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^
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©efdiidlie
bCÖ
^ i e t i 0 m tt ^.
ISon
91Ibred)t 9{ttfd|L
S r ft c r S8 a u b.
9er |lieti$mii$ in ^n reformirten ^iri^f.
^ »orni,
Slbolpt) Süiarcua.
1880.
^e^i^iifyte
bcö
$ i e t i 0 m u #
in ber
reformirtcn ^irc^c»
9)on
91(Bred^t ^itfi^L
A
" »orni,
Stbolp^ SDiorcud.
1880.
/Vi'
XoB Siedet bet Uebetfe^unQ ifl oorbe^altcn.
$ 0 r r e b e*
^nbcnt iij bicfc ©cfd^i^tc bcS ^tcttämuS in bcr rc^
formirtcu Ätrc^c veröffentliche, ^ege id) bie 2lbfic^t, aud^ bcn
gleii^artigcn (£rfd)einungen in bcr lut^erifc^en Äir^e naii-
juge^en, unb cnblid^ ben pietifHfd^en ©tjnIretiSmuS barju^
flelten, in »cl^en beibe Steigen im 19. l^fal^rl^unbert ein-
münben, ber fic^ and) auf bie 0r^c ber franjöfifc^en
2d)n)ei5 erflrerft. ^nbeffen Oerfpred^e ic^ nid^t, biefe 3lrbeit
o^ne Säumen üorjune^mcn. 3)a§ id^ ben üorliegenben
©toff bearbeitet ^abe, oBgleid) mir Bei bem SSeginn beS
Unternehmend bie Sla^ri^f entgegenfam, ber ^rofeffor §eppe
in iWarburg roibme fi^ berfelben 2lufgabe, ^abe id^ na(i^
bem ©rfd^einen feineS concurrirenben SSud^eä nid^t ju be-
reuen gehabt. Ueber biefe le^te ^ubUcation beS injroifd^en
Dcrftorbenen ©ele^rten i)af)c id) mid^ in ber 2^eoIogif(]^en
?itcraturjeitung 1879 9ir. 14 au8gefproc^en, unb braud^e
um fo weniger barauf jurürfjufommen, al8 iii au§er einigen
Uterarifd)en 5Rotijen üon biefem JBorgänger nichts enttel^nt
^abe. tjreilic^ mußte i^ tl^eiltoeife mit einem tueit lürfen^
^öfteren ^^pparate arbeiten, atö tt}e(c^er i^m ju Gebote
jianb. Unb au(^ bie ton mir benufete Stteratur ^ätte tc^
nic^t erreic^t^ wenn iii nic^t oon befreunbcten ©ele^rten
VI
burd^ 9Jifittl^ei(uug ober 5)iad)tDeifung Dou ^öücftcrn uiiterftü^t
toorbcn Ȋrc. Unter btefen Stotl^^elferu l^abeii fic^ bte
.^erren D. Sepp in Setben unb D, Ärafft in 93onn bag
meifie SSerbtenfi um mi(^ ertt3orben. S)a8 biefem 93anbe
beigegebene 9legifter ^at §err Lic. Dr. Senbt, ^riüatbocent
an ber I^iefigen tl^eologtfd^en ^acnltät, anfjufteüen bie ®üte
gehabt. SDiefen genannten ^rennben, fott)ic allen 'Jlnberen,
beren tl^ättge ^^^etlna^me mir bie Slbfaffung biefeä 93uc^e8
möglich gemad^t l^at^ fage i^ meinen oerbinbü^en !^anl.
2)te üon mir bargeftcüte ©efd^ic^te be8 ^ieti8mn8 l^abe
Ol nic^t üerftänblid^ machen lönnen, o!^ne bie einjelnen ®r^
[(Meinungen jn beurt^eilen. ^c^ ^a(te eS für jroerfmäfeig,
im SSorauS feftjufleßen, ba§ id) baju meinen ©tanbpunit
in bem ©efenntntß ber hitl^erifd^en Äiri^e einnehme.
®öttingen, 10. Januar 1880.
^er i^erf affer.
S n l| a I t-
6r{te^ Snc^. $ro(egometta.
1. ®cr Umfang bcr Aufgabe 3
2. Stcformation in bcr abcnbfänbifd^cu Äird^e beS 3Kit»
tclaltcrö 7
3. 3)ie (Sigcnt^ümlid^feit unb bie Sbftammung ber 3&xt»
bcrtäufer 22
4. ßatl^olictdmu^ unb ^roteftanti^mu^ 36
5. Sut^crtl^um unb 6alt)ini§mug 61
6. 2)ad IBebürfnig bed fird^Iid^en ^roteftantidnmd nad^^
atcform 80
gwtxM 9näf. Ser ^ttttdmttd in ber refonittrtett SKrc^e
ber 9{teberlanbe.
7. ®i§bcrt SSoct unb bic ßuftönbc ber nieberlönbifd^cu
reformirtcu ftird^c ju feiner Seit 101
8. 3o]^anu EoccejuS 130
9. Sobocu^ ban Sobenfte^n. ©eine Snftd^ten Dom d^rift«
lid^en Seben unb Don 9ieformation ber ßird^e . . 152
10. gobocuö t)an Sobenfte^n. ©ein religiöfer unb fird^-
lid^er ©tanbpunft 173
11. S^^^i^"" ^^ Sababic, ber Urheber be^ Separatismus
in bcr reformirten ftird^e 194
12. ®ic Oemeinbe ßababic'S 220
13. 2)ie 6)runbfd^e t>on Sababie unb feinen ®enoffen . 246
14. 2)ie bollft&nbige m^fHfd^e Xl^eorie bon X^eobor Srafel
unb ^ermann SBitftuS 268
VIII
Seite
15. ®ip fogcnanntc cöangclifd^c SRid^timg bc§ niebcriön*
bifd^cn 5ßicti8muai 283
16. 2)te gortfe^ung ber cbaugelifd^eit 9üci^tung bi§ 511
i^rcr Ärifi§ um bog Sa^r 1750 317
17. Die gortfcftung bc§ 5ßicti§mu§ bi^ ju feiner Sonfti^
tuirung ate fcparirtc ftird^c 1839 342
Sritiei^ Snc^. Der ^tetidtnui^ in ber refonttirten ^rc^e
Setttff^Iattb^ ttttb ber Sf^iotij.
18. Unmittelbare @inmirfungen bed niebertänbifd^en $ie«
tiSmug in bie norbbeutfd^en ©ebiete ber rcformirten
Äird^e 3r>7
19. 3)cr 5ßietiSmu§ in ben mittelbentfd^en ©ebietcn ber
rcformirten ftird^e 397
20. gfriebrid^ «bolf Sampc 427
21. ®er^arb Icrfteegen 455
22. Sol^Qnn ßa§par Saüater 494
23. ^einrid^ Sung-Stitting 523
24. anna ©d^Iattcr 541
25. @amue( (EoUenbufd^ unb feine @ci^u(e 5G5
26. ®ottfrieb ®auiel Ärummad^cr unb ^ermann gfricbric^
«o^Ibrügge. ©c^Iufe 582
atcgifier 597
•
Ser(effentngen.
@. 560. S. 19 b. 0. lie§ .^anbl^abc.
©. 574. S. 18 b. 0. Iic$ I^eobiccc.
eiftcg SBu*.
]^r0le$0tn(nfl.
I.
1. Ser Umfang ber Slttf gabt.
3)cr ^ictiömu^ ift eine (Jrfc^cinuncj in ber ©cfd^ic^tc bcr
ctoanflclif^en Äirc^cn, bercn SBcfcn unb SBcrtl^ nic^t nur gcrabc
entflCflcngcfclt bcurt^cilt, foubcrn beten Umfang aut^ ganj ücr*=
f (Rieben bcftimmt njirb*. S)iefcr boppcite Slbftanb ber Sluffaffuhcj
bcd @egenftanbe^ fäQt in bie 9(ugen, menn man bie beiben mono««
grap^ifc^cn Bearbeitungen bcffclben mit cinanber üergteic^t, njel^e
in bcm leiten ÜRcnfd)cnaUcr üpn äJiaj ©oebcl unb üonJpein*^
rid^ ©c^mib unternommen tüorben finb. ©ci^mib*) fcnnt unter
bcm litel beö ^ieti^muö nur eine SRei^e üon (Srfc^einungen auf
bem @ebiet ber (ut^erifc^en Jiirc^e Seutfci^IanbS, n)el^e uon @pe«
ncr ücranlafet ftnb, unb ttjerdie i^re ©renge an bem Slblauf be^
@treiteiS ;(n)ifc^en 3oa^im Sauge in ^aQe unb Valentin @rnft
fiocfc^er in S)re^ben finben. @r (eugnet mit Stecht, bag ©pener,
inbem er ftc^ jur ISinrid§tung ber ßonüentifel l^erbeiUeg, fi^
bircct unb obfic^tUc^ nac^ feinem ätt^rn 3^itgcnoffen, bem refor^
mirten ©cporotiften Sababie gerichtet f)abc. 2)emgcmäg aber
trennt er bie ISrfc^einungen be^ ^ietidmud in ber (ut^erifci^en
Stixd^c Don ben ä^nlic^en SSorgängen im SabiniSmud fo, bag
er ben Icfetercn gar feine äufmerffamfeit fci^enft, unb nic^t ein*
mal in ISnoägung jie^t, ob beibe 9lei^en nid^t au^ bemfelben
ajiotiüe abjuleiten finb. (Jr fielet ferner bie bur^ ©pener ange*
regte 93ett)egung fo fc^r alg Die ^auptfad^e an, bag er (©. 468)
bie falfc^e Angabe mac^t, ber^ietidmu^ fei Don bem lut{)enfd)en
i£ir^engebiet aud auc^~ in bie reformirten Sauber eingebrungen.
aber tt)eiterl)in fällt cd auf, ba§ er Don „ber ©efc^ic^te beö ^ie^
tidmud" nid^t nur bie ©rünbung ber SBrttbergemeiube burci^
ßinjenborf unb i^ren gefci^id)tlic^en SBerlauf, fonberu auc^ bie
1) ^te d^efc^ic^te be6 ^ieUdmuS. 92ötbUnden 1863.
i
I
%t^t^aä)t be^ tDÜrttembergifci^en ^ieti^muS unb bic ^^co(oc)ic t)on
Sodann Sllbrc^t öengel unb feinen Sladifolgern augfcf)liegt.
©c^on biefe. SJerjnjeigungcn beö ^pietiömu!^ miberteflcn bic Slngabe
t)on ©c^mib, mit tüeld)er er ben Uebcrgang üon feiner ©cfdjic^t^^^
barftetluhfl jur 83eurtl)eilun9 be^ SBcfcnö bcr SRid^tuno mac^t,
ba§ ,,ber 5ßicti^mu3 fotlful^u anjuregcn unb einjetne ©eclcn ju
flett)inncn, . aber anä) fortfuhr in ürdjlid^er ÖejicI^Ung auflöfenb
unb jerfefcehb ju tüirfen" (a. a.0>). 3fi ferner für biefcn ©efc^idjt*
fc^rciber anti) bic SRci^e üon ©rf^cinunflen nic^t ha,' in n)elc^cn
ber 5ßietiömuö flcrabe alö ber SSertreter ber fir^Iid)en Sntereffen
auftritt unb fein Söeftreben ücrrät^, bie ©eelen, bic fid) üon i^ni
nid^t flcnjinnen laffen, feiner ^errfc^aft 3U unterwerfen unb in
(irc^enrec^tlic^er ^infid^t ;;u beuormunben , obet munbtobt ju
mad^en? @d fönnte fel)t g(eic^gültfg fein, bie SrHarung biefer
fel)lerl)aften öefd^ranfunfl beö ©toffeö burc^ ben ©rianger 'Äir=
c^en^iftorilcr ju ücrfuc^en, ttjenn fie fic^ nic^t bei ber SBergleidöunfl
mit 3oI). ©corfl SBalc^'g „^iftorifd^cr unb tl^eologifc^er @inlei=
tung in bie SReligionöftreitigleiten ber cüangelifc^slutljcrifc^enÄirdje"
(3 SBänbc. Sena 1730) unnjiberftel)ac^ aufbrängt'e. 2)a^ Söud)
Don ©c^mib ift nic^t mel)r unb nid^t n)eniger atö ein gefd^macf«
Vollerer Äu^jug auö bem fünften Kapitel jene^ SBerte^, ttjclc^ce
t)on ben ^ietiftifc^en ©treitigfeiten ^anbelt, unb fic^ Dott ber
aRitte beö erftcn Sanbc^ biö in bie ÜÄittc beg britten erftrccft.
S)abnrc^ alfo luirb ber Sinbrucf ^erüorgebrad^t, a(^ ob ber $ie«
tiömuö blo^ in ©treitigfeiten feine ©cf^id^tc \)abt, njätjrenb feine
Siocumente öor Slllem a^fetifd^e Sucher unb rctigiöfe Sieber finb,
(£ine befonbere S3eftätigung für |ene ^ermut^ung über biefcS
IsBuc^ bietet ieboc^ ber Umftanb bar, bag ©d^mib an^angdn)eife
über @ottfrieb Ärnolb unb E^riftian 2;^omafiug fic^ Verbreitet
(©. 472), ebenfo tt)ie SBatc^ bicfc beiben ÜRänner an bem ©c^lu§
feiner ©arftcHung ber ©treitigfeiten vorführt, nur getrennt burc^
eine SRei^e üon m^ftifc^en ©^tt)ärmcrn, oon benen ©^mib mit
9lec^t Umgang nimmt. $abe id^ nun rid^tig üermut^et, bag
©d^mib'g „©efc^id^te, bc« ^ieti^mu^'' in^infic^t be^©tüffeö nur
ein Slu^jug au« bem SBcrfc üon 3o^. ®eorg SBald^ ift, fo ift
c« üöttig ücrftänblic^, ba§ man in feinem 93uc^e ücrgeblic^ nad^
ßinjenborf unb nac^ SBengel fuc^t, üon benen jener erft in ber
1739 erfc^icnenen gortfe|ung be« genannten SBcrfcg üorfommt.
SKan möd^te faft baö ©erfahren bc« Srlangcr Äirc^en^iftoriterö, ba§
5
er im 3al^rc 1863 feine ©arftcHung bcö 5ßictigmuö auf beu Qia^
fic^töfreiiJ t)on 1730 befc^ränft ^at,aU einen Setpciö ber^ictät,
burc^ n)e((^e fonft oOein bie Sogmatif beoorjugt n)irb, ber aUge«
meinen X^et(nQ^me nnb ^en)unberung empfe^en, totnn fic^ nid^t
flerabc in bem Sucöc üon ©d^mib (©. 454) bie SBcmerfung
fioefc^eu'!^ ongefül^rt fänbe, bog ed auc^ ein übel gcorbnetei^,
übel gefeftte^ ©uc^en, treiben unb gorbern ber ^ictät giebt.
©d^mib mxb [xi) ber iBeurt^eilung feined gefc^ic^tlic^en Qic^idjt^*
freifeö nad) biefer fe^r ücrftäublic^en Seoba^tung um fo tücniger
entjie^en lönnen, otö er eben jenen Slu^fpruc^ 2ocf(^cr'd jur Se«
ftimmung be^ SEßert^e^ bed ^ieti^mu^ fid^ aneignet. S)en t^e^Ier
biefer Slrt t)on grömmigfeit finbet er nun in einem Sel^rirrtl^um
©pener'd begrünbet. 2)erfclbe fei jtt)ar mit ber lut^crifc^en Sc^re
imöanjen einöcrftanben genjefcn, fei aber üon ber richtigen SBflr=
bigung ber Serfaffung ber lut^erifc^en jfird)e abgen)i(i^en. S)ie
@rünbung ber Sonuentitet nämtic^ neljme b(od ben britten ©tanb,
bie @emeinbe in Änfpruc^, njäl^renb bcrfelbe nur unter SJätnjir^^
fung ber beiben anberen ©tänbe berechtigt fei, fic^ firc^Ii^ ju
bet^ätigen (©. 436. 445). gerncr aber tt)enbct ©d^mib gegen
ben ^icti^mu^ ein, ba§ bie Art, wie ©pener bie Slotl^menbigleit
bed tätigen glaubend betonte, ober bie guten äBerfe al$ bie
$robe ber SRe^tfertigung forbcrte, ben Slnlaß jur Sermifc^ung
berfelben mit ber Heiligung gegeben ^abe (©. 448).
^urc^ biefe 2)eutung unb Ableitung n)irb bie X^atfac^c bed
$iettdmud n^eit nic^t erfc^öpft. S)iefen Sinbrucf gen)tnnt man
fd)on, njenn man an ber ^anb üon @oebet ^) bie gleichartigen
(Jrfd)einungen in ber reformirten unb ber lutberifc^en Äir^e über*
blicft. 5Die ©rforfd^ung biefeö gefammten ©toffc^ ^at nun biefen
©c^riftftetter ju ber Srflärung gefüljrt, bafe ber ^-ßictiömuö in
aßen feinen arten bie ermäßigte ober abgefc^tt)äc^te ©eftalt ber*
felben 8iid)tung fei, welche im 16. So^r^unbcrt al^ bie aBicber:»
täuferei aufgetreten ift. hiermit eröffnet ©oebel eine m\tc^n^=^
fic^t für bie fird^engcfd^ic^tlic^e gorfd^ng, unb ber SBert^ biefer
1) ®f!4t4te beS 4nf!It(^n SebenS in ber r^einif^-ioeftfaUf^en Jtir^e.
DretSfinbe, GoMena 1849. 52. 60. ^er britteSonb tfl no^ bem am 13. ^ec.
1857 erfolgten Sobe bed Serf. ^eTQu60egeben üon S^eobor Stnf. 3n bie t)or-
tieoenbe «ufgobe fd^Ugen bie SAnbe 2. 3. ein ; bie gortfctung beS SBerfeS bis
in baS 19. 3a^r^. ift bur(^ ben frühen £ob OoebeU oer^inbert tootben.
SBcobad^tung ift gan;; unabhängig t)on bcm @cixa\\ä), bcn Oocbcl
fclbft bat)on gemocht f)at Snbcm er nämlic^ mit feiner perfön:^
liefen Ucbcrjeugung für bcn ^ietiönmö eintritt, ben er für ein
Iräftigeö Jpeiintittct gegen bie SSerfumpfuitg unb gäulniß in ber
eüangetifd^en Slirc^e ^anfie^t I)at er and) ber SBiebcrtäuferci ein
fel^r günftigcö Urtl)eil ,gett)ibmet. 3u bem' 93eftrcben ber SBieber-
täufer, Quc^ bie fitttid^c unb pplitifc^e Drbnung' ju reformircn,
crfennt er neben* ber @ett)altfamfeit i^rc^ iBcrfal)rcn^ We grünb^
liefere, entfc^iebcnere, üoUftänbigere 3)urcl)ffl^rung ber
ajeforniation Sut^er'g unb 3tt)ingli'ö (I. ®. 137—139). '3)icfe
SBertl)fc^äfcung ber einen wk ber anbern Srfc^einung erforbcrt
nun um fo me^r eine S3erid)tigung, atö ©oebet fetbft gcn)iffe ©in^
fd^ränfungen feiner Slnerfennung nid^t \)at jurüdf^alten fönnen.
S)enn bie SReform ber SBiebertäufer nennt er juglcid) eine Slug*
artung ber ^Reformation Sut^er'ö, unb bag im 5ßictigmuö auf=
trctenbe Jpeilmittet für bie cuangelifd)c ftird^e finbet er einfcitig.
S)iefe Unfic^er^cit beö Urtl^eifö n^cift barauf I)in, ba§ and) bie
Beobachtung ber beurt^eilten 2;^otfad^en feine üoüftänbige unb er:^
fc^öpfenbe fein njirb. ©orto^l bie pietiftifd)cn @rfd)cinungen alö
aixäi bie SEBicbertäuferei njerben einer genaueren Unterfud)ung
bebürfen, ttjenn i^re SSenoanbtfc^aft beftätigt unb i^re gemeinfame
ärt o^ne ©ci^roanfen beurt^eilt ttjerben fott. 3)enn in jebcm^cittc
I)at eine gettjiffenl^afte Srforfc^ung beö ^ietiömuö fidj auf ben
Umjang be^ ©cfici^t^frcife^ cinjuri^ten, n^clc^en ©ocbcl eröffnet
l^at. 3n biefem ©innc I)abc ic^ i^m nachgearbeitet. (£ö ift mir
aber ein perfönlic^eö Slnliegen ju bejeugen, njie förbcrlid) bie
fleißige unb öielfeitigc gorfc^ung ©oebel'^ jur ßeitung meiner
Arbeit gett)efen ift. 2)enn auc^ ha, too ici^ feinem Urt^eil ^ju
toiberfprec^en l^abe, unb tt)o feine Siarftellung meinen ?lnfprüd)en
an bie gorfc^ung nic^t genuggetl^an ^at, ^ot mic^ immer bie leb^
^afte Erinnerung an feinen eifrigen gleiß unb an feine eigen^^
t^ümlic^c SEBaI)r^aftigfeit begleitet. 3nbem er burd) ba^ oor*
liegcnbc SEBerl fid^ eine bauernbe Geltung in ber itircl)cngefd)id)t=
fc^reibung ernjorben ^at, fo ift er mir n)ie Slllen, bie iijw gelaunt
unb mit il)m üerfe^rt ^aben, unuergeglid) burc^ bie ^Jreunb--
Ud^Ieit, ©ienftfertigfeit, Unbefangenf)eit unb ©d^lic^t^cit feinet
SBefcnö.
2. mt^omaüon in ber abenUättbifd^en Stird^e bei» mtttlalttt^.
3n allen gäUcn maci^t bcr ^ictiöinuö Slnfprudö öuf refor>-
matorifci^e Söcbeutung für bie eüangelifc^en Äirc^eu. $Rid)t minber
l^aben bie SEBiebcrtäufer fici^ bafür angefeljen, ba§ fic baö Don
Sutl^cr unb Stt^^^Ö^i begonnene SBerf ber SBieber^erftettung bcr
Äirc^e ju feinem rechten ^üt führten. Söeibc Srfdieinungcn
^abcn Qlfo eine ftorfe Analogie ju einonber, unb cd n^äre bem^^
nad) ntd^t untoo^rfc^einli^, bag ber ^ieti^mu^ noc^ in bem näf)ern
93er^ältnig jur äßiebertäuferei ftc^t, n)elc()e^ @oebeI anerlennt.
9((letn man mag aU proteftantifc^cr X^colog in bem ^ieti^mud
bie abgefc^mäc^te ©eftalt ber SRic^tung erfennen, in njelc^cr bie
äBiebertäufcrei bie lCird)c reformiren n)oOte, fo ift ed nid^t gleid^
unDerfänglic^, ba§ man bie Sßicbertäuferei al^ bie folgerechte
SSoQenbung ber Sieformotion fiut^er'^ 6eurt()ci(t.' Senn Sut^cr
unb 3^ii^9li unb i^re gleichseitigen eigentlichen Sln^änger finb
ganj anberer ÜReinung genjcfen. ©ic ^aben in bcr SBiebcrtäufcrci
cttooS oon i^ren ßiclcn unb 2Kitteln ganj ücrf^iebcnartigeS, näm*
lic^ eine (Srneucrung ber SJ^önd^erei gefe^en. S(I^ proteftontifc^er
X^eolog ipirb man ftc^ nictjt mit Stcd^t barüber ^intocgfc^en,
Don biefcm Urt^eil ber 9leformatorcn absutoeid^cn. SSictme^r
mu§ man fici^ fel^r genau bie ^rage ftellcn, ob bie SBiebertäuferci
nur quantitatib, aU bie folgerechte SuiSbe^nung unb 2)urc^«
fü^rung ber gemeinfamen aufgäbe fic^ öon ber {Reformation fiu*
t^et'iS unb 3^i»9li'^ unterfc^eibet, ober ob ein qualitativer
Unterf^ieb, ein Unterfc^ieb ber Art jtoifc^cn ben beiben Untere
nel^mungcn Don äBieber^erftcUung ber j^irc^e obtualtet. 3n
biefem Dilemma ^at man fic^ bie Aufgabe nod^ nic^t üergegen^
loartigt. 55icfe Unterlaffung aber l^ängt bamit jujammen, ba§
bie Vertreter ber proteftantifc^cn Äirc^engefc^ic^te ben Segriff bcr
aiefonnation, mit toelc^em fic eine Äei^e üon ©rfc^einungen be*
leuchten, Diel ju eng auffaffen.
SBefanntlic^ werben getoiffc Dppofitionörid^tungen in ber
jtueiten ^älftc bcö ÜRittelaltcr« Don ben proteftantifc^en Sirenen:»
^iftorifern atö reformatorifd^, als bie iBorgefc^ic^tc ber ^icforma^^
8
tion beS 16. So^tljunbertö, afö bic SJorläufcr unfcrcr, bcr cin^
jigen unb eigentlichen ^Reformation anögeäcicftnct. Slig SRcrhnalc
bicfer ßwfontmengc^örigieit öern)ertl)et man t^cilö bic Slblc^nung
üon ^eüiflcnbienft unb bcrgteid^en, t^eife bic tt)irtli^e ober
fd^einborc Änerlennung ber Seigre üon bcr SRed^tfertigung au^
bcm ©louben unb ber augfc^lieglic^en Sluctorität bcr ^eiligen
©c^rift für bic d)riftlid^c Sc^rc. Slber ferner red^net man a(ö
ein ^auptmerlmal reformotorifci^en C^araltcrö bic Dppofition
gegen bic ücrfaffung^mafeigen Vertreter be^ fat^olifc^en Äir^en*
tl^um^. S)ag gc^t fo »eit, ba§ aud^ bic bualiftifd^ bcntcnbcn
unb o^fetif^ Icbcnben älbigcnfcr lange Qeh für ,,SBorläufer bcr
{Reformation" angcfct)en tDorben finb, bloö toeil fie pc^ in SBi^
berfpru^ mit ber römifd^en ^ierarc^ic ücrfe|t ^abcn. äRit bcm:=
felben SRec^tc fann man aUerbingg auc^ bie näc^fte SScrtt)anbt»
fd^aft jtoifc^en ben SEBiebertäufern unb unfcren {Reformatoren fidt)
t)orf piegetn ; benn jene ftanben in einer noc^ fd^ärferen Dppofition
gegen bie römifd^c Äird^e alö biefe. SBenn alfo biefe^ 2Rer!mal
für ben Söegrif[ bcr {Reformation ber Äirc^e njcfentlidt) unb cnt^
fd^cibenb ift, fonjirb man im Siamcn Sut^er'ö unb gtüingli'^ ju @un^
ften ber toiebertäuferifd^en ober aud^ ber manid^äifd^cn {Reformation
abjubanfen l)aben. ©d^abe nur, bafe beibe in Slut erftidt finb!
S)iefe @efc^id^t^betrac^tung aber, njclc^e in Ullmann'ö „{Rcforma*
toren üor ber {Reformation" culminirt *), bient baju, alleö ju Der»
tüirren. Urfprüuglid^ ift fie getragen üon bcr auöfd^licfelid^ftcn
SBcrtljfd^äfeung ber {Reformation Sutt)er'ig; jebodjmit benSJütteln ber
Sergleic^ung ber gefd^id^tlid^en Srfc^einungen, auf ttjcld^e fie fid^ bc-
fc^ränft, bringt fie c^ nur jur ajertt)ifd^ung aller il^rcr @igcn^
t§ümlid)ieiten. Siamcntlic^ mad^t fic^ biefe aWet^obe bcr größten
Ungcrct^tigfeit gegen ba^ SRittclalter bcr abenblänbifd^cn Äir^c
fd^ulbig. S)affelbe ttjirb immer nur aU ber gugfc^cmcl für bie
lut^crifc^c {Reformation angefc^en, unb faft niemals nad^ feinen
eigenen, unter ben obmaltenben Umftänben, alfo rclatiü bcredö=
tigten lenbcnjen gefragt. S)ag liegt aber im ©runbc an bcm
JU engen unb engl^erjigen Segriff üon {Reformation. 3Jian ben!t
bei {Reformation immer juerft an ba» ÜRcrfmal ber Dppofition
gegen bie legitime ober bie hergebrachte gorm ber ifiri^e, unb
legt ftc^ faum j[emafö bie t^tage t)or, ob nic^t in ber ^irc^e {Re-
1) $01. Se^re ooit ber Ste^ifedtgung unb SerfS^nung I. 6. 112—120.
9
formattonen i^orfommen fönnen, totid^e bircct Don bcr (ird^Iid^cn
Obrigfctt ober im SinDerftanbnig mit i()r üoOjogcn toerben.
SDcö^alb aber Derftel^t man auc^ bie Slcformation Sut^cr'g fclbft
nic^t in rid^tigcr unb üoOftänbigcr äBeife.
Eine .ä^nung öon ber Slot^njenbicjfcit, baß bcr Äird^cnI)ifto=^
riter fici^ eincö umfangreicheren SScgriffö üon Sieformation ju üer:^
fiebern l^abe, ^at freilid) neuerbingg Sed)Ier*) üerrat^en. 3nbem
er bie ^SBorgcfc^id^te bcr Sieformation" (nämlid^ bcö 16. Sa^r^.)
barjuftcUcn unternimmt, um feinen gelben SBiclif in baö richtige
Sic^t iu fc^en, finbet er auf feinem Sffiege ben ^apft ®regor VII.
alg ben gö^^^i^ einer SReformpartei, tücld^c bie fittlid)c 9icini=^
gung unb bie Befreiung bcr ^irci^e auö i^rcr Slb^ängigleit
Don bcr SBelt, b. f). oon bcr ©taatögcmalt jum ßielc fefetc
(©. 37). Sbenfo ertcnnt er in ben beiben großen Söettelorbcn
beg 13. 3a^r^. ben Slntricb ju einer inncrn Srneuerung unb
Seform bcr 6^riftenl)eit (©. 80). 3)aö finb nun njirflic^
bie beiben Spoc^c mad^enben Sata, burd^ mld)t bie ©efc^id^tc bcr
abenblänbifc^en Äir^e geglicbert njirb, unb tocld^e Jtuglcid^ ben
©toff liefern, ju beffcn ©unften bcr Segriff üon Sieformation
bcr Sirdjc ju ermeitern njärc. Unb cö wirb fid) steigen, bag biefe
(Srttjeitcrung bem SSerftänbnig unb bcr ^ocI)fd)ä^ung bcr SRcfor^
motion Sut^cr'iJ nic^t jum ©d^aben gcreid^t. Segler aber l^at
fic^ iene 93eobac^tungcn nid^t ju9in^en gemacht; er I)at bie i{)ncn
jufommcnbe öcbeutung für bie ÄirdE)cngcfd^id^te beö aRittcIaltcrö
atebalb üernjifc^t burc^ Söemcrfungcn, toclc^e t^cilö anö bcr SSor^
liebe für bie inbioibueüc 2lrt bcr lutl^crifc^en Sieformation gc»
fcppft finb, tljcilö ben ffirfolg ober bie ©rfolglofigtcit ai^ ben
SBert^meffer bcr Äbfid^t gcltcnb mad^en. SBcil man bei bcm
großen ^apfte „ben tüarmcn 5ßulg bcö frommen ß^riftcnl)erjenö"
faum fpürt, meil bcr öon il)m jur fittlic^cn Reinigung bcr ^irc^c
beftimmte 5ßricftercölibat ba^ ©cgcnt^cil feiner ?lbfid)t erleidet,
meil bie äuäfdiließung ber Saieninücftitur bie ©ntnjcltlidjung bcr
Äir^c nic^t herbeigeführt ^at, fo meint Scd&ler bei bcr reforma*
torifc^cn Söcbcutung ©regor'ö nic^t üertDcilcn j^u follen, fonbern
ipcnbet fic^ atöbalb ju ben mannigfachen ffirfd^cinungen bcr fird^*
liefen Dppofition, bereu Siefomiabfidötcn in befannter SBcife aU
1) äo^ann t)on SDicUf unb bie Sorßffc^t^te ber 9leforinatton. @rfler
9anb. 2apii% 1873.
10
^mhjcifuttgcn auf Sut^cr'^ 833crf gcrofirbigt toerbcn. Sft biefc Se^
urtl^eilung ©regor'ig gerecht? SBie toürbe man too^l tioci^ biefem
8Äa§ftabc über bic ^Reformation Sut^cr'g ju urt^eilen ^abcn ?
@^lägt cttDü in bem Kampfe für feine S(6enbma^l^Ie^re ber $ul^
bcg frommen ß^riften^erien^, ober nic^t üielme^r ba^ Sntcreffc
für bic ©arantieen ber objcctiöcn Äird)lic^fcit? Dedt fic^ femer
ber ffirfolfl feiner Sieformation, bie ^articulartird^e nnter bem
Spange ber fd^ulmäßigen Se^re, unb feine reformatorifd^e ?16*
fid^t, bie gefammtcn C^riften anf il^re religiöfe grei^cit über
bie SBelt nnb i()re fittlic^en $erpf(id^tungen gegen bie menfc^^
lic^c ©efettfc^aft ^iniuleiten? SEBcr bie Sieformation fiut^er'g gegen
baö Stttereffe beg frommen ß^riften^erjenö unb bie Xlbfic^t be^
9ieformator^ gegen feinen @rfo(g abtoägt, fönnte n)o^I an bem
SBertl)e ber Keformotion be^ 10. 3a^r^. irre n^erben; unb un*
jä^Ug %iele ^aben biefc @rfa^rung gemad^t. fiaffen n)ir uns
aber in ber @c^ä^ung fiutf)cr'^ burd) bic @rfal)rungen ber 3)l\)'
ftifer unb ber .fat^otifc^en (Sionücrtiten feit ber Spoc^e bc^ @Qn«
hretidmu^ unb ber ber Siomantif ni^t irre mad^cn, fo n)irb aud^
©rcgor'g Sieform ber Äird^e burdij Sc^Icr'iS Semerfungcn noc^
nic^t in^ Unrecht gefegt! ®anfi obcrpc^Iic^ aber finbet fic^ ber-
felbc mit ber Sieform bed ^eiligen t^ranj ab.' @r unterlägt e^,
beren QicU unb SKittel aud^ nur ju bejeic^ncn; er fprid^t nur
au^, bag bic befannten Spaltungen im ^ranciiScancrorbcn bic
burc^ benfetben erregten Hoffnungen abgefüllt ^aben. ©oH baö
l^cigen, bag baburc^ ieber Srfolg ber erftrebten SRcform ber Äirc^c
burc^freuit njorben fei, fo ift bag, loic fic^ äcigen tt)irb, ni^t
rid)tig.
Um ieboc^ ben Umfang üon Srfc^einuugcn in ber Äird)cn:=
gcfd^iditc be^ ÜÄittclaltcrö, mld)cx für einen Segriff ber Siefor*
mation ju ücnoerttjcn toäre, tjoüftänbig ju fiberfd)oucn, mug man
noc^ golgcnbeö ^injune^men. S)ie beibcn üon Sed^lcr jugeftan^^
bencn Sieformationen, bie öon ©regor VII. unb bie üon S^^an^ oon
Slffip ^abcn irjren gemcinfamen Ort in ber Sieform beö SRönd^^
t^um^, loeldie in allen möglichen Srten unb ©raben fic^ bur^
bic ®e|d^ic^tc ber abcnblänbifc^en Äird^e beö SJiittcIaltcrö ^in*
burdöjiel)t. Qnmal bic Befreiung ber iiird^e öon ber ©taatdge:^
toolt, ttjclc^e ber groge ^apft unternahm, l^at i^rc aBurjetn in
ber Sieform beö öencbictincrorbcng, toeli^c fic^ in ber ßongrega^
tion Don ß(ugnt^ t)oaiog. Unb bie Sieform ber Jiirc^e, n^eld^c
11
granj crftrcbtc, bcgrunbetc er auf bie Stiftung bc^ granciöcancr*
orbettd, »cld^e, tüic oUc neuen Drbcnöftiftungen, bie Slbfid^t einer
aicform beg ÜWönc^tJ^umg in fid^ fdjliegt. 9iun gilt in bcr fatl^o^
lifd^en äuffaffung be^ ß^riftcnt^umö baö ber äBelt abgett)enbctc
SKönd^t^um für baö eigentliche, üDÜfornntene ci^riftlic^e SeOen,
neben toelci^ent baö üermeltlic^te 6{)riftent^um ber Saien, baö nur
auf bie paffiüe Siegelung burd^ bie ©acramente angetoiefen njar,
junäd^ft ganj jurüdEgefteüt tDurbe. Unter {Reformation ücrftanb
man im 9JiittelaIter aud^ gonj birect nur bie immer tüieber fid^
aufnöt^igenbe JBerfdjärfung ber ffintfagung öon ber SBelt. ®afür
ift bie ©teQe Köm. 12, 2 in ber SBulgata mafegebenb: Nolite
coDformari huic seculo, 8ed reformamini in novitate sensus
vestri. Sieformation beö äRönc^tl^um^ alfo ober bie äbnje^r ber
toieber eingeriffenen SSertoeltUc^ung üon bemfelben gilt im TOittet
alter aU {Reformation \>c^ K^riftentl^umg überhaupt; l)icnodö gc*
meffcn aber ift bie ©efc^id^te ber abenblänbifc^en ilir^e im ajüttcl^^
alter eine faft ununterbrochene Äette üon fircf)lid^en {Reformation^^
beftrcbungen. Snbeffen auf biefem ^intcrgrunbe ^ebcn fid^ bie
cluniacenftfc^c {Reform beö Senebictinerorbenö unb bie Stiftung
bed ^ranei^eanerorbens^ ald bie @pod^e mac^enben @rcigniffe ab.
3n ber engften Sesie^ung benjä^rt fic^ bieö barin, baß bie SJe^
nebictinerregel ju 6lugn^ burc^ baö (Sebot be^ ©titlfd)njeigenö
üerfc^ärft, unb baß in bie allgemeinen ÜÄöncf)gpfli(^ten burc^ grau*
ci^u^ ber JBerjid^t auf eigent^ümlic^en SBefife aud) ber ©efcH*
fc^aft cingefc^oben tourbe. S5eibe§ ^at bcn ibcntifc^en Qtocd, bie
beftimmungömägige grci^eit öon ber SBelt, mlä)c man in ber
gorm bed ÜÄönc^t^umö erftrebte, gegen bie {RüdEföUe in bie SBer*
tt)eltlic^ung fieser ju fteßen. ©e^en nun alle {Reformen bcr
STOönc^orben unb alle ©rünbungen neuer Drben auf biefeiS ge*
meinfame ßi^l öw^r fo ift bie {Reform be^^ SJer^ältniffe^jJ jiuifdtjen
Äir^c unb ©taat^getoalt, auf njcldje ©regor VII. cö abfa^, nur
bie a[ntt)enbung beö für baö eigentliche ct)riftlic£)e Sebcn geltenben
©runbfafee^ auf bie red^tlic^e Drbnung ber großen religiöfen ©e^:
meinbe. ©ollte baS d)riftlid^e Seben in bcr ©eftalt bc^ Mönä)^
t^umij oon ben toeltlic^en 3lnläffen feiner Sßerfümmerung frei
gcfteUt njcrben, fo jiemte e^ fic^ auc^ nidjt, baß bie ©etoalt be^
meltUc^en Staate^ in bie Sled^tdorbnung ber föirc^e Sfirifti ein^
griff, ffiö ift nun nic^t juföUig, ba§ ein Glunioccnfermönd^ biefe
^freiung ber fiird^e fic^ jur Aufgabe fegte. 2)enn bie refor-
12
mitte Kongregation Don Slugn^ toat mit ben Sntereffen ber
ganjen ftirc^e bobur^ in SSerbinbnng gebracht, bog fie birect bem
^pftc nntergcorbnct njurbe. Unb bog fie be^ SEBert^eö bicfer
€teQung in i^rer Slüt^ejeit fici^ too^l 6en)ugt n)QT, ge^t barou^
^cröor, bafe bic ßluniaeenfcr bcfttebt gcrocfcn finb, bic ^EielU
geiftlic^feit jur ?[nnQ^me be^ fononifd^en b. f). bem SJ^önc^t^um
möglid^ft analogen ficbend ju beftimmen. 3n biefer Stiftung
liegt auc^ bic SuSfic^t auf bie 3lu^fd)(iegung ber ^rieftcre^e,
bur^ beren SBcrbot ©regor VII. feine 'Befreiung ber fiird^e oom
©taate am tt)irtfamften ju unterftüftcn ücrflanb. S)ic c(uniacen=
fifc^e SReform beö 3Jiönc^t^um^ jie^t alfo bie mönc^ifc^e Sieform
be^ ft(eruS nac^ fid^; eine burc^ folc^en ^(eru^ vertretene ^irc^c
fonnte bie 9(6^ängigfeit oom n)c(tlic^en ©taate nid)t ertragen;
bad ift ber ßufammen^ang, in n^elc^em bic Spotte mac^enbe93e^
beutung ©regor'g alö eine rcformatorifc^e ju üerfte^cn ift.
lieber ben SBertl^ ber cluniacenfifc^en unb gregorianifc^cn
Sleform fann man aber ein jurcic^enbed Urt^cil f^on aug bem
SSerlaufc bilbcn, n)el(^en iene Sen)egung innerhalb beg 9}2ittet«
alters na^m. (Einmal ift bic Slbfid^t auf bie 9{eform bed Wlondi^
t^umS allein ein Unrecht gegen bie groge äRaffe ber jhrc^en::
glieber. 3)ann ift bic immer toieber eintretenbe Slot^wenbigfeit
t)on {Reformen beö 3Jiöncf)t^umg ein beutlii^er 93ett)eiö für bie
3ieUofigfeit beS Unterncljmenö, bic c^riftli^c SoIIfommcn^eit in
ftatutarifd)cn formen ber blogcn Verneinung ber SBelt au^u*
Vrögen. Snblic^ ift bie Unab^ängigtcit einer mit reichem ©igen*
t^um aui^geftatteten unb re^tlic^ georbneten Jlirc^e uom @taate
feine Söürgfc^aft für i^rc Befreiung oon bem, toaö im fittlidicn
@inne äBcIt ju nennen ift. Senn @igentl)um unb 9ie^t finb
in bicfem ©inne burc^auef njcltlic^c SJejie^ungen unb Drbnungcn.
S)ic Stixd)c, tücld^e njcf entließ unter ben 3Jierf malen beö finnen*
fälligen Sigent^umS unb ber Stec^tSfunctionen aufgefaßt fein
tt)ill, ift gerobcju ein 2;^eil ber SBett. 9lun fommt ^inju, bag
bie t)on ber faiferlii^cn Snüeftitur frei gemad^te £irdt)e, toeld^e in
bemfelbcn SRaumc ober öiclme^r in benfelben ^Perfoucn nid^t
gleichgültig gegen ben ©taat cjiftiren fonnte, fid^ jur Dber^err:!
fd^aft über benfelben auffd^toingen mußte. Snbem alfo bie Äird^c
fi^ aud^ aU bie urfprünglid^e 3nl)aberin beS tueltli^cn @d)n)ertcS
barfteütc, ücrrät^ fie, bag fie burc^ @regor erft rcd)t auf ben
äBeg ber Sermeltlic^ung geführt morben n^ar. tiefer @rfolg ^at
13
nun aber anä) fd^on im SKittclaltcr feine factifd^e Söeric^tigung
gefunben. greilic^ nici^t burd^ bie SReformconcilicn beö 15. ^af)x^
^unbert^, aber bur^ baö ©^[tem ber SanbeöKrc^cn. (J^ ift eine
birectc Äbfd^affunfl ber flreflorianifd^cn {Reform, bag in Sngtanb,
@<)anien unb granfreic^, in ben beiben legten Sänbern fogar
bur^ förmlid^e (Sonceffion be^ $apfted, bie Ernennung ber
JBif^öfe in bie ^anb ber Könige geiangte. ©elbft in 2)eutf^*
lanb tt?urbe ein lanbe^firc^lic^eö Softem in bem SKafee erreicht,
afe baö römifc^e SReid^ beutfc^er Station fid^ in einen öunb todU
lieber unb geiftlid^er gflrften üerwanbelte, unb bie Söcfcfcung ber
Sidtpmer in Z)eutfd^(anb ben fociatcn unb politifd^en Stnfprüc^en
bed l^o^en unb mittleren ^beld bienftbar gemad^t n)urbe.
Snbeffen gcrabc in ber Qdi, alö bad gregorianifd^e ©Aftern
feine am njeiteftcu gel^cnben Folgerungen entfaltet I)atte, be^
jeic^net bie Sfleformation bed ^eiligen t^ranj bon ^ffifi eine neue
Spoc^ ber abenblänbifc^en Jiirc^e. ^Id ©tifter eineö neuen
OrbeniS fc^eint er fic^ freili^ nur ber SRci^e feiner Vorgänger
anjufc^liegen, unb bag er bie (Sntfrembung feiner Orbenöbräber
Don ber äBelt burc^ bad ftarfe äßittel ber böQigen Srmut^ ju
fid^ern fud^te, f^eint i^n nur bem ®rabe nadö bon ben früheren
Drbenöftiftern ju untcrfc^eiben. 3ebodö ^at er bie unberfcnnbare
Abfielt gehabt, in ber gorm feinet Drbeng baö ec^te ©Triften«
t^um, fo JU fagen bie Religion 3efu ju erneuem, unb ber ©r*
folg feineö Sebenö ift bon ben 3eit9C"offen gcrabe in biefcm
©innc berftanben worben. S)ie ältere auöfü^rlid^ere 9tegel beö
^eiligen t^ranj in 23 Sapiteln toirb im Eingänge ba^in beftimmt
vivere in obedientia et in castitate et sine proprio, et domini
nostri Jesu Christi doctrinam et vestigia sequi, qui dieit
9»att^. 19, 21; 16, 24; Suc. 14, 26; ÜRatt^. 19, 29. 2)ie jüngere
Don ^onoriuö III. genehmigte 9{egcl (in 12 Sapiteln) beftimmt
bie vita fratrum rainorum bal^in, eyangelium d. n. J. Chr. ob-
servare vivendo in obedientia, sine proprio et in castitate.
Sd fommt alfo barauf an, bag bie mönd^ifc^en (£nt{)altungen biö
ba^tn gefteigert, aber auc^ in bem ©inne beabfic^tigt tDerben, bag
pc ben allgemeinen Slnforberungen Scfu an feine Sünger
unb feinem eigenften ^orbilbe entfpred^en. S)eö^alb mirb aud^
in ben einjelnen Orbenöuorfc^riften ftetö 9ittcffic^t genommen auf
bie @runbfäge ber allgemeinen S)ienftfertigfeit unb 9lad^giebigfeit,
toA^ baö SDangelium aufftellt. Snöbefonbere merben bie Sor-
14
fdjtiftcn Sefu an feine Sflngcr, ba§ jte o^ne Za\ä)c, ®clb, ©tab
burc^ bic aOSett flc()cn, überall mit bem griebcn^gruge einic^ren
unb ©aftfreunbfd^aft fud^en foßcn, toörtli^ auf bic Drbcnggc*^
noffen be^ ^eiligen granj übertragen. 3)aäu aber lommt bie
Verpflichtung junt ^rebigen üor bem SJolf, in ber abfielt, bafe
bie c^riftlic^en ©rnubfäfee aQfeitiger ©clbftüerlcugnung fo üiel xoic
möglici^ aud^ in bem bid ba^in burd^ bie ^ird^e i^emac^Iäffigten
fiaienftanbe jur Geltung unb Uebung gebrad^t n^urben. ^a^ tuar
fc^on ba^ S3eftrcben bed $etru^ äßalbu^ gcn)efen ; i^m aber l^atte
e^ bie fir^li^e S(uctorität nic^t jugeftanben. 3nbeffen tuirb
ein aWenfc^enaltcr fpäter bie aufgäbe üon granci^uö unb üon
^ominicud gleid^jeitig n^ieber aufgenommen; unb i^rem antriebe
tt)ie il)ren Sinric^tungen ju bicfem Qxoede ttjirb bie ürd^Uc^e @e*=
ne^mtgung ju X^eiL Sie ^lebigt ber 93uge aber, ober bie (Sm^^
Vfe^Iung be^ a^fetifc^cn Sebcn^ an bie Saien ^at ben ©inn, bag
innerl^alb ber fat^olifd^en ^irc^e fclbft eine Ausgleichung beS
SbftanbeS jn^ifc^en ber c^riftlid^en SSoUtommen^eit beS äJ^önc^«
t^umS unb bem blod v^ffiDen (S^riftent^um ber Saien üerfuc^t
tt)erben foll. 3)a§ nun bicfe Unternehmungen, ingbefonbere bie
beS ^eiligen t^ranj, auf Steformation ber j^irc^e, b. 1^. auf bie
^erftedung beS urfprflnglic^en (Si^riftent^umS ^inauSfommen, ift
t)on gleictijcitigen unb nad^folgenben S^^fl^n ganj auSbrüdlid^
anerfannt ttjorben *). An bem {Reformator an^ Äffifi ift auc^
1) Jacobas a Vitriaco' (f 1244) Historia occidentalis cap. 32:
Addidit dominus in diebus istis quartam religionis institutionem (n&m*
It4 ))(n S^ranclScancrorben). Si tarnen ecclesiae i^rimitivae statura et or-
dinem diligenier attendamus, non tarn novam addidit regulam, quam
yeterem renovavit; relevavit iacentem et paene mortuam suscitavit
religionem in vespere mundi tendentis ad occasum, imminente tempore
fiUi perditionis, ut contra Antichristi periculosa tempora novos athletas
praepararet et ecclesiam praemuniendo fulciret. — Ubertinus de Casali
(^inorit um 1312) Arbor vitae cruciiixae lib. Y. cap. 3: Jesus ulti-
mam citationem ad ecclesiam quinti temporis destinavit, suscitans viros
veritatis excelsae, qui et exemplo snae vitae fortissime argaerunt de-
formatam ecclesiam, et verbo praedicationis excitarunt plebem ad poe-
nitentiam .... Inter quos in typo Heliae et Enoch Franciscus et
Dominicas singulariter claruemnt .... Quia vero totum malum quinti
temporis fuit in depravatione vanitatis multiplicis, quae ex cupiditate
et abundantia temporaliam trahit fomentum, idciroo ille, qui tempo-
ralia radicalius a se et a suo statu exclasit, ilie (Franciscus) princi-
15
nxd)t bcr hjarmc $ufö bc3 frommen ^crjenö ju Dermiffen, aud&
nt^t bte ernfte äBert^Iegung auf bie Snftonj be^ St^angcUumd;
mclme^r üerbflrgt bie ganje Sebendf&^rung bed augerorbentlid^en
äRonned eine ^ö^c unb ^nnerlic^fcit ber c^ri[tHd)cn ©efinnung,
fotoic einen Umfang bcr ÜÄenfd^enliebc, an tt)elc^c feiner t)on
bcnjenigen l^inanrcid^t, tt)cld)c fonft burci^ ben 2;itel eine^ SRefor^
mator^ ber ^irc^e au^geicid^net n)crben. ^ie rcformatorifc^e
Hbftc^t bcd ^eiligen t$i^<^nj i[t aud) nic^tö tDeniger als erfolglos
gen)efen; man mug nnr nid^t ben 3(nfpruc^ mad^cn, bag feine
aSBirlungen benen Sut^er'^ unb 3^üingli'^ glei^artig fein müßten,
um überhaupt aU ©rfd^cinungen rcformirten E^riftent^um^
gelten }u f önnen. S)enn Der 3^^^/ ^^^ aSfetifdje fiebcn aud ben
äRauern ber Älöftcr in bie ©cfeUfd^aft ber SScItlcutc ju über*
tragen, ift ben SJeftrebungen ber {Reformatoren bcö 16. 3a^r*
^unbertd gänjlid^ ungleid^, unb ebenfo ift bad fpecififd^e SJ^ittet
boju, toelc^ed Stanj angctoenbet ^at, jenen äWänncrn frcmb.
Sd tDirb erjä^lt, bag bie 33ugprebigt bed ^eiligen t^ranj
einen gemattigen Drang jum Ätofterleben unter bcm SSoIte er«
regt ^at; unb bad ift fe^r i^crftänblid^, ba bie @}runbfä^e, tDeld^e
^ranj ald ben Sn^alt bcd allgemeinen S^riftcnt^umd oerfünbigte,
bid^er nur in bcr befonbcrn goilb bcö ÜÄönd^t^umö jur Slu^-
Übung gelommen maren. @^ (am aber bcm Steformator barauf
an, bie a^fetifc^c Scbcn^meifc auc^ in bie bürgertid^c ©cfcUfc^aft
cinäufü^ren. 3" biefcm 3roccfc ^at er nun neben bcm mann«
liefen Orben bcr fratres minores unb bem meibtic^en bcrSIarif*
finncn ben ordo tertius de poenitentia, nämlid^ fiaicncongrega*
tioncn t)on 9Rännern, bejie^ung^meife üon SBcibcrn in« Seben
gerufen, unb mit einer 20 Slrtifcl umfaffenben SRcgel *) üerfctjcn.
3n bicfer l^albmönc^ifc^cn ^crbinbung ))on Saicn, tDcI^e in i^rcr
tt)e(tUc^cn ficben^ftcUung bleiben, ^at man ben bircctcn @rfo(g
feiner SBicber^crftcUung bed urfprünglic^en &^riftcntf)umi$ ju er«
fennen. S)cr nad^ bestimmter Prüfung erreichbare Sintritt in
bicfe IcrtiariergefcIIfd^aften foU fo üerpflic^tenb fein, bafe man
palis dicitur huias temporis reformator. $et ®tefeter P. ®. II. 2.
6. 325. 850.
1) Sergt. Lqc. Holstenias, Codex regularum monasticarum et
cmnonicamm aoctiiB a Mariano Brookie. Aug. Vindelic 1759 (VI
tomi fol.) Tom. III. S)Q{eIbp au4i bte anbeten Siegeln beS ^tlioen gfroncUcuS.
16
nur austreten fann, mcnn man in einen DoDftänbigen Orbcn
übergebt. (Ehefrauen bebürfen ^ur Slufna^me ber (Einn^tOigung
i()rer äßönner. Sie 9)Mtglieber [ollen alöbalb noc^ bem (Eintritt
i^r Xeftament machen, um in biejer ^^orm ber Sorge um i^r
Sigent^um }u entfagen. Xie X^ei(na()me an Belagen unb
2;äni\en, namentlich ober an Sc^aufpielen, fogar bie inbirccte
Uuterftü^ung fotd)er Vergnügungen n)irb i^nen verboten. S)er
6ib tüirb bcn Xcrtiariern nur in genau bcftimmten ^äden er*
laubt, baS @d)n)öreu im täglichen Seben bagegen verboten; bad
fragen uon SSaffen nur jur Vert^eibigung ber römifd^en ^irc^
unb beS SBatcrIanbed geftattet. Senn im SÖiagemeinen n^erben [te
jur t^öQigen ^ricbfertigfeit angehalten. Qnx £leibung n7irb ge«
ringet %u6) Don lueber meiger, nod^ fc^marjer, alfo Don grauer
garbe Dorgef (^rieben. Jlufeerbem ttjerben bie Sertiarier ju ftei*
gigem '^efud^ be^ @otte^bienfte^, Slb^altung ber fanontf^en
©tuuben, [läufiger Seichte, regelmäßiger Gommunion, ju Dicr
tüöd)entlic^en gafttagen, jum Söefud) ber Üranfen auig i^rer ®e»
noffenfc^aft, jur 2;t)eilnat)me an ber Öeerbigung ucrftorbencr
GJenoffcn, enblic^ jur Unterwerfung unter bie regelmäßige SifU
tation burc^ i^re Vorfte^er (ministri) angehalten, ©leid^artige
@emeinfc^aften entftanben au^ aU Sn^änge beiS Sominieaner«
orbeng uub ber fpätercn Drben ber Äuguftiner, SKinimen, ©er*
oiten unb SCrappiften. Slud^ bie Scfuiten I)aben folc^e Songre»
gationen Don fiaien gebilbet. Ser eintrieb be^ l^eiligen t^ranj
mxtt alfo in biefer ^ejie^ung burd^ bie ganje Spotte ber {at^o>«
lifc^en Jiirc^e, tuelc^e feit i^m Derfloffen ift. SBod aber hai
!IDdttelalter betrifft, fo bcn^ä^rt bie franciScanifdie unb bomtni«
canifdje ^rebigt il)re reformatorifc^e Slbfic^t in ber Ausbreitung
einer an bad e^elid^e unb an baS bflrgerlid^e Berufsleben aceom«
mobirten SlSfefe, tueldje ben 9lbftanb jmifc^en äRönc^en unb Soien
«jenigftenö Derminbert. 3m SlUgemeinen entfprid^t biefeä Unter^
nehmen bem Slnfpruc^e ber @leic^^eit unb @emeinfd^aft(id^feit
beS 6:^riftent^umS mel)r, alS bie ä3efd^ränfung ber 9leform auf
ba^ aKönd)t^um in ber erften ^älfte beS aWittelalterS. 3m öc*
fonbcrn aber ergiebt fic^ ber bloö relatiDe SBert^ ber franciS*
canifd)en 9{efonnation auS bem SJJittel ju jenem Qtoed. (fö tarn
nämlic^ boc^ nur jur ©rünbung einer neuen Art Don Drben.
Sbfic^tlid^ fte[)t bie franciSeanifc^e ^Reformation ebenfo im
Dienfte beS mittclaltrigen ©ijftcmS ber abenblänbifd^en SHtc^e,
17
toic fic fid^ in bcr fat^otifd^cn Änfc^auung t)om c^riftUd^cn Sebcn
^ält. andn in bcm ©runbfaftc bcr t)oII!ommenen Slrmutf) unb
©flcnt^um^lofiflfcit, ttjcld^cn S^anj öon Slffifi für feinen Drben
aufftcHte, tag ein Slnla§ jur SoQifion jroifc^en ber agfetifd^cn
Sicform bcr Äir^c unb ber päpftlid^en SBelt^errfd^aft. S)ic SSer*
treter be^ ^apftt^um^ n^aren fic^ xdo\)1 bemüht, ba& bem geift*
lid^cn ©c^ttJcrtc boö Uebergett)id^t über baö tüclttid^c nid^t ju gcs*
»innen ober ju erhalten mar, njcnn nid^t bic 3Kaffe t)on ttjclt^
lid^em (£igentf|um mit ber geifttid^en Äuctorität öcrbunben ttjar.
3)ic cntgegcngefcftte änfid^t, ba^ ber SIeruö unb bic SKönc^e,
toeld^c (8igentf|um befäfeen, nic^t fctig merben fönntcn, ^atte
Ärnolb Don SörciScia mit bem Seben büßen muffen. 3)eöf|alb ift
cS Dcrftänblidi; baß bic 5ßäpftc bcn ®runbfa§ ber öoQftänbigen
Sepfelofiglcit aud^ nid^t in bem befc^ränften ©ebiete bcö granciö*
cancrorben^ bulben moQten. ®enn fic mußten barin einen ftiQcn
SSonourf gegen i^r ©^ftem crfcnncn unb befürd^ten, baß barauö
ein allgemeiner SBiberftanb gegen bic ©igent^umörcd^tc berSird^c
an njcltlid^cn ©ütern ^crDorge^en ttjcrbe. 3)iefe Dppofition Iiabcn
i^ncn nun aud^ bic ©piritualen im granciöcanerorben gemacht,
unb jtoar in einem SÄaßc, baß fic nid|t fdjärfer gebadet toerben
!ann. ^ier finbet fic^ alfo bie ffirfc^cinung, baß eine fo tat\)o^
lifd^^gcartcte ^Reformation mie bie francigcanifd)c tt)cnigften^ t^eil^
tocifc in bic Dppofition gegen baö fird^Iid)e ©t)ftem umgcfc^Iagcn
ift. S)enn bic ©pirituaten urt^ciltcn nur in bcr golgcrid^tigteit
be^ reformatorifd^cn ^rincip^ ifire^ SÄciftcrö, baß baö ^apftt^um
unb bic Äirc^e, njctc^c nid^t auf baS Sorbilb bcr apoftolifd^cn
3rorm bc^ d^riftlic^en SebenS jurüdEgcl^en, fonbern ba§ (S^riftcntl)um
bcr ©piritualen, njclc^c^ bcm ßDangclium S^rifti fetbft cntfprid)t,
unterbrüdEcn njoUten, bcm Slntid^rift angehörten, ©ic befd^ränftcn
fid) nun aber barauf, bie {Reformation, meldte biefcr §ö^e beö
Scrbcrbcng in ber Äird^e gett)ad^fcn fein mürbe, ber Sulunft an^
^cimjuftcncn^ toenn baS eroige ©öangcüum be^ ©eifteS roirlfam
fein werbe. 63 ift ba^ öicUcic^t ein ftiQcö ©ingcftänbniß baöon,
baß aud^ bic ©teigerung i^rer a^fetifc^en SRcformmittet für bie
unmittelbare ffiinfü^rung ber 9JoQfommcnf|cit ber Äircf)c nid^t
jurei^e. 3)ircct freiließ rid^tet fid^ bie Hoffnung auf bie julünf*
tigc 9teformation bur^ ba^ eroige Süangelium banad^, baß auc^
ba^ twbammcnbc Urt^eil über bie antid^riftlid^e Serberbniß ber
Airc^e an ber Stpofal^pfe be^ So^anncd orientirt roar. tiefer
L 2
18
Sctocguttg nun ift bic mtttelaltrigc Äir^c mäd^tig gctüorbcn.
SRad^ bcn ©türmen unb Sonflicten, rocld^c bic ©piritualen im 13.
unb 14. 3a^t^unbcrt erregt \)abcn, unb n^eld^e i^rcr SSicle auf
bcm ©c^citcrfiaufen büßen mußten, ließen fie fic^ jur JRu^e
bringen, inbem \>a^ Soncil t)on Sonftanj fie aU Fratres regu-
laris observantiae ancriannte. SSon ha an bringt, fo weit baS
SWittelattcr reid^t, t)on if)rer Stbgencigt^eit gegen bic römifd)e
Äirc^c nic^tg mel^r an bic Dberfläd)e. 5Daß jcbod^ biefe ©tim^
mung im Greife beS genannten DrbenS ööHig Derfiegt fein foHtc,
ift fd^n)cr ju glauben. ®er fd^tücigenbe ©c^orfam Don äßönc^cn
Der^ünt bem ferner ©tc^cnben manche {Regungen, tüclc^e aud^
burd^ ^atbe änbeutungcn im engern Äreifc jum ©cmeingutc
SBieler toerben lönnen. 2(lfo n^enn auc^ baö 15. 3al)r^unbert
lein 3)ocumcnt baüon barbieten follte, baß bic granciöcancr*
Dbfcrüanten i^rcn grünblid^en SBiberfpruc^ gegen bie SJcrttJctt^
tid^ung bc^ römifc^en ^apftt^umS unter fid^ unb ifiren %extia^
ricrn fortgcpflanjt ^aben, fo folgt barau^ nid^t, baß berfetbc in
jenem ß^traum DoQftänbig aui^gcftorbcn toar.
2)ie ©rfd^einungen be^ äRittelatterg, ttjclc^e in furjem Uebcr*
blidEc t)orgefü^rt toorben finb, faden unter einen Segriff t)on
{Reformation, ber einen t)icl njcitcrn Umfang l^at, als berjcnigc
ift, öon toelc^em bie proteftantifc^c @efd^id^t3betrad)tung fi^
leiten läßt. {Reformation ift bie ^erftcQung beö richtigen Ser*
l^ältniffeg jtoifc^cn S^riftent^um unb SBclt, unter ber SSorauS^
fcfcung, baß baffclbc in eine SSermifc^ung beS Sliriftcnt^umS mit
ber SBclt übergegangen ift. 3nner^alb bicfeS allgemeinen 93e*
griffe« !ommt ebenfo bie {Rücffic^t auf bag c^riftlic^c ^crfonlcbcn
njic bic auf bic SBcUftclIung ber Äird^c in SBctrac^t. SRun finb
aber bie beiben bejeid^neten reformatorifc^cn (8pocf)cn baburc^ bc*
fonberö bebingt, baß fie üon ber fatl^olifc^cn ©Haftung beS
^riftlic^cn ßebenS als beS SRönc^t^umS unb ber Äird^c alö ber
{Red^tSanftalt bclierrfd^t finb. ©eS^alb bcättJcdEen biefe gälic öon
{Reformation t^cilS bic immer njicberfc^rcnbc unb immer gc^^
ftcigcrtc Slblöfung ber mönd^ifd^en aSolMommen^eit üon bem Seben
in ber SBclt, t^cilS bie möglic^ftc SluSbrcitung ber mönc^ifc^cn
SBoHfommcn^cit auf bie Saien, bic in ber gamilic unb im bürgcr*
liefen Söerufe bleiben foUcn. (Sbcnfo betrifft bic {Reformation ber
Äird^c, toclc^cOrcgorVII. unternimmt, bicäblöfung biefeS göttlichen
Sied^tSinftitutS öon bcn ffiinPffcn bcS rocltlid^cn ©taatcS, ber ateOr*
19
ganfömu^ bcr ©ütibc ouSgcgcbcn toirb. ®tc Sieformation ber ÄirdEjc
aber, tocld^c bic ©piritualen in Slu^fic^t nahmen, bebeutet bic Sc^
freiung berfelben Don bcr allgemeinen aSernjettli^ung ; ba^ fBla%
unb bcr Umfang, in xod^tm biefe^ crftrebt tt)irb, bleiben frcilid^
im S)unfcln, ba bad @cfc^äft einem übernatürlid^en Eingreifen
©ottcö in ber B^^t^^f* an^eimgcftcQt unb t)on feinem 3)ienfd)en
unmittelbar in bic §anb genommen n)irb.
3rür bic franci^camfc^e {Reformation bcr fatl^olifd^en Äirc^c
ift nun aber befonberS bemcrlengmert^, ba§ biefelbe an bcn
SKagftab ber urfprünglid^en, öon ber SSermifd^ung mit ber SBclt
nod^ freien Äird^e angelehnt teirb (@. 14). 3)iefe {Rficffid)t ift
jcboc^ nic^t auf bcn Ärei^ bcr franci^anifc^en Unternehmung
befc^rönft, unb atd eine au^fc^liegUc^c SigentpmUd^feit berfelben
ju betrachten; t)ielme^r ift bic SSorbitblic^tcit ber gcfeUfd^aftlid^cn
Suftänbc bcr crften ©emeinbc ju Scrufalcm ba« ©tid^tüort faft
aller äteformationöbeftrebungen in ber jtt)citen §älfte beö äRitteU
attcrö. ©affelbc taucht juerft in bcn ©d^riften bc« 3oac^im
Don gioriö (t 1212) auf»), @lci%itig (um 1170) ift 5ßetrug
SEBalbug, ber aSorgdngcr bc« ^eiligen granj, um bic ©rneucrung
bc« apoftotifc^en Seben« in bcr toirllic^cn Söeobad^tung bcr ©c-
böte E^rifti, in freiwilliger Slrmut^, überfiaupt in euangclifd)cr
(aöfetifc^cr) SJoQfommenljcit bemüht. @« ift noc^ immer nöt^ig,
gegen bic öulgärc Irabition oon ber nat)ern SScrnjanbtfd^aft
bicfcr ©rfd^cinung mit ber {Reformation be« 16. Sa^r^unbcrt«
auf ba« 3<^wfl^i6 ^^^ Ö^^i^g*) ju öcttücifcn, baß biefc „{Reform
auf lat^olifc^cm ©oben ftcljt unb in it)m murjclt". SBcnn auc^
bcr Änfpruc^, bic urfprilnglicl^c Äirc^e ju erneuen, t)on Slnfang
an bur^ SEBalbu« nic^t Vertreten ttjorben fein foHtc, fo I)aben bic
S33albcnfer fic^ baburd^ ju legitimiren gelernt ^). gcrncr fjcgt bic
Xbfic^t einer fold^en {Reformation ber 93ö^mc SRatt^ia« wn
1) ©ei ^it]tUx, Ä. ®. IL 2. 6. 353. Quam vero longo sit omnis
moderaa religio a forma primitivae ecclesiae, ex multis intelligi potest.
Unter beffen SBeiffagungen, toeld^e bie granciScancr auf fi^ bejogeu, mö^te nod^
9.'8 Uri^U (6. 8M) fotgenbe fi^t fein. Necesse est, ut succedat simili-
tudo Vera apostolicae vitae, in qua non acquirebatur possessio terrenao
haereditatis sed potius vendobatur.
2) f)!e romanil^en gBan)en|er (©aflc 1853) 6. 131. 141. 189.
8) S^re iQt^oIif^en Gegner flreitcn e8 i^nen ob. ^gl. ©iefeler,
St. «. IL 2. 6. 565.
20
Sanoto (t 1394) ^), imb in bcm burc^ bic ^uffttcnfäm^fc oufgc^*
lüfi^ltcn Sanbe beginnt (feit 1457) bie ©emcinbe bcr bö^mifd)cn
©ruber naä) jenem SJiufter eine bem SBalbenfert^um ä^nlid^c
SebenSmeife, welche burc^ ifiren ©tifter, ben SJarfüSer, Sruber
©regor, t)om granciöcanert^um abgeleitet ju fein fc^eint*). Äud^
biefe 9lac^bilbung ber ©emeinbc ju Scrufalem behauptet biä in^
16. 3a^ri ben fpccififc^ fat^otifc^en I^pu«. ©affelbe 3beal f^ai
jene 3)oppelgeftalt ber „mobemen S^eöotion" in ben SRiebertanben,
bie SBinbeS^eimifc^e (Kongregation ber regulirten Sluguftiner unb
bie Srüber unb ©d^njeftern be^ gcmeinfamen Scbenö geleitet,
eine SSerbinbung, an beren fpecififc^ fat^olifd^em S^arafter nic^t
gejmeifelt werben fann ^). SBie fe^r nämlic^ biefe reformatorifc^c
3nftanj ber fatf)oIifc^en Slrt entfpric^t, er!ennt man enblic^
barau^, bag bie S^fuiten bie t)on i^nen in $aragua^ gebilbeten
unb regierten 3nbianergemeinben aliS baö SRad^bilb bcr erften
G^riftengcmeinben gerühmt ^aben*).
@ö njirb njeiter unten gegeigt tt)erben, n^ie ftc^ bie SReforma*
tion beS 16. 3a^r^. ju bemjenigen Segriff öon SReformation
öer^ält, uj^ld^er für bie beurt^eilten Srfc^einungcn beö abenb*
länbifd^en äRittetalterö fic^ atö mafegebenb erliefen ^at. Sei ber
^ier angebeuteten ©lieberung ber ©efd^id^te ber abenblänbifc^en
Äirc^e njirb aber bie feit glaciuö gangbare Äategorie ber SSor*
läufcr ber ^Reformation ßut^er'S er^eblid^ ju rebuciren, unb eö
ttjerben namenttid^ bie oben befprod^enen ©rfd^einungen ju bem
©ebiete ber franci^canifd^cn ^Reformation ju fd^lagen fein. @ö
fäme ferner nod) barauf an, bie fat^olifc^e ßontrareformation be^
16. 3a^t^. nac^ jener gotmet ju beftimmen. 3nbeffen foH jum
Slbfc^luß biefer Erörterung nur noc^ baran erinnert njerben, ba§
bie morgenlänbifd^c ^irc^e öon reformatorifd^en Söeftrebungen ber
?trt, tt)oburd^ bie abenblänbifc^e ftetS in S8ett)egung gefefet njorben
ift, nic^tö barbictet. 3)iefelbe ift in i^rer Siturgie unb iljrer
lirc^lic^en ©itte feit bem 6. 3a^r^. jur SRu^e gelangt. Stuf i^rem
1) Stxummtl, (Sef4. ber bö^m. 9leformation im 15. 3aH. 8. 89 ff.
2) a^inbelQ, (S^efd^i^te bec bö^mtf(^en Araber (ißrag 1857) Sb. 1.
8. 21. 26 ff. $gl. 3eitf4rift fttc ((ir^engef^i^te IL 8. 397.
8) Acquoyi Het klooster te WindeBheim en sijn invioed (2 ^^etle,
Utre^t 1875. 76) II. 6. 336. 671.
4) (8iefeler,P. (5. III. 2. 6. 676.
21
©cbictc finb Äird^c unb ©toat cnfl t)crfIod^tcn, tDcil bic Iird)Ud^c
©ittc jugleic^ SSolföfittc ift, unb tpcil bic Äirc^e, bcr cö blo^ auf
bic ©tetigfcit bcr liturgifd^cn Drbnunfl unb ©itte anlommt, fic^
mit bem patriarcl^alifd)cn 3)c^poti^muö im ©taatc ibcntificircn
fann, ober fo neutral gegen il^n ift, baß feine EoDifionen erfolgen,
auf biefcm ©ebiete ift c^ öielmclir möglid) getoefen, baß toic
früher bic b^jantinifc^en, fo je^t bic ruffifc^cn Äaifer bic ^ircl^c
i^rer {Rcid)e inbirect regieren, unb baß umgefe^rt bcr ^atriarc^
Don Sonftantinopcl inncrljalb be^ türfifd)cn JReic^eö ate bag
politifc^e ^aupt feiner Äird^engenoffen ober feiner Station mit
©crid^tiSbarleit unb ©teuerer^ebung auögeftattct gcnjcfen ift. 2)a^
^Problem be^ SBcr^ältniffeö jnjifc^en ©taat unb ^irdje, weldicg
im Äbenblanbe feit Sal^r^unbcrten immer tt)ieber bic Äird^e bett)egt
unb ben ©taat bcfd^äftigt, ift für bic morgenlänbifd^e Äird^c gar
nid^t uor^anben *). (Sbcnfo njcnig ^at man bort je einen Slnlaß
jur {Reform bciS SKönd^t^umö ober jur ©tiftung neuer Drben
gcfunben, nod^ ift bic ©teHung beffclbcn jum Saiend^riftcnt^um
ober bic be^ SBcltflerug ju ben 5Jlönd^cn jemals in ^^^gc gc^^
!ommen. S)ort giebt e^ feine befonberen a^fctifc^cn ßongrega*
tioncn t)on Saien, unb bic @^e bcr ^riefter ift nie angetaftet
toorben. ©agegen ^aben aud^ nie bic benjcibten ^riefter bem
?ßrioilegium bcr Sloftergeiftlic^fcit, baß au^ if|r bic Sifc^öfe l^er-
Dorgc^en, fic^ tt)ibcrfe^t. SBcil biefe 2)inge in bcr morgenlänbi*
fc^en Äird^e ftetS in i^rer feften Drbnung geblieben finb, ober
weil man bic baran ^aftenben Unorbnungen nic^t tief empfunben
^at, fommcn bort feine SReformationen im ©inne bcö Äbenb^
lanbeS t)or.
©c^einbar ^at bic abenblänbifc^e Äird)e ju bem SRcid^c Sarrs
be§ ®roßen in bemfelbcn SScrljältniß geftanben, tok bic morgen*
länbifd^e ju ben b^jantinifc^cn Äaifern. 3)ic Äirc^e erf^cint als
cingegliebert in ben fränfifc^cn ©taat; bic Organe bcr Äird)e
fielen bem Dber^aupte beS ©taatcö jur Serfügung für ©itten*
juc^t unb ©d^ulc; felbft bic ÄirdieuDcrfammlungen unterliegen
1) Die Kbfonberung ber SiarotDerjen t)on ber niffif^en f^taotSfir^e
unb bte fanatif^e ^bnei^ung 0e0en biefelbe, toeld^e bei jener Partei t)or»
fomtnt, ifi nur bte accibenteüe golge bat)on, bog iene WtgtAubigen bie unter
bem €4u^e ber ruffifd^en StoatSgettolt burc^eftt^rie Sleform ber liturgifd^en
9fl4er iu (fünften i^reS überlieferten corrum))irien ^efianbeS abgelel^ut l^aben.
22
bcm tcitcnben @influ& unb ber ©cftätigunfl beS Saifcrö, ber ate
bcr JRegcnt ber ^eiligen Äirc^c bcjcid)nct lüirb. 6rft ber Qcx^aü
ber faroUngifdien SD^onar^ic f)at e^ bem ^apfttl^um tnöglid^ ge«
ma^t, auf ben SBcg jur ©elbftonbigfeit unb jur ^errfd^aft ber
Ätrd)c über ben ©taat einjulcnfen. ÄHein biefe Semegung ift
nid^t jufäHtg blo^ burd^ ben SerfaQ beö larotingifc^cn JRci^eö
herbeigeführt ttjorben; unb nid^t rid)tig wäre bic Slnna^mc, ba§
ttjenn berfelbe ^ättc unterbleiben fönnen, bie abcubtänbifd^e Äird)c
in einer ben b^jantinifd^en SScr^ältniffcn gleid^en 2lb^ängig!cit
bom ©taate ber^arrt ttjöre. ®enn bie obenblänbifd^e ^ird^e be*
faß in Sluguftin'ö fie^re bon ber Ueberorbnung beö ©otteiSftaatcg
über ben tt)eltlid^en ein geiftigeö aSermäd^tnig, baö jur ^nxd)^
freu^ung ber btijantinifc^en (Kombination t)on ©taat unb ^irc^e
brängte. @ine foldjc et^ifd)=politifcf)e ©runbanfc^auung fe^lt bem
b^jantinifc^en Sl^riftent^um. S)e^^aI6 ift baffelbe inbiffercnt
gegen ben SBe^fcI ber (Kombinationen Don (Jfiriftent^um unb
SBelt, in n^eld^em bie abenbtönbifc^e ftird^e fic^ ju ben njieber*
I|olten {Reformationen auffc^liefet, beren SBirfungen unb SBec^feU
roirlungen bie ©cfc^ic^te jener Äirc^e auöfüQen unb auSjeid^nen.
3. 3)ie Stgentpmlid^reit unb bie Slbftammung bet SSiebertSufet.
2)ie SBiebertäuferei alfo foU nad^ ©oebel bie grünblid^ere,
entfd^iebenere, boQftänbigere {Reformation fein, xodd)c aU ,,^inb
ber 9leformation" ßut^er'ö unb gnjingli'ö ju er!enncn, aber Don
ßutljer feit 1522, bon 3^ingli feit 1524 aufgegeben toorben toäre.
SRe^men njir cS genau mit biefer öe^auptung, fo fann bie ab*
ftammung ber SBiebertäuferei bon Sut^er unb ßmingli iunä^ft
an bie It)atfad)e ge!nflpft tt)erben, baß bie erften ©rfd^einungcn
jener {Richtung mefjrcre 3a^re fpäter auftreten alö bie reforma*
torifd^e SBirfJam!eit bon Sutlier unb ßmingli begonnen l^at, ferner
baran, baß mand^e gü^rer jener Partei juerft Sln^änger ber
beiben {Reformatoren gemefen finb, elje fie mit il^rcn Slbmcic^un^
gen üon benfelben ^erbortraten. SlQein biefe Umftänbe bilben
leinen jurei^enben SJen^eiö für bic tt)irflic^e äbftammung ber
einen ®röße bon ber anbern. SBag fpäter ift, ate ettt)ag anbereiS,
23
ift barum nid^t batjon Dcrurfac^t, unb bic STngcIjörigteit fpätercr
ffiicbcrtäufcr ju Sut^er unb S^ingli lonn jufäQig fein. @^
lommt alfo barauf an, ob ^ie eine unb bic anbcre SRcfonnation
im Scfonbcrn bic glcid^c ?l6ätt)C(fun8 unb {Richtung innehalten.
S)aä ift nun aber nid^t ber gaH. 3)ag c^riftlid^e Seben ift bnrc^
Sutfter ba^in beftimmt, ba§ man burc^ bic rcligiöfcn Sugcnbcn
ber 3)emut^, be^ ©ottöcrtraucn^ unb bcr ©ebulb freier §err
über alle ®inge unb !einem SWcnfc^en unterttjorfen, unb burc^
bic fittüc^e Ausübung beg bürgcrlid^cu 93crufeS aßen SÄcnfd^en
verpflichtet fei; für 3^ingli gilt bic gleiche Drbnung, tt)enn er
fic auc^ nic^t fo genau formulirt ffat öeibe äßönner ermitteln
bag ©ittengefeft in bcr gorm ber freien felbftänbigen 6rtenntni§
bcr ^flid^tgebotc, fteHen ba^ c^riftlic^c Seben in ben Screid^ bcr
bürgerlichen ©cfeUfc^aft, unb öcrlci^en ber rec^tUd^en Drbnung
bc^ Staate^ ben SBcrtl^ einer l^crDorragenben 93ürgfc^aft für bic
gü^rung bc^ d^riftlic^en ßeben^ unb für bic Drbnung bcS ©ot^^
te^bienfteS unb be^ rcligiöfcn Unterrid)tcg. 3m SScrgleic^ ^iemit
fann man öicUcid^t bcr njicbcrtäufcrifc^cn ßcbcnöorbnung einen
Sorjug bcr SSoUftänbigfcit beilegen, njcnn man betaillirte ftatu*
tarif^e ©ebote über äußcrlid^c aScr^öltniffc für eine notljnjcnbigc
unb tt)crtl^t)olIe Crgänjung ber mit bem ©ittengefefe erfüllten
grei^eit ^ält. 9Äan mag ferner ben SBiebertäufern eine größere
©rünbli^fcit in bcr Sieform bcS Sebenö juerfenncn, toenn man
c^ für jttjccfma^igcr unb crfolgrcid^er ^ält, ba^ ß^riftent^um in
allen möglichen SSerncinungen menfc^lid)cr SSerpltniffc ju üben,
ate bic gegebenen Drbnungen menfd^lid^cr ©cfcHfd^aft burc^ bag
SRotit) ber allgemeinen Släc^ftcnlicbc ju öcrflären unb ju reinigen.
Snblic^ mag man e^ al^ größere Sntfd^icbcn^cit rül^men, bag
öon ben aBiebertäufern bcr SBcg ju einer ftatutarifc^cn §eilig!eit
ober gar ©ünblofigfeit eingefc^lagen n^irb. SBic njcnig aber ba=
burc^ bic ©elbftänbigfeit unb Sauterfeit bcr (£^ara!tcrbilbung
erreicht wirb, bcttjcift bic Scic^tigfeit ber antinomiftifd^en SSer^
irrungen bei jenen rounbcrlid^cn ^eiligen. 3)ic SBiebertäufcrci
alfo verfolgt bic Aufgabe ber SRcform be^ cl)riftlid^cn Sebeng in
einer SRic^tung, njcld^e ben Äbfic^ten ßutl^er'^ unb Smingli'ö gc^^
rabc entgegengcfcftt ift. 3113 {Reformen finb beibe ©rfc^cinungen
mit cinanber vergleichbar unb in einigen Umftänben äl^nlic^; aber
nad^ bcr öefonberl^eit i^rer 9lic^tungen Vcrglid^cn erfc^cinen fic
nic^t aU ocnoanbi mit cinanber, fonbern als entgegengefegter Slrt.
/
24
gür protcftantifd^c 2;^colo9cn ftc^t cö feft, bag bie JRcfor^^
mation Sutl^er'g unb ß^'^flli'^ tücnigftcniS im ^rincip bie ©tufc
beö Sf)riftcntf)um^ übcrfc^rittcn f)ai, toddjc öom jtpcitcn 3a^r*
l^unbcrt an [i^ au^gcftaltet f)ai, unb im Scfonbcrn ote bie fa^
tl^otifc^e ©tufc beö Sl^riftent^umö beäcid)net tüirb. hingegen i[t
c^ ct)ibcnt, baß bie SRotiöe unb giclc, bie SKittel unb bie ein*
jetnen Siegeln ber SBiebertäufcrei fämmtlid^ bie Sinie beöSWitteU
alters innehalten, unb i^rc näc^ften Slnalogieen in jenem QciU
alter finben. 3""^ S3en)eife biefer öcl^auptung greife id^ auf bie
8lngaben öon §einrid^ SuHinger*) jurüdE. 3nbem bie SBieber^
täufer fid^ felbft für bie eine, rechte, @ott wol^lgefällige @e*
meinbe (Sl^rifti erHären, legen fie ia^ ©enjid^t auf baS actiüe
§anbeln, auf bie „fd)einbare SScfferung" beö SebeniS in il^rem
Greife, meldte ebenfo menig in ber eöangelifd^en Äirc^e crftrebt
njerbe, n)ie in ber päpftli^en. SSon l^ier auö rügen fie bie coan^
gelifc^e ßefjre üon ber ©enugtl^uung St)rifti unb ber SRed^tferti^
gung burc^ ben ©lauben, nämlic^ baß ber äßenfc^ t)or @ott
fromm njerbe burdi ben ©lauben unb nid^t burd^ bie SBerfc.
©ie rügen ferner bie Se^re öon ber UnerfüBbarfeit beö ©cfe^eö,
ba boc^ alle ©c^rift bie Haltung beS ©efe^eS t)orfc^reibe. 3n
biefen beiben ©runbfä^en beö ßebenS ftelien bie SBiebertäufer
auf ber ©eitc beS Äat^oliciSmuS. ©ic jie^en ferner aus ber
c^riftlid^en Slufgabe ber Siebe bie Folgerung, baß ber S^rift lein
©igent^um unb leinen SRcic^t^um ^aben bürfe, ba bießicbe öielme^r
aQc 3)inge mit ben örübern gemein l^abe. S)iefcr ©runbfa^
ift nur bie SSeraUgcmeinerung einer Siegel, njeld^c biöl^er für
baS äRönd^tl^um als SBebingung ber d^riftlic^en aSoHtommcn^eit
gegolten ^at*). ®ie SBiebertäufer [teilen fid^ ferner tt)cilS ganj
gleid^gültig, t^eilö abgeneigt gegen ben ©taat unb feine @in«
ric^tungen. ©ie leugnen, baß bie Sleligion jur Eompetenj ber
Dbrigfeit gehöre, unb baß ber 6t|rift übcrl^aupt ein SBebflrfniß
nad^ ftaatlid^er 3ied^tSorbnung l^abe. Sl^rer änfid^t gemäß tüiber-
fefcen fic^ bie S^riften !ciner ©en^alt, machen fid^ allein auf baS
1) S)er aötcbertöufer Urfprung, gürganö, Secten, fflc|cn. 3üri4 1560.
2) di tfl nt^t sufanig, bag bie erfte (Smpfe^Iung btefeS ®runb{a^eS im
16. Sa^t^unbert ton 5t^oma8 9noru8 (in bei Utopia) ^errü^rt, einem ^anne
t)on bur^auS aSfetif^er SebenSri^tung unb SRfirt^rer für ben Primat beS
$a))fte8.
25
Seiben gefaßt, barum fud^cn fie beim ©taat feinen 9lcd)töfd)u|.
S)cö^alb ober !önnen jtc aud^ fein obrißfcittic^cö ämt bcflcibcn,
unb bürfcn feine SBaffen tragen unb gebraudien, feinen @ib Iciften.
S)iefe ©runbfäfee entfpringen aud einer Unterfd^eibung ätt)ifdjen
d^riftlic^er 9leligionögemeinfd^aft unb njeltlidjem ©taate, lueld^e
i^rc nddifte Hnalogie an ben ©runbfäfcen ©regor'ö VII. I^at,
unb juteftt auf äuguftin'^ Cntgegenfeftung jnjifd^en bem göttlichen
unb bem irbifd^en Staate jurüdEmeift. Äuö allen biefen ©runb^
fä^n folgt not^ttjenbig, bag biefe ©emeinbe ber ©ercd^ten unb
Unfc^ulbigcn fid^ öon ber ®emeinfd]aft mit ben ©liebern ber
eöangelifc^en unb ber päpftlid^en Sirenen abfonbert. 3)a fie nun
eine junäc^ft paffiöe änge^örigfeit jur ©emeinbe ber ^eiligen,
toic pc in biefen Äirc^en burd^ bie Slugübung ber ^inbertaufe
anerfannt tt)irb, überhaupt nic^t julaffen, fonbcrn nur bie actiue
o^fetifc^c lugenb i^rer ©enoffenfc^aft, fo werben fie jur laufe
ber ©rtoac^fenen ate ber cinjig richtigen gorm ber Slufna^me in
bie öc^tc ©emeinbe E^rifti geführt, ober pr SBiebertaufc ber in
ber Äinb^eit ©etauften. 3)iefe einjige Steuerung unter ben ©runb«
fäften ber Partei ift alfo atö Folgerung auö bem ©efüge üon
ScbenSorbnungen ju begreifen, beren einzelne güge me^r ober
toeniger cntmidCelt im mittelaltrigen Äatl^olici^muig nac^getoiefen
tocrben fönnen.
S)iefe SÄerfmalc ber SBiebertäufer ttjerben öon SöuDinger
ate biejenigen bejeic^net, n^eld^e tfjeilö allen il^ren ©ecten (mit
JBorbe^alt einjelner SKobificationen) gemeinfam finb, t^eil^ (mit
Äuöfc^luß t)on Slbnjeic^ungen) jur S^arafteriftif ber äRaffe bienen,
für toeldie er ben litcl „©eneraU ober gemeine 2:äufer" em^^
pfic^lt. Uebrigeng jerfaHen fie in jn)ei ©ruppen, öon benen bie
eine fid^ auf bie inbiDibuelle 3nfpiration, bie anbere auf ben 93uc^^
ftaben ber öibel ftüfetc. 3)er erfte t^aü tritt juerft bei ben
3tDi(fauer ^rop^eten, ber anbere bei ben ßönc^cm auf. 3Jian pflegt
in beiben gäUcn eine Ueberbietung ber reformatorifc^en ^rincir
pienSut^er'ö unb ßtoingli'ö ju finben. S)ie (Steigerung ber 8luc*
toritdt ber ^eiligen ©d^rift fd^eint in ber Äbtt)eid)ung Sonrab
©rebcr^ öon S^ingli et)ibent ju fein, unb bie Offenbarungen be^
^eiligen ©eifteö in ben 2:äufern wären nur bie folgered^te ffint*
roicfelung ber unmittelbaren §cilÄgemi§^eit ber ©injelnen, auf
toelc^e bie Seigre Don ber ^Rechtfertigung burd^ ben ©lauben ^in^
aui^fü^rt. 3nbef[en bietet biefe Steige Don (Srfd^einungen noc^
26
eine aiibcrc Seite bar. SSenn man bcn SiMictömu^ ©rcbel'^
unb bcn ßwingli'^ mit cinanbcr öerglcid^t, fo ift bcrfelbe todf
nur ba^ SWittel ba.yi, gan,^ öcrfc^iebcnartigc Änfprflc^c an bic
c^riftlic^c dJcligion auf bic Icicfttcftc unb für jene 3<^it eöibcnteflc
"Art ju ücrtöcibigen. S^inflli öcrtritt mit bcr ©ibcl in ber ^anb
ba^ Soangclium ber göttlic^n @nabc unb bad @ittcngefc^, ®rc«
bei bic SJcrbinblic^feit einer gefc^ic^tlic^ weit jurücflicflcnbcn focia*
Icn unb fittlid)en Serfaffunc) ber ^riftlid)en ©emcinbc. 3n
biefer Stic^tung bat bcr wiffenfc^aftlic^ c^cbilbcte SRann ftc^ auf
bic gcftftenung ber allgemeinen @runb}äge bcfc^rdnft. Aber jur
Srgänjung biefed '^tlbce muB man auc^ bic 9[nn>enbuns bcr«
gleichen, roclc^e ber @runbfa^ unter ben ungcbilbetcn Snl^ngcrn
bcr ^rtci fanb. S^ic .apoftolifc^cu Xaufer" fa^cn, toie SBut
lingcr crjal)lt, auf ben bloßen öudöftaben bcr ©^rift. Snbcm
fie alfo fid) auf ba^ Sorbilb ber «poftel flufttcn, jogcn ftc ate
$rebigcr um^er o^ne Stab, Sc^u^c, Zafc^ unb @clb; tt)ci( bcr
^crc gefagt ^at, bag bic Spoftel, wad i^ncn in^ D^r geraunt
fei, Don ben Xac^cm prebigen foHcn, ftiegen fie auf bic ©Seiner
unb prebigten Don bort: ba man mit bcn ftinbcm ju ftinbem
werben follte, fo bcnaljmcn fie fic^ finbifc^; tiwil jur ©cmcin*
fc^aft mit S^riftuS gct)ören foH, \>a% man äBeib unb JHnb, $au8
unb ©cnMrrbc ocrlaffc, fo mürben fie fianbftrcid^cr unb ließen
fic^ üon bcn Örfibem unterhalten. (Sine ocrmanbtc @ruppc, bic
^abgcfc^icbcncn gciftlic^cn laufer" wollen nid^td mc^r mit bcr
SBclt gemein ^aben, machen beSt)alb ätcgcln über Stoff unb ^o^n
bcr Älcibcr, über (Effen, Irin!en, Schlafen, Stehen unb @c^;
wo fic^emanb lac^n fc^cn, rufen fie aud bem (£t)angclium SEBe^c;
ebenfo fd)euen fie alle ^odjgcitcn, greubenma^le, ©cfang unb
Saitcnfpiel; baju Dcrwcrfen fie Öünbniffe (Scrbrüberungni, ®\U
ben), in benen man mit ocrfc^icbcnartigcn SKenfc^cn jufammen»
trifft, unb \>a^ Iragcn uon SSäaffcn. Soll man wirflic^ bicfc
Slbfonbcrlic^fcitcn, bic if)rc^ ©Icid^cn in ber Äirc^cngcf^ic^te nur
an bcn ä)^onomaniccn unter bcn rufftfc^cn gutgläubigen ^ben,
ald folgerechte 5<>^U<^6ww9 ^^^ ^on 3^*"fl'i eingcfc^lagcncn Wic^
tung anfcften? SWan foll ju bicfcr ännal)mc gejwungcn werben
burd) bic ficgcnbc, bag 3^*^91^ flcrabc bad „formale ^ßrincip"
in feiner Slcformation t)orl)errfc^cnb befolgt l)abc. 3)?an fann
fic^ aber an ben wiebertdufcrif^cn gfolgerungcn auS bemfclben
Dorgeblid)cn $rincip überjcugen, bag bad wirflic^ £ebcn fic^
/
27
nicmate in folc^cm cicnbcn ©^ema betDcgt 3)ie 5liific^t ßtüincili'^
unb bic feiner wiebfertäuferifc^en ©egncr öom S^riftcntl^um finb
im tiefftcn ©runbe öerfd^icben, in bem äJiafec olö jener öon ber
fat^oUfc^en Scben^form fid^ entfernt, bicfe aber fid^ bem ceremo*
nialgefelflic^en ß^flc berfelben anf bo^ näc^fte anfd^lic&en. S)a§
nun beibc i^re gerabe cntgcgengcfefeten Änfprüdie auf bie SScr^
binblic^feit beg JBorteö ©ottcö unb ber ^eiligen ©djrift ftüfecn,
loeift barouf ^in, ba§ biefe 3nftanj nid|t crft für bic SReformo*
tion Sut^cr'ö unb ßwingli'j^ c^arafteriftifd^ ift, fonbcrn an^ in
anbercn SBeftrebungen mitgefpiclt ^at; unb bereu ceremonialgcfcft*
lid^cr 3n^alt Iä§t üermutl^en, bo^ fie im äRittetalter njurjcln.
%qA efftatifd^e unb infpirirte auftreten ber anbern ©ruppe
Don äBiebertäufem ^at ebenfaOd nidjts gemein mit ber perfön^
liefen ^eil^emig^eit, mel^e ber ©laube aud ber 9lec^tfertigung
burd^ C^riftuig gcn^innen foD. SJielmel^r ftel^en jene pat^ologifd^en
(Srfc^einungcn, weld^c bie njillfürlic^ften, mert^lofcftcn ober freöel*
^afteftcn Antriebe ote göttliche Sefe^le barfteUcn, im äugcrften
8(bftQnbe Don ber 2)emut^ unb ®ebu(b, mic Don ber Xreue im
berufsmäßigen $anbeln, in benen fic^ bie cDange(ifc^e $ei(Sge^
loig^eit barlegen mirb. S)er ibentifd^e Sn^att aber, meldten bie
SSiebettSufcr in e!ftatif^er (Erregung auSfpred^en, nämlid^ bie
Slä^e ber SBieberfunft ß^rifti unb feinet ©eri^tcS jur 5luf^
rtc^tung feined Steid^ed, ift jn^ar ber SSorauSfegung Dom na^en
SSeltenbe ä^nltc^, h)elc^e bie Sßirffamfeit Sutf)er'S unb feiner
@enoffen begleitet; biefer Umftanb ift aber niemals Don ben*
felben atö ein befonberS mid^tigeS @lieb il^rcS SoangetiumS,
gefc^meige benn, toie bei biefen SBiebertäufern, olg ber ^aupt*
in^alt unb atö baS leitenbe 3RotiD ber 93ugprebigt geltenb ge«
mac^t h)orben. Sfftafe unb Snfpiration finb nun fold^e Srfc^ei^
nungen, bie a($ mögliche SSir!ungen aSfctifc^cn ficbcnS i^re ^tu
mat^ Dielme^r im ä)iön(^t^um unb eine be[onbere 9ld)tung inner«
^Ib bed aRittelaltenS befi|en. S((fo aud) biefeS ajeerfmal ber
SBicbertäuferei ttjeift auf baffelbe gelb ^in, wie bie bisher beur*
t^lten Umftänbe. 2)ie efftatif^e Stnfiinbigung ber naiven äBie«
bcrfunft S^rifti finbet ebenfaOd i^re Slnalogieen im ^Mittelalter;
i^r befonberer Ort aber toirb im njcitern SSerlauf biefer Unter::
fuc^ung nad^gemiefen n^erben.
2)ie SBicbertäuferei entfpringt überaO im ©c^ooge ber $anb«
toerf trcibenben ftäbtifd^en l^cDötferung. ©ie ^at freilid^ au4
28
maixdjc Stkxitcx unb äßönc^c für fic^ getponncn, bcrcn öilbung^*
grab btcfclben jur gü^rung bcr 5ßartci unb jur SJert^eibigung
i[)rer ©runbfäfec burc^ SBort unb ©c^rift befähigte; inbcffcn ift
bicfe rcformatorifc^c öetüeguug im ©runbc unt^cologtfc^. 2)cnn
an \\ä) [inb bic j. 3J. burc^ Sarlftabt unb 3)cncf Vertretene mt):=
ftifcf)c Ideologie unb bic allgemeine lenbcnj auf bte §erftcQung
ber öorgcblid^en apoftolifd^cn ©tufc ber d)riftlic^en ©efeUfd^aft
gänjlid) glei^gültig gegen einanber. 9iun fte^t ja frcili^ bie
2)it)ftif in bcm SRufe einer befonberiS na^en S8ertt)anbtfd^aft mit
ber lut^erifc^eu 9fleformatton. Snbeffen ift fie öielmefjr nur bie
prononcirte ©tufe ber tattiolifd^en grömmigfeit, njie fid) im fot
gcnben Slbfc^nitt jeigen mirb. Unb fofern Sutl^cr an jener tl^eo*
logifc^en 9licf)tung eine geitlang I^eil genommen ^at, l^at fie
il)n ni^t auf biejenigen ©ebanfen geführt, burc^ lüeld^c er aiefor*
mator gettjorbcn ift ; öielme^r Dcrf d^toinben bie ©puren ber SK^ftif
in feinen ©c^riften in bem Wla^t, aU fein rcformatorifd)er @e*
fid^tötreiö fi^ abgeflärt ^at. 3)ie Sutl|er eigeutpmlid^e 2lnfc^au=
ung bcö c^riftlid^en Sebenö, tt)ie fie in ber ©d)rift de libertate
christiana vorliegt, ift ber äR^ftif gerabeju entgegengefefet. 2)iefe
lefirt bie SBeltfludjt unb SBeltDerneinung unb fteQt ben SBcrt^
beö fittlid) :: guten §anbetnö unb ber lugenbbilbung meit unter
bic efftatifd^e Einigung mit @ott. ßut^cr le^rt, ba§ bic ^rift*
Uc^c Sieligion jur gciftigen §errfc^aft über bic SBclt fü^rt, unb
ftcDt ben 2)ienft be3 fittlic^en §anbeln^ gegen bic SDicnfc^cn in
gleichem SBert()e mit jenen Functionen bar, in bcnen bcr 6I)a^
rafter ber SSerfö^nung mit @ott bcftcl^t. ©igcntlid^ ift ja bic 9Jlt)«
ftif in bcr c^riftlic^en Äirdjc ein Slbfcntcr beö SReuplatoniömuö.
S)enn ber Icitenbe ©cbante, ttjcld^er biefer ^^ilofopl^ie unb bcr
aji^ftif gemeinfam ift, nämlidj ba§ @ott nid^t bic SBcIt, ober
ba§ er bic Verneinung ber SBcIt fei, ift bcr StuöbrudE bc^ an
feiner ©runblage Dcrjiücifclnben ^eibent^umö, unb eben bcö^alb
an fid) unterc^riftlic^. 3)ie grömmigteit ferner, toeld^c biefer
©ottcdibcc entfprid^t, n^clc^e bic efftatifd^c ^Bereinigung mit @ott
fuc^t, um fo bic SBclt überhaupt unb bie Sreatürlidöfeit in bcr
eigenen 5ßerfon Jiu Dcrneincn, ift nur mögtid^, tt)enn bie aöfetifc^c
aSerncinung ber förpcrlid^en unb ber gcfcUfc^aftlid^cn Sebingungen
beö mcnfd)li^cn ßeben^ Dorl^ergegangen ift. S)cö^alb lann bie
aieformation Sut^cr'ö, njcld^c bic mönd^ifc^c Äölcfe überhaupt
für ungültig crtlärt, in feiner Sßcrtoanbtfc^aft mit ber SK^ftif
29
fielen. 3a ed fd^Hegt ftc^ gcrabeju an^, bag Sutl^er bad menfd^«
lid^c Sieben nad) bem ®C(jenfQ| ber ©ünbe, für bie tpir öerant:*
tDortüc^ ftnb, unb ber göttlichen @nabe in S^riftud beurt^cilen
le^rt, unb ba§ bie SÄ^ftif bie @elbft6eurti)eilung bc^ äWenf^en
in ben @egenfa^ ber (Sreotürli^feit unb bci^ S(ufge^cnd in ba^
allflemcine, flöttlid^c ©ein ^incinftcQt. 3)ic SW^ftif bietet ani)
nic^t eine ^5^ere religiöfe SCnfd^auung bar, q(^ n^elc^e Sut^er
eröffnet f)at ; unb ßutf)er'^ %t)zoloQk finbet nid^t cixoa i^re folgen
rechte SSoOenbung in ber SJZ^ftif Don Sariftabt unb Don ^encf.
©onbem Sut^er'^ ^eiUprbnung ift Don unDergleidjlid^ l^öl^ercm
S33ert^e afö jene ätoar ^oc^flicgenbe aber unfrud^tbare äRct^obe.
ginbet alfo im Äreife ber SJBicbertäufcr bie mtjftifd^c Sf|cologie
eine ^eimat^, fo n^eift auc^ biefe ffirf^einung barauf l^in, ba§
bie toiebertäuferifd^e ^Reformation i^r leitenbeö SJiotiD auö bem
!at§oIifc^*aöIetifd^cn 6^riftentl)um be^ SÄittelalterg empfangen
^at, tt^elc^em bie äJt^fti! minbeften^ n^al^lDermanbt ift.
fflelc^e^ ift nun aber baS befonbcre ©cbiet beg mittelaltri=
gen S^riftent^umd, aud n^elc^em bie SCßiebertäuferei entfpringt?
Um biefe f^rage ju beantn)orten Or ^at man junäd^ft barauf 5U
ad^ten, ba% biefe Dorgeblic^ gränblid^ere Steformation al^ folc^e
o^ne 3weifel erft burd^ ba^ ©eifpiet ßutl^er'g unb gmingli^ö in
Senjegung gefeftt njorben ift, unb ba§ bie anljänger jener 9lc=
formation mit geringen ?lu^na^men erft burdi bie SRcformation
Sut^cr'd unb ßroingli'^ angejogen ttjorben tt)aren, e^e fie fid^ auf
bie SScrfd^iebenartlgfeit i^rer lenbenjen Don benen bicjer SKönner
befannen. Aber rool^l l^ätten bie Sut^eraner auf fie ben ©pru^
(1 3o^. 2, 19) antoenben fönnen : Don un^ finb fie ausgegangen,
aber fie gehörten nic^t ju uniS. SBo^er alfo xoäxc ju crtlären,
ba§ bie auf legale unb ceremonieHe^ciligfeit unb auf ^erftcDung
eine« DoQfommenen focialen ß^ftanbcS ber Äird^e gerid^tcten
SRenfc^en auc^ nur Dorläufig ßutrauen ju fintier unb B^^^d^i
1) CotneltuS, eief4. beS 9Rfinflenf4en 9[ufr4r8, 2. $anb 6. 10 ff.
fii^t bie 9Bur|eIn ber aBtebertauferet au fe^r an bet Oberflfi4e, namlid^ in ber
Irt, »ie bte Un0eMn)den ftd^ beS burd^ Sutier eraffnften SugangS )ur Sibel
oima^inen. drbfatn, ^roieftantif^e @ecten im Seitalter ber Sieformation
6. 485 Tfit^ ^inoeoen auf bie t)or ber ^Deformation tor^anbenen 9lefte beS
ntUelaltiioen 6ectenttefen8, toelc^e bur4 ben Vorgang Sut^er'S neu erregt »or«
ben feien. Slebo^ iß bicfcft feine beuUi^e «uSfunft.
30
gefaxt l^abcn? ®^ ift ju t)crmut^cn, baß bic 3nftanj bcr ^rebiflt
beö göttttd)en SBorte^, teclc^c bicfe {Reformatoren erhoben, bic
fpQteren SBiebertäufer junäd^ft gctoonncn l^at, tocil biefclbe unter
i^ncn fc^on immer aU bcr I)öd^fte äWa^ftab einer aSerbefferung
bc^ c^riftlic^cn ßcbcnö galt. SBcnn man biefcö öorauöfc^cn barf,
}o ift erllärtid^, ba§ junöd^ft bic $ßrcbigt Sut^er'ö unb ß^oingti'ö
fo fd^ncD bic SSolfömaffcn in ben ©tobten für fic^ getoann, unb
bann toieber öon il)ncn tjcrlaffen ttjurbc, atö eS fic^ ergab, ba§
Sut^cr'ö unb Stoingli'S ^rebigt bcg ®t)angelium§ nic^t ben fielen
einer bcfonbcrn aöfetifc^cn ^eiligfeit fic^ bicnftbar machte, nad^
benen man gctt)o^nt njar bic Scftimmung be^ S^riftent^umig ju
beurt^eiten. 9lun ift bic ,,5ßrebigt bcö ©öangcliumS" aud^ bcr
9Jed^tötitcI für bic ^Reformation bcö Ijciligcn granciöcu^, unb
bicfe l^attc eine t)on Sut^cr'ö SBcftrcbungen ganj Dcrfc^iebcnartigc
2:cnbcnj. S)emgcmä§ füt)rt bic Srage nac^ bcr §erfunft bcr
SBicbcrtäufcr unb 4iac^ bem ©runbc bcr njcc^fclnbcn ©tcQung,
meiere fie aU Änpnger unb alö ©cgner Sut^cr'^ unb ß^Jingli'^
eingenommen l^aben, ju ber Ännal^me, ba§ in ben SBiebertäufem
eine Slcubclcbung ber {Reformation beö l^eitigcn ^ranj auftritt,
ttjclc^c burd^ bic SRad^eiferung gegen Sutfier unb S^i^fl^i onge^
\regt ift. 813 id^ bicfe Unterfu^ung jiuerft in ber g^i^f^^ft
für Äird^eugefc^ic^te (Söanb 2. ^eft 1.) öorlegte, f)aic xd) bicfe
SBcrmut^ung ju ber §t)pot^efc jugefpi^t, ba§ bic aBiebertäufer
birect au3 bem Greife bcr franciiScanifc^cn lertiaricr, inöbcfonbcrc
bcr Dbferüanten hervorgegangen finb. 3^ fonntc bicfe §5po*
t^efc aDcrbingö burc^ leinen urfunblid^cn 85cn)ci3 unterftüften;
inbeffen tooßte id^ mit i^r Vielmehr einen iJi^flc^il^ifl ^^\^^ geben,
toorauf eine (Srforfc^ung ber Urtunben, bic I)tcr cinf^tagen, ju
ad^ten ^aic, ©oQtc nun in biefer Sejic^ung bennoc^ nichts bc*
ftimmte^ ermittelt njcrbcn tonnen, fo tuiU ic^ auf biefer fpccicUcn
§5pot^efe nid^t befte^cn, ba baiSicnigc, tt)orauf c^ bei ber SBieber*
täuferei anfommt, aud^ ol^nc fie anfd^auUc^ gemad^t njc.rben fann.
älfo bic aBiebcrtäufer, bereu grömmigfeit baö mönd^ifd^c
unb ccrcmonialgcfc^lidEic ©eprägc an fic^ trägt, geben burc^ i^rc
Dppofitiou gegen Sut^er unb S^'^Sl^ nad^bem fie erft i^nen
angefangen ^aben, lunb, ba§ fie unter {Reform beö S^riftent^umS
urfprünglid^ etn^aö Slnbcrc^ öerftanben, atö fie bei ienen {Rcfor*
matoren !ennen gelernt ^aben. 3)ic SBicbcrtäufcr finb nun mit
toenigen ?luönal|mcn literarifd^ gebilbetcr SRänner bem nicbem
31
^anbiuerfcrftanb angcl^örifl. S)icfcr ©tanb aber toax bamaU feit
brci^nbcrt gölten ber SBirfungötrci^ bcr in bcn ©täbtcn angc^
ftcbcttcn öcttclorben, unter bencn ber granci^canerorben ber
populärere ttjar. ®ie Settclorben äcigcn frcilid^ im 15. 3o^r^.
allerlei ©puren öon SSerttJeltlid^ung, unb an manchen Drtcn in
S)eutf^tanb geben fic ber njelttid^cn Dbrig!eit bcn Anlaß ju rc:=
formatorifd^cm Sinf^reiten. SlQcin baburd) ift i^re (Sintoirlung
auf baiS aSotf nic^t gcfc^mölcrt tüorben. ©ie lagen bcr ^rebigt
unb bcS^alb auc^ bcr öcfd^äftigung mit bcr ^eiligen ©c^rift ob,
unb behielten baburd^ bic Dbcrl^anb über bcn ^farrfleruö, toetc^cr
ungebilbet war unb fd^metgcrif^ lebte. SBä^rcnb fic bicfcn ©tanb
in JBcrad^tung jju fefcen t)crftanben, imponirten fie nacl) bem 3cug*
nig be^ Cra^muö bem aSolte burc^ bcn ©c^cin ber §ciligfcit *).
S33enn man atfo fic^ öorftcllcn foD, ttjcld^e Stnfid^t t)om S^riftcn:5
t^um unter bem nicbcrn SBürgerftanbe in bcn ©täbtcn am SKu^»
gange be^ SJiittclaltcr^ verbreitet gettjcfcn ift, fo fann man an nid^t^
anbcrcö beuten afö an bic ©runbfäfce bcr gtanciScancr, aud^ wenn -
babci bcr Söeftanb i^rcr IcrtiaricrsSongrcgationcn außer änfafe
bleibt. Unb ttjcnn in bicfcn Sreifen auf {Reformation bcr Äird^e
gerechnet würbe, fo fann biefclbe in feinem anbern aK im franciö^
conif^cn ©inne, nämlid^ afö birectc SRcfonn bcr ©ittcn öerftanben
loorbcn fein. 9Kit bicfcr ffirwartung, omnia fore purius christia-
na, fam auc^ @corg SBifect ^) ju Sut^er, um nac^l^er an i^m
irre ju werben, atö bcrfelbc feine birecten 9KaßrcgcIn ju biefem
Stt)cdc unternahm. SCuc^ aQe bic SSor^erfagungen einer aUgcs^
meinen Äirc^enreformation, weldie gegen ffinbe bcö 15. 3a^r»
^unbertd erwähnt werben, unb welche man nac^^er auf fintier
^cjog, finb o^ne Swcifcl im ©inne jener ©noartung ge*
meint. 9lun fommen bic ©ittcn unb bic äbfic^ten bcr SBieber^
täufer t^ciU mit bcr {Regel ber franciöcanifc^cn Sicrtiarier, tl^cite
mit ber erften Siegel bcS Ijeiligen granj fo genau überein, baß
taan hierin einen genetif^en ßufammcnl^ang nic^t t)erfenncn fann.
(fö ift fogar gerabcju auffaQcnb, baß biefe Slc^nlid^tcit öon feinem
Äird^en^iftorifer bi^l^cr bcmerflic^ gemacht worben ift. ®ie „apo*
ftolifc^cn läufcr" JBullinger'^, wcld^e jum ^rebigen unter bcn
aWcrfmalcn au^jic^en, welche Scfu^ feinen 3ilngern (9Rarc. 6,
1) Riefelet, St. 9. U. 4. 6. 290—302.
2) Sgl. meine «b^. Aber benjelben in 3eit|((rtft fUr ITir^engef«. IL S. 390.
32
7—9) üorgcfc^ricben f^at, cntfprcc^cn toörtlic^ bcr Borfd^rift in
ber crften Siegel beS ^eiligen t$tanj 9rt. 14. quomodo fratres
debeant ire per mundam. ß^m Ueberflug gieDt Sullinger an,
bag unter ben apoftoltfc^en Xaufern, n^elc^e bod ^riüateigent^um
aufgeben, „(Stücke neue Sarfüßer, bag Reifet ben S^anci^aner^
mönc^en gletc!^'' n^aren, nielc^e cd für @ünbe hielten, überhaupt
mit @elb umjugefien, n^äf^renb Snbere bem @elbc aU i^rem 9m
tf)etl an ber @utcrgcmcinfc^aft nic^t abgeneigt tparen. ^ie flb*
lefinung jeber Sompctenj bed Staate^ in ber fiirc^e ftä|t ft^
bei ben S^iebertäufcrn auf ben @runbfa|, bag bie Sänften jum
Seiben bcftimmt, alfo ftaatlic^en <Sc^uged gegen Unre^t nic^t
bebürftig feien. 3)iefed cntfpric^t burc^aud ber ?lntt)eifung bci^
^eiligen granj an bemfelben Crte, ba§ feine Srübcr in ber SBelt
fic^ birect nad) fUlattf). 5, 39—42 richten follcn. 2)cmgcma§
Derfte^t man auc^, baß bie ben ^ertiaricrn auferlegte (Sinfd^rän-
fung bed (Sibed unb bed Xragend Don Sßaffen t)on ben Sßieber^
täufern burc^ bad abfolute Serbot bciber überfc^ritten lourbc*
©ie waren genau genug mit ber Sergprebigt belannt, um fid^
unter alle Seftimmungen biefe« (Süangeliumd ß^rifti ju beugen.
3)en S^crtiariern war geringe fileibung Don grauer ^rbe unb
beftimmtem Schnitt in ber näc^ften Analogie mit bcr 3Rönd)^
futte Dorgefc^rieben, unb bie I^eilna^me an loeltlid^en Vergnü-
gungen verboten. Son ben „abgefc^icbcncn geiftlic^cn SÄufem"
berichtet nun SöuDinger, baß fie, um ber SBclt nic^t gleichförmig
ju fein, „gleich ald ein neuer äKönc^dorbcn" Siegeln über bie
Äleibung geben, unb alle SBcjcugungcn Don greube unb Reiter*
feit rügen. Sllfo in allen bicfen S8ejiet)ungen fpringt bie Sben^^
tität ber njicbertäuferifc^en Sieformation mit ber be3 t)eiligcn
tJranj in bie Slugen. I)abei ift aber noc^ ein ^unft fe^r le^r«^
reic^. Slld bie ?ßartei burc^ i^re fc^roffe Ablehnung bed ©bed
unb bed SBaffengebrau^ed if^rc ©Eiftenj im ©taatc auf ba§ ©piel
fefete, ^ai ber fo überaus cinflußreid^c SReld^ior §ofmann bie
Serpfli^tung gegen ben ©taat in §infic^t bed 6ibed unb beö
SBaffengebrauc^eS wieber anerlannt ; t^atfäc^lid^ ging er in biefer
öejie^ung auf bie ©nfc^ränfungen jurücf, welche ber Siegel ber
francidcanifc^en lertiarier entfprec^en.
äWan ift n)of|l berechtigt, aud allen biefen SÄerfmalen ber
Uebereinftimmung barauf ju fd^ließen, baß bie SBiebertäufer f olc^e
?ßerfonen finb, welche Don bem francidcanifc^en Sbeal beg 6^ri*
V
33
ftent^umg erfüllt toarcn, aU fic in Sut^cr unb S^i^flli bie Dr=
(jane bcr cntfprec^cnbcn Äird^cnrcform ju erfenncn glaubten, ©ic
^abcn fic^ bann gcnöt^igt gefeiten, bic {Heformotion bcg f)eiligcn
granj loicbcr oufjunc^men, na^bem fic fic^ in bcr ©rnjartung
gctäufc^t fanben, bofe jene äWänner c^ auf bic Steigerung bcr
«ölcfc für ba^ d^riftlic^e SJolf abgcfe^en Ratten. 3Jiit jener §t)=
pot^cfc ftel)t nun aud^ in @inflang, bag bic aSiebcrtäufcr faft burc^«
gängig bic SBicberlunft (Sf^rifti unb bic Slufrid^tung feincö irbifd^cn
taufcnbiä^rigcn JRcic^eö Derfünbigtcn. 35ie SSerän^cifelung an bcr
©cffcrung bcr ß^riftcn^eit burc^ bic regelmäßigen SKittel bcr fitt*
lid^cn Crjie^ung, wcl^c hierin au^gebrücft ift, ftcllt iunäd^ft
einen cigcnt^ümlic^en ßwfl i>c^ ?lbneigung gegen bic SBclt bar.
2)ic Icitcnbe Sorftellung baüon ift bie, bafe bic öeftimniung beö
S^riftent^umd nid^t fei, bic fittlid^en Drbnungen bed £cben^ in
bcr SBcIt ju ibealipren unb übernatürlich ju orbnen, fonbern
ba§ bic regelmäßige Drbnung be$ fittlid^cn fiebenö in bcr SBclt
unb bic Stcgcl bei^ S^riftent^umd fic^ gegenfeitig auSfc^liegcn.
®icfe^ nun ift auc^ bic ©runbaufd^auung aller mönc^ifd^en ^^^
fcfc innerhalb ttjic augcrfialb ber Sloftermauern. 35ic bringcnbc
©npartung cineö gcnjaltfamcn Srud^cö aller mcnfd^lid^cn Drb*
nungcn burc^ bic SBiebertunft K^rifti lägt alfo tpicbcrum auf
bcn mönc^ifc^cn Untergrunb bcr ttjicbertäufcrifc^cn 5ßartei fd^licßcn.
9lun fte^t aber, ttjic e^ fc^eiut, mit bem angegebenen ©cfidjt^«
punfte ber Umftanb im SBiberfprud^, bag bod f^crrlic^c dicid)
ß^rifti auf ber @rbc, alfo unter bcrgortbauer ber Söcbingungcn
bcr SSäclt eintreten foll. Snbeffen biefe gorberung entfpringt
aus bem anbern ajtotiüc bed mittelaltrigen St)riftcnt^umd, aud
bcr auguftinifc^ ' gregorianifc^cn SorauSfe^ung, bag baS 91eic^
@otted burc^ ct^ifc^ «politifc^c Drbnungen auf ber Srbe ^eimifc^
werben muffe. 35cr SBiberfpruc^, ttjcld^en wir jwifc^cn bem mön»
ci)ifc^cn ©runbfafte ber aScltflud^t unb bem ^ierard^ifd^cn @runb*
fafec ber politifc^cn Scficrrfc^ung ber SBclt unb bcö ©taate^ cr^
fennen, \)ai ba8 beibcö jufammenfaffenbc ©t)ftem bei^ abenblän^
bifc^en Slatf)olicidmud nic^t unausführbar gemad^t. (£S ift aber
nur eine äWobification biefcr ©t)nt^cfe, baß bic SBicbertäufcr in
i^rer mönd^ifc^cn lenbcnj jwar an bem Dcrttjcltlic^cn l^icrarc^i*
fd^n ©Aftern beö ©tatt^altcrS ß^rifti Dcrjnjcifeln, aber bafür
auf baS irbifc^c Sleid^ ß^rifti felbft als auf eine auSfül)rbarc
©eftaltung beS ^riftlic^cn SebenS rechnen. 3ft bcmgcmäg feft-
I. 3
34
geftcHt, bag in bicfer (Srtpartung gcrabc mittcIaUrigc Sieben^
motiüe fortoirlcn, fo tpcift bie bcfonbcrc ?lugprägung bcrfclben
toicbcrum auf bcn ©oben Ijiu, tvclc^er burd^ bie bcfanntc Dppo*
fitionöftellung bcr granci^cancr*©piritualcn befruchtet fein toirb.
S)iefelbe ift freiließ tjerftummt, feitbem bie DbferUanten burdö ba5
ßoncil ju ßonftanj legalifirt roorben finb; ja e§ jeigt fic^ im
15. ^aJ)x\). eine burc^ge^enbe einträchtige SBec^felbejie^ung ^tou
fc^en bem Sß(4)ftt^um unb bem granciöcanerorbcn. Allein e^
tpirb Don @raömu§ bcmerlt, bie SBettelorben fümmertcn fic^ um
ben 5ßa))ft, fotDcit eS if)ncn SJort^eil brächte, im umgefc^rten
gaHe gelte er if)nen nur fo biet als ein Iraum^). ÜWan ttjirb
nun anjunel^men fiabcn, bag biefe innere Unabpngigfeit t)om
Sßapftt^um unter ben granci^canern [tarier unb tueiter Derbreitet
toax, al^ unter ben mit ber Snquifition beauftragten, alfo bem
^a^ftt^um enger üerbunbenen 3)ominicanern. ^ied n^irb aud^
baburd^ beftätigt, bag Sutf)er'ö auftreten gegen bcn Sßa))ft einen
großen Slnflang bei ben gtanciöcancrn fanb. Db biefe Änjie^
[]ung me^r burd^ bad @oangeIium Don ber freien @nabe @otte§
unb Don ber Sied^tfertigung im @Iauben, al& burd^ bie Siiige
ber aSerttjeltlic^ung ber Äird^e unb beg ?ßapftt^um§ t)erbeigefü^rt
mar, ift ju bejtoeifeln. Siegen fic^ nun aber bie burc^ bie man*
nigfodtie @innjirlung ber granci^caner afficirten §anbtt)erfer burd^
Sut^cr an bie aSeriüeItIid)ung ber Äirc^e unter bem ^a))ftt^um
erinnern, unb madjtcn fie bod^ an Sutfier'ö Sieformation bie (Sr*
fa^rung, ba§ aud^ biefe bie SJertoeltUc^ung ber Sirene nic^t ju
bred)en üermod^te, fo ift eö fel^r erflärlic^, baß fie in if^rem aöfe*
tifdjen JReformbrange auc^ njieber ben 3"8^"9 ä" ^^^ ffirinne=
rung an baö enjige @oangelium fanben, beffen §tuöfü^rung um
fo näl^er bcUorjufte^en fd)ien, je beutlii^er ber rettungslos anti^
d)riftlid)e ß^aralter ber Sirene in bie äugen fiel. ?lllerbingi3
bilbet nun nid^t baS eroige ©oangelium auS bem ^eiligen (Seifte,
fonbern bie fi^tbare SBiebcrfunft ß^rifti felbft baS ©d^lagroort
bcr Sßartei im 16. 3af|r^unbert. Snbeffen ift bod^ in ben joa^
c^itifc^en Suchern aud^ bicfer ?lu§brudf Uertreten ^) unb ol^nc ßroei-
fei roar biefe Slufd^auung ber äpofal^pfe ))opulärer atö bie beö
croigen ©Uangcliumö auö bem l^eiligen ©eiftc. Unter bicfer 3Ro^
1) Sgl. (Stefeler, P. ®. II. 4. 6.802.
2) $9(. iReuter, ^ufüörung im ^H. II. 8. 3G4. 9löte 17.
35
bification alfo ift bic ©rtuartung bcr SBiebcrtäufcr xüdji^ onbcrcä
atö bic Erneuerung beö ©türmet ber franciöcanifc^cn ©))irttualcn.
©nblid^ finbct and) bie Söetfieiligung t)on SBiebcrtäuf ern an bcr
m^ftifd^cn 3;^coIogic i^re üoHc (Srllärung barau^, bog bie Sßrebigt
, t)on ©cnoffen ber SBcttelorben bie mt)ftifd)e grömmigleit auö ber
Pflege ber Älöfter in bie ©emeinbe l^inauögetragen f)at. SSäenn
bie SBiebcrtäufcr fold^cn güljrern anfiingen, tod6)e bie ©elaffcn*
l^eit in @ott ate bie f)öc^fte Slufgabe rühmten, unb tDcnn fic
(Sfftafen unb SSifionen nid^t nur erfuhren, fonbern in il^nen bie
Snipulfc @ottc^ ju üeme^men glaubten, fo gaben fic baburc^
lunb, ba§ fic Don jcl^er unter beut ©influffe aud^ ber m^ftifc^en
Ucbcrliefcrungen geftanben l^aben, tpcldic t)on ben SJettcIorbcn
an xf)xt bcfonbcren ©emeinben übergegangen finb. 6^ ift atfo
nic^t^ unter ben leitcnben ©cfic^ti^punlten bcr SBiebcrtäufcr, toai
fxä) nid^t auö ber ©intpirlung ber Söcttelorben, fpccieU bergran^:
ci^aner, auf bic nieberen SSoIföflaffcn in ben ®täbten erllärt.
S)emgemä6 ift bic Don ben SBiebertäufern unternommene SHcfor^
mation, äugerlic^ angefe^cn, cntfd^icbener unb üoUftänbiger atö
bic Don fintier unb ß^oingli. 35enn 2utf)er f)at birect gar nid^t
eine JRcform bc^ d^riftlid^en Scben^, fonbern eine SReform ber
fic^rc unb bcd ©otte^bienfte^ foioie bc^ fic^rftanbeö bcjtoedEt unb
auf bic SBcrbcffcrung bcö Sebenö nur inbirect l^ingetoirft, inbem
er rid^tige ©runbtagen bcr fittlid^en @rjiet)ung fcftfteütc. 3^^i"9li
frcilid) ^otte c^ birect auf Scffcrung bcr ©itte abgefcl^en, inbem
er bic cinfc^ränlenbc {Hcd^t^gctoalt bcö ©taatcö mit ber anrcgcn-
bcn SWac^t bcr ^rebigt Dom ©tauben unb Dom ©c^orfam in
Scrbinbung fcftte. Aber ttjcr fann bei jenem günftigen Urt^eil
über bic SBiebertäuferei fteficn bleiben, locld^c bic Sefferung bc^
d^riftlic^cn fiebcniS auf bic SBcUflud^t unb bic SScrad^tung ber
©taat'Sorbnung ftüftt, mcldjc ©ütcrgcmcinfd^aft unb ©c^nitt bcr
Älcibung Dorfc^reibt, welche §citcrfeit unb grö^lidjfeit Dcrbietet,
unb rocldjc burd^ bie cingcbilbctc ©ünblofigtcit I)inburd^ ben SBcg
äur grunbfäfclic^en greil)eit bcö glcifdjcö toeift? ®enn jene @runb=
fä^ finb auf gerabe cntgcgengefe^te ßicic gerid^tct alö bie ?lb==
fiepten 2\xtf)cf^ unb ß^ingli'ö, unb bic antinomiftifd^c ^ctjrfcitc ift
fein jufäQiged Sntjängfet bcr ganjen iRid^tung. SBcnn übcr{)aupt
bie Siorm be^ c^riftlid^cn ficben^ burd^ a^Ictifdjc JRcgeln in fta*
tutarifc^cr g^rm erreid^t toirb, bann mag man fid) burd^ bic
Sorberfcitc bcg toiebertäufcrifc^cn SRcformbrangcig imponiren laffcn.
36
SBcnit aber baS d^riftlid^c ScBcn auf bie S^otalität bcr S^araltcr^
bilbung quo bcm ©efefec bcr ^^eil^cit angetüicfcn ift, bann ift
bcr geiler bcr mönd^ifd^cn nnb ftatutarifd^cn Haltung bcr Sffiicbcr^
täufcr außer ß^^cifcl. 3)aran aber erprobt e§ fic^, bag bicfe
{Reform nid^t bie grünblidjere unb öoQftänbigere, fonbern bag fic
Icbiglid^ anbcrcr, ja entgcgcngcfefeter Slrt ift ate bie üou fintier
unb 3^i"8l'- 35iefeö ©rgebnig toirb nun üoUftänbig aufgeüärt
burd) bie SBal^rfd^cinlid^Ieit, bag'bie SBicbertäuferei i^ren Urfprung
au§ bcm Sercid^c bcr franciöcanifd^en SRcform genommen I)at.
®cnn bcr ©cgcnfafc jtoifd^en biefer Sicform unb bcr fiutl^cr'ö ift
feftgcftcHt. SlUcrbingg l^abcn nun bicj|cnigen, toeld^e nad^Ijer alö
SBiebertäufcr auftreten, inätrifd^cn ju ben Slnl^ängcrn Sut^cr'ö unb
ßtvingli'ö gcljört. 9lber aud^ bicfe @rfd^einung ftört bie aufgc*
[teilte $l)pot^efe nid^t. 3)cr Slnfd^Iug jener aölctifd^ geftnnten
§anbtoerfer an fiut^er unb S^^^Ö^i ^^^ nämlid^ barum möglid^,
tt)cil bie 3nftanäcn bcö göttlid^en SBorteS unb bcr j^ciligen ©(^rift
für bie Sln^ängcr ber franciöcanifc^en {Reformation ebenfo ma^^
gcbenb n^aren, ttjie für fintier unb ß^i^flli- greilid^ finb jene
Sluctoritätcn auf ben bciben SReformationSftufeu in ganj ücrf^ic*
benem ©inne Dcrftanben, unb ein entgcgcngefefctcr ficbendinl^alt
au§ i^nen abgeleitet toorben. §attc fid^ alfo bie aölctifc^ gefinnte
äWaffe ber ftäbtifd^en ^anbtoerler juerft burd^ bag ©d^Iagtoort
ber {Reform aug ©ottcö SBort auf bie ©cite fiutl^er'ö unb Stüingli'ö
jicl^en laffen, fo l^abcn fic al^balb fid^ üon bcnfclbcn abgett^enbet
unb ben SBcg bcr SBicbertäuferei eingcfd^Iagen, alö fie i\)x aölc*
tifd^cg Sbeal bei jenen {Reformatoren nid^t tt)icberfanben. Unter
biefen Umftänbcn ift cö and) crflärlid), ba§ bie bloö formale
9Iuctoritat bcr f|ciligen ©d^rift, njcld^e auf bciben ©eiten \)cx-
fd)icben ausgebeutet tourbe, ben ©treit nid^t fc^Iic^tcn lonnte.
S)eö^alb ift bie @ntfd^eibung ju Ungunftcn bcr Sffiiebcrtäufer
burd^ bie ©eioalt ber Dbrigfeiten Ijcrbcigcfü^rt toorben.
4* $tat^oItcii»tnttd unb ^roteftanttötnui»*
SBcnn bie Stuctorität bcr ^eiligen ©d^rift gleidEijcitig in cnt=
flcgcngcfc^tcm ©innc Don unferen {Reformatoren unb Don ben
Sffiicbcrtäuferu angerufen toorbcn ift, fo ift fc^on I)icrburd^ angc-
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jcigt, bog toir bic ©igent^ümlid^Icit uufercr Scformation tucbcr
crllärcn uod^ jurcid^cnb bcjcic^ncn tonnen burd^ bic gcbräud^lid^c
gormcl Don ben beibcn 5ßrincipien bcrfclben. ^a^ fogcnanntc
formale 5ßrincip, bie auöfc^Iieglid^c Sluctorität bcr ^eiligen ©c^rift
für ©tauben, Scbcn unb tJ^eoIogifd^c ©rfenntnig ift ^Dirflid) aud)
fc^on Don bem franciöcanifd^en Drben^tf|cotogen 2)nnö ©cotuS
anerfannt ttjorben ^). S)aj3 bie I^ologic ber granciöcaner fic^
bennoc^ fc^r ftarf bcr fird^lid^en S^rabition annimmt, Verringert
bic SBcbeutung jener S^^atfad^e ebenfo tpcnig, ald bic 3JicngcUon
firci^Uc^en Uebcrlieferungcn, tpclc^e bic eUangcUfd)c Ideologie üon
Anfang an fortgepflanzt ^at, ben SBcrt^ i^rer grunbfäfcliciöen
®d)ä^ung ber l^ciligen ©d^rift beeinträchtigt. 35un§ aber ift
burc^ biefe 9lnfic|t ni^t als öerfprengter Sorläufcr fiut^cr'ä be*
jcici^nct, fonbern atö ber' Vertreter ber reformatorifd^en Kic^tung
feinet Drbenöftifterö. S)er gleid^c ©runbfafe ift alfo bei fiutl^er
unb feinen ©enoffen erft baburd^ ju fpecififd^er SBcbcutung gc*
lommen, bag fie bie Dominicaner unb i^omiften fid^ gegenüber
fanben, unb ba§ beren @Icid)fteIIung ber Irabition mit bcr
©^rift in Orient 5um ©runbfa^ ber lat^oUfc^cn Äird^c erhoben
lourbc. aSicl mel^r ?lnfprud^ auf urfprünglic^c Sebcutung für
bie Deformation beö 16. ^a\)xf), barf bag fogcnanntc materialc
^rincip, bic Se^rc t)on bcr Slcc^tfcrtigung bur^ ben ©laubcn
ergeben. 35enn locnn aud^ biefer ©cbanfe fc^on uor Sut^er,
j. S. Don bem l^ciligcn Söernfjarb *) auögcfprod^en toorben ift, fo
ift bicö nur jufäniger SBcife gcfc^e^en, o^ne ba§ bamit bic Dppo*
fition gegen bag latl^olifd^c ©^ftem üerbunben ttjar, burd^ toeld^c
bic ßc^rc fiutf)er'ö bebeutfam getoorben ift. 8lbcr ein fic^rprtncip
fann in bem ©afee nid^t nad^getoiefen toerben, fonbern nur eine
d^rafteriftifdt)c Folgerung aud bem $rincip bcr göttlid^en @nabc,
mld)c in SBcrbinbung mit anberen (Srfenntniffen über bic
Siegelung unb SBcrt^bcftimmung bed d^riftlid^en Sebend an biefcö
©cbiet junäc^ft I)inanreid)t. ©o ttjic bic gormcl Don ben bcibcn
^rincipien bcr Slcformation gel^anb^abt ju toerben pflegt, brüdEt
fie eine uniurcic^enbc ©d^ä^ung biefer (Spod^c mad^enben @r[c^ct^
1) In Hbr. sentent. (opus Oxoniensc) Prologi Qa. III. 14: Sacra
Scriptlira sufficicnter conti net doctrinam neccssariam viatori.
2) Sermo in Cantica cant. XXII. 7. 8. 11. Sgl. Gtubien unb Stxu
iifm 1879, 2. ^ft 6. 320.
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nung auö. Tlan tann fic^ nämtid) fjicrbci nur beulen, ba§ bic
JRcformation Sut[)cr'ö unb bcr ?lnbercn eine neue ©cftalt t^co*
Iogifd)cr ©djule inö fielien gerufen, iebod) nic^t, ba§ fie eine
neue ©tufe d)riftUd)er Scbenöfüfjrung in§ SBäerf gefegt ^abe.
S)aju lommt, bag bie gormcl in fcl^r anfälliger SEBeife, ol^nc
umfaffenbe Ucberlegung ber X^atfad^en jufammengeftümpcrt ift >).
S)a^, njQö in i()r mit SRed^t gemeint unb gefud^t ttJcrbcn fann,
^at ©c^Ieicrmad^cr *) auögefprod^en, nämlid^ bafi innerl^ölb bcr
8lbtt)cid^ungcn unter bcn cüangetifdjen Ideologen bie Slncrlen*
nung bcr beiben ©ä^e ba^ SDiinimum fei, tt)aö 6inem jugemut^et
ttjcrbcn muffe, um als cUangeUfd)er X^colog ju gelten.
35ie ©igent^ümlid^tcit bcö lirdjlic^cn ^roteftantiömuS, b. ^.
beSienigen, toa^ in bcn ©tiftungcn fiutf|er% 3^i"9^^'^ ^"^ ^^^'
Uin'ö gemeinfam ift, gegenüber bem lateinifdjen föat^oIiciSmuö
lann unter SSorauöfefcung ber gcmcinfamen aWcrfmalc bcö abenb«
länbifc^cn S^riftentl^umS nur in brei Sejiel^ungcn auSgebrüdt
ttjcrben. S)aö ift ber 3nl^alt bcö ScbenSibeafö, ferner bie ©c^äfeung
beffen, njaö an ber d)riftlid)cn ©cmeinfdjaft bic §auptfad^c ift,
enblid^ bic Scurt^cilung bcö ©taateS im SScrl^ältnig ju bcr rcü*
giöfcn unb fittlic^cn ©emeinfc^aft am S^riftent^um.
SBcnn bie SRcformation bc^ 16. Sa^r^. lein Sbeal bci& c^rift*
lid^en ScbeniS aufjcigte, bann tüürbc man in großer Scrlcgcnl)cit
fein, i^r eine @podje mad^enbc 93cbeutung unb ein baucrnbcS
SRcd^t gegen bie fat^olifd^c Slrt unb ©tufe beö 6()riftcntf)umS ju
fidlem. 3)ann lüörbc nad) einer brcirjunbcrtjäl^rigcn ©efc^ic^tc
fortfd^reitenbcr S^i^fplittcrung i()rcö ©cmcintücfcnö ber ©laubc an
il^re ©cUJä^rteiftung burdj ®ott b\^ auf bcn ©runb crfc^üttcrt
tücrbcn. ®aö fatljolifd^e S^riftcnt^um I)at fein ficbenSibeal in
bem aÄöndötf)um, in ber SScrbinbung bcr über (Sotteö aUgc-
mciuci^ ©cfcfc ^inauögreifcnben üciftungcn bcr Slrmutf), ber
Scufd)]^cit, bcö ®ef|orfümi3 (gegen bic Drbcnöoberen). 3n bicfcn
lugenbcn crrcidjt man, tpic e§ ^cißt, bie im ß^riftent^um bar*
gebotene übernatürtid^c Söcftimmung bcr SÄcnfc^cn, ttjcl^c in
i^rer urfprünglidjcn ©rfc^affung nic^t üorgcfeljcn toar; man tritt
1) SSqI. meine ^b^. «Uebec bie beiben ^nnctpien beS $rote{lanttS«
muS* in «rieöet'S geitld^r. für Pird^engeWid^te I. 5Banb. @. 897-413.
2) Ueber ben eigent^Umlid^en lEBett^ unb ba§ binbenbe ^Infe^en f^mbo-
lifc^ec md^tx (1819), 20ec!e^ur Zi)tol SBanD 5. 6. 451. ^. a. O. @. 404.
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fo in ba§ Scbcn bcr Sngcl ein; bcr 9Äönd)§ftanb, fo Derftanbcn,
ift bic c^riftUc^c SJontommen^cit. @ö ift lein burc^fc^Iagenber
©cgcnfafe ^icrju, ba§ man im Sßrotcftanti^muS fid^ Don bcr
quontitatiücn Unüollfommenljcit aller feiner ficiftungen burd^^
bringen barf. 3)enn im ®runbc tpirb baö brüben nid^t geleugnet,
fonbern nur öerf d^tciert ; unb bie SBerl? ober ©elDftgerec^tigfeit,
tpclc^c bic öulgärc eomparatiüe ©^mbolif un§ ben Äatfiolilen ju*
jutraucn k\)it, bürfte unter i^nen nic^t Ijäufigcr gefunben tuerben
qIö unter red^tgläubigen unb pietiftifd^en fiutl^eranern. SBcnn
bcr ^rotcftantiömuö gegen baö praltifd^c ©ctpic^t auftommen foH,
tüddfc^ bcr ftatl^oliciömug in jener ©d^äfcung beö aWönd^t^um^
unb in bcr SSerbrcitung mönc^ifd^er grömmigleit aud^ unter ben
fiaicn befiftt, fo muß aud^ er einen SKagftab qualitativer SBoIt
lommcn^eit aufnjeifen fönnen. 5Run baö ift aud^ bcr gaU 0. ©o
toie am ©flnbenftanbe ein ^auptfäd^lidE)e5 3JicrImal bcr SRangcI
an (S^rfurc^t unb an Sertrauen ju ®ott ift, fo befteljt bie SSoH^
fommcn^cit nac^ bcr Seljauptung bcr Slug^burgifd^en Sonfcffion
eben in ffil^rfur^t unb Scrtrauen ju ®ott in allen Sagen be^
fiebcnS; DÖßftänbiger au^gcbrüdEt in S^rfurd^t, SSertrauen ju
©ottcS plfrcid^cr SSorfe^ung, in @ebet unb in bcr treuen ®v-
füBung beö Söcrufcö ^). SluöbrüdElid^ ift babei bic (Sntgegenfefeung
gegen bic fatl^olifc^c ?lnfidjt Dom SRönd^tl^um beabfic^tigt. SHIer:^
bingS ift in fiut^er'd ?ßrit)atfc^riftcn biefer ©cbante nic^t ^äufig '),
1) fß^l. meinen Vortrag über bie d^rißlic^ Sonfommen^eti, 1874.
Se^re t>on ber die^tferiigung unb ^erfö^nung III. @. 573 ff.
2) C. A. II. Omnes homines secundum naturam propagati nas-
ouDtur cum peccato, hoo est sino metu dei, sine fiducia erga deum et
cam Goncupiscentia. XVI. Damnant et illos, qui evangelicam perfcc-
ttouem Don coUocant in timore doi et fide, scd in deserendis civilibus
officiis. XXVII, 49. 50. Perfectio christiana est serio timero dcum et
rursus ooneipere magnam fidem et confidore propter Christum, quod
habeamus deum plaoatnm, petero a doo et certo exspectare auxilium
in Omnibus rebus gerendis iuxta vocationcm, interim foris diligenter
facere bona opera et servire vocationi. In bis rebus est yera perfectio
et Terns caltus dei; non est in caelibatu aut mendicitate aut Teste
flordida«
3) De votis monasticis (1522). Opera lat. ad reform. bist, perti-
ncntia« Tom. VI. p. 254. Perfectionis status est, animosa fide contem-
torem esse mortis, vitae, gloriae et totius mundi et fervente caritate
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unb SKcIan^t^on l^at in feinen £e^rf(!^rtften bemfelben feinen
^lafe eingeräumt. Um fo ttjertfjüoner ift bö6 berfelbe in bcr
Spologie ber SlugSburgifcl^en Sonfeffton nid^t nur me^rmold i^n
f)at anflingen loffen, fonbern i^m aud^ noc^ einmal claffifc^en
Äuöbrurf üerlie^en f)at ^). 3n bicfem ßwfömmen^ang hctD&\)xt
[xd) bie 93ebeutung beS ©a^eS t)on ber Stec^tfertigung auS bem
@lQuben, namlic^ baran, bag aud i()r ber@en7inn bedSertrauen^^
auf @otteS SSorfel^ung in allen Sagen be^ Sebend, n)el(^ed bem
©ünbcr abgef)t erllärt unb abgeleitet ttjirb *). DiefeS ift bic
eigentpmlid^e $robe ber ^erfö^nung mit @ott, ha% man auc^
mit bem Don ®ott geleiteten SBeltlauf, loie fd^toer er unö etwm
fönt, ücrfö^nt tt)irb. hingegen I)at bie Seigre feine birecte 80*
jttjerfung barauf, bie guten SBerle beö ©laubigen ju erllären,
ober fic l^erüorjurufen. Sollte baö beabfic^tigt fein, fo loürbc
bie fatl^olifd^e Se^re Don ber Suftipcation borgejogen »erben
muffen. 3n jenem 3"fönimen^ange aber erf)ellt biejenige prafc
tifc^e Söebeutung ber lut^erifc^cn Sel)rformel, welche pe al8 ben
primus et principalis articnlus erlennen lägt. 9lämli(^ bie
omnium servum. — p. 344. Melior et perfectior est obedientia filii,
conjugis, servi, captivi quam monacbi obedientia . . Igitur si ab imper-
fecto ad perfectum eundum est, ab obedientia monastica ad obedien-
tiam parentum, dominorum, mariti, tyrannorum, adversariorum et om-
nium eundum est. — $on SBeltlid^cr Obtiofeit (1523), SBal^ X. @. 432. Soll'
fominen^eit ober UntooIIfonimen^eit fle^t nid^t mit ben SBerfen, modlet ou^
feinen äugerlid^en Stanb unter ben @:^rtften ; fonbern fte^t im ^er^en, bag man
mel^r glaubt unb liebt; ber ift boßfommen, er fei fiugerli^ ^ann ober 9Beib,
surft ober Sauer, ^önd^ ober Saie. — iS^aufi^oftiOe über ^t^. 22, 34-46.
lEBald^XIII. 8.2029. @in G^rift fprid^t: Soßtommen fein (eigt, ®ott ffir<(ten
unb lieben unb bem 9{ä(i^ften aUe8 ®ute t^un; benn ®ott ^t fonfi nid^tS an«
bereS geboten.
1) Apologia C. A. III, 71. 232. VIII, 25. 61. XIII. 37. Omues
homines in quaeunquo vocatione perfectionem expeterc debent, hoc est
crescere in timore dei, in fide, in dilectione proximi et similibua virtu-
tibus spiritualibus. 48 — 50.
2) C. A. XX, 24. 25. lam qui seit se per Christum habere pro-
pitium deum, is vere novit deum, seit se ei ourae esse, invocat eum,
denique non est sine deo sicut gentes. Nam diaboli et impii non pos-
sunt hune articulum credere, remissionem peccatorum. Ideo deum tan-
quam hostem oderunt, non invocant eum, nihil boni ab eo exspectant. —
Apol C. A. III, 4. 46. 180—182. VIII, 73. 74.
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Sßid^ttgfeit bcrfctbcn giebt ftc^ ouc^ nur bann luitb, tDenu bic
S^riftcn it)rc SSoIKommcn^cit gcrabc iiincr^ötb il^rcö ftctcn SScr^
Uf)x& mit ber SBelt unb in bcn Söcrufcn bcr tüdtli^cn ©cmcin*
fd^aftögcbictc j^ crftrcbcn ^abcn. SBclc^c ©orgcn unb fßcx^
fuc^ungcn jum Slcinmutl^ geben bcnn bcn aj{önd)cn bcn Slnlag
ju bcm bcjcid^netcn ©laubcn an ©ottcö §ulfc, ©d^ufe unb 9ict-
tung au^ Slötl^cn? il^ncn, n)clciöcn bcr l^ciligc Scrn^arb bejcugt,
ba§ ftc baüon frei finb ')• ^^o in bcm ficbenöibcot unfcrcr
3lcformation ftctcn bcr ©laubc an ®ottcö SJorfc^ung ncbft bcm
@cbct unb bic ©c^äftung bcr tt)cltlid)cn Scrufc aU bcö Drtcö
für bic Ucbung bcr fiicbc gegen bic 3Jicnfci^cn in gcgcnfcitigcr
SSäcd^fclbcjic^ung. 35icfc 35eutung bcr tt)eUIi^cn SScrufc ift nun
ebcnfaUö ein fpccififd^cr ©runbfafc be^ ?ßrotcftantiömuö; fic ift
bcr prottifd^c SluöbrudE bafilr, bafe ba^ S^riftent^um nid^t aU
locltflüc^tig, fonbern afö tpcitcrfüncnb unb tpcltburdöbringcnb
aufgefaßt ttjirb. Diefe SJebeutung unb SBirfung tt)o]^nt bcm
©runbfafcc bei, obgleich er Don bcn Slcformatoren nid^t f^ftema^
tifc^ begrünbet unb abgeleitet ift*).
Aber, fagt man, ber SJegriff bcr SJoIKommcnfjcit ift filr bic
^Reformatoren ctxoa^ Untcrgeorbnetcd, ba er iljncn nur burd^ bic
$olcmif gegen bcn gleid^namigcn lat^olifd^en 93egriff an bic §anb
gegeben ift '). ©oH ic^ biefe Scmerlung fo üerftc^cn, bag bcr Segriff
ber d^riftUc^en SBoIKommcnl^cit für bic reformatorifd^e ©cfammtan«
fc^auung beö fieben^ ate fol^c gleichgültig fei, fo lommt bicfer
Se^auptung allcrbingö bic Ifjatfadjc ju @utc, bog bcr ©cbanle
feiten genug an^gefprod^cn toirb. Slbgefe^en baüon aber bünft
mic^, ba§ ttjcnn berfelbe bcn JReformatoren auc^ nur bei ifjrcr
Oppofition gegen bic fatl)olifd)c ©d^ä^ung be^ 9)lönd)tf)umS auS
ber gebcr gcfloffen ift, er baburd^ eine SBcbcutung erften SRangeö
für fic be^uptet. Ober ift bic ffiigcntt)ümlid)Icit bcr Wefonnation
bed 16. Sal^r^. auc^ nur auf ßinem fünfte außerhalb if)rcr
Uebcreinftimmung unb toieber i^rcö ©egenfafecö gegen bcn Sat^o*
lici^muiJ JU Dcrfteficn, unb toirb ni(^t bag äRönd^t^um in biefem
atö bai^ cigcntlii^e S^riftent^um gcltcnb gemacht? SBcr feine fieb*
1) In Cant. cant. sermo XLYI, 2. In monasteriis quiete a curis
vivitur seculi ot sollicitudinibus vitac.
2) gut eabtn toergl. man in ber ftürae Instii. ehr. rel. III. 2, 16; 10, 6.
3) «fixier, in bec Xf^tol SUerduraeitung 1878. 6. 296.
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tage im 19. ^Qi)x\). unBcrül^rt üon lot^olif^cm fie6cn jiigcbrodjt
f)at, mag \xd) baö Urt^eil bilbcn, baß ein bcm SRönd^tljum cnt*
gcgengcfcfeter SBcgriff bcr {Reformatoren für iljn fclbft eine nntcr^
gcorbnete Scbeutung ^abc. Aber für bie bamalige Qext gilt bie§
troft beg cntgcgengefe^ten Slnfi^einö nid^t. Unb mag bic SoII=
lommcn^cit in bcr gormel ber äugöburgifc^cn Gonfeffion noc^
fo feiten auögefprod^en fein, fo ftef)t für il^ren ^nt)alt unb SBert^
junäc^ft bie übereinftimmenbe S)eutung ber SoHfommen^eit ?lbam'§
t)or feinem ^aüc ein, ttjcldje 2utl)er unb Salüin barbieten *) ;
benn ju ber Gattung, n^etd^e $lbam gegen @ott eingenommen
l^at, foll ja bic d^riftlid^e ffirlöfung jurürffüf)ren. SBa^ aber in
ber Sd^ilberung Jtbam'iS ben Umftänbcn gemäß fe^It, nämlic^ bie
Aufgabe, bag man als ß^rift fid^ iunerl^alb ber ttjcltlid^en S3c*
rufe burc^ gutciS ober gcmeinnü^igeS ^anbeln ju bcn)ä^rcn ^at,
f)abcn ferner bic {Reformatoren fo ftetig betont, bag bicfciS äWerf«
mal ber SSollfommenl^cit für bic ©cltung ber anberen Sürgf^aft
Iciftct. 3)iefer ©runbfafc i)at bie ganje ©cfeHfd^aft grünbli(| um=
geftattct, unb er t)at ben fatl^olifd^cn ©egnern j. 33. einem
äBifeel ben Slnlaß ju bcr 93el)auptung gegeben, bag bie {Refor:^
mation bcm @pi!uräi£fmud unb bcm ^eibent^um jutreibc. äSienn
bic {Reformatoren ungead^tet ber S3crn)cttlid^ung im fdl^lcd^tcn
©inne, ttjcld^c fic^ aud^ junäd^ft an bie ?ßrajis bicfeg ©runb^
fa^cS fieftete, niemals an i^m irre getoorben finb, fonbern x\)\i
immer ^od^ gcl^altcn ^aben, foHen wir bann annefimcn, bag fie
fid^ aU ?ßatronc einer cigcnt^mlid^cn UnüoHfommcnfieit beS fitt-
lid^en Sebenö angefe^en ttJiffen tooUten ? ober ^aben wir nid^t fic
in biefcr Scäicfiung ju üerftel^cn ate bie SSertreter unb ?ßflcger
einer eigentl)ümlid^en SSollfommcn^eit d^riftlid^cn Sieben^? 3d^ fefec
ben umgefc^rten gall; bic {Reformatoren l^abcn nur jum 3^^^
ber ^olemil, otine pofitit»eö 3ntercffe an bcr äiufgabe bic JBoIt
lommcnt)eit beiS d^rifttic^cn fiebenö fo gebadet wie eS tjorliegt;
bann ^aben fic alfo auS fid^ feinen antrieb gehabt, ein Sebeni^
ibeal a[S ©anjed aufjuftcDcn, bann ^aben fie alfo nur fragmen«
tarifd^c Scbcnäregcln geben fönnen unb tooHen. hiermit aber
Würbe id^ jugefte^en, bag ber ?ßroteftantiömuö in einem unermeg:^
liefen 9lac^t^eil gegen ben J$atl)oliciSmuS ftänbc, unb müßte um
1) Sutl^er im (Kommentar )ur (SeneftS (^p. 1, 26; 2, 17. 21. Calvin!
Inst. ehr. rel. I. 2.
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meine Swfti^wiung ju icnem bcforgt tperbcn. Ober iä) foU Diel*
leidet annehmen, bag ber bcieic^itctc Sd^abcn burd^ bic im ^icti^«'
mud tpirffam gctDorbcite Srgänjung beS in fic^ unt)oIIfommcncn
Siut^crt^umö au^cglic^cn fei; bann aber tpürbc fic^ ftagcn,
ob nid^t ber lefetc ©c^aben fd^Iimmer ift alö ber erfte. fturj tDcnn
bie fclbftftänbige Sebcutung be^ rcformatorifc^cn Segriffö ber
c^rtftUc^en SoHtommen^eit t)crneint tDtrb, fo fann ic^ nic^t um::
§in, barin bie petitio principii für bie feligmac^cnbc ©cbentung
beg ?ßietiömuö ju crfenncn. allein baö Scben^ibeal ober bi^
eoangclifc^c SSoIIfommcn^eit, toclc^e bie {Reformatoren beljauptet
^aben, be^eid^net bie @igent[)ümlic^feit i^re^ Untemel^menS be-
[onbcrS in ber Slüdfic^t, bag bie Slbftufung jtoifd^en t)oQfommenen
unb unoollfommenen Sl^riften, SRönd^en unb Saien, ober ^ietiften
unb JRic^tpietiftcn burd^ eine Siorm abgefteüt toirb, toelc^c für
8(ne gleid^ gilt, ©etoiffermagen ^at ber l^eitige t^ranj baffelbe
3iel öerfolgt; aber burd^ ba^ entgcgengefefete äWittel, bie mön^
c^ifd^e ^römmigfeit fo üiet aU möglich auf bie Saien au^jubef^nen.
"Shx^ £ofung^n)ort bafür l^atte man im äJ^ittelalter in ber 91efor^
mation nac^ bcm Sorbilbe ber ©emeinbe ju 3ferufalem gefunben.
S)iefe Snftanj ttJurbe auc^ ben ^Reformatoren in SBittcnberg jur
SBerbefferung i^reg Unternel)mcng in ber Sichtung auf bie Stuf^
gäbe ber @itt(id^Ieit burc^ @eorg äSii^el entgegengetragen ^) ;
äRe(anc^tt)on aber ()at mit fieserem Xafte barin bie mönd^ifc^e
9lrt erfannt. @oIIte cd fic^ nun beftätigen, bag ber ^ieti^^muS
ebenfaQS burc^ bie Snftanj bcä SSorbilbcS ber ))rimitit)en jfirc^e
getragen mirb, fo ift äReland^t^on'd oenoerfcnbed Urtl^eil gegen
äßi^l ebenfo beac^tendtoertl); aU ed ben befanntcn @cbanfen
t)on ber c^riftlic^en SSoQfommenficit üorauSfe^t.
2)er jtoeite $auptpunft in ber SScrgleid^nng jmifd^en ^at^o«
liciSmud unb ^rotcftantidmud ift bie ^eftimmung bcd SScr^ält::
niffed gtoifc^en ber religiöfen unb ber red^tlic^en @cmeinfc^aft,
tfs>dd)e {ugleic^ unter bem Xitel ber Jiirc^e jufammengefagt finb.
2)ec fat^otifd^e @runbfa|} hierüber lautet bat)in, bog biefe beiben
Schiebungen fic^ burc^aud beden, bag cd feine rcligiöfe t$unction
c^riftlic^er 9lrt gebe, tocld^e nic^t in ben Stammen ber iRcc^tdorb:»
nung ber abenb(änbifd^en ^irc^e {lincinfäQt, unb bag biefe ^Icc^td-
1) Sfll. meine fib^. »deorg SBttel'S fibfe^t k)om Sut^t^um'. SetlMr.
ffit ftir^enaefc^t^te 11. 9anb @. 386-417.
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orbnung bic bircctc ®ma\)x für bic rid^tigc Uebung, ©rl^attung
unb gortpflanjung aller rcUgiöfcn Functionen in ber ©emein*
fd^aft leifte. 35emgcmd§ lönnen abttjed^fclnb jebc bicfcr Sejieljungcn
ote ber 3^^* ""^ bi^ anberc alö ba^ äl^iittel gcltenb gemacht
tuerbcn. Allein im ?ßroteftantiömuö gilt bie gemeinfame 9ied^tö=
orbnung ber Jfird)c unbebingt nur aU bag äWittel für bie ©cmeinfam^
feit ber religiöfcn Il^ätigfcit, ober biefe tpirb ftetö bal^in bcurt^eilt,
bog fie über ben iRal^men ber Sfled^tSorbnung ^inau^get)!, unb
niemate Don berfelben gebedt ttjirb.
©ritten^ wirb ber ©taat üom fiatf)oticiömu^ entttjebcr ofe
bie gorm ber fünbigen Sffielt ober aU @otte^ Orbnung in ber
Söcfc^ränlung üerftanben, bag er ber ürd^Iid^en Sled^töorbnung an
SDäert^ nad)ftcl^t, unb fi^ ben Slnfprüd^en berfelben unbebingt ju
fügen f)at. 3m ©inne beö 5ßroteftantiömug ift ber ©taat ale
bic atec^töorbnung beö menfd^lid^en §anbetn^ ein @ut, tüelc^eS
ate folcj^e^ üon ®ott getpäljrleiftet ift; aUerbingö geringeren
SSäcrt^e^ atö bie religiöfe ©cmeinfd^aft am ß^riftentfium, aber an
\id) eine ©tüfce berfelben, tueil bie Qn6)i bcö SRec^teö ba^ ent*
f))re^enbe ÜWittel für bie greil^eit beö retigiöfen unb fittlid^en
§anbeln§ ift.
SBenn man bei ben angegebenen SÄerfmaten beö ?ßroteftan*
tiömuS bie grage fteHt, tpie fid) berfelbe ju bem Segriff ber Sle^»
formation au^ bem 12. 6a))itel beö {Römerbriefe^ üerl^ält, fo
ttjaltet aüerbing^ ein ftarler ©d^ein ob, bag er fid^ Don biefem
SÄagftabe toeit entferne. Nolite conformari huic seculo! 3ft
nidjt bie SBerttjfd^ä^ung be« bürgerli^en SBerufc^ jufllcic^ mit
ber Slble^nung beö äWönd^t^umö in birectcm SBiberjpruc^ ju
jener JRegel? 3ft nid)t bie ©djäfcung be$ ©taate^ al§ einer be*
fonbern ©tüfee be^ religiöfen unb fittlid^en äufön^i^^^ii^f^^i^^ ^^
ßfiriftentl^um eine ftarle ßonceffion an bie SBelt, jumal tt)enn
man fid^ erinnert, bog barau« bie Uebertoeifung ber lird^Iid^en
ate^töorbnung an ben ©taat entfprungeu ift? dagegen bemerle
ic^, baß e8 bei bem toeltlid^en Serufe barauf anlommt, i^n eben
nid^t toeltlid^, fonbern geiftlic^ ju führen, unb bei ber red^tli^en
Scitung ber red^ttid^en Functionen ber Sird&e burc^ ben ©taat
barauf, ba§ bie religiöfen ©emeintl^ätigfeiten, toetd^e eigentlich
bic Sirene bilben, um fo ttjcnigcr beJ^eUigt tocrben burd^ bie
red^tlid^en alfo njcUlic^cn ©cfc^äfte. S)ic lenbenj in beibem ift
bed^alb bem anbern ©a^e: sed reformamiui in novitate sensus
45
vestri, burc^aug angcmcffcn. 3^9^^^^ ^^cr ift eben bie grunb*
fäfcUd^e Untcrfd^eibung ber red^tlid^en unb ber religiöfcn Functionen
in ber Äird^e, nnb bie grunbfäfelid^e ©d^äfeung bcö Slbftanbe^
i^rer SSäcrt^e in birectem @inllang mit ber crftcn Siegel. 35ic
fat^olifc^c Snfid^t Don ber Äirc^e aber läuft berfelben birect ju*
njibcr. 2)ag Sfte^t ift nun einmal bie fpccififc^ tpeltlid^e Drb:=
nung menfc^lid^en 3"fömmenlebeng; aud^ alleö Äird^enred^t ift
barnm tt)cltlid^. S)ie latfiolifd^e ©d^ä^ung be^ JRedjtcö ber latl^u*
lifc^cn Sirdje, nämlic^ bag baffelbe birect unb unbebingt göttlich
unb übcrtueltlid^ fei, fc^ließt eine fpecififd^e Sonformation beg
G^riftentl^umS mit ber SBelt in fic^. S)er Sßroteftantiömuä
alfo fäHt QUO jener Siegel ber ^Reformation nic^t ^erau^, Diel«
me^r ift er öon ber Slbfid^t getragen, berfelben in größerem Um*
fang ju entfpred^en, atö e^ im fatl^olifc^en ß^riftent^um bergati
ift. Ob eine biefer beiben gormen trofebem ftärleren S(nla§ jur
S3ertt)eltlic^ung gicbt alö bie anbcre, foH l^ier nic^t erörtert
luerben.
3n ber bisherigen SScrgleic^ung jtt^ifd^cn ben beiben ?lrtcn
bcS abcnblänbifd^en ßfiriftent^umg toax ber fatf|olifd^e Segriff
ber c^riftlic^en SoBKommcn^eit nad^ ber l^ergebrad^ten gormel
Dom äWöni^t^um beftimmt tt)orben. DfficieU ift au^ bie fatf|0*
lifd^c SBoDfommenl^eit in ben brei 2Rönd;Stugenben crfd^öpft;
inbcffcn t^atfäd^lic^ toirb ber üolle Umfang berfelben crft erreii^t
burd^ bie contem))latiüc Strt ber grömmigleit, ju ttjeld^er bie
aWönc^c anget)alten ttjcrben. 3)iefe ©rfc^einung barf an biefer
©teile um fo weniger überfeinen tt)erben, ate crft burd^ bcren
Sca^tung ber @egcnfa^ }n)ifdnen bem et)angelifd)en unb bem fa*
t^oUfd^en 9)egriff ber SolKommeni^eit t)öllig t)erftänblic^ n^irb.
Xtnn ben brei äRönd^Stugenben toirb bie Xreue im n^eltlic^en
SBerufc entgegengefefet. SBelc^e JRücffid^t aber gilt barin, ba§ ber
@laube an @otteS SSorfel^ung unb baS baoon getragene @ebet jur
cöangelifc^en SoUfommentieit gerechnet »erben ? 35iefe Functionen
finben i^rcn cntfl^red^cnben ©cgenfafe in ber fd^einbar oiel ^öt)er
greifenben (Sontemt)lation, n^eld^e ben äRönc^en obliegt. 9iun
fommt aber ^inju, bag in ber jn^eiten $älfte beS äRittelalterS
bicfe 2)et)otion t^eilS auSbrüdlic^ jur 93eftimmung ber aßönd^e
flcrcd^net, t^cilS auf bem SBcge ber Xertiaricrorbcn unb öer*
UKinbter SBilbungcn, ttjie ber ©otteiSfreunbe unb ber Vorüber unb
©(^meftem bcd gemeinfamen ScbenS, fo loeit n^ie möglich unter
46
bcm SSoIfc verbreitet tporben ift. 3)ie uorbilblid^e unb ba§ ganje
SÄittelalter l^inburd^ maggebenbe IDarftcUuncj biefer 3)ct)otion ^at
aber bcr ^eilige Sern^arb in feinen 86 ^rcbigtcn über ba8
§ot)eIieb bargeboten. Df^ne Äcnntnife biefeö t^pifc^en 6nttt)urfeö
t)on ©eüotion ^at man lein üollftänbigeö SSerftänbnife Dom Sat^o^
licl!§muö. 3)er aUegorifd^en Stuölegung unb lird^Ud^en Senu|ung
be^ §oI)enIiebeö J)at nämlid^ SBern^arb bie religiös fo l^öc^ft ein-
fluftrcidje SBcnbung gegeben, baß er bie S3raut S^rifti nid^t mel^r
al^ bie JJirc^e, fonbern al^ bie einjelne gläubige ©eele beutete.
SlHerbing^ fpielt bei i^m aud^ jene ben Äird^enüätern geläu*
fige Deutung öfters bajnjifd^en, unb einmal (56, 1) bringt er
auc^ bie SluStegung beS Ät^anafiuö jum SluSbrucf, bag ber S3e^
fuc^ beö SBräutigamö bei ber 93raut bie SÄeufd^njerbung beS gött^
liefen SBorteS bejeid^ne. SKan lann alfo fic^ im SSor auS üor?
ftellen, bog biefen (Srflärungen gegenüber bie Sluölegung S3ern»
^arb'g l^ödEift folgenreich für bie Stic^tung ber grömmigleit toer^
ben mujgte. 9lur bemerle id^ jugleic^, bag Sut^er in feinen 9Sor^
Icfungen über baö §o^elieb gerabe SBern^arb'S (Srilärung ablehnt,
inbem er jene ©c^rift auf ©alomo'g politifdjeS ^Regiment beutet.
3)en ^intergrunb für ben ^ier ju bead^tcnben ©ebanfenireis
Sernl^arb'8 bilbet bie umfaffenbfte Änerfennung ber göttlid^en
®nabe. Söelanntlic^ gilt i^m biefelbe in feinen ?ßrebigten über*
t)aupt als ber oberfte unb leitenbe @efid)t§punft, bei toelc^em bie
atürffic^t, toeldje er in ber t^eologifdjen X^eorie auf bie menfc^*
lid^e grei^eit nimmt, gänjli^ ttjegfällt. S)urd^ jene Söetrac^tungö*
mcife bient Söern^arb jur geftftellung ber Slnfic^t, baß bie gleiche
lenbenj unferer {Reformatoren in bem mittelaltrigcn ß^riften*
t^um i^re SSäurjicln I)at. 3nbeffen lommt eö aud^ barouf an,
bie ©renje biefer Uebcreinftimmung in ben praftifd^en gotgerungen
ju finben. ®aju ift gerabe bie genaue änal^fe beö ©ntwurfS
Don 5^ömmigfeit geeignet, meieren bie ?ßrebigtcn über baö§of|e-
lieb einfc^liefeen. ffiS fte^t alfo bem ^cil. SBernf)arb fcft, bagbie
©laubigen mebcr im Vertrauen auf i^re SSerbienfte, no^ in bem
©efü^l i()rer eigenen Äräfte baö geben ju führen ^aben, fonbern
im SSertrauen auf bie güHe ber göttlichen @rbarmungen (14, 4;
21, 11); unb er l^at eö bei ©elegenl^eit Dermo^t, ber ated^tferti*
gung burd^ ben ©lauben einen fo präcifen ?luSbrudf ju Uerlei^cn,
tt)ie ber ?ßroteftant nur toünfd^en lann (22, 7. 8. 11). 3n einem
anbern ßufammen^ange freilid^ toirb bie ^armtjer^igfeit ©otted
47
burd^ bic SScrgcbuitg bcr ©ünben ate bcr lüirtcnbc ®runb bcr
»erbicnftc aitcrfannt (61, 5; 68, 2). SKan barf baö nic^t fo
anfe^cn, aU ob bie fat^olifd^c grömmigfcit üor^crrfc^cnb ober
fibcmicgcnb auf bic SBcrfgcrcd^tigfeit gcftimmt fei. S)icfc Zxa^
bition unter ben ?ßrotc[tantcn ift nad) ben fpeciellcn unb fe^r
cinfcitigen ©rfol^rungen Sut^cr'ö bcmeffen, bcbarf aber einer er^^
^eblid^en Serid^tigung. 3nbe[fen ba SBern^arb bei feiner energi-
fc^en §ert)or^ebung bcr @nabe ©ottcö baö SSerbienft nid^t über-
haupt aufgicbt, fonbern gerabc aufrecht crpit, fo ift im SSorau§
}u bQtoeifeln, ba§ jene i^m unb unö gcmcinfanie @runbt)orauö:=
fefeung ju tt)eit reidjcnbcn gemcinfamen Folgerungen filieren n^irb.
3u bicfcr JBejiel^ung ift t)or ?inem ju bead^ten, bafe bic ^xt^
bigteu Sern^arb'g nur an 2ßönc^c gerichtet finb. ®eren Sage
aber ift bie, ba§ fie in ben Slöftern „bic fRu^e t)or ben ©orgcn
ber 333elt unb ben SBcd^fcIföUcn unb SBelümmerniffen bc^ Scben^
gcniefecn, inbem fie barauf angett)icfcn finb, einen burd^ ©eilig:«
feit unb lugenben glänjenben Seben^ttjanbel ju führen" (46, 2).
5)ie SBctrad^tung über ben erften ©afe be^ ©ol^enliebeg: „(Sr
füffc mic^ mit bem Äuffe feinciS äWunbei^", fü^rt nun ju bem
©c^Iuffe, baß mon „in bcmfclben äWaße in bag SScrtraucn (fidu-
cia) pc^ ausbreite, ate man in bic @nabe Ijineintoäd^ft" (3, 4).
allein biefer ©afe finbct im 3wfammcnf)ang eine ganj anbere
SScriDcnbung, aU er im eüaugclifdjcn ©innc finben müßte. S)cnn
ba^ fjelb, tt)elc§c§ bem cüangeUfd^cn S^riften für bic Erprobung
feinet SSertrauenö auf @ott angcn^iefen tt)irb, ift für bic t)or ben
mannigfachen ©orgen beö Sebcn^ in bcr SBelt fic^cr gcftcQtcn
3uPrcr be§ ^eiligen Scrnljarb gar nid^t üorl^anbcn (©. 41).
JBielme^r tt)cift baö öon i^m gemeinte SScrtraucn ju ©Ott auf ba^
@cbiet bcr einfamcn Kontemplation unb auf bic in i^r ju er«
ftrcbenben ®cnüffe ^in; jugleic^ wirb cö anberö motiöirt, aU
burd^ bie einfache Snericnnung bcr SScrfö^nung mit @ott burd[)
(E^riftuö. SBern^arb nämlic^ fü^rt in bcr brittcn ?ßrcbigt auö,
baß man ju bem Suffe bcö äßunbcö be^ 93räutigami^ ni^t ge-
langt, e^e man nid^t ben Äug feiner güße unb feiner ^änbe
Dolliogen i)abc. Sener erfte Stvi% ift ber ?lct ber ffluße über bie
©ünben; er rid^tet fic^ auf bic gü^c bcö ftrengen $cnn, tocld^c
feine ©arml)erjigfeit unb feine ©creC^tigteit bebeuten; in bercn
SSed^felbciic^ung aber ift cd begrünbet, bag man aU S^rift n)cber
in Scrjtocifelung noc§ in falfd^er ©ic^cr^cit ücr^arrt (6, 6—8;
n
11 9mz ii.m..:^ Snr isr ir ler jcbsc rri
t/n luro^ C'^iinxio: r:. i-,l.ai iiini itr phi f iinn 9aasil€ mt^
Diuar iiu: tzr z:r i»r juiacrJBczr irtia sxa teic
)!frr.-ui«'a Ulf irzi tütt.!** in "üijei jiäl jmnlrii -ilha
tTtiiin utvs iil^zix mf üm=: Snrii Icr SoilBiiiiiBisiäc:. ikU^
*^i*nj -x «r. 1 . ,3JL2it äiüicaiz:: ^t not mö ift Ä ioB*
»^ V.» ÄxV -^ 1^ tf^TT.nr:ür:iq: iirji*x ta: Ä::^ Ä Uetans
H--vt r,-rir 'lo, .S;. atm t« z=r. x« JVnbn^ cinraal
l«ff^ ^>xt^ Sg«^Tf/. Änd^l: sr^ icsst »o nyrTObit. boB bicfe^
UiHh \^ni, n>9l et fi^utDig \h, l^^ ha (Stun^dimn ein iranfi^r
Uff*^ft „Xie <^botc erfnOe ic^ mfOeic^t in irgrab einer SSktfe;
rtUr »iMrfe ^eele ift in i^nen wie £anb ohne Saffcr; bamit alfo
tiiftn Lp\n fett werbe, fo möge er mic^ tfiffen mit bcm ftuffc
|fiiK# ü/fuitbe*" (U, 2).
Xn ft)anoeli|(^e (£^rift, toeld^er ftd^ ald einen unnfi^n
jWiifrf;t l)futt()filt, Inbcm er feine ©^ulbigfcit t§ut, fieüt jnglcid^
)«*liK ^\\^U\i unter bie burc^ et)riftu§ erfahrene 8erf6§nung
IM II ^Mi)lt. Xcr I)ciliflc fflcm^arb aber, bcr in feiner (Erfüllung
»irr (Wr(»ülr feiiie ©cliflleit erfährt, lagt burc§ bie ^robe, welche
\'\ bnrin j\iiflltMcl) Don bcr ©nobc ®ottcg nnb bon feinen Scr»
blni|lrn mnrt)t, fiel) nu bcmicnißcn Betrauen ju @ott ober ju
bnn 1^11 vfl urtcj) Wutt crrcflcn, welcher feine Sefriebigung in bcr
iM/liillltljni Ulcbc AU bcm .^cnu Scfuö finben wirb. Snber^uf»
49
faffung bicfer ©cftalt treten nun bie 2RcrfmaIc bcö crnicbriflten
unb Icibenbcn @otteöfol^|iö gclcgcntUd^ fel^r bebeutcnb \)cx\)ox,
unb bie SRcrfinalc feiner ©ott^eit ober ^errfdjaft toerben burc^
bie ©cfc^rcibung ber auf i^n gerichteten Siebe nad) Umftänben
abfid^tlid^ jurücfgebrängt. Sluf ber anbern ©eite I)aftet bod^ bie
Sefriebigung, toeld^e in bem Sräutigam gefud^t tüirb, baran, ha^
er jugleid^ bog SBort ®otte^ ift, unb baß er für (Sott eintritt.
SJcingemdß »irb in ber ©arfteüung ber contemplatiüen Vorgänge
o^nc ©^ttjierigteit auc^ @ott für (£{)riftuö untergefd^oben. Um
fo auffaöenber ift cö, baß bie SBefd^reibung ber Siebe, welche
Scm^arb meint, bie ©d^rante än)ifd)en ®ott (Sljriftui^) unb ber
^crfon beö ©laubigen, »elc^e buid^ bie ©r^aben^eit ©otteö feft*
gefteHt ift, au^^brücflic^ beseitigt. „S)ie ©eele liebt glü^enb,
»clc^e fo öon ber eigenen Siebe trunfen loirb, ia^ fie auf bie
aKajeftät nic^t ad)tet. D welche @ett)alt ber Siebe, welc^eö 3"*
trauen in bem ©eifte ber grei^eit! Die üoUfommene Siebe treibt
bie gurc^t (auc^ bie (g^rfurc^t?) au«" (7, 2). „SBon ber ©e^n:^
fuc^t »erbe id^ getrieben, nic^t t)on ber SSernunft; crf)ebet feine
Älagc über Slnmaßung, tüo ber Slffect bröngt. Die ©d)eu frei«
U^ tt)arnt, aber eö übertt)iegt bie Siebe. 3d| weiß wo^l, baß bie
(Sfjre beö Sönigö ©eric^t liebt, aber bie jä^ uoran eilenbe Siebe
fefet fic^ über ©crid^ ^inioeg; fie ttjirb ttjeber burdt) SRatl) gc*
mäßigt, nod^ burc^ ©d^am gejügelt, nod) bur^ bie SSernunft bc^
^crrfc^t" (9, 2). „©egenroärtig ift ber ©eliebte, entfernt n)irb
ber ÜKeifter, ber Äönig öerfd)minbet, bie SBürbe ift ausgesogen,
bie (£l)rfurc^t mirb abgelegt. 3^^if<^^" ^^^^ SBort ©otteö unb
ber ©cele ttjirb tt)ie jioifd^en j^toci Jlad^baren eine feljr üertrau::
lic^e 3^üicfprac^e unterhalten. Sluö bem Sinen Duell ber Siebe
fließt in jeben bie gegenfcitige Siebe, bie gleiche Särtlidjteit. Dem=
gemäß fliegen üon beiben ©eiten bie SBortc füßer aU ^onig,
fc^mcbcn bie t)on SBonne ganj erfüllten 93licfe. ffinblid) ^eißt er
^e fjreunbin, nennt fie bie ©c^öne, »ieberljolt eö, unb empfängt
baS ©leiere loieberum bon il)r. SBa^rli(^ eine erf)abene ©^au:^
ung, in todäfcx bie ©eele ju bem ©rabe bon 3"*^QWcn unb
toicbcrum öon ©eltung erhoben tt)irb, baß fie 3cfud, ben $errn
aller Dinge, aU §errn nid^t me^r fennt, fonbern nur nod^ alö
©eliebten" (45, 1. 6). „Die liebenbe ©eele toirb burc^ SBünfd^e
getrieben, burd^ ©e^nfud^t gejogen, fie ocr^e^lt i^re SJerbienfte;
gegen bie äKajcftät fc^ließt fie bie äugen, öffnet fie ber Suft,
I. 4
48
11, 2). ®a icbod^ bic Sugc jicllog lüärc, toenn uid^t il^r (Sx^cb^
nife burd^ bic Snt^altung üon ©ünbeii unb burd^ bic SBerfc ber
grömmigfcit fidjcr cjcftellt toürbc, fo bebeutet ber jiücitc ihi6 bcn
c^anjeu Umfang ber t{)ätigen Heiligung, in tpeld^cr man burc^
bic §anb beö §errn oufrei^t crl^altcn toirb. ©o ift bag SBod^:^
tl)um in bic ®nabc gemeint, xodd)cx bic 8lUöbreitung in ic^
Vertrauen ju ©Ott entfpric^t. 9hir toer in ben beiben crften
Äüffen, alfo in ber üoQcnbctcn SJu^c unb in ber fic§ üoDcnbcn^
ben tl^ätigcn Heiligung bic (Srfa^rung ber göttlid^cn ®nabe ge^
mad^t ijat, barf mit ber glül^enbcrcn Siebe unb bem üermc^rtcn
SJcrtraucn auf ben inunbcrbar fügen unb gnabenrcid^eu ^ug
Dom ÜJiunbc be^ S3räutigamö Änfprud^ machen, in toddjtm man
mit bem §crrn 3cfuö ju ßinem ©eifte wirb. Sllfo biefen Äug
erfährt man allein auf einer ©tufc ber SBoIKommcn^eit, ttjcld^c
feiten ift (4, 1). „äWcin ©clicbter ift mein, unb ic^ bin fein"
(Sant. 2, 16), biefe §ö^e ber locd^felfeitigen Siebe, ju toeld^cr
bic ©eclc burd^ tt)unber6arc ®nabc bered^tigt tt)irb, barf 9iicmanb
erftreben, ber nid^t burc^ bcfonbere SRcin^eit ber ©efinnung unb
^eiligfeit be^ Seibcö folc^e^ ju erfahren ücrbicnt (67, 8). Ober
wer bie SRu^c in ber Kontemplation begehrt, l)at hnxä) bic Uebung
ber lugenbcn jener l^ciligen 8tu^c juüorjufommcn, ba nur bem
©c^orfam gegen bie ©ebote ber @enu§ ber Kontemplation ge««
fdjulbct wirb (46, 5). SRan lefc nur, wie S3em^orb einmal
feine guten SBcrfc aufjä^lt unb banad^ fo fortfährt, ba§ biefc^
ÄDcö in ©cwo^nl^eit beftc^e, nic^t in ©ügigfeit; wer alfo ge*
Iciftet I)at, was er fc^ulbig ift, l^eige im Soangclium ein unnfl|er
iined^t. ;,S)ic ©ebote erfüQe id^ üieUeid^t in irgenb einer SEBeifc;
aber meine ©ecle ift in i^ncn wie Sanb o^nc SBaffcr; bamit alfo
mein Opfer fett werbe, fo möge er mid^ Kiffen mit bem Äuffe
feines äRunbcS" (9, 2).
Ser cDangclifd^c S^rift, weld^er fic^ als einen unnfi|en
Stncd^t beurt^eilt, inbem er feine ©^ulbigfeit t^ut, [teilt juglcic^
feine ©eligfcit unter bic burd^ St)riftuS crfal;rcnc SSerfö^nung
mit ©Ott. S)cr ^eilige SBcm^arb aber, ber in feiner ffirfüllung
ber ©ebote feine ©eligfcit erfährt, lägt burc^ bie 5ßrobe, welche
er barin juglcid^ Don ber ©nabc ©otteS unb t)on feinen SBcr*
bicnften mac^t, fi^ ju bcmienigcn S^traucn ju ©Ott ober ju
bem ®urft na(^ ©ott erregen. Welcher feine S3efriebigung in ber
bräutlid^cn Siebe ju bem §cnn SefuS finbcn wirb. 3u ber Äuf^
49
faffung bicfcr ©cftdt treten nun bie SKcrfmalc bcö crnicbrigten
unb Icibcnbcn ®ottei^fo^)iä gclcgcnttid^ fel^r bcbeutcnb ^cröor,
unb bic SRcrfinalc feiner ©ott^eit ober ^errfdjaft n)erbcn bur^
bic ©cf^rcibung bcr auf \\)n gerid^tetcn Siebe nad) Umftänbcn
abfid^tlid^ jurücfgebrängt. Sluf ber anbern ©eite ^aftet bod^ bie
SBcfriebigung, toeld^e in bcm öräuticjam gefud^t lüirb, baran, ha^
er xuglcic^ bog SBort @ottc^ ift, unb baß er für (Sott eintritt.
Seingemaß mirb in ber ©arfteüung ber contemplotiüen SSorgängc
o^nc ©c^mierigteit awd) ®ott für ®{)riftuö untcrgefdjoben. Um
fo auffaDcnber ift eö, baß bie SBefd^reibung ber Siebe, toelc^e
SBcrn^arb meint, bie ©d^rantc jnjifdjcn ®ott (S^riftuö) unb bcr
^erfon beg ©laubigen, toeld^e burd^ bie Sr^abenl^eit ©otteö feft*
gcfteHt ift, au^^brüdElic^ befeitigt. „S)ie ©eele liebt glü^enb,
welche fo öon ber eigenen Siebe trunfen tüirb, ba% fie auf bic
aWaicftdt nic^t ad^tet. D ttjcl^e ©ewalt ber Siebe, melc^cö 3^1*
trauen in bcm ©eifte ber grei^eit! 5)ie üoUfommene Siebe treibt
bic gurd^t (auc^ bie g^rfurdjt?) auö" (7, 2). „SBon ber ©e^U::
fuc^t iDcrbe id^ getrieben, ni(^t bon bcr SBcrnunft; crf)ebet feine
Älage Aber Slnmaßung, too ber Slffcct brängt. S)ic ©d)eu frei*
li^ iDürnt. aber eö übern^iegt bic Siebe. 3c^ toeiß ttjo^l, baß bic
6f)rc bciS Sönigö ©cric^t liebt, aber bie jäf) uoran eilenbe Siebe
fcfet fic^ Aber ©erid^ ^inioeg; fie mirb ttjcbcr burdt) SRatl) gc^
mäßigt, noc^ burc^ ©c^am gejügelt, nod) bur^ bic SScrnunft bc^
^crrfc^t" (9, 2). „©cgcmoärtig ift ber ©eliebte, entfernt \v\x\>
ber Söiciftcr, ber Äönig ücrfdjioinbct, bie SBürbe ift auggejogen,
bic (S^rfurc^t »irb abgelegt. 3^^H^)cn bcm SBort ©otteö unb
bcr ©eck ttjirb tt)ic jtoifc^cn j^toci Jlad^baren eine feljr üertrau^
lic^c 3^^icfprac^c unterhalten. ?luö bcm Sinen Duell ber Siebe
fließt in ieben bie gegcnfeitige Siebe, bic gleiche 3ärtlidjteit. ©cm*
gemäß fliegen oon beiben ©eiten bic SBorte füßer alö §onig,
fc^n^eben bic Don SEßonne ganj erfüllten ^ticfe. Snblid) ^eißt er
fie greunbin, nennt fie bie ©d^one, loiebertjolt eö, unb empfängt
bad ©Icic^c n)icbcrum bon il)r. SBa^rli(^ eine crljabcnc ©c^au«
ung, in ttjclc^cr bie ©eele ju bcm ©rabe uon 3"trauen unb
toicbcrum üon ©cltung erf)obcn wirb, baß fie 3cfud, ben $errn
aller 33inge, afö §errn ni^t me^r lennt, fonbern nur nod^ aU
©clicbten*' (45, 1. 6). „S)ie liebcnbc ©eele toirb burd^ SBünfc^e
getrieben, burc^ ©e^nfuc^t gejogen, fie oerl^c^lt i^re Jöerbienfte;
gegen bie äRajcftät fc^licßt fie bie Äugen, öffnet fie ber Suft,
I. 4
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tnbcm fic biefclben auf ba§ §cil rld^tct, unb t)oQ ßi^t^^^wcn auf
baffelDe ftd^ regt. D^nc 3^**^^!^ cnblic^ unb ol^ne ©d^eu (invere-
cunda) ruft fic baö SBort ®otte^ jurücf, unb mit SBertrauen
tüieber^olt fic baö ©picl (deliciae), inbcm fic in gewohnter grei^cit
baffelbc nic^t bcn §crrn fonbcrn bcn ©clicbten nennt" (74, 4;
ögl. bic noc^ ftärfercn ?ludbrüdEe 79, 1). SBcrn^orb gcfte^t cö
fogar ^^u, baß biefe Sic6c ju bcm ©ottmcnfd^cn in gemiffer S3c=f
jic^ung finnlic^ gefärbt fein foU. „SBemerfe, ba§ bic ^crjenö*
liebe gelüiffermaßcn fleifc^lid) (carnalis) ift, »eil fie me^r auf
baö glcifc^ 6I)rifti fid^ richtet unb meil ba« xoa^ e^riftu^ im
glcifd^ tl^ut unb anorbnetc, baö mcnfd^Iid^e §erj ergreift. SSon
biefer Siebe erfüllt tüirb eö leidet ju allem berartigen ©cfpräc^
angeftad^elt." Slbcr bie Siebe, tt)eld^c in biefer Sejic^ung leiben^
fc^aftlid^ fein foU, foH juglcic^ umfid^tig unb Iräftig fein, um^
fid^tig infofern, aU ber finnlic^e Qwq berfelben gcrabe bie Sorfungcn
besJ gleifd^cö untoirffam madjt; Iräftig barin, baß bie Sinic ber
fird^lid^en ©laubcnöregcl eingel)alten tt)irb (20, 4—9). Slußerbem
aber fommt in Setrad^t, baß bie finnlid^ gearteten (Srregungen,
ttjcldje ber Icjt be^ §o^enliebe^ an bic §anb giebt, allegorifd^
in bie geiftigen Functionen fibergcleitet tt)erben. Die ©eetc, tt)cld^e
nac^ ßant. 2, 6 glücflid) gepricfen mirb, baß fie an ber 95ruft
unb ^ttjifdjcn bcn Slrmcn E^rifti liegt, tüirb barauf l^ingcmicfen,
baß fie fic^ burc^ gurd^t unb Hoffnung ju bcttjäl^ren ^at (51, 5),
Ueber^aupt aber ^at baö Q\d ber contemplatiüen ffifftafc ben
©inn, baß man bie 9leinl)eit ber ffingel errei^t, alfo beim (Sr^
fennen @ottc^ nid^t in bie finnlid^en 93ilbcr ücrmidEclt bleibt,
fonbcrn bie Jrugbilber förperlic^er ?le^nlic^feitcn fiberftiegt. 6^e
man baju gelangt, barf man fid^ bic erftrebtc SRu^e nic^t t)er«
fpred)en (52, 4. 5).
^Ran muß fid^ bie angegebenen EJ^araftcrjügc biefer Siebe
XU ß^riftuö, tüclc^c hcn SJolltommencn jugcmutl^ct tt)irb, fc^r
genau fijiren; bcnn fic ift ber cDangelifd^en grömmigicit üon
^aufe aug fremb. SSor aQcm aber tüiberfpric^t bic ©c^ilberung
Icibcnfd^aftlii^cr Siebe ju ß^riftuö ber bei bcn ?ßrotcftantcn gang^
baren Annahme, baß eg lat^olifi^e Art fei, ben ©ottmenfd^en
nur alg bcn ftrengen SRic^ter in möglic^ftem ?lbftanb bcm ®läu*
bigen gegenüber ju ftellen. ©o wie man nad^ bcn ffirfa^rungen
Sutt)cr'ö meint, baß bag lat^olif^c Sljriftcnt^um in bem Streben
nad^ SBcrfgered^tigfeit unb in ber fc^cuen gurd^t, toclc^c ben
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Äticd^töbicnft bcfltcitct, aufgelle, fo f)at ]iä) bie Ännal^mc bei un8
fcftflcfefet, ba§ ßl^riftuS bcm Äat^otifcn praftifc^ nur atö bcr
ftrengc, an fic^ unnahbare SRid^tcr gelte, bcffcn ®nabe man auf
bem SSkge bcr gürfprad)e ber ^eiligen ju erfd)teic^cn ^ab^. 2Ran
^at aQe Urfac^e, biefe Slnfidjt ju berid^tigen. 3cne ©cltung be«
Rauptet (£t)riftu8 in ber fat^olifc^en grömmigfeit aüerbingö ffir
ben Seginn bc^ Scben^ mit* ber SBuße (f. o. ©. 47), aber nic^t
augfd^lic^lic^. darüber ergebt fid^ biefe ganj anberö geartete
ober Dielmel^r entgegengefefete 3luffaffung, n)el(^e bcr l^ciligc S3em^
^arb ücrtritt. S)a§ man in ber comparatiuen ©^mbolif nic^t
baju angeleitet tt)irb, fic fennen ju lernen, rüt)rt, n)ie gcfagt, ba^cr,
bag fiut^er au8 jufäQigcn @rünbcn feine ISrfa^rung bat)on in
feinem äRönd^dlcben gemad^t t)at. Slllcin in 3Birtli(^fcit bient
gerabc biefe auf bcm SBoben ber göttlichen ©nabc fußenbc %n^
Icitung jur Icibenf^aftlii^cn Siebe, gegen S^riftug baju, bie
SBlflt^e ber mönd^ifd)en grömmigicit erfennen ju laffcn. Sutl^er
hingegen ^at atö "SJlönä) nur bie t)ertrodnetcn, i^rer ^x\i(i)i ent^
leerten ©amenlapfeln ber 3)ct}Otion fennen gelernt. 8llfo nad^
ber Anleitung beö l^ciligen Scrnlöarb ffir bie in ber Heiligung
befeftigten äKönc^c foQ bie Siebe gegen ß^riftuö üon bcr gött::
Ud^cn (Erhabenheit beffelben abfet)cn; bad, n)oburd^ ber @ottmcnfc^
ba^ ©Clanen bc8 ©laubigen bcfricbigt, foll Don bcr bcgnabigtcn
©ecle auf bcm guße ber ©Icic^^eit mit i^m erfahren unb gc*
noffen toerbcn. 5)ie ©cclc barf fic^ aber barin eben fo gut einer
(Erhebung ober i^rc urfprünglid^c Stellung erfreuen, ate fic oon
ber (Erniebrigung ®ottcö ben älnlafe jur (Erregung i^rcr finn*
Ud^en Seibenfd^aft für il)n nehmen barf. Snbem bcr @cgcnfa|
bicfcr bciben SBctrad^tungötueifen üon üorn l^crcin nid^t jur Älar*
§e!t gelangt, fo übcrtoicgt junäc^ft bie Ic^tcrc fRödtfic^t infofern,
atö bie Seibenfd^aft ffir (S^riftuS baju bient, ben Xrieb nac^ ben
@fitern bcr SBelt unb bem i^r zugehörigen ©innengenug unmirf^
fant JU mad^en. Srft unter bicfcr SSoraudfe^ung tritt bie anbere
Stfidftc^t in ©cltung, bag bie finnlid^e Intuition beS fic^ ernie«
brigenben @ottcd in bie (Efftafe, bie bilblofe geiftige SJcrfcnfung
in @ott fibcrgc^t, baS Qid ber ©cligfcit, in locld^cr bad ®nt bed
enrigcn Sebend Donoeg erfahren n)irb. Sie ^udglcic^ung bcr
bftben entgegengefe|ten äRct^obcn, bcr ^crabjic^ung (E^rifti in
bod 3ntereffe einer Icibcnfd^aftlid^^innlid^en ^nnäl^crung an i^n
auf ftoften feiner (Erhabenheit, unb bie iBcrbinbung mit i^m ju
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ßincm ©elfte burc^ bie Äuöfdöeibung ber finnlid^en äWotiöe unb
bie I^eilna^me on ber ®r^abcn^cit S[)rifti, cjc^t r\aä) bem ©c-
fcfec beö ©efii^lö öor fiel). 5)cnn fofcrn üuä) bie finulic^rgcfärbte
Seibeufd^aft für bcn ©ottmcnfd^en eine geiftige Intention ein*
fd^tiefet, fo erflärt fi(^ an^ ber ju erwarteiibcn Slbfpannung ber
überfpanntcu fhinlid^en ÜJiotiöe bie fdjeinbor rein geiftige ©tei«
geruncj besf @efäf)l^ jur ©tftafe.
StHcin bie bcutUdjen SSorftellungen t)on Sl^riftuö, auf toelc^c
fidi biefe Slntpeifung ju ber an il^n ju tnüpfenben ©efü^löcr«
regung ftd^ ftüfet, finb eben nid&t cin^eitlid) ausgeprägt. 5)er
(SinbrudE beS fid^ emiebrigenbcn ©ottcS ift für öcrn^arb ein
jttjiefadjer ; er ift einmal mit bem ?lbfel^cn bon feiner ©r^abenl^eit
auSgeftattet, um i)anad) lebiglid^ auf bie (Sr^abenl^eit geftimmt
äu tt)erben, tocld^e bie ©r^eOung ber ©eele über il^re gef^öpflic^e
©d^ranfe verbürgt. Sllö eüangelifi^cr S^rift ift man jeboc^ barauf
ongett)iefen, fid^ bie ßrniebrigung beS ©ottmcnf^cn in ber 3ben*
tität mit feiner göttlid^cn @r^abcnl)eit unb umgefe^rt ju ber^
gegeniüärtigen. ©eSl^alb mufe man uorfid^tig fein, um nid^t in
ben folgenben ©rtlärungen SBern^arb'S ben ©d^ein ber Ueberein*
ftimmung mit ber cüangelifc^en äuffaffung ju überfc^ä^en. ®ic
Siebe beS Söräutigamö nämlid^ erfennt SBern^arb in feinem SBerfe
ber ©rlüfung, bcffen (Erinnerung, toie er fagt, in irgenb einem
2Ra§e jebem ber ©rlöften gegentoärtig fein muß. An bicfem
©egenftanbc ^cbt er nun im allgemeinen ätocierlei l^erüor, bie
ärt unb ben ffirfolg. Die 8lrt ift bie (Jrniebrigung ©otteS, ber
ßrfolg unfere (Erfüllung mit ©Ott (11, 3). 8lllein eö fommt
nun für Siern^arb im Scfonbern barauf an, biefe Seftimmungen
alö baö äWotit) ber eigent^ümlic^en Deöotion wirffam ju machen,
n)el^e feine ?ßrebigten l^cröorrufen follcn. ^a^ SBerf ber (Sr-
löfung alfo foll l^ier nic^t fo üerftanben werben, tt)ie eö für 3cben
feine ^erfteHung in baS (äbenbilb ©ottcö unb in bie ^errfd^aft
über bie SBelt erttärt (21, 6. 7), fonbern in ber befonbcrn «rt,
tüie eö bie Siebe, bie leibenfi^aftlid^e (Erregung für S^riftuS
„fc^meic^elnber anlocft, beredjtigter erjttjingt, enger üerbinbet unb
l)eftiger erregt." Dagu aber gehört, baß man fid^ ben ganjen
Umfang ber SBemfiljungen, burd) toeld^e ber fid^ erniebrigcnbe ©ott
feine Siebe bettjü^rt l)at, im Sinjelncn üergegenttjörtigt. Denn
„berfelbe ©Ott, n)eld)cr o^ne ÜRü^e burdö baö einfädle SSefe^fö^
tt)ort bie SBelt gefd^affen f)at, f)at in feinen {Reben bie SBiber*
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fprcc^cr, in feinen ^anbtungen bie feinbfclicjcn Scobadjtcr, in
feinen Dualen bie Spötter, im lobe bie Serläumbcr ertragen,
©ie^ n)ie er geliebt l)at! Seme alfo üon S^riftuö, mie S)u il)n
lieben foHft" (20, 2. 4). 5)ie einfadje aBertljbcftimmuncj ber
Siebe ©otteö, tt)eldt)e in bem ©e^orfam S^rifti jur ßrlöfung
luirffam tt)irb, ift baö SKotit) bcö eDangelifd^en ©tauben^, lucld^er
fic§ S^rifto nnterorbnet; aber bie Don SBern^arb Vertretene leiben^
fd^oftlid^e Siebe beö @Ieid)en jum @feid)en crforbert e§, \>a^ bie
©efammtleiftung ber Siebe S^rifti in i^re einzelnen Quqc jer*
fplittcrt tt)erbe. Semgemäfe erflärt er im Änfi^tufe an ßant. 1, 13
(ein Sfinbel uon äW^rr^en ift mein ©eliebter, loeld^e^ än)ifd^en
meinen ©ruften ru^t): „©eit bem Seginne meiner Sefeljrung
b. i), be^ äWönd^ftanbeö I)abe id^ mir biefe^ ©ünbel ju binben
unb auf meine ©ruft ju legen unternommen, n^cli^eö gefammelt
ift an^ aQen ?lengften unb SBittcrIeiten meineö §errn, junäc^ft
benen, tt)el(^e mit ben Sßängcln beö finblid)en Sebenö jufammen^
l)ängcn, bann ben SWül^en, njcldje er in ber Serlünbigung ertrug,
ben (Ermübungen auf ben SRcifen, ben SRac^ttuad^en beim @ebet,
ben SSerfu^ungen im gaften, ben 2;t)ränen im äWitgefül^l, cnblic^
ben ©cfa^ren burd^ falfd^e SBrüber, ben ©d^eItn)orten, ©dalägen,
SBcrp^nungen, ©^mät)ungen, Siägeln unb bergleid^eu. Unter
fo Dielen 3^^<^i9<^" ^^^^^^ buftenben SK^rr^e Ijabe id) and) bie^
Jen ige nic^t au^gelaffe«, mit ber er am Äreuj getränft, unb beim
Segräbnife gefalbt ift. S)ie (Erinnerung an bie gülle ber ©üfeig*
feit bief er Singe toiD id) au^fpred^en, fo lange idj lebe; inSttjig*
feit iDiH id) nid^t Dergeffen biefc ©rbarmungen, in bcncn id^ ba^
Seben gefunben ^abc" (43, 3) '). 3n einer anbern SBenbung er*
fc^eint biefeö Sntereffe bei ber Sluölegung Don 6ant. 2, 14 (meine
laube in ben gelfenflfiften, Dcrftecft in ber ftlippe). hierüber
trägt 93ern^arb eine (grflärung Dor, bie er Don einem 2lnbem
entlehnt, aber mit feiner Ueberjeugung Dertritt, baß nämlid^ „bie
gelfenflüftc bie SBunben (Sl^rifti bebeuten, benn ber gelö ift
E^riftud. 3n iljnen finbet ber ©perling fein ^auö, bie Surtel*
taube i^r SReft in i^nen finbet bie laube ©d^u^ Dor bem ^abid^t.
Unb nnil^rlid^ mo ift für bie ©d^wad^en ©id^erl)eit unb 8iul)e,
1) Ziffern ®eban!en tp unter ben Siebern %ernl(iarb^S getoibmet bie Rhyth-
mica oratio ad unumquodlibet membrorum Christi patientis a cruce
pendentis.
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auBer in bcn SBunbcn bcö ^cilanbö? Tlan burd^bol^rtc feine
§änbc unb güßc unb burd^flad) feine ©eite mit ber Sanäc, unb
burd^ biefe ©palten ift mir cjcftottet bcn §onig auö bem fjclfen
jn fangen, unb Del auö bem garten ©tein, ba§ Ijei^t, id^ barf
fd^mecfen nnb feigen, ba§ ber §err füg ift. Dffentiar ift baö ©el^eim*
ni§ beg ©erjeng burd^ bie üoc^er be^ Seibei^, offenbar ift jene^
®et)eimni6 ber grömmigfeit, unb bie @ingett)eibe ber SBorml^erjigs
feit @otte^. ©inb nic^t bie @ingen)eibe burd^ bie SBunben offen
gelegt? S33orin tüäre e§ benn beutlid^er alö in deinen SBunben,
ba§ bu §err füg unb milbe bift unb reid^ an ©rbarmen''
(61, 3. 4)? 2Kan fielet, bie ^auptfa^e n^irb auc^ in biefer Som:^
bination gen)a^rt, unb jn^ar gemäß bem ®runbfa|c, ba§ man
nur. auf bem SBege ber Slnfdjauung be§ erniebrigten ©otteö 5U
ber ©^auung feiner äRajeftät gelangen fann. „3)enn üoQ ©c^rerfen
ift bie birecte ©rforfdjung ber SKajeftät, bie (grforfd^ung bcö
©nabenujillenö aber ift ebenfo fromm ate fidler" (62, 5). Slid^tö
befto tneniger ift bie SBed^felbejic^ung gtüif^en ber in ben ein-
jelnen 3*^9*^^ borjufü^renben Seibenögeftalt ß^rifti unb ber
leibenfi^qftlid^en Siebe, ujcldje ftd^ über bie äWojeftät S^iifti ^in*
ttjegfe^t unb i^n alö ©leid^en, afö Slod^bar, alö greunb in bie
Arme fd^ließt, auf eine abfd^fiffige Sa^n geftellt.
3n ber Seibenggeftalt ß^rifti roiil SBernl^arb allerbingö baö
ffirbannen ©otteö ergreifen, ober er n)iH in bcn einjelncn Cr*
fd^einungen beö Seibenö S^rifti ben leibcnbcn @ott anfd^auen,
beffen Seiben eben fein (Srbarmen gegen bie SRenfd^en bejeugt.
Sd fommt i^m in biefer 93etrad^tung burd^aud auf ben göttlichen
SBert^ 6l)rifti an. S)iefe§ brüdEt er barin auö, bag er in ber
©^mpatl^ie mit ben cinäclncn Seibenöacten bie „Sülle ber ©ü§ig*
leit" finbet, unb in ben SBunben 3cfu ben ffiinbrudt ^aben tniQ,
baß ber §err „füg unb milbe ift unb reid^ an ßrbarmen". Allein
bicfe SBert^beftimmung beg Seibenö E^rifti foH hoä) in bem
Stammen be^ SBerfel^rcö auf glei^em guge mit bem ©räutigam
gemad^t n)erben. 3ubem man in bem unt)erfc^ulbeten unb frei*
»iHigen Seiben 3cfu bie güHe feiner Siebe gegen ben (Sinjelncn,
ber bie Sontemplation übt, erfennt, foQ man fid^ ju einem ent*
fpred^enb l^o^en äWaße Don ©cgenliebe nnb Aufopferung für
3cfug bettjcgen laffen. S)iefe SBebingt^eit ber gangen Snfd^auung
ergiebt fid^ aud^ auö ber gormel, ba§ bie bitteren ffirfal^rungcn
3cfu in einem fügen ©cfc^mac! feiner Siebe angeeignet unb ein*
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geprägt »erben foöen. ^icrauö crgicbt fid^ frcilid^, bag SBcrn-
^arb ttid^t ba5U anleiten n)iQ, ba^ man fi^ in bad uuerfdjöpf«
Ud^c äRitleib unb in bie ^liebergefd^lagen^cit Derliere, lueld^e
avL^ ber Sergleid^ung ber eigenen ©djulb mit ber Unfc^ulb 3efn
^ert)orge^en tüirb. ffir ^at eö tüirtlid^ abgefe^en auf einen reli*
giöfen ffiinbruc! entgegengefefetcr ?lrt. ?inein eö fragt ftdj, ob bie
Don i^m öorgefi^riebenc äRetl^obe eine Siötl^igung in fic^ fi^Ueßt,
burc§ bie Sitterfeit be^ äWitleibg ^inburi^ bm ©efc^mad ber
©üfeigfcit im ficiben ß^rifti ju erreii^cn, unb ferner, ob in biefet
erftrebten ßmppnbung mirllid^ ber Dolle S33ert^ ber ffirlöfung ju
feinem Siedete lommt. ?llö i^eolog ttjeiß S3ern^arb feljr tpol^l,
bag bie n)eltflbern)inbenbe j£raft bei^@(aubenS au^ ber SBergegen-
tt)ärtigung ber aRajeftät, ber ©ott^eit, ber SBelt^errfd^aft ß^rifti
entfpringt (21, 6. 7). (Sr I)at ferner ben SBert^ ber 5ßerfon
ß^rifti als beö [xä) emiebrigenben ©otteö einmal in mufterl^after
SScife auSjufpred^en Dermoc^t 0- Slßein ber ©cfd^madE ber ©üfeig^
feit, ju ioeld^em er in ber ffinoögung ber Siebe Sefu burd; bie
Sitterleit feiner ficiben burc^jubringen Dcrmod^t f)at, fann n)cber
atö folgerichtig erfannt merben, nod^ ift er bie flare 5ßrobe für
bie ©öttlid^feit ber fiiebe E^rifti. äug ben ©rfd^einungcn ber
grömmigfeit im äWittelalter, n)eld^e fid^ gcrabe an ber SBctrad^^^
tung ber fieiben Sl^rifti nä^rt, ergiebt fid^, bafe unenblic^ SSiele
bie fiinie beS jiellofen äRitleibö unb ber 9iiebergefdjlagcn^eit
nic^t überfd^ritten l^aben. 3n ber S)eDotion ber SKönd^c unb
Können tritt Diel mel)r ber SinbrudE ber trüben S)emütt)igung
burc^ biefe äRet^obe l^erDor, aU bag fie il^nen jur Sr^ebung unb
1) Sermo 6, 3: Dum ia carne et per oamem deus facit opera
non camis sed dei, naturae utique imperans superansque fortunam, stultam
faciens sapientiam homiDum daemonumque debellans tyranuidem, mani-
feate ipsum se indicat esse, per quem eadem et ante fiebant, quando
fiebant. In carnc, inquam, et per carnem potenter et patenter opera-
tu8 miniy locutus salubria, passus indigna evidenter ostcndit, quia
ipse sit, qui potenter et invisibiliter secula condidisset, sapientor
reger et, benigne protegeret. Deniquo dum evangelizat ingratis,
Signa praebet infidelibus, pro suis cruci fixoribus orat, nenne
liquide, ipsum se esse dcclarat, qui cum patro suo oriri facit solem
suum super bonos et malos, pluit super justos et injustos? ^txQl,
ScfefrUd^te au8 bem (cittgen ^ernljiarb, in €iub. unb l^ritüen 1879.
e. 821 ff.
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^Befreiung gcbicnt ^ätte. gcrncr aber ift bie öon S3crnl^orb 6e*
jcugte Umbicguug ber (Jmpfinbung ber Sittcrfcit in bic bcr
©üfeifltcit bei bcr ßriüägung be^ SiebeK^tücrtI)e3 bcr Seiben ß^rifti,
ober biefcö Bwfonimcnflingcn bcr finft mit ber Unluft ber SBonne
mit bem ®d)merj burdjauö feine juüerläffigc 5ßrobc bafür, baß
er bie göttliche ®r^abent)cit S^rifti mit ber (Srfaljrang [einer
menfctjUcljcn Srniebrigung sugleic^ fid) eingeprägt ^at. greilic^
finbet eine gcmiffe Stnalogic jtoifc^cn bicfcm ffirfcnntiiißproblcm
unb jener gemifd^tcn (Smpfinbung ftatt. 3n ber ©ott^eit beö
SüKenfc^en Sefuö foHen ©egcnfnfee änfammengcbad^t tocrben, \ot{6)c
ben ©inbrudE beö aBiberfprurfiö machen. Unb ba§ bie Seibenö^
erfdjeinung K^rifti jugleid^ aU bitter unb alö \n% gcfd^mcdt
tüirb, bietet ebenfalls eine ^ßarabojie bar. SlUein biefe ^ßarabojie
ift of)ne SBiberfprud^ in fid^; benn bie SBitterIcit folgt bem (Sin-
brudE bcö Seibenö, bcr füfee ©cfd^macf ()aftet an bem 2Rotiö bcr
Siebe, bie i^n frciiüillig leiben lägt. Stugerbem aber ift in biefer
ülg füg empfnnbenen Siebe gar fein n)efcntlid^eg SKcrfmal ber
©üttlid^fcit angejeigt, toeld^c ha^ 3Ka6 bciS SDicnfc^cu überfd)ritte.
6ö ift eben bod) nur ber ibealc ÜJienfcl), ber eö für mi(^ ift, bcr
mir feine ©d^önl)cit jutücnbct, beffcn Sctbcn bic bittere Cmpfin^
bung in bic Suft an bcr©ügigfcit anöflingcn lägt; unb nur in*
bem 93ernl)arb aud^ in biefer Situation mit bem $errn 3cfuö
auf bem guge ber ©leidi^eit ücrfcljrt, taun er gerabe auf baö
©cfü^l bcr ©ügigfeit ^inau^ fommen. S)ag ©emifd^ üon 93itter=
Icit unb ©ügigfeit, rodä)t^ loir ju beuten ^aben, um S3crn^arb'ö
Scl^auptung ju uerfte^cn unb ju bcurt^cilen, f)at nun ein @c*
präge, wcldjcö bie geifligc ©cnugfud^t ansugiclien pflegt, unb
geigt barin üicl mel)r Scrnjanbtfd^aft mit gcioiffcn finnlid&cn ®e^
fü^löcrregungcn aU 8lnalogic mit bem ©rfcnntnigproblcm bcr
©üttmcnfd^ljcit. ©oll man aber biefe (Srfenntnig bnrc^ bie 3n*
tuition bcr Seiben S^rifli fic^ einprägen unb baüon ben ffiinbrudt
ber ©rlöfung f)abm, fo ift e§ nic^t ratljfam, fic^ auf bie SinjcU
f)eiten einjiulaffen, meldte öern^arb anfjäl^tt, unb an i^nen ben
©djmcrj unb bic SBonnc bcr ©^mpatl^ie ju erregen ; fonbern mon
l)at ftd^ iljrc^ @efammttt)crtl|cö in ber toeltüberminbcnben Sßad^t
beö ©c^orfamö ßtirifti j" tJcrfid^crn. ^enn bag in ben Seiben
bic Siebe ®()rifti bcr ©icg über bic S33clt ift, ift bie Srfenntnig
feiner ®ottt)eit; unb bic ?ßrobe biefer ©rtenntnig im ©cfü^l
mad^en toir barin, bag mir auö bcr SScrfül;nung mit @ott burd^
57
ß^riftu^ bcn erl^ebcnbcn 3inpul^ ju unfcrcr eigenen fflc^crrfd^ung
Don 2cibcn unb SEBcIt erfahren. S)ad ift bie eDangclifd^c Sluf^
foffunfl bcv ©od^e, toelrfjc ber ©otttjcit S^rifli geredet toirb.
Scrn^arb'ig ßontcmplation l^ingegen fann ^toax eine Icibcnfd^aft:^
lid^e ©egcnliebe unb eine ©ienftfertigfcit hervorrufen, \üdd)c auä)
bad SBitterftc in ©üßigfeit öern^anbelt ; bog ift aber bod^ nur ber
ßultuö beg ibealen 3)ienfc^en, Weld^cn bie mobernc ©entimen*
talitat aud^ noc^ an $(nbere atö an ben ^errn Sefu^ ju Der^
ttjenbcn gelernt ^at §icr alfo treffen tüir ouf einen ganj beut=
lid)cn ©cgenfafe jttjifd^en eDangelifd^er unb fot^olifc^er i5römmig:=
leit, ber nid^t überfeinen n^erbcn borf.
3nbem nun S3crn^arb ben SBcd^feberfel^r jtt)if^en ber ©celc
unb i^rem Bräutigam Sefug aU etmaS SßirtUc^eg achtet, fo fragt
fic^ weiter, woran bicfeg erprobt Werben foD. SBoburi^ wirb bie
Stnwenbung befeitigt, bag eS fid^ ^ier um ein ©piel ber
©nbilbunggfraft ^anbelt? darauf erfolgt nun biefe Antwort:
„SBenn id^ ffi^le, bafe mir ber ©inn für baö SSerftänbni§ ber
^eiligen ©d^rift geöffnet wirb, ober eine SBei^^eitörebc gleic^fam
aud bem Snnerften aufquillt, ober burd^ ^ö^ered Sic^t ©e^eim«
niffe enteilt werben, ober mir gleid^fam ber weite §immelg^
fc^oog ausgebreitet unb Don oben eine reifere ^ülle Don (Sr^
wägungen in ben ®eift eingegoffen werben, bann zweifele id^ nid)t,
bag ber ^Bräutigam gegenwärtig ift" (69, 6). „®ie ©eele foQ
nid^t el^er fic^ mit @ott Doüfommen geeint adljten, big fie nid]t
bag ftarfe ®efü^l baoon ^at, ba§ er in i^r unb fie in il)m
bleibt, ^ä) bin mit @ott Sin @eift Wenn ic^ einmal burc^
fidlere groben überzeugt bin, ha% iä) ®ott anl^änge alg einer
Don benen, welche in ber Siebe bleiben" (71,6). „SBcnn bag
SBort }u mir eingetreten ift, fo l)abe id] mand^mal ni^t gefüllt,
wann biefeg ftattfanb. ©eine ©egenwart l^abe ic^ gefüllt, unb
mic^ nac^^er beffen erinnert ; manchmal tonnte i^ feinen (Eintritt
Doraugempfinbcn, nid^t aber birect wieber feinen Sintritt no^
feinen SBeggang. SBoran ptte id) feine ©cgenwart erfannt?
Sebenbig unb wirffam ift eg; fobalb eg in mtd^ eingebt, ^at eg
meine fc^läfrige ©eele erWerft, in Bewegung gefe|t, befänftigt unb
mein ^arteg §erj Derwunbet. 9lur an ber ^Bewegung beg §erjen§
^abc ic^ beö SBräutigamg ©egenwart erfannt, an ber iJluc^t ber
©finben unb ber ISinfc^ränfung ber gleifd^eStriebe ffabt id) feine
Ätaft crfal^rcn" (74, 5. 6). 3n ber (Smpfinbung überhaupt ift
58
an fic^ feine Untcrfdjcibnng audgcbrüctt ^n^ifd^cn bcm ful^Ienben
©uBjcct unb bcm ©cQcnftanbe, bcr bic ßmpfinbung erregt, ]o\u
bern biefe Untcrfc^cibung [teilt immer ber bie ffimpfinbungcn be^
cjleitenbc SScrflanb feft. ©emgcmäß ift t^ möglich, in ber ab^
fidjtUdjen unb burd^ förperlid)e S)iät untcrftü^tcn ©teigerung be^
religiösen Suftgefül)!^ bie regelmäßige Derftänbigc Unterfc^eibung
jn^ifd^en fic^ unb @ott aufju^eben, unb mit ®ott ju Sinem @)eifte
ju n)erben. ©e^l^alb fteDt S3ernt)arb aU \)a^ Qid beö toec^fct
feitigen Sicbcöüerfelör^ bic ©d^auung ©ottcö in Slu^fid^t. ÄHcr»
bingd nid^t ol)ne Sefd^rantung. Senn ®ott ju fd^auen n)ic er
ift, beplt er bcm jenfeitigen Scben \)ox, unb gcftctjt nur ju, baß
©Ott in ber ©cgcntuart benen, welchen er erfc^einen tüill, fo cr^
fc^cint wie er iüill (31, 2). 3a gelegcntli(^ fd^ränft er ben
SSorgang nad) ber (Erfahrung beS äRofe fo ein, bag man nid^t
ba^ Slngcfid^t, fonbern nur bie Sc^rfeite ÖJotte^ fd)auen fönnc
(61, 6). 3nbef[en ift baö SBid^tigftc babei, baß „biefe (Srfal)rung
ber ©eele, i^rc SBermifdjung mit bcm SBort ©otte^, tpel(^e über
iebcd förderliche ©cfiil^l unb über bie Sinbilbungi^fraft ^inaui^^
liegt, burd^ bie $crablaffung ©otted nur herbeigeführt )uirb,
n)cnn bic @lut^ bed Ijciligen 93ege]^rend unb bic unabläffigcn
©cbct^fcufjcr ben Bräutigam Ijcrbeijic^en" (31, 4—6). 2Kan
fönnte üerfuc^t fein, biefe öe^auptung auf ßanbcrei ju beurt^cilcn,
tDcnn nid^t gemäß einer ergänjenben (Erfahrung bie m^ftifc^c
Sinigung burc^au^ in ben SBiQcn ©otted ober bed Sräutigam^
gcftcltt toürbe. ®enn „tt)cnn man burc^ SRac^tload^en unb 93 e^»
f^tt)örungen, burd^ Diele ?lnftrengung unb einen Siegen bon
I^ränen ben SBräutigom fuc^t unb er bann gegentnärtig ift, fo
entgleitet er plögltd^, mä^renb man i^n feftju^alten glaubt, unb
menn er bann n^ieberum ber n^einenbcn unb i^m nad^ge^eu:*
ben ©ecIc begegnet, läßt er fid^ jtnar ergreifen, aber feineötocgeö
feft^altcn, inbem er plö^lid^ mtebernm glcid^fam aud ben $änben
cntmifd^t" (32, 2). „SBcnn bie ©cele bic ®nabe fü^lt, erfennt
fic bie @cgentt)art beö SBorte^, wenn nic^t, beftagt fie feine Ab*
tt)cfen^eit unb erftrebt feine ©egcnmart. ©o toixb bag SBort ju*
rüdEgerufen burc^ bic ©c^nfuc^t ber ©eele, ber eö einmal bie'
füge (Smpfinbung Don i^m gefd^enft ^at. Slbcr er ge^t unb
fc^rt jurüd nad^ feinem S3eliebcn, tüie »enn er im §albbunfct
einen löefud^ mad^t unb unertpartet fid^ jeigt" (74, 2. 3).
Sllfo immer nur auf ä){omcnte gelingt ed, bie ©egentoart
59
bc^ Bräutigams burd^ bic leibenfd^aftUc^cn Aufregungen beS @e^
füllte 5U conftatircn. 3)er ?ßrciö bicfer ®enüf[c aber ift bic
Irocfen^eit unb ©d)Iaff^cit, in tüclc^e bie Seele um fo tiefer unb
bauernber jurücffältt, ate bie üorl^ergel^enbe ?lnftrengung tüiber*
natürlich ift (9, 3; U, 6; 32, 4; 74, 7). Unb laum' ift bie
SBarnung am $Iage, bag man bei bem Qicnn% ber @nabe nid^t
auf einen unbcriierbaren burc^ ßrbrcd^t fieser gefteQten SBefi^
ju rechnen ^abe, bamit man nid^t, wenn ber Söräutigam feine
^anb }unlcl}ie^t, ben Tlnti) uevliere unb trauriger aU nötl^ig
tt)erbe (21, 5). ^enn eine ftetige ®en)i6t)eit ber @nabe n^irb nun
einmal nic^t in ber 3foIirung ertDorben, tüdd)t Scrn^arb fo
bejeic^net, bag „bie @eele, n^eld^e @ott fd^aut, i^n fo fc^aut, aU
toenn fte aQein Don ®ott gefc^aut loerbe. 3n fold^em SSertrauen
nimmt fie bie n)ed^felfeitige SSejie^ung jmifc^en ®ott unb i^r fo
auf, bag fte außer i^m unb fic^ nic^tö bcad^tet" (69, 8). ^6)
möchte ^ieniber nur bie 93emerfung J^in^ufügen, bag biefeS $oftu^
lat ber äKt)ftiI nic^t feine Erfüllung in ber redeten proteftan*
tifd^en grömmigfeit finbet. Qu fold^em ffigoiSmuö giebt ber
fird^li^e ^roteftantiSmuS feine !(nleitung. 93ernl^arb aber ift im
©taube, bie geiftli^en äRenfc^en auf jeneS $rioi(egium ber
m^ftifc^cn ©c^auung ju ücrmeifen, weil er pe bei anberer @e*
legeniiett baran erinnert, bag bod^ eigenttid^ bie ^\x6)e bie Braut
ift,. unb baß bic Borred^tc ber ISinen fatl^oUf^cn äKcnge, toelc^c
ben QtDcd ber Sßelt bilbet, nid^t Uon Siner ©eelc, bie ju i^r
gehört, in 9(nfprud^ genommen Werben bürfen, wie grog auc^ i^re
^ciligtcit fein mag (68, 7). i,33cnn welcher unter uns möd&tc
eins ber ©nabengütcr UoQftänbig befi^en, nämtic^ fo, baß er
nid^t juweiten im Steben unfruchtbarer unb im ^anbcln lauer
wäre? Aber bic Äirc^e ift cö, welche in it)rer ©efammtl^cit
niemals einen äKangcI baran ^at, wouon fte trunfen ift unb
toobon fte buftet. 3)enn waS i^r in bem Sinen fe^It, ^at fie
im Änbem. (SS buftet bie Äirc^e in bencn, weld^c fid6 grcunbc
burd^ ben ungered^ten SRammon mad^en, fie ift trunfen in ben
Dienern am SBort, weld^e mit bem SBein ber geiftlic^en grcubc
bie (Erbe befprengen, fie trunfen machen unb bie ^ruc^t in fjr^eube
heimbringen, ©ie nennt fid^ fü^n unb fidber bie Braut. Obgleich
alfo 9hemanb Don uns fid^ ^erauSnimmt, feine ©ec(e bie Braut
beS ^erm ^u nennen, f o nehmen wir boc^, ba wir ^ur ^irc^e ge«
^ören, nic^t mit Unred^t an biefem 9{u^m unfern Ant^eil. SSSoS
60
nämlid^ tüir ?lHc jufammcn bcfifecn, baran ncl^mcn tüir ol^uc
SBibcrfpruc^ jcbcr Xtjeil" (12, 11). S)a§ ift ein »clcnntnig,
iuclc^cö cigcntUd^ alle uorljer bargeftellten Slnfprüdje ber ©eclc
auf bie Sörautf^aft burd^ ben SRücfcjang auf bic ältere 2lu§:^
leguug be^ ^o^enlicbeö burct)frcuät. SlHe jene Slu^fagcn über
bic bcfonbcre Slui^jeid^nung bcr cinjclncu ©eck, tooburd^ fie
gegen alle anberen ©enoffen ber ftirdjc im unmittelbaren SScr^
le^r mit S^riftnö unb ®ott felbftftänbig gcmad^t ju fein
fd^ien, finb ^ienac^ cigentlid) ungültig! 3Jun biefe Folgerung
tüiß icl) nidjt jic^cn; für ben SRcbner ift an feinem Ort Seibcö
ttja^r, — ober Söcibeö cingcbilbet.
Slber fo üicl ift iüo^l !lar, ba§ bie m^ftifc^c ©c^auung,
iücldjc unter fo ütoeibeutigen Öebingungen baS unmittelbare bc*
fonbere 9Serf)ältni6 ber einjelneu ©eele ju ®ott bilbet, gar ni^t
barauf angelegt ift, ba§ biefci^ auö ben fat^olifdjen Söcbingungen
ber SJorftellung in ben 5ßroteftanti^muö ^inauöivac^fe, unb fid)
l)ier al^ ben eoangclifd^en ß^riften entpuppe, toeldjcr üoQ üon
S^rfurd^t unb 9Sertrauen gegen Oott unter ben Siötljen beö
fiebenö unb üoU Xrcuc be« ©icnfteS gegen @ott in bem ttjelt^
li^en Söerufe ift. Söeibe ©eftaltungen finb üerfdjiebenartig ober
Dielme^r entgegengcfefet in i^ren toefentlic^cn SKertmalen. Unb
l^iebei ift lein geringe^ ©emid^t bem Umftanbe bcijulegen, ba§
bie fentimentale grömmigteit mit il)rer m^ftifd^en ©pifee eben
nur ÜWönd^en jugcmut[)et ttjirb, mel^c gar feine ©elcgcn^eit
^abcn, i^ren Olauben an ben 9Serfuc^ungen burd^ bie ©orgen
bejS menfd^lic^cn Sebenö ju erproben, ©o bient biefe 3lac^tt)eifung
baju, ben ©cgenfafe be« latljolif^en unb euangelifdjen ß^riften*
tl)umö oollftänbigäu beftimmen. Sllfo bie®nabeiftbcroberfte ©efid^t^
puntt nidjt augfc^liegl.idj für bie eüangelifd^e grömmigfeit, fie ift cö
an6) für bie tatljolifd^e. 9iur bie Folgerungen unb äntocnbungen
bicfei^ oberften ©cbauten!^ finb anberc bei ben im forgenfreicn
Seben fte^enben SKönc^en, unb bei ben eoangelif^en ß^riften,
tocld^c in bem loeltlic^en ©taube i^rcS ßcben^ bleiben unb in
ben unumgänglid^en ©orgen beffelben bie 5ßrobe il^reö ©laubenS
Iciften follen. S)iefe alfo ^aben fid^ oon il^rcr SBerfö^nung mit
©Ott ober i^rer ffirlöfung üon ©c^ulb unb Ucbel baburc^ ju
überführen, bag fie bic Hemmungen bc^ Seben^ burc^ bo^ Skr*
trauen auf ©ott unb ba^ üon bemfclbcn erfüllte ©cbct übcr^
n^inben. hingegen bic ^önd^e unb bie mönd^ifd^ S)cüoten in ber
61
tat^oUfd^cn Äird^c bürfcn fid^ if)tc ffirlöfung burd^ ß^riftug bc^
toä^rcn in bcr Ucbung ber ©Icid^l^cit mit itjm in fcntimentalcm
©^meti unb fcntimentaler fiuft biö jur $ö^c bcr (Sinigung beö
©cifte^ mit i^m nnb @ott, — fo lange mic biefcr @cnu§ bauert
unb nid^t ber Siroden^eit bcr (Smpfinbung 5ßla^ mad^t. S)aju
fommt, ba6 bie ©eroi^^eit ber SSerfö^nung in bem 9Sertraucn
auf @ott für bie Suangetifc^en bie notljmenbige SSorauefe^ung
ber Heiligung, ba§ aber ber ÖJenug ber ©rlöfung in bem järt^
liefen Umgang mit bem ^etlanb für bie ^at^olifd^en ein mög<
lieber Anfang i^rer Heiligung ift.
5. 2ntfftttf^nm ttnk SalHinidmuS.
©efefct nun, bag bcr 5ßieti§muö auf ben ©ebieten bcr
lut^crifd^en unb bcr reformirten Äird^e im ©runbc bie Xenbenj
ber SEBiebertäufer erneuert ^at, jo toirb e§ ferner barauf anfommen,
welche bcr beiben cbangclifd^en fiird^en für jene ©aat empfang*
lid^cr njar. S3on biefcr allgemeinen Unterfud^ung ift junäd^ft bie
Sorfragc abjujttjcigcn, toie tocit bie Slnalogic jtoif^cn ^ttjingli'ö
Wcformationöabfid^t unb ber SBiebcrtäufcrci rci^t. S)enn bie
t^colratifd^c Slrt, in tüclc^cr 3^i"9'i feinen SRcformation^plan
QUi^cbilbct l^at, ift befanntUd^ für bie reformirtc Äird^enbilbung
in ber ©c^toeij nid^t maggebenb get^orben ober geblieben; jene
Scnbcnj 3^i"flli'^ berührt fid^ aber mit bem S^arafter ttjcnigftcnä
eined X^eilci^ bcr SSSiebertäufer. 3^i^S^i ^^t befanntlic^ nic^t
Wog bem ©taat bie birccte Aufgabe ber Pflege bcö K^riftcn*
t^umö unb bcr Deformation bcr ftird^c beigemeffen, fonbern aud^
bie Verbreitung bcr lc|tern burc^ poUtifd^e @{cn)aU für angc»
jcigt gehalten. 3n d^nüd^cr Steife ^at bie n^icbcrtöufcrifc^e
@ruppe unter ber fieitung bon $ang $ut fid^ vorgenommen, a\&
büd koa^re Sfracl aUc gottlofen ßanaaniter mit bem ©d^mertc
auSjurotten, unb bie SSStcbertäufer in äRünfter ^aben nac^ biefcm
antriebe gcl^anbclt. ^iefe gcn^altt^ätigc Haltung ift frcili^
unter ben SEBiebertäufern eine ^u^na^mc bon ber grunbfä^Ud^cn
(Irriebfertigfcit unb 9iac^gicbigfcit gegen bie il^ncn angetl^ane
62
©etpalt. Snbeffcn t[t biefe SlDtoeid^ung atö SSortDegnal^me ber
crtrartetcn ©crtd^t«* unb ^errfd^crgcttjalt S^rifti fcl^r t)crftonb=
l\6). S)ic t^cofratifd^c ?lnfic^t erjcugt alfo auf bcibcn ©eitcn bic
SiUigung ber ®ctoalt jum gtucdc bcv SJurc^fu^rung bcr d^rift^
liefen 9{cform. Slllcin babei tualtct bcr gro^e Slbftanb ob, bag
Sroinglt bic ÜRittel bc« bcftctienbcn ©toate^ ^u bem Qmdc einer
mirEUc^ fitttic^cn Seben^orbnung ücnpcnbct f)at, bog hingegen
bic aBicbertäufcr i^rc in fittlic^cr fflejie^ung öcrbäd^tigen ober
gar ücnocrflid^en ßrocclc auf ben Sirümmcrn bcr ©taatSorbnung
burc^ä^fä^^cn fudjten. S)cmnad) lann bie ÜRünfterifd^c I^eo*
hatte bcr aBiebertäufer fc^toerlid^ atö bic folgerechte ßoufcquenj
bcr ßüric^cr 3;[)eoIratie 3n)ingli'e erfd^cincn. (S^ gicbt eben feine
golgerid^tigfeit, ttjcbcr eine logifd^c nod^ eine moralifc^e, jtuifc^cn
ben fittlid^en unb ben toiberfittlid^en ßrocdtcn bcr einen unb ber
anbern Mid^tung, jioifd^en bem legalen Slnfd^tufe Sttjingli'ö an
bie bcftcljcnbc ©taat^orbnung unb bem rabicalcn Umfturj ber*
felben in ÜRünfter. Ätfo ift bic SScrfaffung bcö ©taate^ unb bcr
Äird^e oon Sä^cl^ gerabe unter ber Scitung ßmingli'^ am
njcnigften baju bisponirt getoefen, bie Änfprüd^e bcr SEÖiebertäufer
auf bie Geltung i^reS t)oG[(ommenen S^riftent^umd jujulaffen.
SSielme^r ift ber SBibcrftanb bagegen in Sätidj gerabe bcö^alb
fo fraftooH gcttjefcn, weil man bort ber d^riftlid^en SBcrid^tigung
ber bcfteljenbcn ©taatS« unb ©ittenorbnung fieser toax.
?luf bie t^eofratifc^c Änfid^t gmingli'ö ift fd^on njfi^renb
fcinciS Seben^ feiner ber fd^meijerifc^en ©tänbe eingegangen, unb
in S^irid^ felbft njurbc biefe ^od^ angelegte 83al)n öerlaffen, al«
bie Äataftrop^e Ijcrcinbrad^, in ber S^ii^flti feinen lob fanb.
iBon ba an fam auf bem ganjen @ebiete ber reformatorifd^en
Setoegung be« 16. Sal^rl^unbcrt« ber ©runbfafc jur ©eltung, bag
ber S)ienft, ttjcld^en bcr ©taat ber d^riftlic^en SRcligion ju leiftcn
ptte, nur in ben cinjelncn Territorien bered^tigt, unb ba§ er
nur befenfiö fei, bag alfo bic d^riftlid^c ©in^cit nur in bem
SBcIcnntnig, nic^t in bcr rechtlichen SSerfaffung, ja faum einmal
in ber Drbnung bcö ©ottei^bienfte^ ju erftreben fei. SBic nun
bic ©emeinfd^aft im Scfcnntnig fid^ in ben lutfierifc^en unb ben
reformirten 3^eig gefpaltcn ^at, braucht l^icr nid^t erörtert ju
ttJcrbcH. hingegen fommt noc^ eine gunction ber Äirc^e in 83e^
trac^t, toelc^e eine anbere ©ruppirung ber Xerritorialfird^cn nad^
ftc^ jie^t, als welche eben bejcic^nct ift. S)iefc ^^unction ber
63
Äird^c ift bic 3)töciplin. 3)0^ in bcr ©d^ölung bcrfclbcn ätoifd^cn
bcr lut^erifc^cn unb bcr rcformitten Sird^c Slbtocid^unacn üou
cr^cblid^em ©ctpid^t üorfommen, l^oben bie ©trcittl^eologcn bc^ 16.
Sa^v^unbert^ fid^ nid^t ftar gemacht. SRan \)at aber aud^ in
unfercm So^t^unbcrt Icinc jnrcic^cnbc Slufmerffamteit auf bicfen
©cgcnftanb gerid^tet 0. ®ö ift aber fe^f leicht fcftjuftcHen, bag
in biefcr §infic^t ber Salüini^muö nic^t nur bem gefammten
Sut^ert^um gegenüber fte^t, fonbern auc^ ber tlrd^Ud^cn Drbnung
in ber beutfd^en ©c^toeis, ober bem cigentlid^en ©ebietc gmingU'^.
3)iefc^ ^at bcr ßalüiniömu^ mit feiner ßel^rc unb feinem officicHcn
Se!enntnig (nur mit Slu^na^me üon ®afelj ju occuviren öcr^
niod^t, ni^t aber mit feiner S)iöciplin; unb aud^ in jener $in«
ftd^t ift eine Swingli'fc^e Unterftrömung immer toirffom ge*
blieben, aber ferner ^at ber Eabini^mu^ ouc^ in ben beutfc^cn
3^rritorien, bie feiner Sel^rauctorität folgen, in bcr 5ßfalj, Söremcn,
Reffen, Stn^alt u. f. \x),, feine Slrt ber S)iöciplin nidjt geltenb
mad^cn bürfen. 3n biefcr SBcjicI^ung l^at er feine ©cltung nur
in ben Sanbern auger^atb ^cutfd^Ianbd burc^jufe^en uermod^t,
unb l^at in ^eutfc^Ianb nur üon ben 92ieberlanben au^ l^inübcr^
gegriffen nod^ Dftfric^lonb, fotoic nad^ ^iilid), Klcöc unb ®erg.
?llfo wenn bie ©i^iplin aU ein beac^tenömert^cr ©d^eibung^
grunb im Ärcife bcr reformatorifd^en Äirc^en bcrüdtfic^tigt toirb,
fo ftnb ber augerbeutfc^e Satüini^muS unb ba^ beutfd^e j^ird^en^«
gebiet, h)e(d^ed ba$ fiut^ert^um unb ben ßminglianiSmu^ umfaßt,
einanber gegenüberjuftellen.
ßalüin \)at oHerbingö feine Äird^engrünbung in @enf auf
feinem anbern SBcge bur^fefeen fönnen, aU auf ttjcld^em bie re^
formatorifd^en Stird^enbilbungen in Sut^er'^ unb in g^i^flli'^
SBirfungöfrei^ erfolgt toaren, nämlid^ burd^ bie Sluctorität bc^
©taateä. Unter biefen Umftänben njar überall in ben beutfd^en
unb fc^weijerifd^en Sierritorien bie firc^lid^c S)i§ciplin in bie
^finbe ber Dbrigfcit gefommcn. ©aju aber Ratten öerfc^icbenc
1) 94 ^^ (tniufUgen, baft Gd^tnib a. a. O. 6. 442 eine Innung
bat^on ^t, bag )tDtf4en fiut^ert^um unb (EabiniSmuS auf btefem $unft ein
Unterf^ieb obUHiItet; er f^ai nur benfelben ni(^t flar gefieUt, »etl er ben Segriff
iHm ber ftird^, toel^en er ben iReforntirten tm^utirt, t)on <!)oebeI annimmt;
all ob ef feine reformtrten Sefenntni^f^nftcn gfibe, bie an i^rem Ort ebenfo
^^n SBert^ ^aben, aU bie fUr S^mib oerbinblic^en lut^rifd^n.
