  ferner  bie  ©emeinfc^aft  ber  frommen  fuc^t,  enblic^ 
inbem  er  bie  ürd^lidjen  ©nabcnmittel  gebraust.  (Erreicht  man 
cd  auf  biefc  SBeife,  in  ß[)riftu§  ju  bleiben,  fo  ift  eö  ein  ifenn* 
jcicftcn  biefeö  ©rfolge^,  wenn  man  uon  greubigfeit  erfüllt  mirb. 
allein  biefer  ®efüt)l^genu6  ift  nic^t  al§  ba^  fcftc  gunbament  be« 
©clbftgefüljfö  ansufc^en;  benn  er  ift  nic^t  immer  bauernb.  ©eö- 
f)alb  ^at  man  fid)  ju  bcmül)en,  ben  §errn  3efu§  tt)ieber  jurüd* 
jutufen,  tt)ie  bic  93raut  im  $ot)enliebc.  3)icfcö  gefc^ie^t  aber 
^auptfäc^lid^  burc^  bie  (Sinprögung  ber  SSer^eigungen  S()rifti; 
^icran  ^ängt  bic  SJereinigung  mit  i()m,  unb  l)icrauS  fc^öpft  man 
bie  Jtraft  j(u  ben  guten  SScrfen,  unter  ber  liBcbingung,  bag 
S^riftud  für  bic  ©einigen  beim  SSater  göi^bittc  leiftet. 

3c^  möchte  ücrmutljen,  tt)cr  fid)  nac^  bicfer  3)iett)obc  rid)tet, 
mirb  niemals  ju  irgenb  einem  guten  äöcrfe  bic  gcit  finbcn.  2)ic 
t^eologifc^e  äKetl)obe  biefcd  ©d^riftftellerd  ift  fo  unerfprieglic^  xok 
tnöglid^.  Sic  Heiligung  fann  nur  Dcrftanbcn  n^crben  au$  bem 
)>erfönlt^n  ©clbftgcfü^l  be^  aBicbergcborenen  al§  einem  ©anjcn. 
liefen    ct^if^en  ©tanbpunh    ^ur  ^egrünbung   einer  ct^ifd^en 


288 

Selftung  ipiCt  nun  ober  S^cellind  eben  nid^t  einnel^mcn;  obcrDict 
nieljr  fc^Iie^t  er  if)n  alifid)tUd)  and  \>nxö)  bie  bogmatifdjc  2)iftm^ 
tion  ätt)ifd)en  bcr  D[)ninad)t  be^  9}?enfd^en  unb  ber  not^tuenbigcn 
Äraft  SJ)rifti,  bie  er  and)  auf  bic  tuicbcrgeborcnc  Statur  ober  Den 
Ouabeuftaub  aniüenbet.  Sluftatt  uad)jutx)ci|en,  tuie  bie  firaft 
K[)rifti  bie  ifraft  ber  tuiebercicborencn  ^erfou  fclbft  ift,  leitet  er 
feine  Scfer  ju  einer  ©rübelei  über  bic  Äennjeidien  ber  Siuujo^nung 
S()rifti  an,  meiere  in  bem  üorgefdjriebcnen  ©djcma  objcctiöcr  (5r* 
tenntuig  niemals  jum  3icfc  fü^rt.  SlHerbing^^  mad^t  er  burc^  bic 
ftctc  ©ntgegcnfefeung  jiuifdjeu  ber  Äraft  S^rifti  unb  bcr  D^n-- 
ntad^t  bcr  ©laubigen  bie  gcfjlcr  ber  Heiligung  unmöglid^,  mldft 
er  an  ben  grommen  gertigt  i)at,  aber  um  ben  ^rei§,  ba§  er  tf 
tiberl)au))t  unmöglid)  mad)t,  bie  Heiligung  ald  bie  pcrfönlid^ 
?lufgabe  ju  ergreifen,  ©efefet  bag  audö  bie  grommen,  beren  beftc 
iSBerfe  uon  ber  ©ünbe  beftedt  finb,  fid)  aU  franf  ju  erfcnncn 
^aben,  fo  ift  e§  bie  üerfcl^rtefte  2lrt  ber  Teilung,  fic  jur  ©r- 
lenntnig  ber  SBcbingungen  bcr  ®efunbf)eit  unb  äugleic^  baju  an^ 
juleitcn,  fid^  unauft)örlid^  ben  ^ul^  ju  füf)Icn,  ob  bie  Sebingungcn 
bcr  @cfunbl)eit  bei  il^nen  awd)  eintreten,  ^iefe  2Äct^obc  bcr 
§ciligung  alfo  foU  eöangclifd)  fein,  inbem  fic  nic^t  gefc^Uc^  ifl. 
aiHcrbing^  ift  üom  ©cfcfe  in  biefem  5)ud^e  wenig  bie  Siebe,  in 
bemfelbcn  3Ra§e,  aU  ber  SBicbcrgeborcne  ni^t  ate  ©ubjcct  bcr 
©efcfecrfötlung  begriffen  tuirb.  ?lber  eüangclifc^  ift  bie  Anleitung 
2;cctlind'ö  jur  Heiligung  bod)  nur  in  bem  SRagc,  aU  er  bie 
3bce  ber  Scrfö^nung  für  ben  äurcid^cnben  ©runb  unb  Stegutator 
be§  93ctt)u§tfeiniJ  beö  ©laubigen  Don  feiner  Dl^nmadjt  unb  feinet 
©treben^  nad^  ber  ^Bereinigung  mit  bem  §errn  3cfu^  crflärt, 
luoraug  bann  in  ber  SJraft  ß^rifti  bie  Heiligung  ^erüorgel^fn 
foU.  ?lUein  biefcr  §auptinl)alt  bed  ©üangclium^  ift  einerfcitö 
bogmatifd^  eingeengt,  unb  anbererfeitö  nur  ber  ©inbilbungSfroft 
an^eimgeftellt,  njeldje  fid)  nad)  ben  SSitbern  beö  ^o^cnlicbciJ  ju 
rid^ten  f)at.  @r  ift  aber  nidjt  in  bem  perfönli^en  ©elbftgcfü^l 
bc!§  ruijigcn  unb  gebulbigen  SSertrauenö  auf  ©ott  nac^getoiefen. 
3)ie  ©ic^crljcit  ber  perfönlid|cn  Ucberäcugung,  tt)eld)c  bic  Sücfor- 
matorcn  an  baö  ©üangelium  öon  ber  SSerfö^nung  fnüpfen,  ift 
üielmc^r  au^gefd^loffen  burd^  bie  8lb[ic^t,  eine  ncruöfc  Unjtd^cr:^ 
^eit  bcr  Stimmung  [)crbeisufü^rcn,  njcld^e  baö  ©egcnt^eil  ber 
iiraft  jnr  Heiligung  ift.  i)iefe  äßet^obe  ber  grömmigfeit  ift 
allerbinge>   rcd)t  meit  entfernt  Don  bem  ©treben  nad^  ^räcifitfit, 


289 

locl^cm  fllcid^j^citig  Sobcnftetjn  in  bcr  ^SBägfd^atc  bcr  SBoIIfommcrt* 
l)cit"  Sluöbrud  gegeben  ^at  ©oHen  wir  nun  icellindt  borin 
©loubcn  fc^cnfen,  bog  bie  ?ßräcifität  öcrbriefelid^e  unb  f)od)' 
müt^igc  @emfitl|^ftimmung  nad^  fid^  jie^t,  fo  ift  ja  flar,  bog 
feine  äßet^obe  bie  unbered^tigtc  ©ic^er^eit  unb  ©elbftgered^tigfeit 
aufgebt,  aber  gugleic^,  bog  fie  eine  unruhige,  aufgeregte  unb 
rcijbare  Unfi^er^eit  ^eröorruft,  bie  bennod^  nid^t  üor  ©elbftge^ 
rec^tigfeit  gefc^üftt  ift,  njcil  fie  in  befonberen  Oemeinfc^aften  ge^ 
übt  ttjerben  foH.  ©emcinfam  aber  ift  beiben  SKet^oben  bie 
Anleitung  jur  grüblerifd^cn  ©elbftprüfung,  ttjeld^e  ber  atbfid^t 
bcr  SReformatoren  unb  i^rer  ©eutung  be^  (SüangeliuntS  üon  ber 
Scrfö^nung  unb  §eiligung  ebenfo  juwiberläuft,  ate  in  il^r  bie 
SBcf^äftigung  beö  Äloftericbeng  erneuert  ttjorben  ift. 

aWan  fönnte  nun  erwarten,  ba§  bie  beiben  arten  aparter 
grömmigfeit,  wcld^c  burd^  fiobcnfte^n  unb  3o^.  •  leeHindt  üer* 
treten  finb,  fid^  in  bie  ©emeinfd^aften  ber  grommen  getl^eilt 
ptten.  änftatt  beffcn  ift  jcboc^  wal&rjunel^men,  bag  bie  ©efd^äf^^ 
tigung  mit  ber  ?ßracifitSt  gegen  bie  neue  eüangelifd^e  SKet^obe 
jurudging.  gunäc^ft  lägt  fid^  biefe  (Srfc^einung  an  bem  SSeifaQ 
crfennen,  weld^en  unter  ben  atnl^ängem  üon  SBoet  eine  tt)unber= 
lic^c  ©^rift  fanb,  bie  „(Sinfamen  Söetrad^tungen  ber  ©eelc  über  bie 
üome^mften  SBa^rl^eitcn  bcö  (Süangeliumö"  üon  3ot)anne^ 
(Sswiiler,  ^auSöatcr  im  ©ürgerwaifen^auö  ju  §oorn  inSRorb* 
^ollanb  0-  3Man  erfennt  an  biefer  ©d^rift  unb  i^rer  SBirfung, 
wie  leidjt  gefefelid^  gefinntc  Efiriftcn  fid^  ju  einer  Unterfd^ä^nng 
bc^  ©efefee^  öerfü^ren  laffen.  2)er  Sßerfaffer  fül^rt  nämlidö  foU 
gcnben  ®eban!engang  aus.  SEßenn  man  burc^  baS  ®efe^  ;(ur 
(Sinftc^t  in  fein  fünbigeS  (Stenb  gelangt  ift,  fo  mug  man  bad 
©cfcfe  benen  überlaffen,  für  welche  e§  beftimmt  ift.  SKan  barf 
alfo  nid^t  in  eigener  Äraft  wirfen,  um  beffen  i^orberungen  ju 
erfüQen  unb  eigene  ©crec^tigleit  ju  erwerben ;  fonbern  man  muß 
6Iod  bie  SSer^eigungen  ©otted  im  (SDangetium  annehmen,  um 
hnxdi  C^riftuö  mit  ®ott  in  ©emcinfc^aft  ju  treten.  3n  biefer 
Serbinbung  aber  foU  ber  @(äubige  burdbaud  leibenb  fein  unb, 
in  tt>el^r  Sage  er  fid^  auc^  befinbet,  bleiben.  Sluger  biefer 
eigentümlichen  Folgerung  auö  Sol^-  leellindE'^  ^rämiffen  fpri^t 

1)   Ziels   eenzame   meditatieD    over   de   voornaamste   waarheden 
des  evangreliams.  1685.  Ypeij  en  Dcrmout  III.  p.  83.  322. 
I.  19 


290 

©ötpijtcr  nod^  allerlei  änfid^teri  über  baö  SScrftänbntß  bcr  l^ctligen 
©^rift  auö,  lüel^c  tDicber  an  Sobenfte^n  erinnern,  aber  fc^ttjor* 
merifd^  unb  in  ©unften  bcö  Saienftanbeö  iWfl^pifet  finb.  Sic 
^eilige  ©^rift  nämlid^  foD  ein  tobter  unb  töbtenber  Suc^ftobc 
fein,  ber  bem  Unbegnabigtcn  aud^  bei  aller  ©elel^rfamfcit  Der* 
fc^loffen  bleibt.  a)ie  ©c^eimniffc  @otte^,  ttjclc^e  barin  entl^alten 
finb,  muffen  bemnad^  öon  ®ott  felbft  entfd^leiert  »erben;  bonit 
ttjerben  fic  aud)  Don  bem  Ungclc^rten,  nämli^  S^ift^*^  öerftanben. 
SBcnn  trofebem  ber  Öcrfaffcr  gegen  SK^ftici^mnö  geeifert  l^at,  fo 
öcrrät^  er  baburc^  bie  ben  Umftänben  cntfpredöenbe  Unflarl^it 
nur  nod^  beutlid^cr.  3lbcr  n^ic  fold^e  ©infeitigfeiten  unb  Heber» 
treibungen  ju  gefallen  pflegen,  fo  i^at  biefe^  Sud^  bei  einem  I^eile 
bcr  9Inpnger  ber  gefefelid^en  SRid^tung  3iifti"^"iwng  gefunbcn, 
unb  man  fprad^  noc^  im  18.  Sa^f^unbert  üon  ©öwiiler'fc^cn 
SSoetianern. 

a)cr  SSeifaH,  n^eld^eu  biefer  Sntnjurf  üon  ^^ömmigleit  gc» 
funben  Ijat,  f)at  allerbing^  feine  tt)citgreifenbe  Söebeutung.  3n* 
beffen  batirt  Dom  Sct^re  1672  an  eine  ftarle  Verbreitung  bcr 
Sonüentilel  über  alle  ^roDinjcn  beö  Sanbe^,  unb  atebalb  fommt 
in  bcnfelben  eine  gegen  früher  ücränberte  Mid^tung  an  ben  lag. 
3cneg  ^Cif)x  bejeic^net  für  bie  bereinigten  Slieberlanbc  eine  3^* 
bcr  fc^ujcrften  Prüfung  unb  ber  größten  ©rregung  ber@emfit^er 
beg  SBoltcö.  S)ie  Snüafion  ber  ^^anjofcn  unb  i^rer  beutfd^en 
SBerbünbctcn  unb  bie  Scbroljung  burdj  bie  Snglänber  [teilten  bie 
Sjiftenj  be^  ©taatee  unb  bie  ber  reformirten  Äirc^e  in  ben 
Slicberlanbcn  auf  baö  ©picl.  2)icfe  bringenbfte  ©efal^r  fü^tte 
SU  bem  tumultuarifc^en  ©turge  ber  ariftolratif^en  ftänbifd^en 
Siegenten  unb  jur  §erftellung  ber  ©rbftatt^altcrfc^aft  in  bcr 
?ßerfon  SBil^elm'g  III.  toon  Dranien;  fte  rief  aber  aud^  in  bem 
SBolfc  eine  Steigerung  bcö  religiöfcn  Sutereffe^,  ber  Sußfertigfeit 
unb  ber  fir^lid^en  ©efinnung  ^ertoor.  8llö  bie  äußere  ®cfa^r 
glücflid^  abgetocl^rt  n^ar,  l^attc  freilid^  nad^  bem  ßeugniffe  üon 
2obcnftct)u  bie  öffentliche  Sage  ber  Äird^e  feine  er^eblid^e  SSer* 
änberung  gegen  früher  erfahren,  unb  bieö  tt)irb  bcftatigt  bun^ 
bie  gortbauer  bcr  auf  bie  9tcformation  beö  pttlid^cn  Scbenö 
in   ber  Äird^e  gerid^teten  Sitcratur^.    Slbcr  biejcnigen,  tücld^e 

1)  3d^  nenne  ^ier  bie  Sd^rtft  3a!ob  j^oelman'd  Christophilus  Ea- 
buluB,  De  pointen  van  nodige  reformatio  omtrent  de  kerk  en  kerkel^ke 
en  belijders  der  gereformeerde  kerk  van  Nederlandt.  1678. 


291 

bic  rcligiöfc  (Srrcflung  au§  jenem  Scti^ve  bctoal^rtcn,  l^oben  eben 
äur  au^breituug  bcr  ßonöentitcl  bcigettagen,  fiber  bcren  3"^ 
laffung  unb  Drbnung  otöbalb  bie  ücrfd^tcbenen  ©^noben  in  ben 
^Toüinjen  SBefd^lüffc  l^abcn  faffen  muffen.  S)iefe  neue  ©cncra* 
tion  bcr  Sonüentifclc^riften  xoax  nun  aber  in  erfter  Sinic  nic^t 
burd^  bog  Sntercffc  an  bcr  ^röcifität,  fonbern  burc^  bic  Sug* 
fertigfett  unb  SBcIe^rung  in  ©etocgung  gefcfet  unb  äufammcngefü^rt 
toorben.  @ö  ift  barauö  erftärlid^,  ba§  bemnäc^ft  bie  Äufmerffam^ 
feit  auf  bie  iBorgange,  burc^  n^etd^e  man  jur  IJSerfid^erung  bci^ 
^cite  gclongt,  öor  ber  ©orge  um  bie  gefefeUc^e  Orbnung  be« 
fittlid^cn  gebend  ^erDortritt.  §ieburd^  ift  bie  cöangclif^c  fRidj^ 
tung  bcS  bemnad^ft  erfd^eincnbcn  $ictidmud  bon  ber  bisher  burd^ 
SSoet  bc^errfc^ten  ober  bcjcid^neten  äJZet^obe  unterfd^ieben. 

(Es  ift  t)on  einem  ^n^anger  ber  et)ange(ifd^en  Stiftung  bie  « 
Slotij  überliefert  toorbcn,  ba§  SJoclman,  ber  SBcrtroutc  öon  SBoet, 
toeld^er  erft  fe^r  gefe|lic^  gefinnt  ttjar,  noc^l^er  üeränbert  gc* 
toefen  fei  0-  S^rner  toirb  über  SBernarbu^  ©miitegclt, 
^cbigcr  in  ÜJiibbcIburg  Don  1694—1734,  mitgct^eilt,  ba§  er 
üon  ber  gcfeftlic^en  jur  cöangclifd^cn  ^rebigttoeife  übergegangen 
fei*).  (Sine  Änjja^I  ^rcbigtcn  bcffelbcn  auS  feiner  frfil^eften 
ffiirffamfeit  in  üMibbelburg,  ttjclc^e  mir  vorliegen  *),  bejcugcn  ben 
@runbfa|  ber  $räcifität,  bie  ©eringfc^ä^ung  ber  bürgerlid^en 
ober  S9eina^c«S()riften ,  juglcid^  aber  au^  ein  Dor^errfd^enbed 
Sntcreffe  on  bem  SBorgang  ber  SBiebergeburt,  bcren  abfc^lug  fe^r 
bcjcid^ncnb  an  ben  ©efd^macf  für  bie  ©d^ön^eit  ®otte«  unb 
feine«  ®efe|eg  unb  für  bie  anjie^cnbe  unb  liebenStt)ürbigc  &c^ 
ftalt  Sefu  gefnüpft  unb  mit  ben  Silbern  bcg  ^ol^enliebe«  au«» 
geftattet  tt)irb.  Sebod^  ber  eigentliche  gü^rcr  ber  cöangclifd^cn 
kic^tung  gegen  ba«  gnbc  be«  17.  unb  am  Anfang  be«  18.  Sai^r* 
^unbert«  ift  aSil^elm  a  örafel,  I^eobor'«  ©o^n,  getoefen*). 


1)  Tjaden,  AanteekeniDgeD.    p.  178. 

2)  Ypeij  en  Dermout  HI.    p.  313. 

8)  Eenige  verscheyde  predicatien  van  B.  S.  Amsterdam  1876. 

4)  <S)etfcIbe  ip  ßeboren  1G35  in  Seeutoorben  in  {JrieölQnb ;  ^rebiflcr  ju- 
rrfl  in  ^^morra  1662,  bonn  in  ©toDoren,  ^orlinöen,  fieeuioarben,  enblid^  feit 
1663  in  IRotterbam;  geworben  bafe(6f!  1711  (olfo  ein  genouer  3»tQenof{e 
Bpmtx%  ben  er  um  fe^S  So^re  überlebt  (ot).  ^aS  oben  anoeffi^rte  Bert 
^  ben  t)oflP&nbt0e# Xitel:  Redelijke  Godsdicnst,  in  welke  de  goddelijke 


292 

(öcin  in  ntcberlänbifd^er  ©prod^c,  olfo  für  btc  Sotcn  DcrfogtcS 
SSSerl:  AoyvAii  hxxqda  dat  is  Redelijke  Godsdienst  umfagt 
bic  gcfammte  f^ftetnatifd^e  Z^eologie,  nämlid^  auger  ben  geiod^n^ 
Itd^cn  bogmatifc^en  Kapiteln  eine  Se^re  t^on  ber  Heiligung,  tpelc^ 
unter  ben  liteln  üom  ©efefe,  öom  Oebct,  t)on  ben  Suflcnbcn 
öerlöuft,  cnblic^  bic  ©efd^ici^te  ber  Äirc^e  unter  bem  %,  unb  91. 1. 
big  in  bic  burd^  bie  äpofQl^pfe  beleuchtete  3"f"nft-  ®iefed  SaScrl, 
beffen  jol^lreid^e  auflagen  bejeugen,  ba§  eö  für  bie  EonöentifeU 
leute  fortan  bie  5Rorm  geiüorben  ift,  ftüftt  fic^  auf  SBitfiuö,  unb 
ftimmt  in  ber  SSerbinbung  Soetianifc^er  unb  ßocccjanifcbcr  I^eo^ 
logumena  mit  bemfelben  überein.  3n  ber  fie^re  toon  ber  Äirf^c 
tritt  aber  bie  8lbl)ängigleit  95ratcrö  öon  ©occejug  in  ber  beut^ 
lic^ften  SBeife  ^erDor.  SBenn  trofebem  Sörafcl  für  einen  SBoctianer 
gegolten  l^at,  fo  rid^tet  fid)  baö  bana^,  baß  er  in  bem  ©treit 
über  ben  %Qi\^yQX\!^  auf  ber  ©eite  üon  SSoct  ftanb.  ©eine  Söeur* 
t^eilung  ber  fird^lid^eu  ßuftänbc  ift  nic^t  minber  ungünftig  unb 
trübe,  ujic  bie,  wel^e  SBitfiuö  unb  Sobenfte^n  geübt  Ratten.  6r 
fd)lie§t  feine  ©c^ilberung  bamit,  ba§  bie  üagc  ber  Äirc^c  untoer* 
befferlic^  unb  ^offnung^loö  fei.  ffir  ift  inöbefonbere  fe^r  eifer- 
füc^tig  auf  bie  Eingriffe  ber  Dbrigleiten  in  firc^li^c  angelegen^ 
Reiten  gewefen  0-  ©eine  Se^re  Don  ber  Äirc^e,  toctd^e  er  abfic^t^ 
ti^  an  bie  öelgifd^e  ßonfeffion  3lrt.  27—29  anfd^licßt,  nimmt 
äße  ÜRerlmate  auf,  in  ttjcld^en  Socccju^  \i^l  {Reic^  ©otteö  be* 
f^rieben  ^at.  2)amit  Verträgt  fic^  für  Sralel  ber  üoUftänbigftc 
^articulariömuig,  inbem  er  bie  reformirte  SJird^e  für  bie  alkiii 
U)at)re  erllärt,  bie  alö  folc^e  immer  beftanbcn  ^at,  fo  toic  bun^ 
i^re  Slbftammung  öon  S^i^fll^  öt^^r  ift  ate  bie  Steformation 
Sut^cr'g.  SBenn  er  nun  trofebcm  feine  Äird^e  für  unüerbeffcrlic^ 
erllärt,  fo  füllte  man  ertoartcn,  i^n  auf  bem  SBcge  jur  ©cpara* 
tion    ju   finben.      Snbcffcn    Icgitimirt    er  fid^    alö    einen  bet 


waarheden  des  genade-verbonds  worden  verklaart,  tegon  allerlei  partgen 
beschermd  et  tot  de  praktijk  aangedrongcn,  alsmede  de  bedeeling  des 
verbonds  in  het  0.  en  N.  T.,  vertoond  in  eene  verklaaring  der  open- 
Uaring  van  Jobannes.  %xt\  ^^eile  (me^r  al8  140  Qogen  4*^),  iuerß  erfd^tcnen 
1700.  $t8  1773  \^qX  baeSBere  12  Zuflogen  erfahren.  3n  Ypeij  en  Der- 
mo at,  Gescbiedenis  der  nederlandsche  bervormde  kerk,  3.  X^etl  (1824) 
S.  70  ber  ^nmerfungen  toirb  bte  19.  ^ufl.  cttirt.  (üne  neue  Vu8(tabe  in  2ter 
Vufl.,  toeld^e  mir  üorliegt,  ifi  batirt  Nijkerk  1854. 

1)  SBgl.  Ypeij  en  Dermout  III.  p.  679.        • 


293 

^auptflcgncr  üon  Sobobtc  (©.  246)  in  bem  öorlieflcnbcn  SBcrfc  burd^ 
ein  befonbcrc^  Kapitel:  „^a%  man  fid^  jur  Sirene  fügen  nnb  in 
i^r  bleiben  mu§."  Siele  feiner  ©rünbc  bafür  finb  nid^t  fe^r 
geeignet,  um  g)t)on'd  Entgegnung  jurüdtjuujeifen,  ba§  bie  Äird^e, 
auf  bie  eö  anfomme,  nid^t  bie  fei,  in  weld^cr  SBrafel  bleiben  ^üoße. 
3nbeffcn  entfd^eibet  fid^  bcrfclbe  in  Ucbcreinftimmung  mit  Kabin 
(©.  79)  bal^in,  bag  bie  Äird^e  burc^  bie  redete  Seigre  alö  bie 
richtige  bejeid^net  fei,  unb  fügt  bie  Ueberjeugung  ^inju,  Oott  Ijabc 
3U  allen  QtxUn  öerfügt,  ba§' feine  Äird^e  fo  öcrberbt  fei,  ttjie  e^ 
ber  San  ift. 

hingegen  ift  Söralel  mit  Eoccejug  unb,  toic  er  fagt,  mit 
,,fe^r  öielen  auögejeic^neten  ©otte^gelel^rten  aller  3^^*^^  wnb  toeit 
ber  meiftcn  in  ber  ©cgentoart"  barin  einig,  ba§  in  ber  legten 
SBcltjeit  ein  ^errlic^cr  3"fta^l>  i"  ^cr  Sird^c  ju  erwarten  fei. 
SBegcn  berfclben  Ueberseugung  ttjar  ja  befanntlid^  Sababie  als 
Äeftcr  bejei^net  ttjorbcn.  gcrncr  ^atte  wegen  iljrer  bie  friefif(^e 
©^nobe  1680  ben  ^rcbigcr  ju  Slieuwcnbrongerga,  S)at)ib  glub 
t>an  ©iffcn  unb  ben  ^rofeffor  jugraneler,  \)an  ber  SBaeijen 
in  Änflagejuftanb  öerfefet  >).  9lac^  20  3al)ren  alfo  toar  ber 
SSBibcrftanb  bagegen  üerfc^munben.  Sörafel  nömli^  cntfd^eibet  im 
«nfc^lug  an  »pol.  20,  bag  ju  jener  geit  $ßapft  unb  lürfe  Der* 
nicktet  fein,  bie  ganje  jübifd^c  SRation  befe^rt  werben,  unter  ben 
Reiben  ein  tounberbarer  @ifer  um  8lnnal)me  beö  d^riftltc^en 
®laubcn^  eintreten,  reiche  @rlcnntni§  OotteS,  griebc,  Heiligung, 
©elbftänbigteit  ber  SJirc^c  gegen  bie  weltlid^en  Dbrigfeiten  Dor= 
l^anben  fein,  auc^  eine  befonbere  ^^rud^tbarleit  ber  (Srbe  unb 
Ueberfluß  an  Sebenömitteln  ^inäufommcn  foll.  3n  bicfer  Epoche 
toethcn  bie  Dbrigfeiten  ber  $crrfcf)aft  unb  bem  ©efefee  ß^rifti 
bienen.  3n  ber  Sird^c  wirb  eö  bann  jwar  nod^  Unbefe^rtc 
geben,  allein  fie  werben  ben  Functionen  ber  Äird^e  nic^t  l^inber= 
lic^  fein.  3n  ber  lOOOjä^rigcn  S)auer  bicfc^  g^ftanbe^  werben 
bie  menfc^li^en  ©encrationcn  wie  gewö^nlid)  auf  cinanber  folgen. 
©0  Weit  biefe  äuöfic^ten  üon  benen  bciS  Eoccejuö  abweid^en, 
fHmmt  Sralel  mit  fiababie  (©.  265)  überein.  S)enn  Koccejuö 
rechnet  auf  einen  wunberbar  fd^ncHen  Verlauf  biefer  3)inge 
(©.  145),   biig  berfelbc  burc^  bie  cntgegengefefeten  (Srfd^einungcn 

1)  ^(.  Diest  Lorgion,  De  DederdaiUche  hervormde  kerk  in 
Friesland  p.  168. 


294 

abgclöft    tpirb,    bcncn    bie    S33iebcrfunft    E^rifti    jum    ©cric^t 
folgt »). 

S)ie  inbiöibucDe  §eitöorbnung  i[t  nun  ber  Ort,  an  xocläjcm 
bie  ©gcntpmlic^feit  ber  üon  öralcl  Dertrctencn  cöangclifc^cn 
SRid^tung  an  bcn  Zag  tritt.  @c^on  SSitfiuS  ^at  baS  Sntereffc 
an  ber  {Rechtfertigung  in  äl^nlic^er  SBeifc  toie  ßoccejug  öcrfd^o6en. 
Obgleich  er  in  ber  ©arfteDung  i()re^  SBegriffö  corrcct  rcformirt 
t)erfä^rt,  mit  ber  Unterfd^cibung  t)on  iustificatio  activa  unb  pa£- 
siva,  Siec^tfertigung  ber  ©emeinbe  in  ßl^riftu^  unb  SBctPufetfcin 
beö  ffiinicinen  öon  feiner  ©ubfumtion  barunter,  fo  ^at  bie  öop 
auSge^enbe  Erörterung  über  ben  ©tauben  bie  93ebeutung,  bog 
ber  ©laubige  me^r  auf  feine  fubjectiöen  ß^ftänbe  als  auf  bie 
Seiftung  S^rifti  für  bie  ©finbcr  ju  ad^ten  f)at  SRuu  Ic^rt  SBit- 
fiuö,  baß  ber  ©taube  in  (Srtenntniß  unb  3"ft*w^"i""9  jur^cil^ 
leiere,  in  Siebe  ju  bereu  SBa^rl^eit,  in  junger  unb  S)urft  nac^ 
S^riftuS,  enblid^  in  bem  Slnne^men  S^rifti  als  bem  cigentlic^n 
unb  roefentlid^en  3lct  beftel^t,  tt)etd^er  bie  inbiüibuelle  8le^t* 
fertigung  burd^  ein  befonbereS  Urt^eit  ©otteS  über  ben  SBertJ 
ber  (Einigung  mit  S^riftuS  erfäl)rt.  ^amit  tuirb  ber  ©laubige 
jum  vertrauten  SSerfel^r  mit  ©Ott,  unb  jur  gegenfeitigen  greuiÄ-- 
fd^aft  mit  i^m  jugelaffen,  ober  inbem  ß^riftuS  ber  ©eine  toirb, 
gel^ört  er  fortan  au^  ju  S^riftuS,  unb  fann  burc^  baS  Ser^ 
trauen,  ujelc^eS  er  fagt,  allen  Uebeln  tt)iberfte^en  ^).  3n  allen 
biefen  $ßunften  ftimmt  Sralel  mit  SBitfiuS  überein;  aber  er  l^t 
baS  Uebergenjid^t  beS  SntereffeS  an  bcn  fubjectiöen  ffirfd^cinungen 
nod^  öerftärtt.  2)enn  bie  iustificatio  activa,  bag  im  2obc  ß^rifti 
enthaltene  Urtl^eil  über  bie  (Srmäl^lten  als  ©ünber  u^iQ  er  nur 


If  Sd^on  beüor  ^rafel  bte  igoffnung  auf  bte  ^errltd^  3ulunft  ^  fir^- 
Ud^en  3uflfinbe  bezeugt  ^ai,  ift  t)on  ^ampegtuSSBitttnoa  in  einer  9iecto« 
rotSrebe  De  impedimentis  propagandi  hoc  tempore  Cfaristianismum  1691 
(flnge^ängt  an  Sacrarum  observationum  lib.  Ilf.)  bte  ftuSfid^t  ba^in  miM 
bifictri  iDorben,  bag  erft  burd^  einen  S^iannen  baS  »onfenbe  $ap{h^uin  loiebec 
aufgerid^tet,  unb  bie  reformirte  9{eligton  faft  DoOfiönbig  unterbrfldt  loeiben 
mUffe,  e^e  beren  93e!enner  fo  toett  oei^einigt  tofiren,  um  bte  Stuart  in  Siai^ 
)u  fe^en,  $apf!i^um  unb  3flam  )u  übertt)tn^en  unb  baS  d^rifleni^um  unter 
duben  unb  igetben  au  t)erbretten.  ^tefeS  tfl  etnerfeitS  eine  $robe  \>on  9^fi(j^teni* 
^ett,  anbererfett§  lieber  ein  ^otio  )u  unn5i^tger  Speculation.  3n  btefer  au* 
gemeinen  %e)ie(|ung  crtoetft  ftd^  alfo  aud^  ^iirtnga  al8  ^occeianer. 

2)  Oecon.  foed.  dei  lib.  111.  cap.  Vll,  10—25.  VIII,  27.  32.  58—61. 


295 

als  yirtaalis,  l^ingegcn  bic  passiva,  tDctd^e  bem  Set  be§  ©(aubcnS 
unb  ber  Stufnal^me  El^rifti  burc^  bcn  ©laubcn  entfprid^t,  atö  bic 
iustificatio  actualis  auffaffcn,  tocld^e  in  bcr  l^citigen  ©d^rift  gc* 
meint  fei.  ©orauö  folgert  er  ttjeitcr,  baß  biefe  Rechtfertigung  beö 
cinjelnen  ©laubigen  nic^t  ein  für  allemal  auf  ben  erften  SlctbesJ 
©laubenS  erfolgt,  fonbcrn  fo  oft  berfelbe  jum  ßttjed  ber  {Red^tferti* 
flung  geübt  loirb.  Snbem  nun  aber  bcr  fubiectioe  ©laube  barauf  an* 
gemiefen  mirb,  bic  angegebenen  ©tufen  ju  erfteigen,  unb  burd^ 
bcn  junger  unb  3)urft  nad^  Et)riftuö  fid^  immer  erft  bic  be^ 
mugte  annähme  bcffelbcn  abiugetoinnen,  fo  ^at  biefe  eöangclifd^e 
Art  ber  grömmigfeit  leine  geringeren  ©dfiioicriglcitcn  unb  ©e* 
fahren,  aU  bic  gefe^tid^e  äRet^obe  bee  eckten  SaloiniSmue^. 

S)ic  ©ad^c  aber  loirb  burd^  Sörafers  S)arfteDung  nod^  üer:^ 
toideltcr.  6r  l^at  in  einem  eigenen  Kapitel  über  „bic  Äennjcid^en 
beS  feligma(^enben  ©laubcuS"  bic  Slufgabc  gefteßt,  ba%  bic  ffir* 
ttHi^iten  fi^  üon  ben  ßcitgläubigcn  unterf^ciben  lernen.  Ealoin 
l^t  in  feinem  Unterricht,  betoor  er  überhaupt  bic  Se^re  Don  @r* 
Wallung  unb  SBcrmerfung  oorträgt,  ben  3lnla§  genommen,  fid^ 
über  ben  ©lauben  ber  ©rtoä^lten  unb  ben  bcr  SSerttJorfcnen  auöju* 
fprcd^en.  ffir  beruft  fic^  auf  bie  ©rfa^rung,  ba§  ®ertt)orfenc 
mitunter  in  ganj  ä^nlic^cr  ?lrt,  loie  bie  ©rioä^ltcn,  afficirt  njcr* 
ben,  giebt  bann  aber  brei  SRcrlmalc  an,  njclc^c  ben  bloS  auf 
3cit  ©laubcnbcn  an  ber  öoUftönbigcu  ©cftalt  beö  ©laubcnS 
mangeln,  unb  loeift  babei  bic  ©laubigen  an,  fic^  ju  prüfen,  ob 
nic^t  i^re  ©croiglicit  bc^  $eilö  eine  läufd^ung  fei  *).  SlUcin  bie 
Slnmcifung  Sabin'S  lautet  burd^auS  nic^t  ba^in,  bag  biefe  ©clbft* 
Prüfung  in  ber  SScrgleicftuug  mit  beftimmt  oorgcftcDtcn  ß^itßläu^ 
bigcn  oorgenommen  toerben  foH.  3)iefe  3wniwtl)ung  alfo,  tt)eld^e 
auc^  S93itfiui^  no^  nicl)t  gefteHt  ^at,   inbem  er  baS  S^^ema  t^eo:^ 


1)  Inst.  ehr.  rel.  III.  2,  II.  Experientia  docet,  reprobos  simili 
fere  sensu  atque  electos  affici,  ut  ne  suo  quidem  iudicio  quicquam  ab 
electis  differant  .  .  .  Yigct  tarnen  in  solis  electis  fiducia  illa,  ut  ple- 
no ore  clament  Abba,  pater  .  .  .  Interea  docentur  fideles,  soUicite  et 
humiliter  se  ipsos  cxcutere,  ne  pro  fidei  ccrtitudine  obrepat  camis 
securitas.  Adde  quod  reprobi  nunquam  sensum  gratiae  nisi  confusum 
percipiunt,  quia  peccatorum  remissionem  Spiritus  proprio  in  solis  elec- 
tis obsignat  .  .  .  Viva  autem  fidei  radice  solos  electos  dignatur,  ut  in 
finem  usque  perseverent. 


296 

rctifc^  bc^anbclt  \)at  ^),  i[t  6ei  Söralel  ba§  SRcuc  unb  SScrföiiglid^c. 
9lad^  feiner  3)arftctlun8  ift  baö  ctftc  ficnnäeid^cn  bcd  fclig^ 
mad^enben  ©laubcnö  bic  Söctrübnife  über  bie  ©ünbc.  ®iefc 
richtet  fid^  auf  bie  @ünbe  aU  fold^e,  and)  Quf  bie  geringften 
?ßrobcn  berfclben/  auf  bic  SRad^läffiglcit  jum  ©utcn,  bcn  aRangcI 
^eiliger  äJianiercn,  baö  Sluffteigcn  unorbcntlid^cr  ©ebanfcn,  auc^ 
tvenn  i^nen  bcr  SEBillc  nid^t  juftimmt.  enbUc^  auf  bie  angeborene 
Soö^cit.  3n  biefcr  negativen  gorm  tüirlt  bcr  Änfprud^  auf 
^räcifität  fort.  3)aö  jtt)eitc  Äennscic^en  bc§  fefigmac^enben 
@Iaubcn§  ift  bic  burc^  i^n  gctoirfte  ^eiligfeit.  ^iefclbe  umfaßt 
bie  SSerföl^nung  mit  ®ott,  bic  aufmerffamfeit  auf  bcffen  ^crr^ 
lid^feit  unb  ^eiligleit,  bic  Siebe  unb  bic  ffi^rfur^t  gegen  i^n 
unb  bcn  SSorfafe  beö  ©cl^orfamö.  2)iefe  gormel  alfo  ift  öon 
bem  Gepräge  bcr  ©cfcfelid^feit  frei.  Mein  tro^bem  mac^t  Srafct 
l^icbci  bic  Semerfung,  ba§  man  in  bcr  Prüfung  biefcr  ä^ftänbc 
l^äufig  bcn  Anlag  jur  Unfic^cr^eit  finbcn  tt)crbc.  S)ciS^alb  er^ 
Hart  er,  ba§  bic  ©tärte  ober  ©cf)n)äcf)c  bcr  bcgicitenben  ßuft» 
cmpfinbung  nic^t  baö  äRag  für  bic  ©ad)c  fei,  ba  c^  aud^  Qexttn 
bcr  SScrlaffung  burd^  ®ott  gebe  -).  Slber  baburc^  wirb  bcr  Auf* 
gäbe  bcr  fteten  ©elbftprüfung,  biefem  unuutcrbrod^encn  $ul^ 
füllen  jur  geftftcDung  bcr  gciftlid^en  ©cfunb^eit  icber  fefte  ^alt 
entiogen.  3)cnn  tt)cnn  SBrafel,  ä^nlid)  mie  Sobenfte^n  ifnb  Sa^ 
babie,  urt^cilt,  bic  ®rn)ä^tten  untcrf^icbcn  fic^  üon  bcn  3^^** 
gläubigen  in  bcr  Heiligung  fo,  bafe  bei  jenen  2lflcS  „®cift  unb 
Scbcn"  fei,  fo  mug  aud^  auf  eine  ©tctigfcit  bcö  religiöfen  Sufi* 
gcfü^lö  gcred^net  ujcrbcn.  SBcnn  man  aber  oori  ®ott  fic^  Der* 
laffen  fü^lt,  fo  ift  bic  ganjc  Kombination  unglaubtoärbig. 

ßmifc^cn  biefcn  beibcn  Äcnnjcic^cn  bc§  fcligmac^cnbcn  ©lau« 
ben^  erörtert  Söralcl  ein  britteö,  mld)c^  in  bem  ©tauben  aU 
folc^cm  ^croortrctcu  mufe.  S)er  Scitfll^^l^^  nämtic^  foQ  pc^ 
barauf  ftü^cn,  bag  6t)riftuö  bcr  ©cligmac^cr  ift.  „aber  bic 
toaljrcu   ©laubigen   nel^mcn   bcn  §crrn    3efu^   an   mit    i^rem 


1)  Exerc.  in  symb.  apost.  p.  36 — 39. 

2)  ^u4  btefen  gfatt  im  Seben  beS  (Syifiubtgm  befd^reibt  SalDtn  III.  2, 12 
%ani  anberS:  Videmus  deum  mirabiliter  irasci  filiis  suis,  qaos  amare 
non  desinit,  quia  terrere  eos  vult  irae  suae  sensa,  at  superbiam  carnis 
humiliet,  torporem  excutiat  et  ad  poenitentiara  soUicitet.  Itaqaeeodem 
tempore  et  iratum  sibi  vel  peccatis  suis  et  propitiam  conoipiunt. 


297 

^crjen;  fic  bleiben  nid^t  bei  ben  Don  i^m  t)erbürgtcn  ®ütern 
fte^n,  fonbern  tüenbcn  fid^  on  bic  DueBc  felbft.  ©te  fd^auen 
nad)  i^m  ouö,  öcrloffcn  fidj  auf  i^n,  l^obcn  Unterl^onblunflen 
mit  ®ott  unb  mit  S^riftuiS  felbft.  @ie  neigen  ifyn  oftmals  an, 
ja  taufenb*  unb  »icber  taufenbmal;  immer  brfidEt  fic,  bag  fic  e^ 
nic^t  au^brfidlid^,  llax,  allgemein,  rein  genug  gctl^an  I^aben. 
©iefcö  Annehmen  ift  i^re  tägliche  ©pcife,  um  fo  me^r,  a(ö  i^re 
aHtägtic^en  ^crgcl^cn  i^ncn  .baS  ^ebiirfnig  banad^  einprägen,  um 
burd^  i^n  ju  @ott  ju  fommen.  @ie  nehmen  i^n  ganj  unb  aOcin 
an  unb  übergeben  fid)  i^m  o^ne  ä3ebingung,  um  t)Dn  i^m  j^u 
@ott  gebrad^t  )u  n^erben,  auf  n^elc^em  3Bege  cd  il^m  belieben 
mag,  um  @äg  unb  ©auer,  Setr&bnig  unb  f^rcube,  Sid^t  unb 
2)unlcl  für  i^n  unb  feine  ©ad^c  ju  ertragen,  ©ic  finb  nid^t  in 
i^rer  Drbnung,  bi^  fic  bic  ^emcinfd^aft  mit  ®Dtt  in  (S^riftuS 
gcnicgcn;  öcrbirgt  fic^  bcr  §en,  fo  ift  bic  ©eele  unruhig, 
traurig,  erfd^redft,  bcbrüdft.  SBenn  aber  bcr  $crr  bic  buniclen 
SBolfcn  Vertreibt,  unb  ben  ©laubigen  freunblid^  jufpric^t,  fo  ift 
aQc  95etrübni§  Dcrgcffcn;  bann  erfreuen  pe  fid^  gleich  berSBraut 
im  §o^enlicbc.  Unb  biefe  greube  l^eiligt  bic  ©eele,  unb  mad^t 
fic  n)iUig  unb  Icbcnbig  jur  (SrfüQung  bcd  göttlid^cn  SSillcn^.'' 
Olcic^artigc  ©äfee  finb  fd^on  öorl^cr  in  bem  Sapitcl  über  bic 
@cmcinfc^aft  bcr  ©laubigen  mit  S^riftu^  unb  unter  cinanber, 
tpeld^eö  an  bic  Sc^re  öon  bcr  Äirc^c  angcfc^Ioffen  ift,  in  noc^  grellerer 
gärbung  öorgctragen  »orbcn.  SBeil  bic  ©lieber  mit  bem  Raupte 
jufammcnl)ängcn,  fo  foU  man  jucrft  ben  §crrn  3cfuö  anfc^aucn  in 
feiner  ©c^önf)eit,  Sicbcnöioürbigfcit  unb  SSoHtommcntjcit.  S)icfe^ 
gefc^ic^t  in  bcr  Ucbcrlcgung  bed  göttlichen  9tat^fd^luffe$,  ber 
SÄcnfd^wcrbung,  be§  Seibcn^,  beS  iobcö,  bcr  8luferftcf|ung  unb 
Sr^ül^ung  S^rifti.  S)aran  fcl)licgt  fic^,  bag  man  in  fiiebe  aud» 
gc^t  JU  SefuS,  ali^  ber  und  eigen  ift,  als  gu  unfercm  93räutigam. 
„S)ie  augcn  rid^ten  fi^  gern  auf  ben,  toclc^cn  man  liebt;  unb 
burd^  gegenfeitiged  ^nfc^aucn  fpric^t  man  glcid^fam  mit  cinanber 
unb  unterhält  fic^  in  fiiebederregungen.  @o  erjä^It  man  bem 
©clicbten  öon  ber  ©cftalt  bcö  eigenen  4>crjcn§  unb  üon  bem 
©c^merj,  bag  man  i^n  nid^t  lieber  I)at,  unb  flagt  il^m  bic  eigene 
9lot^.  3)ie  ©cclc  laufcf)t  barauf,  xoa^  3cfud  in  \t)X  fpric^t,  unb 
merft  auf  bie  ©timme  bed  ©clicbten,  bcfonbcrö  ttjcnn  er  eine 
©c^riftfteac  mit  Slar^eit,  Äraft  unb  ©fifeiglcit  in  \>a&  ^crj  brüdtt. 
3nbem  fie  i^re  fiiebedfragcn  äugert  unb  Scfud  toieber  antwortet, 


298 

öcriicrt  unb  vergißt  bic  ©ccle  [i^  [elbcr,  unb  c§  fd^mcrjt  fic, 
tücnn  bo^  ®cfpräc^  aOgebrocIjen  toirb,  fo  boß  ber  Scib  ju  fc^iüQc^ 
toirb  bon  bcr  §ef tifjfcit  bcr  Srrcgungcn  unb  ben  lieblichen  ftüffen 
unb  ©inflüffen.  3nbem  bie  ©eck  fic^  liebenb  an  i^n  anlehnt 
unb  allcö  if)rem  Sräutigam  anöertraut,  bcgiebt  fie  pd^  unter 
feineu  ©Ratten  unb  ru{)t  in  feiner  Söetua^rung,  »eil  fic  tDcx% 
bQ§  er  fic  nic^t  uertreibt.  3n  aßem,  xoa^  ju  t^un  ober  ju  laffcn 
ift,  Dcrtraut  fie  nidjt  i^rem  eigenen  Urtl^eile,  folgt  anä)  nic^t 
i^rem  SBiUcn,  fonbcrn  fic  fragt  il)ren  §errn  um  8iat]^.  ^at  fic 
eine  ©ünbc  begangen,  fo  fticf)t  fic  /^u  Scfu  Sölut;  ift  fie  bc^^ 
fc^mu^t,  fo  tt)äfcf)t  fie  fic^  in  il^m,  bcr  reinen  Duelle;  fc^load^ 
greift  fie  nad)  feiner  ifraft;  fie  gebraucht  feine  @üter  ate  bic 
i^rcn.  SBer  in  bcr  Hebung  biefcr  ©emcinfc^aft  beftänbig  fein 
toill,  mu§  fid^  öor  unbebadjten,  nod)  mc^r  oor  abfid^tlid^en 
©ünben  [)ütcn;  bcr  l^ciligc  3cfuö  cntäiet)t  fic^  bann,  unb  bie 
©eclc  oertiert  if)rcn  greimut^.  3lber  man  foll  eben  fein  tag* 
lidjc^  ©cfc^äft  an^  biefcr  ©cmcinfc^aft  ma^en;  in  ©infamfeit 
ober  in  (SefcHfdiaft,  aud)  im  Söcruföioirlcn  fofl  man  3cfu  aDc 
3cit  ein  SBort  laffcn  unb  einen  SBUd  mit  i^m  tt)ccl^feln". 

2)urd)  bicfcu  Siebcöüertcljr  n)irb  bcr  üon  SBitfiuö  aufgeftcQtc 
SBegriff  bc^  ©lauben^  ate  receptio  Christi  anögefüUt.  Snbeffen 
bleibt  aBiU)elm  93rafel  I)intcr  feinem  SBater  unb  hinter  SBitfiuiS' 
a^fetifd)cr  2lnn)cifung  infofern  jurüd,  al^  er  ben  Umgang  mit 
bem  §crrn  3efu^  nic^t  bi^  jur  cfftatifc^en  ^Bereinigung  l^inauf 
treibt,  ffir  bleibt  alfo  auf  ber  Sinic,  auf  ujclc^c  bei  ber  "Hu' 
eignung  beö  Söcrn^arbiiiifdjcn  I^puö  aSill^elm  unb  3ol|anncg 
Iccllind  fid^  befc^ränft  Ratten.  Änbcrcrfcitö  entfernt  er  fic^  Don 
3encn,  inbem  er  bic  9Kett)obc  hc^  Söußtampfcö  mißbilligt.  „äJian 
muß  nid)t  lange  l^inftiercn  auf  feine  SScrborbcnl^cit,  um  baburc^ 
nod^  tiefer  in  fein  Slenb  niebcrjjufiulen  unb  no^  mel^r  jcrtrüm* 
mert  ju  toerben ;  aU  ob  baö  ©cfül^l  ber  ßcrtrümmcrung  Dor  bcr 
i8etef)rung  unö  ©Ott  angenehmer  machte  unb  bic  Söcbingung 
n)ärc.  unter  tt)eld)cr  unb  ol^nc  mcldlic  ni^t  man  ju  S^riftu^ 
tommen  fönnc.  Snbcm  bie  Öctrübniß  über  ben  fünbigen  3"[tönb 
baju  notljifl  ift,  fo  ift  eö  gleichgültig,  ob  fic  groß  ober  Hein  ift." 
Sllfo  bic  „cüangclifdje"  Slntt)cifung  lautet  ba^in,  baß  ber  bcfe^rtc 
©ünbcr,  nicljt  anberd  xok  ber  über  feine  ©ünben  betrübte  ®lau:= 
bige,  fein  ©c^ulbbetuußtf ein  aliSbalb  in  bem  @cnuß  bei  Umgang^ 


299 

mit  bcm  oHerfügcftcn  grcunbe  bcr  ©ünbcr  aufjuflcbcn  l^abc.  3)ic 
©d^tlbcrung  bicfcö  Qidc^  bcö  ^riftlid^en  Sebcn^  ^at  Söralel 
ol^nc  oHcn  3^^^^^  öu^  bcn  ^rebtgtcn  S3cnif)Qrb'S  über  ba^ 
^ol^clicb  bircct  gcfdiöpft.  Sltlcin  l^icbci  ift  folgcnbc  SlbtDcic^unfl 
l^öc^ft  bcmcrlcnötDcrt^.  S)cr  @enu§  bc§  Umgang^  mit  bcm  ^tu 
lanbc  ift  t)on  SBcrn^arb  qU  ^nl^ang  ju  bcr  mönd^ifd^cn  Heiligung 
üorgcfd^ricbcn  lüorbcn,  als  eine  mögUd^e  Sciftung  für  bie  SSorge« 
fd^rittcncn.  ©ralcl  mutzet  biefclbc  ate  regelmäßige  unb  notl^* 
toenbige  Hebung  jebem  ju,  toeld^er  eben  in  bie  Sufee  eingetreten 
ift,  unb  tt)iU  tt)ie  ^of).  Icellind  barauf  bie  Heiligung  begrünben. 
ffir  fe^t  alfo  jene  fattjolifc^e  SSerfic^erung  ber  ffirlöfung  an  bie 
©teile,  toelc^c  in  ber  proteftantifd^en  Drbnung  beS  d^riftli^en 
ßcbenS  baS  einfache  SSertrauen  auf  bie  SSerfö^nung  mit  Oott 
burc^  S^riftuig  einnimmt  (©.  61).  ©urd^  biefe  SSertaufc^ung  öon 
analogen  ©emüt^örid^tungcrt  ungleidjcr  8lrt  unb  unglcid^cn  SBer:: 
t^eS  tt)irb  eine  SSerfd^iebunß  bcS  ^roteftantiömuö  ausgeführt,  unb 
feine  in  feinem  ©ebiet  unlösbare  3lufgabc  gefteHt,  um  njcld^e  fid^ 
ber  ^ietiSmuS  fortan  brc^t.  ßunädift  frcilid^  mad)t  Sörafel  biefeS 
Anlegen  bei  ber  grömmigleit  beS  SDiönd^tl^umS  nid^t  ungeftraft. 
$ieß  eS  nic^t,  bafe  bie  nja^ren  ©laubigen  nic^t  toie  bie  3^^*' 
gläubigen  fi^  bloS  an  bcn  Don  S^riftuS  oerbürgten  @ütern 
genügen  laffen,  fonbern  in  ber  ©timmung  einer  Söraut  fic^  bem 
Iröger  biefcr  @ütcr  in  feiner  perfönlid^en  ©d^önl^eit  juwenben? 
ba§  fie  feine  3""ci9i^ng  unb  fein  ^eimlid^eS  Vertrautes  ©cfpräd^ 
genicfeen?  ?lber  unmittelbar  barauf  (1.  I^cit,  ßap.  26,  10.  11) 
Reifet  eS:  „galtet  euere  SBerfö^nung  unb  euer  Sigcntfjum  an 
ß^riftuS  unb  feinen  ©ütern  burd^  ben  ©laubcn  fcft,  wenn  iljr 
aud^  nid^t  fc^auet,  n^enn  i^r  auc^  nic^t  fül)let.  3)aS  (Sigent^um 
befielet  nic^t  im  ©efütjl;  inbem  man  baS  gigent^um  in  tt)a]^rem 
unb  toirffamem  ©tauben  umfaßt,  wirb  bie  ©ecle  jur  ©emein- 
fd^aft  hinaufgeführt,  ©eib  gebulbig  unb  ergeben,  »enn  i^r  nid^t 
baju  fommen  lönnet,  looäu  3lnbcre  gelangen.  2)er  §err  ift  frei, 
er  ift  eud^  nid^tS  fc^ulbig.  2)aß  er  in  biefer  ^infi^t  ttjcniger 
Derlei^t,  ift  fein  3cid)en  oon  geringerer  Siebe  unb  oon  weniger 
€igent]^um.  ©rinnert  ben  $errn  an  feine  SScrl^eißungen  unb 
beweifet  iljm  euer  93egc^ren  nad)  bcr  ©ac^c.  galtet  cud^  an  baS 
SBort,  folget  bicfcm,  wiffct,  baß  bie  ©üßigfeiten  für  ben  §immel 
Qufgefpart  finb,  baß  jefet  bie  3cit  beS  ©trciteS  unb  baß  bcr  ©ieg 
gewiß  ift."    ©inb  nämlic^  biefe  SJorf)aItungcn,  welche  mit  6aU 


300 

toin'^  Definition  be^  ©laubcnö  (©.  88)  übcrcinftimmcn,  rid^tig,  fo 
ift  baö  5ß^QntQ[icfpicl  bcr  Scrn^arbinifd^cn  grömmiglcit  nic^t 
allgemein  ftüttig  für  rcformirte  Ef)riftcn,  fonbcrn  ein  fibcrflüfftgeg 
SBcrf. 

Denn  qIö  ein  SBcrf  ctfd^eint  juglcid^  jene  J^rm  bcr  gröm* 
migfeit,  mcnn  fte  eingeleitet  nnb  begleitet  fein  foH  öon  bcr  ®rü^ 
bclei  über  Die  ©ünbc  unb  über  bic  ©puren  bcr  Heiligung,  bantit 
hieran  bic  Slutl^entie  be^  ©laubenö  feftgcftcCit  ttjcrbe.  $Rämltc^ 
bicfe  SKctl^obc  unb  bcr  Umgang  mit  bem  §errn  Scfug  finb  in 
§infid)t  beö  ©toffcd  unb  bcr  ©timmung  einanbcr  gcrabe  cnt= 
gegengcfc^t.  3Ran  fann  atfo  in  beiben  3Rett)oben  nur  abttjc^felnb 
fic^  belegen;  bann  ift  aber  aud^  bcr  Ucbergang  oon  bcr  crftcn 
jur  jtt)citen  o^ne  golgerid^tigfeit,  t}ielmet)r  rein  juföHig  ober  will* 
fürlicl).  Ober  ttjcr  in  bem  Umgang  mit  bem  §crrn  3efug  fi^ 
ftctig  ju  galten  üermag,  bcr  roirb  fic^  über  bic  öorgcfd^ricbenc 
©rübetei  l)intt)egfc§en,  rocld)e  nur  bie  Unfeligfeit  unb  ben  3^<^ifct 
l^eraufbefdjroört.  SBa^  nun  33rafel  felbft  betrifft,  fo  bejcugt  it)m 
fein  2eidE)enrcbner  *),  ba§  feine  ^^ömmigfcit  mit  einer  frö^Iic^cn 
unb  freunblidjen  5lngenel^ml)cit  gemifc^t  gcroefen  fei.  ©eine 
Slcußerungen  auf  bem  ©terbetager  bereifen,  bag  bic  unfrcubigc 
?lrt,  in  ber  Sobenftc^n  bem  Xobe  entgegen  fa^  (©.  175),  i^m 
fern  gelegen  I)at.  Srafcl  I)at  bejcugt,  \>a^  er  ftd)  auf  bog 
Seftamcnt  (Sbtifti  t)crlaffe,  bag  er  cg  fo  fcft  glaube,  als  ob 
er  eS  fä^e  ober  fc^ou  befäßc,  er  ^at  gcmäg  bcr  SSoUcnbung 
feiner  Saufba^n  auf  bie  Äronc  bcr  ©erc^tigfeit  gercd^net.  Cr  ift 
alfo  in  ber  ©rübelci  über  bic  ©ünbe  nic^t  ftcden  geblieben ;  aber 
tt)ai§  fein  c^riTtlii^eö  ©elbftgefü^l  befeftigt  ^at,  ift  bie  8Jcr= 
fteigung  ober  ba$  3;cftamcnt  S^rifti.  9lngeftc^tS  be«  XobcS  ift 
er  aud)  auf  bie  Älängc  beö  ^o^enlicbeö  nidjt  j\urücfgefommcn. 
®eun  ctwa^  ganj  anbcreö  ift  bic  ©rflärung,  bag  er  ben  ^crrn 
3cfu§  feit  feiner  Äinb^cit  lieb  gcf)abt  ^abc,  unb  nic^t  loiffc,  loie 
bem  JU  3Kut[)e  fei,  ber  biefc  Siebe  entbehre.  Sllfo  SBrafcl  per* 
fönlid)  gcroäljrt  nid^t  bie  ^robc  üon  ber  SSereinbarfeit  bcr  Der* 
fd^icbcnartigcn  If)eile  feiner  ^eil^orbnung;  tjiclmel^r  lä§t  bie®c* 
funb^eit  feiner  legten  SBcfenntniffc  ben  S^^^U^l  baran  ju,  ob  er 


1)  Algemecne  rouwklagt  in  de  straaien  van  Rotterdam  over  het 
afsterven  van  den  beere  AV.  a.  B.  door  Abr.  Hellenbroek.  21  6eUen 
aU  9ln^ang  )u  bem  Dorliegenben  SDerfe. 


301 

bic  t)on  i^m  geleierten  ®tunbfafee  Dcö  ^ictiömuö  tüirflt^  in  autl^en:^ 
tifd^cr  SBeife  öcrtrcten  \)at. 

Wim  Srafel  ^Qt  biefc  ©runbfäfee  gcIcI^rt,  nid^t  6Ioö  im 
Amte,  fonbcrn  anä)  in  bcn  ßonoentifcin,  wcld^e  er  regelmäßig 
gehalten  f)at,  unb  ju  ttjeld^en  bic  ©cnoffen  aud^  auö  ber  Um^^ 
gcgcnb  öon  SRotterbam  ja^lreidt)  ^crbciftrömten.  6r  f)at  biefe 
©runbfdfee  aud^  auf  anbcre  JlmtSgenüffen  fortgepflanjt.  3c"9"ife 
bcffen  i[t  fein  Seid^enrebner  Jlbro^am  ^ellcnbroef,  tüeldE)er 
eine  wiffenld^aftlid^e  unb  praftifd^e  äuölegung  beö  ^o^enliebeö  in 
nicbcrlänbif^cr  ©prac^e  tjerfaßt  fjai,  bie  nur  2258  Quartfeiten 
umfagt,  aber  binnen  20  3a^ren  bie  üierte  Auflage  erlebt  ^at>). 
3)iefer  SRann  fefet  bic  oon  Sratel  behauptete  Xlnweifung,  baß 
man  fid^  in  ben  gormcn  ber  SSern^arbinifd^en  5^ömmigfeit  ju 
bewegen  f)abc,  fort,  inbem  er  c^  unter  ben  Xitel  weltlid^er  ®e== 
finnung  [teilt,  roenn  man  fid^  gegen  biefe  9)iet^übc  abte^nenb 
tjcrl^iclte.  2)cr  ftarfe  SScrbrauc^,  ben  baö  SBcrf  üon  SBrafel  unb 
bai^  öon  ^eHenbroet  erfahren  l^aben,  lögt  enblid^  ben  ©d^luß  ju, 
bag  ber  ^ietiömuö  ber  ßonüentifel  fortan  tjorl^errfcfienb  auf  bie 
fogenannte  eüangelifc^c  Siid^tung  l^inauö  fam.  S)ic  ©efc^id^t* 
fd^rciber  ber  nieberlänbif^cn  reformirten  Äir^e^)  bej\eugen  i^rer^^ 
feitiS,  baß  biefe  3Äet^obe  in  jenen  Greifen  fd^on  öor  1720  allge== 
mein  geübt  ttjurbc.  3cboc^  jugleic^  fd^eint  biefelbe  burc^  bie  Eon^ 
currcu)  beiS  fat^olifd^en  QuietiSmud  auf  i^rem  eigenen  Gebiete 
bcbro^t  ttjorben  ju  fein.  Sonft  l^ätte  SBrafel  feinen  Einlaß  gel)abt, 
bcn  erften  X^eil  feiueö  SBcrfcö  mit  einem  eigenen  Kapitel  ju  be=* 
gleiten :  „SJÖarnenbe  Slnlcitung  gegen  bie  ^ictiftcn,  Quictiften 
unb  biejenigen  Slnbcren,  toddjt  ju  einer  natürlichen  unb  geift- 
lofen  SReligion  unter  bcm  ©d^ein  be^  ©eifte^  abirren".  2)ie  gc^^ 
nannten  ©ruppen  fc^einen  aÖerbingS  faft  nur  be^  ©Icid^flangcg 
tocgen  jufammengefteHt  ju  fein.  3)enn  über  bie  ^ietiftcn  urt^eilt 
SBrafel   im  ©anjen   günftig.    ®r  fagt,  baß  feit  einigen  Satiren 

1)  Het  hoo^lied  van  Salomo  verklaart  en  vergeestelijkt.  3n)ci 
XitxU  4.  Rotterdam  1718.  SSierte  ?lufl.  1739.  —  Ypeij  en  Dermout 
III.  p.  806  nennen  no^  einen  ^reMget  )u  ^aaSfluii,  @gtbiu§  gftanfen 
al§  Setfaffer  folgenber  ©Triften:  Iluwelijksvereenigfing  van  de  kerkbruid 
met  den  grooten  Immanuel  Christus;  Het  zielverwekkend  magtigr  ont- 
haal  ((Smpfang),  hetwelk  de  bruidegom  Jesus  en  zijne  brnid  malkanderen 
doen;  —  meiere  Dem  9lnfange  beS  18.  9a(t(.  angehören. 

2)  Ypeij  en  Dermout  III.  p.  313. 


302 

unter  bcn  Sut^cranern  in  SJeutfd^lonb  eine  (jro§c  Selüccjunfl  jur 
^römmigfeit  cntftanbcn  unb  anä)  ju  JRcformirten  an  einigen 
Orten  oorgebrungen  fei.  @r  meint  nun,  bafe  bicfe  SSorgänge  bei 
SSielcn  ©c^cin,  bei  SDionc^en  SBa^rl^eit  feien.  3)ie  erfteren  finbet 
er  unter  ben  ^ietiften,  meldte  eigentlich  äR^ftifer,  Duietiften, 
(Snt^ufiaften,  2)aoib^3oriften,  Sö^miften,  Dualer  finb.  «uf  biefc 
9iotij  werben  mir  fpäter  jurücfgefü^rt  ttjerben.  SSon  ben  übrigen 
^ietiften  ober  tt)ill  er  burd^aug  nid^tö  fd^Iimmeö  fagen;  fie  gelten 
i^m  öietme^r  qIö  bie  ttjo^ren  ©ottfeligcn,  benen  aud^  i^rc  ©egner 
biefeS  Seugnig  gerabe  burd^  ben  i^nen  angelangten  @d^mä^^ 
namen  ert^eiten.  „®ott  fegne  fie,  fügt  er  l^inju,  unb  gebe  i^nen 
mel)r  Erleuchtung,  um  bie  lut^erifc^en  Srrt^mer  eingufe^en  unb 
toon  il^nen  fic^  absmocnben."  Sllfo  bie  SBarnung  ^xattV^  bejie^t 
fid^  fpecieCi  nur  auf  ben  Duieti^mu^,  ben  er  burd^  SRid^acl  2Ro* 
linog'  „©ciftli^cn  gü^rer"  (1675),  melier  1688  eine  ^oDönbifc^e 
Ucberfefeung  erfahren  I)atte,  unb  g6n6Ion  ,,@rflärung  ber@runb^ 
fäfee  bcr  ^eiligen  über  baö  innere  Sebcn"  (1697)  vertreten  finbet. 
3^nen  f)ält  er  nun  alö  gel)ler  oor,  baß  fie  bie  Selbftöerleugnung, 
bie  Siebe  ju  ®ütt  unb  bie  Sontemplation  nur  gemäß  bem  natttr* 
liefen  SSerftanbe,  ber  ^^antafie  unb  ber  ffiinbilbung  auffaffcn, 
tt)ö^renb  bie  rid^tigen  frommen  jene  Slufgaben  nad^  ber  öebcutung 
E^rifti  alg  beö  ©runbcö  ber  SSerfö^nung  unb  Heiligung  bemeffen. 
Ob  biefer  (Segenfafc  rid^tig  gefaßt  ift,  mag  ba^in  gefteÖt  bleiben; 
er  ift  aber  fd^on  oon  Sobenfte^n  (©.  167)  angebeutet.  3cbcnfaHö 
fte^en  bie  contemplatiDc  SRanier  bcö  an  bem  ^o^enliebe  genährten 
?ßicti^muö  unb  ber  eben  baburd^  geleitete  fat^olifd^e  Duicti^mu« 
t)on  §aufe  au§  in  SSermanbtfc^aft,  unb  mad^en  leidet  ben  ©in* 
brucf,  blog  Slbftufungen  berfelben  Scnbenj  ju  fein.  SBenigftcnö 
^at  Eampegiuö  SSitringa  ber  Sleltere,  ?ßrofcffor  ju  granefer 
in  ber  SSorrebe  ju  feiner  ißraftifd^en  il^eologie  *)  ben  Duietigmui^ 
mit  großer  5Jlac^fid^t  beurtl^eilt,  obgleid^  er  nid^t,  wie  fein  8[mt8* 
oorgänger  aSitfiu^,  tn^ftifd^  biöponirt  war.  ®r  gefte^t  ju,  baß 
in  biefer  SRid^tung  mand^eö  rid^tiger  gebac^t  ate  auiggebrüdt  fei. 
3n§befonbere  erwecft  fie  SSitringa'S  Sntereffe  babur^,  baß  fie  bie 
©runblagen  ber  römifd^en  8leligion  untergraben  foU,  quae  ani- 


1)  Typus  iheologiae  practicae  sive  de  vita  spirituali  eiusque  af- 
fectibus  commeDtatio.  Franequerae  1716.  —  l^Siinnga  t{!  1659  )tt  SfCtt« 
toQtben  geboten,  $rof.  ju  gtaneter  1681,  geflor^en  1722. 


303 

moB  christianornm  ab  intemis  et  spiritnalibns  avocat  ad  ex- 
terna, pompatica  ac  seDSualia,  et  bis  fere  solis  sive  potins 
ignoraDtiam  vulgi  in  cultu  religionis  pascit.  S)icfc  bcfonnte 
falfc^c  SorftcHung-öom  Äat^oUciömiiig,  tücld^e  für  benfclbcn  bic 
SK^ftif  flar  nid^t  öcranfd^lagt,  ift  gcrabc  ein  ®runb,  um  fid)  ju 
C^ren  bcö  innerlichen  S^riftentl^umg  mit  bcm  DuictiSmu§  cin^^ 
gulaffcn,  an  bcn  fd^on  Sobcnftc^n  na^e  herangetreten  ttjar. 

S)iefc  ©efa^r  ift  fretlid^  für  Sitringa  nid)t  Dor^anben  qc- 

»efen.  Dag  eben  angeführte  S3ud^,  eine  2RoraltI)eoIogie,  ift  üiet 

mel^r  ber  Settjei^  bafür,  ba§  er  baö  geiftlid^c  Scben  nidjt  alä 

contcmplatioe«,   fonbern  ate  actbeö   ocrfte^t.    Snfofern   gel^ört 

t>a^  S)ud^  nid^t  in  bcn  ßujammenl^ang,  ber  Ijicr  Verfolgt  tüirb, 

fonbern  eö  ift  eine  tüid^tige  Urfunbe  bafür,  baß  baö  §aupt  ber 

coccejanifc^en  ©d^ule  mel^r  ate  ein  SRcnfci^enalter  nad^  bem  Slb^ 

gange   il^reg  ©tifterö  ftd^  nod^  fern  plt  Don  ber  9Het^obc  beö 

eüangclifc^en  ^ieti^mu«.  Neffen  ungead^tet  üerrot^  fic^  in  mandjen 

öeiic^ungen  eine  getpiffe  ©leid^^eit  mit  jener  ©rfcöeinung,  unb 

aufecrbem  erfc^eint  in  ber  S)arfteIIung  ber  SRittel  ber  Heiligung 

eine    unöerfennbare    Slnnäl^erung    an    bie   pictiftifd^en    Untere 

ne^mungen.    3n  biefen  Sejicl^ungen  bicnt  biefeö  S3uc^  jur  @r* 

llarung  beffen,  baß  auc^  ber  reine  Soccejaniömug  auö  praftifc^en 

Äüdtfic^ten  in  ben   5ßietiömug  eingemünbet   ift.    3)a§  geiftlid^e 

Sebcn  ift  na^  SSitringa  bie  tJoHfommene  Sinigung  ober  ©emein? 

fc^aft  mit  ®ott  in  E^riftuS,   weld^eö  bic  ^errfc^aft  ber  ©ünbe 

unb  SBclt  auöfd^Iießt,   unb   in  ber  Uebung  aller  Sugenb   unb 

guten  SBcrfe^  mit  gutem  ©etuiffen  tljätig  ift  jur  ®^rc  ®otteg,  j^ur 

görbcrung  ber  Snberen  unb  ju  eigener  ©eligleit.   ®aö  geiftlid^e 

ficbcn  fc^ticßt  bag  natürlid^e,  bürgerliche  unb  ©rtpcrböleben  nid^t 

aug,  fonbern  foD  mit  biefen  ^^rmen  jufammcn  fein,  um  fic  ju 

üoQcnbcn  unb  ju  l^ciligcn.    ®cr  näd^fte  fubjcctiöe    ®runb  bc^ 

flciftltd^cn  Sebcn«  ift  bie  Siebe  gegen  @ott,  al§  ba§  93egc^ren 

^ad^  bem   Pd^ften  @ut,   ttjclc^cs;  feiner  Slrt  nad^  bie  ß^rfurd^t 

^cgcn   ben  SSater,  §errn  unb  SRid^ter,  jugleid^   ben  SSorfa|  be§ 

^^^e^orfam«  gegen  bcffen  ©cbote  in  fid^  fd^ließt,  unb  ni^t  ol^nc 

icfe  Attribute  gemeint  tüirb.    Die  fo  berftonbene  Siebe  ju  ®ott 

toicber  il^ren  ®runb  in  bem  ©tauben,  tücld^er  burd^  ®rleuc^:* 

ung  unb  SBicbcrgeburt,  bciie^ungötüeifc  burd^  ba«  SBort  ber 

^nabent)erl^ei§ung  l^crt)orgerufen  tüirb,  unb  jugleic^  Siebe  gegen 

^ott  in  bem  unbeftimmten  ©inne  beiS  SEBunfd^e«   borauäfefft. 


304 

ytäf)cx  bctrad^tct  a6ec  tft.  ber  @Iau6e  ba^  Snncl^men  S^rifti  unb 
bic  cngftc  SScrcinigutifl  mit  i£|m,  welche  bic  Ucbcrjcußunfl  öon  bcr 
@röge  bc^  ©ünbenelenbio,  Don  bcr  9lotf|n)enbigfcit  bcr  Srlöfung 
unb  Don  bcm  äßcrtl^c  bcr  burc^  S()rtftuS  gebotenen  ISrIöfung  mit 
fid^  fü^rt,  n)clc^c  ferner  bic  X^eilnal^mc  am  cwiflcn  Scbcn  felbft 
aber  nur  bann  ed^t  tft  n^enn  ber  @lQubc  burc^  bic  Siebe  loirffam 
mirb.    ^tefe  ^cftimmung  bed  ©laubeng  folgt  im  ©anjen  bem 
(Gepräge,  ttjclc^cö  unter  bcn  Slicbcrlänbcrn  jucrft  SBitfiuö  öcrtritt, 
unb   mcIc^eS  nad^f)cr  93rafcl  burc^  bte  S3ilber  bcio  ^o^enliebe^ 
QuSgefüQt  I)at.    darauf  gc^t  SBttringa  l^ier  nic^t  ein.    SQein  er 
bcrüfirt  fid^  mit  ben  Scftrcbungcn  jener  3Ranner,  inbem  er  Sie» 
geln  für  ben  Stet  ber  betDugten  93cfe^rung  auffteüt.    2)ie  fibcr^ 
fü[)renbc  ober  ftrafcnbc  ©nabc,  rocldE)c  bcn  3Renfc^en  oft  gcnag 
burd^  ©c^recfen   unb  Slcngftc   einer  tiefen   Xraurigfeit  ^inbunl 
fä^rt,  foQ  in  (Sinem  Sf2omcnte   in  bic  ncuicugcnbe  ©nabc  aud^ 
ge^cn.    ^ann  ftcQt  fid)  mit  ganjcr  ^lar^cit  bic  ^ägltc^feit  unb 
©^änblic^fcit  ber  ©ünbe  bar,  bic  Untt)ürbigfcit  ber  gcgennjärtigcn 
SBcrfaffung,  bic  5Jli(^tigfcit  bcr  weltlichen  2)inge,  bie  Sicblic^fcit 
ber  ©emeinfc^aft  mit  ©Ott,  bic  SBortrefffid^feit  bcr  5ßerfon  fi^rijü; 
bic  froren  unb  angenehmen  t^olgcn  bcr  ©cmeinfd)aft  mit  i^m; 
bcr  ü)?enfc^  fagt  fid^  üon  ber  ©ünbe  lo§  unb  empfiehlt  [idj  in 
S)cmut^  bcr  ©nabc  ©otteö.    „2)ann  nimmt  bcr  ^err  Sefu«  bo« 
ganjc  ^au^  bcr  ©ecle  mit  aßen  Kammern  ein,  üenoeilt,  ^errfc^t 
in   i^ncn,   lebt  unb  pit  3Ra^Ijcit   mit  ber  ©ecle.    ©o  foinint 
©Ott  5ur  ©ecle,  offenbart  fic^  i^r  in  ©nabe  unb  ücretnigt  fwl 
mit  it)r".    ®ö  mirb  I)injugcfügt,  ia^  biefer  Umfc^toung  in  einem 
gcttjaltigcn  2)range  unb  Scgc^ren  üor  fi^  ge^t.    S)ag  ftnb  3Äo* 
tioe,  tüclc^e  ebenfo  üormiegenb   äftl^etifc^  orientirt  finb,  ttie  bie 
i)on  Sralcl  gegebenen  änmeifungen.    3)aö  geiftlid^e  Seben  fteBt 
nun  SBitringa  in  brei  Sejie^ungen  (er  fogt  Steile)  bar,  nämli^ 
alö  ©clbftücrlcugnung,  ate  (Jrtragung  beö  Ärcuje^  ober  ©cbulb, 
unb  aU  Siac^folgc  Sf)rifti.  ^ierauö  ^ebe  id^  folgenbe  intcreffante 
©äfee   ^ert)or.     S)cr  ©ctbftoerleugnung   ttjirb  bie  fjrci^eit  bet 
Äinber  ©otteS  gtcic^gcfcjft.    „S)ieö  nömlic^  ift  bie  guggescid^neh 
SSoHfommcn^eit  eineö  ß^riftcnmcnfc^en,  ha^  er  bie  ©ütct  biejet 
SBelt,  ttjclc^c   i^m   t)on  ©otteö  äorfe^ung   bargeboten  »erben, 
mafetJoQ  unb   befdöciben  geniefet,  unb  bem  gleifd^  hierin  nid^tS 
gegen  baö  ©ebot  ber  geheiligten  SSernunft  nac^giebt."    „5Die  ®c» 
bulb  ift  eine  fold^e  lugenb,  bag  fie  faft  bie  Sage  be8  aRcnftä^n 


305 

überbietet."  Ueber  bie  Slad^folge  Sl^rtft!  beftimmt  SBitringa,  bag 
fie  nic^t  bcn  öejic^ungen  feinet  3WittlertDerfc§  fldtcn  fann,  fon* 
bcrn  nur  feinen  mcnfd^Iid^cn  3;ugenben.  3nbem  er  jugcfte^t,  bafe 
manche  berfelben  Don  bem  3nf)a(t  ber  p^ilofup^ifd^en  Xugenb^ 
le^re  nur  bem  9lamen  naä)  abmeid^en,  behält  er  bod^  t)or,  bag 
einige  uorfommen,  meldte  ben  (Steifem  nid^t  geläufig  finb.  ^ie 
Xugenbtafet,  in  welche  SSitringa  bie  Siac^fotgc  E^riftt  jertegt,  ift 
freilid^  eine  ?ßrobc  bafür,  ba§  biefer  S^itel,  ttjcld^er  im  SKönd^* 
t^um  feine  beutltd^e  unb  mirffame  Slnn^cnbung  gefunben  l^at,  in 
bem  ©ebrauc^  proteftantifd^er  SC^eoIogen  ein  Siot^be^elf  ift.  2)enn 
wenn  bem  Sorbilb  ß^rifti  nic^t  me^r  ber  Sinn  ber  SBcItflttc^s 
tigteit  unb  ber  freiwilligen  Srtöbtung  abgctDonnen  n)erbcn  foQ, 
fo  läßt  bie  Unterfc^eibung  Sitringa'ö  jtDifc^en  bcn  mittterifd^cn 
ßeiftungen  S^rifti  unb  feinen  menfcfilid^cn  Xugenben  einen  ganj 
unbeftimmteu,  farblofcn  aWagftab  fibrig.  2)enn  bie  lugenben 
finb  Sl^rifti  Xugenbcn,  fofcrn  fie  in  feinen  eigentpmlid^en  SBeruf 
cingeglicbert  finb,  biefer  aber  ift  bie  SBerföl^nung  ber  SKenfd^en. 
SScrjid^tet  man  auf  biefen  Qxotd  feiner  5:ugenben  ol^  bcn  3Ka§* 
ftab  berfelben,  fo  bef)ält  man  ganj  blaffe  @$emata  in  ber  $anb. 
Sd  ift  möglich,  bag  ^itringa  fpecieQ  an  ©ic^tcl  badete,  ald  er 
bie  Siad^a^mung  ber  mittlerifc^en  Seiftungen  S^rifti  für  au^ge^ 
fc^loffcn  erflärtc.  3d^  möd^tc  in  ©ic^ter^^  2)eutung  ber  Slad^folge 
S^rifti  aud^  auf  bcffen  mittlerifd^e  Seiftungen  bicicnige  Slbfurbität 
crfenncn,  meldte  bie  Unbrauc^barteit  jene^  litetö  für  bie  ©itten:= 
Ic^re  unter  ^roteftantcn  überhaupt  ^anbgrciffic^  mad^t. 

SSitringa  entfc^öbigt  für  bie  bürftige  Deutung  ber  Slad^f olge 

<£§rifti  baburc^,  bofe  er  einen  qualitatiücn  begriff  öon  c^riftlid^er 

Sonfommenl^eit  ober  Don  c^riftlic^em  S^arafter  auffteUt.  @r  red^^ 

itet  al^  SJJerfmale  beffelben  bie  georbnete  (Sinfid^t  in  bie  @(aubend» 

Yoa^r^eiten  unb   bie  @id^er^eit  in   ber  Seurt^cilung  geiftlic^er 

(Erfahrungen,   bie  SBeiö^cit  unb  SSorfid^t  im  ^anbeln  jur  ®^re 

@ottei3  unb  jum  Sort^eil  bc^  iJläc^ften,  bie  S8cl)errfc^ung   unb 

Sbcalifirung  ber  Slffecte  unb  bie  Straft  beö  SBiberftanbeö  gegen 

Bcrfuc^ungen,  ertoorbene  Uebung  in   bcn   c^rifttic^en  Xugenben, 

3ut)crfic^t  im  ©ebet  unb  ®ebulb  im  Seiben.   „3lad)  biefen  3Rcr^ 

malen  erfolgt  bie  ©c^äfeung  eincö  3)lcn)ä)cn  in  §infidE)t  feinet 

gciftUd^en  3wftonbe^.    Sc  nad^bcm   fie  in   geringerem   ober   in 

^ö^erem  ®rabe  ber  SoQfommen^eit   gefunben  werben,  wirb   ein 

SKenfd^   atö  t)onfommener  St)rift   auiufe^en  fein."    Diefe  @ä^e 

I.  20 


306 

fc^auen  naä)  einer  bem  ^ieti^muS  gerabe  entgegengefe^ten  9ltd^ 
tung.    S(ber  inbem  nun   ^itringa  }u   ben  Stfc^laffungen   unb 
@(^mäd^ejuftänben  im  geiftUd^en  SeDen  übergebt,  bie  er  t^eiU  oud 
fd^meren  @ünben,   t^eilS  auS   gefä^rli^en  Verfügungen,   tl^te 
QUO  ber  SBiUfür  ®otteg  in  ber  Serlci^ung  geringerer  ober  fWr* 
ferer  ©nabenpife  ableitet,  enuä^nt  er  ha^  einjige  9RqI  in  bem 
93uc^e  baS  ^o^elieb.    @r  erfennt  nämlic^  in  if)m  bie  2)QrfieQung 
ber  toed^fclnben  3wftänbe  ber  93raut  ß^rifti,  wie  fie  balb  trije 
unb  [c^Iaff  ift,  balb  über  bie  Slbttjcfen^eit  beö  83rautigam^  trauert, 
balb  auf  bie  @emeinfc^aft  mit  itjxn  brennt,  ober  in  i^r  mit  SEBonne 
ausruft.    Erinnert  man  fid^  nun,  n)ie  beutli^  ftd^  SSitringa'd 
93efc^reibung  beS  @laubenS  an  S^riftuiS  mit  bem  unter  ben  nie» 
bcrlänbifc^cn  5ßietiften  fiblid^en  ©ebrauc^  be^  §o^enliebe^  berfl^rt, 
unb  bag  für  ben  an  fid^  fo  unbeftimmten  S3egriff  ber  communio 
cum  Christo  bie  Slu^füQung  mit  ben  Silbern  jene^  99u^  {t(^ 
aufbrängt,  fo  tritt  biefer  Soccejaner  t)iemtt  bem  $ietidmui^  tt)ieber 
in  bem  Sfiage  nä^er,  atö  er  fid^  burd^  feine  SSorfteDung  oon  ber 
c^riftlid^en  SSolKommenl^eit  oon  i^m  entfernt  ^atte.   Snbtt^  aber 
fommen  bie  3Rittcl  in  Setrad^t,  burd^  rodele  ba§  geiftlid^e  fieben 
t^eiU  aus  feiner  Srfc^laffung  n^ieber  l^ergefteUt,  t^eild  über^au))t 
gefc^ü^t  unb  geförbert  wirb.    $ier  treten  ald  bie  Hauptaufgaben 
ba§  @ebct,  bie  Sefung  ber  f).  ©c^rift,  enblid^  bie  (Jinfamfeit  cii 
bie  Sermeibung  Don  ©elegenljciten  ber  ©ünbe  ^erüor.    3n  i^ 
SRa^men  biefer  SSerfuc^ungen  tt)erben  fpecieD  aufgeführt  Sujug  i» 
©peife  unb  Iranf,  SKüfeiggang,  fc^led^te  ®efellf(^aft,  Cr^olung 
in  ©c^erjreben,   Slnfd^lug   an  bie  ©ittcn   ber  SBelt,  b.  ff.  lanj 
unb  ©d^aufpicle,   übermäßige  ©orgen   unb  Äengfte  um  äu^ctt 
Slngclegcn^citcn,    ©trcitigteiten    inöbcfonbere    mit   g^d^genopr 
enblid^  ade  Slnläffe  jur  ©ünbe.    2)em  gegenüber  »erben  aö  We 
bcfonberen  ÜWittel  ber  Heiligung  empfohlen  bieUebung  geiftli^ 
©efangcö,  bie  X^eilna^mc  am  öffentlid^en  ®otte«bienft,  nament* 
lic^  fo  n)ie   er  burc^  bie  3)iSciplin  rein  ermatten  toirb,  bie  ®c^ 
fetlfd^aftcn  ber^eiligcn,  tägliche  ©elbftprüfung,  (Sinfamfcit, 
gaften.    9iun  ttjöre  man  ober  im  3rrtl&um,  toenn  man  unter  befl 
consortia  sanctorum  bie  6ont)entifel  glaubte  oerfte^en  }U  foQen« 
äSitringa    meint   üielme^r   bamit   bie    äJerbinbungen    d^riftUc^ 
grcunbfdjaft  unter  fold^en,  bie  gleid^er  ©emüt^^rt  finb,  fowc 
©taub  unb  ©tubien  gemein  l^aben.    Sltfo  ge^t  bie  Ucbereinjüm« 
mung  mit  bem  $ietidmuS  bei  bem  ßoecejaner  boc^  nic^t  fo  oett, 


307 

ha%  er  bic  <)rtt)atcn  ©rbauungSöcrfammlungcn  au3  bcibcn  ©c* 
fc^lcd^tem  ate  ein  tpert^öoDcg  SRittcl  jur  Heiligung  ancrfannt 
ff&tit.  Unb  ööHig  abgeneigt  .ift  er  bem  Sfiifebrauc^  be^  Urt^cilen« 
über  ben  ©eclenftanb  anberer,  n)eldöer  in  jenen  SSerfammlungen 
^eimifd^  ift.  ffir  mad^t  auf  bie  fac^Iid^e  ®4tt)icrigfeit  biefer  auf*» 
gäbe  unb  auf  bie  ^inbcrniffe  aufmerifam,  welche  jcber  fc^on  in 
feiner  ©elbftbcurt^eitung  erfährt.  3n§befonbere  bient  e§  jur  Se^ 
fc^äntung  be^  gefammten  ^ieti^muö,  tt)ie  SSitringa  über  bie  S3e* 
urt^eilung  be^  ©eelenftanbeö  berer  fid^  augfpric^t,  welche  in  ber 
©emeinfc^aft  ber  ttjal^ren  Äird^e  fic^  ber  bürgerlichen  ß^rbarfeit 
befleißigen,  unb  mit  bem  äußern  ©otteöbienft  eine  Drbnung  be^ 
Scbeng  unb  ber  ©itten  üben,  tod^t  bem  Sefenntniß  beö  2Runbc§ 
nic^t  tt)iberfprid^t.  SBer  beren  Snnereö  nid^t  au^  längerem  ge^ 
neuen  Umgange  ober  forgfältiger  Prüfung  fennt,  unb  nic^t  etma 
bic  apoftolif^e  ®abe  ber  5ßrüfung  ber  ©eifter  f^at,  foD  [xd)  flar 
mo^en,  bag  9liemanb  jened  Urt^eil  in  jebem  ^aQe  rid^tig  unb 
o^nc  ©eforgniß  groben  3rrtl^um§  ausüben  toixh,  nid^t  einmal  bie 
fttr^cnbiener  öon  f)of)cx  geiftlid^er  ©rfa^rung.  Umgefe^rt  ift  }U 
eriüägen,  tt)ie  ä^nlid^  ber  falfd^e  (Kfer  für  bie  SReligion  bem 
loa^ren  ift,  unb  mie  fd^lüpfrig,  hinterhältig  unb  falfc^  bic  ®e^ 
mutier  vieler  SKenfc^en  finb.  3nbeffen,  ba  gemiffe  SibelftcDcn 
jur  Seurt^eilung  ?lnberer  aufforbern  (3Ratt^.  10,  11;  13,  48; 
Act.  16,  15),  fo  bcftimmt  SSitringa,  baß  man  baju  nic^t  in  auf^^ 
geregtem  unb  gebrüdftem,  fonbern  nur  in  rul^igem  unb  {)eiterem 
©emütJ^djuftanb  geeignet  ift,  unb  \>a%  bie  ©eiftlic^en  fid^  ju 
^üten  ^aben,  ein  Urt^cil  mie  t)on  ©otte^  ©tu^l  aud  ju  fäQen, 
bielme^r  [xd)  mit  einem  Urttjeil  ber  SBal^rfd^einlid^feit  begnügen 
follen. 

Diefe  S^rift  bereift  alfo,  tok  ttjeit  ein  reiner  ßocceianer, 

troft   feiner  bem  ^ietiömuö  grunbfö|li^  jutoiberlaufenben   fitts= 

li^en  Slnfd^auungen,  baburc^,  baß  er  fic^  an  äBitfiuS  >£)eutung 

\>c^  ©tauben^  anfc^loß,  ber  rcligiöfcn  Stimmung  entgegenfommen 

tonnte,  toeld^e  in  ben  Eonöentifeln  gel^cgt  ttjurbe.    Snbeffcn  no^ 

im  Anfang  bcd  18.  3ai&r^unbertö  öerröt^  bie  coccejanifd^e  ©d^ule, 

\o  tt>eit  toir  fie  nac^  SSitringa  beurt^eilen  bürfen,  feine  Steigung, 

ouf  bie  befonberen  Einrichtungen  fi^  einjulaffen,  in  n)eld^en  bie 

Jrdmmigleit  nac^  Sern^arb'g  X^puö  i^re  ©eltung  fanb.  @o  tt)ie 

bie  (£ont)entifeI  unter  bem  ©d^n^e  Don  SSoet  fic^  t)erbreitet  Ratten, 

fo  ftnb  auc^  nad^  bem  Umfd^munge  wn  1672  immer  nur  93oe« 


308 

tiancr  um  bic  Pflege  bcrfclben  bcmül^t.  S)icfc  ©döulftcDung  aber 
tüurbc   nid^t  burd^  Slble^nung  ber  föbcraliftifd^cn  ©cbanicn  unb 
augbrüdc,  fonbcrn  burd^  bic  Slnl^änglid^feit  an  bic  ftrcngc  ©ab* 
bat^^feicr   cntfd|tebcn.     Snjtüifc^en  lamcn  bic  „crnftigen"  Soccc« 
jancr  in  gricölanb  unter  bcm  SSortritt  öon  öan  ©iffen  bcn  profc 
tifc^cu  Qtvtdcn  entgegen,  ttjclc^e  biö^cr  öon  ben  SSoetianern  allein 
ücrtrcten  ttjaren.    2)ie  5ßrcbiger,  ttjcld^e  jener  ©ruppe  angc&örtra, 
liegen   fid^  juerft   auf  bic  pietiftifd^e  SKctl^obc  be^  SBugtampfc« 
unb  beö  befonbcrn  gefteigertcn  ©cUgfcitögefü^te  ein.    ©o  bahnte 
fid^  eine  anbere  äJert^cilung  ber  bciben  ©deuten  an,  totldtt  ttm 
um  1720   fid^   nad^   bem  ÜKaßftabe   ber  Segünftigung  ober  8b* 
tt)cl^r   ber    Sonoentitel    entfd^icb.     ©egen    biefelbcn    waren  bie 
SSoctianer  unter  ber  Seitung  öon  3o^.  SKarcf  in  ©roningcn,  fo* 
mie  öon  bcn  (S^occeiancrn  bie  Sd^ten  ober  ßorbaten  ober  Scibeiu 
fd)en.    gür  bie  Sonöentitcl  ttjaren  bie  Sörafelfd^en  SBoetiancr  unb 
bie  üampe'fc^cn   ober  Utrec^ter   Eoccejaner  *).    S)cmgcmä§  W* 
nef)men   wix  üon  einem  §lbepten  ber  ßonoentifel,  ba§  er  fcttft 
gleid^gültig   gegen  bie  S^oge  roar,   toddftx  ber  beibcn  ©d^ufai 
man   angef)örte,   ba   c§  bei  ber  gegentt)ärtigen  Sage  ber  Sir^c 
fing   fei  baüon  ju   fc^ttjcigen.    2)iefer  SBcrtreter  ber  Konocntifcl 
unb  Sin  länger  ber  „ctjangelifd^cn"  SRic^tung  ift  ©tcco  lioben*]. 
©eine  in  lateinifc^er  ©prad^e  aufgejcid^netcn  ©rlcbniffe,  aRcbito* 
tionen,  SRcflcEionen  über  feine  religiöfen  (Erfahrungen  unb  Sf 
ftrebungen,  l^auptfäc^lic^  aud  feiner  Sanbibateuicit  finb  t)on  einen 
greunbc  in  J^oHanbifc^er  Ueberfe^ung  für  bie  ©efinnungSgenoff» 
jugänglid^  gemacht  toorbcn.    ©ie  bienen  jur  Seftätigung  beffen, 
ttjaö  SBil^elm  Sralel   lel&r^aft   Vorgetragen  {)at.    Wlan  crfennt 
nämlid^    an  ber  pcrfönlid^en  ©elbftfd|ilberung  beiS  9Kanne^,  wie 
bic  aJtet^obe  fic^  toirftic^  bettjü^rt,  unb  man  gett)innt  au«  feinen 
Slotiäcn  eine  (£inficl)t  in  bie  ©toffe,  mit  ttjclc^en  ftc^  bie  ^' 
t)cntilel  befc^äftigtcn. 


1)  Ypeij  en  Dermo ut  III.  p.  289. 

2)  Geboren  in  SBeflerlee,  $ro)).  Groningen,  12.  S)ec  1693,  ^birtt  in 
Groningen  unb  Seiben  Don  1708,  (Sanbtbat  be9  ^rebigtamteS  1714,  $rebi()er  in 
mtmt*^tUU%  (®roningen)  1719,  gePorben  28.  aWürs  1726.  «gl.  Eenige  ««»• 
teekcninge  en  alleenspraaken  betreffende  meest  het  verborgen  leven  ^^ 
den  beere  —  van  Sicco  Tjaden,  uitgegeven  door  Job.  Hofstede.  Gro- 
ningen 1727.    §fiufig  »icDer  aufgelegt. 


309 

Ute  ©tubcnt  in  Seiben  cmcdt,  um  fi^  ju  bcm  $crm 
3cfu^  }U  wcnben,  finbet  fid^  Xjaben  in  biefer  ^ic^tung  boc^ 
erft  befcftiflt,  fcitbem  er  in  feinem  SBobnort  ©roningen  in  ^cx^ 
binbung  mit  bem  ^ßrebiger  Slom  trat  unb  bie  ©ottfeligen  auf« 
fuc^tc,  fo  tt)ic  i^ren  3ufömmenfünften  6eitt)ol&nte.  S)ie  ©runbfäftc, 
toclc^e  biefer  fein  gfi^rcr  vertrat,  finb  bejeidincnb  für  bie  Haltung, 
nnrlc^e  ber  junge  älf^ann  einnahm,  unb  bilbcn  überl^aupt  bad 
Programm,  tocIdE)eö  ber  fogenannte  etjangelifd^e  $i(?ti^muö  bamafö 
im  ©egenfa^  gegen  bie  gefe^Iid^e  Slic^tung  befolgte.  3)a  bie 
Ru^e  unb  ber  griebe  beö  natürlichen  3Kenfd)en  nic^t  ber 
äu^brucf  red^ter  ©laubenöücrfidierung  ift,  fo  fommt  cS  barauf 
an,  nad^  Änmeifung  beö  ?ßaulug  (2  ßor.  13,  5)  fid^  ju  prüfen, 
ob  man  im  ®lauben  fte^t,  ober  öietnte{)r  ®ott  barum  ju  bitten, 
bafi  er  baö  §erj  burc^forfc^e  ($f.  139,  23.  24).  SBenn  aber  fo 
ber  ©ünbenftanb  jur  Slnfd^auung  gelangt,  fo  ^at  man  nic^t  gc^ 
fcftlic^,  fonbern  eüangelifcf)  ju  f)anbeln,  bag  ift,  man  foD  fid^ 
burc^  leine  ©ünben  oon  Scfuö  abgalten,  fonbern  fic^  burd^  fic 
üielmel^r  ju  i^m  treiben  laffen.  ÜÄan  fie()t,  eö  ift  bie^  biefelbc 
(Sombination,  tt)el^e  SBil^elm  »rafel  aufgeftcttt  ^at  (©.  298).' 
Ate  baö  ©d^ema  aber,  in  ttjeld^em  junöc^ft  bie  öorgefd^riebene 
©clbftprüfung  fic^  bewegt,  toirb  nad^  bem  SJorgang  öon  Soben'^ 
fte^n  unb  nad^  ber  feftftel^enben  t^eotogifd^en  Uebertieferung  ber 
®cgcnfa|j  jtoifc^en  ber  ©ouöeränetät  ©otteg  ober  ber  Ällgenugs: 
famicit  Sefu  unb  ber  Slid^tigfeit  beg  SKenfc^en  geltenb  gemad^t. 
„Durd)  bie  Xiefe  meiner  5Rid)tigfeit  unb  D^nmad^t  ftra^It  ber 
Äbgrunb  üon  3efu  XlUgenugfamfeit  unb  unergrünblid^er  ©nabe." 
^ieburc^  toxxi  aQerbing^  bie  ©c^ä^ung  ber  @nabe  ©otted  in 
cntfd^iebener  SBeife  eingcfd^ärft.  SlHein  anbererfeitö  toirb  ba§ 
93etDugtfein  ber  ©ünbe  unb  baiS  ber  creatürlic^en  ©d^tt)od^e  öer« 
mengt.  3n  ben  öorlicgcnben  ©ünbcnbefcnntniffen  ift  bie  inbioi^ 
bucüe  garbe  unb  bie  Slnfnüpfung  an  bie  befonberen  ©ituationen 
ju  ocrmiffen.  ©ie  bett)egen  fid^  burd^auö  in  einer  angelernten 
t^pifd^cn  aWanier  unb  in  Uebertreibungen.  Die  S^tgc  ift  nun 
ein  jieltofer  trüber  ©emüt^^juftanb,  roeldjer  unjöl^Iige  SKale  be* 
jeugt  tt)irb,  unb  eine  allgemeine  SSerfd^üd^terung  in  bcm  ©cbanfen 
an  ©Ott,  ben  abfoluten  ©ouDcrön.  Unter  biefen  Umftäriben  er* 
fd^cint  jebe  geringfügige  ©unft  im  täglichen  fieben,  fc^öne^  SBetter 
bei  einer  gußreife,  ober  bie  3Röglid^feit,  einen  SBagen  ju  benu^en 
cnfiatt  JU  guge  ju  tt)anbern,  in  bem  glänjenben  Sid^te  göttUd^en 


310 

SEBunbcrS.    $RatürIid^,  »er  nid^t  barauf  meint  rennen  ju  burfen, 
bafe  er  mit  d^riftlic^cr  ©rjicl^ung  unb  perfönitdöcm  ©laubcn  ©ottcd 
üinb  unb  bcö  ©c^uftci^  ®otte«  rcgelmägiß  gewife  ift,  lüirb  burd^ 
alle  ffirfa^rungen,   bie  et  mac^t,  unb  bie  er  nic^t  in  jenem  3u* 
fammen^ange  üerftel^en  will,  überrafd^t   unb  erfd^recft   tt)erben. 
gemcr  ift   ein  folc^e^  Settjufetfein  öon  ©ünbe,  lüetdje^  nur  in 
ber  gefd^öpftid^en  Siid^tigfeit  al§  ein  allgemein  nieberfd^lagenber 
(Sinbrucf  empfunben  wirb,   an  fid^  nid^t  fo   befd^affcn,  um  eine 
^ertd)tigung  burd^  gefe^lid^e^S  ober  t)ielme^r  pftic^tmägigciS  $an< 
beln  l^eraugjuf orbern.    ®icfe  öon  SBoet  Vertretene  SKet^obc  fe|tc 
üorauö,  ba§  man  im  S^fommen^ange  mit  ber  Äir^e  unb  in  ber 
praftifc^en    Jlnerfennung    i^rer    Aufgaben   fic^   alö    d^riftlid^en 
S^arafter  ober  aU  jiinb  @otte^  anfeilen  barf.    Sie  t)orgebli(^ 
cöangclifd^e  3Ketf)obe  aber,   todäjc  t)on  S^jaben  befolgt  tt)irb,  ifl 
bie   bem  ©efü^l  ber  allgemeinen  Siic^tigleit  unb  Setrübniß  ent» 
fpredjenbe  ebenfo  allgemeine  ©e^nfud^t  nad^  bem  fügen  SSerfe^r 
mit  bem  §erm  3efu^,  mld)c  nid^t  t)on   bem  Seioufetfein  ber 
©otteölinbfd^aft  bc^errfd^t  ift.    §ier  ^anbelt  eg  fic^  nur  um  eine 
'Spannung  ber  ISinbilbungSfraft  unb  bed  ©efü^ld,   bie  in  feinem 
folgered^ten  Ser^öltnife  ju  bcn  trüben  Stimmungen  ftel^t,  ujelt^ 
man  ju  übertoinben  tt)ünfd^t.  ffiö  ift  alfo  nad^  ben  SBelenntniffen 
Don  2:j|abcn  burd)auS  jufällig,   ob  bieiS  gelingt  ob  ber  junger 
unb  3)urft  nac^  3cfuö  jU  bem  Srgrcifen  bcffelben  fü^rt.  unb  wie 
lange  biefcr  SBcfi^  anhält.   ®cr  wirifame  SRcij  jur  ^crüorrufung 
biefeö  ©eligfeitögefü^lö  ift  manchmal   eine  tröftlic^e  SibelftelUt 
loeld^e  überrafc^cnb  in  bie  momentane  Serftimmung   cinfd^läftt; 
ober  unter  bem  Xrinfen  beö  ?lbenbma{)ldfcld^e^  wirb  Die  biö  ba^i"» 
an^altcnbe  ®ürre  tjcrbröngt,  inbem   „il^m  gegönnt  würbe,  m^ 
aller  feiner  ©ünbenlaft  unb  feinen  übrig  gebliebenen  SSerborbc«^* 
l^eiten  ju  ru^en  in  ber  güQc  beffen,  weld^er  feine  SEßunbcn  >^^ 
xf)m  öffnete,  um  i^n  ^ineinbliden  ju  laffen."    3*^^^^^^  ^^^^  Sä-'^J 
nadi^cr   „famcn    bie  SDiäc^tc  ber  ^ölle,  il)n  ju  beftürmen  nr^^ 
i^rem  gewohnten  ©cwel^r  unb  Äriegöliften  unb  mit  ungewo^n*:^^ 
©ewalt;  Sefuö  aber  gab  Äraft  jum  SBibcrftc^en." 

3)er  SSerlc^r  mit  bem  ^errn  Scfuö,  auf  welchen  Ijab- 
fein  SBeftreben  richtet,  foH  i^m  ftülfrcic^  fein  jur  fjeftftellui 
feines  ©nabenftanbei^  unb  bemgemäg  jur  Sludfc^eibung  beS  St 
brucfeS  beS  ©ünbenftanbcS.  „SaS  fiid^t,  ha^  mxä)  bcftra^li 
ging  nid^t  fo  rafrf)  unter.   SDicinc  cinjigc  ©onne,  ber  ^err  3efi^^ 


311 

f^at  mx6)  ju  feiner  ©onncnblume  gemad^t.    (Er  tft  bie  @onne, 

locld^c  mid)   flicßenb   mac^t;   er  fd)miljt  mein  ^crj  wie  SBad^^; 

er  jtc^t  X^ränen  bcr  Siebe   auö  meinen  Singen."    ;,©te^e  mir 

bei,  mein  einjiger  ftetcr  Reifer,  ^err  3cfu.    fia§  baö  Sic^t  einer 

fcften   unb  ernften  Hoffnung  in  meiner  ©eete  burd^bred^en,  Der* 

lei^e  ©etbftüerleugnung,   Unterwerfung,   unb  gönne  mir   unter 

beiner  weifen  unb  barml^erjigen  Seitung  in  beinen  SBegen  JRu^e 

ju  finben.    SBaö  fürchte  ic^,  ba  id^  in  ben  armen  Sefu  bin.  2)u 

$crr  Scfu,  fannft  mid^  allein  überwinben;  id^  bein  g^inb  begehre 

übemjunben  ju  werben.    SBie  füg  foD  mir  biefe  Slieberlage  fein, 

too  ic^  Kid^t«  unb  bu  aUeö  fein  wirft."    Dbgleid^  in  ben  öe^ 

fcnntniffen  üon  Xjaben  feine  ©teile  beg  ^o^cnliebe^  citirt  Wirb, 

fo  finb  i^m  ade  wefentlic^en  iiategorieen  geläufig,  weld^e  t)on  ha^ 

fter  für  ben  Umgang  ber  ©eele  mit  bem  §errn  3efuö  abgeleitet 

worben  finb.  ®r  l^at  Sefuö  jum  greunbe,  er  fud^t  i^n  jwedEmägig 

in  bcr  ffiinfamfeit;  aber  and)  in  bem  SSerfe^r  mit  ben  frommen 

^t  er  ben  SSerfe^r  mit  bem  fügen  Sefu«;  3efuö  antwortet  i^m, 

ja  er  ge^rt  au^  ju  ben  gu^örern,  wenn  Xjaben  prebigt!    ?lber 

burd^  bie  Sanbibatenjeit  ^inburd^  wcd^feln  biefe  Sinbrflde  immer 

wicber  mit  ben  entgegengefe^ten.  Denn  atlmäl^lid)  ergiebt  pd^  au§ 

bicfen  Sefcnntniffcn,  bag  Xjaben  bie  eigcntpmlid^en  93ebingungen 

feines  ©tanbeS  bei  feinen  ©elbftprflfungen  nid^t  in  Änfc^lag  ge= 

bracht  ^at.    Ätein  SSorbercitungöbienft  ju  einem  öffentlid^en  Amte 

ift   ja   fo  ungünftig  gefteüt,  wie  ber  jum  5ßrebigtamt.    Siämlid^ 

in  ber  SSerlfinbigung  beiS  6:i)riftentl)umd  mug  auc^  ber  Sanbibat 

ein   9Rag  uon  perjönlid^er  Slnctorität  t)orwegne^men,  t)on  bem 

er  weife,  ba§  eS  i^m  gegenüber  ber  ©emeinbe  eigentlid)  nic^t  ju* 

fommt.    gerner  ift  bie  gciftige  ©pannung,   mit  weld^er  ein  San* 

bibat  Dor  einer  i^m  fremben  ©emeinbe  jur  ^rebigt  auftritt,  burd^ 

tjerfd^iebene  Umftönbe  fo  oiel  wie  möglid^  gefteigert.    3Die  St^^err* 

f^ung  ber  ted^nifd^en  gorm  foH  jugleid^  mit  ber  religiöfen  ®e* 

ntüt^Sbewegung  geübt,   unb  bie  2:i)eitna^nte  an  ber  jul^örenben 

©emeinbe    mit    bem    bere^tigten    ober    pftic^tmäfeigen    S^rgeij 

■öcrbunbcn  werben,  bafe  man  fid^  oor  jener  nid^t  blamire.    Söift 

ni^t  in  aQen  f^äQen  fidler,  bag  man  in  einer  (Sanbibatenprebigt 

jene  Siücffic^ten  ooQftänbig  auSjugleid^en   oermag,   unb   eS    ift 

Derte^rt,  ben  Snfprud^  an  fic^  felbft  ju  ergeben,  im  SSorauiS  über 

%te  Hemmungen  jener  Umftänbe  l^inaud  ju  fein.    3n  biefer  ^tv^ 

le^rt^ett  ^at  Zjaben  fid)  mel^rere  Saläre  lang  verfangen,  weil  er 


312 

in  feinem  ©d^ema  rcligiöfcr  ©clbftbeurt^citung  feinen  3laum 
fanb,  um  jene  ©d^ttjicrigfeiten  nad^  i^rcm  befonbern  3Mffli'^J"fw^ 
^ange  ju  üerftel^en.  ijoben  ^at  burc^  bie  umftönblid^fte  Art 
ber  SSorbereitung  jur  ^rebigt  unb  burd^  beten  tobttliä)t  (Km 
prfigung  in^  ©cbäd^tnig  fid^  bie  ©od^e  crfc^tüert  unb  burd^  eine 
ber  ©outjeränetät  ®otteö  angcmcffene  ©d^ö^ung  beg  ^rebigt* 
amteiS  feine  natürli^e  ©cf)ü^tern]^eit  gefteigert;  unb  bonebcn 
mac^t  er  hei  einer  ber  crften  ^rebigtcn  ben  ?lnfpru(^  auf  bie 
®ett)i6^eit,  baß  ®ott  il^n  jum  ^rebigtamt  berufen  f)abe!  (5t  be^ 
fcnnt  tt)eiterl)in,  ba§  er  3Ri§trauen  gegen  fic^  fclbft,  Äleinmut^ 
unb  3Serjtt)eifcIung  gel^egt,  unb  mit  ^eftigfeit  bie  entgegengefe^tc 
(Scmüt^öftimmung  beim  ^rebigen  erftrebt  l^abe,  femer  ba%  er 
bei  einer  JRebe  im  (Sonüentifel  in  ben  Äampf  jtoifc^cn  gurc^t 
unb  S^rgeij  gcfteDt  tüorben  fei.  SBir  erfahren  baneben,  ba§  er 
aWonate  lang  Dom  gieber  ^eimgefnc^t  tt)ar,  unb  in  biefcm  Qu-^ 
ftanbe  geprebigt  l&at.  Aber  jene  ©timmungen  red^net  er  pc^  aö 
©finben  an,  unb  wenn  er  in  einer  ?ßrebigt  toaxm  geworben  i|l, 
fo  fielet  er  barin  jwar  eine  überrafd^enbe  ?ßrobe  öon  ©ottcö 
®nabe,  boc^  o^ne  eine  Sefeftigung  feinet  ©elbftgeffl^lö !  .S)cr 
§err  tl^ut  c3;  id^  l^abe  bloö  anju beten,  ju  preifen,  ju  öerttaucn, 
JU  warten,  aufeumerfcn  unb  fo  weiter." 

®twa   um  bie  ÜRittc  feiner  Sanbibatenjeit  bejeugt  Ijabcn 
einen  Qutoaä)^  feinet  (äJnabenftanbe^  in  ^^Ige  feinet  engem  Set* 
lel^r^  mit  ben  „®otteöffird^tigcn".    SRämlid^  bamate   bcgonn  et 
atö  ©prec^er  in  ben  Sonbentifeln  aufjutretcn,  wel^e  er  in  dc«^'- 
fd^iebenen   Dörfern  gcfunben  \)atic.     35aö  gab   i^m   in  feiner"» 
?lugcn  ein   gcwiffc^3  ®ewic^t,   unb  bie  entfpred^enbc  ®timmur»ft 
bürgte  für  feinen  ©nabenftanb,  ba  fic  burd^  bie  Uebereinftimmurr^S 
mit  einer  9lrt  üon  ©cmeinbe  getragen  war.  Unb  biefelbe  pfleg^^^' 
Wenn.  Sijaben  erfc^ien,  nic^t   fparfam  in   ben  Änbac^t^übung^^^ 
JU  fein.    Siö  in  bie  bunfele  5Jlad^t  blieben  biefe  „Orot  fud^enb^*^ 
©eelcn"  tjcrfammclt    bei   Vorträgen,   ©cfpräd^en,  ®cbcten, 
föngcn.    ®r  tjerjcic^net  ben  gtüdEIid^ften  Sag  feinet  Sebcng, 
er  t)icr  Sage  unb  iJläd^te  l)intercinanber  fold^e  JBefcftigung  u 
6rleud)tung  unter  ben  „aüerfüfeeften   ©c^äf^en  Sefu"  crfol(|i 
l^at,  unb   crlennt  ©ottcö  ^anb   barin,  baß  er  troft  uicr  burcrr^ 
wad^ter  Siäd^te  fein  SBebürfnife  bcö  ©d)tafe«  cmpfunben  ^at.  SS:===^^^ 
SReben  in  biefcm  Ärcife  bejie^en  fid^  j.  ö.  auf  bie  fragen,  waru     ^ 
©Ott  bie  Heiligung  in  biefem  &cbcn  lägt  unboUfornmcn  bleibe 


313 

ttKirum  fo  lücnigc  au§  bcr  ©ünbflut^  entronnen  finb,  ober  auf 
baö  J^ema,  bag  baö  Sid^t  für  bie  ©erec^ten  ftral&lt  unb  5^6^«. 
li^Ieit  für  bie  Äufriditigcn.  S)te  ©pra^e  Äanaan^,  an  tod6)et 
fi(^  Xjaben  mit  biefen  ©erregten  unb  Aufrichtigen  erfreut,  ift 
bie  naturgemäße  go'flc  ber  t)orf)errfcftcnben  Sefc^äftigung  mit 
altteftamenttic^en  Stoffen  unb  5ßrebigttejtcn.  Äuc^  bie  greube 
an  ber  Statur,  weld^e  für  Xiabcn  in  ber  SKitte  ber  großen  ein:= 
förmigen  Torfmoore  aufgegangen  ift,  tuürjt  er  fid^  regelmäßig 
burd^  reflectirtc  5lnfpielungen  auf  geiftlid^e  ?lnaIogieen.  3lber 
bog  SBo^Igefü^I  in  ber  Umgebung  ber  gi^o'nnicn  ift  auc^  nicftt 
o^nc  ©cfal^r.  3)enn  einmal  belennt  er,  in  einem  ®ebet,  worin 
er  nid^t  gang  falt,  fonbem  anbringcnb  gett)efen  fei,  oiele  SBorte 
gemacht  ju  f)aben.  Unmittelbar  banad^  aber  fei  er  t)on  ber^ö^c 
^crabgett)orfen  unb  burd^  üielc  ©rünbe  {)in  unb  ^er  gef^üttelt 
toorben,  biö  er  enblidl)  entbedEte,  baß  er  aug  Sigenliebe  ober  ffiitet 
!cit  baö  ©cbet  fo  lang  au^gefponnen  ^abe. 

®ie  anficht  über  bie  bem  SBerbcrben  na^e  Sage  ber  Äird^c 
^cgt  Sjaben  im  ©inflange  mit  ben  Url^ebem  beö  $ieti^mu§. 
®r  bcfennt  fid^  bcmgcmöß  au^  ju  ber  5Rot^toenbigIett  bcr  Slefor* 
mation  be§  Scbeng  in  ber  Äirc^e,  in  bemfelben  Umfang  ttne 
Sobenfte^n.  6r  wirb  aud)  bur^  bie  fectirerifd^e  Folgerung  beun^ 
ru^igt,  baß  eine  Slbenbmal^I^feier  in  @cmeinfd^aft  mit  Unreinen 
nichtig  unb  fünb^aft  fei;  aQein  er  ^at  in  biefcm  @ebanfen  eine 
8crfu(^ung  erlannt.  ferner  atö  er  burc^  ben  SRatl^  öon  ©ro* 
ntngcn  ju  feinem  ?ßrebigtamt  in  9iieutt)e:'^efcI=Sl  berufen  worben 
ift,  gerätl^  er  in  bie  größten  ©frupel,  ob  bie  weltlid^e  Dbrigleit 
baju  bered^tigt  fei,  obwohl  er  üorfter  feinen  Slnftanb  genommen 
Ibot,  burd^  ^robcprebigtcn  bie  i^m  angetragene  Bewerbung  um 
bie  ©teile  über  fi^  ju  nehmen.  Cr  beruhigt  fic^  fc^ließli(^  bamit, 
boß  bie  ©emeinbc  i{)m  geneigt  ift,  unb  baß  bie  grommen  für 
feine  SBerufung  ^ö^^^itte  getrau  ^aben.  SKan  erfennt  beutlic^, 
baß  er  jwar  burd^  bie  Änfi^ten  über  lird^lic^e  S)inge,  toeld^e  in 
bcm  ftreife  ber  f^eincn  gangbar  finb,  berührt  wirb;  allein  er  ift 
üiel  }u  fe^r  mit  fid)  felbft  befd^öftigt  gewcfen,  aU  baß  er  auf 
Äirc^enpolitif  ^ätte  einget)en  mögen.  S)enn  gcrabe  na^bem  er 
bie  Berufung  in  baö  Amt  empfangen  ^at,  wirb  er  wieber  burd^ 
einen  ©türm  oon  Unfic^er^cit  unb  gciftlid^er  S^rogl^eit  ^eimgefud^t, 
btd  er  bur^  bie  $fli(^ten  feinet  9(mted  in  Slnfpruc^  genommen 
»orben  ift.    9tümlid^  au  biefcm  $unft  fd^eint  er  au^  feine  3^it 


814 

mel^r  5U  bcn  jufammenpngenbcn  Sufjeid^nungcn  geJ^Qbtju  l^aben. 
Unter  bcn  ücrcinjcltcn  JBcfcnntniffcn  ift  nod^  cinc3  Don  1723, 
iDeld^ed  bejeugt,  bog  er  gelcgcntltd^  jur  9tn\)c  gefommen  ift.  Um 
nämltd^  mit  Sßitfiud  }U  rcben,  auf  beffen  Oeconomia  foedemm 
fid^  Xjaben  beruft,  ift  ei^  it|m  gelungen,  über  bie  ©tufc  bed 
hungernd  unb  ^urftcnd  l^inauS  }ur  S(nne^mung  bed  ^erm  3efu$ 
Dorjubringen.  „3^  feil)  bamatö,  obglcid^  meine  @unben  nmrcn 
toie  bie  ®ee  unb  iDte  ein  unerme^lid^er  Slbgrunb,  bog  in  3efud 
ein  unenblid^er  Occan  t)on  SBarml^eriigfeit  fei,  unb  ic^  iDarf  mic^ 
in  bie  ©ce,  atö  in  eine  ©ee  oon  freier  Siebe.  S)iefe^  aber  xoat 
mir  noc^  nid^t  genug;  ic^  flomm  p^er  l^inauf.  Sd^  {q^,  bafi 
3efu«  ttjal^rlid^  ber  SKelne  »ar,  mit  feiner  güDc."  „SÄeincgrei« 
mfit^igfeit  blieb  bouemb,  inbem  i^  t)on  meinem  SSater  ein 
^inbe^red^t  auf  feine  @Sefd^öpfe  erbot,  unb  einen  ^nbcdgefiorfam, 
um  fie  mäßig  unb  banfbar  ju  gebraudien."  Unter  bicfem  ®ebet 
enblid^  iDQrb  i^m  t)erlie]^en  auf  bie  gnäbige  Srmä^Iung  unb  ett)ige 
Sarml^erjigteit  in  §infid^t  feiner  ju  merlen,  unb  er  öermoc^tc 
mit  ber  i^m  burd^  ®ott  entbedten  ©ünbe  feineö  jtoeifcinbcn  unb 
migtrauifdien  bittend  ju  3efu^  um  93erföt)nung  ju  ge^en.  &t  f)ai 
jebod^  nod^  einmal  1725  eine  Serbunfelung  ju  übem)inben  ge* 
^abt,  in  melier  if)m  ju  3Rut^e  iDar,  a(d  ob  er  feine  SBa^r^t 
fennte.  Sr  na^m  babei  n)a]^r,  bag  er  ju  unmittelbar  an  ben  $erm 
ging,  ber  fid^  boc^  aQein  in  S^riftu^  finben  laffen  tooQe,  unb 
barauf  fonnte  er  Scfu^  loicber  annehmen  unb  fic^  il^m  ergeben^ 
SSon  feiner  Jlmtöfü^rung  üerne^men  »ir  aud  ben  Scfenntniffei 
bed  ba(b  barauf  Serftorbenen  nid^td  auger  bem  SSorfa^,  @ef( 
unb  Süangelium  ju  prebigen  unb  t)or  KQem  Sefud  barjufteQei 
unter  bem  Sinbrudt  feiner  Sieben^roürbigleit. 

Qxod  5ßunlte  brängen  fic^  in  biefem  Seben^bilbe  auf,  tt)cl(^^  i 
einer  befonbern  Erörterung  bebürfen.  Quex^t  fragt  ed  fic§,  xoim-i 
bie  ©ünbcnüergcbung  unb  ttjic  bie  Äraft  jum  fittli^en  §anbclir^ 
mit  bem  @enug  ber  ©d^önl^eit  unb  Sieben^mfirbigfcit  beS  ^emr^ 
SefuS  üerfnüpft  fein  foHen.  3n  jener  SBejie^ung  lautet  bie  Hn^^ 
n)eifung  ba^in,  bafe  man  gerabe  im  93etou§tfein  ber  ©flnbcn  fein«^  ^ 
3uflud^t  }um  §errn  Sefuö  ncl^men  foH,  um  t)on  benfelbcn  be-^  — 
freit  JU  werben.  Aber  wie  mirb  bicfe  SBirfung  öorgefteüt?  Sir^ 
ber  med^anifd^en  Sraft  bciS  aft^etifd)en  (SiubructS  be^  Sbeald  au| 
bie  ©eele!  ©iefeö  ergicbt  fid^  bcutlid^  auiS  ben  JBUbern,  bie  jui 
2)arftellung   beS  Sorgnngö  bicnen.    S)cr  §err  Scfuö  »irft  loi^ 


315 

bie  @onne  auf  bcn  @ünber,  er  fd^milit  fein  ^erj  n>ie  SBad^g, 
ober  er  uertreibt  bie  9lebel,  n^eld^e  bie  @eele  unb  bie  Su^^fi^t 
bcbcdcn.  S)ie  ©ünben  finb  ferner  tt)ie  bie  ©ee  unergrünblid^, 
Sefud  aber  ift  ein  unenblid^er  Ocean  ber  SSorml^eriigfeit ;  inbem 
man  fid^  ^ier  ^ineintuirft,  löft  fid^  bie  @ee  in  ben  Ocean  auf. 
Snbem  man  in  feinen  ©ünben  fid^  atö  t^einb  bed  ^erm  Sefud 
erfennt,  fel^nt  man  fi^  uon  i^m  übermunben  ju  n^erben,  b.  f). 
ba$  Uebergen)id^t  bed  Sinbrudd  be^  Sbeald  über  bie  Unorbnung 
ju  erfahren,  bie  man  mit  Unluft  empfinbet.  SBcnn  man  mit  ber 
Saft  feiner  ©ünben  in  ber  güDe  Scfu  JRu^e  finbet,  inbem  man 
in  bie  äSunben  Sefu  l^at  ^ineinfd^auen  bürfen,  fo  bebeutet  bad 
eine  £uft  ber  Sfiü^rung,  meldte  bie  (Erinnerung  an  bie  ©ünben 
mcd^anifc^  uerbrängt.  3)iefc  Siül^rungen  n)erben  nun  qU  93er^ 
fid^erungen  ber  ©ünbenuergebung,  alfo  atö  ber  fittlid^  mcrtl^uoOfte 
(Enoerb  ber  SVeligion  be^^alb  gefc^ä^t,  n>ei(  aud^  bie  ©ünben 
nic^t  aU  fittUd^e  ©d^ulb,  fonbern  ald  ßrfd^einungen  ber  äuge« 
meinen  creatfirlic^en  9lid^tig!eit,  alfo  nur  äft^etifc^  gen)ürbigt 
toerben.  äSenn  ed  anberd  märe,  fo  mügte  in  ben  ftetd  micber« 
fe^renbcn  93erbunfelungen  ber  ^J^lud^  be^  @efe^ei^  ober  ber  Qotn 
@otted  empfunbcn  mcrben.  ^a$  ift  aber  gar  nid^t  bie  SOteinung, 
unb  infon)cit  aud^  mit  9fiecf)t,  ald  ed  fid^  factifd^  meift  um  93er« 
ftimmungen  ^anbelt,  n)eld^c  biätetif^  be^anbelt  fein  n)onen.  S(Qein 
bie  religiöfe  öeleud^tung,  in  »elc^e  biefe  3uftänbe  gefefet  merben, 
ift  eben  ni^t  religiö^ittli^,  fonbern  fclbft  nur  eine  S(rt  üon 
äft^etifd^er  33eurt^eilung.  aJ2an  fann  ^icrau^  abnehmen,  mie 
tiiel  fittlic^e  ^raft  aud  biefcn  Smpfinbungen  gefc^öpft  n)erben 
toirb.  (Ein  äft^etifc^  angelegter  SOtenfd^  mirb  ja  burd^  bie  fiuft 
an  ber  ©d^ön^eit  unb  fiieben!^n)ürbigfeit  bcd  ^erm  Sefud  ju 
paffitier  Xugenb  ermedt  merben  fönnen.  Seboc^  für  bie  normale 
fittlid^e  (Erregung  unb  Surc^bilbung  bed  SBiQen^,  meldte  il^re 
üft^etifc^en  Sebingungen  ^at,  aber  aud^  nod^  anbere,  reicht  bie 
Einleitung  ni^t  au^,  n)eld^e  Xjaben  ju  geben  fic^  getraut. 

3)iefed  fü^rt  auf  ben  jmciten  ^untt.  Unter  bie  Unbefel^rten, 
auf  n)elc^e  er  mirfen  miO,  red^net  Xjaben  erftend  bie  fiafter^aften, 
jnieitend  „bie  meldte  uerfte^en,  ma^  fie  gelernt  ^aben,  bie  93ürger« 
litten,  ©otte^bienftlic^cn  unb  Slbeubma^tegel^er",  britteni^  „bie 
3afager  unb  Slac^fpred^er/  3n  biefer  (Eint^eilung  alfo  begegnet 
un^  n^ieber  bie  ©eringfd^^ung  berjenigen,  meiere  i^re  (SJeltung 
ald  (Sänften  burd^  bie  (Erfüllung  i^red  bürgerlid^en  SBerufed  unb 


316 

burd^  il^rc  flbertotegcnb   poffbc  Xl^eilnal^me  an  bcr  fird^Ud^n 
@ittc  ju  bctDä^rcn  meinen.    Stefe  Don  Sobenfte^n  unb  ben  9n* 
beten  Vertretene  Slnfid^t  rid^tet  [i^  mit  JRcd^t  gegen  bie  Stumpf 
l^eit  beö  [ittlid^en  Urt^eilö,   tücld^e  bie  ©efcUfc^aft  jener  Qext  bc* 
^errfd^te.    ^efcr  ^J^el^ler   erf^eint  l^auptfäd^lid^  in  bcr  Uebung 
unb  ber  3)ulbung   bed  Softer^  ber  Xrunffud^t  0.     (Sincn  %aü 
bicfer  9trt  em^ä^nt  and)  Xjaben  in  feinen  9lotijen.     (£in  äJtann 
in  feiner  ©emeinbe,  meld^er  erfd^lagen  tDorben  mar,  empfing  öon 
ben  Änberen  baö  8eugni§,  er  l^abe  in  baucrnber  Xrunffuc^t  bei 
ben   belogen    über   oQe^   bad    ^öd^fte    SBort  geführt,   fei  aber 
übrigen^  ein  frommer  SRann  gemcfen.   SBenn  bie  öffentlid^c  SRci* 
nung  fid^  fo  audfpred^en   fonnte,   fo   maren   alle  @c^id^tcn  ber 
©efeüfd^aft  für  biefelbe  öeranttoortlic^  ju  ma^en,  unb  ber  SBert^ 
ber  bamit  t)erbunbencn   firc^lid^en  ©itte  mugte  fe^r  gering  er* 
fd^einen   in  ben   %ugen  berer,   meldte  burd^  ben  ^iettömu^  ftc^ 
JU  einem  ftrengcrn  Urtl^cil  erl^oben.    allein  burd^  biejcnigc  ^c^ 
urt^eilung,    meldte    bie    ^ictiften   feit    fiobenfte^n   bcr  großen 
SÄaffe  bcr  Äird^cnglieber  jumanbtcn,   I)aben  fic  bod^  bcr  Äirc^c 
einen   unerfc|Itd^en  ©d^aben   jugefügt.    3;^atfäd^li^  geftc^en  fic 
aud^  biefen  ^e^ler  baburd^  ein,   bag   fic  in  einer  fpätern  Spod^ 
fid^  gerabe  barauf  gefteift  ^abcn,  bie  gormen  bcr  f irc^lid^cn  ©itte 
ju  erhalten  ober  roieber  ^cräuftcHen.    SlDcin  i^r  Unred^t  in  biefe 
öcjie^ung  giebt  ft^  aud^  barin  funb,  mie  fic,  unb  jmar  inöbefonbcr« 
S^jaben,   bie  geiler   ber  t)on  i^nen  afö  be!el)rungöbcbürftig  bai 
geftcHtcn  Sird^englicber  ju   oerbeffcm  behaupten.    3)icfcr  junj 
^ebiger   l^at   bie  ©arftcDung   bcr  fiicbcnömfirbigleit  bc^  §crr 
3efuS  jur  ©orrectur  ber  geiler  bcr  unbefe^rten  ®emeinbcglieb( 
öcrnjcnben  moDen.    3^  meine,  bag  für  biefe  ?lnic^auung  in  bei 
©efic^töfrciS   jener  ©efcüfc^aft  jebcr  Änfnüpfungöpunft   gefe^l 
^at,   bag  ber  allgemeine  äft^etifc^e  @cnug  bc^  fittlid^en  Sbeal 
fein  aRotit)  für  bie  ©c^ärfung  bcö  fittlid^cn  Urt^eil^  im  Sinjclneir:^ 
unb  bag  bie  ^crabbrücfung  ber  fittlic^en  ©d^ulb  auf  baiS  @effil 
ber  allgemeinen   9itid^tigfeit,   meldte  mit  jenem  Sbeal  jufammei 
^ängt,  fein  Slntrieb  für  bie  nötf)ige  Slnfpannung  ber  SBillenifrafW 
für  befonbere  aufgaben  ift.    3)enn  biefe  ?ßrebigt  oon  bcr  Sicbeni 
mürbigfeit  bcö.^errn  3efuö,  b.  1^.  bcö  ibcalcn  2Äcnfd^en  ift  bi 
nur  ein  fc^r  t)erfümmertcr  Jia^flang  ber  ?ßrebigt  öon  unferci 


1)  W,  X^olnd,  2)oS  lirc^lic^e  Seben  im  17.  ^aJ^rl^.  I.  6.  212. 


317 

^errn  Sefud  S^riftud.  S^  fommt  bod^  tool^l  an  auf  bie  $err^ 
fc^aft  ober  bie  ©ott^eit  ßl)ri[ti.  3)iefe  fonn  nun  nid^t  jur  @cU 
tung  gebrad^t  n)ecben  auger^alb  ber  not^menbigcn  SBejiefiung 
jiDij^en  i^m  unb  feiner  ©emeinbe,  tt)clc^e  bie  Seftimmunfl  t)at, 
in  bie  ®ottedfinbfd^aft  unb  in  bie  SSel^errfd^ung  ber  äSelt  ein^u« 
treten.  Snner^olb  biefe?  JR^^nicn^  erft  ift  e^  möglid^,  bag  @e* 
XDxäit  ber  @änbe  unb  ba^^  ©egenmid^t  ber  Sriöfung  uon  @flnbe 
unb  Uebel  richtig  }u  beuten,  unb  bie  93efreiung  bed  (Sinjelnen 
Don  feiner  ©d^ulb  gegen  (Sott  in  ber  grei^eit  be^  Sertrouen^ 
auf  ®ott,  in  ber  greil^eit  ber  Sinber  ©otte^  t)on  ber  5^rd^t 
Dor  ber  äSelt  unb  in  bem  erfolgreid^en  Sorfa^e  bed  ©e^orfamd 
gegen  @)ott  nad^juioeifen.  äSenn  jebo^  bie  Siebe  bed  oOer^ 
fd^önften  Sefu^  nur  ald  ber  ^nlag  ju  bem  ^riDatüer^ltnig  ber 
inbioibueQen  @cgenliebe  genommen,  unb  loenn  babei  abftra^irt 
koirb  t)on  ber  (Srlöfung  unb  bem  93eftanbe  ber  ©emeinbe,  in 
toeld^er  man  aQein  ben  ^errn  fennt,  t)on  ber  n)eltüberkDinbenben 
SDtac^t  SI)rifti,  öon  ber  SBeftimmung  jebeö  ©liebet  ber  ©emeinbe, 
fic^  berfelben  Wlaä)t  ilber  bie  SBelt  ju  bemäd^tigen,  bann  ^at 
man  eben  bie  Wlotiot  au^  ber  ^anb  gegeben,  n^eld^e  jur  religiöfen 
unb  fittlid^en  93efferung  ber  ©lieber  ber  St'ixi^c  aOein  geeignet  ftnb. 


16.  ^e  Sfortfe^ung  ber  etiangelifc^en  Stid^tnng  Md  ju  il^ret 

ftriftd  nm  bad  ^a^r  1750. 

5Die  pietiftifd^e  SBen^egung  in  ber  nieberlänbifd^en  reformirten 
ftird)e  unterfd^eibet  fid^  t)on  berjenigen,  meldte  bie  SBiebertäufer 
^unbert  3a^re  frül^er  gemad^t  ^aben,  unter  Slnbercm  barin, 
ba§  fie  burd^  SScrtreter  be«  fird^Iid^en  Amte«,  burd^  t^eologif^  gc* 
bilbetc  aJionner  herbeigeführt  unb  unterhalten  tt)orben  ift.  5Diefe 
l^abcn  in  ber  ©egcnmirfung  gegen  bie  für  irreformabel  erllärte 
Sanbcdfirc^e  bie  @ont)entifel  gegrünbet  unb  bircct  ober  inbirect 
geleitet,  ©ie  §aben  tt)eiter  burd^  bie^ßffege  be«  Sern^arbinifc^en 
I^pud  Don  grömmigfeit  bie  urfprünglid^e  gefefelid^e  Jenbenj  ber 
filtern  ©eneration  jurüdgcbrängt.  ©ciftlid^e  enblid^  finb  c8 
immer  tt)ieber,  nnild^e  burd^  bie  Ätage  über  bie  Sertocltlid^ung 


318 

unb  bie  Unbraucftbarfcit  bcr  Äird^c  *)  il^rer  ©ctoiffcnl^Qftigleit  jn 
gcnflgen  unb  cd  jugleid^  }u  rechtfertigen  fucf)en,  \>a%  fte  ht  ben 
flcincn  Äreifen  bcr  (Srnftiflcn  ober  geinen  biejenigen  3^^*^  ^^ 
d^riftlid^en  fieben^  beförbern,  benen  bie  grofee  SDiengc  ficft  mel^r 
unb  me^r  ju  Dcrfogen  fd^cint.  ©crabe  fold^e  lonnten  glauben,  in 
biejem  Seftreben  bie  allgemeinen  Sntereffcn  ber  Äird^e  ju  ber* 
treten.  Sie  ^^eüangelifc^"  9lid^tung,  bie  fte  gett)onnen  l^atten, 
n^ar  ja  n>eitt)eriigcr  aU  bie  frühere  gefe^Ii^c.  ^iefelbe  geftattetc 
ed,  auger  benen,  bie  ben  ^errn  Sefud  annehmen  fonntcn,  auc^ 
aOc  biejenigen  für  bie  9leubelebung  ber  ^irc^e  in  Slnrcd^nung 
ju  bringen,  roeld^e  auc^  nur  erft  nac^  biefcm  ßiele  l^ungerten  unb 
burfteten  ober  bie  3^!^"^^  i^  Sefu^  fuc^tcn.  äSo  bcr  ^rebiger 
bie  Sonüentifcl  pflegte,  n>aren  au^  bercn  ©enoffen  am  eifrigften 
im  93efucl^  ber  öffentlid^en  ©ottciSbienfte.  jfonnten  alfo  jene  ^h^ 
ftufungen  eine^  erregten  reUgiöfen  3ntcreffc^  neben  einanber  in 
ben  Sonoentifeln  $la^  finben,  fo  ern)ecfte  bie  cüangclifc^c  SRet^obe 
bie  Hu^fid^t,  bag  fie  ft^  auc^  an  ber  öffentlic^n  ßirc^e  bemA^ren 
n)ürbc,  n)eld^e  für  bie  gefe^lid^c  Uniformität  birect  nic^t  ju  g^ 
minnen  n)ar.  Sßenn  alfo  nur  bie  glei^  geftnnten  ^rebiger  ffis 
fammen^ielten,  fo  fonnten  fie  aQmä^lic^  in  ben  (Slaffen  unb  ben 
@^noben  bie  Ueberl^anb  gen)innen.  Unb  in  biefer  Sage  fa^en 
bie  Pfleger  ber  @ont)enti!et  fid^  nic^t  für  n)eniger  legitim  an  al^ 
biejenigen  Smtdgcnoffen,  bie  an  jenen  Unternehmungen  fic^  ni^t 
bet^eiligten. 

SBäre  nur  nid^t  in  ben  ©onöcntifcln  felbft  bcr  lababiftifc^ 
©auerteig  tt)irtfam  gctt)efen!  ®er  ©ectengeift  aber  [teilte  bcx^ 
^rebigern  eine  ganj  anbere  Aufgabe,  als  bie  Pflege  ber  mannii 
fad^en  @tufen  religiöfer  (Erregung  unb  beS  3ufQnimen^ang 
mit  ben  fird^lic^en  3nftitutionen.  ffiine  fpld^e  ©timme  toar  l^^f 
©d^rift  eines  fiaien  ©erben  genema,  „©treit  beS  §errn  r^i^ 
ben  (Sinmo^nern  beS  fianbeS",  tt)cld^e  öor  1731  erfc^ienen  ip^*) 


1)  3u  ber  Stellte  ber  bisher  9$orge!ommenen  gefeilt  fld^  bie   Sorrebe 
bem  toon  t>\tt  frieflf^en  ^rebigern  l^erouSoegebenen  Kort  ontwerp  van  de  U 
der   waarheid,    de    na   de    godzaligheid    is.     Dokkum    1718.     Diev  '^ 
Lorgion  p;  224. 

2)  Twist   des   beeren    met   de    inwoonderen   des   laods.     Di^  ^* 
Lorgion  p.  224—227   ^t  btefe  S^rtft,  tote  eS  {c^eint,  nur  !eniKn  gelec^ 
ouS  einer  (SegenMrift  Don  H.  A.  van  der  Sloot,  Leeuwaarden  1781,    ^ 
loel^er  bie  eigenen  SBorte  ton  Qfenema,  toelc^e  er  ausgebt,  toorlommen. 


319 

5)ie  SScrtueltltd^ung  bcr  Äird^e  bcfd^rctbt  er  fouin  onbcrä  als 
SBil^elm  93rafcl.  SHIctn  er  gieftt  feine  jectirerifc^e  ©teDunfl 
barin  !unb,  bafe  er  uon  ©Ott  berufen  unb  cxmdt  fei,  um  oDer 
SEBelt  }u  t)er!ünbigen,  bie  Äird^e  merbe  je  länger  je  me^r  ju 
einem  f(eifc^Ii^en  SSabet.  (£r  behauptet  im  Sinftong  mit  ben 
Sababiften  (©  263),  ein  ^ßrebiger  muffe  in  feiner  ©emeinbe  bie 
SBicbcrgeborenen  olö  folc^e  fennen,  unb  mcr  baju  nic^t  fä^ig  ift, 
fei  fclinb ;  ferner  muffe  man  alle  folc^e  atö  fc^äblid^e  ^üäfle  auf« 
jucken,  fangen  unb  tjinaudmerfen ;  enblid^  bürften  aQe,  bie  nic^t 
ate  bcfel^rte  9Kenfc§en  erfannt  merben,  jur  ®emeinfd^aft  ber  Äir^e 
nit^t  jugelaffen  n)erben.  ^ie  @inn)enbung,  bag  nur  @ott  bad 
^crj  fenne,  unb  biefe  fieiftung  2Renfd^en  nic^t  jujumutl^en  fei, 
le^nt  er  bamit  ab,  bafe  wenn  bie  ^ßrebiger  ben  ©eift  ptten,  pe 
feine  Änforberung  mo^l  erfüllen  lönnten.  Sbenfo  behauptete 
genema  in  lababiftif^er  SBeife,  alle  Sef^Iüffc  öon  ©tjnoben,  SRe* 
folutionen  öon  Slaffen,  (iturgifd^e  Formulare  unb  bergleic^en 
müßten  abgefc^afft  merben,  ttjeil  fie  menfd^Iid^e  ©afeungen  finb ; 
juglci^  muffe  man  alle^  nac^  bem  reinen  ®efc^  ber  g^cil^eit 
b.  f),  na^  bem  Söangelium  El^rifti,  unb  nac^  bem  innern  fiic^t 
unb  ber  ©emütl^^überjeugung  einrid^ten,  unb  bemgemäfe  mit  bem 
^Lufbau  einer  tua^reu  JJir^e  miebcr  uon  üorn  anfangen. 

®egen  fold^e  ä^n^i^t^w^flcn  bot  nun  aber  bie  „euangelifd^e" 

SKc^tung  feinen  fieberen   @^ufe.     SBer  fic^  an  SBil^elm  Srafet 

^ielt,   unb  feinen  Unterfc^ieb   t)on  ben  Scitflläu^iß^nf  ölfo  feine 

Cnoä^Iung  feftjuftcllen  bebad^t  toav,  inbem  er  fic^  mit  „@eift  unb 

Seben"  burd^brang,  ber  l^atte  baran  feinen  nöt^igenben  ©runb  ju 

bcr  Uebcrjeugung,   ba§  @ott   feine  fiird^e  immer  nur  in  einem 

öerberbtcn  S^ftönbc  ttjollc  üer^arren  laffen.    Diefe  ©ntbedung, 

mit  tt)eld^er  ber  t^eologifd^  gebilbcte  gü^rer  feinen  lababiftifd^cn 

SJorauöfefeungen  bie  feparatiftifc^e  Folgerung  abfd^nitt,  mar  fd^mer* 

lic^  geeignet,  aQen  fiaien  ju  imponiren,  me(<f)e  fid^  bie  Srregtl^cit, 

i>ie  ©rübelei  unb  ben  Drang  nad^  ben  bcfonbcren  religiöfcn  @c^ 

nüffcn   fiatten   abgcminnen  fönnen,   um  \id)  t)on  ben  fc^Iafenben 

fS^riften  ju  unterfc^ciben.    ffiö  beburfte  alfo  ni^t  einmal  immer 

ber  S3erü^rung  ber  Sln^änger  ber  „euangelifd^en"  9lic^tung  burc^ 

bircct  lababiftifd^e  Ueberlicferung,   bamit  innerhalb  iene§  Äreife« 

!€  nadi  ben  Umftänben  bad  lababiftifc^e  @alj  t)on  neuem  erjeugt 

tDurbe.    S)ic  Sitterfeit  beffelben  merben  bann  nid^t  bloö  bie  ?ßrc* 

V^igcr   ^aben  fc^meden  mflffen,  meiere  überhaupt  auf  (Sonüentifet 


320 

fid^  nid^t  eiitlaffen  lüoHtcn,  fonbern  aud^  fold^c,  ttjcld^e  fie  ju  bc« 
fd^üfecn  uub  JU  leiten  bereit  tDaren.  S)ie  ©ef^id^tfdörcibcr  bet 
nieberlänbifd^en  reformirten  Äird^e  *)  bejcugen  für  bie  erfte  ^älftc 
bcö  18.  3ot|r^unbcrtö  in  allgemeiner  ©d^ilbcrung  bie  SSerbreitung 
fold^er  SonDentüel,  in  melden  unbefugte  Saien  ba$  äSSort  ful^rten, 
um  auö  i^rem  t)orgebUd^en  Sefifee  beö  ©eifte^  ^erauö  rcligiöfe 
Aufregung  unb  Stütirung  ju  Verbreiten,  unb  mit  bem  @elbftgefü^( 
ber  ßrmä^Iten  oQe  ju  Derbammen,  für  gottlob  unb  ^inber  ber 
^öde  ju  erflären,  mel^e  fid^  nic^t  ju  itjnen  Riehen,  ober  gor 
fid^  i^nen  miberfe^ten.  SSielfad^  maren  bie  @c^ulmeifter  @tunben« 
^Qlter;  aber  baS  toax  immer  nod^  ber  günftigere  ^aU  für  bie 
@Q^e,  menn  axidj  nid^t  für  ben  Ort^prebiger;  fd^limmer  n>Qr  boiS 
äSorbrangen  Don  fiaien,  benen  bie  Unterfd^eibung  ^n)if^en  fc^mar« 
merifd^en  unb  red^tgläubigen  SJorfteQungen,  fomie  ber  Siefpect 
uor  ben  i^nen  läftigen  Orbnungen  ber  j^ird^e  mangelte. 

3)ie  n)eltlid)en  Obrigfeiten   finb  bamal^  uon   felbft  nid^ 
gegen  bie  ©tifter   t)on  Unorbnung   in  ber  Äird^c  eingcfd^rittcn. 
3)ie  firc^lid^en  Sluetoritäten   b.  ^.  bie  ^roDineialf^noben  ^oben, 
ttjie  J.89.  bie  uon  ®elberlanb  f^on  1679—83,  ßonöentifel  unter 
ber  Sebingung  erlaubt,  bag  fie  jur  ßenntuig  ber  loealen  Jiirc^en* 
rätf)e  gebrad^t  n)ürben.     2)iefed  SSertrauen  ift  aber  eingefc^raoft 
ttjorben  burd^  bie  Söeftimmung  ber  ©clbrifdjen  ©^nobe  öon  1728, 
bag  ^artnadige  6ontrat)enienten  gegen  jene  93ebingung  fo  lange 
unter  Senfur,  alfo  älui^fd^liegung  Dom  ^benbma^I  gefteQt  nierben, 
bid  fie  Don  il^ren  Slnbac^t^übungen  abgelaffen  unb  ©atidfactioi^ 
gegeben  ^aben^).    3m  ©inne  biefer  Slnorbnung  l^at   auc^  t>tt 
©^nobe  ber  $roDinj  Groningen    1722  folgenbe  ^cfd^lüffe  Qf^ 
faßt  ^).  1.  ffid  follen  befonbere  ?lnbad^töübungen  in  feiner  ©emeii»'^ 
gehalten  tt)erben,   ol^ne  ba§   bie  ^rcbiger  3"*^^*^  i^  bcnfcl^«^ 
ptten.  2. 3)ie  ?ßrebiger  foUen  forgfältig  erforfc^en,  ob  bort  ct»^ 
gelehrt  ober  Der^anbelt  werbe,  xoa^  gegen  bie  angeni^ptmene  Se"^^' 
ber  Äirc^e  ftreitet.    3.    3n  bem  lefttern  gaßc  folIcn  bie  ?ßrebfc  4^ 


1)  Ypeij  en  Dermout  HI.  p.  331. 

2)  Joh.  Smetius,    Synodale  ordonnantien  tot   nnt  der  keir^*' 
onder  de  Synodus  van  Gelre  en  Zuiphen.  Nymegen  1736,   p.  21. 

3)  9)gl.  H.  van  Berkuni,  Schortinghuis  en  de  vijf  nieten.  6^^^ 
bladzijde   uit   de   geschiedenis   van   het   kerkelijk   leven    in't  Oldatn''^ 
1730—1750,  (Utrecht  1859)  p.  76. 


321 

in  jcbcr  SBcifc,  aud^  burd^  Aufgebot  bcr  tocltlid^n  Dbrigicit  bie 
Ucbungcn'  ftören  unb  äum  ©tiUftanb  bringen.  4.  SBcnn  jcbod^ 
in  ben  Slnba^töübungen  nid^tö  bcr  3lrt  t)or!ommt,  fte  t)ieime]ör 
nur  jur  Stnregung  ber  ©ottfeligfeit  bienen,  foDcn  bie  ^rcbigcr 
jic  ppcgen  unb  t)erme^ren.  Diefe  Drbnung  l^atte  aber  mclmel^r 
nur  }ur  tJ^^Ige,  bag  bie  Klaffen  unb  bie  ©^noben  mit  JUccIama^ 
tioncn  ber  ©tunbcn^alter  l^eimgefu^'t  tt)urben,  bcnen  ^ßrcbiger 
unb  ^trc^enratl^  entgegengetreten  n^aren,  unb  bag  bie  ^arteten 
auf  jenen  Rrdölid^en  SSerfantmlungen  fi^  bie  ©unft  ber  äugen* 
büdlid^en  Sage  abjugeminnen  fuc^ten,  um  balb  fflr  balb  gegen 
bie  Änbadjtöübungen  ju  entfd^eiben.  Der  SSerfaffer  be^  oben  an* 
geführten  53uc^c«  t^cilt  auö  ben  Slcten  einen  fold^en  %aü  mit, 
in  metd^em  ©tunben^alter  üon  bem  Äir^enrat^  unter  Senfur 
gefteDt  ttjaren  unb  bagcgen  reclamirten.  3)iefer  ^aU  ift  Don 
1736  bi^  1740  t)or  ber  Slaffi«  unb  ber  ©tjnobe  ttjieberl^olt  \)cv^ 
^anbelt  morben.  Die  SlppeQation  unb  bie  ß^^ß^^^ifung  ber^ 
felben,  bie  neue  SSerl^anblung  ber  Slaffiö  unb  bie  erneute  Ä^pet 
lation  machten  natürlich  bie  Unorbnung  in  ber  beftimmten  ®t^ 
meinbe  bauernb,  unb  bie  Stegelmägigteit  bed  Sfie^tdgangeS  bientc 
nur  baju,  bie  (Erbitterung  unb  ^arteiung  an  Ort  unb  ©teQe  ju 
öerfd^ärfen  *).  3m  Serglei^  mit  biefen  SBirfungen  Don  „®eift 
unb  Seben"  möd^te  man  bem  Stuftreten  fold^er  (Sruppen  ben 
Sorjug  geben,  meiere  rein  feparatiftifc^  öerful^ren,  unb  burd^  i^re 
grunbfäfelic^e  Stbfonberung  üon  ber  ©emeinbe  eine  übermiegenbc 
SBfirgfc^aft  beö  g^ebenö  leifteten.  Denn  bie  übelfte  Sage  einer 
Äird^e  ift  biejjenige,  ba§  fold^e  ®ruppen  in  il^r  fid^  afö  i^re 
eigentlichen  Vertreter  anfel)en,  »eld^c  bie  lird^üd^en  Drbnungen 
ni^t  mit  ©emeinfinn,  fonbem  atö  bie  9KitteI  jur  ffirreid^ung 
i^rer  particularen  Slbfi^ten  gebraud^en.  3n  biefe  peinlid^e  Sage 
ift  bie  niebcrlänbifc^e  Äirc^e  gerabe  burd^  i^re  Diener  t)on  ber 
„eöangelifd^en"  JRid^tung  gefüfirt  toorben. 

Unb  biefe  SRid^tung  erfut)r  leine  t^eologifc^e  ®egenn)ir!ung 
Don  anberer  ©eite  ^er.  Denn  bie  Gontrooerfe  über  bie  tt)efent= 
liefen  3RerfmaIe  be^  feligma^enben  ©laubcnö,  »el^cX^eoboruö 
an  Xl^utjnen,  ?ßrebiger  ju  DoRum  in  grie^Ianb  1722  l^eroor* 


1)  %.  a.  O.  6.  79-100. 

I,  21 


322 

tief  Of  bctücflt  fid^  nur  initer^alB  ber  ^ßortci  fclbft.  Dicfcr  SRann 
rid^tete  fid^  gegen  bte  in  ben  Sont)enttfe(n  gepflegte  (Srfc^cinung 
ber  jieflofen  unb  erfolglofen  SeftreDungen  um  bie  Serfic^rung  ber 
©eligfeit.  SBcnn  fold^e  ?ßerfonen,  »eld^e  nie  über  ben  Anlauf  bcd 
hungernd  unb  ^urftend,  unb  bei^  ß^flud^tnel^mend  ju  C^riftud 
]^tnaug!Qmen  unb  benno^^  in  il^rer  baucmben  Zroden^eit  unb 
S^rfibl^eit  ben  Slnfpruc^  machten,  olS  SRitglieber  ber  Sonüentifel 
l^od^geac^tet  ju  n^erben,  fo  fann  man  eine  ßurec^toeifung  ber^^ 
felben  nid^t  migbidigen.  SlQein  ed  n^ar  nic^t  fe^r  praftifd^,  i^nen 
ben  glauben  al§  bad  9lnnet)men  Sl^rifti  mit  (Stnfc^lug  ber  tnbU 
t)tbuellen  Serfid^erung  baran  barjufteQen,  unb  il^nen  bann  ju 
fagen,  \>a^  il^r  (Streben  tjienad^  nur  nad^  bem  äRagfiabe  ber 
remonftrontifd^en  ober  fatl^otifd^en  ?(nfic^t  ald  ©taube  gelten 
fönne.  2)enn  bie  fieute  ertannten  jo  jjenen  SSegriff  beg  ©lauben« 
an,  gerabe  inbem  fte  nad^  bem  ^i^^^  i>^^  S^erfid^erung  ftrebten 
unb  in  i^rer  erfolglofen  ©e^nfu^t  banad^  unglfldElic^  haaren. 
3)a$  tl^eoretifd^  n^id^tigfte  in  ber  ©d^rift  t)an  X^u^nen'iS  mar  iebix^ 
feine  ^inn)eifung  barouf,  bag  in  ber  21.  ^roge  bed  ^eibelberger 
Jiated^i^mu^  bie  fiducia,  qua  in  deo  acquiesco,  ald  kDefentlic|ۤ 
Werfmal  in  ben  93egriff  be^  ©laubeni^  eingered^net  mirb.  91q4 
bem  äRagftabe  uon  9fied()tglQubigfett,  n)elc^em  gerabe  bie  Slnl^nger 
ber  „ct)angelifc^en"  {Richtung  entfpred^en  tooQten,  tt)ar  biefeö  ein 
ftarfeö  SBarnungöjeid^en  für  bie  5ßfleger  unb  Sef^üfter  einer 
grömmigfcit,  meiere  nur  fetten  unb  äufällig  ju  bem  rul^igen  Set* 
trauen  auf  @ott  gelangte. 

Sampe'd  Entgegnung  bejog  fid^  l^auptfä^lid^  auf  i^eierlci 
ffirftenö  »icö  er   nad),   bag  überall  in  ber  tl^eologifd^en  Uebe^* 
lieferung,  aud^  bei  SBitfiuö,  baö  jungem  unb  S)urftcn  unb  3^ 
flud)tnef|men  ju  ß^riftuö  nid^t   eine  Stufe  t)or  bem  ©laub^s^ 
fonbern  eine  ©tufc  in  bem  ©tauben  bebeute.    Um  jenem  3Jt  ^^ 


1)  Seine  S^rlft  Körte  nitlegging  van   het  gereformeerde  geE  ^' 
fcnnen  Ypeij  en  Dermout  III.  p.  218,  ?lnmer!unöen  p.  97  in  einer  jbtä*»' 
ten  lluSgabe,   unb   {d^einen  ba§  3a^r  ber  erflen  ntd^t  in  Itnnen;  fte  feten    ^^ 
felbe  bor  1722,  ueil  bie  (Segenf^rift  beS  (Srontnger  9rof.  Vnion  S^rieRen    ^^ 
btefem  Sa^re  baiiri  tft.     lieber   bte  Meinung   bon  ^u^nen'S  bettete  t4  r*^ 
ienen  ^ef^i^tf^reibern  unb  no4  ben  ^ngoben  bon  gfriebric^  Vtbolf  fiampe  C^'^ 
1720—27  $rof.   in  Utred^i),  »el^er  bier  S)tfieriattonen  gegen  ienen  gerid^^ 
l^i;  in  beffen  Dissertationes  philologico-theologioae  (Amstelod.  1737)  V<^'' 
I.  p.  267—368. 


Derftänbitig  Dorjubeugeit,   conigirte  er  äßitftud  naä)  ben  älteren 

SarfieQungcn,  inbem  er  bie  Sbftufung  jlDifd^en  bem  QvL^uä)U 

nehmen  unb  bem  Slnnel^men  Sl^rtfti  atö  bem  koefentltd^en  ®(au:» 

bendact   fflr  ungfittig  erflärte.    3^^<t<^n^  ^i^^  Sompe  naä),  ba^ 

wn  ©omaru^  an  bie  fiducia  ntc^t  jum  @lau6en  felbft  gered^net, 

fonbcrn  atö  ^ol^t  beffelbcn  t)on  i^m  unterfd^ieben  toorben  fei. 

^a  er  ^atte  bie  Mtjnl^eit,   QUd  Ursinas  Explicationes  eateche- 

ticae  ju  jeigcn,  bag  ber  Serfaffer  bei^  ^atei^i^mud  in  jener  21. 

^rage  iih)ifd)en  fiducia  unb  acquiescentia  in  analoger  9rt  untere 

fd^ieben  miffen  n^oOc.    äSenn  er  aud^  bie  fiducia  jum  @Iau6en 

red^ne,  fo  meine  er  boc^  bie  acquiescentia  al^  eine  erft  mögliche 

$oIge,  alfo  bie  fiducia  fetbft  nur  glcid^  confugium.    3)a^  9led^t 

biefer  Sludlegung  fc^öpfte  er  aud  ber  uon  Urftnu^  t)orgenommenen 

gcrglieberung  ber  2ÄerfmaIe   be«  ©lauben«,  meldte  ben  ©d^cin 

ber  jeitlid^cn  Abfolge    ^aben.    Allein  Urfinu^   gel^ört    infofern 

nod^  jur  reformatorifd^en   Spod^e,  aU  er  bie  fiducia  unb  bie 

acquiescentia  jum   niefentlid^en   3Rerfma(  bed  glaubend  mad^t. 

2He  t)on  @omarud  eingeffl^rte  äJeränberung   l^at  aber  ben  fd^on 

me^rfac^   berfll^rten  ©inn,   bag  bie   bauernbe  @efül^töer^ebung 

nid^t  aU  regelmäßige^  SRerfmat  bed  redeten  @Iauben$  ju  forbern, 

fonbem  afö  tttoa^  jufaQiged  ba^injufteQen  fei.    Ser  @(äubige 

nmrbc  bemnad^  angctt)icfcn,  aug  ber  allgemeinen  {Rechtfertigung 

ber  Srmä^Iten  unb  ber  Xfiatfac^e  feines  ©laubenS  ben  nüchternen 

©c^tuß  ju  jiel^cn,  bafe  er  gerechtfertigt  fei.    ®ieS  ttjar  aber  nic^t 

bloS  ein  ©c^tugurt^cil,   fonbem   aud^  ein  Set  bed  Vertrauend; 

nur  tierjid^tete  man  in  bemfelben   auf  bie  laetitia  spiritualis, 

ipcld^e  man  in  einer  bie  ffirfa^rung  überbietenben  SBeife  öorfteßte. 

Slun  ^at  aber  ßampe  fi^  nid^t  flar  gemad^t,  bag  bie  3lnfid6t  öon 

bicfen  fingen  burd^  bad  auftreten  beS  beru^arbinifd^en  %t)pvi^ 

in  ber  nieberlänbif^en  Äird^e  öerfd^obcn  Sorben  mar.  SSon  SBiU 

fylm  leellinc!  an  waren  bie  grommen  gerabe  barauf  Eingeleitet 

iDorben,  bie  gefüllte  ©etigfeit  als  bie  $robe  bed  @nabcnftanbed 

^u  crftreben ;  unb  ttjenn  trofebem  ber  immer  ttjieberfe^renbe  SKangel 

an  biefem  ©efü^l  ober  bie  Unfä^igfeit,  ed  ju  geminnen,  mit  9lad^« 

ti^t    beurt^eilt  n^urben,   fo  mar  bod^  bicfe  burd^  t)an  3:i^u^nen 

bcanftanbete  ©emiltl^öftimmung  t)on  ganj  anberer  Art,  ate  bie 

Tiud^terne  SSerjid^tteiftung  auf  ©eligfeitdgeffil^l  meiere  bie  frfitjeren 

^^eologen  gemeint  Ratten.    $är  fiampe  felbft  mar  ber  ©eftd^td« 

ttctö  aud^  baburd^  Deränbert,  bag  er  einmal  mit  SBitftud  auger 


324 

• 

ber  Doraus^gefegten  iustificatio  electorum  actiya  bie  instificatio 
Passiva,  tt)cld)e  fonft  nur  baö  ©c^lußurtl^eil  bcö  ©laubigen  be^ 
jcic^nct,  bafe  er  unter  bie  @cred)tferti8ten  gehöre,  otö  ein  befonbcrc^ 
Urttiell  ©otteg   über  ben  ©laubcn  bcg  ginselnen  DorfteUte,  unb 
ba§   er  ferner  nad)  Einleitung   beö  §ot)enliebe^  unb  ber  ticr« 
tDanbten  altteftantentli^en  Silber  bad  Slnnel^men  ß^rifti  burc^ 
bcn  (glauben   in    ber  gorm  ber  S^cfd^liefeung  barfteQte.    5)ein* 
gemäfe  forberte  er  nic^t  nur  baö  öoHe  Sic^t  beö  Scttjufetfcin^  für 
alle  im  SRcd^tfertigungöglauben  eingefc^Ioffenen  Regierungen,  fon^ 
bem  er  geftanb  aud^  ju,   ed  fei  bie  $flid^t  jebeS  Snoä^lten  unb 
93erufenen,  omni  nisn  in  id  contendere,  ut  ad  acquiescentiam 
pertingat  (p.  315).    SBcnn   er  alfo   aurf)  gegen   Dan   Z^u^nen 
behauptete,  biefeg  ©ernten   fei  nic^t  fo  bag  tüefentli^c  SWerfmül 
beS  glaubend,  bag  man  e^  au^ben  muffe  unb  ed  ald  ©laubiger 
nid^t   entbel^ren  bürfe,  fo  ift  in  bem  t)orgefcl)ricbcncn  ©trebcn 
banac^   bie  Sbn^eic^ung  beS  Sont)entifeld^riftentrumd  t)on  bem 
ort^obojen  ®alt)iniömuö  unb  feiner  nüchternen  ©elbftbefd^eibunj 
gerabe  rec^t  beutlic^  bejeugt.    Der  Urheber  be§  Streitet  f)at  bcnn 
auc^  in  ber  ©ac^e  nad^gegeben.     (£r  l)at  julefet  jugeftanbcn  *), 
bag  in  ber  fjormel  be^  ^eibelbergcr  fiatec^iömu^  bie  9ÄögIicl|{eit 
fd^njäc^ern  unb  ftärfern  SSertrauenS  in  ber  Einnahme  S^rifti  nic^t 
auögefc^loffen   fei.    ©o  biente  biefer  literarifd^c  Streit  nur  }ur 
SBefeftigung  ber  in  ben  Sonüentifcln  t)errfd^enben  ?ßraji^. 

2lu^  bereu  Siteratur  erhielt  nod^  Qntüad)^.     (£g  ift  ju  tc-- 
rieten  über  gmei  SBerfe,  bereu  SBerfaffer  ber  ^roöinj  ©roningcn 
angehören.    $ier  unb  in  grie^lanb  ^aben   bamalö  bie  ©onüei^'' 
tilel  bie  »eitefte  Verbreitung  unb,  mie  eiS  f^eint,  bie  ftärfftc  I^e^V 
nal^me  gefunben;   ebcnfo   ftart  finb  bie  Sudler  begehrt  tDorb^*« 
meldte   bag   3ntcreffe  ber   inncrlid^en   ober   erfa^rung^mägtö^ 
grömmigfeit  öertretcn.    ,,2)ie  SBarrt)eit  im  3nnerften  ober  oft* 
fa^rungöle^re"  ^eigt  eine  ©d)rift  in  ©efprä^öform  öon  So^anr^^* 
SSerfd^uir,  ^ßrebiger  ju  S^erijp  in  ©roningen,  meldte  bin^^ 
fünf  3af)ren  brei  Auflagen   unb   baju  eine  l^o^beutfd^c  Ue^^^ 
fefeung  erlebt  ^at  *).    ®ie  ©c^rift  ^anbelt  in  öicrje^n  ©efpräc^^ 


1)  Ypeij  en  Dermoat  III.  p.  221. 

2)  Waarheid  in  het  binnenste  of  bevindelijke  grodgeleerdheid,  1*^ 
de  waarheden  van  Christus  in  zijn  koningrijk  van  deazelfs  onderds»''^ 
beschouwelijk  en  bevindelijk  moeten  gekend  worden  tot  zaligheid.  l^^ 


325 

üom  {Rci^c  ei^rifti  imb  bcffcn  Untcrtl^ancit,  Don  SBicbergeburt, 
©lauben,  {Rechtfertigung  unb  Heiligung,  t)on  ben  ©nabeumitteln 
unb  ber  Äird^cnjud^t,  üom  geiftli^en  ©treit  unb  ber  S3ett)a^rung. 
©ic  foH  baju  Anleitung  geben,  bog  bie  SBal^r^eiten  erfahren 
unb  an  bem  ^erjen  gefpürt  werben;  benn  in  ber  mirifamcn  S3c* 
pnbung  erprobt  e«  fid^,  ob  man  im  ©eifte  bag  Seben  erfäl^rt. 
®cr  SScrfaffer  ffit)rt  fein  Unternehmen  mit  ber  Setrad^tung  ein, 
burd^  toetd^e  Ealüin  feinen  Unterrid^t  eröffnet,  bafe  ©ottegerfcnnt** 
nife  unb  ©elbftcrfenntnife  jufammengel^ören.  2lud^  biefer  SScrfaffer 
bemcgt  fid^  in  bem  burd^  baS  ^o^elieb  gefättigten  9Infd^auung^ 
frcid,  um  fo  mel^r,  alö  er  mit  Sampe  ba^  S3ilb  t)on  ber 
gciftüc^cn  (8t)e  mit  6^riftu^  baju  t)ertt)enbet,  um  bag  2,xtl 
bed  Süangelium^  unb  ben  Snl^alt  ber  Sfied^tfertigung  i\t 
beuten.  Slber  er  l^at  einiget  SigenttjümUd^e.  ^ie  @d^ä^ung  ber 
@ünbe  pflegt  er  nid^t  burc^  bie  aQgemeine  Sorau^fe^ung  ber 
9tt(^tigfeit  l^erab^ubräden,  obgteic^  in  bem  ©eelengefpräd^  auc^ 
biefer  Ion  anflingt;  unb  bem  entfprid^t  e^,  bafe  er  bem  ©efül^l 
ber  ©otteöfinbfc^aft  an  ber  ©tefle,  mo  fein  ©^ftem  e^  forberte, 
menigftend  Su^brud  t)erliet)en  ^at.  Sr  I)at  t^  burd^auS  abgefel^en 
auf  bie  Heine  ©d^aar  ber  Eonöentifelc^riftcn,  benen  ft^  berSBie^ 
bergcborene  anjufc^tiegen  ^at,  unb  er  erf lärt,  bag  e^  nid^t  fiiebloftg« 
leit  fei,  menn  man  öon  jenem  ©tanbpunft  au^  ben  ©eelenjuftanb 
Otter  Snberen  beurt^eilt.  äHein  bie  Serpd^erung  beö  ©eitö,  auf 
bie  cö  an!ommt,  mü  er  regelmäßig  burc^  ben  be!annten  refor* 
mirtcn  ©^Qogidmu^  DoUjogen  n)iffen;  unb  n)enn  Sinjelne  burd^ 
ben  ^eiligen  ©eift  ober  ein  plöfelic^e^  fiic^t  ju  biefem  ßid  ge» 
langen,  fo  finb  biefc  feltenen  gälle  bo^  öon  jmeifelöaftem  SBert^e, 
ba  bie  (Srjd^einung  Dorflbergcl^enb  ift  unb  bcd^atb  ber  Slnlag 
ju  jieflofer  Unterfud^ung  barüber  toirb,  ob  fte  aud^  göttUd^er 
^rfunft  fei.    ®a^  „©eelengefpräc^"  trägt  burc^au^  atte  Q&Qt 


^  mir  toorgdegen  in  ber  beutf^en  Ueberfe^ung  t)on  3ol^.  Qfeer,  Pfarrer  )u 
Vfaffifon,  oud  ber  ^toeüen  Sü^fi,,  üerme^rt  mit  einer  gotifeligen  Uebung  ober 
einem  8eelenge{))ra4e  unb  einer  ^efenntnigprebigt  über  bie  9Bal^r(eiien  (S^rifH. 
^firi4  1743  (540.  46.  117  6.  4).  S)er  SBerfaffer  nnir  geboren  su  (Sroningen 
1680«  feit  1705  Sonbibot  unb  S^ulmeifler  in^  Sop))erfum,  olS  {ol^er  ie^r 
il^iig  in  ben  (Sonoenüfeln,  ^rebiger  }u  S^^nip  1714,  geflorben  1737.  3n  bem 
9orberi4i  }tt  bem  nod^  feinem  ^obe  ^erouSgegebenen  ©eelengefprfi^  fi"^  no4 
ipcrf^trbene  64tiften  oon  ^.  angegeben,  barunter  »bie  triump^renbe  SBa^r« 
Vit  Mbunben  mit  (Sottfeligfat.' 