64
©rünbc gctüirlt. SRämlid^ t^eiltocifc l^attc bic lirc^Ud^c ©iöciplin
in bcr mittelaltrigen ^ßrajiö bie ©cftalt ttJcltUd^cr ©trofcn an«
genommen, ttjclc^c nun in Solge bcr Deformation bcr ©taat ein*
fad^ ü6crnat)m. I^cife tonnte bie eigentlid^e Sird^enftrafe, bic
Hug[c^Itegung üom Slbcnbma^t, nid^t ben einjelnen ^aftoren
überlaffen, fonbern mugte oon ben lanbeöljerrlid^en ßonfiftorien
übernommen werben. Ober tt)ü, wk burd) Sucer (1531) in Ulm,
eine befonbcre Scl^örbc jur SluöüDung beä Sännet (oier an« bem
SRat^, jttjei ^rebiger, itoei ©emeinbeglieber) eingefefet tourbe, toar
Dorbe^alten, ba§ fie bie ffijcommunication nur auf Sefe^l bc«
3iatl)e« er!ennen burfte *). Scboc^ ift biefer 9Serlauf bcr ©ac^c
inncrljalb bcr beutfd^en, ingbefonbere bcr lut^erifc^en Äird^en^
bilbung nid^t b(o« au« jenen äugeren unb iufäQigen iRfidfid^ten
eingetreten; fonbern toirb üon Anfang an burd^ eine bestimmte
X^eorie über bic ßompetcnj bcr Äirc^c unb bic bc« ©taate«
geleitet.
S)ie beiben S^c^Ö^ ^^^ ^Reformation, toeld^e ^ier ju untere
fc^eiben finb, ftimmen barin überein, ba§ bie ©iöci^lin nic^t bloö
au« ber allgemeinen SRüdfic^t bcr gcfellfc^aftlidjcn Drbnung,
fonbern aud^ au« ber 9ifidEficf)t auf bic ®^re S^rifti ober auf
ben befonbern ß^aratter ber d^riftlic^en @emcinfcf)aft not^ttjcnbig
fei -). §ierau« folgert nun bctanntlid^ Saloin, ba§ bie Äirc^c
beftimmte red^tlic^e Organe jur 8lu«fc^eibung ber offenbaren
©ünber befifeen muffe. 3nbcm biefelben nid^t o^ne Untcrftüfeung,
bejiel^ung«tocife SWitmirInng be« ©taate« gebilbet toerben, foHcn
fie bod^ unabhängig üom Staate tptig n^erben; jcbenfan« foQcn
bic ©trafbcfd^lüffe be« Sonfiftorium« an ber @taat«gctoalt nid^t
eine l^ö^erc Snftanj, fonbern nur eine bereitwillige Wienerin
finbcn. S)enn bie 2)i«ciplinargen)alt fei üon ®ottc« wegen unb
nad^ ber 9Sorfc^rift ber ^eiligen ©^rift ein unverlierbare« Stttri^
but ber Äirc^e. §ierüon Weichen aber bie ßut^eraner burd^au«
ab. Uebcreinftimmenb crllärcn Slepinu« in ber ÄD. für ©tral=
funb (1525) unb ®renj in ber ÄD. für Sc^wöbifc^^^aC (1526),
bag bic Sirdjc nur Organe ber ®nabe an fid^ trage, bag bem^
nad^ bic Stufrcd^tcrl^altung be« c^riftli^en Seben« burc§ 2Kittel
1) Wxd^itx ftOO. I. 6. 158.
2) Calvini Inst. ehr. rel. IV. 12, 1. »rcnj ÄO. für ®din)«bif*^tt
(1526) bei 9H4ter I. @. 45.
65
' bc^ 8lcd)tc^, ober bic ©iöciplin Icbiglid^ ein ?lttri6ut ber tüAU
liefen Dbrtgfcit ober bcjg ©toateö fei^). ©entgemSß bcl^auptet
Srcnj, bag bic S)iöciplin in ber alten Äird^e x\aä) ber SSorfd^rift
be^ $Qulu$ nur bed^alb geübt toorben fei, tocil iamaU nod^
feine c^riftlic^e Dbrigleit öor^anben twtr. ©citbem alfo bie aU^
gemeine Stec^tSgetoalt in ben ^anben üon (S^riften ift fc^Qe bie
1) 9. a. O. I. 6. 25: 3n)ei StUcfe ftnb, barin ein (Sl^rlßent^um (e*
{le^t, bai man ®otteS SBort (5re unb bem glaubt, unb feinen 9{a4ften liebe,
^r $rebiger Vmt ift, ba^ fie ®otte8 9Bort (auier unb rein prebigen, ber
toeltlid^n Obrigfett gehört, orbentli(^ )u orbnen, bag (^riftlid^e Siebe unb dHn«
tra(^t gegolten toerbe, unb baS t>er^inberi, ia geftrafet toerbe, toaQ bur(^ ®otte8
SBort t)er6oten »irb. — 6. 40 : QS finb )»ei toefentlid^e etüde gbttlid^en
S)tenfle8 einem ieben S^rißen nöt(|tg, nSmlid^ glauben unb lieben, glauben gegen
(^oH unb lieben gegen ben 9{ä(^f!en. Sin d^^rifl ifl fd^ulbig fie )u (alten, au((
loenn er in ber 2:UrIei to)o(nte. 9ber toeil ^ott ben &(rif!en eine fol((e <!)nabe
betoiefen ^t, ba^ fie eigen Sanb in toeltlii^er (Setoalt inne (aben, fo ift bie
Cbrigieit al8 ^riftli^c ®Iieber unb ^itgenoffen ber ftinb{((aft ®otte8 {((ulbig
anjurid^ten aüe% »aS (^(rifluS in einer (^rifilic^en Serfammlung öffentli^ )u
t^un befohlen ^t. S)aS pnb oorne^mli^ brei StUcfe, nAmlid^ $rebtgen baS
Q^angelium, Saufen unb baS ^aä^imafH (E^rifti (alten. 9ei biefen StUcfen,
fo fie orbentli^ unb ber (Sinfe^ung (E(rif!i gemAg gehalten »erben, mag man
nennen unb erlennen eine 4nflli((e Pirc^e. — 6. 45: ^ie Cbrigieit (at
ttberaQ ben Qeruf, bie Söfen oon ber ®emeinf((aft, ber fie na((t(eilig finb,
bur4 bie 0e»olt beS 8((»erte8 absufonbern. Snbem nun (l(ri^8 feine
ftir^e bur(( 9Bort unb @acrament berfammelt, toiO er )uglei((, ba^ fie e(r«
baren S^anbel fü(re. gferner »iH ^(riftuS, t>ai bur(( böfen SBanbel ber ((rifl«
lii^e 9{ame m((t oerune^rt unb bie ®uten ni((t oerfü^rt »erben, ^a nun ober
in ber filteflen Pir((e bie ^(riften feinen $efe(l »eltli^en €((to)erte8 gehabt
(üben, ba8 bamal8 in ber ^anb ber l^eiben unb äuben »ar, fo (at €(rifht8
bie Orbnung be8 9anne8 na(( Ttt 18 eingefe^t. ^ie ^u8Ubung beffelben
iommt in bie ^nbe ber 9[elteflen ber ®emeinbe, ju benen ber @pidcoj;)u8 al8
Serffinbiger beS 9ßorte8 (SotteS gehört. — @. 46. 2Beil aber ie^ ba8 @4»ert
nic^t me(r in b(r i^anb ber Ungläubigen ifl, fo ift e8 oiel itxätUx, ein ((riftli^
ehrbares 2eben unter bem (^riftü^en ^olt )u erhalten. S)enn eine f oI((e Obrig«
feit trfigt ni((t aQetn @orge, bag eine »elt(i((e 6(rbar!eit on ben Untert(anen
erlogen »erbe, fonbern fit (ilft auät, ^<^i ^ic ((rtftli^e 6(rbarlett t(ren
3&rgang (abe. 3tbo<( giebt e8 9erge(en, beren ft(( bie »elt(i((e Obrigfeit
ni^t annimmt, s. 5B. $erftt(rung oon Jungfrauen ober SBitt»en unb (i(ebru((,
obgIet4 biefelben ni((t blo8 im mofatf^en, fonbern au(( im faiferli((en 9^e4t
fftr ^afbar erHfirt »erben. Um nun biefen SUnben, »el^e bie Obrigfeit unge«
fhraft I&ftt, entgegen)u»irlen, ift ber Sann bur^ eine S^nobe oon ^rebiger unb
Bürgern )u üben, bamit ni((t bie (eiligen ^acramente oor bie ^unbe ge«
»orfen uub bie frommen (l^(rifien ni((t gedrgert »erben.
I. 5
66
iRotl^toenbigfcit ftrd^Iic^er ^isciplin im ©attjen toeg. SBcnn bie^^
felbc aber für gctoiffc gäHc anä) üon Srcnj üorbcl^altcn toirb, fo
gcfd^ic^t e§ nur im ©innc bcö ©urrogatc^, tpcil unb fo lange
bie Dbrigfcit gefc^Ic^tlic^e SSergc^cn, obglcid^ fic gegen göttU^e
unb laif erliefe ©cfefee öerftofecn, nic^t für ftrafbar ad^tet.
3n bicfer (Srörterung ift bcutlic^ bcr ®cban!c auggebrüdt,
ba§ bie Äirc^c, fofern fie bie ©emeinfc^aft auö ber göttlichen
@nabe unb bie Zrägerin ber @nabenüerfünbigung ift, grunbfä^^
lid^ feine ftvafred^tlid^e Sompetenj über i^re Slngel^örigen l^aben
lönne. SBenn alfo biefeö ?Ittribut an bcr Äird^e üor!ommt, fo
ift ed nur burc^ ein jufäUigcS 3J2igücr^ä(tnig jtotfc^en JSird^e unb
©taat in einer getoiffen ßeit ju erlldren. SBenn jeboc^ bcr ©taat
ber fittlic^en SBeftimmung feiner ©trafgetoalt im ©innc beiJ
(^^riftent^umd ftd^ bcn^ugt mirb, fo l^at bie ^ird^e ftc^ i()rer
^iSciplinargen^att ju entlebigen, um i^ren S^araftcr aU Steligiond«
gemeinfd^aft um fo ungetrübter audjuprägen. ^iefc ^ebuction
ber blo^ bcbingtcn Siot^ioenbigleit ber S)i^ciplin für bie Sirene
ftammt üon einem ©enoffen Sut^cr'g ^er, toeld^cr iXoax nur ben
itoeiten 9iang einnimmt, unb feine bcr fpäteren Sird^enorbnungen
enthält ä^nlid^e ©ebanfen; nid^t^befton)cniger ift biefe Erörterung
für ben SScrlauf ber ©ad^e im ©ebiete ber lut^erifc^en 8lefor*
mation atö maggebenb ju ad^ten, n)eil fte auf bad ©cnaufte ju
bem teitenben SSegriff Don ber Äird^c paßt. SKan l^at, o^nc c8
iu tüiffen, ba^ calüinifd^e Sbeal im ©inne, toenn man ein SKcrt
mal ber ©c^ioäc^e ber bcutfdien {Reformation barin erfennt, baß
fie bie firc^lid^e S)i^ciplinargen)alt t^eiU birect bem ©taate über^
lieg, t^eilig ber Cognition ber ftaat^fird^Uc^en ^e^örben untere
ttjarf. 35iefer JBerlauf tüirb üielme^r principieß gerechtfertigt
burd^ ben lut^crifd^cn ©ebanfen, ben Äepinuö unb SBrenj öer^
treten, baß bie Sird^c al$ Organ ber götttid^en ©nabe nid^t ju^
gleich grunbfä|lid^ Organ be^ ©trafred^teö fein fönne. Unb biefer
©tanbpunft toirb auc^ nod^ burd^ anbere ä^^^^flniffc inbirect be*
[tätigt.
3n ber jn)eiten ©eneration ber lut^erifd^en ^ird^enbilbung
nämlic^ ^at Sra^muS ©arceriuS, ©uperintenbent ber lab'-
liefen ©raffd^aft aRanöfelb, einen golianten „S3on einer S)i^iplin,
baburd^ S^d^t, Zugenb unb S^rbarteit mögen gepflanjet unb
erl^atten toerben" (1556) — gefd^rieben, morin er ba^ bringenbc
®ebürfni6 nad^ biefer ginrid^tung unb bie 2Kittel ju i^rer $er-
67
ftcQunfl erörtert 0- ®* fäöt nun auf, bag er Don öoml^crein
ntc^t bte firc^Uc^e ©enoffenfd^oft, fonbern bad bcutfd^e SSotf ol^
ba^ ©uDjeet ber ^i^cipttn inS %uge fa§t. tiefem n)tvb junä^ft
bad @ctt)iffen ttjcgcn be^ 9ScrfalIeö bcr ©ittcn gefc^ärft, inbem
bte ©egeniDart mit ber taetteifd^en @d^i(berung ber ^eutfd^en
Dcrgüc^eu n)trb. ^emgemäg n)irb bie me(tlic^e Dbrigtett als bte
@tQtt^a(terin @otteg j^ur ^erftetlung einer ^i^ciplin in ^nfprud^
genommen; unb inbem boj^u übergegangen toirb, ba§ oud^ bie
fi(trd|enbiener boju berufen [inb, fo lautet ber Sludbrud ba^in,
bag biefelben i^rem %mte fd^ulbig [inb, eine ^i^ciplin l^elfen
aufrundeten. SRan glaubt ferner, in bem ^nä) gar nic^t mit
einer Slufgabe bed lirc^lid^en Sebend bejd^äftigt ju fein, n^enu
bie ftaatlic^en i^unetionen ber ©efe^gebung unb 9iec^t^übung
gcmäg ben S3eifpie(en aud d^riftUd^er unb (jeibnifd^er 3<^it/unb
menn SReid^^tage, Sanbtage, @täbteorbnungcn unb ade Hrten ber
@eric^te als bie SRittet }ur Slufrid^tung einer ^töeiplin empfohlen
mcrben. 35iefeS ©erfahren toirb mand^en Ideologen ber @egen=
mart um fo me^r befremben, wenn er mit biefen SSorfc^Iägen bie
boimtfd^en laufenben klagen über bie Smmoralität ber $ö[e unb
bie Suriften oergleic^t, n^elc^e gegen baS Sntereffe ber JHrc^e
gleichgültig ftnb. S)iefed @efäge Don ^orberungen unb 9iat^<
fc^lägen, in n^eld^em bie toeltlic^^red^tlid^en unb bie lird^lic^en
SKottDe für bie ^i^iplin jufammengefagt merben, toürbe DöQig
unDerftänblic^ fein, toenn man bei „einer S)i!^ciplin" an bag lat^o^
üfc^c unb an boS calüinifd^e Snftitut ber Stbfonberung ber offen*
baren @ünber Don ber (Sultu^emeinfr^aft beulen mügte. hinein
btefe Sebeutung bed äSorted fommt bei ©areeriuS nur gelegent^
lic^ jur Geltung. Stegelmägig Derfte^t er unter einer ^iSeiplin
bie Diel umfaffenbere Aufgabe ber guten ©itte, ttjeld^e bie
^ruc^t ber n)a^ren Su§e, unb p bereu ^erftellung neben ben
@efe^en beS ©taateS ^auptfäd^lid^ bie $rebigt beS SDangeliumS
iDtrffam ift. 93ad bie ^iSciplin gemö^nlid^ bebeutet, nämlid^ bie
©trafen ber Äirc^e gegen bie öffentlichen Uebertreter beö gött^
lic^n SSiüenS „ju i^rer felbft ^efferung unb anberen fieuten
1) i)tefe e^rift ifl ni^t htxMfxä^W^i in ber %b^. oon engel^arbt
(lofilanb $rof. ju d^rlangen) »SraSmuS SorcenuS in feinem Ser^filtniB )ur
•cfimte ber ftir^ensu^t unb be8 ftir^enregimentS in ber lut^erif^en ftir^e' ;
Sfüf^rift fflr bte (i^orifc^e t^ologie 3o(rg. 1850, ^eft 1. 3nbef|en n)irb
ber (eitenbe (Monfe bei 6arceriu8 bafelbfl S. 89 au4 angebeutct.
6g
jum Sjcmpcl be§ Jlbfd^redtcnö", ipirb üon ©arceriuS nut ange^^
^ättgt an bie äJ^ttel unb fSScQt, in benen ba^ göttliche ©efe^
jur Sludfü^rung im iBoÜc gcbrad^t tuirb. ,,(£tn fd^öncr unb lüb^
lieber Stnfang tüärc cg ju einer ©iöcipUn, ba§ ein {cbcr Unter«
t^an einen SJiann befferte; alöbann ioürben pe mit bcr ßeit alle
gebeffert. Stern ba§ ein jeber ^au^üater in feinem $aufe erft*
lic^ für fid^ unb bie ©einen einen ©runb jur gemeinen ^i^iplin
legte, inbem ein jeber fein SBeib, Äinber unb ©efinbe jum SBeften
ant)ielte. Sltöbann wäre c« ber Dbrigfeit unb ben itirc^enbienern
befto leidster, eine gemeine unb öffentlid^e ©i^ciplin (nämlic^ burd^
©trafgeto'alt) anjufteHen." Äud^ inbem ©arceriuö ben Äirc^en-
bienern Dorfd^reibt, mit welchen SKitteln fie eine S)i^ciplin ^erju^
fteHen l^aben, fo bejie^en fid^ äef)n Kapitel auf il^rc perfönßc^e
Haltung, il^re gute §au^uc^t, i^re Ireue in ber ^ebigt öon
ber Öufee, ber ©nabe, ben Saftern unb 2;ugenben, auf ?lb^altung
t)on ©^noben unb Sifitationen; unb erft banac^ n^erben i^nen
bie Äirc^enftrafen unb bie Auflegung öffentlicher 35u§c angcrat^en.
^ie beiben @d^lugca))itel bed ganjen 93ud^e$ aber finb p^ft
d^aralteriftifd^, inbem afö bie fonberlic^en unb fräftigen SRittel
ju Aufteilung unb Srl^altung einer ^iSciplin bie (Sinrid^tung
guter ©d^ulen unb n^ieberum bie gemeine unb brüberlid^e Sr«
ma^nung angegeben n)erben.
S38enn man fic^ erinnert, in njcld^em ©inne bie Sleforma^^
toren bed 16. Sa^r^unbertd bie Slufgabe ber f ird^lic^en ^iiSeiplin
aus ber allgemeinen Ueberlieferung übernommen ^aben, unb in
n^elc^em ©inne fie bie gleid^jeitige Lebensaufgabe Salüin'd bilbete,
fo ertennt man, bag ©arceriug bie 3lufgabe erl^eblid^ öerfd^oben
^at. ®r meint unter ber S)iSciplin, bie er burd^fefeen tt)ill, bie
moralifc^e ©rsie^ung beö ganjen SSolfeö. ßu biefem
Qtocd tonnte er bie ftaatlic^e ©efefegebung unb SBemjaltung mit
ben Sebenömotiüen ber d^riftlid^cn 8?eligion jufammenfaffen, unb
jnwr in ber Drbnung, baß jene 2Kittel ber njeltlid^en Dbrigfeit
ben JBortritt ^aben. ©ofern er nun aber aud^ noc^ ben urfprüng-
liefen ©inn ber firc^lid^en ©traf*^iSeiplin im Slugc bel^alten ^at,
tonnte er mit 9{ec^t behaupten, bag biefed äRittel gur $er«
ftellung ber öffentU^en SKoralität nur auf jener Unterlage bcr
moralifc^en (£r)iet)ung beS SSolEeS ausführbar unb gmecfmägig
fei. Seboc^ nid^t unbeutlid^ taud^t bie Ueberjeugung auf, bog
in bem äRage als biefe ^(ufgabe gelöft toirb, ieneS fird^ltd^e
69
©traföcrfo^rcn afö flbcrpffig crfc^cincu muß. ,,3)cnn tt)o eine
Sidciptin ift, ba gelten alle ^inf)e in [einer Orbnung rec^t unb
tDO^l ju; ba t^ut ein jeber Untert^an in feinem 93eruf, toa^ er
ju t^un fd^ulbig unb pflid^tig ift; ba ift @e^orfam unb aUe^
@VLtc^; ba ift griebe unb ffiinigleit; ba ifüirb @ott gegeben toa^
©ottcd ift ber Dbrigfeit toaö i^r ift."
aSenn man njiffen toiH, ttjeld^cg bie Haltung bcg Sut^er^
t^umiS in ^infic^t ber Iircl)lic^en ^i^cipün ift, fo barf man fid^
nid^t auf bie äBa^rne^mung befc^ränfen, bag biefelbe burc^ i^re
Ucbcrtragung auf ftaatlic^e Organe üerlümmert fei. 3n ber
©egcnttwrt fc^liegf biefe Slnfid^t meifteng bag Urtl^eil in fid^,
bag baburd^ ber tut^erifc^en jfirc^e eine tuefentlic^e Function
verloren gegangen fei, in bereu Beibehaltung ber Salüini^mud fte
übertreffe. 3n biefcr Stimmung ^jflegt man fid^ barüber ^intpeg*
jufetien, bag bie ^idciplin im Salüinidmu^ nid^t minber unaud«
fahrbar geblieben ift, toie in ber tutl^erifd^en Sird^e. äRan barf
aber, um bie ©teQung bei^ fiut^ert^umd ju ber ©ad^e autl^en^
tifd^ unb t)onftänbig ju erfennen, üon ©arccriuS lernen, n^eld^e
uiel umfaffenbere unb gefunbere älufgabe er an bie ©teile ber
fird^lic^en ©trafgemalt gefegt \)at. Unb biefe Aufgabe ift in bem
e))angelifc^en ^eutfc^lanb tro^ aller ©c^mierigfeiten nic^t unge^
löft geblieben. äSenn man aber in ©arceriud' Buc^e bie tief
bunfelen ©d^ilberungen ber fittlid^en ßuftänbe feiner ßeit, fo
wie bie Älagen über bag Sireiben ber ftaatlid^ ^eröorragenben
@efellfc^aft lieft, meld^er er bod^ jumut^et, auf feine Stat^fc^läge
einjugel^en, fo muß man bie $raft feinet praftifc^en Sbealidmu^
unb bie @ebulb bemunbern, in meld^er er an bie ^ui^fü^rung
ber Aufgabe glaubt. Slud^ an ber §anb biefe^ Bcnf^tn alfo er--
giebt fic^, bag bie lut^erifc^e änerlennung ber fird^lid^en ^iicu
plin nur eine bebingte ift. ©ie ift in folgenber ^ormel auiSju^
brüden: ^SBcnn lird^lid^e ©trafgetoalt ftattfinben foll, fo ift fie
nur möglich unter SSorauSfe^ung ber ftaatlid^en unb religiöfen
(Erjie^ung bed SSolfed jur äRoralität." Snbeffen mirb bagegen
eingemenbet n^erben, bag ©arceriuc^ nid^t genügenb legitimtrt fei,
um auf biefem $elbe als SSertreter be^ fiutl^ert^umd ju gelten,
ütö ob ben Sln^ängern Sut^er'i^, ju meieren ©arceriu^ gehört,
jujutrauen »äre, ba§ fie über eigene ©ebanlen üerfügt ptten!
3)er itertt feiner Stuftest nämlid^ fann gerabe bei Sut^er nac^^
geiotefen werben.
70 '
3n bct ffirllärung bcö ?ßrop^ctcn Socl, welche SBcit Dictri^
nad^ bcit SSorträgen fiut^er'i^ 1547 ^craui^gcgcbcn l^at ^), Ocjic^t
fid^ Sut^er auf bie ucrbreitctc ^nftd^t, bag bct SBann, atö bie
Sudfd^Itegung Dom ^benbma^l t()eilS burc^ bie 9iaci^Iäfftgfeit bcr
Äirc^cnbicncr, t^citö burd^ bie Ungunft bcr Dbrigfcit in äbgang
gclommeu fei. §icgcgen aber madöt er geltcnb, baß bie ©c^ulb
baran bei ber ganjen d^riftlic^eu ©efellfcftaft fei. Seber laffe ^
haxan fehlen, feinen Slad^bar tüegen Unred^t unb ßuc^tlofigfeit
ju n^arnen unb ju ermahnen, um i()n ju beffern. Tlan pte fid^
baüor a\\^ äßenfc^enfurd^t unb auS ^cforgnig, in gleid^er SSSeife
t)on ben Slnberen be^anbelt ju n^erben. ^ie eigentliche Urfad^e
beg SSerfüQe^ be^ Söanneö fei alfo ber Umftanb, bog bie tpa^ren
ß^riften in fo geringer 3^^^ üor^anben feien. S)iefe Setrad^tung
fiut^er'^ fü^rt atfo not^menbig ju ber Folgerung, bog tpenn ber
Sann in Uebung fommen foQ, Dor SlHem bie Srjte^ung beS
fßolk^ jur magren c^riftlid^en aJtoralität not^menbig ift. 3^9^^^^
aber mac^t Sut^er nod^ üon anbercr ©eite l^er barauf aufmert
fam, bo§ ber Sann nur rclatiüen SBert^ für bie Äirdöe ^abe.
S)enn berfelbe rid^tet fid^ nur gegen öffentliche Slergerniffe. Siic^t^
beftü weniger finb bie l^eimlid^en ©ünber, toelc^e in ber c^rift^
lid^en @emeinbe an ben @a(!ramenten t^eilne^men, tuie Sut^er
crllärt, de facto üon @ott gebannt. SEÖenn biefelben burd^ i^re
fc^cinbare Haltung 2Kenfd^en betrügen, fo finb fie boc^ ©otteö
©eric^t ücrfallen. §ierauö folgt, bag bie Uebung ber firc^Ud^en
©träfe gegen bie öffentlid^en ©ünber ben Qtocd gar nid^t eneid^t,
bie ©emcinbe öon ben ©ünbcrn ju reinigen ; üielme^r tuirb burc^
jene gunction bie Seforgnig nal)e gelegt, ba§ bie ^eud^ler fic^
in ber Äird^e gerabe alö bie berechtigten behaupten. SBenn auc^
fintier fic^ fo nid^t auögef^roc^en ^at, fo legt er boc^ biefe öe*
trad^tungen ebenfo na^e, al§ biefelben baju bienen, bie blo^ rela*
tioe SBebeutung beö Sannen für bie Äird^e, bie er einräumt, in
ber üon il)m eingef^lagenen Mid^tung ju erproben, ©o fel^r er
in thesi bie S^^^^^^Bid^^i^ ^^^ Saunet unb bie ^flid^t ber
Äirc^enbiener, i^n ju üben, aud^ bei biefer ©elegcn^eit öorbe^ält,
fo menig ift er ber SKeinung, bafe bie Äird^e um eine i^r njefcnt*
lid^e Function üerlürjt roirb, toeil ber Sann in Abgang gc*
fommen ift.
2)ie entgegengefe^te Slnfic^t Saloin'd finbet i^re am näc^ften
l) Opp. latina, ed. Witeb. Tom. IV. fol. 614^; SBolc^ VI. 2404.
71
ftc^cnbc Siegel an ber Art, tote er bic Sluctoritfit beg 9i. Z. in
btefem ^alle jur 9(nn)enbuna brad^te. %l^ Tlann ber itocittn
©encration [tcl&t et ber Äuctorität ber ^eiligen ©d^rift toentger
frei gegenüber atö Sut^er; allein er untcrfd^eibet fid^ auf biefem
fünfte aud^ öon ben Sut^eranern überhaupt. S)icfer Äbftanb
fommt nun barauf ^inauS, bag Satüin nid^t blo^ ben reltgtöfen
@ebanfen(reid bed 91. %., fonbern auc^ gen)iffe fociate Stn^
rid^tungen ber erften d^riftUd^en @emeinben für bauernb üerbinb^
Uc^ achtet, n)ä]^renb Sut^er unb bie etgentlid^cn Sut^eraner auf
bte le^teren üerjtd^ten. 9lad^ Salüin'^ Slnftc^t tft bie Stnfe^ung
uon ^aftoren unb ^octoren als Settern ber ^rd^e nad^ ben
Slpofteln, o^ne bag ein Stangunterfd^ieb unter jenen Beamten
juläfftg xoäxt, ein l^eiliged, unüerle|ltc^ed unb en)iged ®efe|, eine
(Einrid^tung @otted unb leine 'menfc^lid^e (Srfinbung (Inst. IV.
4, 6. 7); eOenfo bte S)igcil)Iin ate ©traf gemalt ein Slttribut ber
Äirc^, tt)elc^e8 ber §err atö notl^njcnbig öorgefel^en ^at (IV. 12, 4).
Sie ©trafbro^ung, toeldjt $aulu$ im Flamen ber ^ird^e gegen
bad äXitgiteb ber forint^ifd^en @emetnbe rid^tet, gilt für Salüin
atö bie göttlid^e @emä^r be^ t)oQen Umfangt ber SiSci^Iin,
n)e(c^e ber ^irc^e gufte^t. ®renj hingegen üermoc^te barin nur
ein momentane^ ^ebürfnig ber Aird^e ju erfennen, mil e^ nod^
feine c^riftli^e ©taat^orbnung gab. 3n biefer Hbn)etc^ung ift
ber Unterfc^ieb ber lut^erifd^en unb cabinifc^cn ^nfid^t nid^t
blo^ t)on ber Sideiplin, fonbern aud^ üon bem @ebrauc^ ber
Sibel in ber Äird^e offenbar. Der Sut^craner fonnte, toaö bic
focialen Drbnungen ber erften c^riftUc^cn ©emeinben betrifft, baö
91. %. aU Urfunbe üon Vergangenen Suftänbcn anfeilen, tDcld^e
unter Deränberten gcfc^id^tUc^cn ^ebingungen nic^t mcl)r t)er«
binb(id^ finb. Saloin fa^ in ber Sorfd^rift eincS SlpoftetS über
Si^iplin, fo h)ie in ber burd) bas^ 91. %. bezeugten ©cmeinbe-
uerfaffung ber erften Spod^e unüberfc^reitbarc 9lormcn, auf meldte
bie ^irc^e jurüdtgefübrt n)erben muffe.
©0 ioie nun Salüin bie 9lot^tt)enbig!eit beö Söanneö, unb
fo mic er bie «uöbc^nung ber «uctorität be« 91. 2;. üerftanb,
tritt er in bemfelben SWafee auf bie ©eite ber SEÖiebertäufer, afö
er fic^ t)on bem Sut^ert^um entfernt. ^^ fommt nämlic^ ^iebei
nidft auf bte Srage ber Siikiplin allein an, beren Unterlaffung
au^ bie SBiebertäufer, nad^ SButlinger'd 3^u9"i6' ^^^ tut^erifd^en
^räbicanten jum SBonourf machten. Wlaix fönnte t)ielme^r in
72
bicfcr Scjicl^ung gcltcnb mad^cn, ba§ tt)cnn jtoei baffclbc fagcn,
eö nid^t baffclbc ift. S)cnn bic ßalüinifd^c Äuffaffung bcr ijxx^U
lid^cn SRcUgion unb ©ittlid^Icit ift üon bcm gefc^licftcn unb mönd^i*
fd^cn ^ciligfcit^ftrcbcn bcr SBicbcrtäufcr ju Dcrfd^icbcn, alö
bag bloS bic ^nna^crung in bcr @d^ä^ung be^ ^anncS eine
cigentli^c SScrtpanbtfd^aft jtüifdö^n 6ciben crtoicfc. allein aud^
njcnn bicfc Mficffic^t vorbehalten toirb, fo ift boc^ eine Ucbcrein*
ftimmung jtDifd^en beiben barin offenbar, bag bic Stuctorität beö
SR. %. nid^t bloö für bic rcligiöfc SSSclt^^ unb ©otte^anfd^auung,
fonbern aud^ für bie SSerbinblic^feit getoiffcr SebenSorbnungen
ücrtoenbct toirb, toelc^e in bcr erften ©eneration bcr Äird^c üor^
lommen. S)icfe Ucbercinftimmung toirb nid^t aufgel^obcn burc^
bcn üerfd^iebenen Umfang bcr Slnwenbung jencg @runbfa|cö.
3)ie SBicbcrtäufcr folgerten auö bcr ?luctorität be^ 91. %., baß
bic ß^riften ate fold^c ni^t X^eilne^mer am meltlid^en ®taat, ba§
fic üiclmcl^r nur auf bog Bulben allfcitigcn Unred^teö angetoiefen
fein Knuten, toeil bicfeö bic Sage bcr erften ß^riftenl^eit ttjar.
$ierüon toar Sabin toeit genug entfernt ; aber bic SRot^ttJcnbig*
leit bcr ©trafgetoalt bcr Äird^e unb bie Stuöfd^licfeung icber
SRangabftufung jn^ifd^cn bcn Se^rern unb $irtcn bcr Sirene ht-
l^auptete er boc^ nur beö^alb, tocil eö in bcr erften ©eneration
fo gemefen ift, unb bereu (Sinridjtungen i^m alö unbebingt ocr»
binblid^ gelten, ba fic in bcr ^eiligen ©cftrift bejeugt toaren.
?llfo, fo toeit gegenttjärtig gcurtl^cilt uierbcn lann, ift bag Sebenö^
ibeal ßalüin'ö unb baö bcr SBicbcrtäufcr total üerfd^ieben ; bc^^alb
^at auc^ bie ©ii^ciplin für beibe ein ücrfd^iebcneö ©ettjid^t. gür
bie SBicbcrtäufcr ift fie bag äRittcl, bic toirflic^e $eiligleit bcr
iüa^ren ©emeinbc ^erjuftcHen ; für Sabin ift fic unter allen Um*
ftänben ein ÜRittet äugerer Drbnung, roelc^eö man bcr ffi^re
ß^rifti unb bcr fittUd^cn ©efunb^eit bcr einjelnen ©emeinbc:*
glieber fd^ulbig ift (IV. 12, 5). Scbod^ bie Slrt, tt)ie er fie au^
bcm 91. %. aü bcm infpirirten ©efefebud^ ableitet, lägt bcn
©runbfafe bcr Deformation beö ^eiligen granj wieber anflingen,
bag bic fociale Drbnung bcr ©l^riftcn^cit auf bic SÖebingungen
jurüdjufü^ren fei, meldte für bie erfte ©cncration galten. SBon
bicfcr bloö formenen Ucbercinftimmung auö ift cö aüerbing^ nocft
nid^t toa^rfd^einlidö, bag bcr ßaloini^mu^ eine befonbere S)i^po*
fition jur Slufna^m^ ober SBiebererjeugung franciiScanifd^er ober
toiebertäuferif^er Seben^formen in fic^ fd^licgt. 3)enn bic c^rift^
73
lid^e Seben^orbnung Sabin'^ ift barin mit ber (ut^ert[d^cn tben«
tif^, ba§ fie an bte ^ui^übung bcS ScruM unb an bic (Sinrci:^
^ung in ben Staat gctnäpft tutrb. 9lG[cin Sabin ^at bcnnod^
feiner ©emcinbe um ber ?lufrcc^tcrl^aUunfl bor S)iöcipUn toiQcn
ein fittlid^eg ©cprägc beigebrad^t, toelcfieö ba^ gcmcinfamc pro-
tcftantifc^e Scbcn^ibcal erl^cblic^ mobificirt. Um biefeg üerftänbi»
lid^ ju machen, fommt bic pcrfönlid^e fittlic^e 93egabung (S:abin%
jugteid^ aber feine 9iationatität in ^etrac^t.
Sd ift bod^ mcrfmürbig, bag bie ^ranjofcn, n^eld^c für bic
Deformation beö 16. 3a^r]^unbert^ tl^atig eintreten, ganj ent*
fd^teben auf bie f irc^Iid^e 3)i^ctp(in bttad^t finb ; üor Sabin fd^on
SBil^elm garel unb tJranj Sambert. @anj befonberö le^rreic^
ift aber bag Unternehmen biefeö cl^emaligen granciöcanerö bie
^rc^e ^effcnS mit einem 3nftitut ber ^i^iptin au^;;uftatten.
fintier ^atte in ber 1526 ücröffentUd^tcn „S)eutfd^en 2J^effe unb
Drbnung beö ©otteöbicnfte^" ben frommen SBunfd^ nad^ einer
@emeinbe üon folc^en auSgcfprod^en, tve(d^e mit (Srnft S^riften
fein ttJoQen. S)iefe, meint er, müßten fid^ mit Flamen cinjeid^nen,
unb fid^ in einem befonbem $aufe jum ©cbct, Scfcn unb Uebung
ber ©acramentc ücrfammeln. 3n biefer ©emeinbe lönnte man
bic, fo fid^ nid^t cftriftlid^ I)ielten, lennen, ftrafen, beffern, aug^
ftogcn ober in ben SSann tl^un. StQcin Sut^er fügt ^inju, bag
er eine fold^e @emeinbe nid^t cinrid^ten fönne, n)eit er noc^ nic^t
bie £cute baju f)abc, unb nid)t Diele fe^e, bie baju geneigt feien.
Sr fürchtet, bag e^ eine Siotterei gäbe, toenn er auf feinen ^opf
l^in jenen 5ßlan öerfotgcn mürbe. „S)enn mir S)eutfd^en finb
ein milb, ro^, tobenb SSotf, mit bem nic^t (eid^ttid^ ift etma^ an«
anfangen, e^ treibe benn bie P^ftc 9lotI)" *). S)er bgifd^e Qn^
fammen^ang biefe« richtigen, aber menig fc^mcid^el^aften Qcn^^
niffeö fiut^er'd über fein JBoK mit ber üorauggefd^idtten Seforg*
nig, bag bie Stu^fü^rung feinet $Iancd einer engern (Scmcinbe*
bilbung aiüttcrei nad^ fic^ jie^cn merbe, ift o^ne 3^cifel ba^in
äu öerfte^en, bag bie 3)eutfd^cn im ©anjen auf jene^ ©^ftem
nid|t eingel^cn mürben, ^arin ift bie jmeifellod richtige Sinfid^t
auigebrfidtt, bag ben ^cutfc^en ber @inn für bie @(eic^^eit unb
für bie unfreie ©efefelid^teit fel)It, toelc^er ju bem ©^ftem ber
Iir(^Iid^en 3)i^iplin erforbcrlid^ ift. 2)eö^ab ift ba^ ^ßroject
einer fold^en engem @emeinbe, meiere frcimiäig fid^ jur Sludübung
1) »t4t er ÄOD. I. ©. 36.
74
ber 35iöciplin l^crbeitaffcn toürbc, eine ^^antafic ober ein frommer
ffiunfd^, ber noc^tociöltd) Sut^er'g ©cbanten nld^t Leiter bcfc^öf^
tigt ^at. ^cr (^ranjofc fiambert aber I)Qt nid^tö Sttigered ju
t^un gcl^abt, atö jened $rojcct Sutl^er'^ ber ^trd^enorbnung etn^
guücrieiben, mit tocld^er er jn ^omberg bic {Reformation ber
^cffifd^en Äird^c bcgrünben ttJoUtc. 3n bem 15. Sap. biefcr
Aird^enorbnung ^ fd^reibt er üor, ba§ nod^ bem fonntäglid^en
©otteöbicnft biejenigen ÜÄänncr unb SBcibcr jufammentreten
foQen, met^e mit (Srnft baS S^riftent^um treiben unb jur ßa^t
ber ^eiligen gegä^lt tuerben. ©ie foHen fid^ anl^eifd^ig machen,
ber @£communicQtion ^id) gu untertverfen, n^enu cd nöt^tg tft,
unb in biefcr Söcgic^ung aufgcfdiricbcn tüerbcn. 3)iefe ©emeinbe
foH alle 8lngclegenf)citcn unter ber ficitung bed SBifc^of« beforgen;
fie foQ nic^t blöd bic äSa^Icn ber Beamten, fonbern auc^ bic
Sludfc^Iiegung aud ber ©emeinbe unb bic SSieberaufna^mc %ud^
gefc^loffeitcr üorne^men. 3n biefem engern Greife foH aud^ atled
mitget^cilt n^erben, toad Ermahnungen not^n)cnbig mad^t. äßer
nun üon bcu übrigen ©cmcinbegtiebcrn nad^ bem ©eginnc ber
eüangelifd^en $rebigt ni^t binnen 14 klagen fid^ ernftlic^ befe^rt,
luirb nid^t nur üom Slbcnbma^l, fonbern aud^ üon ber $rebigt
unb aQer brüberlid^en ©cmein jc^aft audgefc^loffcn. S)ie eüangc«
lifdjc ©cmcinbc toürbe I)icburd) auf ben gu§ einer Kongregation
ijon lertiariern gefegt werben! 3)icfed meinte ber ©übfrangofc
unb c(jcmalige ^rancidcaner ben Reffen bieten ju fönnen, o^ne
fid^ burd^ ßutl)cr'd Urt^cit über bic 3)eutfc^en ttKirnen gu laffen!
^rcilic^ blieb feine ^irc^cnorbnung auf bem $a))ier fte^cn, auc^
in golgc bed 3iatf)cd, tocld^cn Sutljcr auf ©rfuc^en bcd 2anb=
grafcn ^ß^ilipp gegeben f)at 3n bem Srief *) an biefen gürftcn
betont er ^auptfäd^Iid^, bag ©efe^c nur braud^bar feien, n)cun
i^nen irgenb ein äWaß üon ©ittc entgegen fomme; l^iemit bc*
ric^tigt aber bcftätigt er aud^ bad Urtljcil, toarum bie 3)eutfc^cn
fic^ bad Snftitut ber fird)lidöenS)idciplin nic^t gefallen laffen tt)ürben.
9lämlic^ unter ber oonSutl)cr gerügten 9Iol)^cit unb Unbänbigfett ber
ffieutfd^cn ift i[)r ©inn für inbiüibuelle grei^eit, aber aud^ für bic
grei^eit in ber Sitte ber eigcntlid^e ®runb, ioarum fie fic^ gegen
ein allgemeine^ ®cfe6 ber lirdjlid^en S)idciplin fträuben. 3nbem
1) fft'xäiUx I. 6. 62.
2) 7. 3anuar 1527 im VI. 9anb t)on %)t äBette'S Brieffammlung 6. 80.
75
llingcflcn bcr gi^onjofc c^ ote fclbftücrftänblid^ anfielet, bic fßox^
fc^riftcn über bic ©iöciplin, ttjclc^c i^m baö 5R. %. ju bieten fd^icn,
unmittelbar in Uebung jtu fe^cn, reddnctc er auf bcn Xrieb uac^
@(eic^^cit unb auf bie Geneigtheit, fic^ in aDen äSejiel^ungen
bt^ipliniren ju laffen, tporin feine 93olfdgenuffen gerabe ftd^
Don ben STeutfi^eu unterfc^eibcn.
®ie gefe^lic^e Strenge unb ber Snfprud) auf ^i^ipUnirung
ber SKaffen, »elc^e biefe Scanner mit ber SReformation be^ 16. 3a^r«
^unbertd in SSerbinbung fe^en, finb aber überJ^aupt bie ÜRertmale,
burc^ n^elc^e ftc^ bie burdige^enbe Haltung ber ^ranjofen in bcr
itirc^engef^ic^tc aud/^eid^net. 3d^ erinnere baran, bag bad alte
in Steg^pten au^ebilbete 9J2önc^t^um in @aDien 5ucrft unb mit
(Sifer aufgenommen n^orben ift, ferner bag in ber erftcn $älftc
bcd äKittclaltcrd bic äJJönd^drcformcn unb Stiftungen ju (Slugn^,
S^artreufe, Siteau;, $rämontr^ eintreten, tocld^c um fo beut^
li^crciJ öcugnife fö^ ^^^ franjöfifc^c S^riftcnt^um ablegen,
ate bie ©tifter öon jttjci biefcr Drben 3)eutfc^c toaxcn. grant
xdü) ift gleichzeitig bic ^eimat^ bcr Äreujjüge. 3n bcr ä^citcn
$älfte bed SKittclalterd ift bie Uniücrfität $arid auc^ bcr SRittel^
punft bcbeutcnbcr firc^lid)er Seftrebungen ; immcrl^in ift jene
@emeinbc ber SBiffenf^aft ein großartiger S3ett)ci!^ bon 3)i^ciplu
nirung ja^lrcidöcr aKenfc^cn. ©cit bcr (Spoc^c bei^ 16. 3al^r«
^unbert« brid^t ber ai^fetifd)e Qmq ber granjofcn t^eiU in bcr
Orben^ftiftung Don Sa Sirappe, t^cilS im Sanfenidmud, nic^t
minbcr in ber quietiftifc^en SK^ftif ^croor, bie jtt)ar nid^t unter
ben granjofen entftanbcn ift, bodl) unter i^ncn bic crl^eblid^ftc 9Scr*
tretung gefunben ^at. daneben barf an bic ©rttnbungcn bed
Sincenj Don $aula erinnert tt)erbcn. ©nblic^ ift feit bcr SRcoo:«
lution unb 9icftauration ber franjöfifd^e Jtat^olici^mu^ in immer
geftcigcrtcr SBcife im ©ienfte ber päpftlic^cn aSäcltl^errfc^aft hi^^
ciplinirt tt)orben. S)ie ©iöpofition bcr granjofcn ^icju crfd^eint
um fo bcutlic^er, je bürftigcr unb alberner bie rcligiöfen An*
regungcn finb, n^etc^c gcgcnn^ärtig mit ben focialen unb politifc^en
Unternehmungen ju ben QtotdQn bed $apftt^umi^ uerbunben
»erben. Ätö Vertreter ber ftrengen ifirc^cnbi^cipliu unb inbem
fie auf bcren 3)urc^fü^rung rechnen, gehören bie franjöfifc^en
atcformatoren bed 16. 3al^r^unbcrtd tro^ ber 8bn)cic^ung in ber
@laubendle^rc in bie 9ici^e bcd franjöftfc^cn (£t)riftcnt^umd, unb
fie füQen eine fiüde in berfelbcn au^, ba ber römifc^fattjolifd^e
76
(Seift im 16. ^cil^rl^unbcrt feine bemcrfen^tocrtl^en SBirfungen
aufeutDeifen ^at.
SlDcin Soluin l)ai um ber 3)i^cipUn tüiDeit ber üon il^m
beflriinbetcH SRid^tunfl beö euanflcUfdien ei^riflentl^umi^ fletüiffe
3üfle eingeprägt, tt)elc]^e eine unDerlennbare Slnnäl^crunfl an bie
mönc^ifc^e SBeltflud^t au^brüdcn. 3m ©runbfafe toai er ja mit
ßutl^er einuerftanben, baß baö c^riftlidie Seben in bem JRa^men
beg bürgerlid^en Söerufö unb innerhalb beö ©taate^ ju führen
unb JU erproben fei. STDein »ie Satüin für feine ^ßerfon feiner
(Sr^olung bebürftig ttjar, fo erlannte er in bcn regelmäßigen
formen gefclliger ©r^olung unb in ben baran gefnüpften (Sx^
fd^einungen beö Suju^ nur bie bringenbe SScrfud^ung jur ©ünbe.
9lun fann bie tirc^lid^e S)iöciplin eben alö firc^lid^e fi(^ nur be-
haupten, tt)enn fie üer^ältnißmäßig feiten jur Änttjenbung fommt.
©eö^alb ergab fic^ für Sabin bie golgcrung, baß bie änläffe
JU Äirc^enftrafen befeitigt tt)crben müßten, tüdä)c öon ben ge*
felligen @rt)oIungen ausgeben fönnen. ?lu§ bicfem ©runbe be*
fämpfte er alleö tt)aö bem Leitern unb freien Sebeni^* unb Jiunft*
genuffe angehört; unb inbem er bie i^m gleic^gefinntcn franjö^
fifc^en ©inttjanbercr ju Ferren in ®enf gemacl)t t)at, ift e^ i^m
gelungen, bem Don i^m geleiteten ®emeinn)efen eine Haltung
cinjuprägen, meiere jiemlic^ in bemfelben 9J?aße Don ber aSäclt
abgcmenbct ift, tt)ie eö bie franciöcanifd^en lertiarier fein foQten.
®enn bei biefen fommt bad SSerbot Don Xl^eilna^me an gcfeQigen
Vergnügungen, namentlid^ an ©d^aufpielcn ebenfo beftimmt in
SSetrad^t, \oic im SaluiniSmu^.
demgemäß läßt fic^ jefet aud^ ber ©egenfafe ätt)ifc^en bem
£ut^ertl)um unb bem ßalDiniömuö in ©d[)äfeung ber S)i^ciplin
DoUftänbig beftimmen. S)ie lutl^erifc^e gormel lautete: „SBenn
fird^li(^c 5)i^ciplin burdigefüljrt mcrbcn foD, fo ift überhaupt eine
moraIifd[)e ©r^ie^ung beö SSolfesg notljtocnbig." S)ie catoinifd^e
gormel ift fo auö^ubrüctcn : „SBeil bie firc^lic^c ©iöciplin fein
foll, fo ift baö Seben beig SSolte« au^ nodl) tt)eiter einjufc^ränfen,
namentlidlj in ^infidjt ber gefcHigen @rt)olung unb ber öffent=
lid^en ©piclc." ©o tt)eit alfo ba^ d^riftlidjc Sebenöibeal be^ SaU
öiniömuö antitat^olif^ ift ift cö auö Sutl)cr'ö Slnregung ent=
fprungcn; fofcrn cö üon 2utI)er'jS Sluffaffung abioei^t, ift e^ auf
bie Sinic be^ franciöcanifc^en Sebem^ibealö jurüdEgebogen. ffi^ er*
gab fic^ nun oben, baß fd^on Saluin'd SJern^enbung ber Sluctorität
77
bc^ iß. %. jur Scfltfinbung bcr fird^Ud^cn 3)t^pltn ön bert
franci^conifc^en unb ipicbcrtäuferifc^cn ©runbfafe erinnerte, bic
erftc unb elcmentorfte ©cftalt ber c^riftltc^cn ©emcinbc fei für
oBe 3citcn ma§gebcnb. S)iefc formcQe Uebcrcinftimmung toirb
ie^t ergänst burd^ bie beiben @ruppen gemeinforne Abneigung
gegen gefeQige (Srl^olung unb öffentU(^ed ©piel. SBenn alfo ber
^ietii^mu^ au^ berfelben Anficht Dom ^rifttic^en SeOen be^ 9Solfe§
entfpringt, n)e(d^e in ber franci^canifc^en unb n^iebertäuferifc^en
Sleformation wirffam n^ar, fo ift ju enporten, baß ber Salüiniö*
mug jur Slufna^me ober f^nx ©rjieugung biefer lenbcnj ntel^r
biSponirt ift, atö ber beutfd^e $roteftantidmud fon)o^( lut^erifc^er
atö jioinglifc^er Slic^tung.
(SolDin ^Qt betanntlid^ feine (Einrichtung ber ifirdje ju ®enf
nur unter ber äuctorität be^ ©taoteg ausführen tonnen. 2)em=
gemög ^ot er ouc^ in bie firc^lii^e ^i^eiplinarbet)örbe, baS (Son^
ftftorium, eine Slnja^l obriglcitlic^er ^erfonen alö folc^er aufge^^
nommen. SlDein bie SBefd^lfiffe biefer Äir^enbe^örbe toollte er
Don ber ^eftötigung burc^ ben @taat burc^meg aufgenommen
wiffcn. 3n biefem äWaßc erftrcbtc er grunbfäfelic^ bie Unab^^
^ängigfeit ber Äirc^e öom ©taat. S)er S)urd^fül)rung biefeiS
@runbfa^eS famen nun in Derfc^iebenen (Siebieten \>e^ (Satoini^
mu^ Derfd^iebene Umftänbe pifreid^ entgegen. 3n ^ranfreid^
Derbanite bic reformirte Äiri^e i^re Unabl^ängigleit Dom ©taate
bem SBiberftreben beffelben gegen bie ^Reformation überhaupt.
3n ©^ottlanb hingegen ift ber Äeim ju jenem immer tt)iebcr er»*
ftrebten unb t^ciltt)eife burd^gefül)rten ^er()ältni6 burc^ eine
mittelaltrige Slnfid^t uom ©taat auögebrudt, tt)clc^e bie ®rünber
ber reformirten Äirc^e jene^ Sanbe^S feftge^alten tiaben. Slämlid)
So^n Änoj unb ®corg Sud^anan t^eilcn mit i^rem Sefjrer 3»)^ann
äRajor JU ©t. Slnbremd bie Ueberjeugung, bag ber ©taat, alfo
auc^ bie 9J2onarc^ie, unbefc^abet ber göttlichen Snorbnung i^ren
btreeten @runb im äJolfömillen ^abe, unb bag bad 93olf berechtigt
fei einen ungereimten gürften abjufefeen *). 2)icfer ©afe, welcher
bie Suetorität be^ X^omad Don Squino für fic^ ^^t^), rei^net
auf bic (Ergänjung, bag bic ^irc^e, beren Organe unb Seiter
bircct bic göttlii^c Sluctorität uertreten, ^ö^eren SBertl^cö aU ber
1) ftSpItn, bte ]^otmt fttr((e. 6. 26 ff.
2) Naumann, bie Staatslehre beS^^omaS bon ^quino. 6. 23 ff. 141.
78
Staat unb bcSl^alb bon il^m andj in re^tlid^er 93ciic!^utig unab^
gängig {ei. ^cmgcmäg ^at 3o^n ^no£ ber fcl)ottifc^cn ^ird^c
bie analoge Snfic^t eingepflanzt, bag C^riftud, a(d tai^ ^aupt
ber ^ird^e, bie göttliche S(uctorität i()rer rechtlichen SSerfaffnng,
i^rer gotteöbienftlid^cn Orbimng unb i^rer ©iöciplin birect ücr^
bürge *). S)icfe gormel l^at Änoj uon 3o^ann Saöti übernom*^
nien, tt)eld^er aU SSorftcl^er ber grembengemeinbe in fionbon
burd^ bie Umftänbe auf bie jfir^enbilbung ^ingebrängt ivurbe,
n^eld^e nad^^er gnbepenbentitgmuö beißt. ®ie flüchtigen Slieber*
länber unb tJ^anjofen in fionbon, benen er atö $aftor biente,
bid fie t)or ber blutigen Üßaria enttoid^en, mußten atö StuSlänber
auf bie Unterftüfeung iljrcö Äirc^enn^efenö burd^ bie territoriale
©taatögett)alt Uerjic^ten; if)re inbepenbente rec^tlic^e SSerfaffung
fteDte bemgemäg fiadfi unter ben @d^u^ bed ^önigtl^umi^ S^rifti,
alg bie birecte golge ber gefefegebenben ©ettjalt beffelben. 3)er
©runb bafür toar bie Uebereinftimmung ber Äirc^enDerfaffung
mit ben in ber Urgemcinbe bcftel^cnben Drbnungen. 2)iefc^
Äirc^enibeal, n^elc^eö bei biefen grembengemeinben junäd^ft au^
5Rotl) in SBirffamfeit gefe&t, unb ber fc^ottifc^en Äirdlje junäc^ft
tt)enigfteng in ber Xljeorie eingeprägt tt)orben ift, ^at im 17. 3al^r:^
l^unbert eine 3^t^l^nfl ^i^ Ueberl)anb über bie epifEopale unb bie
predb^terianifd^e ©eftaltung ber Sirene in Snglanb gen)onnen.
SBeil man in ber Sonfequenj bed SaSfifc^en SnbepenbentiSmui^
bie äSoQmac^t bei^ ©taated 5ur rec^tlid^en Orbnung ber ^ird^e
überl)aupt uertoarf, fo ^at man auc^ bie lanbedfirc^lic^e (Einheit
gegen bie Unabpngigteit jeber Soealgemeinbe Don allen anberen
aufgegeben. 8luf biefe SBeife errei^te man eine Konformität mit
ber Äirc^e ber älteftcn gcit, tt)clcöe nod^ über Salöin'« fflbfid^ten
^inau^ging. Itllein hierin ergiebt fid^, baß ba^ antifat^olifc^e
iiir^enibeal bed (Salüini^mud in bem Wla^e, aU eS folgered^t
burc^gefü^rt ttjtrb, fid^ ju einem Snbepenbenti^mu« cntwidEelt,
todd)cx n)ieber ben Songregationen ber SBicbertäufer na^e fte^t.
Unb ed ift ni^t jufällig, baß aud^ ba^ Seben^ibeal ber 3nbe«
penbenten fi(^ auf ba^ ber SBiebertäufer jurüdgebogen l^at. ^ie
Kongregationen ber englifd^en 3nbepenbenten grünbeten i^re 9n^
fprüc^e tt)efentli^ auf bie in i^ren (Slicbcnt offenbare aöletifc^e
^eiligfeit, nämlic^ auf il^re ftrenge Slble^nung aller n}eltlic^en
1) Sgl. Se^re bon ber ^Rechtfertigung unb l^erfö^nung III. S. S68.
7d
Sr^oluitg unb allen ©pieleS. @ie fitib beSl^alb auc^ grültctt^
t^ette aU 93Q))ttftcn auf bie SScrtpcrfung bcr Sinbcrtaufc l^inoud«
gefommen. d^fll^^'^ l^abcu im 17. 3a^r^unbert in intern Greife
eben folc^e t^coEratif^^rcüoIutiunäre (£rfc^cinun()en fid^ fiejeigt,
roit ^unbert ^af)Xt früher bei ben beutfc^en SBiebertöufctn. 3)ie[e
ßuftänbe ftnb itoax nur auf einem befonbern Gebiete be^ SaU
DiniSmud in^ &cbcn getreten unb unter befonberen 93ebingungen.
@ie ftnb jebod^ nur in f^olge Don 6$runbfQ^en möglid^ gen^orben,
meldte ben Salüini^mu^ überhaupt Don bem fiut^ert^um unb
bem ftOQtdfirc^tic^en ß^ingliani^mud untcrfd^eiben, unb im ©aui^eu
mit bem Sebeni^ibeal ber fronciöconifd^en unb ber tt)icbertäuferi::
fc^cn Sieformation übereinftimmen. $at nun biefc Uebereinftim«
mung ju ber umfangreicheren 9iüctbilbung bed inbepenbenten
cngUfd^en CaloiniMud auf bie Sinie ber SSSiebertäuferei geführt,
fo ift baburc^ auc^ bie aUgemeine ^i^pofttion beS S^aluinidmud
jur Aufnahme ober Sleuerjeugung folc^er Scben^formcn beriefen,
tocld^e ber franci^anifc^cn Sieformation entfpred^en.
3)iefe ^uSpofttion too^nt bem CalDini^mu^ bei, obgteid^ ber
Urheber biefer gorm eüangelifc^en Sl^tiftentliumg fic^ crnftli^
bagegen uenoal^rt, ia^ bie SKc^tung feiner ©emcinbe auf fittUc^e
SoQtommen^eit not^n)enbig in feparatiftifd^e Folgerungen an^^
fc^Iag'e"). Um bem juöorjulommen tt^iD er ben Seftanb ber
Jiirc^e bod^ nur an bie redete Seigre bed (SüangeliumS unb bie
SSermaltung ber ©acramente gcfnüpft tt)iffen; unb inbcm er bie
gorbcrung fittUc^er 8tetnl)eit ber ©emeiube afö eine SSerfud^ung
bejeic^nct, mutzet er ben ®uten, toddjt gerabe barauf verfallen,
bie ißac^ftd^t unb bie @ebulb ju, loelc^e unter ben Xugenben ber
©cparatiften ju fehlen pflegen. Sber e« ift bejeic^ncnb, bag er
gerabe biefen ©trengen unb Ungebutbigen bad $räbieat ber @uteu
jugefte^t. 3)emgemäg ^aben in ber t^^Ig^ i>te ftrengen unb un^
gebulbigen Vertreter ber fittUc^en SSoUfommen^eit ber @emeinbe
ftc^ für bie @uten unb bie heften in ber reformirten ßird^e ge<
acbtet. Unb fic ^aben barum fid^ ilber alle bie @rfinbe ^inmeg«
gefegt, mit loeld^en Sabin i^nen im SSoraud entgegengetreten ift.
Z)tefe @rfinbe aber ftnb ^öc^ft beac^tendn^ert^. Sabin beruft fid^
einmal barauf, ba% $aulud bie torint^ifi^e @emeinbe atö @c*
metnbe S^rifti anfielt obgleid^ fie Doli fittli^er @d^aben ift, unb
1) Inst. ehr. rel. IV. 1, 13-27.
8Ö
eBcnfo bte gatatifd^en S^riften, tpcld^e fogar ba^ @t)angelium Dcr^
laffcn ^abcn. 6r erinnert ferner baran, baß bie Äird^e onf bic
©ünbcnüergebung gegrünbet ift unb hieran i^rcn Scftanb fort*
bauernb erhält. (Er bejeic^net e^ enblid) otd @e[6fttäufc^ung, baß man
blü^ bie Ocmeinfc^aft mit bcn ©ottlofcn aufgeben ioerbe, inbem
man fic^ öon ber bcftc^enben Äird^c trennt, ffiin folc^er ©d^ritt
jie^t Dtelme^r ben SBerluft Der ^ir^e überhaupt nac^ fid^. SalDin
^at biefc Setrad^tungen unb SBamungen uor bem ©eparati^muö
nur an bie I^atfad^c ber SBiebertäuferci feiner Qdt angelnüpft.
3m Umfreife feiner Äird^enbilbung ftnb i^m gleichartige ?lb'
n)eid^ungen nic^t entgegengetreten. (S^ ift aber faft fo, aU ob er
Doraudgefel^en ^ätte, bag feine )Hbftd^t auf gefeglid^e unb bidet^
pünarifd^e ^eiltgfeit ber ©emeinbe gerabe treue Slnpnger, @ute
in feinem @inne, auf ben 9(bn)eg be^ ©eparatiSmu^ führen n^erbe.
^ad ift nun aud^ eingetreten, inbem Salüin'^ cb^M angeführte
@rünbe an benjenigen üöQig uerloren n^aren, n^eld^e gerabe in
ber golgerid^tigteit ber üon Sabin geftcDten Aufgabe ju t)er*
fahren meinten.
6. ^a» Sebilrfnig M tirc^Iii^eu ^roteftantidmn« ttai^ ^Reform»
S)ag Sebürfnife einer erneuten ober einer ergänjenben 9te*
form be^ $roteftanti^mud fd^eint ftd^ junöc^ft nac^ bem @rabe
ber inneren unb äußeren ©^tt)ierigleiten ju ridöten, locld^e bie
einjelnen {Reformatoren bei ber geftfteDung i^rer lird^lid^en STuf^
gaben erfahren ^aben. 2)iefe ©c^toierigfeiten maren bei Sut^er
unb bei äJtelan^tl^on am bebeutenbften. yi\d)t blo^ au^ fic^
fetbft ^eraug Ratten fie 9J?ü^e unb beburften langer ßcit, um ftc^
aud ber ^npnglic^fett an bie gegebenen f^ormen beS @)otte^
bienfte^ unb ber SScrfaffung ber Äirc^e ^erauöjiufinben ; fonbern
barin erfuhren fie nod^ befonbere Hemmungen burd^ bie SRürffic^t
auf bie ^ebingungen, n^elc^e i^nen bad ^eilige römifc^e 9ie\ü)
beutf^er Station fteDte. 3^ii^9li ^ciW ii^ beiben 93e}iel^ungen
eine Diel günftigere ©teQung ein ate bie ^Reformatoren in ©ac^fen.
(£r nmr einmal unge^inbert burc^ bie 3)lad)t bed l^eiligen 9teid^ed,
aber aud^ burd^ bie ^bn^efen^eit ber ^ietät gegen baffelbe, n}el(^e
81
ßut^cr unb SRclond^t^on bcfccitc. gcrncr toor er mit feiner reti:»
gidfen Ueberjeugung unb i^ren Folgerungen für @ottei^bienft
unb SSerfaffung frü^ ju einer entfc^iebenen Älar^eit gelangt.
3lo6) gfinftiger ftanb e^ Sterin mit Sabin. (£r ^atte aU (Spu
gone ben SSort^eil, ftd^ einer fc^on auS bem ©d^ooge ber mittel^
altrigen Sird^e entbunbenen Ueberüeferung bemäd^tigen ju lönnen.
Unb er ^at ftd^ i^rer mit feiner 93er ftanb eiSflarl^eit unb SBiDend-
ftärte eben bemäd^tigt, inbem er i^r bie üoDenbetfte t^eologif^e
Su^prägung Derlie^ unb mit i^r Stufgaben Derfnüpfle, bie il^r
bid^er fremb getuefen ivaren. I£r l^at ferner für feine Sird^en«
grünbung einen 93oben gefunben, ber Don ben btrecten ISinflüffen
bed ^eiligen Sfteid^g noc^ entfernter toar, atö ß^^^S^i'^ SBirfungS^
treiS. 9n biefen Unterfd^teben unter ben Steformatoren fann
man e^ abmeffen, tparum bie proteftantifd^e ^ird^enbilbung im
Umfang bed beutfd^en Steic^ed ben (£inbrudt einer bleibenben
Unfertigfeit mad^t unb jugleic^ bem fat^olifi^en ^ird^enmefen
nä^er ju fte^en fd^eint als bie ^irc^en au^ ber @rünbung
3tPingli'i3 unb Sabin'^. 3n ber lut^erifc^en ^ird^e finb mirflid^
manche Elemente mittelattriger ^erfunft fortgepflanzt ober mit
SKobtficationen reprobucirt n^orben, todäfc in ben anberen ^irc^en
UieggefaDen finb. (ES fd^eint bemnad^, aU mügte ein Sebürfnig
na(^ Sleform atöbalb in ber (ut^erifd^en j£ird^e empfunben n)or^
ben fein, früher ate etwa in ber catöinifc^-reformirten. 3)aS ift
nun freiüd^ bod^ nid^t ber ^aQ. 2)ie etablirte ^ird^e in @ng^
lanb bot noc^ auffaDenbere ©puren üon Sompromiffen mit ber
fat^oUfc^en Vergangenheit bar, in Orbnung beS ©otteSbienfteS
tote in SSerfaffung. ^eS^alb beginnt bie reformatorifc^e S3en)egung
ber Puritaner in i^r unmittelbar nac^bem bie @i^er^eit ber
englifc^en ßird^e na^ Sugen burc^ bie Königin SUfabetl^ ^erbei«
geführt loorben toar. Aber aud^ in ber reformirten Äirc^e ber
t)ereinigten 9lieber(anbe ergreift man bie Slufgabe einer SBoQenbung
ber ateformation früher, atö fic^ in ber beutf^4ut^erifd^en ^iri^e
bie X^efiberien ju mirfüd^en Unternehmungen üerbid^ten. 2)amit
man aber vorbereitet fei, ben reformatorifd^en ^nfpruc^ bed
^ietidmud innerhalb ber lut^erifc^en ^irc^e ju Derfte^en, bebarf
ed einer gefc^ic^tUc^en (Erflärung ber fc^ulmägigen Sinfc^ränfung
bed Sut^ert^umd, loorin na^ feftfte^enber Slnna^me bie 9ieform^
bebflrftigleit biefer Äird^engeftalt erfc^eint. 3d^ ^abe nun oor^
toeg jtt bemerfen, bog ber SalDiniSmu« hieran ebenfo ftarl be^
L 6
82
tfieiligt ift tok baö Sut]^evtl)um. S33cnn bicfcr Umftanb für gc*
ivö^nlic^ tgitorirt ipirb, fo ift ci^ baburc^ ju cntfc^ulbigen, bog
jener (S^arofterjug be^ SalDiniSmud burd^ ben gefc^lt^en 3^9
ber @itte unb ber 2)t^ctpltii, ben ber SalDinii^muiS Dor bem
Sutl^ert^um DorauS^at, conipenftrt unb t)erfc^leiert toirb.
Aber ber bezeichnete ^^ler ift nid^t erft noc^trfiglic^ in bie
lut^crifd^e ober bie reformirtc Striae eingetreten, fonbern er ift
in ben Umftänben begrünbet, unter toelc^en btc JRcformotion ju
befonberen ^irc^enbilbungen gelangte. (SS ift belannt, bag bie
politifdien SScrpltniffe bc^ römifc^en JReidje^ beutfcfter Station
bie ^Reformation £utl)er'^ ebenfo begflnftigt n^ie eingefd^ränft
l^aben. 3)ie Socfcr^eit jeneiS poUtifd^en SSerbanbeö gcftattete einer
Steige uon JReic^^ftänben juerft ben ©d^ufe ber JReformatoren,
tt)eitcrt)in bie SSeränberungcn be^ ©otte^bienfte^ unb bie t^atfäc^*
lid^e Slblöfung bcö neuen Se^rftanbe^ öon ber ©ettjalt ber Sifc^öfe.
Slber bie Stabilität bcg 8icic^eg unb beffen SSerbinbung mit ber
römifc^cn Äirc^e öerjögerte bie ©elbftänbigfeit be« proteftantifc^en
i£trd^entuefend, n^etc^e in ber ©c^metj^ Don ben @tabtobrtgteiten
burc^ einen einfad^en Sntfd^tug für bie Steformation ^ergefteUt
ttjurbc. 3nbcm nun bie proteftantifd^en ©tänbc für ben Scftanb
be^ SRcic^e^ nid^t minber intereffirt toaren, wie bie päpftlic^ ge=
finnten, fa^en fie fic^ gcnöt^igt aud^ ben SBeftanb ber @inen aUgc^
meinen Äir^e üorjubel^alten, an tt)eld^en nun einmal bie po--
litifd^e Geltung bed 9ieid^ed gebunben toax. @ie toaxm auf ben
aSerfuc^ angetoiefcn, i^re eüangelif(f)e äuffaffung ber Seftimmung
unb ben S3ebingungen ber (Sinen allgemeinen ^ird^e bei allen
©liebem best SReic^eg burd^jufefeen. ©o lange i^nen biefed nid^t
gelungen tDar, unb fo lange e^ bur^ SReligion^gefpräc^e erftrebt
tourbe, erfanntcn aud^ bie proteftantifc^en 9ieid^i^ftänbe fid^ unb
i^re ^irc^enbilbung aU eine $artei in ber^ird^e an. wie fie bie
^äpftUc^en für bie anbere $artei ausgaben. ®iefe 93etrac^tung^
toeife betierrfd^t nid^t nur bie Slug^bnrgifd^e Sonfeffion 1530,
fonbern bebingt audj ben Äug^burger SReligiondfrieben 1555,
n)clc^er bie 9J{öglic^feit ber SSergleid^ung noc^ üorbe^ält. SBad
nun politifc^ ald Parteien in ber^irc^e fid^ barfteDt, fann t^eo«
logifc^ nur auf einen Unterf^ieb Don ©c^ulen beurtl^eilt n)erben.
S)ie S^ci^e uon Se^rartifcln unb uon ®runbfäfeen beS ®ottc8-
bienfte«, toeldje in bem ?lug«burgifd^en Selenntnig jufammenge»
fteHt n)urben aU fold^e, toel^e t^eil^ ni^t ftreitig, t^eitö ftreitig
83
finb, ift unmittelbar bcr Äu^brucf einer ©c^ulanft^t in ber
Jiirc^e, in n^elc^er bie ©egncr andj aU eine @d^ule DorauSgefe^t
ttierben. 3)od tt)ar bcn obmaltenben SSerpItniffen in ber lateinifd^en
Sirene unb im ^eiligen Steic^e oQcin angemcffen. 2)enn ein @egen^
faft Don ©deuten toax in ber ätt)eiten ^älfte be« SKittcIalter^ in
ber ßird^e unb auf ben Don ber ^ird^e legitimirten Unioerfitäten
rccipirt. S)ag ber ©treit im 16. 3öl&rl^unbert fid) auf öiel \>xah
tifc^crc 3ntereffen bejog, a\& tod6)t bie I^omiftcn unb Slomi:^
naUften Don einanber trennten, fam eben noc^ nic^t ju offieieDer
©eltung, fo lange bie Snnal^me aufredet ermatten n)urbe, bag
man ftc^ burd^ 9ietigiondgefpräc^e, atfo auf fc^ulmägigem SBege
Derftänbigen tonnte.
3n SBirfUc^feit lehrte jebe Unternehmung biefer ?lrt, bag
ber @egenfa$ ber Parteien in ber ßird^e, n^elc^e burc^ bie Steic^^^
politil iufammenge^alten n)urbcn, nic^t auf ben jn^eier ©c^ulen
^inau^fam. S)ie Xl^eologen bcr Sfleformation l^aben ftd^ auc^ nie
ouf biefe Setrac^tungött)eife bcfd^ränft, fonbern bie römifd^e Äird^c
für bie folfd^e, bie eöangelifd^e für bie toa^re erllärt. Unb fd^on
im Su^r 1537 ^abcn bie ©d)malfalbifd^en Sunbe^genoffen, bei
ber Slble^nung ber lEinlabung jum Soncit, fic^ biefe 93etrad^tung
angeeignet 0* 3)iefe Slrt ber 9ludeinanberfe^ung n)ar auc^ unum^
günglic^. 3)enn ber ßat^olicidmuS unb ber ^roteftantidmuiS be«
l^oupten ate d^riftlid^ Derfc^iebene SBeltanfc^auungen unb fiebend«
ibeale. SBäre i^r Unterfd^ieb bloi^ ber Don ©d)u(en, fo n)ürben
fte beibe fid^ berfelben ß^ccf beftimmung be^ Sl^riftent^umö unter«
orbnen. Älfo feit 1537 Derftummt nii^t me^r bie proteftantifc^c
SJe^auptung, bag bie burd^ bie Itugdburgifc^e Sonfeffion be^
jeic^nete ßird^e bie aDgemeine^ird^e fei, bie päpftlid^e hingegen
eine SBerte^rung ber ^ird^e überhaupt. 9lUein jener %nfpruc^
niirb nun in einer SBeife aufrecht erhalten, in n^eli^er bie ©c^ä^ung
ber neuen ßird^enbilbung als einer Strt Don ©c^ule nid^t auSge«
fc^ieben n)irb. Äflerbingö wirb ftets gettenb gemad^t, baß biefe
fiirc^e burc^ baS Don i^r Dertretene lEDangelium bem Qivcdt bed
^d(ed bient, )oelc^er fat^olifc^er ©eitd burd^ aUerlet 3trt^ümer
Derfe^U n^erbe. ^iemit n)irb angebeutet, bag bie eDangelifc^e
ftir^ bie rid^tige SSeltanf^auung unb fiebenSorbnung aU
1) ^(. meine Vb^. Aber bie (Sntpel^ung ber (utl^ertf((en Stirbt, in
3etii4r. fflr ftird^ngefc^i^ie I. S. 72.
84
©anjcö in fid^ f daließt. Allein biefc Slnbcutunfl tpirb jurüd=
gefteUt unb 6ef chattet bnxd) bie S3e^au))tuiig, bog man an bcr
Sug^burgifd^cn Sonfcffion bic gormel bcr richtigen Sc^rc be^
SoangeUum^ bcfige, unb ba§ man burc^ bie ^oc^l^attung ber
alten Sefcnntniffe bcr allgemeinen üirc^c fid) atö biefc fiirc^c
funbgebe. hierin tt)irb eben baö ©lement ber ©d^ulc afö bcr
©runbjug ber ©Eiftenj ber Äirc^c behauptet; jur SBcftättgung
bicfeö Ürt^eilä bient e^, ba§ 2WeIanc^tI)on, ber SBortfü^rer in biefen
3)ingen, bic Äirdje, tt)elc^c nic^t ©taat fein foH, nur al« eine
Art üon ©c^ulc begreift *)• 3Ran braucht j[cbo^ für biefen üer^äng-
nigbuQen @a^ nic^t 9J2elanc^t()on aQcin uerantmortlid^ ju machen.
(Sr tt)ar ba^ (£rgebni§ ber ©treitart, burd) tDcld^c fic^ bic JRcfor^
mation auö bem mittctaltrigen üirc^cnttjcfen entbunben ^atte;
bie gortttjirfung biefer urfpvünglidjcn Stuöeinanberfe^ung für ba§
©elbftgefü^I ber cDangelifd^en ^ir^e tuar unüermeiblii^.
(&^ ift eine (Srfa^rung, meldte an jeber neuen Itudprägung
bcr djriftlid^en SBal^r^cit gemacht mirb, bag bicj[enigen, )t)e((^en
ber alte SBcin beffer munbet al^ ber neue, i^re SBeiiS^cit barin
üben, baß fie bie cinjcinen fie befrembenben Umftänbe bcr neuen
@efammtanfc^auung l^craudjupfen unb eben al^ einselne Se^r«
punfte lebfjaft beftreitcn, 01^"^ P^^ ^^f* ^^ ^^^ 3"fö^"^^w^^"8
bcr neuen ©rfd^einung ^incinjuöerfcfeen. 3n ben mciften gäUcn
finb bie voreiligen SBeftrciter bcr ©injiel^citcn cbenfo wenig bc=
fät)igt alö toiCKg baju. SBcnn nun ber SJertrctcr einer neuen ®c^
jammtanfc^auung fic^ barauf einläßt, aDen folc^en fragmentari^
f(^en Slnfcc^tungcn SRebe ju fte^en, fo begiebt er fid) in bic ®efa^r,
feinen ffirtpcrb, bcffen SEBert^ in ber Xotalität feiner Slui^prägung
befte^t, in lauter (Sinjcl^citen ju jcrfplittern, ttjclc^c ate folc^e
i^rc S3eiicl)ung jum ©anjen nic^t beutlid^ crfennen laffen. Sut^cr
aber trat überhaupt in ben ^ampf um feine üon ber hergebrachten
SKeinung abn^eic^enbe Ucberjeugung, noc^ e^e er bie neue Sio^
talanfd^auung uon Sl^riftent^um al^ folc^c für fid^ fctbft fcftge^
ftellt unb gegliebcrt ^atte. ®r ließ fic^ üon feinen ©cgnern ben
©treit um lauter Sinjel^citcn aufnöt^igeu, unb l^at benfelben
auc^ niemals burd) eine f^ftematifc^e SluSfü^rung feiner äuffaffung
be^ (Süangcliumd cumpenfirt. ^^elanc^t^on gar ^at überhaupt
nur baö lodEcre ©c^ema ber Loci theologici ju öerwenben öcr-
1) «. tt. D. ©. 89.
85
mo^t, toclä)t ba« (Scgcnt^cil eine^ tI)eoIogifd^cn ©t)ftein« bilbcn.
Unb cnblic^ in ber Stufl^burgifc^en ßonfcffion, fo fc^r ftc^ il^rc
Haltung ju i^rcm SSortfieil bon beii ?ßrit)Qtfclöriftcii ber SReformo*
torcn untcrfd)ctbct, ift bie 3"fonimcii[)an8lofiflfcit ber ctnjelncn
ftrcitiflcn Seigren unb 3nftitutioncn mit ^änbcn ju greifen. Ate
Eümpcnbium ber ftreitigen Sc^rcn bient biefc SRec^t^grunblaflc
ber neuen ^rc^e eben baju, ba§ ia^ ©lement ber ©c^ule in i()r
öon Anfang an ein Uebcrgett)ic^t über bie anbcren not^tt^enbigen
Functionen belommen Ijat. S)iefcr Umftanb ift jeboc^ burd^ eine
anbere JRücffic^t nod) üerftärft ttjorben. Um bie eüangelifd^e
Sirene ate bie fat^uüfc^e uor ft^aifer unb 9leic^ }U (egitimiren,
^at 9J{eland^t^on n)ie fintier ben alten S3efenntniffen ein ^anpU
getDic^t beigelegt unb i^nen fogar ben SBortritt Dor ber neuen
2)eutung ber beneficia Christi öerlie^cn"). 9lun n^ar bie nicä^
nifc^e Slu^prägung ber fiepte Don ber $erfou S^rifti urfprfinglic^
für bie gricd^ifd^e Sirene birect ))raftifc^ unb SScljifel ber i^r eigen:*
t^fimlic^en 9[nfd)auung üom ^cite gen^efen. ^ber fc^on ffir bie
lateinifd^e Sirene bei^ 9J{ittelalterS tvax j[ene ^ormel nic^t mel^r
ber birecte 9Ka§ftab beö ^eitebett)U§tfcin^, mar öielme^r in jener
(S))oc^e jjum SBcfife ber ©c^ule geworben, meld)er ba^ Icbcnbigc
3ntereffe ber grömmigleit bcö ÜJiittelalterö nid^t mcl^r bedte.
gür bie Sieformation gilt baffclbe. Ober Sutl^er tonnte fic^ für
jene^ 3)ogma nur Darum perfönlic^ intereffircn, »eil er cö um«
beutete unb feine Äuffaffung ber Siebe unb ©nabe ©otteg in
E^riftud ber gormcl üon ben beiben Staturen unterfd^ob. gür
SKelanc^tl^on aber, welcher in bicfer ^infic^t ben Ion für bie
Slo^folgcr angab, ift bie Se^re oon ber ?ßerfon S^rifti unb ber
Irinität nur ein ^arteö Problem ber ©c^ule, ba^ er birect für
bog proteftantifc^e ^eitebemugtfcin nid^t ju üenoertticn oerftanb*).
©ollte alfo bie eoangclifc^e Stird)e il)re ffijiftenj unb i^r SRcc^t
an biefe unüerftänblid) geworbene Seigre fnüpfen, fo ift aud^
barum baS (Element ber ©d^ule aU ©runbbebingung bed pro-
teftantifc^en Äird^enmefcnö anerfannt.
Auf biefem SBege, burc^ bie Hemmungen, mel^c bie beutfc^e
Steformation oon ben t^eologifc^cn ©egnern unb Don ben poli«
tifc^en Slnfprüc^en bed ^eiligen Steid^ed erfuhr, ift bie fc^ulmägigc
1) «. tt. O. 6. 81.
2) fU a. O. 6. 68.
86
lEtnfcl^ränhing bcd ^eitöbetDugtfeinS in ber (ut^erifd^en ^ird^e ju
crf lärcn. ^tcburd^ ift biefclbc ba^in flefü()rt tDorbcn, i^r ©clbft^
betDugtfein nur in einer Steige Don Se^rfä^en f unbiugeben, an-
ftatt eine praltifd^e unb jn^edmägig gegtiebertc Xotalanfc^auung
aufjufteDen. ^aju n)trft aber nod^ gan} befunberd bie mangeU
^afte ttjiffenfd^aftticl^e SJi^pofition, welche an bcn 3;t)coIogen beS
16. Sal^r^unbertd unter bem SSorgang Don 9J2eIanc^t^on beobad^tet
n)erben mug. @ie befielet in ber Unfä^igfeit ober Ungeneigt^eit,
einmal bie c^riftlidlje JReligion auf i^ren üoQftänbigen Qtocd an=
jufe^en, unb bann bie ^ett mit @ott unb bem äRenfc^en ala
bie brei fünfte feftjuftellen, burd) welche ber Ärei^lauf berÄeli*
gton erft DoQftänbig angefd^aut unb bem SSerftänbniffe eröffnet
n^irb. (Es ift gerabeju auffaDenb, bag in bem vierten ^rtifel
ber ?lugi^burgifd^en Sonfeffion fein ))raftifd^er Q^cd ber Äcd^t*
fertigung aud bem ®(aubcn angegeben n)irb. Slber xomn man
ftc^ benfelben nac^ anberer Einleitung ali^ bie ©eligfeit, unb jmar
ate bie gegenwärtig ju erfal^renbe, beutet, tt)ie fann benn bicfelbe
eigent^fimlic^ eDangelif^ üerftanben n)erben, xomn man nid^t bie
SBeltfteQung bed ©laubigen babei in Itnfd^lag bringt? 8Dein
biefer Umftanb n)irb eben niemals atö t^eologifd^e 9lorm geltenb
gemad^t. äBaS ber ßn^edt ber 9ied)tfcrtigung aud bem ©tauben
ift, nämlid^ bie Sicherung beiü menf^lic^en ©elbftgefü^fö burc^
bie ^orfe^ung ©otteS gegenüber ber S93elt, fann man an ber
$anb biefer 5Rorm fe^r leicht auö ber Äug^burgifd^en (Sonfeffion
nac^ttjeifen. Allein für bie Si^eologen be^ 16. 3a^r^unbert^ tt)ar
biefe not^ttjcnbige Setrad^tungött)eife eigentlid^ verborgen. SBeil
fte alfo nid^t im @tanbe n)aren, bie praftifc^e äBeltanfd^auung
beiS ^rotcftantiömu^ aU fold^e unter ben bejeic^neten ©efid^ti^
fünften flar ju ftcllen, fo blieben bie einjelnen Se^ren in ber
fc^ulmägigen 3<^^fp(itterung, unb bienten beiS^alb nic^t jur n^irt^
lid^en Siegelung be^ d^rtftlic^en £ebend, n)enn fie nic^t berfelben
gar ©(^tt)ierigfeiten bereiteten. S)ie birecte SSerfe^rung ber eöan*
gelifd^en Se^re burc^ bie ©c^ult^eologie ^at aber 3o^. ©erwarb
herbeigeführt, inbem er nai^ ber übel gen^ä^lten jlorm öon
X^omad Don |[quino bie fogenannte natürlid^e {Religion ober
X^eologie aboptirte, unb ben ©lauben an ©otteS SSorfe^ung,
biefe fpecififc^e $robe unfcrcr SSerfö^nung mit ©Ott burc^ Sl^riftu^,
für eine Ueberjcugung natürli^er ^erfunft erflärte. 3d^ ^öbe
anbenoärt^ barauf oenoiefen, bag bie lut^erifd^en SlSfetifer bie
87
SBa^rl^ctt aufredet erl^alten ^aOen ^), todäjc bic Slad^folflcr üon
3o^. ®crl)arb in t^rcr ancrfanntcn JRc^tgläubigfeit unter bcn
©d)cffel flcfteDt ^abcn. greilii^ anä) bei bcn il^eolüflcn bicfer
3eit ift bic SBirlung bcö ^cilögloubcn^ auf bic ©tcUung ber
©laubigen jur SBelt nic^t ()änjlici5 t^crfd^oQen ;' aDein fie fommt
nic6t in crftcr Sinic in Sctrad^t. ©in älterer ß^itgenoffe ©cr^*
^arb'«, granj Satbuin, $rofc[[or in SBittcnbcrg 1605—27, fteOt
in feiner SafuiftiC bic $rage: cum inter ea, quibus animus ho-
minis excolitur, prima sit fides, quaeritur, quae circa hunc
animi cultum consideranda sint? unb giebt a(S Sennseid^en,
ex quibus coUigere possumua, animum hominis vera fide
excultum esse, jmar juerft bic begicitenbe Siebe an, aber Uiciter:'
t)in 2. bic ßuberftc^t in S93ibcrn)ärtigfeitcn, 5. ba^ @cbet, n)eld^cd
auf bic lErfäDung bcffcn red)net, toa^ bcm göttUd^cn SBiDen ge^
mo§ ift, 6. bic gcftigicit ber Hoffnung in ber 3^it bcr SScrjögc*
rung ber ^ulfc *). S)ajtt)ifd&en treten aber 3. bic 3)cmüt^igung
gegen ©Ott unb \>cn Släc^ftcn, 4. bag SSefenntnig bcö®Iauben8;
man fte^t a(fo, bag au(^ bicfer X^cijlog nic^t bic Dolle 93cbeu^
tung bed @[aubenS für bic äBcItftcQung bc!^ ©laubigen erfannt
^at. Unb obglcid^ er aud bcn S3cifpielen 2)aDib'S unb ^iob'd bic
einfielt fc^öpft, bag baS ©ottücrtrauen alle SBogen bed Unglüdtd
überroinbct, fo rcd^net er bod^ nic^t regelmäßig auf biefc 58e*
Währung feiner ©täric, inbcm er cntfc^ulbigenb l^injufcfet, bag
ber ©taube in äl^nlic^cn Sagen oft fc^n)ad|), aber bann aud^ in
feiner ©d^mäc^c no(^ richtiger ©laubc ift. (£^ fam aber boc^
luol^l mel^r barauf an, in biefem %aü bcn ©lauben jum ftarfcn
Sertraucn auf ©ott ju ermuntern, als i^m in feiner ®6fio&ä)c
bic ©cioä^r formaler SRic^tigfcit ju Iciftcn ! 3)a§ ift eben nic^t bic
praftifc^c, fonbcrn bic fd^ulmäßige ©ctrad^tungömcifc; mit berfclbcn
tt)irb nur ber ©d)lafff)cit SSorfc^ub gclciftet. ®enn tDcnn bcr
©loubc, »clever bic ^Rechtfertigung burdj Sl)riftuS erfätirt, JBcr^
trauen (fiducia) auf ©Ott fein mu^, um bcn Srfolg beS IrofteS
unb bcr ©etDiffendbcrul)igung, b. f). bic ^crftcüung beS ©elbft^
gefill)U aud ber Dorl^ergcgangenen Unfic^cr^eit ju gewinnen »), fo
1) Seigre bon ber Sted^tfertigung unb iSet{5(nung III. S. 158.
2) Do casibus conscientiae. Opus posthumum. Francof. ad. M.
1654. P. 670.
3) ApoL C. A. III. § 178—184.
• 88
•
tft biefer B^f^^^^ ü6cr]^au))t nid^t anfd^aulic^, totnn nx6)i bad
JBcrtrauen auf @ott bcr Sage in ber S33clt cntgcgcngcfe^t toirb,
rodele bic Unfid^er^ctt bc^ ©elbftgcfü^Iö bcbiitßt.
3)icfe atnfc^QuIid^fcit unb ©eutUd^Icit ift für bcn ^Qupt*
unb @Srunbfa$ bcr (ut^erifdien {Reformation Don Anfang an ni^t
erreicht toorbcn. hingegen ift bie ©arfteüung bc§ Begriffe Dom
stauben burd^ (Sabin möglic^ft DoQfommen, inbem er fic^ n^ie bei
ben anberen ©liebern ber §eil8orbnung, fo aud^ l^ier ate ben
umftd^tigften 3ntcr))rctcn Sutl)er'^ betDö^rt. SBenn man auö ben
Derfd^iebenen Slnfä^en jur Definition be^ 9ied^tfertigungi^g(au6en^,
bie er nad^ einanber vornimmt, ba^ ©anje jafammenfagt, fo ift
ber ©taube bie burd^ baö ©efü^l öon bem SBert^e ber erlannten
@nabe ©otte^ in ß^riftuö vermittelte affectöoDe, alfo ))erfönlid^c
Ueberjeugung ^). 3Ran barf namentlich ba^ le^te @(ieb W an«
geführten ©ä^e nid^t fo üerfteF)en, ate ob bie fiducia nur ate
eine Folgerung auS bem ©lauben gemeint fei. Die SlMcitung
be^ Vertrauend aud bem ©tauben burd^ ben ^oftel meint (S.aU
Diu ol^ne B^^^f^l ölö anal^tifdiciJ Urtfteil. Denn er erKärt nur
ben ffir n)ir!Iic^ gläubig, todä^cx biefed SBcrtrauen auf ©Ott auc^
ben Uebeln in ber SBelt entgegenfe^t, unb ed auf alle Don ©Ott
ju ern^artenben ©aben beS £ebcnd ausbreitet ^). @oOte man
1) Inst. ehr. rel. III. 2, § 7. Nunc iasta fidei definitio nobis con-
stabit, bI dicamus esse divinae erga nos benevolentiae firmam
c er tarn qua cognitionem, qaae gratuitae in Christo promissionis
veritate fundata per spiritum sanctum et revelatur mentibus nostris et
cordibus obsignatur. § 8. Assensionem ipsam iterum repetam cor-
dis esse magis quam cerebri, et affectus magis quam intelligentiae.
Qua ratione obedientia Yocatur fidei. § 14. Cognitionem non intelli-
gimus coroprebensionem, qualis esse solet earum rerum, quae sub hu-
manum sensum cadunt .... Sed dum persuasum habet, quod non
capit, plus ipsa persuasionis certitudine intelligit, quam si hu-
manum aliquid sua capacitate perciperet .... Unde statuimus, fidei
notitiam certitudine magis quam apprehensione contineri. § 15.
Sensus pleropborias, quae fidei tribuitur est, nempe qui dei bonitatem
perspicue nobis propositam extra dubium ponat. Id autem fieri ne-
quit, quin eins suavitatem vere sentiamus et experiamus in
nobis ipsis. Quare apostolus ex fide deducit fiduciam . . . .Ostendit,
non esse rectam fidem, nisi cum tranquillis animis audemus nos in
conspectum dei sistere.
2) § 16. In summa, vere fidelis non est, nisi qui solida persua-
sione deum sibi propitium benevolumque patrem esse porsuasus, de
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nun nic^t cmartcn, bafe btcfc gcftftcHung bcn %f)coloQm ani
Satotn'« ©c^ulc unöcrlicrbor fi^ eingeprägt f)ätte? ®er größte
unter benfelbcn, (Stöbert Soet, 1634—76 ?ßrofeffor in Utre^t,
f^at iebod^ n)ie bie ganje SolDinifc^e @d^ule bie Mucia nic^t in
ben 93egriff ber fides eingercd^net, fonbern ate golge bnüon
untcrfc^iebcn ; er f)at alfo ben ©afcSatmn'ö in § 15 ft)ntl^ctifd^
Dcrftanben. S)cmgcmä6 fennt er bie ^Regelung, ttwld^e bie Stellung
bc8 SRenfc^en jur SBelt burd^ ben ©lauben erfährt, auc^ nur alö
eine Dom @S(Quben Derfd^iebenartige 9nn)enbung beffctben. 3n
ber Disputation de praxi fidel *) fommt ber ©egenftanb üor unter
btn actus consequentes fidem, quos operatur non in se, sed
in aliis virtutibus theologicis, — et tales sunt actus eliciti
spei, caritatis, novae obedientiae, patientiae, renovatae
resipiscentiae. Slber anä) nur in ber angetpanbten $orm ber
©ebulb, nic^t in ber be^ @ottt)crtraucnö mad^t er geltenb, bag ber
©laube feine Äraft in jeber günftigcn unb n)ibrigen SJebenölage,
in 93erfu(^ung unb Zo\> ben^ä^rt. SBoet olfo fennt bie ©ad^e,
auf bie eS anfommt, aber er tpürbigt fie nur aU einen %nf|ang
jum @(auben an S^riftuS; biefen ]ebod^ beftimmt er ftetS in ber
(Sinfc^ränfung auf ben t^eoretifd^en (Srfenntnigact über (SbtiftuS.
ißSmlid^ in ber cat))inif(^«reformirten ^irc^e ift bie fd^uU
mäßige XrodEen^eit aQer religiöfen (Srfenntniß nid^t geringer,
fonbern nod^ ftärfer aufgetreten, alö in ber lutl^erifc^en. Den
Stnlag baju l^at Saluin felbft tro^ feiner oben bargelegten (Sin^
ft(^t in baiS SBefen bed @(aubend gegeben, unb j^oar burc^ feine
Erörterung gegen bie fat{|oIifd)e ßu^^ffung ber fides implicita.
Daß man o^ne bie Dogmen ju oerfte^en bereit ift, aQed ju
glauben, too^ bie ßird^e uorfdjreibt, Denvirft Sabin auS bem
@irunbfa^, baß ber @(aube nic^t in Unmiffenl^eit, fonbern in
eins benignitate omnia sibi pollicetur .... Fidelis, inquam, non est,
nisi qui suae salutis securitati innixus, diabolo et inorti con-
fidenter insultet, quomodo ex pracciaro illo Pauli epiphoneinate
(RoTD. 8, 88) doGemur. § 28. In divina benevolentin, qaam respiccro
dicttar fides, intelligimns salutis ac vitae aetemae possessionem obti-
neri. Nam deo propitio nihil boni deesse potest .... Deo nobis re-
coooiliato nihil manet periculi, quin omnia nobis bene sucoedant. Quare
fides promissiones habet vitae praesentis et futurae, solidamque bo-
noram omnium secaritatem.
1) Selectae disputationes Tom. IL p. 501.
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6rfenntni§, unb jiuar bcr SScrfö^nung burc^ ßl^riftu^ befielet »).
3)ie[c @rlcnntni§ alfo, luic er fic unter ben Äird^etiflcnoffen ^er^^
beijufül^ren ftrcbt, foQ au^^geiuidEclt, bcutlidö, bctaiHirt fein, fic
foU aug einer reflclmägiflcn ficfung ber l^eiliflen ©c^rift fiQT\)ox^
flehen, fic foQ über einen SBiffenöftoff t)on nid^t geringem Umfang
üerfügen, alfo fd^ulmägig genau fein, ßalüin geftef)t freilid^ ju,
bafe in fielen SBcjie^ungcn ber ©laube bcr ©l^riften eingctoidelt
bleiben tücrbe; t)iele§ bleibe üerborgen t)on ben gügungen ©ottcö,
unb tjielc ©teilen ber t)eiligen ©d^rift tofirben nicl)t uerftanben;
l)iebci lomme eö nur barauf an, in (£f)riftu§ ben beften Sc^rer
anäuerlennen. Stilein biefeg ßi^fl^^ftänbnig ift im ©inne ßabin'ö
gleichgültig, tuenn man baran benft, tucld^eS l^o^c iD^ag religiöfen
SBiffeng er t)or SlHem bei feiner Äird^engrünbung üorauögefcfet
unb erftrebt ^at. ©o tt)ic er in ®enf eintrat, f)at er ben bürgern
jugcmutfiet, ein in 21 Sirtiteln beftel^enbcg Selcnntnig ju be^
fd^tüören. 3)ag ift jtüar nidjt burd^fü^rbar getoefen. Slber um
fo eifriger mar fein ©treben, burd^ feinen Äatedjiömu^ unb bie
öffentliche Sated)ifation, mit ber SlQen auferlegten Verpflichtung
ber I^eilna^mc baran, baöjenigc in bie Äirdöenglieber ju pflanjen,
xoa^ er t)on tjorn l^crein ju ücrmiffen fanb, ein fc^ulmäfeig ge^
orbnctei^ SBiffen t)on ber c^riftlid^en Sc^rc. Darum be!am auc^
in feiner Äirct)e bie inteHectucHc Sebeutung be^ ©taubcnö fo fe^r
baiS Uebergctoid^t, baß bie praftifc^e Ucbcrjeugung oon bem gc^
tuugtcn @laubcndin^alt aldbalb in bie ©tellung cinci^ ^In^angS
trat, fo notl)tücnbig unb tücrt^Uoll berfelbe audö toar. SBeun
olfo aud^ in biefcm ©cbietc bcr ©laubc trodEcn unb fc^ulmafeig
rourbe, fo liegt. bcr Icfete @runb bafür bod^ lieber in bem 85c^
bürfnife bcr Slbgrcuäung gegen ben itat^olici^mu^. Um fid^ per«
fönlidE) üon bem fat()olifcl)cn ©laubcn ju unterfd^eiben, mugte bcr
SBiffen^ftoff bcö rcformirten ©^ftcmö oon icbem ©cmcinbcglicb
1) L. c. § 2. Hoccine crodere est, nihil inielligere, modo seDSum
tuum obedienter ecclesiae submittas? Non in ignoratioDe sed incog-
nitione sita est fides .... Nee enim ex eo salutem consequimur, quod
parati sumus pro vero amplecti quicquid ecclesia praescripserit, sed quando
deum agDoscimus nobis esse propitium patrem reconciliatione per
Christum facta, Christum vero in iustitiam, sanctificationem et vitam
nobis datum. § 3. Fides in dei et Christi cognitione, non in eoolosiae
reverentia iacet.
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angeeignet ttjcrbcn. S)Qbei toarb borauf gered^nct, ba§ bic Uebcr:^
jeugung mit aßen if)ren prattifc^en SBirfungen nad^folgen werbe.
Selber ift nur bic pra!tifdE)c Uebcrjeugung nic£)t not^tüenbig au
einen no^ fo rcid^en SBcfift überlieferten SBiffenö gcfnüpft. 3)e^:^
f)alb ttjcrben aud^ im ©ebiet beiS Ealuini^muö nad^ einigen ®e^
nerationen biefelben Älagen über 3)ürr^eit unb @eiftIofig!eit be§
Su^ftabenglaubend laut, mie in ber lut^erif^en ^ir(4e.
@ö ift jeboc^ intereffant, ipic 120 Saläre nac^ ßalt)in ein
nieberlänbifd^er I^eolog, ^ermann SBitfiuö ju granefer in gric^
lanb fid^ über bic ^rage ber fides implicita äußert *). S)iefcr
SKann t^eilt nämlic^ cinerfeitS bic Älagc über bic SSerfommen*
^eit unb ®eift(oftg!eit bci^ bud^ftäblid^en Sl^riftentl^umig, anberer«
feit^ ift er weit bat)on entfernt, bic fd^ulmäßigc 3lu§prägung
bclfelbcn ju unterfd^äftcn. Snbem er aber j;uglci(f) $ßraftifer im
befonbern @innc ift, tonnte i^m nid^t entgelten, ba^ bie Unge^
bilbeten im intellectueQen unb im d^riftlid^en @inne einen reic^^
liefen ®ebrauc^ t)on ber fides implicita machen. Sr red^tfertigt
biefc I^atfa^e burc^ jluci ©rünbe, t)on benen ber eine.lat^olifc^
geartet, ber anbere eine tt)eoretifc^e ©elbfttäufc^ung ift. 9iäm*
Iid§ er nimmt erftenS an, baß biefe Slrt t)on. ©laubigen im Slll:=
gemeinen bie l^eiligc @d^rift atö bie unfef)lbare DueQc aller
not^mcnbigen @laubeni^artifel julaffen, aud^ luenn biefelben nict)t
ücrftanben merben; ilueitcnig bag fie bie $unbamentaln)at)r^eiten
mit 9en)ugtfcin feft^altcn, aud meldten bie übrigen aU notl^«
wenbig abgeleitet toerbcn. S33a^ biefen Iroft betrifft, fo ift näm*
Itc^ nid§t einiufel^en, luie (Einem $unbamentalma^rt)eitca ju
toilfen frommen lönne, auö loeld^en Slnbere bie übrigen not^^
menbigen ©rlenntniffc absuleiten vermögen. Unb bod^ !ennt aBit:=
ftu^ ben ^aQ, nt aliqnis, cui parcam cognitionis portionem
admeosus est deas, in fide tarnen firmissimus sit ad
martyrium nsque. SEßaS leitet er barauS ab'i äJJan bürfc
barum bod^ nid^t bie Untoiffenl)cit für bie. Duelle be^ @laubenS
unb ber grömmigfeit l)altcn! Unb bic ©ntfc^eibung? SBaS ber
Gläubige notl^mcnbig loiffen mug, ift im Slllgemeincn bie gött-
Iid§e Äuctorität ber ©c^rift, im Scfonbcrn, bag er fclbft burc^ bie
©ünbe bem loal^ren Sebcn in @ott entfrembct, bag ber ^err
y
1) Exercitationes in symbolum apostolorum, Franeker 1681,
Exerc III, 9. 10.
92
6f)rtftuS \)oü ®nobc unb SSa^rl^ctt bog e$ nöt^ig fei, mit
S^riftitS burc^ ben ^eiligen @cift unb ben @lau6cn Dereinigt ju
toerbcn, nic^t bloö jur SRedjtfcrtigung, fonbern and) jur Heiligung
unb ©rgebung in feine ^errfd^aft. Diefc^ Quantum t^eorctifd^cr
grienntnife ift alfo bag SWinimum bc^ SBiffcn^ für ben ®täubi=
gen! 3mcin tt)ie ift bcnn in biefem SBiffen aud^ nur ein geringer
®rab üon ©lauben^feftigfett begrünbet, toddj^ entfernt üerglei^«
bar njäre mit bcm @ntfd^lu§ jum SWart^rium? 3ft benn bie Slei^e
ber not^njenbigen SBiffenöartifcI auö congruenten Scftanbtl^eilen
jufammengcfefet? 3(^ foQ fpccicU niiffen, bag id^ in ber ©ünbe
üon ©Ott entfrembct bin, unb bann im SlUgemeinen bie ®nabc
in Etiriftuö unb i^re möglid^en SBirfungcn fennen! 3cner fpecieQdt
(Srlcnntniß beS Unniertl^c^ ber eigenen ©ünbe muß bod^ baS
fpecieUc ©clbft* unb 8BcrtI)gcfüt)l, bag id^ troft ber ©ünbe ein
Siinb ®otteg bin, i^injugefügt n)erben; o^nc biefeö f)at aUe^reli-
giöfe SBiffen leine Sebeutung für ben feften ©tauben. SBenn
alfo auf biefem ?ßunftc eine fides implicita jugeftanben toerben
foQ unb muß, fonn man fie bann in einem anbcm ©afcc jtoerf*
mäßig auöbrüdten, alö baß benen, n)eld)c in ber d^riftlid^en @e*
meinbe @ott lieben, afleö jum Scften bienen muß? S)iefe ©r*
fenntniß ift aud^ nur nad^nieidbar aU perfönlic^e Ueberjeugung,
unb in biefem gaU alö bie praftifc^e SBelt« unb Sebenöanfc^au*
ung, ujelc^e gerabe burc^ K^riftug Vermittelt ift. 5)aß bicfe ©pifte
nid^t entbedEt tt)irb, aud^ inbem man längft ben SBiffenSglauben
afö unjureid^cnb crfannt l)at, ift bie fd^lagenbfte Seftätigung
batjon, baß aud^ bie reformirte Äirc^e an ber SHa^giebigfeit gegen
ben SnteQectualiömug fc^ujcr litt unb in biefer ^infidjt ber 8*e^
form bebürftig toar.
3)iefcr burd) bie Umftänbe l)erbeigefüt)rte gelter ujürbe fid)
aber nic^t fo feftgefeftt l)aben, n)ic eg gefd^e^cn ift, toenn nic^t
bie äJienfd^en bcö SReformation^jalir^unbert^ mit einer eigcntpm*
Jid^ bef darauf ten geiftigen Di^pofttion bel)aftct getoefen wären.
3c^ meine bie Unbelanntfdöaft mit bem @efüf)l im StUgemcinen
unb mit feinen Söcbingungcn unb Sejie^ungen im geiftigen Seben.
5)ie SRenfc^en jener 3cit frcilid) Ijabcn gefüllt, ^aben fid^ aud)
im religiöfcn iJeben burd^ 2uft unb Unluft in Scroegung fefecn
laffen; aber baß bie ©eele neben ©rlennen unb Segcl^ren eine
britte eigentümliche ^^unction ausübe, bleibt berborgen. ©ogar
ein pietiftifc^er ©^riftftcller bcö 17. Sal^r^unberti^, ßobenfte^n.
93
tocl^er bog ©cffil^I ftorl in Änfprud^ nimmt, toeiß bod^ nur t)Ott
SScrftanb unb SBiUcn qU bcm ©^ema bcr geiftigen SBirfungcn.
3m 16. Sal^rl^unbcrt aber fd^cint bcr ?ßroteftanti^muö für ba^
rcligiöfc ©cfü^t überhaupt nic^t fc^r bi^ponirt gcroefcn ju fein.
Slud^ bic %^Ut\t fül^rt bamate, tvk ©tep^an ?ßraetoriu^' @eift*
lic^e ©^aftfammer berocift eine fteife boctrinäre SRebe. ffi« fte^t
faft fo au^, alö ob ber ?ßroteftanti^muö, tnbcm er bog Siloftcr*
leben aufgab, fic^ ben d^S^i^S h^ ^^^ Uebung beS bort l^eimifd^
genjcfenen religiöfen @efüt)l^ üerfperrt l^ätte. Ober toax baffelbe
in 3)eutf^tanb auc^ fc^on im 15. Sal^rl^unbert öertrodEnet? Jiurj
ba man im Greife ber 9leformatii)n ber allgemeinen Slufmerffam^
feit unb bcr rid^tigen ©d^äftung be^ ®efüt)lölebcng entbehrte, fo
ift bie boctrinäre ©arfteßung ber {Religion unb i()re auöfd^licß«
lic^e ©eltung im 16. 3a^r^unbert um fo uerftänblid^er.
Sllfo in ber bloS UerftanbcSmägigen ^luSprägung ber
Acoren be§ (Suangelium^ n)irb bic ber SRcformation entfpred^enbc
Xotalanfc^auung beS 6^t)riftent()umS no^ nid^t jum entfprec^enben
äu^brudf gebrad^t, f onbern einerfeitö gcrfplittcrt, anbererfeitS t)er«
^üHt unb befc^attet. 3n biefer boctrinären Sluffaffung be^
Glaubend, toclc^c man ber fat^oUfd^en fides implicita entgegen«
fcftte, Übte man boc^ aud^ nur eine anbere Art t)on fides impli-
cita. S)aS perfönlid^c ©clbftgcfül)! bc^ ©ottöcrtrauenö, toelc^cig
bie $robe bcr SSerjö^nung burc^ St)riftud ift, befag man nid^t
in bcr beutlic^en ©rfcnntnife feiner Art unb feinet SBcrt^cg, fon«
bcrn nur cingen)icfdt in bcm ^odjgcfü^I beö 93eftfec3 bcr reinen
ßc^rc, ober im beffern gaUc ate einen 2lnt)ang ju ber tcfetern.
2)cr ^roteftantiömug ift jcfet fo tvdt in feiner ®igentt)ümlid^feit
erfennbar, bag faft Siflc, bie fic^ ju i^m red^nen, in feiner
urfprfing(td)cn (Erfd^einung eine SSerfümmerung ober eine fOli^^
btlbung erfennen. ^üc&, toa^ pietiftifd^ unb rationaliftifc^ ift,
ftimmt in bie fem Urt^eil überein; unb befanntlic^ finb aud)
bieienigen, bcren Sbcal oorgeblic^ in ber Drtt)obojic be§ 16. unb
17. 3a^r^unbertS befte^t, ju tief bnrd^brungcn Don ^icti^mud
unb 9tationaIi^mu^, als bag fte nic^t bie fc^ulmägige Einengung
bcr Sleformation in jener Spod^c rügten, allein id^ meine biefe
Setrad^tung bur^ bie entgegengefc^te crganjen ju bürfcn, bag
bte t)erftanbcdmägigc Sinfd^rftnfung bed ^roteftantiSmud, n^clc^e
ben Umftänben gemäg unDcrmciblid^ war, bcnfclben Umftänben
gemfil nio§It§ättg unb für bie Sr^altung bcr SVeformation }toctf«
94
mägig tDor. Sie boctrtnäre (Sincnc)unc) ber iReformatipn möi^te i^
bcn Äcimblättd^en einer .^ßflanjc üerflleic^n, toelc^c fo lanjc ba
fein muffen, bi§ bic ffir baig Sebcn bcv ^flanje not^ttjenbigen
eigent^ämlid^en Glättet gebilbet unb hervorgetreten finb. 2)ie
Äeimblättdjen l^abcn nid^t ben X^puig ber ber ^ßflonjc »cfent*
lid^en Slättcr, fonbern cntfprec^en ben Umftönben, unter bcnen
ein ©ame fcimfä^ig ift. 3nt SSergleic^ mit ben cigcnttid^en
Slättcru ber ^flanje erfd^eincn fic öerfümmcrt ober miggebilbet,
aber fte finb ^ugleid^ unentbehrlich unb, tool^ltI)ätig für bie erftc
(Epod^e bcd £cben$ ber $flanjc. S^ toiQ Snbcren ba§ Urt^eil
fiberlaffen, ob ber ?ßietiömu^ unb ber {Rationalismus fold^e Dr*
gane bcS $ßroteftantiSmuö finb, tt?eldE)e feiner Seftimmuug ebenfo
entfpred^en, tt)ie bie Slätter ber beftimmten Art bon 5ßflanje; baS
S3eftreben ber Eonfeffioneüen aber l^at ben ©inn, ba§ bic ?ßflanjc
beS ^roteftantiSmuS immer nur mit mobificirtcn Keimblättern
ejiftircn foU. 9iun baS finb SSerglcid^ungcn, bie nur in be*
ftimmtcn ©rcnjcn trcffenb finb. 3)er $ßroteftanti§muö aU gc^
meinfamc geiftige JRid^tung ift bis jefet nod^ uic^t ju ©runbe qc^
gangen, tocnn er auc^ nod^ nid^t feine cntfprcc^enbc Crganifation
^eruorgebra^t ^at, fonbern auf feine urfprünglid^e Einengung
miebcr anberc 8Ser!ümmerungcn gefolgt finb.
3n biefcr Sejie^ung fönnen ©eftalten beS gciftigen ©cmcin«
lebenS me^r ertragen als bic @ebilbe ber organifc^en 9latur. (£S
ift uielme^r eine JRcgcI, tocld^e immer beobachtet loirb, bafe neue
cigent^ümlic^e eintriebe Don bcn iD^enf^cn nid^t birect unb in
i^rer ganjen unb reinen gfillc angeeignet loerben, foubem immer
nur fo, ba§ gctt)ot)nte Antriebe unb l^ergcbra^te Siormen in irgcnb
einer SSerbinbung mit bem neuen antriebe fortn)irfcn. ©olc^c
Sompromiffe beS bleuen mit bem Sitten mögen in ber t^olge noc^
fo unlogifcl) unb unerträglid^ erfd^cinen; für bic üJienfd^cn, bie
cS junäd^ft angebt, finb fic nic^t bloS möglid^, fonbern gerabe
praftifd^, toeil fic biejenige Kontinuität beS gciftigen SebenS oer-
bürgen, bereu bic SSiclI^eit ber SDienfd^cn nid^t fc^eint cntbel^ren
}u !önncn. Scr (Sinjcinc f)at feine Kontinuität, au^ toenn fein
Seben bur^ Sntbedtung einer neuen SebenSric^tung ober burc^
93e!c^rung einen ScbenSin^alt gen)innt, ber ber frühem Stic^tung
gerabe cntgcgengefefet ift. 3)ie äWaffen, toelc^e nid^t geiftig pro*
buctit), fonbern l^öc^ftcnS in abgeftuftem ®rabe empfänglid^ finb,
fönnen für etioaS SRcucS ni^t geioonnen ttjcrbcn, toenn nid^t gu^
95
nS^ft Sccommobatiimcn an bad Site ober atfidbilbiingcn bed
Sllteti in bo^ iReue emtteten. 2)tf äRaffe btr blöd (Sinpfangltc^n
loürbc corrumpirt loerben, loenn fie ben 8nic^ im gciftigen Scbcn
in DoQer Steinzeit unb ytadtf^cit erfahren mfigte. Sd fonimt nur
nacl^cr barauf an, bafi bicfeSompromiffc nic^t loieba aU c^nmirbigc
Orbnungen ftjirt votibtu foOen, loenn ftc i^re urfprfingli^e @el^
tung Derlorcn l^aben unb im begriff finb abgeflogen ju n)erben.
@o(^e Slutfbilbnngen finb nun ouc^ in ben Derfc^iebenen
3toeigen beiS ^roteftontismud eingetrden. 3n ber lut^erijd^n
$ir(^e gel^drt unter biefen ©eftd^tdpunft baS ^eic^tinftitut, melc^ed
nur eine aRobificotion bed fat^olifc^en SugfacramenteS ift unb
mie biefei^ bie ^eftimmung ^t, bie äRaffen bie ftttlic^religiofe
SluctoritQt ber Sirene empfinben ju laffen, bie fie auc^ im $ro-
teftantidmud beburfen. Ob biefer Qtfxd hnxd) jenes äRittel xdixU
lic^ in toünf^endn)ert^em Umfange erreicht niorben ift, l^at be^
fanntlicl ber ^ictidmud in ß^'M gcjogen. SlQerbingd pagt
biefed Snftitut nic^t jur proteftantifc^en @eltung ber 9iec^t^
fertigungdle^re. ^enn bie Seic^tüor^ttung . brätft immer ben
@ebanfen an^, bag bie Snnal^me ber äRenfc^en bur^ @oii
eigentlid^ unb ber SVegel nad^ üon beren guten SSerfen abl^ange,
unb t)on ber ®ünbent)ergebung nur atö Surrogat, n^eil bie guten
SEBerfe mangell^aft finb. ®o fommt in biefem ßufammenl^ange
bie @unbent)ergebung U)ie im &at()olicidmud nur als bie ^n^^
na^me jur Sntuenbung; proteftantifd^ aber ^at fie boc^ ben
SEBert^ aU bie regelmägige @runblage beS gemeinf(^aftUc^en unb
be!^ perfönlic^en religiöfen Scbend. SlOein n)ie bem aud^ fei, biefe
Stutfbilbung eines fat^olifd^en SnftituteS in ber lut^erifd^en
Jtirc^c ift im 16. unb 17. 3al^r()unbert populär gemefen, unb
n)a^rfc^ein(i^ fein ^inbernig für bie Sinlebung ber SRaffen in
bie Aufgaben beS $ßroteftantiSmuS. 3n ber reformirtcn Ifird^e
befte^t biefe Einrichtung nic^t. 9)iefer Umftanb loirb nun neben
anbercn 3)ingen getoö^nlic^ ju bem Urtl^eil octtocrttjet, bag bie
caloinifc^^reformirte Sird^e an 8leinf)cit beS proteftantif^cn &c^
präget bie l^albfal^olifc^ gebliebene lutt)erifc^e n^eit überflügele.
S)as ift ber ©inn beS litelö „unfcrcr nac^ ©otteS SEBort refor*
mirten Äirc^e" gegen bie nac^ ©otteS SBort, aber auc^ nad^ ben
Kücfftc^ten auf baS ^eilige rdmifc^e Steid^ unb bie ®etoot)nl^eiten
bcd ,,groben gemeinen SRanneS" reformirten lut^erifc^en. SRun
biefer Sbt^m ift nid^t ganj fein. S)enn jener Xitel ^at bie 93e'
96
beutung, bag ber Sabini^muS in SSerfaffung unb in ti)e(tf(fld^^
tigcr ©ittc bic primitive Äird^c fo tocit copiren tuill, ote c^ feine
gjiftenä im Staate juläfet (©. 76). Slllerbing^ gegen aOe SnftU
tute unb Sultudformen ber mittelaltrigen Sirene uer^ält ftc^ ber
SatuintSmuS au^fd^liegenb; aber mit £utl^er'd ©runbfä^en l^at
eben Sabin bie IKufgabe ber n)eltflü(^tig ^eiligen ©emeinbe,
[o tt)eit eg im ©taate mögtidE) njar, öerbunbcn. Diefe Aufgabe
nun entfprid^t, tt)ic eö bie S33iebertäuferei funbgicbt, bem Sleform»
trieb, toelc^er beim Slui^gange be^ SWittelalterS in ben SSoItemaffen
lebte, ^urd^ bie perfönlic^e ^uffaffung biefed (Elemente^ unb
beffen (Etnuerleibung in feine ^rd^enbilbung l^at Sabin biefer
eine SSSiberftanbotraft t)erlie^en, njclc^e bem Sutl^ertt)um nici^t
eigen toax, Wim hierin liegt bod) nur eine SVücfbilbung bed
mittelaltrigen SRcformation^ibeaU in baö ©ebiet ber Sflefor*
mation Sutl^er'ö uor. 3n bem ßabiniämu^ alfo finb frembartige
demente in größerem Umfange mit einanber toerbunben, alö in
bem Dorgeblic^ ^aibfat()olifd^ gebliebenen £ut^ert()um. Sie Sfte::
formbebürftigfeit ber beiben Steige beg ?ßroteftantiömu^ ift nun
gemeinfam in ^infid^t ber boctrinären ©inengung beS ©laubend:^
bemufetfeinö, uerfd^iebcn in ^infid^t ber SBieberaufnal^me fat^o*
\^ lifc^er Sebenöorbnungen. Die Sieform, nield^c ber $ßietii^muig in
^ ben proteftantifc^cn Sirenen unternimmt, ift be^^alb in beiben
gleichartig aU @egenn)irfung gegen baS Uo^ bud^ftäblic^e SSer^^
ftanbe^d^riftent^um; hingegen ift nid^t ju erniartcn, bafe berfelbe
in ber reformirten ^trd^e ebenfo gegen bie meltflfld^tigen Sle^
mente ber geltenben SebenSorbnung reagircn njirb, toie er in ber
(utl^erifd^en gegen bad Seic^tinftitut auftritt. SSielmel^r ergeben
fid^ in biefer Söejie^ung auf beiben ©ebieten gerabe entgegenge^
fegte Srfd^einungen. Die Somplication biefer Seniegungen {ennen
JU lernen ift bie Aufgabe ber folgcnben ©ef^i^te.
SBenn eö aber junäc^ft barauf anfommen mirb, ben Anfang
berfelben ju fu^en, fo f)abc id^ ^icr noc^ ju bemerfen, bag ber*
felbe ni^t mit SSalentin ^cjflal (Pfarrer in ßfd^opau bei (£^em*
nife, geb. 1533 gcft. 1588), unb Safob Söfemc (in ©örlife geb.
1575 geft. 1624) ju machen ift. Dicfelben ^aben jnjar bai^ mit
bem ^ßieti^mug gemein, bag fie bem in ber lut^erifd^en Äirc^e
üorl^errfc^enben SSerftanbe^toefen fic^ entgegenfegen unb ®c»
bingungen innerli^er unb praftifc^er $lrt für bai^ d^riftlic^e Seben
ouffteüen. ?lbcr in allen anbcren Sejie^ungen finb fie bem $ßie*
9?
ttemuS unglcidö. 95cibc STOänner ücrjid^tcn btrcct auf btc Seilte
Don ber Sted^tferttgung burd^ ben QUanbcn, unb treten bedt)Qlb
auf einen ber lut^erifd^en Sird^e fremben ©oben; baffelbe gilt
öon i^rem im Allgemeinen pl^ilofop^ifci^en Sntereffe. Sllö 3lai)^
folger oon X^eopt)raftuiS ^araeclfud ($rofeffor ber äRebicin in
Safel geb. 1493 gcft. 1541) üerfled^ten fie bie erlöfenbe 95ebeu«
tung ber d^riftlic£)en SRcIigion in eine t^eoretifc^e SBclterfcnntniß,
»elc^e fic^ burcft bie Korrefponbcnj jnjifd^cn ber Statur unb bcm
geiftigen £eben leiten lögt, unb balb in ^ant^eii^mud, balb in
bualiftifc^em äßateriali^mu^ verläuft, ^iefe^ t^eofop^ifd^e äBefen
ftel^t nun auc^ Don Dornl^erein gar nic^t auf bem ^oben ber
Deformation. ?ßaracelfuö roar unb blieb al^ ß^itgenoffe ber JRe^
formation ^at^olif. @eine SBeltanfd^auung ift barum, bag fie
Don ber officiellen Siegel be^ X^omidmu^ abniid^, nod^ nic^t ber
Reformation Derroanbt unb analog. 3nbem fie Dtelmc^r alö Sfla-
turp^ilofop^ie ben antrieb giebt, bie geiftigen Srfc^einungen auf
Waturpotenjen jurüdäufü^ren, fo ift fie im SBiberfpruc^ mit ber
lenbenj ber Sieformation, njeld^c bie Ueberorbnung beö religiöö:^
fittlic^cn Sebenö über alle Statur praftifd^ fic^cr fteQt. Stbgc:^
fe^cn Don bem t^eofopl^ifc^en Qn^ai^, njcld^er eine ganj pantl^eifti*
f^c aSerroenbung finbet, fte^t SBeigeP^ praltifd^e SBeltaufd^auung
in ber näd^ften SBcrmanbtfd^aft mit ber Wi^tung ber ©piritualen.
(Sr rennet barauf, baß feine ficbenöanfic^t in bem beoorftel^enben
©eculum bed ^eiligen ©eifteö jur Äu^fül^rung !ommen njcrbe,
»enn bag l)immlifc^e Äönigreic^ E^rifti auf 6rbcn burc^ bie
feligc §errfct)aft be§ S^riftuö in unö befielt. @r glaubt an DoQ^
fommene ©efefterf üHung burc^ bie ©laubigen eincrfcitö, unb fd^rcibt
bie ©elaffcii^eit be^ SBillen« Dor, um ben 6t)riftud in unö jur
fflirfung fommcn ju laffen. (£r redE)net auf DöHigc Umgeftaltung
ber bürgerlichen ©efellfd^oft; nic^t met)r 3uftinian'g, fonbern
ß^rifti ©efeft foll in i^r gelten ; bie Dbrigleit barf feine ©teucrn
nehmen, feine lobeöftrafc Dert)ängen, feinen Äricg fütjren. @e=
meinfrfiaft ber @üter füll ^errf^en; bcr^anbcl mirb aU unc^rift^
li(^ bcjeic^net; bie ©rjeugung ber Äinber, alfo auc^ bie (£l)e wirb
oU eine Drbnung ber ©ünbe geftempelt. SBaö ift benn hierin
ber lut^erifc^en Deformation unb waö ift nidbt ber SBicbertouferei
onalog? i)er einjigc Unterfc^ieb beö ?luftrcten^ SBeigers^ Don
bicfer öffentlichen ffirfc^einung liegt barin, bafe SBeigel feine
SKrinungen im ©tillen bem Rapier anoertraut ^at. Unb bies^
I. 7
98
ift an^ ber ^all bei bcn Slnl^ängem ytucfen, tod6)c er gefunben
unb tt)eld)e @ottfrieb %[molb in ber Jllrd^en^ unb Sie^ergefd^td^te
toor ber SBergcffcn^eit gerettet \iat Der SBeigeliantömu^ l^ot nur
eine Uterartfc^e (S^iftenj gelobt. Ober, tote ber^Q ))on d^cdfid
äl^et^ unb SfaiaS ©tiefet in fiangenfaljo ben)eift ift einmal ein
gamiUen* unb greunbeölrei^ für bie Sbeen SBeigeriS intercffirt
tüorben.
3afob S3ö[)me unterfd^eibet fic^ Don SBcigel babur^, bag er
nur bie fo^mologifd^e ©peculotion, ni^t aber ^ßrojectc einer Um^
geftaltung ber bürgerlid^cn ©efcHfd^aft mit ber c^riftUc^en 3bee
ber Srlöfung in SSerbinbung gebracht ^at. Dedt)alb ift feine
birectc ©uttjirfung aud^ nur in ber SSerbinbung feiner @e*
finnungSgenoffen ju perfönlid^er ^reunbfc^aft na^n^ei^^bar.
S)iefe gorm ift au^ innegehalten tt)orbcn, aU einjclne feiner
Sln^änger fi^ jugleic^ mit praftifc^en Smpulfen t)on SBeigel
burd^brangen. S)aS ift ber gaü mit Sol^ann QJeorg ©i^tel
(1638—1710) unb ber t)on i^m ausgegangenen ©efeüf^aft ber
(Sngelj^brüber, ferner mit ber englifd^cn ©ruppe ber $ß^ilabclp^ier
3ane Seabe (1623—1704), 3üJ)n ^orbage (1608-1688) unb
Stomas Sromlctj (1629—1691). 3)eutfd)e ?ßietiften ^aben nun
freiließ fic^ üiel bamit bcfcftäftigt, Sö^me'ö ©Triften ju lefen ;
einzelne @ruppen unter i^nen ^aben aud^ gen)iffe praftifc^e @runb^
fäfte Don ©id^tel übernommen; aQein jur (Sntfte^ung beö ^ietiS=
muS ()abeu biefe praftifc^en Sö^miften birect ebenfo menig bie
Anregung gegeben, ald i^re älteren SSermanbten auS SBeigePS
©^ule.
3weite8 ©ud^.
Jer prtismus in htx nfurmirten ^irdfe ^rr
7. (»mtxt Soet nnb bie ^nftSttbe bet tticbetlSttbiff^ett
tcf0nttirtcit ftitf^c 31t feinet 3tit*
äRit bem Flamen bcd ^tcttdmui^ tft urfprüngli^ eine Sleil^e
t)on Srfd^einungeu auf bem Soben ber lut^erifc^en ftttc^e in
2)eutf(^(anb bejetc^net n^orben, n^etc^e Don ba qu^ quc^ in bie
reformirte Äird^e ber bentfc^en ©d^ttjeij fi^ verbreitet l^aben.
S)iefe Srfc^einungen finb Dorläufio beutlid^ genng abgegrenzt atö
bie JBilbung von ftänbtgen @emeinbegrn))))en, n^eld^e fi^ burc^
einen befonbern (Smft ber Heiligung nnb bur(^ Slbtoenbung bed
Sebeni^ von ber SBett wv ben übrigen ©emeinbegliebem oui^
{deinen n^oUen. Stuf bie anberen äRerhnoIe, \od6)c [xä) neben
btefen beobod^ten loffen, brandet ^ier noc^ nid^t eingegangen ju
nierben. 9lun j^eigt fic^ aber, bag bor bem auftreten ber pietifti^
fc^en (£ont)enti(et in ber lut^erifc^en ^irc^e Seutfc^Ianbd ä^nlid^e
Serbinbungen innerl^alb ber calmnifd^^reformirten ftird^e in ben
9lieberlanben fic^ Dorfinben. ^ierburc| fommt bie äßögUc^feit
in Setrac^t, bag bie fpätere (Etf^einung üon ber frühem ab^
^ngig ift S)emnacl^ mu§ bie t^orfd^ung itd§ juerft auf bie Um«
ftänbe richten, unter bcnen fic^ in ber calDinif^^reformirten Sirene
bie Serbinbungen Oilben fonnten, beren äRitglieber man mit bem
Flamen ber feinen ober ISrnftigen belegt ^at.
2)ie mA^tigfte unb einflugreid^fte fo n)ie bie am meiften
c^rafteriftifd^e $erf5nlic^feit in bet nieberlänbifd^^reformirten
ftirc^c be^ 17. 3a^r^unbertö ift ©iöbert Soet, geboren ju
^eu^ben in ^ollanb 1588, im ^irc^enbienft feit 1611 }u SSt^men,
feit 1617 in feiner Saterftabt, atö ^rebiger bafelbft Slbgeorbneter
jur giationalf^nobe in S)ortred^t 1618, Don 1634 biö 1676^ ^fo*
feffor ber Ideologie in Utrecht. Sine öffentli^e ©irffam!eft üon
65 3a^ren, innerhalb biefer Qtit eine afabemif^e fie^rt^ätigfeit '',/.;.,
Don 42 ^a^ren, beibe^ ^ebt bie ^o^e Sebeutung biefeiS iDtanneiS
102
für bie Äirc^c feincS SSolfc^ fc^on äußerlich ^crüor; er f)ai aber
aud^ biefc Sebcnöfrift bur^ feinen gleiß unb ffiifer in einem
äRüge aufgefüllt, bag feine (Sigentpmlid^feit für bie Stiftung
unb bie Äraft beö t)on i^m üertretencn unb üert^eibiglen fiirc^en:^
njefeng birect eintritt. ®r ^ot bie JHeformation gegen ben römi*
fd^en Äat^olici^mu^, ferner \>ah ortftobojc ©Aftern bei^ Kalt)iniö:=
muS gegen ben SrminianiiSmu^ unb na^()er gegen bie göberal:«
tl)eologie t)on Soccej[u^, fottjie gegen ben Eartefianifc^en SRationaliös
muS Dert^eibigt, enblid^ bo^ Stecht ber befte^enben Jtirc^e gegen
ben ©eparatiSmuig Don Sababie aufrecht erhalten; er ^at aber
namentlich aud^ ber praltifc^en Il^eologie, ber ^Pflege ber inbiüi*
bueQen grömmigfeit n)ie ber ftrengen @itte bed SalDint^mud mit
Seigre unb mit X^at unb Seifpicl ftd^ getoibmct. 3nbem er über
eine l^enntnig ber claffifd^en, ber patriftifd^en, ber mtttelaltrig:^
tl^eologifd^en £iteratur Verfügte, n)elc^e bie gegenn)ärtigen äKag-
ftäbe t^eologifd^er ©ele^rfamfeit n^eit überbietet, fo §at er burd^
bie ftrenge fd^ulmägige ^orm ber ^arfteüung, ipeld^e er l^anb^
^abt, meiftent^eitö bad SSerftänbnig feiner Se^ren nic^t erf(^tt?ert^
fonbern erleichtert, unb l^at in ©treit unb^ SSertljeibigung unter
Umftänben eine ^iUigfeit unb Humanität bemä^rt, n>eld^e burc^
bie pebantifc^e Slrt ber Sen^eiSfü^rung nid^t t>erbedt n)irb. Sin
ganjer SWann ift er, ber biö in fein ^o^eg Älter feine üielfet^
tige X^ätigfeit ni^t ^at ftiQe ftel^en laffen. (Er bejeid^net nac^
aQen ©eiten l^in bie ^ö^fte Seiftung bei^ Satoinidmud in ber
nieberlänbifc^en Äird^e 0-
SBenn eS nun barauf anfommt, eine Slnfc^auung Don ber
Stic^tung beS c^riftHc^en Sebend ju gewinnen, melc^ei^ um bie
SÄitte beö 17. Sci^r^unbertö in ben Slieberlanben am birecteften
ben 9lormen beS 6^alt)inidmud entfprac^, fo bieten bie Schriften
SSoet'ö einen reichen ©toff bafür bar. Äbgefe^en öon feinen po^
lemifc^en Unternehmungen fiat er ganj i)orn)iegenb ber 2)arftellung
be^ praftifc^en Sebend feine Slrbeit geniibmet. Sr l^at feinen
DoUftänbigen @ntn)urf ber loci communes ober ber S)ogmattf
audgefül)rt, unb in ben oier Ouartbänben feiner Selectae dis-
putationes theologicae füllen bie t^eoretifc^en X^emata noc^ nic^t
1) IBetgl. X^olnd, ^fabem. Seben bcS 17. Sa^t^. 2. «ibt^. e. 214
bt§ 223. Chr. Sepp, Ilet godgeleerd onderwijs in Nederland geda-
rende de 16. en 17. eeuw. (Leiden 1873. 75) 2. deel p. 151.
103
bic jluei erftcn Sänbc an^, fonbern erft mit ßw^^^^wtifl einer
Sflei^e Don X^emata qu^ bcr 9^eligiond^ unb ber ^ir^cn^@efc^ic^tc.
^er britte ^onb aber toirb eröffnet bur^ fe^d Disputationen de
theologia practica, beren @toff ni^t nur bie beiben (e^ten
Sänbe audfüQt, fonbern aud^ nod^ in befonberen S93erfen be^an^^
belt loorben ift. (£r gliebert' nämlid^ bie praftifd^e X^eologie
in bie brei X^eile ber äßoral unb ß^afuiftü, ber ^[iSfetif atö S(n«
leitung jur Suge, ^römmigfeit unb @ebet, enblid^ ber ^irc^en«
ücnoaltung (poiitica ecclesiastica), meiere Siturgif, äJerfaffung,
^rd^enjuc^t unb ^omiletif umfagt. 9)ic beiben legieren ^aupt*
bi^iplinen ber praftifc^en Xl^eologie l^at iBoet in befonberen
©c^riften bearbeitet, l^ingegen ift bie iD^o^I unb Safuiftif, o^ne
3weifel in bem Umfanflc, toel^er aU erf^öpfenb anjufe^en ift,
in ben jaei legten 93änben ber 2)iSputationen jur DarfteOung
gebraut.
3n ber cafuiftif^cn älui^fü^rung ber SKoral ift ein ©efügc
ton Siegeln beabfi^tigt, n)eld^e baS erfc^einenbe |)anbe(n bireet
beftimmen foUen. (£S ift alfo jfl eüoarten, bag bie bat)in ge*
^örcnben (Erörterungen Don äJoet jugleic^ bie Slnfd^auung bon
ber ©ittenorbnu'ng barbieten, mel^e oon ben ftrengen (Salbiniften
in feinem SSSirfunggfreife n)irflic^ geübt mürbe, ©eine S)arfteQung
lägt aber auc^ erfennen, bag bie oon SSoet'S @efinnungdgenoffen
befolgte ^omi beS d)riftlid^en Sebend nid^t ben ganjen Umfang
ber nieberlänbifd&«reformirten Äirc^c be^errfc^te. ©erobe inbem
er ed rü^mt, bag bie ftrengen äJtagftäbe bei^ fiebend in Utre^t,
Slmfterbam, $arlem unb anberen @täbten gelten, lägt er fdC)liegen,
bag biefelben in bem übrigen ©ebiete ber vereinigten 9iieberlanbe
ni^t burc^gängig beobad^tet toerben. SlUerbingS n^ar burd^ bie
äuefd^eibung bcr Stemonftronten aud^ ein bebeutenbcr X^eil bcr^^
jenigen oon ber reformirten ^ir^c getrennt morben, meiere bie
@ittenftrenge unb bic felbftänbige ^irc^cnjud^t grunbfä|lid^ mig«
billigten. SUein trogbem mug bie firc^lic^e Geltung biefer
6)runbfäge noc^ ja^lreic^e ®egncr in ber reformirten Stix(i)c felbft
gefunben ^aben, l^auptfäd^lid^ unter ben ^olitifern oon @efin-
nung unb oon Seruf. Diefe Oppofition mug auc^ @runb ge«
^abt l^aben, bie calbinifc^en Siegeln bcS d^riftlic^en fiebernd aU
Steuerungen gu bejcic^nen, toa^rfd^einlic^ aui^ ber 9{üdEfid^t,
bag biefelben feit ^unbert 3al^ren in bieten fällen überhaupt
xuy^ nid^t jur Sudfü^rung gefommcn n^aren« SJ'Jan erfährt biefe
104
Xl^atfac^e unb jugleid^ qQc bic nod^ immer ftrettioen fünfte, in
toelc^cn ber Katbiniömu^ bem Scbcn ©d^ranfcn fcftt, au^ einer
©teQc in ben ©iöputationcn SSoet'^ über bie praftifc^e S^cologic ^).
6r flaflt f)icr nämtid^, bag bie ^rebiger nid^t bloi^ Don ben
$ßapi[ten unb ben Siemonftranten, fonbcrn oud^ üon SKitgliebem
ber fiird^e ben SSortourf ber Sieuerung unb ber Ucbertreibung
crfal^ren, fo oft fie officieü bai^ ©d^n)ert bei^ göttlid^cn SBorte^
gießen gegen ben äßigbraud^ bed 9lamenS @otte^, gegen (£nif)eu
ligung be^ ©abbat^d, Xanjc unb 93allette, ©d^aufpiele, äßud^er
unb SBec^felgefd^äfte, unmäßigen @^mutf be^ ^aax^, bed @e^
fid^tö unb ber ^leibung, 9)ueQe unb getoaltfame ©elbft^Ülfe, ®t^
lüge unb Irunlen^eit, Irinfen t)on ©efunb^eiten, SSSflrfelfpiel,
gegen ^tnmogung bon ^atronatred^ten unb 9lid^tQ(!^tung ber
^ird^enjud^t burd^ Cbrigfeiten, gegen STZigbrauc^ ber ^ird^en^
guter unb gegen bie gortbaucr üon 3n[titutionen unb ©itten
fat^olifd^er ^erfunft. Äuö biefem SSerjeic^nig üon Unfitten,
loeld^e SSoet befämpft unb au^erottet miffen toiQ, erfennt man
Qlfo jugtetd^ biejenigen Regierungen be^ fiebend, benen bie ftrengen
©Triften fern gu bleiben entfd^Ioffen finb, unb in bereu SScrmei*
bung fie it)rcn ß^aralter, i^re „?ßräcifität" ber ^Pflichtübung ober
i^ren „^uritani^mu^" gu betoä^ren l^aben. Allein ei^ ift begreif-
lich, bag biefe 9iid^tung in einem fßolU, toeld^e]^ bur^ ©etnerbe
unb ^anbel nac^ aßen ©eiten ^in in SSerfe^r mit anberen SSöIfeni
ftanb, unb einen fteten gwioad^S materieller ©fiter erfuhr, nic^t
burd^aui^ unb nid^t fiberaü ben Su^fd^Iag gab. Snbeffen um fo
entfc^iebener ^ielt ein äßann toie SSoet ba^ ^cd)t unb bie ^flid^t
ber ^ird)e gu ununterbrocfiener Sfteformation circa praxin pie-
tati8 et bonorum opernm aufredet ^). @^ fommt t^m ^iebei
1) Disputationes Tom. III. p. 12.
2) Politioa ecclesiastica Tom. II. p. 456. 9(l8 einen Sorg&nger in
biefer 9lid^tung rül^mt fßott »ieberl^olt ben ^tebiget )u ^Jlibbelbutg in Seelanb,
SEBill^elm 2:eeIIin(f , namenUid^ in ^infi^t feiner 64rift: Noodwendig
vertoog aangaande den bedroefden staat van gods volk. 1628. — XttU
lind, geboren 1080 )u Sicttffee in Seelanb, urfprünglid^ Surifl, in d^glanb
fflr ben Pttd^enbienfi gewonnen, $rebiget in SRibbelburg 1613, geflorben 1629,
ift ein überaus frud^tbarer S^rififtellcr gemefen. (Ir (dbe 127 Xradate t^er*
\aii, gemäg ber 9(ngabe don P. de la Rue, Geletterd Zeeland (Wbbelburg
1741) 8. 334 f. Sine don )tt)ei feiner 65(ne uniernommene defammtauS«
gäbe {einer 2Ber!e, »oüon mir 3 t:i^eile in 2 ftarfen Ouaribfinben vorliegen
105
^auptfäd^lid^ auf bie Sludrottung bcr ©etpinnf^icle, bed Xanged
unb bcr t^catraltfd^cn SSorftellungcn an, tüeld^e er mit bcn an*
beten Srfc^etnungen bed fiu^ud unter bem Xitel de excelsis
mundi im üierten Sanbe ber 2)idputationen mit groger Sludffi^r:«
lic^Iett beurt^eilt ^at. 3)icfel6en gief)en eine befonbere Äufmerfc
famleit auf fid^, ba in i^nen ein fpecififc^eö Sntereffe beö ed^ten
SatoiniSmuS geltenb gemacht n)trb.
93ei ber $rage nad^ ber ©eftattung bed Xanjed ^anbelt ed
fic^ um ,,bic funftmägigc jförperben)egung, xodäjt gemeinfc^aftlid^
unb üor 3"^^"^!^" ^on ^erfonen beiber ©efc^Icd^tcr auöge^
fü^rt tt)irb". @egen bie Xänje, lüeld^e SRönner aflein unb »eld^e
grauen attein borftcHen (mit Äu^nal^me ber lujuriöfen Sallette),
erflärt SSoet leinen ©treit ju ergeben, ebenfo wenig gegen einen
ehrbaren lanj, welchen ber (Seemann mit feiner ^xan pxioatm
o^ne Sufdlöucröorne^men foHte! 3ebod| gegen bie ben ©efc^Ied^tern
gemeinfamen Xänje, xok fie in g^anfreic^ unb ben SRieberlanben
üblich feien, erlägt er, in Uebereinftimmung mit allen £ef)rern
feiner ßird^c, ein üoQftänbige^ SSerbot. (£r finbet biefe saltationes
yvvaixavdgixai innädj^t überflüfftg unb nichtig, er fie^t ferner in
(Utre^t unb 9lm^erbam 1655. 56. 59. 62), f^eint nt^t boüenbet au fein, unb
umfaßt nur einen ganj geringen 2:(ei( ber {ebeSmal (54fl auSftt^rlid^n 64riften.
Die oben angeffi^rte 64rift ift ni^t barunter, inbeffen fann man i^re 2:enben)
an anberen erfennen, toeld^e mir oorHegen. Der erfte t:(ei( ber SOerfe ent^dU
anä^ eine Sorrebe, met^e $oet 1681 einem pofl^umen S^raciat S^eeQindE'i über
Mm. 7 üorauSgefc^idt (at. Darin nennt er benfelben einen atoeiten tl^omaS
iMm Sttmpen. DaS ifl jebo^ eine ^axU Uebertreibung. (S§ ift fein größerer
Oegenfa^ benlbar al§ stoif^en ber Inappen, bttnbigen unb ^albpoetif^en 9lebe
bef 2;^oma8 unb ber breiten, serfloffenen, le^r^aften $rofa beS ®fin{}Iing§ t>on
Soet. 9[uf eine aSfetif^e Schrift beffelben, toeldie bie tion i^m anlegt berSffent«
lid^te \% Soliloquiam, fomme i4 unten jurüdE. — (S8 giebt übrigeng au4 eine
f9pematif((e DarfleÜung beS Sn^alteS ber S^riften bon XetUxnd in Franc.
Ridderas, predicant tot Rotterdam, De mensche Godts, uyt de ge-
■ehriften en tractaten van Mr. Willem TeelinjB^h. Hoorn 1668. 1106
Seiten 4. Die toörtlic^n ^tuSjfige auS ben 64riften finb ^ier unter bie bogma«
Hfi^n unb et^if^en S^itel gebraut. Vn bem Uebergetoiii^t beS moralif^en
6toffef erprobt fi4 au4 bie Pen Soet auSgefpro^ene Sulommenftetlung ber
S^riften S^eeÜincf'S mit Guil. Amesius de oonscientia. — - 9n berfelben 9li4«
tnng »ie %M\nd finb als populäre S^riftfteQer t^ätig getoefcn ®ottfrieb d^or«
Nclittft ttbemanf, $rebiger )u Steriffee (1582—1634) unb $etru« SBitteorongel,
91^0^^ )tt Itmflerbam. Uebet beren 64riften pgl. ^eppe, (Ikfc^te bef
9i(tt9mtt9 unb ber SR^flil in ber reformirten Pir^e 6. 98. 115. 167.
106
i^ncn nur SSerfud^ung jur Süftcrnl&cit, toelcftc in bcn Qa^(S^anein
cbcnfü njic in ben länjem erregt »erbe, er crflärt fte tt)cgcn
i^rer ^erfunft auiS bcm ^eibcnti^um für ein SKerl beö Xcufetö,
er rügt cnblic^ an i^nen bic Ißerlc^ung bcr (S^rfurd^t gegen bie
Äird^e, mld)c fic ftetö unterfagt ^at. 3)ag loar ber Ucberlicfe^
rung üon SalDtn gemäg. @d n)irb aber bienlid^ fein, ftd^ be^
Urt^eilö ju erinnern, n)cld|cö üutl^er über bic ©ad^e geföHt f)at ^).
3)enigemäg erflärten bie Iut()ertfd^en X^eotogen ben 2^nj, ba
er in ber l^eiligen @d)rift nid^t als @ünbe bejeic^net ttierbe, im
angemeinen für eine fittUd^ inbifferentc ^anblung, unb bc*
fd^ronften i^re Stüge unb S9^arnung auf fold^en Xan}, ber üon
Süftern^eit ober Ueppigfeit begleitet wäre*). S)abei ^at bic
geinbfcligfeit gegen ben SalöiniSmuS SRcigncr öcrmod&t, bic cnt::
gcgenfte^enbe Slnfic^t nod& 2Ratt^. 23, 23. 24 atö SJiüdtenfci^en
ju beurt^eilen, neben toelc^em bic fc^n^ercren Slufgabcn bcS @c«
fc^cS übertreten n)ürben, näm(id() burd^ bie bogmatifc^cn Slb»
roeid()ungen ber Salüiniften öon bcr ort^obojen (lut^erifd^cn)
Seigre! SSoct begnügt fid^, i()m bie Ungcfä^rlic^tcit ber bcutfc^en
Xänjc jujugeben, ba ber ä93iberfprud() ber reformirten X^cologen
nur ber franjöftfd^en unb ber nieberlänbifd^en Xansweife gelte.
Snbeffen fann ftd^ SSoet boc^ nic^t ent[)altcn, bie X^eilna^me
1) Jhrd^en))o^iae )um (&t>, 2. (Sptp^an. (3o(. 2, 1—11) bei SBal^ XI.
8. 642: Ob e§ benn au^ @ünbe fei, pfeifen unb tanken )ur ^o^seit, ftntemal
man fpric^t bag oiel €Unbe t>om 2:anien fomme? Ob bei ben 3uben 2:än)e
fieuefen finb, totii i^ nic^t. ^6et »eil eS SanbeS @itte ifl, glei^toie ®äfie
laben, fc^müdEen, cffen, lrtn!en unb frS^li^ fein, toeift t4 «^ ni^t )u t)erbammen,
o^n bie Uebermag, fo eS unsü^tig ober )u oiel if}. ^ag aber @ünbe ba ge«
f^^en, ift be§ SlanjenS 64u(b nic^t aUein. ftntemal auc^ »o^I über Sif4 unb
in ber j^ir^e berglei^en gef^ie^en; glei^imie eS ni^t beS ^ffenS unb tIrintenS
Bä^nit ift, bag etliche )u Säuen barüber »erben. 2Bo ed aber itt^tifi )u«
ge^et, laffe i^l ber ^or^jeit i^r die^t unb ^ebrau^, unb tanje immerhin. S)er
(8(aube unb bie Siebe lägt [lä^ nxä^i andtonjen nb^i auSfl^en, fo bu afic^tig unb
mägig barin btft. ^ie jungen i(inber tanken ja o^ne Sttnbe, baS
tl^ue au4 unb »erbe ein ftinb, fo f^abet bir ber2:an) nic^t. 8onft,
mo Jansen an i^m felbft Cttnbe märe, milgte man e§ ben itinbern ni^t
iulaffen.
2) %I. ). 9. Baltiiasar Meisner^Philosophia sobria, Giessae 1613.
p. 575. Joh. Conr. Dannhauer, CoUegium decalogioum. Argentorati
1669. p. 814.
107
anä) an jenen ju n^iberrat^cn, toeil fie ja nid^t not^tpenbig feien,
unb toei( in biefem %aüt bie (Enthaltung leicht ift. 3)enn ipä^renb
äReii^ner ben fittlid^ inbifferenten S^arafter bed Xanjed burd^
fto^elet^ 3, 4; 11, 9 birect unb inbirect bejeugt finbet, betpeift
SBoet au« 1 $etr. 4, 3; 8iönt. 13, 13, bag ßcmaS bem ftäm
bigen @ebraucl^ bed SSSorte« xwinoi ber Xanj Verboten toerbe.
Uebcr Sut^er'S Slnfid^t üon bcr @ad^e ^at SBoet fic^ nic^t erllärt.
Sr n)ürbe toa^rfc^einlid^ feinen äßiberf^rud^ aud^ gegen beffen
3(uctorität nid^t jurücfge^aUen ^aben, ba er ju einer fo naiüen
unb reinen Se^anblung ber ^rage nad^ feinen (Erfahrungen unb
feiner Stellung nid^t befähigt toar, unb er toiirbe e« ma^rfd^ein^
üä) nid^t geg(aubt ^abcn, bag fiflfternl^eit erft red^t burd^ bie
peinlid^e (Entfernung bcr ©efc^Iec^ter üon einanber l^erüorgerufen,
hingegen burd^ bereu @emeinfd^aft im Xanje gerabe gebannt
werben fann.
Sielme^r üollenbet fid^ SBoet'i^ 3lnfid()t ba^in, bag bie Obrig:»
feit teine Xauile^rcr bulben unb bag fie biejenigen mit @elb^
ftrafen belegen foH, »elc^e i^rc ^äufer bem lanje öffnen; ja er
loflnfd^t fogar, bag ade einjelnen X^eilnel^mer an bemfelben jur
©träfe gej^ogen n)ürben. Ueberbied xoiU er nic^t nur, bag in ber
dffentlid^en ^ebigt unb bcr @eeIforge bor bem Xanjen getoarnt
n>erbe, fonbern er \mü anä) bie firc^Uc^e 3ud^t bi« jur Slud^
fd^Iiegung pom Slbenbma^Ie gegen bie ^artnädtigen $(npnger
jene« Sergnflgend aufgeboten fe^en. (Er tonnte fic^ in biefer
Segiel^ung auf 93efc^tüffe ber 9lationalf^nobe ju 3)ortrec^t 1578
unb öcrfd^iebencr nieberWnbifd^en ^oöincialf^noben 1622—48
ftü|en. (Er lägt fic^ hieran aud^ nid^t irre machen burc^ bie
(Einh^enbungen, bag ed fd^Hmmere @flnben atö ba« ^anjen gebe,
meiere bie 3)i«ciplin nid)t erfahren, bag biefe menig ober nid^t«
erreiche, um jene« Unlraut, ben Xanj, au« ber (S^riften^eit au«ju«
rotten, enbli^ bag bie Strenge bagegen me^r jum Schaben al« jum
Sort^cil ber ^ird^e gereiche, ba fie oiele ber ^irc^e entfrembe, toeld^e
ft(^ fonft JU i^r galten nJürben. (Er giebt bie X^atfad^e ju, bag bie
Strenge gegen ba« Xanjen nid)t« ^ilft, befielt aber auf bem (Satoni:^
fc^en Sludfpruc^, bag n)enn aud^ ber %rjt oft genug nid^t Reiten fönne,
er boc^ bie Slrjenei barum nid^t n)eniger anjumenbcn l^abe, unb
ifi ferner ber 9Reinung, bag bie c^riftUc^e Steligion fid^ nic^t
jeber 9rt t)on äRenfc^en anjubequemen ^abe, fonbern* bag ba«
Umgefe^rte gelte. (Er ^at ^iebei nic^t beachtet, bag bie fpecififd^c
108
Stfolgloftglett bct 2)töcip(in in biefem ^Ile ben äßert^ ber
^rd^e, xoüd)t baran feft^alt, überhaupt iipetfclJ^aft ju mad^n
brol^t, unb bag bic Slufgabe ber (Srjie^ung, tueld^e ber ßtrd^e
gefteQt ift, not^menbig mand^erlei 9lad^gtebigfeit anempfehlen
wirb, loä^renb baö ©trcben nad^ ,,$räcifttät", »eld^ei^ feinen
SBert^unterfd^ieb in)ifd^en grogen unb fleinen SSerpflid^tungen gu^
lägt, bie päbagogifd^e Aufgabe ber ^ird^e befd^äbigt.
@teid^c Strenge n)ie gegen ben Xanj übt SBoet im Sinflang
mit ben calüiniftifd^en X^eologen gegen alle Gattungen öffent^
lieber @d^aufpiele, unb bie Slu^na^men baDon, xodd)t er mac^t,
nimmt er boc^ mieber jurüd g^i^^^ft ^ic getftlic^en @c^au^
fpiele, n^eld^e im äRittelatter eine regelmäßige Snftitution tparen,
t)ern)irft er als $rofantrung beS ^eiligen, unb bejie^t fid^ babei
barauf, bag bie in ben nieberlänbifc^en @täbten beftanbenen @e«
feßfd^aften ber ai^etorifer, »eld^e jene ©arfteßungen pflegten,
burc^ bie fird^lic^en unb ftaatlic^en ^iuctoritäten befämpft morben
feien. (Sbenfo n^enig lägt er bie fatirifc^en ^omöbien, t>k ^ax=^
ftellung üon fiiebedgefd()id^ten, ferner bie aud beiben Slrten ge^
mifd^ten, unb bie ^iftorifc^en ©c^aujpiele mit fittlid^ öertoerflic^en
^auptperfonen gelten. Aber aud^ ^iftorifd^e ©d^aufptele mit
tugenb^aften gelben unb moralifc^e l^omöbicn, lüel^e atö 3Rittel
jur Uebung ber Serebtfamfeit üor il)m einige @nabe finben,
tt)iberrät^ er anjufe^en, tt)eil fie jtt^ar nid^t an fid^ böfe, aber
na^e am Söfcn feien, ©d^aufpieler unb ß^f^^uer n^tll er ber
lird^lic^cn 2)idciplin unterwerfen. (Ed fällt babei auf, bag bad
3ufc^aucn, mclc^eS er fämmtlid^en ©laubigen verbietet, noc^ be«
fonberS ben SSiäbd^en unb grauen, roeiterbin ben 5ßrebigern, unb
biefen nod^ bann, xocnn bie 2)arftellung in einem ^riüat^aufe
ftattfinbet, unterfagt ttjirb. 2)iefeö lägt barauf fcftliegcn, bag ber
(Erfolg bed allgemeinen SSerboteS nic^t gerabe fe^r fidler gefteüt
mar. 2)affelbe bürfte aud^ auö ber Stngabe l^erüorge^en, bag bie
©d^aufpiele auö faft allen nieberlänbifc^en Stäbten üerbannt feien,
namentlid^ auS lltred)t. 2)enn er fügt*felbft bie Sinfd^ränfung
^inju, bag fomo^l ^ier als in üerfc^iebenen l^oUänbifd^en ©täbten
in ben 3a^ren 1662 unb 1663 burd^ bie ©c^ulb eines Xl^eild
ber ©cnatoren ein JRücffall eingetreten unb ©c^aufpiele aufge*
filiert feien. 3ronifc^ meint er, biefeS feien tool)l bie SBorfpielc
ju ber in ben folgcnben Sauren abgefpielten Iragöbie ber $eft
unb beS JiriegeS gen^efen. ^ennod^ ^at auc^ biefer ftrenge ©itten«
löö
rid^tcr bcm SBcbcnIcn ftd^ nid^t öcrfd^Iiefecn löttncn, baß baS öc<
bürfntg nac^ Srl^olung burc^ unfd^ulbige @d^QufpieIe beftiebigt
ju »erben üerbicnt. Slbcr loo fud^t er fold^c SWittcI? 3n mili*
t&rifc^en $araben unb 3Jlanöt>ein, unb nad^ bem SBorbilbe ber
%lten in SSSettrennen unb äSettrubern ! S)tefe ganje 93etrQc^tungd^
toeife ift ja üSIIig unberührt üon ber äßert^fd^ägung beS S^rama
als ber pd^ften ©tufe ber S)id^t!unft, unb unaufgcfd^loffen für
bie Sinfic^t, bag bie Sludbilbung ber äft^etifc^en Anlage unb bte
(Erfahrung beS @d^dnen in ber ^unft ein not^menbigeS @lteb in
ber geifiigen Seftinimung ber 2Renfd^eu ift. Aber bicfe f&tUnnU
nig jeid^net aud^ bie lut^erifd^ett Safuiften jener ßeit nic^t aud;
unb nic^t um i^retn^iüen erflären fie bie X^eilna^me an anftän«
bigen ©c^aufpielen unb ^omöbien für erlaubt. @ie n)iffen bafflr
nur ben allgemeinen Qxocd ber (Srl^olung unb jugteid^ ben fpe::
cietten Stufen anjufüt)ren, baß bie Äenntniffe crn^eitert unb baö
lugenbftreben angeregt tt)irb 0- ®ö nun biefe ©rünbe an ben
eigentlid^en äßert^ ber bramatifd()en $oefie nid^t ]^inanreid()en. fo
finb fie aud^ nic^t geeignet, gegen baS moralifd^e ©emid^t ber
(Sm^ägungen aufjulommen, burd^ xodcSjc ein 9J2ann n)ie SSoet bie
©c^aufpiele t^eilS für birect t)ern)erflid^, t^eild für bebenflic^
of^tet, unb bie DöQige (Enthaltung üon i^nen üorfc^reibt.
SRit berfelben ©enauigfeit unb Sorgfalt n)ie bem Xanj
unb ben ©c^aufpielen fe^t SSoet aud^ bem 2u£ud in @peifcgebraud^,
@(aftmä^lern, ^leibung unb ^uSftattung ber SSio^nung möglic^ft
enge ©renjen. (Er entfc^eibet fic^ babei auc^ gegen baS Xabaf^
raud^en, meld^eS }n)ar an \id) nid^t unerlaubt, aber ehrbaren
Scannern in @egenn)art anberer unb in @efellfc^aft, namentltd^
ober ben $rebigern unb Sanbibaten bed $rebigtamteS nic^t 5ieme.
(£r min bie ©aftmä^ler gemürjt feigen burd) Unterhaltungen nur
aber ateligion, ^^ilofop^ie unb @efd^ic^te. (Er lägt ^n benfelben
jUKir auc^ $erfonen anberer Sieligton ju, meil bie (S^riften nid^t
aus ber SSklt audfd^eiben tonnen unb follen; inbeffen eigentlich
mfirbe er loünfd^en, bag bie ©aftmä^ler ju Slgapen »erben n)ic
in ber ftlteften ©emeinb^ ju Serufalem. 2)en SSefud^ üon äßirt^d«
Rufern geftattet er nur für bie äugerften 9lot^fälle. Uebcr bie
ftletbung unb ben @c^muct ber grauen giebt er bie genauften
9eftimmungen, unb plt namentlich auf bie SBermeibung aller
1) 9Ret9neT, 1. c. p. 666.
110
SntMögung, todäje bte Sfiftern^ett erregen unb ber gSttlid^en
Orbnung jutoibcrlaufcn würbe, bag bie SWenfc^en feit bem ©fin-
benfall befletbet unb üer^üUt fein follen. @egen alle ba^in ein-
fd^Iagenben @itelfeiten, toie ©c^minlen bed ©eftd^ted unb fiber^
magigen ©d^mucf ber ^aare foQ bte ^irc^e mit ßud^tmitteln ein«
fd^reiten. 3n ^infid^t ber ^erüden beruft er fic^ auf SSerbote
t)on nieberlänbifc^en ^roüincialf^noben juiifd^en 1622 unb 1643.
Unb ba ber Sut^craner ^ann^auer in ©tragburg bie l^iemit ju-
fammen^ängcnben literarifd^en (Srörterungen nieberlänbif^er iJ^eo-
logen über 1 Äor. 11, 14. 15 aU alberne unb ^o^le ©piftfinbig*
feiten gerügt ^atte, fo »eift i^m SSoet auf 27 jQuartfeiten nad^,
bajs üon (Siemens Sllej^anbrinud an alle d^riftlid^en fie^rer ben
falfd^en ^aarfd^mudC verboten ^aben. ^er Sutl^eraner ^atte eben
gar feinen ©inn bafür^ bag bie abfid^tUd^en ober jufäUigen %n^
toeifungen jur Orbnung bed fociaten fiebend, toeld^e bad 91. Z.
barbietet, auc^ auf einer ganj anberd bebingten Sulturftufe üer^
^)flic^tenb feien, ober öielme^r baft bedtoegen bie moberne fieben§^
orbnung auf bie ber @emeinben ber Stpofteljeit jurüdCgefd^raubt
toerben foQte. Huf biefe Siegel aber toeifen alle bie Cinfd^rän*
fungen ber Sebendtoeife, meldte 93oet üorfd^reibt, beutlic^ jurfidC.
SSergteid^t man nun biefe cabinifc^e Slrt üon SBcltflud^t mit ber
franci^anifd^en unb toiebcrtäuferifc^en, fo ^at man äunod^ft ben
Sinbrud eineiS blo^ quantitativen Slbftanbed. 6$ erfd^eint aU
jiemlid^ n)illfürlid^, bag SSoet einmal toie ^ranci^cud aud^ bie
inbirecte pecuniäre Untcrftfi^ung oon ©c^aufpielen für ©ünbe
achtet, bann aber feine ßleiberorbnung nid^t bis auf bie SBor^
fc^rift ber grauen Äuttc üereinfad^t. gemer barf man fragen,
niarum, toenn alle @aftmä^ler ju Slgapen merben follen, nic^t
aud^ bie communiftifd^e lenbenj ber ©emcinbc ju Serufalem für
bie Calöiniften maggebenb fein füll, wie für bie SBiebertäufer?
3cboc^ bie «uölegung üon «ct. 5, 32—37 burd^ Catoin, ba§ bie
SBerji^tleiftung auf ba^ ^riüateigent^um in ber @emeinbe ju
Serufalem bie «u^nol^me gewefen fei, ift jwar bem SBortlaut ju*
toiber aber ben Umftänben entfpred^enb. Älfo bie «nmenbung
ber Siegel, bag bag SSorbilb ber im 91. %. bejeugten focialen
(Einrichtungen für alle Qtit üerbinblic^ fei, fd^ließt bei ben SStebcr*
täufern unb ben ßaluiniften bennoc^ einen qualitatiöen Unter*
fd^icb in fic^. ®er ©alüiniömug ücrfä^rt toeber in ber SBelt^
findet noc^ in ber SSieltuerbefferung rabical. SSietme^r ift er ge*
111
ttiäfi feiner Äbpttgifllcit üon ber aiefonnation fiutl&er'g üott bom
leerem confert)Qtit), fotoo^I in ber @d^ägung bed gcorbneten 3^'
ftanbeS im dffentlicf)en wie im $nt)Qt«9ied^t, aU and) in ber
@ci^Q|ung ber mirt^fd^afttidien Orbnung, ber probuctiüen Strbeit
unb bed SSerfe^rd im ^anbel. 2)er SabiniSmuS na^m bed^alb
junäc^ft and) bie Xl^atfad^e bed fortfd^reitenben SSio^Iftanbed im
nieberlanbifc^en 93ol! qI^ etn^a^ begebenes an, unb blieb ber
SSerfud^unfl fern, bie ©emeinfc^aft afler ©üter in ber ©emeinbc
iu Serufalem im toörtUd^en unb eigentlicf)cn (Sinne ju üerfte^en 0-
2)em8emäg ift SSoet ber SReinung, bog bie ^Icibung ber Sl^riften
i^rem bürgerlichen unb n)trt^f^aftlid^en @tanbe entfprec^enb,
unb bog fie nad) @elegenl^cit and) fünftlic^ unb 'gefd^mficft fein
bürfe, mit Berufung auf 1 Xim. 2, 9.
"Und) in fird^enpolitifc^cr ^infid^t ift SSoet frei üon bem
SüabicaliSmud, tüAd)cv ^n feinen fiebjeiten bei ben 3nbe)?enbenten
in Snglanb jur @eltung fam. @r beftritt baS $atronatrec^t
üon Soien, um fo me^r uon fat^olifd^en ^Korporationen, n^elc^ei^
bie nieberlänbifc^en @t)noben feit bem SlbfaQ t)on (Spanien ab^
jufc^affen bemüht maren, mld)t^ jebod^ üon ben Ferren (Stäuben,
nic^t anberd n)ic üon Sromn^ell, aud begreiflichen @rünben auf«
reci^t erhalten tourbe. S)er entfc^eibenbc @runb bagegen toar,
bag ein folc^eiS 3nftitut burd^ bad 91. %. md)t b'ejeugt toerbe,
unb bag fein göttltd^e^ äted^t für baffelbe nac^gen)iefen n^erben
tonne. Dabei ift aber SSoet feineönjcge^ ein SBertreter ber grunb*
fä|Uc^en Trennung }n)ifc^en ^ixd)c unb Staat. (Sr geftet)t ber
Dbrigfeit aU einem @liebe ber &ird^e au^brücflicf) ju, bag fie
nic^t nur bie fird^lid^e Orbnung ber Berufung ber $rebiger ju
fc^ü^n unb aufrecht ju erhalten, fonbern and) bie Don ben @e^
meinbcn felbftänbig @en)ä^Iten ju beftätigen ^abe'). 9lici^t
minber plt er an ber Äird&enöerfaffung feft, todd)t \id) an^ bem
9[nfc^(ug ber ftirc^enreformation an bie politifc^e Befreiung ber
^roDtnjen t)on ber fpanifcf)en ^errfc^aft ergeben ^atte, nämlid^
an ber regelmägigeu unb orbentlic^en %uctorität ber (Slaffen unb
ber ^oüincialf^noben über bie fiocalgemeinben ober ^arod^ieen.
5E)te 3nbepenbenten in Snglanb Ratten bad 93eifpiel ber älteften
JHrc^ngefc^tc^te gerabe bafür aufgeboten, bag jebe (Kongregation,
1) 9q,1 daitixtCi Kommentar aur Itpoflelgef^td^e.
2) Politica eoolesiastica IL p. 597 seq.
112
b. 1^. jcbc SJicngc üoit ©Triften, toeld^e regelmäßig in Citicm
Staume jum @ottedbtcnfte ^ufammenfoinint, re^tlic^ felbftanbig
gegen bie anbeten fei, unb nur einen jufäHigen SSerfe^r mitben*
felben burc^ Stat^der^olung ju unterhalten ^abe. S)ad üon beiben
©eiten angerufene SSorbilb be^ fog. 8lpoftelconciI§ ju Serufalem
ttjar nid^t beutlic^ entfc^eibenb, ober erfd^ien bem Snbcpenbcntiö^
muö günftig; furj SSoet fonnte für ba8 ©^nobalf^ftem nid^t bie
unbebingte 9lot^tt)enbig!eit nad^ göttlichem Äcd^t, fonbern nur
bie 9lfifelid^feit ober bie relative Siot^ttjcnbigfeit in «nfpruc^
nehmen ^). Stid^tö befto weniger genügte i^m biefe Crtoägung
um ber überfommenen SSerfaffung ber fiird^e feine« fianbe« treu
ju bleiben.
SScnn man alfo oon ben @runbfägen SBoef d au« ©d^lüffe
auf bie Haltung ber ftrengen Saloiniften in ben SRieberlanben,
in«befonbere auf bie ©cftnnung berjenigen jiel^en fann, »eld^c in
Utred^t feiner äuctorität ergeben tt^aren, fo ujirb man junod^ft
bei benfelben auf feine inbcpenbentifdje Steigung ju rechnen ^aben.
(Sine folc^e fonnte pd^ bei gettjiffen Sn^ängern öon SSoet erft
unter befonberen noc^ nid^t üorgefe^enen ^ebingungen entmicteln.
Snbeffen nac^ bem, mag au« feinen S)i«putationen de excelsis
mundi mitget^eilt ift, unb ma« ic^ mid^ gefd^eut ^abc burd^ ju
genaue änfü^rung feiner ®rünbe unb reid&ere« cafuiftifc^e« 5)e=^
tail au«jufpinncn, fann man fid^ eine beutlid^e SSorftellung üon
ber fiebenömeife feiner @cfinnung«genoffcn machen, meldte in
Utred^t bie Dber^anb gehabt ^aben muffen. Snbeffen ju bicfem
Silbe fommt nod^ ein Qvlq ^in^u, meld^er i^re fpecieUe religio«^
fittlic^c Stimmung bejeid^net. SBoet nämlid^ fü^rt in einer Di«^
putation de praecisitate ^) au«, baft alle feine cafuiftif^en siegeln
auf bie üoQfte ©enauigfeit ber 2lu«fü^rung red^nen. 3ener Äunft*
au«brucf, mit melc^em «5ßuritani«mu«" gleic^bebcutenb ift, be*
jeic^net bie „ejracte unb DoQfommene Uebereinftimmung ber
menfc^lic^en ^anblungen mit bem @efe^e, toclc^e« üon ®ott \)ou
gefd^rieben unb üon ben n^irflid^ ©laubigen angenommen unb
mit (Sifer befolgt tt)irb". ©aju ge^rt, bag ,,man fott)of)t auf
ba« ganje @efe^ al« auc^ auf feine X^eile, X^eilc^en unb ^leinig-
feiten (minutiae) achtet, in ^infic^t ber allerinnerften Biegungen,
1) L. c. III. p. 119 seq.
2) Disputt. III. p. 59.
113
ber fletnften ©ebanfen, SSiorte unb @eberben, bcr Kcinften unb
&u§crftcn ©etDiffen^fällc, um nic^t ein 3ota beS @uten ju untere
laffen unb au^ nic^t bcn @d^etn bed Söfen ^u begeben/' SBoet
fügt ^inj^u, bag burd^ folc^e Uebung gefegUd^cr SSoQfommen^eit
bte Seic^tigfett unb ^ruc^tbarfeit im @ut^anbeln, bie geiftige
^rei^it in ber Siebe ju S^riftuS, ber triebe bed ©emüt^ed unb
bie Unab^ängigfeit Don bem ©potte ber äßeltmenfd^en ertuorben
»erbe, ^ifburd^ untcrfc^cibe fic^ bie üon i^m gemeinte 5ßräcift
tot t)on ber p^arifaifc^en, fo n)ie üon ber falfc^en ©frupulofität.
6r fcnnt o^ne S^^^Ud in feiner Umgebung 5ßerfoncn üon folc^er
Steife unb @id^er^eit bediS^arafterd; unb man i^ai feine Urfac^,
ba^ behauptete ßwföntmentreffen ber peinlid^cn ©enauigfeit in ber
93eurt^eilung jeber cinjelnen not^menbigen ^anblung ober (&nU
l^altung, aiebenSart ober ©eberbe mit ber ^Jrei^eit unb ©eligfeit
ber IHnber @otted ubcrl^aupt in 3^<^if^^ h^ f^^^^^, toeil ei^ ge^
miffen gergcbrad^ten S(nna^men entgegentritt. Slllein man üer^
migt boc^ bei SSoet bie fidlere S(nteitung baju, n)ie man in jcbem
einjelnen j^aüt, in ber ©cfdjroinbigicit bie ^Äleinigfciten" bei8
^göttlic^en @efe|ed üon ben gleic^gilltigen ^leinigfeiten, bie er aU
folc^e nic^t beutlid^ befd)reibt, ^u unterfd^eiben Dermag. S)ie
Se^re üon SSoet ift übrigen^ im (Einflang mit bem fird^lic^en
@runbfa|e bed ß^atüiniiSmud, bag, tro| ber in ber irbifc^en £auf^
bal^n bleibenben UnüoQfommcnl^eit be^ fittlid^en äBirfem^ unb ber
(S^arafterbilbung, ein regelmäßiger abgeftufter ^ortfc^ritt in ber
(Erfüllung bei^ @efe^eS mdgli^ unb not^menbig fei >). (Er ^at
aQerbingd bei biefer Disputation bcn SSorbc^alt, bag bie SSoCU
fommcn^eit erft im jcnfeitigen fiebcn erreid^bar ift, nicftt ^in^ju*
gefügt; er l^at aber benfetben o^ne 3^<^U^( "'^^ auSfd^liegen
tt)oUen. S)enn bei bem Slnlag beS Streitet gegen fiababie ^at
er i^n audbrfidlid^ in Erinnerung gebracht. Snbeffcn fo n)ie er
bie ^räcifität ald not^n)enbig unb aU möglid^ be()auptet, n)irb
bie ©timmung ber ernften ß^riften, weldje ber Äuctorität Don
Soet gefolgt finb, aud^ bei aQer Demut^ gegen Qiott, bie fic ge:::
leiftet ^aben, mit einer großen ©ic^erl^eit au^cftattct gewcfen
1) Catech. Palat. qu. 115. IIoc perpetuo agamus, ut in dies
magis ac magis ad imagineni dei renovemur, doncc aliquando tflndero,
postquam ex hac vita dccesserimus, propositam nobis perfectionem
laeti assequamur. ^^l Sobfiein, bie St^if Saloin'fi e. 133 ff.
I. 8
114
fein unb fid^ in einer ftarfen Äbgefd^Ioffen^eit gegen bic Anbeten,
namentlid) gegen bie ber SESeltItebe ^erbäd^tigen ben^a^rt ^aben.
3u bcm Silbe biefcd l^reifeS bieten aber nod^ gen)iffe Sr^
örterungcn üon Soet über bie firc^Uc^e ^idciptin einen d^arafte«
riftifc^en Seitrag, moburc^ ber eben ait^gefproc^ene (Einbrud be>
ftätigt tpirb. 2)ie allgemeine Sebeutung ber 2)idciplin in ben
ca(üinif^*reforniirtcn ^ird^en n^ürbe unüerftänblic^ fein, n^enn
man fic^ nic^t erinnerte, bog in ber ßcit, weld&e ^ier in SBetrac^t
lommt, bie gefeüfd^aftlid^c S^iftenj übermiegenb fid^ in bem
Stammen ber fird^lic^en Functionen bemegte. S^emgemäg geben
$flic^t unb Stecht ber X^eilna^me an ber regelmäßigen freier bed
Slbenbma^tö ben SU2agftab für bie %c^tung unb S^re ab, bie
(Einer aud^ in feinen bürgerlid^cn S9e;;ie^ungen beburfte. 9lun ^at
bie ©iöciplin ben ©inn, bag burd^ bie abgcftuften Suchtmittel
ber (Ermahnung, ber Stfige, enblid^ ber S^communication ober
Slu^fd^Uegung üom %benbma^l bie öffentlichen ^^älle üon
@ünben geal^nbct n^erben follen, um fon^obl bie S^re ber ßirc^e
}u n^a^ren, aU bie @ünber j^ur ©innedänberung ju bemegen,
aU aud^ bie SInbcren bor ber @flnbe ju n)arnen unb üon i^r^
abi^ufd^recfcn. 3m Sinflang mit ber Uebung ber alten fiirc^e
tourbe bie ßuc^t grunbfä|li^ gcltenb gemacht gegen bie öffent«
liefen Uebertretungen, qaandoqaidem de occnltis non indicat
ecclesia. 3nbeffen f)at fc^on Ealüin felbft biefen ®runbfa| nur
mit einer geioiffen Sinfd^ränfung anerfannt ^). (Er unterfi^cibet
nämlic^ bie abfolute Verborgenheit eine^ Vergeltend, n^elc^e im
gaße ber habituellen §eud()elei ftattfinbet, unb bie relative SJer^
borgen^eit, bei loelc^er bie jfenntnig meniger nic^t audgefc^loffen
ift. (Er untcnoirft nun audj'biefe le|tere Älaffe ber (Eompctenj
bed firc^lid^cn ©iöciplinargeric^ted, unter ber Söebingung, bag bie
bei 'SJlattf). 18. aufgegebenen Verfud^e, einen ©ilnber burd^
^riDaterma^nung unb Siüge ju beffern, feinen (Erfolg l^ätten.
3n biefem j^aüc ber ^artnäcfigfeit eined ©ünberö würben bie
3eugen feinet relatiü Verborgenen Vergeltend Der^)flic^tct fein,
baffclbe gur Cognition bed ^rcdb^tcriumd ju bringen. Siefe
mifeli^c änorbnung ift nun, n)ie bie (Erörterungen oon Voet be*
toeifen *), ju einem Softem oon Snquifition audgeroac^fen, inbem
1) Instit. ehr. relig. IV. 12, 6.
2) Politica eccl. III. p. 852 seq.
115
ein SBerfa^ren aufgenommen ift tpelc^e^ baS fanonifd^e 9led^t
für bie 2)i^ip(tn ber @eiftlid^en t)orfc^reibt. SSoet nämüd^ be^
jeic^net ben üon Salutn gefegten ^aü ald ben eined nid^t noto«
rifd^en SSerge^enS eines ßird^engliebed, n)eld^eS ju erforfd^en bie
ßirc^e bad 9led^t ^abe. 3n ber Sefd^retbung biefeS ^alled fe^It
nun bie üon Sabin gefteUte 93ebingung, bog ber ßeuge eines
üerborgenen SBergel^enS erft bie abgeftuften ^riüatüerfuc^e jur
SBefferung beS @finberS gemacht l^aben muffe, e^e er gehalten
ift fein beftimmteS 3<^ugnig üor bcm ^rcSb^terium abjulegen.
Sielmel^r n^irb ber %aü fo befc^riebcn, bag baS $reSbt)terium
über ein anftögigeS SBergel^en eines @(äubigcn burc^ baS @e^
rflc^t erfährt, ober burc^ bie Slnjeige eines ober mehrerer @e-
meinbegUeber, fei eS meil biefelben klugen- unb D^renjeugen
maren, fei eS n^eil fie eine genügenb begrünbete SSermut^ung
^egen (ex valida praesumtione), fei eS n)etl fie ein ©eriid^t
unter einigen ©laubigen, ober fremben SonfcffionSgenoffen oer^
nommen ^aben. 3n biefem f^aQe fd^reibt nun SBoet eine fe^r oorfid^
ttge Unterfud^ung oor, n^elc^e fid^ ber ftrengen QcnQcn\)cxi)'6ic
beS mettUd^en $roceffeS ju entl^atten f)abc. SBenn bann bieSlb«
^rung üon k)erfd()iebenen fieuten, benen boS ungünftige @erüc^t
jugefommen ift unb bie Befragung beS SSerbäd^tigen felbft ju
feinem ^idc fü^rt, fo foQ n^egen ber @^re ber @emeinbe unb
beS ^reSb^teriumS bie @ad^e lieber unentf^ieben unb bem @e^
miffen beS SBerbäd^tigcn felbft überlaffen bleiben, jugleic^ bem
@eric^t ©otteS, bis berfelbe bie äRittcl jur (Sntbedung beS ^alleS
an bie ^anb geben mag. Ob nun aber in biefem casus non
liquet ein SBerbäc^tiger jum ^benbma^l n^eiter^in jujulaffen ift
ober nic^t, ift toieber ©egenftanb fpecieUcr Unterfud^ung für
Soet. 9lämlic^ bie SluSfc^Uegung oom Slbenbma^le lam in ber
caloinifc^^reformirten Jiird^e nid^t bloS oor als bie äugerfte Strafe
für ^artnödEige SBenoeigerung ber Steue unb ber ber jl^ird^e ju
(etftenben ©enugt^uung, fonbern fie erfolgte auc^ unter bem
Xitel ber simplex abstentio in anberen f^öllen 0- biefelben
ftnb oon üerfc^iebener ja entgegengefegter Krt. (Einmal nämlid^
ift (Enthaltung üom %benbma^l nac^ eigenem (Entfc^lug mög«
lic^. @ie ift unter bem 83om)iffen beS $reSb^teriumS für bie
(Einjctnen juläffig toegcn @ett)iffenSbrucf ober gctftreut^eit, ober
1) L. c. III. p. 859.
116
um 3^it h^ getoinuen, ftd^ Don einem erl^obenen SSerbac^t ju
reinigen, ober um im legtern ^all anbcren feinen %[nftog burd^
bie Xl^etlnal^me am Slbenbma^l ju geben unb beren Qütüä^
Siel^ung üon bemfelben ju üerfc^ulben. Unter biefen Um«
ftonben ift bie (Enthaltung jur Sl^re berSteligton unb berji^irci^e
als eine befonbere $robe üon ^rdmmigfeit unb Krd^lic^er @c«
ftnnung ju berfte^cn. S)em fte^t aber eine ^u^^^^^itung üom
Stbenbma^Ie gegenüber, n^elc^e @emeinbegliebern bur^ bad $reiS«
b^tcrium auferlegt tt)irb. 2)iefe SÄagregel erfolgt unter Umftän*
ben im 3ufammen^ang mit bem eigentlichen 2)i^ipIinarDerfa^ren,
}. 93. ipenn baiS notorifc^e SSerge^en, für loeld^eS 9{eue unb @c«
nugt^uung bem ^re^bQterium geleiftet ift, befonberd fd^mer ge^
n^efen ober erft üor furjer ßeitung begangen ift. Slujserbem aber
ift bie ßiti^fic^^^ltung üom Slbenbma^l burc^ bod $redb^terium be^
rec^tigt, menn Siner in ber Untcrfud^ung tocgen eined nic^t noto«
rifd^en Sergel^end fte^t, n)enn er loegen eined üerfud^ten SBcr^
bred^end in SSerbac^t ftel^t, ober n^enigftend nod^ unter ber 9[n«
flage bor bem ftaatlic^en @eric^t, aud^ n^enn er bad $redbQterium
üon feiner Unf^ulb überzeugt. 3)aju lommt enblic^ ber ^aU,
n)cnn ein mit übelem @erfid^te unb SBerbad^te behafteter bie ®c*
fol^r beg ©c^iöma ober öffentlicher Unorbnung in ber
@emeinbe burc^ feine S^'^ff^^ß h^^ Slbenbmal^le l^erbeifii^ren
mürbe, ©icfer @runb jur officieDen gw^ö^^öltung üom ?lbenb*
mat)le entf^ric^t nun ber 9iüdfic^tna^me auf gemiffc ©emcinbc*
glieber, meiere oben al<^ ein bebeutfamer @runb be^ freimiQigen
SBerjic^te^ auf bad übenbma^l angeführt mar. 9)eibe Angaben
bezeugen alfo, bag in ber Jiirc^e ©rupfen fold^r S^riften oor^
l^anben finb, meldte i^re X^eilna^me am Slbenbma^l baDon ab^
l^ängig madjen, bag nic^t blöd bie red^tlid^ qrcommunicirten ^cr^^
fönen üon ber l^eiligen ^anblung fern bleiben, fonbern aud^ fold^e,
beren 9iuf nic^t ganj rein unb mafellod ift. SKenn cö bem ^reö^
b^terium nid()t gelingen follte, folc^e SSerbä^tige abju^alten, fo
mürben bie ftrcngen S^riftcn cntmeber oerfuc^en i^rer Anficht
Geltung ju ücrf^affen, auc^ auf bie @efa^r bed ©treited unb
ber Unorbnung, ober fic mürben fid^ felbft öon ber Äbcnbma^ld-
fcier, bie nac^ i^rem Urtljeil nid^t correct märe, jurücfsiel^en V-
1) ^tegcgen (£alt)tn, Inst. IV. 1, 15: Qui indigne manduoat, iudi-
cium sibi manducat et bibit. Non dicit aliis sed sibi. Et merito:
117
Dicfe fhrcngcn ß^rtftcn tocrben »ir nid^t »eit üon SBoet fclbft
ju fud^en ^aben; benn er billigt bie frcitoilligc ober bie ju er«
jtoingenbe 9lü(fftd^t auf i^re Slnfprfic^e.
Sieben ben ftrcngen (Sbrtften, tDeld^e in ber bejeic^netcn
SSetfe auf bie Unüerbä^tigfeit aller Slbcnbmal^lSgäfte Italien, unb
lieber auf bie Sommunion üerjic^ten, a(d in jener SSejiel^ung
nachgiebig fein n^ollen, fommt nod) bie ji^laffc berjenigen in Se*
trad^t, meldte ftd^ felbft niemals für n^ürbig genug jur X^eil«
na^me om ©acrament anfe^cn *)• SScibc ©nippen gehören info*
fern j^ufammen, ate fie offenbar in bem @runbfa^ ber $räcifität
fiberetnftimmen, bem aber bie Sinen ju genügen, bie Slnberen
immer nod^ nid^t üoüftönbig ju genügen überjeugt finb. SlUein
bcibc nnirbcn nid^t nur in bem Peinigen öcfuc^e ber öffentlid^n
$rebtgten unb ^atec^ifationen i^re fird^Iid^e ©eftnnung bet^ätigt
l^aben, fonbern fie finb aud^ burc^ il^r befonbered ©treben ju
fte^enben ^riDatDereinigungen iufammengefü()rt n^orben. SBoet
n&mlid^ (egt bei Gelegenheit bad d^^S^i^ ^^f i>o6 ^^ mand^en
rcformirten ©emeinben ber. SRieberlanbe priöate Äated^ifationen,
Sßieber^olungen ber $rebigt unb anbere gemeinfame Uebungen
ber Ortömmigfeit bcftef)en, t^eild unter ber fieitung be^ $rebigerd,
tl^eild o^ne biefelbe, bag aber babei bie Sliüd^td^t genommen n^erbe,
bag foldie äSerfammlungen nidjt für beibe ©efd^lec^ter gemeinfam
finb *). S)iefe Slotij bcttjeift, t>a^ ber öeftanb ber ^alb öffent*
lid^en ^rii^atüereinigungen jur Uebung ber ^römmig!eit im l^a^re
1671 bie ©d^ranfen jiemlic^ weit überfd^ritten l^atte, in welchen
biefe Snftitution burd^ bie SRationolf^nobe ju SJortred^t 1618—19
anerfannt worben war*). 3n ber 17. ©cffton berfelben ift \>oi^
gefd^rieben worben, bag bie SSäter, bejie^ungdweife bie Mütter
oeque enim in singulorum arbitrio situm esse debet, qiii recipiendi et
qui repellendi sint. . . . Iniquum ergo erit privatum aliquem alterius
iniquitate pollui, quem arcere ab acceesu nee potest nee debet.
1) Pol. eccl. III. p. 505 : Qui in nostris ecclesiis nunquam adduci
poBsuot ad cucharistiae receptiooem.
2) L. c. III. p. 525: In ecclesiis reformatis Belgii, ubi privatae
catechisationes, aat concionum repetitiones aut alia quaocunque pietatia
aoeia exercitia vigent, hoc sedulo curatur, ut congregationes exercen-
tium, sive absque aive cum praesidio et directione concionatoris, yiro-
rum et mulierum aeorsim habeantur.
3) Sum folflenben «)0l. Polit eccl. P. I. IIb. K p. 835 sq.
118
mit ben Jiinbern ^au^ottc^bienft 5U Italien l^aben, befte^citb in
@cbet, SBorlefung ber @d^rift, @inäbung üon ©d^riftfprfid^en,
SEBteber()oIung ber öffentlid^en $rebigten, ttamentUd^ ber fated^e«
tifc^en (über ben ^eibelberger ßatcc^i^mui^). 3)iefe SSorbereitung
ber ^inber jum 9leIigion^unterric^t in ber öffcntUd^en @c^ule
n)irb ben Keltern ju einer $flid^t gemacht, n)e(c^e burc^ bie
officieüen ^efud^c bed ^aftord controUirt unb ben Umftanben
gemäg burc^ Saugen bci^ $rciSb^teriumd erjn^ungen toerben fo(L
Äugerbem aber tt)trb ben ^aftoren neben ben öffentlid^en Äate^^
d^idmuSprebigten aufgegeben, n)öd)entlid^e SBerfammlungen in einem
^riüat« ober fonft geeigneten ^aufe mit fold^cn (Em)acl^fenen ^n
galten, n^elc^c entn)eber im 9leIigiondunterric^t Dernad^Iäfftgt,
ober fonft baju bereit finb, in eine freunbfd^aftlid^e unb familiäre
Unterhaltung über bie d^riftlic^e fie^re fic^ einjulaffen, um in
berfelben befeftigt ju n)erben. ^iefe fated^etifc^en $rioatübungen
foHen Nmit ©ebet unb (Srma^nung eröffnet unb gefd^loffen, unb
ed foU üon ben $aftoren barauf gead^tet toerben, bag folc^e an
il^nen t^eilne^men, meiere um i^r @eelenl^eil bemüht finb unb
eine Hoffnung be^ Srfolged enoecfen; ferner follen fold^e &c^
noffen mit einanber j^u (Einer SSerfammlung berufen merben,
bercn äugere £age ern^arten tagt, bag fie fid^ offen audfprec^en
toerben. @o toeit ^at bie S)ortrec^ter @^nobe bie ®aä)e ge<
orbnet.
S)ie (Erörterungen aber, toeld^e SSoet an biefe fird^Uc^e @c«
feggebung anfnüpft, betoeifen, bag bie religiöfen $riüatberfamm«
iungen in ber nieberlänbifd^en ^ird^e bid jum 3a^r 1663 (üon
toeld^em ber erfte ©anb feiner Äird^cnpolitil batirt ift) eine t^eil§
reid&ere, t^eitö freiere (Sntioidetung genommen ^aben *). Unb
für biefe tritt er mit feiner Billigung gegen öerfd^iebenc bon ibm
bemerflid^ gemad^te (Eintoenbungen ein. ^ie ^ated^iSmu^übungen,
um bie eS fid^ nac^ ber SBorfd^rift ber @^nobe ^anbelt, fennt
er in breierlei Art, erftcnd bie öffentlid^en ober l^alb öffentlichen.
1) ^)laäi ber Eingabe oon H. van Berkum, Labadie 2. 9b. 6. 190
^t f(4on 1629 eine S^nobe 5U Setben Qefitmmungen getroffen fibcr donbentifel,
bie )u 9lotterbam ootQefommen naren. ferner f^ai SBil^elm SeeQincf, alfo Dor
1629 in ^ibbelburg (£ont>enttfeI gehalten. Uebrigend bienen bie oben ^t%thtntn
9}a(i^tDeifungen )ur ^en^tigung ber tinnaime t)on t>an 9erfum, ba^ erf} Sababte
bie Konten tuet toieber in ®ebrau4 %^W unb i^nen )tt neuem Seben t>eT«
l^olfen ^abe.
119
tDctd^e am @onntag mit bcn toeniger geübten @emeinbcgliebem
t^eitö in felbftänbiger Stebe, tl^eitö in ber $orm ber äßiebcrl^olung
ongefteüt toerben, an äSoc^entagen hingegen jmeitend ben Sugenb^
untcrrid^t jur SBorbereitung auf bie erfte Sommunton, brittend
bie Uebungen, ju meieren ftd^ bur^ebilbete unb üollbere^tigtc
©cmcinbeglicbcr jufammenfinbcn. S)eu ßrocd biefer Älaffc ber
Serfantmlungen bejeid^net er ba^in, bäg tl^re SRitglieber ju einer
größeren @lauben^en)ig^eit gegen bie SSerfuc^ungen burc^ falfd^c
Seigre unb burc^ SBeltluft gebracht merben. 9lun befte{)t SBoet
barauf, ba§ bie öffentlichen unb bie ()alb öffentlichen j^atec^ifa^^
tionen nid^t au^fd^Iieglic^ ben $aftoren ju überlaffen feien, fonbern
bag auger il^nen auc^ alle orbinirten ^j^rebiger, n)enn fie aucb
nur im Amt ber Äranfenbefud^er ftel^en, ferner bie 3)octorcn ber
Z^eo(ogie ju jenem ©efd^äfte berechtigt feien, o{)ne einer befonbem
Srtaubnig üon ben $aftoren über bem ^reiSb^terium ju bebfirfen.
SKan fte^t n)o()(, bag biefe Slnfid^t Sßiberfprucl^ fanb, unb ju«
gleic^, bag fie bod^ nur bei ben l^alb dffenttid^en, b. 1^. ben^ri:'
Datüerfammlungen praftifd^ n^erben !onnte. SBoct mad^t aber
geltenb, bog leincr, ber ju jenen fieiftungen befähigt fei, fein
$funb üergraben bürfe, unb leitet ben äßiberfpruc^ bagegen aud
bem 3^itgeift ab, ttjelc^er ber SKeltluft ergeben unb in ber
^römmigfeit unfrud^tbar fei. äßeiter^in finbet er ed burc^auS
nic^t anftögig, bag ju ben ^au^gotte^bienften, n^eld^e t)on S^ran«
fenbefuc^ern, Don Sanbibaten ober Don ^au^Iel^rern ge()alten
»erben, auc^ nod^ anbere ^erfonen, SSerroanbte, Sefreunbete,
9lad)baren jugelaffen merben. „SSelc^e @efa^r ober n^eld^c @d^ulb
foQ barin Hegen? ßie^t man boc^ aud^ ju anbercm ^äudlid^en
Unterrtd^t frembe jl^inber, unb mirb boc^ ba^ t)äu^lic^e ^Ial)l
fein öffentliche^, n)enn auc^ ein ^rembcr an einem beftimmten
SBoc^entage regelmägig baran t^eilnimmt/' ®egen ba^ Sor«
trec^ter Decret meint er Derftoge jcne^S 5Berfat)ren nid^t; in iaf)U
reid^en ©emeinben aber em^fe^le ed fid^ al^ notl^toenbig. @S fie^t
fo aud, a(S ob SSoct an biefem Drte nic^t bcn ganzen uon i^m
gebilligten X^atbeftanb ber SonDentifel befd^reibt, um nic^t ge«
nöt^igt ju fein, bie gemig nic^t leidste SSert^cibigung berfelben
gegen gangbare unb aud 9iäcffic^t auf bie fird^lic^e Orbnung
ni^t unberechtigte (Sinn^enbungcn ju führen. SSon ben SScrfamm-
lungen ber burc^gcbilbeteu unb gereiften @emeinbegliebcr jur
grögeren SBerfic^erung i^red @laubendftanbei^ ift alfo in bem
120
Sopitel nid^t mcl)r btc 9f{ebe. SBie toeit cd aber auf biefetn ^elbe
unter feiner ßuftimmung getommen fein mu%, üerrat^ er an
einem ganj^ anbern Ort, loo er über bte 9f{ec^te ber grauen in
ber £^irci^e ^anbelt. SDJit $aulud tterbtctct er t^nen natürlid^
in bem öffentli^en ©ottcdbienft %u reben; aber er bere^tigt
nid^t bloi^ bie äRüttcr baju, ben Umftänbcn gcmäg ben ^auSgotted«
bicnft ju galten, fonbern er er! (ärt aud^, bag in ben (Sonbentifeln
Don grauen gelegentlich aud^ eine grau, toenur fie bie Jienntnig
unb bie ^crmencutifd^e gertigfeit ^at, bie ©c^rift aui^Iegen unb
ber Slnbac^t üorftc()en barf ^). 2)er ^udbrud coUatio scripturaria
nämlid^ bejcic^net eine $rit)att)erfamm(ung, mlä)t fi^ mit ©c^rift::
audlegung befc^äftigt, alfo Sibelftunbe. äSicQeid^t aber ^at er
bicfc befonbere Studnal^me nur im @cbanfen an eine Sinjige
il^red @efd^led)td gemacht; bad ift feine @c^ü(erin Slnna SJ^aria
Don @c^urman, Don welcher fpäter nod^ bie 9iebe fein mirb.
Uebrigenö fpric^t er ft^ über bie Söefä^igung ju Sibelftunbcn
Diel t)orfi($tiger an^, aU über bie Sered^tigung ju ben S^atcäfi\a*
tioncn, n^elc^e nac^ officieQer Slnnal^me bie $rit)ati)erfammtungen
auSfüQcn foUen.
Snbem ber (Salüinis^mud bem eintrieb folgte, bie ß^ft^nbe
bed Sultud in ben Urgemeinben ju erneuern, n^el^e au^ ben Ur-
funben be^S 91. %. nac^meidbar finb, fo foUte aud^ bie 1 j^or. 14
bezeugte grci^eit unb Orbnung ber prop^etifd^cn Sieben nad^gc«
al^mt »erben *). 3Kan Derftanb freiließ ju ©unften biefer 9iac^*
a^mung unter $rop()etie (^rop^ejei) bie Sludlegung unb praf«
tifd^e ^nmcnbung ber ^eiligen (Schrift, unb ^n^ar biejenige, n)el^e
Don ben ^aftoren unb ben @cmeinbegliebern gemeinfam }u üben
märe. 3n einer fold^en Unterl^altung fam cd urfprünglic^ auf
bie äJergteic^ung ber Derfc^iebencu @d^riftte£te ^inauS, meiere im
Saufe ber SSJod^e in ben öffentlid^en ^rebigten bcl^anbelt maren;
ba^er ber Xitel coUatio scripturarum. S)iefeö mar bieOrbnung
in ber nicberlänbifd^en grembengcmeinbe ju Sonbon, meiere 1550
unter ber oberen Seitung Don So^anned äaäti ftanb. hingegen
1) L. c. IT. p. 209: Nee tantum domi suae, sed et alibi in sociis
et occasionatis religiouis et pietatis exercitiis aut privatis colloquiis
et collationibus, ubi aliqua, quae soieotia et Swafift (QfjtTjvivTixj
praevalet, si res et occasio ita tulerit, in femineo ooetu praeire posset.
2) 3um folgcnben ügl. Pol. eccl. P. I. lib. 1. p. 873 sq.
121
in ber gleid^ieitigen franjöfifc^cn (iDaQonifd^cn) ©emeinbe bafetbft
ttKir bie Drbnunfl bic, baß ein ?l6fci^nitt bcr ©d^rift, wdäftx
t>ux6) bcn ^aftor erflärt lonrbc, bcn ©emeinbcgliebern ben %n^
lag ju S^^fl^n ^^^ Stntocnbungen borbot, beten S3cantn)ortung
ober £öfung jenem oblag. ^iefeS ^nftitut l^attcn btc in bcn
Slieberlanben befte^enbcn calöinifc^en ©cmeinbcn mit geringen
SRobificQtionen auf ben t)on il^ncn im SluStanbe, p SEBefet 15(58,
}u (Emben 1571 gel^altenen grunbicgenben 9lationa(f9noben auf::
genommen. 3n bcr jafilrcic^en Solföürc^c, unter äRenfc^en bcr
t)erf^iebcnftcn 93ilbung^grabe fonnte biefc Sinrid^tung natürli^
ntc^t gebci^cn, unb i^rc öffcntlid^e regelmäßige Uebung bcl^aupten.
Soet erflärt bemnac^, bag bie ^^^rop^etiC feine unumgängliche
Function ber fiir^e, unb bag fie nic^t al^ öffcntlid^e Ucbung ber
ganjen @$emeinbe }u üeranftaltcn fei, bag fie bielme^r fid^ nur
für 5ßrioatöerfommlungcn eigene, entweber fo bag feine ^w^örer
auger ben SoUoquentcn babei loären, ober fo, bag bie ^u^örcr
(toetd^e nic^t mitrcben) einer befonbern Sluötoa^l unterjogen
tt^firben. (£r bef^ränft aber aud^ biefc Slnorbnung babur^, bag
ber JBorfi^ ober bie Icitcnbe Slu«^lcgung ber ©c^rift in biefen
„ecciesiolae" einem t^eologifd^ gebilbetcn äRanne, alfo nebefi ben
$aftoren aud^ bcn S)octoren ber X^eologie unb ben übrigen
ministri Vorbehalten bleibe. ©oQ man nun anne()men, bag iSoet
ein Sluge jugcbrüdt pttc, auc^ loenn gclegentlid^ Saicn bie iitu
tung foldier ^ibclftunbcn übernommen ptten? S)ie Slui^na^me,
meldte er in biefer Scjie^ung ju fünften ber tl^eologifd^ gebil^
beten grau jugclaffen ^at, fc^eint ju biefer Sermutl^ung aufju-
forbern. 3nbeffen wenn ic^ SRcc^t l^abe, l^iebei an bie einjige
©c^urman ju benfen, fo loar beren t()cologifc^e ä3cfäl^igung frei::
lic^ ber ^rt, bag i()r barin faum ein Saie männli^cn @efc^le^td
unter ben ä^^tfl^^offc" gleid)gcfommen fein roirb. SSoct ^atte
alfo roa^rfc^einlic^ feinen Slnlag, beren SJerec^tigung jur ÄbJ^al-
tung oon Sibclftunben befonbern ju rechtfertigen. Allein fein
3cugnig, bag in ben nacft @cfd^lcct)tern gcfc^icbcnen Sonüentifeln
auc^ iRic^tgeiftlict)e al^ 93orfi^cnbe üorfommen, ^at bod^ fein @e«
roic^t, auc^ ttjcnn folc^c fic^ nur für ©cbct, ©d^riftDorlcfnng unb
SBieberl^olung ber Äatedjiömu^prcbigten geeignet ad^teten.
älfo t)or bem 3a^rc 1663 gab e^ in ber niebcrlänbifc^en
reformtrten ^irc^c t^eiU öffentlid)e ^ated^ifationen, t^eilS ^alb
öffentli^c ober ganj gefd^loffenc ©rbauungöüercine, in bcnen ent^^
122
tocbcr unter bcr Scitung eincd @eiftltc^en, ober auc^ unter bem
SSorfi^ üon £aien gemeinfc^aftlid^ gebetet gefungen, ber ^ated^tö»
mud iDteber^olt ober bte ©d^rtft aufgelegt unb im %[nfc^Iug
baran aud^ ©emiffcnöfäDe erörtert würben. 3)iefe nad^ ben ®e-
fd^lec^tern getrennten SSerbinbungen finb bie ^eerbe bcr ftreng
ea(t)inifd^en, alfo ber fird^lt^ gerabe bered^tigten @eftnnung ge«
toorben, in bem SD^oge, aU bie großen @emeinben t)on äßettfinn
erfüQt \iä) ber ^räcifität üerfi^loffen, in n^eld^er ber toeltflüd^tige
3ug bed @a(ütnidmu^ ftd^ DoQenbete. 2)iefe in ben ecclesiolae
gepflegte 9iid^tung ftanb für bie ftrenge Sfu^äbung ber ^rd^en«
jud^t ein, unb i^re Sln^änger übten eine genaue Kontrolle über
bie regelmäßigen Slbenbma^Idfeiern, um ju l^inbern, bag and)
nur S3erbä($tige baran tl^eilna^men. 3n bem ^aÜQ, bag bie Sou:»
fiftorien (^reSb^terien) in bereu Slbn^e^r fd^mad^ ober nad^täfftg
toaren, jeigten fid^ jene ^^i^ommen bereit, ftc^ felbft t)on einer
i^eier jurücfju^alten, burd^ met^e fie t)erunretnigt ju werben
fürd^teten.
Sie Stellung, toeld^e SSoet in ber nieberlänbifd^^reformirten
^rd^e einnahm, würbe unbeutli^ werben, wenn er, wie @oebet
bel^afiptet, ber m^ftifc^en Ideologie ergeben gewefen wäre *). 3n*
beffen biefe Slnfid^t wirb burd) beftimmte (Srflärungen in t>tx:^
fc^iebenen ©Triften üon SSoet wiberlcgt. 3u feinem SBerfe: Ta
aaxTjTixa sive exercitia pietatis, Cap. 3 de meditatione spiri-
tuali, unterfd^eibet er abfic^ttid^ jwifc^en ber meditatio ober
contemplatio, Wel^e er biQigt, unb ber superessentialis contem-
platio ober tbeologia mystica, Weld^e er für unftatt^aft ertlärt.
Sr wenbet fid^ nament(i(^ gegen ben Sprachgebrauch fat^olifc^er
^(dtetifer, welche aOe biefe begriffe gleid^ fe^en. Später in ber
Politica ecclesiastica P. II. (1669) ge^t er genauer auf bie
äR^ftif ein. Sr nimmt als 2)efinitionen berfetben einmal ben
Sa^ Don @erfon an: Vita contemplativa est statos bominum
extra mundum, bann ben ©afe bcö 3efuiten Äjoriuö (t 1607)
aud beffen Tbeologia moralis: Intelligitur id vitae institntum,
noD quod nudam et simplicem dei speculationem profitetnr,
1) %. Q. O. IT. 8. 144. „(&t ttmr felber ein tiefer unb erfo(nneT
SR^flifer, unb borum au(( ein eifriger Pfleger unb IBeförberer ber prafttf^en
(m^ßif^en) ^^eologie." 9ei ^er^og 9l@. YIII. 6. 450 bejetd^net 0. i(n foQaT
als »ort^obosen ^t^ßtter'.
123
sed qnod se exercet in contemplando deo eoque diligendo,
ita nt Sit positum in rerum divinarum contemplatione cum
dei amore coniuncta; tooju noc^ bag SJ^crfmal gel^ört, vitam
activam esse praeparationem ad vitam contemplativam (1. c. p.
927). JBoet erfcnnt nun in bicfcr Sebcnörid^tung bic ©mnblaflc
beS äRönd^t^unt^ unb ^ectt bie rid^tige 93ermutl^ung, ba^ fte i^re
SBurjcI in her philosophia ethnica f^abt. SBcitcr^in flicbt Äjo«
riu^ i^m ben ®a^ an bic ^anb, vitam contemplativam esse
perfectiorem activa, quod illa in deo contemplando, amando
ae fruendo consistat nee in hac vita cesset, illam vero, sci-
licet activam tantnm respicere proximos *), tnogcgcn SSoct cin^
njcnbct : Unde ipsos videre est separare invlcem primae tabu-
lae praecepta a praeceptis secnndae tabulae. ^iefe Urt^eile
aber bie äR^fttC finb ebenso beutlid^, a(^ fte ol^ne unmittelbare
einzelne SSeranloffung in rein alabcmifd^er ^orm gehalten finb.
Allein aSoet würbe noc^ genöt^igt, fid^ ber SK^ftif birect ju er*
tocffxtn, aU Sababie biefelbe in bem Greife ber frommen, toelc^e
bisher Soct'^ Slnpnger getoefen maren, jur ©eltung brad^te.
9[lS auf aSoet'^ Diatribe de separationibus et secessionibus
(Polit. eccl. P. III.) Sababie eine ©c^ntä^fc^rift I)erauggegeben
^atte, antwortete SSoet mit einer Slppenbij (1671) meldte a. a. D.
^injugefügt ift. ^ier ffl()rt er bie f)od^mflt^ige ^feugerung feinet
@egnerd an, bag 93oet'd Urt^eil t)iel ju wenig erleuchtet fei, um
über gragen JU entfd^etben, welche nid^t auf bem Stdfer wac^fen,
wo er feine Äe^renlefen ^alte, unb fagt barauf: Si talem mysti-
cam theologiam intelligit, qualem ego in Exercitiis pietatis
cap. 3. notavi, fateor me eam historice intelligere, sed assen-
sum ei non posse praebere (1. c. p. 565). SBeitcr^in red^net
er Sababie'i^ praxis mystieae theologiae ju ben reliqua nova
ac insolita in orbe reformato theologemata (p. 569). SBenn
1) 3n ben brei gfoliobfinben be§ angeführten SBerfeS f)aht i^ freUt^
biefe tion ^od angeführten €a^e nic^t gefunben. ®enn alfo Vxtt ein geiler
im dittren ttorliegt, fo ift et boc^ glet^flUIttg. ^enn bie Angaben Soet'S ftnb
oti4 üuS Thomas Summa theol. II. 2. qu. 182 )u belegen. Snbeffen ergiebt
fi4 (ier iuglei^, bag bie Baä^e mit ber angefit^rten gormel nic^t abgemalt
tfi, inbem au4 eine 9Be4fe(tDirhing ^ttif^en beiben SebenSfotmen ftatutrt, unb
bfin octioen Seben unter Umftfinben ber Vorrang t)or bem contempIatit)en ein«
gerAumt toirb, fo ba^ Soet'S ^egenbemerfung ni^t antrifft, fonbern gegen«
fianblol i^
124
nun tro| bicfer Srtlärungen 93oet auf Xeiulcr ctoa^ gegolten
f)at, fu crgiebt [id) aug ben Ascetica (p. 78), bafe er bemfclbcn
bcn aBibcrfprud^ gegen bic fd^tpärmerif^e b. ^. freigeiftifd^e ®e=
laffen^eit in @ott ^od^ angerechnet \)at (SnbUd^ feine @c^ä|ung
ber Imitatio Christi bed X^omad Don jiüempen mad)t 93oet nid)t
bed 9}{l)ftictSmud üerbä^ttg. 2)enn in ben Ascetica (p. 8) billigt
er an biefem ^ocument mönc^ifd^er Floxal bie @runbfä^e ber
©elbftDerleugnung unb S)emut^ unb bie i^al^lretd^en 3^U(t"iff^
für bie ©eltung ber @nabe ®utte^ gegen bie menf^ü^en Ser^
bienfte. 2)ad aber ift eben noc^ feine äR^ftif *).
%oet l^at olfo auc^ bad Soliloquium, bie Dorle^te @c^rift
beS üon il^m fo l^od^ gefc^ä^ten äBill^elm SeelUndt^) nic^t f&r
ein ©ocument ber äJi^ftil gef)alten, obgleich baffclbe in einer
9f{id)tung fi^ belegt, iDeld^e an £ababie am näc^ften l^eranfäl^rt.
2)iefe ©c^rift nämlic^ fteDt in ©ebetöform bie ©efel^rung einei^
©ünberg bar. $Run f)at jeeüindf in einer altern ©c^rift Toetsteen
des geloofs ®) feine ß^ftintmung gu Saloin'd 93e[)auptung erflärt,
bag bie SSete^rnng @lauben Doraudfe^e; aüerbingd nic^t ben
1) $oet'8 Ascetica eive exercitia pietatis in iisum luveotutis acade-
micae nunc edita (^orinc^em 1664. 828 6. 8) finb nt4t§ toentger al§ ein
@Tbauung8bu4, ionbern eine t(eorett{4e 84rift, meiere bte übertrtebenfle SRonier
ber ^iflinction unb bie grSgte $ebantette be§ S^emotiftrenS auf einen 6toff
t)ertt)enbet, ber ^iebur^ ben €4tt(ern nur verleibet n)erben fonnte. ^emertend»
»ert^ ift babei, bafc ber ort^obos reformirte X^eolog feinen ^nftanb nimmt,
ben ganzen Apparat fat^olif^er %§!eti! mit ben gleichartigen S^tiften tefor«
mirter Gönner juiammen )u fa|fen, »enn ni^t in befoiiberen göllen, mie in
bem oben )ur Sprache gefommenen gaUe ber eigentli^en effiatifc^en SJlt^fii!,
eine ®renje für bie ?lner!ennung fat^oliWer 3Äei^obe gegogen »irb. ?lber
nomentlit^ in ben Kapiteln über bie 5Jlebitation, boS ®ebet, bie ®u§e beruft
fl(j^ 9oet ebenfo ftar! auf fatl^olif^e »ie auf reformirte Seugen. hingegen ba,
too bie reformirte @igent(üm(i(^teit ^fitte ^erDortrcten muffen, nömli^ in bem
€aptte( de praxi fidei ftnbet fi^ nur bie ^erttetfung auf ben itoeiten 9anb
ber Selectae disputationes (@. 89). $ergli((en mit ber 9{ei^e t)on ür*
f^einungen, n)el4e bemnöd^ft in t)erfo(gen ift, bezeugt biefeS $u4 bie toi^tige
X^atfac^e, ba6 man in ber ort^obo^en reformirten Itird^e ber 9{teber(anbe für
lat^olifd^e 9lS!etiI fe^r gugfingli^ »or.
2) Soliloquium ofte betrachtingen cens sondaers, die hij gehadt
haeft in den angst sijner weedergeboorte. 9{eue 9iuSg. 9Ribbelburg 1663.
164 6. 12.
3) ^rüfftein beS ®(auben§, in ber ®efammtauSgabe 2. %^t\i 8. 469—71.
125
feltgmad^enben @lau6en, ober bod^ ben ®lanbcn, bag \d\x fünbtg
ftttb uttb bag @ott und toill gnäbtg fein, n)enn n)ir und befehlen.
(Ealöin nämlic^, inbcm er bic urfprüngli^e «nfi^t ßutl^cr'd in
®ettung l^ält, leitet bie ^efe^rung an^ bem @lau6en an bie
Serfö^nung mit @ott ab, fegt babei bie ungewujste ©emeinfc^aft
mit S^riftud ober bie Slngel^örigfeit bed ^oenitenten ^ur ^irc^e
t)oraud, unb lägt bie Slbn^enbung üon ber @ünbe aud ber in
trgenb einem 3)2Qge üor^anbenen Siebe jum ©uten unb Sf)X^
furd^t t)or @ott ^erüorgel^en *). ®iefed ©d^ema fo tote fein
früheres ß^fl^^f^ä^^^^B ^^^ jebod^ Xeeüind im Soliloquium oöllig
ignorirt, inbem er ben ©ünDer gänj ifolirt unb abfolut aU ben^
jjenigen barfteüt, toeld^er in ben toeltlid^en S)ingen feinen @enug
fud^t, aber toal^rnimmt, bag bie äBelt nichtig ift, unb feine bauernbe
SJcfriebigung borbietet, ferner bog er fclbft in ber Slid^tigfeit
fted!t, unb für fein eigene^ &IM ju forgen o{)nmäc^tig ift. S)er
fo befd^affcne @ünber fc^liegt nun, bog bie n^ol^re ©lüdfeligfeit
in @{ott bur^ S()riftud 5U finben ift, unb nimmt fic^ Oor, @Sott
oor Sllem ju fud^en. S)iefer ^nfa^ ^ur 9lad^n7eifung ber SBe^
fe^rung ift eine ganj zufällige Kombination, toddic feine ^olge^
rtd^tigfeit in fid^ fd)liegt. Sener ^^pot^etifd^e @ünber fönnte ja
aud ber Sitetfeit oQer ®inge ben ©c^lug jie^en, bog man bie«
fjelbe entn^eber überhaupt nic^t loS werben fann, ober auc^ burd^
ftoifd^e ober bubbljiftifc^e 9iefignation. 3)ag er jur ^riftlic^en
Srlöfung greift, ift in bem ^nfa^, ben Xeellind mac^t, nur barouS
t)crftanbli^, bog ber ©ünber nid^t obfolut unb ifolirt, fonbern
bog er in ber c^riftlic^en Äirc^e erjogen ift. aber biefe^^ »irb nic^t
erfannt. ©onft ^ätte ber ©ünber barauf ^ingewiefen werben muffen,
bog er fd^on in einem gemiffen ©inne gläubig fei, in ber SBelt nid^t
blöd baö Slid^tige begehre, fonbern fd^on gemiffen Qtotd^n ©ottcd
btene. Die 93efe^rung, n^elc^e unter biefer 93oraudfe^ung erforberlid^
ift, mürbe als Slblcgung bed get^eilten SEkfend in ber f^olgeric^tig«^
feit bed ju t)oQer Jilar^eit p entmidfelnben Glaubend ju be«
greifen fein. 2)ad ©ubjeet olfo mürbe ald ber in bem ^ortfd^ritt
jur Cntfc^iebenl^eit begriffene ©laubige bargeftellt toerben muffen.
leeQindt aber gebraucht öon ben 30 Sapiteln feiner ^Betrachtungen
22, um ben ©ünber bid jur Slefe^rung ju t)erfolgen, inbem ber-
1) Inst. ehr. rel. III. 3, 2. $g(. Sobfiein, (St^l iEafotn'9 6. 65 f.
126
felbe me^r unb mel^r auf bic ©eftd^töpuntte bed (i^riftlid^en
©tauben^ eingebt, aber jugleid^ nod^ immer in einer entgegenge^
festen SRic^tung beö Sntereffc^ feftge^alten toirb. hierbei tritt
als Siegel bie abftracte Sntgegenfe^ung jmifc^en ber 9lici^tig«
feit ber SBclt tpic ber menfc^lic^en 95e[trebungen unb ber ÄU*
genugfamfeit @iotted, jmifc^en ber @c^ä|ung ber menfc^lic^en
SBiUenöfrnft unb ben SBirfungen bei^ ^eiligen ©eifteS ^er*
t)or. 3n bem njirlUd^en fieben fann biefer ©egenfafe nur mo*
mentan fid^ t)ergegenn)Qrtigen, n^enn nid^t %Qed jum ©tiQftanb
gebracht n^erben foll. 3n bem äRage al\o, aU XeeQindS Dar«
fteQung auS ben t)on Saluin fär bie poenitentia abgefted^ten
©renjen heraustritt, ^at er ben erften I^eil ber S8e!e^rung als
ben förmlichen ^ugfampf ausgeprägt; unb n^ie ber 9leben^
titel beS ^uc^eS anzeigt, fommt eS il^m gerabe barauf an, baS
Stngftgefü^l beS ungelöften SBiberfpruc^S jmif^en bem ©Sn-
ben« unb bem erftrebten ©nabenftanbe auf jeber neuen ©tufe ber
SBetrad^tung möglic^ft j^u fd^ärfen. 2)abei mirb bie ©^mierigfeit,
todd)c bie Se^re Don ber boppelten $räbeftination infofern mad^t,
als ber ©ünber in feiner O^nmac^t fürdjten mug, ju ben S3er«
toorfenen }u gehören, baburc^ gelöft, bajs ja @ott ben 3BiQen
^abe, bag aQen äRenfc^en geholfen merbe! @o mtb baS ^ogma
Don ber partieularen ©nabe für bie SBefel^rung n)irflic^ auger
©eltung gefegt, unb nad^^er nur als 9J2otiD ber $eilSgen)ig^ett
beS SJefel^rten jtoedmägig befunben.
Snblic^ im 22. Sapitel lägt XeeQind ben befämmerten @un^
ber ju bem Sntfc^lug fommen, fid^ an ben ^erm 3efuS, ben
äJ'Jittler unb ©eligmac^er ffi n)enben. ^er ©ünber bittet ben
^errn 3efuS, i^m feine Serbienfte ju ©ute fommen ju laffcn
unb bie Siebe ju S^riftuS in feinen SBillen einju-
giegen, um bie £iebe jur SBelt barauS }u Der treiben, unb i^n
ben 93efel^rten in baS geiftlid^e fieben einzuführen. 3}lan fann
biefen Entlang an bie fat^olif^e SluSbrudSn^eife unmöglich Aber«
^ören, ba ^eeQindt bemnäi^ft ben ©tanb ber 93efel^rung mit ben
äßitteln beS $ol^enliebeS nad^ ber SluSlegung ^ern^arb'S he^
fd^reibt. Sener ©taub tuirb nic^t bloS im SlQgemeinen als bie
jur Heiligung beS fiebenS kuirffame Siebe gegen ©Ott bargeftellt,
fonbern als bie bräutlid^e Siebe ju bem allerfd^önften unb liebenS*
»ürbigften Sräutigam, bem §erm ScfuS, njelc^e in bem ©cfü^lS*
genug ber ©egenfeitigfeit auSru^t. SlQerbingS finbet bann baS
127
t^rafttfd^e fieben feine Siegel barin, bog man @ott me§r liebt
atö bie äBelt, unb bag man bei bcm Scben in ber 3Belt biefelbc
ni^t fo anfielt, mie fie in fiti^ ift, fonbern tok fie Don @ott
fommt ober feine 3^^^^ i" fi^ f^Uegt. ^ad Qkl al\o, meld^ed
XeeQind erreicht, ift ebenfo n)enig im @inf(ang mit bem ed^ten
(EalDtnii^mud, mie ber Slnfa^ feiner ^Betrachtungen unb bie Sin-
leitung be^ ©ünberö bi^ ju feiner Selel^mng. S)ie ßwföJnmen*
fteQung üon 33ug{ampf unb bräutlid^er 3ä^tli^t<^it für ben ^erm
Scfu^ ift ein überrafd^enbeö 3<^W9"i6 ^^^ ^^^ ^on inbiöibueller
Srömmigfeit, roel^e S^eUind neben feinen ^emfi^ungen um cal^
Diniftifd^e ©ittcnftrenge fc^lieglic^ erreicht ^at. Unb eS tommt il^m
anäi in biefer @c^rift barauf an, biejjenigen ju fammeln^ meldte
ben ^errn 3efuS lieb l^oben unb fic^ am meiften auf bie ®t^
meinfd^aft mit i^m üerfte^en; b. f). er n^iQ fie in befonberen
Gruppen uereinigen. Sie (Stellung, n^elc^e XeeQind in ber ®e^
fd^id^te ber nieberlänbifd^-reformirten Sir^e einnimmt, lägt fic^
folgenbermagen erflären. Sr fud^t gegen bie 93ern)eltlid)ung ber
©itte unb gegen bie ä^ernüc^terung ober @rftarrung ber inbiDi^
bueQen ^römmigfeit gleid^jeitig ju reagiren. 2)ie @m)edung ber
le^tern bebarf er and) jur ^erfteQung ber DerfaOenen ©itten^^
ftrenge. Aber ber Salüini^muö toax auf eine nüchterne ©tim^
mung bed inbiuibuellen Scbend angelegt. Srfd^ien nun biefe
Haltung aU unjureic^enb in fi^ unb ju jenem 3^^^* f^^ ^^^
^iemit ein %[nlag geboten, eine aufregcnbere 9J2et()obe auf/^ufteUen,
aU tocld^e bem Sabinidmud eigen mar. 2)emgemä6 l^at Xeellind
gu bem iQpuö ber SBern^arbinifd^en grömmigfeit gegriffen, meiere
bem protcftantifd^en 93ertrauen auf bie @Snabe @9tte^ üermanbt
ju fein ober i^m ni^t }U miberfpred^en fc^eint. Unb boc^ leiert
bie SSergleic^ung mit bem, toa^ Sabin unter bem @Iauben an
C^riftud Derfte^t (@. 88), bag bei 93ern^arb nid^t eine nur leb«
^öftere gärbung berfelben @a^e obmaltet, fonbern eine ganj
anbere Haltung bcd ©emüt^g mit einem anbern ©toff ber Sln^
fc^auung Derbunben ift. Ser Xitel ber £iebe 5um ^errn 3efud,
loelc^en Xeellind anftatt bed Glaubend an bie burc^ S^riftud üer^
bürgte @nabentier^eigung fe^t, ift aud) nic^t ettoa Doller unb
reifer als bie gemein^eoangelifd^e ^ormel, fonbern ift nnbe:»
ftimmter, toeic^lic^er unb fraftlofer aU biefe. Unb fomie bie
X^eorie Dom S9ugfampf burc^ @aloin aui^efc^loffen ift, fo
Dergegentoärtigt fie aud^ nur bie 3uge, meiere ben 3Rönd^
128
Don ber S93clt fd^tben foQ unb tDtiä)e 93ern^arb bei ber
ffirtpcdung ber Siebe jum §errn 3cfu^ borQugfe|t (©. 47). 3n
ben früheren Schriften XeeQind'd flingt gelegentlich einmal baS
^o^elieb an; aOein er fd^eint erft gegen bo^ Snbe feinet Bebend
bajn gefommen j^u fein, fid^ ganj auf ben Zon beffelben ju
ftimmen, unb jugleid^ bie äßetl^obe bed SugfompfeS aufjugreifen,
ipcld^er auc^ feine legte ©d^rift über SRom. 7 unter bem litel:
Worstelinghe (l^ämpfe) eenes bekeerden sondaers, gen)tbntct gu
fein fd^eint.
§at benn nun JBoet ignoriren lönncn, bag leeUind im
Soliloquiam ber SBern^arbinifc^en ^römmigfeit SluSbrudF Derlie^,
unb einen bis ba^in fremben X^puS in bie ^ra^i^S ber Sfieformirten
einführte? ÜÄufete er nid^t üielme^r anerlennen, baß fc^on Xeet
lind bie äR^ftif auf bie ^Jdaf)n gebrad^t l^at? Seboi!^ I^at er o^ne
ßtueifel barauf geachtet, bag XeeQind, n)ie e^ im Soliloqnium
ber ^aO ift, mit SSern^arb nid^t fo n)eit ge^t, um bie gläubige
©eele in ber jartlid^en ©emeinfc^aft mit bem §errn Sefud ju
(Sinem @eifte mit i^m kuerben ju laffen. ^enn ba^ ift bie
fpecififc^e gormel ber üß^ftif unb ba§ 3Äer!mal ber Ueberfd^rci^
tung ber meltüd^en Öebingungen ber menfc^lic^en ffijiftenj. ^ic-
nac^ gemeffen ift IceUind noc^ nic^t SDi^ftifer. Slid^t^S befta
weniger bcbarf bie (ärflärung Don Soet, bag bie aW^ftif, mie fic
öon Sababie vertreten mürbe, in orbe reformato ctma^ Sleuc^
unb Ungemo^nteß fei, einer (Sinfc^ränfung. SIU er 1671 biefe
(Srflärung niebcrfc^rieb, lag fd^on feit Sauren ein ©ocument
jener Slrt öon ber §anb eineö SReformirten üor, meld^e^ für SSoct
fc^merlic^ verborgen geblieben mar. 3m 3a^rc 1655 nämlic^
ift JU Äonbon unter bem ©efammttitel Interiora regni dei eine
^rei^a^l t)on Xractaten Äcademia coelcstis, Grande oraculum,
Mysticnm matrimoninm Christi cum ecclesia, meldte Dörfer in
englifd^er ©prad^c fc^on einzeln ^erau^^gegeben maren, crfd^ienen ')•
3)ercn Scrfaffer ift'granciöSRüUö, ein inbepenbentifd^er ^uri^
taner, ?lnf)anger SrommeU'sJ, Praepositus Etonensis Collegii. (Sr
mar äRitglieb be^ langen Parlament«, ©pred^er beö furjen 5ßar«^
lament^, a)iitglicb Don ßromtpell'jS ©taat^ratl^, enblic^ auc^ noc^
be^ Don bem ^rotector J^ergefteUten Dber^aufed, ift geftorben 1659
im 9llter Don 80 3a^ren. (Sr ^at bie ^falmen metrifc^ übcr^
1) iQüi mir oorgefegen in einem 9{a((brudE Budingae 1725. 274 S. 12.
129
fcfet; in biefcr Ueberfcfeung tocrbcn ftc no6) jc^t in bcr fc^otti*
fc^cn Äird^c gefangen. Slnj^erbem \)at er Stu^jflgc auö Äirc^en*^
üätcrn unter bem Ittel Mella patrum, Sonbon 1650, öeröffent^
Ud^t. 3m Äßgcmcincn fü^rt er bic Aufgabe ber religiöfen 6r^
fenntntg auf bie @rfa^rung §inau^, n^eld^e Dom ®eift @Sotted
begrünbct, unb burc^ bMj^ünbenertenntnig unb bie 2)emut§ be«
btngt fein n)trb. ^ber ei: tft ber SReinung, bie äBirfung bed
göttlid^en ©eifted burd^ ba^ äBort ober bie ^eilige ©c^rift gu er^
fahren; hierauf bej^ie^t ftc^ ber j^meite Xractat. Snbeffen fommt
er prafttfc^ auf bie iV^^ftif ^eraud, n^etc^e er au^ 93ern^arb'd
^rcbtgten über bad ^o^clieb gef^ö^ft Ijat ; biefe citirt er gelegen!«
Itc^ neben bem S(reopagiten, 9iupre^t Don 2)eu| unb $ugo Don
®t. SSictor. S)ad ©d^ema oon S^riftu^ atö bem Bräutigam unb
ber einjelnen Seele ate ber Sraut, toeld^e nac^ JRöm. 7, 2—4
in einer 2n)eiten (£§e mit Sl^riftud Derbunben unb nad^ 1. ^or.
6, 17 ju einem @eifte mit i^m geworben ift bilbet bie reli^^
giöfe ©runbuorftcQung biefe^ ©d^rif tfteQerd ; biefetbc loirb nid^t
nur in bem britten Xractat burd^geffi^rt, fonbern flingt auc^ in
ben beiben üor^erge^enben an. 3Bie in ber engli^en jfird^e ber
inbepenbentifc^e SalDinidmu^ fid^ ber äßiebertäuferei ann&^ert
(©. 78), fo betoeift biefe ©c^rift, ba§ mau in jener SRid^tung
auc^ auf ba^ mittetaltrige 93orbilb ber SJi^ftif mieber jurficfge^
gri^en ^at. Unb j^mar folgt 9ioud barin bem Zeitigen 93ern^arb
gauj birect, baß ber bräutlic^c Serfc^r bcr ©cele mit S^riftuö
unb i^re m^ftifd^e (Siuigung mit i^m erft atd bie jfrönung ber
Heiligung eintreten tann. 3)cnn, toie er fagt, concupiscentia
interfici debet, antequam novus et verus maritus per regene-
rationem posset snperinduci. S(uf bicfcu ©taub ber geifttid^en
(E^e fü^rt er bann adeS jurüdC, maiS fouft aus bem Zutriebe bcS
®(aubcnd unb SSertraueud gegen S()riftuS erflärt wirb, bic Sr«
fenntnife bcr 9lat§fdölüffc ©otteS, bic grcubigfcit, bie ScreitmiUig*
feit JU IeiJ)cn, ben freien ©e^orfam im §anbcln. 3n bem %xac^
tat Mysticom matrimoniam crgc()t fid^ bic ^^antafie unb bie
Siebe bed Serfafferd in ber märmftcn unb ge^obenftcn ©ttmmung.
Unb fo fe^r ber ©efd^mad berfetben ben fiefer in ha^ äRittet^
alter iiurfidCt)erfe^t, fo ftnb bod^ brei fünfte ju bemerfen, in n^eld^en
bie ©c^rift ben ©eftc^tSfreiS bcr SRcf ormation bcö 16. 3a^r^un=
bertd beutüd^ inne ()ält. ßu^^^ft bejeugt 'Sßß fe^r beftimmt, bag
bie äSirtungen bcS ^eiligen ©eiftcS an bil%itigc ©d^rift gebun^
I. 9
130
ben ftnb, unb bag bte (Ec^tl^eit iener SBidungen an t^rer Ucber«
cinftimmung mit bcr ©c^rift ju erproben ift. grerner erinnert er
baran, bag bie @^e nid^t blöd jum ^ffen ba ift, fonbern quc^
boju, bag bie ^rau biene ; baburc^ toirb bad tpttge fieben anberd
gef^ä^t ald ed ben SDJ^ftifern gelingt. Snblic^ n)erben bie S3er«
laffungen ber gläubigen @eele im ©onjen baraud erflart, bog
biefelbe burd^ i^re ®ünbe unfic^er toirb über i^r SSer^filtnig ifl
bem @eltebten. ^enn n^ä^renb 93ern^arb ben äßed^fel in)ifci^en
93efeligung unb Xroden^eit a\x^ ber launenhaften äBillffir bed
SBräutigamd ableitet, fo n^irb bem gegenüber ^ier erflärt: Dens
amor est, ideoque pro natura amoris semper dilecto benefacit.
3)iefe gefunbe Sinie l^at bie in bie reformirte Äird^e einbringenbe
aji^ftit nic^t innegel^alten. SBenn nun alfo Soet 1671 ba« ©uc^
Don 9iouS gefannt ^aben n)irb, fo ^at er bo^ ni^t mit Unrecht
behaupten f önnen, bag bie m^ftifc^e S^^eologie ju ben ungemo^nten
fingen innert)alb ber reformirten ©efammtürd^e gcl^öre. 9lur §at
er baburd^ bie nieberlänbifc^e l^ird^e gerabe Dor ber (Sinmirfung
biefer ©d^rift nic^t ju fc^ü^en öermoc^t. ©ein ?ln]^änger ÄoeU
man ^at freiließ nur ben crften Iractat überfefet, beffen litel
fpäter n^icber^olt berül^rt toirb. allein bie lateinifd^ gefc^riebene
©c^rift loar boc^ aQen @elet)rten jugänglic^; unb ed mirb ft(^
jeigen, bog fie auf ben einflugreid^ften Z^eologen ber folgenben
©encratiou fe^r ftar! eingemirft ^at.
8. 3[o^ann Socce|nd.
^atron ber SonDentifel toie ©idbert SSoet tft fein S^^tge^
genoffe 3of)ann ©occejuö') nic^t gettjefen; bennoc^ fann ber^
felbe in bcr Ijier beabfi^tigten ©cfd^ic^töbarftetlung nid^t über*
gangen njerben. ©ein Äbftanb Don ber firc^lic^en ©tellung unb
ber praltifc^en 9iic^tung bcd Utrec^ter Ideologen ift leicht ju
meffen. Dbglcid^ fid^ Soccejug burd^auö auf bcr ßinie be« SoI«
üiniömu« unb im ©iiillang mit beffen ße^mormen ju galten gc^:
1) ©cboren )u Bremen 1603, ^rofeffor bafelbfl 1629, gu graneter in
SrieSlonb 1686, ju Selben 1650, gefiorben 1669.
131
tougt ffat, fo fagte er ftc^ bo(^ üon bcr äRetl^obe lod, toeld^e fett
bcr aSefcfttflung beö reformirtcn ß^riftentl^um^ in ben 3lkhtx^
tonbett bte t^eologifd^e Ueberlieferung bafetbft au^fd^tiegtici^ ge«
leitet ^atte. ^ed^olb f^attt ber Oppofition^t^eolog, toelc^er nod^
baju fluflänber iDar, fein ganje^ fieben lang um bie Slnerfennung
ju ringen unb oft genug ju beforgen, bag bie ©^noben feiner afa^
bemifd^en f^rei^eit unb ©id^erl^eit ju na^e treten ntöd^ten. (Sr
tomr aU Sabinift unb atd SBibetauSleger fo ftarf mie ntöglid^
boffir intereffirt, bag bad Sl^rtftent^um nic^t b(od Seigre fonbern
auäi £eben fei; aber t)on bem @runbfa|e ber ^räcifität bleibt er
burd^au^ fern. 3nbem er üor^errfc^enb Sieget toar, unb aud^
feine f^ftematifc^en SSerfud^e nur ben ^nfpruc^ mad^en, bie Sr«
gebniffe ber %udlegung ber 99ibel nad^ bereu eigenen &c\x(S)t^^
punften ju orbnen, fo ift er burd^ouS gleichgültig bagegen, bog
feine Z^eotogie eine unmittelbare (Einn^irfung auf bie ©itte,
3ud^t unb 93erfaffung ber ^irc^e auSiibe. (Er fi&ttc fic^ baburd^
unb burd^ feine aui^efproc^ene Slbneigung gegen aQe $arteifud^t
burc^aud boju geeignet, uon ben fird^lid^en iV^ac^ern feiner 3^^^
ate „Partei ber öorne^men SBiffenfd^aft" aufgerufen ju tt)erben.
@c^on biefe Qüqc feiner t^eologifd^en unb praftifc^en Haltung
bürgen bafür, baß er in feiner ©cmeinfc^aft mit ben Sonüentifeln
ftanb, toeldje bie Burgen ber l^oc^fird^lid^en Xrabition, unb bie
@i^e eines pebantifc^en ©trebenS nac^ 93oUfommenl^eit n^aren,
jugleid^ bie @efolgf(^aft berer bilbcten, meiere bereit luaren
etn)aigen Sleuerungen in ber t^eologifd^en Se^re mit bem ganjen
@emi^t i^rer roiffenfdjaftlic^en S^üftung unb i^rer tird^li^en ^ue^^
torität entgegenjutreten. ^ennoc^ ^at bie X^eologie beS SoccejuS
nid^t nur fdjon in ber näc^ften Generation gerabe bem Sl^riften«
t^um bed Utrei^ter Äreifeg beutlic^ er!ennbare ©puren eingebrüdt;
fonbern eö läßt ftc^ nad^meifen, ba§ in bem Greife Don Sljriften,
ttielc^er ^ier in 93etrac^t tommt, bie Sinflüffe Don SSoet tl^eitö
über^upt nur fortmirten in i^rer SSerbinbung mit benen t)on
(SoccejjuiS, tl^eitö längft jurüdgetreten finb l^inter ber fortbauern^:
ben Sintoirfung biefeS 9J2anneS, ben man in Utrecht unb Gro-
ningen unb an anberen Orten als 9leuerer, als S3ibliciften, als
S^ilioften, als $elagianer, als Siationaliften (bamals fagte man
©ociniancr), als ©egner ber ^^ilofop^ie unb ©peculation, enb-
lic^ als 3uben ober (f bjoniten Denoorfen unb ju unterbrüden
\>erfud^t ^atte. 9lur gefc^iel^t i^m aud^ n^ieber Unred^t, inbem
132
bcr ©c))aratij't Steife (fleftorbcn 1724) burc^ unöoUftänbigc "Hn^
ffi^rung unb birccte äJtigbeutung t)on ©äfecn be$ Soccejud tl^n ju
einem grunbfäfelid^cn Vertreter bc§ ©eparnti^mug ftcmpcin tuiQ ^).
®te S(tt aber unb bad 3Rag, in n)eld^em er jur Sntotctelung
bed calDtniftifc^en ^tett^mud beigetragen Ijat, lägt fic^ nur feft«
fteQen, menn ber aQgemeine Unterfd^ieb jmifti^en ber burc^ SSoet
vertretenen nieberlänbtfd)en Z^eologte unb bem t^eotogifti^en
©tanbpunfte beS Socceju^ erörtert luirb. 3)iefe Slufgabe ffi^rt
iurfld auf bie 93ebeutung, n)eld^e bie burc^ Sut^er gebitbete unb
burd^ @alüin übernommene fie^re Don ber boppelten ^räbeftination
im Verlauf ber Don Sabin abftammenben X^eotogie gemonnen
^at, unb jiüar gcrabe bei bcn nicberlänbifd^en Ideologen, tocld^c
fic^ bed ^rminiani^muS ju em)el^ren Ratten. SS ^anbelt ftc^
^tebei um Siefultate filr ben begriff Don @Sott, bie al^ fotc^e
nic^t blöd tbeoretifc^en 3Bert^ l^aben, fonbern fe§r praftifc^c
golgen emjarten taffcn *).
Sut^er fonnte bie Unfreiheit bed menfd)Iid)en SBiQend gegen
SraSmui^ nic^t betoeifen, toenn er fid^ inner()alb ber ^renjen beS
cftriftlid)en ©otteöbegriffd l^ielt, ben er bei feiner äuffaffung ber
c^riftlic^en ©rlöfung jum erftenmal eingefefet l^at. ®er ®ott,
melti^er in ber Srfd^einung unb rctigiöfen SBirfung S^rifti offene
bar ift, melc^er fid^ eben hierin afe bie @üte, @nabe, ßiebc jur
Herbeiführung ber ©eligfeit ber STOenfc^en funbgiebt, red^nct im
Singemeinen auf Srrei^eit ober ©elbftbeftimmung bei ben üer*
nünftigcn ö)cfd|öpfen, bie i^ren ©elbftjmed in ber SRec^tfertigung
unb ^efeligung erreid^en foQen. S3on ^ier au^ maren bie Sluf«
fteUungen bed (SraSmud er^eblic^ ju mobificiren, i^re allgemeine
Slbfic^t aber anjuertennen. Snbeffen in Sutl^er'« ©ebanicnbilbung
n^ar biefe 3bee t)on @ott nid^t müd^tig genug, um eine fd^o^
laftifc^e Unterftrömung audjufdjeiben, in »etc^cr gettjiffe i^m
überlieferte S3egriffe Don ®ütt einen fortbauernben SReij auf feine
perfönlic^e religiöfe ©mpfinbung ausübten. 3)icfeö Slement bcd
aud ber nominaliftifc^en X^eologie entlehnten ©ottei^begriffd ^at
1) l^iflorie ber SBirbergeborenen, 4. tf^tW 6. 13—18. (S^oebel a.a.O.
S. 157 folgt i^m unDOT{t(^tig.
2) %I. sunt Sfoloenben meine i^^ef^ic^tli^en Stubten sur d^riftlt^en
Se^re t)on ®ott ; a^eiter 9lrti!el' in ben äa^rbfld^ern fflr beutf^e X^ol. XIII.
?Banb. (1868) ©. 67—133.
133
nun fiut^cr etngefe^t, um bte üöQtge Unftott^aftigfett üon ^ei^ett
bc^ äRcnfd^cu gegen @ott ju ettpcifen. 3)ie polemif^c SBvQüour,
meiere er iabci geäbt l)at, ^at er freilid^ burc^ bic 2)arfteIIung
felbft ntd^t ju rechtfertigen Dermoc^t, in tvel^er bie beiben unt)er^
einbaren ^Begriffe t)on @Sott unter ben Ziteln bed deus relevatus
unb beiS deo8 absconditus abn^ed^felnb gan} bi^parate äSetrod^:'
tungen bed fittlic^en SBeltlaufd nad) ftd^ jie^en. ä^ietme^r fonn
man bei ber £ef ung ber ©d^rift de servo arbitrio faum bte ä^er^
mut^ung unterbrücfen, bag Sut^er burd^ ben Xro^ feiner Sßaxa^
bojrieen bie eigene Unfic^er^eit ber Ueberjeugung nieberju^alten
bemüht geipefen ift. Sr ben)ä^rt alfo bie üoQfommene Unfreiheit
bed äRenfd^en jum Söfcn n^ie jum @uten baburci^, ha% @ott,
beffen äßiUe feinem @Sefe6 unterliegt, bie einjelnen SKenfc^en
o^ne einen in i^nen fetbft ju fu^enben ©runb jur ©cligfeit
ober )ur Unfeügfeit üor^erbeftimmt unb bemgemäg and) bie
@unbe erft herbeigeführt ^at. äRan folltc beuten, bag biefe
S)arlegung be^ Verborgenen äBiüend @otted unbered|tigt ift
erftend, toeil biefe SBeftimmungen @otted feinem offenbaren Saiden
koiberfpred^en, ber auf bie 9iettung aDer äJtenf^en gerid^tet ift,
jioeitend roeil ber ^ierbon t)ic(Ieid)t abmeid^enbe SSiUe @Sotted atö
fold^er überhaupt unerEennbar ift. 2)ag aber fiut{)er biefe Siefig^
notion nid^t geübt f)at, cntfpringt aud ber f^ortmirfung ber fd^o^
loftifd^en äRet^obe in i^m; beim biefe fannte fold^e Sinfd^rän«
fung ber (Srfenntnig nid^t. Sr felbft f)at freilid^ ber 2)reiftigfeit,
in melc^r er fogar bie öffentlid^e fird^Iid^e SSerfünbigung biefer
Se^rc Don ber boppelten ^rübeftinotion gettenb mad^en sollte,
fe^r balb ein 3'^^ 8^f<^ftt. Slic^t nur ^at er fetbft biefe £e^re
feit 1525 nid^t me^r Dorgetrogen, fonbern er ^at, o^ne fie jurüd:
june^men, t)or bem @eftd|t^puntt gemarnt, aud midiem fie ent^
iDorfen ift. SÄan foU, fogt er, bie 3rwge nac^ bem eigenen §cile
nic^t an bie Snftanj ber ^ödjften SRajeftät @otted bringen, fon*
bern nur uad^ feinem offenbaren äBiQen ber aQgemeinen @nabe
JU beantworten fud^en. 2)ad ^eigt, bie fie^rc Don ber boppelten
^räbeflination ift atö unprattifc^ bei Seite gefefet. S)e^^alb ift
biefelbe aud^ in ber lut^erifc^en ^irc^cnbilbung ni^t toieber jur
Geltung gefommen; Dielmel^r entfdjeibet bie Soncorbienformel nur
Aber bad Problem ber etoigen ISm^ä^Iung jum $ei(e.
(£a(Din hingegen ^at bad DoQftänbigc @efüge ber fie^re
£ut^er'd ftc^ angeeignet, toeil er aU X^eolog im ©anjen Sut^er'^
134
^luffteUunflen treuer gefolgt ift, ate irgenb ein Slnberer, nament»
lid| and) atö 2KelQuclötf)on. Sin ber ßef)rc Sutl^er'^ Don ber
boppelten ^ßräbeftination toai er aber ipefentlic^ baburdj mtcrefftrt,
bag er fie im Sinflong mit bem poulinifd^en Sfiömerbrief fanb
unb bem Se^rgefe^ ber ^eiligen ©d^rift and) ha fic^ ju unter:«
werfen entfc^Ioffcn mar, wo eine Se^rc feinen proltifd^cn Qtocd
ju erfüDen üerfprad^. 3)enn ttjenn and) biefe Se^re alö formcUe
^robc ber Unfreil^cit beö SBiUenö jiücdmäjsig toax, fo erfdjien
fie i^rem eigentlid^en 3nl^alte nad) ffir iEaWxn felbft als fo
fc^redlic^, bajs er bie größte Sorftc^t in i^rem Vortrage für bic
©emeinbe öorgefc^rteben l^at. ©ie ift aud^ fo wenig bie ©tamm^
le^re ober ber principieQe @ebanfe ber X^eologie SalDin'S, toofür
man fie anjufe^en pflegt, bag fie in feinem Unterrid^t in ber
diriftlid^en {Religion erft im britten 8ud)e Eap. 21—24 afö 3ln=
^ang jur ßel^re t)on ber ©rlöfung Dorfommt. 3)er ©otteSbegriff,
ber bie ^räbefttnationSlel^re leitet, nämlic^ ber ®eban!e Don bem
allmächtigen, toillfürlid^en, gefefelofen SBiUen, Welcher feinen ©elbft^
gtoedf ober feine Sl^re burd^ bie gerabe entgegengefefeten äRittcl ber
(frmä^lung unb ber SSerwerfung jugleic^ erftrebt, ift aud^ total
unäl^nlid^ bem ©ebanlen Don @ott, toeld^er im erften ^udje ent^^
widelt wirb, unb bag ganje ©^ftcm be^errfc^t. 3)er gute, liebe-
DoUe unb juglei^ gcred|te SBillc, unter weld^em l^ier ®ott er«
fannt wirb, erreicht feinen ©elbftjwcd auf bem SBege ber georb-
neten SttJcdfefeungen in ber ®rfc^affung unb fieitung ber SBclt,
alfo alö Providentia, in ber nad^ ©otteö @ered|tigleit geregelten
(Srlöfung ber 2Renfd|en unb bcmgemäg in ber §erDorbringung
unb ®rl^altung ber ©emeinbe ber ©laubigen, weld^e aU ber 93c:=
jiel^ungöpunlt ber ewigen Siebe in ber d^riftli^en 6rfenntni6 Don
©Ott ebenfo untrennbar ift. Wie Don feinem ©ol^ne, ber i^r
§aupt ift. $Run Derl^alten fid^ biefe beiben ©otteöbegriffe in
CalDinö Unterrid|t gerabe ebenfo ju einanber wie ber deus abs-
conditus unb ber deus revelatus in Sutl^cr'S ©d^rift gegen
SradmuS. 2)ad ^eigt, in @^alDin'd ^räbeftinationSlel^re ift ber^
felbe ©otteSbegriff ber nominaliftifd^en ©c^ule eingefd|loffen,
meldten Sutl^er in bem deus absconditus auSbrüdt, unb welcher
mit ber ©üte wie mit ber ©erec^tigteit, baS l^eigt mit ben Ättri*
buten beö d^riftlic^eu ©otteSbegriffS uuDereinbar ift. SBelc^e
SBtrfung wirb eS nun ^aben, wenn bie ße^re Don ber boppelten
^räbeftination eine ©eltung gewinnt, welche über i^re ©teQung
135
atö Sln^ang }ur Srlöfungdlel^re in (Sabm'd Sel^r6ud^ l^inaud^
greift? ^iefe üer^ängnigüolle ISnttpicfelung ^at Sabin baburc^
vorbereitet, ba§ er auf 8tnla§ beö üon öotfcc erhobenen SBiber^
fpruc^ed bie Se^re burd^ ben Consensns Genevensis (1552) für
bie $a[toren in @ienf obligatorifc^ machte, ^ie Se^rc ift jmar
nad^^er nic^t in bad jmeite ^elüetifc^e Sefenntnig (1566) aufge^
nommen morben, meil bie JHrd^n ber beutfc^en ©d^n^eij gemäg
ber erften Safeler Sonfeffion nur bie (Ern^ä^Iung jum $ei(e
fannten. Slllein in ber ©adifc^en unb in ber üon einem ^xan^
äjofen öerfaßten JBelgifd^en Confeffton ^at bie Se^re i^re ©teöe
gefunben.
S)ie)e lird^Iic^e Geltung ber Se^re üon ber boppelten $rä«
beftination ift nun o^ne ßtoeifet ber Stnlafe ju berjenigen t^eorc*
tifd^en Bearbeitung geworben, n^elc^e i^r SSeja unb nac^ i^m ber
niebcrlänbifc^e ^^eolog @omaru$ jugemenbet ^ben, unb n^elc^e
n^efentlid^ aud^ üon 3)daccoüiuS nnb ä^oetiud befolgt n)irb. 3ene
unternehmen c^, eben biefe Se^re mit ber calDinifc^en ©tamm^^
le^re üpn ber SSorfe^ung @otte^ in einanber ^u arbeiten. (ES
fam itinen barauf an, bie Se^re üon ber boppeUen ^räbeftination,
meiere baS entgegengefe^te ©d^idfal ber einj(e(nen SDtenfc^en nur
nacf) bem formalen @e(bftjn)ecf @otted beurt^eilt, in ben @e^
banfen ber ^roüibenj @ottei^ einjugliebern, tueld^e feine @ilte in
ber ^nerfennung burc^ bie @iemeinbe ber Gläubigen bemä^rt.
aber biefeö 83eftreben führte nid^t jum Qxocd, ba ber bejeid^nete
@ebanfe bie ©(eid^ftellung ber SSermorfenen mit ben (Em^ä^lten
im S3ert|ältnig ju @ott nid^t julägt. ^e^^alb fd^lng biefe Unter*
ne^mung in ba^ @egent^eil aud. S)er nominaliftifd^e @ebanfe
üon bem dominium dei absolntum, unter tveld^em bie @i(eic^^
ftellung ber ä}ertt)erfung mit ber (£m)ä()lung b(oi^ jur (S\)xc @otteS
begriffen n^irb, n)irb üon @omarud al^ ber Seitpunft fär bad
t^ologifc^e (Softem eingefe^t. ^a^in ging eben bie allgemeine
Zenbeng bed Salt)ini^mud, fo bag aud^ bie Slrminianer in biefem
@ottedbegriff mit i^rem @egner @omarud fic^ jufammenfanben.
Der @treit jn^ifc^en i^nen breite ftd^ bei biefer gemeinfamen
@ninbanna^me nur barum, ob @ott al$ abfoluter ^err jebe
(Irrct^ctt in ben t)ernünftigen Kreaturen audfc^liege, ober ob er
nadf SiQigfeit i^nen gen^iffe {Redete unb bemgemäg einen @e<
brauch ber (Jrtei^eit gegen i^n felbft jugefte^e. 9tun ^at aber
ffir bie ort^obojren nieberlänbifc^en Satoiniften biefer 93egriff bed
136
absointnm dei domininm nid^t bie SBebeutung gctponnen, bag
naä) i^m baS ganje tl^eologifd^c ©tjffem umgearbeitet, alfo jum
SBcifpiel bic (grlöfung burd^ (S^riftuö auf bic SBinffir @ottc^ ju*
rficfgefü^rt unb i^rc ©lieberung burd^ bic n^ed^felnbeu Scjiel^ungcn
bcr ®nabe unb ber ©ere^tigfeit ®otteö aufgehoben ttjorben n^äre.
liefen SBeg fc^lug btclntc^r bcr ?lrminianiöntug ein unb gelangte
beö^alb ju Äufftellungen, ttjclc^e mit bcr Änfid^t bc§ I^ontaS
^quinaS am näd^ftcn üem^anbt finb. ^nd) unter ben ort^obo^en
rcformirten Ideologen ^at bcr (Snglänber %m% bie ©ered^tigfeit
@otte«, ben SHafeftab für ben »erlauf bcr ©rlöfung, nid^t alö
bag innere ®cfcfe ®ottcö felbft, fonbern afö einen freien ®ntfc^lu§
bcffetben bariuftcKcn unternommen; aber bie ^errfc^cnbe SReinung
toax auf bic erfte Annahme gcrid^tet. SBenn atfo baö tl^eologifc^e
Unternehmen üon Scja auö bem Antriebe entfprang, ben Slb^
ftanb ber ^ßräbeftinationöle^re üon bem übrigen S3cftanbc bcö
©^ftem^ au^juglcid^cn, fo äcigen bic SBcrfc bcr nieberlänbifd^cn
Drt^obojcn, bag anftatt beffcn ein ?lbftanb jttjifc^en bcr allgc*
meinen ficl^rc oon ®ott unb bem SBcgriff öon ®ott erreicht ift,
n^elc^er bie concretcn ^eilölel^ren bc^errfd^t. S)ag baburc^ leine
Scrbefferung gegen Sabin erreicht ift, fonbern eine Serfd^led^te-
rung, fann feinem Stueifcl unterliegen. Unb ttjcnn nun boc^ in
ber f^ftematif^en S^^eologic bic allgemeine Se^re üon ®ott unb
bon feinen S)ecretcn bic Sor^anb behaupten foH gegen bie 3)ar^
ftellung beö 3n^alteg ber d^riftlid^en Offenbarung, fo ergiebt fid^
l^icr eine ber^ngnigöollc ?lbttjeidöung üon bcr allgemeinen ^ienbenj
bcr Sieformation beö 16. ^cil)X^. überhaupt unb öon Salüin'g
Unterricht im Scfonbcrn. 83ei einem SRanne n)ie SSoct toirb
man bicfeö menigcr getoa^r, t^citö ttjcil er bem praftifc^en X^cile
ber X^eologic ein fo groge« 3ntereffc gcttjibmet ^at, t^eitö unb
l^auptfä^Uc^, ttjcil er fid^ bei einer fragmentarifd^cn S)arftcllung
bcr ©ac^en begnügt unb bcr f^ftematifd^en enthalten ^at.
@§ ift baö Serbienft be§ ßocccjug, bag er bic I^cotpgie
ttjiebcr an bem J'octor bcr pofitiüen Offenbarung orientttt'']^at.
®r ergänjt aber bCft»SC^cologic ber ^Reformatoren felbfi, ' um fo
mc^r bic in ber Glb^bojrie ausgeprägte Uebcrlieferung bcrfclben,
barin, baß er ben ganjen 3nl^alt ber Dffenbarungöurlunbc in
einer i^r eigcntl^ümlid^en ®liebcrung pffig unb frud^tbar ju
mad^en bcmül^t ttjar. "HU ©d^riftauSlcgcr unb atö biblifc^er
Xl^eolog ift er üielleidöt meljr aU irgenb ein Änbcrcr bcred^tigt,
137
in bct crflctt Slcil^c nad) unfcren SReformatorcn genannt ju tocr:^
bcn; aber aud^ nod^ rocften einer eigentümlichen (Srweiterung
be§ praftifd^en ®efic^tölrcife§ tüirb i^m jener SSorjug öinbicirt
ttjerbcn muffen. ®er ©ebanle be^ ©nabenbunbe^ ®otte§ mit
ben 3WenfcI)en, weld^em Soccejujg ben beg SReid^cö ®otteö gleich
fefet, ift baburd^ njirfli^ geeignet, ben in ben biblifd^en Urfunben
erfd^einenben gefd^ic^tlic^en Serlauf ber Offenbarung fotpo^l ju^
fammenjufaffen atö audl^ beren Äbftufungen ju orbnen. 5)iefe
Äuffaffung üerliert n^enig an i^rcr Sebeutung in ber ®efc^id^te
ber Ideologie, ttjenn andj feftgefteHt ttjerben barf, ba§ bie Se^
bingungen, unter benen ber ©nabenbunb öerttjirllic^t ift, Don
©occejug nid^t in mufterl^after SBeife gebeutet n^orben finb.
*S>alj\\\ gel^ört bie ber fogenannten natürlid^en Urreligion glei^
geltenbe S5orau§fe|ung beg foedus operum, ferner bag ttjunber^
lid^e ©erfahren, bie ©nabenoffenbarung nur aU abrogatio foe-
deris operum einjuffi^ren '), unb ffloax fo, ia^ unter biefem
Sitel bie ©ünbe, ber ©nabenbunb in feinen jtt)ei ©tufen, ber
förderliche lob be^ in ber Heiligung fortfd^reiteiiben ©laubigen,
enblic^ bie Äuferfte^ung jur ©eligfeit an einanber gereift n^erben.
SBcnn fc^on biefer (Sntrourf ber gefammten X^eologie gegen ben
guten ©cfd^madt in ber Äuffaffung ber ^iftorif^en ffirfenntniß^
obiecte Derftößt, fo mac^t fid^ biefer %cf)Ux and) in ber t^polo-
gifc^en SSerfnflpfung ber beiben Xcftamente burd^gängig geltenb *).
Snbeffcn ift bag SSerbienft be^ Soccejuö um bie Ideologie nament*
lid^ barin ju erfennen, baß bie immer mieber geftelltc Aufgabe,
bad fird^lir^e fiel^rf^ftem au^ ber biblif^en X^eologie ju berid^^
tigen unb ju erneuern, bcm Antriebe beffelben ju üerbanfen ift.
(Kr ^at nun, ttjie fc^on bemerft worben ift, bie Sinie beö f^mbo^
lifc^en fie^rbegriffö feiner Äird^c innejul^alten fid) bemüht; er
^at aber auc^ bie {Rfictfid^t auf bie ^errfc^enbe fiel^rtrabition ni^t
burc^aud üemad^läffigt, obgleid^ fein biblifc^^l^eologifd^er ©tanb^^
imntt i^n ju bem X^ema ber göttli^en betrete 'ni^t ^intt)ie$.
IHe steige Uebercinfunft (pactum) ©otteS mit bem @o^ne, baß
berfelft jur (Sinfü^rung beö ©nabenbunbeö um ber @bte ©otteö
1) Samma doctrinae de foedere et testamcnto dei. 1648.
2) 8gl. DieÜef, «rfd^^te M «. %. in ber d^nftli^rn fttrc^e 6. 426.
527 ; etubien iur 85b(ra{%o{o0tr, in ^o^rb. f. beuii(i^ X^ül X. @. 219—276.
138
toiflcn SWcnfd^ tocrbcit, bic ©cfcfec^ftrafc auf fid^ nehmen unb ben
Satcr ücrfö^ncn toerbc, iic^t natürüd^ feine folc^c SSerfügung
n^iUtürli^en ffintfc^luffeö nod^ pc^, tpclc^e in bem endigen Dcirct
bcr boppcttcn ?ßräbe[tination auöfleDrücft ift. 3)e^&alb ift auc^
in bcr oben angeführten ©d)rift be^ ßoccejuiS feine Siebe üon bicfem
©egenftanbe. Snbcffcn fommt in bem f^ftematifc^cn SBerfe:
Summa theologiae ex scripturis repetitae (1662), aud^ ber
©toff jener Se()re jum SSortrag. 5Rur ift l^icr bcr 8iatf)fd^lu6
bcr ©d^öpfung bcr 2öclt, in^befonbere bcr Vernünftigen Sreatur
jur 6f)re ©ottcö, unb bcr Siat^fc^tuß bcr ffirwä^lung unb Ser=
tocrfung fc^on ber räumlichen ©tellung nad) au^ einanber gc==
l&altcn, unb ber lefetere ift infratapfarifd^ bargcftellt. 6occeju§ alfo
l^at an biefem ©egenftanbe ein üiel geringere^ Sntcreffc, al^ bie
fupralapfarifd^en Ideologen au§ bcr ©c^ule bcö @omaru§.
9iun bebient fic^ jwar SoccejuS n^icberum bcr Äuöbrücfe für
\>a^ JBcr^ältniß jwifc^en ®ott unb SRenfc^cn, ttjcld^c bie ®c*
fammtaufd^auung biefer ©d^ule bcl^crrfd^tcn ; er betont baö do-
minium dei unb bie servitus hominum, tt)elc^e auf bie gloria
dei gerichtet fein foll. allein bie oollftänbigc SSBertl^lofigfcit aud)
bcr Dernünftigen Kreaturen, ttjcld^c bie Drt^obojcn mit biefen
^Begriffen bejeic^neten, nimmt EoccejuS nic^t an. @r erfennt üiet*
me^r in bcr SBeftimmung ber SWcnfdben jum (äbenbitbc ©ottcö
ober in bcr rectitudo, mcl^e bem erften ättcnfc^en anerfc^affen
ttjar, unb burc^ bie c^riftlic^e (ärneuerung wieber ju gewinnen
ift, eine Ännöl^crung ber oernünftigen Kreatur an ®ott, ber ge*=
maß ©Ott baö SWufter ber 2Kcnfd^cn ift, unb bicfc mit @ott bic
ffirfenntniß bcr SBa^rJö^it unb bic Siebe gemein ^aben, fo bag
fte Sic^t finb, wie @ott Sid^t ift. Eoccejug alfo nimmt gerabc
eine birectc ^Proportion jwifd^cn bem SRenfc^en unb ®ott in bic
SSeftimmung i^rer begriffe auf, wät)renb eine fold^e in ber ort^o^
bojen Ueberfpannung be§ dominium dei eben au^gefd^loffen war.
Diefe ücrfdöicbcncn Segriffe oon ®ott finb aud^ bie legten ÜRo*
tioe in bem ©treit über bic SBebcutung be^ ©abbat^ö, welcher
gwifd^en ben SJoetianern unb ben Socccianern feit 1658 fo ^eftig
entbrannte, bag er burc^ einen Scfc^lufe ber ^oHänbifc^en ©tänbc
alöbalb Don ben ©tjnobcn Derbannt werben mußte, wcld^cr aber
nodö t)on 1660 biö 1670 fic^ in einem wiebcr^o'lten ©d^riftwed^fel
jwifc^cn ben Utred^ter Ideologen Slnbrcae ©ffeniuö (SSoetianer)
unb granj 93urmann (Eoccciancr) fortfefcte, unb bie Äird^e mit
139
einem ©d^idma bebrol^te. @occej[uiS i^atte ^unäd^ft aud ber 96^
ftufung ber beibcn Sieftamciite aU gorntcn beö ©nabenbunbeö,
unb inbem et bcn Sefalog gerabe ald ^ocumcnt bc$ le^tern
Quffagtc, gefolgert, bog baS @ebot ber 9{u^e am fiebenten Xage
für bic ©Triften feine ©rfüUung in ber SSer^cifeung ber ewigen
9hi^e finbe. @r ^atte be^^alb geleugnet, bag ber ccremonielle
©inn beö ©abbat^geboteö, weld^er bic 3uben öerpfli^tetc, für
bie (S^riften gelte. (Sr behauptete beS^alb ferner, bag bic i^eier
beö Sluferftebungötaged C^rifti im SJeginn ber SBod^e fein ccre*
monicQeö @ebot @otteö fei, fonbcrn ein moralifd)eö, loeld^eö
burc^ ben ©ebraud^ ber jitird^e @e(tung erl^altcn \)abt. IHuö biefen
@a^en ergab fic^ für Socceiuö nic^tö n^eniger, aU eine SSetänbe^
rung ber cmften unb gemeffenen 8trt, in tpelc^er bie geier beö
©onntagö in ber reformirten £fird^e hergebracht n^ar. $(ber nic^t
crft bic ©cftattung Don ftifler bürgerlicher Slrbeit nad^ bem Sc^
fuc^ beö @ottcöbienfteö am Sonntage, fonbcrn fd^on bie ^cv^
änbcrung ber ©timmung, welche burd^ biefe äufftcUungcn an*
gegeigt loar, erregte bie SBeforgni^ um baö ^ei(igtt)um bei ben
Sn^ängem ber faft p^arifäifd^cn ©abbat^öfcier, n^elc^e fic^ um
Soet fd^aarten. ^cr Untcrfc^icb ber ©timmung aber n)ci[t auf
ben Unterfc^icb beö @otteöbegriffö ^^urücf. S)ic Socccjaner unter«
fc^ieben nämlic^ moraüfc^e Gebote unb pofitioe (x^ijtlidjc ober
cercmoniclle) banac^, \>a% jene auö ber roec^fclfeitigcn ©emein^
fc^ft jioifd^en @ott unb feinem (Ebcnbilbc, bem äßenfd^en ab^^u*
leiten feien, biefe auö ber Öefel)lmadöt unb bem beftimmenben
Stilen @otteö. hingegen bie Soctianer mad^ten feinen Unter«
fd^teb gmifc^cn bem moratifd^cn unb pofitit)en S^araftcr göttlicher
©ebote, inbcm fie bic unter aQen Umftäuben pofitiüen (moralifc^en,
cercmonieQen , rccf)tlicf)en) ©cbote nur Don ber $)cfeblmac^t
©otteö ableiteten *). 3>amit ift eben bie Snftanj ber „natürlicf)en''
1) 3ttt (Srldutftung bienrn folgenbe S&^e auS Sranc. Surntann,
Vindioiae disquUitionis de moralitate sabbati hebdomadalis (Ultrajecti
1665) p. 4: Morale proprie est, quod fluit ex imagine dei seu ante la-
psum homini concreata, neu post eum ex gratia restaurata, adeoque
qaod resultat ex natura et attributis dei et hominis naturali statu sab
dao. Gttm qaibus dei hominisque attributis quicquid convenit et ex
illit fluit, illud proprie moraliter bonum est. Quicqaid autem ad
iatam imaginem dei reduci non potest, nee ex ea fluit, illud positivum
140
©cmeinfd^aft unb Sertpanbtfc^aft bcr äRcnfc^en mit @ott au§=
gcfd^loffcn ; unb bcr (Sinbrucf öon g^ct^cit unb 3"t^ouIicl^tcit in
bcr ©ottcööcrcl^rung mug bcr ©orgc um bic pünftüc^e ©rfüHuncj
einc§ ©cfcfecg toeid^en, welche« boö abfolutc Ucbcrgcwic^t bcr
Wtadft @ottcg Qudbrficft. äScIc^c t)on bcibcn Stimmungen bem
Antriebe bcr 9lcformation bcö 16. ^afjxl), nä^cr ftc^t, braucht
too^l nid^t befonbcrg bcmcrft ju ttjerben; l^ingcgcn jcigt fid^ in
bicfem %aüe, bag bic unfd)einbarftcn ?lbttjcid^ungcn in gotte§:=
bicnftlic^cn Äicinigfeitcn i^r Icfetc^ 3Ra^ an üerfc^icbcncn Sc«
griffen Don ®ott finben.
Um bic praftifc^c unb gcwiffermaßcn reformatorifd^e I)i«po-
fition Don ßocccjui^ cticnnen ju laffcn, bicnt nun aber bic ?luf^
faffung bcö 3^^^^^ tt)clc^cö ben (Sbenbitbern ©ottcö gefegt unb
burd) S^riftuS möglich gemad^t n^irb, namlic^ feine Seigre Dom
JRcic^c ©otte^. SBcr ba§ eine ober ba^ anberc f^ftema^
tifc^e SBcrf bei8 ©occciuö burd^lieft, njirb DicUeid^t pd^ ttjunbcm,
bag in benfclben ein befonbcrer locus de ecclesia nic^t ju finben
ift. 3)ie ©arfteüung gel)t Dom SBcrIc G^rifti ju bem ©oangetium
unb ben ©ocramenten ate ben SÄittcln bcr ?lueignung unb
SJeftätigung beffelbcn an bic (Sinjclnen über, auf bic Sc^rc Don
bcr Suftification folgt bann bic (ärörtcrung über ben Unterfc^ieb
ber ©emeinbe be^ neuen SSunbeS Don bcr beö alten, ober über
bic ber Äncd^tfd^aft entgegcngefe|tc g^ei^cit ber Sfjriftcn. §ier==
an n)irb in ber fvätern Summa theologiae eine Steige Don
fird^enrcc^tlic^en X^emata gefnüpft, nämlid) Dom Primat beS
5ßapfte§, Don ben ©cfc^cn unb ©eric^ten ber Äird)e, Don bcr 8c^
rufung ber Jfird^enbiencr, Dom SSerljältniß jtoifd^cn Äird^e unb
©taat. @t^if(^ ift bann nod^ bic ©rörtcrung über bic ©tcllung
ber Äirc^e in ber gegenmärtigen SBclt. Aber ber allgemein rc:=
formatorifc^e ©cbanfe, weld^er ade biefe Srörterungen ju bc^err*
fc^en ^at, baß bic Äird^c bic ©emeinfd^aft ber ©laubigen fei
unter ben SHcrfmalcn beö reinen ©Dangclium^ unb ber ftiftung«=
gemäßen SJerwaltung ber ©acramcnte, tt)irb in ben bcibcn I)ar=
fteHungen bcgSocceiu^ Dergebtid^ gcfuc^t. ®r ^at ja bicf«ÜRetf*
est. Quamvis enim iUud quoque conveniens sit deo hominique, ez quo
a deo illi praescriptam est, nou tarnen ita ex attributis dei hominisque
fluit, ut ex sese notum sit et inde deduci pussit, cum duntazat a po-
sitiva dei voluntate et imperio pendeat.
141
male aU bie Organe ber ^erüorrufung unb SSeftätiguitg bei^
Glaubend buvd^ @ott unb ber Suftification anerfannt. allein
n)€nn man fie^t, tt)orauf eg i^m bei bcm 3)egriff ber @iemeinbe
bed neuen Sunbc^ anfommt, fo lotrb man auf bie ä^ermut^ung
flefü^rt, baß i^m jener gangbare Segriff üon ber Äirc^e ju fel^r
inftttutioneQ Dorgefommen ift, n^eit bie (Erfahrung ed barbot, bag
unter jenen äRerfmalen Ungläubige mit ©laubigen jufammen finb,
unb n)etl alle firc^ltd^cn {Rec^t^inftitute fic^ an jene ^^unctionen
anlehnen ober aud i^nen entfpringen. S)enn bad erfc^ien i^m
aU bie ©d^ranfe be^ ©nabenbunbeö auf ber SSorftufe in Sfrael,
bag bort bie ^errfc^aft @otted Ungel^orfame mit @e^orfamen
umfaßte, unb bag biefelben ber red^tlic^en Sluctorität menfc^ltd^er
äRitteUperfonen untem)orfen tt)aren. gu ben Gütern bed neuen
JBunbed foll aber neben ber DoUftänbigen Srfenntnig @otte^, ber
Xufna^me bed @efe^e^ in bad $erj, ber Befreiung be^ @ett)iffend,
bem t^rieben jn)ifd^en ben Golfern, ^auptfäc^lid) bie t^reil^eit
gehören 0- S)iefe greil^ctt wirb feftgeftellt ate bie Sefeitigung
ber Xobedfurc^t unb ber ä^ormunbfd^aft oon Se^rcrn, @efe^gebern
unb $rop^eten, fetner ald ba^ ^rieftert^um, in bem man @ott
in finbtid^em ä^ertrauen na^t, unb bad ^önigt^um, bie ^errfc^aft
fiber alle S)ingc burd^ S^riftu^, n^eiter als bie audfd^lie^lic^e
UnterfteQung unter bie Seigre (S^rifti, ba bie ^^ortbauet beS $re-
bigtamted nur bad richtige Organ für biefe^ SBer^ältnig ift, unb
iugleic^ bafär bärgt, bag bie Offenbarung niematö über S^riftud
^inau^e^t, nod^ an eine beftimmte $erfon, SoQegium, @tti unb
Ort gefnüpft ift. ©o ttjirb an ber ©cmcinbe be^ neuen öunbeö
erffiat, bag @}ott i^r @ott unb fie fein ^oit ift. Hinc
tempus novi testamenti vocatur regnum dei et regnum
eoeloram, qnia cessat principatUH hominum et servitus in
ecclesia; et praedicatio eius vocatur evangelium regni. S)er
Segriff ber ecclesia crfd^eint l)ier nur aU ©ubject bed regnum
dei, alfo ntc^t aU ©ubject unb Object ber bcfanntcn SJ^erfmatc,
ber @nabenmittel, meldte einen toenn auc^ relatioen Unterfc^ieb
ilDtfc^en ecclesia unb regnum dei begrflnben n)ürben. ^iefed
mtrb beftättgt burc^ bie Se^anblung ber ©ac^e in ber Summa
theologiae Gap. 78. $ier rebet Soccejud aUerbingd üon ber
ftird^ birect, aber auc^ nur auf %ntag ber t$rage über i^r 93er^
1^ Summa doctrinae de foedere et test. dei cap. XII. 354.
142
l^ältniß jum ©taatc. (Sr Dcrftc^t aber unter ber Äir^c bie @Je=
mcinfd^aft ber berufenen unter S^riftu^ ofö Äönig, welche nic^t
aug ber SBcIt unb nic^t tocUtic^en gleichen glcic^cjeartct, fonbern
innerlich unb unfid^tbar ift, tueld^e beöfjalb Dielntc^r geglaubt
aU gefe^en, aber bod) burc^ SBefcnntniß unb Sebenöwanbel offen«
bar tt)irb. ©aß biefc 3)arfteQung ct\r>a^ ücrfc^leiert ift, crgiebt
fic^ leidet; jeboc^ bie SJeränberung im Segriff ber ^ird^e, welche
l^ieburc^ angebeutet ift, erfäfjrt man Dollftänbig an^ einem anbern
i)ocument Don Soccejuö.
®r f)at am 8. gebruar 1660, ate er ha^ SRectorat ber Uni«
Derfität fieiben niebcriegte, einen Panegyricus de regno del ge«
I)alten 0. tuelc^er für bie religiö^^fittli^e ©cfammtanfid^t inner^^
l^alb be§ ©ebieteS unferer ^Reformation eine (Spod)e bejcic^net.
I)en SReformatorcu njar eö nid^t gelungen, bie praftifc^en 83e«
}ie^ungen be^ @lauben$ unb bie Slufgabe ber guten äSerfe, \>a^
3ntereffe ber (Sinjetnen an if)rer ©eligfeit unb bie georbnete
görberung ber c^riftlid^en ©efeUfc^aft unter ®inem Siitel beutlic^
^n mad^en. 3n ber unfreien Anlehnung an bie SReforinatoren
ließen be^I)alb i^re red^tgläubigen giad^folger bie (St^il üerfüm«
mern. 3)enn bie ariftotelifd^e lugenble^re unb bie ftoifd^e ®e«
ttjiffenöle^re, tt^elc^e nac^ äWelanc^t^on'ö SSorgang bei fiut^eranern
unb SReformirten in einen mäßigen ^Betrieb gefegt ttjurbcn, fönnen
boc^ nur al^ Surrogate Don jweifelfiaftem 2Bertl)e angefel^en
»erben, ©occeju^ aber ^at mit ber $ülfe feinet umfaffcnben
S3ibelftubium$ unb mit feinem 9Raße Don Unab^ängigfeit gegen
bie t^eologifc^e Uebcrlieferung e^ erreid^t, in bem SRei^c ©otte^g
baö ©anje be^ gemcinfamen toie beö inbiüibuellen d^riftlid^en
ScbenS ju begreifen. 2)aö X^ema jener JRebe lautet in bejeic^«
nenber SBeife auf ha^ JReid^ beöjenigen $erni, beffeu Änc(^te
toa^rt)aft greic unb Äönigc finb. SRog biefer Slnflang an Sutljer'ö
©c^rift de libertate christiana beabfic^tigt fein ober nic^t, fo ift
biefe Stninüvfung an baS ^Programm ber Sieformation unüerfenn-
bar, nic^t minber ber gortfd^ritt in ber (Jrfenntnife, baß bie cnt-
gegenfte^enben ^ßräbicatc ber grei^cit unb ber Äned^tfc^aft be§
Sänften burc^ ben SSegriff be^ SReic^eö @otte^ mirflic^ jufommen-
gebracht werben. 3c^ fcinn c^ übergeben, baß Soccejui^ fid^ feinen
SBeg bal)nt burc^ bie SBejie^ung ber ^errfd^aft ®otte^ auf bie
1) Opera theologica Tom. VI. Orationes.
143
©rfenntniß ber Sloturtüclt unb bic fitttid^c Dricnttrunfl aui bcm
©cioiffcn. S)enn bic neue §errfd)aft ©otteg, tuet^c er meint,
f)at xi)xt Soraui^fe^ung an ber @ünbe unb baran, bog bie natura
lid^e Srfcnntnig üon @ott unb feinem äSiden jerftört ift. „^a^
neue Äeic^, n^etd^eiS au« ber SBarm^erjigleit ©otteö cntfprincjt,
ift feiner SBorauöfefeung me^r cntgegengefefet, ate baö erfte. S)enn
bie urfprünglic^e ^crrfd^aft ©ottcig fe|te ba« Sflid^tfcin üorau«,
bie neue baj^ Sflid^tfeinfönnen/ S)amit alfo biefcj^ neue SReic^
entftel^e, mußte Unmöglicl)c« fid^ ereignen, nämlid^ bie ©rlöfung,
unb bamit eö in bem ©ünbcr fei, bebarf eS bc« ©lauben«, burd^
nielc^en @ott fid^ un§ angelobt, unb in und n)0^nt unb tebt.
Unfer ©laubc ift bie SBirhmg ber ©erec^tigfeit SI)rifti unb bad
Srjeugnig feine« @cifted. 2)urc^ i^n werben \mx (Ein Seib mit
bem f^auptc unb aQen ©liebem, ^enn ni^t fo ift ba« SReic^
©ottc« in ben ©niclncn, baß nid^t baffelbc, toie e« in ben än^
beren ift, 3cben anginge. 3)ur^ bie ©emcinfd^aft ber SBebflrf^^
niffe, ber ©aben, ber Siebe ift in bicfem Sicic^e feiner fo fein
eigen, baß er nic^t jcbem Änbern angehörte, ©o Dcrbinbet ber
©Ott bc« gricben« aDe unter einanber, baß jeber bie Saften be«
änbern trägt unb feine Sergct)cn Derjci[)t. 3u biefcr %üüt gegen*
fettiger SWitt^eilung üon ©aben, üon Siebe, üon greubc über
ha^ gemeinfame §eil genießen fic bie ©eligfeit". S)icfe innere
^rbinbung, n)eld^c in feinen formen be« Stecht« barftedbar ift,
entjiel^t ftc^ nad^ fiuc. 17, 20 ber birecten Seobad^tung. 3n*
bcffen ift fie inbirect n^a^rnel^mbar burd^ bo« (EDangetium, ba«
©ort be« Äönig« unb bur(^ ba« Sob, ttjelc^e« bie 3"^$!^ ^^^
©täubigen i^m n)ibmet (Sefenntniß al« ©ebet), femer burd^ bie
Seränberung be« fittlid^en SBanbcI« berfelben. ^cn Ungläubigen
freiließ bleibt SBefen unb SBcrt^ be« SReid^e« ©ottc« verborgen,
obgleich fie c« in ifjrer SRitte fe^cn, unb barum fcd)tcn fie baö-
felbe an.
,,9lUcin ni^t blo« fold^e jeigcn fid^ al« @eguer be« SRcic^e«
©otted, fonbern aud^ üiclc öon bcnen, welche e« im 2Kunbc
ffi^ren. ^nn nid^t alle gehören ju Sf)riftu«, n^eld^c i^n $errn
nennen." S« folgt eine I^coric ber Äirc^engcfc^ic^tc. äu« ber
SRac^tfteQung, meldte bie c^riftlic^e Jiird^e gemonnen ^at, \>q%
fiaifer i^ren ©c^u^ übernahmen, baß i^re Sorfte^er (Einfluß ge*
toannen, baß i^r ISefenntniß nic^t me^r al« X^or^eit galt
nahmen bie ^inbe ©ottc« ben Knlaß, al« (E^riften erfc^einen
144
)u tPoQen. Unb ber Xeufel tPtrfte bemgema^ ba^in, bog bad
SBort, bcffcn ?lnnal)mc er nic^t ^inbcrn lonnte, unfrud^tbar
tourbc. 3)cnn baä ©cfcnntniß ju ß^riftug fc^tic^t nic^t not^^
toenbig bie (Srfcnntnife beffclbcn unb ben ©tauben in fi^. ©er
@lQube, n)cld^er jur (Sinigung mit S^riftuS fu^rt, mug fruchtbar
an guten SBcrIen unb bie SBurjel ber Siebe fein; berfclbe übt
fid^ in ber ^emutl), für alle fieiftungen @ott bie (£^re ju geben,
bantt für alle^ feinem SSater unb legt ben fic^tbaren 3)ingen
feinen SBert^ bei, inbem er auf bie unfid^tbaren feine Hoffnung
rid^tet. 2)ag burc^ ben leufel eingeführte 8Serberben ber Äirc^e
^at aber weiterhin ju bem offenen ?lbfan Don ber SEBal^r^eit ge^
fü^rt, toeld^er in ber ©c^rift ba^S 3^icr genannt wirb, toeld^er
in ber fic^ lat^olifd^ nennenben Äirc^e ^errfc^t, unb ben Ärieg
gegen bad 9teic^ @otteS in ber SBelt aufredet erplt, burd^ toeld^en
Diete SJermirrung erregt, unb fpeciell ben Suben ber aSonoanb
geboten mirb, ftc^ nid^t ju befe^ren. Ungead^tet biefer 92ot^Iage
erfreut fic^ bag SSolt ©otte^ eineö brcifac^en griebenö. (ärftenig
^at baffelbe ni^td ju fürd)ten. „^enn toa^ allen ©ünberu
SBiberftanb (eiftete, ift aufgehoben unb Dernic^tet. äSer foQ
bcnen juroiber fein, für welche @ott einfielt?" 3^eiten§ befte^t
ber f^xkic unter ben üerfd^iebenften SSöIfern, ©täuben, @e^
fc^ted^tern, bie bem Solfe ©ottcö angehören, ©ritteni^ befteljt
ber griebe barin, baß alle SJölfer wenn auc^ in mannigfacher
?tbftufung ber Äird^e bienen, in^befonbere borin, baß bag refor^^
mirte ß^riftent^um unter ftaatUc^em ©d^u^e gefiebert ift. S33enn
nun bennoc^ bei ben mannigfadben ^enoirrungen unb SSerfoIgungen
Don ß^riften auf eine (Sntfd^eibung ju rechnen ift, fo ift eö
unfercr (Sinfid^t üerborgen, „Xüawn ber griebe fommen ttjirb, toann
bie Belehrung ber Suben ju erwarten ift, wie Sabcl (bie römifd^e
Siirc^c) feinem Untergang entgegen ge^t, wie bad SReic^ ß^rifti,
in welchem ade SSöKer i^m bienen unb baö ©üangclium auf ber
ganjen @rbe üerlünbigt werben wirb, ^erannal)t". Äu^ ber
©d^rift wiffen wir nur, baß bicfeö alleö fc^neU eintreten wirb,
unb gerabe ju ber Qdt, wo ba§ ©elbftgefübl ber ontic^riftlic^en
ÜRac^t feinen ^öc^ften @rab erreicht.
2)a^ finb bie wefenttic^eu ©runbjüge jener SRebe Don 1660.
3um genaueren SBerftänbniß i^reä 3nl)alte^ wirb junäc^ft barauf
ftinjuweifen fein, baß ber eben mitget^eitte ©d^luß nid^t alö
birecteö SJelenntniß beö S^ilia^mu^ gebeutet werben barf. ßocccjuö
145
l^t nSmlid^ bei anbeten Gelegenheiten, }. f8. bei ber Sludlegung
ber Slpolal^pfe au^brücfUc^ bejeugt, bag er bie taufenb Setzte
bed 9ieic^ed S^rifti auf ber (Erbe ni^t auf bie 3^^"?^ rechne.
S)ad l^at i^n natflrli^ nic^t baDor gefc^fi^t, bag er auc^ ber
fie^erei bei^ S^ilia^mui^ flejie^en n)orbcn ift. ^er namenlofe
@d|riftfteller, gegen toeld^en ber @o^n 3o^. ^einric^ Socceiud in
ber 93orrebe ju ber @ammlung ber SSBerle feinen Sater ^at t)er^
t^ibigen ntäffen, mochte üteUeid^t gerabe jene Scugerung in bem
Panegyricus de regno dei fo Dcrfte^en, ba§ fic für btc SSerffius
bigung bed (Süangetiumd auf ber ganjen Srbe unb ben d^rift«
liefen @ottedbienft aller S^ölfer eine längere 3<^i^fi^ifl Doraud«
fe^. Soccejud aber ben!t an eine munberbare @efcl^n)inbigteit
oller ber Sreigntffe, meiere mit ber Sßieberlunft S^rtfti iufammen«
treffenb, bad cioige ^immltfc^e {Reic^ Stjrtfti einleiten follen. %üx
bie f^olge loiQ ic^ aber barau erinnert ^aben, bag bie 93elebung
beS praftifd^en @ebau{enS üom SRetc^ @otted für bie irbifd^e
@egenioart burc^ Socceiud nid^t erreicht tt)orben ift o^ne ben
ni^t minber Icbenbigen ^u^blid auf bie mer tueig n)ie na^e Qn^
!unft, in lueld^er bie Sefe^rung ber 3uben unb aller Reiben ein
bebeutfamei^ 9J^erfmal fein foU. Sllleiu eben biefe Belebung ber
3bee bcd {Reiches ©ottei^, bie (Einfe^ung berfelben ald äRagftab
bed religiöfen ISrIenncnS, n)ic bed fittlid^cn, gemcinnü^igen $an«
belni^, ald SRotiD ber ^einut^, @ebulb, Siebe, Hoffnung, @clig^
feit ift nid^t blo^ fc^r folgenrei^ auf bem @ebiet ber reformirten
unb ber lutl^erifc^en ^ird^e geworben, fonbern bejeid^net eine
etgentfjümlic^c SSSenbung in bereu @efid^tsfreife. ^U bie äSicbcr^
taufet bad 9ieic^ @ottci^ al$ eine jugleic^ politifc^e unb feciale,
loie fittlid^e unb religiöfe Orbnung üerfünbcten, trat i^ncn aud
bem lut^rtfc^en unb jn)inglifc^eu SRcformation^freife bie "äxtU
wort entgegen: ,M^ 9{eic^ S^rifti auf (Erben ift bie Hirc^c" ')•
Z)ad ^eigt, ha^ bie genau bcftimmbarc Gcmcinfc^aft bcd
Glaubend unter ber Seitung S^rifti nur gcfuc^t n)crbcn bürfc in
bem ßufammenl^ange bed ©otteSbienfted unb bcd religiöfen unb
ftttlic^en Unterrichtet. Diefc Sludfunft xoax bamald Dielleid^t
^rahifc^; allein bem loirf liefen @ebanfen bed {Rcid^ed Gottei^ t^ut
fte ni(^t genug, unb fie ift Dielleid^t baran mit fd^ulb, bag bie
1) Sgl. fBuIIinger , ber SBtebert&ufer Urf|)rung u. f. id. QI. 60 verso;
avftfrbem &(te tion ber Sted^tferitgung unb 3krf5^nung lU. 8. 244— 2&0.
I. 10
146
fittlid^e Aufgabe im 5ßrotcftantiöinu3 burd^ fird^tic^cn gormati^
mu$ beeinträ^tigt tpurbe. S)en ©cbanfen bc^ Soccejud l^at man
nun fo jju ücrftc^cn: „Snncr^alb bcr Äird^c iai^ SRcic^ ©otteö."
^icmit tt)in er natürtid^ bic gottcöbicnftüd^e unb Untcrri^tiSflcmein-
fd^aft nt^t roegmcrfen; fie ift i^m aber nur fo Diel ttjertl^, aU
fic tt)irflic]^ ba» Sel^ifcl bcr actiuen pttHd^cn ©emcinf^aft ber
E^riften ift. Snfofern übcrfd^reitct Socccjujg bic Sinie bcr ?ln^
fic^t bcr ^Reformatoren nic^t, fonbern gicbt berfelben nur eine
neue SBenbung. Aber eben burd) biefc SBcnbung gcttjinnt Eocce«
jug einen anbern ©efid^t^Ireiö, aU ttjeld^er burd^ bic befannte
Definition bcr ^irc^e bejeid^net tt)irb. S)iefc nämlid^ ^at rein
religiöfen ©inn unb bient jur Sflormirung bc3 gcmeinfc^aftlic^en
d^riftlic^en Sebend Don ©otte^ n)egen. SSenn aber bad 9{eic^
©otteö an bem göttlid^en SBorte unb bcn ©acramenten nur feine
SSorauöfc^ungcn finbet, übrigcnö aber für ben ©cbanfen ber Äird^e
eintritt, fo wirb eine 5Rorm gettenb gemacht, in lücld^cr bic
göttli^en eintriebe unb bie mcnfc^Iic^cn %ctionen auf ha^ ge^
meinfc^aftlic^c Qid äufammengcfagt njcrbcn. Diefc^ gcmcinfc^aft^
lid^e religiöfe unb fittUd^c 3bca( bcjcic^nct a(fo ein anbcre^ ^n^^
tcrcffe, aU roetd^eö burc^ bic blo^S religiöfe 9lorm beg l^crgebrad^tcn
Segriffs üon ber Äird^e befriebigt loirb. ätö fittlic^cö 3beal ift
ber ©ebanfe beS SoccejuS mert^ooll genug. 3nbcffen bei feiner
S(udprägung ift ein ^auptgebanfe ber 9{eformatoren unbeachtet
geblieben, nämlic^ baß ber bürgerliche Seruf ber regelmäßige Ort
ber ^riftlic^en SJollfommen^cit unb be^ fittlid^en S)icnfte§ gegen
@ott ift. 3nbem (Socccjud baS 9{eic^ @otteS aU ba^ ©anje bed
religiöfen unb fittlic^en fiebenö ber ß^riften bcpnirt, fo jie^t bie
©Icic^gültiglcit gegen jenen fpecififc^ reformatorifc^cn ©cbanfen
eS nac^ fic^, baß feine 3bce üom SRcid^e ©otteS bod^ nic^t ate
ber öollftänbigc Stuöbrucf bcS eüangelifd^en ScbcnSprincipc« aner^^
lannt toerben fann. SBcun baö ®anje, baö er benft, wirflic^ ba«
©anjc fein foU, fo muß eS gegliebert fein, b. 1^. bie ©lieber
muffen nicl)t bloS nad^ i^rer ©leic^fjcit in beni ibentifd^en c^rift*
licf)en Sebenöftoff, fonbern aud^ nac^ i^rem Unterfd^ieb, olfo nac^
i^rer ISigentpmlic^feit in bem ©ansen gebadet U^erben fönnen.
2)ie normale fittlid^e (äigcnt^ümlid^fcit ber ffiinjelncn in ber
d)riftlic^en ®efellfcf)aft tt)irb nun gerabe üon unferen Sicforma*
toren in richtiger (ärfenntniß ber ©a^e nad^ ben befonberen
fittli^cn Söerufen bcftimmt. Darauf aber ^at ©occcjui^ nid^t
147
flcad^tct ; unb USf)ali ift in bcn d^riftlid^cn Ärctfcn, tücld^c feinem
©cbanfen folgen, bic ©^äfeung beg bürgcrUd^cn SBcrufö ofö
einer ©cftimmung üon fpecififd^em SBertl^ für bie d^riftlid^^fittlic^e
ScbenSflemeinfc^aft me^r ober toeniger unfic^er geworben.
^a^ SReic^ ®otte^ in ben ibeolen Attributen, roeld^e bie
Webe bei^ Soccejuö entttjldfelt, flilt i^m atö ber ttjirltic^e S3eftanb
beS neuen SBunbe^ unter ben SRenfd^cn. 3)iefe änfid^t erfährt
nun ixoax eine ISinfd^ränfung baburc^, bag bie ^eilige ©d^rift
aud^ bad Sefte^en eine^ antic^riftlic^en SReid^eiS bezeugt, tt}clä)c§
unter d^riftlic^em Slamen fid^ eingebrängt ^at; inbcffen biefc
©röße begnügte fid^ SoccejujS ganj bor^errfc^enb in ber römifd^en
Äird^e aufjujeigen. 3)iefe« ift nomentlid^ ber gall im f^ftcma^
tifd^cn ßwfömmen^ang, alfo in ber Sfiebe de regno dei unb ber
Summa theologiae; aber aud^ an unjä^Iigen Orten ber ejrege^^
tifc^en SBerfe. 3cbod^ ift ßoccejug aud^ nid^t blinb gettjefen gegen
bie ©c^ftben ber c^riftlid^eu ©efellfc^aft, tueld^e in ber reformirten
ftirc^e beftanb. ?HIein er berührt biefe ©ac^e mit fel^r leifen an=
fpielungen barauf, bag SRand^e SBab^Ion t)er(affen ju ^obcn
glauben, wenn fie gegen ben ?ßapft lämpfeu^), ober bag bic
©finben fd^ulb feien an ber Hemmung ber ^Reformation unb bei^
gortfc^rittg beö (Söangeliumjg *). 3)euttid^er ergebt er fic^ einmal
über bie geiler feiner ©tanbc^genoffen unb bercn übele golgen
jur Senoirrung ber ^ird^e, in ben Gogitationes de apocalypsi
Johannis*). 2)en äTJagftab für biefe ^e^let nimmt er ba^er,
1) Cantioa cap. VIII. § 466. Jesaia cap. XIII. § S.
2) Jesaia cap. L1X. § 4. 5.
8) L. c. ad cap. 14, 12. Non omnes, qui ad occlesiam reformaiam
acceduDt, ad eam pertinent. Quemadmodum antea ad ecclesiam accede-
bant, qui vaniiatem idolorum agnoverant, et agnoverant Christum ve-
nisse, Christum tarnen non cognoscebant, ita posteriori hoc tempore
fieri potuit, ut ad ecclesiam accederent, qui quasdam abominationes
bettiae agnovissent, et tarnen nescirent, quae esset natura ßdei in
Christum. Et quis praestabit tales non reperiri inter docentes? Pro-
Tooat ecelesia reformata ad scripturas. Sed annon potest fieri, ut ali-
qait non intelligat scripturas, et eas non scrutetur, et cum adversariis
disputant coniecturas suas opponat coniecturis illorum, ingenium
ingenio? Annon fieri potest, ut omittatur solida demonstratio
veritatit, quae est secundum pietatem, ad conscientiam ? Ut in
plebe tit aynaa(a ^iov7 ut doctores inter se litigent et ingenio
inter se confligant per xivodo^taVy dum quisque vult es so
148
ba§ bic riri^ttge X^eologte, tücld^c auö betn ©elfte entfpringt, fic^
an bcr SBirtunfl auf bie ©cioiffen ju betpä^rcn l^abe. ?lber qx\6)
biefe Sleugerung tft fe^r magüoll gehalten unb md)t in einem
fd^eltenbcn unb ttjegwerfenbcn Jone. SSieücic^t l^at fic^ ßocceju«
Ilar gcmod^t, bag biefe ?lrt öon ©trenge am wcnigften geeignet
ift, bic erfannten ©d^äben ju befeitigen. S>enn in ^ßriöatbriefen
legt er getegentUd^ 3^w9"i6 i^^filr ab, ba^ er bie Sage ber 2)inge
in ber reformirten ^ird^e für öer^ngni^öoH genug ad^tet. ffir
n)ilnfd^t, bag bie scandala auS i^r befeitigt werben mögen, meldte
bie SSefe^rung ber 3uben ^emmen, unb erfcnnt in bcn §cim*
fud^ungen bcr Äird^e bie Slä^e ber SJoHenbung be§ 3leic^e^ ß^rifti.
©päter meint er bie §ö^e beö ÄbfaKö erreicht ju fe^en, tt)elc^em
bie ^ülfe be§ tt)ieberfe^renben Sfjriftu^ auf bem gufee folgen
toirb >). Slber öieüeid^t finb aud^ biefe nid^t gerabe pupgen
Sleu^erungen nid^t fo ftreng ju nehmen, um Soccejud burd^ge^enbe
unb allgemeine SBeltanfic^t feftjufteUen. ©enn mld)tx emfte
SWann beurtl^eitt nic^t gelegentlich bic ©^äben feinet ä^^it^l*^^^
in üertroulid^en Äunbgebungen mit fc^werer ©orge? ^üx einen
Si^eologen jener Spod^e aber bot fic^ bann bad efc^atologifc^e
©d^ema ber SBeltanfic^t ate ofpcielle SluöbrudE^ttjeife bar. i)er
SBriefttjec^fel im ©anjen bettjeift aber, baß Soccejuö nid^t ein 9Wann
Don grübelnber SJerftimmt^it gemefen ift fonbem, ba§ er ben
njcd^felnben Sefd^äftigungen feinet Sebeng mit grifc^e unb mit
5Rüd^tern^eit jugcroenbet toar. ©eSl^alb ift eö auc^ nic^t ju
üermunbern, ba^ er bem ©cbanfen einer {Reformation nac^
bem SSorbilbe ber älteften fieben^orbnungen in ber Äirc^e, ber
ja innerl^alb beö Sabiniömuö feiner ßctt bie i^m urfprünglid^
gefegten ©cf)ranfen ju enocitem brängte, nic^t nad^^ing. @r er»
innert mit Siecht baran, bajg nic^t aQeö Site für ha^ Urfprflng*
lic^e unb 5Rormale ju galten fei, ba bic ganje Äird^e unter ber
potior altero? Ct vigeant ipt^vgiafiol xal xaraXakian Nemo idoneus
est ad aedificandam dorauro dei, qui non accedit ad lapidem vivum
J. Chr. et ei se ut lapidem yivum inaedificat. — Comment. ad ep. ad
Colossenses cap. 4, 3 (§ 26): Mysterium Christi loqui non possumas
absque fide et fiducia in deo, proinde absque gratia iUaminante et
roborante. Potest quidem yerba dei recitare homo carnalis, sed non
spiritualia cum spiritualibus comparare et mysterium illud (pavtgovv
ad consüientiam et avveaiv, ut audiens habeat radicem in se.
1) Epp. 29. 95. 126 in Tom. VI. Opp.
149
Äbrcffc bcr ©cmcinbe }u (Spl^cfug bcn SBortourf crfal^rcn ^abc,
ba§ fic i^rc crften SBerfe öcriaffcn f)abt *). 3nöbcfonbcrc fprid^t
et ftc§ über bie in bcr forint^ifc^en ©emcinbe öorgclommencn
prop^etifd^en {Reben, tpeld^e in ber calDinifd^cn ^ir^e ben Snlag
jur (Sinric^tunfl ber fogenanntcn^ßrop^ejei gegeben Ratten (©. 120),
bal^in aM, ba§ gemeinfc^aftlid^e unb conuerfatorifc^e ©d^riftau^:^
legung nid^t ju migbiUigen, bog fie and) in ben tl^eologifc^en
©deuten fiblid^ fei^ bag jebod^ bie öffentlid^e SluSfibung berfelben,
n)enn fte überhaupt ftattfinben foQc, Dor anmagenben unb tyot:^
tt)i^igen X^ettnel^mern gefd^tt^t werben mfiffe*). S)Qffel6e Urt^eil
^Qt and) Soet gefäat (@. 121); eS ^at ben praftifd^en @inn, ha^
bie öffentlichen ©c^riftcollqtionen in bcn reformirten ©emeinben
tto^ bed Sorbilbed ber alten ^rd^e nid^t aufredet erhalten n)erben
!onnten.
Sllfo Soccejud roax birect auf nid^td tpcnigcr gerid^tet, atö
auf eine Sieformation ber reformirten ^ir^e, n)elc^c nac^ äBil^elm
XeeDind'i^ Vorgang Soet atö ein not^menbiged ©lieb ber ^ird^en^
potitif anerfannt l^attc, auf toetc^e ferner bie t)on i^m gebilligten
SonDentifel bad 9{ed^t il^re^ (Einfluffed in ber ^ird^e begrfinbeten,
meld^ enblid^ nod^ in ben legten SebenSja^ren bed Soccciud an
£ababie t^rcn erfolgreid^en Xräger gefunben ju l^aben fd^ien.
SSBenn tro^bem Soccejui^ auf biefe ©efammtbett)egung eine un^
innrifel^afte (Einmirfung tDciteften Umfanget geübt f)at, fo fommt
bied bal^er, bag feine ibealiftifc^e Slnfic^t bon ber ßird^e atö bem
9leid^e @otteS Slnbcrc angeregt unb befruchtet ^at. ^ie Umbeu«
tung überlieferter ISrfenntniffe unb praftifd^er Slnfc^auungcn
ift in ber ©efd^id^te ber ftirc^e eine uncnblid^ ^Sufige t^orm Don
SerSnberungen, unb fie pflegt Der^ängniguoll ju fein, menn fie
o^ne beiougte Slbfid^t, o^ne ben Dollftänbigen Uebcrblicf über bie
Serl^ältniffe unb unter ber Scitung rein inbiDibueller antriebe
t)orgenommen toirb. ^a§ finb SBebingungen, in benen cd nad^:'
trftglic^ nic^t fd^ioer fällt, bie menfd^lid^e ©d^n^äd^e ju erfennen ;
hn aRoment aber l^aftet an i^nen regelmäßig ber Dcrblcnbenbe
Stnbrud göttlid^er ftraft, unb baburc^ werben bie SRaffen fort«
geriffen unb t)erffll^rt.
9uf eine anbere Umbeutung, n^elc^e burd^ Soccejui^ iDttan^^
1) Apoo. oap. U. § 8; III. § 9.
2) In ep. I. ad Corinth. cap. XIV. §. 105->107.
150
logt ju fein fd^etnt, inug nod^ aufmcrlfam gcmad^t tDcrbcn. Sd
ift ein SSorjug ber reformirtcn I^eolocjtc gegenüber ber lut^ert*
fd^en, bag S^^riftud in feinen Functionen ber Srlöfung ald bad
^aupt ber ©emetnbe gebadet wirb, tpeld^c er burd^ bie ©rlöfung
begrünben roxU. ^e^^alb tpirb e^ möglid^, bie äicd^tfertigung aU
^rabicQt biefcr @emeinbe birect abl^angig ju mad^en i3on bem
abfd^Iug beö SBerfcö E^rtftt, nämlid^ feiner ÄufertoedEung. S)em*
gemäg n^irb bie äied^tfertigung ber in ber @emeinbe ern^a^Iten
©injelnen alg ha^ freie Urtl^eil ©otteö über bie ©laubigen bc*
griffen, unb jugleid^ ai^ i^orau^gel^enb bem ©lauben^act in
n)et(^em man fid^ aU gered^tfertigt crfennt ^). (Soccejud nun l^at
in ber Summa theologiae (cap. XLVIII. 25—30) ficft burc^auö
i3orfid^tig ba^in erllart, bie 9ied^tfcrtigung fei ba^ geredete Urt^eil
®otic^, in n)eld^cm er bie, n^eld^c an (S^riftuS glauben unb in
SSerbinbung mit i^m ftel^en, wegen ber ©erec^tigfeit i^re^ §aupte8
nid^t mel^r a[d ©ünber, fonbcrn a(iS @ö^ne unb Srben annimmt.
Sbenfo fd^Iiegt er in ber altem doctrina de foedere (cap. XII. 353)
fic^ ber ^iftinction jn)ifc^en iustificatio passiva unb actira
an, jtoifd^en bem t)oraudgel^cnben Urt^eil @otted über bie ju
(S^riftud gered^neten @ünber unb ber ben^ugten ^(neignung bed-
felbcn burd^ ben cingelnen ©laubigen, allein bicfc äi^ft^^^niung
ju ber correcten fjorm ber reformirten fie^re öon ber aied^t»
fertigung ift in bem genannten SEBerfe uur beiläufig au^gefprod^cn ;
an bem cigentlid^en Orte biefcr fie^re begegnet unö eine fd^laffere
©arfteQung berfelbcn. Slämlic^ im fed^ftcn Kapitel de applica-
tione testamenti, ober de declaratione foederis gratiae ad sin-
gulos toirb ein ßwfcimmenl^ang enttoidEclt, loeld^cr ber lut^crifc^cn
fie^rform am aQernäd^ften fommt. ^aS toai^ (S^riftud i3on
@ott für bie äJJenfd^en ertoorben f)at, n)irb unter 93oraudfe|ung
ber befannten ©nabenmittel auf ben ©laubcn ber ©injclnen be:^
jogen. SEBenn nun bie iustificatio erft in biefcm @d^ema gebeutet
toirb, fo ergicbt fid^ bei einer nic^t ganj oorfid^tigen 93el^anblung
leidet ber Stnbrud, al^ ob bie SRed^tfertigung nid^t bie t)oraui^«
ge^enbe SBeftimmung @otte^ über ©ünbcr, fonbern crft bad Sie*
fultat bed betougten actioen ©laubend bc^ Sinjelnen fei, ober
gar ber Stu^brud! baoon, bag ber ©laube burd^ bie Sluftmi^me
(S^rifti feinen SEBertl^ l^abe. 3nbem alfo (Soccejud bie 93unbftiftung
1) Se^re t)on ber SRed^tfertigung unb Serfö^nung I. 6. 283—288.
151
Sl^rtfti auf ben ©lauben ber Sinjelnen (ejie^t, fo mad^t er ju^^
näd^ft flcltcnb, baß mit bcm ©tauben bic Scfe^rung, b. 1^. bic
Siebe unb bad Vertrauen ;(U @ott unb S^rtftud unb bad ©trcben
nad^ Sied^tferttgung unb i^ren SEBirfungen t)erbunben fein mug.
®ad ift ja üoUftänbifl in ber Drbnung. ÄUctn ben ©cfammt:'
au^brud f flr bie ©ac^c bringt er in folgcnben ©ä|en ju ©tanbe:
§ 186. Haec fides est radix salutis, cui attribuitnr effectns
nnionis et communionis cum Christo, iustificationis, operationis
per caritatem aut sanctificationis, denique vitae aeternae. § 187.
Atqne ea quidem ita attribuantur fidei, ut propter complan-
tationem et adcorporationem, quam babemus cum Christo per
eam, omnia alia consequantur ex Christo. § 190. At fides
in Christum, qua anima laborans et aestuans eum apprehen-
dit, et se ei committit, nos inserit Christo et iustificat. Siefe
gormein lönnen in Uebereinftimmung mit ber Drt^obojie Der*
ftanben »erben, toenn ber öcgriff ber iustificatio passiva, aU
%udbrud ber Srlöfung burd^ S^^riftui^, unb n)enn bie insertio in
Christum aU 3lud(egung bed in bem SBerfe S^rifti maggcbenben
Ser^ältniffeg jnjif^en i^m al§ ©aupt unb ben ju ^Rechtfertigen*
ben aU ©liebern t)orau§gcfc|t njerben bürfen. ?inein ßocceju^
^at im ßiifow^wten^ange ber angeführten ©c^rift btefe 93eftim«
mungen nid^t öorau^gefd^idft, ba er in feiner 2lrt ber biblifdE)en
Drientirung &btxf)aupt tocniger für ben S3egriff ber Sied^tferttgung
intcrcffirt toar. ©e^^alb öerleitct er burc^ feine 3)arftellung
einen weniger öorfic^tigen fiefer ju ber Ännal^me, baß bie 8fied^t^
fertigung ben SBcrtl^ ber insertio in Christum per fidem be^
seidene, ober baß ber SWenfd^ im ©lauben gcred^tfertigt njerbe,
fofcm er mit eigener Änftrcngung fic^ mit ßfiriftuö öerbunben,
ober benfetben jum äJ^otiüe feinet gcmjen praftifd^en fiebenS ge^^
moc^t ^at. äßie gefugt ift bied nid^t bie abfic^tlic^e Sc^re beigf
(Eoccejud üon ber 9led^tfertigung. S)aß er aber fo üerftanben
ivorben ift tuirb ad^balb fe^r n^a^rfd^einlid^ n)erben. Unb man
fiberlege ftc^ toofil, baß biefe irreleitenbc Sel^rnjcifc in bem ^aiipU
werfe bed SWanne« enthalten ift tocld&e« üon Sielen, unb jwar
o^ne Sergleid^ung mit ber öorfid^tigercn fpätern S)arftenung ber
©ac^e gelefen luorben fein mag, unb jumal üon ©old^en, bie
auf praftif^ed (S^riftent^um bebad^t, ber forgfältigen tl^eologifd^en
SRet^obe immer abgeneigter ju werben beginnen. 3d^ lann nic^t
nm^in anjune^men, baß bie pietiftifc^e Ißerfc^iebung beS Segriff^
152
bcr SRcc^tfcrtigung, beten tnannigfQd^e gönnen id^ anber^wo be*
jeic^nct unb beurt^eilt ^abe % i^ren Urfprung ou^ btefem SBud^e
t)on Soccejnö genommen t|at. SBenn ftd) biefe^ beftätigt, fo ge^
^ört freiltd^ ßoccejuö burd^ feine biblifd^c Ideologie cbenfo
tt)enig n)ie ffloet burd^ feine praftifc^e Ifieologic ju ben birecten
Urhebern einer ffleränberung bejB Salöiniömug in ptetiftifd^em unb
feparatiftif^em ©inne. Aber cä njirb ftd^ jeigen, baß jeber in
feiner SBeife eine JBerfd^iebnng beg Solöini^nmö in jener 8lid^tung
t)erQn(a§t ^Qt.
9. ^obocnS nan fiobenfte^n. Seine Slnft^ten tiom ^rifUt^ttt
Seien nnb kiiin 9{efiirmaiiiin bet ftit^e.
S)ie ©nflflffe bon JBoet unb öon Socceju^ treffen in i^rem
©d^ülcr Sobocuö Dan Sobenfte^n jufammen, unb pnben in
il^m eine ^öc^ft d^arafteriftifd^e StuSprägung t)on n^eit reic^enbem
ffiinfluß. ©cboren ju 5)elft 1620, ^at er nad^ SSoQenbung feiner
©tubicn unter SSoet nod^ jtoci 3af|re in granefer afö §aug* unb
lifd^genoffe Don (Soccejug fi^ ^auptfSd^lid^ ben orientalifc^cn
©prac^n gen)ibmet. @r tourbe ^rebiger 1644 ju ©octemcer in
^^oHanb, 1650 ju ©lui« in gionbcrn, 1652 ju Utred^t, tt)o er
24 3ot)rc in unmittelbarer SRS^e üon SSoet ba8 Amt geführt ^at,
unb 1677 balb nac^ bemfelben geftorben ift «). SSoct l^at il^n bur^
bie gurfflnung bed öierten Sanbe^ feiner 5)i8putationen geeiert.
3n bem ©treit toegen be^ ©abbat^ö ^at er auf ber ©eite üon
SSoet geftanbcn.j 5)ie SBiograp^cn rühmen t^n au§ eigener genauer
Äenntniß afö einen SRann öoH SBürbe unb S)emut^ in feiner
1) Se^re t)on ber Sted^iferttgung unb ^erfö^nung I. 6. 559. 565. 583. 586.
2j ^tograp^if^fS unb S^orafteriflif^fS über i^ bietet bie Seid^enrebe
{eines Kollegen t)Qn ^t)p in ber toeiter^in onsuffl^renben S^rift fi.'§ Beschou-
winge van ZioD, ferner (St^erorb t)Qn ber ^oog^t, $rebiger )u S^ieumen«
bom in QoHanb (befonnt als Herausgeber ber ^ebröii^en Sibel 1705) in bet
Sorrebe ^u Negen Predicatien Sobenftet^n'S (juerft 1697 ; in neuem ^libbrud
0. 3. 9mfterbam\ l^ie Siograp^ie fiobenttel^n'S bei 9tet|, ^iftorie ber 3Bieber-
geborenen 4. t^til (1717) S. 23—43, loeld^e ©oebel a. a. D. 2. Xff.
©. 160—180 reprobucirt ^at, benu^t btoS bie Ie|tcre Oueüe.
153
Srfd^emung, aU einen ffir 'fici^ befd^eibenen, flehen Slnbere btenft:*
fertigen unb überaus tDo^lt^ätigen äJJann, enblic^ ald einen $re«
biger Doü ©albung unb gebiegener ^raft, n^eld^cr einen Stnbrud
mo^te, n)ie man if)n bcn Slpofteln jutraute. (Er ift ber ^elb
unb bad eigen tUd^e ^aupt ber @^onüentife(d^riften gen>efen, unb
jUKir ntd^t blod berer, meldte ber Utred^ter ©emeinbe angehörten.
San ber .^oog^t berichtet, ba§ man eben bie „Srnftigen ober
tJfcinen" bie Sobenfte^nifd^cn genannt l^abe, unb fd^ilbert felbft
fte atö ,,bie, n^eld^e jmar nid^t t)onfommen finb, aber ed ju fein
n)unf(^en, nield^e ^^einbe ber SSergnägungen finb, unb i^re 3^it
ju gottfeligen Uebungen au^faufen, toel^e üorfid^ttg unb genau
}u manbeln ftreben, n^el^e mit großem (Sifer unb befonberer
@tetigfeit ftd^ t)on ber @ottlofigfeit unb ben böfen @itten ber
SSBelt abfonbem, unb be^^alb ben geiftlofen ^ird^gängern fe^r
ium Slnftog gereid^en, fo bag biefe fie me^r ^ffen, aU bie
SRenfc^en Don ärgerlichem SEBanbel/
hiermit ftimmt ed nun äberein, bog bie SSoQfommen^eit in
ber ^eiligfeit unb in ben Xugenben, n^elc^c atö bie n)efent(ic^e
^errlid^feit ber ©laubigen fid) in baö jenfeitigc Scben erftrcctt,
ber SRaMtab ift »eld^en fiobenfte^n ffir ba^ c^riftlic^e Seben im
(Sinjelnen n)ie im ©anjen anerfcnnt. ^ie beiben größeren pro-
faifd^en ©c^riften, n)eld)e er ^interlaffen ^at, bie ,,S3ägfc^ale ber
ttnüoQfommen^eitcn ber ^eiligen" unb „bie 93efc^auungen Bii^n^"»
ftt^en gemeinfam auf jenem ©ebanfcn, tl^eilen fic^ aber in bie
9ntt)enbuug beffelben auf bie Seurt^eilung ber n^irflic^ äSieber^
geborenen unb ber im ©anjen entarteten SRaffe ber ^rd^englieber.
SBie oben(©. 113) angeführt ift, ift ber ftufenweife gortfc^ritt in
ber Heiligung ober ber @cfe|erffillung in ber caluiniftifc^en Se^re
ebenfo beftimmt eingefd^ärft n)orben, ald biefelbe jugleic^ Dotbe^
^ält, bag bie Uebenoinbung jeber noc^ bleibcnben UnooUfommens
^eit erft mit bem Uebergang in \>a^ jenfeitigc Seben erreid^t
loerben fann. / Diefe Sinie ber Se^re ^ält fiobenfte^n mit befon«
berer @enauigfeit inne. Unb ed ift eine bead^ten^mcrtbe $robe
üon @ere(^tigfcit bag er als ©c^riftfteller bie ©d^ärfe biefcS
äRagftobed }uerft gegen feine @efinnungdgenoffen gemenbet f)ay
5Die juerft genannte ©d^rift*) ift eine cmfte SSarnung ffir bie*
1) Weegschale der onvolmaaktheden, ofte bedenkingen nopende t
fewigfie of de regtmatige agtinge te maken van de gebreken en struy-
keUngen der geheyligden op der aarden. Utrecht 1664. 16 (350 €.).
154
jenigen, tDcId^e auf t)oQfommene Heiligung bebod^t, ben Ctnbrud
i^rer Srfolge für fid^ baburd) übertreiben unb I3erfä(fd^en, bag
fic il^rc unteriQufenbcn unrechten ©egel^rungen unb il^re äufeeren
gefjltritte unterfc^dfeen. Sobenftc^n lelirt alfo, bofe bte ©tufc
ber SBicbcrgcburt burd^ ben Scfife üon lugcnben ate eine ©tufe
bcr SoQfommen^ett bejetd^net ift, aber nod^ ntc^t atö bte ^öd^fte.
'S)enn bic lugcnben, tpelc^c in ber SBiebergeburt etngefc^Ioffen
finb, tt)irfen nid^t tpie 2)i«pofitionen ober in berSrt öon 9latur=^
fräften, fonbern atö habituelle Dualitäten, ujcld^e emjorben finb,
unb in allen i^ren 93et^ätigungcn immer ermorben toerben muffen.
®enn bicfen Gräften fte^en aud^ im SEBiebergeborenen mannig«
fac^e Unüodfommenl^eitcn unb ©ebrec^en gegenüber, n^eld^e burc^
bie lugenben öernid^tet »erben muffen. Um ber SSoIIIommen^eit
ber Xugenben n)inen muffen biefe ©ebred^en ri^tig geadbtet unb
gewogen ujerbcn; unb je me^r einer geheiligt ift, um fo me^r
fallen für i^n biefe (Jrfd^einungen al§ ücrbammlic^e ©ünben in'^
©emic^t. Diefer S3eurt^eilung foQ man fid^ nun nid^t ent}iel|en.
®enn toenn bie ftufentoeifc SSoEttommen^eit ^fli^t ift, fo ift bie
äSerfür^ung berfelben burd^ bie unterlaufenben Uni3oQfommen«
Reiten eine tfiatfäd^Kc^e ©d^ulb. ^iefe Ueberjeugung loirb nun
unterftüftt burd^ bie gemeinfame eöangelifclje Se^re öon ber Un«»
üoIHommenf)ejt, njeld^c im irbifd^en Seben bcr SSBiebergeborencn
~y nid^t überfd^ritten toirb. Allein fiobenfte^n roeift nun barauf
^in, ia% biefer Se^rfaff mannigfad^em fDli%bxan(t)t au^gefe^t ift;
unb bie Beleuchtung berfelben übt er mit aller ©orgfalt. Sin«
mal bemerft er, äJJand^e gäben bie X^atfad^e ber allgemeinen
Unüollfommen^eit ju, näl^men aber fid^ felbft baüon au^, ober
feien auc^ n^enn fie ed nic^t t^un, bod^ babei fo Don bem ®rabe
. i^rer SBollfommenl^eit überjeugt, ba§ jener ©ebanfe in i^nen nur
eine oberfläc^lid^e @emütf)«bett)egung lieröorruft. Ober menn
au^ einer, ber nad^ ber SSollIommen^eit ftrebt, feinen SWangel
baran unb feine Stbroeid^ungen ate fold^e anerfennt, fo wirb er
oft genug fie atö etwaig fieic^ted acf)tcn, nur nic^t ald t)erbamm«
lic^e ©ünbcn, ober er rebet fid) bie ©d^ulb an i^rer Söegel^ung
au§. 3n einem nod^ fd)limmern gaUe acf|tet ein SBiebcrgeborcner
feine ©cbred^en al^ SReije für bie SBert^fc^äffung ber ©ünbenücr*
gebung unb i^reg Xrofte§. Ate ben fc^limmften gaQ, Weld^er
mit bem S^arafter ber SEßiebergeburt fd^on ni^t me^r verträglich
ift, bejeid^net fiobenfte^n bie Slnnal^me, bag bie Ißolllommen^eit
155
übtx^anpt uitmöglid^ fei, unb man t^ bei ber Unt)oQ!ommen]^eit
beiDenben laffen {önne; bod J^icgc bie gemetnfame eüangelif^e
fiepte )um Slu^cfiffen ju machen. Sobenfte^n ernannt bei btefem
fünfte feiner S)arfteQung, ba§ bic JBcrtretcr biefci^ ©runbfatfe^
ben Slnfprud^ machen, gerabe bic Sfiec^tgläubigen ju fein, unb
bafe fie bic „SSonfommcn^eitdtrcibcr", bic „^räcififtcn ober ^uri*
toncr" bed ^bfaU^ Don ber SRec^tgläubigfeit bejid^tigen. SEBie
bicf©? }U üerftc^cn ift wirb fpäter ju erörtern fein; ben SBort*
laut bcd ^eibelbergcr ^atec^idmud ^atte aber Sobenftc^n für fic^.
Unb il^n bünfcn bie SRcnfc^en mit i^ren fünf ©innen toQ ju
fein, tocl^e aud ber fie^re i3on ber bleibenbcn Unt)oQtommen^eit
ber ^eiligen ben @d)Iug jie^en, \>a% au^ nur einige @cf)lQff^eit
in ber Uebung ber @ottfe(igfeit bercd^tigt fei. S)er ©ipfcl ber
@ottfcUgfeit lann frctli^ erft im jenfeitigen fiebcn erreid)t nierben ;
oQein bie UnüoQfommen^eit, nield^e unDermeiblid^ ift, borf ftd^l
JU bem SBad^dtl^um in ber ^eiligfeit nicf)t priüatit), foiibern nur
negotii Dcr^alten, atö Sludbrud bafür, bog eine beftimmtc @tufe
bcd äßad^t^umd noc^ nic^t erreicht ift.
SBenn bic Strenge gegen fic^ felbft 3cmanb baö {Reci^t Uer*
lei^t, noc^fic^tdfofc ©trenge gegen 9(nbere ju üben, fo l^at fioben«
fte^ burc^ bad eben befproc^cnc 9ud^ fid^ jur Uebung beS @e«
ric^tö über bic reformirte Äirc^e feinet Sanbeö unb feiner 3cit
(eflitimirt, mcld^ed er „Scf^auungen 3ii>nd" genannt ^at^).
(Er miU jcboc^ baffclbe o^ne 3^cif<^I nidjt bloS als fein inbiüibucQcd
Urt^eil angefel^en niiffcn, fonbcm auc^ als ba§ Urt^eil ber
fjfrommen, tt>e(d^e er üon bem „gemeinen ©d^Iag" in ber 5Hrc^e
unterfc^ibet. S)iefe frommen, nielc^c nad^ feiner Eingabe i3on
bcti %ibercn gesagt unb mit ben ©c^eltnamcn ber feinen, ber
Stioppcn (Seguinen), ber OuefcIS (^etfc^meftem), auc^ too\)l ber
Ouftfer belegt tnerben, finb immer audbrüdlid^ ober felbftücr«
ftänblic^ t)on aQem bem angenommen, toa^ an ber äJJaffe ber
1) BeschoQwinge van Zioa, ofie aandagten en opmerkingen over
den iegenwoordigen toestand van 't gereformeerde Christen volk. 1678 ;
5. Vnfl. Imßerbam 1729. 4. (3e$n deiprfi^e in 250 @. ^aS ftBerl ifl burd^
ben i:ob Sobenfle^n'S untoollfnbet geblieben.) 9leue VuSgobe 1839, beforgt
%wtäf ^nr. ^er S^olte, einen ber Sü^^er ber 1884 t)oIl)ogenen Separation ber
ftrengcn ober tncfme^i liiettfHf^en (la(t)iniflen t>on ber reformirten ftird^e in ben
SKcberfanben.j 8» biefem 9uä^ gehört no<!^ bie fiet^enrebe flbei Soben^et^n
imi femew Coflcfien 6. ban ffbfp (38 6.).
156
ftird^englieber gerügt iDtrb. @tc ftnb aber eben auc^ burd^ bie
©cfprädööform beö Suc^eö in bie SBeronttPortlid^teit i^rerg gü^^
rerö mit einflefd^Ioffcn. 3)iefcr tritt al^ ber ^ßrebiger Urbanuö
auf, bie (SoQoquenten ftnb jn)ei ^redb^ter 9(^ifam unb ©tep^anuS,
üon benen jener bie ganje @d^ärfe ber ©timmung be^ Urbanud
t^eilt, biefer einen milbern ©tanbpunft burd^ aUerlei (Sinken*
bungen funbgiebt, aber iebe^mal Unrecht befommt unb nad^geben
mug. äJicdeic^t ift biefe Slbftufung ber ajtcinungen nid^t blöd
als ein Srforbernig ber ^unftform, fonbem auc^ ald eine
X^atfac^e in bem i^oraudgefe^ten fird^lic^en ©efeQfc^aftdfreife
ju betrachten, unb beiS^alb einiger 93ead^tung n)ertl^. ^d) untere
nel^me t^, ben @ebanfengang biefer ebenfo n^ic^tigen n^ie toenig
gcfannten ©d^rift n^ieberjugeben. S)iefelbe ift jtoar nid^t üon
Sßieber^olungen frei, inbeffen ift fie im @anjen, n^ie man bon
einem ©d^fllcr JBoet'ö erwarten barf, njol^l georbnct.
1. ^ie 93efd^auung ricf)tet ftd^ auf bie burc^ ben Xempel
auf 3ion borgebilbete ftird^e. SEBie jener burd^ aQe möglid^en
ftoftbarfeiten gefd^mfidt n)ar, fo ift ed ein not^n^enbiged (Erfor^
bemig ber d^riftlic^enjiird^e, bag fteburd^ bie auiSgejeid^nete
^eiügfeit ber @(äubigen fid^tbar toerbe. S)ie flnnenf&Uige ©^ön::
^eit bed Xempeld mug hierin, unb fann nic^t blod in ber Siein^
l^eit ber ^erjen a(d bem Seftanbe ber i3orgebIid^ unfid^tbaren ßirc^e
il^r ©egenbilb finben. ®ie innere §eiligleit muß ja, toenn fie
ba ift, aud^ in bie (Erfc^einung treten; unb ber Unterfd^ieb
jnjifd^en fid^tbarer unb unfic^tbarer Äirc^e bcjeid^net nur ben rc-
latiücn ?l6ftanb ^iioifc^en bem fcl^Ibaren Urtl^eit ber äWenfti^en
unb bem unfehlbaren @otted über ben Umfang bed S3eftanbei^
t)on ©laubigen, meldte bie ßird^e audmac^en^). Sin auSgejetd^:^
neteS fiic^t ber ^eiligfeit alfo ift unumgängliche^ SRerfmal ber
©lieber ber fi^tbarcn Jtird^e, fo njie bie ^ciligfeit ber S^riftcn
überhaupt nidjt bloiS atö eine f^olge ber (Erfd^einung 3efu, fon«
bem beutlid^ afö ber öorne^mftc Qtotd berfelben erfennbar ift.
(Ed ift bei^^alb burd^aui^ ni^t rid^tig, ben SEßert^ @^^rtfti allein
nad^ ber SSergebung ber ©ünben unb ber baraud entfpringenben
@en)iffendberu^igung unb f^reubigfeit ju bemeffen, gu ber man
aud ^anfbarfeit ein äRaag bon guten Sßerfen l^inguffigen tofirbe.
S)icfe t^ormel (n^eld^e ettoa bie lut^erifd^e Slnfic^t auSbrüdtt)
l) ^teS ifi Der ?e$re (^iDtn'S entfiire^enb. $dL Inst. IV, 1. § 2. 7. 8.
157
meint man fretltd^ hnxä) ben $etbeI6erger fiated^iSmnd belegen
)U fönnen. Unb ed ift toaf)T, bag berfe(6e im ©egenfo^ }um
^pfttlium bie 9iec^tfertij)ung bed @ünberi^ burd^ ©otted ©nabe
foft Qtö bie ^ax\ptiad)t erfc^einen logt unb bie Sanfborfeit in
guten äßerfen old einen notl^n)enbigen Slnl^ang baju. Snbeffen
ift boc^ f^on in bem ISingang beffetben bie Sbjniecfung ber fßcx^
f5^nung auf bad fieben im 2)tenfte S^rifti anerfannt, unb bicfer
$au))tgebanfe finbet in bem Katechismus nod^ fonft SuSbrud.
S)eS^aIb ift ber ©inn ber SSerfö^nung burd^ S^riftuS freilid^ ber,
bag, mie {t^ fiobenfte^n mit SoccejuS auSbrfitf t, @ott unfer @ott ge^
n>orben ift, aber eS ift ein älä^grtff, biefeS Ser^ältnig für baS
®anje ju l^alten. 2)enn ®ott ift ber unfere burd^ (S^riftuS ju
bem Stotd, bag n)ir niürbig feien i^m ju bienen. Unb tDenn eS
mol^l auc^ barauf anfommt, bag @ott unfer @^ilb unb 3)e«
fc^irmer niirb, fo bod^ l^auptfäc^Iid^ barauf, bag feine SD^ajeft&t
unb @out)cr&netät me^r fenntti^ unb anbetungdn^ürbig n^erbe,
unb als fo aQgenugfam erfd^eine, toieman baSSSer^ältni^
ber ©ott^eit )ur Vernünftigen Kreatur begreifen
lann unb mug.
2. 3n biefem lefften ©a^ ift bem ©ebanfen ber JBerfö^nung
eine ungetDöt)n(ic^e ßn'etfbejie^ung gegeben, n^eld^e ^ier nod^ nid^t
erörtert »erben fann. ©ie ift aber eine Änjeige bafür, ba% Soben^
fte^n mit bem urfprünglid^cn ©inne ber eüangelifd^en 9}ec^tf er^
tigungSle^re nid^t me^r burd^auS einüerftanbcn ift. 2)iefeS
ergiebt ftd^ aud^ barauS, bag er baS Sorrelat beS l|ert)orragenben
Sßert^eS ber Sted^tfertigung im ©tauben, nämlic^ ben ©a^ üon
ber bleibenben Unt)onfommen^cit ber guten SBerfe mit bem größten
älHigtrauen anfielt (Er finbet nämlid^, bag ber©a| meiftent^eilS
t)on ber UnboQtommen^eit ber X^cile (beS guten SBerfeS) t)^u
ftanben mirb, ba bod^ nur bie Unt)onfommen()eit ber ©tufen (ber
^(igung) jugeftanben »erben bfirfe. 3n jenem ©inne ber ©ad^c
liege aber ber eintrieb jur Srfdjiaffung beS fittlid^en ©trebenS
unb bie Serfu^ung ju falfd^cr 93eru^igung beS @en)iffenS;
»fi^renb man auc^ auf einer unt)eUfommenen ©tufe ber ^tu
Itgung fä^ig unb t>er))f{t(^tet fei, aQe einzelnen i^r entfpre^cnben
X^l^anbtungen mit @enauigfeit ($räcifität) auSjuüben. (ES ift
nur fd^toer einjufe^en, mie bie ©elbftbeobadjtung biefen Unter-
fc^eb nrirb bett>ä^ren fönnen. (Er ift iebenfaQS aud^ für baS
Setft&nbnig ber Slec^tfertigungSle^re »irfungSloS. 2)enn biefe
158
brüdt naä) Sobcnftc^n bie Xl^atfad^c aud, bag @ott um S^^rifti tuiden
bic Unüottfommcn^cttcn in bett SBcrlen ber ©laubigen öcrgiebt;
Q(fo nid^t beten unt)o(Ifommcne SEBerfe filr t)oQfommen anfielit,
fonbern bic $erfon in Sl^riftud atö DoQfommen, ald ^atte fte
feine ©ilnbc get^an, ertennt. Riebet ift offenbar bie relative
SBoUfornmenl^eit ber @tufe ber Heiligung cbenfo gleid^gfiUig n^ie
bie größere ober geringere UnüoQftänbigfeit ber I^etle ber ge*^
fammten fiebenSleiftung, jumal ba bie quantitatii^en Unterfc^iebc
in bem @ebiete biefer Betrachtung fid^ mit ben grabueüen Unter«
fc^ieben in jenem Gebiete beden nierben. ^a nun aber ba$ piaU
tifci^e3ntercffe öon fiobenfte^n ganj entfc^ieben barauf gerichtet ift, bag
man in bem burc^ bie SScrföl^nung ober Wed^tfertigung eröffneten
Scben fid) eine§ immer ^ö^eren ©rabe^ üon Heiligung Derfic^ere,
fo bebeutet i^m bie Serfö^nung nur eine f^ftematifc^e SBoraud-
fe^ung be§ d^riftlid^en Scben«. gür fiut^cr bilbete fie ben lei^
tcnben SRittelpunft ber ©efammtanfic^t Dom d^riftlic^en Seben.
^ag @ott für bie mit if)m Ißerfö^nten ber @d^ug unb S^irm
gegen bie SBclt ift, fommt für fiobenfte^n, ujic t§ oben bieg,
auc^ tt)ol)l in SSetrac^t, aber nur neben fäc^lic^. gür Sut^er
galt biefe (Erfahrung als bie eigentlid^e birecte $robe ber fRcd)U
fertigung im ©tauben. Äurj für Sobenfte^n ift bie 9icc^tfer*=
tigung burc^ (£l)riftud im ©lauben ni^t me^r ber 9}egulator be«
©clbft* unb SBert^gefü^l« ber (S^riften im »er^ältnife ju @ott
unb jur SBelt, fonbern ber Sn^alt einer überlieferten ße^re,
ujcld^e im S3egriff ift il^m unbeutlic^ ju werben, ba fein prafc
tifd^eö Sntereffc gonj anberen ©ebürfniffen jugewenbet ift, atö
ttjclc^en iene Se^rc entfpric^t. @inen Semeiö für biefen ©a^^
I3erl)alt bietet fiobcnfte^n, inbem er ben ©ebanfen ber ^cä^U
fertigung in einer SBcife Dcränbert, ttjcld^e ber Deutung
burd^ ßocceju« (<S. 151) entfpric^t. „Die ®nabe, locld^e bur^
ben ©lauben und jugeeignet ift, ift nic^td anberei^ al« S^riftuiS
in und n)o^ncnb unb jugleic^ und red^tfertigenb , alfo in
und lebenb unb fruchtbar mac^enb, ber ald unfer ^aupt und
feinen ©liebern ben l^eiligen ©eift mitt^eilt unb und in aUem
unferem S^un regiert. S)a nun ber Smpfang ber ©eligfeit
fic^ nad^ ber ßueignung ber ©nabe richtet, fo rietet fid^ bad
SBcrf (S^rifti auf bie ^eiligmad^ung ber ©laubigen." 9latürlic^!
n^enn bie 9iec^tfertigung ald bad äJ^ittel für bie Heiligung t)ci>
ftanben merben foll, fo mug i^re eüangelifc^ ^udprSgung auf«
gegeben toerben.
I5d
3. ®tc l^auptfäd^Itd^c »ebcutung e^rifti tft alfo nid^t, baß
er bcr JBcrfö^ncr, fonbcm baß er bcrÄönig be§ l^immUfd)en
Weid^e^ tft, weld^er bie Sänften be^errfc^cn totD unb Don i^ncn
ben fretmtQtgen @c^orfam in ber Heiligung unb in ber t)oll^
fiänbigen (Erfüllung bei^ göttUc^en ®efe|ed ern^artet, bejte^ungd«
metfe burc^ feine (Einn^o^nung in ben ®(äu6igen ben^irft. tiefer
@ebQnfe unb bQ§ ®croid)t, n^etc^ed il^m ^ier beigelegt n)irb, er«
innert burd^oud an Socceju^. 9lur in ber 9ejiel|ung fd^eint
beffen Slnfd^auung bed 9teid^e^ @otted nid^t erreid^t ju fein, atö
Sobenfte^n ben freien SBec^fetoerfe^r ber ©lieber bed Sfieic^ed
®otte^ unter einanber bal^inter jurüdftedt, bag jeber ben @c*
boten ober ben Sinroirfungen bed ^aupted t^otgc leiftet. Um fo
roeniger jeigt er fid^ fä^ig, bie Slnfd^auung bed SoccejuS bur^
bie rid^ttge ©d^ägung ber fittUd^en Berufe ju ergänzen. %Qer^
btngd befennt ou^ er fi^ ju bem @ebanfen, bag man in feinem
SBeruf ba« gemeine Sefte me^r afö fi^ felbft in ©etrac^t ju
jte^en ^abe. Sr beflagt eiS, baß biefer @runbfQ| Don ben QciU
genoffen nid^t oui^eübt, bag er Dietmc^r ^intangefe|t n)erbe,
inbem jeber meint, in feinen SSeruf^gefd^äften öon bem Umfange
bed ©ittengefetfed ausgenommen ju fein. Sldein Sobenftc^n ^at
feine entgegengefe^te ?lnfid&t öom fittlic^en SBertbe ber ttjelt«
liefen SBeruf^rten nid^t in bie SScrbinbung mit feiner ^nfid^t
Don bem Sleic^e (S^otteiS g^^|t, tooburc^ biefe Derftänblid^ unb
bem „gemeinen ©c^Iag" ber reformirten S^riften öicüeic^t jUs
gänglic^er gen^orben n^äre.
4. 3ft bie Heiligung unb @etbftt)erleugnung ber ®(äubigen
Qte ber le|te 3^^^ ^^^ (Erfd^einung S^rifti anjufe^en, fo ift bie
^erfleÜung ber ^riftlid^en Sef)re aus ber SJerunreinigung burd^
SRenfc^nfatfungen nic^t bie Dornc^mfte ober bie eineiige 9[bfid^t
einet Reformation ber Äird^e. Sine 8leformation, ujelc^e
biefen 9tamen üerbient, mug ftd^ auf bie n)al)re ^eiligmad^ung
unb ©etbfiberteugnung rid^ten. @o gen^ig nun bie 9teformation
ber Se^re baju gel^ört als not^n)enbigeS SRittel jum gn^ed, fo ift
boä) bie b(o|e Aenntnig unb baS Sefenntnig ber Se^rma^r^eit
lux^ gar nic^t atS ein X^eil ber Heiligung f^n achten, ba bie
ftenntnig, tocl^e ber §err erforbert, ganj anberer Art ift. S)enn
eine Sieformation, metd^e burc^ ®otteS @etft geleitet n>äre, ift
bie ^erfteQung bon SBa^r^eit, Sid^t unb Sebcn; eine {Reformation
o^ne ®otteS (Seift aber ffi^rt ju einer nod^ fd^nöberen lEntfteQung
160
bc« S^riftcnt^um^, ober jur baarcn ©ottlofigfctt. S)ie ^tx^
ftellung bei^ apoftolifd^cn geitaltcri^ ber Äird^e, rcd^t gc^
fagt, nämlid^ fo tpeit fic unfcrcn 3?^*«" angepaßt iDerben fann,
tuätc eine l^immltfc^e @ac^e; abct aud geiftlofer Sieformatton
entfprinflt natürlich nur Unbänbiflfeit, gleifd^lid^feit, 3trelifliüfität
unb SBerfaQ ber ©otte^^furd^t, mie loir gegenn^ärtig ba^ %n*
flcfid^t be« reformirten Äirdjenwcfen^ (btc 8fic(i^tfd)affencn
aufgenommen) entftedt {el^eh. ^enn ein in feinem Scienntntg
Sieformirter, welcher iebod^ nic^t toiebergeboren unb nt^t bur(|
@otted @eift geleitet ift, fann nur atö gotttoi^ gead^tet loerben.
Sobcnfte^n fprid^t in bicfem 3"fönimen^ange fein btrecte« Urt^ctl
ber 3lrt au§, bag bic Sieformatoren be^ 16. 3a^rl^unberti^, auf
bereu ©futtern er fielet, i^re Aufgabe falfd^ unb „geiftloö" ouf^
gefaßt ^abcn. ÜKan möchte alfo um feiner fclbft roiHen Der*
fudjcn, feine Slnfid^t ba^in ju beuten, bag aQe Uebelftdnbe, totldit
er mit fd^onungdtofer ©c^ärfe an bem reformirten 93oIfe rügt,
nur aus iDtigDerftanb ber Slbfic^t bet äieformatoren entfprungeu
feien. Snbcffen biefe Äuffaffung fann nic^t mit ber I^atfac^c
befleißen, bag er bie SlbfteQung einer SRengc üon Snftituten ber
fat^olifd^en ^irc^e bebauert, unb jn^ar fold^er, gegen n)etd^c gc*
rabe ßalüin am cntfc^iebenftcn vorgegangen Xüax. §ier ftoßeu
mir nämlic^ auf fc^r merfroürbige öefenntniffe üon Sobenfte^n,
Um t)on bem Steugerlid^ften ju beginnen, fo bcflagt c^ fioben-
ftc^n, baß man bei ber Sieformation beö 16. Sal^r^unbcrt« bic
Äird^e um bie ©elbmittel f)ahc fommcn laffen, meldte il^r unter
bem ^apftt^um jur SJcrfflgung ftanben. 9Wan l^abc bamaU gc*
meint, bic Äird^e bcbürfe feine ättittel ber Art, ba man bie un*
menfd^lid^c @ier unb ben ÜRißbrauc^ ber ©fiter bei bcn fat^o*
Uferen ©ciftlid^en njal^rgenommen ^abc, Der SBißbraud^, meint
£obenfte^n, fönne ben redeten @ebraud^ bed Sieic^t^umd nid^t
Derbäc^tig mad)cn; ber äRangcI ber ©elbmtttcl aber ^inbcre bic
Äird^e, i^re aufgäbe ber SSefe^rung Don Reiben, Suben unb
5ßapiften ju löfen. 9lid&t minber befd^merjt er fid^ baruber, bajä
bie Sieformation bie Qaf)l ber ©eiftlic^cn unb fiird^enbiencr Der*
minbert f)abe, todl fo Diele berfclben it)rem Berufe nid^t ent*
fprad)en. @r ift baDon burd^brungen, bag bie Aufgaben bed
fird^lic^en Unterrid^te^ unb ber ©eelforge ein Diel größere« ^er*
fonal in Snfprud^ nehmen, atö Derfflgbar ift. Sllfo ^ätt^ man
nid^t bie (Kollegien unb Stifter ber mittelaltrigen ^irc^e aufgeben
161
foflcn, fonbcm „man mufetc an btc ©tcQc bcr trägen Söäuc^c
ebcnfo öiclc toirfenbe unb für S^riftuö Icbcnbc ©ccicn bringen;
unb bo^ ttKire nja^rlid^ SReformtren gctt)efcn"! 9lac^ jenem @runb*
fatfe: abusns non tollit usum f)ält fiobenfte^n n^citer^in berSRe»
formation t)or, baß fie mit bem ©d^Iec^tcn, toa^ an gett)iffcn ^n^
ftitutionen Dorfam, aud^ bad ®ute ausgerottet ^abe, jum großen
Slac^t^etl ber SBa^r^ctt. 3)ie Drbcn ber ÜJiönc^e unb Sionnen
^abcn i^rcn Urfprung Don ben alten StSfetcn, meldte fid^ jur
@ottfe(ig!ett übten; fonnte man nun nid^t bie ^löfter gebrauchen
jur SSorbilbung ber Äirc^enbtener, unb jur Drganifation üon
SBerfcn bcr SBarm^erjigleit ? 3)ie äRetten unb SSefpern ftnb if)rem
Urfprung nad^ bie äJJorgen« unb ^benbgebete; barauf Ratten fie
^ur iSrbauung ber ©emeinbe jurüdEgefü^rt n^erben foUen. S)ie
D^rcnbcid^te foU tl^re notorifd^e §crfunft auö bcr ©erat^ung ber
aRcnfd^en mit i^rem ©eclforgcr ^abcn; anftatt fie üon i^rem
SRißbrau^ ju reinigen, ^abe man fie Dern^orfen, unb bamit ju^»
glei^ bcn fo not^tt)enbigen ©cbrauc^ ber ©ctoiffcnScröffnung an
btc ^irten ber ©emeinbe üerloren. „®o ift cS gegangen unb
ge^t cd in unjä^Iigen anberen @ad^cn ; inbem man bie ^errfd^aft
bed ^^ftt^umS über beS §crrn 6rbc üerttjarf, ift man jur SBcr*
ac^tung ber firc^lid^en SKad^t unb 3"^* gefommen, unb faum
fic^t jemanb bcn j^önig SefuS regieren in feinen S)iencrn." Die
Sluf^cbung ber abergläubifc^en ^aften unb bcr Seibedjuc^t t)at
auc^ bie richtigen t^aften unb bie UcbenoäUigung beS Seibcd
burd^ ben @cift in Slbgang gebracht; unb bie ttuf^ebung beS
Unterfc^iebcd jn)ifd^cn ©ciftlic^ unb Sßeltlid^ ^at ni^t etn^a SdleS
gciftlic^ gemad^t, fonbern aQcö tocltlic^ unb fleifct)lid^. 3a fo
iDcit gcl^t fiobenfte^n, baß er n)ieber^olt bie äbfctiaffung ber
Srani^fubftantiationSlc^rc bcflagt, inbem bie üor^errfd^enbc (jttjing*
lif^c) Suffaffung beö cabinifct)en ScgriffS üom Sd6)cn unb
@icgc( bcd Sbcnbma^leS ben @Sebanfen oon bem ©enicßcn bcd
ganj^n ©ottmenfc^cn bei ©citc fe|e. (Sine fcl)r auffaücnbc Sr*
fc^cinung! S)icfelbc ujirb ücrftänbltd^er i>uxd) ben ^injugefügtcn
oOgemcincn ©a^, baß ein abcrgläubifd^er ?ßapift boc^ im goum
gehalten »erbe burd^ feinen Aberglauben ; mit SSermerfung be3=
fclben fei man bei bcr öoQen Unbänbigfeit angelangt. 3)icfed
imrb nid^t fo ju öerftc^en fein, alö ob Sobenfte^n an irgcnb
einem fünfte bcr ref ormirtcn Seigre irre geworben wäre ; er mcift
melme^r audbrfitfHc^ na^ baß btc S3elgifd^c (Sonfeffion unb ber
I. 11
162
^eibclBcrgcr ÄQted^i^muS bic ©d^älung bc^ Slbcnbmal^I^ Qii^brfirfen,
toeld^c er gegen bic jtoingltantfd^c Deutung bcffelben aufredet cr=
f)ält. Sincin ba er nid^t biejenigen praltifd^en folgen ber {Rcfor^:
mation ber Se^re toal^rnimmt, bte er forbert, unb inbem er bic
mittelaltrigcn ßuftänbc ber Sird^c bencn öorjie^t, in toelc^en er
bic reformirte iiirc^c feiner 3^^* erblidtt, fo urt^cilt er, baß c^
für bie SKenfc^cn tocniger fd^ltmm fein toiirbe, toenn
fic unter bem 5ßapftt^um geblieben toärcn unb bic
l^ciligc SBaljr^eit niemals Icnnen gelernt l^ättcn.
5. 3)icfc tiefgreifenben SBcbenfen gegen bic ^Reformation bcö
16. Sal^rl^unbcrt^ bilben ben ^intergrunb für baö buntele Söilb,
ttjetc^cö Sobcnftetjn t)on bem S^f^^nbc ber rcformirtcn
ftird^c in bcn Siieberlanbcn enttoirft. grcili^ toirb angenommen
njcrbcn muffen, baß biefc Beobachtungen i^n crft ju jenen Ur*
t^cilen über bie 9leformation geführt l)aben. 3n ben SBcrfall ber
Äirdjc feiner ßeit fcljließt er aber nic^t bie öffentlid^c ScEirc ein.
SSielme^r erf lärt er außbrüd lic^, baß biefelbe burc^ ®otte^ ®nabe
ju feiner 3^»^ unDcrfe^rtcn Seftanb ^abe, unb ba^er Siicmanb
au^ {Rüd fidjt auf ettoaigcn SScrfaH ber fie^rc fid^ Don ber Sird^e
abäufonbcrn brauct)e*). ?lber feitbcm bic I}errfd)enbe SKac^t au^
1) @ine geiDiffe ^inft^ränfung boif man }uto(ge ber eigenen Angaben üon
Sobenfte^n biefem Scugnijfe ^in^ufügen. 3n bem catüintflift^en jür^ent^um ber
IRieberlanbe ^at eS no^ bamals eine (utl^erij^e unb }tt)ingU((^e UnterflrSmung
gegeben ({. o. 6. 103). „^xt unDorftd^tigen ^lomen^riflen' Italien baS Vbenb*
mol^I für eine fiugerlid^e Zeremonie, bur4 toeld^e @ott gebient unb S^rifti ®e6ot
erfüllt h)trb. @ie »ollen guglei^ ben äOorten be§ SefenntniffeS, bofi e6 ein
Seiten unb Siegel üon ^^rifluS fei, entjpred^en, inbem fie babei ba§ ®ebfi4tni§
beS STobfS e^riiti üben. <Oie ^uffaffung beS 3Ber!eS (S^rtpi als O^runb ber
©eioiffenSberul^igung unb ber guten 2Ber!e oIS ^etoeife ber ^onfbarfeit für bie
(S^nabe ber 9{e4tfertigung, meldte , unter unferem tBoIf Derbreitet ift, ift lut^e^
rif(i^. ®egen biefelbe ^uffaffung rietet fid^ aut^ bie @4urman in berEakleria
P. II. Cap. III, 7. 3ur (5r!(ärung biefer ©rfd^einungen bient m. 6. bie
9{Q(^toei|ung üon DeHoop Scheffer(Ge8chiedeni8 der hervorming in Ne-
derland van haar ontstaan tot 1531, in ben Studien en bijdragen op'tge-
bied der historische theologie. 1870. 71. SBefonberS er^ienen, 2 59be. 1873),
bog bie erpe ßpod^e ber reformatoriWen Betoegung in ben 9lieberIonben burd^
Sutjer, unb in ber 9lbenbmQbI§Ieire burd^ Sroingli beftimmt gewefen ifl, bo§
(entere um fo me^r, als beffen ^benbmal^Idlel^re burd^ ben 9{iebetrfinber Sodann
SBeffel ®anSfort Dorgebilbet »ar unb loa^rfd^eintid^ beeinflußt ifi. ^ur4 bte
^Verfolgungen toirb biefe SBewegung bis 1531 unterbrüdft ober auiüdfgebiöngt.
163
bcr Äird^e tocggcnommcn ift, ift iebcr 3Kcnfd^'fctn eigener Äönig,
berÄopf eiltet 3eben feine eigene 93ibel, bieSegierbe eineö !3eben
fein ®efe^ geworben; jjeber tt)\xt, toa^ gut ift in feinen Slugen,
ate ob 3efu§ nid^t Äönig in 3örael ttjäre. „(Sinige groinme nel^me
ic^ aQejeit auö". S)ie JReformirten im ®anjen tfaben bie römifd^c
»irc^e, ba§ geiftlid^e 93abel üerlaffen, um jum fleifc^li^en Säbel
ju tüerben. 2)emgemä§ tDerben bie groben ©ünben gerügt, n)el^e
man gemö^nlid^ nic^t lennt, ba fte meift verborgen ftnb unb
nur mandömal burc^bredjen: gottlofe Sieben, gräulidie Unjuc^tö*
fälle, betrfigerifc^e Unterbrüdfung ber ©eringen. 3n bie Dcffent^
lic^fclt aber brängt fic^ ber Suju§ in Käufern, Äleibern, ©aft^
freil^ett, fo tt)ie bie 9lic^tigfeit ber {Reben in ber ©efeKfc^aft. 3n
jener ^inftc^t mirb fogar über bie befannte ^ollänbifc^e Steinlid^*
feit geurtf)eilt, bag burd^ beren Uebung @elb unb ßctt @ott abge^
fto^len toerben; unb ber ÄlauSner im ^opfttf)um, ber fic^ mit
einer §ütte begnügt, tt)irb jur 93efd)ämung berer angefüf)rt,
todä)c al^ reformirtc S^riften für fic^ föftlic^e t^änfer unb ©arten
einrichten. ®enn eö ift ein abfolute^ ©ebot für Stile, ber SKelt
nic^t gleichförmig ju fein (9löm. 12, 2); unb in Slllem, auc^ in
ben Äleibern foH man S^rifti 93ilb an ftd^ tragen. ®ie SJie^r*
ja^l ber Äird^englieber betoegt fidE) aüerbing^ in einem e^rlid^en
bürgerlichen Scben unb ift in ben fird^lic^en, gotte^bienftIidE)efi
^flic^tcn im ©anjen correct. Slber biefeö ganje Xreiben ift
gctftloö unb blo^ 8ud)ftabenbienft, nic^t üerfd^ieben üon ber
Art ber Reiben unb ber ^ßapiften. 3)ie SRenfd^cn jagen üielme^r
nad^ 93rot, nad^ ©elb, nac^^gerrfdE)aft, ttjö^renb fie ©ott fucf)en
foQten, ttjeld^er Der^ei^en ^at, tDa^ unö jur Srt)altung beö Se*
bcn^ nöt^ig ift, auc^ auf unfere niebrigfte Slrbeit ju üerlei^en.
S)cr ©ottcöbienft ber ,,e^rIidE)en, bürgerlid)en Seute" ift nid^t^
tocrt^; er ift nur ber Sln^ang ju i[)rer tt)eltlid^en Sefc^äftigung,
ober gar bie ®elegen{)eit ju fd^Iafen. Unter ben ©roßen be^
Sanbe^ aber gilt eö überhaupt al§ Unehre, ©ott ju fennen, ju
9a4 bcm Smii^enfplel ber äBieberifiuferei getoinnt feit 1560 ber 6:Qloint6mu6
bat gr5ft(en Xt^ii beS nieberlfinbii^en $p(!§. 3n bie cdDinifttjd^e Stixä^triblU
bung mtxhtn nun au^ bie ftillen ^n^än^er ber tut^erif^en unb iföingtif^en
ne6fr(teferun0fn eingemfinbet fein, ^ag fte nod^ nad^ 100 Sorten ftd^ babet
erhalten ^aben, erflfirt fid^ t^ieHei^t barau§, bag bie beutf^e ^olfSort ffir bie
fTan}5flf<^ Strenge be§ (SloIüintSmuS (6. 73) nid^t {el^r empffingtid^ ifi.
164
fürd^tcn unb ju öerl^crrUdöcn. SKcnn baö el^rltd^c Scbcn bcr
bürgcrlid^en Slaffen ttjirfUd^ in @rlenntni§ ber göttlid^en Sefe^te^
mod^t unb in ©elbftDerIcugnung flefü^rt tDürbe, fo bürftcn btc
Dbrigfcttcn, ©olbaten, fiaufleute, ©tubcnten, §anbtt)erfer nid^t,
ttjie e§ regelmäßig gefd^ic^t, bie 3KetI)oben i^reö befonbcrn S8e*
ruf^ l)on bcm göttli^cn ©efcfec auiSnel^men, unb fie müßten aiid^
burd^ i^re 8?eben bejcugen, baß fie in i^rcm SJcrufe auf ein
fieben nad^ bem göttli^en ©efefee bebad^t finb. SBcnn toirflic^
ber ©cift bei ben Scuten n)ärc, fo toürben fie ferner burd^ gcift*
lic^c Unterhaltungen unb ©efpräd^c biefeö funb t^un; aber bie
^©prad^e Äanaanö" ift nid^t nur in bcr öffentlichen ©cfeHigfeit
üerpönt, fonbern auc^ im ^äu^lid^en SBerle^r t)erfd^n)unben.
SBeiterl^tn ift unter bem „e^rlid^cn ©d^lag" bcr JReformirtcn faum
(Sincr, bcr eine 9iüge be« ?ßrebtgeri8 gcbulbig erträgt; ttjirb eine
fold()c auSgefprod^en, fo beflagcn fic^ bie fieute über Snquifition,
SScrrat^ ober ©pionerie. Dcö^atb laffcn fie fid^ burd^ bie
Uebung ber 5Dt^ciplin öielmcl^r öcrl^ärtcn alö beffern, inbem fie
überhaupt bcr SÄeinung finb, baß bie ©ciftli^cn jur ©rbauung
n)irffam fein foücn, unb beö^alb milberc ÜKittel anjutocnben
^aben, um bie bilrgcrlid^e Unbcfd^oltenl^eit ju toal^ren. S)te ©roßen
aber, ujcld^c ber DiSciplin üerfanen, legen fogleid^ ^IppcHation an
Sic n)eltlid)e Dbrigleit ein. ^lUc biefe gcl^ler tt)crben baburd^
Derfd^limmert, baß bie religiöfe ffiricnntniß burd^auö mangelf)aft
ift. 3)aö aSerftänbniß beg ©nabenbunbeö entgeht ben gemö^n=
tid^en bürgcrlid^en ß^riften burdjau^.. 3)ie religiöfcn ©egriffc
finb i^nen ungewohnt, toerben mißbeutet unb öerfcl^rt gebrandet.
3n öielen Öejie^ungcn ift ein SRüdEfaQ in papiftifc^c 3rrtpmer
eingetreten; man ift gänjlid^ bem ©treben nad^ ©elbftgerec^tigfcit
üerfaltcn; man erüärt bie ^eilige ©c^rift für bunicl; man meint,
baß bie ^ßrebiger, inbem fie an ber ©pifee ber ÄirdE)e fte^en, bie
Unfc^lbarfeit für fic^ in 5lnfpru^ nehmen. SBäl^renb ieber Sl^rift
©üttcö SBort grünblid^ ju unterfud^en ^at, um fi^ eine felbfts:
ftänbige Srfcnntniß bcr Sürgfd^aften beö §eile§ ju üerfd^affcn,
unb um feineö eigenen ©laubcn^ ju leben, fo ift bag ©egent^eil
ber 5^11. 3)ie Scfung bcr ^eiligen ©d^rift ift in Abgang gc^
fommen, unb ber Iird)lid^e 9lcligion§unterrid^t ift erfolglos. 3n
bcr ^ergebrad^ten ©d^lenberei berufen fic^ bie öcrtocltlid^ten SRe-
formirten, nid^t anberö aU bie Äat^olifcn, auf bie Ueberlieferung,
um ieben ernftcn SBcrfu^ t)on Söeffcrung alö unbered^tigte 9lcu=«
165
erung abjulc^nen. ©aß alfo ®ott, tüic c« fd^cint, mit feiner
Sciiüo^nung im ^eiligen ©cifte ba§ gonje 2anb üerlaffcn f)at, ift
fd^lieglid^ aud^ bic ©d^ulb ber öJciftloftgleit bcr ?ßrebiger. i)k^
felbcn prüfen ficl^ fclbft nid^t barauf, ob fie mit bem @cift gefalbt
unb iDirflid^ t)on @ott berufen feien, ©ie meffen ben S33ert^ ifirer
SBtrffamleit an il^rer bud^ftäblid^en JRec^tglaubiglcit unb an bem
oberflächlich gcmeffenen ©rfolg, o^ne ju bebcnfen, bag man in bem
wahren ©e^orfam gegen ®ott auf biefc ?ßrobe p tjerjid^ten l^at.
Sener (Jrfolg mirb ^auptfäd^licf) burc^ bie fe^Ierl^afte SKet^obe
erreid^t, ba§ bie ?ßrcbiger bai^ ganje SSoII für ^eilig anfe^en unb
oU fold^eö be^anbeln, aud^ aQe 3BeItmenfcf)en, Sauen, fjormaliften
unb Sud^ftabenbiencr, »elc^e ber ft^tbaren Seicl)en ber ^eiliglcit
entbehren; ferner ba§ fie nid^t aQe ©ünben, fonbern nur bie
groben ber gi^^t unterttjerfen, unb baburc^ bie SKeinung be^
günftigen, aU ob geioiffe ©ünben überhaupt nid^t ©ünben feien.
Unter biefen SBerpItniffen ift eö f^on fo loeit gelommen, ba§
man ba^ Scrberben ber Äirc^c in Sbrebe fteQt unb ba§ „geift*
lofe SBefen" aU bie vq6)U unb regelmäßige (Jrfd^einung be«
^riftlid^en Scben^ ad&tet. 35er §auptgrunb biefer Uebelftänbe
aber ift in ber Sorbilbung ber ^ßrebiger auf ben Slfabemicen ju
fuc^en, njo fie bloö in ben bud^ftäblid^en SSerftanb ber d^riftUd&en
fie^re eingefül^rt tocrben.
6. aSie foß man alfo ben SÄaßftab beö l^eiligen (Seiftet
üerfte^cn, nad^ toeld^em ßobenfte^n bie reformirte Äird^e in feiner
Umgebung mit unbefc^ränltcr §ärte ber ©eiftlofigteit bejic^tigt?
SBirb eg i^m jugcftanben merben muffen, baß bie ©egner if|n unb
feine ©enoffen ber «©eifttreiberei" mit Unred^t befd^ulbigen ?
SBirb er im öefife t)on toirllid^ üerftänblicf)en unb prattifd^en
SRotiüen fid^ befinben, um ba^ t)on if|m gebadete ßiel bcr Sie*
formotion an ber Äirc^e feinet Soltek ju errei^en? (Jr unter*
fc^eibet nämlic^ bic SJiittl^eilung ber SBorte ober 93egriffc oou
ber SBa^^eit, meldte in ber l^ci(igen @d^rift unb im ilatec^iiSmu^
enttjalten finb, unb bie SBa^rfieit fclbft, ttjeld^c aU bcr Sinn
©ottcg mit jener (Jricnntnijs nic^t notl)n)enbig üerbunben ift,
fonbern bur^ ba^ innere SBort t)on ©Ott felbft gelehrt fein
mu§. 5£)tcfe SBejeugung bcö ^eiligen ©eifte^ in ben §erjen ift
Don Sabin als bie f^orm gebadet, in tocld^er bie äBo^ltliatcn
®otteS bur^ 6:^riftu$, alfo auc^ bie entfpred^enbe Srfenntnijs
166
bcrfclBen ben ©liebern bcr Äird^e eigen njetben*)- ßobenftc^n er*
läutert biefe ^ejie^ung beiläufig ganj( rid^tig burd^ bie allgemein
reformatürifdje Unterfd)eibung ber fides quae creditur unb ber
fides qua creditur. Der feiig mad^enbe ©laubc fann nic^t bloS
bie inteHectueHe, fiiftorifd^e, bud^ftäblid^e Slnerfennung ber ©lau*
benöregel fein. SBenn alfo ber Untuiebergeborene bie religiöfe
SBaljrl^cit nur in ben ^Begriffen unb SBorten !cnnt unb fie bcö^
^alb falfc^ augfpric^t, fo ift ber ®runb baüon ber, bag biefelbe
nid^t mit feinem ^crjen übcreinftimmt. SBenn bicfe jugleic^
äft^etifd^e unb moralifc^e Setrad^tungöttjeife inne gcfialtcn unb
toeiter verfolgt ujürbe, fo ergäbe fid^ bieHeid^t, bag ber ©cgenfa^
i^ifc^en ben ©ruppcn ber Äirc^englicber nid^t abfolut, fonbern
relatit) ift; unb bie öcnjö^rung biefer I^atfac^e tüürbc üieUeic^t
nodö jur Sluffinbung inteHcctueHer SKerfmate führen, in benen
bie firc^lid^e Se^rc cntmeber alö uollftänbig unb prattifc^ ttjirffam
ober alö uuDolIftänbig unb unmirffam ertannt ttjürbe. 35a^ ift
jeboc^ nic^t bie äbftd^t üon ßobenftc^n. S3ci ber völligen mate^
rietten @leid^f)eit bcr religiöfen ©rienntnig unter SBiebergcborenen
unb Uuttjiebergeborenen behauptet er ben äußerften ©cgenfafe
jnjifc^cn i^nen barin, ba§ bie (Sinen bie SBa^r^eit toa\)v, bie än=
bereu fie falfd^ vortragen. 35ie öebingung ju jenem fJaU ift be^
l^alb lebiglid^ in ©otteö SBirtung gcftettt. 9Äan toirb öon ®ott
gelehrt bur^ eine wahrhaftige, nid^t »efentlid^e, fonbern
gnäbige SKittbeilung ber ©ott^eit ober beö »efentli^en SBortcö,
beö unerfc^affenen Sid^teö ober ber SBal^r^cit fclbft, toeld)e in
bem äKenfd^en alö in ifirem lentpel toolint. SJliemanb l^at ober
toeiß bie SBa^rfieit alg ber, ttjeld^eni ©ott felbft bie ©ac^e ju
fügten unb ju genießen giebt unb alfo offenbart. Darum fönnen
bie Verborgenheiten be§ §immelö mand^mal oon geringen unb
übrigenö fel|r uuttjiffenben SÄcnfc^cn Ilar oerftanben unb gefaßt
toerben, obgleich fie bie ^Begriffe nid)t oerftc^en, mit lDcld)cn bie
©elcl)rten bie ©ad^e bert^eibigen. Diefe Ijingcgen ocrfel^len fic^
mciftenö babur^, baß fie bie SBorte ber aBaf)rf|eit für bie SBa^r*
^eit felbft Ratten; aber inbem fie in it)ren Segriffen l^angen
bleiben, fterben unb oerborren fie im Söuc^ftaben. Die ©runb=
läge biefer Setrad^tung ift o^ne ßtoeifcl caloinifd^ ; bennoc^ fu^rt
bie praltifd^e SSerttjertl^ung bcrfelben oon ßaloin ab. Diefer er*
1) Instit. ehr. rcl. III. 1, 1.
167
fennt in bcr geheimen ©intpirluug bc§ ®cifte§ auf bic ©laubigen
bic Siegel, Jpeld^e bei ben ÜÄitgliebcrn ber itird^e aU folc^en ein-
treffen wirb, ober burc^ ein Urt^eil ber ßiebe bei ber SÄe^rja^l
bcrer uorauögefefet »erben barf, bie jur Äird^e, bem m^ftifc^en
Scibe Sfirifti ge^ren unb il)m a(§ il^rem Raupte angereif)t ftnb.
Sobenfte^n hingegen traut ben üon i^m geforberten Sefife be^
©eifteö nur einer geringen Qaf)l üon Äirc^engliebern ju, unb er^
lennt barin eine Sluöua^me Don ber Siegel. 3)e^f|alb gewinnt er
auc^ ber unio mystica einen anbcrn ©inn ab, afö Ealüin. gür
(Eatüin bebeutet bicfelbe bie allgemeine gornt ber ST^cilnal^me an
bcr Äird^e, für £obenftct)n ein befonbercä Slttribut berer, xodd)t
^d) über bie allgemeinen Sebingungen beö Dafeinö in ber Äird^e
ergeben. 5)eö^alb Derfte^t er biefer unio mystica in Slnalogie ju
bem ©inne, melc^er bei ben Sut^eranern üblich geworben war,
namentlich auc^ in ber Sluöprägung aU ©inmo^nung bcr ganjen
S)rcieinigfeit 0- ®egcn biefeö 3lcfultat läßt nun ßobenfte^n bic
(Sinwenbung erl^eben, ob baffelbe nid^t ber ©eifttreiberci ((gnt^u=
fiaigmuö) günftig fei, unb ob eö nid)t na^ ber m^ftifd^cn ober
oerborgenen Ideologie l^inneige, welche aU eine $eft ber wal^ren
Ideologie anjjufc^en fei. Daö erfte Sebenlen wirb bur^ brei
©rfinbc abgelehnt. Die Sntl^ufiaften nömlic^ Ratten für ©otteö
@cift, waö er nic^t ift, baö ^eißt ein ber ©eele eingeborene^ ßid^t,
bem man in freiem SBiUen folgfam ift ober nid^t. Ober fte bc:*
^oupten, ber ©eift mirte in bem SKenfc^en fo, baß eS oftne il^n
gcfc^iel^t, um benfelben oon ber SBerantwortlidjfeit 5U befreien,
wenn er nic^t baö @ute tl^ut, wö^renb bod^ im ©nabenftanbc
©Ott unb bcr SÄcnfc^ alö jwci Urfad)en jufammcn wirfen.
X)rittenS achten bie (Snt^ufiaften bad SQSort gering, nämlid)
^öd^ftenö alö ein Öcbürfniß für bie Slnfängcr, nic^t abct alö ba3
Organ beö göttlichen ©eiftcig in aUen gsUcn. Unter Söeac^tung
bicfcr öebingungen alfo muffen bic 9lcformirten auögeäcicfinctc
©cifttreibcr fein, in allem bcö ^errn ©eift treiben unb oon i^m gc*
trieben fein, alö fold^e wclcf)c burdöauö gciftlid^ finb. ©egen ba§ jweitc
©ebcnfcn wegen ber mt)ftifd^en Ificologie ffellt ßobenfte^n feft,
baß bicfelbe, „im gefunbcn ©inne oerftanben, eine SBcfc^rcibung
t)on bcr ^^Jrajiö unb Uebung ber l)eiligen SBa^r^cit ift, welche
1) Sgl. @(^neifenburger, Serglei^enbe ^arfleflung beS lut^r. u.
refomu Seirbegr. I. ^. 200 ff.
168
öorftcHt bcn verborgenen ÜÄenfcf)cn beö §erjcn^, bie ©efül^lc, SBc^
toeßungen uub SBirfungen eincö 5Kenfd^en, in bcm Sfiriftu^ wol^nt,
unb bcr geleitet »irb burc^ ben ^eiligen ©cift. @in Dcean t)on
taufenberlei ©ebonlen, »cld^cr über bie ganje ©otteögela^rt^cit
unb aße i^re I^cile ftc^ erftredt, in bem öeftrebcn, bie Seigren
unb ßeitungcn beö ^eiligen ©ciftc« borüber auSjubrüden, unb
bie ©clbftöcrieugnung ju beförbern. 3n biefem ©inne tft
bie m^ftifc^e Ifieologie nid^t ju mifebilligen, fonbern ju erftreben;
fie ift nid^t^ anbere^ alö bie reformirte ^^eologie felbft fofern
biefelbe burd^ ©otteö @ei[t in bcn ©laubigen, ben ©liebern an
etirifti mt)[tif^em Seibe mitgetljcilt i[t". & ift alfo nid^t erft
ber neuern ßeit Dorbc^alten geblieben, ba§ man ber SIR^ftif,
tpeld^e einen ganj beftimmten ©ebanlenge^alt ^at, unb eine ge*
fd^ic^tlid^ burd^auö abgegrenzte ®eftalt jeigt, einen ganj anbern
Sn^alt unterlegt, um burd^ bie Siebfiaberei für ben litel ju
glänjen. Soet beurt^eilt biefe (Jrfd^einung gefd^ic^tlic^ gonj
rid^tig nad^ bem ^ertmal, bag bie Slnfd^auung @ottc$ al^ etn^aS
erftrebt tüirb, toa^ über bie ßiele beg praftifd^en Seben^ ^inau§*
fü^rt(©. 123); Sobenfte^n, »cl^er bei biefer ©elegenl^eit ficf) bemüht,
baö ®int)crftänbnij3 mit SSoet ju bewahren, erllärt e^ für eine
migbräud^lid^e Scrfd^iebung ber SK^ftif burd^ unerfahrene, bud^^
ftäbtid^e unb unred^tgläubige ©d^riftfteßer in bcr @<)od^c be^
?ßa<)ftt^um§, baj3 bie via illuminativa ober bie l^öd^fte @rleud)tung
im ©egenfaft ju ber via purgativa sive perfectiva, unb auf
Äoften berfclben gelten foUc. S)ie ma§t)oIle Gattung, ttJcl^cSBoct
in biefer S3eäicf|ung an lauler atö Sluönal^me anerfannt ^attc,
mad^t Sobenftc^n atö bie Siegel ber m^ftif^en SWebitation geU
tenb. Unb inbem er ftc^ jugleid^ auf %f)oma^ t)on Äem^)en ate
einen normalen Vertreter bcr äK^ftil beruft, bettjcift er nur, bag
er ^iftorifc^ nic^t orientirt ift.
7. Slßcin biefe Umbeutung ber richtigen 3lnfic^t feincö
Se^rerö ttjar für ßobenftet)n ein ben Umftönben nac^ not^njcnbigc^
SÄittel, um feinen Uebergang ju einer m^ftifc^en I^eorie bcg
d^riftlic^en Sebenö 'su maöüren. SBie in ber oben angeführten
Definition bcr 3Ät)ftit fcf)on l^crüorgcliobcu ift, l^anbelt e§ fic^
für i^n um bie Slufgabc ber ©elbftüer leugnung. Dicfelbc
gilt bei Sabin aU ber lurje Slugbrucf bcö ^riftlic^en ßebenS,
unb ift baran orientirt, bag bie Sl^riften i^ren Qmcd in @ott,
i^rc Siegel an feinem SBiUen finben, bag fie aUe^ ju feiner (S^re
169
t^un, unb be^l^alb auf oQe^ ju t^crjic^tcn l^aben, toa^ als t^r
Sortl^eil na^ bcm gl^H^ erfc^cincn fönntc^. S)aburd^ alfo
toirb bic foHncßc ßtpecfbeftimmung bcö ^d), totlä)c in bcm ©clig*
Icitgftrcbcn auggcbrücft ift, vorbehalten. Snbcm man fid^ »egen
bcö 3^^^^^ ^^'^ ^^^ ®^^<^ ®otteg verleugnet fo ift baüon un-
trennbar ber ©ebanfe, bag man um feiner eigenen ©elbfterl^aU
tung lottlen bie ©eligleit burd^ ©Ott erftrebt. Unb toie fic^ jene
aiufgabc für Ealvin au^ ber Offenbarung burd^ S^riftuö ergicbt,
fo beruht fte barauf, ba§ ®ott ben SBcrt^ ber ®rlöften anerfennt,
tnbem er biefelben burd^ bie ßiebe in feinen eigenen 3^^^ ^^f*
genommen, alfo in birecte Proportion ju ftc^ fclbft Verfemt ^at.
2)ag ift ber unbcjnjcifelbare 3"fömmen^ang, in meldten Salvin
bic ©elbfttjcrlcugnung be^ S^riften ^incinfteflt. hingegen ßobcn^
ftc^n ffi^rt bie Aufgabe auf einem ganj vcrönbcrtcn^intergrunbc
ein.; Cr beruft ft^ auf bie unfehlbare toefentlic^c SBalirl^eit, bag
®ott SlQeö unb bag ©cf^öpf nic^tö ift. „a)ie reformirte Se^re
leiert, \>Q% aßc ©efc^öpfe fo bcm §errn @ott eigen finb, njie ber
Scf)m in ber $anb be« löpferö". „@ö giebt abfolut feine @leid^=
^eit (^Proportion) jnjifd^cn feiner unb unferer SSürbigfeit". 35ic
aflgcnugfamleit ober ©ouöcränetät ®ottc^ läßt nur baran beulen,
ba6 bic öernfinftigen ©cfd^öpfe mie Unter trauen unb ©flauen
feiner SScrl^enlidjung bienen. S)icfe§ wäre baö erhobene ßebcn,
wctd^eS einem S^riften jicmt. Unb ^toax ftetlt ßobcnftc^n alg
©cgenfafe jnjifd^cn einem ©laubigen unb einem Unnjicbcrgeborcncn
feft, bog biefer (ber Unloicbergeborenc) ©Ott fud)t, fürchtet, üer«
^crrtic^l unb bie ©ünben unterlägt,/ bamit er feiig merbe, alfo
um feiner fclbft toillcn, ba§ hingegen ber Ijmrtlid^ ©laubige feine
©eligfeit fud^t, um ©Ott öoUfommen 5U üerl^crrlic^en, au^ einer
Änfc^auung üon ©ottcö SBürbe, alfo nur um ©ottcg willen. 3n*
bcm alfo Sobenfte^n bic Sejie^ungen trennt unb in ©cgenfafe
JU cinanbcr bringt, weld^e in Saltjin'ö S)cutung ber ©elbftocr:» ^
Icugnung fa^gemäg fid^ bcdten, fo verlangt er bie formelle ©elbft-
oemic^tuttg beS 3d^ alö ©efd^öpfe^ aU baö, waö ber SlUgenug*
famfeit ©otteg correlat wäre. 35ic (Sntftellung beö G^riftent^umg
1) Infft. ehr. rel. III. 7, 1: Nostri non sumus: ergo ne slatuainus
nobis hone finem, at quacramus, quod nobis secnndum carnem
ezpediat. Nostri non sumus; ergo quoad licet obliviscamur nos-
metipsos ei nostra omnia.
170
in bem Solle finbct er barin, bag man bic ©eliglcit f ud^t aufeer*
I)alb ber ööHigcn ©clbftüericugnung, baß man alfo hierin mc^r
fic^ fclbft aU ben §errn fuc^t. 5)enn bic Scfc^rung bcftcl^t
nidöt fci^on barin, bag man t)on bcr S3cgef)rnng ber S!BeIt über*
gcftc jur Scgel^rung beö ^immclö, um für fid^ 9luf)c ju finbcn.
§icrin nämlicl^ fe|t man fic^ fclbft jium legten Qtocd. 2JJan l^at
t)ielmel|r in ber 85cfcf)rung nid^t bloö auf bic fttnbigcn Sorfäfee,
fonbcrn aud) auf bic guten ju üerjic^tcn, »eil fotc^er SBille, ber
ijttjar nid)t böfe ift, böfc »erben »ürbe, »enn er nid^t gänjlic^
gcfd^molsen unb verloren mürbe in (Sottet SBiUcn. 3)aö ^eil
alfo beftel^t nic^t in bcr SSeränberung ber ©cgcnftönbc unfercö
S3cgcf)renö für un§ felbft, fonbcrn in bcr SBcrIeugnung unferer
felbft in SBcjic^ung barauf, baß mir ©cfd^öpfe finb. 2)cr §crr
aßein um feiner felbft millcn muj3 ber ®egcnftanb unfercö Sc^
gcfircnö fein. S)ie SSSafir^eit ift, ba§ ber §crr allmürbig ift, meit
afleiJ oon i^m gefd^affen ift, unb ba§ bic ©cfd^öpfe noc^ mcniger
ate nid^tig finb; alfo befielet bic ©eliglcit barin, baß man in
bcr Stnfd^anung bcr §o^cit ®ottc0 fid^ felbft bei bem §crm ju
SHd^t« mad^t, fic^ felbft öcrgißt, alle firäfte unb SBcrmögcn ab*
legt, fic^ unb alle ©efd^öpfe verliert, um ®ott ju ocrl^crrlid^en.
Slud^ baö Äönigt^um, mcldieö ben S^riften mit ber ©rlöfung
öcrlic^en ift, befte^t barin, ba§ fie 3l'\ä)t^ unb bcr §crr allein
ergaben ift, unb ba§ fie fid^ felbft be^errfd^en, um allen il^ren
SBiHcn ©Ott ju untermerfen. ©cit bem Slrcopagitcn bcjcid^nct
man mit äW^ftit bic grömmigicit, meldte fic^ ju Slllem, ma§
unter bic SBclt ober ben Segriff ber Sreatur fäUt, negatiü t)er*
' ^ält. S)ie öon ßobenftc^n befc^riebenc ©clbftücrlcugnung ift
alfo m^ftifd^. S)iefc ®ntfagung oom eigenen SBillen in ber ?ln=
fd^auung bcr ©ouoeränetät @otted ift aDcrbingiS cigcnt^ümlic^
bebingt burc^ ben leitenbcn Öegriff oon @ott, beffen §erfunft
JU beftimmen oorbe^alten bleibt. 9lbcr ber Einfluß biefcö ®c*
banicnö t)on ©ottc^S aUgenugfamfeit auf bic gcfammtc Slnfd^au*
ung ßobcnftc^n'd oom d^riftlic^en ßcben ift baburrf) bc^cid^nct,
•baß biefer oon Sobenfte^n al^ allgemein Vernünftig gc*
backte Segriff an bic ©teile bcr Serfö^nung burd^
S^riftuö gefegt mirb. /3m urfprünglid^cn cüangelifc^en ©inne
begrünbet biefe bic ©cnnßl^cit be^ SBcrtl^c^, ttjcl^cn bcr ©laubige
im Scrljältniß ju ©ott mic jur SBclt ju bettja^ren l^at. / Dicfcr
SBcrt^ mirb erfahren in bcr ©timmung beiS gricben* unb ber
171
tJrcubc, toeld^e ftd^ unter ben tüed^fclnbcn ©tcHungcn ber SBelt
jum SKcnfd^cn erl)ält unb im ©cbet ju ©Ott fid^ fierfteHt aug
bcn cttoa cintrctenben ©c^ioanlungen. @ö ift fd^on barauf \)xn»
getpicfcn, baß fiobenfte^n baö griebenögeffifil unb bic ©ewiffcnö^
bcrul^igung auö bcr SJcrföf)nung im Allgemeinen tjerbäd^tig finbet,
unb bie ©ettjißl^ett bcr göttlid^cn §ülfe geringfügig Qd)tet gegen
bie aSersid^tleiftung auf ba^ gaujc eigene ©elbft jum Qmd ber
Scr^errlic^ung ©otted (©. 157) JCeöl^alb ttjill er auc^ ben ©tauben
an ©otteö SSorfe^ung unb bic ©ebulb im Seiben, ebenfo bag
@ebet an biefer ganjj allgemeinen 3Ba^r(}eit orientiren, ba§ bcr
aWenfd^ nid^tig unb ba§ @ott afleö fei. 35eöf)alb follen namcnt*
lic^ bie ©ebet^bege^ren unter ©otteö Verborgenen SBillen ober
bcn SBißen be^ S^ef^Iuffeä gefteßt ' loerben, mä^rcnb bie gctt)öl)m
liefen ©Triften ben geiler begeben, bur^ if)r ©cbet ben ^errn
ju i^rcm Äned^te machen ju moUen, bamit er ifiren SBiQcn unb
i^rc SBcgriffe jur ÄU!?füf)rung bringe. Slber eben nad^ feiner
Verborgenen SBci^l^eit entjiclit ©Ott gcrabe ben glommen
vielfad^ bcn ©eift ber Ucbcrjcugung unb be^ Iroftei^.
9laä) bem, ttjag bi^ber erörtert ift, fielet cö fo au^, afö ob Soben*
ftcl)n ba« contcmplative ßeben ale bic cinjige gorm ber ©elbfi*
Verleugnung barftcQtc. SlUcin feiner f(^on crioäl^ntcn (©. 169)
abfielt gemäß fuc^t er biefe Kontemplation ber SlUgcnugfamfcit
©ottcö unb bie praftifc^e SBirffamIcit auä ©otteö Äraft jiufammcn^'
jufaffctt unb alö bie ein^eitlid^c ?lufgabe ju beuten. Slßcrbingö
bü aded äßirfcn auS bem ©eift ©otte^ fommen foll, fo ift man
junad^ft attflcttjicfen, ftille auf ben ^errn ju warten. Unb biefe^
fc^lt bem SBolfe. 3)enn ttjcr ift im bauernben ©ud)en nacft bem
^immtifc^en gcuer begriffen, meld^eö allein unfere §crjen ent*
jfinbcn unb jum Opfer für ©Ott tauglid^ mad^en fann? SBcr
liegt fo an bc^ ^immclö I^ür wie ein Settier, ber auf be«
§crm guten SBißen wartet? Sffier adelet genau auf baö, toa^ ber
^err in i^m f priest? Damit biefe ©elaffenl^eit nic^t mißoerftanben
werbe unb nid)t ben Anlaß jur SRac^laffigteit unb Untf)ätigfcit
gebe, muß man frcilid) ben ©eift ^aben. Aber rid^tig verftanben
ift bie Sc^re von ©otteö ©ouoerönetät ber cinjige Duell aller
wahren SBirIfomleit eincö ©Triften jum gielc ber SSoUtommcnl^cit,
bemgemäß baß man ©otted ©tärte an bie ©teile ber Unmad^t
be^ 9Äenfc^cn unb ben ©eift bcig ßebcn^ an bic ©teile ber tobten
iRatur bringt. S)ic gorm biefe^ Sorgangeö ift freiließ bie, baß
y.
172
ein Sl^rift fo tüirlt, als ob er cö allein t^äte, unb baß er fo
auf ©ottcg ®eift unb §ülfc märtet, aU ob er über»
^aupt nic^td t^äte. 35enn njenn ein ©laubiger fic^ jju feiner
^ftid^t oufrid^tet, fo ift barin enthalten, bag er t)om ^eiligen ®eift
baju aufgemedt njirb, ba bicfer nid^t außer unb oI|ne i^n, fonbern
in unb burc^ il^n tl^ätig ift. t$ill^lt er nun, inbent er an^ SBerf
ge^t, großen äWangel an ©cift, fo erwecft er in fid^ oiele S)e*
mut^, ßuc^t, Sefd^ömung, ©erlangen, (Srnjartung, burd) »elc^c
er auö bcm ®eiftc ®otte^ mel^r bemcgt wirb, aU er fic^ felbft
benjegt. (Jnblic^ bel)auptet Sobcnfte^n, baß biefe SBirtfamlcit beö
©laubigen il^ren SBert^ nid^t erft baburc^ l)abe, baß fie ftet^
t)on bem formellen ober actioen ©ebanfen an ben Söeiftanb beg
göttlid^cn ©eifteö begleitet fei; e^ foll nur auf ben l^abitueHen
©ebanfen baran, alfo auf bie ©timmung anfommcn. S)ic Son-
templation ber göttlid^en SSoUIommenl^citen unb bie barauö ent^
fpringenbe ^eiligleit alö Sonformitöt be^ §anbelng mit ©otteö
@efe| mad^en jufammen ben ©tanb ber SBer^errlid^ung aug, in
toeld^em baö irbifc^c ßeben f^on bem jcnfeitigen gleid^artig ift.
35iefcö alfo ift aud^ ber ©tanb ber ©eligleit, trofebem bag ®e=^
ffi^l beö IroftejJ unb ber Ueberjeugung ni^t in allen ^JäHcn
unb in allen Seiten bamit oerbunben ift. „S)enn bie Organe
ber ©eligf eit finb SSerftanb unb SBille ; biejenigen alfo ftnb feiig,
meiere ben §crrn lennen unb lieb l^aben."
3n ben „SBefd^auungen S^^nö" ift ber lefetere ©ebanfc
niemate mit ben garbcn beö §ol^enliebe§ bclleibct. Slid^t^ befto^
toeniger muß bie öctrad^tungöttjeifc üon Sobenftet)n außerbcm
fe^r ftarl nad) biefem ßanon fid^ gerid^tet ^aben. S)ie gefü^ltge
Siebe ju Stiriftu^ unb bie aUerinnigftc ®emeinfd)aft ber ©eelc
mit i^m fd^äftt er in einer ?ßrebigt alö bie fidjere Settja^rung
oon ®otte3 ifinbem. 3n ber ?ßrcbigtfammlung oon Dan ber
§oog^t ftüfecn ftc^ nämlid^ brei ?ßrebigten ßobenfte^n'g auf lejtc
au§ bem ^o^cnlicbc. §ier befolgt er jtoar birect bie <)atriftifc^c
Suglegung, baß bie S3raut bie ^ird^c atö ®anjeg bebeute; in^
beffen bie praltifd^e Änwenbung filiert it|n auf ba^ entfpred^enbc
aSer^altcn ber einjelnen ©eelen ju bem §errn 3efu§. „Scfud ^at
eine §anb, um baö §erj ju jie^en, unb eine beöote ©eele ^at
ein §erj, ba^ nac^ i^m auggc^t. Unb baö ift bie toal^re Sicligion,
bie mit bem ®lauben anfängt unb bur^ bie Siebe mirffam
bleibt." S)iefe3 ift nun aud^ bag Sfiema man^cr ber öiel gc*
173
V
tcfenen itnb gcfungcncn Stcbcr t)un Sobenfte^n ^). SBcnn bie
Sonöeittttclc^riftcn gegen (Jnbc beö 17. 3ö^rlöunbertd nad) ßobeit::
fte^n genannt njorbcn finb, fo muß bie SBcftimmt^cit bcr gröm*
migfeit burd^ bie ©c^emata beö ^o^enltcbe^ ate ein §auptmerl«
mal ber Uebereinftimmung jmifc^en bcn Slad^folgcrn unb bcm
Sorgängcr in Sßetrdd^t gebogen toerben. ©ie mad^t ftc^ aud^
fe^r bemerllt(^ bei mehreren SÄännern beutfc^cr §crfunft, öon
toelc^en bejcugt tt)irb, ba§ fic al^ ©d)üler Don SSoct aud^ ben
Sinflug fiobenfte^n'd erfatjten ^aben.
10. ^i'^i'cnd nan £obcnftci|n. @ctn rcIigtSfcr unb tirc^Itf^cr
@tattb)ittnlt.
S)ie m^ftifd^e SBenbung in ber Slnfd^auung Sobenftc^n'ö
Dom c^riftlid^en ßeben, nämlid^ bie Deutung ber ©elbftücrleug^
nung nad^ beni@runbfa^e: ,,@ott Siaed unb ba^ @efc^öpf nic^t^"
— fd^Ucfet, »ie f^on bemcrft mürben ift (©. 169), eine Slbmcid)ung
Don ©alöin in ftc^. S)ie formale ©elbftüerneinung, welche Soben*
ftc^n jur &)xc ®otte^ forbert, »irft auf bad ©treben beö äWen*
fc^cn nad) ©cligfeit um feiner felbft »illen ben SSerbad^t beö
lEgoii^mui^, ober melme^r ber unberechtigten ISr^ebung bed @e^
fc^öpfed gegen bie äJ^aicftöt unb ©ouüeränetät @otte^. %nx Salmn
hingegen üerfte^t eö ftd^ Don felbft, ba§ bcr SÄcnfd^, um fic^ in
ber göttlichen ^eltorbnung enbgültig ju erbalten, feine ©cligfeit
crftrebt; unb tocnn er babei auf eine äWenge Don g^^^cn enb*
lid^cr Srt ju Derjic^ten l)at, fo foll er eben burc^ bie ^ufna^mc
be^ göttlichen Qmtdt^ and) fein Seben al^ en)igci^ bema^ren.
Dicfcr ©ebanfc fte^t ben Sieformatorcn in bcm SKage feft, aU
fie im S^riftent^um bie Offenbarung bcr @ätc ober Siebe @otte^
crfennen; benn bie äJJcnf^cn, benen burd) Sl)riftuS bie Siebe
@otted bemä^rt mirb, n)crben eben baburc^ in ben ^ereid^ bei^
göttlichen ©elbftjmecfd eingefc^loffen. ^ie ©ouDeränetät @otted
1) Uyttpauningren, jucrjl 1676, (oben mir in 13. ?luf[. (?lmJlerbom
1752) üorgelcflen; docbet notirt bie 16. %ufi. t>on 1780.
174
^ingccjcn i[t ein %itd bcr cjöttlic^cn aBißen^mad^t t)on ber Art,
bafe i^r ®nbätücd, bie (g£|re ©otteö, \x6) fpröbc gegen aCeiS Än^
bere üerpü, alfo and) bie ©rl^altung ber glommen in i^rer
©cügfeit ^öd^ftenö nadj SBiDfür, aber nic^t in erfennbarer fjolge^:
rid^tigteit erhört. 5)iefer Segriff t)on bcr ©outeränetät ober
?lUgcnngfQmfcit ®utte§ ift nun bie befonnte ©runblage ber
Se^re üon ber boppelten ?ßräbeftination, unb jugleic^ bcr Xitel
für ©Ott, njcldjcn bie nicberlanbifc^^^cotoiniftifdien Drtf)oboEen ju
®^rcn jener £e[)re al^ 2luögangöpun!t beö ®t)ftentö cingefeftt
fiattcn (®. 135). 3)a6 biefeö I^cologumenon oon ©omaruö unb
tjon SBoct in bcm ®cban!enlrcifc ßobenfte^n'^ eine fo fjcroor^
ragenbc ©teile einnimmt, tann burdjauö nic^t auffallen. Slber
übcrrafd^cnb ift bie SSertoenbung biefcr 3bce burd^ il)n. Jlämlic^
in ben „öcfd^auungen 3iö"^"f ift niemals bie Stcbe oon bcr
^räbeftinationöle^re, gcfc^njcige baß oon bcr Sbcc ber endigen
Sermcrfung gegen bie „geiftlofen" Äirc^engenoffcn ©cbrauc^ ge*
mad^t mürbe. 3)araug folgt natürli^ nid^t; bag Sobenftc^n
bie 2cf)re nic^t anerlannt l)ätte; iebod) bemäfjrt ftdj micbcrum
an jener Ucbcrgcf)ung, ba§ bie boppelte ^räbcftination felbft für
einen äd)tcn Sieformirten ein unpraftifc^er ©ebanfc ift (©. 134).
äWan fönnte nun frcilid) nic^t begreifen, baß biefe ßc^re baö
t^corctifd)e 3)enfcn ber caloiniftifc^en Xfjcologen gcfeffclt unb
be^errfd^t ^at, unb j^uglcic^ über^au^Jt !cincn ©influß auf bie
religiöfc ^ßraji^ geübt ^aben foQte. ®in fold^er ift ja nun aud^
bejeugt bei l^eroifc^en ?ßerfoncn in gefä^rlid^en ßagen be^ Se6en§.
SKan benfc an SBil^elm oon Dranien unb an Dlioer SrommcH!
Slber mie bie ?ßräbcftinationöle^re in gemö^nlid^en SSer^ältniffcn
für gemö^ntic^c 9Wenfd^en bircct prattifc^ merben foHtc, ift eine
biö^cr nid^t gclöfte 5^agc. (Sine 3lrt biefcr ßöfung mirb nun
burc^ Sobcnftet)n*ö Se^re oon ber ©elbftüerleugnung bargeboten!
3n i^r mirb ber @otteögeban!e praltifd), unter mclc^em SSer*^
mcrfung unb Srmö^lung coorbinirt merben, ber @eban!c ber@r=
^abenljcit ®otteö, mel^e jebe Proportion jmif^en ©cfd^öpf unb
©(^öpfer au^fd^tießt, ber ©cbante be^ unbebingten SBillcn^, in
beffen §anb bie @cfd)öpfe mie £el|m in ber §anb bciS löpferö
finb. §ierau§ folgt bie SSerjic^tlciftung ber ®ott bienenbcn
Süienfc^en nid^t bloö auf bie ©üter biefcr SBctt, fonbern auf
jeben eigenen SSorfafe; ^icrauö folgt, bag man feine ©cligleit
nid^t um fein felbft millen, fonbern nur ju ©otteö ffi^re erftrcben
175
barf. S)iefe formelle ©clbfttjerlcugnunfl ift bie ^rajtö, toefc^c
ber f^ftemotifc^cn ^ocfiftcUung bcr 2cl)re Don ber bo<)peltcu ?ßrä^
beftination entfprid^t, locil beibc in bem Icitenbcn ©otteöbegriff
übercinftimmen.
S)ie Dorgef^riebcnc Slbftraction t)on bcr geiftigcn ©clbft
er^altung unb @e(bftbeftimmung äbcrl^aupt fann ntd)t anberiSju
©tanbc fommcn, al§ in bcr Söegleitung einc^ Dor^errfd)cnbcn Qit^
ffif)l^ ber Unluft. 3)q^ bezeugt nun Sobcnftc^n t^eilö in bem
3ugcftänbni6, ba§ @ott gerabc ben JJrommcn Diclfac^ ben ®eift
bcr Ucbcrjcugung unb bcö Irofte^ entjiel)t, t^eil^ in bcr 93c*
^QUptung, ba§ SBcrftonb unb SStQc bie Organe bcr @cligfeit
feien, aU ob baö ©cfü^l ^icbci au^gcfc^Ioffcn ober ignorirt
njcrben fönntc. 9ia^ bcr Angabe Dan 9i^<)'ö ^at auc^ Sobem
ftet)n monc^mal gcflogt. bag er menig gcffi()I^niä^igc 9lnfc^auung
Don ©Ott ^abc, benn, fügt er ^injn, bem §crrn beliebte c^, i^n
üicle 3<^it in S)unlel^cit ju leiten. „S)er §crr offenbarte oicle
l^immlifc^e SSerborgenl^eiten an it)n, unb eö mar beinahe fo, als
ob er bauernb in baö erleuc^tcnbe Slngefidjt ©ottcö unmittelbar
flaute; nid^tS bcfto ttJcnigcr ttjar er bunfel jn |)infid)t gefüllter
@nabe. Äud^ unterwarf er fic^ biefem ©utbcfinbcu fcincd ®ou^
öerän« bcrcitnjiUig, ba er wu^tc, baß wir ^ier nid^t im gül)len
ober änfd^aucn, fonbern im ©laubcn ttjanbcln". ?ll§ er in
feiner lc|tcn Äranffictt gefragt ttjurbe, ob er ttjol^l bie göttlicl)e
Siebe fü^le, antttjortetc er: „3BaS fül^lcn? ÜRan mu§ glauben,
bog ©Ott gut unb aUgenugfam ift; id^ fä^le nid^t, aber toei§,
bafe in bem §errn 3efuS eine %nilc t)on ®nabc ift, unb id^ lege
mic^ auf ben ©aljbunb nieber, ber unücränbcrlid^ ift." SBie-
berum: „3c^ bin arm, blinb unb nadtt, \a ein tobter §unb,
bennoc^ njcrbc id^ auf biefem ffiege, ben Scfuö burc^ fein Slut
bereitet ^at, ju @ott cingcfien."
CS ift im allgemeinen bem ßalüiniömuö entfpred^enb, bag
man mit einem nfic^ternen trodtenen ©laubcn fic^ jufricbenftcllt
unb abnmrtct, ob ba§ ©efü^l beS §rileS, meldte« in bem SJJafec
liU fliegen pflegt aU man eS erftrebt, fid^ cinftcUen tt)irb*). 3c*
bo<^ bie Don fiobenfte^n befolgte äJ^ct^obe ber @elbftoerleugnung
ma^t biefed @efüt)l gerabeju unmöglid), ba fic fic^ auSge«
fproc^cnermagen ni^t auf bie Siebe ©ottciS ju feinen SÜinbern
1) Secgl. Se^te t)oti ber Ste^iferiigung unb Serfd^nung III. ®. 134.
176
in ß^riftuö, fonbcrn auf feine f^ranlenlofe SKad^t über feine
®cfcf)ö<)fe ftüfet. aSer fid^ @ott gegenüber alö einen tobten §unb
fennt, ift beS^alb nur auf bie »illlürUc^e Verfügung ©otteö
angenjiefen, bag burc^ Sl^rifti SBlut ber 3^9^"9 h^ i^^ offen
ftefjt. 9lac^ biefem 9WaJ3ftobe alfo gilt eg für Sobenfte^n alö
ein ^auptirrtl^um, bie ©eligfeit in @ott alä eine greube aufju^^
f äffen, meldte bie Sitter feit ber ©elbftüerleugnung auöfd^Iiejscn
tüürbe. SBenn nun bie ©elbftüerleugnung ftetö burc^ ba^ ©e-
ffil^I ber Unluft auägeäcid^nct fein foU, fo foH iuxd) biefe ?ln=
nafime bem ©efd^madt ber ©elbftgered^tigteit entgegengett)irlt
»erben, njetd^er mit bem in ber ©clbftüerleugnung eingefd^loffenen
©treben na^ SBoQfommenl^eit fid^ leicf)t üerbinben fann. . Um
l ßobenfte^n'ö ©teUung ^ieju ju erläutern, f omme ic^ nod^ einmal
auf feine oben (©. 153) befproc^ene ©c^rift „öon ben UnöoII-
lommen^eiten ber ^eiligen" jurücf. Den birecten ÜÄa§ftab für
bereu Umfang unb Slrt fd^öpft Sobenfte^n auö ber öon iJut^cr
unb Salüin Vertretenen S)eutung ber SBefenntniffe beg 5ßautug
in ber jjttjeiten §ötfte bon Siöm. 7. (gö foH alfo toon bem SBie^
bergeborenen gelten, bag er baS ©egent^eil Don bem t()ut, toa^
er ttjill. 9lun tt)irb aber bie SBemerlung öon ©omaru^ ^injuge^
nommen, bafe fid^ bieö ni^t auf bie ^anblungöroeife beö Slpoftctö
bejielje, ba berfelbe burc^ gute SBerfe auögejeid^net toax. Älfo
tüirb angenommen, baj3 bie innerften unb crften SBillenäbctoegungen
bc§ SBiebergcborenen bon ©elbftfuc^t unb (Sigenfinn beftimmt,
unb aU berbammlic^c ©ünben anjured^nen finb. SBir muffen
l^ierüber fo urtl^eiten. ©efefet, baß biefeö eine allgemeine I^at*
fad^e ift, fo ift ber ©taub ber SEBiebergeburt ober ber c^riftlid^e
S^aratter übcrfiaupt eine ©inbilbung. Ober e^ giebt c^riftUc^en S^a^
rattcr, bann finb bie SSorfteUungen t)on mögtid^emfelbftfüd^tigcn
§anbeln, tt)elc^e nad^ ber med^anifc^en Seibegung beö ©eclcn^
lebeng burd^ üerfc^iebenartige SRcijc hervorgerufen, aber juglcid^
burc^ ben georbneten SQSillen ungültig gemacht n^erben, meldte
alfo ben ä33illen nid^t einmal als SSerfuc^ungen reiben, um fo
tpeniger ate Verbammlid^e ©ünben jju betrad^tcn. SBcr aber biefe
falfc^e ©d^äfeung ber mec^anifd^en Slffociationen von SSorfteflungcn
übt, bie niemals ju Slntrieben beS SBiHenS ttjerben, ftürjt fic^
in eine jieHofe ©rübelei unb abfid^tlic^e Unfic^er^eit ber ©tim*
mung. SBenn alfo fiobenfte^n nac^ ber angegebenen ÜRet^obe
fid^ felbft beurt^eilt f)at, fo ift eS boppclt Verftänblic^, bag ©Ott i^n
177
meiftcnt^ctte in 3)unfcl^cit gcffl^rt l^ot. SBic mu§ er aber in
biefer $infi(^t fid^ üon feinem Sc^rcr Soct unterfc^iebcn l^aben?
SSSenn biefer behaupten fonnte, bog bie Ucbung ber ^räcifität
eine er^cbltd^e ^örberung ber geiftigen g^eil^eit unb bei^ ©emütl^
friebend nod^ fid^ jie^c (©. 113), fo mirb er biefeig tt)o^l no^
ber Srfa^rung an fid^ felbft unb Slnberen I)Qben bezeugen fönnen.
SSenn man aber fiobenfte^n nid^t ju biefer @ru))pe red^nen fann,
fo öertritt er mit feiner ©ftupulofität ofine ßtüeifcl biejenigen
grommen, njcld^e nad^ SSoct'^ angäbe (©. 117) fid^ niemals für
würbig genug jum ©enuffe bed äbenbmal^le^g hielten. Diefe 8b*
n)eic^ung in)ifd)en ben eng üerbunbenen 9J2ännern lägt auf einen
@egenfa^ i^rer lemperamentöanlagen fc^Iiegen. 3n biefer SJer*
glci^ung aber erf(^eint Sobenfte^n in unöerfennbarem Siad^t^eil.
Snbcffen mu§ bie bidber gefc^ilberte religiöfe Haltung öon Soben*
fte^n noc^ einer befonbern Seurtfieilung untennorfen »erben,
bamit i^re SBcbcutung in ber ©cfc^ic^te Kar njerbe.
3unäd)ft ift e^ bcmerlcnönjert^, bag nod^ ben Angaben öon
Soet unb t)on fiobenfte^n bie 9{id^tung auf $räcifität unb bie
©trenge gegen bie excelsa mundi, ttjeld^e fie Vertreten, t)on ber
grogen 9Kenge in ber rcformirten ^r^e, auc^ nad^ ber 9ud«
fc^eibung ber Stemonftranten, atö unbered^tigte iReuerung unb ald
ni^t rechtgläubig angefel^en njorbcn ift (©. 103. 165). D^ne 3^cifel
ift biefe fllbneigung gegen ben ftrengen (SatoiniiSmud bei benfelben
SRitgliebern ber jfirc^e ju fud^en, n^etc^e bie SSerfö^nung lut^erifd^
auffaffen, aber bad ^benbmal^l jminglifd^ beuten, unb jugleid^ bie
Competen5 ber n^eltlic^en Obrigfeiten in ber ^ird^e, namentlid^
in bidcipltnorifc^en Angelegenheiten anerfennen. S)icfe lut^e*
rifcfy=ätt)inglifd§e Unterftrömung mug nad^ ben Äeugcrungen ber
beiben claffifd^cn S^i^flc" unter ben Saien fogar bao Ucber*
getoic^t behauptet ^aben. ^er Q^alDini^muS, ber ja nad^ ben
beutfd^en 9lieberlanben t)on bem franjöfifd^en X^eil beS burgun^
bifc^en 51treife§ an« importirt ttjorben, unb burc^ feine SSerfted^tung
mit bem politifc^en SJefreiungSfampf jur ^errf^aft gefommen
loar, ^ätte bann überhaupt nur in einer SKinorität ber fiaien
üoQe 3ufttmmung gefunben! Unb ))on ben @eiftlic^en laffen bie
ftlagen £obenftet)n'S üermutlien, bag ein groger X^eil berfelben
SiDor bogmatif^ ort^obojr, aber fflr bie gefteigerten praftifc^en
Xnforberungen bed Oiatoinidmu« ni^t befonberd begeiftert, fonbern
nur baffir intereffirt mar, bag bie regelmägige gottedbienftlic^e
1. 12
178
©ittc Scftanb bettelt. SBcnn nun baS ß^riftentl^um in bcr ®c»
ftalt einer SSolf^firc^e barauf angetoiefen ift, in einem aWittclnta§
öon öffentUdöcr ©itte unb in münnigfad^er äbftufung be^ reli^
giöfcn Sntcreffe^ bcr (Jinjelnen aufredet erlöaltcn ju tt)erben,
toenn ferner ßobenfte^n an ber bfiirgerlic^cn (g^rbarleit unb firc^^
lid^en 9legelmä§igteit feinet SSoIfei^ nic^t^ auSjufe^en finbet, aber
cö bcmfelben nic^t gönnt feinen ^rieben mit @utt in bem freu«^
bigen ©efül^I ber (Sriöfung \>\xx6) S^riftu^ ju fud^en, njeil bic
ännal^me ber UnDoUfommen^eit bcr guten SBcrfc iux 9lac^^
läffigfeit im fittli^eu Streben herleiten !ann, fo tpirb man an
feiner Slnfid^t öon ber faft völligen ^©eiftloftgleit" feiner Äirc^e
t)iel abjujic^cn l^aben. S^ fommt aber noc^ Snbered in ä3etrac^t,
woburd^ bcr ©d^ein befeitigt toirb, atö ob l^icrin einer <)arteiifc^en
^ Anficht nur eine anbcre gegenüber gefteßt njürbe.
äl^ Salöinift nämli^ mu§ ßobenftc^n fid^ gefallen laffcn,
nac^ feiner ©tcQung ju bem l)raltifc^en §auptgcbanfcn ßut^cr'i^
gefragt unb beurt^eilt ju »erben; benn Sabin fclbft tt)ill in
biefer Scäic^ung nur ben üon Sutl^cr eröffneten SBeg inne galten.
9lun grenjt \i6) bic cüangelifc^c Äuffaffung beg S^riftentl^umö
gegen bic mittcIaltrig:=IatftoIif(^c baburd^ ab, ba% bcr triebe mit
@ott a($ gegeben gilt, inbem man an bie SSerfö^nung mit @ott
burc^ ß^riftuö glaubt, unb juglcic^ feinen fittlid^cn Scbcnöauf:^
gaben im ^ienfte @ottcd überhaupt fid^ n^ibmet. 3Sla% ber gött^
lic^e Iroft im Seben auc^ nic^t ftetig fein, mag er aud^ immer
toieber burc§ Sicuc unb bnxd) ©cbulb ermorben ttjcrbcn mfiffcn,
unb am mcnigftcn in einer glcic^ ^oc^ erhobenen ©timmung
religiöfcr Suft befeffen tücrbcn, fo mu§ er eben bod^ in bem
©clbftgefü^I ber ©otteöünbfc^aft überl^aupt öorlianbcn fein, wenn
man in erfolgrcid^er, obglcid^ ftet^ aU untjüßfommcn erfd^einenbcr
fittlid^er Ifjätigfcit begriffen fein foH. S)icfe rcligiöfe unb fttt»
lid^e Haltung ift möglid^, menn man bic Siebe @ottc^, bie in
S^riftu« ung offenbar ift, baf)in öerftc^t, baß man für @ott
etttjag toert^ ift, um burc^ i^n fclig ju fein. Qn biefer Seben^^
anfid^t, meiere bic Sieformation beö 16. Söljrl^unbcrt« leitet, ^at
Sabin nur cigcnt^mlid^e aRotit)c ftrenger ©ittc ^injugefügt,
aber er ^at jene ©runblagc nic^t öcränbert. Unb tocnn bic
Ideologen feiner ©^ulc nid^t in iebem galle auf eine acute
@egenn)art ^o^en ©eligleit^gefäl^tö rcd^nen, fo ^aben fie bamit
nur bcjcugt, bag bie @ebulb, meiere beffen (Eintreten ru^ig ab^
179
ttjartct, gcrobc ba« fid^crftc äÄittcl ober öiclmc^r ba§ bircctc
Organ bcffclbcn ift. 35aju ücr^lt ftd^ nun Sobcnftc^n in au§*
fd^Ucßcnbcm ©cgcnfa^! 3n feinem ©trebcn nad^ gcfeftlic^cr SBoD:^
fommcn^eit, wcld^e mit bcr formellen ©clbftöerleugnung jufammen*
fällt, forbert er einen birecten SSerjic^t auf bad ©effil^I ber @nabe,
unb inbcm er im Sngcfic^te bcö lobe^ fic^ ®ott gegenüber tt)ie
einen tobten ^unb ad^tet, l^at er nid^t gelernt fid^ atö ©ottei^
Äinb feiig ^u fuf)len. Unb bag ^at feinen guten ®runb, ba er
mit feinem ©egriff üon ®otte§ foutjeräner SKad^t unter bie @r*
fcnntnife t)on ber burd^ S^riftu^ offenbarten Siebe ©otteö fierab^
gegangen ift, toelc^e fintier jum ^Reformator be^^ (ateinifc^en
S^riftent^umd befähigt l^at.
S33ie jener gel^Ier fd^licßlid^ aucf) burd^ fintier Veranlaßt
ift, inbem bcrfclbc ben nominaliftifd^en S3egriff oon ®ott feiner
^räbeftinationöle^re ju ©runbe gelegt ^at, foU nid^t tt)ieber^oIt
roerben. ÄDein eben, Xütil Sobcnfte^n biefen rein tl^eoretifd^en
S3egriff atö ben einjigen äWaßftab beö d^riftlid^cn Seben« für
fic^ in Sßirffamfelt gcfcfet I|at, fo ^at er eine Änftd^t t)on biefem
crreid^t, toeld^e im ©ebiete ber latl^olifd^en Äird^e il^r ^eimatl^^
red^t l^at, nid^t aber im Umireifc ber t)on Sutfier eröffneten Sie*
formation. 2)er ©efic^töpunft bicfer ®pod^c ber Äird^e ift ber:
SBeil ©Ott in ß^riftuö ate bie Siebe offenbar ift, fo l^at jeber
g^riftgläubige in ber d&riftlid^en ©emeinbc einen cigent^mlid^cn
SBertf) für @ott unb ift jur ©elbftönbigfeit gegen bie SBelt be»
ftimmt. S)ie gormel beö ifatj^oliciömu^ ift fo ju f äffen: Snbem
©Ott ber erhabene unb ttjiUfürlidj^Tcie SBille ift, ju ttjclc^em bie
SBclt im ©anjen unb ber ÜÄenf(^ im Scfonbern feine ?ßroportion
bc^uptet, fo ^at ©Ott ben ©laubigen in ber Sfirc^e einen bt^
liebigen fficrt^ für fid^ felbft beigelegt, ttjenn fte t^eiU Serbicnft
erwerben, t^eil^ bemüht finb, il^re <)crfönlid^e ©elbftSnbigfeit in ber
SBelt burd^ Ä^fefe unb m^ftifc^e Kontemplation aufiuopfern. ®« ift
ni(^t jtoeifelljaft, baßSobcnftc^n'g SBelt* unbSebeni^anfid^t unter ben
©ereid^ bei^ lefetem ©runbfafeeö gePrt. ©eine m^ftifcfie S)eutung
bcr ©elbftüerleugnung ift in ber beftimmten fjorm innerhalb beö
9Xtttelalter£^ oielleid^t nid^t t^orgef ommen ; allein fie fte^t in ber
nSc^ften Säerwanbtfc^aft mit bem jüngften S^^^9^ ^^^ Wid^tung,
mit ber fogenannten quietiftifd^en SK^ftif. Sobenfte^n'g «nftc^t
ift aOerbingd nic^t aud biefer ©d^ule entlehnt, fie t^eilt aber bie
Üeberrcijt^eit, bur^ ttjeld^e biefetbe belannt ift, nämti^ ben 81m
180
I
fprud^, fid^ bcr ©eügleit in ®ott ju öcrfic^ern, gcrabc inbem
man fic^ nic^t feiig, ober inbem man fic^ unfelig fü^tt. Sin
Umftanb freiließ bejeic^net noc^ eine SSerfc^ieben^eit jn)ifc^en
beiben ^^oi^nien. äBä^renb in ber fat^olifc^en Wlt)\tit unb nac^
bem @runbfage ber fat^olifc^en ^irc^e äber^aupt bad tptige
£eben regelmäßig auf einen geringern äBert^ atö bie Slnfc^auung
©otte^ beurt^eilt wirb, mü Sobenfte^n in feiner ©elbftuerteugnung
bie Kontemplation ber ©ouDeränetät @otteS mit bem auf SSoH-
fommen^eit gerichteten äBirfen in ber Erfüllung bed göttlichen
@efe^ed aU (Einheit jufammengefagt n^iffen. Snfofern ^ält er
einen ^auptgefid^tdpunft be^ SaloiniSmud feft. Sd fragt fic^ nur,
ob c^ bentbar ift, biefe SSorfc^rift in einem anbern S3erufc aU
bem beg ^rebiger^ unb ©eelforgerj^ ju erproben. S)er acute
@ebanfe an (Sott, nielc^en fiobenfte^n bei bem berufsmäßigen
^anbeln ber e^rlid^en fieute uermigt, fann aud^ nur in einem
folc^en Serufe ununterbrochen gegenwärtig fein, wie er i^n führte,
— ober bei Seutcn ol^ne Seruf, namentlich bei ben unüer^
^eirat^cten grauen, weld^c bie ^eroorragenbfte ©tcUe unter 2o*
benfte^n'i^ Sln^ängern eingenommen ^aben. SS ergiebt fic^ auS
biefer (Srörterung, ba§ ber ©ottcSbegriff, auc^ wenn er jwifc^en
Jiat^olifen unb $roteftanten im 16. Sal^r^unbert nic^t ftreitig
geworben war, boc^ bei i^nen nid^tS weniger als ibentifd^ ift.
(Sin 9{äcffaa in ben fat^olif^en @otteSbegriff, wie i^n Sobenftet)n
beging, war jebod^ auc^ baburc^ möglid^ gemad^t, bag man bie
üblichen EontroücrSpunIte jwifd^en ben ^irc^en für erfc^öpfenb
l^ielt, unb feine Sl^nung baüon ^atte, bafe ber Slbftanb bcS $ro^
teftantiSmuS oom J£at^oliciSmuS auf allen fünften beS fiel^rftiftemS
ffi bead^ten ift. 3m uorliegenbeu ^alle war aUerbingS biefe Sin-
fid^t babur^ erfc^wert, ba§ ber fatEjolifc^e ©otteSbegriff in ber
^räbeftinationSle^re Sut^ef S unb Salüin'ö recipirt war. Aber
eben bcr üble (Srfolg biefeS £u£uSartifelS crfc^eint barin, ha%
fiobenftetju feinen Sln^ängern eine ScbenSanfic^t beigcbrad^t ^at,
weld^e nic^t geeignet war, bie äieformation beS 16. Sa^rl^unbertS
in i^rer Strt ju ooQenbcn, fonbern nur, bicfelbe ju öerfölfc^en.
ffis ift ber ©ebanfenfreiS üon SJoet, in beffen S3ereid^ bie
eben c^arafterifirten ©runbfä^e Sobenftc^n'S wurjeln. allein ber*
felbe ^at fic^ üon ber $raj:is biefcS feineS fiel^rerS nic^t uner^eb^
lic^ entfernt, inbem er baS ©treben nad) $räcifität bis ju ber
faft quietiftifc^en ©elbftDerleugnung gefteigert t)at. Sieg fi^ biefe
181
SScränbcmng bcr ^)ra!tifd^cn lenbcnj faum au§ cttoaiS STnbercm
Qte einem S^cmperamcntöiinterfd^iebe jtüifdjen ©d)üler unbSeftrer
begreifen, fo wirb man auf benfelben ©efic^töpunft burd^ bie Sc*
äie^ungcn ^ingettJiefcn, in bencn fid^ bie Slbpngigteit Sobenftc^n*^
t)on feinem anbern Seigrer ®occeju§ tunb giebt. 81U beffen
©d^üler läßt \iä) Sobenftc^n fc^on er!cnncn, inbcm er gelegent:^
üd^ ben äuöbnidt ©nabcnbunb gebraust, ferner inbem er auf
bie Scfcl^rung ber 3uben unb ber Reiben ©emid^t legt. Slllein
eine bebeutfamere Slnlel^nung an Soccejuö ^aben bie Äeußerungen
fiobenfte^n'ö über ben Segriff üon ber SRed^tfcrtigung üerratl^en
(3. 158). Snbem id^ baran erinnere, baß bie gormein beö
Goccejuö in ber doctrina de foedere ungenau, unb in feinem
©inne burc^ anbere (Srflärungen ^u ergänjen ftnb (©. 151), fo
finb fic bodö für Sobenfte^n ot)nc 3^^^!^^ ^^^ Anlaß gcmorben,
fic ote bie ganje SDSa^rl^eit ber JRed^tfcrtigung burd^ ben ©lauben
anjufel^en. S)enn tl^eiU entfprcd^en fie feinem ?ßratticigmuö, tl^eitö
ttjar er in feinem ^eiligungöftreben gegen jene§ Problem gleic^:»
gültig, t^eilS enblid^ ftellte feine Sbee Don @otte« ©ouneränetöt
-t^m einiget üon bem feft, beffen man fid^ in ber IRcd^tfcrtigung
öcrfii^ert, ben ©c^u^ ©otteö unb bie Unabpngigfcit üon bem
SBcc^fel in ber S33elt. SlHein üiel mid^tiger ift bie Sib^ngigfeit
2obcnftet)n'g üon Soccejuö in ber änfid^t Don bem IReic^c ©otte«
unter bem neuen Sunbe. 3lIIc 3lnfprüd^c nömlid^, ttjcld^c er an
bie reformirte ftird^c ergebt, ftnb bircct barauf begrünbet, baß er
biefelbc aU baö Don SoccejuS gejeid^netc Sfleicö ©otteö DorauS:*
feftt, in ipeld^em alleg georbnet ift nad^ ber 3^^*6ejie^ung auf
S^rifti ^errfd^aft unb nad^ ber ©inmirtung beö ®eifte§ @otte§
auf allen fünften, namentlich aber in ber Sesie^ung, baß bie
cc^tc unb nic^t blod budiftäblid^e ©rfenntniß S^rifti auö bem
öcftfte bc^ erlcuc^tenben unb erneuemben ©eifteö ju fd)öpfen ift
(©. 166). S)ie in ben „öef^auungen S^on^" immer lieber*
Ic^renbe Betrachtung ber Äird^e berührt fid^ Dielfad^ toörtlidö
mit ßoccejug Stuöfü^rungen in ber JRebe Dom Steige ®otte^
(®. 142). Aber ber Sbeali^mug beö Se^rerg ift in bem melan=
c^olifd^en ©emütl^c beö 3ünger§ jum abfoluten ?ßeffimiömuö um-
gefeftt iporben, ttjeil er baö Sbeal in ber ffirfa^rung an ber refor«
mitten Äird^e feineö Saterlanbeö nid^t l^anbgreiflic^ l^at erproben
fönnen, fonbcm fo Siele« in i^r gefunben ^at, toaö bem Sbeale
nur loiberfpric^t.
182
5ßcffimiften aber finb nidöt flecignct ju rcformircn, tpenn fic
nic^t in crfter Sinie 9iealpolttifcr finb, tt)ie Salöin, weld^cr fid^
nid^t fc^cutc, au^ burc^ bag tocUlic^e ©trofrcc^t bcr Drbnunfl
ber ^trc^e Dorjuarbeitcn. 3n btefcr Stic^tung finben fid^ bei
Sobcnftetjn nur me^r ober tt^eniger fromme S33ünfc^e, aber fein
Sntfd^Iug JU birectem Eingreifen. Unpraftifc^ roax aber auc^
bie gefc^i^tlic^e 9torm, gemäg n)e(d^er er bie t)on i^m gemeinte
9ieformation ber ^ird^e burc^gefüEirt ju fe^en n)ünfc^te. 3ebo^
mnn man auc^ baö SSorbilb ber primitiven Äirc^e, nad^ beren
^erfteHung fic^ Sobenftetjn fel^nte, mit ju feinem Sbealiömuö
rechnen barf, fo fommt augerbem in Setrac^t, bafe baffelbe nic^t
alö ber JDiafeftab jur SSoQenbung ber Deformation beö 16. 3a^r^
^unbertö ancriannt toerben fann. S)enn biefe Snftanj ift ber
beutlic^en Sienbenj Sutl^er'^ gerabe entgegengefcfet, inbem fie ju:=
gleich baö immer toicberlel^renbe üRotiö für bie SReformbcftrebungen
im lateinifd^en fiat^olici^muö ift (©. 19). S)er bef^ränlte Um*
fang, in toelc^em Satoin biefem ©runbfa^ bei ber gotteöbienft*
lid^en unb politifd^en Drganifation feiner fiird^e golge gegeben
l^atte (©. 71), ^atte aüerbingiS baju gebient, bie äBiberftanb^:^
unb Slu^bel^nungöfraft berfelben ju ftärlen. 3nbeffen ift baburc^
ni^t nur ber SaloiniSmud al^ ^irc^e mit ber lutl^erifd^en ^ird^en«
bilbung unvereinbar, fonbem auc^ jenem ©ebiete be^ ^roteftan==
ti^mu^ ein SmpuU ju nieiter gel^enben Folgerungen aus bem
@runbfa^e eingepflanzt n)orben, n^elc^er juglcic^ ber ©runbfa^
beS FranciScanidmuS unb ber SBiebertäuferei n)ar. Sobenfte^n
nun ift benjenigen Sonfequenjen fern geblieben, toeld^e fid^ ju
feinen Sebjeiten bei ben 3nbepenbenten in (Snglanb enttoicfelten.
3lbcr bemerfenömert^ ift bod^, mie er ben ©prud^ Stöm. 12, 2,
ber ja bie ©runblage für aöe innerfat^olifc^en ^Reformen bilbet,
jur 8lntt)enbung bringt. „Äein ©taub, fagt er, barf ben ©Triften
ber SBelt gleichförmig mad^en, baö ift ein abfoluteS SSerbot für
Me ; muß ni^t ein S^rift aüeäeit in Slllem unb bann befonberS
in bem ©icötbarften, ben Ä leib er n u. f. tt). ba^ 93ilb Sefu
tragen, ober finb bie ©tanbeSperfonen baoon aufgenommen?"
Soet ^atte tfiefe Sluöna^me jugelaffen (©. 111); fiobenfte^n'd
SReinung aber ift in einer bebenfli^cn ännä^erung an bie %cx^
tiarierregcl unb an bie lenbenj ber SBiebertäufer begriffen. SBaS
fönten ftc^ bie 5Rieberlänber, biefeS gett)erbflei§ige, ^anbcl treibcnbe
SBolf babei beulen, n^eun fiobenfte^n i^nen Vorfielt, ba% ber
183
ÄlauöncT im ^apfttl^um fid^ mit einer §fltte begnügte unb bag
©Ott auä) bei ber niebrigften Slrbeit bie ffir^altung bcd Scbenö
gett)ä^rleiftc (©. 163)? §at baö benn einen anbcrn ©inn, aU
ba§ ein ga^lrcid&c^ ßulturöolf jur öcbürfnifelofigfcit einer SKönd^g*
gcfeUfc^aft äi^rücffel^ren folle? (Sbcnfo fc^njanft er ben ®mnb-
ffiftcn ber SBiebertäufer über ©ütergemeinfd^aft entgegen. „2Ran
muß fid^ gegen biefelbe nic^t fo frcmb [teilen; unter ben Sl^riften
finb bie @üter gemeinfd^aftlid^, tt)ie audbrficflic^ öon ber älteften
Äirc^c bejeugt tt)irb." @r läßt ftd^ bagcgen einnjenben, boß
biefe^ nid^t wörtlich ju tjcrfte^en fei, fonbern nur bie große
SRilbt^ätigfeit ber Serufalemifd^en ©Triften bejeic^ne, antwortet
ober barauf: „©o toixb ben fräftigften ©c^riftfteHen begegnet,
loenn fic bie SJegierbc ber SWenfc^cn frcugigen, ober bem gemeinen
©c^lenbrion entgegenfteljen. j)aö Scifpiel ber älteften Äird^c ift
für unö ein äWufter jur SWad^al^mung, fofern eö auf unferc
Reiten paßt; unb follte biefeg nid^t paffen, toenn nur bie
^er^ienöbefriebigung an bem ©gentl^um tt)eg tt)äre?" 3nbeffcn
bequemt fic^ Sobenftc^n bennod^ ben Umftänbcn an: „3)cn@läu^
bigen ift SlQed in @^riftud gemein; bied Derfte^en tt)ir aber nad^
beö ^immete Urtlieil, ni^t nac^ bem ber äWenfd^en. 9lac^ SReur
fd^cnrec^t E|at 3eber fein ©gentium, unb baö l^at @ott gebilligt;
aber tt)ir finb für unfer (Sigentl^um SRentmeifter ©ottej^, al«
f olc^e gefid^ert öor jebem Sfied^t^anfpruc^ ber armen an bie Sfiei^en,
aber öerpflid^tet, ben SWä^ften an bem ©ebrauc^ unferer ®üter
t^eilncl^men ju laffen/' SBenn bicfeö wirllid^ Sobenftet)n'« le^ter
©cbanle üon ber ©ac^e ift, fo l^at er bie „fräftigen ©d^rift*
ftellen" felbft umgebeutet; nal^m er «aber l^ieran Änftoß, fo \)at
er bie fd^rifttoibrige Slnbequemung an bie gegentt)ärtige ß^itlage,
bie er begel^t, nur fe^r fd^toad^ maöfirt. SBarum alfo rügt er
baS glcid^e SSerfa^ren Ruberer in anberen Sejiel^ungen fo bitter?
(Jnblidö gebort in bie 9iei^e biefer äbirrungen fein Urt^eil, baß
bie SSorbilbung ber ?ßrebiger auf ben Äfabcmieen an i^rer ©eift*
lofigleit unb Söud^ftöbelei fd^ulb fei (©. 165). 3n einer 3cit,
wo JU Utrecht, Seiben, granefer gcrabe bafür geforgt tourbe, bie
Z^eologie ©tubirenben in ben prafttfd^en Qtocd bed (S^l^riftent^umd
cinjuffii^rcn, crfd^eint biefer SSorwurf aßer ©eltirer gegen bie toiffen*
fc^ftlic^ X^eologie befonberiS ungered^t in fiobenfte^n'd äRunbe.
Sobenfte^n lonnte fic^ nid^t üerEie^len, baß fein ©runbfo^
ber ©elbftüerleugnung unb bie iRorm ber älteften ©emeinbe
184
leinen Änflang bei feinen Äird^engenoffen finben tpürben, bie er
aU üerloffen Dom l^eiligen @eifte unb burd^auS t^emeltlid^t ge^
fd^ilbert l^at. 9lac^ menfc^lid^cm 2Ra§ftabc, b. l). fofern ein ®rab
t)on Uebercinftimmung unb gleid^ gerichtetem 95eftrcben bei benen
t)orauggefefet toerben muß, auf tpelc^e man njirfen njiH, — gilt
il^m bie Äird^e feiner gcitgenoffen im ©onjen aU irreformabel.
SBeld^er Slntrieb alfo l^at i^n gel^inbert, bie unfruchtbare Ser=:
binbung mit ber erftorbenen Äirc^e aufjugeben, unb mit ben
„SRed^tfd^offenen", bie er t)on feinen ©c^ilberungen immer ent-
nimmt, eine neue Äir^e öoH Seiftet ju bilben? 3n feinem amt^^
lid^en SSerlialten ift er biö ^art on bie ©renje ber Separation
Dorgefd^ritten. Eigenmächtig ^anbeUe er junäd^ft, inbem er bie
borgefd^riebene 3xxufliturgie gemäß einem i^m nal^eliegenben Sc:^
beulen beränberte. @3 toar nämlic^ im Slnfc^Iufe an 1 Äor. 7, 14
bie Srage an bie Äeltem unb Saugen ju [teilen: „öelennet i^r,
ba§ biefe Äinber in E^riftuö gel^eiligt finb unb alö ©ottc^
Äinber unb ©lieber feiner fiird^e getauft »erben?" SBeil
nun oft genug Äeltem in öetrad^t lamen, »eld^e nad^ fioben*
fte^n'ö aWagftab felbft nid^t gcl^eiligt maren, fo ftellte er bie
gragc in ber gorm: „Selennet il^r, ba% biefe ftinber in S^rifto
geheiligt tt^erben?" äRan ^at i^m biefeö Serfa^ren burd^gel^en
loffen, toegen beffen fein ®efinnung^gcnoffc 3afob fioelman in
©lui§ 1675 bon bem äRagiftrate feiner ©tobt abgefegt njorben
ift. aber Sobenfte^n ^at ferner öon 1665 biö an feinen Zoh
1677 fid^ ber SSertt^altung beg Slbenbma^Ig unb feinet ©enuffcö
entl^alten, toeil er in feinem ©emiffcn S^^^f^l barüber empfanb,
ob eg bered^tigt fei, bag Slbenbma^l alg ba^ ©iegel ber @nabc
fold^en ju reid^en, »eld^e nid^t bur^ pofitiöe 5;ugenben unb burc^
befonbere ^eilige Pflichtübung i^ren ©nabenftanb lunb gäben.
S)ie bloö bürgerlid^e ffi^rbarfeit ober bie negative grömmigicit
achtete er nid^t für bie genügenbe Segitimotion ju ber %f^txU
na^me am Äbenbma^l. 3)er allgemeine ©runbfa^, tt^el^er biefer
Slnfid^t cntfpred^en Ujürbe, ujäre etuja fo ju formuliren: 2)a bie
ftirc^e bie gorm ber boülommenen fittlid^en ©emeinfd^aft ber
S^riften, alfo be^ Steid^ei^ ©otte^ ift, fo ift bie am meiften fpc*
cififd^e Sultu^^anblung ber ftiri^e an bie fpecififd^en fieiftungen
für bag Steid^ ©otte« gebunben, unb auf biejenigen ju befd^ränfcn,
toel^e fold^e Seiftungen cr!ennen laffen. 3)iefe Siegel ift aUcr^
bingd nod^ nid^t ber Slu^brudC be^ boQftänbigen ©eporatidmud, unb
185
bcö^alb ifl bcrfelbe and) nod^ nid^t Don Sobcnflc^n begangen
toorben. Snbcffcn ift ber Sorbcvfa^ in ber aufgeftcHten gormel
anä) ber SSorberfa^ für bcn öoHftänbigen ©eporati^muö ; unb
ipcnn fiobenftc^n nid^t in benfelben eingemünbet ift, fo ift biefeS
bicHeid^t baburd^ mit bebingt, baß er in feiner eigenmä^tigen
Untertaffung einer ämtöpflic^t burd^ bic lird^lid^en Snftanjen
nic^t geftört roorbcn ift. Sebod^ aud^ njenn fein $re^bl)terium,
ferner bic ßlaffi^ unb bie ^roöincialftjnobe i^m fein SJerfatjren
gemehrt ober i^n be« SKmteö entlaffen Ratten, fo njürbe er laum
jur ©eparatton gefc^ritten fein, ba gegen biefelbe genjiffe aöge^
meine ©riinbe in il|m njirifam »aren.
äüerbingö f^at tt)ot)l baö SSeifpiel öon Sababie il|n üielmel^r
abgefd^recft aü angejogen *). Ucbrigenö l^at Sobenfte^n in ben
„Scfd^auungen SioniJ", njelc^e in feinen legten Seben^ja^ren,
nad) Sobabie'ö Xobc (1674) gefd^rieben finb, ganj beutlic^ feine
©tcUung ju ber %xac^e ber ©eparation bejeid^net. Unbebingt ift
er berfelben nid^t abgeneigt gemef en. 3)enn gegen bie fd^on üon Salmn
bem ©eporati^mug entgegengel^oltenc SSemerfung, baß c^ in ber
Äirc^e immer nid^t anberg getoefen fei n)ie je^t, unb baß fd^on
in ber Äpofteljeit bic ©emeinbe ju Äorint^ i^re geinter gehabt
^abe, em)iba-t Sobenftetjn, baß man jtoifd^en ben aiterdftufen ber
Äirc^c JU unterfc^eiben tjabc. SBenn eine 5;rennung öon ber
primitiven Äiri^c burc^ beren Äinberfranfl^eiten ni^t gerechtfertigt
gettiefen fei, fo gelte biefcö nid^t in SBejicI^ung auf bie alt ge^^
ttjorbene Äird^e, njclc^e öoÜ fd^lc^ter ©äfte, öerborbenen ölutc^,
unb beren Sebenöfraft ju @nbe fei. ÄHein roa^ fiobenfte^n ab^
^ält, fid^ jum SSorftel^er einer neuen reformirten ©cmeinbe auf:^
jutoerfen, ift bie 8Wldtfid^t, baß bic alö not^iocnbig erlannte 9fic*
formation burc^ bie SBirfung beö l^eiligen ©eifteö unb nic^t burd^
mcnfc^Iid^e Ueberlegungen unb SSorfä^e l^erbeigefü^rt ttjerbcn
mflffe. Älfo bleibt er trofe beö äRangefö an ffirfolg in feiner
firc^lic^en Stellung, inbem er jugleic^ gegen fid^ felbft ben SSor«
Wurf ergebt, baß er auö äRanget an ®eift baö Sißerf bcj^ §errn
nid^t gcnügenb beförberc! üRerftoürbige 3)emutl)! SBenn fie i^n
nur ju ber ^xac^c geführt ()ätte, ob er nic^t auc^ auS feinem
äRangel an ©eift bie Sage ber ^irc^e unrii^tig beurt^eilt unb
ben abftonb gwifd^en ben SBelttinbern unb ben glommen in ber
1) Sgl. doebel a. a. C. @. 179.
186
Sird^e ungebfil^rHd^ tpcit bcmeffen l^abe, unb ju ber Sinftd^t, bag
fein eigener ßalöini^mu^ fd^on nic^t mc^r red^tgläubig toax.
allein ju fold^er ©clbftprüfunfl ^ot i^m feine ©frupuloptät nid^t
öcrl^olfen. 3)enn, tuenn man bic SJinge richtig benennen barf,
fo ^atte er nad^ biefer ©eitc ^in ju öiel bc§ ©eifteö, b. ^. be^
(Sifer^ für feine Ueberjeugung unb ber leibenfd^aftlid^en Energie,
tt)cld^e in biefem, ttjie in allen ö^nlic^en gällen, bcn Snl^alt bt^
übernatürli^en Äe^tötitelö au^ma^en. 3n bem aufridjtig gc*
meinten Sifer für bie ©ad^e (Sottet unb bie SReform ber Äirc^c
lag aber eben ein ^inbetniß bafür, ba^ er bie gel^ler in feiner
eigenen d^riftlicf)en @rlenntni§ erfanntc, ba er im S3eftfec be«
©eifteg folc^e gar nid^t für möglich l^lelt. Slbcr inbem er fold^c
geiler beging, fo fc^ä^te er aud^ ben ?Ibftanb ber Äird^e üon
bem 3beat nid^t richtig, unb mad^te eö fidt) baburc^ unmöglich,
in jttJerfmäßiger S33eife auf feine Äir^engenoffen ju tpirfcn. ?tlfo
bcn SWangel an ©cift tt)irb man i^m in ^infid^t ber Sr!enntni§
jugefte^en bürfen ; aber tt)enn ber ©eift ©otteö bie perfönlid^c
Energie ber Ueberjeugung bebeutet, fo l^at e^ il^m an biefer nic^t
gefehlt, fonbern er ^atte baran gerabe genug.
3)ie ©tellung Sobcnfte^n*^, toelc^e burc^ bie bi^Iierigen ®r*
mittelungen bejeid^net ift, mu§ eine ber peinlid)ften gctoefen fein,
tt)clc^e man fid^ benfen fann. eingetrieben, fid^ öon bem Äird^eu:^
tl^um lo^jufageUr mit bem er innerlich nid^tS me^r gemein ju
l^aben glaubt, aber jurüdCge^alten burd^ bie p^antaftifd^e 9{ücfftd)t,
bafe ber ®cift ©otteg in einer öon menfc^lid^em SSorfa^ auöge^^
nommenen SBeife bie notl^toenbige 9ieform ausführen muffe, bc:*
burftc er irgenb tt)elc^er ©egengetoid^te gegen biefe aufreibenbc
©pannung beö ©emüt^eö. SBeld^e ©nbrüdte, Antriebe, §off*
nungen l^aben i^n in biefer Sage unterftü^t? Sinmal ift eö bie
Hoffnung auf bie na^e beüorftelienbe S33ieberfunft- S^rifti, auf
ttjeld^e er feine ©efinnung^genoffen üertt^eift, unb toelc^e in i^m,
loie in feinem Seigrer Eoccejuö, gelegcntlid^ um fo beutlic^er auf=
fteigt, ate „bic Äird^c burc^ geiftlofen SBuc^ftabcnbienft, burd^
©d^lenbrian unb SBcrfc öon blöd natürlid^em ©epröge fid^ aU
baS Säbel funb giebt, n)cld^eS nad^ bem prop^ctifd^cn 3^ugnig
ber aSa^r^eit ju gallc fommen foll"*). 5Durc^ bad SKuftau^cn
1) Srtrf (1. 9(U0. 1675) aan zijne godzalige vrienden te Sluis in
187
bicfcr Hoffnung, »cld^c in bcn „Scfd^auitngcn Qwn^" toal^rfd^cin*
lid^ nur bcölialb nic^t auöflcfprod^cn ift, tt)eil biefe^ SBcrf un*
üoBlcnbct blieb, bm&\)xte \xd) fiobcnfte^n bie IRid^tigleit feinet
Urt^cite über bic Jfird^e unb feincd abnjartenbcn 8erl)altenö
innerhalb berfelben. Aber »eil er bocjö jugleid^ öon feinem
SKanget an göttlichem @eift überjcugt toav, fo tt)irb man noc^
einen anbem ©runb feinet Stuö^arrcniJ in bcr Äirc^c in feiner
Slatur fuc^en bürfen. @r l^at nämlid^ offenbar einen ^icrarc^ifd^en
3wg in fic^, tt^eld^er feine Sefriebigung nur an ber SSolt^firc^c
finben lonntc, auc^ inbem bic große äRe^rl^eit berfelben gegen
feine äuctorität ujiberftrebtc. SRit feinen ©cfinnung^genoffcn in
ben Sonüentifeln, ttjeld^e äße „geiftlid^" »aren, mußte er fic^ auf
einen ^n^ ubermiegenber ©teid^^cit ftellcn; jeboci^ um feine
^errfd^fä^igfeit ju erproben, beburftc er gerabe bcrer, njeld^e
toegen il^rer UnöolKommenl^cit bctjcrrfd^t ju njcrben Derbienten.
Unb üieHeic^t ^at bcrcn burc^gel^enbeö SBibcrftrebcn il^m feine
geringere ©enugtl^uung bei feiner Uebergeugung Dcrf^afft, atö
loeld^e er aud i^rcm ©el^orfam gewonnen ^aben möd^te. Ober
t^uc i^ fiobenftc^n mit biefcn SScrmut^ungen Unrecht?
S^ ift f^on gelegentlich angeführt n^orben, bag fiobenfte^n
bie in ber reformirten Äird&e cingcriffene Unbänbigfeit unb @ott=
loftgfeit bamit t)erglei^t, bag bie 3Renf^en im $apfttl)um burd^
i^ren Slberglaubcn unb bie äRenfd^enfaJungen ttjenigften^ im Saum
gehalten njorben feien (©. 161). Aber bicfe tt)ieber^olt öorfonts
menbe 93emerlung tt)irb nod^ baburd^ fiberboten, baß er ben 8lb*
gong aller äußerlichen S^^^i^ittel, n)ie ber gciftlic^en ©erid^t^^
^öfe, ber ©eföngniffe, ©trafen u. bergl. beflagt, bie man bod^ im
^pftt^um JU fflrd^ten ^atte. 3dö meine, baß biefe Urtl)eilc einen
^terarc^ifd^cn &t\6)mad ^aben. 3l6er noc^ met)r! iBobenfte^n
fann aud^ ben parobojren @ebanfcn nic^t unterbrfidCen, ed fei, um
hcA ^riftlid^e Scben burd^juffi^ren, too^l nöt^ig, baß jeber einen
Sichrer bauernb bei fic^ ^ätte, »eitler it)n bei jeber §anblung unb
jjcbem SSorfalle anmicfe, wag er ju tl^un ^abe! 9lur bic öußcrc
Unmftglic^feit unb bie unöertennbarc 9lu^lofigfeit biefe^ Ser*
fahrend ^inbcrt i^n, bem 93orfc^lage jujuftimmcn ; benn, fagt er,
bie $anblungen eines äJtenfc^cn finb unjä^lig unb Dielfac^ üer^
viaanderen bij gelegenheid der afzetting van D. Koelman aldaar.
fteuer Ubnitf, Vtm^bam.
188
borgen. Stbcr bei anbcrer ©clcgcnl^eit, tpo er eö rügt, bofe bic
Seutc immer i^rcn Söeruf öom Umfange bcö göttlichen ®efe^eö
QUöne^men, anftatt i^n barunter ju [teilen, unb fid^ öon ben $re*
bigern baju anl^alten jn laffen (©. 164), erinnert er junäc^ft mit
SBo^lgefaÖen baran, ba§ in alten ßcitcn einige ©eiftlid^e in bie
{Regierung berufen morben feien, um mit i^rcm 9fiatl)e bie Drb*^
nung ju unterftä^cn. I£r fügt aber I)iniu, bag menn man aber
bie nöt^igc Qaf)l öon ©eiftlid^en öerfügtc, biefclben neben i^rem
tt)eologif(i^en Stubium je nad^ i^rer gä^igfeit fic^ aud^ in Staate*
funbe, Äaufmannfc^aft, ©enterben u. f. nj. ju üben l^ätten, um
ben cinjelnen Söeruf^flaffen gegenüber ba§ göttliche @efe| ju
vertreten, o^ne bem oben bemerken ffiinwanbe nachgeben ju muffen.
3ft \dot)l ein fold^er ©ebante noc^ irgenb 3emanb außerhalb be§
3ef uitcnorbenö in ben ©inn gefommcn ? Uhb ^aben nic^t gerabc
bie 3efuiten, inbem fie bie 3nbianergemeinben in ?ßaraguatj mit
bicfem SRittel organifirten, fid| gerühmt, bie ß^ftönbe ber @e*
meinbe ju Serufalem lieber in'ö fieben gerufen ju l^aben (©. 20)?
^ä) meine, bafe fein fd^lagenberer S3ett)eig für ben ^ierard^ifd^en
3ug in Sobenfte^n'ö ©emütl^e angefüljrt werben fönnte, alö
jener SSorfd^lag; obgleid) ber SDlann fid^ S^^glcic^ bagegen Der^
tt)a^rt, ba§ er felbft feine ^anb überall ju l^aben ttjünfd^e, benn
„je weniger Dbrigfeit, je weniger SScrantwortlid^feit". S)a« t^eo*
retifd^e SBo^lgefaöen ift in biefem galle bie genügenbe $robe ber
praftifd^en Xenbenj im SlQgcmeinen ! Sflid^t aU ob er barum bie
SSorauöfefeungen be^ 3efuitenorbenö get^eilt l^ätte. S)en ©runbfaft
ber fides implicita, weld^er bie fid^erfte ^anbl^abe aller §ierarc^ie biU
bet, mißbilligt er mieber{)olt auöbrücflic^; benn er ift berSDieinung, ba§
„jeber S^rift ®otteö S33ort grünblic^ unterfud^en muß, unb baß bie
Äenntniß ber ^eiligen SBürgfc^aftcn jum ©lauben notl^wenbig ift,
bamit jeber E^rift feineö@laubeng lebe". Unb er beflagt, bog
ber lird^lic^c Unterricht fo wenig fclbftänbige ©infid^t Ijeröorrufe,
inbem bie fieute immer nur bei ber med^anifd^en (Sinprägung ber
Äunftworte bed Äatec^i^mud ftel^en bleiben. 3a wo^l, wenn aUc
ÜKitglieber ber Äirc^e jene Selbftänbigfeit ber ©lauben^rfenntniß
unb bie entfpred^enbe SReife bcö Sl)arafterö bcfäßen, bann wäre
lein ?ßlafe für bie TOaßregetn geiftlid^er SKac^tübung. Senei^
3beal einer Äirc^c ift jebo^ fd^on be^5^alb unausführbar, weil
minbefteng bie Unter fc^icbe ber geiftigen S3egabung unb ber SIU
terSftufen Ungleic^Eieiten unter ben ^rd^engliebem l^eröorrufcn;
189
aufecvbcm aber ift bic Äird^c allen Mängeln ber ©rfd^einungSiPelt
unb fpccicH ber ©ünbe cbenfo auögcfeftt, tpie bic übrigen [innen»
fälligen ©emeinfd^aften ber "äKcnfci^en. ^e^f)alb liegt eben bod^
ein ^icrard^ifc^er änfprud) ju ®runbe, tt)0 biefe Umftänbe nic^t
in Slnfd^lag gebracht, unb ber Stbftanb ber SBirflic^feit Dom 3bcal
in ber SBeife übertrieben wirb, tok Sobenftetjn e^ getEian E|at.
^effimiftifc^e SBeurt^eilung ber firc^lid^en unb ber ntenfd^lid^en
SBer^ältniffe ift fo pufig mit notorifd^em §ierarc^iömuö öer=
bunben, ba§ man auf baö SSorpnbenfein biefer (Kombination
ratzen barf, tt)enn aud^ nur einö biefer (Slcinentc greifbar öor«
liegt. 3n §infid^t Sobenftctin'ö nun glaube ic^ beroiefen j«
ffdbcn, ha% ^ierarc^ifd^e ©efid^t^punfte njenigftensj t^eoretifc^ öon '
i^m gebilligt tourben, n)enn aud^ bie Umftänbe i()n ge^inbert
^aben, nac^ benfelben ju t)anbeln. Slber aud^ nur fein SBol^U
gefallen an folc^en ©ebanfen unb antrieben fonnte er nic^t auf»
re^t erptten, wenn er fid^ öon ber SSolföfird^e lo^fagte, fie
gleichgültig i^rem ©c^idtfal überliefe unb fid^ mit ber fleineu
Qq\)1 ber „Stec^tfc^affenen unb grommen" auf ben ^"fe ber
geiftlic^en ©Uic^^eit einrid^tete. §ieüon fonnte il)n gerabe baö
Seifpiel Sababie'ö unb ber Sababiftifc^en ©emeinbe abfc^redten.
f^reilic^ auc^ Sababie mar ^ierarc^, aber unter ber SRobifieation,
bafe er öon §aufe au^ auf ben Drbend« ober ©ectenftifter angc»
legt mar. 3n ber fatplifd^en j^ird^e, melc^er er urfprünglt^
angehörte, ift ^ierard^ic bie üon felbft fid^ t)erftet)enbe Xenbenj
be^ ©tanbeiS ber 3)iener ber Äird)e. SBer alfo bort, o^ne ben
^5^eren @rab beS Spiffopated ju erreichen, fic^ l^ierarc^ifc^ aud»
jcid^nen mill, muß bie öaf)n be^ Drben^ftifterö einfc^lagen. S)ie«
itHir ber $all bei fiababie; unb in gleicher Siic^tung gelangte
berfclbc auf bem öoben ber reformirten Äirc^e /jur Stiftung einer
©ccte. Sobenfte^n aber fonnte ald äbfömmling ber reformirten
Äirc^e felbft bie tl^eoretifc^e SBefriebigung fcineö ^ierarc^ifd^en
Iriebe^ nur finben, menn er innerplb berfclben au^^ielt, auc^
inbem er fortbauernb an \t)x oerjmeifelte.
3n bem l)icrarcöifc^en Antriebe, melc^er Sobenfte^n gelegent»
lic^ in bie SWo^e einer jefuitifc^en Wajime geführt ^at, öabe ic^
eine Äeufeerung feiner Statur finben ju bürfen geglaubt. S)enn
bie unimeifelpfte (Kombination jmifi^en biefem (Element unb
feiner pcffimiftifd^en 93eurt^eilung ber Äirc^e ift bem ÜKufter
bcffen fe^r unä^nlic^, melier ba^ jerftogene 9io^r nic^t jerbric^t
190
unb ben glimmenben 2)o^t ntd^t ou^Iöfc^t. Slbcr an fid^ ift bte
anläge unb ber Slntricb ju l^crrfd^cn, ober bic perfönlid^c (Sncrflic
nid^t jur SSetbcr6ni§ ber mcnfc^tic^en SWatur jii rcd^nen. äuc^
tarn fiobenftc^n eben gar nid^t baju, feinen ^errf^trieb in ber
Jiirc^e JU mifebraud^en, ba er na^ feiner eigenen SKuffaffung ber
S)inge faft nur SBiberftanb gegen feine Slbfic^ten fanb. Aber
eben bie SSergleid^ung mit fiababie fü^rt no^ baju, bag man
Sobenftctjn'^ Irene gegen bie Äird^e ju beadjten f^ai, weld^c
um fo anerfennen^toertl^er ift, toenn man fic mit bem 93ett)u6tfein
ber faft Doüftänbigen ffirfolglofigteit öergleic^t, bie feinen Sc^
mü^ungen um bie Steform feiner notionalen Äird^c ju I^cil
• ttjarb. SBenn man in feinem Urtt)eil Aber biefclbe bie ©ebulb ju
öermiffen Urfad^e i)at, fo ^at er bie ©ebulb beö S^aratter^
gegen bie angeftammte Äirc^e in einem üRafec geübt, ba§ fic mit
ber Sctiroff^eit unb ffiinfeitigfeit feiner änfid^t oom c^riftli^en
Seben einigermaßen öerfötjnen fann. S)enn in ber überlegten Stb^
le^nung ber »irflid^en Separation, ttjelc^c bem (^rembling Sa*
babic gar feine Söebenlen erregte, l^at 8obenftct)n gerabe bie
©etbftüerleugnung geübt, bie er üorfc^reibt. (Sr l^at in bicfer
Xreue' gegen bie jfirc^e feinet SSolfe^ Dielleid^t Dormiegenb nad^
bem ebcln Snftinctc beö ^atriotiömuö ge^anbelt. Allein ben)u§ter*
magen ^at er in bicfer ^infid^t fi^ in ben äBillen feines ©otteiS
ergeben, beffen pofitioe Stbfic^ten i^m oerborgen loaren, öon
tocld^em i^m nur flar toar, bafe er eigenmächtige 3lbjonbcrung
t)on ber Äird^e verbiete. 3n bicfer SBcifc ^at er auc^ bie Ircue
gegen feinen ©runbfa^ beS d^riftlid^cn Sebenö gehalten. S)cS^alb
barf ni^t, mie eS Don ©oebel gefd^icEit, Sababie mit fiobenfte^n
auf einer fiinie genannt unb mit gleid^er SBemunberung begleitet
X »erben. Sobenfte^n'g Änficftten üon ber Äird^e, Don ber IRefor*
mation, Don ber ©elbftDerleugnung finb nic^t normal. Slllein
fein S^arafter ift Don einer Steinzeit, loelc^e burd^ bie äRängel
feiner ffirfenntnig unb feiner Urtl^eilSroeife nit^t Derfc^leicrt lucrbcn
fann. ©erabe mit feiner Haltung Derglid^en, fann Sababie bie
?ßrobe nid^t befte^en.
^^ Sobenfte^n ift ber erfte ^ictift. ^6) fennc fe^r »ol^l boS
Sebenfcn, toeld^eö fic^ bem SSerfa^ren in ber Äirc^engef^i^te ent*
gegenftcllt, bie 83ejeic^nungen fpecicller ffirfd^cinungen nic^t blo«
JU generalifiren, fonbem aud^ ju antcbatiren. Auf biefem SBcgc
tt)irb j. 8. mit ben „Steformatoren Dor ber Sieformation " bic
191
möglid^ftc SScrtüirrung angcrid^tct 2)cnn in bicfem fjallc l^at
man eben Srfc^cinungcn aU gleid^artig be^anbelt, tpel^e ipirflic^
cntgcflengcfe^tc Siele unb SRittel neben gett)iffen äWerlmalen ber
©leid^^eit ^aben. Snbeffen tuenn Sobenftetjn unb feine ©eftnnung^^
genoffen in ber (Spoc^e ©pener'jS in irgenb einer beutfc^en San^^
be^firc^c Iut()erifd^en ober jttjinglifd^en ©eprägeö aufgetreten wären,
fo ttjürbe man fie bort mit bemüblid^ geworbenen Slameu be*
jeic^net ^aben. S)enn alle biejenigcn 9Rer!male, weld^e ben ^ic^^
tiften beigelegt werben al^ einer ©efeüfd^aft, welche jugleid^ bie
Sieformation ber Äird^e forbert, unb fid^ felbft t)on bercn öffent-
lid^en Sntereffen möglid^ft jiurüdäie^t, treffen birect unb inbirect
auf Sobenfte^n ju. (So fommt jenen immer an auf bog ©treben
nadi moroUfd^er Solltommenl^eit ober ?ßräcifität, bie ©nt^altung
Don lanj, ©d^aufpielen, ©ewinnfpielen u. bergl., bie äRi&billigung
bc^ (Sinfluffeg bc^ ©taate^ auf bie Äird^e, enblid^ bie Se^
fc^äftigung mit ber 9Kt)ftiP), Sf^^ilid^ erfc^eint in allen biefen
Sejiel^ungen Sieellind ald ber Vorgänger Sobenfte^n'g. Snbeffen
ift jener t)on biefem baburc^ untcrfc^ieben, bag er wie aud^ 93oet
mit feiner ^^tberung ber 8leformation ber ©itten nod^ bie öoHe
Unbefangenl^eit beö Serfe^re^ mit ber reformbebürftigen Äird^c
Derbunbcn l^at, wä^renb fiobenftetjn in ber Serjweifelung an bem
(Srfolg feiner Söeftrebungen minbeften^ jene wunberlic^e Surüdt*
äicl)ung oon feiner amtli^en ^ßflid^t in ©infid^t be^ ?lbenbmal^leS
geübt ^at. tiefer latente ©eparatidmu^ ift ber anfprud^^uollen
ßurfidtgeiogen^eit ber ^ietiften t)on ber öffentlichen Äird^e im
@runbe gleichartig. 9lu^ fein ©runbfa^ ber ©elbftDerleugnung
Icnft cbcnfo gewiß in bie SK^ftif ein, alö er fi^ üon Saloin'^
Äuffaffuug entfernt. 9lur fc^eint biefe Slbweid^ung cbenfo wenig
bemcrft Worben gu fein, wie biejenige, welche ieeHindt begangen
^atte. 2)cd^alb l^aben fiobenfte^n'd Sin^änger, weld^e ben SaU
mni^muö gcrabe in ber ©trenge ber ©itte unb in ber ©pröbig*
feit gegen bag ©taatöfir^ent^um vertraten, fi(^ aU bie am
mciften bered^tigte ?ßartei in ber nieberlänbif^en Äirc^e bet)auptet.
^ierin ift ber Umftanb begrünbet, bafe biefelbe SRid^tung in ber
nicberlänbifd^^reformirten Äird^e legitim war, wetd^e in ben lutt)es
1) SBa(4, 9{en0tonS|lretti0feiten in ben lut^enf^en i^tr^en. Bb. 1.
e. 594—598.
192
rifc^en unb itpincilifci^en ^rc^en beutfd^er QunQc aU unbered^tigt
auftreten tPtrb.
S)ie tcgitime ©tettung in bcr Äirc^e, ipcld^c fiobenfteljn ein^
genommen unb behauptet l)at, fann jebod^ ntd^t Derbergen, bag
bie ^römmigfeit, meldte er übt unb le^rt, t^eil^ auf bte Sinie
fat^oUfd^er Unterfc^ä^ung be^ SDlenfc^en im 93erl^ä(tnig ju @ott
}urädgegangen ift, t^eiU an bie fentimentale Kontemplation ber
©d^ön{)eit unb fiieben^n^ürbigfeit Sefu anfnfipft, n)eld^e in Dad
SKittelatter geprt, ferner ba§ er bei feinen lird^lic^en SDefiberien
mit ben l^ierard^ifdj^tat^oUfd^en (Einrichtungen liebäugelt. 3)ie
erfte Srfc^einung bed ^ieti^^mu^ alfo fii^rt in biefer 93eAiel)ung
ein üKerfmal mit fid^, welc^eö auc^ bie mobernfte ©tufc
be^ tt)ieber firc^lic^ geworbenen 5ßietiömuö jur SSenounberung
SBieler auszeichnet. 9lun bei fiobenftetjn ift bie @e^nfud^t nac^
fatl^olifd^er ^irctjenjud^t t^eilS auS bem ^ierardjif^en ßuge feinet
©emütH t^eild barauS ju Derfte^en, bag fein $ietidmud nod^
ben Söoben ber befte^enben Sirene behauptet. Äann man fic^ aber
über fein Äofettiren mit ßuftönben ber Äird^e oor ber SReforma»
tion njunbern, ttjenn fiobenftetjn jugleic^ eine grömmigfcit t)or»
fc^reibt, beren Slrt bem SKittelalter entfpri^t, unb fic^ mit einem
SReformationöibcal trägt, bcffen eigentlicher Drt bai^ aWittcl»
alter ift?
S)er ?ßietiSmu3 in biefer feiner erften ©eftalt ift alfo eine (SdoIu*
tion beS SalDinidmud unb i^ugleic^ eine S3eeinträd^tigung beS pro^
teftantifc^cn E^arafterö beffelben, unter ©ebingungen, tt^eld^c ba^
malS nur in ber nieberlänbifc^^^reformirten ^irc^e vorlagen. SBeil
nämlid^ bie große 5)laffe i^rer ©lieber auö ber oor^errfd^cnben
lutt)crifd)en SebenSanfic^t ^eraud bie ftrenge ©itte beS Ealöiniömu^
jurücfioieö, fo fallen fic^ bie Vertreter berfelben genöt^igt, fic^ j"
befonbercn ©enoffenfd^aften ju concentriren, um bie Sfteformation
beS fiebcnS im SBolfe burc^jufefeen. S)amit fic aber in ficft felbft
unb für biefe Slufgabe geftärft toürben, burd^bringcn fie fic^ mit
ber Slid^tigteit beS gefc^öpflic^en S)afeinö, meiere bem allgemein
eoangelifdjen ©eligfeitsintereffe tt)iberfprid)t, unb fuc^en bie SScr«
fic^erung ber ©nabe in bem järtlic^en Umgange mit bem ^crm
3cfui^, tüelc^cr bie fat^olifc^e ärt bcS 8}ett)u6tfeinö ber göttlichen
@nabe, unb alö folc^e bem urfprünglic^en ©tanbpunft unferer
Sieformation oöQig fremb ift.
Unter biefen Umftänben mirb c^ jmecfmägig fein, fc^on gleid^
193
bie ^xa^c ju fteUcn, ob nic^t t)ieQeic]^t bcnnod^ bicfcg @rgcbni§
im 3ntcreffc bc^ rcformirten SJ^riftent^utnö fclbft ju billigen
ift. 2Ran fönntc alfo ücrfu^^tocifc annel^mcn, bog bic aflcforma=
tion bc^ 16. ^ai)xi). ju uorfc^nell bicjcnigc Slbftufung bc§ ß^riften^
t^umö aufgegeben Eiabe, meldte im JDiittelalter gegolten l^at. Unb
loenn man aud^ bem eigentlichen üRönd^t^um mit Siecht ein Snbe
ma^te, fo m'ö^te eö bod^ ein SSerluft für bie ftirc^e gcmefen fein,
bag aud^ für bie a^!etifc^en Kongregationen Don fiaien fein 9iaum
me^r geblieben ttjare (®. 15). ®enn bie ©pannung jtt)ifc^en
bem 6l|riftcntl|um ber SBeltlinber unb bem ber Crnftgefinnten
lönnte tt)o^l aU eine Söcbingung ber ©efunb^eit cftriftlic^cr 3«*
ftänbe gelten. SBenn alfo burd^ bic Dorliegenben Sonücntifel:^
bilbungen biefer Unterf^ieb ber Slöleten gegen bic S33eltleute in
ber rcformirten Äirc^e lieber ^ergeftetlt morben ift, fo to&xt bog
Diellcid^t n)irfli^ eine münfc^en^^n^ert^e Srgänjung ber Sflcformation
beö 16. Sa^r^. burd^ ein ©lemcnt berienigen SReform, welche
fi^on in ber jnjciten ©älftc beö 2RittelalterS i^ren Sauf beginnt.
SBenn auc^ bic SRi^tung biefer beiben Steformationcn entgegen*
gefegt toar, fo fönnte man fic^ boc^ üorftellen, ba§ ein 6om*
promig }mtfc^cn bcnfelben möglich unb bem @anjen n)ol|lt^ätig
fein burftc. S)ag ©etuid^t ber abenblänbif^en Äird^c im äWittcU
alter ift ja eben baburc^ fo bebeutenb, baß in i^r ßompromiffc
niannigfadjcr ?lrt, in ber Se^rbilbung, in ber SSerfaffung, in bem
Ser^ältnig ber t^eologifd^cn ©d^ulen ju cinanber, ja aud^ in ber
Drbnung be^ religiöfen Seben^ gcfunbcn njorben finb. Sllfo tt)arum
fönte nic^t auc^ bic ©tcQung ber cDangelif^cn ^irc^e baburc^
Dcrftärft werben, ba§ man in i^r bie Kongregationen aöfettfd^cr
aflic^tung neben ber tt)cltförmigen Sitte unb ber fittltc^en Söeruf^:»
arbeit ber SKcngc julicße, nad^bem ber antrieb ju jenen SSer::
cinigungcn fid^ njiebcr eingcfteHt ^atte? SBarum foQten nid^t in
ber cüangclifc^cn ftird^e biefe beiben gormen d^riftlidjcn Seben^
fic^ gegenfeitig ertragen, um fid^ ju ergänjen? 3a XDoi)l, fo
fönnte man fragen! SlHein bic Slntmort, ttjcld^c gerabe Soben*
ftc^n in aller münfc^enömert^cn S)eutlid^tcit ert^eilt, rüdt ieben
Sompromig j^mifd^cn bcn beiben angenommenen ©tufen Don
ctiangclifd^em ß^riftent^um au^ bcn Äugen. ®cnn bie ©elbft*
oerleugnung unb SBeltflüd^tigfeit, n)eld^e er aU bad DoQftänbige
(S^riftent^um erfennt, mutzet- er allen ©liebern ber Äirc^e ju,
unb ift tt)eit boDon entfernt, baneben bem „gemeinen bürgerlichen
L 13
194
©d^Iagc'' ber E^riftcn unb bcm „gciftlofcn ©d^Icnbrian'' ba^
(Sjiftenjrcd^t in ber Äird^c einzuräumen. Cr glaubt eben nur an
bie 9KögIid^feit einer einjigen Art d^riftlid^en Sebenö, unb mutzet
bc^^alb Stilen o^ne Sluöna^me bie beftimmungömäßigc SBoIt
fommcn^eit ju, toie er fie üerftcFit. ®iefe Haltung ober nimmt
er ein, tpeil er öon §aufc an^ auf bem ©oben ber ^Reformation
bc^ 16. 3a^r^unbcrtö ftel&t ! ®enn biefc ^at ben ©ebanfen cine^
jtoiefc^löcl^tigen S^riftent^umS in ber ftird^e ober bie bere^tigte
Äbftufung öolltommenen unb unDoüIommenen d^riftlid^en Scbcni^
gerabe ungfiltig gemad^t. Slllein biejenige SSoIKommen^eit, nietete
Sobenfte^n forbert, fie^t öon üorn l^erein nid^t banad^ auS, \)a%
fk (Semeingut einer SSolföfirc^e ujerben fönnte. 3)eä^alb ^at er
mit feinen ®runbfä^en unb mit ber SSera^tung unb Serurt^eilung
besS ,,e^rlici^en bürgerlid^cn" S^riftent^umg unb feiner lird^Iid^en
©itte ben Äampf innerhalb be§ ?ßroteftantiSmu3 eröffnet, ipelc^er,
n)ie id^ öermut^e, an aQen übrigen ©d^tt)icrigfeiten, meiere fcitbem
bie eüangclifdjcn Äird^en ^eimfud^en, mitfc^ulbig ift. Um biefen
Äampf mit Unparteitid^!eit ju Dcrfolgen, ftcQe icft ölfo feft, baß
ber erfte Vertreter beö ?ßietiömuö feine änfprüd^e an bie refor*
mirte Sirene auf fold^e Ueberjeugungen ftü^t, meldte i^rc nSd^fte
SSerttjanbtfc^aft im tatl^otifd^en äKittelaltcr Iiaben. §ot er fiä)
atfo mit ber äbfi^t getragen, ^ienad^ bie rcformirte Äir^e ju
reformiren, fo ift ber ffirfolg mie ber SWid^terfoIg feiner ©e*
ftrebungen banad^ ju beurt^eiten, ob bie ^Reformation be^
16. 3a^rt). i^re SBerid^tigung, Ujenn fie bereu bebarf, burc^ auf*
nal^mc fat^olifc^er Seben^motiDe ju erfahren l^at.
11, S^o^aun be £ababte^ bet Utl^ebet bed ®tpatüti^mn^ in btr
teformirten ^ttc^e*
2)erjcnige, toeld^em ber Seruf jur {Reform ber reformirten
Äird^^ jugetraut ujurbc, toeld^er jebod^ nur einen I^cil ber nicber»
länbifc^en ?ßietiften jju ber Sirennung Don ber Äird^^ geführt l^at,
bie fiobenfte^n üorbercitet aber ouöjufüEircn fid^ gcfc^cut l^attc, ^t
bie ^älfte feinet öffentlid^cn fiebenö im ©icnfte ber römifc^^at^o*
195
Itfc^cn Äird^c jugcftrad^t. Unb jtüar fielet cö öon tl^m feft, baß
er bic ©runbfäfec, ttad^ bcncn er bei feinem JReformbcftreben tüic
bei feiner Separation öon ber nieberlänbifc^en Äird^e öerful^r,
Don Sugenb auf gel^egt f)at Scan be SababieO ift atö ©ol^n
Don 3ean S^arleg be Sababie, ©outjerneur ber ©u^enne, in
Sourg für ©ironbe am 13. ^Jebruar 1610 geboren. 3n feinem
ftebenten Sebengja^re tüurbe er bem ScfuitensEoDegium in 93or^
bcauj anvertraut, ©eine @aben unb Seiftungen empfal^len i^n
feinen Se^rern fo, bag biefelben if|n für i^ren Drben ju ge^
toiitnen trachteten. S)em SBiberftrcben feinet Sßaterö bagcgen
fcfetc beffen früher lob ein 3icl, unb Sababie trat in feinem
17. Sebenöjafir aU Sioüije bei ben 3cfuiten ein. SBä^renb ber
ä^ci 3a^re feine« Sloöijiatö na^m er einen Äuffd^ttjung ber
grftmmigleit, in roeld^em ebenfo beftimmt. ber ßug jur m^ftifd^en
(Kontemplation unb bie gcttigfeit beö ©ebetiS, tt)ie ber glü^cnbc
5Drang nac^ bem S)ienfte im 5Reic^ ß^rifti ausgeprägt maren.
Slac^ SBoHenbung beS SZoDijiatö legte er bie „einfallen ©elübbc"
5um eintritt in ben Drben ab, b. ^. er öerpflid^tete fic^ ju Ar*
mutl^, ffieufc^^eit unb ©e^orfam mit bem ftiUfd^meigenben 9Sor*
bcl^alt, baß bie ©efeDfd^aft 3cfu bie ^Jrei^eit f)abt, i^n ju ent*
1) %uitx bem ^tbfc^mtt bei ®oeb(l IL €. 181^257 t|l au üergrei^m
H. yan Berkum, De Labadie en de Labadisten, 2 ^(etle, Sneek 1851.
fllS CueOen er|len SiangeS i^aht t^ benu^t 1. ben üon Sabobie'8 (Senoffen
gierte ^bon üerfaftien Abrege precis de la vie et de la conduite et
des- vrais sentimens de feu Mr. de Labadie, ttelc^er biS ju Sababie'S
flnfunft in ben 92teberlanben reid^t (in ®ottfr. ^inolb'd itird^en* unb ite^er*
gef^id^te, in ber lluSg. granffurt o. ^. 1699 unter ben Supplementen sum
III. IV. t^eil gap. XVI. S. 1234-1270). (Soebel fü^rt eine ^onöub. Uebet-
fetping, 9(mfierbam 1754, an, 9er!um (at biefe CueUe ntc^t gelaunt. 2. Hi-
stoire curieose de la vie, de la conduite et des vrais sentimens du Sr.
Jean de Labadie. A la Haye 1670. Serfaffer finb bie beiDen Sft^ne bei
Xi^lo^en Samuel ^arefiuS ju (Sroningen, Qenri unb Saniet beS ^aretS,
V^cbtger an ben fran)5flf4en (ttallomf^en) ®emetnben in Seift unb im ^aag.
Cbglei^ biefe @4rift fiuger^ feinbfelig ift, unb über baS frfi^ere Seben 2abo«
bie'8 bie Serldumbungen toiebergiebt, welche üon ^eiuiten gegen t^n auSgefireut
finb, fo if! fie actenmfigig genau über bie ^önbel, ttel^e Sababie üon
1666—69 mit ber maQonif^en Spnobe \^aiU. Sie umfaßt namentli^ bie De-
eUratioD, mit loel^er fiobabie feine Separation üottjog, unb eine fe^r einge^enbe
Modeste r^fatation. SBeber ®oebeI no^ Zerium lennen biefe S^rift.
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laffen, tocnn fic ®runb l^ättc, il^n nic^t fcftju^attcn 0- 3nbcm
er ald ©d^olafitcud bemnäc^fi in ba^ breijä^rige ©tubiurn ber
JR^ctoril überging, burfte er feine befonberen religiöfen 3ntereffcn,
namentlich anä) bie fiefung be^ 9i. SE. fortfefeen. ©c^on in
feinem 20. Scbenöial^re Derfafete er einen Iractat de la gräce et
vocation efficace, unb trug fid^ banac^ mit bem ^(an eines
fiebenö 3efu. ©affelbe foUte in üiet Steilen beffen ©wigleit in
©Ott unb feine Verborgenheit ttjäl^rcnb ber 30 erften 3ci^re
feinet irbifi^en S)afeinS, fein t^ätigeS Seben, fein fieiben, enblid^
feine ^immlifc^e ^errlic^feit unb fein ^errli^eS Sleic^ auf ber
ffirbe umfaffen. @rft furj oor feinem SebenSenbe, unter ganj
öeränberten SBerl^öltniffen l^at er ben ^lan feiner 3ugenb
lieber aufgenommen, aber nur einjelne I^eile biefeö ©toffeö
au^efü^rt. yiad) bem breijä^rigen ©tubium ber 9i^etorif begann
er in feinem 22. fiebenSjal^re baS ber Xl^eologie ju 93orbeau£.
(8r tt)urbe aber burd^ bie ÜRet^obe, in meli^er man bie Si^eologie
i^m vortrug, nid^t angenehm berfil^rt. Xl^eitö ftieg i^n bie
Irocfen^eit unb ber polemifc^e 3"fö6 ^^^ fie^rtoeife ab, t^eilS
fiel i^m ber 2(bftanb beS Vortrag!^ üon bemjenigen auf, n^aS
i^n ©Ott burd^ fein SBort unb feinen ©eift gelehrt
§atte, bcfonberö über ^räbeftination, ©nabe unb über 9iid^tig=
tigleit beö SÄenfd^en. @r concentrirte fic^ alfo tl^eiU auf bie
fiefung ber Sibel, mie ber SBerfe Äuguftin'S unb Sern^arb'S,
t^eiU auf feine eigenen ^Beobachtungen unb (Erfahrungen, meldte
i^n üon ber @r^abenl)eit beS l£t)angeliumS unb ))on bem tiefen
SBerfaH unb SSerberb ber S^riften^eit, ferner öon ber SRot^tt)enbig*
leit i^rer ^erftcHung fotüie baüon überzeugten, ba§ biefelbe fi^
nac^ bem SRufter ber älteften ©emeinbe ju 3crufalem
richten muffe. (£r ge^rte noc^ bem 3efuitenorben an, als er
1635 üon bem Sifd^of üon SBajaS bie 5ßrieftertt)ei^e empfing.
Unter »eitlen ffiinbrüden biefeS gefc^a^, l^at er fünfje^n 3a^re
fpäter, als er eben jur reformirten Äirc^e übergetreten ttjor^),
bejeugt, nämtid^ bag er n^äl^renb ber ^anblung gefül^lt ^at, bag
1) Sgl. SOoIf, %H. ®({4t4t( ber Sefuiten (Mpm 1B03) Banb I.
6. 150.
2) Declaration de la foi. MontaubaB 1660. Sei Koelman»
HiBtorisch verhaal nopende der Labadisten soheuringhe. Amsterdam 168S.
p. 109.
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Dtclmcl^r Scfug Sl^rtftug t^m bic §änbc auflegte al8 ber Stf^of,
unb ba§ et bie innere ©albung, mit ber bic ^eilige 3)rcieinigleit
fein §ctj übergoß, üiel fräftiger getüa^r mürbe atö bag Del, tt)o*
mit ber Sifd^of feine §änbe falbte. Sababie l^ot biefen ®e*
ffi^teeinbrud, atö er nad^^er über i^n bcrid^tete, fo gebeutet, bafe
er Dom ÜRutterleibe an geheiligt fei, um bie d^riftUd^e Äirc^c gu
reformiren. SRoc^te er nun aber urfprünglid^ meinen, biefen
©eruf innerhalb beö Sefuitenorbcnö verfolgen ju lönnen, jumal
berfclbc i^m fc^on fe^r früf) bag Vertrauen fc^enfte, afö ^rebiger
unbSatec^et toxxUn ju bürfcn, fo überjeugte er ftd^ boc^ in ben
folgcnben Salären baüon, bag bie lebigli(4 politifc^e unb meltlic^e
lenbenj ber ©efcDfc^aft 3efu feinen äbftd^ten nur tt)iberftrcben
merbe. (£r fuc^te alfo feine @ntlaffung nadi, n)cl(4e i^m auc^
auf @runb feiner Äränflic^Ieit, unb meil er fein (feierlichem) ®e^
tübbe abgelegt ^atte, o^ne @c^n)ierigfeit ertl^eilt murbc unter bem
17. a^jrii 1639.