326 

bcr  Sernl^arbinifd^en  Sontemplcrtion  an  ftd^,  cd  rid^tct  ftd^  eben 
birect  auf  bie  (Erregung  ber  inbtDibueUen  ©egenltebc  ju  Sefud; 
bte  Srfa^rungSle^rc   aber   lägt  biefed  (SIement  immer  crft  auf» 
taud^en,  nad^^em  aQe  fd^ulmägigen  ^Erörterungen  über  bie  refor* 
mirte  ^eiUorbnung  burd^gemad^t  ftnb.    Unb  in  btefer  Sejie^ung 
giebt  [i^  bie  Sigentl^ümüd^feit  biefe^  Sud^e^  barin  funb,  bagan 
alle  fd^ulmägigen  bogmatifc^en  3)iftinctionen  bie  ßumut^ung  gc« 
fnitpft  n^irb,  bag  man  fie  burc^  bie  entfprec^enben  fei  ed  bcmüt^i^ 
gcnben  fei  eS  erf)ebenben  ßrfatjrungen  fid^  ju  eigen  ma^en  foD. 
SBunberli^e  unpraftifd^e  SBorfc^rift!  3)ie  red^tgläubigc  5Dogmatit 
mar   \i)xcx  praftifd^en   Slbj^medung  baburc^   entfrembet  tporben, 
büg  man  bie  93e5ie^ungen  ber  {Religion,  meldie  Sin  ©anjcd  bilben 
mflffen,  um  bad  Seben  ju  erfüllen  unb  ju  beftimmen,  jerfplittert 
unb   jebe  einzelne  lieber  in  X^eile  gerlegt  ^atte,  o^ne  ba%  man 
an   feinem  Orte   alle  untere  unb  übergeorbneten  ©lieber  toiebcr 
äufammengefafet   ^ätte.     3n  biefer  ©eftalt  mar  eben  bie  fc^ut 
mäßige  fie^re  ber  praftifc^en  ffirfa^rung  möglid^ft  fern  getreten, 
©onte  fie  biefer  bod^  mieber  bienftbar  gemad^t  werben,  fo  mu§tc 
man  fie  in  allen  93egie^ungen  umgeftalten,  unb  aQe  i^re  eingelnen 
©lieber,  Unterabt^eilungen  unb  Definitionen  auf  ben  ß^fammen^ 
^ang  unb  bie  (Einheit  l^inaudfü^ren,  meiere  allein   jur  Siegelung    . 
ber   Srfal^rung   unb  ber  ^ra^i^  gcfd^idtt  ift.     (£d  fommt  ioi\ 
barauf  an,   bag  bie  ©teHung  be^  ©laubigen  nid^t  blöd  gu  @ott 
unb   S()riftud,   fonbem  aud)  in   unb  über  ber  äSelt  burc^  eine 
religiöö»fittlic^e    lotalanfc^auung    geregelt    toerbe.      gür   bie^t 
?lufgabc  ^at  biefer  Vertreter  ber  d^riftlid^en  (Srfa^rung  fein  Ott» 
ftänbnig  gel^abt,    inbem  er  alle  fd^ulmögigen  2)iftinctionen  aiab 
3erfplittcrungcn  bed  ©toffö  aufnimmt  unb  nur  mit  ber  Qntn^' 
tf)xmQ  t)erfiet)t,   fie  burd^  Kontemplation  einzuprägen  unb  bit^ 
ben  SBed^fel  ber   begleitenben   Smpfinbung  ju  (£rfal)rungen     l^ 
machen.    Unb  bod^  ^at  er  eine  ?ll^nung  t)on  ber  rid^tigen  3>^^' 
ftellung   gehabt.     SBic   er  fid^  auf  Salüin'ö  Einleitung  in   3pe« 
d^riftlic^cn  Unterridjt  beruft,  meldte  ben  3Ka6ftab  für  bie  religi  ^K 
grfa^rung  bejcictinet,  fo  f|at  er  offenbar  auc^  einen  (Jinbrud  b^*^" 
ber  claffifd^en  Seigre  Satoin'd   über  bie  8orfet)ung  ©otteiJ  C^^ 
bem  17.  Sapitcl  bcd  erften  95ud^ed  empfangen.    2)emgemä§  tr^fl^ 
er  in  feinem  jmeiten  ©efpräd)  t)or,   ba§  ber  Segnabigte  in  i^^^ 
9ieid)c  ber  ÜÄac^t  ©otted  ftc^  öon  ©Ott  abhängig  fü^lt,  in  a0^ 
©efc^pfcn  unb  anfallen  bcr  umgebenbcn  SBctt  bie  $anb  ®o*/^ 


327 

toal^mimntt,  feine  eigenen  ffirfai^rungen  in  SScrgangenl^cit  unb 
©cgenttjart  bcr  ficitung  beö  §errn  unterftcHt,  um  aud^  für  bie 
3ufunft  fid^  berfelben  ju  untcttperfen,  bc^^alb  feine  gurd^t  unb 
fein  Vertrauen  an  bie  ©reaturen  uemenbet,  über  bie  Verborgenen 
SBege  @otte^  nic^t  grübelt,  fonbern  fi^  in  @ebulb,  2)emut^  unb 
@anftmnt^  übt,  unb  für  bie  @ünben  Vergebung  bei  ®ott  fud^t. 
Sa  äSerfc^uir  mit  @alt)in  n)eig,  bag  biefe^  nid^t  natürliche  fRtlu 
Qxon,  fonbern  bag  ed  bad  S^er^alten  bed  ©laubigen  ober  SSegna- 
bigtcn  ift,  fo  burfte  er  au^  erfennen,  bag  l^ierin  bie  SSerföl^nung 
ober  bie  Sied^tfertigung  burd^  S^riftud  ertebt  mirb.  (£r  burfte 
einfcl^en,  ba§  biefe  Seigren  oon  ber  rid^tigen  ffirfal^rung  ber  SSor* 
fe^ung  (Sottet  öorauögefefet  toerben,  unb  ba§  bie  SBa^r^eit  biefer 
Sc^ren  nid^t  bur^  bireete  Kontemplation  i^re^  fad^lid^en  Sn^olted, 
fonbern  nur  burd^  jene«  gottgemäfee  ©erhalten  in  ber  SBelt  fid^ 
erprobt.  iD2it  aQer  feiner  ^bfic^t  auf  c^riftlid^e  (Erfahrung  ^at 
er  biefeö  nid^t  erfannt,  ttjeil  er  in  ber  t^eoretifc^en  ©c^ulform 
befangen  unb  nic^t  im  @tanbe  mar,  burd^  i^re  Sinjel^eiten  l^in^ 
bur^  ben  SEBeg  jur  S^otalanfc^auung  ber  d^riftlid^en  Sfieligion  ju 
ftnben,  unb  burc^  fie  bie  persönliche  Ueberjeugung  ju  begrünben. 
Diefelbe  2Ret^obe  ^errfc^t  in  bem  „Snnigen  G^riftentf)um" 
oon  SBil^etm  ©^orting^ui«*).  Snbeffen  jeic^net  fid^  biefe« 
äßerf  in  mannen  93ejie]^ungen  Dor  bem  feine«  Vorgänger«  au«. 
S«  ift  menn  möglid^  noc^  breiter  unb  au«fül)rlic^er,  jebenfaQ« 
tcibcnfc^aftlidjer,  unb  no^  ftärter  in  ber  ©prad^c  Äanaan«.  S)er 
Serfaffer  ift  in  ber  gleid^artigen  altern  fiiteratur  fieimif^,  h)ie 
bie  ja^lreid^en  Sermeifungen  auf  Sfiou«,  Sobenfte^n,  ßoe(man, 
SBttfiu«,  93rafel,  ^eQenbroef,  Xjaben,  Sampe  unb  Slnbere  bemeifen. 
9lad^  i^m  ift  feiner  unter  feinen  £anb«teuten  aufgetreten,  ber 
i^n  in  biefer  ©c^riftfteUerei  überboten  ^ätte.  @r  mieberf)olt  frei* 
lid^  nur  bie  äJJelobie,  meiere  au«  ben  ©d^riften  ber  oon  il^m  an* 
gcfü()rten  93orgänger  befannt  ift;  jebod)  f)at  er  fie  greQer  unb 


1)  Hei  jnnige  Christendom  in  desselfs  allcrinnigste  en  wesent- 
lijkste  deelen  gestaltelijk  en  bevindelijk  voorgestelt  in  fzamenspraken. 
Groningen  1740  (666  8.  4).  ^er  $erfof{er  toax  Qeboren  }u  SBinMoien, 
9toü.  Groningen  1700,  »arb  1723  ^rebiger  }u  SBeener,  CftfrieSIanb,  1784 
)n 9RibtDoIba,  (Sroningen,  geworben  1750.  $gl.  van  Berkam,  Schortinghuis 
en  do  v^f  nieten,  ^er  boUftanbige  Ziiti  ift  6.  320  ongefü^rt;  ber  3u{a^ 
in  bemfelbm  bc}i((t  fl4  auf  eine  gormel,  in  toeld^r  bie  Sli^tigteit  auSgebriUIt 
»ivb,  votldft  ber  €Unber  in  ber  äBiebergeburt  an  ftd^  empfinbet. 


328 

cinfd^neibcnbcr  alö  irgcnb  ein  Änbcrct  vorgetragen.    S)ic  ©ou* 
Deränetät  ©otteö  gilt   l^icr  fo  fel^r  afe  ber  ®runbton  in  bejfen 
burd^  ß^riftuö  offenbarter  Siebe  unb   Sarm^eriigfcit,   ba§  ber 
©ünber  in  ber  Söefel^rung,   bie  er  mit  t)oflem  Sett)u§tfein  ju  er* 
leben  l^at,  nur  feine  öoDc  9lic^tig!eit  ju  conftatircn  ^at.    Cr  ^at 
auö  eigener  ffirfafirung   bie  tl^eueren  fünf  SRidötfe  ju  lernen:  ic^ 
ttjiH,  fann,  tüeig,  ^abe,  tauge  ni^tö  nad^  Einleitung  t)on  ?ßi.  81,12; 
3ol).  15,  5;  5ßrot).  30,  2.  3;  ?ßf.  102,  18;  SRöm.  7,  18.    3n  bie 
tieffte  93efd^ämung  über  ba^  Slenb  ber  ©ünben  unb  bie  eigene 
9lic^ttgfeit  mug  plö^lic^  bie  Srleud^tung  burd^  bie  ^ol^ett  @otted 
unb  bie  ©c^ön^eit  beö  §crrn  3efuö  einfd^lagcn,  um  bann  gepflegt 
}u  tt)crben  burc§  bie  Änfd^auung  ber  2Kenf^roerbung  unb  bcö 
fieibenömege^  Scfu.  2)er  (Sinbrüd  feiner  Siebe  unb  SBarm^crjigfeit 
foQ  bie  ©egenliebc  erttJcdEen.     ®ie  Seiben  S^rifti  finb  „©ingc, 
n)el^e  mein  ^erj  betrübten,  burd^fc^nitten,  gänjlt^  bebedFtenunb 
fortriffen,   ja  mic^  in  meiner  SRic^tigleit  öerfd^toinben  liefen  unb 
in  biefcm  Ccean  unbegreiflid^er  Siebe  »egfd^moljen."    8luf  biefcm 
äSege  tt)irb  auc^  baS  ©ünbengefütjl,  mit  n)eld^em  man  ben  $erm 
Sefud  auffud^t,   in  ber  Sftü^rung  burd^  feine  Siebe^mad^t  megge^ 
fd^tüemmt.    Snbem  alfo  bie  ©eele  i^n  allein  unb  il^n  ganj  iw 
nimmt,  fo  /, fliegt  baraud  eine  erquidEli^e  ©emeinf^aft  unb  Siebet 
Übung.    3)er  ^err  Sefuö  lägt  fic^  auö  in  ©rquidungcn,  Um^at 
jungen,  ©ntbedungen  feiner  SJlä^e,  SRat^,  Sid^t,  Seitung,  tröftlic^ 
unb  baö  ^erj  erttjeiternber  ©nabe.     ®r  ffil^rt  fie  in  ba^  SBein* 
l^aug  unb  feine  Siebe  ift  ba^  ?ßanier  über  it)r  (Sant.  2,  4); 
unb  fo  übt  bie  ©eele  aud^  tt)ieberum  ©emeinfd^aft   mit  beiR 
feiigen  §eilanb,   inbem  fie  i^n  um  SRatf)  fragt,  i^n  auffuc^t,  rt^ 
um^alft,   il^n   in   i^r  §er;i   nött)igt,    unb.  i^n   in   feiner  9tö^^ 
genießt " 

3d^  erfpare  mir,  biefe  Darftellung  »eiter  ju  ben  (Srf  J^^^' 
nungen  ber  SBerlaffung  burd^  ®ott  unb  ben  äJütteln  i^rer  UtC^^' 
tt)inbung»ju  verfolgen,  ß^araftcriftifd^  für  bie  JRid^tung,  gc:^^ 
tt)cl^er  biefeö  SBerl  ^crftammt,  ift  nur  nod^  bai^*@efpräd^,  '" 
toeld^em  baö  JRcd^t  unb  bie  5ßflid^t  ber  begnabigten  ?ßrebiger  ^ 
ttjiefcn  ttjirb,  über  ben  ©eelcnjuftanb  i^rer  ©cmeinbeglicbcr  i" 
urtl^eilen.  ©d^on  SSerfd^uir  t)atte  eö  abgcmiefen,  bag  man  *^^ 
Urtl^eil  über  ben  ©eelcnsuftanb  ber  (Sinjelnen  an  ©Ott  ju  flb^'' 
laffen  ^abe,  unb  ^atte  boö  JRed^t,  ein  fol^eä  Urt^eil  ju  bilt^ 
unb  auöjufprec^en,  ben  SBiebergeborencn  üorbel^alten,  ba  baffc/^ 


329 

aud  gutem  SEStQen  gegen  bie  Unbegnobigten  ^erDorgel^c  unb  ju 
il^rer  SBarnung  au^gcfproc^eit  toerbcn  müffc.  Snbent  nun  ©d^or* 
ting^uiS  bie  änforberung  an  ben  5ßaftor  ftellt,  bag  er  bie 
SEBiebergcborenen  alö  fold^e  fennen,  ober  bie  ©d^ofc  t)on  ben 
Söden  unterfd^ciben  mäffe,  l^ot  er  fold^e^  Urtl^etl  audbrüdlic^ 
Qud^  ben  begnabigten  @emeinbeg(tebern  jugemut^et.  2)ie  ^rä^^ 
fumtion  ber  Sababiften  (@.  263)  ift  alfo  t)ier  ote  ba«  SRe^t  aHer 
grommen  gültig  getüorben.  9Ilg  ©runbtejt  für  biefe  Sefugnig 
tt)irb  9Wtt).  23,  23  angefüfirt.  $icr  foH  ber  $err  ben  ^ßj^arifäern 
jum  Sonpurf  mad^cn,  ba§  fie  unter  ben  fd^merften  Stufgaben  beö 
©efefeeö  baö  ©cric^t  unterlaffen !  S)er  g^^lcr  biefer  Auflegung 
leud^tet  ein.  5)ie  ?ß^arifäer  empfangen  bie  Sftüge,  bafe  fic  lein 
(Erbarmen,  feine  Streue  üben  unb  bag  fie  ben  Unterbrficften  nid^t 
}u  il^rem  {Rec^t  öer^elfen.  S)arauf  mar  eö  bei  bem  Urtl^eil  ber 
grommen  über  bie  Unbegnabigten  gemi§  nid^t  abgcfe^cn.  Seboc^ 
mirb  über  biefe  SBcfugnife  feftgefteDt,  baß  man  ni^t  parteiifdö 
unb  mit  Ueber^ebung,  fonbern  t)orfi^tig,  nad^  bem  äSorte  be^ 
^errn  urt^eilen  foQc.  ©aju  get)ört,  bag  man  an  ben  grüd^ten 
ben  SBaum  erfennen  fott  nac§  9Kt^.  7,  15—20;  12,  33—38;  5, 
16;  3af.  2,  18;  1  3oI).  3,  10.  ®en  S3eruf  ber  ?ßrebiger  ju  biefem 
Urt^eil  foHcn  bemeifen  (Sje^.  44,  23;  Ttif),  13,  48.  3enc  «r* 
gumente  finb  treffenber,  al^  biefe;  allein  fie  bcftätigen,  bafe  e^ 
{!c^  im  Dorliegenben  ^aQe  nur  um  eine  ganj  natürli^e  äSeife 
bc^  Urt^eilenö  in  einem  engen  ©efeUfd^aft^freife,  unb  gar  nic^t 
um  eine  fpeeififc^e  $robe  t)on  religiöfem  S^arafter  ^anbelt. 
2)e^^alb  fann  auc^  ber  @egenfag  t)on  SBegnabigt  unb  Unbegna« 
bigt  gar  nid^t  unter  biefe^  Urti)eil  fallen.  3)ie  ©ptfee  ber  ganjen 
(Erörterung  fommt  aber  barin  an  baS  fiic^t,  mie  bad  Urtl^eil  jebei^ 
SBiebergeborenen  über  ben  ÖJnabenftanb  ber  Änberen  begrünbet 
toirb^.  3)ai\u  bienen  bie  ©teßen  ?ßf.  15,  4;  119,  63;  1*39,  21. 
22;  101,  2-8;  1  3o]&.  4,  1;  Kant.  8,  8-13;  1  S^f.  5,  14; 
3uba  22.  23.    Sinn   f)aben   aüe  pietiftifd^en   ©d^riftfteHer  Don 


1)  Vu4  f^itxxn  finb  bte  SRitglieber  bec  ^eitelorben  bod  urfprünglid^ 
ShiRer.  Qgl.  Erasmus  Adagiorum  Chil.  2.  Cent.  8.  Adag.  65:  Malorum 
MeDdioantium  ubique  maxima  tiirba  est.  Hi  sie  sese  per  omne  rei- 
pablicae  corpas  sparserant,  ut  nihil  usquam  agatur  sine  illis  .  .  .  .  Hi 
plni  quam  censoria  severitate  pronunciant  de  fidei  professione:  hie  christia- 
nos  est,  hio  semichristianus,  hie  haereticus,  hio  sdaquihaereticus. 


330 

SBil^cIm  Xeclltnd  an  öorgcfd^rtebcn,  baß  jebcr  SBIebcrgcborcnc  fic^ 
bcncn  anfd^licßcn  follc,  tueld^e  er  alö  fcinci^  ©Ictc^cn  an  bcr 
@prQcl^c  j^anaand  unb  an  t()rer  ^bfonberung  i)0\\  ben  Sßeltleuten 
crfcnnt.  35iefe  Sonöcntüclleutc  ferner  ttjaren  öon  SBil^elm  Srafcl 
l^er  baju  angehalten  morben,  bur^  i^re  fteten  ©elbftprflfungen 
unb  burd^  ben  Umgang  mit  bem  §errn  3cfud  fid^  öon  ben  QdU 
gläubigen  ju  unterfd^eiben,  alfo  t{)re  endige  SrmS^Iung  für  fic^ 
fcftjuftellen.  9lad^  ber  Änfid^t  biefer  frommen  »aren  biejenigcn 
bic  @rtt)äl^Iten,  »eld^c  fid&  ju  ben  ßonuentileln  hielten,  bic  an- 
beren  alfo  bie  SSertüorfenen.  3n  biefem  ©inne  finbet  bic  ^Ik* 
gation  t)on  $f.  139,  21  t{)re  ^nmenbung:  ,,@onte  id^  nid^t  Raffen 
^err,  bie  bid^  l^affen,  unb  nid^t  @rauen  uor  benen  ^aben,  bic 
gegen  bid^  auffte()en?  id^  ^affe  fie  mit  üoQfommenem  $ag,  ju 
geinbcn  finb  fie  mir  geworben". 

35cr  SSerfaffer  öerfäl^rt  nun  fel)r  genau,  inbem  er  fed^^jc^n 
IStnmenbungen,  meldte  bie  SBeltfinber  gegen  bie  frommen  ju  er^ 
^eben  pflegen,  miberlegt.    3n  jener  SRei^e  ift  baö  lefete  35eben!cn, 
bog  bie  (SonüentifeQeute  nic^t  jiulaffen  molten,  ba§  ber  gemeine 
9Kann  baö  @ebet  beS  §errn  gebraud^t,  »eil  baffelbe  nur  für  bie 
SBiebergeborenen  unb  Sete^rten  paffe.   35iefeg  SSorrec^t  ^ält  ©^or* 
tingl^uiä  ttjie  bie  Sababiften  nac^  ber  120.  5^agc  be^  ^eibelbetgct 
Äated^iiSmuiS  aufregt,  ba  nur  ber  ©laubige  @ott  alg  SSater  an* 
fpre^en   fönne,  unb  ß^riftud  aud^   nur  ©laubige   bei  bcr  3Rü« 
t^eilung  beö  ©ebeted   uorauöfefee.    35en  erften  Anlag  ju  bic^^ 
ejclufiöen  SBebanblung  bcö  SSaterunfer  l)at  freiließ  Saloin  (©.  29^) 
gegeben,  inbem  er  ben  ßeitgläubigcn  ober  SSertt)orfencn  bajj  11^^^ 
unb   entfd^iebene  ®efül)l   ber  ©otte^finbfc^aft  abfprad^.    «tt^«^ 
ber  ^Reformator  ttjürbe  bod^  mit  SBefremben  »atirgenommen  ^a^**» 
bag  ein  greunb  uon  ©d^ortingl^ui^,  ber  5ßrebiger  3o^.  ßubC^^ 
in  Seerta  bem   ®d&ulmeifter  feineiS  5)orfeö    Verboten   l)at      ^^^ 
Äinber  ba^  SSaterunfer  beten  ju  laffen,  unb  auf  bic  Slagefei^^ 
©emeinbc  erft  burd&  bie  Slaffiö  1733   genöt^igt  »erben  mi*B*^ 
baöon  abjufte^cn  ^).    ©jS  »ar  alfo  biefer  ?ßartei   bitterer  <t^^V 
bamit,  alle  Folgerungen  ju  jicfien,  ju  »eld&en  bie  Annahme  CM^^r 
forberte,   bag  bie  ßonöentüelleute  bie  Srtt)ä^lten,  unb   baß    ^^^ 
übrigen  ©enoffcn  ber  Äivc^e  unbegnabigt  feien,  fiababic  Ijat  td^^ 
ftärteren  Slnfprü^e  gemad^t;  aber  feine  ©eparation  mar  bic  e§^ 


1)  53er!um  ©.  18. 


331 

It^c  0rt  ftc  gcltenb  gu  mad^cn.  S)aS  SSerfal^rcn,  kpeld^eiS  ©d^or^ 
ting^ui^  unb  feine  ©cnoffen  cinfdjlugen,  lief  ba^in  au^,  biejcnigen^ 
xoclä)t  auf  i^rc  aWetl^obe  contemplatiucr  grömmigicit  nic^t  ein* 
gingen,  fortttjä^renb  ju  Beleibigen  unb  ttjicberum  ju  mciftem,  unb 
baburd^  ben  @trett  in  ben  @emeinben  unb  in  ben  Slaffen  unb 
©^noben  ju  öcremigcn.  3n  bem  ©cfpräd^  über  bie  ^flid^t  bc« 
Urt^cilenö  ttjirb  bie  ©cfatir  be«  ©plittcrrid^ten^  nic^t  mit  einem 
SBortc  berührt.  5)aanit  barf  man  nun  üergleid^en,  bag  ber  Cor* 
Wurf,  bie  g'^ommcn  pflegten  i^ren  bürgerlichen  SSeruf  ju  öernadj« 
läfPgen,  burd^  bie  Siegel  ber  pflid^tmäfeigen  Scruföerfüllung  ab^ 
gciDtefen,  bag  aber  jugleid^  biefe  i^eiftung  unb  bie  ^riebfertigfeit 
auf  ©eiten  ber  üorgcblic^  Unbegnabigten  für  tpert^lod  im  djrift« 
lid^cn  Sntereffe  erllärt  ttjirb,  »eil  auc^  Reiben  unb  ^^arifäer 
baju  befä{)igt  feien,  ^ie  @inen  befommen  immer  9ied^t,  unb 
bie  Änbern  immer  Unred^t.  Unb  ttjaö  foH  man  baju  fagen,  ba§ 
©d^orting^uid  bie  ©einen  aud^  baburd^  ju  bem  bernid^tenben  Ur^ 
t^eile  über  bie  Unbegnabigten  berechtigt  ad^tet  tueil  biefe  felbft 
bie  grommen  nid^t  öerfd^onen?  5)a^  ift  ja  red^t  natürlid^;  aber 
natürlich  unb  ungeiftlt^  gebadet  ift  biefe  gange  Slufgabe,  bie  ben 
Sriuä^lten  gefteQt  n)irb! 

©c^ortingl^ui^  fud^te  für  fein  S3uc^  bie  Approbation  ber 
t^eologifd^en  ^acultät  in  ©roningen  nad^*).  SSon  ben  MiU 
glicbcm  berfelbcn  na^m  ber  ^rofeffor  SSerbruggen  an  ber  Senfur 
überhaupt  nid)t  X{)eil;  SorneliuS  üan  SBelgen  na^m  jkpar  an  ben 
Ser^anblungcn  Zf)dl,  Der^ielt  fid^  aber  in  ber  ©ad^e  neutral. 
2)0^  i$acultatdt)otum  alfo  mürbe  uon  S)anie(  ®erbe^  unb  Anton 
S)rieffen  bal)in  au^geftellt,  bag  bad  i,3nnige  S^riftentl^um"  im 
gtanjen  ju  loben  fei,  aber  mand^e  ©äge  unb  SBenbungen  t)on 
bcbenfli^em  ©inn  enthalte.  35ie  9Kitt^eilung  biefer  SSebenlen 
an  ©c^orting^ui^  mürbe  uon  bcmfelben  jiemlid^  befriebigenb  be:^ 
antwortet.  3nbeffen  ^ielt  bie  ^^acultät  i^m  jum  jmeitenmal  eine 
Äci^c  bon  gragcn  Dor,  meldte  fic^  gegen  feine  Untcrf^äfeung  ber 
i,bud^ftäbli^en''  @rfenntni§  bed  S^riftent^umS  unb  ber  Anlage 
mte  Seftimmung  ber  3J2cnfd^en  }ur  magren  9ieligion  rid^tete. 
Aud^  biefe  S3or()altung  beantwortete  ©d^ortingl^ui^  burd^  feine 
3uftimmung  gu  i^rem  3n^alte,  wie  ju  ber  fird^lid^en  £e^re  über^ 
^upt.    (Er  fügte  ^inju,  bag  er  bie  befrembenben  Stebendarten 


1)  Sunt  Sfolgenben  t^gl.  ^edum  8.  126—187. 


332 

IcincStPCflcd  meine  im  ©inne  bcr  alten  unb  neuen  Cntl^upaften, 
ber  aJi^ftifer,  5ßietiften,  ßababiftcn,  §errn^uter  unb  bercjlcic^n 
me^r,  fonbern  im  ©innc  ber  uornel^men,  fvaftöollen  unb  gott* 
fetigcn  Seigrer  ber  reformirten  Äirc^e,  ^eUenbroef,  SBitfiud, 
SB.  ©rafel,  ßobenftc^n  unb  8i9Ug.  5)icfen  ©c^riftttjed^fel  lieg  bic 
©ronincjer  gacultät  mit  i^rer  bebingten  Slpprobation  t)om 
22.  äpril  1740  uor  ber  erften  Sluflage  be^  „Snnigen  ©Triften* 
tl^um"  abbruden,  fie  unterfd^lug  jeboc^  bie  jttjeitc  §älfte  be^  legten 
SBriefeö  uon  ©d^ortingl^ui^.  35erfelbe  fügte  alfo  biefen  S3rief  öoD* 
ftänbig  nebft  einem  Söeric^t  über  bie  Sachlage  I)inju.  S)iefet 
©djritt  jog  eine  öon  ®crbe^  uerfafete  öffentliche  ©rtlärung  ber 
^Qcultdt  na6)  fid^,  n:)orauf  ©d)orting^ui^  mit  einer  Zedig  ant- 
woord  op  het  historisch  verhaal  ertüiberte  *).  hierauf  ^ot 
©erbe^  nod^  Nodige  aanmerkingen  folgen  laffen. 

3njtt)ifc^en  aber  »ar  uom  3lpril  biö  jum  Äuguft  1740  bic 
crfte  SluPoge  beö  öuc^c^  au^uerfauft.  Um  bie  stocite  auöjugebcn, 
ttjeld^e  burd)  ^Beifügung  üon  SöibelfteQen  uerönbert  unb  bun^ 
jmansig  ©eiten  am  ©d^luffe  öermel&rt  ttjar,  fud^te  ©c^ortingl^ui^ 
bie  ßenfur   feiner  Slmt^genoffen  in   ber   Staffiö   Oldambt  en 
Westerwoldingerland  nad^,  ju  tt)eld)er  er  ald  5ßrebiger  in  SKib* 
njolba  gcl)örte.    S)ie  ßlaffiö  beüoHmäd^tigte  baju  brei  \f)xcx  MU 
glieber,  ©efinnung^genoffen  be^  SSerfaff er^ ;  unb  biefc  ftcCitenbcin 
öud^e  baö  3^"9ni6  ^oßcr  Slec^tgläubigteit  unb  groger  SWJlit^ 
leit  aud.   SJiit  biefer  Approbation  erfd^ien,  nod^  tt)äl)renb  bc^  er^ 
jaulten  literarifc^en  ©treite^,  bie  jn^eite  aufläge  im  ^erbft  1740; 
aber  bie  Eenfur   ber  ©roninger  Slljeologen    nebft   ben  übrigen 
©d^riftftüden,  »eld^e  in  ber  erften  aufläge  ftanben,  fehlte  in  ber 
ätüeiten.    lieber  bicfeö  SSerfa{)ren  nun  richtete  bie  ^ocultöt  eine 
SBefd^tüerbe  juerft  an  bie  Staffi^,  bann  ald  biefelbe  nic^t  bcont^ 
iDortet  ttjurbe,  an  bie  ^ßrouincialf^nobe.    5)iffc  3nftanj  üerfüflte» 
bag   bie  ®laffiö  auf  bie  SBefdjroerbe  ber  tljeologifd^en  3focuW&^ 
Slntttjort  ju  geben  f)abc.    @g  t)erjog  fid^  bi&  jum  8.  April  1742, 
ef)e  bie  Elaffid  in  bie  ©ac^e  eintreten  lonnte.    35a  jcbod^  »u''^^ 
bie  Söefd^merbe  ber  gacultät  burd^  eine  SRefolution   umganft^' 
toeld^e  fid^  auf  bie  SSeröffentlic^ung  be^  Söriefg  oon  ©d^orting^^* 
in  bcr  erften  Auflage  bejog.    S^fllcid^  aber  öenoarf  bic  ©IcmiF 


1)  GroningeD,  August  1740.  112  6.  4. 


333 

mit  geringer  SRajorität  bie  Approbation  i^rer  brei  äRitglieber 
für  bie  jtoeite  Stuflage.  35iefc  appcHirten  an  bie  ^roöincialf^nobe, 
meldte  im  SKai  in  ©roningen  jufammentrat.  2)ie  ©^nobe  aber 
öcrtoarf  bie  äppeflation,  beftätigte  baö  Urt^eil  ber  Slaffiö,  unb 
gab  s^iflt^i^  ^^^  t^acultät  @enugtl)uung  burd^  bie  ISrflärung, 
ba§  tro^  ber  löbli^en  Xenbenj  be^  58u^e^  eine  brittc  ?luflage 
beffclben  nur  erfolgen  bürfe,  toenn  bie  gerügten  ©afee  unb  SBen** 
bungen  befeitigt  mären.  Siefer  Su^gang  ber  ©ad^e  ttjarb  ju 
Ungunftett  uon  ©c^ortingt|uiö  unb  feiner  Partei  nod^  öerfd^ärft 
burd^  baS  SSerbot  bed  fRat^ed  ber  ©tabt  ©roningen  bad  Su^  ju 
öcrfaufen.  Slnbererfeit^  fanb  bie  Partei  ©c^u§  bei  ben  Ferren 
©täuben  ber  ^ßroöiuj.  5)enn  ate  auf  ber  ©t)nobe  öon  1743  ein 
SHa^fpiet  be^  ©treite^  aufgefül^rt  werben  follte,  trugen  bie  ftän*^ 
bifd^en  Sommiffare  einen  SSefc^lufe  öor,  bie  ©a^e  öon  ©d^or* 
ting^uiS  foUe  mit  etpigem  ©tillfc^toeigen  bebedt  toerben  unb 
bleiben. 

©iefer  SBefd^lu^  nämlid^  lam  ber  britten  Auflage  be^ 
„Snnigen  S^riftentl^um"  fiVL  @ute,  loeld^e  trofe  aller  lird^lid^en 
unb  politifd^en  ^inberniffe,  unb  toieberum  mit  Slu^laffung  ber 
ungünftigen  Slctcnftüde  ber  ©roninger  gacuUät,  alfo  alö  ein* 
fad^c  SBieberl^olung  ber  jttjeiten  ?luflage  im  Anfang  öon  1743 
crfd^ien.  S)iefer  breifte  ©c^ritt  gelang  infofern,  ate  Sliemanb 
gegen  i^n  ben  SBeg  bcö  8ied^teö  einfd^lug.  Snbeffen  fanb  ba§ 
Sündi  iefet  literarifd^e  ®egner,  namentlid^  §erman  ©tegneruö  in 
Sttorbbroet  Sacobuö  3ntminl  in  ©nfd^ebe,  Slicolau^  Hartman  in 
^oüc.  ©djorting^ui^  naf)m  ben  ©treit  mit  benfelben  auf  unb 
fanb  aud^  bie  Unterftüftung  öon  uier  ^rebigem  in  Smben.  Unter 
ben  ©egnern  ttjar  Hartman  ber  rü^rigfte.  ®a  bie  öier  Smbcner 
t^n  für  unred^tgläubig  erllärt  tjatten,  fo  brad^te  er  ben  ©treit 
Sunäd^ft  1745  öor  bie  Slaffiö  oon  5)et)enter,  bann  öor  bie  ©^* 
lobc  feiner  ?ßrot)inj  Duer^ffel.  5)iefe  aber  befc^loß  nid^t  nur, 
>a6  bie  ©roninger  ©t)nobe  fid^  in  ber  ©ac^c  be^  „3nnigen 
S^rtftent^um"  uerbient  gemacht  i)abc,  fonbern  mißbilligte  aud^ 
ha^  ^nd)  im  ©anjen  als  nid^t  red^tgläubig.  ^emnäd^ft  gab 
id)  bie  ©Qnobe  t)on  Doer^ffel  alle  3Rü^e,  il)ren  Sefd^lug  burd^ 
»ie  anberen  $rot)incialfQnoben  aboptiren  ju  laffen;  au^  üerfd^ie^^ 
»cnen  @rünben  aber  tourbe  biefe  3u^utt)ung  überall  abgelel^nt. 
Um  fo  me^r  fal)en  fid^  bie  Url^eber  biefe^  Sefd^Iuffe«  barauf  l^in«' 
äODtefen,  i^n  Uterarifc^  ju  unterftügen.    S)er  toirffamfte  ©egner 


334 

t)on  ©c^ortingl^uid   kpurbe   ^ton^ftud  t^an  ber  Aceffel,  $re< 
btget  in  S)et)enter,  kpeld^ct  na6)  einer  ©efc^ic^tc  bed  Streitet  übet 
baö  „Snnigc  e^riftent^um"  (1745)  brei  Sänbc  unter  bem  %M 
t)er5ff entlic^te :  De  vastgestalde  leer  cn  practijk  van  Neerlands 
kerk  omtrent   Gods   bijzondere,    algenoegzame  en  krachtda- 
dige  genade  in  ChristaSi  gezaivert  van  het  misbraik  derzelve; 
1749.    SSon  bicfem  SBerfe  bcfd^äftigt  fic^  etgentlid^  nur  ber  brittc 
%\)dl  mit  ber  $olenüf  gegen  ©c^ort'ing^uii^,  nad^bem  bie  betben 
erften  bie  red^tgläubige  fie^re  ber   reformirten  ^irc^e,   unb  att 
beren  ^rincipten  bie  gefunbe  @d^riftfenntni§  unb  bie  ftttlid^ 
@e(bftftänbig!eit  unb  ©elbftt^eranttPortUd^feit  bed  äRenfd^en  bar« 
geftellt  I)aben.  ^emgemäg  tuirb  enblic^  na%en)iefen,  bag  ©c^or* 
ting^uid  beibe  t)erle^t  l)Qt,  unb  ni^t  rechtgläubig  ift.    S)erfel&e 
fagt   über  bie   bud^ftäblic^e  unb  über  bie  geiftlic^e,  e.rfQl^rung^ 
ntagige  @rfenntni§   beiS  S^riftent^um^  eigentlid^   ni(!^td  anberoS 
Qte  fiobenfte^n  (©.  166),   nur  ba§   er  ber  erftern    nod^  etiwrf 
me^r  einräumt  als  biefer  eS  tl^at.    ^enn  aud^  auf  bem  erftern 
äSege  foll  man  einen  ^errltd^en  begriff  Don  ber  ©ac^e  unb  fk* 
leuc^tungen  burc^  ben  ®eift  erfahren  fSnnen;  tro^bem  foQ  man 
baburc^  nic^t  bie  Sinfid^t  gen^innen,  meiere  mit  ber  ©ad^e  ikt^ 
einfommt,  üielmc^r  nur  eine  falf^e  Sinfid^t.    S)ei^]^olb  foII  au4 
bie  afabemifd&e  SBiffenfd^aft  nichts  »ertl^  fein;  hingegen  foD  ber 
@inbrucf  beS  @eifteS  ober  bie  @rfal^rung,  o^ne  n^eld^e  auc^  bie 
Sefung  ber  ©ibel  fruchtlos  ift,  nur  eutl)alten  fein  in  ber  gä^ij* 
!eit  begjenigen  Umganges  mit  bem  ^eilanb,  »eld^er  in  ben  tto«* 
öentifeln  erftrebt  ober  geübt  »urbe.    5)iefen  SBeg  nun  bcjcic^rt 
Dan  ber  fieeffel  alö  unl^altbar  unb  gefä^rlid^,  ba  bie  SBibeltto^t* 
Reiten  fo  um  i^re  ©id^er^eit  unb  Äraft  gebrad^t  ttjcrben,  unbba 
ber  SWagftab,   ber  an  i^re  ©teile  gcfefct  ttjirb,  eine  ^oc^müt^ig^ 
(Sinbilbung   ift.    5)a§  SSerfin!en  beS  ©efü^te  in   bie  SBunbe» 
S^rifti,  totl6)^  als  baj^  göttlid^e  Komplement  ber  SRic^tigfeit  be^ 
SWenfd^en  gefc^äfet  »erben  foll,  fann  ferner,  gemäß  ber  (SrörterttW 
biefeö  ©egncrS  Don  ©c^orting^uiS,   nic^t  atö  bie  richtige  %ot^ 
ber  d^riftlid^en  Weligion  gelten.    35enn  bie  SSoraudfe^ung  b^*^ 
felben  ift  bie  Dernünftige  ©elbftDerantwortlid^feit  beö  SRenfÄ^^' 
ttjäbrenb  bie  ^rätenfion  feiner  Siid^tigleit  gegen  @ott  unb   ^^ 
Dotten  ^ffiDität  in  ber  öele^rung  nac^  ber  Eonfequenj  bed  &^^* 
nojiSmuS  l^inioeift. 

5)iefe  Äriti!  märe  fd^on  ftebjig  3oi^re  frül^er  bei  bem  S5i^^^ 


335 

)on  Sobenfte^n  am  Drte  getDcfen.  S)cnn  @d^orttng^ut8  l^atte 
yoUt^  SRcd^t,  ftd^  auf  bicfcn  berühmten  SSorgängcr  ju  berufen. 
Bknn  alfo  fiobcuftc^n  ald  rechtgläubig  angefe^en  tDurbe,  barum 
oflte  ©d^ortingtiuiö  bcr  Senfur  unteriüorfen  tuerben?  Unb  ipar 
rr  ntd^t  red^tg(äubtg,  ba  er  nic^t  ftgen  loollte,  ipo  bie  @nt^u^ 
taftcn,  aji^ftitcr,  ?ßietiften,  Sababiftcn,  §crrn^utcr  faßeu?  5)iefe 
Belbftuntcrfd^eibung  uon  ben  fieuten,  j^u  kpelc^en  ©d^orttng^utS 
nrect  gehörte,  ift  aßcrbing^  nur  crftärlidö  burd^  eine  lange 
)aucntbe  SSerfälfc^ung  bcr  öffentlid^cn  SKcinung.  35tefe  Cr«» 
[(j^inung  ift  iebod^  in  ber  ©efc^id^tc  ber  ^ird^e  unb  ber  Staaten 
unflcmein  pufig.  3Kan  fdjcint  auc^  barübcr  immer  erft  burd^ 
Schaben  flug  ju  n)erbcn.  ^ebenfadd  fpric^t  bie  @rfa^rung  an 
:incr  ÜRengc  fi^nlic^er  gäHe  bafür,  bafe  bie  rcDoIutionare  Seiben* 
[c^ft,  mit  tpelc^er  baS  ®cfü^ldd^riftentl)um  bc^  ^eiligen  Scrnl^arb 
in  bie  rcformirtc  Äird^c  tjcrcingebrod^en  ift,  ft^  ni^t  ^ätte  ju* 
rfldftauen  (äffen,  aud^  tuenn  i^m  bie  äBiberlcgung  feinet  9ied^te^ 
H  bcr  Äird^c  auf  bcm  ^\i%c  gefolgt  tüärc.  ?Hlein  regelmäßig  ift 
^  nic^t  fogleid^  niögli^,  eine  neu  auftretenbe  ©eiftedbemegung 
loUftänbig  j^u  burc^fc^aucn  unb  trcffcnb  ju  beurt^cilcn.  Slud^  in 
>cm  öorliegenbcn  galle  alfo  ift  eine  grift  öon  jwei  9Kenfd^cn* 
Itcrn  vergangen,  e^e  ber  pietiftifc^^m^ftif^cn  SRic^tung  ber  tau* 
i)cnht  Schein  ber  9tcd^tgläubigfcit  abgeftreift  werben  fonnte. 

9{atürlic^  gilt  biefcd  nid^t  für  bie  Slnl^ängcr  ber  9iid^tung 
»Ibft.  2)aö  ©el'bftgefü^l  bcr  JRcdötgläubigteit,  mit  »cl^cm  ftc 
c^  trugen,  erljcllt  nun  fe^r  beutlid^  auiS  ber.  t)on  ben  t)icr  Sm* 
rncr  ^rebigern  ausgegangenen  SSertf)cibigungSfd^rift  für  ©c^or* 
ng^uiS*).  2)iefelbe  ift  im  Slllgcmeincn  ein  Seugnig  für  bie 
Icrcngftc  ©cmcinfd^aft  jn^ifd^en  bcm  rcformirtcn  l^eile  DftfrieS* 
inbö  unb  ben  benad^bartcn  ^roöinjen  bcr  bereinigten  SRieber* 
:nbc.  Snöbefonbcrc  berühre  ic^  in  biefer  ©d^rift  bie  principiellc 
rage  nac^  bcm  SBcrtl^c  unb  ber  Slrt  ber  gciftlid^cn  unb  „cm* 
inbUd^cn''  (Erfenntnig  bed  (Sljriftcntl^umd,  unb  bie  S3e^auptung 
Ä  SRed^teig,  über  ben  ©celcnjuftanb  Änberer  ju  urt^eilen.    3n 


1)  Zedige  voorspraake  voor  de  regtzinnige  waarbeit.  Emden  1742. 
rTfaffer  tfl  Christophorusßrucherus  (geb.  1C98) ;  unterf^rieben  ift  bie 
»rrebe  no4  t>on  Henricas  Gorardus  Zwartte  (geb.  1675),  Eduard  Meiners 
rb.  1691)  beut  $erf.  bet  oflfrtefif4en  l^irc^engeMic^te  (1738.  39)  unb  Gorar- 
&•  Zwartte  (geb.  1702),  bem  @o^ne  bed  guerfl  (benannten. 


336 

jener  §tnfic^t  toeift  örud^eruö  barauf  ^in,  ba§  ber  rcformirtc 
Se^rbegriff   eine   unmittelbare  unb   unmefebare  ®intt)irfung   bcö 
göttlichen  @eifted  ald  (SomViement   ber   mittelbaren  (Erleuchtung 
burd^  bie  ^eilige  @c^rtft  annimmt,  unb  ba§  bie  ^eilige  @d^rift 
felbft  auf  bie  perfönlid^e  (Erfahrung  ali^  bie  öebingung  ber  ©lau* 
bemSüberjcugung  rechnet.    9lun  ift  aber  bie  äufmcrffamfeit  be^ 
SSertl)cibigcr^  uon  ©c^orting^ui^  mc^r  barauf  gcrid^tet,  ba§  bie 
©cgner,  nämlic^  Hartman  unb  ©tegneruö  biefe  ©runbfä^e  nic^t 
gebül)renb   getuürbigt  ^aben,  als  barauf,  bag  Sc^orting^utö  jte 
unri^tig  ausgebeutet  unb  i^nen  eine  übertreibenbe  SInuienbung 
gegeben   ^at.    3m  SlUgemeinen   machen  biefe  (Erörterungen  ben 
Sinbrucf,  tljeils  bag  in  bem  Stammen,  in  tuelc^em  bie  t^rage  nac^ 
ber®rfa^rung  beS  ß^riftent^umS  bamals  gefteßt  ift,  feine  Söfung 
berfelben  fic^  ertuarten  lägt,  t^eilS  bag  ber  $ietiSmuS  baS  3nter« 
effe  beS  (SalDiniSmuS  uerfd^oben   ^at,  unb  in  feinem  Slnfpru^ 
auf  Stec^tgläubigfeit  nur  fid^  felbft  unb  Rubere  taufest.  9{Qmli(^  Sr« 
faljrung   Dom  (Sljriftent^um   fann  man  nur  bann  machen,  menn 
baffelbe  als  ein  @anjeS  berftanben  n)irb,  unb  n^enn  man  fic^  bie 
relifliöfe  SBa^rl^eit  als  eine  (Sin{)eit  Don    SBeltanfd^auung  unb 
£ebenSbeftimmung  ju  Dergegcnmärtigen  vermag.  SBer  benSn^alt 
beS  ß^riftent^umS  bloS  in  einer  lodern  Steige  oon  SBa^r^citen, 
oon  35ogmen  unb  ©c^ulfenntniffcn  befifet,  ber  fann  batjon  feiw 
perfönli(^e  Ueberjeugung  ernäfiren,  mcil  eine  folc^c  auf  eine  ge* 
orbnete  Xotalanfc^auung  oon  @ott,  SBelt  unb  ©elbft  rechnet,  um 
ju  entftel)en  unb  fic^  ju  erhalten.    3)aburcl^    n)irb  ber  Unisert^ 
ber  bloS  buc^ftäblid^en  fc^ulmägigcn  2luffaffung  beS  hergebrachten 
©efügeS  d^riftlic^er  3)ogmen  f eftgcftcBt ;  l^ierin  ^abcn  Sobcnftcl)n 
unb  alle  feine  iWad^folger  Siecht.    Slber  toorin  fefteu  fie  nun  W« 
geiftlid^c  (Erfahrung,  meldte  als  SSerfic^erung  beS  (Snabcnftonb«^ 
bient?    2Kit  ben  SBorten  oon  ©d^ortingf)uiS :  „in  baS  gemüt^^ 
lid^e  ©etoa^rmerben  oon  ber  innerlid^  erniebrigenben,  oerfo^nen* 
ben,   f)eiligenben,   tröftenben  Äraft  ber   fcligenSBa^r^eitcn 
beS  (SoangeliumS  im  Snnerften  ber  ©eele!"   5DiefcS  aber  ift  ri^^ 
äiellofe  Stufgabe,   ba  eine  SÄc^r^eit  oon  aBa^rl^citcn   als  folc^^ 
itoax  baju  oertoenbet  werben  fann,  um  abmcd^fclnb  einen  unb  ben 
anbern  ber  bejeid^neten  (Einbrüdfc   ^eroorjurufen,  aber  nienißß 
baju  fü^rt,  bag  biefelben  folgered^t  unb  jwedCgemäg,  namli^  ^ 
bem  {Rahmen  einer  feftcn  Ueberjeugung  eintreten.  S)enn  bie  6^ 
meinfc^aft  mit  @ott  in  bem  Umgang  bcS  SräutlgamS,  beS  Sß^ 


337 

3efu^,  tüdc^c  auc^  Srud^cru^  mit  SScrtPcifung  auf  ba^  ganjc 
^o^clieb  afö  bic  fpccifif(^c  Art  ber  Srfal^rung  cmpficI^U,  ift  ja 
nun  einmal  nur  ein  täuf^enbeö  ©utrogat  für  bie  perfönlic^c 
d^riftlic^e  Ueberjeugunfl,  meil  babei  öon  ber  ©teHung  beö  ©täu:^ 
bigcn  in  ber  SBelt,  bic  eben  religiös  geregelt  tuerben  fott,  einfach 
abgcfef)en  wirb.  Unb  baß  eS  bamit  nidjt^  anbere^  ift,  wirb  offen 
genug  aud)  öon  bem  gegentüärtigcn  ©d^riftfteller  barin  juge^? 
ftanben,  ba§  mit  ber  empfinblid^en  9iä^e  be«  Sräutigamg  bie 
8crlaffungen  unb  SSerbergungen  beffetbcn  abmed^feln.  5)enn  eine 
fünftlid^e  Ueberfpannung  be^  ©efü^lö,  ttjeld^e  bie  Äbfpannung 
not^tüenbifl  uac^  fid^  jie^t,  ift  nid^t  bie  gorm  ber  perfönlid^en 
Uebcrjeuflung,  tueld^e  ate  fold^e  in  einer  ftetigen  Stimmung  öer«* 
läuft.  2)ag  ttjar  nun  aud^  bie  Meinung  ber  red^tgläubigen  re- 
formirten  Se^rer,  inbem  fte  bic  gefteigerte  ffirrcgung  ber  laetitia 
spiritaalis  für  etroa^  ©lei^güItigeS  erKarten.  S)er  abfid^tlid^e 
3ufl  biefer  ?ßictiftcn  nad^  bem  ©enug,  bem  ©d^medfen  ber  @üte 
®ottci3  unb  bem  järtlic^en  SSerfe^r  mit  bem  $errn  3cfuö  bc^ 
jeid^net  alfo  eine  fpecifijd^e  Slbni'cid^ung  bon  ber  9iec^tgläubigfeit. 
^iefe  Srfc^einung  n^irb  fd^Iieglid^  Derl^ängnigDoIle  äBirfungen 
auf  bie  ©tellung  bcd  Saluini^mu^  ald  jtird^e  üben,  ^ad  fann 
man  aud^  an  ben  Semerfungen  über  bie  „geinen"  fic^  Kar 
mad^en,  mit  meldten  Sruc^eruS  bie  bon  i^m  bert^eibigte  Se^aup:^ 
tung  bon  ©d^orting^ui^  (©.  329)  begleitet,  bafe  jeber  ©eiftlid^c 
unb  Saie  berpflid^tet  fei,  ben  ©eelcnftanb  {ebed  ?lnbern  ju  beur^ 
t^etlen.  $icfür  einjutreten  ^atte  SBruc^eru^  um  fo  me^r  SSeran^ 
laffung,  al^  er  felbft  ber  SJerfaffer  bed  entfpred^enben  Sapitel^ 
in  bem  SBerfe  bon  ©d^orting^uid  »ar,  »ie  biefer  in  einer  ber 
fpäteren  9u#gaben  mitt^eilt.  ^c^^alb  n)irb  e^  und  loeniger 
barauf  anfommen,  load  3ru(^erud  je^t  jur  ©ac^c  borträgt;  um 
fo  intcreffanter  finb  bie  folgenben  Semcrtungen.  „9Kan  barf, 
fagt  er,  nic^t  benlen,  ba^  alle  Arten  bon  SBcfenncrn  gottedfürc^tig 
finb,  biclme^r  mu§  man  bie  eine  ärt  für  Sinber  ©otted,  unb 
beten  ©egent^eil  für  ttjeltüd^e  SReufd^en  galten.  35enn  im  anbern 
fJfoQe  mügten  ungleiche  äBege  ju  ber  ©eligfcit  führen,  toad  mit 
ber  ©d^rift  ftreitet.  Sluc^  ^aben  mir  @runb  ju  urt^eilen,  bag 
unter  ben  üerfd^icbenen  Arten  rechtgläubiger  ©efenner  bie  foge^ 
nonnten  ^Jcinen  meift  eckten  ©liebem  ber  flirc^e  glcid^en.  35amit 
{oU  ntd^t  gefagt  fein,  bag  aQc,  n^eld^e  als  geine  angefel^en  n)erben 
Dber  fi^  ju  benfelben  l^alten,  aufrid^tige  S^riften  finb.  ^enn  t^ 

I.  22 


338 

tüirb   mand^mal   ^inter^cr  offenbar,  bafe  SJJan^e  ftc^  auf  3^ 
j^eud^lerifc^  untemorfcn  ^aben.    Umgclcljrt  tft  äujugcftc^cn,  bafe  . 
tt)a{)rc   ©otte^fürc^tifle    lönnen    gefunben    toerben,    tüdc^c  aui^ 
fletfd^Ud^er  Stug{)ett  ober  3J2enfd^enfurd^t  ober   aitd^ 
auö  ungcgrünbetem  SSorurt^eil  fid^öon  bcn  geincn  jurü*^ 
galten  unb  beren  ?ßartct  nic^t  crtuä^lcn.  Sillein  äße,  loelc^c  man 
für  toa^re  5^omme   galten  foß,  muffen  mit  bcn  geinen  einerlei 
@efinnung  unb  S93eg  ^aben,  unb  muffen  fic^  gegen  bie  entfd^eiben, 
n?elcl^e  inbcm  fic   ben  SBeg   ber  geinen  lennen,  pc  eben  barum 
Raffen.    SSieQeid^t  mag   einer  beuten,  bag  man  burd^  fol^e  Sc* 
ftimmung  öiclc  SRenfc^en,  bie  gerabe  nid^t  ju  ber  Partei  gehören, 
unb  gleic^tüo^l  nod^  uiet  @ute§  an  fid^  ^aben,  tocrurtl^cilt  unb 
bamit  ju   loeit  ge^t.    ?inein  bicfer  Umftanb  Verbietet   jene  Sc» 
ftimmung  ebenfomenig,  atö  bie  proteftantife^c  Äird^e  Unre^t  f)at, 
fid^  für  bie  \oaf)xc  Äird^e  ju  erflären  mit  Stuöfd^licfeung  fo  öicicr 
]^eibnifd(er  SSötfer,  Und^riftcn  unb  ©ccten.  5)enn  bie  Äcnnäeidjen, 
ttjeld^e  für  bie  (Sc^t^eit  unferer  Sirene  angeführt  locrben,  lajfcn 
fic^  bei  feiner  8lrt  oon  Sefcnnern  in  fold^cr  ^aft  fpfiren,  toit  6ci 
ben  geinen  ^).    ©ie  finb  bie  SRed^tgläubigftcn,  nid^t  blo^  imSer« 
gleid^  mit  ben  Untunbigen,  unb  mit  benen,  Ujeld^e  t^eilrocife  nic^t 
redjtgläubig  finb   in  §infic^t  ber  ©trafgerec^tigleit  @otit&,  bct 
endigen  SSorl^erbeftimmung,  ber  SBiebergeburt,  ber  ©nabenempfifl- 
bung,   ber  9KögIid^!cit  uon  SSerfi^erung ;  fonbern  auc^  im  SScr^ 
gleid^  mit  ben  Wed^tgläubigen  unter  i{)ren  ©egnem.    35enn  i^w 
Segriffe  ge^en   me{)r  auf   bie  ®rniebrigung   beö  äKcnfd^en  unb 
bie  SSer^crrlic^ung  @otte§  ^inauö,   unb  if)re  ?luffaffung   ift  l^ 
benbiger  unb  gciftlid^er  unb  ifjre  JRebe*  öerrätf),  ba^  ftc  öon  bem 
§errn  gelcf)rt  finb.  SBirb  XDaf)xt  ©ottfeligleit  ju  bcn  Äcnnsei^cn 
ber  Üird(e  gered(net,  mo  foU  biefelbe  außer  bei  ben  gcincn  je^ 
funben  ttjerben?    ©ie^t  man  nämtic^  öon  ben  ?ßrofancn  ab,  fö 
ift  bie  bürgerliche  grömmigteit  auf  Äeufeerlic^feiten  gerid^tct,  uö* 
üotlftänbig,  bef^ränft,  gefefelid);  bei  ben  gcincn  hingegen  finbet 
man  ©ottfeligteit,  n^el^e  innig,  umfaffenb,  cbangelifd^  ift.   ®^ 
motten  nid^t  uer^c^len,  baß  unter  ilinen  atterlei  Äbmcid^ungcn,  jö 
auc^   grobe  ©ünben,   bie   mit  bauernbem  SSorfoJ  9^' 
pflegt  n)erben,   Dorfommen.    ?lber  obrool^l  ©ottlofigfcit  ^^ 


1)  93el  btefer  ©elcQen^elt   erfS^rt  man,  bog  biefer  Kufibnid  ouit  ^^^ 
4,  1.  2  entlehnt  ift. 


339 

©ünben   ctnanbcr  tütberfprcc^cn,  fo  fönncn  bod)  bicfelbett  glcid^- 

ttjo^l  mit  cinanbcr  flehen,   toie  SBct^^cit  unb  %f)ox\)eit,  ©laubc 

unb  Unglaube,  ttjcnn  bie  ©ünben  gegen  bie  Steigung  unb  Slbjic^t 

pnb,   toa^   burc^  bie  SRcue  unb  Seibwcfen   anbeten   SJienfc^en 

offenbar  ttjirb.    5)enn  ttjenn  ba^  ©ünbigen  bie  ©ottfeligen  t)cr* 

roerflid^  machen  folltc,  fo  fönntcn  nod^  Diel  ttjenigcr  i^re  ©egncr 

gelten,  »eld^e  feine  'S8etrübni§  nac^  ©Ott  unb  feine  Sefe^rung 

lunb  geben.  Unb  in  jenem  ^öIIc  ttjürbe  e§  überl^aupt  feine  @otte8» 

fürd^tigen  geben,  ferner  ber  ©ebrauc^  ber  ©acramentc  ate  üenn^ 

jeic^cn  ber  Sirene  erfolgt  bei  ben  Uebrigen  auö  fleifc^lic^er  Älug* 

i^eit  unb  jum  gefefelid^en  3^^^*  ^^i  ^^^  5^^^^"  I^t^od^  mit  Uebcr* 

legung  i{)red  ^ecf)te^   ba}U,  jur  ©tärfung   \f)xc^  ©laubems  unb 

Scförberung  i^rer  Heiligung,  nid^t  o^ne  Vorbereitungen,   ©lau* 

ben^übungen  unb  9la($betrad^tungen.    SBeiter^in   bient  jur  93e* 

Joä^rung  be§  SSorjugg  ber  gcinen,  ba^  i^r  ©tanb,  SBeg  unb 

t)erborgene  Erfahrungen  ben@egnern  unbefanntunb 

iintcrftänblic^  ftnb,  »ä^renb  fie  felbft  ben  SBeg  i^rer  ©egncr 

f  cl^r  too^l  fcnnen.  Snblid^  ücrglcic^e  man  öeibe  in  §infid^t  i^reg 

Sluögangd  auö  biefer  SBclt!    SBäf)renb  bie  Se^teren  entujcbermit 

©ctoiffenöangft   ober  mit  forglofcr  ©leic^gültigfeit  fterben,  ftnb 

i>ic  (Srfteren  mutl^ig,  frö^lic^  unb  ttjunbcrbar   getroft  auf  bem 

SBege  j^ur  ®tt)igfeit,  unb  i^re  ©terbebetten  ftnb  Sir iump^ betten 

xxnb    5ßrcbigtftüf|le.    öeifpiele   bafür  beizubringen   ift  unnöt^ig, 

i>cnn  bie  Srfa^rung  liefert  fie  im  Ueberflug." 

Äug  biefen  bentwürbigen  Srflärungen  ^ebe  id^  brci  c^araf:= 

t^xiftifc^c  ?ßunfte  ^erüor,   bie  Unfä^igfeit  beö   öerid^terftatter^, 

ctrtbcre   aU  fc^led^te  STtotiüe  bei  benjenigen  ©otte^färd^tigen  am 

5%uiicf)men,  Ujelc^e  fic^   üon  ber  5ßartei  ber  geinen  jurüdf galten ; 

^rocitend  bie  9la^fid^t  gegen  Dorföglic^e  grobe  ©ünben  bei  biefen, 

xoeld^e  beS^alb  nid^t  ald  abftc^tlic^e  gefd^ägt  n^erben,  loetl  fie 

itn^iner  bereut  toerben;  enbli^  bag  äwfl^ftänbniß,  ba^  bereu  8Hd^* 

tixitg   ben   anberen  üird^engliebern  unüerftänblid^   bleibt.    3)iefe 

"X^atfad^c  nun  »irb  burc^   3o^.  14,  22.  23  ni^t  gered^tfertigt, 

n>cil  cg  eine  Srfc^leid^ung  ift,  bafe  bie  geinen,  inbem  fie  fic^  felbft 

t>oit   ber  SBclt  au^ne^men,  bie  anberen  Siird^englieber,  aud^  bie 

^otte^fürd^tigen   unter  i^nen,   für  SBelt  erflären.    SJiejenigen, 

'ttJeld^c  jur  Äirdje  gel^iJren,   ^aben  öielme^r   ben  Änfprud^,  ba§ 

"^^ncn  bag  E^riftent^um  öerftänblid^  gemacht  toerbc;  fonft  ift  bag* 

V       \^lbe  nic^t  bie  SBeltreligion.  ffiine  gorm  bed  El^riftentl^umg  aber, 


340 

lüclc^c  unöcrftänbüc^  ift  unb  bleibt,  trägt  barin  baö  SRerfmal  bcr 
Unrid^ttgfcit  unb  aSer)^robent|cit.  Sttlfo  entfpric^t  bicfcr  ^ictiömug 
nid^t  ber  JBcftimmung  ber  Äirc^c;  fonbern  er  ift  im  ©runbe 
tüibcrfirc^Iic^.  @ö  ift  alfo  fein  SBunber,  bag  ber  Änfprud^  bicfcr 
,,$artci",  gcrabc  firdjlic^  ju  fein,  nur  baju  beiträgt,  bie  ?tnbcrcn 
ber  üird^e  ju  cntfremben,  unb  bie  fiird^c  ju  jerfe^cn. 

S)ie   eigentpmlid^e  ^arteilid^feit  beS   ^ictidmu^   erfd^ctnt 
innerf)Qlb   ber  Slcugcrungen  t)on  Srud^crud  noc^  barin,  ba^  bie 
©efa^ren,  njcld^c  bie  8iid^tung  für  mand^crlei  SKenfc^en  barbictet, 
ftet^  uertufc^t  ttjcrben,  n)ä^rcnb  bie  gefä^rlid^e  Sage  ber  Änbcrcn 
nid^t  umfaffenb  genug  bargeftcßt  toerben  lann.    5)cr  $ictii8mu3 
aber  fd^lie^t  ebcnfo  ttjie  jebe  anbere  particulare  Seben^form  An* 
löffe  jum  ÜRigbraud^    in  fic^;  unb   n)cnn  aud^  feine  Stn^ängcr 
nic^t  ftc^,  fonbern  nur  bie  änberen  jur  SBelt  red^nen,  fo  gehören 
fic  bod^  in  bem  ©innc  felbft  baju,  alö  i^r  ©emeinttjcfcn  eigen* 
tpmlid^e  SBerfuc^ungen  mit  fid^  fü^rt.    %\lc^  nämlid^  ift  SBcIt, 
tüaä   üerfud^crifd^c  Situationen  ^erDorruft,  unb  Sieiner  ift  ber* 
felben  barum  enthoben,  büß  er  fid^  bicfeö  verbirgt.  ®ie  Cmbcner 
?ßrebiger  burftcn  bei  il^rem  5ßreife  ber  geincn  aU  ber  eigentlichen 
Vertreter  ber  reformirten  Äird^e  tjorfi^tiger  öerfal^ren,  wenn  fie 
fid^  erinnerten,  baß  gleichzeitig  if)re  Sanbcöürd^e  burd^  einen  @cc^ 
tirer  bcunrul^igt  tourbe,  beffen  SEtraöaganjen  beutlid^  i^ren  rc* 
formirt-pietiftifc^en    Urfprung    Dcrrattjcn.    §  i  n  b  e  r  I   (^mxii)) 
3anffcn,  ttjegen   feiner  Seibeögröße   genannt  „fiange  ^inberi" 
auö  greepfum    bei   ffimben*),   ein  SBauer,   »eld^er   1740   cttpa 
55  3a^re  alt  mar,  uon  §aufe  auö  lut^erifd^,  xoax  jur  reformirten 
^\xd)c  übergegangen.  2)urdö  fromme  Haltung.  Äaltblütigleit  unb 
breifte  S3crcbtfamleit  gelang   e^  i^m,   einen  Änf)ang  öon  etwa 
100  ©eelen  ju  werben.    3n  i^nen  meinte  er  ben  ©tamm  jubcr 
nottimenbigen  ^Reformation  ber  ^irc^e  gewonnen  gu  ^aben.   3Wt 
biefem  ©rfolgc  fotite  aud^  bie  SBefe^rung  ber  Reiben  unb  3»bcn 
jufammcntreffen.    ©eine  änfid^t  öom  Seben  »ar  beftimmt  bnrtS 
bie  calüinif^e  ße^re  Don  ber  boppelten  ?ßräbeftination.  Aber  in* 
bem  er  @ott  alö  ben  fouueränen  ^crrn  badete,  loelc^cr  mit  ben 
aWenjcljen  machen  fann  toa^  er  miH,  fo  öerftanb  er  biefcn  ®<^t 
mit  üöQigem  Sluöfd^lu§  ber  SSeranttoorttid^feit  ber  ÜÄenfc^en.  ®'^ 
aWetap^^ftt  biefeg  ©auern  geftattetc  i^m,  auf  bie  Sebeutuns  ^^ 

1)   Sgl.  Acta  historico-ecolesiasiica   £^eil  25.    6.  18  f.  Xt^l  ^- 
©.  212  f.  (^anb  5.)  aOeimar  1741. 


341 

causae  secandariae  ju  t^etitc^ten  unb  bte  erftc  Urfad^e  allein  jur 
(Srilärunfl  bcr  böfcn  lüie  bcr  guten  ^anblungen  ber  SWenfc^en  ju 
üermcnben.  5)emnacl^  lehrte  er,  bafe  bte  ©ünben  ber  aWenfd^en 
als  erfc^eincnbc  ^anblungen  SBirfungen  ©ottcS,  unb  baß  fic 
©ünben  nur  in  ber  SSorfteHung  ober  Sinbilbung  bcr  äRenfc^en 
ftnb.  2)ie  SBert^beftimmung  bcr  ^anblung  ald  ©ünbc  gcl&t  aber 
©Ott  nid^t  an,  ba  er  mit  bem  aJicnfd^cn  nad^  feinem  SSeliebcn 
fd^attcn  fann.  ffibenfo  befielt  bic  Sele^rung  einfad^  in  ber 
©dbftoffenbarung  ©otteS  an  einen  äRenfc^cn,  wobei  fein  SBunfc^ 
unb  ©ebct  mitmirft.  35e^^alb  fönncn  auc^  fiinber  ©otteS  im 
©Uten  nic^t  ftillc  fte^cn,  noc^  t^iel  toeniger  barin  gurüdge^cn, 
fonbem  fic  ftjad^fen  ftctS  in  ber  ©nabe,  aud^  toenn  fic  in  grobe 
©finben  fallen,  n^eld^e  ©ott  i^nen  ju  i^rcr  ^emütl^igung  be^ 
reitet  ^), 

3)cr  Urf)ebcr  biefcr  Se^re,  locld^em  bie  unter  ben  geinen 
gehegte  fRcd^tgläubigfeit  jum  gaUftridE  geworben  ift,  fa^  fid^  in 
feiner  rcformatorifc^en  ?lbfic^t  für  ein  unmittelbare^  Organ  ©otteS 
an,  unb  feine  Änl^änger,  Sänge  ^inberfö  SSolf  genannt,  begannen 
bic  Sieformation  bamit,  bag  fic  ben  öffentlichen  ©ottedbienft 
ftörten  unb  bic  5ßrebiger  mit  lauter  ©timme  bcr  fiügc  jic^cn- 
au  tt)cber  ber  Soetud  (ber  reformirten  ^ßrebiger j  in  Smben,  nod^ 
baö  fürftlic^e  Sonfiftorium  mit  §inbcr!  fertig  »urbe,  öcrurt^ciltc 
man  i^n  am  31.  ?luguft  1740  jur  Sanbeöt»crtt)eifung,  mit  ^n^ 
bro^ung  fc^wercr  SeibeSftrafen  bei  feiner  SRücKc^r.  ffir  crflärtc 
barauf,  nic^t  ge^ord^en  ju  moQcn.  ^ic  Siegicrung  lieg  i^n  alfo 
ilbcr  ben  2)ollart  fal)rcn  unb  in  ber  ^rouinj  ©roningen  an'S 
Sanb  fe^en,  unbeforgt,  ob  er  nic^t  \>cn  bortigen  frommen  jur 
öerfuc^ung  gcreid^en  fönntc.  SlHcin  er  erfparte  i^nen  biefelbe, 
inbem  er  nad^  einigen  ZaQcn  in  feine  §cimat^  üurüdftef)rte.  SSor 
©eric^t  geftcUt  befannte  er,  fein  ^immlijc^cr  SSater  i)abc  i{)m 
leinen  S3eruf  gegeben  anberiSroo  ju  lcl)ren,  uiclmel)r  ju  il^m  gc* 
fprod^en,  er  foQc  n)ieber  nad^  $aufc  ge^en;  übcrbicS  l^abc  er  ba^ 


1)  Diefe  (Sebontentoerbinbung  erinnert  an  bte  fie^re  beS  ^rebigerS  $on« 
tiaon  toon  Rattern  (gefl.  1706).  toeld^er  eine  ^nja^l  Don  tlntjfingern  natnentlidd 
in  Seelanb  gefunben  ^at  (Ypeij  en  Dermout  III.  p.  124).  ^iefe  tote  einige 
anbere  (Sruppen  mit  aparten  ^nfi^ten,  bie  in  jener  Seit  auftreten,  ge^jören  ni^t 
in  bte  pietifiif($e  Bewegung,  »eil  i^nen  bie  ^bfi^t  auf  9iefotm  ber  ftird^e 
mangelt 


342 

^eim  einen  gemfifteten  Dd^fen,  ben  iDoHe  erDetje^ren;  ed  feiaud^ 
ganj  unnü|,  tl)m  ba^  Sanb  ju  verbieten,  ba  baffelbe  in  t)ier 
Sauren  Demflftet  fein  njcrbe;  bann  werbe  i^n  bod^  SRiemanb  an 
ber  8iüdfe]&r  l^inbern.  35ie  {Regierung  fanb  lein  STOittel,  i^n  in 
feinem  ©efd^äfte  ju  ftören.  ©eine  2lnt|änger  enthielten  ftd^  bed 
öffentlid^en  ©otteöbienfte^  unb  ber  ©acramente,  weil  biefe^  gc* 
fe^lic^e  Drbnungen  feien,  über  bie  fie  fclOft  t|inau§  wären.  3n 
if)ren  Sonöentileln  taufd^ten  fie  alö  göttlid^e  Offenbarungen  aud, 
wog  i^nen  über  einen  vorgelegten  ©ibeltcjrt  einfiel.  S)a§  fitl^ 
ein  abftc^tlic^er  Slntinomiömuö  an^  i^rer  Sefirweife  ergeben  f^abz, 
wirb  nic^t  berid^tet.  35arf  man  auä  biefem  ©tiCifd^weigen  einen 
Sewei^  bafür  nehmen,  bafe  fie  nidjt  in  antinomiftifc^c  ^olqt^ 
Hingen  Verfielen,  fo  ift  baö  eine  rül^mlid^e  ^obe  bavon,  wie  un* 
eigennüfeig  alfo  wie  ec^t  bie  SUJetapl^^pt  i^i^f^^  Sauern  war.  SBie 
lange  biefelbe  öorgel^alten  l)at,  barüber  fe^lt  bie  Sunbc.  Aber 
Wenn  nic^t  in  ber  angelernten  SRed^tgläubigfeit  ber  birecte  An* 
trieb  jur  metapl^^fifc^en  ©rübelei  gelegen  ^ätte,  fo  war  bie  3tr^ 
le^re  ^inberF«  nic^t  möglic^.  S)iefe^  nun  ift  ben  Cmbencr  $re* 
bigern  unb  allen  i^ren  ©efinnungSgenoffen  verborgen  geblieben. 


17.  2)ie  t$<^rtfe^uttg  bed  ^ietidutud  bid  ju  feiner  Souftituinuift 

aU  fe^arirte  ftirc^e* 

35er  5ßietigmu8  in  ber  rcformirten  flird^e  ber  Slieberfanbe 
verläuft  in  jwci  ©tufen.    SRad^bem  biefelben  t^rc  S)arftdluii9 
gefunben  ^aben,  wirb  eö  möglich  fein,  i^r  gegenfeitigeö  SSer^ältniB 
voUftänbig  ju   beurt^eilen.    35er  ^ieti^mu^  entfpringt  au8  bct 
bem  SalviniömuS  eingeborenen  Aufgabe,  alle  Äird^enmitglieber  5^ 
ber  ftrengen  weltflüd^tigen  ©itte  unb  ber  gefe^Ud^cn  SSoHfommci^*' 
l^eit  anju^alten,  Welche  Von  SSoet  unter  ben  glcid^geltenben  %\i^}^ 
ber  5ßräcifität  unb  beö  5ßuritani^mu«  gemeint  ift.    S)ic  Si^^^» 
welrfje  ber  genannte  X^colog  bei  feiner  Abfielt  auf  3tefonnott*>]^ 
ber  ftirc^c  inne  ^ält,  ift  noc^  nid^t  pietiftifd^,  fonbem  rein  cai^^* 
n\\6).    ffir  ift  nämlid^  einmal  vöQig  naiv  in  bem  SSertraucn   ^^* 


343 

btc  Stuöfül^rbarlcit  biefcr  ^Reformation,  unb   öcrftel^t  femer  btc 

ßefc^ltc^e  5ßräcifitäf  ate  bie  5ßrobc  ber  d)riftlid^en  g^ct^eit  unb 

®ottc§finbfc^aft,  o^ne  ein  bcfonbercö  ©trcbcn  noc^  lebhaften  ©e- 

fü^I^inbrüden  Dom  ©nabenftanbc  ju  Dcrrat^cn.    35icfer  ?ßurita* 

ntömuö,  mcld^er  mit  bor  2)ortrecl^tcr  Ort^obofic  tjcrbunben  »ar, 

ift  inncrlid)   bor    glcidinamigcn   ©rfd^cinung   in    ber  cnglifd^en 

ftird^e   burd^auö  gleirfjartifl.    2)a§   man  icbod^  regelmäßig  nur 

öon  ber  lefetcni  etftja^  mci§,  ift  barauö  ju  crHärcn,  bafe  e^  bem 

cnglifd^cn  ^uritani^muö  oblag,  bie  ftreng  calöinifd^en  ©runbfäftc 

ber  Äird^enücrfaffung   gegen  bie  bifc^öflid^e  Drbnung   ber  eng* 

lifd^en  Siirc^e  burd^jufec^tcn.  3cne  SJerfaffung  ftanb  für  bie  nieber» 

länbifd^e  Äird)e  im  ©onjen  feft;   unb  ber  Heine  itrieg,  ttjelc^en 

bie  ©efinnungögenoffen  uon   SSoet  gegen   bie  öereinjelten  @in* 

mifc^ungen  ber  ftaatlic^en  unb  eommunalen  ©etoalten  in  firc^^ 

lid)c35inge  führten,  um  bie  ©eltung  ber  ^ßrciSb^terien  unb  ©^n* 

oben  öoUftänbig  burd^jufüliren,  ^at  toenig  @cmd)t  im  SSergleid^ 

mit  ben  firc^lic^cn  unb  swflkid^  ftaatlid^en  kämpfen  in  ©nglanb. 

5)ag  eigcntlid^e  g^lb,   auf  weld)em  fid^   ber  ?ßuritaniömu^  öon 

SBil^elm  leeHincf  unb  SSoet  ju  bcnjä^ren  ^atte,  »ar  bie  SBolfö^ 

erjie^ung.    3"^"  ^ßietiiSmu^  aber  ttjirb  biefer  nieberlänbifd^e  ^u^ 

ritani^muö,   inbem  Sobenfteljn  bie  ?ßräcifität  burd^   bie  an  bie 

SK^ftit  ftreifenbe  §eiUorbnung   ber  formalen  ©elbftöerleugnung 

3U  ergänjen   ober  ju  unterbauen  unternimmt,  ju  biefem  3^ecfe 

und)  baö  tjon  SB.  SeeHinc!  erneuerte  ajiotit)  beö  ©trebenö  nad^ 

icm   gefüllten   Umgang  mit  bem   SBräutigam  ber    ©eele,   bem 

^crrn  3efu§  ^injufügt,  unb  ben  3mpulg  jur  ©ittenftrenge  burd^ 

bie  9lorm  ber  primitioen  Äird^e  öerfc^ärft  ttjiffen  njiÜ.  35ie  2lna* 

Cogic  biefer  Kombination  mit  bem  3nbepenbenti^muö  in  Snglanb 

tft   cbenfo   unüerfennbar,  tt)ie  ber  Slbftanb  jmifc^en  bem  ftiHen 

litrcc^ter  ^rebiger  unb  ber  ioelterfd)ütternben  SRac^tber  reöolu^ 

:ionaren  Srfc^einungen  in  Snglanb.   JBciben  aber  ift  gemeinfam, 

>q6    fic  bie  ^Reformation  ber  iiirc^e  in   berfelben  SRid^tung  er* 

trcbcn,  welche  bie  SBiebertäufcr  unb  bie  i^nen  üorangegangenen 

irc^Iidtjen  ^Reformer   im   SRittelalter  eingefd^lagen   ^aben.    35ie 

Belegung  in  ben  5Rieberlanben  toirb  baburd^  ucrftärft,  baß  Sa* 

JQbic  bie  Sbeale  ber  mt)ftifd)en  ©elbftuerteugnung  unb  ber  pri* 

nitioen  Äird^e  birect   auö  feiner  fat^olifd)en  SSergangen^eit  in 

bie  burc^  SSoet  unb  burc§  Sobenfte^n  geleiteten  Äreife  Ijincin* 

Xöirft. 


344 

S)ie  et)angclifd^c  9lic^tung  beS  niebcrlänbtfd^en  $tetidtnud, 
tüte  ftc  feit  1672  fi^  öon  ber  gcfefelic^cn  ?lrt  beffclben  fd^etbct,  öcr^ 
jid^tet  auf  bie  btrcctc  Slbfid^t  ber  {Reformation  ber  ©ittcn  in  bcr 
öffentlid^cn  Äird^e  cbcnfo,  mic   auf  ben  birecten  ©eparatiSmu^, 
in  ben  fiababie  auSgemünbet  n^ar.    Sdlein  aud^  bie  eüangelifc^n 
5ßietiften  l^ötten   an  ber  Strenge  unb  ?ßräcifität  ber  catoinifc^en 
;  ©itte  in  ber  SSerttjerfung  be^  5Canjen^  u.  f.  tt).  feft.     Unb  loenn 
auc^  Srafel  bie  Äir^e  für  irreformabel  erflärte,  fo  ^at  bod^  bie 
Unterlaffung  ber  Separation  Don  ber  rechtgläubigen  Ifirc^c  unb 
bie   ©rttjartung  i^rcr   glänjenben  ^erfteUung  in  ber  legten  3^ 
bie  Sebeutung,   ba§   aud^   biefe  Älaffe  ber  5ßietiften  inbirect  fflr 
bie  {Reformation  ber  ftird^c  intercffirt  blieb.    Aber  eben,  »eil  fte 
ftc^  auf  biefe  Sinie  beö  3ntereffe^  an  ber  Äird^enreform  jurflct 
jogen,  fo   tritt  i^r  ©treben  nad^  bem  geffi^ldmögigcn  Umgang 
mit  bem  $errn  3efu^,   biefe  ?ßrobe  be^  ©nabenftanbcg,  in  ben 
SSorbergrunb ;  unb  inbem  biefeö  3^^^  ^^^  üorgefc^rtebenen  (Kn* 
prögung  ber  üoQftänbigen  gefc^öpflic^en  9lid^tigfeit  unb  Unfähig« 
feit  äum  §eil  abgettjonnen  merben  foll,  fo  ift  bie  eüangelifc^e  Art 
biefer  JRid^tung  auf  eine  ©elbftbeobad^tung  unb  ©emüt^^uälerei 
angcnjiefcn,  ttjelc^e  nid^t  minber  peinlich  fein  mu^te,  ate  bieSoP 
fc^rift  ber   gefe^lid^en  ?ßräcifttat.     5)enn  eöangelifc^  toar  biefe 
SKet^obe  nid^t  im  ©inne  ber  {Reformation  be^  16.  Sa^r^unbert«; 
öielmel^r   befte^t  fie  barin,  baß   ein    mittelaltrigeS  TOotiü  ber 
grömmigfeit,   n^eld^e^  ftd^  freilid^   aud^  auf  bie  ©nabc  (Sottet 
grünbet,  bem  eüangelifd^en  ß^arafter  be^  Eatoini^muiS  untcrge^ 
f droben  »irb.    SJiefc  SJKetljobe  nämlid)  finbet  \i)x  näd^fte^  SSorftilb 
an  ber  35eüotion,  loelc^e  in  ben  Käufern  ber  ©ruber  unb  ©^»efle« 
beiS  gemeinfamen  Sebenö  unb  in  ben  filöftem  ber  SBinbe^leiw* 
fd^en  Kongregation  regulirter  ?luguftiner  loä^renb  be«  14.  unb 
15.  Sal^r^unbertd  in  ben  SRieberlanben  gcblü{)t  ^ot »).  «uc^  iW 
Seöotion  beftanb  in  ber  ^Pflege   ber  Siebe  ju  bem  gefreujigten 
§eilanb  atö  bem  Bräutigam  ber  ©eele,  nad^  ber  Änloeifung  W 
l)eiligen  35cml)arb.    3ene  Kongregationen  pnb  burd^  bie  rcfor^ 
matorifc^e  JBettjegung   im   16.  3o^rt)unbert  »eggefegt   worben. 
Slbcr   »enn   man  mit  il&nen   bie  Sonuentifel  beö  cüangclift^^ 
^ietiömuö  ücrgleid^t,  meldte  150  Sa^te  banac^  auftreten,  fo  P^' 


1)  iSgl.  baS  oben  @.  20  angeführte  3Ber(  übet  bai  ftlo^  8«  ®^"^ 
^etm  t)on  ^cquot^. 


345 

e^  faft  [o  Qud,  a\§  tpenn  jene  (Srfd^cinungen  beS  mittelaltrigcn 
ftatl^olicigmuö  in  bcr  rcformirtcn  Äird^e  tpicbcr  an^  bcm  SRcbcI 
auftauchen,  in  Ujeld^cm  fic  bcrcinft  tocrfd^ttjunbcn  ttjaren.  Diefcr 
CinbrudE  ift  ja  nidbt  bcr  SBirflic^feit  entfprcc^cnb ;  bcnn  bic 
aRcnfd^cn  finb  nac^  toicr  biö  fünf  ©cncrationcn  nid^t  bicfclbcn; 
unb  man  fann  nic^t  nac^ujcifcn,  baß  eine  bcftimmte  Ueberliefe* 
rungbie  beiben  ©ruppen  mit  cinanbcr  toerbinbet.  Allein  in  ber 
Cmpfängli^feit  für  biefc  grömmigfeit  muß  baö  fpätcrc  ©efc^lec^t 
bem  frühem  gleid^  geblieben  fein.  9(tö  bei^l^alb  bie  aus  ber 
Quelle  \>e^  l^eiligen  SBern^arb  ftammenben  9Kotit)e  ber  Devotion 
wieber  erneuert  Ujurben,  fanben  fie  bei  jal^lreid^en  ©liebern  beS 
nicbcrlänbifc^en  SSolfeS  fo  fräftigcn  SEBiber^all  unb  fo  bereite 
Äufnal^me.  Äud^  getuiffe  Äeußerlid^fciten  finb  in  ben  beiben 
@ruppen  gcmeinfam.  Sinmal  fommen  bie  gteid^en  Su^brüde 
^S)ct)otion"  unb  „Änbad^t  üben"  (oefenen)  ^ier  toic  bort  toor; 
ferner  Ujirb  in  bem  einen  n)ie  bem  anbern  Äreife  forgfältigcr 
SBcrid^t  über  bie  legten  Sieben  erftattet,  toeld^e  bie  gö^^cr  auf 
bem  ©terbebette  au^gefprod^en  ^aben.  ©o  anjiel^enb  bie  einzelnen 
Umftänbe  biefcr  ©leid^^eit  jtt)ifd^en  ben  frfil^eren  unb  ben  fpäteren 
®ct)oten  finb,  fo  ift .  anbererfcitö  ein  aWerfmal  ber  Ungleichheit 
unöcrfennbar,  tocld^e  m^  bem  Unterfd^icbe  ber  fat^olifd^en  unb 
ber  reformirtcn  Äird^e  entfpringt.  Die  flöfterlid^en  unb  ^alb* 
flöfterlic^en  (Songregationen,  in  Welchen  fid^  bie  ®et)oten  in  ben 
Sa^r^unberten  bed  SRittelalterS  jufammenfanben,  ^aben  bieOrb« 
nung  in  ber  bamaligen  j^ird^e  nid^t  geftört;  t^ciliS  n^eil  biefelbe 
auf  biefe  Snftitutionen  grunbfäglid^  eingerid^tct  n^ar,  tl^eils  meil 
bie  ©eöoten  nac^  ben  ©efd^lc^tcrn  getrennt  ttjaren.  2)ie  rcfor* 
mtrte  ftirc^e  l^ingegen  ift  burd^  bie  Sonücntifcl  auf  bie  empfinb^ 
lic^fte  S33eife  jerrüttet  tt)orbcn.  Daö  fommt  nic^t  bloö  bafjer, 
bal  biefe  Äird^e  nid^t  auf  bie  Äbftufung  »eltlid^er  Äird^lid)feit 
unb  ^ö^erer  ^römmigfeit  angelegt  ift,  fonbern  ift  aud^  baburd^ 
bebtngt,  bag  in  ben  Sonüentifeln  beS  eoangelifc^en  ^ietidmud  bie 
Trennung  ber  ©efd^led^tcr  ni^t  aufredet  erhalten  tourbe.  (£^  toax 
ein  richtiger  %att,  in  ttjeld^em  SSoet  biefelbe  Drbnung  für  bie 
Sonüentifel  üorfd^rieb,  n^elc^c  er  für  \>a§  Zangen  geltenb  mad^te. 
Snbeffen  ipurbe  gerabc  biefe  Orbnung  ber  Snbad^tMbungen  burd^ 
bai^  SSorbilb  Don  fiabdbie^d  coenobium  yvvaiTcavdQiy.ov  hinfällig. 
S)te  Sonüentifel  bed  eüangelifc^en  ^ieticfmud  toaren  für  beibe 
®ef^lec^ter  gemcinfam.     ÜRan   fann  aud^  nic^t  um^in,  bartn 


346 

minbcftcng  einen  SRebcngninb  für  il^rc  ftarfe  ßu^ö^me  ju  crfcnncn. 
S)ag  tt)cltlirf)e  Sntcreffe  an  bcr  ©efeÜigleit,   ttjeld^cm  burd^  bcn 
calDinifd^cn  Quq  bcr  ^crrfd)enbcn  ©itte  bic  natfirlid^en  SÄtttcI 
cntjogen  tt)urbcn,  fe^tc  fid^  gerabc  in  ben  Snbac^töübungen  bur^. 
S)ic  ©efd^Iec^tcr,  bie  nid^t  mit  cinanber  tonjen  burften,  fa^cn  unb 
fud^ten  fic^  unb  intcreffirten  fid^  für  einonber  in  bcr  ©prac^e 
Kanaans  unb  in  bcn  gemcinfamen  Sntjüdungcn  für  bcn  @ee(en« 
bräutigam.  Snbem  bic  Slnrcgungcn  bicfcr  Art  fid^  mit  bem  eüon* 
gelifdjcn  ^ßictiömuö  öcrbanbcn  0/  fo  ^öt  biefe^  o^nc  ß^cifel  boju 
mitgeujirft,  ba§  er  über  bie  gefcfelic^e  ^räcifität  bcr  ß^itgcnoffcn 
SSüct'^  bic  Dber^anb  getoann,  unb  ba§  er  bic  jä^c  ffisiftenj  b^ 
l^auptet  l^at,   n)c(^c  i^n  uon  bcr  früt)crn  ©tufe  beS  ^ieti^muiS 
untcrfdjcibet.    Sludl)  bic  grömmigfcit,  \vd6)c  grunbfä^lid^  unb  in 
allen  möglid^en  83cäietjungen   auf  bie  SEBclt  SSerji^t  Iciftct,  mu^ 
irgcnb  ein   ©Icmcnt  n^cltlid^cr  Slrt  mit  fidj  toerbinben,  njcnn  fie 
eine  2)auer  burc^  ©enerationen  t)inburd^  ^abcn  foß.    3)ic  ^rfici* 
fität  öon  SSoct  unb  S^ceüindE  tüar  ju  fe^r  tücltfcinblic^,  afk  bog 
fie  fic^  in  ben  Sonöentifeln  l)ättc  behaupten  fönncn.    Dicfclben 
mußten  bem   allgemeinen  Sntereffe  bcr  ©cfclligteit  bicnftbar  gc* 
mac^t  ttjcrbcn,  um  ben  großen  Sinllang  ju  finben  unb  bcn  8m 
fpruc^   auf  ^errfd^aft  in  bcr  Äirc^e  ju  bcn)äl)rcn.    Diefer  Um* 
fcl)tt)ung  bcr  „feinen"  ift  einmal  baburd^  bejeid^net,  baß  fie  im 
18.  Sa^rfjunbert  ben  ©d^riften  Don  SBil^clm  S^eeUindE  gar  feinen 
©cfc^modE  mcl^r  abgeujanncn^);  ferner  burdö  baö  auffattenbe  8c* 
fenntniß  toon  83rudt)eruö  (©.  338),  baß  in  i^rem  Äreife  auc^  grobe 
©ünben   mit  bauernbem  SSorfafte  gepflegt  tt)crben,  toeld^c  jebofi 
mit  bcr  ©ottfcligfcit  jufammen  fein  fönnen,  fofern  fie  nur  immer 
bereut   njcrbcn.     äRan  fann  fid^  l^ierübcr  nid^t  tt)unbcrn,  wenn 
man  bebenft,   baß  bie  „?ßartei"  bcn  E^araKcr  bcr  ©ottfcligteit 
auöfd^licßlid)  für  fid^  ju  behaupten  cntfd^loffen  war,  unb  bafe  bic 
äftt)etifc^c  ©rrcgung  burd^  bic  ©c^ön^eit  be§  $crrn  Sefuö  fciü 
äureid^enber  @runb  für  bic  fittlic^c  ©elbftäuc^t  unb  bic  ÄuSrot^ 
tung  Don  Untugenben  ift.    Stber  ein  Scnnäcid^cn  Don  Scrwclt^ 
lic^ung  ift  eben  biefe  nad^fic^tige  Seurt^eilung  Don  Dorfa|lic^c^^"^ 


1)  ®t4tel  ma^t  bie  Seobod^iung,  bag  Sababie  (aupiffic^nct  ben  Serfe^t 
mit  frommen  grauen  erjirebt,  unb  bofe  umgefe^rt  bie  ^ourignon  üon  ^xaiM^^ 
nichts  ^abe  »iffen  toollen. 

2)  Ypeij  en  Dermo ut  III.  p.  334. 


347 

toben  ©ünbcn,  b.  ö-  öon  l^abitucllcr  Untugcnb  bei  bcn  ©ottfcltgcn. 
Bürbc  tüo^l  fiobenftc^n  bicfcn  gaß  nod^  alö  Vereinbar  mit  bcr 
Jottfeligfcit  geartet  l)abcn? 

Äurj  man  fann  fic^  fd^tt)crlic^  tocrl^cl^lcn,  ba§  bic  Drganifa^ 
on  bcö  ^ietiömuö  in  bcn  Sonücntifcln  unb  bic  literarifd^  unan* 
efo^tcnc  unb  im  ©anjen  bominircnbe  ©tcllung  in  ber  Äir^c, 
cl^c  er  biö  in  bic  SMittc  bcS  18.  Sai^r^unbcrtö  cinnal^m,  in 
Hcn  Scjic^ungcn  eine  Slbnormität  barbot.  S)ic  grömmigfcit 
in*  unb  l^crgctt)orfcn  burd^  ein  lünftlid^cä  ©cfü^Iöftrcben  unb  bic 
aücrmeibli^cn  Abspannungen  ober  SSerlaffungen ;  baö  äRotiö 
rrfclben  eüangelifd),  aber  nid^t  im  ©inne  ber  ^Reformation  bc^ 
>.  3a^rt)unbertö,  fonbern  nac^  bem  ©efd^macf  ber  mittelaltrigen 
cöotion;  bic  grömmigfeit  ebcnfo  außer  ©tanbc,  bic  fittlic^cn 
cbingungen  ber  Heiligung  ober  d)riftli^cn  S^araftcrbilbung 
^cr  äu  ftellcn,  tt)ic  bic  erwartete  ©rfa^rung  bcr  ©ünbenüergebung 
ijuprägen;  eine  SRcdötgläubigfeit,  n^cld^c  öon  bem  »iberfird^li^en 
nfpruc^  auf  @eift  unterl)öt)lt,  unb  burd^  bic  Scrt^eilung  ber 
ttcl  ®rmät)lt  unb  SBern^orfen  auf  bic  eigene  ?ßartei  unb  bic 
•cgner  in  bcr  Äirc^e  mifebraud^t  n^irb;  ein  inbirecter  JBorbcl^alt, 
i§  man  jur  SRcformotion  ber  Äirc^e  bcred^tigt  fei,  bem  aber  feine 
Ja^I  ätocrfmäßigcr  äRittcI  entfpringt,  fonbern  bcr  fid^  nur  barin 
3icgelt,  bag  fc^licglid^  burd)  eine  n^unbcrbarc  t^ügung  bic  ^ird^c 
iim  9lcid^c  S^rifti  auf  @rbcn  üerüärt  n^erben  n^erbc,  in  n^cld^cm 
ic  ^ictiften  an  ber  ^errfc^aft  nic^t  me^r  burd^  i^rc  ©cgner  ücr^^ 
ittbcrt  werben,  —  baö  finb  bic  Qüqc,  ujcld^c  l^auptfäc^lid^  bcn 
t^araftcr  biefer  anfpruc^düoQen  frommen  auSmadjcn,  tocld^c 
talb  fcparatiftif^  fic^  für  bic  ganj  itird^lid^cn  galten.  Unb  tt)ic 
oUtc  i^r  ©tu^I  umgeftürgt  tt)crbcn? 

2)ag  3at)r  1749  ift  bcjcic^net  burd^  bic  erfte  au8ffi^rlid&c 
iterarifd^e  Seftreitung  ber  {Richtung  unb  burd^  bcn  gelungenen 
ttoc^meid  i^re^  SÄangelö  an  SRed^tgläubigfcit.  Qa  glcid^er  ß^it 
tfolgtc  bic  Snt^iillung  i^rcr  ^i^pofition  jfi  orbnungdmibrigen 
mb  in  bic  bloS  fiunlid^e  Erregung  audfd^lagenbcn  SBirfungen. 
öcnn  folc^c  ^^olgcn  fnüpftcn  fid|  an  bic  SrmedEung,  weldöe  toon 
iiiterf  in  ©eibern  aug  über  alle  Itjcile  ber  SRieberlanbc  fid^ 
crbreitctc »).  @crf)arbÄut)per^  ^atte  f^on  1745  alö  Sanbi^ 
at  burd^  feine   93crebtfam!eit  in  ber  ©emeinbc  ju  Ämftcrbam 


1)  3um  folgenben  tergl.  Ypoij  en  Dermout  IV.  p.  8—82.- 


348 

einen  großen  ©inbrucf  gemocht,  fo  baß  unter  feiner  ^rebigt  ®n* 
jelnc,  beren  §erj   getroffen  toax,   it)rer  ©timmung  burd^  lautet 
©c^reicn  fiuft  mad^ten.    @ine  glcid^c  SBirfung,  aber  in  bcm  tuet* 
teften  Umfange,   erreichte  er  !urj  nod^bcm  er  1749  aU  ^ebiger 
in  ?liiferf  angcfteQt  iüorbcn  tt)ar,  bur^  eine  am  14.  SRoüembct 
gehaltene   ?ßrcbigt  über  ?ßf.  72,  16.    3n  einer  ©emeinbc,  öon 
njel^er  er  felbft  bct)auptet,  baß  ber  ©atan  in  i^r  o^nc  ©c^ranfcn 
ge^errfc^t   ^abe,   baß   fie   aber  bereittt)ittig  gemefen  fei,  fid^  um 
i^re  ©ünbcn  ftrafen  ju  laffen,  entftanb  ein  allgemeiner  ®emüt^ 
aufru^r  *).    2;t)ränenbä^e  ftürjten  über  bie  ©efid^ter,  unb  gegen 
®nbe  beö  ©otteöbicnfteö  ging  ein  allgemeine^  SBeinen,   SBinfcIn, 
©d^rcien  unb  3ammern  lo^.     Äfö  bie  ©emeinbe  au§   einanbcr 
gelten  foUte,   fonnten  üiele  nid^t  fid^  aufrichten  ober  nid^t  fielen 
ttjegen  einer  (Srrcgung,  xoddjc  bie  lebenbigen  (Sinbrücfc  ber  ©eck 
auf   ben  Seib  übertrug.    Diefe  ÄUe  mußten  auö  ber  Äird^e  gc^ 
tragen  Ujerben.    SBci  SKanc^en  njar  bie  ©eelenangft  begleitet  öon 
entfefelic^en  ßudEungcn,  D^nmad)ten  unb  erfd^redEenbcn  ßwfäß^J*» 
®ine  Änjal^l  berer,   ttjeld^e   noc^  i^rer  ©inne   mächtig  xoam, 
folgte  bem  ?ßrebiger  in  fein  §auö,  unb  umgab  i^n  mitbemSlufc; 
tpaS  foDen  n)ir  t^un  um  feiig  ju  toerben?  @r  gab  il^nen  9Iot( 
mit  üieler  I^eilna^me,  aber  au^  unter  bem  Sfu^brudE  ber  grcube, 
baß  i^m  bie  ©elcgenl^eit  bargeboten  fei,  ba^  Sieid^  (Sottet  auigjji* 
breiten,    änbere,   t)on  bencn  er  annel^men  burftc,  baß  fie  nai} 
Iroft  Verlangten,   fud^te  er  in  i^ren  Käufern  auf.    Um  bie  So 
^cgwng  jum   guten  ßiclc  j^u  fül^ren,   prebigte  er  loenige  Sage 
nad^l^cr  über  Slpoftclgefc^.  16,  30.  31,  unb  rief  bie  SBeflommcncn 
jum  ©lauben  an  ben  $errn  3efu3  auf,  inbem  er  fie  öerfic^crte, 
baß  fie  burc^  fold^en   @lauben  feiig  »erben  fönntcn.     5)iefe^ 
tt)irtte  bei  3Äand^en,  fo  baß  fie  tt)ieber  äRut^  unb  Hoffnung  au^ 
bcm  (Süangelium   fd^öpften,  unb  jur  ftiHen  banfbaren  Anbetung 
©otteö  gelangten,    hingegen  bie  SKeiften  t)on  bencn,  bie  nculitl 
getroffen  xoaxtn,   ließen   fic^   burc^  bie  neue  SBeifung  burc^a»^ 
nid^t  an^  it)rer  @emütl)öbeflemmung  reißen.    Änbere,  bei  bcnen 
biefe  ©c^tt)ierigfeit  bor^er  nic^t   eingetreten  ttjar,  geriet^cn  jet* 
hinein,  inbem  fie  erregt  aufriefen :  mx  muffen  3cfuS  l^aben,  au6^ 


1)  ®ie  folgenben  Ungaften  ouS  Kuypers,  Getrouw  verhaal  enapö- 
logie  der  zaakon  voorgevallen  in  de  gemeente  te  Nieuwkerk.  Amit^ 
dam  1750.  4. 


349 

3cfuö  ift  fein  Scbcn,  fonbcrn  ctüiflcg  iBcrbcrbcn.  ginige  famen 
beinal^e,  n)te  man  e^  nannte,  ju  9{aum  mit  einem  glauben, 
ber  SBerge  ja  üerfeften  n)äl)nte,  inbem  fic  bie  Seigre  üom  Äreuje 
bcö  §eilanbö  mit  Äraft  unb  SRac^brucf  umarmten.  Aber  auf 
(Einige  ^atte  ber  Zroft  be^  Süangeliumd  nid^t  bte  minbefte  3Bir^ 
lung.  9lur  njaren  fie  äße  ju  einer  ungemeinen  Siebe  gegen  ein* 
anbcr  ermedt,  »aren  @ineö  ^erjenS  unb  jur  gö^ittc  geftimmt. 
2)iefe  ßuftänbe  bauerten  junäd^ft  einige  SEBoc^en  fort.  2)ie 
(Einen  ttjaren  belümmert,  bie  ?lnberen  angefaßt,  jum  SJur^brud^ 
gcfommen,  überjeugt.  Der  (Eine  lag,  tok  e^  ^ieß,  im  ©c^reien, 
ber  8nberc  ftanb  im  Saud^jen,  unb  bie  beiben  ^rebiger  Ratten 
genug  ju  t^un  mit  il^rem  3^fV^4-  ^^^  ^^^  ©tunbenfjalter 
fd^firten  ba§  geuer.  2)iefe  aber  gingen  öiel  me^r  barauf  au^, 
bie  ©d^redfen  ber  ©ünbe  unb  baö  ©efül^I  ber  SRid^tigfeit  unb 
^ülflofigfeit  bei  ben  Angefaßten  ju  fteigcrn,  a\^  ba§  fie  im  ©taube 
toarcn,  fie  jum  ©uri^brud^  in  bie  Änfc^auung  beö  §errn  Sefud 
unb  in  bag  @efüt)l  ber  ©nabe  ju  bringen.  S)enn  mie  il^re  3n* 
ftruction  burdö  @ön)iiler  ober  ©döortingl^ui^  befc^affen  toax,  fo 
fonnten  fie  feinen  Uebergang  Dom  @inen  j^um  9(nbern  aU  notJ^« 
toenbig  nad^n^eifen,  fonbern  mußten  um  fo  me^r  ben  3)urd^brud^ 
unb  bie  iBerfiegelung  bzx*\xckn  unb  ungebunbenen  ©ouüeränetät 

• 

©otte^  anJ^eimfteHen,  al^  fie  öorl^cr  baö  ©ünbenbettjußtfein  burd^ 
bo^  ©efü^l  ber  t)önigen  •  SBert^lofigteit  bc«  aWenfd^en  oor  ©Ott 
öerfälfc^t  Ratten.  2)ie  ©emeinbeglieber,  tt)eld^e  fo  oer^eftt  Ujaren, 
fonnten  au§  bem  ^ugfampf  nid^t  ^inau^finben,  unb  n)eigerten 
fid^  getröftet  ju  werben.  Sei  bicfen  brad^  nun  bie  im  SBiberfinn 
i^rcr  rcligiöfen  (Erregung  genäl^rte  fieibenfc^aft  ju  ben  entfefelii^ften 
(£ont)uIftonen  au$,  fobalb  fie  bei  bem  ©otteSbienft  erf^ienen. 
Daö  ©^aufpiel,  toelc^eö  fie  barboten,  unb  boi^  ©efc^rei,  baö  fie 
Qudftiegen,  ftörten  bie  Serfünbigung  beS  göttlid^en  SSorteg  auf'iS 
Äcugerfte.  2)iefe  ®rfd^einungen  fonnten  fd^Iießlid^  nur  no^  po* 
lijeilic^  be^anbelt  n)erben.  Sn  biefem  ©inne  befd^log  auf  Sin« 
regung  öon  Äu^perö  felbft  ber  ^rd^enratf)  am  29.  Dct.  1750, 
alfo  faft  ein  Sö^r  nad^  bem  ^Beginne  ber  Sett)egung,  bie  Don 
förperlic^en  ß^fäden  ^eimgef netten  follten  au^  ber  ^irc^e  gebrad^t 
©erben,  biefelben  follten  fid^  überhaupt  in  ber  SRä^e  ber  %f)üx 
^(ten,  um  bie  fiird^e  üerlaffen  ju  fönnen,  n^enn  fie  bad  Sorge« 
gefügt  i^rer  Qu^älit  fpürten;  bie  ©tunbenl^altet,  U)eld^e  unter 
Sufftc^t  bed  ßirc^enrat^d  fte^en,  foQten  bie  entfprec^enbe  Orbnung 


350 

and)  in  il^rcn  SSerfammlungen  bcförbcm,  tüibrigenfaUg  t^ncn  bie 
SSoBmai^t  ju  biefcn   cntjogen  tücrbcn  lüürbe.    Dicfc  Serfügung 
^atte  guten  6rfolg;   bie  Drbnung  in  ?liiferf  fefjtte  jurücf,  unb 
im  ©anjcn  tüat  e*3  n)ic  üor  bcr  ©rnjcdung!  Snbeffen  öon  bort 
t)atte  fic^   bie  Senjegung  epibemifc^  nod^  üerfd^iebenen  ©citcn  in 
bie  9iät)e  unb  in  bie  ^erne  Verbreitet.  3n  ©orind^em,  Dortred^t, 
SRotterbam  unb  anberen  füb^oUänbifd^cn  ©tobten  gelang  e§  bcr 
tt)eltli(i^en  Dbrigfcit,  bie  ©ad^e   im  beginn  ju   erftidEen.     $ier 
ttjarcn  ^auptfäc^lid^  junge  Seute  beiber  ©efc^Icc^ter  bon  bcr  6r* 
ttjedung  betroffen.  (Sbenfo  in  ©roningen  öermod^ten  ik  ^rcbiger 
nad^  brci  9Jionaten  ber  ©rregung  ber  Sugenb  ju  ftcuern  unb 
bie  ©törung  beö   ©otteöbienfteö  ju   unterbrüdten.    Die  ©rfc^ei* 
nungen  fd^lugen  and)  naä)  ben  ?ßrot)injen  grieölanb  unb  S)rent^c 
hinüber,   unb  ^ier  ttjurbe  ber  ©faubal  in  ber  ©tabt   ^oogeüecn 
tt)ä^renb  beö  ©ommerö  1751  am  ärgften.    S)er  bortigc  ^rebigct 
gerietf)  fogar  in  bie  @efaf)r  förperlid)er  äRifefjanblung,  aU  er  bie 
©rnjcdtcn  jur  9iuf)e  ju  bringen  öerfud^te.  @nblic^  gelang  eö  and) 
f)kx  burd^  SWaferegeln  firc^lic^cr  ©iöciplin  unb  polijcilic^c  Unter* 
ftüfeung,  ben  ©c^recfen  ju  bänbigen.     S)a§  biefe  ®ingc  i^rcn 
©runb  in  ber  t)on  ben  ©tunbenf)altcrn.  gepflegten  Ucbcrtrcibung 
bciS  ©ünbenben^ußtfcinS  fjatten,   ift  burc^  ben  ^rof.  3o^.  bau 
ben  ^onert  in  fieiben,   ben   f)auptfäd^Iid^en  literarifd^en  ©cgnct 
öon  Äu^pcrg  feftgefteHt  n^orben.  2)aö  Slnliegen  jener  unberufenen 
©eelenfüfjrcr  xoax,  xok  fie  fic^  auöbrüdtten,  bie  ÜRenfc^cn  fo  tic^ 
nieberjufdilagen,   ba§  fie  üor  ifiren  güßen  f)erumfröcf)en.    ®t^ 
lang  eö  i^ncn,  ba§  gciftigc  @leid^gett)i(^t  mit  ber  Se^re  öon  ber 
menfd)li(^en  9iid^tigfeit  ju  burc^freujen  unb  bie  SRerüen  ju  über* 
reijen,  fo  toar  eö  unumgänglich,   baß  njaö  nic^t  im  rechten  ®eifl 
begonnen  tüar,  in'ig  Sleif<^  auöfdt)lug. 

Snbeffen  ^at  biefer  Sluöbrudfi  ber  im  ?ßietiömug  gepflegten 
äietlofcn  Seibenfc^aft  ebenfo  ujenig  jur  3e^^6w"9  ^^^  Sonöentitcl* 
c^riftcnt^umö  beigetragen,  alö  bie  SSibcrlegung  feinet  Änfpruc^ 
auf  9icd^tgläubigteit  ben  Seftanb  biefer  ©ruppen  ju  erfd^üttcrn  Der* 
mochte.  SlHein  feit  biefen  ©reigniffcn  finbet  bie  fiitcratur  in  bcr 
Don  ©d)ortingf)uiö  Vertretenen  SBeifc  feine  gortfe^ung  mcl^r.  S)ic 
?ßietiften  beburften  aber  aui^  feiner  neuen  ^rtdjtc  biefer  Art; 
fie  fonnten  fid^  mit  ben  borl^anbenen  SSüd^ern  begnügen.  S)tcfo 
unglaublid^  jat)treid^en  91uflagen  bcS  großen  SSerfeS  Don  äSil^cIm 
Sralel  bejeugen  aber  bie  gortpflanjung  bc^  3ntcrcffc8  an  biefer 


351 

geiftigen  SRal^rung  big  gegen  baö  ®nbc  beö  18.  Sal^rl^unbertS. 
e^  ift  Dcrftänblid^,  baß  bie  Slntjängcr  biefci^  SBud^ci^  fid^  nid^t 
crf)c6Iid^  bemerfbar  machten,  lüäfircnb  in  bem  Greife,  bcr  t)on 
tl)nen  unabhängig  blieb,  ft^  aÜmäl^Ud^  bie  Umfttmmung  t)onjog, 
welche  burd^  baö  SSerftuinmen  ber  calöiniftifc^en  Drtl^obojie  unb 
ba«  (Sintreten  eine^  abgeftumpften  biblifd^en  ©upranaturaligmug 
in  ber  Ideologie  bcjeid^net  ift.  ©lei^jeitig  nimmt  bie  aöfetifc^e 
Siteratur  unter  bem  ©influffc  englifc^er  unb  beutfc^er  SSorbilber 
loicber  bie  SRic^tung  auf  bie  ©inprägung  ber  Heiligung.  2)aburd^ 
tourbe  freilid^  ber  Slbftanb  jujifc^en  ben  5<^inen  unb  ben  ,,bürgcr* 
liefen  Seina^c^riften"  erttjeitert.  ®iefe  J^atfac^e  lam  nun 
an  ben  2;ag,  alö  unter  ber  3luctorität  ber  ©eneralftaatcn  unb 
unter  äRitnjirfung  aller  $rot)inciaIft)noben  1772  eine  neue  S3e^ 
arbeitung  ber  ^falmenfammlung  in  ben  ©cbrauc^  ber  Äirc^c 
cingefüfirt  njurbe.  Damals  ^aben  bie  EonDentifelleute,  ujeld^e 
felbft  bie  Steuerung  in  ber  Sird^e  repräfentirten,  fid^  gegen  eine 
t)erfaffunggmägig  burc^aug  legitime  gottedbienftUd^e  Einrichtung 
aufgelehnt;  unb  fie,  xt)dä)c  aUt  tirc^lid^en  gormulare  ju  befe^ben 
J)flcgten,  finb  ^ier  für  bie  biöf)er  bcftet)enbe  Drbnung  eingetreten, 
©ic  t)aben  fic^  gcrabc  bamalö  mieber  üerftärft,  inbem  fie  bie* 
ienigen  an  fic^  jogen,  n)eld^e  bie  £^irc^lid^feit  nur  atö  (Stabilität 
fcnncn  tt)onenO.  S)ie  ©^nobe  üon  gricölanb  fa^  fid^  burc^  baö 
SBiberftreben  ber  Sonüentifel  gegen  jene^  Unternehmen  veranlaßt 
}u  bcfc^ließen,  ba§  bie  unter  ber  Sluffic^t  beö  Äirc^enrat^eg  jjeber 
©cmcinbe  fte^enben  ©tunbcn^alter  fic^  einer  Prüfung  i^rer 
inteHectuellen  S8efät)igung  ju  unterwerfen  Ratten,  ba§  fie  in  gutem 
Slufc  ftc^en,  minbeftenö  ^xod  Sciljre  in  ber  ©emeinbe  gelebt  ^aben 
unb  burd^  Ifieilna^me  am  ©otteöbienft  unb  Slbenbmal^l  imaf)xt 
fein  müßten,  baß  fie  in  einem  neuen  SBofinortc  ttjieberum  ber 
3uftimmung  beö  ^ird^enrat^eö  fid)  ju  üerfic^ern  tjätten,  Ujenn 
fic  auc^  bort  «nbac^töübungen  galten  tt)otIten.  Db  biefe  SRittel 
jur  ßä^n^ung  ber  launenhaften  frommen  jugereid^t  ^aben,  fann 
it^  nic^t  öerratfien,  glaube  e§  jjeboc^  bejmeifeln  ju  bürfen. 

5Der  mibcrfirc^lic^e  3"9f  tüelc^en  bie  ?ßartei  an  fid^  trägt, 
tjcrrät^  fid^  ftet^  in  ber  Haltung,  ujelc^e  beren  ©lieber  je  unb  je 
gegen  bie  ©acramente  einnehmen.  3mmer  tuieber  regte  fic^  ber 
(abübiftifd^e  SBorbe^alt  gegen  bie  ^inbcrtaufe  unb  gegen  bie  99e« 

1)  Diest  Lorgion  p.  286—292. 


352 

rcd^tigung  jum  Äbcnbmafilc  ^).    2)a  bie  laufe  nur  an  Äinbern 
t)on   ©laubigen,    meldte   aU   bie   (Smä^Iten   galten,    üoQjogett 
Ujerben  folltc,  fo  ergaben  fic^  unlööbarc  Sebenfen  barüber,  ob 
bad  befttmmte  ^tnb  j^u  ben  (£rn)ä{)lten  getjöre,  ober  bie  Slettem 
felbft  Dertieftcn  [id^  in  ©frupcl  über  it)re  ^cilöüerfic^erung,  um 
feftäuftcUen,  ob  fie  ©laubige  feien  unb  i^re  Äinber  taufen  laffen 
biirften.     Ueber    bie    Z^eilna^me    am    9lbenbmat)l   trugen   ftc^ 
regelmäßig  tt)cr  n^eiß  n^ic  SSielc  mit  bem  Sebenfcn,  ob  fie  be^ 
©acramenteä  »ürbig  feien,    ©eleg^ntlic^  aber  enueitertc  fic§  biefe 
@c^eu  j(U  bem  lababiftifd^en  ©a^e,  bag  nur  äBiebergeborene  gum 
Slbenbmal^l  berechtigt  feien  unb  bag  ber  $irt  biefe  feine  ©c^fc 
fenncn  miiffe.    Unter  ücrfd^icbenen  fällen  bicfer  ärt,  welche  öon 
SBerfum  befannt  xoaxcn,  erjäljlt  er  einen,  ttjeld^er  in^  3a^r  1789 
fällt.  Qu  SBorfum  in  grie^lanb  machte  ?ßieter  ^enbril^j,  ein 
©eilcr  unb  ©tunben^alter,   jenen  ©runbfafe  geltenb,   obtoo^l  er 
jugeftanb,  bag  man  nad^  einer  t)olIfommenen  ^ird^e  nid^t  fud^eit 
folle.    Slld   ber  ^rebiger   beim  ^au^befu^  i^n  jum  9benbma^( 
einlub,  mad^te  5ßieter  bemfelben  ben  9Sortt)urf,   bag  er  nic^t  oDe 
Unbefc^rte    t)om   lifc^  beö   $errn  juriicf^alte.    8[uf  bie  6nt* 
fc^ulbigung  be^  ?ßrebiger^,  bag  er  fein  ^erjenSfenner  fei,  folfltc 
bie  gorberung,   ber   §irt   muffe  bie  ©d)afe   fennen.     ffinblic^ 
einigten  fid^  beibc,  bag  ber  ^rcbiger  nur  SBiebergeborene  juloffen 
ttjolle,  ujcnn  nur  5ßieter  felbft  erfc^iene.     Sllö  nun  am  ©onntag 
bie  ^eilige  §anblung  öor  fic^  gc^en  follte,  Ujinfte  ber  ^rebigcr 
?ßieter  allein  an  ben  3;ifd^  unb  flüfterte  i^m  ju :  „SEBen  foH  \i> 
nun  rufen  unb  njen  abn^eifen?"    S)a  ertannte  bicfer  bie  ©c^roif 
rigfeit   ber  Slufgabe,   unb   entfc^ieb,   Sllle  feien  jujulaffen,  bfl^ 
Urt^eil  aber  bem  ^errn  ju  übergeben.    Ungeachtet  biefer  Sefc^a^ 
mung  ift  ber  SMann  bod^  wiebcr  auf  feine  Anficht  jurüdgefominen, 
mugte   n)egen    feiner    ^nbac^tdübungcn    auf    ein   ^albed  3^^^ 
au^  ber  ©tabt  gettjiefen  tt)erben,   unb  feine  SlnPnger  \)at  man 
noc^  lange  unter  bem  Flamen  ber  5ßieterianen  gelaunt. 

3m  Satire  1795  jog  bie  franjöfifd^e  SReöolution  bie  öet* 
einigten  ?lieberlanbe  in  i^ren  ©trubel.  ®urd^  bie  1796  erfolgte 
Srric^tung  ber  83ataoifc^en  Slepublil  nad^  mobemem  bemofto* 
tifd^en  SÄufter  njurbe  auc^  bie  äJcrfaffung  ber  rcformirten  ftitt^ 
jerftört  unb  i^r  ftaatlic^cd  Privilegium  aufgeljoben.  3)em  @runb|a| 
ber  ©efd^iebenfieit  oon  ftird^e   unb  ©taat   mugte  ber  ©nflttS 

1)  9301.  van  Berkum,  Labadie  II.  p.  184.  219. 


353 

wetd^cn,  tpcld^cn  biöl^er  bie  ^roüincialftänbc  auf  bic  ^ßroDinciat 
f^noben  ausgeübt  t)Qtten,  unb  bte  ©teid^bcrcc^ttgung  aßet  (Son^ 
fcffioneii  im  ©taat  t|ob  bcn  Slnfprud^  auf,  bcn  bfö^er  bic  9iefor== 
mirtcn  auf  bie  au^fd^Uefelic^e  SBefleibunfl  bcr  ©taatöämtcr  bc^ 
fa§cn.  SBcl^cn  ©inbrucf  bicfc  (Srcigniffc  unb  alleö,  toa§  ipcitcrl^in 
bi^  jum  3af)rc  1814  erfolgte,  auf  bic  ^ictiften  gemad^t  ^at,  ift 
mir  nii^t  befannt.  ®o  mic  i^rc  urfprünglid^en  gü^rer  über  ben 
©nfluß  ber  ©taatögctualt  auf  bie  ftird^c  gebadet  ^aben,  lönncn 
fie  bie  Äuffiebung  beffelbcn  nur  tt)iUfommcn  ge^cigen  ^aben.  Unb 
toenn  SSitringa'e  SSorfierfagung  (©.  294)  unter  il^nen  fortgel)fIanit 
toorben  ift,  fo  tt)erben  fie  in  Slapoleon  I.  ben  «nti^rift  erifannt 
^aben,  beffen  Sluftrcten  crujarten  Iie§,  baß  bie  l^errlid^c  ©eftalt 
ber  Äirc^e  na^e  fei,  in  tücld^er  fie,  bie  Sluigern^ä^Iten,  ba^  SRuber 
führen  n^ürben.  Alle  3^i^cn  ttjcifen  barauf  l^in,  bag  bie  $ie= 
tiften  fic^  ftill  gehalten  fiaben,  unb  bicfe  ffirfd^einung  erlaubt  ben 
©c^lu§,  baß  bie  Äuflöfung  ber  f^nobalen  Snftitutionen,  ttjcld^e 
erft  burc^  bie  (Srrid^tung  beS  ^önigrei^ed  ber  iRieberlanbe  unb 
bic  neue  ©efammtüerfaffung  bcr  rcformirtcn  Äird^c  t)om  6.  3ö* 
nuar  1816  il^r  ®nbe  erreid^tc,  it)nen  nid^t  anftößig,  fonbcm  gc^ 
rabc  bequem  gett)cfen  ift  *).  Äuffaßenber  SBctfc  fd^ttjiegcn  fie 
Quc^  im  ©anjcn  ju  ber  ®infü^rung  bcr  „®t)angelifd^en  ©cfänge" 
in  ben  ©ottcöbicnft  1807,  einer  (Sinrid^tung,  tocld^e  i^nen  noc^ 
anftößiger  fein  burfte,  al^  bie  Siebaction  ber  ^falmcn  t)on  1772. 
Denn  bie  neue  ©ammlung  Don  fiiebern  öcrfd^icbcncr  SSerfaffer 
brad^  mit  bem  altreformirten  ©runbfafte,  baß  aud^  ber  ürd^lic^e 
®efang  nur  au^  ,@ottcö  SBort"  befte^en  muffe.  2)ie  SRaßregcl 
toar  in  bem  legten  aWoment  beö  SBcfte^cnö  ber  alten  Äir^enüer:^ 
faffung  1796  t)on  ben  ^roüincialf^nobcn  befc^Ioffcn  n^orben.  ®ö 
ift  ein  SBclociö  öon  ^o^em  fird^Ut^cn  ©emeinfinn,  baß  wä^renb 
bcg  Sntcrrcgnumö,  jur  ß^it  be^  ^aufirenö  ber  gemeinfamen  red^t^ 
liefen  formen  ber  nicbcvlänbifd&cn  itirc^e  bie  ^Bearbeitung  be^ 
neuen  ©cfangbud^cö  burd^  eine  Eommiffion  legitimer  §crfunft 
in  ben  Sauren  1803-1805  öor  fid^  ge^en  fonnte.  äfö  baffelbe 
mit  bem  1.  Sonuar  1807  in  ©cbraui^  genommen  tt)urbe,  mod^te 
ed  ja  ÜUIanc^cn  mißfaden,  n^ie  bag  ftctiS  ber  %aü  mit  neuen  (Sin« 


1)  3um  folgeitben  Dgl.  ^te  Unruhen  in  ber  meberlfinbilct-tefotmitten 
AiTc^e  »d^renb  ber  Sa^re  1838—1839  Don  X.,  (erauSgegeben  tton  9\t\tUx. 
fyimbuxü  1840. 

I.  23 


354 

rid^tungcn  ift.    Allein  öffentlid^cn  SBiberftanb  fartb  baö  ©cfang* 
bndj  nur  in  einigen  Dörfern  grieölanb^  unb  in  bcr  ©tabt  JBltcf* 
fingen,  unb  berfelbe  ttjurbe  burd^  ®rmal^nung  unb  Krd^Iid^e  ßu^t 
übettüunben.  Snbcffen  ntufe  bod^  an  öicien  Orten  eine  fortbauembc 
@ä^rung   ober  Serftimmung   gegen  \>a§  @efangbuc^  bemerlbor 
gettjefen  fein,  tt)el(^e  bur^   bie  6rtüartung  genäl)rt  tourbe,  ba§ 
ber  jum   itönig   ber  SRiebcrIanbe  bcfignirte  ?ßrinj  öon  Oranicn, 
ber  tirrfjlic^cn  ^ßoliti!  feinet  ^aufc^  cntfprec^enb,  bie  SReucrung 
n^egraumen  n)erbe,  fobalb  er  bie  Stegierung  anträte,    äßenigften^ 
fa^  fici^  im  S^üW^^t  1814  bcr  @cneral*Sommiffar  beö  S)e^)art^ 
mentS  ber  äJJaaSmünbungen  veranlagt,  burc^  eine  öffentltd^e  Si> 
flärung  biefer  @rtt)Qrtung  entgcgenjuttjirfen.     3m  Sa^rc  1827 
bejeugcn  bie  @efd^id)tfc^reiber  bcr  nicbcrlanbifd^en  Äird^e^j,  boft 
^ie  unb   ba   t)on   bem  @cfangbu(^  nod^  nid)t  ber  gehörige  @t^ 
braud^  gemad^t  n)erbe,  bag  jcboc^  ©törungen  beS  ©otte^bienftcd 
um   feinetwißen  nid^t  me^r  üorfommcn.    ®a«  ift  ol^ne  Smeifel 
fü  ju  ücrftcl^en,  bag  man  paffiücn  SBibcrftanb  gegen  bag  ®efang* 
buc^  übte,  inbem  man  fic^  ber  I^cilna^mc  am  öffentlichen  (Sottet 
bienftc  enttjielt.    S)iefeö  9Scrf)alten   aber  ift   nur  ben  pictifti^ 
©cfinnten  jujutrauen,   tt)el^c  in   ber  Ueberjcugung  üon  i^rcr 
SRed^tgläu bigfeit  unb  Äird)lic^!cit  jebe  Steuerung  öcrmarfen,  unb 
in  i^ren  SonDcntiteln  ein  ©urrogat   t)on  ©ottcöbienft   befoficn, 
ben  fie  bcr  3;t)eilnaf)me  an  bem  öffcntlid^en  ©otteSbienft  öorjogcn, 
njcnn  biefer  nic^t  i^ren  Slnfprüc^en  entfprac^. 

S)ic  öffentliche  Stimmung  in  ber  reformirten  fianbcötird^ 
toax  üon  1816—1833  übernjicgenb  barauf  gerichtet,  bie  Untct^ 
fd^icbe  gegen  bie  Sut^eraner,  Slcmonftranten  unb  SDiennoniten  fflt 
gleid^güitig  5U  ad^ten.  Snbeffen  regte  fic^  bod^  auc^  eine  ent^ 
gcgcngefefete  ©timmung  öom  ^Beginne  biefer  @poc^e  an  in  mannij* 
fa^cn  Scjiel^ungen.  ®egen  bie  Dom  fiönigc  fanctionirte  8er* 
faffung  bcr  Äirdöe  trat  unmittelbar  nact)  i^rem  (5rla§  bie  Elafft^ 
t)on  Slmftcrbam  mit  einer  öefc^tt)erbc  barüber  auf,  ia^  bicfelfc« 
nic^t  burc^  eine  @cneralft)nobc,  fonbern  burc^  eine  lönigti^K 
Sommiffion  aufgearbeitet  unb  burd)  2)ccret  beö  Äönigö  cingcffi^tt 
fei,  baß  bie  cingefefete  ®eneralft)nobe  eine  ju  große  fEHadjt  ib^ 
folle,  unb  bag  bancben  baö  töniglid^e  SÄinifterium  mit  ju  ü&ct* 
ttjicgenbem  ©influß   au^geftattet  fei.    3u  biefer  JBorfteHung  ^ 


1)  Ypeij  en  Dermout  IV.  p.  329. 


S55 

banbcn  fic^  bic  alten  Stnfprfid^c  auf  gfrci^cit  bcr  Ätr^c  öom 
©taat  mit  ber  ©rinncvung  an  bie  ©elbftänbigfcit  bcr  ^robincial* 
f^nobcn,  n)eld)c  boc^  feiner  ßeit  nur  burci^  ia^  2Ri§traucn  bcr 
$rot)incialftänbc  gcflcn  eine  ?lationalf^nobe  ^crbeigcfül^rt  n^ar. 
atebalb  tarn  aud^  bie  Pietät  gegen  bie  ®ortred&ter  ©^nobc  t)on 
1618.  19  jum  «uöbrud.  Diefc  Senbenj  fanb  feit  1823  eine 
Dorbringenbe  Vertretung  burc^  SBill^cIm  ©tlberbiif,  einen 
S)icl^ter  unb  Suriften,  ber  au§  ^a%  gegen  bie  JReöoIution  unb 
au^  an^anglidöfcit  an  ba§  Igan^  Dranicn  in  romantifc^er  Unflar^ 
^eit  unb  Ungenauigfeit  fic^  ein  Söilb  öon  ber  §errlid^feit  ber 
ftaatlic^en  unb  fird^lidben  Vergangenheit  conftruirt  l^atte,  unb 
mit  Seibcnfc^aft  bic  ß^^ftä^be  ber  alten  geit  jurücfgefül^rt  toiffen 
wollte.  (£r  tt)urbe  in  feinen  93eftrcbungcn  burd^  jujei  bon  i^m 
belehrte  portugiefifc^c  Subcn  unterftfi^t,  ben  3uriften  Sföaf  ba 
Sofia  unb  ben  SRebiciner  Slbra^am  Eappabofe,  ttjcld^e  il^ren  taU 
mubiftifc^^^gefcftUd^cn  ©inn  in  bie  ?luffaffung  ber  bortred^ter 
Ort^obojic  fjincin legten.  3n  ben  literarifd&en  Äampf  biefer 
SKönner  für  bie  aBiebcr^crftcHung  biefer  j^eologie  unb  aller 
möglid^cn  SlltertpmUd^feiten  trat  1827  ber  ^rebiger  im  §aag, 
3)irf  SKolenaar  ein  burd^  eine  ,,abbreffc  an  alle  meine  reformirten 
©lauben^brübcr".  S)cr  ^auptpunft,  ben  er  bcl^anbcltc,  war  bie 
öoii  ber  erften  ©encralfpnobe  aufgcftcßte  SSerpfli^tung^f ormel  für 
bic  Sanbibaten.  @r  warf  i^r  abfid^tlid^e  Unbeutlic^feit  in  ber 
§infic^t  Dor,  ba§  bie  Annahme  „ber  Seigre,  welche  bem  SBort 
@otte«  gemäg  in  ben  @inig!eit^formcln  ber  Äir^e  enthalten  ift", 
ben  Vorbehalt  julaffe,  in  ben  ©Embolen  fei  aud^  fold^cg  ent^ 
polten,  xoa^  bem  SBort  ©otteö  nic^t  gema§  fei.  SJenn  ^  nun 
®ciftlid^e  unb  Äird^cngenoffen  gebe,  weld^c  bie  SSerpflid^tung  fo 
öcrftc^en,  fo  fei  eine  frieblic^e  S^rennung  beiber  ?ßarteien,  unb  bie 
I^cilung  bcr  Äird^en  unb  ©ütcr  angej^cigt,  womit  man  nic^t  ju 
jögcrn  \)abe.  3cne  ©rflärung  unb  biefer  SSorfd^lag  finb  baö 
c^raftcriftifc^c  SRerfmal  einer  lenbenj,  Weli^c  feit  jener  3^it  in 
allen  proteftantifd^en  ^irc^en  bie  ^errfd^aft  ju  erringen  fud^t. 
@ie  ift  feitbem  binnen  50  ga^ren  aud^  in  i^ren  SBirfungen  beut^ 
lid^  genug  geworben,  bag  man  gefc^id^tlid^  unparteiifd^  über  fic 
urt^cilcn  fann.  3d^  meine,  fic  ift  oieImct)r  fd^einbar  alö  wirtlid^ 
fird^lid^cr  Art,  weil  fic  t)on  einer  mel^r  atö  bürftigen  Äenntni§ 
ber  ©cfd^id^te   beö  ef|riftent[)umö  getragen  ift.     3)er  Sorf^Iag 


356 

^ur  ®äte  abtx,  in  ben  fie  ausläuft,  ift  im  @runbe  ein  SJorfd^lag 
aitö  Sequemlid^feit  unb  Ungebutb. 

8n  bic  literarif^e  ©iöcuffion  über  bie  auctorität  bcr  f^* 
bolifd^en  Sucher,  tpelc^e  burc^  äRotenaar'S  ©d^rift  ^ert^orgerufen 
n)urbe,  fc^Iog  and)  tüixtlid)  fid^  eine  fotd^e  Trennung  an,  n)te  fie 
)ur  fiöfung  be^  (Sonflicted  burc^  jenen  $rebiger  im  ^oag  üorge« 
fc^lagen  Ujar.  Sie  angeführte,  t)on  ©iefeler  ^eranögcgcbene  ©d^ 
ift  nun  nic^t  befonberd  barauf  aufmeriforn,  bag  biejenigen,  toeld^e  ftd^ 
Don  ber  nieberlänbtfc^en  Sanbe^^firc^e  trennten,  ben  eintrieb  ba}tt 
tpeniger  aud  i^rer  9iec6tg(äubtg!eit,   als  aus  i^rem  ^ietidmud 
fc^öpften.     3nbeffen    bietet   fie  genügenb    beutlic^e   ^ingerjeigc 
bofür  bor,  bag  beren  le^ted  9J2otit)   ber   latente  ©cparati^muS 
unb  ber  burd^  bie  formelle  ©elbftüerleugnung  t)erfc^robene  Sat 
üiniSmuS  ift,  jene  @igentt)ümlic^feiten,  n^elc^e  Sobenfte^n  ben  noc^ 
i^m  genannten  geinen  überliefert  ^atte.    ©egen  ba^  (£nbc  1829 
trat  ^enbrif  be  ßocf,  ber  feit  mefir  aU  fünf  Sö^ren  in  jwei 
^rebigtfteÜen   ben  9iuf   eineö  eifrigen  unb  gettjiffenl^aften  Wirten 
erworben   ^atte,  aU  ^rebiger  in  bie  ©emeinbe  Ulrum  in  bcr 
^rooinj  ©roningen.     §icr   ftanbcn  bie  pictiftifc^e  Partei  unk 
i^re  @egner  in   beutli^er  9(6netgung   einanber  gegenüber,  jene 
mit  einem  Uebergett)ic^t  an  Qaf)l  unb  an  ©influR.  ©ic  imponirte 
bem  jungen  äRanne  unb  jog  i^n  an  fic^,  inbem  il^m  immer  m* 
gehalten  tt)urbe,   ba§  er  „norf)  ftrcnger  prebigen,  ben  SRenfc^cn 
me^r  ücrfleinern  unb  @ott  me^r  bic  (S^re  geben  muffe".    SBir 
fennen  biefe  gormel  aU  ba^  üon  SBrud^eruö  aufgeftcQte  üRcrlmoI 
bcr  geinen  (8.  338);  l)iemit   aber  ift  ber  pietiftifc^c  E^arafter 
ber  Siec^tgläubigfeit  angezeigt,   in  loeld^en  be   Socl  al^batb  mit 
Äraft  unb  Seibenfc^aft  einging,  um  fo  mel^r  ate  Eatoin'g  Insti- 
tution bie  er  in  einem  Slu^jug   bamalS  fennen  lernte,  i^m  bic 
©runbfäfee  feiner  ftrengen  ©emeinbeglieber  ju  beftätigcn  f^ien- 
®ie  ?ßrebigten,  bie  er  in  biefem  ©inn  ^ielt,  fanben  atöbalb  einei»- 
großen  Qvila\x^  m6)t  bloä  auä  ber  näc^ften  Umgcgcnb;  fonberf^ 
bie  @efinnung^genoffen  famen  aud^  auS  3)rentl^e  unb  in  üoner^ 
©c^iffölabungen  auö  gricölanb,  ben  ^ßroüinjcn,  welche  ncbft  @ro^^ 
ningen  bie  ^auptfäd^Iid^en  @i^e  bed  eüangelifc^en  $ietidmud  t)Oi^ 
jel^er  getoefen  finb.     SDurd^  biefen  @rfoIg  lieg  fid^  nun  bc  ttiH^ 
baju  Einreißen,  bie  ©renjen  feiner  ^arod^ialred^te  ju  übcrfd^rciten  ^ 
(Sr  taufte  bie  Äinbcr,   meldte  man  auä  anbcren  Orten  ju  i^»^ 
brachte,   unb  nal^m  ^inber  in  ben  ßonprmanbenunterri^t,  bir> 


357 

nid^t  ju  feiner  Oemeinbe  cjefjörten.  2)iefe  groben  öon  9lid^tad&*= 
tung  ber  Äirc^enorbnung  betoeifcn  nic^tö  für  feine  SRed^tgläublg:: 
fett;  um  fo  mel^r  ftcBcn  fie  feinen  Snbepenbenti^muS  feft,  ber 
bcm  ^ieti^mu^  tt)af|It)ertt)anbt  ift,  unb  fic^  fo  leicht  mit  il^m  üer^ 
binbct.  SSorfialtungen,  iüeld^e  if|m  feine  Elaffi^  barflbcr  mad^te, 
ftörten  i^n  nid^t.  21U  jeboc^  jnjci  benad)bartc  ^rebiger  in  öffent:' 
liefen  ©c^riften  it)re  ©cmcinben  öor  ben  Uebertreibungen  unb 
3rrungcn  be§  S^ageö  tt)arnten,  trat  er  1833  gegen  biefelben  mit 
einer  ©d)mal^fd^rift  auf:  „SScrt^eibigung  ber  tpal^ren  reformirten 
Seigre  unb  ber  n^a^ren  SReformirten,  ttjefd^e  öon  ju^ci  fogenannten 
reformirten  Seigrem  bcftritten  unb  jur  ©d^au  gefteUt  finb,  ober 
ber  ©c^afftaU  S^rifti,  angegriffen  Don  jujei  SEBölfen  unb  t)ertt)ei* 
btgt  Don  §.  bc  Sod."  S)er  3;itel  allein  ben^cift  fd^on,  ba§  bei 
bem  SDianne  ber  @ifcr  um  ba^  §auö  ©otte^  in  ein  aÄa§  toon 
Brutalität  au^gefd^tagen  xoax,  an  n)e(d^em  man  fid^  flar  mad^en 
tonn,  baß  bie  formale  SBcfcl^rung  bie  angeftammte  Ungejogen^eit 
nid^t  eompenfirt.  Älö  er  nun  ber  tt)iebcr]^o(ten  9lufforberung, 
baö  S^aufcn  unb  Eonfirmiren  frember  itinbcr  ju  unterlaffen,  unb 
ber  3iiniwt^"n9/  feine  ©^mä^ungen  gegen  jmei  tabellofe  5ßre* 
bigcr  jurfidäuncfimen,  nid)t  golge  leiftcte,  fu^penbirte  il^n  bie 
Elaffi^,  biö  er  feine  ©c^ulb  bcfannt  unb  Sefferung  gelobt  ^aben 
werbe.  S)e  Sod  appcUirtc  an  bie  ^rotoincialbe^örbc  in  ©ro^^ 
ningen.  3)iefe  fc^ärfte  baS  Urt^eil  ber  Slaffid  burd)  Sntjie^ung 
ber  SBefolbung  auf  jtt)ei  3a^re,  tt)cil  er  injtoifc^en  bie  SBetoeife 
gefteigcrter  ^artnädfigtcit  geliefert  l^atte.  SRämlid^  njä^renb  feiner 
©ugpenfion  fpicltc  er  ben  ©trcit  auf  bie  (Söangelifc^en  ©efänge 
t)on  1807  ^inauö.  @r  uerfa^  mit  einer  anpreifenben  SSorrebe 
eine  ©d^rift:  ^S)ic  (Suangelifi^en  ©efängc  geprüft  unb  gett)ogen 
unb  JU  leidet  bcfunben  oon  SafobuS  &lof,  gärber  unb  Jhrämer 
JU  3)elfjiil,  ©roningcn  1834."  ®ie  ©efänge  ttjcrben  l^ier  beur:* 
t§eilt  al^  wftreitig  mit  @ottc^  SBort,  ein  @ott  mißfälliger  ©fan^« 
bol,  ein  jufammengepfufc^tcr  Sllforan,  n^orin  bie  jur  ©eligfeit 
not^tüenbige  S5Jaf)rt)cit  au^  SBlinb^eit  ober  S^reulofigfcit  Der* 
fc^miegen  fei,  ein  ©anjeö  oon  192  Sicberd^en,  geeignet,  bie  8le* 
fotmirten  oon  ber  fcligmad^enben  fietjre  njegjulullen  unb  eine 
falfc^e  fiügenle^rc  cinjufüfircn."  Die  Il^cilnal^me  an  bem  Angriff 
lut  bad  firc^enorbnung^mägige  ©cfangbu^  jog  be  Sod  bie  9(mt^ 
ntfe|ung  ^n,  meldte  oon  ber  $rooinciaU^irc^enbe^5rbe  }u  &xo^ 
iisgen  26.  Wlai  1834  au^gefpro^en  n)urbe.     9}un  appeUirte  er 


358 

an  bic  ©encralf^nobe.  S)ie  SDiaiorität  bcrfclbcn  ttjar  cingcfc^ü^tert. 
©ic  crfanntc  unter  bcm  16.  3uU  1834  jroQr  bie  ©d^ulb  bc  Socf'ö 
an,  crflärtc  icbod^   feine  Slbfcftung   für  übereilt,   unb   (jcftattetc 
if)m  noc^  fec^ö  SÄonate,  um  fic^  ^u  bcfinnen,  unb  feinen  Angriff 
auf  bai^  @efangbuc^  jurüdjune^men,  bid  feine  ^bfe^ung  n)ir!fam 
ttjürbc.    S)iefe  Üßaferegel   beantujortete  bc  Sod   burc^   eine  6r» 
flärung  beö  größten  %f)cil^  ber  ©cmeinbe  ju  Ulrum  13.  Dctobcr 
1834,  Ujorin  bie  Unteräeirf)ner  alö  ©lieber  ber  nac^  bem  Sclgi^ 
fc^en  SBefenntniß  2lrt.  29   legitimen  reformirten  Äirc^e  fic^  öon 
benen  trennen,  n^cli^e  ni^t  bie  reformirtc  fiir^e  finb,  biSftejum 
richtigen  ©ottedbienfte  jurüdEfe^ren  njürben.     3)aö  SScmerfcn^ 
mert^efte  an  biefem  Slctenftüd  ift  baS  auc^  Don  Sababie  gebrauchte 
Slrgument,  ba§  bie  SÄagregeln  ber  Äirc^enbetjörben  gegen  beßocf, 
inbem  fie  nic^t  auö  ©ottcö  SBort  begrünbet  njären,  ebenfo  wenig 
gered^tfertigt  unb  Derbinblid)  feien  ald  bie  papiftifc^e  ©letdifteQunj) 
menfd^Iic^er  Ueberlieferungen  mit   ber   göttlichen    äuctorität  *). 


1)  fQunn  Qxthi  ftc^  !unb,  toie  migltc^  ber  caltinifli{(te  ®runb{a|  \%  bie 
im  91.  %.   Dorfommenben   ^etfptele   äugerer  itircienorbnung  als  g5tilt(^  Soi* 
fünften  für  bie|eS  bebtet  au  oerfie^en.    ^enn  ba  biefe  tBeiipiele  {14  nii^t  auf 
alle  mdgltd^en   gfille   erftredten,   fo  gftotnnt  eS  ben  ^(nf^etn,  oI§  ob  im  deBit't. 
ber  re^tU^en  Orbnung  ber  St'it^c  alleS  erlaubt  fei«  toorfiber  im  9^.  %.  xivS^t^ 
beflimmt  unb   entfc^iebcn  \%    9lun  bietet  feine  ber  ©tjriftcn  beS  Ä.  %.  ba^ 
IBeiipiel   eines  tDtberfpänflisen  Itir^enDorfle^erS  unb   ber  gegen  t(n  getroffen^^ 
SRogregeln  bar ;  alfo  gilt,  mie  eS  fc^etnt«  (artuädtige  Ungezogenheit  eined  ftirc^er^-  ** 
bienerS,  »cnn   fie  fic^   nur  mit  ber   Berufung  auf   bie  6Jrc  (SotteS  unb  b'^* 
Stabilitöt  ber  ^ird^e  oerbinbet,  für  erlaubt  unb  berechtigt.    *S>c&  ifl  ber  6iit 
beS  Argumentes  oon  Sababie  unb  üon  be  ^od.     Unb  bo^  enthalt  baS  ,9Boi 
®ottcS'  oud^   im   caloinifd^en  ^erftanb   ben  ©runbja^,    na4  toel^em  in  biefe 
S&aen   bie  jtirc^enbe^örben  9{e4t   Ratten,    nämli«  ^cA{%,  18,  18:   .tOeS  ofl^-  ' 
i^r  oerbieten  merbet  auf  Q^rben,  »irb  oerboten  fein  im  ^immel,   unb  ttnif  i(^^' 
erlauben  merbet  auf  (Srben,  »irb  erlaubt  fein  im  ^imme(.'    Seiber  toirb  m^^-^ 
ber  S^n,   auf  ben  biefer  €a^  fid^  be^ie^t,  fc^on  feit  Stertuflian  falf4  t^rftai 
ben.    ^er  gaU  ifl  ber,  bag  einem  SJlitglieb  ber  ((riftlid^en  (Semeinbe,   bem  e' 
anberer  bie  ®cnugt^uung  für  perfönlicie  ^eleibigung  ^artnfidig  Dertoeigert,  gf 
ftaitet  »irb,  feine  allgemeine  SiebcSpflic^t  gegen  benfelben  einaufteHen.    Inf 
communication,   b.  ^.  auf   AuSfc^Iiegung   au§    ber   (Semeinbe   bc^ie^t  ft4  "^^ 
Stelle  gan)  unb  gar  nid^t.    Aber  jebe  orbnungSmögige  re^tüc^e  Verfügung  *Afr 
®emetnbe,  alfo  au4  bie  Hbfc^ung  eineS  ^artnfidig  unge^orfamen  ^n^enbeaom'ftni 
fftUt  unter  ben  allgemeinen  ®runbfa^,   toeld^er  jur  (SrUftrung  beS  gef^ilbe^Kim 
Saflefi  hinzugefügt  ift. 


359 

©nblid^  erinnert  eö  and)  an  Sababic,  baß  bc  Sod  an  bcm 
näd^ften  ©onntag  nac^  bcm  ©riag  bicfcr  Irennung^urlunbc  [ic^ 
in  bcn  SSefife  ber  Drtöfird^c  [cfttc,  unb  ben  »äl^rcnb  feiner  ©u^ 
penfion  mit  bem  ©otte^bicnft  beauftragten  ©eiftlic^en  Don  bem 
^rebigtftu^l  üerbrängte.  Sllö  feine  2lnpnger  am  barauf  folgen* 
ben  ©onntag  ben  26.  Dctober  bereit  tt)aren,  biefe  Dccupation  ber 
Äirc^e  mit  benjaffneter  §anb  ju  »ieber^olcn,  ttjurben  fie  freilid^ 
burc^  militärif^e  ©eroalt  baran  t)erf)inbert.  Unb  babei  blieb  ©3. 
%l^  bie  burc^  bie  ©eneralf^nobe  für  be  Socf'^  Umfe^r  gefegte 
grift  abgelaufen  iüar,  ot)ne  baß  er  fi^  unternjarf,  njurbe  feine 
Äbfefeung  unter  bem  20.  Sanuar  1835  befinitio  erflärt.  ®3  mürbe 
öon  ber  Sirc^enbe^rbc  in  ©roningen  babei  au^brüdtlic^  auSge* 
fproc^en,  baß  er  nid^t  megen  feiner  religiöfen  Slnfic^ten,  fonbem 
tt^egen  feineö  Derlel^rten  Setragenö  öerurttjcilt  morben  fei. 

3njnjifc^en  t)atte  aber  nod^  ein  anberer  ^rebiger  mit  be  (£ocf 

gemeinfame  ©ad^e   gemad^t.     ^enbrif  ?ßetruö  ©c^olte  toax 

im  Süiärj  1833  ^rebiger  in  DoeDcren,  ^roöinj  SRorbbrabant,  gc» 

)oorben.    @r  n^ar  burd^  Sitberbijf  jugleic^  für  ba^  $aud  Oranien 

unb  für  bie  ©^nobe  ju  ©ortrec^t  intereffirt  tt)orben,  prebigte  in 

bcrcn   ©eift,   ließ  bie   eüangelifc^en  ©efänge   ungebraucht,   unb 

nannte  auf   ber   Sanjel  feine  anber§    gefinnten    Ämt^genoffen 

fifigcnprop^eten   unb  öaaldpriefter.    «löbalb  fefete   er  fid^  mit 

be  ©od  in  Sßerbinbung,  unb  bei  einem  Sefud^e,  ben  er  i^m  in  ben 

%agen  oor  feinem  3luötritt  auö  ber  Sanbeölirc^e  abftattete,  führte 

er    öurc^  ben  SSerfuc^,  ben  ^rebigtftu^l  anftatt  be^  berechtigten 

®etftlic^en  ju   occupiren,   Xumult   ^erbei.     9(Id  er  n)egen  biefed 

Vdcncf)mcn^  t)on   feiner  SlaffiS  jur  Siec^enfd^aft  gejogen  n)urbe, 

erflärte  er  unter  bem  1.  SRoocmber  1834  mit  bem  größten  S^eil 

feiner   ©emeinbe  ebenfalls  bie  Trennung   bon  ber  fianbei^fird^e, 

unb    würbe  no^   t)or  be  Socf  am  10.  December  1834  abgefegt. 

5S>em   ©dritte,   tt)eld^en    biefe    beiben   SRänner   getrau   Ratten, 

fc^^loffen  fic^  nod^  üier  anbere  ^rebiger  an,  Ä.  Srummelfamp  ju 

Rattern   in  ©elberlanb,  3.   \)an  SR^ee  ju  Seen,   ©.  g.  ©ejeüe 

aRcerburg  ju  Sllmferf,  bcibe  in  SRorbbrabant,  unb  ©.  Dan  SSeljen 

JU  2)roge^am  in   ^rieölanb.     ©ie  folgten  bem  feparatiftifc^cn 

ßugc  beä  ^ietiömuö,  tt)at)renb  anbere  ^rebiger,  bereu  Sied^tgläu* 

biflfeit  feftftanb,  unter  i^nen  9Äolenaar,  in  ber  Sanbeöfirc^e  blie* 

ben,  mo  fie  ni^t  ge^inbcrt  würben,  i^rer  Ueberjeugung  gemäß 

jU  wirfen.    3ene  93ier  waren  burc^aud  nic^t  alle  t)on  ber  Q\u 


360 

ftimmung  i^rer  ©emetnbcn  getrogen;  toentgftend  Derfuc^te  \Hin 
Seljeit  tmQcbliö)  feine  ©emeinbe  gegen  bad  neue  ©efangbnc^ 
aufjun)tegeln.  Son  ber  ©efarnrntja^l  t)on  747  @eclen  genmnn 
er  nur  40  $crfoncn,  unter  benen  a^t  t)oII6ered^ttgte  ©emehtbe« 
gliebcr  ttHircn,  unb  itoax  fiebcn  grauen  unb  ein  SRann  *).  Seboc^ 
toax  ber  näd^ftc  (Srfolg  ber,  bag  überaQ  @mppen  Don  ^etiflen 
im  Snfc^lug  an  bie  fec^d  ^rebiger  fid^  t)on  ber^ird^e  lodfagten. 
Sin  93erid^t  an  bte  @eneralf^nobe  Dom  10.  3uli  1836  bezeugt 
ed,  bog  bte  ^enfmcife,  n)eld^e  ie^t  bie  Reparation  ^erüorrufe, 
nid^td  neued  fei,  fonbern  bag  ftetS  eine  Steigung  ju  berfelben 
unter  bem  SSonpanbe  bed  äRangelS  an  Sfted^tgl&ubigteit  unb 
grömmigfeit  in  ber  j^ird^e  fic^  funb  gegeben  ftaht.  SHe  Qafjil 
ber  ©eparatiften,  cinfd^Ueglid^  ber  ^inber  toirb  in  jenem  QeiU 
punit  auf  4000  Deranfc^Iagt,  n)clc^e  faft  audfd^lie^Hc^  ben  nieberen 
SSoIföflaffcn  ange^ren  unb  „bereu  Sfleligionderlenntnig  auf  einer 
fel^r  niebrigen  @tufe  fte^t,  fo  bag  fie  faum  im  ©taube  fmb, 
t)on  i^rem  @lau6cn  Sted^cnfc^aft  abzulegen. "  Sd  tt)irb  ^injuge« 
fügt,  bag  biejenigen,  n)eld^c  man  in  ben  feparirten  ®emeinben  atö 
Seltefte  cingefe^t  ^at,  bid^er  unbefannte  ^erfonen  feien. 

SebcnfaÜd  l^attcn  au^  bie  ^rebiger,  n)eld^e  mit  i^rem  Xn« 
^ange  bte  n^a^re  reformirte  ßtrc^e  barjufteHen  behaupteten,  feinen 
Segriff  uon  ben  ftaat^rec^tlid^en  Öebingungen  i^rer  Cjiftenj. 
^ag  n^egen  ber  n)ieber^olten  Xumulte  in  Ulrum  be  Sodt  unb 
Rubere  mit  @clb^  unb  ©efäugnifeftrafen  belegt  tourbcn,  rechneten 
fie  fic^  ale  a)2art^rium  um  S^riftt  n^iOen  an ;  unb  ha%  nad^  bem 
franjöfifc^en  ©efe^bud^,  ujetc^cg  im  Äönigreic^  ber  Sliebcrlanbe 
gilt,  iebe  regelmäßige  SSerfammlung  t)on  me^r  aU  ituanjig  $er« 
fönen  ju  religiöfen  Qxocdcn  ber  polijetltc^en  Srlaubnig  bebarf, 
ober  ftrafbar  ift,  wollten  fie  nic^t  uerftel^en,  um  bie  ©törungen 
i^rer  SonDentilet  aU  ^Verfolgungen  bed  Glaubend  beuten  ju 
lönncn.  SScrfd^icbene  Petitionen,  njcl^e  bie  einjclnen  feparirten 
^rebigcr  an  ben  Jtönig  richteten,  erhielten  ben  93efd^eib,  bag  fte 
bie  Sleglcmcntö  unb  (Statuten  vorlegen  fotlten,  in  benen  bie  ©c* 
parirten  alg  befonbere  Äirc^engefeDfd^aft  erlennbar  tpären.  Dad 
toai  ben  Scutcn  fo  uuDcrftänblic^,  bag  fie  erflärten,  i^rc  Siegle« 
mentö  unb  Statuten  feien  in  ber  Confessio  Belgica,  im  Reibet« 
berger  Satec^idmud   unb   in   ber  Siturgie  ber  nieberl&nbifd^en 


1)  9^1.  Unruhen  6.  144. 


361 

Äird^c  enthalten!    Sluö  i^rcr   Ucbcrjcugung,   bag  jte  bic   alte 

legitime  rcformirtc  Äird^c  feien,  folgerten  fie,  ba§  bie  Slegicrung 

i^ncn  ben  ©djufe  juroenbeu   muffe,   meldten   fie  ber  burd^  jene 

@lQu6endregcln  bcjeici^neten  ^irc^e  fc^ulbig  fei,  unb  tparen  gar 

nid^t  barauf  gefaßt,  baß  bie  Slegierung  fie  aU  eine  in  reci^tlid^cr 

SBesie^ung  neue  ©emcinbe  anfa^.    S)cr  Separatismus  ftimmt  ja 

barin   mit  bem  SlomaniSmuS  ilberein,  baß  er  feine  Anfielet  t)on 

ber  Äirdje  als  öerbinbtid^  auc^  für  bie  ©taatSgenjalt  ad^tet,  tocil 

ber  eine  n)ie  ber  anbere  baju  anleitet,  bie  empirifd^e  Äird^e,  njclc^e 

er  meint,  bem  Sbeale  gleic^jufeften  (©.  261).    3)icfer  Unllar^cit 

in  ben  Ke^tSbegriffeu  cntfprad^  bie  Unflar^eit  beS  fittlid^en  iXx^ 

tt|cite,  baß  bie  ©cparatiften  bie  Verfolgungen  um  i^reS  ©laubenS 

n^tllen  ju   erfal^ren   t)orgaben,  unb  bo^  fe^r  ungel^alten  loaren, 

baß  man   biejenigen  i^erfolgte,  meldte  man  eigentlid^  e^ren  unb 

fc^ftften  foQte.    SllS  ob  nid^t  bie  Verfolgung  burd^  bie  SBelt,  — 

unb  alles  außer  i^nen  njar  ja  SBelt,  —  bie  einjige  C^re  toax, 

bic  i^nen  bic  SBelt  errocifen  lonnte!    ©ie  ujaren  alfo  bod^  nid^t 

fo  frei  t)om  SBeltfinn,  um   ni^t  ben  SBunfd^  ju  ^egen,  baß  fie 

möglic^ft  fd^neQ   ber  Verfolgung   fiberl^obcn  würben.    S)enn  bie 

SBc^auptung,  baß  fie  bic  bur^  bie  bejicidöneten  ©^mbole  t)or  bem 

©taat  ber  Sliebcrlanbc  Icgitimirte  Äirc^c  feien,   bejie^t  fid^   auf 

ein  gcf^id^tlic^cS  Saturn,  baS  im  untrennbaren  3ufammen^angc 

mit  politifd^en  ©reigniffcn  fte^t,  unb  als  folc^eS  jur  SBelt  gel^ört. 

Äonnten  alfo   bie  ©cparatiften  l)ierauS  ctttjaS  anbercS  fd^öpfcn, 

ctö  ben  SBeltfinn,  welcher  i^rc  Slnfprüd^e  um  E^rifti  n)illen  un^« 

llar    mad^tc?     S)cnn    bic   Äir^e,    ujclc^e   ©ubject    i^rer   @e* 

fc^tc^te  ift,  ift  ein  X^eil  ber  SBelt;  unb   bie  Äird^cngef^id^te 

tDirb    rid^tig   nur   ber  ©taatengefc^i^te,    nic^t   aber   ber  SBclt^ 

gcfd^id^te    entgegengefefet,   ia    fie    uon    biefer    nur    ein   3;^eil 

fft.     SBie  uiete  falfd)c  Slnjprfid^c   entfpringcn  aber  auS  bem  üb* 

lid^cn  ©prad^gcbraud^,  baß   bic  ÄHrd^cngef^id^tc  baS  Sine   unb 

>ic    SBcltgcfd^id^te    baS    Slnberc    fei!      3n    folc^er    Unllar^eit 

»cfangcn    ^aben    biefe    pietiftifc^cn   ©cparatiften   bic   ftaatlic^e 

HDrbnung  i^rer   (Sjiftenj  unnöt^ig  lange  öerjögert.    Crft  gegen 

Snbe  1838  betrat  bie  unter  ©polte'S  Seitung  ftel^enbc  ©emeinbe 

»-«:  Utre^t  ben  öon  ber  Regierung  geroiefcncn  SBcg,  unb  erl^iclt 

Dcnigc  SBoc^en  nad^l)cr   14.  g^bruar  1839  auf  @runb  beS  t)OX^ 

dcgten  ©tatutS  bic  ftaatUc^e  Slncrtcnnung  als  E^riftlid^e  fe* 

»<XTirte  @emeinbc.    2)iefclbe  Genehmigung  tourbe  furj  barauf  ber 


362 

unter  bc  Socf  ftc^cnbcn  ©cmeinbc  in  ©roningcn  ju  Il^cil.  3)ag 
©tatut  bietet  feinen  birecten  Slnlaß,  ben  pietiftifc^en  ß^arafter 
ber  ©emeinben  beutlid^  l^erüortreten  ju  laffen;  .inbeffen  öerrät^ 
eö  bodb  in  gewiffen  fünften  bie  Sntereffen,  njeld^e  bie  pictiftifd^c 
Senjegunfl  uon  Slnfang  an  geleitet  ^aben.  S)ie  SSorfte^er  unb 
2)iaIonen  fämmtlid^,  nici^t  bloö  bie  ^rebiger,  foUen  öor  i^rcr 
Drbination  bie  ©tjmbotc  ber  niebcrlänbifcf)en  Äird^e  unterjcidjncn, 
toeil  fie  in  SHIem  mit  ©otteö  SBort  übereinftimmen.  2öer  unter 
ben  fiaien  bie  @Qbe  ber  ©c^riftau^Iegung  unb  Srmal^nung  f)at, 
foU  bauon  in  ben  ©d^ran(en  ber  Orbnung  @ebrauc^  machen  nadf 
1  J£or.  14.  9)ei  ben  ^auSbefud^en  foQ  im  Slügemeinen  auf  bod 
Crnftlic^ftc  gewarnt  werben  uor  ber  Sle()nlict)feit  mit  ber  SBclt 
Sie  Unterlaffung  ber  ()äu!^(icl^en  $lnbad)tigfibungen  foll  bie  Senfur 
unb  im  gatte  ber  §artnäcfigfeit  Slnöftofeung  nad^  fic^  ji^^c"- 
3)ie  [taatlid)e  3lnertennung  ber  „Slbgefd^iebenen  reformirten  Äird^C 
bemirfte  natürlich  eine  grofee  SSermeI)rung  ber  3<i^i  i^'^cr  3Rit* 
glieber,  fo  \>a^  bie  1836  angegebene  Qi^a  uon  4000  ©eelen  afe 
balb  Weit  überboten  würbe.  993enn  nun  aud)  in  ben  folgenben 
3a^ren  Siele,  unter  it)nen  ®cf)olte,  nad^  Slmerifa  auögewanbcrt 
finb,  weit  fie  bort  itire  9Ibgcfd)ieben^eit  öon  ber  SBelt  fidlerer 
glaubten  bet^ätigen  ju  fönnen  als  im  SSatertanbe,  fo  bel)aupten 
fie  bod^  einen  anfet)nlid^en  Seftanb.  @ö  ift  feine  ganj  beutli^e 
Slngabe,  baß  1855  bie  feparirte  Äird^e  „wenigftenig  50000  bis 
70000  ©lieber"  umfaßt  ^abe*);  aber  wenn  fie  aud)  nur  unter 
ber  erften  S^^^^  gcfd^ä^t  werben  barf,  fo  ift  fie  burd^  eine  folc^c 
Qaf)l,  wie  burc^  i^re  Verbreitung  über  alle  5ßrot)injien  berSlieber* 
lanbe,  unter  benen  ©roningen,  grieSlanb  unb  ®fibl)olIanb  am 
ftärfften  befe^t  finb,  ein  3cw9"i6  ^on  bem  Umfange,  welken  ber 
Pietismus  wa^rfd&einli^  fc^on  in  ber  2Äitte  bcS  oorigcn  3at)r« 
l)unbertö  eingenommen  ^at.  3)ie  neuen  Sluflagen,  welche  feit 
1839  bie  ©d^riften  uon  Siobenftetin,  ben  bciben  Srafel  unb  an* 
bercn  ©d^riftfteltern  aus  bem  17.  3aftr^unbert  erfahren  l)aben, 
finb  ein  93eweiS  bafür,  baß  biefe  ©eparirten  bei  ben  geiftigen 
©d^äfeen  i^rer  Stauen  fid^  begnügen,  ©ie  pflegen  ben  ©inn  für 
baS  ältertpmlicfte  aud^  barin,  \>a^  bicfe  (grbauungSbüdjer  unb 
5ßrebigten  nic^t  gelefen  werben,  wenn  fie  nid^t  in  ben  fogenanntcn 
got£)ij^en  Settern  gebrudt  finb,  weldje   im    16.  unb  17.  3al)r* 


1)  $er)O0,  ffttaUdnü^liopS^hit  VI.  @.  239. 


363 

bunbcrt  für  bic  SBüd^et  in  bcr  Sanbcöfprnc^c  üblic^  tuarcn.  ffi^  ift 
mcrftpürbig,  roic  njcit  bcr  ©cfc^macf  bcö  ©taronjcrjentl^umg  aud^ 
in  bcr  abcnblänbifcl)en  Äird)c  reid^t !  3n  bcr  gricc^ifd^cu  Äird^c 
ift  bie  2lltcrtf)ümlid^fcit  uub  Unucränbcrli^Icit  beg  Eultuö  ein 
^auptmcrlmal  fcincö  SBertlöcö.  ©oute  bag  gleid^c  Sntcreffe 
innerhalb  be-5  cuangclifdicn  ß^riftcnt^umsJ  loirlli^  ba^  SRcrhnal 
bauon  fein,  ba§  man  fic^  auf  bcm  redeten  SBcgc  bcfinbct?  3d^ 
glaube  nic^t  bafe  bic  d)riftlic^c  ffirneucrung  bcö  mcnfdjlid^cn  Sc* 
bcng  gcrabe  in  bcr  Slbgcfc^loffen^cit  unb  ©tarrt)cit  bicfer  fepa« 
rirtcn  Sfirc^e  i^rc  jinjcdEmäfeigcn  SBcbingungcn  finbct.  Slber  id^ 
fürchte .  aud^,  bag  bic  bcr  reformirten  Sanbe^Iird^e  aufgcjujungcnc 
Separation  für  biefc  Äiirc^c  felbft  ni^t  in  allen  Sejicljungcn 
tjort^cil^aft  getoefcn  ift.  Snbeffen  fehlen  mir  alle  SKittcl,  um 
biefcr  SSermut^ung  präcifcrc  ©eftalt  ju  uerlci^cn.  gür  bie  @C:= 
fcl)ic^tc  beö  nicberlänbifc^cn  peti^muö  aber  crfc^cint  eö  mir  ate 
übcrflüffig,  feine  gortbouer  in  bcr  feparirten  Äird)e  auöfü£)rlid^er 
feftäuftellen,  ald  cö  burc§  bic  Slad^njcifung  it)rer  (Sntftc^ung  gc* 
fc^c^en  ift. 


®rttte8  iöu(^. 


tt  JJieti0OTtt0  in  htt  xtfütmxtitn  §tr(^f 


18.  UnmitteKare  CHmoirtungen  bei»  meberianbifil^en  $ietii»tniti» 
in  bte  norbbeutffl^ett  @e(tete  bcr  rcformirten  Strd^e. 

?ln  bic  öftlic^e  ©rcnje  ber  öcrcinigtcn  9licbcrlanbc  ange^ 
Ic^nt  jicf)t  fi^  im  njcftlic^cn  3)cutfd)Ianb  stoifc^en  bcm  SRl^ein 
unb  ber  S33cfcr  ncbft  if)rcn  QueUpffcn  üon  ber  5Rorbfce  bx^  jum 
SWoin  unb  jum  9lccfar  eine  Äette  bon  Territorien  reforntirter 
Sonfcffion.  3n  Dftfrie^anb  bilbet  bie  reformirte  Äird^e  eine 
2Äinorität  gegen  bic  lut^erifdöe;  an  ber  ©pifte  ber  reformirten 
Oemcinben  ftel^t  bie  ©eeftabt  @mben,  nad)  ben  SRieberlanben  ju 
geöffnet,  unb  be^^alb  j^u  einem  l^o^en  SWage  öon  ©elbftänbigfeit 
gegen  bie  lut^erifd^en  ©rafen  gelangt;  fie  ^at  mit  Unterftflftung 
ber  ©eneralftaaten  1595  bem  Sanbei^Ijerrn  ben  SSertrag  bon 
3)clfäiil  auferlegt,  lüelc^er  i^r  ben  auöfc^lieglidöen  SBeftanb  be^ 
rcformirten  ®otteöbienfte§  in  i^ren  SRauern  fid^ertc.  S)er  (£m^ 
>cncr  ßoetuö  umfc^Iofe  bie  reformirten  ^rebiger  DftfrieglanbS, 
mb  l^atte  genug  ®ett)i(^t,  um  bie  frü^  beabfi^tigtc  ©infeftnng 
inc^  confeffioneQ  gemifditen  lanbeöfürftlid^en  Eonfiftoriumö  auf 
cxnge  3cit  ^inauö  ju  vereiteln.  S)ie  ©aftfreunbfc^aft,  njeld^e  bie 
^tabt  Smben  ben  nieberlänbifc^en  ©alöiniften  niätirenb  ber 
cc^felfäQe  beö  SBefreiungöfampfc^  geroibmet  l^atte,  fo  baß  1571 
jclbft  öon  i^nen  eine  ber  conftituirenben  ©eneralf^noben  ge:= 
Itcn  tt)erben  fonnte,  ift  in  ber  nieberlänbifdien  Äird^c  nie  öer^ 
crffcn  tt)orben;  bie  Äird^e  in  @mben  Ijat  bort  ftet^  in  l^o^em 
Lnfc^cn  geftanben.  ©fiblid^  an  Dftfrieölanb  f daliegen  fid^  aU 
5€^e  beö  reformirten  Äirci^entl^um^  bie  SBent^eim'fd^en  ®raf* 
Soften  Sent^eim,  Singen,  ©teinfurt,  lecflenburg,  Sl^ebo;  in 
»TTcn  ift  freiließ  baffelbe  burcl)  bie  ©cujalt  ber  bcnad^barten 
Jifc^öfe  t)on  SKünfter  t^eitoeife  fe^r  eingefd^ränft  loorbcn.  S)iefc 
Sicuppe  im  ©tromgebiet  ber  6mi»  wirb  öftlic^  an  bem  untern 
^^b  mittlem  2aufe  bcr  SBefer  burc§  bic  ©tabt  SBremen  unb  bic 


368 

®raffc!^aft  Sippe  flanfirt.     ©üblich  fci^Ilefet  fic!^  an  jene  ®ruppc 
ber  SJcrbanb  ber   reformirtcn  ©cmeinben  in  ben  ^crjogt^ömern 
3üli^,   SIct)c,  58erg  unb  ber  ©raffd^aft  9Jiart  an.    Scnfeitö  bcö 
Sl^eineg  beginnenb,  tt)o  neben  ben  fparfamen  ©emcinbcn  bc^3ü^ 
licfter  unb   Eleucr  Sanbeö   nod^  bie  compacte  Seuölfcrung  bet 
Keinen   ©raff^aft  SReurd  in  Setra^t  fommt,  erftrecft  fic^  bicfc 
©ruppe,   njel^c  il^re  bi^tefte  Scöölferung   im  rcc^t^r^cinifc^en 
X^eil  öon  Sleöe  unb  im  ^eräogt^um  93erg  befaß,  an  ber  Sippe, 
SRu^r,  SBupper  hinauf  nad^  Dften  b\&  in  bieSlä^e  ber@raffc^ft 
Sippe.    Sine  britte  ©ruppe,   uon   l^ier  au^  füböftlid^   gelegen, 
roirb  gcbilbet  burc^  ba^  gür[tentf)um  Siieber^effen  unb  bie  ©raf^ 
fc^aft  3icgen]^ain   nebft  ben   in   ben   ober^effifd^en  ©täbteu  um 
äWarburg  §erum  gelegenen   öereinjelten  ©cmeinbcn,   ein  ©cbiet, 
njelc^e^  öftlic^  bid  an  bie  S33erra  unb  mit  §eröfelb  on  bie  obere 
gulba  reicht.  .§ieran  lel)nen  fic^  tocftlid)  bie  ©raffd^aften  SBittgcn* 
ftein,  bie  naffauifd^cn  ©raffd^aften  ©iegen,  S)ittcnburg  unb  S)iei 
unb  an   ben  SR^cin  öorgefc^oben   bie  ©raffd^aft  SBieb  unb  bie 
^efftfc^e  Siiebcrgraffc^aft  fta^cneUenbogen.    @ö  folgen  barauf  ofi* 
lic^   unb   füböftlic^   bie  ©raffc^aft  ©olmö^öraunfelö,  bie  Xerri^ 
torien  ber   in  fec^§  Sinien  get^eilten  ©rafen  öon  3fcnburg  unb 
bie  ©raffc^aft  $anau.    3Jlit  ber  Sfenburgifc^en  ©tabt  Dffenbac^ 
unb  ber  ©raffd^aft  §anau  reicht  biefe  locfere  Äette  öon  reformirten 
Territorien  bi^  bic^t  an  bie  I^orc  öon  granffurt  am  ÜRain,  mi> 
bie  beiben  reformirten  ©emeinben  am   öffentlichen  ©otte^bienf* 
i^er^inbert,  babur^  nur  um  fo  mel^r  auf  ben  engen  Slnfc^lug  o 
bie  Sonfefftonögenoffen  angeroiefen  toaren.    ©nblic^  fc^liefeen  fii 
bie  Sänber  ber  öerfc^iebenen  ^ßfäljifc^en  Sinien  auf  bem  §un 
rüden,  an    ber  Sla^e,   unb  tt)citer  hinauf  an  beiben  Ufern 
SRt)eined  unb  am  untern  SRecfar  an. 