Sababie ftanb nun ald SSeltgeiftlid^er unter bem Srg^
bifd^of üon ©orbeauj, ber i^m bic (Krlaubnife, in ber 2)iöcefe gu
prcbigen, crt^ciltc. ©eine Srfolgc in biefem SBirIcn ttjaren fo
^crtjorragenb, bafe er bie Äufmerf famleit be^ in ?ßariö reftbirenben
©enerate ber frangöfifd^en Kongregation beö Oratorium^ erregte,
einer ©efcDfd^aft, beren aufgaben benen entfprad^cn, »eld^e
Sababie felbft burc^ göttlid^e 93erufung empfangen gu ^aben
glaubte. 3)urd^ jenen üeranlafet verlegte er alfo feine ^rebigt*
t^ätigfeit nac^ ^arim unter Genehmigung be^ bortigen @rgbifd^ofd.
®cn Sefuiten aber toax biefeö nic^t genehm. SBie fic fc^on in
Sorbcauj gegen i^n intriguirt Ratten, fo ftreuten fie jjcfet in ^ariS
oud, bag er im ^ienfte be^ SaluiniSmud bad 93olf gegen ben
(Sarbinal Slid^clieu aufrege. S)iefe SBcrbäd^tigung ^attc jnjar für
i^n feine birect ^inberlid^c SBirfung, inbeffcn üermod^te fic
bei Sababie fo Diel, bag er bem SBunfc^c bc^ 93ifc^ofd Don
amieng nachgab, fic^ in ben S)ienft feiner S)iöcefc gu ftcllen.
S)erfclbc mad^tc i^n gum Sanonicuö unb gum 5ßfarrer an einer
Aird^e gu Smiend. ©on)o^l ^ier atö an anberen Orten ber S)iö^
cefe cntn^idCcltc er nun eine cinflugrcid^e $rebigtt^ätigfeit, inbem
er nafttentlic^ auf bie Sefung ber ^eiligen ©c^rift brang,
unb babei einfd^ärfte, bag Dad Suangclium bie eingige Sie«
gel bed glaubend unb ber ^^römmigfeit, unb bie Sebendweife ber
ältcften (S^riften ba^äJtuftcr für alle 3^tten fei. Sinen
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bcfonbcrn ©rfolg aber gcxpann et in ber Scjicl^ung, baß pd^ in
Ämicnö mit ©cncl^migung be^ 93ifc^ofö eine Kongregation ober
Söruberfc^aft um Sababie bilbete. Qu berfelben mürben nur
crtoecftc ^crfonen sugelaffen, loetd^e fic^ loöd^entUi^ jttjcimal ju
@ebct, äBebitation, Stnprung ber ^rebigt oerfammelten, unb in
il^ren SBol^nungen bie SBibel lafen. 3n biefem üreife ^at er feine
©e^nfuc^t lunbgegeben, baß mit ®ottc^ SSillen bie Qtii fommen
möge, wo bie Äirc^e in if)ren urfprünglidE)en ©tanb ^ergcfteUt,
unb tt)o ed ftatt^aft fein »erbe, nac^ ber ©emo^n^eit ber
älteften Äird^e baö SBort ©otte^ ju lefen unb ju prc*^
bigen (gemäß 1 Äor. 14) unb baö Slbenbma^l unter
beiben @eft alten ju empfangen. Snjtoifc^cn tourbe 1643 öon
bcn 3anfeniften ber SSerfud^ gemalt, Sababie für i^re $ßartei
JU gewinnen; er jog aber bei allem gegenfeitigen @inoerftänbni§
öor, feine ©clbftänbigfeit ju bctiaupten, »eil er ber Ueberjeugung
xoax, baß ©Ott i^n weiter führen würbe aU biefe Ferren fönnten !
SlDein gleid^geitig regten fic^ nad^ bem 1642 erfolgten Xobe Don
aiic^elieu feine jefuitifc^en ©egner wieber, unb fanbcn bei ÜKa=
jarin fo weit ©e^ör, baß berfelbe 1645 an Sababie oertraulic^
ein SSerbot feiner ^rebigten rid^tete, weil biefelben bie Slu^e be^
©taate^ ftörten. ffi^ erfd^ien fiababie rat^fam, nid^t blog
golge JU leiften, fonbern au^ bie ^icarbie ju Derlaffen, unb in
bie ^eimat^lic^e ^rooinj ©u^enne jurücfjufe^ren. ®a^in be*
gleiteten i^n mehrere ©enoffen feiner SBruberfd^aft aU eine rei*
fcnbe ©emeinbe. S)aö ift eine ffirfc^einung, welche, fo auffaQenb
fte ift, bie geiftige Stn/iiel^ungöfraft fiababie'ö beutlic^ anfd^au=
lid^ mac^t, aber jugteic^ and) beweift baß er bie SJ^enfc^en burc^
feine inbiuibuellen ©aben Dietme^r an fid^ ju feffeln, ate burc^
baö SBort ©otteö unb beffen ^rebigt oon menf^lic^er Sluctorität
JU befreien Dermoc^t ^at. auf biefer SReife nun ^at Sababie
jum erften 9JJale Salöin'ö Unterricht in ber c^riftlic^en aieligion
lennen gelernt. 2)er Siograpl^, beffen ©c^rift o^ne 3^^ifcl beu
birecten äRitt^eilungcn feinet gelben folgt, mad^t baju bie nid^t
ganj Derftänblic^e 3emer!ung, \>a% Sababie bis ba^in abfid^tlid^
niemals ©d^riften Saltjin'S gelefen l^abe, um behaupten ju bürfen,
baß er nur burd^ ©otteS SBort unb ©eift unb burc^ bie Se^rer
ber alten Sird^e geförbert worben fei ; als ob er bamals fid^ ptte
bewußt fein bürfen, baß er bem SaloiniSmuS entgegen gel^c!
SlQeS was bie S3iograp^ie barbietet, läßt erlennen, baß Sababie
199
über bic Sc^rc öon bcr @nabc unb ^räbcftination janfcniftif^,
bag er ii6er bie not^tücnbige Slcfonnation bcr Äirc^e ftanctö*
cantfc^ gcbac^t, bog er in berfelben {Richtung bie audfd^lieglic^e
8tuctorität ber j^ciligcn ©c^rift auf bie eöangelifc^en SBorfc^riften
fär ba^ adfetifc^e fiebert iugefpilt l^at. (£r fc^eint alfo bicfe
innerhalb bed fiat^oUci^mud liegenbe Sinie nur baburc^ über*
fc^ritten unb in bemfelben SKafee bcm ^roteftanti^mug fid^ an*
genäl^ert ju ^aben, ba% er bie ficfung ber ^eiUflen ©d^rift ffir
aDflemein Derbinblidö erflärt \)at *). 2)iefer ©runbfafc ift e^ auc^
genefen, melc^er einmal baiS SScrbot feiner ^rebigten, bann aber
bieienigcn SBcrfolgungen Veranlaßt f)ai, tüdä)c \f)n in ©übfranf*
reid^ erwarteten. 2)ic aUgemeine SBerpflic^tung ber Sänften, bie
^eil. ©c^rift ju lefen, ift nun jtoar ebenfo int SBibcrf^jrud^ mit
bem Iribcntinifc^en ©ecret, tok im ©inflang mit bem gefammten
^roteftanti^muö. Allein an unb für fic^ ift fie fein fpecififc^eö
SKerfmal ^jroteftantifd^er ©eifte^ric^tung, tt)eil fie aud^ im ßu*
fammen^ang mit ber franciöcanifc^en SReformationdtchbcnj (©. 37),
f ott)ie bei ben quictiftifc^en ÜÄ^ftifcrn in granfreic^, 3ctfob Seffeürc
b'ffitaple«, SBilljclm öriQonnet, ©erwarb SRouffel Dorlommt, ttjclc^c
im Anfang bc^ 16. 3a^r^unbertg fid^ mit frommen SBünf^en
einer ^Reformation ber Äirc^e trugen*), gür Sababic ^at fic^
jebenfaüi^ ber ©runbfa^ barau^ ergeben, bag er in ber primitit)en
^irc^e bie ^J^rei^eit be^ ©ebrauc^^ ber ^eiligen ©c^rift finben ju
bürfen glaubte, mad er a. a. D. ©. 48 nic^t ol^ne 93ebeutung
audfprid^t. S)ed^alb ift bie Semerfung bed S3iograp^en, ia%
Sababic, o^nc fienntnig be^ Satoini^muS au^ feinen aut^en«
tifd^cn 3<^ugniffen^ nur burc^ ©otte^ ®eift unb SBort birect auf
ben SBeg bed SafoinidmuS geführt n^orben fei, nad^ allen lOcjicI^ungen
ungtaublid^.
Stö fiababie mit feiner Steifegemeinbe in ber alten ^ei^^
1) ^ie Biodrop^ie bietet btefe Eingabe ni^t bar. Sobobte mad^t |u in
Der Protestatio sincera purae ac verae reformatae doctrinae generalisque
ortbodoxiae Jobannis de Labadie, tteld^e flc^ ftnbet in ber ^((rift Veritas
8ui vindex seu solemnis fidei declaratio Job. de Labadie, Petri Yyod,
Petri da Lignon Pastormn. ^erforb 1672. ^Dafelbf! p. 67.
2) Statt 64mtbt, ^eitrSge jurlSefc^. ber Reformation in Sfranftei^.
A. Uebet bm m^IHfd^n CmetiSmuS )ur 3<it t)on gfran) I. Seitfclftr. für ^ißor.
XM* 1850. 6. 8—25.
200
tnatl^ anlam, fanb er jtoar ttod^ bie ©unft bcö Sifd^ofg Don Sa:^
jaig unb bc^ ffirjbifd^ofö üon Sorbcauj; allein nid^t nur galt bo§
^rcbigtöerbot für i^n aud^ ^ier, fonbern bic 3efuiten rid^tcten
atöbalb il^rc ?lufmertfamfeit in bcr 9trt auf i^n, bag er eö öorjog,
fid^ in einige Serborgen f)cit ju begeben. 6r ging alfo ju ben
Äarmelitern in ©raoillc bei SBajad, tt)o er fec^ö 3Äonate jubrad^te,
inbem er unb feine (Sefeflf^aft ftd^ ber ftrengen a^fetifd^cn
S)i^ci^)lin biefcö Drbeng unternjarfen, unb sjugleid^, um bcr
umgebcnben SBetJÖlfcrung nid^t aufzufallen, bie Äuttc über
i^re Äleiber anjogen. 2)ieg ift bie I^atfac^e, locld^e nad^l^er
fo bargefteüt tt)orben ift, bag fiababic in ben Drben fclbft
eingetreten fei. 9Äan fie^t nid^t ein, mit weli^em SRec^tc
ein bamate neu eingetretener Sifc^of öon S3aja§ cg unternehmen
fonnte, fic^ ber ^erfon Sababic'ö ju bemä^tigen, um ber am
löniglic^en ^ofe mäd^tigen antijanfeniftifd^cn Partei ju gefallen,
©iefer ©efa^r ju entgegen, §at fiababie jtoifc^en 1646 unb
1650 me^rmdU feinen SScrftedt in ben Söurgen öon oorne^men
©önnern tt)ec^feln muffen. @ö bient ju feiner S^araltcriftif, ba§
er, meld^er mit ber ©rünbung feiner Söruberfc^aft ben SBeg jur
aieform ber römifd^cn Äird^e befc^ritten ju l^aben meinte, unter
biefen Hemmungen bie 3leugerung t^at, baß e^ enblid^ not^wenbig
fein »erbe, bcm römifd^en Äleruö unb feinem Raupte offenen
Ärieg }u erflären. 2)cr Siograp^ brauchte baju nid^t ju be*
merfen, bag fiababie babei noc^ nic^t an einen Snfc^Iug an
bie aieformirten gebadet f)abc, ©etoiß nidE)t! 6r ber 9lefonnator
ber römifc^en Äird^e bat^tc babei nur an fein felbftänbige«; JRec^t.
yiidjt^ anbered ift auc^ ber «Sinn eine^ fpätcrn äuöfprud^^, ha^
biefc Verfolgung bie lefete fei, bic i^n innerhalb ber römifd^en
Äirc^e träfe; nac^bem er i^r öergeblid^ ju bienen unb fie ju
feilen üerfud^t f)abc, fei e^ an ber ß^Jt fid^ burd^au^ gegen fie
jU erflären. 5D?it toeldjem Programm biefe^ gefd^el)cn folltc,
wirb ücrfc^njiegeu. Sllfo ber SKann füllte \id) ber ganjen römi^
fd^en Äird^e gemad^fen; er ber mit feinen bi^^er nad^toei^baren
fieiftungen öielleic^t baju geeignet erfd^eint, einen neuen Drben
nad^ bem ßwfd^nitt ber nac^tribcntinifd)en 5)eDotion ju grfinben.
SS toar i^m babei gar nid^t flar, bag bie Haltung ber j^ir^e im
17. 3a^t^unbert, gefc^meige bcnn bic fraujöfifd^e SRegicrung einen
Stabicali^mui^ toic ben beS ^eiligen t^^^nj bon Slfftfi auc^ nur
in irgenb einer Sejiel)ung, n)ie bie äJerpflid^tung }ur fiefung ber
201
SBibet tft, nid^t geftattcn tt)crbe. ©eine JRid^tung auf eine autonome
lir(4lt(4e Stellung foQtc beSl^alb junäi^ft nod^ ntc^t erfolgretd^
»erben. ?luf ber ©urg etncö rcformtrten §errn bc g^tjaö, fßu
comte be Saftete fanb er bie ©ctegcn^eit unb btc ajJufee, fid^ mit
bem Salutni^mud genauer befannt ju machen, unb fud^te aui^ bcffen
Urfunben [id^ ju überzeugen, ob er in ben JReformirten ein Sßolf
pnben iperbc, tt)cld)e^ für ®ott lebte, unb feine Seigre, ßultug
unb fieben^toeife na^ ben @runbfa|en bed <St)angeUumd einrid^tete.
SKan pe^t an^ bicfer Slngabe \>c^ öiograp^cn, bafe Sababie fic^
bem Ealuiniömu^ unter bem ©cfid^t^punftc angenähert l^at, bafe ber*
felbe fid^ mit bem §ciligfeitdftrcben berührt, toelc^eg i^n biö^er
geleitet l^atte. S)ag Reifet, nid}t biejenlge ©eite beiS Eabini^mu^,
toeld^e bemfelben mit bem fiutl^ertl^um gemeinfam ift, l^at eine
fpccieHe Stnjie^ung auf Sababie ausgeübt, alfo nic^t bie anti*
fat^olifd^e ©c^ärfe be^ calöinif^en S)ogma, fonbern biejenige
Stgentpmlid^feit be^ SatoinidmuiS, in n)eld^er bie mittelaltrige
®et)otion fortgcfe^t loirb, !urj bie ©eite an i^m, lueld^e ben
Hugenotten (Messieurs de la r^ligion) atö neued mönd^ifd^eS
SBefen angerechnet würbe. Slud^ ba^ ©tubium ber Eontroüergs»
fd^riften t)on ©arpi, ß^emnife, ©abeel u. 81., ttjeld^em er ju
(Saftete oblag, überjeugtc i^n nur bat)on, ba§ tt)enn er ju ben JRefor*'
mir ten überträte, er offen bie SBal^rl^eiten befennen bürfte,
meldte i^m ®ott feit fo langer ßeit in fein ^erj ge*
legt l)atte. 3n bem SSerfe^r mit ber reformirten ^öutilie be^
öurg^errn ju (Saftete unb beffen ^auögeiftlid^em tvax er aud^
feine^toegeö ber Smpfangcnbe, fonbern ber ÜÄitt^eitenbe; unb er
^at inöbcfonbere bafelbft t)or einem großem fireife über bie red^t
^eilige unb c^riftlid^e geier bcö äbenbma^lö SSortrag gehalten.
3n Kaftet^ ^at er aud^ les filövations d'esprit ä Dieu gefc^rie*
ben, unb an^ biefem ©ebetbuc^ *) !ann man erfennen, bag in
feiner SÄöftit bie fpecififc^ ^jroteftantifdje Sluffaffung ber ©naben*
ijer^eifeung ©otteiS unb ©unbenoergebung feinen ?ßlaft finbet.
Ober ift eö eüaugelif^, ©Ott ju bitten, baß er ,,burdö bie ^ifee
feiner Sarml^erjigfeit mel^r alö burd^ ba^ geuer feiner ©ered^tig»
1) (Setotbinet feinem (Bafifreunb unb bejfen (Sema^Un ouS SRontauban
om 1. ^prtl 16Ö1; liegt mir in nteberlfinbifc^er Uebeife^ung bor: Verheffin-
gen des iifeestes tot godt, 9[mf!erbam 1667; ent^SIi brei ®ebete fUr Wor*
0cn, 9{ttta0 unb 9[6enb, unb eins für beliebigen iSglid^en (Sebraud^.
202
feit unfcrc Ungcted^tiglcitcn Dcrje^rcn, unb burd^ feine ©traj^lcn
unferc glecfen reinigen" möge, — baß et ,M^ ®iö unferer §er*
jen fc^mcljen, unb fic üon SBaffer in geuer öerioanbeln möge,
bamit fic i^re @änben in X^räneu ertränfcn, unb burc^ @otted
2iebc jerftreuen", — baß er „unö al^ Äinbern ber ©ünbe unb
Untt)iffen^eit, n)enn eö i^m beliebte, unfere Untoiffen^eit unb
©ünbcn vergeben möge"? Sllfo fein SBort üon ber ©d^ulb
unferer ©ünbe, bie tüir täglid^ erneueni, unb öon ber ®ett)ä^r*
leiftung bc^ SBiUeng (Sottet, burd^ ß^riftuö bie trennenbc SBir*
fung ber äJerfc^ulbung aufju^eben! hingegen fpielt fiababie
nur bie SÄclobie aller mittelaltrigen S)et)Otiün ab, inbem er
S^riftuö aU ba$ SBorbilb preift, bemgemäß man an fid^ felber
ftirbt um @ott ju leben, inbem er Don ©otte^liebe unb @nabc
bie (Srleui^tung unb ben Qnq nad^ oben erwartet, bamit toir aU
üoQfommene ^inber be^ fiid^td und @ott jum Opfer bringen.
Sei biefem lone ber m^ftif^en grömmigleit ift er fein Scben
lang geblieben; tjbäj^t mal^rfc^einlic^ alfo ift bie Angabe eincd
©egnerd, baß Sababie ju bel^aupten pflegte, alle feine wichtigen
unb entfd^eibenben Ueberjeugungen f)abc er fd^on im ^apfttl^um
befeffen, bie SReformirten Ratten i^m nid&tö jugebrac^t 0- S)tefc
6r!lärung nämlic^ lann nic^t fo üerftanbcn loerbcn, baß er
innerl^alb ber römift^en Äirc^c fid^ ju einem jioeiten ©atoin cnt^
loicfelt l^abe, fonbern nur fo, baß er innerhalb ber reformirtcn
Äird^e feinen Anlaß gefunben f)abc, feine m^ftifc^e ©emotion ju
berichtigen, nac^bem er bort ben loillfommenen ©pielraum für
bie ©urd^fü^rung feinet ^eiligfeitöftrebend gefunben ^attc.
SRac^ einem Slufcnt^alt öon jtoei äBonaten «) fa^ ftd^ Sa^
1) 9ei Jacob KoelmaD, Der Labadisien dwalingeB grondig
ontdekt en wederlegt. Amsterdam 1684 p. 477. 5Dte Stt^iigfctt btcfet
Vttfiabe tttrb ou^ bur^ btc oben (S. 197) angefahrte ^TfläTung Sobabte'S
Über feine Vrieflertoet^e na^e gelegt. $g(. ferner bie unterftrid^ne ^eu^ntng
über feine su (SaftetS angepeilten Stubien (8. 201).
2) ^ie ^iograp^ie lagt bie G^ronologie beS ^ufent$alte§ Sababie'S
in 8übfran!rei(^ bur(]^auS im ^unfein. Steiften feinem 9[baug üon ^[mtenS
(1645) unb feinem Eintritt in ^ontauban (1650) liegen me^r als 4 Sa^re;
babon ftnb 6 Monate bei ben Karmelitern, unb jule^t 2 HKonate in daßetS
bur(^ bie ^ebication ber l^levations feftgefteUt; eS ift bemna(]^ fe^r toenigtier«
ftSnbli^, tt)o ber ^ann, ber don feinem SBerfolger überafl aufgefpfirt unb auf«
gef^eu^t toorben i% bie Stü ii^on me^r aU 3 darren augebra^t ^at
203
babte burd^ bte SBerfotgung bed 93tfd^ofd Don Saja^ ge^toungeit,
aud^ (Saftetö tPteber j^u Derlaffcn, unb in SJ^ontauban ben <Bä)u^
bcr reformirtcn ©cmeinbe ju fud^cn (1650). allein auc^ ^icr
toar er nic^t fi^cr, »enn er nic^t afö ÜRitgUeb in bicfclbe auf*
flenommen tt)urbe. S)cö^alb entfd^lofe er fic^ gum Eonfcffiond«
njcc^fel am 16. Dctobcr b. 3-, nac^bem er fic^ mit ben ^rcbigcm
über bte ftrcitigen $ßunfte unterhalten, unb fpeciell bic 3"ft'"^*
ntung jur catoinifd^en fie^re üom Sbenbma^le üon feiner m^fti«
fc^en @efammtanf(^auung au^ o^ne Diele ©d^n^ierigfeit eneic^t
^atte. 3n äRontauban n)ar man ber 9J2einung, bag feit SalDin
unb ben erften SReformatoren laum jemalö ein gleicher ÜÄann in
bic reformirtc Äird^e getreten fei, tok jcfet fiababie! S)cr geiftlic^e
9Scr!e§r, in tt)eld^en äRitglieber ber rcformirten ©emeinbe mit
i^m traten, regte nun in benfelben ben äBunfd^ an, bag fiaba«
bie bai^ $rebigtamt fiberne^men möchte. 3^n l^ielt aber baüon
5unä^ft bie 9ifi(ffid^t ab, bag bie @itten in ber @emeinbe unb
bic trodenc 8rt i^rer g^-ömmigleit feinen Änfprüd^en nid^t^
iveniger atö cntfprac^en. Snbeffen als er nac^ jmei Sauren
überl^aupt bcrfaffungSmägig befäl^igt n)ar, in baS $rcbtgtamt
cinjutreten, folgte er ber üon gal^lreic^cn Stimmen aus ber @e*
meinbc untcrftü^ten Berufung burc^ baS Sonftftorium unb ben
SRagiftrat (1652). 3n feinem «mte »ar er fe^r energifc^ jur
93e!Sn^)fung ber gcfelligen SBergnflgungen, beS Il^caterS, beS
loeiblic^en ÄleiberlujuS. UebrigenS aber mürbe burc^ 3ntriguen
beS lat^olifc^cn ÄleruS, unb, toit eS l^ei^t, einer Partei unter
ben Reformirtcn feine Sßerbannung aus bem Königreiche ^erbei^
geführt (1657). Sr begab fid^ Don äRontauban nad^ Drange
ttal^e am Stl^öne nid^t n^eit Don beffen SRAnbung, bem ^auptort
beS gürftentl^umS, toelc^eS ber in ben SRieberlanben fo einflufe^
rcid^cn fiinie beS §aufeS SRaffau ben SBeinamen gegeben l^at.
^icr tourbc er jum augerorbentlid^en ^aftor ertoä^lt, unb be*
mü^te fid^ alsbalb um bie ffimeuerung ber erfc^lafften S)iSciplin
unb um bic Selampfung Don lanj, itartenf^jiel, ©efellfd^aften.
3nbeffen mar ^icr feines 93lcibcnS nid^t lange, ba bie unfid^ere
polttifd^e ©teSung beS fianbeS gegenfiber ber Krone ^^ranfreid^
gcrabc bamals eine Dccupation burd^ Submig XIV. enoarten
lieg. Sababic nal^m alfo eine Berufung an bie franjöfifc^e
©emcinbc ju fionbon an. Sic Steife ba^in burftc er aber nid^t
auf bem geraben 993cge mad^cn, toenn er nid^t ber franjöfifc^en
204
^Regierung in bic §änbc fallen tt)oIItc. Auf bcm Umttjegc burd^
©aUü^cn gelangte Sababie gegen ÜRitte 1659 nac^ @enf. ^icr
l^ielt man i^n fcft; äRagiftrat, Solf, @eiftli(^c bcftfirmten il^n,
in ben S)ienft ber ©enfer Äird^c ju treten; feine Verpflichtung
gegen bie ©cmeinbe ju fionbon n)urbe gelöft. Slug Drange aber
l^atte er fi^ entfernt, o^ne üon ber ©emeinbe öffentlich unb
orbnung^mäßig 9lbfc^ieb ju nel^men. @d ift nun für i^n
ctiaralteriftifd^, baß er biefen Umftanb in SSerbinbung mit feiner
§lnftellung in @enf alö einen 8lct ber befonbern SBorfe^ung
Ootteö barfteüt, ber i^n nac^ bem SSorbilbe feiner ^ro*
Poeten unb 1^ eiligen @efanbten auc^ nod^ ^u anberen ®c^
meinben ju f^iden befc^loffen, unb il^n au^3 ben ©efal^ren ber
9ieife tounberbar ^abe ^ertjorge^en laffen ')• 3" ®fnf t}at er
bemnä(^ft fieben 3a^re lang mit gewaltigem Eifer bie bort im
l^o^en SKage l^errfd^cnbe SScrioeltlid^ung ber ©efcQfd^aft befämpft
unb bie S)iöciplin gefcl)ärft. ?lllein ber ffliograpl^ (n)elc^er auö
ajfontauban ftammcnb, öon feinen äeltern in feinem 16. Seben^
ja^r 1662 ju Sababie nac^ @enf gefanbt tt)urbe, unb mit ^eter
bu Signon au^ Sangucboc jufammen feitbcm ber unjcrtrennlic^c @c*
fährte feinet SKeifter^ n)urbe) berid^tet, \>a% bic ffirfolge, toctc^e
Sababie erfämpfte, il^n über bie SBirfung^lofigfeit feiner cigent*
lid^ften Seftrebungen nic^t täufd^ten. (Jr l^at fel^r oft borübcr
gefeufjt, loie tt)enige ©eelen fic^ ber Slu^übung ber eDangelifc^cn
SBal^r^eiten gänjlic^ ergaben burct) einen innerlichen unb
tt)irtfamen SBcrfei^r mit ©Ott unb burd^ eine njirtlic^e Erneuerung
i^reö Sebenöloanbelö. gür fein mt)ftifc^*a^Ietifd^e^ Äebenöibeal
fanb er alfo in ber Dolfrcic^en 3Jiuttcrgcmcinbe be^ ©alüini^mug
feinen SRaum! 2)eö^alb fpann er fid^ mit feinen beiben 3üngem
fc^on bamalö in biejenigcn Slnfid^tcn ein, njeli^e bie Separation
not^ioenbig na6) fidl) jie^en mußten. @r ftellte in ber ju @enf
Uerfafeten ©c^rift: Le discernement de la v6ritable ^glise, ben
©cbanten feft, baß man aU Äirc^e nur bie ©emeinfc^aft ber
ttjirflic^ tt)iebergeborenen I^eilne^mcr am ©eifte ß^rifti aner^
fennen bürfe, — in einem Xractat: r^glise ä part, baß bicÄirc^c
getrennt t)on ber SBelt cjiftiren unb bie weltlich ©efinnten oon
1) LettreR d'adieu de Mr. de Labadie pasteur se retirant de reglise
d'Orange avec les reponses et les repliques, qui les ont snivies, 1660.
P. 8. 22. 88.
205
ficl^ fern l^altcn milffc; — enblid^ begann er bie SBa^r^eit be8
^crrlic^en 9ietc^e^ Sl^rifti in bcn lefetcn Seiten, meldte i^n fd^on
in feiner fat^olifd^en 2cben^cpodjc befd^äfttgt ^otte, an ber ^anb
bcr Slpofalqpfe mit Äraft üorjutragen. ©in äR^ftifer, ber fid^ ju^
gleid^ berufen fü^lt, bie Äir^e ju reformiren, Verfällt mit einer
getoiffen golgerid^tiglcit auf biefe Äu^fid^t, unb eö ift ganj über*
flüffig barauf ju ratzen, burd^ xod6)c befonbere Ueberliefcrung
Sababie auf biefen ©lauben^artifel geführt toorben ift, mit
bcm er fid^ ebenfo uon ber gangbaren reformirten Se^re entfernte,
n)ie burd^ bie Slnfid^ten über bie Sird^e Don i^rer t^atfäd^lid^en
©efc^ic^te unb SSerfaffung. 8luf bie S)auer füllte er fic^ mit
biefen Snfic^ten in @enf m(i)t ^eimifd^, unb glaubte bed()alb in
bcr Berufung an bie iDaüonifd^e ©emeinbe ju 9Ribbelburg in
ber ^roüinj ©eelanb, »elc^e il^m 1666 ju 2;f)eil mürbe, roieberum
bie ©timme @otte^ ju erfennen. ©onft, wenn feine ©teDung
ju ber ©emeinbe in ®enf üoDfommen tlar gettjefen ttjäre, müßte
man fic^ ttjunbern, baß er il^rcn ®ienft mit bem an einer @e*
meinbe t)on faum taufenb ©eelen uertaufd^t ^at. ^arum werben
bie Serfaffer ber Histoire curieuse fic^ fd^wcrlid^ barin täufd^en,
baß Sababie in ben 5Rieberlanben ba5 freie gelb für feine fe*
paratiftifc^en ^rojecte ju finben ern)artete, ttjelc^e^ barjubieten
il^m @enf nid^t öerfprad^. Qu meld^em Qxoed fonft na^m er nac^
ben Slieberlanben feine beiben 3ünger mit, meiere burc^ feine
Berufung veranlagt maren, fid^ in baiS il^nen burc^aud frcmbe
fianb JU begeben? S)iefe Segleiter bilbeten ben ©eneralftab für
feine im S)ienft ©ottej^ beabfic^tigten Unternehmungen. 3n ^ei*
belberg gefeilte \i6) nod^ ein britter junger SKann ^inju, 3ean
SR^nuret, ber früher ©tubent ber Ideologie in ®enf genjefen
toar. Sr mürbe bur^ bie Sieben unb burd^ ben :perfönlid^en Sin«
brucf ber SReifenben fo ergriffen, baß er um Aufnahme in i^re
@efellf^aft bat. Unb ba fid^ biefelben bauon überjeugten, baß
fein ^er) lebhaft t)on @ott gerührt unb er entfc^loffen mar,
aQeS über fic^ ju neljmen, mad i^n in ber t^olge im Sienfte
Ootteö treffen toerbe, fo würbe er jugelaffen. (&^ mürbe il^m
aber ))on Sababie vorgehalten, baß er fid^ ju l^eiligen l^abe bur^
Verleugnung ber SBelt, i^rcr @üter unb greuben, um 3efu
(S^rifto JU folgen arm, nadt, verachtet, Verfolgt; femer baß er
ft^ S^rifto unb bem äBerf beS (SuangeliumS ju übergeben ^abe,
um bie Steformation feiner felbft unb ber Snberen ju erftreben,
206
inbcm er pd^ ju bcm Qmcd allen ©ntbel^rungcn untcrjögc, unb
bem §a6 ber tDiberc^riftlid^en SBelt fic^ au^fefete. S)iefe SSorl^al*
tungen fe^en einem @elübbe }um (Eintritt in einen Orben jum
SSerttjec^fcIn ä^nlidö; w^b inbem fie bic SSorfä^e bcjeic^nen; mit
tt)clc^en Sababie feinem neuen Scjtimmungöort entgccjenginfl,
fo laffen fie nid^td tt)eniger ettüarten, aU baß er bie firc^lic^en
Orbnungen beachten mürbe, auf tod^c i^n bie ^nnal^me bed
aiufe^ nad^ SÄibbelburg iubirect üerpflic^tete.
S)enn biejenigen ?ßerfonen, n)eld^e biefen Muf heranlaßt
unb Sababie jur annähme beffelben bett)ogen l^attcn, »aren
babei Don ber änfid^t aui^gegangcn, bafe er ber ÜRann fei, um
bie {Reformation ber niebcrlänbifc^en Äird^e, njeld^e il^nen am
^erjen lag, nämlid^ bie ffirneuerung berfelben aud bem ®cift
©otteig burd^jufu^ren. Unter biefer Slufgabe üerftanb ©i^bctt
SSoet bie ftrenge ©itte beö Sabini^muö unb bie $ßracifität in
ber gefammten ^anblung^tüeife, Sobenfte^n fügte bie m^ftifd^^
contemptatiüe ©elbftüerleugnung alö bag erfennbare Organ bcö
®eifte^ @ottc^ [)iniu. 93eibe fanben in ben Sonüentifeln bic
©etegen^eit, bie ^erfteDüng ber Äirc^e öorjubereiten; in bem
ÜRage aber atö fie ^ier Srfolg fanben, mugten fie fid^ uon ber
Steigerung bei^ SBiberftanbe^ ber äBenge überjeugen. S)a mürben
fie unb bie gleich ©epnnten barauf ^ingemiefen, fid^ für Saba-
W^ Berufung nad^ äRibbelburg ju intereffiren, um burd^ i^n
i§re öeftrebungen ju üerftärfen. Eine befonbere ÜRitmirtung ba*
bei fiel aber einer grau ju.
S)iefelbc ift f^on frül)er (©. 120) aU eine ©c^ülerin üou
SSoet genannt morben, bei ber ©elegenl^eit, bafe biefer I^eolog
e« anäi unter Umftänben angejeigt fanb, einer grau bie Äcitung
ber ^riüatanbac^ten üon grauen anjuDertrauen. Snna 9Karia
öon ©c^urman 0, geboren ju ©öln 5. SRoüember 1607, mar mit
1) »«rgr. übet Pe (SJoebel n. S. 203 ff. 273 ff., ferner if^acfett,
91. 9R. 6. 64. ber Stern Utrechts, bie Sünoerin Sababte'8. (Sin 9)ortrog. ®ot(a
1876. 3(re SebenSumftönDe bis sunt 3a^re 1666 flnb QuSftt^rlt^ unb au«
ber genouften Punbe bargefleflt in ber Siograpbie i^obobie'S don ^Don, bei Hr«
nolb itir^en- unb ite^ergef^i^te q. o. O. 6. 1261^1270. 3^re fernere Se-
benSgef^id^te feit bem ^inf^lug an Sababie ip eingeftreui in ibrem iBudb<* ^^^
clcria seu melioris partis electio. Altona 1673. 3^<^ter jt^eil (no^
i^rem Sobe) Amsterdam 1686; beibe in beutfcber Ueberfetjung, 5Deffau 1782.
S)ie ^onogra^^ie über bie 64. bon S^otel, Qerjogenbuf^ 1863. 2 ^etle,
ip mir unbefannt geblieben.
207
fo rctd^cn ©oben au^gcftattct, baJ3 tl&r JBatct fid^ öcranlagt fal^,
t^r eine lüiffcnfd^afflid^c (Srjiiel^ung ju crtl^cilen. S)iefc ^attc
einen umfaffcnben ©rfolg, tnhem bic*©c^urman ntc^t nur bie
alten, fonbcrn and) bie neuen ©prad^cn in ber SRebe tt)ie in ber
©d^rift be^errfc^te, unb in SRat^ematif, ?ß^^ftf unb ?ß^i(ofop]^ie
^eimifd^ tourbe. S^slcicl^ leiftete fie in äRalerei, ^olsfd^neiberei
unb Äupferftid^, fo xok in ©tiderei nic^t ©eroöl^nlic^eö, unb übte
Snftrumentalmuftf unb ©efang. SJiit biefer göDe Don Silbung
öerbanb fie Don 3ugenb auf einen emften religiöfen ©inn, n)elc^er
fid^ na(^ bem ©a^e be^ ^eibelberger ^atcdjidmuS rid^tete, bag
ber ß^rift nic^t fein eigen ift, fonbern feinem treuen ^cilanbe
angel^ftrt. 9lac^ *bem lobe i^re^ »aterg (1623) mit ber SWutter
unb ben S5rübern in Utrecht anfäffig, fanb fie feit 1634 an
©ii^bert SBoet einen Se^rer auc^ in ber Ideologie ; unb um bie
^eilige ©d^rift im Urtejt ju lefen, lernte fie bei il^m nid^t blo^
§ebräifd^, fonbern titoaxb fic^ auc^ Äenntniffe in ben anberen
fcmitifd^en ©prad^en. S)er JRu^m i^rer ©ele^rfamleit führte fie
in SSerbinbung mit einer SRenge t)on @elef)rten unb jog bie Sluf*
mcrffamleit l^öc^ftgcftellter ^erfonen in allen Säubern auf fic^.
@ine ©ammlung i^rer opuscula, loeld^e ber ^rofcffor /ju fieibcn,
3fricbri(^ ©panl^eim 1648 herausgeben burfte, erful^r binnen
üier Salären brei Sluflagen. 8l§ nun aber um biefe ßeit au^
i§re aRutter ftarb, tourbe fie genöt^igt, i^r tt)iffenfd^aftlid^eS unb
fünftlerifd^ed ©tillleben mit ber ©orge um baS ^auStoefen ju
Dertaufc^en, an weld^em auger i^rem altern ©ruber 3o^aun
©ottfc^alf t)on ©d^. jtt)ei l^od^beja^rte ©d^tt)eftern i^rer SDiutter
t^eilna^men. Unter biefen Umftänben l^at fie i^re Sefd^eibenl^eit
iinb ©elbftDerleugnung Sa^re lang bett)äl^rt burd^ bie?ßflege ber
fränllic^en unb fd^liefelid^ crblinbeten ©reifinnen, benen fie alle
t^rc früheren Sefc^äftigungen aufopferte. Siac^bem fie mit ben^
fclben t^eite in Solu, tl^eilö irgenbtt)o auf bem Sanbe getoo^nt
l^atte, erlaubte i^r bereu Xob, etttja 1660 i^ren SBo^nfife toieber
nad^ Utrecht ju Verlegen, loo fie in großer Äbgefd^ieben^eit üer^^
weilte, toäl^renb ber Sruber in ben folgenben Salären feinen Auf*
entölt in 93afel unb in @enf na^m. §ier lernte berfelbe Sa*
babic nid^t nur fennen (1662), fonbern tt)urbe Don i^m fo ange*
jogen, baß er in fein §au8tt)efen eintrat, um ben intimften SSer*
fe^r mit i^m ju genießen. ÜKit ber S5ett)unberung biefeS ed^ten
5£)ienerS S^rifti Derbanb fic^ bei ©d^urman ber lebhafte ffiinbrud
208
bat)on, ba§ bic SRcl^rjal^I feiner Ämtögettoffen in ®enf il^m ent
gegcnioirfte, unb baft beö^alb baS SSerberbniß in biefcr ©tabt
^offnung^Io^ fei. Sr ging alfo auf bic 9lnfc^auungdn)eife Sa^
babic'^ öoUftänbig ein, unb jurücfgefe^rt öermod&te er biefelbc
antS) in feiner ©^roeftcr ju erroeden. 2llg biefe, naä) bcm 1664
erfolgten lobe if)red SBrubcrö, in ber ©infamleit jurüdblieb, pc
felbft 57 3a^re alt, burd^brang fie fic^ mit berfelben ©rgebung
in ®otteg @nabe unb ber ©e^nfud^t nac^ bcm l^immlifc^cn SSaters
lanbc, meiere ber Söruber auf feinem firanfenlager funb gegeben
I^Qtte; aber in bcm 2Ra§c aU fie felbft fid^ ^\ix contem^jlQtitJcn
(Steigerung it)rer Siebe ju ®ott burd^ fein 93eifpiel aufgeforbert
fa^, ^ielt fie auc^ il^ren 93Iicf auf ben SScrfaH ber fie umgcbcnbcn
d^riftlidjcn ©cfcHfd^aft gerichtet, hierin würbe fie burd^ ben fort»
bauernben SSerfc^r mit SBoet beftärft. Slllcin fo ttjie fie mc^r aU
ieber Slnbere burd^ i^ren ©ruber für Sababie eingenommen toat,
fo fann man nic^t jrocifeln, ba§ fie in^bcfonbere bic Äufmcrl^
feit ber ju feiner ^Berufung competenten ^erfonen auf i^n gc*
Icnft ^at, toeö^alb fie oor allen änberen burc^ Söriefe fic^ barum
bemühte, il^n jur Slnna^mc ber Berufung nad^ SRibbelburg ju
beftimmen.
Sababie empfing feine cl^renDolle ©ntlaffung üom Eonfifto-
rium in Oenf am 3. ÜJdärj 1666, ttjirb alfo noc^ loälirenb beö
ÜÄonatö ÜKär^ in ben SRieberlanbcn angctommen fein. 35a er
ben legten X^eil ber Meife auf bcm 5Rl)ein mad^te, fo »ar c^
natürlid), ba% er UtredE)t berührte, e^e er äRibbetburg erreichte.
S)a6 er alfo bort feine ©önner bcfudjte unb mit i^nen in per*
fönlid^en SSerfc^r trat, ift burc^au« unoerfänglic^; allein eö rourbc
i^m nad^^er fc^r öerbad^t, bag er in Utrecht einen längern 8luf*
entt)alt nal^m, — bie ©d^urman nennt jel^u läge, — um in
biefcr 3cit toieber^olt l)ier unb banac^ in Slmfterbam ju prc*
bigen. Unb mer njirb äiocifeln, bafe if)m ^icr ber äÄunb oon
bcm überging, moUon fein ^erj öoQ loar! Äam er, um feine ®e«
finnungggenoffen in ben JRicberlanben bei ber „Deformation" ber
Äird^e ju unterftufeen, fo ttjirb er in jenen ©täbten nic^t Der*
fc^toiegen Ijabcn, baß er bic Äirc^e auf bic ©emeinfc^aft ber er^
fennbar SBicbergeborcncn unb auf bercn Trennung oon ber 833clt
^inau^fü()ren tooUe, unb um fo energifc^er, als ba^ SUcic^
ß^rifti auf Erben unb bie ^errfc^aft ber ^eiligen na^c beöor»
209
ftanb >)• SJermutl^Itc^ l^at er fein 9lmt in SRibbelburg am Sln^^
fang be^ 3Konat^ 8lprtl angetreten. §ieburd^ ^atte er [xä) nun
in ben SBerbanb ber toallonifd^cn ©^nobc in bcn Siieberlanben
begeben, bie alle franjöfifc^ rcbcnben ©emeinben unter berfelben
SBerfaffung umfi^loß, n?elc^e für bie 5ßroDinjiatf^noben ber niebcr»
länbifd^ (ftamifi^) rebenben ©emeinben galt. S)ic tüaHonifd&c
@emeinbe ju 9J2tbbeIburg l^atte bemgemäg bie ©enel^migung ber
©Qnobc für i^re auf fiababie gefaflene SSal^l, tüie eg Stecht
war, nac^gefuc^t. 9ln biefen 9lct fnüpft fid^ nun aber ein Äam<)f
äWtfd^en Sababie unb bicfer ©^nobe, meld^er brei 3a^re lang
nid^tujeniger ate fieben SSerfammlungen berfelben befd^äftigt l^at, big
er burd^ bie 9tbfe^ung beö äRanne^ üon feinem ^mte unb feine
(Sjrcommunication ein @nbc fanb. Um bag richtige Urt^eil über
biefen ©treit ju finben, muß man fi(^ bie cinjelnen Schritte btö
ju biefem Qidc ^in üergegentüärtigen.
S)ie ©l)nobe, ttjeld^e jäl^rlid^ jttjeimal jufammentrat, ^attc
auf i^rer (1) SSerfammtung ju ÜRibbelburg im ÜKai 1666
über bie üon i^r 5U gene()migenbe Aufteilung Sababie'^ ju
urtl^eilen. @ie entfd^ieb, bag obgleid^ ^iebei einige Unregelmäßig:^
feiten gegen bie befte^enben SBorfd^riften öorgelommen feien, bie
^Berufung Sababie'iS anerfannt loerbe. 3^^9l^i^ ^^^^ beauf^
tragte fie eine bemnäc^ft ju SSlieffingen äufammentretenbe ßlaffi^,
bie Sntlaffung fiababie'S Don @enf ju prüfen, unb i^n baju
anjul^alten, baß er fic^ ber ©tjnobe untcm^erfe, fon?ie i^r @lau=
bcnöbefenntniß unb i^re ©i^ciplin (SSerfaffung) unterfc^reibe. S)ie
(Slafftö, »eld^e nur im 2tuftrag ber ©^nobe fungirtc, alfo feine
fclbftanbige unb befinitiüe äuctorität üben burfte, entlebigte fid^
biefcr ©ommiffion nic^t gefc^icft. 3nbem Sababie Umf^meife
mad^te, ließ fie fic^ öon i^m fo imponiren, baß fie feine Berufung
genehmigte, o^ne il^n bie angegebenen 93ebingungen erfüllen jju
laffen. Auf ber (2) ©t)nobe ju ^euöben im ©eptember 1666
1) S)ie $rebtgt, tDcIc^c 8erlum I. 6. 38—44 {ft})iTt, t{t t)on i^m
ium4 6. 180 oul So6abte'8 Manuel de piete frei compontrt, tote überhaupt
feine ^orfleOung manchmal in bie 92ot)eDe ^inUbergleitet. Jtaä^ Des Marcts
S. 23 loirb aber \pliUx t>on ber ®cmeinbe im ^oag ftloge geführt au regard
de tet preches seditieux et de ses doctrines nouvelles et erronecs,
qa^il avait preche en diverses de nos eglises, avani meme que d'etre
oonfirme en coUe de Middelbourg.
I. 14
210
gab bic ©cmctnbc im §aag SWac^rid^t öon bcn aufrül^rerifdöcn
unb in ber Seigre abtueic^enbcn ^rcbigten, tucld^c Sababic ait
Dcrfc^icbcncn Orten öor feinem (Eintritt in äßibbclburg gehalten
l^atte. 3"9tci^ mußte man baöon SRotij nehmen, baß er bem
Auftrag ber ßlafffe ju SBlieffingen nid^t cntfprod^en ^attc. Saba*
bic felbft roax in ber SScrfammlung ju §euöben nid^t er*
fd^icnen. S)iefelbc erllärte alfo, fie ^ätte fc^r geroünfc^t, ba§
er perfönlid^ fid^ eingcfunben unb burcl^ Unterfdjrift ber ßonfcffion
unb ber 3)i^ciplin ftd^ t^atfäd^lid^ ben Drbnungen ber ©ijnobc
unterworfen ^ätte. S)a e^ nun ferner fo fc^eine, bag er burc^
feine ^rebigten gegen bie geltenbc Se^re öerftoßcn t)abe, fo follc
er fid^ t)or einer Klaffte ju Slmfterbam am 29. September ftcllen,
um bie genannten SBebingungen ju erfüllen unb ben gragen, bic
i^m t)on (Seiten ber ©^nobe t)orgelegt werben würben, 8lcbe ju
ftelien. SBon bicfem SBef^luß würbe il^m unb feiner ©cmeinbc
Äenntniß gegeben. S)ennod^ ift er t)or ber ßlaffi» in Slmfterbam
unter bem SBorwanbc t)on 5Kigräne nic^t erfc^iencn. Sluf bct
(3)®5nobe JU Ämftcrbam im SRai 1667 finbet er fid^ cnblid^
ein, um bie SurüdEna^me beö gegen i^n gerichteten Srtilcte ber
@^nobe ju^cuSben beSl^alb ju verlangen, weil er nic^t orbnung^
mäßig jur ©^nobe gelabcn worben fei. 3)ic ßumutl^ung, cnbli^
bie belgifd^c (Sonfeffion j" unterfd)reiben, lehnte er ab, t^citö
Weil er fie nod^ ni^t gelcfcn f)abt, t^eilö weil er wegen Äranl-
^cit unfähig fei, fie mit ber Slufmerlfamleit ju lefen, wcl^c er
wegen gewiffer uerbäd^tiger Sluöbrüdte in itjr auf fie öerwcnbcn
muffe. 6r erllärte fid^ aber bereit ben latcinifd^en Sicjt ju
utttcrfc^reiben, wenn er i^n Uollftänbig gelcfcn ^aben werbe.
§iemit tritt nun Sababic in ein S?erfal)rcn gegen bie ©^nobe
ein, welches burd^au^ c^icanöd ift. ^cnn im t)orangegangcncn
3al|re ^attc er ber ßlaffiö ju SSlicffingcn öerfprod^en, bic Gon«
fcffion JU unterfd^reiben. ©ad^lic^ aber bient jum SScrftänbni§
feiner (Sinwenbung folgcnbeö. 3)ic Sonfeffion, weldje ber ^re*
biger ju Salencicnneö, @uibo be 83r6ö 1561 franjöfifd^ »erfaßt
l^at, ift öon ber nicbcrlänbifc^cn Slationalf^nobc ju 55ortrcd^t
1618 beftätigt Worben. 3n bereu Siac^acten ift nun auc^ ein
latcinifc^cr Zqct berfelbcn alö aut^entifc^ publicirt worben, welken
eine ßommiffion t)on 2;^eologen bearbeitet ^attc. SBcnn c^ Wal^r
ift, baß bei biefer SRcbaction baö franjöfifd^c (Sjcmplar bcfonbctÄ
bead^tet worben ift, Wclc^cö im ©ebraud) ber wallonifd^cn @c*
211
tnciitbcn in bcn SRiebcrtanbcn toax ^), fo ift e« aQcrbtngg auffal*
lenb, bog fid^ Slbwcic^unflcn ä^iWcn bciben 2;cstcn öorfanbcn.
3)icfclben finb aber foc^li^ uoUftänbig inclct)ant. 3)araug ift
c^ ju erflärcn, bog bie ttjallonifc^e ©^nobc baö bei i^r t)or 1618
Dor^anbene l^anbfcl^riftli^e Ssemplar jur Unterfd^reibung burd^
i^re ^cbiger beibehielt, obgleid^ e§ bem 3)ortrec^ter 2;ejt nic^t
toörtlid^ cntfpric^t. Sabobie bebucirt aber ^ierauiS in feiner 1669
oufgeftelltcn ^roteftfd^rift ^) gegen bie wollonifc^e ©^nobe bie
Unüerbinbli^teit il^rer ßonfeffion. Unb baö wiegt lebenfaQS
fc^njercr atö bie jugleic^ erl)obenen ©nroenbungen gegen gettjiffe
gormein in brei ?lrtifeln berfelben. darunter ift ber äuöbrucl,
bag 3cfuS gelitten l^abe sur Tautel de la croix, — anftatt sur
le bois de la croix. $ier ^anbelt ed fic^ nnr barum, bag bie
eine fjormel an §ebr. 13, 10, bie anbere an 1 ^ctr. 2, 24 fid^
anlel^nt. Sababie ^at burc^aud nic^t, tok ©oebel angiebt, bie
crftcre gormel beanftanbet, weil fie romanifire, fonbern nur au^
ber aiüifid^t, bafe fie nacft bem 3)ortrec^ter SKafeftabe nic^t au^*
t^entifc^ fei. äBar nun biefe gefe^lic^e ©frupulofität für Sababie
entfc^eibenb, fo tommt bod^ gegen bie 9iec^tdgfiltigfeit feinet SBer«
fo^renö ber Umftanb in Setrad^t, ba§ er noc^ gar nic^t rec^t-
mägige« 3Ritglieb ber ©^nobe war, alö er bie t)orliegenbe JBe^
bingung ber Sflec^tmäßigfeit i^reö Seftanbeö in 3^cifel jog. SBar
cd i^m bamit Srnft, bag bie wallonif^e ©^nobe auf ben pofi:^
ttuen ©oben ber S)ortred^ter Siationalf^nobe jurüdtgefü^rt würbe,
fo mußte er erft baö ©ewobn^eitörec^t berfelben erfüllen, um
bann atö bered^tigteö SRitglieb ber ©^nobe bie Slnnal^me beö
rcöibitten Cjemplarö ber Sonfeffion ju erwirlen. Ober Werm i^m
icncd unerträglid^ war, fo mußte er ba^ ?lmt an ber ©emeinbe
aufgeben, Weld^e ein @lieb ber ©ijuobalgemeinbe nad^ ben bidl^er
1) Niemeyer Collectio confessionum etc. p. LY. 3n biefe Samm«
Img ip letber ntd^i bie ^orired^ler Slebaction aufgenommen, fonbern bie $ri«
Mitar^i Don SfefhtS ^ommiuS ; beibe toeid^en, »ie ^itmtt^tx au8f|)rt(i^i, fo »eit
ton etnanber ab, bag fie felbfidnbig neben einanber l^dtien gefleQt nerben
nuifieii«
2) D^claration chr6ticnne et sincere de plasieurs membres de
l'^lite de dien et de Jesus-Christ, touchant les jiistes raisons et motifs,
qai 160 obligent ä n'avoir point de communion avee le Synode dit
Wallon. M Des Marets p. 310.
212
•
Überlieferten Scbingungen toax. %t)at er fcinö t)on beiben, fon«
bern fefetc fic^ ol« Süd^ter über eine ©emeinfd^aft, ber er aU
^rebiger crft t^atfäc^lid) aber noc^ nic^t red^tlic^ angehörte, fo
erfennt man, bog er gar nid)t ben guten äBiQen ^atte, fid^ in
ben ©9noba(t)erbQnb einjurei^en, de se soumettre anx oi^res
du Synode. S^ro^bem ging bte @t)nobe ju Slmfterbam fo tueit
auf feinen felbftgen)Q()Iten ©tanbpuuEt ein, bag er auf ber näc^ften
aScrfammlung erfc^einen follte, um ben franjöfifd^en Scjt ber
ßonfeffion mit bem SSovbe^alt ju unterfd^reiben, baß er bic b^
benflic^en $(uSbrüde in bemfelben nad) bem lateinifc^en Zqrt
erfläre. Snjwifc^en aber foüte bie ©eelänbif^e ©^nobalRrd^
(b. \). bie Vertretung ber tuaüünifc^en ©emeinben in ber ^roüinj
©eelanb) Sababie jur Untcrfdjrift beö lateinifdjen lejtc^ an*
galten, unb i^m würbe Verboten, gegen bic Sonfeffion ju fd^reibcn
unb feinen S^ilio^muö ju verbreiten.
^iefe 9lac^ftd^t fü()rte ju feinem Erfolg, unb bie (4) ©Qn^be
JU Seiben im September 1667, anftatt Sababic in i^reraWittc
5U fe^en, tnußte bur^ bie 3)eputirten feiner ©emeinbe feinen
3lntrag auf 3w^üdnat)me ber gegen i()n gerichteten SBefc^lfiffc ber
beiben uorangegangenen ©^noben üernel^men. Snjwifc^cn ^attc
Sababie einen bcfonbern SBricf ueröffentlic^t, in loel^em er bic
franjöfifc^c Sonfeffion befc^ulbigte, mehrere ungeeignete Sluöbrüdc
unb irrige, fc^riftmibrige ©ä|c ju enthalten; ferner ^attc er,
o()nc bur^ einen ©Ecommunicationöbcfc^lufe feineß Sonfiftoriumd
bered^tigt ju fein, einem fpecicilen Slmtögcnoffcn §enri) bu SO/oulin
in öffentlicher SBerfammlung baö ?lbenbmai)l ijcrn^eigert; eublic^
^atte er feine Slrt uon ©^ilia^mud uerfünbigt in ber ©c^rift:
Le härant du grand roi J^sus et de son r^gne spiritael et
temporel aar la terre en ses saints et par ses saiuts anx
derniers temps. 2)arauf ^in erflärte bie ©t)nobc, bag bic @c*
meinbc ju aWibbelburg mit Unrecht Sababic uon bem ScfucI) ber
©ijnobe abget)alten ^abc, wo feine änmefen^eit notJ^wenbig toar,
weiter bag er oerpflic^tet fei, bie ßonfeffion ber waDonifc^en @c*
mcinbcn ju untcrfdjrciben, bie er ju Unred^t in jenem ©rief om
getaftet f)abc. ©ie befd^loß außerbem, eine ©IjnopfiS ber beiben
Don einanber abtocic^enben S^cjte ber Eonfeffion brudten ju laffcn,
unb erflärte cnblic^, baß Sababie in brei fünften fic^ oon feiner
$flic^t entfernt babc, 1. burd) SSerlefeung ber Dii^ipUn, in bem
SSortrag einer fremben, ber c^iliaftifc^cn Seljrc, in ber 5|Jublication
213
Don Sücljcru o^nc ßuftimtnung bcr ©^nobc, in bct tüilRur:;
liefen Sjrcommuntcation t)on bu 9J2ouIin, 2. burd) 9lc6cQton in bcr
SJcröffcntUc^ung bo5 H^raut gegen ia^ SBerbot, 3. burd^ bie
fd^tücrcn Snjuricn gegen bic ©^nobc, njcldje fo üiel 9lad^fid)t
gegen i^n geübt, bcn Sauf ber ©ered^tigteit angeJ^alten öobe unb
nic^t jn ber Don ifjm uerbicnten 2lbfc^ung gefd^rittcri fei.
Ucbrigenö orbnct bic ©t)nobe eine Slaffiö ^n Slicffingcn auf
10. Dctobcr an, um mit i^m nad^ ifjrcn 3nftructioncn 5U r)tx^
^anbcln. SU^an ging fo n)eit in bcr ßu^orfommcnl^eit gegen 2a^
babie, baß öor beni angegebenen S^ermin bcfonbere S)eputirtc bic
SBegc ber ?luöglcic^ung mit i^m ebenen foUtcn. SlDein bieö war
ücrgcbüc^, unb aud^ in SSlicffingen ftclltc er fid^ nid^t ein,
unter bem SBorgcbcn uon Äränflic^Ieit. S)a begiebt bic Slaf*
fiö fid) in \\)m na6) ÜÄibbelburg. SKö aber bereu SKobc^
rator feine Siebe an i^n richtet, crftärt er bcn ocrfammeltcn
aRitglicbcrn berfclbcn, baß er fie gar nic^t aH bic Staffiö
anerfcnnc. 8lud^ bem ßureben bcö Eonfiftorium^ ber flami^
fd^cn ©cmcinbe entjicftt er fid) mit ber Semerfung, wenn bic
©Qnoben foldjc ©cuialt öättcn, wären fie ^äpftc. 3)ie ßlaffis
no^m c^ alfo auf fid^, iljn bi§ jur näd^fteu ©^nobe t)om Xlmte
ju fuöpcnbircn, worauf er aber gar feine Siudfid^t nat)m. S)enn
o^nc 3"^cifcl ^atte l^ierin bie Slaffiö iljrc öefugniß überf^ritten.
©c^^alb fa^ fid) bie (5) ©^nobe ju SJlief fingen, wcl(^e fd)on
im Stpril 1668 ficö oerfammelte, ocranlagt, bie Prüfung ber
Ic|tcn SSorgänge ju umgeben, um nic^t il^rc (Sommiffion ju
beäaoouircn, unb fud|tc anftatt beffen bic 9Ritwir(ung bcr in
SWibbclburg oerfammclten ©eelänbifd)cn ©tänbc nad^, um eine
95ei(cgung beö ©trcitcö ju erftrebcn, üiellcid^t aud^, um für alle
loeiteren Sreigniffe fid) bie ßuftintmung ber politif^en 9Rac^t ju
ft4^n. S)cr JReceß, über welchen bic ©täube unb bic ©t)nobc
fic^ einigten, um i^n Sababie aufzuerlegen, cntljictt 1. bie ^cx^
pflic^tung für ihn, bie ßonfeffion in bcr lürjlicft angeorbneten
f^noptifc^cn Sluögabc ju unterfdireiben unb bie gefc|lid)e 9luctori*
tat bcr ©t)noben unb Klaffen über bie einjcinen ©emeinben unb
i^rc Confiftoricn, gemäß ber Äird)enbiöciplin bcr Siationalf^nobc
üon ®ortrcc^t (1618) nnjucrlcuncn; 2. ba^ ß^^fl^Pnbniß an i^n,
bog feine belcibigcnbcn ©d^riftcn oIjp nicftt oorl^anbcn angcfe^en,
unb iuglcic^ bic Sflcfolutionen ber (4) ©^nobe 5U Seiben gegen
i^n unb baö (Sonfiftorium oon ÜJiibbclburg, fpcciell bic Don bcr
214
Elafffe t)cröänfltc ©u^pcnpon jurfidflcnotntncn werben; 3. bie
Serppic^tung für i^n, n^cbcr münblid) «od) bur^ ©dirift unb
3)rud bcn S^iliodmuö ju Verbreiten, unb fic^ ber 8Seröffent=
Ud^ung icbcr S^rift ol^nc (Srtaubniß ber ©tänbe ber ^romnj
ju cnt{)a(ten, n^eld^e fic^ barüber mit ber ®^nobe benehmen
würben. S)er Sluöfü^rung biejc^ Sfleccffe^ lam jebod^ Sababie
baburd^ äut)or, baß er ben ©treit auf baö ©ebiet ber Sicc^tgläus
bigleit l^inüberfpiclte.
3ni ^af)xt 1665 l^atte ber ärjt Subwig aJie^er in amftcrbam,
ein Slit^nger t)on ©))inoja, bie ^ßl^Uofop^ie ate ben ÜÄaßftab ber
Äugtcgung ber t)eiligen ©dirift proclamirt *). @egen bicfc Äu^*
ffi^rung war auger Slnberen ber ^rcbiger an ber wallonifd^en
©emeinbe jU Utrecht, Subwig aBoljogen aufgetreten mit
einer ©c^rift de scripturarum interprete, contra exercitatorem
paradoxum, 1668. i)iefe eben erfc^ienene ©dirift eincö üon ber
©ijnobe abhängigen ?ßrebigetd benunciirte nun bie SDiibbelburger
©emeinbc, b. 1^. Sababie, ber Serfammlung jju SSIieffingen wegen
irrigen, anftößigen, pelagianifd^en, papiftifc^en, fc^riftwibrigen 3n^
^alteö. SDian burfte au^ biefem ©d^ritte barauf fc^Iiegcn, baß
fiababie bem Slnerbieten beö oben bejcic^nctcu 8fleceffed bamit bc^
gegnen würbe, baß er oor ber SSerurtl^eilung beö SBoläogcn'fd^cn
3)uc^eö, atfo üor ber fpecieHen öewä^rung ber 8flec^tgläubtgfcit
ber ©^nobe, mit berfelben nic^t üer^anbeln lönne. SHfo blieb
nid^tö anbereg übrig, ate baß bie ©^nobe ju SBlieffingen ffijamina*
toren über baö angeflagtc SBud^ befteßte, beren SBemerfungcn
äBoljogen junäd^ft beantworten foQte. Um aber @(eid^^eit jwi>
f^en ben Kämpfern ^erjufteHen, würben aud) ffijaminatoren über
fiababie'S Suc^ Lc höraut du grand roi Jösus beftimmt. 93eib€
©ad^en foHten auf ber näc^ften ©^nobe abgeurt^eilt werben,
S)iefe (6) ©^nobe ju SRaarben im ©eptember 1668 mußte
äiunäd^ft Siotij net)men uon uerfd^iebenen neuen äBiberfeftlic^feiten
Sababie'ö unb feiner ©emeinbe. 3)icfe nämlic^ t)atte ^üon jum
jweiten 5ßaftor gewäl)lt, inbem fic baburd^ ben üon ben ©ce»
länbifc^en ©täuben anerfannten ^aftor bu SDioulin aU nii^t
üorl^anben be^anbelt ^atte; Sababie aber ^atte ücrfd^icbcne
1) Philosophia sacrae scipturae interpres, in qua veram philoso*
phiam infallibilem sacras literas interpretandi normam esse demönstrao
tar. Eleutheropoli (9(m|Utbam). 1665.
215
Sd^riftcit inbcpcnbcntifd^cr unb cntl^ufiaftifd^er Seitbcnj ol^nc ^cn^
für tjcrauggcgcben. 5)icfe, folpie ber H6raut tüurbcn auf @runb
bcr angcftcDtcn Prüfung üon bcr ©l)nobc t)erbamtnt. hingegen
nQt)m man juglcid) Slottj t)on bcnt Urt^eil ber (Sjcaminatorcu
über baö SBoIsogen'fd^e 93uc^, bag baffelbc ort^oboj fei. ©o
tüenig Sababie fid^ burd) feine eigene JBerurtl^eilung toegeu irriger
2cl)rc anfed)tcu lieg, fo loenig berul^igte er fid^ bei ber lefetern
6ntfd)eibung. Unb unter biefen Umftänben ift eö wieberum eine
taum üerftänblidje 9iad)gicbigfeit, bag bie ©ijnobc erft bem Än^^
trag ber ©emeinbe ju 3)iibbel6urg fid^ fügte, eine berftärfte
$rüfung^=Gomniiffion über SBoIjogen einjufefeen, unb, alö au(^
biefe bie Slnflage jurüdroieö, einem neuen eintrage gemäß in
öoUer aSerfammlung burc^ üier ©ifeungen Ijinburc^ baö öud^
i^rer birecten ?ßrüfung untcnoarf. SIU nun aud^ auf biefcm
SBegc aBoljogen einftimmig (gegen bie SlRibbelburger Stimmen)
t)on ber Sfiflage auf ^ärefie frei gefprod^en tt)urbe, l^ielt eö bie
©ijnobc für angezeigt, Sababie unb ben äRitgliebern feinet ßon^^
fiftoriumö eine C^renerflärung an ben bon i^nen leid^tfertig Sie^
fc^ulbigten aufzuerlegen. 2)a üerließ er bie Serfammlung, iubem
er einen ©rief uoH uon Singriffen auf biefelbe i^r burc^ feinen
©onbeputirten jufommen lieB- Slud^ jeftt fprac^ bie ©^nobe feine
unb beö ßonfiftorium^ ©uöpenfion biö jur näd^ften SSerfamm^
lung nur unter bem aSorbct)alt au^, menn fie nid^t üor einer
am 10. Dctober angeorbneten Slaffiö in ÜJiibbelburg @enug^
t^uung leifteten. S)iefc SSerfammlung ließ nun Sababie gett)alt=
famer SEBeife gar nic^t }U ©taube fommen, inbem er mit feinem
Slu^ang ba^ für fie in Slu^fic^t genommene amtliche Socal befcftt
^iclt, unb fie aud) in einem anberen 8flaum jufammenäutreten
üer^inberte. ®abei finb birecte 3)ro^tt)ortc auö bem §aufen
feiner Slnpnger laut geujorben. 9lun bcftätigten bie ©eelänbifd^en
©tänbe 15. SRou. 1668 bie i)on ber ©^nobe üer^ängte ©u^pen^
fton. Slllein ha biefelbe nur biö jur näd^ftcn Serfammlung
gültig mar, fo erfolgte ber le^te 8lct beö ®rama erft, al^ bie
(7) ©tjnobe ÄU S)or treckt im 3)iai 1669 jufammentrat. §ier
crllärten bie S)eputirten üon SDiibbelburg, Sababie an i^rer ©pifee,
baß fie mit ©rlaubniß bcr ©eelänbifd^en ©täube Derfd^iebene
Scfd^ioerben t)oräubringen Ratten, baß unter biefen bie gegen
SBoljogen bie Dorne^mfte fei, unb baß bie ©^nobe auf fie juerft
cinjuge^en ^abe, ba uon i^r alle anberen 3)iffcrcn5cn bc^errfd^t
216
toärcn. Auf biefe 3"n^iitl|ung ertüibcrtc bic ©tjnobe, c§ cntfpred^c
ber (Sntfd^eibunfl bcr ©eelänbifd)cn ©täube, bag bic XlntragftcQcr
junäd^ft alle i^rc JBcfdjiperbcu mittl)eiltcn, unb cö fei bie ©oc^e
bcr ©^nobe, bie Drbnuug i^rcr SJerfianblungcn feftäuftcUcn.
S)arauf l^in ^at Sobabic mit bcn SJübbclburger 3)cputirtcu bic
©tabt S)ortred^t uerlaffcn. 3"9tc*^ ^^^^ ^^t ^^ ^^" gtuubfäfe*
lic^eu ^ruc^ bur^ bic oben (©. 211) angcfü()ttc D^claration
au^gcfproc^cn, bic er im Flamen öon „mel^rcren ©liebern bcr
Äir^c ©otteö unb 3cfu. ß^rifti", o^ne bic örtUd^e Sef^ränfung
auf bic ©cmeinbe ju äßibbclburg burc^ bcn 2)rud ^at ergeben
laffcn, unb tt)clc^c bctt)cift, ba§ bic ©eparation unter feinen Am
f)ängcrn fd^on längft befd^loffen unb vorbereitet ttjar. 3)iefc
©c^rift ift in einem il)rcr 2;f)cile bie offene Slnflagc beö befielen*
bcn ©^nobalf^ftcm^, alö einer ber Stufgabc bcr Äird^e ^inbcr-
lii^cn unb jutuiberlaufcnben ©inriri^tung. S)iefc 3lnIIagen ipcrbcn
no(^ überboten burc^ einen ^riüatbricf Sababie'ö, bcn er inncc^
^alb bcr SJcrfammlung alö ed^t anerfannt ^at, tüorin er fagt,
baß ©Ott il^m bag SKittcl ^u einer Separation heureuse \)cx^
liefen f)abc. Sllfo auf ©runb ber Snoägungcn, tocti^c in bcr
t)orlicgcnben ©c^rift ber3)cö ÜÄaret^ me^r aU fünf ©citcn um*
faffen, bafe er nämlid^ gegen bie ©efefce bcr Äird)e ungeljorfam
genjcfcn fei unb c^ barauf abgefe^en i)abt, Spaltungen ^croor^
jurufen, fcfet if)n bic ©^nobe uon feinem Slmtc ab unb fuepenbirt
ifju t)on bcr 2;^cilna^me am Slbcnbma^Ic, bi^ er cmftlic^ 8flcuc
benjiefen ^aben tt)erbe. 3)iefcö Urttjcil, tt)clc^eö auc^ bic mit i^m
ücrbunbencn aWitglicber be^ ßonfiftoriumö feiner ©emeinbc um»
fagte, na^m fiababie jum Slnlag, um feinerfeitd ju nid^t üorgc:«
fc^cner 3^^^ ^^^ feinen fpccicUcn Sln^ängcrn auö ber SÄibbcU
burger ©emeinbc, njclc^c etwa ein drittel i^re^ Söcftanbcö auö^
mad)ten, bic Äirc^e ju occupiren, unb mit biefer SScrfammlung
?lbenbmal)I ju galten, ©o loar er brei 3at)rc nac^ feinem (Sin*
jug in bcn Slicbcrlanbcn an bie ©pi|c bcr erften fd^iömatifc^cn
©emeinbc inncrt)alb be^ calüinifc^srcformirtcn ^irc^cntoefenö
gelangt.
3)ie SBoljogen'fd^c Slngelegen^eit, an njclc^cr f^ticßlic^ bic
2)inge jum S9rud^ tarnen, follte für Sababie gen^iß ebenfo baju
bienen, feine eigene ^etcroboEie, nämlid) bcn S^iliaömu^, in Scr^
geffen^eit ju bringen, alö baju, bcr toaUonifc^cn ©^nobc bcn
äWafcl aujupngcn, bag fie ein l^arctifd^eg 33uc^ bulbctc S)a8
217
erftcre Urtl^cil tüirb anö) baburd^ ual^c gelegt, bog Sababie in
feiner oben (©. 199) angeführten Protestatio orthodoxiae, toeldic
t)om 1. gebruar 16G9 batirt ift, unb feine SRed^tgläubigfeit
wol^ren, fotme ben SSerbad^t abrocl&ren foüte, baß er nod^ im
3)ienftc ber Sefuiten ftel^e, ben (S^iliaömuö t)oIIftänbig mit ©tili'
fd^toeigen übergel^t ^), Um fo lonter Ijat er in ber gleidixeitigen
D^elaration chr^tienne ben SSorwurf gegen bie njaüonifd^c
©^nobe erlauben, baß fie in ©lauben unb Sel&re uerborben fei.
3n mögli^ft weitem Umfange beftrebt er fid^ biefeg na^ju*
toeifen. §ier lommt er alfo junäc^ft auf bie t)orgcbIid^en ttjcfent-
lid^en ?!lbmcicf)ungen ber franjöfifd^en Sonfeffion Don bem aut^en^
ttfd^cn ©ortred^terlejt, njorüber fd^on berichtet ift. S)ann folgt
eine Slei^e üon ©ä^en au^ ber SBoljogen'fd^en ©^rift, weld^e
bereu j^äretifd^en Sl^arafter bereifen foüen. gaClö biefelben rid^tig
toicbergegeben finb, fo bilben fie ot)ne 3^cifel nur bie eine &t^
banlenrei^e in ber ©d^rift, toeldtie, ttjie bie R6fatation raodeste
ber Srüber 3)e^ SJiaretg jeigt, aud^ äße in ber ortl^obojen S8e-
trad^tung üblichen ©äfee über bie ^eilige ©d^rift unb i^rc 2lu§=
legung enthält. S)ag nad^ ber 9lbfid^t aBoljogen'S rechtgläubige
S5ud& l^at, ttjie eö fd^eint, feinen apologetifc^en Qtocd nur erreid^en
lönnen, inbem fein SSerfaffer auf ben ©tanbpunft be^ pt)ilofO'
p^ifdien ©egnerg DerJ^ältnißmäfeig eingegangen ift. ©o ift SBoI*
jogcn ju mand^en bem ©egner conformen ©äfeen gelangt, toeld^e
jcbo^ burd^auö nid^t jum ©ociniani^muö ausarten *). 3)er britte
$unft, in ttjeld^em Sababie bie SSerberbnife ber ©l)nobe in ©lauben
unb Seigre feftftetten ttjill, bejiel^t fid^ auf bie moralifd^e 9Serbinb=
li^feit ber Orbnungen ber ©^nobe. 3n einem ber ol^ne Eenfur
crfd^ienenen Iractate De la puissancc ecclösiastique bom6e
ä r^riture et par eile ^atte Sababie bel^auptet, bafe ber ®Iäu^
bigc ni^t ücrpftid^tet fei, bie ?lnorbnungen ber ©t)nobe ju
bcobad^ten, unb baß berjenige, ber fid^ i^nen nid^t untertoirft,
nic^t fünbigc. S)a bie ©^nobc ju Slaarben biefen ©afe Der*
1) 3n ber Dedaration chretienne p. 824 rebei er beUfiuftg baüon,
bo6 bie 6pnobe [einen Ilcraut wegen unerhörter, fd^rifttolbrißer unb üerberb-
lii^r ße^rc Uerbammt ^obe, o^ne ©insel^eitcn ju bejeit^nen.
2) Ueber baS Sud^ oon ^oIjoQen Dgl. %i)olud, Stixä^l Seben be§
17. 3a^r^ flbt^. 2 6. 29. Sepp, Godgeleerd onderwijs in Ncdcrland 2.
Doel. p. 383—387.
218
tuorfcn l^attc, fo imputirt Sababic bcr ©^nobc bic Sel^ouptung,
bafe bcr ©laubige im ® ctuiffen ju jenem ©el^orfam gegen il^rc 5Sn^
orbnnng üerpflidjtet fei uub burc^ UngeI)orfam bagcgen ©ünbe begel^c.
6r ergebt t)icgcgcn bic ^luflage, bajä bloö mcnfc^Iic^e ©afeungen
auf bic Sinie bcr göttlid)en ©ebote erhoben, ba§ alfo bic pa^
piftifd)e ©Icid^fteüung bcr Ueberlicferung mit ber ^eil. ©d^rift
njieberf)olt iDcrbe. 3)er Refutation fiel c^ nic^t fc^tuer, bic fo^
p^iftifc^c Srt biefer UnterftcHung unb ben icfuitifc^en §inter^
gcbanfen Sababic'iö ju cntpUcn, nämlii^ bag bcr Ungcl^orfam
gegen bic menfc^Iid^en Drbnungeu ber ©^nobe nur eine ©ünbe
geringem ©rabcö, bic eigentlich feine ©ünbe fei, entl^ielte. 3^*
glei(^ weifen bic 3)eö aWarctö barauf f)\\\, baß tücnn aud^ biefc
firc^tic^en SSorfd^riften nid^t baö üolle ©ciüidjt ftaatlic^er ©cfc^c
^aben, bic man um beS ©en)iffenS n)iQen glcid^ ©otteS ©^^
boten jju erfüllen ^at, fie bod^ eine faft glei^ i)crpflid)tenbe ©eU
tung für ben ©laubigen behaupten, uoii bem anjunef)mcn ift.
ba§ er burd) Slufna^me in bie Äird^e fid) inbirect unb ftiCU
fc^iucigenbö ben Drbnungeu berfelbcn untcrtüirft. S)ic tpcitcrc
Slntlagc, baß bie ©^nobe ben Ungeljorfam gegen i^re Sorfd^riftcn
bur^ Slmtöentfe^ung unb burc^ ©jcommunication beftraft
l^abe, alö wenn berfelbe gegen bie jnjci lafeln bcig göttlichen
©cfefecö uerftoße, unb baß baburc^ wieberum menfd^lic^c Drb^
nungen ben göttlid)en glcid^ gefefet tuerben, erlebigt bie Röfutation
baburc^, baß biefe ©trafen gegen bie ^eud^elei unb ben §o^
mut^ gerichtet finb, wcld^e Sababic burc^ bie aBibcrfefelid^Ieit
gegen bic ©Qnobe rcidjlid^ beriefen l)abc. (Snblid; grünbet Sa=
babie bie Slnflage auf 3rrle^re gegen bic©^nobe auf bercnSScrs
bammung feiner ©d^rift L'exercice prophetique. §ierin t)attc
Sababic feinen ©runbfa^ ber SRüdte^r ju allen (Sinrid^tungen
bcr älteften Äirdjc barauf angen)cnbet, baß man öerpflid^tet fei na^
1 Äor. 14 freie SJerfammlungen aller ©laubigen ju üeranftalten,
in tücld^cn jebcr nad^ bem Slntricbc bc^ göttlichen ©eifte^ religiöfc
SRcbc üben bürfc. Dbgleicl) er fid^ l)iefür auc^ auf bie recipirtcn
SBcfc^lüffc ber S^nobcn ju SBefcl unb jju @mben berief, fo l^attc
er bod^ gerabe bic ©c^ranlcn überf d^ritten, meldte biefe Sluctoritätcn
baburd^ aufgerid)tet Ratten, baß fic bie „^ßrop^esei" alö ©c^rift-
auglcgung ucrftanbcn unb fie an bie ftanbe^maßige SBcfä^igung
äu berfelbcn fnüpften. S)ic Refutation fonnte nidjt bloä hieran
erinnern, fonbern and) geltcnb madjen, baß bic t)on $aulu8 unter
219
bcn fortntl^ifd^cn (S^riftcn anerlanntcn ©oben cbcnfo toic bic an^
bcrcn aufgehört f)abcu, unb baß man in bic Duäferci fic^ t)cr=
irre, tocnn man ftd^ barübcr l^inttjegfefec.
3)ic bcibcn anbcrcn Slbfc^nitte bcr Döclaration, toelc^c bic
SSerbcrbniß bcr ttjaHonifc^en Äirdje in i^rcn gotteöbicnftlid^cn
aScrfammlunflcn unb in i^rer Siegierunfl na^meifcn, finb fc^r bc»
jcid^ncnbe groben ber Slnmagung, in njctd^cr bcr 3ßann, ber
ftc^ nod^ gar nic^t in ein rcd^tli(| gcorbncteö SBcr^ältniß ju bcr
toaüonifc^cn Äirc^c in bcn SRicberlanbcn gcfcftt ^attc, fid^ jum
Mid^tcr über bicfclbc auftt)irft. §iec bcrüt)rt er @ro§eg toic
ÄlcincS mit glcicf)cr Sittcrfcit; offenbare ÜÄängcl unb i^m nid^t
jufagenbc (Sinrid^tungen rügt er, o^nc i^rcn Slbftanb ju bead^ten ;
furj in bicfcm il^cil bcr ©d^rift tritt bic fcinbfcUgc Ungcrccl^tig:=
feit unb bic Ucbcrfjcbung bcö ?ßrop^ctcn in pcinlicf)cr SBcifc an
ben lag. Slußerbcm aber berrät^ fid^ in bcr Slnflage gegen bic
©Qnobe auf papiftifc^c 2;^rannci über bic 5ßaftorcn unb bic So-
calgcmcinbcn fein ©runbfafe bcö Snbepenbenti^mu^. 3)crfelbe
wäre an unb für fid^ bcr jureid^enbc ©runb bafür genjcfcn, baß
fiababic fid) üon bem ©Qnobalf^ftem trennte. SBarum tonnte
baö nid^t entiocber öou t)ornt)crcin, ober im Saufe ber Qdt mit
Mu^e unb Älarl^eit ju ©tanbc fommcn? SBarum mußte Sa^
babie fclbft biefen ©runbfafe burc^ ba^ hinterhältige unb rcc^t=
^abcrifdic Setragen, baö er in ftcigcnbcni aWagc n)ä^rcnb be§
brciiäl^rigen Äampfeö cntiüidtelt ^attc. ijergiftcn? S)iefc^ iScr^altcn
cntfprang, wie id) meine, barauö, baß er t)on Dorn^crein uid^t
fottjol^l feinet grunbfafelid^en gnbepcnbcnti^mu^^ ate feiner refor^
matorifd)cn Seftimmung fid^ betüußt ttjar. ®inc Ueberjcugung
bicfer ?lrt pflegt aber übcrfjaupt bic Uebcriegung rcc^tli^cr SSer:^
^ältniffe, alfo aud^ firc^enrec^tlid^er eonjuncturen nid)t ju bc::
günftigen. SffJit bcr Slbfic^t auf 9fleformation bcr ©ittcn trat er
in bie ©cmcinbc ju ÜJiibbcIburg ein, für fic aQcin intcrcffirt,
gleichgültig gegen i^rc rcc^tlid^c ©tcllung in bcr ttjatlonifd^cn
©^nobc. Seren ßornpctenj über \i\n fuc^te er junäd)ft ju um:^
ge^cn, um nic^t njeiter burd^ fold)e Slnfprüdjc in feiner eigent^
liefen Aufgabe geftört ju werben. Sllä nun bie ©^nobe gegen
bicfe groben feinet Snbcpenbcntiömug reagirte, empfanb er biefe^
(d^ SBibcrftrebcn gegen feinen rcfomiatorifc^cn SBcruf. Snbem
er alfo barunt fein felbftt)crrifc^eg aBcfcn nur ftcigertc, unb fic^
barauf fteiftc, feine göttliche aKiffion nid^t ben «nforberungen
220
flcincr unb ))ebantifcl^cr JRcd^föformcu anjubcqucmcn, fo ift il^m
bi§ jur @ntfd)cibung ni^t flar getüorbcn, ba§ fein 3ub(H)cnbcn*
tiömi^5 Don t)ornI)erciu im Unrcd^t (jcgcu baö ©l)ftcm bcr ©tjnobc
tOQr, iu tüc(d)cö er inbirect einfletDiÖigt ()atte, inbcm er bem 8fluf
ixaä) SJiibbelburg folgte. 2)urc^ feine aBiberfe|Iic^feit gegen bic
©^uobe compromittirte er aber feine reformatorifd)e Stufgabc.
S)cnn ttjcr bie ©itten ber ?lnberen ju beffern unternal^m, burfte
nid^t ben §oc^mutt) in fid^ cntroidfeln, bie rec^tlid^en Drbnungen
bcr ©^nobe alö menfd^Iid^e SBiQfür ansufel^en, in bcren yt\d)U
ad^tung feine ©ünbe begangen merbe. 3luö biefer SScnmdelung
alfo Ijai fid) Sababie nicftt mit bem Haren Urtl^eil erhoben,
weld^c^ Sugleid) bie Sauterfeit feines SBiUenö unb feine tüirtlic^c
Söefä^igung jum {Reformator gcwäfjrleiften würbe. 9iad^ ttjic uor
I)at er t)or fi^ fclbft fein moralifdieö Unred^t gegen bie ©l)nobc
I)inter ber guten Slbfid)t unb bem göttlidjen {Redete feiner {Reform
bcr Äirc^c ocrborgen. 6r ift bc^()alb aud) nic^t im ©tanbe gc^
toefen, baö SBcr^altcn ber <St)nobc auö if)rem red^tlic^en ©^ftcm
^crau^^, unb feine Trennung t)on i^r auö bcr Soüifion uon {RcdjtiJ^
grnnbfä|cn ju üerftelien. SSicIme^r Dcrfid^ert er in bcr Protestatio
orthodoxiac (p. 62), bag er leih anbercö ®d)iöma alö ba^ gegen
3rrtt)um unb Saftcr beabfic^tigc, unb bajg er ein böfcö ©d^i^ma
nicftt mad^c, fonbcrn erleibe, mcil er bic Üird)e auf i^re urfprüng«
lid)c 9lcin()eit äurüdfü^rcn tooHc; ba alle @in ^crj unb @inc
Seele waren.
12. 2)ie @emctttbe £ababte^i^.
2lu^ melc^em (Srunbe unb mit welchem {Redete ^at bie 6r*
inneruug an bie erfte ©emeinbc ju Scrufalcm in bicfcm xoic in
aßen analogen gätlen bie SBirlung gel^abt, neue SBilbungcn in ben
gefd^id^tUd^cn 3iifrtniincnl)ang ber Sfirc^e eiuäufü^rcn? SBir beuten
bie comnumio fidelium ober bie ccclcsia t)on t)orn l^ercin in
ber gorm ber freien ©efclligfeit. 3)ic äßerfmale berfelben pnb,
bag eine $tnjal)l gleid) gefinnter unb gleid^ gebilbcter äJZenfd^cn
fidj bem öinen Qx\)cdc bcö ©ottcöbicnftci* wibnict, toeld^cr me^r
221
bic barftcHcnbe alö bie ))robuctii)c I^ätigfeit ^eraugforbcrt.
demgemäß finbct in bcm glcii^en, göttlid^en ©eiftc bic flottcö^
bienftlid^c ©cmcinbc bic gönnen i^rcö SScrfcIjreö, tücld)e eben,
inbcm fie banad^ gegeben finb ober allgemein gelten, nid^t aU
jnjingenbe ©d^ranfcn em))funben, fonbcrn aU gemeinfameö @nt in
freier Ueberjeugung anertannt nnb geübt tnerben. 3n bieferSage
loar bie d^riftlic^c ©emeinbe, wie c^ Reifet, nrfprünglic^ ©in ^erj nnb
(Sine ©eele. ?lber bie 2lui^breitung in Siaum nnb Qdt, bie auf nannte
Don ÜÄenfi^en ungleicher religiöfer nnb geiftiger 3)ilbung, bie ^luf^»
gäbe ber (Srjiefiung berfclben, bcr ®cl^u| ber gegebenen gormen beg
SJerfe^r^ gegen SJerfälfd^ung, bieig ?llle^ crjeugt neben ben Söe^
bingungen bcr freien ©efeUigfeit in ber Sirene bie frembartigen
S3ebingungcn ber a?ec^tögemeinfd)Qft. Unb nic^t bloö neben ben
gegebenen formen ber religiöfen unb gotte^bienftlid^en ©efeHigfeit
entfielen gefefelic^e SWornien ber Srjie^ung, ber Se^re, ber S)i^-
ciplin in ber Äirc^e; fonbern jene elaftif^en gormcn be§ freien
begcifterten SBerfelirg felbft tüerben für bic na^n^ac^fcnben ®e*
fc^lec^ter unb für bie ©enoffen uon gebunbenem ©eifte ju gefe^*
ii^en SWorme'n ausgeprägt. 3n biefer ©cftalt gelangen fie ju
benen, njelc^e crft baju angeleitet iDcrbcn follen, fie in ber grei*
^eit beS ©eiftcS ju üben. SBä^renb ferner icber gefcllige ÄreiS fid^
Dorbeplt, na^ ben Umftänben feine Umgangs^formen ju mobifi^
cireu, fo bringt t^ ber @ang bcr Äirc^c burd) ben (Srbraum unb
burd) bie 3^** "^tt fid^, ba§ bie rec^tlic^ fijirten gönnen i^reS
©emeinbcftanbeö regelmäßig benicnigen ?ßerfoncn SBiberftanb
Iciftcn, meiere nac^ i^rer geiftigen üraft befähigt unb berechtigt
wären, bie ju tobten Zeremonien gemorbcncn gormcn burc^ neue
unb frud^tbare 93ebingungen begcifterten religiöfen SebenS jU er:=
fe^en. 3ft aber nidjt bic freie ©efcüigfcit in barftellenber 2;^ätig^
feit am weiteftcn entfernt Don ber gefefeli^en Drbnung fold^er
I^ätigfcitcn, burd^ weld^e ber gemeinfame Söeftanb oon Seigre,
©otteöbicnft unb (Sräie^ung immer neu erworben unb oor SSer^^
falfd^ung unb SSerirrung gefc^üfet werben foH? 3n bem gefd^ic^t»
liefen SSerlauf ber Äircf)e nun ift beibcg auf baS ©ngfte an ein=
anber gcfnüpft worben; benn bie gefeftlii^e Drbnung imSöeftanbe
bcr Äirc^e foll bag SKittel abgeben, o^na welc^cö auc^ bic gort*
pflanjung ber ©emeinf^aft beS ©eifte^ in felbftänbiger lieber*
jcugung unb bereitwilligem @ottcSbienft nic^t für möglich gehalten
wirb. SBcr ^at nic^t in irgenb einem ^la^c bie ^ncongrucnj
222
biefer beibcn ©lieber be§ ©afciitiS ber Ätrd^e gegen etnanber tm^
pfunben? SBic uicie t)Qben md)t Die SoClifion biefe^ ÜÄitteW mit
jenem 3^^^'* fo crfafiren, bafe fic an i()rem üöerufc in ber Äirc^e
ober and) gar an ber C^riftlic^eu SReligion felbft irre geworben
finb? ?lber nun fommt ^inju, ba§ ber red^tlic^e Serbanb ber
c^riftlic^en Äird^e eine ÜHaffc Don SUienfc^en in fid^ begreift, bic
in abgcftuften ©raben fid^ ber Öeftimmung jur ©emeinfd^aft an^
bem göttlicf)en ©eifte toiberfefeen, unb na^ aller menfd^lic^en
SBal^rfc^einlicI^feit berfelben cnbgültig ttjibcrftreben werben. 3Bcr
alfo einen befonbcrö lebl)aftcn ffiinbrucf t)on bem SBert^e be^
©ütte^bienftcö ^at, ben bic gleid^ ©efinnten nnb bem ffirnftc bcd
Sebenö 3ugetüenbetcn in freiem antriebe nnb in einfachen formen
ausüben lönnen, unge^inbert burc§ ben frembartigen 9[nl)ang ber
SSäeltlic^en unb Unüerbefferlic^en, für ben mirb bie (Erinnerung
an bie in ficft einige ©emeinbe ber älteften ß^tt ni^t nur ju
einem Sfled^tötitel ber SIrennung uon bem rec^tlfc^en 3)afein ber
Äird^c, fonbern auc^ ju einem ^flii^ttitel, na^ biefem Sorbilbc
fid) einjuric^ten. S)ie Sieformation ber Äird)e nac^ biefem ÜRuftcr
fann nun ben Slbftanb biefe^ ßiele^ uon ben rechtlichen gormcn
be^ gegenmärtigcn ©eftanbeö ferner ober nä^er fteden. SBer in
ber fat^olifd^en Äirc^e beö 3Kittelalterg jene Slufgabc ergriff,
fonnte ben Umftänben gcmäp fic^ mit ben ^ierarc^ifi^en gönnen
berfelben abfinben, o^ne fie ^u burc^brec^en. Ober ber 99ruc^ mit
il^nen trat erft ein, ttjenn bie firc^lic^e Sluctorität bcnfelben ^er^
beifüt)rte. 3)er Söruc^ nun, weli^cn Sababie eräioang, um feine
©emeinbc jenem SSorbilbe gemäß einjuric^tcn, ttjar rabical. (5r
löfte feine ^[n^änger nic^t bloö auö bem SRec^töDerbanbe ber toaU
lonifd^cn ©l)nobe ; fonbern feine Declaration chr^tienne in Scr-
binbung mit ben Dort)ergegangenen (Schriften meift eö au^, ba§
er aud^ bie feftftet)enben gormen beö ©otte^bicnfteS Don fid^ ftic§,
um feiner ©emeinbe ben Z\)pn^ ber freien ©efeUigleit im (Sottet
bienfte unuerfürjt ju njafiren. 3)ie $rebigt foUte Dom ©eifte g^:
falbt fein, unb beö^alb bie hergebrachte Siegelmägigfeit ber 55ar:^
ftellungi^* unb Sludbrud^meifc aufgeben, bie liturgifc^en gormu^^
lare im ©onntag^gottcöbienft unb bei ber laufe foüten megfaUcn,
bie ^rop^ejei foHte nad^ ben ©aben ber ©emeinbemitgliebcr eine
burd^ SJorfd^riften nidjt gehemmte begeifterte Unterl^altung locrbcn.
Snbem Sababie bie {irc^lid^en $od^;;eitdfeiem unb bie fiugcre
iBejeugung ber Xrauer über uerftorbene %nge^5rtge, fo locit fie
223
al^ fird^üd^c ©tttc anjufc^cn toax, rügte, ttJoHtc er gormlofiglcit
ald bic @mäf)v bcr djriftUd^cn Scbcnöanfid^t aufrichten. 3n bicfen
3ugcn näherte er feine ?lnfprüc^c bem Quätert^um; unb faum
ein anbcrcr S^araftcrjug unterfd^ieb feine ©emeinbe Don bcm*
fclben, atö baß in jener bie ®eifte^!raft be§ ©tiftcrö bie {Redete
aßcr Snbcrcn überwog. (S^ toerben nod) anbere öebingungen ju
bcrücffi^tigen fein, unter beuen bicfe (Scmeiubc al§ bic im (^rift=
Uc^cn ©laubenöbctenntniß gemeinte communio sanctorum erfaunt
tocrben loollte; für jeftt ift toenigftenö fd)on bie gorm, toeld^c il^r
Sababic Derlie^, ober bic relatiue gormlofigfcit if)reö SBerlc^re^
bem ©runbbegriff ber Äirc^e congruenter, aU bie ©emciufc^aft
gcfefelic^cr Sc^ce, S)iöciplin unb SSerfaffung, toeld^c be^ ©eifte^
unb be^ SebenS ju entbehren üerbäc^tig ift. hierin ift bad Siecht
einc^ f Otiten Unternehmend begrünbet'). Slber bic ©efc^ic^te bcr
Sababiftifc^en ©emeinbc ben)äl)rt cö, bag biefe^ Kcd^t bic®cs
burt^ftunbe einer fotd^cn Silbung nic^t äuüberbaueru
pflegt. 3)ic freie ©cfelligteit, in ttjcld^cr bic SBa^r^cit ber c^rift*
liefen @cmeinfd^aft gefunben ju fein fd^cint, artet tl^eil^ in
immer weiter grcifenbc gormlofigfcit auö, tl)cil^ crjcugt fie neue
gormcn beö 8flec^teg; fie betritt alfo bic 33a]^n cigent^ümlic^ct
SScrweltlid^ung, fo toic ba^ erftc Sluftcuc^tcn il)rc^ gcfc^idötlicften
3)afcin^ Dorübcr ift. Unb in bicfen SUicrfmalcn fc^lcunigcn SScr«
faüciS bcr feparatiftij^en @efcUf(^aft bcioät)rt fid^ ferner, bag
ber Scftanb unb bic JSraft bcö S^riftcntl^umö auf eine breitere
©runblcgung unb eine reichere güDc mcnfd^Iic^er unb meltlic^er
Öcjic^ungen angetoiefen ift, al^ welche in bem SRa^men bcr freien
rcligiöfcn ©cfeUigfeit $lafe finben.
3)ic 3Bir!ung, meiere Sababic auf bicienigen ausgeübt l^at,
meldte il^m mit bcr ©cl)nfud)t nac^ einer 8flcfonnation ber Stirere
aud bem @eiftc @otteS cntgegenfamen, ift burc^ Die eigent^üm-
liefen @aben erüärUc^, wcl^e er in bcr rcligiöfcn 9{ebc unb im
1) Butler ^at momentan btefen 6tanb|)un!t eingenommen, inbem er baS
Sieb v9^un freut eu4 .liebe (E^rifien gemein* mit ben $er|en [daliegt .Unb l^fti
bi4 i^or ber SRenfd^en 6q$, babei berbirbt ber eble 64a$, baS lag iä) bir jur
Segte'. Sgl* aud^ do libertate christiana p. 258. lustitia ßdei in cere-
moniis periclitatar. 9ber fdf^on in bie|er 64rift ()at er bie feparatifiifd^e
gfolflerung abgelehnt: Et tarnen in ceremoniis, id est in pericalis versari
oportet.
224
fceljorgerifd^cn Umgang Dcrtücnbcn fonnte. (Sin aWann Don Heiner,
fc^wäc^lid^er ©eftalt, t)on nerüöfer SReijbarleit, t)on Icibcnfc^aft*
li^em religiöfen Srnft, gebot er über eine SBerebtfamfeit, toeld^c
feiner tedönifc^cn Vorbereitung beburfte, tvddjt ober um fo ftärlcr
bie @emütl)er erregte, alö [ie naä) franjöfifdjer Slrt aüc 3RitteI
ber t^eatralifc^en 3)ar[tenung ber Scibenjd)aftcn umfaßte, unb
Sababie im ©tanbe n)ar, [ie in gleich blcibenber ©etoalt ftunbcn*
lang au^juüben. daneben na^m er bie ©emittier ebenfo burd^
bie @etoanbt[)eit beö S8ene^men§ ein, in welcher bie ®e^ äJJaretö
ben ©rtrag feiner jcfuitifc^en ffirsic^ung ma^rnelimen tooütcn, tok
bni6) bie ©elbftgen)ißt)eit beö ?ßrop^eten, njeld^e ben äbftanb
feiner ^erfon üon ber Stuctorität S^rifti uerfd^ttjiuben ließ. Unter
biefen Umftänben wirtte ber ungetoo^nte SReij, *toelc^en feine
mtjftifd^e S8etrac^tungön)eife auf bie ?ß^antafie, namentlid^ ber
grauen auMbte, gerabeju überroältigenb. 3)rci Sa^re lang l^attc
er biefe SDiittel in ?ßrebigtcn unb prioatcn Slnbad^t^übungcn in
SBettjegung gefefet, unb ^atte fie unterftüfet burd^ eine big ba^in
in SRibbelburg uner^rte ©nergie in ber 3)igciplin. S)a Sababie
bie ^robe ber Slii^tigfeit feinet SSerfa^renö nic^t barin fud^te, Slfle
ju gciüinnen, fonbern gerabe barin, bie geiftlic^ ©efinnten öon
ben SBeltlid^cn ju fc^eiDen, fo muß e^ aU ein großer ffirfolg bc=
trachtet toerben, ia^ ber britte 2;^eil ber ©emeinbe burd| bie
I^eilna^me an ber erwähnten äbenbma^löfeier in feine ©epara*
tion einmiHigte. Slber bicfelbe mar oon Slnfang an feine örtlich
befd^ränfte. ©rfc^einung, ba in ber gcit beö Sampfcö jtoifd^cn
Sababie unb ber ©^nobe außer ber ©(^urman unb i^rcr greunbin
3lnna be SJeer auö 2)ortred^t auc^ noc^ anbere gleicft ©cfmnte
ab unb JU SKibbelburg befuc^t fjaben merben, um mit Sababie in
gotteöbienftli^e ©emeinf^aft ju treten.
3)ie ©))altung, meiere er in bie maüonif^e ©emeinbe ge^s
bracht ^atte, jog JRu^eftörungen nad^ fic^, unb biefe bewogen ben
äßagiftrat ju aWibbelburg, Sababie unb feine SJegleiter ju Ver-
bannen, ©ie mürben aber in ber benad^barten ©tabt SSeere auf*
genommen, bereu SDiagiftrat eö jmedfmäßig fanb, unter 3^ftint=
mung ber flamifdien unb ber fc^ottifdjen ©emcinbc in i^r, bie
©tiftung einer mallonifc^en ju beförbern. Sababie mar biefeö
minfommen, unb bie mit i^m eECommunicirten §äupter feiner big*
fjerigen ©emeinbe trafen Slnftalt, i^ren SBo^nfi^ nac^ SSeere ju
Verlegen. 3"9lcic^ ftrömten feine übrigen Sln^änger ju ^unberten
225
tood^cntlid^ j^n)eimQt Don 3)?ibbcI6urg nad^ SSeere, um an bem @otted«
bicnft, bcn er ^iclt, t^ciljune^mcn. 3)icfe ©reigniffc brotitcn einen
offenen Söürgerfricg jtoifc^en Den beibcn ©täbtcn ^erüorjurufen.
Um i^n ju ocrI)!nbcrn toanberte fiababie mit feinen Segleitern
gegen (Snbe Äuguft 1669 nac^ ?(mftcrbam au^. Slud^ in bicfer
©tabt njurbc er oon ber Dbrigfeit mit einer geroiffen ®unft auf«
genommen, unb eröffnete in einem großen Don i^m gemiet^eten
§aufe feine änbac^tMbungen. 3)a er jebod^ nic^t mel^r in ber
Sage mar, öffentlichen ©ottegbienft ju fialten, fo fanbte er feine
Äbiutanten au^, um überall in bcn ßonDentifeln Sln^önger für
i^n iu merben. Slldbalb ftcQte fic^ auc^ bie ©c^urman nebfi
einigen if)rer greunbinnen (be SSeer, ^ut)genö) in ?lmfterbam ein ;
unb ba fie feine SBo^nung in ber 9lä^e Sababie'g fanb, tourbe
fic feine ^auögenoffin. ©ic ^atte biefen legten ©d^ritt gegen ben
Äat^ i^re^ alten g^eunbe^S Soet getrau, meld^er toeber bie ÜJitjftil,
noc^ ben (£{)iliadmu^, noc^ bie ©eparation bed neuen ^reunbed
ber ©c^urman billigen fonnte. 6ö mar fein JRed^t, aUbalb eine afa*
bemifc^e Disputation gegen benfelben galten ii\ laffen, meldte am
30. Dctober unb 13. SioDembcr Dor fii^ ging, unb ^iunäc^ft o^ne
fein SSormiffen in nieberlänbifd^er ©prad^e gebrudtt mürbe*). 3n
biefer ©c^rift becfte SSoet bcn mönd^ifd^cn Stjarafter ber neuen
©cmeinbeftiftung unb bie grembartigteit ber SWtiftil Sababie'S
gegen bie in ber rcformirten Äirc^e üblid^e grömmigfeit auf
(©. 123). 6r fonnte fic^ jcboc^ babei ber Unjart^eit nic^t ent*
fc^tagen, baS SSerpltnig jmifc^en .^ieron^mud unb $aula nad^
allen Siegeln ber Sunft ju beurt^eilen, um baburc^ feine ©c^ülerin
unb ^rcunbin oon bem ?lufentl)alt in bem coenobiura yrm/xar-
dgiTcov abjufd^redten. ÄQerbingö oer^ielt eö fid) nic^t fo, mie ber
alte ^err fic^ ju erinnern glaubte, unb nad^^er in ber Appen-
dix (p. 514) brudfen ließ, baß Sababie burc^ einen örief ^Don'ö
bie ©(^urman mit bem Scifpiel Don $ieront)mud unb $aula an
fic^ gelodt ^abe. ©ie unb 2)Don l)aben biefe Eingabe cntfdjieben
in abrcbe gefteHt*) unb bie ©c^urman ^at jugleid^ bet^euert,
1) De ecclesiarum separatarum unione et syncretismOf mit Appeiidix
hitbd Lib. III. Tract III. be6 3. t^eilS ber Politica ecolesiastica.
Amst. 1676.
2) Tvon, Leere van den heiligen doop (Amsterdam 1683) p. 144.
Eacleria P. II. cap. IV, 6. i)eutf(^e Ueberje^une II. 6. 118.
I. 15
226
bag fie burd^ i^rc Ucbcretnftimmung mit beit ©runbfa^en Soba^
bic'^ ju i^m gejogcn tüorbcn ift. ©ic f)at fic^ fortan nic^t me^r
öon i^m getrennt. 3)ic ^au^gcmcinbc in 3(m[tcrbam bcfricbigte
fie öollftänbig. SlUcin bie Sage bcrfelben tt)urbc mannigfach bc^^
einträd^tigt. (Sinmal fc^ränften fic^ bie Äuöfiti^tcn Sababie'i^ auf
eine meitgrcifcnbc SBirfung feiner Separation jur (Srneuerung bcr
Üird^e baburd^ ein, bafe fo gut mie gar fein ÜJiann gciftlic^en
©tanbcö fic^ il)m anfd^loß. SSon 9iiebcrlänbifd)en ^rebigern fanb
fic^ bei fiababie nur @[)riftian Coburg aud 2at()um bei ßütp^en
ein, melc^er megcn ©d^roenffetbifcftcr unb Soriftifd^er Slnfid^tcn
uerbäc^tig, gerabe uom Slmtc fu^pcnbirt morben mar. Aber er
f)at \id) nad) furjcr Qeit miebcr entfernt. S)er cinjigc X^eolog,
meld^er üon ^mn fid^ ^erbeijie^en liefe, mar ^cinrid) ©^tüter,
Sanbibat in SBefel, alfo ein ^eutfc^er. fiababie unternahm cd
auc^, Slntonie 93ourignon, meldte bamalö in ämfterbam lebte,
unb, mcnn ed möglich mar, mit i^r i^re ja^lreidjen Sn^ängcr,
ebenfo auc^ ©id^tet unb feine ©efellfc^aft für feine ©emeinbc*'
ftiftung JU geminnen. 9tic^td bemeift freilid^ beutlic^er aU jener
aSerfud^, bafe Sababie'd reformirte JRec^tglöubigteit i^m felbft t)iel
mcniger mert^ mar ald feine aud bcr fat^otifd^cn ^ird^e mitge-
brachte 9)?t)ftit, in mclc^er er fic^ mit ber Sourignon begegnete.
S)iefelbe ^atte jeboc^ ebenfo menig mie ©ic^tel ein Sntereffc an
einer befonbern ©emeinbebilbung, inbem beibe fic^ mit bcm ganj
ungebunbenen SSerfe^r ber gleich ©efinnten innerhalb ber t)er=
fd)iebcnen ßonfeffionötirc^en befriebigt füllten. Sieben biefen (Sr*
fal)rungen aber fanb fic^ bie ^auögcmcinbe ju ämfterbam ge»
^cmmt nic^t nur burd^ längere ii^ranf()eiten uon i^ababie unb
g)i)on, fonbern namentlid) burd^ ben äudbruc^ tobfüc^tigen äSa^n^
finnö bei 3Jienuret, ber fic^ in SJcrjmeiflung am §eite auöfprac^,
unb erft nad) ;;mei 3)2onaten burc^ ben Xob beenbet mürbe. Sud^
fehlten nad^ bem öcric^te ber Sc^urman nic^t falfc^e ©ruber,
meldte in bem §aufe Sababie'ö felbft ben na^e liegenben SEBeg
Don ber 3Jit)fti{ jum ©ocinianidmu^^ einfd)(ugen, unb meiere ftc^
für i^re Sluömeifung baburdj räd)ten, bafe fie Sababie befc^ulbigten,
burc^ ÜKife^anblungen beö ©eifteöfranten beffen Xob herbeigeführt
JU ^aben. ©leic^jeitig mehrten fic^ bie ©djriften gegen Sababie,
meldte fic^ nic^t auf bie Erörterung ber fad^lic^en ©trettpunfte
befc^ränften, fonbern auc^ bie ^erfon be^ ©ectenftifterd in baö
ungünftigfte Sid^t fteQten, t^eiliS burd^ äBieber^oIung bcr Set«
227
Icumbungcn, ttjcld^e feiner ßcit bic 3efuiten gegen i^n auggcftrcut
Ratten, tiefte burc^ bie SSerbäd^tigung, baß er bie Sernjirrung in
ber reformtrtcn Äirc^c alö ©miffär ber Scfuiten angerid^tet ^abc').
Snblic^ aber eaeid^ten bie ^rebiger ju ?tmfterbam, n)eld)e i^re
aBirffamleit bebro^t fanbcn, njcnn bic ^auögemcinbe unbc^inberte
Snjie^ung ausüben burfte, ein obrigfeitlid^e^ 3)?QnbQt, bag an
ben Änbad^t^übungen Sababic'ö nur feine §auögenoffen t^cil*
nehmen bürften. ®erabe in bem SKoment, atö bie 9Äibbelburger
Änpngcr i^re Ueberfiebelung nad^ Ämfterbam Dorbereiteten,
fc^nitt biefe Änorbnung ber Meinen Kolonie in Ämfterbam jebe
Äuöftc^t ab, bort ju gebei^en unb ju öffentlicher SBirffamfeit j^n
gelangen.
C^ ift eine ftarfe Uebertreibung, baß bie ©c^urman erjä^lt,
ba^ ®erud^t üon biefen 93ebrängniffen fei feit ettoa einem Sal^r
JU ben D^ren frember ^ö^Pcn gelangt, unb einige üon i^nen
feien mit bem SBorfa^ umgegangen, ber Keinen ftir^e S^rifti
tooHe grei^eit ju öerfd^affen. SebenfaQö njar eö gerat^en mit bem
^falmiften ftd^ nic^t auf biefe unfinbbaren gürfteu j« t)erlaffen.
Denn eö xoax nur bie ^riu jeffin ©lifabet^ öon ber^falj*), Äeb*
tiffin ber freien JReif^öabtei §erf orb, toeld^e in ber ©rinncrung an
i^rc früheren gclefjrten 53ejie^ungeu jur ©c^urman, unb in ber
I^eilna^mc an bereu gegentuärtiger Sage berfelben bic Äuffor^
berung juge^eu liefe, mit i^rer ganjen ®enoffenfc^aft fic^ in baö
Xerritorium ber JReic^gabtei ju begeben, tt)o fie tJoHc grei^cit ber
aUcligion^übung ^aben foUten. 9){an n^ar n)o^l gcnötl^igt auf
biefet^ ?lncrbieten cinjugcf)en, inbem freiließ Sababie bemüht tuar,
inforoeit ben gufe in ben 5Rieberlanben ju behalten, alö er ben
bt^^erigcn S)olmetfc^er feiner franjöfifc^en JRcben, einen if aufmann
S9arbon)i^ bafür getuann, nad) bem JRec^te ber ^roptiesei bie Sin-
^nger in Ämfterbam ju bebienen. Slufeerbeni rechnete er eine
inbe))enbentc ©cmeinbc t)on 28 ©cclen, weld^e ein tuegen SBer:^
änbcrung bcö laufformular^ abgefegter ^rebigcr Äbrian be |)erber
au^ SBlc^^ttJ^I bei SfJottcrbam in biefer ©tabt um fid^ gefammelt
1) luget ber angefahrten ed^rlft ber «rUber i)e8 9Raret§ (6. 195)
^i an^ beten Sater Samuel ^areftud im 3a(re 1670 ebirt Propemticon ad
J. Lmbadium exjesuiiam, fanaticum.
2) t:o4ter beft burc!^ fein Unternehmen in 95(men betannten l^urfUrfien
gfriebri^ V. 6tc ift geboren 1618, geftorben 1680.
228
l^atte, ate eine ©tfifec feiner ©ac^e '). 6^ toar nur eine ©cfammt.^
ja^l Don ^iiuf jig, toetc^c fid^ im©eptember 1670 üon Ämftcrbam
nac^ öremcn ju ©c^iff, üon ba ju SBageu nac^ §erforb begab.
3)ie ©efcafc^aft fanb ein öerid^terftotter^) im ÜJJai 1671 fe^r
ungleich jufammengcfcfet. Slußcr Sababie, ^uon, bu Signon unb
©c^lüter ttjar baö männliche ©efc^Iec^t nur burd^ 5ßerfonen nic^
bereu ©tanbcö, hingegen baö roeiblidjc burd^ eine SRei^e tjon un:^
üer^eirattjeten grauen Ijö^ercr SBilbung unb t^eilweife l^o^en
Slbel^ vertreten. Dicfc Zf)at\a6)c ift fe^r crflärttcft, ba bic un^
üer^ciratfjeten reichen 5Damen unb n)icberum bie minber begüterten
SÄänner unter SJababie'j^ Sln^ängern am leidjteftcn ben SBol^nort
n)ed^feln fonnten. 3nbeffen ftnb njö^renb be^ sroeijä^rigen Ser^^
toeiten^ ber ©emeinbe in §crforb bie Anhänger auö ben Siieber^
lanben gefommen unb gegangen; unb manche ftnb aud^ bauemb
geblieben, ba eine größere Qaijl t)on ©enoffcn fpäter ^erforb ucr*
liefe, alö jucrft bal^in gejogen n)aren.
gür bie inneren SSer^ältniffc ber ©cmeinbe, toddje erft
in ^erforb ftd^ feftftellen fonnten, bietet junäc^ft bie Decla-
ratio doctriuae nostrae christianae, n)eld^e t)on ^erforb unter
15. October 1671 erlaffen ift^), ujic^tigen ©toff bar. lieber bie
I^cilna^me am äbenbmaljl tperben ^ier frcilid^ nur bie ©runb-
fäfec n)ieberl)olt, toddjt bei ben ©onöcntifeld^riften in ben 9lteber«
lanben galten (©. 117). SEßä^renb nun in biefem fünfte eine
ftarte ©ebunben^eit ber ©emcinbeglieber ^erüortritt, n)elc^e ftc^
JU ^üten l)aben, mit einem Unroiebergeborenen ba^ Sbenbma^l
JU tljeilen, fo tritt bic ßwttaljme ber gormlofigfeit in ben fibrigen
93ejie^ungen, tDeld^e ju einer c^riftlic^cn ÖJemeinbe gehören, beut»
lidö ^erüor. 3nbem nämlic^ auc^ bie laufe im ftrengcn catm<
nifc^en ©inne ate baö ©iegel ber SEßiebergeburt erflärt xoxxb, fo
geben bic ^aftoren ju, bafe man ftc oud^ Üinbern ert^eilen borf,
xoel6)t üon micbergeborenen Gleitern abftammen, in ber ©rtt^artung,
1) $g(. Koelmann, Historisch verhaal p. 97.
2) «rief Don $au( ^ac^enberg (^ofmeifter beS 92effen ber «ebtifftn, beS
$nn)en Staxl Don ber $fal)), »eitler 31. ^ax 1671 Aber einen Sejud^ in
^erforb an einen ungenannten Sreunb beri(!^tet. Vu8 ber Bibl. Brem. YIII.
p. 1008 — 1015 in beutf^er Ueberfe^ung Dor ber beutf^en t[u8gabe ber dnÜeria.
3)eRau 1782 p. XVII.
3) ^er $aiq>tt(etl in Yeritas sui vindex. Herford 1672. Sie^e oben
6. 199.
229
baft fic i^neit ä^nlid^ fein tüerben. Snbeffcn erinnern ftc äufllcid^
baran, bag bic primitiüc Äirc^e nic^t unrecht ge^anbclt ^abc, in«
bem fie bie laufe bcr Gtiriftenlinber biö jur erfennbaren SBiebcr* .
flcburt auffd^ob. 9iur ücmaf)ren fie fic^ bagegen, bag njenn bic
^inbertaufe anä) o^ne jene Soraudfe^uno ou^geäbt njorben to&xt,
eine SBiebertaufe einjutreten ^ätte. lieber bie (Sl^e urt^cilen fie,
bafe fic ein befonberer religiöfer ©tanb fei, ttjclc^er bem SBieber»
flcborenen bie JRötfjigung auflegt, fici^ Dortjcr üon aller Segicrbc
befreit ju ^abcn. 3)e^^alb finben fic ferner, baß eine 6^e ixou
f^en einem @(äubigen unb einem in il^rem ®inn Ungläubigen
bem SBcgriff ber 6^c njibcrfprid^t, SWit ^autu^ njollen fie frei*:
lic^ jugeben, baß in biefem S^Hc bic ffi^c fortijufcfeen ift, n)enn
ber Ungläubige bie Sludfic^t auf 9)cfe^rung giebt. %ber fo n)ie
bieg fein ®efe^ ift, menn bie SSorauöfcfeung nid^t eintritt, fo be*
galten fie tien bie ^tei^eit ber S^etrennung üor, toenn ber @Iäu«
bige nid^t bei bem Ungläubigen bleiben mü, unb fe^en fic^ mit
bem Sugfprud) S^rifti über bie Unauflöölid^fcit ber ffi^e fo aug
cinanber, baß ber ^err über biefelbe nur in thesi gerebet \)ahc,
nid^t in hypothesi aut de coniugio bene vel male inito. Riebet
ift enbtic^ nocf) ju beachten, \>a^ bie öffentlid^c gotm ber (5l^e*
fd^licgung alg ungeeignet für n)a^re @(äubigc bcicid^nct mirb,
inbem bie (S^c nur in ber gegenfeitigen (£inn)illigung rcd^ti^fä^iger
^crfonen befiele, unb fo üon Slbam unb @Da, njic üon ben äU
tcftcn E^riften eingegangen fei. S)iefc JRid^tad^tung befte^enber
gönnen bcr c^riftlid^en ©efeüfd^aft fcfet fid^ fort in bcr ©c^äfeung
bc« ©onntag!^. Slug ber JRüdfftd^t, baß bcr 3)efalog nur bem
alten ©unbe angehört, ba§ bic ^roptictcn einen bauernben (S>ai^
bat in Äuöftd^t ftcClen, ba§ ben Sfiriftcn feine geicr cinc^ befon:=
bcrn lagci^ üorgefc^rieben ift unb enblic^, ba§ alle SBcrfe cincg
C^riften nottjtoenbig ?lctc bcr ©ottcöücrc^rung fiub, mirb gefoU
flcrt, ba§ bie alltägliche Slrbcit am ©onntag nic^t j« unterbrechen
ober au^jufcfecn ift, tocnn nur eben babei bie Äbfid^t bcr ftärfern
Siebe fid^ auf bie üoQfommcnc (8f)rc ®ottcö rid^tet. 3)ic ©d^ur«
man crflärt aut^brüdflic^, in biefer ?(nfic^t, bic bcr rcformirten
^rajiö birect unb üoHftänbig jumiberläuft, bie ©ctoä^rlciftung
eilied mefentlic^cn gortfcijrittcg i^rer grömmigfeit über ben üo*:
rigen ©tanb erfahren ju [)aben. ^ic Declaratio ber brei ^aftoren
enthalt aber noc^ ben ©a^, bag bie ©ouueränetät @)otted fic^
auc^ über bic irbifc^cn ®ütcr ber ©laubigen erftredt, biefc alfo
230
nur ^QUd^alter ü6er btefelben finb. 3ndbefonbere toäre (S^rifhid
aU ber ^crr aller 3)cfi|tpmcr ber ©emeinbc anjucrfcnncn. Da*
raud folgt, bag jeber @(äubtge als @Ucb am Setbe S^rifit bereit
fein mug, feine TlxtUl ber @emeinbe unb i^ren @liebern, roie ed
jebed bebarf, ju tuibmen. Damit tft bie %ern)altung beS $rtt)at^
eigent^umS nic^t audgefd)(offen ; allein gemeint ift, bag ntemanb
als ©lieb ber ©emeinbe angefe^en werben barf, loelc^er nic^t fein
ffiigent^um ben 93ebürfniffcn ber ©emeinbcglieber o^jfert.
Diefe ©ütergemeinfd^aft inS SBerl ju fefeeh xoax not^menbig,
um baö aWufter ber ältcften ©cmeinbc in bem ^auptfdd^lid^ftcn
unb ber SSelt am meiften n)tberfprecl^enben äJJerfmal ju befolgen,
unb eö xoax leicht burc^jufü^ren, einmal ba bie reichen weiblichen
©enoffinnen ber ©emeinbc an i^ren regelmäßigen (Sintünftcn
me[)r einnahmen als fie für fid^ gebraud^ten, bann aber ba bie
©efammtja^l ber ©emeinbe unb bie örtlid^en Ser^ältniffe bie
^ü^rung (Eines ^auS^alteS an bie ^anb gaben. Die (Sd^urman,
Welche biefeS (Srcignig nic^t birect erjä^lt, fpielt boc^ beutlid^
genug barauf an, um bie (Kombination beffelben mit einer anbern
für bie Sababiften bebeutfamen @rfc^einung not^toenbig ju
mad^cn. 3n jtoei Äbfäfeen >) berid^tet fie juerft, bie Sieben Sababie'S
tjättcn fo mäd^tig gctoirtt, bafe bie ©cnoffenfd^aft gleic^fam eine
allgemeine Slufenoedung erfahren f)abe, bie fid^ in einem unauS^
fprec^lid^en (Sntjüden funbgab, toie eS bie SBelt nic^t fennt.
DiefeS fei in einem bcfonbern Iractat Het christelijke gejuich
flar unb bcutlid^ bcfd^rieben. gerner bejeid^net fie ben (Erfolg
bicfcr (Srmcdfung fo, ba§ bie ©emeinbeglieber fid^felbft unb
alles i^r ffiigent^um (Sott jum unwiberruflid^en Opfer ge*
wei^t Ratten, fo bag bieS nid^t o{)ne ®runb als bie eigentliche
©cburtsftunbe ber ©cmeinbe angcfe^en werben fönnte.
Deshalb ptten fie btefeS Sreignig ber ganjen SSelt bur^ bie
geicr beS 3lbenbmal)leS lunb geben wollen, nämlic^ fofern
biefeS baS fic^tbare ßeid^en bcS £eibeS (S^^rifti fei, ber auS
i^ncn allen gebilbet werbe. 9iun bejiel)t fid^ aber jener
Iractat „Das d^riftlid)e ^xo\)lodm" auf bie I^atfad^e, ba§ bie
Sababiften nac^ ber gcier beS 8lbenbmaf)tS, Welche fie im ÜRai 1671
jum erftcumat feit jenem entfc^eibenbem Dage in SKibbelburg
(©. 216) l)ielten, in eine Sjaltation gerat^en finb, in welcher fte
1) Eucleria Pars I. cap. YIII, 4. 5.
231
gelungen, gefpninflcn, gciaud^jt, ftd6 uml^alft unb gefügt unb ge^»
ton^it tiaben*). S)arauö ift jii fc^ltcgen, bag fic bamal^ unter
bem Sinbrude beS n)td^ttgen ®c^ritted ftanben, burd^ @mU)iOigung
in bie ©ütergemeinfdiaft i^re ©emeinbe alö bic ©rneucrung bcr
primitiven istirc^c erwiefcn ju ^abcn. SBar bic bi^ haijin nic^t
üorgelommcne geier be^ Äbenbma^le^ ba^ ©iegel auf bie 5Rcu=
grünbung ber njirflic^ reformirten unb öon ber SBelt abgefc^ie^^
bcncn ©emeinbe, njar Damit naci^ allen bi^fier erfahrenen §em«
mungen baö 3^^^^ erreicht, bem Sababie öon 3ngcnb auf nac^ge*
ftrebt l^atte, fo lann bie bei einer eniften ®eno[fenfci^aft aller*
bingö auffallenbc (Jrfd)einung, njeldie eine ©tunbe anfielt, pf^*
d^ologifd^ öcrftanben toerbcn. Aber fo unfd^ulbig biefer ?luöbru^
bcr greube im ^eiligen ©elfte gcnjcfen fein mag, fein Cinbrud
auf manche ber Ännjcfenbcu ift bod^ ber Slrt gettjcfen, bag bic
oben (©. 223) gemachte Söcmerfung beftätigt njirb, ba« JRec^t
einer fo formlofen rcligiöfen ©emcinbe pflege bic ©eburt^ftunbc
berfctbcn nid^t ju Überbauern. (Jö njaren Anhänger bcr ®c*
meinbc au^ ben 5RicberIanben bei ienem Stete gegennjärtig;
foDten fic fid^ an i^m bet^eiligt ^abcn, fo finb fic nad^l^cr. üon
©c^am barüber erfüllt unb fo an bem ganjen Unternctimen Sa*
babic'd irre gettjorben*). @ö ^alf nid^t^, bag bu Signon an 5)a*
bib'd Xatif^tn üor ber SJunbcöIabc erinnerte; SBoetiuö fanb in
bem ©c^afee feiner Äenntniffe ba^ nä^er liegcnbe aber abfd^redtenbc
SBeifpicl ber tanjenben 3)ern)ifc^e unb ber ä^nlid^en ffirfc^einungcn
im römifc^en roie im äg^ptifd^en ^eibent^um*). 3)er SWann,
bcffen Urt^eil über bie saltationes yvvar/MvdQr/.ai voix fennen
(©. 105), lieg fic^ burd^ biefe ?ßrobc üon ©d^njärmerci nid)t im*
poniren. Unb mit i^m wirb bic große SWengc ber ernften G^riften
1) Koelmann, Historisch verhaal p. 100: dat al een redelijk
getal raannen en vrouwen, jonge dochters cd jongeÜDgen begonden
door malkander heen te loopen, te huppclen en malkanderto omhelzen
en te küssen, en zoo een nur tijds min of meer tot zweetens toe te-
samen te dangen, hetwelk zij oordeelden tc zijn zuyverlijk door be-
wegingh van Gods geest.
2) BptdtUtxt Angaben ftnben fi(!^ no(!^ bei Koelmann, Der Laba-
disien dwalingen (Amst. 1G84) p. 151—161. fiababte'S %xac\ai )ur Set«
t^ibtgung beS SreigniffeS fUbrt ben t\Ui : Recht vaardiging van het christe-
lijk gejuich en opspriugen. Herford 1672.
3) Politica ecclesiastica P. UI. p. 566.
232
cinDcrftanbcn gctpefen fein, bic bi^l^cr feiner Sluctorität folgten,
unb ber pebantifcl^^ttenoen Haltung hc^ (S^almniSmu^ gu treu
tDoren, um in fo formlofed äSefen einiun)i(Iigen, tok e» Sabobie
ücrt^eibiflte.
SSerpnflnijäbon für bie ©emeinbe tourbe auc^ bie ^raji^
be^ S^cftanbed, lodere man in ^erforb md) ben oben (©. 229)
mitget^cilten ©runbfäfeen ^aub^abte. 3)enn n)ie biefclben üon
oorn herein cafuiftifd^ angelegt ttjaren, fo fci^loffen fie aud^ bie
3Köglid^feit nod^ weiterer cafuiftifdjer Folgerungen in fic^. S)ic
©runbfäfee Sababie'g; über bie @^e finb in gerabem @egenfa|e ju
feinem ßcitgenoffen ©id^tel ju i)erftef)en. ^Bä^renb biefer bic
@^e überhaupt njegen i^rer natürlichen SBejie^ungen alö unange^
meffen für bie d^riftlic^e SSollfommen^eit betra^tete, mill Sababie
fie gerabe ' afö einen nur für bie SSäicbergeborcnen bered^tigten
©tanb ancrfcnnen, fofern bie SBiebergcburt bie Jluf^ebung ber
natürlid^en Segierbe einfd^liefet. hierin ttjirb ben (Seeleuten eine
Slrt bejg gefd^le^tlid^en Scrfe^rö jugemut^et, ttjelc^c Sluguftin im
ßufammen^ange feiner Se^re üon ber ffirbfünbe auc^ ben SBieber«
geborenen nid^t jugetraut, fonbern nur aU bie JRegel bei ben
©tammältern üor bem ©ünbenfaQ fingirt ^atO- 3)araug folgt
aud^ bie 6m?artung, bajä bie ^inber üon SBiebcrgeborenen üon
ber ffirbfünbc unb üon ber (Smpfinbung beö UebcU beim Eintritt
in ia^ ücbm frei fein tperben. Unter biefen Umftänben aber
toirb bie Sababiftifd^e Ungebunbenl)eit ber ©laubigen burc^ eine
ffi^e mit einem Ungläubigen burd^ eine um fo ftrengcre 3^^^* i"
legitimen (S^en unter ben ©laubigen felbft aufgenjogen; unb biefe
toirb ben änlajä ju einer ^öc^ft peinlicljen ßafuiftif fomie ju einer
üßenge üon f)eu^lerifd^en ©clbfttäufc^ungen gegeben l^aben. SJJan
fann fic^ alfo benfen, loa^ ein fonft nidjt in allen Sejie^ungen
juDerläffigcr öeric^terftatter^) mitttjeilt, baft bie ©röffnung iener
1) Augustinus de civitate dei üb. XIV. cap. XXIII, 2. Illae nup-
tiae digDae fclicitate paradisi, si peccatum non fuisset, et diligendam
prolem gipfnerent et pudendam libidinem nou babercnt. 3. Hunc renisum,
banc repugnantiam, banc voluDtatis et libidinis rixam ... in paradieo
nuptiae non baberent, sed voluntati membra illa ut cetera cuncta ser^
virent. Ita genitale arvum vas in boc opus creatum seminarei, at
nunc terram manus.
2) Dittelbacb, Yerval en val der Labadisten p. 25. ^rftlbe i^
233
3^coric über bie 6^e in ber ©emcinbc jucrft bei SRand^en eine
pcinlid^c Ueberrafc^ung ^erDorrief. SBctc^cö 3"tcreffe ab^x bic
^aftoren bübei Derfolfltcn, crgicbt fic^ barau^, ba§ alöbalb g)t)on
mit ber aungfrau ÜKartini, unb bii Signon mit ffimilie üan ber
$acr in bic @^e traten. Die Angabe bcffctben öeric^terftatterö,
baß Sababic fclbft baö jüngftc gräuicin üan ©ommelöbijf gel^ei*
ratzet f)abt, wirb öon ®id)tel in einem üon 1708 batirten ©rief
mit ^Berufung auf bad Seugnife ber Slebtiffin toieberf)oIt *). 3)ie
Äui^fage beö Icbtcrn fc^cint auc^ feinen begrünbeten 'SBiberfprud^
ju geftatten, fo befrembenb fie ift; benn ©ic^tel mac^t fie eben
im SBibctfpruc^ gegen Scmanb, ber bie JRid^tigfeit beS ®erüc^teS
bejtpeifett ^at. Slber nun fommt ^tnju, bag nac^ ben oben
(©. 229) angeführten ©rnubfä^en eine öffentlidje Schließung
ber @fte ben 5ßaftoren aU ?tnbequemung an bie SBcIt erf^ien,
unb bag be^^alb uon i^nen beliebt tuurbc, nur bie SJorfte^er
brauchten 'oon bem gegenfeitigen ©inDerftänbnijä ber Verlobten
unterrid^tct ju ttjcrbcn, um bie @^e gültig ^u mad^en. S)aö njar
boc^ ber Slcbtiffiu trofe i^rer ßw^cigung ju ber ©emeinbe ju
[tarf, unb fie ^at j. 93. ?)t)on jur öffentlichen ©d^liefeung feiner
6t)c genöt^igt, nac^bem bic ©d^mangcrfc^aft feiner grau nid^t
me^r ju t)er§cl)len mar*). 3)ic)e S)ingc ^aben manche aJiitgliebcr
ber ©emeinbc, unter i^nen ^cinrid^ Schlüter, tjcrmod^t, fic^ üon
ber ©cfcHfc^aft ju trennen, unb lucnn auc^ roicbcr anbere Qn^^
jöfller an il)re ©tcQc traten, fo ift cö au^cr Snjcifcl, bajä ber
Cinbrud ber S^eptaEi^ ber Sababiften bei ben ©efinnungö-
fl^dtft eine 3<it lang SItitglteb ber @emetnbe, banac!^ ein Gegner ber|e(6en ge-
loefen. (Sr bcrici^tet bie ^eugcrung ber @miüe ban ber ^aer: „beginnt man
l^ter bon ^eirat^en }u reben? ^ann ift e§ um baS SBer! beS ^errn get^an."
^gt. Berkum II. @. 16.
1) Theosophia practica (Seiben 1722) %\)l VI. S. 1710.
2) 3ur ^eftatigung bejfen, bag bie Sababiften nad^ i^rer S^orie im
%orauS an bie grei^eit ber in i^ren Q^^en erzeugten Ihnber bon ber @rb{ilnbe
unb bemgemäfi bon ber ^mpfinbung ber Hebel glaubten, bient fofgenbe Wit«
tl^Iung ^ittelboc^'S (bei Berkum II. 6. 17): ms ^bon'S l^inb in Qerforb
t^fboren »ar, bergingen einige 3]^inuten e^e eS f^rie. 3!ftün berietet bie§
8lft4 ön Sababie: Mon pcre, l'enfant n'a pas encure pleure, unb er ant»
VDortft: c'eet un eufant du regne. ^19 aber glei^ barauf ba§ i^inb »toader
loslegte unb ft(( ^ören Vui", meinte Sababic, bag bie (Seffigc h)o(l no(!^ nid^t
genug gereinigt gemefen mären.
234
genoffen in ben 9ltcbertanben im ©anjen i^rer ©oc^e un«
günftifl tDar.
3)ic Sage ber ©cmcinbc in §crforb xoax übrigens trofe bct
bauernbcn @unft ber Slebtiffin wn Slnfang an unftc^er burc^ bie
Abneigung ber SBeüölferung ber ©tabt unb ber lut^erifc^en ^re*
biger in berfelben. 3J}an tpar ^ier gegen bie „Duäter" fi^on
eingenommen e^e fie erfc^ienen, unb beffird^tetc oon i^nen ju^
gleich toirt^fc^aftUc^e Soneurrenj. ^ie @äfte mujsten fid^ {jäten,
bie ©renje jn^ifc^en Slbtci^ unb ©tabtgebiet ju überfc^reiten,
ttjenn fie nidjt ©d^impfmorten unb ©teinmürfen fid^ ausfegen
tooQten. Der SRatti ber ©tabt t^at auc^ atöbalb feine ©c^rittc
um bie ©emeinbe n)cgäufc^affen unb brad^te fc^üegtic^ beim 9ieid^^
Äammergeric^t jju ©pe^er ein 9Wanbat an bie Äebtiffin av^
(31. Dct. 1671), bafe biefelbe bei ©träfe ber «d^t auf ®runb
bcö aSeftpl^älifcljen griebenö, ber nur bie brei SReligionen fcöü|te,
bie ^äupter ber ©efellfc^aft auSjuroeifen tiabe '). S)ie äebtiffin
fuc^te bei bem Äurfürften oon Sranbenburg atö bem ßanbe^
^errn ber ©tabt ^erforb $ülfe bagegen, reifte auc^ ju biefem
Qwcd perfönlic^ nac^ Serlin (Sanuar 1672). Slber noc^ el^c ftc
jurüdfleörte, befc^loffcn bie Sababiften, ben Ort unb bie @egenb
ju ocrlaffen, meiere burc^ ben Ärieg grantreic^S, ffinglanbS,
Äur^SöInö unb ÜJlünfterig gegen bie 5RieberIanbe nic^t unberührt
fc^ien bleiben ^u fönnen. 3)er größte X^eil oon ibnen fc^lug
23. 3uni 1672 ben SBeg nac^ Slltona ein, eine änjia^l blieb uor*
läufig juriidf, um baö ^auSrocfen, bie Sibliotfief unb bie ^ud^-
brudEerei jiu beforgen, ba ber 5ßlan in Slltona fic^ nieberjulaffcn,
erft untcrroegeS jum ffintfc^luffe gebiel).
3n Slltona, njo ben Slcfovmirten greif)eit beS ©otteSbienftc«
eingeräumt loar, loeld^e auc^ ben fiababiften ju @ute fam, ^aben
fie brei 3a^re äufeerlid^ ungeftört jugebrac^t, unb i^rc inneren
Scrljältniffc befeftigt. Der S^h^i ^"^ ^^" Siieberlanben »ar
ftärter alö ber Slbjug berjenigen, welche mit gutem SJBiQen ge-
fommen, fic^ fc^lieglic^ in ben Jon unb bie Orbnungen ber
9Kuftergemcinbe nid)t finbeu tonnten. Demgemäß ^ob ft^ in
Slltijna ber SJeftanb ber ©emeinbe Don etwa 100 auf 162 ©eelen.
Stud) ber %o\> fiababie'^ felbft, njelc^er 13. gebruar 1674 er*
folgte, jog feine ©c^roierigfeit für baö oon i^m äurüd^gelaflenc
1) %(. (S^oebel a. q. O. 6. 2b\.
235
SSBcrf nac^ ftd^ ; ein Settjci^ baf ür, baft er feinem Seben^enbe mit
ber ©enugt^uung entgegen ge^en burfte, feine ?lufgabe erfüllt
unb eine ©emeinbe gegrünbet ju ^aben, ujelc^c bem SKufter ber
t^rimittüen Jtird^e n^irflid^ unb aufrichtig entfprac^. (£^ toax i^m
nid^t nur gelungen, bie ^auSgemeinbe im S)ienfte @otte^ jur
(Einmüt^igfeit l^eranjubilben, fonbern er ^atte oud^ bie äugere
Sage berfelben fo geftaltet, baft fie fo Diel toic möglid^ tjon ber
SBelt abgefc^ieben toax, @ö fc^ien i^m nid^td ju t^un übrig,
um bie SoHtommen^eit feiner Stiftung ju üermc^rcn; er toax
bereit in grieben abjiufd)eiben : ?lngefic^t^ beö SiobeS finb feine
SEBorte nur S)anf unb $reid gegen @ott unb S^riftud gen^efen.
Sd^ fül^re e§ ate eine ^robe ber Söitterfcit an, toeld^e Sababie
in feinen ©cgnern hervorgerufen f)ai, baft einer nod) je^n 3a^rc
banac^ unter ben legten SReben Sababic'S bie ©ünbenbelenntniffc
öcrmiftte, toelc^e er ben öon i^m beleibigten SBelämpfern feiner
Separation fc^ulbig geujefen n^äre *). SBir bürfen i^m gönnen,
ba§ er mit j)anf gegen @ott au^ biefer SBelt gcfd^icben ift. aber
feine ®euugt^uung über feinen Seben^erfolg fann man unpar*
teiifc^er SEBeife nic^t bur^aud t^eilcn. @d fe^It mirflid^ etn^ad
ipefentlid^cö an ber Ucbereinftimmung feiner Stiftung mit ber
jugenblid^en ©emeinbe ju Serufalem. Uufere d^riftli^c S^mpa*
t^ie umfagt bie (Erinnerung an biefclbe jugleic^ mit ber
(Erinnerung an ben ^eibenapoftel, ber baö E^riftent^um über
bie in fid^ befriebigte Selbftbefd^ränfung ber ätteftcn ©cmeinbe
^inau^gcfü^rt ^at jur Ueberminbung ber SBelt. 3)iefe Seite
ber jDarftellung in ber äpoftelgefd^id^te mar für Sababie nid^t
ba; feine Anlehnung an biefe Urfunbc mar alfo in beren
Sinne felbft nid^t t^oQftänbig. SBenn bie Slnalogie jmifd^en
ben (Epochen ber Äird^e unb ben Sllteröftufen beö iSnbiöibuumfJ
treffenb ift, fo ift bie Slbgcfd^ieben^eit üon ber SBelt, in meldte
Sababie bie Äird^e jurücfgcfü^rt ^at, berjenigen Haltung, meiere
fte urfprünglid^ in Serufalcm einnahm, gerabe fo ä^nlic^, mic
ber Äbfc^lufe gegen ben SSertc^r mit ber SBelt, meieren ein ®reiö
vornimmt, ber ßurüdf^altung t)on ber SBelt ä^nlic^ ift, meldte
bem Äinbe^alter jiufommt. derjenige, melc^er bie 3lpoftelgefd^id)tc
bi^ JU i^rem ffinbc verfolgt, fie^t jtuar bai§ ibt)llifd)e SJilb ber
©emeinbe ju Serufalem mit SBe^mut^ Verfc^minben, allein er
begleitet mit entfc^loffenem äSertrauen bie Jiird^e auf i^rem burc^
1) Koelmann, Der Labadisten dwalingen. p. 488,
236
bog 5ßfinflftfcft eröffneten ©ange burc^ bie SEBeltgcfd^ic^te, ttjelc^er
jtPQt t)oQ Don 9lieberlagen unb Verunreinigungen, aber auc^
DoU Don @iegen unb göttlid^en ©egnungen fein n^irb. Sababte
^Qt in ber jfird^engefd^ic^te nur bie Srfc^einungen ber erften,
nid^t bie ber legten Slrt beachtet. Sd ift i^m babei entgangen,
bag man ben ß^f^n^^^i^^^^S ^^^ ^^^ Drbnungen ber j^ir^
nii^t aufgeben unb bcö^alb au^ bie Serü^rung mit il^ren fester*
haften unb befrembenben (SIementcn nid^t fd^cucn barf, n^enn
man überhaupt bem Qmcd ber Jiird)e gcmäg nac^ ber mert^DoQen
Verbinbung ber religiös gleich @efinnten ftrebt. S)enn mie gering
an Umfang auc^ immer bie @emeinbe ber ^eiligen fein mag, fo
ift fic barauf angen^iefen, an ben SSoraudfe^ungen ftc^ ju bet^ei«
Ugen, unter bencn baö ß^riftcnt^um ber ©cfc^id^te angehört unb
einen gefc^ic^tlid^en Seftanb behauptet. S)enn mie fc^on Sluguftin
gegen bie bonatiftifc^e Partei erflärt ^at, fo lautet bie S3er^ei§ung
ber mal)ren ^Religion ftetd auf bie Serbinbung oon SRenfc^en
aug aUen SSölfern unb allen Sprai^cn ; bcö^alb, fagt er, fann fie nic^t
i^re cigentlidie ©jiftenj in einem SBinfct Don Slfrica gefunben
^aben. S)aju aber fommt bei £ababie noc^ ein Umftanb, meld^er
feinen Slnfpruc^ ujiberlegt, ba§ feine Heine ©emeinbe bie auf i^re
Urgeftalt jurüdgefüfirtc Äird^e fei. Der ÜJiann nämlic^, melier
at^ SUiitglicb ber reformirtcn Äird)e nur baö JReformationöibeal
feiner römifc^^tattjolifci^cn Sebenöepoc^e DernjirfUc^t ^at, »irb
burc^ ben Icbiglicl) tlöfterlic^en ß^arafter feiner ©cmeinbeftiftung
bcffen übcrttjicfen, baß er fpecififc^ tat{)oUfc^e SebenömotiDc gc^
eignet gefunben ^at, um burc^ fie ben ßaluiniömuö ju uerbeffcm.
3)arum ^at er, ber urfprünglid^ auf eine Drbenöftiftung in ber
römifc^-tat()olif^en Äirc^e angelegt ju fein f^ien, in ber refor^
mirten Äirc^e nur einen geringen 93rud^t[)eil i^rer ÜKitgliebcr
JU einer ©ectc ju Dereinigen Dermoc^t. Denn xoa^ al^ befonbcrc
Drbenöftiftung innertjalb ber römifdj^at^olifc^en Äird^e ^laft
finbet, weil c^ beren ©cfid^t^trei^ nid^t überfd^reitet, baffelbe muß
Don ber eDangelifc^cn Äirc^e aU ©ecte auöfc^ciben, meil cö btefer
im ©ruube frcmbartig ift.
3m Slnfange bcö ^aijxc^ 1675 lourbc cö ben Sababiften ju
2lltona im^eimlid^, mcil fic fürd)teten burd^ ben beDorf te^en ben
ttricg jn)ifcl)en Danemarf unb ©darneben berührt ju »erben,
©lei^jeitig eröffnete fic^ i^nen eine überaus günftige Äudfid^t,
in ben 9lieberlanbcn felbft i^r SSerf fortjufefeen. S)cr ©ruber
287
ber brci ju i^ncn gcl^örcnbcn @d)tt)eftcnt Dan ©ommetebiif,
©ouöcrncur bcr uicbcrlänbifdjcn Solonie ©urinam, ücrglid^ ftd^
in bcr Srbtl^eilunfl mit bcnfctbcit ba^in, ba§ fic baö in bcr 9lä^c
oon Seeuttjorbeu in grie^lanb bei bcm S)orfc SBicutperb gelegene
©c^lo§ I^ctinga ober SBalt^a atö ©igcnt^um empfingen, ©ort*
Mn jog bie ©emeinbc im 9Rai 1675, unb f)at unter ber l^nupt*
fäd^Iic^en Scitung öon g)t)on um baö 3a^r 1680 bie §ö{)e i^re«
S)afcind in einem SBcftanbc, ber jtoifc^en 300 unb 500 ©eelen
fd^toanfte, crreid^t. ?inerbing8 tourbc i^rc ffisiftcnj fogteic^ be*
brot(t burd^ bie eben in Sceuioarben jufammentretenbc ©^nobe
Don grieSlanb, meldte um bie gefä^rlid)c ©ecte für i^rc Umge^
bung unfc^äbUc^ ju mad^en, ficft ber Unterftüfeung ber friefifd^en
©tänbe ju öerfic^ern unternahm *). ©ic ©tänbe aber fallen bie
©Qd^e nict)t fo an, bafe fie fd^on bnrc^ bie ©^nobc entfd^ieben
fei, fonbern oeranlagten bie 9Rieberfe$ung einer gemeinfamcn
fiommiffion, ttjelc^e erft bie Sababiften über it|r löefenntnife unb
i^re 6inn)cnbungen gegen bie rcformirte Äird^e öerncftmcn foClte.
Dicfe Gommiffion ^atte fid^ burd^ SBerne^mung g)t)on'ö, bu Sig?
non'^ unb einc^ ©ritten i^rer Aufgabe am 3. ©eptember entlebigt.
Huf 23 Don ^ermann SBitftuö, bamaU ^rofcffor ;in x^randex,
gefteClte J^ragcn Ratten bie Sababiften fd^riftlic^c 9Inttt)orten ge^
geben *), fo uorfid^tig, unb wie 93erfum urt^eilt, mit bemienigen
SRagc Don Sift unb 3">cibeutig!eit, baß bie ©tänbe fid^ öon
i^rer Sled^tg tau bigfeit bcfricbigt fanben, unb i^nen g^ei^cit unb
Oeffentlic^feit beö ©otte^bienfte^, fo ipie bie ©eltung i^rer S^e^^
fc^Iiefeungen beroilligten. SSicQcic^t fam bei biefem Sntfcftluffe
bie gefcHfc^aftlidie Stfirffic^t auf bie ^«milic üan ©ommcliSbiif
mit in öetrad)t. ©ie ©^nobe ^atte baö Slac^fe^en. ©cnn fo
oft fic in bcn näc^ften Sauren ben ©täuben üorftcHte, baß fic
bie Unterfuc^ung noc^ nidjt a(S gefc^Ioffen anfe^en fönne. gaben
boc^ bie ©tänbe i^r fein @c^ör. ©nblic^ Prten auc^ bie !öefc^n)er=
bcn ber Slaffiö ^u ©neef, innerhalb tt)elc^er aBieuttJcrb gelegen
»ar, in ber ©^nobe felbft auf, weil fie feinen (Srfolg l^atten.
a)ic SBeforgniß ber ^rebiger in ber Sanbeöfird^e, baß bie Saba=
biften i^ncn i^re ÄngePrigen entjic^en würben, toar nic^t gerabe
1) Berknm, II. S. 45 ff., Diest Lorgion, De nederdnitsche
heryormde kerk in Friesland (Groningen 1848) p. 151—160.
2) Ypey en Dermout 8. X^tW, Vntnertungen 6. 60 ff.
238
baburd^ DcranlQJst, bag bicfe o^ftd^tlic^e ^ropogonba tnad^eit
loürbcn, tDQö fic eben nic^t traten. SlHcin in gricölanb ttjarcn
eine SWcngc üon Äird^cnflenoffcn gcrabc burc^ ^cröorraflcnbe
$rebtger ba^u angeleitet ben fiababtften jujulaufen. SaS brin«
flenbe SBcbürfniß ber ucrttjeltlid^ten Äird^c naä) einer aicformation
aud bem @etft unb bie Uebanc) m^ftifc^et Kontemplation atö ber
$robe ber uoQfonimenen ^eiligunfl toar gerabe in ^rie^anb jur
Geltung unter ben SonDentifeQeuten gebracht n^orben burc^ ben
1669 üerftorbenen I^eobor a Srafel ju TOaftuni, unb gcipiffer
äRajsen auc^ burd^ feinen @o()n äSil^elm a 9)rafel, bamatö ju
©taüoren, 6i8 1683 ju SecutoArben. S)en lefetern burftc ed
nid^t befremben, baß an g)üoji ein grojäer Xf)cit ber (Srnte juju*
faOcn bro^te, roeld^e aud feiner @aat aufgegangen n?ar.
8lm 4. SRai 1678 ftarb ju SBieuroerb «nna SKaria Don
©c^urinan im 71ften Sebenöial)re. ©eitbcm bie Slebtifftn upn $er*
forb i^r unb iljrer ©efellfi^aft ben ßwffw^töort geöffnet ^atte,
xoax fie üon ßaOabie felbft alö eine ber ©äulen ber ©emetnbe
anerfannt n^orben, unb ^atte fici^ natürlid) in biefer Geltung
neben bem fo uiel jungem g)üon befjauptet. 3^re Eucleria, bcren
jroeiten lOcil fic furj uor if)rem lobe tJoHcnbct ^at, bcttieift, btt§
fic in ber ©emcinbe i^re üollfte SBefriebigung gefunben unb feine
ffinttäufc^ung über i^rcn Seitritt ju berfelben erfahren f)at S)a«
Suc^ bcmeift ferner, n^ie audgejeic^net if)re t^eologifc^e S3ilbung
gcmefen, unb tDie üoQftänbig fic in £ababie'iS ^(nftd^ten Aber bie
Heiligung unb bie m^ftifc^e Siebe ju ®ott, über ben 93cgriff unb
bie c^iUaftifc()e 3luöfid^t ber Äird^c eingegangen ift. Die t^colo«
gifc^en ^u^ftt^rungen finb jebod^ nur epifobifc^ in ia^ &anit
eingeftreut, toetd^cö in ber ©d)ilberung i^rer in ber ©emeinbe
Sababic'^ einmünbcnben Sebenögcfc^id^tc aU einer ^robc ber
bircctcftcn gö^T^w^fl ^^^^ ®»>tt bcftc^t. ©ic ift aud^ in biefer
^infid^t in bie öetrad^tungörocife unb bie ©clbftbeurt^eilung
i^re^ SKeifterg eingegangen, njclc^cr in allen aSenbungen feine«
©cfc^idfeS ber njunberbaren gü^rung burd^ ®ott genjiß toar.
S33cr n)irb nid^t bie 2J?cnf(^en feiig greifen, tocld^e in biefer SBeife
i^re ©eligfeit erfahren ju ^aben bejeugen? allein ein ©d^toänner
lann aud^ feine eigenen ^c^tgönge burd^ fein SSertrauen auf ben
befonbern ©d^ufe ©otteö bemänteln. 3c^ erinnere baran, toie
fiababie ber @emctnbe ju Orange, tocld^e er um feiner perjön*
liefen ©ic^er^eit toillen ^eimlic^, o^ne ^bfc^ieb üerlaffen ^attc,
239
um bem Stuf nac^ fionbon ju folgen, feine n)unberbare ^fi^rung
nad) @enf afö bie ^robe baffir DorfteQte, boft (Sott i^n and)
uod^ an anbeten Orten wirfcn laffen tPoHe (©. 204). Slbec auc^
n)o auf fold^e ^eilige ©elbfttäufd^ung nic^t ju rechnen ifi, ift bie
feufc^e ßurüd^attung ber Erfahrungen ber göttUd^cn SSorfe^ung,
loeld^e man gemacht ^at, ein ftc^ererer ^en^eid beffen, bajs man
i^rer gemürbigt morben ifi, a(^ bie abfid^tlid^e unb nod^ baju
literartfd^e SBcröffenttid^ung berfelbcn. Die ©d^urman fetbft ^at
einmal ben @runbfa^ au^iufpred^en üermod^t, n)elc^er biefe (&nU
^üQung bed ^eiligen Verbietet, nämlic^, bajs 9tiemanb üon er«
jiä^lten SSunbern ben (Einbrud empfängt, xoclditn berjenige ^at,
ber felbft bie ©rfa^rung ber fpccieHen SSorfe^ung ©otteö an fic^
mac^t >). Siic^t^ befto weniger ^at fie unermübet ben ßmecf
öerfolgt, itire ©cmeinbc, in toel^er fie, ttjcnn aud^ nic^t auö-
fc^licfelic^, bie ^cerbe ß^rifti ertennt, burd) bie SRad^UJeifung be8
befonbcrn ©d^ufeeö ©ottcö afö folc^e ju legitimiren ^). 3)ag ift
nid^t ber einzige f^all, in toelc^em bie apologetifd^e 9tädfid^t bie
SSa^r^eit ber d^riftlic^en Steligion gerabe pretSjugeben angeleitet
^at! Um fid^ ber SSorfe^ung ©otteö in ben eigenen Scbenöer«
fal)rungen jju erfreuen, bebarf e^ einer Unbefangenheit, tt)eld^e
jeben bemonftratioen ©ebrauc^ berfelben ablehnen ttjirb, unb
einer SJcit^erjiigfeit, weld^e fid) lautet, bie (Erfahrungen ber 8ln-
bcrcn alö golie ber göttlid)en Seitung unfereiS eigenen ©efd^idci^
JU beuten. 3nbem id^ tjierin einen not^n^enbigen S^arafterjug
ber ftinber ©otteö ertenue, bin id^ im ©tanbe, bie ^^ömmigfeit
auc^ in ber (£r)d^einung ber ©d^urman aufrid^tig ju n)ürbigen;
ic^ ftcHc aber jugleic^ ben ©c^aben fcft, ben fie felbft fic^ juge«
fugt ^at, inbem fie i^ren ®efid)t$frciö auf bie Sababiftifd^e (Se*
1) Kucleria P. II. cap. III, 1. 9[uf ber €eeretf( Don %\ii>na nad^
gfYteSlanb multis inodis sensimus divinae gratiao et cusiodiae singularis
praesentiam .... Plura evidcntissima signa auxilii et curae patemae
dei Dostri hie mihi commemorare iuvaret, si eadem effecta, quae in
animis nostris produxeriint, in lectore produoere posaent. 8ed cum
aliud sit rem praesentcm oculis cernere, aliud eam ut praeteritam et
absentem in Charta legere, et ad particularia nimis foret descendendum,
istis inaistere hie non pergam.
2) 9{q4 Calvin Instit. I. 17, 1: Totuvo genus humanum aibi esse
curae deos oatendit, praecipue vero in regenda ecclesia se excnbias
agere.
240
mcinbc eingcfd^ränft f)at. S)cnn bic SScrurt^cilung bcr Sanbc^
tird^e, luetc^e fie Don bicfem ©tanbpunft au^ fid) erlaubt, fyxt
ben Sinn, bog bicfelbc auö ©ottc^ bcfonbercr SJorfc^uncj t^tt-
QU!§faüe, unb i^re Se^auptung, bog bic Sfirgcr Don ©crforb
für i^re geinbfcliglcit gegen bie ßabobiften burd^ triegcrift^
Sinquartirung unb anftecfenbe ftranfl)eiten birect beftraft morbcn
feien ^), greift nid)t minber bcm Urt^eil ®otte^ öor. Unb ttjenn
man mit ber Eucleria bie X^atfac^e uergleid^t, bag bie ©emeinbe
fiababie'S ein {tägliches @nbe genommen ^at, fo f)at man hieran
bie ^robe bafür, ba§ bie t^coretifd^e golgeric^tigteit menfd|ltc^
Unterncf)mungcn im S)ienfte hc^ S^riftent^umd ober bcr Äird)e
nid)t büö juuerldffige äRittel ift, um fid^ bcr gfolgcric^tigfeit ber
göttlidijcn SJorfetjung im SJorau^ ju ucrfic^ern.
2)ie ©emeinbe ju SBieumerb Dcrlor furj nac^ ber ©c^unnon '
im 3. 1079 auc^ i^ren SSorftc^cr bu fiignon, ben Serfaffer i^red
Jiatcc^i^mu!^. @r fanb einen Srfa^ an bem ^rcbiger 3o^anned
^efener, tpelc^cr njcgcn feinet ?lnfd^Iuffe^3 an bic Sababiftcn öon
bcr ^farrftefle ju SBicumerb abgefefet niorben njar. Uebrigend
ift unter bereu S0iitgIiebern ber ?lrjt ^cinrid^ oan S)eDenter
ncnncnönjcrt^, njclc^cr 1651 geboren, biö 1(588 feinen S5BoI)nflJ
in SBicmpcrb l)attc. ffir l^at burc^ ©djriftcn über ba^ SBuc^
SDanicl unb bie Offenbarung 3ot)anni^ ben &t|ilia$mu^ im ©inne
bcr ©cmeinbe vertreten-). 2)ie ©emeinbc tuar nun nid^t auf
bieicnigen befc^ränft, njcld^c in bem ©^loffc I^etinga unb ben
neben i^m aufgerid^teten ©eböuben ober in bem SDorfe SBieutoerb
Untcrfommen fanben, allein bie üolle (Sütergemcinfc^aft fanb i^
9lnmenbung nur innerhalb biefeg Ärcifc^^). 3)erfelbe tüar ieboc^
auc^ infofern flöfterlic^ gcorbnet, alö er außer ben geprüften unb
t)ollbercd)tigtcn örübcni unb ©ct)n)eftcrn ftctö eine nic^t geringe
Qai)l t)on Slöpiranteu umfaßte, njclc^c erft bie groben ber §ri«
ligung abzulegen t)atteu. Qm Drbnung ber mancherlei äußeren
Slngelcgenf)eitcn, njcld^e bie ©emcinbe betrafen, ttjar eine Äffcm«
bl6c compctcnt, tüeld)c auö ben ^rebigcrn, ben fprcd^enben SBrfl«
bern unb ben t)orncf)mften grauen beftanb; baneben ift unter
Umftänbcn auc^ bie äJcrfammlung aller actiDcn DoUbercc^tigten
1) Eucleria P. IL cap. I, 2.
2) Berkum II. S. 80.
3) 3um folgenben ügl. Berkum II. @. 111— 131.
241
SKitflHcbcr berufen ttjorbcn. Aber bie SSertoaltuttfl beö ©anjen
lag in Dt)on'^ ^anb, unb i^m n^aren aüc }u einem ©el^orfam
Derpflic^tet, todäjex üon bem ©e^orfam gegen einen Drben^obern
nic^t ju unterfc^eiben ift. S)er Äatec^i^ntu^ t)on bu ßignon be^
grünbet biefe ßeiftung baburd), ba§ ber l^eilige ©eift bie Ritten
cingefeftt \)Qbe, toeld^e man tt)ie ältere Sörüber ober SSöter ju
lieben gegolten fei. S)a^in olfo toar bie freie ©efeüigfeit in
f^römmigteit unb Heiligung gelangt, um bereu toiüm man bie
red^tlic^e Untcrorbnung unter bie ttjallonifd^e ©t)nobe fo unerträg^
lid^ gefunben l^atte! Sefet tourbe jeber eigene SBille ber ÜRitglieber
unterbrädt; e« toar ein ©prüc^toort bei ben ßababiften: „S)er
Äopf mu§ ab." S8i« in bie Heinften üleinigfeiten griff berSBefel^t
bcr SSorftel^er hinein: Um bereu Sluffic^t möglid^ ju mad^en,
mußten ade 3i>nmer ftetö offen ftc^en. S)ie Äleibung, für toeld^c
bie SSotfte^er ebenfo tt)ie für alleS forgten, ttjar tuie bei ben SBie*=
bertäufem öon ber größten Sinfad^^eit, unb jeber ©c^mucf
berfelben tDurbe aU meltlid^e^ Serberben unb als 3^'^^^ ^^^
X^iere^ ferngehalten. S)ie gemeinfamen 9)tal^lieiten fanben an
brci lafeln unter bem SSorfifee beftimmter SSorfte^er ftatt. Sei
biefem 3wfö"i"^c"^i" ogen bie Äfpiranten getrennt öon ben
Srflbern unb ©c^meftern; lif ergebet unb ©efang fc^ränften bie
freie Unterhaltung babei ein; überbieö tourbe eine ftrenge Äuf^
pd^t auf bie Haltung ber ^erf onen, tt)ie aud& auf ben üorgefc^rie^
benen ©ebrauc^ bed Söffet^ unb bergt, geübt. Qm Sr^altung
bcr ©emeinbe nic^t blöd nac^ i^rem alltäglichen Seburfnig, fon^
bern aud^ in anberen unumgänglid^en SSe^iebungen biente ber
(Ertrag bed Sapitalüermögend ber reichen t^räuleind unb bie
freien ^Beiträge ber auömärtigen -Witgliebcr, ferner einige SSie^*
ju^t auf ben }U Xf)etinga ge^rigen Sänbereien, enblid^ ber ^C'
trieb Don ^anbioerfen. 9lic^t nur folc^e mürben geübt, meldte
burc^ ben birectcn Söebarf ber ©efellfd^aft geforbert mürben, fon=
bern oud^ folc^e, meldte einen Ueberfc^ug uerfprad^en. darunter
ftonb bie SSuc^bruderei unb ©c^riftgiegcrei oben an; bemnSd)ft
famen bie SBoUfpinnerei, bie ©etfcfabrication, bie ©d^miebe jur
Sereitung Don Dfenplatten in Söetrac^t, au^ Söäcfcrei unb
Sraueret mürben ju ^anbel^i^medfen getrieben, hingegen maren
alle ©emerbe Derpönt, melrfie bemSu^ud bienen mürben. Snblic^
mit OpiumpiQen nad^ bem Slecept ^eDenter'd mürben gute ©e^
fc^fte gemad^t. Snuerl^alb biefed Sh:eifed Don Xl^ätigfeiten mürbe
I. 16
242
nun aber ben Slfpirantcn jum ©riuci^ i^rcr SBußfertigfcit aUcrIci
auferlegt, toaä i^nen in il^rcm tuelttic^en 2)ofem nid^t gerabc
geläufig getuefen toax. iDJan fa^ einen ehemaligen $rebtger am
aSafc^faffe fielen, üRännet au^ guter gamilie ©c^afe ptcn unb
©teine tragen. S)ic ©elbftDerleugnung nielc^e ^ieburc^ gcflbt
merbe foQte, n)urbe gelegentlich noc^ weiter audgebe()nt. @in jjunger
9Rann, »elc^er eine natürlid)e Abneigung gegen SÄilc^fpeifcw
^atte, njurbe belehrt, baß biefeö Don feinem alten SRenfc^en ^er=
fäme, ben er ju tobten ^abe. ®r begann alfo mut^ig Wliläf gu
effen, „um ben alten 6fel ju plagen unb i^n Ijerunter ju bringen",
b\^ er ganj franf lourbe ! ©old^e ßuniut^ungen, meldte ben @eift
ber itlofterjud^t at^men, naljnien in ber üRet^obe, bie ju SBicuiDcrb
geübt ttjurbe, um bie SBürbigfeit eine^ Slfpiranten feftjuftellen,
i^ren regelmäßigen Drt ein. S)er gortfc^ritt in ber Heiligung
aber warb burc^ bie öffentliche SBeic^te controUirt, in welcher feber
fein fieben ent^üQen unb feine ©elbftoerleugnung ju beiDä^ren
^atte. ^abei tam neben ber (Ermahnung unb S^röftung burc^
ben ,,^irten'' unter Umftänben aud) bie Auferlegung Don Spaßen
oor. Ttan tann ^ienac^ fic^ nid^t wunbern, baß bie große SRe^r*
ja^l ber ^emo^ner Don Z^etinga ju ben Slfpiranten unb $oeni«
tenten ge^rte, baß alfo unter 400—500 nur etwa 100 ©eclcn
als trüber unb ©c^meftern galten, unb \>q^ oft genug Seute
entlaffen würben, welche fic^ nic^t qualifieirten. S)er @otte^
bienft, roeld^er täglid^ gelialten würbe, beftanb in ber freien Äebe
eines ber ^rebiger ober „fprec^enben ©ruber" unb in ©efang
öon ^falmen ober oon Siebern Sababic'S. ^iix bie w^top^ejei", auf
welche fiababie felbft fo ^eroorragenben SBert^ gelegt ^atte, toax
in ber abfolutiftifc^ geleiteten @emeinbe tein $lag übrig geblieben.
äBä^renb bed ©otteSbienfteS, auc^ am ©onntag, pflegten bie
grauen bie grei^eit unb bie ©eiftigfeit i^rer ©ottcSocre^rung
baburc^ JU bewäljren, baß fie ftric!ten ober nähten. S)aS Äbcnb*
mal)l ift feit jener ©cene in ^erforb, alfo jwifc^en 1671 unb
1703 nur fünfmal gehalten worben, unb in bem lefet genannten
3at)re war eS fc^on lange t)er, feit eS nic^t me^r öorgrfomnien
war ^). SBaS enblict) bie Äinbererjie^ung betrifft, fo war biefelbe
natürlich gemeinfam wie alles. 3c^ finbe in ben mir zugänglichen
1) @oe6eI @. 265, auS bem auf ber ^reSlauer Umt>erfttfitSbtbrtottc(
Dor^aiibcnen ](ianb{(^rifilt(^en ^Retfetngebuc^ bon Q^. @toIU.
243
OucIIcn borflbcr nur bic Slotij öon Dittelbad^ angcfül^rt *), ba|
bic Äinber „um ein ^afcrftro^" flcgci^elt toutbcn, unb bann
mußten ftc focjlcic^ ftillfdittjeigcn unb feinen Saut öon ftd^ geben,
üielme^r auf bie ßniee fallen unb ©Ott bauten für folc^e (Sr^
Steiger, bic fo treu maren, fte in bem 9Ka§c ju jüc^tigen. S)iefe
Stngabe ift fo roie man cd enuarten fann; bad begeid^nete ^n^
fahren aber ift ber Art, um ben armen Äinbern alle {Religion ju
Derleiben. SSicUeid^t mar ju ermarten, ba§ biefer ©d^aben in
bcr na^e beöorfte^enben ^errlici^en ffipoci^e be« Weic^ed S^rifti
audgegUd^en mfirbet
9Kit bem Söilia^wiud aber '^ängt anber^rfeitd ein großeö
Sntereffe an ber Söefe^rung ber Suben unb ber Reiben jufammen.
S)en Suben ttjar Sababie furj nad^ feiner ?tnfunft in ben Slieber^
tanben toenigftenö litcrarifc^ entgegengcfommen'J; bic ÜRiffion
unter ben Reiben ■) ju unternel^mcn glaubte bie ©emeinbe unter
^on'd eintrieb berufen ju fein. S)er ^err t)an ©ommetebiif,
welchem bie Sababiftcn inbirect i^re gefid^erte Sage in griedlanb
öerbanften, toar 1680 jum britten il^eil ©igentpmer unb ju^
gleich @ouDerneur ber Volonte ©urinam ober 9lieberlänbifcl)«
©u^ana gen)orbcn. ^urc^ feine ©d^n^eftern l^atte er eine getpiffe
SBejiet)ung ju ber ©emcinbe. Darin erfannte biefelbc eine gött*
Uc^ Äufforberung, unter feinem ©c^ufee eine ©tation jur Reiben-
bcfel^rung anjulegen. S)ieö gefdE)a^ unter ber ßeitung bed ?ßre=
btgeri^ ^efencr. @d ift aber bat)on nid^td meiter ju beridjten,
otö bag bie Sababiftcn meber an i^ren 9legerff(aoen nod^ an ben
eingeborenen 3nbtanern irgenb einen ©eminn für ba§ Wei^
@otted mad^ten, obgleich fic für angejeigt l^ietten, einige ber
fttnber mitjufd^icfen meldjc bie ©prad)e bcr SBilbcn lei^ter lernen
unb fic bann ))on bem (S^riftentt)um fibergeugen n^ürben, n)elc^ed
i^nen anergogen mar. Die audgefenbetc ©cfellfc^aft t)erftel t^cild
in Uneinigfeit, t^eiliS erlag fic ben örtlichen Äranfl^citen ; Sinige
ff^rten jurficf, bie Uebrigen finb öcrfrfjollcn. Seffer erging c^
einem Unternehmen in ber englifc^cn Kolonie yitxo^^oxi, meldte
1) Set Berkum II. 8. 79.
2) Jugement charitable ei juste sur rstat present des juifs, con-
ienant une douce proposition de doiize chefs importans et la pliipart
iD^me nouveaux, qa'ils sout pries de mediter. Amsterdam 1666.
3) Snm fo{(|enben ügl. Berkum II. B. 132—161.
244
btö 1667 nieberlänbifc^c Kolonie gcttjefen toax. Sine ©tation,
ipeld^c am ^ubfonfluffc angelegt murbc, fanb burc^ ^eter ©d^lüter
einen feftcn ölonomifc^en Seftanb; aber eben auc^ nur biefen.
S)enn bic religiöfc 3"^*» tuelc^e er nac^ bem üRufter ber äßuttcr^
gemcinbe übtt, mar für i^n nur baö aWittel, um burc^ bic Arbeit
ber ©enoffen ben 93efife ju fteigern; feine ©flaöen be^anbelte er
mit aHofi^eit. ^urd^ ©flauen ^anbel unb burd) ^od^müt^ige 9b^
fperrung gegen bic nicbcrlänbifc^srcformirtc ^ird^e im ßanbc er*
regte er Slergcrnig bei \>en iioloniften. * ffir ^at noc^ 1703 bort
gelebt; aber ba^ fRcxd) ®ottc^ tarn bur^ i^n nic^t ju ben
Reiben.
S)icfe Unternehmungen tofteten @elb, unb trugen ju bcm
öfonomifdien SScrfaBl ber ©emeinbc bei. S)crfclbc ift aber bic
einfädle golgc ber ©ütcrgemcinfc^af t, unb mußte eintreten, fobalb
bic 93egeifterung in'^ ©toden geriet^, unb fid^ me^r fllnfömmlingc
in S^^etinga einfanben, meiere bei ber @ütcrgcmcinfc^aft SSort^eil
fanben, al^ folc^e, meiere in i^r Dpfcr brad^ten. ferner nmr
bic fteigenbe Slnja^l ber Äinber eine öfonomifc^c Saft, ba bie^
fclben nic^t nur nic^t ermarben, fonbein burd^ bad )iBebürfnig
i^rer Sr^ie^ung aud^ nod^ Slnberc t)on bem Srmerbe jurfict^ielteu.
S)ie Srjic^ung ber j^inber tonnte fic^ nid^t^ befto weniger feine
^o^en 3i^lc fe^en, unb wie j^mecfmägig fic gc^anbl)abt murbc, ^aben
mir gehört. 3n ber fd^iefcn, unfrud^tbaren ober fc^äblic^cn Se^
()anblung ber Sinber mirb fid^ aber ftct^ ber ^auptfäd^lit^e e^c^lcr
unb bic eigentliche SScrfc^ulbung einer foldbcn ©emeinbe bcr^ei^
ligcn funb geben, ^olgercd^t ()at an biefem fünfte aud| bie
Sluflöfung ber Sababiftengemeinbc begonnen. 3m Safjr 1688
erflärtc ber Slrjt öan S)ct)enter, baß er fic^ öerpflid^tet finbc fflr
eine bcffere Crjie()ung feiner ^inber ju forgen, alig i^m in SEBieu*
mcrb möglid) fei; ju jenem Qtocde aber bebfirfe er feinoS pcr^
fönlidjcn Srmerbcd uoUftänbig, fönne it)n alfo fortan nid^t nte^r
in bie ©emeinbetaffe fließen laffcn. So je^r er übrigen^ mit
ber ©cmeinbc religii)^ einig mar, fo mar i^m bie ©orgc für feine
Äinbcr miAtigcr aU bie g^ttfegung bcö SSerbanbeö mit ber ®c^
meinbe. 3n bicfcr ließen fic^ 3){anc^e ba^in Dcrnc^men, baß oan
S)eöenter ^oc^müt^ig fei, feine Äinber in ber SBelt groß mad^en
motte, unb an ben ©ütcrn ber ffirbe l)ange. ©old^c Söetrod^tungen
cutfpringen not^menbig au^ ber falf^en pietifttfc^en Sorftelbing
t)om aüeic^e ©ottcs^, in melc^cd bie au^ bem meltUd^en SBeruf
245
flicßcnben ^flid^tcn nic^t aU S)tenft gegen @ott cingcred^net
»erben, ffig ift oud^ ganj folgeredit, ba% tpenn bic a^fctifc^e
©clbftDerlcugnung fid^ nur in ©ütcrgemeinfc^aft unb ^ctbcn^:
miffion genug t^un fann, bic nä^er tiegcnbc $flid^t gegen bie
eigenen Äinbcr al«5 SluöbrudE ber ©clbftfud^t gebeutet tt)irb. Sn*
beffcn öan S)et)cnter öerließ bie ©emeinbc ju SBieumcrb. ©eitbcm
nun ttjurbe bcrfelben aümäljlid^ tlax, ba§ bie ©ütergemeinfd^oft
ni^t länger aufrecht erhalten »erben tonne. 3m So^re 1692
cnblid^ ttjurbc ber Scfc^Iuß gefaxt, boß bie roirtl^fd^aftlic^e ©clbft:*
ftänbigfeit ber einj^clnen ^erfonen unb gamilien ttjieber eintreten
folle. S)aö bebeutctc im Oanjen bie 3<^^ftrcuung ber ©enoffen
an^ i^rem biö^erigen SBo^nfifte. grütjer toat bie ©emcinbe ju
3erufalem otö bog SKufter einer t)on ber SBelt abgefd^iebenen
©emeinbe bargefteÜt »orbcn; jefet erinnerte fic^ ^Don plöftlic^,
baß bie SXpoftelgcfc^id^tc auc^ bie ß^^ftteuung biefer ©emeinbe
6erid^tetc, unb machte baDon bie ^nmenbung, baß bie fiababiften
bemnad^ft baj^u beftimmt feien, aU ©auerteig bei^ 9ieic^o$ @otted
auf bie SBclt ju njirfen. ©ie sogen alfo größtent^eifö öon SBieu:*
tt)erb ab, uad^bem ba§ eingebrachte Vermögen, o^ne ba§ befonbere
9{ec^nung gelegt njurbc, mit SSerfütjung um ein Siertct l^eraug*
gegeben tt)orben ttjar. SDicienigcn, ttjclc^e an Ort unb ©teile
bleiben ttJoHten, ttjaren fo lange untertrieben, alg bie 6igcn=
t^merinnen be§ ©c^Ioffeö, t)on ttjetd^en bie eine g)t)on'ö jttjeite
®attin genjorben toax, lebten ; fic mußten jcboc^ ÜRietl^c entrichten
unb i^re eigene SBirt^fd^aft führen. 3m 3af|re 1703 fanb ©tolle
(©. 242) faum nod^ breißig ^erfoncn an bem Ort. 3iu 3a^re
1707 ftarb g)t3on im Älter t)on 61 3a^ren. ffir njar an giü^tem=
^cit unb an tl^eologifd^er Söilbung feinem SWeifter überlegen,
auc^ me^r toie biefer barauf bebad^t, fid^ bem reformirten 2c^r^
begriff entfprec^enb ju balten. 6r njar juglcic^ nic^t minber ab:^
folutiftifc^ gefinnt unb ^crrfc^fäf)ig toie ßababic, aber bicfe ^aU
tung toar bei i^m nict)t tok bei feinem Weifter Äuöbrucf beS
prop^etifc^en ©elbftbemußtfcinö, fonbern t)on ber Wrt beö 3lo\)'u
jcnmcifterö im Älofter. 3lad) feinem 3;obe blieb jur fieitung bc§
ÄffteiS ber ©emeinbe ber „fpred^cnbe Srubcr" Iliomaö ©erüaaöj
übrig, ein Zimmermann auö ajtibbclburg, »eld^er unter SScrlaf::
fung feiner ungläubigen grau na^ ^erforb jur ©emeinbe ge*
lommen mar. 3^m mürbe nun (£onrab 93o^man mit gleichen
Siedeten jur ©eite gefteUt. %\xd) X^oma^ ©erüaa^ ftarb nod^
246
ju SBieutDcrb. ^aS @ci^log X^etinga ging 1725 in ben 99efi^ bed
©rafcn üRorift t)on 3la\\au über, eincS SRcffcn Don mfittcrlic^r
©cite ber brei ©d^ipeftcrn üan ©ommclöbiit. SBon bicfcn fc^eint
alfo bie lefetc bii^ ba^in gelebt, unb i^re ^anb über ber abfter-
benben @emeinbe gel^olten ju l^aben. ^ud) ber @rbe ^at btefelbe
in feinem Söefifee noc^ gebulbet. (Srft 1732 lieg S3oi8man fic^ in
Seeuttjorben nicber, offenbar loeil bie ©emeinbe fo gut toic locg*
gefc^moljen mar. SRit feinem 2;obe 1744 ift fte ju (8nbe ge*
gangen.
13. Sie (StttttbfS^e Hon Saiabte unb feinen (Senoffen ^).
^a^, mad fiababie unb bie ©einigen gesollt unb gelehrt
l)aben, gerfätlt in jmei @ruppen. (Einmal ftnb ed bie ©runbfa^e
aber Heiligung, Siebe ju @ott, @elbftt)erleugnung, m^ftifd^e Son«
tentplation, bann biejenigen über bie Jl^irc^e unb bie eigent^fim-
1) 3ur ^arfleQun^ btefeS %(f(^nitt6 ^aben mit auftet Veritas sui
vindex (6. 199) unb bet Eucleria ber @(^urman (6. 206) folgenbe Sänften
gebient: bon Saba bie 1. Abrege du veritable christianisme, beutf4 mit
^bfUtjungen: (Sin furjet begriff beS mabren S^rißent^umS. gfranff. a. 9X.
1696. — 2. Practijcq des tweederleije gebeds. 3 Deele. Utrecht 1666. —
3. Manuel de piete. Middelburg 1668. — 4. Saintes decades de qua-
trains de piete. 2 Parts. Amsterdam 1680. — 6. Poesies sacrees de
Tamour divio. Amsterdam 1680. — 6. La puissance ecclesiastique
bornee aPecriture et par eile. Amsterdam. — 7. Le disccrnement d*une
veritable eglise suivant Pecriture sainte. Amsterdam 1668. — 8. L'exeroioe
profetique solon S. Paul. Amsterdam 1668. — 9. Epistolae duae, prima
Adriani Pauli ad J. de Labadie, altera J. de Labadie responsoria.
1672. — Serner üon ^ ö o n 10. De weg ten bemel of tractaet van 't gebet.
Amsterdam 1683. — 11. Essentia religionis chnstianae patsfaota seu
doctrina foederum omnium dei. Prope Hamburgum 1673. — 12. Leere
van den h. doop — met aenmerkingen over het boek van D. Koelmann
{]. 0. 6. 196) Amsterdam 1683. — 13. W. Brakeis onbillicke en verkeerde
handelingen geopenbaart Amsterdam 1686. — 14. Besluyt van de Schriften
van W. Brakel en P. Yvon. ^mflerbam 1686. — So unvoOflftnbig bicfer
Apparat i[t, bUrfte er bo(^ f Ur bie fiöfung ber gefleOten Aufgabe )urei<4en, ol^ne
bag etwas toe{entU(^eS su Dermiffen tofirc.
247
lld^en golgcrunflcit über 2;oufe unb Äbcnbma^I, looburd^ bic
reformatorifd^c Abfielt be§ ÜÄanneö bejeici^nct luirb. 3n bcm
lc|ten ©ebict begegnet iinö nun DöUige Uebcreinftimmung bcr
anhänget mit bem SOieifter. lieber bie fünfte ber erftcn ©ruppc
^errfc^t jebod^ nid^t birecte Ucbereinftimmung. 9SieImef)r bctpätircn
fotool)! ^öon toic bie ©c^urman i^re gut reformirte SSorbilbung
baburc^, bag fie auf ben mt)ftifci^en SmpuU, ben Sabobie auS
feiner lat^olifd^en SSergangen^eit mitbradöte. t()eilö nidjt pofitiö
eingegangen finb, t^eilö i^n nur in gemäßigter SBeife fic^ ange*
eignet ^aben. ©o weit biefeö aber ftattgefunben ^at, läßt fic^
ntc^t öertennen, baß ber begriff Don ®otte^ ©ouöerönetät unb
bcr gefc^öpflic^en 5Rid^tigIeit ber SD^ieufd^en für bic reformirtcn
atnl^änger Sababie'i^ ebenfo n)ie für ben geborenen Äat^olifcn ben
oberften ©cfi^tgpunft aller {Religion bilbete. 63 liegt auc^ in
ber ©ad^e, baß btefer ©ebanle, fo toie er im SWittelalter bie
S^cologie unb bie grömmigfeit bef)errfc^te, unb fo n)ic ber Sat«
Dinidmu« um ber ^räbeftinationi^le^re toitlcn auf i^n jurüdEge*
fommcn tt)ar (©. 135), feine ©cltung jugleic^ au3 bem ©runbe
ber SSernunft mie au3 bem t)orgeblict)en ©runbc bcr ©d^rift«
mäßigleit behauptete. Die ©c^urman erflärt auöbrücflic^, baß
©Ott, ber in feiner Unenblic^teit njürbig ift geliebt ju tt)crben,
icbem 9Kenfd^cn bie SJcrpflid^tung auflege i^n ju lieben, aud^
wenn ®ott ben aÄenfd)en nicl)t liebte, ©onft toürbc bcr 2;eufel
nid^t barin fünbigen, baß er @ott nic^t liebt; benn @ott liebt
nic^t ben S^cufel. 2)er lefetc ©runb (ratio fundamentalis),
burc^ n^clc^cn bic ©cfd^öpfe, äJ^enfc^cn unb @ngel, gebunbcn
finb, ®ott t)on ganjem ^erjen ju lieben, liegt barin, baß @ott
immer bcr cnbloö lieben«n)ürbigc ift, er mag ^anbcln ober nic^t,
roollen ober nid)t. ffirft unter biefer ?Jorau§feftung ergiebt fi^,
baß ber jur Siebe gegen @ott an fic^ öerpflidjtctc SÄenfd^ bie*
fclbe nic^t üben fann, oljnc baß @ott i^m burdl) S^riftu^ feine
Siebe bcmiefcn ^at ^). ffiö ift let)rreic^, baß bicfe ^o^greifcnbc
2rrömmigfeit eine fo rationaliftifd)c SBurjcl t)at (©. 157).
l. Sababie befennt fic^ übrigen^ jum eöangclifd^en 95cgriff
üon ber JRc^tfertigung^); aOein er ttjciß il)m feine praftifc^e 93c*
jic^unfl abjugcroinnen. 2)te 2et)rc finbet aU f^ftematifc^e SSor^
1) Euoleria P. II. cap. III, 17.
2) Protestatio orthod. in Vcritas sui vindex p. 12.
248
auöfcftung für tie Se^rc t)on bcr Heiligung in feiner „SSerfic^c*
rung ber Ort^obojic" il^re ©teile; hingegen in bcm ,,!urjci! 8b*
rife bß^ tt)al)ren S^riftent^umö" ift fic ju ücrmiffcn. Äuc^ bic
©d^urman befd)äftigt fic^ me^r bamit, bie befannten praftift^en
äJiigbeutungen btefer Seigre ju rügen, als bag fie i^ren energifd^
SSorfe^ung^glauben gerabe an i^r ju orientiren gelernt ^tte.
SBic Sobenfte^n Verwirft fie bie unöorfic^tige Deutung bcr Siecht»
fertigung burd^ @^riftud atö @ompenfation ber ftttlid^en Unt)oIt
fommen^eit unb (Schlaffheit, ober qU @runb be^ Iroftcg für
folc^e, tüd6)e einen t)orübergel)enben @c^merj über bie @ünbe
unb ein entferntet SSerlangen nad) @nabe o^ne bie ^Beobachtung
ber göttlichen @ebote erfennen laffen 0- ^^ fommt alfo burc^
au^ auf bie Heiligung, auf ben prattifd^en 93en)eid ber Sßicber-
geburt in ber @elbftt)erleugnung an. (&^ lag fe^r nal^e, biefed
drängen auf bie Heiligung aU ^intanfe^ung bed rec^tfertigenben
(Glaubend ju üerfte^en, unb bie Sababiften ^aben biefe Sinioen^
bung aud) erfahren. äJom pd^ften Sntereffe ift bie (Entgegnung,
n)elcf)e bie ©c^urman bagegen rid)tct ^). ,,äEBir leiten bic äJJcnfc^
nid^t baju an, bag e^e fie ernftlic^ an ©elbftüerlcugnung unb
@el)orfam gegen @ott beuten, fic fic^ Dörfer um bie ^etldgcnri^
^eit bemühen unb um bie (Erfenntnig, bag fie jur Qaf^l bcr 9u
mahlten gcl^ören, bag (£t)riftud für fie geftorben unb fic burd^
fein 33lut mit @ott Dcrfö^nt feien. SBir fnüpfen auc^ bie SBirt
famtcit be^ 93luted @^rifti, un^ t)on ben @ünbcn ju reinigen,
nic^t an bie birecte Ueberlegung, meldte aug @otteS @cift ent^
fprungen barauf lauten mürbe, bag S^rifti 93lut für unfcre
@ünben unb im Sinjelnen für bie le^te, bie mir begangen ^abcn,
öergoffen fei. S)er lebenbigc ©laube an C^riftuö, burd^ tt)cl^
mir mit il)m geeinigt merben, unb bie ©emeinfc^aft mit bem
%atcr ^abcn, befte^t nic^t mefcntlic^ in biefer ©emig^eit ober
Ueberlegung, t)on ber bie 9iebe ift. ^a ber @laube nic^t in
jenem reflectirten Slcte befte^t, bag mir glauben, ©^riftuö fei bcr
unfrige, fonbcrn Dielmeljr in jenem birecten acte, ben bcr ^iltgc
@eift in und ^ert)orruft, menn mir geraben SBegcd burc^ S^riftud
ju ©Ott gc^cn, um il)m anzugehören unb oon i^m Dcr^
manbelt unb befeligt ju merben, fo mug man fe^r non
1) Eucleria P. IL cap. II, 4; III, 7. 8.
2) L. c. cap. III, 20—23. Sie beruft ftc^ äuglet^ auf ^tton'f Xrodai:
Rechtveerdigmakingo door^t geloof.
249
SJorurt^cilcn eingenommen ober bösartig fein, ttjcnn man behauptet,
bag totr bie Uebung bcS S()riftent{)um^ nid^t burc^ Sl^riftu^
unb ben ©tauben an i^n beginnen, bed^alb nämlid), meil niir
in jene Aufgabe nic^t eintreten ju foHen meinen mit jenem reflec*
tirten @lauben, in metc^em nid^t ba^ SBefen be^ staubend be^
fte^t, fonbcrn nur eine SBirfung beffelbcn, unb jmar nid^t eine
üom erften Äange unb ttjelci^e bauer^aft tt)äre. S)ag SBInt E^rifti
reinigt urnS öon unferen ©flnben, nid^t aber jene Ucbcrlcgung
ober feftc Ueberjeugung. ©eine Sfraft ^at jeneö an fic^ unb
burc^ ben ©lauben, ber jenem Vertrauen tjorouöge^t." S)icfe
Crflärung ift in negati))er ^infi^t gelungener aU in pofitiDer;
fie tt)eift aber beutlic^ auf bie @c^n)i.erigteit l^in, in n)eld^e ber
@kbanfe t)on ber äled^tfertigung bur^ ben ©tauben gerätl), menn
feine Sielation auf bie au^ ber 93erf5^nung mit @ott mögli^e
äSeltanfc^auung üerbunfelt ift. ^ic Quälerei um bie perfönlit^e
@ctoi§^eit ber SSerfö^nung mit ®ott, njelc^c bie ©d^urman mit
Wec^t Dertoirft, ift ber ÄuöbrudE bafür, ba§ man in ber JRec^t-
fertigung^Ie^re nic^t me^r ben ^Regulator ber praltifc^en SBelt*
anfc^auung, ben @runb beS S3orfe[)ungdgIaubenS, ber ^emutl^
unb ©ebulb erfennt. %ber ba biefe Srfenntnig auc^ ber @d^ur^
man fern liegt, fo fc^iebt fie bem rerf)tfcrtigenben ©lauben eine
frcmbe S^ejie^ung, nämtid^ ben eintrieb jur Heiligung unter,
loclc^er ol^ne acute ^eilögenjigtieit tt)ir!en fann. Slber ^temit ift
eben boc^ bie Sled^tfertigung burd^ ben ©tauben eliminirt, unb
ber SSonourf ber ©egncr beftätigt, baß e^ ben fiababiften
nur auf bie Heiligung anlomme. SBenn nur biefe ©egner felbft
bie $ra{iiS bed Slec^tfevtigungSglauben^ in gefunber unb frucbt^
barer äBeife ju beftimmen t)ermocl)t ()ättcn!
2. ©eine Änfi^t t)on ber Heiligung, tt)eld^c au§ ber Sr^
löfung oon ben ©ünbcn unb bem tjeiligcn ©cifte entfpringt, re^
capitulirt Sababie in feiner Protestatio orthodoxiae fotgenber-
magf n. ©ie ift im ©anjen bie ©clbftDerleugnung ; ba§ ift bie DoIIe
unb umfaffeube lircnnung beö ^ergen^ öon 3lHem toa^ nidE)t ©ott
felbft ift, ober nid^t fo t)on i^m Ijcrfommt, baß eö un^>birect jur feligcn
©cmeinfc^oft mit i^m führen fann. S)enn ba bie Siebe jn fid^ felbft,
meiere bie Siebe jur SBelt in fic^ f erließt, bie SBurjel alle^ Söf en ift,
fo fommt ed barauf an, nid^t blo^ auf bie Safter, fonbern aud^
auf alle SBege^rungen, Effecte unb .f^erjen^bcrocgungcn, auf ben
eigenen SSiQen unb bie eigene Vernunft ju öerjic^ten. ©ofcrn
250
bicfc ©clbftüerleuflnung \iä) in crfd^eincnben ^anbluitflcn äußern
ttjtrb, beftc^t fic in bcm Opfer, bcr üöBigen ©arbrinflung beö
geiftigen unb !örperlic[)en SebenS an ®ott. ^ofitit) ift bic ^cu
ligung bie t)on @ott in bie ^erjeu gegoffene Siebe ju i^m, tuclc^e
bie Gläubigen jur (Sinigung unb ®emeinfd)aft mit ®ott ^inauf^
jiet)t, ja jur X()eilna^me an ber göttlid^en SRatuv. S)enn fo »ic
fie aui? ber Siebe ju ®ott fic^ aud) nur auf folc^e 2)inge richten,
ttjclc^e ©Ott gemäß finb, unb fid^ uon ber @ott entfrembetcn
SBelt fern l)alten, fo bereifen fie, baß fie nic^t bercn Äned^tc,
fonbern bereu Ferren unb Äönige finb. 2)iefer Stammen tt)irb
aber nodj au^j\ufüHen fein burd) ben ©toff ber anbcren ®d)riften,
nämlic^ be^ „Äurjen S3egriff§ beö E^riftent^umö" ber ^^raji^
beö jmeierlei ©ebeteö" unb beö „^anbbud^ö ber grömmigfeit."
^er SBeg, auf meldjem bie (Einigung mit ©Ott ju erftrebcn
ift, ift ba^ innere ©ebet, bie üRebitation ober Sontcmplation,
meiere o^ne SBorte unb o^ne Sitten unb ^orberungen an @ott
i^n JU e^ren, unb bie 9lufopferung ber eigenen menfc^li^cn Sc*
gedrungen ju DoUjieljen ^at. ^at man fid^ in bie ^änbe @otted
mit fülc^cr ®elaffent|eit jU begeben, baß man nic^t wiebcr auf
fic^ felbft fällt, fo f erließt baö in fid), baß man auc^ , feine guten
Segierben baran gebe. 2)ann l)ört man eben aud^ auf, ®ott
anbcrö ^^u bitten, al^ mit ber SBercitfc^aft, fid) in feinen SDSiUen
JU ergeben. 2)ao innere @ebet ober bie Setradjtung ift nämltd^
ein ftetiger Umgang mit ®ott unb ein ©efpräd) mit bemfclben
t)on feinem SBefen unb feinen ©el)eininiffen, tooju ber ^eilige
@cift ben Slntrieb bietet. 3nbem biefer Umgang mit @ott burt^
ben gereinigten SJerftanb unb SBillen ober burc^ bie ffirfcnntniß
unb Siebe ftattfinbet, fo erreidjt man auf biefem SBcgc bic
©inigung mit ®ott, inbem man baö ^öc^fte @ut fd^mecft. SKit
Berufung auf alle d)aratteriftifd)en ©äge beö §ol)enliebeö tmrb
Derfid)ert, baß ®ott bem TOenfc^en, mit bem er fic^ Dereinigt,
feine ©üßigteit, §ifee unb Sieblidjteit i^n empfinben gebe. 2)cm*
gemäß finb bie fünf Sinne Diel geeigneter, bic (Sntjücfung unb
ben ffienuß beö 3^^^^^ ber grömmigteit Derftänblid^ ^^u madjcn,
alö bic Derftänbige Siebe; benn man lann Diel me^r fagcn, baß
eö ®ott fei, ben man euipfinbct, alö ba^ man bie SWcrfmale ber
(Smpfinbung felbft angeben fann. Allein fo tt)ie in bicfcm 3«'
ftanbc ber ®inl)cit mit ®ott bie Seele boc^ baö ©efd^öpf bleibt,
fo ift eben ®ott felbft meit me^i* alö bie (Srgö^lic^feit unb ber
251
©ef^tnad, ben man t)on il^m f)at ^cnn aud^ bic 9(6ftd^t, @ott
ju lieben unb feinem SBiUcn fid) ju fügen, ift me^r al§ bic ©e*
ligfeitdcmpfinbunc) an i()m. Ss fommt eben baranf an, bag man
ftc^ au(^ bie Sntbel^rung bcrfelben jnred^t lege, äßcnn man alfo
nur in Siebe mit ®ott üerbunben ift, fo ^at man nidjt ju forgen,
ob man in bcr S^etrad^tung biet ober tpcnig Sid^t f)at, alfo ob
man fic^ öon @ott oerlaffen fü^lt. SSielme^r muffen feine @c*
richte unb ßü^tigungcn ebenfo geliebt n^erben, toie feine gnaben*
reiche unb luftboHc J^eimfuc^ung. Unter biefcr ©leic^ftcllung er^
reicht man c^, bag man in ber (Kontemplation ftc^ möglid^ft lei^
benb Dertjält, ba bad %ijun unb SSirfen nur @ott jutommt.
@on)ie ferner Sababie bie Kontemplation in bem jn^eiten X^eil
öon ber „^rajiö be^ jtt)eicrlei ©cbete^" bef^reibt, erfüllt fie
allein bie d^riftlic^e SBeftimmung ber ©laubigen. SBad bie Sfle?
formatoren bon bem SSertrauen fagen, in toelc^em man fein §eil
auf ®otte« @nabe unb auf bic SSerfö^nung burd^ (Sl)riftu« ftü^t,
bad gilt nac^ fiababie Don ber Kontemplation. D^ne fie, meint
er, fann ber SÄcnfc^ cigcntlid^ nirf)t alö aJicnfd) leben, nic^t bie
n^o^re Sieligion üben, nicbt aU ^inb @ottcS fic^ erl)alten unb
ernähren, überhaupt nid^t bie nötljige d^riftlid^e Srfenntnig ^aben,
— toa« an allen Sc^ren bcr S)ogmatif beroäl)rt wirb, gci^^cr
foO eiS bic Kontemplation fein, burd^ meiere ber SS^illc gereinigt, mit
guten ©cfü^lcn erfüllt, ju @iott gcjogcn, burd^ n)cld^c ferner bad ^crj
beruhigt, bic Slffecte rcgulirt, bcr antrieb ju lugcnben unb guten
SBcrfcn, unb bie Sfraft jur grtragung beö Ärcujcö bcrlie^cn njirb.
S)icfc äRcbitation foll ferner baö ©efc^id, bic Älar^eit unb (Sner:*
gic in ber )6erfflnbigung be^ (St)angeliumS, bcn @efc^madF bei
bcr fiefung beg göttlichen SBorteö, cnbtid) bic frud)tbarc SBirInng
bed Sbenbma^l^enuffc^ ocrmittelu. ^r^ miQ nic^t bic i^ilbcr
beö $ol)enliebe3 roicber^olen, in ttjclc^cn biefe ©d^rift bic SBolluft
ber SWebitation fd^ilbert, nod& aud^ auf bie SScrlaffungcn jurüd^
tommen, meldjc jenen @cnng burc^freu^en.
ß^arafteriftif^ aber ift bic Srflärung, ba§ nid)t blo^ bic
Kontemplation bcr Anfang bcr ©cligtcit ift, in »clever ba§ icn=
fettige fiebenöjiel vorweg genommen mirb, fonbcrn bag fie aud^
ben 9Renfc^en jum ©taube cinciS KngclS ergebt. 9{id)t o^ne
@runb toirb bie im Älofter cinbcimifc^e unb für aJiönd^c gecig<
netc IRebitation mit bicjcm Xitel bcd ^JU{önd)tl)umd gcfc^müdt.
5Denn ganj unmillfürlid^ aber ganj folgercd^t uerbinbct Sababic
252
mit ben Slntocifungcn jur SWcbitation bte Slufforbcrunfl jur ©n*
famfeit. 3n einem ftillen unb cinfamen Sebeit, mo ba^ @emut^
burdi t)icle ©efc^öftc nic^t jerftrcut toirb, t)at man bcffer 3^it gu
lefen, ju beten, auf fein ^erj ^d)tung p geben unb baffelbe in
bie ©tiUe ju bringen, al^ n)enn bie Slmt^forge ber @orge für
btc @eete nac^t^eiUg mirb. Qtoax ^at auc^ baS einfamc £e6en
feine @cfa^ren; ed bcförbert leidet ben üRilgiggang, bie 9la(^läfftg^
feit, bie 3^flt)<^ftigteit. Sllfo im SlUgemeinen fann ed nic^t borauf
anfommen, fid^ förperlic^ bon ber SBelt jurüdjujie^en ; inbeffen
bie gegenmärttge S^^tlage ift fo ücrberbt, bag man ftc^ faft bogu
entf^tiegeu möd^te. Slber inbem bie geiftige (Entfrcmbung
gegen bie SEBelt bie ^auptfac^e ift, fo ift ein n^o^lgeorbneted
^auSmefen, baS ben @inn ber äBelt nid^t tfat, eine fc^öne 8rt
eines c^rifttic^en J^lofterS! SDaS alfo ift baS Sbeal Don 2a^
babie. tiefer fatf)olifd^e ©efic^ti^freiS n)irb auc^ noc^ burc^ on^
bereS bejeic^net. Wlan barf nämlic^ neben bem @ebiete ber(Son*
templation, in toelc^em ber @läubige ftd^ ber 93ertrau(td^feit mit
©Ott erfreueu ttJiU, nic^t ben Äbftanb überfe[)en, ttjelc^er in anberer
^ejie^ung unb für anbere 3)ebingungcn j^mifc^en bem ©laubigen
unb ©Ott aufredet erhalten toirb. ^d) meine bie fogcnonnte
ÄlinbeSfurc^t t)or ©Ott, meiere tt>cfentlic^ auf bie ©d^cu gcftimmt
ift, ©Ott burc^ fünbige ^anblungen ju beleibigen ^). Sababie ^at
biefem ©ebanfcn in bem für feine ©emeinbc in SKibbelburg bc*
ftimmten „§anbbud^ ber grömmigleif StuSbrucf in einem @e*
betömuftcr gegeben. Äatbolifc^ ferner ift in ben Saintes d^cades
bie Slnnal^me, baß bie Öufetöränen neben bem Ölute C^rifti jur
©ü^nung ber ©ünben gereichen, fo ha% man gemafd^en ift burc^
bie X^röncu unb baö SJlut. Vlud^ bie üon Sababie betonte, unb
t)on ?)i)on unb ber ©ct)urman übernommene Serftellung öon bem
l^eiligen Scben al« Opfer Ijat, obgleid^ fie üon ©aloin 111. 7, 1
vertreten ift, öor^errfd^cnb fatl)olifc^e g^rbe. 2)aö ge^t fo
n)eit, ba§ bie ©d^urmaa in bem %obt Sababieö i^n aU ein Opfer
©otteö ertcnnt, in iüelcl)em gemäß feiner burc^gel^enben Sladj*
a^muug ßtjrifti auc^ beffen Opfer fid) anjc^aulid^ gemacht ^abc*).
1) Thomas Aquin. Summa theol. P. II. 2. qu. 19. Sgl. 2e(re bei
9le4tf. u. SBerib^nung III. S. 152.
2) Eucleria P. IL Cap. I, 8. ^Teinltc^ cap. II, 8: Elisabeth Slaj-ter
agni instar se deo exhibuit, ridcnti vultu atque animo placido mortem
amplexa.
253
(Bnblid^ cntl^ält i>ai ,,^ani>bud) bcr grömmigfeit" nod& bie Jpin*
toeifung barauf, bog bie Serfd^iebenartigfett ber 33lcn\ä)cn, toeld^e
5ur Sontcmptation bettjogcn tDcrbcn follcn, befonbcrc ©eelcnfü^rer
nöt^ig mad^c. ®oi^ ift eine ©tettung, toddjc über bog bcid^t^
üäterlic^e SSer^ältnig ^inaudge^t unb Don ben SBebingungcn bed
^lofterlebend entlehnt ift.
aber tüie ift eö möglid), biefe ©runbfäfee mönd^ifc^cn fie-
beniS unb mönc^ifc^cr ©eifteögenüffe unter reformirtcn Sänften
geltenb ju mad^en, n^elc^e bod^ auf bie (Erfüllung i^rer meltüd^en
JBerufe angeroiefen finb? S)iefe grage ift öon fiobabie unb t)on
ber ©c^urman nic^t unbeachtet getaffcn. gür bie (entere, meiere
fic^ bem ^o^en S^wge ber mt)ftifc^en SJerfenfung in ®ott über*
^aupt nic^t angefd^loffen f)at, fiel ed nid^t fc^mer bie !äababiftif^e
Se^re t)om ©abbat ba^in ju beuten, bag bie Siebe ju @ott auc^
alle SEBerfe, luel^e jur l£rl)altung bcS fiebernd btenen, al^ Wxittl
jur (S^re ©otteö auspräge, mel^e ben 3Renfd^en nidE)t beflerfen
unb feinen Xag entheiligen, unb bag bie ^anblungen ber (S^riften,
alfo audö i^re Arbeit, ni^t nac^ i^rem ©toff, fonbern nac^ i^rer
gorm ober i^rem groecfe ^n beurt^cilcn finb *). ßababic aber,
im britten Steile bcr „^rajiö be« jweierlei ©ebetcd", folgert aug
bcm @runbfage bed unaufl)örlic^en Setcm^, bag eg nir^t barauf
ontomme, in allen unferen SBerlen ben ©cift ju baucrnber Eon*
templation gefpannt ju galten, um jeben ^ugenblidC actueQ an
©Ott, fein ©efcfe unb feine ^errlic^feit ju beulen. S)enn fo »enig
man ben ^immel unb bie @rbc ju gleirf)er Qdt mit ben 9lugen
ju befd^auen unb an jmei ^inge jugleic^ ju benfen t)ermag, fann
c^ gelingen, fein ^er;; gleidijeitig auf ben $immel unb auf ir^
bifd^c 3)ingc ju rid^ten. (Sr befd^ränlt fid^ alfo barauf, baß man
in ben irbifc^cn ©efc^äften @ott im allgemeinen jjum ßwedE
fc^n folle; bcnn bie Siebe t^ut häufig t)iel, o^nc t)iel ju re =
f lectiren. Unter bicfer öebingung erfüllt mau aud) bie un^
unterbrochene @cbetggemcinfcf)aft mit ®ott. Unb ?)t)on in bem
,,3Beg jum ^immel" erllärt, bie ^Bereinigung ber ©eele mit ®ott
burc^ S^riftui^, al!^ ber ®runb beö ganjen übernatürlichen Scbeng
bcr ©laubigen erftredEe fic^ t)iel toeiter aU auf bie SKebitation;
eS fei oielmel^r eine grobe Unmiffen^cit ju meinen, bag man ®e*
meinfc^oft mit unb Zutritt ju ®ott burc^ S^riftu^ nur 1)abt,
1) Eucleria P. I. Cap. IV, 29. 31.
254
toenn man in ©d)auunfl begriffen ift unb mebitirt. Der ®Iqu6c
mu6 im ©runbe bcö §crjcn^ mit ber Siebe Derbunben fein, unb
man mug biei^ befennen fönncn, menn eS erforbcrt n)irb: aud^
ber actucüc @cban!e baran ift flut unb nüftlic^. ?lber e^ wäre
nic^t gut, bag bie @eete burd^ eigene ISbfic^t unb ©emalt ftc^ ju
bcm actuellen ©ebanten jminge. Um auf einem äBege üoronjU'
fommen, ift ed nid^t nöt^ig ftctd baran ju beulen, bag ber SBeg
ber redete unb einzig jmedhnägige fei; e^ genfigt, bag man mit
bicfem @ebanfen ben äBeg eingefd^lagen [)at, auf bem man ft^
ben)egt. 2)ie 2Baf)r^eit ber @emeinfd^aft mit S^riftui^ pngt alfo
ni(4t an ber äleflejrion barauf, unb am @effi^I baüon; man fann
bie SSial^r^cit bauon aud^ o(}ne ben ©efd^madC, ba^ @effi^( unb
bic @c^auung bauon befi^en. (Sr ertlärt mie bie ©c^urman
(@. 248), unb fommt barin auf bie allgemein reformirte SLnftd^t
jurücf, büß ber ©laube nic^t erft im ©cfü^l ber SSerfic^erung
gegenwärtig ift, unb ha^ mau bie 9ted)tfertigung ber (Srmä^lten
ni^t an bie gefu()lte ^ejeugung ber Siebe ©ottdS in S^riftud,
unb ba6 S^riftuö für mic^ bcfouber« geftorben fei, fnupfen bürfe.
2)enn ber §err fann nad^ feinem Sclieben fold^en Iroft unb
greubc Dcrlci^cn, unb lieber baö @egentt|eil ber IroftlofigWt
unb 3}etröbui§ fjerbeifü^ren ').
SBüI)er Sübabie feine ÜÄ^ftif gefd)öpft ^at, berührt er in
bem brüten I^eil ber „^rajiö bcö jtpeierlei ©ebetd". Cr neunt
©c^rtften beö 2)ion5fiuö Streopagita, be« §ugo üon ©t. S8ictor
unb SBern^arb'^ ^rebigten über ba^ ^o^elicb. 3)a6 bie leitete
QucBe bie mic^tigfte für i^n gctücfcn ift, bett)eifen beutlit^ bie
93csic[)ungcu auf \>a^ ^o^elicb, \vdö)c feine ©c^ilberungen beö
^ö^cpunft^ ber Kontemplation begleiten. Diefei$ aUe^ ^at er in
feiner fat^olifc^en Seben^epodic ober üielme^r innerhalb feiner
Scljrjcit im Sefuitenorben ermorbeu. SBeu barf biefe SBc^auptuiig
befremben? Die Kontemplation ift nun einmal bie fat^olifd^
1) 3n ber Leere van den h. doop; Generale aen merkin j|ren over
het bock van D. Koelmann (Historisch verbaal) S. 140 erfifirt ^oon fiber
fiababie'S mt^fttfc^e gfotmeln Don ber (Einigung mit ®ott, bag bteMben fel^r be«
Ucat feien, bag $ie(e {te migbrauc^t b^ben, bog man Don tbnen (einen getoS^n«
lieben ®ebrau(b nmcben fo0, unb baft, toenn man ni(bt befonbere Sfreibett tiom
i^errn l^ahe, um ftcb ibter 3u bebienen, e§ beffer fei fi4 i^ret )u ent«
balten.
255
gorm bcr grömmigfeit, mag fic nte^r finnlid^ ober mcl^r geiftig
fein, in SReflejion ober Sifion beftetjen, in ber Siirtjtung auf bie
Srlöfung burd^ S^riftud unb feine ä&unben ober auf bie SSer«
borgenE)eiten @otte^ fic^ bewegen, jur Sonftatirung ber eigenen
©ünben bienen ober ben iD^enf^en t)on feiner gefd^öpflic^en 9iid^^
tigfeit überfütiren; in allen biefen Spielarten erftrebt fie bie
@e(ig{eit um in berfelben au^uru^en ober auc^ um fid^ }u
ben @efc^äften beS fieben^ ju fräftigen. Sind) bie ^römmigteit
bed 3gnatiu^ t)on fio^o(a mar eontemplatit), benn er felbft ^at
bie l^öl^ere ©tufe bcr SSifion erreicht. 3)ie Slnleitung aber, meiere
er in feinen Exercitia spiritualia ertt)eilt ()at, orbnet bie mög^
lic^ft finnUd^ gehaltene Kontemplation, unb ben in i^r ju er«
ftrebenben ©enufe ber Untuft unb bcr ßuft bem prattif^en
3wec!e eineö ju faffeuben ober ju erftaltenben ßebenöentfc^Iuffcö
unter. 2)er Sefuitenorben ^at fid^ barum ber eigentlich mt)ftifd^en
(Kontemplation nac^ ber SD?et{)obe einei^ ÜBern^arb nic^t t)er«
fd^loffen; fd^on feine uniuerfaleXenbenj mad^te biefed notI)menbig;
man ^ätte fic^ mit bem mert^t^oUften unb am meiften c^araN
tcriftif^en (Elemente beS ^at^olict^mud übermorfen, menn man
nid^t jene SDtet^obe ber f^römmigfeit überhaupt anerfannt unb im
eigenen ©ebiete jugelaffeu tjättc. S)ie fpanifc^e SRepriftination be^
ftatt)olicidmud, meldte aud bem enbgfiltigcn @iege ber fat^olifd^en
jiönige über ben 3^lam entfprang, unb burd) bie 93ilbung bei^
3cfuitenorben^ fid) jur SBeltmad^t erl)ob, ^at auc^ ber SJi^ftil
einen neuen ^uffc^mung Derlie^en. SS ift nun gänjlic^ un-
benfbar, bag ber Orben fic^ uon t)orn^erein gleichgültig
ober able^nenb gegen biefeS (Element fat^olifd^er f^römmigfeit
ücrftalten ^ätte. Sielmet)r finb SDiitgtieber beffelben aud^ in \>tn
Sfiei^en bcr quietiftifd)en ©d^ule ber äR^ftif anjutreffcn. 3luc^
Sababie giebt feine S(ngel)örigfeit ju biefer 9lic^tung beutlid^
ju ertennen, inbem er baö mortlofe innere GJebet im Untcrfd^iebe
uom 93itten al^ Dag Organ bcr Kontemplation unb bie uöllige
(SJclaffcn^eit in &otic^ SBiüen ald baö ßicl ber ©eligteit in (Sott
bejeid^net ^at. ^ie (Sntfc^eibung beS ^efuitenorbenS gegen ben
Duietiömud, meldte burc^ ben 1675 erfc^ienenen „©eiftlic^cn SBeg*
tDcifcr" öon äWi^ael aJiolinoö ^eroorgcrufen mürbe, fäÜt über*
^aupt nit^t mef)r in bie Äeben^scit ßababic'S; in feiner tat^o«
Itfc^en fiebenSepoc^e alfo ^at er megen feiner mt)ftifd^en lieber-
jeugungen (eine Snfed^tung ober ©törung erfahren tonnen.
256
3. SBarum nun biefcr SScrtrctcr ber fatl^olifd^cn ^^öntmig-
fcit im ©cbictc bcr rcformirtcn Stix6)c jum ©ectcnftiftcr gen^orbcn
ift, crgicbt fid^ auö feiner ße^rc öon ber Äird^c. SBenn bie Äin^e
atö aied^t^gcmeinfd^aft aufgefaßt tüirb (externa communio), fo
fann man in i^r bic religiös qualiflcirtcn SWitglieber öon ben
anberd gearteten nid^t untcrfd^eiben. 3h einer fianbc^Krc^c öcr^
fäl^rt man bemgemäg fo, bag man \id) aDer abfid^tlid^en %0X'
fc^ung nad^ bem religiöfen S^arafter ber einj^elnen ^irc^engliebcr
ent()ält, menn fie burd^ baS 93efenntnig unb bie gjeid^geltenben
§anblungen fo wie burd^ unanftögigeö ßeben i^re Uebcrcinftim^
mung mit bem rechtlichen ©cprage ber Äirc^e bcn)ä^rcn. SBcr in
biefem ifreifc wiebergeboren ift, ober roie (Sincr baju gelangt,
ftellt man ®ott anljeim, inbem man glaubt, bag bie ©nabcnmittel
in ber iHrc^c @ott baju bienen, ©emeinbe ber ^eiligen ()en>orsc
jubringen unb ju er{)alten. ßababie unb feine @enoffen finb nun
üon i^ren ®egnern ali^ Vertreter bciS ©a^o^ in ?lnfpnic^ ge^^
nommen n^crben: Ecclesiam nullam esse veram, nisi in ejus
coetu etiam externo solos foveat Christianos ac regenitos.
®iefc ?lnfid)t fnd^en fic jeboc^ öon fic^ abjule^ncn '). ©ic er*
flären nämtid), bag fie in bem äugern red^tli^en äJerbanbc ber
^ird^e mit bcn SBiebergeborencn jufammenfaffen bie einfa^en
ßu^örcr bcr ^rcbigt, ferner folc^e ©finber, meiere einen ßu% ju
®ott JU Ijaben Defennen, bereu SBuge jebocf) erft geprüft locrben
mug, enblid^ bic Unroiffenben alö Äatec^umenen. (So ift flar,
bag btefe Deutung ber firc^lid)en 9lecf)t^emeinfc^aft üon ber in
ber Sanbcigtird^e üblichen locfentlid^ ücrfc^icbcn ift. 3)ic angc»
gebcnen brei Älaffen njerben alö eine ©ruppe öon 93ercc^*
tigtcn in ber iJirdje, aber uon minber Söered^tigten aW
bic bcfanntcn SBiebergeborenen anerfannt. Sigentltc^ alfo mtb
bnxdj biefe Sluöfunft bcr ©aft, ben bie ßababiften öon fid^ ab»
lehnen moQcn, al^ il)rc SDteinung beftätigt. ^enn als bie minber
SJcrecfitigtcn mcrbcn biefe Älaffcn öon Slfpiranten cbcnfo beftimmt
t)on ben uoll bered^tigten SBiebergeborenen getrennt, aU mit
i^nen jufammcngefagt. 3)ie SRcinung bcr ßababiften ift nämlic^,
bag man bie, meldte miebergcborcn finb, unb bic, meldte cö nid^t
finb, genau untcrfd^ciben lönnc. 3ubcm deiner ein wal^rer S^rifl
ift, mcldjcr nic^t bcn ©eift S^rifti ^at, unb inbem bie ^rc^e
aus allen ben ffiinjctnen befielet, »eld^e ben @eift ^aben, fo
1) Veritas sui vindex. Declaratio fidei p. 71.
257
bleiben ^btn bie aEBirlungcn bcö ©eifteg nid^t verborgen; bie
©laubigen finb bad fii^t ber S33eU unb finb rate bie ©tabt auf
bem Serge, ©iefer @ett)iJB^eit, ba§ bie aSiebergeborenen aU
fold^e erfennbar finb, entfpric^t \>a^ 3^^^^"^"' ^^B ^^^ ^^^
bicjenigen aUbalb conftatiren raerbe, meiere atö ßeitgläubige
ober ald ^eud^ler iufallig auf {)eimlici)e SBeife fic^ unter bie
äSSicbergeborencn gemifci)t {)aben, unb bag man allen SSerge^en
auf bie ©pur fontmen raerbe, bur^ raeld^e ein SBiebergeborener
ber Sjccommunication t^erfäUt, bid er Suge getrau ^at. Snbem
bie fiababiften bie Jlirc^e ^ienac^ ju reforntiren beabfic^tigten.
famen fie bod^ barauf ^inaud, bag bie ^ir^e in ISinem atö bie
religiöfe ©emeinbe ber actit) ^eiligen unb ald bie rec^tlidje @e«
meinbe ber aSicbcrgeborenen eingerichtet werben foHtc. §ieju
mürben bie ^fpiranten einen Sln^ang üon niinber SSered^tigtcn
bilben, meldte atö folcf)e aud^ nur beibehalten werben, fo lange
fic Äu^fid^t geben, ate S33iebergeborcne aufgenommen ju »erben.
S)iefc aufißt üon ber djriftlic^en Äird^c entfprid^t aber nur bem
£t)pud ber äRönc^^gemeinbc mit i^ren 9looi2en, ober fie con^
ftituirt im ©ebiete \>c^ 5ßrotcftantiömu^ bca Segriff ber ©ecte.
SRic^tg bcfto weniger beruft fic^ ßababie für feine Änfi^t öon
ber Äircfte auf bie ^eilige ©c^rift unb auf bie 93elenntni§fc^riften
calüiniftifc^er ^erlunft. I£i^ ift ja flar, ba§ bad 91. X. nur bie
religiöfe, nic^t aud^ bie red^tlid^e Sorfiellung Don ber ^irc^c bar^
bietet, bafe e^ alfo neutral ift gegen biejenige ©iftinction, toeld^e
firfj unfercn ^Reformatoren not^menbig ma^te, um i^rcn @cgcn*
fa^ gegen bie römifdEje S(nficf)t oon ber £^ird^e aui^ubrücfen. üa^
babie brauchte be^^alb nur alle biblifc^en $räbicate ber Jlird^e
burc^juge^en, bid auf bie herunter, rael^e bad $ot)elieb barju^
bieten ft^eint'), um feinen ©aß ju bemeifen, ba§ in bie Äird^e
fein Ungläubiger unb Unroicbergeborencr eingered^nct merbe. Unb
Dtion fonnte mit ben 3Ritteln bed Soccejud ^injufügen, bag baiS:^
felbe au^ auö bemSBegriffe bed neuen Sunbe^ folge ^). SBid^tiger
ift e«, baS ßababie unb feine ©enoffen aud^ bie caloiniftifd)en
SSefenntnigf^riften, bie ©aHifd^e, Sclgifcfie unb jmeite ^etoetifc^e
ffir i^re SReinung in Slnfpruc^ nel)men. Unb menn man bie oon
i^nen angeführten ^rtitel berfelben mit einiger Slufmerffamfeit
1) Le discemeroent d'une veritable eglise.
2} Religionis ohristianae essentia patefaota p. 173.
I. 17
258
bctrad^tct, fo lägt fid) nic^t leugnen, bog ^icr bte rcformirtc $ar*
ticulartird^c mit ganj cmpirifd^en ÜKcrImalen befd^rieben, unb
baß ju biefcr lüa^rcn Äird^e bie ©laubigen nid^t o^nc ba^
üRerfmal ber fittlic^en äctiöität gercd^nct lüerbcn*). ©ic^cud^ler
unb SRcpro bitten, beren Sermifc^ung mit ben ©laubigen ate
3;t|atfac^e eingegeben ttjirb, ttjerben bo(^ eben t)on ben ©laubigen
unterfd^ieben, alfo t)om begriffsmäßigen Seftanbe ber Äirc^c aui^
gefd^loffen. 3)ie ßababiften ^abcn alfo im Sinflang mit biefcr
befenntnigmägigcn Se^re e^^ unternommen, fid) als bie Äird^e ju
conftituircn, beren iDiitglieber ©laubige n)ären, ttjel^e in i^rcr
Unterwerfung unter ©otteS SBort unb in itjrer XluSübung ber
wahren SSeligion jugleic^ bereit finb, im fittlic^en ßeben gort^
fcf)ritte ju machen unb nac^ ©elegen^eit baö 3oci^ ber lirc^ü^cn
©iöciplin auf fid| ju nehmen. ®ie ßababiften roiberfpred^en i^rcn
©egnern, ttjelc^e biefe unb bie analogen Slrtitcl in ben anbcrcn
Setcnntniffen auf bie unfid^tbare Äird)e bejie^en, mit DoBcm
9ie^te. 2)ur^ bie angefül)rten 3lrtitel ift bad 9ied^t ber Sabö*
biftifd^en ©ectcnbilbung öoKtommen gebedt.
Slber bie Setjr« t)on ber fiird^e in ben bejeic^neten 6on<
feffionen ift burd^ biefe Strtitel nidt)t erfd^öpft; auö biefem ©runbe
^at baö ben ßababiften eben gemad^te 3"9cftänbni6 ntd^t ben
©inn, bag bie ßef)rc öon ber Jiirc^e in ben calöiniftifc^en Sc*
tenntniffcn not^ttjcnbig ber Scctirerei bie SBege ba^ne, welche
Kalmn fel)r entfc^ieben äurüdgemiefen l^atte (@. 79). 35ic Sirene
aU ©egenftanb beö religiöfen ©laubenö, als not^ujenbigeö ©lieb
in ber et)angelif^en ©efammtanfdjauung uom $eil ift ju beut«
1) Conf.GaH. 25 (in Der ?ru§0Qbe öon Diieme^cr pnb 25. unb 27. in-
tpmllci^ )}ertaujd)t). Crcdimus summo studio et prudentia discernendam
esse veram ecclesiam . . . Itaque affirmamus ex dei verbo, ecclesiam ewe
fidelium coetum, qui in verbo dei sequendo et pura religione colenda
conscntiunt, in qua etiara quotidie proßciunt cresccntes et confirmantes se
mutuo in dei tiniore, sicut etiam necesse est, ut progressus faciant et
semper magis ac magis progrediantur. Minime tarnen iniiciamury quin
iidelibus hypocritae et reprobi multi sint permixti, quorum tamen ma-
litia ecclesiae nomen delere non possit. Art. 26. Credimns . . . omnibus
simal tuendam et conservandam esse ecclesiae unitatem, sese communi
institutioni et iugo Christi subiiciendo, ubicunque deus veram illam dis-
ciplinam ecclcsiasticam instituerit. Uebereinftimmenb Gonf. Belg. 29. Uelv.
post. 17 (Niemeyer p. 502).
259
t[)eitcn nad^ bem ftebcnten Ärttfcl bcr Äugöburgif^en Sonfeffton,
tocl^cr üor bcr bcfinitiöen ©c^ctbung jioifd^cn bcr Sicformation
unb bcr römif^cn Äirc^e aufgcftcHt ift, unb bcgl^alb bcn notl^*
tocnbigcn UniücrfaliiSmu^ bcr SorftcHung, and) in SBcjicI^ung auf
bic jcitUd^c unb räumliche ©jiftenj bcr Äird^c fidler ftcQt. ®ic
Äirc^c, n)cld)c man aU bic bcr ©rlöfung burd^ E^rtftuö corrctatc
@cfanimtn)trfung glaubt, innerhalb bcrcn jcbcr @(äubigc atö fold^cr
feinen ß^fönimcn^ang mit allen anbcrcn burd^ äße ß^it^n unb
9laumc jj« finbcn gcn)i6 ift, ift bic ©cmcinbc bcr ©laubigen,
n)clc^c ^crt)orgcbrad^t n)irb burd^ bic @nabcnoffcnbarung in
S^riftuS unb an bcrcn f^ortbaucr in bcm SBort @ottc^ unb bcn
©acramcntcn erfennbar ift. Qixi richtigen ffiintjcit bcr Äirc^e ge*
nfigt neben bicfcn ^anbtungcn ober üiclmc^r über i^nen bic
pura doctrina evangelii, bic äScrfünbigung beS ri^tig Der«
ftanbencn ©nabcnmiHcm^ @ottcS, bcrcn SBaltcn t)on je^cr in ir«
gcnb einem üRa^c üorauögcfcfet n)crbcn barf. S)icfer 3)cutung
ber ^r^c, n^etc^c man notf)mcnbig glaubt, l^at fi^ Sabin ange^
f^Ioffen. Dbgtcicf) feine ©arftcHung bcr fic^re dou ber Äirc^e
beffcr georbnet unb" gcglicbert fein bfirfte, fo errei^t er nad^
einigen {(nfägcn, in benen er bic ^ird^c aU ©{aubcndgegcnftanb
ju beftimmcn unternimmt, gcrabe bic gormel ber ?lugöburgifc^en
Sonfeffion ^). 9(ber inbem man fo im Urt^cil bed @(auben^ bad
Dafein ber ^irc^e an bcn bejeid^neten 9)2crfmalen er!ennt, ^at
man juglcic^ bic ftttticfie SScrpflid^tung, fid^ an ber ^ird^c t^ätig
ju bct^ciligen in bcn ^cj^ic^ungcn be^ @ottc^bienftcd, bcr £c^r«
Überlieferung, bcr (Srjic^ung bcö nad^wac^fenben ©cfd^tc^teiS, ber
öfonomifd^cn Seiftungen unb bcr mannigfa^cn red^tti^cn Drb^
nungcn, in benen bic Sircfic juglcid^ t)on il^ren aWitglicbcm ^cr^^
öorgebra^t unb alö gcfd^i^tlid^c ©röge erhalten n)irb. 3n bicfcn
SRcrfmalcn ift bic Äirc^c nic^t birectc SBirlung ®ottc^ unb Db^
icct be^ ©laubcnö, fonbern ^robuct bcr ju \\)i gerechneten üRem
fd^en, foioic ©runb jur fittlid^cn Verpflichtung bcrfclben. Sluf
bicfcn abgeleiteten et^ifd^cn ©egriff Don bcr Äird^e, njcld^cr gegen
1) Inst. ehr. rel. IV. 1, 9: übicunque dei verbam sincere prae-
dicari et aodiri, ubi sacramenta ex Christi instituto administrari vide-
inas, illic aliquam esse dei ecclesiam nallo modo ambigendum est;
qnaado eins promissio fallere non potest: übicunque duo aut tres con-
gregati fuerint in nomine meo, ibi in medio eorum sum.
260
ben gtek^namigcn rcügiöfen Segriff abgeftuft ift, t)at nun Galöin
befonbcre äufmertfamteit gerichtet, n)ä^rcnb bie lut^crifd^en SBc*
fenntnißfd^riftcn fic^ auf bcnfelbcn ntd)t cinlaffcn. ßatoin ^at
baö Sapitel feines 2cl)rbuc^e!^, ttjclc^cö bcm Segriff öon bcr
^ird^e getuibmet ift gleich mit ber ^inn^eifung auf bie et^ifc^e
Sebcutung unb t)erpflicf)tcnbe ©emalt bcr Äirc^e aU ber 992utter
ber GJtäubigen eröffnet; benn er erinnert baran, ba§ bie reget
mäßigen äRängel beö ©lauben^ftanbcö bicfe ©rgänjung für jebcn
nöt^ig machen. Snbeffen nac^^er, tüo er barauf nä^er eingebt,
bag man burd^ brüberlic^e Uebereinftimmung bie ^ird)e in bem
üufecrlid^en, b. \). ettjifc^en ©inne überl)aupt ju ©tanbc bringt,
behauptet er, ba§ biefe^ im ©laubenöbelcnntniB burc^ bie gormcl
sanctorum communicatio bejeid)net fei, obgleich biefelbc in bem
Xe£te: credo ecclesiam, saDCtorum commuuicationem gerabe aU
©laubeniägegenftanb unb uid^t aU 5ßrobuct mcnfc^lidjen ©eftrcbcnö
bargefteKt roirb. Snblid) berichtigt er freilid^ biefe Deutung felbft,
ttJü er bie Slbftufung gmifc^cn bcm boppclten ©inn ber kird)c
mit ber Slbftufung jtDifi^en ©laubcn unb fittUdjcr SScrpflic^tung
in SSerbinbung bringt*).
2)iefe unfic^erc Söe^anblung be^ ©egenftanbc^ burd^ ßabin
ift nun ber ©c^lüffel jur ©rflürung ber Se^rc öon ber fiirc^c,
welche in bcr ©allifdjcn unb ben beiben paraüctcn Sonfeffioncn
öorliegt. 3n bem oben angeführten Slrtitct bcr ©allifc^cn Eon*
fcffion ujirb biefelbc Ungenauigteit, tt)ic Don Ealoin begangen.
®er cttjifc^e SJegriff üon ber Äirc^c, bie Slufgabc für bie I^ätig*
feiten ber ©laubigen mirb burd) Credimus aU ©lauben^SartifcI
eingeführt, xoa^ er nic^t fein lann ; um fo meniger, ba er beutlic^
auf baö particulare ©cbiet ber rcformirten Äirc^e cingefc^räntt
ift. SBcnn ia^ Umgctcfjrtc richtig märe, alfo njcnn bie ^er*
ftellung ber Äirc^e bur(^ bie bcjcic^netcn menfc^lic^en Sptig^
feiten jugleic^ biefelbc alig (yiaubcn^object erroiefe, bann n)ürbcn
1) L. c. § 3. Articiilus symboli ad externam quoqae eoclesiain
aliqiiatenus (?) pertinet, ut so quisque nostrum ia fraterno consensu
cum Omnibus dei filiis contineat, ecclesiac defcrat quam meretur aucto-
ritatem, denique se ita gerat ut ovis ex grege. Atque ideo adiuDgilui
Sanctorum communicatio. § 7. Quemadmodum ergo nobis invisibilem solius
dei oculis conspicuam ecciesiam credere uecesse est, ita hanc, qaae
respectu hominum ecclesia dicitur, observare eiusque communionem oo-
lere iubemur.
261
bic Sababifteit im JRc^tc fein, tuenn fic bic ^ird^c aU bic ®c*
nteinfcfiaft bcr SBtcbergeborencn mit Söcfeitigung bcr 9lid^ttt)tebcr?
geborenen ju ©tanbc bräd)ten. SBcnn ferner ber calüinifd^^refor*
mirte öegriff t)on ber Sfirdie auf bie angeführten ©äfee befc^ränft
wäre, fo müßte geurt^eilt tuerben, bag ber Salöiniömu^ über^
^aupt bie Äircf)e al§ bie ©ecte fe|e unb birect auf biefelbe l^itt^
fü^re. 35ann aber ift nic^t ju begreifen, baß Saluin felbft an=
bcrg geurtl)eilt ijat, unb baß feit ber XtufftcHung jener Sefennt*
niffc über ^unbcrt 3aöre uerfloffeu finb, e^e man biefe not^ttjen*
bige Folgerung ttja^rgcnommcn ^at. 3nbeffcn bie ^^atfad^e ift
bie, ba§ tuie in Salöin'^ 3;f)eologie, ebenfo aud^ in ben genannten
brei S8efenntni§fcf)riften bcr lutl^erifc^e Segriff uon ber Äird^e
au^gefproc^en ttjirb, au^ mcld^cm eine @infd)ränlung ber ct^ifd^en
Deutung ber reformirten ^articularfircl)e folgt, ttjenn man an*
nehmen barf, baß ein georbneter ßwfömmen^ang bcr fic^re uon
bcr Äircfie beabfic^tigt ift. S(m tpcnigften beutlitf) ift bieö freilid^
gcrabc in ber ©aHif^cn ßonfeffion auögebrürft. 35enn bier njirb
crft in Slrt. 28 unb jujar inbircct ber rein religiöfc (lutl^erifdie)
SBcgriff uon bcr Äird^c eingeführt, aber gcrabc in ber fritifc^cn
©cjic^ung, in njelc^cr er urfprüngtic^ aufgcftcHt ift : Itaque dum
hoc ita esse credimus (nämlid^ bie fittlid^c Slufgabe an ber
Äirc^c, bie 9lütl)tt)enbigfcit ber 3"^* ""^ ^ic beö 5ßrcbigtamtcö)
simul etiam palam atfirmamus, ubiverbum dei non reeipitur,
nee Ulla est professio obedientiae, quae Uli debetur, nee ullus
sacramentorum usus, ibi proprie loqueudo non posse nos
iudicare uUam esse ecclesiam. Snbeffen n)irb burd) bic ^ier
angegebenen 2Wer!maIc bic reformirte SSolföfird^c gegen bic Saba*:
biften gered^tfertigt, jumal bereu SJertreter bic in 3lrt. 25 bc*
jcic^netc Slufgabe nic^t Verleugnet ^aben. SHcrbingö ift cö fa*
tal, baß biefe mit bem Credimus eingefüt)rt ttjirb, al^ roenn fic
rin ©laubenöartifcl tpärc. Slbcr inbem bie SJertreter bcr SanbciS*
Krcftc ba^ 3Bort Credimus l^icr tt)ie in einer Mci^c öon anberen
Ärtifcln fad^gemäß afö: „SBir adjtcn unö ücrpflic^tet" uerftanben
^aben, ^aben fic fid^ bic Kontinuität ber ^Reformation bc«
16. 3af|rl). gefid^ert. 35ie Sababiften hingegen I)abcn burc^ bie
toörtlic^e Äuffaffung be^ Scitmortcö bicfen 3"f^"^"^^"^^^9 f^^^
fjc^ abgebrochen. Unb jttjar finb fic mit iljrcr Stuffaffung in bie
römif^c Slnfic^t jurücfgeglittcn, baß bic ©laubcn^gcmcinfc^aft in
i^rcr empirif^cn reci^tlid^cn Slbgrcnjung bie üirc^c fei, UjcI^c
262
man ju glauben l^at. S)enn toenn oud^ bie ©d^urman nur 6e^
l^auptet, nostram congregationem veram esse Christi ecclesiam
particularemO, fo beult fte babei barau, bag auger ber @e*
meinbe ju 3Bieutt)erb au^ nod) bie gtetd^geftnnten (Sont^entifel in
aimfterbant, SRotterbam uub anbertoärt^ ju bem Scftanbc ber
rici^tigeu Äir^e ju jä^len finb. 3ubeffen meint fte boc^ öon
jenem lebcnbigcn Slbbitbe ber ©cmeinbe ju 3erufalcm, ba§ eS bie
tDa\)Xt ^ird^e S^rtfti barfteQe, nou tum numero quam rei essen-
tia; sed potest granum sinapi in magnam arborem suo tem-
pore excrescere*).
SBag an bem S^f^nimen^angc ber ©allifc^en Sonfcffion
na^getoiefen ift, bctt)ä^rt fic^ aud^ an ben beiben aubcren. S)er
29. Art. ber Söelgifd^en Sonfeffion fü^rt ben et^ifd^cn Segriff ber
Äird^e uub bie banad^ bemeffene Aufgabe ebenfalls mit Credimus
ein; allein ber 27. SIrt. fdt)idtt ben religiöfcn SJcgriff öon ber
jiir^c üorauiS, üon bereu 93eftaube ^ier in Uebereinftimmung mit
ber Sinologie ber 8[ugöburgifc^en Sonfcffiou gefagt wirb, bafe pe
ni^t an beftimmte Dcrter uub 5ßerfoueu gebunben, foubcm fibcr
bie ganje ffirbe Verbreitet ift. 2)affetbe tuirb t)on ber Helvetica
posterior 17 im (Singauge atö ber ©iuu beö ©laubenöartifcte
credo ganetam ecclesiam catholicam, sanctorum communionem
beicid^net, bte 3)ouatiften tpcrbeu üerbammt, qui ecclesiam in
nescio quos Africae coarctabant angulos. ^nä) xoxxi ^ier )}er«
micben, bie ©eftimmuugeu be^ et^ifd^cu Segriffö üou ber Äird^,
ober bie pofitiöcu Äeuuäcic^en ber rcformirteu Äirdie al3 ®Iau*
beuöartifel einjufü^ren. älfo bie ^Berufung ber üababiften auf
biefe ©elenutnigfd^riften ift mit bereu bcutlic^ erfeunbarer Slbftd^t
nic^t im Siuftang, uub tpirb burd^ ben julegt angeführten @at
gerabeju \n^ Unrecht gefegt. Söciberfcit^ n)attct eine gauj t)er*
fd^iebeue Slnf^auuug t)on bem ©toff ob, welcher in ber gorm
Äird^e ju beuten ift. 3n ber ffipoc^e bcö 16. Sa^r^unbert«, aud^
uo^ in ber ffipigoueujieit, tt)elcl)er jene Soufeffioneu angehören,
glaubt man auf eine Sict^eit xoxxUid) ©laubiger uub SBieber^
geborener in allen ^articularfird^eu rcdönen'ju bürfcn; aber jU*
glei^ barauf, ba§ mau biefelbcu ui^t mit gingern äeigcn unb
ni^t aui^ i^rer Umgebung mit bcu ex hypothesi Ungt&ubigcn
^erauöjie^cu bürfe. S)ie ßababiften aber red^nen Don Dom herein
1) Euoleria P. II. Cap. III, 4.
2) L. c. Cap. III, 10.
263
auf eine nur geringe 3^51 berjenigen, njeld^e fie alö aBtcbcr^
geborene genau conftatircn, unb Don meldten fie bie §eud)ler unb
^citgläubigen meinen abfonbern ju tonnen*). 3ft ber ©cgenfafe
fo ju Derfte^en, fo wirb fid^ fragen, ob hierin eine reichere @r=
fa^rung gegen eine ungcgrünbete Sorauöfefeung roirtfam tt)irb,
ober ob fic^ ^ier bie petitio principii tunbgicbt, toclc^e erft ber
©rfa^rung i^re 9iict)tung Derlei^t. 2Jian toirb fic^ für ba^ lefetere
entfd^ciben muffen. ®enn ob man üiele SBiebergeborene aU \)0X'
Ijanben öorauöfcfet, ober ob man mcnige ber 8[rt finbet, mürbe
alö oerfd^icbenc ©rfa^rung SJerfd^iebener oieIIeicI)t ©egenftaub beö
©treite^, nic^t aber @runb i^rer Xrennung fein. 3nt öortiegenben
galle aber erfolgt eint' Xrennung fo, bag bie beiben ©treitenben
fid^ gar nic^t md)X gcgenfeitig oerfte^en lönnen, meil fie a priori
über ben mögli^en @rab ber ju mac^enben @rfat)rung uneinig
finb. aBeil bie Sababiften oorauäfcfeen, bie X^atfact)e ber SBieber:*
geburt alö fold^e burcf) (Erfahrung an jebem ©näetnen erreichen
JU tonnen, fo red^nen fie auf SBenige uon berSlrt; meil bieSScr*
treter ber SJoltöfirc^e auf eine ©rfaljrung mit jener ^räcifion
üerjid^ten, glauben fie, baß (Sott oiel mel)r SBiebergeborene
Icnne, aU bie bcfc^räntte ©tellung eineö menfc^lic^en 8ieobad)terg
crreid^en fann. Aber nä^er angefeljen ift baö Urt^eil ber fiaba*
biften, ba§ nur SBenige miebergcboren feien, nic^t fomo^l baö
©rgebnig i^rer präcifen 8}eobacf)tung, alö oielmel)r ber @runb ba*
für, ba§ fiebiefe SBcobadjtung überhaupt für möglich acfitcn.
3nbem fie bie ilird)e bloö in ber gorm ber freien ©efeüigfeit
Dertoirllidjen moKen (©. 222), fo tonnen fie nur auf eine bc^
fc^räntte, leid)t überfid)tlid)e Qa\)l oon 2;t)eilne^mern an i^r
rcd^nen. 3n biefem g^ßc aber, melc^er bemSerte^r unter greun^*
ben am näc^ftcn ju oergleid)en ift, ift eö in ber Drbuung, bag
man über bie fittlic^e Dualität ber Slnberen ein fidt)ereö Urtl)eil
geminnen; unb oon ben ßuoerläffigen bie ß^i^Ö^äubigen unb
Jpeuc^lcr allmä^lic^ unterfc^eiben lernt, ^a^ ift für einen ge»
reiften Süienfc^en gar feine fc^mere Äunft! 2)emgemä§ aber ift
bie (Erfenntni§ ber ?lnberen in ber tleinen ©efellfdjaft ber Saba^
biften nid^t aU eine befonbere rcligiöfe Seiftung, fonbern nur alö
bie allgemeine fjolge if)rer engen ©efelligfeit ju bctrad)ten. 3)ie
Slnnal^me it)rer (Segner, ba§ eö oiele SBiebergeborene gebe, meiere
1) Rel. Christ, esscntia patofacta p. 313 seqq.
264
ate fol^c ®ott befannt finb, aber bcr räumltd^ unb jcitlt^ bc»
fd^ränftcn Scoba^tung unb bcr gorfd^ung beö äWenfd^cn ftd^ cnt^
jie^cn, ift bie rcligiöfc Slnfid^t uon ber ©ad^c. hingegen bcr auS
ben allgemeinen Scbingungcn ber freien ©efelligfeit entfpringenbc
Änfprud^ ber ßababiften, bag fie bie SBiebergeborencn, toelc^c bic
Äird^e bilben, ate foldie pd^er erlennen, ift ni^t religiös, fonbcm
natürlich unb n)eltlid^. ^eSliatb erreicf)en fie aud^ t)on 8{cd^t^
wegen bie ©ecte unb nid^t bie Äird^e.
4. aber inbem fie i^re©ecte alö bie üonS^riftuö gemeinte
Äird^e anfe^en, fo crllären fic^ i^re ©runbfö^e über ba^ Äbenb*
ma^I unb bie Saufe (©. 228), aud^ inbem fie jugleic^ 5oIge*
rungen au§ bem calüiniftifc^en ©acramentdbegriff finb. 3n biefcr
SRid^tung njaren ßababic bie SBcftrebungen uon ßobenfte^n unb
?[nbercn entgegcngefommen. ®a6 ßobenftetjn fic^ bcr SBerttKittung
be« aibenbma^lg begeben I)atte (©. 184), um ba« ©iegel ber
©nabe nid^t Ungläubigen reiben ju muffen, entfpra^ ber Sliebcr^
länbifd^en ßiturgie, in \odä)cx bie Ungläubigen gemarnt tocrbcn,
bag fie nid^t burd^ i^re X^eilna^me am Slbenbma^t i^r @eri(^t
unb i^re SJerbammnig ficf) crfdinjcren. 3)ie ßababiften l^altcn
bemnad^ barauf, baß bie sanctificatio ern)iefen fein muffe, tt)cnn
@iner baö Slbenbma^t empfangen füllte. ®ie nieberlänbifc^e ßi*
turgie begrünbete ferner bie Xaufe ber ifinber ber Äird^englicbcr
auf bie öeia^ung bcr t^xa^c, ob man befennc, bag biefe JHnber
gläubiger Gleitern nad^ 1 Äor. 7, 14 in Sf)rifto geheiligt finb.
3)enn nur bann tpar bie Saufe aU ©iegel beö ©nabenftanbcö
antpenbbar. 9lun faßten aber ßobenftc^n unb anbere ^rebigcr
ben ©Irupel, bag bie Sinber öon ni^t pofitiu gläubigen Seltcm
nid^t al^ geheiligt angcfe^en njcrbcn tonnten. Um jebod^ bie
Sinbertaufe fortfeften ju fönnen, öeränberten fie eigcnmäd^tig bie
öorgefd^riebene fjrage bal^in, ob man betenne, bag biefe jifinber
gel)eiligt ttjcrben. üoelmann ift bafür 1675 t)on feinem Amte in
©luijg burc^ ben üRagiftrat abgefegt n)orben (©. 184). ßababic
unb feine ©enoffen aber erlennen an, ba§ manche Äinber glau^
biger Sleltern alö gef)ciligt ju betrad^tcn, be^^alb al^ ©lieber bcr
Äirdt)e jum (Smpfang ber Saufe bered^tigt feien uub erflärcn fi(^
gegen bic abttjcid^enbc Slnfid^t Jgycinrid) ©d^lüter^ ')• ^'^f^ 3)iffc*
rcnj l)ängt offenbar mit ber SBcrmcrfung bcr lababiftifd^en I^coric
1) Veritas sui vindex p. 78.
265
Don bcr @^c burd^ bcn Icfetcren jufammcn (©. 233), welcher eben
nid^t glaubte, bag bie Äinbcr SBiebergeborener t)on ber @rb[ünbc
frei feien. 3ubeffen ift ja fd^on angeführt (©. 229), baß aud^
bie aWeinung ßababie'ö auf bie Scrfd^iebung bcr laufe biö jur
S^oc^c ber actit)en Heiligung ^inau^Iief; nur beliebte er feine
SBiebertaufe berer, roeld^c überl)aupt bie laufe aU Äinber em^
pfangcn l^attcn. SIuc^ hierin bciuä^rt ftc^ bcr S^arafter ber
©ccte, nadö bcnt ©runbfafte : singuli fideles ecclesiae. corpus •"
nniversum constituunt 0- 3)enn ber Unterfc^ieb, ttjeld^en man
gegen bie aEBiebertäufcr feftju^alten beftrebt ift, betrifft nur unter^^
flcorbncte 5ßunftc. ©cmein aber ift beiben ber @runbfa|, bag
nur bie actiuc §eiligfeit bcr ffiinjeluen bie Äir^e begrünbet.
5. ©nblid) bie 3wfii"ft^^öffnung, roddjc fiababie üertritt,
ift nit^t birect d^iliaftifc^. @r rcd^net nämlic^ nic^t auf bie fidit*
bare SDäieberfunft S^rifti jum 3^^^ l>er in Sluöfid^t genommenen
tjoHen ÄuMbung feiner §errfd^aft über bie Äirc^e unb bie SBelt.
SSielmc^r^) xoxxh bicfelbe in ber güüe ber geiftigen SBirfungen
eintreten, burc^ bie 93efef)rung ber 3uben unb ber Reiben, burc^ bie
aDgemeine ^eiligfeit unb fiiebc unter ben S^riftcn, n)elcf)e bann
ja^Ireic^ in biefer Art fein werben, burdj i^rc SJerbinbung ju
bcr ffiinen beerbe, burc^ bie Befreiung ber 9Jatur Don ber Äncd^t*
fc^aft ber 5Ric^tigfeit, burd^ bie Unterwerfung aller Kreaturen,
alfo auc^ ber bürgerlichen Orbnung unter ben ÜKaftftab S^rifti.
6rft na^ bem Ablaufe bcr fo au^gcjeic^netcn ©cfd^ic^t^cpodie foU
mit ber fic^tbaren ©rfc^einung Elirifti baö ©eric^t herbeigeführt
roerben. 3)icfc ffirwartung ^ölt, wie man fie^t, bie Sinic inne,
roeld^c Socceju^ uorgcäei^nct l)atte (©. 144). Durd) i^n ift
allcrbingö fiababie nic^t auf biefe ©cbanfcn gebrad^t worben,
fonbem ^at fte f^on in feiner fat^olifd^en Qcii gehegt (©. 205).
3«^ toin aud) nid^t auf ber SKöglidjfcit befielen, ba§ fiababie
burc^ ßocccjuö in biefer 8lnfid}t befonberö geförbcrt morben ift.
Dem 3bcal ber ©emeinbc jiu Scrufalem, roeld^eö in bem SRefor^
mator aufftieg, finb bie Klänge be^S ,,cmigcn ©Dangeliumio" ju
na^c üerwanbt, aU bag fie fic^ nid)t ju jenem ©runbton feiner
Ueberjeugung gefeHen fonnten. ©cmgcmäg ift bie Eingabe fiaba^
btc'^ au^ bem 3a^re 1669, bag feine ©d^rift Le h^raut du
1) L. 0. p. 126.
2) L. c. p. 180.
266
grand roi J6sus (©. 212), bei 5ßrofefforen unb ^ßrcbtgcm 3^f^"^
mung gefunben ^abc nid^t ung(aubltc^. SocccjuS unb feine
©d)ülcr tonnten gegen bie 9lnfid)t alö fotc^e nic^tö einttJcnben.
SlUcin e^ ift boc^ in praftifd^er SJe^ie^nng ein großer Untcrfc^icb
jtüifc^en bcr rein afabemifdjen Sejeugung jener Hoffnung unb
bem Sifer, mit tt)el(i|em Sababie fie auf bie Äanjet gebracht ^at,
aU er feinen ©injug in bie SJlieberlanbe ^ielt. Sluf ber Äanjcl
roQv biefe Se^re unerfjört unb bie ©egenujirlung ber n)anonifc^cn
©ijnobe bagegen uöHig bered)tigt. S)enn mag biefe Hoffnung mit
getüiffen I^eilen ber ^eiligen ©d^rift im ffiinllang ftel)en, für bie
gcfd)id)ttid^e Äird)e ^at fie bod^ bnrd)aug reoolutionäre ©ebeutung.
3n biefer ^infid^t ift fie bem „ewigen ©üangelium" ber g^an*
ciöcaner*©piritualen unb bem 6I)iliaömu^ ber SBiebcrtäufer gtci^:^
artig; unb für bie praftifd)e äöirfung ift eö ganj gleid^güttig, wie
fic^ biefe ©arftellungen übrigen^ unterfd)eiben. ®enn auc^fiaba«
bie f)at mit bem ?Jorbet)alte beö wunberbarcn S^arafterö ber bc-
Seid^neten Erfd^einungen bie Slbfid)t öerbunben, bereu ©intreten
vorzubereiten. 3nbem er bie geringe ßa^l ber SBiebergeborcnen
au-5 ber üermcltlic^en Üird^e ^erau^jujic^en fud)tc, moHtc er bie
©Epanfiotraft biefer Slu^ertüä^lten bereit galten, um bie großen
©rfolge ber Äird^e in ben legten Qdicn ju erjieten.
©eit ßocceju« unb Sababie ^at fi^ auc^ bei S8ic(cn bie
3Keinuug feftgefe^t, i>a% biefer ©laube an bie lounberbare Stuf*
rid^tung bcr Äliri^c in ben legten, aber bod^ immer in ber 9lä^e
ermartetcn 3citen eine bcfonbcrio n)crt()t)oüe 5ßrobc oou ^^^ömmig«
feit fei. grömmigteit unb religiöfcr ßifcr ift ja o^ne ßtpcifcl
babci; aber menig ©inn für bie Se()rmeiftcriu @ejd)id^te. SBicI*
lcid)t bicut e»5 jur SScrftäiibigung f)ievüber, baß bie ganj analogen
.^Öffnungen n)eltlid)cr 2lrt, n)cld)c baö 18. unb 19. 3ci^r]^unbert
auffüllen, s^var alö 3^'^^9"iffc Ijumancr ©efinnung, aber jugleic^
aU uer()üngnißuolIc Srrt^ümer ju ericnneu finb. 3)ie Sluftlärung
in gvantrcid) im 18. Sa^rtjunbcrt trug fic^ mit ber Hoffnung,
t>a% ein allgemeiner ©ieg bcr gcfunbcn SJernunft über l^emmcnbe
Ucbcrlicfcrungen unb inf)umanc ©cwoOn^eiten in ber näd^ften
©cncration bcüorftct)c, unb ber @rfo(g toar bie Sermirrung unb
loarcu bie ©uäucl ber Meüolution. ©bcnfo ^at ber politifc^e
Siberali^imuö in Dcutfd^taub fic^ burc^ bie Hoffnung antreiben
laffen, baß bie Snoeiterung bcr inbioibuellen grei!)eit in aßen
^öejicljungen, unb bie SJcrbreitung ber miffenfc^aftlic^en Öitbung
267
unfcr SBoII in ungetüo^nter ©d^ncüigfctt jur fittlid^en unb polu
tifd^cn ©clbftönbiflfett aUcr feiner ©lieber fiif)ren werbe. 35ie
übclen grüc^te liegen in bcr gefteigerten @ntfittlicf)nng groger
Solfömaffen Dor. SRämlid) bie fittlid)e Öefunbtieit bcr iSölIcr
ift nic^t barauf angelegt, burd) fd^roffen Slbbrud) beö longfamen
©angeö bcr ©cfc^i^tc unb burd^ grogc ©prünge gcförbcrt ju
tüerbcn. ©oUtc eiS mit bcr Äirc^e anber^ befd)affen fein? ©odte
l^ier eine Dorljerrfdöenbe ©pannung auf na^c 6et)orftef)cnbe \)äU
ligc Äenberung jum @utcn weniger gcfä^rlicf) unb ftörcnb fein,
aU im bürgerlid^en unb ftaatlid)en ßcben? 9Äan beruft fid^ ba*
gegen auf ©otteö S33unbcrmac^t unb auf bie SScrl^cigungen im
H. unb 5R. X., inbem man ben@lauben an biefetben für obliga*'
torifd^ ad^tet. @ut ! ic^ miß urierörtert laff cn, mit roeld^cm Siedete
bic^ jum fcligma^enbcn ©tauben gebogen werben barf; aber man
foQ mcnigftcnö nid^t jugleic^ ben Stnfprudt) mad)en, bcr Äird^c jju
bienen, weW)c afe gefc^idt)tlirf)c Srfd^einung an ben üRagftab be^
langfamen unb ftetigen ©angeö beö menfc^Uc^cn ©cifte^lebcn^
gcbunben ift, jcboc^ in biefer |)infid^t um fo weniger au^ ©otte^
Scitung herausfällt, als eö bem ©laubigen feftftef)t, ba§ üor bem
J^crrn taufenb Sa^rc alö ©in 3;ag gelten. 3)er ©cfd^ic^tötunbige
aber barf behaupten, bag bie t)on Soccej|uS aufgebrad^te, t)on Sa^
babie öerfc^ärfte, feitbem aber fortgepflanzte Erwartung bcr gänj*
liefen innern unb äußern SSeränberung ber üircf)c unb ber SBclt
bie eüangelifdie Äirc^e nid^t minber befd)äbigt t)at, als bie wo^l*
gemeinten Hoffnungen ber politifcfien Sluftlärung unb beS boctri^
itoren ßiberaliSmuS bie ©cfunb^cit beS fittlid)en SSolfSlcbcnö auf
baS ©piel fe|en. Die pictiftifd)e grömmigteit wirb auf biefcm
fünfte einer na^en Scrwanbtfc^aft mit bem politifdjcn üiberalis^
inuS überwiefen, wä^renb fie felbft glaubt ju it)m in möglid^ft
auSf^licfeenbem ©egenfa| ju ftcl)cn. 35icfcr ©d^cin beruht aber
nur barauf, bag ber ^ietiSmuS fic^ urfprüngtid) nid)t um ben
@taat als fold)en fümmcrt, fonbern feine bem SiberaliSmuS ana*
-logen SSerfuc^e auf bem ©cbiete ber üirdjc uornimmt. Die 3ln::
ganger ber Sluftlärung unb beS politi)d)en SiberaliSmuS aber
wiffen, bag ber ^ietiömuS if)ncn vorgearbeitet ^at.
SRan wirb äweifeln fönnen, ob bcr 93eftanb ober ob bcr
3erfaQ ber ßababiftifc^en ©emeinbe j^u SBicuwerb für bie nieber^:
lanbifc^e rcformirte Äird^c ungünftiger gewefen ift. ©o lange
jene ©emeinbe beftanb, l^at fie allerbingS alle gleich ©efinnten,
268
tpcld^e fid^ ba unb bort jufammenfanben, ber fianbedfirc^c cnU
frembct. 3)ic Dppoption bicfer Sonöcntifcl ftcgen bie Äirc^c tüirb
fid^ in bem 9Ka§c funb gegeben Ijaben, atö i^re ©od^c in SBieu«
wcrb in 93lütfte [tanb unb rocitcre aiu^brcitung berfprod^. Allein
burc^ ba^ 9RiBlingcn ber ©ütcrgcmeinfc^aft unb burd^ bic 8lücf*
fe^r ber Sababiftcn an i^rc urfprfinglic^en SBo^norte njirb bei
bcnfelben fc^iücrlic^ ein SBerjic^t auf bie fectirerif^c Äuffaffung
be^ 6l)riftent^umö unb eine SSerfö^nli^feit gegen bic Sanbc^
firc^c ^erbeigefü{)rt morben fein. SBic c^ bei bcn SWenfd^cn Don
befd^ränltem ©efid^töfreiö unb oon unfelbftänbigem S^araltcr jn
fein pflegt, fo ujirb and) bei biefen grommcn bic Vereitelung
il^rer Slbfid^tcn nur eine ^artnärfigere unb ocrftimmtcrc Sln^äng*
lid^fcit a\\ i^rc ©runbfäfee Ijeröorgerufen ^aben. ©ic tocrbcn
alfo bic Spannung ber ßonucntifel gegen bie Sanbeöfirc^c Der*
fdjärft ^aben. 3n bemfelbcn Sütafee aber roirb bie Unfä^iglcit
bicfer SSercinigungen, crgänjenb ober beffernb ober rcformatorift^
auf bie ^irc^c einjuniirfcn, uerboppett roorbcn fein, ^ienad) mag
man ermcffen, ob ©ocbct *) ridjtig urt^eilt, ba§ bic jerftrcuten
Sababiftcn an bcn Orten, too fie fiel) nicberlicßen, ein fräfttgcd
©alj für ba^ d^riftlid)e Sebcn würben. SicUcidjt f)at er barin
SRcd^t, tücnn \>a^ d)riftlid)c ßcbcn blos^ bei bcn SonbcntifcUcuten
ju fud^cn ift. SäJcnn aber baö Gl)riftent^um aud^ bei bcm „gc^
n)öl)nlid)en bürgerlid^cu ©daläge" ^ötjer ju fc^äfeen ift, aU c§ üon
üobcnftc^n unb Üababic angefc^en rourbe, fo tonnten bic grunb^
fä^lid)en ©cctircr auf biefen Ärciö cntiocbcr überhaupt nid^t
mirten, ober njcnigftcni^ nid)t aU ein tpo(jlt^uenbe§ unb nähren*
beö ©alj.
14. 2)te tioUftänbige m)|ftif(^e Xl^eorie Hon 2:^eobor Srafel
unb ^ermann SBitftud.
Unter bcn ^rebigcrn, auf bereu ßuftimmung Sababie meinte
rcdinen ju bürfen, nimmt Xljcoboru^ a SratcP) inbcr?ßro*
1) «. a. o. ©. 269.
2} X^coboruS der^arbt (<§^er^atb'd @o^n) ober S)tt( <9errttS a Stolel
269
öinj fJricSlanb eine befonbcriS ^cröorragcnbe ©tcHc ein. ffir ^attc
in frcunbfc^aftlic^cm unb rcligiöfem SBcrIctir mit bcr ©c^urman
geftanben unb fie ^attc bei einem Scfuc^, bcn fie 1659 üon i^m
empfing, einen lebhaften ISinbrncf öon feiner mt)ftifc^cn grömmig*
feit erhalten, ^amalf^ na^m fie and) feinen Snftog baran, ha%
SBrafel bie Sonntagsruhe fo crnft auffaßte, ba§ er feine ©peife
berührte, tt)elc^e nacf) ©ounabenb um 8 Uf)r Slbenbö gefauft
ober bereitet toar. Ate biefc ©trenge auf i^rc Seranlaffung
nad^^er jur Ser^anblung fam 0, ^öt ber ©o^n Srafet'3 mitgc:»
t^eilt, ba§ fie me^r eine äßa^regel jur Herbeiführung ber Drb-
nung unter ben ^auSgcnoffen, als ein birccter SluSbrucf ber
Ueberjeugung feines SaterS getoefcn fei. SBie bem nun fein mag,
fo ^at 2)öon bie SReinung geäußert, bag wenn nic^t 93rafcl ge=
ftorben njäre, er fid^ tt)ot|l noc^ ju ber gcrabe entgegengefe|ten
©onntagSprajiS ber fiababiften ^ätte beftimmen laffcn. 35cnn
mit feiner SJJet^obe ber grömmigfeit ift er ßababie auf baS
birectefte entgegengcfommen. 3n bem ^intcrtaffenen Suc^e fü^rt
er aus, „bie wa^re ©lud feligfeit befte^e barin, ba§ tt)ir mit (Sott
unb bem §erm 3efuS EtiriftuS @emeinfcf)aft ^aben. 3)cmgemä§
tt)iffen mir, baft er unS bei Slamen fennt, unb mir in feinen
Äugen ®nabe gefunben ^abcn, bog er unS öon (Smigfeit geliebt,
burc§ feinen ©o^n erlöft, uon unfercn ©ünben gerechtfertigt ftat,
uns bema()rt unb unS lieben mirb in aQe Sroigteit; ferner füf)len
mir biefe @cmeinfd)aft in unfercm Hcrjen, inbem mir im @lau=
ben auf fie vertrauen. 3)arin liegt, ba§ mir ®ott fennen unb
fd)auen in gciftlid^em ©inne mit ben Slugen ber ©ecle, il^n um^
Ralfen bur^ ben ©tauben unb bie fiicbe, i^n füljlcn burc^ inner*
lic^e @nabe unb 3"f^^^^^"f)citr Sreube unb 9iu^e, feine Siebe
fd^merfen unb atfo in i^m leben unb in i^m manbeln. Darin
ift alle greube unb ©lücffeligfeit enthalten, ba§ bie ©cele fo
jgeb. 1008 )u Q^nf^utsen in ^torb^ollanb, 1638 ^rebigcr su ^eerS unb 3eaum,
feit KiftS JU 3Ra!fum in SrieSlonb, ßfflorbcn 1G69. giotijen über t^n am
S^Iuffe ber na4 feinem ^obe oon feinem 3o()ne 1G70 ^erauSgeflebenenSd^tift:
Do trappen des ^ecstelijkcu levons (nac^ ber 12. ?(uj!. »ieber ab()ebru(!t
Nijkerk 1864. 448 8. tl. 8. 2)euti4c Ucberfe^ung 5öcrn 1098) Die frühere
Cd^tift beffelben S5erfofferS Ilct peeatolijko levcn en dt^ stand eens pfclovi^en
menschen op aarde (juerft 1048) \iaU icb ntd)t errcid^en fonncn, obgteidt
btefelbf tot 1850 in ^mflerbam bei i^. ^öoefer mieber abgebrudt toorben ifl.
2) Euoleria P. I. cap. IV, 4. — Yvon, Leere van den doop.
Voorreden. — Koelmann, Historisch verhaal. Voorredeq.
270
mit ©Ott unb S^riftu^ bereinigt um fo gciftüd^cr totrb,
aU fie mit @ott, bcm üollfommenen @cift üercintgt tft
unb qU bcffen güUc unb ©cnugfamfcit in fie flicSt;
unb je me^r bic ©eelc biefe ©emeinfc^aft unb SSereinigung ge-
nießt unb in bicfelbe .[)ö^er ^inaufgesogen tuirb, fo wirb fie ^äufig
mit einer befonbcrn gciftlic^cn g^cube unb SRu^e übergoffen unb
xoiü nur @ott unb S^riftuS liebhaben, unb toiQ ni^t meljr
fünbigcn nad) bem erneuten ®eift; barin befielt bie redete ®lfid*
feligfeit."
S)iefeö ©efü^I^ftreben, loelc^cö fic^ bi^ ju ber fpecipfc^
mt)ftifdjcn gormel ergebt, unb burc^ bie Silber be^ ^ol^cnlicbc«
erläutert lüirb, toiD 93rafel in bie näc^fte Sesie^ung ju ber
©onntagöfeicr gebracht loiffen. „SBoUen toir in ber fügen unb
gefüllten ®emeinfc^aft mit unferem ®ott unb ©eligmad^er leben,
fo muffen tt)ir an bem Sage beS §errn unö befleißigen ju t^un,
loaö ©Ott geboten f)at, um i{)n ju ^eiligen." SWid^t minbcr
emt)fie^lt er al^ ein fel^r guteö ^ülf^mittel ju jenem 8^td bie
^au^^anbac^ten; er meint biefeö Sßittel aber in fe^r au^ebel^ntcr
Slnioenbung. Siömlic^ jebe gamilie foD täglid^ brcimal fid^ ju
©c^riftlefung unb ©cbet vereinigen. S)ie ©iniücnbung, baß btcfe
SSorfc^rift in fold)en gamilicn nic^t burc^gefü^rt werben fann, in
benen feine 3)ienftboten finb, ober beren ©lieber burd^ i^ren
93eruf an^ bem §aufe geführt werben, le^nt Sra!el mit äiemlic^
oberflächlichen Söemertungen ab. Sm 3lllgemeinen aber ift er
nic^t barauf gefaßt, baß feine SSorfc^riften befolgt werben. SSiel*
me^r bcjeugt er faft in benfelben SBorten wie Sobenfte^n, baß
bie ©ottfeligfcit unter ben SReformirten mel^r bem 9lamen na^
alö in SSSirtlid^feit üorl^anben fei. 9iic^t^ befto weniger ücrrät^
er feinen Slntrieb nac^ ^Reformation ber Äird^e, wie e§ bei Soben*
fte^n unb Äababie ber gaD ift. ©eine perfönlic^e Haltung jcigt
nid)t bic üorbringenbe Äcibcnfc^aft jener äRänner. ffir begnügt
fic^ mit ber contcmt)latiüen ^}xxMc^^oqcn\)tit, beren ©epräge
überwiegenb bem SRittetalter entfpric^t. Srafel ^at «ngcfid^tö
feineö Siobeö bie ©einigen ermal^nt, auc^ bie ffirquidfung bc«
Äeibeg burc^ ©peife unb Xranf nic^t ju berfäumen. „3)aß tc^
e^ üerfäumt ^abe, fommt ba^cr, baß ic^ feinen Se^rmeiftcr
l)atte; ic^ t^at eg, um mic^ fo am beften nicbrig ju galten;
man fann aber bem Äeibe 5U oiel jur Saft legen." S)cm*
gemäß ^at ä3rafel aud^ eine SSifion gel^abt. 9lad^ ber SSoQenbung
271
feiner tl^eologifd^en ©tubien \)ai er gejögcrt, burd^ Slblcgung beö
®jamen^ fic^ jur Scrufuiig in ein ^rebigtamt ju befähigen,
inbem er bcm ^Drängen feiner greunbe unb ©önner ben 3^^cifci
cntgegengefefete, ob er aucf) burc^ ®ott berufen fei. 2)a \)at \\d)
in einer SSladjt bcr ^immcl über i^m geöffnet unb ift ein Sic^t
t)on ber ©tär!e beö ©onnenlic^tö erfd^ienen, unb auö bem ^immel
fam eine ©timme, welche jn)eimal fagte : Ik hebbe er u toe ge-
roepen. ffir tuufete, ha% bcr §err biefeö ju il)m \pxad), unb ba§
war i^m genug; er war t)oU greube unb Iie§ mit griJ^lid^Ieit
unb SRut^ fid) ejaminiren. ©o tt)cnig man nun folc^e @rfd^ei=
nungen auf bem ©ebiete be§ Sabini^mu§ ernjartet, fo fcfir fd^eint
bemfelbcn bie Aufgabe be§ ^interlaffenen ^auptwerfc^ üon 33rafel
ju entfprcd^en. S)enn auf ©tufcn in ber Heiligung lel)rt gcrabe
bie Se^re Salüin'ö befonber^ achten. SlHein auf bie üicUcic^t
unlösbare Aufgabe, biefen ©egenftanb tfieoretifd^ ju bcl^anbeln,
ift Srafel gar nid^t eingegangen, ©eine ,,©tufen beö gciftlid)en
SebenS" befc^reiben brei ©tufen ber Kontemplation unb bie gc=
fteigerten SRittel, um biefe ju erreichen unb feftjul^alten. 2lDer=
bingd mrb babei baS ©treben naij Heiligung beS SBiUenS unb
nad^ Crtnerb ber lugenben als bie Sebingung ber gefüt)lten
©cmeinfdjaft mit @ott üorauSgefeftt unb gcforbert. ^Hein ba
aUcS auf bie ©ontemplation, auf biefe einfame 93efd[jäftigung
jugefpifet wirb, ba trofe ber SRügc ber allgemeinen tirdjlic^cn 3"*
ftänbe feine 8lbfidE)t auf ^Reformation in biefcm 93ud}c fidj funb«
fliebt, fo ift eS fe^r unioa^rfc^einlic^, ba§ biefer ftiHe aWijftifer
fic^ burd^ Sababic jemals l^ätte ^inrei^en laffen.
®ie Kontemplation Srafers ift t)on jttjcicrlci Art. SBenn
er ungeftört ift burc^ ia^ 93ett)u§tfein t)on ©ünben ober anbere
©rünbe ber Sntfrembung t)on @ott, fo übt er bie freie unb
banfbare SSer^errlic^ung ©otteS in ber Setrad^tung bcr uubc^
grciflid^en ÜWaieftät unb aUgenugfamfeit ®ottcS, ferner ber §err:=
lid^feit ß^rifti als beS SßittlcrS unb UcbcrttjinbcrS, beS SirögerS
aQer SKad^t über §immel unb ffirbe. ©ott foD rein um feiner
fclbft roiQcn bcr^errlid^t werben ; an ßt)riftuS fommt in Setrac^t,
bag er jur {Rechten ©otteS J^errfdjt, unS jum SSortfieil. S)ann
folgt bie (Jrwägung ber SBerfe ©otteS, ber ©djöpfung unb (Sr*
Haltung bcr SBäelt, befonberS ber ©rlöfung als bcS SBcrteS ber
Siebe, enbli^ bie Sinprägung ber S9?o^lt^aten ©otteS gegen uns.
5E)aS ©efü^l ber ^Bereinigung, meld^eS an biefe Slei^enfolge ber
272
öctradjtungcn ftdj onfnüpft, erl^ebt fidö bctngcmäg üon bcm (Sin*
brucfe ber Srfd^roden^ctt uub SSemunberung ju ber ©emig^eit,
bag aQe^ tDoS @ott ift, und jum SBcftcn bient unb tvir unter
feiner, gnäbigen Söettja^rung unb ©efd^irmung fielen: «»äBenn
©Ott für und ift, wer lüirb gegen und fein!" SRan bnrftc t)itU
leidet urtü) eilen, ia^ man biefed correct eüangelifc^en 3^^^^ M
leidster üerfid^crn lann, ald wenn ed in bad Sic^t jener fünftlid^en
unb Übertreibenben ©efü^lderreguug gcfteüt wirb. Aber locnn
ed barauf anfommt, mit Srafcl fid^ in ©ottcd Siebe üerfd^Iungen
ju füllen, ober bie §errlid)leit unb SKajeftät ©otted fo Hat ju
fe^en, ald ob man in ben ^immel erl^oben wäre unb bergt, fo
ift ed erilärlid^, ba^, wie er jugefte^t, bie Äinbcr ©otted bie
füge unb gefüllte ©emeinfd^aft mit ©ott oft genug entbehren,
unb fid) gegen ©ott entfrembet unb oerbunfelt füllen. ISd ift
unüerftänblid^, bag er ben ©runb biefer (Srfc^einung nic^t in bem
geiler feiner 3)?et^obe, nic^t in bem §afc^cn na^ etwad Un*
erreid[)baren finbet. aber er finbet ben ©runb ber ©ntfrembung
Don ©Ott auc^ nidt)t blöd auf ber Öeite ber S^riften, in i^ra
©ünbe, 9Serborben[)eit, Iräg^eit, in ju langem unb unjcitigem
©c^lofe, in ber übermäßigen S8efcf)äftigung mit irbifc^en fingen,
namentlidj foldjen, bie außerhalb bed Serufcd liegen, ferner in
JU großer ©orge um bie eigene Heiligung, welche ben ©ebanfen
an ©otted ©nabe jurüdtbröngt, enblid^ gerabe in bem un^eitigen
5)rangc nad) ©eligleitdgefü^l. SSielme^r ift ed für ben ©tanb«
punft bed äßanned bejcid^nenb, baß er bie Sntfrembung Don ©ott,
welche mit bem ©eligfeitdgefü^l abwec^felt, auc^ in bem belieben
©ottcd begrünbct finbet, ber ein freier ©ott ift, Welcher t^un
tann, wad er wiH, unb ber aüc^ ju feiner ffi^re t^ut, ber aber
im üorliegenben ^aüt ben Qrocd üerfolgt, feine ©nabe ald ben
einjigen ©runb ber vermißten ©eligfeit einjufd^ärfen. S)iefcd ift
ber Ion, ben auc^ Sobenftc^n angcfc^lagen ^at (©. 171). Srafel
begleitet aber biefe ffirörterung mit einer SRei^e bon ©rünben,
welche bei bem ©cfü^l ber Cntfrembung bie Ueberjeugung bc*
feftigen foDen, baß man üon ©ott nid^t berlaffen fei, unb mit
Sejeic^nung üon 9Jiitteln, burc^ welche man jenen g^ftonb über*
winben foQ. 3ene ©rünbe erfc^einen nic^t ald bünbig, toenn bie
ffirfa^rung rid^tig ift, baß bad ©efü^l gegen bie berftänbige We*
flqcion fpröbe ift. Unter i^nen ift ber lefetc, baß man an feinem
^eiligfeitdftreben bad wirflid^e 99efte^en bon ©emeinfd^ft mit
273
®ott crfcnncn foUc. SIDcr tDurbc nid^t ba§ ©trcbcn naä) §eiIU
gung, n)cld)c^ fad^gcmäß bic ©infidjt in bic eigene ©ünbc ftcigert,
nnter bcn Urfad^en bcr Sntfrembnng non @ott angefahrt, aU3
cttpa^, Wübnrd) ia^ ©eligfeit^gcffi()I üerfdjenc^t toitb? Unb- nun
foß man fidj an bemfelben ©heben in allen gäUcn t)on feiner
©emeinfc^aft mit @ott überführen. S)a^ 3(rgument ift fdjon üon
fflielanc^t^on aufgeftellt toorben; aHein eö ift ein übeler ßirfel!
Unter ben SUiitteln gegen bie Sntfrembung \>on ®ott ^at
nun bie anbere, fo jn fagen, auffteigenbe SReifjc bcr Euntemplation
i^ren Ort ©ie beginnt mit ber ftlage über bie eigene ©ünbe,
in !Matur, §erj nnb Zijatcw, unb bcfennt bie ©d^ulb al§ bie
Urfac^c ber SSerminberung ber gefüllten @nabc. ©emnä^ft
n)irb burd^ bie iöitte um SSergebnng nnb SRec^tfertigung bajn
fortgefc^ritten, baß „id) Sl)riftua burd^ ben ©lanbcn annat)m unb
mir jenes jueignete. @§ foftete in Derfdjiebenen gäUen balb
me^r balb weniger ßcit unb Sßüfje, aber burdjgefienb» gab ber
i^crr mir Onabe, baß id) mic^ in El^riftnS gered)tfcrtigt fanb,
unb ba bic ©c^eibcmüdnb ätüifdjen meinem ©Ott nnb mir njcg^
genommen njar, fo befam id^ mieber bic füge unb gefüljlte @e=
mcinfc^aft mit ifjm." Um nun aber biefcn (5)cn)inn ju erl)alten
unb ju befcftigen, befd^reibt Sratel eine 9leif)e üon iöetrac^tungcn,
toelc^c an bie in bcr ffirlöfung burd) 6l)riftu^ offenbare Siebe
(SJottcS gcfnüpft luerben. S)icfer ©cbante toirb burc^auö auf
bad bctrad^tenbc ©nbiect jugefpi^t, \>a^ ©ott midj eluig geliebt
I)at in bem ©o^n feiner Siebe, unb mir feinen ctvigen ©ol)n al*3
(Erlöfcr gefc^enft ^at. ®ö folgt bie ©rwägung ber ©rnicbrignug
ß^rifti, bcr Söerufung ber ©flnber, um fie ju crquicfen unb jur
Wu^e ju bringen, unb ber ©infcftung beS Stbcnbmal^l^S aU
©iegcla ber ©nabc unb Siebe S^rifti. „S)ann ging id^ fort j"
ß^rifti Seiben, Öcöngftignngcn unb 2;ob, nnb inbem id) biefcj^
©tüd für ©tücf überlegte, paßte ic^ icbeS 3;i)eild^en mir ^n, aU
luegen meiner ©ünben gefc^cl^en, unb betrübte mid) bann über
meine ©ünben, njcil fie meinem 3cfuö baö Seiben anget[)an
Rotten. Unb babnrd^ fud)tc id) meine Siebe ju il^m mc()r unb
mc^r JU crttjcden, unb burc^ bie Siebe jur Heiligung angetrieben
JU rocrbcn. Unb inbem id^ alfo bic unenblic^e Siebe meinet
Qhttc^ unb ©cligmac^erS unb mein tiefet ffilenb gegen einanbcr
abroog, »urbe id^ barin njie Verfehlungen." Wit ber Betrachtung
bcr ^errfd^aft bc^ cr^ö^ten 6t)riftud münbet biefer Süeg ber
I. 18
274
Sontcmplation in bcn crftcn ein; bcnn er tpiib ja nOerliauJ)!
nnr eingefc^lagcn, um üon bcr ©ntftembuufl ju ber feiigen ©c^^
meinfd^aft mit ®ütt ju führen.
5)ic ©tufen beö geiftlidjcn Sebenö bejcifl^nct Srafcl wadji
1 3ol). 2, 13 al^ bie hk Äinbeg, be§ aünglingö, beö Satcr^ in
6[)rifto. 5)iefe Slbftnfnng mad^t er nun bloö nac^ quantitativem
' ajiaßftabe anfc^aulic^ alö 3wn«t)ine ber ©rleuc^tung unb aU
6inffl)ränfung ber immer tt)icber cintretcnben SSerbuufelung. Ate
SSater in E^rifto rü^mt fid) SJrafcI, burdjgängig mit Diel ^ö()crcr
@nabe aU juüor erfüllt ju fein, bauernb in einer genaueren
©cmcinfd^aft mit @ott ju ftel)en unb eine füßer unb liebli^cr
gefÜ[)Ite Bereinigung ber Siebe mit i[)m, eine Slufgejogen^cit in
ben ^immel unb aSerfd)(ungenI)eit in bie Siebe ®otteä ju cr^
fa[)ren; jugteic^ feien bie SSerlaffungen, SInfedjtungen ober Snt^
frembungen fo groß nid^t met)r gewcfen olö frn[)er. ©cnaucrc
eingaben cv\\>axc id) mir, loeil bie ©c^ilberung ber ©cligfcitö-^
juftänbe jeber inbiüibuellen ;£)altung unb garbe entbehrt. S^a-
rafteriftifd^ hingegen ift für biefe geiftlic^c Scbenögefc^ic^tc bie
3Kett)obe, nac^ toelc^er Söralcl auf allen brei ©tufen feiner
grömmigfcit bie SSer^errlidjung ©otteiS unternommen unb baö
©eligfeit^gefü^I erftrcbt Ijat @r fd)reibt nämli^ für icben Xag
brei 3lnbad)töübungen Dor, 9Jiorgen§, SlWittagö unb Slbcnbö. Qn
beufelben fügt er für bie l)ö^fte ©tufe ber geiftlic^en SJüIKommen*
Ijeit eine ÜKebitation um ÜWitternad)t, e^e er ben ©d^laf fudjt,
^inju. S)urcl^ biefe be^am)tct er bie ©tctigfcit ber ©timniung
innert)alb beö ©d^lafe^ unb für bie 2)auer beö folgenbcn lageö
fic^ JU fidjern. 3u eintöniger ©reite njirb babei bie Safuiftif
be-3 ©d^lafe^ erörtert, beffcn SUerfürjung ober üollftänbige 6nt=
bel)rung burd^ baö gefteigerte ©eligfeit^gefüt)! compenftrt lüerbcn
foQ. (S^ ift freiließ fad^gemäg, ia% menn bie Kontemplation,
bercn »^eimat^ ba§ Älofter ift, burdjgefü^rt werben foH, ba^
©efcfe ber fanonifdjeu ©tunben mieber entbedt toirb. Aber ba§*
felbe foD nun gelten innerhalb ber bürgerlid^en ©efc^äftigfcit,
meldte in ber reformirten Üird^e ebenfo legitimirt, \mc bem nicbcr-
länbifc^en SSotte geläufig ift. ©ralel geftel^t beö^alb ju, bag er
bie 9luöfül)rlid)feit unb 2)auer feiner 9lnbad^töfibungcn fold^en
nic^t jumut^c, benen i()r Sieruf locniger ßcit laffe; er tt)iU auc^
biefelben, ttjenn fie nur überhaupt bie täglid^en ©tunben innc-
f)alten, aU Äinber @otte!§ anerfennen. 3lbcr er fiet)t fie bod^
275
nirf)t al§ DoUflültifl an. Unb tüic famt er cö and), ba er bie
^aft im ®cbct unb SDicbitiren alö ein fpecififd^c^ §inbcrni§ für
ba§ eintreten beö ©eIicjfeitögcfül)U bctradjtet, unb ba eine ßon^^
teniplation, tt)ie bic ^ier üorgefc^riebcne, an fic^ bic mögUc^ftc
ßntfernung Don bcn $flid)tcn unb ©orflen beö bürgerlichen
fiebernd erforbcrt. ©eine 2)ietI)obe mag ferner für il)n mit ber
^lufricfitigteit Derträglid) gelüefen fein; in bem @ebraud)e SInbcrer,
bie im ©ränge bcö Sebenö fielen, Derfpridjt fie ^u einem unnjirt
fomen ober f^äblic^cn ÜKed)ani^mug aui^juarten. S)enn toenn ba§
SSorbilb öon SJrafel ma^gcbenb ift, fo muß minbeften^^ burc^ bic
^rciögcbung be-s^ näc^tlidjcn ©d^lafeö bie gcttigleit jjur täglid^en
Söcruf^übung jerftört werben. SBenn aber bie Don 93rafel Dor^
flefdjricbencn Slnbac^töftunben nur conDcntioneD geübt tt)erben, fo
tuirb man eben nic^t bie fuße unb gefül)lte öJemeinfdjaft mit
(Sljriftuö errcidjen ober auf bie 3)auer feftljaltcn lönnen.
SBo^er toirb »rafel feine ÜJit)ftiI gefc^öpft I)abcn? 3ur
iBeanttoortung biefer ^xac^c l^abc id) geglaubt, bie 9iotij bead^tcn
SU bürfen, baß feine gamilie bi^^ auf feinen SUater hinunter
vömifd)4atI)olifc^ unb baß fie urfprünglid) in 5örabant [)eimifd)
war. SBenn unter biefcn Umftänben IatI)oIifc^c ?lnbad)töbüc^er
an Söralcl gelangt fein tonnen, meldte i^n auf bcn SBeg jur
aji^ftit geführt I)ätten, fo müßte man auf ©d)riften Don 3ot)ann
Slu^brocf, bem ?ßrior be§ Sluguftinerfloftcrö f^n ©rocnenbaal bei
iBrüffel ratt)cn. 9iun I)abcn beibe allerbingö ba^ 3*^1 ber Kon^
tcmplation übereinftimmenb al$ ba^^ @eligfcitsgefül)l in berSini^
flung ber ©celc mit ®ott angenommen, gerner finbet fic^ in
SlutjdbrocF^ @d)rift Chierheit der glicestclekcr brulocht (ßicrbe
ber geiftlic^cn ^oc^jeit) bie Slufjäl^Iung ber Reiben Sl)rifti al^^
@runb ber ®ett)iß()eit ber inbiDibueUcn (Srlöfung, unb bic Drbr
nung ber ©ontcmplation, tocld^e Don ber @infadj[)eit @ottci^ bc^
ginnt, burc^ feine ©igenfcl^aftcn j^u bcn SBcrfen ber ©c^öpfung
unb Crlöfung fortfc^reitet, biö fie unter bcn ©acramenten bei
bem Ä6cnbma()I ;;um ?lbfd)tuß fommt. S)icfc 3)arfteHung tanii
für Sratcl al§ SSorbilb gebient l^abcn. aUein bic fpccififd)c gär^-
bung ber Änfd^auungSnjcifc 33raferö burd) baö ^otielieb toeift
minbcftenö auf ein anbercö SWuftcr, aU auf SRutjSbroef I)in,
welcher aud^ „bie geiftlid^c^oc^jcit" nic^t an ba^ §o^clieb, fonbern
an äRatt^. 25, 6 onge(e()nt l)at, unb nirgenbd eine ^enn^ung
icncr Schrift Dcrrät^.* gür biefe ©eitc ber 9}?t)ftif ^xakV^ alfo
276
möcl)tc bcr SUorgang üon SBill&cIm S^eeDind ntaßjjcbcnb flciDcfcn
feilt. 3)cnn and) bie brcl t)on Srafel angenommenen ©tufen
be^ geiftlidjen Äeben^S ^at IceDincf nufgefteHt, toie id^ au^^bcr
©ammlnng Don granc. SRibbern^ (S. 105) entncf)me. SJaburt^
toirb aber ber (ginbrncf nidjt aufgef)oben, bag Srafcl innerhalb
ber veformirtcn Äirtfje einen iDefentlidj fatI)olifd)eu ©ebantcnfrci^
vertreten f)at.
Sbenfo wie 2;i)eobor Örafel [)atte aud) ber an Saljren
jüngere § ermann SBitfiuj^') ben Sababiften bie SSermutftung
ermedt, baß er i^nen <^uftimmen lönnte. 9Kan fcnnt i^n freiließ
für gcioö^nlic^ nur ate ben loirtfamen SJermittler jttjifd^cn bcr
5;{)eologie be^ Soetiuö unb ber beö Eoccejuö. 6r war 3"^)öter
bc§ crftern geiocfen, unb I)ätte anä) gern ben Untcrrid^t bcö
Icfetern genoffen, wenn er nid^t Don bem SBefud) bcr Uniocr-
fität Seiben burd^ eine feiner geit bafelbft ^crrfc^cnbc ©cuc^c
abgefd^redt worben wäre, ©ein t^eoretifd)c^ ^auptwer!, Weldjc^
burd) ben Xitel unb burd) bie blo^^ biblif^e ^BcwciSmct^obe
fid^ auf bie ©eite Don ßoccej|uö ftcllt*), ift bod^ auc^ in
^infid^t beö 3nI)alteS nid)t burd)Weg auf ber ©eite Don SSoct.
äUerbing^ f)at SBitfiu^ ben Slbftanb bcS alten 93unbcö Dou Dem
neuen, weldjcn Soccejuö nac^gcwiefen I)atte, beftrittcn, unb bcibc
©tufen atö wefentlid) gleich bargeftcHt, [jattc fidj alfo Sterin
ber burc^ SSoct Dertretenen Ueberlieferung angcf^loffeu. allein
in bem ©otte^bcgriff fte^t er wieber auf bem ©tanbpunft Don
Soecejug (©. 138), unb feine Äe[)re Don SBiebergeburt, ®laubc
unb Siec^tfertigung erinnert an biefen SSorgängcr (©. 150), fofern
fie bie Slufmerlfamleit me[)r auf bie Sntwidelung^ftnfeit bc§
©laubenö, al^ auf bie gegebene aiedötfertigung Durc^ ®^riftn§
ridjtet. hierauf wirb fpäter ju achten fein. Surj, er ift hoä)
nid)t bloö, wie ©ieftcl urt^eilt, ort^obojer göbcralift auf bi^
1) ®e6oren su (Snf^uiicn in 9{orb(onanb 163G, flubide in Utrecht, Gro^
ningen unb »icber in Utrecht 1651-1G56, feit 1657 ^rcbigcr crfl in 2Bffl«
tooub, bann in SBormer, beibe in ^{orb^ollanb, ®oe§ in Stelanb, !tieeutt)arbrn
in SricSlonb, ^rofeffor bcr Xieologic 1075 ju gronefer, 1680 auUlredSit. 1696
ju !t?eibcn, »o et 22. Cd 1708 flarb.
2) Oeconomia foederum dei cum hominibiis. 3u^^ Leowardiae
1677, bann 1685. !S)ritte «uSgabe Utre^t 1694. 9la4bru(f bexfelben O^bom
1712. SBßt. ©icpel Sa^rb. für beutf(^e ^i^tol X. 6. 260 ff.
277
blifdjcr Orunblagc, fonbcni ücrfiält fic^ cflcftifd) ju bcn ®vunb=
füfecn feiner bcibcii SJorgäitflcr 0- Scbod) in vrottifdjcr S3cjicl)iing
muß er all ben SSoctiancni gered^net tt)erbeii. 3n bor ©abbotlj^^
frage (©. 139) ftel)t er auf ber ©eite Don 9Soet, unb bei bcn
a^fetifc^cn unb reforniatorifc^cn ßiüedfen, bie er üerfolgtc, foniint
in Setrac^t, \>a^ fold^c bi^ baf)in au^fd)lieglidj üou ben ©djülcrn
unb Slnf)ängcrn SSoct'ö betrieben luurben. (£r ^at ttjä^reub
feinet ^ßrebigtamteö eine „Uebung beö S^riftent^umö" Ijeranö-
gegeben; barauf, unb jujor nod) üor Sobenfte^n Ijat er bie Sluf^
gäbe ber ^Reformation ber Sitten einer überaus fd^arfcn ©eleud^^
tung untermorfen, loeldje it)m eine Grma^nung jur äßägigung
üon Seiten ber friefifc^en ©ijnobe eintrug *). SBenn c8 fo fc^einen
fonnte, alö ob SBitfiuö f)ierin ben SBeg ju ben fiababiften ein*
fd)lüge, fo I)Ot er frcilid) beren auf if)n gefefctc ffirn^artung al5^
balb burc^ eine ©c^rift niebergefd^lagen, toelc^e er mit feinem
3lmt^genoffeii jii Seentuarbeii, Dan ber SBaeijen f)erau^gab *). 3ft
burd) biefe ^^ublieationen, foivie enblid) burc^ . eine allocutio
irenica, loeldie er ber britten ^^Ub^gabc feiner Oeconomia foederum
dei boran^fdjidte, unb lueldjc feinen ©runbfafe ber t^eologifd)en
gricbfertigfeit in anjiel)enbcr SBcife enttüidelt, bie lird^lic^e ©tet
hing t)on SBitfim^ bejeic^net, fo tommt Ijier nod) eine britte
©igenfd^aft beffclbcn, nämlid) feine gerabejn mtjftifdje Sluffaffnng
be^ S^riftentljum^ in ^tBetrad^t. @r ^at nämlic^ ald afabemifc^er
Sel)rer SJorlefungcn über „^raltifdje Xfjeologie" gehalten *), n^elc^e
1) Sür ll0ttfiu§ S^eologie ftnb ferner ma^gebenb fftne Excrcitationcs
sacrac in symbolum apostolorum, Franequerao 1681. Stfllci^i Vjt biefeS
fßtxi am metflen ^orafteriflij^ für ii)n, »eil ^ter au4 bie @tnflUjfe ber ^ern»
^arbinifc^n ^i^ftit fi^ jetgen, roel^e prafttfc^ für SDiirtuS entfc^eibenb ftnb.
2) Practijke des christoniloms, iu vragen cn aiitwoordoD. 1GC5. —
Twist dfjs Heeren niet sijn wijngaert, dcselve overtuigende van mis-
bniik sijner weldadon, onvruchtbarheid in 't goede en al te dartelen
weelderigheid. iu scliadelijke nieuwiglieden van opinicn en schadelijko
outheid vanquadc zeeden,niet bedreigingo van sijn uitcrsle ongenade. 1669.
3) Ernstigo botuiging der gereforineerde kerk aan afdwaalende
kindcrcn , tot wedcrlegiug van de grouden van de Labadie en do
zijnen. 1670.
4) Schediasma thcologiae practicac, quo veri ac interioris Christi-
antsoii oxercitium, ac generaliora saltem aU\uq univursaliora pietatis
officia exponuntur. Ex editiouc IL C. a Bijlor Groningen 1729.
278
junäd^ft fid) üoii bcr f(^olaftifd)cu Slrt, in xvddjct SJoct auc^
bicfeu ©toff bct)aiibclt I)attc, burd^ bie cinfadjc ^öcfdjrcibung bcr
©ac^c uutcrfd)eibcu, ju lueldjcr nur biblifc^c Öclägc I)in5U8cffl(|t
tDcrbcn. S)cr ;g)crauö(jcbcr tljcilt mit, ba§ er baö SBud^ nac^
ä^ci 9lad^fc^riftcn au§ Utrcd^t 1G9(5 IjcrgcftcUt I)abc, S)icfc Siotij
fc^Uegt natürlid^ nic^t an^, bag SSJitfiuS biefc ^orlc|ungcn dop
^cr unb uadi^cr tüicbcrl^olt ^at.
®icfei$ 8ud) Don SBitfiud nnn umfaßt eine X^eoric beS
religiöfen unb fittUd^en fiebend bc^ (Sinjelnen; unb betbe @toffe
finb in jicmlid) gleichem Umfange abgefjanbelt. SlQcin ftc finb
oon Dorn herein uid^t unter ©inen ©efidjti^punft gefteßt. 3n bcr
erften ^älftc beö Söuc^eö toirb bie ©efc^äftigteit bcr ^eiligen
@otteSerfcnntnig unb bie ^luSübnng beS Glaubend nur auf bie
änfc^auung (contemplatio) ©ottcjS in ß^rifto jum Qtocd bcr
©cligfeit gebeutet. 2)ie fpccielle Suöfü^rung bicfcö H)cma gc*
fc^icl^t bann in brci Slbfäften, n)eld)e auf eine ftufenartigc Cr*
gänjung gegen einanber angelegt finb. Crft mirb bcr bcfanntc
@eban!e Don @otted @ouDeränetät unb be^ ÜKcnfc^cn StncdfU
fc^aft al^ @runb bcr 5"^^)^ ^cr Scmunberung, be^ ©c^orfam^,
ber Ergebung gegen @ott au^gefü^rt; bann toirb an^ bcr Siebe
gegen @ott aU baS (jöc^fte &nt bie 9lac^a^mung @otted b. ^.
bie Heiligung, bie Hoffnung, baö ©cbet unb bag Sob ©ottcö
abgeleitet; enblid) toirb unter (Einfä()rung ber 9tegel, bag @ott
nur in S^riftug angefd)aut unb erfannt merben fanu, bie (Sx*
mägung ber ©e^eimniffe S^rifti, feine Slufna^me in bie ©cclc,
bereu ^ßftic^ten gegen Sfjriftuö ate $ßrop^et, ^ßriefter unb Äönig
entmidelt, unb mit ber Siac^a^mung ß^rifti, fo mie bcr 3^^
beftimmung be^^ 2cbcn^ für if)n ju bem anbern Z^eil übergc«
gangen, ^icr begegnen un^ bie X^emata Don ©clbftpräfung
unb öufee, Don ©ctbftDcrlcugnung unb 5ßräcifität, Don geiftti^cr
S)urd)bringung ber toeltlic^en @'efd)äfte unb ©trebcn uac^ SBoIU
tommcn^cit, enblid) Don öffentlid^em unb ^ßriDatgotteöbicnft
^ie @igentt)ämlic^teit ber contemplatiDen (£r!enntnig ©ottcS
mirb fo meit ganj corrcct bejeid)net, aU fie Don ber gnäbigcn
©rleudjtung burdj ben ©eift ©ottcö abgeleitet unb an bie tjcilige
©djrift gctnüpft tuirb. Slber inbcm ber ©egenfa| cincö auger^
lid)cn unb eineö innerlidjen SSerftänbniffejS berfelbcn angenommen
lüirb, fo Derlei^t äöitfiua ber Snftanj be^ ©eiftci^ baö Ucber*
getoidjt. ®emgemäg Ijat man \>a^ ^ciligttjum bcr „l^immlifd^n
279
Äfabemic" fo ju erftrcbcn, boß man nidjt burd) §örcn, SBcr^
ftanbcögcbriuid) (ratiocinando) unb ©laubcu, fonbcrn burd)
©d)aucu unb ©rijmcdcn über @ott unterrichtet wirb; bcnn
barin bcftcf)t &otic^ ÖJüte, baß er bie ©einen burc^ ffirfa^rung
uuterrid)tet, inbem er fie in feine Kammer unb in bag SBcin^au^
cinffifjrt. ajiit biefer 9lnfpielung ift ber ä^uberfrci^ bc§ ^oljen*
licbeö eröffnet. SWad^ ben 3i^lcn unb ©enüffcn beffelbcn tuirb
nun aud) bie SSorfteQung t)on bem prafttfd)en @(auben bcmeffen.
S)crfe{be wirb baf)in beftimmt, ba§ er eine nici^t einfache fonbcrn
jufammengefe^te Öetpegung ber ganjen Seele inx ffirgreifung
@üttc^ ift. ^a^ ift ja in iebem gaUe rid^tig; eö fommt nur
barauf an, ob man in biefer Srgreifung ©otteö bie eigene ©tcU
lung jur SBelt mit in Slnfc^lag bringt, unb bie 8flegulirung ber=
felbcn in ber erftrebten ©eligteit erwartet ober nic^t. 3n jener
Kombination wirb fid) bor eüangelifdjc ©laube bewähren. äBirb
aber auf biefelbe gar nid)t gead)tet, fo bewegt man fid^ in bem
©c^ema ber mönd)ifd)en (Sontemplation. Snbem nun SSitfiuS
unter ben (gfcmenten beö Olaubenö ©rfenntniß, 3"ft'i"wi""9»
SBar)r]^eit^Iiebe, junger unb 5)urft nad) bem perfönlid)en §eiie
Mntcrfd)eibet, beutet er bie enblic^ ju erreid^enbe Slufna^mc S^rifti
jum §eilc, alö ben wefentlidjen 8tct tc^ ©laubenö, auf bie gegen^
fettige ?lngelobung ber 8lngef|örigfeit äWifd^en ber ©eelc unb
@ott, in bem aud bem ^o^enliebe betannten ©d^ema, woraus
bann ^eiliges SJertraucn, Slu^e unb greubc fic^ ergiebt. 5)iefe
©mpfinbungen werben aber cUn alö folgen, weld^e aud) ferjlen
fdnnen, nid^t als nott)Wcnbiger $ludbrucf bed feligmac^enbcn
@[aubenS in ^(nfpruc^ genommen, bamit aud) ben SSerlaffungcn
unb iöetrübuiffen gegenüber jene ©e^auptung aufrecht erhalten
werben tönnc.
SJon ben brei ©ruppen, in weldjen SBitfiuS ben 3n^alt ber
contemplatiüen (grfenntnifj orbnet, fd^Iicfeen \iä) bie jtocite unb
britte gcgenfeitig ein. 2)ie fiiebe gegen @ott aU baö pd)ftc @ut
unb bie ffirfcnntniß ßOtifti fönnen nur fo Derftanben werben,
ba6 i()r Sn^alt fid) becft, ba ß^riftuö ber unumgängliche ffir^
fenntnifegruub für ®ott ift. Slber bie Betrachtung ©ottciS aU
beS fouocränen §errn rcid)t ja nic^t an bie Äinie ber c^riftUd&cn
!öetrad)tung (jeraii; fie burfte alfo entwcber unterlaffen, ober
mufetc im SJcrgteic^ mit ben folgcnben al« unjnreid^enb cnoiefcn
nierbcn. ÄUerbing^J ift feiuiS oon iöeibem in biefcm JBuc^c gc*
280
Iciftct, lücil jener fatale (8üttei?begriff icn orlljobojeu unb bcn
pietiftifdjeu (Salüiniften flleicl) tljeuer fleiPürbeu \mx, SBitfiu^ hat
beö[)alb tu ber 2)eiituni] beö timor filialis gegen ben erhabenen
ÖJütt, bcu er iiid^t aU Später bejeidjuet, gerabe bic Sinic iiinc g^
I)alten, xoddjc Xfiomaö uon 2lquiuü bcl)auptct, inbem er baruntcr
bie ©djeu üerftel)t, Ö5ott burd) Uebertrctungcn fcineö ©cfc^c^ ju
beleibigcu (©. 252). Srofebem, über DieQeid)t gerabe barum fü^rt
SSitfiuö bie ergänjenbe iöeiüunberung ber SSoHfommcnljcitcn
®ott^^ baljtii auiS, baß bie erleud)tete ©eele in baö ©cmadj
be^i Äiönig^ ber Sfjre crfjoben mirb, tP0l)in nnr bie näd^fteu grcunbc
^ngelaffcn tuerben, um bort bic göttlichen SBoUfommcn^eitcn ju
fdjauen. 3)iefe aber mären geeignet, ben ®eift fo in Serjüdung
SU fe|en, baß er in SSergcf)en[)eit feiner felbft unb aßer umgc^
benbeu ®ingc in bem 9tbgrunb ber @ottl)eit üerfd)lungen mcrbc.
S)ic füuüeräne SKiUfür ©ottcö nämlid) ift ebeufo gut ber örunb
biefer ?lui^üeidjnuug ber ©eele, ipie ber ®runb ber itinbeöfurdjt
uor ber 'J3eleibiguug Öiottej^. S)iefelbe überfte SJJac^t ©ottcö ift
für SKitfiuö ebeufo iuie für fiobenftelju (©. 170) ber ÖJrunb ber
fd)ulbigen ©rgebung gegen i^n, in iuclc^er er ben einj^igen SBcg
jur n)al)ren Sfiut)e ertenut. @r luilt baburcl) erüären, roic uuö
9Uleö jum ©Uten gercidjt, faun aber ben Icbiglid) rationalen ßlja^
rafter be§ leitenben ©ötteöbcgriffj^ an biefer Stelle um fo nw*
uiger oerbergen, al^ er fid) auf bic jal^lrcidjcu Ijeibnifc^en Öci-
fpiele ber Srgcbung in ÖJotteö 3"9W"8 beruft. Ucberljaupt fällt
c^ in biefem öud)e auf, toie Diele SScrlücifungen auf römifc^c unb
griec^ifdjc ©d)riftftcller barin nebeu bcn Slnleitungcn jur mtjfti-
fc^en ©inigung mit ©ott üorfommen. 2)icfc beiben ®cfd)ma(f^
rid)tungen l)aben alfo in bcrfelben 5ßerfon jugleid) 5ßla^. SBiel-
leid)t t)at biefer Umftanb einen Sinfluf^ barauf, baß SBitfiuö ber
qnictiftifd)en 33el)auptung ber @lcid)gültigtcit jujifc^cu ber fiicbc
(VI ®ott unb unferem Sutereffe an ber eigenen ©eligleit uic^t jU»
ftimmt, obgleid^ £obcnftet)n biefer Folgerung auö ber ©ouücrönctot
®otte^ nat)e gefommen toar (©. 169). SBitfiuö fp^id^t eö au^,
baß unfer Sntereffe an ber @^re ©otteö unb baö an bem eigenen
§eil fid) nidjt trennen laffeu, ferner baß ber, tt)eld)cr ®ottc^ ©c-
redjtigteit unb ;g)eiligfeit liebt, nid)t unfromm ift, alfo aud^ ntd)t
üerbammt tuerben lann.
2)ic Siebe ju ®ott, tücldjc bie Unterwerfung unter feine
©ouücränetät überbietet, ergäuät, beridjtigt, wirb an bic ©c^ön«
281
l^cit unb Äicbcn^^ürbiglcit ©uttc^^ an9elnüt)ft, alö bcr Zxicb nad)
bcr Sluciflnnng bcö Ijöd^ftcn ©iitej^. Sllfo aud^ I)icriu ift bic ÜJic^
t^obc bcr (SontcinVlatiüii bcgrüubct. ©vccicHcr bcftimmt SBitfiu^^
bicfcö 8JcrlÖältiü§ mit einem Sitatc auö 9)cvnl)arb'ö Xroctat de
diligendo deo, nämlidj mit bcm @}cbanfcn, .bag ^utt burc^ bic
Wliiljc tc^ (Srlöfung^tucrfc^ bic Dotlc b. ^. bic liebeüoQc Srgcbunc)
bcr erlöftcn ©eck auf bcm gu^c bcr @lcid)()cit I)crauöflcfmv
bcrt f)ai (S. 49). §icr tritt bic (janjc Xerminologic bc^ö ^üt)ciu
Itebci^ in ©cltung. 3nbcm nun nod) bcr ^arftcUung Don ^itfiuS
biefc Äiebc ju ®ott mit bcr ÄicOc 5U ß^riftuö fid^ bedt, fo gilt
e^ glcic^, bog man in GJott, unb baß man in ß^riftu^ bic ©c^ön:=
^cit lüal^rnimmt, ju bcr man burc^ bic ffirregung bcr Suft ^in^
gcjogcn tDirb. Snbcm man (S()ri[tuS glcic^fam als gcgcnmärtig
Dox fic^ ^inftcDt, unb inbcm man ilju fc^mcdt, fo ^at man aurf)
ben ©cfc^mad üon @ott unb ipirb burc^ bic Ocraufd^cnbcn grcu=
bcn bicfcr SScrcinigung fo ubcrfdjüttct, ba^ man in bic @nt^
jüdung fortgcriffcn luirb. SBitfiuS bcbicnt fic^ jur ÄuSfüI)rung
bicfcr rcligiöfcn Suft eincjJ auöfü^rlidjcn (Sitatcö auj^ bcm Xractat
Don JRouö (©. 128), üon ipcld)cm er and) bic Ucbcrfdjrift bcö
Sapitcls^ de receptionc Christi et matriomonio mystico cntlcl^nt
^t. 3n bcm t()corctifc^cn ^auptmerlc Don SBitfiuö Hingen einige
bicfcr ^cjic(jungcn bentiid^ an, tuenn aud^ nid)t in ben am meiften
ciflcntt|ümlid^cn löncu be§ ^o^cnlieboö; namentlich rechnet er
auäi bort bic Aufnahme S^rifti alö bcn iüefcntlid)cn @loubcnö=
Ott, in tDclc^cm bcr Dcrtraulid^c SScrlc^r mit @ott eröffnet ttjirb.
SBitfiuS ()at ^uglcic^ bic Formel bcr Slcc^tfcrtigung im Oanjen
correct auöcinanbcrgefefct. 2tbcr in bcm ©rbauungöbud) finbct
fid^ fein SBort Don ^Rechtfertigung auö bcm ©laubcn, am tuc:^
ntflften ift bic ganjc 2lnfd)auung bcö geiftüd^cn ÄcbenS banadj
rcgulirt. ^Beiläufig fommt ^ier jiüar baö ^riefterttjum ß^rifti in
SBctrac^t, aU @runb unferer ©ünbcuüergcbung unb unfercS 3^^==
gangiS ju ®ott, aber eben beiläufig unb auc^ n^iebcr unter bcm
©cfic^töpunft bcr aSfirbe unb ©d^önljcit et)rifti. ®aS folgenbe
(Eapitel Vivendum esse Christo pro nobis mortuo cntmicfcU
feine anbercn Siegeln, als meiere unter SSorauöfcfeung bcr ©ünbcu::
tjcrgebung aud^ bcm ^eiligen Sern^arb geläufig finb. Siämlid)
man muß bcr SBclt abgeftorbcn fein, man muß fic^ in eine ^ei*
Itflc Cinfamfeit begeben, um ßfiriftuS Uertraulidjcr ju genießen,
ober im orange bcr tt)cltlid)cn ©cfc^äftc fein ©cmütlj fo ftimmen,
282
ia^ man ftill unb faiift mit ßfjriftuö iimgel^cn fönnc, unb muß
feinen ©lanben baranf rid^ten, baß ß^riftu^ mir, bec feiner Siebe
lüürbic) njar, mit [u großer Äiebe na^gegangen ift, nnb bag td^
bemgemäß itjn, bcr aller Siebe tuürbig ift mit Änftrengung aDcr
iträftc tüieber liebe. SBirb nun bie 9Zac^at)mung ber ^^ugenben
S^rifti unb bie SRic^tung be§ Sebenö auf fein 2öol)lgefaßen ^in*
angefügt, fo ()ä{t and) biefe ü)iütiDirung beö fitttic^en ^anbelnö
nur bie Sinie bei3 mittelaltrigen S^riftentl^um^ innc. (gö ^at
einen ganj anbern ©inn, baß Äutf)er bie ©antbarfeit gegen bie
©nabe ber ^Rechtfertigung alö ben ©runb beö Out^anbelnö auf»
ftellt. 3)iefe SRegel ^at eö beutlic^ auf eine gemeinfame unb
öffentlidje gü^rung bc^ Äebenö abgcfef)en, jumal mcnn mau
^injunimmt, baß bie 9'lac^af)mnng ß()rifti auf bie treue (Srfüttung
jeben öernfe^ gebeutet n)irbO- SBitfiuö hingegen t)at blöd bic
möndöifdje ^riüatfrömmigteit gejeidjnet, inbem er ber ©pur bc5
^eiligen Öernl^arb folgt.
SSon allen Siieberlänbern jener 3^^* t)at feiner bie Sern*
Ijarbinifdje grömmigfeit ju fo genauem atnöbrucf gebrad)t, njic
biefer afabemifd^e i^eolog. 3)er @runb ift leid)t ju crfcnnen;
er l)at fic^ jnnädjft nad) bem 2)iufter t)on 5^anciö SRouö gerichtet.
9lbcr tüic fe^r t)at fid) bie Sage ber niebertänbifc^cn Äird^c in
25 3af)ren geänbert, feitbem 1071 SBoet (©. 123) bejeugte, baß
bie aJi^ftit ettoaö in ber reformirten Stird^e Unerl^örtc^ fei! Scfet
1696 trägt ber angefe^enfte 2;i)eolog eine Einleitung jur ^tetSt
öor, n^elc^e nad^ bem bireeteften Sßorbilbe ber mittelaltrigen
ÜJitjftit bemeffen ift. Unb alg biefe SSorlefungen naci^ mc^r tt)te
30 Salären gebrudt Ujorben finb, njerben fie burd^ ein 3<^"9"i6
ber ©roninger ©tjnobe für i^re 9led)tglänbigfeit begleitet. S)iefcr
©rfolg aber, baß man bie gvembartigteit biefeg ©ebanfenfrctfcd
für bie reformirte Äird)e gar nidjt bemertte unb an i^m feinen
Slnftoß mt)m, ift bod) andj burd) SSoet Dorbcreitct. 2)iefer Wlann
gerabe t)at atte möglid)en ©toffe religiöfer nnb ttjeologifc^er Sit
bung auö bem ÜÄittelaltcr aufgenommen, fofern bicfelbcn gegen
ben feftftet)enben Umfang ber ßontroDerfe mit bem ?ßapftt^um
atö neutral erfc^ienen. SBoet ^at in ber tl)eorctifd|en Ideologie
bie ariftotelifc^e $l)ilofopl)ie unb bie fc^olaftifc^c ÜWct^obc ange»
toenbet, unb ber Slnctorität beö St)ümaö Don äquino eine breite
1) Apol. C. A. XIII. 48—50.
283
©trage eröffnet. 3n bcr ®if)it ^at er benfelben SJiaßftab beö
©eiüiffeiiö ju ©ruiibc gelegt, iuetd)er fcl)ün für bic prattifd^e
©itteiile^re beö 9KittelaIterö gültig \mx. 3)a§ [jaOen freilid^ alle
(£t()ifer unter ben Sut()eranern unb Salüiniften getl)an, aber feiner
fo mc 9Soet, mit abfidjtlid^er 2(ulef)nung an bie SSorgänger auö
biefcr (Spucke, (äbenfo ift er in feiner X^eoric ber Sli^fefe Der=
fahren, unb nur auf bic mt)ftifcl)e ^Bereinigung ber ©celc mit
©Ott ift er nid^t eingegangen. Sud) bie Aufnahme üon Üiegeln
bcö fanonifc^cn 9ied)te^ jur ©d^ärfung ber S)i^ciplin ^at i^n
nic^t befrembet (©. 115). itann man fic^ tuunbern, ba§ bic
Untcrfc^cibung beöicnigen, tva^ fattjolifd^ ift, unter feiner ®in=
wirtung gefd^wäc^t worben ift? ©cmgemög tjat and) SBitfiuS
nid|t crfannt, \)a^ er in ber SWad^bilbung ber contenH)latiüen
grömmigfeit beö ^ßuritaner^ SRou^ feine Sluetorität üon ec^t rc=
formirter Slrt befolgt I)at. 3nbeffen ^at bie birectc aJitjftit üon
I^eobor 93rafel unb SBitfiuö in bem nieberlänbifdjen Sßolfe ferne
Stufna^me gefunben. Sie Sonüentifel ^aben, mie fid^ jcigen toirb,
eine itiebrigere Äinie innegehalten, al^ j" tt)etd^er jene Söeiben fid^
5U ergeben fudjcn. 2)afür ift auc^ ber Umftanb nic^t o^ne SBc=
beutung, baß felbft in ber Sababiftifd^en ©emeinbe bie m^ftifd^e
Icnbcuj bcö ©tifterö Don ^üon aufgegeben toorben ift (©. 254).
15. Sie eliangeliffl^e 9iid^tiutg t>t^ nteberlSnbtfi^ett ^tettdmud«
S)ieienigcn 6onüentiteld)riften, n)eld|c fic^ auf bie Sluctorität
wn SJoct ftüfeten, f)abcn fidj o^ne ß^^^iM beö^alb sufammen-
flcfunben, tücil fie für itjr §eiligungöftreOen in ber öffentlichen
Äirc^c mc^r Hemmung aU görberung erfuhren. 3nbem fie auf
bic Ucbung ber ?ßräcifität bebadjt njaren, ad^teten fie üorOerr::
fc^cnb auf baö djriftlidje ©efefe. ©ie ftü^en bic Aufgabe, bie fie
jju löfen ^aben, barauf, bag fie alö ftiuber ©otteö d)riftlid)e S^a=
rafterc'finb, unb fie finb it)rer SJerfötjnung mit @ott o^ne SBci^
tcrc<3 gewiß, ba il)nen bie Heiligung am ^erjcu liegt. Um bicfc
Slufgabc ju löfen, befc^äftigen fie fic^ in i^ren SSerfammlungen
nid^t bloS mit ^nbad)t$äbungen, fonbcrn aud^ mit ber Srörterung
Don ©cioiffcn^fallen (©. 122). Stuf biefcr Sinic fte^t auc^ So«
bcnftct)n. ^nn feine „SBägfd^alc ber UnDoQfommenf)eiten'' ift
281
gcrabc baroiif bcrcdjiict, bic flcfcfelidjc ^altuiu] bcr SBicbcrgcborc-
neu bi^ in bic fcinftcn 33cjicf)uiu]cn ju rcfldu unb ju fteigcrn.
Seine 2;i)corie Don ber ©elOftDerlcngnnng ferner ift barauf an»
flclcflt, ia^ man bie fittlid^e ?ßflifl)tcrfüllun8 in bemfelbcn TOafec
üben füll, nli> man fiel) üon ber göttlidjen (SJnobc getragen tücife.
9tnf bicfe aKetI)obc gefe^lidjer ©enanigteit Ijat and) Sababic feine
@et)aration gegrünbet nnb gcrifl)tet. giir feine Sleform ber ©ittcn
fanb er bie X^cilnetjmer gerabe in ben üün SSoct unb Sobenfte^n
geleiteten Greifen. ?lber bic gefefclidie Xenbenj ()at in ben Eon*
Dentiteln faum biö jum @nbc bei^ 17. 3a^r^unbcrt» Dorgeljcrrft^t
SJielmel^r lann man Dom Slnfange bc^o folgcnben an bentlid^ er*
fennen, bafi je mel)r bie Sonüentifel fid) Derftärft unb über äße
üereinigtcn $rot)inj;en fidj ausgebreitet l)aben, eine anbere Siic^tung
in i()nen bie Dber^anb geloann.
2)iefc SSeränbernng fünbigt fid) urft)rünglid) in einem bi*
recten Angriffe gegen bie ßonDcntitcHentc an, loderen SBil^elm
Xeellinrf'i^ ©oljn, 3üf}anncg Xeellind^) burc^ eine 1661 ge^al=
tene ^rebigt über $f. 119, 50 unternal)m. 6r ^ielt nämlid^
benfelbcn bie unter il)nen öerrfdjenbe gefefelidje S)enl= nnb §anb*
Inngölocife t)or. @r erflörte, büß unter benfelben nur loenigc
feien, meiere burd) loafjrcn ©tauben fid) bie 3Jer()ei6ungcn @ottc3
3nred)neten, uielmel)r luirften fic nur burd) baS ©efefe, atö ob
bie El)riften noc^ unter bem ©efejjc ftänben, um burd) beffen ^*
füllung ju (eben. S)er SJJenfd) muffe freilicl^ bie rechte ffirfenntniß
feineö ©lenbeö burd) baS @efe^ befommen, biefelbe bürfe aber
nid^t Don bem §errn 3efu'3 äurflcfl)alten, müffc t)ielmc^r ein
©porn fein, um feine 3iifIiJd)t 5" beffen reinigenbem Slute ju
nehmen. Söian bürfe fid^ nid^t toeigern getröftet ju werben, fom
bem foQe fid) ©ottcS 9Serl)ei§ungen mit aller greimüt^igfeit ju-
eignen. S)icfe ^rebigt, meldte juerft Don einem böf^ioilligen 3^*
prer unliüUftänbig Deröffentlid)t ttjurbe, rief bei ben ^Jrommen
einen ©d^rei beS SntfefeenS l)erüor; fie Uerurtf)ei(tcn Seellincf aU
einen ungetreuen Slrbeiter im SBeinbcrge beö §errn, ber bic
fruchtbaren SRanten njegfd)neibe unb bic unfrnd^tbaren nid^t bc*
1) $rebtQer feit 1641 an t>cr{4tebenett Orten, in Utred^t t)om ^RaDtRrot
1660 abgelegt »egen {einer Oppofttion gegen bie ^ufre^ter^dtung ber !at(oItf4'
{trd^Udden «Stifter, 1661 in Stam\>tn, 1673 in Seeutoaarben, in bemfelben Jatltt
geflorben. 3""* 5olfl«"^f" ^O^- Ypeij eu Dermoutlll. p. 311.
285
TÜfjrc. 3cfet crft lüurbc bic ^rebigt mit Scnfur bcr Sloffi^ Don
Rampen autfjcntifc^ ^crauögcflcbcn*). 3^ tonn mic^ enthalten,
bcn nic^t ganj bcutlid)cu SJcrtd^t bcr ©cfc^idjtfc^retbcr bcr nic^
bcr(äitbifd|ca Äird^c über bcn autfientifc^cn lejt bicfcr ^rcbicjt
ju iuicbcr^ülcit, ba bic ©tcnung, tDcld^e 3ofj. IccIIincf in bicfcr
8[ngelc9cnl)eit eingenommen f)ai, au§ feinem SJudjc: ,,S)er frnd)t'
bar mac^cnbe SBcinftüd S^riftnö" mit alter luünfc^cnöiocrtljcn
Älarljcit fid^ crgicbt^). ©d^on bcr 2:itel jeigt an, ba§ bcr SScr^
faffer nic^tä iueniflcr a(^ gleichgültig gegen bic guten SBcrfe ift,
-ba^ er Dtelmc^r in it)nen bic 9Iufgabc bcö cl^riftlid^en ficbcn^ cr^^
fcnnt. ?llfo toirb feine SRügc gegen bic grommen fid^ tpafjrfd^cin^
lid^ auf einen engem (JJegenfa^ gegen bereu 9Wct^obc ein*
fc^ränfen, olö bic ungenaue Äunbc üon jener ?ßrcbigt jucrft an
bie ^anb gab.
3n biefer §infic^t bietet bic ©inlcitung in bcn britten I^cif
bcö SBud^eö folgcnbe Sluötunft. „35cr §crr Scfuö ift in biefem
legten unb gciftlofen gcitnlter, tpie eö fdjcint, Don njcnig Äraft
jur Heiligung felbft in feinen tt)al)ren ©liebem. 3)enn
locun man einmal auf bcn geiftlid^en ßuftanb bcr uja^ren ®läu==
bigcn im SSBcrf bcr Heiligung redöt mcrtt, fo n^irb man finbcn,
bag in bcn SKciften menig Ä'raft gegen i^re bcfonbercn ©ünben
Dor^anbcn ift, oielmc^r im ©cgcnt^cil eine große gleifc^lic^teit,
irbifdjc ©efinnung, große Irägfjcit jum ©Uten, ein befonberer
SÄangcl an @ifcr unb (Seift, unb beinahe feine Äraft um jum
@utcn bur^jubrcc^en, fo bag ba toenig Unterfc^icb smif^en it)ncn
iini) bcn SBclttinbcrn gefpürt njirb. So gc^t eö nid^t allein mit
bcn Stinberu ®ottcö, bereu ®laube nod) fct)r unter bcn güfecn
liegt, unb njcldjcn bcr §err 3cfuö mit bcn SBirtungcn fcincö
Reifte» fc^r fern getreten ift, fonbcrn felbft mit bcncn, bic
«iiigcrmagcn im ©laubcn fcft ftct)en, unb in beren ©celcn bcr
1) De levendigmakcnde kracht van gods beloften, of leerrede
wyver Ps. 119, 50.
2) Den vruclitbaerniakenden wijnstock Christus. Dat is een eenvoii-
^ige onderrichtinge aen alle wäre Christencn, hoc dat sij sullon mögen
volharden in den geloovo, ende den gcest des Ueeren Jesu so bij haer
hebben ende houden, dat sij iiyt Christo moghon deelachtigh worden
«en geestebjke kracht, om vruchtbaer tc wesen in goede wercken.
3 X^tiU 1G66. G7. 3n neuev ^u^gabe Utre^t 187G. 77. Umfaßt 995 Seiten
In ttein Ccloü.
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§crr 3cfuö mandjinol fd^on bcfonbcrg mit feinem ©eiftc tüirft.
Unb baö fommt fjauptfädjUd) baDon, ba§ fie fein ©cfc^äft barau«
mad^cn, täglid^ itraft j»^* ^cilicjung unb jur grud^tbarfeit in
fluten SBerten aus 3efu^ S()riftuö ju fc^öpfen. Dbfd^on bie
tüat)ren ©laubigen ®emeinfd)aft mit bem $crrn Scfu« ^abcn,
fo baß fie in SäSaljrtjcit facjcu tonnen: meinSiebftet ift mein unb
id^ bin fein (Kant. 2, IG), unb obfdjon bcr §err 3cfu3 einigem
magen ber ©eele ualje ift mit feinem ®eift, fo erlangt man^mol
bie ©eclc uic^t Diel SSortljcil üon ©f)riftu§, tueil fie nid^t bie
ifraft bcr Heiligung auö il)m sicljt". 2)icfe^ Urtl)eil ^oirb n)citcD
f)in fpccificirt äunäc^ft auf bie n)a[)ren ©laubigen, loelc^e noc^
unter bcr Maäfi beö Unglauben^ liegen, b. \). wdifc an i^rcr
SBicbergcburt ober itjreu ©emcinf^aft mit (£()riftu§ jwcifcln, \ot\i
fie fid) unfrudjtbar an guten SSJertcn finben. SBir Ijabcn biefc
iilaffe als bie firupulöfcn S^riften anäufet)cn, ujcld^c fidj nicmaü
mürbig jum ©enuffe bc§ Slbcnbmafjleö ad^ten (©. 117). 3)ancbcn
bcfdjulbigt leeHind eine anbere iflaffc tual)rer ß^riftcn, bag fie
in flcifd)lid)cr ©orglofigfcit bie guten SBerfc üerfäumcu. 3)cut*
lieber ate biefc ift bie brittc Älaffc, U)cld)c nac^ IccUind^ö «n*
gaben einerfcitö luftloö unb ucrbrießlic^ in it)rer ^ßflic^tcrfuHung,
unb 5uglcid) abiuedjfclnb l)odjmfitt)ig unb, njcnn i^nen etiüaö mig*
lingt, l^üffnung'^loö fid) ücigcn, ujcil fie unter ber §anb fi^ auf
i^re eigene Äraft üerlaffen. S)icfcö finb bie Srfc^einungen, tuclc^c
fic^ nur ju leid)t mit bem ©treben nad) gefefelic^er ^räcifität
jufammenfinben. Dtjue ßmcifcl finb biefc ®emütt)§suftänbc bei
benen ju fudl^en, tucld^c fid) für berechtigt achten, bie äbcnbmal^te*
fcicr üor bcr 3;0cilnat)mc uon Umuärbigen unb Scrbäc^tigcn ju
fd)üfeen (©. 116). ®g fattt auf, bag Sceüind bcnfelben beu 3tt)cifcl
baran, ob auc^ Sl)riftu^ it)r ©eligma^cr fei, nadjfagt. Snbcffcit
I)at er hierin n)ol)l mcl^r eine mögliche ßonfcquenj anS bcr fehler«
l)aften unb ungcfuubcn ©efcfelic^tcit jener grommen crratt)en, als
ba^ biefer ä^^if^l ^^^ bcnfelben beutlic^ ^cruorgctrcteu luärc.
©eine eingaben finb aber maljrfd^cinlic^ genug; benn fie bcjcic^
neu nur bie 5ct)lcr, n)cld)c fid^ jcber gorm gcfe^lid)cr grömmig*
feit anäul)ängen pflegen. Unb cS gcf)ört tüirflid) üicl baju, tpcnn
ein SKann ttjie Sßoet bezeugen fonnte, bag gcrabc baS ©treben
nad) ^räcifität mit bcr ©rfa^rung bcr d^riftlic^cn grci^cit ju*
fammcntreffc (©. 113).
SBaö bebeutet nun aber bie 2Rctt)obc, u>eld^c XccUindt jur
287
SBcfcitigung jener Uebelftäitbc in ber Heiligung üorfd^lägt? Sn
Änleiinnnfl on Sol^. 15, 4. 5 bcjcldjuet er fic fo, ba^ bic (S^riften
burd^ ben ©lauben in S^ri[tu§ DlciOen, nnb ben in if)ncn Dloi^
bcnben ß^riftuö fcft^alten muffen, um qu^ i[)m fortn)ä()renb
bie Äroft j\u guten SBcrten ju fcijöpfcn. ©eine SKeinunfl, bie er
in unenblid)cr Srcite unb in ermfibenben SBicber^olungcn au§*
fü^rt, ift barouf gerichtet, ba§ unOcfongenc ©elbftßcfüt)!, in
toclc^em ber SBiebcrgeborcnc feiner ^ftic^tcrfüDung obliegt, fflr
ungültig ju ertlären. Sobenftet)n f)ai ben ©runbfafe QUögcfprod)en,
ein 6f)rift ujirle fo, al^ ob er eö allein t^äte, unb ttjarte fo, aU
ob er übcrl)Qupt nic^t^ tpte; n^enn ein ©laubiger fic^ ju feiner
$fli(^t aufmccfe, fo mcrbe er eben üom r)ciligcn (Seift, ber in il)m
ift, bewegt; benn bicfer n)irfe in iljm unb bur^ i[)n (©. 172).
IceHincf aber fd^rcibt Dor, bag ber n)a^r[)aft ©laubige, inbcm er
im ©tauben befcftigt ift, fic^ ftet^ gegenmärtig ju galten t)abe,
aud) feine bcfteu SBerfc feien uon ber it)m noc^ anflebenben ©iinbe
bcfledt, unb ba§ er in feinem ©nabenftanbe ftet^ feine perfönlidje
O^nmac^t uon ber in i^m ju mirfen beftimmten j^raft (S^^rifti ju
untcrfd^eiben f)abe. S)eren l^abe er fic^ ju bemäd)tigen, inbem er
bie fieiben St)rifti ju feiner SSerfö()nung ernjögt, unb ben §errn
3cfuö in fiiebe umtjalft für bie große Siebe, bie er i^m beujiefen
I)Qt, inbem er ferner bie ©emeinfc^aft ber frommen fuc^t, enblic^
inbem er bie ürd^lidjen ©nabcnmittel gebraust. (Erreicht man
cd auf biefc SBeife, in ß[)riftu§ ju bleiben, fo ift eö ein ifenn*
jcicftcn biefeö ©rfolge^, wenn man uon greubigfeit erfüllt mirb.
allein biefer ®efüt)l^genu6 ift nic^t al§ ba^ fcftc gunbament be«
©clbftgefüljfö ansufc^en; benn er ift nic^t immer bauernb. ©eö-
f)alb ^at man fid) ju bcmül)en, ben §errn 3efu§ tt)ieber jurüd*
jutufen, tt)ie bic 93raut im $ot)enliebc. 3)icfcö gefc^ie^t aber
^auptfäc^lid^ burc^ bie (Sinprögung ber SSer^eigungen S()rifti;
^icran ^ängt bic SJereinigung mit i()m, unb l)icrauS fc^öpft man
bie Jtraft j(u ben guten SScrfen, unter ber liBcbingung, bag
S^riftud für bic ©einigen beim SSater göi^bittc leiftet.
3c^ möchte ücrmutljen, tt)cr fid) nac^ bicfer 3)iett)obc rid)tet,
mirb niemals ju irgenb einem guten äöcrfe bic gcit finbcn. 2)ic
t^eologifc^e äKetl)obe biefcd ©d^riftftellerd ift fo unerfprieglic^ xok
tnöglid^. Sic Heiligung fann nur Dcrftanbcn n^crben au$ bem
)>erfönlt^n ©clbftgcfü^l be^ aBicbergcborenen al§ einem ©anjcn.
liefen ct^if^en ©tanbpunh ^ur ^egrünbung einer ct^ifd^en
288
Selftung ipiCt nun ober S^cellind eben nid^t einnel^mcn; obcrDict
nieljr fc^Iie^t er if)n alifid)tUd) and \>nxö) bie bogmatifdjc 2)iftm^
tion ätt)ifd)en bcr D[)ninad)t be^ 9}?enfd^en unb ber not^tuenbigcn
Äraft SJ)rifti, bie er and) auf bic tuicbcrgeborcnc Statur ober Den
Ouabeuftaub aniüenbet. Sluftatt uad)jutx)ci|en, tuie bie firaft
K[)rifti bie ifraft ber tuiebercicborencn ^erfou fclbft ift, leitet er
feine Scfer ju einer ©rübelei über bic Äennjeidien ber Siuujo^nung
S()rifti an, meiere in bem üorgefdjriebcnen ©djcma objcctiöcr (5r*
tenntuig niemals jum 3icfc fü^rt. SlHerbing^^ mad^t er burc^ bic
ftctc ©ntgegcnfefeung jiuifdjeu ber Äraft S^rifti unb bcr D^n--
ntad^t bcr ©laubigen bie gcfjlcr ber Heiligung unmöglid^, mldft
er an ben grommen gertigt i)at, aber um ben ^rei§, ba§ er tf
tiberl)au))t unmöglid) mad)t, bie Heiligung ald bie pcrfönlid^
?lufgabe ju ergreifen, ©efefet bag audö bie grommen, beren beftc
iSBerfe uon ber ©ünbe beftedt finb, fid) aU franf ju erfcnncn
^aben, fo ift e§ bie üerfcl^rtefte 2lrt ber Teilung, fic jur ©r-
lenntnig ber SBcbingungen bcr ®efunbf)eit unb äugleic^ baju an^
juleitcn, fid^ unauft)örlid^ ben ^ul^ ju füf)Icn, ob bie Sebingungcn
bcr @cfunbl)eit bei il^nen awd) eintreten, ^iefe 2Äct^obc bcr
§ciligung alfo foU eöangclifd) fein, inbem fic nic^t gefc^Uc^ ifl.
aiHcrbing^ ift üom ©cfcfe in biefem 5)ud^e wenig bie Siebe, in
bemfelbcn 3Ra§e, aU ber SBicbcrgeborcne ni^t ate ©ubjcct bcr
©efcfecrfötlung begriffen tuirb. ?lber eüangclifc^ ift bie Anleitung
2;cctlind'ö jur Heiligung bod) nur in bem SRagc, aU er bie
3bce ber Scrfö^nung für ben äurcid^cnben ©runb unb Stegutator
be§ 93ctt)u§tfeiniJ beö ©laubigen Don feiner Dl^nmadjt unb feinet
©treben^ nad^ ber ^Bereinigung mit bem §errn 3cfu^ crflärt,
luoraug bann in ber SJraft ß^rifti bie Heiligung ^erüorgel^fn
foU. ?lUein biefcr §auptinl)alt bed ©üangclium^ ift einerfcitö
bogmatifd^ eingeengt, unb anbererfeitö nur ber ©inbilbungSfroft
an^eimgeftellt, njeldje fid) nad) ben SSitbern beö ^o^cnlicbciJ ju
rid^ten f)at. @r ift aber nidjt in bem perfönli^en ©elbftgcfü^l
bc!§ ruijigcn unb gebulbigen SSertrauenö auf ©ott nac^getoiefen.
3)ie ©ic^crljcit ber perfönlid|cn Ucberäcugung, tt)eld)c bic Sücfor-
matorcn an baö ©üangelium öon ber SSerfö^nung fnüpfen, ift
üielmc^r au^gefd^loffen burd^ bie 8lb[ic^t, eine ncruöfc Unjtd^cr:^
^eit bcr Stimmung [)crbeisufü^rcn, njcld^e baö ©egcnt^eil ber
iiraft jnr Heiligung ift. i)iefe äßet^obe ber grömmigfeit ift
allerbinge> rcd)t meit entfernt Don bem ©treben nad^ ^räcifitfit,
289
locl^cm fllcid^j^citig Sobcnftetjn in bcr ^SBägfd^atc bcr SBoIIfommcrt*
l)cit" Sluöbrud gegeben ^at ©oHen wir nun icellindt borin
©loubcn fc^cnfen, bog bie ?ßräcifität öcrbriefelid^e unb f)od)'
müt^igc @emfitl|^ftimmung nad^ fid^ jie^t, fo ift ja flar, bog
feine äßet^obe bie unbered^tigtc ©ic^er^eit unb ©elbftgered^tigfeit
aufgebt, aber gugleic^, bog fie eine unruhige, aufgeregte unb
rcijbare Unfi^er^eit ^eröorruft, bie bennod^ nid^t üor ©elbftge^
rec^tigfeit gefc^üftt ift, njcil fie in befonberen Oemeinfc^aften ge^
übt ttjerben foH. ©emcinfam aber ift beiben SKet^oben bie
Anleitung jur grüblerifd^cn ©elbftprüfung, ttjeld^e ber atbfid^t
bcr SReformatoren unb i^rer ©eutung be^ (SüangeliuntS üon ber
Scrfö^nung unb §eiligung ebenfo juwiberläuft, ate in il^r bie
SBcf^äftigung beö Äloftericbeng erneuert ttjorben ift.
aWan fönnte nun erwarten, ba§ bie beiben arten aparter
grömmigfeit, wcld^c burd^ fiobcnfte^n unb 3o^. • leeHindt üer*
treten finb, fid^ in bie ©emeinfd^aften ber grommen getl^eilt
ptten. änftatt beffcn ift jcboc^ wal&rjunel^men, bag bie ©efd^äf^^
tigung mit ber ?ßracifitSt gegen bie neue eüangelifd^e SKet^obe
jurudging. gunäc^ft lägt fid^ biefe (Srfc^einung an bem SSeifaQ
crfennen, weld^en unter ben atnl^ängem üon SBoet eine tt)unber=
lic^c ©^rift fanb, bie „(Sinfamen Söetrad^tungen ber ©eelc über bie
üome^mften SBa^rl^eitcn bcö (Süangeliumö" üon 3ot)anne^
(Sswiiler, ^auSöatcr im ©ürgerwaifen^auö ju §oorn inSRorb*
^ollanb 0- 3Man erfennt an biefer ©d^rift unb i^rer SBirfung,
wie leidjt gefefelid^ gefinntc Efiriftcn fid^ ju einer Unterfd^ä^nng
bc^ ©efefee^ öerfü^ren laffen. 2)er Sßerfaffer fül^rt nämlidö foU
gcnben ®eban!engang aus. SEßenn man burc^ baS ®efe^ ;(ur
(Sinftc^t in fein fünbigeS (Stenb gelangt ift, fo mug man bad
©cfcfe benen überlaffen, für welche e§ beftimmt ift. SKan barf
alfo nid^t in eigener Äraft wirfen, um beffen i^orberungen ju
erfüQen unb eigene ©crec^tigleit ju erwerben ; fonbern man muß
6Iod bie SSer^eigungen ©otted im (SDangetium annehmen, um
hnxdi C^riftuö mit ®ott in ©emcinfc^aft ju treten. 3n biefer
Serbinbung aber foU ber @(äubige burdbaud leibenb fein unb,
in tt>el^r Sage er fid^ auc^ befinbet, bleiben. Sluger biefer
eigentümlichen Folgerung auö Sol^- leellindE'^ ^rämiffen fpri^t
1) Ziels eenzame meditatieD over de voornaamste waarheden
des evangreliams. 1685. Ypeij en Dcrmout III. p. 83. 322.
I. 19
290
©ötpijtcr nod^ allerlei änfid^teri über baö SScrftänbntß bcr l^ctligen
©^rift auö, lüel^c tDicber an Sobenfte^n erinnern, aber fc^ttjor*
merifd^ unb in ©unften bcö Saienftanbeö iWfl^pifet finb. Sic
^eilige ©^rift nämlid^ foD ein tobter unb töbtenber Suc^ftobc
fein, ber bem Unbegnabigtcn aud^ bei aller ©elel^rfamfcit Der*
fc^loffen bleibt. a)ie ©c^eimniffc @otte^, ttjclc^e barin entl^alten
finb, muffen bemnad^ öon ®ott felbft entfd^leiert »erben; bonit
ttjerben fic aud) Don bem Ungclc^rten, nämli^ S^ift^*^ öerftanben.
SBcnn trofebem ber Öcrfaffcr gegen SK^ftici^mnö geeifert l^at, fo
öcrrät^ er baburc^ bie ben Umftänben cntfpredöenbe Unflarl^it
nur nod^ beutlid^cr. 3lbcr n^ic fold^e ©infeitigfeiten unb Heber»
treibungen ju gefallen pflegen, fo i^at biefe^ Sud^ bei einem I^eile
bcr 9Inpnger ber gefefelid^en SRid^tung 3iifti"^"iwng gefunbcn,
unb man fprad^ noc^ im 18. Sa^f^unbert üon ©öwiiler'fc^cn
SSoetianern.
a)cr SSeifaH, n^eld^eu biefer Sntnjurf üon ^^ömmigleit gc»
funben Ijat, f)at allerbing^ feine tt)citgreifenbe Söebeutung. 3n*
beffen batirt Dom Sct^re 1672 an eine ftarle Verbreitung bcr
Sonüentilel über alle ^roDinjcn beö Sanbe^, unb atebalb fommt
in bcnfelben eine gegen früher ücränberte Mid^tung an ben lag.
3cneg ^Cif)x bejeic^net für bie bereinigten Slieberlanbc eine 3^*
bcr fc^ujcrften Prüfung unb ber größten ©rregung ber@emfit^er
beg SBoltcö. S)ie Snüafion ber ^^anjofcn unb i^rer beutfd^en
SBerbünbctcn unb bie Scbroljung burdj bie Snglänber [teilten bie
Sjiftenj be^ ©taatee unb bie ber reformirten Äirc^e in ben
Slicberlanbcn auf baö ©picl. 2)icfe bringenbfte ©efal^r fü^tte
SU bem tumultuarifc^en ©turge ber ariftolratif^en ftänbifd^en
Siegenten unb jur §erftellung ber ©rbftatt^altcrfc^aft in bcr
?ßerfon SBil^elm'g III. toon Dranien; fte rief aber aud^ in bem
SBolfc eine Steigerung bcö religiöfcn Sutereffe^, ber Sußfertigfeit
unb ber fir^lid^en ©efinnung ^ertoor. 8llö bie äußere ®cfa^r
glücflid^ abgetocl^rt n^ar, l^attc freilid^ nad^ bem ßeugniffe üon
2obcnftct)u bie öffentliche Sage ber Äird^e feine er^eblid^e SSer*
änberung gegen früher erfahren, unb bieö tt)irb bcftatigt bun^
bie gortbauer bcr auf bie 9tcformation beö pttlid^cn Scbenö
in ber Äird^e gerid^teten Sitcratur^. Slbcr biejcnigen, tücld^e
1) 3d^ nenne ^ier bie Sd^rtft 3a!ob j^oelman'd Christophilus Ea-
buluB, De pointen van nodige reformatio omtrent de kerk en kerkel^ke
en belijders der gereformeerde kerk van Nederlandt. 1678.
291
bic rcligiöfc (Srrcflung au§ jenem Scti^ve bctoal^rtcn, l^oben eben
äur au^breituug bcr ßonöentitcl bcigettagen, fiber bcren 3"^
laffung unb Drbnung otöbalb bie ücrfd^tcbenen ©^noben in ben
^Toüinjen SBefd^lüffc l^abcn faffen muffen. S)iefe neue ©cncra*
tion bcr Sonüentifclc^riften xoax nun aber in erfter Sinic nic^t
burd^ bog Sntercffc an bcr ^röcifität, fonbern burc^ bic Sug*
fertigfett unb SBcIe^rung in ©etocgung gefcfet unb äufammcngefü^rt
toorben. @ö ift barauö erftärlid^, ba§ bemnäc^ft bie Äufmerffam^
feit auf bie iBorgange, burc^ n^etd^e man jur IJSerfid^erung bci^
^cite gclongt, öor ber ©orge um bie gefefeUc^e Orbnung be«
fittlid^cn gebend ^erDortritt. §ieburd^ ift bie cöangclif^c fRidj^
tung bcS bemnad^ft erfd^eincnbcn $ictidmud bon ber bisher burd^
SSoet bc^errfc^ten ober bcjcid^neten äJZet^obe unterfd^ieben.
(Es ift t)on einem ^n^anger ber et)ange(ifd^en Stiftung bie «
Slotij überliefert toorbcn, ba§ SJoclman, ber SBcrtroutc öon SBoet,
toeld^er erft fe^r gefe|lic^ gefinnt ttjar, noc^l^er üeränbert gc*
toefen fei 0- S^rner toirb über SBernarbu^ ©miitegclt,
^cbigcr in ÜJiibbcIburg Don 1694—1734, mitgct^eilt, ba§ er
üon ber gcfeftlic^en jur cöangclifd^cn ^rebigttoeife übergegangen
fei*). (Sine Änjja^I ^rcbigtcn bcffelbcn auS feiner frfil^eften
ffiirffamfeit in üMibbelburg, ttjclc^e mir vorliegen *), bejcugcn ben
@runbfa| ber $räcifität, bie ©eringfc^ä^ung ber bürgerlid^en
ober S9eina^c«S()riften , juglcid^ aber au^ ein Dor^errfd^enbed
Sntcreffe on bem SBorgang ber SBiebergeburt, bcren abfc^lug fe^r
bcjcid^ncnb an ben ©efd^macf für bie ©d^ön^eit ®otte« unb
feine« ®efe|eg unb für bie anjie^cnbe unb liebenStt)ürbigc &c^
ftalt Sefu gefnüpft unb mit ben Silbern bcg ^ol^enliebe« au«»
geftattet tt)irb. Sebod^ ber eigentliche gü^rcr ber cöangclifd^cn
kic^tung gegen ba« gnbc be« 17. unb am Anfang be« 18. Sai^r*
^unbert« ift aSil^elm a örafel, I^eobor'« ©o^n, getoefen*).
1) Tjaden, AanteekeniDgeD. p. 178.
2) Ypeij en Dermout HI. p. 313.
8) Eenige verscheyde predicatien van B. S. Amsterdam 1876.
4) <S)etfcIbe ip ßeboren 1G35 in Seeutoorben in {JrieölQnb ; ^rebiflcr ju-
rrfl in ^^morra 1662, bonn in ©toDoren, ^orlinöen, fieeuioarben, enblid^ feit
1663 in IRotterbam; geworben bafe(6f! 1711 (olfo ein genouer 3»tQenof{e
Bpmtx% ben er um fe^S So^re überlebt (ot). ^aS oben anoeffi^rte Bert
^ ben t)oflP&nbt0e# Xitel: Redelijke Godsdicnst, in welke de goddelijke
292
(öcin in ntcberlänbifd^er ©prod^c, olfo für btc Sotcn DcrfogtcS
SSSerl: AoyvAii hxxqda dat is Redelijke Godsdienst umfagt
bic gcfammte f^ftetnatifd^e Z^eologie, nämlid^ auger ben geiod^n^
Itd^cn bogmatifc^en Kapiteln eine Se^re t^on ber Heiligung, tpelc^
unter ben liteln üom ©efefe, öom Oebct, t)on ben Suflcnbcn
öerlöuft, cnblic^ bic ©efd^ici^te ber Äirc^e unter bem %, unb 91. 1.
big in bic burd^ bie äpofQl^pfe beleuchtete 3"f"nft- ®iefed SaScrl,
beffen jol^lreid^e auflagen bejeugen, ba§ eö für bie EonöentifeU
leute fortan bie 5Rorm geiüorben ift, ftüftt fic^ auf SBitfiuö, unb
ftimmt in ber SSerbinbung Soetianifc^er unb ßocccjanifcbcr I^eo^
logumena mit bemfelben überein. 3n ber fie^re toon ber Äirf^c
tritt aber bie 8lbl)ängigleit 95ratcrö öon ©occejug in ber beut^
lic^ften SBeife ^erDor. SBenn trofebem Sörafcl für einen SBoctianer
gegolten l^at, fo rid^tet fid) baö bana^, baß er in bem ©treit
über ben %Qi\^yQX\!^ auf ber ©eite üon SSoct ftanb. ©eine Söeur*
t^eilung ber fird^lid^eu ßuftänbc ift nic^t minber ungünftig unb
trübe, ujic bie, wel^e SBitfiuö unb Sobenfte^n geübt Ratten. 6r
fd)lie§t feine ©c^ilberung bamit, ba§ bie üagc ber Äirc^c untoer*
befferlic^ unb ^offnung^loö fei. ffir ift inöbefonbere fe^r eifer-
füc^tig auf bie Eingriffe ber Dbrigleiten in firc^li^c angelegen^
Reiten gewefen 0- ©eine Se^re Don ber Äirc^e, toctd^e er abfic^t^
ti^ an bie öelgifd^e ßonfeffion 3lrt. 27—29 anfd^licßt, nimmt
äße ÜRerlmate auf, in ttjcld^en Socccju^ \i^l {Reic^ ©otteö be*
f^rieben ^at. 2)amit Verträgt fic^ für Sralel ber üoUftänbigftc
^articulariömuig, inbem er bie reformirte SJird^e für bie alkiii
U)at)re erllärt, bie alö folc^e immer beftanbcn ^at, fo toic bun^
i^re Slbftammung öon S^i^fll^ öt^^r ift ate bie Steformation
Sut^cr'g. SBenn er nun trofebcm feine Äird^e für unüerbeffcrlic^
erllärt, fo füllte man ertoartcn, i^n auf bem SBcge jur ©cpara*
tion ju finben. Snbcffcn Icgitimirt er fid^ alö einen bet
waarheden des genade-verbonds worden verklaart, tegon allerlei partgen
beschermd et tot de praktijk aangedrongcn, alsmede de bedeeling des
verbonds in het 0. en N. T., vertoond in eene verklaaring der open-
Uaring van Jobannes. %xt\ ^^eile (me^r al8 140 Qogen 4*^), iuerß erfd^tcnen
1700. $t8 1773 \^qX baeSBere 12 Zuflogen erfahren. 3n Ypeij en Der-
mo at, Gescbiedenis der nederlandsche bervormde kerk, 3. X^etl (1824)
S. 70 ber ^nmerfungen toirb bte 19. ^ufl. cttirt. (üne neue Vu8(tabe in 2ter
Vufl., toeld^e mir üorliegt, ifi batirt Nijkerk 1854.
1) SBgl. Ypeij en Dermout III. p. 679. •
293
^auptflcgncr üon Sobobtc (©. 246) in bem öorlieflcnbcn SBcrfc burd^
ein befonbcrc^ Kapitel: „^a% man fid^ jur Sirene fügen nnb in
i^r bleiben mu§." Siele feiner ©rünbc bafür finb nid^t fe^r
geeignet, um g)t)on'd Entgegnung jurüdtjuujeifen, ba§ bie Äird^e,
auf bie eö anfomme, nid^t bie fei, in weld^cr SBrafel bleiben ^üoße.
3nbeffcn entfd^eibet fid^ bcrfclbe in Ucbcreinftimmung mit Kabin
(©. 79) bal^in, bag bie Äird^e burc^ bie redete Seigre alö bie
richtige bejeid^net fei, unb fügt bie Ueberjeugung ^inju, Oott Ijabc
3U allen QtxUn öerfügt, ba§' feine Äird^e fo öcrberbt fei, ttjie e^
ber San ift.
hingegen ift Söralel mit Eoccejug unb, toic er fagt, mit
,,fe^r öielen auögejeic^neten ©otte^gelel^rten aller 3^^*^^ wnb toeit
ber meiftcn in ber ©cgentoart" barin einig, ba§ in ber legten
SBcltjeit ein ^errlic^cr 3"fta^l> i" ^cr Sird^c ju erwarten fei.
SBegcn berfclben Ueberseugung ttjar ja befanntlid^ Sababie als
Äeftcr bejei^net ttjorbcn. gcrncr ^atte wegen iljrer bie friefif(^e
©^nobe 1680 ben ^rcbigcr ju Slieuwcnbrongerga, S)at)ib glub
t>an ©iffcn unb ben ^rofeffor jugraneler, \)an ber SBaeijen
in Änflagejuftanb öerfefet >). 9lac^ 20 3al)ren alfo toar ber
SSBibcrftanb bagegen üerfc^munben. Sörafel nömli^ cntfd^eibet im
«nfc^lug an »pol. 20, bag ju jener geit $ßapft unb lürfe Der*
nicktet fein, bie ganje jübifd^c SRation befe^rt werben, unter ben
Reiben ein tounberbarer @ifer um 8lnnal)me beö d^riftltc^en
®laubcn^ eintreten, reiche @rlcnntni§ OotteS, griebc, Heiligung,
©elbftänbigteit ber SJirc^c gegen bie weltlid^en Dbrigfeiten Dor=
l^anben fein, auc^ eine befonbere ^^rud^tbarleit ber (Srbe unb
Ueberfluß an Sebenömitteln ^inäufommcn foll. 3n bicfer Epoche
toethcn bie Dbrigfeiten ber $crrfcf)aft unb bem ©efefee ß^rifti
bienen. 3n ber Sird^c wirb eö bann jwar nod^ Unbefe^rtc
geben, allein fie werben ben Functionen ber Äird^e nic^t l^inber=
lic^ fein. 3n ber lOOOjä^rigcn S)auer bicfc^ g^ftanbe^ werben
bie menfc^li^en ©encrationcn wie gewö^nlid) auf cinanber folgen.
©0 Weit biefe äuöfic^ten üon benen bciS Eoccejuö abweid^en,
fHmmt Sralel mit fiababie (©. 265) überein. S)enn Koccejuö
rechnet auf einen wunberbar fd^ncHen Verlauf biefer 3)inge
(©. 145), biig berfelbc burc^ bie cntgegengefefeten (Srfd^einungcn
1) ^(. Diest Lorgion, De DederdaiUche hervormde kerk in
Friesland p. 168.
294
abgclöft tpirb, bcncn bie S33iebcrfunft E^rifti jum ©cric^t
folgt »).
S)ie inbiöibucDe §eitöorbnung i[t nun ber Ort, an xocläjcm
bie ©gcntpmlic^feit ber üon öralcl Dertrctencn cöangclifc^cn
SRid^tung an bcn Zag tritt. @c^on SSitfiuS ^at baS Sntereffc
an ber {Rechtfertigung in äl^nlic^er SBeifc toie ßoccejug öcrfd^o6en.
Obgleich er in ber ©arfteDung i()re^ SBegriffö corrcct rcformirt
t)erfä^rt, mit ber Unterfd^cibung t)on iustificatio activa unb pa£-
siva, Siec^tfertigung ber ©emeinbe in ßl^riftu^ unb SBctPufetfcin
beö ffiinicinen öon feiner ©ubfumtion barunter, fo ^at bie öop
auSge^enbe Erörterung über ben ©tauben bie 93ebeutung, bog
ber ©laubige me^r auf feine fubjectiöen ß^ftänbe als auf bie
Seiftung S^rifti für bie ©finbcr ju ad^ten f)at SRuu Ic^rt SBit-
fiuö, baß ber ©taube in (Srtenntniß unb 3"ft*w^"i""9 jur^cil^
leiere, in Siebe ju bereu SBa^rl^eit, in junger unb S)urft nac^
S^riftuS, enblid^ in bem Slnne^men S^rifti als bem cigentlic^n
unb roefentlid^en 3lct beftel^t, tt)etd^er bie inbiüibuelle 8le^t*
fertigung burd^ ein befonbereS Urt^eit ©otteS über ben SBertJ
ber (Einigung mit S^riftuS erfäl)rt. ^amit tuirb ber ©laubige
jum vertrauten SSerfel^r mit ©Ott, unb jur gegenfeitigen greuiÄ--
fd^aft mit i^m jugelaffen, ober inbem ß^riftuS ber ©eine toirb,
gel^ört er fortan au^ ju S^riftuS, unb fann burc^ baS Ser^
trauen, ujelc^eS er fagt, allen Uebeln tt)iberfte^en ^). 3n allen
biefen $ßunften ftimmt Sralel mit SBitfiuS überein; aber er l^t
baS Uebergenjid^t beS SntereffeS an bcn fubjectiöen ffirfd^cinungen
nod^ öerftärtt. 2)enn bie iustificatio activa, bag im 2obc ß^rifti
enthaltene Urtl^eil über bie (Srmäl^lten als ©ünber u^iQ er nur
If Sd^on beüor ^rafel bte igoffnung auf bte ^errltd^ 3ulunft ^ fir^-
Ud^en 3uflfinbe bezeugt ^ai, ift t)on ^ampegtuSSBitttnoa in einer 9iecto«
rotSrebe De impedimentis propagandi hoc tempore Cfaristianismum 1691
(flnge^ängt an Sacrarum observationum lib. Ilf.) bte ftuSfid^t ba^in miM
bifictri iDorben, bag erft burd^ einen S^iannen baS »onfenbe $ap{h^uin loiebec
aufgerid^tet, unb bie reformirte 9{eligton faft DoOfiönbig unterbrfldt loeiben
mUffe, e^e beren 93e!enner fo toett oei^einigt tofiren, um bte Stuart in Siai^
)u fe^en, $apf!i^um unb 3flam )u übertt)tn^en unb baS d^rifleni^um unter
duben unb igetben au t)erbretten. ^tefeS tfl etnerfeitS eine $robe \>on 9^fi(j^teni*
^ett, anbererfett§ lieber ein ^otio )u unn5i^tger Speculation. 3n btefer au*
gemeinen %e)ie(|ung crtoetft ftd^ alfo aud^ ^iirtnga al8 ^occeianer.
2) Oecon. foed. dei lib. 111. cap. Vll, 10—25. VIII, 27. 32. 58—61.
295
als yirtaalis, l^ingegcn bic passiva, tDctd^e bem Set be§ ©(aubcnS
unb ber Stufnal^me El^rifti burc^ bcn ©laubcn entfprid^t, atö bic
iustificatio actualis auffaffcn, tocld^e in bcr l^citigen ©d^rift gc*
meint fei. ©orauö folgert er ttjeitcr, baß biefe Rechtfertigung beö
cinjelnen ©laubigen nic^t ein für allemal auf ben erften SlctbesJ
©laubenS erfolgt, fonbcrn fo oft berfelbe jum ßttjed ber {Red^tferti*
flung geübt loirb. Snbem nun aber bcr fubiectioe ©laube barauf an*
gemiefen mirb, bic angegebenen ©tufen ju erfteigen, unb burd^
bcn junger unb 3)urft nad^ Et)riftuö fid^ immer erft bic be^
mugte annähme bcffelbcn abiugetoinnen, fo ^at biefe eöangclifd^e
Art ber grömmigfeit leine geringeren ©dfiioicriglcitcn unb ©e*
fahren, aU bic gefe^tid^e äRet^obe bee eckten SaloiniSmue^.
S)ic ©ad^c aber loirb burd^ Sörafers S)arfteDung nod^ üer:^
toideltcr. 6r l^at in einem eigenen Kapitel über „bic Äennjcid^en
beS feligma(^enben ©laubcuS" bic Slufgabc gefteßt, ba% bic ffir*
ttHi^iten fi^ üon ben ßcitgläubigcn unterf^ciben lernen. Ealoin
l^t in feinem Unterricht, betoor er überhaupt bic Se^re Don @r*
Wallung unb SBcrmerfung oorträgt, ben 3lnla§ genommen, fid^
über ben ©lauben ber ©rtoä^lten unb ben bcr SSerttJorfcnen auöju*
fprcd^en. ffir beruft fic^ auf bie ©rfa^rung, ba§ ®ertt)orfenc
mitunter in ganj ä^nlic^cr ?lrt, loie bie ©rioä^ltcn, afficirt njcr*
ben, giebt bann aber brei SRcrlmalc an, njclc^c ben bloS auf
3cit ©laubcnbcn an ber öoUftönbigcu ©cftalt beö ©laubcnS
mangeln, unb loeift babei bic ©laubigen an, fic^ ju prüfen, ob
nic^t i^re ©croiglicit bc^ $eilö eine läufd^ung fei *). SlUcin bie
Slnmcifung Sabin'S lautet burd^auS nic^t ba^in, bag biefe ©clbft*
Prüfung in ber SScrgleicftuug mit beftimmt oorgcftcDtcn ß^itßläu^
bigcn oorgenommen toerben foH. 3)iefe 3wniwtl)ung alfo, tt)eld^e
auc^ S93itfiui^ no^ nicl)t gefteHt ^at, inbem er baS S^^ema t^eo:^
1) Inst. ehr. rel. III. 2, II. Experientia docet, reprobos simili
fere sensu atque electos affici, ut ne suo quidem iudicio quicquam ab
electis differant . . . Yigct tarnen in solis electis fiducia illa, ut ple-
no ore clament Abba, pater . . . Interea docentur fideles, soUicite et
humiliter se ipsos cxcutere, ne pro fidei ccrtitudine obrepat camis
securitas. Adde quod reprobi nunquam sensum gratiae nisi confusum
percipiunt, quia peccatorum remissionem Spiritus proprio in solis elec-
tis obsignat . . . Viva autem fidei radice solos electos dignatur, ut in
finem usque perseverent.
296
rctifc^ bc^anbclt \)at ^), i[t 6ei Söralel ba§ SRcuc unb SScrföiiglid^c.
9lad^ feiner 3)arftctlun8 ift baö ctftc ficnnäeid^cn bcd fclig^
mad^enben ©laubcnö bic Söctrübnife über bie ©ünbc. ®iefc
richtet fid^ auf bie @ünbe aU fold^e, and) Quf bie geringften
?ßrobcn berfclben/ auf bic SRad^läffiglcit jum ©utcn, bcn aRangcI
^eiliger äJianiercn, baö Sluffteigcn unorbcntlid^cr ©ebanfcn, auc^
tvenn i^nen bcr SEBillc nid^t juftimmt. enbUc^ auf bie angeborene
Soö^cit. 3n biefcr negativen gorm tüirlt bcr Änfprud^ auf
^räcifität fort. 3)aö jtt)eitc Äennscic^en bc§ fefigmac^enben
@Iaubcn§ ift bic burc^ i^n gctoirfte ^eiligfeit. ^iefclbe umfaßt
bie SSerföl^nung mit ®ott, bic aufmerffamfeit auf bcffen ^crr^
lid^feit unb ^eiligleit, bic Siebe unb bic ffi^rfur^t gegen i^n
unb bcn SSorfafe beö ©cl^orfamö. 2)iefe gormel alfo ift öon
bem Gepräge bcr ©cfcfelid^feit frei. Mein tro^bem mac^t Srafct
l^icbci bic Semerfung, ba§ man in bcr Prüfung biefcr ä^ftänbc
l^äufig bcn Anlag jur Unfic^cr^eit finbcn tt)crbc. S)ciS^alb er^
Hart er, ba§ bic ©tärte ober ©cf)n)äcf)c bcr bcgicitenben ßuft»
cmpfinbung nic^t baö äRag für bic ©ad)c fei, ba c^ aud^ Qexttn
bcr SScrlaffung burd^ ®ott gebe -). Slber baburc^ wirb bcr Auf*
gäbe bcr fteten ©elbftprüfung, biefem unuutcrbrod^encn $ul^
füllen jur geftftcDung bcr gciftlid^en ©cfunb^eit icber fefte ^alt
entiogen. 3)cnn tt)cnn SBrafel, ä^nlid) mie Sobenfte^n ifnb Sa^
babie, urt^cilt, bic ®rn)ä^tten untcrf^icbcn fic^ üon bcn 3^^**
gläubigen in bcr Heiligung fo, bafe bei jenen 2lflcS „®cift unb
Scbcn" fei, fo mug aud^ auf eine ©tctigfcit bcö religiöfen Sufi*
gcfü^lö gcred^net ujcrbcn. SBcnn man aber oori ®ott fic^ Der*
laffen fü^lt, fo ift bic ganjc Kombination unglaubtoärbig.
ßmifc^cn biefcn beibcn Äcnnjcic^cn bc§ fcligmac^cnbcn ©lau«
ben^ erörtert Söralcl ein britteö, mld)c^ in bem ©tauben aU
folc^cm ^croortrctcu mufe. S)er Scitfll^^l^^ nämtic^ foQ pc^
barauf ftü^cn, bag 6t)riftuö bcr ©cligmac^cr ift. „aber bic
toaljrcu ©laubigen nel^mcn bcn §crrn 3efu^ an mit i^rem
1) Exerc. in symb. apost. p. 36 — 39.
2) ^u4 btefen gfatt im Seben beS (Syifiubtgm befd^reibt SalDtn III. 2, 12
%ani anberS: Videmus deum mirabiliter irasci filiis suis, qaos amare
non desinit, quia terrere eos vult irae suae sensa, at superbiam carnis
humiliet, torporem excutiat et ad poenitentiara soUicitet. Itaqaeeodem
tempore et iratum sibi vel peccatis suis et propitiam conoipiunt.
297
^crjen; fic bleiben nid^t bei ben Don i^m t)erbürgtcn ®ütern
fte^n, fonbern tüenbcn fid^ on bic DueBc felbft. ©te fd^auen
nad) i^m ouö, öcrloffcn fidj auf i^n, l^obcn Unterl^onblunflen
mit ®ott unb mit S^riftuiS felbft. @ie neigen ifyn oftmals an,
ja taufenb* unb »icber taufenbmal; immer brfidEt fic, bag fic e^
nic^t au^brfidlid^, llax, allgemein, rein genug gctl^an I^aben.
©iefcö Annehmen ift i^re tägliche ©pcife, um fo me^r, a(ö i^re
aHtägtic^en ^crgcl^cn i^ncn .baS ^ebiirfnig banad^ einprägen, um
burd^ i^n ju @ott ju fommen. @ie nehmen i^n ganj unb aOcin
an unb übergeben fid) i^m o^ne ä3ebingung, um t)Dn i^m j^u
@ott gebrad^t )u n^erben, auf n^elc^em 3Bege cd il^m belieben
mag, um @äg unb ©auer, Setr&bnig unb f^rcube, Sid^t unb
2)unlcl für i^n unb feine ©ad^c ju ertragen, ©ic finb nid^t in
i^rer Drbnung, bi^ fic bic ^emcinfd^aft mit ®Dtt in (S^riftuS
gcnicgcn; öcrbirgt fic^ bcr §en, fo ift bic ©eele unruhig,
traurig, erfd^redft, bcbrüdft. SBenn aber bcr $crr bic buniclen
SBolfcn Vertreibt, unb ben ©laubigen freunblid^ jufpric^t, fo ift
aQc 95etrübni§ Dcrgcffcn; bann erfreuen pe fid^ gleich berSBraut
im §o^enlicbc. Unb biefe greube l^eiligt bic ©eele, unb mad^t
fic n)iUig unb Icbcnbig jur (SrfüQung bcd göttlid^cn SSillcn^.''
Olcic^artigc ©äfee finb fd^on öorl^cr in bem Sapitcl über bic
@cmcinfc^aft bcr ©laubigen mit S^riftu^ unb unter cinanber,
tpeld^eö an bic Sc^re öon bcr Äirc^c angcfc^Ioffen ift, in noc^ grellerer
gärbung öorgctragen »orbcn. SBeil bic ©lieber mit bem Raupte
jufammcnl)ängcn, fo foU man jucrft ben §crrn 3cfuö anfc^aucn in
feiner ©c^önf)eit, Sicbcnöioürbigfcit unb SSoHtommcntjcit. S)icfe^
gefc^ic^t in bcr Ucbcrlcgung bed göttlichen 9tat^fd^luffe$, ber
SÄcnfd^wcrbung, be§ Seibcn^, beS iobcö, bcr 8luferftcf|ung unb
Sr^ül^ung S^rifti. S)aran fcl)licgt fic^, bag man in fiiebe aud»
gc^t JU SefuS, ali^ ber und eigen ift, als gu unfercm 93räutigam.
„S)ie augcn rid^ten fi^ gern auf ben, toclc^cn man liebt; unb
burd^ gegenfeitiged ^nfc^aucn fpric^t man glcid^fam mit cinanber
unb unterhält fic^ in fiiebederregungen. @o erjä^It man bem
©clicbten öon ber ©cftalt bcö eigenen 4>crjcn§ unb üon bem
©c^merj, bag man i^n nid^t lieber I)at, unb flagt il^m bic eigene
9lot^. 3)ie ©cclc laufcf)t barauf, xoa^ 3cfud in \t)X fpric^t, unb
merft auf bie ©timme bed ©clicbten, bcfonbcrö ttjcnn er eine
©c^riftfteac mit Slar^eit, Äraft unb ©fifeiglcit in \>a& ^crj brüdtt.
3nbem fie i^re fiiebedfragcn äugert unb Scfud toieber antwortet,
298
öcriicrt unb vergißt bic ©ccle [i^ [elbcr, unb c§ fd^mcrjt fic,
tücnn bo^ ®cfpräc^ aOgebrocIjen toirb, fo boß ber Scib ju fc^iüQc^
toirb bon bcr §ef tifjfcit bcr Srrcgungcn unb ben lieblichen ftüffen
unb ©inflüffen. 3nbem bie ©eck fic^ liebenb an i^n anlehnt
unb allcö if)rem Sräutigam anöertraut, bcgiebt fie pd^ unter
feineu ©Ratten unb ru{)t in feiner Söetua^rung, »eil fic tDcx%
bQ§ er fic nic^t uertreibt. 3n aßem, xoa^ ju t^un ober ju laffcn
ift, Dcrtraut fie nidjt i^rem eigenen Urtl^eile, folgt anä) nic^t
i^rem SBiUcn, fonbcrn fic fragt il)ren §errn um 8iat]^. ^at fic
eine ©ünbc begangen, fo fticf)t fic /^u Scfu Sölut; ift fie bc^^
fc^mu^t, fo tt)äfcf)t fie fic^ in il^m, bcr reinen Duelle; fc^load^
greift fie nad) feiner ifraft; fie gebraucht feine @üter ate bic
i^rcn. SBer in bcr Hebung biefcr ©emcinfc^aft beftänbig fein
toill, mu§ fid^ öor unbebadjten, nod) mc^r oor abfid^tlid^en
©ünben [)ütcn; bcr l^ciligc 3cfuö cntäiet)t fic^ bann, unb bie
©eclc oertiert if)rcn greimut^. 3lber man foll eben fein tag*
lidjc^ ©cfc^äft an^ biefcr ©cmcinfc^aft ma^en; in ©infamfeit
ober in (SefcHfdiaft, aud) im Söcruföioirlcn fofl man 3cfu aDc
3cit ein SBort laffcn unb einen SBUd mit i^m tt)ccl^feln".
2)urd) bicfcu Siebcöüertcljr n)irb bcr üon SBitfiuö aufgeftcQtc
SBegriff bc^ ©lauben^ ate receptio Christi anögefüUt. Snbeffen
bleibt aBiU)elm 93rafel I)intcr feinem SBater unb hinter SBitfiuiS'
a^fetifd)cr 2lnn)cifung infofern jurüd, al^ er ben Umgang mit
bem §crrn 3efu^ nic^t bi^ jur cfftatifc^en ^Bereinigung l^inauf
treibt, ffir bleibt alfo auf ber Sinic, auf ujclc^c bei ber "Hu'
eignung beö Söcrn^arbiiiifdjcn I^puö aSill^elm unb 3ol|anncg
Iccllind fid^ befc^ränft Ratten. Änbcrcrfcitö entfernt er fic^ Don
3encn, inbem er bic 9Kett)obc hc^ Söußtampfcö mißbilligt. „äJian
muß nid)t lange l^inftiercn auf feine SScrborbcnl^cit, um baburc^
nod^ tiefer in fein Slenb niebcrjjufiulen unb no^ mel^r jcrtrüm*
mert ju toerben ; aU ob baö ©cfül^l ber ßcrtrümmcrung Dor bcr
i8etef)rung unö ©Ott angenehmer machte unb bic Söcbingung
n)ärc. unter tt)eld)cr unb ol^nc mcldlic ni^t man ju S^riftu^
tommen fönnc. Snbcm bie Öctrübniß über ben fünbigen 3"[tönb
baju notljifl ift, fo ift eö gleichgültig, ob fic groß ober Hein ift."
Sllfo bic „cüangclifdje" Slntt)cifung lautet ba^in, baß ber bcfe^rtc
©ünbcr, nicljt anberd xok ber über feine ©ünben betrübte ®lau:=
bige, fein ©c^ulbbetuußtf ein aliSbalb in bem @cnuß bei Umgang^
299
mit bcm oHerfügcftcn grcunbe bcr ©ünbcr aufjuflcbcn l^abc. 3)ic
©d^tlbcrung bicfcö Qidc^ bcö ^riftlid^en Sebcn^ ^at Söralel
ol^nc oHcn 3^^^^^ öu^ bcn ^rebtgtcn S3cnif)Qrb'S über ba^
^ol^clicb bircct gcfdiöpft. Sltlcin l^icbci ift folgcnbc SlbtDcic^unfl
l^öc^ft bcmcrlcnötDcrt^. S)cr @enu§ bc§ Umgang^ mit bcm ^tu
lanbc ift t)on SBcrn^arb qU ^nl^ang ju bcr mönd^ifd^cn Heiligung
üorgcfd^ricbcn lüorbcn, als eine mögUd^e Sciftung für bie SSorge«
fd^rittcncn. ©ralcl mutzet biefclbc ate regelmäßige unb notl^*
toenbige Hebung jebem ju, toeld^er eben in bie Sufee eingetreten
ift, unb tt)iU tt)ie ^of). Icellind barauf bie Heiligung begrünben.
ffir fe^t alfo jene fattjolifc^e SSerfic^erung ber ffirlöfung an bie
©teile, toelc^c in ber proteftantifd^en Drbnung beS d^riftli^en
ßcbenS baS einfache SSertrauen auf bie SSerfö^nung mit Oott
burc^ S^riftuig einnimmt (©. 61). ©urd^ biefe SSertaufc^ung öon
analogen ©emüt^örid^tungcrt ungleidjcr 8lrt unb unglcid^cn SBer::
t^eS tt)irb eine SSerfd^iebunß bcS ^roteftantiömuö ausgeführt, unb
feine in feinem ©ebiet unlösbare 3lufgabc gefteHt, um njcld^e fid^
ber ^ietiSmuS fortan brc^t. ßunädift frcilid^ mad)t Sörafel biefeS
Anlegen bei ber grömmigleit beS SDiönd^tl^umS nid^t ungeftraft.
$ieß eS nic^t, bafe bie nja^ren ©laubigen nic^t toie bie 3^^*'
gläubigen fi^ bloS an bcn Don S^riftuS oerbürgten @ütern
genügen laffen, fonbern in ber ©timmung einer Söraut fic^ bem
Iröger biefcr @ütcr in feiner perfönlid^en ©d^önl^eit juwenben?
ba§ fie feine 3""ci9i^ng unb fein ^eimlid^eS Vertrautes ©cfpräd^
genicfeen? ?lber unmittelbar barauf (1. I^cit, ßap. 26, 10. 11)
Reifet eS: „galtet euere SBerfö^nung unb euer Sigcntfjum an
ß^riftuS unb feinen ©ütern burd^ ben ©laubcn fcft, wenn iljr
aud^ nid^t fc^auet, n^enn i^r auc^ nic^t fül)let. 3)aS (Sigent^um
befielet nic^t im ©efütjl; inbem man baS gigent^um in tt)a]^rem
unb toirffamem ©tauben umfaßt, wirb bie ©ecle jur ©emein-
fd^aft hinaufgeführt, ©eib gebulbig unb ergeben, »enn i^r nid^t
baju fommen lönnet, looäu 3lnbcre gelangen. 2)er §err ift frei,
er ift eud^ nid^tS fc^ulbig. 2)aß er in biefer ^infi^t ttjcniger
Derlei^t, ift fein 3cid)en oon geringerer Siebe unb oon weniger
€igent]^um. ©rinnert ben $errn an feine SScrl^eißungen unb
beweifet iljm euer 93egc^ren nad) bcr ©ac^c. galtet cud^ an baS
SBort, folget bicfcm, wiffct, baß bie ©üßigfeiten für ben §immel
Qufgefpart finb, baß jefet bie 3cit beS ©trciteS unb baß bcr ©ieg
gewiß ift." ©inb nämlic^ biefe SJorf)aItungcn, welche mit 6aU
300
toin'^ Definition be^ ©laubcnö (©. 88) übcrcinftimmcn, rid^tig, fo
ift baö 5ß^QntQ[icfpicl bcr Scrn^arbinifd^cn grömmiglcit nic^t
allgemein ftüttig für rcformirte Ef)riftcn, fonbcrn ein fibcrflüfftgeg
SBcrf.
Denn qIö ein SBcrf ctfd^eint juglcid^ jene J^rm bcr gröm*
migfeit, mcnn fte eingeleitet nnb begleitet fein foH öon bcr ®rü^
bclei über Die ©ünbc unb über bic ©puren bcr Heiligung, bantit
hieran bic Slutl^entie be^ ©laubenö feftgcftcCit ttjcrbe. $Rämltc^
bicfe SKctl^obc unb bcr Umgang mit bem §errn Scfug finb in
§infid)t beö ©toffcd unb bcr ©timmung einanbcr gcrabe cnt=
gegengcfc^t. 3Ran fann atfo in beiben 3Rett)oben nur abttjc^felnb
fic^ belegen; bann ift aber aud^ bcr Ucbergang oon bcr crftcn
jur jtt)citen o^ne golgerid^tigfeit, t}ielmet)r rein juföHig ober will*
fürlicl). Ober ttjcr in bem Umgang mit bem §crrn 3efug fi^
ftctig ju galten üermag, bcr roirb fic^ über bic öorgcfd^ricbenc
©rübetei l)intt)egfc§en, rocld)e nur bie Unfeligfeit unb ben 3^<^ifct
l^eraufbefdjroört. SBa^ nun 33rafel felbft betrifft, fo bejcugt it)m
fein 2eidE)enrcbner *), ba§ feine ^^ömmigfcit mit einer frö^Iic^cn
unb freunblidjen 5lngenel^ml)cit gemifc^t gcroefen fei. ©eine
Slcußerungen auf bem ©terbetager bereifen, bag bic unfrcubigc
?lrt, in ber Sobenftc^n bem Xobe entgegen fa^ (©. 175), i^m
fern gelegen I)at. Srafcl I)at bejcugt, \>a^ er ftd) auf bog
Seftamcnt (Sbtifti t)crlaffe, bag er cg fo fcft glaube, als ob
er eS fä^e ober fc^ou befäßc, er ^at gcmäg bcr SSoUcnbung
feiner Saufba^n auf bie Äronc bcr ©erc^tigfeit gercd^net. Cr ift
alfo in ber ©rübelci über bic ©ünbe nic^t ftcden geblieben ; aber
tt)ai§ fein c^riTtlii^eö ©elbftgefü^l befeftigt ^at, ift bie 8Jcr=
fteigung ober ba$ 3;cftamcnt S^rifti. 9lngeftc^tS be« XobcS ift
er aud) auf bie Älängc beö ^o^enlicbeö nidjt j\urücfgefommcn.
®eun ctwa^ ganj anbcreö ift bic ©rflärung, bag er ben ^crrn
3cfu§ feit feiner Äinb^cit lieb gcf)abt ^abc, unb nic^t loiffc, loie
bem JU 3Kut[)e fei, ber biefc Siebe entbehre. Sllfo SBrafcl per*
fönlid) gcroäljrt nid^t bie ^robc üon ber SSereinbarfeit bcr Der*
fd^icbcnartigcn If)eile feiner ^eil^orbnung; tjiclmel^r lä§t bie®c*
funb^eit feiner legten SBcfenntniffc ben S^^^U^l baran ju, ob er
1) Algemecne rouwklagt in de straaien van Rotterdam over het
afsterven van den beere AV. a. B. door Abr. Hellenbroek. 21 6eUen
aU 9ln^ang )u bem Dorliegenben SDerfe.
301
bic t)on i^m geleierten ®tunbfafee Dcö ^ictiömuö tüirflt^ in autl^en:^
tifd^cr SBeife öcrtrcten \)at.
Wim Srafel ^Qt biefc ©runbfäfee gcIcI^rt, nid^t 6Ioö im
Amte, fonbcrn anä) in bcn ßonoentifcin, wcld^e er regelmäßig
gehalten f)at, unb ju ttjeld^en bic ©cnoffen aud^ auö ber Um^^
gcgcnb öon SRotterbam ja^lreidt) ^crbciftrömten. 6r f)at biefe
©runbfdfee aud^ auf anbcre JlmtSgenüffen fortgepflanjt. 3c"9"ife
bcffen i[t fein Seid^enrebner Jlbro^am ^ellcnbroef, tüeldE)er
eine wiffenld^aftlid^e unb praftifd^e äuölegung beö ^o^enliebeö in
nicbcrlänbif^cr ©prac^e tjerfaßt fjai, bie nur 2258 Quartfeiten
umfagt, aber binnen 20 3a^ren bie üierte Auflage erlebt ^at>).
3)iefer SRann fefet bic oon Sratel behauptete Xlnweifung, baß
man fid^ in ben gormcn ber SSern^arbinifd^en 5^ömmigfeit ju
bewegen f)abc, fort, inbem er c^ unter ben Xitel weltlid^er ®e==
finnung [teilt, roenn man fid^ gegen biefe 9)iet^übc abte^nenb
tjcrl^iclte. 2)cr ftarfe SScrbrauc^, ben baö SBcrf üon SBrafel unb
bai^ öon ^eHenbroet erfahren l^aben, lögt enblid^ ben ©d^luß ju,
bag ber ^ietiömuö ber ßonüentifel fortan tjorl^errfcfienb auf bie
fogenannte eüangelifc^c Siid^tung l^inauö fam. S)ic ©efc^id^t*
fd^rciber ber nieberlänbif^cn reformirten Äir^e^) bej\eugen i^rer^^
feitiS, baß biefe 3Äet^obe in jenen Greifen fd^on öor 1720 allge==
mein geübt ttjurbc. 3cboc^ jugleic^ fd^eint biefelbe burc^ bie Eon^
currcu) beiS fat^olifd^en QuietiSmud auf i^rem eigenen Gebiete
bcbro^t ttjorben ju fein. Sonft l^ätte SBrafel feinen Einlaß gel)abt,
bcn erften X^eil feiueö SBcrfcö mit einem eigenen Kapitel ju be=*
gleiten : „SJÖarnenbe Slnlcitung gegen bie ^ictiftcn, Quictiften
unb biejenigen Slnbcren, toddjt ju einer natürlichen unb geift-
lofen SReligion unter bcm ©d^ein be^ ©eifte^ abirren". 2)ie gc^^
nannten ©ruppen fc^einen aÖerbingS faft nur be^ ©Icid^flangcg
tocgen jufammengefteHt ju fein. 3)enn über bie ^ietiftcn urt^eilt
SBrafel im ©anjen günftig. ®r fagt, baß feit einigen Satiren
1) Het hoo^lied van Salomo verklaart en vergeestelijkt. 3n)ci
XitxU 4. Rotterdam 1718. SSierte ?lufl. 1739. — Ypeij en Dermout
III. p. 806 nennen no^ einen ^reMget )u ^aaSfluii, @gtbiu§ gftanfen
al§ Setfaffer folgenber ©Triften: Iluwelijksvereenigfing van de kerkbruid
met den grooten Immanuel Christus; Het zielverwekkend magtigr ont-
haal ((Smpfang), hetwelk de bruidegom Jesus en zijne brnid malkanderen
doen; — meiere Dem 9lnfange beS 18. 9a(t(. angehören.
2) Ypeij en Dermout III. p. 313.
302
unter bcn Sut^cranern in SJeutfd^lonb eine (jro§c Selüccjunfl jur
^römmigfeit cntftanbcn unb anä) ju JRcformirten an einigen
Orten oorgebrungen fei. @r meint nun, bafe bicfe SSorgänge bei
SSielcn ©c^cin, bei SDionc^en SBa^rl^eit feien. 3)ie erfteren finbet
er unter ben ^ietiften, meldte eigentlich äR^ftifer, Duietiften,
(Snt^ufiaften, 2)aoib^3oriften, Sö^miften, Dualer finb. «uf biefc
9iotij werben mir fpäter jurücfgefü^rt ttjerben. SSon ben übrigen
^ietiften ober tt)ill er burd^aug nid^tö fd^Iimmeö fagen; fie gelten
i^m öietme^r qIö bie ttjo^ren ©ottfeligcn, benen aud^ i^rc ©egner
biefeS Seugnig gerabe burd^ ben i^nen angelangten @d^mä^^
namen ert^eiten. „®ott fegne fie, fügt er l^inju, unb gebe i^nen
mel)r Erleuchtung, um bie lut^erifc^en Srrt^mer eingufe^en unb
toon il^nen fic^ absmocnben." Sllfo bie SBarnung ^xattV^ bejie^t
fid^ fpecieCi nur auf ben Duieti^mu^, ben er burd^ SRid^acl 2Ro*
linog' „©ciftli^cn gü^rer" (1675), melier 1688 eine ^oDönbifc^e
Ucberfefeung erfahren I)atte, unb g6n6Ion ,,@rflärung ber@runb^
fäfee bcr ^eiligen über baö innere Sebcn" (1697) vertreten finbet.
3^nen f)ält er nun alö gel)ler oor, baß fie bie Selbftöerleugnung,
bie Siebe ju ®ütt unb bie Sontemplation nur gemäß bem natttr*
liefen SSerftanbe, ber ^^antafie unb ber ffiinbilbung auffaffcn,
tt)ö^renb bie rid^tigen frommen jene Slufgaben nad^ ber öebcutung
E^rifti alg beö ©runbcö ber SSerfö^nung unb Heiligung bemeffen.
Ob biefer (Segenfafc rid^tig gefaßt ift, mag ba^in gefteÖt bleiben;
er ift aber fd^on oon Sobenfte^n (©. 167) angebeutet. 3cbcnfaHö
fte^en bie contemplatiDc SRanier bcö an bem ^o^enliebe genährten
?ßicti^muö unb ber eben baburd^ geleitete fat^olifd^e Duicti^mu«
t)on §aufe au§ in SSermanbtfc^aft, unb mad^en leidet ben ©in*
brucf, blog Slbftufungen berfelben Scnbenj ju fein. SBenigftcnö
^at Eampegiuö SSitringa ber Sleltere, ?ßrofcffor ju granefer
in ber SSorrebe ju feiner ißraftifd^en il^eologie *) ben Duietigmui^
mit großer 5Jlac^fid^t beurtl^eilt, obgleid^ er nid^t, wie fein 8[mt8*
oorgänger aSitfiu^, tn^ftifd^ biöponirt war. ®r gefte^t ju, baß
in biefer SRid^tung mand^eö rid^tiger gebac^t ate auiggebrüdt fei.
3n§befonbere erwecft fie SSitringa'S Sntereffe babur^, baß fie bie
©runblagen ber römifd^en 8leligion untergraben foU, quae ani-
1) Typus iheologiae practicae sive de vita spirituali eiusque af-
fectibus commeDtatio. Franequerae 1716. — l^Siinnga t{! 1659 )tt SfCtt«
toQtben geboten, $rof. ju gtaneter 1681, geflor^en 1722.
303
moB christianornm ab intemis et spiritnalibns avocat ad ex-
terna, pompatica ac seDSualia, et bis fere solis sive potins
ignoraDtiam vulgi in cultu religionis pascit. S)icfc bcfonnte
falfc^c SorftcHung-öom Äat^oUciömiiig, tücld^e für benfclbcn bic
SK^ftif flar nid^t öcranfd^lagt, ift gcrabc ein ®runb, um fid) ju
C^ren bcö innerlichen S^riftentl^umg mit bcm DuictiSmu§ cin^^
gulaffcn, an bcn fd^on Sobcnftc^n na^e herangetreten ttjar.
S)iefc ©efa^r ift fretlid^ für Sitringa nid)t Dor^anben qc-
»efen. Dag eben angeführte S3ud^, eine 2RoraltI)eoIogie, ift üiet
mel^r ber Settjei^ bafür, ba§ er baö geiftlid^c Scben nidjt alä
contcmplatioe«, fonbern ate actbeö ocrfte^t. Snfofern gel^ört
t>a^ S)ud^ nid^t in bcn ßujammenl^ang, ber Ijicr Verfolgt tüirb,
fonbern eö ift eine tüid^tige Urfunbe bafür, baß baö §aupt ber
coccejanifc^en ©d^ule mel^r ate ein SRcnfci^enalter nad^ bem Slb^
gange il^reg ©tifterö ftd^ nod^ fern plt Don ber 9Het^obc beö
eüangclifc^en ^ieti^mu«. Neffen ungead^tet üerrot^ fic^ in mandjen
öeiic^ungen eine getpiffe ©leid^^eit mit jener ©rfcöeinung, unb
aufecrbem erfc^eint in ber S)arfteIIung ber SRittel ber Heiligung
eine unöerfennbare Slnnäl^erung an bie pictiftifd^en Untere
ne^mungen. 3n biefen Sejicl^ungen bicnt biefeö S3uc^ jur @r*
llarung beffen, baß auc^ ber reine Soccejaniömug auö praftifc^en
Äüdtfic^ten in ben 5ßietiömug eingemünbet ift. 3)a§ geiftlid^e
Sebcn ift na^ SSitringa bie tJoHfommene Sinigung ober ©emein?
fc^aft mit ®ott in E^riftuS, weld^eö bic ^errfc^aft ber ©ünbe
unb SBclt auöfd^Iießt, unb in ber Uebung aller Sugenb unb
guten SBcrfe^ mit gutem ©etuiffen tljätig ift jur ®^rc ®otteg, j^ur
görbcrung ber Snberen unb ju eigener ©eligleit. ®aö geiftlid^e
ficbcn fc^ticßt bag natürlid^e, bürgerliche unb ©rtpcrböleben nid^t
aug, fonbern foD mit biefen ^^rmen jufammcn fein, um fic ju
üoQcnbcn unb ju l^ciligcn. ®cr näd^fte fubjcctiöe ®runb bc^
flciftltd^cn Sebcn« ift bie Siebe gegen @ott, al§ ba§ 93egc^ren
^ad^ bem Pd^ften @ut, ttjclc^cs; feiner Slrt nad^ bie ß^rfurd^t
^cgcn ben SSater, §errn unb SRid^ter, jugleid^ ben SSorfa| be§
^^^e^orfam« gegen bcffen ©cbote in fid^ fd^ließt, unb ni^t ol^nc
icfe Attribute gemeint tüirb. Die fo berftonbene Siebe ju ®ott
toicber il^ren ®runb in bem ©tauben, tücld^er burd^ ®rleuc^:*
ung unb SBicbcrgeburt, bciie^ungötüeifc burd^ ba« SBort ber
^nabent)erl^ei§ung l^crt)orgerufen tüirb, unb jugleic^ Siebe gegen
^ott in bem unbeftimmten ©inne beiS SEBunfd^e« borauäfefft.
304
ytäf)cx bctrad^tct a6ec tft. ber @Iau6e ba^ Snncl^men S^rifti unb
bic cngftc SScrcinigutifl mit i£|m, welche bic Ucbcrjcußunfl öon bcr
@röge bc^ ©ünbenelenbio, Don bcr 9lotf|n)enbigfcit bcr Srlöfung
unb Don bcm äßcrtl^c bcr burc^ S()rtftuS gebotenen ISrIöfung mit
fid^ fü^rt, n)clc^c ferner bic X^eilnal^mc am cwiflcn Scbcn felbft
aber nur bann ed^t tft n^enn ber @lQubc burc^ bic Siebe loirffam
mirb. ^tefe ^cftimmung bed ©laubeng folgt im ©anjen bem
(Gepräge, ttjclc^cö unter bcn Slicbcrlänbcrn jucrft SBitfiuö öcrtritt,
unb mcIc^eS nad^f)cr 93rafcl burc^ bte S3ilber bcio ^o^enliebe^
QuSgefüQt I)at. darauf gc^t SBttringa l^ier nic^t ein. SQein er
bcrüfirt fid^ mit ben Scftrcbungcn jener 3Ranner, inbem er Sie»
geln für ben Stet ber betDugten 93cfe^rung auffteüt. 2)ie fibcr^
fü[)renbc ober ftrafcnbc ©nabc, rocldE)c bcn 3Renfc^en oft gcnag
burd^ ©c^recfen unb Slcngftc einer tiefen Xraurigfeit ^inbunl
fä^rt, foQ in (Sinem Sf2omcnte in bic ncuicugcnbe ©nabc aud^
ge^cn. ^ann ftcQt fid) mit ganjcr ^lar^cit bic ^ägltc^feit unb
©^änblic^fcit ber ©ünbe bar, bic Untt)ürbigfcit ber gcgennjärtigcn
SBcrfaffung, bic 5Jli(^tigfcit bcr weltlichen 2)inge, bie Sicblic^fcit
ber ©emeinfc^aft mit ©Ott, bic SBortrefffid^feit bcr 5ßerfon fi^rijü;
bic froren unb angenehmen t^olgcn bcr ©cmeinfd)aft mit i^m;
bcr ü)?enfc^ fagt fid^ üon ber ©ünbe lo§ unb empfiehlt [idj in
S)cmut^ bcr ©nabc ©otteö. „2)ann nimmt bcr ^err Sefu« bo«
ganjc ^au^ bcr ©ecle mit aßen Kammern ein, üenoeilt, ^errfc^t
in i^ncn, lebt unb pit 3Ra^Ijcit mit ber ©ecle. ©o foinint
©Ott 5ur ©ecle, offenbart fic^ i^r in ©nabe unb ücretnigt fwl
mit it)r". ®ö mirb I)injugcfügt, ia^ biefer Umfc^toung in einem
gcttjaltigcn 2)range unb Scgc^ren üor fi^ ge^t. S)ag ftnb 3Äo*
tioe, tüclc^e ebenfo üormiegenb äftl^etifc^ orientirt finb, ttie bie
i)on Sralcl gegebenen änmeifungen. 3)aö geiftlid^e Seben fteBt
nun SBitringa in brei Sejie^ungen (er fogt Steile) bar, nämli^
alö ©clbftücrlcugnung, ate (Jrtragung beö Ärcuje^ ober ©cbulb,
unb aU Siac^folgc Sf)rifti. ^ierauö ^ebe id^ folgenbe intcreffante
©äfee ^ert)or. S)cr ©ctbftoerleugnung ttjirb bie fjrci^eit bet
Äinber ©otteS gtcic^gcfcjft. „S)ieö nömlic^ ift bie guggescid^neh
SSoHfommcn^eit eineö ß^riftcnmcnfc^en, ha^ er bie ©ütct biejet
SBelt, ttjclc^c i^m t)on ©otteö äorfe^ung bargeboten »erben,
mafetJoQ unb befdöciben geniefet, unb bem gleifd^ hierin nid^tS
gegen baö ©ebot ber geheiligten SSernunft nac^giebt." „5Die ®c»
bulb ift eine fold^e lugenb, bag fie faft bie Sage be8 aRcnftä^n
305
überbietet." Ueber bie Slad^folge Sl^rtft! beftimmt SBitringa, bag
fie nic^t bcn öejic^ungen feinet 3WittlertDerfc§ fldtcn fann, fon*
bcrn nur feinen mcnfd^Iid^cn 3;ugenben. 3nbem er jugcfte^t, bafe
manche berfelben Don bem 3nf)a(t ber p^ilofup^ifd^en Xugenb^
le^re nur bem 9lamen naä) abmeid^en, behält er bod^ t)or, bag
einige uorfommen, meldte ben (Steifem nid^t geläufig finb. ^ie
Xugenbtafet, in welche SSitringa bie Siac^fotgc E^riftt jertegt, ift
freilid^ eine ?ßrobc bafür, ba§ biefer S^itel, ttjcld^er im SKönd^*
t^um feine beutltd^e unb mirffame Slnn^cnbung gefunben l^at, in
bem ©ebrauc^ proteftantifd^er SC^eoIogen ein Siot^be^elf ift. 2)enn
wenn bem Sorbilb ß^rifti nic^t me^r ber Sinn ber SBcItflttc^s
tigteit unb ber freiwilligen Srtöbtung abgctDonnen n)erbcn foQ,
fo läßt bie Unterfc^eibung Sitringa'ö jtDifc^en bcn mittterifd^cn
ßeiftungen S^rifti unb feinen menfcfilid^cn Xugenben einen ganj
unbeftimmteu, farblofcn aWagftab fibrig. 2)enn bie lugenben
finb Sl^rifti Xugenbcn, fofcrn fie in feinen eigentpmlid^en SBeruf
cingeglicbert finb, biefer aber ift bie SBerföl^nung ber SKenfd^en.
SScrjid^tet man auf biefen Qxotd feiner 5:ugenben ol^ bcn 3Ka§*
ftab berfelben, fo bef)ält man ganj blaffe @$emata in ber $anb.
Sd ift möglich, bag ^itringa fpecieQ an ©ic^tcl badete, ald er
bie Siad^a^mung ber mittlerifc^en Seiftungen S^rifti für au^ge^
fc^loffcn erflärtc. 3d^ möd^tc in ©ic^ter^^ 2)eutung ber Slad^folge
S^rifti aud^ auf bcffen mittlerifd^e Seiftungen bicicnige Slbfurbität
crfenncn, meldte bie Unbrauc^barteit jene^ litetö für bie ©itten:=
Ic^re unter ^roteftantcn überhaupt ^anbgrciffic^ mad^t.
SSitringa entfc^öbigt für bie bürftige Deutung ber Slad^f olge
<£§rifti baburc^, bofe er einen qualitatiücn begriff öon c^riftlid^er
Sonfommenl^eit ober Don c^riftlic^em S^arafter auffteUt. @r red^^
itet al^ SJJerfmale beffelben bie georbnete (Sinfid^t in bie @(aubend»
Yoa^r^eiten unb bie @id^er^eit in ber Seurt^cilung geiftlic^er
(Erfahrungen, bie SBeiö^cit unb SSorfid^t im ^anbeln jur ®^re
@ottei3 unb jum Sort^eil bc^ iJläc^ften, bie S8cl)errfc^ung unb
Sbcalifirung ber Slffecte unb bie Straft beö SBiberftanbeö gegen
Bcrfuc^ungen, ertoorbene Uebung in bcn c^rifttic^en Xugenben,
3ut)crfic^t im ©ebet unb ®ebulb im Seiben. „3lad) biefen 3Rcr^
malen erfolgt bie ©c^äfeung eincö 3)lcn)ä)cn in §infidE)t feinet
gciftUd^en 3wftonbe^. Sc nad^bcm fie in geringerem ober in
^ö^erem ®rabe ber SoQfommen^eit gefunben werben, wirb ein
SKenfd^ atö t)onfommener St)rift auiufe^en fein." Diefe @ä^e
I. 20
306
fc^auen naä) einer bem ^ieti^muS gerabe entgegengefe^ten 9ltd^
tung. S(ber inbem nun ^itringa }u ben Stfc^laffungen unb
@(^mäd^ejuftänben im geiftUd^en SeDen übergebt, bie er t^eiU oud
fd^meren @ünben, t^eilS auS gefä^rli^en Verfügungen, tl^te
QUO ber SBiUfür ®otteg in ber Serlci^ung geringerer ober fWr*
ferer ©nabenpife ableitet, enuä^nt er ha^ einjige 9RqI in bem
93uc^e baS ^o^elieb. @r erfennt nämlic^ in if)m bie 2)QrfieQung
ber toed^fclnben 3wftänbe ber 93raut ß^rifti, wie fie balb trije
unb [c^Iaff ift, balb über bie Slbttjcfen^eit beö 83rautigam^ trauert,
balb auf bie @emeinfc^aft mit itjxn brennt, ober in i^r mit SEBonne
ausruft. Erinnert man fid^ nun, n)ie beutli^ ftd^ SSitringa'd
93efc^reibung beS @laubenS an S^riftuiS mit bem unter ben nie»
bcrlänbifc^cn 5ßietiften fiblid^en ©ebrauc^ be^ §o^enliebe^ berfl^rt,
unb bag für ben an fid^ fo unbeftimmten S3egriff ber communio
cum Christo bie Slu^füQung mit ben Silbern jene^ 99u^ {t(^
aufbrängt, fo tritt biefer Soccejaner t)iemtt bem $ietidmui^ tt)ieber
in bem Sfiage nä^er, atö er fid^ burd^ feine SSorfteDung oon ber
c^riftlid^en SSolKommenl^eit oon i^m entfernt ^atte. Snbtt^ aber
fommen bie 3Rittcl in Setrad^t, burd^ rodele ba§ geiftlid^e fieben
t^eiU aus feiner Srfc^laffung n^ieber l^ergefteUt, t^eild über^au))t
gefc^ü^t unb geförbert wirb. $ier treten ald bie Hauptaufgaben
ba§ @ebct, bie Sefung ber f). ©c^rift, enblid^ bie (Jinfamfeit cii
bie Sermeibung Don ©elegenljciten ber ©ünbe ^erüor. 3n i^
SRa^men biefer SSerfuc^ungen tt)erben fpecieD aufgeführt Sujug i»
©peife unb Iranf, SKüfeiggang, fc^led^te ®efellf(^aft, Cr^olung
in ©c^erjreben, Slnfd^lug an bie ©ittcn ber SBelt, b. ff. lanj
unb ©d^aufpicle, übermäßige ©orgen unb Äengfte um äu^ctt
Slngclegcn^citcn, ©trcitigteiten inöbcfonbere mit g^d^genopr
enblid^ ade Slnläffe jur ©ünbe. 2)em gegenüber »erben aö We
bcfonberen ÜWittel ber Heiligung empfohlen bieUebung geiftli^
©efangcö, bie X^eilna^mc am öffentlid^en ®otte«bienft, nament*
lic^ fo n)ie er burc^ bie 3)iSciplin rein ermatten toirb, bie ®c^
fetlfd^aftcn ber^eiligcn, tägliche ©elbftprüfung, (Sinfamfcit,
gaften. 9iun ttjöre man ober im 3rrtl&um, toenn man unter befl
consortia sanctorum bie 6ont)entifel glaubte oerfte^en }U foQen«
äSitringa meint üielme^r bamit bie äJerbinbungen d^riftUc^
grcunbfdjaft unter fold^en, bie gleid^er ©emüt^^rt finb, fowc
©taub unb ©tubien gemein l^aben. Sltfo ge^t bie Ucbereinjüm«
mung mit bem $ietidmuS bei bem ßoecejaner boc^ nic^t fo oett,
307
ha% er bic <)rtt)atcn ©rbauungSöcrfammlungcn au3 bcibcn ©c*
fc^lcd^tem ate ein tpert^öoDcg SRittcl jur Heiligung ancrfannt
ff&tit. Unb ööHig abgeneigt .ift er bem Sfiifebrauc^ be^ Urt^cilen«
über ben ©eclenftanb anberer, n)eldöer in jenen SSerfammlungen
^eimifd^ ift. ffir mad^t auf bie fac^Iid^e ®4tt)icrigfeit biefer auf*»
gäbe unb auf bie ^inbcrniffe aufmerifam, welche jcber fc^on in
feiner ©elbftbcurt^eitung erfährt. 3n§befonbere bient e§ jur Se^
fc^äntung be^ gefammten ^ieti^muö, tt)ie SSitringa über bie S3e*
urt^eilung be^ ©eelenftanbeö berer fid^ augfpric^t, welche in ber
©emeinfc^aft ber ttjal^ren Äird^e fic^ ber bürgerlichen ß^rbarfeit
befleißigen, unb mit bem äußern ©otteöbienft eine Drbnung be^
Scbeng unb ber ©itten üben, tod^t bem Sefenntniß beö 2Runbc§
nic^t tt)iberfprid^t. SBer beren Snnereö nid^t au^ längerem ge^
neuen Umgange ober forgfältiger Prüfung fennt, unb nic^t etma
bic apoftolif^e ®abe ber 5ßrüfung ber ©eifter f^at, foD [xd) flar
mo^en, bag 9liemanb jened Urt^eil in jebem ^aQe rid^tig unb
o^nc ©eforgniß groben 3rrtl^um§ ausüben toixh, nid^t einmal bie
fttr^cnbiener öon f)of)cx geiftlid^er ©rfa^rung. Umgefe^rt ift }U
eriüägen, tt)ie ä^nlid^ ber falfd^e (Kfer für bie SReligion bem
loa^ren ift, unb mie fd^lüpfrig, hinterhältig unb falfc^ bic ®e^
mutier vieler SKenfc^en finb. 3nbeffen, ba gemiffe SibelftcDcn
jur Seurt^eilung ?lnberer aufforbern (3Ratt^. 10, 11; 13, 48;
Act. 16, 15), fo bcftimmt SSitringa, baß man baju nic^t in auf^^
geregtem unb gebrüdftem, fonbern nur in rul^igem unb {)eiterem
©emütJ^djuftanb geeignet ift, unb \>a% bie ©eiftlic^en fid^ ju
^üten ^aben, ein Urt^cil mie t)on ©otte^ ©tu^l aud ju fäQen,
bielme^r [xd) mit einem Urttjeil ber SBal^rfd^einlid^feit begnügen
follen.
Diefe S^rift bereift alfo, tok ttjeit ein reiner ßocceianer,
troft feiner bem ^ietiömuö grunbfö|li^ jutoiberlaufenben fitts=
li^en Slnfd^auungen, baburc^, baß er fic^ an äBitfiuS >£)eutung
\>c^ ©tauben^ anfc^loß, ber rcligiöfcn Stimmung entgegenfommen
tonnte, toeld^e in ben Eonöentifeln gel^cgt ttjurbe. Snbeffcn no^
im Anfang bcd 18. 3ai&r^unbertö öerröt^ bie coccejanifd^e ©d^ule,
\o tt>eit toir fie nac^ SSitringa beurt^eilen bürfen, feine Steigung,
ouf bie befonberen Einrichtungen fi^ einjulaffen, in n)eld^en bie
Jrdmmigleit nac^ Sern^arb'g X^puö i^re ©eltung fanb. @o tt)ie
bie (£ont)entifeI unter bem ©d^n^e Don SSoet fic^ t)erbreitet Ratten,
fo ftnb auc^ nad^ bem Umfd^munge wn 1672 immer nur 93oe«
308
tiancr um bic Pflege bcrfclben bcmül^t. S)icfc ©döulftcDung aber
tüurbc nid^t burd^ Slble^nung ber föbcraliftifd^cn ©cbanicn unb
augbrüdc, fonbcrn burd^ bic Slnl^änglid^feit an bic ftrcngc ©ab*
bat^^feicr cntfd|tebcn. Snjtüifc^en lamcn bic „crnftigen" Soccc«
jancr in gricölanb unter bcm SSortritt öon öan ©iffen bcn profc
tifc^cu Qtvtdcn entgegen, ttjclc^e biö^cr öon ben SSoetianern allein
ücrtrcten ttjaren. 2)ie 5ßrcbiger, ttjcld^e jener ©ruppe angc&örtra,
liegen fid^ juerft auf bic pietiftifd^e SKctl^obc be^ SBugtampfc«
unb beö befonbcrn gefteigertcn ©cUgfcitögefü^te ein. ©o bahnte
fid^ eine anbere äJert^cilung ber bciben ©deuten an, totldtt ttm
um 1720 fid^ nad^ bem ÜKaßftabe ber Segünftigung ober 8b*
tt)cl^r ber Sonoentitel entfd^icb. ©egen biefelbcn waren bie
SSoctianer unter ber Seitung öon 3o^. SKarcf in ©roningcn, fo*
mie öon bcn (S^occeiancrn bie Sd^ten ober ßorbaten ober Scibeiu
fd)en. gür bie Sonöentitcl ttjaren bie Sörafelfd^en SBoetiancr unb
bie üampe'fc^cn ober Utrec^ter Eoccejaner *). S)cmgcmä§ W*
nef)men wix üon einem §lbepten ber ßonoentifel, ba§ er fcttft
gleid^gültig gegen bie S^oge roar, toddftx ber beibcn ©d^ufai
man angef)örte, ba c§ bei ber gegentt)ärtigen Sage ber Sir^c
fing fei baüon ju fc^ttjcigen. 2)iefer SBcrtreter ber Konocntifcl
unb Sin länger ber „ctjangelifd^cn" SRic^tung ift ©tcco lioben*].
©eine in lateinifc^er ©prad^e aufgejcid^netcn ©rlcbniffe, aRcbito*
tionen, SRcflcEionen über feine religiöfen (Erfahrungen unb Sf
ftrebungen, l^auptfäc^lic^ aud feiner Sanbibateuicit finb t)on einen
greunbc in J^oHanbifc^er Ueberfe^ung für bie ©efinnungSgenoff»
jugänglid^ gemacht toorbcn. ©ie bienen jur Seftätigung beffen,
ttjaö SBil^elm Sralel lel&r^aft Vorgetragen {)at. Wlan crfennt
nämlid^ an ber pcrfönlid^en ©elbftfd|ilberung beiS 9Kanne^, wie
bic aJtet^obe fic^ toirftic^ bettjü^rt, unb man gett)innt au« feinen
Slotiäcn eine (£inficl)t in bie ©toffe, mit ttjclc^en ftc^ bie ^'
t)cntilel befc^äftigtcn.
1) Ypeij en Dermo ut III. p. 289.
2) Geboren in SBeflerlee, $ro)). Groningen, 12. S)ec 1693, ^birtt in
Groningen unb Seiben Don 1708, (Sanbtbat be9 ^rebigtamteS 1714, $rebi()er in
mtmt*^tUU% (®roningen) 1719, gePorben 28. aWürs 1726. «gl. Eenige ««»•
teekcninge en alleenspraaken betreffende meest het verborgen leven ^^
den beere — van Sicco Tjaden, uitgegeven door Job. Hofstede. Gro-
ningen 1727. §fiufig »icDer aufgelegt.
309
Ute ©tubcnt in Seiben cmcdt, um fi^ ju bcm $crm
3cfu^ }U wcnben, finbet fid^ Xjaben in biefer ^ic^tung boc^
erft befcftiflt, fcitbem er in feinem SBobnort ©roningen in ^cx^
binbung mit bem ^ßrebiger Slom trat unb bie ©ottfeligen auf«
fuc^tc, fo tt)ic i^ren 3ufömmenfünften 6eitt)ol&nte. S)ie ©runbfäftc,
toclc^e biefer fein gfi^rcr vertrat, finb bejeidincnb für bie Haltung,
nnrlc^e ber junge älf^ann einnahm, unb bilbcn überl^aupt bad
Programm, tocIdE)eö ber fogenannte etjangelifd^e $i(?ti^muö bamafö
im ©egenfa^ gegen bie gefe^Iid^e Slic^tung befolgte. 3)a bie
Ru^e unb ber griebe beö natürlichen 3Kenfd)en nic^t ber
äu^brucf red^ter ©laubenöücrfidierung ift, fo fommt cS barauf
an, nad^ Änmeifung beö ?ßaulug (2 ßor. 13, 5) fid^ ju prüfen,
ob man im ®lauben fte^t, ober öietnte{)r ®ott barum ju bitten,
bafi er baö §erj burc^forfc^e ($f. 139, 23. 24). SBenn aber fo
ber ©ünbenftanb jur Slnfd^auung gelangt, fo ^at man nic^t gc^
fcftlic^, fonbern eüangelifcf) ju f)anbeln, bag ift, man foD fid^
burc^ leine ©ünben oon Scfuö abgalten, fonbern fic^ burd^ fic
üielmel^r ju i^m treiben laffen. ÜÄan fie()t, eö ift bie^ biefelbc
(Sombination, tt)el^e SBil^elm »rafel aufgeftcttt ^at (©. 298).'
Ate baö ©d^ema aber, in ttjeld^em junöc^ft bie öorgefd^riebene
©clbftprüfung fic^ bewegt, toirb nad^ bem SJorgang öon Soben'^
fte^n unb nad^ ber feftftel^enben t^eotogifd^en Uebertieferung ber
®cgcnfa|j jtoifc^en ber ©ouöeränetät ©otteg ober ber Ällgenugs:
famicit Sefu unb ber Slid^tigfeit beg SKenfc^en geltenb gemad^t.
„Durd) bie Xiefe meiner 5Rid)tigfeit unb D^nmad^t ftra^It ber
Äbgrunb üon 3efu XlUgenugfamfeit unb unergrünblid^er ©nabe."
^ieburc^ toxxi aQerbing^ bie ©c^ä^ung ber @nabe ©otted in
cntfd^iebener SBeife eingcfd^ärft. SlHein anbererfeitö toirb ba§
93etDugtfein ber ©ünbe unb baiS ber creatürlic^en ©d^tt)od^e öer«
mengt. 3n ben öorlicgcnben ©ünbcnbefcnntniffen ift bie inbioi^
bucüe garbe unb bie Slnfnüpfung an bie befonberen ©ituationen
ju ocrmiffen. ©ie bett)egen fid^ burd^auö in einer angelernten
t^pifd^cn aWanier unb in Uebertreibungen. Die S^tgc ift nun
ein jieltofer trüber ©emüt^^juftanb, roeldjer unjöl^Iige SKale be*
jeugt tt)irb, unb eine allgemeine SSerfd^üd^terung in bcm ©cbanfen
an ©Ott, ben abfoluten ©ouDcrön. Unter biefen Umftäriben er*
fd^cint jebe geringfügige ©unft im täglichen fieben, fc^öne^ SBetter
bei einer gußreife, ober bie 3Röglid^feit, einen SBagen ju benu^en
cnfiatt JU guge ju tt)anbern, in bem glänjenben Sid^te göttUd^en
310
SEBunbcrS. $RatürIid^, »er nid^t barauf meint rennen ju burfen,
bafe er mit d^riftlic^cr ©rjicl^ung unb perfönitdöcm ©laubcn ©ottcd
üinb unb bcö ©c^uftci^ ®otte« rcgelmägiß gewife ift, lüirb burd^
alle ffirfa^rungen, bie et mac^t, unb bie er nic^t in jenem 3u*
fammen^ange üerftel^en will, überrafd^t unb erfd^recft tt)erben.
gemcr ift ein folc^e^ Settjufetfein öon ©ünbe, lüetdje^ nur in
ber gefd^öpftid^en Siid^tigfeit al§ ein allgemein nieberfd^lagenber
(Sinbrucf empfunben wirb, an fid^ nid^t fo befd^affcn, um eine
^ertd)tigung burd^ gefe^lid^e^S ober t)ielme^r pftic^tmägigciS $an<
beln l^eraugjuf orbern. ®icfe öon SBoet Vertretene SKet^obc fe|tc
üorauö, ba§ man im S^fommen^ange mit ber Äir^e unb in ber
praftifc^en Jlnerfennung i^rer Aufgaben fic^ alö d^riftlid^en
S^arafter ober aU jiinb @otte^ anfeilen barf. Sie t)orgebli(^
cöangclifd^e 3Ketf)obe aber, todäjc t)on S^jaben befolgt tt)irb, ifl
bie bem ©efü^l ber allgemeinen Siic^tigleit unb Setrübniß ent»
fpredjenbe ebenfo allgemeine ©e^nfud^t nad^ bem fügen SSerfe^r
mit bem §erm 3efu^, mld)c nid^t t)on bem Seioufetfein ber
©otteölinbfd^aft bc^errfd^t ift. §ier ^anbelt eg fic^ nur um eine
'Spannung ber ISinbilbungSfraft unb bed ©efü^ld, bie in feinem
folgered^ten Ser^öltnife ju bcn trüben Stimmungen ftel^t, ujelt^
man ju übertoinben tt)ünfd^t. ffiö ift alfo nad^ ben SBelenntniffen
Don 2:j|abcn burd)auS jufällig, ob bieiS gelingt ob ber junger
unb 3)urft nac^ 3cfuö jU bem Srgrcifen bcffelben fü^rt. unb wie
lange biefcr SBcfi^ anhält. ®cr wirifame SRcij jur ^crüorrufung
biefeö ©eligfeitögefü^lö ift manchmal eine tröftlic^e SibelftelUt
loeld^e überrafc^cnb in bie momentane Serftimmung cinfd^läftt;
ober unter bem Xrinfen beö ?lbenbma{)ldfcld^e^ wirb Die biö ba^i"»
an^altcnbe ®ürre tjcrbröngt, inbem „il^m gegönnt würbe, m^
aller feiner ©ünbenlaft unb feinen übrig gebliebenen SSerborbc«^*
l^eiten ju ru^en in ber güQc beffen, weld^er feine SEßunbcn >^^
xf)m öffnete, um i^n ^ineinbliden ju laffen." 3*^^^^^^ ^^^^ Sä-'^J
nadi^cr „famcn bie SDiäc^tc ber ^ölle, il)n ju beftürmen nr^^
i^rem gewohnten ©cwel^r unb Äriegöliften unb mit ungewo^n*:^^
©ewalt; Sefuö aber gab Äraft jum SBibcrftc^en."
3)er SSerlc^r mit bem ^errn Scfuö, auf welchen Ijab-
fein SBeftreben richtet, foH i^m ftülfrcic^ fein jur fjeftftellui
feines ©nabenftanbei^ unb bemgemäg jur Sludfc^eibung beS St
brucfeS beS ©ünbenftanbcS. „SaS fiid^t, ha^ mxä) bcftra^li
ging nid^t fo rafrf) unter. SDicinc cinjigc ©onne, ber ^err 3efi^^
311
f^at mx6) ju feiner ©onncnblume gemad^t. (Er tft bie @onne,
locld^c mid) flicßenb mac^t; er fd)miljt mein ^crj wie SBad^^;
er jtc^t X^ränen bcr Siebe auö meinen Singen." ;,©te^e mir
bei, mein einjiger ftetcr Reifer, ^err 3cfu. fia§ baö Sic^t einer
fcften unb ernften Hoffnung in meiner ©eete burd^bred^en, Der*
lei^e ©etbftüerleugnung, Unterwerfung, unb gönne mir unter
beiner weifen unb barml^erjigen Seitung in beinen SBegen JRu^e
ju finben. SBaö fürchte ic^, ba id^ in ben armen Sefu bin. 2)u
$crr Scfu, fannft mid^ allein überwinben; id^ bein g^inb begehre
übemjunben ju werben. SBie füg foD mir biefe Slieberlage fein,
too ic^ Kid^t« unb bu aUeö fein wirft." Dbgleid^ in ben öe^
fcnntniffen üon Xjaben feine ©teile beg ^o^cnliebe^ citirt Wirb,
fo finb i^m ade wefentlic^en iiategorieen geläufig, weld^e t)on ha^
fter für ben Umgang ber ©eele mit bem §errn 3efuö abgeleitet
worben finb. ®r l^at Sefuö jum greunbe, er fud^t i^n jwedEmägig
in bcr ffiinfamfeit; aber and) in bem SSerfe^r mit ben frommen
^t er ben SSerfe^r mit bem fügen Sefu«; 3efuö antwortet i^m,
ja er ge^rt au^ ju ben gu^örern, wenn Xjaben prebigt! ?lber
burd^ bie Sanbibatenjeit ^inburd^ wcd^feln biefe Sinbrflde immer
wicber mit ben entgegengefe^ten. Denn atlmäl^lid) ergiebt pd^ au§
bicfen Sefcnntniffcn, bag Xjaben bie eigcntpmlid^en 93ebingungen
feines ©tanbeS bei feinen ©elbftprflfungen nid^t in Änfc^lag ge=
bracht ^at. Ätein SSorbercitungöbienft ju einem öffentlid^en Amte
ift ja fo ungünftig gefteüt, wie ber jum 5ßrebigtamt. Siämlid^
in ber SSerlfinbigung beiS 6:i)riftentl)umd mug auc^ ber Sanbibat
ein 9Rag uon perjönlid^er Slnctorität t)orwegne^men, t)on bem
er weife, ba§ eS i^m gegenüber ber ©emeinbe eigentlid) nic^t ju*
fommt. gerner ift bie gciftige ©pannung, mit weld^er ein San*
bibat Dor einer i^m fremben ©emeinbe jur ^rebigt auftritt, burd^
tjerfd^iebene Umftönbe fo oiel wie möglid^ gefteigert. 3Die St^^err*
f^ung ber ted^nifd^en gorm foH jugleid^ mit ber religiöfen ®e*
ntüt^Sbewegung geübt, unb bie 2:i)eitna^nte an ber jul^örenben
©emeinbe mit bem bere^tigten ober pftic^tmäfeigen S^rgeij
■öcrbunbcn werben, bafe man fid^ oor jener nid^t blamire. Söift
ni^t in aQen f^äQen fidler, bag man in einer (Sanbibatenprebigt
jene Siücffic^ten ooQftänbig auSjugleid^en oermag, unb eS ift
Derte^rt, ben Snfprud^ an fic^ felbft ju ergeben, im SSorauiS über
%te Hemmungen jener Umftänbe l^inaud ju fein. 3n biefer ^tv^
le^rt^ett ^at Zjaben fid) mel^rere Saläre lang verfangen, weil er
312
in feinem ©d^ema rcligiöfcr ©clbftbeurt^citung feinen 3laum
fanb, um jene ©d^ttjicrigfeiten nad^ i^rcm befonbern 3Mffli'^J"fw^
^ange ju üerftel^en. ijoben ^at burc^ bie umftönblid^fte Art
ber SSorbereitung jur ^rebigt unb burd^ beten tobttliä)t (Km
prfigung in^ ©cbäd^tnig fid^ bie ©od^e crfc^tüert unb burd^ eine
ber ©outjeränetät ®otteö angcmcffene ©d^ö^ung beg ^rebigt*
amteiS feine natürli^e ©cf)ü^tern]^eit gefteigert; unb bonebcn
mac^t er hei einer ber crften ^rebigtcn ben ?lnfpru(^ auf bie
®ett)i6^eit, baß ®ott il^n jum ^rebigtamt berufen f)abe! (5t be^
fcnnt tt)eiterl)in, ba§ er 3Ri§trauen gegen fic^ fclbft, Äleinmut^
unb 3Serjtt)eifcIung gel^egt, unb mit ^eftigfeit bie entgegengefe^tc
(Scmüt^öftimmung beim ^rebigen erftrebt l^abe, femer ba% er
bei einer JRebe im (Sonüentifel in ben Äampf jtoifc^cn gurc^t
unb S^rgeij gcfteDt tüorben fei. SBir erfahren baneben, ba§ er
aWonate lang Dom gieber ^eimgefnc^t tt)ar, unb in biefcm Qu-^
ftanbe geprebigt l&at. Aber jene ©timmungen red^net er pc^ aö
©finben an, unb wenn er in einer ?ßrebigt toaxm geworben i|l,
fo fielet er barin jwar eine überrafd^enbe ?ßrobe öon ©ottcö
®nabe, boc^ o^ne eine Sefeftigung feinet ©elbftgeffl^lö ! .S)cr
§err tl^ut c3; id^ l^abe bloö anju beten, ju preifen, ju öerttaucn,
JU warten, aufeumerfcn unb fo weiter."
®twa um bie ÜRittc feiner Sanbibatenjeit bejeugt Ijabcn
einen Qutoaä)^ feinet (äJnabenftanbe^ in ^^Ige feinet engem Set*
lel^r^ mit ben „®otteöffird^tigcn". SRämlid^ bamate bcgonn et
atö ©prec^er in ben Sonbentifeln aufjutretcn, wel^e er in dc«^'-
fd^iebenen Dörfern gcfunben \)atic. 35aö gab i^m in feiner"»
?lugcn ein gcwiffc^3 ®ewic^t, unb bie entfpred^enbc ®timmur»ft
bürgte für feinen ©nabenftanb, ba fic burd^ bie Uebereinftimmurr^S
mit einer 9lrt üon ©cmeinbe getragen war. Unb biefelbe pfleg^^^'
Wenn. Sijaben erfc^ien, nic^t fparfam in ben Änbac^t^übung^^^
JU fein. Siö in bie bunfele 5Jlad^t blieben biefe „Orot fud^enb^*^
©eelcn" tjcrfammclt bei Vorträgen, ©cfpräd^en, ®cbcten,
föngcn. ®r tjerjcic^net ben gtüdEIid^ften Sag feinet Sebcng,
er t)icr Sage unb iJläd^te l)intercinanber fold^e JBefcftigung u
6rleud)tung unter ben „aüerfüfeeften ©c^äf^en Sefu" crfol(|i
l^at, unb crlennt ©ottcö ^anb barin, baß er troft uicr burcrr^
wad^ter Siäd^te fein SBebürfnife bcö ©d)tafe« cmpfunben ^at. SS:===^^^
SReben in biefcm Ärcife bejie^en fid^ j. ö. auf bie fragen, waru ^
©Ott bie Heiligung in biefem &cbcn lägt unboUfornmcn bleibe
313
ttKirum fo lücnigc au§ bcr ©ünbflut^ entronnen finb, ober auf
baö J^ema, bag baö Sid^t für bie ©erec^ten ftral< unb 5^6^«.
li^Ieit für bie Äufriditigcn. S)te ©pra^e Äanaan^, an tod6)et
fi(^ Xjaben mit biefen ©erregten unb Aufrichtigen erfreut, ift
bie naturgemäße go'flc ber t)orf)errfcftcnben Sefc^äftigung mit
altteftamenttic^en Stoffen unb 5ßrebigttejtcn. Äuc^ bie greube
an ber Statur, weld^e für Xiabcn in ber SKitte ber großen ein:=
förmigen Torfmoore aufgegangen ift, tuürjt er fid^ regelmäßig
burd^ reflectirtc 5lnfpielungen auf geiftlid^e ?lnaIogieen. 3lber
bog SBo^Igefü^I in ber Umgebung ber gi^o'nnicn ift auc^ nicftt
o^nc ©cfal^r. 3)enn einmal belennt er, in einem ®ebet, worin
er nid^t gang falt, fonbem anbringcnb gett)efen fei, oiele SBorte
gemacht ju f)aben. Unmittelbar banad^ aber fei er t)on ber^ö^c
^crabgett)orfen unb burd^ üielc ©rünbe {)in unb ^er gef^üttelt
toorben, biö er enblidl) entbedEte, baß er aug Sigenliebe ober ffiitet
!cit baö ©cbet fo lang au^gefponnen ^abe.
®ie anficht über bie bem SBerbcrben na^e Sage ber Äird^c
^cgt Sjaben im ©inflange mit ben Url^ebem beö $ieti^mu§.
®r bcfennt fid^ bcmgcmöß au^ ju ber 5Rot^toenbigIett bcr Slefor*
mation be§ Scbeng in ber Äirc^e, in bemfelben Umfang ttne
Sobenfte^n. 6r wirb aud) bur^ bie fectirerifd^e Folgerung beun^
ru^igt, baß eine Slbenbmal^I^feier in @cmeinfd^aft mit Unreinen
nichtig unb fünb^aft fei; aQein er ^at in biefcm @ebanfen eine
8crfu(^ung erlannt. ferner atö er burc^ ben SRatl^ öon ©ro*
ntngcn ju feinem ?ßrebigtamt in 9iieutt)e:'^efcI=Sl berufen worben
ift, gerätl^ er in bie größten ©frupel, ob bie weltlid^e Dbrigleit
baju bered^tigt fei, obwohl er üorfter feinen Slnftanb genommen
Ibot, burd^ ^robcprebigtcn bie i^m angetragene Bewerbung um
bie ©teile über fi^ ju nehmen. Cr beruhigt fic^ fc^ließli(^ bamit,
boß bie ©emeinbc i{)m geneigt ift, unb baß bie grommen für
feine SBerufung ^ö^^^itte getrau ^aben. SKan erfennt beutlic^,
baß er jwar burd^ bie Änfi^ten über lird^lic^e S)inge, toeld^e in
bcm ftreife ber f^eincn gangbar finb, berührt wirb; allein er ift
üiel }u fe^r mit fid) felbft befd^öftigt gewcfen, aU baß er auf
Äirc^enpolitif ^ätte einget)en mögen. S)enn gcrabe na^bem er
bie Berufung in baö Amt empfangen ^at, wirb er wieber burd^
einen ©türm oon Unfic^er^cit unb gciftlid^er S^rogl^eit ^eimgefud^t,
btd er bur^ bie $fli(^ten feinet 9(mted in Slnfpruc^ genommen
»orben ift. 9tümlid^ au biefcm $unft fd^eint er au^ feine 3^it
814
mel^r 5U bcn jufammenpngenbcn Sufjeid^nungcn geJ^Qbtju l^aben.
Unter bcn ücrcinjcltcn JBcfcnntniffcn ift nod^ cinc3 Don 1723,
iDeld^ed bejeugt, bog er gelcgcntltd^ jur 9tn\)c gefommen ift. Um
nämltd^ mit Sßitfiud }U rcben, auf beffen Oeconomia foedemm
fid^ Xjaben beruft, ift ei^ it|m gelungen, über bie ©tufc bed
hungernd unb ^urftcnd l^inauS }ur S(nne^mung bed ^erm 3efu$
Dorjubringen. „3^ feil) bamatö, obglcid^ meine @unben nmrcn
toie bie ®ee unb iDte ein unerme^lid^er Slbgrunb, bog in 3efud
ein unenblid^er Occan t)on SBarml^eriigfeit fei, unb ic^ iDarf mic^
in bie ©ce, atö in eine ©ee oon freier Siebe. S)iefe^ aber xoat
mir noc^ nid^t genug; ic^ flomm p^er l^inauf. Sd^ {q^, bafi
3efu« ttjal^rlid^ ber SKelne »ar, mit feiner güDc." „SÄeincgrei«
mfit^igfeit blieb bouemb, inbem i^ t)on meinem SSater ein
^inbe^red^t auf feine @Sefd^öpfe erbot, unb einen ^nbcdgefiorfam,
um fie mäßig unb banfbar ju gebraudien." Unter bicfem ®ebet
enblid^ iDQrb i^m t)erlie]^en auf bie gnäbige Srmä^Iung unb ett)ige
Sarml^erjigteit in §infid^t feiner ju merlen, unb er öermoc^tc
mit ber i^m burd^ ®ott entbedten ©ünbe feineö jtoeifcinbcn unb
migtrauifdien bittend ju 3efu^ um 93erföt)nung ju ge^en. &t f)ai
jebod^ nod^ einmal 1725 eine Serbunfelung ju übem)inben ge*
^abt, in melier if)m ju 3Rut^e iDar, a(d ob er feine SBa^r^t
fennte. Sr na^m babei n)a]^r, bag er ju unmittelbar an ben $erm
ging, ber fid^ boc^ aQein in S^riftu^ finben laffen tooQe, unb
barauf fonnte er Scfu^ loicber annehmen unb fic^ il^m ergeben^
SSon feiner Jlmtöfü^rung üerne^men »ir aud ben Scfenntniffei
bed ba(b barauf Serftorbenen nid^td auger bem SSorfa^, @ef(
unb Süangelium ju prebigen unb t)or KQem Sefud barjufteQei
unter bem Sinbrudt feiner Sieben^roürbigleit.
Qxod 5ßunlte brängen fic^ in biefem Seben^bilbe auf, tt)cl(^^ i
einer befonbern Erörterung bebürfen. Quex^t fragt ed fic§, xoim-i
bie ©ünbcnüergcbung unb ttjic bie Äraft jum fittli^en §anbclir^
mit bem @enug ber ©d^önl^eit unb Sieben^mfirbigfcit beS ^emr^
SefuS üerfnüpft fein foHen. 3n jener SBejie^ung lautet bie Hn^^
n)eifung ba^in, bafe man gerabe im 93etou§tfein ber ©flnbcn fein«^ ^
3uflud^t }um §errn Sefuö ncl^men foH, um t)on benfelbcn be-^ —
freit JU werben. Aber wie mirb bicfe SBirfung öorgefteüt? Sir^
ber med^anifd^en Sraft bciS aft^etifd)en (SiubructS be^ Sbeald au|
bie ©eele! ©iefeö ergicbt fid^ bcutlid^ auiS ben JBUbern, bie jui
2)arftellung beS Sorgnngö bicnen. S)cr §err Scfuö »irft loi^
315
bie @onne auf bcn @ünber, er fd^milit fein ^erj n>ie SBad^g,
ober er uertreibt bie 9lebel, n^eld^e bie @eele unb bie Su^^fi^t
bcbcdcn. S)ie ©ünben finb ferner tt)ie bie ©ee unergrünblid^,
Sefud aber ift ein unenblid^er Ocean ber SSorml^eriigfeit ; inbem
man fid^ ^ier ^ineintuirft, löft fid^ bie @ee in ben Ocean auf.
Snbem man in feinen ©ünben fid^ atö t^einb bed ^erm Sefud
erfennt, fel^nt man fi^ uon i^m übermunben ju n^erben, b. f).
ba$ Uebergen)id^t bed Sinbrudd be^ Sbeald über bie Unorbnung
ju erfahren, bie man mit Unluft empfinbet. SBcnn man mit ber
Saft feiner ©ünben in ber güDe Scfu JRu^e finbet, inbem man
in bie äSunben Sefu l^at ^ineinfd^auen bürfen, fo bebeutet bad
eine £uft ber Sfiü^rung, meldte bie (Erinnerung an bie ©ünben
mcd^anifc^ uerbrängt. 3)iefc Siül^rungen n)erben nun qU 93er^
fid^erungen ber ©ünbenuergebung, alfo atö ber fittlid^ mcrtl^uoOfte
(Enoerb ber SVeligion be^^alb gefc^ä^t, n>ei( aud^ bie ©ünben
nic^t aU fittUd^e ©d^ulb, fonbern ald ßrfd^einungen ber äuge«
meinen creatfirlic^en 9lid^tig!eit, alfo nur äft^etifc^ gen)ürbigt
toerben. äSenn ed anberd märe, fo mügte in ben ftetd micber«
fe^renbcn 93erbunfelungen ber ^J^lud^ be^ @efe^ei^ ober ber Qotn
@otted empfunbcn mcrben. ^a$ ift aber gar nid^t bie SOteinung,
unb infon)cit aud^ mit 9fiecf)t, ald ed fid^ factifd^ meift um 93er«
ftimmungen ^anbelt, n)eld^c biätetif^ be^anbelt fein n)onen. S(Qein
bie religiöfe öeleud^tung, in »elc^e biefe 3uftänbe gefefet merben,
ift eben ni^t religiö^ittli^, fonbern fclbft nur eine S(rt üon
äft^etifd^er 33eurt^eilung. aJ2an fann ^icrau^ abnehmen, mie
tiiel fittlic^e ^raft aud biefcn Smpfinbungen gefc^öpft n)erben
toirb. (Ein äft^etifc^ angelegter SOtenfd^ mirb ja burd^ bie fiuft
an ber ©d^ön^eit unb fiieben!^n)ürbigfeit bcd ^erm Sefud ju
paffitier Xugenb ermedt merben fönnen. Seboc^ für bie normale
fittlid^e (Erregung unb Surc^bilbung bed SBiQen^, meldte il^re
üft^etifc^en Sebingungen ^at, aber aud^ nod^ anbere, reicht bie
Einleitung ni^t au^, n)eld^e Xjaben ju geben fic^ getraut.
3)iefed fü^rt auf ben jmciten ^untt. Unter bie Unbefel^rten,
auf n)elc^e er mirfen miO, red^net Xjaben erftend bie fiafter^aften,
jnieitend „bie meldte uerfte^en, ma^ fie gelernt ^aben, bie 93ürger«
litten, ©otte^bienftlic^cn unb Slbeubma^tegel^er", britteni^ „bie
3afager unb Slac^fpred^er/ 3n biefer (Eint^eilung alfo begegnet
un^ n^ieber bie ©eringfd^^ung berjenigen, meiere i^re (SJeltung
ald (Sänften burd^ bie (Erfüllung i^red bürgerlid^en SBerufed unb
316
burd^ il^rc flbertotegcnb poffbc Xl^eilnal^me an bcr fird^Ud^n
@ittc ju bctDä^rcn meinen. Stefe Don Sobenfte^n unb ben 9n*
beten Vertretene Slnfid^t rid^tet [i^ mit JRcd^t gegen bie Stumpf
l^eit beö [ittlid^en Urt^eilö, tücld^e bie ©efcUfc^aft jener Qext bc*
^errfd^te. ^efcr ^J^el^ler erf^eint l^auptfäd^lid^ in bcr Uebung
unb ber 3)ulbung bed Softer^ ber Xrunffud^t 0. (Sincn %aü
bicfer 9trt em^ä^nt and) Xjaben in feinen 9lotijen. (£in äJtann
in feiner ©emeinbe, meld^er erfd^lagen tDorben mar, empfing öon
ben Änberen baö 8eugni§, er l^abe in baucrnber Xrunffuc^t bei
ben belogen über oQe^ bad ^öd^fte SBort geführt, fei aber
übrigen^ ein frommer SRann gemcfen. SBenn bie öffentlid^c SRci*
nung fid^ fo audfpred^en fonnte, fo maren alle @c^id^tcn ber
©efeüfd^aft für biefelbe öeranttoortlic^ ju ma^en, unb ber SBert^
ber bamit t)erbunbencn firc^lid^en ©itte mugte fe^r gering er*
fd^einen in ben %ugen berer, meldte burd^ ben ^iettömu^ ftc^
JU einem ftrengcrn Urtl^cil erl^oben. allein burd^ biejcnigc ^c^
urt^eilung, meldte bie ^ictiften feit fiobenfte^n bcr großen
SÄaffe bcr Äird^cnglieber jumanbtcn, I)aben fic bod^ bcr Äirc^c
einen unerfc|Itd^en ©d^aben jugefügt. 3;^atfäd^li^ geftc^en fic
aud^ biefen ^e^ler baburd^ ein, bag fic in einer fpätern Spod^
fid^ gerabe barauf gefteift ^abcn, bie gormen bcr f irc^lid^cn ©itte
ju erhalten ober roieber ^cräuftcHen. SlDcin i^r Unred^t in biefe
öcjie^ung giebt ft^ aud^ barin funb, mie fic, unb jmar inöbefonbcr«
S^jaben, bie geiler ber t)on i^nen afö be!el)rungöbcbürftig bai
geftcHtcn Sird^englicber ju oerbeffcm behaupten. 3)icfcr junj
^ebiger l^at bie ©arftcDung bcr fiicbcnömfirbigleit bc^ §crr
3efuS jur ©orrectur ber geiler bcr unbefe^rten ®emeinbcglieb(
öcrnjcnben moDen. 3^ meine, bag für biefe ?lnic^auung in bei
©efic^töfrciS jener ©efcüfc^aft jebcr Änfnüpfungöpunft gefe^l
^at, bag ber allgemeine äft^etifc^e @cnug bc^ fittlid^en Sbeal
fein aRotit) für bie ©c^ärfung bcö fittlid^cn Urt^eil^ im Sinjclneir:^
unb bag bie ^crabbrücfung ber fittlic^en ©d^ulb auf baiS @effil
ber allgemeinen 9itid^tigfeit, meldte mit jenem Sbeal jufammei
^ängt, fein Slntrieb für bie nötf)ige Slnfpannung ber SBillenifrafW
für befonbere aufgaben ift. 3)enn biefe ?ßrebigt oon bcr Sicbeni
mürbigfeit bcö.^errn 3efuö, b. 1^. bcö ibcalcn 2Äcnfd^en ift bi
nur ein fc^r t)erfümmertcr Jia^flang ber ?ßrebigt öon unferci
1) W, X^olnd, 2)oS lirc^lic^e Seben im 17. ^aJ^rl^. I. 6. 212.
317
^errn Sefud S^riftud. S^ fommt bod^ tool^l an auf bie $err^
fc^aft ober bie ©ott^eit ßl)ri[ti. 3)iefe fonn nun nid^t jur @cU
tung gebrad^t n)ecben auger^alb ber not^menbigcn SBejiefiung
jiDij^en i^m unb feiner ©emeinbe, tt)clc^e bie Seftimmunfl t)at,
in bie ®ottedfinbfd^aft unb in bie SSel^errfd^ung ber äSelt ein^u«
treten. Snner^olb biefe? JR^^nicn^ erft ift e^ möglid^, bag @e*
XDxäit ber @änbe unb ba^^ ©egenmid^t ber Sriöfung uon @flnbe
unb Uebel richtig }u beuten, unb bie 93efreiung bed (Sinjelnen
Don feiner ©d^ulb gegen (Sott in ber grei^eit be^ Sertrouen^
auf ®ott, in ber greil^eit ber Sinber ©otte^ t)on ber 5^rd^t
Dor ber äSelt unb in bem erfolgreid^en Sorfa^e bed ©e^orfamd
gegen @)ott nad^juioeifen. äSenn jebo^ bie Siebe bed oOer^
fd^önften Sefu^ nur ald ber ^nlag ju bem ^riDatüer^ltnig ber
inbioibueQen @cgenliebe genommen, unb loenn babei abftra^irt
koirb t)on ber (Srlöfung unb bem 93eftanbe ber ©emeinbe, in
toeld^er man aQein ben ^errn fennt, t)on ber n)eltüberkDinbenben
SDtac^t SI)rifti, öon ber SBeftimmung jebeö ©liebet ber ©emeinbe,
fic^ berfelben Wlaä)t ilber bie SBelt ju bemäd^tigen, bann ^at
man eben bie Wlotiot au^ ber ^anb gegeben, n^eld^e jur religiöfen
unb fittlid^en 93efferung ber ©lieber ber St'ixi^c aOein geeignet ftnb.
16. ^e Sfortfe^ung ber etiangelifc^en Stid^tnng Md ju il^ret
ftriftd nm bad ^a^r 1750.
5Die pietiftifd^e SBen^egung in ber nieberlänbifd^en reformirten
ftird)e unterfd^eibet fid^ t)on berjenigen, meldte bie SBiebertäufer
^unbert 3a^re frül^er gemad^t ^aben, unter Slnbercm barin,
ba§ fie burd^ SScrtreter be« fird^Iid^en Amte«, burd^ t^eologif^ gc*
bilbetc aJionner herbeigeführt unb unterhalten tt)orben ift. 5Diefe
l^abcn in ber ©egcnmirfung gegen bie für irreformabel erllärte
Sanbcdfirc^e bie @ont)entifel gegrünbet unb bircct ober inbirect
geleitet, ©ie §aben tt)eiter burd^ bie^ßffege be« Sern^arbinifc^en
I^pud Don grömmigfeit bie urfprünglid^e gefefelid^e Jenbenj ber
filtern ©eneration jurüdgcbrängt. ©ciftlid^e enblid^ finb c8
immer tt)ieber, nnild^e burd^ bie Ätage über bie Sertocltlid^ung
318
unb bie Unbraucftbarfcit bcr Äird^c *) il^rer ©ctoiffcnl^Qftigleit jn
gcnflgen unb cd jugleid^ }u rechtfertigen fucf)en, \>a% fte ht ben
flcincn Äreifen bcr (Srnftiflcn ober geinen biejenigen 3^^*^ ^^
d^riftlid^en fieben^ beförbern, benen bie grofee SDiengc ficft mel^r
unb me^r ju Dcrfogen fd^cint. ©crabe fold^e lonnten glauben, in
biejem Seftreben bie allgemeinen Sntereffcn ber Äird^e ju ber*
treten. Sie ^^eüangelifc^" 9lid^tung, bie fte gett)onnen l^atten,
n^ar ja n>eitt)eriigcr aU bie frühere gefe^Ii^c. ^iefelbe geftattetc
ed, auger benen, bie ben ^errn Sefud annehmen fonntcn, auc^
aOc biejenigen für bie 9leubelebung ber ^irc^e in Slnrcd^nung
ju bringen, roeld^e auc^ nur erft nac^ biefcm ßiele l^ungerten unb
burfteten ober bie 3^!^"^^ i^ Sefu^ fuc^tcn. äSo bcr ^rebiger
bie Sonüentifcl pflegte, n>aren au^ bercn ©enoffen am eifrigften
im 93efucl^ ber öffentlid^en ©ottciSbienfte. jfonnten alfo jene ^h^
ftufungen eine^ erregten reUgiöfen 3ntcreffc^ neben einanber in
ben Sonoentifeln $la^ finben, fo ern)ecfte bie cüangclifc^c SRet^obe
bie Hu^fid^t, bag fie ft^ auc^ an ber öffentlic^n ßirc^e bemA^ren
n)ürbc, n)eld^e für bie gefe^lid^c Uniformität birect nic^t ju g^
minnen n)ar. Sßenn alfo nur bie glei^ geftnnten ^rebiger ffis
fammen^ielten, fo fonnten fie aQmä^lic^ in ben (Slaffen unb ben
@^noben bie Ueberl^anb gen)innen. Unb in biefer Sage fa^en
bie Pfleger ber @ont)enti!et fid^ nic^t für n)eniger legitim an al^
biejenigen Smtdgcnoffen, bie an jenen Unternehmungen fic^ ni^t
bet^eiligten.
SBäre nur nid^t in ben ©onöcntifcln felbft bcr lababiftifc^
©auerteig tt)irtfam gctt)efen! ®er ©ectengeift aber [teilte bcx^
^rebigern eine ganj anbere Aufgabe, als bie Pflege ber mannii
fad^en @tufen religiöfer (Erregung unb beS 3ufQnimen^ang
mit ben fird^lic^en 3nftitutionen. ffiine fpld^e ©timme toar l^^f
©d^rift eines fiaien ©erben genema, „©treit beS §errn r^i^
ben (Sinmo^nern beS fianbeS", tt)cld^e öor 1731 erfc^ienen ip^*)
1) 3u ber Stellte ber bisher 9$orge!ommenen gefeilt fld^ bie Sorrebe
bem toon t>\tt frieflf^en ^rebigern l^erouSoegebenen Kort ontwerp van de U
der waarheid, de na de godzaligheid is. Dokkum 1718. Diev '^
Lorgion p; 224.
2) Twist des beeren met de inwoonderen des laods. Di^ ^*
Lorgion p. 224—227 ^t btefe S^rtft, tote eS {c^eint, nur !eniKn gelec^
ouS einer (SegenMrift Don H. A. van der Sloot, Leeuwaarden 1781, ^
loel^er bie eigenen SBorte ton Qfenema, toelc^e er ausgebt, toorlommen.
319
5)ie SScrtueltltd^ung bcr Äird^e bcfd^rctbt er fouin onbcrä als
SBil^elm 93rafcl. SHIctn er gieftt feine jectirerifc^e ©teDunfl
barin !unb, bafe er uon ©Ott berufen unb cxmdt fei, um oDer
SEBelt }u t)er!ünbigen, bie Äird^e merbe je länger je me^r ju
einem f(eifc^Ii^en SSabet. (£r behauptet im Sinftong mit ben
Sababiften (© 263), ein ^ßrebiger muffe in feiner ©emeinbe bie
SBicbcrgeborenen olö folc^e fennen, unb mcr baju nic^t fä^ig ift,
fei fclinb ; ferner muffe man alle folc^e atö fc^äblid^e ^üäfle auf«
jucken, fangen unb tjinaudmerfen ; enblid^ bürften aQe, bie nic^t
ate bcfel^rte 9Kenfc§en erfannt merben, jur ®emeinfd^aft ber Äir^e
nit^t jugelaffen n)erben. ^ie @inn)enbung, bag nur @ott bad
^crj fenne, unb biefe fieiftung 2Renfd^en nic^t jujumutl^en fei,
le^nt er bamit ab, bafe wenn bie ^ßrebiger ben ©eift ptten, pe
feine Änforberung mo^l erfüllen lönnten. Sbenfo behauptete
genema in lababiftif^er SBeife, alle Sef^Iüffc öon ©tjnoben, SRe*
folutionen öon Slaffen, (iturgifd^e Formulare unb bergleic^en
müßten abgefc^afft merben, ttjeil fie menfd^Iid^e ©afeungen finb ;
juglci^ muffe man alle^ nac^ bem reinen ®efc^ ber g^cil^eit
b. f), na^ bem Söangelium El^rifti, unb nac^ bem innern fiic^t
unb ber ©emütl^^überjeugung einrid^ten, unb bemgemäfe mit bem
^Lufbau einer tua^reu JJir^e miebcr uon üorn anfangen.
®egen fold^e ä^n^i^t^w^flcn bot nun aber bie „euangelifd^e"
SKc^tung feinen fieberen @^ufe. SBer fic^ an SBil^elm Srafet
^ielt, unb feinen Unterfc^ieb t)on ben Scitflläu^iß^nf ölfo feine
Cnoä^Iung feftjuftcllen bebad^t toav, inbem er fic^ mit „@eift unb
Seben" burd^brang, ber l^atte baran feinen nöt^igenben ©runb ju
bcr Uebcrjeugung, ba§ @ott feine fiird^e immer nur in einem
öerberbtcn S^ftönbc ttjollc üer^arren laffen. Diefe ©ntbedung,
mit tt)eld^er ber t^eologifd^ gebilbcte gü^rer feinen lababiftifd^cn
SJorauöfefeungen bie feparatiftifc^e Folgerung abfd^nitt, mar fd^mer*
lic^ geeignet, aQen fiaien ju imponiren, me(<f)e fid^ bie Srregtl^cit,
i>ie ©rübelei unb ben Drang nad^ ben bcfonbcren religiöfcn @c^
nüffcn fiatten abgcminnen fönnen, um \id) t)on ben fc^Iafenben
fS^riften ju unterfc^ciben. ffiö beburfte alfo ni^t einmal immer
ber S3erü^rung ber Sln^änger ber „euangelifd^en" 9lic^tung burc^
bircct lababiftifd^e Ueberlicferung, bamit innerhalb iene§ Äreife«
!€ nadi ben Umftänben bad lababiftifc^e @alj t)on neuem erjeugt
tDurbe. S)ic Sitterfeit beffelben merben bann nid^t bloö bie ?ßrc*
V^igcr ^aben fc^meden mflffen, meiere überhaupt auf (Sonüentifet
320
fid^ nid^t eiitlaffen lüoHtcn, fonbern aud^ fold^c, ttjcld^e fie ju bc«
fd^üfecn uub JU leiten bereit tDaren. S)ie ©ef^id^tfdörcibcr bet
nieberlänbifd^en reformirten Äird^e *) bejcugen für bie erfte ^älftc
bcö 18. 3ot|r^unbcrtö in allgemeiner ©d^ilbcrung bie SSerbreitung
fold^er SonDentüel, in melden unbefugte Saien ba$ äSSort ful^rten,
um auö i^rem t)orgebUd^en Sefifee beö ©eifte^ ^erauö rcligiöfe
Aufregung unb Stütirung ju Verbreiten, unb mit bem @elbftgefü^(
ber ßrmä^Iten oQe ju Derbammen, für gottlob unb ^inber ber
^öde ju erflären, mel^e fid^ nic^t ju itjnen Riehen, ober gor
fid^ i^nen miberfe^ten. SSielfad^ maren bie @c^ulmeifter @tunben«
^Qlter; aber baS toax immer nod^ ber günftigere ^aU für bie
@Q^e, menn axidj nid^t für ben Ort^prebiger; fd^limmer n>Qr boiS
äSorbrangen Don fiaien, benen bie Unterfd^eibung ^n)if^en fc^mar«
merifd^en unb red^tgläubigen SJorfteQungen, fomie ber Siefpect
uor ben i^nen läftigen Orbnungen ber j^ird^e mangelte.
3)ie n)eltlid)en Obrigfeiten finb bamal^ uon felbft nid^
gegen bie ©tifter t)on Unorbnung in ber Äird^c eingcfd^rittcn.
3)ie firc^lid^en Sluetoritäten b. ^. bie ^roDineialf^noben ^oben,
ttjie J.89. bie uon ®elberlanb f^on 1679—83, ßonöentifel unter
ber Sebingung erlaubt, bag fie jur ßenntuig ber loealen Jiirc^en*
rätf)e gebrad^t n)ürben. 2)iefed SSertrauen ift aber eingefc^raoft
ttjorben burd^ bie Söeftimmung ber ©clbrifdjen ©^nobe öon 1728,
bag ^artnadige 6ontrat)enienten gegen jene 93ebingung fo lange
unter Senfur, alfo älui^fd^liegung Dom ^benbma^I gefteQt nierben,
bid fie Don il^ren Slnbac^t^übungen abgelaffen unb ©atidfactioi^
gegeben ^aben^). 3m ©inne biefer Slnorbnung l^at auc^ t>tt
©^nobe ber $roDinj Groningen 1722 folgenbe ^cfd^lüffe Qf^
faßt ^). 1. ffid follen befonbere ?lnbad^töübungen in feiner ©emeii»'^
gehalten tt)erben, ol^ne ba§ bie ^rcbiger 3"*^^*^ i^ bcnfcl^«^
ptten. 2. 3)ie ?ßrebiger foUen forgfältig erforfc^en, ob bort ct»^
gelehrt ober Der^anbelt werbe, xoa^ gegen bie angeni^ptmene Se"^^'
ber Äirc^e ftreitet. 3. 3n bem lefttern gaßc folIcn bie ?ßrebfc 4^
1) Ypeij en Dermout HI. p. 331.
2) Joh. Smetius, Synodale ordonnantien tot nnt der keir^*'
onder de Synodus van Gelre en Zuiphen. Nymegen 1736, p. 21.
3) 9)gl. H. van Berkuni, Schortinghuis en de vijf nieten. 6^^^
bladzijde uit de geschiedenis van het kerkelijk leven in't Oldatn''^
1730—1750, (Utrecht 1859) p. 76.
321
in jcbcr SBcifc, aud^ burd^ Aufgebot bcr tocltlid^n Dbrigicit bie
Ucbungcn' ftören unb äum ©tiUftanb bringen. 4. SBcnn jcbod^
in ben Slnba^töübungen nid^tö bcr 3lrt t)or!ommt, fte t)ieime]ör
nur jur Stnregung ber ©ottfeligfeit bienen, foDcn bie ^rcbigcr
jic ppcgen unb t)erme^ren. Diefe Drbnung l^atte aber mclmel^r
nur }ur tJ^^Ige, bag bie Klaffen unb bie ©^noben mit JUccIama^
tioncn ber ©tunbcn^alter l^eimgefu^'t tt)urben, bcnen ^ßrcbiger
unb ^trc^enratl^ entgegengetreten n^aren, unb bag bie ^arteten
auf jenen Rrdölid^en SSerfantmlungen fi^ bie ©unft ber äugen*
büdlid^en Sage abjugeminnen fuc^ten, um balb fflr balb gegen
bie Änbadjtöübungen ju entfd^eiben. Der SSerfaffer be^ oben an*
geführten 53uc^c« t^cilt auö ben Slcten einen fold^en %aü mit,
in metd^em ©tunben^alter üon bem Äir^enrat^ unter Senfur
gefteDt ttjaren unb bagcgen reclamirten. 3)iefer ^aU ift Don
1736 bi^ 1740 t)or ber Slaffi« unb ber ©tjnobe ttjieberl^olt \)cv^
^anbelt morben. Die SlppeQation unb bie ß^^ß^^^ifung ber^
felben, bie neue SSerl^anblung ber Slaffiö unb bie erneute Ä^pet
lation machten natürlich bie Unorbnung in ber beftimmten ®t^
meinbe bauernb, unb bie Stegelmägigteit bed Sfie^tdgangeS bientc
nur baju, bie (Erbitterung unb ^arteiung an Ort unb ©teQe ju
öerfd^ärfen *). 3m Serglei^ mit biefen SBirfungen Don „®eift
unb Seben" möd^te man bem Stuftreten fold^er (Sruppen ben
Sorjug geben, meiere rein feparatiftifc^ öerful^ren, unb burd^ i^re
grunbfäfelic^e Stbfonberung üon ber ©emeinbe eine übermiegenbc
SBfirgfc^aft beö g^ebenö leifteten. Denn bie übelfte Sage einer
Äird^e ift biejjenige, ba§ fold^e ®ruppen in il^r fid^ afö i^re
eigentlichen Vertreter anfel)en, »eld^c bie lird^üd^en Drbnungen
ni^t mit ©emeinfinn, fonbem atö bie 9KitteI jur ffirreid^ung
i^rer particularen Slbfi^ten gebraud^en. 3n biefe peinlid^e Sage
ift bie niebcrlänbifc^e Äirc^e gerabe burd^ i^re Diener t)on ber
„eöangelifd^en" JRid^tung gefüfirt toorben.
Unb biefe SRid^tung erfut)r leine t^eologifc^e ®egenn)ir!ung
Don anberer ©eite ^er. Denn bie Gontrooerfe über bie tt)efent=
liefen 3RerfmaIe be^ feligma^enben ©laubcnö, »el^cX^eoboruö
an Xl^utjnen, ?ßrebiger ju DoRum in grie^Ianb 1722 l^eroor*
1) %. a. O. 6. 79-100.
I, 21
322
tief Of bctücflt fid^ nur initer^alB ber ^ßortci fclbft. Dicfcr SRann
rid^tete fid^ gegen bte in ben Sont)enttfe(n gepflegte (Srfc^cinung
ber jieflofen unb erfolglofen SeftreDungen um bie Serfic^rung ber
©eligfeit. SBcnn fold^e ?ßerfonen, »eld^e nie über ben Anlauf bcd
hungernd unb ^urftend, unb bei^ ß^flud^tnel^mend ju C^riftud
]^tnaug!Qmen unb benno^^ in il^rer baucmben Zroden^eit unb
S^rfibl^eit ben Slnfpruc^ machten, olS SRitglieber ber Sonüentifel
l^od^geac^tet ju n^erben, fo fann man eine ßurec^toeifung ber^^
felben nid^t migbidigen. SlQein ed n^ar nic^t fe^r praftifd^, i^nen
ben glauben al§ bad 9lnnet)men Sl^rifti mit (Stnfc^lug ber tnbU
t)tbuellen Serfid^erung baran barjufteQen, unb il^nen bann ju
fagen, \>a^ il^r (Streben tjienad^ nur nad^ bem äRagfiabe ber
remonftrontifd^en ober fatl^otifd^en ?(nfic^t ald ©taube gelten
fönne. 2)enn bie fieute ertannten jo jjenen SSegriff beg ©lauben«
an, gerabe inbem fte nad^ bem ^i^^^ i>^^ S^erfid^erung ftrebten
unb in i^rer erfolglofen ©e^nfu^t banad^ unglfldElic^ haaren.
3)a$ tl^eoretifd^ n^id^tigfte in ber ©d^rift t)an X^u^nen'iS mar iebix^
feine ^inn)eifung barouf, bag in ber 21. ^roge bed ^eibelberger
Jiated^i^mu^ bie fiducia, qua in deo acquiesco, ald kDefentlic|ۤ
Werfmal in ben 93egriff be^ ©laubeni^ eingered^net mirb. 91q4
bem äRagftabe uon 9fied()tglQubigfett, n)elc^em gerabe bie Slnl^nger
ber „ct)angelifc^en" {Richtung entfpred^en tooQten, tt)ar biefeö ein
ftarfeö SBarnungöjeid^en für bie 5ßfleger unb Sef^üfter einer
grömmigfcit, meiere nur fetten unb äufällig ju bem rul^igen Set*
trauen auf @ott gelangte.
Sampe'd Entgegnung bejog fid^ l^auptfä^lid^ auf i^eierlci
ffirftenö »icö er nad), bag überall in ber tl^eologifd^en Uebe^*
lieferung, aud^ bei SBitfiuö, baö jungem unb S)urftcn unb 3^
flud)tnef|men ju ß^riftuö nid^t eine Stufe t)or bem ©laub^s^
fonbern eine ©tufc in bem ©tauben bebeute. Um jenem 3Jt ^^
1) Seine S^rlft Körte nitlegging van het gereformeerde geE ^'
fcnnen Ypeij en Dermout III. p. 218, ?lnmer!unöen p. 97 in einer jbtä*»'
ten lluSgabe, unb {d^einen ba§ 3a^r ber erflen ntd^t in Itnnen; fte feten ^^
felbe bor 1722, ueil bie (Segenf^rift beS (Srontnger 9rof. Vnion S^rieRen ^^
btefem Sa^re baiiri tft. lieber bte Meinung bon ^u^nen'S bettete t4 r*^
ienen ^ef^i^tf^reibern unb no4 ben ^ngoben bon gfriebric^ Vtbolf fiampe C^'^
1720—27 $rof. in Utred^i), »el^er bier S)tfieriattonen gegen ienen gerid^^
l^i; in beffen Dissertationes philologico-theologioae (Amstelod. 1737) V<^''
I. p. 267—368.
Derftänbitig Dorjubeugeit, conigirte er äßitftud naä) ben älteren
SarfieQungcn, inbem er bie Sbftufung jlDifd^en bem QvL^uä)U
nehmen unb bem Slnnel^men Sl^rtfti atö bem koefentltd^en ®(au:»
bendact fflr ungfittig erflärte. 3^^<t<^n^ ^i^^ Sompe naä), ba^
wn ©omaru^ an bie fiducia ntc^t jum @lau6en felbft gered^net,
fonbcrn atö ^ol^t beffelbcn t)on i^m unterfd^ieben toorben fei.
^a er ^atte bie Mtjnl^eit, QUd Ursinas Explicationes eateche-
ticae ju jeigcn, bag ber Serfaffer bei^ ^atei^i^mud in jener 21.
^rage iih)ifd)en fiducia unb acquiescentia in analoger 9rt untere
fd^ieben miffen n^oOc. äSenn er aud^ bie fiducia jum @Iau6en
red^ne, fo meine er boc^ bie acquiescentia al^ eine erft mögliche
$oIge, alfo bie fiducia fetbft nur glcid^ confugium. 3)a^ 9led^t
biefer Sludlegung fc^öpfte er aud ber uon Urftnu^ t)orgenommenen
gcrglieberung ber 2ÄerfmaIe be« ©lauben«, meldte ben ©d^cin
ber jeitlid^cn Abfolge ^aben. Allein Urfinu^ gel^ört infofern
nod^ jur reformatorifd^en Spod^e, aU er bie fiducia unb bie
acquiescentia jum niefentlid^en 3Rerfma( bed glaubend mad^t.
2He t)on @omarud eingeffl^rte äJeränberung l^at aber ben fd^on
me^rfac^ berfll^rten ©inn, bag bie bauernbe @efül^töer^ebung
nid^t aU regelmäßige^ SRerfmat bed redeten @Iauben$ ju forbern,
fonbem afö tttoa^ jufaQiged ba^injufteQen fei. Ser @(äubige
nmrbc bemnad^ angctt)icfcn, aug ber allgemeinen {Rechtfertigung
ber Srmä^Iten unb ber Xfiatfac^e feines ©laubenS ben nüchternen
©c^tuß ju jiel^cn, bafe er gerechtfertigt fei. ®ieS ttjar aber nic^t
bloS ein ©c^tugurt^cil, fonbem aud^ ein Set bed Vertrauend;
nur tierjid^tete man in bemfelben auf bie laetitia spiritualis,
ipcld^e man in einer bie ffirfa^rung überbietenben SBeife öorfteßte.
Slun ^at aber ßampe fi^ nid^t flar gemad^t, bag bie 3lnfid6t öon
bicfen fingen burd^ bad auftreten beS beru^arbinifd^en %t)pvi^
in ber nieberlänbif^en Äird^e öerfd^obcn Sorben mar. SSon SBiU
fylm leellinc! an waren bie grommen gerabe barauf Eingeleitet
iDorben, bie gefüllte ©etigfeit als bie $robe bed @nabcnftanbed
^u crftreben ; unb ttjenn trofebem ber immer ttjieberfe^renbe SKangel
an biefem ©efü^l ober bie Unfä^igfeit, ed ju geminnen, mit 9lad^«
ti^t beurt^eilt n^urben, fo mar bod^ bicfe burd^ t)an 3:i^u^nen
bcanftanbete ©emiltl^öftimmung t)on ganj anberer Art, ate bie
Tiud^terne SSerjid^tteiftung auf ©eligfeitdgeffil^l meiere bie frfitjeren
^^eologen gemeint Ratten. $är fiampe felbft mar ber ©eftd^td«
ttctö aud^ baburd^ Deränbert, bag er einmal mit SBitftud auger
324
•
ber Doraus^gefegten iustificatio electorum actiya bie instificatio
Passiva, tt)cld)e fonft nur baö ©c^lußurtl^eil bcö ©laubigen be^
jcic^nct, bafe er unter bie @cred)tferti8ten gehöre, otö ein befonbcrc^
Urttiell ©otteg über ben ©laubcn bcg ginselnen DorfteUte, unb
ba§ er ferner nad) Einleitung beö §ot)enliebe^ unb ber ticr«
tDanbten altteftantentli^en Silber bad Slnnel^men ß^rifti burc^
bcn (glauben in ber gorm ber S^cfd^liefeung barfteQte. 5)ein*
gemäfe forberte er nic^t nur baö öoHe Sic^t beö Scttjufetfcin^ für
alle im SRcd^tfertigungöglauben eingefc^Ioffenen Regierungen, fon^
bem er geftanb aud^ ju, ed fei bie $flid^t jebeS Snoä^lten unb
93erufenen, omni nisn in id contendere, ut ad acquiescentiam
pertingat (p. 315). SBcnn er alfo aurf) gegen Dan Z^u^nen
behauptete, biefeg ©ernten fei nic^t fo bag tüefentli^c SWerfmül
beS glaubend, bag man e^ au^ben muffe unb ed ald ©laubiger
nid^t entbel^ren bürfe, fo ift in bem t)orgefcl)ricbcncn ©trebcn
banac^ bie Sbn^eic^ung beS Sont)entifeld^riftentrumd t)on bem
ort^obojen ®alt)iniömuö unb feiner nüchternen ©elbftbefd^eibunj
gerabe rec^t beutlic^ bejeugt. Der Urheber be§ Streitet f)at bcnn
auc^ in ber ©ac^e nad^gegeben. (£r l)at julefet jugeftanbcn *),
bag in ber fjormel be^ ^eibelbergcr fiatec^iömu^ bie 9ÄögIicl|{eit
fd^njäc^ern unb ftärfern SSertrauenS in ber Einnahme S^rifti nic^t
auögefc^loffen fei. ©o biente biefer literarifd^c Streit nur }ur
SBefeftigung ber in ben Sonüentifcln t)errfd^enben ?ßraji^.
2lu^ bereu Siteratur erhielt nod^ Qntüad)^. (£g ift ju tc--
rieten über gmei SBerfe, bereu SBerfaffer ber ^roöinj ©roningcn
angehören. $ier unb in grie^lanb ^aben bamalö bie ©onüei^''
tilel bie »eitefte Verbreitung unb, mie eiS f^eint, bie ftärfftc I^e^V
nal^me gefunben; ebcnfo ftart finb bie Sudler begehrt tDorb^*«
meldte bag 3ntcreffe ber inncrlid^en ober erfa^rung^mägtö^
grömmigfeit öertretcn. ,,2)ie SBarrt)eit im 3nnerften ober oft*
fa^rungöle^re" ^eigt eine ©d)rift in ©efprä^öform öon So^anr^^*
SSerfd^uir, ^ßrebiger ju S^erijp in ©roningen, meldte bin^^
fünf 3af)ren brei Auflagen unb baju eine l^o^beutfd^c Ue^^^
fefeung erlebt ^at *). ®ie ©c^rift ^anbelt in öicrje^n ©efpräc^^
1) Ypeij en Dermoat III. p. 221.
2) Waarheid in het binnenste of bevindelijke grodgeleerdheid, 1*^
de waarheden van Christus in zijn koningrijk van deazelfs onderds»''^
beschouwelijk en bevindelijk moeten gekend worden tot zaligheid. l^^
325
üom {Rci^c ei^rifti imb bcffcn Untcrtl^ancit, Don SBicbergeburt,
©lauben, {Rechtfertigung unb Heiligung, t)on ben ©nabeumitteln
unb ber Äird^cnjud^t, üom geiftli^en ©treit unb ber S3ett)a^rung.
©ic foH baju Anleitung geben, bog bie SBal^r^eiten erfahren
unb an bem ^erjen gefpürt werben; benn in ber mirifamcn S3c*
pnbung erprobt e« fid^, ob man im ©eifte bag Seben erfäl^rt.
®cr SScrfaffer ffit)rt fein Unternehmen mit ber Setrad^tung ein,
burd^ toetd^e Ealüin feinen Unterrid^t eröffnet, bafe ©ottegerfcnnt**
nife unb ©elbftcrfenntnife jufammengel^ören. 2lud^ biefer SScrfaffer
bemcgt fid^ in bem burd^ baS ^o^elieb gefättigten 9Infd^auung^
frcid, um fo mel^r, alö er mit Sampe ba^ S3ilb t)on ber
gciftüc^cn (8t)e mit 6^riftu^ baju t)ertt)enbet, um bag 2,xtl
bed Süangelium^ unb ben Snl^alt ber Sfied^tfertigung i\t
beuten. Slber er l^at einiget SigenttjümUd^e. ^ie @d^ä^ung ber
@ünbe pflegt er nid^t burc^ bie aQgemeine Sorau^fe^ung ber
9tt(^tigfeit l^erab^ubräden, obgteic^ in bem ©eelengefpräd^ auc^
biefer Ion anflingt; unb bem entfprid^t e^, bafe er bem ©efül^l
ber ©otteöfinbfc^aft an ber ©tefle, mo fein ©^ftem e^ forberte,
menigftend Su^brud t)erliet)en ^at. Sr I)at t^ burd^auS abgefel^en
auf bie Heine ©d^aar ber Eonöentifelc^riftcn, benen ft^ berSBie^
bergcborene anjufc^tiegen ^at, unb er erf lärt, bag e^ nid^t fiiebloftg«
leit fei, menn man öon jenem ©tanbpunft au^ ben ©eelenjuftanb
Otter Snberen beurt^eilt. äHein bie Serpd^erung beö ©eitö, auf
bie cö an!ommt, mü er regelmäßig burc^ ben be!annten refor*
mirtcn ©^Qogidmu^ DoUjogen n)iffen; unb n)enn Sinjelne burd^
ben ^eiligen ©eift ober ein plöfelic^e^ fiic^t ju biefem ßid ge»
langen, fo finb biefc feltenen gälle bo^ öon jmeifelöaftem SBert^e,
ba bie (Srjd^einung Dorflbergcl^enb ift unb bcd^atb ber Slnlag
ju jieflofer Unterfud^ung barüber toirb, ob fte aud^ göttUd^er
^rfunft fei. ®a^ „©eelengefpräc^" trägt burc^au^ atte Q&Qt
^ mir toorgdegen in ber beutf^en Ueberfe^ung t)on 3ol^. Qfeer, Pfarrer )u
Vfaffifon, oud ber ^toeüen Sü^fi,, üerme^rt mit einer gotifeligen Uebung ober
einem 8eelenge{))ra4e unb einer ^efenntnigprebigt über bie 9Bal^r(eiien (S^rifH.
^firi4 1743 (540. 46. 117 6. 4). S)er SBerfaffer nnir geboren su (Sroningen
1680« feit 1705 Sonbibot unb S^ulmeifler in^ Sop))erfum, olS {ol^er ie^r
il^iig in ben (Sonoenüfeln, ^rebiger }u S^^nip 1714, geflorben 1737. 3n bem
9orberi4i }tt bem nod^ feinem ^obe ^erouSgegebenen ©eelengefprfi^ fi"^ no4
ipcrf^trbene 64tiften oon ^. angegeben, barunter »bie triump^renbe SBa^r«
Vit Mbunben mit (Sottfeligfat.'
326
bcr Sernl^arbinifd^en Sontemplcrtion an ftd^, cd rid^tct ftd^ eben
birect auf bie (Erregung ber inbtDibueUen ©egenltebc ju Sefud;
bte Srfa^rungSle^rc aber lägt biefed (SIement immer crft auf»
taud^en, nad^^em aQe fd^ulmägigen ^Erörterungen über bie refor*
mirte ^eiUorbnung burd^gemad^t ftnb. Unb in btefer Sejie^ung
giebt [i^ bie Sigentl^ümüd^feit biefe^ Sud^e^ barin funb, bagan
alle fd^ulmägigen bogmatifc^en 3)iftinctionen bie ßumut^ung gc«
fnitpft n^irb, bag man fie burc^ bie entfprec^enben fei ed bcmüt^i^
gcnben fei eS erf)ebenben ßrfatjrungen fid^ ju eigen ma^en foD.
SBunberli^e unpraftifd^e SBorfc^rift! 3)ie red^tgläubigc 5Dogmatit
mar \i)xcx praftifd^en Slbj^medung baburc^ entfrembet tporben,
büg man bie 93e5ie^ungen ber {Religion, meldie Sin ©anjcd bilben
mflffen, um bad Seben ju erfüllen unb ju beftimmen, jerfplittert
unb jebe einzelne lieber in X^eile gerlegt ^atte, o^ne ba% man
an feinem Orte alle untere unb übergeorbneten ©lieber toiebcr
äufammengefafet ^ätte. 3n biefer ©eftalt mar eben bie fc^ut
mäßige fie^re ber praftifc^en ffirfa^rung möglid^ft fern getreten,
©onte fie biefer bod^ mieber bienftbar gemad^t werben, fo mu§tc
man fie in allen 93egie^ungen umgeftalten, unb aQe i^re eingelnen
©lieber, Unterabt^eilungen unb Definitionen auf ben ß^fammen^
^ang unb bie (Einheit l^inaudfü^ren, meiere allein jur Siegelung .
ber Srfal^rung unb ber ^ra^i^ gcfd^idtt ift. (£d fommt ioi\
barauf an, bag bie ©teHung be^ ©laubigen nid^t blöd gu @ott
unb S()riftud, fonbem aud) in unb über ber äSelt burc^ eine
religiöö»fittlic^e lotalanfc^auung geregelt toerbe. gür bie^t
?lufgabc ^at biefer Vertreter ber d^riftlid^en (Srfa^rung fein Ott»
ftänbnig gel^abt, inbem er alle fd^ulmögigen 2)iftinctionen aiab
3erfplittcrungcn bed ©toffö aufnimmt unb nur mit ber Qntn^'
tf)xmQ t)erfiet)t, fie burd^ Kontemplation einzuprägen unb bit^
ben SBed^fel ber begleitenben Smpfinbung ju (£rfal)rungen l^
machen. Unb bod^ ^at er eine ?ll^nung t)on ber rid^tigen 3>^^'
ftellung gehabt. SBic er fid^ auf Salüin'ö Einleitung in 3pe«
d^riftlic^cn Unterridjt beruft, meldte ben 3Ka6ftab für bie religi ^K
grfa^rung bejcictinet, fo f|at er offenbar auc^ einen (Jinbrud b^*^"
ber claffifd^en Seigre Satoin'd über bie 8orfet)ung ©otteiJ C^^
bem 17. Sapitcl bcd erften 95ud^ed empfangen. 2)emgemä§ tr^fl^
er in feinem jmeiten ©efpräd) t)or, ba§ ber Segnabigte in i^^^
9ieid)c ber ÜÄac^t ©otted ftc^ öon ©Ott abhängig fü^lt, in a0^
©efc^pfcn unb anfallen bcr umgebenbcn SBctt bie $anb ®o*/^
327
toal^mimntt, feine eigenen ffirfai^rungen in SScrgangenl^cit unb
©cgenttjart bcr ficitung beö §errn unterftcHt, um aud^ für bie
3ufunft fid^ berfelben ju untcttperfen, bc^^alb feine gurd^t unb
fein Vertrauen an bie ©reaturen uemenbet, über bie Verborgenen
SBege @otte^ nic^t grübelt, fonbern fi^ in @ebulb, 2)emut^ unb
@anftmnt^ übt, unb für bie @ünben Vergebung bei ®ott fud^t.
Sa äSerfc^uir mit @alt)in n)eig, bag biefe^ nid^t natürliche fRtlu
Qxon, fonbern bag ed bad S^er^alten bed ©laubigen ober SSegna-
bigtcn ift, fo burfte er au^ erfennen, bag l^ierin bie SSerföl^nung
ober bie Sied^tfertigung burd^ S^riftud ertebt mirb. (£r burfte
einfcl^en, ba§ biefe Seigren oon ber rid^tigen ffirfal^rung ber SSor*
fe^ung (Sottet öorauögefefet toerben, unb ba§ bie SBa^r^eit biefer
Sc^ren nid^t bur^ bireete Kontemplation i^re^ fad^lid^en Sn^olted,
fonbern nur burd^ jene« gottgemäfee ©erhalten in ber SBelt fid^
erprobt. iD2it aQer feiner ^bfic^t auf c^riftlid^e (Erfahrung ^at
er biefeö nid^t erfannt, ttjeil er in ber t^eoretifc^en ©c^ulform
befangen unb nic^t im @tanbe mar, burd^ i^re Sinjel^eiten l^in^
bur^ ben SEBeg jur S^otalanfc^auung ber d^riftlid^en Sfieligion ju
ftnben, unb burc^ fie bie persönliche Ueberjeugung ju begrünben.
Diefelbe 2Ret^obe ^errfc^t in bem „Snnigen G^riftentf)um"
oon SBil^etm ©^orting^ui«*). Snbeffen jeic^net fid^ biefe«
äßerf in mannen 93ejie]^ungen Dor bem feine« Vorgänger« au«.
S« ift menn möglid^ noc^ breiter unb au«fül)rlic^er, jebenfaQ«
tcibcnfc^aftlidjer, unb no^ ftärter in ber ©prad^c Äanaan«. S)er
Serfaffer ift in ber gleid^artigen altern fiiteratur fieimif^, h)ie
bie ja^lreid^en Sermeifungen auf Sfiou«, Sobenfte^n, ßoe(man,
SBttfiu«, 93rafel, ^eQenbroef, Xjaben, Sampe unb Slnbere bemeifen.
9lad^ i^m ift feiner unter feinen £anb«teuten aufgetreten, ber
i^n in biefer ©c^riftfteUerei überboten ^ätte. @r mieberf)olt frei*
lid^ nur bie äJJelobie, meiere au« ben ©d^riften ber oon il^m an*
gcfü()rten 93orgänger befannt ift; jebod) f)at er fie greQer unb
1) Hei jnnige Christendom in desselfs allcrinnigste en wesent-
lijkste deelen gestaltelijk en bevindelijk voorgestelt in fzamenspraken.
Groningen 1740 (666 8. 4). ^er $erfof{er toax Qeboren }u SBinMoien,
9toü. Groningen 1700, »arb 1723 ^rebiger }u SBeener, CftfrieSIanb, 1784
)n 9RibtDoIba, (Sroningen, geworben 1750. $gl. van Berkam, Schortinghuis
en do v^f nieten, ^er boUftanbige Ziiti ift 6. 320 ongefü^rt; ber 3u{a^
in bemfelbm bc}i((t fl4 auf eine gormel, in toeld^r bie Sli^tigteit auSgebriUIt
»ivb, votldft ber €Unber in ber äBiebergeburt an ftd^ empfinbet.