3)ag  confefftoneDe  ©emeingefü^I  ber  Seöölferung  in  bief 
Säubern  ftanb  unter  bem  oortt)iegenben  ffiinfluS  ber  Slicberlanb^ 
3)ie  reformirten  Äird^en  biefer  ©cbiete  big  }u  ben  naffauifd^en  un 
ujetterauifd^en  ©raffc^aften  l^inauf  njaren  bei  ber  nieberlänbif^ 
9lationalft)nobe  ju  S)ortred^t  1618.  19  bet^eiligt  gcttjefen.    äuc^ 
bie  tt)eologif^en  ©^ulen   in  biefen  (Sebieten  folgten   bem  3ro*==* 
pute,    ber    Don  ben  Siieberlanben    ausging    unb    ftanben    rar" 
lebenbigften   äu^tauf d)  mit    ber    bort   bominirenben    9lic^tunftp^ 
toeld^e  j"  bamaliger  3^it  ouc^  bie  Ideologen  in  Süric^  unb  in^ 
Safel  in  i^rem  ©efolge  ^atte.    Unb  nid^t  gering  toar  bie  ßa^l 


m 

bcr  t^cologifc^cn  fieJ^ronftaltcn  *)  in  jenctt  Territorien;  fte  todt 
um  fo  größer,  je  mct)r  bie  reformirtc  85ct)öllerunfl  gwifd^en  Staif)o^ 
lifcn  unb  Sut^eranern  jcrfplittert  njar.  3ln  brci  Uniücrfitäten, 
®ui^burfl,  ajiarburg,  ^cibclbcrfl,  bcftanben  t^eoloflifd^e  gacul^ 
täten.  §cibelbcrg,  1652  naij  bent  brcigigjä^rigcn  Äricge  toic« 
bcr  ^ergeftettt,  tarn  frcilid)  in  ber  golge  am  njenigftcn  jur 
Geltung,  n)eil  bic  faft  ununterbrochen  forttpä^renbe  ßrieg^ 
not^  in  ber  jrociten  §älfte  be^  3a^r]^unbcrt3  auf  ber  ^falj  fd^tt)er 
lüftete,  unb  bie  Uniuerfität  tt)ieberf)oIt  lo^m  legte,  unb  n)eil  bie 
im  Sa^r  1685  bcginnenbe  ^Regierung  ber  Iatt)olifcl^en  Sinie  ^falä== 
Sleuburg  im  Sfurfürftent()uni  ben  rcformirten  E^aratter  ber  Uni* 
Dcrfität  uerfümmern  lieg.  ?lber  bafür  nat)m  bie  §o^e  ©c^ule 
jtt  §erborn  in  ber  naffauifd^cn  ©raffd^aft  S)iUenburg,  mit  t^co^: 
(ogifc^en,  juriftifdjen  unb  artiftifd)en  fie^rcrn  befe^t,  gerabe  in 
icncr  ©pod^e  faft  bcn  SRang  einer  Uniuerfität  ein.  Slufeerbem 
tDaren  mit  ben  Pieren  ©c^ulen  in  SBrcmen,  Singen,  SBurgfteinfurt, 
^amm  unb  $anau  tf)eologi)cf)e  ^cofeffuren  t)erbunbcn;  nament« 
lidf  bie  erfte  be()auptetc  bis  in  bad  18.  3a^r^unbert  hinein  einen 
titd^t  geringen  fRuf  für  bie  t^eologifd^en  @tubien.  Siefe  ©tilgen 
)ed  confefftoneücn  ©clbftgefü^l^  unb  ber  na^roei^bare  ßwfömmcn^ 
}anQ,  njcldjen  man  mit  ber  reformirtcn  Üird^e  ber  Slieberlonbe 
intcr^iclt,  laffen  ed  als  burcf)auS  unn)a()rf(i^ein(ic^  anfe^en,  bag 
)ic  ^Bewegung,  meiere  feit  1670  in  ber  lut^erifc^en  Äirc^e  burd^ 
Spener  ^erbeigefut^rt  tnurbc,  unmittelbar  Sinflug  auc^  nur  auf 
ie  granffurt  bcnad^bavten  reformirten  Territorien  ausgeübt 
ätte*). 

3n  ber  Äird^enucrfaffung  ujaren  bie  ®ruppen  bcr  refor* 
ürten  £^ird^e  einanber  ungleich.  @ine  üoQftänbige  Orbnung  Don 
Srci$bt)terien  unb  ®t)noben  bcftanb  nur  in  ben  Sänbern  ber 
Ilcoifd&en   Crbfc^aft;   biefc  SScrfoffung  n)ar  feit  1611  burc§  eine 


1)  X^oIudC,  Wabemif^ed  fieben  im  17.  Sa^rl^unbert,  2.  9[btl^etlnng. 

2)  Sart^olb,  ^ie  Qxtotditn   im   proteflanttf^en  ^eutf^lanb  tofil^renb 

fluSoangS  beS  17.  unb  in  ber  erflen  (^l\U  beS  18.  3a^r^unb<tt&;  befonbetS 

frommen   @rafen^5fe  (in  9lQumer'S   fyi^ot.  Soi^enbu^  1852.  63),  bringt 

donfejfionSunterf^ieb   bei   ber  Stmoirfung  Bptntt'S  auf  bte  bena^barien 

^figrafen  nid^t  in  ^nfc^lag,  fann  ober  (1852.  6.  179)  tteber  für  bie  3fen' 
L-c^^er,  no4  fttr  bie  iganauer,  no^  für  bie  SBittgenfleiner  trafen  unb  i^re  (Rt* 
m±t  eine  birecte  ^ebeutung  6pener'3  noc^ioeifen,  fonbern  bel^auptet  fte  nur  al8 
[iifüerfianbU^,  ttmS  fte  eben  ntc^t  tfl. 

I.  24 


370 

©cncrolf^nobc  5um  Slbfd^Iufe  gebraut  tporbcn ').  3n  Dftfricölonb 
tparcn  nur  bic  ©emeinbcn  prc^b^tcrial  gcorbnct,  bic  ^ö^crc  3n^ 
ftanj  bcr  ßlaffiö  toax  jcbod^  in  bic  ^dnbe  gciftlid^cr  3nfpcctorcn 
gelegt,  unb  bcr  Soetu§  ju  Smben  xoax  feine  @^nobe  mit  Suri^ 
biction  über  bie  ©emcinbcn,  fonbcrn  bie  SScrfammlung  ber  ^rc^ 
biger,  todäjc  bie  neu  Cintrctcnbcn  ^u  prüfen  unb  ju  orbinircn, 
fonjie  bie  S)igciplin  über  bie  SDiitgUeber  ju  üben  ^attc  *).    Äc^nlic^ 
toax  in  bcr  (Sraffc^aft  ÜKeurö  jfloax  iebe  ©cmeinbe  mit  einem 
^rei^b^terium  ober  Äirc^enratl)  t)crfef)en,  aber  nur  bic  ^rebigct 
ttjaren  in  bcr  Slaffiö  ftimmbered^tigt,  äcltefte  lamcn  erft  feit  1630 
JU  bcren  SSerfammlung,  aber  nur  um  über  bic  ©cmcinbcn  Sici^cn^ 
fdjaft  abzulegen.     j£)ie  Sloffi^  n^urbc  in  ©cgcntpart  bed  lanbe^ 
fürftlic^en  (im  17. 3a^r^.  naffau.-oranifdjen)  Sanbbroftcn  gegolten, 
o^ne  beffcn  ßwftintmung  lein  Eintrag  au^füf)rbar  war,  unb  tocldfct 
and)  badjcnigc   ausübte,   toa^  n)ic  ^irc^enjud^t  auis^fcl^cn  fonntc. 
2)ic  Slcmtcr  beö  ^ßracfcö  unb  beg  ©criba  ber  Elaffi^,  »eld^e  bic 
^irc^cni^ifitation  übten,  n^urben   t)om  fianbeSl^errn  übertragen, 
unb  jroar  auf  Scbenöäcit.    3n  beu  anbcren  fiänbcrn  rcformirtcr 
(Sonfcffion  n^ar  bie  Slcgicrung  bcr  Jlirci^e  unb  bie  ^i^iplin  nur 
in  ben  $änbcn  lanbcöt)errlicl^cr  93c^örben.    Söcnn  man  fic^  üor^ 
ftellt,  njic  jerfplittert  j.  Ö.   bic  Keinen  ©cbiete  ber  3fenbur9cr 
unb  gar  ber  Söittgcnftciner  marcn  ^),  fo  barf  man  nic^t  auf  eine 
^eilfamc  gü^rung   bcö  Äirc^cnrcgimcntd   in  bcnfelben   rennen. 
3cbenfattö  ipirb  fic^  äcigcn,  baß   bie  pictiftifc^en    änrcgungcn, 
mcld)c  in  ben  Säubern  bcr  Slcüifd^cn  ©rbfc^aft  fid^  ju  ben  6on^ 
öentilcln  jufammcnfanbcn,  in  ben  mittclbcutf^en  Territorien  tc^ 
formivter  Sonfeffion  burc^ge^cnbs  jum  Separatismus  auSfc^lugcn. 
S)iefcr  ocrfdöiebene  (Srfolg  ift  ai\^  bcr  unglci^en  SScrfaffung  öct^ 
ftänblic^.     Unmittelbare    @inmirfung    übten    bie    Derfc^iebenen 
$^afen  bcd  niebcrlänbifc^cn  ^ictii^muS  nur  in  ben  iunöd)ft  ge^ 
legenen  nicbcrr^cinif^en  fiänbcrn  unb  in  DftfrieSlanb.    3n  bicjc 
@ebiete  übertrugen  ftc^  jene  Srfc^einungcn  i)auptfäc^Iic^  baburc^, 
baß  bic  S)icner  ber  Äirc^e  bafelbft  i^rc  t^cologifd^e  ©Übung  t)or< 
l^crrfc^cnb  auf  ben   nicberlänbifc^en  Unit)erfttäten   fanben.   2)ic 

l)~®öebcl,  II.  6.  1—124. 

2)  Meiners,    Oostfrieschlands   kerkelijke   geBchiedeniase    (1739) 
IL  p.  18—27. 

3)  !Ra4  Sort^olb  1852,   8.  190  ^ite  ®raf  (Bu^to  au  XBUigmPeui 
in  2aa9p^t,  geboren  1683,  nur  332  fd^o^füd^tige  Untertanen. 


371 

näcf)[tc  3lufflabc  ift  nun,  bic  gällc  bicfcr  Slrt,  mcldjc  in  \)a^  17. 
3a^rf)unbert  gehören,  }ufamnteniu[tcllcn. 

1.  3)ic  ©cmcinfc^aftöform  bcö  ^ietiömui^  pnb  bicßontocn- 
tifcl.  S)icfclbcn  ftnb  in  bic  nicbcrr^cinifc^c  Äirc^c,  unb  jrtJör  in 
äl2äl^cim  an  bcr  dtnf)x  im  ^cr^ogt^um  93erg  Don  X^cobor 
Unterere!  0  feit  1665  eingeführt  njorben.  2)iefer  SKann  ift  in 
Utrecht  unb  in  ficibcn  ©c^filcr  t)on  SBoct  unb  t)on  Socceiu$  ge^^ 
n)efen;  in  jener  @tabt  f)at  er  unter  bem  Sinflug  t)on  Soben« 
ftc^n  unb  bcffen  ©cnoffcn  Suftu^  üan  ben  SBogaart  feine  ^c^ 
Ic^rung  erfatiren.  3)a§  er  naä)  einanber  in  SWul^eim,  in  Eaffel 
unb  in  93remen  jum  Sirdjenbienft  berufen  n^orben  ift,  madjt  ben 
lebhaften  äBec^fclüerfc^r  Qnfd)Qulic^,  in  n^eld^em  bie  SRefomtirten 
bed  n)eftli^en  ^eutfdjlanb  unter  fid^  t)erbunben  n^aren.  SBon  ben 
©Triften  UnteretjcF^  ift  baö  „^aüdnlaf)"  eine  praltifci^e  2)ognta5 
tif  in  ber  Sform  ber  Sunbeöibee.  3n  bem  SSorberid)t  ju  biefem 
3uc!^e  bcfcnnt  llnterct)cl  fein  ©efaden  an  ben  ©c^riften  Don 
Soccejud,  unb  bag  ^er  I)in  unb  ()er  mit  beffen  Salbe  gepflügt 
^abc."  ^em  SSorbilbe  biefed  äJ^anneS  entfprid^t  ed  and),  bag  in 
bem  ,,§aDeluia^"  jebe  fiet)re  uon  ber  Äirc^e  fe^It;  bie  ^eiUorb* 
nung  an^  ber  Sbee  bcS  @nabenbunbe^  ben)egt  fid^  im  Stammen 
bed  inbiDibueUen  @(aubenS.  Soccejud  fie^re  t)om  Sfleic^e  ©otted 
ift  in  ber  SSorrebe  ju  ber  „Söraut  S^rifti"  ongebeutet,  nämlic^ 
borin,    ba§  bie  gel)eiligten  ©Triften  nic^t  nur  bic  Pfeiler  ber 


1)  (Beboren  au  i)ui8burg  1635,  ^rebtger  )u  iDIÜl^etm  an  ber  IRu^r  1660, 
(ofprebiger  in  (laffel  1668,  ^oflor  su  6t.  Martini  in  Bremen  1670,  geflorben 
bafclbp  1693.  Son  feinen  Schriften,  n>eI4e  in  einem  entfe^Iid^  fd^nerfdOigen 
6iU  gef^rteben  finb,  fommen  in  ^etrac^t:  ^oüeluia^,  ba6  i^  (Sott  in  bem 
Sfinber  t^erflfitet,  ober  beS  Sflnberd  SBonberflab  )ur  (Sr!enntni6,  (Beniefiung 
imb  Serdfirung  (BotteS.  ^anau  1668.  3n>eite  9[ufl.  i^erborn  1722.  4.  ((Sin 
bcabMtigter  gmetter  Z%t\l,  ber  eine  fpecieOe  ^flic^tenlel^re  entbalten  foOte,  ifl 
ni4t  erfc^ienen.)  —  (S^rifti  $raut  unter  ben  XS^tern  t)on  Saobicea;  baS  i^ 
ein  ^o4n5t^iger  Xroctat  in  liefen  legten  Sogen,  barinnen  bie  ftraft  beS  feiig« 
mo^enben  (BlaubenS  üertl^eibiget  ttirb.  3n  brei  feilen  fiber  bie  unfel^Ibaren 
l^ennaet^en,  bie  t^erfc^iebenen  i^inbemiffe,  bie  baju  ge]^5rigen  ^Rittet,  i^anau  1670. 
SlDfite  lufl.  granffurt  1697.  —  Unioi^tig  finb  folgenbe  Heinere  Cd^nften: 
fBegttetfer  ber  dinfdltigen  )u  ben  erften  ISuc^flaben  beS  loal^ren  C^riflentl^umS 
(etil  l^ate^iSmuS);  i)er  einfältige  (SJ^x'x^  bur4  toal^ren  (Blauben  mit  d^riftuS 
MTeinigi,  beibe  Bremen  1706.  16.  !Rotisen  fiber  baS  Seben  t)on  Unterere!  bei 
Ret«  lU.  6.  118—127.  9gt.  9oebeI  II.  e.  300—312.  S)iefer  G^rift« 
flefla  ^t  audf  Veten  au8  bem  S^nobalard^it)  in  Duisburg  bemi|t. 


m 

Äird^c,  fonbcrtt  aud^  boju  ein  ©d^mucf  bcS  Sicid^cS  ß^rifti  ouf 
(£rbcn  finb.  ^iefe  ©c^rift  ift  ein  boctrinäred  (Srbauuiig^bu^, 
beffcn  einzelne  Kapitel  begteitet  fiub  t)on  Slu^jfigcn  aud  JÜirc^en^ 
öQtctn,  CQlöiniftif^cu  2)ogmatifcrn,  cnglifd^cn,  ntebcrlänbifd^, 
bcutfd^cn  äelctifern.  Unter  biefcn  tüerbcn  auä)  Sodann  Ämb 
unb  ^einrid^  SRüHcr  bcnufet.  Untcretjcf  rc^tfcrtigt  ftd^  barüber, 
bafe  er  ftc  „unter  bic  Qa\)l  ber  Unfern"  gefegt  ^abe,  »eil  jic 
and)  bei  ,,mc]^r  gottfclig  gelef)rten  ^rcbigern  in  ^ot)en  (J^ren* 
feien.  SSon  Sutt)er'^  ©d^riftcn  l^ingegen  mac^t  er  leinen  ®^ 
braud^. 

S)ic  ßuftänbe  ber  Ätird^e  beurtl^eilt  Unterct)cf  ebenfo  tt)ie  So* 
benfte^n  unb  bie  anberen  gkic^gefinnten  B^ugni.  @r  crflart  mäj 
in  §infid^t  ber  Äirc^e  feinet  SJatcrlonbeö,  in  i^r  ^abe  fic^  eine 
©id^er^eit  Verbreitet,   baß   mau   bei  bürgerlicher  (S^rbarleit  unb 
äußerer  gotte^bienftlid^er  ©itte  fic^  auf  bie  Söarm^ersigfeit  @otte« 
öerlägt.    Cr   finbet,    bag   öiclc  ^rcbiger  auöbrüdElic^e  ©pötter 
cine^  ^eiligen  SBanbete  finb,  unb  ia^  \old)c,  bie  in  i^rem  Amte 
o^nc  Siad^brucf,  Äraft  unb  Seben  erfunben  lüerben,  baö  geiftlic^c 
Seben  ber  treuen  Änecl)tc  @ütte*5  für  neue   ©d)n)ännerei  unb 
©ectirerei  crflärcn.  Snbcm  er  in  ber  „SBraut  E^rifti"  ben  frommen 
Seuten  SBaffen   bietet,   um   jene^  S^riftug  fränienbc  ©efc^wäj 
ju  ftiüen,   ift  er  fid^   benjußt   9ieuc!§  unb  Keformatorifc^e^  j« 
leiften.    Qnx  93en)ä^rung  beö  S£)riftenftanbe^  unb  jur  Unterfc^* 
bung  ber   ?luöenüäf)lten   üon   ben  3cilgläubigen  lommt  e^  i^w 
barauf  an,   bag  man   bic  unerforfc^lic^e  SBarm^erjigleit  bed  (A* 
genugfamen  @otte^  burd()  eine  unaudfpre^lic^e  ©emeinfc^oft  mit 
bem  einigen  ®ott  in  ©^riftuö  feiig  fd^mecft  unb  genießt,  baß  ber 
SSater  mit  bem  ©o^nc  burcl)   ben  ^eiligen  ®cift  unb  feine  ^eilij 
unb  frcubig  mac^cnbe  &^raft  bei  bem  ©laubigen  einfe^rt,  baß  ber 
©eift  ber  §ciligmac^ung  unb    bei^  Xrofte^   mit  feiner  3"^^ 
unenblid^  Übertreffenben  ©üßigfeit  feine  ©c^üler  untcrweifet  unb 
erleud|tet.    S)aö  fei  bic  ^Bereinigung  jn)ifd)cn  (Sl^riftu^  bem  Sri«* 
tigam   unb   ber  Sraut.     33iefe  Seftimmung  be^  ®nabenftanbe§ 
^ait  fic^   Don  ber  eigentlidj  mt)ftifc^en  ^o^^^cl,   baß  mau  mit 
©^riftug  }u   @inem  ©elfte  n)irb,  fern,    ©ic  ftimmt  jnwr  nW 
genau  mit  bem  überein,  roaö  Sobcnfte^n  fpäter  in  ben  ^^^ifi^' 
ungcn  gion^"  nicbcrgelegt   l)at,  fic  ift  aber  bo^  too^l  auf  fei»« 
Anregung  jurücfjufü^ren,  ba  er  ben  tion  XceUindt  angefc^tagenen 
Ion   be^  §o^enlicbe^  fortgepflanjt  t)at  (©.  172).    «Oein,  ftajl 


373 

fi^,  toic  gelangt  man  jur  SSerficgcIung  bicfcr  fußen  ©cmcinfc^aft 
©ottcd  mit  bcn  auöcmä^Itcn  ?  auf  bem  SSSege,  bog  mon  @ott 
über  aUc  Söclt*  unb  gleifc^cggüter  liebt  unb  fud^t;  ^ieburc^  unter* 
fc^eibet  man  fid^  t)on  ben  3<^itgläubigen  unb  i^rer  eingebilbeten 
greubc,  ©cnjiffcn^ru^e,  Dermcintem  Iroft  unb  ©cfdjmocf  on 
^immlifc^en  S)ingcn!  Sn  Uebcreinftimmung  mit  Sobabie  fc^ilbcrt 
bann  Unteretjcf  bcn  @egcnfa^  imifd^en  @ott  unb  SBelt  fo,  bag 
man  ba^  Älofter  aU  bcn  einjigen  Ort  erfcnncn  müßte,  in  weld^em 
bic  uon  i^m  gcfteUtc  Slufgabc  i^rc  Söfung  finbcn  fönntc.  3lbcr 
bicfc  Slu^funft  liegt  außer  bem  ©cfic^töfrcife  bcg  rcformirtcn  ^rc* 
bigeri^;  toa^  bleibt  alfo  übrig,  ald  baß  er  feine  Slnfprücbe  einiger* 
maßen  ^erabftimmt  ? 

Sd  ift  ja  bie  gcmcinfame  Srf^cinung  bei  allen  und  befannten 

Agitatoren  bcd  religiöfcn  @efül]lg  unb  ber  frommen  ©enußfud^t: 

fie  muffen  jugefte^en,  baß  ber  ©cfc^macf  bcr  überirbifd^en  ©üßig* 

feit  bcd  93räutigam^   mit  Smpfinbungdlofig!cit   ober  Saite  ab* 

»ed^felt.    S)cmgemäß  ermal^nt  au^  Untere^dE,  man  foUe  and  ber 

iDeniger  gefüllten  ^arm^erjigfeit  @otted  ni^t  barauf  f^licßen, 

baß  bic  aufri(^tigc  ^erjendncigung  ju  bem  iU^e^rgeliebten  (@ott) 

fe^lc.    S)ie  tt)efentli^e   gigcnfc^aft  bcr   Äinber   ©otteö   befiele 

nic^t  barin,  baß  fie  ©ottcö  tröftenbe  @nabc  unb  Siebe  jur  SSer* 

gebung  bcr  ©finbcn   unb   i^rer  ©celcn  .  getofinfc^tc  SRu^c  unb 

3frcubigfeit  cmpfinben,   fonbern  barin,   ba^  fie  mit  SSerleugnung 

QÜcr   öcrmeinten  SScrgnüglid^Icit   brcfcr   SBclt  allein  bie  93rüfte 

bcö  ^immlifd^cn  Sroftcö  winfelnb  fuc^cn.     Sluc^  fe^le  bie  Siebe 

ju  @ott  nic^t  in  bcr  ISmpfinbung  ber  Saltfinnigfeit,  n^enn  babei 

t)or&c^altcn  bleibe,  baß  man  }uglcid^  geringere  ßuncigung  ju 

XUcm  n^ad  irbif4   n^cltlic^   unb  ücrgönglic^  ift,  bei  fid^  fü^le. 

9&ot)xn  Qctatf)  Untcrctjcf  mit  biefcn  ßugfftänbniffen?  äRan  lann 

nxd)t  öcricnncn,  baß  er,  ä^nlid^  tok  g)üon  (©.  254),  fid^  auf  bie 

Sinie  bed  correctcn  SaloiniSmuö  ijurücfäic^t,  welche  er  jucrftroeit 

JU  fiberfliegen  unternimmt.    3llfo  cd  fommt  nic^t  not^n^enbig  auf 

bcn  Scft^,   auc§  nic^t  einmal   auf  bad  aufgeregte  3)egc^ren  bed 

<ScUgfeitdgenuffed  an;  auc§  bic  Saltfinnigcn,   toelc^c  jene  Sr* 

fa()rungen  abn)artcn,  finb  berc^tigt  ftd^  ju  ben  Sludcnoä^lten  }u 

ted^nen,  menn  fie  mit  ber  Siebe  j(u  ®ott  bie  Slbmenbung  \)on 

ber  SBelt  üben ;  fie  unterfd^eiben  fic^  babei  Don  bcn  ßcitgläubigen, 

)j9tnn  fie  unter  allen  f^ällcn  Don  ©ünbe  ben  äRaßftab  ber  $rä« 

(tfttät  aufredet  erhalten   unb  bie  l^eilige  SSerjtPeifelung  in  Ad^t 


374 

nc()mcu,   wddic  fic   immer  luicbcr  Don  bcr  993clt  abiicl^t,  uiib 
i^nen   bte  Siebe  ju  @ott  einprägt.    9liemanb  aber  niug  fo  ein« 
fältig   fein  jn  urt^eilen,   bag  er  barum  bad  Srbifc^e  me^r  (ie6e 
ald  baS  ®öttlic^e,  n^eil  er  ben  Xag  aber  in  feinem  S3eruf  mit 
irbifc^en  fingen  befc^äftigt  ift.     ^enn  n^enn  man  biefeS   aud 
fitebe  ju  @ott  unb  nac^   feinem  S3efe()(  treibt,  fo  fi^t  bei  aller 
Sufmerffamfeit  auf  bad  ©i^tbare  unb  SSeltli^e  bte  Derfc^Ioffene 
fiiebeSneigung  ju  @}ott  am  Sluber;  unb  biefelbe  ift  gfiltig,  inbem 
man  in  feinem  Serufe  nid^t  njiber  @ott,  fonbern  unter  bem  ?(n» 
triebe  feiner  S^re  tt)ätig  ift.     Sag  geiftlid^e  Seben  alfo  beftätigt 
ben  n)eltlic^en  93cruf,   inbem  eS  i^m  eine  neue  geift(ic!^c  ^tbt, 
Srocd,  @runb  unb  Sefc^affenl^eit  auftreibt,  unb  cigennüfeige  unb 
niebrige   Setteggrünbe    augf^liefet.      SKit    biefer    cöangelift^cn 
fiebendorbnung  ift  nun  aud^  bie  Slusific^t  auf  ba^  Slofter  befci« 
tigt.    3n  bemfelben  ©inne  aber  urt^eilt  Unterere!  njcitcr,  baß  bic 
©fiter  biefer  SBelt  auc^  ben  frommen  auf  bem  SBegc  jum  SSatcr^ 
lanb  einigermaßen  bicnftbar  unb  gebräuchlich  finb,  toenn  fie  mit 
SJtägigfeit  genoffen  unb  gemeinnü^ig  uern^enbet  n^erben.  9uc^  auf 
bie  äBa^rung  ber  eigenen  S^re  barf  man  bebad^t   fein,  nK:nn 
unfere  Steinigung  unb  Slec^tfertigung   ber  ©ac^e  @ottcd  jutrag- 
lieber  gefunben  n)erben  mügte,  als  menn  n)ir  barauf  Derjic^tctcn. 
Snblic^  auc^  aber  bad  äugerlid^e,  bie  SSelt  unb  bad  tJrleif^  cci^ 
jenbc  Sffiefen  (excelsa  mundi)  fällt  Unterere!  fein  rigoriftifc^ed  Set* 
bot,    fonbern    giebt    an^eim,    bag   man    mit    ©c^Iangenflug^cit 
barfibcr  j^u  8?at()e  gel^e,  mie  man  innerijalb  biefcö  ©cbieteö  glcid)* 
jeitig  bie  Erbauung  beS  9lebenmenfd^en  unb  bie  SBerantmortlic^' 
feit  für  fidi  fclbft  öor  ©otteS  ©eric^t  ma^rjune^men  ^abe.  SBa^ic* 
lic^  auf  folc^e  ©runbfäfte  gefunbefter  Slrt  ift  man  beim  SBcgini»^ 
biefed  SBerfeg  nic^t  gefaßt.  3ft  aber  nic^t  bie  ©rmägigung,  tt)cld^^ 
Untere^cl  felOft  im  Serlauf  beffelben  Su^e^  feiner  urfprünglid^€r^ 
9lid)tung  auf  ©efü^I^agitation  unb  äSeltflud^t  angebei^en   lag^'^ 
n^obei  er  big  ,^u  bem  DerfängUc^en  ©a^e  üorfc^reitet,  bag  m(0 
nur  ©Ott  me^r   lieben  foUe,  alö  bic  S)inge  ber  SBcIt,  ift  ni 
biefe  (Ermäßigung  ber  treffenbfte  äßagftab  jur  Seurt^eilung  jcn 
^oc^ftiegenbcn  geiftlic^en  ©enußfuc^t? 

3)arüber  finb,  tt)ie  eö  fc^eint,  bie  SKeinungen  fc^on  ju  UiT" 
teretjcf'ö  Sebjeiten  üerf^ieben  genjefen.  6r  ift  in  feiner  SBirffa«^ 
feit  aU  ^rebiger  o^ne  3^^if^^  ^^^  9(nforberungen  nad^gefommei^ 
n^cld^c  er  an  feine  ©tanbei^genoffen  fteät,  bag  fie  nic^t  blodna^ 


375 

bcm  aWoßftabc  formaler  aicdjtgläubigfcit,  [oiibcrn  in  bcr  ©d^ulc 
beg  ^eiligen  ©ciftei^  öon  @ott  fclbft  auf  Verborgene  SBeifc  inner* 
lid^  untcrrid)tet  fein,  baß  fic  gemäß  eigener  ©rfo^rung,  mit 
häftigem  Slad^brud,  mit  geheiligter  SBetocgung  beg  ©emüt^eg 
i^ren  amtli^en  $flid)ten  obliegen  foQen.  @r  ^at  aber  ju  bebt 
Qtocd  ber  Sefferung  ber  fird)Ii^cn  3"ftänbe  nic^t  bloö  bie 
fircftcnorbnung^mäßigen  |)auögotteöbienfte  eingefd^ärft  ^),  fonbern 
er  ^at  aud^  nad^  bcm  in  Utred^t  befte^enben  SKufter  in  ber  ©e* 
meinbe  gu  SWüI^eim,  fpäteftenö  feit  1665  (tt)ie  ©oebel  ongiebt) 
regelmäßige  ^riüatöerfammlungcn  eingeführt  *).  S)a§  ift  bie  erfte 
(Erfd^einung  ber  Srt  innertjalb  35eutfcftlanb^.  Snbeffen  fjat  Unteretjd 
babci  auSbrüdli^  ben  öffenttid)en  ©otte^bienft  atö  bie  ^aupt- 
fac^e  ancrfannt,  fofern  nnter  if)m  ba§  ^erj  bie  Verborgene  Untere 
rebung  unb  ©emeinfc^aft  mit  ®ott  üben  foQ.  @r  ^at  audbrüd« 
Itc^  baüor  gen^arnt,  boß  man  fidj  uon  bemfelben  jurüdjiel^e,  n)ci( 
er  in  geift*  unb  fraftlofer  ärt  gehalten  njerbe,  unb  njeil  5ßrebiger 
unb  @cmeinbe  irbifd^  gefinnte  ^aud)biener  n^ären.  @o  lange 
bem  njefentlidien  ©runbe  ber  ©eligfeit  nid^t  iutt)iber  gelehrt 
njcrbe,  fei  c^  bcr  6^re  ®otteö  unb  ber  d^riftlic^cn  Siebe  gemäß, 
au^ju^arren.  3^91^^^  W^  Untere^d  ben  frommen  uor,  lein 
Äcrgcrniß  ju  geben  burd^  Urt^eile  über  anbere  Scute,  burd^  SSer* 
ffiumniß  i^re§  Öcrufg  um  iftrer  gotteöbienftli^cn  ©cfc^äftc  njiflcn, 
burd^  j£unbgebung  i^rer  geiftlid)cn  Zraurigfeit  in  bem  bürgerlichen 
JBcrle^r  mit  anber^  ©efinnten.  Äurj  nad^  allem  biefem  erfd^cint 
Untcrc^d  aU  ein  SRann  ber  rid^tigen  SRitte  in  aQcn  praftif^en 
S5cjic^ungen  bc^  d^riftlid^en  SeOen^.  Daö  ift  nun  ni^t  öon 
Allen  üerftanbcn  njorben.  SReig  njenigften^  erwäfjnt,  baß  Unteret)d'd 
@runbfag  t)on  ber  @c^langenflug^cit  im  @cbraud)  bcr  fogenannten 
SRittelbinge  auf  jioften  ber  Slaubcnein^alt  mißbraud^t  n^urbc  unb 
lujuriöfe  SRcufd^en  il^rc  Sebenönjcifc  burd^  jene  ©rlaubniß  be* 
Tcc^tigt  gead^tct  ^aben.  ©o  njie  nun  SReig  (ber  1679  in  93remen 
ftubirt  ^at)  fclbft  erflärt,  baß  er  baburd^  jur  rigoriftifd^en  Sin* 
fic^t  über  bie  excelsa  mundi  ben^ogen  n)orben  fei,  unb  beS^alb 
feine  auf  Untere^d'3  ©runbfag   fußenbe  ©dirift   de  prudentia 

1)  8fir  beten  Ucbung  flnb  bie  beibcn  lated^etifd^n  S^rtftcn  befittntnt. 

2)  l^neluia^  6.  589:  ,^a^er  i^  au4  fol^c  bur^  0ottc8  ®nabc  in 
mit  fr&ftig  gettcfcne  $Tcbtgten  mit  befto  grögcrer  Sfreubigfeit  unb  tlufmunterung 
ber  Seele  ba^im  unb  in  bcr  (ScfeOfc^ft  gottfcliger  Scute  locitet  na^iufocfd^n 
unb  mit  benfelben  )u  mieber^olen  getoo^nt  bin/ 


376 

ecclesiastica  öffentlich  tuibcrtufen  Ijabc,  fo  locrbcu  nm^rfc^nlic^ 
and)  nod^  anbete  t)on  ben  frommen  Sn^ongem  Untere^d'd  geu^ 
t^eitt  ^Qbcn. 

9uf  biefem  fünfte  tpentgftcnd  ift  ber  mit  Untere^  na^ 
öemanbte  SBil^cIm  S)icterici  ftrengcr  afe  jener.  Sdjwißaber 
nid^t  bie  Siegeln  ber  $rSctfität  tpteber^olen,  tpelc^e  ber  jmeite 
Xl^eil  fetner  ©d^rift:  „^er  n^o^re  inn^enbige  unb   au^nicnbige 
ß^rift"  barbietet  *).    35icfer  ©d^riftfteflcr  bejeugt  bie  JBerberbniJ 
ber  c^riftU^en  ©efeQfd^aft,   einfd^Iie§Ii^  be^  geiftttc^en  ©tanbed 
in  bemfelben  Umfang,  xok  btei^  bon  ben  nieberlänbifd^en  Z^eotogen 
gefc^e^en  ift;  ferner  ftellt  er  im  erften  X^eile  bie  ernfte  (Erfahrung 
ia  (S^rtftent^umd  ber   oberfläd^li^en  $ra£i^  ber  ß^i^Sl^ut'iO^R 
gegenüber,    ^ie  ganje  Steige  Don  ©nabenn^a^I,  Srlöfung,  SBeni« 
fung,  (Erleud^tung,  Sied^tfertigung,  SBiebergeburt  unb  SBele^rung 
tpirb  in   enblofen   SBiebev^oIungen  jur  birecten  IErfa()rung  ein' 
geprägt,   an  einer  äßenge  t)on  ^ennjei^en,   bon  toeld^en  man 
miebcrum  fiennjeid^en  forbern  möd^te.     Sd  ift  biefelbe  aRanier, 
nKtd^e    nad^  ^ieterici   Don  äBil^elm  93rafel  unb  SSerfc^uir  gcüU 
n^orben  ift.    2)ie  ^auptfac^e  ift  aber,  bog  nad^  bem  @d^mer}  ber 
äBiebergeburt  bie  Smpfinbung  ber  ©cmeinfd^aft  mit  @ott  eintritt, 
beren  SBorfteQung   aui^  bem   m^ftifd^en  ©prad^gebraud^  entlehnt 
ift  unb  beren  ^arftedung  in  ben  93ilbern  bed  ^o[)enliebed  cul< 
minirt.    2)ie  X^atfad^e  ber  SSerbunfelung   ober  ber  (Sntjic^unfi 
ber  ©emeinfc^aft  mit  @ott  fül)rt  aber  toieber  auf  bie  ort^oboj^ 
Äefignation  in  bem  befannten  ©d^Iuffc  jurüdt,  ber  I)ier  nur  eincti 
pietiftifd^en  93egriff   in  fic^   t)at  aufnehmen  muffen:  Aue  toelÄ^ 
nad^  ber  ©erec^tigteit  S^rifti  ^ungern  unb  burften,  werben  felt^'« 
i^  jüngere  unb  burfte;  alfo  lüerbe  ic^  feiig.    Sebenfallg  fonii*^ 
bad  kefuUat  bed  ^riebcn^  mit  ®ott,   auf  ba$  bod^  alled  ai 
fommt,  nämli^  bie  ^reubigfeit  ber  @ottedfinbfd^aft,  bie  ang^ 
ne^me  93etrac^tung  ber  ©emeinfd^aft  mit  (S^rifto  unb  bie  fonbc 
lic^e  SBergnügung  unb  9{u^e  in  ©otte^  Slegierung,  nämUd^  b( 


1)  ^cr  loa^rc  intoenbigc  unb  auStoenbige  (^(rtfl,  bal  xft  9[bbilbtti 
eines  re^tl^affencn  d^riflen,  t^orffeHenb  in  gtoei  X^etlen,  tote  ein  toastet  &f\ 
fotoo^l  innerli^  befc^affen  fein,  al%  au4  Su^erlid^  int  X^un  unb  SBanbel 
t>txf^alUn  mflf{e.  gfrat^rt  a.  Wt.  1680.  3weite  tCu^.  nod^  bem  Xobe 
SetfafferS  oeranfiaUet  t)on  0ottfrieb  9fingfl,  $tof.,  $fartet  unb  Confifbridi^ 
in  l^nan,  1698,  no^mals  1716.  —  bietend  oar  l>on  1670  an  ^«ner  T  ^ 
i^erforb,  ^etmolb,  Sippßabt,  t)on  1685  an  in  Solingen,  ge^rbcn  1690. 


877 

aOcd,  ipad  uns  begegnet,  bou  einem  üerfö^nten  93ater  l^erlommt 
unb  jum  Scften  bienen  muß,  —  biefeS  fRcfultot  !onntc  mit 
loeniger  Umftänben,  atö  n^eld^e  Sieterici  mac^t,  flor  gefteQt  xocu 
ben.  ©oQte  aber  bie  Srfa^rung  beS  St)riftent^umd  burd^QuS  bem 
Seitfoben  ber  bogmotif^en  2)tftinettonen  folgen,  fo  brauchte  ft^ 
©icterici  nic^t  barfiber  ju  rounbern,  bag  fo  oiele  ßf)riften  ber 
ISrfenntntg  entbehrten  unb  auf  bem  ^iev  eingefd^Iogenen  äBegc 
btc  i^nen  5ugemut^ete  IStfo^rung  nid^t  mad^en  lernten.  Untere^d 
unb  ^ieteriet  repräfentiren  ben  $iettSmud  ber  ebongelifc^en 
aiic^tung  für  baS  ©ebict  ber  nieberrl^cinifc^en  Äird^c,  unb  ftc 
^aben  biefer  9)ic^tung  faft  gleid^jeitig  mit  äBitftuS  unb  nod^  uor 
SBit^elm  93rQfe(  literarifd^en  SluSbrud  berlie^en;  ein  nac^träg« 
lid^er  Sen^eid  bafür,  bag  bie  t)on  SBil^elm  ZeeUinc!  unb  bon 
fiobenfte^n  angeregte  Orientirung  ber  ^römmigleit  an  bem 
©c^ema  beS  Ijeitigen  93ern^Qrb  im  ©tiQen  bie  n^eiteft  greif enbc 
SBirlung  gef)Qbt  \)ai. 

2.  3n  Oft fri erlaub,  fpecieQ  in  (Smben  ift  bicfelbe  93e* 
niegung  juerft  burd^  einen  ernftigen  Soeeejaner,  3o^anned 
Klar  bin  0  angebahnt  n^orben.  @eboren  ju  Bremen  1639,  in 
feiner  SSoterftobt,  bann  in  fieibeti,  nod^  unter  SoeeejuS,  unb  in 
©roningen  gebilbet,  f)at  er  üon  1666  bii^  an  feinen  lob  1707 
ber  ©emeinbe  ju  Smben  gebient,  unb  21  l^aljrc  (ang  ben  Soetud 
geleitet.  Sr  n^ar  ein  pd^ft  n^irffamer  ^rebiger.  Sin  Sonner^^ 
fo^n,  toie  man  fagte,  lonnte  er  auf'g  fräftigftc  mit  bem  ®efe|c 
bro^en  unb  mit  ben  lebenbigften  färben  ©otteS  brennenben  ßo^n 
unb  bie  endigen  ^öQenftrafen  f^ilbern;  unb  bann  n^ieber  einSBar^ 
nabai^,  ein  ©o^n  bed  IrofteS,  öerftanb  er  bie  |)erjen  fo  jn  rühren, 
bag  bie  ©laubigen  mit  S()riftnS  im  ^immel  ju  fein  meinten, 
wenn  er  öon  ber  ©eligfeit  beS  ^immeU  rebete.  ©ein  Seben  war 
wie  feine  Se^re  auSgejei^net  bur^  einen  ^eiligen  üon  ber  äBett 
abgewenbeten  äBanbcI.  (Er  war  für  feinen  fie^rer  Soecejud  nid^t 
fo  eingenommen,  um  fid)  nic^t  aud^  mit  einer  anbcrn  ?lrt  ju 
vertragen.  ^eS^alb  f)at  er  in  üoQem  (Sinftang  mit  feinem  jungem 
unb  fpoter  eingetretenen  Slmtögenoffen  (Jrnft  SBil^elm  SBuc^* 
felber*)  geftanben,  welcher  am  näddften  mit  Unterere!  jnfammen* 

1)  Heiners,  OostfrieschlandB  kerkelijke geschiedenisse.  Groningen 
17da  89.  II.  p.  517. 

2)  %  0.  O.  e.  522. 


378 

gehört,  ©cborcn  in  S3cntt)eim  1645,  ftubirtc  er  juetft  bic  Sted^te, 
lüarb  burc^  Untcrc^dE'5  ^ßrebigtcn  in  Saffcl,  alfo  jnjifc^cn  1668 
unb  1670  bcfc^rt,  ftubirtc  bann  in  Utrecht  X^cologic  unter  Soct 
unb    bcm  Socccjancr  ^rauj^  Surmau,    unb  erfuhr  jugleii^  ben 
@influg  fiobcnftct)n'd.  Sll^  Sanbibat  \)at  er  bann  no^  jmci  3a^re 
in  93vcmcn  ju  ben  güßcn  UnteretjdE'g  flcfcffcn.  ©eine  Söerufungcn 
an   Derfc^icbcnc  Drtc  ücrgcgcniüärtigcn  tuic   bei  feinem  JBorbilbc 
ben  engen  3"f^'""^'^''^^ong  unter  ben  njeftbeutfc^en  Sleformirtcn. 
3ucrft  1677   5ßrebigcr  in  ©lüdftabt  (^olftein)   njurbc   er  1679 
9icctor  unb  ^ülföprcbigcr  in  Smbcn,  banac^  biö  1687  ^ßrebigcr, 
Stirdienrat^  unb  Snfpcctor  in  berSfenburgifd^en  ©tabtSBübingen. 
SBon  ba  nad)  SKül^eim  an  ber  Slu^r  berufen,  ging  er  fd^on  1688 
nad)  ßmben,  lüo  er  alö^raefcö  beö  Eoetu^  1711  geftorbcn  ift.  S^ni 
njirb  tiefe  6infid)t  in  baö  innjenbige  Sl^riftent^um  nachgerühmt  unb 
eine   große  gä^igfeit,   ©^tt)ac^c  ju   ftärfen,   S^^if^^"*^^  ä^  ^' 
fcftigen,  ©eförberte  ju  leiten.  S)ie  @rtt)cdEung  in  ben  Slieberlanbcn 
1672  ^at  fo  ma§gebenb  auf  il^n  eingetuirft,  unb  er  n^arb  bamal^ 
geimlrbigt,  fo  natje  mit  ®ott  ju  üerfc^ren,  baß  er   jene  Sa^te^ 
jal)l  mit  großen  3iff<^^"  ^^  feinem  ©tubirjimmer  angefc^iicbew- 
l)attc,  um  fid)  ftetö  berfclben  jur  ©tärfung  unb  ©anffagung  j^^ 
erinnern.    (Jr  ttjanbelte,  tt)ie  ber  Söerid^t  fid^  auöbrüdEt,  njie  $c^ 
noc^  ftet^  mit  ®ott.    35er  SBerfafl  ber  Äirdje  lag  ihm  fc^r  qe* 
^erjcn,   unb  er  empfal^I  bie  Sefung  ber  Slpoftelgefc^ic^te,  bom'i^* 
man   barau^  ba^  SBorbilb  ber  urfprünglidjen  ßl)riften  unb   be^ 
Slbftanb   ber   gegenttjortigen  Stir^c  üon  ber  erften  fic^  cinpragtf=== 
©d)riftlidö  ^at  er  nur  ein  Sieb  Don  16  ©tropfen:    „35a^  Sef^ 
gegebene  Saioort"  (ffirleu^t  mic^  ^err  mein  Sid^t)  ^interlaffci — 
loelc^e^  in  maßüoQer  SBeife  ba^  Sefenntniß  ber  Slid^tigleit,  b^S 
©elbftüerleugnung  unb  bieUebergabe  an  3efuö  (Dein  bin  i^  wi^ 
id^  bin,  nimm  mic^  nur  eigen  ^in)  jum  SluöbrudEc  bringt*),    d^'^ 
bejeic^net  im  ©anjen  eine  SBcnbung  Don  Sobenfte^n  ju  ber  cöai 
gelifc^en  dtiditung  bc^  $ietiSmUS  ^in,   mad  ja  aud^  baju  paßl 
baß  bie  SriocdEung  üon  1672  auf  SBuc^felber  ben   bebeutenbei 
SinbrudE  gemadjt  ^at.    Snbeffen  fc^eint  berfelbe  nid^t  wie  Untcr==' 
el)dE  ßonüentitel  gehalten  ju  ^aben^).    S)cnn  baju  toar  aud^  für  J 

1)  ^a^  ®ocbeI  II.  e.  310  totrb  baffelbe  Sieb  au4  Untcrel^  betgcIeg^J 

2)  mt  »el^ctn  suchte  (S o  ebcl  II.  6.  261  angtcbt,  bog  Sud^felber  ^reunr^ 
ber  Sababiften  getoefen  {et  unb  in  enger  Serbtnbung  mit  SBicumetb  geßoitbo^^ 
^abe,  fann  id^  nic^t  ermitteln.  92ad^  bem,  maS  ^eincrS  miit^cUt,  ift  el  nt(('^^ 
toa^rfd^einUd^. 


379 

bicfen  bcr  Sobcn  nur  in  9RüI^cim  günftig  gcttjcfcn,  nidjt  ober 
in  ßaffel  unb  in  Srcmcn. 

3n  Cftfricdtanb  f)at  aud)  bcr  fiobabi^mud  bircct  nur  bcn  ^xc^ 
biger  ju  9lcnborp,  $ctrud  3)ittclbacl^M  für  fid^  gctoonnen.  Unb 
bicfcr  ftammtc  am  Sl^mnjcgcn  in  ©elberlanb,  njar  alfo'  fein  2a\u 
be^finb.  @r  n^arb  1666  an  bic  genannte  ©cmeinbe  berufen,  unb 
Dom  Soetud  nad)  einer  günftig  üertaufenen  Prüfung  angenommen. 
(£r  enoied  ftc^  alsbalb  aU  einen  leibenfd^afttid^en  unb  eigen^« 
finnigen  9J2ann.  Slld  er  in  ben  Soetu^  aufgenommen  n^urbc, 
iie&  er  fi^  burc^  feine  ©rilnbe  beftimmen,  bie  üblid^e  ^ßrebigt- 
probe  oor  feinen  Slmt^genoffen  abjulegen.  3n  feinem  Amte  fanb 
er  fc^njierige  Ser^altniffe.  ©eine  näc^ften  Sloc^baren,  S)obo  93o* 
trici  in  Olbenborp  unb  3o^.  Suifincf  in  ^agum  loaren  ©äufer ; 
ber  le^tere  ift  aud^  einmal  mit  einer  3ig<>'U>i<^^banbe  im  Sanbe 
um^crgejogen.  Sd  gereicht  S)ittelbac^  jur  S^re,  bag  er  in  feinem 
%mtc  bie  entgegengefe^te  Haltung  einna()m.  $(Qein  nad)  einer 
ad^tjä^rigen  SBirtfamfeit,  alfo  1674,  gerietl)  er  auf  ben  SBeg  üon 
fiababie,  an  ben  er  nac^  Slltona  fc^rieb,  um  feine  unb  feiner  @e« 
noffen  @d)riften  ju  er()alten.  9ltöbalb  trug  er  mit  S3crufung  auf 
Sababie  bem  Soetud  f^riftlic^  unb  milnblid^  bie  befannteu  Se- 
bcnfen  t)or  gegen  bie  Xaufe  ber  ^inber  üon  ungläubigen  unb 
ununterric^teten  ©cmeinbegliebern,  gegen  bie  3ut<iffung  meltlic^ 
Sebcnber  jum  Sbenbma^l,  gegen  bie  nac^fi^tige  Slufnafjme  ber 
ßeugniffe,  mit  n^eld^en  ^rembe  ben  Eintritt  in  bie  ©emeinben 
nac^fu^ten.  ©eine  ^eftigfeit  lieg  feine  ruhige  (Erörterung  biefer 
gragen  ju;  mit  berfelben  ^eftigfeit  fud^te  er  feine  neu  getoon* 
neuen  ©runbfäge  ber  ©emeinbe  aufjubrängen.  Sine  SSermittelung 
biefer  ©treitigfeiten  burd^  eine  Deputation  bed  Soetud  lehnte  er 
ab  1675;  benn  er  jog  eö  üor,  feine  ©ac^e  an  ben  fürftli^en  $of 
ju  bringen.  9lämlic^  bie  üormunbfc^aftlid^e  Stegentin  S^riftine 
g^arlotte,  geborene  5ßrinjeffin  Don  SBJürttemberg,  meldte  eine  «n- 
^ongerin  ©pener'ö  toar,  fc^ien  i^m  eine  für  iljn  günftigere  6nt* 
fd^eibung  ju  öerfprec^en.  SDSa^  barauö  getoorben  ift,  fann  nic^t 
me^r  nad^getoie[en  werben.  3ebo^  blieb  er  unbel)inbert,  feiner 
Oppofttion  gegen  ben  Soetud  überall  ben  bitterften  Stu^brucf  j(u 


1)  ^ie  fo(gcnbcn  9[nflaben  Derbanle  t^  ber  Qfitigen  9}{tti(ctlung  bcS 
^emt  (Konfiftortalrat^S  unb  0cneraIfupcctntenbcntcn  Bartels  )u  9(un4,  tocl^et 
pe  att§  ben  Veten  beS  (Smbenec  SoetuB  gcfc^öpft  ^. 


380 

geben,  unb  ^^ugleic^  nad)  beit  Don  i^m  aboptirten  ©runbfögen  ju 
^anbellt,  biö  er  1683  fteiiuiUicj  auf  fein  ?lmt  berjid^tcte  unb  nod^ 
Slmftcrbam  übcrfiebcitc.  S)iefer  ©^ritt  ^attc  bcn  ©inn,  ba§  i^m 
baS  fieben  in  SßieutDerb  nic^t  jufagte^).  (£r  ftonb  aQerbingd  mit 
ber  ©emeinbe  bafclbft  in  SJerbinbung  unb  njurbc,  wenn  er  bc:^ 
fuc^ömcifc  in  \l)x  erfc^ien,  ^ocö  geehrt.    6rft  fpätcr  entfc^log  er 
fic^,  in  bie  fiababtftifc^e  @emeinbe  ju  äBieun^erb  förmlich   einju« 
treten,  um  in  ber  Sriie^ung  feiner  jtinber  Srleic^terung  ju  finben, 
xoaxb  jeboc^  gerabe  burd^   bie  in  biefer  ^tnftd^t  gemod^ten  l£r< 
fa()rungen,  fo  roie  burd^  anberc  mijslid^e  ISrfd^einungen  in  ienem 
Greife  n^ieber  jum  ^(udtritt   beiuogen,   ben  er  bann  burd^  eine 
bittere  Slnflagefdirift  red^tfertigtc  (@.  232).    3tt  Slmfterbam,  m 
er  noc^  1691  gelebt  f)at,  verliert  man  i^n  auö  bem  ©cfid^tc.  gut 
Dftfrieölanb  alfo   ift  er  eine  ganj  öorilberge^enbe  Crfc^einung, 
meiere  erfehnen  lägt,  bag  bamald  bort  leine  SmpfängUc^feit  ffir 
ben  fiababi^mu^  t)or(|anben  n^ar. 

3.  Um  fo  me^r  ift  burc^  benfelben  bie  Äird^c  am  SRicbcr* 
rt)ein  beunruf)igt  Sorben*).  I5ö  ift  mitgett)eilt  tporben,  baft  ber 
einjige  Z^eolog,  n)e(c^er  nac^  fiababie'd  Separation  ftc^  bcm« 
felben  anfc^Io§,  ber  ßanbibat  ju  SBSefel,  ^einric^  ©(flutet 
gciüefen  ift  (©.  226).  S)erfelbe  ^ielt  junäc^ft  in  feiner  8atcc^ 
ftabt  in  jiemlid)er  Verborgenheit  SBerfammlungen.  3**fllfi^  ^^^ 
trat  er  1669  üor  bie  DeffentUc^feit,  inbem  er  eine  nac^  Sababic' ^ 
Manuel  de  pi6t6  gearbeitete  ©c^rift  ber  ©^unnan  „Äennjeic^ct^ 
ber  SBiebergeburt"  in'd  S)eutf^e  überfegte  unb  mit  einer  So^' 
rebc  im  eigenen  Slamen  begleitete  (jmeitc  äufl.  1670).  ^ieri^ 
betiauptet  er  neben  ber  aQgemeinen  SSerberbnig  ber  fiirc^e  ur^* 
i^rer  Seiter  bie  befannten  ©runbfäge,  baß  nur  SBiebcrgcbore:^^^ 
jum  Slbenbmal^l  jujulaffen  feien,  loenn  nid^t  bie  ©emeinbc  idc^^' 
unreinigt  n)erben  fod,  unb  bag  ia^  fieben  ber  äßiebergeboren 
al^  fold^e^  ebenfo  erfennbar  fei,  wk  bad  natilrlid^e  Seben.  Sl 
balb  ging  bie  Duisburger  StaffiS  mit  einem  öffentlid^n  Urt^c:^^^ 
gegen  ben  läfterlid^en  unb  f c^wärmerifd^en  ß^arafter  biefer  ©c^r^ö^ 
üor,  unb  bie  Eteoifc^e  ©^nobe  beantragte  bei  ber  ©cnerolf^no"^^-^ 
bie  aSortabung  ©d^lüter'ö.  ®f)t  eS  jeboc^  ju  biefer  8er]^anblui^**9 
fommen  tonnte,  begab  fic^  berfelbe,  im  ©ommer  1670,  nac6  9R 


1)  Berkum,  Labadie  IL  p.  78. 

2)  ^aS  folgenbe  na4  (i^oebel  II.  8.  312  ff. 


381 

^im,  tüo  bcr  ©oben  burd)  Unterc^d'i^  Süitücntifcl  für  tf)it  MX- 
bereitet  tpar.  9lid^t  o^ne  Äbfi^t  rcirb  er  in  jener  SBorrebe  bic 
©emeinbe  bafelbft  für  bie  bcftc  erllärt  t)aben,  tpcld^e  er  fenne. 
An  ben  Serfommluncien  alfo,  bie  er  unb  mit  i^m  ein  ®d)nU 
meifter  93adl)au3  in.  9RüI^eim  ^ielt,  bet^ciligten  fid^  üiele  ^er« 
fönen  be^  §anbtt)erferftQnbe^,  üorjüglid^  aber  bie  grauen.  35tefen 
fd^Iofe  fi^  and)  bie  lod^ter  beö  Sefißer^  ber  Sef)n%Trfc^Qft 
SBroic^,  ju  »eld^er  ber  Ort  getiörte,  bic  ©räfin  St)arIottc  Äugufte 
Don  ^^aun  unb  Solfcnftein  an,  obgleich  fie  (ut^erifc^en  Sefennt^ 
ntffe^  war.  35cr  Ion,  njeld^cn  Schlüter  anfc^lug,  ift  auö  einem 
Don  ©oebel  mitflct^eilten  ©riefe  biefer  ©räfin  an  Söäcf^aufi^  er* 
fennbar.  ©eine  S^ebe  rid^tete  fic^  barauf,  baö®efül)l  berSli^tig« 
feit  unb  bann  ben  ^eiligen  junger  unb  S)urft  nac^  ©ercc^tig» 
feit  JU  enoecfen,  weldjcm  @ott  entgegenfommt,  um  bie  ©eele  „mit 
greubenroein  trunfen"  ju  machen.  Da^  Xreiben  ber  ßonoentifcl 
ging  fo  offen  oor  fid^,  baß  beren  einjelne  ©enoffen  oon  ben 
©cgnern  aU  Duäfer  ober  ciU  SJrübcr  ber  SBiebergeburt  bejeic^net 
würben;  fie  bienten  alfo  jur  ©törung  ber  öffentlidöcn  fRu^e. 
SBäf)renb  biefe^  afleö  in  9)iüU)eim  oorging/  wor  ber  territorial* 
^err,  ber  ®raf  SBil^clm  3ajt)ric^  Don  S)f)aun  unb  galfenftein  ab* 
wcfenb.  ^cftig  unb  jufabrcnb  wie  er  war,  Derbot  er  noc^  feiner 
aUfidte^r  nic^t  nur  bie  SonDentifel  unb  fegte  ben  ©d^utmeifter 
Sacf^auö  in'§  ©eföngnig,  fonbern  Dergriff  fic^  aud^  an  ben  re* 
formirten  ^rebigern  ju  3)2ü(^eim,  weil  fie  bie  Unorbnungen  ge* 
bulbet  Ratten,  burd^  ©ufpenfion  Don  i^rem  Stmte  unb  Unterfagung 
bed  S3efuc^e$  ber  Slafft^.  @egen  biefe  unbefugte  Slnmagungber 
fiirc^en^o^eit  würbe  Don  ber  Slaffid  bie  3ntereeffton  bed  ^ur- 
ffirften  Don  SBranbenburg  unb  ber  5ßfalj*9ieuburgifc^en  Sanbc^:^ 
regicning  angerufen,  jeboc^  o^ne  einen  flaren  unb  entfc^eibenben 
Srfolg  in  ber  ©ad^e. 

hingegen  ber  Slnftifter  oDer  biefer  S)inge,  ©c^lüter,  l^afte 
fic^  im  SloDembcr  1670  Dor  ber  augerorbentlic^en  @cnerolft)nobe 
in  äSBefel  ju  Derantworten.  @r  erflärte  ^ier  bie  SBiebergeborenen 
unter  9{eformirten  unb  fiut^eranem  für  bie  ^ir^e,  unb  fügte 
^inju,  bag  jwifc^en  benfelben  feine  Trennung  gerechtfertigt  fei. 
gferner  befannte  er,  bag  er  in  SBefel  SSerfammlungen  gegolten, 
aber  nic^t  in  i^nen  bad  ^benbma^l  au^get^eilt  ^abe.  2)ie  ©enc^ 
ralf^nobe  Derbot  i^m  SSerfammlungen  ju  galten.  2)er  Sababift 
aber  Derleugnete  feinen  grunbfäglic^en  SnbepenbentidmuS  fo  weit. 


382 

bQ§  er  bcn  ÄppcQ  an  bcu  Äurfürftcn  üon  SBranbcnburg  onmdbctc  ^). 
S)Qbur(^  tiöt^igte  er  bic  ©cncralf^nobc,  ouc^  i^rerfcitd  ben  San« 
besternt  um  bad  93crbot  unb  bic  %crt)tnberung  bec  (Sont)cnttf6l 
anjiuge^cn.  Unter  ^rotcft  gegen  bicfen  SBef^lug  begab  ftc^ 
©^lütcr  alöbalb  in  bie  Sababiftifd^c  ©emeinbc  nac^  ^crforb. 
3)ic  ©cneralf^nobe  1671  erlieg  l^inter  i^m  ^er  ein  ©jcommuni^ 
eation^becret,  an  ba^  er  ftd)  nic^t  fe^rte.  lieber  feine  Xrennung 
öon  ber  ©emeinbc  in  ^erforb  ift  oben  (©.  233)  berichtet  Sor- 
ben; er  ift  turj  bavauf  1672  in  SBefel  geftorben.  S)ie  (Steöifc^c 
@^nobe  üermod^te  übrigens  baS  ftrenge  SSerbot  ber  SonDcntifet 
nid^t  lange  aufrecht  ju  erf)aUen.  @c^on  1674  abopttrte  fte  bcn 
83efd)Iu6  ber  Sleüifc^en  ßlaffiS,  baß  bie  Sonüentifel  gerabe  öon 
bcm  ^rebiger  unb  bem  iJirdjenrat^  ju  betreiben,  aber  eben  auc^ 
nur  unter  bereu  8luffid)t  jujulaffen  feien.  35en  ?lnla§  baju  f^at 
man  o^ne  3^<^'K'^  ^^  ^^^  nieberlänbifc^cn  (Snuecfung  Don  1672 
ÜU  fud^en,  njeld^e  nad)  Sage  ber  ©ac^en  nac^  ben  ^erjogt^ümern 
am  Slieberrl^cin  f)inübertt)irlte.  2)enn  in  jeneS  Sa^r  1674  fällt 
auc^  ber  fibereinftimmenbc  JBef^Inß  ber  Sülidö^Sleoc^öergifc^cn 
(SJeneralf^nobe,  »eld^er  fortan  ben  Scftanb  ber  ffionüentifcl  wie 
in  ben  Slieberlanben  orbnete.  9lämlic^  bie  ^ßriöatüerfammlungen 
tt)erben  j^ugelaffen  unb  je  nac^  ben  Umftänben  empfohlen,  xocnt^ 
fie  t)on  bem  5ßrebiger  gehalten  ujerben,  ober  wenn  ftc^  an  b 
^auSanbad)t  9lad^baren  unb  Gelaunte  in  geringer  Qafil  bet^eilige 
ober  wenn  fie  in  jufälliger  unb  unregelmäßiger  SBcife  ju  ©tant^  ^ 
fommen.  |)ingegen  foQen  regelmäßige  3nfctmmenfünfte  auc^  t)o 
Sanbibaten  nidjt  o^ne  ©ene^migung  bed  ^rebigerd  unb  bcS  ßirc^er 
rat^eö  gehalten  werben,  iebenfaflö  foHen  alle  biefeUnterne^mungc 
bem  öffentlidjen  ©otteöbienft  feinen  Slbbrud)  t^un,  unb  bei  ei 
tretenben  S3ebenfen  tjerboten  werben  bürfen.  ^"fll^ic^  joge— ^ 
bic  ©^noben  ber  cinjelnen  Territorien  unb  i^rc  ©cncralf^not^ 
äJiaßrcgcln  in  Setrad^t,  um  bie  in  ber  Äird)e  eingeriffene  "^ 
äJ^änget  abjuftellcn  unb  bie  ^rebiger  ju  forgfältigcr  Uebun^^ 
il^rcö  SlmtcS  unb  ju  gottfeligem  SBanbel  ju  ermuntern,  bam-  -^ 
©ottcö  6t)rc  unb  ber  aiienfc^cn  ©eligfeit  beförbert,  auc^  allerl^  - 
SBiberfac^ern  ber  Sliunb  geftopft  werbe.  _ 

4.    ©0  wo^l  gemeint  »efc^lfiffe  biefer  «rt  flnb,  fo  ift  i 
(Srfolg  niemals   fo   entfc^ieben  unb  fo  fd^ncK,  um  ungebulbi 


1)  tCe^nlt^  oerfu^r  ja  auc^  Xtttclba^  (6.  379)  ]päitt. 


383 

®emütr)cr  jur  9lad)ficl)t  ä\u  ftimmcn  unb  gegen  bcn  9icij  bcr 
folgerechten  S)urd^fü^rung  i^rcr  ^rincipien  ^u  fc^ügen.  Seb^oftc 
SÄenfc^en,  rocnn  fie  jung,  ober  ttjenn  fic  eigcnfinnig  finb,  fönnen 
btcfer  SSerfud^ung  nic^t  Ieid)t  njibcrfte^en,  um  fo  lueniger,  njcnn 
ed  ftd^  um  @otted  @ad}e  ju  ()Qnbe(n  fd^cint.  3oQ^im  Sleonber, 
ber  SRector  bcr  unter  ber  rcformirtcn  ©emeinbe  ju  S)ü[felbürf 
ftef)enben  2ateinif(f)en  ©c^ule,  ^at  in  jugenbli^em  @ifer  fid^  ber 
angegebenen  SJorfd^rift  ber  ©eneralf^nobe  ju  entiiel)en  gcfud^t, 
tfat  \idi  ober  gefügt,  ald  cd  i^m  nic^t  geftattet  n^urbc.  ^Uein 
er  ift  nid^t  blod  toegen  btcfer  ^(ntoanbUing  t)on  fiababidmud, 
fonbcru  and^  atö  2)ic^ter  üon  geiftlidjcn  fiiebcvn  üon  SBtc^tigfeit  ^). 
3)ur^  eine  ?ßrebigt  üon  Untcre^cf  befe^rt,  I)at  er  juerft  in  Sremen, 
bann  in  ^eibclberg,  too  er  fünf  junge  Sente  and  Köln  unb  grant 
fürt  ald  ^ofmeifter  leitete,  feine  roiffenfc^aftlid^c  Silbung  gc^ 
iDonnen.  S)anQd}  ^at  er  fid^  in  ^ranffurt  aufgehalten,  unb  tok 
Sicife  berid^tct,  genauen  Umgang  mit  ©pener  unb  bem  I.  U.  D. 
Sodann  3afob  ©c^ü|  gef)abt,  njelc^cr  1670  ©pener  ju  bem  Unter« 
nehmen  Don  $rit)atanbad)tdübnngen  angeregt  t)at.  2)erfelbe  ^c^ 
rtc^terftatter  fügt  t)inju,  bag  er  bei  benfelben  „einen  guten  Sßac^^ 
t^um  in  göttlichem  fiic^t  unb  ^riftlid^cm  äBanbel  erhalten  f)abt/' 
SSBcnn  biefe  eingaben  mirflic^  begrünbet  ftnb,  fo  mug  i^re  93e^ 
beutung  baburd^  eingefc^rönft  n^erben,  bajs  9lcanber'i^  fiieber  im 
ungemeinen  reformirter  Art,  aber  fo  meit  fie  ein  aparte^  ®c= 
präge  t)on  ^römmigleit  an  ftc^  tragen,  burd)aud  in  bem  @ebanlen- 
frcifc  fic^  belegen,  mclc^er  gleic^jeitig  burc^  fiobenfte^n  unb  Sa^ 
babie  tftrtretcn  ift.  S)ie  9lamen  ber  grantfurter  ftauPeute,  benen 
er  neben  änberen  feine  Sunbedlieber  genjibmet  ^at  (be  SleufDifle, 
b'DröiHc),  öerrat^cn  eö,  bog  Slcanbcr  in  grantfurt  in  bem 
^cife  bcr  franjöfifd^^^rcformirtcn  ©emeinbc  tieimifc^  gemefen  ift. 
^ier  ftanb  er  aber  im  äßittclpunft  ber  aQfeitigen  SBeiie()ungen  unb 
l)ed  Icbtiaften  ®cmcingefüt|(d  feiner  Sonfeffion,  unb  bic  eben  in'd 


1)  «gl.  über  t^n  ©oebcl  II.  6.  322  ff.  Ol  et«  IV.  6.  44—57.  — 
^  et  i2.  doa^ttnt  9{eanbrt  ®(Qub«  unb  Stcbe8«Uebung:  aufgemuntert  bur^ 
«inffilttge  9unbeSlteber  unb  Ikinfpfalmen  (58  an  ber  Sa^O^  3"^^  Bremen 
1679.  ^aben  mtr  vorgelegen  In  einem  ^aäftxud,  9[flenborf  an  ber  SBerra 
1710.  —  9{eonber,  geboren  au  Bremen  toa^rf^einlt^  ntd^t  bor  1650  (®oebeI 
e.  332),  giedor  In  S)flffe(boTf  1674,  ^ttlffprebiger  )u  St.  ^»ariint  in  Bremen 
1679,  geßoiben  1680. 


884 

fiebcn  getretene  Unternehmung  ©pener'd  \)at  aU  (Skopie  einer  te< 
formirten  Sinrid^tung  i^m  faum  imponiren  fönnen. 

Unter  ben  Siebern  Sleanber'ö  ift  bie  größte  ßö^l  i>cin  Sianfc 
gegen  ®ott  für  bie  @rlöjung  unb.  ^eilfame  fieitung  bei^  £ebend 
gen)ibniet,  unb  ber  ^ic^ter  giebt   ber  3u^<^^f^<4t  auf  ®ott  unb 
d^riftuö,  ju  ber  er  [ic^  al^  ©ottcö  Äinb  befähigt  pnbet,  frifc^en 
unb  fräftigen  S(udbrucf.     S^gteic^  tueig  er  fic^  j^ur  Heiligung 
angetrieben,  unb  barin  burd^  ©ottcö  ®nabe  geförbert.    (&v  öer* 
fd^licgt  fic^  auc^  nic^t  gegen  bie  3cugni[fc  ber  Statur  für  @ottc^ 
@üte.    3)aö  finb  ©ebanfenrei^en,   in  meieren  confeffioncHe  SBc^ 
fonber^eit  gar  feinen  Siaum  ftnbet.    2)tefetbe  gewinnt  ()öci^ften^ 
einmal  einen  Stuöbrucf;  „2)u  bift  ber®runb  ber  ©cligfeit;  bcnn 
tt)'  ber  SBelt  ©runb  wax  bereit,   bin   ic^  in  2)ir  crtoä^let."  Sn- 
beffen   liegt  l^ierin   n)irflicl)   nic^t  me^r  als  bie  Se^auptung  ber 
©otteSünbfd^aft,  weldje  in  bie  bclanntc  gormel  beö  (Sp^eferbricfri 
gefleibet  n)irb,   meil  baS  Sieb  (S^riftuS  aU  ben  Anfang  unb  ba^ 
@nbe  feiert.    Sieben  jenen  allgemein  eDangelifd^en  ^nfc^auungcn 
begegnet  man  in  biefen  Siebern  auc^  ben  beutlid^en  ©puren  be^ 
jenigen   SntereffeS,   meld^eS  in   ber  eüangelifd^en  älic^tung  be^ 
nieberlönbifd^en  ^ietiSmuS  hervortritt.     3c^  meine  junäc^ft  bie 
Söefenntniffe  ber  menfc^lic^en  Slidjtigfeit  gegenüber  ber  SRajcftSt 
@otteS   unb  im  ^ergleic^  mit  ber  9lott)menbigfeit  ber  @nabe^)- 
©iefelben    [daließen   faft   bie  fittlic^^religiöfe   anläge  Don  bciR 
©ünbenftanbe  an^.    3nbcm  fic^   nun  ber  3)id^ter  in  ben  Ä^' 
fed^tungen   ober  Serlaffungen   an    biefe  SBert^beftimmung  1>^ 
©ünbenftanbed  erinnert  unb  barauf  ftimmt,  fo  mad^t  er  ftc^  auit 
um  ben   „fügen   3efuS,   ben  fc^önftcn  ^immeUbräutigam,  l>^^ 
©eelenfreunb"  ju  fu^en  unb  in   feiner  Slä^e  aiu^e,   ©ättigur»* 
Sßcrgebung   ber  ©ünbe   unb  ©eligfeit  ju  finbcn,  ober  t)on  iö^ 
innerlid)  gelehrt  j(U  tt)erben  über  bie  ©in^eit  mit  i^m.     9ieant>^ 
l^at  ffoax  bie  ©enugt^uung  ß^rifti  in  ber  üblid^en  Seife  oft  u-^* 
beutlid^  genug  befannt;   allein   bie  Sßerfi^erung  ber  ©ünbent^^^* 

1)  „i^  fann  ja  nid^tS,  boS  toetgt  bu  tool^I;  aud^  todi  x^  n^t,  toa%        ^ 
tl^un  foQ.     S)u  fannfl  oQfin  Derrid^ten  bUS;  bn  toetgt  e§  quc(  allein  getotfi.'^ 
„3Bfr  bin  i^  armer  Sünbenmurm,  o  aUer^ad^fle  ^ait^äil"  —  Snibefonl 
benu^t  9leanber  tDieber^olt  ben  2:e^  ^ed^tel  16,  1—6,  t^ttt  in  Infpielum^^ 
t^etU  in   einem  befonbern  (S^ebi^t,  um  bte  SebenSunfft^igfeit  bei  6finl 
bejetii^nen.    S)iefed   IBilb   Derröt^  feinen   guten  Oefc^mai!,   ijl  ahn  ein  ui 
toert^Dotterer  3u0  ber  Spraye  &anaan6. 


d85 

ttitg  erwartet  er  eben  wn  bem  ©efü^l  ber  jSttltd^n  Änl^änfl* 

!ctt  on  3efuö,  obgleich  i^m  bte  Unterbred^ungen  bicfer  ©timmung 

)t  fremb  finb  ^).    %\i6)  biefcr  a)tann,  tpelc^cr  bie  flctigc  grcu^^ 

feit  ber  ©otteöfinbfd^aft  in  ber  ©teBlung  jur  SBelt  [c^r  »o^I 

nt,   ^Qt  fic^  burc^   bie   unumgänglichen   Kbfpannungen   bc§ 

[igfeitdgeffif)lS  in  ber  3laf)c  beS  Bräutigams  nid)t  baüon  fiber^ 

gen   laffen,   bog  er  auf  bem  SBege  beg  $0^enlieb«cultu8  nur 

^   einer   t)aItIofen   äftt)ctifc^en   $robe    [eineS   ®nabenftanbc3 

d^t.    6inen  d)arafteriftifd)en  93ett)ci§  bafflr,  ba§  e§  pc^  hierbei 

ein  ©piet  ber  ©inbilbungötraft  tianbelt,   bietet  jeboc^  gerabe 

i  ©cbid^t:  ,;6mpfinblid^cS©et)nen  eincS  greunbeö  ©otteö  toegen 

öermeinten  2lbtt)cfcnl^eit  bei^  ^öd^ftgeliebten",  mit  Scjie^ung 

6ant.  3,  1 ;  2,  9.  10,  in  meld^em  baö  @c^o  ber  letzten  ©Üben 

bie  Antwort  3efu  auf  bie  gragen  unb  Sitten  beö©c^nfüc^^ 

m  eingefül^rt  wirb*). 


1)  i^Sege  bid^  3u  3e{u  gfUgen  mit  bet  großen  Sflnberin,  toeine, 
It,  fu4  mit  ftüflfii,  mit  aerfnirfd^tem  fyxi  unb  ©inn  Sefu  S^rifli  Sieb  ju 
[en,  bid^  in  (S^naben  in  uermö^len.'  —  „^aä^  auf  benn,  meine  ®eel,  in 
I  fu^e  9lu(;  loann  ®Iut^  unb  glutl^  unb  SBinb  loirb  flUrmen  auf  btd^  }u, 
1^  mit  ber  ^urtettaub  in  jene  Sitten,  jum  %t{%  ber  (Snigfeit;  ba  bifl  bu 
c  in.'  — -  v3n  ber  ^5(Ie  meine  6ee(e  fud^et  bid^  o  l^rSutigam.  Sa(  bic^ 
en,  lag  bid^  finben,  flarCer  ^elb  au8  S)ot)ib8  Stamm.'  —  ,0  3efu,  too 
bfl  ^u  verborgen,  i4  fu(^  ^t4  t>om  9(benb  bis  )um  9Rorgen  .  .  .  O  Sefn 
!boc(  mein  ftlogen,  )Da§  nU^et  Sir,  bag  id^  nun  {oÜDer^agen?  .  .  .*  O  3efu 
bid^  bo4  einft  fe^en,  Derftopfe  nid^t  baS  C^r  uor  meinem  gießen,  uerftd^cre 
},  bog  i^  im  ®(auben  flel^;  Su  fie^efl  mid^,  ma^,  bag  iii^nid^t  Derge^.'  — 
rofter  $rop^eie,  mein  ^erge  begehret,  Don  Sir  intoenbig  gelel^ret  pi  fein;  Su 

be§  SaterS  Sc^oog  ju  und  gefe^ret  ^ofl  offenboret,  loie  Su  unb  id^  Sin!' 

2)  ,fSto  btft  Su  Seelenfreunb ?  toiaf!  Su  benn  mi<i^  berlolfen? 

3dJ?  berlaffen? 
(SS  tritt  bie  !Rot^  ouf  aQen  Seiten  ein. 

9lein. 
9Bo  bleibt  Sein  tl^eureS  Sort?  Sein  $Port:  \^  tarn  nid^t  Ralfen  I 

i^onn   nid^t    Raffen. 
Su  gel^eft  Don  mir  toeg;  bin  id^  ^ier  nid^t  ottein? 

9li<^t   allein. 
914  ^^f  ^0  f»^  i4  (in?  bifl  Su  Dor  mir  Derfc^ttunben ? 

Sir  Derfd^tt)unben? 
Ser*  Teufel  f dalägt  auf  mid^,  ic(  bin  ni<i^t  me^r  bei  mir. 

9Re(r    bei    mir. 

I.  25 


386 

9ieanbcr  ^attc  bei  bcr  SScröffcntlicIjung  feiner  95unbc^ücbcr  bic 
abftd^t,  bem  Slomcndiriftcnt^um  unb  bcr  bumpfcn  ^errf^aft  bcr 
©etpo^n^eit  cntgcgcnjumirten,  unb  jur  SBicbcraufna^mc  bcr  crftcii 
£ie6e  anjuregen.  ^ic[e  reformotorifc^e  Xenbenj  ^at  i^n  nun  ju  laba^ 
biftifd^en  Folgerungen  uerleitct.    6r  l^attc  bei  bem  Antritt  fcincd 
©^ulamteg  fid)  gett)eigcrt,   bic  Äir^enorbnung,  einfdjliefeU^  bcö 
^cibelberger  ^atec^idmuS  unbebingt  ju  unterfcl)reiben.  9li(^td  bcfto 
iDcniger  n)Qr  i^m  geftattet  iDorben,  gelegentlich  ju  prebigen.    £r 
()atte  ober  ferner  fic^  l)crauögcnommcn,  ^eimlid^e  SSerfammlungcn 
ju  I)Qltcn,  gegen   ba^  eben   erlaffene  SSerbot  ber  ©cncralf^nobc, 
unb   ^Qtte  feinen  Sln^ängern   bic  X^eitna^me   am   9tbenbma()( 
Biberratten,  bamit  fie  fic^  nid)t  ber  Snt^ciligung  bed  @acramcnti^ 
fd^ulbig  machten,  ba  auc^  bte  @ottlofen  o^ne  Unterfc^eibung  an 
i^m  t{)eilne^men  burften.  Xa^u  tanmx  nor^  einige  Unregetmä§tg' 
feiten   im  ©djulbienft  tDclc^e  fic^  92eanber  erlaubte.    KuS  aDcn 
biefen  Stücffic^ten  uer^ängte    1676  bcr  Äirc^enrot^  ber  ®üffct 
borfer  ©emeinbe   über   Sleanber  bie  ©u^penfion  öom  Amt  unb 
unterfagte  i^m  ba^  prebigen,  bid  er  fid)  geffigt  unb  @cnugt^uung 
gcleiftet   tjätte,  tt)ibrigcnfallö  er  be^S  S)ienfteö  ju  entlaffen  »arc. 
ffi^  gereicht  if)m  jur  @^re,  baß  er  fic^  feiner  üorgefe^ten  Sc^orbc 
untertt)orfen  ^at.     ®r  Ijat  om  17:  gebruar  1677  ein  ^rotofoD, 
toelc^e^  ©oebcl  mittljcilt,  untcrfc^rieben,  in  wcld&em  er  fid^  jum 
$eibelbergifct)en  ^ated)idmud   unb   jur  i^irdjcnorbnung  befennt, 
Trennung  uon  ber  Äird^e,  wie  Sababie  fie  oufgeric^tct  l^at,  oer^ 
bammt,    bcn   unbered)tigten   ?ßriuatüerfammlungcn   cntfagt  unb 
itincn  entgcgenjüroirfen  üerfpric^t,  namentlich  barin,  ba|  ^^ffinigc 
abfonberli^  fid^  unter  cinanber  aU  SBiebcrgeborenc  anfc^en  mit 
J8crurtf)eilung  ber  Stnberen." 

5.    SBenige  3a^re  banad&  1680  mürbe  aieiner  (Sopper*) 

9Bo  finb  id^  ipülf  unb  9{at^  für  biefe  meine  ISBunben  ? 

Steine   äBnnben! 
3»ein  «rjt,  btp  3)u  DerjQßt?  flie4|l  ®u?  |ie4  id^  bin  ^ier. 

34   ^in  ^ier. 
©(an)  ber  ^ered^tigfeit  mir  gnäbiglid^  erf^etne. 

3c(   exf^eine. 
3u  meiner  @ee(  fo  uie(  nur  fpric^ :  bu  bifl  in  ^ulb. 
»ip  in  §ulb.* 
1)  Ueber   i^n   ®oebeI   II.   S.  360  ff.    Äei^  V.   S.  199-2U. - 
(Eopper  geb.  in  ^eurS  etna  1645,  ^rebiger   in  äffelbtttg  bei  Skfel  1670, » 
SRttl^eim  an  ber  tRu^r  1677. 


S87 

atö  ^rcbigct  na^  ©uiöburg  berufen.  Ott  l^otte  feinen  Eintritt 
in  ha^  ^rebigtamt  babutc^  bejeic^net,  bag  er  burd^  eine  Staffical^ 
prcbigt  in  993efe{  Slnftog  gab  unb  fid^  eine  ©u^^penfton  auf  6 
SBoc^en  jujog.  ©ein  Sifer  ^atte  i^m  einen  Stn^ang  Derfc^afft, 
mclc^er  fiber  bic  Orte  feinet  amtti^en  SBirfeniS  ^inauS  reid^te. 
Stomentlif^  famen  üiete  nad)  @ott  unb  ber  SBa^r^eit  ^ungernbe 
©eelen  auS  SJJeurd,  Srefelb  u.  f.  n).  ju  i^m  nac^  äRfitl^eim  unb 
nac^  3)uidburg,  um  feine  $rebigten  ju  l^ören  unb  ^riDaterbau« 
ung  bei  i^m  ju  fuc&en.  Sie  gefd^loffcnen  Serfammtungen  nun, 
roeld^e  in  ber  (entern  ©tabt  Goppcr  unb  fein  Ämtögenoffe  öarle^^ 
me^er  hielten,  gaben  bem  Äird^enratl)  fc^on  1681  ben  Änla|,  ge* 
mag  bcm  Scfd^lug  ber  ©encralftjnob^  öon  1674  biefelbcn  ju  Der^ 
bieten.  SDa  ^arleme^er  biefc  SSerorbnung  nid^t  rädgängig  machen 
fonnte,  folgte  er  im  nSc^ften  ^af)xc  einem  Stufe  an  bie  ©emetnbe 
ftirc^^erten  im  ^erjogtl^um  3üli^.  ©d^on  1683  mugte  er  aber 
burc^  bie  ^roDinciatf^nobe  Don  feinem  %mte  fudpenbirt  n^rben, 
loeil  er  fic^  nic^t  burd^  bie  SJ^ajorität  im  ^rd^enratl^  gcbunben 
^iett,  nur  ben  ©onntag  unb  nic^t  bie  firc^Iid^en  ^efttagc  mit 
@ottedbienft  begel)en  unb  bie  i^m  ^erbäc^tigen  ni^t  jum  Kbenb« 
ma^I  julaffen  moQte.  2)ie  @eneraIf^nobe,  an  bie  er  oppeüirte, 
beftätigte  biefe^  Urt^eil,  nöt^igte  ©artemc^er  jur  Abbitte,  unb 
lieg  i^n  nor^  oerfpret^en,  feine  ^Familiarität  mit  Sababifien,  unb 
feine  ^rioatüerfammlungcn  ju  galten,  ferner  bie  gormulare  bei 
Zaufe,  Vbenbma^t  unb  Xrauung  ju  beobad^ten.  Seboc^  l^at  ber« 
felbe  feinen  Sigenfinn  baburc^  nid^t  bannen  laffen,  fonbem  bie 
Ccnfur  ber  ©^nobcn  n)icber[)olt  ^crauägeforbcrt.  3nbeffen  ift  er 
im  Amt  biö  ju  feinem  1701  erfolgten  lobe  geblieben.  Eoppcr 
hingegen  gemann  aud  ben  $auSbefud^en,  in  benen  er  feine  3)uid« 
burger  ©emeinbe  Doüftdubig  fennen  ju  lernen  unternahm,  bie 
Ueberj^eugung,  bag  xotnn  er  in  ber  üblid^en  SEBeife  bad  ^benb- 
ma^l  t^ermaltete,  er  ber  großen  ä)2e^rja^I  bad  @cric^t  t^erficgeln, 
unb  iugleid^  auf  fid^  felbft  unb  bie  @emeinbe  bad  ©trafurt^eil 
©otte«  jie^en  »ürbe  *).    Semgemög  erflärte  er  1682  bem  Äird^en* 


1)  9n  btffer  f<i^on  in  ber  Umgebung  9oet'S  Derbtetteten  InfU^t  fommt 
ein  merhofitbiger  3vg  ber  reformirten  9[uffaf{ung  beS  lbenbma(I§  )ttm  9or« 
f^etn,  Don  bem  man  in  b/r  getoS^nliii^en  tSe^anblnng  ber  GontroDerje  über  ba§ 
Vbenbma^t  nic^ti  erfaßt.  Son  ben  Sut^tanern  pjlegt  ef  nfimlic^  al§  ein 
Sorjug  ber  eigenen  Se^rtoeife  bejeic^net  )u  toerben,  ba(  bie  mflnblic^e  ^enie^ung 
bcS  £eibe§  (j^irifli  ben  Ungläubigen  baS  ^eric^t  su^ie^,   toA^renb  auf  ber 


388 

tatti,  bal  er  hai  ^bcnbmal){  ni^t  mcl^r  au^t^eilen  iperbe,  loentt 
berfelbe  nid^t  bic  Sinjcincn,   tDeldjc  Popper  ald  Scrböc^tige  bc- 
jeic^ncn  fönnc,  t)on  bcr  tietUgen  ^anblung  abgalten  ipürbe.    Sr 
begetirtc  alfo  bod  ^rtoilcgium,  tDcIdjeS  man  fiobcnfte^n  gelpä^rt 
^atte.    ^a^  bicfcS  Serfa^rcu  bic  (SinftcQuitg  bcS  Slbcnbma^le^ 
überhaupt  nad)  fic^  jicl^en  tücrbc,  meinte  ßoppcr  leugnen  ju  bfir^ 
fen;   bie  ©efr^id^te  ber  lababiftifctjcn  @cmeinbc  lag  i^ni  freiließ 
noc^   nic^t  üor  Slugcn.    ®a   alfo  ßoppcr  auf  feiner  änfidjt  be* 
ftanb,  tt)urbc  er  im  gcbruar  1683  feinet  Slmtcö  entfefet,  toeil  er 
bic  ^cnoaltunc)  bed   ^bcnbma^loo,    jugleic^   bcn  ©cbrauc^  ber 
liturflifif)en  gormulare  unb  bcn  ©cljorfam  gegen  bie  3Jic^r^eit  in 
(Slaffen  unb  ©^noben    öermeigcrtc.     Sopper  fuc^te  junäc^ft  in 
Srcfelb   Untcrfunft;   alö   er  aber  ge^inbert  tt)urbe,   mit  feinen 
bortigen  S(nt)ängern  ^ril^atl^crfammlungen  ju  t)altcn,  jog  er  mit 
einem  I^eile  bcrfelben  nad^  SBieumerb.    ^ier  Ijat  er  neunSa^re 
lang  ben  ^rebigtbienft  in  ber  lababiftifcl)en  ©emeinbc   ucnualtct. 
9lte  bicfclbe  1692  aufgelöft  ujurbe,  50g  eö  if)n  junäc^ft  tüieberju 
ben  glöubigen  S3rübem  nac^  3Reuvd  unb  ßrefelb.    @r  warb  ober 
t)on  bort  burc^  bie  Dbrigfeit  Vertrieben  unb   befc^log  nun  bct 
©inlabung  einer   ©önncrin,   bcr  2)roftin  t)on  bem  Sui^fd^e,  8^* 
borenen  ©röfin  üon  $oorn  in  S3ielcfelb  ju  folgen.  91U  er  jebod^  qu\ 
ber  SfJeifc  üon  SBieuwerb   in  Cmben  augelangt  mar,  erfranfte  et 
bort  unb  ftarb  gegen  ffinbe  1693. 

6.  gflr  Slcanber  unb  Sopper  fanu  ber  ©ntfc^ulbigun^^ 
grunb  ber  Sugcnblid^fcit  gcltenb  gemacht  njcrbcn;  für  ©amu^^ 
ket^enugi)   ^^ic^j  berfelbc  nitf)t  auö.    ©eboren  1628  ju  9*c^ 

Seite  beS  (SalDtmSmuS  fein  Sa^  t)on  glet^em  (Seioi^te  fle(|e,  ba  bort  bie  mflf^^ 
lid^e  ®ente6un0  beS  »roteS  bur^  Ungläubige  ein  glei^gültiger  Ict  fet.  Sebtf^ 
ge^t  bie  SJ^etnung  im  Saloinilmud  ba(|in,  bag  bie  untoUrbige  S^^eilnotmc  (^^ 
flbenbma^l  ds  bem  ^ct  ber  @emeinbe  bad  ®ert4t,  in  »el^em  ber  UP  ^ 
glöubige  fie^t,  für  t^n  3ur  (Sntf^eibung  bringt.  VIfo  biefer  Ba%  ifl  baS  (Seg^^ 
flad  au  ber  lut^erifd^en  ^eurt^eilung  ber  münbli^en  ®enie§ung  bed  Setf^ 
gjrifti  bur(ft  einen  Unioürbigen.  5)le  ßababiftiWe  golgerung  freiltdft  ifl  ef^ 
^bblegung  bon  ber  edjjt  caloinlftifd^en  ^nfid^t,  »eil  fte  bie  ganje  ®emetnbe  bof'^^^^ 
beranttDortlid^  mac^t,  »ad  bod^  nur  ben  (Sinselnen  angebt  (8.  116). 

1)  ^le  ^auptqueOe  für  feine  ®ef4l4te  ifl  feine  €(^rift :  Apologia  Netfa^ 
niana  ....  üfte  Zodiacus  not^ivoXoyCai  anoXoyririxiji^  dat  is  waarae^^^ 
tige  ontdekkinge  van  de  onrechtverdige  proceduiren,  tegens  hem  8on( 
oorsaak  en  legen  aUe  billikheyt  te  Birstein  in't  werk  gesielt, 
dam  1697.  (Setolffe  Sttcfen,  »eld^e  biefe  S^rift  lägt,  l^at  (Soebelll.  6.  367 
397  aus  bem  ftir^enarii^ib  ju  S^eurS  ergfinjt. 


389 

im  ^crjocit^um  Slcüc  f)at  er  ferne  @tubien  auf  ber  ^6)nU  ju 
SBcfel  unb  ber  äfobcmic  ju  ^arberiüiit  in  Oelbcrn  gemalt, 
iDurbe  im  20ftcn  Scbeni5ial)re  Skctor  ju  SBatcnburg  in  ©clbcrn, 
unb  empfing  1650  üon  ber  ®emeinbc  ju  SBaerl  (©raffc^aft 
SÄcurö)  bic  ©etufunfl  ^um  Slbiunctcn  [eines  mütterlid^cn  ©ro^-- 
üaterS.  Cr  ^atte  in  biefer  gunction  fc^on  einen  9Ronat  9ctt)irft, 
als  er  burd^  einen  Soncurrcnten  ücrbrängt  n)urbc.  9lad^  bem 
2Reur[tfcI)en  Äirc^enredjt  nämli^  l^otte  nic^t  bie  ©emeinbc  boS 
SBo^lred^t,  fonbern  ber  Sonbe^^err  bic  (Srncnnunfl  ber  ^rcbißer 
JU  üben.  9lun  maren  brei  ©emeinbeglieber,  tt>cld^e  bic  ©tcQc 
einem  Slnbern  jun)cnbcn  n)oIIten,  mit  einem  (Smpfc^Iungi^brief 
beS  j^ödjften  93cQmtcn,  bed  ^roften  Slout  an  ben  ^rinjen  Don 
Oranien  gegangen  unb  Ratten  für  t^ren  ©ünftling  bie  @rncnnung 
errcid^t,  noc^  e^e  bic  ©emeinbc  in  Saerl  cd  ber  2Bü^c  njcrtl^  ge* 
l^alten  l^attc,  i^re  SEBal^t  in  9J2eurd  anjujeigen.  9lct^enuS  alfo 
mugte  \)0x  bem  übrigens  ganj  n)ürbigen  Soncurrcntcn  xocidjtn. 
3)crfel6c  gab  aber  balb  bie  ©teile  auf,  weil  er  lein  Jßer^ältnife 
jur  ©emeinbc  genjann,  begab  fid^  nac^  Slicbcrlänbifd^^ftinbicn, 
wo  fein  D^cim  ©öuDerncur  war,  ftarb  untcrmegeS  unb  ift,  wie 
3let^enuö  nic^t  öerfc^weigt,  ben  gifc^cn  jur  ©peife  geworben. 
CS  war  nur  ein  Ijalbcö  Sal^r  oerffoffen,  atö  ber  üon  93acrl  9Jcr* 
brängtc  Don  fämmtlic^cn  ©liebem  ber  bortigen  ©emeinbc  wic^^ 
bcrum  berufen  unb  nun  orbnungSmägig  präfentirt  unb  ernannt 
würbe,  er  ^at  bafelbft  öon  1651—83,  alfo  32  3a^rc  lang  gc^ 
wirft.  9Son  Anfang  an  jeigtc  er  einen  großen  6ifcr  gur  93efci* 
tigung  ber  Unwiffcnl^eit,  welche  er  in  feiner  ©emeinbc  unb  ben 
bcnac^borten  beobad)tete,  unb  führte  ju  bem  Qxotd  nic^t  nur  bic 
fiatecl^ifationcn  am  ©onntag  9{ad)mittag  ein,  fonbern  anäf 
wöchentlich  brei  grflfiprcbigten.  SU  er  aber  mit  ben  letzteren 
12  So^rc  long  fortgefaf)ren  Ijattc,  würben  fic  üon  ber  3Reurfcr 
ClaffiS  verboten.  3n  biefer  ®pod^c  fc^eint  er  alfo  nur  für  bic 
Sle^tgläubigfcit  feiner  ©emeinbc  burc^  bie  Sinpr&gung  bcS  SBiffenS^ 
ftoffcS  eingetreten  ju  fein  unb  für  ben  ©runbfa|}  ber  ^räcifität 
auc^  nur  unter  biefem  ©efic^tspunfte.  Denn  als  er  wegen  beS 
lefttem  einmal  üertlagt  worben  war  unb  fic^  gerechtfertigt  t|attc, 
UHircn  bic  ©cmeinbcglieber  lange  3<^it  mit  il)m  jufricben  in  ber 
Ucbcrjcugung,  bog  er  ©ottcS  3Bort  i^nen  ricf)tig  jufd^nittc.  Qm 
33cftätigung  biefer  Angaben  bient  ber  Xitel  einer  t?on  9lct{|cnuS 
"herausgegebenen  mir  unbefannt  gebliebenen  ©d^rift:  Lux  in  tene- 


390 

bris,  Vau  de  nootsakelikheyt  der  geheyligde  kennisse  ^).  3n 
btcfcm  ©innc  tft  e^  and)  ju  t?crftcf)cn,  tvad  @ocbcl  au^  bcn 
äctcn  bcr  ßlofftö  mitt^eilt  *),  Slet^cnuiS  ^abc  imntcr  barouf  gc* 
brunflcn,  ba§  üor  ber  äRotflcnprcbigt  bic  tieiligc  ©djrift  fort* 
laufcnb  öcricfcn  unb  crflärt,  bafe  bcr  Untcrri^t  öor  bcr  crften 
Kommunion  auf  cinSal^r  auSgcbc^nt,  bag  bad^ütcn  bct^Sic^cd 
um  @onntagc  cingefteQt,  SBoc^engottcdbicnfie  ctngcffi()rt,  btc 
Sugcub  jum  ^cfud^  bcr  ßatcc^ifationcn  angctialten,  unb  über« 
{|aupt  auf  @ittenjuc^t  gead^tct  tperbe.  Sftod)  1669  begcugt  bic 
Slafft^,  bag9{ct^enuS  nur  ,,anbcre  unb  ^icr  ungctuö(|nli(^c  9Ka^ 
nicrcn  öorbringc";  unter  btcfen  wirb  ^cröorgc^obcn,  ha%  er  ^bei 
ber  Äinbertaufc  eine  abfonbcrlic^e  SScrmal^nung  unb  ^rcbigt  tf)uc^ 
b.  f).  ba§  er  fic^  über  baö  gormular  ^inn)cgfc|c.  ÄUe^  biefcö 
fiberfc^rcitct  noc^  nid^t  bic  fiinie  ber  im  ort^obo^en  Caluini^mud 
cingcfd^loffcnen  prattif^cn  Sntcrcffcn,  wie  fic  üonSSoct  vertreten 
n)urben. 

3eboc^  fcitbcm  Slet^cnu^  im  3o^rc  1669  eine  Steife  in  bic 
9lieber(anbc  gemad)t  ^attc,  geigte  er  eine  cr^eblic^e  SJeranbcrung. 
gunäc^ft  bre^t  ftd^  bcr  smcite  I^eil  ber  ©c^rift:   Lux  in  tene- 
bris  1671  um  baö  I^cma,   bafe   bic  Äird^e  nur  in  ben  SBiebcr» 
geborenen  bcftel^c,  ttjoju  ©c^Iütcr'ö  JBorrebc  ju  ben  ^ßcnnjci(^cii 
bcr  SBicbcrgcburt"  unb  ^anbere  neue  Sudler"  ben  Anlag  gegeben 
^aben.  SlQcrbingd  n)irb  bie  t^olgcrung  abgclcl^nt,  bag  man  n)cjcn 
beg  JBcrbcrbcnö  bcr  Äirc^c  ficft  üon  il)r  trennen   bflrfc;    inbeff^^ 
bcfcnnt  fic^  9lctf)cnug  ju  bcm  ©runbfafec,  ba§  man  cd  im  än^^^ 
genau  ncl)mcn  muffe  nad^  ©otted  Scfcl^I  unb  jur  (Srbauung  t>^ 
©cmcinbc,  ba  cö  eben  auf  bic  toaf)rc  §ciligfeit  bcrfclbcn  anfomn*^- 
©Icic^icitig,  im  Srü^ja^r  1671,  legte  Ket^cnu«  ber   eiofft«    ^^ 
aWeurg   baö  ^rojcct  einer  ^Reformation  bed  Scbend  in  unfcr^]^ 
Äirdjcn  in  9  gragcn  öor.    Sinige   biefer  fünfte  bejcid^nen   ^^^ 
fd^on  befannten  aÄaßrcgcln  gegen  bie  Unwiffcn^eit  unb  bic  8s^|' 
l^ciligung  be^  ©abbat^d;    neu  hingegen   ift  bcr  Sorfc^lag,   "S^^^ 
be^arrli^  Unmiffcnben  öom  Äbcnbma^I  aug;iuf(^lie§en,  unb  ba**^ 
bcr  anbcrc,   bag  bic  5Diöci<)ün  jebem  ^aftor   anoertrant  tocr*^* 


1)  <9oe6eI  qxtbi  1657  al§  3a^re§3a(t  btefeS  93u4S  an.  ^ttf^mi  \^^f 
erjä^It,  bofe  er  boffflbe  1667  bcm  ^rinjen  DonOranien  flbertet^t  (abe ;  id^^me^^ 
tnut^c  Qlfo,  ba6  eS  in  bemfelben  Sa^re  aud^  erf^tenen  ijl. 

2)  «.  a.  O.  S.  376. 


i 


391 

3)icfe  bcibcn  SWagrccjcIn  finb  mcniflcr  im  ffiinflang  mit  bcr  2a* 
babiftifc^cn  SJetPCflunfl,  aU  [ic  für  Slct^cnuö  c^araftcriftifd^  finb. 
S)ic  Slafftö  lehnte  fic  ab,  cbenfo  bic  tuicbcrum  t)on  9let^cnud 
empfohlenen  ^oc^enprebtgten,  unb  verfügte,  bag  bic  ^i^ipUn 
bem  ^oftor  nic^t  ol^nc  ben  ^irc^cnrat^  jutommc.  3n  bcmfelbcn 
Sa^tc  aber  brachte  bic  in  93Qcrl  gehauene  SSifitation  eine  äJtenge 
Don  Sigcnmäd^tigfciten,  bie  9lct^enuS  begangen,  unb  eine  fd^arfe 
@efpanntf)eit  bcr  @emcinbe  gegen  i^ren  $aftor  an  ben  Xag.  ^er« 
felbe  n)ar  o^ne  SBiffcn  bed  Jtirc^enrat^c^  3  bid  4  äBoc^cn  t)erreift, 
unb  erft  fo  fpät  uor  bcr  gefc^lic^en  $eicr  beS  9bcnbma(}tö  ju* 
rfidgefe^rt,  bag  bie  Sommunicantcn  fid^  nid^t  Ratten  anmelben 
fönnen;  er  l^atte  @onntag  9lac^mittagS  na^  bcr  ^rebigt  nid^t 
ben  ©egen  gefprod^cn,  um  bie  ©emeinbe  ju  jn)ingcn,  auc^  ber 
ftatcd^tfation  bciiun)0^nen ;  er  ^atte  9){itglieber  bed  Aird^enrattieiS 
befd^impft,  bei  bem  ISrfd^cincn  bcr  Sommunicanten  t?or  bem  Zifd^ 
gefagt:  „ac^  toie  t)ielc  $unbe  unb  @d^n)cine!'\  l^atte  enblic^  blöd 
@^fc6  geprebigt,  oI)ne  ben  Xroft  bcd  @t)angeltumd.  9lct^enud 
fonnte  biefed  aUed  md)t  leugnen,  unb  mugte  berfpred^eu  fic^  fotc^en 
äRigbrauc^cj^  feinet  SlmteS  ju  enthalten.  2)afür  gab  i^m  aber 
baö  3a^r  1672  ben  Slnlag,  in  Saerl  unb  an  anbcrcn  Orten  bei 
Xag  unb  9lad^t  überall,  xoo  fic^  i^m  ®clegenl)eit  bot,  (£ont?en« 
tifcl  ju  galten,  «tö  er  bafür  1676  bon  ber  ßtafft«  einen  JBer* 
toeiS  erl^ielt,  crflärtc  er  fic^  in  fold^en  @ad^cn  nur  burc^  fein 
©cmiffen  gebunben,  unb  gab  in  bcmfelben  3al)re  o^ne  bie  gefe^« 
li^  fcftfte^enbe  ÖJene^migung  ber  Elaffi«  eine  ©c^rift  über  baS 
Serbcrbcn  ber  ^ird^e  l^craud:  „©eufienbeS  Xurtcltäublcin  unb 
3ion«  I^räncnftage"  1676.  »lad^  ©oebeU^  Angaben  gleid^t 
biefe  ©d^rift  ben  anbcrcn,  meldte  gleic^^^eitig  unb  nad^^er  in  ben 
Slicbcrlanben  erfc^iencn  finb.  3"9lci^  \^^^^  er  feine  (Jigcnmäd^* 
tigfeif  fort :  ol^nc  3"ä^e^""9  ^"^c^  Äird^cnrat^e^  ujieö  er  bie  ßeutc 
oom  Slbenbma^le  jurücf,  fo  bag  bie  Qaf)l  ber  Sommunicanten 
fic^  Don  70  auf  15  üerminberte;  er  unterlieg  ben  ©ebraud^  bcS 
Soterunfer,  n)eil  Untoiebergeborene  cd  nidjt  beten  fönnten,  o^nc 
cd  5u  entehren;  er  öcränberte  baölaufformular;  ujcnn  bie  STcltem 
bc^  Äinbe^  i^m  alö  unnjiebergeboren  galten,  lieg  er  in  bem  ®C' 
bete:  ,S)u  tooUeft  bieö  5Bein  Äinb  gnäbig  anfe^en",  ba«  SBort 
®ein  aud.  Snbli^  ju  SBci^nac^ten  1682  lueigerte  er  ftd^,  bog 
Hbenbma^l  überhaupt  aui^ut^eilen,  n)eil  auger  t?ier  äßieberge« 
borenen   bie  @emeinbe  bed  ©acramentd  unmürbig  fei;  et  looQte 


392 

burd)  bicfc^  SRittel  eine  aOgcmcinc  äSefe^rung  herbeiführen! 
3ebo^  folgte  biefcm  (Schritt  bte  @uSpenfion  üom  S(mte  bun^ 
bie  SlaffiS  auf  bem  t^u^c,  unb  aU  9let^enud  fic^  be^arrltc^  ni^t 
fügte,  nad^  fcc^ö  SBoc^cn  (15.  gebr.  1683)  bie  «mtöentfelung. 
ffirft  feine  greunbe  in  Utre^t  überjeugten  i^n,  ba§  er  für  feine 
eigene  $erfon  nic^t  ju  jenem  Slete  ber  2)i^ei)){in  bered^tigt  gc^ 
njefen  fei.  Vorauf  richtete  er  an  ben  ^rinjen  Don  Dronien  bie 
Sitte  um  Erneuerung  ber  Unterfuc^ung  unter  bem  Vorgeben, 
feine  ©emeinbe  merbe  geneigt  fein,  i^n  tuicber  an}une()men.  Stdein 
bie  abbitte,  \üc\(i)c  er  bei  biefer  i^m  betoiUigten  Steüifion  feiner 
©ad^e  leiftete,  üermod^te  bie  einftimmige  SBeigerung  ber  ©emeinbc, 
il^n  n^ieber  aufj^une^men,  nic^t  ju  übern)inben.  (Er  mugte  fic^ 
begnügen,  t)on  ber  StaffiS  für  red^tgläubig  unb  anfteQung^fä^ig 
erllärt  ju  njerben ;  unb  erreichte  bemnäc^ft  aud^  »ieber  eine  Sc 
rufung  nad^  ©ulpen  in  ber  Slä^e  üon  TOoftric^t;  f))äter  folgte 
er  einer  Berufung  nac^  Sirftein  in  ber  ©roffd^aft  Sfenburg. 

(E^e  nun  9let^enud  @c^icffa(e  n)eiter  oerfolgt  n^erben,  ift  ^ 
äWecfmägig.  bie  gögc  feines  S^araltcrö,  »eldje  blöder  öorgcfommeii 
finb,  nämlid^  bie  ^errfc^fuc^t  unb  bcn  (Sigenfinn,  burd^  badjcnigc 
ju  üerboUftänbigen,  toa^  bie  Apologie  borbietet    S)iefelbc  ift  ein 
33ud^  oon  faum  erträglicher  ©efd^macftofigfeit.  ©ie  foQ  boö  Un^ 
rec^t  nac^rteifen,  ujeld^eS  Sletl^enuS  in  feiner  Stellung  ju  Sirftctn 
erlitten   l^oben  UjiQ.     Qu  biefem  Qtocd  n)ä]^lt  er  bie  ^omx  bcö 
©efpräc^eg.  weld^e  bei  ben  nieberlänbifc^en  ÄSfetifem  übli^  '?• 
unb  oerbraud^t  p  aQen  möglid^en  (Erörterungen  in  ber  @vra# 
Kanaans,  bie  oon  griec^ifc^en  unb  lateinifc^en  @ebic^ten  gleici^cn 
Snl^alteS  unterbrochen  werben,   140  ©citen,   bis  er  ben  ®tici 
eines  fie^rerö  in  Tübingen  mitt^eilt,  ber  i^m  bie  beöorftel^cii^ 
©erufung  nac^  Sirftein  anfünbigt.     ®iefer  ©rief  toürbc  4  ö^^ 
5  ©eiten  füllen;  er  ift  jebod^   burd^  erbauliche  (ijcurfe  auf  ^ 
©eiten  auS  einanber  gejogen.    ®ann  verbreitet  fi^  ber  ©eri^^ 
über  Sletl^enuS   früheres  Scben  unter   berfelben  ©ebingung  t^^f 
©.  223-371;   bie  »irfteiner  «ngelegen^eit  reicht  bcinac^    ^ 
©.  688.     ®aS  ©anje  ift  na^   ben   ©ilbeni   beS   S^icrfrer^^ 
eingct^eilt,   n^orauf   ber  Slcbentitel   beS  SBud^eö  l^intoeift.    ^^ 
Schreiber  fagt  jujar  bei  (Gelegenheit:  „©o  oft  id^  mid^  unb  m^*^ 
I^un   unb   Arbeiten   an  ©otteS  SBort   unb  meinem  ©ctoifW^^ 
prüfe,  »0  bleibe  id^  bann?  bann  fu^e  id^,  in  bie  tiefftc 9liebrr^Ä* 
feit  t^erfc^lungen,   ganj  tok  ein  SEBurm  in  bcn  Äbgrunb  mci^^^^ 


393 

9ltd^tigfctt  niic^  jii  frümmcn,  unb  mxä)  in  (S^rifti  SSunbcn  ju  \)cx* 
bergen,  um  nod)  einigen  Iroft  ju  finben."  ®iefe^  95clenntni§ 
jcbod^  miegt  ben  (Sinbcucf  ber  breiten  @eIbftgefäUigfeit  nic^t 
auf,  n)eld^e  [ic^  in  ber  totalen  @efd^nmcfIo[igteit  ber  ^ax» 
fteQung  fptegelt.  tiefer  (Sinbrud  mirb  beftätigt  biird)  bie  3(rt, 
n^ie  9let^enuS  feine  Stbfe^ung  in  Saerl  berührt.  @r  fagt  ni^t 
ganj(  in  Uebereinftimmung  mit  ben  Sleten:  ,,$l(S  ic^  einmal  baS 
^benbma^I  aufgefc^oben  ^atte,  um,  menn  man  mir  gefolgt  n)äre, 
eine  gute  Siefonnation  ber  ©emeinbe  burd)  ©otteö  @nabe  l^er« 
bcijufü^ren,  um  fo  me^r,  alö  bie  ujenigcn  grommen  meine  ^eilige 
äbfid^t  biUigten,  tparb  id)  uon  bem  ©ant)ebrin  ju  2Keur^ 
mcineö  Slmteö  entfefet.  3c^  fc^öme  mic^  barüber  nid^t,  ^abe  üieU 
mc^r  unauöfpred^lid^e  S^cube,  ba  ic^  weife,  bafe  aud^  biefe^  Seiben 
eine  ^errlic^e  ^crle  an  meiner  Ärone  in  i&pigleit  fein  wirb." 
Älfo  wa^rl^aft  ift  er  in  biefem  3f<^Uc  fo  wenig  gewefen,  alö  ba 
er  feiner  3cit  bem  ^ringen  üon  Dranien  üorftellte,  feine  ©emeinbe 
werbe  i^n  gern  wieber  annel^men;  biefer  ÜKangel  aber  ift  fo  wie 
er  bei  felbftgeföQigen  SRenfc^en  öor^ufommen  pflegt.  3"  f^'"^^ 
Sntf^ulbigung  bient  freiließ,  bag  er  geiftig  nic^t  ganj  gefunb  ge« 
wefen  fein  fann.  S)er  leufel  l^öt  i^m  oft  feine  SBüc^er  burc^ 
einanber  geworfen,  unb  anbere  hoffen  ongetI)an;  femer  ift  er, 
inbem  er  jum  @c^winbel  geneigt  war,  jweimal  burc^  bie  £uft 
entführt  worben,  aU  er  fc^male  ©tege  über  ©röben  ju  über- 
fc^rciten  l^atte.  Sr  ift  nämlic^  in  bicfen  gäHen  ol^ne  ©ewufetfein 
über  bie  gefäf)rlic^e  Stelle  l^inüber  gerannt.  3lber  eben  baburd^ 
ift  ein  gewiffeö  3Rag  oon  ©c^irnaffection  angejcigt,  welche  jur 
öcurtl^eilung  feiner  geiftigen  SSerfaffung  nic^t  unbead^tet  bleiben 
barf  *).  Ober  waS  foll  man  fonft  baju  fagen,  bafe  Slet^enuö  mit 
©enugtl^uung  bejeugt,  bafe  nidjt  nur  jene  brci  ©lieber  ber  ©e* 
meinbe  ju  ©aerl,  weld^e  juerft  feine  änfteUung  burd)Ircuäten, 
fonbern  aud)  onbere,  bie  i^n  wegen  feiner  ©trenge  Dorf  lagt  ^aben, 


1)  (Sr  (at  Qu4  in  berfelben  SBeife  toit  'Mmax  ben  Teufel  fiefe^n.  913 
er  einmal  in  SBefel  eine  befeffene  gfrau  befugte,  unb  t^r  bie  S^Snblid^fett  ber 
6ünben  als  SEBerfe  beS  Teufels  üor^iett,  tt)a§  geWo^?  .*5)a  ßlo^te  mic^  ber 
W|e  ®eifl  mit  unb  ouS  ben  ^ugen  ber  belegenen  S^au  fo  grflulid^  on,  rtnb 
)eigte  mir  ein  fo  fd^recflid^ei  ^eft^t,  bog  i^  bie  gräftlid^e  (Srfd)etnung,  bie  mir 
iu)4  itifi,  »enn  i^  boran  beule,  Dorfommt,  mit  metner  {Jeber  nid^t  befdjreiben 
fann.  fo  bdf  unb  aornig  fal^  mi4  unb  f^naubte  mic^  ber  2:eufel  mit  einer  fe^r 
(irftnlt^  loutenben  9?abenf!tmme  an." 


394 

clcnb  uub  fc^recflid^  ju  @iunbc  gegangen  finb,  „atö  menn  ber 
§err  micft  bei  ber^anb  iiä^me  unb  [agtc:  ©ie^c  ic^  bringe  folc^c 
Urt^eile  über  bie,  tüeldjc  [i^  bir,  meinem  S^icner  mibcrfeftt  ^oben, 
fo  fommen  [ie  um!" 

9luf  ber  ©teile  in  ®ulpen  blieb  9ietl)enuö  nur  wenige  3a^re, 
^ielt  l^icr  feine  ^atedjifationen  unb  SBod^enprebigten  unb  fc^te  bie 
Sonucntifel  and)  Quger()alb  feines  SBo^norteS  fort.  O^ne  SoIIi^ 
fion  tarn  er  aud^  !)ier  nici^t  auS.  Söejeid^nenb  für  feinen  ©tanb- 
puntt  ift  eö,  baß  er  bei  ber  äWaftric^ter  Klaffte  mcgen  ber  Äeufee^ 
rung  Derflagt  iDurbe,  ein  £)i:tI}obo£er,  ber  ben  ^atec^idmud  red^t^ 
gläubig  auflege,  fönne  tro^bem  ein  falfd^er  ^rop^et  fein.  3m 
§erbft  1690  aber  umrbe  er  Don  bem  ÖJrafen  SBil^elm  iD^ori^  Don 
Sfenburg^SBübingen  juSöirftcin  (om  füböftlic^cn  Abgang  beöSogcfö« 
berget  nac^  bem  ^njigt^ale  ju  gelegen)  alö  §ofprebiger,  3nfpcetor 
uub  (Sionftftorialratl)  berufen,  nad^bem  ber  fd^on  ertoa^nte  Srief 
hc^  ©c^ulnieifterS  @}eorg  Smalb  ju  Tübingen  im  auftrage  ber 
©räfin  (geborenen  3fcnburg=ÜReerl)olfe),  einer  frommen  S)ame, 
oorangegangen  mar,  unb9let^enu$  inj^mifd^en  fid^  perfönlid^  Dor« 
geftellt  unb  jur  $robe  geprebigt  ^atte  >).  (Er  ^atte  ed  jugleic^ 
übernommen,  für  bie  ©c^ule  in  SBirftein  in  ben  9licbcrlanben 
5U  eoUcetiren;  nad^  $luSfü()rung  biefeS  @efct)äfted  trat  er  im 
grütjja^r  1691  fein  neueS  ?lmt  an.  6r  mar  fc^on  burd^  feinen 
@orrefponbenten  barauf  uorbereitet,  bag  bie  d^riftlic^c  Stlbung 
in  ben  i^m  anjuoertrauenben  @emeinben  einen  niebrigen  ©tanb 
bet)auptete.  $11^  nun  bie  angeftellte  SBifitation  il^n  oon  ber  alU 
gemeinen  Unmiffcntieit  überjeugte,  meldte  ja  ber  befonberc  ©cgen^ 
ftanb  feiner  ©ead^tung  mar,  fu^te  er  biefelbe  burc^  bad  SRittcl 
ju  Ijeben,  metc^eö  er  fd^on  in  Söaerl  probirt  ^atte.  (5r  fc^tug 
nämlid^  in  ber  il^m  aufgetragenen  3nftruetion  für  bie  $rebiger 
uor,  bag  jur  (^ortfe^ung  ber  unDoQenbet  gebliebenen  9ieformation 
junädift  bie  ^eier  beS  3(benbmaI}lS  auf  ein  ^albed  3a^r  audge« 
fc|}t  merben  {olle,  bamit  bie  @iemeinben  injmifd^en  ju  ber  not^igen 
(Srfcnntnig  gebracht  unb  jum  fruchtbaren  ®enug  beS  ©acramcntS 
vorbereitet  mürben.  6S  ift  auffaöenb,  bog  bicfc  $robc  ber  SSäciS- 

1)  ®oebfl  @.  3va  tnad^t  bie  unrid^tige  ^n^aht,  bafi  9iai^enu8  Jtüäf* 
folger  M  1687  na<i^  SRüI^tm  an  ber  9lu^r  abdcgansenen  fSud^elbex  (6.  377) 
Oetoorben  {et.  ^te|er  aber  (atie  in  tBflbtngen  geflanben,  tso  bt§  1693  ber  9rof 
3o(ann  ftafimtr  regteTte.  S)te  tBtr(!einer  trafen  btn>eten  eine  9tebenlime  ber 
$übtngen(<i^en  Qauptlinte. 


395 

^cit  be^  62jä^rigcn  äJ^anne^  bic  ^J3iUigung  bcd  @rafcn  iiitb  bcr 
^rcbiger  mit  ffiincr  SluönQl^tnc  erhielt.  3nbcffcn  bic  ©tellung 
bcö  Wefortnatorö  in  öivftcin  ift  tDo^l  fct)r  halb  eine  ^öc^ft 
fc^ipterigc  gctüorbcn.  ®r  behauptet  jtoar,  bQ§  bic  ©cmciiibc  ba* 
fclbft  fic^  üon  bcr  Slidjtiflfcit  feiner  SRct^obc  übcrjcugt  ^abc, 
unb  erjä^tt  nur  bauon,  bog  fein  Vertrauen  auf  bcn  genannten 
SiDalb,  ben  er  in  bod  Sonrectorat  ju  93irftciu  gebradjt  ^atte, 
burc^  benfclbeu  gctäufc^t  unb  bag  burd^  beffcn  Sinf(üftcrungen 
and)  bic  @)räfin  i()m  ungänftig  gcn)orben  fei.  Sener  ^obe  i^n  in 
ben  Stuf  beet  @ocinianidmud  gebracht,  n)cii  er  auf  bic  Heiligung 
bed  fiebenS  gebrungen  ^abc.  Stixx}^  9let^cnud  n)iQ  auf  ba^  Slcugcrfte 
übcrrafc^t  gcujcfcn  fein,  aU  er  nad^  fünfjähriger  SBirIfamfcit  im 
3rcbcuar  1696  öor  eine  Unterfuc^ung^commiffion  gcfteUt  würbe, 
um  fic^  über  45  Hnflagcpunftc  ju  t}crantn)ortcn.  fßon  bcnfelben 
faQen  mand^e  in  bo^  Gebiet  be^  ^latfd^eS  unb  finb  ganj  irre^ 
IcDont.  Slnberc  aber  ftcllcn  bic  unglaublid^c  Xafttofigfcit  unb 
(£igenmad^tig!cit  bed  äJianncd  feft,  n)c(c^cr  bic  Umftänbc  ^^u  bc« 
urt{|ci(cn  cntioeber  nic^t  fö^ig  ober  nic^t  n)iaig  toax,  (£r  ^attc 
nämU(^  n)ieber]^oIt  im  officieüen  ^ir^cngcbet  für  feinen  frühem 
fianbe^^crrn,  ben  ^önig  äBil^cIm  IIL  üon  Snglanb  gebetet, 
^atte  einzelnen  @cmeinbcn  ba^  Slbenbma^l  brei  Viertel  3a{|r 
lang  t)cm)cigcrt,  einen  Sonfirmationdunterric^t  wn  anbert^alb 
Sauren  bcriangt,  bad  "Sbcnbmat)!  nac^  niebcrlänbifc^er  @ittc  im 
@i|en  gefeiert  n)iffcn  moQcn,  bcn  Zaufpat^en  ein  (Examen  auf« 
genSt^igt,  ()attc  bic  ©emcinbcgUcber  mit  groben  ©d^impfnamcn 
belegt.  Snblic^  n)irb  i^m  nod^  vorgehalten,  bag  er  bic  SBieber« 
brtngung  bcr  Scrbammten  mit  Sludnal^mc  bed  Subad  Ic^re.  (Ed 
ift  bcjctc^nenb,  \ok  biefer  fonft  auf  Sicd^tgläubigfcit  bebac^tc 
äRann  ft^  burc^  biefen  @a^,  ber  gerabe  bamalS  t)on  bem  bc^ 
fannten  ^etcrfcn  (eb^aft  uerfod^ten  n)urbe,  tjatte  locfen  laffcn. 
Sie  @ud)t  na^  apartem  fird^lid^en  93cr^alten  fc^Iägt  aber  fe^r 
Ici^t  in  fold^c  @}clüftc  nac^  geheimem  SBiffcn  an^.  Senn  biefe 
Hnllage  loar  nid^t  crfunben;  9let^enu^  bcfennt,  er  fei  burd)  biefen 
®a^  in  SScrfu^ung  geführt  tDorben,  l^abc  jebod^  nur  ju  ber 
frommen  ©räfin  unter  bem  ©iegcl .  ber  JBcrfdinjicgen^cit  baoou 
gerebct,  unb  fic  jur  Uebcrlegung  bcr  @ad^e  aufgcforbcrt.  ISr  bc- 
flagt  fi^  über  ben  Sruc^  bed  äJertrauciflS  burr^  bic  Same.  Scr 
Su^ang  ber  Untcrfuc^ung  xoax,  bag  9{et^cnuS  auf  bic  @cfe^c  ber 
3fcnburgifd)cn  ßird^e  Dcrmicfcn  unb  jur  Säeobad^tung  berfetben 


396 

angehalten   tüurbc.    3)ie[c§  aber  üenodgcrtc  er  birect;  ®efc|c 
[inb  9lefee,   [agt  er;  unb  jugtcic^   erllärte  er  bcm  ©rofcn,  ba§ 
(äljriftu^  ber  cinjige  ©cfe^gcber  bcr  ^ird^c  fei,  unb  feine  au^  bcm 
göttlid^en  SBortc  crfennbarcn  ©cfc^e  burc^  feine  S)iencr,  bie  $rc^ 
biger,   jur  Sluöfü^rung  bringe,  bcr  @raf  ate  toeltlic^c  Obrigicit 
befifec  tcin  bifd^öflid^eö  5lmt,  fonbern  l^abc  in  ©infi^t  bcr  fiir^c 
fic^  S^rifto  unb  beffcn  Wienern  cinfa^  ju  untcrnjcrfen.    darauf 
erfolgte  bie  ©uöpenfiou  öom  Stmt  unb  ©nfommcn.   S)ic  Urt^cild» 
lofigteit  üon  Slet^enug  jieigt  fic^  nun  barin,  bafe  er  ot|nc  trgcnb 
etma^  l^on  feiner  firdjenred^tlid^en  Snfid^t  jurücfjune^mcn,  um 
9ieftitution   in   fein  Slmt  ober  um  e^renDoQc  Sntlaffung  bittet. 
®ie   lefetere  lüirb  i^m  ^u  Xfieil  unter  bcm  6.  ÜRärj  1696.    S)fr 
65raf  mar  ieboc^  geiüiffcnl^aft  genug,   bie  Acten  ber  t^cologifc^cn 
gacultät  JU  SKarburg  öoräulegcn.    S)a^  SSotum   berfelbcn,  über 
ujcldieg  5Retl^cnuö  feinen  @rimm  unb  §ol^n  auöfc^üttet,  ging  ba^in, 
bag  aQe   feine  ^anblungcn  i^n  als  ungeeignet  jum  ^ird^enamt 
in  3)cutfc^lanb   erlüiefen,  ba   er  in   feiner  Unöorfic^tigfcit  unb 
Mücffid^tölofigfcit  bie  buvc^  bie  Sicid^eöcrfaffung  bebingte  ©cftalt 
bc^  lanbcö^crrlic^en  Sirc^cnregimentS  nid^t  uerfte^c.     STUcrbin!)« 
ber  SnbepcnbentiömuS,  ben  fic^  Slet^enuS  einbilbcte,  paßte  nic^t 
in  bie  @raffd)aft  Sfenburg;  aUein   er  paßte  auc^   iDcber  in  bie 
f^nobalc  Drbnung,  nod^  in  ben  Stammen  einer  inbepcnbenten  ®c^ 
meinbc.  Slet^enuö  tt)ollte  in  feinem  9fieüier  unumfc^ränft  fd^altcn; 
er  moUte  ba§  Sted^t  bcr  Äird)c  nac^  feinem  inbiöibueQcn  ©ctmfföi 
ober  nad^   feiner  Saune  madöen.    Unb  auS  welchem  SRc^tStitet'^ 
barauö  baß   er   ein  Xiencr  ©otteö,    unb  baß  er  auf  bcr  t)ini^* 
lifd)en  Sltabcmic  auSgebilbct  fei,  ujie  er  mit  Berufung  auf  Wo"«^^ 
ben  SDZarburger  Ideologen  jur  S8efd)ämung  öorplt.    3)iefcS  n^^^ 
fein  grcibricf !  2lber  mä^renb  er  bicfe  ©cgner  ujegen  bcö  Suri^^^ 
ftilS  i^rcö  ©utadjtcnö:  Decanus,  Senior,  Doctores  et  Professo^^ 
Facultatis  Theologicae  in  Academia  Marpurgensi  —  öcr^öf) 
ift  il)m  ganj  Verborgen,  baß  bie  ©prad^c  ^anaanö,  in  bcr  er 
beioegt,  aud^   nur  ein  Surialftil  ift,  bei  tüclc^em  fd)ließlic^ 
manb  fid^  etmaö  bcnft.     9lur  bie  Wenfc^cn  im  ^ßarabtcfc  ^at 
feinen  Eurialftil,  aber  aud^  leine  Kleiber.  Slctl^cnuS  l^ättc  l^öc^fti 
in  SBieuroerb   bie  für  i^n  paffenbe  ©teile  gcfunbcn :  bort 
regierte  fc^on  ^üon.     €r  ift  in  Slmftcrbam  für  unS  öerf d^oE- ^^ 


397 


19.   l&er  ^tetti^tttiii^  iu  beu  mittelbentfd^en  @eBtetett  Ut 

reformirten  Jütc^e. 

UeDeroII  in  3)cutfc^lanb,  ido  bcr  (S^tüini^mu^  burc^  bic 
lanbcöfürftlic^c  ©etoalt  unb  in  Srcmcn  bnrd)  bcn  9lat^  jum 
firrf)lid^cn  3)Qfcin  gebracht  Ujorbcn  ift,  f)at  er  [ein  am  mcijten 
d^araftcriftifc^eö  9Rerfmal,  nämlic^  bic  2)iöciplin  burc^  bie  ®e- 
mcinbc,  aufgeben  muffen.  SSon  Dorn  herein  xoax  biefcö  nicf|t  6e:= 
abfic^tigt.  SSielmel^r  ift  in  ber  ^fäläifd)en  Äircftcnorbnung  üon 
1563,  bcr  §efftf^en  üon  1566,  ber  SlüffüUsaJiflenburgifd^en  (ju^ 
gicirf)  für  SBittgenftein,  ©olmö,  SBicb)  üon  1586  baö  Snftitut  bcr 
©cmcinbc^Slclteften  jum  Qtvcdc  ber  Q\iä)t  aui^brücflic^  anerfannt  0- 
Snbcffcn  für  bie  ^fäläifd^e  Sirene  ift  fd^on  bur^  bic  1564  er. 
laffcnc  ftir^cnratf)^orbnung  ctroaS  ganj^  anbcrciS  fcftgcfefet  tt)orbcn. 
Unter  bcr  Dbcvauffic^t  beö  Äturfürftlic^cn  Äirci^cnratt)^  follcn  bic 
ämtlcutc  bic  Äirc^cnpoli^ci  üben,  unb  ujcnn  c^  nöt^ig  ift,  follcn 
fic  üon  bcn  Äirc^cnbicnern  mit  aller  93efc^eiben^cit  an  jcncÄmt^« 
p^\d)t  erinnert  toerbcn.  S)abci  wirb  bie  ©mjartung  audgcfpro^en, 
ha%  ^iebur^  bic  Slnwenbung  ber  geiftlic^en  ©träfe  au§  bcm 
SBortc  ®ottcö  erfolgreicher  fein  unb  bie  (^communication  mög^» 
lic^ft  ücrmicben  werbe*).  3n  Reffen  ift  bie  ©emcinbebi^ciplin 
Derfümmert,  feitbcm  1568  burc^  bie  ©ö^nc  bed  Sanbgrafen  ^f|i* 
lipp  ba^  ©^ftem  ber  au^  geiftlic^cn  unb  Weltlichen  Beamten  ju^ 
fammcngcfc^tcn  ©cncralf^noben  unb  enblic^  1610  bie  lanbe^^crr^ 
iid^cn  ßonfiftorien  eingeführt  würben »).  Die  Slaffauifc^e  Äird^en* 
4)rbnung  aber,  weldjc  bircct  bic  Scfd^lüffe  bcr  ©^nobe  ju  9)iibbcl=* 
bürg  öon  1581  copirte,  ift  nicfjt  longe  in  Äraft  geblieben*). 
^un  war  in  bcn  Slicbcrlanben  ber  Änfpruc^  ber  ©cmcinbcn  an 
ftrcngc  S)idciplin  bcr  $unlt,  um  ben  ficSö  bic  E^riftcn  fc^aarten, 
la>d^c  cd  urfprüngtic^  auf  bic  9!cformation  bcr  ©itten  in  ber 


1)  Stifter,  fttrc^tnorbnungen  II.  6.  265.  292.  476. 

2)  «.  0.  O.  6.  277.  282. 

3)  Stifter,  0ffc(tc(te  ber  eüangeliMen  ftir^ntDerfaffung  in  ^eutfc^Ianb 
>.  187. 

4)  ^etiOG,  ^taU(&ntr^tlopMt  X.  6.  219. 


m 

Äird^c    abgefeiert   Ratten,   unb  tüeld^c  lt)citerl)ii!  \x6)  für  bic  6r^ 
neucrung  bcr  Drbnungcn   ber   ältcftcn  Sirene  unb  bic  üottc  Un* 
abl^anglgfcit  ber  Äird)e  öon  ber  ftaatlic^en  ©emalt  intcrcfjtrtcn. 
SBcnn  alfo   bicfe  Sicformtcnbcujcn  an^  bcn  Sliebcrlanben  in  bic 
mittelbeutfd^cn   Territorien   übertragen  werben  folltcn,  fo  fehlte 
[)icr  ber  Stnfniipfungöpunft   für  bie  SBilbung  folc^er  ßonuentifcl, 
Ujcld^e  tt)ic  bort  gerabe  bie  firc^Ud^e  ©efinnung  ^egcn  unb  auf= 
rcc^t  erhalten  looHten.    3)af)er  üerloren  bic  ©ruppen,  n)elc^e  fidj 
^icr  auf  bie  üerfc^iebenen  Aufgaben  jcitgemogcr  Äirc^cnrcfonna* 
tion  einließen,   bircct  ieben  ß^fö^^'^^n^öttfl  ^^^  ^^^  bcftet)cnbcn 
iürd^e.    3)er    ^ietiömuö  toirb   in  bem  mittelbeutfc^en    ®ebictc 
unmittelbar  feparatiftifc^,  tt)cil  ber  SDJangel  ber  ©cmeinbebi^iplin 
in  bcr  ^ird^e   eS   i^m  unmöglich  machte,  feine  Stellung  in  ber 
^ird^e  ju   bctiaupten,   unb  baS  Siecht  auf  biefelbc  bcn  Ruberen 
glaubtid^  ju  machen. 

1.  3)ericnige,  xodd)a  I)icr  bic  Scnjcgung  eröffnet,  ip 
§einric§  §orcl)e  *),  ein  leibenfdiaftlic^er,  uneräogcner,  mit 
S^cufelöfpuf  geplagter,  geiftig  ungefunber  unb  in  feinem  Stcfor« 
mationStricb  urfprünglid^  auf  lauter  Sicugerlic^fcitcn  bebac^tcr 
äJ2ann.  (Er  erinnert  in  feiner  aUgemeincn  Gattung  am  meiflcn 
an  Slet^enuö.  ®eborcn  j"  ©fc^tücge  an  ber  SEBcrra  1652,  \fii 
er  in  ajiarburg  öon  1670—79,  baätt)ifc^cn  aber  Don  1671-74 
in  äärcmcn  ftubirt,  unb  ^icr  bcn  (£inf(ug  Don  Untcrctjd  erfaßten, 
^te  Begleiter  cine^  jjungen  (Sbetmannd  befuc^tc  er  nod^  auf  juici 
3a^re  bic  reformirte  fic^ranftalt  ä^3)önjig  unb  bic  Uniocrfitätcn 
granifurt  an  bcr  Ober  unb  Seiben;  ^icr  ^at  er  einen  jicmlic^ 
langen  Slufent^alt  genommen.  3)ie  3)cbingungen  fcincd  Suftrc« 
ten^  al^  $ietift  liegen  o^ue  3^^'^^  ^^^  ^^^  Siumirfungen,  nx:(c^ 
i^m  in  SBremen  unb  in  fieiben  ju  I^eil  »urben,  unb  cd  ijl 
burc^auö  fein  @runb  ertennbar,  »arum  bic  neueren  Seritötc^' 
ftatter  eine  Äbtjängiglcit  §orc^e'ö  öon  ©pener  behaupten.  3)cnn 
allc^,  \oa^  ^ord^c  oon  ©pencr  ^ötte  annehmen  fönncn,  lö|t  ^ 


1)  34  folfic  in  ber  2)arfieaun9  burd^au§  ^oc^^utl^,  i^etnn^  ^^ 
unb  bte  p(tlabelpttf<i^en  ®emetnben  in  Reffen,  ®ttter«Io^  1876.  ^et  9tiH^ 
biefer  forgffilttgen  9Rono0TO))^ie  benu^t  ntc^t  nur  bie  flberaud  jatlrett^ 
S^iiften  bon  ^or<i^e,  {onbern  oud^  eine  Sl^enge  bon  ard^tbalifd^m  Vtaitv^l 
Sgl.  no4  ®oebeI  II.  S.  741—751,  unb  $ao8,  SebenSbef^teibung  bei  ^ 
rfl^mten  Dr.  ^etnri^  Qord^e  auS  Reffen.    Gaffel  1769. 


399 

bircct  t^eilö  toon  Untcrct)d,  t^cilö  Don  bcn  nicbcrlänbifd)cn  @in* 
pfiffen  ableiten,  njclc^c  $or^c  in  Seiben  berühren  mußten.  ^ord)c 
tpuvbc  fd)nen  ^intereinanber  1683  Diafonuö  in  ^eibellicrcj,  1685 
^ofprebicjer  ber  ?ßfalj(flrdfin  Don  ©immern  in  Srcujnac^,  1687 
^rebigcr  tüieber  in  ^eibclberg,  1688  an  ber  beutfc^=refürmirten 
©cmeinbc  in  5i^ö"^f"^t  ^^  9Kain,  enblic^  1690  ?ßrofeffor  unb 
^rebigct  in  ^erborn,  nad)bem  er  fc^on  1686  in  ^eibelberg  bic 
tfjeotogifd^c  3)octonoürbe  empfangen  ^atte.  SBa^  man  über 
feine  *iptigfeit  üor  bcm  ©intritt  in  bie  ?ßrofeffur  ju  ^erborn 
erföl^rt,  läßt  pnäc^ft  erfennen,  bag  er  wie  Sletljenuö  eine  reichere 
unb  fefterc  @rlenntni§  ber  d)riftlid)en  Scl)re  in  ben  ©emeinben 
alö  bic  SBebingung  für  bie  Söfung  ber  prattifd^en  ?lufgaben  bc» 
ß^riftent^umö  anfal).  Um  iunäd)ft  jenen  3^^^^  ä"  beförbern, 
^ielt  er  in  ^rcujnac^  unb  in  i^rantfurt  mit  befonberem  i^leiß 
bic  Äatec^i^mui^übungen,  welche  für  jene  ©tabt  auc^  burd^  bie 
^följif^e  Äirc^enorbnung  uorgefc^ricben  n^arcn  ').  3"fltcic^  ^at 
er  in  feinen  $rebigten  ber  uon  Soeeejui^  entlehnten  ISrmartung 
bed  l^errlic^en  ß^ftanbei^  ber  ^irc^c  unb  ber  Hoffnung  ^ludbruct 
Dcrlic^cn,  bag  jugleic^  bie  Suben   unb   bie  Reiben  belehrt  fein 

mürben.  SeneS  3i<^t  ift  ^^^  ^^^^  ^i^  ^^^  ^^^^^  nieberlänbifd^en 
^ietiften,  baö  SKotit)  feineö  (Siferd  für  bic  Serbeffcrung  ber  (Sin* 
ric^tungen  ber  Äird^e.  Äu^er  ben  ^ated^ifationen,  bie  er  untcr^» 
na^m,  gehört  ba^in,  bag  er  bie  @emeinbe  j;u  ^^rantfurt  beftimmen 
looQte,  ia^  Hbenbma^l  im  ©i^en  um  bcn  Zifd)  ju  begeben. 
5Dicfcö  ^roject  lam  freilid)  nid^t  jur  Äu^^fü^rung,  ba  $ord)c  a(g* 
balb  nac^  ^erborn  ging,  allein  ^ier  trat  er  fogleic^  mit  einem 
^rojcct  berfelben  Slrt  ^eruor.  an  feine  ÄntrittiSrcbe  in  ber  ge^ 
bructten  @eftalt  ^ing  er  einige  CoroUarien  an,  unter  benen  cind 
behauptete,  bag  ber  gemeine  äRann  nad^  1  ^or.  14,  26  bad 
Stecht  ^abe,  in  ben  gottedbienftüd^en  Scrfammlungcn  mitjureben. 
^bex  eine  n)ie  ber  anbere  Sorfd^Iag  ^at  offenbar  ben  ©inn,  bag 
bie  nac^meidbaren  formen  bed  @ottedbienfted  in  bem  3^it(tltcr 
ber  Stpoftel  für  ade  Spod^en  ber  ^irc^c  Derbinblic^  feien.  Sen 
SKangel  biefer  apoftolifc^en  Sinrid^tungen  aber  beurt^cilte  er 
ctebalb  aU  einen  Serftog  gegen  bad  $rincip  ber  Steformatiun. 
„Hüe  bie  S)ingc,  fagt  er,  fo  aud  ©atand  ©c^ule  behalten  finb, 
lommen  nid^t  fiberein  mit  ben  ®runbn7a()r^eiten  ber  Sflcformation. 

1)  «tf^ter,  StOO  II.  6.  2G1. 


400 

2)cr  ®runb  bcrfelbcn   ift   bicfcr,   ba§  bic  f)ciUgc  ©d^rift  fei  bic 
einjige    unb    DoUtommenc  9iic^tfc^nur  unfere^   glaubend   unb 
©üttcöbicnftcö.    Snbcm  nun  ctlicf)c  noc^  fo   fcft  l^atten  an 
bcn  äugcrlid^cn  Zeremonien  unb  {Regicrung^arten  ber  Äirc^e,  fo 
Dor  bcm  I^ronc  bog  ©atan»  ?ßlafc  Ratten  in  ber  erften  ß^riften^ 
^cit  biö  in   baö  Dicrtc  Sa^r^unbert,  toa^  t^uu  fic  anbetet,  oö 
bag   fie  abroeid^cn  Don  bcm  @runb,  barauf  bie  Sleformation  gc= 
baut  ift  ...  .  S)enn  bcfinbct  ftd^  nic^t  nod^  ^cut  in  ber  cDan* 
gcUfc^en  Äirc^e  eine  äWenge  folc^er  Seremonien,  welche  nic^t  auf 
©otteö  SBort,  fonbern  auf  bem  alten  ©ebrauc^  ber  erften  e^riftcn-- 
I)eit  beru{)et?   ©riebet  mau   fic^  nict)t  in  einigen  Äirc^enftänben 
über  feine  üKitältefteu.    3a  toa^  baö  meifte  ift,  mac^t  man  nic§t 
bc^roegen  3n)ietrad^t,  inbem  man  Slnberen  bie   brübcrlic^c  ©emcin* 
fc^aft  auftünbigt?  SBenn  ber  I)eilige  ^aulu^  über  unfern  iejigcn 
Äir(^enftanb   urtl)eilen  foHte,   ttjürbe  er  nic^t  ju  unö  fagen  wie 
ivi  ben  Äorint^ern,   nämlid)  ttjaö  1  Sior.  3,  3.  4  ftcl^t?"    ©iefc 
Seugerungen ')  berüf)ren  ftc^  beutlic^  genug  mit  ber  Icnbenj  auf 
{Reformation,  roeld^e  Sobenfteljn  unb  Sababie  gehegt  ^aben.  Kur 
ift  bic  8[ntt)enbung   auf  beiben  ©eiten  uerfd^ieben.    ^orc^c  fu(^t 
crft  bie  äußeren  Cinric^tungen  ber  Äirc^e  fterbei^uffi^ren,  mW 
jene  3)?anner  fc^on  unter  ben  %ü%en  Ratten,  nämlic^  bic  einfa(^ 
Drbnung  beö  ©otteöbienftci^  unb  bic  ©lei^l^eit  ber  ©eiftlic^cn 
o^ne  JRangunterfc^ieb,  welche  in  @enf  unb  in  ben  Wicberloubcn 
galten.    3n  ben  9iieberlanbcn   aber   bebeutete  t)ie  SJReformation 
nac^  bem  SSorbilbe  ber   älteften  ©emeinbe  bie  ^crfteHung  bor 
©ittcnftrenge   unb    Die    (Srreidjung  ber    perfönlii^en    ^eiligfcit 
SRun  fönntc  man  geneigt  fein  anjunelimen,  ba§  auc^  ^orc^e  f^ 
biefen  3^^*  Dorgefeftt   unb  nur  uorläufig  feine  Äbfidjt  auf  bic 
{Reformation   ber  gormcn  Don  ©ottcöbienft  unb  SSerfaffung  U' 
fc^ränft   ^ätte.    Snbeffen  baDon  pnbet  fid^  für'^  ©rftc  bei  i^m 
leine  ©pur.    ®r  ^at  in  bem  un^  bef^äftigcnben  ä^itraum  no(| 
nid)t  einmal  alle   firc^lic^en  Sinric^tungen  bed  SalmniSmu^  in 
t^rem  ß^f^inmcn^ange  tn'g  Sluge  gefaxt.    SRan  foUte  boc^  ^ 
warten,  bag  wenn   c^  i^m  auf  bic  ^eiligfeit  ber  ©craeinbe  alt» 
lam,    er  Dor  SlUem  ber  calDinifc^en  ©emeinbcbtöciplin  bad  ©ort 
gerebet,  unb    bagegen  bie  anberen  $roj[ecte  jurüdCgcfteUt  ^ttc. 


1)  @<^nftmägtge  Unterfud^ung  ber  Senbf4rei6en  an  bie  fteben  (ftrainnen 
in  9lpen.    fterborn  1693.  S.  68.  73. 


401 

Sebod^  f)ai  \\)n  ctft  DicfSa^re  fpätcr  feine  ?lmt8entfeftung  treffen 
muffen,  ct)e  er  „eine  rcd)t  unparteiifc^c  Äirc^enjudit  unb  Iräftige 
öeftrafung  I)Qlgftarri9er  ©ünber"  aU  SUtribut  ber  ©emeinbe  p 
forbern  lernte  *)•  ®tefe  ©rfc^einungen  uerratl^en  eine  pd^ft  auf^ 
faUenbe  Sefd^ränlt^cit.  $orc^e  jeigt  fid)  birect  nur  für  bic  3le== 
form  ber  äußerlichen  Orbnung  bed  ©ottejSbienfte^  nadf  nieber* 
länbifdjem  ober  urc^riftlic^em  SKufter  intcrcffirt,  alö  wenn  beren 
^erftellung  bie  ^auptfac^e  iDäre;  unb  er  ^ot  oud)  uon  uorn 
herein  leine  fljftematif^e  anficht  Don  bem,  tuaö  in  jener  S3ejie:f 
^ung  notljnjenbig  wäre,  fonbern  er  ^ot  fidj  immer  nur  mit  Sei* 
benfd^aft  auf  einjelne  ?ßrojecte  geworfen. 

3cner  ©afc  über  bie  greit)eit  ber  8iebe  eineig  Scben  in  ben 
gottc^bienftIid)en  5Scrfammlungen  war  ben  t^atfäc^lic^en  Um* 
ftönben  gemäß  al3  wiebertäufcrifd^  gebeutet  worben,  unb  eö  ging 
ein  ©erü^t,  baß  in  2^^^^  ^^^  bem  Sefuc^  ber  ^erbornifc^en 
§o^en  ©c^ule  gewarnt  werbe.  3)aöon  natnn  nun  ^orc^e  ben 
Anlaß  ju  einem  ©einreiben  an  bie  3ürid)er  3:l)eoIogen,  in  welchem 
er  ftd^  auf  bie  ^raji^  ber  ältcften  Äirc^e  unb  bie  Sluctorität  beö 
^ulu^  berief.  @p  le()nte  juglei^  ben  SBerbac^t  ber  3Bieber* 
täuferei  ah,  ba  er  bei  ben  beabfic^tigten  c^riftlic^en  Kolloquien 
auf  ?lnftanb,  Drbnung  unb  Söefc^eibcn^eit  gehalten  wiffen  wollte; 
aU  ob  nid^t  aud)  bie  SBicbertäufer  biefe  öebingungen  ftellten. 
2)a^  Sluffallenbfte  babci  ift,  baß  er  für  fein  ^ßroject  aud)  bic 
3uftimmung  Don  93oct  unb  Soccejui^  in  au$brü(f(id)en  Zitaten 
oiiö  beren  ©d^riften  anruft.  ©oU  man  c^  aber  iJurjfic^tigfeit 
ober  galfc^l)cit  l)eißen,  ^orc^e  ^at  bie  Sleußerungen  unterf erlagen, 
in  wcld^en  Seibe  bie  t^eoretifdje  Slnertcnnung  jener  altd^riftlidjen 
Uebung  au3  prattif^en  8iüdfid)ten  jurüdEnetimcn  (©.  149).  3lu^ 
fpäter  t)at  er  immer  wieber  biefer  (Einrichtung  baöSBort  gerebet, 
ebenfo  ber  urfprünglid^en  ^^orm  ber  Slbenbma^löfeier.  Stiaralteri^ 
ftifc^  für  fein  Sntcreffe  an  Sleußerlic^teitcn  ift  enblic^,  baß  er 
auf  bie  Union  ber  eüangclifd^en  ßonfeffionen  bebadjt  war,  worauf 
fc^on  bie  oben  aufgehobene  SRflge  ber  3^i^tracf)t  unter  ben 
©Triften  ^inbeutet.  ®r  fc^eint  wirtlid^  leine  nä^er  liegenben  Un* 
pttcn  ober  Uebelftänbe  be^  c^riftlidjen  fiebcnö  beobadjtet  ju  ^aben, 
fonft  ptte  er  jene  große  ?lufgabe  nid^t  für  fo  bringlid^  geartet. 


1)  6enbf4retben  an  feine  Sul^Strr  in  ^erborn.  Offenbati^  1G98.   6.  IS. 
I.  26 


402 

(Sr  \)at  ju  bicfcm  Qtocd  gtcii^äcttig  jtüci  ©d^riftcn  *)  ^crau^c* 
geben,  iDcIdjc  ftd^  Dcrgcblid)  bamit  bcfd^äftigcn,  bte  Salöiitifc^c 
?ßräbcftination§(et)re  ben  Sut^erancrn  munbred^t  ju  mad^cn. 

j)iefc  ©tufc   unruf)iger  aber  unfd^öblici^cr  ^rojcctmaci^crci 
fiat  §orc^c  im  Sa^rc  1697  übcrfc^rittcn.  «in  30.  «uguft  richtete 
er  an  ben  afabcmifd^cn   ©enat  ein  ©c^reibcn,  iDorin  er  bic  ge? 
fammtc  9Ket^obc  be§  Unterrichte  für  unbrauchbar  erflärte,  nantent^ 
lic^  aud^  bie  S3e{)anblung  beö  tljcologtfcfien  ©tubium^  für  ungc* 
eignet  bcr  Äird^e  ju  bienen.    „3)ie  l^eutige  Äircf)c,  tote  ftc  öon 
foIcI)en  fd^ulgerec^ten  ©ciftlic^cn  regiert  n)irb,  ift,  furj  ju7fögen, 
ein   $immelreicl)   öoll  pilifcl^er  ©räuel."    3^9^^'^  ffinbigtc  er 
auf  ©runb   uon   Sifionen,  bie   er   gel^abt  ^abe,  ba§  @nbc  bcr^ 
3BeU  unb  bie  3lä\)c  beö  ©eridjteö   an.    (Sbenfo  äußerte  er  fi4 
gleid^jeitig  auf  ber  Äanjel.  3)iefeö  Sluftreten  mad^t  ben  ©inbrutf 
ber  SBerrüdt^eit;   unb  berfelbe  wirb   nicf)t   baburd^  öerminbert, 
baß  ^ord^e  einen  äWann  ju  feiner  äuctorität  ern)ät)It  ^attc,  ber 
ben   gleid^en  SJerbad^t  ertuedEt.    6in  ©ecretär  be^   ®rafen  t)on 
Solm^^SBraunfete,   Söaltl^afar  Sl^riftop^  Älopfer,   offenbar  ein 
SBeigelianer,  ^atte  bie  Uebcrjeugung,   baß  S^riftu^  in  i^m  lebe, 
ba^in  gemenbet,  baß  er  felbft  E^riftuö  gen)orben  fei,  feine  ©flnbc 
me^r  {)abe   unb  nic^t  fterben  n)erbe ;  n)egen  be^  SSerberbeniS  bcr 
Sirene  Ijabe   man    fic^   beö   öffentli^en  ©otte^bienftei^  unb  bcr 
©acramentc  ju  entl^altcn;  er  nannte  felbft  fid^  ba^  l^errlid^e  ^auift 
ber  ©laubigen.    ÜKan  ^attc  feine  ©eiftcöfranf^eit  ober  Slarr^cit 
tt)ol)l  erfannt,    aber  bei   bem  9Rangel  an  Snen^eitanftalten  i^n 
auf   bem  ©c^loffe  ju  ©reifenftcin  bei  Sraunfete  fcftgefeftt.  6r 
burftc  aber  Sefuc^e  empfangen,   unb  ^orc^e  war  im  SKai  1697 
bei  i^m  gen)efen.  S3ei  einem  toiebcrf)olten  SBefuc^e  im  ©eptcmfeet 
^at  ber  mit   bcr  Sluffic^t  über  Slopfer  beauftragte  Seamte  bic 
Untergattung    beiber    ©d^roärmer   niebergef^riebcn,   unb  bicfc^ 
S)ocument  nebft  bem  33rief  ^ord^e'ö  über  ba&  ©d^ultoefen  würbe 
nun  oon  ber  ^Regierung  ju  einem  SSer^ör  gegen  benfelben  t)cr* 
menbct,  toeld^eö   fd^on  im  Dctober  oeranftaltet  »urbe.    Dbflkiti 
^orc^e   in  feinen  8lntmorten   SSieleö  umging   unb   oerfc^lcicttc, 
mie  ®eifteSfranfe  ju  t^un  Derftel^en,  fo  blieb  er  Dod^  im  SScr^^ 
unb  in  einer  nad^träglid^  abgegebenen  ©rflärung  babei,  ba^  *'^ 

l)  Noctium  Nassovioarum  semestre   primum;  SBa^rl^eit«  unb  S^^* 
benf^ule.  1695. 


403 

Untcrricf)töinct^obc,  namentlich  bcr  borl^crrfc^cnbc  ©cbraud^  bcr 
iQtcinifc^en  ©prad^e  Ucttücrflic^,  bag  er  ju  feiner  ©eutung  be^ 
8fieici)e3  E^rifti,  b.  f).  ber  Siät^e  be§  ©erid^te«  berechtigt,  unb  bog 
er  nic^t  jum  SBefud^  beö  öffentlid^en  ©otteöbienfteö  Derpflit^tet 
fei.  3)a$  lefetere  n^ar  ber  ÄuigbrudE  feiner  geinbfeligteit  gegen 
feinen  ämtö^enoffen  §ilbebranb.  @r  n)urbe  barauf  im  9loöember 
t)om  ?ßrebigtamte  unb  üon  ber  ^ßrofeffur  fuöpenbirt.  Diefer  ©d^ritt 
regte  ben  Änt)Qng,  ttjeld^en  §orc^e  unter  ©tubenten  unb  ^Bürgern 
in  ^erborn  genjonnen  ^atte,  fo  auf,  ba§  ber  tuiebcr^olte  Xumnit 
berfelben  militärif^e  ©cgenn^irlung  erforberlid^  machte.  Me 
SSer^anblungen,  um  ^orc^e  jur  Scfinnung  ju  bringen,  fc^eiterten, 
unb  ed  blieb  nichts  übrig  aU  bie  Slbfe^ung,  todd)c  15.  Februar 
1698  erfolgte.  6r  n)urbc  öon  bem  ©rafen  Sol^ann  ^ß^ilipp  ju 
3fenburg  in  Dffenbac^  aufgenommen  burd)  bie  ^crmittelung  be^ 
bortigcn  ^ofprcbigerö  Eonrab  SBrügfe,  bcr  jmei  Saljre  öor^er  ju 
ber  Gommiffion  getjört  l^attc,  welche  Siettjcnuig  in  Sirftein  uer* 
nehmen  mußte  (©.  395),  icbod^,  roie  biefcr  crjäf)lt,  i^n  nic^t 
^attc  fd^ulbig  finben  lönnen.  3n  Dffcnbacf)  burfte  ^orc^e  au^ 
prebigen.  SBie  eö  fieifet,  fuc^te  er  f)ier  ju  bereifen,  bie  proteftan« 
tifc^e  jiird)e  fei  ^mar  burd^  bie  Sfleformation  aud  bem  geiftlic^en 
9(egt)pten  au!^gefiU)rt  n)orben,  ^abe  jebod^  xok  fiotS  SSJetb  jurfid^ 
gefeiten  unb  fei  tuicber  bal)in  iurüdEgefe^rt. 

2.  S)urc^  iflüpfer  tüar  aud^  Sodann  ^einrit^  SReifc  *). 
feit  1695  Snfpector  unb  $ofprebiger  ä^u  SBraunfclö,  ju  rabicaler 
Dppofition  gegen  bie  Sird)e  Uerleitet  Sorben,  fo  ba§  aud)  er  im 
grfiftling  1697  abgefegt  tüurbc.  Obgleich  er  nun  trofcbem  nad) 
^omburg  u.  b.  §.  berufen  tüurbe,  fo  öcrlieg  er  alöbalb  biefeö 
Amt  frciroillig  micber,  utfb  rechtfertigte  biefen  ©c^ritt  burd^  eine 
©(^rift  beö  3n()alteg,  bog  ber  öffentlid^e  ©otteöbienft  unter  allen 
Confeffionen  bem  uerborbcnen  Sabcl  äfjulic^  fei  unb  bafe  bie 
grommen  fid)  uon  bemfelben  jurüdEj^ic^en  muffen.  Cr  ^at  jcbod^ 
bei  ben  ©eparatiften,  mit  bcnen  er  fic^  in  ber  ©raffc^aft  SBittgcn^ 
ftein  jufammenfanb,  nid)t  lange  auSgel^altcn,  fonbern  fc^on  im 
3a^rc  1700  feinen  2Bot)nfife  in  Sffiefel  genommen,  tt)o  er  feinen 
SBibcrfprud^  gegen  ben  öffcntlid^cn  ©ottc^bicnft  fallen  liefe;  er 
^at  bort  big  1721  gelebt.  SBir  finb  i^m  fc^on  aü  einem  ©d^üler 
Untere^cf'd  begegnet  (©.  375).    ®r  wax  öiel  innerlicher  gerichtet 


1)  Vorbei  II.  6.  751  ff. 


404 

aU  ^orc^c.    Unb  im  Sontrafte  ju  biefcm  ÜKannc  bürfcn  ^icr  bic 
©runbfä^e   bcicicl)uct  tucrben,   lücld^c  SReifc  in  bcr  Sorrcbc  ju 
feiner  „§iftoric  bcr  SBicbcrgeborenen"  funbgiebt  ^).  3n  bcr  ßwi^tift 
an  brci   grauen,   bcncn  bcr  crftc  X()eil  gctpibmct  ift  fprid^t  r^ 
Dleifc  a(ö  feine    ^crjenömeinunci    au^,    ba§    mc^r  SBcib^*   als 
SKannöpcrfoncn  njicbergcborcn  unb  fclig  njcrben.    ®r  beruft  pc^ 
babci  auf  bic  cjlci^c  Slnfic^t  öon  SSoet,  ^cinric^  aJiüQcr,  Untere 
e^cf.    äuö  beffen  Xractatc:  bcr  ndrrifc^c  Sltl)cift,  ffll^rt  er  als  be= 
fonbcrc  ©rünbe  bafür  an  ben  j^ärtcren  ?lffcct  bcr  SBcibcr,  i^re 
Siebe  ju   einem  Oberhaupt  unb  t{)rc  Untem)ürfigtctt  unter  ein 
fol^eS,   unb  bag  fie  „ba^ero  leichter  ju  jic^cn  unb  ju  betDcgen 
finb,  beöorab  burc^  Sieben  unb  Sieber,  bic  öon  ß^rifto  ate  bcm 
^aupt  unb   SJräutigam   ^anbeln"  ^).    3n   bcr   SSorrcbc  crflfirt 
Steife  fe^r  richtig,  ba§  f ^ftematifd^c  aSfetifc^e  ©d^riften  fel^r  ^äufig 
i^rcn  3^edE  Dcrfe^Ien,   ba   fic  bic  ©rfaljrungcn  cincö  ©injcincn 
alö  muftcr^aft   barftcllen,   mä^renb  bod^  ©ottcS  5ßrocc6  mit  bcn 
©eelen  nidjt  einerlei  fei.  S)e^f)alb  betritt  er  ben  SBcg  ber  ©omm- 
lung  öerfc^icbencr  ScbcnSbilber.  Unb  jmar  ift  bcr  crftc  I^eil  bic 
Ucbcrfcfeung  irgcnb   einer  englifc^cn  ©c^rift  bcr  ärt.    SlciJ  ift 
hierin   bem  SSorbilbe  Don  Untcre^cf  gefolgt,   bcr  am  ©c^luj  bcr 
„93raut  E^rifti"    eine  8iei^c  gleichartiger  anonymer  SBcfcnntniffc 


1)  i^ißorte  ber  SBiebergeborenen,  ober  6£empel  gottfeliger  (D^riflen,  loit 
biefetben  erft  t)on  @ott  gebogen  unb  befe^ret  unb  nad^  bieten  i^Smpfen  unb 
lengllen  bur^  O^otteS  ®eift  unb  Söort  }um  Glauben  unb  92u^  t^reS  (^mW 
flebraci^t  pnb.  5  J^eile,  rtoöon  4  in  4.  ?lufi.  3bpein  1717.  —  Die  S^rift 
üon  9let^,  Der  geöffnete  ^immel  b.  i.  (Srflfirung  ber  fonberbaren  (Sel^etmmfff  beS 
^immelrei^S,    SBe^Iar  1696.  1706  —  ^obe  \ä^  nid^t  erreid^en  f5nnen. 

2)  ^efanntlid^  ift  biefer  gfaU  im  Mittelalter  an  ben  !Ronnen  unb  ben 
^d^tteftern  bed  gemeinfainen  SebenS  erprobt  ttorben.  Sfür  bie  ntftnnli^en  ^ 
boten  aber  bot  fid^  b  am  als  als  6eitenpü(f  bie  Sere^rung  ber  Mutter  (Rottet 
bar.  3|l  eS  nun  nid^t  ein  Unredjt  im  ^ietiSmuS,  bafe  berfelbe  nur  bie  2ieb( 
3u  bem  Sröutigam  3efu§  mieber  erneuert  l^at,  momit  bo(^  aQein  ben  S^^ 
gcbient  fein  fann?  SBeifter  nid^tbaburd^  inbircct  bie  Männer  au8  feinem  Ä^"*^ 
binauS?  i^ann  er  ftd^  alfo  mit  IRed^t  über  beren  geringere  Sm^fängli^kit  b^ 
f lagen  ?  SiK  ber  ^ietiSmuS  alfo  feiner  ^Ibftd^t  auf  bie  Unterwerfung  allct  Ätt' 
c^englieber  burd^  bie  ^ttedmögigen  Mittel  entf^red^en,  fo  mug  er  au(^  ben  ^^ 
tuS  ber  Maria  für  bie  Mfinner  erneuern.  Diefer  Corfd^Iog  ifl  übrigen«  m# 
neu,  fonbern  bon  ^ietiften,  toie  ßö^e  unb  Dietlein,  bertreten.  Ober  foll  ^ 
®id^tel  nad^folgen,  »eld^er  ben  Mfinnern  in  3efuS  bie  ^immlifd^e  SW^ 
So^^ia  al§  bie  Sraut  ju  erfennen  unb  ^u  umarmen  Vnmeifung  giebt? 


405 

citglifc^er  ^crtunft  über  SBefe^rung  mtttf)eilt.  grcilic^  ift  biefe 
Üitcrotuc  nid^t  gcrabe  geeignet,  bie  Söe^auptung  ju  beiüci^ren,  bQ§ 
©ottcö  ?ßrocc§  mit  bcn  ©eeleii  nid^t  einerlei  fei.  ©ie  folgen 
©iner  ©d^ablonc  unb  finb  fo  eintönig  xok  möglic^.  @in  Su§* 
fampf,  bcr  bnrd^  Sebenöfd^idfale  unb  irgenb  eine  ?ßrebigt  fierbei* 
gefül^rt  ujirb,  bann  grfa^rung  beö  griebenö,  Sebcutfamfcit  ge= 
wiffcr  S3ibe[fprüd^e,  enblid)  bie  numerirte  Steige  ber  Sennäcicften 
beö  ©nabenftanbeö  —  bieö  finb  bie  in  ollen  @rjä^(ungen  n)icber* 
fc^renben  ?ßunfte.  3d^  möd)tc  üemtut^en,  ba%  hierin  eineSBurjel 
bcö  3Ret^obigmuö  an  ben  Xag  tritt,  ndmlid^  ba^jcnige  fc^ablonen^ 
^afte  S^riftent^um,  njclcf)eö  bie  bifc^öfli^e  Äird^c  in  ©nglanb 
JU  ernähren  im  ©taube  mar,  unb  n^elc^ejS  fid)  in  einer  fonft 
nic^t  Dorfommenben  Unbefangenheit  jur  ©c^au  fteCtt,  roeil  e^ 
»irflid^  in  berfelbcn  S3ejie^ung  dußerlid^  tt)ie  innerlich  ift.  S)ie 
folgenben  Ifjeile  enthalten  aber  @rf|ilberungen  einer  3D?enge  Don 
^crfonen  an^  ucrfd^iebenen  SSöIfern,  ixoav  üor^errfd^cnb  refor^ 
mirter  Sonfeffton,  aber  auc^  üon  3afob  S3öl^me,  Sodann  Slrnbt, 
?ßagcal,  ©id^tel,  ©ottfricb  SIrnolb,  ^ebinger  in  ©tuttgart,  ©pencr, 
©d^abc.  ®iefe  loleranj,  tpeld;e  SRcife  and)  in  ber  Berufung  auf 
luttjcrifc^e  ©d^riftfteUer  bemä^rt,  fte^t  offenbar  in  birectem  SBer* 
^ältni§  JU  feiner  füllen  SBel^anblung  ber  öffentlid^cn  Äirc^enorb^ 
nung.  Um  fo  me^r  ift  er  bafür  intereffirt,  baß  man  an^  ber 
ßrfal^rung  ben  SBec^fel  jtoifc^en  ber  großen  unb  göttlichen  Iraurig* 
feit  unb  bem  banad^  erfolgcnben  Xroft,  griebe  unb  ^reubc  lenne. 
Darin,  fagt  er,  finb  unftubirte  Scute  oft  gelehrter  aU  il)re  Se^rer 
unb  SKeifter,  unb  fönnen  cd  in  SBorten  bejeugen,  bie  @eift  unb 
Äebcn  finb.  ffibcnfo  finb  bie  SEBortc  eined  gottfeligen  Se^rerö 
Icbcnbig,  Iräftig  unb  burc^bringenb,  weil  er  fie  „in  fid)  felbft, 
feinem  ^erjen  unb  ©etoiffen  alö  bem  aDerftc^erften  93uc^  gelefcn 
unb  erfahren  ^at."  S)iefe  Icnbenj  jum  unmeßbaren  Snbimbualid* 
mud  wirb  baburd^  beftätigt,  baß  bie  Äinber  @otted  and)  burd^ 
Offenbarungen,  ©timmen,  ©efid^tc  unb  3;räume  toon  @ott  ge- 
warnt, ermuntert,  getröftet  unb  geftärtt  toerben.  ß^fllcic^  aber 
bcjcugt  Steife  bcn  großen  9Jufeen  ber  befonberen  3"fontmentünfte 
ber  frommen,  ba  fie  ftc^  unter  cinanber  üben,  befpredjen,  fragen, 
leieren,  t)ermat)nen,  tröftcn  unb  ftrafcn,  unb  baö  mit  aller  brüber* 
li^cn  einigfeit,  Siebe,  Unterwerfung,  (Sebulb  unb  ©anftmutl^. 
ajian  Derioirft,  fügt  er  ^inju,  ^icmit  bie  öffentlichen  firc^Uc^en 
^erfammlungen  nid^t !  Dad  flingt  aüerbingd  fü^l  genug.    äBenn 


406 

a6er  Steife  mehrere  Sa^re,  c^c  er  bicfeg  fc^ricb,  ba^  gcfammtc 
öffentliche  Äir^enlDefcn  tüeggetüorfen  ^attc,  fo  unrb  er  in  bcn 
befonbcrcn  3wfommenIfinftcn  ber  glommen  injn)ifc^en  wo^l  auc^ 
noc^  anbcre  ©rfa^rungen  gemad^t  ^abcn,  aU  wcld^c  er  öor^er 
bejcic^net. 

3.    §orc^e,  aU  beffen  ©d^idfalögenoffe  {Reife  ju  emä^nen 

war,  benufete  naä)  feiner  Slbfcfeung  bie  SKufee  in  Dffcnbac^  1698 

baju,  auf  feine  8lnf)änger  in  ^erborn  burrf)  ©d^riften  ju  »irfen  ^). 

©ic  bre^en  fid^  um  bicfelben  fünfte,  n^elc^e  er,   ate  ed  fid^  um 

feine  ?lbfefeung  l^anbelte,   aufredet  erl^alten  l^atte.    @r  toar  auc^ 

gar  nid^t  ber  üJieinung,  feine  bi^^erigen  (Srfolge  in  §crbom  im 

©tid^e  JU  laffen.    8SieImel)r  fef)rtc  er  noc^  öor  bem  ablaufe  be« 

Sa^reö   1698   ba^in  jurüdf,   mit  ber  Crflärung,  er  fönne  feine 

Seigren  auc^  nic^t  eine  ©tunbc  auffc^icbcn,  n^enn  i^n  nic^t  fc^njere 

©trafen  ©otteö  treffen  follten.    Unb  bie  ©timmung  berSürgeP 

fc^aft   in  §erborn   fam  i^m   entgegen.     SSiele  ©emeinbegliebcr 

richteten   an   ben  Sanbeö^errn  bag  ®efud),  um  ber  Siebe  E^rifti 

njißen   ben  Unterrid^t  öon  ^orcf)c  gu  geftatten.    @g  tpurbe  frei* 

lic^  nur  gugeftanben,   ba§   man  ju  jtüci  ober  brei  ^erfonen  iffn 

in  feiner  SBo^nung   befud^en  bürfe.    Slllein  bicfe  (Sinfd&rönfung 

n)urbe  nic^t  geachtet;  ber  3"löuf  ju  $orcf)e  ttjud^^,  unb  er  ffcii 

auf  öffentlichem  9Karfte  Dor  .^unberten   Don  3"^örern  gerebct 

(Sr  ftanb  au^  fc^on  nic^t  mel^r  allein  mit  feinen  feparatiftifc^en 

Unternel^mungen.     3n  §aiger  bei  §erborn  grünbete  ber  ^fürrcr 

^^ilipp  Safüb  Dilt^e^  feparatiftifc^e  SSerfammlungen,  nac^ 

bem  er  abgefefet  n^ar,  njeil  er  burc^  Älopfer  Derleitet,  fein  Sinb 

nid^t  taufen  laffen  moUte.     3a  t)on  93ern  l^er  fam  eine  ®v\ppt 

uon  ?ßiettften  unter  ber  Scitung  beö  Sanbibaten  ©amucl  Äänig, 

welcher  im  Slnfang  1699  au§  feinem  SSaterlanbe  öenoiefen  worben 

war,   mcil   er  jum  3^^*  ^cr  SJotlenbung  ber  Sieformation  üor 

Stttem  bie  mi)c  bcö  öerrlicf|en  Sieic^eg  Sljrifti  unb  bie  9lic|tb 

red^tigung  ber  toeltlidien  Dbrigfeit  in  ber  Äirc^e  ücrfünbigcn  jB 

follen  glaubte.  S)icfer  ÖJefinnung^genoffe  begleitete  alöbalb  $ort^c 

nac^  beffen  SSaterftabt  (£fcl)tt)ege,  too   bcibe  l^alb  öffentlich  P^^^ 

bigten   unb   einen   großen  3lnl)ang  gewannen,  bi^  fie  burc^  ^^^ 


1)  @enbfd^rel6en  an  feine  3u^5rer  in  ber  Stixä^t  unb  (o^en  @4uU  )0 
^erborn;  Pampf  mit  bem  ^^iere,  ober  ^ert^eibigung  beS  Senbf^teibenl  (fl^^i^ 
ipilbebranb). 


407 

SScrbot  bcr  ^efftfd^eu  9ie()icrung  fid^  ucranlagt  fa^en,  tpteber  in 
§erborn  il^rc  S33irffamtcit  fortjufc^en;  auc^  ^icr  aber  tourbc 
cnblid^  bic  SanbcöucrtDcifung  gegen  fie  auögcfproc^eft.  Scfetric^* 
tctc  $orc^c  feine  Slbfid^t  auf  ben  in  ffifd^ttjcgc  gctüonncnen  Sin* 
l^ang.  S5a  er  aber  burd^  ba^  cnüä^ntc  SSerbot  ber  ^effifdjen  JRe* 
gierung  junäc^ft  üert)inbert  roorben  war,  bort  ju  roirlen,  unb 
burc^  feine  Stemonftration  erreid^t  I)atte,  bag  er  an  bie  X^eolo« 
gifc^e  gacultät  ja  9Rarburg  ju  tüeiteren  SSer^anblungen  getpicfcn 
iDurbe,  fo  führten  biefe  ju  einem  unern^arteten  Slu^ang.  @r 
»urbe  nämlic^  ju  einer  $aft  üon  9  SÄonaten  öerurt^eilt,  unb 
trat  bicfelbe  im  SRoüember  1699  auf  bem  ©d^loffe  ju  SÄarburg  an. 
®icfeä  ©d^icffal  bientc  ni(^t  baju,  i^n  jur  Sefinnung  ju 
bringen.  3m  ©egent^eil  fteigerte  bie  83efürc^tung,  bag  fein  ^lu 
^ang  fid)  Derminbern  möchte,  feine  Seibenfc^aft.  3)ie§  giebt  fid^ 
junäc^ft  in  ber  gefd^ärften  SBeife  funb,  n)ie  er  bie  ©npartung 
bei^  SReidjcö  S^rifti  üerfünbct  *).  6^  behauptet,  ber  Sräutigam 
fei  fdjon  tüal^rnjefentlid)  ba  unb  ^abc  ben  Slnfang  gemacht,  bie 
Sraut  ju  fd^mücfen,  er  gen)a{)re  aud)  fdjon  baä  äraufen  feinet 
allmächtigen  ©eifteS,  unb  biefer  arbeite  an  i^m  n)unberbar  in  ber 
©c^ule  ber  ©elbftuerleugnung  unb  beö  Äreujeö,  bamit  er  feinem 
Silbe  unter  bem  Seiben  äl)nlic^  werbe,  ffi^  fei  an  ber  Seit,  baö 
tobte  SScfen  üon  ©arbeö  aufjugebcn  unb  in  ^^ilabelpljia  ju 
ipo^nen.  SSor  ber  %f)üx  fei  ber  lag,  an  bem  ber  ffingcl  burc^ 
ben  ©immel  fliegt,  ein  ewigesi  (Süangelium  benen  ju  Derlünbigen, 
bic  auf  ber  (8rbc  tpo^nen.  5Run  baö  finb  bie  betannten  %öm 
auö  ber  Soljanneifd^en  Slpotal^pfe,  wctd^e  Don  Cocceju^  ^er  ben 
$ictiftcn  in  ber  reformirten  Äirc^c  geläufig  geworben  finb.  Stilein 
in  biefem  ßwfömmen^ang  begegnet  unö  bie  Sluöfic^t  auf  bie  foge- 
nannte  S33icberbringung  alö  etwaö  SlcueiS  «nb  Ungewot)nteö. 
^9iad^  göttlicher  weifer  Stnorbnung  ber  Seiten  foD  aUeö  waö  im 
^immel  unb  auf  (Svbcn  ift,  burc^  ß^riftum  unter  fein  erfte^ 
rechtmäßige^  §aupt  unb  Ureigent^umöl^errn  wiebcrgebrat^t  wer* 
ben,  welker  ift  ©Ott  ber  SSater  unb  ^eilige  ©d^öpfer  aller  Dinge." 
Darin,  wie  in  ber  Sieigung  uon  9letl)enu^  ju  biefer  Se^re  (©.  395), 
ift  nun  oljne  3^^cifc(  ber  @influ§  üon  Soljann  SEBilljelm  ^eterfen 


1)  ^Raranat^a  ober  Sufunft  be§  ^txxn  )um  dert^t  unb  {einem  (err« 
It^en  ^e\d^,  »et^e  ift  bie  ^od^jelt  beS  SammeS.  9n  einem  6enbf4rei6en  an 
einen  ^luber  auf»  feiner  (^efangenfc^aft,  19.  9(pn(  1700. 


408 

ju  erlenncn,   tüclc^er   feit  bcr  äbfefcung   üon  feinem  $rebigtamt 
iu  ScUc  1692  eine  Steige  öon  ©djriften  fibcr  baö  taufcnbjäfjrige 
SRcic^  unb   bie  SEBieberbringung  bcr  Sööfen  Veröffentlicht  ^attc*). 
3)iefe  Änftd^t   ^Qt  ja,   feitbcm   Drigenc«  fte  angebcutct  ^atte*), 
eine   eigent^fimlic^c  2lnjiet)ungiglraft  auf  nid^tt^eologtfc^e  Sicutc 
geübt,    äuguftin  *)  bcrücfftd)tigt  fie  aU  bie  äWeinung  öon  fratres 
misericordes.     3m   achten  Sa^rl^unbcrt   n)irb    fie   ätocimal   bc^^ 
ftrittcn*).     Sni   neunten    3cil)röunbert  ^ot  So^anne^   ©cotud 
ßrigena  feine  pant^eiftifd^e  Sljeorie  Don  bcr  SRücffeljr  aller  3)ingc 
in  @ott  auSbrücflic^  barauf  angemenbet,  ba§  bad  SBöfe  au^  aUen 
SKenfd^en  unb  ®ämonen  uerfrf)n)inben  unb  juglcic^  jcbc  ©träfe 
aufhören  wirb,    ba  ba^  93öfe  feine  eigene  ©träfe  ift*).    SRan 
mö^te  uermut^en,  baß  bie  SBieberbringung  aud^  5U  bem  ©cbanfem 
freife  bei^  evangelium  aeternum   geprt   l^abe,   ba  ber  ©a^  fi(^ 
auc^   als   SluSbrud  beS  äugerften  ®egenfa^ei^  gegen  bie  ^eil^ 
auctorität  ber  Äir^e  ücrftcljen   lägt.    3)irect  lägt  ftc^  bieiS  frei* 
lic^  nid)t  bemäljren.    Seboc^  fommt  in  örüffel  1411  eine  libeD 
tiniftifc^e  ©ecte  uon  fratres  intelligentiae  jum  S8orfd)ein,   beren 
Seiter  äegibiud  ßantor  bie  fdjliefelic^c  ©rlöfung  beS  leufete  unb 
aller  äßenfd^en    behauptet   ^at,   unb   jugleicl^   im  ß^^t^lter  bc^ 
©eifteS  ju  fielen  behauptet  ^aben  foU «).  3n  folc^en  mittclaltrigen 
DppofitionSmotiDen  murmelt   o^ne  3^^c'fcl  ^^^  gleid^e  Weinung 
öon  Satüb  Äau^  unb  anbercn  S33icbertäufern  ^),    benen  fi^  ^^^ 
bei  fiampe  ju  Dergleichen  ift,  noc^  anbere  ©ntöufiaften  anfc^licfeen. 
Ob  ber  ©a^  an  ^eterfen  burc^  Ucberlieferung  gelangt,  ober  üon 
il)m  mieber  fpontan  entbedt  n^orben  ift,  n^er  toiÜ  baS  entfc^eibcn? 
^eterfen  mac^t  für  fid)  auf  bag  le^terc  Slnfpruc^.    §orc^e  jebotj 


1)  S5öl.  swnt  fölgcnben  F.  A.  Lampe,  de  poenarum  aeternitate 
disputationes  duae,  in  beffcn  Dissertationes  theologico-phiiologicae  ed. 
Dan.  Ger  de 8,  vol.  II.  p.  70—74. 

2)  9lebe^cnning,  DrigeneS  II.  ©.  447. 

3)  De  civitate  dei  XXI,  17.  23. 

4)  SBom  ^opp  ©regoriuS  II.  in  bem  Capitulare  legatis  in  Bavariam 
missis  datum  (Concilia  maxiraa  ed.  Labbe  et  Cossart  1672.  Tom.  VI. 
p.  1437)  unb  öon  ^ImbropuS  ?lutl)|)eriuS  im  Commentar.  ad  Apocal.  (Bil>' 
liotheca  Patram.  Lugd.  1677  Tom.  XIII.  p.  560). 

6)  De  divisione  naturae  lib.  V.  30—38. 

6)  Baluzius  Miacell.  ed  Mansi  Tom.  II.  p.  289—293. 

7)  gorneliuS,  WünperiWc  «ufru^r  IL  S.  260.  280. 


409 

ift  nur  biefcm  SSorgängcr  gefolgt,  bi^  er  fpäter  fid^  wieber  Don 
ber  aKcinung  beffclben  trennte.  Ob  er  aber  bei  ber  erften  @nt« 
fc^eibung  für  biefelbe  fid^  öoDer  geiftiger  ©efunb^eit  erfreut  l)at, 
ift  ju  bejroeifcln.  SBenigftenö  öeffiel  er  ein  SSierteljal^r  nad^  Slb^ 
faffung  ber  genannten  ©d^rift  auf  bem  ©d^loffe  jur  SKarburg 
abtoe^felnb  in  3;obfucf)t  unb  ^eil^uerjmcifelung,  fo  bag  er  fic^ 
otö  falfc^en  ^rop^eten  befannte,  ber  alleS  aM  !^cud)dci  gctl^an 
^abe  unb  bc^^alb  ücrbammt  fei.  3)cr  S^ft^^i^l^  fann  nic^t  lange 
angehalten,  fd^eint  aber  ^ord^e'ö  ffintlaffung  auö  bem  ©efängniffe 
öor  bem  äblauf  ber  ©trafjeit  herbeigeführt  ju  ^aben.  ®enn  f^on 
»cnige  SBod^en  naä)  jenem  SBaJ^nfinn^anfaH  ift  er  lieber  in  §cr^ 
born,  n)o  injn^ifd^en  2)iIt^eQ  unb  Sönig  ungeftört  geblieben 
waren.  Snbeffen  war  biefeö  ia^  lefcte  2Jial,  bafe  ^ord^c  in  ^er* 
born  JU  finben  ift.  ®r  öcrfuc^te  eö,  feften  SSol^nfife  in  ©fd^wege 
ju  nehmen,  wo  audf)  bie  SSerl^ältniffe  i^m  einen  wiUfommenen 
SBirfungöfrei^  barjubieten  fc^iencn.  äUein  er  gab  auc^  f)ier  fo 
auffaUenbc  3^^^^"  ^^ö  SBa^nfinnö,  bafe  er  im  Slnfang  1701 
wieberum  in  ©affel  eingefperrt  werben  mu§te.  3njwifd)en  war 
bie  ©d^wärmcrci  in  Reffen  ju  einem  foldjen  Umfange  angewa^fen, 
bag  baS  Sonfiftorium  bie  babur(4  l^erbeigefü^rten  Slrbeiten  nic^t 
met)r  bewältigen  fonnte.  ^c^\)alb  würbe  eine  eigene  Sommiffion 
cingefefet,  weld^e  1.  ÜJiärj  1701  i^re  gunction  mit  einem  SKan^^ 
bäte  antrat,  bag  ade  9ladf)rid^ten  über  entl^ufiaftifd^e  Srfd^einungen 
an  fie  ju  richten  feien,  bamit  bem  Uebel  fo  Diel  Wie  möglid^ 
öorgcbeugt  unb  na^  Umftänbcn  entgegengewirft  werben  fönnte 
um  e^  an^jurotten.  tiefer  Sommiffion  legte  ^ord^e  am  23.  Wlai 
freiwillig  ein  @laubeni^befenntni§  ^)  öor,  weld^eö  bie  ?ßrobe  feiner 
toicbergefe^rtcn  ©efunb^cit  ift. 

3n  biefem  Sefenntnig  begegnet  man  juerft  bei  §orc^e  ber 
ßrfenntniß,  bag  C^riftuig  aud^  jur  Heiligung  antreibt,  ©eine 
bisher  berührten  Schriften  wcnigftenö  finb  ni(^t  auf  biefed  Iljcma 
gerichtet.  Slber  c^  ift  bcjcic^nenb,  ba§  er  bie  aufgäbe  ber  ^cu 
ligung  unter  Sebingungen  auffaßt,  welcf)e  bircct  mit  ber  fat^o* 
lifc^*mittclaltrigen  3)eutung  3\ufammcntreffen.  Dicfeö  ift  üunä^ft 
barin  anfc^aulic^,  bafe  er  bie  Heiligung  aU  bie  9lacf)folge  Sl)rifti 
begreift,  „bamit   wir  ben  ?ßrocc6,   ben  unö  bie  Cüangeliften  öon 


1)  «etiffcntl^t  unter  bem  Xttel:  Reinigung  ber  Äinber  2et)t^.  Offen- 
haäf  1701. 


410 

ß^rifto  aufgcäcic^nct  l^abcn,   Don  feinem  ©tnganfl  in  bicfc  SBcIt 
biig  ju  feinem  Slu^ganfl  lebenbig   in  nnö  erfahren."    ferner  er* 
flärt   er  firf)  gegen  bie  rcformirte  Sinfdjräntung  be^  abgcftuftcn 
gortfc^rittö   in  ber  Heiligung,   nämlic^   bagegcn,  bafe   bic  Solt 
lommen^eit  berfelbcn   erft  im  3enfeitö  erreicht  tverbe.    „3ßdä)tt 
gelbl^crr,  fagt  er,  wirb   iä  einer  ©c^Iac^t  ober  Selagcrung  ju 
feinen  ^ricgöleuten  fagen,   eö   fei  unmöglid)  ben  geinb  ju  über* 
njältigen  ober  ben  Ort  ju  erobern,  n)Qnn  er  fie  jur  lapferlcit 
aufmuntern   njill?"    3m  SBcrgleic^  mit  ber  Slotl^tocnbigfcit   be^ 
Scbenö  S^rifti  in   unö   finbet   er  ben  äugerlid^cn  ©cbrauc^  ber 
©nabcnmittel  j^iemlic^  roert^loö.    Snbeffen  ift  er  boc^  üon  feiner 
rabiealen  Slbneigung  gegen  bie  firc^lic^en   Einrichtungen  jurüct 
gefommen.    @r   erflört   auobrücflid),   bag  jum  fteten  änmac^fe« 
im  ©tauben  unb  in  ber  $eiligteit  bie  ?ßrebigt  unb  ber  ©ebrout^ 
ber  ©acramcntc   not^menbig   ift,  erinnert   aber  jugleid^  baran, 
njie  biefe  2Kittel  burd^  bie  üor^errfd^enbe  Slrt  ber  Amtsführung 
nnioirffam  werben.    55eöt)alb  fc^iebt  er  aud)  auf  bic  ?ßrebiger  bie 
©djulb  baüon,  ba§  Üßand^e  ber  Äird^e  ben  JRücfcn  fe^rcn.  ®r  ift 
jugleid)   fo   entgegenfommenb,   ber   Dbrigfeit   ein  Üiec^t  auf  bic 
äußere  Drbnung  ber  ftird)e  einsuräumen,  loenn  eö  nid^t  ber  ^ci^ 
ligen  ©c^rift  ?iun)iber  geübt  n)erbc,   unb  roill  auc^  bcm  bifc^öf^ 
liefen  9ied)t  ber  Sanbeöl^erren   uort^eiIl)afte  ©eitcn  jugcftcl^cn, 
obglcid^  eö   nic^t  im   neuen  leftament  begrünbct  ift.    Snbeffcn 
biefe  ©inräumungen   finb   mcl)r  t^eoretifc^  aU  praftifd^.    ®cnn 
ber  feparatiftifd)e  Stnfprud^   an  bie  SBernjaltung  ber  ©acramcntc 
tritt  ttjiebcrum  barin  ^croor,  ba§  „für  beibc  ein  c^riftlic^er  SBcr* 
ftanb  erforbert  mirb,   bort  ^n   einer  geiftlic^en  ©eburt,  ^icrj» 
einer  geifttidjcn  ^liegung,   fo   im  ©eift  unb  ©tauben  gefd^ic^t" 
3)cnn  baö   bebeutet  ben  9Serjid)t  auf  bie  Äinbertaufe  unb  bie 
biöciptinarifd^c  ^ßeinlid^teit   bei  ber  ßwl^ffi^nft  h^^  8lbenbino^|Ic, 
bamit  nur  äöiebergeborene  baffelbe  empfangen,    äugerbcm  ftclltc 
$ord|e   ben  ©afe   auf,    bag  „@ott  in  bicfen   legten  ßcitcn  ^ 
feinen  ©laubigen  noc^  auf  mancherlei  S33eife  offenbart,  t^eil^  5»^ 
©rtenntnife  feiner  tiefen  ©e^cimniffe,  t^cilö  ju  tl^rer  3ä<^W"?' 
Snbeffcn  ift  feine   biefer  Offenbarungen   gleid^cr  Sluctorität  mit 
ber  ^eiligen  ©d)rift,   fonbern  muffen  na^  berfelben  geprüft  wer* 
ben."    6r  I)ielt  alfo   im  SBcfentlid^cn    an  bcm  Programm  fcfl» 
meld^eg   feine  SBcrföt)nung   mit   ber   Äir^c  nic^t  tt>a§rfcl^cinli(^ 
mad^te.    Unb  biefcig  beu)äl)rte  fidj  aud^  an  ben  fogcnannten  # 


411 

Iabc(t)l^ifd^en  ©emctnbcn,  iDelc^c  burc^  feine  Slnregunci  nid^t  6to^ 
in  ffifc^ttjcge,  fonbcrn  and)  in  benachbarten  Drten  ju  ©tanbe  ge* 
fommen  n^aren. 

4.  S)aö  (Sigent^fimli^e  an  btefen  ©rfcfieinungen  beiS  fepa» 
ratiftifdjen  ?ßieti^muö  ift  junädift  bie  ^eröorragenbe  JRoIIe,  welche 
bic  SBeiber  alö  Scitcrinnen  bcr  ©cfeDfc^aft  fpielen.  Unb  ttjarum 
foüten  fie  nic^t  ?  ba  i^re  befonbere  ©mpfänglid^feit  für  ben  ^ietiö= 
mu^  burc^  bie  oben  angefül^rten  S^nq^n  conftatirt  ift  (©.  404). 
gerner  fommt  in  Setrac^t  bie  Cintüirtung  öon  tl^eofopl^ifc^en 
Sbccn.  S)er  ?ßieti^muö  in  ben  Slieberlanben,  fo  weit  ujir  if)n 
fennen  gelernt  ^aben,  f|at  fic^  üon  quietiftifd^en  unb  tl^eofopI)i^ 
fd^en  Sbccn  rein  erhalten,  obgleid^  öö^mc  feine  SBere^rer  unter 
ben  ^ollänbern  befaß,  unb  ®id)tel  mie  bie  Sourignon  im  Sanbc 
faßcn.  3(^  erinnere  an  ben  ^roteft,  tuelc^n  SBit^clm  ÜBrafel 
gegen  ben  Ouietiömuö  unb  ben  Söl^me'fc^en  B^^f^fe  ^^^  beutfdjen 
^ictiömuö  erhoben  ^at  (©.  301),  unb  boran,  ba§  SSitringa'^ 
SBo^IgcfaUen  an  jener  8iicf|tung  nur  barauf  fic^  bejog,  ba§  burd^ 
pc  bie  römifd^e  ÄHrd^lic^teit  beeintracf)tigt  merbe  (©.  302).  Ijaben 
ferner  notirt  eö  1719  mit  ©c^auber,  ba§  er  in  feiner  ©emeinbc 
einen  8lnl)änger  ber  Sourignon  cntbedEt  ^at.  Sluf  bem  mittel 
bcutfc^cn  ©ebiet  ber  reformirten  Äird^e  war  man  nun  t)on  ber 
reichen  nicbcrlönbifd^cn  fiitcratur  bcö  ?ßietii^muö  abgef^nitten, 
unb  jugleid^  in  ju  na^cr  unb  birccter  Scrü^rung  mit  ben  glcic^:^ 
artigen  Semcgungcn  auf  tut^crifd[)em  ©oben,  aU  baß  man  nid^t 
Don  ba^cr  ffiinflüffe  erfuhr,  ©c^on  Untere^dE  l^atte,  wenn  aucft 
mit  Cinlcgung  einer  gewiffen  ©ntfd^ulbigung,  ©ebrau^  öon  lu^^ 
t^erifc^cn  Sliäfetitcrn  gemalt,  allein  Sut^cr  felbft  burc^auö  bei 
Seite  gelaffcn  (©.  372).  ©ein  ©d)üler  9ieifc  legt  ftc^  in  biefer 
^infic^t  teine  ©^rantc  auf  (©.  405);  benn  er  l^at  aud^,  wie  er 
crjä^lt,  an  ©pcner'^  (Sonucntitcln  t^eilgcnommen  *).  ^ord^e  ift 
auf  Union  bcr  beiben  Sonfefponcn  bcbac^t  (©.  401).  ©ine 
feiner  fpcciellcn  2ln^ängerinuen,  weld^e  gicidf)  ^u  erwähnen  ift, 
beruft  fic^  nicf)t  blöd  auf  Sodann  Ärnbt,  fonbcrn  auc^  auf 
©ottfrieb  Ärnolb,  bcffcn  uriprünglid^ed  Sut^ert^um  über  bem 
gemcinfamen  ^ictidmud  nid)t  me^r  in  Setrac^t  fam.  tiefer 
SRann  aber  mar  nic^t  bloö  feparatiftifd^  gcfinnt,  fonbcrn 
jufllcic^  üon  SBcigel,  Sötjmc  unb  feinen  Süngern  ©id^tel 
unb  ^orbage  eingenommen.    3dE)    möd^te   Dermut^cn,  bog  i^n 

l)  ^iflorie  ber  SBiebergeborenen  V.  6.  314. 


412 

^QUptfäc^Iicf)    SBil^elm   Srafcl    im   Sluge  l^at,   inbcm    er    bcn 
bcutfc^cn  ?ßietiömuö  mit  SBö^me  fo  gut  tuie  ibentificirt.     3n  bcr 
Umgebung   Don  §orc^e  ferner  begegnen   wir  1700  ju  Sfc^toege 
einem  ©tubenten  ^e^leö   auö  §eibetberg,  roeld^er  ben  6influ§ 
©id^tel'ö  baburd)  üerrät^,  bafe  er  fid^  für  einen  ?ßricfter  nad)  bcr 
Drbnung  aKelrfjijebet^  erflärt »).    Sllfo  in  $or^e'^  SBirfung^frcig 
bringt  bie  SRifd^ung  t)on  ^ietiiSmud  unb  2:^eofop^ie,  n^elc^e  bei 
fiutf)eranern  juerft  aufgetreten  ift,  and)  auf  baö  reformirte  ©ebiet 
bor,  ttjä^renb  ber  nieberlänbifc^e,  nieberrl)einifd^c  unb  oftfricpfc^c 
^ietiömuö  biö^er  folc^e  (Srfc^einungen  noc^  ni^i  bargeboten  f)at 
SlUein  bie   $farrerötDittn)e   SEBcfeel  ju   SEBanfrieb   an  bcr 
SBcrra  toax  nicf)t   bloö  Don  biefen  glementen   nod)  unberührt, 
fonbcrn  überfprang  aud)   alle  auö  bem  reformirten  Se^rbegriff 
fid)  ergebenben  Umftänbe,   inbem   fie  fi^  einfat^  ju  ber  n^eltDcr^ 
neinenben   Siac^folge   ß^rifti   bcfennt.     S)iefeö  ift  aüerbing^  bcr 
unücr^ünt   fatl^olifc^e  aber  aud)  am  meiften  mciblic^e  Zt)pu^  bcr 
grömmigfeit.     55er  öon  ^od^l^utf)  mitgetf)eilte  ®rief,  in  tuelc^cin 
fid)  bie  S33e^el  üor  bem  ßonfiftorium  ju  Eaffel  üerantmortct,  ift 
ein   gerabeju   claffifd^c^  S)ücument  in  fat^lic^er  unb  perfönlic^er 
S3e;\ie^ung.    Deö^alb  wirb  eö  gcred^tfertigt  fein,  i^n  mit  einigen 
Äu^laffungen  ^ier  ju  ti)ieber[)olen.    „3cl^  xoiü,,  fc^rcibt  fie,  wenn 
e^  nöt^ig  befunben  mirb,   üor  bem   Sonfiftorium   belenncn  unb 
meinen  §eilanb  gern  bcfenncn  öor  Sebermann ;  benn  aUc^  toa^ 
man  mir  jefct  äußerlid)  jufügt,   gefc^ie^t  barum,  bafe  ic^  mcincni 
^eilahbe  nac^jufolgen   unb  Rubere  gu  feiner  f)eiligen  SRac^folge 
^n  bemegen    fud)e,   fo  öiel  mir  ber  tiebe  ®ott  baju  ©elegcnp 
an  bie  §anb   giebt.    Sffia^  bie  SBefc^ulbigung  betrifft,  ic^  wäre 
^orc^e'ö  irriger  9Keinung  jugetf)an,   fo   bejeuge,  ba§  ic^  nic^t« 
Srrigcö  Don  §orc^e  geprt  unb   gelernt;   fonbern   er  ^at  mir 
burd)  @otteö  ®nabe  meine  erfd^recftic^en  Sntpmer  benommen, 
barin   ic^   t)on   Sugenb  auf  geftecft,  unb  bie  mid)  Ratten  in  bie 
^ölle  bringen  lönnen,  n^eil  idj  mid)  immer  mit  einem  aufeerlidien 
(£()riftent^um  be^otfen  unb  mir  eingebilbet,   id^  UJÖre   eine  treffe 
Iid)e  eijriftin,  n^enn  id)  ben  ^cibelberger  Äate^iömuö  oerftänbe 
unb  babei  ein  eljrbar  Seben  führte,   ia^  id)  nur  nid^t  in  groben 
©ünben  lebte;   aber  bafe  ic^  nad)  6I)ren  trad^tcte,  ba§  ic^  9^"^ 
®elb  unb  @ut  fammcln  tooDte,  unb  alleö  in  ber  SBelt  fein  i^' 

1)  iQoä)\)Vii\)  e.  137. 


413 

mädjlid^  t)ättc,  bag  mir'ö  rcc^t  nad)  SSSiuifd^  ginge  unb  ic^  mit 
bcn  aJicinigcn  fein  Ungcmad)  pttc,  baö  Ijielt  ic^  nic^t  für  fo 
groß  Unre^t,  fonbcrn  backte,  tt^enn  eö  Slnbcre  and)  fo  machen, 
infonberl^eit  bie  SSorne^mcn  nnb  ©ele^rtcn  geiftlid^  unb  loeltlicf), 
fo  muffe  cö  ganj  gut  fein  unb  fönnc  man  baOei  rool^I  feiig  n)er* 
bcn,  ba§  man  ^icr  in  bcr  S33elt  ben  ^immel  Ijätte  unb  bann 
bort  tüieber,  meld^e^  id)  nun  ©ottlob  anberig  ttJciB,  unb  Ijabe  ic^ 
näc^ft  ©Ott  §erm  ^ord^e  ju  öerbanfcn,  ba§  iä)  öon  bicfer  irrigen 
blinben  9Reinung  befreit  bin,  barin  boc^  noc^  bic  aßermciften 
9Renfd)en  ftecfen,  bag  einem  barübcr  ba^  ^erj  roel^t^ut,  toenn 
man  ftef)t,  ttjie  eö  bei  ben  l^eutigen  E^riften  ^crge^t,  loeldje  biö 
über  bie  Dl^ren  im  SSerberben  liegen  unb  öon  ber  5Rac^ folge 
beö  armen,  Derac^teten,  öerfpotteten  unb  gefreujigten 
3c fu  nic^tö  ttjiffen  n)ollen,  fonbcrn  ben  SEBeltgeift  in  fic^  ^crrfd^en 
laffen  unb  baö  rechte  Seben  nur  üerfpotten  unb  öeradjten  .... 
3d^  fann  bem  barm^ersigen  SSater  ni(^t  genug  banfen,  bag  id) 
^orc^c  jugcl^ört;  benn  er  l^at  mi(^  barauf  ^ingetoiefen,  ba§  wir 
unfcr  ganje^  $erj  bem  §errn  Scfu  ergeben,  t^m  auf  bem  fc^malen 
SBcge  nac^manbeln,  feine  @emcinfd)aft  mit  ben  S33eltmeifcn  ^aben, 
fonbcrn  unö  felbft  im  ^crjen  öcrleugnen  foUten,  unb  nic^t  nur 
bcn  ©c^cin  bcr  ©ottfeligfeit,  fonbcrn  bie  ttjal^re  Äraft  berfclbcn  an 
unö  finben  laffen.  darüber  foUtcn  n^ir  ben  ^ag  bcr  SBclt  gern 
auf  uns  nehmen,  n^eld^cS  nid)t  aui^blciben  toärbc,  xoa^  id)  je^t 
an  meiner  ^erfon  burc^  ®otteiS  ©nabc  erfahre.  3)icfeS  unb  ber- 
gleichen  ^abc  id^  Don  ^ord^e  gehört  unb  eS  aud^  burA  ©otteS 
©nabc  b\^\)ci  ju  üben  gefuc^t.  Sag  man  i^m  aber  fc^ulb  giebt, 
als  ob  er  Xaufe  unb  Slbcnbma^l  uertDÜrfe,  baüon  ^abe  id^  auS 
feinem  iDtunbe  fein  SBort  gel)ört,  ^abe  eS  aud^  Slnbcren  an^  bem 
©innc  gerebet,  bie  in  meinem  ^aufe  gefprod^en,  als  muffe  er 
tool^l  ein  Äefeer  fein,  ujcil  er  Don  laufe  unb  Slbcnbma^l  nichts 
wiffcn  tooQc.  hierauf  l^abc  id^  geanttportet,  er  n)ürbe  ttjo^l 
nid^tS  anbereS  als  ben  9J2igbrauc^  l)iert)on  meinen.  3n  @umma, 
ic^  ^alte  §ordöc  für  einen  treuen  3cugcn  Scfu  S^rifti  unb  toeiß 
lOQ^r^aftig,  bag  feine  ficljrc  mir  jur@eligfcit  unb  nid^t  jurSer^ 
ffi^rung  gereid^cn  mirb ;  bcr  $err  ScfuS  erquicfe  xf)n  in  feinen 
SBanbcn  ....  3)ag  nun  in  bem  Ijoc^fürftlid^cn  93efel)l  ftc^t, 
tocnn  in  unfercn  Scrfammlungen  ^orc^c'S  irrige  9Rcinungen 
toürben  öcr^anbelt  njcrben,  toärc  folc^eS  gcfä^rlid^  unb  fönne 
nid^t  gcbulbct  toerben,  fo  berichte  tc^,  bag  mir  täglich  aQe  %[bcnb 


414 

jufammciigcfommcn  finb,  ein  Sieb  gcfungen,  ein  Äapitcl  ober 
mehrere  au^  bcr  Si&cl  gclefcn  uub  un§  nur  biejenigen  ©prü^ 
unter  einanbcr  cingcfc^ärft,  barauö  man  einige  Srbauung  an  bcr 
©eele  ^aben  fönnte;  bafe  njir  bie  Jiapitel  foUten  erflart  ^oben, 
i[t  nid^t  gc)d^el)en,  tpcil  nict|t  Diel  baran  gelegen,  ba§  man  oIIc3 
fo  unb  fo  erflärt.  SBenn  aber  ctnjaö  Dorgefommen  ift  toibcr  baö 
l^cutige  3JiauIct|ri[tentl^um,  fo  I)at  man  ttjo^l  eine  (Jrinnc* 
rung  unb  @rma{)nung  ()injuget^an,  meil  nid^t  nur  meine  ^inber 
unb  ©efinbe,  fonbern  aud)  onbere  einfältige  Seutc  babci  gctoefcn, 
bic  öon  bem  SSerbcrben  be*3  S{|riftentl)umö  noc^  nid^t^  gehört 
fiatten,  fonbern  in  ber  ©inbilbung  ftanben,  bog  fie  gute  (S^riften 
tt)ären,  ttjeil  fie  in  bie  Äirdjc  unb  jum  Stbenbmal^I  gingen  unb 
in  ber  Äinbl^eit  getauft  ttjären.  SBir  tjabcn  anä)  juttjcilcn  bcö 
gottfetigcn  3o^ann  Slrnbt'ig  ß^riftcnt^um  vorgenommen  ...  Um 
bicfc  unb  jene  SDieinung  ^aben  toir  unö  nic^t  beffimmert,  weil 
bod^  bie  ä){einung  feinen  frommer  mad^t ;  unb  ift  biefeS  aQein 
unfer  3^^*  gettjefen,  bafe  unfcre  ^erjen  möchten  je  mel^r  unb 
mefjr  ju  @ott  gejogen  unb  öon  bemgrbifc^en  abgezogen  werben; 
unb  ttjäre  ttjo^l  ju  wiinfc^en,  bag  an  allen  Drten  fold^e  3"' 
fammenfüufte  gehalten  würben,  fo  foHte  e«  balb  in  berS^riften^ 
^eit  beffer  werben,  wie  wir  tjier  unter  unö  bcn  ?lu|en  ©ottlob 
öor  Singen  feigen." 

„®a6  man  aber  bon  mir  infonberl^eit  auöfprengt,  al^  öcr^ 
würfe  id^  2;aufe  unb  Slbenbmal^l,  ba«  ift  eine  Säftcrung.  2)etm 
ic^  l^alte  %an^c  unb  Slbenbmat|(  tjod),  wenn  e^^  red^t  gebrouc^t 
wirb ;  aber  ben  Ijentigen  üKigbrauc^  tonn  id^  freilid^  nic^t  loben, 
ba  man  leibcr  ©ottcö  fieljt,  wie  faft  bloge  äußere  Äirc^en-Ccre^ 
monien  barau^  geworben  unb  lauter  Unorbnung  babei  Dorgc^t 
bog  ic^  faum  anberd  al^  mit  Setrübnig  baran  ben!en  fann  unb 
in  meinem  ©ewiffen  wenig  greubigfeit  baran  finbe,  mit  bct 
ganjcn  ©emeinbc  Slbenbma^l  ju  tjalten.  Unb  ob  iä)  wo^l  gern 
betcnne,  ba§  nadj  meinem  93egriff  bic  Xaufe  bcr  Ilcinen  Äinbct 
feinen  (Srunb  I)at,  weil  in  ©ottcö  SBort  nid)t^  baoon  ju  ftnbw, 
fo  mad)e  id^  bod^  bie  ilinbertaufe  feinem  jur  ©ünbc,  wollte  au(^ 
SJiiemanben  bauon  abratt)cn ,  fonbern  baju  ratzen  um  W 
Slnftofee^  willen  unb  weil  eö  bem  Sauf  bcr  ©ottfeligfcit  webet 
^ilft  noc^  fdjabet;  jja  id^  rebe   aud^   nid^t  baöon  gegen  Slnbcre, 

Weil   e^   mir  ju  meinem  3^^*  ^^^^  ^'^"t-     2)oc^  ^^^^  ^^^^^ 
?ßunft  nic^t  Don  $ord^e  gelernt,  fonbern  au«  ämolb'ö  S9u4  ^^ 


415 

crftc  Siebe  bcr  S^riften  genannt,  ttjorin  beutli(^  flcnug  ju  Icfcn, 
bag  bic  Äinbcrtaufe  in  bcr  erften  ^xxä)c  nid^t  gcbröud^Iid^  gc* 
tt)cfcn ....  5)c§  öffeutlid^cn  Äir(^gcl^cn§  l)a6c  ic^  mid)  nic^t  um 
beön)incn  äugern  njoHen,  weit  Itf)  cö  für  unrcd^t  \)altc  mit  ber 
©emeinbe  in  bie  Äird^e  ju  gc^en,  fonbcrn  ttjeit  id^  leibcr  gefunbcn, 
bag  id)  babur(^  nic^t  gtbeffert  fonbern  nur  in  meiner  ©celc  Der* 
unrul^igt  »orbcn  unb  me^r  ©c^abcn  qB  Sinken  baöon  gel^abt. 
3)enn  baö  fred^c  3Befeft  ber  Seute  in  ber  Äird^e,  baö  ©eplauber, 
©elöc^ter  unb  bcrglcid^en  ift  mir  fo  tief  in  mein  ^erj  gebrungen, 
bog  \d)  nid^t  wenig  barüber  bin  betrübt  unb  geängftigt  ttjorben, 
infonber^eit  ba  id^  einmal  unb  oUemal  gen)a^r  werben  muffen, 
toie  be§  ^farrerö  ®t)efrau  i^r  §o^ngcIöd^ter  über  mid^  getjabt. 
3)enn  fobalb  id)  meinen  Vorigen  ^u|  abgelegt  unb  gar  fc^lic^t 
in  bic  Äirc^e  fommen,  t)at  fie  uor  ^Hcn  gegen  bie  fo  bei  i^r 
fi|cn,  mic^  auSgela^t  unb  ge^ö^nt,  welc^ed  fie  aud^  Slnbcren  ge« 
t^an,  bie  ju  mir  gegangen,  fonberli(^  meiner  älteften  ©djWefter, 
bic  mir  nachgefolgt  .  .  .  SSon  bcn  ^rebigten  felbft  will  id^  nid)tö 
mel^r  gebcnlen,  alö  baß  fie  mir  fe^r  geiftlo^  unb  unträftig  öor^ 
gcfommen,  bag  ic^  alfo  ratfifamer  gcfunben,  lieber  auöberkirc^e 
p  bleiben  unb  mid^  in  ber  ©tille  ju  meinem  rechten  Se^rmeifter 
3cfu  ß^rifto  JU  wenben,  ate  öon  folc^en  SDienfc^cn  ju  lernen, 
bic  felbft  nid^t  Don  @ott  gclcf)rt  finb  unb  feine  ©cftalt  nic^t  gc* 
fe^cn  nod|  feine  ©timme  gc^rt  l^aben.  ®od^  l^abc  mic^  au^ 
borin  burc^  ^riftlid^e  greunbe  glcid^  weifen  laffen  unb  bin  bcn 
©onntag  barauf  gleid^  wieber  jur^irc^c  gegangen,  blöd  audbem 
©runbc,  bafe  id^  bcn  Snftofe  bei  ber  ©emeinbc  oermeiben  wollte, 
unb  aud^  barum,  weil  unfer  ^fancr  mir  in  bem  guten  SBcge 
nic^t  suwiber  war,  fonbern  mit  bem  SDiunbc  aUed  gut  l^icg  unb 
felbcr  toünfc^te,  bag  er  aud^  burc^  ©ottcö  @nabe  anbcr«  werben 
möd^tc,  alö  er  bidl^er  gewefen.  SBcil  er  aber  ieftt  bcn  @runb 
feinet  ^erjend  an  ben  2;ag  gelegt  unb  öffentlid)  wibcr  mid^  ge* 
prcbigt,  fo  er  offenbare  Sügen,  bie  er  Don  meinen  5^^"^^^^  9<^* 
t)ört,  auf  bie  Sanjel  gebrad^t,  fo  werbe  frcili(^  mein  ©ewiffen 
mit  ?lnprung  feiner  ^rebigten  ferner  nic^t  befd^weren  fönnen, 
min  au^.  nic^t  hoffen,  bag  man  mir  biefed  jur  ©ünbe  unb 
ftcfecrci  auflegen  wirb  ....  3)ag  ber  ?ßrcbiger  (Sut^craner  aud 
KarDa  in  ßiölanb,  bem  fie  il^rcn  ©o^n  mitgegeben  ^atte)  nid^t 
meiner  9leligion  gewefen,  unb  id^  i^n  (ben  ©o^n)  nac^  $aQe 
unter  bie  fiut^craner  ^abe  fd^iden  wollen,  baraud  ^aben  fie  ein 


416 

groß   ®cfd^rct  gcmad^t;   id^   für  meine  ^erfon  feiere  mid^  aber 
nid|t  baran.    ®cr  ^rcbigcr   ttjar  attcrbinflö  meiner  Sieligion,  06 
er  tt)oI)l  ein  Sutl^crancr  ^icg,  meil  ic^  eben  ben  treuem  ©lauben 
an  i^m  crlanntc,   ben  ber  §err   aM  großer  SBarmlieräigleit  mir 
beigelegt/  unb  mod^e  id^  ic|t  feinen  Unterfd^ieb  mel^r.    3)enn  ic^ 
mciß  ttjol^l,  baß  in  3cfu  ß^rifto  gilt  tt^eber  ein  Sieformirter  no(5 
Sutl)eraner,  fonbern  eine  neue  Kreatur ;  unb  ttjie  öiele  nac^  biefcr 
Siegel  cin^erge^en,  bie  gcl^ören  oQe  ju  meiner  Religion.    $in* 
gegen   fann  id^   biejjenigen  für  meine  9ieligionöt)enDanbtcn  nic^ 
erfennen,  bie  noc^  in  il^rcr  alten  §aut  ftedEen  unb  üon  ber  neuen* 
Kreatur  in  (Sl^rifto  nid^t   einmal  Krfenntniß  ^aben,    gefd^meige 
baß  fie  felbft  in  einem  fold^cn  ©tanbe  ftcl^en  foUten,  unb  »cmi 
fie  taufenbmal  fid^  reformirte  ßl^riften  nennen;   ic^  belenne  gor 
gern,   baß  id^  mic^  nid^t  gern  nac^  fold^cn  fectirerifd^en  9lamcn 
nennen  laffe  ....  9iac^  meiner  ©rlenntniß  ift  baS  ni(^t  d^riji* 
lic^,  fonbern  papiftifc^,   tt)cnn  man  über  eine^  Änbern  ©ewiffen 
unb  ©lauben   l^errfd^cn   ttjill  (mit  SBejieliung  auf   bie  öon  bem 
?lmtmann  nid^t  fel^r  ^umon  geführte  Untcrfuc^ung);  unb  gcfe|t 
baß  id^  hierin  ober  barin  eine  irrige  9Jieinung  ^ätte,  ttjeld^e«  bo(| 
in  meinem  ©emiffcn   nid^t  finbe,   fo  ift  eö  gleid^mo^l  unöerant^ 
njortlidö,   baß  man  mid^  be^^alb  Derfefeern  ober  Verfolgen  wolle, 
©otd^eö  ftel^t  feinem  Vernünftigen  Reiben  ju,  gefc^ttjeigc  ftinbcrn 
®otte§,   baß  fie  einem  um  biefer  ober  jener  SKcinung  gleich  auf 
ben  §alg  foHen,   al«  ttjenn  man  ber  gottlofefte  SDicnfd^  üon  ber 
SBelt  ttjäre,  gleid^toie  eö  mir  jjefet  ergebt,  ba  bie  ganje  SBelt  »iber 
mid^  rege  ift  .  .  .  Aber  ber  ^err  fei   gelobt,   ber  mir  bei  ollcn 
foldlien  Seiben   eine  fold^c  ^fit^eube   unb  Iroft   in'ö  ^erj  gelegt, 
baß  ic^'g  nid^t  befd^reiben  fann;   unb  fann  id^  ttjol^l  mit  3)aöil) 
fagen,   id^   fürd^te   mid^   nid^t  Dor  öiclen  ^unberttaufenbcn,  W^ 
fic^   uml)er  tt)iber  mid^  legen.    Unb   fo   mir  aud^   ttjaö  ^arttf 
begegnen   follte   über  biefem  SBege,    ben   ber  SBelt  ^erjcn  \^ 
eine  ©ecte  nennen,   fo  gefd^e^c  be^  §crrn  SBille;   benn  id^  oc^te 
mein  Sebcn  felbft  nic^t  treuer,  auf  baß  ic^  DoHenbc  meinen  iiflöf 
mit  5^eubcu." 

®iefer  ©rief  ift  toö^renb  $or(^e'i^  ©efangenfd^oft  in  3äö^ 
bürg,  alfo  nac^  bem  Jlouember  1699  unb  öor  bem  17.  SWärj  1700 
gefc^rieben.  3ln  biefem  Xage  beftanb  bie  SBefeel  ein  8Serf)ör  wr 
bem  Sonfiftorium  in  ßaffel.  ©ie  be^ante  auf  i^ren  Ucberjeugungö^ 
unb  ttjolltc  lieber  ha^  Sanb  räumen,  atö  bie  ©emcinfc^oft  ^ 


417 

Untoicbcrgcborcncn  tl^cilcn.  %cxntt  crflärtc  ftc,  ba§  ttjcnn  fic 
ftc^  auf  einem  gntt^ege  befinbe,  SI)riftuö  felbft  fic  batjon  jurücf* 
filieren  toerbe;  man  möge  fic  alfo  gelten  laffcn,  tt)ie  fic  ginge;  fic 
lebe  mit  i^rem  Scfu  unb  »oIIc  aile^  leiben,  fid^  lieber  brennen 
unb  fengen  laffen,  ote  baß  fic  fid^  onberg  au§fprä(^e.  ©ie  fefete 
alfo  junä(^ft  i^re  SonDcntifcl  unter  juncbmenbem  Slnbrang  9ieu* 
gieriger  unb  Ueberjeugter  in  SBanfricb  fort 

(Sine  anbere  (Scmcinbc,  beren  ®enoffen  in  Drtfd^aften  jmi* 
fd^en  ©ifcnac^  unb  ©d^maltalben  jerftreut  toaren,  ftanb  unter 
ber  Scitung  einer  nic^t  tociter  belanntcn  fjrau  ©cbl^arb.  3n 
biefem  Greife  Ijatte  ^ord^c'ö  Anregung  über  \>a^  rcformirtc  Eon* 
feffion^gebiet  birect  ^inau^gcgriffcn.  3)ie  SOKtglieber  bicfcr  ®e* 
meinf^aft  ftanben  megcn  il^rcr  örtli^en  3^^fpti*terung  in  einem 
Icbl^aftcn  8rieftt)e(^fcl  mit  cinanber,  ouf  meieren  bie  l^effifd^e  9le* 
gierung  3agb  machte.  3)ie  groben  beffelben  im  ?lrc^io  jju  ßoffcl, 
meldjc  ^oc^l^utl^  mittl^eilt,  entl)alten  j.  95.  eine  ©ommlung  oon 
Äeußerungen  Sutl^er'«,  njcld^c  fo  njic  fic  lauten,  bie  fcctirerif^c 
Dppofition  gegen  bie  Äirc^c  becfcn ;  ttJcnn  fic  nur  nic^t  burd^ 
bie  entgegengefe|tcn  Äeugerungen  bcö  Reformators  aufgewogen 
unb  aberzogen  n^firben! 

3u  bem  Änl^ang,  tt)cl(^en  ^ord^c  1699  in  feiner  SSaterftabt 
Cfc^toegc  gcfunben  l^attc,  gel)örte  enblid^  bie  bafclbft  1670  ge:= 
borenc  ®t)a  ÜKargaret^c  Don  Söuttlar,  Dcrl^ciratlict  an  bcn 
^crjoglic^  fäd^fifc^cn  ^agen^^of*  unb  lanjmeifter  Scan  bc  SS^fiaS. 
Son  i^m  getrennt  lebte  fie  in  i^rer  ®cburt!8ftabt.  3)icfc  fjran 
toax  oon  Anfang  an  ein  abcntcuerlid^cr  Qn^aii  ju  bcn  ^anb^ 
ttjcrfcrn  unb  S)ienftmäbdöen,  tocld^c  bcn  Sln^ang  ^orc^c'ö  bafclbft 
bilbeten.  SBät^rcnb  ber  crj^toungcnen  ?(bn)efenf|cit  bicfcS  Sc^rcrö 
gewann  Die  86fia«  einen  übcrtt)icgenbcn  ®inftu§  aud^  in  bcn  be* 
nad^barten  ©täbten  unb  35örfcrn,  mo  fie  SScrfammlungcn  abhielt. 
öefonberS  gelang  eS  if)r  in  9tllcnborf,  n)o^in  fic  1700  i^ren 
SBo^nftfe  öerlegte,  unb  njo  fic^  aud)  fünf  burd^  ©amuel  iiönig 
(©.  406)  ertoedfte  ^^^äulcing  Don  SaUenberg  aM  Saffcl  ju  i^r 
gefeilten.  3)ie  Änbad^tSübungcn,  meldte  fic  ^ier  öcranftaltcte, 
erregten  burd^  i^re  Sauer  bis  in  bie  92ac^t  f)incin  ganj  befonbern 
Serbac^t,  fo  ba§  ber  ajfagiftrat  bicfelben  14.  «uguft  1700  bei 
©träfe  Derbot.  3nbeffen  nad^  me^r  atö  jn)ei  Salären  jcigte  ber* 
fetbe  bem  Sonfiftorium  an,  bag  er  ber  S^emegung  nid^t  mächtig 
merbe,   unb  bag  ju   befürchten   fei,  bie   ^albe  ©tabt  werbe  ber 

L  27 


418 

SScrfü^rung  an^cimfaQen.    3)amate,  im  Dctober  1702  Ratten  bic 
SS6fiag  unb   5!lnberc   fc^on  Ällcnborf  öcrlaffcn.     Sebod^  bic  ge* 
fd^ärften  Slnfic^ten  bcr  ©cparatiftcn,   toclc^c  t)on  bort  berichtet 
njerbcn,  muffen  ber  Defonbcrn  ffiintüirfung  jener  5^<iu  beigcmeffen 
tDcrben,   inbcm   neben    ifjrer   Sbftammung   Don  $ord^e  and)  bie 
(£tnmtr!ung  t)on  ^orbage  unuer!ennbar  ift.  ^ic  beftel^enben  Som 
feffionöfird^cu   nämli^   njerben  fiberl^aupt  öertoorfen,  fo  ba&  bie 
SBicbcrgeborencn,   bic  öon  @ott   gelehrt  unb  auf  ^eiligfeit  be^ 
Sebenö  unb  brüberlid^e  Siebe  bebad^t  fiub,  fic^  ju  feiner  ©onfeffion 
l^altcn   follcn.    ®icfclben   bebürfen  an6)  nic^t  beg  ^rcbigtamteö, 
jumal   aQc  miffcnf(^aft(ic^c  Stlbung  ber  ^rebiger  unimectmägig 
unb   ber  SBelc^rung  fiinberlic^  fei.     hingegen  ^abc  jeber  ipieber» 
geborene  SRenfc^  bie  SBefugnig,  bic  (Socramente  ju   fpenben  unb 
bie  ^bfolution  ju  ertf)eilcn.     ISublid^   befcnncn  fic^  biefe  SlUen« 
borfcr  ©eparatiften  jur  SEBieberbringung  gemäß  bem  Sn^alte  M 
^cmigen  Coangelium^."     3)cr  SSerbac^t,  welcher  fic^  an  bie  ^ 
fammentünftc  biefcr  ©efedf^oft  fnüpftc,    ift  nid^t  ungcgrünbct 
gctücfen.    Söenigftenö  f|at  eine  ber  ©c^njcftern  öon  ©aUenbcrg, 
Slara  @lifabet^,  nad^^erige  ^rau  Don  SD^arfa^,  fc^on  bamold  an 
bcr  SScrtrautid^feit  gmifc^en   ben  beibcn  ©efc^lcc^tcrn  Slnftofe  ge* 
nommcu,   obfc^on  ftc  nic^tö  bircct  Unftttlid^eö  tt)af|rna^m.    3^re 
ältere   ©c^toeftcr   ©ufanne  aber,    meldte    if|r  biefe   Abneigung 
gegen  ben   tjerrfc^cnbcn  2;on  al^  S^^S^iß  i^^^^  ©ünbenftanbe^ 
anred^nctc,    unb   baburd^  in  i^r  3^^*f^I  ^m  ^cil  crtoecfte,  fidüt 
nac^fier  ein  außerc^ctid^cö  Äinb  *).    Unb  loaö  tt^eitcr  in  ber  ®e* 
fcHfc^aft  ber  (Süa  fic^  ereignete,  ergebt  ben  SSerbad^t  auc^  in  $in* 
fic^t  ber  SHlenborfer  Spoc^e  jur  ©emig^cit. 

3)ie  lanbgräflic^e  Sommiffion  unb  baö  ßonftftorium  in 
Soffcl  njurbcn  biefcr  ®inge  nic^t  mächtig.  S)cmgemä&  ertiefi  i^^ 
Sanbgraf  Karl  im  ©cptember  1702  eine  SSerorbnung,  rotW 
über  bic  l^artnädEigcn  ©eparatiften  Sanbeööcrtocifung  öer^ängtc, 
bei  bereu  SBiebcreinfd^teic^en  cEcmplarifd^e  ©trafen  anbro^te, 
unb  nic^t  minber  bic  8lufnaf|me  fold^er  Unge^orfamen  mit  ©traft 
belegte  2).  3)ic  ©c^ilberung  ber  Seutc  ift  mit  großer  ^äcifw« 
audgefäljrt,  unb  bicnt  }ur  ^eftätigung  unb  (Srgänjung  beffen« 
ttjag  üorgcfommen  ift.    8Clö  ia^  erfte  S)ocument  biefcr  Art,  i^ 

1)  @oe6eI  II.  6.  787. 

2)  9a  3BaI4,  SteHBionSftreittfifeHen  in  bet  lut^etif^en  ihrige  I.  6. 77& 
9u((  bei  ^od^^ul^  a.  a.  O.  6.  153. 


419 

un^  begegnet,  barf  baS  äRanbat  ^ter  nid^t  übergangen  n^erben. 
a^  njirb  auf  bie  ffirfa^rung  öcrtoicfcn,  „bag  in  unfercn  5öt:ften*: 
tl^ümern  fic^  einige  Qdt  ^er  gettjiffe  Seute,  fottjo^l  2Ranng-  atö 
äBcib^perfonen  t)on  aUer^anb  ©tänben,  ^öufig  eingefunben  unb 
^erüorgetl^an,  n^eld^e  unter  bem  tiorgemenbeten  dtnf)m  einer  be^ 
fonbern  ^eiligleit,  al^  ob  fie  öon  ®ott  felbft  gefalbt  feien,  öon 
ftc^  ausgeben,  unb  Surd^  i^re  angeblid^  göttlichen,  in  ber  X^at 
aber  ent^ufiaftif^en  unb  fd^tt^ärmerifd^en  ©efic^te  unb  Offen* 
barungen,  fo  fie  bem  SBorte  @otted  gleich  achten,  bie  SSoQfommen« 
^eit  ^eiliger  ©c^rift  S.  unb  Sfl.  %.%  fobann  bur(^  i^re  einge:» 
bilbetc  aSoUfornmcnftcit  in  biefem  Scben  bie  ^Rechtfertigung  burc^ 
ben  @(auben  an  @^riftum,  unb  alfo  ben  @runb  bed  @(auben^ 
unb  ber  ©eligfeit  Verringern  unb  verleugnen;  fonbern  auc^  ba< 
ffir  galten,  baburc^  ju  einem  folc^en  ©tanbe  ju  gelangen,  bag 
fte  nid^t  fünbigen  fönnen ;  baburc^  aber  ben  o()nebem  in  ©c^toang 
ge^cnben  ©ünben,  ©c^anben  unb  Saftern  noc^  um  fo  mel^r  %i)üx 
unb  Z^or  auft^un.  SBie  benn  fjöd^ft  ärgerli(^  ju  Vernehmen 
ift,  ba§  fotl^ane  Seute,  ttjenn  einige  i^reS  SRitteK  fic^  auf  eine 
und^riftlid^e  unb  Viel^ifd^e  SBeife  5ufammen  tf)uen,  fol^e  Verübte 
2ei^tfertig!eit  unb  fünblic^ed  93erfa^ren  nic^t  aOein  Vert^cibigen 
unb  entfd^ulbigen,  fonbern  auc^  fogar  für  gute  S3er!e  anprcifen. 
ttebrigen^  aber,  inbem  fie  eine  innere  ©timme  unb  ^immlifd^eiS 
ßeugnig  be!$  (ebenbigcn  Sßorte^  behaupten,  aQen  äugerlid^en 
®ottedbienft,  nämlic^  bie  ^rebigt  bed  lebenbigen  SBorteiS  @otte$ 
unb  ben  ©ebraud^  ber  ©acramente  ald  unnöt^ig  verwerfen,  fic^ 
bem  öffentlid^en  ©otteöbienft  ärgerlicher  SBeife  entjie^en,  ^in* 
gegen  abfonberlic^e  SonVentieuIa  unb  Verbäc^tige  SBinfeljufammen» 
fünfte  l^atten,  bie  orbentlid^en  ^rcbigcr  ol^ne  Unterfd^icb  ate 
$rebiger  eined  tobten  93uc^ftabend  unb  blinbe  Verfü^rerifc^e 
Seiter  fc^mä^en,  bad  öffentliche  Seigren  aber  mit  ben  fogenannten 
Quäfern  unter  bem  SSorn^anbe  beiS  geiftlid^en  ^rieftert^umd  fo* 
toohl  äRann^  aU  SBeib^perfonen,  n^enn  fie  nur  einen  innern 
SJeruf  l^abcn,  jjebermann  üerftatten;  ferner  aud^  mit  ben  SBieber* 
tiufern  unb  Sibertinern  eine  ^^ei^cit  be^  ©etoiffen^  in  lird^lic^en 
unb  noeltüc^en  Orbnungen  vorfd^fi^en,  unb  alfo  mit  Ausbreitung 
iftrcr  Srrt^ümer  Xrennung  in  ber  Äird^e,  auc^  allerlei  SBermir* 
rang  im  gemeinen  SBefen  anri(^tcn",  u.  f.  xo. 

S)ie  2)ro^ung  ber  Sanbe^oern^eifung  beftimmte  mand^e  ber 
@et>aratiften   jur   fj^ügfamfeit.     (Sine   STZinorität,  barunter  bie 


420 

SBcfecl,  Dcrlicfe  baö  Sanb,  unb  fud^tc  in  ber  ©raffd^aft  SBittgcn* 
ftcin  ßwftuc^t.  ®ie  S36fta3*S3uttlar  toar  fd^on  bor  Crlaffung 
bc^  a^anbatcS  au^  bcm  Sanbe  oegangen.  ^orc^e  tDurbe  ebenfaHd 
öerbannt.  Sßad^  manchen  Ducrfa^rtcn,  bic  üon  neuen  anfallen 
feiner  SSerrüdEt^eit  begleitet  maren,  tarn  er  tt)ieber  1705  nac^ 
Sfd^roege.  Sa  er  ftc^  rul^tg  uer^ielt  unb  mit  miffenfc^aftUc^en 
Slrbeiten  beic^öftigte,  mürbe  er  gebulbet,  erl^ielt  aud^  üon  feinem 
Sanbcö^errn  einen  ga^rge^alt.  3ni  3öl)r  1708  Derlegte  er  feinen 
äBo^nfi^  nad)  ££irc^^ain  bei  äJ^arburg.  (Sine  ganje  9flei^e  Don 
©d^riften,  beren  litel  bie  gortbaucr  feiner  efc^atologifd^en  unb 
reformatorifc^en  3ntereffen  funbgebcn,  barunter  „bie  m^ftifc^c 
unb  prop^etifc^c  Sibel"  (SDiarburg  1712),  ift  in  biefcr  3cit  bi« 
ju  feinem  1729  erfolgten  Xobe  erfc^ienen.  allein  birect  ftörcni) 
t)at  er  in  bie  ürd^lid^e  Orbnung  nic^t  me^r  eingegriffen. 

5.  3)ie  Don  ^orc^e  angeregte  Söemegung  pnbct  in  bcn 
beiben  ©raffc^aften  SBittgcnftein  ein  Jlac^fpiel,  weld^eg  menigfteng 
in  ber  fiürje  berührt  werben  muß.  S)enn  bie  uor^errfd^cnb  bog« 
mengcfcf)ic^tli^c  ?lbftd|t,  tt^elc^e  ^ier  oerfolgt  mxb,  f)at  fic^  mit 
ber  Konftatirung  gettjiffer  3been  ju  begnügen,  ttjelc^e  unter  ben 
bort  jufammengelaufenen  ^ietiften  noc^meisSbar  ftnb.  Ungleich 
bebeutfamer  finb  freilid^  bie  ffireigniffe  in  SBittgcnftein  für  bic 
eultur^iftorifd^e  unb  politifc^e  Stellung  bed  ^ieti^muS.  3n  biefer 
^infid^t  jebot^  fann  ^ier  nur  barauf  ^ingemiefen  werben,  bag 
bie  X^eilnaöme,  welche  ber  nicbere  9ieid^^abel,  eben  bie  ©rafcn» 
gcf^lec^ter  reformirter  unb  lut^erifc^er  Sonfeffion,  bcm  ^ieti^ 
mui^  jumanbte,  in  jener  Spod^e  nac^  bem  breigigjäl^rigen  ilriege 
Derftänblic^  ift  alö  ein  ®rfa|  ber  unwieberbringlid^  Verlorenen 
politifc^en  SBebeutung  biefe^S  ©tanbe^.  3nbem  biefe  ©cfd^lec^tcr 
fic^  barauf  angewiefen  fa^en,  fid^  uor  ben  ^nberen  audjujeic^nen, 
eröffneten  fie  fic^  ber  prononcirten  grömmigfeit,  loeld^e  bic  @(^ä« 
ben  bei^  fird^lid^en  <Sc^lenbrian$  ju  l]ebcn  oerfprac^.  Slllcin  mit 
biefer  ganj  aufrichtig  gemeinten  unb  immer  ad^tbaren  Zcnbenj 
uerfnäpfte  fic^  aUbalb  wcnigften^  bei  einigen  biefer  Käufer  ba^ 
fiöcalifc^e  3ntereffe,  burc^  Söefd^üftung  unb  Aufnahme  ber  anbcri8»o 
gemagregelten  ©efinnungi^genoffen  ben  eigenen  fd^malcn  S9cft| 
crtrag^fä^igcr  ju  machen.  S)iefe  9iiicffic^t  toaltcte  ob  bei  ben 
äSittgenfteinern  unb  ben  Sfcnburgern.  Sene  Ratten  f^on  bcn 
SSortl^eil  ber  Slufno^mc  Don  Hugenotten  in  i^rc  ^errf^aften  cr= 
fahren,  woju  ber  birecte  $lnlag  barin  log,  bag  bie  ©rafen  ©uftQD 


421 

ju  SBittgcnftcin  unb  ©eorg  SBit^cIm  ju  Scrlcburg  1657  ftd^  mit 

jtoet  ©c^tücftcrn  l^ucjenottifc^cr  ^crlunft  (Xöc^tcr  öon  Fran^ois 

de  la  Place,  Vicomte  de  Machaud)  ücr^cirat^ct  l^attcn.    Scncr 

®raf  ©uftaü   (©.  370)  ^atte  nun  eben  1698  tocßen  SSerfd^wen^ 

bung  bic  Sicgierung  an  feinen  ©o^n  $cinri(^  Stlbrcd^t  abtreten 

muffen,  unb  bicfer,   felbft  pictiftifd^  gefinnt,   eröffnete  fein  Sanb 

ben  um  i[)red   ©laubeud  n^iUen  vertriebenen  ^nbern   ©otted. 

S)affelbe  tf)at  in  Berleburg  bie  a\^  Sormünberin  für  t^ren  ©o^n 

fiafimir  regierenbc  ©röfin  ^ebttjig  ©op^ie,  eine  geborene  Sippe; 

inbeffen  njurbe  fie  Diclfoc^  burc^  bic  Eingriffe  il^re«  Sruberö  unb 

SKitDormunbcg,  be^  ©rafcn  SRubolf  jur  Sippe  ge^inbert,  ber  ein  ent* 

fd^iebener  ©egner  be8  ^ieti^mu^  mar.    SBir  finben  alfo  1699 

im  bortigen  fianbe  ^ittl^e^,  9iei^,  Stömq  mit  feinen  fc^n^eiicrifd^en 

Sanb^Icuten  finec^t  unb  ^üntl)iner,   augerbem  ^od^mann,  einen 

fiutl^craner  t)on  §oufe  aug,  Don  toelc^em  noc^  bie  SRebe  fein  toirb. 

©tc   ttjaren  ouf  ^errfdiaftlic^en  ^öfen   einquartirt,  ttjurben  jur 

gräflid^en  2^fel  gejogcn,  prebigten  öffentlich  unb  hielten  ftunben* 

lange  SSerfammlungen  jur  (Srbauung  beö  ©rafen  |)einric^  Älbrec^t, 

bcr  ©räfin  ^ebttjig  ©opt)ie  unb  ber  anberen  gamilienglieber, 

unter  ttjclc^en   öicr  unüer^eiratl^ete  ©d^toeftern  beö    genannten 

©rofen  nid^t  unbemerft  bleiben  bürfen.  5Denn  e^  ift  bicfen  3)amen, 

loetc^c  njegcn  i^rer  3lrmut^  ju   ftanbeömäßigen  ffi^en  nic^t  be^ 

geirrt  toorben  n^aren,   burd^  ben  ^ieti^mud  gelungen,  n^enigften^ 

unter  i^rem  ©tanbe  5U  l^eiratl^en.    Sad  n^ar  aud^  bamal^  ni^ti^ 

Ungettjöl^nlid^c^.     S)er  ^ofprebigcr  bc^  ©rafen  3o^ann  ^^ilipp 

in  3fenburg*0ffenbad^,  ßonrab  örüöle,  toat  mit  einer  ©c^wefter 

feine«  ^errn  öerJ^eirat^ct.    Unter  ben  SBittgenfteinifc^en  ?ßietiften 

t)er]^eirat^ete  fic^  bie  SBittme   be«  Üammergerid^tS^^räfibenten 

®rafen  öon  Seiningen-SBefterburg,  S^riftiane  Suife  öon  SBittgcn* 

ftein^Sallenbar  mit  bem   ehemaligen   ^ofprebiger   in  3)etmoIb, 

Bierbrauer.    S)ann  folgte  öon  ben  öier  ©d^Weftern  be§  ©rafen 

^einrid^  Sllbrcd^t  bie  Slettefte  mit  einem  el^emaligeu  Söarbier  unb 

gräflid^en  Beamten  ©afteCl  auö  SKaftrid^t,  bie  folgenbe  mit  einem 

gräflid^en  Beamten  ^offmann,  bie  britte  mit  einem  Unbefannten, 

bie  vierte  unter  erl^cblidjem  ©fanbat  mit  einem  ehemaligen  ©tu^ 

beuten  Äod)  au«  $erborn,  toeld^er  24  3a^re  jünger  njar  alöfie"). 

®iefe  ©atafonnten  l^ier  nid^t  übergangen  werben,  toeil  bie 


1)  «oe6eI  IL  6.  771  ff. 


422 

Safuiftt!  ber  W)t  bad  %f)cma  toax,  tDeld^eS  bie  $ietiften  im 
SBittgcnftcin'fc^cn  l^auptfä^Iid^  bcfd^äftigte.  S)ic  I^coric  baruber 
ift  burd^  Srnft  Sl^nftopl)  ^od^mann  t)on  ^o^enau^)  oufge^ 
ftcHt  ttjorbcn,  luctc^er  öon  1699  an,  aDcrbingd  nic^t  o^nc  Unter* 
bre^ungen,  bid  m  feinem  Xobe  1721  in  jenem  Sonbe  gelebt  ^at 
3)crfelbe  xoax  1670  alg  So^n  eine^  fad^feiislauenburgifc^cn  8e* 
amten,  ber  fpäter  in  9{ümberg  n)of)nte,  geboren  unb  (ut^erifc^er 
@onfe[fion.  3n  ^alle  unter  X()oma{tud  ftubirenb,  toarb  er  burc^ 
3luguft  ^ermann  ^rancfe  befe^rt.  SBegen  X^eilnaf)me  an  einem 
tumultuarifc^en  @treit  über  bie  $lnfprüc^e  bed  $ietiiSmud  gegen 
bie  Äirc^c  tourbe  er  1693  öon  §alle  relegirt.  3m  So^re  1697 
{c^Iog  er  fic^  in  @iegen  eng  an  ©ottfrieb  $lrnoIb  an,  unb  er^ 
fc^eint  fortan  aUZräger  jened  ^ieti^mud,  in  toelc^em  toetgerfc^e, 
bö()me'f^e,  quietiftifc^e,  ef(^atologifc^e  unb  pl^ilabelp^ifd^e  93eftr^ 
bungen  5ufammenfommen  unb  fogar  ben  ©efd^mad  ffir  S)at)ib 
3oriö  unb  ©ebaftian  granl  cnoedEen.  S)ie  feparatiftifd^c  ©ttm* 
mung  be^  SJIanned  entfd^eibet  ftd^  nic^t  blöd  gegen  bie  befte^nbe 
Äirc^e,  fonbern  fc^ließt  um  ber  ^crrfd^iaft  Sefu  ttjillen  aud^  ieben 
»eltUc^en  Seruf  auö.  ®r  fc^reibt  1709  aud  bem  ©efängnife  in 
9{ümberg :  ,,SRein  ^erj  fann  in  nic^td  Slu^e  finben,  atö  in  ber 
alleinigen  Siebe  3efu,  unb  n^er  red^t  einmal  gefc^medCet  ^at,  Wl^ 
bad  fei  3efum  lieben,  ber  n)irb  an  bem  SBefen  biefer  SBelt  tocnig 
©ef^macf  finben.  3)er  §crr  Sefud  t^ue  mit  mir  ferner  nac^ 
feinem  SBiQen ;  benn  ic^  f)abc  mic^  burc^  ©otted  @nabe  refolütret, 
meinem  3efu  getreu  ju  fein,  ed  möd^te  mir  aud^  tt^eig  tood  m^ 
getl^an  n^erben.  3c^  ^abe  mid^  einmal  in  meineiS  aQergnäbigften 
$errn  3ef u  3)ienfte  begeben ;  id^  \o\Ü  bei  i^m  bleiben ;  benn  ic^ 
ttjerbc  boc^  leinen  beffern  ^errn  finben  ....  3c^  bin  i^m  bie 
größten  S)ienfte  au«  bem  «cc^t  ber  «rlöfung  fd^ulbtg."  3»it 
biefer  ^ödift  d^araftcriftifd^en  ©efinnung  lieg  fic^  für  einen,  ber 
nic^t  in'g  Älofter  ge^en  lonntc,  fonbern  toirfen  tooHtc,  itur  bie 
iptigfeit  bed  freitt)illigen  SRiffionärö  üerbinben;  aber  bie  ©Sfee 
lauten  aui)  fo,  ald  ob  am  bem  Siedete  ber  (Srlöfung  überhaupt 
lein  ®ienft  gegen  Sl^riftud  abgeleitet,  unb  nichtig  atö  döriftlid(|e 
^flid^tcrfüHung  gebeutet  toerben  fönntc,  ald  bie  Söiiffion  «).  5Diefc 
f)at  nun  aud^  ^od^mann  fein  Seben  lang  mit  ber  größten  9uf« 


1)  ®oebeI  a.  a.  O.  3.  809  ff. 

2)  3u  Derglei^en  finb  bie  apoftoUfc^en  Säufer  bn  SuOinBer.  6.  o.  €^.  26. 


423 

Opferung  geübt.  Unb  tDte  er  bte  Ueberjeugung  t)on  ber  9lä^e  bed 
^errli^en  Weiche«  gljrifti  in  ber  belonnten  SBcife  t^eiltc,  fo  l^at 
er  in  ber  i^m  eigent^ümlic^en  l^atfraft  ftc^  nid^t  mit  ber  ffir^ 
Wartung  ber  Subenbefel^rung  begnügt,  fonbcrn  ftc  in  fjranffurt 
birect  unternommen,  biö  er  üon  bort  ftc^  gu  entfernen  gegwungen 
»urbe.  (£d  ift  ^ier  ni^t  ber  Ort,  feine  3)iiffionSreifen  jur  (5r* 
toecfung  be^  (ebenbigen  @f)riftentf)um$  in  ber  reformirten  unb  ber 
lut^crifc^en  Sirene  ju  Verfolgen ;  ©oebel  f)at  bief eiJ  alle«  mit  X^eiU 
nal^me  ergä^It.  SBielme^r  befc^ränfe  x6)  mic^  auf  ba^  ©lauben^:^ 
befenntnig,  n^elc^ed  ^oc^mann  auf  SSerlangen  be^  bem  ^ietidmu^ 
feinblid^en  ©rafen  Siubolf  jur  Sippe,  ofö  biefer  i^n  1702  einge* 
fpcrrt  ^atte,  öerfaßt  l^at  M.  3n  biefer  (Srllärung  befennt  er  ftd^ 
juerft  jum  apoftolifd^en  ©^mbol;  bann  entfd^eibet  er  fici^  gegen 
bic  Söered^tigung  ber  Äinbertaufe,  freilid^  o^ne  be^^alb  hk  SBieber* 
taufe  ju  biUigen,  alfo  n)ie  bie  Sababiften ;  beftimmt  ben  ©ebraud^ 
bed  S(benbma^I^  nur  für  bie  au^ermö^lten  jünger  S^rifti, 
bte  i^m  mit  SSerleugnung  aOe^  n^eltlid^en  äSefend  in  ber  Z^at 
unb  S93a^r{)eit  nachfolgen ;  glaubt  an  bieSrreid^barfeitooQfommener 
Heiligung  unb  ©ünblofigfeit,  obn^o^l  er  gegentoärtig  biefelbe  nod^ 
nid^t  für  fic^  in  Slnfprud^  nimmt;  leitet  bad  9lmt  be^  @eifted 
nur  oon  fi^riftu^  ab,  fofern  berfelbe  bic  Xüc^tigteit  baju  oerlei^t, 
alfo  mit  Sludfc^lug  menfc^lid^er  93erufung;  beftreitet  ben  93egnff 
ber  d^riftlid^en  Obrigfeit  unb  bie  praftifd(|en  Folgerungen  baraui^, 
unb  crmartet  ben  balbigen  Slblauf  ber  ^eriobe,  in  ber  cd  melfc: 
lic^e  Obrigfeit  geben  mug,  ba  @^riftud  al^balb  ^ereinbred^en  unb 
ade  ^eibnifd^en  ^otcngcn  t)on  i^ren  @tü^lcn  flogen  mirb,  red^net 
enblid^  auf  bie  SBicbcrbringung,  inbem  er  fid^  auf  9iöm.  5, 15— 18 
unb  1  fior.  15,  22  beruft.  |)ieran  f^licgt  fid^  nun  feine  Se^re 
Don  ber  ffi^e,  meldte  er  auf  ba^  bcfonbere  Söcgel^rcn  be^  ©rafen 
iur  Sippe  ^injugefügt  l|at.  ffir  unterfd^eibet  fünf  Arten  oon 
(S^en.  S)ie  erfte  ttjäre  eine  gang  tl)ierifc^e,  ttjclc^c  trofe  ber  öffent* 
liefen  Irauung  für  nic^tö  anbercö  ald  für  erlaubte  ^urerei  gu 
ad^ten  ift.  ®ic  gmcite  bie  ehrbare,  aber  l)eibnifc^e  unb  unreine, 
fofern  bie  ^erfoncn  felbft  nod^  nid^t  in  bem  33unbe  mit  ®ott  in 
e^rifto  fte^en.  ®ic  britte  ift  bic  gmifc^cn  geheiligten  ^erfonen, 
loeld^c  fid^  lieben,  toie  S^riftuö  bic  ©emeinbc  geliebt  f^at,  in  toclc^cr 
(E^e  bie  Slbfic^t  ba^in  ge^t,   bag  i£inber  gum  greife  @otteiS  gc^ 


1)  3m  S)ru(f  erf^ienen  1702,  tpieber^olt  1709. 


424 

jcugt  tücrben.  ®ie  t)icrtc  unb  öoKfommencrc  Art  bc^  (S^cftonbcd 
\)üt  feinen  anbern  ßroecf,  ate  ben  ununterbrochenen  Dienft  @otte^ 
in  ber  SSereinigung  mit  bem  @ee(enbräuttgQm  unb  mit  9udfci^ltt§ 
ber  gefc^Iec^tlic^en  ©emeinfd^aft.  3)ie  brittc  unb  üiertc  Art  bcr  . 
Sl^e  bebürfen  feiner  öugerlid^en  Kopulation,  n^eil  bafär  fein  S3c» 
fe^l  in  „®otteg  SBort"  öorließt.  Snbeffen  mirb  bicfe  Orbnung 
jur  SSermeibung  bed  3lergemiffeS  jugegeben.  2)ie  fünfte  unb 
öotifommcnfte  8Crt  ber  (J^e  ift  bie,  ba&  eine  ©eele  nur  Sefum 
für  i^ren  Wlann  erfennt,  unb  bie  @eelen,  toelc^e  fic^  S^rifto  jur 
93raut  üerlobet  unb  aufgeopfert  ^aben,  toerben  im  Stetc^  S^rifti 
ben  ^öc^ften  @rob  ber  ©lorie  erlangen. 

Siefe  ^nfic^t  fiberfd^reitet  bie  Sinie,  toelc^e  bie  fiababiften 
inne  gehalten  f)aben  (@.  232);  obgleid^  ber  leitenbe  @ebanfe  bei 
beibcn  bcrfelbc  ift,  nämlic^  bie  Sluguftinifc^e  Kombination  öon 
©ünbc  unb  ©efd^lec^tStrieb.  ^ie  ^rajrid  ber  (£^e,  meiere  bie 
fiababiften  öorfc^rieben,  entfpric^t  ber  britten  Art  ber  (S^e,  toelc^ 
^oc^mann  aufftedt.  tiefer  inbeffen  l^at  fi^  auf  beren  ©pecialitfiten 
nid^t  cingelaffen,  o^ne  3^^if^l  be^^alb,  weil  er  in  ber  öierten 
Slrt  eine  uiel  fd^ärfere  3u"^u^^u^9  ^^  (£f)eleute  ergebt,  unb 
fc^liefelic^  bie  (S^elofigfeit  au^  religiöfem  ©runbe  jeber  Art  bcr 
&)t  uorjie^t.  2)ad  ift  ja  and)  bie  einjig  rid^tige  Folgerung  aud 
bem  ermähnten  @runbfa|  9(uguftind,  bie  Folgerung,  n^eld^c  btc 
mittelaltrtge  (Epoche  ber  ^irc^e  bef)err[d^t.  ^Ifo^auc^  an  biefem 
fünfte  fällt  ber  folgered^te  ^ietidmuS  in  bie  fat^olifc^e  Slnfd|au« 
ungömeife  j^urüdE.  Slber  inbem  biefe^g  nic^t  in  offener,  fonbcm 
in  l^eimlic^cr  SBeife  gefd^ic^t,  ttjirb  mit  bcr  proteftantifd^en  An* 
fid)t  Don  ber  (£^c  aU  pofitiuer  göttlid^er  Orbnung  capitulirt 
3)abei  fommt  benn  bie  $ra^e  bcr  jungfräulichen  S^e  f)erau^,  bie 
©c^cine^e,  meldte  ein  gallftridE  auögejeic^ncten  Orabet  ift.  3)iefe 
X^eorie,  meldte  auc^  2)iltf|e^  fic^  ongeeignet  ^at  *),  ift  ol^ne  ß^cif^l 
Don  ©ottfrieb  Slrnolb  ouf  ^od^mann  übergegangen.  S^rc  @runb« 
läge  ftammt  Don  Safob  93öt)me  ^er ;  unb  beffen  ©d^üler  ©ic^tel, 
fottjie  bie  (Snglänber  ?ßorbage  unb  SBromle^  öertreten  biefelbe 
3bce  gleichzeitig  mit  Slrnolb  unb  ^ocftmann.  S)er2Renfd^,  Reifet 
cjS  bei  3lrnolb,  fei  juerft  gcfc^lcc^t^loö  ober  aud^  anbrog^n  ge* 
fc^affcn  gctoefcn ;  in  bicfer  SSoHfommen^eit  f)Qbc  er  bie  Sungfrau, 
bie  göttliche  SBeiö^eit,   biefeg  Komplement  ber  Slrinität,   toetd^cä 


1)  (Soebel  IL  S.  770. 


425 

audf  in  C^rifhi«  baö  ^rincip  bcr  ©eligfcit  ift,  gur  ©cfpietin  gc* 

ffabt  (^roö.  8,  31);   aU  et  aber  bic  liiere  in  getrennten  ®e^ 

fdile^tern  gefe^en  unb  ben  SBunfc^  nod)  gleicher  ©eftaltung  gc^ 

fa§t  f)abc,  fei  burd^  @ott  bie  dM  t)on  Slbam  getrennt  tporben. 

lieber  bem  @ett)inn  bcr  irbifc^en  ©cfä^rtin  ^abc  ber  2Renfci^  bic 

göttliche  ©efpiclin   Derloren;   feine  ©e^nfuc^t  nad^  jener  fei  ber 

Act  ber  Urfünbc;   bie  ©siftenj  ber  aWenfd^cn  in  getrennten  ®e* 

fc^tec^tern   unb  beren  gefc^led^tlic^er  JBcr!el)r  fei  alfo  baö  SRert 

mal  ber  öorfiergegangenen  ©ünbe,  unb  bie  ffi^e  an  ftd^  ein  ©tanb 

toibcrgötttic^er  Unreinheit  »)•    ®icfe  grotcöfe  Anficht  ift  ouS  jwei 

(Elementen  componirt.  Xa^  erfte  ift  ein  jfibifc^er  3J2^t^ud,  n^clc^er 

bie  parallelen   Sendete  über  bie  ©rfc^affung  ber  äßcnfc^en  in 

ber  ©enefid  (1,  27;  2,  7.  22)  ate  abgeftuftc  auf  einanber  folgenbe 

(Sreigniffe  beutet.     3)ag  anbere  Clement    ift  bic   bei  SSalcntin 

SBcigcl  üortommenbe  Unterfc^eibung  jtt)ifd^en  ber  irbifd^en  dm, 

toeld^e  aug  Äbam  lommenb,  gleifc^  ift,  öon  welcher  alle  SWenfd^en 

i^rc  alte  ©eburt  fiaben,  unb  ber  ^immlifd^cn  (&'oa,  ber  SBeid^cit, 

»elc^e  üon  ffitt)igleit  ben  ©o^n  ©otte^   in  bcr  Irinttät  gebiert, 

»elc^e  ferner  aU  eine  Sungfrau  leiblich  geboren  S^riftum  leib* 

•  lic^   auf  bie  SBclt  geboren  f)at    Snbcm  nun  bie  ©laubigen  bic 

neue  ©eburt  nac^  bemfelben  äßagftab  erfal^ren,  ^at  fie  nid^td  ju 

fdöicfen   mit  SBcibcr  neljmcn,   Äinber  jeugen;  bad  ift  abamifcft, 

irbifd^   unb    öic^ifcf)*).     3)ie   hierauf   gegrünbete    I^eorie   ftat 

^od^mann  für  fid^   in  bem  bur(^gefü^rten  (Entfd^lug  bcr  S^e* 

lofigleit  bewährt.    S)ic  Aufgabe  bcr  öon  i^m  bcfd^riebenen  iung:= 

fraulichen  dtjt  t)abcn  auf  bem  ©c^auplat^,  n^eld^cr  un^  befc^äftigt, 

feit  1713  ber  änpnger  ber  SBourignon  unb  ber  ©u^on,  6art 

^ector  93icomte  be  äßarfa^  unb  Slara  Slifabet^  t)on  SaUenberg 

(©.  418)  gelöft »). 

hingegen  treten  bie  entgegen  gefegten  Srfd^einungen  bei  jtt^ei 
Anfängerinnen  öon  ^ord^c  auf,  tt)elc^e  fc^on  ertoä^nt  worben 
finb.  S)ic  ^farrergtt)itttt)e  SBcfecl  ^at  if|r  rüfirenbeig  Sefenntnife 
iVLX  9lad^folge  be^   tierad^tctcn   unb  gefreujigten  $errn   Sefud 


1)  Ueber  ^rnoIb'S  lBu(&:   f)a§  (S^e^eimnlfi  bet  gSttlti^en  Bop^a  obet 
aßeid^fit,  befc^rieben  unb  befungtn  (1700)  bgl.  ®oebe(  II.  @.  725. 

2)  q9ei  ^rnolb  üird^en'  unb  itelergefd^i^te   (1699)  t^.  IL  9u4  17; 
(Sop.  17;  9hro.  27.  6.  628. 

3)  «oebel  lU.  6.  193  ff.  202. 


426 

(@.  412)  infofern  bcttJä^rt,  ate  ftc  bic  Sanbc^öcttocifung  ber 
Verleugnung  t)or)og.  ©ie  begab  ftd^  1702  mit  mehreren  i^ 
Slnpnger  naä)  &aa^pf)t  in  bcr  @rQf[d^aft  S93tttgenftein«SBittgen< 
ftcin  ^).  ^ier  aber  verfiel  bic  ©efellfd^aft  auf  bie  ©infü^rung  bc^ 
urd^riftlid^en  Siebc^fuffeö,  melcftcr  alö  STOittel  frfiftigcr  ©ottfctig* 
Icit  geforbert  »urbe.  3)ic  SBc^cl  führte  eine  wilbc  ffi^e  mit 
einem  äßannc  9tamend  @tirn.  2)ad  ^eigt  rootjl,  fie  ^ielt  nac^ 
bem  ®runbfa|e  ber  ^od^monn'fc^en  britten  Art  ber  ®^c  bic 
öffentliche  Xrauung  ni^t  ffir  nöt^ig.  SlQein  nod^  bem,  nrad 
@ic!^tel  über  ia^  Ircibcn  bicfer  ©efeDfd^aft  vernommen  ^at, 
!ann  fte  bie  93cbingungen  ni(^t  erfüQt  ^aben,  meldte  ben  d^rift^ 
liefen  @l^arafter  biefer  l£f)c  ausmachen,  ^urj  bicfe  ©efeOfc^aft 
fc^eint  über  ber  9lac^a^mung  urc^riftlid^er  SebenSformen  grfinb^ 
'i^  h^  %^^^  gelommen  ju  fein.  3m  3a^rc  1703  fam  nad^ 
2aa^\>f)t  andi  SDa  t)on  f6^\xa^:'^vittlax  mit  i^rer  @efclt 
fc^aft,  bereu  Qaffl  auf  70  ?ßerfoncu  angegeben  ttjirb.  ©ic  Ratten 
aUcnborf  fc^on  Dor  bem  (Jrlo§  be^  ^effifd^en  ^ictiftenmonbatcÄ 
öerlaffen  (@.  418)  unb  fid^  injnjif^en  in  granffurt  unb  Ufingcn 
(Stoff au)  aufgehalten,  ©ic  liegen  fic^  1704  auf  bem  $ofe  ©afe* 
mannöfiaufen  bei  Saaöpl^e  nieber,  weldjen  ^einri(^  ©c^eiben^cnne, 
ein  So^gerber  au«  (Jfd^mege,  Dom  ®rafen  gepad^tct  l^atte  *).  S)ort 
herleitete  bicfe  grau  ifirc  ©cnoffen  jur  regelmäßigen  Unjuc^t 
fo  öffentlich  unb  anftößig,  bafe  fie  aQe  fc^on  öor  bem  Ablauf 
be«  Safireö  in  Unterfu^ung  genommen  unb  feftgefefet  njurbcn. 
^iebei  ergab  fic^,  baß  bic  (Sua  fic^  für  bie  Don  SBBcigcl  entbcdtc 
t)immlifd^e  Qba  ausgegeben,  unb  aud  fid^  unb  jmei  iD2ännem  - 
aW;®ott  SSatcr  unb  ©o^n  eine  ©rfc^einung  bcr  göttlichen  S)rci* 
einigleit  gcbilbet  ^attc,  »clc^eTDon  ben  Slnbercn  anjubcten  toat  - 
3)ie  gcfdölcc^tlid^c  SJermifc^ung  mit  i^r  felbft  crllärtc  fie  ffir  bie 
gorm,  in  melc^cr  bic  öor  ber  (Jrfc^affung  bcr  irbifc^cn  ®oa  ab*  ^ 
Rauben  gefommcne  göttliche  ©opf|ia  tt)icbcr  angeeignet  ttwrbc  - 
©iefer  «et  finbe  o^ne  aHc  fünbli^e  Suft  ftatt  ober  löf^c  bie*  - 
felbc  oiclmel)r  für  immer  au3.  a)cr  ©träfe  für  bicfe  blaöp^cmifc^  ^ 
Unjuc^t  entjog  fic^  bie  „Suttlarifd^c  SRotte"  burc^  (Snttoeid^ung 
au3  bem  ©cfängni^  unb  burd^  Uebertritt  jur  lat^olifc^cn  Äirc^e 


1)  ®oe6e(  II.  6.  784.  ^o^^ut^  @.  117. 

2)  ®oebeI  H.  @.  778  ff.  IBatt^oIb  Im  Ql^orif^en  Xaf^eniu^  1^52 
6.  279  ff. 


427 

in  (S5In  1705.  ®ie  festen  barauf  in  $^rmont  nnb  bem  benad^« 
barten  $aberbornifc^cn  @täbtd^cn  Sflgbe  i^r  Xrciben  fort, 
famen  iptebcrum  in  ©efangenfc^aft  unb  Unterfud^ung  t)or  bem 
$abcrbornt[c^cn  ^orum,  entmid^en  abermatö  unb  begaben  fic^ 
noc^  Sltono,  n^o  bie  fieiterin  nac^  1717,  rote  ed  ^eigt,  in  unan^ 
ftögigen  ober  et)ren^aften  93er^ä(tniffen  geftorben  t[t.  S)ie  Sin« 
jelf)ctten  bie[cr  fd^euglid^en  ©cfc^id^ten  barf  id^  mit  SSertoeifung 
auf  bie  angeführten  ^arfteQungen  übergeben,  toeil  fie  in  ein 
üom  ^ietidmu^  gänjUci^  Derfc^iebened  @ebiet  gehören,  auc^  nic^t 
in  biefem  i^ren  ^nlag  ^aben,  fonbern  in  ber  t^cofop^ifd^en  SR^ 
t^ologie  SBeiger^  unb  ber  unerfc^öpflid^en  SBoIIuft  ber  für  immer 
in  ber  ©efd^ic^te  gebranbmarften  ^^rau. 

Sud)  ber  meitere  SSerlauf  bed  SBittgenfteinfd^en  ^cpaxatUh 
mud,  bad  Unternehmen  einer  p^ilabetp^ifd^en  ©emeinbe  in  Serie:: 
bürg  unb  baiS  auftreten  ber  concurrirenben  3nfpiration^emeinben, 
mag  SUed  ©oebel  im  brüten  Xl^eile  feinet  SBerfd  @.  71—165 
barftellt,  rooju  auc^  feine  ©efc^id^te  ber  Snfpiration^emeinben 
in  ber  geitfdirift  für  ^iftorifc^e  Ideologie  1854.  55.  57  fommt, 
reid^t  über  bie  ©renjen  bed  $ieti^mui^  in  ber  reformirten  ^rc^e 
l^inaud. 


20.   Sfnebridl  Sbolf  £amye. 

993enn  man  nad^  ber  unreifen,  bilettantifc^en,  ungefunben 
Bielgefd^äftigfcit  bcd  ©e^Hiratiften  ^ord^e  bie  folibe,  georbnetc, 
mogöoHe  ©rfc^einung  Sampe'd  fennen  lernt,  fo  ergiebt  ficft  öor 
allem  ber  SBcrt^  ber  t^eoloflif(^en  ©d^ulc  aud^  auf  bem  Seiben 
gemeinfamcn  ©ebicte  be«  ^ietiömud.  3n  Sampe  begegnet  un« 
ein  ©c^üIer  Don  ßocccjug,  »clever  mit  ber  eckten  Ueberliefcrung 
ber  Don  biefem  gegrünbeten  ©c^riftau^Iegung  bie  praftifd^en  3n« 
tereffen  be^  ^eöangelifc^en"  ^ieti^mug  Derbinbet,  in  »etc^em  fid^ 
bie  äBirfungen  Don  Soet  unb  Don  Soccejud  jufammengefunben 
^aben.  SEBeil  a(fo  Sampe  ben  l£rkoerb,  »eichen  bie  SRieberlänber 
in  ber  X^eologie,   roie  in  ber  $ra£id  bed  d^riftlid^en  Sebend  ge* 


428 

mad^t  Ratten,  ftd^  ju  Sigeit  tnad^en  lonnte,  fo  nal^m  er  t)on  9n< 
fanfl  an  eine  fcftc  ©teQung  ein,  meldte  bcm  «bcrül^mtcn"  ^ord^c, 
tuie  il^n  Sampe  nennt,  ftetö  gemangelt  i^at,  unb  fiberbietet  ben< 
felben  burc^  ben  SBert^  feiner  Seiftungen,  n)ie  burd^  bie  SBebeu« 
tung  feiner  9lad^mirfung.  Sompe  ift  aber  überhaupt  nod^  baburd^ 
tt)id^tig,  baß  er  ate  ©c^üter  öon  „emftigen"  (Soccejanem  (©.  308), 
nid^t  bloö  in  ber  ^rebigt  mit  beren  gelehrter  ©d^riftauSlegung 
bie  Sbfid^t  auf  bie  Siegelung  bed  ^riftlid^en  Sebend  t)erbanb, 
fonbern  auc^  für  bad  S^cc^t  ber  Sonüentifel  eintrat,  toelc^e  bi^ 
auf  feine  Qdi  nod^  immer  ald  ein  SSermäd^tnig  t)on  SBoet  gc« 
gölten  Ratten.  2)ie  perfönlid^e  unb  bie  literarifd^e  93ebeutung 
Sampe'^  ^at  bemgemäg  bie  ^olge  gehabt,  bag  ber  ^ietidmui^ 
im  norbn)eftlid^en2)eutfc^Ianb  feine  t^eologifd^e  ^arbe  angenommen 
unb  bid  in  bad  19.  Sa^r^unbert  bemal^rt  f)at,  mä^renb  fiompe 
auc^  in  ben  9{ieberlanben  feiner  ©c^ule  gerabe  babur^  Slac^brud 
ju  geben  oermod^te,  bag  er  auf  bie  $f(ege  bed  ^ieti^mud  in  beit 
ßonöentifeln  bebac^t  ttjar  ^). 

griebri^  «bolf  Sampe  ift  im  fjebruar  1683  in  S)et* 
molb  geboren  (19.  fjebruar  getauft),  njo  fein  aug  SBremen  flam* 
menber  SSater  ^einrid^  Sampc  feit  1676  ^rebiger  mar.   3>erfe(be 
ging  1685  an  bie  reformirte  ©emeinbe  ju  granffurt  am  SRain, 
barauf  alö  ^ofprebiger   nad^  Äönig^berg,  tt)o  er  1690  geftorbew 
ift.    3)er  ©o^n  tpurbe   feit  feinem  britten  Seben^ja^rc  t)on  bem. 
mütterlid^cn  ©roßöater,   bem   ©eneralfuperintenbenten  3^0^^  ^^ 
3)etmoIb  erjogen  unb  fam  nad^  beffen  1691  erfolgtem  lobe  mit: 
feiner  SRutter  nad)  Söremen.    .^ier  befuc^te  er  1698—1702  bo^^ 
S^ceum,  mo  er  unter  Änberem  ben   t^eologifc^en  Unterrid^t  öoic::^ 
(Cornelius  be  $afe  genog,  einem  äRanne,   toelc^er  bie  9{id^tun( 
Untere^dE'^  fortfefete.    35arauf  ftubirte  er  noc^  ein  3a^t  lang  ii 
graneler  unter  Sampegiu«  SSitringa  bem  Keltern,  oan  ber  SBaeij« 
unb  SlogD,  alle  brei  Koccejaner,   ber  Sefetere  jugleic^  6artefian( 
unb  Vertreter  einer  jalimen  ©peciei8  öon  Mationaliömuö.  ©c^oi 
1703,  alfo  mit  jtoanjig  3ö^ren  mürbe  Sampe  ^rebiger  ber  fleinci 


1)  3«nt  golöenben   ifl   oufeer   ©oebel  II.  6.  398— 4S5  au  ocrglet^e^ 
Otto  tlft^lemann,  Srtebric^  ^olf  fiampe;    fein  Seben   unb  feine  S^eotogii 
^telefelb  unb  Seip)ig  1868,    —    eine  iDlonograp^ie  boQ  SetDunberung  fflr  b( 
gelben,    aber    o^ne  umfaffenben  gef^i^tli^en    (8efi(^t6hei6    unb    |a4gemfi§e^-^ 
Urt^. 


429 

©cmctnbc  SBccjc  im  ^crjogtl^um  ®Ict)c,  fam  jeboc^  1706  tiad^ 
SJutöburg.    §tcr  fanb   er  fc^ioicrigc  Scr^Itntffc  öor,  ctncrfciW 
bic  feit  Eoppcr'18   (©.  386)  Qcit  bcftc^cnben  Konücnttfcl,  bcrcn 
lababiftifd^e  Snfprüd^e  furj  Dornet  bur^  ^o^mann'd  (@.  423) 
Sintuirfung  gcfteigert  toorben  tuaren,  anbererfettö  bie  ®[dd)QÜU 
tigfeit  unb  ba^  SSJiberftreben  ftttlic^  t^erfommcner  @emetnbcg(teber 
gegen  bic  Si^ciplin.    3nbcffen  biefcö  gelb  für  bie  Uebung  feiner 
feclforgerifd^en  ©ewiffcn^aftigfcit  üertauf^te  er  fd^on  1709  mit 
ber  ©tep^ani=@emeinbe  in  83remen.     §ier  i)ai  er  eine  reiche  lu 
terarifc^e  3;^ätigfcit   mit  feinem  ^auptmerf  eröffnet:  @el)eimni§ 
bed  ©nabenbunbe^,  bcm  großen  Sunbc^gott  ju  S^ren  unb  allen 
l^eilbegierigen  @celen  jur  Srbauung  geöffnet  ^),  neben  tueld^em 
junäc^ft  tjeifc^iebcne  5ßrebigtfammlungen  ^ergel^cn.    SSon  1720— 
1727  belleibetc  er  bic  5ßrofeffur  bcr  35ogmatif  ju  Utre^t.    3n 
biefe  3cit   fällt  eine  SReil^e  njiffenfd^aftlid^  tl^eologifd^er  Arbeiten 
£ampe'd,  t)on  n^cld^en   fein  Commentarins   analytico-exegeticas 
in  eyangelinm   sccundam   Jobannem  (3  99änbe  1724.  26)  bie 
bebeutcnbftc  ift.    daneben  nenne  id^  noc^  Compendinm  theolo- 
giae  nataralis    (1723),  Historia  ecclesiae  reformatae  in  Hun- 
garia  et  Transsylvania  (1727),    Delineatio   theologiae  activae 
(1727)  b.  i.  eine   t^eologifc^e   SWoral,   bie   Äbl^anblungen  über 
l>a^  äBefen   bei^  ©laubeniS  gegen  üan  X^u^en  (©.  322),  jtoei 
^b^anblungen   de  poenaram  aetemitate  unb  anbere,  meldte  in 
bcr  öon  ©erbeg  üeranftalteten  ©ammlung  ju  pnben  finb.  Steinet 
man  baju  bie  ju  Bremen  1729  erfd^ienenen  Rndimenta  theolo- 
giae  elenchticae,  fo   ^at   Sampe  fid^   auf  allen   Gebieten  ber 
X^eologie   bcmät)rt.    Snbeffen  bie  toid^tige  Stellung  an  ber  be^^ 
türmten  nicberlänbifc^en  Uniuerfität  t)ermod^te   i^n  ni^t  feftju« 
polten,   al^  er  1727   einen  SRuf  nad^  83remen  jum  ^ßrebiger  an 
ber  8[nögarii=@emeinbe   unb  jum  altcrnirenben  Siector  an  bem 
S^ceum  empfing.    Seibcr  foHtc  er  biefe  Äemter  in  ber  §eimat^ 
nic^t  lange  beflciben.    ©eine  förperlic^e  Äraft  l^atte  fic^  fd^on  in 
jeinem  47.  Sebemäja^re  erfd^öpft.    (Sr  ftarb  in  golge  eine^  SBlut* 
fturje«  8.  ©ecember  1729. 

^ag  Sampe  (Soccejlaner  toax,  fd^eint  aud  bem  Xitel  feinet 

1)  Bremen  1712  unb  flg.  Stec  Steile,  Don  benen  ber  britte  unb 
tnerte  je  atoei  Unterabt^eilungen  {fielen,  fo  baft  brei  glei^  fiarfe  96nbe  in  Hein 
Odat)  ^eraudfornmen.    Siexte  %uf[.  bed  erften  X^eilS  1726. 


430 

^Qupttperfed  o^nc  SBcitere^  gefd^loffen  tüerben  ju  fönnen.  3n« 
beffen  mir  ^aben  aU  9tebcntitel  üon  SEBil^elm  ^xaUV^  äBcrf  eben« 
faOi^  bie  ^^SBa^r^citen  bed  ©nabenbunbed"  bejcid^net  gefe^en 
(©.  291),  unb  bicfcr  Sflicberlänber  t[t  immer  für  einen  Soetianer 
angefe^en  tporben.  ^QerbingiS  ift  ber  Unterfc^ieb  ber  (Schulen 
im  üorliegenben  gaOe  baburd^  angebeutet,  bajs  bic  f^ftematifc^ 
(Erörterung  unb  bie  ^arftedung  ber  ©efc^id^te  bed  ©nabenbunbe^ 
bei  beiben  äßännern  gerabe  im  umgeEe^rtcn  SSerpitnig  be^  Um« 
fangeiä  ftc^t.  Sei  örafel  ift  bie  ©cfc^ic^tc  beg  ©nabenbunbed 
nur  ein  ^n^ang  ju  ber  ^ö^ft  audfü^rlid^en  ^arfteüung  bed  ©^ftem^ 
ber  Dogmatil  unb  ber  ffit^it.  83ei  Sampe  befd^ronft  fic^  bic 
t^etifd^e  DarfteQung  ber  aQgemeinen  93er^ältniffe  bed  ©naben» 
bunbcg  unb  feiner  befonberen  ©üter  auf  ben  erften  I^eil  bc§ 
SBcrfe^,  bilbct  alfo  nur  ben  fcc^ften  I^eil  bcg  ©anjen.  ®er 
jWeite  3;^cil  beginnt  bie  ^iftorifc^e  ^Betrachtung,  unb  biefer  (5r* 
örterung  ber  „SBege  ®otte^"  wirb  fc^on  bie  fic^re  „öon  ber 
ttja^ren  Äird^e"  untergeorbnet.  Unter  jenem  3;itcl  beginnt  bie 
unerfd^öpfli^e  ^üQe  uon  X^pologie,  meiere  ben  (Soecejaner  beut« 
lid^  uerröt^,  unb  fic^  burd^  bie  Derfdjiebenen  ^aud^altungcn 
®ütted  unb  bie  Äir^engefd^id^te  beö  91.  %,  bi«  jur  ^ftftcQung 
i^rer  3"^"^^f^  fortfc^t;  bogmifi^en  n)irb  bie  Siegel  bei8  c^riftlic^en 
2eben^  au^  bem  93orbilb  unb  ber  Se^re  Sefu  cntmidCelt;  cnblic^ 
lenft  Sampe  mit  ber  Se^re  t)on  ben  Saeramcnten  unb  t)on  ben 
©ütern  bcö  91.  3;.  in  bie  t^ctifc^e  DarfteDung  prüdt.  «l«  6occe« 
janer  aber  giebt  fic^  Siampe  burc^  feine  »uffaffung  ht^  ©obbat^«* 
gebotet  funb.  Die  gragc,  ob  baffclbe  in  feinem  buc^ftäblic^n 
@inne  für  ein  (£eremonia(gebot  j(U  ad^ten  fei,  mel^ed  aUein  bie 
äuben  betraf  unb  mit  ber  ^au^^altung  bed  S.  %.  aufgel^oben 
ift,  ober  ob  eg  für  ein  fittlid^e«  ®cbot  ju  Ratten  fei,  ober  tDcnigften« 
ob  tttoa^  ftttlic^ed,  ha^  alle  äJ^enfd^en  Verpflichtet,  in  bem  93uc^ 
ftaben  bed  ®ebotd  enthalten  ift,  beantwortet  Sampe  mit  Soceejud 
(©.  139)  in  ber  erften  Stiftung,  mä^renb  83rafel  tt)ie  auc^  SBitfiu« 
fic^  für  ben  jmeiten  gaU  entfc^eibct  *).  Ate  «nl^änger  bciS  Socce« 
jug  legitimirt  fid^  ßampc  ferner  burc^  feine  5ßrcbigtn)cife.  Die  t^eore* 
tifd^e  Söe^anblung  be^  lejte^,  ber  er  ben  erften  I^eit  ber  ^rebigt 
ttjibmete,  njurbe  mit  ber  f^ftematifd^en  ffirflärung  ber  ^ebräif^en 
unb  gried^ifc^en  SSJörter  unb  t^rer  Segriffe  belaftet  unb  burc^ 
bie  %üüt  ber  X^pologie  ausgeführt.    Sr  ^at  bann  immer  eine 

1)  Snabenhunb  III.  6.  969.    Redelijke  godsdienst  IL  6.  69. 


431 

Pd^ft  umfangreid^e  Sntoen^ung  auf  bie  üctfd^iebeneu  ^(offen  ber 

ßw^örer  ^injugefügt,  loic  bic^  aud)  bei  ©mijlcgclt  (©.  291)  bcr 

$qQ  x\t,  nad)  bem  SBorbilbe  Siobenfte^n'j^.    9lfö  (Soccejaner  in  bcr 

X^eologie  bejeic^net   \xä)  Sampe  meitcr^in  baburd^,   bag  er  bcn 

^Begriff  @otte^  bircct  ni^t  auf  bic  ©ouücränctät,   fonbem  auf 

bie  @üte  uitb  Siebe  bcftimmt,  nSmlic^  bQ§  @ott  ni(^t  toiQ  auf:» 

^ören  ben  ©ünber  ju  fachen,  btd  er  i^n  ju  feiner  üoQen  @emein« 

fd^aft  gebracht  ^at.    2)iefem  Attribut  @ottcd  entfprtc^t  bei  Socce« 

IUjS  fjelbft  ber  ®a^,  bag  in  bem  göttlichen  Sbenbilbe  hc^  ÜRenfc^en 

eine  Proportion  jmifd^en  @efc^öpf  unb  @c^öpfer  aui^gebrfidt  ift 

(©.  138),  meldte  bei  ben  SSoctianern  burc^  bie  JBoranfteCiung  ber 

@oui)crönetät  ®otteS  aui^gefd^Ioffen  ift.    9lQein  jenen  jn^citen  @e« 

banfen    bietet  Sampe  ni^t  bar,    n)cil  er  überhaupt  auf  bie  im 

SBcrfbunb  uorau^gefe^ten  @runbt)er^ältniffe  ni^t  eingeigt,  fonbern 

ftc^  auf   bie  ^arfteOung  bed  @nabenbunbed  @ottei^  mit   bem 

©ünber  bcfc^ränft.     Sluf  biefem  fjelbe  aber  befolgt  er  bie  ©e^^ 

trac^tung,  meiere  auS  ber  SSoetianif^en  @4ule  entfprungen  ift, 

unb  bebient  fic^  aller  ber  Sontrafte,  meiere  bie  $ictiften  aud  bem 

nactten  S3egriff  ber  @out)eränetät  @otted  abgeleitet  ^aben,    o^ne 

JU  bead^tcn,   bag  an^  (Socceju^  ®runbbcgriffen  biefelben  nid^t  ju 

folgern  finb.    „§ier  fielen  gegen  einanber  über  bie  allcr^öc^fte 

aRajeftöt  unb   ein  in   feinem  ölute   bcinat)  erfticfter  ©ünben* 

iDurm  ^),   bic  OueUe  be^  Sebenö  unb  ein  tobtciS  Äaö;  ber  ^ö^er 

otö  a0e  ^immel  ift  unb  ein  im  tiefften  ©c^tamme  berfunfened 

^öQenfinb,   mit  einem  SBort,   ha^  t^oUfommenfte  9lQed  unb  bai^ 

Dcräd)tlicl)fte  unb  öerfluc^tefte  Slic^tö/     Cd  ift  bie  golge  bc« 

^egriff^  ber  ©ouüeränctät  @otted,   bag  an  ber  ©ünbe  nid^t  n)ie 

bei  ben  9{cformatoren  bie  ©c^ulb  in  Setra^t  fommt,  fonbern  bie 

C^nmad^t,  bad  Slenb,  bie  ^bfc^eulic^fcit.    d^  gilt  alfo  ^ier  eine 

!3)etrac^tung^n)eife,  meiere  mctap^Qfifd^  unb  äft^etifc^,  aber  gerabe 

Ttic^t,   toa^  fic   fein  foQte,   et^ifd^  ift.     ®er  ßeim  ber  rid^tigen 

SBeurt^eilung  ber  ©ünbe  aud  @iocce)ud  Segriff  t)om  göttlid^en 

<Sbenbilbe  ift  alfo   für  Sampe  nic^t  aufgegangen,    ©eine  Qu^t* 

l^drigfcit  ju  Socceju^  ©d^ule   bejic^t  ftc^  bemnad^  gerabe  nid^t 

Quf  bie  Aneignung  ber  gefunben  t^eologifc^en  ©runbbegrtffe.  (Er 

ift   ma^rfc^einlid^  unter  ben  9lac^mirfungen   Untere^dC'S  frül^er 


1)  SHefeS  efel^afte  auS  Sie^.  16,  6  gef48))fte  9ilb  bettoxiugt  2ampt 
ebenfo  fe^r,  tote  Soa^tm  9Uanber. 


432 
?ßictift  gctoorbcn,  cl^e  er  alg  I^colofl  fid^  bcr  SRct^obc  bc«  Socce* 

^tö  $iettft   aber  ^atte  er  bie  aud  SBoet'i^  ®d^ule  entfprin^ 
genben  ©runbanfc^auungen  üon   ©otte^  ©out)etönetät  unt)  bed 
äWenfd^en  Slic^tigfeit  fid)   angeeignet,  ein  ©^ema,  tDelc^cö  er  in 
[einer  perfönlid^en  ©elbftbeurt^eitung   nid^t   auf  ben    ©egenfol 
jmifc^en  ®ott  unb  bem  ©finber  befc^ränfte,  fonbern  andf  ffir  ben 
®nabenftanb  unb   beffen  (Erfahrungen   geltenb    machte.     Unter 
feinen  fiiebern  fommt  ^iefür  befonberd  in  SBetrad^t  bad  ,,£ob  be^ 
§errn  3efu",   beffen   36  ©tropften  bie  ganje  §eiUgcf(^ic^te  mit 
ber  Söetcftrung  be^  S)icftter^  äufammen  faffen  ^  unb  ber  „©eufjer 
um  «blergflügel"  *).    3n  biefen  ©ebtd^ten,  toeld^e  fic^  rftetorif(^ 
feftr  au^cic^nen,  mirb   bas^  @efüftl   be^  ©ünbenelcnbe^  in  bie 
bräutlic^e,  ja  eftelid^e  @emeinfc^aft  mit  bem  ^errn  Sefud,  in  bie 
Xrunfen^eit  burcft  feine  ®nabe,  cnblic^  in  bie  m^ftifc^e  Sinigung 
ftinauSgefüftrt.     9lber   eben   aud^   für  ben  ^eitöftanb  mirb  bie 
9licl}tigfeit  unb  bie  Dualität  be^  ©täubleini^  üorbeftalten ;  biefe 
SBeurtfteilung   fnüpft   fic^   alfo  nicftt  erft  an  bie  ©ünbc,  fonbcnt 
ftaftet  an  ber  ©d^ägung  be^  SlbftanbeiS  ber  (S^reatur  Dom  ©d^öpfer. 
SBenn  ein  (Soccejaner  im  ©tanbe  mar  hierauf  einjugeften,  fo  t^x* 

1)  Sttnbletn  26  gottfeltgec  (Seffinge  enttoorfen  t)on  Qfriebri^  llbolf  Som^ 
Bremen  1726.  6.  58:  äd^  f^nSber  l^sneniDucm,  td^  lag  in  meinem  Blut 
3u  beineS  Soxnti  Si^I;  al§  eine  S^tangenbrut  3n  6otan8  S)ienfl  tierfouftr 
3um  ®uten  ganj  erftorben;  SBerftnflert  amSerfianb,  amSBiUen  grunboerborbeiw 
VI8  ein  %u8)fi|t0er  bebedt  mit  ®rinb  unb  Q^iUt,  9a  betneS  9lamenS  geinb  mt^ 
beineS  9iei(!^§  iBeflreiter.  6.  61:  i)ieS  brod^  betn  ^oter^et);  bu  mod^tell  mir 
befannt  3n  betneS  3BorteS  2\ä^i,  in  betneS  (S^eifleS  $fanb,  34  foOt  mi4  fflr^i 
ntd^t;  bu  iprad^j!  id^  {oUte  leben,  ^u  »oUteft  btd^  an  mi4  unb  mit  bir 
geben,  SBürb  i4  aUein  unb  gan)  bid^  für  mein  Xf^txl  emfidlen,  6o  n>o 
bu  mit  mir  im  (Stauben  bid^  üermfi^Ien.  —  (Sin  freubenüoHeS  3a  ^ot  mt 
mit  bir  oertraut;  bu  tourbj!  mein  ^rfiutigam^  bu  nenneteft  mi4  Staut,  ttn«- 
gleid^eS  (S^gebing!  beS  $immel§  j(5nig  licbet@in  6tfiublein,  baS  i^mni^ttr 
unb  bem  er  aUeS  gtebet. 

2)  6.  32:  9{a4  ber  Sd^ilberung  beS  SttnbenelenbeS  (ei^t  e§:  $a^  U 
bt4  mit  mir  oermfi^Iet,  SRid^  gu  beiner  Braut  erafi^Iet,  2)eined  SUit^S  Beltftn' 
bigteit  l^ann  {a  meine  9li4tig!eit  Ueberioiegen  unb  Derf^Iingen.  —  C  bofc 
mid^  nid^td  m5d^t  erquiden,  %U  mann  bu  mit  (Snabenblitfen  3m  Verborgnen 
mt4  anla^ß  Unb  in  SBoUujt  trunfen  mad^^.  —  ^54t  i4  lieben  toie  bu  lxttt% 
9R54t  i4  bringen  loaS  bu  gicbefl,  O  mie  mürben  bann  in  (Sin  Shi  unb  i4 
gef^moljen  fein! 


488 

fte^t  man  bie  @r!(ärung  t)on  XJQben,  bem  jünoern  3^itgenoffeti 
Sam^e^  bog  e^  unter  $iettften  nic^t  mc^r  barauf  anfomnie, 
tnelc^er  ttjeolocitfci^cn  @c^ule  einer  angehört  (@.  308).  3n  bem 
t)i)rUegenben  ^auptpunft  ber  ©elbftbeurt^eilung  n^aren  aOe 
^ietiften  fiobcnftet)ncr,  unb  im  ®runbe  SSoetianer.  äßit  Xjaben 
aber  berührt  fi^  Sampe  aud^  in  ber  allgemeinen  Sibft^t  feiner 
^rebiflt  (©.  314).  3n  ber  ^rebigt,  mit  welcher  er  1709  öon 
Duisburg  Slbfc^ieb  nat)m  *),  ertlärt  er  oU  ben  3^ecf  feiner  SBor^ 
tröge,  ß^riftum  ben  ©efreujigten  nad^  feiner  ganjen  Siebend^ 
märbigfeit  ben  ^u^örern  angenehm  ju  machen  unb  fie  ju  feiner 
®emeinfc^aft  ju  locfen,  unb  burc^  bie  (coccejanifd^e)  Deutung  ber 
SBeiffagungen  unb  Erfüllungen  ben  treuem  @nabenbunb  ©ottee; 
unb  bie  Sereinigung  mit  i^m  i^ren  Seelen  fd^mad^aft  ju  mad^en. 
S)tefe  Slbfc^ieb^prebigt  ift  jugleic^  ein  mertoürbige^  3^ugnig 
baDon,  n)ic  fiampe  bie  üerfc^iebenen  klaffen  t)on  ©emetnbeglie« 
bcrn  nac^  jenem  SJtagftab  feiner  $rebigtmeife  beurt^eilte.  Sr 
burfte  annehmen,  fie  alle  als  X^eilne^mcr  am  @otteiSbienft  üor 
fic^  }u  ^aben,  bie  Unmiffcnben,  bann  bie  Unbugfertigen,  n)elc^e 
btc  $rebigt  Don  ber  @nabe  mit  @pott,  unb  bie  Siüge  i^rer 
©c^OD^ffinben  mit  frechem  Uebermut^  ermibern,  bie  bürgerlichen 
S^riften,  benen  Dorgel^alten  mirb,  bag  fie  fic^  auf  bie  äußeren 
^flic^ten  beS  ©otteSbienfte«;  unb  ehrbaren  SBeinbel,  ber  boc^  nur 
littfameS  $eibentt)um  fei,  befc^ränfen,  bie^euc^ler,  n^elc^e  in  ben 
Sonüentifeln  ^^u  finben  finb,  aber  in  £afteru  leben,  bie  ben  ©na* 
)enftanb  au^fd^liegen,  n^elc^e  baburc^  baS  (£^riftent^um  compro« 
mittlren  unb  Rubere  Don  bemfelben  abfc^recfen,  ferner  bie  über« 
jeugten  aber  noc^  ntd^t  }um  3)urd^bruc^  gefommenen  ©eelcn, 
YDelc^e  ni^t  fern  Dom  Sfieic^e  @otteS,  aber  bod^  in  einem 
iiDcifel^aften  ßuftanbe  finb,  ba  fie  noc^  nic^t  jum  Sntfd^luffe 
tommen,  3efu  ha^  San^ort  }U  geben,  unb  benen  fiampe  mit 
bcfonbcrer  Sorgfalt  nachgegangen  ift,  um  fie  DöCiig  jur  ®c^ 
burt  ju  bringen,  enblic^  bie  n)irflid^  (gläubigen,  n^elc^e  bem  ^re- 
biger  ftetiS  jur  Slufmunterung  unb  (Srquicfung  gebient  ^aben. 
S)iefeS  ©erfahren,  bie  Slntoenbung  ju  fpccificiren,  wieber^olt  fic^ 
in  ben  ^rebigten  Don  Sampe  unb  ift  o^ne  S^eifel  ein  3<^ugni6 
feiner  ?tufric^tigfcit  unb  ©emiffcnljaftigfcit  *).     Allein   inbem  er 

Ij  ^nge^dngt  on  ^bie  ^efialt  ber  SBcaut  (S.ffxx\i\  Dor  i^cem  VuSgang  ou§ 

»ober  (^rebigtcn  über  Offenb.  14,  1—5)  1710;  2.  «ufl.  1781.  6.600— 680. 

2)  9{a4   ber    Wtti^eilung   ooit  ®oebeI  e.  415  ^i  biefe  SRetl^obe  bie 

I.  28 


434 

ben  ©laubigen   unb   bcn  Slngcfagtcn  entgegen  tarn,   fo  fragt  ^ 
\xd)  hoä),   ob   nic^t  für  bie  Üniüiffenben  feine  ©^riftauölcgung 
äu  ftarfc  ©Vcifc  unb  für  bie  Siürgerlicl)en  fein  rcUgiöfer  ®c\id)t^ 
punft  not^n^enbig  unüerftänblid^  unb   unjmecfmägig  gen)efen  ifl 
S^rbarer  SBanbel  unb  gotteiSbienfttic^e  9{egelmägigteit  innerhalb 
ber  c^riftlid^en  ©efeDfd^aft  »irb  boc^  lüo^l  nic^t  gerechter  äBeifc 
alö  fittfameö  §cibent^um  beurt^eilt !  Qu  biefcm  Urt^cil  ift  Sampe 
um  fo  loeniger  competent,  ald  er  in  feinem  Compendinm  theologiae 
naturalis  bie  praftifc^en  ^ejie^ungen  beS  S^riftent^um^  jur  natfir^ 
lid^en  Steligion  begrabirt  ^at,  unb  ntd^t  blod  bie  Siebe  ju  @ott 
nämli^   boi^  Streben  nac^  ^Bereinigung  mit  bem  ^öc^ften  ®nt, 
fonbern   aud^  bie  $flic^t  ber  Siebe  gegen  bie  3l&d)\ten,  ja  fogar 
gegen  bie  geinbc  alö  Folgerungen  bed  angeborenen  mcnfd^lic^ai 
©elbftbeiougtfein^   ober  be^  @en)iffen^  meint  geltenb  mad^en  ju 
fönnen  >).    ®iefe^  t^eologifc^e  Untemel^men  bergegentoärtigt  frri^ 
lid^  nur  bie  üon  ben  ölteften  Slpologeten  bed  (S^riftent^umd  fefi^ 
gefteQten  SSorauSfe^ungen  ber  mittclaltrigen  unb  proteftantifc^ 
Offenbarung^t^eologie,   unb   ift   infofern  materieQ  nic^td  fftcn^. 
35ic  befonbere  Sel^anbtung  bcö  3;()ema  burd^  biefe  Soccejoner  i\t 
icbod^  baburd^  proüocirt,   bag  ©pinoja,  ^obbed  unb  bie  anbeten 
SSertrcter  beS  S^aturred^t^  bie  natürti^en  Siegeln  be^  menfc^Iic^en 
SebenS  al^  gleichgültig   gegen   bie  @ottedibee  bargeftellt  Ratten. 
SlHein  unter  biefen  Umftänben  ^at  bie  natürliche  X^eologie  ton 
Sampe  boc^  bie  ^ebcutung,   bag  er  ben  Slbftanb  bed  S^riften^ 
t^um^  t)om  ^eibent^um  im  Slügemeinen  nic^t  t)erftanb,  oberba§ 
er  einen  Sn^alt  bed  fittlid^en  ^emugtfeind,   ber  pofttit)  c^riftli^ 
unb   ben  9J2enfd^en   nur  aus  ber  befonbern  c^riftlid^en  äteligion 
aufgegangen  ift,   fd^on   auf  ber  Sinie  bed  ^eibent^umiS  gegeben 
achtete.    Sr   ben^egte  fic^   in   bemfelben  Strt^um,  inbem  er  bie 
@itte,  baS  ehrbare  Seben  ber  bürgcrli^en  S^riften,  gegen  bie  er 

Sitte  jur  Sotge  %t^dbi,  baB  in  oteleit  ^(emetnben  am  9^tebcTT^n  ein  34^ 
^unbert  (inbur(!^  bie  Eingefaßten,  (Srniedten  unb  ^efe^rten  ober  au4  bie  bofftt 
gehalten  }u  »erben  tDÜnj(!^ten,  aufftanben,  menn  in  ber  ^rebigt  ber  t^nen  ^ 
tenbe ;  X^txl  ber  Sueignung  (eranf am,  unb  fo  lange  berfelbe  bauerte,  ^ 
blieben. 

1)  Compendium  theol.  nat.  p.  138.  147.  (San)  gleiil^artig  mit  bicf(0 
9Ber!  ift  bie  1720  erf(!^ienene  £pitome  theologiae  nataralis  t)on  (Umpegntf 
^itringa  bem  @o^n,  totlä^tx  1693  geboren,  neben  feinem  Sater  $rofe|far  ^ 
2:4eotogie  in  Sfranefer  nmr,  unb  1723  geflorben  ift. 


435 

im  ÄUflcmcincn  materiell  nid^tö  einmenbet,  für  l^cibnifcft  erflärt. 
3n  bor  ffiinfeitiflfcit  feiner  pietiftifd&en  Sluffaffung  bei8  K^riften* 
t^umö  f)at  er  eben  feinen  Ölicf  bofür  getjabt,  bag  jene  fo  gering 
gefc^ä^te  Drbnung  be«  bürgerlichen  unb  bc§  fird^lid^en  Scben^  in 
bcn  pofitiüen  SWotiüen  beö  Sl^riftcntl^um^  njurjeltc.  35ic  SWängel, 
tDcId^e  bomit  üerbunben  waren,  fonntc  er  olfo  nur  bcfeitigen, 
wenn  er  ben  Slnt^eil  ber  bürgerlichen  ß^riften  an  ben  pofttiöen 
@ätern  be^  @^^riftent^um^  erfannte  unb  jugeftanb.  hieran  aber 
^at  i^n  ebenfo  feine  natürliche  X^eologie  mie  feine  Sefc^ränfung 
beS  S^riftent^um^  auf  bie  pietiftifc^e  3Ket()obe  ge^inbert.  ©eine 
religiöfe  Seben^anfic^t  xoav  ju  eng,  feine  njiffenfd^aftlic^e  Anficht 
Don  ber  äteligion  roai  ju  meit.  2)ie  Kombination  beiber  $ef)ter 
alfo,  meld)e  in  bem  qaasi  rechtgläubigen  ^ieti^muS  überall 
tt)icbcrfef|rt,  machte  if)n  ungered^t  gegen*  bai$  „bürgerlid^e  S^riften? 
t^um",  unb  unfö^ig  auf  beffen  Vertreter  feiner  Stbfic^t  gemäß 
ju  Wirten.  Gr  unb  alle  feine  ©cnoffen  ^aben  bemnad^  fein 
9ied^t  gel^abt,  über  bad  bürgerlid)e  S^riftent^um  abjufprec^en. 

2)cr  pietiftif^e  ß^arafter  Sampe*i5  toirb  nun  burd)  feine  (Si- 

örtcrung  ber  fieben  ^eilögüter  im  erften  S^eil  üom  „@e^eimni§ 

beö  ©nabenbunbeö"  erläutert.  2)iefelben  finb  1.  bie  fräftige  S3e* 

rufung,  2.  ber  ®laube,  3.  bie  SBiebergeburt  al^  3lnfang  ber  95e* 

fe^rung,  4.  bie  9lec^tfertigung  (©ünbenoergebung  unb  ftinbfc^aft), 

5.  bie  Heiligung  aU  gortfefeung  ber  Sefe^rung,  6.  bie  SBerfiege- 

lung,  7.  bie  SSer^errlid)ung.  Ueber  bie  erftc  ift  nur  ju  bemerfen, 

bafe  fie  nic^t  weiter  fic^  crftrecft  aU  bie  Srroä^lung.    3)iefc  83c^ 

ftimmung  bejeic^net  ben  reformirten  93oben  ber  If)cologie  Sampe'ö. 

^cr   feligmad^enbe   ®laube  finbet  feinen  näc^ften  unb  unmittel* 

barften  ©egenftanb  an  bem  ©ol)n  @ottei8,  burd^  ben  allein  man 

jum  93ater  tommt.     ^it  (Sinfd^lug  ber  richtigen  @rfehntni§  bed 

®ot)ned   unb  bed  SBaterS  ift  ber  @laube  Zf^at  hc^  SBiQenS  in 

allen  ben  ©taffein,  bereu  SJeutung  burdö  Sampe  fc^on  (©.  322) 

\)orgcIommen  ift.    „S)enn  eine  oernünftige  ^Bereinigung  gefd^iel^t 

burc^   bie  ©leid^förmigfeit  bed  SBiUenö."     Unter  allen  SRebcnö* 

arten   brücft   nun   feine  me^r  bie  9tatur  be^^  @laubem^  aud  aU 

ba«    Annehmen    E^rifti,  unb   biefe  gormel  ift  ba^  Korrelat  ber 

abgeftuften  Regungen  beg  SSerlangenö,  beö  ^ungernö  unb  Surften^, 

bed  ß\i^vi6)tnt\)mtn^,    bed   ^erjunal^end.    3)er  ®laube  nimmt 

nun  (S^riftu^  ^auptföc^li^  baburc^  an,  bag  er  auf  i^n  fc^aut, 

ober  i^n  anfd^aut.    „SaS  brüden  bie  Xaubenaugen  aud,  bie  ber 


436 

^immllfc^c  Sräutigam   an  bcr  Äircl)c  prcift  (^ol^cl.  1,  15),  tocü 
fie  in  i^m   adein   fid^  ju  beluftigen  unb  mit  il^m  nod^  genauer 
\x(i)  ju  üereinigcn  fud^t."    §icr  bricht  bie  pietiftifd^e  Umbcutung 
bei^  et)angelifd^en  ®(aubenS  burc^.  ^nä)  bie  Sfieformatoren  beuten 
ben  ©tauben  atö  qnaerere,  contemplari,  amplecti  Cbristam,  fte 
benfen  aber  babei  (£^riftud  als  ben  Xräger  beiS  göttli^en  @naben^ 
luiUenS,  ber  SSerl^eigungen  ber  ©ünbenüergebung  unb  @eligfeit 
fefeen   ben  SBert^  C^rifti   gerabe  in  biefe  öon  i^m  öertretcnen 
@üter,   unb  t)erfte]^cn   beS^alb  ben  auf  i^n  gerid^teten  @(au6en 
aU  unbebingte  Unterorbnung  unter  il^n.     Unb   fofem  ja  ber 
Glaube  an  d^riftuiS  als  SßillenSact   eine  SSergleid^ung  mit  ber 
Siebe  na^e  legt,   fo  folgt  auS  ber  ©olibarität  Sl^rifti  mit  @ott, 
bag  bie  Uebereinftimmung  beS  SEBiQenS   ober  bie  Siebe  ju  i^m 
fpccieH  ber  i^m  fid^  unterorbnenbe  ©laube  ift.    3m  ©inne  ber 
9teformatoren  ift  bie  Siebe   j(u  (S^riftuS  nic^t  eine  DoQere  unb 
concretere  SSorfteflung  als  ber  ®laube  an  i^n,  fonbem  bie  unl^ 
ftimmtere,  toeld^e  jumal  als  9J{igbraud^  erf^einen  mfigte,  menn 
fie  im  ©inne   einer   ßoorbination  beS  ©laubigen  mit  (S^riftud 
aufträte.    Snbem  nun  Sampe  baS  Slnne^men  S^rifti  ba^in  beutet, 
bag  „mit  bcm  ©tauben   bie  Siebe  beS  $errn  3efu  unaufldSlr($ 
üerfnüpft  fei/'  be^anbelt  er  ben  ©tauben  als  ben  unbeftimmtercn, 
bie  Siebe  atS  ben  concrcteren  unb  volleren  SBegriff.     2)amit  m- 
binbet   ftd^   bie   anbere  9lbtoeid^ung  Don  ben  äteformatoren,  bai 
er  hif  $erfon  (S^rifti  unb  bie  Ser^eigungen  auS  etnanber  fett 
Srft  „burd^  bie  9(nne^mung  ber  $erfon  (S^rifti  fie^t  ber  ©lauie 
auf  alte  in  i^m  gegebenen  SSer^eigungcn  unb  burd^  i^n  ernox-- 
bencn  SBo^lt^aten."    ©icfeS  «erfahren   ift  fc^on   bei  fflil^ta 
örafel  (©.   297)   öorgefommcn.    3nbem  nun  ^iebur^  bie  8n* 
fc^auung  ober  Ergreifung  S^rifti  beS  SBert^in^altcS  feiner  ©na- 
bennjirfungen  auf  ben  ©lauben  entteert  lüirb,  UJaS  bleibt  für  p^ 
übrig?  9lad^   ber  SluSfunft,  bie  Sampe  junä(^ft  giebt,  bie  lebig' 
lidö  fd^utmäßigen  Attribute  ber  jnjei  SRaturen,  ber  beiben  ©tänbe. 
ber  brei  Äemter.    35icfe   Slnteitung  jur  bogmatifd^en   Sleflejio^ 
ober  ©rübelei  wirb   aber  alsbatb   übertönt  bur^  bie  bdonnte 
Deutung  ber  Siebe,  toctc^e  mit  bcm  §errn  3cfuS  auf  bem  %^^ 
ber  ©teic^^eit  üerfe^rt,  met^e  ben  8leformatoren  tocnigcr  geläupS 
njar,  als    bem   ^eiligen  SBcrn^arb  unb   feinen  Slad^folgem  j^ 
SKöne^t^um.    „©o  lieb  einer  83raut  i^r  öräutigam  ift,  fo  ü* 
muß  einer  ©eele  3cfuS  fein,  ben  als  eine  Duelle  bcr  ©otteSfüfc 


437 

fic  burd^  bcn  ©laubcn  fic^  jucignct.  Slid^tö  lüärc  leichter  ju 
finbcn  in  bcm  ^crjen  olg  bic  Siebe  be^  §crrn  3efu,  tpcnn  fie 
nur  ba  tuöre;  benn  bcr  9}{enfc^  ift  feiner  Setuegung  na^  bem 
Saufe  ber  Statur  fid)  inniger  betuugt  als  ber  Siebe.  äBorauf 
meine  ©ebanfen  om  mciften  fpielen  unb  ft^  brin  ergoßen, 
momit  id^  gern  immer  nö^er  moOte  t)ereinigt  fein,  xoa^  mid^  burd^ 
feine  ©egenwart  am  mciften  erquidten,  burd^  feine  äbttjefen^eit 
am  meiften  betrüben  fann,  ba^  liebe  id^  aud^  am  meiftcn.  9lun 
frage  ein  jeber  feine  ©eele:  finb  meine  ©cbanfen  am  meiften  bei 
bem  §errn  3cfu?  bin  id^  befc^äftigt  mit  allem  SIei§,  um  nod^ 
nä^er  mit  il^m  bereinigt  ju  n^erbcn?  bin  ic^  am  frö^lid^ften, 
toenn  3efu^  mir  einen  ©nabenblicf  gegeben?  fann  id^  nic^t  bauern, 
tt)enn  ic^  feine  Entfernung  finbe?  SBer  ^ier  ni^t  barf  3a  ant:= 
toorten,  lüie  fann  ber  bcn  ©laubenl^aben?"  ,,SBaö  ift  angenel^mer, 
aU  in  ber  ^nne^mung  ber  t^cuerften  ^immeföfd^ä^e,  in  bem 
Äoften  beg  §onigi8  ber  Siebe  bei5  §errn,  in  ber  Bereinigung  mit 
bem  fc^önften  Bräutigam  befc^äftigt  ju  fein?"  ®o^  genug;  nad^ 
biefem  ^anon  ^abcn  bic  Sficformatoren  feinen  ®(auben  gel^abt. 
Aber  wenn  nur  nad^  biefer  SWet^obe  ba^  Vertrauen  auf  ben 
§erm  unb  bie  9lu^e  ber  Sicblinge  ©otteg  ertt)orben  werben  fann, 
meldte  ft^  t)on  bcn  f^lügcln  bc^  S^ebunbe^  mit  bem  ^errn  Sefu 
überfd^attet  feigen,  bann  bürfte  bod^  nic^t  foglei^  ba8  3"9cftä«i>' 
nife  ber  geiftli^en  JBerlaffungen  angefc^Ioffen  werben,  weld^e  frei« 
lid^  nad^  bcm  Saufe  ber  SRatur  al^  folgen  ber  gefünftelten 
Sctoegung  üon  ^^antafic  unb  ®efü^l  nur  ju  erflärli^  finb, 
aber  be^^alb  ben  Sßert^  biefer  Kontemplation  t)ö0ig  burd^freujen. 
S)ic  ©tarf gläubigen  foHen  jwar  „bie  greiiflüt^igfeit,  bie  ©otteö 
®cift  erwedCt  ^at,  in  bem  täglid^en  ^erjunal^en  ju  bem  @naben* 
t^ron  ftc^  JU  9lu^  mad^en.  Sie  Sabinet-9{ätl^e  be^  großen 
^immetöfönigg  muffen  in  feine  ©e^cimfammern  auc^  oft  l^inein^ 
treten  unb  oor  if)m  erfd^einen."  „aWan  fü^re  fid^  aUe  ©d^ön^eiten 
feinet  ©cetenbräutigamö  ju  ©emüt^c,  man  muntere  feine  @c« 
banfen  auf,  um  burd^  alle^  3efum  fic^  öorjuftcUcn."  „©o  wie 
ber  ®laube  fic^  in  bem  ^immlifc^cn  örbt^eil  betuftigt,  fo  fteigt 
er  au^  in  fid^  felbft  hinunter  unb  untcrioirft  bic  ganjc  ©eete 
in  ©claffenl^eit  an  bcn  §errn."  aber  bebarf  ed  nid^t  einer 
natürlichen  befonbem  SiSpofition  jum  contemplatiüen  Seben, 
um  ftd^  f 0  etmad  jujumutl^en  ?  Unb  werben  f old^e  Staturen,  wenn 
fte  nic^t  jugleic^   fanguinif^en  Xemperamente^   ftnb,   bon  bcm 


438 

Siüdfd^Iajic  bcr  SScrtaffungcn  öcrfd^ont  bleiben?  Sebcnfaüö  tft 
ftar,  ba§  bicfe  pietiftifd^c  35octrin  feine  SSerbefferung  bcr  rcfor* 
matorifd^en  2)eutung  beS  ^etl^glaubenS  ift,  fonbem  eine  Set« 
fälfc^ung  berfetben. 

3n  ber  SiarfteHung  be§  83egriff^  ber  SBiebcrgcburt  begegnen 
ung  einige  treffenbe  öemerfungen.  ©ic  ift  öor  Äßem  bie  SBer* 
änberung  be^  3^^^^  ^^^  äUtenfc^en  unb  bemgemäg  feinet  83er« 
mögend.  ®enn  man  mug  fie  ald  ein  fol^ed  @ut  ücrftetien, 
n^eld^ed  iugleid^  eine  ^fliti^t  ift.  3uglrid^  ti'ivb  t)orbe^aIten,  bag 
bcr  SBiebcrgeborene  ttjcber  atebalb  nod^  immer  feiner  SScränbentng 
fid^  ben)ugt  ift  jumal  bann,  n^enn  einer  t)on  feiner  ftinb^eit  an 
gejogen  unb  üor  groben  ©ünben  bewahrt  ift,  ober  öiele  gute 
Vorbereitungen  üor  feiner  SBiebergeburt  gcljabt  f)at.  ®iefe  gc- 
funben  ä^^flcftänbniffe  finb  aber  öergeffen,  loenn  ben  SBicbergc* 
borenen  insgemein  jugemutl^et  loirb,  fic^  unter  bie  greulic^ften 
©ünber  ju  red^nen  unb  fo  ju  einer  Serpfuiung  i^rer  fetbft  tou 
jufd^reiten,  um  fid^  ben  öoUcn  Umfang  ber  eingetretenen  9ku 
änberung  jum  SBewußtfein  ju  bringen.  35aö  3icl  foB  bonn  barin 
befte^en,  folc^e  ©itten  anjunel^men,  bie  einem  abgefonbertcn  SSolf 
gejicmen,  unb  bie  ©cfeQfd^aften  ber  Jiinber  ©otted  auf^ufuc^en. 
Stlfo  aQe  SEBiebergeburt  foD  in  bie  Sonüentifel  einmünben! 

Uebcrrafd^enb  corrcct  ift  bie  SarftcHung  ber  Sec^tfertigung^ 
le^re   in  bcm  „©nabenbunbc".    3)er  Segriff  ber  Mec^tfertigung 
wirb  ^icr,  tok  eö  bei  ben  fpäteren  Meformirten  übli(^  tt)ar  ^),  in 
äSergebung  ber  ©ünben   unb  Slboption  jum  ßinbe  ©otted  jet« 
legt.    35iefeö  Urtl^eil  über  bie  ®rtt)ä^tten  inögefammt  ift  in  bex 
Slufcrmecfung  S^rifti  audgebrücft,   bemgemäß  bog  ®ott  bie  6t^ 
mäl^Iten   ate  ©ünber  in  Sl^riftud  betrachtet.    SBirb  cd  nun  beti^ 
@lauben   bed   Sin^elnen   flar,  bog  er  fid^  unter  bie  aUgcmeiis^ 
SRed^tfertigung  ju  rechnen   l^at,   fo   ift  barum  bcr  ©laubc  fei'^ 
©tüdE  ber  @ered^tigfeit  felbft  fonbern  nimmt  blöd  bod  gottlid^ 
Urt^eil  an,   loeld^ed  bcm  (Sinjelnen  auc^  bei  noc^  fo  fc^ma^ci^ 
©tauben  eingefprod^cn  njirb.    Sllfo  fiampe  leugnet  l^ier  audbrficöS 
lid^,  ba§  biefed  Urt^eil  ben  SBcrt^  bed  ©laubcnd  ald  ber  öottJ 
ftänbigen,  bettjugten  annähme  S^rifti  feftftellt.  35iefe  Kombination^^ 
ttjelc^e  ben  ©ebanlcn  ber  Rechtfertigung  grünblid^  öerfd^iebt  *)^ 

1)  Se^re  Don  ber  Sle^tfertigung  unb  Serfötinung  III.  @.  64. 

2)  3n   bie{er  Stiftung    ge^t   bie  SornteL   rotläit  d^ottfrieb  9&ng1t 
(1698  $iof.  3u  ^onau,  1716  9lector  beS  S^ceumS  in  Bremen)  in  ber  Sombc 


439 

Ic^nt  Sampc  bamit  ab,  ia%  er  bic  Stnnal^mc  jur  Äinbfc^aft  fd^on 
bcm  fd^toQ^cn  SlnfangiSglaubcn  j^u  Ztjtxi  ttjcrbcn  läßt,  ilaä)  bcm 
SJorgangc  üou  SBitfiuiä  fügt  er  noc^  bic  Siecl&tfcrtigung  be^  ®cs 
redeten  ^inju  *),  meiere  bcn  SBcrt^  ber  Heiligung  fcftftcDt,  unb 
5ur  SScrme^rung  bcr  @emig^eit  bcr  ur[prüngliti^eit  Sted^tfertigung 
locgcn  S^riftu^  bicnt.  9lun  bebeutet  ba§  auö  ber  Siec^tfertigung 
ju  f(5öpfcnbe  SBetpußtfein  ber  ©otteöfinbfd^aft,  baß  man  ein 
ftnblid^e^  Scnel^mcn  gegen  ben  ^tmmlifc^en  iBater  ^abe  in  t^urd^t, 
Siebe,  G^re,  ©e^orfam  unb  Unteriüerfung  an  alle  ßö^tifli^nfl^n» 
unb  ba§  man  bic  ßi^^c^icftt  auf  feine  beftänbige  gürforge  faffe. 
®a§  ftnb  bie  gcfunbcn  ©efic^töpunfte  beö  eüangelifc^en  E^riften^ 
t^umg,  bie  aud)  in  fic^  flar  unb  üoUftänbig  finb.  3n  biefen  3"* 
fammenl)ang  fpielt  auc^  nic^t  ein  Xon  ber  S3em^arbinifd^en  @ion« 
templation  l)inein,  eine  neue  $robe  bafür,  bag  fte  bem  eüange« 
lifd^en  ß^riftent^um  freifib  ift  unb  ju  feinen  not^toenbigen  gunc^ 
tionen  nid^t^ge^rt.  Sebod^  nachträglich  gc^t  fiampe  barauf  au^, 
ba^  pietiftifd^e  ©ünbenbettjußtfein  bem  Söetüußtfein  üon  ber  SRe^t* 
fcrtigung  aufjubrängen.  35enn  „jmifd^en  ©ünber  unb  ©ünber 
ift  ein  Unterfd)ieb.  S)ic  ©ünber,  über  njelc^e  @ott  ben  Sluö* 
fpru^  ber  Sted^tfertigung  t^ut,  finb  gan}  anber^  befd^affen,  als 
bie,  mit  rodd)cn  unfer  tjcutigeg  ßion  angefc^märjet  ift."  Sampe 
meint  nun  fold^c,  bie  aud^  il^re  beften  SBerfe  für  üerbammlic^ 
achten,  bie  il)re  3)efc^ulbigungen  gegen  fic^  geöffnet  fc^en  unb 
leinen  äuöujeg  n^iffen,  fonbern  in  wahrer  3<^^nirfd^ung  beö  $er* 
jenö  fic^  felber  üerbammen,  bie  ferner  ben  Jfnfang  be^  toal)ren 
©laubeng  in  einem  l^eißen  junger  unb  S)urft  nac^  ber  ©erec^tig»» 
feit  üben.  @r  verlangt  auSbrüdlic^  biefen  S3ugfampf  aU  93e« 
bingung  ber  afiedt)tfertigung.  Sampe  ^at  einfad^  üergeffen,  bafi 
er  biefen  SSorgang  ber  ©otte^finbfc^aft  gleid^  gefegt  ^at.  (£r 
f)at  ferner  noc^  nic^t  erfannt,  bafe  jeber  feinen  äntl^eil  an  ber 
allgemeinen  ©ünbe  in  feinen  befonberen  Untugenben  ^at,  bag 
bcd^alb  ieber  als  ©otte^finb  feine  ©elbftbeurt^eitung  ^iena^  ein« 

|u  ^teterict,  ber  ma^rc  tnmenbige  unb  ouSioeitbige  d^rifl  §  10  auffleOit:  ,9[uS 
biefer  Bereinigung  mit  df^xxfto  bem  Raupte  (nfimli(!^  ®al.  2,  19.  20)  folget 
niii^t  nur  unfrre  Sied^tfertigung,  —  benn  eS  ifi  feine  Serbammnig  an  benen 
bie  in  d^rifio  3efu  fmb  (9{5m.  8,  1)  —  fonDern  qu(!^  unfere  Heiligung ;  barum 
füget  ber  ^[poftel  in  Sinem  ^it^em  ^inju:  bie  ni^t  naä^  bem  &Ieif(!^,  fonbern 
na4  bem  (Seift  nrnnbeln'. 

1)  9te(!^tfertigung  unb  Serfd^nung  I.  6.  289. 


440 

jurid^ten  ffat,  tuenn  er  tpa^r  unb  aufrid^ttg  gegen  ftd^  feI6ft  fein 
foQ.    ^iemit  fann  and)  bie  ©eiuiB^eit  ber  ©ottedHnbfd^aft  6e« 
fte^en;  nad)  fiampe'S  ^niuetfung  aber  mirb  fie  ntcmatö  erreicht. 
35enn  tuer  tpiU  bic  ©rcnjc  feftftcHcn,  au  toeld^er  bor  Dorgcfc^rie« 
bene  S3ug{ampf  erfc^öpfenb  unb  üoQftönbtg  gen^orbcn  tft?  ^icrin 
ift  bic  ©d^wierigfeit  für  bic   „angefaßten"  begrünbet,   bag  pc 
nid^t  jum  2)urd^brud^,  jur  ^nnc^mung  bc^  ^erm  3efud  gclongen ; 
unb  fiampe  roar  in  einem  großen  Srrt^um,  menn  er  in  bcr  2)uid« 
burger  Sbfd^ieb^prcbigt  e^  fo  barftcQt,  baß  Sßiberfpenftigfeit  unb 
9J2angeI  an  Sntfc^luß  ben  Surd^brud^  Der^inbem.  Sene  Wtetf^ott 
beS  iBußfampf^  unb  bie  ®en)iß^eit  ber  @ottei^finbf(^aft  gc^en  in 
cntgegengcfcfeten  Siid^tungcn,   unb   fd^ließen  fid^  gegenfeitig  auö. 
Snbeffen   ift  ^icr  no^  an  SinS  ju  erinnern,    fiampe  ift  bei  ha 
in  bem  „®nabenbunb"t)orfommenbcn  gaffung  bcr  Sie^tfertiguufl^ 
(e^re  nic^t  fte^en   geblieben.     SBä^renb   feiner  SBirffamfeit  in 
Utred^t  ^at  er  in  bem  @treit  gegen  üan  X^u^nen  Snlaß  gefunben, 
na^  bem  Vorgänge  t)cn  Sßitfiu^  unb  ^rafel  bie  Stec^tfertigung 
bei^  Sinjelnen,  n?elc^e  üon  ber  Doraudgct)enben  9{ec^tfertigung  ber 
(Srmä^Iten  im  Xobe  unb  in  bcr  Slufcrmcdung  (S^rifti  unterfc^iebcn 
mirb,  atö  Urt^eil  über  ben  SBert^  bciS  (Glaubend  ober  bcd  ®to 
bcndentfc^luffcg  ju   begreifen   (©.  324).     (5r  ^at  alfo  in  bicfct 
Sntfd^eibung  boc^  ba^  ©eine  baju  getrau,  ben  begriff  berSie^t« 
fcrtigung  pietiftifd^  ju  öerfd^iebcn,  fo  wie  er  bem  praftifd^cn  SSe« 
ttjußtfein  Don  i^r  bic  Saft  beig  Sußfampfö  unb  bcö  ©treben^ 
nad^  bem  Umgang  mit  bem  ^errn  Scfud  auferlegt  ^atte. 

Sn  bcr  fie^rc  t)on   ber  Heiligung,  meldte  atö  ber  ftamp\ 
gegen  bie  eigene  ©ünbe  unb  baneben  ald  ber  neue  ©c^orfan^ 
bargeftcllt  tt)irb,    toä^renb  bod^   ber  ©c^orfam  ober  bie  ^ic^^ 
erfüQung  fetbft  ber  Äampf  gegen   bic  ©ünbe  ift,  tt)irb  Samt^^ 
auf  bie  im  JR.  %.   gcfteUtc  Aufgabe  bcr  SBolttommcn^cit  gefü^icr^ 
(£r  läßt  fic^  audfül^rli($  auf  fie  ein,  nämlic^  fo,  baß  er  fie  atö 
fc^lic^c  unb  aU  cüangelifc^e  unterfd^eibet.    3nbem  er  nun  jea 
nac^  ben  befanntcn  Erfahrungen  ber  UnüoOftänbigfcit  be^  pfli( 
mäßigen  ^anbclnd  für  unausführbar  crflärt,  aber  auc^  bie  ctHi' 
gclifc^e  SBoDfommcnl^cit .  nur  quantitativ  öerfte^t,    fo  öermag 
über  biefe  bircct  feine  äuöfunft  ju  geben.     3nbircct  aber  wii 
feine  SorftcOung   bauon  burd^  bie  neun  3Rittel  beutlid^,  totU 
,Mnc   nadj  ber  iBoQfommen^eit  ftrebenbe  ©eele  mit  9ht$en 
menben  fann,  um  i^r  3Bacl)iSt^um  in  ber  Heiligung  ju  beförbcm. 


441 

(fö  fmb  btefed  @ebct,  »etrad^tung  bc^  SßorteS  ©otted,  S^o^bet^cit 
bei  ©Ott,  täfllid^e  ©clbftprüfung,  tägliche  Söugc,  tüicbcr^oltc  ffir» 
ncucrung  bcig  SBunbciä  mit  (Sott  im  ®cnu§  bog  abcnbma^te, 
Auffegen  auf  bcn  ^crrrt  3cfum,  namcntlid^  auc^  auf  fein  Sor^ 
btlb,  Uebergebuttg  an  bie  fieitungen  beg  ^eiligen  ©eiftei^,  nament« 
iiä)  burd^  (Jrtoedung  bcr  ©tiHe  unb  ©claffcnl^eit  ber  ©eete, 
enblie^  ber  Umgang  mit  ben  anbeten  ^eiligen.  SScrgtcid^t  mon 
hiermit,  ba§  ber  äugere  Söeruf,  loenn  er  ju  ttjeittöufig  ift,  um  ben 
geheimen  Umgang  mit  ©Ott  ju  geftatten,  unter  bie  ^inbcrniffe 
bcr  Heiligung  gerechnet  wirb,  fo  toirb  man  burc^  jene  Änweifungen 
eigentlid^  ä^m  Älofterleben  geführt,  auf  beffen  SBoben  oud^  bie 
mciften  unb  eigent^mlic^ften  öon  jenen  Siegeln  l^eimifd^  finb. 
^ofmann  *)  ^at  ganj  aied^t  in  bcm  Urt^eil,  bafe  im  ^icti^mu«, 
fofem  er  einen  tabelnben  9lamen  üerbient,  ba^  mönd^ifti^e  Sßcfen 
tt)iebcrgefe^rt  fei.  S)cgt)atb  fe^lt  unter  biefen  SWitteln  jur  JBoH:^ 
lommen^eit  bie  Ireue  unb  ber  ®ifer  in  ber  SrfüUung  ber  5ßfli^t 
unb  beiS  ^erufiS.  ^enn,  um  mit  X^omaS  t)on  9lquino')  ju 
fpred^en,  denm  diligere  secandnm  se  est  magis  meritorinni, 
quam  diligere  proximnni.  Vita  autem  contemplativa  direete 
et  immediate  pertinet  ad  dilectionem  dei,  vita  aatem  activa 
directins  ordinatnr  ad  dilectionem  proximi.  Ideo  ex  suo  ge- 
nere  contemplativa  vita  est  majoris  meriti  qaam  activa.  ^urd^ 
bie  SSergleic^ung  mit  biefem  ©runbfa^  flcfd^ie^t  auti^  bem  ^eti^ 
mud  fein  Unred)t,  n)enn  man  i^m  bie  guten  393erfe  anrechnet,  ju 
meieren  er  ja  auc6  antrieb  gegeben  ^at.  ®enn  %ijoma&  fäl^rt 
fort:  Potest  tarnen  contingere,  quod  aliquis  in  operibns 
vitae  actiyae  plus  mereatur,  quam  alins  in  operibus  vitae 
contemplativae.  ^icfed  aber  ftfl^t  fid^  barauf,  bag  secnndnm 
quid  et  in  casu  magis  eligenda  vita  activa  propter  neees- 
sitatem  praesentis  vitae ;  sicut  etiam  Philosophus  dicit  in 
tertio  Topicomm:  qaod  philosopbari  est  melius  quam  ditari, 
sed  ditari  melius  necessitatem  patienti.  Snbtid^  erinnert  bad 
©tat  aus  «riftotelc«  baran,  bafe  fc^on  Soet  (®.  123)  bie  §er^ 
fünft  biefer  ©runbfäfte  aui8  ber  ^eibnifd)cn  ^^ilofopl^ie  er« 
fannt  ^at. 

JReben  ber  tnbiüibueDen  ^eili^orbnung  ift  bie  SBeurt^eilung 
bcr  3uftänbe  bcr  Äird)c  baö  anberc  gelb,  auf  tt)el(l)cm  bie  ©runb^ 

iTtfteoIoutf^e  «i^f  6.  128. 

2)  Summa  theoL  II.  2.  qu.  182.  art.  2.  cf.  art.  1. 


442 

fä^c  beig  ^ieti^mug  jur  ©citung  fommcn.    ®tcfcr  Aufgabe  fyd 
fiampe,  nad^bcm  er  t)icr  3at)tc   in  S3rcmcn   gelüirft  ^Qttc,  eine 
eigene    Schrift    geluibmet:    @roge    SSorred^te   bciS    unglficf liefen 
9lpo[tetö  Subaö  3fd)ariotg,  allen  ungetreuen  Seigrem  jum  ©d^rcdfen, 
unb   allen  über   heutigem  ^ird^enüerfaQ  t)ern)irrt€n  ©eelen  jur 
SBarnung  üorgefteöet  t)on  ^^ilabetp^u^  ^^otiuö  *).  ®iefe  ©c^rift 
[teilt  junäd^ft  feft,  ba§  bcr  Serrät^er  an  aßen  5ßrit)ilegicn  ber 
Sünger  ßf)ri[ti,   aud^  am  Slbenbma^lc  bei^  §errn  t^citgenommen 
I)abc.    iJerner  tüerben   bie  Qtocdt  angegeben,  um   bcren  toillen 
Subaö  biefc  SSorrec^te  empfangen  \)(xbc.    6^  ftnb  bic  ffirffiHung 
ber  SBeiffagung  ^f.  41,  10  an  bem  fieiben  Sl^rifti,  bic  SluffteQung 
eine^  SSorbilbeö  aller  falfc^en  fiel)rer,  unb  bie  SBegrünbung  bcr 
SRa^nung,   bag   man  biefelben,  fo  lange  fie  rechtgläubig  teuren, 
mit  Sanftmut^  ertragen  foHe,  ba  eine  üoDüommene  SRcinljeit  ber 
ÄCird^e  auf  bcr  ffirbc  üom  §errn  nic^t  üerl^eißen  fei.    $icmac^ 
erfolgt  bie  ännjenbung   in   einer  8lüge  bcr  falfd^en  ficl^rcr,  ber 
Subaöbrüber,  unb   in   einer  SBarnung  üor  bem  ©eparatümu^. 
ßampe  t^cilt  hierin  ben  ©tanbpunft  üon  SBitftui^  (©.  277)  unb 
SBit^elm  örafet  (©.  293).     3n  ber   ©^ilberung  bcr   falfc^cn 
ße^rer  begegnen  mx  junäc^ft  bem  ßwgcftänbnife,  ba§  fic  red^t^ 
gläubig  unb  in  i^rer  Slmt^fü^rung   gefc^öftig  ftnb,   ferner  bog 
fic  ©d^ulgcle^rfamfeit   bcfifeen  unb   eine  SBol^lreben^eit,  um  bic 
®ett)iffen  au^unjccfcn.    SlHein  baran  fc^licBt  fi^  ber  SortDurf, 
ba§   fic  mal^r^aftc  Sefel^rung   in   i^ren  ^crgen   nic^t   erfahren 
l^aben,   unb  bann  ganj  im  SlÜgcmeinen  ber  SBorttJurf  be^  @eijc8, 
n^cld^cr  fie  ba^  ^mt  atö  bic  regelmäßige  Sta^rung^uelle  anfe^cn 
läßt,  unb  fic  bei  Berufungen  unb  bei  i^rcm  Umgang  leitet,  fcmec 
bie  Siügc  i^rc^  SBcr^altenö  gegen  bic  burc^  il^rc  ^rebigt  (SrtDcdten- . 
meiere   fic   nid^t  auf  eine  vernünftige  SBeifc  ju  leiten  oec^^ 
ftel)cn,  unb  benen   fie  jumut^en,  nid^t  gu   tief  ju  grübeln  uu  "- 
baö  S^riftent^um  nid^t  ju  genau  ju  nehmen,    ©c^en  toir  bauo^^" 
ab,   baß   eine  ©ruppe  üon  ^rebigern  offenbarer  ©ünben  un'^ 
cine^  untpürbigen  gefeßfd^aftlic^en  Sebenö  bejic^tigt  toerben,  f  ^ 
erfennt  man  an   ben  aufgeführten  äRerfmalen  ber  3ubadbrüb( 
ben   parteiifrf)en  ©tanbpunft  fiampe'^.     ®r  l^ält  benfelben  ii 
©runbc  nur  üor,   baß  fic  nid^t  ^ictiften  finb.    2)enn  bie  toafy 


1)  ^rf^ienen  1718.    3mcite  ^CuSgabe  mit  2ampt'&  %mtn  1739. 
ftt^rlt^ct  ^uSaug  bei  tf^tUmann  o.  o.  O.  @.  53—66. 


443 

l^aftc  S3cf c^rung,  bie  er  an  il^ncn  öcrmißt,  ift  btc  pictiftifc^c  9Ke* 
tl^obc;  unb  bic  Unfä^igfcit  in  bcr  ©celcntcitunfl,  bic  er  an  i^ncn 
bcmcrft,  ift  bic  Slblel^nung  ber  pietiftifd^en  Folgerungen  au^  ber 
eDangelifd^en  $rebigt.  STber  f)at  nii^t  Sampe  auc^  t)on  fi^  ein^^ 
gcftanbcn,  bag  er  feine  3lotf)  mit  ben  Slngefafeten  gehabt  ^abe 
(©.  433)?  Unb  ift  bcnn  eine  vernünftige  SBeifc  ober  eine  golgc* 
rid^tigfeit  jur  (ärrei^ung  ber  §eitegett)i§^eit  in  feiner  SKet^obe 
crlennbar  geroefcn?  Sllfo  l)ierin  burfte  er  fic^  tjorficfttiger  äufeern 
unb  ben  litel  ber  3ubaöbrüber  unterlaffen.  5S[ber  ber  ©eij! 
(So  ift  o^ne  3^eifel  ba^  ftttlid^e  3^^*9cfä^ff  toeld^eö  i^m  biefe 
Slüge  gegen  Slmtögenoffen  eingegeben  ^at.  Slber  giebt  c^  benn 
jur  ^eurt^eilung  biefer  (Srfd^einung  feinen  anbern  äRagftab  atö 
bic  aScrgleid^ung  mit  bcm  ^icbe  3ubag?  2ltö  bie  8leformation 
ben  (Sölibat  ber  Jiterifer  aufhob,  um  fte  üon  ber  93erfu^ung  jur 
Unjuc^t  ju  befreien,  ^at  fte  i^nen  mit  ber  @eftattung  ber  @^e 
bic  ©orge  für  i^rc  gamilien  unb  bereu  ftanbe^mäßige  SBol^lfa^rt 
auferlegt.  Sarau^  cntfpringen  nun  anbere  SSerfud^ungen,  fpecielt 
btcjlenige,  n?elc^e  mit  bcm  Srmerb  üon  ®e(b  unb  @ut  Uerbunben 
ift.  3a3ar  Sampe  nic^t  im  ©taube,  biefe  öebingung  ber  ©ac^e 
ju  crfennen  ?  SRun  bann  ^at  er  fein  fittlid^ei^  ß^^^flefö^I  i^n  öor^^ 
liegenben  ^^aUc  bo^  nid^t  üoQftänbig  geübt,  inbem  er  bie  ^cv^ 
glcic^ung  mit  3ubag  l^crbeijog.  S)er  ^icti^muiS  in  ber  reformirtcn 
ftirc^c  beS  norbn?eftlic^en  S)eutfd^IanbS  ^at  fpäter  bem  ©d^aben, 
»  ben  fiampe  rügt,  babur^  ju  fteuern  gefud^t,  bag  er  ben  ^rebigern 
feiner  Siid^tung  bai^  Stecht  juerfannt  ^at,  bic  reic^ften  ÜRäbd^en 
iu  freien.  SSicHcid^t  [)aften  an  biefer  Drbnung  lieber  anberc 
Serfu^ungen!  Slbcr  inbem  ja  Sampe  überhaupt  bie  Äbfid^t  öer^ 
folgte,  jur  9lac^ftd^t  unb  @ebulb  mit  ben  9)2ängcln  ber  anberen 
$rebiger  gu  ermahnen  unb  bie  feparatifti[d^en  Folgerungen  ab« 
julc^nen,  fo  burfte  er  fid^  oor  SlQcm  bie  Uebertreibung  in  bem 
Xitel  bcr  SubaSbrüber  fparen. 

3eboc^  üieOeid^t  mar  e^  in  feiner  ©teQung  ju  ben  fepara« 
tion^luftigen  ©liebern  feinet  näl^ern  Äreifc^  begrünbct,  ba§  er 
burc^  bie  übcrtreibcnbe  SSerurt^eilung  ber  anberen  red^tgläubigen 
^cbiger  fid^  erft  bag  SRed^t  crmorbcn  ^abcn  mußte,  jenen  bie 
Trennung  üon  ber  Jiiirc^e  audjureben.  3d^  meine  biefer  natura 
lic^  nid^t  aU  eine  Ueberlegung  ber  äßittet  jum  Qtocd,  fonbern 
al^  ben  in  ber©timmung  unb  @en)o^n^eit  n)irfenbcn  3ufammen« 
^ang  t)on  ftRotio  unb  SSerfa^ren.    fiampe  l^at  fidler  nid^t  baran 


444 

gebadet  baß  er  btc  jur  ©eparation  ncigenbcn  frommen  leidster 
baüon  abbringen  fönnte,  ttjcnn  er  für  bic  geljler  ber  anberen 
^rebtger  milbernbe  Umftönbc  bejeiii^nete,  unb  jugleic^  an  bic 
%cf)kv  ber  grommen  erinnerte.  3n  ber  Stimmung,  bic  er  mit 
feinem  Greife  t^eilte,  fonnte  fein  ©ebanfe  ttjeber  an  bo^  Sine 
nod^  an  baö  Änbere  auffommcn.  2)iefe  Stimmung  mar  üiclmel^r 
für  bie  SBarnung  üor  Separation  nur  jugänglic^,  ttjenn  bic  ffint* 
Haltung  üon  berfelben  alö  eine  rcd^t  fd^ttjere  unb  beöl^alb  Der^ 
bicnftlid^c  Seiftung  üerftanben  ttjerben  fonnte.  SJürfen  ujir  ndm? 
li^  ben  @ang  ber  öorliegenben  ©d^rift  alö  jtücdfmäßig  für  il^r 
publicum  anfeilen,  bürfen  ttjir  bemgemäß  Sampe  jutraucn,  bafe 
er  in  ber  Sd^rift  nur  miebergcgeben  ^at,  toa^  feine  (Erfahrung 
unb  fein  laft  i^m  alö  ttjirffam  auf  feine  ©enoffen  erfd^cincn 
ließ,  fo  em)arteten  bicfe  eine  mögUd)ft  bunfele  ©^ilbcrung  ber 
i^nen  abgeneigten  ^rebiger,  um  bann  if)rc  5Rad)fid)t  gegen  bic* 
felbcn  um  fo  fieller  leud)tea  laffen  ju  fönnen.  3c^  meine  feine 
unftatt^afte  @ett)iffengerforfc^ung  ju  üben,  inbem  id^  nur  Der* 
ftänbli^  JU  machen  fuc^e,  ttjarum  fiampe  bie  SBarnung  öor  ©e* 
paration  nic^t  anber^  unb  leichter  motiüirt  ^at,  alö  e^  gcfd^e^en 
ift.  SJenn  ttjenn  er  ni^t  auf  ben  ©ntf^lufe  ju  einer  faft  über* 
menfd)lic^en  5Rac£|ftd^t  bei  feinen  feparationi^Iuftigcn  ©enoffen 
red^nete,  fo  ift  c^  nic^t  ju  begreifen,  baß  benfelben  bic  Sncon- 
gruenj  ber  ©rünbe  gegen  bic  ©eparation  ju  ber  ©c^ilberung 
ber  3uba^brüber  ptte  verborgen  bleiben  fönnen.  3)ie  brci  Ar* 
gumente  finb  bie,  baß  nid)t  alle  Sc^rer  ber  Sirene  Saatebicner 
finb,  fonbcrn  baß  unter  bem  ffiinfluß  be§  ^ietiömuS  bie  Qafil 
ber  gottfeligcn  Scf)rer  im  ß^ne^mcn  begriffen  ift;  fo  ttjcnig  alfo 
bie  anberen  Sünger  baburc^  ge^inbert  tourben,  baß  SubaS  unter 
i^nen  ttjar,  tt)irb  bie  SBirfung  ber  rechten  Se^rer  burd^  i^r  3^ 
fammenfein  mit  ben  falfc^en  bceinträd^tigt.  ferner  ift  bic  ®c* 
meinfc^aft  mit  ben  ungläubigen  SKcnfc^cn  in  ber  Äird^c  jU  er* 
tragen,  ujcil  eine  fold^e  immer  ftattgefunbcn  ^at,  unb  auc^  im 
taufenbiä^rigen  SRcii^e  nic^t  bur^auö  aufhören  wirb.  Daß  cnb* 
lid)  bic  Öunbe^ficgcl  auc^  ben  Ungläubigen  gegeben  »erben,  ift 
nac^  bem  ©eifpiel  ber  I^eilnafimc  beö  3ubag  am  Äbcnbrna^lc 
unDcrmciblic^,  unb  fein  @runb  jur  Trennung.  SSon  biefcn  brci 
©rünben  ift  nun  gerabe  baö  untriftig,  ttjag  üon  ber  SScrglcic^ung 
mit  3ubag  l^ergenommcn  ift.  33enn  nac^bem  bicfer  ate  „ber 
Subad''   erfaunt  morben  n^ar,  n^ürbe  er  n)o^l  faum  noc^  ju  ber 


445 

Ocmcinfd^aft  bcr  Sünger  übcrl)aupt,  j^u  tl)rcm  Scrufött)irfcn  unb 
ju  i^rer  gcier  bc^  ^crrnmal^te  jucjelaffen  tuorbcn  fein,  aud^ 
toenn  er  nic^t  burd^  ©elbftmorb  geenbct  ^ättc!  SSlmx  toerben  üon 
ßompc  bic  anbeten  ^rebiger  fo  al^  Subaöbrfiber  d^arafterifirt, 
baß  iebcm  feiner  ©enoffen  flar  war,  auf  welche  bcftimmten  ^er« 
fönen  er  bie  Äategorie  ju  bejie^en  ftatte,  unb  cbenfo  mußten 
jenen  aud^  gctuiffe  Äbeubma^Iögäfte  atö  3uba^brflber  erlennbar 
fein.  Unter  biefen  Uinftänben  aber  ergab  fid^  Dernfluftiger  SBeife 
au«  ber  ©efd^id^te  beö  3ubaö  feine  ^flid)t,  bie  ©emeinfd^aft  mit 
bcn  Subo^brübern  fortjufe^en,  fonbern  umgefe^rt  ber  Antrieb, 
ftc^  Don  i^nen  ju  fc^eiben.  Warfen  tuir  alfo  bennod^  annehmen, 
baß  fiampe  bad  üorliegenbe  9)uc^  mit  rid^tigem  Xafte  unb  mit 
bcr  SBirlung  gefd^rieben  ^at,  baß  feine  pietiftifc^en  ©enoffen  üon 
ber  Separation  jurüdge^alten  n^urben,  fo  ift  biefed  aud  ber 
Sigentpmlid^feit  bcr  9iid)tung  Derftönblid^.  3)ie  (Signatur  bci^ 
^ictiömu^  ift  überhaupt  nic^t  bic  JJolgeric^tigfeit,  locbcr  im  reli= 
giöfen  ffirfennen  noc^  in  ber  ^rajiö;  fonbern  bie  änftrengung 
ber  ^^antafie,  be^  ©efü^Iö  unb  be«  SBitteng  in  lauter  ©ituationen, 
toetd^c  nic^t  folgerecht  georbnet  finb.  3)er  allgemeine  ®runb 
büöon  aber  ift  ber,  baß  ber  ^ietiömuö  im  ^roteftantiömu^  bie 
mönc^ifc^e  Kontemplation  erneuert.  S)iefe  Kombination  ift  in 
ftd^  toiberfpre^enb ;  foll  fie  alfo  aufrecht  erhalten  werben,  fo  ruft 
fie  bie  Hnftrengungen  ^erüor,  welche  t^eiU  überhaupt  iteUoi^  finb, 
t^eiU  in  ben  SBcrlaffungen  bad  ©egcnt^eil  ber  et)ange(ifd^en 
^eitögetoiß^eit  erreichen.  S)iefen  Stnftrcngungen  ift  biejcnige 
gleichartig,  welche  Sampe'ö  ©d^rift  über  3ubag  ben  ©efinnungö^ 
genoffen  jumut^et. 