328
cinfd^neibcnbcr alö irgcnb ein Änbcrct vorgetragen. S)ic ©ou*
Deränetät ©otteö gilt l^icr fo fel^r afe ber ®runbton in bejfen
burd^ ß^riftuö offenbarter Siebe unb Sarm^eriigfcit, ba§ ber
©ünber in ber Söefel^rung, bie er mit t)oflem Sett)u§tfein ju er*
leben l^at, nur feine öoDc 9lic^tig!eit ju conftatircn ^at. Cr ^at
auö eigener ffirfafirung bie tl^eueren fünf SRidötfe ju lernen: ic^
ttjiH, fann, tüeig, ^abe, tauge ni^tö nad^ Einleitung t)on ?ßi. 81,12;
3ol). 15, 5; 5ßrot). 30, 2. 3; ?ßf. 102, 18; SRöm. 7, 18. 3n bie
tieffte 93efd^ämung über ba^ Slenb ber ©ünben unb bie eigene
9lic^ttgfeit mug plö^lic^ bie Srleud^tung burd^ bie ^ol^ett @otted
unb bie ©c^ön^eit beö §crrn 3efuö einfd^lagcn, um bann gepflegt
}u tt)crben burc§ bie Änfd^auung ber 2Kenf^roerbung unb bcö
fieibenömege^ Scfu. 2)er (Sinbrüd feiner Siebe unb SBarm^crjigfeit
foQ bie ©egenliebc erttJcdEen. ®ie Seiben S^rifti finb „©ingc,
n)el^e mein ^erj betrübten, burd^fc^nitten, gänjlt^ bebedFtenunb
fortriffen, ja mic^ in meiner SRic^tigleit öerfd^toinben liefen unb
in biefcm Ccean unbegreiflid^er Siebe »egfd^moljen." 8luf biefcm
äSege tt)irb auc^ baS ©ünbengefütjl, mit n)eld^em man ben $erm
Sefud auffud^t, in ber Sftü^rung burd^ feine Siebe^mad^t megge^
fd^tüemmt. Snbem alfo bie ©eele i^n allein unb il^n ganj iw
nimmt, fo /, fliegt baraud eine erquidEli^e ©emeinf^aft unb Siebet
Übung. 3)er ^err Sefuö lägt fic^ auö in ©rquidungcn, Um^at
jungen, ©ntbedungen feiner SJlä^e, SRat^, Sid^t, Seitung, tröftlic^
unb baö ^erj erttjeiternber ©nabe. ®r ffil^rt fie in ba^ SBein*
l^aug unb feine Siebe ift ba^ ?ßanier über it)r (Sant. 2, 4);
unb fo übt bie ©eele aud^ tt)ieberum ©emeinfd^aft mit beiR
feiigen §eilanb, inbem fie i^n um SRatf) fragt, i^n auffuc^t, rt^
um^alft, il^n in i^r §er;i nött)igt, unb. i^n in feiner 9tö^^
genießt "
3d^ erfpare mir, biefe Darftellung »eiter ju ben (Srf J^^^'
nungen ber SBerlaffung burd^ ®ott unb ben äJütteln i^rer UtC^^'
tt)inbung»ju verfolgen, ß^araftcriftifd^ für bie JRid^tung, gc:^^
tt)cl^er biefeö SBerl ^crftammt, ift nur nod^ bai^*@efpräd^, '"
toeld^em baö JRcd^t unb bie 5ßflid^t ber begnabigten ?ßrebiger ^
ttjiefcn ttjirb, über ben ©eelcnjuftanb i^rer ©cmeinbeglicbcr i"
urtl^eilen. ©d^on SSerfd^uir t)atte eö abgcmiefen, bag man *^^
Urtl^eil über ben ©eelcnsuftanb ber (Sinjelnen an ©Ott ju flb^''
laffen ^abe, unb ^atte boö JRed^t, ein fol^eä Urt^eil ju bilt^
unb auöjufprec^en, ben SBiebergeborencn üorbel^alten, ba baffc/^
329
aud gutem SEStQen gegen bie Unbegnobigten ^erDorgel^c unb ju
il^rer SBarnung au^gcfproc^eit toerbcn müffc. Snbent nun ©d^or*
ting^uiS bie änforberung an ben 5ßaftor ftellt, bag er bie
SEBiebergcborenen alö fold^e fennen, ober bie ©d^ofc t)on ben
Söden unterfd^ciben mäffe, l^ot er fold^e^ Urtl^etl audbrüdlic^
Qud^ ben begnabigten @emeinbeg(tebern jugemut^et. 2)ie ^rä^^
fumtion ber Sababiften (@. 263) ift alfo t)ier ote ba« SRe^t aHer
grommen gültig getüorben. 9Ilg ©runbtejt für biefe Sefugnig
tt)irb 9Wtt). 23, 23 angefüfirt. $icr foH ber $err ben ^ßj^arifäern
jum Sonpurf mad^cn, ba§ fie unter ben fd^merften Stufgaben beö
©efefeeö baö ©cric^t unterlaffen ! S)er g^^lcr biefer Auflegung
leud^tet ein. 5)ie ?ß^arifäer empfangen bie Sftüge, bafe fic lein
(Erbarmen, feine Streue üben unb bag fie ben Unterbrficften nid^t
}u il^rem {Rec^t öer^elfen. S)arauf mar eö bei bem Urtl^eil ber
grommen über bie Unbegnabigten gemi§ nid^t abgcfe^cn. Seboc^
mirb über biefe SBcfugnife feftgefteDt, baß man ni^t parteiifdö
unb mit Ueber^ebung, fonbern t)orfi^tig, nad^ bem äSorte be^
^errn urt^eilen foQc. ©aju get)ört, bag man an ben grüd^ten
ben SBaum erfennen fott nac§ 9Kt^. 7, 15—20; 12, 33—38; 5,
16; 3af. 2, 18; 1 3oI). 3, 10. ®en S3eruf ber ?ßrebiger ju biefem
Urt^eil foHcn bemeifen (Sje^. 44, 23; Ttif), 13, 48. 3enc «r*
gumente finb treffenber, al^ biefe; allein fie bcftätigen, bafe e^
{!c^ im Dorliegenben ^aQe nur um eine ganj natürli^e äSeife
bc^ Urt^eilenö in einem engen ©efeUfd^aft^freife, unb gar nic^t
um eine fpeeififc^e $robe t)on religiöfem S^arafter ^anbelt.
2)e^^alb fann auc^ ber @egenfag t)on SBegnabigt unb Unbegna«
bigt gar nid^t unter biefe^ Urti)eil fallen. 3)ie ©ptfee ber ganjen
(Erörterung fommt aber barin an baS fiic^t, mie bad Urtl^eil jebei^
SBiebergeborenen über ben ÖJnabenftanb ber Änberen begrünbet
toirb^. 3)ai\u bienen bie ©teßen ?ßf. 15, 4; 119, 63; 1*39, 21.
22; 101, 2-8; 1 3o]&. 4, 1; Kant. 8, 8-13; 1 S^f. 5, 14;
3uba 22. 23. Sinn f)aben aüe pietiftifd^en ©d^riftfteHer Don
1) Vu4 f^itxxn finb bte SRitglieber bec ^eitelorben bod urfprünglid^
ShiRer. Qgl. Erasmus Adagiorum Chil. 2. Cent. 8. Adag. 65: Malorum
MeDdioantium ubique maxima tiirba est. Hi sie sese per omne rei-
pablicae corpas sparserant, ut nihil usquam agatur sine illis . . . . Hi
plni quam censoria severitate pronunciant de fidei professione: hie christia-
nos est, hio semichristianus, hie haereticus, hio sdaquihaereticus.
330
SBil^cIm Xeclltnd an öorgcfd^rtebcn, baß jebcr SBIebcrgcborcnc fic^
bcncn anfd^licßcn follc, tueld^e er alö fcinci^ ©Ictc^cn an bcr
@prQcl^c j^anaand unb an t()rer ^bfonberung i)0\\ ben Sßeltleuten
crfcnnt. 35iefe Sonöcntüclleutc ferner ttjaren öon SBil^elm Srafcl
l^er baju angehalten morben, bur^ i^re fteten ©elbftprflfungen
unb burd^ ben Umgang mit bem §errn 3cfud fid^ öon ben QdU
gläubigen ju unterfd^eiben, alfo t{)re endige SrmS^Iung für fic^
fcftjuftellen. 9lad^ ber Änfid^t biefer frommen »aren biejenigcn
bic @rtt)äl^Iten, »eld^c fid& ju ben ßonuentileln hielten, bic an-
beren alfo bie SSertüorfenen. 3n biefem ©inne finbet bic ^Ik*
gation t)on $f. 139, 21 t{)re ^nmenbung: ,,@onte id^ nid^t Raffen
^err, bie bid^ l^affen, unb nid^t @rauen uor benen ^aben, bic
gegen bid^ auffte()en? id^ ^affe fie mit üoQfommenem $ag, ju
geinbcn finb fie mir geworben".
35cr SSerfaffer öerfäl^rt nun fel)r genau, inbem er fed^^jc^n
IStnmenbungen, meldte bie SBeltfinber gegen bie frommen ju er^
^eben pflegen, miberlegt. 3n jener SRei^e ift baö lefete 35eben!cn,
bog bie (SonüentifeQeute nic^t jiulaffen molten, ba§ ber gemeine
9Kann baö @ebet beS §errn gebraud^t, »eil baffelbe nur für bie
SBiebergeborenen unb Sete^rten paffe. 35iefeg SSorrec^t ^ält ©^or*
tingl^uiä ttjie bie Sababiften nac^ ber 120. 5^agc be^ ^eibelbetgct
Äated^iiSmuiS aufregt, ba nur ber ©laubige @ott alg SSater an*
fpre^en fönne, unb ß^riftud aud^ nur ©laubige bei bcr 3Rü«
t^eilung beö ©ebeted uorauöfefee. 35en erften Anlag ju bic^^
ejclufiöen SBebanblung bcö SSaterunfer l)at freiließ Saloin (©. 29^)
gegeben, inbem er ben ßeitgläubigcn ober SSertt)orfencn bajj 11^^^
unb entfd^iebene ®efül)l ber ©otte^finbfc^aft abfprad^. «tt^«^
ber ^Reformator ttjürbe bod^ mit SBefremben »atirgenommen ^a^**»
bag ein greunb uon ©d^ortingl^ui^, ber 5ßrebiger 3o^. ßubC^^
in Seerta bem ®d&ulmeifter feineiS 5)orfeö Verboten l)at ^^^
Äinber ba^ SSaterunfer beten ju laffen, unb auf bic Slagefei^^
©emeinbc erft burd& bie Slaffiö 1733 genöt^igt »erben mi*B*^
baöon abjufte^cn ^). ©jS »ar alfo biefer ?ßartei bitterer <t^^V
bamit, alle Folgerungen ju jicfien, ju »eld&en bie Annahme CM^^r
forberte, bag bie ßonöentüelleute bie Srtt)ä^lten, unb baß ^^^
übrigen ©enoffcn ber Äivc^e unbegnabigt feien, fiababic Ijat td^^
ftärteren Slnfprü^e gemad^t; aber feine ©eparation mar bic e§^
1) 53er!um ©. 18.
331
It^c 0rt ftc gcltenb gu mad^cn. S)aS SSerfal^rcn, kpeld^eiS ©d^or^
ting^ui^ unb feine ©cnoffen cinfdjlugen, lief ba^in au^, biejcnigen^
xoclä)t auf i^rc aWetl^obe contemplatiucr grömmigicit nic^t ein*
gingen, fortttjä^renb ju Beleibigen unb ttjicberum ju mciftem, unb
baburd^ ben @trett in ben @emeinben unb in ben Slaffen unb
©^noben ju öcremigcn. 3n bem ©cfpräd^ über bie ^flid^t bc«
Urt^cilenö ttjirb bie ©cfatir be« ©plittcrrid^ten^ nic^t mit einem
SBortc berührt. 5)aanit barf man nun üergleid^en, bag ber Cor*
Wurf, bie g'^ommcn pflegten i^ren bürgerlichen SSeruf ju öernadj«
läfPgen, burd^ bie Siegel ber pflid^tmäfeigen Scruföerfüllung ab^
gciDtefen, bag aber jugleid^ biefe i^eiftung unb bie ^riebfertigfeit
auf ©eiten ber üorgcblic^ Unbegnabigten für tpert^lod im djrift«
lid^cn Sntereffe erllärt ttjirb, »eil auc^ Reiben unb ^^arifäer
baju befä{)igt feien, ^ie @inen befommen immer 9ied^t, unb
bie Änbern immer Unred^t. Unb ttjaö foH man baju fagen, ba§
©d^orting^uid bie ©einen aud^ baburd^ ju bem bernid^tenben Ur^
t^eile über bie Unbegnabigten berechtigt ad^tet tueil biefe felbft
bie grommen nid^t öerfd^onen? 5)a^ ift ja red^t natürlid^; aber
natürlich unb ungeiftlt^ gebadet ift biefe gange Slufgabe, bie ben
Sriuä^lten gefteQt n)irb!
©c^ortingl^ui^ fud^te für fein S3uc^ bie Approbation ber
t^eologifd^en ^acultät in ©roningen nad^*). SSon ben MiU
glicbcm berfelbcn na^m ber ^rofeffor SSerbruggen an ber Senfur
überhaupt nid)t X{)eil; SorneliuS üan SBelgen na^m jkpar an ben
Ser^anblungcn Zf)dl, Der^ielt fid^ aber in ber ©ad^e neutral.
2)0^ i$acultatdt)otum alfo mürbe uon S)anie( ®erbe^ unb Anton
S)rieffen bal)in au^geftellt, bag bad i,3nnige S^riftentl^um" im
gtanjen ju loben fei, aber mand^e ©äge unb SBenbungen t)on
bcbenfli^em ©inn enthalte. 35ie 9Kitt^eilung biefer SSebenlen
an ©c^orting^ui^ mürbe uon bcmfelben jiemlid^ befriebigenb be:^
antwortet. 3nbeffen ^ielt bie ^^acultät i^m jum jmeitenmal eine
Äci^c bon gragcn Dor, meldte fic^ gegen feine Untcrf^äfeung ber
i,bud^ftäbli^en'' @rfenntni§ bed S^riftent^umS unb ber Anlage
mte Seftimmung ber 3J2cnfd^en }ur magren 9ieligion rid^tete.
Aud^ biefe S3or()altung beantwortete ©d^ortingl^ui^ burd^ feine
3uftimmung gu i^rem 3n^alte, wie ju ber fird^lid^en £e^re über^
^upt. (Er fügte ^inju, bag er bie befrembenben Stebendarten
1) Sunt Sfolgenben t^gl. ^edum 8. 126—187.
332
IcincStPCflcd meine im ©inne bcr alten unb neuen Cntl^upaften,
ber aJi^ftifer, 5ßietiften, ßababiftcn, §errn^uter unb bercjlcic^n
me^r, fonbern im ©innc ber uornel^men, fvaftöollen unb gott*
fetigcn Seigrer ber reformirten Äirc^e, ^eUenbroef, SBitfiud,
SB. ©rafel, ßobenftc^n unb 8i9Ug. 5)icfen ©c^riftttjed^fel lieg bic
©ronincjer gacultät mit i^rer bebingten Slpprobation t)om
22. äpril 1740 uor ber erften Sluflage be^ „Snnigen ©Triften*
tl^um" abbruden, fie unterfd^lug jeboc^ bie jttjeitc §älfte be^ legten
SBriefeö uon ©d^ortingl^ui^. 35erfelbe fügte alfo biefen S3rief öoD*
ftänbig nebft einem Söeric^t über bie Sachlage I)inju. S)iefet
©djritt jog eine öon ®crbe^ uerfafete öffentliche ©rtlärung ber
^Qcultdt na6) fid^, n:)orauf ©d)orting^ui^ mit einer Zedig ant-
woord op het historisch verhaal ertüiberte *). hierauf ^ot
©erbe^ nod^ Nodige aanmerkingen folgen laffen.
3njtt)ifc^en aber »ar uom 3lpril biö jum Äuguft 1740 bic
crfte SluPoge beö öuc^c^ au^uerfauft. Um bie stocite auöjugebcn,
ttjeld^e burd) ^Beifügung üon SöibelfteQen uerönbert unb bun^
jmansig ©eiten am ©d^luffe öermel&rt ttjar, fud^te ©c^ortingl^ui^
bie ßenfur feiner Slmt^genoffen in ber Staffiö Oldambt en
Westerwoldingerland nad^, ju tt)eld)er er ald 5ßrebiger in SKib*
njolba gcl)örte. S)ie ßlaffiö beüoHmäd^tigte baju brei \f)xcx MU
glieber, ©efinnung^genoffen be^ SSerfaff er^ ; unb biefc ftcCitenbcin
öud^e baö 3^"9ni6 ^oßcr Slec^tgläubigteit unb groger SWJlit^
leit aud. SJiit biefer Approbation erfd^ien, nod^ tt)äl)renb bc^ er^
jaulten literarifc^en ©treite^, bie jn^eite aufläge im ^erbft 1740;
aber bie Eenfur ber ©roninger Slljeologen nebft ben übrigen
©d^riftftüden, »eld^e in ber erften aufläge ftanben, fehlte in ber
ätüeiten. lieber bicfeö SSerfa{)ren nun richtete bie ^ocultöt eine
SBefd^tüerbe juerft an bie Staffi^, bann ald biefelbe nic^t bcont^
iDortet ttjurbe, an bie ^ßrouincialf^nobe. 5)iffc 3nftanj üerfüflte»
bag bie ®laffiö auf bie SBefdjroerbe ber tljeologifd^en 3focuW&^
Slntttjort ju geben f)abc. @g t)erjog fid^ bi& jum 8. April 1742,
ef)e bie Elaffid in bie ©ac^e eintreten lonnte. 35a jcbod^ »u''^^
bie Söefd^merbe ber gacultät burd^ eine SRefolution umganft^'
toeld^e fid^ auf bie SSeröffentlic^ung be^ Söriefg oon ©d^orting^^*
in bcr erften Auflage bejog. S^fllcid^ aber öenoarf bic ©IcmiF
1) GroningeD, August 1740. 112 6. 4.
333
mit geringer SRajorität bie Approbation i^rer brei äRitglieber
für bie jtoeite Stuflage. 35iefc appcHirten an bie ^roöincialf^nobe,
meldte im SKai in ©roningen jufammentrat. 2)ie ©^nobe aber
öcrtoarf bie äppeflation, beftätigte baö Urt^eil ber Slaffiö, unb
gab s^iflt^i^ ^^^ t^acultät @enugtl)uung burd^ bie ISrflärung,
ba§ tro^ ber löbli^en Xenbenj be^ 58u^e^ eine brittc ?luflage
beffclben nur erfolgen bürfe, toenn bie gerügten ©afee unb SBen**
bungen befeitigt mären. Siefer Su^gang ber ©ad^e ttjarb ju
Ungunftett uon ©c^ortingt|uiö unb feiner Partei nod^ öerfd^ärft
burd^ baS SSerbot bed fRat^ed ber ©tabt ©roningen bad Su^ ju
öcrfaufen. Slnbererfeit^ fanb bie Partei ©c^u§ bei ben Ferren
©täuben ber ^ßroöiuj. 5)enn ate auf ber ©t)nobe öon 1743 ein
SHa^fpiet be^ ©treite^ aufgefül^rt werben follte, trugen bie ftän*^
bifd^en Sommiffare einen SSefc^lufe öor, bie ©a^e öon ©d^or*
ting^uiS foUe mit etpigem ©tillfc^toeigen bebedt toerben unb
bleiben.
©iefer SBefd^lu^ nämlid^ lam ber britten Auflage be^
„Snnigen S^riftentl^um" fiVL @ute, loeld^e trofe aller lird^lid^en
unb politifd^en ^inberniffe, unb toieberum mit Slu^laffung ber
ungünftigen Slctcnftüde ber ©roninger gacuUät, alfo alö ein*
fad^c SBieberl^olung ber jttjeiten ?luflage im Anfang öon 1743
crfd^ien. S)iefer breifte ©c^ritt gelang infofern, ate Sliemanb
gegen i^n ben SBeg bcö 8ied^teö einfd^lug. Snbeffen fanb ba§
Sündi iefet literarifd^e ®egner, namentlid^ §erman ©tegneruö in
Sttorbbroet Sacobuö 3ntminl in ©nfd^ebe, Slicolau^ Hartman in
^oüc. ©djorting^ui^ naf)m ben ©treit mit benfelben auf unb
fanb aud^ bie Unterftüftung öon uier ^rebigem in Smben. Unter
ben ©egnern ttjar Hartman ber rü^rigfte. ®a bie öier Smbcner
t^n für unred^tgläubig erllärt tjatten, fo brad^te er ben ©treit
Sunäd^ft 1745 öor bie Slaffiö oon 5)et)enter, bann öor bie ©^*
lobc feiner ?ßrot)inj Duer^ffel. 5)iefe aber befc^loß nid^t nur,
>a6 bie ©roninger ©t)nobe fid^ in ber ©ac^c be^ „3nnigen
S^rtftent^um" uerbient gemacht i)abc, fonbern mißbilligte aud^
ha^ ^nd) im ©anjen als nid^t red^tgläubig. ^emnäd^ft gab
id) bie ©Qnobe t)on Doer^ffel alle 3Rü^e, il)ren Sefd^lug burd^
»ie anberen $rot)incialfQnoben aboptiren ju laffen; au^ üerfd^ie^^
»cnen @rünben aber tourbe biefe 3u^utt)ung überall abgelel^nt.
Um fo me^r fal)en fid^ bie Url^eber biefe^ Sefd^Iuffe« barauf l^in«'
äODtefen, i^n Uterarifc^ ju unterftügen. S)er toirffamfte ©egner
334
t)on ©c^ortingl^uid kpurbe ^ton^ftud t^an ber Aceffel, $re<
btget in S)et)enter, kpeld^ct na6) einer ©efc^ic^tc bed Streitet übet
baö „Snnigc e^riftent^um" (1745) brei Sänbc unter bem %M
t)er5ff entlic^te : De vastgestalde leer cn practijk van Neerlands
kerk omtrent Gods bijzondere, algenoegzame en krachtda-
dige genade in ChristaSi gezaivert van het misbraik derzelve;
1749. SSon bicfem SBerfe bcfd^äftigt fic^ etgentlid^ nur ber brittc
%\)dl mit ber $olenüf gegen ©c^ort'ing^uii^, nad^bem bie betben
erften bie red^tgläubige fie^re ber reformirten ^irc^e, unb att
beren ^rincipten bie gefunbe @d^riftfenntni§ unb bie ftttlid^
@e(bftftänbig!eit unb ©elbftt^eranttPortUd^feit bed äRenfd^en bar«
geftellt I)aben. ^emgemäg tuirb enblic^ na%en)iefen, bag ©c^or*
ting^uid beibe t)erle^t l)Qt, unb ni^t rechtgläubig ift. S)erfel&e
fagt über bie bud^ftäblic^e unb über bie geiftlic^e, e.rfQl^rung^
ntagige @rfenntni§ beiS S^riftent^um^ eigentlid^ ni(!^td anberoS
Qte fiobenfte^n (©. 166), nur ba§ er ber erftern nod^ etiwrf
me^r einräumt als biefer eS tl^at. ^enn aud^ auf bem erftern
äSege foll man einen ^errltd^en begriff Don ber ©ac^e unb fk*
leuc^tungen burc^ ben ®eift erfahren fSnnen; tro^bem foQ man
baburc^ nic^t bie Sinfid^t gen^innen, meiere mit ber ©ad^e ikt^
einfommt, üielmc^r nur eine falf^e Sinfid^t. S)ei^]^olb foII au4
bie afabemifd&e SBiffenfd^aft nichts »ertl^ fein; hingegen foD ber
@inbrucf beS @eifteS ober bie @rfal^rung, o^ne n^eld^e auc^ bie
Sefung ber ©ibel fruchtlos ift, nur eutl)alten fein in ber gä^ij*
!eit begjenigen Umganges mit bem ^eilanb, »eld^er in ben tto«*
öentifeln erftrebt ober geübt »urbe. 5)iefen SBeg nun bcjcic^rt
Dan ber fieeffel alö unl^altbar unb gefä^rlid^, ba bie SBibeltto^t*
Reiten fo um i^re ©id^er^eit unb Äraft gebrad^t ttjcrben, unbba
ber SWagftab, ber an i^re ©teile gcfefct ttjirb, eine ^oc^müt^ig^
(Sinbilbung ift. 5)a§ SSerfin!en beS ©efü^te in bie SBunbe»
S^rifti, totl6)^ als baj^ göttlid^e Komplement ber SRic^tigfeit be^
SWenfd^en gefc^äfet »erben foll, fann ferner, gemäß ber (SrörterttW
biefeö ©egncrS Don ©c^orting^uiS, nic^t atö bie richtige %ot^
ber d^riftlid^en Weligion gelten. 35enn bie SSoraudfe^ung b^*^
felben ift bie Dernünftige ©elbftDerantwortlid^feit beö SRenfÄ^^'
ttjäbrenb bie ^rätenfion feiner Siid^tigleit gegen @ott unb ^^
Dotten ^ffiDität in ber öele^rung nac^ ber Eonfequenj bed &^^*
nojiSmuS l^inioeift.
5)iefe Äriti! märe fd^on ftebjig 3oi^re frül^er bei bem S5i^^^
335
)on Sobenfte^n am Drte getDcfen. S)cnn @d^orttng^ut8 l^atte
yoUt^ SRcd^t, ftd^ auf bicfcn berühmten SSorgängcr ju berufen.
Bknn alfo fiobcuftc^n ald rechtgläubig angefe^en tDurbe, barum
oflte ©d^ortingtiuiö bcr Senfur unteriüorfen tuerben? Unb ipar
rr ntd^t red^tg(äubtg, ba er nic^t ftgen loollte, ipo bie @nt^u^
taftcn, aji^ftitcr, ?ßietiften, Sababiftcn, §crrn^utcr faßeu? 5)iefe
Belbftuntcrfd^eibung uon ben fieuten, j^u kpelc^en ©d^orttng^utS
nrect gehörte, ift aßcrbing^ nur crftärlidö burd^ eine lange
)aucntbe SSerfälfc^ung bcr öffentlid^cn SKcinung. 35tefe Cr«»
[(j^inung ift iebod^ in ber ©efc^id^tc ber ^ird^e unb ber Staaten
unflcmein pufig. 3Kan fdjcint auc^ barübcr immer erft burd^
Schaben flug ju n)erbcn. ^ebenfadd fpric^t bie @rfa^rung an
:incr ÜRengc fi^nlic^er gäHe bafür, bafe bie rcDoIutionare Seiben*
[c^ft, mit tpelc^er baS ®cfü^ldd^riftentl)um bc^ ^eiligen Scrnl^arb
in bie rcformirtc Äird^c tjcrcingebrod^en ift, ft^ ni^t ^ätte ju*
rfldftauen (äffen, aud^ tuenn i^m bie äBiberlcgung feinet 9ied^te^
H bcr Äird^c auf bcm ^\i%c gefolgt tüärc. ?Hlein regelmäßig ift
^ nic^t fogleid^ niögli^, eine neu auftretenbe ©eiftedbemegung
loUftänbig j^u burc^fc^aucn unb trcffcnb ju beurt^cilcn. Slud^ in
>cm öorliegenbcn galle alfo ift eine grift öon jwei 9Kenfd^cn*
Itcrn vergangen, e^e ber pietiftifc^^m^ftif^cn SRic^tung ber tau*
i)cnht Schein ber 9tcd^tgläubigfcit abgeftreift werben fonnte.
9{atürlic^ gilt biefcd nid^t für bie Slnl^ängcr ber 9iid^tung
»Ibft. 2)aö ©el'bftgefü^l bcr JRcdötgläubigteit, mit »cl^cm ftc
c^ trugen, erljcllt nun fe^r beutlid^ auiS ber. t)on ben t)icr Sm*
rncr ^rebigern ausgegangenen SSertf)cibigungSfd^rift für ©c^or*
ng^uiS*). 2)iefelbe ift im Slllgcmeincn ein Seugnig für bie
Icrcngftc ©cmcinfd^aft jn^ifd^en bcm rcformirtcn l^eile DftfrieS*
inbö unb ben benad^bartcn ^roöinjen bcr bereinigten SRieber*
:nbc. Snöbefonbcrc berühre ic^ in biefer ©d^rift bie principiellc
rage nac^ bcm SBcrtl^c unb ber Slrt ber gciftlid^cn unb „cm*
inbUd^cn'' (Erfenntnig bed (Sljriftcntl^umd, unb bie S3e^auptung
Ä SRed^teig, über ben ©celcnjuftanb Änberer ju urt^eilen. 3n
1) Zedige voorspraake voor de regtzinnige waarbeit. Emden 1742.
rTfaffer tfl Christophorusßrucherus (geb. 1C98) ; unterf^rieben ift bie
»rrebe no4 t>on Henricas Gorardus Zwartte (geb. 1675), Eduard Meiners
rb. 1691) beut $erf. bet oflfrtefif4en l^irc^engeMic^te (1738. 39) unb Gorar-
&• Zwartte (geb. 1702), bem @o^ne bed guerfl (benannten.
336
jener §tnfic^t toeift örud^eruö barauf ^in, ba§ ber rcformirtc
Se^rbegriff eine unmittelbare unb unmefebare ®intt)irfung bcö
göttlichen @eifted ald (SomViement ber mittelbaren (Erleuchtung
burd^ bie ^eilige @c^rtft annimmt, unb ba§ bie ^eilige @d^rift
felbft auf bie perfönlid^e (Erfahrung ali^ bie öebingung ber ©lau*
bemSüberjcugung rechnet. 9lun ift aber bie äufmcrffamfeit be^
SSertl)cibigcr^ uon ©c^orting^ui^ mc^r barauf gcrid^tet, ba§ bie
©cgner, nämlic^ Hartman unb ©tegneruö biefe ©runbfä^e nic^t
gebül)renb getuürbigt ^aben, als barauf, bag Sc^orting^utö jte
unri^tig ausgebeutet unb i^nen eine übertreibenbe SInuienbung
gegeben ^at. 3m SlUgemeinen machen biefe (Erörterungen ben
Sinbrucf, tljeils bag in bem Stammen, in tuelc^em bie t^rage nac^
ber®rfa^rung beS ß^riftent^umS bamals gefteßt ift, feine Söfung
berfelben fic^ ertuarten lägt, t^eilS bag ber $ietiSmuS baS 3nter«
effe beS (SalDiniSmuS uerfd^oben ^at, unb in feinem Slnfpru^
auf Stec^tgläubigfeit nur fid^ felbft unb Rubere taufest. 9{Qmli(^ Sr«
faljrung Dom (Sljriftent^um fann man nur bann machen, menn
baffelbe als ein @anjeS berftanben n)irb, unb n^enn man fic^ bie
relifliöfe SBa^rl^eit als eine (Sin{)eit Don SBeltanfd^auung unb
£ebenSbeftimmung ju Dergegcnmärtigen vermag. SBer benSn^alt
beS ß^riftent^umS bloS in einer lodern Steige oon SBa^r^citen,
oon 35ogmen unb ©c^ulfenntniffcn befifet, ber fann batjon feiw
perfönli(^e Ueberjeugung ernäfiren, mcil eine folc^c auf eine ge*
orbnete Xotalanfc^auung oon @ott, SBelt unb ©elbft rechnet, um
ju entftel)en unb fic^ ju erhalten. 3)aburcl^ n)irb ber Unisert^
ber bloS buc^ftäblid^en fc^ulmägigcn 2luffaffung beS hergebrachten
©efügeS d^riftlic^er 3)ogmen f eftgcftcBt ; l^ierin ^abcn Sobcnftcl)n
unb alle feine iWad^folger Siecht. Slber toorin fefteu fie nun W«
geiftlid^c (Erfahrung, meldte als SSerfic^erung beS (Snabcnftonb«^
bient? 2Kit ben SBorten oon ©d^ortingf)uiS : „in baS gemüt^^
lid^e ©etoa^rmerben oon ber innerlid^ erniebrigenben, oerfo^nen*
ben, f)eiligenben, tröftenben Äraft ber fcligenSBa^r^eitcn
beS (SoangeliumS im Snnerften ber ©eele!" 5DiefcS aber ift ri^^
äiellofe Stufgabe, ba eine SÄc^r^eit oon aBa^rl^citcn als folc^^
itoax baju oertoenbet werben fann, um abmcd^fclnb einen unb ben
anbern ber bejeid^neten (Einbrüdfc ^eroorjurufen, aber nienißß
baju fü^rt, bag biefelben folgered^t unb jwedCgemäg, namli^ ^
bem {Rahmen einer feftcn Ueberjeugung eintreten. S)enn bie 6^
meinfc^aft mit @ott in bem Umgang bcS SräutlgamS, beS Sß^
337
3efu^, tüdc^c auc^ Srud^cru^ mit SScrtPcifung auf ba^ ganjc
^o^clieb afö bic fpccifif(^c Art ber Srfal^rung cmpficI^U, ift ja
nun einmal nur ein täuf^enbeö ©utrogat für bie perfönlic^c
d^riftlic^e Ueberjeugunfl, meil babei öon ber ©teHung beö ©täu:^
bigcn in ber SBelt, bic eben religiös geregelt tuerben fott, einfach
abgcfef)en wirb. Unb baß eS bamit nidjt^ anbere^ ift, wirb offen
genug aud) öon bem gegentüärtigcn ©d^riftfteller barin juge^?
ftanben, ba§ mit ber empfinblid^en 9iä^e be« Sräutigamg bie
8crlaffungen unb SSerbergungen beffetbcn abmed^feln. 5)enn eine
fünftlid^e Ueberfpannung be^ ©efü^lö, ttjeld^e bie Äbfpannung
not^tüenbifl uac^ fid^ jie^t, ift nid^t bie gorm ber perfönlid^en
Uebcrjeuflung, tueld^e ate fold^e in einer ftetigen Stimmung öer«*
läuft. 2)ag ttjar nun aud^ bie Meinung ber red^tgläubigen re-
formirten Se^rer, inbem fte bic gefteigerte ffirrcgung ber laetitia
spiritaalis für etroa^ ©lei^güItigeS erKarten. S)er abfid^tlid^e
3ufl biefer ?ßictiftcn nad^ bem ©enug, bem ©d^medfen ber @üte
®ottci3 unb bem järtlic^en SSerfe^r mit bem $errn 3cfuö bc^
jeid^net alfo eine fpecifijd^e Slbni'cid^ung bon ber 9iec^tgläubigfeit.
^iefe Srfc^einung n^irb fd^Iieglid^ Derl^ängnigDoIle äBirfungen
auf bie ©tellung bcd Saluini^mu^ ald jtird^e üben, ^ad fann
man aud^ an ben Semerfungen über bie „geinen" fic^ Kar
mad^en, mit meldten Sruc^eruS bie bon i^m bert^eibigte Se^aup:^
tung bon ©d^orting^ui^ (©. 329) begleitet, bafe jeber ©eiftlid^c
unb Saie berpflid^tet fei, ben ©eelcnftanb {ebed ?lnbern ju beur^
t^etlen. $icfür einjutreten ^atte SBruc^eru^ um fo me^r SSeran^
laffung, al^ er felbft ber SJerfaffer bed entfpred^enben Sapitel^
in bem SBerfe bon ©d^orting^uid »ar, »ie biefer in einer ber
fpäteren 9u#gaben mitt^eilt. ^c^^alb n)irb e^ und loeniger
barauf anfommen, load 3ru(^erud je^t jur ©ac^c borträgt; um
fo intcreffanter finb bie folgenben Semcrtungen. „9Kan barf,
fagt er, nic^t benlen, ba^ alle Arten bon SBcfenncrn gottedfürc^tig
finb, biclme^r mu§ man bie eine ärt für Sinber ©otted, unb
beten ©egent^eil für ttjeltüd^e SReufd^en galten. 35enn im anbern
fJfoQe mügten ungleiche äBege ju ber ©eligfcit führen, toad mit
ber ©d^rift ftreitet. Sluc^ ^aben mir @runb ju urt^eilen, bag
unter ben üerfd^icbenen Arten rechtgläubiger ©efenner bie foge^
nonnten ^Jcinen meift eckten ©liebem ber flirc^e glcid^en. 35amit
{oU ntd^t gefagt fein, bag aQc, n^eld^e als geine angefel^en n)erben
Dber fi^ ju benfelben l^alten, aufrid^tige S^riften finb. ^enn t^
I. 22
338
tüirb mand^mal ^inter^cr offenbar, bafe SJJan^e ftc^ auf 3^
j^eud^lerifc^ untemorfcn ^aben. Umgclcljrt tft äujugcftc^cn, bafe .
tt)a{)rc ©otte^fürc^tifle lönnen gefunben toerben, tüdc^c aui^
fletfd^Ud^er Stug{)ett ober 3J2enfd^enfurd^t ober aitd^
auö ungcgrünbetem SSorurt^eil fid^öon bcn geincn jurü*^
galten unb beren ?ßartct nic^t crtuä^lcn. Sillein äße, loelc^c man
für toa^re 5^omme galten foß, muffen mit bcn geinen einerlei
@efinnung unb S93eg ^aben, unb muffen fic^ gegen bie entfd^eiben,
n?elcl^e inbcm fic ben SBeg ber geinen lennen, pc eben barum
Raffen. SSieQeid^t mag einer beuten, bag man burd^ fol^e Sc*
ftimmung öiclc SRenfc^en, bie gerabe nid^t ju ber Partei gehören,
unb gleic^tüo^l nod^ uiet @ute§ an fid^ ^aben, tocrurtl^cilt unb
bamit ju loeit ge^t. ?inein bicfer Umftanb Verbietet jene Sc»
ftimmung ebenfomenig, atö bie proteftantife^c Äird^e Unre^t f)at,
fid^ für bie \oaf)xc Äird^e ju erflären mit Stuöfd^licfeung fo öicicr
]^eibnifd(er SSötfer, Und^riftcn unb ©ccten. 5)enn bie Äcnnäeidjen,
ttjeld^e für bie (Sc^t^eit unferer Sirene angeführt locrben, lajfcn
fic^ bei feiner 8lrt oon Sefcnnern in fold^cr ^aft fpfiren, toit 6ci
ben geinen ^). ©ie finb bie SRed^tgläubigftcn, nid^t blo^ imSer«
gleid^ mit ben Untunbigen, unb mit benen, Ujeld^e t^eilrocife nic^t
redjtgläubig finb in §infic^t ber ©trafgerec^tigleit @otit&, bct
endigen SSorl^erbeftimmung, ber SBiebergeburt, ber ©nabenempfifl-
bung, ber 9KögIid^!cit uon SSerfi^erung ; fonbern auc^ im SScr^
gleid^ mit ben Wed^tgläubigen unter i{)ren ©egnem. 35enn i^w
Segriffe ge^en me{)r auf bie ®rniebrigung beö äKcnfd^en unb
bie SSer^crrlic^ung @otte§ ^inauö, unb if)re ?luffaffung ift l^
benbiger unb gciftlid^er unb ifjre JRebe* öerrätf), ba^ ftc öon bem
§errn gelcf)rt finb. SBirb XDaf)xt ©ottfeligleit ju bcn Äcnnsei^cn
ber Üird(e gered(net, mo foU biefelbe außer bei ben gcincn je^
funben ttjerben? ©ie^t man nämtic^ öon ben ?ßrofancn ab, fö
ift bie bürgerliche grömmigteit auf Äeufeerlic^feiten gerid^tct, uö*
üotlftänbig, bef^ränft, gefefelid); bei ben gcincn hingegen finbet
man ©ottfeligteit, n^el^e innig, umfaffenb, cbangelifd^ ift. ®^
motten nid^t uer^c^len, baß unter ilinen atterlei Äbmcid^ungcn, jö
auc^ grobe ©ünben, bie mit bauernbem SSorfoJ 9^'
pflegt n)erben, Dorfommen. ?lber obrool^l ©ottlofigfcit ^^
1) 93el btefer ©elcQen^elt erfS^rt man, bog biefer Kufibnid ouit ^^^
4, 1. 2 entlehnt ift.
339
©ünben ctnanbcr tütberfprcc^cn, fo fönncn bod) bicfelbett glcid^-
ttjo^l mit cinanbcr flehen, toie SBct^^cit unb %f)ox\)eit, ©laubc
unb Unglaube, ttjcnn bie ©ünben gegen bie Steigung unb Slbjic^t
pnb, toa^ burc^ bie SRcue unb Seibwcfen anbeten SJienfc^en
offenbar ttjirb. 5)enn ttjenn ba^ ©ünbigen bie ©ottfeligen t)cr*
roerflid^ machen folltc, fo fönntcn nod^ Diel ttjenigcr i^re ©egncr
gelten, »eld^e feine 'S8etrübni§ nac^ ©Ott unb feine Sefe^rung
lunb geben. Unb in jenem ^öIIc ttjürbe e§ überl^aupt feine @otte8»
fürd^tigen geben, ferner ber ©ebrauc^ ber ©acramentc ate üenn^
jeic^cn ber Sirene erfolgt bei ben Uebrigen auö fleifc^lic^er Älug*
i^eit unb jum gefefelid^en 3^^^* ^^i ^^^ 5^^^^" I^t^od^ mit Uebcr*
legung i{)red ^ecf)te^ ba}U, jur ©tärfung \f)xc^ ©laubems unb
Scförberung i^rer Heiligung, nid^t o^ne Vorbereitungen, ©lau*
ben^übungen unb 9la($betrad^tungen. SBeiter^in bient jur 93e*
Joä^rung be§ SSorjugg ber gcinen, ba^ i^r ©tanb, SBeg unb
t)erborgene Erfahrungen ben@egnern unbefanntunb
iintcrftänblic^ ftnb, »ä^renb fie felbft ben SBeg i^rer ©egncr
f cl^r too^l fcnnen. Snblid^ ücrglcic^e man öeibe in §infid^t i^reg
Sluögangd auö biefer SBclt! SBäf)renb bie Se^teren entujcbermit
©ctoiffenöangft ober mit forglofcr ©leic^gültigfeit fterben, ftnb
i>ic (Srfteren mutl^ig, frö^lic^ unb ttjunbcrbar getroft auf bem
SBege j^ur ®tt)igfeit, unb i^re ©terbebetten ftnb Sir iump^ betten
xxnb 5ßrcbigtftüf|le. öeifpiele bafür beizubringen ift unnöt^ig,
i>cnn bie Srfa^rung liefert fie im Ueberflug."
Äug biefen bentwürbigen Srflärungen ^ebe id^ brci c^araf:=
t^xiftifc^c ?ßunfte ^erüor, bie Unfä^igfeit beö öerid^terftatter^,
ctrtbcre aU fc^led^te STtotiüe bei benjenigen ©otte^färd^tigen am
5%uiicf)men, Ujelc^e fic^ üon ber 5ßartei ber geinen jurüdf galten ;
^rocitend bie 9la^fid^t gegen Dorföglic^e grobe ©ünben bei biefen,
xoeld^e beS^alb nid^t ald abftc^tlic^e gefd^ägt n^erben, loetl fie
itn^iner bereut toerben; enbli^ bag äwfl^ftänbniß, ba^ bereu 8Hd^*
tixitg ben anberen üird^engliebern unüerftänblid^ bleibt. 3)iefe
"X^atfad^c nun »irb burc^ 3o^. 14, 22. 23 ni^t gered^tfertigt,
n>cil cg eine Srfc^leid^ung ift, bafe bie geinen, inbem fie fic^ felbft
t>oit ber SBclt au^ne^men, bie anberen Siird^englieber, aud^ bie
^otte^fürd^tigen unter i^nen, für SBelt erflären. SJiejenigen,
'ttJeld^c jur Äirdje gel^iJren, ^aben öielme^r ben Änfprud^, ba§
"^^ncn bag E^riftent^um öerftänblid^ gemacht toerbc; fonft ift bag*
V \^lbe nic^t bie SBeltreligion. ffiine gorm bed El^riftentl^umg aber,
340
lüclc^c unöcrftänbüc^ ift unb bleibt, trägt barin baö SRerfmal bcr
Unrid^ttgfcit unb aSer)^robent|cit. Sttlfo entfpric^t bicfcr ^ictiömug
nid^t ber JBcftimmung ber Äirc^c; fonbern er ift im ©runbe
tüibcrfirc^Iic^. @ö ift alfo fein SBunber, bag ber Änfprud^ bicfcr
,,$artci", gcrabc firdjlic^ ju fein, nur baju beiträgt, bie ?tnbcrcn
ber üird^e ju cntfremben, unb bie fiird^c ju jerfe^cn.
S)ie eigentpmlid^e ^arteilid^feit beS ^ictidmu^ erfd^ctnt
innerf)Qlb ber Slcugcrungen t)on Srud^crud noc^ barin, ba^ bie
©efa^ren, njcld^c bie 8iid^tung für mand^crlei SKenfc^en barbictet,
ftet^ uertufc^t ttjcrben, n)ä^rcnb bie gefä^rlid^e Sage ber Änbcrcn
nid^t umfaffenb genug bargeftcßt toerben lann. 5)cr $ictii8mu3
aber fd^lie^t ebcnfo ttjie jebe anbere particulare Seben^form An*
löffe jum ÜRigbraud^ in fic^; unb n)cnn aud^ feine Stn^ängcr
nic^t ftc^, fonbern nur bie änberen jur SBelt red^nen, fo gehören
fic bod^ in bem ©innc felbft baju, alö i^r ©emeinttjcfcn eigen*
tpmlid^e SBerfuc^ungen mit fid^ fü^rt. %\lc^ nämlid^ ift SBcIt,
tüaä üerfud^crifd^c Situationen ^erDorruft, unb Sieiner ift ber*
felben barum enthoben, büß er fid^ bicfeö verbirgt. ®ie Cmbcner
?ßrebiger burftcn bei il^rem 5ßreife ber geincn aU ber eigentlichen
Vertreter ber reformirten Äird^e tjorfi^tiger öerfal^ren, wenn fie
fid^ erinnerten, baß gleichzeitig if)re Sanbcöürd^e burd^ einen @cc^
tirer bcunrul^igt tourbe, beffen SEtraöaganjen beutlid^ i^ren rc*
formirt-pietiftifc^en Urfprung Dcrrattjcn. § i n b e r I (^mxii))
3anffcn, ttjegen feiner Seibeögröße genannt „fiange ^inberi"
auö greepfum bei ffimben*), ein SBauer, »eld^er 1740 cttpa
55 3a^re alt mar, uon §aufe auö lut^erifd^, xoax jur reformirten
^\xd)c übergegangen. 2)urdö fromme Haltung. Äaltblütigleit unb
breifte S3crcbtfamleit gelang e^ i^m, einen Änf)ang öon etwa
100 ©eelen ju werben. 3n i^nen meinte er ben ©tamm jubcr
nottimenbigen ^Reformation ber ^irc^e gewonnen gu ^aben. 3Wt
biefem ©rfolgc fotite aud^ bie SBefe^rung ber Reiben unb 3»bcn
jufammcntreffen. ©eine änfid^t öom Seben »ar beftimmt bnrtS
bie calüinif^e ße^re Don ber boppelten ?ßräbeftination. Aber in*
bem er @ott alö ben fouueränen ^crrn badete, loelc^cr mit ben
aWenjcljen machen fann toa^ er miH, fo öerftanb er biefcn ®<^t
mit üöQigem Sluöfd^lu§ ber SSeranttoorttid^feit ber ÜÄenfc^en. ®'^
aWetap^^ftt biefeg ©auern geftattetc i^m, auf bie Sebeutuns ^^
1) Sgl. Acta historico-ecolesiasiica £^eil 25. 6. 18 f. Xt^l ^-
©. 212 f. (^anb 5.) aOeimar 1741.
341
causae secandariae ju t^etitc^ten unb bte erftc Urfad^e allein jur
(Srilärunfl bcr böfcn lüie bcr guten ^anblungen ber SWenfc^en ju
üermcnben. 5)emnacl^ lehrte er, bafe bte ©ünben ber aWenfd^en
als erfc^eincnbc ^anblungen SBirfungen ©ottcS, unb baß fic
©ünben nur in ber SSorfteHung ober Sinbilbung bcr äRenfc^en
ftnb. 2)ie SBert^beftimmung bcr ^anblung ald ©ünbc gcl&t aber
©Ott nid^t an, ba er mit bem aJicnfd^cn nad^ feinem SSeliebcn
fd^attcn fann. ffibenfo befielt bic Sele^rung einfad^ in ber
©dbftoffenbarung ©otteS an einen äRenfc^cn, wobei fein SBunfc^
unb ©ebct mitmirft. 35e^^alb fönncn auc^ fiinber ©otteS im
©Uten nic^t ftillc fte^cn, noc^ t^iel toeniger barin gurüdge^cn,
fonbem fic ftjad^fen ftctS in ber ©nabe, aud^ toenn fic in grobe
©finben fallen, n^eld^e ©ott i^nen ju i^rcr ^emütl^igung be^
reitet ^),
3)cr Urf)ebcr biefcr Se^re, locld^em bie unter ben geinen
gehegte fRcd^tgläubigfeit jum gaUftridE geworben ift, fa^ fid^ in
feiner rcformatorifc^en ?lbfic^t für ein unmittelbare^ Organ ©otteS
an, unb feine Änl^änger, Sänge ^inberfö SSolf genannt, begannen
bic Sieformation bamit, bag fic ben öffentlichen ©ottedbienft
ftörten unb bic 5ßrebiger mit lauter ©timme bcr fiügc jic^cn-
au tt)cber ber Soetud (ber reformirten ^ßrebiger j in Smben, nod^
baö fürftlic^e Sonfiftorium mit §inbcr! fertig »urbe, öcrurt^ciltc
man i^n am 31. ?luguft 1740 jur Sanbeöt»crtt)eifung, mit ^n^
bro^ung fc^wercr SeibeSftrafen bei feiner SRücKc^r. ffir crflärtc
barauf, nic^t ge^ord^en ju moQcn. ^ic Siegicrung lieg i^n alfo
ilbcr ben 2)ollart fal)rcn unb in ber ^rouinj ©roningen an'S
Sanb fe^en, unbeforgt, ob er nic^t \>cn bortigen frommen jur
öerfuc^ung gcreid^en fönntc. SlHcin er erfparte i^nen biefelbe,
inbem er nad^ einigen ZaQcn in feine §cimat^ üurüdftef)rte. SSor
©eric^t geftcUt befannte er, fein ^immlijc^cr SSater i)abc i{)m
leinen S3eruf gegeben anberiSroo ju lcl)ren, uiclmel)r ju il^m gc*
fprod^en, er foQc n)ieber nad^ $aufc ge^en; übcrbicS l^abc er ba^
1) Diefe (Sebontentoerbinbung erinnert an bte fie^re beS ^rebigerS $on«
tiaon toon Rattern (gefl. 1706). toeld^er eine ^nja^l Don tlntjfingern natnentlidd
in Seelanb gefunben ^at (Ypeij en Dermout III. p. 124). ^iefe tote einige
anbere (Sruppen mit aparten ^nfi^ten, bie in jener Seit auftreten, ge^jören ni^t
in bte pietifiif($e Bewegung, »eil i^nen bie ^bfi^t auf 9iefotm ber ftird^e
mangelt
342
^eim einen gemfifteten Dd^fen, ben iDoHe erDetje^ren; ed feiaud^
ganj unnü|, tl)m ba^ Sanb ju verbieten, ba baffelbe in t)ier
Sauren Demflftet fein njcrbe; bann werbe i^n bod^ SRiemanb an
ber 8iüdfe]&r l^inbern. 35ie {Regierung fanb lein STOittel, i^n in
feinem ©efd^äfte ju ftören. ©eine 2lnt|änger enthielten ftd^ bed
öffentlid^en ©otteöbienfte^ unb ber ©acramente, weil biefe^ gc*
fe^lic^e Drbnungen feien, über bie fie fclOft t|inau§ wären. 3n
if)ren Sonöentileln taufd^ten fie alö göttlid^e Offenbarungen aud,
wog i^nen über einen vorgelegten ©ibeltcjrt einfiel. S)a§ fitl^
ein abftc^tlic^er Slntinomiömuö an^ i^rer Sefirweife ergeben f^abz,
wirb nic^t berid^tet. 35arf man auä biefem ©tiCifd^weigen einen
Sewei^ bafür nehmen, bafe fie nidjt in antinomiftifc^c ^olqt^
Hingen Verfielen, fo ift baö eine rül^mlid^e ^obe bavon, wie un*
eigennüfeig alfo wie ec^t bie SUJetapl^^pt i^i^f^^ Sauern war. SBie
lange biefelbe öorgel^alten l)at, barüber fe^lt bie Sunbc. Aber
Wenn nic^t in ber angelernten SRed^tgläubigfeit ber birecte An*
trieb jur metapl^^fifc^en ©rübelei gelegen ^ätte, fo war bie 3tr^
le^re ^inberF« nic^t möglic^. S)iefe^ nun ift ben Cmbencr $re*
bigern unb allen i^ren ©efinnungSgenoffen verborgen geblieben.
17. 2)ie t$<^rtfe^uttg bed ^ietidutud bid ju feiner Souftituinuift
aU fe^arirte ftirc^e*
35er 5ßietigmu8 in ber rcformirten flird^e ber Slieberfanbe
verläuft in jwci ©tufen. SRad^bem biefelben t^rc S)arftdluii9
gefunben ^aben, wirb eö möglich fein, i^r gegenfeitigeö SSer^ältniB
voUftänbig ju beurt^eilen. 35er ^ieti^mu^ entfpringt au8 bct
bem SalviniömuS eingeborenen Aufgabe, alle Äird^enmitglieber 5^
ber ftrengen weltflüd^tigen ©itte unb ber gefe^Ud^cn SSoHfommci^*'
l^eit anju^alten, Welche Von SSoet unter ben glcid^geltenben %\i^}^
ber 5ßräcifität unb beö 5ßuritani^mu« gemeint ift. S)ic Si^^^»
welrfje ber genannte X^colog bei feiner Abfielt auf 3tefonnott*>]^
ber ftirc^c inne ^ält, ift noc^ nid^t pietiftifd^, fonbem rein cai^^*
n\\6). ffir ift nämlid^ einmal vöQig naiv in bem SSertraucn ^^*
343
btc Stuöfül^rbarlcit biefcr ^Reformation, unb öcrftel^t femer btc
ßefc^ltc^e 5ßräcifitäf ate bie 5ßrobc ber d)riftlid^en g^ct^eit unb
®ottc§finbfc^aft, o^ne ein bcfonbercö ©trcbcn noc^ lebhaften ©e-
fü^I^inbrüden Dom ©nabenftanbc ju Dcrrat^cn. 35icfer ?ßurita*
ntömuö, mcld^er mit bor 2)ortrecl^tcr Ort^obofic tjcrbunben »ar,
ift inncrlid) bor glcidinamigcn ©rfd^cinung in ber cnglifd^en
ftird^e burd^auö gleirfjartifl. 2)a§ man icbod^ regelmäßig nur
öon ber lefetcni etftja^ mci§, ift barauö ju crHärcn, bafe e^ bem
cnglifd^cn ^uritani^muö oblag, bie ftreng calöinifd^en ©runbfäftc
ber Äird^enücrfaffung gegen bie bifc^öflid^e Drbnung ber eng*
lifd^en Siirc^e burd^jufec^tcn. 3cne SJerfaffung ftanb für bie nieber»
länbifd^e Äird)e im ©onjen feft; unb ber Heine itrieg, ttjelc^en
bie ©efinnungögenoffen uon SSoet gegen bie öereinjelten @in*
mifc^ungen ber ftaatlic^en unb eommunalen ©etoalten in firc^^
lid)c35inge führten, um bie ©eltung ber ^ßrciSb^terien unb ©^n*
oben öoUftänbig burd^jufüliren, ^at toenig @cmd)t im SSergleid^
mit ben firc^lic^cn unb swflkid^ ftaatlid^en kämpfen in ©nglanb.
5)ag eigcntlid^e g^lb, auf weld)em fid^ ber ?ßuritaniömu^ öon
SBil^elm leeHincf unb SSoet ju bcnjä^ren ^atte, »ar bie SBolfö^
erjie^ung. 3"^" ^ßietiiSmu^ aber ttjirb biefer nieberlänbifd^e ^u^
ritani^muö, inbem Sobenfteljn bie ?ßräcifität burd^ bie an bie
SK^ftit ftreifenbe §eiUorbnung ber formalen ©elbftöerleugnung
3U ergänjen ober ju unterbauen unternimmt, ju biefem 3^ecfe
und) baö tjon SB. SeeHinc! erneuerte ajiotit) beö ©trebenö nad^
icm gefüllten Umgang mit bem SBräutigam ber ©eele, bem
^crrn 3efu§ ^injufügt, unb ben 3mpulg jur ©ittenftrenge burd^
bie 9lorm ber primitioen Äird^e öerfc^ärft ttjiffen njiÜ. 35ie 2lna*
Cogic biefer Kombination mit bem 3nbepenbenti^muö in Snglanb
tft cbenfo unüerfennbar, tt)ie ber Slbftanb jmifc^en bem ftiHen
litrcc^ter ^rebiger unb ber ioelterfd)ütternben SRac^tber reöolu^
:ionaren Srfc^einungen in Snglanb. JBciben aber ift gemeinfam,
>q6 fic bie ^Reformation ber iiirc^e in berfelben SRid^tung er*
trcbcn, welche bie SBiebertäufcr unb bie i^nen üorangegangenen
irc^Iidtjen ^Reformer im SRittelalter eingefd^lagen ^aben. 35ie
Belegung in ben 5Rieberlanben toirb baburd^ ucrftärft, baß Sa*
JQbic bie Sbeale ber mt)ftifd)en ©elbftuerteugnung unb ber pri*
nitioen Äird^e birect auö feiner fat^olifd)en SSergangen^eit in
bie burc^ SSoet unb burc§ Sobenfte^n geleiteten Äreife Ijincin*
Xöirft.
344
S)ie et)angclifd^c 9lic^tung beS niebcrlänbtfd^en $tetidtnud,
tüte ftc feit 1672 fi^ öon ber gcfefelic^cn ?lrt beffclben fd^etbct, öcr^
jid^tet auf bie btrcctc Slbfid^t ber {Reformation ber ©ittcn in bcr
öffentlid^cn Äird^e cbcnfo, mic auf ben birecten ©eparatiSmu^,
in ben fiababie auSgemünbet n^ar. Sdlein aud^ bie eüangelifc^n
5ßietiften l^ötten an ber Strenge unb ?ßräcifität ber catoinifc^en
; ©itte in ber SSerttjerfung be^ 5Canjen^ u. f. tt). feft. Unb loenn
auc^ Srafel bie Äir^e für irreformabel erflärte, fo ^at bod^ bie
Unterlaffung ber Separation Don ber rechtgläubigen Ifirc^c unb
bie ©rttjartung i^rcr glänjenben ^erfteUung in ber legten 3^
bie Sebeutung, ba§ aud^ biefe Älaffe ber 5ßietiften inbirect fflr
bie {Reformation ber ftird^c intercffirt blieb. Aber eben, »eil fte
ftc^ auf biefe Sinie beö 3ntereffe^ an ber Äird^enreform jurflct
jogen, fo tritt i^r ©treben nad^ bem geffi^ldmögigcn Umgang
mit bem $errn 3efu^, biefe ?ßrobe be^ ©nabenftanbcg, in ben
SSorbergrunb ; unb inbem biefeö 3^^^ ^^^ üorgefc^rtebenen (Kn*
prögung ber üoQftänbigen gefc^öpflic^en 9lid^tigfeit unb Unfähig«
feit äum §eil abgettjonnen merben foll, fo ift bie eüangelifc^e Art
biefer JRid^tung auf eine ©elbftbeobad^tung unb ©emüt^^uälerei
angcnjiefcn, ttjelc^e nid^t minber peinlich fein mu^te, ate bieSoP
fc^rift ber gefe^lid^en ?ßräcifttat. 5)enn eöangelifc^ toar biefe
SKet^obe nid^t im ©inne ber {Reformation be^ 16. Sa^r^unbert«;
öielmel^r befte^t fie barin, baß ein mittelaltrigeS TOotiü ber
grömmigfeit, n^eld^e^ ftd^ freilid^ aud^ auf bie ©nabc (Sottet
grünbet, bem eüangelifd^en ß^arafter be^ Eatoini^muiS untcrge^
f droben »irb. SJiefc SJKetljobe nämlid) finbet \i)x näd^fte^ SSorftilb
an ber 35eüotion, loelc^e in ben Käufern ber ©ruber unb ©^»efle«
beiS gemeinfamen Sebenö unb in ben filöftem ber SBinbe^leiw*
fd^en Kongregation regulirter ?luguftiner loä^renb be« 14. unb
15. Sal^r^unbertd in ben SRieberlanben gcblü{)t ^ot »). «uc^ iW
Seöotion beftanb in ber ^Pflege ber Siebe ju bem gefreujigten
§eilanb atö bem Bräutigam ber ©eele, nad^ ber Änloeifung W
l)eiligen 35cml)arb. 3ene Kongregationen pnb burd^ bie rcfor^
matorifc^e JBettjegung im 16. 3o^rt)unbert »eggefegt worben.
Slbcr »enn man mit il&nen bie Sonuentifel beö cüangclift^^
^ietiömuö ücrgleid^t, meldte 150 Sa^te banac^ auftreten, fo P^'
1) iSgl. baS oben @. 20 angeführte 3Ber( übet bai ftlo^ 8« ®^"^
^etm t)on ^cquot^.
345
e^ faft [o Qud, a\§ tpenn jene (Srfd^cinungen beS mittelaltrigcn
ftatl^olicigmuö in bcr rcformirtcn Äird^e tpicbcr an^ bcm SRcbcI
auftauchen, in Ujeld^cm fic bcrcinft tocrfd^ttjunbcn ttjaren. Diefcr
CinbrudE ift ja nidbt bcr SBirflic^feit entfprcc^cnb ; bcnn bic
aRcnfd^cn finb nac^ toicr biö fünf ©cncrationcn nid^t bicfclbcn;
unb man fann nic^t nac^ujcifcn, baß eine bcftimmte Ueberliefe*
rungbie beiben ©ruppen mit cinanbcr toerbinbet. Allein in ber
Cmpfängli^feit für biefc grömmigfeit muß baö fpätcrc ©efc^lec^t
bem frühem gleid^ geblieben fein. 9(tö bei^l^alb bie aus ber
Quelle \>e^ l^eiligen SBern^arb ftammenben 9Kotit)e ber Devotion
wieber erneuert Ujurben, fanben fie bei jal^lreid^en ©liebern beS
nicbcrlänbifc^en SSolfeS fo fräftigcn SEBiber^all unb fo bereite
Äufnal^me. Äud^ getuiffe Äeußerlid^fciten finb in ben beiben
@ruppen gcmeinfam. Sinmal fommen bie gteid^en Su^brüde
^S)ct)otion" unb „Änbad^t üben" (oefenen) ^ier toic bort toor;
ferner Ujirb in bem einen n)ie bem anbern Äreife forgfältigcr
SBcrid^t über bie legten Sieben erftattet, toeld^e bie gö^^cr auf
bem ©terbebette au^gefprod^en ^aben. ©o anjiel^enb bie einzelnen
Umftänbe biefcr ©leid^^eit jtt)ifd^en ben frfil^eren unb ben fpäteren
®ct)oten finb, fo ift . anbererfcitö ein aWerfmal ber Ungleichheit
unöcrfennbar, tocld^e m^ bem Unterfd^icbe ber fat^olifd^en unb
ber reformirtcn Äird^e entfpringt. Die flöfterlid^en unb ^alb*
flöfterlic^en (Songregationen, in Welchen fid^ bie ®et)oten in ben
Sa^r^unberten bed SRittelalterS jufammenfanben, ^aben bieOrb«
nung in ber bamaligen j^ird^e nid^t geftört; t^ciliS n^eil biefelbe
auf biefe Snftitutionen grunbfäglid^ eingerid^tct n^ar, tl^eils meil
bie ©eöoten nac^ ben ©efd^lc^tcrn getrennt ttjaren. 2)ie rcfor*
mtrte ftirc^e l^ingegen ift burd^ bie Sonücntifcl auf bie empfinb^
lic^fte S33eife jerrüttet tt)orbcn. Daö fommt nic^t bloö bafjer,
bal biefe Äird^e nid^t auf bie Äbftufung »eltlid^er Äird^lid)feit
unb ^ö^erer ^römmigfeit angelegt ift, fonbern ift aud^ baburd^
bebtngt, bag in ben Sonüentifeln beS eoangelifc^en ^ietidmud bie
Trennung ber ©efd^led^tcr ni^t aufredet erhalten tourbe. (£^ toax
ein richtiger %att, in ttjeld^em SSoet biefelbe Drbnung für bie
Sonüentifel üorfd^rieb, n^elc^c er für \>a§ Zangen geltenb mad^te.
Snbeffen ipurbe gerabc biefe Orbnung ber Snbad^tMbungen burd^
bai^ SSorbilb Don fiabdbie^d coenobium yvvaiTcavdQiy.ov hinfällig.
S)te Sonüentifel bed eüangelifc^en ^ieticfmud toaren für beibe
®ef^lec^ter gemcinfam. ÜRan fann aud^ nic^t um^in, bartn
346
minbcftcng einen SRebcngninb für il^rc ftarfe ßu^ö^me ju crfcnncn.
S)ag tt)cltlirf)e Sntcreffe an bcr ©efeÜigleit, ttjeld^cm burd^ bcn
calDinifd^cn Quq bcr ^crrfd)enbcn ©itte bic natfirlid^en SÄtttcI
cntjogen tt)urbcn, fe^tc fid^ gerabc in ben Snbac^töübungen bur^.
S)ic ©efd^Iec^tcr, bie nid^t mit cinanber tonjen burften, fa^cn unb
fud^ten fic^ unb intcreffirten fid^ für einonber in bcr ©prac^e
Kanaans unb in bcn gemcinfamen Sntjüdungcn für bcn @ee(en«
bräutigam. Snbem bic Slnrcgungcn bicfcr Art fid^ mit bem eüon*
gelifdjcn ^ßictiömuö öcrbanbcn 0/ fo ^öt biefe^ o^nc ß^cifel boju
mitgeujirft, ba§ er über bie gefcfelic^e ^räcifität bcr ß^itgcnoffcn
SSüct'^ bic Dber^anb getoann, unb ba§ er bic jä^c ffisiftenj b^
l^auptet l^at, n)c(^c i^n uon bcr früt)crn ©tufe beS ^ieti^muiS
untcrfdjcibet. Sludl) bic grömmigfcit, \vd6)c grunbfä^lid^ unb in
allen möglid^en 83cäietjungen auf bie SEBclt SSerji^t Iciftct, mu^
irgcnb ein ©Icmcnt n^cltlid^cr Slrt mit fidj toerbinben, njcnn fie
eine 2)auer burc^ ©enerationen t)inburd^ ^abcn foß. 3)ic ^rfici*
fität öon SSoct unb S^ceüindE tüar ju fe^r tücltfcinblic^, afk bog
fie fic^ in ben Sonöentifeln l)ättc behaupten fönncn. Dicfclben
mußten bem allgemeinen Sntereffe bcr ©cfclligteit bicnftbar gc*
mac^t ttjcrbcn, um ben großen Sinllang ju finben unb bcn 8m
fpruc^ auf ^errfd^aft in bcr Äirc^e ju bcn)äl)rcn. Diefer Um*
fcl)tt)ung bcr „feinen" ift einmal baburd^ bejeid^net, baß fie im
18. Sa^rfjunbert ben ©d^riften Don SBil^clm S^eeUindE gar feinen
©cfc^modE mcl^r abgeujanncn^); ferner burdö baö auffattenbe 8c*
fenntniß toon 83rudt)eruö (©. 338), baß in i^rem Äreife auc^ grobe
©ünben mit bauernbem SSorfafte gepflegt tt)crben, toeld^c jebofi
mit bcr ©ottfcligfcit jufammen fein fönnen, fofern fie nur immer
bereut njcrbcn. äRan fann fid^ l^ierübcr nid^t tt)unbcrn, wenn
man bebenft, baß bie „?ßartei" bcn E^araKcr bcr ©ottfcligteit
auöfd^licßlid) für fid^ ju behaupten cntfd^loffen war, unb bafe bic
äftt)etifc^c ©rrcgung burd^ bic ©c^ön^eit be§ $crrn Sefuö fciü
äureid^enber @runb für bic fittlic^c ©elbftäuc^t unb bic ÄuSrot^
tung Don Untugenben ift. Stber ein Scnnäcid^cn Don Scrwclt^
lic^ung ift eben biefe nad^fic^tige Seurt^eilung Don Dorfa|lic^c^^"^
1) ®t4tel ma^t bie Seobod^iung, bag Sababie (aupiffic^nct ben Serfe^t
mit frommen grauen erjirebt, unb bofe umgefe^rt bie ^ourignon üon ^xaiM^^
nichts ^abe »iffen toollen.
2) Ypeij en Dermo ut III. p. 334.
347
toben ©ünbcn, b. ö- öon l^abitucllcr Untugcnb bei bcn ©ottfcltgcn.
Bürbc tüo^l fiobenftc^n bicfcn gaß nod^ alö Vereinbar mit bcr
Jottfeligfcit geartet l)abcn?
Äurj man fann fic^ fd^tt)crlic^ tocrl^cl^lcn, ba§ bic Drganifa^
on bcö ^ietiömuö in bcn Sonücntifcln unb bic literarifd^ unan*
efo^tcnc unb im ©anjen bominircnbe ©tcllung in ber Äir^c,
cl^c er biö in bic SMittc bcS 18. Sai^r^unbcrtö cinnal^m, in
Hcn Scjic^ungcn eine Slbnormität barbot. S)ic grömmigfcit
in* unb l^crgctt)orfcn burd^ ein lünftlid^cä ©cfü^Iöftrcben unb bic
aücrmeibli^cn Abspannungen ober SSerlaffungen ; baö äRotiö
rrfclben eüangelifd), aber nid^t im ©inne ber ^Reformation bc^
>. 3a^rt)unbertö, fonbern nac^ bem ©efd^macf ber mittelaltrigen
cöotion; bic grömmigfeit ebcnfo außer ©tanbc, bic fittlic^cn
cbingungen ber Heiligung ober d)riftli^cn S^araftcrbilbung
^cr äu ftellcn, tt)ic bic erwartete ©rfa^rung bcr ©ünbenüergebung
ijuprägen; eine SRcdötgläubigfeit, n^cld^c öon bem »iberfird^li^en
nfpruc^ auf @eift unterl)öt)lt, unb burd^ bic Scrt^eilung ber
ttcl ®rmät)lt unb SBern^orfen auf bic eigene ?ßartei unb bic
•cgner in bcr Äirc^e mifebraud^t n^irb; ein inbirecter JBorbcl^alt,
i§ man jur SRcformotion ber Äirc^e bcred^tigt fei, bem aber feine
Ja^I ätocrfmäßigcr äRittcI entfpringt, fonbern bcr fid^ nur barin
3icgelt, bag fc^licglid^ burd) eine n^unbcrbarc t^ügung bic ^ird^c
iim 9lcid^c S^rifti auf @rbcn üerüärt n^erben n^erbc, in n^cld^cm
ic ^ictiften an ber ^errfc^aft nic^t me^r burd^ i^rc ©cgner ücr^^
ittbcrt werben, — baö finb bic Qüqc, ujcld^c l^auptfäc^lid^ bcn
t^araftcr biefer anfpruc^düoQen frommen auSmadjcn, tocld^c
talb fcparatiftif^ fic^ für bic ganj itird^lid^cn galten. Unb tt)ic
oUtc i^r ©tu^I umgeftürgt tt)crbcn?
2)ag 3at)r 1749 ift bcjcic^net burd^ bic erfte au8ffi^rlid&c
iterarifd^e Seftreitung ber {Richtung unb burd^ bcn gelungenen
ttoc^meid i^re^ SÄangelö an SRed^tgläubigfcit. Qa glcid^er ß^it
tfolgtc bic Snt^iillung i^rcr ^i^pofition jfi orbnungdmibrigen
mb in bic bloS fiunlid^e Erregung audfd^lagenbcn SBirfungen.
öcnn folc^c ^^olgcn fnüpftcn fid| an bic SrmedEung, weldöe toon
iiiterf in ©eibern aug über alle Itjcile ber SRieberlanbc fid^
crbreitctc »). @crf)arbÄut)per^ ^atte f^on 1745 alö Sanbi^
at burd^ feine 93crebtfam!eit in ber ©emeinbc ju Ämftcrbam
1) 3um folgenben tergl. Ypoij en Dermout IV. p. 8—82.-
348
einen großen ©inbrucf gemocht, fo baß unter feiner ^rebigt ®n*
jelnc, beren §erj getroffen toax, it)rer ©timmung burd^ lautet
©c^reicn fiuft mad^ten. @ine glcid^c SBirfung, aber in bcm tuet*
teften Umfange, erreichte er !urj nod^bcm er 1749 aU ^ebiger
in ?liiferf angcfteQt iüorbcn tt)ar, bur^ eine am 14. SRoüembct
gehaltene ?ßrcbigt über ?ßf. 72, 16. 3n einer ©emeinbc, öon
njel^er er felbft bct)auptet, baß ber ©atan in i^r o^nc ©c^ranfcn
ge^errfc^t ^abe, baß fie aber bereittt)ittig gemefen fei, fid^ um
i^re ©ünbcn ftrafen ju laffen, entftanb ein allgemeiner ®emüt^
aufru^r *). 2;t)ränenbä^e ftürjten über bie ©efid^ter, unb gegen
®nbe beö ©otteöbicnfteö ging ein allgemeine^ SBeinen, SBinfcIn,
©d^rcien unb 3ammern lo^. Äfö bie ©emeinbe au§ einanbcr
gelten foUte, fonnten üiele nid^t fid^ aufrichten ober nid^t fielen
ttjegen einer (Srrcgung, xoddjc bie lebenbigen (Sinbrücfc ber ©eck
auf ben Seib übertrug. Diefe ÄUe mußten auö ber Äird^e gc^
tragen Ujerben. SBci SKanc^en njar bie ©eelenangft begleitet öon
entfefelic^en ßudEungcn, D^nmad)ten unb erfd^redEenbcn ßwfäß^J*»
®ine Änjal^l berer, ttjeld^e noc^ i^rer ©inne mächtig xoam,
folgte bem ?ßrebiger in fein §auö, unb umgab i^n mitbemSlufc;
tpaS foDen n)ir t^un um feiig ju toerben? @r gab il^nen 9Iot(
mit üieler I^eilna^me, aber au^ unter bem Sfu^brudE ber grcube,
baß i^m bie ©elcgenl^eit bargeboten fei, ba^ Sieid^ (Sottet auigjji*
breiten, änbere, t)on bencn er annel^men burftc, baß fie nai}
Iroft Verlangten, fud^te er in i^ren Käufern auf. Um bie So
^cgwng jum guten ßiclc j^u fül^ren, prebigte er loenige Sage
nad^l^cr über Slpoftclgefc^. 16, 30. 31, unb rief bie SBeflommcncn
jum ©lauben an ben $errn 3efu3 auf, inbem er fie öerfic^crte,
baß fie burc^ fold^en @lauben feiig »erben fönntcn. 5)iefe^
tt)irtte bei 3Äand^en, fo baß fie tt)ieber äRut^ unb Hoffnung au^
bcm (Süangelium fd^öpften, unb jur ftiHen banfbaren Anbetung
©otteö gelangten, hingegen bie SKeiften t)on bencn, bie nculitl
getroffen xoaxtn, ließen fic^ burc^ bie neue SBeifung burc^a»^
nid^t an^ it)rer @emütl)öbeflemmung reißen. Änbere, bei bcnen
biefe ©c^tt)ierigfeit bor^er nic^t eingetreten ttjar, geriet^cn jet*
hinein, inbem fie erregt aufriefen : mx muffen 3cfuS l^aben, au6^
1) ®ie folgenben Ungaften ouS Kuypers, Getrouw verhaal enapö-
logie der zaakon voorgevallen in de gemeente te Nieuwkerk. Amit^
dam 1750. 4.
349
3cfuö ift fein Scbcn, fonbcrn ctüiflcg iBcrbcrbcn. ginige famen
beinal^e, n)te man e^ nannte, ju 9{aum mit einem glauben,
ber SBerge ja üerfeften n)äl)nte, inbem fic bie Seigre üom Äreuje
bcö §eilanbö mit Äraft unb SRac^brucf umarmten. Aber auf
(Einige ^atte ber Zroft be^ Süangeliumd nid^t bte minbefte 3Bir^
lung. 9lur njaren fie äße ju einer ungemeinen Siebe gegen ein*
anbcr ermedt, »aren @ineö ^erjenS unb jur gö^ittc geftimmt.
2)iefe ßuftänbe bauerten junäd^ft einige SEBoc^en fort. 2)ie
(Einen ttjaren belümmert, bie ?lnberen angefaßt, jum SJur^brud^
gcfommen, überjeugt. Der (Eine lag, tok e^ ^ieß, im ©c^reien,
ber 8nberc ftanb im Saud^jen, unb bie beiben ^rebiger Ratten
genug ju t^un mit il^rem 3^fV^4- ^^^ ^^^ ©tunbenfjalter
fd^firten ba§ geuer. 2)iefe aber gingen öiel me^r barauf au^,
bie ©d^redfen ber ©ünbe unb baö ©efül^I ber SRid^tigfeit unb
^ülflofigfeit bei ben Angefaßten ju fteigcrn, a\^ ba§ fie im ©taube
toarcn, fie jum ©uri^brud^ in bie Änfc^auung beö §errn Sefud
unb in bag @efüt)l ber ©nabe ju bringen. S)enn mie il^re 3n*
ftruction burdö @ön)iiler ober ©döortingl^ui^ befc^affen toax, fo
fonnten fie feinen Uebergang Dom @inen j^um 9(nbern aU notJ^«
toenbig nad^n^eifen, fonbern mußten um fo me^r ben 3)urd^brud^
unb bie iBerfiegelung bzx*\xckn unb ungebunbenen ©ouüeränetät
•
©otte^ anJ^eimfteHen, al^ fie öorl^cr baö ©ünbenbettjußtfein burd^
bo^ ©efü^l ber t)önigen • SBert^lofigteit bc« aWenfd^en oor ©Ott
öerfälfc^t Ratten. 2)ie ©emeinbeglieber, tt)eld^e fo oer^eftt Ujaren,
fonnten au§ bem ^ugfampf nid^t ^inau^finben, unb n)eigerten
fid^ getröftet ju werben. Sei bicfen brad^ nun bie im SBiberfinn
i^rcr rcligiöfen (Erregung genäl^rte fieibenfc^aft ju ben entfefelii^ften
(£ont)uIftonen au$, fobalb fie bei bem ©otteSbienft erf^ienen.
Daö ©^aufpiel, toelc^eö fie barboten, unb boi^ ©efc^rei, baö fie
Qudftiegen, ftörten bie Serfünbigung beS göttlid^en SSorteg auf'iS
Äcugerfte. 2)iefe ®rfd^einungen fonnten fd^Iießlid^ nur no^ po*
lijeilic^ be^anbelt n)erben. Sn biefem ©inne befd^log auf Sin«
regung öon Äu^perö felbft ber ^rd^enratf) am 29. Dct. 1750,
alfo faft ein Sö^r nad^ bem ^Beginne ber Sett)egung, bie Don
förperlic^en ß^fäden ^eimgef netten follten au^ ber ^irc^e gebrad^t
©erben, biefelben follten fid^ überhaupt in ber SRä^e ber %f)üx
^(ten, um bie fiird^e üerlaffen ju fönnen, n^enn fie bad Sorge«
gefügt i^rer Qu^älit fpürten; bie ©tunbenl^altet, U)eld^e unter
Sufftc^t bed ßirc^enrat^d fte^en, foQten bie entfprec^enbe Orbnung
350
and) in il^rcn SSerfammlungen bcförbcm, tüibrigenfaUg t^ncn bie
SSoBmai^t ju biefcn cntjogen tücrbcn lüürbe. Dicfc Serfügung
^atte guten 6rfolg; bie Drbnung in ?liiferf fefjtte jurücf, unb
im ©anjcn tüat e*3 n)ic üor bcr ©rnjcdung! Snbeffen öon bort
t)atte fic^ bie Senjegung epibemifc^ nod^ üerfd^iebenen ©citcn in
bie 9iät)e unb in bie ^erne Verbreitet. 3n ©orind^em, Dortred^t,
SRotterbam unb anberen füb^oUänbifd^cn ©tobten gelang e§ bcr
tt)eltli(i^en Dbrigfcit, bie ©ad^e im beginn ju erftidEen. $ier
ttjarcn ^auptfäc^lid^ junge Seute beiber ©efc^Icc^ter bon bcr 6r*
ttjedung betroffen. (Sbenfo in ©roningen öermod^ten ik ^rcbiger
nad^ brci 9Jionaten ber ©rregung ber Sugenb ju ftcuern unb
bie ©törung beö ©otteöbienfteö ju unterbrüdten. Die ©rfc^ei*
nungen fd^lugen and) naä) ben ?ßrot)injen grieölanb unb S)rent^c
hinüber, unb ^ier ttjurbe ber ©faubal in ber ©tabt ^oogeüecn
tt)ä^renb beö ©ommerö 1751 am ärgften. S)er bortigc ^rebigct
gerietf) fogar in bie @efaf)r förperlid)er äRifefjanblung, aU er bie
©rnjcdtcn jur 9iuf)e ju bringen öerfud^te. @nblic^ gelang eö and)
f)kx burd^ SWaferegeln firc^lic^cr ©iöciplin unb polijcilic^c Unter*
ftüfeung, ben ©c^recfen ju bänbigen. S)a§ biefe ®ingc i^rcn
©runb in ber t)on ben ©tunbenf)altcrn. gepflegten Ucbcrtrcibung
bciS ©ünbenben^ußtfcinS fjatten, ift burc^ ben ^rof. 3o^. bau
ben ^onert in fieiben, ben f)auptfäd^Iid^en literarifd^en ©cgnct
öon Äu^pcrg feftgefteHt n^orben. 2)aö Slnliegen jener unberufenen
©eelenfüfjrcr xoax, xok fie fic^ auöbrüdtten, bie ÜRenfc^cn fo tic^
nieberjufdilagen, ba§ fie üor ifiren güßen f)erumfröcf)en. ®t^
lang eö i^ncn, ba§ gciftigc @leid^gett)i(^t mit ber Se^re öon ber
menfd)li(^en 9iid^tigfeit ju burc^freujen unb bie SRerüen ju über*
reijen, fo toar eö unumgänglich, baß njaö nic^t im rechten ®eifl
begonnen tüar, in'ig Sleif<^ auöfdt)lug.
Snbeffen ^at biefer Sluöbrudfi ber im ?ßietiömug gepflegten
äietlofcn Seibenfc^aft ebenfo ujenig jur 3e^^6w"9 ^^^ Sonöentitcl*
c^riftcnt^umö beigetragen, alö bie SSibcrlegung feinet Änfpruc^
auf 9icd^tgläubigteit ben Seftanb biefer ©ruppen ju erfd^üttcrn Der*
mochte. SlHein feit biefen ©reigniffcn finbet bie fiitcratur in bcr
Don ©d)ortingf)uiö Vertretenen SBeifc feine gortfe^ung mcl^r. S)ic
?ßietiften beburften aber aui^ feiner neuen ^rtdjtc biefer Art;
fie fonnten fid^ mit ben borl^anbenen SSüd^ern begnügen. S)tcfo
unglaublid^ jat)treid^en 91uflagen bcS großen SSerfeS Don äSil^cIm
Sralel bejeugen aber bie gortpflanjung bc^ 3ntcrcffc8 an biefer
351
geiftigen SRal^rung big gegen baö ®nbc beö 18. Sal^rl^unbertS.
e^ ift Dcrftänblid^, baß bie Slntjängcr biefci^ SBud^ci^ fid^ nid^t
crf)c6Iid^ bemerfbar machten, lüäfircnb in bem Greife, bcr t)on
tl)nen unabhängig blieb, ft^ aÜmäl^Ud^ bie Umfttmmung t)onjog,
welche burd^ baö SSerftuinmen ber calöiniftifc^en Drtl^obojie unb
ba« (Sintreten eine^ abgeftumpften biblifd^en ©upranaturaligmug
in ber Ideologie bcjeid^net ift. ©lei^jeitig nimmt bie aöfetifc^e
Siteratur unter bem ©influffc englifc^er unb beutfc^er SSorbilber
loicber bie SRic^tung auf bie ©inprägung ber Heiligung. 2)aburd^
tourbe freilid^ ber Slbftanb jujifc^en ben 5<^inen unb ben ,,bürgcr*
liefen Seina^c^riften" erttjeitert. ®iefe J^atfac^e lam nun
an ben 2;ag, alö unter ber 3luctorität ber ©eneralftaatcn unb
unter äRitnjirfung aller $rot)inciaIft)noben 1772 eine neue S3e^
arbeitung ber ^falmenfammlung in ben ©cbrauc^ ber Äirc^c
cingefüfirt njurbe. Damals ^aben bie EonDentifelleute, ujeld^e
felbft bie Steuerung in ber Sird^e repräfentirten, fid^ gegen eine
t)erfaffunggmägig burc^aug legitime gottedbienftUd^e Einrichtung
aufgelehnt; unb fie, xt)dä)c aUt tirc^lid^en gormulare ju befe^ben
J)flcgten, finb ^ier für bie biöf)er bcftet)enbe Drbnung eingetreten,
©ic t)aben fic^ gcrabc bamalö mieber üerftärft, inbem fie bie*
ienigen an fic^ jogen, n)eld^e bie £^irc^lid^feit nur atö (Stabilität
fcnncn tt)onenO. S)ie ©^nobe üon gricölanb fa^ fid^ burc^ baö
SBiberftreben ber Sonüentifel gegen jene^ Unternehmen veranlaßt
}u bcfc^ließen, ba§ bie unter ber Sluffic^t beö Äirc^enrat^eg jjeber
©cmcinbe fte^enben ©tunbcn^alter fic^ einer Prüfung i^rer
inteHectuellen S8efät)igung ju unterwerfen Ratten, ba§ fie in gutem
Slufc ftc^en, minbeftenö ^xod Sciljre in ber ©emeinbe gelebt ^aben
unb burd^ Ifieilna^me am ©otteöbienft unb Slbenbmal^l imaf)xt
fein müßten, baß fie in einem neuen SBofinortc ttjieberum ber
3uftimmung beö ^ird^enrat^eö fid) ju üerfic^ern tjätten, Ujenn
fic auc^ bort «nbac^töübungen galten tt)otIten. Db biefe SRittel
jur ßä^n^ung ber launenhaften frommen jugereid^t ^aben, fann
it^ nic^t öerratfien, glaube e§ jjeboc^ bejmeifeln ju bürfen.
5Der mibcrfirc^lic^e 3"9f tüelc^en bie ?ßartei an fid^ trägt,
tjcrrät^ fid^ ftet^ in ber Haltung, ujelc^e beren ©lieber je unb je
gegen bie ©acramente einnehmen. 3mmer tuieber regte fic^ ber
(abübiftifd^e SBorbe^alt gegen bie ^inbcrtaufe unb gegen bie 99e«
1) Diest Lorgion p. 286—292.
352
rcd^tigung jum Äbcnbmafilc ^). 2)a bie laufe nur an Äinbern
t)on ©laubigen, meldte aU bie (Smä^Iten galten, üoQjogett
Ujerben folltc, fo ergaben fic^ unlööbarc Sebenfen barüber, ob
bad befttmmte ^tnb j^u ben (£rn)ä{)lten getjöre, ober bie Slettem
felbft Dertieftcn [id^ in ©frupcl über it)re ^cilöüerfic^erung, um
feftäuftcUen, ob fie ©laubige feien unb i^re Äinber taufen laffen
biirften. Ueber bie Z^eilna^me am 9lbenbmat)l trugen ftc^
regelmäßig tt)cr n^eiß n^ic SSielc mit bem Sebenfcn, ob fie be^
©acramenteä »ürbig feien, ©eleg^ntlic^ aber enueitertc fic§ biefe
@c^eu j(U bem lababiftifd^en ©a^e, bag nur äBiebergeborene gum
Slbenbmal^l berechtigt feien unb bag ber $irt biefe feine ©c^fc
fenncn miiffe. Unter ücrfd^icbenen fällen bicfer ärt, welche öon
SBerfum befannt xoaxcn, erjäljlt er einen, ttjeld^er in^ 3a^r 1789
fällt. Qu SBorfum in grie^lanb machte ?ßieter ^enbril^j, ein
©eilcr unb ©tunben^alter, jenen ©runbfafe geltenb, obtoo^l er
jugeftanb, bag man nad^ einer t)olIfommenen ^ird^e nid^t fud^eit
folle. Slld ber ^rebiger beim ^au^befu^ i^n jum 9benbma^(
einlub, mad^te 5ßieter bemfelben ben 9Sortt)urf, bag er nic^t oDe
Unbefc^rte t)om lifc^ beö $errn juriicf^alte. 8[uf bie 6nt*
fc^ulbigung be^ ?ßrebiger^, bag er fein ^erjenSfenner fei, folfltc
bie gorberung, ber §irt muffe bie ©d)afe fennen. ffinblic^
einigten fid^ beibc, bag ber ^rcbiger nur SBiebergeborene juloffen
ttjolle, ujcnn nur 5ßieter felbft erfc^iene. Sllö nun am ©onntag
bie ^eilige §anblung öor fic^ gc^en follte, Ujinfte ber ^rebigcr
?ßieter allein an ben 3;ifd^ unb flüfterte i^m ju : „SEBen foH \i>
nun rufen unb njen abn^eifen?" S)a ertannte bicfer bie ©c^roif
rigfeit ber Slufgabe, unb entfc^ieb, Sllle feien jujulaffen, bfl^
Urt^eil aber bem ^errn ju übergeben. Ungeachtet biefer Sefc^a^
mung ift ber SMann bod^ wiebcr auf feine Anficht jurüdgefominen,
mugte n)egen feiner ^nbac^tdübungcn auf ein ^albed 3^^^
au^ ber ©tabt gettjiefen tt)erben, unb feine SlnPnger \)at man
noc^ lange unter bem Flamen ber 5ßieterianen gelaunt.
3m Satire 1795 jog bie franjöfifd^e SReöolution bie öet*
einigten ?lieberlanbe in i^ren ©trubel. ®urd^ bie 1796 erfolgte
Srric^tung ber 83ataoifc^en Slepublil nad^ mobemem bemofto*
tifd^en SÄufter njurbe auc^ bie äJcrfaffung ber rcformirten ftitt^
jerftört unb i^r ftaatlic^cd Privilegium aufgeljoben. 3)em @runb|a|
ber ©efd^iebenfieit oon ftird^e unb ©taat mugte ber ©nflttS
1) 9301. van Berkum, Labadie II. p. 184. 219.
353
wetd^cn, tpcld^cn biöl^er bie ^roüincialftänbc auf bic ^ßroDinciat
f^noben ausgeübt t)Qtten, unb bte ©teid^bcrcc^ttgung aßet (Son^
fcffioneii im ©taat t|ob bcn Slnfprud^ auf, bcn bfö^er bic 9iefor==
mirtcn auf bie au^fd^Uefelic^e SBefleibunfl bcr ©taatöämtcr bc^
fa§cn. SBcl^cn ©inbrucf bicfc (Srcigniffc unb alleö, toa§ ipcitcrl^in
bi^ jum 3af)rc 1814 erfolgte, auf bic ^ictiften gemad^t ^at, ift
mir nii^t befannt. ®o mic i^rc urfprünglid^en gü^rer über ben
©nfluß ber ©taatögctualt auf bie ftird^c gebadet ^aben, lönncn
fie bie Äuffiebung beffelbcn nur tt)iUfommcn ge^cigen ^aben. Unb
toenn SSitringa'e SSorfierfagung (©. 294) unter il^nen fortgel)fIanit
toorben ift, fo tt)erben fie in Slapoleon I. ben «nti^rift erifannt
^aben, beffen Sluftrcten crujarten Iie§, baß bie l^errlid^c ©eftalt
ber Äirc^e na^e fei, in tücld^er fie, bie Sluigern^ä^Iten, ba^ SRuber
führen n^ürben. Alle 3^i^cn ttjcifen barauf l^in, bag bie $ie=
tiften fic^ ftill gehalten fiaben, unb bicfe ffirfd^einung erlaubt ben
©c^lu§, baß bie Äuflöfung ber f^nobalen Snftitutionen, ttjcld^e
erft burc^ bie (Srrid^tung beS ^önigrei^ed ber iRieberlanbe unb
bic neue ©efammtüerfaffung bcr rcformirtcn Äird^c t)om 6. 3ö*
nuar 1816 il^r ®nbe erreid^tc, it)nen nid^t anftößig, fonbcm gc^
rabc bequem gett)cfen ift *). Äuffaßenber SBctfc fd^ttjiegcn fie
Quc^ im ©anjcn ju ber ®infü^rung bcr „®t)angelifd^en ©cfänge"
in ben ©ottcöbicnft 1807, einer (Sinrid^tung, tocld^e i^nen noc^
anftößiger fein burfte, al^ bie Siebaction ber ^falmcn t)on 1772.
Denn bie neue ©ammlung Don fiiebern öcrfd^icbcncr SSerfaffer
brad^ mit bem altreformirten ©runbfafte, baß aud^ ber ürd^lic^e
®efang nur au^ ,@ottcö SBort" befte^en muffe. 2)ie SRaßregcl
toar in bem legten aWoment beö SBcfte^cnö ber alten Äir^enüer:^
faffung 1796 t)on ben ^roüincialf^nobcn befc^Ioffcn n^orben. ®ö
ift ein SBclociö öon ^o^em fird^Ut^cn ©emeinfinn, baß wä^renb
bcg Sntcrrcgnumö, jur ß^it be^ ^aufirenö ber gemeinfamen red^t^
liefen formen ber nicbcvlänbifd&cn itirc^e bie ^Bearbeitung be^
neuen ©cfangbud^cö burd^ eine Eommiffion legitimer §crfunft
in ben Sauren 1803-1805 öor fid^ ge^en fonnte. äfö baffelbe
mit bem 1. Sonuar 1807 in ©cbraui^ genommen tt)urbe, mod^te
ed ja ÜUIanc^cn mißfaden, n^ie bag ftctiS ber %aü mit neuen (Sin«
1) 3um folgeitben Dgl. ^te Unruhen in ber meberlfinbilct-tefotmitten
AiTc^e »d^renb ber Sa^re 1838—1839 Don X., (erauSgegeben tton 9\t\tUx.
fyimbuxü 1840.
I. 23
354
rid^tungcn ift. Allein öffentlid^cn SBiberftanb fartb baö ©cfang*
bndj nur in einigen Dörfern grieölanb^ unb in bcr ©tabt JBltcf*
fingen, unb berfelbe ttjurbe burd^ ®rmal^nung unb Krd^Iid^e ßu^t
übettüunben. Snbcffen ntufe bod^ an öicien Orten eine fortbauembc
@ä^rung ober Serftimmung gegen \>a§ @efangbuc^ bemerlbor
gettjefen fein, tt)el(^e bur^ bie 6rtüartung genäl)rt tourbe, ba§
ber jum itönig ber SRiebcrIanbe bcfignirte ?ßrinj öon Oranicn,
ber tirrfjlic^cn ^ßoliti! feinet ^aufc^ cntfprec^enb, bie SReucrung
n^egraumen n)erbe, fobalb er bie Stegierung anträte, äßenigften^
fa^ fici^ im S^üW^^t 1814 bcr @cneral*Sommiffar beö S)e^)art^
mentS ber äJJaaSmünbungen veranlagt, burc^ eine öffentltd^e Si>
flärung biefer @rtt)Qrtung entgcgenjuttjirfen. 3m Sa^rc 1827
bejeugcn bie @efd^id)tfc^reiber bcr nicbcrlanbifd^en Äird^e^j, boft
^ie unb ba t)on bem @cfangbu(^ nod^ nid)t ber gehörige @t^
braud^ gemad^t n)erbe, bag jcboc^ ©törungen beS ©otte^bienftcd
um feinetwißen nid^t me^r üorfommcn. ®a« ift ol^ne Smeifel
fü ju ücrftcl^en, bag man paffiücn SBibcrftanb gegen bag ®efang*
buc^ übte, inbem man fic^ ber I^cilna^mc am öffentlichen (Sottet
bienftc enttjielt. S)iefeö 9Scrf)alten aber ift nur ben pictifti^
©cfinnten jujutrauen, tt)el^c in ber Ueberjcugung üon i^rcr
SRed^tgläu bigfeit unb Äird)lic^!cit jebe Steuerung öcrmarfen, unb
in i^ren SonDcntiteln ein ©urrogat t)on ©ottcöbienft befoficn,
ben fie bcr 3;t)eilnaf)me an bem öffcntlid^en ©otteSbienft öorjogcn,
njcnn biefer nic^t i^ren Slnfprüc^en entfprac^.
S)ic öffentliche Stimmung in ber reformirten fianbcötird^
toax üon 1816—1833 übernjicgenb barauf gerichtet, bie Untct^
fd^icbe gegen bie Sut^eraner, Slcmonftranten unb SDiennoniten fflt
gleid^güitig 5U ad^ten. Snbeffen regte fic^ bod^ auc^ eine ent^
gcgcngefefete ©timmung öom ^Beginne biefer @poc^e an in mannij*
fa^cn Scjiel^ungen. ®egen bie Dom fiönigc fanctionirte 8er*
faffung bcr Äirdöe trat unmittelbar nact) i^rem (5rla§ bie Elafft^
t)on Slmftcrbam mit einer öefc^tt)erbc barüber auf, ia^ bicfelfc«
nic^t burc^ eine @cneralft)nobc, fonbern burc^ eine lönigti^K
Sommiffion aufgearbeitet unb burd) 2)ccret beö Äönigö cingcffi^tt
fei, baß bie cingefefete ®eneralft)nobe eine ju große fEHadjt ib^
folle, unb bag bancben baö töniglid^e SÄinifterium mit ju ü&ct*
ttjicgenbem ©influß au^geftattet fei. 3u biefer JBorfteHung ^
1) Ypeij en Dermout IV. p. 329.
S55
banbcn fic^ bic alten Stnfprfid^c auf gfrci^cit bcr Ätr^c öom
©taat mit ber ©rinncvung an bie ©elbftänbigfcit bcr ^robincial*
f^nobcn, n)eld)c boc^ feiner ßeit nur burci^ ia^ 2Ri§traucn bcr
$rot)incialftänbc gcflcn eine ?lationalf^nobe ^crbeigcfül^rt n^ar.
atebalb tarn aud^ bie Pietät gegen bie ®ortred&ter ©^nobc t)on
1618. 19 jum «uöbrud. Diefc Senbenj fanb feit 1823 eine
Dorbringenbe Vertretung burc^ SBill^cIm ©tlberbiif, einen
S)icl^ter unb Suriften, ber au§ ^a% gegen bie JReöoIution unb
au^ an^anglidöfcit an ba§ Igan^ Dranicn in romantifc^er Unflar^
^eit unb Ungenauigfeit fic^ ein Söilb öon ber §errlid^feit ber
ftaatlic^en unb fird^lidben Vergangenheit conftruirt l^atte, unb
mit Seibcnfc^aft bic ß^^ftä^be ber alten geit jurücfgefül^rt toiffen
wollte. (£r tt)urbe in feinen 93eftrcbungcn burd^ jujei bon i^m
belehrte portugiefifc^c Subcn unterftfi^t, ben 3uriften Sföaf ba
Sofia unb ben SRebiciner Slbra^am Eappabofe, ttjcld^e il^ren taU
mubiftifc^^^gefcftUd^cn ©inn in bie ?luffaffung ber bortred^ter
Ort^obojic fjincin legten. 3n ben literarifd&en Äampf biefer
SKönner für bie aBiebcr^crftcHung biefer j^eologie unb aller
möglid^cn SlltertpmUd^feiten trat 1827 ber ^rebiger im §aag,
3)irf SKolenaar ein burd^ eine ,,abbreffc an alle meine reformirten
©lauben^brübcr". S)cr ^auptpunft, ben er bcl^anbcltc, war bie
öoii ber erften ©encralfpnobe aufgcftcßte SSerpfli^tung^f ormel für
bic Sanbibaten. @r warf i^r abfid^tlid^e Unbeutlic^feit in ber
§infic^t Dor, ba§ bie Annahme „ber Seigre, welche bem SBort
@otte« gemäg in ben @inig!eit^formcln ber Äir^e enthalten ift",
ben Vorbehalt julaffe, in ben ©Embolen fei aud^ fold^cg ent^
polten, xoa^ bem SBort ©otteö nic^t gema§ fei. SJenn ^ nun
®ciftlid^e unb Äird^cngenoffen gebe, weld^c bie SSerpflid^tung fo
öcrftc^en, fo fei eine frieblic^e S^rennung beiber ?ßarteien, unb bie
I^cilung bcr Äird^en unb ©ütcr angej^cigt, womit man nic^t ju
jögcrn \)abe. 3cne ©rflärung unb biefer SSorfd^lag finb baö
c^raftcriftifc^c SRerfmal einer lenbenj, Weli^c feit jener 3^it in
allen proteftantifd^en ^irc^en bie ^errfd^aft ju erringen fud^t.
@ie ift feitbem binnen 50 ga^ren aud^ in i^ren SBirfungen beut^
lid^ genug geworben, bag man gefc^id^tlid^ unparteiifd^ über fic
urt^cilcn fann. 3d^ meine, fic ift oieImct)r fd^einbar alö wirtlid^
fird^lid^cr Art, weil fic t)on einer mel^r atö bürftigen Äenntni§
ber ©cfd^id^te beö ef|riftent[)umö getragen ift. 3)er Sorf^Iag
356
^ur ®äte abtx, in ben fie ausläuft, ift im @runbe ein SJorfd^lag
aitö Sequemlid^feit unb Ungebutb.
8n bic literarif^e ©iöcuffion über bie auctorität bcr f^*
bolifd^en Sucher, tpelc^e burc^ äRotenaar'S ©d^rift ^ert^orgerufen
n)urbe, fc^Iog and) tüixtlid) fid^ eine fotd^e Trennung an, n)te fie
)ur fiöfung be^ (Sonflicted burc^ jenen $rebiger im ^oag üorge«
fc^lagen Ujar. Sie angeführte, t)on ©iefeler ^eranögcgcbene ©d^
ift nun nic^t befonberd barauf aufmeriforn, bag biejenigen, toeld^e ftd^
Don ber nieberlänbtfc^en Sanbe^^firc^e trennten, ben eintrieb ba}tt
tpeniger aud i^rer 9iec6tg(äubtg!eit, als aus i^rem ^ietidmud
fc^öpften. 3nbeffen bietet fie genügenb beutlic^e ^ingerjeigc
bofür bor, bag beren le^ted 9J2otit) ber latente ©cparati^muS
unb ber burd^ bie formelle ©elbftüerleugnung t)erfc^robene Sat
üiniSmuS ift, jene @igentt)ümlic^feiten, n^elc^e Sobenfte^n ben noc^
i^m genannten geinen überliefert ^atte. ©egen ba^ (£nbc 1829
trat ^enbrif be ßocf, ber feit mefir aU fünf Sö^ren in jwei
^rebigtfteÜen ben 9iuf eineö eifrigen unb gettjiffenl^aften Wirten
erworben ^atte, aU ^rebiger in bie ©emeinbe Ulrum in bcr
^rooinj ©roningen. §icr ftanbcn bie pictiftifc^e Partei unk
i^re @egner in beutli^er 9(6netgung einanber gegenüber, jene
mit einem Uebergett)ic^t an Qaf)l unb an ©influR. ©ic imponirte
bem jungen äRanne unb jog i^n an fic^, inbem il^m immer m*
gehalten tt)urbe, ba§ er „norf) ftrcnger prebigen, ben SRenfc^cn
me^r ücrfleinern unb @ott me^r bic (S^re geben muffe". SBir
fennen biefe gormel aU ba^ üon SBrud^eruö aufgeftcQte üRcrlmoI
bcr geinen (8. 338); l)iemit aber ift ber pietiftifc^c E^arafter
ber Siec^tgläubigfeit angezeigt, in loeld^en be Socl al^batb mit
Äraft unb Seibenfc^aft einging, um fo mel^r ate Eatoin'g Insti-
tution bie er in einem Slu^jug bamalS fennen lernte, i^m bic
©runbfäfee feiner ftrengen ©emeinbeglieber ju beftätigcn f^ien-
®ie ?ßrebigten, bie er in biefem ©inn ^ielt, fanben atöbalb einei»-
großen Qvila\x^ m6)t bloä auä ber näc^ften Umgcgcnb; fonberf^
bie @efinnung^genoffen famen aud^ auS 3)rentl^e unb in üoner^
©c^iffölabungen auö gricölanb, ben ^ßroüinjcn, welche ncbft @ro^^
ningen bie ^auptfäd^Iid^en @i^e bed eüangelifc^en $ietidmud t)Oi^
jel^er getoefen finb. SDurd^ biefen @rfoIg lieg fid^ nun bc ttiH^
baju Einreißen, bie ©renjen feiner ^arod^ialred^te ju übcrfd^rciten ^
(Sr taufte bie Äinbcr, meldte man auä anbcren Orten ju i^»^
brachte, unb nal^m ^inber in ben ßonprmanbenunterri^t, bir>
357
nid^t ju feiner Oemeinbe cjefjörten. 2)iefe groben öon 9lid^tad&*=
tung ber Äirc^enorbnung betoeifcn nic^tö für feine SRed^tgläublg::
fett; um fo mel^r ftcBcn fie feinen Snbepenbenti^muS feft, ber
bcm ^ieti^mu^ tt)af|It)ertt)anbt ift, unb fic^ fo leicht mit il^m üer^
binbct. SSorfialtungen, iüeld^e if|m feine Elaffi^ barflbcr mad^te,
ftörten i^n nid^t. 21U jeboc^ jnjci benad)bartc ^rebiger in öffent:'
liefen ©c^riften it)re ©cmcinben öor ben Uebertreibungen unb
3rrungcn be§ S^ageö tt)arnten, trat er 1833 gegen biefelben mit
einer ©d)mal^fd^rift auf: „SScrt^eibigung ber tpal^ren reformirten
Seigre unb ber n^a^ren SReformirten, ttjefd^e öon ju^ci fogenannten
reformirten Seigrem bcftritten unb jur ©d^au gefteUt finb, ober
ber ©c^afftaU S^rifti, angegriffen Don jujei SEBölfen unb t)ertt)ei*
btgt Don §. bc Sod." S)er 3;itel allein ben^cift fd^on, ba§ bei
bem SDianne ber @ifcr um ba^ §auö ©otte^ in ein aÄa§ toon
Brutalität au^gefd^tagen xoax, an n)e(d^em man fid^ flar mad^en
tonn, baß bie formale SBcfcl^rung bie angeftammte Ungejogen^eit
nid^t eompenfirt. Älö er nun ber tt)iebcr]^o(ten 9lufforberung,
baö S^aufcn unb Eonfirmiren frember itinbcr ju unterlaffen, unb
ber 3iiniwt^"n9/ feine ©^mä^ungen gegen jmei tabellofe 5ßre*
bigcr jurfidäuncfimen, nid)t golge leiftcte, fu^penbirte il^n bie
Elaffi^, biö er feine ©c^ulb bcfannt unb Sefferung gelobt ^aben
werbe. S)e Sod appcUirtc an bie ^rotoincialbe^örbc in ©ro^^
ningen. 3)iefe fc^ärfte baS Urt^eil ber Slaffid burd) Sntjie^ung
ber SBefolbung auf jtt)ei 3a^re, tt)cil er injtoifc^en bie SBetoeife
gefteigcrter ^artnädfigtcit geliefert l^atte. SRämlid^ njä^renb feiner
©ugpenfion fpicltc er ben ©trcit auf bie (Söangelifc^en ©efänge
t)on 1807 ^inauö. @r uerfa^ mit einer anpreifenben SSorrebe
eine ©d^rift: ^S)ic (Suangelifi^en ©efängc geprüft unb gett)ogen
unb JU leidet bcfunben oon SafobuS &lof, gärber unb Jhrämer
JU 3)elfjiil, ©roningcn 1834." ®ie ©efänge ttjcrben l^ier beur:*
t§eilt al^ wftreitig mit @ottc^ SBort, ein @ott mißfälliger ©fan^«
bol, ein jufammengepfufc^tcr Sllforan, n^orin bie jur ©eligfeit
not^tüenbige S5Jaf)rt)cit au^ SBlinb^eit ober S^reulofigfcit Der*
fc^miegen fei, ein ©anjeö oon 192 Sicberd^en, geeignet, bie 8le*
fotmirten oon ber fcligmad^enben fietjre njegjulullen unb eine
falfc^e fiügenle^rc cinjufüfircn." Die Il^cilnal^me an bem Angriff
lut bad firc^enorbnung^mägige ©cfangbu^ jog be Sod bie 9(mt^
ntfe|ung ^n, meldte oon ber $rooinciaU^irc^enbe^5rbe }u &xo^
iisgen 26. Wlai 1834 au^gefpro^en n)urbe. 9}un appeUirte er
358
an bic ©encralf^nobe. S)ie SDiaiorität bcrfclbcn ttjar cingcfc^ü^tert.
©ic crfanntc unter bcm 16. 3uU 1834 jroQr bie ©d^ulb bc Socf'ö
an, crflärtc icbod^ feine Slbfcftung für übereilt, unb (jcftattetc
if)m noc^ fec^ö SÄonate, um fic^ ^u bcfinnen, unb feinen Angriff
auf bai^ @efangbuc^ jurüdjune^men, bid feine ^bfe^ung n)ir!fam
ttjürbc. S)iefe Üßaferegel beantujortete bc Sod burc^ eine 6r»
flärung beö größten %f)cil^ ber ©cmeinbe ju Ulrum 13. Dctobcr
1834, Ujorin bie Unteräeirf)ner alö ©lieber ber nac^ bem Sclgi^
fc^en SBefenntniß 2lrt. 29 legitimen reformirten Äirc^e fic^ öon
benen trennen, n^cli^e ni^t bie reformirtc fiir^e finb, biSftejum
richtigen ©ottedbienfte jurüdEfe^ren njürben. 3)aö SScmerfcn^
mert^efte an biefem Slctenftüd ift baS auc^ Don Sababie gebrauchte
Slrgument, ba§ bie SÄagregeln ber Äirc^enbetjörben gegen beßocf,
inbem fie nic^t auö ©ottcö SBort begrünbet njären, ebenfo wenig
gered^tfertigt unb Derbinblid) feien ald bie papiftifc^e ©letdifteQunj)
menfd^Iic^er Ueberlieferungen mit ber göttlichen äuctorität *).
1) fQunn Qxthi ftc^ !unb, toie migltc^ ber caltinifli{(te ®runb{a| \% bie
im 91. %. Dorfommenben ^etfptele äugerer itircienorbnung als g5tilt(^ Soi*
fünften für bie|eS bebtet au oerfie^en. ^enn ba biefe tBeiipiele {14 nii^t auf
alle mdgltd^en gfille erftredten, fo gftotnnt eS ben ^(nf^etn, oI§ ob im deBit't.
ber re^tU^en Orbnung ber St'it^c alleS erlaubt fei« toorfiber im 9^. %. xivS^t^
beflimmt unb entfc^iebcn \% 9lun bietet feine ber ©tjriftcn beS Ä. %. ba^
IBeiipiel eines tDtberfpänflisen Itir^enDorfle^erS unb ber gegen t(n getroffen^^
SRogregeln bar ; alfo gilt, mie eS fc^etnt« (artuädtige Ungezogenheit eined ftirc^er^- **
bienerS, »cnn fie fic^ nur mit ber Berufung auf bie 6Jrc (SotteS unb b'^*
Stabilitöt ber ^ird^e oerbinbet, für erlaubt unb berechtigt. *S>c& ifl ber 6iit
beS Argumentes oon Sababie unb üon be ^od. Unb bo^ enthalt baS ,9Boi
®ottcS' oud^ im caloinifd^en ^erftanb ben ©runbja^, na4 toel^em in biefe
S&aen bie jtirc^enbe^örben 9{e4t Ratten, nämli« ^cA{%, 18, 18: .tOeS ofl^- '
i^r oerbieten merbet auf Q^rben, »irb oerboten fein im ^immel, unb ttnif i(^^'
erlauben merbet auf (Srben, »irb erlaubt fein im ^imme(.' Seiber toirb m^^-^
ber S^n, auf ben biefer €a^ fid^ be^ie^t, fc^on feit Stertuflian falf4 t^rftai
ben. ^er gaU ifl ber, bag einem SJlitglieb ber ((riftlid^en (Semeinbe, bem e'
anberer bie ®cnugt^uung für perfönlicie ^eleibigung ^artnfidig Dertoeigert, gf
ftaitet »irb, feine allgemeine SiebcSpflic^t gegen benfelben einaufteHen. Inf
communication, b. ^. auf AuSfc^Iiegung au§ ber (Semeinbe bc^ie^t ft4 "^^
Stelle gan) unb gar nid^t. Aber jebe orbnungSmögige re^tüc^e Verfügung *Afr
®emetnbe, alfo au4 bie Hbfc^ung eineS ^artnfidig unge^orfamen ^n^enbeaom'ftni
fftUt unter ben allgemeinen ®runbfa^, toeld^er jur (SrUftrung beS gef^ilbe^Kim
Saflefi hinzugefügt ift.
359
©nblid^ erinnert eö and) an Sababic, baß bc Sod an bcm
näd^ften ©onntag nac^ bcm ©riag bicfcr Irennung^urlunbc [ic^
in bcn SSefife ber Drtöfird^c [cfttc, unb ben »äl^rcnb feiner ©u^
penfion mit bem ©otte^bicnft beauftragten ©eiftlic^en Don bem
^rebigtftu^l üerbrängte. Sllö feine 2lnpnger am barauf folgen*
ben ©onntag ben 26. Dctober bereit tt)aren, biefe Dccupation ber
Äirc^e mit benjaffneter §anb ju »ieber^olcn, ttjurben fie freilid^
burc^ militärif^e ©eroalt baran t)erf)inbert. Unb babei blieb ©3.
%l^ bie burc^ bie ©eneralf^nobe für be Socf'^ Umfe^r gefegte
grift abgelaufen iüar, ot)ne baß er fi^ unternjarf, njurbe feine
Äbfefeung unter bem 20. Sanuar 1835 befinitio erflärt. ®3 mürbe
öon ber Sirc^enbe^rbc in ©roningen babei au^brüdtlic^ auSge*
fproc^en, baß er nid^t megen feiner religiöfen Slnfic^ten, fonbem
tt^egen feineö Derlel^rten Setragenö öerurttjcilt morben fei.
3njnjifc^en t)atte aber nod^ ein anberer ^rebiger mit be (£ocf
gemeinfame ©ad^e gemad^t. ^enbrif ?ßetruö ©c^olte toax
im Süiärj 1833 ^rebiger in DoeDcren, ^roöinj SRorbbrabant, gc»
)oorben. @r n^ar burd^ Sitberbijf jugleic^ für ba^ $aud Oranien
unb für bie ©^nobe ju ©ortrec^t intereffirt tt)orben, prebigte in
bcrcn ©eift, ließ bie eüangelifc^en ©efänge ungebraucht, unb
nannte auf ber Sanjel feine anber§ gefinnten Ämt^genoffen
fifigcnprop^eten unb öaaldpriefter. «löbalb fefete er fid^ mit
be ©od in Sßerbinbung, unb bei einem Sefud^e, ben er i^m in ben
%agen oor feinem 3luötritt auö ber Sanbeölirc^e abftattete, führte
er öurc^ ben SSerfuc^, ben ^rebigtftu^l anftatt be^ berechtigten
®etftlic^en ju occupiren, Xumult ^erbei. 9(Id er n)egen biefed
Vdcncf)mcn^ t)on feiner SlaffiS jur Siec^enfd^aft gejogen n)urbe,
erflärte er unter bem 1. SRoocmber 1834 mit bem größten S^eil
feiner ©emeinbe ebenfalls bie Trennung bon ber fianbei^fird^e,
unb würbe no^ t)or be Socf am 10. December 1834 abgefegt.
5S>em ©dritte, tt)eld^en biefe beiben SRänner getrau Ratten,
fc^^loffen fic^ nod^ üier anbere ^rebiger an, Ä. Srummelfamp ju
Rattern in ©elberlanb, 3. \)an SR^ee ju Seen, ©. g. ©ejeüe
aRcerburg ju Sllmferf, bcibe in SRorbbrabant, unb ©. Dan SSeljen
JU 2)roge^am in ^rieölanb. ©ie folgten bem feparatiftifc^cn
ßugc beä ^ietiömuö, tt)at)renb anbere ^rebiger, bereu Sied^tgläu*
biflfeit feftftanb, unter i^nen 9Äolenaar, in ber Sanbeöfirc^e blie*
ben, mo fie ni^t ge^inbcrt würben, i^rer Ueberjeugung gemäß
jU wirfen. 3ene 93ier waren burc^aud nic^t alle t)on ber Q\u
360
ftimmung i^rer ©emetnbcn getrogen; toentgftend Derfuc^te \Hin
Seljeit tmQcbliö) feine ©emeinbe gegen bad neue ©efangbnc^
aufjun)tegeln. Son ber ©efarnrntja^l t)on 747 @eclen genmnn
er nur 40 $crfoncn, unter benen a^t t)oII6ered^ttgte ©emehtbe«
gliebcr ttHircn, unb itoax fiebcn grauen unb ein SRann *). Seboc^
toax ber näd^ftc (Srfolg ber, bag überaQ @mppen Don ^etiflen
im Snfc^lug an bie fec^d ^rebiger fid^ t)on ber^ird^e lodfagten.
Sin 93erid^t an bte @eneralf^nobe Dom 10. 3uli 1836 bezeugt
ed, bog bte ^enfmcife, n)eld^e ie^t bie Reparation ^erüorrufe,
nid^td neued fei, fonbern bag ftetS eine Steigung ju berfelben
unter bem SSonpanbe bed äRangelS an Sfted^tgl&ubigteit unb
grömmigfeit in ber j^ird^e fic^ funb gegeben ftaht. SHe Qafjil
ber ©eparatiften, cinfd^Ueglid^ ber ^inber toirb in jenem QeiU
punit auf 4000 Deranfc^Iagt, n)clc^e faft audfd^lie^Hc^ ben nieberen
SSoIföflaffcn ange^ren unb „bereu Sfleligionderlenntnig auf einer
fel^r niebrigen @tufe fte^t, fo bag fie faum im ©taube fmb,
t)on i^rem @lau6cn Sted^cnfc^aft abzulegen. " Sd tt)irb ^injuge«
fügt, bag biejenigen, n)eld^c man in ben feparirten ®emeinben atö
Seltefte cingefe^t ^at, bid^er unbefannte ^erfonen feien.
SebcnfaÜd l^attcn au^ bie ^rebiger, n)eld^e mit i^rem Xn«
^ange bte n^a^re reformirte ßtrc^e barjufteHen behaupteten, feinen
Segriff uon ben ftaat^rec^tlid^en Öebingungen i^rer Cjiftenj.
^ag n^egen ber n)ieber^olten Xumulte in Ulrum be Sodt unb
Rubere mit @clb^ unb ©efäugnifeftrafen belegt tourbcn, rechneten
fie fic^ ale a)2art^rium um S^riftt n^iOen an ; unb ha% nad^ bem
franjöfifc^en ©efe^bud^, ujetc^cg im Äönigreic^ ber Sliebcrlanbe
gilt, iebe regelmäßige SSerfammlung t)on me^r aU ituanjig $er«
fönen ju religiöfen Qxocdcn ber polijetltc^en Srlaubnig bebarf,
ober ftrafbar ift, wollten fie nic^t uerftel^en, um bie ©törungen
i^rer SonDentilet aU ^Verfolgungen bed Glaubend beuten ju
lönncn. SScrfd^icbene Petitionen, njcl^e bie einjclnen feparirten
^rebigcr an ben Jtönig richteten, erhielten ben 93efd^eib, bag fte
bie Sleglcmcntö unb (Statuten vorlegen fotlten, in benen bie ©c*
parirten alg befonbere Äirc^engefeDfd^aft erlennbar tpären. Dad
toai ben Scutcn fo uuDcrftänblic^, bag fie erflärten, i^rc Siegle«
mentö unb Statuten feien in ber Confessio Belgica, im Reibet«
berger Satec^idmud unb in ber Siturgie ber nieberl&nbifd^en
1) 9^1. Unruhen 6. 144.
361
Äird^c enthalten! Sluö i^rcr Ucbcrjcugung, bag jte bic alte
legitime rcformirtc Äird^c feien, folgerten fie, ba§ bie Slegicrung
i^ncn ben ©djufe juroenbeu muffe, meldten fie ber burd^ jene
@lQu6endregcln bcjeici^neten ^irc^e fc^ulbig fei, unb tparen gar
nid^t barauf gefaßt, baß bie Slegierung fie aU eine in reci^tlid^cr
SBesie^ung neue ©emcinbe anfa^. S)cr Separatismus ftimmt ja
barin mit bem SlomaniSmuS ilberein, baß er feine Anfielet t)on
ber Äirdje als öerbinbtid^ auc^ für bie ©taatSgenjalt ad^tet, tocil
ber eine n)ie ber anbere baju anleitet, bie empirifd^e Äird^e, njclc^e
er meint, bem Sbeale gleic^jufeften (©. 261). 3)icfer Unllar^cit
in ben Ke^tSbegriffeu cntfprad^ bie Unflar^eit beS fittlid^en iXx^
tt|cite, baß bie ©cparatiften bie Verfolgungen um i^reS ©laubenS
n^tllen ju erfal^ren t)orgaben, unb bo^ fe^r ungel^alten loaren,
baß man biejenigen i^erfolgte, meldte man eigentlid^ e^ren unb
fc^ftften foQte. SllS ob nid^t bie Verfolgung burd^ bie SBelt, —
unb alles außer i^nen njar ja SBelt, — bie einjige C^re toax,
bic i^nen bic SBelt errocifen lonnte! ©ie ujaren alfo bod^ nid^t
fo frei t)om SBeltfinn, um ni^t ben SBunfd^ ju ^egen, baß fie
möglic^ft fd^neQ ber Verfolgung fiberl^obcn würben. S)enn bie
SBc^auptung, baß fie bic bur^ bie bejicidöneten ©^mbole t)or bem
©taat ber Sliebcrlanbc Icgitimirte Äirc^c feien, bejie^t fid^ auf
ein gcf^id^tlic^cS Saturn, baS im untrennbaren 3ufammen^angc
mit politifd^en ©reigniffcn fte^t, unb als folc^eS jur SBelt gel^ört.
Äonnten alfo bie ©cparatiften l)ierauS ctttjaS anbercS fd^öpfcn,
ctö ben SBeltfinn, welcher i^rc Slnfprüd^e um E^rifti n)illen un^«
llar mad^tc? S)cnn bic Äir^e, ujclc^e ©ubject i^rer @e*
fc^tc^te ift, ift ein X^eil ber SBelt; unb bie Äird^cngef^id^te
tDirb rid^tig nur ber ©taatengefc^i^te, nic^t aber ber SBclt^
gcfd^id^te entgegengefefet, ia fie uon biefer nur ein 3;^eil
fft. SBie uiete falfd)c Slnjprfid^c entfpringcn aber auS bem üb*
lid^cn ©prad^gcbraud^, baß bic ÄHrd^cngef^id^tc baS Sine unb
>ic SBcltgcfd^id^te baS Slnberc fei! 3n folc^er Unllar^eit
»cfangcn ^aben biefe pietiftifc^cn ©cparatiften bic ftaatlic^e
HDrbnung i^rer (Sjiftenj unnöt^ig lange öerjögert. Crft gegen
Snbe 1838 betrat bie unter ©polte'S Seitung ftel^enbc ©emeinbe
»-«: Utre^t ben öon ber Regierung geroiefcncn SBcg, unb erl^iclt
Dcnigc SBoc^en nad^l)cr 14. g^bruar 1839 auf @runb beS t)OX^
dcgten ©tatutS bic ftaatUc^e Slncrtcnnung als E^riftlid^e fe*
»<XTirte @emeinbc. 2)iefclbe Genehmigung tourbe furj barauf ber
362
unter bc Socf ftc^cnbcn ©cmeinbc in ©roningcn ju Il^cil. 3)ag
©tatut bietet feinen birecten Slnlaß, ben pietiftifc^en ß^arafter
ber ©emeinben beutlid^ l^erüortreten ju laffen; .inbeffen öerrät^
eö bodb in gewiffen fünften bie Sntereffen, njeld^e bie pictiftifd^c
Senjegunfl uon Slnfang an geleitet ^aben. S)ie SSorfte^er unb
2)iaIonen fämmtlid^, nici^t bloö bie ^rebiger, foUen öor i^rcr
Drbination bie ©tjmbotc ber niebcrlänbifcf)en Äird^e unterjcidjncn,
toeil fie in SHIem mit ©otteö SBort übereinftimmen. 2öer unter
ben fiaien bie @Qbe ber ©c^riftau^Iegung unb Srmal^nung f)at,
foU bauon in ben ©d^ran(en ber Orbnung @ebrauc^ machen nadf
1 J£or. 14. 9)ei ben ^auSbefud^en foQ im Slügemeinen auf bod
Crnftlic^ftc gewarnt werben uor ber Sle()nlict)feit mit ber SBclt
Sie Unterlaffung ber ()äu!^(icl^en $lnbad)tigfibungen foll bie Senfur
unb im gatte ber §artnäcfigfeit Slnöftofeung nad^ fic^ ji^^c"-
3)ie [taatlid)e 3lnertennung ber „Slbgefd^iebenen reformirten Äird^C
bemirfte natürlich eine grofee SSermeI)rung ber 3<i^i i^'^cr 3Rit*
glieber, fo \>a^ bie 1836 angegebene Qi^a uon 4000 ©eelen afe
balb Weit überboten würbe. 993enn nun aud) in ben folgenben
3a^ren Siele, unter it)nen ®cf)olte, nad^ Slmerifa auögewanbcrt
finb, weit fie bort itire 9Ibgcfd)ieben^eit öon ber SBelt fidlerer
glaubten bet^ätigen ju fönnen als im SSatertanbe, fo bel)aupten
fie bod^ einen anfet)nlid^en Seftanb. @ö ift feine ganj beutli^e
Slngabe, baß 1855 bie feparirte Äird^e „wenigftenig 50000 bis
70000 ©lieber" umfaßt ^abe*); aber wenn fie aud) nur unter
ber erften S^^^^ gcfd^ä^t werben barf, fo ift fie burd^ eine folc^c
Qaf)l, wie burc^ i^re Verbreitung über alle 5ßrot)injien berSlieber*
lanbe, unter benen ©roningen, grieSlanb unb ®fibl)olIanb am
ftärfften befe^t finb, ein 3cw9"i6 ^on bem Umfange, welken ber
Pietismus wa^rfd&einli^ fc^on in ber 2Äitte bcS oorigcn 3at)r«
l)unbertö eingenommen ^at. 3)ie neuen Sluflagen, welche feit
1839 bie ©d^riften uon Siobenftetin, ben bciben Srafel unb an*
bercn ©d^riftfteltern aus bem 17. 3aftr^unbert erfahren l)aben,
finb ein 93eweiS bafür, baß biefe ©eparirten bei ben geiftigen
©d^äfeen i^rer Stauen fid^ begnügen, ©ie pflegen ben ©inn für
baS ältertpmlicfte aud^ barin, \>a^ bicfe (grbauungSbüdjer unb
5ßrebigten nic^t gelefen werben, wenn fie nid^t in ben fogenanntcn
got£)ij^en Settern gebrudt finb, weldje im 16. unb 17. 3al)r*
1) $er)O0, ffttaUdnü^liopS^hit VI. @. 239.
363
bunbcrt für bic SBüd^et in bcr Sanbcöfprnc^c üblic^ tuarcn. ffi^ ift
mcrftpürbig, roic njcit bcr ©cfc^macf bcö ©taronjcrjentl^umg aud^
in bcr abcnblänbifcl)en Äird)c reid^t ! 3n bcr gricc^ifd^cu Äird^c
ift bie 2lltcrtf)ümlid^fcit uub Unucränbcrli^Icit beg Eultuö ein
^auptmcrlmal fcincö SBertlöcö. ©oute bag gleid^c Sntcreffe
innerhalb be-5 cuangclifdicn ß^riftcnt^umsJ loirlli^ ba^ SRcrhnal
bauon fein, ba§ man fic^ auf bcm redeten SBcgc bcfinbct? 3d^
glaube nic^t bafe bic d)riftlic^c ffirneucrung bcö mcnfdjlid^cn Sc*
bcng gcrabe in bcr Slbgcfc^loffen^cit unb ©tarrt)cit bicfer fepa«
rirtcn Sfirc^e i^rc jinjcdEmäfeigcn SBcbingungcn finbct. Slber id^
fürchte . aud^, bag bic bcr reformirten Sanbe^Iird^e aufgcjujungcnc
Separation für biefc Äiirc^c felbft ni^t in allen Sejicljungcn
tjort^cil^aft getoefcn ift. Snbeffen fehlen mir alle SKittcl, um
biefcr SSermut^ung präcifcrc ©eftalt ju uerlci^cn. gür bie @C:=
fcl)ic^tc beö nicberlänbifc^cn peti^muö aber crfc^cint eö mir ate
übcrflüffig, feine gortbouer in bcr feparirten Äird)e auöfü£)rlid^er
feftäuftellen, ald cö burc§ bic Slad^njcifung it)rer (Sntftc^ung gc*
fc^c^en ift.
®rttte8 iöu(^.
tt JJieti0OTtt0 in htt xtfütmxtitn §tr(^f
18. UnmitteKare CHmoirtungen bei» meberianbifil^en $ietii»tniti»
in bte norbbeutffl^ett @e(tete bcr rcformirten Strd^e.
?ln bic öftlic^e ©rcnje ber öcrcinigtcn 9licbcrlanbc ange^
Ic^nt jicf)t fi^ im njcftlic^cn 3)cutfd)Ianb stoifc^en bcm SRl^ein
unb ber S33cfcr ncbft if)rcn QueUpffcn üon ber 5Rorbfce bx^ jum
SWoin unb jum 9lccfar eine Äette bon Territorien reforntirter
Sonfcffion. 3n Dftfrie^anb bilbet bie reformirte Äird^e eine
2Äinorität gegen bic lut^erifdöe; an ber ©pifte ber reformirten
Oemcinben ftel^t bie ©eeftabt @mben, nad) ben SRieberlanben ju
geöffnet, unb be^^alb j^u einem l^o^en SWage öon ©elbftänbigfeit
gegen bie lut^erifd^en ©rafen gelangt; fie ^at mit Unterftflftung
ber ©eneralftaaten 1595 bem Sanbei^Ijerrn ben SSertrag bon
3)clfäiil auferlegt, lüelc^er i^r ben auöfc^lieglidöen SBeftanb be^
rcformirten ®otteöbienfte§ in i^ren SRauern fid^ertc. S)er (£m^
>cncr ßoetuö umfc^Iofe bie reformirten ^rebiger DftfrieglanbS,
mb l^atte genug ®ett)i(^t, um bie frü^ beabfi^tigtc ©infeftnng
inc^ confeffioneQ gemifditen lanbeöfürftlid^en Eonfiftoriumö auf
cxnge 3cit ^inauö ju vereiteln. S)ie ©aftfreunbfc^aft, njeld^e bie
^tabt Smben ben nieberlänbifc^en ©alöiniften niätirenb ber
cc^felfäQe beö SBefreiungöfampfc^ geroibmet l^atte, fo baß 1571
jclbft öon i^nen eine ber conftituirenben ©eneralf^noben ge:=
Itcn tt)erben fonnte, ift in ber nieberlänbifdien Äird^c nie öer^
crffcn tt)orben; bie Äird^e in @mben Ijat bort ftet^ in l^o^em
Lnfc^cn geftanben. ©fiblid^ an Dftfrieölanb f daliegen fid^ aU
5€^e beö reformirten Äirci^entl^um^ bie SBent^eim'fd^en ®raf*
Soften Sent^eim, Singen, ©teinfurt, lecflenburg, Sl^ebo; in
»TTcn ift freiließ baffelbe burcl) bie ©cujalt ber bcnad^barten
Jifc^öfe t)on SKünfter t^eitoeife fe^r eingefd^ränft loorbcn. S)iefc
Sicuppe im ©tromgebiet ber 6mi» wirb öftlic^ an bem untern
^^b mittlem 2aufe bcr SBefer burc§ bic ©tabt SBremen unb bic
368
®raffc!^aft Sippe flanfirt. ©üblich fci^Ilefet fic!^ an jene ®ruppc
ber SJcrbanb ber reformirtcn ©cmeinben in ben ^crjogt^ömern
3üli^, SIct)c, 58erg unb ber ©raffd^aft 9Jiart an. Scnfeitö bcö
Sl^eineg beginnenb, tt)o neben ben fparfamen ©emcinbcn bc^3ü^
licfter unb Eleucr Sanbeö nod^ bie compacte Seuölfcrung bet
Keinen ©raff^aft SReurd in Setra^t fommt, erftrecft fic^ bicfc
©ruppe, njel^c il^re bi^tefte Scöölferung im rcc^t^r^cinifc^en
X^eil öon Sleöe unb im ^eräogt^um 93erg befaß, an ber Sippe,
SRu^r, SBupper hinauf nad^ Dften b\& in bieSlä^e ber@raffc^ft
Sippe. Sine britte ©ruppe, uon l^ier au^ füböftlid^ gelegen,
roirb gcbilbet burc^ ba^ gür[tentf)um Siieber^effen unb bie ©raf^
fc^aft 3icgen]^ain nebft ben in ben ober^effifd^en ©täbteu um
äWarburg §erum gelegenen öereinjelten ©cmeinbcn, ein ©cbiet,
njelc^e^ öftlic^ bid an bie S33erra unb mit §eröfelb on bie obere
gulba reicht. .§ieran lel)nen fic^ tocftlid) bie ©raffd^aften SBittgcn*
ftein, bie naffauifd^cn ©raffd^aften ©iegen, S)ittcnburg unb S)iei
unb an ben SR^cin öorgefc^oben bie ©raffd^aft SBieb unb bie
^efftfc^e Siiebcrgraffc^aft fta^cneUenbogen. @ö folgen barauf ofi*
lic^ unb füböftlic^ bie ©raffc^aft ©olmö^öraunfelö, bie Xerri^
torien ber in fec^§ Sinien get^eilten ©rafen öon 3fcnburg unb
bie ©raffc^aft $anau. 3Jlit ber Sfenburgifc^en ©tabt Dffenbac^
unb ber ©raffd^aft §anau reicht biefe locfere Äette öon reformirten
Territorien bi^ bic^t an bie I^orc öon granffurt am ÜRain, mi>
bie beiben reformirten ©emeinben am öffentlichen ©otte^bienf*
i^er^inbert, babur^ nur um fo mel^r auf ben engen Slnfc^lug o
bie Sonfefftonögenoffen angeroiefen toaren. ©nblic^ fc^liefeen fii
bie Sänber ber öerfc^iebenen ^ßfäljifc^en Sinien auf bem §un
rüden, an ber Sla^e, unb tt)citer hinauf an beiben Ufern
SRt)eined unb am untern SRecfar an.
3)ag confefftoneDe ©emeingefü^I ber Seöölferung in bief
Säubern ftanb unter bem oortt)iegenben ffiinfluS ber Slicberlanb^
3)ie reformirten Äird^en biefer ©cbiete big }u ben naffauifd^en un
ujetterauifd^en ©raffc^aften l^inauf njaren bei ber nieberlänbif^
9lationalft)nobe ju S)ortred^t 1618. 19 bet^eiligt gcttjefen. äuc^
bie tt)eologif^en ©^ulen in biefen (Sebieten folgten bem 3ro*==*
pute, ber Don ben Siieberlanben ausging unb ftanben rar"
lebenbigften äu^tauf d) mit ber bort bominirenben 9lic^tunftp^
toeld^e j" bamaliger 3^it ouc^ bie Ideologen in Süric^ unb in^
Safel in i^rem ©efolge ^atte. Unb nid^t gering toar bie ßa^l
m
bcr t^cologifc^cn fieJ^ronftaltcn *) in jenctt Territorien; fte todt
um fo größer, je mct)r bie reformirtc 85ct)öllerunfl gwifd^en Staif)o^
lifcn unb Sut^eranern jcrfplittert njar. 3ln brci Uniücrfitäten,
®ui^burfl, ajiarburg, ^cibclbcrfl, bcftanben t^eoloflifd^e gacul^
täten. §cibelbcrg, 1652 naij bent brcigigjä^rigcn Äricge toic«
bcr ^ergeftettt, tarn frcilid) in ber golge am njenigftcn jur
Geltung, n)eil bic faft ununterbrochen forttpä^renbe ßrieg^
not^ in ber jrociten §älfte be^ 3a^r]^unbcrt3 auf ber ^falj fd^tt)er
lüftete, unb bie Uniuerfität tt)ieberf)oIt lo^m legte, unb n)eil bie
im Sa^r 1685 bcginnenbe ^Regierung ber Iatt)olifcl^en Sinie ^falä==
Sleuburg im Sfurfürftent()uni ben rcformirten E^aratter ber Uni*
Dcrfität uerfümmern lieg. ?lber bafür nat)m bie §o^e ©c^ule
jtt §erborn in ber naffauifd^cn ©raffd^aft S)iUenburg, mit t^co^:
(ogifc^en, juriftifdjen unb artiftifd)en fie^rcrn befe^t, gerabe in
icncr ©pod^e faft bcn SRang einer Uniuerfität ein. Slufeerbem
tDaren mit ben Pieren ©c^ulen in SBrcmen, Singen, SBurgfteinfurt,
^amm unb $anau tf)eologi)cf)e ^cofeffuren t)erbunbcn; nament«
lidf bie erfte be()auptetc bis in bad 18. 3a^r^unbert hinein einen
titd^t geringen fRuf für bie t^eologifd^en @tubien. Siefe ©tilgen
)ed confefftoneücn ©clbftgefü^l^ unb ber na^roei^bare ßwfömmcn^
}anQ, njcldjen man mit ber reformirtcn Üird^e ber Slieberlonbe
intcr^iclt, laffen ed als burcf)auS unn)a()rf(i^ein(ic^ anfe^en, bag
)ic ^Bewegung, meiere feit 1670 in ber lut^erifc^en Äirc^e burd^
Spener ^erbeigefut^rt tnurbc, unmittelbar Sinflug auc^ nur auf
ie granffurt bcnad^bavten reformirten Territorien ausgeübt
ätte*).
3n ber Äird^enucrfaffung ujaren bie ®ruppen bcr refor*
ürten £^ird^e einanber ungleich. @ine üoQftänbige Orbnung Don
Srci$bt)terien unb ®t)noben bcftanb nur in ben Sänbern ber
Ilcoifd&en Crbfc^aft; biefc SScrfoffung n)ar feit 1611 burc§ eine
1) X^oIudC, Wabemif^ed fieben im 17. Sa^rl^unbert, 2. 9[btl^etlnng.
2) Sart^olb, ^ie Qxtotditn im proteflanttf^en ^eutf^lanb tofil^renb
fluSoangS beS 17. unb in ber erflen (^l\U beS 18. 3a^r^unb<tt&; befonbetS
frommen @rafen^5fe (in 9lQumer'S fyi^ot. Soi^enbu^ 1852. 63), bringt
donfejfionSunterf^ieb bei ber Stmoirfung Bptntt'S auf bte bena^barien
^figrafen nid^t in ^nfc^lag, fann ober (1852. 6. 179) tteber für bie 3fen'
L-c^^er, no4 fttr bie iganauer, no^ für bie SBittgenfleiner trafen unb i^re (Rt*
m±t eine birecte ^ebeutung 6pener'3 noc^ioeifen, fonbern bel^auptet fte nur al8
[iifüerfianbU^, ttmS fte eben ntc^t tfl.
I. 24
370
©cncrolf^nobc 5um Slbfd^Iufe gebraut tporbcn '). 3n Dftfricölonb
tparcn nur bic ©emeinbcn prc^b^tcrial gcorbnct, bic ^ö^crc 3n^
ftanj bcr ßlaffiö toax jcbod^ in bic ^dnbe gciftlid^cr 3nfpcctorcn
gelegt, unb bcr Soetu§ ju Smben xoax feine @^nobe mit Suri^
biction über bie ©emcinbcn, fonbcrn bie SScrfammlung ber ^rc^
biger, todäjc bie neu Cintrctcnbcn ^u prüfen unb ju orbinircn,
fonjie bie S)igciplin über bie SDiitgUeber ju üben ^attc *). Äc^nlic^
toax in bcr (Sraffc^aft ÜKeurö jfloax iebe ©cmeinbe mit einem
^rei^b^terium ober Äirc^enratl) t)crfef)en, aber nur bic ^rebigct
ttjaren in bcr Slaffiö ftimmbered^tigt, äcltefte lamcn erft feit 1630
JU bcren SSerfammlung, aber nur um über bic ©cmcinbcn Sici^cn^
fdjaft abzulegen. j£)ie Sloffi^ n^urbc in ©cgcntpart bed lanbe^
fürftlic^en (im 17. 3a^r^. naffau.-oranifdjen) Sanbbroftcn gegolten,
o^ne beffcn ßwftintmung lein Eintrag au^füf)rbar war, unb tocldfct
and) badjcnigc ausübte, toa^ n)ic ^irc^enjud^t auis^fcl^cn fonntc.
2)ic Slcmtcr beö ^ßracfcö unb beg ©criba ber Elaffi^, »eld^e bic
^irc^cni^ifitation übten, n^urben t)om fianbeSl^errn übertragen,
unb jroar auf Scbenöäcit. 3n beu anbcren fiänbcrn rcformirtcr
(Sonfcffion n^ar bie Slcgicrung bcr Jlirci^e unb bie ^i^iplin nur
in ben $änbcn lanbcöt)errlicl^cr 93c^örben. Söcnn man fic^ üor^
ftellt, njic jerfplittert j. Ö. bic Keinen ©cbiete ber 3fenbur9cr
unb gar ber Söittgcnftciner marcn ^), fo barf man nic^t auf eine
^eilfamc gü^rung bcö Äirc^cnrcgimcntd in bcnfelben rennen.
3cbenfattö ipirb fic^ äcigcn, baß bie pictiftifc^en änrcgungcn,
mcld)c in ben Säubern bcr Slcüifd^cn ©rbfc^aft fid^ ju ben 6on^
öentilcln jufammcnfanbcn, in ben mittclbcutf^en Territorien tc^
formivter Sonfeffion burc^ge^cnbs jum Separatismus auSfc^lugcn.
S)iefcr ocrfdöiebene (Srfolg ift ai\^ bcr unglci^en SScrfaffung öct^
ftänblic^. Unmittelbare @inmirfung übten bie Derfc^iebenen
$^afen bcd niebcrlänbifc^cn ^ictii^muS nur in ben iunöd)ft ge^
legenen nicbcrr^cinif^en fiänbcrn unb in DftfrieSlanb. 3n bicjc
@ebiete übertrugen ftc^ jene Srfc^einungcn i)auptfäc^Iic^ baburc^,
baß bic S)icner ber Äirc^e bafelbft i^rc t^cologifd^e ©Übung t)or<
l^crrfc^cnb auf ben nicberlänbifc^en Unit)erfttäten fanben. 2)ic
l)~®öebcl, II. 6. 1—124.
2) Meiners, Oostfrieschlands kerkelijke geBchiedeniase (1739)
IL p. 18—27.
3) !Ra4 Sort^olb 1852, 8. 190 ^ite ®raf (Bu^to au XBUigmPeui
in 2aa9p^t, geboren 1683, nur 332 fd^o^füd^tige Untertanen.
371
näcf)[tc 3lufflabc ift nun, bic gällc bicfcr Slrt, mcldjc in \)a^ 17.
3a^rf)unbert gehören, }ufamnteniu[tcllcn.
1. 3)ic ©cmcinfc^aftöform bcö ^ietiömui^ pnb bicßontocn-
tifcl. S)icfclbcn ftnb in bic nicbcrr^cinifc^c Äirc^c, unb jrtJör in
äl2äl^cim an bcr dtnf)x im ^cr^ogt^um 93erg Don X^cobor
Unterere! 0 feit 1665 eingeführt njorben. 2)iefer SKann ift in
Utrecht unb in ficibcn ©c^filcr t)on SBoct unb t)on Socceiu$ ge^^
n)efen; in jener @tabt f)at er unter bem Sinflug t)on Soben«
ftc^n unb bcffen ©cnoffcn Suftu^ üan ben SBogaart feine ^c^
Ic^rung erfatiren. 3)a§ er naä) einanber in SWul^eim, in Eaffel
unb in 93remen jum Sirdjenbienft berufen n^orben ift, madjt ben
lebhaften äBec^fclüerfc^r Qnfd)Qulic^, in n^eld^em bie SRefomtirten
bed n)eftli^en ^eutfdjlanb unter fid^ t)erbunben n^aren. SBon ben
©Triften UnteretjcF^ ift baö „^aüdnlaf)" eine praltifci^e 2)ognta5
tif in ber Sform ber Sunbeöibee. 3n bem SSorberid)t ju biefem
3uc!^e bcfcnnt llnterct)cl fein ©efaden an ben ©c^riften Don
Soccejud, unb bag ^er I)in unb ()er mit beffen Salbe gepflügt
^abc." ^em SSorbilbe biefed äJ^anneS entfprid^t ed and), bag in
bem ,,§aDeluia^" jebe fiet)re uon ber Äirc^e fe^It; bie ^eiUorb*
nung an^ ber Sbee bcS @nabenbunbe^ ben)egt fid^ im Stammen
bed inbiDibueUen @(aubenS. Soccejud fie^re t)om Sfleic^e ©otted
ift in ber SSorrebe ju ber „Söraut S^rifti" ongebeutet, nämlic^
borin, ba§ bie gel)eiligten ©Triften nic^t nur bic Pfeiler ber
1) (Beboren au i)ui8burg 1635, ^rebtger )u iDIÜl^etm an ber IRu^r 1660,
(ofprebiger in (laffel 1668, ^oflor su 6t. Martini in Bremen 1670, geflorben
bafclbp 1693. Son feinen Schriften, n>eI4e in einem entfe^Iid^ fd^nerfdOigen
6iU gef^rteben finb, fommen in ^etrac^t: ^oüeluia^, ba6 i^ (Sott in bem
Sfinber t^erflfitet, ober beS Sflnberd SBonberflab )ur (Sr!enntni6, (Beniefiung
imb Serdfirung (BotteS. ^anau 1668. 3n>eite 9[ufl. i^erborn 1722. 4. ((Sin
bcabMtigter gmetter Z%t\l, ber eine fpecieOe ^flic^tenlel^re entbalten foOte, ifl
ni4t erfc^ienen.) — (S^rifti $raut unter ben XS^tern t)on Saobicea; baS i^
ein ^o4n5t^iger Xroctat in liefen legten Sogen, barinnen bie ftraft beS feiig«
mo^enben (BlaubenS üertl^eibiget ttirb. 3n brei feilen fiber bie unfel^Ibaren
l^ennaet^en, bie t^erfc^iebenen i^inbemiffe, bie baju ge]^5rigen ^Rittet, i^anau 1670.
SlDfite lufl. granffurt 1697. — Unioi^tig finb folgenbe Heinere Cd^nften:
fBegttetfer ber dinfdltigen )u ben erften ISuc^flaben beS loal^ren C^riflentl^umS
(etil l^ate^iSmuS); i)er einfältige (SJ^x'x^ bur4 toal^ren (Blauben mit d^riftuS
MTeinigi, beibe Bremen 1706. 16. !Rotisen fiber baS Seben t)on Unterere! bei
Ret« lU. 6. 118—127. 9gt. 9oebeI II. e. 300—312. S)iefer G^rift«
flefla ^t audf Veten au8 bem S^nobalard^it) in Duisburg bemi|t.
m
Äird^c, fonbcrtt aud^ boju ein ©d^mucf bcS Sicid^cS ß^rifti ouf
(£rbcn finb. ^iefe ©c^rift ift ein boctrinäred (Srbauuiig^bu^,
beffcn einzelne Kapitel begteitet fiub t)on Slu^jfigcn aud JÜirc^en^
öQtctn, CQlöiniftif^cu 2)ogmatifcrn, cnglifd^cn, ntebcrlänbifd^,
bcutfd^cn äelctifern. Unter biefcn tüerbcn auä) Sodann Ämb
unb ^einrid^ SRüHcr bcnufet. Untcretjcf rc^tfcrtigt ftd^ barüber,
bafe er ftc „unter bic Qa\)l ber Unfern" gefegt ^abe, »eil jic
and) bei ,,mc]^r gottfclig gelef)rten ^rcbigern in ^ot)en (J^ren*
feien. SSon Sutt)er'^ ©d^riftcn l^ingegen mac^t er leinen ®^
braud^.
S)ic ßuftänbe ber Ätird^e beurtl^eilt Unterct)cf ebenfo tt)ie So*
benfte^n unb bie anberen gkic^gefinnten B^ugni. @r crflart mäj
in §infid^t ber Äirc^e feinet SJatcrlonbeö, in i^r ^abe fic^ eine
©id^er^eit Verbreitet, baß mau bei bürgerlicher (S^rbarleit unb
äußerer gotte^bienftlid^er ©itte fic^ auf bie Söarm^ersigfeit @otte«
öerlägt. Cr finbet, bag öiclc ^rcbiger auöbrüdElic^e ©pötter
cine^ ^eiligen SBanbete finb, unb ia^ \old)c, bie in i^rem Amte
o^nc Siad^brucf, Äraft unb Seben erfunben lüerben, baö geiftlic^c
Seben ber treuen Änecl)tc @ütte*5 für neue ©d)n)ännerei unb
©ectirerei crflärcn. Snbcm er in ber „SBraut E^rifti" ben frommen
Seuten SBaffen bietet, um jene^ S^riftug fränienbc ©efc^wäj
ju ftiüen, ift er fid^ benjußt 9ieuc!§ unb Keformatorifc^e^ j«
leiften. Qnx 93en)ä^rung beö S£)riftenftanbe^ unb jur Unterfc^*
bung ber ?luöenüäf)lten üon ben 3cilgläubigen lommt e^ i^w
barauf an, bag man bic unerforfc^lic^e SBarm^erjigleit bed (A*
genugfamen @otte^ burd() eine unaudfpre^lic^e ©emeinfc^oft mit
bem einigen ®ott in ©^riftuö feiig fd^mecft unb genießt, baß ber
SSater mit bem ©o^nc burcl) ben ^eiligen ®cift unb feine ^eilij
unb frcubig mac^cnbe &^raft bei bem ©laubigen einfe^rt, baß ber
©eift ber §ciligmac^ung unb bei^ Xrofte^ mit feiner 3"^^
unenblid^ Übertreffenben ©üßigfeit feine ©c^üler untcrweifet unb
erleud|tet. S)aö fei bic ^Bereinigung jn)ifd)cn (Sl^riftu^ bem Sri«*
tigam unb ber Sraut. 33iefe Seftimmung be^ ®nabenftanbe§
^ait fic^ Don ber eigentlidj mt)ftifc^en ^o^^^cl, baß mau mit
©^riftug }u @inem ©elfte n)irb, fern, ©ic ftimmt jnwr nW
genau mit bem überein, roaö Sobcnfte^n fpäter in ben ^^^ifi^'
ungcn gion^" nicbcrgelegt l)at, fic ift aber bo^ too^l auf fei»«
Anregung jurücfjufü^ren, ba er ben tion XceUindt angefc^tagenen
Ion be^ §o^enlicbe^ fortgepflanjt t)at (©. 172). «Oein, ftajl
373
fi^, toic gelangt man jur SSerficgcIung bicfcr fußen ©cmcinfc^aft
©ottcd mit bcn auöcmä^Itcn ? auf bem SSSege, bog mon @ott
über aUc Söclt* unb gleifc^cggüter liebt unb fud^t; ^ieburc^ unter*
fc^eibet man fid^ t)on ben 3<^itgläubigen unb i^rer eingebilbeten
greubc, ©cnjiffcn^ru^e, Dermcintem Iroft unb ©cfdjmocf on
^immlifc^en S)ingcn! Sn Uebcreinftimmung mit Sobabie fc^ilbcrt
bann Unteretjcf bcn @egcnfa^ imifd^en @ott unb SBelt fo, bag
man ba^ Älofter aU bcn einjigen Ort erfcnncn müßte, in weld^em
bic uon i^m gcfteUtc Slufgabc i^rc Söfung finbcn fönntc. 3lbcr
bicfc Slu^funft liegt außer bem ©cfic^töfrcife bcg rcformirtcn ^rc*
bigeri^; toa^ bleibt alfo übrig, ald baß er feine Slnfprücbe einiger*
maßen ^erabftimmt ?
Sd ift ja bie gcmcinfame Srf^cinung bei allen und befannten
Agitatoren bcd religiöfcn @efül]lg unb ber frommen ©enußfud^t:
fie muffen jugefte^en, baß ber ©cfc^macf bcr überirbifd^en ©üßig*
feit bcd 93räutigam^ mit Smpfinbungdlofig!cit ober Saite ab*
»ed^felt. S)cmgemäß ermal^nt au^ Untere^dE, man foUe and ber
iDeniger gefüllten ^arm^erjigfeit @otted ni^t barauf f^licßen,
baß bic aufri(^tigc ^erjendncigung ju bem iU^e^rgeliebten (@ott)
fe^lc. S)ie tt)efentli^e gigcnfc^aft bcr Äinber ©otteö befiele
nic^t barin, baß fie ©ottcö tröftenbe @nabc unb Siebe jur SSer*
gebung bcr ©finbcn unb i^rer ©celcn . getofinfc^tc SRu^c unb
3frcubigfeit cmpfinben, fonbern barin, ba^ fie mit SSerleugnung
QÜcr öcrmeinten SScrgnüglid^Icit brcfcr SBclt allein bie 93rüfte
bcö ^immlifd^cn Sroftcö winfelnb fuc^cn. Sluc^ fe^le bie Siebe
ju @ott nic^t in bcr ISmpfinbung ber Saltfinnigfeit, n^enn babei
t)or&c^altcn bleibe, baß man }uglcid^ geringere ßuncigung ju
XUcm n^ad irbif4 n^cltlic^ unb ücrgönglic^ ift, bei fid^ fü^le.
9&ot)xn Qctatf) Untcrctjcf mit biefcn ßugfftänbniffen? äRan lann
nxd)t öcricnncn, baß er, ä^nlid^ tok g)üon (©. 254), fid^ auf bie
Sinie bed correctcn SaloiniSmuö ijurücfäic^t, welche er jucrftroeit
JU fiberfliegen unternimmt. 3llfo cd fommt nic^t not^n^enbig auf
bcn Scft^, auc§ nic^t einmal auf bad aufgeregte 3)egc^ren bed
<ScUgfeitdgenuffed an; auc§ bic Saltfinnigcn, toelc^c jene Sr*
fa()rungen abn)artcn, finb berc^tigt ftd^ ju ben Sludcnoä^lten }u
ted^nen, menn fie mit ber Siebe j(u ®ott bie Slbmenbung \)on
ber SBelt üben ; fie unterfd^eiben fic^ babei Don bcn ßcitgläubigen,
)j9tnn fie unter allen f^ällcn Don ©ünbe ben äRaßftab ber $rä«
(tfttät aufredet erhalten unb bie l^eilige SSerjtPeifelung in Ad^t
374
nc()mcu, wddic fic immer luicbcr Don bcr 993clt abiicl^t, uiib
i^nen bte Siebe ju @ott einprägt. 9liemanb aber niug fo ein«
fältig fein jn urt^eilen, bag er barum bad Srbifc^e me^r (ie6e
ald baS ®öttlic^e, n^eil er ben Xag aber in feinem S3eruf mit
irbifc^en fingen befc^äftigt ift. ^enn n^enn man biefeS aud
fitebe ju @ott unb nac^ feinem S3efe()( treibt, fo fi^t bei aller
Sufmerffamfeit auf bad ©i^tbare unb SSeltli^e bte Derfc^Ioffene
fiiebeSneigung ju @}ott am Sluber; unb biefelbe ift gfiltig, inbem
man in feinem Serufe nid^t njiber @ott, fonbern unter bem ?(n»
triebe feiner S^re tt)ätig ift. Sag geiftlid^e Seben alfo beftätigt
ben n)eltlic^en 93cruf, inbem eS i^m eine neue geift(ic!^c ^tbt,
Srocd, @runb unb Sefc^affenl^eit auftreibt, unb cigennüfeige unb
niebrige Setteggrünbe augf^liefet. SKit biefer cöangelift^cn
fiebendorbnung ift nun aud^ bie Slusific^t auf ba^ Slofter befci«
tigt. 3n bemfelben ©inne aber urt^eilt Unterere! njcitcr, baß bic
©fiter biefer SBelt auc^ ben frommen auf bem SBegc jum SSatcr^
lanb einigermaßen bicnftbar unb gebräuchlich finb, toenn fie mit
SJtägigfeit genoffen unb gemeinnü^ig uern^enbet n^erben. 9uc^ auf
bie äBa^rung ber eigenen S^re barf man bebad^t fein, nK:nn
unfere Steinigung unb Slec^tfertigung ber ©ac^e @ottcd jutrag-
lieber gefunben n)erben mügte, als menn n)ir barauf Derjic^tctcn.
Snblic^ auc^ aber bad äugerlid^e, bie SSelt unb bad tJrleif^ cci^
jenbc Sffiefen (excelsa mundi) fällt Unterere! fein rigoriftifc^ed Set*
bot, fonbern giebt an^eim, bag man mit ©c^Iangenflug^cit
barfibcr j^u 8?at()e gel^e, mie man innerijalb biefcö ©cbieteö glcid)*
jeitig bie Erbauung beS 9lebenmenfd^en unb bie SBerantmortlic^'
feit für fidi fclbft öor ©otteS ©eric^t ma^rjune^men ^abe. SBa^ic*
lic^ auf folc^e ©runbfäfte gefunbefter Slrt ift man beim SBcgini»^
biefed SBerfeg nic^t gefaßt. 3ft aber nic^t bie ©rmägigung, tt)cld^^
Untere^cl felOft im Serlauf beffelben Su^e^ feiner urfprünglid^€r^
9lid)tung auf ©efü^I^agitation unb äSeltflud^t angebei^en lag^'^
n^obei er big ,^u bem DerfängUc^en ©a^e üorfc^reitet, bag m(0
nur ©Ott me^r lieben foUe, alö bic S)inge ber SBcIt, ift ni
biefe (Ermäßigung ber treffenbfte äßagftab jur Seurt^eilung jcn
^oc^ftiegenbcn geiftlic^en ©enußfuc^t?
3)arüber finb, tt)ie eö fc^eint, bie SKeinungen fc^on ju UiT"
teretjcf'ö Sebjeiten üerf^ieben genjefen. 6r ift in feiner SBirffa«^
feit aU ^rebiger o^ne 3^^if^^ ^^^ 9(nforberungen nad^gefommei^
n^cld^c er an feine ©tanbei^genoffen fteät, bag fie nic^t blodna^
375
bcm aWoßftabc formaler aicdjtgläubigfcit, [oiibcrn in bcr ©d^ulc
beg ^eiligen ©ciftei^ öon @ott fclbft auf Verborgene SBeifc inner*
lid^ untcrrid)tet fein, baß fic gemäß eigener ©rfo^rung, mit
häftigem Slad^brud, mit geheiligter SBetocgung beg ©emüt^eg
i^ren amtli^en $flid)ten obliegen foQen. @r ^at aber ju bebt
Qtocd ber Sefferung ber fird)Ii^cn 3"ftänbe nic^t bloö bie
fircftcnorbnung^mäßigen |)auögotteöbienfte eingefd^ärft ^), fonbern
er ^at aud^ nad^ bcm in Utred^t befte^enben SKufter in ber ©e*
meinbe gu SWüI^eim, fpäteftenö feit 1665 (tt)ie ©oebel ongiebt)
regelmäßige ^riüatöerfammlungcn eingeführt *). S)a§ ift bie erfte
(Erfd^einung ber Srt innertjalb 35eutfcftlanb^. Snbeffen fjat Unteretjd
babci auSbrüdli^ ben öffenttid)en ©otte^bienft atö bie ^aupt-
fac^e ancrfannt, fofern nnter if)m ba§ ^erj bie Verborgene Untere
rebung unb ©emeinfc^aft mit ®ott üben foQ. @r ^at audbrüd«
Itc^ baüor gen^arnt, boß man fidj uon bemfelben jurüdjiel^e, n)ci(
er in geift* unb fraftlofer ärt gehalten njerbe, unb njeil 5ßrebiger
unb @cmeinbe irbifd^ gefinnte ^aud)biener n^ären. @o lange
bem njefentlidien ©runbe ber ©eligfeit nid^t iutt)iber gelehrt
njcrbe, fei c^ bcr 6^re ®otteö unb ber d^riftlic^cn Siebe gemäß,
au^ju^arren. 3^91^^^ W^ Untere^d ben frommen uor, lein
Äcrgcrniß ju geben burd^ Urt^eile über anbere Scute, burd^ SSer*
ffiumniß i^re§ Öcrufg um iftrer gotteöbienftli^cn ©cfc^äftc njiflcn,
burd^ j£unbgebung i^rer geiftlid)cn Zraurigfeit in bem bürgerlichen
JBcrle^r mit anber^ ©efinnten. Äurj nad^ allem biefem erfd^cint
Untcrc^d aU ein SRann ber rid^tigen SRitte in aQcn praftif^en
S5cjic^ungen bc^ d^riftlid^en SeOen^. Daö ift nun ni^t öon
Allen üerftanbcn njorben. SReig njenigften^ erwäfjnt, baß Unteret)d'd
@runbfag t)on ber @c^langenflug^cit im @cbraud) bcr fogenannten
SRittelbinge auf jioften ber Slaubcnein^alt mißbraud^t n^urbc unb
lujuriöfe SRcufd^en il^rc Sebenönjcifc burd^ jene ©rlaubniß be*
Tcc^tigt gead^tct ^aben. ©o njie nun SReig (ber 1679 in 93remen
ftubirt ^at) fclbft erflärt, baß er baburd^ jur rigoriftifd^en Sin*
fic^t über bie excelsa mundi ben^ogen n)orben fei, unb beS^alb
feine auf Untere^d'3 ©runbfag fußenbe ©dirift de prudentia
1) 8fir beten Ucbung flnb bie beibcn lated^etifd^n S^rtftcn befittntnt.
2) l^neluia^ 6. 589: ,^a^er i^ au4 fol^c bur^ 0ottc8 ®nabc in
mit fr&ftig gettcfcne $Tcbtgten mit befto grögcrer Sfreubigfeit unb tlufmunterung
ber Seele ba^im unb in bcr (ScfeOfc^ft gottfcliger Scute locitet na^iufocfd^n
unb mit benfelben )u mieber^olen getoo^nt bin/
376
ecclesiastica öffentlich tuibcrtufen Ijabc, fo locrbcu nm^rfc^nlic^
and) nod^ anbete t)on ben frommen Sn^ongem Untere^d'd geu^
t^eitt ^Qbcn.
9uf biefem fünfte tpentgftcnd ift ber mit Untere^ na^
öemanbte SBil^cIm S)icterici ftrengcr afe jener. Sdjwißaber
nid^t bie Siegeln ber $rSctfität tpteber^olen, tpelc^e ber jmeite
Xl^eil fetner ©d^rift: „^er n^o^re inn^enbige unb au^nicnbige
ß^rift" barbietet *). 35icfer ©d^riftfteflcr bejeugt bie JBerberbniJ
ber c^riftU^en ©efeQfd^aft, einfd^Iie§Ii^ be^ geiftttc^en ©tanbed
in bemfelben Umfang, xok btei^ bon ben nieberlänbifd^en Z^eotogen
gefc^e^en ift; ferner ftellt er im erften X^eile bie ernfte (Erfahrung
ia (S^rtftent^umd ber oberfläd^li^en $ra£i^ ber ß^i^Sl^ut'iO^R
gegenüber, ^ie ganje Steige Don ©nabenn^a^I, Srlöfung, SBeni«
fung, (Erleud^tung, Sied^tfertigung, SBiebergeburt unb SBele^rung
tpirb in enblofen SBiebev^oIungen jur birecten IErfa()rung ein'
geprägt, an einer äßenge t)on ^ennjei^en, bon toeld^en man
miebcrum fiennjeid^en forbern möd^te. Sd ift biefelbe aRanier,
nKtd^e nad^ ^ieterici Don äBil^elm 93rafel unb SSerfc^uir gcüU
n^orben ift. 2)ie ^auptfac^e ift aber, bog nad^ bem @d^mer} ber
äBiebergeburt bie Smpfinbung ber ©cmeinfd^aft mit @ott eintritt,
beren SBorfteQung aui^ bem m^ftifd^en ©prad^gebraud^ entlehnt
ift unb beren ^arftedung in ben 93ilbern bed ^o[)enliebed cul<
minirt. 2)ie X^atfad^e ber SSerbunfelung ober ber (Sntjic^unfi
ber ©emeinfc^aft mit @ott fül)rt aber toieber auf bie ort^oboj^
Äefignation in bem befannten ©d^Iuffc jurüdt, ber I)ier nur eincti
pietiftifd^en 93egriff in fic^ t)at aufnehmen muffen: Aue toelÄ^
nad^ ber ©erec^tigteit S^rifti ^ungern unb burften, werben felt^'«
i^ jüngere unb burfte; alfo lüerbe ic^ feiig. Sebenfallg fonii*^
bad kefuUat bed ^riebcn^ mit ®ott, auf ba$ bod^ alled ai
fommt, nämli^ bie ^reubigfeit ber @ottedfinbfd^aft, bie ang^
ne^me 93etrac^tung ber ©emeinfd^aft mit (S^rifto unb bie fonbc
lic^e SBergnügung unb 9{u^e in ©otte^ Slegierung, nämUd^ b(
1) ^cr loa^rc intoenbigc unb auStoenbige (^(rtfl, bal xft 9[bbilbtti
eines re^tl^affencn d^riflen, t^orffeHenb in gtoei X^etlen, tote ein toastet &f\
fotoo^l innerli^ befc^affen fein, al% au4 Su^erlid^ int X^un unb SBanbel
t>txf^alUn mflf{e. gfrat^rt a. Wt. 1680. 3weite tCu^. nod^ bem Xobe
SetfafferS oeranfiaUet t)on 0ottfrieb 9fingfl, $tof., $fartet unb Confifbridi^
in l^nan, 1698, no^mals 1716. — bietend oar l>on 1670 an ^«ner T ^
i^erforb, ^etmolb, Sippßabt, t)on 1685 an in Solingen, ge^rbcn 1690.
877
aOcd, ipad uns begegnet, bou einem üerfö^nten 93ater l^erlommt
unb jum Scften bienen muß, — biefeS fRcfultot !onntc mit
loeniger Umftänben, atö n^eld^e Sieterici mac^t, flor gefteQt xocu
ben. ©oQte aber bie Srfa^rung beS St)riftent^umd burd^QuS bem
Seitfoben ber bogmotif^en 2)tftinettonen folgen, fo brauchte ft^
©icterici nic^t barfiber ju rounbern, bag fo oiele ßf)riften ber
ISrfenntntg entbehrten unb auf bem ^iev eingefd^Iogenen äBegc
btc i^nen 5ugemut^ete IStfo^rung nid^t mad^en lernten. Untere^d
unb ^ieteriet repräfentiren ben $iettSmud ber ebongelifc^en
aiic^tung für baS ©ebict ber nieberrl^cinifc^en Äird^c, unb ftc
^aben biefer 9)ic^tung faft gleid^jeitig mit äBitftuS unb nod^ uor
SBit^elm 93rQfe( literarifd^en SluSbrud berlie^en; ein nac^träg«
lid^er Sen^eid bafür, bag bie t)on SBil^elm ZeeUinc! unb bon
fiobenfte^n angeregte Orientirung ber ^römmigleit an bem
©c^ema beS Ijeitigen 93ern^Qrb im ©tiQen bie n^eiteft greif enbc
SBirlung gef)Qbt \)ai.
2. 3n Oft fri erlaub, fpecieQ in (Smben ift bicfelbe 93e*
niegung juerft burd^ einen ernftigen Soeeejaner, 3o^anned
Klar bin 0 angebahnt n^orben. @eboren ju Bremen 1639, in
feiner SSoterftobt, bann in fieibeti, nod^ unter SoeeejuS, unb in
©roningen gebilbet, f)at er üon 1666 bii^ an feinen lob 1707
ber ©emeinbe ju Smben gebient, unb 21 l^aljrc (ang ben Soetud
geleitet. Sr n^ar ein pd^ft n^irffamer ^rebiger. Sin Sonner^^
fo^n, toie man fagte, lonnte er auf'g fräftigftc mit bem ®efe|c
bro^en unb mit ben lebenbigften färben ©otteS brennenben ßo^n
unb bie endigen ^öQenftrafen f^ilbern; unb bann n^ieber einSBar^
nabai^, ein ©o^n bed IrofteS, öerftanb er bie |)erjen fo jn rühren,
bag bie ©laubigen mit S()riftnS im ^immel ju fein meinten,
wenn er öon ber ©eligfeit beS ^immeU rebete. ©ein Seben war
wie feine Se^re auSgejei^net bur^ einen ^eiligen üon ber äBett
abgewenbeten äBanbcI. (Er war für feinen fie^rer Soecejud nid^t
fo eingenommen, um fid) nic^t aud^ mit einer anbcrn ?lrt ju
vertragen. ^eS^alb f)at er in üoQem (Sinftang mit feinem jungem
unb fpoter eingetretenen Slmtögenoffen (Jrnft SBil^elm SBuc^*
felber*) geftanben, welcher am näddften mit Unterere! jnfammen*
1) Heiners, OostfrieschlandB kerkelijke geschiedenisse. Groningen
17da 89. II. p. 517.
2) % 0. O. e. 522.
378
gehört, ©cborcn in S3cntt)eim 1645, ftubirtc er juetft bic Sted^te,
lüarb burc^ Untcrc^dE'5 ^ßrebigtcn in Saffcl, alfo jnjifc^cn 1668
unb 1670 bcfc^rt, ftubirtc bann in Utrecht X^cologic unter Soct
unb bcm Socccjancr ^rauj^ Surmau, unb erfuhr jugleii^ ben
@influg fiobcnftct)n'd. Sll^ Sanbibat \)at er bann no^ jmci 3a^re
in 93vcmcn ju ben güßcn UnteretjdE'g flcfcffcn. ©eine Söerufungcn
an Derfc^icbcnc Drtc ücrgcgcniüärtigcn tuic bei feinem JBorbilbc
ben engen 3"f^'""^'^''^^ong unter ben njeftbeutfc^en Sleformirtcn.
3ucrft 1677 5ßrebigcr in ©lüdftabt (^olftein) njurbc er 1679
9icctor unb ^ülföprcbigcr in Smbcn, banac^ biö 1687 ^ßrebigcr,
Stirdienrat^ unb Snfpcctor in berSfenburgifd^en ©tabtSBübingen.
SBon ba nad) SKül^eim an ber Slu^r berufen, ging er fd^on 1688
nad) ßmben, lüo er alö^raefcö beö Eoetu^ 1711 geftorbcn ift. S^ni
njirb tiefe 6infid)t in baö innjenbige Sl^riftent^um nachgerühmt unb
eine große gä^igfeit, ©^tt)ac^c ju ftärfen, S^^if^^"*^^ ä^ ^'
fcftigen, ©eförberte ju leiten. S)ie @rtt)cdEung in ben Slieberlanbcn
1672 ^at fo ma§gebenb auf il^n eingetuirft, unb er n^arb bamal^
geimlrbigt, fo natje mit ®ott ju üerfc^ren, baß er jene Sa^te^
jal)l mit großen 3iff<^^" ^^ feinem ©tubirjimmer angefc^iicbew-
l)attc, um fid) ftetö berfclben jur ©tärfung unb ©anffagung j^^
erinnern. (Jr ttjanbelte, tt)ie ber Söerid^t fid^ auöbrüdEt, njie $c^
noc^ ftet^ mit ®ott. 35er SBerfafl ber Äirdje lag ihm fc^r qe*
^erjcn, unb er empfal^I bie Sefung ber Slpoftelgefc^ic^te, bom'i^*
man barau^ ba^ SBorbilb ber urfprünglidjen ßl)riften unb be^
Slbftanb ber gegenttjortigen Stir^c üon ber erften fic^ cinpragtf===
©d)riftlidö ^at er nur ein Sieb Don 16 ©tropfen: „35a^ Sef^
gegebene Saioort" (ffirleu^t mic^ ^err mein Sid^t) ^interlaffci —
loelc^e^ in maßüoQer SBeife ba^ Sefenntniß ber Slid^tigleit, b^S
©elbftüerleugnung unb bieUebergabe an 3efuö (Dein bin i^ wi^
id^ bin, nimm mic^ nur eigen ^in) jum SluöbrudEc bringt*), d^'^
bejeic^net im ©anjen eine SBcnbung Don Sobenfte^n ju ber cöai
gelifc^en dtiditung bc^ $ietiSmUS ^in, mad ja aud^ baju paßl
baß bie SriocdEung üon 1672 auf SBuc^felber ben bebeutenbei
SinbrudE gemadjt ^at. Snbeffen fc^eint berfelbe nid^t wie Untcr=='
el)dE ßonüentitel gehalten ju ^aben^). S)cnn baju toar aud^ für J
1) ^a^ ®ocbeI II. e. 310 totrb baffelbe Sieb au4 Untcrel^ betgcIeg^J
2) mt »el^ctn suchte (S o ebcl II. 6. 261 angtcbt, bog Sud^felber ^reunr^
ber Sababiften getoefen {et unb in enger Serbtnbung mit SBicumetb geßoitbo^^
^abe, fann id^ nic^t ermitteln. 92ad^ bem, maS ^eincrS miit^cUt, ift el nt(('^^
toa^rfd^einUd^.
379
bicfen bcr Sobcn nur in 9RüI^cim günftig gcttjcfcn, nidjt ober
in ßaffel unb in Srcmcn.
3n Cftfricdtanb f)at aud) bcr fiobabi^mud bircct nur bcn ^xc^
biger ju 9lcnborp, $ctrud 3)ittclbacl^M für fid^ gctoonnen. Unb
bicfcr ftammtc am Sl^mnjcgcn in ©elberlanb, njar alfo' fein 2a\u
be^finb. @r n^arb 1666 an bic genannte ©cmeinbe berufen, unb
Dom Soetud nad) einer günftig üertaufenen Prüfung angenommen.
(£r enoied ftc^ alsbalb aU einen leibenfd^afttid^en unb eigen^«
finnigen 9J2ann. Slld er in ben Soetu^ aufgenommen n^urbc,
iie& er fi^ burc^ feine ©rilnbe beftimmen, bie üblid^e ^ßrebigt-
probe oor feinen Slmt^genoffen abjulegen. 3n feinem Amte fanb
er fc^njierige Ser^altniffe. ©eine näc^ften Sloc^baren, S)obo 93o*
trici in Olbenborp unb 3o^. Suifincf in ^agum loaren ©äufer ;
ber le^tere ift aud^ einmal mit einer 3ig<>'U>i<^^banbe im Sanbe
um^crgejogen. Sd gereicht S)ittelbac^ jur S^re, bag er in feinem
%mtc bie entgegengefe^te Haltung einna()m. $(Qein nad) einer
ad^tjä^rigen SBirtfamfeit, alfo 1674, gerietl) er auf ben SBeg üon
fiababie, an ben er nac^ Slltona fc^rieb, um feine unb feiner @e«
noffen @d)riften ju er()alten. 9ltöbalb trug er mit S3crufung auf
Sababie bem Soetud f^riftlic^ unb milnblid^ bie befannteu Se-
bcnfen t)or gegen bie Xaufe ber ^inber üon ungläubigen unb
ununterric^teten ©cmeinbegliebern, gegen bie 3ut<iffung meltlic^
Sebcnber jum Sbenbma^l, gegen bie nac^fi^tige Slufnafjme ber
ßeugniffe, mit n^eld^en ^rembe ben Eintritt in bie ©emeinben
nac^fu^ten. ©eine ^eftigfeit lieg feine ruhige (Erörterung biefer
gragen ju; mit berfelben ^eftigfeit fud^te er feine neu getoon*
neuen ©runbfäge ber ©emeinbe aufjubrängen. Sine SSermittelung
biefer ©treitigfeiten burd^ eine Deputation bed Soetud lehnte er
ab 1675; benn er jog eö üor, feine ©ac^e an ben fürftli^en $of
ju bringen. 9lämlic^ bie üormunbfc^aftlid^e Stegentin S^riftine
g^arlotte, geborene 5ßrinjeffin Don SBJürttemberg, meldte eine «n-
^ongerin ©pener'ö toar, fc^ien i^m eine für iljn günftigere 6nt*
fd^eibung ju öerfprec^en. SDSa^ barauö getoorben ift, fann nic^t
me^r nad^getoie[en werben. 3ebo^ blieb er unbel)inbert, feiner
Oppofttion gegen ben Soetud überall ben bitterften Stu^brucf j(u
1) ^ie fo(gcnbcn 9[nflaben Derbanle t^ ber Qfitigen 9}{tti(ctlung bcS
^emt (Konfiftortalrat^S unb 0cneraIfupcctntenbcntcn Bartels )u 9(un4, tocl^et
pe att§ ben Veten beS (Smbenec SoetuB gcfc^öpft ^.
380
geben, unb ^^ugleic^ nad) beit Don i^m aboptirten ©runbfögen ju
^anbellt, biö er 1683 fteiiuiUicj auf fein ?lmt berjid^tcte unb nod^
Slmftcrbam übcrfiebcitc. S)iefer ©^ritt ^attc bcn ©inn, ba§ i^m
baS fieben in SßieutDerb nic^t jufagte^). (£r ftonb aQerbingd mit
ber ©emeinbe bafclbft in SJerbinbung unb njurbc, wenn er bc:^
fuc^ömcifc in \l)x erfc^ien, ^ocö geehrt. 6rft fpätcr entfc^log er
fic^, in bie fiababtftifc^e @emeinbe ju äBieun^erb förmlich einju«
treten, um in ber Sriie^ung feiner jtinber Srleic^terung ju finben,
xoaxb jeboc^ gerabe burd^ bie in biefer ^tnftd^t gemod^ten l£r<
fa()rungen, fo roie burd^ anberc mijslid^e ISrfd^einungen in ienem
Greife n^ieber jum ^(udtritt beiuogen, ben er bann burd^ eine
bittere Slnflagefdirift red^tfertigtc (@. 232). 3tt Slmfterbam, m
er noc^ 1691 gelebt f)at, verliert man i^n auö bem ©cfid^tc. gut
Dftfrieölanb alfo ift er eine ganj öorilberge^enbe Crfc^einung,
meiere erfehnen lägt, bag bamald bort leine SmpfängUc^feit ffir
ben fiababi^mu^ t)or(|anben n^ar.
3. Um fo me^r ift burc^ benfelben bie Äird^c am SRicbcr*
rt)ein beunruf)igt Sorben*). I5ö ift mitgett)eilt tporben, baft ber
einjige Z^eolog, n)e(c^er nac^ fiababie'd Separation ftc^ bcm«
felben anfc^Io§, ber ßanbibat ju SBSefel, ^einric^ ©(flutet
gciüefen ift (©. 226). S)erfelbe ^ielt junäc^ft in feiner 8atcc^
ftabt in jiemlid)er Verborgenheit SBerfammlungen. 3**fllfi^ ^^^
trat er 1669 üor bie DeffentUc^feit, inbem er eine nac^ Sababic' ^
Manuel de pi6t6 gearbeitete ©c^rift ber ©^unnan „Äennjeic^ct^
ber SBiebergeburt" in'd S)eutf^e überfegte unb mit einer So^'
rebc im eigenen Slamen begleitete (jmeitc äufl. 1670). ^ieri^
betiauptet er neben ber aQgemeinen SSerberbnig ber fiirc^e ur^*
i^rer Seiter bie befannten ©runbfäge, baß nur SBiebcrgcbore:^^^
jum Slbenbmal^l jujulaffen feien, loenn nid^t bie ©emeinbc idc^^'
unreinigt n)erben fod, unb bag ia^ fieben ber äßiebergeboren
al^ fold^e^ ebenfo erfennbar fei, wk bad natilrlid^e Seben. Sl
balb ging bie Duisburger StaffiS mit einem öffentlid^n Urt^c:^^^
gegen ben läfterlid^en unb f c^wärmerifd^en ß^arafter biefer ©c^r^ö^
üor, unb bie Eteoifc^e ©^nobe beantragte bei ber ©cnerolf^no"^^-^
bie aSortabung ©d^lüter'ö. ®f)t eS jeboc^ ju biefer 8er]^anblui^**9
fommen tonnte, begab fic^ berfelbe, im ©ommer 1670, nac6 9R
1) Berkum, Labadie IL p. 78.
2) ^aS folgenbe na4 (i^oebel II. 8. 312 ff.
381
^im, tüo bcr ©oben burd) Unterc^d'i^ Süitücntifcl für tf)it MX-
bereitet tpar. 9lid^t o^ne Äbfi^t rcirb er in jener SBorrebe bic
©emeinbe bafelbft für bie bcftc erllärt t)aben, tpcld^e er fenne.
An ben Serfommluncien alfo, bie er unb mit i^m ein ®d)nU
meifter 93adl)au3 in. 9RüI^eim ^ielt, bet^ciligten fid^ üiele ^er«
fönen be^ §anbtt)erferftQnbe^, üorjüglid^ aber bie grauen. 35tefen
fd^Iofe fi^ and) bie lod^ter beö Sefißer^ ber Sef)n%Trfc^Qft
SBroic^, ju »eld^er ber Ort getiörte, bic ©räfin St)arIottc Äugufte
Don ^^aun unb Solfcnftein an, obgleich fie (ut^erifc^en Sefennt^
ntffe^ war. 35cr Ion, njeld^cn Schlüter anfc^lug, ift auö einem
Don ©oebel mitflct^eilten ©riefe biefer ©räfin an Söäcf^aufi^ er*
fennbar. ©eine S^ebe rid^tete fic^ barauf, baö®efül)l berSli^tig«
feit unb bann ben ^eiligen junger unb S)urft nac^ ©ercc^tig»
feit JU enoecfen, weldjcm @ott entgegenfommt, um bie ©eele „mit
greubenroein trunfen" ju machen. Da^ Xreiben ber ßonoentifcl
ging fo offen oor fid^, baß beren einjelne ©enoffen oon ben
©cgnern aU Duäfer ober ciU SJrübcr ber SBiebergeburt bejeic^net
würben; fie bienten alfo jur ©törung ber öffentlidöcn fRu^e.
SBäf)renb biefe^ afleö in 9)iüU)eim oorging/ wor ber territorial*
^err, ber ®raf SBil^clm 3ajt)ric^ Don S)f)aun unb galfenftein ab*
wcfenb. ^cftig unb jufabrcnb wie er war, Derbot er noc^ feiner
aUfidte^r nic^t nur bie SonDentifel unb fegte ben ©d^utmeifter
Sacf^auö in'§ ©eföngnig, fonbern Dergriff fic^ aud^ an ben re*
formirten ^rebigern ju 3)2ü(^eim, weil fie bie Unorbnungen ge*
bulbet Ratten, burd^ ©ufpenfion Don i^rem Stmte unb Unterfagung
bed S3efuc^e$ ber Slafft^. @egen biefe unbefugte Slnmagungber
fiirc^en^o^eit würbe Don ber Slaffid bie 3ntereeffton bed ^ur-
ffirften Don SBranbenburg unb ber 5ßfalj*9ieuburgifc^en Sanbc^:^
regicning angerufen, jeboc^ o^ne einen flaren unb entfc^eibenben
Srfolg in ber ©ad^e.
hingegen ber Slnftifter oDer biefer S)inge, ©c^lüter, l^afte
fic^ im SloDembcr 1670 Dor ber augerorbentlic^en @cnerolft)nobe
in äSBefel ju Derantworten. @r erflärte ^ier bie SBiebergeborenen
unter 9{eformirten unb fiut^eranem für bie ^ir^e, unb fügte
^inju, bag jwifc^en benfelben feine Trennung gerechtfertigt fei.
gferner befannte er, bag er in SBefel SSerfammlungen gegolten,
aber nic^t in i^nen bad ^benbma^l au^get^eilt ^abe. 2)ie ©enc^
ralf^nobe Derbot i^m SSerfammlungen ju galten. 2)er Sababift
aber Derleugnete feinen grunbfäglic^en SnbepenbentidmuS fo weit.
382
bQ§ er bcn ÄppcQ an bcu Äurfürftcn üon SBranbcnburg onmdbctc ^).
S)Qbur(^ tiöt^igte er bic ©cncralf^nobc, ouc^ i^rerfcitd ben San«
besternt um bad 93crbot unb bic %crt)tnberung bec (Sont)cnttf6l
anjiuge^cn. Unter ^rotcft gegen bicfen SBef^lug begab ftc^
©^lütcr alöbalb in bie Sababiftifd^c ©emeinbc nac^ ^crforb.
3)ic ©cneralf^nobe 1671 erlieg l^inter i^m ^er ein ©jcommuni^
eation^becret, an ba^ er ftd) nic^t fe^rte. lieber feine Xrennung
öon ber ©emeinbc in ^erforb ift oben (©. 233) berichtet Sor-
ben; er ift turj bavauf 1672 in SBefel geftorben. S)ie (Steöifc^c
@^nobe üermod^te übrigens baS ftrenge SSerbot ber SonDcntifet
nid^t lange aufrecht ju erf)aUen. @c^on 1674 abopttrte fte bcn
83efd)Iu6 ber Sleüifc^en ßlaffiS, baß bie Sonüentifel gerabe öon
bcm ^rebiger unb bem iJirdjenrat^ ju betreiben, aber eben auc^
nur unter bereu 8luffid)t jujulaffen feien. 35en ?lnla§ baju f^at
man o^ne 3^<^'K'^ ^^ ^^^ nieberlänbifc^cn (Snuecfung Don 1672
ÜU fud^en, njeld^e nad) Sage ber ©ac^en nac^ ben ^erjogt^ümern
am Slieberrl^cin f)inübertt)irlte. 2)enn in jeneS Sa^r 1674 fällt
auc^ ber fibereinftimmenbc JBef^Inß ber Sülidö^Sleoc^öergifc^cn
(SJeneralf^nobe, »eld^er fortan ben Scftanb ber ffionüentifcl wie
in ben Slieberlanben orbnete. 9lämlic^ bie ^ßriöatüerfammlungen
tt)erben j^ugelaffen unb je nac^ ben Umftänben empfohlen, xocnt^
fie t)on bem 5ßrebiger gehalten ujerben, ober wenn ftc^ an b
^auSanbad)t 9lad^baren unb Gelaunte in geringer Qafil bet^eilige
ober wenn fie in jufälliger unb unregelmäßiger SBcife ju ©tant^ ^
fommen. |)ingegen foQen regelmäßige 3nfctmmenfünfte auc^ t)o
Sanbibaten nidjt o^ne ©ene^migung bed ^rebigerd unb bcS ßirc^er
rat^eö gehalten werben, iebenfaflö foHen alle biefeUnterne^mungc
bem öffentlidjen ©otteöbienft feinen Slbbrud) t^un, unb bei ei
tretenben S3ebenfen tjerboten werben bürfen. ^"fll^ic^ joge— ^
bic ©^noben ber cinjelnen Territorien unb i^rc ©cncralf^not^
äJiaßrcgcln in Setrad^t, um bie in ber Äird)e eingeriffene "^
äJ^änget abjuftellcn unb bie ^rebiger ju forgfältigcr Uebun^^
il^rcö SlmtcS unb ju gottfeligem SBanbel ju ermuntern, bam- -^
©ottcö 6t)rc unb ber aiienfc^cn ©eligfeit beförbert, auc^ allerl^ -
SBiberfac^ern ber Sliunb geftopft werbe. _
4. ©0 wo^l gemeint »efc^lfiffe biefer «rt flnb, fo ift i
(Srfolg niemals fo entfc^ieben unb fo fd^ncK, um ungebulbi
1) tCe^nlt^ oerfu^r ja auc^ Xtttclba^ (6. 379) ]päitt.
383
®emütr)cr jur 9lad)ficl)t ä\u ftimmcn unb gegen bcn 9icij bcr
folgerechten S)urd^fü^rung i^rcr ^rincipien ^u fc^ügen. Seb^oftc
SÄenfc^en, rocnn fie jung, ober ttjenn fic eigcnfinnig finb, fönnen
btcfer SSerfud^ung nic^t Ieid)t njibcrfte^en, um fo lueniger, njcnn
ed ftd^ um @otted @ad}e ju ()Qnbe(n fd^cint. 3oQ^im Sleonber,
ber SRector bcr unter ber rcformirtcn ©emeinbe ju S)ü[felbürf
ftef)enben 2ateinif(f)en ©c^ule, ^at in jugenbli^em @ifer fid^ ber
angegebenen SJorfd^rift ber ©eneralf^nobe ju entiiel)en gcfud^t,
tfat \idi ober gefügt, ald cd i^m nic^t geftattet n^urbc. ^Uein
er ift nid^t blod toegen btcfer ^(ntoanbUing t)on fiababidmud,
fonbcru and^ atö 2)ic^ter üon geiftlidjcn fiiebcvn üon SBtc^tigfeit ^).
3)ur^ eine ?ßrebigt üon Untcre^cf befe^rt, I)at er juerft in Sremen,
bann in ^eibclberg, too er fünf junge Sente and Köln unb grant
fürt ald ^ofmeifter leitete, feine roiffenfc^aftlid^c Silbung gc^
iDonnen. S)anQd} ^at er fid^ in ^ranffurt aufgehalten, unb tok
Sicife berid^tct, genauen Umgang mit ©pener unb bem I. U. D.
Sodann 3afob ©c^ü| gef)abt, njelc^cr 1670 ©pener ju bem Unter«
nehmen Don $rit)atanbad)tdübnngen angeregt t)at. 2)erfelbe ^c^
rtc^terftatter fügt t)inju, bag er bei benfelben „einen guten Sßac^^
t^um in göttlichem fiic^t unb ^riftlid^cm äBanbel erhalten f)abt/'
SSBcnn biefe eingaben mirflic^ begrünbet ftnb, fo mug i^re 93e^
beutung baburd^ eingefc^rönft n^erben, bajs 9lcanber'i^ fiieber im
ungemeinen reformirter Art, aber fo meit fie ein aparte^ ®c=
präge t)on ^römmigleit an ftc^ tragen, burd)aud in bem @ebanlen-
frcifc fic^ belegen, mclc^er gleic^jeitig burc^ fiobenfte^n unb Sa^
babie tftrtretcn ift. S)ie 9lamen ber grantfurter ftauPeute, benen
er neben änberen feine Sunbedlieber genjibmet ^at (be SleufDifle,
b'DröiHc), öerrat^cn eö, bog Slcanbcr in grantfurt in bem
^cife bcr franjöfifd^^^rcformirtcn ©emeinbc tieimifc^ gemefen ift.
^ier ftanb er aber im äßittclpunft ber aQfeitigen SBeiie()ungen unb
l)ed Icbtiaften ®cmcingefüt|(d feiner Sonfeffion, unb bic eben in'd
1) «gl. über t^n ©oebcl II. 6. 322 ff. Ol et« IV. 6. 44—57. —
^ et i2. doa^ttnt 9{eanbrt ®(Qub« unb Stcbe8«Uebung: aufgemuntert bur^
«inffilttge 9unbeSlteber unb Ikinfpfalmen (58 an ber Sa^O^ 3"^^ Bremen
1679. ^aben mtr vorgelegen In einem ^aäftxud, 9[flenborf an ber SBerra
1710. — 9{eonber, geboren au Bremen toa^rf^einlt^ ntd^t bor 1650 (®oebeI
e. 332), giedor In S)flffe(boTf 1674, ^ttlffprebiger )u St. ^»ariint in Bremen
1679, geßoiben 1680.
884
fiebcn getretene Unternehmung ©pener'd \)at aU (Skopie einer te<
formirten Sinrid^tung i^m faum imponiren fönnen.
Unter ben Siebern Sleanber'ö ift bie größte ßö^l i>cin Sianfc
gegen ®ott für bie @rlöjung unb. ^eilfame fieitung bei^ £ebend
gen)ibniet, unb ber ^ic^ter giebt ber 3u^<^^f^<4t auf ®ott unb
d^riftuö, ju ber er [ic^ al^ ©ottcö Äinb befähigt pnbet, frifc^en
unb fräftigen S(udbrucf. S^gteic^ tueig er fic^ j^ur Heiligung
angetrieben, unb barin burd^ ©ottcö ®nabe geförbert. (&v öer*
fd^licgt fic^ auc^ nic^t gegen bie 3cugni[fc ber Statur für @ottc^
@üte. 3)aö finb ©ebanfenrei^en, in meieren confeffioncHe SBc^
fonber^eit gar feinen Siaum ftnbet. 2)tefetbe gewinnt ()öci^ften^
einmal einen Stuöbrucf; „2)u bift ber®runb ber ©cligfeit; bcnn
tt)' ber SBelt ©runb wax bereit, bin ic^ in 2)ir crtoä^let." Sn-
beffen liegt l^ierin n)irflicl) nic^t me^r als bie Se^auptung ber
©otteSünbfd^aft, weldje in bie bclanntc gormel beö (Sp^eferbricfri
gefleibet n)irb, meil baS Sieb (S^riftuS aU ben Anfang unb ba^
@nbe feiert. Sieben jenen allgemein eDangelifd^en ^nfc^auungcn
begegnet man in biefen Siebern auc^ ben beutlid^en ©puren be^
jenigen SntereffeS, meld^eS in ber eüangelifd^en älic^tung be^
nieberlönbifd^en ^ietiSmuS hervortritt. 3c^ meine junäc^ft bie
Söefenntniffe ber menfc^lic^en Slidjtigfeit gegenüber ber SRajcftSt
@otteS unb im ^ergleic^ mit ber 9lott)menbigfeit ber @nabe^)-
©iefelben [daließen faft bie fittlic^^religiöfe anläge Don bciR
©ünbenftanbe an^. 3nbcm fic^ nun ber 3)id^ter in ben Ä^'
fed^tungen ober Serlaffungen an biefe SBert^beftimmung 1>^
©ünbenftanbed erinnert unb barauf ftimmt, fo mad^t er ftc^ auit
um ben „fügen 3efuS, ben fc^önftcn ^immeUbräutigam, l>^^
©eelenfreunb" ju fu^en unb in feiner Slä^e aiu^e, ©ättigur»*
Sßcrgebung ber ©ünbe unb ©eligfeit ju finbcn, ober t)on iö^
innerlid) gelehrt j(U tt)erben über bie ©in^eit mit i^m. 9ieant>^
l^at ffoax bie ©enugt^uung ß^rifti in ber üblid^en Seife oft u-^*
beutlid^ genug befannt; allein bie Sßerfi^erung ber ©ünbent^^^*
1) „i^ fann ja nid^tS, boS toetgt bu tool^I; aud^ todi x^ n^t, toa% ^
tl^un foQ. S)u fannfl oQfin Derrid^ten bUS; bn toetgt e§ quc( allein getotfi.'^
„3Bfr bin i^ armer Sünbenmurm, o aUer^ad^fle ^ait^äil" — Snibefonl
benu^t 9leanber tDieber^olt ben 2:e^ ^ed^tel 16, 1—6, t^ttt in Infpielum^^
t^etU in einem befonbern (S^ebi^t, um bte SebenSunfft^igfeit bei 6finl
bejetii^nen. S)iefed IBilb Derröt^ feinen guten Oefc^mai!, ijl ahn ein ui
toert^Dotterer 3u0 ber Spraye &anaan6.
d85
ttitg erwartet er eben wn bem ©efü^l ber jSttltd^n Änl^änfl*
!ctt on 3efuö, obgleich i^m bte Unterbred^ungen bicfer ©timmung
)t fremb finb ^). %\i6) biefcr a)tann, tpelc^cr bie flctigc grcu^^
feit ber ©otteöfinbfd^aft in ber ©teBlung jur SBelt [c^r »o^I
nt, ^Qt fic^ burc^ bie unumgänglichen Kbfpannungen bc§
[igfeitdgeffif)lS in ber 3laf)c beS Bräutigams nid)t baüon fiber^
gen laffen, bog er auf bem SBege beg $0^enlieb«cultu8 nur
^ einer t)aItIofen äftt)ctifc^en $robe [eineS ®nabenftanbc3
d^t. 6inen d)arafteriftifd)en 93ett)ci§ bafflr, ba§ e§ pc^ hierbei
ein ©piet ber ©inbilbungötraft tianbelt, bietet jeboc^ gerabe
i ©cbid^t: ,;6mpfinblid^cS©et)nen eincS greunbeö ©otteö toegen
öermeinten 2lbtt)cfcnl^eit bei^ ^öd^ftgeliebten", mit Scjie^ung
6ant. 3, 1 ; 2, 9. 10, in meld^em baö @c^o ber letzten ©Üben
bie Antwort 3efu auf bie gragen unb Sitten beö©c^nfüc^^
m eingefül^rt wirb*).
1) i^Sege bid^ 3u 3e{u gfUgen mit bet großen Sflnberin, toeine,
It, fu4 mit ftüflfii, mit aerfnirfd^tem fyxi unb ©inn Sefu S^rifli Sieb ju
[en, bid^ in (S^naben in uermö^len.' — „^aä^ auf benn, meine ®eel, in
I fu^e 9lu(; loann ®Iut^ unb glutl^ unb SBinb loirb flUrmen auf btd^ }u,
1^ mit ber ^urtettaub in jene Sitten, jum %t{% ber (Snigfeit; ba bifl bu
c in.' — - v3n ber ^5(Ie meine 6ee(e fud^et bid^ o l^rSutigam. Sa( bic^
en, lag bid^ finben, flarCer ^elb au8 S)ot)ib8 Stamm.' — ,0 3efu, too
bfl ^u verborgen, i4 fu(^ ^t4 t>om 9(benb bis )um 9Rorgen . . . O Sefn
!boc( mein ftlogen, )Da§ nU^et Sir, bag id^ nun {oÜDer^agen? . . .* O 3efu
bid^ bo4 einft fe^en, Derftopfe nid^t baS C^r uor meinem gießen, uerftd^cre
}, bog i^ im ®(auben flel^; Su fie^efl mid^, ma^, bag iii^nid^t Derge^.' —
rofter $rop^eie, mein ^erge begehret, Don Sir intoenbig gelel^ret pi fein; Su
be§ SaterS Sc^oog ju und gefe^ret ^ofl offenboret, loie Su unb id^ Sin!'
2) ,fSto btft Su Seelenfreunb ? toiaf! Su benn mi<i^ berlolfen?
3dJ? berlaffen?
(SS tritt bie !Rot^ ouf aQen Seiten ein.
9lein.
9Bo bleibt Sein tl^eureS Sort? Sein $Port: \^ tarn nid^t Ralfen I
i^onn nid^t Raffen.
Su gel^eft Don mir toeg; bin id^ ^ier nid^t ottein?
9li<^t allein.
914 ^^f ^0 f»^ i4 (in? bifl Su Dor mir Derfc^ttunben ?
Sir Derfd^tt)unben?
Ser* Teufel f dalägt auf mid^, ic( bin ni<i^t me^r bei mir.
9Re(r bei mir.
I. 25
386
9ieanbcr ^attc bei bcr SScröffcntlicIjung feiner 95unbc^ücbcr bic
abftd^t, bem Slomcndiriftcnt^um unb bcr bumpfcn ^errf^aft bcr
©etpo^n^eit cntgcgcnjumirten, unb jur SBicbcraufna^mc bcr crftcii
£ie6e anjuregen. ^ic[e reformotorifc^e Xenbenj ^at i^n nun ju laba^
biftifd^en Folgerungen uerleitct. 6r l^attc bei bem Antritt fcincd
©^ulamteg fid) gett)eigcrt, bic Äir^enorbnung, einfdjliefeU^ bcö
^cibelberger ^atec^idmuS unbebingt ju unterfcl)reiben. 9li(^td bcfto
iDcniger n)Qr i^m geftattet iDorben, gelegentlich ju prebigen. £r
()atte ober ferner fic^ l)crauögcnommcn, ^eimlid^e SSerfammlungcn
ju I)Qltcn, gegen ba^ eben erlaffene SSerbot ber ©cncralf^nobc,
unb ^Qtte feinen Sln^ängern bic X^eitna^me am 9tbenbma()(
Biberratten, bamit fie fic^ nid)t ber Snt^ciligung bed @acramcnti^
fd^ulbig machten, ba auc^ bte @ottlofen o^ne Unterfc^eibung an
i^m t{)eilne^men burften. Xa^u tanmx nor^ einige Unregetmä§tg'
feiten im ©djulbienft tDclc^e fic^ 92eanber erlaubte. KuS aDcn
biefen Stücffic^ten uer^ängte 1676 bcr Äirc^enrot^ ber ®üffct
borfer ©emeinbe über Sleanber bie ©u^penfion öom Amt unb
unterfagte i^m ba^ prebigen, bid er fid) geffigt unb @cnugt^uung
gcleiftet tjätte, tt)ibrigcnfallö er be^S S)ienfteö ju entlaffen »arc.
ffi^ gereicht if)m jur @^re, baß er fic^ feiner üorgefe^ten Sc^orbc
untertt)orfen ^at. ®r Ijat om 17: gebruar 1677 ein ^rotofoD,
toelc^e^ ©oebcl mittljcilt, untcrfc^rieben, in wcld&em er fid^ jum
$eibelbergifct)en ^ated)idmud unb jur i^irdjcnorbnung befennt,
Trennung uon ber Äird^e, wie Sababie fie oufgeric^tct l^at, oer^
bammt, bcn unbered)tigten ?ßriuatüerfammlungcn cntfagt unb
itincn entgcgenjüroirfen üerfpric^t, namentlich barin, ba| ^^ffinigc
abfonberli^ fid^ unter cinanber aU SBiebcrgeborenc anfc^en mit
J8crurtf)eilung ber Stnberen."
5. SBenige 3a^re banad& 1680 mürbe aieiner (Sopper*)
9Bo finb id^ ipülf unb 9{at^ für biefe meine ISBunben ?
Steine äBnnben!
3»ein «rjt, btp 3)u DerjQßt? flie4|l ®u? |ie4 id^ bin ^ier.
34 ^in ^ier.
©(an) ber ^ered^tigfeit mir gnäbiglid^ erf^etne.
3c( exf^eine.
3u meiner @ee( fo uie( nur fpric^ : bu bifl in ^ulb.
»ip in §ulb.*
1) Ueber i^n ®oebeI II. S. 360 ff. Äei^ V. S. 199-2U. -
(Eopper geb. in ^eurS etna 1645, ^rebiger in äffelbtttg bei Skfel 1670, »
SRttl^eim an ber tRu^r 1677.
S87
atö ^rcbigct na^ ©uiöburg berufen. Ott l^otte feinen Eintritt
in ha^ ^rebigtamt babutc^ bejeic^net, bag er burd^ eine Staffical^
prcbigt in 993efe{ Slnftog gab unb fid^ eine ©u^^penfton auf 6
SBoc^en jujog. ©ein Sifer ^atte i^m einen Stn^ang Derfc^afft,
mclc^er fiber bic Orte feinet amtti^en SBirfeniS ^inauS reid^te.
Stomentlif^ famen üiete nad) @ott unb ber SBa^r^eit ^ungernbe
©eelen auS SJJeurd, Srefelb u. f. n). ju i^m nac^ äRfitl^eim unb
nac^ 3)uidburg, um feine $rebigten ju l^ören unb ^riDaterbau«
ung bei i^m ju fuc&en. Sie gefd^loffcnen Serfammtungen nun,
roeld^e in ber (entern ©tabt Goppcr unb fein Ämtögenoffe öarle^^
me^er hielten, gaben bem Äird^enratl) fc^on 1681 ben Änla|, ge*
mag bcm Scfd^lug ber ©encralftjnob^ öon 1674 biefelbcn ju Der^
bieten. SDa ^arleme^er biefc SSerorbnung nid^t rädgängig machen
fonnte, folgte er im nSc^ften ^af)xc einem Stufe an bie ©emetnbe
ftirc^^erten im ^erjogtl^um 3üli^. ©d^on 1683 mugte er aber
burc^ bie ^roDinciatf^nobe Don feinem %mte fudpenbirt n^rben,
loeil er fic^ nic^t burd^ bie SJ^ajorität im ^rd^enratl^ gcbunben
^iett, nur ben ©onntag unb nic^t bie firc^Iid^en ^efttagc mit
@ottedbienft begel)en unb bie i^m ^erbäc^tigen ni^t jum Kbenb«
ma^I julaffen moQte. 2)ie @eneraIf^nobe, an bie er oppeüirte,
beftätigte biefe^ Urt^eil, nöt^igte ©artemc^er jur Abbitte, unb
lieg i^n nor^ oerfpret^en, feine ^Familiarität mit Sababifien, unb
feine ^rioatüerfammlungcn ju galten, ferner bie gormulare bei
Zaufe, Vbenbma^t unb Xrauung ju beobad^ten. Seboc^ l^at ber«
felbe feinen Sigenfinn baburc^ nid^t bannen laffen, fonbem bie
Ccnfur ber ©^nobcn n)icber[)olt ^crauägeforbcrt. 3nbeffen ift er
im Amt biö ju feinem 1701 erfolgten lobe geblieben. Eoppcr
hingegen gemann aud ben $auSbefud^en, in benen er feine 3)uid«
burger ©emeinbe Doüftdubig fennen ju lernen unternahm, bie
Ueberj^eugung, bag xotnn er in ber üblid^en SEBeife bad ^benb-
ma^l t^ermaltete, er ber großen ä)2e^rja^I bad @cric^t t^erficgeln,
unb iugleid^ auf fid^ felbft unb bie @emeinbe bad ©trafurt^eil
©otte« jie^en »ürbe *). Semgemög erflärte er 1682 bem Äird^en*
1) 9n btffer f<i^on in ber Umgebung 9oet'S Derbtetteten InfU^t fommt
ein merhofitbiger 3vg ber reformirten 9[uffaf{ung beS lbenbma(I§ )ttm 9or«
f^etn, Don bem man in b/r getoS^nliii^en tSe^anblnng ber GontroDerje über ba§
Vbenbma^t nic^ti erfaßt. Son ben Sut^tanern pjlegt ef nfimlic^ al§ ein
Sorjug ber eigenen Se^rtoeife bejeic^net )u toerben, ba( bie mflnblic^e ^enie^ung
bcS £eibe§ (j^irifli ben Ungläubigen baS ^eric^t su^ie^, toA^renb auf ber
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tatti, bal er hai ^bcnbmal){ ni^t mcl^r au^t^eilen iperbe, loentt
berfelbe nid^t bic Sinjcincn, tDeldjc Popper ald Scrböc^tige bc-
jeic^ncn fönnc, t)on bcr tietUgen ^anblung abgalten ipürbe. Sr
begetirtc alfo bod ^rtoilcgium, tDcIdjeS man fiobcnfte^n gelpä^rt
^atte. ^a^ bicfcS Serfa^rcu bic (SinftcQuitg bcS Slbcnbma^le^
überhaupt nad) fic^ jicl^en tücrbc, meinte ßoppcr leugnen ju bfir^
fen; bie ©efr^id^te ber lababiftifctjcn @cmeinbc lag i^ni freiließ
noc^ nic^t üor Slugcn. ®a alfo ßoppcr auf feiner änfidjt be*
ftanb, tt)urbc er im gcbruar 1683 feinet Slmtcö entfefet, toeil er
bic ^cnoaltunc) bed ^bcnbma^loo, jugleic^ bcn ©cbrauc^ ber
liturflifif)en gormulare unb bcn ©cljorfam gegen bie 3Jic^r^eit in
(Slaffen unb ©^noben öermeigcrtc. Sopper fuc^te junäc^ft in
Srcfelb Untcrfunft; alö er aber ge^inbert tt)urbe, mit feinen
bortigen S(nt)ängern ^ril^atl^crfammlungen ju t)altcn, jog er mit
einem I^eile bcrfelben nad^ SBieumerb. ^ier Ijat er neunSa^re
lang ben ^rebigtbienft in ber lababiftifcl)en ©emeinbc ucnualtct.
9lte bicfclbe 1692 aufgelöft ujurbe, 50g eö if)n junäc^ft tüieberju
ben glöubigen S3rübem nac^ 3Reuvd unb ßrefelb. @r warb ober
t)on bort burc^ bie Dbrigfeit Vertrieben unb befc^log nun bct
©inlabung einer ©önncrin, bcr 2)roftin t)on bem Sui^fd^e, 8^*
borenen ©röfin üon $oorn in S3ielcfelb ju folgen. 91U er jebod^ qu\
ber SfJeifc üon SBieuwerb in Cmben augelangt mar, erfranfte et
bort unb ftarb gegen ffinbe 1693.
6. gflr Slcanber unb Sopper fanu ber ©ntfc^ulbigun^^
grunb ber Sugcnblid^fcit gcltenb gemacht njcrbcn; für ©amu^^
ket^enugi) ^^ic^j berfelbc nitf)t auö. ©eboren 1628 ju 9*c^
Seite beS (SalDtmSmuS fein Sa^ t)on glet^em (Seioi^te fle(|e, ba bort bie mflf^^
lid^e ®ente6un0 beS »roteS bur^ Ungläubige ein glei^gültiger Ict fet. Sebtf^
ge^t bie SJ^etnung im Saloinilmud ba(|in, bag bie untoUrbige S^^eilnotmc (^^
flbenbma^l ds bem ^ct ber @emeinbe bad ®ert4t, in »el^em ber UP ^
glöubige fie^t, für t^n 3ur (Sntf^eibung bringt. VIfo biefer Ba% ifl baS (Seg^^
flad au ber lut^erifd^en ^eurt^eilung ber münbli^en ®enie§ung bed Setf^
gjrifti bur(ft einen Unioürbigen. 5)le ßababiftiWe golgerung freiltdft ifl ef^
^bblegung bon ber edjjt caloinlftifd^en ^nfid^t, »eil fte bie ganje ®emetnbe bof'^^^^
beranttDortlid^ mac^t, »ad bod^ nur ben (Sinselnen angebt (8. 116).
1) ^le ^auptqueOe für feine ®ef4l4te ifl feine €(^rift : Apologia Netfa^
niana .... üfte Zodiacus not^ivoXoyCai anoXoyririxiji^ dat is waarae^^^
tige ontdekkinge van de onrechtverdige proceduiren, tegens hem 8on(
oorsaak en legen aUe billikheyt te Birstein in't werk gesielt,
dam 1697. (Setolffe Sttcfen, »eld^e biefe S^rift lägt, l^at (Soebelll. 6. 367
397 aus bem ftir^enarii^ib ju S^eurS ergfinjt.
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im ^crjocit^um Slcüc f)at er ferne @tubien auf ber ^6)nU ju
SBcfel unb ber äfobcmic ju ^arberiüiit in Oelbcrn gemalt,
iDurbe im 20ftcn Scbeni5ial)re Skctor ju SBatcnburg in ©clbcrn,
unb empfing 1650 üon ber ®emeinbc ju SBaerl (©raffc^aft
SÄcurö) bic ©etufunfl ^um Slbiunctcn [eines mütterlid^cn ©ro^--
üaterS. Cr ^atte in biefer gunction fc^on einen 9Ronat 9ctt)irft,
als er burd^ einen Soncurrcnten ücrbrängt n)urbc. 9lad^ bem
2Reur[tfcI)en Äirc^enredjt nämli^ l^otte nic^t bie ©emeinbc boS
SBo^lred^t, fonbern ber Sonbe^^err bic (Srncnnunfl ber ^rcbißer
JU üben. 9lun maren brei ©emeinbeglieber, tt>cld^e bic ©tcQc
einem Slnbern jun)cnbcn n)oIIten, mit einem (Smpfc^Iungi^brief
beS j^ödjften 93cQmtcn, bed ^roften Slout an ben ^rinjen Don
Oranien gegangen unb Ratten für t^ren ©ünftling bie @rncnnung
errcid^t, noc^ e^e bic ©emeinbc in Saerl cd ber 2Bü^c njcrtl^ ge*
l^alten l^attc, i^re SEBal^t in 9J2eurd anjujeigen. 9lct^enuS alfo
mugte \)0x bem übrigens ganj n)ürbigen Soncurrcntcn xocidjtn.
3)crfel6c gab aber balb bie ©teile auf, weil er lein Jßer^ältnife
jur ©emeinbc genjann, begab fid^ nac^ Slicbcrlänbifd^^ftinbicn,
wo fein D^cim ©öuDerncur war, ftarb untcrmegeS unb ift, wie
3let^enuö nic^t öerfc^weigt, ben gifc^cn jur ©peife geworben.
CS war nur ein Ijalbcö Sal^r oerffoffen, atö ber üon 93acrl 9Jcr*
brängtc Don fämmtlic^cn ©liebem ber bortigen ©emeinbc wic^^
bcrum berufen unb nun orbnungSmägig präfentirt unb ernannt
würbe, er ^at bafelbft öon 1651—83, alfo 32 3a^rc lang gc^
wirft. 9Son Anfang an jeigtc er einen großen 6ifcr gur 93efci*
tigung ber Unwiffcnl^eit, welche er in feiner ©emeinbc unb ben
bcnac^borten beobad)tete, unb führte ju bem Qxotd nic^t nur bic
fiatecl^ifationcn am ©onntag 9{ad)mittag ein, fonbern anäf
wöchentlich brei grflfiprcbigten. SU er aber mit ben letzteren
12 So^rc long fortgefaf)ren Ijattc, würben fic üon ber 3Reurfcr
ClaffiS verboten. 3n biefer ®pod^c fc^eint er alfo nur für bic
Sle^tgläubigfcit feiner ©emeinbc burc^ bie Sinpr&gung bcS SBiffenS^
ftoffcS eingetreten ju fein unb für ben ©runbfa|} ber ^räcifität
auc^ nur unter biefem ©efic^tspunfte. Denn als er wegen beS
lefttem einmal üertlagt worben war unb fic^ gerechtfertigt t|attc,
UHircn bic ©cmeinbcglieber lange 3<^it mit il)m jufricben in ber
Ucbcrjcugung, bog er ©ottcS 3Bort i^nen ricf)tig jufd^nittc. Qm
33cftätigung biefer Angaben bient ber Xitel einer t?on 9lct{|cnuS
"herausgegebenen mir unbefannt gebliebenen ©d^rift: Lux in tene-
390
bris, Vau de nootsakelikheyt der geheyligde kennisse ^). 3n
btcfcm ©innc tft e^ and) ju t?crftcf)cn, tvad @ocbcl au^ bcn
äctcn bcr ßlofftö mitt^eilt *), Slet^cnuiS ^abc imntcr barouf gc*
brunflcn, ba§ üor ber äRotflcnprcbigt bic tieiligc ©djrift fort*
laufcnb öcricfcn unb crflärt, bafe bcr Untcrri^t öor bcr crften
Kommunion auf cinSal^r auSgcbc^nt, bag bad^ütcn bct^Sic^cd
um @onntagc cingefteQt, SBoc^engottcdbicnfie ctngcffi()rt, btc
Sugcub jum ^cfud^ bcr ßatcc^ifationcn angctialten, unb über«
{|aupt auf @ittenjuc^t gead^tct tperbe. Sftod) 1669 begcugt bic
Slafft^, bag9{ct^enuS nur ,,anbcre unb ^icr ungctuö(|nli(^c 9Ka^
nicrcn öorbringc"; unter btcfen wirb ^cröorgc^obcn, ha% er ^bei
ber Äinbertaufc eine abfonbcrlic^e SScrmal^nung unb ^rcbigt tf)uc^
b. f). ba§ er fic^ über baö gormular ^inn)cgfc|c. ÄUe^ biefcö
fiberfc^rcitct noc^ nid^t bic fiinie ber im ort^obo^en Caluini^mud
cingcfd^loffcnen prattif^cn Sntcrcffcn, wie fic üonSSoct vertreten
n)urben.
3eboc^ fcitbcm Slet^cnu^ im 3o^rc 1669 eine Steife in bic
9lieber(anbc gemad)t ^attc, geigte er eine cr^eblic^e SJeranbcrung.
gunäc^ft bre^t ftd^ bcr smcite I^eil ber ©c^rift: Lux in tene-
bris 1671 um baö I^cma, bafe bic Äird^e nur in ben SBiebcr»
geborenen bcftel^c, ttjoju ©c^Iütcr'ö JBorrebc ju ben ^ßcnnjci(^cii
bcr SBicbcrgcburt" unb ^anbere neue Sudler" ben Anlag gegeben
^aben. SlQcrbingd n)irb bie t^olgcrung abgclcl^nt, bag man n)cjcn
beg JBcrbcrbcnö bcr Äirc^c ficft üon il)r trennen bflrfc; inbeff^^
bcfcnnt fic^ 9lctf)cnug ju bcm ©runbfafec, ba§ man cd im än^^^
genau ncl)mcn muffe nad^ ©otted Scfcl^I unb jur (Srbauung t>^
©cmcinbc, ba cö eben auf bic toaf)rc §ciligfeit bcrfclbcn anfomn*^-
©Icic^icitig, im Srü^ja^r 1671, legte Ket^cnu« ber eiofft« ^^
aWeurg baö ^rojcct einer ^Reformation bed Scbend in unfcr^]^
Äirdjcn in 9 gragcn öor. Sinige biefer fünfte bejcid^nen ^^^
fd^on befannten aÄaßrcgcln gegen bie Unwiffcn^eit unb bic 8s^|'
l^ciligung be^ ©abbat^d; neu hingegen ift bcr Sorfc^lag, "S^^^
be^arrli^ Unmiffcnben öom Äbcnbma^I aug;iuf(^lie§en, unb ba**^
bcr anbcrc, bag bic 5Diöci<)ün jebem ^aftor anoertrant tocr*^*
1) <9oe6eI qxtbi 1657 al§ 3a^re§3a(t btefeS 93u4S an. ^ttf^mi \^^f
erjä^It, bofe er boffflbe 1667 bcm ^rinjen DonOranien flbertet^t (abe ; id^^me^^
tnut^c Qlfo, ba6 eS in bemfelben Sa^re aud^ erf^tenen ijl.
2) «. a. O. S. 376.
i
391
3)icfe bcibcn SWagrccjcIn finb mcniflcr im ffiinflang mit bcr 2a*
babiftifc^cn SJetPCflunfl, aU [ic für Slct^cnuö c^araftcriftifd^ finb.
S)ic Slafftö lehnte fic ab, cbenfo bic tuicbcrum t)on 9let^cnud
empfohlenen ^oc^enprebtgten, unb verfügte, bag bic ^i^ipUn
bem ^oftor nic^t ol^nc ben ^irc^cnrat^ jutommc. 3n bcmfelbcn
Sa^tc aber brachte bic in 93Qcrl gehauene SSifitation eine äJtenge
Don Sigcnmäd^tigfciten, bie 9lct^enuS begangen, unb eine fd^arfe
@efpanntf)eit bcr @emcinbe gegen i^ren $aftor an ben Xag. ^er«
felbe n)ar o^ne SBiffcn bed Jtirc^enrat^c^ 3 bid 4 äBoc^cn t)erreift,
unb erft fo fpät uor bcr gefc^lic^en $eicr beS 9bcnbma(}tö ju*
rfidgefe^rt, bag bie Sommunicantcn fid^ nid^t Ratten anmelben
fönnen; er l^atte @onntag 9lac^mittagS na^ bcr ^rebigt nid^t
ben ©egen gefprod^cn, um bie ©emeinbe ju jn)ingcn, auc^ ber
ftatcd^tfation bciiun)0^nen ; er ^atte 9){itglieber bed Aird^enrattieiS
befd^impft, bei bem ISrfd^cincn bcr Sommunicanten t?or bem Zifd^
gefagt: „ac^ toie t)ielc $unbe unb @d^n)cine!'\ l^atte enblic^ blöd
@^fc6 geprebigt, oI)ne ben Xroft bcd @t)angeltumd. 9lct^enud
fonnte biefed aUed md)t leugnen, unb mugte berfpred^eu fic^ fotc^en
äRigbrauc^cj^ feinet SlmteS ju enthalten. 2)afür gab i^m aber
baö 3a^r 1672 ben Slnlag, in Saerl unb an anbcrcn Orten bei
Xag unb 9lad^t überall, xoo fic^ i^m ®clegenl)eit bot, (£ont?en«
tifcl ju galten, «tö er bafür 1676 bon ber ßtafft« einen JBer*
toeiS erl^ielt, crflärtc er fic^ in fold^en @ad^cn nur burc^ fein
©cmiffen gebunben, unb gab in bcmfelben 3al)re o^ne bie gefe^«
li^ fcftfte^enbe ÖJene^migung ber Elaffi« eine ©c^rift über baS
Serbcrbcn ber ^ird^e l^craud: „©eufienbeS Xurtcltäublcin unb
3ion« I^räncnftage" 1676. »lad^ ©oebeU^ Angaben gleid^t
biefe ©d^rift ben anbcrcn, meldte gleic^^^eitig unb nad^^er in ben
Slicbcrlanben erfc^iencn finb. 3"9lci^ \^^^^ er feine (Jigcnmäd^*
tigfeif fort : ol^nc 3"ä^e^""9 ^"^c^ Äird^cnrat^e^ ujieö er bie ßeutc
oom Slbenbma^le jurücf, fo bag bie Qaf)l ber Sommunicanten
fic^ Don 70 auf 15 üerminberte; er unterlieg ben ©ebraud^ bcS
Soterunfer, n)eil Untoiebergeborene cd nidjt beten fönnten, o^nc
cd 5u entehren; er öcränberte baölaufformular; ujcnn bie STcltem
bc^ Äinbe^ i^m alö unnjiebergeboren galten, lieg er in bem ®C'
bete: ,S)u tooUeft bieö 5Bein Äinb gnäbig anfe^en", ba« SBort
®ein aud. Snbli^ ju SBci^nac^ten 1682 lueigerte er ftd^, bog
Hbenbma^l überhaupt aui^ut^eilen, n)eil auger t?ier äßieberge«
borenen bie @emeinbe bed ©acramentd unmürbig fei; et looQte
392
burd) bicfc^ SRittel eine aOgcmcinc äSefe^rung herbeiführen!
3ebo^ folgte biefcm (Schritt bte @uSpenfion üom S(mte bun^
bie SlaffiS auf bem t^u^c, unb aU 9let^enud fic^ be^arrltc^ ni^t
fügte, nad^ fcc^ö SBoc^cn (15. gebr. 1683) bie «mtöentfelung.
ffirft feine greunbe in Utre^t überjeugten i^n, ba§ er für feine
eigene $erfon nic^t ju jenem Slete ber 2)i^ei)){in bered^tigt gc^
njefen fei. Vorauf richtete er an ben ^rinjen Don Dronien bie
Sitte um Erneuerung ber Unterfuc^ung unter bem Vorgeben,
feine ©emeinbe merbe geneigt fein, i^n tuicber an}une()men. Stdein
bie abbitte, \üc\(i)c er bei biefer i^m betoiUigten Steüifion feiner
©ad^e leiftete, üermod^te bie einftimmige SBeigerung ber ©emeinbc,
il^n n^ieber aufj^une^men, nic^t ju übern)inben. (Er mugte fic^
begnügen, t)on ber StaffiS für red^tgläubig unb anfteQung^fä^ig
erllärt ju njerben ; unb erreichte bemnäc^ft aud^ »ieber eine Sc
rufung nad^ ©ulpen in ber Slä^e üon TOoftric^t; f))äter folgte
er einer Berufung nac^ Sirftein in ber ©roffd^aft Sfenburg.
(E^e nun 9let^enud @c^icffa(e n)eiter oerfolgt n^erben, ift ^
äWecfmägig. bie gögc feines S^araltcrö, »eldje blöder öorgcfommeii
finb, nämlid^ bie ^errfc^fuc^t unb bcn (Sigenfinn, burd^ badjcnigc
ju üerboUftänbigen, toa^ bie Apologie borbietet S)iefelbc ift ein
33ud^ oon faum erträglicher ©efd^macftofigfeit. ©ie foQ boö Un^
rec^t nac^rteifen, ujeld^eS Sletl^enuS in feiner Stellung ju Sirftctn
erlitten l^oben UjiQ. Qu biefem Qtocd n)ä]^lt er bie ^omx bcö
©efpräc^eg. weld^e bei ben nieberlänbifc^en ÄSfetifem übli^ '?•
unb oerbraud^t p aQen möglid^en (Erörterungen in ber @vra#
Kanaans, bie oon griec^ifc^en unb lateinifc^en @ebic^ten gleici^cn
Snl^alteS unterbrochen werben, 140 ©citen, bis er ben ®tici
eines fie^rerö in Tübingen mitt^eilt, ber i^m bie beöorftel^cii^
©erufung nac^ Sirftein anfünbigt. ®iefer ©rief toürbc 4 ö^^
5 ©eiten füllen; er ift jebod^ burd^ erbauliche (ijcurfe auf ^
©eiten auS einanber gejogen. ®ann verbreitet fi^ ber ©eri^^
über Sletl^enuS früheres Scben unter berfelben ©ebingung t^^f
©. 223-371; bie »irfteiner «ngelegen^eit reicht bcinac^ ^
©. 688. ®aS ©anje ift na^ ben ©ilbeni beS S^icrfrer^^
eingct^eilt, n^orauf ber Slcbentitel beS SBud^eö l^intoeift. ^^
Schreiber fagt jujar bei (Gelegenheit: „©o oft id^ mid^ unb m^*^
I^un unb Arbeiten an ©otteS SBort unb meinem ©ctoifW^^
prüfe, »0 bleibe id^ bann? bann fu^e id^, in bie tiefftc 9liebrr^Ä*
feit t^erfc^lungen, ganj tok ein SEBurm in bcn Äbgrunb mci^^^^
393
9ltd^tigfctt niic^ jii frümmcn, unb mxä) in (S^rifti SSunbcn ju \)cx*
bergen, um nod) einigen Iroft ju finben." ®iefe^ 95clenntni§
jcbod^ miegt ben (Sinbcucf ber breiten @eIbftgefäUigfeit nic^t
auf, n)eld^e [ic^ in ber totalen @efd^nmcfIo[igteit ber ^ax»
fteQung fptegelt. tiefer (Sinbrud mirb beftätigt biird) bie 3(rt,
n^ie 9let^enuS feine Stbfe^ung in Saerl berührt. @r fagt ni^t
ganj( in Uebereinftimmung mit ben Sleten: ,,$l(S ic^ einmal baS
^benbma^I aufgefc^oben ^atte, um, menn man mir gefolgt n)äre,
eine gute Siefonnation ber ©emeinbe burd) ©otteö @nabe l^er«
bcijufü^ren, um fo me^r, alö bie ujenigcn grommen meine ^eilige
äbfid^t biUigten, tparb id) uon bem ©ant)ebrin ju 2Keur^
mcineö Slmteö entfefet. 3c^ fc^öme mic^ barüber nid^t, ^abe üieU
mc^r unauöfpred^lid^e S^cube, ba ic^ weife, bafe aud^ biefe^ Seiben
eine ^errlic^e ^crle an meiner Ärone in i&pigleit fein wirb."
Älfo wa^rl^aft ift er in biefem 3f<^Uc fo wenig gewefen, alö ba
er feiner 3cit bem ^ringen üon Dranien üorftellte, feine ©emeinbe
werbe i^n gern wieber annel^men; biefer ÜKangel aber ift fo wie
er bei felbftgeföQigen SRenfc^en öor^ufommen pflegt. 3" f^'"^^
Sntf^ulbigung bient freiließ, bag er geiftig nic^t ganj gefunb ge«
wefen fein fann. S)er leufel l^öt i^m oft feine SBüc^er burc^
einanber geworfen, unb anbere hoffen ongetI)an; femer ift er,
inbem er jum @c^winbel geneigt war, jweimal burc^ bie £uft
entführt worben, aU er fc^male ©tege über ©röben ju über-
fc^rciten l^atte. Sr ift nämlic^ in bicfen gäHen ol^ne ©ewufetfein
über bie gefäf)rlic^e Stelle l^inüber gerannt. 3lber eben baburd^
ift ein gewiffeö 3Rag oon ©c^irnaffection angejcigt, welche jur
öcurtl^eilung feiner geiftigen SSerfaffung nic^t unbead^tet bleiben
barf *). Ober waS foll man fonft baju fagen, bafe Slet^enuö mit
©enugtl^uung bejeugt, bafe nidjt nur jene brci ©lieber ber ©e*
meinbe ju ©aerl, weld^e juerft feine änfteUung burd)Ircuäten,
fonbern aud) onbere, bie i^n wegen feiner ©trenge Dorf lagt ^aben,
1) (Sr (at Qu4 in berfelben SBeife toit 'Mmax ben Teufel fiefe^n. 913
er einmal in SBefel eine befeffene gfrau befugte, unb t^r bie S^Snblid^fett ber
6ünben als SEBerfe beS Teufels üor^iett, tt)a§ geWo^? .*5)a ßlo^te mic^ ber
W|e ®eifl mit unb ouS ben ^ugen ber belegenen S^au fo grflulid^ on, rtnb
)eigte mir ein fo fd^recflid^ei ^eft^t, bog i^ bie gräftlid^e (Srfd)etnung, bie mir
iu)4 itifi, »enn i^ boran beule, Dorfommt, mit metner {Jeber nid^t befdjreiben
fann. fo bdf unb aornig fal^ mi4 unb f^naubte mic^ ber 2:eufel mit einer fe^r
(irftnlt^ loutenben 9?abenf!tmme an."
394
clcnb uub fc^recflid^ ju @iunbc gegangen finb, „atö menn ber
§err micft bei ber^anb iiä^me unb [agtc: ©ie^c ic^ bringe folc^c
Urt^eile über bie, tüeldjc [i^ bir, meinem S^icner mibcrfeftt ^oben,
fo fommen [ie um!"
9luf ber ©teile in ®ulpen blieb 9ietl)enuö nur wenige 3a^re,
^ielt l^icr feine ^atedjifationen unb SBod^enprebigten unb fc^te bie
Sonucntifel and) Quger()alb feines SBo^norteS fort. O^ne SoIIi^
fion tarn er aud^ !)ier nici^t auS. Söejeid^nenb für feinen ©tanb-
puntt ift eö, baß er bei ber äWaftric^ter Klaffte mcgen ber Äeufee^
rung Derflagt iDurbe, ein £)i:tI}obo£er, ber ben ^atec^idmud red^t^
gläubig auflege, fönne tro^bem ein falfd^er ^rop^et fein. 3m
§erbft 1690 aber umrbe er Don bem ÖJrafen SBil^elm iD^ori^ Don
Sfenburg^SBübingen juSöirftcin (om füböftlic^cn Abgang beöSogcfö«
berget nac^ bem ^njigt^ale ju gelegen) alö §ofprebiger, 3nfpcetor
uub (Sionftftorialratl) berufen, nad^bem ber fd^on ertoa^nte Srief
hc^ ©c^ulnieifterS @}eorg Smalb ju Tübingen im auftrage ber
©räfin (geborenen 3fcnburg=ÜReerl)olfe), einer frommen S)ame,
oorangegangen mar, unb9let^enu$ inj^mifd^en fid^ perfönlid^ Dor«
geftellt unb jur $robe geprebigt ^atte >). (Er ^atte ed jugleic^
übernommen, für bie ©c^ule in SBirftein in ben 9licbcrlanben
5U eoUcetiren; nad^ $luSfü()rung biefeS @efct)äfted trat er im
grütjja^r 1691 fein neueS ?lmt an. 6r mar fc^on burd^ feinen
@orrefponbenten barauf uorbereitet, bag bie d^riftlic^c Stlbung
in ben i^m anjuoertrauenben @emeinben einen niebrigen ©tanb
bet)auptete. $11^ nun bie angeftellte SBifitation il^n oon ber alU
gemeinen Unmiffcntieit überjeugte, meldte ja ber befonberc ©cgen^
ftanb feiner ©ead^tung mar, fu^te er biefelbe burc^ bad SRittcl
ju Ijeben, metc^eö er fd^on in Söaerl probirt ^atte. (5r fc^tug
nämlid^ in ber il^m aufgetragenen 3nftruetion für bie $rebiger
uor, bag jur (^ortfe^ung ber unDoQenbet gebliebenen 9ieformation
junädift bie ^eier beS 3(benbmaI}lS auf ein ^albed 3a^r audge«
fc|}t merben {olle, bamit bie @iemeinben injmifd^en ju ber not^igen
(Srfcnntnig gebracht unb jum fruchtbaren ®enug beS ©acramcntS
vorbereitet mürben. 6S ift auffaöenb, bog bicfc $robc ber SSäciS-
1) ®oebfl @. 3va tnad^t bie unrid^tige ^n^aht, bafi 9iai^enu8 Jtüäf*
folger M 1687 na<i^ SRüI^tm an ber 9lu^r abdcgansenen fSud^elbex (6. 377)
Oetoorben {et. ^te|er aber (atie in tBflbtngen geflanben, tso bt§ 1693 ber 9rof
3o(ann ftafimtr regteTte. S)te tBtr(!einer trafen btn>eten eine 9tebenlime ber
$übtngen(<i^en Qauptlinte.
395
^cit be^ 62jä^rigcn äJ^anne^ bic ^J3iUigung bcd @rafcn iiitb bcr
^rcbiger mit ffiincr SluönQl^tnc erhielt. 3nbcffcn bic ©tellung
bcö Wefortnatorö in öivftcin ift tDo^l fct)r halb eine ^öc^ft
fc^ipterigc gctüorbcn. ®r behauptet jtoar, bQ§ bic ©cmciiibc ba*
fclbft fic^ üon bcr Slidjtiflfcit feiner SRct^obc übcrjcugt ^abc,
unb erjä^tt nur bauon, bog fein Vertrauen auf bcn genannten
SiDalb, ben er in bod Sonrectorat ju 93irftciu gebradjt ^atte,
burc^ benfclbeu gctäufc^t unb bag burd^ beffcn Sinf(üftcrungen
and) bic @)räfin i()m ungänftig gcn)orben fei. Sener ^obe i^n in
ben Stuf beet @ocinianidmud gebracht, n)cii er auf bic Heiligung
bed fiebenS gebrungen ^abc. Stixx}^ 9let^cnud n)iQ auf ba^ Slcugcrfte
übcrrafc^t gcujcfcn fein, aU er nad^ fünfjähriger SBirIfamfcit im
3rcbcuar 1696 öor eine Unterfuc^ung^commiffion gcfteUt würbe,
um fic^ über 45 Hnflagcpunftc ju t}crantn)ortcn. fßon bcnfelben
faQen mand^e in bo^ Gebiet be^ ^latfd^eS unb finb ganj irre^
IcDont. Slnberc aber ftcllcn bic unglaublid^c Xafttofigfcit unb
(£igenmad^tig!cit bed äJianncd feft, n)c(c^cr bic Umftänbc ^^u bc«
urt{|ci(cn cntioeber nic^t fö^ig ober nic^t n)iaig toax, (£r ^attc
nämU(^ n)ieber]^oIt im officieüen ^ir^cngcbet für feinen frühem
fianbe^^crrn, ben ^önig äBil^cIm IIL üon Snglanb gebetet,
^atte einzelnen @cmeinbcn ba^ Slbenbma^l brei Viertel 3a{|r
lang t)cm)cigcrt, einen Sonfirmationdunterric^t wn anbert^alb
Sauren bcriangt, bad "Sbcnbmat)! nac^ niebcrlänbifc^er @ittc im
@i|en gefeiert n)iffcn moQcn, bcn Zaufpat^en ein (Examen auf«
genSt^igt, ()attc bic ©emcinbcgUcber mit groben ©d^impfnamcn
belegt. Snblic^ n)irb i^m nod^ vorgehalten, bag er bic SBieber«
brtngung bcr Scrbammten mit Sludnal^mc bed Subad Ic^re. (Ed
ift bcjctc^nenb, \ok biefer fonft auf Sicd^tgläubigfcit bebac^tc
äRann ft^ burc^ biefen @a^, ber gerabe bamalS t)on bem bc^
fannten ^etcrfcn (eb^aft uerfod^ten n)urbe, tjatte locfen laffcn.
Sie @ud)t na^ apartem fird^lid^en 93cr^alten fc^Iägt aber fe^r
Ici^t in fold^c @}clüftc nac^ geheimem SBiffcn an^. Senn biefe
Hnllage loar nid^t crfunben; 9let^enu^ bcfennt, er fei burd) biefen
®a^ in SScrfu^ung geführt tDorben, l^abc jebod^ nur ju ber
frommen ©räfin unter bem ©iegcl . ber JBcrfdinjicgen^cit baoou
gerebct, unb fic jur Uebcrlegung bcr @ad^e aufgcforbcrt. ISr bc-
flagt fi^ über ben Sruc^ bed äJertrauciflS burr^ bic Same. Scr
Su^ang ber Untcrfuc^ung xoax, bag 9{et^cnuS auf bic @cfe^c ber
3fcnburgifd)cn ßird^e Dcrmicfcn unb jur Säeobad^tung berfetben
396
angehalten tüurbc. 3)ie[c§ aber üenodgcrtc er birect; ®efc|c
[inb 9lefee, [agt er; unb jugtcic^ erllärte er bcm ©rofcn, ba§
(äljriftu^ ber cinjige ©cfe^gcber bcr ^ird^c fei, unb feine au^ bcm
göttlid^en SBortc crfennbarcn ©cfc^e burc^ feine S)iencr, bie $rc^
biger, jur Sluöfü^rung bringe, bcr @raf ate toeltlic^c Obrigicit
befifec tcin bifd^öflid^eö 5lmt, fonbern l^abc in ©infi^t bcr fiir^c
fic^ S^rifto unb beffcn Wienern cinfa^ ju untcrnjcrfen. darauf
erfolgte bie ©uöpenfiou öom Stmt unb ©nfommcn. S)ic Urt^cild»
lofigteit üon Slet^enug jieigt fic^ nun barin, bafe er ot|nc trgcnb
etma^ l^on feiner firdjenred^tlid^en Snfid^t jurücfjune^mcn, um
9ieftitution in fein Slmt ober um e^renDoQc Sntlaffung bittet.