@oebel  unb  X^elemann  meinen,  baß  fiampe  burc^  biefe 
©d^rift  feiner  Setrübniß  über  ben  SJerfall  in  ber  Äirc^e  ^abe 
Äu^brudf  geben  wollen,  nad^bem  feine  SJemü^ungeu,  bie  in  Srcmcn 
nic^t  gangbare  jiirc^enjuc^t  burc^  bie  Organe  ber  ©emeinben 
cinjufü^rcn,  an  bcm  SBiberfpruc^  ber  ^aftoren  unb  be^  Kat^e^ 
ber  ©tabt  gefc^eitert  waren.  2lüein  biefe  Ännatjme  ift  gewiß 
nid^t  triftig,  juerft  weil  Don  ber  Aufgabe  ber  Äirc^enjuc^t  in  ber 
©d^rift  nid^t  bie  {Rebe  ift,  bann  aber  weil  if)r  äwfommen^ang 
bic  Söcforgniß  öor  bcm  ©eparati^mu^^  al^  bad  leitenbe  SKotiD 
erlcnnen  läßt.  S)en  ®runb  ju  biefer  Seforgniß  läßt  aber  ein 
9lad^fpiel,  wclc^eiS  bie  ^erau^gabe  ber  ©c^rift  fanb,  beutlic^  genug 
erlcnnen.  An  ber  SKartinifirc^e  in  Öremen  war  ^eter  g^icbrid^ 


446 

®etr^,  in  granlfurt  a./a».  1685  geboren,,  feit  1710  aK 
augcrorbentlic^er  ^rebifler  anßeftcUt.  3)crfelbe  toax  üon  3)uiö^ 
bürg  I)cr,  too  er  ftubirt  ^atte,  mit  Zampc  eng  Derbunben.  (St 
fd^eint  befc^rönft  unb  mangelljaft  gebi(bet,  aber  um  fo  beftimm« 
barer  burd)  augerorbentlic^e  Erregungen  gemefen  ju  fein.  (£r 
^atte  bie  Drbination  crft  nad^  jmeijä^rigem  Äird^cnbienft  in  fjolgc 
eine^  9Raiorität^=Sefd)luffeg  beö  Äirc^enconüentö  gegen  baö  Ur^ 
t^eil  bcr  beiben  ^aftoren  ber  ®emeinbe  erlangen  fönnen.  3)cr* 
felbe  ^ielt  nun  im  Dctober  1713  eine  $rebigt  Aber  2uc.  19,  45, 
in  weld^er  er  bie  „fleifd)lid^en"  Sc^rer  ber  rcformirten  fiir^e  an* 
flagte,  biefelbe  an  Dielen  Orten  jur  SKörbergrube  gemacht  ju 
^aben.  ßum  Ueberflug  berief  er  fic^  auf  fiampe'ö  ©c^rift  über 
bie  SSorrec^tc  beö  Subaö,  mit  bereu  erftem  2;^eil  feine  ^rcbigt 
paraQel  gegangen  n^ar.  (£r  fnüpfte  feine  Slufforberung  baran, 
bie  Äirc^e  ju  ücrlaffen,  begnügte  fic^  aber  bamit,  bie  ©cmeinbc 
auf  bie  SJorbilber  Eljrifti,  ber  Slpoftet  unb  anberer  Se^rer  ju 
üertüeifen,  unter  bencn  er  bcn  feligcn  Unteretjd  afö  feinen  SJor* 
gönger  im  35ienfte  bcr  ©emeinbe  nannte.  Sebenfallö  leiftcte  biefe 
aWa^nung  fein  ©egengcmic^t  gegen  bie  möglid^cn  feparatiftifc^n 
Folgerungen  auö  feinem  SSortrage.  gur  Untcrfud^ung  gejogen, 
befannte  er  t)or  bem  ©tabtminifterium,  bafe  er  unter  bem  (Einfluffe 
üon  E^riftian  Slnton  {Römeling^)  bie  aufregenbc  $rcbigt 
gehalten  fiabe.  SJiefer  9)lann,  wa^rfd^einlid^  au^  ber  ®raff(^aft 
^o\)a  im  üurfürftent^um  ^annoüer  gebürtig,  Don  $aufe  auÄ 
Sut^eraner,  ttjar  t)on  1701  bi^  1710  ©arnifon^:^  unb  ©c^lofe* 
prebiger  ju  §arburg  gemefen.  $ier  war  er  etwa  1705  in  SBct* 
binbung  mit  einem  pietiftifc^en  Äreife  getreten,  beffen  ©cnoffcn 
fic^  be^  Slbenbma^l^  enthielten.  SlQmä^lic^  l^attc  er  nic^t  nur 
feparatiftifc^e  unb  d^iliaftifd^e  Slnfid^ten  gewonnen,  fonbcm  war 
in  ^nle^nung  an  3)ippel  ju  einer  pant^eiftifc^«naturaliftifc^en 
©efammtanfd^auung  gelangt,  an  welche  er  bie  praftifd^cn  %ox* 
berungen  ber  paffiDen  ©elaffen^eit  für  ben  ffiinjelnen  unb  ber 
SBußjuc^t  jur  {Reiner^altung  bcr  ©emeinbe  fnüpfte.  3^91^^^ 
erwartete  er  gerabe  1710  bie  ßcrftörung  ^abd^  b.  f).  berftirc^c, 
unb  bag  Auftreten   beö  Slntic^riftö,   bie  SBcbingungcn  für  bie 


1)  SBgl.  üBer  t^n  S^Iofe,  d^^r.  91.  gtSmeltng'S  fieben  unb  Se^re,  tlUt 
bte  pteti{Hi4en  Seioegungen  in  Harburg,  in  S^itf^^ft  f ttr  ^iporifd^e  X^eotofiie 
1863.    6.  204—226. 


447 

9iQ^c  bcö  taufcnbiöl^rtgcn  JRcic^ö.  SBaJ^rfd^ctnUd^  ift  er  fd^on 
1711  nad)  Sörcmcn  gclommcn,  tt)o  er  freiließ  fid^  in  bcr  ©tiüc 
^iclt,  ober  o^ne  ä^^^^fct  ^uc^  mit  anbeten  empfönglid^cn  @c- 
müt^ern  außer  ®etrt)  in  SBerbinbung  getreten  ift.  S)ann  ift  e§ 
aber  auc^  me^r  alö  ttja^rfd^einlid),  baß  Sampe  in  feinen  ffiin=: 
roirfungen  ben  Sniaß  fanb,  in  ber  ©c^rift  über  bie  SBorrec^te 
bcö  3uba§  ber  ®efa^r  beö  ©eparati^muö  unter  ben  ^rtommen 
cntgcgenjutreten.  3)iefen  ©tanbpuntt  mu§  er  auc^  Don  uorn 
herein  eingenommen  ^aben.  S)eun  für  ©oebcl'ö  Scfiauptung  *), 
Sampe  fei  mit  ben  @runbfä|en  be^  £ababidmuS  befreunbet  unb 
Anfang«  felbft  ber  ©efa^r  beö  ©eparatiömu«  auögefe|t  gett)efen, 
crft  burc^  ben  SSerlouf  bcr  Slngelegen^eit  3)etrt)'«  ^obe  er  ben 
©ebanfcn  gefaßt,  baö  bi«  ba^in  me^r  außer  alö  in  ber  Äird^e 
ftc^cnbc  neue  fieben  in  biefelbe  einzuführen,  finbc  ic^  nirgenb« 
ein  ä^^fl^iß-  ®ic  le|tere  Angabe  inöbefonbcre  ^at  fi^  ©ocbel 
nur  beö^alb  abgettjinnen  fönnen,  ttjeil  er  bie  nicberlänbifd^e  SReilie 
bcr  pictiftifc^en  ©rfc^einungcn  nic^t  über  Sababic  l)inaug  uer* 
folgt  ^at.  ©enn  baSjenige,  toa^  er  ^ier  ald  Sampe'g  fieiftung 
bcjeid^nct,  ift  fd^on  burc^  SBitfiu«  unb  SBilbelm  SBrafel  entfd^ie* 
ben  tt)orben.  ©ofcrn  fid^  Sampe  auf  biefe  Vorgänger  ftfi|te,  ift 
er  gar  nic^t  in  bie  SSerfuc^ung  burc^  ben  Separatismus  gcfommen ; 
unb  bcr  ^ietiömuS,  ben  er  mit  if)nen  gemein  f)at,  ift  t)on  Anfang 
an  mit  bem  Slnfpruc^  auSgeftattct,  bie  ^errfc^enbe  ©teDung  in 
ber  reformirten  Äirc^e  ju  befiaupten. 

§ingegen  gehörte  {Römeüng  ju  ber  klaffe  Don  ^ietiften 
lut^crifc^er  ^erfunft,  welche,  wie  Sörafel  (®.  302)  rügte,  fic^  mit 
allen  möglichen  ^eterobojieen  mt)ftifcf)er,  ent^ufiaftifcf)er  unb 
namentlich  bö^miftifc^er  3lrt  einließen.  SSon  folc^em  3"fo|  l)ötte 
fic^  ber  nieberlänbifcf)e  ^ietiömuS  burc^auS  rein  erhalten.  3n^ 
bcffcn  neben  SRömeling  ^aben  \vix  unS  ^od^mannS  (@.  422)  5U 
erinnern;  Seibe  finb  befliffen  gettjefen,  i^ren  »unberlic^en  unb 
firc^enfeinblic^en  Crmcrb  in  bie  beutfc^en  reformirt^pietiftifc^en 
ftreifc  l^ineinjutragen.  Slber  baS  ift  bie  Vergeltung !  S)er  $ietiS^ 
muS,  welcher  in  ber  reformirten  Äird^c  ein  gewiffeS  §eimatl)S* 
rcd^t  bcfi|t,  unb  baffelbe  trofy  feiner  ftarfen  äbttjcic^ung  t)om 
CalöiniSmuS  nid^t  üerfc^eräte,  inbem  er  bem  uoDen  Separatismus 
entgcgcnnjirfte,   I|at  in  ber  ju  feiner  ?tufna^me   gar  nid^t  bis* 


1)  «.  a.  0.  6.  403.  424. 


448 

ponirtcu    lut^crifd^cn    Äird^e    junäd^ft    bcn  ©c))aratiömug  unb 
bie  cntf)ufiafttfd^c  ^eterobojic  jur   f^olg^t   gel^abt.    2»it  bicfen 
Gegengaben   fachten  fic^  nun   lut^erifc^e  petiften  ben  Dorbilb* 
lid^en  reformirten  Greifen   ertenntUd)  unb  banfbar  ju  bctoeifcn! 
3m  üorliegenbcn  gaüe  erfolgte  gleid^jeitig  mit  5)etrt)'§  ©Ui^t>enfion 
Dom  amt   bie  SSemeifung  uon  SRömeling  au§  Söremcn.    Scncr 
aber  üerftanb   fic^  mü^fam,  unter  bem  ßurcben  Don  Sampc,  ju 
einem   Dom  SKinifterium   auferlegten   3Biberruf.    Seboc^  enthielt 
er  fic^   fortan   beö   Slbenbma^U   unter  bem  Sßortoanbe,  bafe  er 
burd^  einige  Slmt^brüber  oufg  5Reue  gereift  ttjorben  fei.    ©ein 
©roll  ttjurbe  o^ne  3^^^^^  baburd^  genährt,  bog  er  ben  SEBibcr* 
ruf  al^  eine  ©emaltt^at  gegen  feine  Uebei^eugung  empfanb,  unb 
ba§   er  bie  SSerbinbung   mit  JRömeling  fortfefyte,  ber  injwifc^cn 
JU  Seer  in  Dftfrie^Ianb  Unruhe  geftiftet  fiattc  unb  öou  ba  Der* 
liefen   nad^  fieiben   gegangen    mar.     ^uvdj  einen  Sonfliet  mit 
feinem  ^aftor  jog  3)etr^   fic^   Don  Sleuem  bie  ©uöpenfion  unb 
im  5)ecember  1715  bie  3lmtöentfefeung  ju.  Swflt^i^  empfing  auc^ 
Sampe  Dom  SRatl^e  einen  9Sermei§  toegen  ^erauögabe  feiner  ©c^rift 
über  ben-'Suba^.    Unb  nic^t  mit  Unred^t.    5)enn  biefe  ©c^rift 
loar    iebenfallö   ein    9lnla§    ber   burd)   ©etr^   ^eroorgerufenen 
©c^mierigfeiten  unb  ©törungcn  beö  fird^lic^en  g^iebenö.     Sieben 
ben  Sonfticten,  bie  eben  berührt  morben  finb,  ging  aber  nod^  ein 
©^riftmec^fel   ^er,  ber,  mie  ade  feineö  ©leieren,   nur  peinliche 
©inbrüde  ^erDorgerufen   f)aben  fann.     3""öc^ft  trat  SRömeling, 
gegen   melden  fiampe'g  ©c^rift  inbirect  gerichtet  toax,  mit  einer 
©egenfd^rift  auf:  SJtöt^ige  anmerfungen  Don  bem  ^rebigtamt  unb 
ber  9lbfonberung  über  ^^ilabelpl)i  ^4J^otii  I)erauögegcbene  ©rofee 
SSorred^te  bed  unglüdlid^en  ^poftcld  3ubad  Sfc^ariotS,  aud  auf« 
richtiger  Siebe,  jum   gemeinen  Seften  ber  Äirc^e  entworfen  Don 
S^riftian   Stnton  {Römeling,  1714.     darauf  antwortete  Sampe: 
öetrüglid^eö  Srrlic^t   in  SRömeling'^  ©c^rlften  unb  fonbcrlic^  in 
feinen  nöt^igen  Slnmertungen.     Qm  SBarnung  unb  Söcfeftigung 
einiger   Dertoirrten  unb  manfenbcn  ©eelen  entbedt  Don  ^riebrid^ 
äbolf  Sampe,  1714.    3n   biefer  ©d^rift  maren  auö  Siömeling'« 
©c^riften  51   irrige  ©äfee  gejogen,  meiere,  menn  auc^  t^cilmcife 
migDerftanben   ober  übertrieben,  bod^  ben  ©tanbpunft  i^rc<^  Ur* 
fiebert  beutlic^  genug  erfennen  laffen ').    hiergegen  richtete  nun 

1)  §tio\t  a.  a.  0.6.221-225  ffai  fif  nebft  ben  emfittfinfenben  ^t%w 
bemerfungen  üon  ^tixtf  mitget^etlt. 


44Ö 

3)ctr^,  »clever  1716  ^ofprebigcr  bei  bcr  Slcbtifpn  üon  §crforb 
gcttjorbcn  toar,  eine  ©egenfdirif t :  Äurjje  Sekuc^tiing  bcig  betrüg:^ 
liefen  Srrlid^t^  quo  SRömeling'ö  ©c^riftcn,  1717.  SBorauf  fiampe 
cnoiberte:  Äurje  Urfad^en,  tuarum  auf  S)etr^'^  Äurjc  8eleud)tunfl 
u.  f.  tt).  nic^t  geantwortet  wirb,  einmal  für  allemal  angeseigt, 
1717.  ffiinen  bittern  SRac^gcfc^mad  für  Sampe  ^atte  bie  Stnmi:^ 
f(^ung  5)etr^'ö  in  bicfen  literarif^cn  Streit  noc^  burd^  folgenben 
Umftanb,  weld^en  er  in  ber  SJorrebe  jum  britten  Il^eil  beS 
„©nabenbunbeö"  berül^rt.  %l^  eö  bei  bcr  erften  ©udpenfion 
3)etr^'g  barauf  anlam,  i^n  ju  bem  SBiberruf  ju  beftimmen,  ^atte 
ßampe,  ber  im  auftrage  beö  SKinifteriumö  mit  i^m  Derlianbelte, 
i^n  fd^on  für  ben  ©d^ritt  gewonnen,  olö  jener  plöfeli^  aUeö 
roieber  jurüdnalim,  weil  er  im  ©inne  ber  Goncipientcn 
bic  gormcl  nic^t  unterfc^reiben  fönne.  Slun  ^atte  i^m  fiampe 
in  ©ile  jwifd^en  onbcren  ©efc^äften  brieflich  Dorge^alten,  ia^  cö 
barauf  in  allen  folc^en  3!)tngen  nic^t  an!omme,  ba  o^ne  Stllwiffen^ 
^cit  man  niemals  bie  3Reinung  aUer  Soncipienten  üon  fird^lid^en 
SSerpflid^tung^formeln  fenncn  fönne.  5)iefer  biplomatifc^e  Slatl^ 
tl^at  auc^  bamalö  feine  SBirfung.  3n  ber  ©treitfc^ift  gegen 
fiampe  ^atte  nun  aber  3)ctr^  ben  ©rief  fiampe'^  abbrudcn 
laffcn,  unb  it)n  aU  ein  S^wß^ife  feiner  Une^rlic^teit  in  firc^lid^en 
3)ingen  gebeutet,  ©eöl^alb  fab  fic^  fiampe  genöt^igt,  bie  (Kn« 
fd^ränfung  l^injujufügen,  Welcf)e  in  bem  Srief  nid^t  au^gcfprod^en 
war,  nämlid^  ba§  e^  fid)  bei  allen  firc^lic^en  SSerpflic^tungöfor:^ 
mein  ftet^  um  ben  notorifd^en  ©inn  l^anbele,  ber  in  ber  Äird^e 
gelte.  35iefe  Sinfc^ränlung  aber  war  in  bem  oon  ©etr^  mitge«* 
t^eilten  (unb  Don  fiampe  a.  a.  D.  wicber^olten)  I^eil  be«  Siriefc« 
au^  nic^t  beutlic^  vorbehalten.  2)cnn  fiampe  ^atte  baran  er« 
innert,  ba§  „fein  einziger  ^rebiger  bie  ©t)mbole  in  bem  ©inne 
unterfd^reibt,  bafe  er  fein  einjigcig  SBort  anber«  Quffaffe  aU  in 
bem  ©inne  ber  Soncipienten."  SJaß  nun  3)etr^  ben  Sirief  ge^ 
fälfd^t  l^abe,  wagt  fiampe  nid^t  ju  behaupten.  Änbererfeitö  aber 
wäre  eö  fe^r  ungerecht,  fiampe  einer  bewußten  g^cibeutigfeit  in 
iencr  ©ad^e  ju  jei^en.  SSielme^r  ift  biefer  Eonflict  nur  bie  ^robc 
bafür,  baß  befd^ränfte  unb  unfreie  ©emüt^er,  wie  33etr^,  aDcö 
simpliciter  unb  niemals  etwad  secundum  quid  t)erftel)en,  unb 
bag  alle  JBerfud^e  Dergeblic^  finb,  i^nen  baö  ®efüge  ber  SJer^ält« 
niffe  atö  relatiü  barjuftellen,  Weld^ed  fie  nac^  i^ren  Sebfirfniffcn 
alk  abfolut  berfte^en  wollen,  üller  ©eparati^mud  wurzelt  aber 
I.  29 


450 

barin,  baß  btc  rclatitoc  Urt  ber  ftrc^Iic^cn  Scjicl^ungcii  ni^t  ju- 
geftanben  tüirb. 

3n  bicfer  ^infid^t  nal^m  nun  ßampc  einen  bem  Qcpaxaü^ 
mnö   entgcgengcfcitcn    ©tanbpunft   ein.     a33ät)rcnb    Sobcnfte^n 
(©.  156)  ben  Sbftanb  jtoifc^cn  bor  unrettbaren  unb  ber  ftc^t^ 
baren  ^ird^e  ungültig  gemacht  ^attc,  untcrfd^eibet  Sampe  jwifc^en 
ben  Sejic^ungcn  ber  imücnbigcn  unb   ber  auöiocnbigen  Äirc^e. 
35ic  inttjenbige  ift  bie  enge  ©efeOfc^aft  bcrcr,  roel^e  nac^  einem 
ettjigen  Icftamcnt  ber  ffirtt)ä^lung  jur  ©emeinfc^aft  ©otted  unb 
ß^rifti  fo  fräftig  burc^  feinen  ®cift  berufen  finb,   bog  fie  »irt 
lid^  in  biefelbe  bem  Anfang   nac^   übergegangen   finb.    ©o  oft 
bie  Äirc^e  beö  91.  Z,  aU  eine  mit  ß^riftu<J  Verlobte  Sraut  ein* 
geführt   mirb,   ift  aUejeit   nur  bie  inmenbige  ju  t)crftet)en.    S)ic 
auöroenbige  Äirc^e  hingegen  ift  bie  au§  »a^ren  unb  auS  fc^cin* 
baren  ©liebern  gemifd^tc  ©efellf^aft  berer,  bie  nac^bem  fie  burt§ 
baö  3Bürt  beö  ©üangelium^  berufen  finb,  fic^  ju  ß^riftuö  befcnncn 
unb   bie  ©nabcnmittel   gebrauchen.     33er  geiler  beö  ©eparati^ 
mu^  befte^t  nun  barin,   baß  bie  au^ttjenbige  Äird^e  fo  rein  wie 
bie  inttjcnbige  fein   foß.    dagegen   füt)rt  Sampe  au^,  1.  bag  bie 
SJermifc^ung  in   ber   au^menbigen  Äird^e  im  ffitnflang  mit  ben 
biblifd^en  3^"gniffcn  immer   beftanben  Iiat   unb    bcfteben  wirb, 
unb  becJ^alb  unöermeiblic^  ift,  ttjcil  bie  SBorftcIier  nid^t  üon  ®oti 
JU  §erjen^ünbigern  gemac£|t  finb;   2.  ia^  biefe  SBerorbnung  ber 
SBciö^eit  ©otteiB  entfpric^t,    xotH   baburc^   ber  äBert^   unb  bie 
SBirtungen   ber  SBicbergeburt  um  fo  beutlic^er  werben;  3.  ba§ 
bie  ffiinttjenbungen   ber  ©egner  o^ne  ®runb  finb.    Sampe  ift  ^ 
üöttig  ®mft  bamit,   baß  e^  nur  auf  bie  ®emi6f)eit  beö  änt^eiK 
an  ber  unfid)tbaren  Äird^e  anfommt.  3)enn,  fagt  er,  fein  3Rcnf(| 
fann  unfet)lbar  ttjiffen,  meldte  außer  i^m  fclbft  ma^r^aftig  ^lieber 
ber  innern  Äird^c  gettjorben  finb,   unb  ob  nic^t  foldje,  bie  niöit 
mit  gutem  gug   nur  für  aU'Smenbige  ©lieDer  galten  fann,  noij 
in  ben  Onabenbunb  fommen  ttjerben.     Äurj  fiampe  erflärt  \i^ 
mit  aller  ©ntfc^icben^eit  gegen  ben  Unfug,  baß  man  ben  ®naben«= 
ftanb   ber  Slnberen   ober  ba^  ®egentl)eil  beurt^eilen  bürfc.   ^ 
f)at  biefer  Uebcr^eugung  Slu^brud  gegeben   lange  beöor  bie  eitt* 
gegengefefete  Stnfic^t  burc^  S8erfcl)uir  unb  burd^  Srud^cru^^  ^^^ 
©d|ortingI)ui^  (©.  337)  i^re  breifte  unb  plumpe  ©egrünbung  e^ 
fahren  bötte.    @^  ift  flar,  baß  bie  SSerfuc^ung  ju  biefem  JJefll« 
mit  ber  Slbfonberung  ber  ^eiligen,   welche  ja  au^  Sompc  tjot* 


451 

fd^reibt,  auf  ba«  Sngftc  ücrbunbcn  ift.  Uitb  ijat  ntd^t  Sompc 
felbft  in  ber  ß^arafterij'tit  bcr  Suba^brfibcr  ba§  gartgcfü^I  Der* 
Ic|yt,  iDclc^c^  er  in  bem  „©nabenbunb"  bei  ber  f^ftematifc^en  Söc^^ 
urt^eilung  beö  ©eparatiömuö  [o  ttjo^lt^uenb  bejeugt?  SBie  fcl^tt)cr 
alfo  ift  e^  and)  biefem  ernften,  auf  Heiligung  bcbad^ten  SKanne 
getoorben,  feiner  allgemeinen  Ucberjeugung  gemäg  im  befonbern 
galle  ju  urtt)eilcn!  Unb  inbcm  er  jugeftelit,  baß  bie  äußere  ®e* 
ftalt  ber  Äirc^e  in  feiner  ßcit  noc^  lange  nic^t  bie  bunfelfte  ift  *), 
fo  meint  er  eigentlid^  boc^  nur,  bag  bie  im  3Badö§tl)um  begriffene 
©rf^einung  beö  innerfir^lic^en  ^ieti^muö  ber  ©e^ieic^nung  ber 
Äirc^e  ate  93abel  entgegenjutialten  fei,  biefc  ffirfd^einung,  in 
toelc^er  fo  t)iele  SRcije  jum  Separatismus^  rege  ftnb! 

lieber  bie  fc^njeren  SKängel  in  ber  gegenwärtigen  Sage  ber 
fiird^e,  xocl6)c  Sampe  unmittelbar  anfnüpft,  erl)ebt  er  fid^  burd^ 
bie  ffirttjartung  be«  taufenbjä^rigen  SRcic^eS*).  3nbem  er  ber 
bon  (SoccejuS  aboptirten  Sered^nung  ber  fiebcn  SBeltjciten  ber 
Äird^e  folgt,  ttjelc^c  fc^on  burd^  bie  ©int^eilung  beö  ©d^öpfungiS^ 
werfet  üorgcbilbet  finb,  bejeid^net  er  bie  Olüdfeligfeit  jeneS  fie^ 
beuten  3^*^^^""^^  ^^^  ^'c  SBermal)Iung  jttjifd)en  ßftriftuS  unb 
feinem  neuen  SSolf,  unb  als  eine  fuße  JRui^e  beS  SSoIfeS  in  feiner 
Äirc^e.  ffir  rechnet  baS  taufenbjä^rige  SReic^  unb  baS  neue  3eru= 
falem  in  ®inö.  Slbcr  ä^nlic^  wie  fein  fiel^rer  ßampegiuS  SJitringa 
(©.  294)  läßt  er  bie  ffirfd&einung  beS  Sntic^rift  üorl)ergel)en  in 
ber  ©eftalt  wilber  SSölfer,  meldte  bie  wa^re  unb  bie  falfc^e  Äird)e 
treffen  werben,  wöl^renb  bie  proteftantifc^en  Dbrigfeiten  noc^ 
gleichgültiger  wie  jefet  baS  unterbrüdte  ß^on  im  ©tic^  laffen 
Werben,  aber  Wenn  biefe  fcinblid)e  HJladjt  gebro^en,  ber  %nxU 
unb  baS  ^apftt^um  mit  ber  ©tabt  {Rom  Dernid^tet  fein  wirb, 
bricht  bie  l^crrlid)e  3^^^  on,  in  wcld)er  bie  Sln^änger  beS  $apfteS 
aümä^lid^  jur  wal^ren  St\xd)t  übergeben,  bie  Reiben  fid^  bem 
gleite  be«  9)ieffiaS  unterwerfen  unb  fd)Iießlid^  ganj  Sfrael  feiig 
werben  wirb,  um  bann  nac^  ^aläftina  geführt  ju  werben.  Auf 
baS  taufenbjä^rige  SReic^  folgt  eine  neue  Serfu^ung  ber  Äircfte 
burd^  ben  ©atau,  bonacft  baS  @erid)t.  S)iefe  ?tuffaffung  ber 
©ad^e   trägt   bie  garben  beS  EoccejuS  (©.  144)  unb  jwar  in 


1)  dnabenBunb  3.  Z^t'xl  8.  792  ff. 

2)  «.  a.  0.  1.  ^til  6.  172  ff.  3.  tfteil  6.  819—876. 


452 

t)ert)ä(tntgmägig  gtögerer  Xreue  aU  bte  paraQelen  SuffteQungen 
öon  SBil^cIm  SJrafcl  (®.  293). 

S)tc  ©rcnje  gegen  bie  ©cparatiften  unb  ffint^ufioftcii,  rocld^e 
Sampe  überhaupt  innegehalten  t)at,  jie^t  er  auä)  ganj  6efttmmt 
burc^  feine  SBibcrIegnng  bcr  Sef)re  t)on  bcr  SSBieberbringung  *). 
S)iefelbe  xoax  burd^  $eterfen  unb  fiubroig  ®erf|arb  bamatö  jur 
lageöfrage  crf)oben   ttjorben.     Slllcin  wä^renb  biefc  bcn  birect 
entt|u[taftifc^en  @inn  ber  Sc^re  vertraten,  tt^oren  glei^i^eitig  andf 
anbete  ®egner  ber  (Eroigfeit  ber  ^öUenftrafen  t)or^anben,  melc^ 
in  aufßärerifc^er  SBeife  mctap^^fifd^e  ®rünbe  für  bie  ©nblic^feit 
ber  menfc^lid^en  ©cele  vortrugen  unb  ^ierauö  bie  ©clbftjerftörung 
ber  Söfen  ableiteten,  namentlid^  ber  ©ocinianer  SBo(jogen,  SBa^Ie, 
^obbe^,  X^ontad  S3urnet,  ^obn^eQ.    Snbem  nun  Sampe  aUe  btefe 
®egner  bcrücffic^tigt,   fo  ift  er  boc^,   gemäß  ber  Sorrebc  ju  ber 
beutfd^en  Ueberfegung,  ^auptfäd^lid^  burc^  ben  ©ebraud^  proDocirt 
n)orben,  roclc^en  bie  auS  ber  lut^erifc^en  ßirc^e  entfprungenen 
©eparatiften  üon  ber  Se^re  ber  öcte^rung  beö  leufcU  unb  bcr 
öerbammten  SJienfc^en  machten.    @egen  fie  finb  bie  meiftcn  8r^ 
gumente  aud  ber  ©c^rift  unb  aud  ber  SSernunft  gerichtet,  bie  et 
jufamnienftent.    3^0^^^^  ttjiberlegt  er  ben  ©ebraucö,  toeld^en  bie 
®egner  Don  einer  unglaublichen  Qa\)i  Don  ©c^rtftfteQcn  ma^en, 
unb   bie  begleitenben  SSernunftgrünbe  berfelben.     3)iefe  ©cftrift 
bient  ebenfo  toic  biejenige,  n^eld^e   er  gegen  Siömeling  gcrid^tet 
^at,  aU  B^^S^iB  bafiir,  bag  fiampe  n^ie  ä3rafel  unb  bie  übrigen: 
Slicberlänbcr  beftrcbt  war,  bcn  ^ßietiömug  unücrtoonen  mit  bcii: 
Slbmeic^ungen   ju   galten,  toelc^c   in  ^eutfc^lanb  avS  bcm  Donc;- 

$ietidmu0  befrud^teten   S3oben   bed  fiutt|ertl)um^  auftt)uc^erten. 

Db   eö  if|m  gelungen  ift,   baö  ©cbiet  bed  rcformirtcn  ^ietiSmui 
burc^aud  oor  bem  (Einbringen  biefer  frembartigen  (Elemente  ji 
fc^üfeen,  ift  ju  bejtt)cifeln.   Ucbrigen§  aber  mu§  Sampe'g  (Sinn)ir*= 
fung  auf  bie  reformirte  Äird^e  in  ben  SRieberlanben  tt)ic  in  S>cutfc^«= 
lanb  unb  ber  ©c^meij  fe^r  groß  gett)cfcn  fein,    ©eine  Serufunj 
nac^  Utrecht  bcn)eift,  bag  man  i^n  in  bcn  9heber(anben  aU  bi 
DoDbürtigen  SJertreter  ber  cinl)eimifc^cn  Ideologie,  bcren  Süngcr^ 


1)  ^te  beiben  2)i{fertationen,  toel^e  f^on  @.  408  angtffl^tt  flnb, 
Sampe  1728,  alfo  na4  feiner  UüdU^x  au§  Utre^t  nac^  Bremen  üer5ffentlt4'  - 
S)ie8  ergiebt  ft4  auS  ber  !Sorrebe  gu  ber  beutf^en  Ueberfetung :  Stoet  Ser^oidCT' 
lungen  über  bie  ^toigfeit  ber  Strafen.    Bremen  1729.    Stoeite  9ttf[.  1733. 


453 

er  toax,  anerfonnte.  Unb  feine  beutfd^ett  ©d^riftett  ffaien  andf 
Ueberfegungen  in  bie  ^oQänbifd^e  ©prad^e  erfahren.  3n  S)eutfc6' 
lanb,  namentlich  am  9lieberr^ein,  aber  aud^  in  ber  ®djtot\i 
famen  feine  ^atec^i^men  ju  fo  ufhfaffenber  Geltung,  bag  fie  fogar 
bem  §cibelberger  ^ated^i^mu^  Soncurrenj  mad^ten.  2)aiS  größere 
SBerf,  ein  Slui^^ug  aud  bem  @e^eimnig  bed  ©nabenbunbeiS,  t)at 
ben  %iid :  (Einleitung  5U  bem  ®el)eimnig  bed  ©nabenbunbeiS,  ber 
nac^  ber  Dernünftigen  3RiId^  be^  SßorteiS  @otte^  begierigen 
Sugenb  5um  9lu^en,  unb  indbefonberc  benen,  bie  jum  l^eiligen 
!lbenbma]^(  foQen  jugelaffen  n^erben,  ^ur  bequemen  Anleitung 
entn)orfen.  9lebft  einem  Slnl^ang:  @rfte  Sßa^r^eit^milc^  ffir  ©äug« 
linge  an  Älter  unb  SJerftanb  (1717).  gerner:  aWilc^  berSBa^r* 
^eit,  nad^  Einleitung  bed  ^eibelbergifd^en  ^atec^idmud,  jum  9lu|en 
ber  lernbegierigen  3ugenb  aufgefegt  (1718).  Söeibe  SBfic^er  finb 
fel^r  oft  unb  an  üerfc^iebenen  Orten,  baö  le|tere  big  in  ben  An« 
fang  beö  19.  Sa^rJ^unbert«  aufgelegt  ttjorben.  Sticht  minber  ^at 
feine  ^rebigtweife  fiber  imi  TOenfd^enalter  nad^  feinem  lobe  bag 
JBorbilb  für  bie  ber  reformirten  SRec^tgläubigfelt  an^angenben 
^rebiger  abgegeben,  älö  Sampe'g  Urcnfel,  ©ottfrieb  SDienfen 
1792  in  ©uiöburg  ftubirtc,  l^at  er  an  ber  mec^anifc^en  Art,  in 
»cld^er  bag  üKufter  jener  ^rebigtttjeife  unter  ben  reformirten 
^rebigern  am  Sliebenl^ein  nadjxoitttt,  ebenfo  tt)ie  an  bem  bog* 
matifd^en  ©runbt^puiS  ber  @rtoä^lungiSle^re,  nac^  bem  man  fid^ 
richtete,  änftog  genommen. 

3nnerl)alb  ber  pietiftifd^en  ©ucceffion  öon  SSoet  unb  ßocce* 
ju«  nimmt  Sampe  eine  nic^t  minber  l^erDorragenbe  ©teile  ein 
atö  Sobenfte^n  unb  SBitfiud.  3n  praftifc^em  l£ifer  unb  Srfolg 
nähert  er  fid^  ber  Sebeutung  be^  (Srften,  in  tl^eologifc^em  Ser* 
bienfte  reid^t  er  bem  Änbem  bie  ^anb.  Snbcm  er  in  bie 
eigentpmli^en  SSirfungen  beiber  eintrat,  unb  fic^  auf  ftc  ftü^te, 
^at  er  üieüeic^t  bireet  einen  umfangreicheren  Sinflug  aui^efibt, 
aU  jene  Vorgänger.  3)iit  i^nen  üerglid^en  l|at  er  i^rem 
gcmeinfamen  tl)eologifc^en  Sinnen  ßocceiuö  me^r  gelb  gewonnen. 
S)enn  fiobenfte^n  ^at  ton  bemfelben  nur  bie  jugleic^  ibealen  unb 
et^ifc^^praftifd^en  ?lnfprücf)e  an  bie  Äird^e  überfommen;  SBitpu« 
^at  iugleic^  bie  föberaliftifc^e  ^Betrachtung  ber  ^eilögcfc^id^te, 
loelc^e  er  t)on  Soccejud  übernahm,  ber  SSoetianifc^en  Sied^tgläu« 
bigfeit  accommobirt,  unb  beren  fd^olaftifc^e  ©ebanfenjerfplitterung 
bur^   bie  lebenbige  Snfc^auung  Don  bem  gefc^ic^tlic^en  ©anjen 


454 

ber  SicUgion   corrigirt;    fiampc    enblid^    l^ot    qU   aut^eittifd^et 
Eücccjancr  tu  bcr  Ideologie  bem  t)on  SBoct  abftammcnbcn  Äreifc 
bed  Sontoentitelc^nftcnt^umd  ba^jenigc  3}la^  üon  Unbefangenheit 
beizubringen  Derfuc^t,  meld^eS  SoccejuS  in  ber  S)eutung  bed  ®ab^ 
batl)^  ate  d^riftlic^er  Drbnung  üertrot.    SSBie  mcit  i^m  ba^  ge* 
lungen  ift,  muß  unentfd)ieben  bleiben;  aßcin  in  biefec SJejie^ung 
I)Qt   er  SBitfiud  tt)ie  fQiakl  gegenüber  ^arbe  befannt.    ^iemoc^ 
ift  ju  ermeffen,   ob  ber  neufte  SBiograp^  borin  SJed^t  i^at,  Sampe 
Qtö  „c6)t  calüinifc^   reformirten  Ideologen"  ju   bejeic^nen,   bcr 
boc^   nic^t   „ein   äßann   ber  bogmatifc^en   ©cf)Qblone    unb  ein 
Änec^t  beö  firc^lic^en  ^erfommcnö"  geroefen  fei  *).    Die  letzteren 
^räbieate  fommen  i()m  aUerbingd  nic^t  ju.    @in  fo  felbftänbiger 
unb  (^araftcrüoHer  SRonn  ift  niemals  Änec^t,  fonbern  ift  in  bcm 
©toffe,  ben  er  fid^  angeeignet,  unb  auf  ben  er  fid^  cingefd^ränft  ^ot, 
ein  ^err.  Slld  Sieget  ferner  \)at  Sampe  manche  @c^ritte  get^an,  um 
bie  @eltung  ber  bogmatifc^en  @d^abIone  für  bie  @d^riftaui^legung  ju 
mäßigen;  übrigen^  Ratten  bie  regelmäßigen äJtagftäbe  ber  3:^eologie, 
benen  er  fic^  unterttjarf,  ju  feiner  ßeit  nod)  i^r  üoUeö  gefc^ic^tlic^e^ 
®cXDidlt,  unb  toaren  nod|  nid)t  fo  bünn  unb  fo  brüchig  gemorben, 
baß  fie  für  i^n  bie  Öebeutung  einer  ©^ablone  Ratten,  wie  für 
bie  SRad^treter  im  19.  3al|r^unbert.     SUein  ber    Ealüini^mud 
Don  fiampe   fann   nur  bann   für  ed^t  ausgegeben  werben,  toena 
man  nic^t  weig,  meldte  Stbmanblungen  ber  Sabinidmud  in  bent 
5ßietigmuö  erfahren   ^at,   unb   toAdjc  frembartigen  SWotiöe  bei^ 
grömmigfeit  aud^  für  fiampe  in  bem  iRa^men  ber  ^eildorbnungt^ 
©alüin'ö  gültig  geworben  finb.  3d()  meine,  baß  cS  feine  unerhört 
ßumut^ung    ift,   ben   erften  X^eil  Don  fiampe'd  „@nabenbunb 
mit  ben  entfprec^enben  Eapiteln  Don  EalDin'18  brittem  Suc^c  b 
„Unterrichts  in   ber  c^riftlidien  ^Religion"  ju  Dergleid^en,  beüo 
man  ein  Urtljeil  über  bie  Sd^t^eit  Don  fiampe'S  (SalDinidni 
auSfpric^t. 


1)  2:5clemann  S.  18<n 


455 


21.   (Stttfath  2:erftee0ett. 

S)cr  eDQngcIifd^e  ^iettgmuö  in  bcn  Sliebcrlaitbcn  unb  in 
Slorbbcutfc^lanb  ^attc,  tt)ie  fid^  tt)iebcrl)oIt  gegeigt  l^at,  feinen 
aintrieO,  fid^  öon  bcr  Stixdjt  ju  trennen,  üiclmc^r  leitete  i^n  ba« 
SBeftrcben,  bic  Äird^c  ju  bel^crrfc^en.  S)ie  eifrigen  unb  Diclfad^ 
d^aratteröotlen  ©ciftlic^cn,  njeld^e  i^n  überall  Vertraten,  burften 
in  bem  crftcn  SSicrtel  bcg  18.  3a^r^unbertö  eine  ftarfc  9Ser* 
mel)rung  i^rcr  ©efinnungögenoffcn  in  i^rem  ©tanbe  maftrnelimcn, 
unb  fd)cuten  fi^  njie  Sompe'g  SJeifpicI  bcroeift,  nic^t,  biejenigen 
Smt^brübcr  burd^  übertreibenbe  Sifigen  einäufd^fld^tcrn,  »eld^e 
i^nen  abgeneigt  ttjaren.  ©ie  I)attcn  über  biefc  ©cgncr  fd^on  ba* 
burcft  einen  SSort^eil,  baß  [ie  felbft  im  JBorbringen  begriffen, 
bie  ?lnbern  aber  auf  bie  Haltung  ber  Äbtoe^r  befd^ränft  toarcn. 
3cboc^  gang  gcfid^ert  unb  burc^au^  übernjiegenb  loar  i^rc  ©tet 
tung  in  ber  Äir^e  feine§tt)egcg.  3)er  I)albe  ©eparati^mu«,  auf 
ben  fie  fic^  alö  gü^rer  bcr  Eonüentifel  einfc^ränften,  inbem  fic 
bie  Sneformabilität  bcr  Äirc^e  im  ®angcn  gugeftauben,  tt)urbe 
me^r  unb  mcl)r  burd^  biejenigen  fiaicn  bebrol)t,  welche  bie  ßapi:* 
tulation  mit  bem  babt^lonifc^cn  3"ftönbc  ber  Äircftc  ju  ©unften 
beg  öoHen  ©eparatiömu^  t)erfc^mäl}ten.  Daß  folc^c  3Bü^lercten 
bamatö  in  bcn  Äreifen  bcö  nieberlänbifd^cn  5ßietiSmuö  Dorlamen, 
ift  crttjä^nt  tt)orben  (©.  318).  ffiinc  beutlid^erc  SBorftcUung  ge* 
iDtnnen  mir  t)on  ä^nlic^cn  Srfc^cinungen  am  9lieberrl)cin.  S)ie 
t)on  fiababie  ausgegangenen  Sinmirfungcn  feparatiftifc^cr  Slrt  in 
SBcfcl,  9Rül^eim,  Duisburg  unb  anbcren  Orten  fd^eincn  fic^ 
aUerbingö  im  17.  3al)r^unbcrt  erfc^öpft  ju  ^abcn.  SBenigftenS 
mag  SKüI^cim  an  bcr  9iu^r,  ben  burc^  Untcrc^d'18  SBirfen  auS* 
gcjcid^ncten  Sorort  beö  ^ictiömuiS  betrifft,  fo  fc^eint  bort  im 
crftcn  SJicrtel  bcö  18.  3a^r^unbertö  bie  bominircnbc  SRic^tung 
eine  mo^lt{)ucnbc  unb  unanftößige  ®cftalt  bcl^auptct  ju  Ijabcn; 
bic  bur^  ^einrid^  ©c^Iütcr  (©.  380)  im  3a^rc  1670  bafelbft 
hervorgerufene  ©ä^rung  fdicint  burc^  bie  ©orgfalt  ber  ^aftorcn 
üönig   bcfc^tt)id)tigt   morben   ju  fein.    3u   einem  ©riefe  ^)   über 


1)  a)2li0et^eUt  in  g.  3B.  j(rumma4er'8  ^almMfittern  1845.  6.222. 


456 

«Ibcrt  aSBil^elm  SWelc^ior,  toclc^cr  1708—1717  ^rcbiflcr  in 
äRfil^eim,  bonac^  in  ^anau  n^ar,  tt)irb  i^unäc^ft  ernannt,  nad^ 
beffcn  eingaben  fei  cö  burd^  Unterere!  unb  ftnbcrc  bal^in  gcfommcn, 
bog  nic^t  allein  eine  groge  )SnjQ^l  tt^aljrer  frommen  fid^  in 
aWüI^eim  befanb,  fonbern  bafe  anä)  bie  Anbeten  mciftentl^eite 
eined  ftillen  ruhigen  @)emüt^iS  unb  SEBefend  roaren.  @o  fc^ien  bicfe 
©emeinbe  ein  ÜJiufter  unb  SBeifpiel  ber  Qviä)t  unb  ©ottfeliflfeit 
}u  fein,  ^örte  man  etroa  ^anbmertd«  ober  Stcferteute  fomo^il 
fünft,  aU  tt)enn  fie  bei  ber  Arbeit  toaxen,  Sieber  fingen,  fo  n)Qren 
foId^eS  nid)t  ruc^lofe  unj^üd^tige,  fonbern  IjeiUge  aud  ben  $falmen 
5)at)ib'ö  ober  anberen  geiftlic^en  ©efangbüd^em.  SÄan  toflrbf 
nid^t  leicht  einen  gefunben  ^aben,  ber  nic^t  felbft  bei  feinem  be» 
fc^tt)erlic^en  lagettjer!  entttjeber  einen  Äated^i^muö,  ju  ben  bcbor* 
fte^enben  fatec^etifd)en  Uebungen  fic^  üorjubereiten,  ober  au(^ 
ein  anbereö  S8uc^  jur  bcftänbigen  Änftammung  ber  ©ottfdigfcit 
unb  Xugenb  bei  fid^  ge()abt  ^ätte.  @elbft  Heine  ^aben  unb 
SKägblein  fonnte  man  auf  bem  5^Ibe,  bei  ben  beerben  unb  8ic^ 
mit  fold)en  öerfe^en  antreffen.  Unfcr  ©cligcr  pflegte  ju  erjagten, 
bag  il^m  folc^ed  einmal,  ald  er  oon  ^anau  nad^  äJ{fil^eim  ge^ 
reifet,  ein  ungemein  erfreulid^er  ?lnblidC  getoefen  fei,  unb  er  eben 
auö  biefem  Äennjcid^en  roal^rgenommen  ^abe,  bag  er  fid^  bereite 
im  aKült)eimifd^cn  bcfinbe. 

Seboc^  ergiebt  fic^  auö  anberen    Umftänben,   ba§  ^intct 
biefen  ffirfc^einungen  beö  grieben^  unb  ber  Drbnung  noc^  wa^ren^ 
ber  Amtsführung  9Relc^ior'j3  in  9Küll)eim  ber  ©eparatiömud  feir*^ 
ftörenben  ffiinflüffe  auMbte.    3m  3a^re  1705  nämtic^  fam  §ocÄy 
mann  (®.  422)  mit  feinen  Söegleitern  an  ben  9licbcrr^ein,  ur^ 
^ielt  überall,  namentlich  in  Erefelb,  ffimmerid^,  SBefel,  ^niSbnr:^^ 
aWütl^eim  SSerfammlungen.  ffir  toiebcrl)olte  feinen  SBefud^  in  jei 
®cgenb  1710,   unb  bel)nte  feine  3Birffamfeit  aud^  auf  baiJ  $( 
äogtljum  Söerg,  inöbefonbere  auf  Solingen  unb  (Sl^erfelb  aud 
3n  9Jiülf)eim  aber  fefete  ein  üon  i^m  ertt)ec!ter,  b.  f).  feparatifli"^ 
gefinnter  Eanbibat  SB  i  l  ^  e  l  m  §  o  f  f  m  a  n  n  bie  üon  i^m  angeregl 
SJerfammlungen   o^ne   ®enc[)migung   beö  ^reöb^teriumö  fort    -^ 
^erfelbe  ^atte  fid)  ber  !ird)ltd^en  Drbnung  f^on  baburc^  entjog^^« 
ba§  er  bie  Unterfd^reibung  beS  ^eibelberger  Äatcc^iSmuS  unb  "^    b 


1)  ©oebcl  II.  @.  826. 

2)  ©oebcl  III.  6.  293. 


457 

Äirc^cnorbitung  t)ertt)eigcrtc.  3ni  3a  ^rc  1713  nun  filierte  baä 
^redb^terium  ju'  aßfil^etm  6ct  ber  Sutöburgcr  Slafftö  ^(age 
über  bcffen  Xljättgfeit,  bog  unter  bem  SBorgeben,  bad  toa^re 
ß^riflentl)um  ju  beförbcrn  ber  öffcntlid^c  ©ottcöbicnft  unb  bic 
übUd^en  Jiatec^ifationen  beeinträd^tigt,  bag  @ertngf(i^ä|ung  bed 
orbentlic^en  fie^ramted  unb  feiner  tJ^unctionen  tjerbeigefü^rt,  unb 
Trennung  angefttftet  roerbc.  S)ie  SEBarnung  unb  S)ro]^ung  ber 
(SjrcomniunicQtton,  n)e(cl^e  barauf  bie  (SlaffiS  erlieg,  unb  bie  du 
flärung  ber  Sleöifc^en  ©tjnobc  1714,  bag  ^offmann'ö  fie^rc  Dcr^ 
bäc^tig  fei,  frud^teten  nid^tö;  ebenfo  menig  bic  äBieber^oIung 
biefci^  Söefd^luffe^  im  folgenben  Sfl^re.  SJielme^r  bauertcn  biefic 
äJerfQmmlungen  fort,  unb  »urben  ber  @i|  einer  neuen  ©pecieÄ 
bcS  ^ieti^mud,  n)elc^e  i^re  (£igent^ümlicf)feit  in  ber  Slufna^mc 
ber  mobern  fatf)oIifd)en  quietiftifc^en  SK^ftif  funbgicbt.  S)iefe 
(Kombination,  t)or  n^etc^cr  SBil^elm  S3rafel  n)cnige  3at)re  torl^er 
gewarnt  l^atte  (@.  302),  ift  freiließ  gleichzeitig  unter  ben  ^ro* 
tcftanten  burd^  ©ottfricb  Ärnolb  unb  ^etcr  ^oiret  vertreten 
loorben.  SlUcin  jener  gehörte  bem  ®ebict  ber  lut^erifd^en  Äircftc 
an,  unb  bicfer  eliemalige  reformirte  5ßrcbigcr  ifi  Änttjeiler  in 
$falj«3n)eibrü(fcu  lebte  feit  1676  o^ne  fir^li^eö  «mt  in  §oU 
lanb  in  ber  9lä^e  ber  ^ourignon,  unb  n^ar  nur  literarifc^  für 
bie  (Jmpfc^lung  ber  SDi^ftif  tl)ätig.  ^offmann  alfo  I|at  juerft 
biefe  SRid^tung  in  bic  pietiftifd^en  Conöcntifcl  ber  rcformirtcn 
ftird^e  am  5Ricberr^ein  üerpflanjt.  5)ag  er  nämlic^  Anhänger 
ber  quietiftifc^en  Süt^ftif  gcmefen  ift,  lägt  fic^  an  ©oebel'ö  SKit- 
t^cilungen  au«  einer  t)on  i^m  üerfagten  ©d^rift  beutlid^  erfennen  0- 


1)  ®oeBeI  111.  @.  297  f.  fü^rt  als  S^rifien  i^offmann'8  an:  3n' 
»enbige  ®Iau6enS-  unb  StebeSüBung.  Tübingen  1724.  2.  fTufl.  1733  (ifl 
(^oebrl  nur  bem  2:iiel  na4  befannt);  ^er  letbenbe  S^rtfl,  tote  er  im  S^reu| 
übenoinbet,  ober  S^reu)«  unb  Sroftbü^Ietn,  morin  ge^nbelt  toirb  Dom  Urfpning 
ber  fieiben  inSgemetn,  be|onb<rS  aber  bom  ^e^eimni^  beS  j^reujeS  d^rtflt,  Don 
beffen  äBi^tigfeit,  92u^en  unb  SSortreffli^feit  als  einem  not^imenbtgen  SBege  gum 
(Eingang  in  baS  9{ei4  ber  ®nabe  unb  ber  ^errli^feii,  gronffurt  unb  Seipgig 
1735.  hieraus  ciiirt  C^otM  folgenbe  Sd^e:  „fieiben  ifl  je^i  mein  ®ef4fift, 
9[nberS  fann  i4  je^t  ni^t  t^un,  %(§  nur  in  bem  Seiben  ru^n;  fietben  muffen 
meine  Prfifte,  fieiben  ift  je^t  mein  O^eminnfi;  ^aS  ifl  je^t  beS  ^aierS  ^iOe, 
2)en  üere^r  i4  fanft  unb  ftifle,  Seiben  ift  mein  (S^otteSbienft*.  „3n  Summa, 
^er  ge^et  bie  Seele  bur4  fol^e  j^reu^ioege  toieber  in  ii^xt  reifte  unb  er^e^ar« 
monie  unb  Uebereinflimmung  mit  (S)oit  unb  in  i^re  be^5rige  Stelle;  nfimlid^ 
fie  bie  (Ireotur  in  i^r  ^Ir^tS,  (S^ott  aber  toirb  toteber  VQeS,  ia  «flef  in  90em 


458 

^offmann  ^ot  feine  ^trffamfeit  atö  ©tunbenl^alter  in  9RüI^eim 
bid  an  feinen  Xob  1746  fortgefe^t.  atQein  fc^oh  1725  l^at  er  in 
feinen  993irfunc{d!reid  einen  9(nbern  eingeffil^rt,  turc^  beffen  gleich« 
artige  ficiftungen  er  überboten  roorben  ift.  SJiefer  fein  S^S^inS 
toar  ©erl^arb  Sierfteegen. 

ffi^  ift  in  ber  Slrt  ber  gröntmigfeit,  »eld^c  lerftcegen  öer* 
tritt,  begrünbct,  baß  ber  ftille  unb  einfteblerifd^e  Sebenitocg  *), 
ben  er  gegangen  ift,  unb  ber  ©ebonfenfreiö,  ben  er  in  feinen 
Derfd^iebenen  Schriften  vorträgt,  fid^  burd^aug  becfen.  (Sr  ift 
am  25.  5Rot)ember  1697  ju  ÜÄeurö  geboren,  al«  ba«  jflngftc  ftinb 
eines  Äaufmann«J,  ber  mit  augtt)ärtigen  frommen  einen  ftarfen 
Sriefttje^fel  führte  unb  ber  ©ottfeligfcit  ergeben  war.  9lad^  bem 
frühen  %obt  beffelben  empfing  ber  ©oI|n  eine  geteerte  Silbung. 
3nbeffen  führte  i^n  biefe  Vorbereitung  nid)t,  tt)ie  ju  erwarten 
toax,  jum  afabemifc^en  @tubium  ber  X^eologie.  2)ie  äßittel 
ber  t)em)ittn?eten  äJJutter  reidjten  baju  nid^t  aud,  unb  er  n)urbe, 
15  3a^r  alt,  ^ur  Erlernung  ber  $^aufmannfd^aft  einem  ©d^mager 
in  ajZfil^eim  an  ber  SRu^r  ifbenoiefen.  ^ier  tourbe  er  aldbalb 
burc^  ben  Umgang  mit  einem  em)cctten  Saufmann  unb  burc^ 
befonberc  ffirfa^rungen  auf  feine  ©inncSänberung  geführt,  bic  er 
fel^r  ernftlid)  fucftte  unb  beömegen  gange  9iäc^te  mit  Sefen,  Seten 
unb  guten  Hebungen  gubrac^tc.  jförperlidd  fc^n)ad^lic^  unb  furcht« 
fam,  tt)ie  er  mar,  aber  energif^  in  feinen  (Sntfc^Iüffen  na^m  er 
Don  einer  üermeintcn  Sebro^ung  feinet  fiebenö  burd^  einen  Äo* 
lifanfad  ben  ^n(ag,  fic^  o^ne  ben  minbeften  SBorbe^alt  bem 
guten  @ott  ganj  ju  übergeben.  S)ie  äJcrbinbung  Don  @d^uc^tern« 
^eit,  SRcijbarfeit  unb  SBittenöfraft,  njcld^e  in  biefer  angäbe  bed 
Siograp^cn  erfd^cint,   ift  o^ne  ä^^U^I  ^^^   inbiDibuelle  ®runb 


bur4  eine  t>W%t  UeBergobe  unb  ^eilige  ^lei^gaitigCett  in  etilem,  in  fitebe  unb 
Seib,  im  fieben  unb  Sterben,  teie  ber  Qtxx  roifl.  Sie  fogt :  O  <!(ott,  nii^tl 
als  bi4  unb  beinen  3Biaen'. 

1)  Sgl.    bie    fieb(n§bef4reibung   beS  feligen  ®er(arb  2:erfieegen  in  bem 
britten  2:^eil  ber  »^eiftli^en  unb  erboultdtien  ^Briefe  über  ba§  inmenbtge  fieber 
unb  too^re  ®efen  be§   C^iriftent^iumS*  (2.  ^ufl.  epettborf  bei  aWüI^eim  a.  b 
fliu^r  1799j  S.  1—120.     3)iejer   autjentijdfic  i^eridfit  eine»  genauen  greunbf 
liegt   ben   anberen    5)orltcflungen   ju    ©runbe.    ©gl.  ferner  Äerlen,  (!kr^ 
Xerfteegen    ber   fromme  üiieberbi^ter   unb  ttötige  S'^unb  ber  innern  ^ifftc 
Stotxit  ^ufl.  ^ül^eim  a.  b.  Stu^r  1853;  Qoebel  III.  6.  289—447;    m 
JTrafft  in  ^ergog^S  Sleal-lSnc^Üopöbie  XV.  8.  537—553. 


459 

für  bic  Sntfd^eibung,  tücld^c  Icrftecgcn  über  fein  Seben  traf,  ate 
feine  üierjäfirige  Scl^räcit  abgelaufen  mar.  ffid  n)arb  i^m  bie 
gänjlid^e  92ic^tigfeit  aQer  trbtfdjen,  Dergänglic^en  S)tnge  unb  bad 
flro^e  ©etpid^t  ber  en)igen  unb  l^immlifc^en  fc^r  Ilar  entbedt,  er 
bemcrtte  jugleid^,  ba§  bie  Äaufmannf^aft  unb  ber  bcftänbigc 
Umgang  mit  aßerlci  SÄenfc^en  t^m  öiele  ß^ft^^euungen  üerur* 
fadste  unb  tE)n  an  bem  äBac^i^t^um  in  ber  @nabe  l^inberte ;  bed» 
^alb  mä()Ite  er  bie  Verfertigung  Don  @eibenbanb  ald  ein  jugleid^ 
leic^te^  unb  einfame^  ©cujerbc.  S^fllci^  ober  feftte  er  feinen 
o^nct)in  fd^mäd^lic^en  Äörper  auf  bic  f^malfte  S)iät,  it)äf)renb  er 
ben  Ucberfd^ug  feinet  Srroerbc^  ben  Strmen  junjcnbete.  ffir  fclbft 
bcurt^citt  bicfeö  SSerfaf)rcn  banac^,  bafe  er  burc^  ben  freunbUd^en 
©Ott  au^  ber  SBelt  berufen  fei,  um  t^m  ööllig  anjuget)ören 
(III.  ®.  176).  S)en  SÄagftab  baju  mu§  er  in  ben  Slnregungen 
^offmann^  gefunben  {)aben,  unb  in  ben  möud^ifd)en  ober  t)ieU 
mcl)r  eremitifcften  SSorbilbcrn,  ttjelc^c  üon  bem  3n^alt  ber  quie* 
tiftifc^en  Sß^ftil  untrennbar  finb.  ®^  ift  nic^t  äufäüig,  bafe 
§offmann  einen  fpanifc^cn  ©infiebter  ©regoriuö  Sopej  l^od^gc:» 
galten  f)at  *) ;  bicfem  Sffiufter  t|at  fic^  3)crftcegen  in  feiner  Seben^* 
»cife  angenähert.  @^  ift  i^m  aud^  gelungen,  bie  Hemmungen, 
tt)etd^e  feine  gcfliffentlid^  gesteigerte  förperlicf)e  ©d^ujac^^eit  l^er* 
öorrief,  burc^  ben  ©rujerb  ber  gelaffenen  Srgebung  in  ©otteö 
SBiflen  ju  überminbcn.  @r  ift  in  'feiner  Sinfamleit  bei  allem 
äßanget  an  äußeren  SKitteln  fo  öergnügt  geroefen,  mie  fein 
Äönig.  So  ^at  er  nac^  bem  3cuflni&  beö  Siograp^cn  fetbft 
au^gefprod^en. 

Snbeffcn  biefe  unbeabfid^tigte  Uebereinftimmung  mit  bem 
f^nifc^en  ^jßl^ilofop^en  roax  bod)  nid^t  ba$  @anje.  S)ie  WetE)obe 
ber  grömmigfeit,  meldte  er  befolgte,  ttjar  auf  ba^  ©efü^l  ber 
9lä^e  ©otte^  in  ber  Kontemplation  beö  füfeeften  Sefu^,  auf  bie 
ffiinbrücfe  ber  fpecicüen  greunbfc^aft  ©ottee  unb  auf  bie  ®r* 
fal)rung  begf  gegenfcitigen  Umgänge^  gerichtet,  »eld^e  bem  ©lau* 
bigen  tro§  feiner  Untoürbigfeit  ju  I^eil  ttjerben  follte.  2)iefc 
Ueberlieferungen  beig  in  ber  reformirten  Äircf)e  bamalsJ  geltenbcn 
^ieti^muö  finb  and)  für  Icrfteegen  bie  ©runblagc,  öon  ttjeld^er 
fic^  feine  ÜJi^ftif  junäd^ft  nur  aU  inbiöibueHe  äRobification  ab* 


1)  doebel   III.   6.  298.   ^nm.    S)t(fer  Eremit  erSftnrt   Xerfleeeen'9 
fiebenSbef^reibungen  ^eiliger  Seelen. 


460 

ftuft.    äUein  t)on  jenem   contemplatiöcn  öeftrcben  ^at  er  au4 
bte  Jie^rfette  in   ben  ^JSerlaffungcn  fennen   gelernt.     (£r  mugte 
burc^  mand^e  S)unfcl^eiten,   ä^erfu^ungen  unb  $ro6en  ge^en; 
©Ott  entjog  i^m  feine  empftnblic^e  @nabe,  um  feine  Xreue  unb 
aug^arrenbe  ©ebulb  ju  prüfen   unb   tl^n   auf   feine  jutfinftige 
SBirffamteit  borjubcrciten.    3"  ^^^  ffierfud^unflcn  btefer  ^ii  wirb 
man  aud^  ^u  rechnen  tjabtn,  toa^  ber  93ioc)rap^  (@.  48)  angiebt, 
ba§  lerftcegen  üon  frcmbcn  ©eiftern  unb  SBirfungen  angefallen 
tpurbe,  ttjet^eö  er  felbft  bem  Umgang  mit  einigen  3nfpirirten 
jufdjrieb.    SQSenn  er  nämüd^  bamald  fid^  t)on  ber  Arbeit  in  bie 
@tiQe  }um  ©ebete  begab,  fo  toaxi  er  in  eine  93en)egung  gebracht, 
öon  ber  alle  ©lieber  gitterten.     SBeil  i^m  aber  ©ott  ald  fanftcä 
unb  feliged  äBefen  befannt  n^ar,   fo   gab  er  bicfer  fc^recf^aften 
SBirfung  feinen  SRaum,  fonbcrn  ging  njieber  an  bie  Arbeit,  ^aä^- 
bem   bicfeg  einige  ÜRale  gefc^el^en  ttjar,   f)örte  bag  3^*^^^  ^4 
3m  ©anjen   erftredtc   fid^  bie  3^^*  ber  SBerbunlelung  auf  fünf 
3al^re  bi^  1724.    ffinblid^  ging  if|m  auf  einer  Weife  in  bie  Sio^ 
barfd^aft  ba^  fiid^t  ttjiebcr  auf;  bie  öerfö^ncnbe  ©nabc  Scfu 
Stirifti  ttjarb  i^m  fo  überjcugcnb  unb  grünblid^  bloß  gelegt,  baj 
fein  $erg  DöQig  berul^igt  tourbe.     äBenn  man  ben  9nbeutungen 
lerfteegen'ö  über  bie  3cit  feiner  SSerbunletung  folgt,  fo  ift  biefet 
3uftanb  barau^  entfprungen,  ba§  ber  in  feiner  SRet^obc  öorge* 
fd^riebene  @ntfd^lu§,  ber  ©ünbe  unb  ber  SBelt  im  ailgemeincii 
abjufterben,  nic^t  Dor^atten  fann,  n)cil  bie  @ünbe  in  jjebem  SRen« 
fd^en   ein  befonbereö  unb  eigent^ümlic^eö    ©efüge   ift,    ttjelc^c^ 
burd^  einen  allgemeinen  (£ntfd)lu6  feine^megeö  übenounben  wirb, 
fonbcrn   bemfelben   SBiberftanb   leiftet.     SSielme^r  wirb   fic^    ^^ 
biefem  %aüt,  ujic  lerfteegen   bejeugt,    bie  ©elbftliebe  unb  "50^^ 
ffiigentt)iUigfeit  gerabe  in  baö  religiöfc  ^od^gefü^l  einmifc^en  ii:  ^^ 
baffelbe  öcrfülfdben.  ffiö  ift  freiließ  auffaUenb,  bag  ein  fo  nflc^tert^^^^ 
unb   n)af)rl^after  SRenfc^   mie  lerfteegen  fo  langer  3cit  bebu     -f 
ijat,  um  über  biefe  Erfahrungen  ind  ^larc  gu  fommen.    S>i 
©rfc^einung   erflärt   fic^  aber  burd|  bie  einfieblerifdöc  t5ül)ru 
feinet  fiebeng.     2)ie  SSerfudijungen,   welche  er  meint,  übctmin 
man   am  Icid^teften   unb   fid^crftcn   in   ben  Reibungen  mit 
©cfcUfc^aft,  burd^  bie  birectcn  unb  inbirecten  ffiinfd^rfinfung 
n)elc^e  auc^  ba^  berechtigte  ©clbftgefüljl  in  ben  3wiÄmmcnftö6^  ^ 
mit  öcrfd|icben  gearteten  aJJenfd^en  erfährt.     SBian  erfc^toert  \0^4 
l^ingegen  feine  (£rjiet|ung,   ttjenn  man  in  cinfameu  grüblerif c^  ^^ 


461 

JBorfä^en  ben  crfanntcn  Unarten  bircct  cntcjcgcntüirfcn  roill,  unb 
babci  feinen  Umgang  auf  glcid^  ©efinnte  bcfdbränft,  ml6)e  btcfc 
Unarten  fd^onen,  toetl  fie  felbft  mit  itinen  bel^aftet  finb.  ler* 
fteegen'^  gonget  Seben  ift  nun  freilid^  bic  $robe  bafür,  bafe  er 
bie  uon  il^m  angcbeuteten  t^e^ler,  ineld^c  i^n  in  bic  ä^erbunfelung 
Derfloc^tcn,  grünbltd^  übcnnunben  f)at  9lbcr  bic  t^orm,  in  n)elc^er 
fic^  bicfer  ä^organg  in  i{)m  t)oUjog,  ift  mieberum  gonj  inbiüibueQ 
bebingt.  S)ad  Sieb,  n^elc^e^  er  jur  Sejeugung  bc^  n)ieber  gc:» 
monnenen  @nabenftanbed  gebid^tet  f)at:  „äBic  bift  2)u  mir  fo 
innig  gut,  mein  ^ofierpricfter  bu",  fpric^t  nur  bic  allgemeine 
paffiuc  Sinprägung  bc^  SBertf)ed  (S^rifti  jur  SSerfö^nuug  aud: 
«3d^  f)ab'  üergeffen  meine  ©ünb',  afö  xoäx'  fic  nid^t  gefc^cl)n; 
S)u  fpri(4ft:  Sieg'  in  mir  ftiQ  mein  ^inb,  bu  mugt  auf  bid^  nic^t 
fe^n."  ^ierin  lünbigt  fid^  eben  bie  quietiftifd^e  Stimmung,  bic 
formelle  ©elbftücrtcugnung  an,  auf  n)elcf)e  \a  ber  ^ictiömu^  feit 
Sobenfte^n  ^ingen)iefen  l^at,  meldte  jcbod^  burd^  S^crfteegen  ben 
einfad^ften  unb  jugteid^  fubjcctiu  n^a^rften  Sludbrud  gefunben 
^at.  2)iefed  Qid  f)at  er  erreicht,  ttjcitö  inbem  er  ben  claffifcftcn 
aRuftern  fat^olifd^cr  ^crlunft  fic^  anfd^Iofe,  tfieilg  meil  er  beren 
SBirfung  burc^  bie  entfprec^cnbc  ^rajig  bcg  einfieblcrifc^en  Sebcng 
untcrftü^te.  Sebod^  n)ie  ttjcit  lerftcegen  in  jenem  SHoment  ber 
(Srleud^tung  über  feinen  @nabenftanb  t)on  ben  gefunben  Wla^» 
ftäben  cüangclifc^er  ^ird^lic^feit  entfernt  n)ar,  ergicbt  fid^  nod^ 
au6  ^olgenbem.  Sr  f)at  am  grünen  S)onnerftage  1724  nad^ 
bem  SSorgange  eineö  franjöfifd^cn  ÜK^ftifer^,  be^  äWarquid  bc 
Stents,  mit  feinem  eigenen  Slutc  eine  ©d^rift  aufgefegt,  in  tt^eld^er 
er  fic^  feinem  ^eilanbe  unb  S3räutigam  ju  uöQigem  unb  ODig^n 
Sigent^um  übergeben  f)at.  (Er  E)at  ju  biefem  Qxocdc  ben  grünen 
2)onnerftag  gemault,  atö  an  mclc^em  ber  ^lutbräutigatn  unb 
Srlöfer  burd^  feinen  Xobcdfampf  i^n  jum  Sigcntbum  unb  Sraut 
erfauft  unb  bad  liebeuoOc  $erj  bed  SSatcrd  i^m  eröffnet  ^at. 
«©ie^e,  ba  ^aft  bu  mic^  ganj,  füfeer  ©eelcnfreunb,  in  feufd^er 
jungfräulid^cr  Siebe  bir  ftcti?  anjuf)angcn"  *).  Diefer  äct  ^at 
boc^  nitr  bad  Gepräge  eined  felbftermäf)Iten  ©ottcdbicnftcd,  ba 
er   bie  Srlöfung  burd^   S^riftud,   todd)e  ber  ganzen  ©emeinbe 


1)  Vbdebrudt  in  ber  $orrebe  bed  1.  Xf^tiU  ber  (^eifKtc^en  unb  er^u* 
It4ni  Sriefe.  Uel^er  ^ttnit^  togl.  fiebendbeMreibungen  ^iger  6eelen  ?3anb  1. 
e.  358.    Ueber  ft^nli^e  gfdae  f.  (Boebel  e.  816  tlnm. 


462 

gilt,  nur  auf  ben  ffiinjctnen  6cjict|t,  ol^nc  bcffen  Stellung  in  bet 
©cmeinbe  bcr  ffirlöften  an^uerfenncn.    @^  ift  aber  eben  eine  SSct- 
fe{)rung  ber   @r(öfung  burd^  S^riftu^,  n)cnn  biefc^  aQgemcinfte 
®ut,  bicfe  öffentlicftftc   ©runbicgung  ber   d)rift(id)cn  ©^meinbc, 
in  baö  5ßriüatöcr^ä(tni6  bcd  Srautftanbe^  jmifdjcn  3^^^^"  ^^ 
gebeutet  mirb.    35urd^  ben   @rab   bcr  SBärmc  bcr  ©mpfinbung^ 
bon  ttjclc^er  bicfe  SSorftellung    begleitet  ift,   barf  man  fid^  nid^t 
barüber   täufd^cn  laffcn,  ba§  bicfe  pictiftifc^c  ficiftung  bic  cöan*^ 
gclifd^e  ©eutung  bcr  ©rlöfung  burc^  S^riftuö  ücrtc^t. 

3nbeffcn  für  S^crfteegen  war  ber  Slbfd^lufe  feiner  SSerbunfc:^ 
lung  1724  eine  ©poc^c.  @r  trat  junädöft  auö  feiner  Screin« 
famung  t)crauö  unb  cntfc^Iog  fic^  ju  einer  ucrnünftigen  förper* 
lid^cn  S)iät.  @r  nat|m  cö  über  fic^  ben  Äinbern  feinet  ©rubcn^ 
burc^  Unterrid^t  bcrfclben  fic^  nü^lic^  ^u  machen.  (£r  na^m 
ferner  1725  einen  Sln^ängcr  ^offmann'ö  atö  ^auögcnoffcn  unb 
Sffiitarbciter  in  feinem  |)anbttjcrt  auf,  unb  begann  glcid^jcitig 
nic^t  nur  litcrarifc^,  namentlich  burc^  Ueberfc^ung  m^ftifc^cr 
©c^riften  unb  ^injufügung  beglcitenber  Slb^anblungen,  fonbcm 
aud^  burd^  ficitung  ber  @rbauungSftunbcn  neben  ^offmann  für 
bic  SScrbreitung  feiner  Uebcrjeugungcn  t^ätig  ju  fein,  ©eine 
crfte  ©c^rift  mar  bcm  Unterricht  ber  Äinber  feinet  Söruberd  gc* 
ttjibmet :  Unparteiifc^cr  Slbrig  c^rifttic^er  ©runbma^rl^eitcn  (jucrfl 
1801,  banac^  1842  gcbrudt).  darauf  folgte  1726  eine  Ucber^ 
fe^ung  Don  liiababie'd  Manuel  de  pi6t6,  unb  eine  Bearbeitung 
ber  ©d^riften  oon  Scan  bc  93erni6rcg  fiouuign^  (3iat^  unb 
©c^a^mciftcr  be^  Äönigd  öon  grantrcic^,  1602—1659)  unter  bcm 
^itel:  „®aö  berborgenc  ficben  mit  ßljrifto  in  ®ott,  auf  eine  recftt 
cüangetifdie  SBeifc  bargcftcUt",  ferner  1727  eine  Ucberfcfeung  bcr 
9lad)a^mung  ©l^rifti  bon  ^f)omaö  oon  ücmpen,  unb  bcr  ©olilo« 
quien  be^  ©crlac^  ^eterfcn,  aud|  cine^  Srubcrö  oom  gemein» 
famen  fieben,  melc^er  ben  ®t|rcnnamcn  bc^  anbern  Jöoniaö  t)on 
Äempcn  fü^rt.  ©ein  ^auptmert  aber  finb  bic  „äu^erlefcncn 
ficbcndbefc^reibungcn  f)ciligcr  ©cclcn",  fünfunbjmanjig  an  bcr 
3a^l,  aCie  bcr  fat^olifc^cn  Sirene  anget)ürig  unb  meidend  bcr  ^ 
@pod^c  bcr  Siontrareformation.  ^ad  @anje  crfc^icn  in  bret 
»änbcn  1733.  35.  53.  Sluf  bicfcö  SBcrt  unb  anbere  ©cl)riftcn 
merbc  ic^  jurücffommcn.  Ueber  feine  Itiätigfcit  in  ben  9J2äI^eimet 
Eonoentifeln  berichtet  ber  Siograp^,  üiclc  Unoeränberte,  bic  Xer* 
fteegen  nur  einmal  fjörten,   feien  bon  bcr  burc^bringenbcn  Ätaft 


463 

feiner  3lebe  fo  gerührt  loorben,  bafe  fte  ju  einer  grünblidöen 
unb  baucr^aften  ©cfef)rung  gelangten;  unb  üiele  ffirmedte  feien 
burd^  feine  fügen  Sieben  fo  eingenommen  toorben,  bofe  fie  in 
allerlei  Slnfed^tungcn  mit  bem  größten  3"t^QW^n  fi^  t^ci  i^m 
9latt)g  erholten,  toobei  fie  burd^  feine  meifc  Einleitung  in  i^rem 
ßutrauen  geftärft  mürben.  33ur(^  bie  ?lu^bet|nung  biefcr  feel^ 
forgerifc^en  IlKitigteit,  meiere  grogent^eilö  brieflich  ausgeübt 
iDurbe,  fat)  \xd)  lerftcegen  fcf)on  1728  bemogen,  fein  ^anbmerl 
aufzugeben.  (£r  fanb  feinen  Unterf)Qlt  burd)  bie  Unterftfi^ung 
Derfdjiebener  greunbe  unb  SSere^rer.  Die  Verfertigung  gemiffer 
Slräcneimittcl  betrieb  er  nic^t  jum  ffirmerb.  Slllein  feine  geiftlic^e 
3;f)atigteit  gemann  einen  ©pielroum,  melc^er  meit  über  feinen 
SBol)nort  ÜKül^cim  l)inauöreic^te.  2)ie  Eonüentitel  in  bem  @e^ 
biet  üon  ©leoe  unb  Söerg  öffneten  fic^  feiner  Anregung.  3n^ 
befonbcre  trat  lerfteegen  mit  Slberfelb,  SBarmen,  Solingen,  Sre^ 
felb  in  enge  Sejie^ungen,  feit  1732  befud)te  er  regelmäßig  §oU 
lanb,  namentlid)  jlmfterbam,  mo  ein  ^odibeja^rter  5Kann  9lameng 
5ßaum  (t  1745)  it)m  eng  oerbunben  mar,  ber  tro|  feineö  SReic^t^umg 
ein  ebenfo  abgefdjiebeneig  fieben  führte  mie  ierfteegen.  Diefen 
aSerbinbungen  öerbanten  bie  ja^lreidien  feelforgerifd^en  Sriefc 
i^re  @ntftel|ung,  oon  benen  nad^  feinem  lobe  bie  beutfd^en  in 
4  3;t)eilen:  ©eiftlid^e  unb  erbaulid^e  ©riefe  über  baö  inmenbigc 
Seben  unb  ma^re  SBefen  bcg  E^riftentljumö  (1773—75;  2.  Sufl. 
1798.  99),  bie  ^ollänbifc^en  in  einem  93anbe:  Godvrugtige  en 
stigtelijke  brieven  over  verscheidene  materien  des  inwendigen 
levens,  1772  (inö  S)eutfc^e  überfcftt  1836)  gefammelt  finb.  ®ie 
bcutfd^en  Sriefe  laffen  erfennen,  baß  lerfteegcn'^  ßorrefponbenj 
auc^  nac^  SBittgenftcin  unb  Siegen,  nad^  ber  äBetterau,  ^ranf« 
fürt  unb  ber  ^falj  fid^  erftredte.  Um  fo  me^r  fa^  er  fic^  auf 
bie  SBirtung  in  größerem  Umtreife  angemiefen,  aU  1740  bie 
Eonoentitel  im  ^erj^ogt^um  93erg  burd^  bie  pfäljifd^e  unb  im 
§erjogtt)um  Sleoe  burc^  bie  preußifd^e  Slcgierung  gefd^loffen 
mürben,  auf  Slnlaß  gemiffer  Vorgänge  in  ©olingen,  meldte  83er* 
bac^t  erregten ').  33iefe  ßinfc^räntung  na^m  lerfteegen  mit  ber 
©elaffenl^eit  ^in,  meldie  feinem  m^ftifc^en  ©tanbpunft  entfprad^, 
unb  fud^te  fie  alö  äßittel  ber  5ßrüfung  unb  fiäuterung  für  bie 
frommen  ju  oerfte^en.    Snbeffen  blieben  bie  ungünftigen  folgen 


1)  Sgl.  (^otbtl  III.  e.  389  ff. 


464 

für  btc  t)ou  Scrfteegen  öcrtrctcnc  ©ad^c  nid^t  aug.  Cr  flagt 
1747  über  eine  faft  allgemeine  ©djlaffud^t  unb  ben  SRangcl  an 
tliätigem  innjcnbißem  Efiriftent^um  (©riefe  III,  86).  (&^  xoax 
i^m  alfo  fc^n^erlid^  untt)iUfommen,  als  eine  neue  @rtt)C(fung,  \vclä)t 
1750  ein  ©tubent  in  ©uiöburg,  Satob  E^eöalier  an§  Slmfterbam 
erregte,  auc^  bie  verbotenen  SBerfammlungen  miebcr  in'S  Scben 
rief.  SSielme^r  faf|  er  ficö  burd^  baö  unreife  SBefcn  beS  jungen 
äRanncS  üeranlaßt,  in  feiner  nä^ften  Umgebung  lieber  bic  Sei* 
tung  ber  ^riDatübungen  ju  überne()men,  ju  »eichen  gelegentlich 
300  biö  400  5ßerfonen  äufammenftrömten.  Obgleich  bie  5ßrebigcr 
in  äRül^cim  bie  politifd^cn  Öc^örben  bagegen  aufboten,  fo  gc* 
lang  eö  S^crfteegen  burc^  feinen  perfönlic^en  ©inftufe,  bereu  ffiin= 
fd^reiten  ju  uer^inbern;  unb  boö  üor  je^n  Sauren  erlaffene  8Jer* 
bot  ber  Sonoentifel  n)urbe  nic^t  meiter  geE)anb()abt.  3n  ber 
3eit  jroifc^en  1753  unb  1756  finb  größere  Keben  Icrfteegen'd 
aufgejeic^net  ttjorben,  meldie  nac^  feinem  2;obe  im  S)rud  erfc^iencn 
finb:  ©eiftlid^e  Sörofamen  Uon  be^S  ^errn  lifcl)  gefallen  (4X^eilc 
in  ^njei  öänben,  1769—73).  1756  mußte  lerftcegen  biefe  SRcbcn 
einfteüen,  tocii  er,  ber  üon  je^er  fd^mäd^lic^e  2Rann,  burc^  bic 
Slnftreitgung  beim  Sieben  t)or  ben  in  engem  Staum  jufammengc;^ 
preßten  Qütjöxmi  \idj  einen  Sruc^fc^aben  jugejogen  l^atte.  3n* 
beffen  ben  SSerteI)r  beö  „©eelenfü^rcrö"  mit  ben  i^m  ergebenen 
Slnf)ängern  fonnte  er  bocf)  nod^  lange  fortfe^en,  bis  er  3.  Spril 
1769  im  Sllta-  öon  72  Salären  auö  feiner  fegenSreid^en  Saufbaf|n 
abgerufen  ttjurbe. 

Unter  feinen  ©d^riften  jie^t  bie  früliefte,  ber  „Unpartciif^c 
abriß  c^riftlic^er  @runbtt)af)r^eiten"  (öon  1724)  bie  ?lufmcrtfam* 
feit  auf  fid^  fomo^l  burd^  i^re  ft)ftematif(^e  !lrt,  als  auc^  aU 
gcugniß  baöon,  in  meld^em  Umfange  lerfteegen  fic^  an  bic 
firc^lidie  ficlirüberliefcrung  angefd|loffen  ^at.  2)ie  (Jigcntpm* 
lid^feit  ber  ©c^rift  als  eines  @anjen  ift  baburc^  bejcic^net,  baß 
bie  t^eoretifc^e  Erörterung  jcbeS  fie^rpunfteS  üon  ber  praltifc^cn 
änmenbung  begleitet  ift.  Slüein  biefcS  gefc^ie^t  in  einer  jttjed* 
mäßigeren  Steife  als  in  bem  menig  jüngeren  93ud^e  üon  SSerfc^uir 
(©.  324).  3n  ber  ©arfteUung  ber  ^erfon  E^rifti  »irb  j.  ö. 
bie  93eiie^ung  auf  ben  SerfeE)r  ber  ^inber  @otteS  mit  i^m 
aufgen^iefen.  Snbem  E^riftuS  als  @ott  aQmiffenb,  aUgegentnäcttg, 
aümäditig  ift,  fo  bient  biefeS  baju,  baß  er  bie  Anliegen  ber 
©laubigen  fennt,   unb  il)re  Srlöfung  nic^t   unDoOenbet  laffen 


465 

tDtrb.  Die  SScrcinigung  ber  cjöttUd^cn  unb  ber  mcnfd^Ii^cn 
9latur  in  tf)m  tft  fllcid)  bcm  innigen  Sanb  ber  »ef entließen 
SScrciniflunfl  ber  ©laubigen  mit  S^riftu^.  S)enn  biefe  befielt 
iti^t  in  felbft  gemod^ten  füfeen  ©cbanfen  ober  eigenntäd^tigcr  3«* 
eignung,  fonbern  ift  lauter  S93a^r()eit  unb  äBcfcn.  2)ic  S^orfteüung 
ber  ^riftlid^en  ©runbu^a^r^eiten  tt^id  im  ©onjcn  bic  fiinie  bed 
lir^Iic^en  Setirbegriffd  inne  galten.  S)er  Abweichungen  Don  bem«: 
felbcn,  bie  er  begebt,  ttirb  fid^  lerfteegen  nic^t  benjufet  gcnjcfcn 
fein.  Denn  inbem  er  j.  93.  bic  ©traffatidfaction  Sfirifti  lel^rt,  fo 
^at  er  bod^  bie  @ünbe  loeniger  ald  @d)u(b,  n)ie  a($  SIenb  unb 
Ol^nmo^t  aufgefaßt,  gleid^  allen  feinen  Vorgängern,  roeld^e 
bcm  Sntereffe  an  ber  Heiligung  ba^  Uebergcnjid^t  über  bcm  an 
ber  aScrfö^nung  einräumen.  Demgemäß  befielt  bie  Süße,  bic 
Qu^  bem  l)eiUgen  @eiftc  entfpringcnb  bcn  @(auben  einleitet,  in 
bem  Sinbrud  Don  ber  9{ic^tigfeit  unb  ^Ifid^tigfeit  aQei^  ®\ä)U 
baren  unb  Don  bem  Slenbe  ber  @änbe,  ber  @(aube  aber  ift  nad^ 
ber  einen  ©eite  bie  äufnal^me  in  bie  ^Bereinigung  mit  ß^riftu^, 
nac^  ber  anbem  ©eite  erfc^eint  er  barin,  ba§  bie  ©eelc  in  ®c* 
laffen^eit  gänjlid^  in  i^r  9lic^t^,  in  bcn  lob  ifirer  ©elbft^eit 
finiEet.  »orin  jugleid)  ein  innigcig  jungem  au^gcboren  wirb, 
toelc^ed  Scfum  faffet  unb  in  fid^  aufnimmt,  gerner  njirb 
eine  fo(c^e  gläubige,  in  St)riftum  gepflanjte  unb  S^riftum  burd^ 
ben  ©tauben  in  fic^  faffenbe  ©ecle  öon  @ott  gerechtfertigt,  um 
S^rifti  be^  ©cremten  xoiütn,  in  tteld^em  fie  fte^et,  unb  metc^cr 
burd^  ben  ©tauben  in  i^r  ift.  hierin  fommt  bic  pietiftifc^e, 
burd^  bie  äufmerffamteit  auf  bie  fubjcctiöen  Functionen  Der* 
fc^obene  Deutung  ber  Wed^tfertigung,  »cld^e  juerft  Don  SBitfiu^ 
(©.  294)  in  ©ang  gefegt  ift,  ju  bcfonbcr«  beutlic^em  Äudbrudf. 
Die  Heiligung  ift  bic  ©clbftDcrleugnung  unb  bie  Aufopferung 
feiner  felbft  an  ba^  freie  aBo^lgefaüen  ©otteg.  Scne  ift  in  for* 
mellem  ©inne  ju  öerfte^en;  mx  ^aben  unö  felbft  ju  öcrleugnen, 
in  allem  n)orin  n)ir  und  felbft  fuc^en  unb  finben,  nämlid)  in 
allem  »ad  »ir  tl)un,  unb  in  allem,  toa^  toix  befiftcn,  ed  feien 
jeitlid^e,  natürliche,  ge tft lidjc  ober  götttid^e  Dinge.  3"9l^if^ 
rid^tet  fic^  bie  Sclbftaufopferung  ber  ©eelc  auf  ©Ott  unb  bcffcn 
unbefd^ränlten  SBillen,  bem  man  in  reiner  Siebe  anfängt. 
Dad  ^eigt,  man  f)at  and)  aUcd  ©ute,  fo  tt^eit  ^  gut  ift,  in  ©Ott 
unb  um  ©otted  n)iacn  ju  lieben  o^ne  irgenb  eine  92ebenabfid^t 
auf  eigenen  JBortfieil  unb  eigene«  Sergnflgen.  3n  ber  Sorfd^rift 
I.  80 


466 

bcr  reinen  Siebe  fommt  bie  gormel  ber  quietifti?d^en  aR^ftil 
fat^olifc^cr  ^erfunft  jur  ©eltung.  SBenn  nämlic^  tnit  i^r  feine 
Slbfic^t  auf  eigenen  SBort^eil  unb  eigene^  SBergnägen  üerbunben 
fein  foQ,  fo  ift  bantit  anä)  bie  Xenbenj  auf  eine  beftimmte  Srt 
ber  (Erfahrung  t)on  bcr  eigenen  ©eligfeit  ausktcfd^Ioffen,  unb  bie 

not^n)enbige  S^f^^it^^t^S^^'^^iS^^i^  ^i^f^^  @rfal^rung  mit  ber 
Siebe  ju  @ott  uerncint.  2)ie  ©eligfeit  unb  ber  fpecipfd^e  ®n* 
brucf  berfelben  im  religiöfcn  ©elbftgefül)l  »irb  nur  bcm  unbe* 
fc^ränften  Saiden  ober  ber  S93iQfür  @ottcd  anJ^eimgefteQt.  ftommt 
e^  alfo  barauf  an,  @ott  im  @eift  unb  in  ber  SBa^rl^eit  angu» 
beten  unb  auf  feinen  SSinf  ju  mcrfen,  fo  folgt  baraud  eine  fc^r 
peinlid^e  Drbnung  für  bie  Slu^übung  njettlic^cr  Scrufe.  S)enn 
infofem  überhaupt  eine  SerufSart  unfd^ulbig  unb  nac^  bem 
SSäiüen  ®otte^  ift,  unb  man  pc  jur  SSermeibung  ber  ©efa^ren 
bed  a^ügigganged  unb  im  S>ienfte  beS  9läc^ftcn  fibt,  fo  fteQt 
lerfteegen  folgenbc  SSorfd^riften  für  bie  Slrbeit  in  benfelben  auf. 
9Kan  barf  fie  nur  jur  SRot^burft  üben,  unb  l^at  ftc^  öor  großen 
n^eitlaufigcn  ^änbeln  unb  baüor  ju  t)üten,  bag  man  nid^t  ju 
ffiiner  3^^*  ä"  ^i^l  üome^me.  ÜRan  mufe  fic  in  fteter  gottc^ 
bienfttic^er  Haltung,  in  ftiUer  ©etaffenftcit,  o^nc  änflcbung  b.  f). 
Sntereffe  an  bem  SBerIc  felbft,  enblid^  fo  üben,  bag  man  mit 
bem  täglidjen  @d^lug  ber  3lrbeit  aud^  ben  ©ebanfen  baran  auf« 
gebe.  2)iefe  SRegeln  fonnte  Icrftcegen  o^ne  Qtod^d  bei  feiner 
©eibenbanbtt)eberei  bcobad|ten.  Slllein  mag  njürbc  aug  ber  menfc^* 
liefen  ©efellfc^aft  merben,  menn  ade  Slrbcit  in  berfelben  ©Icic^* 
gültigfeit  DoUbrac^t  n)ürbe?  Sine  f^römmigfeit  alfo,  meiere  auf 
biefe  Begleitung  angemiefen  ift,  mirb  fd^mertic^  üor  einem  anbcm 
gorum  ate  bem  bcr  fat^olifc^en  Äird^c  fic^  legitimiren  fönnen  *). 
3m  Slllgemcincn  behauptet  ja  Serftcegen,  mie  ftd^  aug  bicfcr 
©c^rift  ergiebt,  ben  Soben  bcr  reformirten  Äirc^c;  er  ^ält  auc^ 
baö  orbenttid^e  Schrämt  fcft,  menn  baffclbe  mit  bcm  innerlichen 
Seruf  öerfnüpft  ift,  folgert  nur  jugleicb  aud  bem  S^araftcr  bcd 
SRcuen  JBunbe^,  ba§  erleuchtete  unb  gefalbte  S^riften  aud^  o^nc 
baö  fird^tid^e  2lmt  nüftlic^  fein  fönnen.  Db  bie  2;aufe  an  Äinbem 
ju  üoHjielien  fei,  wirb  nic^t  erörtert,  alfo  aud^  nid^t  Dcrneint; 
beim  äbenbmalil  tt)irb  bie  ^lot^menbigfcit  ber  äuöfc^licgung  bcr 
Unmürbigcn   behauptet,   inbem  jugleic^   bejeugt  »irb,    ba§  Der 

1)  Thomas,  Samma  theologica  II,  2.  qu.  187.  ari.  3. 


467 

SSinbefd^IüffcI  Icibcr  fammt  aller  ©ciftcölraft  nunmcl^r  t»erIorctt 
fei,  ba^er  aller  Oräucl  ber  SSertüüftung  in  bic  Äird^c  eingebrochen 
ift.  Sieben  ber  änroeifung,  njie  man  ba§  Äbenbnta^I  njürbig  ju 
genießen  l^abe,  finbet  fi^  aber  bie  Se^auptung,  ba§  icbc  gläu^ 
bige  ©eele  geiftlid^er  SBeifc  tnttjenbig  baö  8benbmat|l  mit  bcm 
^erm  3efu^  fiäit,  tüenn  berfelbe  in  einer  fonberlic^en  ÜRitt^eitung 
feiner  @nabe  ju  ber  @ee(e  fommt  unb  fie  i^n  bann  burc^  i^re 
©laubend^  «nb  Sicbe^begierben  nöt^igt,  i^m  auftl^ut,  unb  ftiUc 
^ält  ®iefe«  ift  in  ber  ©arfteHung  be«  Sud^eg  bie  Icfetc  $robe 
baöon,  ba§  bic  reformirte  Sefire  bei  lerfteegen  t)on  Anfang  an 
mit  einer  3Äengc  öon  Abweichungen  burc^feftt  ift,  beren  Qa^ 
fammen^ang  mit  ber  pietiftifc^en  Ueberlieferung  ebenfo  flar  ift 
XDXt  bie  Umbiegung  berfelben  in  bie  quietiftifc^e  äßet^obe.  9lm 
bebeutfamften  aber  ift,  ba§  Serfteegen  ber  Setire  öon  ®noäI)lung 
unb  SBermerfung  feine  ffimjö^nung  tl)ut.  Diefe  I^atfad^e  beroeift 
junäd^ft,  bag  er  nod^  me^r  üon  ben  ä^orbilbem  be$  fat^olifc^en 
Quieti^mud  abl^ängt,  aU  t)on  ber  pietiftifc^en  Ueberlieferung. 
S)enn  in  biefer  ftanb  bic  genannte  fie^re  nid^t  nur  t^eoretif^ 
feft,  fonbem  bilbete  auci^  feit  Sörafel  ben  SRafeftab  für  bie  ©elbft* 
unterfd^eibung  ber  5ßietiften  üon  ben  anberen  S^riften.  ®er  Duie* 
ttemuö  aber  alg  eine  fpecieH  fat^olifd^e  8lrt  ber  g^ömmigfeit  »ar 
gegen  jene  Se^re  gleichgültig.  Daß  nun  lerfteegen  auf  biefelbc 
öerjid^tete,  ift  gugleid^  eine  öcbingung  für  feine  SKilbe  unb  9lac^s 
ftc^t  in  ber  93eurt^eilung  ber  (Einzelnen,  burc^  meldte  fein 
S^arafter  ftd^  in  fo  tt)o^It{)uenber  äBeife  t)on  ber  in  ben  (Son^ 
öentiteln  gepflegten  Anmaßung  unterfc^eibet.  Snbeffen  l^at  ler* 
ftecgen,  inbem  er  bie  Se^re  Don  ber  boppelten  $räbeftination  bei 
Seite  fteHte.  o^ne  ßtt^cifcl  ba^in  getoirft,  bafe  beren  ©laubtüürbig* 
fett  in  ber  reformirten  i^ird^e  überl^aupt  fc^manfenb  geu^orben  ift. 
®ie  quictiftifd^e  Stid^tung  ^at  lerfteegen  burd^  bie  fficr*: 
mittlung  ber  ©dörtften  t)on  $etcr  ^oiret^)  entpfangen,  bem 
erflen  reformirten  Ideologen,  welcher  fid^  biefer  5)Jet^obe  ber 
grömmigfeit  eröffnet  ^atte,  aber  burd^  fein  SSerfialten  bettjeift, 
bag  er  fie  mit  bem  eDangelifc^en  ^rebigtamt  für  unt)ereinbar  ^ielt. 
2)te  qutetiftifd^e  äJl^ftif  nämlid^   ift  ein  @Iieb  jener  fpanifc^cn 


1)  (Beboren  )u  ^t^  1646,  reformiriec  ^rebiger  fett  1668  in  ^etbelbetd, 
fett  1672  in  9ntt>et(er,  ^r^ogit^um  $fa()'3n>ei6rü(Ien,  toon  ba  bur^  ben  Stxxcq 
1676  twittieben,  {«t  1688  in  St^iinSbatg  bei  Seiben  |)rit»atiflrenb,  geflorben  1719. 


468 

dieftauration  bcd  gefammten  $atI)oUcidmu^,  bie  aud  bem  @iege  ber 
fat^oltf(4en  Könige  fiber  ben  3dlam  cntfpiingenb,  ber  beutfc^en 
Steformation  btc  ©renjcn  ju  fe^en  t)ermoc^t  ^at,  tuelc^e  burc^  ben 
Sefuttenoiben,  bad  Soncil  Don  Orient  unb  bie  @ontrareformation 
in  fo  üielcn  Territorien  bejeic^nct  finb.  SBäre  jene  innere  ör* 
neuerung  be^  ^at^olicidmud  in  Spanien  nur  ein  SRenf^enalter 
früher  erfolgt,  qU  ed  ber  gall  njor,  unb  tt)äre  fie  bemgemofe 
fc^on  am  Stnfange  be$  16.  3cif)rl^unbert^  fiber  bie  anberen  310^ 
tionen  beiS  Slbenblanbe^  oerbreitct  gcnjefcn,  fo  war  für  fintier*« 
Steformation  überhaupt  fein  9taum  t)or^Qnben.  2)ie  quietiftifc^e 
SH^ftit  nun  ift  bie  äR^ftit  bed  granci^canerorbeniS.  ©ie  pnbct 
in  Spanien  i^re  erfte  Vertretung  an  ben  ^ranci^canern  $etru8 
öon  Sllcantara  (t  1562)  SSerfaffcr  bei?  Iractatö  De  oratione 
et  meditatione,  unb  f^ranciScu^  oon  Dfuna,  Serfaffer  bed 
Abecedario  espiritual  (6  %i)ciU  1538—1554).  Unter  bem  (Sin* 
fluffe  jcne^  SD^anne^  fte^t  bie  @rünberin  bei^  Dtbeni^  ber  unbe» 
fc^u^ten  Sarmeliter,  bie  ^eilige  Il^erefia  aSefu  (1515—1582), 
unb  i^r  @enoffe  in  ber  Seitung  beS  männlid^cn  QtociQt^  ifftd 
Drbcng  So^anneö  be  Sruce  (tl591).  3)ie ©runbfäfte, iocld^ 
biefe  ©panier  in  ttjeiten  Äreifen  verbreitet,  unb  nac^  granfteid^ 
unb  Italien  oerpflan^^t  ^aben,  finb  nun  auc^  fd^on  im  15.  3a^r^ 
l^unbcrt  burc^  ben  Kicberlänber  ^cinrid^  ^cirf  (gcftorbcn  atö 
$rancii?cancr«@uarbian  in  äßec^eln  1478)  geltenb  gemacht  toorben. 
Die  quietiftifd^e  SÄet^obe  finbet  nämlic^  itjre  äWotioe  in  bem  S9e» 
griff  be^  grancidcanert^eologen  S)un!g  ©cotud  oon  ber  ©elig^ 
feit.  Diefer  Söegriff  aber  ift  bem  93egriff  ber  ©eligfeit  abfic^t^ 
lic^  entgegengefegt,  meieren  %f)oma^  t)onS[qnino  aufgefteQt  ^atte, 
unb  n)eld^er  einerfeitd  bie  Srfd^einungen  ber  abenblönbifc^en 
äß^ftif  in  ber  erften  $ä(fte  beg  aRittelalterd,  namentlich  bie  9m 
n^eifung  @emf)arb'd  becft,  anbererfeitd  bie  fogenannte  fpeculatit^c 
ÜR^ftif  ber  beutfc^en  Dominicaner  im  14.  3a^r^unbcrt  ^rDor- 
gerufen  f)at.  SBenn  man  fic^  t)eran(agt  fie^t,  Don  ber  jioeiten 
^dlfte  beS  äßittclalter^  an  jmei  Slid^tungen  in  ber  9K^ftif  ju 
untcrfc^eiben,  bie  fpcculatioe  unb  bie  prattifc^e  *),  fo  barf  man 
fic^  bat)on  fiberjeugen,  bag  bie  eine  Stid^tung  bem  üon  Z^omad, 
bie  anbere  bem  öon  Duni^  aufgefteUten  Segriffe  ber  ©eligfeit 
entfpric^t. 


l)  ^tppt,  ®ef4.  ber  quiettfiif dften  SRi^ftü  in  ])er  lotHif^en  ttit^  e.  8. 


469 

a:i^0TnQ8')Icl^rt  folgenbeg.  ®er  Icfetc  Qtoed  bc«  aWcnfc^en 
ift  bog  ungcfdjQffcne  @utc.  S)enn  nur  ®ott  fann  mit  feiner 
unenbUd^cn  @fltc  ben  mcnfc^Iid^en  SBillen  öolllommen  erfüllen. 
3)ic  ffirreid^ung  unb  ber  ®enu§  biefeä  ^öd^ften  ©uteö  ift  bie 
©eligfcit  (beatitudo).  Diefe  äugcrfte  ffiollfommcn^eit  beg  9Wen* 
fc^cn  ift  Xptigfeit;  bcnn  jebeg  SBcfcn  ift  in  bem  aWage  öoBU 
fommen,  afö  c«  t^ätig  ift.  Sie  ©eligfeit  ate  I^ätißlcit  faßt  in 
ben  SnteQect  unb  ntd^t  in  ben  äBillen;  benn  bie  (Erreichung  beS 
Qmtd^  liegt  über  bie  93ett)egung  bc^  äBiUeng  ^inauö.  S)iefc«  ifl 
ber  galt,  inbcnt  ber  SBille  fic^  auf  ben  Qmd  alö  abtoefenben 
rid^tet,  unb  in  bem  gegennjärtig  erreid^ten,  ober  in  ber  greubc 
(delectatio)  barüber  jur  SRu^e  fommt.  Unb  jmar  erreid^en  toir 
ben  3^^*  bax'm,  bofe  er  ung  burd^  bie  I^ätigfeit  beö  SSer*» 
ftanbeä  gegentt)ärtig  mirb,  unb  bann  ru^t  ber  erfreute  SBillc  in 
bem  erreichten  SitU.  ©emnad^  befte^t  ba^  833efen  ber  ©eligfeit 
in  ber  Iptigfeit  be^  ffierftanbe«,  bem  SSäiflen  aber  gel^ört  bie 
fjreube  an,  mi6)c  auö  ber  ©eligfeit  folgt.  3)er  SSerftanb  al8 
Organ  ber  ©eligfeit  ift  aber  gemeint  afe  ber  erfennenbe  (specu- 
lativus)  unb  nid^t  alö  ber  praftifc^e.  3)enn  jener  f|at  l^öl^em 
838ertf|  al^  biefer,  ttjeil  er  feinen  ©cgenftanb  um  feiner  felbfl, 
biefer  nur  um  ber  Xfiätigfcit  njiHen  ergreift.  3)er  lefete  3^^ 
aber  mu§  um  feiner  fclbft  njiUen  ergriffen  tt)erben,  er  rechnet 
alfo  auf  bie  (Ergreifung  burc^  ben  tfieoretifd^en  SSerftanb.  3)iefer 
ift  nun  bad  Organ  ber  ©eligfeit,  inbem  er  jur  ©d^auung  beS 
göttlichen  SBefenö  vorbringt,  unb  feine  ffioHfommenl^eit  in  ber 
(Einigung  mit  ®ott  hmä\)tt  3)ie  ©eligfeit  in  biefem  ©inne  ift 
not^ttjenbig  Don  ber  ^rcube  begleitet,  als  ber  ©erul^igung  (quie- 
tatio)  beö  SBißen« ;  aber  bie  ©eligfeit  afe  Xtiätigfcit  be«  »er:» 
ftanbed  ift  eben  bie  ^auptfad^e  unb  t)on  ber  begleitenben  ^reube 
üerfc^ieben.  S)ie  SRid^tigfeit  beö  SBilleng,  b.  Ij.  bie  Heiligung,  ift 
babei  üorau^gefe^t  aU  SBebingung  jur  (Einfd^lagung  be^  äBegeS 
jur  ©eligfeit,  ebenfo  tok  bie  ®nabe  ®otted  ber  leftte  ®runb  jur 
(Erreid^ung  biefe^  Qid^  ift,  tt)clcf)e^  ben  SKcnfc^en  über  feine 
Statur  ergebt.  S)affclbc  faßt. im  üoBen  ©inne  öerftanben  in  ba« 
jjenfeitige  Seben;  in  unüoUfommener  ©eftalt  ift  eö  aud^  in  bem 
irbifc^en  Sieben  erreichbar,  nämlid^  alö  bie  ©eligfeit  in  ber  (Eon* 
templation.    Sdlein  fie  fann  aud^  u^ieber  t)erIoren  gelten,  t^eifd 


1)  Summa  theol.  pars  II,  1.  qu.  2.  3.  4.  5. 


470 

burc^  SSergcffcn,  tl^cifö  burd^  Scfd^äftiflungcn,  toel^c  bic  Sontcm* 
platten  uuterbted^en. 

DunöO  tcfirt  ebenfalls,   baß   bic  ©cligfcit  in  bcrjcnigai 
Xptigfeit  6efteE)t,  meiere  am  DoOfommcnftcn  unb  unmittelbarften 
mit  ©Ott,  bcm  l^öc^ftcn  ®utc  einigt.     äBein   biefc  Il^ätigfcit  ift 
bcr   SBiQe.    ^cnn   ber  fH&iüc  rid^tct  fid)    unmittelbar  auf   ben 
^öd^ftcn   Qto^d,   unb  crftrebt  mc^r  bic  SBoQenbunfl  feiner  felbft 
in  bcm  l^öc^ften  Qtocd  als  bic  SoQenbung  bcr  Srfenntnig.  9lun 
ift  in)ar  baS  ©treben  nac^  etn^aS  Slbmcfcnbcm  noc^  nic^t  bie  dt^ 
reic^ung  beS  ßmccfcS,  aber  biefe  finbet  ftatt  burd^  ben  jmeiten 
aBißcnSact,  bie  Siebe  ju   bcm  gegenwärtigen  Dbiect.    S)er  %ct 
bcd  ffierftanbcö,   ber  bieg  Object  crfennt,   unb  ben  aBiQen  auf 
beffen  Slneignung   Einleitet,   ift   freiließ   bie  Sebingung  für  bie 
(Erreichung  biefeS  S^^^^^f  ^^^^  barum  eben  nic^t  baS  SBoQfommcnfte 
in   bcm  ä^organg.     Unb   bie  f^rcube,  in  tt^eld^er  ber  SEBiQe  aucf* 
rufjt,  ber  baS  gegcntt)ärtige  @ut  ergreift,  ift  jUjar  aud^  eine  Solt 
fommen^eit,  aber  nur  eine  fold^e,  meldte  ^n  bcr  SoQfommen^eit 
jenes  äBidenSactcS  ^in^ufornrnt.   @ie  übertrifft  auc^  benfelbcn  nxdft, 
fonbern   ift  atö  ein  Seiben  (passio)  bcm  SBert^e  ber  I^ätigfcit 
beS  SSäiücnö  (operatio)  untergeorbnet.    S)ic  ©eligfcit  alfo  ift  ber 
Slct  ber  Siebe  ju   bcm  gegennjärtigen  ^öd^ften  @ut,  in  melc^ 
ber  SBillc  gur  SRu^c  lommt  (quietatur),  unb  er  ru^t  öielmeftr  in 
biefem  jum  Qkk  fü^renben  Act,  als  in  ber  begleitenben  grcube, 
welche  gu  bem  SBißenSact  f|injufommt.     2)icfe   Scftimmungen 
über  bie  ©eligfcit  finben  nun  auc^  Slnmcnbung  auf  baS  ixhiW 
Seben.    ?lud^  bcr  6t)rift  auf  ber  @rbe  (viator)  fann   fclig  fciß 
unb  ©Ott  gcnicfecn,  inbcm  er  @ott  um  feiner  felbft  wiQcn  lieb^ 
S)abei  fommt  aber  in  Setrad^t,  ba§  bie  greube  über  ben  @cttU% 
©otteS  nic^t  jum  SBcfcn  ber  ©eligfcit  gcljört,   ba   bicfelbe  ^^ 
Iflätigtcit   unb   nic^t  in  Seiben  beftc^t.    2)ic  greube  alfo  t^t«^ 
bei  ber  ©cligfeit  fehlen,   unb  bie  ©eligfcit  fann  öor^anbcn  f^^^' 
auc^  tt)cnn   fie  nic^t  üon   ber  greube  begleitet  ift.    Denn  c^-^7 
©träfe  unb  Slcnb  berfen  fid^  nid^t.     Slcnb  ift  nic^t  not^tt)ci^|| 
©träfe,   fonbern   bie  ©träfe  befielet   n)cfentlid^  in   ber  ©c^^i^" 
Umgefcf)rt  alfo  beftel^t  bic  ©eligfcit  in  ber  reinen  Siebe  ju  ^^ 
unb  bic  greube  ift  meber  bie  ©eligfcit  felbft,  nod^  eine  not^t*^^ 
bige  ^Begleiterin  bcrfelbcn. 


1)  In  sententias  lib.  IV.  dist.  49.  qu.  2—7. 


471 

SDiefc  cntgegcngefc^tcn  Dcutunflen  bcr  ©citgteit,  unb  bic  ®e^ 

grfinbungen  berfe(6en  finb  möglid^  gemefcn,  tüetl  bte  $[Qc^oIogte, 

über  toelc^c  bie  bcibcn  Sekret  öerfügtcn,  nic^t  genfigenb  orientirt 

war.    Snbeffen  fommt  c^  l^icr  nid^t  barauf  an,  bte  ^djUx  bicfcr 

%f)€Oxitcn  na^juiDeifen.  3d^  ^abc  btcfclben  nur  bed^alb  einanber 

gegenäber  gcfteQt,   um  in  ber  $ärje  anfc^aulid^  ju  mad^en,  bag 

bic   fogenanntc  quictiftifd^c  3Retf|obe  ber  ÜR^ftif  in  ben  ©runb* 

fä^en  bed  ^rancidcanerS  2)uni^  i^rc   SSurjeln  f)at     S>ie  93er« 

einigung  mit  @ott  n)irb  üon  ben  quietiftifc^en  3R^fttfem  nid^t  in 

ber  gorm  bcr  ffirfcnntnife  ober  ber  ©c^auung  crftrebt,  fonbem 

ate  8ct  ber  reinen  Siebe  ober  in  ber  gorm  bcr  ©claffen^eit  be^ 

SEBiQcnd.  ^Qerbing^  verlangen  aud^  bie  bominicanifd^en  äß^ftifer, 

Sf^art  unb  Xauler,  bic  ©elaffen^cit  bc$  äBiQenS,  bie  (Entleerung 

bcffelben  uon  allem  Sntcrcffc  an  Ereaturen,  unb  bic  SBcmid^tung 

ber  ©elbft^cit.    Slber   tjicrmit  crftrcben  ftc  ben  tpcitcr  gel^enben 

Qtotd  ber  ©^auung  ®ottcd  burc^  bic  X^ätigfeit  bed  dntedccted. 

®ci  ben  Duietiften   fällt  bicfe  aufgäbe  njcg,  unb  öifionäre  3^^ 

ft&nbe  finb   bei  if)ncn  sufäüig   unb  feiten,     ©ic  ermarten  Don 

einem  SSBillcn^act,  ber  fic^  aud^  bcr  formellen  ©clbftf)cit  enttebigt 

unb  bei  bem  Sinbrud  bed  9lid^tS  anfommt,  birect  bie  SrfüDung 

mit  ©Ott,  beffen  ©cgenmart  in  bcr  erreid^tcn  ?ßafftöität  ber  Ku^e 

conftatirt  toixb.    Unb  bicfe  Stu^c  muß  erfahren  »erben  aud^  bei 

bcr  äbmefcn^cit  aller  greubc,   in  öoQIommcncr  ©Icic^gültigfcit 

bagegen,  ob  man  fid^  fclig  fü^(t  ober  nid^t.    SSiclmc^r  ^at  man 

bie  SScrIaffungcn,  bic  fd^mcrjUd^c  Sntbel^rung  gefül^Ucr  ©eligfeit, 

aU  göttlich  georbnete  SRittcI  gu  gebraud^en,  um  in  bcr  Stu^c  ber 

Sereinigung  mit  @ott  fclig  ju  fein.    3n  bcr  bominicanifd^en 

äR^ftif  aber  fommt  cd  immer  barauf  an,  bag  aud  ber  Srmir!ung 

unb  bcm   ©cfü^l  bcr  eigenen   Kid^tigfeit   ber  äuffd^toung  gur 

@d^auung  @ottcd  genommen  merbe.  3n  ber  gorm  bcr  ©c^auung 

erfolgt  nad^  bicfcr  9lntt)cifung  bie  SScreinigung  mit  @ott,   locld^e 

atö  bie  ©eligfeit   mit  greubc   empfunben  mcrbcn  muß  in  bem 

äRage,   al^  babei  bie  ©elbftunterfc^cibung  üon  @ott  unbcutlic^ 

totrb.    Slber  bicfcr  ßuftanb  gilt  ben  bomtnicanifc^en  äß^ftifern 

atö  i^cftftcnung  bed   befonbern   äBcrt^cd   bcr  fd^auenben  ©cele, 

ha%  ©Ott  feinen  ©ol^n   in   i^r  öon  bleuem  gebiert,     ©o  bient 

biefer  m^ftifc^c  B^ft^i^^   ^^^  93eftätigung  unb  93ett)&^rung   ber 

äßeltanfc^auung  be^  %tioma§,  nämlid^  bag  @ott  bic  Sreaturen 

in  ber  intelligibclen  SBelt  ober  bem  ©o^ne  ©otted  not^ioenbig 


472 

erfcnnt,  el^e  er  fte  na6)  iliren  Urbtibern  q1^  Srcaturen  tDtd  unb 
fc^offt.  S)cinna^  fommt  bcn  ©ccicn  bcr  SRenfc^cn  ein  cwtflcr 
SBcrt^  iVL,  abgcfc^en  Don  tt^rcr  @cfc^affcnl)6it  burc^  ben  SßiQen 
©ottc^.  Dcnfelben  bcf)auptcn  fic,  inbcm  fic  bag  übernatürliche 
3icl  ber  @d^Quung  @otted  unb  bie  Geburt  bed  @o()ned  in  i^nen, 
b.  i).  bic  Scftättgung  if)rcr  SteUunß  in  ber  inteUigibelcn  SBelt 
errcid^cn.  hingegen  bie  Snnjcifung  ber  Quietiften,  ba§  bie  ©eele 
fid^  auf  i^r  reinem  92ic^td  ftimnten  foQ,  um  bann  Don  @ott  au^ 
gefüQt  ju  n)erben,  entfprid^t  bcr  äBcltonfd^auung  Don  S>und, 
bag  ®ott  bie  Kreaturen  nur  aU  Don  il^m  getoollte  erfennt.  dft 
alfo  anä)  bie  menfc^Uc^e  ©eele  obgefc^en  bauon,  bag  @ott  fte 
ttjill  unb  fd^afft,  rcine^  SRid^td,  fo  tt)irb  biefcg  bcn  Duictiften  be^ 
[tätigt,  inbcm  fie  burc^  itjren  ab[id^t(id^cn  Stüdgang  in  bad  iRi^td 
bcn  SBiQcn  @otted,  bcr  fie  bann  crfüQt,  a(^  bie  eingige  Stcalität 
ertt)cifen.  Seftc^t  bic  ©eligteit  in  ber  auf  baö  crcatürli^e  ©clbjl 
Derji^tenbcn  reinen  Siebe  ju  ®ott,  fo  ift  fic  lebiglic^  barauf  be« 
grünbet,  bafe  bcr  SSäiBc  ©ottcd  ba  ttjirft,  too  bic  ©ceie  feinem 
SBirten  fein  eigene^  entgegenfeftt.  S)ann  muß  fie  ober  auc^  auf 
bie  greube  Dcrjid^ten,  unb  fic^  jnjifd^en  greube  unb  Xraurigfeit 
inbiffercnt  Derl^alten,  mil  fonft  ein  Änfprud^  auf  eigene  ©clbft- 
^eit  Dorbc^alten  njcrben  n?ürbe.  ^cr  ^auptfäd^lid^e  ^ebcl,  bcn 
eigenen  SBiücn  burc^  Uebergabc  an  @ott  ftiU  ju  ftcDcn  ober  jur 
SRu^e  JU  bringen,  ift  bei  ben  Duictiften  ba^  innere  ober  ©erjen^ 
gebet  oI)nc  SBorte,  alfo  aud^  o^ne  beftimmtc  SSorftcBungcn  unb 
©rfenntniß.  S)iefe  Slnmeifung  ift  aud^  ganj  folgerecht.  S)cnn 
tt^enn  bic  X^ätigfeit  bc^  äBiOend  blöd  auf  ®ott  ()in  ben  ©inn 
^at,  ben  aBiDcn  fclbft  megcn  @ott  jur  Stu^c  ju  bringen,  fo  ift 
juerft  auf  bie  beftimmtc  ©rtcnntnig  feiner  felbft  unb  ber  eigenen 
Qxücdt  JU  Derjid^ten,  »eld^e  ben  SBiUcn  jur  ffir^altung  feiner 
fclbft  anregen. 

Sei  bcr  Äenntnife  bed  römifd^en  Äatl^olicidmu«,  »eld^e  in 
ber  comparatiDcn  ©^mbolif  fortgepflanjt  tt)irb,  empfängt  man  ben 
Cinbrud,  alö  ob  feit  bem  Iribcntinum  ber  ©cotiömud  DöIIig  Der- 
buftct  fei  unb  bcr  I^omidmu^  allein  bad  gelb  behauptet  ^abe. 
SBenn  jebo^  bie  quictiftif^c  ÜR^ftif  eine  folgcre^tc  anmenbung 
bcr  SBcltanfc^auung  bcj^  ©und  unb  feined  Segriff d  Don  ©elig* 
feit  ift,  fo  ift  jene  Slnna^me  nic^t  richtig,  ffiiclmel^r  ^at  jmar 
bcr  2;öomidmud  im  ©anjen  bie  öffentlid^c  Se^rtoeife  in  ber  rö^ 
mifc^cn  Stirere  unb  bic  tt^iffenfd^aftlid^c  X^eologie  occupirt,  n^obei 


473 

I 

bie  S(6ipeid^ungen  itDtfd^cn  ten  Sefuiten  unb  ben  X^omiften  nic^t 
in'g  ©etütci^t  fallen;  aHctn  bie  am  meiftcn  c^arafteriftifci^e  3)ct)0i* 
tion  in  bcr  römifdö^n  Äird^e  mar  praftifc^cr  ©coti^mug.  S)icfe 
bebeutenbe  Stnie  fat^olifc^^irc^li^cn  ©ciftcd  ift  alfo  mit  bcr  9tc< 
formatton  ober  mit  bem  S^ribcnttnnm  nic^t  abgebrod^en  n^orben, 
fonbcrn  {)at  in  ber  fpantfc^cn  Steformation  be^  ßat^oIictömuS 
eine  nid^t  minber  bebcutfame  unb  n)irfung^reic^e  ©teile  gefunben, 
loie  bie  t^omiftifd^e  Iljeologie.  3^91^^^  ^ber  ergiebt  fic^,  ba§ 
bie  8lc^nUd^feit  beö  ^ietiömu?  in  ber  nieberlänbifc^en  reformirten 
^rc^e  mit  bem  fat^olijc^en  Duieti^mud  nid^t  sufäOig  ift.  2)enn 
fc^on  bie  caloiniftifd^e  Ort^obojie  in  ben  Siieberlanben  ftü^t  fid^ 
um  ber  ^räbeftination^Ie^re  millen  auf  ben  fcotiftifc^^nominalifti^ 
fd^en  Söegriff  öon  ©otte«  fouöeräner  greifieit  (©.  135).  ©benfo 
fttmmt  biefc  X^eologte  mit  ©cotud  unb  ben  Quietiften  barin  äber^ 
ein,  bag  bad  ©effi^l  ber  ^reube  nic^t  not^mcnbtged  3Rerfmal  beS 
©nabenftanbed  fei.  2)er  fcotiftifc^e  ©ottcdbegriff  fc^t  nun  auc^ 
ben  nieberlänbifd^en  ^ietiömud  in  ®ett)egung.  SBenn  eben  ®ott 
äUed  ift  unb  bie  Srcatur  92id)td,  fo  folgt  baraud  ber  iDtagftab 
ber  ^römmigfeit,  ben  fiobenfte^n  aufgefteOt  f)at,  unb  ber  überaQ 
in  bem  eoangelifd^en  ^ietidmu^  anflingt,  nämlid^,  bag  man  ftd^ 
auf  bie  t)onfommene  9{id^tigfeit  ftimmen  mug,  nenn  man  in  ben 
Umgang  mit  @iott  eintreten  foQ.  daneben  aber  maltet  in  ber 
SBeurtl^eilung  ber  ©eligfcit  berfelbe  Stbftanb  gmifd^en  bem  eöan» 
gelifc^en  ^ieti^mu^  unb  bem  Ouieti^mud  ob,  mie  jmifc^en  jenem 
unb  ber  cabinifdjen  Ort^obojrie.  2)er  coangelifc^e  ^ieti^mu^ 
n&mlic^  l^at  feine  SorftcQung  t)on  ber  ©eligfeit  bem  ^eiligen 
öem^arb  abgelernt ;  Scrnf)arb  aber  achtet,  mie  nac^^er  %f)oma^, 
iad  ©efü^l  ber  f^reube  als  not^mcnbiged  SRerfmal  ber@eligfeit, 
unb  bie  SBetrübnig  unb  Xroden^eit  aU  äJterfmal  ber  SBerlaffung 
burd^  ©Ott,  alfo  beS  SSerlufteS  ber  ©cligfeit.  S)cmgemä§  emppnben 
Quc^  bie  fogenannten  eüangclifd^en  ^ictiften  bie  Slbmefen^eit  bed 
Bräutigam^  aU  eine  Beeinträchtigung  i{)rer  ©eligfeit.  hingegen 
ber  Duicti^mud  acf)tet  baS  ©efü^I  bcr  @e(igfeit  ffir  g(eid)gfiltig 
gegen  bie  ©eligfeit,  meldte  in  bcr  SSäiHcnlofigfeit  befte^t.  Denn 
bicfe  ftcHt  bie  Bereinigung  mit  ©Ott  feft,  mä^renb  bad  ©eligtcitöge* 
fflf)(  ben  Berbac^t  ermecft,  bag  bie  ©clbft^cit  noc^  nic^t  t)öäig 
aufgegeben  ift.  2)cr  DuietiSmuS  alfo  ift  bie  ftärfere  Seiftung 
Qld  ber  biSl^er  bargeftcQtc  $ietic>mu$.  äBar  nun  fd^on  biefer  Sb« 
fenCer   fatl^olifc^er   2)eootion   in    ber  reformirten   Itirc^e   mo^l 


474 

gebieten,  fo  roax  fein  @runb  bagcgen,  iDarum  nid^t  aud^  bie  Mf^ 
tigere   ©pielart  berfclben   auf   ienefi  ©oben   übertragen  »erben 
foQte,   roeld^er  baju  ^inreid)enb  Vorbereitet  toax,  jumal  man  ba« 
bur^   mit  ben  äRuftcrn  ber  caloinifd^en  Ort^obojric  übereinfam, 
tDddjt  lerftccgen   fe{)r  wo^l  fcnnt.    ®n  befonberer  ®runb  jur 
2;^eilnQ^me  an  biefer  9itci^tung  mar  ber,  bag  il^re  ^rftedung  in 
SKolinoö'  „©ciftlic^em  SBegmeifer"  öon  ber  römifd^en  ftirc^eocr* 
bammt  morbcn   mar.     2)Qmatö    nömlid^    toaxcn   äRänner    roie 
©pener,  Slrnolb,  grancfe  *),  SBitringa  (©.  302)  ber  SReinung,  ba§ 
mad  innerhalb  ber  römifd^cn  ^irc^e  atö  gefäl^rlic^  erfc^tene,  bem 
$rotcftantidmu^  oerroanbt   fei.     Unb   bie  ©leid^gfiltigfeit  gegen 
bad  Sugfaerament,  xoü^c  9J{oIino^  in  ber  (Empfehlung  ber  tfig« 
liefen  Sommunion  bemies^,  ferner  bie  Slbneigung  gegen  aQe  mag« 
lid^cn  ceremonieQcn  äRittel  beS  fat^olifc^en  ©ottedbienfteS,  mcld^ 
in  feinen  Änpngcrn  an  ben  %aQ  trat,  mad^ten  jenen  3Rännern 
ben  (Sinbrud,  aliS  ob  cd  fid^  im  OuietiSmuS  um  baffelbc  3ntereffc 
^anbelc,   mie   in   ber  rcformatorifd^en  ISntgegenfc^ung  jmifc^en 
©tauben  unb  SBerten  ^),    Slu^erbem   fam   in  bem   feftfte^enbcn 
JRal^mcn  ber  5ßolcmit  gegen  bie  römifd^e  Äird^e  bie  mljftifd^e  3)e* 
üotion   übert)aupt  nid)t  üor.     Slfo   cd  lag  in  ben   pietiftifc^^" 
fireifen  ber  bcutfc^en  reformirten  Äird^e  fein  ^inbernig  für  bie 
Änfiebelung   bcd  fatfiotifd^cn   Duictidmud  oor.    Xerfteegen  ^at 
audö   in  ben  SRicberlanben  für  benfelbcn  Anhänger  geroorbm; 
jebod^   fd^eint  bie  SBarnung,   metd^c   bad  ^crrfd^enbe  SBuc^  xm 
SBil^elm  Sörafel  enthielt,  bem  Vorbringen  biefer  äRet^obc  ctK^ 
©renjen  gefegt  gu  ^aben. 


1)  W'  «.  ^.  e^arltnö,  3Kt*ae(  be  «WoIinoS,  in  ber  3eitf«rifl^^ 
^ifionWc  XMoßie  1854  §.  3.  4;  1855  §.  1.     5Be|onber8  1854.  8.  32^^ 

2)  Rann   ft^  bo^  au4  S^arltrig  a.  a.  O.  1854.  S.  507  nt^t 
brechen,  in  5WoIinoS'  2öeg»ei|er  »ben  eoangeliUcn  i^auptgebanlen*  ouSgefpn^^ 
)u  pnben,  ben  Sut^er  in  ber  (Sntgeßenletiung  üon  ®(auben  unb  SBerlen  eir  -^ 
f^ärft  ^Qbe.     %u6^   ^tp\n  löfet  bie  SWijjlif  auS  bem  unabtteiSbaren 
beS  eöangelild)  angcreftten  ^etjenS  entjptinßen,    unb  acrmifet  an   i^ir  nur 
©ebanfen  ber  aUet^tfertigung  bur(4  gläubige  9lneignung  ber  üerbienten  ®erc 
!cit  e^rifti*  (a    a.  O.  6.  2).     ®er  Ipccifij^e  Unter|4ieb  gtoil^en  ber  ^eüüir^^ 
li|4  ongeregtcn*  (Jontemplotion  ejrifti,   welche  nodj  bem  Vorgänge  59cmiaa 
ber  ge{ammten  W)\i\l  in  ber  Iat^o(i{(^en  St'xxd^t  eigen  i^,  unb  ber  eiKmgelt^ 
fir^Iic^en  Deutung  ber  ^erfö^nung  bur^  (S^riftuS  t^  oben  in  (lapttel  4  n 
getotefen. 


475 

Sßa^rfc^einlid^  aber  ^obcn  aud^  Siele  üon  benen,  tDel^c 
fid^  ber  Scitung  Icrfteegcn'g  Eingaben,  bie  Slbfhifunfl  jiDtfdien 
betn  eüangelif^en  $tetiSmuS  unb  bem  Duiettömud,  tpcld^e  bei 
®cfc^ic^tdfor[döer  fcftftcHt,  ftc^  gar  nid^t  rec^t  bcutlt^  gcmad^t.  SBar 
ja  bod)  bie  formale  ©elbftücrlcugnung,  ber  Vertraute  Umgang 
mit  bem  ^erjen^freunb  unb  Bräutigam,  bem  ^crm  3cfu§,  bai^ 
Scrtrauen  auf  feine  Seitung  unb  feinen  ©c^ufc,  ber  beiben  formen 
ber  3)eöotion  gcmeinfame  ©ebanfenftoff,  welcher  öon  Xerfteegen 
aud^  ftetö  an  bie  überlieferten  ©runble^rcn  ber  Äird^c  angcfnüpft 
n)urbe.  ^er  äRangcl  an  Originalität  erlaubte  c^  i^m  /(ugleid^, 
bie  eigentlich  quietiftifd)en  gormein  me^r  in  bie  gangbaren  Äuö* 
brüde  bed  innerlid^en  S^riftentl^umd  eingumideln ,  aU  fie  in  aller 
©enauigfeit  baDon  abgu^ebcn;  unb  bemgemäg  ^at  er  aud^  ge« 
legentlic^  ben  ber  bominicanifc^en  äR^ftif  angel^örigen  ©ebanfen 
öon  ber  Ocburt  3cfu  in  unferen  ^ergen  gebraud^en  fönnen '), 
o^ne  eine  3lf)nung  Don  ber  fpecififd^en  93ebeutung  beffelben.  2)abei 
jeic^net  ftc^  Icrftergcn'd  poctifd^e  tt)ie  profaifd^e  Siebe  burd^ 
@c^lid^t^cit  unb  ISinfad^^eit  aud,  unb  plt  fic^  fem  Don  ben 
$arabüjieen,  in  benen  pd|  bie  fpanifc^en  unb  bie  franjöfif^en 
Anhänger  feiner  Siid^tung  bettjegen.  ©eine  Sicbcr,  111  an  ber 
Qaf)l  2),  Derrat^cn  eine  bcbeutenbe  lt)rifd^e  Oabe,  fie  bewegen  pd^ 
in  leichter  S93ortfolge  unb  finb  Diel  gefd^madDoDer  ali^  bie  Don 
3oad^im  9ieanbcr.  3^r  3n^alt  uerlcugnet  bie  quictiftifc^e  Seben^ 
anficht  burd)auS  nid^t ;  ungeachtet  beffen  finb  mand^e  Don  i^ncn 
in  fird^lic^en  ©ebrauc^  genommen  morben.  ^iefe  3:^atfad^e  be« 
n)eift  eben,  bag  bie  eigent^ämlic^e  ©c^attirung  ber  j^römmigfeit 
lerfteegen'^  alö  fold^e  nid^t  ertannt  worben  ift.  2)ie  fatl^olifd^c 
§crfunft  feiner  iRid^tung  löfet  fid^  aber  ferner  an  ber  ©teHung 
bcö  ©eelenfü^rerö  erfennen,  xocli)t  Icrfteegen  gegen  Diele  ^er* 
fönen  eingenommen  unb  namentlich  burd^  feine  So^efponbenj 
betätigt  ^at.  9lämlic^  biefe  äJ^obification  bei^  fat^olifd^en  3n^ 
ftitutd  beS  Seid^toaterd  ift  gerabe  in  ben  Greifen  ber  quietiftifd^eu 
äß^ftif  auiSgcbilbet  n)orben.  SEBenn  man  bie  „Seben^befc^reibungen 


1)  ®rifi(i4e  IBrofamen  1.  9anb,  1.  X^ttl    @.  185. 

2)  6inb  rnt^alten  in  bem  ,,®eifili4en  ^Blumengfirtlnn  inniger  6ee(en, 
ober  Stntit  S^lujsreime,  IBetra^tungen  unb  Sieber  über  aflerdonb  9Ba(r(eiteu 
bei  inioenbioen  d^ri^t^umS'.  3uerft  granlfuri  unb  Seipjio  1727.  S)ie 
Siebet  finb  boOfiänbig  feit  ber  {ei^pen  tlufl.  1757.  günfae^nte  «ufi.  dffen  1655. 


476 

fettiger  ©cclcn"  öon  Icrftceflen,  tuelc^c  größtent^citö  ben  SJhiftcm 
bcd  Outeti^mud  geiDtbmct  ftnb,  burd)ge^t,  fo  befommt  man  ben 
(Stnbrucf,  bag  bic  erftrebte  Stntgung  mit  ®ott  fiaqUid)  aU  eine 
lünftlcrifc^c  Seiftung  öcrftanben  tuirb.  Snbcm  bie  Änrocifung 
baju  in  bic  §anb  bcö  Söeic^töatcrö  gelegt,  unb  ber  ©e^orfam 
gegen  beffcn  SBorfd^riftcn  als  eine  fpccicHe  Uebungber  ©elbfl« 
Verleugnung  angcfc^en  ttjirb,  fo  gewinnt  ber  Seid^töater  bic  @el» 
tung  beS  tunftöcrftänbigcn  ßeitcri^  ju  ber  erftrebten  bcfonbern 
©eligfeit.  Snbem  Serfteegen  fid^  auf  eine  gleichartige  SBirffam^ 
feit  im  fircifc  [einer  Stn^änger  einliefe,  fo  beutet  biefei^  barauf 
^in,  bafe  er  fic^  ber  ®igentpmlici^Ieit  unb  ©d^wierigfcit  beffen 
berufet  mar,  wag  feine  Ueberjeugung  auffüllte.  3n  bicfemSinnc 
^at  er  auc^  in  ber  SSorrebc  jum  ,,93lumcngärtlein",  alfo  am  Än^ 
fang  feiner  Saufba^n  audgefprod^en :  „©oUte  etwa  3emanb  biefcS 
ober  jcneö  nod)  nid^t  faffcn  fönnen,  ber  befümmere  fic^  barilbcr 
feinc^wegei^,  fonbern  tradite  nur  baSjenige,  toa^  er  öerftc^t  unb 
fär  gut  erfennt,  mit  mir  auSjuflben,  fo  mag  bai^  Uebrige  unb 
noc^  ein  weit  me^rercS  ju  feiner  gcit  aud^  fd^on  ftar  unb  nfi^ 
lid^  werben.  (Sine  jebe  ^riftlic^e  SBa^rtjeit  l^at  i^re  ©tufen  unb 
il^r  Sllter,  worin  fie  erft  gebül^rcnb  ertannt  wirb,  wobei  auc^  noc^ 
biefeS  JU  erinnern  bienlic^  fein  mag,  bafe  bic  aUerbeften,  geifi* 
lid)ften  unb  göttlid^ften  SBaf)r^eiten,  unb  nod^  üielme^r  bie  aQer* 
l^öd^fte  SBa^r^cit,  weld)c  Oott  fclbcr  ift,  nimmer  rcd^t  unb  mit 
©cwife^eit  fönncn  ertannt  werben,  aU  oon  einem  ©emüt^e,  baS 
burd^  bie  ^Tbtöbtung  fcineö  glcifc^eS,  feiner  ©inne,  feiner  Effecten, 
feiner  ©egierben  unb  feincö  SBiUenS  fe^r  innig,  geifttic^ 
unb  ftille  gemacht,  wie  au^  burd)  bie  SBcrleugnung  ber  mannig- 
faltigen Ueberlegungen  unb  SBirtfamteiten  ber  SSernunft  fc^r 
oereinfältigt  unb  finblid^  geworben  ift.  SBo  bicfc  ©cftalt 
ober  2)igpofition  beö  ^erjenS  fcf|lt,  ba  ift  bie  ©eele  ber  wcfent^ 
liefen  ©rteudjtung  ©otteö  unfähig". 

3)cn  Kommentar  ju  biefen  ©ä^en  bilben  nun  bie  beiben 
©ammlungen  üon  ©riefen  an  bie  Slnl^änger  unb  ^^eunbc.  3n 
immer  neuen  SBicbcrI)olungen  berfelben  ©ebanten  Werben  bie  ocr- 
fc^iebenen  Sorrcfponbenten  baöon  unterrichtet,  bafe  fie  mit  bem 
in  i^ren  §erjen  gegenwärtigen  @ott  familiären  Umgang  im  ®cbet 
galten,  unb  bafe  fie  in  ftiller  ©elaffen^eit  feiner  Siebe  ft^  tu 
geben  foUcn,  fo  bag  me^r  @ott  in  it)nen  fein  SSkrf  treibt  al& 
fie  fclbft.    „©eten  ift   ben   allgegenwärtigen  ®ott   anfe^en  unb 


477 

p^  t)on  i^m  bcfcl^cn  laffcn".  S)Qbet  mug  man  ntd^t  nur  alle« 
ÄcugcTc  mit  groger  (äJtcid^gfiltigfcit  anfeilen,  fonbem  fid)  and) 
burd)  bic  ©rinnerung  an  bie  eigene  ©ünbe  nic^t  ftören  laffen, 
lieber  an  fie  nid^t  benfen,  um  bieSRu^e  in  @ott  finben  ju  fönnen, 
in  ber  bie  ^eiligfeit  befielt.  ISd  !ommt  babet  auc^  nic^t  auf  bie 
£uftempfinb.ung  an;  fonbern  bie  3"ftönbe  ber  SBerbunlelung, 
»cnn  fie  nur  nic^t  burd^  ©ünbe  üerfc^ulbet  tuerben,  bienen  me^r 
jur  Heiligung  ald  bie  aDerbergnügteften  ©nabengaben  unb  $reu^ 
big!eiten,  toomit  tptr  überfd^üttet  tperben  fönnten.  „Sinbeft  bu 
tDcber  Sid^t  nod^  lugenb,  Weber  Oott  nod^  @nabe,  fonbern  ein 
blofeeö  3liä)i^,  bann  fei  öergnügt  mit  bicfem  SRic^tö;  bcnn  auf 
biefe  SBeife  bift  bu  öergnügt  mit  @ott  unb  er  mit  2)ir!"  6ö  ift 
fc^on  bemcrtt  worben,  wie  wenig  biefe  ©runbfäfce  fid)  mit  ben 
meiftcn  arten  bürgerlicher  ^Berufsarbeit  vertragen.  ,,(£in  Äinb 
ber  göttlid^en  SSorfe^ung  foQte  biUig  nic^t  einen  ^ugenblid  üor» 
auöbcnfen".  3)iefe  Siegel  ber  ©orglofigleit  ift  boc^  etwaö  anbereö 
alö  bie  SBorfc^rift,  ba§  man  feine  ©orgen  auf  ben  §erm  werfe; 
benn  bann  barf  man  fie  boc^  im  SBoraud  t)abenl  Xerfteegen 
giebt  gwar  ju,  ba§  bie  Arbeit,  Welche  im  $errn  gefc^ie^t,  mit 
ftillcm  SBefen,  alfo  in  Slbgefd^iebenl^eit  öon  allem  Sntereffe  baran, 
ben  SBcrt^  beö  ©otteSbienfteiS  ^abe.  Aber  Welche  arbeit,  auger 
ber  ©anbmeberei,  geftattet  biefe  SBeurt^eilung  ?  SBieberl^oU  warnt 
er  feine  Sorrefponbenten  i^re  ©efc^äftst^ätigfett  auSjube^nen, 
ober  begrübt  fie,  bag  fie  auf  gute  SBeife  o^ne  i^r  3^^^^^  ^()^^ 
amtliche  gunction,  j.  ©.  ben  ©d^ulbienft  loö  geworben  finb; 
weil  fie  um  fo  freier  gur  Anbackt  fein  werben.  Äud^  ben  ffi^e*^ 
ftanb  fiel)t  er  junäd^ft  üor^crrfd^enb  aU  ^inbemiß  ber  @ebet^ 
Übung  an,  obgleid^  er  wieberum  jugefte^t,  ba§  in  ber  beiberfei« 
tigen  Siebe  unb  Irene  gweier  im  $crrn  oerbunbenen  $erjen  in 
ber  %i)at  ein  fd^ä^bar  ©d^öneS  unb  ®uted  biefer  $ilgerfc^aft 
gelegen  unb  @ott  nid)t  migfädig  fei.  (£r  ift  alfo  oon  ber  t^eo^ 
fop^ifc^en  üRigbeutung  ber  ©ac^e  fern  geblieben,  Snbeffen  bc*^ 
rfi^rt  eS  bod)  aud^  bad  e^elid^c  SBer^öltnig,  wenn  Xerfteegen  in 
Sieiie^ung  auf  bie  ^auSgenoffen  übertiaupt  babor  warnt,  bag 
bai^  biOige  SRitleiben,  baS  man  mit  i^nen  unb  i^rem  3"f^^"^ 
^Qt,  nic^t  ju  tief  in  ben  @runb  bringe,  bamit  i^r  nid^t  gar  ju 
fe^r  baburc^  bewegt ,  beunru{|igt ,  niebergefd^Iagen ,  berbunfelt 
werbet.  8Qe  biefe  äeußerungen  bewcifen,  ba§  lerfteegen  bie 
fociale  Sage,  bie  er  fic^  gefc^affen  ^atte,  bie  S^elofigfeit,  bie 


478 

ÄbWefcnl^dt  öon  bcn  ©orgcn  bcr  ^^milic,  bic  leidste  med^anifi^e 
arbeit,  bcjic^ungötDeifc  bic  rein  geiftige  ©cf^äftigung  bc^  ©prec^er^ 
in  SonDentifcIn  unb  bcd  @eelcnfä^rcrd,  aU  ha^  SO'^uftcr  bed 
c^riftlic^cn  Scbend  bctrad^tetc.  3n  biefcr  einfeitigcn  unj)  eng^^ 
jigen  Sinfid^t  würbe  er  offenbar  baburc^  unterftü|t,  baß  e^  in 
feiner  Umgebung  SJ^enfc^en  genug  gab,  bie  ä^nlid^  geftcdt  waren, 
t^eiU  SBcber,  beren  mec^anifc^e  Arbeit  i^rcr  Ginbilbung^traft 
unb  ^nbac^t  wenig  t)inberlid^  war,  tljeitö  reidje  Seute,  bic  nic^t 
)u  arbeiten  brandeten,  t^eild  grauen,  namentlid)  unücr^eirat^ete, 
Weld^e  immer  bie  gä^igfeit  unb  bie  ßcit  su  m^ftifd^er  6on* 
templation  befi^cn.  Senn  aDcrbingd  )fa^t  bie  ©ottfcligfeit,  welche 
lerftecgen  uorfc^reibt,  nur  für  folc^c,  Weld^e  nad^  bcn  SBorten 
bcg  ^eiligen  Sernliarb  in  ben  Älöftern  frei  öon  ben  ©orgcn  ber 
SBelt  unb  bcn  Scbrängniffcn  be§  Seben^  finb  (©.  41). 

öö  ift  be^f)atb  folgerecht,  ba§  Xerftccgcn  eine  flöperlic^e 
@emeinfd)aft  eingerichtet  l^at,  in  welcher  man  nac^  feiner  Slnwei^ 
fung  unb  unter  feiner  inbirecten  ^(uffic^t  gemeinfamen  Slnba^td« 
fibungen,  aber  ^auptfäc^lid^  bem  inncrn  @cbct  unb  bem  ^eiligen 
©tiUfc^wcigcn  oblag.  Sin  greunb«  9lamenS  Otterbecf,  bot  i^m 
fc^ou  1727  baju  bie  @clegenf)eit,  inbem  er  in  feinen  auf  ber 
SBafferfc^eibe  jröifc^cn  SRu^r  unb  SBupper  an  bem  SBcgc  groifc^cn 
üRül^cim  unb  ffilberfclb  gctegcnen  ^of,  weld^cr  ben  SRamen  bcS 
Scfifecrö  fül^rtc,  fieben  ©cnoffen  aufnahm,  ©ic  trieben  SBScbcrei, 
bereu  örtrag  burd^  Otterbecf  oertauft  würbe,  unb  ftanbcn  unter 
feiner  unb  cineö  änbcrn,  SRamend  Säumer,  Slufftd^t.  S)ie  3n» 
ftruction,  welche  i^nen  Icrfteegcn  ert^eilte,  ift  bem  britten  Sanbc 
ber  ffirbaulic^en  ©riefe  (©,  462—470)  angehängt  >).  ©ie  bc* 
äcid)nct  aU  bcn  ©cruf  ber  Srüber,  bie  SBelt  unb  beren  ®cift 
ju  oerlaffen,  bcr  üerbcrbten  Siatur  unb  bem  eigenen  Sebcn  be^ 
ftänbig  abjufterben  unb  Xag  unb  9lad)t  mit  ®ott  umjugc^en 
burc^  bie  Ucbung  bcd  wahren  ©ebeted.  @iner  äRön^drcgel  fielet 
biefe  Slnwcifung  nid^t  birect  ä^nlic^,  ba  fic  augerbem  nur  bic 
gegenfcitige  3)icnftfertigfeit,  5lufric^tigfeit,  öcfd^eibcn^eit,  bic  SSer^^ 
meibung  bed  Slrgwo^nd  unb  (Stgennu^e^  empfiehlt  unb  barauf 
©ewic^t  legt,  ba§  man  feine  guge^örigleit  ju  ber  ©cnoffcnfc^ft 
bcr  „^ilger^ütte"  al^  bie  Stnorbnung  ber  göttlid^en  Sorfe^ung 
anertcnne.    SBicUcid^t  wäre  eine  Siegel  öon  weniger  freiem  @c* 


1)  tIbgeDcudt  bri  ®oebd  6.  440  ff. 


479 

präge  jiDccfmägtgcr  gcttjcfcn.  S)enn  ein  SBricf  3;crftcc9cn'«  t)on 
1737  im  jtocitcn  Sanbe  bcr  ©ammlung  (9lr.  113)  Ilagt  barübcr, 
ba§  cg  mit  bcn  örübcrn  nid)t  tocitcr  gc^e,  ba§  fic  träge  jum 
@cbct  unb  in  bcr  ©elbftberlcugung  nid^t  burc^greifenb  feien, 
^bie  offenbaren  Äuöbrüc^e  babon  t^un  euc^  faum  bie  äugen 
auf",  „ffii^  ift  ba  feine  ^erjlid^e  Raffung,  Siebe  unb  Sereinigung 
unter  einanber.  deiner  glaubt  ed  mit  t)oQer  SBa^r^cit  unb  (Ein- 
falt, ba§  alle  Slnbcren  beffer  finb  ate  er  felbft.  Äciner  fud^et 
rcd^t  ^^^  i>^  Zubern  ift''.  (£d  ift  traurig  ju  fe^en,  bag  biefed 
Unternehmen  eined  ^lofterd  bon  feinem  eigenen  (Stifter  biefed 
ßcngnig  erfahren  mugte.  (£^  t^at  bid  gegen  bad  @nbe  bed  Sa^r^ 
^unbertiS  fortbeftanben;  DieUeid^t  ^ätte  c^  gar  nid^t  foOen  in'i^ 
SBcrf  gefegt  »erben.  3)enn  bie  m^ftifd^e  grömmigfeit  ^at  i^re 
$eimat^  bod^  nur  in  ben  fat^olifd^en  jflöftern  aU  S(n^ang  ju 
ber  ISinäbung  ftatutarifc^er  unb  ad!etifd)er  Heiligung  (@.  61). 
3n  bem  erften  öanbe  ber  ©rieffammlung  (©.  420—480) 
finbct  fic^  Don  §offmann  unb  lerfteegen  unterfd^rieben  ein  „Qcmq^ 
nig  ber  SBa[)r^eit,  bie  ba  ift  nad^  ber  @)ottfeligfeit  tpiber  einige 
gefährliche  (äJrünbe,  bie  jur  ®efd|önigung  ber  falfc^en  %v^\f)t\t 
beigebracht  n)erben.  3^^  nöt^igcn  äßarnung  etlicher  berufenen 
Seelen  unfercr  3^^*-"  ®oebel  (©.  350)  giebt  an,  ba§  bicfe 
SSarnung  t)or  offenem  Slntinomidmud,  loelc^e  1727  gefc^rieben  unb 
an  einen  g^eunb  unb  S3ruber  abbrcffirt  ift,  nac^  ber  DtterbedE 
gerietet  fei.  äßcnn  aber  bad  tid^tig  ift,  bann  fönnen  nic^t  bie 
bort  eben  angefiebelten  Srflber  ben  Slnlag  gegeben  ^aben;  benn 
biejenigcn,  meli^e  cd  angef)t,  mcrbcn  a(d  fol^c  be^^cic^nct,  bie  „in 
bafigcr  unb  angränjcnbcr  @cgenb''  in  bcr  äßclt  leben.  9lllcin 
c^  ift  eben  bemerfendmert^,  bag  in  bem  Greife  ber  (Srroedten 
folc^c  (Srfc^einungen  Dorgefommen  finb,  bie  ein  bircctci^  ®egcn* 
ftücf  gegen  Scrftecgen'i^  abfielt  bilben.  ^3^r  ßcben  ift  eine 
falfc^e  fünblic^c  grci^cit,  toorin  fic^  einige  tt\m^  fubtiler  unb 
flilgcr  auffahren,  anbere  aber  i^rer  oerbcrbten  9latur  bie  3^8^^ 
fliegen  laffen.  3n  i^ren  SRcbcn  finb  fic  unbcbad^tfam  unb  frei. 
äBenig  ober  nic^t  reben  fie  oon  gciftlic^cn  2)ingen,  mit  bcr  Sßelt 
aber  unb  unter  einanber  loerbcn  fic  oft  ©tunben  lang  oon  um 
nöt^igen,  unerbaulid)en,  citclen  fingen  fc^ioa^en.  ©ic  ^aben 
fein  Sebenfen,  mit  ber  eiteln  SBelt  ju  conbcrfircn,  i^re  ©efelt 
fd^aften  ju  fud^en,  unb  fic^  i^ncn  in  ©^cr}reben,  Sad^en  unb 
onberen  X^or^eiten  gleich  ju  fteQen.   Sber  bie  gemeinfamen  unb 


480 

befonbcrcn  ©cfcüfd^oftcn  bcr  grommcn  [ud^en  fic  cnttocber  nit^t, 
ober  geben  in  benfclbcn  tunb,  ba§  fic  bcr  gottfcUgen  ©efpröc^c 
balb  mübc  finb.  j)a  man  t)ox\)tt  fo  über  bic  äWagcn  fic^  cinge* 
jogen  ju  galten  fc^ien,  fo  bog  man  faum  bie  Sugen  ou^ufc^Iagen 
loagtc,  lägt  man  nun  feine  ©inne  [fcrumfd^meifen  in  (Effen  unb 
Printen,  in  ©e^en  unb  ^ören.Snßicrlic^fcit,  ©taot  unb^rac^t, 
fotoo^l  in  j^letbung  old  in  ^an^xatij,  fteUt  mond^er  fic^  ber  SScIt 
grob  genug  gleid^.  IStnige  laffen  fid)  baneben  oon  ber  (Einfalt 
ab  in  fc^äblic^c  ^öl^en  bcr  SSernunft  führen  unb  oerbcrben  i^rc 
3eit  mit  ©peculationcn  unb  atterlei  @el)eimniffcn  bcr  Statur, 
legen  fic^  aud)  auf'd  ©udien  be$  Lapis  philosophoram  unb  bed 
Unioerfalö.  S)iefe  xoit  bie  oorigen  geben  ju  üerftc^en,  ba§  ftc 
eine  geringe  Sld^tung  gegen  bie  ^eilige  ©d}rift  ^aben ;  aOe  mög* 
lid^en  SJüc^er  lefcn  fic,  bie  Söibel  aber  Wenig  ober  gar  nic^t,  fie 
nennen  felbigc  ein  ©efefebud),  ba^  fie  nic^t^S  mc^r  ange^t^ 
SRad)  biejer  ©c^ilberung  barf  man  fragen,  nad^  mcld^em  SWaß^ 
ftabe  btcfe  iieute  überhaupt  noc^  ju  ben  ©ottfcligen  ge^ren, 
benen  fie  fo  unä^nlic^  geworben  finb.  3Ran  erfennt  aber  an 
iören  Stvgumentcn,  xocld)t  Serfteegcn  auöfü^rlic^  roiberlcgt,  bag 
fie  ben  S)oben  ber  d^riftlic^en  ©elbftbeurt^cilung  unb  getoiffe 
pietiftifc^c  ffiorau^fcftungcn  gcrabe  feftl)alten,  inbcm  fie  biefclbcn 
mißbrauchen,  ©ie  berufen  fid)  alfo  auf  bie  @nabe  unb  g^ci^it 
beö  ©oangclium^  gegen  ba^  ©efefe,  auf  bie  Siegel  ber  Aufrichtig* 
feit  gegen  bie  fteud^lerifc^c  SSerftedung  il)rer  fünbigcn  Steigungen, 
auf  bie  ©Icic^gültigfcit  ^n)if^cn  böfen  ^anblungen  unb  bSfen 
3nclinationen,  auf  bic  ^ö^^w^fl  ©ottci^,  ber  bie  ©ünben  um  bct 
^emüt^igung  mitten  ^ulaffc,  auf  bie  gcl^eimc  Sltlmirffanite\l 
®otteö,  melc^er  bie  ©ünben  t)crüorbred)en  läßt,  unb  bcm  nvs^ 
nid)t  miberftcl^cn  fann,  enblic^  auf  bic  SBieberbringung  Stier  IS^ 
©cligfeit,  mctc^c  ÄUen  biefclbcn  ßäuterungen  frü^  ober  fpät  ^^^' 
erlegt,  unb  ben  Unterfd^ieb  jmifd^en  ©ottlofcn  unb  fjrom 
aU  meniger  groß  erfc^cinen  lägt,  mie  gemöf)nlid^  angcnom 
mirb.  2)iefcö  ift  eine  erfc^rcdcnbc  ©tufcnrei^c  oon  ®rün" 
um  fo  erfd)redEenber,  fofern  biejenigen,  meldte  fid^  i^rer 
bienen,  trofc  ber  SBeltförmigleit  i^rcd  ßcbcnS  bie  SJcrbinb 
mit  ben  Srmcdten  unb  frommen  nod)  nic^t  völlig  abgebroi 
^aben.  ©ag  man  biefe  SRotijcn,  wie  ©ocbel  meint,  auf  bie  ffiHcr^^/^ 
Motte  *)  in   (Slberfclb  bejie^en   bürfe,   ift  mir  unwa^rfc^einC^^^' 

1)  IB0L    beten   2)acflenung  buc^   ®oebe(   III.  B.  456—598.    5^/^ 


481 

®cnn  iDcnn  and)  bicfc  ©cfcüfc^aft  1726  tr)r  S;rct6en  begann, 
roclc^cd  im  ©onjen  old  antinomiftifc^  bejeid^net  tottben  mug,  fo 
n^ar  tl^ctld  btefer  t^r  S^arafter  im  folgcnben  Sa^rc  nod^  ni^t 
offenbar,  t^eil^  bilbete  fte  bamatö  einen  eng  unb  gcl^eimnigDoQ 
gcfd^Ioffenen  Äreiö,  ttjä^renb  bie  öon  S^erftecgcn  gcfd^ilbertcn 
ficute  fporabifd^  aufgetreten  finb  unb  mit  i{|ren  Ueberjeugungen 
unb  Argumenten  nic^t  jurüdge^alten  l^aben.  Wlan  barf  aber 
o^ne  ©d)aben  barauf  öerjid^ten,  fie  in  beftimmtcn  ^crfoncn  na^ 
2un)eifen.  ®ie  finb  nämlid^  nur  n^td^tig  ald  Symptom  für  bic 
gefedfc^aftlid^e  unb  ffir  bie  päbagogtfc^e  ^ebeutung  bed  $ieti^ 
mu^  in  ber  üon  Xerfteegen  angebeuteten  ®egenb,  b.  ^.  SIberfelb. 
2)er  ^ieti^mud  mug  bort  fo  bominirt  ^aben,  bag  aud^  folc^e,  bie  in 
t^m  nic^t  audjubauern  üermod^ten,  unb  fid^  nun  ffir  ben  frfil^em 
ßioang  burc^  gefteigerten  SBeltfinn  fd)ab(od  ju  l^alten  fud^ten, 
fic^  auf  fc^einbar  religiöfe  Orfinbe  baffir  befinnen  mußten.  S)cr 
ülima;  in  ben  oben  angeführten  @rfinben  Uerrät^  auc^  nid^td 
tt)eniger  ald  bona  fides,  fonbern  eine  üoUenbete  ^rioolität;  unb 
ba^u  pagt  bie  Eingabe,  bag  menn  bie  93ertreter  biefer  Slnftd^ten 
aus  SinftanbSrfldfid^ten  noc^  bie  Sonücntifel  befnc^ten,  fie  mit 
fpöttifd^en  @eberben  ober  mit  groben  SEBorten  i^re  Slbneigung 
bagegen  ju  erfennen  gaben.  @oDte  e^  nic^t  oicdei^t  in  jener 
®cgenb  n)ieber^olt  öorgefommen  fein,  ba§  pietiftifd^e  ffiriiel^ung, 
»cnn  fie  nid^t  jum  giet  fül^rte,  »eil  fie  überl^aupt  nicftt  aQge^^ 
mein  gfiltig  ift,  offene  Abneigung  unb  $ag  gegen  bai^  S^riften« 
t^um  gepflanjt  ^at?  2)ann  f)at  jene  unjn^edmägige  päbagogifd^e 
3J2et^obc  bamatö  unter  bem  gefeQfc^aftlidien  3^^"S^  ^^  $ieti^ 
mu^  ben  fd^limmeren  ©c^abcn  ber  öerftedten  g^ioolität  l^eroor^^ 
rufen  fönnen,  meiere  aDen  möglid^en  ISinfc^ränfungen  beiS  Sßelt» 
finnS,  benen  man  ftc^  ffigen  mugte,  burd^  bie^red^^eit  beSt^eo« 
retifc^en  AntinomidmuS  bie  @pi^e  bot.  ^enn  bie  (Srjie^ung  ift 
itaturgemäg  bie  fc^mäd^fte  @eite  bei^  ^ietidmug. 

2)ie  eben  befprod^enc  SBarnung^f^rift  ift  ein  neuer  ©etoei« 
bafür,  bafe  lerfteegen  mit  bem  gefammten  ^ietii^mud  in  gefell- 
jd^aftUd)er  SBerbinbung  ftanb,  obgleich  er  feine  quietiftifc^e  SF^^ftif 
ton  ber  ®ottfelig!ett,  bie  er  oorfanb,  ju  unterfc^eiben  Urfad^e 
l^atte.  (Er  nimmt  aber  tbtxx  eine  anbere  ©tedung  ein,  atö  bie 
93ourignon,  $oiret,   @id^te(,  n^eld^e  i^re  gleid^en  ober  ä^nUd^en 

(Scf^etnung  ttberge^e  t^    obfl^tli^,  »eil  fie  nur  auf  1Benfl<ft^tt,  Sttrflgerei, 
^errf^fu^t  unb  Vbergloube  sufammtnoeje^  ifL 

I.  81 


482 

SReinungcn  bloS  in  bem  engftcn  grcunbcgfrcifc  ober  litcrarifc^ 
vortrugen.  Slid^t^  bcfto  tüenigcr  l^aftet  an  bcr  quictiftifc^cn  9Kd^« 
tung  t)on  Xcrftcegcn  noc^  eine  anbete  mid^ttge  Slbtt)eic^ung  Don 
ber  pietiftifd^en  ^rabition,  nämlid^  bie  ©teÖung,  mld)t  er  ftc^ 
jur  Äirc^e  gab.  ©i^^er  f)aitc  ber  ?ßictiöntuö,  wie  in  ben  9Kcber* 
lanben,  fic^  alö  bie  in  ber  Äird^e  ben  Xon  angebenbe  JRid^tung 
behauptet.  3n  bicfem  ^alle  erflärte  SBil^elm  Srafel  bie  rcfor:^ 
mirte  Äirc^e  für  bie  einjig  richtige  Äird^e,  neben  meld^er  bie  rS- 
niifd^e  al^  bad  3abel,  aber  au^  bie  (ut^erifd^e  atö  eine  mit 
bielen  Srrtpmern  behaftete  jurücfgeftcQt,  unb  Sut^er  atö  ber 
fpäter  (äJefommene  gegen  3^i"9ti  ^erabgefcfet  rourbe  (©.  292). 
3n  ber  reformirten  Äird^e  ©eutfc^Ianb^  jog  ber  ^ietidmuö,  fo 
»ie  er  einbrang,  ©eparatiömnö  na^  fid)  (©.  398).  3ebod^  in 
ben  nieberrl^einifd^en  ©ebicten  hielten  o^nc  3^^'!^^  ^^^  firc^li^c 
unb  bie  feparatiftifc^e  Haltung  beS  ^ietiSmu^  fic^  gegenseitig  im 
©c^ac^.  ©0  Xüeit  bie  bortige  rcformirtc  Äird^e  fic§  an  bie  9lic* 
bertanbe  anlef)nte,  war  ber  ^ietiömug  bcrcd^tigt,  pd^  alö  bie  am 
meiften  fird^Iic^e  Partei  ju  benehmen,  hingegen  bie  (Stntnirfungcn 
t)on  SKittelbcutfd^tanb  l)er,  namentlid)  fold^e,  wel^e  mit  tl^cofo- 
pl^ifd^em  ©toffe  erfüllt  waren,  jogen  feparatiftifd[)e  Slufle^nung 
gegen  bie  öerberbte  Stixijc  nad)  fid|.  %xo^  biefcö  ©cgenfaftc^ 
fonnten  fi(^  bie  beiben  @ruppen  öugerlic^  in  ber  Snt^altung 
t)om  8lbenbmal)l  berül^rcn.  S)enn  bem  firdjlid^en  ^ietiömuS 
waren  öon  Jlnfang  an  bie  SJcbenfen  angestammt,  ob  man  felbft 
^eilig  genug  fei,  um  bad  ©iegel  bed  ©nabenftanbed  gu  empfangen, 
ober  bie  ©emeinbejud^t  wirffam  genug,  um  un^eilige  ©enoffen 
ber  ©acramentöfeier  fern  ju  galten.  lerfteegen  erflärt  im  Sa^tc 
1735,  ba§  er  in  feiner  äußern  Äird^e  jum  Slbenbma^I  gel^e,  weil 
er  auö  antrieb  feineö  ©ewiffcnd  fid^  beffen  l^abe  enthalten 
muffen  >).  SBcnn  man  feine  Ätagc  über  ben  JBerfaH  ber  Qndft 
in  ber  reformirten  fiird)e  (©.  466)  bamit  öergleic^t,  fo  wirb  bcr 
julefet  angeführte  ©runb  für  i^n  gültig  gcwefen  fein.  2)abci 
le^nt  er  e^  aber  fcf)r  ernft  ab,  für  einen  ©cparatiftcn  ober  ©ec» 
tirer  gehalten  ju  werben.  SBenn  er  nämli^  mit  ©ewiS^eit  er^ 
fennen  follte,  bag  ®ott  me^r  burd)  fein  Slbenbma^lge^en  atö 
burc^  fein  2)at)onbleiben  fönnte  üerl^errlic^t,  ober  ber  SRäc^fte  in 
SBa^rl^eit  erbaut  werben,   fo   würbe  er  im  Uebrigen  fid^  wenig 


1)  (Sr(QuIi4e  Briefe  II.  Str.  76. 


483 

©frupcl  barauS  machen,  ©eine  urfprünglic^c  Anficht  Don  ber 
Slot^tDcnbigfeit,  fic^  bcr  Slbcnbma^tögcmeinfd^aft  mit  @ottIo[en 
ju  cntjte^cn,  tft  in  einem  Sluffafec:  ,,3ubai^  ejcommunicirt,  ober 
SScr^anblunfl  üon  bcm  äbcnbma^l  Subä  3fc^ariot^"  enthalten  *), 
ti^ortn  er  bic  t^rage  nad^  ber  Zf)eiInQ^me  bei^  SSerrät^erS  an  bem 
Slbenbma^I  S^rifti  in  entgegengefe^ter  {Richtung  old  Sampe 
(@.  442)  beantwortet.  @r  f)at  auc^  fein  fieben  lang  bie  Snt^aU 
tung  t)om  Slbenbmo^I  fortgefe^t,  unb  bad  Sted^t  baju  aufredet  er^ 
galten;  er  t)at  jebo^  in  Dielen  einjelnen  $äOen  bai^  entgegenge« 
fe^te  SBer^alten  angerat^en,  n^eil  er  unter  aden  Umftänben  bem 
©eparatidmug  aufS  ^öd^fte  abgeneigt  n^ar. 

S)enn  ber  ©eparatiömuö  öerrätti  gerabe,  je  heftiger  er  gegen 
bie  Unreinheit  einer  6onfcfftonötird)e  auftritt,  eine  UerftedEte  8n^ 
l^änglic^feit  an  biefelbe,  ttjenigftenö  infofern,  aU  er  bie  Siot^wen* 
bigfeit  einer  particularen  Jlird^enbilbung  äber^aupt  t)oraudfe^t. 
SBeil  biefer  ©ebanfe  bie  ©eparatiften  mit  ber  öon  i^nen  be* 
mangelten  fiird^engeftalt  üerbinbet,  ift  i^r  Äantpf  gegen  biefelbe 
fo  ^erbe  unb  giftig.  lerftcegen  ttjar  öon  folc^em  SSer^alten  am 
tt)eiteften  entfernt;  benn  i^m  waren  aOe  particularen  ^ird^enbiU 
bungen  aU  folc^e  äugerft  gleichgültig,  unb  in  fie  red^nete  er  au^ 
bcn  ©eparatiömug  ein.  ®r  ^ielt  fein  3ntereffe  bloö  auf  bie  ®c* 
mcinbe  ber  §eiligen  gerichtet,  meiere  er  in  jeber  etablirten  ^ar:^ 
tieularfirc^e  fannte  ober  DorauSfe^en  burfte.  ®aju  befähigte  i^n 
feine  äK^ftit,  bie  alö  folc^c  über  jebe«  lirc^lic^e  ©lauben^belennt^ 
ni§  ^inau^griff,  unb  bereu  äKufter  er  ebenfo  gut,  ober  me^r 
nod^  unter  Äatf)olifen  wie  unter  5ßroteftanten  entbedfte.  „2)ie 
Sürc^e  ift  nic^t^  anbereS  atö  bie  93erfammlung  ber  ^eiligen  ober 
bie  üon  ß^^ft^^^^^S  ^^  Sreatur  unb  ISigenl^eit  }u  @ott  t^er« 
fammclten  unb  mit  i^m  in  (S^rifto  t)erein igten  ©eelen.  Silier 
anbere  Siame  ober  Unterfc^ieb  gilt  üor  Oott  nid^tö.  ©agft  bu 
nun:  biefe  l^eiligen  ©celen  finb  nic^t  öon  meiner  5ßartei,  fo 
fd^neibeft  bu  bic^  bamit  ab  üon  ber  ©emeinfd^aft  beS  $aupted 
unb  ber  ©lieber"  ^).  §ierin  ift  eö  begrünbet,  ba§  Xerfteegen  mit 
Stecht  ben  Vorwurf  ber  ©ectirerei  Don  fid^  ablehnte.  2)enn  er 
tiHir  neutral  unb  gleid^gültig   gegen  ben  3eftanb  oerfc^iebener 


1)  3n  ben  9{a40e(affenen   ^luffa^en  unb  tlb^anblungen,  1842.    Sergl. 
^nthtl  B.  420  ff. 

2)  SebenSbej^reibungen  ^etlioer  6eelen.  I.  Sorrebe  8.  XXIV. 