®ie lefetere lüirb i^m ^u Xfieil unter bcm 6. ÜRärj 1696. S)fr
65raf mar ieboc^ geiüiffcnl^aft genug, bie Acten ber t^cologifc^cn
gacultät JU SKarburg öoräulegcn. S)a^ SSotum berfelbcn, über
ujcldieg 5Retl^cnuö feinen @rimm unb §ol^n auöfc^üttet, ging ba^in,
bag aQe feine ^anblungcn i^n als ungeeignet jum ^ird^enamt
in 3)cutfc^lanb erlüiefen, ba er in feiner Unöorfic^tigfcit unb
Mücffid^tölofigfcit bie buvc^ bie Sicid^eöcrfaffung bebingte ©cftalt
bc^ lanbcö^crrlic^en Sirc^cnregimentS nid^t uerfte^c. STUcrbin!)«
ber SnbepcnbentiömuS, ben fic^ Slet^enuS einbilbcte, paßte nic^t
in bie @raffd)aft Sfenburg; aUein er paßte auc^ iDcber in bie
f^nobalc Drbnung, nod^ in ben Stammen einer inbepcnbenten ®c^
meinbc. Slet^enuö tt)ollte in feinem 9fieüier unumfc^ränft fd^altcn;
er moUte ba§ Sted^t bcr Äird)c nac^ feinem inbiöibueQcn ©ctmfföi
ober nad^ feiner Saune madöen. Unb auS welchem SRc^tStitet'^
barauö baß er ein Xiencr ©otteö, unb baß er auf bcr t)ini^*
lifd)en Sltabcmic auSgebilbct fei, ujie er mit Berufung auf Wo"«^^
ben SDZarburger Ideologen jur S8efd)ämung öorplt. 3)iefcS n^^^
fein grcibricf ! 2lber mä^renb er bicfe ©cgner ujegen bcö Suri^^^
ftilS i^rcö ©utadjtcnö: Decanus, Senior, Doctores et Professo^^
Facultatis Theologicae in Academia Marpurgensi — öcr^öf)
ift il)m ganj Verborgen, baß bie ©prad^c ^anaanö, in bcr er
beioegt, aud^ nur ein Surialftil ift, bei tüclc^em fd)ließlic^
manb fid^ etmaö bcnft. 9lur bie Wenfc^cn im ^ßarabtcfc ^at
feinen Eurialftil, aber aud^ leine Kleiber. Slctl^cnuS l^ättc l^öc^fti
in SBieuroerb bie für i^n paffenbe ©teile gcfunbcn : bort
regierte fc^on ^üon. €r ift in Slmftcrbam für unS öerf d^oE- ^^
397
19. l&er ^tetti^tttiii^ iu beu mittelbentfd^en @eBtetett Ut
reformirten Jütc^e.
UeDeroII in 3)cutfc^lanb, ido bcr (S^tüini^mu^ burc^ bic
lanbcöfürftlic^c ©etoalt unb in Srcmcn bnrd) bcn 9lat^ jum
firrf)lid^cn 3)Qfcin gebracht Ujorbcn ift, f)at er [ein am mcijten
d^araftcriftifc^eö 9Rerfmal, nämlic^ bic 2)iöciplin burc^ bie ®e-
mcinbc, aufgeben muffen. SSon Dorn herein xoax biefcö nicf|t 6e:=
abfic^tigt. SSielmel^r ift in ber ^fäläifd)en Äircftcnorbnung üon
1563, bcr §efftf^en üon 1566, ber SlüffüUsaJiflenburgifd^en (ju^
gicirf) für SBittgenftein, ©olmö, SBicb) üon 1586 baö Snftitut bcr
©cmcinbc^Slclteften jum Qtvcdc ber Q\iä)t aui^brücflic^ anerfannt 0-
Snbcffcn für bie ^fäläifd^e Sirene ift fd^on bur^ bic 1564 er.
laffcnc ftir^cnratf)^orbnung ctroaS ganj^ anbcrciS fcftgcfefet tt)orbcn.
Unter bcr Dbcvauffic^t beö Äturfürftlic^cn Äirci^cnratt)^ follcn bic
ämtlcutc bic Äirc^cnpoli^ci üben, unb ujcnn c^ nöt^ig ift, follcn
fic üon bcn Äirc^cnbicnern mit aller 93efc^eiben^cit an jcncÄmt^«
p^\d)t erinnert toerbcn. S)abci wirb bie ©mjartung audgcfpro^en,
ha% ^iebur^ bic Slnwenbung ber geiftlic^en ©träfe au§ bcm
SBortc ®ottcö erfolgreicher fein unb bie (^communication mög^»
lic^ft ücrmicben werbe*). 3n Reffen ift bie ©emcinbebi^ciplin
Derfümmert, feitbcm 1568 burc^ bie ©ö^nc bed Sanbgrafen ^f|i*
lipp ba^ ©^ftem ber au^ geiftlic^cn unb Weltlichen Beamten ju^
fammcngcfc^tcn ©cncralf^noben unb enblic^ 1610 bie lanbe^^crr^
iid^cn ßonfiftorien eingeführt würben »). Die Slaffauifc^e Äird^en*
4)rbnung aber, weldjc bircct bic Scfd^lüffe bcr ©^nobe ju 9)iibbcl=*
bürg öon 1581 copirte, ift nicfjt longe in Äraft geblieben*).
^un war in bcn Slicbcrlanben ber Änfpruc^ ber ©cmcinbcn an
ftrcngc S)idciplin bcr $unlt, um ben ficSö bic E^riftcn fc^aarten,
la>d^c cd urfprüngtic^ auf bic 9!cformation bcr ©itten in ber
1) Stifter, fttrc^tnorbnungen II. 6. 265. 292. 476.
2) «. 0. O. 6. 277. 282.
3) Stifter, 0ffc(tc(te ber eüangeliMen ftir^ntDerfaffung in ^eutfc^Ianb
>. 187.
4) ^etiOG, ^taU(&ntr^tlopMt X. 6. 219.
m
Äird^c abgefeiert Ratten, unb tüeld^c lt)citerl)ii! \x6) für bic 6r^
neucrung bcr Drbnungcn ber ältcftcn Sirene unb bic üottc Un*
abl^anglgfcit ber Äird)e öon ber ftaatlic^en ©emalt intcrcfjtrtcn.
SBcnn alfo bicfe Sicformtcnbcujcn an^ bcn Sliebcrlanben in bic
mittelbeutfd^cn Territorien übertragen werben folltcn, fo fehlte
[)icr ber Stnfniipfungöpunft für bie SBilbung folc^er ßonuentifcl,
Ujcld^e tt)ic bort gerabe bie firc^Ud^e ©efinnung ^egcn unb auf=
rcc^t erhalten looHten. 3)af)er üerloren bic ©ruppen, n)elc^e fidj
^icr auf bie üerfc^iebenen Aufgaben jcitgemogcr Äirc^cnrcfonna*
tion einließen, bircct ieben ß^fö^^'^^n^öttfl ^^^ ^^^ bcftet)cnbcn
iürd^e. 3)er ^ietiömuö toirb in bem mittelbeutfc^en ®ebictc
unmittelbar feparatiftifc^, tt)cil ber SDJangel ber ©cmeinbebi^iplin
in bcr ^ird^e eS i^m unmöglich machte, feine Stellung in ber
^ird^e ju bctiaupten, unb baS Siecht auf biefelbc bcn Ruberen
glaubtid^ ju machen.
1. 3)ericnige, xodd)a I)icr bic Scnjcgung eröffnet, ip
§einric§ §orcl)e *), ein leibenfdiaftlic^er, uneräogcner, mit
S^cufelöfpuf geplagter, geiftig ungefunber unb in feinem Stcfor«
mationStricb urfprünglid^ auf lauter Sicugerlic^fcitcn bebac^tcr
äJ2ann. (Er erinnert in feiner aUgemeincn Gattung am meiflcn
an Slet^enuö. ®eborcn j" ©fc^tücge an ber SEBcrra 1652, \fii
er in ajiarburg öon 1670—79, baätt)ifc^cn aber Don 1671-74
in äärcmcn ftubirt, unb ^icr bcn (£inf(ug Don Untcrctjd erfaßten,
^te Begleiter cine^ jjungen (Sbetmannd befuc^tc er nod^ auf juici
3a^re bic reformirte fic^ranftalt ä^3)önjig unb bic Uniocrfitätcn
granifurt an bcr Ober unb Seiben; ^icr ^at er einen jicmlic^
langen Slufent^alt genommen. 3)ie 3)cbingungen fcincd Suftrc«
ten^ al^ $ietift liegen o^ue 3^^'^^ ^^^ ^^^ Siumirfungen, nx:(c^
i^m in SBremen unb in fieiben ju I^eil »urben, unb cd ijl
burc^auö fein @runb ertennbar, »arum bic neueren Seritötc^'
ftatter eine Äbtjängiglcit §orc^e'ö öon ©pener behaupten. 3)cnn
allc^, \oa^ ^ord^c oon ©pencr ^ötte annehmen fönncn, lö|t ^
1) 34 folfic in ber 2)arfieaun9 burd^au§ ^oc^^utl^, i^etnn^ ^^
unb bte p(tlabelpttf<i^en ®emetnben in Reffen, ®ttter«Io^ 1876. ^et 9tiH^
biefer forgffilttgen 9Rono0TO))^ie benu^t ntc^t nur bie flberaud jatlrett^
S^iiften bon ^or<i^e, {onbern oud^ eine Sl^enge bon ard^tbalifd^m Vtaitv^l
Sgl. no4 ®oebeI II. S. 741—751, unb $ao8, SebenSbef^teibung bei ^
rfl^mten Dr. ^etnri^ Qord^e auS Reffen. Gaffel 1769.
399
bircct t^eilö toon Untcrct)d, t^cilö Don bcn nicbcrlänbifd)cn @in*
pfiffen ableiten, njclc^c $or^c in Seiben berühren mußten. ^ord)c
tpuvbc fd)nen ^intereinanber 1683 Diafonuö in ^eibellicrcj, 1685
^ofprebicjer ber ?ßfalj(flrdfin Don ©immern in Srcujnac^, 1687
^rebigcr tüieber in ^eibclberg, 1688 an ber beutfc^=refürmirten
©cmeinbc in 5i^ö"^f"^t ^^ 9Kain, enblic^ 1690 ?ßrofeffor unb
^rebigct in ^erborn, nad)bem er fc^on 1686 in ^eibelberg bic
tfjeotogifd^c 3)octonoürbe empfangen ^atte. SBa^ man über
feine *iptigfeit üor bcm ©intritt in bie ?ßrofeffur ju ^erborn
erföl^rt, läßt pnäc^ft erfennen, bag er wie Sletljenuö eine reichere
unb fefterc @rlenntni§ ber d)riftlid)en Scl)re in ben ©emeinben
alö bic SBebingung für bie Söfung ber prattifd^en ?lufgaben bc»
ß^riftent^umö anfal). Um iunäd)ft jenen 3^^^^ ä" beförbern,
^ielt er in ^rcujnac^ unb in i^rantfurt mit befonberem i^leiß
bic Äatec^i^mui^übungen, welche für jene ©tabt auc^ burd^ bie
^följif^e Äirc^enorbnung uorgefc^ricben n^arcn '). 3"fltcic^ ^at
er in feinen $rebigten ber uon Soeeejui^ entlehnten ISrmartung
bed l^errlic^en ß^ftanbei^ ber ^irc^c unb ber Hoffnung ^ludbruct
Dcrlic^cn, bag jugleic^ bie Suben unb bie Reiben belehrt fein
mürben. SeneS 3i<^t ift ^^^ ^^^^ ^i^ ^^^ ^^^^^ nieberlänbifd^en
^ietiften, baö SKotit) feineö (Siferd für bic Serbeffcrung ber (Sin*
ric^tungen ber Äird^e. Äu^er ben ^ated^ifationen, bie er untcr^»
na^m, gehört ba^in, bag er bie @emeinbe j;u ^^rantfurt beftimmen
looQte, ia^ Hbenbma^l im ©i^en um bcn Zifd) ju begeben.
5Dicfcö ^roject lam freilid) nid^t jur Äu^^fü^rung, ba $ord)c a(g*
balb nac^ ^erborn ging, allein ^ier trat er fogleic^ mit einem
^rojcct berfelben Slrt ^eruor. an feine ÄntrittiSrcbe in ber ge^
bructten @eftalt ^ing er einige CoroUarien an, unter benen cind
behauptete, bag ber gemeine äRann nad^ 1 ^or. 14, 26 bad
Stecht ^abe, in ben gottedbienftüd^en Scrfammlungcn mitjureben.
^bex eine n)ie ber anbere Sorfd^Iag ^at offenbar ben ©inn, bag
bie nac^meidbaren formen bed @ottedbienfted in bem 3^it(tltcr
ber Stpoftel für ade Spod^en ber ^irc^c Derbinblic^ feien. Sen
SKangel biefer apoftolifc^en Sinrid^tungen aber beurt^cilte er
ctebalb aU einen Serftog gegen bad $rincip ber Steformatiun.
„Hüe bie S)ingc, fagt er, fo aud ©atand ©c^ule behalten finb,
lommen nid^t fiberein mit ben ®runbn7a()r^eiten ber Sflcformation.
1) «tf^ter, StOO II. 6. 2G1.
400
2)cr ®runb bcrfelbcn ift bicfcr, ba§ bic f)ciUgc ©d^rift fei bic
einjige unb DoUtommenc 9iic^tfc^nur unfere^ glaubend unb
©üttcöbicnftcö. Snbcm nun ctlicf)c noc^ fo fcft l^atten an
bcn äugcrlid^cn Zeremonien unb {Regicrung^arten ber Äirc^e, fo
Dor bcm I^ronc bog ©atan» ?ßlafc Ratten in ber erften ß^riften^
^cit biö in baö Dicrtc Sa^r^unbert, toa^ t^uu fic anbetet, oö
bag fie abroeid^cn Don bcm @runb, barauf bie Sleformation gc=
baut ift ... . S)enn bcfinbct ftd^ nic^t nod^ ^cut in ber cDan*
gcUfc^en Äirc^e eine äWenge folc^er Seremonien, welche nic^t auf
©otteö SBort, fonbern auf bem alten ©ebrauc^ ber erften e^riftcn--
I)eit beru{)et? ©riebet mau fic^ nict)t in einigen Äirc^enftänben
über feine üKitältefteu. 3a toa^ baö meifte ift, mac^t man nic§t
bc^roegen 3n)ietrad^t, inbem man Slnberen bie brübcrlic^c ©emcin*
fc^aft auftünbigt? SBenn ber I)eilige ^aulu^ über unfern iejigcn
Äir(^enftanb urtl)eilen foHte, ttjürbe er nic^t ju unö fagen wie
ivi ben Äorint^ern, nämlid) ttjaö 1 Sior. 3, 3. 4 ftcl^t?" ©iefc
Seugerungen ') berüf)ren ftc^ beutlic^ genug mit ber Icnbenj auf
{Reformation, roeld^e Sobenfteljn unb Sababie gehegt ^aben. Kur
ift bic 8[ntt)enbung auf beiben ©eiten uerfd^ieben. ^orc^c fu(^t
crft bie äußeren Cinric^tungen ber Äirc^e fterbei^uffi^ren, mW
jene 3)?anner fc^on unter ben %ü%en Ratten, nämlic^ bic einfa(^
Drbnung beö ©otteöbienftci^ unb bic ©lei^l^eit ber ©eiftlic^cn
o^ne JRangunterfc^ieb, welche in @enf unb in ben Wicberloubcn
galten. 3n ben 9iieberlanbcn aber bebeutete t)ie SJReformation
nac^ bem SSorbilbe ber älteften ©emeinbe bie ^crfteHung bor
©ittcnftrenge unb Die (Srreidjung ber perfönlii^en ^eiligfcit
SRun fönntc man geneigt fein anjunelimen, ba§ auc^ ^orc^e f^
biefen 3^^* Dorgefeftt unb nur uorläufig feine Äbfidjt auf bic
{Reformation ber gormcn Don ©ottcöbienft unb SSerfaffung U'
fc^ränft ^ätte. Snbeffen baDon pnbet fid^ für'^ ©rftc bei i^m
leine ©pur. ®r ^at in bem un^ bef^äftigcnben ä^itraum no(|
nid)t einmal alle firc^lic^en Sinric^tungen bed SalmniSmu^ in
t^rem ß^f^inmcn^ange tn'g Sluge gefaxt. SRan foUte boc^ ^
warten, bag wenn c^ i^m auf bic ^eiligfeit ber ©craeinbe alt»
lam, er Dor SlUem ber calDinifc^en ©emeinbcbtöciplin bad ©ort
gerebet, unb bagegen bie anberen $roj[ecte jurüdCgcfteUt ^ttc.
1) @<^nftmägtge Unterfud^ung ber Senbf4rei6en an bie fteben (ftrainnen
in 9lpen. fterborn 1693. S. 68. 73.
401
Sebod^ f)ai \\)n ctft DicfSa^re fpätcr feine ?lmt8entfeftung treffen
muffen, ct)e er „eine rcd)t unparteiifc^c Äirc^enjudit unb Iräftige
öeftrafung I)Qlgftarri9er ©ünber" aU SUtribut ber ©emeinbe p
forbern lernte *)• ®tefe ©rfc^einungen uerratl^en eine pd^ft auf^
faUenbe Sefd^ränlt^cit. $orc^e jeigt fid) birect nur für bic 3le==
form ber äußerlichen Orbnung bed ©ottejSbienfte^ nadf nieber*
länbifdjem ober urc^riftlic^em SKufter intcrcffirt, alö wenn beren
^erftellung bie ^auptfac^e iDäre; unb er ^ot oud) uon uorn
herein leine fljftematif^e anficht Don bem, tuaö in jener S3ejie:f
^ung notljnjenbig wäre, fonbern er ^ot fidj immer nur mit Sei*
benfd^aft auf einjelne ?ßrojecte geworfen.
3cner ©afc über bie greit)eit ber 8iebe eineig Scben in ben
gottc^bienftIid)en 5Scrfammlungen war ben t^atfäc^lic^en Um*
ftönben gemäß al3 wiebertäufcrifd^ gebeutet worben, unb eö ging
ein ©erü^t, baß in 2^^^^ ^^^ bem Sefuc^ ber ^erbornifc^en
§o^en ©c^ule gewarnt werbe. 3)aöon natnn nun ^orc^e ben
Anlaß ju einem ©einreiben an bie 3ürid)er 3:l)eoIogen, in welchem
er ftd^ auf bie ^raji^ ber ältcften Äirc^e unb bie Sluctorität beö
^ulu^ berief. @p le()nte juglei^ ben SBerbac^t ber 3Bieber*
täuferei ah, ba er bei ben beabfic^tigten c^riftlic^en Kolloquien
auf ?lnftanb, Drbnung unb Söefc^eibcn^eit gehalten wiffen wollte;
aU ob nid^t aud) bie SBicbertäufer biefe öebingungen ftellten.
2)a^ Sluffallenbfte babci ift, baß er für fein ^ßroject aud) bic
3uftimmung Don 93oct unb Soccejui^ in au$brü(f(id)en Zitaten
oiiö beren ©d^riften anruft. ©oU man c^ aber iJurjfic^tigfeit
ober galfc^l)cit l)eißen, ^orc^e ^at bie Sleußerungen unterf erlagen,
in wcld^en Seibe bie t^eoretifdje Slnertcnnung jener altd^riftlidjen
Uebung au3 prattif^en 8iüdfid)ten jurüdEnetimcn (©. 149). 3lu^
fpäter t)at er immer wieber biefer (Einrichtung baöSBort gerebet,
ebenfo ber urfprünglid^en ^^orm ber Slbenbma^löfeier. Stiaralteri^
ftifc^ für fein Sntcreffe an Sleußerlic^teitcn ift enblic^, baß er
auf bie Union ber eüangclifd^en ßonfeffionen bebadjt war, worauf
fc^on bie oben aufgehobene SRflge ber 3^i^tracf)t unter ben
©Triften ^inbeutet. ®r fc^eint wirtlid^ leine nä^er liegenben Un*
pttcn ober Uebelftänbe be^ c^riftlidjen fiebcnö beobadjtet ju ^aben,
fonft ptte er jene große ?lufgabe nid^t für fo bringlid^ geartet.
1) 6enbf4retben an feine Sul^Strr in ^erborn. Offenbati^ 1G98. 6. IS.
I. 26
402
(Sr \)at ju bicfcm Qtocd gtcii^äcttig jtüci ©d^riftcn *) ^crau^c*
geben, iDcIdjc ftd^ Dcrgcblid) bamit bcfd^äftigcn, bte Salöiitifc^c
?ßräbcftination§(et)re ben Sut^erancrn munbred^t ju mad^cn.
j)iefc ©tufc unruf)iger aber unfd^öblici^cr ^rojcctmaci^crci
fiat §orc^c im Sa^rc 1697 übcrfc^rittcn. «in 30. «uguft richtete
er an ben afabcmifd^cn ©enat ein ©c^reibcn, iDorin er bic ge?
fammtc 9Ket^obc be§ Unterrichte für unbrauchbar erflärte, nantent^
lic^ aud^ bie S3e{)anblung beö tljcologtfcfien ©tubium^ für ungc*
eignet bcr Äird^e ju bienen. „3)ie l^eutige Äircf)c, tote ftc öon
foIcI)en fd^ulgerec^ten ©ciftlic^cn regiert n)irb, ift, furj ju7fögen,
ein $immelreicl) öoll pilifcl^er ©räuel." 3^9^^'^ ffinbigtc er
auf ©runb uon Sifionen, bie er gel^abt ^abe, ba§ @nbc bcr^
3BeU unb bie 3lä\)c beö ©eridjteö an. (Sbenfo äußerte er fi4
gleid^jeitig auf ber Äanjel. 3)iefeö Sluftreten mad^t ben ©inbrutf
ber SBerrüdt^eit; unb berfelbe wirb nicf)t baburd^ öerminbert,
baß ^ord^e einen äWann ju feiner äuctorität ern)ät)It ^attc, ber
ben gleid^en SJerbad^t ertuedEt. 6in ©ecretär be^ ®rafen t)on
Solm^^SBraunfete, Söaltl^afar Sl^riftop^ Älopfer, offenbar ein
SBeigelianer, ^atte bie Uebcrjeugung, baß S^riftu^ in i^m lebe,
ba^in gemenbet, baß er felbft E^riftuö gen)orben fei, feine ©flnbc
me^r {)abe unb nic^t fterben n)erbe ; n)egen be^ SSerberbeniS bcr
Sirene Ijabe man fic^ beö öffentli^en ©otte^bienftei^ unb bcr
©acramentc ju entl^altcn; er nannte felbft fid^ ba^ l^errlid^e ^auift
ber ©laubigen. ÜKan ^attc feine ©eiftcöfranf^eit ober Slarr^cit
tt)ol)l erfannt, aber bei bem 9Rangel an Snen^eitanftalten i^n
auf bem ©c^loffe ju ©reifenftcin bei Sraunfete fcftgefeftt. 6r
burftc aber Sefuc^e empfangen, unb ^orc^e war im SKai 1697
bei i^m gen)efen. S3ei einem toiebcrf)olten SBefuc^e im ©eptcmfeet
^at ber mit bcr Sluffic^t über Slopfer beauftragte Seamte bic
Untergattung beiber ©d^roärmer niebergef^riebcn, unb bicfc^
S)ocument nebft bem 33rief ^ord^e'ö über ba& ©d^ultoefen würbe
nun oon ber ^Regierung ju einem SSer^ör gegen benfelben t)cr*
menbct, toeld^eö fd^on im Dctober oeranftaltet »urbe. Dbflkiti
^orc^e in feinen 8lntmorten SSieleö umging unb oerfc^lcicttc,
mie ®eifteSfranfe ju t^un Derftel^en, fo blieb er Dod^ im SScr^^
unb in einer nad^träglid^ abgegebenen ©rflärung babei, ba^ *'^
l) Noctium Nassovioarum semestre primum; SBa^rl^eit« unb S^^*
benf^ule. 1695.
403
Untcrricf)töinct^obc, namentlich bcr borl^crrfc^cnbc ©cbraud^ bcr
iQtcinifc^en ©prad^e Ucttücrflic^, bag er ju feiner ©eutung be^
8fieici)e3 E^rifti, b. f). ber Siät^e be§ ©erid^te« berechtigt, unb bog
er nic^t jum SBefud^ beö öffentlid^en ©otteöbienfteö Derpflit^tet
fei. 3)a$ lefetere n^ar ber ÄuigbrudE feiner geinbfeligteit gegen
feinen ämtö^enoffen §ilbebranb. @r n)urbe barauf im 9loöember
t)om ?ßrebigtamte unb üon ber ^ßrofeffur fuöpenbirt. Diefer ©d^ritt
regte ben Änt)Qng, ttjeld^en §orc^e unter ©tubenten unb ^Bürgern
in ^erborn genjonnen ^atte, fo auf, ba§ ber tuiebcr^olte Xumnit
berfelben militärif^e ©cgenn^irlung erforberlid^ machte. Me
SSer^anblungen, um ^orc^e jur Scfinnung ju bringen, fc^eiterten,
unb ed blieb nichts übrig aU bie Slbfe^ung, todd)c 15. Februar
1698 erfolgte. 6r n)urbc öon bem ©rafen Sol^ann ^ß^ilipp ju
3fenburg in Dffenbac^ aufgenommen burd) bie ^crmittelung be^
bortigcn ^ofprcbigerö Eonrab SBrügfe, bcr jmei Saljre öor^er ju
ber Gommiffion getjört l^attc, welche Siettjcnuig in Sirftein uer*
nehmen mußte (©. 395), icbod^, roie biefcr crjäf)lt, i^n nic^t
^attc fd^ulbig finben lönnen. 3n Dffcnbacf) burfte ^orc^e au^
prebigen. SBie eö fieifet, fuc^te er f)ier ju bereifen, bie proteftan«
tifc^e jiird)e fei ^mar burd^ bie Sfleformation aud bem geiftlic^en
9(egt)pten au!^gefiU)rt n)orben, ^abe jebod^ xok fiotS SSJetb jurfid^
gefeiten unb fei tuicber bal)in iurüdEgefe^rt.
2. S)urc^ iflüpfer tüar aud^ Sodann ^einrit^ SReifc *).
feit 1695 Snfpector unb $ofprebiger ä^u SBraunfclö, ju rabicaler
Dppofition gegen bie Sird)e Uerleitet Sorben, fo ba§ aud) er im
grfiftling 1697 abgefegt tüurbc. Obgleich er nun trofcbem nad)
^omburg u. b. §. berufen tüurbe, fo öcrlieg er alöbalb biefeö
Amt frciroillig micber, utfb rechtfertigte biefen ©c^ritt burd^ eine
©(^rift beö 3n()alteg, bog ber öffentlid^e ©otteöbienft unter allen
Confeffionen bem uerborbcnen Sabcl äfjulic^ fei unb bafe bie
grommen fid) uon bemfelben jurüdEj^ic^en muffen. Cr ^at jcbod^
bei ben ©eparatiften, mit bcnen er fic^ in ber ©raffc^aft SBittgcn^
ftein jufammenfanb, nid)t lange auSgel^altcn, fonbern fc^on im
3a^rc 1700 feinen 2Bot)nfife in Sffiefel genommen, tt)o er feinen
SBibcrfprud^ gegen ben öffcntlid^cn ©ottc^bicnft fallen liefe; er
^at bort big 1721 gelebt. SBir finb i^m fc^on aü einem ©d^üler
Untere^cf'd begegnet (©. 375). ®r wax öiel innerlicher gerichtet
1) Vorbei II. 6. 751 ff.
404
aU ^orc^c. Unb im Sontrafte ju biefcm ÜKannc bürfcn ^icr bic
©runbfä^e bcicicl)uct tucrben, lücld^c SReifc in bcr Sorrcbc ju
feiner „§iftoric bcr SBicbcrgeborenen" funbgiebt ^). 3n bcr ßwi^tift
an brci grauen, bcncn bcr crftc X()eil gctpibmct ift fprid^t r^
Dleifc a(ö feine ^crjenömeinunci au^, ba§ mc^r SBcib^* als
SKannöpcrfoncn njicbergcborcn unb fclig njcrben. ®r beruft pc^
babci auf bic cjlci^c Slnfic^t öon SSoet, ^cinric^ aJiüQcr, Untere
e^cf. äuö beffen Xractatc: bcr ndrrifc^c Sltl)cift, ffll^rt er als be=
fonbcrc ©rünbe bafür an ben j^ärtcren ?lffcct bcr SBcibcr, i^re
Siebe ju einem Oberhaupt unb t{)rc Untem)ürfigtctt unter ein
fol^eS, unb bag fie „ba^ero leichter ju jic^cn unb ju betDcgen
finb, beöorab burc^ Sieben unb Sieber, bic öon ß^rifto ate bcm
^aupt unb SJräutigam ^anbeln" ^). 3n bcr SSorrcbc crflfirt
Steife fe^r richtig, ba§ f ^ftematifd^c aSfetifc^e ©d^riften fel^r ^äufig
i^rcn 3^edE Dcrfe^Ien, ba fic bic ©rfaljrungcn cincö ©injcincn
alö muftcr^aft barftcllen, mä^renb bod^ ©ottcS 5ßrocc6 mit bcn
©eelen nidjt einerlei fei. S)e^f)alb betritt er ben SBcg ber ©omm-
lung öerfc^icbencr ScbcnSbilber. Unb jmar ift bcr crftc I^eil bic
Ucbcrfcfeung irgcnb einer englifc^cn ©c^rift bcr ärt. SlciJ ift
hierin bem SSorbilbe Don Untcre^cf gefolgt, bcr am ©c^luj bcr
„93raut E^rifti" eine 8iei^c gleichartiger anonymer SBcfcnntniffc
1) i^ißorte ber SBiebergeborenen, ober 6£empel gottfeliger (D^riflen, loit
biefetben erft t)on @ott gebogen unb befe^ret unb nad^ bieten i^Smpfen unb
lengllen bur^ O^otteS ®eift unb Söort }um Glauben unb 92u^ t^reS (^mW
flebraci^t pnb. 5 J^eile, rtoöon 4 in 4. ?lufi. 3bpein 1717. — Die S^rift
üon 9let^, Der geöffnete ^immel b. i. (Srflfirung ber fonberbaren (Sel^etmmfff beS
^immelrei^S, SBe^Iar 1696. 1706 — ^obe \ä^ nid^t erreid^en f5nnen.
2) ^efanntlid^ ift biefer gfaU im Mittelalter an ben !Ronnen unb ben
^d^tteftern bed gemeinfainen SebenS erprobt ttorben. Sfür bie ntftnnli^en ^
boten aber bot fid^ b am als als 6eitenpü(f bie Sere^rung ber Mutter (Rottet
bar. 3|l eS nun nid^t ein Unredjt im ^ietiSmuS, bafe berfelbe nur bie 2ieb(
3u bem Sröutigam 3efu§ mieber erneuert l^at, momit bo(^ aQein ben S^^
gcbient fein fann? SBeifter nid^tbaburd^ inbircct bie Männer au8 feinem Ä^"*^
binauS? i^ann er ftd^ alfo mit IRed^t über beren geringere Sm^fängli^kit b^
f lagen ? SiK ber ^ietiSmuS alfo feiner ^Ibftd^t auf bie Unterwerfung allct Ätt'
c^englieber burd^ bie ^ttedmögigen Mittel entf^red^en, fo mug er au(^ ben ^^
tuS ber Maria für bie Mfinner erneuern. Diefer Corfd^Iog ifl übrigen« m#
neu, fonbern bon ^ietiften, toie ßö^e unb Dietlein, bertreten. Ober foll ^
®id^tel nad^folgen, »eld^er ben Mfinnern in 3efuS bie ^immlifd^e SW^
So^^ia al§ bie Sraut ju erfennen unb ^u umarmen Vnmeifung giebt?
405
citglifc^er ^crtunft über SBefe^rung mtttf)eilt. grcilic^ ift biefe
Üitcrotuc nid^t gcrabe geeignet, bie Söe^auptung ju beiüci^ren, bQ§
©ottcö ?ßrocc§ mit bcn ©eeleii nid^t einerlei fei. ©ie folgen
©iner ©d^ablonc unb finb fo eintönig xok möglic^. @in Su§*
fampf, bcr bnrd^ Sebenöfd^idfale unb irgenb eine ?ßrebigt fierbei*
gefül^rt ujirb, bann grfa^rung beö griebenö, Sebcutfamfcit ge=
wiffcr S3ibe[fprüd^e, enblid) bie numerirte Steige ber Sennäcicften
beö ©nabenftanbeö — bieö finb bie in ollen @rjä^(ungen n)icber*
fc^renben ?ßunfte. 3d^ möd)tc üemtut^en, ba% hierin eineSBurjel
bcö 3Ret^obigmuö an ben Xag tritt, ndmlid^ ba^jcnige fc^ablonen^
^afte S^riftent^um, njclcf)eö bie bifc^öfli^e Äird^c in ©nglanb
JU ernähren im ©taube mar, unb n^elc^ejS fid) in einer fonft
nic^t Dorfommenben Unbefangenheit jur ©c^au fteCtt, roeil e^
»irflid^ in berfelbcn S3ejie^ung dußerlid^ tt)ie innerlich ift. S)ie
folgenben Ifjeile enthalten aber @rf|ilberungen einer 3D?enge Don
^crfonen an^ ucrfd^iebenen SSöIfern, ixoav üor^errfd^cnb refor^
mirter Sonfeffton, aber auc^ üon 3afob S3öl^me, Sodann Slrnbt,
?ßagcal, ©id^tel, ©ottfricb SIrnolb, ^ebinger in ©tuttgart, ©pencr,
©d^abc. ®iefe loleranj, tpeld;e SRcife and) in ber Berufung auf
luttjcrifc^e ©d^riftfteUer bemä^rt, fte^t offenbar in birectem SBer*
^ältni§ JU feiner füllen SBel^anblung ber öffentlid^cn Äirc^enorb^
nung. Um fo me^r ift er bafür intereffirt, baß man an^ ber
ßrfal^rung ben SBec^fel jtoifc^en ber großen unb göttlichen Iraurig*
feit unb bem banad^ erfolgcnben Xroft, griebe unb ^reubc lenne.
Darin, fagt er, finb unftubirte Scute oft gelehrter aU il)re Se^rer
unb SKeifter, unb fönnen cd in SBorten bejeugen, bie @eift unb
Äebcn finb. ffibcnfo finb bie SEBortc eined gottfeligen Se^rerö
Icbcnbig, Iräftig unb burc^bringenb, weil er fie „in fid) felbft,
feinem ^erjen unb ©etoiffen alö bem aDerftc^erften 93uc^ gelefcn
unb erfahren ^at." S)iefe Icnbenj jum unmeßbaren Snbimbualid*
mud wirb baburd^ beftätigt, baß bie Äinber @otted and) burd^
Offenbarungen, ©timmen, ©efid^tc unb 3;räume toon @ott ge-
warnt, ermuntert, getröftet unb geftärtt toerben. ß^fllcic^ aber
bcjcugt Steife bcn großen 9Jufeen ber befonberen 3"fontmentünfte
ber frommen, ba fie ftc^ unter cinanber üben, befpredjen, fragen,
leieren, t)ermat)nen, tröftcn unb ftrafcn, unb baö mit aller brüber*
li^cn einigfeit, Siebe, Unterwerfung, (Sebulb unb ©anftmutl^.
ajian Derioirft, fügt er ^inju, ^icmit bie öffentlichen firc^Uc^en
^erfammlungen nid^t ! Dad flingt aüerbingd fü^l genug. äBenn
406
a6er Steife mehrere Sa^re, c^c er bicfeg fc^ricb, ba^ gcfammtc
öffentliche Äir^enlDefcn tüeggetüorfen ^attc, fo unrb er in bcn
befonbcrcn 3wfommenIfinftcn ber glommen injn)ifc^en wo^l auc^
noc^ anbcre ©rfa^rungen gemad^t ^abcn, aU wcld^c er öor^er
bejcic^net.
3. §orc^e, aU beffen ©d^idfalögenoffe {Reife ju emä^nen
war, benufete naä) feiner Slbfcfeung bie SKufee in Dffcnbac^ 1698
baju, auf feine 8lnf)änger in ^erborn burrf) ©d^riften ju »irfen ^).
©ic bre^en fid^ um bicfelben fünfte, n^elc^e er, ate ed fid^ um
feine ?lbfefeung l^anbelte, aufredet erl^alten l^atte. @r toar auc^
gar nid^t ber üJieinung, feine bi^^erigen (Srfolge in §crbom im
©tid^e JU laffen. 8SieImel)r fef)rtc er noc^ öor bem ablaufe be«
Sa^reö 1698 ba^in jurüdf, mit ber Crflärung, er fönne feine
Seigren auc^ nic^t eine ©tunbc auffc^icbcn, n^enn i^n nic^t fc^njere
©trafen ©otteö treffen follten. Unb bie ©timmung berSürgeP
fc^aft in §erborn fam i^m entgegen. SSiele ©emeinbegliebcr
richteten an ben Sanbeö^errn bag ®efud), um ber Siebe E^rifti
njißen ben Unterrid^t öon ^orcf)c gu geftatten. @g tpurbe frei*
lic^ nur gugeftanben, ba§ man ju jtüci ober brei ^erfonen iffn
in feiner SBo^nung befud^en bürfe. Slllein bicfe (Sinfd&rönfung
n)urbe nic^t geachtet; ber 3"löuf ju $orcf)e ttjud^^, unb er ffcii
auf öffentlichem 9Karfte Dor .^unberten Don 3"^örern gerebct
(Sr ftanb au^ fc^on nic^t mel^r allein mit feinen feparatiftifc^en
Unternel^mungen. 3n §aiger bei §erborn grünbete ber ^fürrcr
^^ilipp Safüb Dilt^e^ feparatiftifc^e SSerfammlungen, nac^
bem er abgefefet n^ar, njeil er burc^ Älopfer Derleitet, fein Sinb
nid^t taufen laffen moUte. 3a t)on 93ern l^er fam eine ®v\ppt
uon ?ßiettften unter ber Scitung beö Sanbibaten ©amucl Äänig,
welcher im Slnfang 1699 au§ feinem SSaterlanbe öenoiefen worben
war, mcil er jum 3^^* ^cr SJotlenbung ber Sieformation üor
Stttem bie mi)c bcö öerrlicf|en Sieic^eg Sljrifti unb bie 9lic|tb
red^tigung ber toeltlidien Dbrigfeit in ber Äirc^e ücrfünbigcn jB
follen glaubte. S)icfer ÖJefinnung^genoffe begleitete alöbalb $ort^c
nac^ beffen SSaterftabt (£fcl)tt)ege, too bcibe l^alb öffentlich P^^^
bigten unb einen großen 3lnl)ang gewannen, bi^ fie burc^ ^^^
1) @enbfd^rel6en an feine 3u^5rer in ber Stixä^t unb (o^en @4uU )0
^erborn; Pampf mit bem ^^iere, ober ^ert^eibigung beS Senbf^teibenl (fl^^i^
ipilbebranb).
407
SScrbot bcr ^efftfd^eu 9ie()icrung fid^ ucranlagt fa^en, tpteber in
§erborn il^rc S33irffamtcit fortjufc^en; auc^ ^icr aber tourbc
cnblid^ bic SanbcöucrtDcifung gegen fie auögcfproc^eft. Scfetric^*
tctc $orc^c feine Slbfid^t auf ben in ffifd^ttjcgc gctüonncnen Sin*
l^ang. S5a er aber burd^ ba^ cnüä^ntc SSerbot ber ^effifdjen JRe*
gierung junäc^ft üert)inbert roorben war, bort ju roirlen, unb
burc^ feine Stemonftration erreid^t I)atte, bag er an bie X^eolo«
gifc^e gacultät ja 9Rarburg ju tüeiteren SSer^anblungen getpicfcn
iDurbe, fo führten biefe ju einem unern^arteten Slu^ang. @r
»urbe nämlic^ ju einer $aft üon 9 SÄonaten öerurt^eilt, unb
trat bicfelbe im SRoüember 1699 auf bem ©d^loffe ju SÄarburg an.
®icfeä ©d^icffal bientc ni(^t baju, i^n jur Sefinnung ju
bringen. 3m ©egent^eil fteigerte bie 83efürc^tung, bag fein ^lu
^ang fid) Derminbern möchte, feine Seibenfc^aft. 3)ie§ giebt fid^
junäc^ft in ber gefd^ärften SBeife funb, n)ie er bie ©npartung
bei^ SReidjcö S^rifti üerfünbct *). 6^ behauptet, ber Sräutigam
fei fdjon tüal^rnjefentlid) ba unb ^abc ben Slnfang gemacht, bie
Sraut ju fd^mücfen, er gen)a{)re aud) fdjon baä äraufen feinet
allmächtigen ©eifteS, unb biefer arbeite an i^m n)unberbar in ber
©c^ule ber ©elbftuerleugnung unb beö Äreujeö, bamit er feinem
Silbe unter bem Seiben äl)nlic^ werbe, ffi^ fei an ber Seit, baö
tobte SScfen üon ©arbeö aufjugebcn unb in ^^ilabelpljia ju
ipo^nen. SSor ber %f)üx fei ber lag, an bem ber ffingcl burc^
ben ©immel fliegt, ein ewigesi (Süangelium benen ju Derlünbigen,
bic auf ber (8rbc tpo^nen. 5Run baö finb bie betannten %öm
auö ber Soljanneifd^en Slpotal^pfe, wctd^e Don Cocceju^ ^er ben
$ictiftcn in ber reformirten Äirc^c geläufig geworben finb. Stilein
in biefem ßwfömmen^ang begegnet unö bie Sluöfic^t auf bie foge-
nannte S33icberbringung alö etwaö SlcueiS «nb Ungewot)nteö.
^9iad^ göttlicher weifer Stnorbnung ber Seiten foD aUeö waö im
^immel unb auf (Svbcn ift, burc^ ß^riftum unter fein erfte^
rechtmäßige^ §aupt unb Ureigent^umöl^errn wiebcrgebrat^t wer*
ben, welker ift ©Ott ber SSater unb ^eilige ©d^öpfer aller Dinge."
Darin, wie in ber Sieigung uon 9letl)enu^ ju biefer Se^re (©. 395),
ift nun oljne 3^^cifc( ber @influ§ üon Soljann SEBilljelm ^eterfen
1) ^Raranat^a ober Sufunft be§ ^txxn )um dert^t unb {einem (err«
It^en ^e\d^, »et^e ift bie ^od^jelt beS SammeS. 9n einem 6enbf4rei6en an
einen ^luber auf» feiner (^efangenfc^aft, 19. 9(pn( 1700.
408
ju erlenncn, tüclc^er feit bcr äbfefcung üon feinem $rebigtamt
iu ScUc 1692 eine Steige öon ©djriften fibcr baö taufcnbjäfjrige
SRcic^ unb bie SEBieberbringung bcr Sööfen Veröffentlicht ^attc*).
3)iefe Änftd^t ^Qt ja, feitbcm Drigenc« fte angebcutct ^atte*),
eine eigent^fimlic^c 2lnjiet)ungiglraft auf nid^tt^eologtfc^e Sicutc
geübt, äuguftin *) bcrücfftd)tigt fie aU bie äWeinung öon fratres
misericordes. 3m achten Sa^rl^unbcrt n)irb fie ätocimal bc^^
ftrittcn*). Sni neunten 3cil)röunbert ^ot So^anne^ ©cotud
ßrigena feine pant^eiftifd^e Sljeorie Don bcr SRücffeljr aller 3)ingc
in @ott auSbrücflic^ barauf angemenbet, ba§ bad SBöfe au^ aUen
SKenfd^en unb ®ämonen uerfrf)n)inben unb juglcic^ jcbc ©träfe
aufhören wirb, ba ba^ 93öfe feine eigene ©träfe ift*). SRan
mö^te uermut^en, baß bie SBieberbringung aud^ 5U bem ©cbanfem
freife bei^ evangelium aeternum geprt l^abe, ba ber ©a^ fi(^
auc^ als SluSbrud beS äugerften ®egenfa^ei^ gegen bie ^eil^
auctorität ber Äir^e ücrftcljen lägt. 3)irect lägt ftc^ bieiS frei*
lic^ nid)t bemäljren. Seboc^ fommt in örüffel 1411 eine libeD
tiniftifc^e ©ecte uon fratres intelligentiae jum S8orfd)ein, beren
Seiter äegibiud ßantor bie fdjliefelic^c ©rlöfung beS leufete unb
aller äßenfd^en behauptet ^at, unb jugleicl^ im ß^^t^lter bc^
©eifteS ju fielen behauptet ^aben foU «). 3n folc^en mittclaltrigen
DppofitionSmotiDen murmelt o^ne 3^^c'fcl ^^^ gleid^e Weinung
öon Satüb Äau^ unb anbercn S33icbertäufern ^), benen fi^ ^^^
bei fiampe ju Dergleichen ift, noc^ anbere ©ntöufiaften anfc^licfeen.
Ob ber ©a^ an ^eterfen burc^ Ucberlieferung gelangt, ober üon
il)m mieber fpontan entbedt n^orben ift, n^er toiÜ baS entfc^eibcn?
^eterfen mac^t für fid) auf bag le^terc Slnfpruc^. §orc^e jebotj
1) S5öl. swnt fölgcnben F. A. Lampe, de poenarum aeternitate
disputationes duae, in beffcn Dissertationes theologico-phiiologicae ed.
Dan. Ger de 8, vol. II. p. 70—74.
2) 9lebe^cnning, DrigeneS II. ©. 447.
3) De civitate dei XXI, 17. 23.
4) SBom ^opp ©regoriuS II. in bem Capitulare legatis in Bavariam
missis datum (Concilia maxiraa ed. Labbe et Cossart 1672. Tom. VI.
p. 1437) unb öon ^ImbropuS ?lutl)|)eriuS im Commentar. ad Apocal. (Bil>'
liotheca Patram. Lugd. 1677 Tom. XIII. p. 560).
6) De divisione naturae lib. V. 30—38.
6) Baluzius Miacell. ed Mansi Tom. II. p. 289—293.
7) gorneliuS, WünperiWc «ufru^r IL S. 260. 280.
409
ift nur biefcm SSorgängcr gefolgt, bi^ er fpäter fid^ wieber Don
ber aKcinung beffclben trennte. Ob er aber bei ber erften @nt«
fc^eibung für biefelbe fid^ öoDer geiftiger ©efunb^eit erfreut l)at,
ift ju bejroeifcln. SBenigftenö öeffiel er ein SSierteljal^r nad^ Slb^
faffung ber genannten ©d^rift auf bem ©d^loffe jur SKarburg
abtoe^felnb in 3;obfucf)t unb ^eil^uerjmcifelung, fo bag er fic^
otö falfc^en ^rop^eten befannte, ber alleS aM !^cud)dci gctl^an
^abe unb bc^^alb ücrbammt fei. 3)cr S^ft^^i^l^ fann nic^t lange
angehalten, fd^eint aber ^ord^e'ö ffintlaffung auö bem ©efängniffe
öor bem äblauf ber ©trafjeit herbeigeführt ju ^aben. ®enn f^on
»cnige SBod^en naä) jenem SBaJ^nfinn^anfaH ift er lieber in §cr^
born, n)o injn^ifd^en 2)iIt^eQ unb Sönig ungeftört geblieben
waren. Snbeffen war biefeö ia^ lefcte 2Jial, bafe ^ord^c in ^er*
born JU finben ift. ®r öcrfuc^te eö, feften SSol^nfife in ©fd^wege
ju nehmen, wo audf) bie SSerl^ältniffe i^m einen wiUfommenen
SBirfungöfrei^ barjubieten fc^iencn. äUein er gab auc^ f)ier fo
auffaUenbc 3^^^^" ^^ö SBa^nfinnö, bafe er im Slnfang 1701
wieberum in ©affel eingefperrt werben mu§te. 3njwifd)en war
bie ©d^wärmcrci in Reffen ju einem foldjen Umfange angewa^fen,
bag baS Sonfiftorium bie babur(4 l^erbeigefü^rten Slrbeiten nic^t
met)r bewältigen fonnte. ^c^\)alb würbe eine eigene Sommiffion
cingefefet, weld^e 1. ÜJiärj 1701 i^re gunction mit einem SKan^^
bäte antrat, bag ade 9ladf)rid^ten über entl^ufiaftifd^e Srfd^einungen
an fie ju richten feien, bamit bem Uebel fo Diel Wie möglid^
öorgcbeugt unb na^ Umftänbcn entgegengewirft werben fönnte
um e^ an^jurotten. tiefer Sommiffion legte ^ord^e am 23. Wlai
freiwillig ein @laubeni^befenntni§ ^) öor, weld^eö bie ?ßrobe feiner
toicbergefe^rtcn ©efunb^cit ift.
3n biefem Sefenntnig begegnet man juerft bei §orc^e ber
ßrfenntniß, bag C^riftuig aud^ jur Heiligung antreibt, ©eine
bisher berührten Schriften wcnigftenö finb ni(^t auf biefed Iljcma
gerichtet. Slber c^ ift bcjcic^nenb, ba§ er bie aufgäbe ber ^cu
ligung unter Sebingungen auffaßt, welcf)e bircct mit ber fat^o*
lifc^*mittclaltrigen 3)eutung 3\ufammcntreffen. Dicfeö ift üunä^ft
barin anfc^aulic^, bafe er bie Heiligung aU bie 9lacf)folge Sl)rifti
begreift, „bamit wir ben ?ßrocc6, ben unö bie Cüangeliften öon
1) «etiffcntl^t unter bem Xttel: Reinigung ber Äinber 2et)t^. Offen-
haäf 1701.
410
ß^rifto aufgcäcic^nct l^abcn, Don feinem ©tnganfl in bicfc SBcIt
biig ju feinem Slu^ganfl lebenbig in nnö erfahren." ferner er*
flärt er firf) gegen bie rcformirte Sinfdjräntung be^ abgcftuftcn
gortfc^rittö in ber Heiligung, nämlic^ bagegcn, bafe bic Solt
lommen^eit berfelbcn erft im 3enfeitö erreicht tverbe. „3ßdä)tt
gelbl^crr, fagt er, wirb iä einer ©c^Iac^t ober Selagcrung ju
feinen ^ricgöleuten fagen, eö fei unmöglid) ben geinb ju über*
njältigen ober ben Ort ju erobern, n)Qnn er fie jur lapferlcit
aufmuntern njill?" 3m SBcrgleic^ mit ber Slotl^tocnbigfcit be^
Scbenö S^rifti in unö finbet er ben äugerlid^cn ©cbrauc^ ber
©nabcnmittel j^iemlic^ roert^loö. Snbeffen ift er boc^ üon feiner
rabiealen Slbneigung gegen bie firc^lic^en Einrichtungen jurüct
gefommen. @r erflört auobrücflid), bag jum fteten änmac^fe«
im ©tauben unb in ber $eiligteit bie ?ßrebigt unb ber ©ebrout^
ber ©acramcntc not^menbig ift, erinnert aber jugleid^ baran,
njie biefe 2Kittel burd^ bie üor^errfd^enbe Slrt ber Amtsführung
nnioirffam werben. 55eöt)alb fc^iebt er aud) auf bic ?ßrebiger bie
©djulb baüon, ba§ Üßand^e ber Äird^e ben JRücfcn fe^rcn. ®r ift
jugleid) fo entgegenfommenb, ber Dbrigfeit ein Üiec^t auf bic
äußere Drbnung ber ftird)e einsuräumen, loenn eö nid^t ber ^ci^
ligen ©c^rift ?iun)iber geübt n)erbc, unb roill auc^ bcm bifc^öf^
liefen 9ied)t ber Sanbeöl^erren uort^eiIl)afte ©eitcn jugcftcl^cn,
obglcid^ eö nic^t im neuen leftament begrünbct ift. Snbeffcn
biefe ©inräumungen finb mcl)r t^eoretifc^ aU praftifd^. ®cnn
ber feparatiftifd)e Stnfprud^ an bie SBernjaltung ber ©acramcntc
tritt ttjiebcrum barin ^croor, ba§ „für beibc ein c^riftlic^er SBcr*
ftanb erforbert mirb, bort ^n einer geiftlic^en ©eburt, ^icrj»
einer geifttidjcn ^liegung, fo im ©eift unb ©tauben gefd^ic^t"
3)cnn baö bebeutet ben 9Serjid)t auf bie Äinbertaufe unb bie
biöciptinarifd^c ^ßeinlid^teit bei ber ßwl^ffi^nft h^^ 8lbenbino^|Ic,
bamit nur äöiebergeborene baffelbe empfangen, äugerbcm ftclltc
$ord|e ben ©afe auf, bag „@ott in bicfen legten ßcitcn ^
feinen ©laubigen noc^ auf mancherlei S33eife offenbart, t^eil^ 5»^
©rtenntnife feiner tiefen ©e^cimniffe, t^cilö ju tl^rer 3ä<^W"?'
Snbeffcn ift feine biefer Offenbarungen gleid^cr Sluctorität mit
ber ^eiligen ©d)rift, fonbern muffen na^ berfelben geprüft wer*
ben." 6r I)ielt alfo im SBcfentlid^cn an bcm Programm fcfl»
meld^eg feine SBcrföt)nung mit ber Äir^c nic^t tt>a§rfcl^cinli(^
mad^te. Unb biefcig beu)äl)rte fidj aud^ an ben fogcnannten #
411
Iabc(t)l^ifd^en ©emctnbcn, iDelc^c burc^ feine Slnregunci nid^t 6to^
in ffifc^ttjcge, fonbcrn and) in benachbarten Drten ju ©tanbe ge*
fommen n^aren.
4. S)aö (Sigent^fimli^e an btefen ©rfcfieinungen beiS fepa»
ratiftifdjen ?ßieti^muö ift junädift bie ^eröorragenbe JRoIIe, welche
bic SBeiber alö Scitcrinnen bcr ©cfeDfc^aft fpielen. Unb ttjarum
foüten fie nic^t ? ba i^re befonbere ©mpfänglid^feit für ben ^ietiö=
mu^ burc^ bie oben angefül^rten S^nq^n conftatirt ift (©. 404).
gerner fommt in Setrac^t bie Cintüirtung öon tl^eofopl^ifc^en
Sbccn. S)er ?ßieti^muö in ben Slieberlanben, fo weit ujir if)n
fennen gelernt ^aben, f|at fic^ üon quietiftifd^en unb tl^eofopI)i^
fd^en Sbccn rein erhalten, obgleid^ öö^mc feine SBere^rer unter
ben ^ollänbern befaß, unb ®id)tel mie bie Sourignon im Sanbc
faßcn. 3(^ erinnere an ben ^roteft, tuelc^n SBit^clm ÜBrafel
gegen ben Ouietiömuö unb ben Söl^me'fc^en B^^f^fe ^^^ beutfdjen
^ictiömuö erhoben ^at (©. 301), unb boran, ba§ SSitringa'^
SBo^IgcfaUen an jener 8iicf|tung nur barauf fic^ bejog, ba§ burd^
pc bie römifd^e ÄHrd^lic^teit beeintracf)tigt merbe (©. 302). Ijaben
ferner notirt eö 1719 mit ©c^auber, ba§ er in feiner ©emeinbc
einen 8lnl)änger ber Sourignon cntbedEt ^at. Sluf bem mittel
bcutfc^cn ©ebiet ber reformirten Äird^e war man nun t)on ber
reichen nicbcrlönbifd^cn fiitcratur bcö ?ßietii^muö abgef^nitten,
unb jugleid^ in ju na^cr unb birccter Scrü^rung mit ben glcic^:^
artigen Semcgungcn auf tut^crifd[)em ©oben, aU baß man nid^t
Don ba^cr ffiinflüffe erfuhr, ©c^on Untere^dE l^atte, wenn aucft
mit Cinlcgung einer gewiffen ©ntfd^ulbigung, ©ebrau^ öon lu^^
t^erifc^cn Sliäfetitcrn gemalt, allein Sut^cr felbft burc^auö bei
Seite gelaffcn (©. 372). ©ein ©d)üler 9ieifc legt ftc^ in biefer
^infic^t teine ©^rantc auf (©. 405); benn er l^at aud^, wie er
crjä^lt, an ©pcner'^ (Sonucntitcln t^eilgcnommen *). ^ord^e ift
auf Union bcr beiben Sonfefponcn bcbac^t (©. 401). ©ine
feiner fpcciellcn 2ln^ängerinuen, weld^e gicidf) ^u erwähnen ift,
beruft fic^ nicf)t blöd auf Sodann Ärnbt, fonbcrn auc^ auf
©ottfrieb Ärnolb, bcffcn uriprünglid^ed Sut^ert^um über bem
gemcinfamen ^ictidmud nid)t me^r in Setrac^t fam. tiefer
SRann aber mar nic^t bloö feparatiftifd^ gcfinnt, fonbcrn
jufllcic^ üon SBcigel, Sötjmc unb feinen Süngern ©id^tel
unb ^orbage eingenommen. 3dE) möd^te Dermut^cn, bog i^n
l) ^iflorie ber SBiebergeborenen V. 6. 314.
412
^QUptfäc^Iicf) SBil^elm Srafcl im Sluge l^at, inbcm er bcn
bcutfc^cn ?ßietiömuö mit SBö^me fo gut tuie ibentificirt. 3n bcr
Umgebung Don §orc^e ferner begegnen wir 1700 ju Sfc^toege
einem ©tubenten ^e^leö auö §eibetberg, roeld^er ben 6influ§
©id^tel'ö baburd) üerrät^, bafe er fid^ für einen ?ßricfter nad) bcr
Drbnung aKelrfjijebet^ erflärt »). Sllfo in $or^e'^ SBirfung^frcig
bringt bie SRifd^ung t)on ^ietiiSmud unb 2:^eofop^ie, n^elc^e bei
fiutf)eranern juerft aufgetreten ift, and) auf baö reformirte ©ebiet
bor, ttjä^renb ber nieberlänbifc^e, nieberrl)einifd^c unb oftfricpfc^c
^ietiömuö biö^er folc^e (Srfc^einungen noc^ ni^i bargeboten f)at
SlUein bie $farrerötDittn)e SEBcfeel ju SEBanfrieb an bcr
SBcrra toax nicf)t bloö Don biefen glementen nod) unberührt,
fonbcrn überfprang aud) alle auö bem reformirten Se^rbegriff
fid) ergebenben Umftänbe, inbem fie fi^ einfat^ ju ber n^eltDcr^
neinenben Siac^folge ß^rifti bcfennt. S)iefeö ift aüerbing^ bcr
unücr^ünt fatl^olifc^e aber aud) am meiften mciblic^e Zt)pu^ bcr
grömmigfeit. 55er öon ^od^l^utf) mitgetf)eilte ®rief, in tuelc^cin
fid) bie S33e^el üor bem ßonfiftorium ju Eaffel üerantmortct, ift
ein gerabeju claffifd^c^ S)ücument in fat^lic^er unb perfönlic^er
S3e;\ie^ung. Deö^alb wirb eö gcred^tfertigt fein, i^n mit einigen
Äu^laffungen ^ier ju ti)ieber[)olen. „3cl^ xoiü,, fc^rcibt fie, wenn
e^ nöt^ig befunben mirb, üor bem Sonfiftorium belenncn unb
meinen §eilanb gern bcfenncn öor Sebermann ; benn aUc^ toa^
man mir jefct äußerlid) jufügt, gefc^ie^t barum, bafe ic^ mcincni
^eilahbe nac^jufolgen unb Rubere gu feiner f)eiligen SRac^folge
^n bemegen fud)e, fo öiel mir ber tiebe ®ott baju ©elegcnp
an bie §anb giebt. Sffia^ bie SBefc^ulbigung betrifft, ic^ wäre
^orc^e'ö irriger 9Keinung jugetf)an, fo bejeuge, ba§ ic^ nic^t«
Srrigcö Don §orc^e geprt unb gelernt; fonbern er ^at mir
burd) @otteö ®nabe meine erfd^recftic^en Sntpmer benommen,
barin ic^ t)on Sugenb auf geftecft, unb bie mid) Ratten in bie
^ölle bringen lönnen, n^eil idj mid) immer mit einem aufeerlidien
(£()riftent^um be^otfen unb mir eingebilbet, id^ UJÖre eine treffe
Iid)e eijriftin, n^enn id) ben ^cibelberger Äate^iömuö oerftänbe
unb babei ein eljrbar Seben führte, ia^ id) nur nid^t in groben
©ünben lebte; aber bafe ic^ nad) 6I)ren trad^tcte, ba§ ic^ 9^"^
®elb unb @ut fammcln tooDte, unb alleö in ber SBelt fein i^'
1) iQoä)\)Vii\) e. 137.
413
mädjlid^ t)ättc, bag mir'ö rcc^t nad) SSSiuifd^ ginge unb ic^ mit
bcn aJicinigcn fein Ungcmad) pttc, baö Ijielt ic^ nic^t für fo
groß Unre^t, fonbcrn backte, tt^enn eö Slnbcre and) fo machen,
infonberl^eit bie SSorne^mcn nnb ©ele^rtcn geiftlid^ unb loeltlicf),
fo muffe cö ganj gut fein unb fönnc man baOei rool^I feiig n)er*
bcn, ba§ man ^icr in bcr S33elt ben ^immel Ijätte unb bann
bort tüieber, meld^e^ id) nun ©ottlob anberig ttJciB, unb Ijabe ic^
näc^ft ©Ott §erm ^ord^e ju öerbanfcn, ba§ iä) öon bicfer irrigen
blinben 9Reinung befreit bin, barin boc^ noc^ bic aßermciften
9Renfd)en ftecfen, bag einem barübcr ba^ ^erj roel^t^ut, toenn
man ftef)t, ttjie eö bei ben l^eutigen E^riften ^crge^t, loeldje biö
über bie Dl^ren im SSerberben liegen unb öon ber 5Rac^ folge
beö armen, Derac^teten, öerfpotteten unb gefreujigten
3c fu nic^tö ttjiffen n)ollen, fonbcrn ben SEBeltgeift in fic^ ^crrfd^en
laffen unb baö rechte Seben nur üerfpotten unb öeradjten ....
3d^ fann bem barm^ersigen SSater ni(^t genug banfen, bag id)
^orc^c jugcl^ört; benn er l^at mi(^ barauf ^ingetoiefen, ba§ wir
unfcr ganje^ $erj bem §errn Scfu ergeben, t^m auf bem fc^malen
SBcge nac^manbeln, feine @emcinfd)aft mit ben S33eltmeifcn ^aben,
fonbcrn unö felbft im ^crjen öcrleugnen foUten, unb nic^t nur
bcn ©c^cin bcr ©ottfeligfeit, fonbcrn bie ttjal^re Äraft berfclbcn an
unö finben laffen. darüber foUtcn n^ir ben ^ag bcr SBclt gern
auf uns nehmen, n^eld^cS nid)t aui^blciben toärbc, xoa^ id) je^t
an meiner ^erfon burc^ ®otteiS ©nabc erfahre. 3)icfeS unb ber-
gleichen ^abc id^ Don ^ord^e gehört unb eS aud^ burA ©otteS
©nabc b\^\)ci ju üben gefuc^t. Sag man i^m aber fc^ulb giebt,
als ob er Xaufe unb Slbcnbma^l uertDÜrfe, baüon ^abe id^ auS
feinem iDtunbe fein SBort gel)ört, ^abe eS aud^ Slnbcren an^ bem
©innc gerebet, bie in meinem ^aufe gefprod^en, als muffe er
tool^l ein Äefeer fein, ujcil er Don laufe unb Slbcnbma^l nichts
wiffcn tooQc. hierauf l^abc id^ geanttportet, er n)ürbe ttjo^l
nid^tS anbereS als ben 9J2igbrauc^ l)iert)on meinen. 3n @umma,
ic^ ^alte §ordöc für einen treuen 3cugcn Scfu S^rifti unb toeiß
lOQ^r^aftig, bag feine ficljrc mir jur@eligfcit unb nid^t jurSer^
ffi^rung gereid^cn mirb ; bcr $err ScfuS erquicfe xf)n in feinen
SBanbcn .... 3)ag nun in bem Ijoc^fürftlid^cn 93efel)l ftc^t,
tocnn in unfercn Scrfammlungen ^orc^c'S irrige 9Rcinungen
toürben öcr^anbelt njcrben, toärc folc^eS gcfä^rlid^ unb fönne
nid^t gcbulbct toerben, fo berichte tc^, bag mir täglich aQe %[bcnb
414
jufammciigcfommcn finb, ein Sieb gcfungen, ein Äapitcl ober
mehrere au^ bcr Si&cl gclefcn uub un§ nur biejenigen ©prü^
unter einanbcr cingcfc^ärft, barauö man einige Srbauung an bcr
©eele ^aben fönnte; bafe njir bie Jiapitel foUten erflart ^oben,
i[t nid^t gc)d^el)en, tpcil nict|t Diel baran gelegen, ba§ man oIIc3
fo unb fo erflärt. SBenn aber ctnjaö Dorgefommen ift toibcr baö
l^cutige 3JiauIct|ri[tentl^um, fo I)at man ttjo^l eine (Jrinnc*
rung unb @rma{)nung ()injuget^an, meil nid^t nur meine ^inber
unb ©efinbe, fonbern aud) onbere einfältige Seutc babci gctoefcn,
bic öon bem SSerbcrben be*3 S{|riftentl)umö noc^ nid^t^ gehört
fiatten, fonbern in ber ©inbilbung ftanben, bog fie gute (S^riften
tt)ären, ttjeil fie in bie Äirdjc unb jum Stbenbmal^I gingen unb
in ber Äinbl^eit getauft ttjären. SBir tjabcn anä) juttjcilcn bcö
gottfetigcn 3o^ann Slrnbt'ig ß^riftcnt^um vorgenommen ... Um
bicfc unb jene SDieinung ^aben toir unö nic^t beffimmert, weil
bod^ bie ä){einung feinen frommer mad^t ; unb ift biefeS aQein
unfer 3^^* gettjefen, bafe unfcre ^erjen möchten je mel^r unb
mefjr ju @ott gejogen unb öon bemgrbifc^en abgezogen werben;
unb ttjäre ttjo^l ju wiinfc^en, bag an allen Drten fold^e 3"'
fammenfüufte gehalten würben, fo foHte e« balb in berS^riften^
^eit beffer werben, wie wir tjier unter unö bcn ?lu|en ©ottlob
öor Singen feigen."
„®a6 man aber bon mir infonberl^eit auöfprengt, al^ öcr^
würfe id^ 2;aufe unb Slbenbmal^l, ba« ift eine Säftcrung. 2)etm
ic^ l^alte %an^c unb Slbenbmat|( tjod), wenn e^^ red^t gebrouc^t
wirb ; aber ben Ijentigen üKigbrauc^ tonn id^ freilid^ nic^t loben,
ba man leibcr ©ottcö fieljt, wie faft bloge äußere Äirc^en-Ccre^
monien barau^ geworben unb lauter Unorbnung babei Dorgc^t
bog ic^ faum anberd al^ mit Setrübnig baran ben!en fann unb
in meinem ©ewiffen wenig greubigfeit baran finbe, mit bct
ganjcn ©emeinbc Slbenbma^l ju tjalten. Unb ob iä) wo^l gern
betcnne, ba§ nadj meinem 93egriff bic Xaufe bcr Ilcinen Äinbct
feinen (Srunb I)at, weil in ©ottcö SBort nid)t^ baoon ju ftnbw,
fo mad)e id^ bod^ bie ilinbertaufe feinem jur ©ünbc, wollte au(^
SJiiemanben bauon abratt)cn , fonbern baju ratzen um W
Slnftofee^ willen unb weil eö bem Sauf bcr ©ottfeligfcit webet
^ilft noc^ fdjabet; jja id^ rebe aud^ nid^t baöon gegen Slnbcre,
Weil e^ mir ju meinem 3^^* ^^^^ ^'^"t- 2)oc^ ^^^^ ^^^^^
?ßunft nic^t Don $ord^e gelernt, fonbern au« ämolb'ö S9u4 ^^
415
crftc Siebe bcr S^riften genannt, ttjorin beutli(^ flcnug ju Icfcn,
bag bic Äinbcrtaufe in bcr erften ^xxä)c nid^t gcbröud^Iid^ gc*
tt)cfcn .... 5)c§ öffeutlid^cn Äir(^gcl^cn§ l)a6c ic^ mid) nic^t um
beön)incn äugern njoHen, weit Itf) cö für unrcd^t \)altc mit ber
©emeinbe in bie Äird^e ju gc^en, fonbcrn ttjeit id^ leibcr gefunbcn,
bag id) babur(^ nic^t gtbeffert fonbern nur in meiner ©celc Der*
unrul^igt »orbcn unb me^r ©c^abcn qB Sinken baöon gel^abt.
3)enn baö fred^c 3Befeft ber Seute in ber Äird^e, baö ©eplauber,
©elöc^ter unb bcrglcid^en ift mir fo tief in mein ^erj gebrungen,
bog \d) nid^t wenig barüber bin betrübt unb geängftigt ttjorben,
infonber^eit ba id^ einmal unb oUemal gen)a^r werben muffen,
toie be§ ^farrerö ®t)efrau i^r §o^ngcIöd^ter über mid^ getjabt.
3)enn fobalb id) meinen Vorigen ^u| abgelegt unb gar fc^lic^t
in bic Äirc^e fommen, t)at fie uor ^Hcn gegen bie fo bei i^r
fi|cn, mic^ auSgela^t unb ge^ö^nt, welc^ed fie aud^ Slnbcren ge«
t^an, bie ju mir gegangen, fonberli(^ meiner älteften ©djWefter,
bic mir nachgefolgt . . . SSon bcn ^rebigten felbft will id^ nid)tö
mel^r gebcnlen, alö baß fie mir fe^r geiftlo^ unb unträftig öor^
gcfommen, bag ic^ alfo ratfifamer gcfunben, lieber auöberkirc^e
p bleiben unb mid^ in ber ©tille ju meinem rechten Se^rmeifter
3cfu ß^rifto JU wenben, ate öon folc^en SDienfc^cn ju lernen,
bic felbft nid^t Don @ott gclcf)rt finb unb feine ©cftalt nic^t gc*
fe^cn nod| feine ©timme gc^rt l^aben. ®od^ l^abc mic^ au^
borin burc^ ^riftlid^e greunbe glcid^ weifen laffen unb bin bcn
©onntag barauf gleid^ wieber jur^irc^c gegangen, blöd audbem
©runbc, bafe id^ bcn Snftofe bei ber ©emeinbc oermeiben wollte,
unb aud^ barum, weil unfer ^fancr mir in bem guten SBcge
nic^t suwiber war, fonbern mit bem SDiunbc aUed gut l^icg unb
felbcr toünfc^te, bag er aud^ burc^ ©ottcö @nabe anbcr« werben
möd^tc, alö er bidl^er gewefen. SBcil er aber ieftt bcn @runb
feinet ^erjend an ben 2;ag gelegt unb öffentlid) wibcr mid^ ge*
prcbigt, fo er offenbare Sügen, bie er Don meinen 5^^"^^^^ 9<^*
t)ört, auf bie Sanjel gebrad^t, fo werbe frcili(^ mein ©ewiffen
mit ?lnprung feiner ^rebigten ferner nic^t befd^weren fönnen,
min au^. nic^t hoffen, bag man mir biefed jur ©ünbe unb
ftcfecrci auflegen wirb .... 3)ag ber ?ßrcbiger (Sut^craner aud
KarDa in ßiölanb, bem fie il^rcn ©o^n mitgegeben ^atte) nid^t
meiner 9leligion gewefen, unb id^ i^n (ben ©o^n) nac^ $aQe
unter bie fiut^craner ^abe fd^iden wollen, baraud ^aben fie ein
416
groß ®cfd^rct gcmad^t; id^ für meine ^erfon feiere mid^ aber
nid|t baran. ®cr ^rcbigcr ttjar attcrbinflö meiner Sieligion, 06
er tt)oI)l ein Sutl^crancr ^icg, meil ic^ eben ben treuem ©lauben
an i^m crlanntc, ben ber §err aM großer SBarmlieräigleit mir
beigelegt/ unb mod^e id^ ic|t feinen Unterfd^ieb mel^r. 3)enn ic^
mciß ttjol^l, baß in 3cfu ß^rifto gilt tt^eber ein Sieformirter no(5
Sutl)eraner, fonbern eine neue Kreatur ; unb ttjie öiele nac^ biefcr
Siegel cin^erge^en, bie gcl^ören oQe ju meiner Religion. $in*
gegen fann id^ biejjenigen für meine 9ieligionöt)enDanbtcn nic^
erfennen, bie noc^ in il^rcr alten §aut ftedEen unb üon ber neuen*
Kreatur in (Sl^rifto nid^t einmal Krfenntniß ^aben, gefd^meige
baß fie felbft in einem fold^cn ©tanbe ftcl^en foUten, unb »cmi
fie taufenbmal fid^ reformirte ßl^riften nennen; ic^ belenne gor
gern, baß id^ mic^ nid^t gern nac^ fold^cn fectirerifd^en 9lamcn
nennen laffe .... 9iac^ meiner ©rlenntniß ift baS ni(^t d^riji*
lic^, fonbern papiftifc^, tt)cnn man über eine^ Änbern ©ewiffen
unb ©lauben l^errfd^cn ttjill (mit SBejieliung auf bie öon bem
?lmtmann nid^t fel^r ^umon geführte Untcrfuc^ung); unb gcfe|t
baß id^ hierin ober barin eine irrige 9Jieinung ^ätte, ttjeld^e« bo(|
in meinem ©emiffcn nid^t finbe, fo ift eö gleid^mo^l unöerant^
njortlidö, baß man mid^ be^^alb Derfefeern ober Verfolgen wolle,
©otd^eö ftel^t feinem Vernünftigen Reiben ju, gefc^ttjeigc ftinbcrn
®otte§, baß fie einem um biefer ober jener SKcinung gleich auf
ben §alg foHen, al« ttjenn man ber gottlofefte SDicnfd^ üon ber
SBelt ttjäre, gleid^toie eö mir jjefet ergebt, ba bie ganje SBelt »iber
mid^ rege ift . . . Aber ber ^err fei gelobt, ber mir bei ollcn
foldlien Seiben eine fold^c ^fit^eube unb Iroft in'ö ^erj gelegt,
baß ic^'g nid^t befd^reiben fann; unb fann id^ ttjol^l mit 3)aöil)
fagen, id^ fürd^te mid^ nid^t Dor öiclen ^unberttaufenbcn, W^
fic^ uml)er tt)iber mid^ legen. Unb fo mir aud^ ttjaö ^arttf
begegnen follte über biefem SBege, ben ber SBelt ^erjcn \^
eine ©ecte nennen, fo gefd^e^c be^ §crrn SBille; benn id^ oc^te
mein Sebcn felbft nic^t treuer, auf baß ic^ DoHenbc meinen iiflöf
mit 5^eubcu."
®iefer ©rief ift toö^renb $or(^e'i^ ©efangenfd^oft in 3äö^
bürg, alfo nac^ bem Jlouember 1699 unb öor bem 17. SWärj 1700
gefc^rieben. 3ln biefem Xage beftanb bie SBefeel ein 8Serf)ör wr
bem Sonfiftorium in ßaffel. ©ie be^ante auf i^ren Ucberjeugungö^
unb ttjolltc lieber ha^ Sanb räumen, atö bie ©emcinfc^oft ^
417
Untoicbcrgcborcncn tl^cilcn. %cxntt crflärtc ftc, ba§ ttjcnn fic
ftc^ auf einem gntt^ege befinbe, SI)riftuö felbft fic batjon jurücf*
filieren toerbe; man möge fic alfo gelten laffcn, tt)ie fic ginge; fic
lebe mit i^rem Scfu unb »oIIc aile^ leiben, fid^ lieber brennen
unb fengen laffen, ote baß fic fid^ onberg au§fprä(^e. ©ie fefete
alfo junä(^ft i^re SonDcntifcl unter juncbmenbem Slnbrang 9ieu*
gieriger unb Ueberjeugter in SBanfricb fort
(Sine anbere (Scmcinbc, beren ®enoffen in Drtfd^aften jmi*
fd^en ©ifcnac^ unb ©d^maltalben jerftreut toaren, ftanb unter
ber Scitung einer nic^t tociter belanntcn fjrau ©cbl^arb. 3n
biefem Greife Ijatte ^ord^c'ö Anregung über \>a^ rcformirtc Eon*
feffion^gebiet birect ^inau^gcgriffcn. 3)ie SOKtglieber bicfcr ®e*
meinf^aft ftanben megcn il^rcr örtli^en 3^^fpti*terung in einem
Icbl^aftcn 8rieftt)e(^fcl mit cinanber, ouf meieren bie l^effifd^e 9le*
gierung 3agb machte. 3)ie groben beffelben im ?lrc^io jju ßoffcl,
meldjc ^oc^l^utl^ mittl^eilt, entl)alten j. 95. eine ©ommlung oon
Äeußerungen Sutl^er'«, njcld^c fo njic fic lauten, bie fcctirerif^c
Dppofition gegen bie Äirc^c becfcn ; ttJcnn fic nur nic^t burd^
bie entgegengefe|tcn Äeugerungen bcö Reformators aufgewogen
unb aberzogen n^firben!
3u bem Änl^ang, tt)cl(^en ^ord^c 1699 in feiner SSaterftabt
Cfc^toegc gcfunben l^attc, gel)örte enblid^ bie bafclbft 1670 ge:=
borenc ®t)a ÜKargaret^c Don Söuttlar, Dcrl^ciratlict an bcn
^crjoglic^ fäd^fifc^cn ^agen^^of* unb lanjmeifter Scan bc SS^fiaS.
Son i^m getrennt lebte fie in i^rer ®cburt!8ftabt. 3)icfc fjran
toax oon Anfang an ein abcntcuerlid^cr Qn^aii ju bcn ^anb^
ttjcrfcrn unb S)ienftmäbdöen, tocld^c bcn Sln^ang ^orc^c'ö bafclbft
bilbeten. SBät^rcnb ber crj^toungcnen ?(bn)efenf|cit bicfcS Sc^rcrö
gewann Die 86fia« einen übcrtt)icgenbcn ®inftu§ aud^ in bcn be*
nad^barten ©täbten unb 35örfcrn, mo fie SScrfammlungcn abhielt.
öefonberS gelang eS if)r in 9tllcnborf, n)o^in fic 1700 i^ren
SBo^nftfe öerlegte, unb njo fic^ aud) fünf burd^ ©amuel iiönig
(©. 406) ertoedfte ^^^äulcing Don SaUenberg aM Saffcl ju i^r
gefeilten. 3)ie Änbad^tSübungcn, meldte fic ^ier öcranftaltcte,
erregten burd^ i^re Sauer bis in bie 92ac^t f)incin ganj befonbern
Serbac^t, fo ba§ ber ajfagiftrat bicfelben 14. «uguft 1700 bei
©träfe Derbot. 3nbeffen nad^ me^r atö jn)ei Salären jcigte ber*
fetbe bem Sonfiftorium an, bag er ber S^emegung nid^t mächtig
merbe, unb bag ju befürchten fei, bie ^albe ©tabt werbe ber
L 27
418
SScrfü^rung an^cimfaQen. 3)amate, im Dctober 1702 Ratten bic
SS6fiag unb 5!lnberc fc^on Ällcnborf öcrlaffcn. Sebod^ bic ge*
fd^ärften Slnfic^ten bcr ©cparatiftcn, toclc^c t)on bort berichtet
njerbcn, muffen ber Defonbcrn ffiintüirfung jener 5^<iu beigcmeffen
tDcrben, inbcm neben ifjrer Sbftammung Don $ord^e and) bie
(£tnmtr!ung t)on ^orbage unuer!ennbar ift. ^ic beftel^enben Som
feffionöfird^cu nämli^ njerben fiberl^aupt öertoorfen, fo ba& bie
SBicbcrgeborencn, bic öon @ott gelehrt unb auf ^eiligfeit be^
Sebenö unb brüberlid^e Siebe bebad^t fiub, fic^ ju feiner ©onfeffion
l^altcn follcn. ®icfclben bebürfen an6) nic^t beg ^rcbigtamteö,
jumal aQc miffcnf(^aft(ic^c Stlbung ber ^rebiger unimectmägig
unb ber SBelc^rung fiinberlic^ fei. hingegen ^abc jeber ipieber»
geborene SRenfc^ bie SBefugnig, bic (Socramente ju fpenben unb
bie ^bfolution ju ertf)eilcn. ISublid^ befcnncn fic^ biefe SlUen«
borfcr ©eparatiften jur SEBieberbringung gemäß bem Sn^alte M
^cmigen Coangelium^." 3)cr SSerbac^t, welcher fic^ an bie ^
fammentünftc biefcr ©efedf^oft fnüpftc, ift nid^t ungcgrünbct
gctücfen. Söenigftenö f|at eine ber ©c^njcftern öon ©aUenbcrg,
Slara @lifabet^, nad^^erige ^rau Don SD^arfa^, fc^on bamold an
bcr SScrtrautid^feit gmifc^en ben beibcn ©efc^lcc^tcrn Slnftofe ge*
nommcu, obfc^on ftc nic^tö bircct Unftttlid^eö tt)af|rna^m. 3^re
ältere ©c^toeftcr ©ufanne aber, meldte if|r biefe Abneigung
gegen ben tjerrfc^cnbcn 2;on al^ S^^S^iß i^^^^ ©ünbenftanbe^
anred^nctc, unb baburd^ in i^r 3^^*f^I ^m ^cil crtoecfte, fidüt
nac^fier ein außerc^ctid^cö Äinb *). Unb loaö tt^eitcr in ber ®e*
fcHfc^aft ber (Süa fic^ ereignete, ergebt ben SSerbad^t auc^ in $in*
fic^t ber SHlenborfer Spoc^e jur ©emig^cit.
3)ie lanbgräflic^e Sommiffion unb baö ßonftftorium in
Soffcl njurbcn biefcr ®inge nic^t mächtig. S)cmgemä& ertiefi i^^
Sanbgraf Karl im ©cptember 1702 eine SSerorbnung, rotW
über bic l^artnädEigcn ©eparatiften Sanbeööcrtocifung öer^ängtc,
bei bereu SBiebcreinfd^teic^en cEcmplarifd^e ©trafen anbro^te,
unb nic^t minber bic 8lufnaf|me fold^er Unge^orfamen mit ©traft
belegte 2). 3)ic ©c^ilberung ber Seutc ift mit großer ^äcifw«
audgefäljrt, unb bicnt }ur ^eftätigung unb (Srgänjung beffen«
ttjag üorgcfommen ift. 8Clö ia^ erfte S)ocument biefcr Art, i^
1) @oe6eI II. 6. 787.
2) 9a 3BaI4, SteHBionSftreittfifeHen in bet lut^etif^en ihrige I. 6. 77&
9u(( bei ^od^^ul^ a. a. O. 6. 153.
419
un^ begegnet, barf baS äRanbat ^ter nid^t übergangen n^erben.
a^ njirb auf bie ffirfa^rung öcrtoicfcn, „bag in unfercn 5öt:ften*:
tl^ümern fic^ einige Qdt ^er gettjiffe Seute, fottjo^l 2Ranng- atö
äBcib^perfonen t)on aUer^anb ©tänben, ^öufig eingefunben unb
^erüorgetl^an, n^eld^e unter bem tiorgemenbeten dtnf)m einer be^
fonbern ^eiligleit, al^ ob fie öon ®ott felbft gefalbt feien, öon
ftc^ ausgeben, unb Surd^ i^re angeblid^ göttlichen, in ber X^at
aber ent^ufiaftif^en unb fd^tt^ärmerifd^en ©efic^te unb Offen*
barungen, fo fie bem SBorte @otted gleich achten, bie SSoQfommen«
^eit ^eiliger ©c^rift S. unb Sfl. %.% fobann bur(^ i^re einge:»
bilbetc aSoUfornmcnftcit in biefem Scben bie ^Rechtfertigung burc^
ben @(auben an @^riftum, unb alfo ben @runb bed @(auben^
unb ber ©eligfeit Verringern unb verleugnen; fonbern auc^ ba<
ffir galten, baburc^ ju einem folc^en ©tanbe ju gelangen, bag
fte nid^t fünbigen fönnen ; baburc^ aber ben o()nebem in ©c^toang
ge^cnben ©ünben, ©c^anben unb Saftern noc^ um fo mel^r %i)üx
unb Z^or auft^un. SBie benn fjöd^ft ärgerli(^ ju Vernehmen
ift, ba§ fotl^ane Seute, ttjenn einige i^reS SRitteK fic^ auf eine
und^riftlid^e unb Viel^ifd^e SBeife 5ufammen tf)uen, fol^e Verübte
2ei^tfertig!eit unb fünblic^ed 93erfa^ren nic^t aOein Vert^cibigen
unb entfd^ulbigen, fonbern auc^ fogar für gute S3er!e anprcifen.
ttebrigen^ aber, inbem fie eine innere ©timme unb ^immlifd^eiS
ßeugnig be!$ (ebenbigcn Sßorte^ behaupten, aQen äugerlid^en
®ottedbienft, nämlic^ bie ^rebigt bed lebenbigen SBorteiS @otte$
unb ben ©ebraud^ ber ©acramente ald unnöt^ig verwerfen, fic^
bem öffentlid^en ©otteöbienft ärgerlicher SBeife entjie^en, ^in*
gegen abfonberlic^e SonVentieuIa unb Verbäc^tige SBinfeljufammen»
fünfte l^atten, bie orbentlid^en ^rcbigcr ol^ne Unterfd^icb ate
$rebiger eined tobten 93uc^ftabend unb blinbe Verfü^rerifc^e
Seiter fc^mä^en, bad öffentliche Seigren aber mit ben fogenannten
Quäfern unter bem SSorn^anbe beiS geiftlid^en ^rieftert^umd fo*
toohl äRann^ aU SBeib^perfonen, n^enn fie nur einen innern
SJeruf l^abcn, jjebermann üerftatten; ferner aud^ mit ben SBieber*
tiufern unb Sibertinern eine ^^ei^cit be^ ©etoiffen^ in lird^lic^en
unb noeltüc^en Orbnungen vorfd^fi^en, unb alfo mit Ausbreitung
iftrcr Srrt^ümer Xrennung in ber Äird^e, auc^ allerlei SBermir*
rang im gemeinen SBefen anri(^tcn", u. f. xo.
S)ie 2)ro^ung ber Sanbe^oern^eifung beftimmte mand^e ber
@et>aratiften jur fj^ügfamfeit. (Sine STZinorität, barunter bie
420
SBcfecl, Dcrlicfe baö Sanb, unb fud^tc in ber ©raffd^aft SBittgcn*
ftcin ßwftuc^t. ®ie S36fta3*S3uttlar toar fd^on bor Crlaffung
bc^ a^anbatcS au^ bcm Sanbe oegangen. ^orc^e tDurbe ebenfaHd
öerbannt. Sßad^ manchen Ducrfa^rtcn, bic üon neuen anfallen
feiner SSerrüdEt^eit begleitet maren, tarn er tt)ieber 1705 nac^
Sfd^roege. Sa er ftc^ rul^tg uer^ielt unb mit miffenfc^aftUc^en
Slrbeiten beic^öftigte, mürbe er gebulbet, erl^ielt aud^ üon feinem
Sanbcö^errn einen ga^rge^alt. 3ni 3öl)r 1708 Derlegte er feinen
äBo^nfi^ nad) ££irc^^ain bei äJ^arburg. (Sine ganje 9flei^e Don
©d^riften, beren litel bie gortbaucr feiner efc^atologifd^en unb
reformatorifc^en 3ntereffen funbgebcn, barunter „bie m^ftifc^c
unb prop^etifc^c Sibel" (SDiarburg 1712), ift in biefcr 3cit bi«
ju feinem 1729 erfolgten Xobe erfc^ienen. allein birect ftörcni)
t)at er in bie ürd^lid^e Orbnung nic^t me^r eingegriffen.
5. 3)ie Don ^orc^e angeregte Söemegung pnbct in bcn
beiben ©raffc^aften SBittgcnftein ein Jlac^fpiel, weld^eg menigfteng
in ber fiürje berührt werben muß. S)enn bie uor^errfd^cnb bog«
mengcfcf)ic^tli^c ?lbftd|t, tt^elc^e ^ier oerfolgt mxb, f)at fic^ mit
ber Konftatirung gettjiffer 3been ju begnügen, ttjelc^e unter ben
bort jufammengelaufenen ^ietiften noc^meisSbar ftnb. Ungleich
bebeutfamer finb freilid^ bie ffireigniffe in SBittgcnftein für bic
eultur^iftorifd^e unb politifc^e Stellung bed ^ieti^muS. 3n biefer
^infid^t jebot^ fann ^ier nur barauf ^ingemiefen werben, bag
bie X^eilnaöme, welche ber nicbere 9ieid^^abel, eben bie ©rafcn»
gcf^lec^ter reformirter unb lut^erifc^er Sonfeffion, bcm ^ieti^
mui^ jumanbte, in jener Spod^e nac^ bem breigigjäl^rigen ilriege
Derftänblic^ ift alö ein ®rfa| ber unwieberbringlid^ Verlorenen
politifc^en SBebeutung biefe^S ©tanbe^. 3nbem biefe ©cfd^lec^tcr
fic^ barauf angewiefen fa^en, fid^ uor ben ^nberen audjujeic^nen,
eröffneten fie fic^ ber prononcirten grömmigfeit, loeld^e bic @(^ä«
ben bei^ fird^lid^en <Sc^lenbrian$ ju l]ebcn oerfprac^. Slllcin mit
biefer ganj aufrichtig gemeinten unb immer ad^tbaren Zcnbenj
uerfnäpfte fic^ aUbalb wcnigften^ bei einigen biefer Käufer ba^
fiöcalifc^e 3ntereffe, burc^ Söefd^üftung unb Aufnahme ber anbcri8»o
gemagregelten ©efinnungi^genoffen ben eigenen fd^malcn S9cft|
crtrag^fä^igcr ju machen. S)iefe 9iiicffic^t toaltcte ob bei ben
äSittgenfteinern unb ben Sfcnburgern. Sene Ratten f^on bcn
SSortl^eil ber Slufno^mc Don Hugenotten in i^rc ^errf^aften cr=
fahren, woju ber birecte $lnlag barin log, bag bie ©rafen ©uftQD
421
ju SBittgcnftcin unb ©eorg SBit^cIm ju Scrlcburg 1657 ftd^ mit
jtoet ©c^tücftcrn l^ucjenottifc^cr ^crlunft (Xöc^tcr öon Fran^ois
de la Place, Vicomte de Machaud) ücr^cirat^ct l^attcn. Scncr
®raf ©uftaü (©. 370) ^atte nun eben 1698 tocßen SSerfd^wen^
bung bic Sicgierung an feinen ©o^n $cinri(^ Stlbrcd^t abtreten
muffen, unb bicfer, felbft pictiftifd^ gefinnt, eröffnete fein Sanb
ben um i[)red ©laubeud n^iUen vertriebenen ^nbern ©otted.
S)affelbe tf)at in Berleburg bie a\^ Sormünberin für t^ren ©o^n
fiafimir regierenbc ©röfin ^ebttjig ©op^ie, eine geborene Sippe;
inbeffen njurbe fie Diclfoc^ burc^ bic Eingriffe il^re« Sruberö unb
SKitDormunbcg, be^ ©rafcn SRubolf jur Sippe ge^inbert, ber ein ent*
fd^iebener ©egner be8 ^ieti^mu^ mar. SBir finben alfo 1699
im bortigen fianbe ^ittl^e^, 9iei^, Stömq mit feinen fc^n^eiicrifd^en
Sanb^Icuten finec^t unb ^üntl)iner, augerbem ^od^mann, einen
fiutl^craner t)on §oufe aug, Don toelc^em noc^ bie SRebe fein toirb.
©tc ttjaren ouf ^errfdiaftlic^en ^öfen einquartirt, ttjurben jur
gräflid^en 2^fel gejogcn, prebigten öffentlich unb hielten ftunben*
lange SSerfammlungen jur (Srbauung beö ©rafen |)einric^ Älbrec^t,
bcr ©räfin ^ebttjig ©opt)ie unb ber anberen gamilienglieber,
unter ttjclc^en öicr unüer^eiratl^ete ©d^toeftern beö genannten
©rofen nid^t unbemerft bleiben bürfen. 5Denn e^ ift bicfen 3)amen,
loetc^c njegcn i^rer 3lrmut^ ju ftanbeömäßigen ffi^en nic^t be^
geirrt toorben n^aren, burd^ ben ^ieti^mud gelungen, n^enigften^
unter i^rem ©tanbe 5U l^eiratl^en. Sad n^ar aud^ bamal^ ni^ti^
Ungettjöl^nlid^c^. S)er ^ofprebigcr bc^ ©rafen 3o^ann ^^ilipp
in 3fenburg*0ffenbad^, ßonrab örüöle, toat mit einer ©c^wefter
feine« ^errn öerJ^eirat^ct. Unter ben SBittgenfteinifc^en ?ßietiften
t)er]^eirat^ete fic^ bie SBittme be« Üammergerid^tS^^räfibenten
®rafen öon Seiningen-SBefterburg, S^riftiane Suife öon SBittgcn*
ftein^Sallenbar mit bem ehemaligen ^ofprebiger in 3)etmoIb,
Bierbrauer. S)ann folgte öon ben öier ©d^Weftern be§ ©rafen
^einrid^ Sllbrcd^t bie Slettefte mit einem el^emaligeu Söarbier unb
gräflid^en Beamten ©afteCl auö SKaftrid^t, bie folgenbe mit einem
gräflid^en Beamten ^offmann, bie britte mit einem Unbefannten,
bie vierte unter erl^cblidjem ©fanbat mit einem ehemaligen ©tu^
beuten Äod) au« $erborn, toeld^er 24 3a^re jünger njar alöfie").
®iefe ©atafonnten l^ier nid^t übergangen werben, toeil bie
1) «oe6eI IL 6. 771 ff.
422
Safuiftt! ber W)t bad %f)cma toax, tDeld^eS bie $ietiften im
SBittgcnftcin'fc^cn l^auptfä^Iid^ bcfd^äftigte. S)ic I^coric baruber
ift burd^ Srnft Sl^nftopl) ^od^mann t)on ^o^enau^) oufge^
ftcHt ttjorbcn, luctc^er öon 1699 an, aDcrbingd nic^t o^nc Unter*
bre^ungen, bid m feinem Xobe 1721 in jenem Sonbe gelebt ^at
3)crfelbe xoax 1670 alg So^n eine^ fad^feiislauenburgifc^cn 8e*
amten, ber fpäter in 9{ümberg n)of)nte, geboren unb (ut^erifc^er
@onfe[fion. 3n ^alle unter X()oma{tud ftubirenb, toarb er burc^
3luguft ^ermann ^rancfe befe^rt. SBegen X^eilnaf)me an einem
tumultuarifc^en @treit über bie $lnfprüc^e bed $ietiiSmud gegen
bie Äirc^c tourbe er 1693 öon §alle relegirt. 3m So^re 1697
{c^Iog er fic^ in @iegen eng an ©ottfrieb $lrnoIb an, unb er^
fc^eint fortan aUZräger jened ^ieti^mud, in toelc^em toetgerfc^e,
bö()me'f^e, quietiftifc^e, ef(^atologifc^e unb pl^ilabelp^ifd^e 93eftr^
bungen 5ufammenfommen unb fogar ben ©efd^mad ffir S)at)ib
3oriö unb ©ebaftian granl cnoedEen. S)ie feparatiftifd^c ©ttm*
mung be^ SJIanned entfd^eibet ftd^ nic^t blöd gegen bie befte^nbe
Äirc^e, fonbern fc^ließt um ber ^crrfd^iaft Sefu ttjillen aud^ ieben
»eltUc^en Seruf auö. ®r fc^reibt 1709 aud bem ©efängnife in
9{ümberg : ,,SRein ^erj fann in nic^td Slu^e finben, atö in ber
alleinigen Siebe 3efu, unb n^er red^t einmal gefc^medCet ^at, Wl^
bad fei 3efum lieben, ber n)irb an bem SBefen biefer SBelt tocnig
©ef^macf finben. 3)er §crr Sefud t^ue mit mir ferner nac^
feinem SBiQen ; benn ic^ f)abc mic^ burc^ ©otted @nabe refolütret,
meinem 3efu getreu ju fein, ed möd^te mir aud^ tt^eig tood m^
getl^an n^erben. 3c^ ^abe mid^ einmal in meineiS aQergnäbigften
$errn 3ef u 3)ienfte begeben ; id^ \o\Ü bei i^m bleiben ; benn ic^
ttjerbc boc^ leinen beffern ^errn finben .... 3c^ bin i^m bie
größten S)ienfte au« bem «cc^t ber «rlöfung fd^ulbtg." 3»it
biefer ^ödift d^araftcriftifd^en ©efinnung lieg fic^ für einen, ber
nic^t in'g Älofter ge^en lonntc, fonbern toirfen tooHtc, itur bie
iptigfeit bed freitt)illigen SRiffionärö üerbinben; aber bie ©Sfee
lauten aui) fo, ald ob am bem Siedete ber (Srlöfung überhaupt
lein ®ienft gegen Sl^riftud abgeleitet, unb nichtig atö döriftlid(|e
^flid^tcrfüHung gebeutet toerben fönntc, ald bie Söiiffion «). 5Diefc
f)at nun aud^ ^od^mann fein Seben lang mit ber größten 9uf«
1) ®oebeI a. a. O. 3. 809 ff.
2) 3u Derglei^en finb bie apoftoUfc^en Säufer bn SuOinBer. 6. o. €^. 26.
423
Opferung geübt. Unb tDte er bte Ueberjeugung t)on ber 9lä^e bed
^errli^en Weiche« gljrifti in ber belonnten SBcife t^eiltc, fo l^at
er in ber i^m eigent^ümlic^en l^atfraft ftc^ nid^t mit ber ffir^
Wartung ber Subenbefel^rung begnügt, fonbcrn ftc in fjranffurt
birect unternommen, biö er üon bort ftc^ gu entfernen gegwungen
»urbe. (£d ift ^ier ni^t ber Ort, feine 3)iiffionSreifen jur (5r*
toecfung be^ (ebenbigen @f)riftentf)um$ in ber reformirten unb ber
lut^crifc^en Sirene ju Verfolgen ; ©oebel f)at bief eiJ alle« mit X^eiU
nal^me ergä^It. SBielme^r befc^ränfe x6) mic^ auf ba^ ©lauben^:^
befenntnig, n^elc^ed ^oc^mann auf SSerlangen be^ bem ^ietidmu^
feinblid^en ©rafen Siubolf jur Sippe, ofö biefer i^n 1702 einge*
fpcrrt ^atte, öerfaßt l^at M. 3n biefer (Srllärung befennt er ftd^
juerft jum apoftolifd^en ©^mbol; bann entfd^eibet er fici^ gegen
bic Söered^tigung ber Äinbertaufe, freilid^ o^ne be^^alb hk SBieber*
taufe ju biUigen, alfo n)ie bie Sababiften ; beftimmt ben ©ebraud^
bed S(benbma^I^ nur für bie au^ermö^lten jünger S^rifti,
bte i^m mit SSerleugnung aOe^ n^eltlid^en äSefend in ber Z^at
unb S93a^r{)eit nachfolgen ; glaubt an bieSrreid^barfeitooQfommener
Heiligung unb ©ünblofigfeit, obn^o^l er gegentoärtig biefelbe nod^
nid^t für fic^ in Slnfprud^ nimmt; leitet bad 9lmt be^ @eifted
nur oon fi^riftu^ ab, fofern berfelbe bic Xüc^tigteit baju oerlei^t,
alfo mit Sludfc^lug menfc^lid^er 93erufung; beftreitet ben 93egnff
ber d^riftlid^en Obrigfeit unb bie praftifd(|en Folgerungen baraui^,
unb crmartet ben balbigen Slblauf ber ^eriobe, in ber cd melfc:
lic^e Obrigfeit geben mug, ba @^riftud al^balb ^ereinbred^en unb
ade ^eibnifd^en ^otcngcn t)on i^ren @tü^lcn flogen mirb, red^net
enblid^ auf bie SBicbcrbringung, inbem er fid^ auf 9iöm. 5, 15— 18
unb 1 fior. 15, 22 beruft. |)ieran f^licgt fid^ nun feine Se^re
Don ber ffi^e, meldte er auf ba^ bcfonbere Söcgel^rcn be^ ©rafen
iur Sippe ^injugefügt l|at. ffir unterfd^eibet fünf Arten oon
(S^en. S)ie erfte ttjäre eine gang tl)ierifc^e, ttjclc^c trofe ber öffent*
liefen Irauung für nic^tö anbercö ald für erlaubte ^urerei gu
ad^ten ift. ®ic gmcite bie ehrbare, aber l)eibnifc^e unb unreine,
fofern bie ^erfoncn felbft nod^ nid^t in bem 33unbe mit ®ott in
e^rifto fte^en. ®ic britte ift bic gmifc^cn geheiligten ^erfonen,
loeld^c fid^ lieben, toie S^riftuö bic ©emeinbc geliebt f^at, in toclc^cr
(E^e bie Slbfic^t ba^in ge^t, bag i£inber gum greife @otteiS gc^
1) 3m S)ru(f erf^ienen 1702, tpieber^olt 1709.
424
jcugt tücrben. ®ie t)icrtc unb öoKfommencrc Art bc^ (S^cftonbcd
\)üt feinen anbern ßroecf, ate ben ununterbrochenen Dienft @otte^
in ber SSereinigung mit bem @ee(enbräuttgQm unb mit 9udfci^ltt§
ber gefc^Iec^tlic^en ©emeinfd^aft. 3)ie brittc unb üiertc Art bcr .
Sl^e bebürfen feiner öugerlid^en Kopulation, n^eil bafär fein S3c»
fe^l in „®otteg SBort" öorließt. Snbeffen mirb bicfe Orbnung
jur SSermeibung bed 3lergemiffeS jugegeben. 2)ie fünfte unb
öotifommcnfte 8Crt ber (J^e ift bie, ba& eine ©eele nur Sefum
für i^ren Wlann erfennt, unb bie @eelen, toelc^e fic^ S^rifto jur
93raut üerlobet unb aufgeopfert ^aben, toerben im Stetc^ S^rifti
ben ^öc^ften @rob ber ©lorie erlangen.
Siefe ^nfic^t fiberfd^reitet bie Sinie, toelc^e bie fiababiften
inne gehalten f)aben (@. 232); obgleid^ ber leitenbe @ebanfe bei
beibcn bcrfelbc ift, nämlic^ bie Sluguftinifc^e Kombination öon
©ünbc unb ©efd^lec^tStrieb. ^ie ^rajrid ber (£^e, meiere bie
fiababiften öorfc^rieben, entfpric^t ber britten Art ber (S^e, toelc^
^oc^mann aufftedt. tiefer inbeffen l^at fi^ auf beren ©pecialitfiten
nid^t cingelaffen, o^ne 3^^if^l be^^alb, weil er in ber öierten
Slrt eine uiel fd^ärfere 3u"^u^^u^9 ^^ (£f)eleute ergebt, unb
fc^liefelic^ bie (S^elofigfeit au^ religiöfem ©runbe jeber Art bcr
&)t uorjie^t. 2)ad ift ja and) bie einjig rid^tige Folgerung aud
bem ermähnten @runbfa| 9(uguftind, bie Folgerung, n^eld^c btc
mittelaltrtge (Epoche ber ^irc^e bef)err[d^t. ^Ifo^auc^ an biefem
fünfte fällt ber folgered^te ^ietidmuS in bie fat^olifc^e Slnfd|au«
ungömeife j^urüdE. Slber inbem biefe^g nic^t in offener, fonbcm
in l^eimlic^cr SBeife gefd^ic^t, ttjirb mit bcr proteftantifd^en An*
fid)t Don ber (£^c aU pofitiuer göttlid^er Orbnung capitulirt
3)abei fommt benn bie $ra^e bcr jungfräulichen S^e f)erau^, bie
©c^cine^e, meldte ein gallftridE auögejeic^ncten Orabet ift. 3)iefe
X^eorie, meldte auc^ 2)iltf|e^ fic^ ongeeignet ^at *), ift ol^ne ß^cif^l
Don ©ottfrieb Slrnolb ouf ^od^mann übergegangen. S^rc @runb«
läge ftammt Don Safob 93öt)me ^er ; unb beffen ©d^üler ©ic^tel,
fottjie bie (Snglänber ?ßorbage unb SBromle^ öertreten biefelbe
3bce gleichzeitig mit Slrnolb unb ^ocftmann. S)er2Renfd^, Reifet
cjS bei 3lrnolb, fei juerft gcfc^lcc^t^loö ober aud^ anbrog^n ge*
fc^affcn gctoefcn ; in bicfer SSoHfommen^eit f)Qbc er bie Sungfrau,
bie göttliche SBeiö^eit, biefeg Komplement ber Slrinität, toetd^cä
1) (Soebel IL S. 770.
425
audf in C^rifhi« baö ^rincip bcr ©eligfcit ift, gur ©cfpietin gc*
ffabt (^roö. 8, 31); aU et aber bic liiere in getrennten ®e^
fdile^tern gefe^en unb ben SBunfc^ nod) gleicher ©eftaltung gc^
fa§t f)abc, fei burd^ @ott bie dM t)on Slbam getrennt tporben.
lieber bem @ett)inn bcr irbifc^en ©cfä^rtin ^abc ber 2Renfci^ bic
göttliche ©efpiclin Derloren; feine ©e^nfuc^t nad^ jener fei ber
Act ber Urfünbc; bie ©siftenj ber aWenfd^cn in getrennten ®e*
fc^tec^tern unb beren gefc^led^tlic^er JBcr!el)r fei alfo baö SRert
mal ber öorfiergegangenen ©ünbe, unb bie ffi^e an ftd^ ein ©tanb
toibcrgötttic^er Unreinheit »)• ®icfe grotcöfe Anficht ift ouS jwei
(Elementen componirt. Xa^ erfte ift ein jfibifc^er 3J2^t^ud, n^clc^er
bie parallelen Sendete über bie ©rfc^affung ber äßcnfc^en in
ber ©enefid (1, 27; 2, 7. 22) ate abgeftuftc auf einanber folgenbe
(Sreigniffe beutet. 3)ag anbere Clement ift bic bei SSalcntin
SBcigcl üortommenbe Unterfc^eibung jtt)ifd^en ber irbifd^en dm,
toeld^e aug Äbam lommenb, gleifc^ ift, öon welcher alle SWenfd^en
i^rc alte ©eburt fiaben, unb ber ^immlifd^cn (&'oa, ber SBeid^cit,
»elc^e üon ffitt)igleit ben ©o^n ©otte^ in bcr Irinttät gebiert,
»elc^e ferner aU eine Sungfrau leiblich geboren S^riftum leib*
• lic^ auf bie SBclt geboren f)at Snbcm nun bie ©laubigen bic
neue ©eburt nac^ bemfelben äßagftab erfal^ren, ^at fie nid^td ju
fdöicfen mit SBcibcr neljmcn, Äinber jeugen; bad ift abamifcft,
irbifd^ unb öic^ifcf)*). 3)ie hierauf gegrünbete I^eorie ftat
^od^mann für fid^ in bem bur(^gefü^rten (Entfd^lug bcr S^e*
lofigleit bewährt. S)ic Aufgabe bcr öon i^m bcfd^riebenen iung:=
fraulichen dtjt t)abcn auf bem ©c^auplat^, n^eld^cr un^ befc^äftigt,
feit 1713 ber änpnger ber SBourignon unb ber ©u^on, 6art
^ector 93icomte be äßarfa^ unb Slara Slifabet^ t)on SaUenberg
(©. 418) gelöft »).
hingegen treten bie entgegen gefegten Srfd^einungen bei jtt^ei
Anfängerinnen öon ^ord^c auf, tt)elc^e fc^on ertoä^nt worben
finb. S)ic ^farrergtt)itttt)e SBcfecl ^at if|r rüfirenbeig Sefenntnife
iVLX 9lad^folge be^ tierad^tctcn unb gefreujigten $errn Sefud
1) Ueber ^rnoIb'S lBu(&: f)a§ (S^e^eimnlfi bet gSttlti^en Bop^a obet
aßeid^fit, befc^rieben unb befungtn (1700) bgl. ®oebe( II. @. 725.
2) q9ei ^rnolb üird^en' unb itelergefd^i^te (1699) t^. IL 9u4 17;
(Sop. 17; 9hro. 27. 6. 628.
3) «oebel lU. 6. 193 ff. 202.
426
(@. 412) infofern bcttJä^rt, ate ftc bic Sanbc^öcttocifung ber
Verleugnung t)or)og. ©ie begab ftd^ 1702 mit mehreren i^
Slnpnger naä) &aa^pf)t in bcr @rQf[d^aft S93tttgenftein«SBittgen<
ftcin ^). ^ier aber verfiel bic ©efellfd^aft auf bie ©infü^rung bc^
urd^riftlid^en Siebc^fuffeö, melcftcr alö STOittel frfiftigcr ©ottfctig*
Icit geforbert »urbe. 3)ic SBc^cl führte eine wilbc ffi^e mit
einem äßannc 9tamend @tirn. 2)ad ^eigt rootjl, fie ^ielt nac^
bem ®runbfa|e ber ^od^monn'fc^en britten Art ber ®^c bic
öffentliche Xrauung ni^t ffir nöt^ig. SlQein nod^ bem, nrad
@ic!^tel über ia^ Ircibcn bicfer ©efeDfd^aft vernommen ^at,
!ann fte bie 93cbingungen ni(^t erfüQt ^aben, meldte ben d^rift^
liefen @l^arafter biefer l£f)c ausmachen, ^urj bicfe ©efeOfc^aft
fc^eint über ber 9lac^a^mung urc^riftlid^er SebenSformen grfinb^
'i^ h^ %^^^ gelommen ju fein. 3m 3a^rc 1703 fam nad^
2aa^\>f)t andi SDa t)on f6^\xa^:'^vittlax mit i^rer @efclt
fc^aft, bereu Qaffl auf 70 ?ßerfoncu angegeben ttjirb. ©ic Ratten
aUcnborf fc^on Dor bem (Jrlo§ be^ ^effifd^en ^ictiftenmonbatcÄ
öerlaffen (@. 418) unb fid^ injnjif^en in granffurt unb Ufingcn
(Stoff au) aufgehalten, ©ic liegen fic^ 1704 auf bem $ofe ©afe*
mannöfiaufen bei Saaöpl^e nieber, weldjen ^einri(^ ©c^eiben^cnne,
ein So^gerber au« (Jfd^mege, Dom ®rafen gepad^tct l^atte *). S)ort
herleitete bicfe grau ifirc ©cnoffen jur regelmäßigen Unjuc^t
fo öffentlich unb anftößig, bafe fie aQe fc^on öor bem Ablauf
be« Safireö in Unterfu^ung genommen unb feftgefefet njurbcn.
^iebei ergab fic^, baß bic (Sua fic^ für bie Don SBBcigcl entbcdtc
t)immlifd^e Qba ausgegeben, unb aud fid^ unb jmei iD2ännem -
aW;®ott SSatcr unb ©o^n eine ©rfc^einung bcr göttlichen S)rci*
einigleit gcbilbet ^attc, »clc^eTDon ben Slnbercn anjubcten toat -
3)ie gcfdölcc^tlid^c SJermifc^ung mit i^r felbft crllärtc fie ffir bie
gorm, in melc^cr bic öor ber (Jrfc^affung bcr irbifc^cn ®oa ab* ^
Rauben gefommcne göttliche ©opf|ia tt)icbcr angeeignet ttwrbc -
©iefer «et finbe o^ne aHc fünbli^e Suft ftatt ober löf^c bie* -
felbc oiclmel)r für immer au3. a)cr ©träfe für bicfe blaöp^cmifc^ ^
Unjuc^t entjog fic^ bie „Suttlarifd^c SRotte" burc^ (Snttoeid^ung
au3 bem ©cfängni^ unb burd^ Uebertritt jur lat^olifc^cn Äirc^e
1) ®oe6e( II. 6. 784. ^o^^ut^ @. 117.
2) ®oebeI H. @. 778 ff. IBatt^oIb Im Ql^orif^en Xaf^eniu^ 1^52
6. 279 ff.
427
in (S5In 1705. ®ie festen barauf in $^rmont nnb bem benad^«
barten $aberbornifc^cn @täbtd^cn Sflgbe i^r Xrciben fort,
famen iptebcrum in ©efangenfc^aft unb Unterfud^ung t)or bem
$abcrbornt[c^cn ^orum, entmid^en abermatö unb begaben fic^
noc^ Sltono, n^o bie fieiterin nac^ 1717, rote ed ^eigt, in unan^
ftögigen ober et)ren^aften 93er^ä(tniffen geftorben t[t. S)ie Sin«
jelf)ctten bie[cr fd^euglid^en ©cfc^id^ten barf id^ mit SSertoeifung
auf bie angeführten ^arfteQungen übergeben, toeil fie in ein
üom ^ietidmu^ gänjUci^ Derfc^iebened @ebiet gehören, auc^ nic^t
in biefem i^ren ^nlag ^aben, fonbern in ber t^cofop^ifd^en SR^
t^ologie SBeiger^ unb ber unerfc^öpflid^en SBoIIuft ber für immer
in ber ©efd^ic^te gebranbmarften ^^rau.
Sud) ber meitere SSerlauf bed SBittgenfteinfd^en ^cpaxatUh
mud, bad Unternehmen einer p^ilabetp^ifd^en ©emeinbe in Serie::
bürg unb baiS auftreten ber concurrirenben 3nfpiration^emeinben,
mag SUed ©oebel im brüten Xl^eile feinet SBerfd @. 71—165
barftellt, rooju auc^ feine ©efc^id^te ber Snfpiration^emeinben
in ber geitfdirift für ^iftorifc^e Ideologie 1854. 55. 57 fommt,
reid^t über bie ©renjen bed $ieti^mui^ in ber reformirten ^rc^e
l^inaud.
20. Sfnebridl Sbolf £amye.
993enn man nad^ ber unreifen, bilettantifc^en, ungefunben
Bielgefd^äftigfcit bcd ©e^Hiratiften ^ord^e bie folibe, georbnetc,
mogöoHe ©rfc^einung Sampe'd fennen lernt, fo ergiebt ficft öor
allem ber SBcrt^ ber t^eoloflif(^en ©d^ulc aud^ auf bem Seiben
gemeinfamcn ©ebicte be« ^ietiömud. 3n Sampe begegnet un«
ein ©c^üIer Don ßocccjug, »clever mit ber eckten Ueberliefcrung
ber Don biefem gegrünbeten ©c^riftau^Iegung bie praftifd^en 3n«
tereffen be^ ^eöangelifc^en" ^ieti^mug Derbinbet, in »etc^em fid^
bie äBirfungen Don Soet unb Don Soccejud jufammengefunben
^aben. SEBeil a(fo Sampe ben l£rkoerb, »eichen bie SRieberlänber
in ber X^eologie, roie in ber $ra£id bed d^riftlid^en Sebend ge*
428
mad^t Ratten, ftd^ ju Sigeit tnad^en lonnte, fo nal^m er t)on 9n<
fanfl an eine fcftc ©teQung ein, meldte bcm «bcrül^mtcn" ^ord^c,
tuie il^n Sampe nennt, ftetö gemangelt i^at, unb fiberbietet ben<
felben burc^ ben SBert^ feiner Seiftungen, n)ie burd^ bie SBebeu«
tung feiner 9lad^mirfung. Sompe ift aber überhaupt nod^ baburd^
tt)id^tig, baß er ate ©c^üter öon „emftigen" (Soccejanem (©. 308),
nid^t bloö in ber ^rebigt mit beren gelehrter ©d^riftauSlegung
bie Sbfid^t auf bie Siegelung bed ^riftlid^en Sebend t)erbanb,
fonbern auc^ für bad S^cc^t ber Sonüentifel eintrat, toelc^e bi^
auf feine Qdi nod^ immer ald ein SSermäd^tnig t)on SBoet gc«
gölten Ratten. 2)ie perfönlid^e unb bie literarifd^e 93ebeutung
Sampe'^ ^at bemgemäg bie ^olge gehabt, bag ber ^ietidmui^
im norbn)eftlid^en2)eutfc^Ianb feine t^eologifd^e ^arbe angenommen
unb bid in bad 19. Sa^r^unbert bemal^rt f)at, mä^renb fiompe
auc^ in ben 9{ieberlanben feiner ©c^ule gerabe babur^ Slac^brud
ju geben oermod^te, bag er auf bie $f(ege bed ^ieti^mud in beit
ßonöentifeln bebac^t ttjar ^).
griebri^ «bolf Sampe ift im fjebruar 1683 in S)et*
molb geboren (19. fjebruar getauft), njo fein aug SBremen flam*
menber SSater ^einrid^ Sampc feit 1676 ^rebiger mar. 3>erfe(be
ging 1685 an bie reformirte ©emeinbe ju granffurt am SRain,
barauf alö ^ofprebiger nad^ Äönig^berg, tt)o er 1690 geftorbew
ift. 3)er ©o^n tpurbe feit feinem britten Seben^ja^rc t)on bem.
mütterlid^cn ©roßöater, bem ©eneralfuperintenbenten 3^0^^ ^^
3)etmoIb erjogen unb fam nad^ beffen 1691 erfolgtem lobe mit:
feiner SRutter nad) Söremen. .^ier befuc^te er 1698—1702 bo^^
S^ceum, mo er unter Änberem ben t^eologifc^en Unterrid^t öoic::^
(Cornelius be $afe genog, einem äRanne, toelc^er bie 9{id^tun(
Untere^dE'^ fortfefete. 35arauf ftubirte er noc^ ein 3a^t lang ii
graneler unter Sampegiu« SSitringa bem Keltern, oan ber SBaeij«
unb SlogD, alle brei Koccejaner, ber Sefetere jugleic^ 6artefian(
unb Vertreter einer jalimen ©peciei8 öon Mationaliömuö. ©c^oi
1703, alfo mit jtoanjig 3ö^ren mürbe Sampe ^rebiger ber fleinci
1) 3«nt golöenben ifl oufeer ©oebel II. 6. 398— 4S5 au ocrglet^e^
Otto tlft^lemann, Srtebric^ ^olf fiampe; fein Seben unb feine S^eotogii
^telefelb unb Seip)ig 1868, — eine iDlonograp^ie boQ SetDunberung fflr b(
gelben, aber o^ne umfaffenben gef^i^tli^en (8efi(^t6hei6 unb |a4gemfi§e^-^
Urt^.
429
©cmctnbc SBccjc im ^crjogtl^um ®Ict)c, fam jeboc^ 1706 tiad^
SJutöburg. §tcr fanb er fc^ioicrigc Scr^Itntffc öor, ctncrfciW
bic feit Eoppcr'18 (©. 386) Qcit bcftc^cnben Konücnttfcl, bcrcn
lababiftifd^e Snfprüd^e furj Dornet bur^ ^o^mann'd (@. 423)
Sintuirfung gcfteigert toorben tuaren, anbererfettö bie ®[dd)QÜU
tigfeit unb ba^ SSJiberftreben ftttlic^ t^erfommcner @emetnbcg(teber
gegen bic Si^ciplin. 3nbcffen biefcö gelb für bie Uebung feiner
feclforgerifd^en ©ewiffcn^aftigfcit üertauf^te er fd^on 1709 mit
ber ©tep^ani=@emeinbe in 83remen. §ier i)ai er eine reiche lu
terarifc^e 3;^ätigfcit mit feinem ^auptmerf eröffnet: @el)eimni§
bed ©nabenbunbe^, bcm großen Sunbc^gott ju S^ren unb allen
l^eilbegierigen @celen jur Srbauung geöffnet ^), neben tueld^em
junäc^ft tjeifc^iebcne 5ßrebigtfammlungen ^ergel^cn. SSon 1720—
1727 belleibetc er bic 5ßrofeffur bcr 35ogmatif ju Utre^t. 3n
biefe 3cit fällt eine SReil^e njiffenfd^aftlid^ tl^eologifd^er Arbeiten
£ampe'd, t)on n^cld^en fein Commentarins analytico-exegeticas
in eyangelinm sccundam Jobannem (3 99änbe 1724. 26) bie
bebeutcnbftc ift. daneben nenne id^ noc^ Compendinm theolo-
giae nataralis (1723), Historia ecclesiae reformatae in Hun-
garia et Transsylvania (1727), Delineatio theologiae activae
(1727) b. i. eine t^eologifc^e SWoral, bie Äbl^anblungen über
l>a^ äBefen bei^ ©laubeniS gegen üan X^u^en (©. 322), jtoei
^b^anblungen de poenaram aetemitate unb anbere, meldte in
bcr öon ©erbeg üeranftalteten ©ammlung ju pnben finb. Steinet
man baju bie ju Bremen 1729 erfd^ienenen Rndimenta theolo-
giae elenchticae, fo ^at Sampe fid^ auf allen Gebieten ber
X^eologie bcmät)rt. Snbeffen bie toid^tige Stellung an ber be^^
türmten nicberlänbifc^en Uniuerfität t)ermod^te i^n ni^t feftju«
polten, al^ er 1727 einen SRuf nad^ 83remen jum ^ßrebiger an
ber 8[nögarii=@emeinbe unb jum altcrnirenben Siector an bem
S^ceum empfing. Seibcr foHtc er biefe Äemter in ber §eimat^
nic^t lange beflciben. ©eine förperlic^e Äraft l^atte fic^ fd^on in
jeinem 47. Sebemäja^re erfd^öpft. (Sr ftarb in golge eine^ SBlut*
fturje« 8. ©ecember 1729.
^ag Sampe (Soccejlaner toax, fd^eint aud bem Xitel feinet
1) Bremen 1712 unb flg. Stec Steile, Don benen ber britte unb
tnerte je atoei Unterabt^eilungen {fielen, fo baft brei glei^ fiarfe 96nbe in Hein
Odat) ^eraudfornmen. Siexte %uf[. bed erften X^eilS 1726.
430
^Qupttperfed o^nc SBcitere^ gefd^loffen tüerben ju fönnen. 3n«
beffen mir ^aben aU 9tebcntitel üon SEBil^elm ^xaUV^ äBcrf eben«
faOi^ bie ^^SBa^r^citen bed ©nabenbunbed" bejcid^net gefe^en
(©. 291), unb bicfcr Sflicberlänber t[t immer für einen Soetianer
angefe^en tporben. ^QerbingiS ift ber Unterfc^ieb ber (Schulen
im üorliegenben gaOe baburd^ angebeutet, bajs bic f^ftematifc^
(Erörterung unb bie ^arftedung ber ©efc^id^te bed ©nabenbunbe^
bei beiben äßännern gerabe im umgeEe^rtcn SSerpitnig be^ Um«
fangeiä ftc^t. Sei örafel ift bie ©cfc^ic^tc beg ©nabenbunbed
nur ein ^n^ang ju ber ^ö^ft audfü^rlid^en ^arfteüung bed ©^ftem^
ber Dogmatil unb ber ffit^it. 83ei Sampe befd^ronft fic^ bic
t^etifd^e DarfteQung ber aQgemeinen 93er^ältniffe bed ©naben»
bunbcg unb feiner befonberen ©üter auf ben erften I^eil bc§
SBcrfe^, bilbct alfo nur ben fcc^ften I^eil bcg ©anjen. ®er
jWeite 3;^cil beginnt bie ^iftorifc^e ^Betrachtung, unb biefer (5r*
örterung ber „SBege ®otte^" wirb fc^on bie fic^re „öon ber
ttja^ren Äird^e" untergeorbnet. Unter jenem 3;itcl beginnt bie
unerfd^öpfli^e ^üQe uon X^pologie, meiere ben (Soecejaner beut«
lid^ uerröt^, unb fic^ burd^ bie Derfdjiebenen ^aud^altungcn
®ütted unb bie Äir^engefd^id^te beö 91. %, bi« jur ^ftftcQung
i^rer 3"^"^^f^ fortfc^t; bogmifi^en n)irb bie Siegel bei8 c^riftlic^en
2eben^ au^ bem 93orbilb unb ber Se^re Sefu cntmidCelt; cnblic^
lenft Sampe mit ber Se^re t)on ben Saeramcnten unb t)on ben
©ütern bcö 91. 3;. in bie t^ctifc^e DarfteDung prüdt. «l« 6occe«
janer aber giebt fic^ Siampe burc^ feine »uffaffung ht^ ©obbat^«*
gebotet funb. Die gragc, ob baffclbe in feinem buc^ftäblic^n
@inne für ein (£eremonia(gebot j(U ad^ten fei, mel^ed aUein bie
äuben betraf unb mit ber ^au^^altung bed S. %. aufgel^oben
ift, ober ob eg für ein fittlid^e« ®cbot ju Ratten fei, ober tDcnigften«
ob tttoa^ ftttlic^ed, ha^ alle äJ^enfd^en Verpflichtet, in bem 93uc^
ftaben bed ®ebotd enthalten ift, beantwortet Sampe mit Soceejud
(©. 139) in ber erften Stiftung, mä^renb 83rafel tt)ie auc^ SBitfiu«
fic^ für ben jmeiten gaU entfc^eibct *). Ate «nl^änger bciS Socce«
jug legitimirt fid^ ßampc ferner burc^ feine 5ßrcbigtn)cife. Die t^eore*
tifd^e Söe^anblung be^ lejte^, ber er ben erften I^eit ber ^rebigt
ttjibmete, njurbe mit ber f^ftematifd^en ffirflärung ber ^ebräif^en
unb gried^ifc^en SSJörter unb t^rer Segriffe belaftet unb burc^
bie %üüt ber X^pologie ausgeführt. Sr ^at bann immer eine
1) Snabenhunb III. 6. 969. Redelijke godsdienst IL 6. 69.
431
Pd^ft umfangreid^e Sntoen^ung auf bie üctfd^iebeneu ^(offen ber
ßw^örer ^injugefügt, loic bic^ aud) bei ©mijlcgclt (©. 291) bcr
$qQ x\t, nad) bem SBorbilbe Siobenfte^n'j^. 9lfö (Soccejaner in bcr
X^eologie bejeic^net \xä) Sampe meitcr^in baburd^, bag er bcn
^Begriff @otte^ bircct ni^t auf bic ©ouücränctät, fonbem auf
bie @üte uitb Siebe bcftimmt, nSmlic^ bQ§ @ott ni(^t toiQ auf:»
^ören ben ©ünber ju fachen, btd er i^n ju feiner üoQen @emein«
fd^aft gebracht ^at. 2)iefem Attribut @ottcd entfprtc^t bei Socce«
IUjS fjelbft ber ®a^, bag in bem göttlichen Sbenbilbe hc^ ÜRenfc^en
eine Proportion jmifd^en @efc^öpf unb @c^öpfer aui^gebrfidt ift
(©. 138), meldte bei ben SSoctianern burc^ bie JBoranfteCiung ber
@oui)crönetät ®otteS aui^gefd^Ioffen ift. 9lQein jenen jn^citen @e«
banfen bietet Sampe ni^t bar, n)cil er überhaupt auf bie im
SBcrfbunb uorau^gefe^ten @runbt)er^ältniffe ni^t eingeigt, fonbern
ftc^ auf bie ^arfteOung bed @nabenbunbed @ottei^ mit bem
©ünber bcfc^ränft. Sluf biefem fjelbe aber befolgt er bie ©e^^
trac^tung, meiere auS ber SSoetianif^en @4ule entfprungen ift,
unb bebient fic^ aller ber Sontrafte, meiere bie $ictiften aud bem
nactten S3egriff ber @out)eränetät @otted abgeleitet ^aben, o^ne
JU bead^tcn, bag an^ (Socceju^ ®runbbcgriffen biefelben nid^t ju
folgern finb. „§ier fielen gegen einanber über bie allcr^öc^fte
aRajeftöt unb ein in feinem ölute bcinat) erfticfter ©ünben*
iDurm ^), bic OueUe be^ Sebenö unb ein tobtciS Äaö; ber ^ö^er
otö a0e ^immel ift unb ein im tiefften ©c^tamme berfunfened
^öQenfinb, mit einem SBort, ha^ t^oUfommenfte 9lQed unb bai^
Dcräd)tlicl)fte unb öerfluc^tefte Slic^tö/ Cd ift bie golge bc«
^egriff^ ber ©ouüeränctät @otted, bag an ber ©ünbe nid^t n)ie
bei ben 9{cformatoren bie ©c^ulb in Setra^t fommt, fonbern bie
C^nmad^t, bad Slenb, bie ^bfc^eulic^fcit. d^ gilt alfo ^ier eine
!3)etrac^tung^n)eife, meiere mctap^Qfifd^ unb äft^etifc^, aber gerabe
Ttic^t, toa^ fic fein foQte, et^ifd^ ift. ®er ßeim ber rid^tigen
SBeurt^eilung ber ©ünbe aud @iocce)ud Segriff t)om göttlid^en
<Sbenbilbe ift alfo für Sampe nic^t aufgegangen, ©eine Qu^t*
l^drigfcit ju Socceju^ ©d^ule bejic^t ftc^ bemnad^ gerabe nid^t
Quf bie Aneignung ber gefunben t^eologifc^en ©runbbegrtffe. (Er
ift ma^rfc^einlid^ unter ben 9lac^mirfungen Untere^dC'S frül^er
1) SHefeS efel^afte auS Sie^. 16, 6 gef48))fte 9ilb bettoxiugt 2ampt
ebenfo fe^r, tote Soa^tm 9Uanber.
432
?ßictift gctoorbcn, cl^e er alg I^colofl fid^ bcr SRct^obc bc« Socce*
^tö $iettft aber ^atte er bie aud SBoet'i^ ®d^ule entfprin^
genben ©runbanfc^auungen üon ©otte^ ©out)etönetät unt) bed
äWenfd^en Slic^tigfeit fid) angeeignet, ein ©^ema, tDelc^cö er in
[einer perfönlid^en ©elbftbeurt^eitung nid^t auf ben ©egenfol
jmifc^en ®ott unb bem ©finber befc^ränfte, fonbern andf ffir ben
®nabenftanb unb beffen (Erfahrungen geltenb machte. Unter
feinen fiiebern fommt ^iefür befonberd in SBetrad^t bad ,,£ob be^
§errn 3efu", beffen 36 ©tropften bie ganje §eiUgcf(^ic^te mit
ber Söetcftrung be^ S)icftter^ äufammen faffen ^ unb ber „©eufjer
um «blergflügel" *). 3n biefen ©ebtd^ten, toeld^e fic^ rftetorif(^
feftr au^cic^nen, mirb bas^ @efüftl be^ ©ünbenelcnbe^ in bie
bräutlic^e, ja eftelid^e @emeinfc^aft mit bem ^errn Sefud, in bie
Xrunfen^eit burcft feine ®nabe, cnblic^ in bie m^ftifc^e Sinigung
ftinauSgefüftrt. 9lber eben aud^ für ben ^eitöftanb mirb bie
9licl}tigfeit unb bie Dualität be^ ©täubleini^ üorbeftalten ; biefe
SBeurtfteilung fnüpft fic^ alfo nicftt erft an bie ©ünbc, fonbcnt
ftaftet an ber ©d^ägung be^ SlbftanbeiS ber (S^reatur Dom ©d^öpfer.
SBenn ein (Soccejaner im ©tanbe mar hierauf einjugeften, fo t^x*
1) Sttnbletn 26 gottfeltgec (Seffinge enttoorfen t)on Qfriebri^ llbolf Som^
Bremen 1726. 6. 58: äd^ f^nSber l^sneniDucm, td^ lag in meinem Blut
3u beineS Soxnti Si^I; al§ eine S^tangenbrut 3n 6otan8 S)ienfl tierfouftr
3um ®uten ganj erftorben; SBerftnflert amSerfianb, amSBiUen grunboerborbeiw
VI8 ein %u8)fi|t0er bebedt mit ®rinb unb Q^iUt, 9a betneS 9lamenS geinb mt^
beineS 9iei(!^§ iBeflreiter. 6. 61: i)ieS brod^ betn ^oter^et); bu mod^tell mir
befannt 3n betneS 3BorteS 2\ä^i, in betneS (S^eifleS $fanb, 34 foOt mi4 fflr^i
ntd^t; bu iprad^j! id^ {oUte leben, ^u »oUteft btd^ an mi4 unb mit bir
geben, SBürb i4 aUein unb gan) bid^ für mein Xf^txl emfidlen, 6o n>o
bu mit mir im (Stauben bid^ üermfi^Ien. — (Sin freubenüoHeS 3a ^ot mt
mit bir oertraut; bu tourbj! mein ^rfiutigam^ bu nenneteft mi4 Staut, ttn«-
gleid^eS (S^gebing! beS $immel§ j(5nig licbet@in 6tfiublein, baS i^mni^ttr
unb bem er aUeS gtebet.
2) 6. 32: 9{a4 ber Sd^ilberung beS SttnbenelenbeS (ei^t e§: $a^ U
bt4 mit mir oermfi^Iet, SRid^ gu beiner Braut erafi^Iet, 2)eined SUit^S Beltftn'
bigteit l^ann {a meine 9li4tig!eit Ueberioiegen unb Derf^Iingen. — C bofc
mid^ nid^td m5d^t erquiden, %U mann bu mit (Snabenblitfen 3m Verborgnen
mt4 anla^ß Unb in SBoUujt trunfen mad^^. — ^54t i4 lieben toie bu lxttt%
9R54t i4 bringen loaS bu gicbefl, O mie mürben bann in (Sin Shi unb i4
gef^moljen fein!
488
fte^t man bie @r!(ärung t)on XJQben, bem jünoern 3^itgenoffeti
Sam^e^ bog e^ unter $iettften nic^t mc^r barauf anfomnie,
tnelc^er ttjeolocitfci^cn @c^ule einer angehört (@. 308). 3n bem
t)i)rUegenben ^auptpunft ber ©elbftbeurt^eilung n^aren aOe
^ietiften fiobcnftet)ncr, unb im ®runbe SSoetianer. äßit Xjaben
aber berührt fi^ Sampe aud^ in ber allgemeinen Sibft^t feiner
^rebiflt (©. 314). 3n ber ^rebigt, mit welcher er 1709 öon
Duisburg Slbfc^ieb nat)m *), ertlärt er oU ben 3^ecf feiner SBor^
tröge, ß^riftum ben ©efreujigten nad^ feiner ganjen Siebend^
märbigfeit ben ^u^örern angenehm ju machen unb fie ju feiner
®emeinfc^aft ju locfen, unb burc^ bie (coccejanifd^e) Deutung ber
SBeiffagungen unb Erfüllungen ben treuem @nabenbunb ©ottee;
unb bie Sereinigung mit i^m i^ren Seelen fd^mad^aft ju mad^en.
S)tefe Slbfc^ieb^prebigt ift jugleic^ ein mertoürbige^ 3^ugnig
baDon, n)ic fiampe bie üerfc^iebenen klaffen t)on ©emetnbeglie«
bcrn nac^ jenem SJtagftab feiner $rebigtmeife beurt^eilte. Sr
burfte annehmen, fie alle als X^eilne^mcr am @otteiSbienft üor
fic^ }u ^aben, bie Unmiffcnben, bann bie Unbugfertigen, n)elc^e
btc $rebigt Don ber @nabe mit @pott, unb bie Siüge i^rer
©c^OD^ffinben mit frechem Uebermut^ ermibern, bie bürgerlichen
S^riften, benen Dorgel^alten mirb, bag fie fic^ auf bie äußeren
^flic^ten beS ©otteSbienfte«; unb ehrbaren SBeinbel, ber boc^ nur
littfameS $eibentt)um fei, befc^ränfen, bie^euc^ler, n^elc^e in ben
Sonüentifeln ^^u finben finb, aber in £afteru leben, bie ben ©na*
)enftanb au^fd^liegen, n^elc^e baburc^ baS (£^riftent^um compro«
mittlren unb Rubere Don bemfelben abfc^recfen, ferner bie über«
jeugten aber noc^ ntd^t }um 3)urd^bruc^ gefommenen ©eelcn,
YDelc^e ni^t fern Dom Sfieic^e @otteS, aber bod^ in einem
iiDcifel^aften ßuftanbe finb, ba fie noc^ nic^t jum Sntfd^luffe
tommen, 3efu ha^ San^ort }U geben, unb benen fiampe mit
bcfonbcrer Sorgfalt nachgegangen ift, um fie DöCiig jur ®c^
burt ju bringen, enblic^ bie n)irflid^ (gläubigen, n^elc^e bem ^re-
biger ftetiS jur Slufmunterung unb (Srquicfung gebient ^aben.
S)iefeS ©erfahren, bie Slntoenbung ju fpccificiren, wieber^olt fic^
in ben ^rebigten Don Sampe unb ift o^ne S^eifel ein 3<^ugni6
feiner ?tufric^tigfcit unb ©emiffcnljaftigfcit *). Allein inbem er
Ij ^nge^dngt on ^bie ^efialt ber SBcaut (S.ffxx\i\ Dor i^cem VuSgang ou§
»ober (^rebigtcn über Offenb. 14, 1—5) 1710; 2. «ufl. 1781. 6.600— 680.
2) 9{a4 ber Wtti^eilung ooit ®oebeI e. 415 ^i biefe SRetl^obe bie
I. 28
434
ben ©laubigen unb bcn Slngcfagtcn entgegen tarn, fo fragt ^
\xd) hoä), ob nic^t für bie Üniüiffenben feine ©^riftauölcgung
äu ftarfc ©Vcifc unb für bie Siürgerlicl)en fein rcUgiöfer ®c\id)t^
punft not^n^enbig unüerftänblid^ unb unjmecfmägig gen)efen ifl
S^rbarer SBanbel unb gotteiSbienfttic^e 9{egelmägigteit innerhalb
ber c^riftlid^en ©efeDfd^aft »irb boc^ lüo^l nic^t gerechter äBeifc
alö fittfameö §cibent^um beurt^eilt ! Qu biefcm Urt^cil ift Sampe
um fo loeniger competent, ald er in feinem Compendinm theologiae
naturalis bie praftifc^en ^ejie^ungen beS S^riftent^um^ jur natfir^
lid^en Steligion begrabirt ^at, unb ntd^t blod bie Siebe ju @ott
nämli^ boi^ Streben nac^ ^Bereinigung mit bem ^öc^ften ®nt,
fonbern aud^ bie $flic^t ber Siebe gegen bie 3l&d)\ten, ja fogar
gegen bie geinbc alö Folgerungen bed angeborenen mcnfd^lic^ai
©elbftbeiougtfein^ ober be^ @en)iffen^ meint geltenb mad^en ju
fönnen >). ®iefe^ t^eologifc^e Untemel^men bergegentoärtigt frri^
lid^ nur bie üon ben ölteften Slpologeten bed (S^riftent^umd fefi^
gefteQten SSorauSfe^ungen ber mittclaltrigen unb proteftantifc^
Offenbarung^t^eologie, unb ift infofern materieQ nic^td fftcn^.
35ic befonbere Sel^anbtung bcö 3;()ema burd^ biefe Soccejoner i\t
icbod^ baburd^ proüocirt, bag ©pinoja, ^obbed unb bie anbeten
SSertrcter beS S^aturred^t^ bie natürti^en Siegeln be^ menfc^Iic^en
SebenS al^ gleichgültig gegen bie @ottedibee bargeftellt Ratten.
SlHein unter biefen Umftänben ^at bie natürliche X^eologie ton
Sampe boc^ bie ^ebcutung, bag er ben Slbftanb bed S^riften^
t^um^ t)om ^eibent^um im Slügemeinen nic^t t)erftanb, oberba§
er einen Sn^alt bed fittlid^en ^emugtfeind, ber pofttit) c^riftli^
unb ben 9J2enfd^en nur aus ber befonbern c^riftlid^en äteligion
aufgegangen ift, fd^on auf ber Sinie bed ^eibent^umiS gegeben
achtete. Sr ben^egte fic^ in bemfelben Strt^um, inbem er bie
@itte, baS ehrbare Seben ber bürgcrli^en S^riften, gegen bie er
Sitte jur Sotge %t^dbi, baB in oteleit ^(emetnben am 9^tebcTT^n ein 34^
^unbert (inbur(!^ bie Eingefaßten, (Srniedten unb ^efe^rten ober au4 bie bofftt
gehalten }u »erben tDÜnj(!^ten, aufftanben, menn in ber ^rebigt ber t^nen ^
tenbe ; X^txl ber Sueignung (eranf am, unb fo lange berfelbe bauerte, ^
blieben.
1) Compendium theol. nat. p. 138. 147. (San) gleiil^artig mit bicf(0
9Ber! ift bie 1720 erf(!^ienene £pitome theologiae nataralis t)on (Umpegntf
^itringa bem @o^n, totlä^tx 1693 geboren, neben feinem Sater $rofe|far ^
2:4eotogie in Sfranefer nmr, unb 1723 geflorben ift.
435
im ÄUflcmcincn materiell nid^tö einmenbet, für l^cibnifcft erflärt.
3n bor ffiinfeitiflfcit feiner pietiftifd&en Sluffaffung bei8 K^riften*
t^umö f)at er eben feinen Ölicf bofür getjabt, bag jene fo gering
gefc^ä^te Drbnung be« bürgerlichen unb bc§ fird^lid^en Scben^ in
bcn pofitiüen SWotiüen beö Sl^riftcntl^um^ njurjeltc. 35ic SWängel,
tDcId^e bomit üerbunben waren, fonntc er olfo nur bcfeitigen,
wenn er ben Slnt^eil ber bürgerlichen ß^riften an ben pofttiöen
@ätern be^ @^^riftent^um^ erfannte unb jugeftanb. hieran aber
^at i^n ebenfo feine natürliche X^eologie mie feine Sefc^ränfung
beS S^riftent^um^ auf bie pietiftifc^e 3Ket()obe ge^inbert. ©eine
religiöfe Seben^anfic^t xoav ju eng, feine njiffenfd^aftlic^e Anficht
Don ber äteligion roai ju meit. 2)ie Kombination beiber $ef)ter
alfo, meld)e in bem qaasi rechtgläubigen ^ieti^muS überall
tt)icbcrfef|rt, machte if)n ungered^t gegen* bai$ „bürgerlid^e S^riften?
t^um", unb unfö^ig auf beffen Vertreter feiner Stbfic^t gemäß
ju Wirten. Gr unb alle feine ©cnoffen ^aben bemnad^ fein
9ied^t gel^abt, über bad bürgerlid)e S^riftent^um abjufprec^en.
2)cr pietiftif^e ß^arafter Sampe*i5 toirb nun burd) feine (Si-
örtcrung ber fieben ^eilögüter im erften S^eil üom „@e^eimni§
beö ©nabenbunbeö" erläutert. 2)iefelben finb 1. bie fräftige S3e*
rufung, 2. ber ®laube, 3. bie SBiebergeburt al^ 3lnfang ber 95e*
fe^rung, 4. bie 9lec^tfertigung (©ünbenoergebung unb ftinbfc^aft),
5. bie Heiligung aU gortfefeung ber Sefe^rung, 6. bie SBerfiege-
lung, 7. bie SSer^errlid)ung. Ueber bie erftc ift nur ju bemerfen,
bafe fie nic^t weiter fic^ crftrecft aU bie Srroä^lung. 3)iefc 83c^
ftimmung bejeic^net ben reformirten 93oben ber If)cologie Sampe'ö.
^cr feligmad^enbe ®laube finbet feinen näc^ften unb unmittel*
barften ©egenftanb an bem ©ol)n @ottei8, burd^ ben allein man
jum 93ater tommt. ^it (Sinfd^lug ber richtigen @rfehntni§ bed
®ot)ned unb bed SBaterS ift ber @laube Zf^at hc^ SBiQenS in
allen ben ©taffein, bereu SJeutung burdö Sampe fc^on (©. 322)
\)orgcIommen ift. „S)enn eine oernünftige ^Bereinigung gefd^iel^t
burc^ bie ©leid^förmigfeit bed SBiUenö." Unter allen SRebcnö*
arten brücft nun feine me^r bie 9tatur be^^ @laubem^ aud aU
ba« Annehmen E^rifti, unb biefe gormel ift ba^ Korrelat ber
abgeftuften Regungen beg SSerlangenö, beö ^ungernö unb Surften^,
bed ß\i^vi6)tnt\)mtn^, bed ^erjunal^end. 3)er ®laube nimmt
nun (S^riftu^ ^auptföc^li^ baburc^ an, bag er auf i^n fc^aut,
ober i^n anfd^aut. „SaS brüden bie Xaubenaugen aud, bie ber
436
^immllfc^c Sräutigam an bcr Äircl)c prcift (^ol^cl. 1, 15), tocü
fie in i^m adein fid^ ju beluftigen unb mit il^m nod^ genauer
\x(i) ju üereinigcn fud^t." §icr bricht bie pietiftifd^e Umbcutung
bei^ et)angelifd^en ®(aubenS burc^. ^nä) bie Sfieformatoren beuten
ben ©tauben atö qnaerere, contemplari, amplecti Cbristam, fte
benfen aber babei (£^riftud als ben Xräger beiS göttli^en @naben^
luiUenS, ber SSerl^eigungen ber ©ünbenüergebung unb @eligfeit
fefeen ben SBert^ C^rifti gerabe in biefe öon i^m öertretcnen
@üter, unb t)erfte]^cn beS^alb ben auf i^n gerid^teten @(au6en
aU unbebingte Unterorbnung unter il^n. Unb fofem ja ber
Glaube an d^riftuiS als SßillenSact eine SSergleid^ung mit ber
Siebe na^e legt, fo folgt auS ber ©olibarität Sl^rifti mit @ott,
bag bie Uebereinftimmung beS SEBiQenS ober bie Siebe ju i^m
fpccieH ber i^m fid^ unterorbnenbe ©laube ift. 3m ©inne ber
9teformatoren ift bie Siebe j(u (S^riftuS nic^t eine DoQere unb
concretere SSorfteflung als ber ®laube an i^n, fonbem bie unl^
ftimmtere, toeld^e jumal als 9J{igbraud^ erf^einen mfigte, menn
fie im ©inne einer ßoorbination beS ©laubigen mit (S^riftud
aufträte. Snbem nun Sampe baS Slnne^men S^rifti ba^in beutet,
bag „mit bcm ©tauben bie Siebe beS $errn 3efu unaufldSlr($
üerfnüpft fei/' be^anbelt er ben ©tauben als ben unbeftimmtercn,
bie Siebe atS ben concrcteren unb volleren SBegriff. 2)amit m-
binbet ftd^ bie anbere 9lbtoeid^ung Don ben äteformatoren, bai
er hif $erfon (S^rifti unb bie Ser^eigungen auS etnanber fett
Srft „burd^ bie 9(nne^mung ber $erfon (S^rifti fie^t ber ©lauie
auf alte in i^m gegebenen SSer^eigungcn unb burd^ i^n ernox--
bencn SBo^lt^aten." ©icfeS «erfahren ift fc^on bei fflil^ta
örafel (©. 297) öorgefommcn. 3nbem nun ^iebur^ bie 8n*
fc^auung ober Ergreifung S^rifti beS SBert^in^altcS feiner ©na-
bennjirfungen auf ben ©lauben entteert lüirb, UJaS bleibt für p^
übrig? 9lad^ ber SluSfunft, bie Sampe junä(^ft giebt, bie lebig'
lidö fd^utmäßigen Attribute ber jnjei SRaturen, ber beiben ©tänbe.
ber brei Äemter. 35icfe Slnteitung jur bogmatifd^en Sleflejio^
ober ©rübelei wirb aber alsbatb übertönt bur^ bie bdonnte
Deutung ber Siebe, toctc^e mit bcm §errn 3cfuS auf bem %^^
ber ©teic^^eit üerfe^rt, met^e ben 8leformatoren tocnigcr geläupS
njar, als bem ^eiligen SBcrn^arb unb feinen Slad^folgem j^
SKöne^t^um. „©o lieb einer 83raut i^r öräutigam ift, fo ü*
muß einer ©eele 3cfuS fein, ben als eine Duelle bcr ©otteSfüfc
437
fic burd^ bcn ©laubcn fic^ jucignct. Slid^tö lüärc leichter ju
finbcn in bcm ^crjen olg bic Siebe be^ §crrn 3efu, tpcnn fie
nur ba tuöre; benn bcr 9}{enfc^ ift feiner Setuegung na^ bem
Saufe ber Statur fid) inniger betuugt als ber Siebe. äBorauf
meine ©ebanfen om mciften fpielen unb ft^ brin ergoßen,
momit id^ gern immer nö^er moOte t)ereinigt fein, xoa^ mid^ burd^
feine ©egenwart am mciften erquidten, burd^ feine äbttjefen^eit
am meiften betrüben fann, ba^ liebe id^ aud^ am meiftcn. 9lun
frage ein jeber feine ©eele: finb meine ©cbanfen am meiften bei
bem §errn 3cfu? bin id^ befc^äftigt mit allem SIei§, um nod^
nä^er mit il^m bereinigt ju n^erbcn? bin ic^ am frö^lid^ften,
toenn 3efu^ mir einen ©nabenblicf gegeben? fann id^ nic^t bauern,
tt)enn ic^ feine Entfernung finbe? SBer ^ier ni^t barf 3a ant:=
toorten, lüie fann ber bcn ©laubenl^aben?" ,,SBaö ift angenel^mer,
aU in ber ^nne^mung ber t^cuerften ^immeföfd^ä^e, in bem
Äoften beg §onigi8 ber Siebe bei5 §errn, in ber Bereinigung mit
bem fc^önften Bräutigam befc^äftigt ju fein?" ®o^ genug; nad^
biefem ^anon ^abcn bic Sficformatoren feinen ®(auben gel^abt.
Aber wenn nur nad^ biefer SWet^obe ba^ Vertrauen auf ben
§erm unb bie 9lu^e ber Sicblinge ©otteg ertt)orben werben fann,
meldte ft^ t)on bcn f^lügcln bc^ S^ebunbe^ mit bem ^errn Sefu
überfd^attet feigen, bann bürfte bod^ nic^t foglei^ ba8 3"9cftä«i>'
nife ber geiftli^en JBerlaffungen angefc^Ioffen werben, weld^e frei«
lid^ nad^ bcm Saufe ber SRatur al^ folgen ber gefünftelten
Sctoegung üon ^^antafic unb ®efü^l nur ju erflärli^ finb,
aber be^^alb ben Sßert^ biefer Kontemplation t)ö0ig burd^freujen.
S)ic ©tarf gläubigen foHen jwar „bie greiiflüt^igfeit, bie ©otteö
®cift erwedCt ^at, in bem täglid^en ^erjunal^en ju bem @naben*
t^ron ftc^ JU 9lu^ mad^en. Sie Sabinet-9{ätl^e be^ großen
^immetöfönigg muffen in feine ©e^cimfammern auc^ oft l^inein^
treten unb oor if)m erfd^einen." „aWan fü^re fid^ aUe ©d^ön^eiten
feinet ©cetenbräutigamö ju ©emüt^c, man muntere feine @c«
banfen auf, um burd^ alle^ 3efum fic^ öorjuftcUcn." „©o wie
ber ®laube fic^ in bem ^immlifc^cn örbt^eil betuftigt, fo fteigt
er au^ in fid^ felbft hinunter unb untcrioirft bic ganjc ©eete
in ©claffenl^eit an bcn §errn." aber bebarf ed nid^t einer
natürlichen befonbem SiSpofition jum contemplatiüen Seben,
um ftd^ f 0 etmad jujumutl^en ? Unb werben f old^e Staturen, wenn
fte nic^t jugleic^ fanguinif^en Xemperamente^ ftnb, bon bcm
438
Siüdfd^Iajic bcr SScrtaffungcn öcrfd^ont bleiben? Sebcnfaüö tft
ftar, ba§ bicfe pietiftifd^c 35octrin feine SSerbefferung bcr rcfor*
matorifd^en 2)eutung beS ^etl^glaubenS ift, fonbem eine Set«
fälfc^ung berfetben.
3n ber SiarfteHung be§ 83egriff^ ber SBiebcrgcburt begegnen
ung einige treffenbe öemerfungen. ©ic ift öor Äßem bie SBer*
änberung be^ 3^^^^ ^^^ äUtenfc^en unb bemgemäg feinet 83er«
mögend. ®enn man mug fie ald ein fol^ed @ut ücrftetien,
n^eld^ed iugleid^ eine ^fliti^t ift. 3uglrid^ ti'ivb t)orbe^aIten, bag
bcr SBiebcrgeborene ttjcber atebalb nod^ immer feiner SScränbentng
fid^ ben)ugt ift jumal bann, n^enn einer t)on feiner ftinb^eit an
gejogen unb üor groben ©ünben bewahrt ift, ober öiele gute
Vorbereitungen üor feiner SBiebergeburt gcljabt f)at. ®iefe gc-
funben ä^^flcftänbniffe finb aber öergeffen, loenn ben SBicbergc*
borenen insgemein jugemutl^et loirb, fic^ unter bie greulic^ften
©ünber ju red^nen unb fo ju einer Serpfuiung i^rer fetbft tou
jufd^reiten, um fid^ ben öoUcn Umfang ber eingetretenen 9ku
änberung jum SBewußtfein ju bringen. 35aö 3icl foB bonn barin
befte^en, folc^e ©itten anjunel^men, bie einem abgefonbertcn SSolf
gejicmen, unb bie ©cfeQfd^aften ber Jiinber ©otted auf^ufuc^en.
Stlfo aQe SEBiebergeburt foD in bie Sonüentifel einmünben!
Uebcrrafd^enb corrcct ift bie SarftcHung ber Sec^tfertigung^
le^re in bcm „©nabenbunbc". 3)er Segriff ber Mec^tfertigung
wirb ^icr, tok eö bei ben fpäteren Meformirten übli(^ tt)ar ^), in
äSergebung ber ©ünben unb Slboption jum ßinbe ©otted jet«
legt. 35iefeö Urtl^eil über bie ®rtt)ä^tten inögefammt ift in bex
Slufcrmecfung S^rifti audgebrücft, bemgemäß bog ®ott bie 6t^
mäl^Iten ate ©ünber in Sl^riftud betrachtet. SBirb cd nun beti^
@lauben bed Sin^elnen flar, bog er fid^ unter bie aUgcmeiis^
SRed^tfertigung ju rechnen l^at, fo ift barum bcr ©laubc fei'^
©tüdE ber @ered^tigfeit felbft fonbern nimmt blöd bod gottlid^
Urt^eil an, loeld^ed bcm (Sinjelnen auc^ bei noc^ fo fc^ma^ci^
©tauben eingefprod^cn njirb. Sllfo fiampe leugnet l^ier audbrficöS
lid^, ba§ biefed Urt^eil ben SBcrt^ bed ©laubcnd ald ber öottJ
ftänbigen, bettjugten annähme S^rifti feftftellt. 35iefe Kombination^^
ttjelc^e ben ©ebanlcn ber Rechtfertigung grünblid^ öerfd^iebt *)^
1) Se^re Don ber Sle^tfertigung unb Serfötinung III. @. 64.
2) 3n bie{er Stiftung ge^t bie SornteL rotläit d^ottfrieb 9&ng1t
(1698 $iof. 3u ^onau, 1716 9lector beS S^ceumS in Bremen) in ber Sombc
439
Ic^nt Sampc bamit ab, ia% er bic Stnnal^mc jur Äinbfc^aft fd^on
bcm fd^toQ^cn SlnfangiSglaubcn j^u Ztjtxi ttjcrbcn läßt, ilaä) bcm
SJorgangc üou SBitfiuiä fügt er noc^ bic Siecl&tfcrtigung be^ ®cs
redeten ^inju *), meiere bcn SBcrt^ ber Heiligung fcftftcDt, unb
5ur SScrme^rung bcr @emig^eit bcr ur[prüngliti^eit Sted^tfertigung
locgcn S^riftu^ bicnt. 9lun bebeutet ba§ auö ber Siec^tfertigung
ju f(5öpfcnbe SBetpußtfein ber ©otteöfinbfd^aft, baß man ein
ftnblid^e^ Scnel^mcn gegen ben ^tmmlifc^en iBater ^abe in t^urd^t,
Siebe, G^re, ©e^orfam unb Unteriüerfung an alle ßö^tifli^nfl^n»
unb ba§ man bic ßi^^c^icftt auf feine beftänbige gürforge faffe.
®a§ ftnb bie gcfunbcn ©efic^töpunfte beö eüangelifc^en E^riften^
t^umg, bie aud) in fic^ flar unb üoUftänbig finb. 3n biefen 3"*
fammenl)ang fpielt auc^ nic^t ein Xon ber S3em^arbinifd^en @ion«
templation l)inein, eine neue $robe bafür, bag fte bem eüange«
lifd^en ß^riftent^um freifib ift unb ju feinen not^toenbigen gunc^
tionen nid^t^ge^rt. Sebod^ nachträglich gc^t fiampe barauf au^,
ba^ pietiftifd^e ©ünbenbettjußtfein bem Söetüußtfein üon ber SRe^t*
fcrtigung aufjubrängen. 35enn „jmifd^en ©ünber unb ©ünber
ift ein Unterfd)ieb. S)ic ©ünber, über njelc^e @ott ben Sluö*
fpru^ ber Sted^tfertigung t^ut, finb gan} anber^ befd^affen, als
bie, mit rodd)cn unfer tjcutigeg ßion angefc^märjet ift." Sampe
meint nun fold^c, bie aud^ il^re beften SBerfe für üerbammlic^
achten, bie il)re 3)efc^ulbigungen gegen fic^ geöffnet fc^en unb
leinen äuöujeg n^iffen, fonbern in wahrer 3<^^nirfd^ung beö $er*
jenö fic^ felber üerbammen, bie ferner ben Jfnfang be^ toal)ren
©laubeng in einem l^eißen junger unb S)urft nac^ ber ©erec^tig»»
feit üben. @r verlangt auSbrüdlic^ biefen S3ugfampf aU 93e«
bingung ber afiedt)tfertigung. Sampe ^at einfad^ üergeffen, bafi
er biefen SSorgang ber ©otte^finbfc^aft gleid^ gefegt ^at. (£r
f)at ferner noc^ nic^t erfannt, bafe jeber feinen äntl^eil an ber
allgemeinen ©ünbe in feinen befonberen Untugenben ^at, bag
bcd^alb ieber als ©otte^finb feine ©elbftbeurt^eitung ^iena^ ein«
|u ^teterict, ber ma^rc tnmenbige unb ouSioeitbige d^rifl § 10 auffleOit: ,9[uS
biefer Bereinigung mit df^xxfto bem Raupte (nfimli(!^ ®al. 2, 19. 20) folget
niii^t nur unfrre Sied^tfertigung, — benn eS ifi feine Serbammnig an benen
bie in d^rifio 3efu fmb (9{5m. 8, 1) — fonDern qu(!^ unfere Heiligung ; barum
füget ber ^[poftel in Sinem ^it^em ^inju: bie ni^t naä^ bem &Ieif(!^, fonbern
na4 bem (Seift nrnnbeln'.
1) 9te(!^tfertigung unb Serfd^nung I. 6. 289.
440
jurid^ten ffat, tuenn er tpa^r unb aufrid^ttg gegen ftd^ feI6ft fein
foQ. ^iemit fann and) bie ©eiuiB^eit ber ©ottedHnbfd^aft 6e«
fte^en; nad) fiampe'S ^niuetfung aber mirb fie ntcmatö erreicht.
35enn tuer tpiU bic ©rcnjc feftftcHcn, au toeld^er bor Dorgcfc^rie«
bene S3ug{ampf erfc^öpfenb unb üoQftönbtg gen^orbcn tft? ^icrin
ift bic ©d^wierigfeit für bic „angefaßten" begrünbet, bag pc
nid^t jum 2)urd^brud^, jur ^nnc^mung bc^ ^erm 3efud gclongen ;
unb fiampe roar in einem großen Srrt^um, menn er in bcr 2)uid«
burger Sbfd^ieb^prcbigt e^ fo barftcQt, baß Sßiberfpenftigfeit unb
9J2angeI an Sntfc^luß ben Surd^brud^ Der^inbem. Sene Wtetf^ott
beS iBußfampf^ unb bie ®en)iß^eit ber @ottei^finbf(^aft gc^en in
cntgegengcfcfeten Siid^tungcn, unb fd^ließen fid^ gegenfeitig auö.
Snbeffen ift ^icr no^ an SinS ju erinnern, fiampe ift bei ha
in bem „®nabenbunb"t)orfommenbcn gaffung bcr Sie^tfertiguufl^
(e^re nic^t fte^en geblieben. SBä^renb feiner SBirffamfeit in
Utred^t ^at er in bem @treit gegen üan X^u^nen Snlaß gefunben,
na^ bem Vorgänge t)cn Sßitfiu^ unb ^rafel bie Stec^tfertigung
bei^ Sinjelnen, n?elc^e üon ber Doraudgct)enben 9{ec^tfertigung ber
(Srmä^Iten im Xobe unb in bcr Slufcrmcdung (S^rifti unterfc^iebcn
mirb, atö Urt^eil über ben SBert^ bciS (Glaubend ober bcd ®to
bcndentfc^luffcg ju begreifen (©. 324). (5r ^at alfo in bicfct
Sntfd^eibung boc^ ba^ ©eine baju getrau, ben begriff berSie^t«
fcrtigung pietiftifd^ ju öerfd^iebcn, fo wie er bem praftifd^cn SSe«
ttjußtfein Don i^r bic Saft beig Sußfampfö unb bcö ©treben^
nad^ bem Umgang mit bem ^errn Scfud auferlegt ^atte.
Sn bcr fie^rc t)on ber Heiligung, meldte atö ber ftamp\
gegen bie eigene ©ünbe unb baneben ald ber neue ©c^orfan^
bargeftcllt tt)irb, toä^renb bod^ ber ©c^orfam ober bie ^ic^^
erfüQung fetbft ber Äampf gegen bic ©ünbe ift, tt)irb Samt^^
auf bie im JR. %. gcfteUtc Aufgabe bcr SBolttommcn^cit gefü^icr^
(£r läßt fic^ audfül^rli($ auf fie ein, nämlic^ fo, baß er fie atö
fc^lic^c unb aU cüangelifc^e unterfd^eibet. 3nbem er nun jea
nac^ ben befanntcn Erfahrungen ber UnüoOftänbigfcit be^ pfli(
mäßigen ^anbclnd für unausführbar crflärt, aber auc^ bie ctHi'
gclifc^e SBoDfommcnl^cit . nur quantitativ öerfte^t, fo öermag
über biefe bircct feine äuöfunft ju geben. 3nbircct aber wii
feine SorftcOung bauon burd^ bie neun 3Rittel beutlid^, totU
,Mnc nadj ber iBoQfommen^eit ftrebenbe ©eele mit 9ht$en
menben fann, um i^r 3Bacl)iSt^um in ber Heiligung ju beförbcm.
441
(fö fmb btefed @ebct, »etrad^tung bc^ SßorteS ©otted, S^o^bet^cit
bei ©Ott, täfllid^e ©clbftprüfung, tägliche Söugc, tüicbcr^oltc ffir»
ncucrung bcig SBunbciä mit (Sott im ®cnu§ bog abcnbma^te,
Auffegen auf bcn ^crrrt 3cfum, namcntlid^ auc^ auf fein Sor^
btlb, Uebergebuttg an bie fieitungen beg ^eiligen ©eiftei^, nament«
iiä) burd^ (Jrtoedung bcr ©tiHe unb ©claffcnl^eit ber ©eete,
enblie^ ber Umgang mit ben anbeten ^eiligen. SScrgtcid^t mon
hiermit, ba§ ber äugere Söeruf, loenn er ju ttjeittöufig ift, um ben
geheimen Umgang mit ©Ott ju geftatten, unter bie ^inbcrniffe
bcr Heiligung gerechnet wirb, fo toirb man burc^ jene Änweifungen
eigentlid^ ä^m Älofterleben geführt, auf beffen SBoben oud^ bie
mciften unb eigent^mlic^ften öon jenen Siegeln l^eimifd^ finb.
^ofmann *) ^at ganj aied^t in bcm Urt^eil, bafe im ^icti^mu«,
fofem er einen tabelnben 9lamen üerbient, ba^ mönd^ifti^e Sßcfen
tt)iebcrgefe^rt fei. S)cgt)atb fe^lt unter biefen SWitteln jur JBoH:^
lommen^eit bie Ireue unb ber ®ifer in ber SrfüUung ber 5ßfli^t
unb beiS ^erufiS. ^enn, um mit X^omaS t)on 9lquino') ju
fpred^en, denm diligere secandnm se est magis meritorinni,
quam diligere proximnni. Vita autem contemplativa direete
et immediate pertinet ad dilectionem dei, vita aatem activa
directins ordinatnr ad dilectionem proximi. Ideo ex suo ge-
nere contemplativa vita est majoris meriti qaam activa. ^urd^
bie SSergleic^ung mit biefem ©runbfa^ flcfd^ie^t auti^ bem ^eti^
mud fein Unred)t, n)enn man i^m bie guten 393erfe anrechnet, ju
meieren er ja auc6 antrieb gegeben ^at. ®enn %ijoma& fäl^rt
fort: Potest tarnen contingere, quod aliquis in operibns
vitae actiyae plus mereatur, quam alins in operibus vitae
contemplativae. ^icfed aber ftfl^t fid^ barauf, bag secnndnm
quid et in casu magis eligenda vita activa propter neees-
sitatem praesentis vitae ; sicut etiam Philosophus dicit in
tertio Topicomm: qaod philosopbari est melius quam ditari,
sed ditari melius necessitatem patienti. Snbtid^ erinnert bad
©tat aus «riftotelc« baran, bafe fc^on Soet (®. 123) bie §er^
fünft biefer ©runbfäfte aui8 ber ^eibnifd)cn ^^ilofopl^ie er«
fannt ^at.
JReben ber tnbiüibueDen ^eili^orbnung ift bie SBeurt^eilung
bcr 3uftänbe bcr Äird)c baö anberc gelb, auf tt)el(l)cm bie ©runb^
iTtfteoIoutf^e «i^f 6. 128.
2) Summa theoL II. 2. qu. 182. art. 2. cf. art. 1.
442
fä^c beig ^ieti^mug jur ©citung fommcn. ®tcfcr Aufgabe fyd
fiampe, nad^bcm er t)icr 3at)tc in S3rcmcn gelüirft ^Qttc, eine
eigene Schrift geluibmet: @roge SSorred^te bciS unglficf liefen
9lpo[tetö Subaö 3fd)ariotg, allen ungetreuen Seigrem jum ©d^rcdfen,
unb allen über heutigem ^ird^enüerfaQ t)ern)irrt€n ©eelen jur
SBarnung üorgefteöet t)on ^^ilabetp^u^ ^^otiuö *). ®iefe ©c^rift
[teilt junäd^ft feft, ba§ bcr Serrät^er an aßen 5ßrit)ilegicn ber
Sünger ßf)ri[ti, aud^ am Slbenbma^lc bei^ §errn t^citgenommen
I)abc. iJerner tüerben bie Qtocdt angegeben, um bcren toillen
Subaö biefc SSorrec^te empfangen \)(xbc. 6^ ftnb bic ffirffiHung
ber SBeiffagung ^f. 41, 10 an bem fieiben Sl^rifti, bic SluffteQung
eine^ SSorbilbeö aller falfc^en fiel)rer, unb bie SBegrünbung bcr
SRa^nung, bag man biefelben, fo lange fie rechtgläubig teuren,
mit Sanftmut^ ertragen foHe, ba eine üoDüommene SRcinljeit ber
ÄCird^e auf bcr ffirbc üom §errn nic^t üerl^eißen fei. $icmac^
erfolgt bie ännjenbung in einer 8lüge bcr falfd^en ficl^rcr, ber
Subaöbrüber, unb in einer SBarnung üor bem ©eparatümu^.
ßampe t^cilt hierin ben ©tanbpunft üon SBitftui^ (©. 277) unb
SBit^elm örafet (©. 293). 3n ber ©^ilberung bcr falfc^cn
ße^rer begegnen mx junäc^ft bem ßwgcftänbnife, ba§ fic red^t^
gläubig unb in i^rer Slmt^fü^rung gefc^öftig ftnb, ferner bog
fic ©d^ulgcle^rfamfeit bcfifeen unb eine SBol^lreben^eit, um bic
®ett)iffen au^unjccfcn. SlHein baran fc^licBt fi^ ber SortDurf,
ba§ fic mal^r^aftc Sefel^rung in i^ren ^crgen nic^t erfahren
l^aben, unb bann ganj im SlÜgcmeinen ber SBorttJurf be^ @eijc8,
n^cld^cr fie ba^ ^mt atö bic regelmäßige Sta^rung^uelle anfe^cn
läßt, unb fic bei Berufungen unb bei i^rcm Umgang leitet, fcmec
bie Siügc i^rc^ SBcr^altenö gegen bic burc^ il^rc ^rebigt (SrtDcdten- .
meiere fic nid^t auf eine vernünftige SBeifc ju leiten oec^^
ftel)cn, unb benen fie jumut^en, nid^t gu tief ju grübeln uu "-
baö S^riftent^um nid^t ju genau ju nehmen, ©c^en toir bauo^^"
ab, baß eine ©ruppe üon ^rebigern offenbarer ©ünben un'^
cine^ untpürbigen gefeßfd^aftlic^en Sebenö bejic^tigt toerben, f ^
erfennt man an ben aufgeführten äRerfmalen ber 3ubadbrüb(
ben parteiifrf)en ©tanbpunft fiampe'^. ®r l^ält benfelben ii
©runbc nur üor, baß fic nid^t ^ictiften finb. 2)enn bie toafy
1) ^rf^ienen 1718. 3mcite ^CuSgabe mit 2ampt'& %mtn 1739.
ftt^rlt^ct ^uSaug bei tf^tUmann o. o. O. @. 53—66.
443
l^aftc S3cf c^rung, bie er an il^ncn öcrmißt, ift btc pictiftifc^c 9Ke*
tl^obc; unb bic Unfä^igfcit in bcr ©celcntcitunfl, bic er an i^ncn
bcmcrft, ift bic Slblel^nung ber pietiftifd^en Folgerungen au^ ber
eDangelifd^en $rebigt. STber f)at nii^t Sampe auc^ t)on fi^ ein^^
gcftanbcn, bag er feine 3lotf) mit ben Slngefafeten gehabt ^abe
(©. 433)? Unb ift bcnn eine vernünftige SBeifc ober eine golgc*
rid^tigfeit jur (ärrei^ung ber §eitegett)i§^eit in feiner SKet^obe
crlennbar geroefcn? Sllfo l)ierin burfte er fic^ tjorficfttiger äufeern
unb ben litel ber 3ubaöbrüber unterlaffen. 5S[ber ber ©eij!
(So ift o^ne 3^eifel ba^ ftttlid^e 3^^*9cfä^ff toeld^eö i^m biefe
Slüge gegen Slmtögenoffen eingegeben ^at. Slber giebt c^ benn
jur ^eurt^eilung biefer (Srfd^einung feinen anbern äRagftab atö
bic aScrgleid^ung mit bcm ^icbe 3ubag? 2ltö bie 8leformation
ben (Sölibat ber Jiterifer aufhob, um fte üon ber 93erfu^ung jur
Unjuc^t ju befreien, ^at fte i^nen mit ber @eftattung ber @^e
bic ©orge für i^rc gamilien unb bereu ftanbe^mäßige SBol^lfa^rt
auferlegt. Sarau^ cntfpringen nun anbere SSerfud^ungen, fpecielt
btcjlenige, n?elc^e mit bcm Srmerb üon ®e(b unb @ut Uerbunben
ift. 3a3ar Sampe nic^t im ©taube, biefe öebingung ber ©ac^e
ju crfennen ? SRun bann ^at er fein fittlid^ei^ ß^^^flefö^I i^n öor^^
liegenben ^^aUc bo^ nid^t üoQftänbig geübt, inbem er bie ^cv^
glcic^ung mit 3ubag l^crbeijog. S)er ^icti^muiS in ber reformirtcn
ftirc^c beS norbn?eftlic^en S)eutfd^IanbS ^at fpäter bem ©d^aben,
» ben fiampe rügt, babur^ ju fteuern gefud^t, bag er ben ^rebigern
feiner Siid^tung bai^ Stecht juerfannt ^at, bic reic^ften ÜRäbd^en
iu freien. SSicHcid^t [)aften an biefer Drbnung lieber anberc
Serfu^ungen! Slbcr inbem ja Sampe überhaupt bie Äbfid^t öer^
folgte, jur 9lac^ftd^t unb @ebulb mit ben 9)2ängcln ber anberen
$rebiger gu ermahnen unb bie feparatifti[d^en Folgerungen ab«
julc^nen, fo burfte er fid^ oor SlQcm bie Uebertreibung in bem
Xitel bcr SubaSbrüber fparen.
3eboc^ üieOeid^t mar e^ in feiner ©teQung ju ben fepara«
tion^luftigen ©liebern feinet näl^ern Äreifc^ begrünbct, ba§ er
burc^ bie übcrtreibcnbe SSerurt^eilung ber anberen red^tgläubigen
^cbiger fid^ erft bag SRed^t crmorbcn ^abcn mußte, jenen bie
Trennung üon ber Jiiirc^e audjureben. 3d^ meine biefer natura
lic^ nid^t aU eine Ueberlegung ber äßittet jum Qtocd, fonbern
al^ ben in ber©timmung unb @en)o^n^eit n)irfenbcn 3ufammen«
^ang t)on ftRotio unb SSerfa^ren. fiampe l^at fidler nid^t baran
444
gebadet baß er btc jur ©eparation ncigenbcn frommen leidster
baüon abbringen fönnte, ttjcnn er für bic geljler ber anberen
^rebtger milbernbe Umftönbc bejeiii^nete, unb jugleic^ an bic
%cf)kv ber grommen erinnerte. 3n ber Stimmung, bic er mit
feinem Greife t^eilte, fonnte fein ©ebanfe ttjeber an bo^ Sine
nod^ an baö Änbere auffommcn. 2)iefe Stimmung mar üiclmel^r
für bie SBarnung üor Separation nur jugänglic^, ttjenn bic ffint*
Haltung üon berfelben alö eine rcd^t fd^ttjere unb beöl^alb Der^
bicnftlid^c Seiftung üerftanben ttjerben fonnte. SJürfen ujir ndm?
li^ ben @ang ber öorliegenben ©d^rift alö jtücdfmäßig für il^r
publicum anfeilen, bürfen ttjir bemgemäß Sampe jutraucn, bafe
er in ber Sd^rift nur miebergcgeben ^at, toa^ feine (Erfahrung
unb fein laft i^m alö ttjirffam auf feine ©enoffen erfd^cincn
ließ, fo em)arteten bicfe eine mögUd)ft bunfele ©^ilbcrung ber
i^nen abgeneigten ^rebiger, um bann if)rc 5Rad)fid)t gegen bic*
felbcn um fo fieller leud)tea laffen ju fönnen. 3c^ meine feine
unftatt^afte @ett)iffengerforfc^ung ju üben, inbem id^ nur Der*
ftänbli^ JU machen fuc^e, ttjarum fiampe bie SBarnung öor ©e*
paration nic^t anber^ unb leichter motiüirt ^at, alö e^ gcfd^e^en
ift. SJenn ttjenn er ni^t auf ben ©ntf^lufe ju einer faft über*
menfd)lic^en 5Rac£|ftd^t bei feinen feparationi^Iuftigcn ©enoffen
red^nete, fo ift c^ nic^t ju begreifen, baß benfelben bic Sncon-
gruenj ber ©rünbe gegen bic ©eparation ju ber ©c^ilberung
ber 3uba^brüber ptte verborgen bleiben fönnen. 3)ie brci Ar*
gumente finb bie, baß nid)t alle Sc^rer ber Sirene Saatebicner
finb, fonbcrn baß unter bem ffiinfluß be§ ^ietiömuS bie Qafil
ber gottfeligcn Scf)rer im ß^ne^mcn begriffen ift; fo ttjcnig alfo
bie anberen Sünger baburc^ ge^inbert tourben, baß SubaS unter
i^nen ttjar, tt)irb bie SBirfung ber rechten Se^rer burd^ i^r 3^
fammenfein mit ben falfc^en bceinträd^tigt. ferner ift bic ®c*
meinfc^aft mit ben ungläubigen SKcnfc^cn in ber Äird^c jU er*
tragen, ujcil eine fold^e immer ftattgefunbcn ^at, unb auc^ im
taufenbiä^rigen SRcii^e nic^t bur^auö aufhören wirb. Daß cnb*
lid) bic Öunbe^ficgcl auc^ ben Ungläubigen gegeben »erben, ift
nac^ bem ©eifpiel ber I^eilnafimc beö 3ubag am Äbcnbrna^lc
unDcrmciblic^, unb fein @runb jur Trennung. SSon biefcn brci
©rünben ift nun gerabe baö untriftig, ttjag üon ber SScrglcic^ung
mit 3ubag l^ergenommcn ift. 33enn nac^bem bicfer ate „ber
Subad'' erfaunt morben n^ar, n^ürbe er n)o^l faum noc^ ju ber
445
Ocmcinfd^aft bcr Sünger übcrl)aupt, j^u tl)rcm Scrufött)irfcn unb
ju i^rer gcier bc^ ^crrnmal^te jucjelaffen tuorbcn fein, aud^
toenn er nic^t burd^ ©elbftmorb geenbct ^ättc! SSlmx toerben üon
ßompc bic anbeten ^rebiger fo al^ Subaöbrfiber d^arafterifirt,
baß iebcm feiner ©enoffen flar war, auf welche bcftimmten ^er«
fönen er bie Äategorie ju bejie^en ftatte, unb cbenfo mußten
jenen aud^ gctuiffe Äbeubma^Iögäfte atö 3uba^brflber erlennbar
fein. Unter biefen Uinftänben aber ergab fid^ Dernfluftiger SBeife
au« ber ©efd^id^te beö 3ubaö feine ^flid)t, bie ©emeinfd^aft mit
bcn Subo^brübern fortjufe^en, fonbern umgefe^rt ber Antrieb,
ftc^ Don i^nen ju fc^eiben. Warfen tuir alfo bennod^ annehmen,
baß fiampe bad üorliegenbe 9)uc^ mit rid^tigem Xafte unb mit
bcr SBirlung gefd^rieben ^at, baß feine pietiftifc^en ©enoffen üon
ber Separation jurüdge^alten n^urben, fo ift biefed aud ber
Sigentpmlid^feit bcr 9iid)tung Derftönblid^. 3)ie (Signatur bci^
^ictiömu^ ift überhaupt nic^t bic JJolgeric^tigfeit, locbcr im reli=
giöfen ffirfennen noc^ in ber ^rajiö; fonbern bie änftrengung
ber ^^antafie, be^ ©efü^Iö unb be« SBitteng in lauter ©ituationen,
toetd^c nic^t folgerecht georbnet finb. 3)er allgemeine ®runb
büöon aber ift ber, baß ber ^ietiömuö im ^roteftantiömu^ bie
mönc^ifc^e Kontemplation erneuert. S)iefe Kombination ift in
ftd^ toiberfpre^enb ; foll fie alfo aufrecht erhalten werben, fo ruft
fie bie Hnftrengungen ^erüor, welche t^eiU überhaupt iteUoi^ finb,
t^eiU in ben SBcrlaffungen bad ©egcnt^eil ber et)ange(ifd^en
^eitögetoiß^eit erreichen. S)iefen Stnftrcngungen ift biejcnige
gleichartig, welche Sampe'ö ©d^rift über 3ubag ben ©efinnungö^
genoffen jumut^et.
@oebel unb X^elemann meinen, baß fiampe burc^ biefe
©d^rift feiner Setrübniß über ben SJerfall in ber Äirc^e ^abe
Äu^brudf geben wollen, nad^bem feine SJemü^ungeu, bie in Srcmcn
nic^t gangbare jiirc^enjuc^t burc^ bie Organe ber ©emeinben
cinjufü^rcn, an bcm SBiberfpruc^ ber ^aftoren unb be^ Kat^e^
ber ©tabt gefc^eitert waren. 2lüein biefe Ännatjme ift gewiß
nid^t triftig, juerft weil Don ber Aufgabe ber Äirc^enjuc^t in ber
©d^rift nid^t bie {Rebe ift, bann aber weil if)r äwfommen^ang
bic Söcforgniß öor bcm ©eparati^mu^^ al^ bad leitenbe SKotiD
erlcnnen läßt. S)en ®runb ju biefer Seforgniß läßt aber ein
9lad^fpiel, wclc^eiS bie ^erau^gabe ber ©c^rift fanb, beutlic^ genug
erlcnnen. An ber SKartinifirc^e in Öremen war ^eter g^icbrid^
446
®etr^, in granlfurt a./a». 1685 geboren,, feit 1710 aK
augcrorbentlic^er ^rebifler anßeftcUt. 3)crfelbe toax üon 3)uiö^
bürg I)cr, too er ftubirt ^atte, mit Zampc eng Derbunben. (St
fd^eint befc^rönft unb mangelljaft gebi(bet, aber um fo beftimm«
barer burd) augerorbentlic^e Erregungen gemefen ju fein. (£r
^atte bie Drbination crft nad^ jmeijä^rigem Äird^cnbienft in fjolgc
eine^ 9Raiorität^=Sefd)luffeg beö Äirc^enconüentö gegen baö Ur^
t^eil bcr beiben ^aftoren ber ®emeinbe erlangen fönnen. 3)cr*
felbe ^ielt nun im Dctober 1713 eine $rebigt Aber 2uc. 19, 45,
in weld^er er bie „fleifd)lid^en" Sc^rer ber rcformirten fiir^e an*
flagte, biefelbe an Dielen Orten jur SKörbergrube gemacht ju
^aben. ßum Ueberflug berief er fic^ auf fiampe'ö ©c^rift über
bie SSorrec^tc beö Subaö, mit bereu erftem 2;^eil feine ^rcbigt
paraQel gegangen n^ar. (£r fnüpfte feine Slufforberung baran,
bie Äirc^e ju ücrlaffen, begnügte fic^ aber bamit, bie ©cmeinbc
auf bie SJorbilber Eljrifti, ber Slpoftet unb anberer Se^rer ju
üertüeifen, unter bencn er bcn feligcn Unteretjd afö feinen SJor*
gönger im 35ienfte bcr ©emeinbe nannte. Sebenfallö leiftcte biefe
aWa^nung fein ©egengcmic^t gegen bie möglid^cn feparatiftifc^n
Folgerungen auö feinem SSortrage. gur Untcrfud^ung gejogen,
befannte er t)or bem ©tabtminifterium, bafe er unter bem (Einfluffe
üon E^riftian Slnton {Römeling^) bie aufregenbc $rcbigt
gehalten fiabe. SJiefer 9)lann, wa^rfd^einlid^ au^ ber ®raff(^aft
^o\)a im üurfürftent^um ^annoüer gebürtig, Don $aufe auÄ
Sut^eraner, ttjar t)on 1701 bi^ 1710 ©arnifon^:^ unb ©c^lofe*
prebiger ju §arburg gemefen. $ier war er etwa 1705 in SBct*
binbung mit einem pietiftifc^en Äreife getreten, beffen ©cnoffcn
fic^ be^ Slbenbma^l^ enthielten. SlQmä^lic^ l^attc er nic^t nur
feparatiftifc^e unb d^iliaftifd^e Slnfid^ten gewonnen, fonbcm war
in ^nle^nung an 3)ippel ju einer pant^eiftifc^«naturaliftifc^en
©efammtanfd^auung gelangt, an welche er bie praftifd^cn %ox*
berungen ber paffiDen ©elaffen^eit für ben ffiinjelnen unb ber
SBußjuc^t jur {Reiner^altung bcr ©emeinbe fnüpfte. 3^91^^^
erwartete er gerabe 1710 bie ßcrftörung ^abd^ b. f). berftirc^c,
unb bag Auftreten beö Slntic^riftö, bie SBcbingungcn für bie
1) SBgl. üBer t^n S^Iofe, d^^r. 91. gtSmeltng'S fieben unb Se^re, tlUt
bte pteti{Hi4en Seioegungen in Harburg, in S^itf^^ft f ttr ^iporifd^e X^eotofiie
1863. 6. 204—226.
447
9iQ^c bcö taufcnbiöl^rtgcn JRcic^ö. SBaJ^rfd^ctnUd^ ift er fd^on
1711 nad) Sörcmcn gclommcn, tt)o er freiließ fid^ in bcr ©tiüc
^iclt, ober o^ne ä^^^^fct ^uc^ mit anbeten empfönglid^cn @c-
müt^ern außer ®etrt) in SBerbinbung getreten ift. S)ann ift e§
aber auc^ me^r alö ttja^rfd^einlid), baß Sampe in feinen ffiin=:
roirfungen ben Sniaß fanb, in ber ©c^rift über bie SBorrec^te
bcö 3uba§ ber ®efa^r beö ©eparati^muö unter ben ^rtommen
cntgcgenjutreten. 3)iefen ©tanbpuntt mu§ er auc^ Don uorn
herein eingenommen ^aben. S)eun für ©oebcl'ö Scfiauptung *),
Sampe fei mit ben @runbfä|en be^ £ababidmuS befreunbet unb
Anfang« felbft ber ©efa^r beö ©eparatiömu« auögefe|t gett)efen,
crft burc^ ben SSerlouf bcr Slngelegen^eit 3)etrt)'« ^obe er ben
©ebanfcn gefaßt, baö bi« ba^in me^r außer alö in ber Äird^e
ftc^cnbc neue fieben in biefelbe einzuführen, finbc ic^ nirgenb«
ein ä^^fl^iß- ®ic le|tere Angabe inöbefonbcre ^at fi^ ©ocbel
nur beö^alb abgettjinnen fönnen, ttjeil er bie nicberlänbifd^e SReilie
bcr pictiftifc^en ©rfc^einungcn nic^t über Sababic l)inaug uer*
folgt ^at. ©enn baSjenige, toa^ er ^ier ald Sampe'g fieiftung
bcjeid^nct, ift fd^on burc^ SBitfiu« unb SBilbelm SBrafel entfd^ie*
ben tt)orben. ©ofcrn fid^ Sampe auf biefe Vorgänger ftfi|te, ift
er gar nic^t in bie SSerfuc^ung burc^ ben Separatismus gcfommen ;
unb bcr ^ietiömuS, ben er mit if)nen gemein f)at, ift t)on Anfang
an mit bem Slnfpruc^ auSgeftattct, bie ^errfc^enbe ©teDung in
ber reformirten Äirc^e ju befiaupten.
§ingegen gehörte {Römeüng ju ber klaffe Don ^ietiften
lut^crifc^er ^erfunft, welche, wie Sörafel (®. 302) rügte, fic^ mit
allen möglichen ^eterobojieen mt)ftifcf)er, ent^ufiaftifcf)er unb
namentlich bö^miftifc^er 3lrt einließen. SSon folc^em 3"fo| l)ötte
fic^ ber nieberlänbifcf)e ^ietiömuS burc^auS rein erhalten. 3n^
bcffcn neben SRömeling ^aben \vix unS ^od^mannS (@. 422) 5U
erinnern; Seibe finb befliffen gettjefen, i^ren »unberlic^en unb
firc^enfeinblic^en Crmcrb in bie beutfc^en reformirt^pietiftifc^en
ftreifc l^ineinjutragen. Slber baS ift bie Vergeltung ! S)er $ietiS^
muS, welcher in ber reformirten Äird^c ein gewiffeS §eimatl)S*
rcd^t bcfi|t, unb baffelbe trofy feiner ftarfen äbttjcic^ung t)om
CalöiniSmuS nid^t üerfc^eräte, inbem er bem uoDen Separatismus
entgcgcnnjirfte, I|at in ber ju feiner ?tufna^me gar nid^t bis*
1) «. a. 0. 6. 403. 424.
448
ponirtcu lut^crifd^cn Äird^e junäd^ft bcn ©c))aratiömug unb
bie cntf)ufiafttfd^c ^eterobojic jur f^olg^t gel^abt. 2»it bicfen
Gegengaben fachten fic^ nun lut^erifc^e petiften ben Dorbilb*
lid^en reformirten Greifen ertenntUd) unb banfbar ju bctoeifcn!
3m üorliegenbcn gaüe erfolgte gleid^jeitig mit 5)etrt)'§ ©Ui^t>enfion
Dom amt bie SSemeifung uon SRömeling au§ Söremcn. Scncr
aber üerftanb fic^ mü^fam, unter bem ßurcben Don Sampc, ju
einem Dom SKinifterium auferlegten 3Biberruf. Seboc^ enthielt
er fic^ fortan beö Slbenbma^U unter bem Sßortoanbe, bafe er
burd^ einige Slmt^brüber oufg 5Reue gereift ttjorben fei. ©ein
©roll ttjurbe o^ne 3^^^^^ baburd^ genährt, bog er ben SEBibcr*
ruf al^ eine ©emaltt^at gegen feine Uebei^eugung empfanb, unb
ba§ er bie SSerbinbung mit JRömeling fortfefyte, ber injwifc^cn
JU Seer in Dftfrie^Ianb Unruhe geftiftet fiattc unb öou ba Der*
liefen nad^ fieiben gegangen mar. ^uvdj einen Sonfliet mit
feinem ^aftor jog 3)etr^ fic^ Don Sleuem bie ©uöpenfion unb
im 5)ecember 1715 bie 3lmtöentfefeung ju. Swflt^i^ empfing auc^
Sampe Dom SRatl^e einen 9Sermei§ toegen ^erauögabe feiner ©c^rift
über ben-'Suba^. Unb nic^t mit Unred^t. 5)enn biefe ©c^rift
loar iebenfallö ein 9lnla§ ber burd) ©etr^ ^eroorgerufenen
©c^mierigfeiten unb ©törungcn beö fird^lic^en g^iebenö. Sieben
ben Sonfticten, bie eben berührt morben finb, ging aber nod^ ein
©^riftmec^fel ^er, ber, mie ade feineö ©leieren, nur peinliche
©inbrüde ^erDorgerufen f)aben fann. 3""öc^ft trat SRömeling,
gegen melden fiampe'g ©c^rift inbirect gerichtet toax, mit einer
©egenfd^rift auf: SJtöt^ige anmerfungen Don bem ^rebigtamt unb
ber 9lbfonberung über ^^ilabelpl)i ^4J^otii I)erauögegcbene ©rofee
SSorred^te bed unglüdlid^en ^poftcld 3ubad Sfc^ariotS, aud auf«
richtiger Siebe, jum gemeinen Seften ber Äirc^e entworfen Don
S^riftian Stnton {Römeling, 1714. darauf antwortete Sampe:
öetrüglid^eö Srrlic^t in SRömeling'^ ©c^rlften unb fonbcrlic^ in
feinen nöt^igen Slnmertungen. Qm SBarnung unb Söcfeftigung
einiger Dertoirrten unb manfenbcn ©eelen entbedt Don ^riebrid^
äbolf Sampe, 1714. 3n biefer ©d^rift maren auö Siömeling'«
©c^riften 51 irrige ©äfee gejogen, meiere, menn auc^ t^cilmcife
migDerftanben ober übertrieben, bod^ ben ©tanbpunft i^rc<^ Ur*
fiebert beutlic^ genug erfennen laffen '). hiergegen richtete nun
1) §tio\t a. a. 0.6.221-225 ffai fif nebft ben emfittfinfenben ^t%w
bemerfungen üon ^tixtf mitget^etlt.
44Ö
3)ctr^, »clever 1716 ^ofprebigcr bei bcr Slcbtifpn üon §crforb
gcttjorbcn toar, eine ©egenfdirif t : Äurjje Sekuc^tiing bcig betrüg:^
liefen Srrlid^t^ quo SRömeling'ö ©c^riftcn, 1717. SBorauf fiampe
cnoiberte: Äurje Urfad^en, tuarum auf S)etr^'^ Äurjc 8eleud)tunfl
u. f. tt). nic^t geantwortet wirb, einmal für allemal angeseigt,
1717. ffiinen bittern SRac^gcfc^mad für Sampe ^atte bie Stnmi:^
f(^ung 5)etr^'ö in bicfen literarif^cn Streit noc^ burd^ folgenben
Umftanb, weld^en er in ber SJorrebe jum britten Il^eil beS
„©nabenbunbeö" berül^rt. %l^ eö bei bcr erften ©udpenfion
3)etr^'g barauf anlam, i^n ju bem SBiberruf ju beftimmen, ^atte
ßampe, ber im auftrage beö SKinifteriumö mit i^m Derlianbelte,
i^n fd^on für ben ©d^ritt gewonnen, olö jener plöfeli^ aUeö
roieber jurüdnalim, weil er im ©inne ber Goncipientcn
bic gormcl nic^t unterfc^reiben fönne. Slun ^atte i^m fiampe
in ©ile jwifd^en onbcren ©efc^äften brieflich Dorge^alten, ia^ cö
barauf in allen folc^en 3!)tngen nic^t an!omme, ba o^ne Stllwiffen^
^cit man niemals bie 3Reinung aUer Soncipienten üon fird^lid^en
SSerpflid^tung^formeln fenncn fönne. 5)iefer biplomatifc^e Slatl^
tl^at auc^ bamalö feine SBirfung. 3n ber ©treitfc^ift gegen
fiampe ^atte nun aber 3)ctr^ ben ©rief fiampe'^ abbrudcn
laffcn, unb it)n aU ein S^wß^ife feiner Une^rlic^teit in firc^lid^en
3)ingen gebeutet, ©eöl^alb fab fic^ fiampe genöt^igt, bie (Kn«
fd^ränfung l^injujufügen, Welcf)e in bem Srief nid^t au^gcfprod^en
war, nämlid^ ba§ e^ fid) bei allen firc^lic^en SSerpflic^tungöfor:^
mein ftet^ um ben notorifd^en ©inn l^anbele, ber in ber Äird^e
gelte. 35iefe Sinfc^ränlung aber war in bem oon ©etr^ mitge«*
t^eilten (unb Don fiampe a. a. D. wicber^olten) I^eil be« Siriefc«
au^ nic^t beutlic^ vorbehalten. 2)cnn fiampe ^atte baran er«
innert, ba§ „fein einziger ^rebiger bie ©t)mbole in bem ©inne
unterfd^reibt, bafe er fein einjigcig SBort anber« Quffaffe aU in
bem ©inne ber Soncipienten." SJaß nun 3)etr^ ben Sirief ge^
fälfd^t l^abe, wagt fiampe nid^t ju behaupten. Änbererfeitö aber
wäre eö fe^r ungerecht, fiampe einer bewußten g^cibeutigfeit in
iencr ©ad^e ju jei^en. SSielme^r ift biefer Eonflict nur bie ^robc
bafür, baß befd^ränfte unb unfreie ©emüt^er, wie 33etr^, aDcö
simpliciter unb niemals etwad secundum quid t)erftel)en, unb
bag alle JBerfud^e Dergeblic^ finb, i^nen baö ®efüge ber SJer^ält«
niffe atö relatiü barjuftellen, Weld^ed fie nac^ i^ren Sebfirfniffcn
alk abfolut berfte^en wollen, üller ©eparati^mud wurzelt aber
I. 29
450
barin, baß btc rclatitoc Urt ber ftrc^Iic^cn Scjicl^ungcii ni^t ju-
geftanben tüirb.
3n bicfer ^infid^t nal^m nun ßampc einen bem Qcpaxaü^
mnö entgcgengcfcitcn ©tanbpunft ein. a33ät)rcnb Sobcnfte^n
(©. 156) ben Sbftanb jtoifc^cn bor unrettbaren unb ber ftc^t^
baren ^ird^e ungültig gemacht ^attc, untcrfd^eibet Sampe jwifc^en
ben Sejic^ungcn ber imücnbigcn unb ber auöiocnbigen Äirc^e.
35ic inttjenbige ift bie enge ©efeOfc^aft bcrcr, roel^e nac^ einem
ettjigen Icftamcnt ber ffirtt)ä^lung jur ©emeinfc^aft ©otted unb
ß^rifti fo fräftig burc^ feinen ®cift berufen finb, bog fie »irt
lid^ in biefelbe bem Anfang nac^ übergegangen finb. ©o oft
bie Äirc^e beö 91. Z, aU eine mit ß^riftu<J Verlobte Sraut ein*
geführt mirb, ift aUejeit nur bie inmenbige ju t)crftet)en. S)ic
auöroenbige Äirc^e hingegen ift bie au§ »a^ren unb auS fc^cin*
baren ©liebern gemifd^tc ©efellf^aft berer, bie nac^bem fie burt§
baö 3Bürt beö ©üangelium^ berufen finb, fic^ ju ß^riftuö befcnncn
unb bie ©nabcnmittel gebrauchen. 33er geiler beö ©eparati^
mu^ befte^t nun barin, baß bie au^ttjenbige Äird^e fo rein wie
bie inttjcnbige fein foß. dagegen füt)rt Sampe au^, 1. bag bie
SJermifc^ung in ber au^menbigen Äird^e im ffitnflang mit ben
biblifd^en 3^"gniffcn immer beftanben Iiat unb bcfteben wirb,
unb becJ^alb unöermeiblic^ ift, ttjcil bie SBorftcIier nid^t üon ®oti
JU §erjen^ünbigern gemac£|t finb; 2. ia^ biefe SBerorbnung ber
SBciö^eit ©otteiB entfpric^t, xotH baburc^ ber äBert^ unb bie
SBirtungen ber SBicbergeburt um fo beutlic^er werben; 3. ba§
bie ffiinttjenbungen ber ©egner o^ne ®runb finb. Sampe ift ^
üöttig ®mft bamit, baß e^ nur auf bie ®emi6f)eit beö änt^eiK
an ber unfid)tbaren Äird^e anfommt. 3)enn, fagt er, fein 3Rcnf(|
fann unfet)lbar ttjiffen, meldte außer i^m fclbft ma^r^aftig ^lieber
ber innern Äird^c gettjorben finb, unb ob nic^t foldje, bie niöit
mit gutem gug nur für aU'Smenbige ©lieDer galten fann, noij
in ben Onabenbunb fommen ttjerben. Äurj fiampe erflärt \i^
mit aller ©ntfc^icben^eit gegen ben Unfug, baß man ben ®naben«=
ftanb ber Slnberen ober ba^ ®egentl)eil beurt^eilen bürfc. ^
f)at biefer Uebcr^eugung Slu^brud gegeben lange beöor bie eitt*
gegengefefete Stnfic^t burc^ S8erfcl)uir unb burd^ Srud^cru^^ ^^^
©d|ortingI)ui^ (©. 337) i^re breifte unb plumpe ©egrünbung e^
fahren bötte. @^ ift flar, baß bie SSerfuc^ung ju biefem JJefll«
mit ber Slbfonberung ber ^eiligen, welche ja au^ Sompc tjot*
451
fd^reibt, auf ba« Sngftc ücrbunbcn ift. Uitb ijat ntd^t Sompc
felbft in ber ß^arafterij'tit bcr Suba^brfibcr ba§ gartgcfü^I Der*
Ic|yt, iDclc^c^ er in bem „©nabenbunb" bei ber f^ftematifc^en Söc^^
urt^eilung beö ©eparatiömuö [o ttjo^lt^uenb bejeugt? SBie fcl^tt)cr
alfo ift e^ and) biefem ernften, auf Heiligung bcbad^ten SKanne
getoorben, feiner allgemeinen Ucberjeugung gemäg im befonbern
galle ju urtt)eilcn! Unb inbcm er jugeftelit, baß bie äußere ®e*
ftalt ber Äirc^e in feiner ßcit noc^ lange nic^t bie bunfelfte ift *),
fo meint er eigentlid^ boc^ nur, bag bie im 3Badö§tl)um begriffene
©rf^einung beö innerfir^lic^en ^ieti^muö ber ©e^ieic^nung ber
Äirc^e ate 93abel entgegenjutialten fei, biefc ffirfd^einung, in
toelc^er fo t)iele SRcije jum Separatismus^ rege ftnb!
lieber bie fc^njeren SKängel in ber gegenwärtigen Sage ber
fiird^e, xocl6)c Sampe unmittelbar anfnüpft, erl)ebt er fid^ burd^
bie ffirttjartung be« taufenbjä^rigen SRcic^eS*). 3nbem er ber
bon (SoccejuS aboptirten Sered^nung ber fiebcn SBeltjciten ber
Äird^e folgt, ttjelc^c fc^on burd^ bie ©int^eilung beö ©d^öpfungiS^
werfet üorgcbilbet finb, bejeid^net er bie Olüdfeligfeit jeneS fie^
beuten 3^*^^^""^^ ^^^ ^'c SBermal)Iung jttjifd)en ßftriftuS unb
feinem neuen SSolf, unb als eine fuße JRui^e beS SSoIfeS in feiner
Äirc^e. ffir rechnet baS taufenbjä^rige SReic^ unb baS neue 3eru=
falem in ®inö. Slbcr ä^nlic^ wie fein fiel^rer ßampegiuS SJitringa
(©. 294) läßt er bie ffirfd&einung beS Sntic^rift üorl)ergel)en in
ber ©eftalt wilber SSölfer, meldte bie wa^re unb bie falfc^e Äird)e
treffen werben, wöl^renb bie proteftantifc^en Dbrigfeiten noc^
gleichgültiger wie jefet baS unterbrüdte ß^on im ©tic^ laffen
Werben, aber Wenn biefe fcinblid)e HJladjt gebro^en, ber %nxU
unb baS ^apftt^um mit ber ©tabt {Rom Dernid^tet fein wirb,
bricht bie l^crrlid)e 3^^^ on, in wcld)er bie Sln^änger beS $apfteS
aümä^lid^ jur wal^ren St\xd)t übergeben, bie Reiben fid^ bem
gleite be« 9)ieffiaS unterwerfen unb fd)Iießlid^ ganj Sfrael feiig
werben wirb, um bann nac^ ^aläftina geführt ju werben. Auf
baS taufenbjä^rige SReic^ folgt eine neue Serfu^ung ber Äircfte
burd^ ben ©atau, bonacft baS @erid)t. S)iefe ?tuffaffung ber
©ad^e trägt bie garben beS EoccejuS (©. 144) unb jwar in
1) dnabenBunb 3. Z^t'xl 8. 792 ff.
2) «. a. 0. 1. ^til 6. 172 ff. 3. tfteil 6. 819—876.
452
t)ert)ä(tntgmägig gtögerer Xreue aU bte paraQelen SuffteQungen
öon SBil^cIm SJrafcl (®. 293).
S)tc ©rcnje gegen bie ©cparatiften unb ffint^ufioftcii, rocld^e
Sampe überhaupt innegehalten t)at, jie^t er auä) ganj 6efttmmt
burc^ feine SBibcrIegnng bcr Sef)re t)on bcr SSBieberbringung *).
S)iefelbe xoax burd^ $eterfen unb fiubroig ®erf|arb bamatö jur
lageöfrage crf)oben ttjorben. Slllcin wä^renb biefc bcn birect
entt|u[taftifc^en @inn ber Sc^re vertraten, tt^oren glei^i^eitig andf
anbete ®egner ber (Eroigfeit ber ^öUenftrafen t)or^anben, melc^
in aufßärerifc^er SBeife mctap^^fifd^e ®rünbe für bie ©nblic^feit
ber menfc^lid^en ©cele vortrugen unb ^ierauö bie ©clbftjerftörung
ber Söfen ableiteten, namentlid^ ber ©ocinianer SBo(jogen, SBa^Ie,
^obbe^, X^ontad S3urnet, ^obn^eQ. Snbem nun Sampe aUe btefe
®egner bcrücffic^tigt, fo ift er boc^, gemäß ber Sorrebc ju ber
beutfd^en Ueberfegung, ^auptfäd^lid^ burc^ ben ©ebraud^ proDocirt
n)orben, roclc^en bie auS ber lut^erifc^en ßirc^e entfprungenen
©eparatiften üon ber Se^re ber öcte^rung beö leufcU unb bcr
öerbammten SJienfc^en machten. @egen fie finb bie meiftcn 8r^
gumente aud ber ©c^rift unb aud ber SSernunft gerichtet, bie et
jufamnienftent. 3^0^^^^ ttjiberlegt er ben ©ebraucö, toeld^en bie
®egner Don einer unglaublichen Qa\)i Don ©c^rtftfteQcn ma^en,
unb bie begleitenben SSernunftgrünbe berfelben. 3)iefe ©cftrift
bient ebenfo toic biejenige, n^eld^e er gegen Siömeling gcrid^tet
^at, aU B^^S^iB bafiir, bag fiampe n^ie ä3rafel unb bie übrigen:
Slicberlänbcr beftrcbt war, bcn ^ßietiömug unücrtoonen mit bcii:
Slbmeic^ungen ju galten, toelc^c in ^eutfc^lanb avS bcm Donc;-
$ietidmu0 befrud^teten S3oben bed fiutt|ertl)um^ auftt)uc^erten.
Db eö if|m gelungen ift, baö ©cbiet bed rcformirtcn ^ietiSmui
burc^aud oor bem (Einbringen biefer frembartigen (Elemente ji
fc^üfeen, ift ju bejtt)cifeln. Ucbrigen§ aber mu§ Sampe'g (Sinn)ir*=
fung auf bie reformirte Äird^e in ben SRieberlanben tt)ic in S>cutfc^«=
lanb unb ber ©c^meij fe^r groß gett)cfcn fein, ©eine Serufunj
nac^ Utrecht bcn)eift, bag man i^n in bcn 9heber(anben aU bi
DoDbürtigen SJertreter ber cinl)eimifc^cn Ideologie, bcren Süngcr^
1) ^te beiben 2)i{fertationen, toel^e f^on @. 408 angtffl^tt flnb,
Sampe 1728, alfo na4 feiner UüdU^x au§ Utre^t nac^ Bremen üer5ffentlt4' -
S)ie8 ergiebt ft4 auS ber !Sorrebe gu ber beutf^en Ueberfetung : Stoet Ser^oidCT'
lungen über bie ^toigfeit ber Strafen. Bremen 1729. Stoeite 9ttf[. 1733.
453
er toax, anerfonnte. Unb feine beutfd^ett ©d^riftett ffaien andf
Ueberfegungen in bie ^oQänbifd^e ©prad^e erfahren. 3n S)eutfc6'
lanb, namentlich am 9lieberr^ein, aber aud^ in ber ®djtot\i
famen feine ^atec^i^men ju fo ufhfaffenber Geltung, bag fie fogar
bem §cibelberger ^ated^i^mu^ Soncurrenj mad^ten. 2)aiS größere
SBerf, ein Slui^^ug aud bem @e^eimnig bed ©nabenbunbeiS, t)at
ben %iid : (Einleitung 5U bem ®el)eimnig bed ©nabenbunbeiS, ber
nac^ ber Dernünftigen 3RiId^ be^ SßorteiS @otte^ begierigen
Sugenb 5um 9lu^en, unb indbefonberc benen, bie jum l^eiligen
!lbenbma]^( foQen jugelaffen n^erben, ^ur bequemen Anleitung
entn)orfen. 9lebft einem Slnl^ang: @rfte Sßa^r^eit^milc^ ffir ©äug«
linge an Älter unb SJerftanb (1717). gerner: aWilc^ berSBa^r*
^eit, nad^ Einleitung bed ^eibelbergifd^en ^atec^idmud, jum 9lu|en
ber lernbegierigen 3ugenb aufgefegt (1718). Söeibe SBfic^er finb
fel^r oft unb an üerfc^iebenen Orten, baö le|tere big in ben An«
fang beö 19. Sa^rJ^unbert« aufgelegt ttjorben. Sticht minber ^at
feine ^rebigtweife fiber imi TOenfd^enalter nad^ feinem lobe bag
JBorbilb für bie ber reformirten SRec^tgläubigfelt an^angenben
^rebiger abgegeben, älö Sampe'g Urcnfel, ©ottfrieb SDienfen
1792 in ©uiöburg ftubirtc, l^at er an ber mec^anifc^en Art, in
»cld^er bag üKufter jener ^rebigtttjeife unter ben reformirten
^rebigern am Sliebenl^ein nadjxoitttt, ebenfo tt)ie an bem bog*
matifd^en ©runbt^puiS ber @rtoä^lungiSle^re, nac^ bem man fid^
richtete, änftog genommen.
3nnerl)alb ber pietiftifd^en ©ucceffion öon SSoet unb ßocce*
ju« nimmt Sampe eine nic^t minber l^erDorragenbe ©teile ein
atö Sobenfte^n unb SBitfiud. 3n praftifc^em l£ifer unb Srfolg
nähert er fid^ ber Sebeutung be^ (Srften, in tl^eologifc^em Ser*
bienfte reid^t er bem Änbem bie ^anb. Snbcm er in bie
eigentpmli^en SSirfungen beiber eintrat, unb fic^ auf ftc ftü^te,
^at er üieüeic^t bireet einen umfangreicheren Sinflug aui^efibt,
aU jene Vorgänger. 3)iit i^nen üerglid^en l|at er i^rem
gcmeinfamen tl)eologifc^en Sinnen ßocceiuö me^r gelb gewonnen.
S)enn fiobenfte^n ^at ton bemfelben nur bie jugleic^ ibealen unb
et^ifc^^praftifd^en ?lnfprücf)e an bie Äird^e überfommen; SBitpu«
^at iugleic^ bie föberaliftifc^e ^Betrachtung ber ^eilögcfc^id^te,
loelc^e er t)on Soccejud übernahm, ber SSoetianifc^en Sied^tgläu«
bigfeit accommobirt, unb beren fd^olaftifc^e ©ebanfenjerfplitterung
bur^ bie lebenbige Snfc^auung Don bem gefc^ic^tlic^en ©anjen
454
ber SicUgion corrigirt; fiampc enblid^ l^ot qU aut^eittifd^et
Eücccjancr tu bcr Ideologie bem t)on SBoct abftammcnbcn Äreifc
bed Sontoentitelc^nftcnt^umd ba^jenigc 3}la^ üon Unbefangenheit
beizubringen Derfuc^t, meld^eS SoccejuS in ber S)eutung bed ®ab^
batl)^ ate d^riftlic^er Drbnung üertrot. SSBie mcit i^m ba^ ge*
lungen ift, muß unentfd)ieben bleiben; aßcin in biefec SJejie^ung
I)Qt er SBitfiud tt)ie fQiakl gegenüber ^arbe befannt. ^iemoc^
ift ju ermeffen, ob ber neufte SBiograp^ borin SJed^t i^at, Sampe
Qtö „c6)t calüinifc^ reformirten Ideologen" ju bejeic^nen, bcr
boc^ nic^t „ein äßann ber bogmatifc^en ©cf)Qblone unb ein
Änec^t beö firc^lic^en ^erfommcnö" geroefen fei *). Die letzteren
^räbieate fommen i()m aUerbingd nic^t ju. @in fo felbftänbiger
unb (^araftcrüoHer SRonn ift niemals Änec^t, fonbern ift in bcm
©toffe, ben er fid^ angeeignet, unb auf ben er fid^ cingefd^ränft ^ot,
ein ^err. Slld Sieget ferner \)at Sampe manche @c^ritte get^an, um
bie @eltung ber bogmatifc^en @d^abIone für bie @d^riftaui^legung ju
mäßigen; übrigen^ Ratten bie regelmäßigen äJtagftäbe ber 3:^eologie,
benen er fic^ unterttjarf, ju feiner ßeit nod) i^r üoUeö gefc^ic^tlic^e^
®cXDidlt, unb toaren nod| nid)t fo bünn unb fo brüchig gemorben,
baß fie für i^n bie Öebeutung einer ©^ablone Ratten, wie für
bie SRad^treter im 19. 3al|r^unbert. SUein ber Ealüini^mud
Don fiampe fann nur bann für ed^t ausgegeben werben, toena
man nic^t weig, meldte Stbmanblungen ber Sabinidmud in bent
5ßietigmuö erfahren ^at, unb toAdjc frembartigen SWotiöe bei^
grömmigfeit aud^ für fiampe in bem iRa^men ber ^eildorbnungt^
©alüin'ö gültig geworben finb. 3d() meine, baß cS feine unerhört
ßumut^ung ift, ben erften X^eil Don fiampe'd „@nabenbunb
mit ben entfprec^enben Eapiteln Don EalDin'18 brittem Suc^c b
„Unterrichts in ber c^riftlidien ^Religion" ju Dergleid^en, beüo
man ein Urtljeil über bie Sd^t^eit Don fiampe'S (SalDinidni
auSfpric^t.
1) 2:5clemann S. 18<n
455
21. (Stttfath 2:erftee0ett.
S)cr eDQngcIifd^e ^iettgmuö in bcn Sliebcrlaitbcn unb in
Slorbbcutfc^lanb ^attc, tt)ie fid^ tt)iebcrl)oIt gegeigt l^at, feinen
aintrieO, fid^ öon bcr Stixdjt ju trennen, üiclmc^r leitete i^n ba«
SBeftrcben, bic Äird^c ju bel^crrfc^en. S)ie eifrigen unb Diclfad^
d^aratteröotlen ©ciftlic^cn, njeld^e i^n überall Vertraten, burften
in bem crftcn SSicrtel bcg 18. 3a^r^unbertö eine ftarfc 9Ser*
mel)rung i^rcr ©efinnungögenoffcn in i^rem ©tanbe maftrnelimcn,
unb fd)cuten fi^ njie Sompe'g SJeifpicI bcroeift, nic^t, biejenigen
Smt^brübcr burd^ übertreibenbe Sifigen einäufd^fld^tcrn, »eld^e
i^nen abgeneigt ttjaren. ©ie I)attcn über biefc ©cgncr fd^on ba*
burcft einen SSort^eil, baß [ie felbft im JBorbringen begriffen,
bie ?lnbern aber auf bie Haltung ber Äbtoe^r befd^ränft toarcn.
3cboc^ gang gcfid^ert unb burc^au^ übernjiegenb loar i^rc ©tet
tung in ber Äir^e feine§tt)egcg. 3)er I)albe ©eparati^mu«, auf
ben fie fic^ alö gü^rer bcr Eonüentifel einfc^ränften, inbem fic
bie Sneformabilität bcr Äirc^e im ®angcn gugeftauben, tt)urbe
me^r unb mcl)r burd^ biejenigen fiaicn bebrol)t, welche bie ßapi:*
tulation mit bem babt^lonifc^cn 3"ftönbc ber Äircftc ju ©unften
beg öoHen ©eparatiömu^ t)erfc^mäl}ten. Daß folc^c 3Bü^lercten
bamatö in bcn Äreifen bcö nieberlänbifd^cn 5ßietiSmuö Dorlamen,
ift crttjä^nt tt)orben (©. 318). ffiinc beutlid^erc SBorftcUung ge*
iDtnnen mir t)on ä^nlic^cn Srfc^cinungen am 9lieberrl)cin. S)ie
t)on fiababie ausgegangenen Sinmirfungcn feparatiftifc^cr Slrt in
SBcfcl, 9Rül^eim, Duisburg unb anbcren Orten fd^eincn fic^
aUerbingö im 17. 3al)r^unbcrt erfc^öpft ju ^abcn. SBenigftenS
mag SKüI^cim an bcr 9iu^r, ben burc^ Untcrc^d'18 SBirfen auS*
gcjcid^ncten Sorort beö ^ictiömuiS betrifft, fo fc^eint bort im
crftcn SJicrtel bcö 18. 3a^r^unbertö bie bominircnbc SRic^tung
eine mo^lt{)ucnbc unb unanftößige ®cftalt bcl^auptct ju Ijabcn;
bic bur^ ^einrid^ ©c^Iütcr (©. 380) im 3a^rc 1670 bafelbft
hervorgerufene ©ä^rung fdicint burc^ bie ©orgfalt ber ^aftorcn
üönig bcfc^tt)id)tigt morben ju fein. 3u einem ©riefe ^) über
1) a)2li0et^eUt in g. 3B. j(rumma4er'8 ^almMfittern 1845. 6.222.
456
«Ibcrt aSBil^elm SWelc^ior, toclc^cr 1708—1717 ^rcbiflcr in
äRfil^eim, bonac^ in ^anau n^ar, tt)irb i^unäc^ft ernannt, nad^
beffcn eingaben fei cö burd^ Unterere! unb ftnbcrc bal^in gcfommcn,
bog nic^t allein eine groge )SnjQ^l tt^aljrer frommen fid^ in
aWüI^eim befanb, fonbern bafe anä) bie Anbeten mciftentl^eite
eined ftillen ruhigen @)emüt^iS unb SEBefend roaren. @o fc^ien bicfe
©emeinbe ein ÜJiufter unb SBeifpiel ber Qviä)t unb ©ottfeliflfeit
}u fein, ^örte man etroa ^anbmertd« ober Stcferteute fomo^il
fünft, aU tt)enn fie bei ber Arbeit toaxen, Sieber fingen, fo n)Qren
foId^eS nid)t ruc^lofe unj^üd^tige, fonbern IjeiUge aud ben $falmen
5)at)ib'ö ober anberen geiftlic^en ©efangbüd^em. SÄan toflrbf
nid^t leicht einen gefunben ^aben, ber nic^t felbft bei feinem be»
fc^tt)erlic^en lagettjer! entttjeber einen Äated^i^muö, ju ben bcbor*
fte^enben fatec^etifd)en Uebungen fic^ üorjubereiten, ober au(^
ein anbereö S8uc^ jur bcftänbigen Änftammung ber ©ottfdigfcit
unb Xugenb bei fid^ ge()abt ^ätte. @elbft Heine ^aben unb
SKägblein fonnte man auf bem 5^Ibe, bei ben beerben unb 8ic^
mit fold)en öerfe^en antreffen. Unfcr ©cligcr pflegte ju erjagten,
bag il^m folc^ed einmal, ald er oon ^anau nad^ äJ{fil^eim ge^
reifet, ein ungemein erfreulid^er ?lnblidC getoefen fei, unb er eben
auö biefem Äennjcid^en roal^rgenommen ^abe, bag er fid^ bereite
im aKült)eimifd^cn bcfinbe.
Seboc^ ergiebt fic^ auö anberen Umftänben, ba§ ^intct
biefen ffirfc^einungen beö grieben^ unb ber Drbnung noc^ wa^ren^
ber Amtsführung 9Relc^ior'j3 in 9Küll)eim ber ©eparatiömud feir*^
ftörenben ffiinflüffe auMbte. 3m 3a^re 1705 nämtic^ fam §ocÄy
mann (®. 422) mit feinen Söegleitern an ben 9licbcrr^ein, ur^
^ielt überall, namentlich in Erefelb, ffimmerid^, SBefel, ^niSbnr:^^
aWütl^eim SSerfammlungen. ffir toiebcrl)olte feinen SBefud^ in jei
®cgenb 1710, unb bel)nte feine 3Birffamfeit aud^ auf baiJ $(
äogtljum Söerg, inöbefonbere auf Solingen unb (Sl^erfelb aud
3n 9Jiülf)eim aber fefete ein üon i^m ertt)ec!ter, b. f). feparatifli"^
gefinnter Eanbibat SB i l ^ e l m § o f f m a n n bie üon i^m angeregl
SJerfammlungen o^ne ®enc[)migung beö ^reöb^teriumö fort -^
^erfelbe ^atte fid) ber !ird)ltd^en Drbnung f^on baburc^ entjog^^«
ba§ er bie Unterfd^reibung beS ^eibelberger Äatcc^iSmuS unb "^ b
1) ©oebcl II. @. 826.
2) ©oebcl III. 6. 293.
457
Äirc^cnorbitung t)ertt)eigcrtc. 3ni 3a ^rc 1713 nun filierte baä
^redb^terium ju' aßfil^etm 6ct ber Sutöburgcr Slafftö ^(age
über bcffen Xljättgfeit, bog unter bem SBorgeben, bad toa^re
ß^riflentl)um ju beförbcrn ber öffcntlid^c ©ottcöbicnft unb bic
übUd^en Jiatec^ifationen beeinträd^tigt, bag @ertngf(i^ä|ung bed
orbentlic^en fie^ramted unb feiner tJ^unctionen tjerbeigefü^rt, unb
Trennung angefttftet roerbc. S)ie SEBarnung unb S)ro]^ung ber
(SjrcomniunicQtton, n)e(cl^e barauf bie (SlaffiS erlieg, unb bie du
flärung ber Sleöifc^en ©tjnobc 1714, bag ^offmann'ö fie^rc Dcr^
bäc^tig fei, frud^teten nid^tö; ebenfo menig bic äBieber^oIung
biefci^ Söefd^luffe^ im folgenben Sfl^re. SJielme^r bauertcn biefic
äJerfQmmlungen fort, unb »urben ber @i| einer neuen ©pecieÄ
bcS ^ieti^mud, n)elc^e i^re (£igent^ümlicf)feit in ber Slufna^mc
ber mobern fatf)oIifd)en quietiftifc^en SK^ftif funbgicbt. S)iefe
(Kombination, t)or n^etc^cr SBil^elm S3rafel n)cnige 3at)re torl^er
gewarnt l^atte (@. 302), ift freiließ gleichzeitig unter ben ^ro*
tcftanten burd^ ©ottfricb Ärnolb unb ^etcr ^oiret vertreten
loorben. SlUcin jener gehörte bem ®ebict ber lut^erifd^en Äircftc
an, unb bicfer eliemalige reformirte 5ßrcbigcr ifi Änttjeiler in
$falj«3n)eibrü(fcu lebte feit 1676 o^ne fir^li^eö «mt in §oU
lanb in ber 9lä^e ber ^ourignon, unb n^ar nur literarifc^ für
bie (Jmpfc^lung ber SDi^ftif tl)ätig. ^offmann alfo I|at juerft
biefe SRid^tung in bic pietiftifd^en Conöcntifcl ber rcformirtcn
ftird^e am 5Ricberr^ein üerpflanjt. 5)ag er nämlic^ Anhänger
ber quietiftifc^en Süt^ftif gcmefen ift, lägt fic^ an ©oebel'ö SKit-
t^cilungen au« einer t)on i^m üerfagten ©d^rift beutlid^ erfennen 0-
1) ®oeBeI 111. @. 297 f. fü^rt als S^rifien i^offmann'8 an: 3n'
»enbige ®Iau6enS- unb StebeSüBung. Tübingen 1724. 2. fTufl. 1733 (ifl
(^oebrl nur bem 2:iiel na4 befannt); ^er letbenbe S^rtfl, tote er im S^reu|
übenoinbet, ober S^reu)« unb Sroftbü^Ietn, morin ge^nbelt toirb Dom Urfpning
ber fieiben inSgemetn, be|onb<rS aber bom ^e^eimni^ beS j^reujeS d^rtflt, Don
beffen äBi^tigfeit, 92u^en unb SSortreffli^feit als einem not^imenbtgen SBege gum
(Eingang in baS 9{ei4 ber ®nabe unb ber ^errli^feii, gronffurt unb Seipgig
1735. hieraus ciiirt C^otM folgenbe Sd^e: „fieiben ifl je^i mein ®ef4fift,
9[nberS fann i4 je^t ni^t t^un, %(§ nur in bem Seiben ru^n; fietben muffen
meine Prfifte, fieiben ift je^t mein O^eminnfi; ^aS ifl je^t beS ^aierS ^iOe,
2)en üere^r i4 fanft unb ftifle, Seiben ift mein (S^otteSbienft*. „3n Summa,
^er ge^et bie Seele bur4 fol^e j^reu^ioege toieber in ii^xt reifte unb er^e^ar«
monie unb Uebereinflimmung mit (S)oit unb in i^re be^5rige Stelle; nfimlid^
fie bie (Ireotur in i^r ^Ir^tS, (S^ott aber toirb toteber VQeS, ia «flef in 90em
458
^offmann ^ot feine ^trffamfeit atö ©tunbenl^alter in 9RüI^eim
bid an feinen Xob 1746 fortgefe^t. atQein fc^oh 1725 l^at er in
feinen 993irfunc{d!reid einen 9(nbern eingeffil^rt, turc^ beffen gleich«
artige ficiftungen er überboten roorben ift. SJiefer fein S^S^inS
toar ©erl^arb Sierfteegen.
ffi^ ift in ber Slrt ber gröntmigfeit, »eld^c lerftcegen öer*
tritt, begrünbct, baß ber ftille unb einfteblerifd^e Sebenitocg *),
ben er gegangen ift, unb ber ©ebonfenfreiö, ben er in feinen
Derfd^iebenen Schriften vorträgt, fid^ burd^aug becfen. (Sr ift
am 25. 5Rot)ember 1697 ju ÜÄeurö geboren, al« ba« jflngftc ftinb
eines Äaufmann«J, ber mit augtt)ärtigen frommen einen ftarfen
Sriefttje^fel führte unb ber ©ottfeligfcit ergeben war. 9lad^ bem
frühen %obt beffelben empfing ber ©oI|n eine geteerte Silbung.
3nbeffen führte i^n biefe Vorbereitung nid)t, tt)ie ju erwarten
toax, jum afabemifc^en @tubium ber X^eologie. 2)ie äßittel
ber t)em)ittn?eten äJJutter reidjten baju nid^t aud, unb er n)urbe,
15 3a^r alt, ^ur Erlernung ber $^aufmannfd^aft einem ©d^mager
in ajZfil^eim an ber SRu^r ifbenoiefen. ^ier tourbe er aldbalb
burc^ ben Umgang mit einem em)cctten Saufmann unb burc^
befonberc ffirfa^rungen auf feine ©inncSänberung geführt, bic er
fel^r ernftlid) fucftte unb beömegen gange 9iäc^te mit Sefen, Seten
unb guten Hebungen gubrac^tc. jförperlidd fc^n)ad^lic^ unb furcht«
fam, tt)ie er mar, aber energif^ in feinen (Sntfc^Iüffen na^m er
Don einer üermeintcn Sebro^ung feinet fiebenö burd^ einen Äo*
lifanfad ben ^n(ag, fic^ o^ne ben minbeften SBorbe^alt bem
guten @ott ganj ju übergeben. S)ie äJcrbinbung Don @d^uc^tern«
^eit, SRcijbarfeit unb SBittenöfraft, njcld^e in biefer angäbe bed
Siograp^cn erfd^cint, ift o^ne ä^^U^I ^^^ inbiDibuelle ®runb
bur4 eine t>W%t UeBergobe unb ^eilige ^lei^gaitigCett in etilem, in fitebe unb
Seib, im fieben unb Sterben, teie ber Qtxx roifl. Sie fogt : O <!(ott, nii^tl
als bi4 unb beinen 3Biaen'.
1) Sgl. bie fieb(n§bef4reibung beS feligen ®er(arb 2:erfieegen in bem
britten 2:^eil ber »^eiftli^en unb erboultdtien ^Briefe über ba§ inmenbtge fieber
unb too^re ®efen be§ C^iriftent^iumS* (2. ^ufl. epettborf bei aWüI^eim a. b
fliu^r 1799j S. 1—120. 3)iejer autjentijdfic i^eridfit eine» genauen greunbf
liegt ben anberen 5)orltcflungen ju ©runbe. ©gl. ferner Äerlen, (!kr^
Xerfteegen ber fromme üiieberbi^ter unb ttötige S'^unb ber innern ^ifftc
Stotxit ^ufl. ^ül^eim a. b. Stu^r 1853; Qoebel III. 6. 289—447; m
JTrafft in ^ergog^S Sleal-lSnc^Üopöbie XV. 8. 537—553.
459
für bic Sntfd^eibung, tücld^c Icrftecgcn über fein Seben traf, ate
feine üierjäfirige Scl^räcit abgelaufen mar. ffid n)arb i^m bie
gänjlid^e 92ic^tigfeit aQer trbtfdjen, Dergänglic^en S)tnge unb bad
flro^e ©etpid^t ber en)igen unb l^immlifc^en fc^r Ilar entbedt, er
bemcrtte jugleid^, ba§ bie Äaufmannf^aft unb ber bcftänbigc
Umgang mit aßerlci SÄenfc^en t^m öiele ß^ft^^euungen üerur*
fadste unb tE)n an bem äBac^i^t^um in ber @nabe l^inberte ; bed»
^alb mä()Ite er bie Verfertigung Don @eibenbanb ald ein jugleid^
leic^te^ unb einfame^ ©cujerbc. S^fllci^ ober feftte er feinen
o^nct)in fd^mäd^lic^en Äörper auf bic f^malfte S)iät, it)äf)renb er
ben Ucberfd^ug feinet Srroerbc^ ben Strmen junjcnbete. ffir fclbft
bcurt^citt bicfeö SSerfaf)rcn banac^, bafe er burc^ ben freunbUd^en
©Ott au^ ber SBelt berufen fei, um t^m ööllig anjuget)ören
(III. ®. 176). S)en SÄagftab baju mu§ er in ben Slnregungen
^offmann^ gefunben {)aben, unb in ben möud^ifd)en ober t)ieU
mcl)r eremitifcften SSorbilbcrn, ttjelc^c üon bem 3n^alt ber quie*
tiftifc^en Sß^ftil untrennbar finb. ®^ ift nic^t äufäüig, bafe
§offmann einen fpanifc^cn ©infiebter ©regoriuö Sopej l^od^gc:»
galten f)at *) ; bicfem Sffiufter t|at fic^ 3)crftcegen in feiner Seben^*
»cife angenähert. @^ ift i^m aud^ gelungen, bie Hemmungen,
tt)etd^e feine gcfliffentlid^ gesteigerte förperlicf)e ©d^ujac^^eit l^er*
öorrief, burc^ ben ©rujerb ber gelaffenen Srgebung in ©otteö
SBiflen ju überminbcn. @r ift in 'feiner Sinfamleit bei allem
äßanget an äußeren SKitteln fo öergnügt geroefen, mie fein
Äönig. So ^at er nac^ bem 3cuflni& beö Siograp^cn fetbft
au^gefprod^en.
Snbeffcn biefe unbeabfid^tigte Uebereinftimmung mit bem
f^nifc^en ^jßl^ilofop^en roax bod) nid^t ba$ @anje. S)ie WetE)obe
ber grömmigfeit, meldte er befolgte, ttjar auf ba^ ©efü^l ber
9lä^e ©otte^ in ber Kontemplation beö füfeeften Sefu^, auf bie
ffiinbrücfe ber fpecicüen greunbfc^aft ©ottee unb auf bie ®r*
fal)rung begf gegenfcitigen Umgänge^ gerichtet, »eld^e bem ©lau*
bigen tro§ feiner Untoürbigfeit ju I^eil ttjerben follte. 2)iefc
Ueberlieferungen beig in ber reformirten Äircf)e bamalsJ geltenbcn
^ieti^muö finb and) für Icrfteegen bie ©runblagc, öon ttjeld^er
fic^ feine ÜJi^ftif junäd^ft nur aU inbiöibueHe äRobification ab*
1) doebel III. 6. 298. ^nm. S)t(fer Eremit erSftnrt Xerfleeeen'9
fiebenSbef^reibungen ^eiliger Seelen.
460
ftuft. äUein t)on jenem contemplatiöcn öeftrcben ^at er au4
bte Jie^rfette in ben ^JSerlaffungcn fennen gelernt. (£r mugte
burc^ mand^e S)unfcl^eiten, ä^erfu^ungen unb $ro6en ge^en;
©Ott entjog i^m feine empftnblic^e @nabe, um feine Xreue unb
aug^arrenbe ©ebulb ju prüfen unb tl^n auf feine jutfinftige
SBirffamteit borjubcrciten. 3" ^^^ ffierfud^unflcn btefer ^ii wirb
man aud^ ^u rechnen tjabtn, toa^ ber 93ioc)rap^ (@. 48) angiebt,
ba§ lerftcegen üon frcmbcn ©eiftern unb SBirfungen angefallen
tpurbe, ttjet^eö er felbft bem Umgang mit einigen 3nfpirirten
jufdjrieb. SQSenn er nämüd^ bamald fid^ t)on ber Arbeit in bie
@tiQe }um ©ebete begab, fo toaxi er in eine 93en)egung gebracht,
öon ber alle ©lieber gitterten. SBeil i^m aber ©ott ald fanftcä
unb feliged äBefen befannt n^ar, fo gab er bicfer fc^recf^aften
SBirfung feinen SRaum, fonbcrn ging njieber an bie Arbeit, ^aä^-
bem bicfeg einige ÜRale gefc^el^en ttjar, f)örte bag 3^*^^^ ^4
3m ©anjen erftredtc fid^ bie 3^^* ber SBerbunlelung auf fünf
3al^re bi^ 1724. ffinblid^ ging if|m auf einer Weife in bie Sio^
barfd^aft ba^ fiid^t ttjiebcr auf; bie öerfö^ncnbe ©nabc Scfu
Stirifti ttjarb i^m fo überjcugcnb unb grünblid^ bloß gelegt, baj
fein $erg DöQig berul^igt tourbe. äBenn man ben 9nbeutungen
lerfteegen'ö über bie 3cit feiner SSerbunletung folgt, fo ift biefet
3uftanb barau^ entfprungen, ba§ ber in feiner SRet^obc öorge*
fd^riebene @ntfd^lu§, ber ©ünbe unb ber SBelt im ailgemeincii
abjufterben, nic^t Dor^atten fann, n)cil bie @ünbe in jjebem SRen«
fd^en ein befonbereö unb eigent^ümlic^eö ©efüge ift, ttjelc^c^
burd^ einen allgemeinen (£ntfd)lu6 feine^megeö übenounben wirb,
fonbcrn bemfelben SBiberftanb leiftet. SSielme^r wirb fic^ ^^
biefem %aüt, ujic lerfteegen bejeugt, bie ©elbftliebe unb "50^^
ffiigentt)iUigfeit gerabe in baö religiöfc ^od^gefü^l einmifc^en ii: ^^
baffelbe öcrfülfdben. ffiö ift freiließ auffaUenb, bag ein fo nflc^tert^^^^
unb n)af)rl^after SRenfc^ mie lerfteegen fo langer 3cit bebu -f
ijat, um über biefe Erfahrungen ind ^larc gu fommen. S>i
©rfc^einung erflärt fic^ aber burd| bie einfieblerifdöc t5ül)ru
feinet fiebeng. 2)ie SSerfudijungen, welche er meint, übctmin
man am Icid^teften unb fid^crftcn in ben Reibungen mit
©cfcUfc^aft, burd^ bie birectcn unb inbirecten ffiinfd^rfinfung
n)elc^e auc^ ba^ berechtigte ©clbftgefüljl in ben 3wiÄmmcnftö6^ ^
mit öcrfd|icben gearteten aJJenfd^en erfährt. SBian erfc^toert \0^4
l^ingegen feine (£rjiet|ung, ttjenn man in cinfameu grüblerif c^ ^^
461
JBorfä^en ben crfanntcn Unarten bircct cntcjcgcntüirfcn roill, unb
babci feinen Umgang auf glcid^ ©efinnte bcfdbränft, ml6)e btcfc
Unarten fd^onen, toetl fie felbft mit itinen bel^aftet finb. ler*
fteegen'^ gonget Seben ift nun freilid^ bic $robe bafür, bafe er
bie uon il^m angcbeuteten t^e^ler, ineld^c i^n in bic ä^erbunfelung
Derfloc^tcn, grünbltd^ übcnnunben f)at 9lbcr bic t^orm, in n)elc^er
fic^ bicfer ä^organg in i{)m t)oUjog, ift mieberum gonj inbiüibueQ
bebingt. S)ad Sieb, n^elc^e^ er jur Sejeugung bc^ n)ieber gc:»
monnenen @nabenftanbed gebid^tet f)at: „äBic bift 2)u mir fo
innig gut, mein ^ofierpricfter bu", fpric^t nur bic allgemeine
paffiuc Sinprägung bc^ SBertf)ed (S^rifti jur SSerfö^nuug aud:
«3d^ f)ab' üergeffen meine ©ünb', afö xoäx' fic nid^t gefc^cl)n;
S)u fpri(4ft: Sieg' in mir ftiQ mein ^inb, bu mugt auf bid^ nic^t
fe^n." ^ierin lünbigt fid^ eben bie quietiftifd^e Stimmung, bic
formelle ©elbftücrtcugnung an, auf n)elcf)e \a ber ^ictiömu^ feit
Sobenfte^n ^ingen)iefen l^at, meldte jcbod^ burd^ S^crfteegen ben
einfad^ften unb jugteid^ fubjcctiu n^a^rften Sludbrud gefunben
^at. 2)iefed Qid f)at er erreicht, ttjcitö inbem er ben claffifcftcn
aRuftern fat^olifd^cr ^crlunft fic^ anfd^Iofe, tfieilg meil er beren
SBirfung burc^ bie entfprec^cnbc ^rajig bcg einfieblcrifc^en Sebcng
untcrftü^te. Sebod^ n)ie ttjcit lerftcegen in jenem SHoment ber
(Srleud^tung über feinen @nabenftanb t)on ben gefunben Wla^»
ftäben cüangclifc^er ^ird^lic^feit entfernt n)ar, ergicbt fid^ nod^
au6 ^olgenbem. Sr f)at am grünen S)onnerftage 1724 nad^
bem SSorgange eineö franjöfifd^cn ÜK^ftifer^, be^ äWarquid bc
Stents, mit feinem eigenen Slutc eine ©d^rift aufgefegt, in tt^eld^er
er fic^ feinem ^eilanbe unb S3räutigam ju uöQigem unb ODig^n
Sigent^um übergeben f)at. (Er E)at ju biefem Qxocdc ben grünen
2)onnerftag gemault, atö an mclc^em ber ^lutbräutigatn unb
Srlöfer burd^ feinen Xobcdfampf i^n jum Sigcntbum unb Sraut
erfauft unb bad liebeuoOc $erj bed SSatcrd i^m eröffnet ^at.