484 

ßonfcfftonöfird^cn,  tüä^rcnb  ein  ©cctircr,  inbcm  er  bic  Sonfcfponfc 
txxäft,   t)on  ber  er  ausgegangen  tft,  befel^bet,  eigentlich  fte  nac^ 
feinem  ßoncepte  t)er6effern  iPtIL    2)eS]^aIb  UerfäQt  ein  ©eparattfl 
nur  in  bie  gerabe  entgcgengefe^ten  $e^(er,  als  tueld^e  er  an  ben 
©enoffen   ber  Äirc^c  rügt.     SSon  foldjen  geljlern  ift  Sicrftcegen 
burd^auS  frei ;  juSng^erjigfett/^ocI^mutt),  Ungebulb,  SSerbitterung 
ift  er  niemals  öerfud^t  worben.    3n  bem  oben  angesogenen  ©rief 
erläutert  er  feine  ©tellung  ju  ben  jfirc^en  noc^  burc^  folgende 
@ä^e:  „$iäi  glaube,   bag  fomo^l  in  ber  ^artci  ber  Stömifd^fia« 
t^olifc^en  als  unter  ben  Sut^cranern,  SReformirten,  SRennoniften 
bie  Seelen,  nid)t  n)eniger  als  unter  ben  ©eparatiften,  ffi  bem 
^d^ften  ©ipfel  ber  Heiligung  unb  SSereinigung   mit  @ott  ge< 
langen  fönnen.    äBenn  aber  einer  in  feinem  ©etoiffen  überzeugt 
ift,  biefe  ober   jene  Äird^engebräuc^e  feien  roiber  ®ott  unb  i^m. 
an   feiner  Heiligung   ^inberlid^,   ift  er  Verpflichtet  fid^  folc^ 
2)inge  ju  enthalten.    3ni  umgete^rtcn  ^^aüt  ift  er  verpflichtet 
ftd^  i^rer  ju  bebiencn,  unb  wenn  ein  ©eparatift  von  i^m  üct^ 
langt,  ba§  er  fid^  abfonbern  folle,  fo  ift  berfclbe  nic^t  unparteiift^ 
fonbern  ein  eigenftnniger  ©ectirer.  üReiue  ^crfon  unb  SScr^alten 
anlangenb  fo    ^ange  ic^  feiner  9ieligionSpartei  fectirifd^er  S33cife 
an,  l^abe  mid^  auc^  uon  feiner  Partei  förmlich  feparirt,  bin  auc^ 
nod^  nid)t  ©inneS  eS  jU  t^un".  ®r  fügt  ^inju,  bafe  er  ju  jcbcin 
frommen  ^rebiger,  lut^erifd^,  reformirt  ober  fatl^olifc^,  jur  Sirene 
ge^e,   unb  bag  er  mit  allerlei  9{eligionSt)ern)anbten  umgebe,  um 
über  bie  Onabe  ®otteS  in   S^rifto,  ©elbftoerleugnung,  ®fW, 
Siebe  ju  ®ott  mit  i^nen  ju  reben,  laffe  aber  i^nen  baS  ©cbaubc 
i^rer  befonberen  Äird^enüerfaffung  unb  üReinungen  unangctoftet. 
Wlit  befonberen  3Äeinungen   ^alte   er  ftc^  eben  nid^t  auf,  ou4 
nid^t  mit  ben  beliebten  unb  berufenen  Meinungen  vieler  ©cpow^ 
tiften :  von  bem  gaHe  beS  Slutic^rift,  vom  taufenbjjä^rigen  Sei4 
von  ber  Säuterung  unb  SBieberbringung  unb  bergleid^en.   ß^ 
felbft  unb  aller  Sreatur  ju  fterben,  bamit  ic^  in  @ott  leben  ntöS^ 
in  ß^rifto  3efu,  baS  ift  mein  ganjcS  ©el^eimnife  bcS  ©laubcn^'« 
©e^r  le^neidö  ift  eS,   ujie  Sterfteegcn  von   biefem  ©tontM 
punft  aus  über  bie   ®rünbung   ber  ^errn^utifc^en   ®emcinl)^ 
urt^eilte.     SBir    erfahren    auS    ber   ßebenSbefc^reibung^,  ^ 
ßinjenborf  fic^   aDe  SKü^e  gegeben   ^at,   aud^  Icrfteegen  u»* 


1)  (i¥bau(t(^  »Tiefe  IH.  @.  50  ff. 


485 

feinen  Anfang  in  [ein  ga^maffcr  ju  bringen,  ytaä)  öoronge* 
gangenen  Briefen  bcö  ©rafcn  crfc^ien  bei  lerfteegen  1737  üRartin 
S)obcr,  ein  ®epife  beffelbcn  „bcr  fic^  unfcrcm  ©cligen,  um  i^m 
auf  bicfe  SBeife  fein  ^crj  ju  ftcl^Ien,  ju  güßen  lüarf  unb  um 
feinen  Segen  bat".  Sierftecgen  aber  Ue§  fic^  nic^t  befted^en, 
fonbern  t^ot  boö  ©eine,  um  ber  ^errn^utifd^en  äJiobe,  bie  unter 
ben  frommen  einriß,  entgegen  ju  Wirten.  3m  So^re  1741  l^atte  er 
einen  2lnla§,  feinem  oben  citirtcn  ©runbfafe  ber  SReutralität  gc» 
mä%  jju  crtlären,  ba§  er  fid)  mit  benjenigen  unter  ben  $errn« 
läutern  vereinigt  UJtffe,  bie  in  feinem  ©inne  ber  ©elbftöerleugnung 
®ottc^  Äinber  finb.  SBorin  fie  fid)  aber  üon  anberen  Äinbem 
©otted  nnterf (Reiben,  billigt  er  burc^aud  nic^t,  unb  er  bebauert, 
bag  JU  ben  ©Haltungen  in  ber  S^riften^eit  nod^  neue  ^injugeffigt 
tocrben.  SBaö  i^n  nun  an  3^«äcnborf'^  SÄet^obc  ber  g^ömmig« 
feit  befrembet,  unb  mad  er  aU  Seic^tfinnigleit  bejeic^net  *), 
tommt  barauf  l^inaud,  bag  man  bort  mit  ber  ^efe^rung  in 
etlichen  ©tunben  ober  lagen  oöüig  fertig  fein  will,  ba§  man 
biefe  SJ^et^obe,  ben  @Iauben  unb  bad  Süangelium  ju  ergreifen, 
öftere  burc^  einen  gefeilteren  S^rieb  aufjubrängen  t)erfud^t,  enb^^ 
lic^  bog  man  bie  gefällte  SSerfic^erung  ber  ©änbenoergebung  atö 
bad  mef entließe  Sennjeic^en  bed  rid^tigen  @laubeni^  be^eicl^net. 
9iun  gehört  freili^  3*'^ä^"^orf  in  ber  SÄet^obc  ber  grömmigfeit 
mie  Xerfteegen  ju  ber  jal^lreic^en  geiftlic^en  ^amilie  bei^  ^eiligen 
Sernl^arb  unb  ju  leiner  anbcrn  *) ;  aber  jener  gehört  ju  bem 
3to€igc  bed  I^omaö,  biefer  ju  bem  Steige  beö  3)un3.  ©eö^alb 
fönnen  fie  ftc^  barüber  nid^t  ücrftänbigen,  ob  bie  ©eligfeit  ober 
ber  ©nabenftanb  in  ber  birecten  ©rfcnntniß  ber  fpecieUen  ©ünben* 
bergebung  unter  ber  notl)tt)enbigen  Segleitung  ber  greube  befte^t, 
ober  in  ber  ©claffenl^eit  be^^  SBilleni^  unter  ®ütt,  meiere  gegen 
ben   äBec^fel  üon  religiöfer  ^reube  unb  religiöfer  (Entbel^rung 


1)  lEBarnungSfd^retbcn  »iber  bte  fietd^tflnntgfett,  »ottn  bie  not^toenbige 
^erbtnbung  ber  Heiligung  mit  ber  Sle^tfertigung,  »ie  au4  »aS  (Seje^Ud^  unb 
tDQi  (^ngeU{4  if^/  türgUd^  angegetget  ift  (oon  1746),  enthalten  in:  ^eg  ber 
SSa^r^eit,  bie  ba  ift  na4  ber  O^ottfeltgfett.  5.  9Iuf[.  Solingen  1781.  6.  193—260. 

2)  Sgl.  3in)enborf,  ^iScourfe  über  bie  ^lugSburgij^e  d^onfeiflon 
6.  154:  ,3n  ^Inie^ung  beS  9{e{))ect§  \>ox  ben  lEBunben  3e{u  unb  ber  Anbetung 
{einer  gangen  (eiligen  ^Dlarterpeifon  (alte  i((  e8  mit  ben  i^at(olifd^en'. 
34  entlegne  biefe  Stelle  ber  mir  nid^t  gugfinglitten  S^rift  auS  Sd^neden« 
burger'S  Sorlefungen  über  bie  Heineren  proleftantif^en  lhrd^en|)arteien  6. 196. 


486 

glcid^gültig  i[t.  Slber  innerhalb  bc^  StotxQt^  bcö  X^omaö  fclbft 
iDctc^t  ßinjenborf  cbenfo  üon  bcm  fogcnannten  cDangelifd^en  $ietid^ 
mu^  ab,  tüic  er  fid^  öon  lerftecgcn  untcrfc^eibct,  nämlic^  barin, 
bog  er  fid^  bte  formale  ©elbftüerlcugnung,  btc  IStnprögung  beS 
(Slenbei^  unb  ber  Siid^tigfcit  ober  bog  Sampe'fc^e  SBurmöbcrougt^ 
fein  (©.  431)  crfpart,  unb  o^ne  biefc  Vorbereitung  boju  anleitet, 
bag  man  aud  ber  Intuition  ber  fieiben  S^rifti  bie  SSerftd^erung 
ber  ©finbenöergebung  unb  bic  ©cgenticbe  fc^öpfe.  ffi^  tft  fe^r 
begreiflich,  bag  bie  3i"äcnborf'fd)e  Seitenlinie,  toetd)c,  um  mit 
Oottfrteb  Ärnolb*)  ju  fprcc^en,  fid^  auf  bic  metap^^fifc^e 
Siebe  jur  SBeiö^eit,  auf  biefcn  ^d^ftcn  im  §o]^cnliebc  geroiefenen 
SBeg  ber  ©ottfeligfcit  befd)ränftc,  o^ne  öorl^er  auf  bem  niebri» 
geren  et^ifc^en  SBcge  in  ber  ©elbftöerteugnung  fic^  ju  üben, 
ben  SBerbad^t  ber  Uned)t^eit  bei  bcn  übrigen  gamiliengliebcm 
erregte.  2)enn  bie  gamilientrabition  ^iclt  fic^  baran,  ba§  für 
bie  fat^olifc^e  ®ruppe  bie  a^fettfd^e  Heiligung  bed  SDJönc^leben^, 
für  bie  euangetifd^e  ®ruppe  bie  immer  n^ieber^olte  @tnprägung 
ber  fünblic^en  unb  gefd^öpflid^en  iRid^tigfeit  üoraudge^en  muffe, 
beöor  man  auS  ber  ©eiten^ö^le  beö  Sräutigamö  ©ügigfcit  fcftöpfcn 
ober  in  H)x  9iu^e  finben  bürfe.  Äann  man  fid^  »unbern,  baft 
eö  in  jenem  Äreife  ate  Seic^tfinnigleit  erfd^ien,  ba§  3^^^"*^^^ 
bie  ^öc^fte  aufgäbe  im  ginge  löfcn  leierte?  SKugtc  ed  nid^t  ben 
©ottfeligen,  bie  i^rer  üorauögel^enben  ©elbftüerlcugnung,  ober  ber 
©elbftuerleugnung  al^  bem  @anjen  oblagen,  fo  t)orfommen,  als 
ob  ber  @raf  auö  ber  ärt  gef erlagen  fei?  Unb  er  roar  c^  aud^, 
jumal  barin,  bag  er  t)on  SBerlaffungen  feine  regelmüjsige  Sr^ 
fa^rung  l^atte,  burd^  n)eld^e  i^m  baS  im  93orau^  überfprungene 
S3ett)u§tfein  ber  völligen  Siic^tigfcit  alö  ein  unöeräugcrlid^e^ 
©tüd  ber  richtigen  3J2et^obc  eingeprägt  n)orben  n^äre.  Unb 
biefer  SKann  mit  abnormer  unb  öerbäc^tiger  grömmigfeit  ^ielt 
fid^  für  berufen,  alle  ^inber  ®otte^  unter  Sinen  ^ut  ju  bringen 
unb  als  befonbere  @emeinbe  ju  conftituircn  I  @o  ettoa  ^aben 
tt)ir  bie  Umftänbe  beö  SluftretenS  uon  ginjenborf  ju  ocrgegcn* 
tüärtigen,  unb  mit  bem  bisherigen  ©ange  beS  ?ßietiSmuS  ju  oer* 
gleid^en,  um  eS  burc^auS  öerftänblid^  ju  finben,  bafe  Icrfteegcn 
i^n  fo  beurt^cilt  f)at,   tt)ie  eS  vorliegt.    Db  3^"i^"^ö^  trofebem 


1)  ^tfforte  unb  Scfd^retbung  ber  m^fttfd^cn  St^oote  (Sranffuri  1703) 
e.  138. 


487 

btc  „äKctap^^ftf"  bcö  ^o^cnüebeg  ftud^tbarct  gemacht  ^at,  ate 
cö  in  bcn  älteren  ©c^tc^ten  feiner  aSertoanbtfc^oft  gelungen  ift 
fann  bei  biefer  Gelegenheit  no(^  nid^t  entfd^ieben  n^erben. 

S)ie  Sieutralität  gegen  bie  öerfd^iebenen  Partien larRrc^cn, 
ttjelc^e  lerfteegen  ausübte,  njar  baburc^  bebingt ,  bafe  er  in  einer 
prote[tantifd)en  Äirc^e  feine  ^eimat^  ^atte.  3"  [^^"^  3^^^*  ^^^ 
cd  nur  erft  im  ^ßroteftantiömu^  niöglic^,  gegen  bie  Uebereinftim* 
mung  in  ber  innern  grömmigfeit  bie  Trennung  in  ben  Sultuö* 
unb  Sied^töformen  bcr  Äird)en  gering  ju  fc^äfeen.  3nbcffen  fc^icn 
Xerfteegcn  biefe  Neutralität  bcö  eigenen  ©tanbpunlte^  ju  öer^^ 
le^en,  inbem  er  in  ben  Sebenöbcfc^rcibungen  ^eiliger  ©eelen  nur 
fold^e  SKufter  ber  g^ömmigfeit  öorfü^rte,  meldte  ber  lat^olif^cn 
^irc^e,  unb  jti)ar  äbern)iegenb  i^rer  eontrareformatorifc^en  ISpo^e 
angehören.  @r  fal^  fid^  Veranlaßt,  in  ber  Sorrebe  ju  biefcm 
SBerfe  ber  Cinwenbung  j"  begegnen,  lüarum  er  feine  ®jempcl 
ber  ^eiligen  unter  ben  ^roteftanten  l&inäufüge.  2)arauf  em)ibcrt 
er,  bog  ed  i{)m  borouf  anfomme,  bie  au^ti)ärtigen  unb  unbefannten 
SWufterbilber  ber  ^eiligleit  üorjufü^ren;  fügt  iebod^  ^inju,  ba§ 
biefe  l^eiligen  ©eelen  gerabe  nad^brücfUd^e  3cuflwiffc  ber  eöangc* 
lifc^en  SBo^r^eiten  ablegen,  fo  ba§  ftc  ,,mit  l^öc^ftem  Siedet  Göan- 
gelifd)e  Sl^riften  ju  nennen  finb".  2)emgemä§  bejeid^net  er  fein 
fflSerf  ate  ein  ©eitenftücf  ju  glaciu§  3cw9e«  bcr  SBa^rl^eit,  ttjeld^c 
unter  ben  Mömifdi-ftat^olifd^en  ju  finben  allejeit  im  Sntereffe 
ber  ?ßrotcftanten  liege.  SBie  nun  bie  ^roteftanten  überl^aupt  bcr 
SBa^r^eit  gemäß  glauben,  ba§  ©Ott  nod^  feinen  ©amen  in  bcr 
römifc^en  Äirc^e  ucrborgen  ^abe,  fo  gelte  biefe^  öon  ben  üR^ftifem. 
Dag  biefelben  jugleic^  bcn  römifc^en  ©afeungen  anfangen,  billige 
er  jtt)ar  nic^t,  ^altc  c^  aber  für  entfd^ulbigt  burd^  @ott  fclbft, 
ber  jene  SluiScrtoä^ltcn  geliebt  l^at;  unb  bafe  ftc  mciftenö  im 
Älofterleben  geftanben,  fönne  nic^t  anftögig  fein,  ba  Sobenfte^n 
(©.  161)  unb  ©pener  bie  ööOigc  «bficHung  beg  Äloftcrlcbcn« 
burd^  bie  SRcformation  migbiUigt  ^aben.  Ginc  SBcrlocfung  jum 
^ßapfttl^um  enblic^  ^afte  nid)t  an  ben  Sebcnöbefd^rcibungen, 
ba  bie  SSerbammung  beö  Duictiömuö  bie  g^cmbartigfcit  biefer 
grömmigteit  gegen  bie  römifc^e  fiird^c  betoeifc. 

S)urd)  biefe  einleitenben  (Srörterungcn  wirb  fcftgcftcDt,  bag 
cd  Xerfteegen  bei  ber  Don  i^m  t)ertretcnen  quietiftifc^en  äKct^obe 
toid^tig  ift,  ftc  für  bad  cDangelifc^^f irc^lid^e  S^riftent^um  ju  galten. 


488 

3)ann  aber  f)at  feine  anficht,  ba§  bie  äR^ftifcr  0  btc  rid^ttgcn 
S^riften  überhaupt,  tn^befonberc  ober  bie  (S^angelif^en  in  ber 
römifc^en  ^ird^e  feien,  bie  ^ebeutung  einer  ©efammtanft^t  üon 
ber  Äirc^cngef^ic^te,  tuelc^c  über  ben  nä^ften  3^^^  ^^  Grbau^ 
ung  ber  ©eftnnungdgenoffen  ^inou^greift.  S^erfteegen  ift  nid^t 
ber  ISrfte  unter  ben  ^roteftonten,  n^elc^er  bie  @letc^fe|ung  Don 
eDongelifc^em  S^riftent^um  unb  W^ftif  aui^gefproc^en  f)at  (Er 
l^at  hierin  an  $oiret  unb  ©ottfrieb  Slrnolb  wirlfamc  SSorgänger 
gehabt,  meiere  t^eild  bie  3R^fti!  für  bie  c^riftlic^e  ^Religion  felbft 
erflären,  t^eild  bie  Sn^ftifer  auc^  atö  bie  testes  veritatis  üor 
ber  ^Reformation  anerfennen  *).  ÄHein  Sierfteegen  ^at  in  S)eutfd^* 
lanb  ber  SBern)ecl^feIung  ber  3J2^ftif  mit  bem  eDangelifd^en  S^riftem 
t^um  birect  SBorfc^ub  geleiftet,  inbem  er  nad^  bem  SSorgange  oon 
?ßoiret  bie  lange  Steige  öon  äRuftem  jener  grömmigfeit  in  ber 
römifd^en  Äird^e  jugänglic^  mad^te.  Uebrigenö  ift  lerftecgen'ö 
Slnfid^t  Don  ber  ^ird^engefdjic^te  ^ierburd^  nod^  nid^t  t)oQftänbig 
d^arafterifirt.  2)a§  bie  üR^ftifer  ber  römifd^en  Äird^e  nic^t  nur 
im  3Rittela(ter,  fonbern  aud^  feit  ber  Spod^e  ber  fpanifc^en  Son^ 
trareformation  bie  »a^ren  (£öangelifd)en  finb,  ift  nur  ber  eine 
§ebel  feinet  3ntereffcö;  ber  anbere  ift  bie  Anficht,  bog  fcitbem 
bie  SBoDfommenl^eit  be^  urfprüngUc^en  S^riftent^umö  mit  bem 
8luff)ören  ber  Verfolgungen  aus  ber  fiird^e  fo  gut  wie  üerfcftmun* 
ben  ift  unb  bem  ^eltfinne  $Ia^  gemad^t  l^at,  bad  n^a^re  (S^riften^^ 
t^um  nur  bei  ben  (Eremiten  fortgebciuert  ^abe,  bid  auc^  biefer 
®tanb  burd^  ben  Uebergang  in  bie  flöfterlid^cn  ^Bereinigungen 
feine  SRein^eit  öertoren  ^at.  Grft  bie  „S^^^flc"  ^^^  SBal^r^cit* 
im  äKittelalter,  inöbefonbere  bie  üR^ftiter,  foHen  ben  abgeriffenen 
gaben  bcö  »a^ren  (S^riftentl^umg  lieber  aufgenommen  ^aben^). 
Sonftantin  alfo  tritt  ^ierburd^  in  baS  ungünftigfte  Sid)t.  iRod^ 
fiantpe  ^atte  bie  burc^  ben  erften  c^riftUd^en  ^aifer  bejeid^nete 
Spod^e  ber  Sirene  als  mo^Itptig  beurt^eilt.  ©ottfrieb  SLmolb 
befag  ju  üiel  ^enntnig  ber  ClueUen,  um  nic^t  ju  n)iffen,  bag  bie 


1)  %I.  Stvixitx  ^txxä^i  t)on  ber  ^^P  (5.  6epi.  1768)  in  SBe^  ber 
2Ba^r^ett  6.  885—346. 

2)  Poiret,  Bibliotheca  mysticorum  selecta  (Amstelodami  1706) 
p.  73.  ®.  ^rnolb,  ^tftorte  unb  Beitreibung  ber  m^füfd^en  X^eologie  (granf* 
fürt  1703)  6.  212.  216.  286. 

3)  9(briB  d^rifllid^  (Srunbioa^rl^eiten  8.  382  ff.  Untertrieb  unb  gfori* 
gang  in  ber  d^ottfeligfeit ;  VI.  6tü(f  in  9Beg  ber  SBa^rl^eit  6.  306  ff. 


489 

SBcmcUlidöung  bcö  ß^riftcnt^umö  fci^on  aug  btx  Qdt  öor  Soit* 
ftantin  batirt.  Icrftecgcn  icbod^  iftbcm  SBinIcöon  ßoccejug  (©.  143) 
gefolgt,  inbem  er  behauptet,  nur  bic  (SinftcIIung  ber  Serfolgungen 
burc^  ßonftantin,  unb  bie  gefeQfdjoftUd^c  ©tc^er^eit  beöScIennt^ 
niffe^  Derfc^ulbe  ben  3iuin  beö  Kfiriftcnt^umö.  2)urcl^  il^n  alfo 
ift  bie  unter  ^ictiften  gangbare  Ungunst  gegen  ben,  loie  %cx^ 
[teegen  fagt  „fo  fe^r  gelobten"  Äaifer  Konftantin  herbeigeführt 
toorben,  meldte  fic^  ber  glcid^cn  Stimmung  ber  granci^caner* 
©piritualen  unb  ©ö^mifc^en  ©ruber  anfc^Iie§t.  Seibe  ©ruppen 
ftnb  babei  aud^  gteid^  gut  über  bie  Umftänbe  unterridCitet,  unter 
bcnen  ßonftantin  ben  großen  ©d^aben  ber  Äird^e  öerurfac^t 
^abcn  foß.  9lur  finb  bie  grancigcancr  be^  äRittelalter^  jiemlidE) 
ju  cntfc^ulbigen,  inbem  fie  j^u  »iffen  meinten,  ba§  ber  Äaifcr 
ben  $apft  ©ilöefter  mit  bem  Sntperium  über  baö  Slbenblanb 
befleibet  ^abe. 

®g  fommt  ein  l^o^eö  3Ra§  Don  gälfd^ung  ber  ©efd^idjte  ba* 
bei  ^erauö,  ba§  bie  Äird)c,  tt)cld)e  feit  bem  6nbc  beö  jmeiten  ^aiju 
^unbertö  ju  einem  ©taat  im  ©taate  ^erangemad^fcn  mar,  unb 
auf  bie  Slnerfennung  burd^  baö  römifc^e  Üteid^  red^nete  unb  tt)ar^ 
tete,  in  biefer  Spod^e  biö  auf  Sonftantin  ein  ftiHer  Srbauungö^ 
öerein  gcttjefen  fein  foß,  bem  burd^  feine  ftaatlic^e  ^riDilegirung 
förmlid)  ©cmalt  anget^an  toorben  fein  müßte.  (Sine  nict)t  minbcr 
große  gälfc^ung  ber  @efcf)ic^te,  aber  eine  ücr^ängnißöoHere  ift  eS, 
baß  jugleic^  bie  raffinirte  8töfefe  unb  abftumpfenbe  ©rübelei  ber 
quietiftifd^en  SRonnen  au§  ber  6pocf)c  ber  Kontrareformation  für 
baS  aut^entifd^e  eöangelifc^e  S^riftent^um  Sut^er'ö  ausgegeben 
wirb.  Ratten  bie  äRänner,  toeld^c  biefen  Srrt^um  f)erbeifül)rten, 
leine  Äenntniß  baüon,  baß  3gnatiu!ä  oon  So^ola  ber  näc^ftc 
SSenoanbtc  jeneö  Sw^^^fl^^  ^^^  fpanifd£)cn  SReftauration  beöSat^o^ 
licigmuö  ift?  baß  bie  SK^ftif  ber  ©d^ooß  ift,  auö  melc^em  bie 
ftreitfertige  Sinrid^tung  beö  Sefuitenorbenö  entbunben  tt)urbe? 
baß  bie  Don  SgnatiuS  Dorgefd^riebene  9lufopferung  nid^t  bloö  beö 
SnteDectö,  fonbern  and)  beö  SEBiDenö  nur  eine  befonbere  änroen* 
bung  bjer  Slufgabe  ber  m^ftifc^en  SBiHenlofigfeit  ift?  SEBenn  bie 
^eiligen  ©eelen,  tt)eld)e  Xcrfteegen  öorfü^rt,  bie  Beugen  ber 
eöangelifd^en  SBaf)rt)eit  finb,  bann  ift  fein  fpecififcf)er  Unter* 
fc^ieb  jmifdjen  Jfatl^oUciömuö  unb  $roteftantiömuö  me^r  gültig, 
bann  läßt  man  jenen  in  bem  ©cbiete  beö  le^teren  ju,  bann 
arbeitet  man   gerabe  bem  firc^lic^en   SBeltreic^   in  bie  $änbe, 


490 

tt)eld|c§  in  feiner  SBertretung  burd)  Sonftantin  fo  fetcrlid^  pcr^orrc^* 
cirt  ttjorbcn  ift !  ©oebcl  *),  tt)eld^er  Sierfteegcn  mit  ^ol^er  Scrcl^rung 
begleitet,  crflärt  bie  „fiebcnöbcfd^rcibungen  l^eiliger  ©eclen"  für 
bcffcn  ungcfunbcfte  unb  bcbcnflic^fte  ©c^rift,  tocil  fie  o^nc  Äritif 
bie  ©agen  unb  Slngaben  öon  ©rfc^cinungen,  Offenbarungen  unb 
©ntjüdEungen  bicfer  $ßerfoncn  mitt^cilt  unb  bcren  Sntfagung  öon 
allem  9iatürlid)en,  SKenfdilidöcn  unb  Sittlichen  beg  irbifc^cn 
Scbenö  atö  ein  3)iufter  ber  SoDfommenl^cit  barftcDt.  (£r  fügt 
l^inju,  ba§  Icrftcegen  in  feinem  ©trcbcn  nad^  d^riftlic^er  Unpar* 
teilic^Ieit  parteiifc^  für  bie  römifc^^fatl^olifc^c  SBcltcnt* 
fagung  unb  Heiligung  gegen  bie  eöangelifc^c  SBclt« 
übertDinbung  unb  ©laubenöfreubiglcit  getoorbcn,  unb 
bafe  baö  Sinfeitige  unb  9Scrfct)rte  feiner  quietiftifc^^m^ftifc^en 
3iicf)tung  in  feiner  anbem  ©c^rift  fo  n)ie  in  biefer  ^eröorgctretcn 
fei.  ©ocbel  tjat  fjiermit  in  furjem  2luöbrud  ben  ©cgcnfaft  ixou 
fcf)en  bem  eöangelif^en  ß^riftent^um  unb  bem  cDangelifc^cn 
©d^ein  bcr  lat^olifd^en  SK^ftif  üornjeg  bejeic^nct,  ben  id^  oben 
im  öicrten  Kapitel  burd)  bie  8lnal^fe  ber  ^rcbigten  ©cmbarb'ö 
über  baö  ^o^clicb  fcftgeftcDt  ^abc.  3Rcin  Vorgänger  befc^ömt 
burd)  bicfcö  fc^lid)tc  Urt^eil  bie  unfrud£)tbare  Sieb^aberci,  in 
njcld)er  fo  SSicte  fic^  bemüt)en,  bie  Qvlqc  eöangelifc^cn  S^riften^ 
t^umö  an  SDcQftilcrn  bc^  ÜJiittclaltcr^  ^crüorju^eben,  loelcftc  barum, 
bag  fie  fic^  auf  eine  aBertf)fc^ä^ung  ber  @nabe  ftü^cn,  noc^ 
leincömcgeö  eöangelifd)  in  unfcrem  ©innc  finb,  fonbern  nur  im 
©inne  be^  latcinifd)en  Äatl)oliciömu$.  Um  bie  ©rmittclung  bicfe^ 
©inne^  aber  gc^t  man  immer  forgfältig  ^erum.  ©o  iDirft  bie 
öon  ^oiret,  2lrnolb,  levfteegen  begangene  gälfc^ung  bcr  ©e- 
fd^idjte  in  bcr  heutigen  Söeurt^eilung  unb  (Srforfd^ung  ber  SR^ftif 
einfad)  fort.  2Rit  ©ocbcl'ö  mitgct^cilter  ©rflärung  ftimme  ic^ 
nur  in  einem  fünfte  ni^t  überein.  @r  bemängelt  an  ^erftccgen'ö 
35arftellung  ber  l)ciligen  ©eclen,  ba§  bie  ©rfc^einungcn  unb 
Offenbarungen,  mid)c  bercn  Sieben  auffüllen,  nic^t  fritifc^  be* 
leud£)tet  ober  in  3^^'ifcl  gt^jogcn  n^erben.  Snbeffen  biefe  finb  öon 
ber  ©ad)c  untrennbar.  3)ie  ganje  ?lrt  ber  m^ftifc^en  grömmig- 
feit  bcruöt  barauf,  bafe  „jn)ifd)en  bem  SBort  (Sottet  unb  bcr 
©ecle  wie  gmifc^en  jmei  9lac^baren  ober  tt)ie  jtt)ifc^en  9)rau^ 
tigam   unb  Sraut  eine  fe^r  öertraulic^e  Q\vit]\>xa6)c  unter* 


1)  %  a.  o.  e.  333. 


491 

galten  lüirb.  ©cmgcmäg  fliegen  üon  beiben  ©eiten  bie  SBorte 
füget  alö  ^onig,  fditocben  bie  öon  SBonne  ganj  erfüllten  Slidc" 
(©.  49).  SDZit  einfeitiger  ßontemplotion  beö  ^errn  3efuö  unb 
feiner  Seiben  ift  eö  alfo  nic^t  getl)an;  biefelbe  rid^tet  fic^  öiet 
me^r  jn  iljrcr  ^öf|e  nur  auf,  toenn  i^r  @cficf)tö^  unb  ©c^ör^^ 
crfd^einungen  be^  ©elicbten  entgcgcnfommen.  SEBiß  man  an  bicfen 
Äritif  üben,  fo  ^ebt  man  aud^  ben  SBert^  beö  contemplatiöen 
Äuffc^lDungö  auf,  unb  fann  e^  fic^  erfparcn  mit  bemfelben  ju 
f^mpat^ifircn.  S)ie  öon  S8ernt)arb  eingeführte  9Ketf)obe  bc^  Um* 
gangö  mit  bem  ^cilanbc  ober  ber  ©emeinfc^aft  mit  bem 
§errn  3cfuö  Derläuft  entttjeber  an  ber  @rtt)iberung  ber  fe^nfüd^* 
tigen  (Kontemplation  bur^  ©d^auungen  unb  beutlid^e  (Sinfprad^en 
ober  ift  ein  leerer  litcl  unb  eine  täufd)enbe  gormel;  jebenfallö 
ift  fic  bem  eüangelifdfien  ©tauben  unferer  ^Reformatoren  mel^r 
unä^nlicf)  ate  ä^nlid^.  3)a§  iebod)  hierüber  fo  öiel  Unflar^cit 
verbreitet  ift,  unb  ba§  l^ieran  fo  oft  unberechtigte  Slnfprüd^e  ge= 
fnüpft  »erben,  ift  oI)nc  3^^Ucl  burd^  bieö  S3uc^  öon  lerfteegen 
mit  öerfc^ulbet. 

SRic^tö  befto  toeniger  ift  e^  Sierfteegen  toertf),  ba§  man  nid^t 
im  ©treit  üon  il)m  Slbfc^icb  ne^me.  SlUerbingö  ift  feine  Son* 
ftruction  ber  Äirc^engefci)ic^te  ebenfo  öerfe^lt,  roie  feine  9leutrali« 
tat  gegen  alle  particular^fird^lic^en  ©eftalten  ber  allgemeingültig* 
feit  entbehrt.  2ßan  lann  innerf^alb  bcö  allgemeinen  ßljriften* 
t^umg  nur  ©tellung  nehmen  entioeber  burd^  ben  Slnjcf)lu§  an 
eine  befonbere  Stuöprägung  bcffclben  ober  burd^  bie  ©rünbung 
einer  neuen  Sefonberfieit.  SBir  fönnen  auc^  Xerfteegen  nur  Der* 
ftel)en,  inbem  loir  nac^  biefcn  @efict)töpunlten  feine  Scfonber^eit 
feftfteHcn.  6r  ift  eine  unregelmäßige  ©rfc^einung ;  mit  feiner  in 
ber  fatöolifd^en  Äirdje  l^eimat^öberedE)tigtcn  Slrt  ift  er  in  bie  re* 
formirte  Äird^e  öerfd^lagen.  2)cön)egen  ift  er  neutral  gegen  bie 
Unterfc^iebe  beibcr.  Slber  inbem  er  jugleid^  ficft  gegen  alle  Sc» 
fonber^eiten  fird^lidjer  @cmeinfcf)aftöbilbung  gleichgültig  öerl^ält, 
unb  gar  feine  SScrfud^ung  erfät)rt,  eine  neue@emeinbe  feiner  Art 
jU  grünben,  fo  fönnen  njir  axxd)  al^  ©etcnner  ber  oben  au^ge* 
fprod^enen  ©runbfä^e  i^m  unfere  ©^mpat^ie  nic^t  entjie^en.  (S8 
ift  fc^on  etroaö  roertf),  oorüberge^cnb  bei  bicfem  einfieblerifd^en 
ajianne  ju  öernjeilen,  njcld^er  bie  gemcinfame  2lufgabe  be^  (S^riften* 
t^umö  im  ©picgel  feiner  fircf)lid^en  9ieutralität  unb  ben  grieben, 
ben  bie  äBelt  nic^t  giebt,  in  feiner  bemüt^igen  ©elaffenljeit  be^ 


492 

aSSillcng  in  ®ott  atifd^aueit  lägt.  2Kit  unfcrcn  ©runbfäfecn 
lönnen  toir  freilidö  nur  öorübcrgc^enb  unter  feinem  ©chatten 
t)ern)eilen;  benn  bad  S^riftent^um  prägt  feinen  SBert^  unb  feine 
aSirlungcn  nic^t  im  ©remitent^um  aug.  SlDein  lerfteegen'ig 
Sriefe,  »eld^c  bie  bircctcftc  ©rfdöcinung  feiner  ^crfon  bilben, 
mutfien  mid^  immer  an  mic  ein  füt)lcö  ßi^^n^^r  mit  gebämpftem 
Sichte,  in  lüeld^em  man  fic^  öon  ber  ^i^e  unb  bem  Äampfe 
bcr  Strbeit  unb  t)on  ber  931enbung  burd^  bad  greQe  £agedlic^t 
erl^olt.  @ö  ift  freiließ  nic^t  unferc  Scftimmunfl,  in  fold^er  ®n» 
fiebclei  bcr  9lu^e  ju  pflegen;  aQein  man  6et)ält  ben  n)o^Itl^uenbcn 
SinbrudE  baüon,  aud^  toenn  man  wieber  jur  Arbeit  unb  jum 
iJampfc  bc§  ücbcnö  jurüdgefc^rt  ift. 

^iernac^  barf  man  fid^  aud)  tnol^t  eine  SSorfteUung  barüber 
bitben,  ob  eö  Sierftcegen  gelungen  ift,  bie  ^ietiften  feiner  nähern 
Umgebung  im  ©anjen  in  feine  pcrfönlicf)e  Stimmung  l^ineinju* 
jieficn,  unb  ob  bie  ga^lrci^e  Ifieilna^me,  toclc^e  feine  Änbad^t^ 
Übungen  fanben,  bie  85ebeutung  ^at,  ba§  ber  gefammte  ^ictigmu^ 
in  ©crg  unb  ßlcöe  eine  neue  SntmidEclung^ftufc  erreichte.  S)ie 
$robc  für  bie  SScja^ung  biefer  5^age  mürbe  barin  ju  erfennen 
fein,  njcnn  alle  ©cparatiftcn  jener  ©cgenb  auf  bie  ©d^ärfe  i^rer 
ajerurttieilung  ber  beflc^enben  Äird)e,  unb  menn  alle  ?ßrebiger  in 
bcrfetben,  tt)cld)c  unter  Sicrfteegen'g  @influ§  ftanben,  auf  bag  3n= 
tereffe  an  i^rcm  Slmte  öcrjic^tet  Ratten.  9lacf)tt)ciölid^  ift  fcinö 
Don  SScibem  eingetreten.  2)ie  Sleutralität,  toelc^e  Xerftcegen  per* 
fönlid)  behauptete,  toar  nämlid^  mo^l  im  ©tanbe,  bie  fcparatiftifc^e 
©timmung  bei  ben  @inen  ^in  unb  ^cr  ju  milbern  unb  ba^  firc^^ 
lic^e  3ntcreffc  ber  8lnberen  in  gctoiffen  öejicf)ungen  ju  enoeic^en. 
Slbcr  eben  jene  Sleutralität  ift  nic^t  geeignet,  ben  baucrnben  I^pu^ 
einer  äal)lreict)en  ©ruppe  jU  bilben.  SSielmet)r  lann  man  fic^ 
nid^t  t)er()e^lcn,  bafe  »enn  e^  Xcrfteegcn  gelungen  tuäre,  feine 
fpccicDc  aiidjtung  unter  ben  $ßictiftcn  feiner  Umgebung  burd^* 
jufefeen,  bieö  jur  Äuflöfung  beö  ^ictitSmuö  üon  innen  ^erau^ 
gefüt)rt  ()ätte.  2)ic  Unterwerfung  unter  bie  quietiftifc^e  SDietl^obc 
würbe  bie  3;^attraft  gcläl|mt  l)abcn,  weldE)e  bcr  ^ietiSmud  in 
feiner  firdjlid^cn  wie  in  feiner  antifirc^li^en  Haltung  behauptet. 
SBie  tjätten  benn  bie  ^ictiften  <ilö  Quietiftcn  fortfahren  fönnen, 
über  baö  ©eelenl)eil  bcr  Slnberen  abjufpred^cn  ?  S)a  bicfe  SRac^t^ 
Übung  auö  bem  ©ebiet,  auf  weld^eö  fid^  lerfteegcn'!^  ©influfe  er* 
ftredte,  nic^t  öerf^wunben  ift,  fo  ift  fc^on  barau^  ju  f daliegen, 


493 

bag  bic  ©ntüirfungcn  Icrftccgcn'S,  loctd^c  bent  boHcn  SKagc 
feiner  Slbfic^t  entfprac^eit,  nur  fporabtf^  gciocfen  finb.  8"9lc^^ 
erllärt  fid^  auö  ber  paffiüen  SReutralität  feiner  religiöfcn  SRicfttung, 
ba§  feine  getreuften  Slnl^ängcr  leinen  antrieb  empfanben  fic^  üon 
ber  äßaffc  be^  $ietidmu^  a6iU)onbern,  auc^  inbem  mand^eS  fte 
bpn  bemfelben  ^ätte  trennen  lönnen.  S33o  hingegen  ber  ^ictig= 
mug  feine  eigentfjümlid^c  Il^atfraft  für  ober  gegen  bie  Äir^e 
einfette,  merben  eben  bie  borfic^tigen  Kat^fd^läge,  bie  lerfteegen 
crt^eilte,  leinen  StnHang  gefunben  ^aben.  S)er  5ßictigmug  rechnete 
befanntlid^  nad^  ber  Anleitung  bon  Socccjuö  auf  ben  no^en 
Eintritt  bejS  l^errlid^en  3"^^"^^^^  ber  Äirc^e,  in  tpelc^cn  aud^  bic 
totale  Söefefirung  ber  Reiben  unb  3uben  etngcfd^Ioffen  tourbe. 
3n  feiner  erften  ©cf)rift  f)at  lerfteegen  fid^  ju  biefer  (&vtt)ax' 
tung  bcfannt,  natürlich  in  bem  Sinne,  ba§  nic^t  menfc^Ii^e  ^n^ 
ftrengung  fonbern  ©otteö  SBunber  jenen  (Srfolg  herbeiführen  »erbe. 
9hin  ^atte  3emanb  fic^  auf  Selefirung  Don  3uben  gelegt,  unb 
burc^  einen  britten  bie  2lnfid^t  lerfteegcn'ö  barüber  ju  erfahren 
t)erfudE)t.  3cncr  SKann  folgte  offenbar  bem  Antriebe,  baß  man 
5u  ber  ^errlid^en  finfunft  ber  Äirc^e  burd^  eigene  3;f)ätig!eit 
cttoaö  beitragen  bürfe;  in  fold^er  Uebung  ber  3;^at!raft  toürbe 
ber  ^ietiömuö  bie  l^errlid^e  ßwlunf t  ber  Äirc^e  für  fic^  gett)innen. 
Snbem  nun  lerftcegen  in  feinem  ©riefe  Dom  22.  Slprit  1737 
baran  erinnert  ^),  baß  natt)  ben  legten  großen  ©erid^ten  ©ottei^ 
über  ben  Srbbobcn  bie  allgemeine  Sefe^rung  ber  3uben  ju  er:* 
warten  ift,  fo  fd^liegt  er  barauö,  bag  üor  fold^cr  Qdt  mit  menfc^^ 
lid)en  9J{itteln  toenig  ober  gar  nid^tiS  auöjurid^ten  fei.  6r  ge* 
fte^t  babei  ju,  ba§  jemel^r  bag  giel  ber  SSerfieiBungen  ^eranna^t, 
too^l  ber  eine  ober  anbere  3ube  öornjeg  beleljrt  mcrbe;  allein 
bag  fei  ©peciaignabe.  SEBenn  alfo  ber  Slnfragenbe  unter  biefer 
Sebingung  mirte,  fo  fei  i^m  aller  (Srfolg  ju  toünfc^en.  ©oQte 
aber  ber  gall  banad^  ju  beurt^eilcn  fein,  bag  enoedEte  Seelen 
Änbere  bele{)ren  tooHen,  el|e  fie  felbft  burc^bete^rt  finb,  fo  fei 
baöor  JU  toarnen,  bag  man  burc^  Sele^rungöoerfudEje  an  3uben 
bem  ^errn  vorgreife.  S)iefe  (Sntfc^eibung  ift  fe^r  tt)eife  unb 
correct;  fc^werlid^  aber  mirb  Sierfteegen  in  bem  öorliegenben  »ic 
in  anberen  äl^nlic^cn  gällen  ber  melgcfd()aftig  Dorbringenben  STOac^t 
beS  ^ieti^mud  Einfalt  getrau  ^aben.     9[n  biefem  93eifpiel  fann 


1}  (SrbauK^e  »riefe  n.  92r.  122. 


494 

man  crfcnncn,  loo  bie  ©rcnjc  für  bcn  (Sinffug  Icrftcegcn'ö  auf 
feine  pietiftifc^c  ©emeinbe  gejogcn  ttjar.  (So  ift  burc^auS  tjcr^ 
ftänbUc^,  ba§  nur  menigc  äuöcrtoä^Ite  nad^  feinen  ©runbfä^cn 
itjren  ß^araftcr  gebilbet  l)a6en.  ginben  fid^  aber  ©tiHe  im  Sanbc, 
toeld^e  ftreng  gegen  fic^,  milb  gegen  Slnbere,  befc^räntt  in  i^rcr 
6rfcnntni§,  in  ber  fiiebe  mcitl^erjig,  crnft  unb  roarm  in  ber 
grömmigleit,  in  firdölid^en  SoIIifionen  {)ingegen  gelaffcn  unb  gc:^ 
bulbig  finb,  fo  toerben  fic  fic^  alö  ecl)te  Slnf)änger  öon  Serfteegcn 
funb  geben. 


22.  So^atttt  Sta^pat  £at>ata. 

Sleufterlid^  angefeften  beftefjt  ber  größte  ©egenfa^  jroifc^cn 
bem  bcmcglicfien,  öielfeitigen,  ben  SSerfefir  mit  ber  SBclt  fuc^enbcn 
^rcbiger  in  3ütic^  unb  bem  ftiHen,  gelaffenen,  einfiebtcrifc^en 
©tunben^alter  in  Slßülljcim  an  ber  9lul)r.  Irofebem  finb  jie 
©lieber  in  berfelben  9ieif)e.  Aber  frcilid^  rairb  in  bem  Sontraft 
xi)xcx  perfönlid^cn  Srfd^einungen  ein  eigent^ümlidjer  Umformung 
ber  ©eiftcöbcmegung  angebeutet,  in  Deren  SJienft  ber  eine  toic  ber 
anbere  ftcf)t.  gür  biefcn  Srfotg  ift  cö  nicf)t  gleichgültig,  bafe  Sa* 
üatcr  in  feiner  §eimat^  ganj  anbere  SSorau^fe^ungen  feiner  Sit» 
bung  fanb,  aU  lerftecgcn  in  ber  feinigen.  Älö  biefer  1724  in 
öffentlid^e  SBirtfamfeit  trat,  mar  ber  eöangelifd)e  ^ietiömu^  niebcr* 
länbifd^er  §crtunft  feit  ^roei  SKenfc^cnaltcrn  jur  öorfjcrrfc^enben 
SRic^tung  in  ber  calDinifd^=rcformirtcn  Äirc^e  am  9iieberr^ein  ^er* 
angcmac^fcn ;  unb  biefciS  tuar  möglicl)  geworben,  tueil  biefe  SRic^« 
tung  fi(^  auf  bie  am  meiften  d)araftcriftifcl^c  fiel&rc  Don  ber  (8r* 
mäfitung  unb  SSermerfung  ftü^tc.  3)iefe  Se^re  nun  war  crft 
1675  burc^  bie  Formula  consensus  ecclesiarum  helveticaram 
auc^  ben  reformirten  Sirenen  in  ber  beutfd^en  ©d^tpeij  cingcfd^arft 
tt)orben,  unb  ftanb  unter  bem  birecten  ©c^ufee  ber  ftaatgfirc^lic^cn 
Sluctorität,  alö  feit  1680  ber  ^ietiömuö  ber  beutfc^4utl)crifc^en 
Art  importirt  tourbe,  ttjeldjer  gerabe  gegen  bie  ^rage  über  <5r* 
toäl^lung  unb  SSernjerfung  ööDig  gleid^gültig  mar.  ©er  ?ßietid* 
mu^  trat  alfo  in  3ö^i^  i"  baffelbe  SÄigDerpitnig  ju  bcn  firc^* 


495 

lid^cti  3iiftänbcn,  lote  cg  glcid^jettig  in  Sioffau  unb  Reffen  ber 
gaQ  toar  ^).  2)ie  SSorrcbc  ju  bcr  angeführten  „Serfu^ungöftunb" 
bejeic^nct  bie  ^ictiften  im  SlUgemcincn  aU  fold)e,  njelc^c  fic^  üor 
Änbercn  rüfimen  ba§  t^ätigc  E^riftent^um  5U  förbcrn.  „ffiö  giebt 
»o^Imcincnbc  unter  ifincn,  benen  mir  bie  böfen  geiler  Slnbercr 
nid^t  anrechnen;  aber  bie  ^eutjutagc  ^etiften  l^cigen,  finb  öon 
benen,  bie  Dor  breigig  3öl^ren  bageloefen,  merflid^  abgemic^en, 
inbem  fie  bie  meisten  Strtpmer  ber  SEBiebertäufer,  ©c^ttjcnffclb'g, 
^aracetfi,  SSSeigel^  ^atob  Sölime'ö  u.  ?l.  treiben  unb  ber  Öbrig* 
feit  i^r  ©c^u^^^  unb  ®d)irmred)t  über  bie  Äirc^e  unb  beren  Sel)re 
entreißen,  aud^  baö  ^rcbigtamt  öeräd^tlid^  mad)en  möd^ten.  35arum 
fiberfc^njemmen  fie  bie  SBcIt  mit  Söüd^ern  ber  äß^ftifcr,  Siauler'ö, 
©ebaftian  gran!%  ^icCö,  §oburg'ö  u.  81.  unb  lodEen  bie  ©d^tuad^en 
unb  bie  SBeiblein  an  fic^".  2)iefe  ©d^ilbcrung  erinnert  an  SBiU 
^elm  85raferö  Unterfd^cibung  jtoifd^cn  ben  toofjlmeinenben  unb 
ben  bö^miftifc^en  ^ictiftcn  in  2)eutfd^lanb  (©.  302). 

2)ie  cinjelnen  gäHe  öon  ^ieti^mug,  xodä)c  in  ber  angeführten 
©c^rift  jur  ©prac^e  lommen,  laffen  auc^  ©eutfc^lanb  unb  nid^t 
bie  9lieberlanbe  ate  ben  Ort  il^rc^  Urfprungö  erfcnncn.  Am  13. 
©eptcmber  1689  l^aben  bie  ®jaminatoren  (ber  Äird^enrat^)  gegen 
einige  SSüvger  unb  ben  SöarbiergefeQen  3o^.  griebrid^  Speyer  aus 
Samm^^eim  in  ber  ^falj  ju  üer^anbeln,  njel^e  bcf)aupteten,  ein 
SBiebergeborener  f önnc  nic^t  fünbigen.  ©ic  beriefen  fid^  bafür  auf  baö 
geugni^  bc^  ^eiligen  ©ciftcö  in  iljren^erjen  unb  auf  Offenbarungen, 
bie  fie  Ratten,  unb  nannten  alg  ben  Urfjebcr  i^rer  Anficht  einen 
©tubenten  SBalter  ober  S33oltcr  auö  Süneburg,  ber  lüieber^olt  in 
3ürid^  unb  S3ern  gemefen  fei  unb  bafelbft  biefe  Set)re  verbreitet 
^abc.  1692  njurbe  @eorg  ßi^^fllcr  „tocgen  feiner  unnötigen 
©laubengle^re  unb  gemacf)ten  2ln^ange^,  aud^  toegen  üerbädjtiger 
ßonöcntifet"  beö  geiftlic^en  ©tanbeö  entfeftt,  unb  feine  ©enoffen 


1)  %I.  Serfu^ungS^unD  über  bie  eüangelti^e  ^ir^e  burd^  neue  felbfl' 
(Qufenbe  $rop^eten,  ober  lurse  ^rjä^Iung,  idqS  1689—1717  in  3üri4  koegen 
be§  Abel  genannten  ^ietiSmi  t)er^QnbeIt  loorben.  3üri4  1717.  ^uS^Uge  barauS 
in  Si^Joeijer,  Centralbogmen  II.  6.  748—767.  getner  6tuber,  ber  ^ietiS« 
mu§  in  ber  Süt^eriftS^en  l^ir^e  am  Anfang  beS  Dorigen  3fl(r^unbert; 
na4  ungebrudten  Urlunben,  in  Sa^rbu^  ber  ^i{)ori{4en  (SefeÜfd^aft  Süri^er 
2:Mo0en.  (Srßer  $anb,  3üri4  1877.  8.109—209.  Unbrau^bar  ifl  Sin  ber, 
bie  reformirte  l^ir^e  ber  S^mei)  im  Stamp]  mit  bem  $ieti8mu8  unb  (Btpaxa* 
iiSmuf,  in  geitf^rift  fUr  ^iflorii^e  t^ologie  1869.  @.  273-312. 


496 

an  i^rc  ©eelforgcr  ücrtüiefcn.  1698  lourbcn  einige  Sürger  jur 
Serantmortung  gejogen,  tocit  ftc  einen  Iractat  ber  3anc  Scabe 
jum  2)rud  Deförbcrt  Ratten,  in  melc^cm  „bic  funftige  ^Befreiung 
ber  böfen  ©eifter  auö  ber  §öHe  gelehrt  tourbe,  »eil  bicfclben 
au§  ®otte§  SBefen  erfc^affen  feien".  S)iefelben  Ratten  fernermit 
@Ieid)gefinnten  in  Sern,  worunter  einige  ^rebiger,  eorrefponbirt, 
and)  m^ftifc^e  SBüd^er  unb  perfönlid|c  SJefud^e  auögctaufd^t.  6ö 
ergiebt  fid)  auö  anberen  SScrfjören  üon  Sßitgliebern  biefer  ®xuppc, 
ba§  fie  einen  Iractat  beö  in  3)eutfc^lanb  üertt)eilenben  ©amucl 
Äönig  aug  Sern  (©.  406),  „ber  SBeg  jum  grieben"  ju  Derbreiten 
fuc^ten,  toelc^er  bie  SSoHenbung  ber  ^Reformation  unb  bie  Scfei* 
tigung  ber  üon  i^r  herbeigeführten  9Jiängel  ber  Äirc^c  beffir* 
toortetc.  3n  biefem  Iractat  mirb  ber  (S^rgeij  unb  bie  ßönffuc^t 
ber  ^Reformatoren,  bie  ©etoalt  beg  ©taatcö  in  ber  Äirc^e  gerügt, 
bie  SRot^njenbigfeit  ber  SBicbergeburt  betont  unb  bie  ac^t  §aupt= 
lafter  befämpft.  ®leicl)jeitig  1701  lam  eine  ^Stpologic  oberSSer^ 
t^eibigungöfc^rift  für  bie  fogenanntcn  ^ietiften"  jum  S5orfcf)ein, 
toelc^e  geftü^t  auf  ©ottfrieb  Strnolb'^  Äirdjcn^  unb  Äeftergefdjic^tc 
folgcnbe  ©ä^e  öertrat:  bie  Dbrigfeit  alö  fold^e  ge^re  nid^t  jum 
9icid^  ß^rifti,  bie  Äinbcrtaufe  fei  aJienfdjenfa^ung,  ein  untoiebcr* 
geborener  ^rebiger  fei  fein  2)iener  ß^rifti,  ber  (Srnjecftc  brauche 
bie  S5ibel  nid)t,  ber  ©e^eiligte  fönne  e§  biö  jur  ©ünblofigfcit 
bringen,  ba^  taufenbiä^rige  SReic^  ftel)e  öor  ber  Ipr.  1710 
mugte  ein  2)iafonuö  ©d^ärer  ju  Sid^tenfteig  im  Sioggenburg  ab- 
gefegt merben,  toelc^er  bie  ^Rechtfertigung  mit  ber  Heiligung  Der* 
mifd)te,  unb  ben  ©lauben  aU  ein  galten  ber  ©ebote  beutete. 
3n  SBintertfjur  ^aben  1714  einige  junge  ©eiftlid^e  ^riöatocr* 
fammlungen  gel^alten,  unb  jugteid)  auf  ber  ^anjel  t)on  bem 
SBertfie  beö  innern  SBortesi  ober  ber  ©albung,  ferner  Don  \>cx 
3uläffigfeit  ber  ©rttjartung  ber  SBieberbringung  3^wflwi6  ^^9^* 
legt,  fo  njie  gegen  bie  Se^ren  öon  ber  9ieci^tfertigung  unb  ber 
©nabentoa^I  SBiberfprud^  geübt.  @iner  berfelben,  Saäpar  3^^'^^' 
üerftonb  ft^  ju  einem  öffentlichen  SBiberruf.  (Snblic^  füf)rtc  ber 
©olbfd^mibt  Ulrich  ©iejenbanner,  toeld^er  auö  S)eutfc^lanb  jurücf* 
gefeiert  toar,  1716  im  2:f|urgau  aud^  nod^  ben  Snfpirationi^gcift 
ein,  unb  fanb  bafür  ja^lrcic^en  Änl^ang  ^). 


1)  Sgl.  (Soebel,  (S^ef^t^te  ber  toa^ren  3ni))tration^emetnben,  in  3^i« 
f^rift  für  (t^ortf(^  S^eologie   1864.  8.  418. 


497 

•  SBcnn  man  bicfc  ©ruppcn  öon  $länflcm  überblicft,  toetd^c 
in  einem  ß^itJ^öum  Don  27  3cif|rcn  na6)  einanber  flcgen  bie  or* 
tl^obojc  ©taat^tirc^e  ßöi^'^'^  auögerüdEt  ftnb,  fo  barf  man  ftc^ 
nic^t  njunbern,  ba§  fie  bcn  iierrf c^enben  Organen  bcr  Äird^e  leinen 
befonbcrn  9fiefpect  a6nötl)igten.  3c^  finbe  wenigftenö  feinen  @rnnb 
baju,  bag  bcr  Seric^terftatter  über  bicfe  (Srfd^einungen  *)  fte  im 
SSorauö  unter  ben  litcl  ber  ferngefunben  SReaction  be^  einfachen 
biblifd^en  Sfiriftent^umö  unb  ber  prattifdEien  grömmigfeit  gegen 
?ßfaffent^um,  ftarre  Drt^obojie,  ©laubenöftag  unb  fittlid^en  SBer* 
faO  ftcßt.  Ob  bie  ftrc^Iicften  unb  religiöfen  3uftänbe  güric^'ö 
am  Slnfange  beö  18.  Söi^r^unbert^  burd^  biefe  Dier  SÄerlmale 
tJoHftänbig  unb  richtig  bejei^net  werben,  ift  bißig  ju  bejtoeifeln. 
SlQein  toa^  l^at  bie  Seigre  Don  bcr  SBieberbringung  unb  bie  (Er^ 
toartung  ba^  taufenbiä^rigcn  9{eic^cS  mit  bem  einfad^en  praltifc^en 
S^rtftcnt^um  ju  t^un?  unb  toa^  bie  Einleitung  jum  @(aubcn 
an  unffinblid^e  SoQfommen^eit  ?  Unb  ber  ^roteft  gegen  bie  Sei* 
tung  ber  redC|tlic^cn  JS^ird^enorbnung  burc^  bcn  @taat  beutet  bod^ 
nur  auf  ein  anbere^  ©^ftem  bcr  Äirc^enöerfaffung  l^in,  tocld^e^ 
nac^  proteftantifd^en  @runbfä^en  belanntlic^  nid^t  de  necessitate 
salutis  ift!  $lOe  SJkrhnalc,  unter  benen  fi^  ber  ^ieti^muS  ^ier 
funbgicbt,  laffen  i^n  alö  f^ftcmlofc^,  firdöeuäcrftörcnbei^,  fd^tofir* 
mcrif^cö  Unternehmen  erfennen,  unb  beftätigen  jur  ©cnüge 
©ocbel'^  Urtljcil,  ba§  bcrfclbc  in  gleicher  SRid^tung  unb,  fagen 
XDix,  mit  faft  ilbcrcinftimmenbcn  STOittetn  toie  bie  SEBiebcrtaufcrci 
Dorgc^t.  Slbcr  eben  in  ber  ß^^fP^itt^ning  auf  allerlei  aparte 
2^eorieen  unb  ©runbfäfte  untcrfc^eibct  fid^  biefer  ^ictiSmug 
beutfc^en  Urfprung^  üon  ben  nieberlänbifc^en  Srfd^einungcn, 
TOcld^e  tt)ir  fcnnen  gelernt  l^aben.  S)iefe  finb  auf  feber  i^rer 
beibcn  ©tufen  in  fid)  gefc^loffcn ,  unb  fie  finb  auf  bem  Don 
i^nen  üorgcfunbcnen  Söoben  beö  calöiniftifc^en  ©^ftemg  tl^eitö 
toirflidf)  conferüatiü  unb  juglcid^  rcformatorifd^,  tf|eil§  mit  einem 
fo  ftarten  ©d^cine  biefer  ffiigenfc^aften  behaftet,  ba§  bcrfclbc  lange 
genug  Dor^altcn  fonnte.  SlHcin  bcr  Snilang,  toclc^cn  bcr  Don  S)eutf ^^ 
lanb  importirte  $ictiömuö  in  Qüixä)  unb  bcn  Don  il^m  ab* 
gängigen  Orten  gcfunbcn  \)ai,  ift  bod^  nur  eine  inbirccte  Slnjcigc 
für  bie  SRcformbcbürftigleit   bcr   tird^Iid^cn   ß^ftänbc   bafclbft; 


1)  etuber  0.  a.  O.  6.  110. 

I.  32 


498 

IctneöiDcgcö  aber  fiiib  bic  flatterigen  ßiebl^abercien,  toetc^c  in  bcn 
©ruppcn  bicfer  $icti[ten  gepflegt  tüurben,  t)on  irgcnb  einem 
SBert^c  für  bic  Sefferung  bcr  öieDcic^t  ftarr  unb  mcc^anif^  ge^ 
tt)orbenen  Drbnungcn  ber  Suric^cr  Äirc^e.  ©o  öerl^ärtct  fibrigeniS 
toaxcn  bic  SSertreter  berfelbcn  nic^t,  ba§  fic  bic  im  ^ictidmuÄ 
fid^  funb  gebenbe  Sßa^nung  übcrijört  ptten.  1711  fam  cö  in 
ber  ©^nobc  ja  SSer^anblungen  über  bic  9lot^n)enbigIeit  wndic' 
formen.  3)iefc  führten  junäd^ft  jjur  SRcüifion  ber  ^räbicanten* 
orbnung ;  bann  aber  entfd^log  man  fic^  jur  Sinfe^ung  einer  aud 
SRat^  unb  ©tjnobc  componirten  ßonfcrenj  „jur  SScrbcffcrung  bcd 
gäuälic^  crfaltctcn  unb  faft  öcrfaQcncn  Sijriftent^um^",  toclc^e 
am  Anfang  1712  i^re  Söcratf)ungen  eröffnete.  Älfo  bic  c^rift* 
lic^c  ©efinnung  tuar  in  bcn  Vertretern  ber  Äirc^e  Don  ^uüdf 
niäji  crftorben.  SBcnn  aber  auf  bem  SBcgc  bicfer  Sonferenj  nid^ti^ 
weiter  erreicht  tt)urbe,  al^  bic  ©infü^rung  einer  Äinberlc^rc  am 
3)onnerftag,  fo  ift  baö  fein  ©runb  bicfeö  Untcrncfimen  überl^aupt 
gering  ju  fdiäfeen.  3)cnn  cö  giebt  übcrfiaupt  für  bcn  ^roteftan« 
tiömui^  nur  jtt)ei  SKittcI,  bic  Äird)c  ju  bcffern,  einmal  bic  SSer* 
mel^rung  unb  Orbnung  bcv  äJiittcl  für  bie  (Srgie^ung  bcr  3ugcnb, 
jrocitcnö  bie  öcrftärttc  Ucbcrjcugungötraft  ber  ^rebigt.  S)aö  finb 
bclanntlic^  auc^  bic  ^auptmittcl,  meldte  bcr  Scfuitcnorbcn  jur 
^crfteQung  ber  lat^olifc^cn  iiirc^c  aufgeboten  ^at.  SBa^bcrfelbc 
augerbem  ju  bicfcm  3^cdc  öcrtücnbct,  bie  finnlid^cn  SReijmittel 
jur  3)et)otion  unb  bcn  B^^nfl  ^^  93cid^tftut)lg,  üerbictct  fic^  be^ 
fanntlic^  für  ^rotcftantcn.  3cnc  Sonferenj  in  Qnxidi  alfo  l^iclt 
fic^  innerhalb  il^rer  ©renjcn,  inbem  fie  bic  TOittcl  bcr  firc^Iic^en 
Sinberle^re  üermclirte;  benn  eine  neue  SKct^obc  überjeugung^ 
träftiger  ^rcbigt  fann  feine  fird^lic^c  Söcprbc  erfinben  ober 
öorfd^reiben.  S)cö^alb  ftc^t  aud^  iebe  SSeränberung  ber  re^tlic^cn 
aSerfaffung  bcr  Äird^e  au§er  allem  SSerf)äItni§  baju,  bafe  bod 
SEBort  ©ottcö  rein  unb  lauter,  öoUftänbig  unb  gcorbnet,  einbring- 
lic^  unb  überjeugung^fräftig  geprcbigt  merbe.  2)a§  man  am 
Slnfange  bcö  18.  Sa^r^unbert^  nirgcnbnjo  bcn  SRüdEtoeg  auö  ber 
Ortl^obojic  JU  ber  praftifc^en  ©cfammtanfd^auung  unfercr  SRcfor« 
mation  gefunben  ^at,  ift  aud^  mel^r  @cgenftanb  ber  ^lage,  ald 
8lnla§  JU  aSortt)ttrfcn  gegen  bcn  gciftlid^cn  ©tanb.  Scbcnfaü^ 
foQ  man  nur  nid^t  urtl)citen,  ba^  jtoifcficn  bcn  ^ictiftcn  unb 
bcn  ort^obojen  2anbcöfircf)cn  baffelbc  SScr^ältnil  ftattgefunbcn 
l^abc,  n)ie  jn)ifc^en  ß^riftud  unb  99clial. 


499 

3n  bell  crtüäl^itteti  SScrl^anblungcn  jur  Scffcrung  bcr  Krc^^ 
liefen  Drbnungcn  in  Sürid^  ^attc  ftd^  bcr  SBud^pnbler  3o^ann 
^ einrieb  SBobmcr  ^crDorgct^an,  locld^cr  al*  Obmann  gemeiner 
Slöfter  unb  alg  ßommanbant  ber  ßß^^cr  unb  SBerner  Iruppcn 
»fi^renb  bcö  Sioggenburger  ^egc^  eine  bebeutenbc  ©teßung  im 
©taotc  einnahm.  (Ein  Wlann  t)on  republicanif^en  Xugenbcn, 
jugleic^  unftet,  e^rgeijig  unb  rcc^t^aberifd^,  retigiM  encgt  unb 
lird^Iid^  intereffirt,  aber  aud^  für  bie  fd^toärmerifd^en  Sonfequenjen 
beg  ?ßictii3mug  jugänglid^,  ftiett  er  fid^  für  berufen  ba^  ©emein* 
»cfen  feines  ajatcrlanbci^  ju  reformiren.  3n  tt^etd^er  fllid^tung 
er  biei8  beabfid^tigtc,  ergiebt  feine  Äeußerung,  e«  »fire  möglid^  in 
QvLvidj  ein  SrommeH  ju  toerben.  ©eine  ©eltung  »ar  burd^  ben 
1712  erfolgten  Xoggenburger  Ärieg  gefteigert,  unb  er  l^ielt  eS 
für  ätoedfmäfeig  mit  ber  ?Refomt  bei8  ©taateS  ju  beginnen.  SDie 
^anb^abe  baju  bot  bag  bie  ^öupter  ber  9iegierung  für  @e« 
f^enle  unb  Sefted^ungen  jugänglid^  n^aren.  @S  gelang  i^m  nun 
eine  SReöifion  ber  ©taat^  unb  Sird^enberfaffung  burd^jufe^en, 
toddic  Don  ?luöfd^üffen  bed  großen  8lat^e«  unb  ber  Qm^t  be* 
ratzen  mürbe.  Snbeffen  nod^  e^e  biefe  Sommifftonen  i^re  Äuf^ 
gäbe  in  ber  SluffteQung  Don  14  9tet)ifiondtite(n  gelöft  Ratten, 
f^Iug  bie  ©timmung  ber  Sfirgerfd^aft  um,  unb  bor  Slblauf  bei8 
3al^reiB  njar  ber  am  meiften  bcfd£)ulbtgte  Sürgermeifter  micber* 
gettjä^It,  unb  bie  SRebifion  unmirffam  gemorben.  Söobmer  Der« 
legte  je^t  feine  Dppofition  auf  bad  fird^Iid^e  @ebiet.  Unb  j^mar 
ergriff  er  1716  Partei  für  bag  3nfpirationi8treiben  ©iejenbanner'S, 
mit  ttjeld^em  er  brieflid^en  ©ertc^r  unterl^ielt,  unb  mürbe  unter 
t>erfönlid^em  Srreft  auf  bem  9iat^^aufe  in  bie  Unterfuc^ung  gegen 
benfelben  unb  feine  ©enoffen  bermidelt.  (Sr  ^atte  smei  infpirirtc 
9leben  jenes  9)2anneS  an  ben  9tatl^  gefc^ictt  unb  in  ber  ©i^ung 
Dorgelefen ;  er  moQte  fid^  baju  ftellen  mie  ©amaliel  jum  (Ebangetium. 
Aber  er  behauptete  aud^,  fein  Client  Derfte^e  bie  Sieligion 
unb  ma^re  SKoralität,  unb  erfenne  Sl^riftum  beffer  ats  öielc 
3)iener  am  SEBort.  Cr  billigte  bie  Slbfonberung  Don  ber  Äirc^e 
bamatd  nid^t,  mar  aber  ate  Sud^l^finbter  unb  JBerläufer  pictiftifc^er 
©c^riften  gegen  jebe  Senfur  unb  (Sinfd^ränfung  beS  Suc^^anbete. 
Obglei^  nun  burd^  ein  9){anbat  ber  Sfiegierung  1717  aller  Um« 
gang  mit  ©d)marmgeiftern,  aOer  Jtauf  verbotener  ißüd^er,  ade 
^eimlid^en  täglichen  unb  näc^tlid^en  ßufcintmenlünfte  unterfagt 
tourben,  fo  boten  bie  folgenben  3al^re  immer  mieber  Don  neuem 


500 

Slnlag  ju  Untcrfuc^ungen  unb  Seftrafungen  ßcflcn  Snfpirirtc. 
©old^e  maren  burd^  @ruDer  aud  (Stuttgart  unb  @(eitn  qu^  99fi^ 
bingen  *)  gefammelt  tporben ;  unb  n)icbcrum  mugtc  Sobmcr  1720 
tDCßen  Parteinahme  für  bicfelben  Slrrcft  erleiben.  (Sti  toor  nämlic^ 
in  feiner  verbitterten  @tintntung  aOmä^tic^  bem  ©eparati^mud  t>et^ 
faden,  l^atte  fid^  t)on  ber  Z^eilna^me  am  öffentlichen  ©ottedbienft 
jurfidgejogen  unb  lieg  feinen  ©o^n  So^anne^,  obgleich  berfelbe 
nid^t  I^eolog  mar,  überall  in  ©tabt  unb  Sanb  religiöfe  Vorträge 
galten.  Scibc  mürben  1721  jur  Untcrfud)ung  gejogen,  unb  er« 
Härten  übcreinftimmenb,  bafe  fie  nicl)t  principiell  gegen  ben  öffent- 
lichen @ottedbienft  geftimmt,  aber  me^r  ald  burd^  il)n,  burci)  i^re 
befonberen  Slnbac^tSübungen  geförbert  morben  feien,  bag  aber 
bad  Slbenbma^l  profanirt  mcrbe,  menn  eS  Unbele^rten  gereicht 
merbe.  S)er  SSater  gab  bann  nod^  feinem  ©o^nc  baö  öeugnig, 
er  ^abe  ben  ©eift  @otte^,  ben  rechten  ßef)rer  in  fic^,  unb  übe 
einen  Umgang  mit  @ott,  mie  menigc  fiinbcr  @otte^;  er  fei  in 
bie  Ste^nlid^Ecit  @otted  eingegangen  unb  befi^e  eine  fo  ^o^e 
©taffei  ber  Siebe  @ottc^  unb  be^  9iäd^ftcn,  bafe  er  eö  nic^t  mciter 
bringen  fönne ;  über  alle  meltlic^en  ^inge  bezeuge  er  einen  Sfel 
unb  fei  t)on  folc^cr  ^emutl),  bag  er  %üc^  tl^ue,  mad  man  i^n 
l^eifec,  außer  menn  man  i^m  fein  ^rcbigen,  fein  fnieenbc^  öffent» 
lic^eö  SBeten  auf  ber  ©tube  vorhalte.  2)iefe  ß^arafterifttf  bc^ 
jungen  S5obmer  ift  in  ben  üorliegenben  äctenftüden  ber  erfte  gaD 
einer  bcutlid^en  gorm  Don  grömmigfeit,  unb  jmar  erinnert  pe 
an  m^ftifd^e  SSorbilbcr  nieberlänbifct)er  ^erfunft.  Sc^  ämeifcle 
nid^t,  baß  ber  junge  2Äann  fid^  X^cobor  Srafcte  ©taffcln  bcö 
geiftlid^en  SebenS  eingeprägt  ^at,  meld)e  1698  in  99em  äberfe|t 
finb,  unb  unter  ben  pictiftifcl)en  S3üd)crn  genannt  »erben,  meiere 
ber  SSater  SBobmer  verlauft  ^at.  3ier  äuögang  be^  ?ßroceffe^ 
mar,  ba§  biefer  aller  feiner  SBürben  entfe^t  unb  mit  feinem 
©o^ne  aui^  bem  Kanton  ßön^  au^gemiefen  mürbe,  ©ie  ficbclten 
fid^  im  gurftentl^um  Sieuenburg  ju  Solombier^  im  Iraüeröt^al 
an,  mo  fic^  auc^  nod^  anbere  mögen  ^ietidmud  aud  Qüiidi  unb 
Sern  Verbannte  einfanben.  ©ie  mürben  bafclbft  gegen  bie 
SRcclamationcn  ber  ©eiftlic^teit  burc^  ben  preugifd^en  @out»erneur 
gcfc^üfet;  3.  ^.  »obmer  ftarb  ^ier  73  Sa^re  alt  1743.  ©eit 
feiner  Sui^meifung  finb   allerbingd   nod^  manche  pietiftifciie  Sr* 


1)  SB0l.  (Soebelm  ber  Seitf^rift  für  ^titorifcte  Z^tolo^t  1854  6. 414. 


501 

fd^cinutigcn  in  3örid^  gcmög  bcm  äWanbat  t)on  1717  bcl^anbelt. 
tporbcn.  Snbcffen  feit  bcr  SKitte  beg  Söl^ri^unbcrtö  f^cint  ba\^ 
fclbc  nid^t  loeitcr  in  Ucbung  gefegt  njorbcn  ju  fein. 

SebcnfaEte  ^aben  biefe  gormcn  beö  ^icttgmuö  feine  ma^^ 
gebcnbe  @inn?irfung  auf  Sodann  ^aSpar  SQt)Qter^)  aud^ 
geübt;  fein  Siograpl^  fdjeint  auc^  feinen  ^nlag  gefunben  }U 
^abcn,  ©inffüffe  Don  etma  in  3^^'^  befte^cnben  SonDentifeln 
auf  if)n  nadjjuwcifen.  ®egcn  einen  %aü  öon  pietiftifd^er  Sfin* 
belei,  in  meldten  ein  i^ni  bcfreunbetcr  junger  ©eiftlid^er  tief  öer* 
floaten  tourbe,  öer^iclt  er  fid^  fefjr  ffl^I.  ?(6er  überhaupt  ift  e« 
fflr  Saöater  d^arafteriftifdb,  bag  er  in  feiner  l&eitcrn,  frifc^en,  t)\cU 
fcitig  ftrebenben,  für  alle  möglid^en  3nbit)ibualitäten  UebeöoIIge* 
öffneten  @emüt^Srid^tung  fic^  Don  ber  (Sng^erjigfeit  abgcftogen 
füllte,  toelc^e  in  ben  pietiftifc^en  ßonüentifeln  ^cimifd^  toar.  6r 
Ijat  fic^  barüber  in  bem  lagebuc^  über  feine  9ieife  nad^  Äopen« 
^ogcn  1793  auögefprod^en,  alö  er  erwähnt,  ba§  man  i^n  an 
einem  Orte  in  einer  ©efeCif^aft  ju  einer  ©rbauunggrcbe  Deran^» 
taffen  UJoCte*).  „Qn  fc^r  befd^ränfte,  ju  ängftlic^  ort^obojc 
gromme,  bic  jebeg  freie  fül^ne  SBort  leiben  mad^t,  binben  mir  boi8 
$erj  unb  bie  3u^9^-  ®^  S'^^^  ^i^^  ^^^  peinlid()er  f^römmigfeit, 
bie  id)  jtüar  nid^t  fränfen  mag,  aber  fte  ift  meinem  inbiöibueQen 
^erfonalgcfd^made,  ber  &\ijt  unb  Älar^eit,  ©ebenf barfeit  unb 
®eifteögenu§,  gro^l^eit  unb  grei^cit  liebt,  beftimmter  Crfenntnig 
unb  beutUdEjer  Segriffe  bcbarf,  fo  jumiber,  ba§  idf)  alle  ©ebulb 
unb  d)riftlid^e  ßiebc  jufammenfaffen  mu§,  um  nid^t  merfen  ju 
laffen,  toie  fef)r  fie  midj  brfidt.  3ene  grömmigfeit  meine  id^, 
bic  fic^  nie  aug  bem  3'^^^  gctoiffer  Söegriffe,  formen,  gormein 
unb  aicben^rten  ^crauöfieben,  fein  freiem  lic^tDoHe^  SSäort  mcber 
fagen,  nod^  o^ne  ffintfefeen  pren  barf,  bic  jebed  Slnbern  K^riften» 
t^um  unb  aicligion  fc^led()terbing§  nad^  feinem  anbem  SKafeftabe, 


1)  Geboren  in  Sütxö)  15.  ^ecember  1741,  ^oconuS  on  ber  SOmfett* 
iou8fir(<K  1769,  Pfarrer  on  berjclbcn  1775,  S)ioconu8  on  6t.  ^tx  1778, 
Pfarrer  an  berfelben  Stixä^t  1786,  geßorben  2.  3anuar  1801.  —  Sgl.  3.  ^, 
fiaüQterS  SebenSbel^reibung  Don  feinem  So^termann  ®eor0  ®e{fneT,8 
^Anbe.  9Dintert^ur  1802.  3.  —  ^.  (Selaer,  2)ie  neuere  beutf^e  ^aixonaU 
ntetatuT  nQ(3^  i^ren  et^if^en  unb  religiöfen  ^eft^tSpunlten,  ixoexit  9[u{I.  (Setp* 
|i0  1849)  II.  S.  69—113. 

2)  deffner  III.  6.  221  ff.    9[nbere  ^[eugerungen  bei  Weiser  q.  q.  C. 


502 

atö  nod^  btcfen  gormcln  unb  Webcngarteit  prüft,  ober  t>ielmtffx 
ungeprüft  lobt  ober  t)erbQmmt,  bie  alle^  toa^  man  fogt,  enttoeber 
fogleicl^  in  btefe  geheiligten  unb  Ud^tlofen  Formeln  überfe^t  unb 
baburi^  au^  einem  tuminöfen  ©ebanfen  entmeber  einen  ganj  tri« 
t)ialen  ober  einen  ganj  nebligen  ober  gonji  entgegengefe^ten  ma^t 
Scf)  toiH  bie  ©ad^e  nod^  mit  ein  ^aar  SSeifpielen  erläutern.  3c^ 
mügte  meine  iRatur,  mein  @efic^t,  mein  3nbit)ibuum  aufgeben, 
toenn  id^  mid^  immer  an  ben  fo  oft  mi§üerftanbenen,  fo  oft  gc* 
migbraud^ten  9tebendarten :    ®nabe,    ©enugt^uung,   Ser^ 
K  fö^nungöblut,   bie  mir   bocö,  rec^t  oerftanben  fo  ^eilig  frnb, 
bafe  mir  nid^tö  ^eiliger  fein  fönnte,  ängftlic^  galten  unb  fie  nic^t 
mir  in   flarere  Segriffe  überfeften  bürfte  .  .  .  ©obalb  id^  aber 
el^rlic^  fromme,  jebod^  fc^tt^ad^e,  lid^tlofe  ©emüt^er  fe^c,  bie  nur 
an   ben  9tebendarten  Rängen,   nur  nac^  folc^en  ]^inI)ord^en  unb 
äUeö  nac^  bem  Klange  fold^cr  geweiften,  oft  fo  tocnig  öerftan*^ 
benen  SSBörter  meffen,  fo  jtoingc  icö  midd  beinahe,  fie  nie  ju  ge^ 
brauchen,  um  nid^t  Snlag  ju  geben  ju  beuten,  bag  id^  fie  in  bem 
geujö^nlic^en  lidE)tlofen  ©inne  ne^me  .  .  .  ©d^limm  ift  e^,  xoctin 
biefe  lieben  frommen  ©eelen,  benen  bie  @abe,  ^etl  unb  fc^arf  ju 
benfen,  öerfagt  ift,  immer  auf  ©jplicationen  unb  fd^ulmäfeige  Sc* 
ftimmungen  unbeftimmbarer  S)inge  bringen,   unb  fid^  mit  leinen 
allgemeinen,   im  ©runbe  mel^r  fagenben  ^erjenödu§erungcn  be* 
gnügen  »ollen,  einem  i^re  eigenen  lic^tlofen  unb  oerftanbarmen, 
mi^Dcrftanbreid^en  Weben^rten  unterf^ieben,  na^e  legen  unb  boö 
®c^o  berfelben  Don  unö  erwarten.  Unb  ebcnfo  fcftlimm  ober  no4 
fd^limmer  ift  eö,  bag,  tt)enn  tovc  in  ganj  anberem  ©inne,  atö  fie  ed 
nehmen,   fo   ein  SBort  na^  it)rem  ©efd^made  fallen  laffcn,  »ie 
@nabe,  tief  fc^mad^,  l^ciligcr  ©eift,  burd^auiS  unwürbig, 
fie  e^  gleid^  in  i^rem  ©inn  umwäljen,  bie  lid^te  ©eite  baoon  be* 
tt)öl!en,   unb  über  unfere  Harmonie  mit  il^nen  eine  fectenmäfeig 
fd^einenbe  grcube  bejeugen.    3""^  Seifpicl  menn  id^  fagcn  würbe: 
3c^  fenne  leinen  fd^mäc^em  äRcnfd^en  als  mid^,  ber  unaufprlic^ 
Don  ©otteö  (Srbarmcn  abfängt  unb  feinen  ÜJioment  allein  fielen 
!ann,  —   fo  wirb  biefe  ganj  unb  gar  unbogmatifc^c  ^^crjend* 
äugerung  unb  (Smpfinbunggfac^e   aU  Änerfcnnung  eine«  3)ogma 
ober  Se^rgefefteS  angcfel^en,  bie  man  ungefähr  fo  au^ubrüden 
pflegt^:  Saöater  ^at  fic^  alg  ben  fluc^*  unb  tjerbammungSroür» 
bigften  ©ünber,   ber  nur  in  ben   SEßunben  beS  ^eilanbi^  ru^t, 
crf  lärt.    Obgleich  audE)  bieS  in  meinem  ©inn,  aber  burc^aud  nid^t 


503 

tt>te  man  ed  gemeiniglich  nimmt,  n^ol^r  ift,  fo  Mntt  ed  bod^  einen 
gefunben  SBerftanb,  tocnn  ba^,  toag  ic^  mit  Ilaret  ®ebcn!barleit 
fage,  in  einen  unfloren  ©^ulfa^  ober  eine  lic^tlofe  Smaginationd^ 
p^rafc  umgenjanbelt  mirb". 

S)ie  5ßrätenfion  ber  Drt^obojie,  loel^e  in  bicfcr  ©d^ilberung 
ber  5ßictiftcn  ^eroorftid^t,  trifft  me^r  auf  bie  rcformirte  8lrt  ber*» 
felben  f^u,  al^  auf  bie  lut^erifd^c  unb  ^errn^utifc^e.  fiabater  nun 
tann  jene  fc^on  fennen  gelernt  ^aben,  al^  feine  auiS  ©oetl^e'd 
Seben  belanntc  SRcife  nac^  ®m^  1774  i^n  au^  nad^  ffitberfelb 
unb  2)ui^burg  geführt  l^at.  Auf  ber  Slüdreife  t)on  Äopen^agen 
l^ot  er  Sremen  unb  ©ctmolb  berührt:  ber  eine  »ie  ber  anbere 
Ort  fonnte  bie  SSeranlaffung  barbieten,  jene  93eobad^tungen  au^ 
jufprec^en.  Sei  naiverer  Setrad^tung  erfc^eint  er  auc^  jenen 
itreifen  in  Dielen  Sejicl^ungcn  unä^nlic^.  „©om  §o^enliebc, 
fc^reibt  er,  öerfte^e  ic^  fein  SBort.  ^d)  fpred^e  nid^t«  bafür  unb 
nic^tö  bamiber.  ^ai  einer  fiid^t  barüber,  banfe  er  @ott !  ic^  bin 
nid^t  fd^ulb,  bag  ic^  feinet  i^abe.  ^ä)  l^abe  taufenbmal  naivere, 
ttrid^tigere,  bringenbcre  ©ad^en  ju  tl^un,  ate  ju  bergleid^en  gc^ 
fä^rli^en  Untcrfuc^ungen  ol^ne  bringenben  Seruf  mic^  einju* 
laffen"').  „3c^  mag  c«  leiben,  bafe  man  mir  alle  t^cologifd^e 
8iec^tgläubig!cit  abfpre^e,  menn  man  mir  nur  bie  biblifd^e  lä§t. 
3c^  merbc  e«  nie  t)or  @ott  gu  üeranttoorten  ^aben,  ba§  xi)  ni(i)t 
bad)te  mic  ©alöin  unb  Slt^anafiuö,  ujeil  id^  feine  ©rünbc  fe^e, 
bicfe  aKänner  für  göttliche  «uctoritfiten  ju  galten"«).  Saöater 
alfo  tf)eilt  mit  bcn  ^ietiften  in  ber  reformirten^irc^e  tt)eber  bcn 
fpccieUcn  ©efdjmadf  in  ber  Ausprägung  ber  grömmigfeit,  noc^  bie 
conferuatiüe  Haltung  gegen  bie  bogmatifd^en  ©runbbebingungen 
ber  beftefjcnben  Äird^e.  Unter  ben  Dogmen  erfc^ienen  bie  imn 
ber  Srbfünbe  unb  t)on  ber  ©trafgenugtljuung  ß^rifti  ben  $ßie^ 
tiften  aU  befonberö  unantaftbar.  ®eibe  finb  üon'Saüater  bean«: 
ftanbct  morben.  ®r  tiatte  einmal  üon  ber  Äan.^cl  bie  SEBortc 
Dernefimcn  muffen,  bie  f leinen  Äinber  feien  eine  SBel^aufung  ber 
Icufel.  Uebcr  biefcn  „©reuelgebanfen"  ift  er  empört  geujefen, 
inbem  er  baran  erinnerte,  ber  §eilanb  loolle  bod^,  ba§  »ir  toic 
bie  Sfinber  »erben  foüen.^)    3ener  braftifd^e  ©afe  ift  jebod^  nur 

1)  ^riefh)e4fel  jmil^cn  fiaoater  unb  Oo^.  ®et^Qrb)  ^afenfamp.  ^et' 
auSgeoeben  t)on  Staxl  d.  @.  @^mann  ($afet  1870)  B,  107. 

2)  Sei  (Selaer,  a.  a.  O.  6.  84. 

3)  ^eifner  U,  e.  88. 


( 


504 

eine  legitime  golflcruitg  auö  ber  Seigre  üon  bcr  (Srbfflnbc.  ©eine 
Snfic^t  üon  ber  äJerfö^itung^Iel^re  ^at  Sat)ater  tit  einer  Steige 
üon  JBriefen  1793  au^gefütirt,  bic  an  einen  ®rafen,  öermut^lic^ 
^cinric^  XLIII.  öon  SRcufe  ju  Äöftrife*)  gerichtet  finb.  «Dcd 
aber,  roa^  er  Wer  vorträgt,  ^at  er  fd^on  in  einem  ©rief  an  ^a* 
fenlamp*)  niebergelegt ,  ber  jttjar  nic^t  batirt,  aber  toal^rfi^ctn^s 
lic^  1773  gefc^rieben  ift.  Saüater'ö  S)arftcUung  ift  ju  eigcnt^üm* 
lic^,  alö  baß  ic^  nic^t  feine  Sleußerungen  über  bie  ©treitfituation 
ttjiebergebcn  bfirfte.  „SRan  ärgert  ftc^,  man  mad^t  ein  ©efc^rei 
barüber,  bag  ic^  btf)anpic,  S^riftui^  ^abe  nid^t  @ott  Der« 
föl^nt,  fonbern  un^..  S)aö  ße^te  fagt  bie  ©c^rift,  baö  (Srfte 
bie  3;^cologen.  S)er  Unterfc^ieb  ift  ttjefentlic^.  ®ott  ttjor  nie 
unfer  ^dnh,  aber  geinbe  ©otteö  ttjaren  töir.  Ober  üielme^r 
tt)ir  fannten  il^n  nic^t ;  eS  h?ar  alfo  lebiglid^  barum  ju  t^un,  bag 
tt)ir  @otte^  ßiebe  erlannten.  Unö  ^at  S^riftuö  mit  (Sott,  unb 
!eineiStt)eged  @oit  mit  und  t)erföt|nt.  S)ad  ift  nun  einmal  bie 
fonnenllare  ßel^re  ber  ^eiligen  ©c^rift,  bad  belöau|)te  i^.  allein 
ttjad  t^ut  man?  9Äan  fagt:  Saüater  ift  nic^t  rechtgläubig ,  ift 
ein  ©ocinianer,  ift  ein  geinb  beö  SSerbicnftcd  Sl^rifti!  S)ad  ift 
entfc^lic^;  fo  fann  lein  ©rlcuc^teter  über  mid^  urttieilen.  3)od^ 
gef^iel^t  ed!  S33aö  ift  nun  ju  tt)un?  3c^  forbere  ©teilen,  Kare 
©teilen  aud  bem  Süangelium,  bag  6t|riftud  @ott  t)erfö^nt  ^abe, 
feiner  conüenabeln  ffi^renrettung  genug  getrau  ^aben 
foU.  S33ad  ift  bie  Slntttjort?  SJian  feufjt  über  mid^,  man  be* 
jammert  mic^,  fhan  rebet  t)on  SJerblenbung ,  öon  gefäl^rlid^em 
3rrtt|um,  Don  SBIöbigfeit  beö  SJerftanbeö,  menn  man  nod^  gütig 
ift,  aber  feine  ©rünbe,  feine  ©d^riftfteHen,  nid^t  eine!  Unb  ba^ 
tl^un  gerabe  bie  grömmften,  @rtt)ccttcftcn ,  S)emüt^igften  ttjie  fic 
ttjä^nen."  SBaö  er  nun  felbft  ^nx  ßöfung  ber  Stuf  gäbe  beibringt, 
ift  geiftreic^  unb  bead^tengmcrtl^ ,  aber  nic^t  in  ftdö  äufammen- 
^ängenb;  cg  finb  Slnfäfee,  bie  in  öerfc^iebenen  SRid^tungen  au^ 
einanber  ge^en,  mie  eö  bei  einem  äWanne  o^ne  ©d^ule  öerftänblic^ 
ift.  @r  erflärt  ben  DpfcrttJertl^  bcö  Zobt^  S^rifti  in  Analogie 
mit  bem  SBorbilbe  bcr  altteftamcntlic^en  Opfer  banac^,   bag  ber 


1)  3m  jtoetten  $anbe  ber  üon  ®e{{ner  ^etauSgegebenen  9la40eT<iff<nm 
Schriften  (StiricJ  1802)  ©.  1—108.  Ucbcr  icncn  trafen  ößl.  bie  ?eben«be' 
f^tetbung  U.  8.  395.  IIL  8.  227. 

2)  ^riefkoe^fel  &.  68. 


505 


-  •> 


lob  cincö  Dt)fcrt^ierö  baö  fiebcn  bcö  ©ünbcrö  tüirb.  ®r  erläu^  i 
tcrt  biefcö  juglcid^  p^tififalifd^  fo,  baß  Äraft  ©toff  an  fid^  f^kf)t, 
ba§  alfo  ertüorbenc  Siugenb  ober  SSerbicnft  bcn  anbeten  SRic^tung 
giebt;  augerbem  mebieinifd^ ,  bag  ber  Zob  S^rifti  ba^  neue  ge^^ 
funbe  S5lut  in  bie  9Raffe  be^  oergifteten  aKcnfc^engcfc^Iec^teg  ge* 
bracht  tiabc;  ober  p^^fiologifd^ ,  ba§  E^riftuS  burd^  feinen  Xob  / 
ju  einem  allgenießbaren  gciftigen  Sla^rungömittel  bc^  geiftigen 
Scbenö  würbe.  S)a6  S^riftuö  im  lobe  bie  ©finben  getragen 
^abc,  bebeutet  für  Saoater  uic^t  bie  ©rbulbung  öon  SSerbam* 
mungöftrafen  au^  bem  ßo^n  ®otteö.  ®cnn  feine  ßeiben  lonnte 
S^riftuö  in  feiner  fittlid^en  ®üte  nic^t  aU  ©trafen  erfatiren,  unb 
©Ott  in  feiner  ©ered^tigleit  lonnte  fie  aB  ©trafen  nid^t  über  i^n 
oer^ängen.  SSielme^r  l^at  E^riftuö  ben  ©trafmert^  beö  Uebete 
für  uufere  ©ünben  befeitigt.  „®enn  ba^  SBettJufetfein  eigener 
©d^ulb,  böfe  gertigfeit,  natürlid^e  innere  Diig^armonic  unb  fo 
mc^t,  bag  finb  ttjef entließe  Uebel,  bie  auf  bie  ©ünbc  folgen." 
3)urc^  bereu  Sluf^ebung  alfo  födt  auc^  bie  93ejie^ung  ber  äuge:^ 
ren  Uebet  auf  ba^  ©c^utbben^ugtfein  fort. 

©eit  ber  äWitte  beg  18.  3a^rf)unbertö  finb  bcfanntlid^  über* 
aü  in  ben  beutfc^  rebenbcn  Äird^cn,  fomie  in  ber  nieberlänbifc^en 
unb  ber  franjöfifc^-'fd)tt)eijerifd^en  bie  tlieologifc^eu  Eonfeffionö* 
f^fteme  in  SBerfafl  gerat^en.  unb  t)abcn  feine  Ueberjeugung^fraft 
me^r  ausgeübt.  9lur  bie  pietiftifd^en  ©ruppen  ber  9iieberlanbc 
unb  9lorbbeutfc^IanbS  werben  t)on  biefer  93el^auptung  audjunel^* 
men  fein,  allein  ber  SSibliciömu^ ,  ttJeld^en  man  bamaU  überaQ 
crftrebte  unb  mit  üofler  ©leic^gültigleit  gegen  baö  ©cmic^t  ber 
^ogmengefc^id^te  ^^u  geftalten  unternaE)m ,  fanb  nid^ti^  weniger 
atö  übereinftimmenbc  SluSprägung.  ^ie  t^eologifc^e  Sigentpm» 
lid^leit  ßaoatcr'ö  ift  be^tialb  au^  nur  ju  erfennen,  inbem  fie 
gegen  jwei  anbere  SRic^tungen  ber  bamaligen  Xt)eologie  abgegreuj^t 
wirb.  3""äci^ft  ergebt  fein  g^eunb  ^afenfamp  gegen  if)n  bie 
©nwenbung,  bafe  jwar  feine  ^eilöbegriffe  oortrefflid)  feien,  aber 
bie  not^wenbigen  Sfleic^^begriffe  i^m  fehlen,  ^afentamp  nämlid^ 
war  ?ln{)änger  ber  3;^eotogie  oon  älbrcc^t  SBengel  unb  S^riftop^ 
Detinger.  S)ic  SE^eologie  SBengerd  aber  ift  ein  in^  SBürttem* 
bergifc^c  übcifefeter  Soccejanii^^iuuö.  Soccejud  ift  ber  biblifc^e 
3;^colog,  welcher  ben  3"fiini"icn^ang  ber  ©efc^idjte  \>e^  SBunbcö 
jwifc^en  ©ott  unb  ben  ÜDJenjcljen  unter  Senu^ung  aOer  Xtieilc 
ber  l^eiltgen  ©c^rift  nac^gewiefen  ^at.    Sei  biefem  Untemel^men 


506 

ober  toax  feine ßugel^örigfcit  jum  SalüintömuSnicI^t  gletd^gfiltig.  3^n 
leitete  nämlic^  bic  gcrabe  burc^  ©alüin  öertrctenc  unb  unter  bcn 
EalDiniften  obligatorifc^e  änfid^t,  bafe  bie  JBfid^cr  bcibcr  Xcfta^ 
mente  in  il^rer  t)orIiegenben  ^oÜftänbigfett  nic^t  6lo^  bie  QueQe, 
fonbcrn  ba^  ®efe^  ber  ffirfenntmß  ber  d^riftlic^en  JReligion 
feien,  ^atte  aud^  Eatoin  felbft  feine  Ilieologie  noc^  nic^t  an 
ber  Sorrejponbenj  ber  5ßrop^etie  im  81.  unb  91.  %.  oricntirt,  fo 
toax  bod^  in  feiner  @c^ä|ung  bed  Sanorn^  ber  eintrieb  baju  ent^ 
tialten,  ba§  biefe^  ©efc^öft  für  bie  X^eotogie  nad^gc^olt  werbe. 
®ie  ortl^obo^en  Sut^eraner  l^aben  freiließ  in  thesi  bie  9fic^^ 
fammlung  be^  ^anon  ebenfo  aU  infpirirt  beurtl^eüt  mie  bie  Sat 
üiniften,  unb  bie  Sebenten  2utt)er'ö  gegen  ben  SBrief  beö  Safobu^ 
unb  bie  Stpofaltipfe  nic^t  n)iebert)o(t.  SlDein  il^r  praftifc^ed  3n« 
tereffe  ttjar  bod)  nur  barauf  gerid^tet,  ben  ©toff  ber  in  ben  f^m* 
bolifc^en  SBüd)ern  fijirten  ßc^ren  il^rer  iürc^e  in  ber  ^eiligen 
©d)rift  j^u  finben  unb  nic^t  me^r.  Snbem  alfo  ein  flut^erancr, 
tt)ie  SBcngel,  fid^  bafür  intere|firte ,  bafe  bie  lieilige  ©d^rift  „bic 
yiad)xid)t  öon  ber  göttlichen  Defonomie  bei  bem  menfc^Iid^en  @e* 
fci)tcd)te  üom  Slnfang  bi^  juin  @nbe  aller  ®inge  burd^  ade  SBett* 
jeiten  ^inburc^''  enthalte,  fo  ift  er  burc^  bie  älnrcgung  beö  6oc* 
eejuS  beftimmt  n?orben  unb  jugleic^  burd^  ben  ^ietiSmuS  info^ 
fern,  alö  berfelbe  fid^  überafl  an  ber  (Srwartung  be^  ßocceiu« 
üon  bem  ^errlic^en  ßuftanbe  ber  Äirc^e  auf  ®rben  üor  bem  ®nbc 
aufrid)tete.  Menget  aber  ^at  bie  eoccejanifd^e  S^^eologic  baburc^ 
mobificirt  ober  eigentf)ümlid)  Derfd^ärft,  bafe  er  bie  ^eilige  ©d^rift 
nic^t  btoö  al§  bie  Urfunbe  ber  üoUftänbigen  SReic^ögef^id^te,  fon* 
bem  jugleid)  aliS  „ein  fc^öne^,  ^errlid)e^,  jufammentjän* 
genbeö  ©t)ftem"  mürbigte^).     Dicfeö  ©Aftern   nun   xoixh   Don 


1)  %(.  ^.  üon  ber  ®o(^,  bie  t^eologif^e  ^ebeuhtna  ^engePS  unb 
feiner  Schule;  in  ben  So^rb.  für  beutf(^e  ti^eolo^xt  VI.  (1861)  @.  472.  —€oc. 
cejuS  f45pft  Qu3  ben  biblifc^en  Urfunben  ein  $ilb  regelmägid^t,  in  Stufen  ge« 
orbneter  ®ef4i4te  beS  ©nobenbunbed  beS  9lei4e§  ®otte§;  feine  fl)flematifi(e 
^^eologie,  qI§  ^arfieflung  ber  emigen  Siegel  biefeS  !SerIauf3,  oer^It  fi4  natur> 
gemäg  ba^u  toxt  ein  Cuerfd^initt.  ^engel  aber  nimmt  an,  bag  bie  ^ibel  bie 
iRei(^3gef(i^i((te  a(§  ein  ^errlic^eS  sufammen^öngenbeS  Spßem  barbteiet;  feine 
^{einung  ift  olfo,  bag  bie  ®ef(^idt)te  be§  9{ei4§  ®otteS  ba§  f^rtftgemäge  St^^em 
ber  %f)to\oq\t  felbft  fei.  $on  biefem  ^eftd^tSpunft  au§  fyii  ^ermann  64mibt 
in  Stuttgart,  einer  ber  ausgebe i^netften  unb  anerfannteften  l^ertreter  ber  »Art' 
tembergif^en  S^eologie,  meine  $er|5^nung8le^re  beutt^eilt.    SRetncr  (S^cf^t^tc 


507 

Dcttngcr  an  bcr  ßorrcfponbcn;^  jtDifd^cit  bem  Slnfang  bcr  @cnc« 
ftö  unb  bem  ©d^luffe  bcr  ?lpofalt)pfe  oricntirt,  unb  gemäß  ber 
gtpcdbejic^ung  bcr  SSäcltfd^öpfuncj  auf  bic  aBcItemeuung  in  bcr 
reic^ömößigen  Xfjcilnafime  ber  jju  befcligcnbcn  ©eiftcr  an  bcr  er* 
neucrten  S33elt  unb  xtjxtxt  Iciblid^cn  ©fitcrn  ausgeführt.  Der 
fpccififd^  biblifc^c  S^araftcr  biefer  Ideologie  fd^tcn  aud^  ben  an* 
l)ängern  bcrfclben  nid^t  beeinträchtigt  ju  n^crbcn,  wenn  fie  bic 
äberirbifc^en  93c2iel^ungen  bcr  göttlid^en  SReid^Sorbnung  burd^  bic 
$t)antaSmcn  Safob  Söl^me'd  erläuterten  unb  ergänj^ten.  Sind 
biefcn  SJorau§fc|ungen  ^crauS  öermifetc  ^afenlamp  bei  Saöater 
Slcic^igbcgriffe,  unb  cmpfat|l  it|m  bcmgcmäfe  pr  ScrüoIIpänbigung 
feiner  ©c^riftcrfcnntnife  junäc^ft  Slelpcct  unb  (Srlcnntnife  beS 
©atan,  ttjcld^er  ©ottcö  Statur  im  erften  ^rincip,  nämli^  bcr 
SJ^ac^t,  (|at  unb  noc^  je^t  eine  groge  iDtaieftät  ift,  obgleich 
e^riftug  ben  3*^^"  ©otteS,  bad  erflc  5ßrincip,  bem  jttjcitcn  ?ßritt* 
cip  in  bcr  ajicnfd^t)eit  burc^  baS  britte  ?ßrincip  untcrttjürfig  gc» 
mad^t  unb  baburc^  bic  gröfttc  Harmonie  ber  SWad^t,  ber  SBci^ 
^cit  unb  bcr  Siebe  in  ber  3)tenfc^(|cit  ju  @tanbe  gebrad^t  l^at. 
^©0  rebe  id^  mit  Safob  99i)f|mc.  ©o  finbe  id^  im  Xeufel  nod^ 
ein  göttlic^cö  5ßrincip"  *).  S)icfe  2lrt  t)on  ©c^riftt^cotogic,  welche 
in  aller  ^armlofigleit  auö  Solob  S3i)l^mc  intcrpolirt  wirb,.  aU 
wenn  bie  ©d^riften  beffclbcn  bcr  Äanon  bcS  neueften  Xeftamcntö, 
cttt)a  baS  SüangcUum  bed  @eifted  tuären,  n)irb  t)on  £at)ater  mit 
ben  loftbaren  S33ortcn  abgen^iefcn:  „3c^  t|abc  uncnblid^  wichtige* 
res  ju  t^un  atö  ©atanS  metapt)t)fif^e  9latur  ju  unterfud^cn. 


biefer  fiepte  fe^t  et  nfitnli^  baS  dufter  ȟrtiembergif^er  ^eifler  entgegen, 
tt>eI4e  bie  ^ogmengef^i^te  als  .ein  burc^fic^tigeS  @an)e  ^er^ufleHen  bejlrebi 
finb,  in  meinem  boS  ^ingelne  bur^  feine  Weiterungen  gum  Donjen  ttflfirli^ 
ttirb*  (%l)tol  ©tubien  unb  iJritifen  1871.  8.  336).  3)o8  Ifteifet,  bie  erforf(4te 
®ef4i(l()te  foQ  aU  @t)flem  begriffen  »erben,  gferner  ttenbet  er  gegen  meine  SBin» 
beutung  be§  t^eologifdf^en  Sl^ftemS  als  beS  in  (S^otteS  llBiOen  erfennbaren  ®e« 
fegeS  ber  (I()riftli4en  ^Religion  ein,  bag  .bie  def^i^te  überhaupt  unb  bie  ^eilS« 
gef4i(l()te  inSbefonbere  ein  ^roma  i^,  bei  ttcl^em  bie  borin  üerflo^tenen  Su» 
\d)avitx  bie  S5fung  burc^  eine  ^d^Iugfataftrop^e  ermarten'  (a.  o.  O.  1876. 
e.  342—344).  ^aS  ^eigt,  baS  tMo0if4<  Stiftern  foH  Stei^dgefc^ic^te  unb 
3ufunftSboffnung  fein,  ^a  ber  genannte  ®e(e]{|rte  in  feiner  $erfon  beibe  @runb« 
fä^e  ald  bie  mttrtteinbergif^e  ^etljiobe  ber  ^^eologie  geltenb  ma^t,  fo  barf  i(^ 
i^m  hierin  nid^t  tt)iberfpre(l()en. 

1)  »rieftoe^fel  @.  54.  87.  97.  123. 


508 

^err  @ott,  tt)a^  gel)t  mid^  bie  an!  SSer  an  (SJ^riftuin  glaubt 
f)at  bie  9Äad^t,  Sinb  ©ottcö  jju  tpcrbcn,  unb  tocr  in  bicfcm 
©tauben  bie  SSäcIt  übcrtt)inbct,  ift  ein  SBitregent  e^rifti."  ,S5Bir 
bcbürfen  überl^aupt  bcr  Xfjcorie  üom  ©atan  nid^t  fo  fc^r,  fonft 
^ätte  ung  bie  ©c^rift  mel|r  baüon  gefagt"  *).  gemcr  fc^rcibt  er: 
„lieber  öengel  (ßcitrec^nung  abgerechnet)  mcrben  ttjir  fc^merlit^ 
jemate  j^ufammenfommen.  3Jiein  ganjer  moralifd^er,  biblift^er, 
tl^eologijc^er  ®efd)macf  ift  bem  feinigen  entgegen.  Cr  ift  mir 
ein  Diel  ju  t^eologifc^cr  (b.  f|.  ft)ftematifci^er),  »örtlicher,  gefilmt 
lofer  unb  neröcntofer  3Kann.  ^ä)  gtaube,  baß  er  bem  (SJ^riften^ 
t^um  mc^r  gefc^abet  ^at  alö  ©emier  unb  leHer."  älfo  fia* 
öater'^  Siblicis^muig  ging  nic^t  in  ben  SBegcn  ber  JBcngcrfd^n 
©c^ule;  allein  ebenfo  ttjenig  folgte  er  ber  biblifd^en  {Rid^tung  ber 
^ufflärungSt^eologen.  ISr  ift  t)ielmel^r  im  äBiberf)>rud^  gegen  fte 
barauf  bebac^t,  bie  befonbere  ISigent^ümlic^feit  bed  (Sl^riftent^umd 
aufrecht  ju  erfialten.  Diefer  Abfielt  l|at  er  j.  8.  in  ben  „©riefen 
über  bie  SScrfö^nung^lct)re"  fo  wie  in  einer  anbem  ^intertaffenen 
©d^rift  „SefuiS  ß^riftug  ftetö  berfelbe",  —  auf  toeld^e  nod^  toeiter 
einjugetien  fein  wirb,  ben  entfd)iebenftcn  SuöbrudE  öerlicl^cn.  3n 
biefer  Stiftung  alfo  betont  er,  baß  S^riftud  nic^t  bloi^  aU 
Sel^rfr  unb  Xugcnbbeifpiel,  fonbern  alö  (Srlöfer  unb  SBcrföl^ncr 
ju  öerftc^en  ift,  wenn  nic^t  bie  öefonberfieit  ber  c^riftlid^cn  Sie* 
ligion  uerwifd^t  werben  foQ.  9iun  fönnte  man  üieQeic^t  im 
©inne  beö  Herausgeber«  beS  öricfioed^feU  urt^eilen,  ba§  bie  un* 
genfigcnbe  Slnalt)fc  icncS  Problem«  burc^  ßaöater  i^n  wiber  feine 
8lbfid)t  ber  ^Jcgünftigung  ber  SluftlärungStt)eologie  fc^ulbig  mad^c. 
SlUein  in   ber  jwciten  ©d^rift^j   bejeic^net  er  bie  Scfonbcrl^eit 

1)  %,  a.  O.  B.  107.  128.  ^er  l^erauSgeber  beS  ^rieftoe^felS  geflattei 
(14  tto^bem  in  ber  Sorrebe  foIgenbeS  Uri^eil:  «SaDater  erf^eint  (ier  al8  ein 
gemUt^üoIIer  ^ann.  bent  e§  aber  an  feßen  f^riftmdgtfi^n  ^runbbegnffen  fe^ti, 
unb  ber  in  ber  QJ^einung  für  ben  frommen  Sl^riflenglauben  ber  Eliten  )tt  fftm« 
pfen ,  baS  3Baf{er  auf  bie  ^Dlül^Ie  beS  9lationaIi§muS  nutete.  I^afenfamp  fh^t 
unerfc^ütterlic^  auf  bem  fiebern  @runbe  ber  ^eiligen  S^rift,  ben  flaren  Bltc! 
unoermanbt  auf  ba§  Serufalem  gerietet  ba§  broben  ift"  u.  {.  w.  9{un  biefe 
parteiif^e  @ntfdt)eibung  n)irb  auf§  ©(finjenbfle  burdb  bie  barouf  foCgenben  9rtefe 
wiberlegi.  Ober  gehören  bie  Seigre  ^ö^me'S  Dom  Teufel  unb  bie  Offenbarungen 
ber  Sungfer  Küpper  mann  über  bie  fieben  Stufen  ber  Heiligung  unb  ber  Selig' 
feit  (barUber  fie^e  Kapitel  25)  mit  ju  bem  fi^ern  ®runbe  ber  ^Ugen  S^rift? 
9li4t  aber  ba§  obige  3<u0ni6  Saüater'S  t)on  ber  (S^oiteSftnbf^aft? 

2)  9{a4gela)fene  SBerle  IL  S.  HI. 


S09 

beS  (S^riftent^utnS  oud^  ito^  in  ber  SSejte^uitg,  bog  bte  c^riflltd^c 
^TC^e,  toelc^c  in  oDen  t^ren  ^orteten  fibereinfttmmenb  S^riftud 
i(d  t^ren  äiic^ter  unb  i^r  ^oupt  ancrfcnnt,  ftd^  ebenbaburc^  als 
•eine  SBirfung  betrachtet.  3nbcm  bie  Äirc^c  bic  ^iftorifc^c  ?ßcrfon 
J^riftt,  aU  bie  aQcrgöttlic^fte  ?ßerfon  —  wie  nun  biefe  ©öttlid^* 
!cit  immer  erltört  toerben  ^^mögc  —  glaubt,  ift  fie  überjeugt,  nur 
buTC^  i^n  bie  äJoQfommen^eit  unb  @eligfeit  ^n  errei^en,  tt)eld^e 
er  atö  §err  unb  Siid^ter  ber  S33elt  getoä^rleiftet.  Diefe  SEBert^* 
beftimmung  l^at  Sat)atcr  fd^on  früher  fo  auiSgebrficft  Or  bag  ®ott 
in  e^riftuö  bie  Siebe  ift.  „SBer  ©otte«  Siebe  in  S^rifto  glaubt, 
ber  aDein  !ann  lieben,  mie  S^riftud  geliebt  ^at,  ober  nod^  eigent« 
lieber,  in  bcm  fann  ®ott  lieben,  n)ie  er  in  (Sl^rifto  geliebet  ^at. 
fLüc  Siebe  ift  aud  @ott,  fo  eigentlid^,  tok  (S^riftuS  auiS  il^m  ift." 
SaDater  l^at  biefe  aui^  ber  93ibe(  gefd^öpften  Snfd^auungen  <)  nic^t 
)U  einem  t^eologif^en  @^ftem  Verarbeitet.  S)a^  tt)ar  ja  über:: 
f)anpt  nid^t  feine  @acl^e.  Stö  feine  aQerperfönlid^fte  Ueberjeu« 
gung  ^at  er  biefe  (Sonceptionen  au^gefipro^en  unb  prei^egeben, 
unbeforgt  barüber,  in  tt)e(d^em  Umfang  fie  aufgenommen  ober 
abgen^iefen  mürben.  Unb  er  füllte  fid^  eben  hierin  nid^t  foh^o^I 
ate  einen  Wiener  feiner  Äirc^e,  fonbem  alö  einen  ^rop^etcn, 
beffen  Scgeiftcrung  burc^  bie  ffiinfad^^eit  feiner  SEBa^r^eit^rfennt* 
ni6  bcbingt  ift.  ?lber  fein  JBiblici^muö  ttjeift  eben  fo  fel^r  über 
bie  eubämoniftifc^e  SlQermeltiSmoral  ber  Sufflörung^tl^eologen 
^inaud,  mie  über  bie  auf  bem  trüben  Untergrunbc  Sö^me'fd^er 
Sbeen  aufgebaute  Äoömologie  ber  Sengclianer. 

©eine  anficht  üon  ber  Äirc^e  ober  vielmehr  üon  ben  Äir* 
c^en  fc^eint  junäc^ft  t)on  gleicher  9leutralität  ju  fein,  h?ie  bic 
lerfteegcn'i^.  „3n  allen  Sonfcffionen  giebt  eö  ec^te  ©lieber 
ber  ma^rljaften  Sfirc^e,.  infofern  fie  ß^riftum  über  ade«  lieben 
unb  fic^  nad^  feinem  ©inne  bilben  ....  Seine  äufeerlic^  foge* 
nannte  Äirc^e,  mebcr  bie  fat^olifc^e  nod^  lut^erifd^e  nod^  refor» 
mirte  afö  folc^e  ift  bie  rechte;  fonbem  bic  redete  ift  ba^  Slggregat 
aller  oon  E^riftuö  aQein  befcclten  SRenfd^en.  S33er  (S^riftu^  lieb 
^at  unb  i^n  Don  ^ergen  feinen  §erm  nennt  unb  fid^  burd)  feine 
Sc^re  beftimmcn  lägt,    ift  ein  E^rift  unb  ein  ^eiliger,   er  ^ei§e 


i;  de^meS  3:ade6u4  ))on  einem  Scobad^ter  feinet  felbfl,  iioeitet  tl^eil 
(1778)  6.  299. 

2)  tbibere  Veuftenuigen  filetier  Vtt  bei  (Gelier  a.  a.  O.  6.  92. 


510 

3cfuit  ober  «fat^olif,  SScrnunft^elb  ober  ©d^tDärmer"  >).  «ber 
feine  Xoleranji  ift  barum  boc^  nid^t  unbcfd^ränft.  *6r  erftart  bei 
anbercr  @elegenf|eit,  ba§  er  aUe  9Rcnfd^en  an  fid^  fommen  laffe, 
au6)  Seiften  unb  Ätfieiften,  n^enn  biefelben  e^rlid^  finb,  unb 
unter  bem  Flamen  auftreten,  ber  i^nen  jutommt.  allein  „er  »ifl 
e^  nid^t  bulben,  bafe  beclarirte  Unc^rißcn  beclarirte  6I)riftcn  ^ei* 
ßen,  ba§  fein  innerer  Unterfd^ieb  fein  foll  jttjifd^cn  bem,  ber 
SE)riftum  aU  einen  St)arlatan  proftituirt,  unb  bem,  ber  t^n  mit 
flanjer  ©eele  aU  feinen  ^errn  unb  feinen  ®ott  anbetet."  gcmer 
„wer  ben  ©lauben  an  ipofitiüe  ©otteöerfatirungcn  für  entbehrlich 
^ält  unb  bie  Äuferfte^ung  unfere^  §errn  ba^inflefteHt  fein  läjst, 
!ann  jroar  ein  guter,  e^rlic^er,  adenfaD^  benfenber  unb  DcrftSn« 
biger  üJiann  fein,  aber  ein  Etirift  nat^  bem  apoftolifc^en  ©inne 
ift  er  nic^t"*).  ®ic  lefetere  ©rflärung  ift  im  Allgemeinen  ein 
äuöbrud  ber  Kegel  ber  älufric^tigfeit  im  gefeüigen  SJcrfe^r;  aber 
im  SSergleic^  mit  ber  9ieutralität  gegen  bie  etablirten  Streben 
t|at  fie  noc^  eine  befonbere  3)ebeutung.  ^üx  fic^  aQein  betraf 
tet  tonnte  biefelbe  bafür  gelten,  baß  ßauater  fic^  auf  ben  ©lau« 
ben  an  bie  (unfid^tbare)  Äirc^e  jurfi(Ijiet)t,  inbem  er  an  jcber 
?ßarticularlird^e  etttjaö  augjufe^en  finbet,  unb  felbft  cS  Don  ftc^ 
meift  eine  befonbere  ©ecte  ober  iiird^e  ju  grünben*).  Allein  boS 
ift  boc^  nic^t  feine  SKeinung.  3n  feinem  eigent^ümlid^en  3^9^ 
jur  ©efettigleit  liegt  er  ba^  ©trcben,  möglid^ft  üiele  öon  ben 
ed^ten  S^riften,  bie  er  meint,  ju  lennen,  unb  ben  ^udtaufc^  mit 
il)nen  ju  üben.  S)tefe  SRüdfid^t  ift  für  il)n  maggebenb,  inbem 
er  aufrief tigeg  SBcfenntniß  für  ober  n^iber  E^riftud  üon  bcnjeni* 
gen  verlangt,  mit  bcnen  er  Derfeliren  foll.  S)ie  Stird^e,  bie  er 
glaubt,  jjeneö  Aggregat  aller  öon  E^riftuö  allein  befeelten  SRen* 
fd^cn,  n)itt  er  auc^  felien  unb  mit  il^Ten  ©liebem  aU  folt^cn 
reben.  ©ic  mögen  jttjar  fonft  einer  etablirten  Äirc^e  angehören, 
ttJelc^er  fie  moHen,  unb  fie  mögen  bei  ber  bleiben,  in  ber  flc  gc-- 
boren  unb  erjogen  finb ;  aber  baö,  roa^  fie  in  biefcn  ©ejie^ungcn 
trennt,  ift  für  Saüater  gleichgültig.  Um  fid^  mit  i^ncn  al§  bie 
redete  allgemeine  Äircl)e  jufammenjufinben,  lommt  e§  nur  barauf 
an,   ba§   man  E^riftuö  Don  ^erjen  lieb  f)at,  unb  il^n  in  Äuf^ 


1)  SebenSbef^relbung  III.  8.  24. 

2)  «.  0.  O.  II.  e.  359.  357. 
8)  %.  a.  D.  IL  6.  300. 


511 

rid^tigfeit  ate  §crm  anerfennt  unb  ftd^  burd^  feine  fie^re  be* 
ftimmen  lägt.  S)ie  5ßrobe  beö  cd^tcn  K^riftcnt^umö  tüirb  an  ber 
anbcrn  ©teile  nod^  baburc^  erweitert,  ba§  man  bic  Sluferftcl^ung 
bee  ©errn  glaubt,  unb  bcn  ©lauben  an  pofitiöe  ©ottc^erfa^run* 
gen  nid^t  für  entbeljrlic^  ^ält. 

Dag  interconfefftoneQe  (Stiriftent^um  Saüater'j^  ift  alfo  burd^ 
ein  förmlid^eg  S5efenntni§  bcjeid^net,  ttjcld^e^  ben  SJorjug  ber 
(Sinfac^l^eit  l^at.  (£g  bedt  fic^  mit  bem  Sludfprud^  beS  $aulug 
JRöm.  10,  9,  unb  lommt  eigentlid^  auf  bie  ^errf^aft  ober  bie 
©ott^eit  (S^rifti  l^inauö,  ba  ju  i^r  bie  Äuferrocdung  aU  notJ^- 
toenbigei^  aßcrfmat  ju  red^nen  ift.  Sbcr  biefei^  Setennen  tt)ürbc 
für  £at)ater  bod^  !einen  SSert^  l^abcn,  tnenn  e^  nid^t  getragen 
ift  burc^  bie  Siebe  ju  ßliriftuö  unb  ben  ©e^orfam  gegen  feine 
fie^re  unb  begleitet  üon  bem  ©tauben  an  pofitiue  ©otteöerfa^* 
rungen.  9lur  biefcn  Dualitäten  iDirb  unter  bem  S^i^^n  jene^ 
SScIenntniffeö  ber  d)riftlid^e  greunbfc^aftöbunb  eröffnet,  ttjelc^er 
oU  bie  5orm  ber  redeten  Äird^e  pd^  innerhalb  ber  beftel^cnben 
Äir^en  ausbreitet.  Slber  finb  biefe  Seiftungen  t)on  gleid^er  Stil* 
gemeingültigfeit  tuie  bad  Sefenntnig,  bag  (S^riftuS  unfer  $err 
ift?  Unb  tt)aö  ift  überhaupt  mit  ben  ipofttiüen  ©otteSerfal^rungen 
gemeint,  bie  man  glauben  mug,  um  üor  Saüater  ju  befte^en? 
3)ie  Seantroortung  bicfer  fragen  toirb  äjugleic^  bic  Äuigfunft 
barüber  barbieten,  toaxum  Saöater,  beffen  Äbgeneigt^eit  gegen 
bcn  Ion  unb  bie  Stimmung  ber  Eonüentifeld^riften  unb  beffen 
Snbifferenji  gegen  bie  Sled^tgläubigfcit  bisher  allein  erörtert  roor* 
ben  ift,  tro^bem  in  ber  ©efc^id^te  beö  ^ietiömuS  eine  toid^tige 
@teUc  einnimmt. 

Slämli^  biegormel  ,,6l^riftum  liebhaben"  ift  baö  d)aralte* 
riftifcftc  SBerfmat  ber  ipietiftifd^en  unb  ber  fatt|olifd^en  Deöotion. 
SRon  fönnte  ja  nun  barauf  f|inn)eifen,  ba§  biefe  Qfotmel  auc^ 
bod  ©tic^mort  ber  Sfleformation  beS  16.  Sal^r^unbertS ,  baß  man 
an  (S^riftud  unb  feine  SSer^eigungen  ju  glauben  fiabt,  bedt. 
3)enn  au^  biefer  ^eiteglaube  an  S^riftuö  fd^eint  nur  eine  9Ko* 
bipcation  ber  Siebe  gegen  i^n  ju  fein.  Demgemäß  toaxc  eben 
bic  S^wiut^ung,  Sfjriftum  lieb  ju  ^aben,  gerabe  in  ber  relatitoeu 
Unbeftimmtl^eit  beö  ©inneS,  bie  uniDerfelle  gormel,  ttjeld^e  fatfio* 
lifd^eS  unb  eöangelifd^eS  ß^riftent^um  umfpannt.  3nfofern  ttjäre 
bicfeö  ©tid^iüort  gerabe  geeignet,  ben  interconfcffioncQen  SJer* 
banb  ber  redeten  ^ird^c  ju  begei^nen,  unb  brauche  nic^t  in  einem 


512 

bcfonbern  pictiftifd^en   ©iunc  öcrftanben  ju  tDcrbcn.    Snbeffcn 
bie  Erläuterungen,  n)elc^e  SaDoter'S  Meinung  burd^  anbete  Sr^ 
flärungen  beffelbcn  erfährt,  beftätigen  ed,  bog  er  boiS  fiteb^aben 
(S^rifti  nur  in  bem  pictiftifc^en  ©inne  öerfte^t,  beffen  Ucberein- 
ftimmung  mit  ber  fat^olifc^cn  S)cDotion  eben  fo  ftd^cr  ift,  toie  er 
t)on  ber  reformatorifdöen  ^eilöorbnung  abn^eic^t.   3i^"ä^ft  ift  ^ 
nic^t  jufällig,  ba§  Sauater  bie  Orbnung  be^  pflic^tmögigen  ^an- 
beln^  in  ber  aügcmeinftcn  S)cutung  ber  SJiad^al^mung  ß^rifti  be^ 
grünbet,  bafe  „ic^  mid^  @ott  j^um  Seften  ber  ^enfcftcn  unb  jfix 
greube  3efu  fo  ganj  aufopfere,  »ie  er  fic^  ®ott  aufgeopfert  ^at, 
bafe   ic^  alle^  in  feinem  Flamen  t^ue  unb  leibe,   ha^  ift,   imme'C 
fo  tianble  unb  leibe,  h?ie  S^riftud  an  meiner  ©teOe  l^anbcln  unl 
leiben  würbe"  ^).    S)enn  biefe  SRajime  ift  bie  im  SBittelalter  It 
gitime  Srgänjung  ber  aus  ber  Kontemplation  S^rifti  gefc^öpftei 
Siebe  p  i^m,   unb  bicfeS  allgemeinfte  ©c^ema   ber  Stoc^folgi 
Slirifti  finbet  fidö  überall  ein,   mo  ber  ^ßietiigmuö  bie  ©eöotioi 
gegen  ben  auö  5Jlenf(^enliebe  leibenben  Sl)riftuS  erneuert,  ^crm 
liegt  eine  ©c^rift  ßauater*^  öor,  meldte  alö  eine  Xl^eorie  ber  pi( 

tiftifc^en   ÜJiet^obe   beö  intimen  Umganges  ber  ©eele   mit  ben ^ 

^erjenSfrcunb  E^riftuS  auftritt,  unb  bie  üoUgültige  Urfunbc  ba^ 
für  bietet,  bag  fiauater  bie  ^orberung,  baß  man  (S^riftud  liel 
^aben  muffe,  in  bem  befonbern  pietiftifc^en  ©inne  üerftanben  \)a\ 

®er  Jitel  biefer  ©c^rift  lautet:  „3efuö  (Sfjriftug  ftetö  bcr=-  ^'' 
fclbe ;  nic^t  befc^räntt  burc^  Qdt  unb  iRaum,  nic^t  burd^  bie  Un=-  * 
n)ürbigteit  ber  ©laubenben  an  i^n ;  ober  neue  SluSgabe  bcd  altci"^^ 
(Söangeliumö  für  ed^tgläubige  ß^riften"*).  ffi«  ift  rec^t  originct— ^ 
t)on  Sauater,  bafe  er  bicfeS  X^ema  geftellt  l^at.  S)cr  religiöf^  ^ 
®laube  orientirt  fid)  an  feinen  SBe}icl)ungSpunften  ftctS  für  bi^^  -^ 
Gegenwart,  unb  riebet  fid^  not^menbig  auf  baS,  load  an  @otfl^  ^ 
fic^  gleich  bleibt,  feine  Xreue  unb  feine  SScrl^eifeung.  3)em  ent=^  -' 
fpric^t  es,  ba§  (S^riftuS  in  baS  ©cfic^töfelb  ber  «poftel  birectr  ^ 
als  ber  8lufertt)ecfte  unb  @rf|ö^te  fällt,  fo  ttjie  er  gegcntoörtic^a? 
Doräuftellen  ift,  unb  nic^t,  toonac^  bie  t^eologifd^e  ßieb^aberci'  ' 
immer  fuc^t,  als  ber  ^räejiftente.  9lun  aber  ift  bie  ^ergcbrac^l 
S)ogmatif  auf  bie  @eminnung  jenes  praftifd^en  ®efic^tspunft( 
für  ben  ©lauben  fe^r  n^enig   eingerid^tet.    ©ie  fül^rt  C^rifti 


1)  Xagebud^  II.  S.  301.  302. 

2)  9k4gelaffene  Si^rtften  II.  6.  109—220. 


513 

immer  nur  in  bcr  {Reil^cnfolgc  ber  öcrfd^icbcncn  ©tänbe  öor,  unb 
lägt  i^n  fo  eben  t)telmet|r  ald  beränberlid^  erfennen,  o^ne  ben 
Slbftanb  gn^ifd^en  ben  @tänben  feiner  (^iftenj  ouSjugleic^en. 
(Sbenfo  lägt  oud^  bte  a^fetifc^e  Einleitung,  inbem  fie  balb  an  bie 
Seibendgeftalt ,  balb  an  bie  Sßad^tfteQung  be^  Sufem^edten  an« 
fnüpft,  bie  Etnfd^auung  Don  S^riftuiS  ;(n)tfd^en  ben  entgegengefe^« 
ten  äRer!maIen  {)in  unb  ^cr  gleiten,  ats  ob  biefelben  jugleid^  in 
ber  ©egenttjart  für  Stiriftuö  gelten.  SRan  foflte  jjebod^  benfen, 
eS  fäme  für  bie  t^eologifc^e  Äe^re  wie  für  bie  religiöfe  Siebe 
unb  a^fetifc^e  Einleitung  barauf  an,  bie  Sbentität  Sl^rifti  mit 
ftd^  innerhalb  ber  n^cc^feluben  Elnfc^auungdformen  unb  Attribute, 
alfo  baS,  xva^  \id)  in  iE)m  gleid^  bleibt  unb  emig  ift,  ju  fijriren; 
benn  nur  unter  biefem  Elttribut  eignet  fid^  auc^  (S^riftud  jum 
©egenftanbe  bed  @laubenS.  Snbeffen  tt)ürbe  man  bei  £at)ater 
Dergeblid^  nac^  einer  au^brücflid^en  Söfung  biefer  Slufgabe  fud^en. 
3^m  mad^t  e«  oielme^r  leine  ©d^toicrigfeit,  S^riftuö  unter  ben 
entgegengefe^ten  äJ^erfmalen  bed  gelreujigten  unb  beS  aufertt)edt 
ten  aB  ibentifc^  ju  fe^cn.  ©eine  Elbfic^t  nömlid^,  bie  er  mit  einer 
^nüt  t)on  SR^etoril  öcrfolgt,  ift  barauf  gerichtet,  bag  E^riftuö, 
loelc^er  nac^  feinen  äJer^eigungen  feinen  Jüngern  unbebingt  nal^e 
fein  loid,  unb  Don  ben  erften  (S^riftcn  bemgemäg  angebetet  unb 
aU  Reifer  in  aller  9lot^  gebrandet  ift,  nod^  je^t  Don  aOen  @läu^ 
bigen  a(^  ber  allmächtige  ^err  über  ElQeiS  unb  aU  ber  näc^ft« 
fte^enbe  ^crjenöfreunb  angefprod^en  ttjerben  mu§,  toeld^er  ber 
hierin  audgefproc^enen  (£rn)artung  burc^  bie  (£r(|örung  ber  @e^ 
bete  entgegenfommen  n)irb.  3)enn  bie  Entfernung  be^  SRaumed 
ift  für  ben  ElUmäc^tigen  ungültig,  ber  jum  ^immel  aufgeftiegcn 
ift,  bamit  er  Elfle^  crfüfle:  ,,e^  toar  apoftolifd^egunbamentallc^re, 
Ct)riftuS  unb  ß^^rifti  S93irtfamleit  ift  burd^au^  an  feinen  Ort  ge« 
bunben,  in  feinen  SRaum  eingefd^loffen."  3)ie  Entfernung  ber 
3eit  fommt  auc^  nic^t  in  Setrad^t,  benn  bie  SBer^eigungen  ber 
Elllgegenmart  unb  allmächtigen  ^ilf^bereitfd^aft  (£l)rifti  finb  über« 
^aupt  nid^t  mafir,  ober  fie  gelten  oline  SRüdtfic^t  auf  ben  Elbftanb 
ber  Qüttn  für  aQe  ©laubigen.  SaDater  meint  behaupten  ju 
bürfen,  baß  bie  ©laubigen  in  ber  SRormaljcit  ber  Elpoftel  in 
einer  ©enuffc^gemeinfc^aft  mit  S^riftud  geftanben  unb  barauf 
bie  befonberen  93elel|ruugen  unb  @tärfungen  gefc^öpft  ^aben, 
toeld^e  ald  eigene  Erfahrungen  fie  Don  ber  Realität  i^red  S3er« 
pltniffed   überführen.    Er  toill  bie  ElOgemeingültigfeit  beffelben 

I.  3S 


514 

• 

bcnjenigcn  grommcn  dnpx'dqm,  tücld^c  jt^  mit  bcn  Su^ftaben 
bcr  SJcr^eifeungcn,  fo  gu  fagen,  mit  bcm  SJcnnad^tnife^Snftrumcnt 
begnügen,   oftne  Don  bem  SJennä^tnig  bcr  allmäd^tigcn  $eil^ 
gegenn^art  ß^rifti  ©cbraud^  ju  machen  *).    ^  erflärt  feine  S)eu^ 
tung  berfelben  für  bie  öcrnünftige  «nfid^t,   bie  entgegengefc|te, 
töcld^e  in  ber  SJcrfieifeung  ber  SBo^ltl^aten  S^rifti  ben  jurcic^enbcn 
©runb  beö  ^eileö  finbet,   für  ©d^ttjärmerei.    ^fiaffet  und  nic^t 
Smagination   für  ©lauben  l^altcn,  unb  ©laubcn  nid^t  für  eine 
eiDige  Serfd^iebung^lunft  beffen,  toa^  je^t  genoffen  toerben  foD/ 
hingegen  „\>a^  @e^eimni^  be^  ©enuffe^gloubend  beftänbe  bartn^ 
bafe  man    gerabc  fo  mit   i^m  fpräd^e,   toie  toenn  er  öor  un^ 
ftänbe,   unb  ,n?ie  man  mit  il^m  fprcd^en  tonnte,  ba   er  nod^  tit 
äRenfd)engeftaIt  umherging,  fo  aU  ob  er  geftem  in  ben  ^immeL 
gefahren   unb   für  und  befonbere  @aben  unb  ^öfte  empfongeic 
^ätte." 

(Sd  unterliegt  feinem  Qtoti^d,  bag  ber  Umgang  mit  (S^riftu^ 
a\&  bem  ^erjenisfreunb ,  tt)e(d^en  Saüater  aU  bad  ed^te  S^rtften^ 
t^um  empfiel^lt,   bie  pietiftifd^e  SÄettiobe  ift,  weld^e  toir  fennen* 
©ie  ift  bei  Saöater  an  bemfelben  ©cgenfafte  orientirt,  toie  bei^ 
JBil^cIm  SBrafel  (©.  297)  unb  bei  ßampe  (©.  436).    Sei  i^ncn^ 
Snen  gilt  cd  ald  bad  ajterfmal  unDolIfommcnen  @(aubend,   bag^ 
man  fic^   auf  bie  SSer^eißung  ber  ®nabc  burd^  6^riftud  ftü|t, 
unb  bafür  ift  aU  @runb  bie  äiüdffid^t  maggebcnb,   ha%  babei: 
e^riftud   ate  ber  ©cttjcfenc   unb  ald  ber  Äbn^cfenbc  crfc^eint. 
^icburd^  ift  bie  öon  ben  JRcfonnatorcn  bejeid^nete  iRormirung 
bed  @(aubend  an  bcm  S93ortc   ali  mangelhaft   bejeid^net,   unb 
anbercrfcitd  bie  SBc^auptung  t)on  5ßoirct  unb  Ärnolb   aboptirt, 
bag  bad  urfprünglid^e  S^riftent^um  nid^td  anbered  fei  old  äR^ftil 
3n  SSSirflid^feit  fte^t  cd  frcilid^  ganj  anberd.   (Einmal  bcfte^t  bie- 
©emeinfc^aft   mit  E^riftud  bei  3o^.  15,7  barin,   ba§  bie  SEBorte 
ß^rifti  in  und  bleiben,    gerncr  ttjcnn   bie  pietiftifc^e  ©eöotion 
auf  ben  S93egen  bed  l^eiligen  Sernl^arb  fid^  an  ber  Sitiprägung 
ber  Seibcndgeftalt  S^rifti  nä^rt,  um  baburc^  in  bcn  äBed^fetoer» 
fe^r  mit  bcm  @rpt)tcn   cinjutreten,   unb  bie  Kontemplation  ge« 


1)  W'  SebenSbefd^relbung  II.  S.  179:  ,(S8  if!  btc  gtöfitc  2:^0T^it, 
9(n  anzurufen,  toenn  (^x  nur  burdf)  {ein  ^interloffeneS  (Soangeltum  ^nf4t  unb 
wirft.  S)a6  er  mit  grei^eit  auf  uns  »irfen  fann,  bog  ma^t  3(n  )um  ^erm 
unb  0oti  ber  ^enf^^eit." 


515 

nöt^igt  ift,  in  btefer  Stbftufunfl  bcr  Attribute  ß^riftt  immer  auf* 
unb  abjuft  eigen,  fo  entbel^rt  fie  eben  ber  ©en^igl^eit  berSbentttat 
e^rifti  in  \\6),  toelc^e  Satmter  mit  SRec^t  aU  bic  JRegcl  fteflt. 
SQein  ber  bezeichnete  Stbftanb  ift  gerabe  oudgegltd^en  in  ber 
gormel  ber  ^Reformatoren,  ba§  man  pd^  an  bie  SJer^eifeung  be8 
gSttlid^en  @}nabenn)inen^,  für  tüdä)tn  S^riftud  einfielt,  gu  l^alten 
f^abe.  hierin  ift  gerabe  ba^  @n)ige  in  Sl^riftu^  audgebrücft, 
ber  göttlid^c  S33ertl|  feiner  ?ßerfon,  in  bem  er  fid^  aud^  bei  bem 
SEBed^fel  feiner  @tänbe  gleich  ift,  unb  jugleid^  bie  iperfönlic^e 
firaft,  tt)elc^e  allen  Unterfd^ieb  beS  äiaumeiS  unb  ber  ßeit  gleid^« 
gältig  mac^t.  £iefe  SRorm  ber  äJerfö^nung  unb  be^  ^eildglau« 
benö  ift  üoIKommener  ate  bie  SRorm  ber  fat^olifd^en  S)eöotion, 
tpel^e  jth^ifc^en  ber  SSenoert^ung  ber  SeibenSgeftalt  unb  ber 
9Rac^tgeftalt  bed  99räutigamS  ^in  unb  ^er  fd^mebt.  ^ed^alb  ift 
ber  ^ietiSmu^,  n^eld^er  ben  Umgang  mit  (S^riftud  unter  bem 
fEkd)\el  feiner  entgegengefe^ten  Attribute  für  bie  P^ere  Drbnung 
erflärt,  unb  bad  SSertrauen  auf  bie  in  (SljriftuS  anfd^aulid^e 
©nabe  ©otted  al^  bie  geringere  Orbnung  überbieten  xoxü,  ebenfo 
im  SBiberfprud^  mit  ber  ^Reformation  mie  im  Sinflang  mit  bem 
ftat^olicidmu^.  Unb  jugleic^  ift  ber  ^ieti^mud  überl^aupt  unb 
£at)ater  in^  iBefonbere  in  einem  großen  Strt^um  befangen,  als 
ob  ber  ?ßroteftantiömuö  in  biefem  ?ßunft  einer  SJerbefferung  be^ 
bflrfe,  unb  biefelbe  burc^  bie  SSieberaufrid^tung  ber  fat^olifd^en 
äRet^obc  erfahre.  Die  ©c^rift  Saöater'S,  um  bie  c^  fic^  I)ier 
^anbelt,  ift  an  mand^en  @teDen  mit  8(nmerlungen  eines  ^^reun^ 
bcS  oerfe^en,  n^eld^er  im  allgemeinen  ben  ©efic^tSpunft  beS  8er- 
faffcrS  als  Uebertrcibung  bejeid^net.  Unter  biefen  Slnmerfungen 
aber  ift  eine  (auf  ©.  186)  öon  befonberem  ©etoid^t:  „(£S  ift 
möglid^,  fieißt  eS,  baß  fe^r  fromme  E^riften  fein  Scbürfnife  nad^ 
fogenannter  finnlid^er  Offenbarung  beS  §errn  (ttjomit  Saüater'S 
Snfid^t  gemeint  ift)  (|aben.  $tu^  fte  n)oQen  einen  lebenbigen 
E^riftuS,  einen  Reifer,  Siröfter,  ©tarier,  JBeleber.  S33orin  foH  er 
fi(^  il^nen  als  fold^en  ben^eifen,  fie  feiner  Siebe  unb  feines  SebenS 
gen)iß  machen,  unb  bag  eS  nid^t  Xäufd^ung,  nid^t  fromme  ISin« 
btibung  ift?  ©ie  tt)erben  fagen:  baran  baß  fie  fic^  felbft  unb 
bie  äEBelt  übern^inben^),  unb  3^m  ä^nüd^  tt)erben  im  Bulben, 
SBirfen  unb  Sieben."    Darauf  ertoibcrt  ßaöater:    „SBenn  eine 


1)  $01.  oben  8.  66. 


516 

@eele  mir  fagen  fonn:  3d^  f)abc  o^nc  ftnnlic^e  b.  i.  QUeban-' 
geltfd^e  S^ftu^erfafjTungen  tnid^  felbft  unb  bie  SEBelt  äbertounben 
unb  bebarf  tpeiter  ntd^tö,  —  fo  tDtO  xd)  tein  Sebürfnig  naif 
titoa^,  ba^  fie  nid^t  bebarf,  crjtt)tngen.  $(ber  ed  n>äre  benfenben 
(S^riften  biefcr  Slrt  leidet  flor  }u  tnad^en,  bag  fte  baiS  ntc^t 
l^oben,  tDQ^  bie  crften  S^riften  Ratten,  bag  ei^  bod^  ein  fc^öner 
tt)ürbiger  @enug  tt)äre,  in  einer  reeden,  mitt^eilfamen,  correfpon- 
benjlid^en  ©emeinfd^aft  mit  St)riftuö  jju  fielen,  unb  ba§  nur  eine 
folc^e  @emeinfc^aft  fie  gegen  Xäufc^ung,  SEBa^n  unb  SibfoII  t)om 
©tauben  in  ben  @tunben  ftarfer  SSerfud^ung  fd^fi|en  fönnte". 
hierin  ift  bie  Sontroüerfe  jmifd^en  bem  e^angetif^en  unb  bent 
!atl^olifd^«pietiftifd^en  ^eiUbemugtfein  mit  münfd^endn^ert^er  S>eut^ 
Ud^feit  gejeid^net.  ®ie  @ränbe  aber,  n^cld^e  Saüater  beibringt^ 
um  bad  erftere  ali^  ergänjungdbebürftig  }U  ermeifen,  ftnb  utc^i 
ftid^tialtig.  S)ag  bie  erften  S^riften  in  ber  t)on  ä3ern^rb  for^ 
mulirten  S93eife  in  bem  freunbfc^aftlid^en  Umgang  mit  bem  t^n( 
gegenwärtigen  S^riftuö  gcftanben  tiaben,  ift  eine  leere  SSe^aup« 
tung,  unb  ber  flu^fpruc^  be^  $aulud,  an  meieren  £at)ater  babei 
benft:  id^  lebe,  aber  nic^t  id^,  fonbern  (S^riftud  lebt  in  mir, 
beutet  etroag  ganji  Änberc^.  gemer  fommt  e^  boc^  barauf  an^ 
toa^  not^menbig  ift  jur  ^egrünbung  bei^  c^riftlid^en  Sebend  un) 
jur  ScttJötirung  ber  SJerfö^nung  in  bemfelben,  nid^t  aber  barauf. 
toa^  aU  ein  fd^öncr  ©enuß  barübcr  ^inauö  nod^  erftrebt  toerbcir^:^ 
fönntc,  ttjaö  aber  nac^ttjei^Iid^  bei  ben  n^cnigften  ftetig  ift,  fonbcrm^cÄ 
regelmäßig  mit  SSerlaffungen  unb  S^rodfen^eiten  abmec^felt.  9)ag#^l 
Saüater  für  feine  ^erfon  an  biefe  ffirfat)rungen  nid^t  benft,  mafi^  -9 
er  tt)ie  ßinjenborf  i^rcm  gemeinfamen  fanguinifd^en  Xemperamenr  -*»* 
öerbanfen;  allein  ba^  ßeugnife  afler  Slnberen  lautet  gerabe  ivr^^ 
SSäiberfpruc^  mit  ßaöatcr  bal|in,  baß  ber  Umgang  mit  bem  $ci=  :^"^* 
lanbc  nid^t  ber  fpecififd^e  ©d)u^  üor  SJerfuc^ungen  ift,  loeil  er^^s*^ 
felbft  fd^on  bem  SBec^fet  ber  ©timmung  nic^t  ©tanb  l^ält. 

2)ie  bejcic^nete  SBerü^rung  Saüatef  g  mit  ginjenborf  ift  too^C  4^^' 
nic^t  jufättig.  S)ie  cigentl)ümtic5e  SRic^tung,  in  toeld^er  Saöatcir^^^^ 
fic^  bcttjcgt,  öerbinbct  if|n  nic^t  mit  ben  oben  Vorgeführten  (Srfc^ei»  ^  ^^' 
nungen  bed  ^ietidmuS  in  ßürid^.  ©ic  entfprid^t  aud^  nid^t 
SSorbilbe  Don  Sampe,  ba  bie  bem  ^^ärtlic^en  Umgange  mit 
^erjeni^freunb  3efuö  Dorauögefe|te  ©nprägung  ber  fünblic^er-:?'^ 
unb  creatürlic^en  9iic^tigfeit  bei  fiaöater  nirgenbroo  aSiber^ot^' 
finbet.    £er  SJ^angel  biefed  @lemente^  mad^t  melme^r  bie  ißa^ 


517 

tponbtfc^aft  jtüifc^cn  3^"ä^"^*>^f  ""i>  SaDatcr  no(^  bcutlic^er. 
Sfhin  ^a6en  fid^  bie  ^crrnl^utcr  in  3*^^^^  f^^^  1748  f cftgcfefet  *). 
3ft  alfo  öieüei^t  anjunc^mcn,  ba§  Saöotcr  öon  i^nen  bie  Än^ 
^«fluttfl  ju  ber  grömmigfeit,  tDcId^c  er  lunb  giebt,  empfangen  ^at? 
hiermit  ftimmt  ouc^  feine  oben  (©.  501)  bejeid^nete  ©teHung  ju 
ben  eng^erjigen  ?ßietiften  ber  alten  ©d^ule.  Denn  fie  brüdEt  ben^ 
felben  ©egcnfafe  auö,  loeld^en  einerfcitS  3*ttj^"^orf'i^  belannte 
Rebe  Don  ben  „miferabelcn  ^ßietiften",  anbererfeiti^  lerfteegen'ö 
aMge  ber  ,,Scici^tfinnigfeit"  ber  ^errn^utifd^en  SBetl^obe  bejeid^* 
nct  (®.  485).  Sebod^  ift  ßat)ater  feineöttjegeö  ein  birecter  §crm* 
^utcr  getoorben.  5)cnn  i^m  fe^lt  burd^au^  ber  Suttuö  ber  Sei* 
bcnSgeftalt  Sl^rifti.  Äufeerbem  mad^t  er  eine  eigcnt^mlid^e  8{ji* 
toenbung  öon  ber  Slrt,  tt)ie  er  ben  intimen  SJerfe^r  mit  bem  aß* 
möd^tigcn  §errn  öerftel^t,  toeld^e  im  Sreifc  beö  ^ßietiömuö  neu 
ift.  „SSäenn  nid^t  ber  §err  3cfuö  S^riftuö,  ber  tt)ie  ein  ^erjcn^* 
freunb  fein  Dt|r  nad^  euren  Sippen  ^in^ält,  nid^t  unfer  ©d^ufe* 
gott,  nid^t  ©cbeter^örer  in  unfcrem  3citaltcr  ift,  fo  ift  unfer 
©laube  aBa^nglaube,  ©d^toärmerei,  eitel."  Älfo  in  ber  (Sr^rung 
ber  ®ebetc  entartet  SaDatcr  bie  $robe  ber  Sfiealität  be«  Um^ 
gongö  mit  bem  aHmäd^tigen  §erm  ju  erfahren;  biefeö  ift  ber 
@inn  ber  oben  (©.  510)  bemerften  gorberung  pofitiöer  ®otte^ 
erfa^rungen. 

©eit  bem  Sa^re  1768  ^at  ftd^  SaDater  mit  biefer  Sombina^ 
tion  befc^aftigt^).  3n  bem  erften  SBanbe  feiner  SSermifd^ten 
Schriften  (1773)  ^at  er  eine  Slb^anblung  „üom  ©tauben,  üon 
ber  Äraft  beö  ©ebeteg  unb  ben  SBirtungen  be«  ©eifteö"  öeröffent* 
U(^t,  welche  biefetben  ©ebanlen  entpit,  bie  in  ber  nad^gelaffenen 
©d^rift  nac^getoiefen  finb.  S)aö  ©erfahren  ift  aud^  bort  rein 
cjcgetifd^;  Saöatcr  bettjeift  eben,  ba%  bie  ©laubigen,  inbem  fie 
burc^  Sl^riftuö  in  eine  ©cmcinfd^aft  mit  ©Ott  gebraut  n)erben, 
toetc^e  ber  ©emeinfc^aft  jmif^en  E^riftuS  unb  ©ott  ä^nlid^  ift, 
t^tö  burd^  ©oben  be^  ©eifte^  au^gejeid^net  n)erben,  todä)t 
flbemotfirüd^e  Gräfte  finb,  t^eifö  mit  einem  ©tauben  au^gerüftet 


1)  @tuber  a.  a.  O.  8.  203. 

2)  55öl.  in  ber  ficbenSbcWrcibunß  I.  @.  340.  IL  6.  47.  174.  198.  III. 
6.  78.  490.  %n  ber  legten  Steae  @.  492  (eigi  e8 :  .O  bafi  eS  mir  fiegeben 
Mtbe,  ou4  ^rtfilid^en  99eiern  mel^r  9Rutl^  unb  Se^erat^tt  ein)nf[öften,  0oit 
|tt  benu^en,  toit  er  bon  und  benu^t  fein  miH." 


518 

tDerben,  toeld^em  oDe  ^inge  tnöglid^  fiitb,  t^etli^  ju  einem  ©ebete 
angeleitet  tt)erben,  toeld^ed  ,,))ofitit)e  äußere  SEBirfungen  erreicht, 
bie  mit  bem  @ebet  felbft  in  feinem  ftc^tbaren  3uf^ntmen^ange 
fielen/'    SSJod   er  ^ietin  olS  ben  99eftanb  ber  neuteftomentltc^en 
93orfteIIung  unb  ber  neuteftamentlic^en  ©efd^id^tc  ermittelt  ^otte, 
erfannte  er  jugleid^  als  bie  Siegel  für  ade  Seiten  an,  ünb  lehnte 
bie  toeit  Verbreitete  Slnnal^me  ab,  bag  bie  bejeid^neten  (Erf^ei* 
nungen  nur  für  bie  erfte  ISpod^e  bed  C^riftent^umd  normal  ge« 
n)efen   feien.    Um  aber  biefe  Sintuenbung  mit  fH^t  abjule^nen, 
betrat  er  bcn  S93eg  ber  l^iftorifd^en  Unterfu^ung,  unb  forberte 
1771  ade  feine  ^eunbe  baju  auf,  i^n  mit  SJIaterial  ju  biefem. 
Qrotdt  ju  unterftü^en.    ISS  !am  i^m  barauf  an,  }u  erfahren,  o\p 
fett  ber  Slpofteljeit,   inSbcfonbere  feit  ber  9fieformation,   enblic^ 
ob  in  ber  ©egenttjart  gäHe  öorfommen,  in  benen  «Segeben^eiteit- 
auf  t)orI|crgegangeneS  auSbrfidlid^eS  @ebet  ober  pofitioe  ®Iau«->^ 
bendäußerung  erfolgt  finb,  inbem  fie  ol^ne  bieS  natürlid^cr  SEBcif^^ 
ganj  unb  gar  nic^t  gu  ern^arten  gen^efen  loären.''    SlnbererfettS^ 
toflnfd^te  er  ju  toiffen,    ob  „ein  juüerläffigeS  Seifpiel  üon  ein 
lebenben  frommen  unb  gen^iff entarten  äRenfd^en  befannt  fei,  be 
t)or  bem  aQmiffenben  ®ott   bezeugen  bürfe:    3d^  ^abe  um  bi 
ober  jenes  mit  jn^eiffeDofer  (Erwartung  ber  Srl^örung  na^  b 
JBorfcbrift  beS  ffioangeliumS  gefleht,   unb   id^   bin  ni^t   cr^ör:-  ^ 
toorben,  @ott  l^at  mir  nic^t  geanttt)ortet.''    Z)iefe  9Uifforberun^p  9 
toirftc ;  Saöater  empfing  öon  allen  ©eiten  SRitt^eilungen  'über-  i^x 
©ebetSerl^örungen;  ja   er  erlebte  eS,  bag  menige  Sa^re  barau  ^^i 
(1774)  ber  fat^olif^e  ?ßricftcr  Sofe^)^  ©agner  in  ber  Slä^  0010^  ^ä 
Augsburg    tounbcrbare  Teilungen   burd^  bie  ©efd^toörung   bü^-^ 
3:eufe[S  ausübte.    Stber  Saoater  h?ar  nid^t  ber  SReinung,  bi  :^i( 
{Berichte  über  ©ebetSerl^örungen  unb  über  biefe  äBunber^etlungec^  "^ 
o^ne  meitereS  ju  glauben;  er  untem^arf  fte  t)ielmel^r  einer  ^iti9i^  ^^ 
toeld^e  nic^t   immer  gur  Seftätigung  ber  Seric^te  führte.    UnS^  ^^ 
namentlid^  getoannen  i^m  bie  ©aben  ©agner'S  fein  Certrauei^^^ 
ab;   nad^  ber  perfönlid^en  Scfanntfd^aft   mit  bemfelben  ^atte  ^ — '^ 
bie  Unbefangenheit  i^m  gu  fd^reiben,  er  ^alte  i^n  für  fromm  un^^ 
aufrid^tig,   ^abe  aber  an  i^m  nic^t  ben  ^o^en  ©rab  üon  $ietä^^ 
unb  ^ot)em  (£f)riftuSfinn   gefunben,  ben  er  bei  il^m  üermut^et^- 
Unb  in  feinem  Xagebuc^  f))ridC|t  er  feine  Uebergeugung  aud,  bagi/ 
h?aS  ©agner  gemirft  ^abe,  auS  ber  aQen  äJtenfd^en  innckoo^nen^ 
ben,  alfo  natürlid^en  magifc^en  $raft  ^errü^re,  loel^e  erft  burc^ 


519 

bcn  lebcnbigen  ©laubcn  jur  aSunbcrfraft  erhoben  »erbe.  3)ic 
Prüfung  ber  ©ebcWcrPrungcn  aber  lonntc  um  fo  »cnigcr  ju 
einer  Scftätlgutig  ber  t)on  Satjater  prätenbirtcn  Siegel  fül^ren, 
aU  in  feiner  eigenen  Srfal^rung  ^äUe  t)on  Sr^örung  unb  t)on 
9li^ter^örung  mit  einanber  abmed^fetten.  3)er  S3iogrQ))^  bejeugt 
l^icrüber  ate  D^renjeuge:  „äud^  in  äbfid^t  auf  feine  eigenen 
©ebete  beobad^tete  er  biefelbe  ©d^ärfe  (ju  unterfd^eiben ,  ttjaÄ 
me^r  für  Qn^aü  afö  für  eigentlid^e  Sr^rung  anjufe^en  fei),  unb 
bQl^er  fam  c^,  bag  er  jmar  oft  mit  9iil^rung  t)on  feinen  eigenen 
barüber  gemad^ten  ©rfal^rungen  fprad^,  aber  aud^  mit  ber  Unbc^ 
fangen^eit  eined  £inbe^  ee  fagte,  tt)ann  er  biefe  Srfal^rung  nid^t 
gemacht,  fonbern  fid^  in  feiner  (Sttpartung  geirrt  ptte"  *). 

iRid^td  befto  tt)eniger  l^at  Sat)ater  in  ber  nad^gelaffenen 
@d(|rift  bie  Srl^örung  ber  lebete  um  äugere  ©üter  aU  bie  regele 
mäßige  $robe  ber  t)on  il^m  t)orgefc^riebenen  ©emeinfd^aft  beiS 
@läubigen  mit  Sl^riftud  bcm  SlUmäd^tigen  aufredet  erl^alten. 
S)iefe  3lnn)eifung  ift,  tt)ie  gcfagt,  im  Greife  beS  ^ietiämu^  eine 
üoQe  Steuerung.  Sluf  @ebet^er^örungen  ^aben  freitid^  t)on  jel^er 
aWenfd)en  ber  üerfd^iebenften  religiöfen  8lid§tungen  gead^tet.  Aber 
gerabe  fold^e  @)ebete,  tt)ie  £at)ater  meint,  tt)erben  t)on  Sobenfte^n 
(©.  171)  unb  a;erftcegen  (©.  477)  birect  tjerbotcn.  S)a^  ift  aud^ 
nic^t  btod  aU  eine  ^^olgerung  au^  il^rem  Duietidmud  ju  Der« 
fielen.  SBicImc^r  ift  ber  contemplatiüe  SSerlel^r  mit  bem  ^errn 
Sefu^  igcfprilnglid^  unb  in  aQen  bidl^er  erörterten  fällen  burd^:^ 
aud  nid^t  auf  bie  Don  Saüater  empfol^Iene  Kombination  ange« 
legt.  S)enn  biefe  9Äetl^obe  ift  für  SKönd^e  unb  SRonnen  beftimmt, 
meldte  frei  finb  Don  ben  ©orgen  ber  SBelt  unb  ben  S33ed§felfäIIen 
beS  £eben^  (@.  41),  alfo  au^  feinen  @runb  tjabcn,  il^re  lebete 
auf  ein  ©ebiet  ju  rid^tcn,  meld^e^  für  fie  nid^t  ba  ift  35er  ©e* 
grünber  biefer  9)tetl^obe  ift  au^  meit  baDon  entfernt,  ben  ^erm 
Sefud,  in  beffen  93er!el)r  er  bie  ÜTlönd^e- einführt ,  jugleid^  aU 
©ubject  pl^^fifd^er  SQmad^t  in  Slnfpruc^  5U  nel^men.  3!)enn  bad 
®cbiet  ber  (jrlöfung,  in  mclc^ed  jener  SSerfc^t  fällt,  ftuft  SBern« 
l^arb  gegen  bad  ®ebiet  ber  ©d^öpfung  gerabe  ganj  beftimmt  ab; 
in  biefem  wirft  ©Ott  frei  unb  allmäd^tig,  in  jenem  nid()t  (©.  52). 
3)e^^alb  red^net  er  in  bem  SSerfel^r  mit  bem  fid^  emiebrigenben 
©Ott,  ber  in  Siebe  ben  ©laubigen  na^e  tritt,  nur  auf  bie  SKit^ 


1)  %.  a.  o.  IL  e.  52. 


520 

t^eilung  geiftiger  ®üter.  Unb  inbem  fämmtlid^  ^etiftcn,  tpelc^c 
bi^^cr  tjorgcfommen  finb,  in  bcr  (Srncucrunfl  ber  SDtet^obe  Sern* 
l^arb'd  auä)  t)on  ber  SBelt  unb  ben  @orgen  um  tDeltltc^e  @fiter 
fid^  Q6tt)enbcn,  Derj^id^ten  fie  gerobe  barauf,  fie  bur(^  Sittgebete 
)u  erreid^en.  3n  ben  adfetifd^en  Slnmeifungen  fommt  ntc^td  bet 
SIrt  t)or,  unb  @icco  Xjaben  j.  S.  ift  immer  nur  überrofc^t  koor^ 
ben  bur(^  groben  göttlid^er  ^filfe,  er  ffat  aber  nid^t  um  befon^ 
bere  unb  ouffaHenbe  SrtDetfungen  berfelben  gebetet.  Silfo  Satxi==^ 
ter'i^  $tetidmug  unterfd^eibct  fid^  t)on  ben  bi^^er  üorgefommen 
Qut^entifc^en  ^fd^einungen  beffclben  einmal  baburc^,  bag  er  be 
bem  @enuffe  S^rtfti  üorau^jufd^idenben  Stnbrud  ber  Slt^tigfet 
nid^t  fennt,  ferner  baburd^,  bag  er  bie  ©cmeinfd^aft  mit  S^riftu 


gerabe  jur  Sc{)QUptung  ber  (Stellung   in   ber  SBelt  tienuenbet 
Sener  SJJangcl  unb  biefe  3"^^^^  fd^einen  fi^  oud^  ju  entfprec^en 
Snbeffen  lägt  fid^  nid^t  leugnen,  SaDQter  l^at  in  bemjentgen,  toast 
bie  ©ebct^er^örung    Iciften  foQ,    ein  tt)efentlic^ed  (Element  be^s^-S 
©^riftentöum^  ergriffen,   unb  jttjar  in  bcr  {Richtung  b©^  ^rote=^^ 
ftonti^mud.     3!)cnn   nad^   proteftantifd^er  Huffaffung    leitet   bi^  ^^ 
aSerfö^nung  mit  @ott  burd^   ß^riftu^  unb  bie  ©otfc^aft  üoir-^ni 
Sieid^c  ®ottcö  jur  Sel^crrfd^ung  ber  SBelt  an.  Satjater  l^at  borir:«'  -^ 
ganj  red^t,  bag  bcr  ©laube,  ttjenn  er  e^t  ift,  ©erge  Derfefet.  ^v:m^^b\ 
Äat^olici^muö  ift  biefcr  ®cbanfe  öcrf droben,   ^ier  übernimmt  bi^-5^i^ 
Äird^e  alg  bie  afled^t^onftalt  bie  Sel^errfd^ung  ber  SBelt,  hx^pauMm» 
firt  aber  icben  ©injelncn  baüon,   inbem   fie   ben  t)oQ|t&nbigei^^=n 
ß^riften  junäd^ft  bie  ©ntfagung  tjon  bcr  SBelt  öorfd^reibt ,  unlC:^^^ 
eg  il^nen  weiterhin  überlägt,  burd^  bie  ßontemplation  be«  $crn^""=«^ 
Sefud  unb  bie   m^ftifc^e  Einigung  mit  i^m  über  ber  SEBelt  ^mr^S^ 
f^meben.    SEBcil  biefe  Slnttjeifung  cd^t  fat^olifc^  ift,  ift  i^rc  61 -*  ^^"^ 
neuerung   im  5ßictiömuö  eben  eine  SSerfüriung  bed  ^roteftantiö^^-i^ 
mujf.    ©ollte  nun  aber  Üaüater  barin  Siecht  l^aben ,  ba%  gerab<^  ->bc 
biefe  SKct^obe,   wcld^er  bie  SBerjid^tleiftung  auf  bie  SBelt,   oxm^^-^^^ 
bie  (Stellung   in  i^r  unb  ben  ®cnug  it)rer  @üter  eingeboren  ifürT^^ft 
bie  geeignete  ©runblagc  bafür   fei,   bag   man  burd^  @ebet  unr:^"^^"^ 
ffir^örung  beffclben  bie  SBelt  bc^errfd^c?    35iefe  Kombination  if^  5"  ^ft 
ebenfo  gctealtfam  *)  mie  fie  neu  ift,  unb  fie  ift  nid^t  überjeugent:^  '•^z 


1)  fie^rreH  ifl  in  biejer  ^Bejic^ung,  bafe  aioei  ^Inl^änger  ßatwtet'B,  Stol^^ 
unb  ^Sfeü,  betbe  geborene  Sd^ioetger  unb  $rebtger  in  8temen,   über  bei^^ 
tRid^teintreffen  ber  k)on  Saoater  borgef^riebenen  $robe  M  (S^riflent^umB  in  bi^^ 


/ 


521 

■ 

totnn  man  bie  öcbingungen  ber  contcmplntiüen  ÜKetl^obc  feit 
i^rcm  Scginnc  Icnnt.  gfir  Satjatcr  ift  eg  aud^  nur  bcöljalb 
möglici^  getocfcn,  biefe  Kombination  ju  bilbcn,  weil  er  al§  $ietift 
Don  oHcr  orbentUc^en  Ueberliefcrung  Derlaffen  ift.  @r  lennt 
fclbft  nid^t  bcn  gaben,  ber  i^n  mit  ben  gleid^artigen  SBorgän* 
gern  bcrbinbct;  er  ^ält  fid^  für  originell,  unb  meint  nur  ber 
93i6el  JU  berbanfcn,  toa^  i{)m  aU  baS  alte  @t)angelium  erfc^eint. 
Snbeffcn  ift  e«  eben  bocft  bie  eine  §älfte  ber  überlieferten  8lid^* 
tung,  mit  »cld^er  er  bann  feine  neue  äufftellung  öerbunben  l^at. 
Äe^nli^  fte^t  eö  bamit  ^),  bag  er  „na^e  entfd^eibcnbc  (Jpoc^en 
ertoartet,  wogegen  bie  {Reformation  ein  Äinberfpicl  war."  @ben:= 
fo  fragt  er  einmal:  „Äönnte  c^  ni^t  in  ©otteö  $lane  liegen, 
eine  neue  (Spod^e  feiner  unmittelbaren  Offenbarungen  anjuba^:: 
ncn?"  S)aö  bejeic^nct  ja  bie  ©rmartung  ber  t)crrli^en  S^ti^^ft 
ber  Äird^e,  Welche  bem  ^ietigmuö  eigen  ift;  aber Saüater'g  "ILn^^ 
brud  biefer  Hoffnung  ift  ebenfo  unbeutlid^,  wie  im  anbern  gaUe 
bie  il^n  leitenbe  Ueberlieferung  unt)olIftänbig  war. 

Saöater'g  Kombination  ber  ©ebetöer^rung  unb  beö  intimen 
Umgang^  mit  bem  ^crjen^freunb  ©^riftug  ift  eine  Steuerung, 
bie  Don  bem  Doraudgegangenen  ^ietidmud  weit  abfte^t.  yiid^t^ 
befto  weniger  ^at  fie  fi^  bei  bcn  5ßietiften  empfol^len;  fie  ift  bei 
i^nen  SJtobe  geworben.  Unb  fie  ^at  eben  eine  eigent^umlid^e 
8crweltlic^ung  in  biefem  Äreife  herbeigeführt.  3d^  nieine  bamit 
junädbft  ben  Umftanb,  bag  ber  ^ieti^muiS,  in  weld^em  man  auf 
Sr^örung  Don  @ebeten  um  weltlid^e  @üter  au^gel^t,  bcn  urfprüng- 
lid^cn  SBorbilbern  ber  3lbfc^r  üon  ber  SEBclt  unb  ber  ©elbftüer= 
leugnung  nnäl^nlid)  geworben  ift.  Slber  bie  SSerweltlid^ung  ift 
au^  noc^  in  anberer  3)cjie^ung  ju  Derfte^en.  iRämlid^  alle  ®u 
fa^rungcn  göttlid^er  SSorfel^ung,  erbetene  wie  nid^t  erbetene,  finb 
nur  für  benjenigen  ba,  bcn  fie  angeben.  !£)ie  eigent^ümlic^e 
Ueberjeugung,  in  wcld^er  biefe  (Erfahrungen  eüibcnt  finb,  lann 
fein  anberer  3Jicnfd)  Don  i^nen  gewinnen  *).  35egt)alb  eignen 
\xd)  ©ebctöer^örungcn,  bie  ffiiner  erfabren  t)at,  gar  nid^t  jur 
fc^ranfenlofen  ÜJlitt^eilung  an  Slnbere;   wer  Dielme^r  S^rfurd^t 


Vttffiftrung  abfielen,   ^l  ^.  k).  b.  ®o(^,  t^ontaS  lEBigenmann  (®otl^Q  1859) 
1.  Tini  S.  193  ff. 

1)  tBet  (&tlitx  a.  a.  O.  6.  105.  106. 

2)  Sgl.  bte   übereinftimmenbe  drflftrung  ber  S^urman  oben  6.  239. 


A 


522 

t)or  @ott  unb  @c^eu  \)ox  bcm  ^eiligen  bcft^t,  tDtrb  folc^c  Sr^ 
fal^runcien  bent  öffentlichen  ®ercbe  entjie^cn.  Sd  ift  alfo  $ro« 
fanation  bed  ^eiligen,  menn  man  umgefel^rt  Derföl^rt,  n^enn  mait 
fold^e  Erfahrungen  fpcciellcr  SBorfet)ung  @ottc^,  anftatt  fic  im 
ajcrborgenen  mit  S)anf  an  ®ott  ju  begleiten,  toic  (Srfenntniffe 
t)on  angemeiner  Slrt  unb  finnenfälliger  SDibenj  t)eröffentltd^t, 
unb  alg  Strgumente  filr  ben  ^etoetd  religiöfer  äBal^r^cit  ja 
SJJarfte  trogt.  2)iefen  3^8  ^^^  SertDeltlid^ung  l^at  SaDatcr  beni 
$ictti8mu^  einverleibt. 

ffig  ift  ein  großer  äbftanb,  »eld^er  Saöatcr  Don  ^^crftccgen, 
ein  no^  weit  größerer,  »clever  i^n  Don  &ampt  trennt.  SRai 
lönnte  bemgemäß  fragen,  ob  Saöater  in  biefelbc  Steige  mit  i^ncn, 
ober  nid^t  vielmehr  an  bie  ©pi^e  beS  f^nfretiftifd^en  $ietidmuS  ii 
19.  3a^rt)unbert  ju  ftetlen  fei,  ttJeld^cr  junad^ft  gegen  bie  3^9^=  ^' 
^örigfeit  jur  reformirten  ober  jur  lut^erifd^en  ^r^e  gleic^gulti^p  9 
toar,  außerbcm  aber  üon  ben  (Snglänbem  gelernt  l^at,  bie  ^err  ^=2^ 
lid^e  3wfunft  ber  ^ixä)t  birect  ju  Dernjirflidöen ,  unb  auS  htw  ^t 
beutf^en  Siomantif  bie  3ut3crfic^t  gewonnen  ^at,  bcr  öor^crr^ '■^:^* 
f^cnben  äuftlörung  mirffam  entgegenjutreten.  SBa«  ift  benn  ar^  n 
SaDater'g  grömmigleit  nod^  reformirt  ober  fpecieü  jtoinglianif^?  bc^  ^^ 
er  ed  für  apoftolifdje  gunbamentaHe^re  erflärt,  baßffi^riftuö  irÄ'^tt 
feinen  Staum  cingefc^loffen,  unb  an  feinen  Ort  gebunben  t| 
Unb  ^at  er  nid^t  mit  feinen  @runbfä^en  ebenfo  gut  auf  Sutl^era^ 
ner  tt)ie  auf  9ficformirte  gcwirft?  SSenn  nun  bicfe  SBemerfunger 
eine  anbcre  35igpofition  beö  ©toffe^  nal^e  ju  legen  fc^cincn,  ^(m^\^ 
müßten  bicfelben  au^  bie  ©teÜung  t3on  lerfteegcn  unfic^er^^f 
madöen.  SMefcr  SDiann  ift  fd)on  ebenfo  gleichgültig  gegen  bi^-^^^^ 
©onfeffionöunterfc^iebe,  ^at  ebenfo  über  bie  ©renje  ber  rcformir-  ^^^  -^' 
ten  Äird^e  ^inau5  ©influß  geübt,  unb  ift  jugleic^  nid^t  mc^w'  C^^ 
Dotlftänbig  rect)tgläubig,  ba  er  bie  ^ßräbeftinationSle^rc  aufgcge^^^^/ 
ben  ^at.  Snbeffen  vertreten  boc^  beibe  9)tänner  ben  ^ieti^mus 
in  ber  reformirten  Äirc^e,  unb  unter  biefem  litcl  btcnen  fii 
jumSemeife  bafür,  baß  ba^  caluiniftifd^e  93efenntniß  in  ^eutfd§ 
tanb  burd^  ben  5ßietiömuö  jerfegt  tt)orben  ift,  inbem  bcrfclbc  bei 
caltjiniftifdjen  ©itte  urfprünglid^  jur  ©tü^e  biencn  tooQte,  unl 
il^r  immer  treu  geblieben  ift.  ?lm  SRiebcrr^ein  ftat  Sampc'd  (Siu:-^ 
fluß  noc^  biö  in  biefeö  3of|r^unbert  bie  ^räbeftinationSlel^re 
aufrecht  erljalten,  aber  nid^t  o^ne  ba^  bebeuteube  ©cgengen^tc^t 
ber  ©d^ule  Don  @^ollenbu)d^.  .  @^  ift  eine  bemerfendwert^e  %tyiU 


523 

fad^c,  bafe,  atö  ber  f^nfrctiftifd^c  ^iettömuö  in  S)cutfd^lanb  pd^ 
ttjicbcr  auf  bie  confcffioncQen  SBefünbcrt)eitcn  bcfann  unb  QkU 
lung  ju  benfclbcn  ju  ncl^men  bcfc^log,  btcfe  @ntfc^eibung  nid^t 
ber  calöiniftifci^en  Ort^obojic  ju  ®ute  gctommcn  ift.  5)icfc  8lüd^ 
fid^t  lägt  c^  ab  jiDedmägig  crfc^etnen,  bog  btc  äußere  Slnge^ö^ 
riflieit  jur  reformirtcn  Äirdfte  bie  ©ruppirung  bcg  noc^  übrigen 
©toffc^  beftimmc.  S33aö  baüon  über  ben  Mammen  ber  rcformirten 
Jtir^e  hinübergreift  unb  juglei^  in  bie  f^nfretiftif^c  ©eftalt  bc^ 
^ieti^mu«  im  19.  3a^rf)unbcrt  einjured^nen  ift,  toirb  an  feinem 
Drtc  recapitulirt  werben  lönnen. 


23.   ^etnrii^  3;uug^@ttmng. 

tiefer  SKann  *)  [tel^t  in  ber  näc^ften  SBerttjanbtfd^aft  mit 
Saüatcr.  Snbeffen  ift  er,  wie  er  felbft  bejeugt,  im  ^ietiSmud  er^ 
jogen  morben.  ©ein  SSater,  in  beffen  gamilie  calöiniftifd^c  ffiin= 
fad^^eit  be§  Scbcnd  überliefert  »ar,  begab  fid§  in  ber  Irouer 
über  ben  frühen  SBerluft  feiner  grau  in  ben»  SBerfet)r  mit  einer 
©cfellfd^aft  t)on  frommen,  bie  fid^  in  ber  SRöbe  feinet  SBo^U:^ 
orted  angefiebelt  Ratten.  3Bie  aud  bed  ©ol^neiS  ,,Sebendgef($id^te" 
^cröorge^t,  l^abcn  fie  ben  ©runbfa^  ber  9lad^at)mung  S^riftt  in 
bcm  SBeriid^t  auf  bie  SBelt  unb  in  ber  Uebung  ber  SBiüenlofig* 
fett  geltenb  gemalt;  [ie  tüaren  alfo  quietiftifd^e  aW^ftifer.  Unter 
bem  6influ§  biefer  SKet^obe  tt)urbc  ©tilling  t)on  feinem  SSater 
crjogen  unb  big  in  fein  14.  Seben^ja^r  in  tJoHfter  Sutüdgejogcn* 
l^eit  gel^altcn.  ©eine  lebhafte  (ginbilbnngöfraft  fanb  il^re  3laf)^ 
rung  t^eitö  an  ben  ©agen  öon  ber  fd^önen  ÜRelufine  unb  ber- 
glcid^en,  tl^eiU  an  Sici^  ^iftorie  ber  SBiebergeborenen  unb  ®ott* 
trieb  ärnolb'ö  ©d^riften.    SlHc  biefe  ©toffe   t)at  er  in  feinem 


1)  (»eboren  au  (Srunb  im  gürftent^um  5«aifau»©icflen  12.  Sept.  1740, 
?lrjt  in  dlberfelb  1772;  iproffifor  an  ber  i^amcralJcSulc  ju  i!oi|er8tautern  1778, 
ju  ^eibclbcrg  1784;  ^rofcjfor  on  ber  Unimptai  ÜKarburfl  1787;  tritt  in  ben 
Dtenfl  beS  ^rog^ersogS  Staxi  Sfriebri^  k)on  9aben  1803,  geftorben  in  Statin» 
xvi%t  2.  91pril  1817.  —  Seine  fSmmtli^en  64tiften  finb  in  18  ^Snben  neb{t 
einem  dtgSnaunglbonb  erfd^ienen  Stuttgart  1835—38. 


524 

Scbcn  nic^t  ücrgcffcn.    Dtcfe  jtpcifeitigc  Sectürc  bci^  Änabcti  ifcr   tt 
nun  tjorbilblic^  für  bic  ©tcHung,   ttjcld^c  nad^ftcr  bcr  SRann  bc=  ^^' 
Rauptet  f)at    ffir  ift  nämlic^  ber  Srfte,  auf  ipclc^n  bic  (£l)arQl=-'^' 
terifttt  bcd  inobcrnen  5ßicttömu§  burd^  a;^oIud')    Äntocnbunj^^fl 
finbct,  bafe  er  bag  ßontjcntifclgcmanb  mit  bcm  @efcnfdE)aftöcoftün»-»ni 
öcrtauf^t  ^abc.    ©d^ou  ßaüoter  liat  fic^  in  bicfcr  Äiditung  bc«=  =^ 
»cgt;  inbcffcn   fein  geiftlid)er  ©tanb  lägt  bic  bcjcid^nctc  8Serän=:«^ 
berung   ttjcniger  beuttic^  crfcnncn.    ©tiHing  ift  nid^t  nur  wcltli=  -Ä- 
d^cn  ©tanbeö   gemefen,  fonbern   Don  3ugenb   auf  l^abcn   feinem  Jic 
mannigfach  mcd^felnben  ©d^idEfalc  i^n  mit  Dielfeitiger  SBelterfal^«  C3* 
rung  unb  mit  Sntercffe  an  allem  SRöglidjcn  au^erflftet.  Siö  iiw  -«■  n 
fein  breißigftcg  ficbcnöjal^r  ftanb  er  nun  im  3wfammen^anfl  mifc"  i'it 
bcm  ^ietisfmu^  unb   feinen  Sonöentitetn   im  SBergifd^en   SJanbc.  -=^c. 
ai«  er  aber  barauf  fic^  entfc^loffen  ^atte,   SRcbicin  ju  ftubircn. 
getoann  er  in  Strasburg  bie  3;i^eilnat)me  an  ber  Sctpcgung  b( 
beutfc^en  ßitcratur  unb  t^rem  ^umanität^ibeal,  unb  hiermit  er«^ 
fd^loJ5  fid§  i^m  ein  ©efid^töfrei^,  melier  üon  bem  3ntcreffc  feine»'  -=ä^ 
biÄ^erigen  ©cnoffen   weit   ablag,    ©ein   Antritt  ber  ärjtlic^ir:^  "^^ 
^rajid  in  ©Iberfelb  ferner  nöt^igte  i^n,  in  tücltförmigcr  (5rf c6ei«= -i"^^' 
nung,  mit  5ßerfidEc  unb  ^aarbeutel,   mit  J^afe  unb  ^anblraufeir«  ^^|^ 
aufjutretcn;   barum  aber  jogen  fid^  bie  früfjcren  greunbc,   bi^i"^^^ 
i^n,  tt)ie  er  fagt,  ej^emalö  alö  @ngel  ©otteg  empfinflcn,  uon  i^wrrmrö^ 
jurfid;   unb  ba  er  feine  i^rcr  SScrfammlungen  me^r  befud^te,  fucpT    ^^ 
ad^tcten   fie  if)n   für  einen  Slbtrttnnigen,  übten  il^r  ©eri^t  avr^^^^^ 
il^m  unb  Derläumbeten  i^n. 

3)iefe  eottifion  ift  ber  Stniafe  baju,  baß  ©tilling  wicber^o»!  ^^  ^ 
bie  ©cfammtcrfc^einung  be^  $ictiömuö  ungünftig  beurtl^cilt.  (far^^  ® 
rügt  ^auptfäd^tic^  bie  Sntoleranj,  bic  in  i^m  gepflegt  wirb,  fagfcß^^- 
aber  aud^  in  feiner  Seben^befd^rcibung  ganj  unumwunben,  ha^^^^^ 
bie  $ietiften  bcn  ©d^ilb  ber  Sieligion  unb  ©ottc^furc^t  auS^n*-^^^*^^ 
gen  unb  bann  boc^  nic^t  tl^un,  was  i^nen  Sicligion  unb  ®otte^'&^^'^ 
furcht  gebieten.  3nbeffcn  nid^t  nur  na^m  er  Don  biefcn  Urt^ci^-t'^^^^' 
Icn  bie  9ficd)tf^affenen  unb  Slufrid^tigcn  immer  auÄ,  fonbcnr^'^'^-'' 
feine  Ueberjeugung  öom  ßl^riftent^um  entfernte  fid^  fcinötoeflcSt^^  ^ 
Don  bem  ©oben,  bcn  ber  ?ßictiSmu§  behauptet,  unb  feine  rcli9iöfc>^ .^ 
©d^riftftellerci  ri^tcte  fid^  wefentlic^  an  fold^c  Scfcr,  bie  ii 
^ieti^muS  ftanben.    9lur  war  er  barauf  bebac^t,   ebenfo  wi( 


1)  ^er)og  Seealenct^flopäbte  XI.  8.  662. 


/ 


525 

Saöatcr  baö  J^umanitätSftrcbcn  bc§  3^'^^^^^^  ^i*  K^cr  Muffaf:? 
fung  be^  S^rtftent^um^  ju  üerbinben,  unb  biefc  burc^  jencd  ju 
m&gigen.  3n  ber  @ttmmunc)  beS  ©egenfa^e^  jt^m  ^iett^mud 
^ttc  ©tining  in  ben  „©'ccncn  auö  bcm  ©cifterrcid^c"  (1798), 
einem  d^riftlid^en  ©cgcnftüdE  p  ßucian'ö  S^obtcngefpräd^en ,  unter 
bem  litel  „bie  $ictiftcn"  flcfdöilbert ,  wie  SScrtrcter  biefcr  9fii^« 
tung  nad^  i()rem  Xobe  über  t^r  ©d^idfot  unb  bad  ber  Slnberen 
enttäufd^t  werben.  Slnftatt  felbft  ju  ber  erwarteten  ©cligfeit  ju 
gelangen,  finben  fte,  bag  btefetbe  fold^en  j)u  X^eil  wirb,  benen 
jie  fie  abgcfproc^en  t)aben.  Sin  bicfcm  2;itel  aber  l^attcn  fid^ 
M^k  red^tfd^affene  unb  ^riftUd^e  Sefer"  geärgert.  Um  alfo  fie 
}U  begütigen,  fe^te  ©tiQing  in  ber  jweiten  ?luögnbe  (1799)  ben 
5Eitel:  „5)ie  ^riftlid^en  ^^arifäer",  unb  fpra^  fic^  in  feiner 
geitf^rift  „S)er  graue  ÜKann"  über  ben  erften  iitel  unb  feine 
SKeinung  nä^cr  aug  *).  (Sr  unterfd^ieb  nämlid^  jwifc^en  wal^rcn 
unb  falfd^en  ^ietiften.  ®r  erinnerte  baran,  bag  er  felbft  im 
$tetiiSmud  erjogen  fei  unb  bemfelben  nod^  immer  angel^öre.  Sr 
befennt  ferner,  bag  bie  ^ietiften  baö  SSolf  be^  ^erm,  ba§  ©alj 
ber  (Srbc  unb  baS  geiftlid^c  Sfract  feien,  allein  burd^  biefe  gu* 
geftänbniffe  finbet  er  fid^  berechtigt,  aud^  bie  j^ef^Ux  ^u  bejetc^* 
nen,  an  welchen  bie  @efellfc^aft  leibet.  Sr  nennt  als  fol^e  ben 
frömmelnben  Slnftanb  in  Äleibern,  SWienen  unb  (SJcbcrben,  baß 
man  j.  S.  auf  altfränfifd^e  ^leibung  unb  bergleid^en  ©ewid^t 
legt,  femer  ben  ©cbraud^  öon  ftel^enben  Slu^brüden,  bie  man 
atö  fpecififd^e  2)2 erf male  öon  grömmigleit  gcltenb  mad^t,  Weiter 
bie  ©d^ä^ung  ber  Sonüentitel  ate  eincig  wefentlic^en  öeftanb» 
t^eite  be^  (S^riftentl^um«,  enblic^  bag  ©plitterrid^tcn,  weld^eiS  ber 
Dedmantel  Don  nid^t  überwunbener  (Eigenliebe  ift.  Unb  er  fügt 
^inju:  „©laubet  mir,  eS  giebt  Dortrefflid^e  unb  @ott  t^eure  unb 
wert^e  ©eelen  unter  benen,  bie  i^r  für  S33eltmenfd§en  galtet. 
Diefc  ©eelen  wiffen  felbft  nid^t,  baß  fie  ben  wal^ren  SBu^^ 
@laubend:'  unb  SSerleugnung^weg  gelten  unb  gegangen  finb,  weil 
ed  il^nen  SRiemanb  fagte;  gerabe  fo,  wie  ein  fe^r  vernünftiger 
aber  ungele^rter  3Rann  l^errlid^  urt^eilt,  ob  er  gleid^  bie  logi^ 
fc^en  Siegeln,  nac^  benen  er  urt^eilt,  nic^t  benennen  lann.** 
Dtefe  (Erflärungen  finb  fel^r  merfwürbig.  35er  Icftte  SBergleid^ 
ift  freiließ  nid^t   burc^aud  treffenb;   aber  bie  ©efinnung,  weld^e 


1)  SBerfe  tBanb  YII.  6.  106  ff.  482. 


526 

in  biefer  9tnerfennung  Don  proteftanttfd^er  fides  implicita  laut 
mtrb,   gehört  ebenfo  gctt)i§  ju  bcr  Humanität  unb  Xolcranj  bed 
18.  Sci^r^unbert^,  ald  fic  im  $icttömua  feine  SBurjeln  ^at.   3n 
ben  9iügen,   tt^cld^e  @tiQtng  bemfelben  crtl^eilt,  erfc^eint  biefelbe 
9itd^tung  auf  mcttförmige  ^rei^eit  ber  @ttte  unb  l^umane  3ud)t 
über  fid^  felbft.    8[IIetn   baburd^   mirb  nid^t  auiSgefd^toffen ,   bag 
©tiQing  für  feine  ^erfon  ben  SBoben  be«  ^ieti^mu«  fcft^It  unt> 
ben  burd)  Stufflärung  unb  franjöfifd^e  9iet)olution  bebrütten  3e«^ 
ftanb   ber   c^rifttid^en  9fieIigion  an  if)n  gebunben  a^tet    ^ncn 
$ietiften  nomlic^   rü^mt  er  nad),  bag  fie  barum  grunbgut  un 
gebeffert  finb,  n)eil  fie  ben   praftif^en  ©(ouben  ^egen  an  b 
natürlid^e  SSerberben  ber  gefammten  SKenfd^^eit,  an  bie  lErtöfun 
burd^  bad  Seiben  bed  menfd)gen)orbenen  @o^neiS  @otted,  an  beffe 
9iegierung  bcr  SBelt  unb  an  bie  ^efe^rung  unb  Heiligung 
bugfertigen  ©ünberd  burd^   ben  l^eiligen  ©eift.    3!)er  ^tetidmu 
bot  if)m  ferner  bie  interconfeffioneUe  ^Neutralität  bar,   in  toclc^e 
bie  aQgcmcine  SSereinigung   ber  magren  S^riften  junac^ft  in  b 
gorm  ber  perfönlid^en  g^eunbfc^aft  erreid^t  tourbc,  um   ban 
burd^  bie  nafic  beuorfte^enbe  SSoQenbung  ber  ^rc^c  legitimiit  j 
»erben,    „^d)  xoxü,   fagt  er,  Weber  Salüinift,  noc^  ^crrn^uter» 
no^  5ßietift  feigen;   bag  SlHeö  ftinit  nad^  bcm  ©ectcngeifl;   i 
befenne  mic^  allein  ju  ber  fic^re  3efu  unb  feiner  äpoftel,    unt^' b 
trage  babei  jum  Unterfd^iebe  ber  öerf^iebenen  politifc^  fcftflefc^  ^^^ 
im  SieligionögefeHfd^aften  bie  Uniform  ber  eoangclifc^^rcformirteir-^cn 
Siird^c,   big  eiS  bann   enblid^  ju  ben  »eigen  Äleibcru  fornrnt*"*""' 
(Äpof.  7,  14).    ©eine  perf online  religiöfe  Uebcrjeugung  ift  aller-  ^^' 
bingö  nic^t  in  bem  ©inne  pietiftifc^,   tt)ie  bie  t)on  ßampc.    85or  -n 
bem  ©efü^l  ber  Slid^tigleit  giebt  er  feine  Äunbe,   unb  bcr  järt=.==-' 
lic^e  Umgang  mit  bem  Bräutigam  befd^äftigt  il^n  nic^t.    @tin^^ 
Seligion  oerläuft  melmc^r  in  einem  fe^r  jugefpi^ten  Sorfe^ung^^ 
glauben,  ©erfelbe  unterfi^cibet  fid§  aber  oon  bem  gleid^en  3ntcr= 
effe  ber  Slufflärung  burd^  ben  Untergrunb  bed  Duietidmu^,   irr 
ben  ©tiQing  in  feiner  Sugenb  eingefül^rt  »orben  toar,  unb  burc^ 
bie  SSorauöfe^ung  ber  oben  ermähnten  35ogmen. 

©tiQingd  Seben^befd^reibung  ift,  mit  Sludnal^me  ber  Sugenb« 
gefd^id)te,  eine  fe^r  tenbentiöfe  Urfunbe  feiner  perfönlic^en  Uebe^ 
jeugung.  ©ie  foQ  Sebermann  ju  ber  Slnerfennung  ndt^igctt, 
bag  @ott  ben  äJ!ann  burd^  aQe  Abwege  »ie  3^if4^^f^fen  ^in^ 
burd^  iu  feiner  Seftimmuug  als  religiöfer  ©c^riftfieUer  geführt 


527 

fyibt,  ol^nc  baj5  bcrfclbc  im  SBorau^  ftd^  felbft  baju  bcfttmmt 
pttc,  tjielmcl^r  fo,  bng  er  nur  immer  ia§  burd^  ?lnbcrc  fid^  f)at 
abflctoinnen  laffcn,  xoa^  feiner  Seftimmung  flemäg  war.  ffibcn 
bic  SBillentofigleit,  in  welcher  ©tilling  fid^  ben  SEBcnbungen  feinet 
Sc^idfatö  anbequemte,  galt  i^m  ald  bie  $robe  ber  @öttlid^feit 
ber  gügungen,  bie  i^m  mieber^olt  neue  gdber  feiner  S^l^atigleit 
öffneten.  3n  früher  Sugenb  toax  er  abwec^felnb  jmifd^en  ©c^nei^ 
berci  unb  ©d^ulmeifterei  l^in  unb  l^er  geworfen  morben.  aiö  er 
nun  mit  Aufopferung  feiner  SBilbung^intcreffen  fic^  cntfdjloffen 
l^atte,  bei  bem  ^anbwerl  ju  bleiben,  tt)irb  er  burd^  einen  ?inbern 
faft  gejttjungen,  jur  Sel^rtl^ätigfeit  jurüdjufc^ren.  3n  feiner 
©teHung  al«  ^auöle^rer  wirb  er  juglei^  in  ^anbcl  unb  Snbu^ 
ftric  eingeweiht  ©ein  ^ßrincipal  eröffnet  i^m  fd^Iieglic^,  ba§  er 
jum  ©tubium  ber  üRebicin  beftimmt  fei,  unb  er  ift  fogleic^  ba* 
t)on  überjeugt.  Sltö  er  aber  in  ber  ärjtli^en  ^rajrid  nid^t  Sr^ 
folg  l^Qt,  mad^t  i^m  ein  anberer  @önner  feine  Seftimmung  jur 
giationalötonomie  flar.  Snblic^,  aU  feine  Se^rtptigfeit  in  bie* 
fem  gad^e  x\)n  nid^t  me^r  befriebigt  unb  er  fi^  banac^  fel^nt, 
[xd)  blo«  ber  religiöfen  ©d^riftfteüerei  ju  tt)ibmen,  öffnet  i^m  ber 
©rofe^erjog  öon  Saben  biefc^  gelb  feiner  cigent^ümlic^ften  Se* 
ftimmung  burd^  @ott.  gmifc^en  biefe  großen  güge  ber  SBorfet)ung 
@otted  über  fein  £eben  finb  nun  aber  bie  jo^lreic^en  gölle  t)on 
erbetener  unb  ni^t  erbetener  ^ülfe  @otte^  in  ber  Sefriebigung 
bringenber  9la^rung^forgen  unb  Tilgung  brudenber  @elbfd^ulben 
Dcrfloc^ten,  I^atfad^en,  bie  um  fo  fd^logcnber  finb,  alö  bie  uner*» 
ttHirtcten  ©efd^enfe  jmeimal  auf  geller  unb  ?ßfennig  ben  ©c^ulb*: 
fummen  entfprad^en,  meldte  i^re  Säeja^lung  erwarteten,  ätö 
©tiüing  feine  le^te  SBeftimmung  errei^t  ^atte,  rcfumirt  <r  feinen 
SeweiiS  ba^in,  man  fönne  nid^t  me^r  fagen,  fein  SSertrauen  auf 
3efum  ©^riftum  unb  feine  SBeltregierung  fei  ©d^wärmerei  unb 
«berglaube.  „3m  ©cgent^eil,  ber  örlöfer  ^at  fid^  felbft  unb 
ben  @lauben  feined  Sned^ted  i)errlid^  unb  augenfd^einlid^  legitim 
mirt,  unb  jum  Seweii^,  ba§  il^m  ©tiQing'^  Sntfc^lug  mo^lgc« 
fällig  fei,  gab  er  i^m  nod^  folgenbed  ^errlic^e  3^ici^^n  feinet 
gttäbigen  SBeifaHö."  Slämlic^  eine  feiner  SScre^rcrinnen  in  ber 
gerne  ffil^lt  fid^  angetrieben,  i^m  ^unbert  X^aler  ju  fd^icfen,  bie 
er  jum  Umjug  Don  ajlarburg  nad^  ^eibelberg  gerabe  gebraud^en 
fannl 

3n  feiner  Sebendgefc^ic^te  befennt  ©tiUing  wieber^olt,  ha% 


528 

bcr  ßeid^tfinn  ein  üorl^errfcfienbcr  S^arattcrfe^Ier  in  i^m  fei,  je* 
bod^  öcrfte^t  er  bie  göttliche  SSorfe^uncj  über  iljm  fo,  bafe  bicfclbc 
i^n  t)on  btefem  |$e()[cr  ju  reinigen  unternommen  f)abt.  (Er  be^ 
fennt  inö  öefonbcre,  ba§,  al^  er  feine  SSerlobung  mit  einem  1^^^ 
ftcrif^'franfen  SKäbd^en,  trofebem  bcibe  aller  3Rittel  jur  bürgcr» 
liefen  (Sjiftenj  entbehrten,  für  göttlid^e  gügung  anfa^,  er  fic^ 
fc^joer  geirrt  ^abe;  benn  folc^er  ©d^ritt  erforbcrc  genaue  lieber- 
legung.  StQein  mie  in  biefem  ^aüt,  fo  fann  man  auc^  in  Dielen 
anberen  ©ntfc^eibungen  ©tilling'ö  feinen  SJorfe^ungöglaubcn  öon 
feinem  Seid^tfinn  faum  unterfc^eiben.  3m  SJertrauen  auf  ^bic 
fiaffc  ber  SSorfc^ung" ,  b.  tj.  auf  bie  unerwarteten,  aber  ju  rec^* 
ter  Qdt  cintreffenben  ©efd^enfc  bergreunbe,  ^at  er  fic^  niemaU 
gefc^eut,  feinen  §au^ftanb  immer  wieber  mit  ©d^ulben  jju  be- 
laften.  @tilling  ^at  fid^  Riebet  niemals  ftar  gemacht,  n)aS  bar« 
au^  entfte^en  tt)ürbe,  tt)enn  aHe  SWenfc^en  fic^  auf  folc^en  SBor* 
fe^ungöglauben  einrichteten.  8tn  bem  bann  eintretcnben  inbirec* 
ten  (lommuni^mud  mügte  bie  menfd^lid)e  ©efeUfc^aft  aUbalb  ju 
©runbe  ge^en.  Slber  fo  Ijot  er  eö  aud^  gar  nid^t  gemeint.  3)er 
JBorfe^ung^glaube  in  feinem  ©inne  foHte  gar  nic^t  allgemein 
gültig  fein  unb  alö  bie  JRegel  ber  Religion  für  SlHe  Derftanben 
toerben.  ®r  meinte  i^n,  ä^nlid^  mie  Siababie,  atö  eine  au^jeic^^ 
nung  feiner  5ßerfon.  S)urcö  i^n  glaubte  er  fic^  ju  ber  aflollc  b&i 
5ßropl^eten  ju  eignen,  in  welcher  it|m  feine  lefete  unb  p^fte  SBe* 
ftimmung  burc^  ®ott  aufgegangen  tt)ar.  S)iefe  ©d^äftung  feiner 
5ßcrfon  ^at  aber  i^rc  SBurjeln  in  bem  ?ßieti^mu^,  beffen  Sn^än- 
ger  immer  auf  eine  fpcciellc  Slnge^örigfeit  ju  @ott  ober  bem 
^errn  Sefuö  bebaut  finb,  ttjeld^e  nid^t  Scbem  jufommt.  ©o 
mic  ©tiüing  fid)  biefen  ©ebanfen  formulirt  ^at,  trifft  er  jiemlic^ 
genau  mit  feinem  ßeitgenoffcn  Saüater  jufammen.  S)ie  lieber 
jeugung  nämli^,  in  tt)elc^er  er  bei  feinem  Slufentl^alt  in  ©trafen 
bürg  fid^  gegen  bie  bamatö  uernommenen  @inmenbungen  gegen 
bag  S^riftent^um  entfd)ieben  f)at,  jprid^t  er  in  folgenbcn  ©a|en 
aug:  „derjenige,  ber  augenfc^einlid)  baö  ®ebet  ber  SRcnfc^en  er* 
prt  unb  i^rc  ©d^idEfale  munberbar  unb  fic^tbar  lenlt,  mu§ 
mafirer  @)ott  unb  feine  Se^re  @otted  SBort  fein.  9lun  ^abe  id) 
üon  je^er  3efum  S^riftum  al3  meinen  @ott  bere^rt  unb  ange« 
betet;  er  ^at  mic^  in  meinen  5Röt^en  erhört  unb  mir  ttjunberbar 
beigeftanben.  S^^lfl'i^  ift  Scfuö  ß^riftu^  tt)a^rer  ®ott,  feine 
Se^re  ift  ©otteö  SEBort  unb   feine  Religion  bie  ma^re-"    S)icfc 


529 

freie  Uebereinfttmmung  mit  fiQt)Qter  ift  auc^  ber  ®runb  bet 
^o^en  93erel^rung,  tueld^e  ©tiding  bemfelben  getoibmet  f)at  S)em« 
gemäg  liegt  bie  (Sonftatirung  t)on  @ebetSet^örungen  i^m  eben^^ 
faHg  am  ^erjen.  5Rur  tjerftc^t  er  [xd)  ju  Saöatcr'i^  2:^corie  öon 
benfelben  nic^t  o^ne  Sinfd^ranfung.  Stamlid^  einmal  gefte^t  er 
offen  ju,  bag  nid^t  jebed  ®thtt  erhört  mirb  burd^  ©emäl^rung 
bed  erbetenen  @uted,  inbeffen  motiDirt  er  bie  Slufforberung  }um 
99eten  baburc^,  bag  bemfelben  irgenb  ein  @egenderfo(g  immer 
fidler  ift.  ^nbererfeitS  behauptet  er  gegen  Saüater,  bag  ber 
tt)a^re  ®(aube  nid^t  e^cr  um  ein  beftimmte^  @ut  bittet,  atö 
@ott  felbft  i^n  baju  anregt,  unb  fo  bie  Ucbereinftimmung  folc^en 
@cbcted  mit  feiner  93orfef)ung  gemd^rleiftet.  ^a^  ift  ein  bem 
t)origen  @ebanfen  entgegengefc^ter  @efic^tspunlt.  9loc^  weiter 
aber  entfernt  ftd^  ©tilling  Don  bief en  Srf lärungen ,  inbem  er  iu- 
le^t  auf  bie  quietiftifd^e  Siegel  ber  (Srgebung  in  @otteiS  SBiUen 
unb  bed  SSerji^teS  auf  bie  93ittc  um  beftimmte  ©aben  ®otted 
t)inaudfommt  ^).  @o  n^enig  alfo  ftimmen  bie  am  meiften  Der^ 
tDanbten  Wl&nnct  auf  biefem  fünfte  überein!  Ueber  einen  &f)n^ 
liefen  3^9  pietiftifd^er  ^rt  urtf)eilt  ©tiUing  ebenfaUS  umfic^tig 
genug.  Sd^  nieine  bad  „35äumcln",  baö  Drafelfud^en  in  ber 
SBibel  burd^  iufäQiged  Sluffd^lagen  berfelben.  Sßann  biefe  ®c^ 
mo^n^eit  aufgefommen  ift,  unb  ob  biefelbe  pietiftifc^er  ^erfunft 
ift  ober  nid^t  vermag  ic^  nid^t  ju  Derrat^cn.  3n  ber  bid^erigen 
®efd^id)te  bci^  ^ieti^mud  ift  bad  SJerfal^ren  nod§  nid^t  Dorgefom« 
mcn.  ©tilling  nun  berid^tet,  ba§  er  bei  ber  ?lnnä^erung  ber 
Äricg^efa^r  im  3ai&re  1792  einen  ©prud^  be^  S^rofte^  in  biefer 
SBeife  gefud^t  unb  gefunben  \)abc.  ffir  fügt  aber  ^inju,  ba§  bü!^ 
Suffd^lagen  biblifd^er  ©prüc^e,  um  ben  SBillen  ©otted  ober 
gar  bie  ßi^f^nft  ju  erforfd^cn,  aWigbrauc^  ber  l^eiligen 
©(^rift  unb  bem  ©Triften  nid^t  erlaubt  fei.  ?llfo  nur  Iroft* 
fprüc^e  barf  man  burd^  baö  2)äumeln  fud^en;  aber  miebcrum 
meint  ©tiHing,  bag  man  nid^t  Ileinmüt^ig  werben  barf,  wenn 
man  ba^  ©egent^eil  beg  ©efud^ten  finbc ;  benn  bie  ganje  ÜÄe* 
t^obe  fei  un^  nid^t  öon  @ott  ju  irgenb  einem  S'^tdc  angeteic:^ 
fen«).  ©tining'8  t^eoretif^ed  Ser^alten  ju  biefen  bciben  Sieb^ 
^bereien  ber  $ietiftcn,   @cbet^ert)örungcn  ju  conftatiren  unb  in 


1)  «ttnb  VII.  6.  258  ff. 

2)  «anb  I.  @.  479. 

L  3* 


630 

bcr  Sibcl  Drafcl  ju  fud^cn,  entfprid^t  bct  ©teHunfl,  bic  er  fid& 
äum  ^ictiömu^  überhaupt  gegeben  l^ot.  (Sr  ift  an  bemfclbcn 
ni^t  mit  öoHer  ßi^ftiinniung  bct^eiligt,  er  mad^t  gegen  »efent* 
Ud^e  unb  unüermeiblid^e  Umftänbe  unb  Folgerungen  ber  Sid^* 
tung  feine  ftarfen  aSorbcl^alte ;  aber  ttjiebcrum  mad^t  er  fo  öiel 
wie  möglid^  mit,  weil  er  fic^  niemals  üon  bcr  ©runbftimmung 
beg  ^ieti^mud  abgelöft  l^at  unb  i^ugleic^  fic^  nic^t  üer^e^Icn 
tonn,  ba§  feine  proVf)etif^e  SSäirffamleit  boc^  nur  in  jenem  Äreifc 
Slnflang  finbcn  werbe.  6^  giebt  ja  feine  fd^Iagenbere  Sronic,  aU 
bie  JBeränbcrung  be^  a;itelö  ^bie  ^ietiften"  in  ,,bie  ^riftlic^cn 
^^arifäer"  über  bcr  14.  ©cenc  auö  bem  ©eifterrcid^ ;  aber 
©tilling  fclbft  ^at  biefe  Stonie  Weber  beabfic^tigt,  noc^  ate  fol(^c 
empfunbcn,  ba  er  juglcid^  ben  „majoren"  $ictiften  bic  ©ruber* 
Iianb  gereid^t  ^at,  um  mit  il^nen  jufammen  fic^  alö  bog  ©alj 
ber  ®rbe  bcr  leibigen  Äufflärung  entgegeniufc^cn. 

S^  ift  berfelbc  ©egenfa^,  in  wcld^cn  fic^  aud^  fiaüater  ge^ 
fteUt  fa^,  al^  er  barauf  brang,  bag  man  fid^  ber  Sigcntpmlic^ 
feit  bed  Sf)riftcntf)um^  iu  Dcrfid^ern  ^abe,  unb  nic^t  jugebcn 
bürfe,  bag  baffclbe  in  eine  natürlid^c  ÜKoral  üerfc^wemmt  roerbc. 
3)affir  war  aud^  ©tiöing  mit  allen  feinen  Äffecten  intcrcfprt. 
Unb  ^icr  ift  bcr  5ßunft,  wo  bcibe  üRönner  einen  ©epc^töfrefe 
eröffnen,  weld^cr  über  i^re  unmittelbaren  Seiftungen  ^inaudrcidit 
unb  aud^  ffir  ©old^e  maßgebcnb  ift,  bie  nid^t  il^rcr  bircctcn 
©pur  folgen.  @^  ift  fc^on  auf  bie  SBcbeutung  bc^  Untcrnel^mcn^ 
t)on  Sauater  ^ingewicfcn  worben,  ba^  (Sigcntpmlic^e  ber  ^rift- 
lid^en  Steligion  barin  ju  finbcn,  wag  ba^  Swige  unb  ftc^  gleich 
Sleibcnbc  in  Sfiriftu^  ift  (©.  512).  3n  einer  anbern,  aber  ni^t 
weniger  wid^tigen  ©cjic^ng  ^at  ©tilling  bad  9iid^tige  getroffen. 
3m  Sa^rc  1775,  nod^  in  ©Ibcrfclb,  ^at  er  feinem  ßorn  gegen  bic 
Slufflärung  Slu^brudE  gegeben  in  bcr  „©d^leuber  cineg  Wirten- 
fnaben  gegen  ben  ^o^nfprec^enben  5ß^iliftcr,  ben  SJcrfaffcr  bc^ 
©ebalb  Slot^anf erg. "  3n  ber  SSorrebe  ju  biefer  ©c^rift*)  er- 
flärt  er  fid^  nun  gegen  bie  fd^on  bamalg  graffirenbe  Slpologetif, 
b.  i),  gegen  bie  SÄct^obc,  in  Sicligiongfad^en  aug  öemünftig  fein 
foHcnbcn  ©runbfä^cn  ju  bemonftriren.  „3ft  bie  SBcrnunft  über 
bie  Offenbarung,  fo  ^aben  wir  fic  (bie  Offenbarung)  nic^t  nöt^ig. 
3ft  aber  bic  Offenbarung  über   bie  SScrnunft,  fo   arbeiten  bic 


1)  drgäniunoSbotU)  6.  709  ff. 


531 

S^^eologcn,  toeld^c  fic  (bie  Offenbarung  nad^  bcr  SScrnunft)  rc^^ 
formiren  wollen,  gegen  @olt  unb  olfo  ium  Serberben."  S^gleid) 
Denvetft  er  auf  bic  erfal^rung^mögige  Stic^tigfeit  bed  $(udfprud^e^ 
S^rtfti,  bag  biejenigen,  meldte  ben  äBtUen  feinet  l^tmmlifc^en 
SSoter^g  tt)un  werben,  fic^  baüon  überführen,  ba§  g^rifti  Seigre 
Don  @ott  fei.  S)enn  ba^  ift  mirfü^  ber  populäre  Slu^brud  be^ 
einjigen  braud^boren  85ett)eifeg  für  bie  SBa^r^eit  bc^  S^riften^ 
tl^umd.  @S  ift  mo^l  nic^t  baran  ju  jmeifetn,  bag  ber  praftifc^e 
©inn,  ber  im  ?ßictiömu£;  genährt  roorben  ift,  aber  eben  in  ber 
SlUgemein^eit,  meldte  Don  ber  @pecialität  bed  $ietiigmud  unter- 
fc^ieben  toerben  fann,  bie  beiben  SDlönner  auf  jene  ©efid^t^punltc 
ri(^tiger  X()eoIogie  gefül^rt  ^at;  aQein  ju  biefem  (Erfolge  ^at 
weiter  ber  Umftanb  mitgemirft,  bag  fte  burc^  bie  Z^eilna^me  an 
bem  ^umanität^ftreben  il)red  3^^^^^^^^^^  fic^  ^^n  ber  @pecialität 
bed  ißietidmui^  momentan  frei  machen  tonnten. 

^a^  eben  bejeid^nete  SSerbienft  ©tilling'iS  foQ  i^m  um  fo 
me^r  angerechnet  merben,  als  er  übrigen^  fi^  burc^auS  in  ben 
Salinen  beS  $ietiSmuS  bewegt.  SBaS  er  barin  geleiftet  l^at,  ift 
^auptfäd^licf)  in  ber  ßeitfc^rift  „ber  graue  3Rann"  nicbergelegt, 
Weld^e  er  Don  1795  an  ^eraudgab.  @ie  ift  bad  ^auptorgan  ber 
rcligiöfen  ©d^riftfteüerci,  ju  welcher  er  burc^  bie  Sßorfe^ung  bc* 
rufen  ju  fein  glaubte^).  S)er  graue  9Äann  ift  Don  ©tiHing 
fd^on  in  feinem  „§eimme^"  (1793),  bem  ©eitenftüd  ju  öunpan'S 
$ilgeneife,  als  ber  S)irigent  beS  gefdjilberten  Seben^laufeiS  einge^ 
fü^rt  roorben.  S)iefe  gefpcnftifd^e  unb  allegorifd^e  gigur  fü^rt 
nun  in  ber  ßettfcfirift  bad  SBort  aliS  ber  ©efanbte  ©otteö  in  ber 
gegenwärtigen  grift  Dor  bem  (Eintreten  bcS  taufenbiäl^rigen  Sieic^S, 
um  bie  ^eiligen  ju  fammeln  unb  bie  Slufflärer  ju  warnen  ober 
Dorläufig  ju  Derurt^eilen.  ^ag  ©tiHing  fic^  biefer  3RaiU  be^ 
bient,  um  feine  Belehrungen  unb  (Entfc^eibungen  funb  ju  geben, 
ift  beieid^nenb  für  bie  Steigerung  feinet  prop^etifd^en  ©elbftge« 
fü^tö.  ^ie  (Einführung  bei^  grauen  SJZanneS  ift  aber  jugleid^ 
red^t  bequem  für  ben  ©d)rif tfteUer ,  um  ben  Änforbcrungen  an 
bialeftifd^e  unb  funftgered^te  ^arfteUuug  feiner  SKeinungen  aus- 
zuweichen. 3Benn  er  einmal  bicfeS  äJerfal^ren  einfc^lägt,  fo  gel^t 
t§m  fe^r  balb  ber  Slt^em  auS,  unb  bann  wirb  ber  graue  älJann 
mit  feinen  unfehlbaren  efc^atologifc^en  unb  anberen  {tuffc^lüffen 


1)  3n  bm  ^ftmmili^en  Serien  SBanb  VII.  VIII. 


532 

in  ©ccnc  gcfc^,  um  bcm  fd^riftftcQcmbcn  $rop^ctcn  Siuft  ju 
mad^en.  8Benn  man  btc  2)arftenunggform  @tilltng*d  in  Setrac^t 
}i€^t,  fo  ift  eä  f^tt)er  t)erftänblicl^,  maiS  er  felbft  bejeugt,  bag  bod 
„^cimtocj^"'  einen  bcifpieHofen  ©eifaQ  auf  bcr  flanjen  (Srbc  er* 
tDorben,  unb  bag  biefe^  ^u^,  fon)ie  bie  „©iegeSgefc^ic^te  bei 
d^riftlic^en  Weligion"  (ffirflärung  ber  Offenbarung  So^annii^), 
bie  „@cenen  aui^  bem  ©eiftcrreic^"  unb  enbltd^  bcr  graue  3Rami 
eine  @emeinbe  Don  SSere^rern  unb  ©efinnung^genoffen  für  ®üU 
Ung  gewonnen  ^aben,  meldte  je^t  nod^  nid^t  au^geftorbcn  ift. 
3!)er  Wann  entbel^rt  burd^auiS  ber  fd^öpferifd^en  ^^antafte;  feine 
poetifc^e  ^raft  ift  fo  bef^ränft  mie  mögli^,  fd)ematif^,  aQego« 
rifdö,  ©efpenfter  erjeugcnb.  35ie  ©efpräc^^form,  beren  er  fic^  oft 
bebient,  ift  la^m  unb  ermäbenb.  Sieben  feiner  meltförmigen 
9iebett)eife  erf^eint  bie  @prad)e  Kanaans  faft  reijenb,  benn  fte 
ift  bod^  gcmärjt.  SlQein  biefe^  Sllied  ^at  feine  frommen  SSerel^rer 
nic^t  geftört;  benn  bcr  Sn^alt  ber  99üd^er  entfprid^t  il^ren  Sin- 
fprfid^en.  S)a^  Sntereffe  am  @e{)eimnig,  aud)  menn  t^  nur  in 
SlQegorieen  befte^t,  liegt  ben  ^ictiften  überf)aupt  nal^e;  jcboc^ 
i^rer  uor^errfc^enben  X^ctlnal^mc  an  bem  @c^eimnig  ber  3"^ 
fünft  be^  Steic^cd  S^rifti  ift  @tilltng  mit  befonberer  Steb^abeiei 
entgegengefommen. 

3)ic  Hoffnung  auf  baS  Scöorfteticn  einer  l^errüc^en  3"funft 
beö  IReid^eg  ß^rifti  in  bcr  Äird^e,  ttjcld^e  ber  ?ßieti«Jmui^  be^  17. 
Sa^rl^unbertd  t)on  Socceju^  übernommen  ^atte,  toat  fc^on  längft 
nid^t  me^r  fo  nait)  geblieben,  atö  man  fie  urfprünglic^  gemeint 
l^atte.  SJitringa  ^atte  bie  grogc  Sebrängnig  burd^  bie  anti^rift« 
lic^e  ^ad^t  Dorgefd^obcn  (@.  294),  unb  auf  feiner  @pur  ^otte 
Senget  bur^  feine  Serec^nung  ber  3^iten  aud  ber  ^[poEal^pfe 
ermittelt,  baß  gegen  baö  3a^r  1790  ber  Äampf  bcö  «ntic^rift 
gegen  bie  £ir^e  beginnen  foDtc.  S)ag  fc^ien  burc^  ben  ®ang 
ber  franjöfifd^en  Stcuolution  beftätigt  )u  fein.  S^ann  man  ftc^ 
nic^t  DorfteUen,  bag  StQeS,  ma^  in  S)eutfd^lanb  unb  bcr  ©c^meij 
pictiftif^  mar,  mit  ängftlid^cr  Spannung  barauf  tt)artete,  wann 
bie  ©emaltt^atcn  ber  @egner  bc^  S^riftcntl^umd  ben  ^öc^ften 
@rab  erreichen  mürben,  um  bann  bur^  bie  fiditbarc  Srfc^einung 
bc^  Steic^cd  (S^rifti  abgclöft  ju  merben?  yiun  aber  l^atte  S3engel 
ben  SScrlauf  ber  S)inge  in  einer  @enauigfeit  bered^net,  melc^ 
burc^  ben  @ang  ber  Sreigniffe  nicf)t  gerechtfertigt  mürbe.  2)a« 
burc^  mürben  bie  ©laubigen   Dcrmirrt  unb   unfi^er.    2)ed^alb 


533 

rid^tctc  fid^  ©tiQing'ö  Scftrcbcn  barauf,  btc  Äjjofal^pfc  in  einer 
n^enigcr  bestimmten  Serec^nung  aller  einjelnen  jufünftigen  Sr« 
fd^einungen  }u  beuten.  Stamentli^  machte  er  ben  Sorbel^alt, 
bQ§  bie  finnlid^e  993iebererfd^einung  S^rtfti  jur  Xufrid^tung  feinet 
Steic^e^  nic^t  bered^net  n^erben  foQe,  ba  fte  plö^Iid^  unb  unenuar« 
tet  eintreten  »erbe.  Älfo  bie  änfid^t  be§  Kocceiug  (©.  145) 
^atte  fid^  aud§  wieber  bal^in  öerfc^oben,  ba§  ©tiHing  auf  [innen* 
fäQige  ©egenwart  S^rifti  red^nete,  ba  berfelbe  gefagt  l^abe,  er 
werbe  im  jufünftigen  8leic^  ©otteö  effen  unb  trinfcn,  unb  bie 
Slpofalppfe  bamit  übereinftimme.  35cmgemä§  beult  er  nid^t  blog 
an  eine  Orbnung  beS  9fieid^e^  Sl^rifti  burd^  bie  lebiglid^  innere 
Sßirfung  bed  ^eiligen  @eifted,  fonbern  aud^  burd§  ftatutarifd^e 
formen.  ©pecieH  ift  er  ber  SKeinung,  baft  bie  Srttbergemeinbc, 
in  tneld^er  er  baö  mit  ber  ©onne  belleibetc  SBeib  fa^,  baS  öor 
bem  2)rad^en  in  bie  SBüfle  flo^,  baS  SSorbtlb  für  bie  ISinric^tun« 
gen  im  JReid^e  ffil^rifti  barbiete.  ,,S)ie  äußere  ffiinrid^tung  ber 
bttrgerlid&en  ©efeUfd^aft  ober  bie  Äird^en*  unb  ©emeinbepoUjei  in 
ber  Srübergemeinbe  l^at  i^red  @leid^en  nic^t,  unb  entl^ätt  gan} 
getui§  ben  ^eim  unb  bie  @runblage  beS  ffinftigen  Sieid^ed  S^rifti 
auf  Srben.  3)enn  tt)enn  ein  ganjei^  Steid^  auS  lauter  n)al^ren 
©Triften  beftänbe,  fo  fönnte  feine  bcffere  ^olijei  ftattfinben  al« 
biejjenige,  bie  in  ben  ^errnl^utifd^en  ©emeinben  in  Uebung  ift"  *). 
3n  ber  {Rid^tung  auf  bie  SRä^c  ber  S^^i^^ft  6i&rifti  begrüßte 
©tilling  bie  ©tiftung  ber  ÜKifponögcfeÜf^aft  in  Sonbon  (1795) 
unb  bie  jugleid^  auf  ben  kontinent  fibergreifenbe  ^Inregung  jur 
SBorbereitung  ber  §eibenbelel^rung  alö  ein  augenfc^einlid^e^  Qcu 
d^en  ber  3^^^  i>^  ^^^  SSerffinbigung  bed  (£t)angeliumi^  in  aller 
SSelt  ber  glorreid^en  ß^^fwnft  beö  J^errn  üoraugge^en  mufe.  S)ic* 
fcr  cfd^atologif^e  ©efi^t^punlt  erforberte  freiließ  einen  fd&nellen 
unb  überttjältigenben  @rfolg  jene^  Unterncl^meng ;  alig  berfelbe 
nac^  einigen  Sauren  nid^t  eingetreten  war,  fonbern  anftatt  beffen 
allerlei  Hemmungen  unb  9J2iierfolge  ftd^  geltenb  mad^ten,  f)atte 
ber  graue  äJ!ann  Urfac^e,  wieber  auf  ben  gewöhnlichen  ®ang 
ber  SSorfe^ung  ju  Derweifen.  ^{an  war  alfo  bod^  nod^  nic^t  fo 
weit,  als  man  glaubte! 

©neu  praftifd^cn  Qxotd  Dcrmod^te  ©tilling  biefer  ßwfunftÄ* 
Hoffnung,   bie  ftet^  wieber  in^  Unbeftimmte  jurüdfc^lug,   nur 


1)  «onb  vn.  6.  118. 


534 

barin  abjugctoinncn,  bafe  er  bie  grommcn  baju  ermahnte,  mit 
einanber  jufammenjul^Qlten.  SBie  Säöater  meinte  er  bamit  niti^t, 
bog  fie  QUO  i^ren  particularfir^li^cn  SJerpltniffen  augfd)eiben 
unb  eine  neue  gartet  grunben  foHten,  bie  bcn  ßonfefftonäfirc^cn 
analog  tuäre.  SJielmc^r  foQtc  jeber  bei  feiner  ßonfeffton  bleiben, 
unb  nur  bie  ?tnberen  innerhalb  ber  irrigen  na^  i^rem  tpa^rcn 
innem  SBert^e  fd^äften  unb  lieben,  fie  mögen  im  Uebrigen  Reißen 
tuie  fte  tDoIIen.  3Ran  foll  fid^  eben  nid^t  an  bie  ©c^alc,  fonbern 
an  ben  Äern  galten.  Allein  biefe  ßuntutl^ung  [tiefe  auf  ^inbcr^ 
niffe.  S)enn  bie  ©ottfetigen,  rocnn  fie  anä)  gegen  bie  Sonfcffton^ 
firmen  gteid^gültig  waren,  fperrten  fi^  unter  einanber  crft  re(^t 
üb.  „O  eS  ift  f^redli^,  tt)0  man  ^infommt,  ba  finbet  man  ör^ 
medte,  aber  immer  eine  ©efeHf^aft  gegen  bie  anbere,  unb  eine 
©eele  gegen  bie  anbere  eingenommen."^  SBicberIjolt  Hagt  ©tiHing, 
bafe  bie  Parteiführer  ber  frommen  biefelben  me^r  an  \xd)  felbft 
fnüpfen,  ate  ju  ßl^riftug  führen,  unb  bafe  fie  i^re  Sieblingömci» 
nungen  bem  gemeinfamen  3ntercffc  uoranfteHen.  „S)er  eine  ^ongt 
an  ber  SBicberbringung  aQer  S)ingc,  ber  anbere  am  e^elofcn 
Seben,  ber  britte  an  ber  SR^ftit,  ber  bierte  an  ber  Offenbarung 
3o^annig,  ber  fünfte  ^at  einen  SBiberroiHen  gegen  ben  geiftli^en 
©tanb  unb  bie  äußere  fiird^enöerfaffung."  Unfd^ulbigere  gcic^en 
t)on  ^arteifud^t  mad^t  er  barin  bemerftid^,  baß  faft  aQe  ©d)üler 
üon  5.  51.  iJampe,  weil  biefer  ein  wenig  f|infte,  auc^  l^infen  — 
,M^  ift  I^atfadjc,"  fügt  er  l^inju  —  unb  baß  bie  grcunbc 
Icrfteegen'g,  weit  biefer  nad^  ärjttii^cr  SJorfd^rift  $ontat  tranf, 
o^ne  ärjtlid^e  SSorfd^rift  aud^  ^ontal  tranlen,  unb  ebenfo  wie 
i^r  äWeifter  läd^elten  unb  bie  ^anb  brüdten,  enblic^  baß  3^"*^"* 
borf'ö  2Ranieren  üon  feinen  Slnl^ängern  mögli^ft  nac^gea^mt 
würben.  Stber  eben  aud§  Don  biefen  Umftänben  l^at  ©tilling  bcn 
©inbrud ,  baß  fie  ben  bcrberblid^en  ©ectengcift  funbgebcn !  ©cnn 
Don  ba  ge^t  er  ju  einer  fe^r  emften  SBefd^wörung  ber  §errn^uter 
unb  ber  lerfteegianer  über,  fid^  mit  einanber  auöjugleic^en,  unb 
rid^tet  an  bie  Sln^änger  Sö£|me'ö  bie  bringenbe  Äufforbcrung, 
nic^t  t^rc  t^eofop^ifc^en  Sieb^abereien  bem  praltif^en  ß^riftcn- 
t^um  üorjubrängcn  ^).  S)ie  Haltung  alfo,  weld^e  Icrfteegen  gegen 
ßinjenborf  eingenommen  ^attc  (©.  485),  wirfte  nac^  fediäig  3a^* 
ren   unter   feinen  SKn^ngern  nod^  fort.    ©tiOing  aber  befcnnt 

1)  «anb  VIII.  @.  14.  294  ff. 


535 

fid^  ju  bciben  äWänncru.  !3n  feiner  fjormcl:  ©l^riftuiJ  für  unS 
unb  ß^riftu^  in  un^,  meint  er  bie  beiben  gemeinfame  SBa^rl^cit 
JU  befi^en,  unb  bcnuftt  bie  ©elegenl^eit,  ben  f einbüßen  Srübern 
öorju^alten,  bog  fie  felbft  nic^tö  änbere«  verträten,  wenn  fic 
and)  bie  beiben  ©lieber  ber  gormel  Derfd^ieben  accentuirten.  S)er 
@utc  f)aitc  feine  Sinfid^t  bQt)on,  bag  l^inter  biefem  abmeid^enben 
Äccent  ber  groge  ©egenfo^  ftedte,  welken  fd^on  I^omoig  unb 
®un^  vertreten  (©.  471),  nämlid^  bie  Streitfrage,  ob  bie  grcube 
bie  not^tnenbige  ober  eine  jufäHige  Segleitung  ber  ©cligfeit  fei. 
9latürlic^  i)at  bie  ©mpfe^Iung  ber  neutralen  fjormel  burc^ 
Stiüing  feinen  birecten  unmittelbaren  Srfolg  bei  aQen  feinen 
gottfeligen  greunben  gel^abt.  S)enn  baß  er  gleii^geitig  fid^  ju 
Xerfteegen  befannte  unb  bie  Srübergemeinbc  al^  bag  ©onnen^ 
roeib  unb  atö  ben  ©tamm  Suba  unter  ben  ©tämmen  be^  geift» 
lid^en  Sfrael  rühmte,  mürbe  i^m  t)on  ben  ^ietiften  reformirter 
?lbftammung  fe^r  übel  genommen.  ÄUein  er  ijat  fe^r  rid^tig  er:: 
fannt,  baß  baiJ  gemeinfame  Untemel^men  ber  §eibenmiffton  nad^ 
bem  SSorbilbe  ber  Sonboner  ©efetlfd^aft  jur  magren  ^erjcnö*  unb 
©eifte^gemeinfc^aft  aller  magren  El)riften  aug  aßen  Parteien  unb 
jur  Vorbereitung  ber  ©inen  ^eerbe  unter  bem  Uinen  ^irten 
jroedfmäfeig  fein  h)erbe.  S)ie  gemeinfame  Slrbeit  an  beftimmten 
aufgaben  fonnte  bie  Äbmeid^ung  in  S^^eorieen  unb  Stimmungen 
jurüdfftellen  laffen,  toie  bie  feit  1780  mit  bem  SSorort  SBafel  be* 
ftcl^enbe  ©eutfd^e  E^riftentf|um^®cfellfd^aft  bie  Trennung  ätoifc^en 
Sutl^eranern  unb  8leformirten  abgefd^mäd^t  l^atte.  3nbeffen  fann 
man  jugleid^  in  ©tilling'i^  Sluffaffungen  be^  praftifd^en  6l^riften= 
t^umg  einen  3fi"9C^^*9  i^^für  erfennen,  toie  bie  ju  feiner  3^'* 
nod§  üormaltcnben  Äbtoeid^ungen  unter  ben  grommen  eine  Äuö* 
gleid^ung  finben  tonnten.  2)enn  er  felbft  fprid^t  fic^  5unäd)ft  bei 
tjerfc^iebenen  ©elegen^eiten  jiemlid^  berfd^iebenartig  auö.  (Rnmal 
giebt  er  bem  eöangelifd^en  ^ietii^muö  nieberlänbifd^er  §erfunft 
mieber^olt  Slu^brud,  toenn  au^  mit  abgeblaßter  Färbung.  S)er 
6l)rift  ^at  fid^  burc^  bie  5ßrüfung  feiner  felbft  öon  feinem  ganjen 
(glenb  unb  Serberben  ju  überjcugen,  um  bann  ju  ß^riftu^  Qn^ 
findet  ju  nel^men,  unb  in  ber  S)auer  biefe^  Slcteö  Seru^igung 
unb  grieben  ju  finben,  unb  fiuft  jum  ®utcn  in  fid^  ju  ermcden. 
"än^  bicfen  ©nabenwirtungen  be§  l^eiligcn  ©eiftcsst  entfpringt  bann 
bie  Heiligung.  Auf  ben  ffiinbrud  beö  beftimmten  ßcitpunfteö  ber 
Sefe^rung  ift  babei  nic^t  ju  red^nen,  loenn  nur  ber  SßiQe  jum 


536 

®iittn,  ber  %mh  jum  immertDä^renben  ßuna^en  ju  @ott  unb 
ein  beftSnbigcd  SRügen  über  alle  ©ebanfen,  äBorte  unb  SBerfe 
üor^crrfd^t  1).  SBer  foule  nun  ewarten,  bafe  ©tiDing,  fo  ju 
fagen  in  IStnem  ^tl^em,  baS  Sßefen  bed  Sl^riftent^umd  auf  bie 
^errfd^aft  bed  @ett)iffend  über  bie  triebe  ber  ä^eruoQfommnung 
unb  ber  ©füdfcligfeit  beftinimt?  darunter  üerfte^t  er  ficili^ 
nid^t  bie  Siugenbübung  im  aufflärarifd^en  @inne.  SBielmel^r  fomtnt 
bie  $rQ£t^  barauf  ^inaui^,  bog  man  beftrebt  ift,  ju  beten,  ju 
toaä)tn  unb  t)or  @ott  gu  tDanbeln,  fid^  in  ber  Sluff))ürung  ber 
Eigenliebe  unb  Sßenfc^engefäQigfeit  bei  unferem  ^anbeln  ju  üben, 
unb  aQed  @ute  ber  götttid^en  @nabe  ju  uerbanfen.  3n  biefer 
(grfenntnife  tuirb  man  immer  bemütl^iger,  befd^eibener,  frcunblic^er, 
man  bulbet  Unred^t  mit  @elaffenl^eit,  tpirb  tt)oI)tt^ätig  unb  fauft« 
müt^ig  aud^  gegen  bie  ^^einbe,  fann  fid^  in  ben  gemeinnü^tgen 
^flid^ten  nie  genug  t(|un,  unb  leiftet  biefe^  aUeS  atö  bie  SBer- 
geltung  für  bie  unenblid^e  SSarml^ersigfeit,  tDeld^e  man  Don  ®ott 
unb  ß^riftuS  ju  erfal)ren  überjeugt  ift^).  S3ergleid)t  man  mit 
biefen  ISrflärungen  bad  g^S^^P^i^^iB  ©tiUing'd,  bag  ed  Diele 
üortrefflic^c  E^riften  gibt,  toeld^e,  o^ne  e^  gu  toiffen,  ben  Sääeg 
ber  Süße  unb  ©elbftüerleugnung  gefien  (©.  525),  fo  öcrjic^tet 
er  eben  auf  bie  aQgemeine  (Geltung  ber  {Regel  beS  pietiftifc^en 
Sugfampfed.  9[ber  baneben  fte^t  nun  nod§  bad  tDieber^olte  ^c« 
fenntnig  ©tiUing'S  }u  Sierfteegen'S  ©runbfä^en  ber  DoQftänbigen 
paffiDen  Ergebung  in  @otteS  SSiillen  unb  be^  innent  ©ebeted, 
tüomit  eö  übereinftimmt,  bag  er  bie  Empfinbung  ber  ©cligfcit 
für  ettoag  3"fäIIige^  erflärt").  ©tiHing  btto&f)xt  burd^  biefe  üon 
einanber  abn^eid^enben  Erflärungen,  bag  er  nid^t  einfeitig  an 
Eine  3J2etl|obe  ber  ^eil^orbnung  fid§  binbet.  ^reilid^  Don  ber 
Slufd^auunggtoeife  3ittä^"t^orf ^  bietet  er  feine  5ßrobe  bar.  ©eine 
©d^äftung  ber  Srübergcmeinbe  befd^räntt  fid^  offenbar  auf  beren 
gcfeQfc^aftlid^e  Etnrid^tungen  unb  rid^tet  fic^  baneben  nur  na4 
bem  allgemeinen  3"fl  ä^  gefteigerter  retigiöfer  Erregung,  gflr 
lerftecgen'ö  I^eorie  l^ingegen  toar  ©tiHing  burd^  feine  Sugenb» 
erinnerungcn  unb  feine  8lrt  Don  9Sorfel)ungög(auben  bii^ponirt. 
Slubererfeit^  Dermod^tc  er  bem  „unbett)ugten  Efiriftent^um"  An* 


1)  »aitb  VII.  (S.  16.  171.  297.  VIII.  S.  232  ff. 

2)  »aitb  VII.  6.  180.  183. 

3)  «onb  VII.  @.  104.  269.  VIII.  S.  236.  463. 


537 

cricnnung  ju  toibmcn,  trcil  er  fclbft  einen  Bctougten  Sugfamt)! 
ntd^t  crfal^rcn  ^atte.  Aber  au^  ber  ©egenuberftellung  ber  angc* 
filierten  äeugerungen  crgicbt  ftd§  bic  %f)at\aä)t,  büß  er  bie  pieti» 
ftifd^c  3;^corie  nur  in  fe^r  abgeftumpfter  ©cftalt  üertritt  unb 
auf  2irftecgen'i8  2Retf|obe  nur  fe^r  unüoUftänbig  eingegangen  ift 
3ur  ffirHärung  biefeö  Umftanbcö  ift  ol^ne  Steife!  barauf  ju  a6)^ 
ten,  ba§  er  fid^  ber  ©emcinfd^aft  mit  bcn  ©onöentifeln  feit  feinem 
30.  Sebengjal^re  cntfc^Iagen  ^atte,  unb  feine  fortbauernbe  pietifti* 
fd^e  ©timmung  nid^t  me^r  an  ber  feften  Ueberliefcrung  ber  @e*» 
meinfd^aft  orientirte.  Aber  eben  tüeil  er  in  bie  ©teUung  eineiJ 
fiiebl^aberd  be^  $ieti§muS  getreten  tuar,  meinte  er  audft  ben  t)er* 
fd^iebcnen  ©ruppen  jumutl^en  ju  bfirfen,  ba§  fie  i^re  Schroffheit 
gegen  einanber  aufgeben  foHten.  Sllfo  tt)enn  nur  Äße  auf  bie 
mel^r  toeltförmige  Haltung  eingingen,  bie  er  felbft  behauptete, 
bann  tuürben  fte  nid^t  me^r  banad^  fragen,  ob  ber  6^riftu^  für 
und  ober  ber  S^riftuiS  in  uni^  ben  Sccent  5U  empfangen  l^abe, 
jumal  toenn  fid§  SDe  fold^en  gemeinfamcn  Unternel^mungen  roib:« 
meten,  tt)ie  bie  ^eibenmiffion  war.  3n  biefer  änfid^t  ^at  er  aud^ 
toieber^olt  gegen  bie  ©onüentifel  feine  Ungunft  geäußert,  unb 
barauf  gebrungen,  bag  man  ilinen  ben  öffentlid^en  ©ottedbienft 
borjujie^en  ^abe,  aud^  toenn  ber  ^ebiger  ni^t  crtoedt  toärc, 
toenn  er  nur  nid^t  gegen  bic  anerfannten  S)ogmen  prebigte. 

S)urd^  biefe  Haltung  gegen  bie  legitime  Cjiftenäform  beiJ 
^ietiömu«  eröffnet  ©tilling  bie  2lu§fic^t  auf  eine  Umgcftaltung 
ber  bidl^cr  in  getrennten  ©nippen  bcriaufcnbcn  (Srfd^einung. 
S)ie  SKerfmale  biefe^  moberncn  ^ieti^mug  nac^  ©tiHing'd  An* 
toeifung  laffen  fic^  tJoDftänbig  fo  jufammenfaffen.  9Kan  ^at  bic 
Dogmen  aufred^tjuerl^alten,  toeld^en  bie  ${uff(ärungdt Geologie  ben 
fd^ärfften  SBiberfprud^  cntgegenfe^tc,  bic  Sc^rcn  üom  allgemeinen 
Scrberbcn  ber  3Jlcn\ä)\)cxt,  Don  ber  ©ott^eit  unb  ber  ©traffatid* 
faction  ©^rifti,  üon  ber  ^Regierung  ber  SBelt  burd^  (S^riftuö,  öon 
ber  Wot^toenbigfeit  ber  äBitt^cilung  bcö  l^ciligcn  ©ciftciS  jur 
Heiligung.  An  biefem  SBorftenungöfrei«  l^at  man  baö  ©treben 
nadft  praftifd^em,  erfa^rungdmäßigem  ß^riftent^um  ju  orientiren, 
fo  baß  baiJ  3ntereffc  an  ber  {Red^tfcrtigung  unb  bad  an  ber  ^ei« 
ligung  fid^  baS  ©teid^getoi^t  Ratten,  j|ebenfalls  feinei8  l^inter  bem 
anbem  jurüclfte^t.  (gd  fommt  ^iebei  ebenfo  tocnig  auf  confc* 
quente  unb  plaftifc^e  ftlar^eit  ber  pcrfönlid^cn  Haltung,  toie  bei 
bem  SBerftänbnig  ber  Dogmen  auf  genaue  Umriffc  unb  uoOftän» 


538 

bigen  Sdtfd^Iug  an  bte  {ird^Ud^e  ^ogmatif  an.  'Denn  fonft 
tDÜrbe  bie  aUfeitige  SJcrbinbung  bct  fiinber  Oottcd,  »cld^c  in 
bcr  ©nabenfrift  bor  bem  Sluftrctcn  bcö  Äntic^rift  nöt^ig  ifl, 
nid^t  erreid^t  werben.  S)egl^alb  ift  aud^  ber  Änfd^Iuß  an  bcn 
öffcntli^cn  ©otteöbicnft,  wenn  er  nid^t  bnrc^  craffe  SleoCogte  bc^ 
^rebigerö  unmöglid^  gemad^t  \Dirb,  bcr  5ßPcgc  bcr  Eonöentilcl 
üorjujie^cn,  rocld^e  bic  ©i|e  ^od^müt^tger  gcgcnfeitigcr  8[bfper* 
rung  finb.  3n  bcr  gorm  bcr  g^eunbf^aft  melmc^r  foD  man 
fidö  gegenfettig  fud^cn  unb  religiöfcn  9(uStaufd^  üben,  fomo^l  bie 
alten  ©cnoffen,  alö  bie  j^a^lrci^cn  neuen  äbeptcn,  tt)cld)c  burc^ 
bcn  SJcrIauf  ber  franjöfifd^en  iRcüoIution  bem  praftifc^cn  6^ri* 
ftcnttjum  jugonglid^  geworben  finb,  ol^nc  auf  eine  ober  bie  an« 
bere  gorm  bcö  5ßicti^mug  fi^  einfd^ttjörcn  ju  laffen.  ©ic  alle 
follcn  fid^  jugleid^  burd^  gemeinnü^ige  Unternehmungen  toic  bie 
^cibcnmif fion ,  bie  bag  3ci^ßn  bcr  9iät|c  be^  ffinbc^  ift,  baöon 
überführen  laffen,  bafe  eö  nid^t  mcl^r  auf  bie  ejacten  gormen 
bcö  5ßicti^muö  ber  ßonüctttifcl  anfomme.  3n  feiner  SSScife  alfo 
l^at  ©tilling  eine  SScrmettlid^ung  bc^  ^ietiSmud  beabfid^tigt.  Unb 
bicfcr  ©^ritt  toar  not^tocnbig,  wenn  bie  Slid^tung  über  bie 
trcnncnben  Slrtuntcrfd^icbe  ju  einer  relativen  ®inigfcit  ^inau^c« 
fü£|rt  werben  foQte.  S)icfcö  Qxtl  fonnte  entWeber  in  einer  8c» 
wegung  nad§  rüdwörts  ober  in  einer  Bewegung  nact)  üorwfirt^ 
auögefü^rt  werben.  S)ic  erftere  SDlöglid^fcit  würbe  bcn  ^ictiömuö 
in  bcn  Ä'at^oliciömug  unb  in  baö  Älofterleben  j\urürfgcfü^rt 
^aben,  bie  jweite  Söcwcgung  aber  war  nur  au^fü^rbar,  wenn 
man  eö  auf  ein  9}iag  öon  SScrweltli^ung  nic^t  anfommen  Iie§. 
S33aö  baruntcr  ju  öerftel^cn  ift,  fann  man  fid^  gerabe  an 
bcr  Sigcntpmlic^fcit  ©tiQing'j^  anfc^aulid^  machen.  3c§  meine 
bamit  nid^t  btoö  bic  SJicIgcfc^äftigfcit  bcö  Sebenig  in  bcr  SaSelt, 
welche  er  gegen  feine  urfprüngtic^c  Slnge^örigfcit  ju  bem  6om 
öentiteld^riftcnt^um  cingetaufc^t  ^atte,  fonbcm  bie  bamit  jufam^ 
menf)angcnbe  ©tcllung  beö  SKannc^  im  ^ieti^mu^,  wel^c  i^ 
fc^on  alg  bic  bcö  fiieb^aberö  bejei^net  t)abc.  ®r  ftcQt  fic^  aU 
fofd^cn  bar,  inbem  er  einmal  fid^  t)on  bcr  legitimen  ©emcim 
fd^aftöform  beö  5ßietiömug,  öon  bcn  Sonbcntifcln ,  burd^auö  ab^ 
gcwcnbet  t)at,  bann  aber  tro|  feiner  gong  inbimbucH  auiSgcprag* 
tcn  grömmigfeit  bcn  unter  feinem  5ßublicum  öor^errfc^cnben 
äRet^oben  bcö  Sußfampfe«  unb  ber  m^ftifc^cn  SBiBenlojigfeit 
fic§  anjubcquemen  ücrmag.    2)icfc  ©runbfä^e  ^at  er,   wo  er  pc 


539 

an^\pxxä)t,  nur  äft^ctifd^  angeeignet.  @r  l^atte  nicmate  in  biefen 
3Reti)obcn  gelebt,  ^otte  aud^  gor  nid^t  bie  5tbfici^t,  fic^  tpirflid^ 
auf  biefelbcn  einjurid^ten.  5Rur  mit  feiner  ©inbilbunggfroft  ftat 
er  momentan  feine  Snfc^auung  unb  ®m|>finbung  auf  bic  eine 
unb  bie  anbere  geftimmt,  um  bie  gü^Iung  mit  feinen  Stn^öngem 
f eftgu^alten .  S)ag  fc^Iiegt  feinerfeitig  aud^  nid^tö  toeniger  in  ftd§ 
ate  Untüa^rl^aftigfeit.  S)enn  er  tüar  in  allen  S)ingcn  Dilettant, 
unb  bie  Dberfläd^lid^feit  mar  bag  Sfement  feinet  Sfiarafterg.  3n 
ben  entfd^eibenben  SBenbungen  feinet  2ebcn§  jum  mebicinifd^en 
©tubium,  jum  nationalöfonomifd^en  Se^ramt,  jur  religiöfcn 
©d^rif tfteHcrei ,  ^at  il^n  jebeömal  feine  lebt)afte  ®inbilbungöfraft 
ju  einem  ©ntfc^Iuffe  f ortgeriff en ,  ben  er  niemal«  burd^  ernfte 
unb  gebulbige  Arbeit  als  eine  äBiQenSbeftimmung  t)on  fittlid^em 
SBcrt^e  bemäl^rt  l^at.  @r  fanb  fid^  jebeSmal  bur^  bie  3tt>ecls 
mäßigfeit  unb  ©d^ön^eit  be§  ^rojecte«  afficirt,  um  mit  gleid^ 
obcrfläd^Ii^cr  Seb^aftigfeit  nad^  einigen  3al^ren  tüieber  auf  eine 
anbere  Seftimmung  fid^  einäulaffen.  @otteS  S8orfef|ung  mußte 
bann  biefe  Smpulfe  bilettantifd^er  ©emüt^i&art  fo  ergänzen,  baß 
fic^  ©tiHing  jebeSmal  in  öollem  ©leicftgetui^t  mit  fid^  befanb, 
—  bis  baffelbe  tuiebcr  Verloren  ging,  ^uf  ber  legten  ©tufc  fci^ 
ner  Seftimmung  t)at  er  freilid^  bis  in  baS  ^o^e  (Sreifenalter  auS« 
gel^arrt;  allein  er  ift  andf  in  ber  religiöfen  ©d^riftfteHerei  XikU 
taut,  unb  ber  große  Umfang  feiner  SBSirfung  begrfinbet  feine 
(Eintoenbung  gegen  biefeS  Urt^eil.  Wid^t  nur  ^at  er  in  ber  an^ 
gegebenen  SBeife  fi^  bie  gormen  beS  ^ietiSmuS  nur  anempfun^» 
ben,  fonbcrn  er  I)at  i^nen  auc^  niemals  üollftänbigen  unb  aut^en» 
tifc^en  SKuSbrud!  üerlieljen.  Sl^eologifc^e  Urt^cilSfraft  unb  ficnnt^ 
niffe  mangelten  i^m  burc^auS.  (Snblic^  ift  baS  efd^atologifd^e 
Sntereffe,  in  meld^cm  ©tilling  fid^  mit  Vorliebe  bewegte,  in  allen 
gäßen  Dilettantismus  in  ber  Steligion,  eine  fibcrflüffigc  S8c» 
fd^äftigung  ber  SinbilbungStraft,  btx  meld^er  bie  3"^*  ^^^  ^''* 
lenS  ftctS  ©^aben  leibet  ober  in  Serfall  gerät^.  ®in  fo  üielfei^^ 
tiger  Dilettantismus  ift  eine  eigene  9lrt  öon  SBeltfinn;  bcnn  bie 
aiic^tung  beS  fiebenS  auf  @ott  ffi^rt  not^toenbig  einen  (Srnft 
}inb  eine  ©emtffen^aftigfeit  mit  fi^,  ju  melier  bic  Haltung 
©tiUing'S  im  ©egenfafte  fte^t.  @inc  glei^artige  SSermeltlid^ung 
beS  5ßietiSmuS  toirb  nun  öon  ©tiHing  in  SluSfid^t  genommen, 
inbem  er  bie  üerfd^iebenen  ©ruppen  beffelben  bagu  aufforbert, 
bie   jioifd^en    if)nen  obtvaltenben  Unterfd^iebe  geringer  ju  achten, 


540 

ate  il^rc  übcretnfttmmcnbc  8lid|tung  auf  pta!tifd^c§  ^^riftcntl^uin. 
aaSo^  bebeutet  biefc  gumut^ung  an  bic  icrftcegiaitcr  unb  ^crm* 
lauter  anberö ,  ate  bag  pe  mit  i^ren  Ucberjcugungen  gcrabe  fo 
obcrflät^Ud^  unb  mcitförmig  öerfal^rcn  foDcn,  wie  e^  ©tiDing 
felbft  nad|  feiner  fonberbaren  SRifd^ung  öon  Seid^tfinn  unb 
grömmigfeit  möglich  tüar!  Unb  ba^  foH  .gcfd^el^en  tocgcn  ber 
SßeltfteQung  bed  ^ietii^muS,  um  ber  ^ufflörung  gegenüber  unb 
in  ©rwartung  beö  Slntid^rift  eine  gefd^Ioffene  ©n^eit  ju  bilben. 
Urfprüngli^  rid^tet  fi^  ber  ^eti^mug  auf  bie  SJürgfd^aftcn  ber 
©eligfeit  jjebei^  ®injelnen  im  @egenfa|  ju  ber  Sßelt  unb  auf  bic 
Sble^nung  afler  ber  Slüdfid^ten,  tocfd^e  bie  Sird^e  auf  bic  SBelt 
ju  nehmen  pflegt.  3ft  eö  ni^t  bemgemäg  eine  fpecififd^c  SSer* 
ttjeftli^ung.  toenn  bie  ^ietiften  jeftt  t)on  bcn  SBürgfc^aftcn  i^rer 
©eligfeit  fo  üiel  na^Iaffen  foQen,  um  ftd&  in  eine  impofante 
©teÜung  gegen  bie  SSielt  ju  fe^en,  unb  Aber  bem  S^etriebe  ber 
§eibenmiffion  unb  ber  Ausübung  ber  tt)cltlid^en  3Rittd  ju  biefem 
3toeclc  bie  3;rennungögrünbe  öergeffen  foQen,  tüeld^e  fic  biiJ^cr 
afö  ©etoiffcnSfad^e  tnertt)  gehalten  l^atten?  S33er  ift,  inbcm  er 
Sobenfte^n*  fenncn  lernte,  barauf  gefaßt  getnefen,  120  3a^re  ft)ä* 
ter  auf  einen  Vertreter  beg  5ßietigmuiJ  ju  ftogcn,  toie  ber  reli* 
giöfe  ©d^riftfteßer  am  $ofe  bei^  ©roß^erjogg  öon  83abcn  iji? 
©ie  beibe  pnb  du«  berfelben  SBurjel  entfproffcn;  aber  il^rc  fafl 
bur^gc^enbe  Ungleid^^eit  fteQt  bod^  bie  iBertneltlid^ung  ber  gc« 
meinfamcn  Slid^tung  in  ber  ^erfon  be^  Jüngern  außer  allen 
3tt)eifel.  Unb  tnenu  e^  nun  ebenfo  fidler  ift,  bag  ber  mit  l^o^ 
natürlid^er  fiieben^tnärbigfeit  au^gerüftcte  9lad^fömm(ing  fid^  eined 
Beifalls  JU  erfreuen  l^atte,  tDclc^er  bem  ftrengen  unb  meltflü^tig 
gefinntcn  5ßrebiger  in  Utred^t  üerfagt  blieb,  fo  ma^t  man  baron 
bie  mertwürbige  ®rfa^rung,  baß  auc^  auf  bem  93oben  bcd  $ic* 
ti^mu^  biejcnigen  SBenbungen  bcn  größern  Srfolg  ^aben,  toeld^e 
bem  SBeltfinn  me^r  ©pielraum  gcftatten.  SBir  finb  biefer  fc 
fc^einung  fd^on  begegnet  bei  bem  Ucbergett)ic^t ,  toetc^c^  ber 
„eüangeiifc^c"  ^ietiömuö  in  bcn  Slieberlanbcn  fiberben  gefeftlic^n 
gewann,  inbcm  er  bic  ©ontjcntifcl  nid^t  mcl^r  nad^  ben  ©efc^lec^ 
tern  trennte.  S)cnn  biefeOrbnung  fam  bem  toettlic^en  Sntercjfc 
ber  allgemeinen  (SefeHigfcit  entgegen  (©.  346). 


541 


24*    Slnna  Biftatttt. 

S)ad  Siel,  tpe((|ed  ©ttOing  für  ben  ^ieti^mud  in  «u^fid^t 

genommen  ^atte,  nomlid^  bag  er  feine '  befte^enben  (Spaltungen 

fibenoinben  unb   burd^  X^eilna^me  an  bem  SBerfc  ber  ^eibem 

miffion  fid^  ^ufammenfc^aaren  folle,  ift  aQerbingg  in  grogem  Um^ 

fange  erreicht  worben.   S)ie  Stau,  weld^e  bemnäd^ft  bie  äufmert 

famfeit  in  Slnfptud^  nimmt,  barf  atö  ein  93eifpiel  baüon  ange^^ 

ffl^rt  toerbcn,   bag  feit  bem  Seginn  beö  19.  Sö^r^unbcrta  jene 

öon  ©tiQing  befümorteten  Qü^t  be^  mobernen  ^iettömug  in  bie 

(fefc^einung  treten.    3nbeffen  ift  an  i^r  baö  innere  Sieben  xo\6)^ 

tiger,  atö  i^re  93etl^eiligung  an  ben  Unternel^mungen  ber  äugem 

unb  ber  inncrn  SÄiffion.    S^rc  perfönlid^e  grömmigfeit  aber,  fo 

Qufgefd^loffen   biefelbe  für  ben  SSerfe^r  mit  5ßerfonen  üon  üer:^ 

fd^iebenem  pietiftifd^en  Gepräge  gemefcn  ift,  ^at  einen  ganj  ent^ 

fc^tebenen  Quq,  unb  trägt  nic^t^  weniger  an  fid^  aU  bie  Ober« 

fl&c^Iid^feit ,  ju  n^eld^er  ©tiQing  feine  Sefer  angeleitet  ^at.    Wlit 

i^m   unb  Sabatcr  Derglid^en  mad^t  fie  Dielmeljr  eine  tfidtläufige 

Semegung   ju   älteren  SSorbilbern  ^in  0-    @i^  finbet    alfo  i^re 

richtige  ©teUung  in  bem  ^ier  angefponnenen  3ufammen^ange  bed 

$tetigmud  in  ber  reformirten  j£ir^c. 

Slnna  kernet,  geboren  ju  ©t.  ©aßen  1773,  mit  bem 
Kaufmann  ©c^lat  ter  bcr^eirat^et  1795,  geftorben  1826,  ift  burd^ 
einen  überaus  ftarfen  %xkb  md)  religiöfer  3J2itt^eilung  au^ge^^ 
jcid^net.  3^rc  Suft  i^r  §erj  ju  eröffnen,  ging  aui^  i^rer  Sereit^ 
fc^aft  ^erbor,  fiberall  bie  ^riftltd^c  ^reunbfc^aft  anjufnfipfen,  in 
welcher  alle  ^inbcr  ©otted  ani  allen  Sir^en  ab  bie  ©lieber  ber 
UKi^ren  ftirc^e  auf  Srben  fid^  mit  einanbcr  uerbinben  foQten,  um 
immer  ft^tbarer  ju  tt)erben.  „^6)  meine  immer,  fc^rcibt  fie,  id^ 
mfiffe  bon  allen  d^riftlid^en  SJfcnfd^cn  ettoai^  toiffen,  n^eil  ic^  aQe 
fo  fe^r  liebe,  unb  eS  getroft  ^offe,  auc^  einmal  bon  aDen  geliebt 
JU  »erben."   ©ie  erjä^It  felbft,  ba§  fie  bon  frommen  Äeltem  er* 


1)  Sal  %nm  €<I^Iatter'8  Seben  unb  ^aä^lai  (tStiefe,  ®ebi<l^te,  Vufffite) 
^TQuSgegcben  ))on  g.  W.  S^^n-  3  Sfinbe.  Bremen  1865.  —  ^xautnhxitU, 
^ausgegeben  t>on  übolf  So^n.    fy^Ut  1662.  8.  1—144  umfaffen  Briefe  ber 


542 

jogen  tporben  fei,  nie  bie  $anb  jum  @picl,  unb  nie  ben  ^n^ 
jum  %anfi  erhoben,  aber  uont  jel^nten  fieben^ja^re  an  @ott  ge» 
fud^t  unb  jugleid^  gegen  ü)x  ftoljeS  unb  ^eftigeS  Temperament 
angetämpft  ijabc.  ^iefe  natürliche  ©runblage  i^re^  S^arafteriS 
wirb  burd^  ben  ©rief  einer  mütterlid^en  ^i^eunbin  erläutert,  toelc^ 
große  Öerbienfte  um  fic  l^atte,  bereu  ?lnregung  fic  1804  i^rc 
eigentlict)e  SBelel^rung  uerbanfte,  unb  welche  i£|r  1805  Dor^ielt, 
baß  fie  bie  Steigung  l^abe,  Siecht  ju  bel^alten,  baß  bie  ßciben^ 
fc^aftlid^feit,  toit  fie  aud^  Flamen  ööbe,  immer  in  ©efa^r  fei,  um 
ma^r  gu  fein,  unb  SBorte  unb  jßerfe,  @eberbe  unb  Sludbrud 
im  @uten  n)ie  im  93öfen  ju  übertreiben  pflege,  baß  Unnm^r^eit 
aud^  an  ber  Unbeftänbigfeit  ber  Qmpfinbungen  unb  Seußerungen 
l^afte,  enblii^,  baß  e^  barauf  anfomme,  ben  geifttid^en  SBoQüftcn 
abjufterben  unb  für  bie  göttlichen  ©enüffe  ber  Siebe  empfänglid^ 
JU  n^erben.  (£d  gereid^t  ber  @d^latter  jur  Sl^re,  baß  bieSlufric^tigfeit 
ber  grau  {Römer  fie  nid^t  jurücfftieß,  jumal  biefelbc,  noc^  ber 
Angabe  bed  93iograp^en,  auf  i^re  rcligiöfe  ©enußfud^t  unb  beren 
gormein  nicftt  einging.  SUcin  bicfc  6t)arafteriftif  bereitet  barauf 
oor,  baß  bie  grömmigfeit  ber  ©c^latter  uon  manchen  @elbfttäu* 
fd^ungen  begleitet  gemefen  ift. 

Unter  ben  Urtunben  i^ree^  inneren  Sebenö  finb  uon  bcfon* 
berem  SBcrtl)e  bie  ©riefe,  bie  fie  an  Anna  (Slette)  Saöatcr  gc* 
fc^rieben  ^at,  meiere  jttjci  So^re  älter  (geboren  1771)  ftc^  1795 
mit  @eorg  ®effner  ber^cirat^et  ^at.  S)ie  ©riefe,  welche  1792 
beginnen,  erftrecfen  fic^  über  34  3aöre,  unb  fc^ließen  mit  einigen 
ßeilen  ab,  welche  bie  ©c^latter  brei  läge  üor  i^rem  Zobc  gc* 
fd^rieben  £|at.  Siner  ber  f rupften  unter  biefen  ©riefen  äcigt  nun 
bie  ©d^latter  nebft  i^rer  greunbin  befangen  in  ben  JBorfteQungen 
Saüater'i^  Don  bem  gtoingenben  Sinfluß  bed  &tbzteS>  auf  @ott. 
^ie  beiben  äJtäbd^en  nämlid^  Ratten  fi(^  1792  in  ben  ßopf  ge» 
fefet,  baß  (Seffner  jum  3)ia!onu^  an  ber  5ßeteri§firc^e  in  Sö^^r 
alfo  jum  SoQegen  fiat)ater'd  gen^ä^lt  toerben  foQe,  unb  l^atten 
barauf  i^re  @ebete  gerichtet.  SIU  nun  bie  SSSal^l  auf  einen  S(n? 
bem  gefallen  mar,  flogt  9lnna  ©emet:  „id^  liatte  aud^  fo  an^ 
bäc^tig  unb  bringenb  tote  möglich  gebetet  bid  @onntag  Slbenbd, 
ba  \6)  glaubte,  e^  fei  nun  entfc^ieben ;  ad^  unb  au^  meine  ©d^ioe* 
ftcrn  beteten,  unb  unfcr  aller  ®cbet  ift  nun  nid^t  erhört !  @ott, 
lebft  S)u  nid^t  mel^r?  Unb  unfcr  ^err  fagte  bo^,  too  jtoci  ober 
brei  ein§  werben,  eö  fei  warum  fie  bitten  tooHen,   eö  foQ  i^nen 


643 

toiberfo^ren  .  .  .    SBtr  tPoQen  &t)Tiftu^  bie  Q^rc   ant^un,   il^m 

benno(^  iu  glauben,    tpu   n)ir  nic^td  t)on  i^m  fe^en  .  .  .    ^ie 

SBcIt  unb  ber  ©atatt  foU  bie  ^reube  nic^t  ^aben,  bag  tutr  @utt 

üerlaffen,  anä)  tuenn  er  un^  ju  uerlaffen  fdjcint."    S)aö  ift  nun 

toicbcr  eine  5ßrobe  babon,   toie  ba^  Saöater'fc^c  Slrgumcnt  ber 

®cbct«erf|örun9  für  bie  SBa^r^cit  be^  ©Triften t^umö  jur  Unter«: 

grabung  beS  Glaubend  fül^rt.    äBie  es;  fd^eint,   ift  bie[e  Srfot)^ 

rung  fc^Iieglic^  tP0^1tl)ätig  getpefen;   bie  ©d^latter  fommt  nic^t 

iDieber  auf  folc^e  äSerfu^ung  ®otte^  jurüd.  UeberbieS  äugert  fie 

1813,  Scfu^  ßl^riftuö  fc^eine  in  unferen  lagen  in  Äranf^eiten 

unb  förperlic^en  Uebeln  nid^t  mel)r  fo  ju  l^elfen,  toie  in  bcn  Za^ 

gm   feinet  ffirbenlebeni^.    ©eine  Slbfic^t   babei  fei  oönc  g^^eifel 

bie,  bag  bie  Äinber  @otte^  lernen  foUen,  ba^  S^i^l^*^^  ^^cr  bem 

©ciftigen  unb  Sn^igen  ju  üergeffen.    S)ad  ift  gerabe  im  SSSiber- 

fprud^  mit  fiaDater,  aber  gen)ig  richtig  geurt^eilt. 

Seboc^  ben  SSerle^r  mit  bem  |)cnn  3efug,  bie  Slat^öerl^O:: 
lung  bei  \\)m  meinte  fie  ftetS  fo  reell  unb  correfponbenjlid^,  n)ie 
cd  £at)ater  üorgefc^rieben  ^at.  ^U  i^r  äRann  fie  jur  S^e  be^ 
geirrt  ^atte  unb  fie  nod^  jögerte  einiumtOigen ,  fc^rieb  fie:  „(£S 
toärc  mir  bod^  üiel  leidster  um'ö  §erj,  wenn  Sefu^  ©l^riftuö,  atö 
er  auf  ISrben  lebte,  auc^  in  einem  folc^en  ^^all  (nämlid^  bed 
^eirat^end)  gen^efen  märe.  @o  tommt  e^  mir  immer  in  @inn, 
bod  n)eig  er  nun  nic^t  aud  eigener  (Erfahrung,  n)ie  e^  mir  in 
meiner  Sage  ju  3)2ut^e  ift.  ^reilid^  fal^  er  aud^  bei  feiner 
äRutter;  toa^  e^elic^e^  Seben  ift,  fat)  an  einer  ^oc^jeit,  n^ie  ed 
fiiebenben  ju  9)tut^e  ift,  benn  er  fa^  \a  allen  in'd  ^erj  unb 
fte^t  ed  au^  je^t  noc^.  ^ber  er  felbft  tonnte  bies^  nic^t  erfahren; 
id)  fann  mir  ben  tröftlic^en  Gebauten  ni^t  beuten,  er  n^ar  auc^ 
einmal  in  einer  äl)nlid^en  Sage,  n)o^l  aber  ben,  er  fann  fi^  bef« 
fcn  ungead^tet  ganj  ^ineinfü^lcn."  S)iefe  ©frupel  beö  jungen 
äRöbd^en^  bienen  mel)r  aU  irgenb  Stma^  jum  SSerftänbnig  ber 
äRet^obe  bcS  Umganges  mit  bem  |)errn  3efud,  n^elc^e  bem  ge« 
fammten  $ieti^mud  unb  ben  äJ^önd^en  unb  9ionnen  in  ber  fat^o^ 
lifdien  Äirc^e  gemeinfam  ift.  3)Ht  treffenbem  Urt^eil  befc^räntt 
bie  ©c^latter  bad  @ebiet  ber  9{att)dert)oIung  bei  bem  |)erien^ 
freunbe  auf  bie  göHc,  in  benen  ber  fic^  erniebrigenbe  @ott  eigene 
(Erfahrung  ^at.  S)enn  ^ienad^  rid^tet  fid^  auc^  bie  urfprünglid^e 
mittelaltrige  SSorftellung  t)on  ber  9lac^a^mung  IS^rifti.  ^enn 
alfo   ber  ^err  Sefu^  leine  (Erfahrung  im  ^eirat^en   ^at,  unb 


544 

barü6er  aud^  feinen  Mail)  unb  baju  fein  Sorbilb  geben  tonn, 
fo  tft  bie  Folgerung  not]^n)enbig,  bag  man  be^l^alb  e^elod  bleiben 
mng  tpie  er.  Snbent  bie  ©c^Iatter  biefen  ©c^Iug  nid^t  jie^t, 
fteUt  fie  ft^  frei(td§  auf  bie  proteftantifd^e  ^Bered^ttgung  ber  S^ 
3ebod^  btefer  @ebanfe  f)at  burd^au^  fein  SJerl^ältnig  2^  bem  re^ 
ligiöfen  @tanbpunft,  melden  fie  einnimmt.  jDe^^alb  fc^iebt  fie 
einen  neuen  Sßittelgcbanfen  anftatt  beffen  ein,  ha%  bie  eigene 
@rfa(|rung  3efu  i^n  jum  SRat^geber  geeignet  mad^t,  nämli^  feine 
t^coretifd^e  Ällmiffen^eit.  Äuö  biefer  ^erau^  wirb  er  toiffen,  toie 
Siebenben  ju  3Rut^e  ift,  unb  toirb  fie  ju  leiten  üerftel^cn.  $ic* 
burd^  aber  wirb  bie  t)orau^gefe|te  ßonjunctur  jerftört  Unter  bie» 
fem  Slttribut  fann  3efu^  nic^t  mefir  aU  ber  ^erjen^freunb  mit 
feinen  inbimbueßen  (Erfahrungen  öorgeftellt  tnerben,  fonbcrn  er 
n)irb  ald  ber  Inbegriff  ber  ISrfenntnig  aQe^  ®uten,  alfo  au(| 
beS  rid^tigen  S3etragend  Don  93rautleuten  ber  mit  i^m  Umgang 
fud^enben  @eele  fern  geftedt.  ISd  mar  a(fo  eine  ©elbfttäufc^ung, 
bag  bie  @d^Iatter  meinte,  bie  gefunbenc  SluiSfunft  bleibe  in  bem 
9tat)men  i^rer  @runbt)orfteOung.  Slber  fie  betnä^rt  bie  UnDer« 
einbarfeit  ber  S^e  mit  ber  bon  i^r  behaupteten  Stellung  ju 
3efu^  au^  nod^  breißig  Satire  nad^^er,  aU  fie  i^re  Softer  bc? 
(efirte:  „SSienn  fd^on  (S^^riftud  einem  d^riftlic^en  SSeib  aud^  in 
ber  glficfli^ften  @^c  ber  ^öd^fte  @)egenftanb  ber  Siebe  ift  unb 
fein  foQ,  ber  i^r  $erj  aQein  au^ufüden  Dermag,  fo  ^at  er  felbft 
ben  iUlann  bem  SSieibe  gegeben,  bag  biefer  fein  @teOt)ertreter  fein 
foO''  0-  9iun  ift  e^riftu«  ber  ^ö^fte  '©egenftanb  ber  Siebe,  »eil 
er  ber  JBerfö^ner  ift;  ate  fold^er  aber  ^at  er  feinen  ©teQDertreter. 
$ann  ber  Seemann  afö  ©teQüertreter  S^rifti  gebucht  tnerben,  fo 
ift  bamit  jugeftanben,  bag  S^riftud  @egenftanb  br&utlic^er  Siebe, 
unb  btefe  bie  pd^fte  unb  audf^Iiegenbe  9[rt  ber  Siebe  ift. 
SSSirb  S^riftud  fo  geliebt,  fo  ergiebt  fi^,  bag  er  aQein  ha^  ^eij 
auffüllen  fann.  ^ann  aber  ift  mieberum  ein  ©teUüertreter  un^ 
benfbar.  SSiirb  ein  (Sl^emann  atö  @teQt)ertreter  S^riftt  angenom« 
men,  fo  ift  bie  &f)t  eine  Untreue  gegen  S^riftud  unb  jugleic^ 
eine  läufc^ung  bcö  SÄanneg,  melier  crmartet,  in  feiner  Art 
aQein  geliebt  ju  merben.  Slfo  folgt  aus  bem  9[nfa^,  bajs  eine 
^rau  (S^^rtftuS  mit  bräutlid^er  Siebe  au^fc^lieglid^  liebt,  nur  boe 
mit  9lot]^menbigfett,  bag  fie  be^megen  el^elod  bleibt  unb  ber 


1)  grouenbriefe  @.  81. 


545 

@td^er]^it  falber  in^  Slofter  gcl^t.  Set  ©aDimatt^taS,  tveld^en 
bte  ©d^Iütter  ftd^  ju  @ci^u(ben  fommen  (ägt,  entftd^t  alfo  baraud, 
bag  fic  bie  fatl^olif^e  jDet^otion  gegen  ben  einzig  geliebten  ^räu^ 
ttgam  S^riftud  mit  bem  proteftantif^en  Siedet  auf  bie  lEl^e  ju^ 
fantmenf äffen  wiQ;  pe  crfennt  nid^t,  baft  jene  SDietl^obe  mit  aßen 
meItU(|en  SebenSt^er^ältniffen  coOibirt. 

^ie  ©(glatter  f)at  ed  auä)  fd^merjli^  genug  empfunben, 
bag  i^re  SSerufdpflid^ten  aU  äßutter  unb  ^au^frau  ebenfo  üiele 
^inberniffe  bilbeten,  um  i^re  ©ebanfen  auf  SefuiS  ju  rid^ten. 
©ie  fanb  erft  bann  eine  reichere  Sefriebigung  i^reö  3)afeinS,  ate 
i^re  3^tcr  fo  toeit  ertoac^fen  tuaren,  um  i^r  allerlei  ©efd^äftc 
abjunel^men,  unb  fie  fi(|  jurüd^iel^en  fonnte,  um  in  ber  ©i^rei« 
bung  i^rer  Söriefe  ftd^  bai8  Sntereffc  i^re^  Sebeng  ju  bergegen^ 
loärtigen.  S)ie  ©tumpf^eit  ber  religiöfen  Smpfinbung  ^at  fie 
teic^Ud^  erfal^ren,  menn  bie  @ebanfen  an  ^aud^alt  unb  ^^Icqt 
ber  ßinber  fie  au(|  in  il^re  ©ebetMbungen  Verfolgten.  S)aräber 
tl^ut  fie  folgenbe  mertottrbige  äeugerung:  „SBie  oft  mac^e  id^ 
bie  (Srfal^rung,  tt)ie  fe^r  »ir  unter  arbeit  unb  ©orge  geiftig 
ftumpf  toerben.  äBenn  id^  aber  meine  fat^olifd^en  i^reunbe  S3a^r 
unb  @ogner,  bie  aU  fatl^olifd^e  @eiftlid^e  t^öllige  9iu]^e 
i)on  irbifd^en  ©orgen  l^aben  !onnten,  auc^  über  ©tumpf* 
^ett  unb  geiftigc  Dürre  f lagen  l^örte,  fo  ttjar  e^  mir  !lar,  bog 
eine  innere,  nid^t  eine  äußere  Urfad^e  ju  ©runbc  liegen  muffe, 
eben,  koie  bu  bemerfft,  eine  Untreue  im  ©uc^en.  3^,  n)enn  ic^ 
feine  Suft  jum  ®ebete  unb  33ibellefen  f)aU,  toffe  mic^  um  fo 
leidster  abl^alten,  ftatt  bag  id^  ba^  ©egent^eil  t^un  foQte." 
SÄerfwürbig  ift  an  biefer  Äeugerung  einmal  baö  inbirecte  Qnc^c^ 
ftänbnig  an  ben  ^eiligen  Seml^arb,  baß  bie  erftrcbte  Deootion 
eigentlid^  nur  mit  ber  flöfterli^en  fiebendn)eifc  jufammengeprt ; 
aber  nid^t  minber  merfmfirbig  fud^t  bie  ©c^latter  bie  Untreue, 
»eld^e  bem  ©etuinn  ber  ©eligfeit  entgegenfte^t,  barin,  baß  fic 
ft(^  nid^t  iu  ben  Snba^tdubungen  ^toingt,  roä^renb  bie  Untreue 
an  einem  anbern  Umftanbe  l^aftet.  ©ie  benft  nid^t  an  bad  ein^ 
fac^e,  für  bad  Seben  in  ber  SBelt  maßgebenbe  SBort  be«  ^errn: 
äßer  im  kleinen  nic^t  treu  ift,  mie  foD  bem  ba^  @roße  anüer^ 
traut  merben?  ^ai  S9erufdleben  einer  SKutter  unb  ^audfrau 
lotrb  nid^t  mit  ber  fd^ulbigen  Xreue  geübt,  menn  eS  t)on  t)om 
herein  aü  ^inbemiß  beS  ©eligfeiti^genuffe^  in  ber  birecten  9[n^ 
bad^t  beurtl^eilt  toirb.  $lber  bie  Zreue  im  kleinen,  toenn  fie  t)on 

L  86 


546 

ber  aOgemetnen  ©timmung  bc^  SJertrauend  auf  @ott  getragen 
unb  nid^t  gum  Slnlag  üertrauendlofer  @orgc  gemad^t  iPtrb,  ift 
eine,  biet  fic^erere  $ro6e  unferer  SSerfö^nung  mit  ®ott,  aü  bad 
@tre6en  nad^  bem  @rogen,  ber  Sereinigung  mit  @ott,  um  be^» 
ren  miQen  man  bem  fleinen  Sienft  bed  Sebend  ungebulbig  ju 
entgegen  ftrebt.  S)iefe  Ireuc  im  steinen  unb  ben  ©egen  ber  an 
fie  gefnüpften  93er^eigun(\  l^at  bie  fromme  ^^rau  nic^t  gefannt. 
®er  Siogrop^i)  |agt  nod§  golgenbeg:  „®ie  Dielen  ©efc^fte 
im  ^aufe  fa^  fie  als  Slufgaben  an,  bie  i^r  ®ott  auferlegt  ^abe, 
um  in  i^nen  ju  lernen,  i^ren  SEBiQen  aufzugeben  unb  ben  feinen 
iu  t^un.  .  .  .  Sd  n)urbe  i^rem  geiftigen  Sßefen  in  ber  Z^at  oft 
fe^r  fd^mcr,  biefe  Arbeiten  ju  übernehmen,  aber  fie  ^ielt  e8  pdö 
oor,  bog  ba^  3^^^  i^^^^  innern  ücbtn^,  feinen  eigenen  SEBiOen  ju 
^aben,  loie  ed  i^r  immer  mel^r  oor  klugen  gerüdt  mürbe,  gerabe 
in  fotd^en  @efd^äften  i^r  nal^e  gelegt  merben  fönne.  &  mar 
i^r  ernfte«  anliegen,  in  i^rem  näd&ften  Serufe  ®ott  ju  bienen, 
fie  fragte  gern  i^re  ^reunbe  um  9iat^,  mie  man  in  ber  Unru^ 
fold^en  ^erufSlebeniS  in  ber  Snuigfeit  bleiben  fönne."  Diefed 
ßeugnig  meift  barauf  ^in,  bag  bie  ©d^latter  ben  @runbfa^  Xer* 
fteegcniS  fic^  jiu  eigen  5U  machen  fud^te;  aber  biefer  ift  eben  auc^ 
nid^t  im  Sinflang  mit  ber  S3er))f{id^tung  ber  Xreue  im  fileinen. 
Sebe  Sirene  im  ^anbeln  ift  S9eftätigung  beS  eigenen  SBiOem^  in 
feiner  Uebereinftimmung  mit  bem  allgemeinen  @efe^.  äßer  iebod^ 
im  @tanbe  ift,  ben  eigenen  SEBiQen  im  Sergleid^  mit  ®ott  ein 
Uebel  5U  nennen,  fann  eben  nid^t  ben  fleinen  jDienft  bed  Sebend 
im  Berufe  ald  ben  birecten  ^ienft  gegen  ®ott  mfirbigen  unb  bie 
i^m  gefteUte  SSer^eigung  erleben.  'Die  ©d^latter  mar  eben  mie* 
ber  in  einer  fd^meren  ©elbfttäufd^ung  begriffen,  inbem  fte  i^re 
^erufiSerfüUung  atö  Sienft  gegen  @ott  unb  juglei^  fo  auffaßte, 
bog  er  nid^t  jur  93efeftigung  unb  3bealiftruug,  fonbem  jurSec^ 
nic^tung  i^red  eigenen  SßiQend  beftimmt  fei. 

ffi^arafteriftifc^  für  biefe  grau  mie  für  i^re  Äuffaffung  beö 
(S^riftent^umd  ift  auc^  bie  9lrt,  mie  fie  i^ren  3)tann  beurt^eilte. 
%l^  berfelbe  fid^  um  fie  bemarb,  befannte  er,  bog  er  an  @ott, 
(S^riftuiS  unb  bie  ^ibel  glaube,  aber  nic^t  im  ©taube  fei,  in  bie 
leibenfd^aftlid^e  religiöfe  ©timmung,  meU^e  9[nna  ^egte ,  ein^U' 
ge^en.    ©ie  em))fanb  aud^  baS  )8ebenfen,  bag  er  fo  falt  gegen 

1)  «.  0.  O.  »onb  L  6.  XXXYI. 


547 

(Sl^Ttftud  unb  fein  Stetd^  in  feinen  9(eugemngen  toat  unb  fein 
fiJ^Cid^ter  SSorfe^ung^Iaube  galt  iijx  afö  einfad)er  Unglaube.  SlacJ^ 
menfd^Iid^em  9J2agftabc  tioor  biefe  Ungleichheit  genilgenb,  um  bie 
Sen)er6ung  abjulel^nen.  ${IIein  Snna  ^atte  fd^on  bomafö  ben 
®runbfa|  aufgenommen,  bag  man  nid^t  na^  eigener  ginfi^t  unb 
Ueberlegung  feinen  SBiUen  ju  praftif^en  3^cden  ju  beftimmen, 
fonbem  fic^  ber  göttli^en  Seitung  in  öofler  SBiDenloftgfeit  ju 
untertoerfen  l^abe.  „SBie  emft,  toit  toiflenlo^,  tt)ie  bringenb  bat 
id^  um  bie  göttlid^e  Seitung,  unb  legte  mid§  ®ott  l^in,  mid^ 
franf,  blinb,  ftumm  ober  elenb  jn  machen,  n^enn  biefe  ^eiratl^ 
mid^  tjon  il^m  unb  feinem  Steige  entfernen  foHte,  ober  toenn  fie 
fein  SBiUe  fein  foBte,  mein  §erj  baju  ju  neigen"  *).  SBie  aber 
foBte  unter  biefer  SSorau8feftung  ber  SBiße  ©otteg  ermittelt  tt)er* 
bcn,  tt)enn  ni^t  burd^  fpecielle  Offenbarung?  ©ie  tt)äl)Ite,  um 
biefelbe  ju  erhalten,  baS  äRittel  beS  ^äumelni^,  toel^e^  ©tiUing 
unbcbingt  ate  äBigbrauc^  ber  ^eiligen  ©d^rift  bejei^net  ^at 
(©.  529).  SRa^bem  fie  im  ®ebet  i^rcn  SBiflen  ttjieberum  gänj* 
lid^  bem  guten  SBiUen  ®otteö  geopfert  l^atte,  fd^lug  fie  bie  Sibel 
auf ,  um  ein  Dralel  ju  empfangen ;  i^r  Äuge  fiel  auf  8löm.  1 0 
U.  15,  unb  fie  erfannte  baraug,  baß  fie  beftimmt  fei,  il^rem  S5e* 
merber  baS  feligmad^enbe  (Soangelium  ju  prebigen,  melc^eS  er 
nid^t  fannte,  mit  anbem  SBorten,  i^n  t)on  feinem  eöangelifd^en 
®lauben,  in  n)eld^em  is,  qui  seit,  se  per  Ghristnm  habere  pro- 
pitiam  patrem,  seit  se  ei  eurae  esse'),  jur  fatl^olifd^en  'Det^o^ 
tion  JU  bringen,  ©ie  fal^  fid^  bettjogen,  gur  8lettung  i^re^  Sieb* 
l^aberd  il^m  bad  Satoort  gu  geben.  S3ar  ei^  nun  aber  n^irflic^ 
bem  SBiUen  @otted  gemäg,  toa^  fie  fid§  l^iemit  t)omal^m?  ^er 
(grfolg  ]^at,  toie  ber  Siograp^  erlennen  lägt,  baö  Drafel  nid^t 
beftätigt.  S)ie  ©d^latter  ließ  fid^  aber  au^  nid^t  öon  il^rer  öor^ 
gefaßten  iDteinung  abbringen,  ^ie  ©anftmut^,  Siebe,  ^emutt) 
i^red  äJtanncS,  n^eld^e  il^r  gelegentltd^  bai^  SSefenntniß  abnöt^ig« 
ten,  er  fei  beffer  mie  fie,  erfannte  fie  niemals  afö  bog  Äcnnjeid^en 
c^riftlic^er  ©efinnung  unb  ate  ble5ßrobe  be^  ©taube«  ber  SSerfö^nung 
i^rcd  3Ranneg  an.    ©ie   blieb  babei,  baß  biefe  3;ugenben  nur 


1)  Sticf  an  ben  (Si^teluiner  t)on  (^ampogne  t)om  6.  SXfir)  1819,  in 
SBangemann,  9d{Ui4eS  Stegen  tiKb  dlingen  am  Oftfee^anbe.  Berlin  1861. 
6.  132. 

2)  Ck>nf.  Augastana  art.  XX.  §  24. 


548 

9lQtur,  nur  glücl(i(|ed  ^Temperament,  unb  beg^alb  ^tnbemiffe  feinet 
(Glaubend  feien;  benn  er  erfannte  [id)  j|a  nic^t  atö ©ünberl  „(St  toax 
beffer  ald  ic^  im  S^^un,  aber  in  ber  @cftnnunQ  loar  er  beinahe 
ganj  ungläubig.''  Unb  babei  fe^te  ber  äJtann  ber  religiöfen  Srt 
feiner  $rau  n^eber  birect  noc^  inbirect  ©d^ronfen!  @ie  ^atte  ft^ 
Vorgenommen,  nad^  ber  Slnn^eifung  bed  $etrud  mit  i^rem  SBon^ 
bei  o^ne  Sßorte  ju  (eieren;  bog  biefe  Siegel  auc^  i^rem  Spanne 
ju  @ute  fam,  moQte  fie  nid^t  einfel^en.  Srft  wenige  3a^re  Dor 
i^rem  Xobe  fteUt  fie  i^rem  Planne  bad  d^^S^iB  ^^#  ^^  glaube, 
bag  er  nur  burd^  S^riftum  iBergebung  unb  etoigeS  Sebcn  er^at 
ten  fönne.  iRun,  bo^  mirb  er  immer  geglaubt  ^aben.  2)er  93io< 
grap^  aber  fügt  l^inju,  feine  8lrt  fei  nic^t  getoefen,  Diel  Don  fei* 
nem  innem  Seben  liü  reben,  unb  er  fei  aud^  mo^l  nic^t  burc^ 
gleid^c  3;iefen  ber  ©ünbenerfcnntniS  geführt  morben,  tote  feine 
^xan.  'Dann  toar  e^  ja  mol^l  ber  SSiOe  @otte^,  bag  er  fein 
(S^riftent^um  in  anberer  SS^ife  ben^äl^rte,  mie  bie  ^au;  unb  ed 
n)ar  nid^t  @otte^  S93ille,  bag  fie  in  if)m  biefelben  @aben  enoeden 
follte,  in  bereu  SluSübung  fie  bad  audfd^lieglid^e  äKerfmal  bed 
e^riftent^um^  erblidte! 

Ungead^tet  biefer  Ungtei^^eit  ber  beiben^  Seeleute  ift  i^re 
SBerbinbung  nid^t  unglücflic^  gen)efen.  S)ie  ^Jh^au  ^at  ed  jkuar 
immer  aU  Sd^mälerung  it)re^  Slec^ted  empfunben,  bag  fte  bie 
3ntereffen  il^reö  SKanne^  nic^t  be^errfc^en  fonnte,  fonbern  j.  JB. 
an  feiner  toelt ticken  Sectüre  Xtjeil  nehmen  mugte;  fie  ^ielt  fic^ 
bafür  burd^  ben  SBerle^r  unb  bie  Sorrefponbenj  mit  ben  i^r 
gleid^  gefinnten  greunben  fd^abloö,  einen  aSer!e^r,  bem  ber 
3J2ann  fein  ^inbernig  in  ben  SSieg  legte.  @ie  ^at  nun  bej^eugt, 
bag  baS  ©treben  nai^  ununterbrod^ener  ^Bereinigung  mit  @ott 
unb  bie  Ueberjeugung ,  bag  nur  i^re  @ünbe  fti^  berfelben  ent* 
gegenfteHe,  fie  in  einen  Äampf  um  bie  Heiligung  hineingeführt 
^at,  ttjeld^er  aDerbingS  jiellog  fein  mugte,  toeil  fie  in  il^ren  tag* 
lidjen  Seruf^pflid^ten  nic^t  bie  äKittel  für  ben  Snoerb  be^  guten 
E^arafter^,  fonbern  nur  Änläffe  jur  ^ctftreut^eit  erfannte.  ®ie 
l^at  in  ben  erften  je^n  Salären  il^rer  S^e  aud^  unter  bem  6in* 
ftuffe  ber  ©efi^t^punfte  geftonben,  tt)eld^e  in  ber  ©d^ule  Don 
Eollenbufd^  gangbar  toaren,  bag  bie  Heiligung  in  beftimmten  er* 
tennbüren  Stufen  erreid^t  toerbe,  unb  l^at  fogor  burd^  bie  Auf» 
gäbe  ber  SBoQenbung  actiber  ^eiligfeit  im  trbifd^en  Seben  fid^ 
bleuben  laffen.     ^er   Erfolg  mar   jebod^   bie  ©teigerung  bei» 


549 

©flnbcnbctDU^tfeini^  unb  bic  (Sntfcrnung  bcr  crfttcbtcn  Scrcinu 
gung  mit  ©Ott.  5)a  lom  cg  ju  einer  Ärifi«,  ote  fic  1804  i^re 
neunte  ©ntbinbung  unb  mit  bcrfclbcn  iljren  getoiffen  Sob  cr^ 
'ttjartete.  ,5)ie  oben  genannte  ^Jreunbin,  ^xan  {Römer,  toeld^er  fte 
il^re  ©timmung  entbedte,  riet^  i^r  im  ®t)Qngelium  ju  lefen,  al^ 
ob  S^riftud  nur  ju  i^r  fpräi^e.  tiefer  fRat\)  n^ar  t>6n  (Srfolg. 
„^d^t  ton^tt  id^,  bag  3efuS  (S^riftud  anä)  mein  $err  unb 
$ei(anb  fei,  unb  n^arb  aus  einer  $öQe  t)oII  ^ngft  in  einen 
§immet  DoH  ^Jrcube  öerfe^t.  5Run  brandete  ic^  feinet  SJienf^en 
3cugni§  me^r;  toenn  alle  Sibeln  Verbrennten,  fo  n)ü§te  id^  bod^ 
aus  eigener  Srfa^rung,  bag  3efuS  lebt  unb  für  mid^  lebt,  mid^ 
Hebt  ^ä)  toaxh  unauSfpre^lid^  feiig,  bie  ganje  SBelt  befam 
eine  anbere  ©eftalt  für  mic^,  allcS  kämpfen  l^atte  ein  (£nbe;  bie 
Siebe  erfüllte  mein  SBef en  unb  mad^te  mir  alleS  I^un  jur  Suft. " 
3n  biefer  Stimmung  bejcugt  fie  aud^  im  Sa^re  1809:  „3d^ 
^nbe  ben  einzigen  @runb  aller  93eru]^igung ,  alles  innern  ^rie» 
benS  einzig  in  ber  SSercinigung  mit  unferem  §errn.  SBenn  i^ 
eS  lerne,  mid^  unb  alles,  n^aS  um  unb  an  mir  ift,  in  i^m  anju« 
fe^en,  alles  als  fein  SBcrf ,  feine  @abe,  aUeS  als  äRittel,  ii^m 
nd^er  ju  fommen,  fo  ge^e  id^  Slllem  rul^ig  entgegen,  fo  tDc\%  id^, 
bag  ber  gefürd^tete  ©d^merj  gerabe  notfin^enbig  ju  meiner  SuS« 
btlbung  in  feinem  JReid^e  ift,  fonft  toürbe  er  mir  i^n  nid^t  fenben." 
2)aS  n)ar  alfo  bie  in)eite  @tufe  ber  religiöfen  Haltung  ber 
©(glatter.  3m  SSergleid^  mit  bem  ©treben  nad^  Pieren  ©tufen 
ber  Heiligung  ift  ber  eben  gefd^ilberte  ©tanbpunft  mo^Itptig. 
9Lbct  eS  ift  mertoürbig,  n)elc^  Unfic^er^eit  ber  9iid^tung  mit  ber 
leibenfd^aftlid^en  ©nergie  biefer  ^Jrau  öerbunben,  unb  wie  i^rc 
ben  ^[nberen  jugefe^rte  ©elbftänbigfeit  t)on  einer  auffallenben 
öcftimmbarfeit  burd^  bie  SKeinungen  i^rer  greunbe  begleitet  ift. 
Sie  ift  eben  mit  allen  männlichen  3^9^"  i^^^S  (S^arafterS  bie 
grau,  unb  i^r  Xrieb,  ft^  ju  beobad^ten  unb  über  fid^  ju  grübeln, 
bringt  i^r  feinen  ©egen.  Ueber  i^ren  3"ft^"^  ^*^^  1804  bis 
1809  fpric^t  fte  rüclbliclcnb  in  jwei  faft  gleichseitigen  Söriefen, 
bie  bem  Sa^re  1818  angehören  ^),  fic^  fo  auS:  „^^eilid^  ift  baS 
Sertrauen  auf  unfere  {Reue  ober  auf  unfer  ©laubenSgebet  ober 
auf  unfere  Screinigung  mit  @ott  immer  noc^  ein  felbftgered^teS 
Vertrauen,   meld^eS  feine  ©eligEeit  nid^t  bloS  unb  allein  bem 


1)  ^Q^ai  I.  e.  49.  II.  e.  466. 


550 

SSerbtenft  S^rifti  iufd^reibt  unb  berbanft.  3^  ^citte  3^^^^^  ^^^ 
Sollte,  tDO  id^  mtd^  metner  Bereinigung  mit  (S^rifio  fo  innig 
freute,  bag  i^  faft  glaubte,  fein  %oh  unb  feine  ©ünbe  fdnne 
mid^  je  öon  il^m  trennen;  unb  jefet  ift  mir  bicfc  greubc  genom^ 
men,  unb  mir  fommt  c^  t)or,  ald  fönne  er  and^  je^t  nod^  mit 
ben  ©einen  mad^en,  toai  er  n)ill.''  ;/ (Einige  3a^re  lang  ftü|tc 
id^  mid^  auf  bod  ©efd^enf  ber  Siebe  (S^rifti  unb  meine  mit  i^m 
gefd^loffene  SSereinigung ,  n^orau^  aQmä^üd^  tt)ieber  eine  anbere 
8lrt  ©elbftgered^tigfeit  entftanb,  n^orüber  mir  enblid^  @otte<S  nie 
ermübenbe  Streue  burd^  unfern  lieben  93ood  bie  Sugen  öffnete 
unb  mid^  lehrte,  n)ie  id^  mic^  auf  gar  nichts,  auc^  nid^t  auf 
meinen  gefd^cnften  ©tauben  unb  meine  erbettelte  Siebe  ftüften 
fönne  jum  ©elign)erben,  n)ei(  beibe  fo  gebred^üd^  unb  elenb  feien, 
fonbem  allein  auf  ba^  0))fer  (Sl^rifti  am  ^euj  ...  @o  nadt 
unb  fo  blog  n)ie  id^  mid^  je^t  ffil^le,  n^erbe  td^  armed  ftüd^Iein 
Eingetrieben  unter  bic  ^lügel  3efu,  n)0  aQein  id^  bor  bem  ^inht 
pd^er  bin." 

^iefe  neue  äßet^obe  ift  bie  bed  Duieti^muS.  3)urd^  @ogner 
unb  einen  anbem  fatl^olifd^en  ©eiftlic^en  Xa'ocv  93a^r  ift  fte  1809 
mit  S^erfteegen  befannt  gemad^t  n)orben,  unb  l^at  fid^  biefer  9(uo 
torität  untertDorfen,  rodl  fie  ben  Berjic^t  auf  baiS  ©elbftgefül^l 
in  ber  ©eligfeit  auferlegt,  ^enn  hierin  fd^ien  i^r  eine  ^ö^ere  unb 
gottgemägere  Seiftung  be^^alb  ju  liegen,  n^eil  ba&  ©elbftgeffi^l 
nad^  ©elbftgered^tigfeit  au^fa^.  „9lun  t)erlernte  ic^  aümfil^licE 
bag  Ääm<)fen  unb  ©etbftoirfen  unb  lernte  ba^  Ucberlaffen.  ©o 
lebte  id^  meiftend  feiig,  mien^o^l  unter  8lbh)ed^felungcn,  toie  ein 
^inb  im  ©d^ooge  3efu,  lieg  mic^  reinigen  t)on  i^m,  unb  t)on 
i^m  mir  äUcö  auS  ®nabe  fd^enfen."  SluS  biefer  Stimmung  ^cr^ 
au^  fd^reibt  fie  1814  an  i^re  ^reunbin:  „^ä)  fage  aQed  meinem 
lieben  (S^riftu^:  ©iel^  fo  unb  fo  fte^t  c^  in  meinem  $erjen,  fo 
unb  fo  lieb  l^abe  id^  biefen  äßenfd^en,  jenen  äßenfd^en.  ©oDte 
nun  biefe  Siebe  ber  Siebe  ju  bir  ^inberlid^  fein,  fo  reigc  fie  ^er* 
aug  aug  bem  §erjen,  ober  bringe  fie  in  bic  redeten  ©d^ranfen; 
für}  bir  fibergebe  id^  mein  $er},  bag  bu  treuer  ^irte  eiS  benml^ 
reft  unb  reinigeft.  Unb,  glaube  mir,  id^  ^abe  fd^on  augenblict^ 
lid^e  groben  ber  SBirfung  biefe«  @ebet«  erlebt."  ©ie  ^atte  ge* 
rabe  bamal«  bie  greube  gehabt,  mit  einem  norbamerifanifd^en 
Duäfer  ©reUet  i^re  Uebereinftimmung  ju  tiptohm.  „äRir  toor 
%Ut^,  n)ad  ©reOet  t)on  bem  (Sindfein  mit  (S^riftud,  bon  bem 


551 

SoSmad^en  bott  aOetn  flevi%^m  ^ptaS),  nur  bie  ©^ad^e,  bie  td^ 
feit  brci  Sorten  in  3;crftccflcn'g  ©d^riftcn  fanb  unb  innig  gcnog, 
ja  c8  toar  mir  oft,  oU  Prtc  id^  i^rc  SBortc.  Äud^  bie  ®u^on, 
oud^  ©ailer  fl)rid^t  baffelbc/  Siemgemäg  befennt  fie  pd^  ju  bem 
Orunbfoft:  ®ott  «tte«,  bcr2Renfd^  Slid^t«,  rcfignirt  fid^  barouf, 
bie  Siebe  Sl^rifti  ju  glauben,  aud^  n)cnn  fie  biefelbe  nid^t  ffi^U, 
ftrebt  nad^  ber  reinen  Siebe,  unb  finbet  jugleid^,  bag  bie  t)on 
Xetfteegen  bargeftcllten  ^eiligen  @ee(en  bod^  nod^  t)on  eigener 
©ered^ttgfeit  erffiOt  ju  fein  fd^einen.  Slber  bie  Sntfd^ieben^ett 
für  biefen  ©tonbpunft  n^ar  n^ieberüm  nid^t  fo  flar,  bog  nid^t  bie 
@d^(Qtter  injn^ifd^en  bod^  barin  l^ätte  ^vanfenb  n)crben  lönnen. 
3n  bem  julefet  ongefül^rtcn  ©rief  berid^tet  pe,  ba%  1816  ein 
3Rann,  ber  groge  (Srleu^tung  ^atte,  aber  fid^  in  aQerlei  l^o^c 
^inge  einlieg,  i^r  t)orgefteQt  f)abc,  man  bürfe  nid^t  immer  ein 
ftinb  in  S^rifto  fein,  fonbern  man  muffe  aud^  ein  3Rann  in 
i^m  n^erben.  ^iefe  Slnforberung  l^abe  fie  etn^ai^  aui^  bem  ©c^ooge 
3efu  l^erau«gcbd(t,  i^ren  inneren  gricben  unb  finbtid^en  Umgang 
mit  (S^riftuS  etnxid  geftört,  bid  ber  treue  $irte  fie  n^ieber  ^eim« 
gel^olt  ^abe.  ©ie  fei  beftimmt,  ein  ftinblein  in  (S^riftuiB  ju  blei^ 
ben,  aU  arme  ©ünberin  fönne  fie  nur  aud  @nabe  feiig  n^erbcn, 
unb  n)enn  fie  ^unbert  ^affxt  naij  aSoOfommen^eit  ränge.  3n 
einem  S^riefe  an  ben  3)om^errn  SSSalbl^äufer  in  Sin;  t)on  1816 
meint  fie  bie  allgemein  et)angelifd^e  Seigre  bon  ber  Unt)oQfommen« 
l^eit  ber  guten  SSerfe  ju  t)ertreten,  inbem  fie  gut  quietiftifd^ 
erll&rt:  „@oba(b  mein  SSerf  nid^t  aud  reiner  Siebe  ju  ®ott  unb 
bem  9läd^ften  gefd^icfit,  id^  babei  bie  geringfte  Sbfic^t  auf  mid^ 
l^abe,  fo  ^ört  mein  SSer!  auf,  ein  guteS  SSerf  )u  fein  unb  l^at 
feinen  Sol^n  bal^in.'' 

a^  ift  bie  SRegel  bed  Duietii^muiB,  bag  bie  aSerlaffungen  unb 
XrodCen^eiten  ber  G^finbung  ebenfo  atö  SKerfmale  ber  @e(ig!eit 
erfahren  werben  toie  bie  SKomente  ber  greubc;  bcnn  bie  ^Jreube 
ift  nur  eine  jufäQige  Seigabe  ber  in  ber  SSernid^tung  bed  eigenen 
SBiQend  um  @otteg  to\üm  befte^enben  ©eligfeit  (®.  471).  (Sine 
tieftragifd^c  Srfd^einung  ift  eS  nun,  bag  bie  ©d^Iatter  in  ben 
Dier  legten  Sauren  i^red  Sebend,  jumal  afö  fie  t)on  ©ied^t^um  ^eim^ 
gefud^t  »ar,  biefe  atcgel  nid^t  f)at  jur  Snn^enbung  auf  fid^  brim 
gen  fönnen.  Sie  ^at  bie  geiftlic^e  ©enugfud^t  nid^t  jum  0))fer 
ju  bringen  t)tvmskf)i.  3m  Sommer  1821  mad^te  fie  atö  S3eg(ei« 
terin  i^re^  nad^^erigen  @d^tt)icgerfo^ni^  Siö^rig,  eines  ftaufman^ 


552 

tted  in  SSarmen,  eine  Steife  nad^  biefer  @tabt,  xotl<f)c  fte  bvttd) 
SEBürttemberg  unb  toeiter  ben  SÄittetrl^ein  hinunter  führte.  a)ie 
SSefd^reibung  biefcr  Steife  0  ifl  Dom  pc^ften  3ntcreffe  filr  bie 
@tQttftif  unb  bie  Sigent^ümlid^fetten  be^  $ietidmud.  UeberaQ 
iDerben  bie  d^riftUd^en  ^reunbe  befuc^t  unb  fiberaO  Slnbac^^ 
Übungen  angefteQt,  toeld^e  bie  ©timmung  ber  9leifenben  oufd 
^öd^fte  fteigcrten.  aber  wenn  bie  (Selegen^eit  be^  Orted  fol^e 
ßufomntenffinfte  unmöglich  mad^te,  n)ie  in  ber  !atl^olif(^en  @tabt 
Srud^fat,  fo  toax  bie  ©d^tatter  fe^r  toenig  geneigt,  bicfe  (Bntbe^ 
rung  ju  ertragen,  obgleid^  fie  im  {ßoraud  fid^  bie  Ueberjeugung 
feftgefteüt  ^atte,  bag  fie  burd^  ben  fo  reid^en  Serfe^r  mit  ben 
@(eid^geftnnten  an&  ber  ©ammlung  getoorfen  unb  herleitet  tott* 
ben  lönnte,  gläubiger  unb  liebenber  ju  fpred^en,  aU  fie  eigentlid^ 
fei  unb  fid^  in  ein  fd^önere^  Sid^t  ju  fe|en,  als  i^r  gebü^. 
3an)0]^(,  ber  Duietift  foO  ju  $aufe  bleiben,  um  nid^t  bad  ®letc^ 
gewicht  jitoifd^en  ^^reube  unb  Oebe  bed  ^erjcnd  ju  Verlieren, 
n)orauf  er  fid^  t)er))f(ic^tet  f^atl  ^iefcd  ©leic^getoic^t  aber  ftai 
bie@d^latter  niematö  erreid^t;  i^re  affcctDoQe  Krt  toax  Don  t)oxti 
herein  auf  ben  Ouieti^mud  ni^t  angelegt.  3n  bie  Zrocfenl^eit 
i^rer  Smpfinbung  gegen  S^riftud  unb  @ott  ^at  fte  fid^  nur  mit 
ber  tl^eoretifd^en  formet,  nid^t  mit  i^rem  äSBiOen  gefd^idt.  SSBer 
fann  o^ne  bie  tieffte  S^iieilna^me  folgenbe  83efenntniffe  an  i^re 
greunbin  ©effner  lefen,  weld^e  mit  1822  beginnen!  „Sd^  »erbe 
©Ott  entfrembcter,  !älter,  elenber,  jcmefir  id^  bürftc  mit  i^m  eini8 
ju  n^erben.  SlQe  Xugenben  finb  mir  au^gejogen  unb  nur  ©finbe 
unb  @(enb  mir  fibrig  geblieben.  3d^  hoffte,  bie  9ieife  unb  ber 
Umgang  mit  fo  Dielen  S^riften  toerbe  bleibenb  auf  mic^  n^irfen; 
aber  ic^  fe^e  feine  5ot:tfd^ritte,  unb  njeife  leinen  Satl^,  ate  mid^ 
in  bie  ISrbarmung  Sl^rifti  ju  Derfenfen/'  „SBie  gebeugt  unb  flein 
mad^t  mid^  bied,  bag  id^  je^t  (na^  ber  ^l^eier  beS  Slbenbma^tö) 
ntd^t  lebe,  fonbem  bürr  unb  falt  ja  tuic  erftorben  mid^  fft^le. 
3lid)t  einjelne  ©finben  unb  Seibenf^aften  brüdEen  unb  befd^ämen 
mid^,  aber  biefe  unerträglid^e,  unleiblic^e  ^älte  unb  fiiebeleer^t 
gegen  i^n,  ber  um  meinettoiQen  Dom  X^ron  ber  ^errlic^feit  ^erab 
in  unfer  @lenb  ftieg  ....  3c^  fe^e  nid^t  aufg  @efüf)l;  beffen 
3}2angel  n)oUte  ic^  gern  tragen,  toenn  id^  ba^SBefen  ^ätte  .  .  .  . 
9lber  bag  iä)  nid^t  bleibe  in  i^m,   feine  ©tunbc  ganj  aQein  bti 


1)  ^adfiai  L  6.  LXXX-CXIX. 


553 

iffox  bleibe  unb  mit  tl^m  toad^e,  bag  jebe  l^äu^ßd^e  ftleinigfeit 
mtc^  in  ben  l^eiligften  3Romenten  jerfheuen  unb  meine  ©ebanlen 
auf  ftd^  sieben  tonn,  i>a^  ifi  mir  ^um  SuiSfpeien  unerträglid^." 
«rSReine  innere  ^inftemig  unb  @laubendleer]^eit .  mad^t  mtd^  fo 
unloerträglid^ ....  @ott  nriQ  mid^  lehren  gebulbig  fein,  unb  id^ 
mQ  nid^t  (cmen  unb  reibe  mid^  an  ben  ©egenftänben  meiner 
Uebung.  ^ied  fommt  nur  bal^er,  bog  id^  nid^t  (ebe  in  bem 
(Stauben  bed  ©ol^ned  &oik^,  nid^t  aud  bem  Glauben  bie  Siebe 
ftbe,  nid^t  in  betStä^e  bed  ^eilanbed  bleibe.  @o  fe^r  id^  füllte, 
ba§  mein  ^erj  feine  Stulpe  unb  feine  ^reube  finben  fann  auger 
Sl^rifiu^,  fo  koenig  lebenbigen  S^rieb  l^abe  id^  in  mir  burd^jubrin^ 
gen  ju  i^m.  9Kein  Xobe^uftanb  benimmt  mir  fogar  ein  (eben:» 
bigeiS  ©eignen  nad^  Seben  unb  S93ärme  .  .  .  .  3d^  mug  mic^  ffir 
fel^  jurädEgegangen  erflärcn.  @ott  na^m  feine  ©aben  jurfidC 
unb  lägt  mid^  nun  erfahren,  n^aS  id^  in  mir  felbft  bin  ...  . 
Oft  fd^koinbet  oQei^  t)or  meinem  SBIidC,  unb  id^  fann  mid^  nur  in 
@ottei^  (Erbarmen  l^ineinn^erf en ,  e^  möge  mir  gelten  in  3^^^ 
unb  (Smigfeit,  mie  er  n^iU.''  ^a^  ift  ja  bie  rid^tige  formet 
bed  Duietii^mu^,  aber  man  fielet,  bie  @d^(atter  befennt  fid^  baju 
nid^t  gern,  fonbern  ungern.  Unb  nun  bie  le^te  Sleugerung, 
toenige  Sage  Dor  i^rem  Xobe:  „3c^  fü^le  feinen  Sroft,  feine 
äkbt  (Sottet;  e^  fd^eint  mir,  atö  ptte  er  feine  @nabe  t)on  mir 
genommen  unb  liege  mi^  nun  mir  felbft  aber.  Sein  9}erlangen 
ju  fterben  unb  feine  %imbt  ju  leben  ben)egt  mid^;  id^  bin  in 
Änfed^tung,  in  tocld^er  nur  bie  gürbitte  3efu  mein  g^^Hcin 
(SUauben  erhalten  fann,  bamtt  id^  nic^t  mit  ben  ®ottIofen  unu 
lomme." 

^a^  ift  ein  tragifd^er  Slu^gang.  ^ad  SSer^ängnig  ber 
©d^latter  beftanb  t)or  ^Üem  barin,  bag  il^r  äßagftSbe  ber  ^röm^ 
migfeit  überliefert  mürben,  meiere  nur  im  flöfterlid^en  Seben 
bnrd^gefü^rt  merben  fönnen,  mäl^renb  fie  atö  $roteftantin  fid^ 
auf  baiS  el^elic^e  Seben  unb  einen  bfirgerlid^en  Seruf  angemiefcn 
fal^.  31|r  SSerffängnig  mar  ei  femer,  bag  i^r  SRann  i^re  geift^ 
lid^e  SRid^tung  unb  i^r  @elbftgeffif|l  in  berfelben  atö  etmad  be« 
re(^tigte3  gemä^rcn  lieg,  unb  inbcm  er  i^r  nic^t  ju  imponircn 
üermoc^te,  fie  ber  Sluctorität  il^rer  geiftlic^en  ^^rcunbe  fat^ofifd^er 
(Eonfeffion  an^imgab.  @ie  ^at  tro^  i^red  ftarfen  unb  aud^  in 
i^rer  quietiftifc^en  (Spoc^e  unüberminblid^en  ©elbftgefft^tö  auf 
aQen  ©tufen  il^rer  (Entmidelung  ftc^  atö  SSeib  ertPtefen,  melc^eS 


554 

ol^ne  äBiberftanb  bcr  Settung  bon  SOtännem  nad^gab.  9lur  i^rtm 
eigenen  SKanne  räumte  ftc  einen  fold^en  ®tnf(ug  nid^t  ein.  Slber 
^ier  liegt  bie  @d^ulb  il^red  fiebend,  nämlid^  in  ber  unüetft&nbi« 
gen  unb  tro^igen  Ueberl^ebung  über  ha^  S^riftentl^um  \f)Tt& 
äRanned,  bem  fie  niematö  bie  ©(eid^bered^tigung  mit  il^rer  8rt 
jugeftanb.  3Rit  biefer  ©c^ulb  gleid^artig  ift  n)eiter  i^re  Unge^ 
neigtl^eit,  an  bem  93eruf  ber  äRutter  unb  ^audfrau  bie  Zreue 
im  kleinen  ^n  lernen,  unb  baran  bie  Uebereinfttmmung  üon  S)e« 
mutl^  unb  rid^tigem  ©elbftgeffi^I  ju  erleben,  oeld^e  ber  Siegel 
bed  ^roteftanti^mud  entfprid^t,  aber  nad^  ber  Stegel  bed  DuiettS« 
mug  nic^t  erreid^t  werben  fonnte.  Släd^ft  ©icco  Xjaben  tfi  bie 
©d^Iattcr  bie  crfte^erfönttd^fcit,  bereu  SKitt^etlungcn  ben  ^etiS« 
mud  im  inbit)ibuellen  fieben  beobad^ten  laffen.  3n  iebem  ber 
beiben  %iüc  giebt  er  fid^  nid^t  atö  eine  Anleitung  jur  ©eligfeit 
jU  erlennen,  fonbern  ate  eine  Duelle  jicUofer  Seftrebungcn ,  bei 
»eld^en  bie  ©eligfeit  auSgefd^Ioffen  ift,  auf  bie  eiJ  im  ^roteftan* 
tiSmud  anfommt. 

Sine  befonberS  miglid^e  ©teQung  nimmt  im  $ietidmu$  bie 
(Jrjiel&ung  ber  Äinber  ein.  8ud^  hierfür  bietet  bai8  Seben  ber 
.©glatter  eine  eigent^mlid^c  ?ßrobe  bar,  toeld^e  jugleid^  ben  An* 
blidE  einer  bcfonbern  ©pielart  öon  ^ietiömud  eröffnet.  Sie 
jä^Ite  unter  i^ren  gottfeligen  Söefannten  einen  9Äann  iRamend 
§anÄ  Safob  ©d^äfer  in  appenjcll,  toetd^er  in  «ftronomie,  6^e* 
mie  unb  arjeneimitteUel^rc  untcrrid^tet ,  toegcn  ber  (enteren  %tu 
tigleit  t)on  bem  SSoIf  aU  «rst  gcfud^t  »urbe.  ffir  toar  fiberbie« 
in  ber  öibel  betoanbcrt,  unb  gab  ftd^  mit  SSercd^nung  ber  fEklU 
jeiten  ab,  3)emgemä6  Derfünbete  er,  bafe  bie  6000  3a^rc  be8 
crften  aScItlauf«  mit  1816  ju  (Snbe  feien,  bafe  bie  leftte  SBod^e 
nac^  3)aniel  9,  27  anbre^e  unb  binnen  3V2  3a^ren  ber  etoige 
©abbat^  beginne.  Slud^  gab  er  fid^  mit  SSorl^crfagungen  fiber  cinjelne 
^crfoncn  unb  S)inge  ab.  3n  ben  3Jerfe^r  mit  bicfem  SRanne, 
njcld^er  ber  ©d^Iatter  fel^r  imponirte,  l^atte  fie  nun  aud^  i^re 
5  löd^ter  eingeführt,  »eld^e  fie,  »ie  ber  Siogra^)^  fagt,  1818 
nod^  nid^t  alö  wa^r^aft  belel^rt  glaubte  anfeilen  jn  bürfen,  ob* 
gleich  fie  nic^t  ermangelt  l^at,  i^re  ^inber  ju  il^rer  SJ^et^obe  t)on 
grömmigicit  bircct  anjuregen.  ©d^äfer  aber  gab  fid^  nic^t  bloS 
mit  bem  unfd^ulbigcn  SSergnügen  bcr  ©ered^nung  ber  Seiten 
@otted  ab,  fonbern  ^atte  aud^  feine  ^eitöorbnung  fic^  fturec^ 
gemad^t;  unb  in  btefe  liegen  fid^  bie  Zöd^ter  t^erftridCen ,  gerobe 


555 

afe  bie  aJhittcr  Äittag  fanb,  bcn  SScrlcl^r  mit  ©d^äfct  abju^ 
breiten.  SBcnn  bcr  Stograpl^  bcrid^tct,  bic  löd^tcr  l^ättcn  Dor« 
^cr  in  faft  änflfilid&cm  ©cl^orfam  gcgcit  i^re  SDiuttcr  gcftanbcn, 
fo  tDirb  ber  SSertl^  biefeg  Srjic^ungiSrcfultateg,  unb  bog  äßag 
bc«  t)on  ber  SRuttcr  crtüorbencn  SBcrtroucitö  ber  löd^ter  boburc^ 
in  ein  bebenflid^eiS  fiid^t  gefteQt,  bag  fte  nnn  gegen  ha^  Verbot 
bcr  SRutter  fic^  gerabe  erft  re^t  mit  ©d^äfcr  in  SSerbinbnng  feft* 
tcn  unb  feine  Se^ren  öerfd^tongen.  5)iefc  gingen  barauf  l^inauiJ, 
bag  für  i^n  unb  feine  Sn^anger  bie  Spod^e  bed  endigen  ^obiatf)^ 
fd^on  angebrod^en  fei,  bag  ber  @)egenfag  jn^ifd^en  @etft  unb 
glcifdö  in  i^nen,  bie  bur^  S^rifti  Opfer  gel^eiligt  feien,  fd^on 
cntfd^ieben,  bag  fein  fittlidier  fiampf  mel^r  für  fie  nötl^ig,  unb 
bag  fein  SKenf^  ju  lieben  unb  ju  eieren  fei,  fonbern  nur  ®ott, 
unb  ein  SKenfd^  nur  infofem,  als  ®ott  in  il^m  njol^ne  *).  3)ic  Xöd^ter 
ber  ©d^totter  culttöirten  biefe  3been  bur^  eifrigei^  öibettefen  unb 
Seten,  fügten  fid^  aber  jugteic^  fp  Don  i^rer  SKutter  toiJ,  bog  fie 
nad^  bem  biet  mtgbraud^ten  ©a^e  t)on  bem  SSorjuge  bed  ©el^or« 
fami^  gegen  ®ott  öor  bem  gegen  SRcnfd^en  il^r  bie  ^Jolgfomleit 
Demieigerten ,  unb  i^r  ben  ®nabenftanb  abfprad^enl  SSarum 
benn  aud^  nid^t?  5)ie  SKutter  t^ot  ja  bem  SSoter  bag  ©teid^e! 
Unb  toenn  bie  ftinber  Don  jel^er  unter  ben  Sleij  gefteigerter  reti* 
giöfer  ß^K^iit^i^ngen  gefteQt  tooren ,  fo  ift  e^  bcr  3ugenb  nid^t 
iu  öerbenfen,  bog  fie  bem  ftärfften  Steije  ber  ärt,  ber  gerabe 
bargeboten  n)trb,  j^ugänglid^  ift.  ^ie  ©d^latter  l^at  biefe  SrfaJ^« 
rung  natürlich  mit  bem  tiefften  ©d^mcrje  erfüDt;  jum  ®lüdt 
tnurben  ben  löd^tern  bie  Äugen  geöffnet,  ali^  ein  mit  ©d^äfer 
eng  Derbunbener  SRann,  Slameng  Slänni  fie  in  bie  antinomifti* 
fd^cn  gotflc^u^^flcn  QUö  beffen  Se^ren  ju  tjcrftridtcn  untcrnal^m. 
©0  famen  fie  aümä^Iid^  n)ieber  unter  ben  ®inf(ug  ber  äRutter. 
^iefelbe  fd^eint  feine  Ahnung  baDon  gehabt  ju  ^aben,  bag 
fie  mit  if)rer  ©rjie^ung  ben  Strgang  il^rcr  Äinber  birect  üerfd^uU 
bet  ^at.  ^ann  man  fid^  nun  tounbern,  bag  fie  i^r  ©elbftgefü^I 
auc^  auf  einem  ®ebiete  geltenb  mad^te,  n^eld^eS  fie  atö  gottfelige 
^rau  natürlid^  für  i^re  Domäne  anfa^,  nämlt^  bie  X^eologie? 
©ie  ^at  eine  unleugbare  ^ertigfeit  gehabt,  ben  engen  ^reig  i^rer 
inbiüibuellen  ^fal^rungen  unb  Seftrebungen  barj^ufteüen ,  n)enn 
fte  aud^  barin  eben  nid^tg  DrigineOed  leiftete.    ^Qein   n)eiter 


1)  9U4Iaft  IL  e.  142.    Srauenbriefe  6.  145  ff. 


556 

reid^te  i^re  SBefäl^tgung  ntc^t.  ©ic  l^at  einmal  in  einem  Sriefe 
an  tl^re  ^od^ter  0  t^te  S^rage  ju  bcantoorten  unternommen,  ob 
ber  ^err  Sefud  für  un^  bcm  ©atan  eine  ©d^ulb  ju  i^afj|itn  ge« 
Ijabt  l^ätte.  ^tefe  obfoletc  ^mtriftifd^e  X^eorie  l^tte  alfo  einen 
JRetj  für  fie.  ©ie  rebet  aber,  wie  fclbft  ber  Herausgeber,  i^r 
Snfel,  anerfennt,  burd^aud  Dertoorren  barüber,  ol^ne  ed  ju  bemec^ 
fen.  @ie  fnü^ft  ferner  an  Slcanber'S  ©cnftoürbigtciten  aud  bet 
@efc^td^te  beS  S^riftcnt^umS  ben  SluSfpruc^,  fie  glaube  an  i^m 
etoaS  iut)iel  $retf|eit  n)a^rjune]^men,  mnn  ed  barauf  anfommt, 
über  @rigel  unb  Xeufcl,  äBunber  unb  Srfd^einungen  ju  f^nred^en '). 
S)iefe  S^l^emata  alfo  finb  if|r  t^cologifd^  ebenfo  n)ic^tig,  toie  0m 
bereS.  ©ie  f)at,  als  i^r  ^eunb  SooS  in  Sinj  gefangen  gefegt, 
unb  i^re  SSriefe  an  benfelben  jur  ^cnntnig  bed  bortigen  X)om< 
capitetö  gclommcn  waren,  mit  einem  S)om^erm  SBalbl^dufer  eine 
Eorrefponbenj  begonnen ,  um  eg  aufjullären ,  toie  fie  bie  ^ote» 
ftantin  baju  gelommen  fei,  mit  fcnem  lat^olifd^en  ^arrcr  Sriefe 
p  toed^fetn.  ©ie  nimmt  baöon  ben  Änla^,  jenen  ©egncr  öon 
Sood  über  bie  ))roteftantifd^c  unb  bie  fat^olifd^e  9led^tfertigungd« 
le^re  }u  unterrid^ten.  SS  ift  fd^on  (©.  551)  bemertt  worben,  bag 
fie  i^ren  OuietiSmuS  in  bie  proteftantifd^e  Sefire  einmifc^t,  unb 
fie  ift  aud^  nid^t  im  ©tanbe,  bie  fat^olifd^e  Sc^re,  toie  ber  Am 
berc  fie  Vorträgt,  rid^tig  aufjufaffen.  3^  i^ren  mert^toOfien 
Ueberjcugungen  red^nete  bie  ©(|latter  bie  Sefjre  Don  ber  ®id)cr^ 
bringung.  SHS  fie  nun  auf  i^rer  JReife  nac^  ©armen  in  (Kdln 
ben  ^aftorcn  Ärafft  unb  ®räber  na^e  trat,  brad^te  fie  au^  bie 
Äcbe  auf  biefeg  Il^ema.  @g  entfpann  fid^  ein  ©treit,  in  toelc^m 
öon  beiben  ©eiten  ©d^riftjeugniffe  gegen  einanber  gefegt  tourben, 
biö  bie  ©d^tatter  irre  tourbe,  ba  i^r  bie  grömmigfeit  ber  @eg* 
ner,  i^r  SBa^r^eit«finn  unb  i^rc  SKenfd^enliebe  in^wnirtc.    ©ie 


1)  Srouenbriefe  6.  78. 

2)  9(.  a.  O.  @.  125.  Sie  ffi^rt  bort  fori:  „^^n  ^u^t  mit  bem  gro« 
(en  halfen  finbet  immer  bo^  fe^r  fd^neQ  ben  Splitter  in  beS  BruberB  Vii|e; 
f)arum  örgerie  i^  mi^  baran ,  ali  i^  in  ber  Sorrebe  beB  |toeiten  Z^tili  bie 
SBocte  laS:  Sur^  bie  gütige  SertDcnbung  beS  Dere^rungStoörbigenO) 
Dr.  Paulus  in  ^eibelberg.  Db  baB  ni^i  ^eigt,  ^en  Göttern  SBei^rau^  ftreyen, 
toenn  ein  ^xifi  einen  ^ann  ber  unfern  i^errn  (S^rißuB  fo  ^erunterfett  unb 
gern  entthronen  »Urbe,  bere^rungSttürbig  nennt.'  9llfo  toenn  man  ben  BaUen 
im  eigenen  9luge  t^eoretif^  suge^el^t,  barf  man  getrofi  ben  @|plitier  im  Vuge 
beB  9ia4ßen  finbenl 


557 

eilte  olfo  auf  ü^t  ßi^nter;  ,,t^  marf  mid^  i)üt  ®ott  metnem 
^tlonb  triebet  unb  legte  i^m  meinen  Siebling,  ben  ©lauben  an 
bie  enbßd^c  (Erlöfung  bed  ganjen  äßenfd^engefd^Ied^ti^  bon  ©finbe, 
Xob  unb  Zeufel  aU  ein  3faaföopfer  ju  t^fi^en,  menn  biefer 
@lQube  QU^  meiner  SSernunft  unb  nic^t  ani  feinem  $er}en 
lomme"  ^).  SEBie  fie  nad^^er  an  bie  beiben  äßönncr  fd^rieb,  ^atte 
fie  ben  liebften  ^eiligften  ©egenftanb  i^rcr  SBünfc^e  unb  §off:^ 
nungen  auf  @otteiS  Hltat  gelegt  unb  im  ftiUen  @lauben  gewar«' 
tet,  ob  @ott  i^n  berje^ren  ober  i^r  n^iebergeben  tt)olle.  9lun 
fommt  fie  nac^  ^ranffurt  ju  3o^.  ^riebr.  bon  SRe^r.  X)iefer 
bringt  fie  n^ieber  l^erum.  „^d)  fanb  in  i^m  einen  oöUigen  3StiU 
genoffen  meiner  feiigen  Hoffnung  unb  n)urbe  noc^  feiiger  im 
SKitgenug.''  @ott  alfo  fiaitt  fie  l^ierbur^  bered^tigt,  bie  ftrei:^ 
ttge  Se^re  atö  i^re  Ueberjeugung  feftju^olten.  äBad  fd^einbar 
aud  ber  93ibel  ni^t  ju  entfc^eiben  n^ar,  entfc^ieb  &ott  burd^ 
^^erm  bon  älRetjer  in  ^ranffurt  am  ÜRain  gauj^  bem  SBunfc^e 
ber  ©c^latter  gemäg.  @e^r  fomif^  enblic^  ift  i^r  UntotUe  gegen  @ott^ 
frieb  Daniel  ßrummad^er  in  Slberfelb,  al^  berfelbe  in  einer  $re^ 
bigt  über  l^ed^.  34,  16  bie  lutl^erifd^e  Ueberfe^ung  (baS  @tarfe 
unb  i^te  n)ill  id^  behüten,  ftatt:  t)ertilgen)  berid^tigte,  toa& 
feine  ^id^t  mar.  ^ie  ©d^latter  erjä^It :  „Wi^xtnh  ^rummad^er 
eiferte  gegen  bie  fetten  unb  ftarlen  @^afe,  fprac^  ic^  ju  meinem 
^eilanb,  bu  n^eigt,  bag  id)  meber  griec^ifd^,  ^ebräifc^  noc^  latei^ 
nifd^  Derfte^e,  alfo  ^alte  id^  mid^  an  bie  beutfc^e  Ueberfe^ng; 
bu  magft  gnäbig  jufe^en,  marum  ^aft  bu  Sut^er  bein  SSort  fo 
flberfeften  laffen?  3Bir  Armen,  bie  nur  beutfc^  berfte^en,  tt)ü§« 
ten  ja  fonft  nid^t  me^r,  mag  mir  glauben;  alfo  galten  mir  und 
an  bad,  mad  n)ir  bidl^er  gelernt  ^aben  aud  beinem  äSBort/' 

©c^lieglid^  erforbert  nod^  ber  freunbfc^aftlid^e  SSerfel&r  ber 
©(glatter  mit  ben  Iat(|olif^en  ©eiftli^en  einige  ^eac^tung.  S)ad 
finb  ^auptf&^li^  SRi^el  ©ailer,  SDeartin  Sood,  3o^anned  ®og^ 
ner  unb  bie  meniger  befannten  Xat)er  93a^r  unb  $aib.  X)er 
le|te,  toeld^er  eine  Seit  lang  atö  Seigrer  am  ^riefterfeminar  in 
@t.  @aQen  mirfte,  mar  ber  eigentlid^e  ^aui^freunb.  2)ie  juerft 
genannten  SKänner,  Don  benen  @ogner  jule^t  in  bie  ebangelifdbe 
ftird^e  eintrat,  merben  regelmäßig  ba^in  beurt^eilt,  bag  fie  atö 
Sat^olifen  bem  ebangelifc^en  ©lauben  fid^  angen&l^ert  ober  gar 


1)  Jta^lai  L  6.  CXIY,  U.  6.  456  ff. 


558 

benfclben  ergriffen  ^aben;  unb  indbefonbere  loirb  i^re  geifUtcle 
©cmeinfc^aft  mit  ber  @c^Iatter  tute  mit  anbeten  (Suangelifc^en 
atö  ein  ^en)eid  f&r  btefe  SSe^auptung  geltenb  gemacht,  hingegen 
in  ber  Eat^oltfc^en  offtcieUen  ^udbrud^tDeife  fmffiren  fie  unb  i^r 
ansang  unter  bem  iitet  bc&  «Äfterm^ftici^mug."  ©ailer  (gebo= 
ren  1751)  juleftt  Sifc^of  oon  SlegeniSburg,  ift  ber  adtcftc  unter 
ben  ^rei  unb  ^at  al^  ^rofeffor  auf  ber  bifc^öflid^  Sugi^burgi« 
fc^cn  Uniberfität  ju  ^iQingen  in  engem  SBerfe^r  mit  Saüater  ge^ 
ftanben,  ift  auc^  1794  biefed  ^mtei^  entfe^t  n^orben,  toeil  er  im 
äSerbac^t  unlat^olifc^er  ©efinnung  ftanb.  1799  $rofeffor  in 
3ngolftabt,  bann  in  Sanb^^ut,  t)at  er  feinen  ©d^^Ier  SBood 
gelegentlid^  unter  feinen  @ci^ug  genommen,  aber  auc^  jur  %f^ 
ftumpfung  feiner  Se^re  angehalten.  Senn  fon^eit  beibe  fiber^aupt 
gleid^er  Uebei^eugung  n^aren,  ift  Sood  (geboren  1762)  bie  trei« 
beube  Äraft  gemefen  ^). 

äR artin  S3oo^  l^at  atö  junger  ©eiftlid^er  t)on  einer  Iran« 
!en  grau,  meiere  er  für  ba^  Sterben  mit  il^rer  grömmigfeit  tr5* 
ften  rnoUte,  jum  erften  äRale  gehört,  bag  fie  im  SSertrauen  auf 
i^re  grömmigfeit  gen)i§  t)erbammt  tottbc,  aber  auf  3efum  il^ren 
§cilanb  getroft  fterbcn  fönnc.  2)iefe  grau  war  offenbar  mit  ber 
officieüen  liturgifc^en  Änwcifung  jur  Vorbereitung  ber  ©terben^ 
ben  in  ber  lat^olifc^en  Äird^c «)  beffcr  befannt  afö  i^r  ©celfor* 
ger.  3)iefer  aber  l^at  fic^  bon  ba  an  (1788  ober  1789)  mit  bie^ 
fer  SBa^r^eit  unb  i^rer  ©ttitigfeit  aud^  für  bad  d^riftlid^e  Seben 
burc^brungen.  Um  fo  me^r  toar  bied  ber  gaQ,  aU  er  aufrid^« 
tige  @emüt^er,  toeld^e  bie  @eligleit  unb  ben  grieben  auf  bem 
SBege  ber  SSeidE^eiligfeit  fud^ten  aber  baS  ®egent^eil  fanben,  mit 
bem  ©ebanlen  tröftcn  fonnte,  baß  fie  burd^  6f)rifti  SSerbienft  im 
Vorauf  bie  Vergebung  ber  @ünben  empfangen  unb  baran  einfad^ 
ju  glauben  ptten.  Sie  entgegengefetfte  Dulgär^at^olifc^c  äRe^ 
t^obe  ber  (Erfüllung  bed  ©efeged  jum  3^^^^  ^^  ©eltgfeit  l^at 
bemgemäg  Voo^  al^  p^arifäifc^  benoorfen.  3)a0  ftimmt  nun 
faft  wörtlich  mit  ber  ^ofition  Sut^er'g  überein.  Unb  man  fönnte 
fogar  ju  ber  anficht  Derfuc^t  fein,  bafe  Sooig  Sutl^cr  übertroffen 
^abe,   inbem  er  in  (Sinem  kt^em  S^riftud  aud^  (üä  \>q&  WotiD 


1)  Sgl.  SDHartin  SBooS,  ber  ^rebtger  ber  Sete^tigfeii  Die  oor  ®ott  gilt. 
@ein  6eUiflbiograp^.    herausgegeben  toon  3o^.  (Softner.    Seipiig  1826. 

2)  %I.  Se^re  oon  ber  Sied^tfertigung  unb  Serf&^nung  L  e.  125. 


559 

ber  Heiligung  befennt,  alfo  „S^riftuS  für  und  unb  in  und''  für 
boS  ^unbament  erflärt,  auf  tuelc^em  bte  guten  SBerfe  gebaut 
merben.  2)enn  baburc^  befeitigt  er  Don  Dorn  herein  ben  ©d^ein, 
tveld^er  Sut^er  belaftet,  bog  bte  Heiligung  eine  @ac^e  in)eiter 
Orbnung  fei.  Sd  fd^eint  babei  nic^t  Diel  ju  uerf erlagen,  bag 
93ood  bie  9ied^tfertigung  aud  bem  lebenbigen  @(auben  gelegentlid^ 
Quci^'mit  Sinfd^Iug  ber  Heiligung  oerfte^t  ^enn  ed  fommt  i^m 
immer  barauf  an,  bag  ein  fefter  Sinbrud  ber  burc^  S^riftud  ver- 
liehenen @änbent)ergebung  ba  fei,  e^e  man  ^rei^eit  unb  ^reu- 
bigfeit  gu  guten  äSSerEen  faffen  fann.  Unb  bad  ift  auc^  bie  fOltu 
nung  Sut^er'd.  S)ennoc^  bm&ffxt  fic^  in  ber  SSergleic^ung  beiber 
äJtönner  bod  SBort :  si  dao  dicunt  idem,  non  est  idem.  3nbem 
93ood  jene  Se^re  auffteUt,  behauptet  er  einen  anbem  ©efic^td* 
fretd  unb  bett^egt  fid^  in  einer  anbern  geiftigen  Stmofpl^äre,  atö 
Sut^er.  äSä^renb  Sut^er  mit  aller  99eftimmtl^eit  baran  feftge« 
galten  f^at,  bag  ber  ^eilige  ®eift,  ber  ben  @lauben  n)irft,  nur 
burc^  bod  geprebigte  SBort  @otted  verliefen  mv\>,  b.  f).  bag  ber 
inbioibuelle  @(aubendftanb  nur  in  bem  Stafimen  ber  öffentUd^en 
ftird^e  unb  in  bem  georbneten  Ser^Itnig  }u  i^rer  @efammtan« 
fc^auung  gefunb  ift,  fo  benft  83ood  barilber  anberd.  Sr  glaubt, 
bag  S^riftud  feinen  ^eiligen  ©eift  t^eild  mittelbar,  tl^eiU  un« 
mittelbar  an  bie  ©laubigen  mittlieile,  bag  S^riftud  noc^  ^eute 
feine  ©laubigen  burc^  allerlei  Xräume,  Srf d^einungen ,  ©efid^te, 
©timmen  u.  f.  to.  unterrid^te,  ferner  bag  man  ben  magren  leben^^ 
bigen  ©louben  aQein  in  ber  ©d^ule  bed  ^eiligen  ©eifted  lerne 
nac^  vielem  ©ebet,  ßampf  unb  S)emüt^igung  aller  8lrt  ^).  SBirb 
Qu4  ^iebei  Vorbehalten,  bag  nüglic^e  Snftalten  jum  Unterrid^t 
nic^t  }u  Vern^erfen  finb,  fo  ift  bie  93ebeutung  ber  angeführten 
©&^e  unverfennbar  bie,  bag  bie  aßet^obe  von  f8oo&  auf  einen 
engem  ßreid  ald  ben  ber  öffentlid^en  ^irc^e,  auf  allerlei  apo« 
fr^^e  äßittel  ber  $eildgen)ig]^eit,  unb  juglei^  barauf  red^net, 
ba|  ber  lebenbige  ©laube  burc^  adfetifd^e  3)idciplin  ern^irft  n^erbe, 
loenn  er  nic^t  fo  leidet  anfprid^t,  n)ie  ed  in  vielen  (Srn)edtungd« 
fäQen  vorgefommen  fein  mag.  X)enn  n)enn  auc^  biefe  Sorberei^ 
tung  jum  lebenbigen  ©lauben  in  einem  parallelen  @a^  jugleic^ 
ald  bie  äSirfung  Sl^rifti  begeid^net  n^irb,  fo  lautet  bo^  ber 
mitget^eilte  Sudfpruc^  auf  bie  Seiftung  eigener  Xnftrengung  ju 


1)  SRartin  Sooft  6.  66.  141. 


560 

iencm  ßed.  ^ataud  oBer  ergiebt  ft^,  bog  bie  Wed^tfecttguitfiSle^ 
uon  93oo$  einen  anbem  @inn  f)at ,  otö  bie  ton  fiutl^er.  2)entt 
ed  ift  jiemüc^  glctd^geltenb ,  ob  man  feine  ©eligleit  burd^  gute 
SBerfc  erftrebt  ober  feinen  lebenbigen  b.  f).  feligmod^enbtn  &lan^ 
ben  fic^  abgcn)tnncn  unQ  burd^  @ebet,  föampf  unb  2)eniilt^igun« 
gen,  toelc^e  getabe  jielloi^  ftnb,  n>enn  fie  nid^t  aud  bem  lebenbi* 
gen  @Iauben  ^erüorgel^en.  S^gleid^  ö^et  ftc^  ein  ganj  anbercd 
Sebendgebiet,  ald  ed  Üntf)ti  abgeftedt  ^at,  tt^enn  ^ur  inbtoibneOen 
^eil^etotgl^eit  @timmen,  Xräume  ober  anbere  bloge  ®efü^ld« 
einbrüde  bienlid^  gefunben  tocrben.  SnbererfcitiS  mar  bie  Seilte 
t)on  SooS  n^irfUc^  im  SinElang  mit  bem  S)ecret  beS  Xribentini« 
fd^en  (Soncild  de  iustificatione.  S)iefe  Uebereinftinunung  tft  1811 
bei  ber  erften  in  £inj  gegen  83ood  geffil^rten  Unterfuc^ung  feß» 
gefteQt  n^orben,  ba  auc^  bie  @etoig^eit  ber  8egnabigung,  n^Id^e 
Soo^  betont,  nid^t  gegen  ba^  9.  (Sa^itel  bed  S)ecretd  ber  fec^ftcn 
@effion  oerftögtO-  SBenn  man  @ailer  jutrauen  barf,  bag  er 
bie  ^nfid^ten  t)on  ^ood  jugleic^  mit  93iIIigfeit  unb  SBerftSnbnig 
beurti^eilte,  fo  bietet  folgenbe  ^eugerung  beffelben  loo^I  bie  näf* 
tige  ^anbgabe,  um  93oo^'  @teQung  ju  beftimmen.  @ai(er  f c^retbt 
10.  äßai  1811  an  ben  geiftlid^cn  SRat^  93ertgen  ju  £in5,  loelc^ 
bie  Unterfuc^ung  gegen  93ood  fo  eben  auf  ber  ®runb(age  bei^ 
Xribentinum^  in  befriebigenber  äBeife  gefc^loffen  ^atte:  „(fö  giebt 
unter  und  ßatl^olifen  mec^anifc^e,  fc^olaftifc^e,  geiftüc^e  S^iiften. 
93ood  ift  geiftlid^'fat^olifd^er  S^rift;  benn  er  fagt  aOc  Se^ren 
ber  fatl^olifc^en  jlird^e  aud  bem  ©efic^tdpunft  bed  inneren  Se^ 
ben«,  ber  3nnigfeit,  ber  ©ottfeligfeit"«).  S)a«  Reifet:  ©ie  «b* 
fic^t  bon  93ood  ^ält  bie  Sinie  ber  flöfterlic^n  X)eDotion  inne, 
aud^  inbem  fie  an  Saien  erprobt  koirb.  SSenn  berfelbe  atö  Sor* 
fte^cr  eine«  fölofter«  feine  ßloftergemetnbe  mit  feinen  (Srunb^ 
fa^en  burd^brungen  ptte,  fo  würbe  er  fd^n)erlid^  Slnftog  erregt 
^aben.  ^enn  bie  Softer  finb  bie  $f(egeftätten  ber  äRljftif  unb 
biefe  ift  in  i^ren  t)erfd^iebenen  9rten  bie  äRet^obe,  fc^on  bei  SUb* 
ieiten  feiner  @eligfeit  gen)ig  ju  n^erben.  S)a]^in  weift  bei  SBoo« 
einmal  ber  ©a^,  bag  (S^riftu«  bie  ©einigen  burc^  @(eft(^te  unb 
©timmen  unterrichtet,  ferner  aber  ber  Umftanb,  ba|  er  bie  ©^rift 


1)  1.  a.  O.  @.  174.  184.  %(.  Se^e  kwit  ber  Sle^tfertifiimg  xatt  Her« 
fS^nung  III.  6.  130. 

2)  9(.  a.  O.  e.  190. 


1)  1.  0.  C.  e.  lea.  222.  372.  388.  oben  6.  645. 

2)  fBuü  über  i^n  Oer^ofi  in  brr  Stedenc^Ko^bie    XIU.  6.  306 
Mi  811. 

L  86 


561 

bc8  Dttietiften  ^ttnihx^üowxsnt^   „bad  t^erbotgene  Sebtit  mit 

S^rifto  in  ®otV*  überall  unb  regelmäßig  unter  feinen  8[nl^ngetn  i 

iierbreitet  ^at.    Sr  ^at  aud^  offenbar  feine  perfönUd^e  Ueberjeu« 

gung  t)on  biefer  quietiftifd^en  SIR^ftif  nid^t  mit  Seftimmt^eit  untere  1 

fd^ieben,  benn  er  befennt  fid^  mit  ISmp^afe  baju,  bag  bad  (Soan^ 

gelium  ben  SV^enfd^en  ju  9lic^td  unb  @0tt  in  (S^rifto  ju  SlQem  mad§t. 

2)tefem  @tanbpunlt  ift  e^  auc^  gemäß,  bag  SBoodSSerlaffungen  erfttl^r, 

bie  ©timme  bed  Sräutigamd  nur  feiten   l^örte  unb  felbft  ba^: 

ran  itocifclte,   ob  er  ©otte«  ftinb  fei  *).    Qa  einem  redeten  Duie:* 

tidmud  ^at  er  c&  in  feinem  betoegten  unb  geplagten  Seben  freilid^ 

ntc^t  gebracht;  aber  bie  Xenbenj  ba^in  bilbet  ben  Untergrunb 

feiner  Sntgegenfe^ung  bed  lebenbigen  Glaubend  gegen  bie  Dul«« 

gäre  äSBerfgered^tigfeit.    ®enn  n^ie  n^erben  ft^  bie  ®ebete,  kämpfe 

unb  ^emüt^igungen,  bie  um  beS  lebenbigen  ©laubenS  n)iQen  bor^ 

gefd^rieben  »werben,  t)on  ben  gleichen  Uebungen  ^^ur  (Erreid^ung  ber 

SEBiQenlofigfeit  gegen  @ott  unterfd^eiben  laffen? 

JBon  ben  beiben  Snberen  ift  ber  Keltere,  3Rid^ael@aiter*), 
niemate  ooQftänbig  auf  ben  @ebanfengang  t)on  SooiS  eingegan^ 
gen.  X)ie  ISrmectungen,  loeld^e  unter  bem  (Einfluß  beS  Septem 
.oorfamen,  l^aben  i^m  oorttberge^enb  imponirt.  HUtxn  feine  Xen» 
benj  auf  $eifiSt)erfic^erung  l^at  er  ntd^t  an  bie  9led^tfertigung  aud 
bem  @Iauben  gefnttpft,  fonbem  an  bie  (Sorrefponbenj  feiner  ©egen« 
liebe  mit  ber  burc^  S^riftud  ben)ä^rten  Siebe  @otted.  8ln  bem 
®rabe  ber  erfteren,  an  feiner  ^ä(|igfeit  ber  ©elbftüerleugnung 
unb  bed  @ebeted  fud^te  er  ed  ffir  fic^  f eftiufteOen,  ob  er  im  S3ud^e 
beiS  Sebend  eingefd^rieben  fei.  %a^  ift  bie  ^ormel  ber  einfad^en 
latl^olifd^en  X)et)Otion,  n^eld^e  in  il^rer  Art  genau  unterfd^ieben 
toerben  muß  t)on  bem  @lauben  an  Sl^riftuiS,  ber  bie  9lec|tfertt« 
gang  unb  SSerfö^nung  erfährt,  ^ie  Zoleranj  unb  SSeit^erjigleit 
gegen  SRitglieber  ber  ct)angelifd^en  fiird^e,  n)eld^  @ailer  auf  bie^ 
fem  @tanbpunfte  fid^  abgemonnen,  gilt  eben  fold^en,  meldte  ftd^ 
ber  !at^olifc^en  S)et)otion  annäl^erten.  (Er  ^at  aud^  feine  lieber« 
jeugung  f(^tt)erlid^  t^crleugnet,  atö  er  1820  fic^  öffenttid^  t)on  bem 
fogenannten  ^Kfterm^ftici^mud"  loi^fagte.  (Er  l^attc  fid^  nämlid^ 
niemals  ju  benjenigen  f^ormeln  befannt,  in  loeld^en  93oo8  fid^ 


&62 

fd^einbar  betn  fiut^ettl^um  angenähert  l^at.  Unb  bie  (StflSrung 
ber  Untevn^erfung  unter  baS  Urt^eil  bed  $apfted  brauchte  i^m 
bie  @c^lQtter  nid^t  übel  ju  ne(|men,  tuenn  fie  Dermod^t  fiätU  fid^ 
in  bie  @emiit^dart  eine^  ßat^oUCen  ^ineinjuüerfe^en.  @te  fiot 
eben  bie  Sebingungen  bed  religiöfen  SSerfel^re^  gn^ifd^en  @ai(er 
unb  i(|r  nid^t  burc^fd^aut,  wenn  fie  meinen  fonnte,  ba§  biefcr 
i^reunb  jemals  eine  ^crfuc^ung  erfal^rcn  ^abe,  feine  Sonfeffton 
ju  n^ec^feln. 

@ol(^eSerfuc^ung  f^at  nun  ber  i&ngfte  unter  biefen  brei^reun« 
ben3o^anne«@o6ner  (geb.  1773,  geft.  1858)  fei^r  frfl^  em* 
pfunben.  ^Qein  n^enn  aud^  fc^on  im  Sa^re  1804  ber  ßufammen« 
^ang  mit  bem  ^ierarc^ifd^en  unb  ceremonieQen  ^at^olici^mud  i^n 
brüdEte^),  fo  f)at  er  boc^  erft  1826  ben  Uebertritt  gur  et)Qngcli« 
fc^en  Äirc^e  fic^  abgewinnen  fönnen.  (Sr  ift  1797  burc^  JBriefe 
t)on  SooS  erwedt  werben.  9iid^td  befto  weniger  ift  auc^  er  auf 
bie  eigentl^ämlid^e  Sel^rweife  biefed  3}lanne&  nic^t  eingegangen, 
fonbern  ^at  ftd^  birect  auf  ben  ä93eg  ber  fat^olifd^en  2)eDotion 
begeben.  9lad^  einanber  ^at  er  fic^  erft  in  ber  quiettfttfc^en  SRe- 
t^obe  geübt,  bann  nac^  ber  bem^arbinifd^en  Slnweifung  ftd^  ge« 
richtet,  bag  man  in  ber  Heiligung  Dorgefd^ritten  fein  mä|te,  um 
ben  Umgang  be^  ^eilanbei^  gu  geniegen.  Srft  1804  lenft  er 
infoweit  auf  bie  f8af)n  Don  ^ooi^  ein,  al^  er  auf  bie  ©ünben^ 
Vergebung  burd^  ben  9}erfö^ner  ©ewic^t  legt,  unb  im  93erfe^r 
mit  bemfelben  auf  bie  Doraui^gel^enbe  Heiligung  Dergid^tet,  tnbem 
er  aner!ennt,  bag  man  gerabe  mit  feinen  @ünben  gum  ^eilanbe 
fommen  bürfe,  um  üon  i^m  angenommen  gu  werben.  SLUein  ba^ 
Sewugtfein  ber  Serfö^nung,  weld^e^  an  biefen  fünften  orienttrt 
ift,  fommt  bod^  nur  barauf  ^inauS,  bag  bie  erlöfenbe  Siebe  (S^rifK 
fid^  birect  an  ber  Srwedtung  ber  inbtüibueQen  @egenliebc  unb 
bantbaren  3)ienftfertigfeit  bewähre,  öon  ber  lut^erifd^cn  JRcc^t* 
fertigung^le^re  ^at  er  in  biefer  Spo^e,  welche  aud^  bie  3cit  fei« 
ner  greunbfd^aft  mit  ber  ©d^latter  ift,  feine  Ahnung,  fonbern 
red^net  barauf,  bag  (S^riftuS,  ber  ©erec^te,  in  i^m  fei,  unb  er 
felbft  in  i^m  gerecht  gefunben  werbe').  @ogncr  untcrfc^eibct 
fic^  gugleic^  t)on  ben  beiben  Ruberen  baburd^ ,  ba§  er  auger  Don 


1)  äo^anneS  ^oftnet,  9io0ta|)(te  au8  ZagebiU^em  unb  Briefen  |eroll^ 
gegeben  toon  3.  SX  ^co^noto  (aioei  Steile  1864)  I.  @.  lao.  1S2. 

2)  «.  Q.  O.  6.  118.  124.  126. 


563 

SQt)Qtet  aud^  nod^  t)on  anbeten  ©d^rtftfteQem  au^erl^alb  ber 
fot^olifd^en  ^r^e  Sloti}  nimmt,  namentlid^  t)on  Zerfieegen  unb  bon 
ßinjcnborf.  S)cr  SRct^obe  be«  Icfttern  ftellt  er  fid^  am  näc^ften, 
unb  au^  biefem  @runbe  f)at  er  nt^t  blöd  bie  X^etlna^me  unb 
Snl^ängltd^Iett  üon  gläubigen  SJ^itgliebern  ber  et)angelif(i^en  ^ird^e 
gefunben,  fonbern  fid^  aud^  bie  SSorfteQung  gebilbet,  ba^  er  un^ 
mittelbar  aud  ber  fat^olifc^en  ^ird^e  in  i>Q&  Sel^ramt  ber  eDan^^ 
gelifc^en  l^inübergleiten  bürfe,  ol^ne  ftd^  t)or  einer  ^irc^enbe^rbe 
orbnungdmägig  au^uiDeifen.  3)enn  bie  red^tlid^en  ^ebingungen 
bed  93eftanbed  einer  Sirene  ^at  er  ftd^  fd^roerli^  jemals  flar  ge« 
mac^t,  inbem  fein  Sntereffe  nur  auf  bie  SSerbinbung  ber  mit  i^m 
gleid^  ©efinnten  in  ben  Derfc^iebenen  etablirten  {{ird^en  gerid^tet 
mar.  ^ieraud  ergiebt  fic^  aber  mie  bei  Sood  bie  S^l^atfad^e,  ba§ 
bie  ^römmigfeit,  bie  er  t)ertrat  unb  ^verbreitete,  eigen tlid^  in'd 
Älofter  gehörte. 

hieran  entf treibet  ftd^  nun  aud^  bie  Haltung,  n>eld^e  bie 
fat^olifc^^fird^lic^en  ^uctorttäten  gegen  bie  Sn^nger  bed  älfter^^ 
m^fticidmud  eingenommen  l^aben.  SBarum  tonnten  biefe  ÜRänner 
in  ber  fattfoltfd^en  ^ird^e  nid^t  ertragen  merben,  obgteid^  i^re 
^römmigfeit  burd^  unb  burc^  fat^olifd^  unb  nid^td  meniger  atö 
lut^erifc^  mar?  ©ie  fonnten  ebenfo  menig  ertragen  merben,  mie 
üRic^ael  aßolinod,  atö  fid^  ergab,  bag  beffen  „@eiftlid^er  p^er" 
bie  Seute  gleid^gültig  mad^te  gegen  Stofenfranj  unb  (Srueifi;. 
Die  fübbeutfc^en  ÜRänner,  Don  bencn  bie  Sebe  ift,  oerfe^Iten  ed 
ebenfalls  barin,  bag  fie  bei  i^rem  3^9^  ^^^  innem  3)et)Otion 
nic^t  barum  beforgt  maren,  i^re  Hn^änger  ebenfo  beftimmt  l^in^ 
jumeifen  auf  bie  äugere  ceremonielle  S>eDotion  unb  ßud^t.  SBei^ 
bed  nämlic^  gehört  im  ®inne  ber  fat^olifd^en  ^ird^e  jufammen. 
Sie  ÜR^ftif,  meldte  in  ben  ^löftern  i^re  ^eimatl^  ^at,  bfirfte 
auc^  in  biefen  t^reiftätten  nid^t  geübt  merben,  menn  nid^t  bafelbft 
fär  bie  $ünftlic^feit  in  aUen  Zeremonien  ganj  befonberS  geforgt 
märe.  Slun  lönnte  man  beulen,  baß  bie  Anhänger  jener  a)?än* 
ner  fi^  ju  Kongregationen  in  ber  fatl^olifd^en  ^r^e  geeignet 
Ratten,  mie  bie  lertiarier.  allein  an  ben  SBebingungen  baju 
fefilte  boc^  ba«  SReifte.  S)enn  folc^e  Kongregationen  muffen 
eben  irgenb  einem  Drben  afpliirt  fein,  fie  muffen  fid^  auc^  ein 
gemiffed  Duantum  oon  ceremonieQen  Uebungen  gefaUen  laffen, 
pe  muffen  nad^  ben  @efd^led^tem  getrennt  fein,  unb  enblid^  fic^ 
ber  Auffielt  oon  Sorgcfefeten  unterorbnen.    «n  fold^e  ©c^ranfen 


564 

unter  ben  Qtttoidten  l^aben  lueber  9ood  noc^  ®o§net  nod)  itgenb 
ein  @efinnung8genoffe  berfelben  gebac^U    2)aju  aber  fam/^lofi 
fie  burd^  ben  f$reunbfc^ftiSt)erfe^r  mit  ©liebern  ber  eüangditfc^en 
^ixä)t,  toeld^er  gerabe  auf  ber  religiöfen  Uebereinftimmung  be« 
ru^tc,  bod  politifd^e  3ntereffe  t^rer  ftird^e  Derle^ten.    2>ie  Eat^o« 
lif^en  «uctorit&ten  Ratten  alfo  DoOftanbig  SHec^t,  biefe  aRSnner 
unfc^äblic^  ju  mad^en;  fie  brandeten  i^nen  nur  nic^t  einen  fo 
^äglid^en  Xitel  anjul^eften.    Umgefel^rt  Derrät^  e^  mangelhafte 
Sinftd^t  in  bie  @ad^e,  tocnn  man  ba^  auftreten  unb  ben  (trfolg 
biefer  äJlänner   in  ber  fat^olifc^en  JHrd^e   atö  ein  3^ufltti&  ^^ 
baiS  l£t)angelium  im  @inne  Sut^er'^  ju  betrachten  ))flegt.    ^nn 
ju  biefem  (Evangelium  ^at  fid^   eben  feiner  üon  i^nen  betannt, 
aud^  @ogner  nic^t  in  ber  2eben^e))0(^e,   n^elc^e  ^ier  in  S^etra^t 
fommt.    ^er  SBerfe^r  mit  ©liebern  ber  lut^erifd^en  unb  ber  refor« 
mirten  ^rd^e,  ju  n?eld^em  fie  fid^  ^erbeiliegen,  fann  feine  (lin« 
tt^enbung  gegen  biefe^  Urt^eil  begrfinben.    ^enn  biefe  culttüirten 
fämmtlid^  in  abgeftufter  2)eutlid^feit  Dielmel^r  fat^olifc^e  2)et)otton 
atö  eoangelifc^e  ^^römmigteit.    ^ie  fatl^olifc^en  ^reunbe  alfo  blie^ 
btn  eben  in  bem  in  i^rer  Sird^e  möglid^en  t^c^^noaffer,   ald  fie 
auf  jenen  SSerfe^r  eingingen;   unb  bie  (]r)^eunbe  in  ber  ebonge- 
lif^en  ßird^e  maren  im  Srrt^um,  otö  fie  i^re  m^ftifd^en  Sn« 
fc^uungen  für  ben  redeten  unb  uoQen  euangelifd^en  @lauben  an* 
fa^en.    9n  biefem  Srrt^um  l^at  bie  ©c^latter  reic^lic^  Slnt^eil 
genommen.    Stber  fo  fe^r  i^r  @elbftgefä^l  geftcigert  morben  ift 
burc^  bie  ^^tcunbfd^oft  unb  (S^re,   u^eld^e  fie  biefen  fat^olifc^cn 
©eiftlid^en  abgett^ann,   fo  borf  man  bejtoeifeln,   ob  i^r  ba&  jum 
@egen  gereicht  ^at.    ©ogner  ^at  i^r  Xerfteegen'd  @(^riften  in 
bie  ^anb  gegeben,   unb  fie  boburd^  auf  bie  93a^n  bed  Quieti^ 
mu^  geführt,    d^  ift  gejeigt  n)orben,   tt)ie  tt^enig  fie  in  biefer 
SRet^obe  jur  Slu^e  gefommen  ift.    93ei  i^rem  Xem))erament  unb 
in  \t)xcx  S3eruf^ftellung  tonnte  e^  ouc^  nid^t^  SSerfe^rterei^  geben, 
ote  fie  auf  biefen  äBeg  ju  u^eifen,  ber  für  einfame  unb  ftille 
*  9Renfd^en  gangbar  ift,  nid^t  aber  für  eine  ©atttn  unb  äKutter 
ja^lreid^er  ^nber  unb  für  eine  Seele  mit  einem  fo  unübertoinb^ 
lic^  ftarfen  ©elbftgefü^l. 


565 


25*  Santittl  SoOettittfc^  nnb  feilte  Sil^itle* 

®egen  ba^  Snbe  be^  18.  Sal^r^unbcrtiS  f)at  ber  $iettöinuiS 
in  ben  reformirtctt  Territorien  t)on  S>eutfc^(anb  unb  ber  ©d^toeij, 
fotocit  toir  i^n  bi^^er  ücrfolgt  ^aben,  in  jttjei  ©piclarten  ge^errfd^t, 
in  ber  ortl^obojcen  f$orm,  n^eld^e  üampc  im  Sinüang  mit  ber  nie« 
berlänbifd^en  (£ntn)ide(ung  Vertritt,  unb  in  ber  gorm  be^  Ztt^ 
fteegen'f^en  Ouieti^muS,  bei  n?el(^er  t)on  ber  calüinifc^en  Sr« 
tt^äl^ng^le^re  unb  überhaupt  t)on  bem  SBert^e  ber  Sonfeffioni^ 
firc^e  abgelesen  n?irb.  3^  biefen  beiben  SRid^tungen  gefeQt  fid^ 
eine  britte,  n?cld^e  ben  beiben  onberen  Soncurrenj  mad^t,  inbem 
fie  mit  ber  einen  unb  ber  anbem  t^eitoctfe  übcreinftimmt.  S)a8 
n)ir  ^ier  auf  eine  eigent^ümlid^  unregelmäßige  Srfd^einung  flogen, 
giebt  fic^  fd^on  borin  funb,  ba^  ©amuel  Soüenbufc^^),  beffen 
lEinmirfungcn  gerabe  in  bie  reformtrtc  ^rc^e  einfd^logen,  fflr 
feine  ^erfon  Sut^eroner  roax.  9l(d  fold^cr  ffat  er  hai  Siecht  ge« 
^Qbt,  Srtoä^lung  unb  SSertoerfung  burd^  ®ott  nad^  ber  üor^er« 
gefe^enen  äSärbigfeit  ober  Unn^ürbigfeit  ber  SRenfd^en  ju  oer« 
ftel^en.  ^a%  er  tro^bem  unter  reformirten  ^ietiften  Slnflong 
gefunben  ^dt,  tft  babur^  erflärlic^,  bag  fc^on  Xerfteegen  bie 
ort^obo;  reformirte  Se^re  aber  biefen  $unft  bei  @eite  gefe|t 
^atte.  Stö  Sutl^eraner  l^ot  Soüenbufd^  ferner  in  Serbinbung 
mitibem  $ietii^mud  in  SBürttemberg  geftanben,  unb  feine  au8« 
f^Iieglid^  Quf  bie  l^cilige  ©d^rift  ju  grünbenbe  X^eologie  an 
Scngel  unb  Detingcr  orientirt.  ^icburc^  ober  näherte  er  ftc^ 
bem  Sntereffe  ber  Sampe'fc^en  SHec^tgläubigfeit,  mit  n?elc^er  er, 
mc  bie  S3engerfd^e  @d^ule  bie  Sbftammung  t)on  SoccejuS  unb 
jugleid^  ba^  Sntcreffe  an  ber  Sw^wft  ^^  Äird^e,  in^befonbere 
ber  3ubenbcfe^rung,  gemein  j^at.  ^abei  trennt  i^n  t)on  Zer« 
fteegen  fein  @runbfa$  ber  t^ätigen  Heiligung,  n^elc^e  ber  Qama^ 
t^ung^ber  SBillcnlofigfeit  um  ®ottc«  toillen  birect  miberfpric^t 
SJon  Serfteegen  unb  Sampc,  aber  nid^t  minber  öon  feinen  tt)ürt* 

1)  (Geboren  ^u  aBi^Ungtaufen  bei  Carmen  1.  iBtpi,  1724.  Unt  in 
f)ut8buT0,  1784  in  Ernten,  geftorben  1.  Btpt  1808.  —  ^i.  über  frin  Se* 
ben  0oebel  in  ^er^og'S  9leaI-@nc))no))fibie  VIII.  @.  19—28.  34  benute 
feine  .frflfttung  biblifd^r  SBa^r^eiten',  na4  feinem  Xobe  bon  greunben  ge« 
fammelt  unb  herausgegeben.    9Uun  Qefie.    (Siberfelb  1807  ff. 


566 

tembergtfc^en  ä^orbUbern  unterfd^eibet  t^n  bann  eine  ©efammt^ 
Qnfid^t  k)om  S^riftent^um,  n?e(d^e  i^n  jugleid^  ju  einer  ahtotu 
^enben  SSorfteQung  t)on  bem  SSerfe  unb  t)on  ber  $erfon  S^rifti 
angeleitet  i)at. 

93et  ber  f^ftemotifd^en  X^eologie  fommt  ed  bcfonntlic^  ba« 
rauf  an,  ben  Snl^alt  ber  d^rtftlid^en  Sleligion,  in^befonberc  bie 
Srlöfung  burd^  S^riftniS  nac^  bem  aRagftabe  einer  allgemeinen 
(Srfenntnig  Don  bem  ä^erpitnig  jn?ifd^en  ®ott  unb  bem  äRen« 
fd^engefd^led^t  ju  orbnen.  S)ie  Ideologie  wirb  öerfd^iebenartig 
auiSfaüen,  ie  nad^bem  man  biefe  Siegel  t)on  ben  (Erfahrungen 
E^rifti  felbft  unb  ber  an  i^n  ©laubenben  abftral^irt  ober  pc 
anber^mo^er  fd^öpft.  Ser  le^te  %aü  gilt  t)on  aller  bi^  auf 
SoQenbufd^  t)erlaufenen  Ortl^obo^ie.  SQerbingS  mu^  jebe  ^orm 
d^riftlid^er  Seigre  anerlennen,  baß  bie  Uebel,  »eld^e  ben  @lSu« 
bigen  treffen,  nid^t  ben  S33ert^  öon  SSergeltungöftrafen  im  allge- 
meinen, fonbem  regelmäßig  ben  oon  ©rjie^ungömitteln  unb  $rfi^ 
fungen  l^aben,  unb  ben  SBertl)  t)on  SBergeltung^ftrafen  nur  aud« 
na^nrötoeife  unb  unter  befonberen  Sebingungen.  3nbcjfen  alle 
biSl^erige  Drtl^obojfie  ftfi^t  fid^  auf  bie  aud  bem  ^eibentl^um  unb 
getDiffen  (Einbrüdten  ber  altteftamentlid^en  ©efc^id^te  gefc^öpfte 
Siegel,  baß  ®ott  bad  SBerpltniß  ber  9}2enfd^en  ju  ftd^  nad^  bem 
©runbfa^  ber  SSergeltung  orbne,  unb  nad^  bem  ber  notl^menbi« 
gen  @traft)ergeltung  für  ben  fJfaQ  ber  Uebertretung  bed  göttlichen 
@efe^e$.  @oQ  nun  aber  in  bem  @ebiete  be^  S^riftent^umiS 
nid^t  biefe  Siegel,  fonbern  bie  entgegengcfefete  Siegel  ber  @nabc 
gelten,  fo  mirb  t)on  jener  SSorau^fe^ung  bod^  ber  @ebraud^  ge« 
mad^t,  baß  an  bem  SS}enbe))unft  jn^ifd^en  ber  urfprfingli^en  unb 
ber  d^riftlid^en  SBeltorbnung,  nämlid^  an  ber  $erfon  (S^l^rifti, 
ber  ©runbfafe  ber  ©trafuergeltung  gegen  bie  fünbige  äWcnfc^^eit, 
unb  bie  unerfüllt  gebliebene  ^orberung  beiS  göttlichen  ®efe|ed 
erprobt  »orben  fein  muffe.  S)ie  öon  il^m  abftammenbe  Drbnung 
ber  @nabe  »irb  alfo  baburd^  unter  bie  urfprünglid^e  Drbnung 
beg  SSergeltung^red^teö  fubfumirt,  baß  E^riftu^  für  alle  9Ken* 
fd^en  bie  SSerbammung^ftrafe  erlitten,  unb  bie  gefefelic^e  fjorbe« 
rung  fünblofer  SJoIKommenl^eit  erfüllt  l^abc.  S)enn  öon  ber  fort^ 
bauernben  ©ültigleit  biefer  fteHöertretcnben  ©enugt^uungen  G^rifti 
an  ®otte^  ®ered^tigfeit  unb  @efe^  mirb  eS  abhängig  gemad^t, 
baß  bie  an  S^riftu^  glaubenben  SReufd^en  nad^  ber  Siegel  ber 
@nabe  @otteS  beurt^eilt  loerben.    S)aiS  @efüge  ber  Serfö^nungS^ 


567 

Icl^rc,  toeld^c«  in  bicfcr  $räcifton  in  bcr  Il^coloflic  bcr  fiutl^craner 
unb  ber  Slcformirtcn  ju  ©tonbc  gefommen  toax,  fjattt  eine  Der* 
fc^ärfte  ^eutlid^feit  burd^  Socceju^  empfangen,  inbem  bte  nu 
fprünglid^e  SEBeltorbnung  ate  ber  93unb  ber  SBerfe  bejetc^net 
tt)orben  xoax.  ^enn  bte  finnenfäUigen  ^anblungen  ftnb  gerabe 
ber  @toff,  meld^er  bte  Seurtl^etlung  burd^  bo^  SHed^t  ^erauiSfor« 
bert.  3nbeffen  ift  jene  gormel  b^  Eoccejug  fein  neuer  ®ebanle, 
ha  aQe  Ort^obo^en  ba^  SSerge^en  ber  ©tammältem  gegen  bad 
SBerbot  @ottc^  ald  Uebertretung  be^  aQgemetnen  unb  emigen  ®e> 
fe^ed  ®ottci  t)erftQnben  l^atten.  SSor  nun  aber  burd^  biefen 
S(ct  ba^  ganje  SRenfd^engefd^Ied^t  ber  SSerbammungdftrafe  t)er« 
fallen,  fo  ipurbe  auö  ber  öorau^gefefeten  Äegel  ber  Vergeltung 
gefolgert,  bag  ber  anbere  Slbam  biefe  SSerbammungSftrafe  abge« 
tragen  l^abe,  um  fortan  ber  Siegel  ber  @nabe  Slaum  ju  i)cx^ 
fc^affen. 

Sd  tft  oft  genug  nad^gemtef en ,  bag  btefer  3ufctmmen^ang 
bte  {Regel  beiS  d^riftlic^en  Sebend  einem  ®runbfa|  jübtfd^er  unb 
l^eibnifd^er  SSernunft  untern^irft.  ^ie  Sln^änger  biefed  t^eologi* 
f^en  SBerfa^ren^  äben  fid^  nur  um  fo  mel^r  in  ber  S)reiftigfeit, 
ben  ^el^ler  bed  funbamentalen  Slationali^mud ,  ben  fie  felbft  be^ 
ge^en,  benjcnigen  t)oriurü(ten ,  toelc^e  fic^  t)on  bemfelben  befreit 
^aben.  S^riftlid^e  iBernunft  aber  n)irb  fic^  beffen  enthalten,  bie 
@eftalt  S^rifti  nad^  einer  beliebig  interpolirten  SSorfteQung  t)on 
9lbam  )u  meffen;  t)ielme^r  n)irb  fie  bte  allgemeine  ©tellung  ber 
9Rcnfd^^eit  )u  ®ott  nad^  ben  erfennbaren  Regierungen  ber  $er« 
fon  S()rtfti  beurt^eilen.  ^enn  aud§  bie  äSergleid^ung  gn^ifd^en 
ben  beiben  $olen  bed  äRenfc^engefc^led^teS  burc^  $auluiS  ift  k)on 
S^riftu^  au$  entworfen,  ^emgemäg  ^at  fid^  aud^  SoQenbufc^ 
orientirt.  ^er  Stngelpunft,  um  ben  fid^  feine  neue  t^eologifd^ 
©efammtanfd^auung  bre^t,  ift  in  bem  unfd^einbaren  ©a^e  ent« 
l^alten:  ,,9bam  ift  gcprfift  morben,  nid^t  ob  er  bleiben  tt^ürbe  in 
bem  ©efcfe  ber  SBerfe,  fonbcrn  im  @efe^  beö  ®lauben^;  benn 
ee  giebt  jÄeierlci  ®efcfec  nad^  9iöm.  3,  27"*).  hierin  nämlid^ 
ift  bie  grünblid)cre  Setrad^tung  eingefd^lagen,  n?eld^e  nid^t  nur 
baö  SJiotio  ber  crfd^cinenben  ^anblung  beftimmt,  fonbcrn  ju« 
gleid)  auf  bie  Suctorität  @otted  ald  auf  bie  9lorm  ^inUKift, 
n?eld^e    in  ber  Uebertretung  bed  äSerbotei^   t)erle^t  n)orben  ift. 


1)  drnarutns  mi  SGa^t^eiten  I.  9anb.  6.  256. 


568 

©oD  bte  ^anblung  9[bam'S  td\%\ä^  t)erftanben  koerben  —  uitb 
barauf  fommt  eiS  bod^  an  --  fo  tnug  in  ber  Uebertretung  bed 
Döttltd^en  ©efe^eS  bte  Serle^ung  bei^  @(Qu6cn^  an  ben  ^cildgott 
erfoimt  toerben.  S)te  X^eologie,  n?elc^e  fi(^  biefer  Sntfd^eibung 
entl^ält,  6let6t  an  ber  Oberfläche  l^aften,  unb  fte  begtebt  ftc^  in 
einen  f))eciftf^en  ^cf)lex,  tnenn  fte  i^re  oberftad^Uc^e  Betrachtung 
ber  erften  @ünbe  atö  SSerftog  gegen  einen  blod  erbid^tetcn  ^nb 
ber  SBerfe  ftjcirt,  unb  bie  funbamentale  S3eurtl^etlung  bed  8er< 
pitniffe^  @otted  ju  ben  SRenfc^en  auf  eine  Uorgebli^  bon  ®ott 
eingerid^tete  @egenfeitig!eit  t)on  Siebten  ^inaui^fü^rt.  3)tefe  gai^ 
äßet^obe  ift  fd^on  baburd^  üerurt^eilt,  bag  bie  Sugdburgifc^ 
Sonfeffton  %xt.  2  bad  äBejen  ber  @ünbe  aU  ben  SKangel  an 
lE^rfurc^t  unb  SBertrauen  gegen  @ott  bejetd^net.  SoQenbuf^ 
erprobt  nun  bie  Slic^tigfeit  bed  obigen  @a^ed  baran,  bag  au^ 
Sl^riftud  burd^  bie  SSerfuc^ung  bed  Xeufel^  barin  geprüft  »orben 
ift,  ob  er  bai^  @efe^  be^  @lauben$  gegen  ben  9leij  ber  £uft 
aufredet  erl^alten  »erbe,  äugerbem  aber  ift  burd^  feine  Setben 
bie  @tanbl^aftig!eit  feines  Glaubend  an  @ott  unb  feines  ftttltd^en 
©el^orfamS  gegen  benfelben  geprüft  loorben.  ®iefe  ©tanbl^aftig« 
!eit  ^at  nun  S^riftuS  ben^ä^rt,  unb  ^at  ben  üoDfornmenften  ®e» 
l^orfam  bis  anS  ^euj  geleiftet,  entgegen  ber  Haltung  Slbam'S, 
totlä)cx  bie  Prüfung  feines  ©e^orfantS  unb  @(aubcnS  nic^t  bts 
ftanben  ^at.  ®ie  ^rüfungSleiben  S^rifti  aber  finb  feine  ©träfe 
fär  il^n,  aud^  nid^t  im  ©inne  ber  SBertretung  ber  ©ünber.  @o 
loie  bte  3il^tigungen  ber  S^riften  SD^erfmale  unb  Sorred^te  i^rer 
©otteSünbfd^aft  unb  Sennjeic^en  ber  Siebe  @otteS  gegen  fte  ftnb, 
fo  finb  bie  Seiben,  loelc^e  Sl^riftuS  trafen,  nur  Prüfungen  fetneS 
©e^orfamS.  9lirgenbtD0  bietet  bie  l^eilige  ©d^rift  ben  @q^  bar, 
bag  @ott  S^riftuS  geftraft  f)abe,  Dielnte^r  ^at  er  ben  Xob  frei« 
iDiQig  über  ftd^  genommen;  nirgenbioo  merben  feine  Setben  t)om 
dorn  @otteS  abgeleitet;  mit  iBorbeba^t  bat  $auluS  ®al  3,  13 
fid^  gehütet,  SbnftuS  ju  bejeid^nen  a(S  Don  @ott  t)erflu(^t; 
^öBcnftrafcn  fonnten  ben  nid^t  treffen,  ttjeld^er  ber  «ßer^eiligfte 
ift.  S)ie  SBorftellungen  beS  SöfeprcifeS  unb  beS  DpferS  brfiden 
ettDaS  ganj  SnbereS  aus,  unb  ber  Xob  fd^liegt  in  Xnfe^ung 
Sl^rifti  fo  n?enig  ben  SBertl^  einer  ©träfe  in  fid^,  als  überhaupt 
ber  lob  bie  fpecififd^e  ©träfe  ber  ©ünbe  ift.  ®iefe  «nfi^t 
^ätte  SoUenbufd^  ebenfalls  an  ber  ©elbftbeurt^eilung  ber  S^ri» 
ften  Orientiren  tonnen;  fo  mie  er  fte  auSfpric^t,  oernetnt  er  eben^ 


569 

falte  eine  Srolserung  au^ber  iuriftifd^enSäetrac^tungSiDetfe/ioeld^e 
feit  Kuguftin  in  bte  6i6ltfd^e  Urhtnbe  eingefc^oben  ju  »werben 
pftegt.  S)ie  @finbe  unb  bte  aOoemeine  X^atfad^e  beiS  ©tcrbeni^ 
leitet  er  aOerbingiS  bon  W>am^  Ungel^orfam  ab;  aber  otö  einen 
©c^aben,  an  tnelc^em  nid^t  mir,  fonbern  eben  bte  ©tamnt:» 
altern  fc^ulbtg  ftnb.  3)ed^alb  ift  aud^  ein  neugeborene^  ^inb 
jmar  nid^t  o^ne  @ebred^en,  aber  e^  ^at  fid^  nod^  nic^t  felbft 
üerfd^ulbet  unb  berberbt  burd^  bad  @äen  auf  baiS  ^ki\df.  ,,@d^ulb 
nun  ift  jeberjeit  eine  SBerpflid^tung  )ur  Srftattung;  ©träfe 
aber  ifi  nid^t  Srftattung  ber  ©d^ulb";  alfo  ift  aud^  bemgemäg 
nid^t  barauf  ju  red^ncn,  bag  bie  @utmad^ung  bc^  burd^  W>am 
berfc^ulbeten  ©d^abend  ber  äßenfc^en  burd^  S^riftud  in  ber 
gorm  einer  fteUöertrctcnben  ®eftrafung  erfolge. 

3ft  jebo^  ber  ©tammt)ater  Don  SRed^t^ioegen  fd^ulbig, 
ben  ©d^aben,  ben  er  feinen  9lac^!ommen  jugefägt  ^at,  ju  erfe^en, 
unb  ift  bei  ber  birecten  Unmdglic^feit  biefer  Seiftung  S^riftuiS 
an  feiner  ©teile  berufen,  ben  Ungel^orfam  Slbam'd  ju  oergüten; 
ift  n^eiter^in  bie  $räfung  beS  ©el^orfami^  @^rifti  burc^  Seiben 
rec^tlid^  gefd^el^en,  fo  ^aben  biefe  ©ä^e  bon  SoQenbufd^  ben 
Snfc^ein,  atö  ob  er  bie  Deutung  bed  äBer!eiS  Sl^rifä  Don  bem 
äKagftabe  bed  öffentltd^en  Sled^te^  auf  ben  beS  $rit)atred^te^ 
jurfictgebilbet  ^abe.  S>iefed  ift  jebod^  nic^t  ber  fJfaO.  Sie  83er^ 
pflic^tung,  ben  ©c^aben  ber  ©ünbe  ju  tilgen,  n^eld^e  an  ber 
Herbeiführung  beffelben  ^aftet,  unb  toeld^e  S^riftu^  erfüllt,  gilt 
nic^t  ©Ott  gegenüber ,  fonbern  bem  9Renf d^engef c^led^t.  Unb  bie 
SHed^tntägigfett  ber  ^rufung^leiben  S^rifti  bebeutet  i^rc  3^^^ 
mägigleit  ($ebr.  2,  10)  ober  fittlic^e  9lot]^n?enbig!eit  einmal  ^nx 
SoSenbung  bed  ©el^orfam^  S^rifti  felbft,  bann  aber  baju,  bag 
er  aU  ^önig  ber  ganzen  ©^öpfung  unb  $o]^er))riefter  ^aupt 
feiner  ©emeinbe  unb  Siid^ter  aud^  über  feine  SSeräd^ter  fei,  bie 
er  burd^  bie  ftrengftcn  äWittel  jur  ©ienftleiftung  unb  ©rftattung 
ic»  angerichteten  ©d^abena  anhält,  ^iefe  S)arfteaung  n)eid^t 
Don  ber  ^ergebrad^ten  Seigre  aud^  barin  ab,  bag  bo^  jiönigt^um 
S^rifti  feinem  ^o^enprieftertlium  übergeorbnet  n?irb,  unb  jioar 
in  Sejiel^ung  auf  ben  (^olg  für  S^riftuS  felbft.  Stdmlid^  toa& 
bie  Ausübung  biefer  äemter  betrifft,  fo  ift  nad^  ber  ^crgcbrac^* 
ten  fiel^e  S^riftud  früher,  nämli^  in  feinem  Seiben,  aU  ^o^er« 
priefter  ttnrffam,  fpäter  in  feiner  Sr^ö^ung  al&  ftönig.  SoQeni* 
bufc^*d  abmeid^enbe  SKeinung  aber  loirb  burd^  feinen  ©dualer 


570 

Sol^ann  ©crl^arb  ^afcnlomp*)  bal^tn  erläutert,  bofe  6^ri* 
ftu^  um  feines  äBo^toer^altenS  toiOen  n?firbtg  unb  gef^tdt  ge« 
n?orben  fei,  bcn  oDeroberften  Soften  in  ber  {Regierung  oQer  VkU 
ten  jit  befleiben,  unb  bag  in  biefer  feiner  SJlac^tfteQung  bie 
l^o^enpriefterlic^e  Function  eingefd^loffen  fei,  bie  ©ünbenfd^ulben 
ju  erloffen  unb  fein  unauflöSlid^eS  fibematfirlic^ed  £e6en  mit« 
jut^eilen. 

S)ie  ännäl^crung  biefer  JBeftimmungen  an  ben  ©ocinianiS^ 
muS  ift  oft  genug  bemerft  roorben;  fie  wirb  fogor  üon  ^afen» 
fam^  an^hx&dliä)  jugeftanben.  S)iefelbe  rü^rt  ba^er,  bog  ^icr 
bie  Deutung  ber  $erfon  Sl^rifti  innerhalb  il^rer  gefd^ic^tlid^en 
Crfd^einnng  ebenfo  mangelhaft  orientirt  ift,  toie  im  ©ocinianid» 
muS.  3n  beiben  Sel^rarten  nämlid^  mirb  Sl^riftuS  ald  bie  ein^ 
jclne  $erfon,  atö  baS  ©ubjcct  ber  inbiöibueQen  fittlid^cn  Sebenö* 
fä^rung  betrad^tet,  unb  bie  abfid^tlid^e,  not^n?enbige  unb  xtut^tnU 
liäjt  Delation  berfclben  auf  bie  ©emeinbe  Sl^rifti  ober  bie  neue 
äRenfd^^eit,  loeld^e  in  feinem  93eruf,  ha^  fRdä)  @otted  unb  bie 
SSerfö^nung  ju  ftiften,  ju  ericnnen  ift,  gelangt  nic^t  jum  Äu^ 
brucf.  auf  biefem  5ßunft  ^at  au^  ©ottfrieb  aRenIcn*)  bie 
Se^re  öon  KoKenbuf^  nid^t  toirlli^  Uerbeffert.  ®enn  baß  in 
ber  äSoQenbung  beS  ©e^orfamS  S^rifti  bie  menfd^lid^e  9latur 
fünbloö  bargefteKt  toorben  ift,  ge^t  nur  bie  5ßerfon  C^riftuS  an, 
aber  effectiö  feine  anbere  ^erfon.  SBenn  man  nid^t  baS  fönig^ 
l\ä)t  ämt  au(^  in  ber  irbifc^en  SebenSffil^rung  ©l^rifti  nad^toeift, 
fo  fann  man  nid^t  ben  ©e^prfam  im  lobe  für  bie  SSerfo^nung 
ber  ©emeinbe  toertoert^en.  Slber  eben  biefe  ©rfcnntnig  fc^lt  ber 
©d^ule  t)on  EoDcnbuf(^  wie  bcn  ©ociniancrn,  ihbem  bcibc  ^r* 
teicn  S^riftuö  nur  ate  inbiuibucHe  ^erfon  lennen,  beuor  fie  i^m 
feit  ber  ÄuferttjedEung  bie  S^rc  ber  ©ottl^eit  unb  ^errf^aft  bei* 


1)  Geboren  ju  30e4ie  in  ber  (S^raff^aft  Ztdltnhnx^  1786,  Stector  bei 
(S^mnaflumS  au  Duisburg  1766,  ge{iorben  1777.  Sgl.  ben  oben  6.  503  an* 
geführten  IBriefme^fel  s^ifd^cn  Saüaier  unb  J^afenlamp.    6.  182.  166. 

2)  Ser(u4  einer  Anleitung  ^um  eigenen  Unterrtd^t  in  ber  ^eiligen  @4^ft, 
1805  (1825);  bie  eherne  Solange,  1812  (1829).  95gl.  5el^re  üon  ber  »e^t» 
fertigung  unb  SJerfö^nung  I.  S.  568;  III.  @.  492.  —  3Kenfcn  ifl  geboten  in 
SBremen  29.  9Wai  1768,  pubirte  in  3ena  unb  ©utfiburg,  $rebiger  1794  in 
gronffurt  ü.  9Jl.,  1796  in  SBe^lor,  1802  in  SBremen  an  6.  *auli,  1811  ^ri* 
moriuS  an  6.  Martini,  geworben  1.3uni  1881.  Sgl.  (S.  ^.  0iIbetnetflet, 
fieben  unb  SBirlen  bon  (Soitfrieb  ^enfen.    2  SB&nbe.    Sternen  1861. 


571 

legen.  S)iefc  fel^Ier^afte  äuffaffung  brücft  Soßenbufd^  ncbft  fcU 
nen  ©d^ülem  tl^citö  bur^  bic  fogenannte  X^corte  ber  Senofe, 
ti)cU&  burd^  bic  riod^  befrembenbere  Sel^auptung  an^,  bag  ^f)xu 
ftud  an  bem  ß^ft^nbe  bed  mcnfd^Ud^en  äSefenS  tl^etlgenotnmen 
^obe,  toeld^et  burd^  Slbatnd  Unge^orfam  l^erbeigefü^rt  ift.  S>ag 
alfo  &)xi\m  in  bcr  ©eftalt  beg  ffinblid^en  gflcif^e«  öon  @ott 
gefanbt  [et,  foQte  aud  fRöm.  8,  3  l^eraudgelefen  n)erben.  ^amtt 
toai  frcilid^  m6)ti  tocniger  gemeint  ate  ein  S^^if^^  ^n  bcr  effcc« 
tiüen  fittUd^cn  SSoQfommenl^cit  unb  @ünb(oftgfeit  6:i^rifti.  @oU 
Icnbufc^  fal^  \\ä)  uiclmc^r  nur  aud  ber  9tüdCftd^t  ju  jener  9e^ 
l^auptung  beioogcn,  loetl  eg  ^ebr.  4,  16  l^cigt,  ba^  S^riftud  gc« 
prüft  ober  t)erfu(i^t  n)orbcn  fei  (nid^t  n)ic  Sbatn,  fonbern)  n^ie 
n)ir!  ^ic  ©ocinianer  l^atten  bic  @Icid§^eit  beS  ffinbloS  t)oIRom« 
menen  S^riftug  mit  ben  übrigen  äRcnfc^en  inf^infid^t  bcr  fitt^ 
Ud^en  Seben^fü^rung  baburd^  erreid^t,  bag  fie  bic  Srbfünbc  leug« 
neten.  S)ie  entgegengcfe|te  (Sntfc^ctbung,  n^eld^c  SoQenbufd^  unb 
§afcnfamp  barbieten,  ift  jebod^  nur  eine  golge  bc^  SBud^ftabcn*: 
bienftei^,  meldten  ber  (entere  einmal  fe^r  angclcgentlid^  ^erau^ 
ftreid^t ').  ®enn  eigentUd^  nimmt  ja  aud^  SoQenbufd^  bic  Srb« 
ffinbe  in  bem  ))oftttt)cn  @innc  als  concupiscentia  nid^t  an,  inbem 
er  bic  allgemeine  @terb(id^feit  t)on  Slbam  t)erfc^u(bet  fein  lägt. 
Unb  feine  Unterfd^eibung  jn?ifd^en  ben  Prüfungen  k)or  bem  ®ün« 
benfaQ  unb  nad^  bemfelben  ift  nichtig,  ba  SSerfud^ung  überl^aupt 
ein  @runb  möglid^er  ©ünbe  t)on  auberer  Slrt  als  ber  fünbige 
§ang,  unb  nur  bann  ju  ftatuiren  ift,  wenn  feine  fünbige  Sc* 
gierbc  im  ©piele  ift.  ^iernad^  ftcl^t  bic  SSerfud^ung  für  S^riftuS 
auc^  bei  feiner  @ünb(oftg!eit  ben  äSerfud^ungen  ganj  gleid^,  toeld^e 
bie  fünbigen  äRenfd^en  nur  in  fold^en  ©ituationen  erfahren,   in 


1)  tBrifftoe^fel  6.  131.  .(9^a  ri^tete  fi4  m^  ber  menf^Itd^n  9{ahtr 
unb  beoba^tete  ni^t  bie  auSgef^iro^enen  ^u^flaben.  f)ur4  bie  forofaittgfte 
^eoMtung  ber  $u4fto6en  ($falm  40)  (ot  ber  ^efftaS  bie  menf^U^e  9loiur 
loieber  (ergefleat.  ^ur^  an^altenbe  IBe^ersigung  ber  ^u^jlaben  toirb  ber 
0ei{i  im  iDlenfd^n  geboren  .  .  .  ^ur^  boS  Sfeft^alten  an  ben  ^u^ftoben  ijl 
SefuS  »firbig  getoorben,  fid^  s»  fe^en  ouf  ben  2:(ron  ber  9J{QJejl&t  in  ber  ^ö^e.' 
^an  fie^t,  in  biefen  Sefenntniffen  errei^t  ber  $ietiSmu8  gerabe  baS  (Entgegen* 
gefe^e,  aU  t)on  »o  er  ausgegangen  ift.  f)a  nun  biefer  (i^runbfat  t)on  ^fen« 
iamp  conftiiutib  getoorben  ift  in  ber  %xi,  toxt  ber  $ietiSmuS  bie  (eiüge  S^rift 
bel^nbeli,  fo  ift  au4  baran  bie  grttnbUd^e  iBeranberung  ber  Siid^tung  binnen 
150  ^a^ren  )u  erfennen. 


572 

loeld^e  fte  unfd^ulbig  unb  atö  Unfd^ulbtge  ffir  ben  (efttminten 
fJfaQ  geratl^en.  Unabftd^tltd^  gtcbt  SoQenbufd^  felbft  btcfett  @a| 
ju,  tnbem  er  bei  einer  anbcm  SSeranlaffung  fogar  ben  9lu8fpruc| 
tl^ut,  bafe  feiner  geprüft  werben  fann,  »enn  er  ntd^t  üor^er  ein 
guter  9Renfd^  geworben  ift  *). 

S)er  ©ociniani^mug  ift  befanntlid^  ein  t^eologif^c«  ©Aftern 
Don  Qbfi^tlid^  biblifd^em  unb  burd^auiS  fupranaturQliftifc^em  @e» 
präge,  ^t^fjalb  erftredt  fi^  bie  Analogie  jwifd^en  i^m  unb  ber 
fie^re  t)on  SoQenbufd)  anä)  auf  bie  Deutung  beiS  Sleid^ed  S^rifti, 
}U  beffen  ÜBe^errfd^ung  berfelbe  burc^  feine  Sewäl^rung  in  Seben 
unb  Seiben  erhoben  ift.  ^er  biblifd^e  SHeoIi^mud,  wie  ntan  je|t 
baö  auf  biefent  fünfte  geltcnbe  3ntereffe  öon  EoBcnbufc^  nennt, 
crfcfieint  nur  in  ber  JBergleid^ung  mit  ber  aufflärung^tl^eologie 
otö  etWQg  93efonbere^  unb  SScrtl^boQe^ ;  aber  alle  3^9^»  weld^e 
feine  Sluffaffung  bed  9ieid)ed  Sl^rifti  bejeid^nen,  finb  auc^  bei  bot 
©ociniancrn  ju  finben*).  3lai)  SoDenbufd^  fc^icft  e«  jic^  nic^t, 
S^riftu^  einen  moralifd^en  $önig  ju  nennen.  Sr  ift  tnelme^r 
bad  ^aupt  aDer  Sreoturen,  ber  9laturbinge  wie  ber  SRenfc^, 
ber  böfen  wie  ber  guten  (Sngel.  3^*  ^^^  Segriffen  öon  bicfcm 
SReic^e  ge^rt  aud^,  bag  bie  SBunber  ni^t  fowo^I  Sßirfungen  ber 
einfad^en  Slllmad^t  @otted,  a(d  SEBirlungen  ber  !önig(td^en  9iegie^ 
rung  S^rifti  finb,  weld^e  auf  baö  ®ebet  ber  Slot^Ieibenbcn  in 
ber  ^örperwelt  burc^  bie  (iebeuoQe  ^ienftbarfeit  ber  ISngel  jur 
Sfreubc  ber  Siot^teibenben  au^efü^rt  werben.  3n  bem  ütidft 
e^rifti  ift  bie  Siebe,  wcld^e  atö  ber  wefcntUd^c  SBiUe  ©otteÄ 
überhaupt  burd^  i^n  offenbart  worben  ift,  bie  leitenbe  unb  alle^ 
jufammenfaffcnbe  äRac^t  ate  bie  greube  an  ber  ©lüdEfeligfcit  ber 
ätnberen.  2Ba§  ®ott  in  feinem  Äeid^c  ben  äWenfc^en  leiftct  unb 
öon  i^ncn  forbcrt,  rid^tct  ficf)  nadft  ©ottc^  Siebe  gegen  feinen 
eingeborenen  ©o^n,  gegen  bad  ganje  9lei^  unb  gegen  jebe^  ein» 
jelnc  ©lieb  bcffclben.  S^fl^cid^  aber  ift  ju  bemerfen,  ba§  auc^ 
biefeö  9ieid^  nid^t  o^ne  Drbnung  unb  JRed^t  befte^en  fann.  Die 
eigent^ümlic^fte  ?lnwenbung,  weld^e  biefer  ©a|  in  ber  Annahme 
t)on  ©tufcn  ber  Heiligung  unb  ©cligfeit  finbet,  foQ  l^ier  junäc^ft 
nur  berührt  werben.  Ucbrigen^  gehört  e^  jur  Drbnung  bcg  Äei* 
d^eS  S^rtfti,  bag  wenn  S^riftu^  in  ber  9Ritte  berer  gegenwärtig 


1)  (SrfIffniiiQ  btMifd^er  SBa^r^etten  I.  6.  235. 

2)  gfocf,  SocinianiSmuS  6.  640  f. 


573 

ift,  loeld^e  ftd^  m  feinem  iRamen  t)erfammeln,  um  il^nen  nü|(id^ 
ju  fem,  bicfc?  üon  feiner  SBirfunfl  üerftanben  »erben  muß.  (Ed 
gel^t  birect  gegen  Sat)ater'd  Snficl^t  (@.  513),  bag  SiüQcnbufc^ 
bie  äSerl^eigung  @^rifti  ni(^t  förperli^  fonbern  reid^^mägig  ge^ 
beutet  toiffen  loiQ.  SSa^  ber  3tt)inglianer  atö  bie  aQgenteinfte 
SBal^rl^eit  bed  @:^riftent^umd  in  ^nfprud^  nimmt,  bag  @:^riftud 
in  feiner  uerllärten  menfd^Ii^en  ©cftalt  an  taufenb  Orten  ju* 
gleich  perfön (id^  gegenn?ärtig  fei,  lel^nt  ber  Sut^eraner  SoQen:' 
buf^  pofitik)  ab,  unb  berjid^tet  ^ieburd^  mä)  auf  bie  allgemeine 
93orau^fe|ung,  n^elc^e  ber  $ietidmu^  uon  bem  -^eiligen  Sem^arb 
^rfibergenommen  ^atte.  SoQenbufd^  unb  feine  ©d^üler  nel^men 
nid^t  an  ben  gormein  bed  järtlid^en  SSerfel^re^  mit  bem  $erm 
3efud  X^eil.  Umgefe^rt  ^at  Saüater  fc^tt^erlid^  Unrecht  gel^abt, 
fi^  guf  bie  au^  Safob  >  99öl^me'S  3been  ergänjten  fRei^dbegriffe 
^afenfam))'^  üom  @atan  nid^t  einjulaffen  (@.  507).  Snbeffen 
noc^  aud  einigen  anberen  Folgerungen  t)on  ^afenfamp  ift  erfid^t^: 
lic^,  n^eld^e  Sebeutung  bie  Se^auptung  ^at,  bag  bad  9iei^  @:^rifti 
burd^  9ied^t  georbnet  ift.  ®egen  fiaüater'd  fc^ranfenlofe  Srtoar^ 
tung  in  ^infid^t  ber  ©ebet^erl^örungen  fd^reibt  ^afenfamp,  bag 
man  bie  (Srprung  felbft  Don  ber  Slrt  ber  Sr^örung  ju  unter^^ 
f^eiben  f)abe.  „SUe  ©ebete,  bie  ben  äßiQen  @otteiS,  b.  ^.  feiner 
Statur«,  ^olijei«  unb  @uabenorbnung  gemäg  finb,  n^erben  erhört, 
aber  mand^mal  fc^r  langfam  unb  fpät,  manchmal  auf  eine  ganj 
anbere  Srt,  atö  mir  gebac^t  ^aben.  äßir  muffen  ba^er,  um  rid^tig 
ju  urtl^eilen,  alle  göttlid^en  ©d^riften  {ufammenne^men ,  alle 
Spräche  in  allen  i^ren  SSer^ältniffen  unb  i^rem  3uf<^inen^ange 
mit  ber  gefammten  @c^riftp^ilofopl^ie  ermägen.  Sin  ieber  99eter 
alfo  prüfe  fd^arf,  tt)a§  nac^  @otte^  SSiQen  fic^  für  i^n  fd^ide, 
fonft  fann  man  bei  ben  ernftlic^ften  Slbfid^ten  unb  @ebeten  in 
üiele  9h)t^  gerat^en"^).  2)ad  fommt  auf  bie  SReinung  l^inauiS, 
tt)eld^e  ©tiUing  k)on  ber  @ad^e  ^egt  (@  529).  (Eine  äl^nli^e  Sin^ 
fd^ränfung  lägt  ^afenfamp  ber  pietiftif^en  Siebling^uorfteüung 
uou  ber  SEBieberbringung  angebet^en.  „(Sx  glaubt,  mc  er  fagt, 
lool^l  eine  juffinftige  jufriebene  Untertpnigfeit  aller  ®inge  aufS 
(Srlenntnig  bed  Sled^ti^,  aber  feine  äBieberbringung.  2)er  Xeufel 
toirb  niematö  ju  feiner  vorigen  ^errlid^feit  toiebergebrac^t,  tt^enn 
er  gleid^  nad^  erlernter  Untert^änigfeit  in  miliigen  ^ienften  jum 


1)  «tleftoe^fel  6.  32. 


574 

93eften  ber  t)on  tl^m  t)erffil^rten  SRenfd^en  (Sl^rifto  aud^  l^ulbigen 
unb  ©Ott  bonfcn  wirb.  S)ie  öcrbammtcn  SRcnfc^cn  erlangen 
nimmer  bie  ^ier  uerfd^erjtc  ^errltc^feit  n)teber.  lE^  ge^t  aüt^ 
nad^  Orbnung  unb  Siedet.  äBad  in  ber  6e[onbern  ©nobenseit 
ucrfäumt  toirb,  bog  wirb  in  ber  ^öDc  wal^rj^oftig  nie  toiebergc* 
6rad^t"  0- 

®er  ^QUptpuntt,  an  meld^em  SoQenbufd^  bie  ©eltung  t)on 
9{ed^t  unb  Drbnung  im  SReid^e  (S^rifti  bewal^ren  wiQ,  ift  bie  Wh 
ftufung  ber  ©eligleit  nad^  bcn  ©raben  ber  Heiligung.  6r  ift 
jugleid^  barauf  bcbad^t,  bie  SRed^tfertigung  t>or  ber  Heiligung 
fidler  ju  (teilen,  inbem  er  jwifd^en  ber  ©nabe  be^  ©rlaffe«  ber 
©d^ulben  unb  ber  ©abe  be3  ^eiligen  ©eifte^  unterfd^eibet.  Allein 
na^  äRaggobe  feiner  eigenen  (Erfahrung  unb  ber  ^eobod^tung 
Ruberer  legt  er  baS  ^auptgemid^t  auf  bie  le^tere  SBa^rl^eit.  Sr 
erjä^It,  wie  er  frfil^  bie  ©eltung  S^rifti  für  uniS  fic^  angeeignet 
l^abe,  aber  babei  ber  äJleinung  gewefen  fei,  bad  ©anje  ju  befl|en. 
Sr  glaubte  bie  Vergebung  ber  ©finben  unb  weiter  nid^tiS.  2)urd^ 
Seibnife  I^eobiceen  warb  er  auf  bie  ^errlic^Ieit  be«  G^riftenberuf« 
aufmerffam,  unb  würbe  bann  burc^  bie  ©d^riften  Don  ^^( 
Slnton  in  ^alle,  Sengel  unb  Detinger  aud^  über  ba^  ©e^eimnife 
beg  S^riftu^  in  un^  unterrid^tet  *).  S)emgemäg  urt^eilt  er  ä^n* 
lid^  wie  Sobenfte^n  über  bie  UnDoQfommenl^eit  bed  ©tanbpunfte^, 
ben  er  felbft  juerft  eingenommen  ^at,  unb  rügt  biejenigen,  wel^c 
bei  bcm  erften  Anfang  beö  El^riftent^umg  fte^en  bleiben  Wollen, 
^afenfamp  ad^tet  fid^  bemgemäg  für  bere^tigt,  neben  ber  ©lau^ 
ben^red^tfertigung  t)on  ber  SebeniSred^tfertigung  gleid^  Heiligung 
ju  fpred^en,  unb  bie  erftere  toerftel^t  er  ))ietiftifd^  ate  bie  SEBert^^ 
befttmmung,  weld^e  ber  biöl^er  ©ottlofe  öon  feinem  ©lauben  ^at*). 
S)ag  ift  biejenigc  SSerfd^iebung  beö  reformatorifd^en  Segriff^, 
welche  t^eil^  baraud  ^erüorge^t,  bag  bie  )n:a!tifd^e  Segiel^ung  ber 
Sled^tfertigung  auf  bie  SSerfö^nung  mit  bem  üon  ©Ott  geleiteten 
äBeltlauf  t)erborgen  bleibt,  t^eitö  barauS,  bag  ba^  ©ewic^t  auf 
ba§  eigene  SBirfen  überl^au^Jt  gelegt  wirb.  S)iefer  Umftanb  ift  ja  nun 
für  bie  Heiligung  ganj  berechtigt.  3n  beren  ©ebiet,  fagt  Sollen^ 
bufd^  mit  t)oQem  Siecht  gegen  ben  Ouieti^mud,  fommt  man  burc^ 


1)  «.  a.  D.  6.  121. 

2)  @raarung  hrbl  äBolftr^eiten  H.  @.  161. 
S)  «rteftoe^fel  @.  73.  93.  179. 


575 

©tiQefetn  unb  9ltd^töt^un  nid^t  jur  Stulpe,  fonbent  burd^  Sßirlen. 
S)Qffir  tft  bte  Stulpe  ©ottcd  naä)  feinem  SSerf  ber  [ed^d  Xage 
maggebenb.  @ott  loiQ  nid^td  t^un  ol^ne  un^,  tpte  tDir  and)  ni^tö 
tl^un  fönnen  o^ne  i^n.  Unfere  ©d^ulbigfctt  ift  t^,  unfere  (Erbe 
fclbft  ju  bauen.  S)iefcr  begriff  ber  octiuen  Heiligung  ift  nun 
Quc^  nid^t  gemeint  al^  bie  Uebung  ber  $räcifität,  otö  bie  SBcrftp^^ 
tigicit  gefe^li^er  ^Pflichterfüllung,  fonbem  ate  ber  Qttmxb  ber 
Xugenbcn.  ^aburd^  befommt  bie  urfprünglid^e  calüinifd^e  SBor« 
fd^rift  be^  [tufenmäfeigcn  gortfd^ritteö  in  ber  Heiligung  einen  ge« 
funben  ©inn.  An  ber  ffirfüUung  be«  ©efcfteö  mar  biefer  gort* 
fd^ritt  nid^t  anfc^auli^  ju  machen;  baroud  ift  ed  erflarlid^,  bog 
I^eobor  Sralel  (S.  271)  ben  gortfd^ritt  in  ben  ©raben  ber 
(Kontemplation  in  ebenfo  unbeutlid^er  SSJeife  unterfd^ieben  tonnte; 
barouf  l^at  ber  ebongelifc^e  $ietidmu^  ba^  ganje  Problem  faDen 
laff  en ;  eg  ift  alfo  eine  Sereid^erung  bc^  ©efid^töf reifet,  bog  Kot 
lenbufd^  biefe  Aufgabe  beö  d^riftlid^en  Sebenä  an  ben  ©rtoerb  ber 
Sugenben  fnfipfte.  S)amit  üerbinbet  er  bie  (Sinfid^t,  bafe  bie  &t' 
metnfd^aft  ber  ^eiligen  eine  unumgängliche  99ebingung  ffir  bie 
SSfung  biefer  Seben^aufgabe  ift.  SSie  irrig  ift  nad^  SoQenbuf(^ 
bie  SKeinung  ^Bieter,  fie  Ratten  ju  i^rer  ©eligfeit  unb  innerlid^en 
^errltc^mad^ung  n^eiter  nid^t^  nöt^ig,  aU  @}ott  unb  ben  äJüttler 
itoifd^en  ®ott  unb  ben  ÜRenfd^en  unb  ben  geiftlid^en  @aft  aud 
bem  geiftUd^en  SBeinjftoct.  S)iefe  ^ormel  t)on  3o^.  XeeQindt 
(©  287)  bejeid^net  er  einfad^  ate  Aberglauben.  SBenn  e^  toa^r 
tt)äre,  bag  @ott  aQe  äRenfc^en  in  aQe  äBa^r^eit  leiten  fönnte 
o^ne  bie  @emeinfd^aft  ber  ^eiligen,  fo  ^eige  bad  fo  t)iel,  atö  bag 
@ott  nad^  bem  Siedete  feiner  @ered^tigfcit  aQe  ju  ^ropl^eten 
mad^en  fönnte.  ®enn  Sleic^t^um  be^  gcioiffen  SSerftanbeS  nac^ 
ßol.  2,  1.  3,  b.  ff.  an  (Einfielt  in  bie  fittlid^en  Aufgaben  finbet 
man  nur  innerl^alb  ber  ©emeinbc  ber  ^eiligen,  äußerl^ülb  il^rer 
ift  nur  geiftlid^e  Ärmut^  ju  erttjarten ;  in  i^r  ift  geiftli^er  9icid^= 
tl^um  JU  l^offen.  2)enn  n)er  burd^  bie  Siebe  eingemurjelt  ift  in 
ben  ^crjen  einer  großen  änjaftl  üon  El)riften,  ber  ift  toie  ein 
99aum,  n^eld^er  fd^neU  ju  grogem  SBad^^tl^um  gelangt,  Dielen 
änbcren  jum  Sinken  unb  jur  gwube.  S)iefe  ©runbfäfee  erflären 
cS,  bag,  toie  ^afenfamp  fd^reibt  *) ,  bie  frommen  Seute  in  3)ui3« 
bürg  SoQenbufd^  unb  feine  @eftnnung^enoffen  für  toeltförmtg 


1)  S3nefa>e4fel  6.  96. 


576 

gel^alten  l^aben,  tnbem  fte  beten  frft^(i%  ®ttmmititg  mit  t^er 
eigenen  ängftltd^en  unb  grüblertf^en  Haltung  üerglic^n.  3n« 
beffen  ^aftet  bod^  an  ber  rid^ttgen  Stnftd^t  biefer  ®ru^  bte 
Unfreiheit,  bog  bie  ®rabe  ber  Heiligung  em^rifd^  beoba^et 
werben  foQten.  ^qju  meinte  SoQenbufc^  burd^  bte  ^d^ft&ielei 
in  ber  Siertpert^ung  üon  8ibelfteIIen  uerpflt^tet  unb  berechtigt 
ju  [ein.  ©0  unter[d^eibet  er  nad^  ber  bekannten  ®teQe  1 3o^  2 
bie  Siinblein  in  @:^riftu^,  toddft  Straft  )um  göttlid^en  Seben, 
bie  ^inber,  n^eld^e  ^oft  jum  göttlid^en  SBanbel,  bie  Sünglinge, 
wddit  iiraft  jum  Saufen  unb  kämpfen  ^ben,  enblic^  bie 
SBöter  in  @:i^riftu^,  u^eld^e  in  ber  Siebe  untabelig  gen^orben  ftnb, 
alfo  il^re  Heiligung  üoQenbet  l^aben.  Slbgefe^en  baüon,  ba§  ^ie^ 
bei  nid^t  bie  quantitative  UnDoQftänbigfett  ber  Heiligung  im 
bieffeitigen  Seben  vorbehalten  ift,  bleibt  j|ene  S)tftinction  unbeut- 
lid^  genug.  Ueberbici^  folgert  SoDenbufd^  auiS  bem  @ec^dtage« 
merf  ©otted  unb  bem  93egriff  bed  göttli^en  Sbenbilbed  im 
äRenfc^en,  bag  ed  fieben  (Stufen  ber  Heiligung  gebe. 

®iefc  Snna^me  fanb  nun  eine  eigentpmlid^e  )9eft5tigung 
unb  ©pecipcation  au^  ber  jenfeitigen  SBelt.  3m  Saläre  1772 
l^ielt  fid^  bei  SoQenbufd^  in  ^uidburg  ein  fomnambuied  SRibc^en 
auf,  ^orot^ea  9Bup))ermann  aud  äBic^Iing^aufen  bei  93ar« 
men  *).  S)icfelbe  ^attc  von  i^rcm  fcd^Sten  fieben^ja^re  an  Ser* 
fe^r  mit  ®eiftem  SSerftor bener,  unb  ba  fie  barau^  lernte,  bag 
biefelben  burd^  baS  SEßort  ju  einer  fo  grogen  ^errtid^feit  gelangt 
feien,  fo  fibte  fie  fi^  unmägig  im  SSorte,  b.  f).  in  ber  Sefung 
ber  Sibel,  unb  tourbe  bur^  ben  frommen  ^rebigcr  S^eobor 
äJlüQer  in  äBid^ling^aufen  ^u  einem  bud^ftäblid^en  Serftanb  ber 
^ibel  eingefd^ult.  @ie  tt)ugte  n^eiter  nic^td  von  ^get^un  unb 
einem  geformten  ©tauben,  fud^te  jjebod^  alle  @elegenl^eiten  auf, 
ihnber  @otted  ju  finben,  bie  i^r  baS  SBort  @otted  beutlic^er 
mad^en  foQten.    9la^  bem  Xobe  il^rer  Keltern  tt^urbe  fte  Don 


1)  f)amal8  25  3a(re  alt,  oI{o  1747  geboren,  (at  fie  f|)fiter  ben  ^ftoi 
(SlberS  in  Süttring^aufen  gel^eitat^et,  too  Oottfrieb  SRenfen  1794  unb  1796 
fte  befugt  (at.  $fil.  in  Srtebrid^  d^riftop^  Oetinger'S  Seben  unb  «riefe,  ^• 
ausgegeben  t)on  (Sämann  (Stutig.  1859)  6.  778^798,  eine  9lel(e  bon  9e» 
rieten  über  fie  bon  Sammeter,  SioHenbuf^.  ^afen!am|>,  femer  beh  9ricfiDc4fel 
Ittifd^en  Satiaier  unb  ^a]ttdamp  an  bieten  ©teilen,  enbli^  Ü.  ^.  dilbtmelfler , 
Seben  unb  äBirhn  t>on  (Soitfr.  SRenfen,  8anb  I.  6.  105.  169. 


577 

bcn  SSormünbcrn  unb  ©cfd^tuiftcm  jur  ©itcifcit  angehalten,  n)0* 
burc^  ftc  in  bie  Äleiberprad^t  geriet^.  Snbeffen  tarn  fte  balb  in 
eine  entfcfelid^c  Unruhe  toegen  i^rer  ©ünben;  burd^  EoBcnbufd^ 
aber  mürbe  fic  aufgerid^tct  unb  jur  SSerfi^crung  ber  Vergebung 
i^rer  ©ünben  gebrad^t,  worauf  ber  Umgang  mit  bcn  ©eiftem 
t)on  Steuern  begann.  S)urc^  Sefung  ber  33ibel  unb  ber  ®engel* 
fd^en  (Srflärung  ber  SpofalQpfe,  fo  n)ie  burd^  Uebung  be$  @e« 
beteö,  weld^eö  alleö  fie  ju  nädjtlidEier  3<^t  öorna^m,  ttjcil  jic  t& 
uor  i^ren  Angehörigen  uerbergen  niollte,  ^atte  fie  fic^  um  aQen 
©c^Iaf  gebrad)t,  unb  öerficl  nad^  einem  3Q^re  in  ben  „Ärampf^ 
fd^Iaf",  in  roeldiem  fie  üon  Eottenbufd^  bcobacf)tet  »urbe.  ©o 
fam  berfelbe  i^rem  SSerfe^r  mit  ben  ©eiftern  auf  bie  ©pur,  unb 
erhielt  burd^  fie  foldje  SKitt^eilungen  au^  ber  jenfeitigcn  S33elt, 
meldte  feine  j^eorie  öon  ben  ©tufen  ber  Heiligung  beftätigte. 
S)er  l)auptfäd^Iid^e  ©cwä^r^mann ,  roeld^er  bie  SBuppermann 
unterrichtete,  toar  ber  im  Sa^re  1766  öerftorbene  ttjürttcmbergi* 
fc^e  Pfarrer  grider.  S)urd^  i^n  erfuhr  fie,  baß  nac^  ben  ©elig* 
prcifungen  in  ber  SBergprcbigt  fieben  ©tufen  ber  Heiligung  unb 
©eligfeit  beftänben,  unb  baß  biejenigen  ©tufen ,  meldte  ffiiner  im 
irbifc^en  Seben  noc^  nid^t  burd^gemac^t  f)abc,  vermöge  ber  ^o^en« 
prieftcrlic^cn  JRed^te  3cfu  jenfeit^  erreid^t  »erben  fönnten,  enbli^, 
baß  f^u  biefcm  ßmede  aud^  jenfeit^  ein  Unterrid^t  in  ber  ^eiligen 
©^rift  angeorbnet  fei.  9iur  braud^e  man  jenfeitö  eine  uicl  län* 
gere  S^itfrift  t)on  l^unbcrten  ober  taufenben  üon  Sauren,  um  bie 
gortfdjritte  ju  mad^en,  bie  im  irbifc^en  Seben  öiel  fd^neßer  mög» 
lid^  finb.  Sluf  jeber  ©tufe  ber  jenfeitigen  ©eligfeit  ftonbc  eine 
große  S(njat)l  uon  @efeQfd^aften  gleichartiger  @eifter,  j.  93.  auf 
ber  ätueiten  ©tufe  bie  Äleingläubigen,  bie  um  ba^  9iecf)t  ©trei* 
tenben,  bie  ^olbfetigen.  3n  ber  fec^^ten  Slaffc  finb  bie  ganj 
Steinen  am  Jperjen,  in  ber  fiebenten  bie  ^ofmüfitanten ,  bie  144 
Xaufenb  iinb  üiele  anbere  Don  ben  äSorsäglic^ften.  9lad^  ^afen« 
famp'iS  S^^S^^iB  ^)  ift  er  felbft  unb  SoQenbufd^  bollftönbig  ein« 
genommen  niorben  uon  biefen  Offenbarungen,  in  tt)eld^en  eine 
^erquidung  t)on  ©tt)ebenborg'jc^en  unb  (Sollen6ufd)'fc^en  3been 
unuerfennbar  ift.  ^afenfamp  aber  ^atte  nod^  ein  befonbered 
Sntereffe  an  biefen  2)ingen.  Sr  n?ar  fd^n?inbfüc^tig  unb  fonnte 
nic^t  auf   langet  Seben  rechnen.    9iun   ^atte  bie  äßuppermann 

1)  8rieftDf4fel  €.  118. 

L  87 


578 

eine  Offenbarung  ttber  üjn,  er  ptte  \xa6)  @otte^  äBtOen  ade 
©tufcn  bcr  Heiligung  burd^ge^en  foHen  unb  fönnen;  loeil  er 
aber  ju  l^eftig  gctpefen  fei  unb  ju  lout  unb  ftarl  gerebct  unb 
geprebtgt  f)abc,  fei  feine  @efuub^eit  befc^äbigt  iDorben  unb  er 
tDcrbc  in  ber  fünften  ©tufe  öcimgc^cn.  S)iefe  SJiittfieilung  mad)t 
§afcnlamp  an  Dctingcr  9.  aKärj  1772,  unb  fd^reibt  barauf  on 
Äaöatcr  30.  Suni  beffclben  Sal^re^  folgenbc  Siufeanmcnbung: 
,,SQ3iberfpruci^  fanu  id^  fc^on  jiemlid)  Vertragen  auc^  k)on  from^ 
nxen  Scuten.  S)ur^  biefe  meine  Äaltblütigfcit,  bie  mir  öon 
9latur  gar  nic^t  eigen  tft,  tt)Oju  tc^  mid^  burd^  mele  Uebung 
^abe  ju^ingen  muffen  unb  nod)  jioingen  mug,  ^offe  id^  in  jniei 
ober  brci  Sauren  bie  britte  ©tufe  ju  öoHenben,  aUe^  bii^  jur 
gertigfeit  gelernt  ju  l^aben,  wag  jur  Sanftmut^  geprt.  Unb 
ttJie  werbe  i^  mic^  freuen,  wenn  id^  erft  bie  üiertc  ©tufe  jurüd^ 
gelegt  \)abc,  bie  (Erlernung  ber  @ebulb,  nid^t  mübe  werben,  nic^t 
au^fd^eiben,  bei  ben  wo^l  überlegten  (Entwarfen  aud^arren;  bann 
wirb  ed  gewig  fd^wercre  Slufgaben  fe^en,  aber  an  jlraft  an^  ber 
^ö^e  wirb  cd  bei  SBo^ber^alten  aud^  nie  fehlen,  ^omme  ic^ 
in  bie  fünfte  ©tufe,  fo  ^abe  id^  bie  gurc^t  bed  9JüdtfaIte  übcr^ 
wunbcn.  SBcr  bie  öierte  ©tufe  öoUcnbet  ^at,  fann  nic^t  me^r 
auö  ber  §anb  beö  §errn  gcriffen  werben,  fo  feft  plt  er  fic^  an 
i^n.  ©0  ne^me  id^  bie  SBortc:  id^  will  feinen  Slamen  nic^t  aud« 
tilgen  aud  bem  Söud^e  beö  Scbend."  ?lm  8lnfang  bcd  3.  1775 
nad)  einer  fd^Weren  (Erfranlung  fc^reibt  er  wieber:  „SBeil  ic^ 
meine  Heiligung  nac^  meiner  ätec^nung  faum  auf  bie  $ölfte 
gebrad^t  f)abc,  fo  wäre  ber  ©^abcn  unerfejjli^  gcwefen,  wenn 
id^  nun  fd^on  geftorben  wäre.  3c^  weig  gewife,  ba§  bie  §eili^ 
gung  bort  langfamer  öon  ©tatten  ge^t  aü  ^ier."  Unb  enblic^ 
fd^reibt  er  16.  Sloöember  1776  über  SoHenbuf^:  „(Er  lernt  iefet. 
wag  eg  ^eißc,  rcineö  Jperjeng  werben  (alfo  bie  fci^gtc  ©tufe). 
O  '  aüerfeligfteg  @efd^äfte!  baburc^  allein  gelangt  matf  bod)  ju 
ber  über  alle  äBclt^errlid^feit  uncnblid^  erhabenen  (S^re,  @ott  ju 
fd^auen.  D^ne  Heiligung  wirb  Siiemanb  bcn  Jpcrrn  fe^cn"  *). 
3d)  l^abe  oben  ju  rühmen  gehabt,  bag  biefe  äRänner  ben 
@runbfa^  beg  ^^ortfc^ritteg  in  bcr  Heiligung  auf  ben  (Erwerb 
ber  Xugenben  gebeutet  ^aben.  äBie  un^eimlid^  aber  ift  biefe  Qiu 
gäbe  ber  ©tufen ,  weld^e  bered^nct,  unb  weld^e  nac^  ben  (Ent^üb 


1)  H.  a.  O.  @.  119.  229.  238. 


579 

lungen  bcr  ©omnombule  in  bad  jenfeitige  fieben  ^incin  t)etfoIgt 
toerben.  3n  bcm  Äreife,  bct  fid^  burd^  SoQcnbuf^  leiten  lit%, 
ftnb  Quc^  biefe  3been  fortgepflonjt  morben.  äRenfen  f)at  in 
bem  ^SSetfud^  einer  Anleitung  jum  eigenen  Unterricht  in  ber 
^eiligen  Schrift/'  in  bcffen  SBorrebe  er  fi^  atö  ®ä)üUt  öon 
^oQenbufc^  befannte,  nic^t  bloS  au^gefpro^en,  bag  bie  .^eitigung 
auf  @rben  DoUenbet  n)erben  fonn,  fonbern  oud^,  ba^  biefelbe  i^re 
©tufen  ^at  (3Äatt^.  5,  3-9;  2  $etr.  1,  5-7).  ®en  «uöblid 
auf  bie  ienfeitige  ^ortfegung  ber  Heiligung  f)at  er  in  ber  be^ 
jeid)neten  ©c^rift  nic^t  eröffnet;  inbeffen  ftel^t  ed  feft,  ba^  auc^ 
biefe  ße^rc  feinen  fpecießen  Sn^öngern  ni^t  fremb  mar.  SBenig^ 
ften^  lommcn  in  ber  Sebenöbefd^reibung  ber  ©c^Iatter  *)  einige 
aud^  in  ^Jltnltn'^  )iBiograp^ie  genannte  Samen  in  Bremen  t)or, 
bie  mit  ber  3(nna^mc  ber  ©tufen  auc^  ben  ©lauben  an  bie 
^ortfc^ung  ber  Heiligung  im  Senfeitd  t)crbanben.  S^  ift  baran 
ju  erinnern,  bafe  bie  ©c^latter  burd^  biefe  grcunbinnen  öorüber^ 
ge^enb  fi^  beftimmen  liejs,  biefelbe  3Jletf)oit  ju  untemel^men 
(©.  548) ;  fie  fanb  jeboc^  m  berfetben  nic^t  il^rcn  ^rieben. 

(SoQenbufd^  ^at  eine  @ruppe  Don  ^ietiften  in  ber  reformir^ 
ten  ftird^e  auf  baS  ^oblem  ber  Heiligung  j\urfidfgefäl^rt,  in  xotU 
c^eni  ber  ^ietiömU'S  entftanben  ift.  3)er  eöangclifc^e  ^ietiömuS 
niebertänbifd^er  ^erfunft  ^atte  bie  (Kontemplation  über  bie  actit)e 
Heiligung  erl^oben ;  (SoQenbufd^  mac^t  überhaupt  feinen  @ebraud^ 
uon  ber  Kontemplation.  Siefe  ©teQung  erflärt  fic^  aud  feinem 
ßufammenl^ange  mit  ber  unter  ben  SBurttembergifd^en  X^eologen 
ber  ^engerfd^en  ©c^ulc  gepflegten  Stiftung,  n)eld^e  barauf  ange^ 
liefen  maren,  ber  einfeitigen  SBctonung  ber  9ted^tfertigung  an^ 
bem  Glauben  entgegenjumirfen.  3m  SSergleic^  bamit,  ba§  Die 
Heiligung  im  Sabini^mu^  urfprünglid^  auf  bie  ^räcifität  ber 
@efegerfüQung  gebeutet  mürbe,  ^at  SoQenbufd^  bie  grünbltc^ere 
(Srfenntnig  gemonnen,  bajs  fie  in  bem  Srmerbe  ber  Xugenben 
befte^t.  2)enn  biefe  finb  ber  örfolg  ber  Pflichterfüllung  für  ben 
(S^arafter  felbft.  SBag  ift  nun  aber  an  biefem  ©tanbpunft  pie« 
tiftifd^?  Wan  erfährt  nid^t,  bag  CoUenbufc^  unb  bie  ©einigen 
if)re  Sluffaffung  be$  ct)riftUd^en  fiebend  abfi^tli^  in  ber  Silbung 
Don  (SonDentifeln  mirffam  gemacht  ^aben,  fonbern  ed  mar  unter 
biefer  SSoraudfe^ung  iufäQig,  bo^   gemiffe  pietiftifd^e  ©ruppen 

1)  Seben  unb  9ladftIaB  33anb  I.  e.  Uli. 


580 

fic^  bte  neue  Se^re  aitcigneteit.  3(ber  eigentlich  n^ar  biefelbe  auc^ 
nur  für  fotc^e  Ärcifc  jugänglic^.  S)cnn  biefc  ße^rc  »urbc  md)t 
bloö  auf  bie  ?luctorität  ber  ^eiligen  ©c^rift,  fonbern  in  einem 
i^rer  mefentlic^en  X^eilc  auf  bie  Offenbarungen  ber  Sßuppermann 
begrünbet.  S)ie  ©laubmürbigfett  berfelben  empfahl  fic^  nur  in 
folc^en  Streifen,  Ujelc^e  burc^  i^ren  ©cfd^mad  an  bcn  ©d^eim- 
niffen  bed  geiftlic^en  fieben^  fic^  t)or  ber  gemö^nlid^en  ober  auf« 
geflärten  äJtenge  au^eid^neten.  dürfen  mir  annehmen,  bag  bie 
^ietiften  am  9lieberr^ein,  meldte  fid^  an  ßollenbufc^  anfc^loffen, 
t)or^er  cntmeber  ben  eoangelifc^en  ^ietiSmud  ober  ben  Ouieti^^ 
muö  gepflegt  l^atten,  fo  taufd^ten  fic  freiließ  ein  niögüc^ft  cntge-- 
gengefe^te^  Sntereffe  ein,  blieben  aber  in  ber  fc^wülen  unb  grüb^ 
lerifc^en  Stimmung,  meiere  in  jenen  SRid^tungcn  erjeugt  war  unb 
burc^  bie  ftcte  ^Beobachtung  unb  öerec^nung  ber  ©tufcn  ber 
Heiligung  erhalten  n^erben  mugte.  23ic  ^eterobo^ie  an  ber  Se^re 
t)on  (SoUenbufct)  fam  nic^t  in  93etrac^t,  mo  man  fic^  burc^  t>a^ 
^eiligungdftreben  ^atte  anjicf)en  laffen.  Senn  in  allen  ^aücw 
finb  mit  bem  ^ßietiömuö,  ben  wir  fenncn  gelernt  ^aben,  Äbwci? 
d^ungen  t)on  ber  fRcc^tgläubigteit  uerbunben;  unb  auc^  biejenigcn 
^ictiftcn,  welche  bie  Äbfid^t  ^abcn,  fic^  folc^er  ju  enthalten,  ftub 
für  jcbe  ^eterobojie  jugänglic^,  menn  fie  nur  ben  ©cf)ein  beö 
gottfeligen  2Befen^  an  fidj  ^at.  Unb  bie  fie^rmeife  öon  Konen- 
bufd^  ^at  nic^t  bloö  biefen  ©c^ein ,  fonbern  ^at  ein  fc^r  refpcc* 
tabled  @epräge,  wenn  wir  i^ren  ©runbfag  beachten,  nur  fc^rift^ 
mägig  ju  Derfa^ren  unb  feine  3){öglid^feit  natürlicher  älcligion 
jujulaffen.  SKcnfen'^  „Anleitung"  ift  unb  bleibt  ein  fe^r  mcrf* 
würbiger  SUerfuc^  reiner  Dffcnbarung^t^eologie.  @in  fold^cr  6nt* 
Wurf  öon  religiöfer  ffirfenntnife  mu^te  crft  gemad^t  werben,  wenn 
ed  beutlic^  werben  foUte,  wie  uiel  rein  t^eoretifd^e  Srfenntni^ 
ber  3)inge  in  bcn  ort^obojen  @t)ftemen  mit  ber  c^riftlid^en  Sic- 
ligion  Dcrquicft  worben  war.  8ln  biefer  unflaren  SJcrmifcljung 
üerfc^icbencr  ©rfenntnifemetlioben  war  fc^liefelid^  bie  ©laubwür^ 
bigfeit  ber  ort^obojen  Se^rfl)fteme  gefc^eitert.  Um  alfo  bie  @tU 
tung  bed  pofitiüen  &^riftentf)um^  unter  ben  aufgeflärtcn  SRen- 
fdjen  wiebcr  ^erjuftellen,  war  eö  not^wenbig,  fic^  ber  (Srfenntnife 
aud  ber  Offenbarung  in  ber  f)eiligen  Schrift  ju  oerfi^ern.  Aber 
wie  merf würbig  ift  e^  nun,  oon  einem  ©enoffen  biefer  @d^ule, 
griebrid^  Ärnolb  §afenfamp^),   eine  Deutung  ber  Offen* 

1)  ytoä^  feinem  ^aU)brubet,  3o^ann  (üer^axb,  Vttdox  )u  S)ttU(utg;  fie« 


581 

barung  ju  ücrnc^meii,  weld^c  ben  geiler  ber  Ort^obojie  ia  einer 
anbern  gotmel  loicber  j&crftellt!  S)erfelbe  fc^rcibt '):  ,,2)ie  99ibcl, 
tDctd)c  bic  l^eiligen  Offenbarungen  ©otteö  cntt)ätt,  ift  ein  ma^rcd 
ÜRagajin  öon  SBa^r^eitcn  alter  ?lrt.  3n  i^r  finbcn  toit  bic 
ric^tigften  SRcgcln  einer  cd^ten  Sogif,  bie  reellften  begriffe  einer 
toa^rcn  9Jietap^^fiE  unb  einer  ^f^c^ologic,  bergteic^en  man 
iiod^  nirgenb  f)at"  2)ie  barauf  folgenben  ©ä^e  beioeifen  aller* 
bingö,  tt)ie  unflar  biefer  ?luöfpruc^  gebadet  ift*).  aber  fo  öiel 
ergicbt  fic^  auö  bem  ©afee  mie  auö  feiner  Srflärung,  baß  biefer 
3lnt|änger  SoUenbufc^'ö  bie  SSerfd^ieben^eit  jtt)ifd^cn  bem  religio* 
fen  unb  bem  t^eoretifc^en  ©rfennen  ebenfo  rtenig  begriffen  f)at, 
tüie  bie  ort^obojcen  ®c{)ult()eologen.  S)eS^alb  ift  auc^  bie  t)on 
goQenbufc^  ausgegangene  9iidE)tung  ber  2:^eologie  ftetd  bereit 
fic^  in  bie  @dE)ult^eologie  jurücf jubilben ,  n^eld^er  fte  juerft  mit 
gutem  @runbe  entgegengetreten  ift.  3nbeffen  bie  t^eologifc^en 
Srfd^einungen,  auf  n)el^e  id^  l^iemit  ^inbeute,  gepren  in  ein 
anbereS  ©cbiet.  §ier  ift  nur  noc^  auf  baö  S^uflnife  ©oebers«) 
JU  DertDeif en ,  bag  Sollcnbufd^'S^n^änger  im  3ülid^'fd)en  unb 
S3ergifc^en  Sanbe  fid^  burc^  ^römmigleit  unb  fir^lid^e  ®cfin* 
nung  aui^eid)nen,  aber  aud^  bei  ber  ^eftreitung  ber  Se^ren  t)on 


boren  1747 ,  gejiorben  1795.    Sgl.  »riefe  Aber  toid^tige  äBal^rl^etten  bei  ^elu 
0ion,  2  Sr^etle,  Duisburg  1794. 

1)  «.  a.  O.  I.  6.  46. 

2)  3BeU  no4  in  ber  ©egentoart  eine  HJlenge  Don  Seuten  in  bieder  S^ule 
!ranf  ftnb,  !ann  t4  nit^  ntd^t  entl^alten,  bie  Erläuterung  beS  obigen  ^[uSfbtu^ef 
auSjul^eben:  »^enn  bie  $tbe(  legt  au4  bie  ge^eimflen  galten  be§  menf^Ii^en 
^er)en§  bar,  setgt  toxt  man  bie  ^^or^eit  fliegen  unb  ber  SBeiS^eit  na^jagen 
foQ,  unb  mac^t  unS  mit  bem  ^iOefen  ber  ®inge  befannt,  mebr  toie  aQe  iSü^er 
aller  ^^tloiopden.  ^uger  ben  2Beif{agungen  fünftiger  SOeltbegeben^eiten  unb 
auger  ben  SBerl^ei^ungen  befjen,  »aS  ®Dlt  unS  in  biefer  unb  ber  )ufflnftigen 
®elt  t^un  tt)iQ,  finb  bie  ^eiligen  Sü^er  gleid^fam  eine  Sefd^reibung  Don  biefer 
SBelt.  3n  i^ncn  ^ahtn  mit  20in!e  über  ben  Urf))rung  beS  Söfen  unb  über  bie 
Sttlaffung  Deffelbcn.  @ie  erÜären  e§  unS,  toarum  eS  ben  iBöfen  gut  unb  ben 
®uten  Übel  ge^t.  ferner  ift  eS  ma^r,  bag  bie  ganje  fogenannte  ^oral  in  ben 
^eiligen  Supern  in  ©efd^td^ten,  (S^lei^niffen  unb  lehrreichen  Sprühen  Dorgetra« 
gen  toirb.  ^tefe  Segriffe  ^ai  man  in  bie  natürliche  ^Religion  übertragen ,  ol^ne 
eS  lü  toiffen  unb  3u  tooQen."  6o  ri^ttg  bie  le^tere  Senterfung  ift,  fo  ni^tig 
finb  bie  erfleren,  um  bie  Sibel  aU  bie  Sfunbgrube  ber  oben  genannten  pl^ilofo« 
p^ifd^en  @rfenntniffe  ^u  ertoeifen. 

3)  «rtüel  über  EoHenbufd^  in  l^er)og'8  9t.  d.  Vni.  S.  23. 


582 

ber  @trafgcnugtl^uung  (S^riftt  unb  t)on  bet  boppciten  unbcbing^ 
tcn  ^ßtäbeftination  öcr^arnen.  3n  bicfen  Ärcifen  i[t  auc^  ba^ 
3ntcreffc  an  3ubcn*  unb  Jpeibcnmiffion  gepflegt  »orbcn,  unb  bie 
SKiffion^efeHfc^aft,  mic  bag  SKiffionö^au«  in  Sannen  öctbanft 
t^nen  t^te  Sntftel^ung. 


26*   @ottfrieb  Santel  ftruntntad^et  nnb  ^ermann  ^riebrii^ 

fto^nrfigge.    6(^Ing. 

3n  ben  nieberrfieinifd^cn  ©ebicten  bet  reformirten  Äird^e, 
n)o  Xerfteegen  unb  (SoQenbufd^  i^re  Stn^änger  gewonnen  Ratten, 
bauerten  iugleid^  bie  9lac^n)irfungcn  Don  f$.  S(.  Sampe  fort 
(©.  453).  3nbeffen  bei  ber  äRe^rja^l  ber  ^rebigcr,  bie  i^m 
folgten,  n)ar  feine  äßet^obe  troden  unb  mec^anifc^  gemorben. 
SBenigfteng  fc^reibt  fein  Urenlel  SKenfen  atö  Sanbibat  in  ©ui^- 
bürg  1792  an  feine  äWuttcr:  „öin  ©^ufter  f erlägt  mit  mc^t 
Z^eilna^me  ber  @eele  an  feiner  $änbc  äEBcrf  einen  @c^ul^  über 
einen  ßciften,  ate  fie  eine  5ßrebigt  fc^rciben,  au^roenbig  lernen 
unb  in  niebrigcm  Äanjetton  ^ermürgen.  ©ic  finb  fcelenlojc 
öc^og;  man  ^ört  nie  fie  felbft,  fonbern  immer  nur  ben  ^rofeffor, 
bet  fie  geleiert  unb  üerfe^rt  l^at.  äBar  baS  ein  ^eibe,  fo  finb 
fie  ed  auc^;  toar  bad  ein  Slbergläubiger,  ber  äRenfd^enn^ort  mie 
©otteömort  öere^rte,  fo  finb  fie  t^  and),  fo  beten  fie  3^rem 
®ro§üater  Sampe  feine  SBa^r^eiten  unb  feine  3trtpmcr  nac^, 
tüic  ber  bie  tc^tercn,  überrtunben  öon  bem  ©eifte  feiner  ÜWitrtclt, 
bcr2)ortrec^tcr©^nobe  nachbetete"  0-  3cbo^  »erben  in  ben  ®cmcin* 
ben  bie  (Sonüentifel  berjenigen  fortgebauert  ^aben/  meldte  mit 
®ici^er!)eit  ober  mit  Unfid^er!)eit  bc^  §eitöftanbe^,  inbcm  fie 
(S^riftud  annehmen  fonnten,  ober  nac^  i^m  hungerten  unb  bur- 
fteten,  t)on  ber  im  @anjen  gleid^gültigen  Haltung  ber  ©emeinbcn 
fi^  ju  unterfd^ciben  unternal^men.  ?luc^  beburftc  e^  nur  ein* 
mal  eineg  mirfungööoUen  ^ßrcbiger^,  um  ber  pictiftifd^en  SKc^* 
tung   tvieber  me^r  fiuft  ju  mad^en  unb  me^r  Schärfe  ^u  Derlei« 

1)  IBei  ^ilbemetfler  I.  8.  60. 


583 

^cn.  (ginc  fold^c  pc^ft  cinflufercid^c  unb  c^araftcrüollc  ^erfön* 
lid^feit  toax  ©ottfrieb  ®anicl  Ärummac^cr,  ^rebigcr  in 
gtbcrfclb  0.  83olb  m6)  bcm  ?lntritte  feinet  Slmteö  in  Sacrl  ift 
bcr  24|äf)ri9c  SKann  burd^  bic  pictiftifd)c  ßww^i^t^wi^flr  l)ic  ®na* 
benioirfungcn  bcö  ^eiligen  ©ciftcs;  in  fid^  ju  crfal^rcn,  in  bcn 
Öufefampf  getrieben  morben,  um  fid^  feine  gänjlic^e  SBemetflid^* 
!eit  t)or  @ott  einzuprägen.  SEBie  e$  biefe  äRetpbc  mit  fi^  bringt, 
ijdt  er,  nad^  bcm  S^uflniffe  be^  SBiograp^en,  batb  in  ben  Reifte* 
ftcn  Anfechtungen,  balb  in  ber  greubigfeit  beg  öoHenbeten  &c^ 
rechten  geprebigt,  unb  burd^  bie  üraft  unb  Unmittctbarleit,  in 
ber  er  beiben  Stimmungen  SluSbrudE  gab,  eine  gen)altige  äBirfung 
ausgeübt.  S)ie  @emeinbe  ju  SBaerl  n^ar  il)m  bafiir  in  grojser 
änljänglic^feit  ergeben.  3ebodjj,  fagt  ber  Siograp^,  foHte  bie 
aOÖirffamfcit  in  berfelben  nic^t  lange  tüä^ren.  „örft  brittel^alb 
3a^re  ^atte  er  biefe  ^eerbe  mit  mufter^after  Irene  gerteibct,  ha 
^icfe  eig  einmal  ju  i^m  in  einer  feiigen  ©tunbe  öor  bem  §errn: 
„„^eifc^e  öon  mir,  mag  foQ  id^  bir  t^un?""  Unb  mic  unmißfürlid^ 
entfuhr  i^m  bag  SBort:  „„SKad^e  mid^  jum  5ßrebiger  in  SBüIf* 
ratt).'"'  2)icfer  SBunfd^  mürbe  erfüllt,  ör  mürbe  jum  tiefen 
Seibmefen  feiner  ©emeinbe  bort  gemä^It,  unb  nun  mujste  er  fid^ 
im  nadtten  ©tauben  burd)  bie  @c^merjen  bed  Slbfc^iebed  ^in« 
burdöfd^Iagen.  2)ie  ©emeinbe  in  S5aerl  bat  il^n  auf  bie  fle^ent* 
licftfte  SBeife  ju  bleiben,  aber  er  fonntc  unb  burfte  biefen  SBüm 
fd^en  nid^t  nachgeben,  er  mugte  Don  bannen  jie^en,  mie  fe^r 
aud^  fein  järttid^eg  Jperj  barüber  blutete."  „3n  SSJüIfratl^  nun 
ftanb  bamaU  ba^  geiftlic^e  Sebcn  in  DoHcr  Stütze;  inbeffen  mar 
boc^  mo^t  ber  ^ö^enpunft  erreid^t,  unb  bie  Qtit  be^  StfidCganged 
na^ie.  ®ie  ©emeinbe  mufetc  ben  ©c^a^ ,  ben  i^r  @ott  in  firum* 
mac^er  gegeben  f)atte ,  nid^t  ju  mürbigen.  ^ie  ^ird^e  mar  in 
SBütfrat^  oft  leer.  SSon  befonberen  örfolgen  feiner  SBirffamleit 
bafelbft  läfet  fic^  ba^er  nic^t  öiel  er}äl)len;  eg  mufete  im  ©lauben 
auf  .g^offnung  geadtert  unb  gefäet  mcrben."  ©o  meit  eg  möglich 
ift,  biefen  ^ragmatiömuj^  ju  öerfte^cn,   gilt  bie  Unmillfürli^feit 


1)  Geboren  in  3:e(ilenbur0  1774,  Pfarrer  in  Sattt  bft  ^eurS  1798,  in 
tlBülfrati  1801,  in  (Slberfelb  181G,  geflorben  1837.  —  Sergl.  StbenSbefdftrn« 
bung,  t>tx\aH  t)on  bem  92effen  @.  2B.  j^rummad^ft  a(S  Sorrebe  ju  <S.  ^.  ihr. 
@uter  ^otfd^ft ,  einer  Sammlung  t)on  ^rebigten.  ^Iberfelb  1838.  ^te  pane« 
g^rifc^e  ^arfteOung  beS  9{effen  bürfte  in  mannen  Regierungen  )u  berid^tigen 
fein  na4  ®oebel  in  i^ersog'8  Slealenc^flo^fibie  VIII.  ®.  118—121. 


584 

ber  Slnttuort  jtrummod^er'i^  auf  bte  bon  t^m  Vernommene  @otted^ 
ftimme  aU  bie  @en)ä^r  bafur,  bag  feine  Berufung  nad)  äBälfrat^ 
@otted  SS3tQen  gemäg,  unb  bag  er  bc^^alb  Derpflid^tet  tuar,  ber- 
fetben  }u  folgen ,  obgteid^  oQe  @rünbe  menfc^lid^cr  SScrpflid^tung 
xf)n  in  SBaerl  fcft^icltcn.  2)iefc  Slnfid^t  ift  eine  golge  beS  pic* 
tiftif^en  ©rnubfafec«:  ®er  2»enfc^  SRid^tö,  ®ott  «Ucö.  »e^^alb 
nämlid^  t)er{)Q(t  fi^  ®ott  aud^  ncgatit)  gegen  jebe  oernünftige  unb 
pflid^tmäfeige  Uebertegnng  gegebener  menfd^tic^cr  aSerl^dltniffc. 
©e^g^alb  bebeutet  ber  fittli^e  SBertli  einer  erfolgreid^en  unb  burc| 
Änl^änglic^feit  ber  ©emcinbe  getrogenen  amtlid^en  ©tellung  unb 
bie  berechtigte  SBefriebigung  borin  gar  nic^t^  gegen  bie  Sombina« 
tion  jmifd^en  einer  wahrgenommenen  ©otteöftimme ,  einem  um 
überlegten,  minfürUd^en  SBunfc^c  unb  ber  Erfüllung  beffelben 
burd^  eine  @ntfc^cibung  oon  äRenfd^en.  S)ie  Unüberlegtheit  jened 
SBunfd^eö  neben  ber  Erfüllung  beffelben  foH  bafür  bürgen,  bafe 
biefelbe  ber  öeftimmung  ©otteö  entfprad).  2)iefc^  ift  nun  bie 
^Dtet^obc  be^  pietiftifc^en  SSorfe^ungdglaubenS,  in  n^elc^em  ^rum^ 
mad^er  mit  ber  ©d^latter  übereintommt. 

Sllö  5ßietiftcn  jeigt  fic^  ferner  Ärummad^er  in  bcn  ^rebigten 
burd)  bie  tief  bunfele  ©c^ilberung  ber  fittlid^cn  ßwftänbe  ber 
d^riftlic^en  ©efetlfd^aft,  unb  njieber  burc^  bie  Slujgfic^t  auf  bie- 
unöergleic^lic^e  S3efferung  berfelben.  „S)er  auf  ber  ffirbc  l^aftenbe 
glud^  mirb  einft  üöUig  aufgehoben  werben,  bie  gülle  ber  Reiben 
eingeben  unb  alfo  ganj  Sfrael  feiig  werben.  @d  ^at  auc^  ganj 
bog  Slnfe^en,  baß  fid^  alle^  baju  in  Sereitfd^aft  feje,  fowol^t 
burc^  bcn  Slbfall  oon  ber  SBa^r^eit,  bur^  baS  ©treben  na^ 
einem  unbelanntcn  3^^^^'  olö  burd^  bie  augcnfd^einlic^e  Jperbei^ 
fc^affung  üon  Äall  unb  ©tein  jum  S3au  ßionö.  SSenn  fid^  nun 
überbicö  bie  ^eiligen  in  i^rem  ©ebet  bereinigen,  fo  Wirb  ber 
§crr  nic^t  fäumcn,  fein  SUotf  ju  crlöfen,  wo  ung  bann  fein  wirb 
wie  Iräumenben" ').  2llS  I^colog  fd^liefet  fic^  Ärummad^er  an 
Sampe  an.  @r  nennt  mit  befonberer  ^Betonung  ®ott  ben  33un^ 
beögott,  unb  ergebt  fic^  mit  SJorliebe  in  ber  t^pifd^en  3)eutung 
ber  ©inric^tungcn  beö  alttcftamentlic^cn  Kultur  auf  bie  ffirlöfung 
burd)  K^riftuS.  ÜRit  Sampe  ^at  er  auc^  bie  Se^re  öon  ber  bop* 
pelten  ^räbeftination  gemein;  allein  er  oerlei^t  berfelben  eine 
©c^ärfe  jur  Siegelung  be§  Jpeilgbewu§tfein§,  wie  eö  Weber  Sampe 


1)  d^ute  »otfi^aft  @.  88. 


585 

nod^  irgcnb  einer  ber  ^rcbiger  get^an  f|at,  bcnen  mir  aU  SBcr* 
tretern  beö  ^JJictt^muö  in  bcr  reformirten  Äirc^e  begegnet  finb. 
Strummac^cr  fprid^t  eö  jioar  nid^t  auö,  bog  bie  Serbammten, 
toclc^c  in  bcr  J^öUe  ®ott  burd^  beulen  unb  3äf)neflappern  mc^t 
minbcr  üer^crrlid^en,  mic  bie  Sluöcrmä^Iten  im  Jpimmel,  bie  burd^ 
freien  ffintfd^Iufe  ©ottcd  SScrmorfenen  finb.  @r  üerfolgt  nac^  ber 
Siegel  be^  SnfrQlQpfariömu«  i^re  Sage  nur  jurüdf  auf  bie  eigene 
Sünbenfd^ulb.  allein  inbcm  er  cö  betont,  bafe  ©Ott  aQein  ben 
SEBiUen  fdiafft,  toetc^er  fic^  bem  ^cilc  entgcgenbetüegt,  unb  inbem 
er  bie  meiften  SOienfc^en  für  unbegnabigt  erftärt,  fo  wie  cö  für 
verlorene  äKü^e  a^tet,  bie  Ungläubigen  Don  i^rer  geinbfc^aft 
gegen  @ott  ju  übcrfül)ren,  fo  l)at  er  fein  3led)t  baju,  bie  ©ün* 
ber  für  if)re  Spaltung  gegen  ®ott  Deranttoortlid^  ju  machen!  ör 
ift  anbererfeitö  fo  meit  einöcrftanben  mit  bem  Kalüiniömuö,  baj5 
er  bie  aetioe  Heiligung  ald  ben  3^^^  ^^^  @rlöfung,  unb  ba§  er 
©tufcn  in  berfelben  anerfennt.  SlUein  er  öerlei^t  biefcr  ©eitc 
ber  c^riftlic^en  Set)re  feinen  9iad)brudf,  fonbern  befc^rdnft  fic^ 
immer  nur  auf  ben  Kontraft  jitoifdien  ©nabe  unb  ©ünbe  unb 
auf  bie  tjrage  nac^  ber  SSerfic^erung  bcr  ©ünbenücrgcbung.  SRan 
fönnte  urt^cilcn,  bog  hierin  eine  9lüdbilbung  beS  Satoini^mu^ 
auf  bie  Sinic  beö  Sntereffe^  öorlicgt,  auf  bem  bag  urfprünglic^c 
2utl)ert^um  fidt)  gehalten  ^at.  ?lUcin  baö  Problem  ber  ©finben* 
uergcbung  mirb  bur^  jh:ummac^cr  mit  aQcn  möglidien  ©d^mic^ 
rigfcitcn  umgeben.  Unb  biefe  überfd^reiten  bie  SKet^obc  beig 
„eöangelifd)en"  ^ictidmuö  in  bem  SKafie,  atö  fie  burc^  bie  Qn^ 
rüdEroeifung  aller  Selbftt{)ätigfeit  ücrftärft  finb,  tücil  biefe  bem 
@runbfd)ema  ber  calöinifc^en  ^^Jräbeftinationöle^re  miberfprec^en 
mürbe. 

93ei  ber  mieber^ottcn  Siarftcllung  biefer  ©dimierigfeiten  jum 
©eminn  ber  ©ünbcnüergebung  Derfä^rt  Ärummad^er  j^iemlic^  un- 
parteiifd).  gr  trifft  mit  feineu  2tuöfüf)rungen  ebenfo  fcl)arf  ge* 
roiffe  Sieb^abeveicn  bcr  grommcn,  mie  bie  S)iöpofition  berer, 
meldte  JU  bicfcm  Ärcife  nicf)t  gehören.  Jpinbcrniffe  ber  ©nabcn= 
Ic^re  finbct  er  junädift  bei  jmci  Älaffcn  uon  ©olc^en,  bie  er  nid^t 
birect  JU  ben  ^cinbcn  beö  £I)riftent^umö  rechnen  fann  *).  3)ic 
Sinen  ^aben  fo  etma^  ©anftcd,  ©tillcig  unb  9lac^giebiged  an 
fic^,  fuc^en  ftd)  nid^t  blo^  t)or  groben  ©ünbcn,  fonbern  anc^  wx 

1)  @ute  9ot{4<ift  e.  115  ff. 


586 

fubtilcrcn  ju  l)üten,  ^aben  einen  foId)cn  JRcfpect  Dor  bcn  ®naben^ 
mittein  unb  bem  SBortc  ©otteiS ,  eine  fo  gute  SRcIigiongcrfenntnife, 
unb  Ratten  ß^riftuö  unb  fein  üerbienftlid^eö  Seiben  ^oc^.  Aber 
(SiniS  fe^lt  i^nen  bod);  unb  mutl^et  man  il^nen  nun  ju,  ben  einen 
©d^ritt  nod^  ju  tl|un,  fo  luerbcn  fte  betreten.  (&^  bflnft  i^nen 
feltfam,  baß  man  nod^  me^r  üon  it)nen  fotbere  unb  pd^  i^nen 
ol^ne  Urfac^e  aU  ein  ^eiliger  gegenäberftellen  ju  n)oIIen  fc^eine, 
ober  fic  ge^cn  gar  ju  einer  nic^t  geringen  ISrbittcrung  über. 
„SBie  ift  bei  fo  beraubten  Umftänben  baran  jU  benfcn,  bafe  bie 
©nabenle^re  ?ln*  unb  aufnähme  finbe?"  SBaö  Ärummac^er  ^ic^ 
mit  meint,  tt)irb  an  ber  anbcm  Klaffe,  bie  er  begeic^net,  flar 
werben.  S)ad  finb  bie,  tüctd^e  fic^  für  rec^tf(^affenc  unb  tugenb« 
^afte  9Äenfd^en  galten,  unb  fein  Sebenlen  tragen,  fid^  ba«  SSeP 
bienft  Sl^rifti  jujueignen,  tücit  er  ja  für  alle  2Renfd)eii  geftorben  fei. 
®ie  finb  if)reö  ©nabenftanbeö  fidler,  obgleid^  fic  bod^  nid^t^  öon 
©ünbcngefü^l,  üon  SefenntniS  unb  SBerlegenl^eit  barüber  unb 
öon  JRingcn  um  ®nabc  miffen.  ®iefe  ®emüt^«bett)egung  alfo  ift 
ba^  öon  i^m  geftcUte  ffirforbemi§  für  bie  ©nabcnöerfid^erung ! 
$Run  aber  gc^t  er  ju  bem  §inbcrni6  über,  tüel(^eg  tüicbcr  bicfe^ 
©ünbengefü^I  mit  fid)  bringt.  ®r  mißbißigt  bie  aufrid^tigen 
©eelen,  rteld^e  i^re  ©ünbener!enntni§  no^  nic^t  gro§  genug 
finben,  rteld^e  an  ber  Stufrid^tigleit  berfelbcn  ätt)eifeln,  unb  pt^ 
fd^euen,  i^rc  3iiffw^t  i«  ei)riftng  ju  nef)men,  mcil  fie  fid^  einen 
gett)iffen  @rab  öon  ^ersenögüte  abgewinnen  möd^ten,  c^e  fie  an 
bie  @nabe  bcnfen  bürften.  @inigc  berfelben  Dermidteln  fic^  in 
fd)redE^afte  SSorfteüungen  Don  ©otteö  3<^^"9cric^ten,  üon  ©üdö^^ 
lung  unb  SUerrterfung,  öon  ber  geringen  3ot|l  ber  Sfinber  ®otte^, 
ober  fämpfen  im  ©tiQcn  mit  fpöttifc^en  ®ebanfen  unb  jmcifetn 
am  SBorte  ®otteg.  SJrummad^er  ergebt  gegen  biefe  Srfd^einungen 
ben  SUortüurf  beg  Unglauben^.  3lber  mit  meld^em  SRed^te?  ®a 
bod)  nac^  feiner  Slnfic^t  bie  ß^^^ifliiwng  be^  Jpcileö  o^ne  ba^  3"= 
t^un  beö  aRenfd^en  erfolgt,  unb  bie  3uniut^ung  eine^  aufgeregt 
ten  ®efü^fö  Don  bem  @lenb  unb  ber  Slbfd^eulid^feit  beö  ©ünbcn« 
ftanbeö  in  fid^  grenjenloö  ift.  ®r  erflärt  nun,  ba§  @ott  ju 
jenem  Qxocdc  leiner  SKittel  bebarf,  ba§  er  aber  regelmäßig  ba^ 
orbcntlid^e  SRittel  be^  SBorteö  unb  beg  ^rebigtamte^  gcbraui^t, 
um  eine  befümmerte  Seele  beö  Jpeiteö  ju  öerfid^ern.  „Unb  mem 
tt)ärc  e^  unbefannt,  ba§  eine  einzige  ©c^riftftetle,  ein  SieberDcr«, 
eine  ^rebigt  alfo  gcfcgnet  fein  fann,  bafe  auf  einmal  alle  3^^^!^^» 


587 

öcbenflid^Icitcn  unb  öefümmcrniffc  tt)ic  toccjfleblafcn  tüerben,  afö 
fönntcn  fie  nie  tüieber  auffteigcn."  fieibcr  ift  c^  nun  and)  bc* 
fannt,  bog  biefe  $rt  ber  ßucignung  immer  ntc^t  Dor^ält!  Unter 
bcn  au6crorbentIid)en  ÜJJitteln  berfetben  bejeidfinet  Ärummad^er 
btc  örfa^rung,  ba§  S^riften  ju  il^rem  3;roftc  etmag  Slcufeerlid^ed 
gefe^en  ^aben,  bog  eS  }.  3.  gan}  ^ell  um  fie  n)urbe,  ober  ber 
§err  gebietet  einer  ©ecle  innerlich,  ein  beftimmte^  ßieb,  eine  be^ 
ftimmte  ©d^riftftelle  auf juf erlagen,  rtclc^e  ben  Siroft  barbietet, 
ober  ein  $ßrcbiger  fü^lt  fic^  gebrungen,  über  einen  beftimmten 
lejt  gegen  feine  abfiit  ju  prebigcn,  unb  nad^^er  ergiebt  eö  fic^, 
ba§  biefcig  ;\um  Iroft  einer  einj^elnen  ©eele  erfolgt  ift,  ober  ge* 
toiffc  äußere  ©reigniffe  unter  befonberen  Umftänben  geben  fid^ 
atö  ß^wfliiiffc  ber  fpecieUen  @nabe  ©ottcö  funb.  ?lber  öon  allen 
biefen  örfa^rungen  ber  SSerfidicrung  urt^cilt  Ärummac^er,  ba§ 
fie  nic^t  bie  ©ünbenöcrgebung  felbft  finb.  2)iefe  ift  Sllen  notl^* 
n^enbig,  jene  mirb  S3te(en  nid^t  ju  ST^eil.  SBaiS  bleibt  alfo  benen 
übrig,  meldten  ber  ®laube  nid^t  aU  geioiffe  ^u^^^Pci^t  öcrlie^en 
wirb?  ©ie  ^aben  bei  ber  gortbauer  ber  Sefümmernife  über  bie 
©ünbe  i^ren  ©lauben  in  bem  Jpunger  unb  S)urft  nad^  ©erec^^ 
tigteit  unb  in  ber  3"ff"^t  ju  ß^riftuö.  2)ie^  ift  aud^  eine 
gorm  beig  magren  ©laubcmg.  Aber  bennod^  foU  ieber  bie  SSer« 
fic^crung  fuc^cn,  obgleid^  ber  ^err  fie  nic^t  allen  feinen  Äinbem 
fc^enft.  ©0  entfcl)eibet  Ärummad^er  fd^ticfelid^  in  Uebereinftim* 
mung  mit  Sampe  (@.  324). 

allein  nun  Reifet  e«  miebernm  anbertoärtö,  bafe  man  qc^ 
n^altige  SSerfid^erungcn  erfahren  ^aben  unb  bod^  getvaltig  tv^ 
fdöredCen  fann,  menn  ber  §err  fein  Slngefid^t  öcrbirgt.  S)ann 
pflegt  ber  ©igentüiUe  @ott  uorjuf d^rciben ,  mann,  mie  unb  in 
melc^em  SKafee  er  bie  geifttid^en  @aben  be^  Sirofteg  unb  ber 
Jpeitigung  mitt^eilen  foU.  SBie  feiten  finb  biejenigen,  bie  fic^ 
gelaffen  ber  gciftlic^en  @aben  berauben  laffen,  unb  fid^  in  i^re 
geiftlic^c  Slrmut^  unb  S)ürre  fc^idEen?  2)?an  mill  mo^l  in  ber 
J^eiligung  öon  ben  befd^merlic^ften  Unarten  je  c^er  je  lieber  lod 
fein;  greift  aber  ©Ott  ba^  SUerberben  bei  ber  SBurj^el  an,  foU  bie 
ffiigenliebe  unb  ber  eigene  SBillc  umgele^rt  merben ,  fo  meiert  man 
fic^,  fo  öiet  man  fann.  Sllfo  menn  man  im  Slnfangc  feine« 
6f|riftenftanbeö  eine  füfee  Slnbad^t  im  @ebet,  einen  innigen  Um* 
gan^  mit  bem  Jperrn  erfahren,  menn  man  eine  garte  Siebe  ju 
3efu«,  JU   ben  ©laubigen  unb  ju   aQen  9)2enfc^en  gefaxt  ^at, 


588 

unb  in  einer  ^eiligen  ©tillc  nnb  ?lb9cjOflen^eit  uon  allen  ©reo^ 
tuten  ftcf)t,  fo  mad^t  man  alöbalb  tüicbcr  bie  ©rfa^rung,  bafe 
bic  5^ud)t  bcg  (Seiftet  öerbcdt  njirb ,  bag  baö  innerliche  SSerbcr»^ 
ben  fic^  gcroaltig  regt  unb  bic  ©eele  fid^  tt)ie  fleifd^Iic^  ffi^It  unb 
unter  bcr  ©ünbc  Derlauft.  Stber  fo  muß  cö  ge^en,  bamit  ba^ 
SBcrtrauen  auf  unS  felbft  immer  me^r  au^erottct  rterbe.  ©n 
S^riftentl^um,  bei  rtelcftem  man  Slleö  ober  aud^  SSieleö  felbft 
auörid)ten  lann,  ift  offenbar  baö  red)te  nic^t.  SSicImcl^r  muß 
allcd,  toaS  man  an  gutem  SBiQcn  unb  S^orfag  ^egt,  unb  too^ 
man  an  3Witteln  ber  ©rbauung  ^od^  f)ält,  ju  SRi(^t§  toerben, 
bamit  bcr  §err  aDein  ber  fjete  fei.  SBiß  K^riftuö  bic  einjigc 
©tü^e  unb  3wP*^^^  ^cr  ©eele  werben,  unb  fie  anleiten,  i^m 
allein  anju^angen,  fo  muß  fid^  ber  ftarle  SBinb  ergeben,  ber  aUe^ 
unfid^cr  mad^t  unb  e^  einprägt,  baß  in  E^riftuö  allein  äße 
gülle  mo^nt,  unb  in  it)m  aße  SUerl^eißungen  3a  unb  amen 
finb.  2)iefer  ©runbfafe  fommt  bamit  überein,  baß  bic  ^üüt  ber 
SSergebung  ba  ift,  tt)o  bcr  ©laubige  in  ftd^  nid^t^  alö  ©finbe 
finbet.  Ärummad^er  fügt  l^inju,  baß  „ttjcnn  brei  ober  öier  in 
biefer  Serfammlung  unter  biefe  Klaffe  gehören,  baö  tt)irb  loo^l 
«Beg  fein" »). 

2)ie  8lbficf)t  biefer  Slnrteifungen  ift  beutlid^  bic,  bic  ©croiß^ 
^eit  beö  ^eileö  foöiel  mie  möglid^  ju  öcrl^inbcrn.  S)cnn  biejcni* 
gen,  tocld^c  feine  SSerfic^erung  errei^en,  baß  S^riftuö  für  fie  ge* 
ftorben  fei  unb  fie  geliebt  ^abc,  »erben  bie  ©efü^löerregung  über 
bie  ©ünbc,  rteld^e  fie  fic^  abgenöt^igt  l^aben,  laum  jemals  burd^ 
bie  nüd)terne  Uebcrlegung  ftißen,  baß  für  fie  bod^  ©ünbenöerge^ 
bung  überl^aupt  öor^anben  unb  gültig  fei.  Ober  wenn  biefe 
®abc  für  bic  bußfertigen  mit  bem  Seftanbe  ber  ÄJird^e  öcrfnüpft 
ift,  ju  ber  fie  gcl^örcn,  fo  ift  burd^auS  fein  ®runb  öor^anben, 
nur  eine  befonberö  gcftärlte  Süße  gelten  jw  laffen,  unb  ba§ 
S^riftent^um  berer  für  mangelhaft  ober  t)ielmef)r  für  nid^tig  ju 
erflären,  rtcld^c  i^rer  ©ünbc  in  toeniger  aufgeregter  aber  juücr* 
läffigcrer  SBcife  abfagen,  tt)ic  bie  ^ictiften.  2)enn  baS  5Reft, 
rteldöeg  nad)  pietiftifdf)cr  3lntt)eifung  bie  ©ünbc  im  ©anjen  lieben 
foB,  ^at  regelmäßig  fo  toeite  SRafd^en,  baß  eine  ÜJicngc  öon  bc^ 
fonberen  ©ünbcn  nid^t  au§  bem  ©runbe  bcö  SBißcnö  ^craufgc^ 
jogen  toirb.    Unb  roa^  ift  benn  bie  aßgemeinc  ©ünbc  in  iebem 

1)  «.  a.  O.  S.  187.  250.  289.  322. 


589 

I 

©injclnen,  tücnn  nic^t  bic  ©unimc  aller  befonbcrn  ©clbftfud^t? 
SBer  aber  baju  fic^  anleiten  läßt,  übet  eine  allgemeine  unb  un* 
beutlic^e  SSorfteUung  feinet  fünbtic^en  SSerberbend  in  Aufregung 
ju  gcrattjcn,  unb  bie  gefttf)Itc  SSerficftcrung  ber  Vergebung  nic^t 
errcid^t,  tt)irb  burd^  Ärummac^er  eben  auf  Ungett)i§^eit  beö  $ci= 
(ed  angetDiefen.  Saffelbe  beabfic^tigt  er  aber  auc^  an  benen, 
toeld^c  eine  SSerfid^erung  erfahren  ^aben.  ©ie  tüerben  eben  bc* 
beutet,  bafe  biefelbe  feinen  SBeftanb  ^at,  fonbern  baß  bie  Unfi^cr* 
l^eit  nad^  @otted  toillEürlid^er  t^ügung  immer  n)ieber  einjutreten 
^at,  bis  bie  üoUe  Vernichtung  be^  menf^lic^en  ©etbft^  unb  SBert^^ 
gefu^Id  erreicht  unb  ber  @egenfa|  jmifd^en  Seib  unb  $reube  auf« 
gei^oben  ift.  SaS  ift  ja  bie  fad^gemäge  ^inmeifung  barauf,  bag 
bie  gefud^ten  SScrfid^crungen  blo^  äft^ctifc^er  Slrt  finb.  SlQein 
ber  tc^te  SBefc^eib,  melcfjen  Ärumma^er  ju  geben  öermag^),  ift 
bie  gormel  be^  Ouieti^mud:  „Unfer  äEBille  ift  ba^  eigentliche 
SBir  felbft;  unb  menn  ber  geftorben  ift,  fo  finb  tüir  mit  @ott 
eins  unb  ^aben  äberaQ  nichts  mel^r  auSjufegen''.  ^aS  ift  bie 
©eligfeit  beS  S)unö  ©cotuö  (©.  471).  2)ie  ßöfung  beö  5ßro^ 
blcmS  öon  ©ünbe  unb  ©nabe  mirb  alfo  erreicht  in  ber  loömolo« 
gifdien  ober  metapti^fifd^en  SS3al^r()eit ,  bag  bie  SSerneinung  ber 
creatürlid^en  öigcn^eit  bic  Sbcntität  aller  ffiefen  mit  ®ott  fcft* 
ftettt,  ba  ©Ott  aU  ber  miDffirlid^e  SBiUe  ber  ©runb  aller  SBcfcn 
ober  baS  cinjige  tvirflic^e  äBefen  überhaupt  ift. 

S)a6  Ärummad^er'ö  JpeiUle^rc  biefen  ^intergrunb  jetgt, 
fann  ni^t  befrembcn.  ^er  ganje  „eDangelif^e"  ^ietidmuS,  in 
beffen  SRci^e  biefer  ^ßrebiger  getjört,  rturjelt  im  ©otteöbegriff 
beö  großen  grancigcaner=3;t)eologen;  unb  fiberbieS  berid^tet  bct 
Siograp^,  ba§  bic  Schriften  ber  ©u^on  unb  lerftcegen'iS  in 
f)o^em  SBert^e  bei  jfrummac^er  geftanbcn  ^aben.  3n  einem 
fünfte  aber  n)eict)t  er  öon  ber  SRcitie  feiner  SJorgönger  ab:  er 
mad^t  feinen  ©ebrauc^  öon  ben  95ilbcrn  beö  ^o^enliebcS.  3)er 
©cfd^madE  für  biefen  äpparat  fehlte  it)m  o^nc  3^cifcl  auö  bcm^ 
fclben  ©runbe,  auS  tüclcftem  er  für  feine  ^ßerfon  unbcre^eli^t 
blieb..  Snbeffcn  gcfd)ie^t  it)m  boc^  mo^l  ju  öiel  ö^re,  rtenn  ber 
Siograp^  bie  ©ciftedoerttjanbtfc^aft  Salüin'ö  mit  firummac^cr 
betont.  3n  ber  ©enauigfeit  ber  ©ebanfen  unb  bed  SludbrudES 
fann  man  boc^  l)öc^ftenS  bie  ©eiftcgoertoanbtfc^aft  Ärummac^cr'ä 


1)  fi.  a.  C.  e.  333. 


590 

« 

mit  Ealötit  finbcn*).  Allein  bicfe  ©cmcinf^aft  ^at  bo(^  il^tc 
fc^r  bcftimmtctt  ©tcnjcn.  2)en  ©cft^töpunft  bcr  Heiligung, 
)De(^cn  Sabin  atö  ben  3^^^  ^^^  S^rtftentl^untd  fo  ^oc^  ftellt, 
f)at  ^ummo^er  tl^atfä^Iic^  QU^faDen  laffen.  Senn  er  ftc^t 
eben  bcm  „etoangelifd^en"  ^icti^mud  reformirtcr  Sinic  nod^  nä^er 
al^  bem  ®rttnber  feiner  fiird^e.  Sener  aber  fommt  über  bem 
^oblem  ber  ^eiteöcrfic^crung  unb  ber  unabläffigen  Prüfung 
ber  Sd^ttieit  bed  ©laubcnd  unb  ber  $eilderfa^rungen  nid^t  bagu, 
bie  Slufgabe  ber  Heiligung  ernftlic^  ju  ergreifen,  änftatt  beffen 
gelangt  aud^  biefcr  Vertreter  be^  5ßietii^mug  nur  jur  äufrcd^t^ 
er^altung  ber  Ungctoift^eit  beö  Jpeileö,  unb  biefed  erllärt  ftc^ 
aui3  ber  fat^olifc^en  SEBurjel  ber  ganjen  Siic^tung.  äBenn  biefer  $ie« 
tidmuS  9te^t  ^at,  bann  fonnten  fiutl^er  unb  Sabin  fid^  i^re 
Wlixf)t  erfparen  unb  ben  abenblänbifc^en  SöUern  bie  äieligion^^ 
Wege.  Qnx  .^eiteungertife^eit  bietet  bie  fat^olifd^e  Äirc^c  alle 
möglid^e  Anleitung;  aber  aud^  bie  brci  ober  üicr,  meldte  Ärum* 
mad^er  qU  in  feinem  ©inne  t)onfommene  (S^riften  t)orauSfc|t, 
lüürbtn  in  ber  fatljolifd^en  Äird^e  i^re  Scfriebigung  ^abcn  finbcn 
fönnen. 

@ine  $robe  bat)on,  tveld^e  Srfolge  ^rummad^er  burd^  feine 
5ßrebigten  erreid^t  ^at,  giebt  bie  ©d^tatter  in  bcm  Serid^t  über 
i^re  ^eife  na^  bem  SEuppert^al »).  ©ie  lernte  in  ffilberfclb  jtoci 
fjreunbinncn  fcnnen,  öon  benen  bie  ®rfte  fid^  fo  au^fprad^: 
,,@ott  ^at  @ro^eS  an  mir  getrau,  unb  mic^  auf  einen  SBeg  gc:= 
fteUt,  ben  nur  bie  $(udcrn)ä()lten  tvanbeln;  ic^  bin  nid^t  me^r 
gefangen  unter  ber  ©ünbcn  ®efe^,  fonbern  burd^gebrungen  jiur 
j^errli^cn  grei^cit  bcr  fiinber  ©ottcö.  3Äeine  greubc  unb  §off^ 
nung  ift,  ba§  mein  §err  S^riftuö  erfd^cinen  mirb,  feine  unb 
meine  ^cinbe  in   bie  etpigc  SScrbammnife  ffi  tüerfen,   mid^   aber 

1)  (Stnen  etgenttiUmUdien  HRangel  an  (S^enautgfett  in  btffem  Ser^filtnil 
berrfitti  übrigens  (ü.  ^.  j^rummad^er  barin,  bag  er  t)on  (Salt)in'S  SnjiituttO' 
nen  rebet  (®uie  ^otMaft  6.  109).  3Bunberbarer  3Beife  ift  bieie  SBegei^nung 
gum  (hummad^erf^en  gf^niiliengut  geworben.  ®er  Stuber  t)on  (Sottfrieb  ^a> 
niel,  nfimlid^  gfriebrid^  ^olf  St,  ^at  bie  .Snjiiiutionen  ber  ^rtfUid^en  Ketiglon" 
tn'S  ^eutf^e  fiberfeltt  (1822.  1834)  unb  bejicn  6o^n  (Smtl  SBtl^elm  gebraust 
btefen  fCuSbrud  in  ber  borllegenben  Siograpl^ie  feineS  Ol^eimS  €.  XLVII,  nid^t 
minber  ber  ju  biefer  (&Tuppt  in  entfernterer  SBegiel^ung  gehörige  Vbolf  Sa^n 
(grauenbriefe  6.  164). 

2)  fieben  unb  ^aäfiai  L  6.  CXU. 


5dl 

fantmt  allen  Sluöcrtoäl^ltcn  mit  fid^  in  bic  ^immlifc^c  grcube  nnb 
^crrlid^Ieit  p  nehmen".  S)ic  Slnbcrc  aber  toax  llrinlaüt,  brfidtc 
eine  X^ranc  jurfid  unb  flogte  gan^  leife:  „%di  \d)  liebe  ben 
^ermSefuö  nod^  gar  nid)t  genug  1  0  tücnn  id^  i^n  lieben  fönntc 
ttrfc  91.  fagt,  ba§  fie  i^n  lieben  fönne!  D  loenn  ic^  nur  fo  in 
feiner  ©emeinfc^aft  lebte!  S)ie  ©orgen  um  meine  Äinber  nel^men 
mic^  fo  ein,  ba|3  fie  bod^  feiig  merben  unb  aud^  in  ber  äBelt 
orbenttic^  burcI)fommen ;  id^  bin  fo  fc^tüac^,  fo  gar  nic^tö."  2)ic 
^d^tatter  fnüpft  biefc  öefcnntniffe  unmittelbar  an  i^re  angaben 
über  Ärummad^er'd  ^rebigt  (©.  557);  bie  grauen,  bie  fic^  fo 
auöfprad)cn,  muffen  alfo  ju  benen  ge^rt  ^aben,  rtcld^e  fic^  an 
i^n  anfd)loffcn.  3m  SSergleic^  mit  ben  in  ber  ,,®uten  Öotfd^aft" 
gcfammeltcn  ^rcbigten,  ift  freiließ  ber  Ion,  ben  bie  erfte  ©eleu* 
nerin  anfd[)lägt,  jiemlid^  auffallenb.  .Mein  ald  bie  ©d^latter 
1821  in  bie  9iä^e  t)on  Ärummac^er  fam,  waren  erft  fünf  3a^re 
feit  beffen  antritt  beö  ?lmte^  in  ffitberfelb  »ergangen.  3n  bcm 
Seginne  feiner  SBirIfamfeit  aber  l)at  er  bie  Se^re  öon  ber  Cr« 
n}äl)lung  ftarf  in  ben  SSorbergrunb  gefc^oben.  (£r  ^at  jebo^  ba-- 
ran  eine  ©rfa^rung  mad^en  muffen,  n)cld)c  i^m  SSorfid^t  aufge^ 
nöt^igt  l^at.  3n  einer  jU  ©Iberfelb  ge^örenben  SBauerf c^aft ,  gc^ 
nannt  SEBuften^of,  fagte  man  bic  t)on  jfrummad^er  geprebigte 
(£rn)ä()lung  fo  auf,  bajs  fie  bcm  ©laubigen  gcmils  fei,  aud^  locnn 
beffen  alter  aWcnfd^  in  ber  ©finbe  ju  mirlen  fortfaf)re.  3llö 
neue  äKcnfc^cn  meinten  biefe  „SBüften^öfer"  fc^on  auferftanben 
mit  ß^riftuö  unb  im  §immcl  ju  fein.  SBenn  fie  jufammenlamen, 
flagten  fie  bei  SBvanntroein  über  baö  irbifc^e  Seben  unb  tranfen 
fid^  auf  bic  enblid^e  Srlöfung  auS  bemfclben  ju  0*  d^fl^^^^ 
brängten  fie  fic^  an  Ärummac^cr,  ber  fie  nac^  oberflächlicher  8)e^ 
fanntfc^aft  für  geförberte  Sl^riften  ^ielt  unb  o^ne  Arg  fid^  mit 
t{)nen  einlief,  gür  Slnbere  blieb  \f)x  treiben  ni^t  verborgen ; 
c^  tarn  aber  in  bie  völlige  Deffentli(^feit ,  alg  fie  bie  ^rebigt, 
roeldje  1818  bei  ber  regelmäßigen  SSerfammlung  ber  Slberf eiber 
ßlaffiö  bereu  3nfpector  ^ielt,  burc^  Sad^en  unb  SKurren  ftörten, 
loeil  fie  in  i^r  SRügen  ber  Ärummac^er'fc^en  ße^rmeife  ju  erfen* 
neu  glaubten,  ©ie  fuhren  bamit  fort,  mä^renb  beiS  ©otteebien* 
fteS  in   anberen  ^irc^en  be$  äBuppertl^aled  XabaE  ju   rauchen, 


1)  Sttuq,  jlritti^e  (Sefd^t^te  bet  eectuerct  im  mupptxi^al.    ($I6erfe(b 
1851.  6.  261.    Ve^nltd^  bie  flnft^t  t)on  S^fifer  in  ^ptnitU;  f.  o.  8.  665. 


592 

unb  ©ebctduerfornmlungen  eines  ^rebigerS  in  Carmen  burd^ 
(Knrterfcn  ber  fjcnftcr  ju  [törcn.  yiadf  ber  Angabe  ®ocbel% 
tt)elc^er  ftc^  auf  bie  bieten  beruft,  ^at  tro^bem  ^ummac^er  frc^ 
nic^t  gefc^eut,  \xä)  bicfer  Seute,  tveld^c  ft(|  atö  feine  ^nffängn 
geltcnb  mad^ten,  mit  ß^^istc^^  anjune^men,  unb  eS  ^ot  ben 
$täfeS  ber  nieberrfieinifd^en  ©eneralf^nobe  Diel  @ebulb  unb 
Slad^fi^t  fletoftct,  bis?  jener  einfal^,  bafe  er  fic^  öon  bicfen  An- 
hängern lodjufagen  f)abz,  ^aä)  langem  ©träuben  entfd^log  er 
ftd^,  bie  i^m  uon  ber  firc^ liefen  Se^örbe  aufgegebene  $rebigt 
über  SRöm.  6, 1  ju  ()alten,  burd)  n^eld^e  er  ben  t)on  ben  SBuften« 
Pfcm  vertretenen  ©runbfa^  miberlegte  *).  2)icfe  Seute  aber  1)0^ 
ben  fid^  baburd^  nic^t  betc^ren  laffen,  fonbern  traben  im  Stillen 
i^reSReinung  unb  i^ren  ^uf^nimen^ang  aufrecht  er()alten.  Wlan 
ftef)t  aber  auS  bem  Don  \>tx  ©c^tattcr  mitgetl^cilten  Sefenntniffc 
ber  ungenannten  $rau,  ba§  aud^  in  bem  t)öd^ft  gebilbeten  j^reife 
ber  @emeinbc  ber  (Srmä^lungdgebanfe  jmar  nic^t  in  antinomtfti« 
fd^er,  aber  bod^  in  felbftgered^ter  SBcnbung  angeeignet  ujorben 
ttjar.  3)iefe  Stimmung  ift  in  ber  reformirten  ©emeinbc  ffilbcr^f 
felbS  aud^  noc^  burd^  anbere  ^rebiger,  namentlich  burc^  ben 
Steffen  griebric^  SBil^elm  Ärummad^er  gepflegt  Sorben. 

Sie  ift  fc^lieglid^  jur  Separation  t)on  ber  Sanbcdlird^c 
tt)irf)am  gemorben.  ^er  ^etiSmuS  ^at  oon  Slnfang  an  ni(^t 
t)iel  Geneigtheit  für  bie  StaatStirc^e.  9lud^  JÜlrummad^er  ^egt 
eine  SorfteUung  Don  Staat  unb  bon  itirc^c^),  lüetc^c  ber  6om^ 
bination  beiber  nic^t  günftig  ift.  Seine  Slnfid^t  Dom  Staate 
fommt  barauf  ^inaui^,  bag  er  ber  gefeüfc^aftlic^e  SSerein  ber 
äRenfc^en  jum  Q^cd  ber  ©r^altung  i^reö  irbifc^en  fiebenS  fei, 
gleichgültig  gegen  it)re  fittli^e  9)eftimmung  unb  i^r  unfterblic^ed 
S93efen,  gleid^gültig  gegen  allen  Unterfc^ieb  Don  Glauben  unb 
£eben,  fo  lange  nic^t  bie  menfc^lic^e  G^ellfd^aft  baburc^  bebro^t 
tt)irb,  blöd  gerietet  auf  bad  Seugerlid^e  unb  Grobe,  ^rum^ 
mac^er  berücffic^tigt  baneben  auc^  bie  X^atfac^e,  ba§  ber  Staat 
bie  ^Religion  unb  £^irc^e  beachtet,  unb  bag  eS  barum  auc^  Staate« 
religion  gicbt;  aber  er  crflärt  biefeS  barauS,  bafe  ber  Staat  bie 
Religion  ju  feinen  ßmedEen  benu^t,  unb  betont  bagegen  bereu 
unDergleid^lic^  erhabenere  ^eftimmung.    dt  trifft  alfo  mit  ber 


1)  3n  ber  guten  Sotf^aft  8.  347. 

2)  91.  a.  O.  e.  92  ff. 


593 

latl^oUfd^en  unb  t^ulgar  4ibcralcn ,  mand^eftcrltt^en  SBorfteDuttg 
Dom  (Staate  gufammen.  SSon  ^ter  aud  ergiebt  fi^  folgerecht  ffir 
ben  ^roteftantt^mud  bte  derfpUtterung  in  lauter  Kongregationen. 
S)ed^alb  ift  ber  t)on  biefer  flnfid^t  crfüQte  ^ieti^mud,  au^  totnn 
er  vorläufig  eine  noc^  fo  ^od^firc^Ud^e  Haltung  annimmt,  gar 
nic^t  im  @tanbe  bem  @^aben  entgegenjumirten,  loelc^en  jene 
Stnftc^t  oom  Staate  foroo^I  ber  fittlic^en  93ilbung  be^  fßoltt» 
aU  ber  @eltung  ber  d^riftlid^en  Siird^e  juffigt.  Sei  jtrummad^er 
unb  feinen  9lnpngern  fam  aber  nod)  bagu,  bag  i^nen  in  um 
beutlid^er  Erinnerung  bie  bid  jur  napoleonif^en  3^it  beftanbene 
^irc^enüerfaffung  in  beu  nieberr^einif^en  ^erjogt^mern  ali 
eine  burd)auS  Dom  ©taate  unabhängige  Dorfam,  unb  bag  fie  bed» 
()alb  bie  ftaatdfird^lic^en  ÜJ^a^regeln  beS  jfönigi^  t^riebrii^  S&iU 
i]dm  III.  für  Union  unb  Slgenbe  a(^  unbered^tigte  (Eingriffe  in 
i()r  fird^tid^ed  Softem  empfanben.  3lxä)t^  befto  n^eniger  beuieift 
ber  äSerlauf  ber  ^inge  am  9tieberr^ein,  bag  ^ier  ber  ^ietiSmuiS 
im  @an}cn  unb  ©ro^en  anbevS  gefinnt  mar  atö  gleid^/^eitig  in 
ben  9lieber(anben.  ÜJ^an  tvar  ^ier  nic^t  fo  bereit  n)ie  bort,  jur 
(Separation  oon  ber  Saubcc^fir^e  ju  fd)reiten.  S)ie  Anfänge  ber 
preugifd^en  ^irc^cnpolitif,  meiere  bie  Union  ber  eüangelifc^en  Son^ 
feffionen  unb  bie  ägenbe  bc^  Äönigs^  ibentificirte,  ferner  bie  (Sin* 
fü^rung  ber  r^einifc^^^meftfälifc^en  $tird^ent)erfaffung  1835  faUeit 
no^  in  bie  Sebeui^jeit  ^rummac^er'^.  ^iefclben  fanben  aller* 
bingS,  namentli^  in  ber  reformirten  Scmeinbe  ju  (Slberfelb, 
oielcn  SS3iberfpru^.  SlUein  inbem  bie  Rettung  t)on  Union  unb 
Slgenbe  ermäßigt  tourbe,  untem)arf  man  fic^  ber  auf  (Sonfiftorium 
unb  (S^nobe  geftellten  proüincialen  jiirc^enuerfaffung.  9{ur  wenige 
unb  jmar  üorne^me  ©lieber  ber  reformirten  unb  ber  lut^erifd^n 
@emeinbe  traten  aud  ber  fianbeSfirc^e  aud,  inbem  fie  bie  ganje 
(Sd^ärfe  i^reö  Urt^eitö  gegen  bag  „abgefallene  Öabel"  unb  gegen 
bie  ^rebiger  aU  SRiet^linge  unb  (Staatdfned^te  richteten  0*  ^i^f^ 
(Gruppe  fanb  nun  i^ren  geiftlic^en  ^^ü^rer  an  einem  ^oQänbcr 
^ermann  ^riebrid^  ^o^lbrägge,  2)oetor  ber  Si^eologte. 
tiefer  äRann  ftammte  aud  ber  lut^ertfc^en  Sirene  in  ben 
9tieberlanben,  unb  i^toai  aud  bem  fleineren  SSerbanbe  ber  fieben 


1)  3um  folgenben  Detgletd^e  ^x,  SB.  j^rumma^et  über  i^o^lbtftfige 
unb  feine  6^le,  in  ben  $almblfittetn,  itoeiter  Qanb.  ^Iberfelb  1845.  Sfemer 
jlrug  0.  0.  O.  6.  306  ff. 

I.  88 


594 

lut^crifd^cn  ©cmeinbcn,  tocld^c  feit  1792  ate  bic  „lofebcr^crge^ 
ftcütc  lut^crif^c  Stixd)r  ober  alö  M^  alte  ßi^t"  ftc^  öon  ber 
äRe^rjal^l  ber  jur  S^ufflärung  übergegangenen  @cmetnben  gc« 
trennt  t)atten.  @r  »ar  juerft  §ülföprcbiger  an  ber  ©emeinbe 
ju  Slmfterbam.  Unter  beven  ^aftoren  war  aber  einer  aud)  fd^on 
tDteber  rattonaliftifd^  d^ftnnt,  unb  als  ^o^lbrügge  in  bem  (Sifet 
um  bie  reine  ßel&re  eine  ^rebigt  beffelben  ben  ©emeinberepräfcn« 
tanteu  ald  nic^t  rechtgläubig  benuncürte,  n)urbe  ber  auf  ber  ^anjel 
fortgefcftte  ©treit  jtt)ifc^en  S5eiben  enblid^  burd^  bie  Sienftentlaf« 
fung  beö  ^ülföprebigerö  beenbet.  Serfelbc  sog  fic^  nac^  Utred^t 
jurücf,  um  iid^  jum  t^eologifd^en  5)octorat  Dorjubereiten ;  in  bie^ 
fcr  SBcfc^äftigung  begriffen  überjeugte  er  fid^  t)on  ber  ©c^rift:^ 
gemäß^eit  ber  ^räbefiination3lel)re  Eatoin'8.  @r  wollte  bemge* 
maß  jur  reformirten  Siirc^e  übertreten.  2)a  aber  bereu  SSertrc* 
tern  ber  ort^obofe  ©treiter  nic^t  willfommen  war,  fo  fonnte  er 
bic  ?lufnat)me  in  ben  Slieberlanben  ni^t  errei(^en.  ffir  fam  unter 
biefen  Umftänben  1833  in  baö  SQSuppcrtl^al,  würbe  bort  Don 
bem  Srummad^er'fd^en  Äreife  ate  äRärt^rer  mit  ©lanj  cmpfan^ 
gen,  unb  genöt^igt,  auf  ber  Äanjel  Seugniß  t)on  feinen  @a6cn 
abzulegen,  ^ad  gefd^a^  mit  folc^em  Srfolg,  bag  man  i^n  für 
ben  Sienft  ber  Sanbedfirc^e  ^u  gewinnen  fud^te,  unb  ha&  ^on^ 
ftftorium  war  bereit  baju,  il)m  burdö  eine  Prüfung  bic  SBcret^^ 
tigung  baju  ju  eröffnen.  Snbcffcn  !am  cS  nid^t  baju,  ba  Slof)U 
brügge,  inbem  er  einen  angefc^enen  ^rebigcr  beS  SSäuppert^ale^ 
t)or  mehreren  Qtu^cn  breift  als  3rrle^rer  bejcid^nete,  baö  i^m 
t)on  ber  iöc^örbc  gcfd^cnftc  SJertrauen  üerfcljerjte.  ©eine  Än^ 
länger  legten  il^m  bicfe  Vereitelung  il)rer  auf  i^n  gefegten  Hoff- 
nungen als  e^renDoQe  SSerfolgung  auS,  unb  blieben  mit  i^m 
in  SScrbinbung,  ba  er  alsbalb  in  bic  Slieberlanbc  jurücRe^rte. 
3ur  ©onftituirung  einer  feparirtcn  ©emeinbc  fam  cS  erft,  nadj- 
bem  griebrid^  SQäil^clm  IV.  bic  ftaatlid^e  ©enel^migung  ba^u 
ert^eilt  ^atte,  unb  fie  erfolgte  18.  Slpril  1847  unter  bem  SJamcn 
ber  nicbcrlänbifd^^rcformirtcn  ©emeinbe.  Äo^lbrüggc  würbe  1848 
jum  ^rebiger  berfclben  gewäl^U;  baS  belgifd^e,  baS  fd^ottijt^c 
93e!enntnig  unb  ber  Heibelberger  Jtatc^iSmuS  würben  als  bic 
t)erbinblid)cn  Sctirnormcn  ancriannt.  ©owcit  bie  religiöfc  Sü^* 
tung  ber  ©cmcinbc  nad^  ben  ^ublicationen  i^rcS  SeiterS  beur* 
t^eilt  werben  barf,  ift  ber  in  i^r  gepflegte  SalüiniSmuS  feineS^^ 
Wegs  ed^t.    ©djon  Ärummad^er  t)atte  bie  fpccicHe  ©igcnt^mlic^« 


595 

feit  bcffelbcn,  bie  Slufgabc  bcr  ^ciliguitfl,  t)intct  basf  Problem 
ber  ftctg  ftic^cnbcn  ^eil^gctoife^cit  bci^  SBufefertigen  jurücfgcftcttt. 
^o^Ibräggc  aber  I)Qt  boburd^  \f)n  überboten,  bag  er  bie  Aufgabe 
ber  Heiligung  übcr^au^Jt  aui^fallcn  ließ,  ©eine  fie^re  ri^tetc 
fid^  barauf,  ba§  mit  bem  SSerjjid^t  auf  bie  eigene  ©erec^tigfeit 
unb  ber  gläubigen  Snnal^me  ber  Oered^tigfeit  ©^rifti  auf  beni 
@runbe  ber  göttlichen  ©nabenma^l  gerabc  badjenige  @efü^I  üon 
ber  ©ünbc  j^ufammcntreffen  müffc,  bafe  man  unter  i^r  ©efcfe 
forttt)ät|rcnb  üerfauft  fei.  3n  ©orrefponbenj  ju  biefer  Änfid^t 
fc^eint  ed  ju  fte^en,  bag  ^o^lbrügge  mit  SoQenbuf^  leierte, 
ß^riftui^  f)abc  an  ber  fUnbigen  äRenfd)]^eit  S^^eil  genommen  ^). 
Snbeffen  ift  eö  nic^t  ber  9Äü^c  loertl^,  bie  t)erfd^robencn  tl^eolo« 
gifd^en  @ebanfengänge  biefei^  äRanneS  tt)eiter  }u  oerfolgen.  (Er 
^at  auf  feine  @emcinbe  eine  @ett)alt  ausgeübt,  meldte  t^eitö  an 
fiababie,  t^eife  an  goon  erinnert,  ©cit  feinem  1875  erfolgten 
lobe  ift  bie  ©cmeinbe  gefpaltcn  jtt)ifc^en  ben  jwei  ^rebigem, 
n^eld^e  ju  i^r  getreu.  ®enn  j[e  !leiner  eine  ©eparationSgemetnbe 
ift,  um  fo  fd^mäc^er  ift  ber  ©inn  il^rer  ©lieber  für  (£in()eit  unb 
3ufammengc^örigteit. 

®er  ^ieti^mug,  toeld^er  in  ber  reformirten  Äird^e  ber  SWc* 
bcrlanbe  unb  ©cutfd^lanbö  juerft  mit  bem  Änfprud^  aufgetreten 
ift,  ben  EalöiniömuS  üoUftänbig  burd^juf e|en ,  bie  9iefonnation 
be^  16.  3öi&r^unbertö  an  fämmtlic^en  ©liebem  ber  Äirc^e  jU 
t)onenben,  bie  ?lufgabe  ber  Heiligung  über  baö  „rec^tfc^affene 
bürgertid^e  Etiriftentl^um"  ju  erl^eben,  banad^  aber  ftd^  auf  ®c* 
ootion  fat^olifc^en  ©eprägeS  unb  quietiftifd^e  äR^ftif  unb  auf  bie 
.^Öffnung  einer  l)errli^en  3^t^^f*  ^^^  Äir^e  befd^ränft,  ^at  ben 
Saloiniömuö  innerlich  aufgelöft.  fei  e^,  ba§  er  bod^  nod^  bcffen 
dufeerc  ffirfc^einung^formen  aufredet  erl^ält,  ober  bafe  er  pc^  gleid^^: 
gültig  gegen  bie  confeffionellen  2;rennung3grünbe  fteHt.  Slnftatt 
bcr  §eil3gett)i6^cit,  bie  mit  bem  fird^lic^en  ^eimatl^örec^t  jcbem 
üerlie^en  wirb,  weld^cr  fic^  überhaupt  ber  Aufgabe  beö  S^riftcn* 
t^umi^  annimmt,  taufest  ber  ^ietiömud,  tt)eil  er  bag  fird^lid^c 
|)eimat^öred^t  gering  ad^tet  unb  nid^t  üerfte^t,  bie  Unfid&er^eit 
ber  perfönlid^en  ^eilöfteHung  ein.  ?lnftatt  ber  Heiligung,  »eld^c 
i^ren  Ort  in  ber  gü^rung  beg  fittlid^en  SBerufe^  ^aben  fott. 


1)  Ktug  a.  a.  O.  @.  333.  343. 


596 

taufd^t  er  bie  abtocd^fctnb  crfolgrcid^c  unb  crfolglofc  Eontent:» 
t)Iation  ber  Sicbcnötoürbigfcit  unb  ©d^önl^cit  bc8  §crm  Sefu^ 
unb  bie  ©elbftgered^ttgfeit  beiS  Sonüenttfelt^umd  ein,  n^elc^e  mit 
'  fittlid^et  Strenge  gegen  fid^  felbft  üerbunbcn  fein  fann,  aber 
nid^t  üerbunben  ju  fein  broud^t.  Slnftatt  reformatorifd^  auf  bie 
übrigen  ©lieber  ber  Äird^e  ju  »irfen,  ftößt  ber  ^ieti^mu« 
biefelben  ab;  ober  fie  finben  ftd^  t)on  i^m  abgeftofeen,  xotnnaud) 
bai  Siedet  p  biefem  SBer^altcn  nid^t  burc^  bie  rid^tige  STfennt^^ 
ni^  be^  @runbfe^(erd  beS  ^ieti^mud  unb  bie  (Einfettung  einer 
rid^tigen  Srfenntnig  bed  euangelifd^en  (St)riftent^umd  crtoorben 
tt)irb.  Aber  ber  ^ietiömuö,  mlä)n  eben  bie  fat^olifd^e  Seöotion 
in  bog  eüangelifd^e  S^riftent^um  eingefd^oben  ^Qt,  unb  babei  be» 
Rauptet,  baffelbe  gerabe  in  feiner  Äutl^entie  ju  Vertreten,  ^at 
baburd^  bie  ©d^ulb  auf  fid^  gelaben,  baS  eüangelifd^e  E^riften^ 
t^unt  Quc^  feinen  Oegnern  unücrftönblid^  ju  machen. 

2)ic  ©efd^id^tc  be^  ^ieti^mug  in  ber  reformirten  Äir^e  ber 
SKeberlanbe  unb  Deutfc^Ianbg  fonnte  bis  in  bie  neuere  Qtit  Der* 
folgt  tt)crben,  o^ne  baft  bie  gteid^artigen  ©rfc^einungen  in  ber 
Iutf)erifc^en  Äird^e  nad^  ber  SRüdCfid^t  ber  ©leid^j^eitigfeit  bajtoifc^cn 
flcfd^oben  toorben  finb.  ®ie  pofitiöcn  ffiinwirfungen  pietiftif^cr 
(Erfd^einungen  in  ber  lutl^erifd^en  Äird)e  auf  bag  rcformirtc  ®e= 
biet,  toeld^e  berül^rt  tt)erben  mußten,  finb  üon  geringem  Umfange, 
unb  fonntcn  aud^  auger  i^rem  urfprünglid^en  ßufammen^ange 
Dcrftänblid^  gcmad^t  werben,  aber  umgefcl^rt  wirb  eine  @e= 
fc^id^tc  bed  ^teti^nmd  in  ber  lutl^erifd^en  fiird^e  eine  anbere  Sln^ 
läge  erforbcm,  alö  fie  bisher  gefunben  l^at.  2Kan  toirb  üor  Allem 
bie  Slufmerffamfeit  barauf  ju  rid^ten  ^aben,  toie  frül^  neben  ben  gor* 
berungen  einer  SReform  ber  lutl^crifd^en  Äird^e  bie  Silber  beö 
tiol^cn  Siebet  in  bcrcn  aöfetifd^er  Siteratur  unb  Sieberbid^tung 
auftreten.  Senn  fd^on  nac^  ber  biö  jefet  erreid^ten  Äenntniß  öon 
bem  ^ieti^mud  in  ber  lut^erifd^cn  ^irc^e  barf  man  behaupten, 
baß  ©pener  nid^t  ber  Urt)eber  einer  neuen  SRid^tung  ber  gröm* 
migfeit  gemefen  ift,  fonbern  baß  er  nur  ben  Antrieben  ju  biefer 
Slid^tung,  meldte  üor  i^m  t)orf)anben  waren,  bie  ©Eiftcniform 
ber  ©onüentifel  t)ermittelt  ^at.  3^  biefem  Unternel^men  aber 
ift  er  aud^  nur  burd^  Rubere  bewogen  worben,  weld^en  biefe 
©ammclpun!tc  einer  befonbem  d^riftlic^en  ©efinnung  in  ber 
reformirten  ^ir^e  wo^I  bcfannt  fein  tonnten. 


91  e  g  i  ft  e  r. 


flbenbmal^I;  Sebenfen  über  bte  3u' 

laffung  9{td^ttDieberge6oreneT  1 14. 184. 

228.    264.    379.    880.    887.   890. 

428.  466.  482.  500.    Sut^er.  unb 

calDtn.  9tttffa{fung  \>om  V.  161.  387. 
fletnmtS  64.  66. 

«ftermt^^dSmnS,  fat^oüfd^er  558. 
9[Iardin,  Johannes,  877. 
9^o(o0etif  580. 
«pofbüf^eS  (r(rt{ient(um  14.  19.  26. 

71.  110.  120.  160.  182.  196.  220. 

285.  848.  899. 
Knninianet  185. 
9[rnbt,  Jol^ann  411. 
Krnolb,  (Sottfrieb  411.  422.  424.  457. 

474.    486.    488.    490.    496.    514. 

528. 
«tsoriuS  122. 

Salbuin,  gran)  87. 

9axUmti9tx  887. 

IBat^r,  Tiaux  545.  550.  557. 

Setzte  in  ber  lut^er.  Ptrc^e  95. 

Sengrl,  «tlbrc^t  505.  582.  574.  577. 

579. 
Strn^Qtb  Don  dlairDaus  37.  46.  126. 

254.   277.    281.    299.    326.    885. 

344.    877.   486.    473.    478.    485. 

490.  514.  516.  519. 
Srsa  185. 

Stlbrrbtif,  9BtII)eIm  855. 
Sobmer,  3obann  ^etnrtc^  499. 
Sobmer,  3o^nne8  500. 
a3ogaari,  3u{ht8  Don  ben  371. 
95$me,  Safob   96.   411.  424.  507. 

584. 
Sö^mif^e  Srflbet  20.  489. 
9oo8,   SRarttn  550.  556.  557.  562. 
SBofman,  (Sonrab  245. 
SBourignon,   ^tntonte  226.  846.  411. 

457.  481. 
träfet,  ^(eobor  a  288.  268.  500. 

575. 
«rafel,  Iföil^Im  a   288.  291.  808. 

830.    876.    411.   480.    486.    440. 

442.    447.   452.   457.    474.   481. 

514. 


8ren)  64.  71. 
^Tornle^,  X^omai  98.  424. 
9rud^eru8,  d^riflo^^  385.  346.  450. 
Srttber  be8  gemeinfamen  Gebens  20. 

45.  844. 
Sucet  64. 

Su^anan,  (Srorg  77. 
9u4f eiber,  (Srnff  ffiil^elm  877. 
9ucntann,  gran)  138»  878. 
«uftfam^f  126.  298.  808.  489.  586. 

588. 
Sutilar,  (Stm  bon  417.  426. 

Sallenberg,  (Hara  (5Iifabet(  Don,  iHt» 

e^eüd^te  Don  SRarfat^  418.  425. 
dalDtn  88.  63.  71.  81.  88.  125. 188. 

167.  259.  295.  589. 
(S^irlßabt  28. 
dbtUa^tf^e  9nMauungen  27.  88.  144. 

186.   205.   212.    288.    240.    248. 

265.    298.   399.   406.    446.   451. 

496.  521.  582.  565.  584.  595. 
(Hugnt)  10. 
(Kocceiu8,    Sol^ann    130.    181.    265. 

371.    877.    399.   401.   407.   427. 

429.  451.  458.  505.  582.  565. 
(Eocceianer  188.  307.  428. 
(lo(f ,  ^enbri!  be  856. 
doflenbufct,  6amuel  522.  548.  565. 

582.  595. 
donflanttn  ber  (Srofte  148.  488. 
dontem^Iotton    45.    171.    179.   192. 

250.    271.    278.    826.   441.   514. 

595. 
(£ont)entt!eI  101.  117.  283.  2<K).  801. 

808.   812.    817.    344.    870.   875. 

881.    891.    894.   405.  417.    428. 

462.  524.  537.  582.  596. 
(Souper,  Steiner  386.  429. 

^ann^uer  110. 
3)aumeln  529.  547. 
Send,  3o(ann  28. 
$>tix)9,  $eter  griebri^  446. 
SeDenter,  ^inrt4  ban  240.  244. 
S)eDoibn,  fat(oItf4*m5tt4if4<  tö-  201. 
845.  478. 511.  514.  545.  660.  696. 


598 


Giriertet,  3BiI(eIm  376. 

2)m(e)),   W^^PP  SaM   406.  409. 

421.  424. 
2)i§ciplin,  tixä^lxfy  63. 114.  204. 397. 
3)ittelba4,  $eiruS  243.  379. 
!2)un§   6coiu3   37.   468.   470.    485. 

534.  589. 


ef^t,    ^eurt^etlungen   brrfeI6fn   229. 

232.  423.  477.  543. 
<Snfa6et^  t)on  bec  ^fal),   Vebttfftn  )u 

^erforb  227.    233. 
eOec'We  IRotte  480. 
(gitgelSbrüber  98. 
(SffentuS,  llnbreas  138. 
(SStotjIer,  äoianneS  289.  349. 
SDongelif^e  ^ieitften  291.  344.  384. 

486.  540.  579.  585.  589. 


ffaxtl,  3BiI^eIm  73. 

Seine   ober  ernjKge   101.   153.  165. 

308.  337.  346.  351. 
Senemo,  ©erben  318. 
SranciScuS  t)on  llfftfl  13. 
SranciScanif^e   S^efornt  13.   30.   72. 

110. 
SfranclScuS  t)on  Cfuna  468. 
grancfe,  ^uguft  ^ermann   422.  474. 
gfran!,  ©eba^ian  422. 
Pfronten;  ^gtbiuS  301. 
grider,  Pfarrer  577. 


Oagner,  3ofep]^  518. 

debetSerl^drung  517.  529.  542.  573. 

^eb^arb,  gfrau  417. 

(S^erbeS,  'S)an\tl  331. 

(S^er^arb,  äo^ann  86. 

(S^er^arb,  Subtoig  452. 

®t4tel,  Sodann  (Seorg  98.  226   232. 

305.  411.  424.  481. 
(S^te)enbanner,  Ulrid^  496.  499. 
(Stffen,  'S)a\)iti  glub  t>an  293. 
(Slaubc,  begriff  88.  435. 
©omaruS  135.  174.  176.  323. 
(»ofener,    Sol^anneä    545.    550.    557. 

562. 
®otte§begriff    132.    169.    179.    279. 

431.  473.  589. 
®rebel,  ^onrab  25. 
©regor  VU.  9.  18. 
©fitergememf^afi  230.  240.  244. 
®u)^on  589. 


fiaib  557. 
arf,  ^tnrt4  468. 
Hartman,  9licDlau§  333.  336. 
^afenfamp,  grrtebri^  tlmoCb  580. 
ÖofenfonH),  3o6.  Oer^.  505.  507.  570. 
Rattern,  $onttaan  Dan  341. 
Heiligung  113.   153.  249.  271.  285. 

409.    440.    465.    535.    648.    574. 

.^85.  590.  595. 
^eüenbroef,  ^bra^am  301. 
Berber,  ?lbrian  be  227. 
ilerrn^uter  484.  517.  534. 
^efener,  So^anneS  240.  243. 
^inber!  äonffen  340. 
I^o^mann  toon   igo^enau   421.   429. 

456. 
^offmann,   SBil^elm  456.  462.  479. 
^ofmann,  ^el^ior  32. 
^o^edlieb   46.    126.   172.   250.  254. 

270.    279.    281.    287.    297.    301. 

306.    324.    372.    376.    385.    436. 

486.  589.  596. 
^oneri,  äo^.  Dan  ben  350. 
^or^e,  ^etnrt4  398.  420. 
^VLi,  ^an§  61. 

SanotD,  SRatt^iaS  t)on  19. 
3efuttiSmuS  188.  254.  489. 
3mmtnf,  äacobuS  333. 
3nbepenbenttSmu§  78.  111.  182.342. 

357. 
Soad^tm  toon  gloriS  19. 
So^anneS  be  Sruce  468. 
3oriS,  ^atoib  422. 
dung-^timng,  ^etnrtdk  523.  547. 
3üngjl,  ©ottfrteb  438. 

StttJUtlf  S)ton9ftuS  toan  ber  334. 

itinbererste^ung   242.  244.  481.  554. 

Stixdii,  begriff  berfelben  43.  84.  140. 
156.  256.  450.  483.  510.  «eur- 
t^eilung  i^rer  Suflänbe  162.  372. 
442.  584.  Seurt^eilung  t^ret  ©e» 
J4i4te  143.  488.  (Srtoartung  i^re^ 
sufünftigen  (errU^en  3uflanbe8  f. 
^^iltalttfc^e  flnMauungen. 

jtlopfer,  ^Qlt^afar  (S^riflopt  402. 406. 

Stnoi,  äo^n  77. 

i^oelman,  SaCob  130.  184.  264.  290. 

Po^IbrUgge,   ^ermann  griebrid^  598. 

ftdntg,  Samnel  406.  409.  417.  421. 
496. 

j^rumma^er,  (Bottfrteb  f>amel  567. 
583. 

Stu^^pixS,  (»erl^rb  347. 


599 


Sobabte,  3fan  be  118.  123.  149. 185. 

189.    191.    343.    345.  358.    373. 

595. 
fiababtftii^f  ©emeinbe  220. 
SabobtSmuS  in  OftfrieSlanb  379.,  am 

9}iebfrt4etn  380.  455. 
Lambert,  Sran)  73. 
ßampe,    griebric^    ?lboIf    322.    427. 

514.    522.    534.    565.    582.    584. 

587. 
SoSfi,  3obann  78.  120. 
Sobater,   Sol^ann  PoS^ar  494.  528. 

.563. 
ßcobe,  3onc  98.  496. 
fiignon,    Vierte  bu    204.   228.  231. 

237.   240. 
Sippe,  ®raf  9luboIf  jur  421.  423. 
Sobenjlet^n,   3obocu§    Dan    92.    152. 

206.    287.    343.    371.    377.    378. 

431.  450.  453.  487.  519.  574. 
fiope),  ©regoriuS  459. 
Sot^ola,  3gnattu§  bon  489. 
Subber§,  3o(.  330. 
ßut^er  22.  28.  37.  70.  73.    80.    84. 

106.  132.  558. 

aHaccoDtuS  135. 
maioT,  3obann  77. 
Warcf,  ao^iann  308. 
^at^ai),  ^ector  Sicomie  be  425. 
^eifner,  9alt(|a|ar  106. 
3neIan4t(on  40.  80.  84. 
^eld^ioT,  %lbtxi  ^il^elm  456. 
Renten,    (dottfrieb    453.   570.    579. 

580.  582. 
^menuret,  9ean  205.  226. 
^Mlfion    243.    533.    635.    537.   541. 

582. 
Wolcnaor,  5)ir!  355.  359. 
<Dlolino§,  m^atl  255.  474.  563. 
^orgenlfinbij^e  itir^e  20. 
^üQec,  ^einttdk  404. 
WttQer,  $b(i>bor576. 
^mnflerif^e  ^iebertfiufer  61. 
fWpftif    28.    35.  45.    122.  128.  167. 

201.  487.  514.  Outettfli{4e  Wl){ii( 

f.  OuietiSntuS. 

« 

9leanbeT,  Soa^tm  388. 
9{et^enu3,  6amuel  388. 
9li4tigCeit    beS   Wenfc^en    169.    192. 

247.    309.    328.    384.    392.    431. 

471.  486.  516.  520.  527. 

Üetinger,  d^rtflop^  505.  574. 


^aracelfuS,  ^eopl^raftuS  97. 
Veterjcn,  Jo^.  ©ilj.  395.  407.  452. 
betrug  bon  ^(cantara^468. 
^tlitabelp]^if4e  ®emeinben  411. 
?^ieter  ^enbrüSj  352. 
^ietismu§,  ^b<>^<^^^i^ii^i^  ^^  ^^ngemet- 

nen  3.  5.  77.  101.  192.  266.  339. 

342.    347.    404.    445.    473.    501. 

514.    519.    580.    590.    595;     ouf 

lutberif^em  Gebiete  596;  moberner 

521.  537. 

Voiret',   Veter  457.  467.  481.  488. 

490.  ol4. 
Vorbage,  3obn  98.  411.  418.  424. 
Vräcifitöt   104.    112.    157.  177.  283. 

288.    291.    342.    346.    373.    376. 

389.  579. 
VrfibeflinationSlebre    126.    132.    174. 

340.    467.    494.    523.    528.    584. 

591.   594. 
VrätoriuS,  BUpf^an  93. 
VrotepQnii§mu§  81. 

OuietiSmuS  179.  254.  301.  457.  459. 
466.  487.  523.  526.  550.  660. 
564.  589.  595. 

Sle^tfertigung  au§  bem  ®(auben  150. 

157.    247.    294.    438.    465.    496. 

558. 
9IeformbebUrfni6  innerbalb  beS  Vroie« 

ftantiSmuS  80.  159.  313. 
?Reforinolion  im  fWittelalter  7. 
9Ieformation  beS  16.  dal^r^unbertS  16. 

178 
^Rei«  (S^rifii  572. 
9)ei4  (Spottes  14().  159.  181.  372. 
9leit|,    3obann    i&einridi    375.    403. 

411.  421.  523. 
^entt),  Marquis  be  461. 
9tömeling,  ^^riftian  %nion  446. 
9lou§,  Stands  128.  281.  396. 
9{u))Sbroe(f ,  3o^ann  275. 

eabbatb,  Sd^d^ung  beffelben  138. 229. 

253.  269.  4.30. 
eoiler,  ani^ael  557.  560.  561. 
SarceriuS,  @ra8mu3  66. 
S^fifer,  ^and  3Qtob  554. 
Sparer,  i)ta!onuS  496. 
84Iatter,    Knna,   geb.  kernet  541. 

579.  584.  590. 
S^Ittter,    ^etnri4   226.    226.    233. 

264.   380.  390.  455. 
emittier,  Veter  244. 


600 


e^olif,  ^enbrif  ^ru§  359. 
e^orHns^utS,  aBtI(.  327.  349.  450. 
©^urman,   9[nna   ^axxa  t>on    120. 

162.   206.  225.   238.   247.  269. 

380.  521. 
64ttt,  Sodann  3afo6  383. 
©elbftoerleugnunQ     168.    249.    343. 

461.  465.  486.  536.  546.  561. 
Selidfeit  468.  485.  534. 
6e|>aratiSinu8    184.    216.  222.  356. 

398.    411.  417.    447.    466.    500. 

592;  abgelehnt  184.  444.  482. 
Qtxnaa^,  Zf^oma^  245. 
6miite0elt,  ^ernarbuS  291.  431. 
SoctniantlmuS  570. 
6ommel8btif  237.  243.  246. 
eouoerfinetät  ®otieS    169.  173.  247. 

278.  309.  884.  431. 
ebener    369.    383.   398.    411.   474. 

487.  596. 
6pe)^er,  Sodann  Sfriebrt^  495. 
Spiritualen  im  StancUcanerorben  17. 

34.  97.  489. 
6taat,  8eur%ilun0  beffelben  44.  592. 
6te0netu§,  ^ermann  333.  336. 
@»ebenborg  577. 

3:aufe  184.  228.  264.  351.  379.  391. 

423 
tttüxnd,  3o(anneS  284.  575. 
XttUind,   3BtI(eIm   104.    118.   124. 

149.  191.  880.  343.  346.  377. 
Xerfteegen,    (der^orb  458.  517.  519. 

522.    534.    536.   546.    550.    563. 

582.  580. 
tertiarier  15.  30.  45.  76. 
Xfufel  393.  398.  507.  556.  573. 
2:eufelSbef4>D5rung  518. 
tteofop^ie  96.  802.  411.  424. 
tl^eiefla  a  3efu  468. 
St^omaS   t>on  Vquino   77.  280.  282. 

441.  468.  485.  534. 
Xf^nt^mn,  X^eoboruS  t)an  321.  429. 
Xiaben,   Sicco  308.  411.  433.  520. 

534. 

UbemanS,  ^ottfcieb  SorneltuS  105. 
Umgang  mit   bem  i^errn  3e{u§   46. 

126.    192.    287.   296.    310.    328. 

344.    384.    432.    436.    459.    475. 

490.  511.  519.  543.  549.  562. 


ünio  mystioa  167. 
Unteret^d,   X^bot  371.   378.   388. 
398.  404.  411.  428.  431.  446.  455. 
Urfinuf  323. 

IBerlaffungen,  gei^Ii^e  58.  130.  171. 

175.    251.    272.    306.    310.    314. 

337.   373.   376.    384.    437.    460. 

477.  486.  516.  551.  561. 
9^erf4uir,  So^.  324.  328.  376.  450. 
»erjftinung,  ^^egriff  bcrfclben  56.  157. 

170.  461.  504.   566. 
Sitringa,  damp.  berSrltere  294. 302. 

353.    411.    428.    451.    474.    532. 
l^itringa,  (Eamp.  ber  Sflngere  434. 
$oet,®i§beTi  89.  101.  135.  149.  152. 

168.   177.    191.  206.    231.    282. 

342.  345.  371.  378.  401.  404. 
l^Oftianer  138.  283.  289.  307.  430. 
SBoarommen^Gtt,  c^nfllt^e  38.  45. 153. 

305.  440. 
Sorfe^ungSglaube  41.  526.  547.  584. 

tBaetien,  nan  ber  277.  293.  428. 
SalbuS,  Petrus  14.  19. 
Steiget,  SBalentin  96.  411.  426. 
3Beltbe^ertf4ung,  ((nflUc^e  520. 
^tt^tl,  grau  412.  420.  425. 
fBieberbringung  ber  ^erbammttn  395. 

407.    418.    423.   452.    480.   496. 

534.  556.  573. 
äBifbertöufer  7.  22.61.71.  110.  145. 

182.  343. 
9Bitfiug,  ^ermann  91.  237.  270. 294. 

440.  442.  447.  453. 
^ittftorongel,  ^etntS  105. 
SBittgenfiein,  (Strafen  )u  421. 
mt^tl,  (S^rorg  31.  42. 
SBotsogen,  Submig  214. 
$2Bu))permann,  Sorot^ra  576. 

9t)on,  $eter  195.  204.  214.  225.  233. 
247.    252.    269.    283.    37.S.    595. 

^it^Ux,  ®eorg  495. 
Siegler,  Sta%pax  496. 
Sinaenborf  484.  516.  534.  568. 
SUri^cr  $ieti§mu8  494. 
Süri^er  äBiebertAufet  25. 
Stoicfauer  ')$ro^l^en  25.  27. 
SmingU  22.  38.  61.  80. 


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Geschichte  des  Hetismus^^ft^Kep 


II