«©ie^e, ba ^aft bu mic^ ganj, füfeer ©eelcnfreunb, in feufd^er
jungfräulid^cr Siebe bir ftcti? anjuf)angcn" *). Diefer äct ^at
boc^ nitr bad Gepräge eined felbftermäf)Iten ©ottcdbicnftcd, ba
er bie Srlöfung burd^ S^riftud, todd)e ber ganzen ©emeinbe
1) Vbdebrudt in ber $orrebe bed 1. Xf^tiU ber (^eifKtc^en unb er^u*
It4ni Sriefe. Uel^er ^ttnit^ togl. fiebendbeMreibungen ^iger 6eelen ?3anb 1.
e. 358. Ueber ft^nli^e gfdae f. (Boebel e. 816 tlnm.
462
gilt, nur auf ben ffiinjctnen 6cjict|t, ol^nc bcffen Stellung in bet
©cmeinbe bcr ffirlöften an^uerfenncn. @^ ift aber eben eine SSct-
fe{)rung ber @r(öfung burd^ S^riftu^, n)cnn biefc^ aQgemcinfte
®ut, bicfe öffentlicftftc ©runbicgung ber d)rift(id)cn ©^meinbc,
in baö 5ßriüatöcr^ä(tni6 bcd Srautftanbe^ jmifdjcn 3^^^^" ^^
gebeutet mirb. 35urd^ ben @rab bcr SBärmc bcr ©mpfinbung^
bon ttjclc^er bicfe SSorftellung begleitet ift, barf man fid^ nid^t
barüber täufd^cn laffcn, ba§ bicfe pictiftifc^c ficiftung bic cöan*^
gclifd^e ©eutung bcr ©rlöfung burc^ S^riftuö ücrtc^t.
3nbeffcn für S^crfteegen war ber Slbfd^lufe feiner SSerbunfc:^
lung 1724 eine ©poc^c. @r trat junädöft auö feiner Screin«
famung t)crauö unb cntfc^Iog fic^ ju einer ucrnünftigen förper*
lid^cn S)iät. @r nat|m cö über fic^ ben Äinbern feinet ©rubcn^
burc^ Unterrid^t bcrfclben fic^ nü^lic^ ^u machen. (£r na^m
ferner 1725 einen Sln^ängcr ^offmann'ö atö ^auögcnoffcn unb
Sffiitarbciter in feinem |)anbttjcrt auf, unb begann glcid^jcitig
nic^t nur litcrarifc^, namentlich burc^ Ueberfc^ung m^ftifc^cr
©c^riften unb ^injufügung beglcitenber Slb^anblungen, fonbcm
aud^ burd^ ficitung ber @rbauungSftunbcn neben ^offmann für
bic SScrbreitung feiner Uebcrjeugungcn t^ätig ju fein, ©eine
crfte ©c^rift mar bcm Unterricht ber Äinber feinet Söruberd gc*
ttjibmet : Unparteiifc^cr Slbrig c^rifttic^er ©runbma^rl^eitcn (jucrfl
1801, banac^ 1842 gcbrudt). darauf folgte 1726 eine Ucber^
fe^ung Don liiababie'd Manuel de pi6t6, unb eine Bearbeitung
ber ©d^riften oon Scan bc 93erni6rcg fiouuign^ (3iat^ unb
©c^a^mciftcr be^ Äönigd öon grantrcic^, 1602—1659) unter bcm
^itel: „®aö berborgenc ficben mit ßljrifto in ®ott, auf eine recftt
cüangetifdie SBeifc bargcftcUt", ferner 1727 eine Ucberfcfeung bcr
9lad)a^mung ©l^rifti bon ^f)omaö oon ücmpen, unb bcr ©olilo«
quien be^ ©crlac^ ^eterfcn, aud| cine^ Srubcrö oom gemein»
famen fieben, melc^er ben ®t|rcnnamcn bc^ anbern Jöoniaö t)on
Äempcn fü^rt. ©ein ^auptmert aber finb bic „äu^erlefcncn
ficbcndbefc^reibungcn f)ciligcr ©cclcn", fünfunbjmanjig an bcr
3a^l, aCie bcr fat^olifc^cn Sirene anget)ürig unb meidend bcr ^
@pod^c bcr Siontrareformation. ^ad @anje crfc^icn in bret
»änbcn 1733. 35. 53. Sluf bicfcö SBcrt unb anbere ©cl)riftcn
merbc ic^ jurücffommcn. Ueber feine Itiätigfcit in ben 9J2äI^eimet
Eonoentifeln berichtet ber Siograp^, üiclc Unoeränberte, bic Xer*
fteegen nur einmal fjörten, feien bon bcr burc^bringenbcn Ätaft
463
feiner 3lebe fo gerührt loorben, bafe fte ju einer grünblidöen
unb baucr^aften ©cfef)rung gelangten; unb üiele ffirmedte feien
burd^ feine fügen Sieben fo eingenommen toorben, bofe fie in
allerlei Slnfed^tungcn mit bem größten 3"t^QW^n fi^ t^ci i^m
9latt)g erholten, toobei fie burd^ feine meifc Einleitung in i^rem
ßutrauen geftärft mürben. 33ur(^ bie ?lu^bet|nung biefcr feel^
forgerifc^en IlKitigteit, meiere grogent^eilö brieflich ausgeübt
iDurbe, fat) \xd) lerftcegen fcf)on 1728 bemogen, fein ^anbmerl
aufzugeben. (£r fanb feinen Unterf)Qlt burd) bie Unterftfi^ung
Derfdjiebener greunbe unb SSere^rer. Die Verfertigung gemiffer
Slräcneimittcl betrieb er nic^t jum ffirmerb. Slllein feine geiftlic^e
3;f)atigteit gemann einen ©pielroum, melc^er meit über feinen
SBol)nort ÜKül^cim l)inauöreic^te. 2)ie Eonüentitel in bem @e^
biet üon ©leoe unb Söerg öffneten fic^ feiner Anregung. 3n^
befonbcre trat lerfteegen mit Slberfelb, SBarmen, Solingen, Sre^
felb in enge Sejie^ungen, feit 1732 befud)te er regelmäßig §oU
lanb, namentlid) jlmfterbam, mo ein ^odibeja^rter 5Kann 9lameng
5ßaum (t 1745) it)m eng oerbunben mar, ber tro| feineö SReic^t^umg
ein ebenfo abgefdjiebeneig fieben führte mie ierfteegen. Diefen
aSerbinbungen öerbanten bie ja^lreidien feelforgerifd^en Sriefc
i^re @ntftel|ung, oon benen nad^ feinem lobe bie beutfd^en in
4 3;t)eilen: ©eiftlid^e unb erbaulid^e ©riefe über baö inmenbigc
Seben unb ma^re SBefen bcg E^riftentljumö (1773—75; 2. Sufl.
1798. 99), bie ^ollänbifc^en in einem 93anbe: Godvrugtige en
stigtelijke brieven over verscheidene materien des inwendigen
levens, 1772 (inö S)eutfc^e überfcftt 1836) gefammelt finb. ®ie
bcutfd^en Sriefe laffen erfennen, baß lerfteegcn'^ ßorrefponbenj
auc^ nac^ SBittgenftcin unb Siegen, nad^ ber äBetterau, ^ranf«
fürt unb ber ^falj fid^ erftredte. Um fo me^r fa^ er fic^ auf
bie SBirtung in größerem Umtreife angemiefen, aU 1740 bie
Eonoentitel im ^erj^ogt^um 93erg burd^ bie pfäljifd^e unb im
§erjogtt)um Sleoe burc^ bie preußifd^e Slcgierung gefd^loffen
mürben, auf Slnlaß gemiffer Vorgänge in ©olingen, meldte 83er*
bac^t erregten '). 33iefe ßinfc^räntung na^m lerfteegen mit ber
©elaffenl^eit ^in, meldie feinem m^ftifc^en ©tanbpunft entfprad^,
unb fud^te fie alö äßittel ber 5ßrüfung unb fiäuterung für bie
frommen ju oerfte^en. Snbeffen blieben bie ungünftigen folgen
1) Sgl. (^otbtl III. e. 389 ff.
464
für btc t)ou Scrfteegen öcrtrctcnc ©ad^c nid^t aug. Cr flagt
1747 über eine faft allgemeine ©djlaffud^t unb ben SRangcl an
tliätigem innjcnbißem Efiriftent^um (©riefe III, 86). (&^ xoax
i^m alfo fc^n^erlid^ untt)iUfommen, als eine neue @rtt)C(fung, \vclä)t
1750 ein ©tubent in ©uiöburg, Satob E^eöalier an§ Slmfterbam
erregte, auc^ bie verbotenen SBerfammlungen miebcr in'S Scben
rief. SSielme^r faf| er ficö burd^ baö unreife SBefcn beS jungen
äRanncS üeranlaßt, in feiner nä^ften Umgebung lieber bic Sei*
tung ber ^riDatübungen ju überne()men, ju »eichen gelegentlich
300 biö 400 5ßerfonen äufammenftrömten. Obgleich bie 5ßrebigcr
in äRül^cim bie politifd^cn Öc^örben bagegen aufboten, fo gc*
lang eö S^crfteegen burc^ feinen perfönlic^en ©inftufe, bereu ffiin=
fd^reiten ju uer^inbern; unb boö üor je^n Sauren erlaffene 8Jer*
bot ber Sonoentifel n)urbe nic^t meiter geE)anb()abt. 3n ber
3eit jroifc^en 1753 unb 1756 finb größere Keben Icrfteegen'd
aufgejeic^net ttjorben, meldie nac^ feinem 2;obe im S)rud erfc^iencn
finb: ©eiftlid^e Sörofamen Uon be^S ^errn lifcl) gefallen (4X^eilc
in ^njei öänben, 1769—73). 1756 mußte lerftcegen biefe SRcbcn
einfteüen, tocii er, ber üon je^er fd^mäd^lic^e 2Rann, burc^ bic
Slnftreitgung beim Sieben t)or ben in engem Staum jufammengc;^
preßten Qütjöxmi \idj einen Sruc^fc^aben jugejogen l^atte. 3n*
beffen ben SSerteI)r beö „©eelenfü^rcrö" mit ben i^m ergebenen
Slnf)ängern fonnte er bocf) nod^ lange fortfe^en, bis er 3. Spril
1769 im Sllta- öon 72 Salären auö feiner fegenSreid^en Saufbaf|n
abgerufen ttjurbe.
Unter feinen ©d^riften jie^t bie früliefte, ber „Unpartciif^c
abriß c^riftlic^er @runbtt)af)r^eiten" (öon 1724) bie ?lufmcrtfam*
feit auf fid^ fomo^l burd^ i^re ft)ftematif(^e !lrt, als auc^ aU
gcugniß baöon, in meld^em Umfange lerfteegen fic^ an bic
firc^lidie ficlirüberliefcrung angefd|loffen ^at. 2)ie (Jigcntpm*
lid^feit ber ©c^rift als eines @anjen ift baburc^ bejcic^net, baß
bie t^eoretifc^e Erörterung jcbeS fie^rpunfteS üon ber praltifc^cn
änmenbung begleitet ift. Slüein biefcS gefc^ie^t in einer jttjed*
mäßigeren Steife als in bem menig jüngeren 93ud^e üon SSerfc^uir
(©. 324). 3n ber ©arfteUung ber ^erfon E^rifti »irb j. ö.
bie 93eiie^ung auf ben SerfeE)r ber ^inber @otteS mit i^m
aufgen^iefen. Snbem E^riftuS als @ott aQmiffenb, aUgegentnäcttg,
aümäditig ift, fo bient biefeS baju, baß er bie Anliegen ber
©laubigen fennt, unb il)re Srlöfung nic^t unDoOenbet laffen
465
tDtrb. Die SScrcinigung ber cjöttUd^cn unb ber mcnfd^Ii^cn
9latur in tf)m tft fllcid) bcm innigen Sanb ber »ef entließen
SScrciniflunfl ber ©laubigen mit S^riftu^. S)enn biefe befielt
iti^t in felbft gemod^ten füfeen ©cbanfen ober eigenntäd^tigcr 3«*
eignung, fonbern ift lauter S93a^r()eit unb äBcfcn. 2)ic S^orfteüung
ber ^riftlid^en ©runbu^a^r^eiten tt^id im ©onjcn bic fiinie bed
lir^Iic^en Setirbegriffd inne galten. S)er Abweichungen Don bem«:
felbcn, bie er begebt, ttirb fid^ lerfteegen nic^t benjufet gcnjcfcn
fein. Denn inbem er j. 93. bic ©traffatidfaction Sfirifti lel^rt, fo
^at er bod^ bie @ünbe loeniger ald @d)u(b, n)ie a($ SIenb unb
Ol^nmo^t aufgefaßt, gleid^ allen feinen Vorgängern, roeld^e
bcm Sntereffe an ber Heiligung ba^ Uebergcnjid^t über bcm an
ber aScrfö^nung einräumen. Demgemäß befielt bie Süße, bic
Qu^ bem l)eiUgen @eiftc entfpringcnb bcn @(auben einleitet, in
bem Sinbrud Don ber 9{ic^tigfeit unb ^Ifid^tigfeit aQei^ ®\ä)U
baren unb Don bem Slenbe ber @änbe, ber @(aube aber ift nad^
ber einen ©eite bie äufnal^me in bie ^Bereinigung mit ß^riftu^,
nac^ ber anbem ©eite erfc^eint er barin, ba§ bie ©eelc in ®c*
laffen^eit gänjlid^ in i^r 9lic^t^, in bcn lob ifirer ©elbft^eit
finiEet. »orin jugleid) ein innigcig jungem au^gcboren wirb,
toelc^ed Scfum faffet unb in fid^ aufnimmt, gerner njirb
eine fo(c^e gläubige, in St)riftum gepflanjte unb S^riftum burd^
ben ©tauben in fic^ faffenbe ©ecle öon @ott gerechtfertigt, um
S^rifti be^ ©cremten xoiütn, in tteld^em fie fte^et, unb metc^cr
burd^ ben ©tauben in i^r ift. hierin fommt bic pietiftifc^e,
burd^ bie äufmerffamteit auf bie fubjcctiöen Functionen Der*
fc^obene Deutung ber Wed^tfertigung, »cld^e juerft Don SBitfiu^
(©. 294) in ©ang gefegt ift, ju bcfonbcr« beutlic^em Äudbrudf.
Die Heiligung ift bic ©clbftDcrleugnung unb bie Aufopferung
feiner felbft an ba^ freie aBo^lgefaüen ©otteg. Scne ift in for*
mellem ©inne ju öerfte^en; mx ^aben unö felbft ju öcrleugnen,
in allem n)orin n)ir und felbft fuc^en unb finben, nämlid) in
allem »ad »ir tl)un, unb in allem, toa^ toix befiftcn, ed feien
jeitlid^e, natürliche, ge tft lidjc ober götttid^e Dinge. 3"9l^if^
rid^tet fic^ bie Sclbftaufopferung ber ©eelc auf ©Ott unb bcffcn
unbefd^ränlten SBillen, bem man in reiner Siebe anfängt.
Dad ^eigt, man f)at and) aUcd ©ute, fo tt^eit ^ gut ift, in ©Ott
unb um ©otted n)iacn ju lieben o^ne irgenb eine 92ebenabfid^t
auf eigenen JBortfieil unb eigene« Sergnflgen. 3n ber Sorfd^rift
I. 80
466
bcr reinen Siebe fommt bie gormel ber quietifti?d^en aR^ftil
fat^olifc^cr ^erfunft jur ©eltung. SBenn nämlic^ tnit i^r feine
Slbfic^t auf eigenen SBort^eil unb eigene^ SBergnägen üerbunben
fein foQ, fo ift bantit anä) bie Xenbenj auf eine beftimmte Srt
ber (Erfahrung t)on bcr eigenen ©eligfeit ausktcfd^Ioffen, unb bie
not^n)enbige S^f^^it^^t^S^^'^^iS^^i^ ^i^f^^ @rfal^rung mit ber
Siebe ju @ott uerncint. 2)ie ©eligfeit unb ber fpecipfd^e ®n*
brucf berfelben im religiöfcn ©elbftgefül)l »irb nur bcm unbe*
fc^ränften Saiden ober ber S93iQfür @ottcd anJ^eimgefteQt. ftommt
e^ alfo barauf an, @ott im @eift unb in ber SBa^rl^eit angu»
beten unb auf feinen SSinf ju mcrfen, fo folgt baraud eine fc^r
peinlid^e Drbnung für bie Slu^übung njettlic^cr Scrufe. S)enn
infofem überhaupt eine SerufSart unfd^ulbig unb nac^ bem
SSäiüen ®otte^ ift, unb man pc jur SSermeibung ber ©efa^ren
bed a^ügigganged unb im S>ienfte beS 9läc^ftcn fibt, fo fteQt
lerfteegen folgenbc SSorfd^riften für bie Slrbeit in benfelben auf.
9Kan barf fie nur jur SRot^burft üben, unb l^at ftc^ öor großen
n^eitlaufigcn ^änbeln unb baüor ju t)üten, bag man nid^t ju
ffiiner 3^^* ä" ^i^l üome^me. ÜRan mufe fic in fteter gottc^
bienfttic^er Haltung, in ftiUer ©etaffenftcit, o^nc änflcbung b. f).
Sntereffe an bem SBerIc felbft, enblid^ fo üben, bag man mit
bem täglidjen @d^lug ber 3lrbeit aud^ ben ©ebanfen baran auf«
gebe. 2)iefe SRegeln fonnte Icrftcegen o^ne Qtod^d bei feiner
©eibenbanbtt)eberei bcobad|ten. Slllein mag njürbc aug ber menfc^*
liefen ©efellfc^aft merben, menn ade Slrbcit in berfelben ©Icic^*
gültigfeit DoUbrac^t n)ürbe? Sine f^römmigfeit alfo, meiere auf
biefe Begleitung angemiefen ift, mirb fd^mertic^ üor einem anbcm
gorum ate bem bcr fat^olifc^en Äird^c fic^ legitimiren fönnen *).
3m Slllgemcincn behauptet ja Serftcegen, mie ftd^ aug bicfcr
©c^rift ergiebt, ben Soben bcr reformirten Äirc^c; er ^ält auc^
baö orbenttid^e Schrämt fcft, menn baffclbe mit bcm innerlichen
Seruf öerfnüpft ift, folgert nur jugleicb aud bem S^araftcr bcd
SRcuen JBunbe^, ba§ erleuchtete unb gefalbte S^riften aud^ o^nc
baö fird^tid^e 2lmt nüftlic^ fein fönnen. Db bie 2;aufe an Äinbem
ju üoHjielien fei, wirb nic^t erörtert, alfo aud^ nid^t Dcrneint;
beim äbenbmalil tt)irb bie ^lot^menbigfcit ber äuöfc^licgung bcr
Unmürbigcn behauptet, inbem jugleic^ bejeugt »irb, ba§ Der
1) Thomas, Samma theologica II, 2. qu. 187. ari. 3.
467
SSinbefd^IüffcI Icibcr fammt aller ©ciftcölraft nunmcl^r t»erIorctt
fei, ba^er aller Oräucl ber SSertüüftung in bic Äird^c eingebrochen
ift. Sieben ber änroeifung, njie man ba§ Äbenbnta^I njürbig ju
genießen l^abe, finbet fi^ aber bie Se^auptung, ba§ icbc gläu^
bige ©eele geiftlid^er SBeifc tnttjenbig baö 8benbmat|l mit bcm
^erm 3efu^ fiäit, tüenn berfelbe in einer fonberlic^en ÜRitt^eitung
feiner @nabe ju ber @ee(e fommt unb fie i^n bann burc^ i^re
©laubend^ «nb Sicbe^begierben nöt^igt, i^m auftl^ut, unb ftiUc
^ält ®iefe« ift in ber ©arfteHung be« Sud^eg bie Icfetc $robe
baöon, ba§ bic reformirte Sefire bei lerfteegen t)on Anfang an
mit einer 3Äengc öon Abweichungen burc^feftt ift, beren Qa^
fammen^ang mit ber pietiftifc^en Ueberlieferung ebenfo flar ift
XDXt bie Umbiegung berfelben in bie quietiftifc^e äßet^obe. 9lm
bebeutfamften aber ift, ba§ Serfteegen ber Setire öon ®noäI)lung
unb SBermerfung feine ffimjö^nung tl)ut. Diefe I^atfad^e beroeift
junäd^ft, bag er nod^ me^r üon ben ä^orbilbem be$ fat^olifc^en
Quieti^mud abl^ängt, aU t)on ber pietiftifc^en Ueberlieferung.
S)enn in biefer ftanb bic genannte fie^re nid^t nur t^eoretif^
feft, fonbem bilbete auci^ feit Sörafel ben SRafeftab für bie ©elbft*
unterfd^eibung ber 5ßietiften üon ben anberen S^riften. ®er Duie*
ttemuö aber alg eine fpecieH fat^olifd^e 8lrt ber g^ömmigfeit »ar
gegen jene Se^re gleichgültig. Daß nun lerfteegen auf biefelbc
öerjid^tete, ift gugleid^ eine öcbingung für feine SKilbe unb 9lac^s
ftc^t in ber 93eurt^eilung ber (Einzelnen, burc^ meldte fein
S^arafter ftd^ in fo tt)o^It{)uenber äBeife t)on ber in ben (Son^
öentiteln gepflegten Anmaßung unterfc^eibet. Snbeffen l^at ler*
ftecgen, inbem er bie Se^re Don ber boppelten $räbeftination bei
Seite fteHte. o^ne ßtt^cifcl ba^in getoirft, bafe beren ©laubtüürbig*
fett in ber reformirten i^ird^e überl^aupt fc^manfenb geu^orben ift.
®ie quictiftifd^e Stid^tung ^at lerfteegen burd^ bie fficr*:
mittlung ber ©dörtften t)on $etcr ^oiret^) entpfangen, bem
erflen reformirten Ideologen, welcher fid^ biefer 5)Jet^obe ber
grömmigfeit eröffnet ^atte, aber burd^ fein SSerfialten bettjeift,
bag er fie mit bem eDangelifc^en ^rebigtamt für unt)ereinbar ^ielt.
2)te qutetiftifd^e äJl^ftif nämlid^ ift ein @Iieb jener fpanifc^cn
1) (Beboren )u ^t^ 1646, reformiriec ^rebiger fett 1668 in ^etbelbetd,
fett 1672 in 9ntt>et(er, ^r^ogit^um $fa()'3n>ei6rü(Ien, toon ba bur^ ben Stxxcq
1676 twittieben, {«t 1688 in St^iinSbatg bei Seiben |)rit»atiflrenb, geflorben 1719.
468
dieftauration bcd gefammten $atI)oUcidmu^, bie aud bem @iege ber
fat^oltf(4en Könige fiber ben 3dlam cntfpiingenb, ber beutfc^en
Steformation btc ©renjcn ju fe^en t)ermoc^t ^at, tuelc^e burc^ ben
Sefuttenoiben, bad Soncil Don Orient unb bie @ontrareformation
in fo üielcn Territorien bejeic^nct finb. SBäre jene innere ör*
neuerung be^ ^at^olicidmud in Spanien nur ein SRenf^enalter
früher erfolgt, qU ed ber gall njor, unb tt)äre fie bemgemofe
fc^on am Stnfange be$ 16. 3cif)rl^unbert^ fiber bie anberen 310^
tionen beiS Slbenblanbe^ oerbreitct gcnjefcn, fo war für fintier*«
Steformation überhaupt fein 9taum t)or^Qnben. 2)ie quietiftifc^e
SH^ftit nun ift bie äR^ftit bed granci^canerorbeniS. ©ie pnbct
in Spanien i^re erfte Vertretung an ben ^ranci^canern $etru8
öon Sllcantara (t 1562) SSerfaffcr bei? Iractatö De oratione
et meditatione, unb f^ranciScu^ oon Dfuna, Serfaffer bed
Abecedario espiritual (6 %i)ciU 1538—1554). Unter bem (Sin*
fluffe jcne^ SD^anne^ fte^t bie @rünberin bei^ Dtbeni^ ber unbe»
fc^u^ten Sarmeliter, bie ^eilige Il^erefia aSefu (1515—1582),
unb i^r @enoffe in ber Seitung beS männlid^cn QtociQt^ ifftd
Drbcng So^anneö be Sruce (tl591). 3)ie ©runbfäfte, iocld^
biefe ©panier in ttjeiten Äreifen verbreitet, unb nac^ granfteid^
unb Italien oerpflan^^t ^aben, finb nun auc^ fd^on im 15. 3a^r^
l^unbcrt burc^ ben Kicberlänber ^cinrid^ ^cirf (gcftorbcn atö
$rancii?cancr«@uarbian in äßec^eln 1478) geltenb gemacht toorben.
Die quietiftifd^e SÄet^obe finbet nämlic^ itjre äWotioe in bem S9e»
griff be^ grancidcanert^eologen S)un!g ©cotud oon ber ©elig^
feit. Diefer Söegriff aber ift bem 93egriff ber ©eligfeit abfic^t^
lic^ entgegengefegt, meieren %f)oma^ t)onS[qnino aufgefteQt ^atte,
unb n)eld^er einerfeitd bie Srfd^einungen ber abenblönbifc^en
äß^ftif in ber erften $ä(fte beg aRittelalterd, namentlich bie 9m
n^eifung @emf)arb'd becft, anbererfeitd bie fogenannte fpeculatit^c
ÜR^ftif ber beutfc^en Dominicaner im 14. 3a^r^unbcrt ^rDor-
gerufen f)at. SBenn man fic^ t)eran(agt fie^t, Don ber jioeiten
^dlfte beS äßittclalter^ an jmei Slid^tungen in ber 9K^ftif ju
untcrfc^eiben, bie fpcculatioe unb bie prattifc^e *), fo barf man
fic^ bat)on fiberjeugen, bag bie eine Stid^tung bem üon Z^omad,
bie anbere bem öon Duni^ aufgefteUten Segriffe ber ©eligfeit
entfpric^t.
l) ^tppt, ®ef4. ber quiettfiif dften SRi^ftü in ])er lotHif^en ttit^ e. 8.
469
a:i^0TnQ8')Icl^rt folgenbeg. ®er Icfetc Qtoed bc« aWcnfc^en
ift bog ungcfdjQffcne @utc. S)enn nur ®ott fann mit feiner
unenbUd^cn @fltc ben mcnfc^Iid^en SBillen öolllommen erfüllen.
3)ic ffirreid^ung unb ber ®enu§ biefeä ^öd^ften ©uteö ift bie
©eligfcit (beatitudo). Diefe äugcrfte ffiollfommcn^eit beg 9Wen*
fc^cn ift Xptigfeit; bcnn jebeg SBcfcn ift in bem aWage öoBU
fommen, afö c« t^ätig ift. Sie ©eligfeit ate I^ätißlcit faßt in
ben SnteQect unb ntd^t in ben äBillen; benn bie (Erreichung beS
Qmtd^ liegt über bie 93ett)egung bc^ äBiUeng ^inauö. S)iefc« ifl
ber galt, inbcnt ber SBille fic^ auf ben Qmd alö abtoefenben
rid^tet, unb in bem gegennjärtig erreid^ten, ober in ber greubc
(delectatio) barüber jur SRu^e fommt. Unb jmar erreid^en toir
ben 3^^* bax'm, bofe er ung burd^ bie I^ätigfeit beö SSer*»
ftanbeä gegentt)ärtig mirb, unb bann ru^t ber erfreute SBillc in
bem erreichten SitU. ©emnad^ befte^t ba^ 833efen ber ©eligfeit
in ber Iptigfeit be^ ffierftanbe«, bem SSäiflen aber gel^ört bie
fjreube an, mi6)c auö ber ©eligfeit folgt. 3)er SSerftanb al8
Organ ber ©eligfeit ift aber gemeint afe ber erfennenbe (specu-
lativus) unb nid^t alö ber praftifc^e. 3)enn jener f|at l^öl^em
838ertf| al^ biefer, ttjeil er feinen ©cgenftanb um feiner felbfl,
biefer nur um ber Xfiätigfcit njiHen ergreift. 3)er lefete 3^^
aber mu§ um feiner fclbft njiUen ergriffen tt)erben, er rechnet
alfo auf bie (Ergreifung burc^ ben tfieoretifd^en SSerftanb. 3)iefer
ift nun bad Organ ber ©eligfeit, inbem er jur ©d^auung beS
göttlichen SBefenö vorbringt, unb feine ffioHfommenl^eit in ber
(Einigung mit ®ott hmä\)tt 3)ie ©eligfeit in biefem ©inne ift
not^ttjenbig Don ber ^rcube begleitet, als ber ©erul^igung (quie-
tatio) beö SBißen« ; aber bie ©eligfeit afe Xtiätigfcit be« »er:»
ftanbed ift eben bie ^auptfad^e unb t)on ber begleitenben ^reube
üerfc^ieben. S)ie SRid^tigfeit beö SBilleng, b. Ij. bie Heiligung, ift
babei üorau^gefe^t aU SBebingung jur (Einfd^lagung be^ äBegeS
jur ©eligfeit, ebenfo tok bie ®nabe ®otted ber leftte ®runb jur
(Erreid^ung biefe^ Qid^ ift, tt)clcf)e^ ben SKcnfc^en über feine
Statur ergebt. S)affclbc faßt. im üoBen ©inne öerftanben in ba«
jjenfeitige Seben; in unüoUfommener ©eftalt ift eö aud^ in bem
irbifc^en Sieben erreichbar, nämlid^ alö bie ©eligfeit in ber (Eon*
templation. Sdlein fie fann aud^ u^ieber t)erIoren gelten, t^eifd
1) Summa theol. pars II, 1. qu. 2. 3. 4. 5.
470
burc^ SSergcffcn, tl^cifö burd^ Scfd^äftiflungcn, toel^c bic Sontcm*
platten uuterbted^en.
DunöO tcfirt ebenfalls, baß bic ©cligfcit in bcrjcnigai
Xptigfeit 6efteE)t, meiere am DoOfommcnftcn unb unmittelbarften
mit ©Ott, bcm l^öc^ftcn ®utc einigt. äBein biefc Il^ätigfcit ift
bcr SBiQe. ^cnn ber fH&iüc rid^tct fid) unmittelbar auf ben
^öd^ftcn Qto^d, unb crftrebt mc^r bic SBoQenbunfl feiner felbft
in bcm l^öc^ften Qtocd als bic SoQenbung bcr Srfenntnig. 9lun
ift in)ar baS ©treben nac^ etn^aS Slbmcfcnbcm noc^ nic^t bie dt^
reic^ung beS ßmccfcS, aber biefe finbet ftatt burd^ ben jmeiten
aBißcnSact, bie Siebe ju bcm gegenwärtigen Dbiect. S)er %ct
bcd ffierftanbcö, ber bieg Object crfennt, unb ben aBiQen auf
beffen Slneignung Einleitet, ift freiließ bie Sebingung für bie
(Erreichung biefeS S^^^^^f ^^^^ barum eben nic^t baS SBoQfommcnfte
in bcm ä^organg. Unb bie f^rcube, in tt^eld^er ber SEBiQe aucf*
rufjt, ber baS gegcntt)ärtige @ut ergreift, ift jUjar aud^ eine Solt
fommen^eit, aber nur eine fold^e, meldte ^n bcr SoQfommen^eit
jenes äBidenSactcS ^in^ufornrnt. @ie übertrifft auc^ benfelbcn nxdft,
fonbern ift atö ein Seiben (passio) bcm SBert^e ber I^ätigfcit
beS SSäiücnö (operatio) untergeorbnet. S)ic ©eligfcit alfo ift ber
Slct ber Siebe ju bcm gegennjärtigen ^öd^ften @ut, in melc^
ber SBillc gur SRu^c lommt (quietatur), unb er ru^t öielmeftr in
biefem jum Qkk fü^renben Act, als in ber begleitenben grcube,
welche gu bem SBißenSact f|injufommt. 2)icfe Scftimmungen
über bie ©eligfcit finben nun auc^ Slnmcnbung auf baS ixhiW
Seben. ?lud^ bcr 6t)rift auf ber @rbe (viator) fann fclig fciß
unb ©Ott gcnicfecn, inbcm er @ott um feiner felbft wiQcn lieb^
S)abei fommt aber in Setrad^t, ba§ bie greube über ben @cttU%
©otteS nic^t jum SBcfcn ber ©eligfcit gcljört, ba bicfelbe ^^
Iflätigtcit unb nic^t in Seiben beftc^t. 2)ic greube alfo t^t«^
bei ber ©cligfeit fehlen, unb bie ©eligfcit fann öor^anbcn f^^^'
auc^ tt)cnn fie nic^t üon ber greube begleitet ift. Denn c^-^7
©träfe unb Slcnb berfen fid^ nid^t. Slcnb ift nic^t not^tt)ci^||
©träfe, fonbern bie ©träfe befielet n)cfentlid^ in ber ©c^^i^"
Umgefcf)rt alfo beftel^t bic ©eligfcit in ber reinen Siebe ju ^^
unb bic greube ift meber bie ©eligfcit felbft, nod^ eine not^t*^^
bige ^Begleiterin bcrfelbcn.
1) In sententias lib. IV. dist. 49. qu. 2—7.
471
SDiefc cntgegcngefc^tcn Dcutunflen bcr ©citgteit, unb bic ®e^
grfinbungen berfe(6en finb möglid^ gemefcn, tüetl bte $[Qc^oIogte,
über toelc^c bie bcibcn Sekret öerfügtcn, nic^t genfigenb orientirt
war. Snbeffen fommt c^ l^icr nid^t barauf an, bte ^djUx bicfcr
%f)€Oxitcn na^juiDeifen. 3d^ ^abc btcfclben nur bed^alb einanber
gegenäber gcfteQt, um in ber $ärje anfc^aulid^ ju mad^en, bag
bic fogenanntc quictiftifd^c 3Retf|obe ber ÜR^ftif in ben ©runb*
fä^en bed ^rancidcanerS 2)uni^ i^rc SSurjeln f)at S>ie 93er«
einigung mit @ott n)irb üon ben quietiftifc^en 3R^fttfem nid^t in
ber gorm bcr ffirfcnntnife ober ber ©c^auung crftrebt, fonbem
ate 8ct ber reinen Siebe ober in ber gorm bcr ©claffen^eit be^
SEBiQcnd. ^Qerbing^ verlangen aud^ bie bominicanifd^en äß^ftifer,
Sf^art unb Xauler, bic ©elaffen^cit bc$ äBiQenS, bie (Entleerung
bcffelben uon allem Sntcrcffc an Ereaturen, unb bic SBcmid^tung
ber ©elbft^cit. Slber tjicrmit crftrcben ftc ben tpcitcr gel^enben
Qtotd ber ©^auung ®ottcd burc^ bic X^ätigfeit bed dntedccted.
®ci ben Duietiften fällt bicfe aufgäbe njcg, unb öifionäre 3^^
ft&nbe finb bei if)ncn sufäüig unb feiten, ©ic ermarten Don
einem SSBillcn^act, ber fic^ aud^ bcr formellen ©clbftf)cit enttebigt
unb bei bem Sinbrud bed 9lid^tS anfommt, birect bie SrfüDung
mit ©Ott, beffen ©cgenmart in bcr erreid^tcn ?ßafftöität ber Ku^e
conftatirt toixb. Unb bicfe Stu^c muß erfahren »erben aud^ bei
bcr äbmefcn^cit aller greubc, in öoQIommcncr ©Icic^gültigfcit
bagegen, ob man fid^ fclig fü^(t ober nid^t. SSiclmc^r ^at man
bie SScrIaffungcn, bic fd^mcrjUd^c Sntbel^rung gefül^Ucr ©eligfeit,
aU göttlich georbnete SRittcI gu gebraud^en, um in bcr Stu^c ber
Sereinigung mit @ott fclig ju fein. 3n bcr bominicanifd^en
äR^ftif aber fommt cd immer barauf an, bag aud ber Srmir!ung
unb bcm ©cfü^l bcr eigenen Kid^tigfeit ber äuffd^toung gur
@d^auung @ottcd genommen merbe. 3n ber gorm bcr ©c^auung
erfolgt nad^ bicfcr 9lntt)cifung bie SScreinigung mit @ott, locld^e
atö bie ©eligfeit mit greubc empfunben mcrbcn muß in bem
äRage, al^ babei bie ©elbftunterfc^cibung üon @ott unbcutlic^
totrb. Slber bicfcr ßuftanb gilt ben bomtnicanifc^en äß^ftifern
atö i^cftftcnung bed befonbern äBcrt^cd bcr fd^auenben ©cele,
ha% ©Ott feinen ©ol^n in i^r öon bleuem gebiert, ©o bient
biefer m^ftifc^c B^ft^i^^ ^^^ 93eftätigung unb 93ett)&^rung ber
äßeltanfc^auung be^ %tioma§, nämlid^ bag @ott bic Sreaturen
in ber intelligibclen SBelt ober bem ©o^ne ©otted not^ioenbig
472
erfcnnt, el^e er fte na6) iliren Urbtibern q1^ Srcaturen tDtd unb
fc^offt. S)cinna^ fommt bcn ©ccicn bcr SRenfc^cn ein cwtflcr
SBcrt^ iVL, abgcfc^en Don tt^rcr @cfc^affcnl)6it burc^ ben SßiQen
©ottc^. Dcnfelben bcf)auptcn fic, inbcm fic bag übernatürliche
3icl ber @d^Quung @otted unb bie Geburt bed @o()ned in i^nen,
b. i). bic Scftättgung if)rcr SteUunß in ber inteUigibelcn SBelt
errcid^cn. hingegen bie Snnjcifung ber Quietiften, ba§ bie ©eele
fid^ auf i^r reinem 92ic^td ftimnten foQ, um bann Don @ott au^
gefüQt ju n)erben, entfprid^t bcr äBcltonfd^auung Don S>und,
bag ®ott bie Kreaturen nur aU Don il^m getoollte erfennt. dft
alfo anä) bie menfc^Uc^e ©eele obgefc^en bauon, bag @ott fte
ttjill unb fd^afft, rcine^ SRid^td, fo tt)irb biefcg bcn Duictiften be^
[tätigt, inbcm fie burc^ itjren ab[id^t(id^cn Stüdgang in bad iRi^td
bcn SBiQcn @otted, bcr fie bann crfüQt, a(^ bie eingige Stcalität
ertt)cifen. Seftc^t bic ©eligteit in ber auf baö crcatürli^e ©clbjl
Derji^tenbcn reinen Siebe ju ®ott, fo ift fic lebiglic^ barauf be«
grünbet, bafe bcr SSäiBc ©ottcd ba ttjirft, too bic ©ceie feinem
SBirten fein eigene^ entgegenfeftt. S)ann muß fie ober auc^ auf
bie greube Dcrjid^ten, unb fic^ jnjifd^en greube unb Xraurigfeit
inbiffercnt Derl^alten, mil fonft ein Änfprud^ auf eigene ©clbft-
^eit Dorbc^alten njcrben n?ürbe. ^cr ^auptfäd^lid^e ^ebcl, bcn
eigenen SBiücn burc^ Uebergabc an @ott ftiU ju ftcDcn ober jur
SRu^e JU bringen, ift bei ben Duictiften ba^ innere ober ©erjen^
gebet oI)nc SBorte, alfo aud^ o^ne beftimmtc SSorftcBungcn unb
©rfenntniß. S)iefe Slnmeifung ift aud^ ganj folgerecht. S)cnn
tt^enn bic X^ätigfeit bc^ äBiOend blöd auf ®ott ()in ben ©inn
^at, ben aBiDcn fclbft megcn @ott jur Stu^c ju bringen, fo ift
juerft auf bie beftimmtc ©rtcnntnig feiner felbft unb ber eigenen
Qxücdt JU Derjid^ten, »eld^e ben SBiUcn jur ffir^altung feiner
fclbft anregen.
Sei bcr Äenntnife bed römifd^en Äatl^olicidmu«, »eld^e in
ber comparatiDcn ©^mbolif fortgepflanjt tt)irb, empfängt man ben
Cinbrud, alö ob feit bem Iribcntinum ber ©cotiömud DöIIig Der-
buftct fei unb bcr I^omidmu^ allein bad gelb behauptet ^abe.
SBenn jebo^ bie quictiftif^c ÜR^ftif eine folgcre^tc anmenbung
bcr SBcltanfc^auung bcj^ ©und unb feined Segriff d Don ©elig*
feit ift, fo ift jene Slnna^me nic^t richtig, ffiiclmel^r ^at jmar
bcr 2;öomidmud im ©anjen bie öffentlid^c Se^rtoeife in ber rö^
mifc^cn Stirere unb bic tt^iffenfd^aftlid^c X^eologie occupirt, n^obei
473
I
bie S(6ipeid^ungen itDtfd^cn ten Sefuiten unb ben X^omiften nic^t
in'g ©etütci^t fallen; aHctn bie am meiftcn c^arafteriftifci^e 3)ct)0i*
tion in bcr römifdö^n Äird^e mar praftifc^cr ©coti^mug. S)icfe
bebeutenbe Stnie fat^olifc^^irc^li^cn ©ciftcd ift alfo mit bcr 9tc<
formatton ober mit bem S^ribcnttnnm nic^t abgebrod^en n^orben,
fonbcrn {)at in ber fpantfc^cn Steformation be^ ßat^oIictömuS
eine nid^t minber bebcutfame unb n)irfung^reic^e ©teile gefunben,
loie bie t^omiftifd^e Iljeologie. 3^91^^^ ^ber ergiebt fic^, ba§
bie 8lc^nUd^feit beö ^ietiömu? in ber nieberlänbifc^en reformirten
^rc^e mit bem fat^olijc^en Duieti^mud nid^t sufäOig ift. 2)enn
fc^on bie caloiniftifd^e Ort^obojie in ben Siieberlanben ftü^t fid^
um ber ^räbeftination^Ie^re millen auf ben fcotiftifc^^nominalifti^
fd^en Söegriff öon ©otte« fouöeräner greifieit (©. 135). ©benfo
fttmmt biefc X^eologte mit ©cotud unb ben Quietiften barin äber^
ein, bag bad ©effi^l ber ^reube nic^t not^mcnbtged 3Rerfmal beS
©nabenftanbed fei. 2)er fcotiftifc^e ©ottcdbegriff fc^t nun auc^
ben nieberlänbifd^en ^ietiömud in ®ett)egung. SBenn eben ®ott
äUed ift unb bie Srcatur 92id)td, fo folgt baraud ber iDtagftab
ber ^römmigfeit, ben fiobenfte^n aufgefteOt f)at, unb ber überaQ
in bem eoangelifd^en ^ietidmu^ anflingt, nämlid^, bag man ftd^
auf bie t)onfommene 9{id^tigfeit ftimmen mug, nenn man in ben
Umgang mit @iott eintreten foQ. daneben aber maltet in ber
SBeurtl^eilung ber ©eligfcit berfelbe Stbftanb gmifd^en bem eöan»
gelifc^en ^ieti^mu^ unb bem Ouieti^mud ob, mie jmifc^en jenem
unb ber cabinifdjen Ort^obojrie. 2)er coangelifc^e ^ieti^mu^
n&mlic^ l^at feine SorftcQung t)on ber ©eligfeit bem ^eiligen
öem^arb abgelernt ; Scrnf)arb aber achtet, mie nac^^er %f)oma^,
iad ©efü^l ber f^reube als not^mcnbiged SRerfmal ber@eligfeit,
unb bie SBetrübnig unb Xroden^eit aU äJterfmal ber SBerlaffung
burd^ ©Ott, alfo beS SSerlufteS ber ©cligfeit. S)cmgemä§ emppnben
Quc^ bie fogenannten eüangclifd^en ^ictiften bie Slbmefen^eit bed
Bräutigam^ aU eine Beeinträchtigung i{)rer ©eligfeit. hingegen
ber Duicti^mud acf)tet baS ©efü^I bcr @e(igfeit ffir g(eid)gfiltig
gegen bie ©eligfeit, meldte in bcr SSäiHcnlofigfeit befte^t. Denn
bicfe ftcHt bie Bereinigung mit ©Ott feft, mä^renb bad ©eligtcitöge*
fflf)( ben Berbac^t ermecft, bag bie ©clbft^cit noc^ nic^t t)öäig
aufgegeben ift. 2)cr DuietiSmuS alfo ift bie ftärfere Seiftung
Qld ber biSl^er bargeftcQtc $ietic>mu$. äBar nun fd^on biefer Sb«
fenCer fatl^olifc^er 2)eootion in ber reformirten Itirc^e mo^l
474
gebieten, fo roax fein @runb bagcgen, iDarum nid^t aud^ bie Mf^
tigere ©pielart berfclben auf ienefi ©oben übertragen »erben
foQte, roeld^er baju ^inreid)enb Vorbereitet toax, jumal man ba«
bur^ mit ben äRuftcrn ber caloinifd^en Ort^obojric übereinfam,
tDddjt lerftccgen fe{)r wo^l fcnnt. ®n befonberer ®runb jur
2;^eilnQ^me an biefer 9itci^tung mar ber, bag il^re ^rftedung in
SKolinoö' „©ciftlic^em SBegmeifer" öon ber römifd^en ftirc^eocr*
bammt morbcn mar. 2)Qmatö nömlid^ toaxcn äRänner roie
©pener, Slrnolb, grancfe *), SBitringa (©. 302) ber SReinung, ba§
mad innerhalb ber römifd^cn ^irc^e atö gefäl^rlic^ erfc^tene, bem
$rotcftantidmu^ oerroanbt fei. Unb bie ©leid^gfiltigfeit gegen
bad Sugfaerament, xoü^c 9J{oIino^ in ber (Empfehlung ber tfig«
liefen Sommunion bemies^, ferner bie Slbneigung gegen aQe mag«
lid^cn ceremonieQcn äRittel beS fat^olifc^en ©ottedbienfteS, mcld^
in feinen Änpngcrn an ben %aQ trat, mad^ten jenen 3Rännern
ben (Sinbrud, aliS ob cd fid^ im OuietiSmuS um baffelbc 3ntereffc
^anbelc, mie in ber rcformatorifd^en ISntgegenfc^ung jmifc^en
©tauben unb SBerten ^), Slu^erbem fam in bem feftfte^enbcn
JRal^mcn ber 5ßolcmit gegen bie römifd^e Äird^e bie mljftifd^e 3)e*
üotion übert)aupt nid)t üor. Slfo cd lag in ben pietiftifc^^"
fireifen ber bcutfc^en reformirten Äird^e fein ^inbernig für bie
Änfiebelung bcd fatfiotifd^cn Duictidmud oor. Xerfteegen ^at
audö in ben SRicberlanben für benfelbcn Anhänger geroorbm;
jebod^ fd^eint bie SBarnung, metd^c bad ^crrfd^enbe SBuc^ xm
SBil^elm Sörafel enthielt, bem Vorbringen biefer äRet^obc ctK^
©renjen gefegt gu ^aben.
1) W' «. ^. e^arltnö, 3Kt*ae( be «WoIinoS, in ber 3eitf«rifl^^
^ifionWc XMoßie 1854 §. 3. 4; 1855 §. 1. 5Be|onber8 1854. 8. 32^^
2) Rann ft^ bo^ au4 S^arltrig a. a. O. 1854. S. 507 nt^t
brechen, in 5WoIinoS' 2öeg»ei|er »ben eoangeliUcn i^auptgebanlen* ouSgefpn^^
)u pnben, ben Sut^er in ber (Sntgeßenletiung üon ®(auben unb SBerlen eir -^
f^ärft ^Qbe. %u6^ ^tp\n löfet bie SWijjlif auS bem unabtteiSbaren
beS eöangelild) angcreftten ^etjenS entjptinßen, unb acrmifet an i^ir nur
©ebanfen ber aUet^tfertigung bur(4 gläubige 9lneignung ber üerbienten ®erc
!cit e^rifti* (a a. O. 6. 2). ®er Ipccifij^e Unter|4ieb gtoil^en ber ^eüüir^^
li|4 ongeregtcn* (Jontemplotion ejrifti, welche nodj bem Vorgänge 59cmiaa
ber ge{ammten W)\i\l in ber Iat^o(i{(^en St'xxd^t eigen i^, unb ber eiKmgelt^
fir^Iic^en Deutung ber ^erfö^nung bur^ (S^riftuS t^ oben in (lapttel 4 n
getotefen.
475
Sßa^rfc^einlid^ aber ^obcn aud^ Siele üon benen, tDel^c
fid^ ber Scitung Icrfteegcn'g Eingaben, bie Slbfhifunfl jiDtfdien
betn eüangelif^en $tetiSmuS unb bem Duiettömud, tpcld^e bei
®cfc^ic^tdfor[döer fcftftcHt, ftc^ gar nid^t rec^t bcutlt^ gcmad^t. SBar
ja bod) bie formale ©elbftücrlcugnung, ber Vertraute Umgang
mit bem ^erjen^freunb unb Bräutigam, bem ^crm 3cfu§, bai^
Scrtrauen auf feine Seitung unb feinen ©c^ufc, ber beiben formen
ber 3)eöotion gcmeinfame ©ebanfenftoff, welcher öon Xerfteegen
aud^ ftetö an bie überlieferten ©runble^rcn ber Äird^c angcfnüpft
n)urbe. ^er äRangcl an Originalität erlaubte c^ i^m /(ugleid^,
bie eigentlich quietiftifd)en gormein me^r in bie gangbaren Äuö*
brüde bed innerlid^en S^riftentl^umd eingumideln , aU fie in aller
©enauigfeit baDon abgu^ebcn; unb bemgemäg ^at er aud^ ge«
legentlic^ ben ber bominicanifc^en äR^ftif angel^örigen ©ebanfen
öon ber Ocburt 3cfu in unferen ^ergen gebraud^en fönnen '),
o^ne eine 3lf)nung Don ber fpecififd^en 93ebeutung beffelben. 2)abei
jeic^net ftc^ Icrftergcn'd poctifd^e tt)ie profaifd^e Siebe burd^
@c^lid^t^cit unb ISinfad^^eit aud, unb plt fic^ fem Don ben
$arabüjieen, in benen pd| bie fpanifc^en unb bie franjöfif^en
Anhänger feiner Siid^tung bettjegen. ©eine Sicbcr, 111 an ber
Qaf)l 2), Derrat^cn eine bcbeutenbe lt)rifd^e Oabe, fie bewegen pd^
in leichter S93ortfolge unb finb Diel gefd^madDoDer ali^ bie Don
3oad^im 9ieanbcr. 3^r 3n^alt uerlcugnet bie quictiftifc^e Seben^
anficht burd)auS nid^t ; ungeachtet beffen finb mand^e Don i^ncn
in fird^lic^en ©ebrauc^ genommen morben. ^iefe 3:^atfad^e be«
n)eift eben, bag bie eigent^ämlic^e ©c^attirung ber j^römmigfeit
lerfteegen'^ alö fold^e nid^t ertannt worben ift. 2)ie fatl^olifd^c
§crfunft feiner iRid^tung löfet fid^ aber ferner an ber ©teHung
bcö ©eelenfü^rerö erfennen, xocli)t Icrfteegen gegen Diele ^er*
fönen eingenommen unb namentlich burd^ feine So^efponbenj
betätigt ^at. 9lämlic^ biefe äJ^obification bei^ fat^olifd^en 3n^
ftitutd beS Seid^toaterd ift gerabe in ben Greifen ber quietiftifd^eu
äß^ftif auiSgcbilbet n)orben. SEBenn man bie „Seben^befc^reibungen
1) ®rifi(i4e IBrofamen 1. 9anb, 1. X^ttl @. 185.
2) 6inb rnt^alten in bem ,,®eifili4en ^Blumengfirtlnn inniger 6ee(en,
ober Stntit S^lujsreime, IBetra^tungen unb Sieber über aflerdonb 9Ba(r(eiteu
bei inioenbioen d^ri^t^umS'. 3uerft granlfuri unb Seipjio 1727. S)ie
Siebet finb boOfiänbig feit ber {ei^pen tlufl. 1757. günfae^nte «ufi. dffen 1655.
476
fettiger ©cclcn" öon Icrftceflen, tuelc^c größtent^citö ben SJhiftcm
bcd Outeti^mud geiDtbmct ftnb, burd)ge^t, fo befommt man ben
(Stnbrucf, bag bic erftrebte Stntgung mit ®ott fiaqUid) aU eine
lünftlcrifc^c Seiftung öcrftanben tuirb. Snbcm bie Änrocifung
baju in bic §anb bcö Söeic^töatcrö gelegt, unb ber ©e^orfam
gegen beffcn SBorfd^riftcn als eine fpccicHe Uebungber ©elbfl«
Verleugnung angcfc^en ttjirb, fo gewinnt ber Seid^töater bic @el»
tung beS tunftöcrftänbigcn ßeitcri^ ju ber erftrebten bcfonbern
©eligfeit. Snbem Serfteegen fid^ auf eine gleichartige SBirffam^
feit im fircifc [einer Stn^änger einliefe, fo beutet biefei^ barauf
^in, bafe er fic^ ber ®igentpmlici^Ieit unb ©d^wierigfcit beffen
berufet mar, wag feine Ueberjeugung auffüllte. 3n bicfemSinnc
^at er auc^ in ber SSorrebc jum ,,93lumcngärtlein", alfo am Än^
fang feiner Saufba^n audgefprod^en : „©oUte etwa 3emanb biefcS
ober jcneö nod) nid^t faffcn fönnen, ber befümmere fic^ barilbcr
feinc^wegei^, fonbern tradite nur baSjenige, toa^ er öerftc^t unb
fär gut erfennt, mit mir auSjuflben, fo mag bai^ Uebrige unb
noc^ ein weit me^rercS ju feiner gcit aud^ fd^on ftar unb nfi^
lid^ werben. (Sine jebe ^riftlic^e SBa^rtjeit l^at i^re ©tufen unb
il^r Sllter, worin fie erft gebül^rcnb ertannt wirb, wobei auc^ noc^
biefeS JU erinnern bienlic^ fein mag, bafe bic aUerbeften, geifi*
lid)ften unb göttlid^ften SBaf)r^eiten, unb nod^ üielme^r bie aQer*
l^öd^fte SBa^r^cit, weld)c Oott fclbcr ift, nimmer rcd^t unb mit
©cwife^eit fönncn ertannt werben, aU oon einem ©emüt^e, baS
burd^ bie ^Tbtöbtung fcineö glcifc^eS, feiner ©inne, feiner Effecten,
feiner ©egierben unb feincö SBiUenS fe^r innig, geifttic^
unb ftille gemacht, wie au^ burd) bie SBcrleugnung ber mannig-
faltigen Ueberlegungen unb SBirtfamteiten ber SSernunft fc^r
oereinfältigt unb finblid^ geworben ift. SBo bicfc ©cftalt
ober 2)igpofition beö ^erjenS fcf|lt, ba ift bie ©eele ber wcfent^
liefen ©rteudjtung ©otteö unfähig".
3)cn Kommentar ju biefen ©ä^en bilben nun bie beiben
©ammlungen üon ©riefen an bie Slnl^änger unb ^^eunbc. 3n
immer neuen SBicbcrI)olungen berfelben ©ebanten Werben bie ocr-
fc^iebenen Sorrcfponbenten baöon unterrichtet, bafe fie mit bem
in i^ren §erjen gegenwärtigen @ott familiären Umgang im ®cbet
galten, unb bafe fie in ftiller ©elaffen^eit feiner Siebe ft^ tu
geben foUcn, fo bag me^r @ott in it)nen fein SSkrf treibt al&
fie fclbft. „©eten ift ben allgegenwärtigen ®ott anfe^en unb
477
p^ t)on i^m bcfcl^cn laffcn". S)Qbet mug man ntd^t nur alle«
ÄcugcTc mit groger (äJtcid^gfiltigfcit anfeilen, fonbem fid) and)
burd) bic ©rinnerung an bie eigene ©ünbe nic^t ftören laffen,
lieber an fie nid^t benfen, um bieSRu^e in @ott finben ju fönnen,
in ber bie ^eiligfeit befielt. ISd !ommt babet auc^ nic^t auf bie
£uftempfinb.ung an; fonbern bie 3"ftönbe ber SBerbunlelung,
»cnn fie nur nic^t burd^ ©ünbe üerfc^ulbet tuerben, bienen me^r
jur Heiligung ald bie aDerbergnügteften ©nabengaben unb $reu^
big!eiten, toomit tptr überfd^üttet tperben fönnten. „Sinbeft bu
tDcber Sid^t nod^ lugenb, Weber Oott nod^ @nabe, fonbern ein
blofeeö 3liä)i^, bann fei öergnügt mit bicfem SRic^tö; bcnn auf
biefe SBeife bift bu öergnügt mit @ott unb er mit 2)ir!" 6ö ift
fc^on bemcrtt worben, wie wenig biefe ©runbfäfce fid) mit ben
meiftcn arten bürgerlicher ^Berufsarbeit vertragen. ,,(£in Äinb
ber göttlid^en SSorfe^ung foQte biUig nic^t einen ^ugenblid üor»
auöbcnfen". 3)iefe Siegel ber ©orglofigleit ift boc^ etwaö anbereö
alö bie SBorfc^rift, ba§ man feine ©orgen auf ben §erm werfe;
benn bann barf man fie boc^ im SBoraud t)abenl Xerfteegen
giebt gwar ju, ba§ bie Arbeit, Welche im $errn gefc^ie^t, mit
ftillcm SBefen, alfo in Slbgefd^iebenl^eit öon allem Sntereffe baran,
ben SBcrt^ beö ©otteSbienfteiS ^abe. Aber Welche arbeit, auger
ber ©anbmeberei, geftattet biefe SBeurt^eilung ? SBieberl^oU warnt
er feine Sorrefponbenten i^re ©efc^äftst^ätigfett auSjube^nen,
ober begrübt fie, bag fie auf gute SBeife o^ne i^r 3^^^^^ ^()^^
amtliche gunction, j. ©. ben ©d^ulbienft loö geworben finb;
weil fie um fo freier gur Anbackt fein werben. Äud^ ben ffi^e*^
ftanb fiel)t er junäd^ft üor^crrfd^enb aU ^inbemiß ber @ebet^
Übung an, obgleid^ er wieberum jugefte^t, ba§ in ber beiberfei«
tigen Siebe unb Irene gweier im $crrn oerbunbenen $erjen in
ber %i)at ein fd^ä^bar ©d^öneS unb ®uted biefer $ilgerfc^aft
gelegen unb @ott nid)t migfädig fei. (£r ift alfo oon ber t^eo^
fop^ifc^en üRigbeutung ber ©ac^e fern geblieben, Snbeffen bc*^
rfi^rt eS bod) aud^ bad e^elid^c SBer^öltnig, wenn Xerfteegen in
Sieiie^ung auf bie ^auSgenoffen übertiaupt babor warnt, bag
bai^ biOige SRitleiben, baS man mit i^nen unb i^rem 3"f^^"^
^Qt, nic^t ju tief in ben @runb bringe, bamit i^r nid^t gar ju
fe^r baburc^ bewegt , beunru{|igt , niebergefd^Iagen , berbunfelt
werbet. 8Qe biefe äeußerungen bewcifen, ba§ lerfteegen bie
fociale Sage, bie er fic^ gefc^affen ^atte, bie S^elofigfeit, bie
478
ÄbWefcnl^dt öon bcn ©orgcn bcr ^^milic, bic leidste med^anifi^e
arbeit, bcjic^ungötDeifc bic rein geiftige ©cf^äftigung bc^ ©prec^er^
in SonDentifcIn unb bcd @eelcnfä^rcrd, aU ha^ SO'^uftcr bed
c^riftlic^cn Scbend bctrad^tetc. 3n biefcr einfeitigcn unj) eng^^
jigen Sinfid^t würbe er offenbar baburc^ unterftü|t, baß e^ in
feiner Umgebung SJ^enfc^en genug gab, bie ä^nlid^ geftcdt waren,
t^eiU SBcber, beren mec^anifc^e Arbeit i^rcr Ginbilbung^traft
unb ^nbac^t wenig t)inberlid^ war, tljeitö reidje Seute, bic nic^t
)u arbeiten brandeten, t^eild grauen, namentlid) unücr^eirat^ete,
Weld^e immer bie gä^igfeit unb bie ßcit su m^ftifd^er 6on*
templation befi^cn. Senn aDcrbingd )fa^t bie ©ottfcligfeit, welche
lerftecgen uorfc^reibt, nur für folc^c, Weld^e nad^ bcn SBorten
bcg ^eiligen Sernliarb in ben Älöftern frei öon ben ©orgcn ber
SBelt unb bcn Scbrängniffcn be§ Seben^ finb (©. 41).
öö ift be^f)atb folgerecht, ba§ Xerftccgcn eine flöperlic^e
@emeinfd)aft eingerichtet l^at, in welcher man nac^ feiner Slnwei^
fung unb unter feiner inbirecten ^(uffic^t gemeinfamen Slnba^td«
fibungen, aber ^auptfäc^lid^ bem inncrn @cbct unb bem ^eiligen
©tiUfc^wcigcn oblag. Sin greunb« 9lamenS Otterbecf, bot i^m
fc^ou 1727 baju bie @clegenf)eit, inbem er in feinen auf ber
SBafferfc^eibe jröifc^cn SRu^r unb SBupper an bem SBcgc groifc^cn
üRül^cim unb ffilberfclb gctegcnen ^of, weld^cr ben SRamen bcS
Scfifecrö fül^rtc, fieben ©cnoffen aufnahm, ©ic trieben SBScbcrei,
bereu örtrag burd^ Otterbecf oertauft würbe, unb ftanbcn unter
feiner unb cineö änbcrn, SRamend Säumer, Slufftd^t. S)ie 3n»
ftruction, welche i^nen Icrfteegcn ert^eilte, ift bem britten Sanbc
ber ffirbaulic^en ©riefe (©, 462—470) angehängt >). ©ie bc*
äcid)nct aU bcn ©cruf ber Srüber, bie SBelt unb beren ®cift
ju oerlaffen, bcr üerbcrbten Siatur unb bem eigenen Sebcn be^
ftänbig abjufterben unb Xag unb 9lad)t mit ®ott umjugc^en
burc^ bie Ucbung bcd wahren ©ebeted. @iner äRön^drcgel fielet
biefe Slnwcifung nid^t birect ä^nlic^, ba fic augerbem nur bic
gegenfcitige 3)icnftfertigfeit, 5lufric^tigfeit, öcfd^eibcn^eit, bic SSer^^
meibung bed Slrgwo^nd unb (Stgennu^e^ empfiehlt unb barauf
©ewic^t legt, ba§ man feine guge^örigleit ju ber ©cnoffcnfc^ft
bcr „^ilger^ütte" al^ bie Stnorbnung ber göttlid^en Sorfe^ung
anertcnne. SBicUcid^t wäre eine Siegel öon weniger freiem @c*
1) tIbgeDcudt bri ®oebd 6. 440 ff.
479
präge jiDccfmägtgcr gcttjcfcn. S)enn ein SBricf 3;crftcc9cn'« t)on
1737 im jtocitcn Sanbe bcr ©ammlung (9lr. 113) Ilagt barübcr,
ba§ cg mit bcn örübcrn nid)t tocitcr gc^e, ba§ fic träge jum
@cbct unb in bcr ©elbftberlcugung nid^t burc^greifenb feien,
^bie offenbaren Äuöbrüc^e babon t^un euc^ faum bie äugen
auf", „ffii^ ift ba feine ^erjlid^e Raffung, Siebe unb Sereinigung
unter einanber. deiner glaubt ed mit t)oQer SBa^r^cit unb (Ein-
falt, ba§ alle Slnbcren beffer finb ate er felbft. Äciner fud^et
rcd^t ^^^ i>^ Zubern ift''. (£d ift traurig ju fe^en, bag biefed
Unternehmen eined ^lofterd bon feinem eigenen (Stifter biefed
ßcngnig erfahren mugte. (£^ t^at bid gegen bad @nbe bed Sa^r^
^unbertiS fortbeftanben; DieUeid^t ^ätte c^ gar nid^t foOen in'i^
SBcrf gefegt »erben. 3)enn bie m^ftifd^e grömmigfeit ^at i^re
$eimat^ bod^ nur in ben fat^olifd^en jflöftern aU S(n^ang ju
ber ISinäbung ftatutarifc^er unb ad!etifd)er Heiligung (@. 61).
3n bem erften öanbe ber ©rieffammlung (©. 420—480)
finbct fic^ Don §offmann unb lerfteegen unterfd^rieben ein „Qcmq^
nig ber SBa[)r^eit, bie ba ift nad^ ber @)ottfeligfeit tpiber einige
gefährliche (äJrünbe, bie jur ®efd|önigung ber falfc^en %v^\f)t\t
beigebracht n)erben. 3^^ nöt^igcn äßarnung etlicher berufenen
Seelen unfercr 3^^*-" ®oebel (©. 350) giebt an, ba§ bicfe
SSarnung t)or offenem Slntinomidmud, loelc^e 1727 gefc^rieben unb
an einen g^eunb unb S3ruber abbrcffirt ift, nac^ ber DtterbedE
gerietet fei. äßcnn aber bad tid^tig ift, bann fönnen nic^t bie
bort eben angefiebelten Srflber ben Slnlag gegeben ^aben; benn
biejenigcn, meli^e cd angef)t, mcrbcn a(d fol^c be^^cic^nct, bie „in
bafigcr unb angränjcnbcr @cgenb'' in bcr äßclt leben. 9lllcin
c^ ift eben bemerfendmert^, bag in bem Greife ber (Srroedten
folc^c (Srfc^einungen Dorgefommen finb, bie ein bircctci^ ®egcn*
ftücf gegen Scrftecgen'i^ abfielt bilben. ^3^r ßcben ift eine
falfc^e fünblic^c grci^cit, toorin fic^ einige tt\m^ fubtiler unb
flilgcr auffahren, anbere aber i^rer oerbcrbten 9latur bie 3^8^^
fliegen laffen. 3n i^ren SRcbcn finb fic unbcbad^tfam unb frei.
äBenig ober nic^t reben fie oon gciftlic^cn 2)ingen, mit bcr Sßelt
aber unb unter einanber loerbcn fic oft ©tunben lang oon um
nöt^igen, unerbaulid)en, citclen fingen fc^ioa^en. ©ic ^aben
fein Sebenfen, mit ber eiteln SBelt ju conbcrfircn, i^re ©efelt
fd^aften ju fud^en, unb fic^ i^ncn in ©^cr}reben, Sad^en unb
onberen X^or^eiten gleich ju fteQen. Sber bie gemeinfamen unb
480
befonbcrcn ©cfcüfd^oftcn bcr grommcn [ud^en fic cnttocber nit^t,
ober geben in benfclbcn tunb, ba§ fic bcr gottfcUgen ©efpröc^c
balb mübc finb. j)a man t)ox\)tt fo über bic äWagcn fic^ cinge*
jogen ju galten fc^ien, fo bog man faum bie Sugen ou^ufc^Iagen
loagtc, lägt man nun feine ©inne [fcrumfd^meifen in (Effen unb
Printen, in ©e^en unb ^ören.Snßicrlic^fcit, ©taot unb^rac^t,
fotoo^l in j^letbung old in ^an^xatij, fteUt mond^er fic^ ber SScIt
grob genug gleid^. IStnige laffen fid) baneben oon ber (Einfalt
ab in fc^äblic^c ^öl^en bcr SSernunft führen unb oerbcrben i^rc
3eit mit ©peculationcn unb atterlei @el)eimniffcn bcr Statur,
legen fic^ aud) auf'd ©udien be$ Lapis philosophoram unb bed
Unioerfalö. S)iefe xoit bie oorigen geben ju üerftc^en, ba§ ftc
eine geringe Sld^tung gegen bie ^eilige ©d}rift ^aben ; aOe mög*
lid^en SJüc^er lefcn fic, bie Söibel aber Wenig ober gar nic^t, fie
nennen felbigc ein ©efefebud), ba^ fie nic^t^S mc^r ange^t^
SRad) biejer ©c^ilberung barf man fragen, nad^ mcld^em SWaß^
ftabe btcfe iieute überhaupt noc^ ju ben ©ottfcligen ge^ren,
benen fie fo unä^nlic^ geworben finb. 3Ran erfennt aber an
iören Stvgumentcn, xocld)t Serfteegcn auöfü^rlic^ roiberlcgt, bag
fie ben S)oben ber d^riftlic^en ©elbftbeurt^cilung unb getoiffe
pietiftifc^c ffiorau^fcftungcn gcrabe feftl)alten, inbcm fie biefclbcn
mißbrauchen, ©ie berufen fid) alfo auf bie @nabe unb g^ci^it
beö ©oangclium^ gegen ba^ ©efefe, auf bie Siegel ber Aufrichtig*
feit gegen bie fteud^lerifc^c SSerftedung il)rer fünbigcn Steigungen,
auf bie ©Icic^gültigfcit ^n)if^cn böfen ^anblungen unb bSfen
3nclinationen, auf bic ^ö^^w^fl ©ottci^, ber bie ©ünben um bct
^emüt^igung mitten ^ulaffc, auf bie gcl^eimc Sltlmirffanite\l
®otteö, melc^er bie ©ünben t)crüorbred)en läßt, unb bcm nvs^
nid)t miberftcl^cn fann, enblic^ auf bic SBieberbringung Stier IS^
©cligfeit, mctc^c ÄUen biefclbcn ßäuterungen frü^ ober fpät ^^^'
erlegt, unb ben Unterfd^ieb jmifd^en ©ottlofcn unb fjrom
aU meniger groß erfc^cinen lägt, mie gemöf)nlid^ angcnom
mirb. 2)iefcö ift eine erfc^rcdcnbc ©tufcnrei^c oon ®rün"
um fo erfd)redEenber, fofern biejenigen, meldte fid^ i^rer
bienen, trofc ber SBeltförmigleit i^rcd ßcbcnS bie SJcrbinb
mit ben Srmcdten unb frommen nod) nic^t völlig abgebroi
^aben. ©ag man biefe SRotijcn, wie ©ocbel meint, auf bie ffiHcr^^/^
Motte *) in (Slberfclb bejie^en bürfe, ift mir unwa^rfc^einC^^^'
1) IB0L beten 2)acflenung buc^ ®oebe( III. B. 456—598. 5^/^
481
®cnn iDcnn and) bicfc ©cfcüfc^aft 1726 tr)r S;rct6en begann,
roclc^cd im ©onjen old antinomiftifc^ bejeid^net tottben mug, fo
n^ar tl^ctld btefer t^r S^arafter im folgcnben Sa^rc nod^ ni^t
offenbar, t^eil^ bilbete fte bamatö einen eng unb gcl^eimnigDoQ
gcfd^Ioffenen Äreiö, ttjä^renb bie öon S^erftecgcn gcfd^ilbertcn
ficute fporabifd^ aufgetreten finb unb mit i{|ren Ueberjeugungen
unb Argumenten nic^t jurüdge^alten l^aben. Wlan barf aber
o^ne ©d)aben barauf öerjid^ten, fie in beftimmtcn ^crfoncn na^
2un)eifen. ®ie finb nämlid^ nur n^td^tig ald Symptom für bic
gefedfc^aftlid^e unb ffir bie päbagogtfc^e ^ebeutung bed $ieti^
mu^ in ber üon Xerfteegen angebeuteten ®egenb, b. ^. SIberfelb.
2)er ^ieti^mud mug bort fo bominirt ^aben, bag aud^ folc^e, bie in
t^m nic^t audjubauern üermod^ten, unb fid^ nun ffir ben frfil^em
ßioang burc^ gefteigerten SBeltfinn fd)ab(od ju l^alten fud^ten,
fic^ auf fc^einbar religiöfe Orfinbe baffir befinnen mußten. S)cr
ülima; in ben oben angeführten @rfinben Uerrät^ auc^ nid^td
tt)eniger ald bona fides, fonbern eine üoUenbete ^rioolität; unb
ba^u pagt bie Eingabe, bag menn bie 93ertreter biefer Slnftd^ten
aus SinftanbSrfldfid^ten noc^ bie Sonücntifel befnc^ten, fie mit
fpöttifd^en @eberben ober mit groben SEBorten i^re Slbneigung
bagegen ju erfennen gaben. @oDte e^ nic^t oicdei^t in jener
®cgenb n)ieber^olt öorgefommen fein, ba§ pietiftifd^e ffiriiel^ung,
»cnn fie nid^t jum giet fül^rte, »eil fie überl^aupt nicftt aQge^^
mein gfiltig ift, offene Abneigung unb $ag gegen bai^ S^riften«
t^um gepflanjt ^at? 2)ann f)at jene unjn^edmägige päbagogifd^e
3J2et^obc bamatö unter bem gefeQfc^aftlidien 3^^"S^ ^^ $ieti^
mu^ ben fd^limmeren ©c^abcn ber öerftedten g^ioolität l^eroor^^
rufen fönnen, meiere aDen möglid^en ISinfc^ränfungen beiS Sßelt»
finnS, benen man ftc^ ffigen mugte, burd^ bie^red^^eit beSt^eo«
retifc^en AntinomidmuS bie @pi^e bot. ^enn bie (Srjie^ung ift
itaturgemäg bie fc^mäd^fte @eite bei^ ^ietidmug.
2)ie eben befprod^enc SBarnung^f^rift ift ein neuer ©etoei«
bafür, bafe lerfteegen mit bem gefammten ^ietii^mud in gefell-
jd^aftUd)er SBerbinbung ftanb, obgleich er feine quietiftifc^e SF^^ftif
ton ber ®ottfelig!ett, bie er oorfanb, ju unterfc^eiben Urfad^e
l^atte. (Er nimmt aber tbtxx eine anbere ©tedung ein, atö bie
93ourignon, $oiret, @id^te(, n^eld^e i^re gleid^en ober ä^nUd^en
(Scf^etnung ttberge^e t^ obfl^tli^, »eil fie nur auf 1Benfl<ft^tt, Sttrflgerei,
^errf^fu^t unb Vbergloube sufammtnoeje^ ifL
I. 81
482
SReinungcn bloS in bem engftcn grcunbcgfrcifc ober litcrarifc^
vortrugen. Slid^t^ bcfto tüenigcr l^aftet an bcr quictiftifc^cn 9Kd^«
tung t)on Xcrftcegcn noc^ eine anbete mid^ttge Slbtt)eic^ung Don
ber pietiftifd^en ^rabition, nämlid^ bie ©teÖung, mld)t er ftc^
jur Äirc^e gab. ©i^^er f)aitc ber ?ßictiöntuö, wie in ben 9Kcber*
lanben, fic^ alö bie in ber Äird^e ben Xon angebenbe JRid^tung
behauptet. 3n bicfem ^alle erflärte SBil^elm Srafel bie rcfor:^
mirte Äirc^e für bie einjig richtige Äird^e, neben meld^er bie rS-
niifd^e al^ bad 3abel, aber au^ bie (ut^erifd^e atö eine mit
bielen Srrtpmern behaftete jurücfgeftcQt, unb Sut^er atö ber
fpäter (äJefommene gegen 3^i"9ti ^erabgefcfet rourbe (©. 292).
3n ber reformirten Äird^e ©eutfc^Ianb^ jog ber ^ietidmuö, fo
»ie er einbrang, ©eparatiömnö na^ fid) (©. 398). 3ebod^ in
ben nieberrl^einifd^en ©ebicten hielten o^nc 3^^'!^^ ^^^ firc^li^c
unb bie feparatiftifc^e Haltung beS ^ietiSmu^ fic^ gegenseitig im
©c^ac^. ©0 Xüeit bie bortige rcformirtc Äird^e fic§ an bie 9lic*
bertanbe anlef)nte, war ber ^ietiömug bcrcd^tigt, pd^ alö bie am
meiften fird^Iic^e Partei ju benehmen, hingegen bie (Stntnirfungcn
t)on SKittelbcutfd^tanb l)er, namentlid) fold^e, wel^e mit tl^cofo-
pl^ifd^em ©toffe erfüllt waren, jogen feparatiftifd[)e Slufle^nung
gegen bie öerberbte Stixijc nad) fid|. %xo^ biefcö ©cgenfaftc^
fonnten fi(^ bie beiben @ruppen öugerlic^ in ber Snt^altung
t)om 8lbenbmal)l berül^rcn. S)enn bem firdjlid^en ^ietiömuS
waren öon Jlnfang an bie SJcbenfen angestammt, ob man felbft
^eilig genug fei, um bad ©iegel bed ©nabenftanbed gu empfangen,
ober bie ©emeinbejud^t wirffam genug, um un^eilige ©enoffen
ber ©acramentöfeier fern ju galten. lerfteegen erflärt im Sa^tc
1735, ba§ er in feiner äußern Äird^e jum Slbenbma^I gel^e, weil
er auö antrieb feineö ©ewiffcnd fid^ beffen l^abe enthalten
muffen >). SBcnn man feine Ätagc über ben JBerfaH ber Qndft
in ber reformirten fiird)e (©. 466) bamit öergleic^t, fo wirb bcr
julefet angeführte ©runb für i^n gültig gcwefen fein. 2)abci
le^nt er e^ aber fcf)r ernft ab, für einen ©cparatiftcn ober ©ec»
tirer gehalten ju werben. SBenn er nämli^ mit ©ewiS^eit er^
fennen follte, bag ®ott me^r burd) fein Slbenbma^lge^en atö
burc^ fein 2)at)onbleiben fönnte üerl^errlic^t, ober ber SRäc^fte in
SBa^rl^eit erbaut werben, fo würbe er im Uebrigen fid^ wenig
1) (Sr(QuIi4e Briefe II. Str. 76.
483
©frupcl barauS machen, ©eine urfprünglic^c Anficht Don ber
Slot^tDcnbigfeit, fic^ bcr Slbcnbma^tögcmeinfd^aft mit @ottIo[en
ju cntjte^cn, tft in einem Sluffafec: ,,3ubai^ ejcommunicirt, ober
SScr^anblunfl üon bcm äbcnbma^l Subä 3fc^ariot^" enthalten *),
ti^ortn er bic t^rage nad^ ber Zf)eiInQ^me bei^ SSerrät^erS an bem
Slbenbma^I S^rifti in entgegengefe^ter {Richtung old Sampe
(@. 442) beantwortet. @r f)at auc^ fein fieben lang bie Snt^aU
tung t)om Slbenbmo^I fortgefe^t, unb bad Sted^t baju aufredet er^
galten; er t)at jebo^ in Dielen einjelnen $äOen bai^ entgegenge«
fe^te SBer^alten angerat^en, n^eil er unter aden Umftänben bem
©eparatidmug aufS ^öd^fte abgeneigt n^ar.
S)enn ber ©eparatiömuö öerrätti gerabe, je heftiger er gegen
bie Unreinheit einer 6onfcfftonötird)e auftritt, eine UerftedEte 8n^
l^änglic^feit an biefelbe, ttjenigftenö infofern, aU er bie Siot^wen*
bigfeit einer particularen Jlird^enbilbung äber^aupt t)oraudfe^t.
SBeil biefer ©ebanfe bie ©eparatiften mit ber öon i^nen be*
mangelten fiird^engeftalt üerbinbet, ift i^r Äantpf gegen biefelbe
fo ^erbe unb giftig. lerftcegen ttjar öon folc^em SSer^alten am
tt)eiteften entfernt; benn i^m waren aOe particularen ^ird^enbiU
bungen aU folc^e äugerft gleichgültig, unb in fie red^nete er au^
bcn ©eparatiömug ein. ®r ^ielt fein 3ntereffe bloö auf bie ®c*
mcinbe ber §eiligen gerichtet, meiere er in jeber etablirten ^ar:^
tieularfirc^e fannte ober DorauSfe^en burfte. ®aju befähigte i^n
feine äK^ftit, bie alö folc^c über jebe« lirc^lic^e ©lauben^belennt^
ni§ ^inau^griff, unb bereu äKufter er ebenfo gut, ober me^r
nod^ unter Äatf)olifen wie unter 5ßroteftanten entbedfte. „2)ie
Sürc^e ift nic^t^ anbereS atö bie 93erfammlung ber ^eiligen ober
bie üon ß^^ft^^^^^S ^^ Sreatur unb ISigenl^eit }u @ott t^er«
fammclten unb mit i^m in (S^rifto t)erein igten ©eelen. Silier
anbere Siame ober Unterfc^ieb gilt üor Oott nid^tö. ©agft bu
nun: biefe l^eiligen ©celen finb nic^t öon meiner 5ßartei, fo
fd^neibeft bu bic^ bamit ab üon ber ©emeinfd^aft beS $aupted
unb ber ©lieber" ^). §ierin ift eö begrünbet, ba§ Xerfteegen mit
Stecht ben Vorwurf ber ©ectirerei Don fid^ ablehnte. 2)enn er
tiHir neutral unb gleid^gültig gegen ben 3eftanb oerfc^iebener
1) 3n ben 9{a40e(affenen ^luffa^en unb tlb^anblungen, 1842. Sergl.
^nthtl B. 420 ff.
2) SebenSbej^reibungen ^etlioer 6eelen. I. Sorrebe 8. XXIV.
484
ßonfcfftonöfird^cn, tüä^rcnb ein ©cctircr, inbcm er bic Sonfcfponfc
txxäft, t)on ber er ausgegangen tft, befel^bet, eigentlich fte nac^
feinem ßoncepte t)er6effern iPtIL 2)eS]^aIb UerfäQt ein ©eparattfl
nur in bie gerabe entgcgengefe^ten $e^(er, als tueld^e er an ben
©enoffen ber Äirc^c rügt. SSon foldjen geljlern ift Sicrftcegen
burd^auS frei ; juSng^erjigfett/^ocI^mutt), Ungebulb, SSerbitterung
ift er niemals öerfud^t worben. 3n bem oben angesogenen ©rief
erläutert er feine ©tellung ju ben jfirc^en noc^ burc^ folgende
@ä^e: „$iäi glaube, bag fomo^l in ber ^artci ber Stömifd^fia«
t^olifc^en als unter ben Sut^cranern, SReformirten, SRennoniften
bie Seelen, nid)t n)eniger als unter ben ©eparatiften, ffi bem
^d^ften ©ipfel ber Heiligung unb SSereinigung mit @ott ge<
langen fönnen. äBenn aber einer in feinem ©etoiffen überzeugt
ift, biefe ober jene Äird^engebräuc^e feien roiber ®ott unb i^m.
an feiner Heiligung ^inberlid^, ift er Verpflichtet fid^ folc^
2)inge ju enthalten. 3ni umgete^rtcn ^^aüt ift er verpflichtet
ftd^ i^rer ju bebiencn, unb wenn ein ©eparatift von i^m üct^
langt, ba§ er fid^ abfonbern folle, fo ift berfclbe nic^t unparteiift^
fonbern ein eigenftnniger ©ectirer. üReiue ^crfon unb SScr^alten
anlangenb fo ^ange ic^ feiner 9ieligionSpartei fectirifd^er S33cife
an, l^abe mid^ auc^ uon feiner Partei förmlich feparirt, bin auc^
nod^ nid)t ©inneS eS jU t^un". ®r fügt ^inju, bafe er ju jcbcin
frommen ^rebiger, lut^erifd^, reformirt ober fatl^olifc^, jur Sirene
ge^e, unb bag er mit allerlei 9{eligionSt)ern)anbten umgebe, um
über bie Onabe ®otteS in S^rifto, ©elbftoerleugnung, ®fW,
Siebe ju ®ott mit i^nen ju reben, laffe aber i^nen baS ©cbaubc
i^rer befonberen Äird^enüerfaffung unb üReinungen unangctoftet.
Wlit befonberen 3Äeinungen ^alte er ftc^ eben nid^t auf, ou4
nid^t mit ben beliebten unb berufenen Meinungen vieler ©cpow^
tiften : von bem gaHe beS Slutic^rift, vom taufenbjjä^rigen Sei4
von ber Säuterung unb SBieberbringung unb bergleid^en. ß^
felbft unb aller Sreatur ju fterben, bamit ic^ in @ott leben ntöS^
in ß^rifto 3efu, baS ift mein ganjcS ©el^eimnife bcS ©laubcn^'«
©e^r le^neidö ift eS, ujie Sterfteegcn von biefem ©tontM
punft aus über bie ®rünbung ber ^errn^utifc^en ®emcinl)^
urt^eilte. SBir erfahren auS ber ßebenSbefc^reibung^, ^
ßinjenborf fic^ aDe SKü^e gegeben ^at, aud^ Icrfteegen u»*
1) (i¥bau(t(^ »Tiefe IH. @. 50 ff.
485
feinen Anfang in [ein ga^maffcr ju bringen, ytaä) öoronge*
gangenen Briefen bcö ©rafcn crfc^ien bei lerfteegen 1737 üRartin
S)obcr, ein ®epife beffelbcn „bcr fic^ unfcrcm ©cligen, um i^m
auf bicfe SBeife fein ^crj ju ftcl^Ien, ju güßen lüarf unb um
feinen Segen bat". Sierftecgen aber Ue§ fic^ nic^t befted^en,
fonbern t^ot boö ©eine, um ber ^errn^utifd^en äJiobe, bie unter
ben frommen einriß, entgegen ju Wirten. 3m So^re 1741 l^atte er
einen 2lnla§, feinem oben citirtcn ©runbfafe ber SReutralität gc»
mä% jju crtlären, ba§ er fid) mit benjenigen unter ben $errn«
läutern vereinigt UJtffe, bie in feinem ©inne ber ©elbftöerleugnung
®ottc^ Äinber finb. SBorin fie fid) aber üon anberen Äinbem
©otted nnterf (Reiben, billigt er burc^aud nic^t, unb er bebauert,
bag JU ben ©Haltungen in ber S^riften^eit nod^ neue ^injugeffigt
tocrben. SBaö i^n nun an 3^«äcnborf'^ SÄet^obc ber g^ömmig«
feit befrembet, unb mad er aU Seic^tfinnigleit bejeic^net *),
tommt barauf l^inaud, bag man bort mit ber ^efe^rung in
etlichen ©tunben ober lagen oöüig fertig fein will, ba§ man
biefe SJ^et^obe, ben @Iauben unb bad Süangelium ju ergreifen,
öftere burc^ einen gefeilteren S^rieb aufjubrängen t)erfud^t, enb^^
lic^ bog man bie gefällte SSerfic^erung ber ©änbenoergebung atö
bad mef entließe Sennjeic^en bed rid^tigen @laubeni^ be^eicl^net.
9iun gehört freili^ 3*'^ä^"^orf in ber SÄet^obc ber grömmigfeit
mie Xerfteegen ju ber jal^lreic^en geiftlic^en ^amilie bei^ ^eiligen
Sernl^arb unb ju leiner anbcrn *) ; aber jener gehört ju bem
3to€igc bed I^omaö, biefer ju bem Steige beö 3)un3. ©eö^alb
fönnen fie ftc^ barüber nid^t ücrftänbigen, ob bie ©eligfeit ober
ber ©nabenftanb in ber birecten ©rfcnntniß ber fpecieUen ©ünben*
bergebung unter ber notl)tt)enbigen Segleitung ber greube befte^t,
ober in ber ©claffenl^eit be^^ SBilleni^ unter ®ütt, meiere gegen
ben äBec^fel üon religiöfer ^reube unb religiöfer (Entbel^rung
1) lEBarnungSfd^retbcn »iber bte fietd^tflnntgfett, »ottn bie not^toenbige
^erbtnbung ber Heiligung mit ber Sle^tfertigung, »ie au4 »aS (Seje^Ud^ unb
tDQi (^ngeU{4 if^/ türgUd^ angegetget ift (oon 1746), enthalten in: ^eg ber
SSa^r^eit, bie ba ift na4 ber O^ottfeltgfett. 5. 9Iuf[. Solingen 1781. 6. 193—260.
2) Sgl. 3in)enborf, ^iScourfe über bie ^lugSburgij^e d^onfeiflon
6. 154: ,3n ^Inie^ung beS 9{e{))ect§ \>ox ben lEBunben 3e{u unb ber Anbetung
{einer gangen (eiligen ^Dlarterpeifon (alte i(( e8 mit ben i^at(olifd^en'.
34 entlegne biefe Stelle ber mir nid^t gugfinglitten S^rift auS Sd^neden«
burger'S Sorlefungen über bie Heineren proleftantif^en lhrd^en|)arteien 6. 196.
486
glcid^gültig i[t. Slber innerhalb bc^ StotxQt^ bcö X^omaö fclbft
iDctc^t ßinjenborf cbenfo üon bcm fogcnannten cDangelifd^en $ietid^
mu^ ab, tüic er fid^ öon lerftecgcn untcrfc^eibct, nämlic^ barin,
bog er fid^ bte formale ©elbftüerlcugnung, btc IStnprögung beS
(Slenbei^ unb ber Siid^tigfcit ober bog Sampe'fc^e SBurmöbcrougt^
fein (©. 431) crfpart, unb o^ne biefc Vorbereitung boju anleitet,
bag man aud ber Intuition ber fieiben S^rifti bie SSerftd^erung
ber ©finbenöergebung unb bic ©cgenticbe fc^öpfe. ffi^ tft fe^r
begreiflich, bag bie 3i"äcnborf'fd)e Seitenlinie, toetd)c, um mit
Oottfrteb Ärnolb*) ju fprcc^en, fid^ auf bic metap^^fifc^e
Siebe jur SBeiö^eit, auf biefcn ^d^ftcn im §o]^cnliebc geroiefenen
SBeg ber ©ottfeligfcit befd)ränftc, o^ne öorl^er auf bem niebri»
geren et^ifc^en SBcge in ber ©elbftöerteugnung fic^ ju üben,
ben SBerbad^t ber Uned)t^eit bei bcn übrigen gamiliengliebcm
erregte. 2)enn bie gamilientrabition ^iclt fic^ baran, ba§ für
bie fat^olifc^e ®ruppe bie a^fettfd^e Heiligung bed SDJönc^leben^,
für bie euangetifd^e ®ruppe bie immer n^ieber^olte @tnprägung
ber fünblic^en unb gefd^öpflid^en iRid^tigfeit üoraudge^en muffe,
beöor man auS ber ©eiten^ö^le beö Sräutigamö ©ügigfcit fcftöpfcn
ober in H)x 9iu^e finben bürfe. Äann man fid^ »unbern, baft
eö in jenem Äreife ate Seic^tfinnigleit erfd^ien, ba§ 3^^^"*^^^
bie ^öc^fte aufgäbe im ginge löfcn leierte? SKugtc ed nid^t ben
©ottfeligen, bie i^rer üorauögel^enben ©elbftüerlcugnung, ober ber
©elbftuerleugnung al^ bem @anjen oblagen, fo t)orfommen, als
ob ber @raf auö ber ärt gef erlagen fei? Unb er roar c^ aud^,
jumal barin, bag er t)on SBerlaffungen feine regelmüjsige Sr^
fa^rung l^atte, burd^ n)eld^e i^m baS im 93orau^ überfprungene
S3ett)u§tfein ber völligen Siic^tigfcit alö ein unöeräugcrlid^e^
©tüd ber richtigen 3J2et^obc eingeprägt n)orben n^äre. Unb
biefer SKann mit abnormer unb öerbäc^tiger grömmigfeit ^ielt
fid^ für berufen, alle ^inber ®otte^ unter Sinen ^ut ju bringen
unb als befonbere @emeinbe ju conftituircn I @o ettoa ^aben
tt)ir bie Umftänbe beö SluftretenS uon ginjenborf ju ocrgegcn*
tüärtigen, unb mit bem bisherigen ©ange beS ?ßietiSmuS ju oer*
gleid^en, um eS burc^auS öerftänblid^ ju finben, bafe Icrfteegcn
i^n fo beurt^cilt f)at, tt)ie eS vorliegt. Db 3^"i^"^ö^ trofebem
1) ^tfforte unb Scfd^retbung ber m^fttfd^cn St^oote (Sranffuri 1703)
e. 138.
487
btc „äKctap^^ftf" bcö ^o^cnüebeg ftud^tbarct gemacht ^at, ate
cö in bcn älteren ©c^tc^ten feiner aSertoanbtfc^oft gelungen ift
fann bei biefer Gelegenheit no(^ nid^t entfd^ieben n^erben.
S)ie Sieutralität gegen bie öerfd^iebenen Partien larRrc^cn,
ttjelc^e lerfteegen ausübte, njar baburc^ bebingt , bafe er in einer
prote[tantifd)en Äirc^e feine ^eimat^ ^atte. 3" [^^"^ 3^^^* ^^^
cd nur erft im ^ßroteftantiömu^ niöglic^, gegen bie Uebereinftim*
mung in ber innern grömmigfeit bie Trennung in ben Sultuö*
unb Sied^töformen bcr Äird)en gering ju fc^äfeen. 3nbcffen fc^icn
Xerfteegcn biefe Neutralität bcö eigenen ©tanbpunlte^ ju öer^^
le^en, inbem er in ben Sebenöbcfc^rcibungen ^eiliger ©eelen nur
fold^e SKufter ber g^ömmigfeit öorfü^rte, meldte ber lat^olif^cn
^irc^e, unb jti)ar äbern)iegenb i^rer eontrareformatorifc^en ISpo^e
angehören. @r fal^ fid^ Veranlaßt, in ber Sorrebe ju biefcm
SBerfe ber Cinwenbung j" begegnen, lüarum er feine ®jempcl
ber ^eiligen unter ben ^roteftanten l&inäufüge. 2)arauf em)ibcrt
er, bog ed i{)m borouf anfomme, bie au^ti)ärtigen unb unbefannten
SWufterbilber ber ^eiligleit üorjufü^ren; fügt iebod^ ^inju, ba§
biefe l^eiligen ©eelen gerabe nad^brücfUd^e 3cuflwiffc ber eöangc*
lifc^en SBo^r^eiten ablegen, fo ba§ ftc ,,mit l^öc^ftem Siedet Göan-
gelifd)e Sl^riften ju nennen finb". 2)emgemä§ bejeid^net er fein
fflSerf ate ein ©eitenftücf ju glaciu§ 3cw9e« bcr SBa^rl^eit, ttjeld^c
unter ben Mömifdi-ftat^olifd^en ju finben allejeit im Sntereffe
ber ?ßrotcftanten liege. SBie nun bie ^roteftanten überl^aupt bcr
SBa^r^eit gemäß glauben, ba§ ©Ott nod^ feinen ©amen in bcr
römifc^en Äirc^e ucrborgen ^abe, fo gelte biefe^ öon ben üR^ftifem.
Dag biefelben jugleic^ bcn römifc^en ©afeungen anfangen, billige
er jtt)ar nic^t, ^altc c^ aber für entfd^ulbigt burd^ @ott fclbft,
ber jene SluiScrtoä^ltcn geliebt l^at; unb bafe ftc mciftenö im
Älofterleben geftanben, fönne nic^t anftögig fein, ba Sobenfte^n
(©. 161) unb ©pener bie ööOigc «bficHung beg Äloftcrlcbcn«
burd^ bie SRcformation migbiUigt ^aben. Ginc SBcrlocfung jum
^ßapfttl^um enblic^ ^afte nid)t an ben Sebcnöbefd^rcibungen,
ba bie SSerbammung beö Duictiömuö bie g^cmbartigfcit biefer
grömmigteit gegen bie römifc^e fiird^c betoeifc.
S)urd) biefe einleitenben (Srörterungcn wirb fcftgcftcDt, bag
cd Xerfteegen bei ber Don i^m t)ertretcnen quietiftifc^en äKct^obe
toid^tig ift, ftc für bad cDangelifc^^f irc^lid^e S^riftent^um ju galten.
488
3)ann aber f)at feine anficht, ba§ bie äR^ftifcr 0 btc rid^ttgcn
S^riften überhaupt, tn^befonberc ober bie (S^angelif^en in ber
römifc^en ^ird^e feien, bie ^ebeutung einer ©efammtanft^t üon
ber Äirc^cngef^ic^te, tuelc^c über ben nä^ften 3^^^ ^^ Grbau^
ung ber ©eftnnungdgenoffen ^inou^greift. S^erfteegen ift nid^t
ber ISrfte unter ben ^roteftonten, n^elc^er bie @letc^fe|ung Don
eDongelifc^em S^riftent^um unb W^ftif aui^gefproc^en f)at (Er
l^at hierin an $oiret unb ©ottfrieb Slrnolb wirlfamc SSorgänger
gehabt, meiere t^eild bie 3R^fti! für bie c^riftlic^e ^Religion felbft
erflären, t^eild bie Sn^ftifer auc^ atö bie testes veritatis üor
ber ^Reformation anerfennen *). ÄHein Sierfteegen ^at in S)eutfd^*
lanb ber SBern)ecl^feIung ber 3J2^ftif mit bem eDangelifd^en S^riftem
t^um birect SBorfc^ub geleiftet, inbem er nad^ bem SSorgange oon
?ßoiret bie lange Steige öon äRuftem jener grömmigfeit in ber
römifd^en Äird^e jugänglic^ mad^te. Uebrigenö ift lerftecgen'ö
Slnfid^t Don ber ^ird^engefdjic^te ^ierburd^ nod^ nid^t t)oQftänbig
d^arafterifirt. 2)a§ bie üR^ftifer ber römifd^en Äird^e nic^t nur
im 3Rittela(ter, fonbern aud^ feit ber Spod^e ber fpanifc^en Son^
trareformation bie »a^ren (£öangelifd)en finb, ift nur ber eine
§ebel feinet 3ntereffcö; ber anbere ift bie Anficht, bog fcitbem
bie SBoDfommenl^eit be^ urfprüngUc^en S^riftent^umö mit bem
8luff)ören ber Verfolgungen aus ber fiird^e fo gut wie üerfcftmun*
ben ift unb bem ^eltfinne $Ia^ gemad^t l^at, bad n^a^re (S^riften^^
t^um nur bei ben (Eremiten fortgebciuert ^abe, bid auc^ biefer
®tanb burd^ ben Uebergang in bie flöfterlid^cn ^Bereinigungen
feine SRein^eit öertoren ^at. Grft bie „S^^^flc" ^^^ SBal^r^cit*
im äKittelalter, inöbefonbere bie üR^ftiter, foHen ben abgeriffenen
gaben bcö »a^ren (S^riftentl^umg lieber aufgenommen ^aben^).
Sonftantin alfo tritt ^ierburd^ in baS ungünftigfte Sid)t. iRod^
fiantpe ^atte bie burc^ ben erften c^riftUd^en ^aifer bejeid^nete
Spod^e ber Sirene als mo^Itptig beurt^eilt. ©ottfrieb SLmolb
befag ju üiel ^enntnig ber ClueUen, um nic^t ju n)iffen, bag bie
1) %I. Stvixitx ^txxä^i t)on ber ^^P (5. 6epi. 1768) in SBe^ ber
2Ba^r^ett 6. 885—346.
2) Poiret, Bibliotheca mysticorum selecta (Amstelodami 1706)
p. 73. ®. ^rnolb, ^tftorte unb Beitreibung ber m^füfd^en X^eologie (granf*
fürt 1703) 6. 212. 216. 286.
3) 9(briB d^rifllid^ (Srunbioa^rl^eiten 8. 382 ff. Untertrieb unb gfori*
gang in ber d^ottfeligfeit ; VI. 6tü(f in 9Beg ber SBa^rl^eit 6. 306 ff.
489
SBcmcUlidöung bcö ß^riftcnt^umö fci^on aug btx Qdt öor Soit*
ftantin batirt. Icrftecgcn icbod^ iftbcm SBinIcöon ßoccejug (©. 143)
gefolgt, inbem er behauptet, nur bic (SinftcIIung ber Serfolgungen
burc^ ßonftantin, unb bie gefeQfdjoftUd^c ©tc^er^eit beöScIennt^
niffe^ Derfc^ulbe ben 3iuin beö Kfiriftcnt^umö. 2)urcl^ il^n alfo
ift bie unter ^ictiften gangbare Ungunst gegen ben, loie %cx^
[teegen fagt „fo fe^r gelobten" Äaifer Konftantin herbeigeführt
toorben, meldte fic^ ber glcid^cn Stimmung ber granci^caner*
©piritualen unb ©ö^mifc^en ©ruber anfc^Iie§t. Seibe ©ruppen
ftnb babei aud^ gteid^ gut über bie Umftänbe unterridCitet, unter
bcnen ßonftantin ben großen ©d^aben ber Äird^e öerurfac^t
^abcn foß. 9lur finb bie grancigcancr be^ äRittelalter^ jiemlidE)
ju cntfc^ulbigen, inbem fie j^u »iffen meinten, ba§ ber Äaifcr
ben $apft ©ilöefter mit bem Sntperium über baö Slbenblanb
befleibet ^abe.
®g fommt ein l^o^eö 3Ra§ Don gälfd^ung ber ©efd^idjte ba*
bei ^erauö, ba§ bie Äird)c, tt)cld)e feit bem 6nbc beö jmeiten ^aiju
^unbertö ju einem ©taat im ©taate ^erangemad^fcn mar, unb
auf bie Slnerfennung burd^ baö römifc^e Üteid^ red^nete unb tt)ar^
tete, in biefer Spod^e biö auf Sonftantin ein ftiHer Srbauungö^
öerein gcttjefen fein foß, bem burd^ feine ftaatlic^e ^riDilegirung
förmlid) ©cmalt anget^an toorben fein müßte. (Sine nict)t minbcr
große gälfc^ung ber @efcf)ic^te, aber eine ücr^ängnißöoHere ift eS,
baß jugleic^ bie raffinirte 8töfefe unb abftumpfenbe ©rübelei ber
quietiftifd^en SRonnen au§ ber 6pocf)c ber Kontrareformation für
baS aut^entifd^e eöangelifc^e S^riftent^um Sut^er'ö ausgegeben
wirb. Ratten bie äRänner, toeld^c biefen Srrt^um f)erbeifül)rten,
leine Äenntniß baüon, baß 3gnatiu!ä oon So^ola ber näc^ftc
SSenoanbtc jeneö Sw^^^fl^^ ^^^ fpanifd£)cn SReftauration beöSat^o^
licigmuö ift? baß bie SK^ftif ber ©d^ooß ift, auö melc^em bie
ftreitfertige Sinrid^tung beö Sefuitenorbenö entbunben tt)urbe?
baß bie Don SgnatiuS Dorgefd^riebene 9lufopferung nid^t bloö beö
SnteDectö, fonbern and) beö SEBiDenö nur eine befonbere änroen*
bung bjer Slufgabe ber m^ftifc^en SBiHenlofigfeit ift? SEBenn bie
^eiligen ©eelen, tt)eld)e Xcrfteegen öorfü^rt, bie Beugen ber
eöangelifd^en SBaf)rt)eit finb, bann ift fein fpecififcf)er Unter*
fc^ieb jmifdjen Jfatl^oUciömuö unb $roteftantiömuö me^r gültig,
bann läßt man jenen in bem ©cbiete beö le^teren ju, bann
arbeitet man gerabe bem firc^lic^en SBeltreic^ in bie $änbe,
490
tt)eld|c§ in feiner SBertretung burd) Sonftantin fo fetcrlid^ pcr^orrc^*
cirt ttjorbcn ift ! ©oebcl *), tt)eld^er Sierfteegcn mit ^ol^er Scrcl^rung
begleitet, crflärt bie „fiebcnöbcfd^rcibungen l^eiliger ©eclen" für
bcffcn ungcfunbcfte unb bcbcnflic^fte ©c^rift, tocil fie o^nc Äritif
bie ©agen unb Slngaben öon ©rfc^cinungen, Offenbarungen unb
©ntjüdEungen bicfer $ßerfoncn mitt^cilt unb bcren Sntfagung öon
allem 9iatürlid)en, SKenfdilidöcn unb Sittlichen beg irbifc^cn
Scbenö atö ein 3)iufter ber SoDfommenl^cit barftcDt. (£r fügt
l^inju, ba§ Icrftcegen in feinem ©trcbcn nad^ d^riftlic^er Unpar*
teilic^Ieit parteiifc^ für bie römifc^^fatl^olifc^c SBcltcnt*
fagung unb Heiligung gegen bie eöangelifc^c SBclt«
übertDinbung unb ©laubenöfreubiglcit getoorbcn, unb
bafe baö Sinfeitige unb 9Scrfct)rte feiner quietiftifc^^m^ftifc^en
3iicf)tung in feiner anbem ©c^rift fo n)ie in biefer ^eröorgctretcn
fei. ©ocbel tjat fjiermit in furjem 2luöbrud ben ©cgcnfaft ixou
fcf)en bem eöangelif^en ß^riftent^um unb bem cDangelifc^cn
©d^ein bcr lat^olifd^en SK^ftif üornjeg bejeic^nct, ben id^ oben
im öicrten Kapitel burd) bie 8lnal^fe ber ^rcbigten ©cmbarb'ö
über baö ^o^clicb fcftgeftcDt ^abc. 3Rcin Vorgänger befc^ömt
burd) bicfcö fc^lid)tc Urt^eil bie unfrud£)tbare Sieb^aberci, in
njcld)er fo SSicte fic^ bemüt)en, bie Qvlqc eöangelifc^cn S^riften^
t^umö an SDcQftilcrn bc^ ÜJiittclaltcr^ ^crüorju^eben, loelcftc barum,
bag fie fic^ auf eine aBertf)fc^ä^ung ber @nabe ftü^cn, noc^
leincömcgeö eöangelifd) in unfcrem ©innc finb, fonbern nur im
©inne be^ latcinifd)en Äatl)oliciömu$. Um bie ©rmittclung bicfe^
©inne^ aber gc^t man immer forgfältig ^erum. ©o iDirft bie
öon ^oiret, 2lrnolb, levfteegen begangene gälfc^ung bcr ©e-
fd^idjte in bcr heutigen Söeurt^eilung unb (Srforfd^ung ber SR^ftif
einfad) fort. 2Rit ©ocbcl'ö mitgct^cilter ©rflärung ftimme ic^
nur in einem fünfte ni^t überein. @r bemängelt an ^erftccgen'ö
35arftellung ber l)ciligen ©eclen, ba§ bie ©rfc^einungcn unb
Offenbarungen, mid)c bercn Sieben auffüllen, nic^t fritifc^ be*
leud£)tet ober in 3^^'ifcl gt^jogcn n^erben. Snbeffen biefe finb öon
ber ©ad)c untrennbar. 3)ie ganje ?lrt ber m^ftifc^en grömmig-
feit bcruöt barauf, bafe „jn)ifd)en bem SBort (Sottet unb bcr
©ecle wie gmifc^en jmei 9lac^baren ober tt)ie jtt)ifc^en 9)rau^
tigam unb Sraut eine fe^r öertraulic^e Q\vit]\>xa6)c unter*
1) % a. o. e. 333.
491
galten lüirb. ©cmgcmäg fliegen üon beiben ©eiten bie SBorte
füget alö ^onig, fditocben bie öon SBonne ganj erfüllten Slidc"
(©. 49). SDZit einfeitiger ßontemplotion beö ^errn 3efuö unb
feiner Seiben ift eö alfo nic^t getl)an; biefelbe rid^tet fic^ öiet
me^r jn iljrcr ^öf|e nur auf, toenn i^r @cficf)tö^ unb ©c^ör^^
crfd^einungen be^ ©elicbten entgcgcnfommen. SEBiß man an bicfen
Äritif üben, fo ^ebt man aud^ ben SBert^ beö contemplatiöen
Äuffc^lDungö auf, unb fann e^ fic^ erfparcn mit bemfelben ju
f^mpat^ifircn. S)ie öon S8ernt)arb eingeführte 9Ketf)obe bc^ Um*
gangö mit bem ^cilanbc ober ber ©emeinfc^aft mit bem
§errn 3cfuö Derläuft entttjeber an ber @rtt)iberung ber fe^nfüd^*
tigen (Kontemplation bur^ ©d^auungen unb beutlid^e (Sinfprad^en
ober ift ein leerer litcl unb eine täufd)enbe gormel; jebenfallö
ift fic bem eüangelifdfien ©tauben unferer ^Reformatoren mel^r
unä^nlicf) ate ä^nlid^. 3)a§ iebod) hierüber fo öiel Unflar^cit
verbreitet ift, unb ba§ l^ieran fo oft unberechtigte Slnfprüd^e ge=
fnüpft »erben, ift oI)nc 3^^Ucl burd^ bieö S3uc^ öon lerfteegen
mit öerfc^ulbet.
SRic^tö befto toeniger ift e^ Sierfteegen toertf), ba§ man nid^t
im ©treit üon il)m Slbfc^icb ne^me. SlUerbingö ift feine Son*
ftruction ber Äirc^engefci)ic^te ebenfo öerfe^lt, roie feine 9leutrali«
tat gegen alle particular^fird^lic^en ©eftalten ber allgemeingültig*
feit entbehrt. 2ßan lann innerf^alb bcö allgemeinen ßljriften*
t^umg nur ©tellung nehmen entioeber burd^ ben Slnjcf)lu§ an
eine befonbere Stuöprägung bcffclben ober burd^ bie ©rünbung
einer neuen Sefonberfieit. SBir fönnen auc^ Xerfteegen nur Der*
ftel)en, inbem loir nac^ biefcn @efict)töpunlten feine Scfonber^eit
feftfteHcn. 6r ift eine unregelmäßige ©rfc^einung ; mit feiner in
ber fatöolifd^en Äirdje l^eimat^öberedE)tigtcn Slrt ift er in bie re*
formirte Äird^e öerfd^lagen. 2)cön)egen ift er neutral gegen bie
Unterfc^iebe beibcr. Slber inbem er jugleid^ ficft gegen alle Sc»
fonber^eiten fird^lidjer @cmeinfcf)aftöbilbung gleichgültig öerl^ält,
unb gar feine SScrfud^ung erfät)rt, eine neue@emeinbe feiner Art
jU grünben, fo fönnen njir axxd) al^ ©etcnner ber oben au^ge*
fprod^enen ©runbfä^e i^m unfere ©^mpat^ie nic^t entjie^en. (S8
ift fc^on etroaö roertf), oorüberge^cnb bei bicfem einfieblerifd^en
ajianne ju öernjeilen, njcld^er bie gemcinfame 2lufgabe be^ (S^riften*
t^umö im ©picgel feiner fircf)lid^en 9ieutralität unb ben grieben,
ben bie äBelt nic^t giebt, in feiner bemüt^igen ©elaffenljeit be^
492
aSSillcng in ®ott atifd^aueit lägt. 2Kit unfcrcn ©runbfäfecn
lönnen toir freilidö nur öorübcrgc^enb unter feinem ©chatten
t)ern)eilen; benn bad S^riftent^um prägt feinen SBert^ unb feine
aSirlungcn nic^t im ©remitent^um aug. SlDein lerfteegen'ig
Sriefe, »eld^c bie bircctcftc ©rfdöcinung feiner ^crfon bilben,
mutfien mid^ immer an mic ein füt)lcö ßi^^n^^r mit gebämpftem
Sichte, in lüeld^em man fic^ öon ber ^i^e unb bem Äampfe
bcr Strbeit unb t)on ber 931enbung burd^ bad greQe £agedlic^t
erl^olt. @ö ift freiließ nic^t unferc Scftimmunfl, in fold^er ®n»
fiebclei bcr 9lu^e ju pflegen; aQein man 6et)ält ben n)o^Itl^uenbcn
SinbrudE baüon, aud^ toenn man wieber jur Arbeit unb jum
iJampfc bc§ ücbcnö jurüdgefc^rt ift.
^iernac^ barf man fid^ aud) tnol^t eine SSorfteUung barüber
bitben, ob eö Sierftcegen gelungen ift, bie ^ietiften feiner nähern
Umgebung im ©anjen in feine pcrfönlicf)e Stimmung l^ineinju*
jieficn, unb ob bie ga^lrci^e Ifieilna^me, toclc^e feine Änbad^t^
Übungen fanben, bie 85ebeutung ^at, ba§ ber gefammte ^ictigmu^
in ©crg unb ßlcöe eine neue SntmidEclung^ftufc erreichte. S)ie
$robc für bie SScja^ung biefer 5^age mürbe barin ju erfennen
fein, njcnn alle ©cparatiftcn jener ©cgenb auf bie ©d^ärfe i^rer
ajerurttieilung ber beflc^enben Äird)e, unb menn alle ?ßrebiger in
bcrfetben, tt)cld)c unter Sicrfteegen'g @influ§ ftanben, auf bag 3n=
tereffe an i^rcm Slmte öcrjic^tet Ratten. 9lacf)tt)ciölid^ ift fcinö
Don SScibem eingetreten. 2)ie Sleutralität, toelc^e Xerftcegen per*
fönlid) behauptete, toar nämlid^ mo^l im ©tanbe, bie fcparatiftifc^e
©timmung bei ben @inen ^in unb ^cr ju milbern unb ba^ firc^^
lic^e 3ntcreffc ber 8lnberen in gctoiffen öejicf)ungen ju enoeic^en.
Slbcr eben jene Sleutralität ift nic^t geeignet, ben baucrnben I^pu^
einer äal)lreict)en ©ruppe jU bilben. SSielmet)r lann man fic^
nid^t t)er()e^lcn, bafe »enn e^ Xcrfteegcn gelungen tuäre, feine
fpccicDc aiidjtung unter ben $ßictiftcn feiner Umgebung burd^*
jufefeen, bieö jur Äuflöfung beö ^ictitSmuö üon innen ^erau^
gefüt)rt ()ätte. 2)ic Unterwerfung unter bie quietiftifc^e SDietl^obc
würbe bie 3;^attraft gcläl|mt l)abcn, weldE)e bcr ^ietiSmud in
feiner firdjlid^cn wie in feiner antifirc^li^en Haltung behauptet.
SBie tjätten benn bie ^ictiften <ilö Quietiftcn fortfahren fönnen,
über baö ©eelenl)eil bcr Slnberen abjufpred^cn ? S)a bicfe SRac^t^
Übung auö bem ©ebiet, auf weld^eö fid^ lerfteegcn'!^ ©influfe er*
ftredte, nic^t öerf^wunben ift, fo ift fc^on barau^ ju f daliegen,
493
bag bic ©ntüirfungcn Icrftccgcn'S, loctd^c bent boHcn SKagc
feiner Slbfic^t entfprac^eit, nur fporabtf^ gciocfen finb. 8"9lc^^
erllärt fid^ auö ber paffiüen SReutralität feiner religiöfcn SRicfttung,
ba§ feine getreuften Slnl^ängcr leinen antrieb empfanben fic^ üon
ber äßaffc be^ $ietidmu^ a6iU)onbern, auc^ inbem mand^eS fte
bpn bemfelben ^ätte trennen lönnen. S33o hingegen ber ^ictig=
mug feine eigentfjümlid^c Il^atfraft für ober gegen bie Äir^e
einfette, merben eben bie borfic^tigen Kat^fd^läge, bie lerfteegen
crt^eilte, leinen StnHang gefunben ^aben. S)er 5ßictigmug rechnete
befanntlid^ nad^ ber Anleitung bon Socccjuö auf ben no^en
Eintritt bejS l^errlid^en 3"^^"^^^^ ber Äirc^e, in tpelc^cn aud^ bic
totale Söefefirung ber Reiben unb 3uben etngcfd^Ioffen tourbe.
3n feiner erften ©cf)rift f)at lerfteegen fid^ ju biefer (&vtt)ax'
tung bcfannt, natürlich in bem Sinne, ba§ nic^t menfc^Ii^e ^n^
ftrengung fonbern ©otteö SBunber jenen (Srfolg herbeiführen »erbe.
9hin ^atte 3emanb fic^ auf Selefirung Don 3uben gelegt, unb
burc^ einen britten bie 2lnfid^t lerfteegcn'ö barüber ju erfahren
t)erfudE)t. 3cncr SKann folgte offenbar bem Antriebe, baß man
5u ber ^errlid^en finfunft ber Äirc^e burd^ eigene 3;f)ätig!eit
cttoaö beitragen bürfe; in fold^er Uebung ber 3;^at!raft toürbe
ber ^ietiömuö bie l^errlid^e ßwlunf t ber Äirc^e für fic^ gett)innen.
Snbem nun lerftcegen in feinem ©riefe Dom 22. Slprit 1737
baran erinnert ^), baß natt) ben legten großen ©erid^ten ©ottei^
über ben Srbbobcn bie allgemeine Sefe^rung ber 3uben ju er:*
warten ift, fo fd^liegt er barauö, bag üor fold^cr Qdt mit menfc^^
lid)en 9J{itteln toenig ober gar nid^tiS auöjurid^ten fei. 6r ge*
fte^t babei ju, ba§ jemel^r bag giel ber SSerfieiBungen ^eranna^t,
too^l ber eine ober anbere 3ube öornjeg beleljrt mcrbe; allein
bag fei ©peciaignabe. SEBenn alfo ber Slnfragenbe unter biefer
Sebingung mirte, fo fei i^m aller (Srfolg ju toünfc^en. ©oQte
aber ber gall banad^ ju beurt^eilcn fein, bag enoedEte Seelen
Änbere bele{)ren tooHen, el|e fie felbft burc^bete^rt finb, fo fei
baöor JU toarnen, bag man burc^ Sele^rungöoerfudEje an 3uben
bem ^errn vorgreife. S)iefe (Sntfc^eibung ift fe^r tt)eife unb
correct; fc^werlid^ aber mirb Sierfteegen in bem öorliegenben »ic
in anberen äl^nlic^cn gällen ber melgcfd()aftig Dorbringenben STOac^t
beS ^ieti^mud Einfalt getrau ^aben. 9[n biefem 93eifpiel fann
1} (SrbauK^e »riefe n. 92r. 122.
494
man crfcnncn, loo bie ©rcnjc für bcn (Sinffug Icrftcegcn'ö auf
feine pietiftifc^c ©emeinbe gejogcn ttjar. (So ift burc^auS tjcr^
ftänbUc^, ba§ nur menigc äuöcrtoä^Ite nad^ feinen ©runbfä^cn
itjren ß^araftcr gebilbet l)a6en. ginben fid^ aber ©tiHe im Sanbc,
toeld^e ftreng gegen fic^, milb gegen Slnbere, befc^räntt in i^rcr
6rfcnntni§, in ber fiiebe mcitl^erjig, crnft unb roarm in ber
grömmigleit, in firdölid^en SoIIifionen {)ingegen gelaffcn unb gc:^
bulbig finb, fo toerben fic fic^ alö ecl)te Slnf)änger öon Serfteegcn
funb geben.
22. So^atttt Sta^pat £at>ata.
Sleufterlid^ angefeften beftefjt ber größte ©egenfa^ jroifc^cn
bem bcmcglicfien, öielfeitigen, ben SSerfefir mit ber SBclt fuc^enbcn
^rcbiger in 3ütic^ unb bem ftiHen, gelaffenen, einfiebtcrifc^en
©tunben^alter in Slßülljcim an ber 9lul)r. Irofebem finb jie
©lieber in berfelben 9ieif)e. Aber frcilid^ rairb in bem Sontraft
xi)xcx perfönlid^cn Srfd^einungen ein eigent^ümlidjer Umformung
ber ©eiftcöbcmegung angebeutet, in Deren SJienft ber eine toic ber
anbere ftcf)t. gür biefcn Srfotg ift cö nicf)t gleichgültig, bafe Sa*
üatcr in feiner §eimat^ ganj anbere SSorau^fe^ungen feiner Sit»
bung fanb, aU lerftecgcn in ber feinigen. Älö biefer 1724 in
öffentlid^e SBirtfamfeit trat, mar ber eöangelifd)e ^ietiömu^ niebcr*
länbifd^er §crtunft feit ^roei SKenfc^cnaltcrn jur öorfjcrrfc^enben
SRic^tung in ber calDinifd^=rcformirtcn Äirc^e am 9iieberr^ein ^er*
angcmac^fcn ; unb biefciS tuar möglicl) geworben, tueil biefe SRic^«
tung fi(^ auf bie am meiften d)araftcriftifcl^c fiel&rc Don ber (8r*
mäfitung unb SSermerfung ftü^tc. 3)iefe Se^re nun war crft
1675 burc^ bie Formula consensus ecclesiarum helveticaram
auc^ ben reformirten Sirenen in ber beutfd^en ©d^tpeij cingcfd^arft
tt)orben, unb ftanb unter bem birecten ©c^ufee ber ftaatgfirc^lic^cn
Sluctorität, alö feit 1680 ber ^ietiömuö ber beutfc^4utl)crifc^en
Art importirt tourbe, ttjeldjer gerabe gegen bie ^rage über <5r*
toäl^lung unb SSernjerfung ööDig gleid^gültig mar. ©er ?ßietid*
mu^ trat alfo in 3ö^i^ i" baffelbe SÄigDerpitnig ju bcn firc^*
495
lid^cti 3iiftänbcn, lote cg glcid^jettig in Sioffau unb Reffen ber
gaQ toar ^). 2)ie SSorrcbc ju bcr angeführten „Serfu^ungöftunb"
bejeic^nct bie ^ictiften im SlUgemcincn aU fold)e, njelc^c fic^ üor
Änbercn rüfimen ba§ t^ätigc E^riftent^um 5U förbcrn. „ffiö giebt
»o^Imcincnbc unter ifincn, benen mir bie böfen geiler Slnbercr
nid^t anrechnen; aber bie ^eutjutagc ^etiften l^cigen, finb öon
benen, bie Dor breigig 3öl^ren bageloefen, merflid^ abgemic^en,
inbem fie bie meisten Strtpmer ber SEBiebertäufer, ©c^ttjcnffclb'g,
^aracetfi, SSSeigel^ ^atob Sölime'ö u. ?l. treiben unb ber Öbrig*
feit i^r ©c^u^^^ unb ®d)irmred)t über bie Äirc^e unb beren Sel)re
entreißen, aud^ baö ^rcbigtamt öeräd^tlid^ mad)en möd^ten. 35arum
fiberfc^njemmen fie bie SBcIt mit Söüd^ern ber äß^ftifcr, Siauler'ö,
©ebaftian gran!% ^icCö, §oburg'ö u. 81. unb lodEen bie ©d^tuad^en
unb bie SBeiblein an fic^". 2)iefe ©d^ilbcrung erinnert an SBiU
^elm 85raferö Unterfd^cibung jtoifd^cn ben toofjlmeinenben unb
ben bö^miftifc^en ^ictiftcn in 2)eutfd^lanb (©. 302).
2)ie cinjelnen gäHe öon ^ieti^mug, xodä)c in ber angeführten
©c^rift jur ©prac^e lommen, laffen auc^ ©eutfc^lanb unb nid^t
bie 9lieberlanbe ate ben Ort il^rc^ Urfprungö erfcnncn. Am 13.
©eptcmber 1689 l^aben bie ®jaminatoren (ber Äird^enrat^) gegen
einige SSüvger unb ben SöarbiergefeQen 3o^. griebrid^ Speyer aus
Samm^^eim in ber ^falj ju üer^anbeln, njel^e bcf)aupteten, ein
SBiebergeborener f önnc nic^t fünbigen. ©ic beriefen fid^ bafür auf baö
geugni^ bc^ ^eiligen ©ciftcö in iljren^erjen unb auf Offenbarungen,
bie fie Ratten, unb nannten alg ben Urfjebcr i^rer Anficht einen
©tubenten SBalter ober S33oltcr auö Süneburg, ber lüieber^olt in
3ürid^ unb S3ern gemefen fei unb bafelbft biefe Set)re verbreitet
^abc. 1692 njurbe @eorg ßi^^fllcr „tocgen feiner unnötigen
©laubengle^re unb gemacf)ten 2ln^ange^, aud^ toegen üerbädjtiger
ßonöcntifet" beö geiftlic^en ©tanbeö entfeftt, unb feine ©enoffen
1) %I. Serfu^ungS^unD über bie eüangelti^e ^ir^e burd^ neue felbfl'
(Qufenbe $rop^eten, ober lurse ^rjä^Iung, idqS 1689—1717 in 3üri4 koegen
be§ Abel genannten ^ietiSmi t)er^QnbeIt loorben. 3üri4 1717. ^uS^Uge barauS
in Si^Joeijer, Centralbogmen II. 6. 748—767. getner 6tuber, ber ^ietiS«
mu§ in ber Süt^eriftS^en l^ir^e am Anfang beS Dorigen 3fl(r^unbert;
na4 ungebrudten Urlunben, in Sa^rbu^ ber ^i{)ori{4en (SefeÜfd^aft Süri^er
2:Mo0en. (Srßer $anb, 3üri4 1877. 8.109—209. Unbrau^bar ifl Sin ber,
bie reformirte l^ir^e ber S^mei) im Stamp] mit bem $ieti8mu8 unb (Btpaxa*
iiSmuf, in geitf^rift fUr ^iflorii^e t^ologie 1869. @. 273-312.
496
an i^rc ©eelforgcr ücrtüiefcn. 1698 lourbcn einige Sürger jur
Serantmortung gejogen, tocit ftc einen Iractat ber 3anc Scabe
jum 2)rud Deförbcrt Ratten, in melc^cm „bic funftige ^Befreiung
ber böfen ©eifter auö ber §öHe gelehrt tourbe, »eil bicfclben
au§ ®otte§ SBefen erfc^affen feien". S)iefelben Ratten fernermit
@Ieid)gefinnten in Sern, worunter einige ^rebiger, eorrefponbirt,
and) m^ftifc^e SBüd^er unb perfönlid|c SJefud^e auögctaufd^t. 6ö
ergiebt fid) auö anberen SScrfjören üon Sßitgliebern biefer ®xuppc,
ba§ fie einen Iractat beö in 3)eutfc^lanb üertt)eilenben ©amucl
Äönig aug Sern (©. 406), „ber SBeg jum grieben" ju Derbreiten
fuc^ten, toelc^er bie SSoHenbung ber ^Reformation unb bie Scfei*
tigung ber üon i^r herbeigeführten 9Jiängel ber Äirc^c beffir*
toortetc. 3n biefem Iractat mirb ber (S^rgeij unb bie ßönffuc^t
ber ^Reformatoren, bie ©etoalt beg ©taatcö in ber Äirc^e gerügt,
bie SRot^njenbigfeit ber SBicbergeburt betont unb bie ac^t §aupt=
lafter befämpft. ®leicl)jeitig 1701 lam eine ^Stpologic oberSSer^
t^eibigungöfc^rift für bie fogenanntcn ^ietiften" jum S5orfcf)ein,
toelc^e geftü^t auf ©ottfrieb Strnolb'^ Äirdjcn^ unb Äeftergefdjic^tc
folgcnbe ©ä^e öertrat: bie Dbrigfeit alö fold^e ge^re nid^t jum
9icid^ ß^rifti, bie Äinbcrtaufe fei aJienfdjenfa^ung, ein untoiebcr*
geborener ^rebiger fei fein 2)iener ß^rifti, ber (Srnjecftc brauche
bie S5ibel nid)t, ber ©e^eiligte fönne e§ biö jur ©ünblofigfcit
bringen, ba^ taufenbiä^rige SReic^ ftel)e öor ber Ipr. 1710
mugte ein 2)iafonuö ©d^ärer ju Sid^tenfteig im Sioggenburg ab-
gefegt merben, toelc^er bie ^Rechtfertigung mit ber Heiligung Der*
mifd)te, unb ben ©lauben aU ein galten ber ©ebote beutete.
3n SBintertfjur ^aben 1714 einige junge ©eiftlid^e ^riöatocr*
fammlungen gel^alten, unb jugteid) auf ber ^anjel t)on bem
SBertfie beö innern SBortesi ober ber ©albung, ferner Don \>cx
3uläffigfeit ber ©rttjartung ber SBieberbringung 3^wflwi6 ^^9^*
legt, fo njie gegen bie Se^ren öon ber 9ieci^tfertigung unb ber
©nabentoa^I SBiberfprud^ geübt. @iner berfelben, Saäpar 3^^'^^'
üerftonb ft^ ju einem öffentlichen SBiberruf. (Snblic^ füf)rtc ber
©olbfd^mibt Ulrich ©iejenbanner, toeld^er auö S)eutfc^lanb jurücf*
gefeiert toar, 1716 im 2:f|urgau aud^ nod^ ben Snfpirationi^gcift
ein, unb fanb bafür ja^lrcic^en Änl^ang ^).
1) Sgl. (Soebel, (S^ef^t^te ber toa^ren 3ni))tration^emetnben, in 3^i«
f^rift für (t^ortf(^ S^eologie 1864. 8. 418.
497
• SBcnn man bicfc ©ruppcn öon $länflcm überblicft, toetd^c
in einem ß^itJ^öum Don 27 3cif|rcn na6) einanber flcgen bie or*
tl^obojc ©taat^tirc^e ßöi^'^'^ auögerüdEt ftnb, fo barf man ftc^
nic^t njunbern, ba§ fie bcn iierrf c^enben Organen bcr Äird^e leinen
befonbcrn 9fiefpect a6nötl)igten. 3c^ finbe wenigftenö feinen @rnnb
baju, bag bcr Seric^terftatter über bicfe (Srfd^einungen *) fte im
SSorauö unter ben litcl ber ferngefunben SReaction be^ einfachen
biblifd^en Sfiriftent^umö unb ber prattifdEien grömmigfeit gegen
?ßfaffent^um, ftarre Drt^obojie, ©laubenöftag unb fittlid^en SBer*
faO ftcßt. Ob bie ftrc^Iicften unb religiöfen 3uftänbe güric^'ö
am Slnfange beö 18. Söi^r^unbert^ burd^ biefe Dier SÄerlmale
tJoHftänbig unb richtig bejei^net werben, ift bißig ju bejtoeifeln.
SlQein toa^ l^at bie Seigre Don bcr SBieberbringung unb bie (Er^
toartung ba^ taufenbiä^rigcn 9{eic^cS mit bem einfad^en praltifc^en
S^rtftcnt^um ju t^un? unb toa^ bie Einleitung jum @(aubcn
an unffinblid^e SoQfommen^eit ? Unb ber ^roteft gegen bie Sei*
tung ber redC|tlic^cn JS^ird^enorbnung burc^ bcn @taat beutet bod^
nur auf ein anbere^ ©^ftem bcr Äirc^enöerfaffung l^in, tocld^e^
nac^ proteftantifd^en @runbfä^en belanntlic^ nid^t de necessitate
salutis ift! $lOe SJkrhnalc, unter benen fi^ ber ^ieti^muS ^ier
funbgicbt, laffen i^n alö f^ftcmlofc^, firdöeuäcrftörcnbei^, fd^tofir*
mcrif^cö Unternehmen erfennen, unb beftätigen jur ©cnüge
©ocbel'^ Urtljcil, ba§ bcrfclbc in gleicher SRid^tung unb, fagen
XDix, mit faft ilbcrcinftimmenbcn STOittetn toie bie SEBiebcrtaufcrci
Dorgc^t. Slbcr eben in ber ß^^fP^itt^ning auf allerlei aparte
2^eorieen unb ©runbfäfte untcrfc^eibct fid^ biefer ^ictiSmug
beutfc^en Urfprung^ üon ben nieberlänbifc^en Srfd^einungcn,
TOcld^e tt)ir fcnnen gelernt l^aben. S)iefe finb auf feber i^rer
beibcn ©tufen in fid) gefc^loffcn , unb fie finb auf bem Don
i^nen üorgcfunbcnen Söoben beö calöiniftifc^en ©^ftemg tl^eitö
toirflidf) conferüatiü unb juglcid^ rcformatorifd^, tf|eil§ mit einem
fo ftarten ©d^cine biefer ffiigenfc^aften behaftet, ba§ bcrfclbc lange
genug Dor^altcn fonnte. SlHcin bcr Snilang, toclc^cn bcr Don S)eutf ^^
lanb importirte $ictiömuö in Qüixä) unb bcn Don il^m ab*
gängigen Orten gcfunbcn \)ai, ift bod^ nur eine inbirccte Slnjcigc
für bie SRcformbcbürftigleit bcr tird^Iid^cn ß^ftänbc bafclbft;
1) etuber 0. a. O. 6. 110.
I. 32
498
IctneöiDcgcö aber fiiib bic flatterigen ßiebl^abercien, toetc^c in bcn
©ruppcn bicfer $icti[ten gepflegt tüurben, t)on irgcnb einem
SBert^c für bic Sefferung bcr öieDcic^t ftarr unb mcc^anif^ ge^
tt)orbenen Drbnungcn ber Suric^cr Äirc^e. ©o öerl^ärtct fibrigeniS
toaxcn bic SSertreter berfelbcn nic^t, ba§ fic bic im ^ictidmuÄ
fid^ funb gebenbe Sßa^nung übcrijört ptten. 1711 fam cö in
ber ©^nobc ja SSer^anblungen über bic 9lot^n)enbigIeit wndic'
formen. 3)iefc führten junäd^ft jjur SRcüifion ber ^räbicanten*
orbnung ; bann aber entfd^log man fic^ jur Sinfe^ung einer aud
SRat^ unb ©tjnobc componirten ßonfcrenj „jur SScrbcffcrung bcd
gäuälic^ crfaltctcn unb faft öcrfaQcncn Sijriftent^um^", toclc^e
am Anfang 1712 i^re Söcratf)ungen eröffnete. Älfo bic c^rift*
lic^c ©efinnung tuar in bcn Vertretern ber Äirc^e Don ^uüdf
niäji crftorben. SBcnn aber auf bem SBcgc bicfer Sonferenj nid^ti^
weiter erreicht tt)urbe, al^ bic ©infü^rung einer Äinberlc^rc am
3)onnerftag, fo ift baö fein ©runb bicfeö Untcrncfimen überl^aupt
gering ju fdiäfeen. 3)cnn cö giebt übcrfiaupt für bcn ^roteftan«
tiömui^ nur jtt)ei SKittcI, bic Äird)c ju bcffern, einmal bic SSer*
mel^rung unb Orbnung bcv äJiittcl für bie (Srgie^ung bcr 3ugcnb,
jrocitcnö bie öcrftärttc Ucbcrjcugungötraft ber ^rebigt. S)aö finb
bclanntlic^ auc^ bic ^auptmittcl, meldte bcr Scfuitcnorbcn jur
^crfteQung ber lat^olifc^cn iiirc^c aufgeboten ^at. SBa^bcrfelbc
augerbem ju bicfcm 3^cdc öcrtücnbct, bie finnlid^cn SReijmittel
jur 3)et)otion unb bcn B^^nfl ^^ 93cid^tftut)lg, üerbictct fic^ be^
fanntlic^ für ^rotcftantcn. 3cnc Sonferenj in Qnxidi alfo l^iclt
fic^ innerhalb il^rer ©renjcn, inbem fie bic TOittcl bcr firc^Iic^en
Sinberle^re üermclirte; benn eine neue SKct^obc überjeugung^
träftiger ^rcbigt fann feine fird^lic^c Söcprbc erfinben ober
öorfd^reiben. S)cö^alb ftc^t aud^ iebe SSeränberung ber re^tlic^cn
aSerfaffung bcr Äird^e au§er allem SSerf)äItni§ baju, bafe bod
SEBort ©ottcö rein unb lauter, öoUftänbig unb gcorbnet, einbring-
lic^ unb überjeugung^fräftig geprcbigt merbe. 2)a§ man am
Slnfange bcö 18. Sa^r^unbert^ nirgcnbnjo bcn SRüdEtoeg auö ber
Ortl^obojic JU ber praftifc^en ©cfammtanfd^auung unfercr SRcfor«
mation gefunben ^at, ift aud^ mel^r @cgenftanb ber ^lage, ald
8lnla§ JU aSortt)ttrfcn gegen bcn gciftlid^cn ©tanb. Scbcnfaü^
foQ man nur nid^t urtl)citen, ba^ jtoifcficn bcn ^ictiftcn unb
bcn ort^obojen 2anbcöfircf)cn baffelbc SScr^ältnil ftattgefunbcn
l^abc, n)ie jn)ifc^en ß^riftud unb 99clial.
499
3n bell crtüäl^itteti SScrl^anblungcn jur Scffcrung bcr Krc^^
liefen Drbnungcn in Sürid^ ^attc ftd^ bcr SBud^pnbler 3o^ann
^ einrieb SBobmcr ^crDorgct^an, locld^cr al* Obmann gemeiner
Slöfter unb alg ßommanbant ber ßß^^cr unb SBerner Iruppcn
»fi^renb bcö Sioggenburger ^egc^ eine bebeutenbc ©teßung im
©taotc einnahm. (Ein Wlann t)on republicanif^en Xugenbcn,
jugleic^ unftet, e^rgeijig unb rcc^t^aberifd^, retigiM encgt unb
lird^Iid^ intereffirt, aber aud^ für bie fd^toärmerifd^en Sonfequenjen
beg ?ßictii3mug jugänglid^, ftiett er fid^ für berufen ba^ ©emein*
»cfen feines ajatcrlanbci^ ju reformiren. 3n tt^etd^er fllid^tung
er biei8 beabfid^tigtc, ergiebt feine Äeußerung, e« »fire möglid^ in
QvLvidj ein SrommeH ju toerben. ©eine ©eltung »ar burd^ ben
1712 erfolgten Xoggenburger Ärieg gefteigert, unb er l^ielt eS
für ätoedfmäfeig mit ber ?Refomt bei8 ©taateS ju beginnen. SDie
^anb^abe baju bot bag bie ^öupter ber 9iegierung für @e«
f^enle unb Sefted^ungen jugänglid^ n^aren. @S gelang i^m nun
eine SReöifion ber ©taat^ unb Sird^enberfaffung burd^jufe^en,
toddic Don ?luöfd^üffen bed großen 8lat^e« unb ber Qm^t be*
ratzen mürbe. Snbeffen nod^ e^e biefe Sommifftonen i^re Äuf^
gäbe in ber SluffteQung Don 14 9tet)ifiondtite(n gelöft Ratten,
f^Iug bie ©timmung ber Sfirgerfd^aft um, unb bor Slblauf bei8
3al^reiB njar ber am meiften bcfd£)ulbtgte Sürgermeifter micber*
gettjä^It, unb bie SRebifion unmirffam gemorben. Söobmer Der«
legte je^t feine Dppofition auf bad fird^Iid^e @ebiet. Unb j^mar
ergriff er 1716 Partei für bag 3nfpirationi8treiben ©iejenbanner'S,
mit ttjeld^em er brieflid^en ©ertc^r unterl^ielt, unb mürbe unter
t>erfönlid^em Srreft auf bem 9iat^^aufe in bie Unterfuc^ung gegen
benfelben unb feine ©enoffen bermidelt. (Sr ^atte smei infpirirtc
9leben jenes 9)2anneS an ben 9tatl^ gefc^ictt unb in ber ©i^ung
Dorgelefen ; er moQte fid^ baju ftellen mie ©amaliel jum (Ebangetium.
Aber er behauptete aud^, fein Client Derfte^e bie Sieligion
unb ma^re SKoralität, unb erfenne Sl^riftum beffer ats öielc
3)iener am SEBort. Cr billigte bie Slbfonberung Don ber Äirc^e
bamatd nid^t, mar aber ate Sud^l^finbter unb JBerläufer pictiftifc^er
©c^riften gegen jebe Senfur unb (Sinfd^ränfung beS Suc^^anbete.
Obglei^ nun burd^ ein 9){anbat ber Sfiegierung 1717 aller Um«
gang mit ©d)marmgeiftern, aOer Jtauf verbotener ißüd^er, ade
^eimlid^en täglichen unb näc^tlid^en ßufcintmenlünfte unterfagt
tourben, fo boten bie folgenben 3al^re immer mieber Don neuem
500
Slnlag ju Untcrfuc^ungen unb Seftrafungen ßcflcn Snfpirirtc.
©old^e maren burd^ @ruDer aud (Stuttgart unb @(eitn qu^ 99fi^
bingen *) gefammelt tporben ; unb n)icbcrum mugtc Sobmcr 1720
tDCßen Parteinahme für bicfelben Slrrcft erleiben. (Sti toor nämlic^
in feiner verbitterten @tintntung aOmä^tic^ bem ©eparati^mud t>et^
faden, l^atte fid^ t)on ber Z^eilna^me am öffentlichen ©ottedbienft
jurfidgejogen unb lieg feinen ©o^n So^anne^, obgleich berfelbe
nid^t I^eolog mar, überall in ©tabt unb Sanb religiöfe Vorträge
galten. Scibc mürben 1721 jur Untcrfud)ung gejogen, unb er«
Härten übcreinftimmenb, bafe fie nicl)t principiell gegen ben öffent-
lichen @ottedbienft geftimmt, aber me^r ald burd^ il)n, burci) i^re
befonberen Slnbac^tSübungen geförbert morben feien, bag aber
bad Slbenbma^l profanirt mcrbe, menn eS Unbele^rten gereicht
merbe. S)er SSater gab bann nod^ feinem ©o^nc baö öeugnig,
er ^abe ben ©eift @otte^, ben rechten ßef)rer in fic^, unb übe
einen Umgang mit @ott, mie menigc fiinbcr @otte^; er fei in
bie Ste^nlid^Ecit @otted eingegangen unb befi^e eine fo ^o^e
©taffei ber Siebe @ottc^ unb be^ 9iäd^ftcn, bafe er eö nic^t mciter
bringen fönne ; über alle meltlic^en ^inge bezeuge er einen Sfel
unb fei t)on folc^cr ^emutl), bag er %üc^ tl^ue, mad man i^n
l^eifec, außer menn man i^m fein ^rcbigen, fein fnieenbc^ öffent»
lic^eö SBeten auf ber ©tube vorhalte. 2)iefe ß^arafterifttf bc^
jungen S5obmer ift in ben üorliegenben äctenftüden ber erfte gaD
einer bcutlid^en gorm Don grömmigfeit, unb jmar erinnert pe
an m^ftifd^e SSorbilbcr nieberlänbifct)er ^erfunft. Sc^ ämeifcle
nid^t, baß ber junge 2Äann fid^ X^cobor Srafcte ©taffcln bcö
geiftlid^en SebenS eingeprägt ^at, meld)e 1698 in 99em äberfe|t
finb, unb unter ben pictiftifcl)en S3üd)crn genannt »erben, meiere
ber SSater SBobmer verlauft ^at. 3ier äuögang be^ ?ßroceffe^
mar, ba§ biefer aller feiner SBürben entfe^t unb mit feinem
©o^ne aui^ bem Kanton ßön^ au^gemiefen mürbe, ©ie ficbclten
fid^ im gurftentl^um Sieuenburg ju Solombier^ im Iraüeröt^al
an, mo fic^ auc^ nod^ anbere mögen ^ietidmud aud Qüiidi unb
Sern Verbannte einfanben. ©ie mürben bafclbft gegen bie
SRcclamationcn ber ©eiftlic^teit burc^ ben preugifd^en @out»erneur
gcfc^üfet; 3. ^. »obmer ftarb ^ier 73 Sa^re alt 1743. ©eit
feiner Sui^meifung finb allerbingd nod^ manche pietiftifciie Sr*
1) SB0l. (Soebelm ber Seitf^rift für ^titorifcte Z^tolo^t 1854 6. 414.
501
fd^cinutigcn in 3örid^ gcmög bcm äWanbat t)on 1717 bcl^anbelt.
tporbcn. Snbcffen feit bcr SKitte beg Söl^ri^unbcrtö f^cint ba\^
fclbc nid^t loeitcr in Ucbung gefegt njorbcn ju fein.
SebcnfaEte ^aben biefe gormcn beö ^icttgmuö feine ma^^
gebcnbe @inn?irfung auf Sodann ^aSpar SQt)Qter^) aud^
geübt; fein Siograpl^ fdjeint auc^ feinen ^nlag gefunben }U
^abcn, ©inffüffe Don etma in 3^^'^ befte^cnben SonDentifeln
auf if)n nadjjuwcifen. ®egcn einen %aü öon pietiftifd^er Sfin*
belei, in meldten ein i^ni bcfreunbetcr junger ©eiftlid^er tief öer*
floaten tourbe, öer^iclt er fid^ fefjr ffl^I. ?(6er überhaupt ift e«
fflr Saöater d^arafteriftifdb, bag er in feiner l&eitcrn, frifc^en, t)\cU
fcitig ftrebenben, für alle möglid^en 3nbit)ibualitäten UebeöoIIge*
öffneten @emüt^Srid^tung fic^ Don ber (Sng^erjigfeit abgcftogen
füllte, toelc^e in ben pietiftifc^en ßonüentifeln ^cimifd^ toar. 6r
Ijat fic^ barüber in bem lagebuc^ über feine 9ieife nad^ Äopen«
^ogcn 1793 auögefprod^en, alö er erwähnt, ba§ man i^n an
einem Orte in einer ©efeCif^aft ju einer ©rbauunggrcbe Deran^»
taffen UJoCte*). „Qn fc^r befd^ränfte, ju ängftlic^ ort^obojc
gromme, bic jebeg freie fül^ne SBort leiben mad^t, binben mir boi8
$erj unb bie 3u^9^- ®^ S'^^^ ^i^^ ^^^ peinlid()er f^römmigfeit,
bie id) jtüar nid^t fränfen mag, aber fte ift meinem inbiöibueQen
^erfonalgcfd^made, ber &\ijt unb Älar^eit, ©ebenf barfeit unb
®eifteögenu§, gro^l^eit unb grei^cit liebt, beftimmter Crfenntnig
unb beutUdEjer Segriffe bcbarf, fo jumiber, ba§ idf) alle ©ebulb
unb d)riftlid^e ßiebc jufammenfaffen mu§, um nid^t merfen ju
laffen, toie fef)r fie midj brfidt. 3ene grömmigfeit meine id^,
bic fic^ nie aug bem 3'^^^ gctoiffer Söegriffe, formen, gormein
unb aicben^rten ^crauöfieben, fein freiem lic^tDoHe^ SSäort mcber
fagen, nod^ o^ne ffintfefeen pren barf, bic jebed Slnbern K^riften»
t^um unb aicligion fc^led()terbing§ nad^ feinem anbem SKafeftabe,
1) Geboren in Sütxö) 15. ^ecember 1741, ^oconuS on ber SOmfett*
iou8fir(<K 1769, Pfarrer on berjclbcn 1775, S)ioconu8 on 6t. ^tx 1778,
Pfarrer an berfelben Stixä^t 1786, geßorben 2. 3anuar 1801. — Sgl. 3. ^,
fiaüQterS SebenSbel^reibung Don feinem So^termann ®eor0 ®e{fneT,8
^Anbe. 9Dintert^ur 1802. 3. — ^. (Selaer, 2)ie neuere beutf^e ^aixonaU
ntetatuT nQ(3^ i^ren et^if^en unb religiöfen ^eft^tSpunlten, ixoexit 9[u{I. (Setp*
|i0 1849) II. S. 69—113.
2) deffner III. 6. 221 ff. 9[nbere ^[eugerungen bei Weiser q. q. C.
502
atö nod^ btcfen gormcln unb Webcngarteit prüft, ober t>ielmtffx
ungeprüft lobt ober t)erbQmmt, bie alle^ toa^ man fogt, enttoeber
fogleicl^ in btefe geheiligten unb Ud^tlofen Formeln überfe^t unb
baburi^ au^ einem tuminöfen ©ebanfen entmeber einen ganj tri«
t)ialen ober einen ganj nebligen ober gonji entgegengefe^ten ma^t
Scf) toiH bie ©ad^e nod^ mit ein ^aar SSeifpielen erläutern. 3c^
mügte meine iRatur, mein @efic^t, mein 3nbit)ibuum aufgeben,
toenn id^ mid^ immer an ben fo oft mi§üerftanbenen, fo oft gc*
migbraud^ten 9tebendarten : ®nabe, ©enugt^uung, Ser^
K fö^nungöblut, bie mir bocö, rec^t oerftanben fo ^eilig frnb,
bafe mir nid^tö ^eiliger fein fönnte, ängftlic^ galten unb fie nic^t
mir in flarere Segriffe überfeften bürfte . . . ©obalb id^ aber
el^rlic^ fromme, jebod^ fc^tt^ad^e, lid^tlofe ©emüt^er fe^c, bie nur
an ben 9tebendarten Rängen, nur nac^ folc^en ]^inI)ord^en unb
äUeö nac^ bem Klange fold^cr geweiften, oft fo tocnig öerftan*^
benen SSBörter meffen, fo jtoingc icö midd beinahe, fie nie ju ge^
brauchen, um nid^t Snlag ju geben ju beuten, bag id^ fie in bem
geujö^nlic^en lidE)tlofen ©inne ne^me . . . ©d^limm ift e^, xoctin
biefe lieben frommen ©eelen, benen bie @abe, ^etl unb fc^arf ju
benfen, öerfagt ift, immer auf ©jplicationen unb fd^ulmäfeige Sc*
ftimmungen unbeftimmbarer S)inge bringen, unb fid^ mit leinen
allgemeinen, im ©runbe mel^r fagenben ^erjenödu§erungcn be*
gnügen »ollen, einem i^re eigenen lic^tlofen unb oerftanbarmen,
mi^Dcrftanbreid^en Weben^rten unterf^ieben, na^e legen unb boö
®c^o berfelben Don unö erwarten. Unb ebcnfo fcftlimm ober no4
fd^limmer ift eö, bag, tt)enn tovc in ganj anberem ©inne, atö fie ed
nehmen, fo ein SBort na^ it)rem ©efd^made fallen laffcn, »ie
@nabe, tief fc^mad^, l^ciligcr ©eift, burd^auiS unwürbig,
fie e^ gleid^ in i^rem ©inn umwäljen, bie lid^te ©eite baoon be*
tt)öl!en, unb über unfere Harmonie mit il^nen eine fectenmäfeig
fd^einenbe grcube bejeugen. 3""^ Seifpicl menn id^ fagcn würbe:
3c^ fenne leinen fd^mäc^em äRcnfd^en als mid^, ber unaufprlic^
Don ©otteö (Srbarmcn abfängt unb feinen ÜJioment allein fielen
!ann, — fo wirb biefe ganj unb gar unbogmatifc^c ^^crjend*
äugerung unb (Smpfinbunggfac^e aU Änerfcnnung eine« 3)ogma
ober Se^rgefefteS angcfel^en, bie man ungefähr fo au^ubrüden
pflegt^: Saöater ^at fic^ alg ben fluc^* unb tjerbammungSroür»
bigften ©ünber, ber nur in ben SEßunben beS ^eilanbi^ ru^t,
crf lärt. Obgleich audE) bieS in meinem ©inn, aber burc^aud nid^t
503
tt>te man ed gemeiniglich nimmt, n^ol^r ift, fo Mntt ed bod^ einen
gefunben SBerftanb, tocnn ba^, toag ic^ mit Ilaret ®ebcn!barleit
fage, in einen unfloren ©^ulfa^ ober eine lic^tlofe Smaginationd^
p^rafc umgenjanbelt mirb".
S)ie 5ßrätenfion ber Drt^obojie, loel^e in bicfcr ©d^ilberung
ber 5ßictiftcn ^eroorftid^t, trifft me^r auf bie rcformirte 8lrt ber*»
felben f^u, al^ auf bie lut^erifd^c unb ^errn^utifc^e. fiabater nun
tann jene fc^on fennen gelernt ^aben, al^ feine auiS ©oetl^e'd
Seben belanntc SRcife nac^ ®m^ 1774 i^n au^ nad^ ffitberfelb
unb 2)ui^burg geführt l^at. Auf ber Slüdreife t)on Äopen^agen
l^ot er Sremen unb ©ctmolb berührt: ber eine »ie ber anbere
Ort fonnte bie SSeranlaffung barbieten, jene 93eobad^tungen au^
jufprec^en. Sei naiverer Setrad^tung erfc^eint er auc^ jenen
itreifen in Dielen Sejicl^ungcn unä^nlic^. „©om §o^enliebc,
fc^reibt er, öerfte^e ic^ fein SBort. ^d) fpred^e nid^t« bafür unb
nic^tö bamiber. ^ai einer fiid^t barüber, banfe er @ott ! ic^ bin
nid^t fd^ulb, bag ic^ feinet i^abe. ^ä) l^abe taufenbmal naivere,
ttrid^tigere, bringenbcre ©ad^en ju tl^un, ate ju bergleid^en gc^
fä^rli^en Untcrfuc^ungen ol^ne bringenben Seruf mic^ einju*
laffen"'). „3c^ mag c« leiben, bafe man mir alle t^cologifd^e
8iec^tgläubig!cit abfpre^e, menn man mir nur bie biblifd^e lä§t.
3c^ merbc e« nie t)or @ott gu üeranttoorten ^aben, ba§ xi) ni(i)t
bad)te mic ©alöin unb Slt^anafiuö, ujeil id^ feine ©rünbc fe^e,
bicfe aKänner für göttliche «uctoritfiten ju galten"«). Saöater
alfo tf)eilt mit bcn ^ietiften in ber reformirten^irc^e tt)eber bcn
fpccieUcn ©efdjmadf in ber Ausprägung ber grömmigfeit, noc^ bie
conferuatiüe Haltung gegen bie bogmatifd^en ©runbbebingungen
ber beftefjcnben Äird^e. Unter ben Dogmen erfc^ienen bie imn
ber Srbfünbe unb t)on ber ©trafgenugtljuung ß^rifti ben $ßie^
tiften aU befonberö unantaftbar. ®eibe finb üon'Saüater bean«:
ftanbct morben. ®r tiatte einmal üon ber Äan.^cl bie SEBortc
Dernefimcn muffen, bie f leinen Äinber feien eine SBel^aufung ber
Icufel. Uebcr biefcn „©reuelgebanfen" ift er empört geujefen,
inbem er baran erinnerte, ber §eilanb loolle bod^, ba§ »ir toic
bie Sfinber »erben foüen.^) 3ener braftifd^e ©afe ift jebod^ nur
1) ^riefh)e4fel jmil^cn fiaoater unb Oo^. ®et^Qrb) ^afenfamp. ^et'
auSgeoeben t)on Staxl d. @. @^mann ($afet 1870) B, 107.
2) Sei (Selaer, a. a. O. 6. 84.
3) ^eifner U, e. 88.
(
504
eine legitime golflcruitg auö ber Seigre üon bcr (Srbfflnbc. ©eine
Snfic^t üon ber äJerfö^itung^Iel^re ^at Sat)ater tit einer Steige
üon JBriefen 1793 au^gefütirt, bic an einen ®rafen, öermut^lic^
^cinric^ XLIII. öon SRcufe ju Äöftrife*) gerichtet finb. «Dcd
aber, roa^ er Wer vorträgt, ^at er fd^on in einem ©rief an ^a*
fenlamp*) niebergelegt , ber jttjar nic^t batirt, aber toal^rfi^ctn^s
lic^ 1773 gefc^rieben ift. Saüater'ö S)arftcUung ift ju eigcnt^üm*
lic^, alö baß ic^ nic^t feine Sleußerungen über bie ©treitfituation
ttjiebergebcn bfirfte. „SRan ärgert ftc^, man mad^t ein ©efc^rei
barüber, bag ic^ btf)anpic, S^riftui^ ^abe nid^t @ott Der«
föl^nt, fonbern un^.. S)aö ße^te fagt bie ©c^rift, baö (Srfte
bie 3;^cologen. S)er Unterfc^ieb ift ttjefentlic^. ®ott ttjor nie
unfer ^dnh, aber geinbe ©otteö ttjaren töir. Ober üielme^r
tt)ir fannten il^n nic^t ; eS h?ar alfo lebiglid^ barum ju t^un, bag
tt)ir @otte^ ßiebe erlannten. Unö ^at S^riftuö mit (Sott, unb
!eineiStt)eged @oit mit und t)erföt|nt. S)ad ift nun einmal bie
fonnenllare ßel^re ber ^eiligen ©c^rift, bad belöau|)te i^. allein
ttjad t^ut man? 9Äan fagt: Saüater ift nic^t rechtgläubig , ift
ein ©ocinianer, ift ein geinb beö SSerbicnftcd Sl^rifti! S)ad ift
entfc^lic^; fo fann lein ©rlcuc^teter über mid^ urttieilen. 3)od^
gef^iel^t ed! S33aö ift nun ju tt)un? 3c^ forbere ©teilen, Kare
©teilen aud bem Süangelium, bag 6t|riftud @ott t)erfö^nt ^abe,
feiner conüenabeln ffi^renrettung genug getrau ^aben
foU. S33ad ift bie Slntttjort? SJian feufjt über mid^, man be*
jammert mic^, fhan rebet t)on SJerblenbung , öon gefäl^rlid^em
3rrtt|um, Don SBIöbigfeit beö SJerftanbeö, menn man nod^ gütig
ift, aber feine ©rünbe, feine ©d^riftfteHen, nid^t eine! Unb ba^
tl^un gerabe bie grömmften, @rtt)ccttcftcn , S)emüt^igften ttjie fic
ttjä^nen." SBaö er nun felbft ^nx ßöfung ber Stuf gäbe beibringt,
ift geiftreic^ unb bead^tengmcrtl^ , aber nic^t in ftdö äufammen-
^ängenb; cg finb Slnfäfee, bie in öerfc^iebenen SRid^tungen au^
einanber ge^en, mie eö bei einem äWanne o^ne ©d^ule öerftänblic^
ift. @r erflärt ben DpfcrttJertl^ bcö Zobt^ S^rifti in Analogie
mit bem SBorbilbe bcr altteftamcntlic^en Opfer banac^, bag ber
1) 3m jtoetten $anbe ber üon ®e{{ner ^etauSgegebenen 9la40eT<iff<nm
Schriften (StiricJ 1802) ©. 1—108. Ucbcr icncn trafen ößl. bie ?eben«be'
f^tetbung U. 8. 395. IIL 8. 227.
2) ^riefkoe^fel &. 68.
505
- •>
lob cincö Dt)fcrt^ierö baö fiebcn bcö ©ünbcrö tüirb. ®r erläu^ i
tcrt biefcö juglcid^ p^tififalifd^ fo, baß Äraft ©toff an fid^ f^kf)t,
ba§ alfo ertüorbenc Siugenb ober SSerbicnft bcn anbeten SRic^tung
giebt; augerbem mebieinifd^ , bag ber Zob S^rifti ba^ neue ge^^
funbe S5lut in bie 9Raffe be^ oergifteten aKcnfc^engcfc^Iec^teg ge*
bracht tiabc; ober p^^fiologifd^ , ba§ E^riftuS burd^ feinen Xob /
ju einem allgenießbaren gciftigen Sla^rungömittel bc^ geiftigen
Scbenö würbe. S)a6 S^riftuö im lobe bie ©finben getragen
^abc, bebeutet für Saoater uic^t bie ©rbulbung öon SSerbam*
mungöftrafen au^ bem ßo^n ®otteö. ®cnn feine ßeiben lonnte
S^riftuö in feiner fittlid^en ®üte nic^t aU ©trafen erfatiren, unb
©Ott in feiner ©ered^tigleit lonnte fie aB ©trafen nid^t über i^n
oer^ängen. SSielme^r l^at E^riftuö ben ©trafmert^ beö Uebete
für uufere ©ünben befeitigt. „®enn ba^ SBettJufetfein eigener
©d^ulb, böfe gertigfeit, natürlid^e innere Diig^armonic unb fo
mc^t, bag finb ttjef entließe Uebel, bie auf bie ©ünbc folgen."
3)urc^ bereu Sluf^ebung alfo födt auc^ bie 93ejie^ung ber äuge:^
ren Uebet auf ba^ ©c^utbben^ugtfein fort.
©eit ber äWitte beg 18. 3a^rf)unbertö finb bcfanntlid^ über*
aü in ben beutfc^ rebenbcn Äird^cn, fomie in ber nieberlänbifc^en
unb ber franjöfifc^-'fd)tt)eijerifd^en bie tlieologifc^eu Eonfeffionö*
f^fteme in SBerfafl gerat^en. unb t)abcn feine Ueberjeugung^fraft
me^r ausgeübt. 9lur bie pietiftifd^en ©ruppen ber 9iieberlanbc
unb 9lorbbeutfc^IanbS werben t)on biefer 93el^auptung audjunel^*
men fein, allein ber SSibliciömu^ , ttJeld^en man bamaU überaQ
crftrebte unb mit üofler ©leic^gültigleit gegen baö ©cmic^t ber
^ogmengefc^id^te ^^u geftalten unternaE)m , fanb nid^ti^ weniger
atö übereinftimmenbc SluSprägung. ^ie t^eologifc^e Sigentpm»
lid^leit ßaoatcr'ö ift be^tialb au^ nur ju erfennen, inbem fie
gegen jwei anbere SRic^tungen ber bamaligen Xt)eologie abgegreuj^t
wirb. 3""äci^ft ergebt fein g^eunb ^afenfamp gegen if)n bie
©nwenbung, bafe jwar feine ^eilöbegriffe oortrefflid) feien, aber
bie not^wenbigen Sfleic^^begriffe i^m fehlen, ^afentamp nämlid^
war ?ln{)änger ber 3;^eotogie oon älbrcc^t SBengel unb S^riftop^
Detinger. S)ic SE^eologie SBengerd aber ift ein in^ SBürttem*
bergifc^c übcifefeter Soccejanii^^iuuö. Soccejud ift ber biblifc^e
3;^colog, welcher ben 3"fiini"icn^ang ber ©efc^idjte \>e^ SBunbcö
jwifc^en ©ott unb ben ÜDJenjcljen unter Senu^ung aOer Xtieilc
ber l^eiltgen ©c^rift nac^gewiefen ^at. Sei biefem Untemel^men
506
ober toax feine ßugel^örigfcit jum SalüintömuSnicI^t gletd^gfiltig. 3^n
leitete nämlic^ bic gcrabe burc^ ©alüin öertrctenc unb unter bcn
EalDiniften obligatorifc^e änfid^t, bafe bie JBfid^cr bcibcr Xcfta^
mente in il^rer t)orIiegenben ^oÜftänbigfett nic^t 6lo^ bie QueQe,
fonbcrn ba^ ®efe^ ber ffirfenntmß ber d^riftlic^en JReligion
feien, ^atte aud^ Eatoin felbft feine Ilieologie noc^ nic^t an
ber Sorrejponbenj ber 5ßrop^etie im 81. unb 91. %. oricntirt, fo
toax bod^ in feiner @c^ä|ung bed Sanorn^ ber eintrieb baju ent^
tialten, ba§ biefe^ ©efc^öft für bie X^eotogie nad^gc^olt werbe.
®ie ortl^obo^en Sut^eraner l^aben freiließ in thesi bie 9fic^^
fammlung be^ ^anon ebenfo aU infpirirt beurtl^eüt mie bie Sat
üiniften, unb bie Sebenten 2utt)er'ö gegen ben SBrief beö Safobu^
unb bie Stpofaltipfe nic^t n)iebert)o(t. SlDein il^r praftifc^ed 3n«
tereffe ttjar bod) nur barauf gerid^tet, ben ©toff ber in ben f^m*
bolifc^en SBüd)ern fijirten ßc^ren il^rer iürc^e in ber ^eiligen
©d)rift j^u finben unb nic^t me^r. Snbem alfo ein flut^erancr,
tt)ie SBcngel, fid^ bafür intere|firte , bafe bie lieilige ©d^rift „bic
yiad)xid)t öon ber göttlichen Defonomie bei bem menfc^Iid^en @e*
fci)tcd)te üom Slnfang bi^ juin @nbe aller ®inge burd^ ade SBett*
jeiten ^inburc^'' enthalte, fo ift er burc^ bie älnrcgung beö 6oc*
eejuS beftimmt n?orben unb jugleic^ burd^ ben ^ietiSmuS info^
fern, alö berfelbe fid^ überafl an ber (Srwartung be^ ßocceiu«
üon bem ^errlic^en ßuftanbe ber Äirc^e auf ®rben üor bem ®nbc
aufrid)tete. Menget aber ^at bie eoccejanifd^e S^^eologic baburc^
mobificirt ober eigentf)ümlid) Derfd^ärft, bafe er bie ^eilige ©d^rift
nic^t btoö al§ bie Urfunbe ber üoUftänbigen SReic^ögef^id^te, fon*
bem jugleid) aliS „ein fc^öne^, ^errlid)e^, jufammentjän*
genbeö ©t)ftem" mürbigte^). Dicfeö ©Aftern nun xoixh Don
1) %(. ^. üon ber ®o(^, bie t^eologif^e ^ebeuhtna ^engePS unb
feiner Schule; in ben So^rb. für beutf(^e ti^eolo^xt VI. (1861) @. 472. —€oc.
cejuS f45pft Qu3 ben biblifc^en Urfunben ein $ilb regelmägid^t, in Stufen ge«
orbneter ®ef4i4te beS ©nobenbunbed beS 9lei4e§ ®otte§; feine fl)flematifi(e
^^eologie, qI§ ^arfieflung ber emigen Siegel biefeS !SerIauf3, oer^It fi4 natur>
gemäg ba^u toxt ein Cuerfd^initt. ^engel aber nimmt an, bag bie ^ibel bie
iRei(^3gef(i^i((te a(§ ein ^errlic^eS sufammen^öngenbeS Spßem barbteiet; feine
^{einung ift olfo, bag bie ®ef(^idt)te be§ 9{ei4§ ®otteS ba§ f^rtftgemäge St^^em
ber %f)to\oq\t felbft fei. $on biefem ^eftd^tSpunft au§ fyii ^ermann 64mibt
in Stuttgart, einer ber ausgebe i^netften unb anerfannteften l^ertreter ber »Art'
tembergif^en S^eologie, meine $er|5^nung8le^re beutt^eilt. SRetncr (S^cf^t^tc
507
Dcttngcr an bcr ßorrcfponbcn;^ jtDifd^cit bem Slnfang bcr @cnc«
ftö unb bem ©d^luffe bcr ?lpofalt)pfe oricntirt, unb gemäß ber
gtpcdbejic^ung bcr SSäcltfd^öpfuncj auf bic aBcItemeuung in bcr
reic^ömößigen Xfjcilnafime ber jju befcligcnbcn ©eiftcr an bcr er*
neucrten S33elt unb xtjxtxt Iciblid^cn ©fitcrn ausgeführt. Der
fpccififd^ biblifc^c S^araftcr biefer Ideologie fd^tcn aud^ ben an*
l)ängern bcrfclben nid^t beeinträchtigt ju n^crbcn, wenn fie bic
äberirbifc^en 93c2iel^ungen bcr göttlid^en SReid^Sorbnung burd^ bic
$t)antaSmcn Safob Söl^me'd erläuterten unb ergänj^ten. Sind
biefcn SJorau§fc|ungen ^crauS öermifetc ^afenlamp bei Saöater
Slcic^igbcgriffe, unb cmpfat|l it|m bcmgcmäfe pr ScrüoIIpänbigung
feiner ©c^riftcrfcnntnife junäc^ft Slelpcct unb (Srlcnntnife beS
©atan, ttjcld^er ©ottcö Statur im erften ^rincip, nämli^ bcr
SJ^ac^t, (|at unb noc^ je^t eine groge iDtaieftät ift, obgleich
e^riftug ben 3*^^" ©otteS, bad erflc 5ßrincip, bem jttjcitcn ?ßritt*
cip in bcr ajicnfd^t)eit burc^ baS britte ?ßrincip untcrttjürfig gc»
mad^t unb baburc^ bic gröfttc Harmonie ber SWad^t, ber SBci^
^cit unb bcr Siebe in ber 3)tenfc^(|cit ju @tanbe gebrad^t l^at.
^©0 rebe id^ mit Safob 99i)f|mc. ©o finbe id^ im Xeufel nod^
ein göttlic^cö 5ßrincip" *). S)icfe 2lrt t)on ©c^riftt^cotogic, welche
in aller ^armlofigleit auö Solob S3i)l^mc intcrpolirt wirb,. aU
wenn bie ©d^riften beffclbcn bcr Äanon bcS neueften Xeftamcntö,
cttt)a baS SüangcUum bed @eifted tuären, n)irb t)on £at)ater mit
ben loftbaren S33ortcn abgen^iefcn: „3c^ t|abc uncnblid^ wichtige*
res ju t^un atö ©atanS metapt)t)fif^e 9latur ju unterfud^cn.
biefer fiepte fe^t et nfitnli^ baS dufter ȟrtiembergif^er ^eifler entgegen,
tt>eI4e bie ^ogmengef^i^te als .ein burc^fic^tigeS @an)e ^er^ufleHen bejlrebi
finb, in meinem boS ^ingelne bur^ feine Weiterungen gum Donjen ttflfirli^
ttirb* (%l)tol ©tubien unb iJritifen 1871. 8. 336). 3)o8 Ifteifet, bie erforf(4te
®ef4i(l()te foQ aU @t)flem begriffen »erben, gferner ttenbet er gegen meine SBin»
beutung be§ t^eologifdf^en Sl^ftemS als beS in (S^otteS llBiOen erfennbaren ®e«
fegeS ber (I()riftli4en ^Religion ein, bag .bie def^i^te überhaupt unb bie ^eilS«
gef4i(l()te inSbefonbere ein ^roma i^, bei ttcl^em bie borin üerflo^tenen Su»
\d)avitx bie S5fung burc^ eine ^d^Iugfataftrop^e ermarten' (a. o. O. 1876.
e. 342—344). ^aS ^eigt, baS tMo0if4< Stiftern foH Stei^dgefc^ic^te unb
3ufunftSboffnung fein, ^a ber genannte ®e(e]{|rte in feiner $erfon beibe @runb«
fä^e ald bie mttrtteinbergif^e ^etljiobe ber ^^eologie geltenb ma^t, fo barf i(^
i^m hierin nid^t tt)iberfpre(l()en.
1) »rieftoe^fel @. 54. 87. 97. 123.
508
^err @ott, tt)a^ gel)t mid^ bie an! SSer an (SJ^riftuin glaubt
f)at bie 9Äad^t, Sinb ©ottcö jju tpcrbcn, unb tocr in bicfcm
©tauben bie SSäcIt übcrtt)inbct, ift ein SBitregent e^rifti." ,S5Bir
bcbürfen überl^aupt bcr Xfjcorie üom ©atan nid^t fo fc^r, fonft
^ätte ung bie ©c^rift mel|r baüon gefagt" *). gemcr fc^rcibt er:
„lieber öengel (ßcitrec^nung abgerechnet) mcrben ttjir fc^merlit^
jemate j^ufammenfommen. 3Jiein ganjer moralifd^er, biblift^er,
tl^eologijc^er ®efd)macf ift bem feinigen entgegen. Cr ift mir
ein Diel ju t^eologifc^cr (b. f|. ft)ftematifci^er), »örtlicher, gefilmt
lofer unb neröcntofer 3Kann. ^ä) gtaube, baß er bem (SJ^riften^
t^um mc^r gefc^abet ^at alö ©emier unb leHer." älfo fia*
öater'^ Siblicis^muig ging nic^t in ben SBegcn ber JBcngcrfd^n
©c^ule; allein ebenfo ttjenig folgte er ber biblifd^en {Rid^tung ber
^ufflärungSt^eologen. ISr ift t)ielmel^r im äBiberf)>rud^ gegen fte
barauf bebac^t, bie befonbere ISigent^ümlic^feit bed (Sl^riftent^umd
aufrecht ju erfialten. Diefer Abfielt l|at er j. 8. in ben „©riefen
über bie SScrfö^nung^lct)re" fo wie in einer anbem ^intertaffenen
©d^rift „SefuiS ß^riftug ftetö berfelbe", — auf toeld^e nod^ toeiter
einjugetien fein wirb, ben entfd)iebenftcn SuöbrudE öerlicl^cn. 3n
biefer Stiftung alfo betont er, baß S^riftud nic^t bloi^ aU
Sel^rfr unb Xugcnbbeifpiel, fonbern alö (Srlöfer unb SBcrföl^ncr
ju öerftc^en ift, wenn nic^t bie öefonberfieit ber c^riftlid^cn Sie*
ligion uerwifd^t werben foQ. 9iun fönnte man üieQeic^t im
©inne beö Herausgeber« beS öricfioed^feU urt^eilen, ba§ bie un*
genfigcnbe Slnalt)fc icncS Problem« burc^ ßaöater i^n wiber feine
8lbfid)t ber ^Jcgünftigung ber SluftlärungStt)eologie fc^ulbig mad^c.
SlUein in ber jwciten ©d^rift^j bejeic^net er bie Scfonbcrl^eit
1) %, a. O. B. 107. 128. ^er l^erauSgeber beS ^rieftoe^felS geflattei
(14 tto^bem in ber Sorrebe foIgenbeS Uri^eil: «SaDater erf^eint (ier al8 ein
gemUt^üoIIer ^ann. bent e§ aber an feßen f^riftmdgtfi^n ^runbbegnffen fe^ti,
unb ber in ber QJ^einung für ben frommen Sl^riflenglauben ber Eliten )tt fftm«
pfen , baS 3Baf{er auf bie ^Dlül^Ie beS 9lationaIi§muS nutete. I^afenfamp fh^t
unerfc^ütterlic^ auf bem fiebern @runbe ber ^eiligen S^rift, ben flaren Bltc!
unoermanbt auf ba§ Serufalem gerietet ba§ broben ift" u. {. w. 9{un biefe
parteiif^e @ntfdt)eibung n)irb auf§ ©(finjenbfle burdb bie barouf foCgenben 9rtefe
wiberlegi. Ober gehören bie Seigre ^ö^me'S Dom Teufel unb bie Offenbarungen
ber Sungfer Küpper mann über bie fieben Stufen ber Heiligung unb ber Selig'
feit (barUber fie^e Kapitel 25) mit ju bem fi^ern ®runbe ber ^Ugen S^rift?
9li4t aber ba§ obige 3<u0ni6 Saüater'S t)on ber (S^oiteSftnbf^aft?
2) 9{a4gela)fene SBerle IL S. HI.
S09
beS (S^riftent^utnS oud^ ito^ in ber SSejte^uitg, bog bte c^riflltd^c
^TC^e, toelc^c in oDen t^ren ^orteten fibereinfttmmenb S^riftud
i(d t^ren äiic^ter unb i^r ^oupt ancrfcnnt, ftd^ ebenbaburc^ als
•eine SBirfung betrachtet. 3nbcm bie Äirc^c bic ^iftorifc^c ?ßcrfon
J^riftt, aU bie aQcrgöttlic^fte ?ßerfon — wie nun biefe ©öttlid^*
!cit immer erltört toerben ^^mögc — glaubt, ift fie überjeugt, nur
buTC^ i^n bie äJoQfommen^eit unb @eligfeit ^n errei^en, tt)eld^e
er atö §err unb Siid^ter ber S33elt getoä^rleiftet. Diefe SEBert^*
beftimmung l^at Sat)atcr fd^on früher fo auiSgebrficft Or bag ®ott
in e^riftuö bie Siebe ift. „SBer ©otte« Siebe in S^rifto glaubt,
ber aDein !ann lieben, mie S^riftud geliebt ^at, ober nod^ eigent«
lieber, in bcm fann ®ott lieben, n)ie er in (Sl^rifto geliebet ^at.
fLüc Siebe ift aud @ott, fo eigentlid^, tok (S^riftuS auiS il^m ift."
SaDater l^at biefe aui^ ber 93ibe( gefd^öpften Snfd^auungen <) nic^t
)U einem t^eologif^en @^ftem Verarbeitet. S)a^ tt)ar ja über::
f)anpt nid^t feine @acl^e. Stö feine aQerperfönlid^fte Ueberjeu«
gung ^at er biefe (Sonceptionen au^gefipro^en unb prei^egeben,
unbeforgt barüber, in tt)e(d^em Umfang fie aufgenommen ober
abgen^iefen mürben. Unb er füllte fid^ eben hierin nid^t foh^o^I
ate einen Wiener feiner Äirc^e, fonbem alö einen ^rop^etcn,
beffen Scgeiftcrung burc^ bie ffiinfad^^eit feiner SEBa^r^eit^rfennt*
ni6 bcbingt ift. ?lber fein JBiblici^muö ttjeift eben fo fel^r über
bie eubämoniftifc^e SlQermeltiSmoral ber Sufflörung^tl^eologen
^inaud, mie über bie auf bem trüben Untergrunbc Sö^me'fd^er
Sbeen aufgebaute Äoömologie ber Sengclianer.
©eine anficht üon ber Äirc^e ober vielmehr üon ben Äir*
c^en fc^eint junäc^ft t)on gleicher 9leutralität ju fein, h?ie bic
lerfteegcn'i^. „3n allen Sonfcffionen giebt eö ec^te ©lieber
ber ma^rljaften Sfirc^e,. infofern fie ß^riftum über ade« lieben
unb fic^ nad^ feinem ©inne bilben .... Seine äufeerlic^ foge*
nannte Äirc^e, mebcr bie fat^olifc^e nod^ lut^erifd^e nod^ refor»
mirte afö folc^e ift bie rechte; fonbem bic redete ift ba^ Slggregat
aller oon E^riftuö aQein befcclten SRenfd^en. S33er (S^riftu^ lieb
^at unb i^n Don ^ergen feinen §erm nennt unb fid^ burd) feine
Sc^re beftimmcn lägt, ift ein E^rift unb ein ^eiliger, er ^ei§e
i; de^meS 3:ade6u4 ))on einem Scobad^ter feinet felbfl, iioeitet tl^eil
(1778) 6. 299.
2) tbibere Veuftenuigen filetier Vtt bei (Gelier a. a. O. 6. 92.
510
3cfuit ober «fat^olif, SScrnunft^elb ober ©d^tDärmer" >). «ber
feine Xoleranji ift barum boc^ nid^t unbcfd^ränft. *6r erftart bei
anbercr @elegenf|eit, ba§ er aUe 9Rcnfd^en an fid^ fommen laffe,
au6) Seiften unb Ätfieiften, n^enn biefelben e^rlid^ finb, unb
unter bem Flamen auftreten, ber i^nen jutommt. allein „er »ifl
e^ nid^t bulben, bafe beclarirte Unc^rißcn beclarirte 6I)riftcn ^ei*
ßen, ba§ fein innerer Unterfd^ieb fein foll jttjifd^cn bem, ber
SE)riftum aU einen St)arlatan proftituirt, unb bem, ber t^n mit
flanjer ©eele aU feinen ^errn unb feinen ®ott anbetet." gcmer
„wer ben ©lauben an ipofitiüe ©otteöerfatirungcn für entbehrlich
^ält unb bie Äuferfte^ung unfere^ §errn ba^inflefteHt fein läjst,
!ann jroar ein guter, e^rlic^er, adenfaD^ benfenber unb DcrftSn«
biger üJiann fein, aber ein Etirift nat^ bem apoftolifc^en ©inne
ift er nic^t"*). ®ic lefetere ©rflärung ift im Allgemeinen ein
äuöbrud ber Kegel ber älufric^tigfeit im gefeüigen SJcrfe^r; aber
im SSergleic^ mit ber 9ieutralität gegen bie etablirten Streben
t|at fie noc^ eine befonbere 3)ebeutung. ^üx fic^ aQein betraf
tet tonnte biefelbe bafür gelten, baß ßauater fic^ auf ben ©lau«
ben an bie (unfid^tbare) Äirc^e jurfi(Ijiet)t, inbem er an jcber
?ßarticularlird^e etttjaö augjufe^en finbet, unb felbft cS Don ftc^
meift eine befonbere ©ecte ober iiird^e ju grünben*). Allein boS
ift boc^ nic^t feine SKeinung. 3n feinem eigent^ümlid^en 3^9^
jur ©efettigleit liegt er ba^ ©trcben, möglid^ft üiele öon ben
ed^ten S^riften, bie er meint, ju lennen, unb ben ^udtaufc^ mit
il)nen ju üben. S)tefe SRüdfid^t ift für il)n maggebenb, inbem
er aufrief tigeg SBcfenntniß für ober n^iber E^riftud üon bcnjeni*
gen verlangt, mit bcnen er Derfeliren foll. S)ie Stird^e, bie er
glaubt, jjeneö Aggregat aller öon E^riftuö allein befeelten SRen*
fd^cn, n)itt er auc^ felien unb mit il^Ten ©liebem aU folt^cn
reben. ©ic mögen jttjar fonft einer etablirten Äirc^e angehören,
ttJelc^er fie moHen, unb fie mögen bei ber bleiben, in ber flc gc--
boren unb erjogen finb ; aber baö, roa^ fie in biefcn ©ejie^ungcn
trennt, ift für Saüater gleichgültig. Um fid^ mit i^ncn al§ bie
redete allgemeine Äircl)e jufammenjufinben, lommt e§ nur barauf
an, ba§ man E^riftuö Don ^erjen lieb f)at, unb il^n in Äuf^
1) SebenSbef^relbung III. 8. 24.
2) «. 0. O. II. e. 359. 357.
8) %. a. D. IL 6. 300.
511
rid^tigfeit ate §crm anerfennt unb ftd^ burd^ feine fie^re be*
ftimmen lägt. S)ie 5ßrobe beö cd^tcn K^riftcnt^umö tüirb an ber
anbcrn ©teile nod^ baburc^ erweitert, ba§ man bic Sluferftcl^ung
bee ©errn glaubt, unb bcn ©lauben an pofitiöe ©ottc^erfa^run*
gen nid^t für entbeljrlic^ ^ält.
Dag interconfefftoneQe (Stiriftent^um Saüater'j^ ift alfo burd^
ein förmlid^eg S5efenntni§ bcjeid^net, ttjcld^e^ ben SJorjug ber
(Sinfac^l^eit l^at. (£g bedt fic^ mit bem Sludfprud^ beS $aulug
JRöm. 10, 9, unb lommt eigentlid^ auf bie ^errf^aft ober bie
©ott^eit (S^rifti l^inauö, ba ju i^r bie Äuferrocdung aU notJ^-
toenbigei^ aßcrfmat ju red^nen ift. Sbcr biefei^ Setennen tt)ürbc
für £at)ater bod^ !einen SSert^ l^abcn, tnenn e^ nid^t getragen
ift burc^ bie Siebe ju ßliriftuö unb ben ©e^orfam gegen feine
fie^re unb begleitet üon bem ©tauben an pofitiue ©otteöerfa^*
rungen. 9lur biefcn Dualitäten iDirb unter bem S^i^^n jene^
SScIenntniffeö ber d)riftlid^e greunbfc^aftöbunb eröffnet, ttjelc^er
oU bie 5orm ber redeten Äird^e pd^ innerhalb ber beftel^cnben
Äir^en ausbreitet. Slber finb biefe Seiftungen t)on gleid^er Stil*
gemeingültigfeit tuie bad Sefenntnig, bag (S^riftuS unfer $err
ift? Unb tt)aö ift überhaupt mit ben ipofttiüen ©otteSerfal^rungen
gemeint, bie man glauben mug, um üor Saüater ju befte^en?
3)ie Seantroortung bicfer fragen toirb äjugleic^ bic Äuigfunft
barüber barbieten, toaxum Saöater, beffen Äbgeneigt^eit gegen
bcn Ion unb bie Stimmung ber Eonüentifeld^riften unb beffen
Snbifferenji gegen bie Sled^tgläubigfcit bisher allein erörtert roor*
ben ift, tro^bem in ber ©efc^id^te beö ^ietiömuS eine toid^tige
@teUc einnimmt.
Slämli^ biegormel ,,6l^riftum liebhaben" ift baö d)aralte*
riftifcftc SBerfmat ber ipietiftifd^en unb ber fatt|olifd^en Deöotion.
SRon fönnte ja nun barauf f|inn)eifen, ba§ biefe Qfotmel auc^
bod ©tic^mort ber Sfleformation beS 16. Sal^r^unbertS , baß man
an (S^riftud unb feine SSer^eigungen ju glauben fiabt, bedt.
3)enn au^ biefer ^eiteglaube an S^riftuö fd^eint nur eine 9Ko*
bipcation ber Siebe gegen i^n ju fein. Demgemäß toaxc eben
bic S^wiut^ung, Sfjriftum lieb ju ^aben, gerabe in ber relatitoeu
Unbeftimmtl^eit beö ©inneS, bie uniDerfelle gormel, ttjeld^e fatfio*
lifd^eS unb eöangelifd^eS ß^riftent^um umfpannt. 3nfofern ttjäre
bicfeö ©tid^iüort gerabe geeignet, ben interconfcffioncQen SJer*
banb ber redeten ^ird^c ju begei^nen, unb brauche nic^t in einem
512
bcfonbern pictiftifd^en ©iunc öcrftanben ju tDcrbcn. Snbeffcn
bie Erläuterungen, n)elc^e SaDoter'S Meinung burd^ anbete Sr^
flärungen beffelbcn erfährt, beftätigen ed, bog er boiS fiteb^aben
(S^rifti nur in bem pictiftifc^en ©inne öerfte^t, beffen Ucberein-
ftimmung mit ber fat^olifc^cn S)cDotion eben fo ftd^cr ift, toie er
t)on ber reformatorifdöen ^eilöorbnung abn^eic^t. 3i^"ä^ft ift ^
nic^t jufällig, ba§ Sauater bie Orbnung be^ pflic^tmögigen ^an-
beln^ in ber aügcmeinftcn S)cutung ber SJiad^al^mung ß^rifti be^
grünbet, bafe „ic^ mid^ @ott j^um Seften ber ^enfcftcn unb jfix
greube 3efu fo ganj aufopfere, »ie er fic^ ®ott aufgeopfert ^at,
bafe ic^ alle^ in feinem Flamen t^ue unb leibe, ha^ ift, imme'C
fo tianble unb leibe, h?ie S^riftud an meiner ©teOe l^anbcln unl
leiben würbe" ^). S)enn biefe SRajime ift bie im SBittelalter It
gitime Srgänjung ber aus ber Kontemplation S^rifti gefc^öpftei
Siebe p i^m, unb bicfeS allgemeinfte ©c^ema ber Stoc^folgi
Slirifti finbet fidö überall ein, mo ber ^ßietiigmuö bie ©eöotioi
gegen ben auö 5Jlenf(^enliebe leibenben Sl)riftuS erneuert, ^crm
liegt eine ©c^rift ßauater*^ öor, meldte alö eine Xl^eorie ber pi(
tiftifc^en ÜJiet^obe beö intimen Umganges ber ©eele mit ben ^
^erjenSfrcunb E^riftuS auftritt, unb bie üoUgültige Urfunbc ba^
für bietet, bag fiauater bie ^orberung, baß man (S^riftud liel
^aben muffe, in bem befonbern pietiftifc^en ©inne üerftanben \)a\
®er Jitel biefer ©c^rift lautet: „3efuö (Sfjriftug ftetö bcr=- ^''
fclbe ; nic^t befc^räntt burc^ Qdt unb iRaum, nic^t burd^ bie Un=- *
n)ürbigteit ber ©laubenben an i^n ; ober neue SluSgabe bcd altci"^^
(Söangeliumö für ed^tgläubige ß^riften"*). ffi« ift rec^t originct— ^
t)on Sauater, bafe er bicfeS X^ema geftellt l^at. S)cr religiöf^ ^
®laube orientirt fid) an feinen SBe}icl)ungSpunften ftctS für bi^^ -^
Gegenwart, unb riebet fid^ not^menbig auf baS, load an @otfl^ ^
fic^ gleich bleibt, feine Xreue unb feine SScrl^eifeung. 3)em ent=^ -'
fpric^t es, ba§ (S^riftuS in baS ©cfic^töfelb ber «poftel birectr ^
als ber 8lufertt)ecfte unb @rf|ö^te fällt, fo ttjie er gegcntoörtic^a?
Doräuftellen ift, unb nic^t, toonac^ bie t^eologifd^e ßieb^aberci' '
immer fuc^t, als ber ^räejiftente. 9lun aber ift bie ^ergcbrac^l
S)ogmatif auf bie @eminnung jenes praftifd^en ®efic^tspunft(
für ben ©lauben fe^r n^enig eingerid^tet. ©ie fül^rt C^rifti
1) Xagebud^ II. S. 301. 302.
2) 9k4gelaffene Si^rtften II. 6. 109—220.
513
immer nur in bcr {Reil^cnfolgc ber öcrfd^icbcncn ©tänbe öor, unb
lägt i^n fo eben t)telmet|r ald beränberlid^ erfennen, o^ne ben
Slbftanb gn^ifd^en ben @tänben feiner (^iftenj ouSjugleic^en.
(Sbenfo lägt oud^ bte a^fetifc^e Einleitung, inbem fie balb an bie
Seibendgeftalt , balb an bie Sßad^tfteQung be^ Sufem^edten an«
fnüpft, bie Etnfd^auung Don S^riftuiS ;(n)tfd^en ben entgegengefe^«
ten äRer!maIen {)in unb ^cr gleiten, ats ob biefelben jugleid^ in
ber ©egenttjart für Stiriftuö gelten. SRan foflte jjebod^ benfen,
eS fäme für bie t^eologifc^e Äe^re wie für bie religiöfe Siebe
unb a^fetifc^e Einleitung barauf an, bie Sbentität Sl^rifti mit
ftd^ innerhalb ber n^cc^feluben Elnfc^auungdformen unb Attribute,
alfo baS, xva^ \id) in iE)m gleid^ bleibt unb emig ift, ju fijriren;
benn nur unter biefem Elttribut eignet fid^ auc^ (S^riftud jum
©egenftanbe bed @laubenS. Snbeffen tt)ürbe man bei £at)ater
Dergeblid^ nac^ einer au^brücflid^en Söfung biefer Slufgabe fud^en.
3^m mad^t e« oielme^r leine ©d^toicrigfeit, S^riftuö unter ben
entgegengefe^ten äJ^erfmalen bed gelreujigten unb beS aufertt)edt
ten aB ibentifc^ ju fe^cn. ©eine Elbfic^t nömlid^, bie er mit einer
^nüt t)on SR^etoril öcrfolgt, ift barauf gerichtet, bag E^riftuö,
loelc^er nac^ feinen äJer^eigungen feinen Jüngern unbebingt nal^e
fein loid, unb Don ben erften (S^riftcn bemgemäg angebetet unb
aU Reifer in aller 9lot^ gebrandet ift, nod^ je^t Don aOen @läu^
bigen a(^ ber allmächtige ^err über ElQeiS unb aU ber näc^ft«
fte^enbe ^crjenöfreunb angefprod^en ttjerben mu§, toeld^er ber
hierin audgefproc^enen (£rn)artung burc^ bie (£r(|örung ber @e^
bete entgegenfommen n)irb. 3)enn bie Entfernung be^ SRaumed
ift für ben ElUmäc^tigen ungültig, ber jum ^immel aufgeftiegcn
ift, bamit er Elfle^ crfüfle: ,,e^ toar apoftolifd^egunbamentallc^re,
Ct)riftuS unb ß^^rifti S93irtfamleit ift burd^au^ an feinen Ort ge«
bunben, in feinen SRaum eingefd^loffen." 3)ie Entfernung ber
3eit fommt auc^ nic^t in Setrad^t, benn bie SBer^eigungen ber
Elllgegenmart unb allmächtigen ^ilf^bereitfd^aft (£l)rifti finb über«
^aupt nid^t mafir, ober fie gelten oline SRüdtfic^t auf ben Elbftanb
ber Qüttn für aQe ©laubigen. SaDater meint behaupten ju
bürfen, baß bie ©laubigen in ber SRormaljcit ber Elpoftel in
einer ©enuffc^gemeinfc^aft mit S^riftud geftanben unb barauf
bie befonberen 93elel|ruugen unb @tärfungen gefc^öpft ^aben,
toeld^e ald eigene Erfahrungen fie Don ber Realität i^red S3er«
pltniffed überführen. Er toill bie ElOgemeingültigfeit beffelben
I. 3S
514
•
bcnjenigcn grommcn dnpx'dqm, tücld^c jt^ mit bcn Su^ftaben
bcr SJcr^eifeungcn, fo gu fagen, mit bcm SJcnnad^tnife^Snftrumcnt
begnügen, oftne Don bem SJennä^tnig bcr allmäd^tigcn $eil^
gegenn^art ß^rifti ©cbraud^ ju machen *). ^ erflärt feine S)eu^
tung berfelben für bie öcrnünftige «nfid^t, bie entgegengefc|te,
töcld^e in ber SJcrfieifeung ber SBo^ltl^aten S^rifti ben jurcic^enbcn
©runb beö ^eileö finbet, für ©d^ttjärmerei. ^fiaffet und nic^t
Smagination für ©lauben l^altcn, unb ©laubcn nid^t für eine
eiDige Serfd^iebung^lunft beffen, toa^ je^t genoffen toerben foD/
hingegen „\>a^ @e^eimni^ be^ ©enuffe^gloubend beftänbe bartn^
bafe man gerabc fo mit i^m fpräd^e, toie toenn er öor un^
ftänbe, unb ,n?ie man mit il^m fprcd^en tonnte, ba er nod^ tit
äRenfd)engeftaIt umherging, fo aU ob er geftem in ben ^immeL
gefahren unb für und befonbere @aben unb ^öfte empfongeic
^ätte."
(Sd unterliegt feinem Qtoti^d, bag ber Umgang mit (S^riftu^
a\& bem ^erjenisfreunb , tt)e(d^en Saüater aU bad ed^te S^rtften^
t^um empfiel^lt, bie pietiftifd^e SÄettiobe ift, weld^e toir fennen*
©ie ift bei Saöater an bemfelben ©cgenfafte orientirt, toie bei^
JBil^cIm SBrafel (©. 297) unb bei ßampe (©. 436). Sei i^ncn^
Snen gilt cd ald bad ajterfmal unDolIfommcnen @(aubend, bag^
man fic^ auf bie SSer^eißung ber ®nabc burd^ 6^riftud ftü|t,
unb bafür ift aU @runb bie äiüdffid^t maggebcnb, ha% babei:
e^riftud ate ber ©cttjcfenc unb ald ber Äbn^cfenbc crfc^eint.
^icburd^ ift bie öon ben JRcfonnatorcn bejeid^nete iRormirung
bed @(aubend an bcm S93ortc ali mangelhaft bejeid^net, unb
anbercrfcitd bie SBc^auptung t)on 5ßoirct unb Ärnolb aboptirt,
bag bad urfprünglid^e S^riftent^um nid^td anbered fei old äR^ftil
3n SSSirflid^feit fte^t cd frcilid^ ganj anberd. (Einmal bcfte^t bie-
©emeinfc^aft mit E^riftud bei 3o^. 15,7 barin, ba§ bie SEBorte
ß^rifti in und bleiben, gerncr ttjcnn bie pietiftifc^e ©eöotion
auf ben S93egen bed l^eiligen Sernl^arb fid^ an ber Sitiprägung
ber Seibcndgeftalt S^rifti nä^rt, um baburc^ in bcn äBed^fetoer»
fe^r mit bcm @rpt)tcn cinjutreten, unb bie Kontemplation ge«
1) W' SebenSbefd^relbung II. S. 179: ,(S8 if! btc gtöfitc 2:^0T^it,
9(n anzurufen, toenn (^x nur burdf) {ein ^interloffeneS (Soangeltum ^nf4t unb
wirft. S)a6 er mit grei^eit auf uns »irfen fann, bog ma^t 3(n )um ^erm
unb 0oti ber ^enf^^eit."
515
nöt^igt ift, in btefer Stbftufunfl bcr Attribute ß^riftt immer auf*
unb abjuft eigen, fo entbel^rt fie eben ber ©en^igl^eit berSbentttat
e^rifti in \\6), toelc^e Satmter mit SRec^t aU bic JRegcl fteflt.
SQein ber bezeichnete Stbftanb ift gerabe oudgegltd^en in ber
gormel ber ^Reformatoren, ba§ man pd^ an bie SJer^eifeung be8
gSttlid^en @}nabenn)inen^, für tüdä)tn S^riftud einfielt, gu l^alten
f^abe. hierin ift gerabe ba^ @n)ige in Sl^riftu^ audgebrücft,
ber göttlid^c S33ertl| feiner ?ßerfon, in bem er fid^ aud^ bei bem
SEBed^fel feiner @tänbe gleich ift, unb jugleid^ bie iperfönlic^e
firaft, tt)elc^e allen Unterfd^ieb beS äiaumeiS unb ber ßeit gleid^«
gältig mac^t. £iefe SRorm ber äJerfö^nung unb be^ ^eildglau«
benö ift üoIKommener ate bie SRorm ber fat^olifd^en S)eöotion,
tpel^e jth^ifc^en ber SSenoert^ung ber SeibenSgeftalt unb ber
9Rac^tgeftalt bed 99räutigamS ^in unb ^er fd^mebt. ^ed^alb ift
ber ^ietiSmu^, n^eld^er ben Umgang mit (S^riftud unter bem
fEkd)\el feiner entgegengefe^ten Attribute für bie P^ere Drbnung
erflärt, unb bad SSertrauen auf bie in (SljriftuS anfd^aulid^e
©nabe ©otted al^ bie geringere Orbnung überbieten xoxü, ebenfo
im SBiberfprud^ mit ber ^Reformation mie im Sinflang mit bem
ftat^olicidmu^. Unb jugleic^ ift ber ^ieti^mud überl^aupt unb
£at)ater in^ iBefonbere in einem großen Strt^um befangen, als
ob ber ?ßroteftantiömuö in biefem ?ßunft einer SJerbefferung be^
bflrfe, unb biefelbe burc^ bie SSieberaufrid^tung ber fat^olifd^en
äRet^obc erfahre. Die ©c^rift Saöater'S, um bie c^ fic^ I)ier
^anbelt, ift an mand^en @teDen mit 8(nmerlungen eines ^^reun^
bcS oerfe^en, n^eld^er im allgemeinen ben ©efic^tSpunft beS 8er-
faffcrS als Uebertrcibung bejeid^net. Unter biefen Slnmerfungen
aber ift eine (auf ©. 186) öon befonberem ©etoid^t: „(£S ift
möglid^, fieißt eS, baß fe^r fromme E^riften fein Scbürfnife nad^
fogenannter finnlid^er Offenbarung beS §errn (ttjomit Saüater'S
Snfid^t gemeint ift) (|aben. $tu^ fte n)oQen einen lebenbigen
E^riftuS, einen Reifer, Siröfter, ©tarier, JBeleber. S33orin foH er
fi(^ il^nen als fold^en ben^eifen, fie feiner Siebe unb feines SebenS
gen)iß machen, unb bag eS nid^t Xäufd^ung, nid^t fromme ISin«
btibung ift? ©ie tt)erben fagen: baran baß fie fic^ felbft unb
bie äEBelt übern^inben^), unb 3^m ä^nüd^ tt)erben im Bulben,
SBirfen unb Sieben." Darauf ertoibcrt ßaöater: „SBenn eine
1) $01. oben 8. 66.
516
@eele mir fagen fonn: 3d^ f)abc o^nc ftnnlic^e b. i. QUeban-'
geltfd^e S^ftu^erfafjTungen tnid^ felbft unb bie SEBelt äbertounben
unb bebarf tpeiter ntd^tö, — fo tDtO xd) tein Sebürfnig naif
titoa^, ba^ fie nid^t bebarf, crjtt)tngen. $(ber ed n>äre benfenben
(S^riften biefcr Slrt leidet flor }u tnad^en, bag fte baiS ntc^t
l^oben, tDQ^ bie crften S^riften Ratten, bag ei^ bod^ ein fc^öner
tt)ürbiger @enug tt)äre, in einer reeden, mitt^eilfamen, correfpon-
benjlid^en ©emeinfd^aft mit St)riftuö jju fielen, unb ba§ nur eine
folc^e @emeinfc^aft fie gegen Xäufc^ung, SEBa^n unb SibfoII t)om
©tauben in ben @tunben ftarfer SSerfud^ung fd^fi|en fönnte".
hierin ift bie Sontroüerfe jmifd^en bem e^angetif^en unb bent
!atl^olifd^«pietiftifd^en ^eiUbemugtfein mit münfd^endn^ert^er S>eut^
Ud^feit gejeid^net. ®ie @ränbe aber, n^cld^e Saüater beibringt^
um bad erftere ali^ ergänjungdbebürftig }U ermeifen, ftnb utc^i
ftid^tialtig. S)ag bie erften S^riften in ber t)on ä3ern^rb for^
mulirten S93eife in bem freunbfc^aftlid^en Umgang mit bem t^n(
gegenwärtigen S^riftuö gcftanben tiaben, ift eine leere SSe^aup«
tung, unb ber flu^fpruc^ be^ $aulud, an meieren £at)ater babei
benft: id^ lebe, aber nic^t id^, fonbern (S^riftud lebt in mir,
beutet etroag ganji Änberc^. gemer fommt e^ boc^ barauf an^
toa^ not^menbig ift jur ^egrünbung bei^ c^riftlid^en Sebend un)
jur ScttJötirung ber SJerfö^nung in bemfelben, nid^t aber barauf.
toa^ aU ein fd^öncr ©enuß barübcr ^inauö nod^ erftrebt toerbcir^:^
fönntc, ttjaö aber nac^ttjei^Iid^ bei ben n^cnigften ftetig ift, fonbcrm^cÄ
regelmäßig mit SSerlaffungen unb S^rodfen^eiten abmec^felt. 9)ag#^l
Saüater für feine ^erfon an biefe ffirfat)rungen nid^t benft, mafi^ -9
er tt)ie ßinjenborf i^rcm gemeinfamen fanguinifd^en Xemperamenr -*»*
öerbanfen; allein ba^ ßeugnife afler Slnberen lautet gerabe ivr^^
SSäiberfpruc^ mit ßaöatcr bal|in, baß ber Umgang mit bem $ci= :^"^*
lanbc nid^t ber fpecififd^e ©d)u^ üor SJerfuc^ungen ift, loeil er^^s*^
felbft fd^on bem SBec^fet ber ©timmung nic^t ©tanb l^ält.
2)ie bejcic^nete SBerü^rung Saüatef g mit ginjenborf ift too^C 4^^'
nic^t jufättig. S)ie cigentl)ümtic5e SRic^tung, in toeld^er Saöatcir^^^^
fic^ bcttjcgt, öerbinbct if|n nic^t mit ben oben Vorgeführten (Srfc^ei» ^ ^^'
nungen bed ^ietidmuS in ßürid^. ©ic entfprid^t aud^ nid^t
SSorbilbe Don Sampe, ba bie bem ^^ärtlic^en Umgange mit
^erjeni^freunb 3efuö Dorauögefe|te ©nprägung ber fünblic^er-:?'^
unb creatürlic^en 9iic^tigfeit bei fiaöater nirgenbroo aSiber^ot^'
finbet. £er SJ^angel biefed @lemente^ mad^t melme^r bie ißa^
517
tponbtfc^aft jtüifc^cn 3^"ä^"^*>^f ""i> SaDatcr no(^ bcutlic^er.
Sfhin ^a6en fid^ bie ^crrnl^utcr in 3*^^^^ f^^^ 1748 f cftgcfefet *).
3ft alfo öieüei^t anjunc^mcn, ba§ Saöotcr öon i^nen bie Än^
^«fluttfl ju ber grömmigfeit, tDcId^c er lunb giebt, empfangen ^at?
hiermit ftimmt ouc^ feine oben (©. 501) bejeid^nete ©teHung ju
ben eng^erjigen ?ßietiften ber alten ©d^ule. Denn fie brüdEt ben^
felben ©egcnfafe auö, loeld^en einerfcitS 3*ttj^"^orf'i^ belannte
Rebe Don ben „miferabelcn ^ßietiften", anbererfeiti^ lerfteegen'ö
aMge ber ,,Scici^tfinnigfeit" ber ^errn^utifd^en SBetl^obe bejeid^*
nct (®. 485). Sebod^ ift ßat)ater feineöttjegeö ein birecter §crm*
^utcr getoorben. 5)cnn i^m fe^lt burd^au^ ber Suttuö ber Sei*
bcnSgeftalt Sl^rifti. Äufeerbem mad^t er eine eigcnt^mlid^e 8{ji*
toenbung öon ber Slrt, tt)ie er ben intimen SJerfe^r mit bem aß*
möd^tigcn §errn öerftel^t, toeld^e im Sreifc beö ^ßietiömuö neu
ift. „SSäenn nid^t ber §err 3cfuö S^riftuö, ber tt)ie ein ^erjcn^*
freunb fein Dt|r nad^ euren Sippen ^in^ält, nid^t unfer ©d^ufe*
gott, nid^t ©cbeter^örer in unfcrem 3citaltcr ift, fo ift unfer
©laube aBa^nglaube, ©d^toärmerei, eitel." Älfo in ber (Sr^rung
ber ®ebetc entartet SaDatcr bie $robe ber Sfiealität be« Um^
gongö mit bem aHmäd^tigen §erm ju erfahren; biefeö ift ber
@inn ber oben (©. 510) bemerften gorberung pofitiöer ®otte^
erfa^rungen.
©eit bem Sa^re 1768 ^at ftd^ SaDater mit biefer Sombina^
tion befc^aftigt^). 3n bem erften SBanbe feiner SSermifd^ten
Schriften (1773) ^at er eine Slb^anblung „üom ©tauben, üon
ber Äraft beö ©ebeteg unb ben SBirtungen be« ©eifteö" öeröffent*
U(^t, welche biefetben ©ebanlen entpit, bie in ber nad^gelaffenen
©d^rift nac^getoiefen finb. S)aö ©erfahren ift aud^ bort rein
cjcgetifd^; Saöatcr bettjeift eben, ba% bie ©laubigen, inbem fie
burc^ Sl^riftuö in eine ©cmcinfd^aft mit ©Ott gebraut n)erben,
toetc^e ber ©emeinfc^aft jmif^en E^riftuS unb ©ott ä^nlid^ ift,
t^tö burd^ ©oben be^ ©eifte^ au^gejeid^net n)erben, todä)t
flbemotfirüd^e Gräfte finb, t^eifö mit einem ©tauben au^gerüftet
1) @tuber a. a. O. 8. 203.
2) 55öl. in ber ficbenSbcWrcibunß I. @. 340. IL 6. 47. 174. 198. III.
6. 78. 490. %n ber legten Steae @. 492 (eigi e8 : .O bafi eS mir fiegeben
Mtbe, ou4 ^rtfilid^en 99eiern mel^r 9Rutl^ unb Se^erat^tt ein)nf[öften, 0oit
|tt benu^en, toit er bon und benu^t fein miH."
518
tDerben, toeld^em oDe ^inge tnöglid^ fiitb, t^etli^ ju einem ©ebete
angeleitet tt)erben, toeld^ed ,,))ofitit)e äußere SEBirfungen erreicht,
bie mit bem @ebet felbft in feinem ftc^tbaren 3uf^ntmen^ange
fielen/' SSJod er ^ietin olS ben 99eftanb ber neuteftomentltc^en
93orfteIIung unb ber neuteftamentlic^en ©efd^id^tc ermittelt ^otte,
erfannte er jugleid^ als bie Siegel für ade Seiten an, ünb lehnte
bie toeit Verbreitete Slnnal^me ab, bag bie bejeid^neten (Erf^ei*
nungen nur für bie erfte ISpod^e bed C^riftent^umd normal ge«
n)efen feien. Um aber biefe Sintuenbung mit fH^t abjule^nen,
betrat er bcn S93eg ber l^iftorifd^en Unterfu^ung, unb forberte
1771 ade feine ^eunbe baju auf, i^n mit SJIaterial ju biefem.
Qrotdt ju unterftü^en. ISS !am i^m barauf an, }u erfahren, o\p
fett ber Slpofteljeit, inSbcfonbere feit ber 9fieformation, enblic^
ob in ber ©egenttjart gäHe öorfommen, in benen «Segeben^eiteit-
auf t)orI|crgegangeneS auSbrfidlid^eS @ebet ober pofitioe ®Iau«->^
bendäußerung erfolgt finb, inbem fie ol^ne bieS natürlid^cr SEBcif^^
ganj unb gar nic^t gu ern^arten gen^efen loären.'' SlnbererfettS^
toflnfd^te er ju toiffen, ob „ein juüerläffigeS Seifpiel üon ein
lebenben frommen unb gen^iff entarten äRenfd^en befannt fei, be
t)or bem aQmiffenben ®ott bezeugen bürfe: 3d^ ^abe um bi
ober jenes mit jn^eiffeDofer (Erwartung ber Srl^örung na^ b
JBorfcbrift beS ffioangeliumS gefleht, unb id^ bin ni^t cr^ör:- ^
toorben, @ott l^at mir nic^t geanttt)ortet.'' Z)iefe 9Uifforberun^p 9
toirftc ; Saöater empfing öon allen ©eiten SRitt^eilungen 'über- i^x
©ebetSerl^örungen; ja er erlebte eS, bag menige Sa^re barau ^^i
(1774) ber fat^olif^e ?ßricftcr Sofe^)^ ©agner in ber Slä^ 0010^ ^ä
Augsburg tounbcrbare Teilungen burd^ bie ©efd^toörung bü^-^
3:eufe[S ausübte. Stber Saoater h?ar nid^t ber SReinung, bi :^i(
{Berichte über ©ebetSerl^örungen unb über biefe äBunber^etlungec^ "^
o^ne meitereS ju glauben; er untem^arf fte t)ielmel^r einer ^iti9i^ ^^
toeld^e nic^t immer gur Seftätigung ber Seric^te führte. UnS^ ^^
namentlid^ getoannen i^m bie ©aben ©agner'S fein Certrauei^^^
ab; nad^ ber perfönlid^en Scfanntfd^aft mit bemfelben ^atte ^ — '^
bie Unbefangenheit i^m gu fd^reiben, er ^alte i^n für fromm un^^
aufrid^tig, ^abe aber an i^m nic^t ben ^o^en ©rab üon $ietä^^
unb ^ot)em (£f)riftuSfinn gefunben, ben er bei il^m üermut^et^-
Unb in feinem Xagebuc^ f))ridC|t er feine Uebergeugung aud, bagi/
h?aS ©agner gemirft ^abe, auS ber aQen äJtenfd^en innckoo^nen^
ben, alfo natürlid^en magifc^en $raft ^errü^re, loel^e erft burc^
519
bcn lebcnbigen ©laubcn jur aSunbcrfraft erhoben »erbe. 3)ic
Prüfung ber ©ebcWcrPrungcn aber lonntc um fo »cnigcr ju
einer Scftätlgutig ber t)on Satjater prätenbirtcn Siegel fül^ren,
aU in feiner eigenen Srfal^rung ^äUe t)on Sr^örung unb t)on
9li^ter^örung mit einanber abmed^fetten. 3)er S3iogrQ))^ bejeugt
l^icrüber ate D^renjeuge: „äud^ in äbfid^t auf feine eigenen
©ebete beobad^tete er biefelbe ©d^ärfe (ju unterfd^eiben , ttjaÄ
me^r für Qn^aü afö für eigentlid^e Sr^rung anjufe^en fei), unb
bQl^er fam c^, bag er jmar oft mit 9iil^rung t)on feinen eigenen
barüber gemad^ten ©rfal^rungen fprad^, aber aud^ mit ber Unbc^
fangen^eit eined £inbe^ ee fagte, tt)ann er biefe Srfal^rung nid^t
gemacht, fonbern fid^ in feiner (Sttpartung geirrt ptte" *).
iRid^td befto tt)eniger l^at Sat)ater in ber nad^gelaffenen
@d(|rift bie Srl^örung ber lebete um äugere ©üter aU bie regele
mäßige $robe ber t)on il^m t)orgefc^riebenen ©emeinfd^aft beiS
@läubigen mit Sl^riftud bcm SlUmäd^tigen aufredet erl^alten.
S)iefe 3lnn)eifung ift, tt)ie gcfagt, im Greife beS ^ietiämu^ eine
üoQe Steuerung. Sluf @ebet^er^örungen ^aben freitid^ t)on jel^er
aWenfd)en ber üerfd^iebenften religiöfen 8lid§tungen gead^tet. Aber
gerabe fold^e @)ebete, tt)ie £at)ater meint, tt)erben t)on Sobenfte^n
(©. 171) unb a;erftcegen (©. 477) birect tjerbotcn. S)a^ ift aud^
nic^t btod aU eine ^^olgerung au^ il^rem Duietidmud ju Der«
fielen. SBicImc^r ift ber contemplatiüe SSerlel^r mit bem ^errn
Sefu^ igcfprilnglid^ unb in aQen bidl^er erörterten fällen burd^:^
aud nid^t auf bie Don Saüater empfol^Iene Kombination ange«
legt. S)enn biefe 9Äetl^obe ift für SKönd^e unb SRonnen beftimmt,
meldte frei finb Don ben ©orgen ber SBelt unb ben S33ed§felfäIIen
beS £eben^ (@. 41), alfo au^ feinen @runb tjabcn, il^re lebete
auf ein ©ebiet ju rid^tcn, meld^e^ für fie nid^t ba ift 35er ©e*
grünber biefer 9)tetl^obe ift au^ meit baDon entfernt, ben ^erm
Sefud, in beffen 93er!el)r er bie ÜTlönd^e- einführt , jugleid^ aU
©ubject pl^^fifd^er SQmad^t in Slnfpruc^ 5U nel^men. 3!)enn bad
®cbiet ber (jrlöfung, in mclc^ed jener SSerfc^t fällt, ftuft SBern«
l^arb gegen bad ®ebiet ber ©d^öpfung gerabe ganj beftimmt ab;
in biefem wirft ©Ott frei unb allmäd^tig, in jenem nid()t (©. 52).
3)e^^alb red^net er in bem SSerfel^r mit bem fid^ emiebrigenben
©Ott, ber in Siebe ben ©laubigen na^e tritt, nur auf bie SKit^
1) %. a. o. IL e. 52.
520
t^eilung geiftiger ®üter. Unb inbem fämmtlid^ ^etiftcn, tpelc^c
bi^^cr tjorgcfommen finb, in bcr (Srncucrunfl ber SDtet^obe Sern*
l^arb'd auä) t)on ber SBelt unb ben @orgen um tDeltltc^e @fiter
fid^ Q6tt)enbcn, Derj^id^ten fie gerobe barauf, fie bur(^ Sittgebete
)u erreid^en. 3n ben adfetifd^en Slnmeifungen fommt ntc^td bet
SIrt t)or, unb @icco Xjaben j. S. ift immer nur überrofc^t koor^
ben bur(^ groben göttlid^er ^filfe, er ffat aber nid^t um befon^
bere unb ouffaHenbe SrtDetfungen berfelben gebetet. Silfo Satxi==^
ter'i^ $tetidmug unterfd^eibct fid^ t)on ben bi^^er üorgefommen
Qut^entifc^en ^fd^einungen beffclben einmal baburc^, bag er be
bem @enuffe S^rtfti üorau^jufd^idenben Stnbrud ber Slt^tigfet
nid^t fennt, ferner baburd^, bag er bie ©cmeinfd^aft mit S^riftu
gerabe jur Sc{)QUptung ber (Stellung in ber SBelt tienuenbet
Sener SJJangcl unb biefe 3"^^^^ fd^einen fi^ oud^ ju entfprec^en
Snbeffen lägt fid^ nid^t leugnen, SaDQter l^at in bemjentgen, toast
bie ©ebct^er^örung Iciften foQ, ein tt)efentlic^ed (Element be^s^-S
©^riftentöum^ ergriffen, unb jttjar in bcr {Richtung b©^ ^rote=^^
ftonti^mud. 3!)cnn nad^ proteftantifd^er Huffaffung leitet bi^ ^^
aSerfö^nung mit @ott burd^ ß^riftu^ unb bie ©otfc^aft üoir-^ni
Sieid^c ®ottcö jur Sel^crrfd^ung ber SBelt an. Satjater l^at borir:«' -^
ganj red^t, bag bcr ©laube, ttjenn er e^t ift, ©erge Derfefet. ^v:m^^b\
Äat^olici^muö ift biefcr ®cbanfe öcrf droben, ^ier übernimmt bi^-5^i^
Äird^e alg bie afled^t^onftalt bie Sel^errfd^ung ber SBelt, hx^pauMm»
firt aber icben ©injelncn baüon, inbem fie ben t)oQ|t&nbigei^^=n
ß^riften junäd^ft bie ©ntfagung tjon bcr SBelt öorfd^reibt , unlC:^^^
eg il^nen weiterhin überlägt, burd^ bie ßontemplation be« $crn^""=«^
Sefud unb bie m^ftifc^e Einigung mit i^m über ber SEBelt ^mr^S^
f^meben. SEBcil biefe Slnttjeifung cd^t fat^olifc^ ift, ift i^rc 61 -* ^^"^
neuerung im 5ßictiömuö eben eine SSerfüriung bed ^roteftantiö^^-i^
mujf. ©ollte nun aber Üaüater barin Siecht l^aben , ba% gerab<^ ->bc
biefe SKct^obe, wcld^er bie SBerjid^tleiftung auf bie SBelt, oxm^^-^^^
bie (Stellung in i^r unb ben ®cnug it)rer @üter eingeboren ifürT^^ft
bie geeignete ©runblagc bafür fei, bag man burd^ @ebet unr:^"^^"^
ffir^örung beffclben bie SBelt bc^errfd^c? 35iefe Kombination if^ 5" ^ft
ebenfo gctealtfam *) mie fie neu ift, unb fie ift nid^t überjeugent:^ '•^z
1) fie^rreH ifl in biejer ^Bejic^ung, bafe aioei ^Inl^änger ßatwtet'B, Stol^^
unb ^Sfeü, betbe geborene Sd^ioetger unb $rebtger in 8temen, über bei^^
tRid^teintreffen ber k)on Saoater borgef^riebenen $robe M (S^riflent^umB in bi^^
/
521
■
totnn man bie öcbingungen ber contcmplntiüen ÜKetl^obc feit
i^rcm Scginnc Icnnt. gfir Satjatcr ift eg aud^ nur bcöljalb
möglici^ getocfcn, biefe Kombination ju bilbcn, weil er al§ $ietift
Don oHcr orbentUc^en Ueberliefcrung Derlaffen ift. @r lennt
fclbft nid^t bcn gaben, ber i^n mit ben gleid^artigen SBorgän*
gern bcrbinbct; er ^ält fid^ für originell, unb meint nur ber
93i6el JU berbanfcn, toa^ i{)m aU baS alte @t)angelium erfc^eint.
Snbeffcn ift e« eben bocft bie eine §älfte ber überlieferten 8lid^*
tung, mit »cld^er er bann feine neue äufftellung öerbunben l^at.
Äe^nli^ fte^t eö bamit ^), bag er „na^e entfd^eibcnbc (Jpoc^en
ertoartet, wogegen bie {Reformation ein Äinberfpicl war." @ben:=
fo fragt er einmal: „Äönnte c^ ni^t in ©otteö $lane liegen,
eine neue (Spod^e feiner unmittelbaren Offenbarungen anjuba^::
ncn?" S)aö bejeic^nct ja bie ©rmartung ber t)crrli^en S^ti^^ft
ber Äird^e, Welche bem ^ietigmuö eigen ift; aber Saüater'g "ILn^^
brud biefer Hoffnung ift ebenfo unbeutlid^, wie im anbern gaUe
bie il^n leitenbe Ueberlieferung unt)olIftänbig war.
Saöater'g Kombination ber ©ebetöer^rung unb beö intimen
Umgang^ mit bem ^crjen^freunb ©^riftug ift eine Steuerung,
bie Don bem Doraudgegangenen ^ietidmud weit abfte^t. yiid^t^
befto weniger ^at fie fi^ bei bcn 5ßietiften empfol^len; fie ift bei
i^nen SJtobe geworben. Unb fie ^at eben eine eigent^umlid^e
8crweltlic^ung in biefem Äreife herbeigeführt. 3d^ nieine bamit
junädbft ben Umftanb, bag ber ^ieti^muiS, in weld^em man auf
Sr^örung Don @ebeten um weltlid^e @üter au^gel^t, bcn urfprüng-
lid^cn SBorbilbern ber 3lbfc^r üon ber SEBclt unb ber ©elbftüer=
leugnung nnäl^nlid) geworben ift. Slber bie SSerweltlid^ung ift
au^ noc^ in anberer 3)cjie^ung ju Derfte^en. iRämlid^ alle ®u
fa^rungcn göttlid^er SSorfel^ung, erbetene wie nid^t erbetene, finb
nur für benjenigen ba, bcn fie angeben. !£)ie eigent^ümlic^e
Ueberjeugung, in wcld^er biefe (Erfahrungen eüibcnt finb, lann
fein anberer 3Jicnfd) Don i^nen gewinnen *). 35egt)alb eignen
\xd) ©ebctöer^örungcn, bie ffiiner erfabren t)at, gar nid^t jur
fc^ranfenlofen ÜJlitt^eilung an Slnbere; wer Dielme^r S^rfurd^t
Vttffiftrung abfielen, ^l ^. k). b. ®o(^, t^ontaS lEBigenmann (®otl^Q 1859)
1. Tini S. 193 ff.
1) tBet (&tlitx a. a. O. 6. 105. 106.
2) Sgl. bte übereinftimmenbe drflftrung ber S^urman oben 6. 239.
A
522
t)or @ott unb @c^eu \)ox bcm ^eiligen bcft^t, tDtrb folc^c Sr^
fal^runcien bent öffentlichen ®ercbe entjie^cn. Sd ift alfo $ro«
fanation bed ^eiligen, menn man umgefel^rt Derföl^rt, n^enn mait
fold^e Erfahrungen fpcciellcr SBorfet)ung @ottc^, anftatt fic im
ajcrborgenen mit S)anf an ®ott ju begleiten, toic (Srfenntniffe
t)on angemeiner Slrt unb finnenfälliger SDibenj t)eröffentltd^t,
unb alg Strgumente filr ben ^etoetd religiöfer äBal^r^cit ja
SJJarfte trogt. 2)iefen 3^8 ^^^ SertDeltlid^ung l^at SaDatcr beni
$ictti8mu^ einverleibt.
ffig ift ein großer äbftanb, »eld^er Saöatcr Don ^^crftccgen,
ein no^ weit größerer, »clever i^n Don &t trennt. SRai
lönnte bemgemäß fragen, ob Saöater in biefelbc Steige mit i^ncn,
ober nid^t vielmehr an bie ©pi^e beS f^nfretiftifd^en $ietidmuS ii
19. 3a^rt)unbert ju ftetlen fei, ttJeld^cr junad^ft gegen bie 3^9^= ^'
^örigfeit jur reformirten ober jur lut^erifd^en ^r^e gleic^gulti^p 9
toar, außerbcm aber üon ben (Snglänbem gelernt l^at, bie ^err ^=2^
lid^e 3wfunft ber ^ixä)t birect ju Dernjirflidöen , unb auS htw ^t
beutf^en Siomantif bie 3ut3crfic^t gewonnen ^at, bcr öor^crr^ '■^:^*
f^cnben äuftlörung mirffam entgegenjutreten. SBa« ift benn ar^ n
SaDater'g grömmigleit nod^ reformirt ober fpecieü jtoinglianif^? bc^ ^^
er ed für apoftolifdje gunbamentaHe^re erflärt, baßffi^riftuö irÄ'^tt
feinen Staum cingefc^loffen, unb an feinen Ort gebunben t|
Unb ^at er nid^t mit feinen @runbfä^en ebenfo gut auf Sutl^era^
ner tt)ie auf 9ficformirte gcwirft? SSenn nun bicfe SBemerfunger
eine anbcre 35igpofition beö ©toffe^ nal^e ju legen fc^cincn, ^(m^\^
müßten bicfelben au^ bie ©teÜung t3on lerfteegcn unfic^er^^f
madöen. SMefcr SDiann ift fd)on ebenfo gleichgültig gegen bi^-^^^^
©onfeffionöunterfc^iebe, ^at ebenfo über bie ©renje ber rcformir- ^^^ -^'
ten Äird^e ^inau5 ©influß geübt, unb ift jugleic^ nid^t mc^w' C^^
Dotlftänbig rect)tgläubig, ba er bie ^ßräbeftinationSle^rc aufgcge^^^^/
ben ^at. Snbeffen vertreten boc^ beibe 9)tänner ben ^ieti^mus
in ber reformirten Äirc^e, unb unter biefem litcl btcnen fii
jumSemeife bafür, baß ba^ caluiniftifd^e 93efenntniß in ^eutfd§
tanb burd^ ben 5ßietiömuö jerfegt tt)orben ift, inbem bcrfclbc bei
caltjiniftifdjen ©itte urfprünglid^ jur ©tü^e biencn tooQte, unl
il^r immer treu geblieben ift. ?lm SRiebcrr^ein ftat Sampc'd (Siu:-^
fluß noc^ biö in biefeö 3of|r^unbert bie ^räbeftinationSlel^re
aufrecht erljalten, aber nid^t o^ne ba^ bebeuteube ©cgengen^tc^t
ber ©d^ule Don @^ollenbu)d^. . @^ ift eine bemerfendwert^e %tyiU
523
fad^c, bafe, atö ber f^nfrctiftifd^c ^iettömuö in S)cutfd^lanb pd^
ttjicbcr auf bie confcffioncQen SBefünbcrt)eitcn bcfann unb QkU
lung ju benfclbcn ju ncl^men bcfc^log, btcfe @ntfc^eibung nid^t
ber calöiniftifci^en Ort^obojic ju ®ute gctommcn ift. 5)icfc 8lüd^
fid^t lägt c^ ab jiDedmägig crfc^etnen, bog btc äußere Slnge^ö^
riflieit jur reformirtcn Äirdfte bie ©ruppirung bcg noc^ übrigen
©toffc^ beftimmc. S33aö baüon über ben Mammen ber rcformirten
Jtir^e hinübergreift unb juglei^ in bie f^nfretiftif^c ©eftalt bc^
^ieti^mu« im 19. 3a^rf)unbcrt einjured^nen ift, toirb an feinem
Drtc recapitulirt werben lönnen.
23. ^etnrii^ 3;uug^@ttmng.
tiefer SKann *) [tel^t in ber näc^ften SBerttjanbtfd^aft mit
Saüatcr. Snbeffen ift er, wie er felbft bejeugt, im ^ietiSmud er^
jogen morben. ©ein SSater, in beffen gamilie calöiniftifd^c ffiin=
fad^^eit be§ Scbcnd überliefert »ar, begab fid§ in ber Irouer
über ben frühen SBerluft feiner grau in ben» SBerfet)r mit einer
©cfellfd^aft t)on frommen, bie fid^ in ber SRöbe feinet SBo^U:^
orted angefiebelt Ratten. 3Bie aud bed ©ol^neiS ,,Sebendgef($id^te"
^cröorge^t, l^abcn fie ben ©runbfa^ ber 9lad^at)mung S^riftt in
bcm SBeriid^t auf bie SBelt unb in ber Uebung ber SBiüenlofig*
fett geltenb gemalt; [ie tüaren alfo quietiftifd^e aW^ftifer. Unter
bem 6influ§ biefer SKet^obe tt)urbc ©tilling t)on feinem SSater
crjogen unb big in fein 14. Seben^ja^r in tJoHfter Sutüdgejogcn*
l^eit gel^altcn. ©eine lebhafte (ginbilbnngöfraft fanb il^re 3laf)^
rung t^eitö an ben ©agen öon ber fd^önen ÜRelufine unb ber-
glcid^en, tl^eiU an Sici^ ^iftorie ber SBiebergeborenen unb ®ott*
trieb ärnolb'ö ©d^riften. SlHc biefe ©toffe t)at er in feinem
1) (»eboren au (Srunb im gürftent^um 5«aifau»©icflen 12. Sept. 1740,
?lrjt in dlberfelb 1772; iproffifor an ber i^amcralJcSulc ju i!oi|er8tautern 1778,
ju ^eibclbcrg 1784; ^rofcjfor on ber Unimptai ÜKarburfl 1787; tritt in ben
Dtenfl beS ^rog^ersogS Staxi Sfriebri^ k)on 9aben 1803, geftorben in Statin»
xvi%t 2. 91pril 1817. — Seine fSmmtli^en 64tiften finb in 18 ^Snben neb{t
einem dtgSnaunglbonb erfd^ienen Stuttgart 1835—38.
524
Scbcn nic^t ücrgcffcn. Dtcfe jtpcifeitigc Sectürc bci^ Änabcti ifcr tt
nun tjorbilblic^ für bic ©tcHung, ttjcld^c nad^ftcr bcr SRann bc= ^^'
Rauptet f)at ffir ift nämlic^ ber Srfte, auf ipclc^n bic (£l)arQl=-'^'
terifttt bcd inobcrnen 5ßicttömu§ burd^ a;^oIud') Äntocnbunj^^fl
finbct, bafe er bag ßontjcntifclgcmanb mit bcm @efcnfdE)aftöcoftün»-»ni
öcrtauf^t ^abc. ©d^ou ßaüoter liat fic^ in bicfcr Äiditung bc«= =^
»cgt; inbcffcn fein geiftlid)er ©tanb lägt bic bcjcid^nctc 8Serän=:«^
berung ttjcniger beuttic^ crfcnncn. ©tiHing ift nid^t nur wcltli= -Ä-
d^cn ©tanbeö gemefen, fonbern Don 3ugenb auf l^abcn feinem Jic
mannigfach mcd^felnben ©d^idEfalc i^n mit Dielfeitiger SBelterfal^« C3*
rung unb mit Sntercffe an allem SRöglidjcn au^erflftet. Siö iiw -«■ n
fein breißigftcg ficbcnöjal^r ftanb er nun im 3wfammen^anfl mifc" i'it
bcm ^ietisfmu^ unb feinen Sonöentitetn im SBergifd^en SJanbc. -=^c.
ai« er aber barauf fic^ entfc^loffen ^atte, SRcbicin ju ftubircn.
getoann er in Strasburg bie 3;i^eilnat)me an ber Sctpcgung b(
beutfc^en ßitcratur unb t^rem ^umanität^ibeal, unb hiermit er«^
fd^loJ5 fid§ i^m ein ©efid^töfrei^, melier üon bem 3ntcreffc feine»' -=ä^
biÄ^erigen ©cnoffen weit ablag, ©ein Antritt ber ärjtlic^ir:^ "^^
^rajid in ©Iberfelb ferner nöt^igte i^n, in tücltförmigcr (5rf c6ei«= -i"^^'
nung, mit 5ßerfidEc unb ^aarbeutel, mit J^afe unb ^anblraufeir« ^^|^
aufjutretcn; barum aber jogen fid^ bie früfjcren greunbc, bi^i"^^^
i^n, tt)ie er fagt, ej^emalö alö @ngel ©otteg empfinflcn, uon i^wrrmrö^
jurfid; unb ba er feine i^rcr SScrfammlungen me^r befud^te, fucpT ^^
ad^tcten fie if)n für einen Slbtrttnnigen, übten il^r ©eri^t avr^^^^^
il^m unb Derläumbeten i^n.
3)iefe eottifion ift ber Stniafe baju, baß ©tilling wicber^o»! ^^ ^
bie ©cfammtcrfc^einung be^ $ictiömuö ungünftig beurtl^cilt. (far^^ ®
rügt ^auptfäd^tic^ bie Sntoleranj, bic in i^m gepflegt wirb, fagfcß^^-
aber aud^ in feiner Seben^befd^rcibung ganj unumwunben, ha^^^^^
bie $ietiften bcn ©d^ilb ber Sieligion unb ©ottc^furc^t auS^n*-^^^*^^
gen unb bann boc^ nic^t tl^un, was i^nen Sicligion unb ®otte^'&^^'^
furcht gebieten. 3nbeffcn nid^t nur na^m er Don biefcn Urt^ci^-t'^^^^'
Icn bie 9ficd)tf^affenen unb Slufrid^tigcn immer auÄ, fonbcnr^'^'^-''
feine Ueberjeugung öom ßl^riftent^um entfernte fid^ fcinötoeflcSt^^ ^
Don bem ©oben, bcn ber ?ßictiSmu§ behauptet, unb feine rcli9iöfc>^ .^
©d^riftftellerci ri^tcte fid^ wefentlic^ an fold^c Scfcr, bie ii
^ieti^muS ftanben. 9lur war er barauf bebac^t, ebenfo wi(
1) ^er)og Seealenct^flopäbte XI. 8. 662.
/
525
Saöatcr baö J^umanitätSftrcbcn bc§ 3^'^^^^^^ ^i* K^cr Muffaf:?
fung be^ S^rtftent^um^ ju üerbinben, unb biefc burc^ jencd ju
m&gigen. 3n ber @ttmmunc) beS ©egenfa^e^ jt^m ^iett^mud
^ttc ©tining in ben „©'ccncn auö bcm ©cifterrcid^c" (1798),
einem d^riftlid^en ©cgcnftüdE p ßucian'ö S^obtcngefpräd^en , unter
bem litel „bie $ictiftcn" flcfdöilbert , wie SScrtrcter biefcr 9fii^«
tung nad^ i()rem Xobe über t^r ©d^idfot unb bad ber Slnberen
enttäufd^t werben. Slnftatt felbft ju ber erwarteten ©cligfeit ju
gelangen, finben fte, bag btefetbe fold^en j)u X^eil wirb, benen
jie fie abgcfproc^en t)aben. Sin bicfcm 2;itel aber l^attcn fid^
M^k red^tfd^affene unb ^riftUd^e Sefer" geärgert. Um alfo fie
}U begütigen, fe^te ©tiQing in ber jweiten ?luögnbe (1799) ben
5Eitel: „5)ie ^riftlid^en ^^arifäer", unb fpra^ fic^ in feiner
geitf^rift „S)er graue ÜKann" über ben erften iitel unb feine
SKeinung nä^cr aug *). (Sr unterfd^ieb nämlid^ jwifc^en wal^rcn
unb falfd^en ^ietiften. ®r erinnerte baran, bag er felbft im
$tetiiSmud erjogen fei unb bemfelben nod^ immer angel^öre. Sr
befennt ferner, bag bie ^ietiften baö SSolf be^ ^erm, ba§ ©alj
ber (Srbc unb baS geiftlid^c Sfract feien, allein burd^ biefe gu*
geftänbniffe finbet er fid^ berechtigt, aud^ bie j^ef^Ux ^u bejetc^*
nen, an welchen bie @efellfc^aft leibet. Sr nennt als fol^e ben
frömmelnben Slnftanb in Äleibern, SWienen unb (SJcbcrben, baß
man j. S. auf altfränfifd^e ^leibung unb bergleid^en ©ewid^t
legt, femer ben ©cbraud^ öon ftel^enben Slu^brüden, bie man
atö fpecififd^e 2)2 erf male öon grömmigleit gcltenb mad^t, Weiter
bie ©d^ä^ung ber Sonüentitel ate eincig wefentlic^en öeftanb»
t^eite be^ (S^riftentl^um«, enblic^ bag ©plitterrid^tcn, weld^eiS ber
Dedmantel Don nid^t überwunbener (Eigenliebe ift. Unb er fügt
^inju: „©laubet mir, eS giebt Dortrefflid^e unb @ott t^eure unb
wert^e ©eelen unter benen, bie i^r für S33eltmenfd§en galtet.
Diefc ©eelen wiffen felbft nid^t, baß fie ben wal^ren SBu^^
@laubend:' unb SSerleugnung^weg gelten unb gegangen finb, weil
ed il^nen SRiemanb fagte; gerabe fo, wie ein fe^r vernünftiger
aber ungele^rter 3Rann l^errlid^ urt^eilt, ob er gleid^ bie logi^
fc^en Siegeln, nac^ benen er urt^eilt, nic^t benennen lann.**
Dtefe (Erflärungen finb fel^r merfwürbig. 35er Icftte SBergleid^
ift freiließ nid^t burc^aud treffenb; aber bie ©efinnung, weld^e
1) SBerfe tBanb YII. 6. 106 ff. 482.
526
in biefer 9tnerfennung Don proteftanttfd^er fides implicita laut
mtrb, gehört ebenfo gctt)i§ ju bcr Humanität unb Xolcranj bed
18. Sci^r^unbert^, ald fic im $icttömua feine SBurjeln ^at. 3n
ben 9iügen, tt^cld^e @tiQtng bemfelben crtl^eilt, erfc^eint biefelbe
9itd^tung auf mcttförmige ^rei^eit ber @ttte unb l^umane 3ud)t
über fid^ felbft. 8[IIetn baburd^ mirb nid^t auiSgefd^toffen , bag
©tiQing für feine ^erfon ben SBoben be« ^ieti^mu« fcft^It unt>
ben burd) Stufflärung unb franjöfifd^e 9iet)olution bebrütten 3e«^
ftanb ber c^rifttid^en 9fieIigion an if)n gebunben a^tet ^ncn
$ietiften nomlic^ rü^mt er nad), bag fie barum grunbgut un
gebeffert finb, n)eil fie ben praftif^en ©(ouben ^egen an b
natürlid^e SSerberben ber gefammten SKenfd^^eit, an bie lErtöfun
burd^ bad Seiben bed menfd)gen)orbenen @o^neiS @otted, an beffe
9iegierung bcr SBelt unb an bie ^efe^rung unb Heiligung
bugfertigen ©ünberd burd^ ben l^eiligen ©eift. 3!)er ^tetidmu
bot if)m ferner bie interconfeffioneUe ^Neutralität bar, in toclc^e
bie aQgcmcine SSereinigung ber magren S^riften junac^ft in b
gorm ber perfönlid^en g^eunbfc^aft erreid^t tourbc, um ban
burd^ bie nafic beuorfte^enbe SSoQenbung ber ^rc^c legitimiit j
»erben, „^d) xoxü, fagt er, Weber Salüinift, noc^ ^crrn^uter»
no^ 5ßietift feigen; bag SlHeö ftinit nad^ bcm ©ectcngeifl; i
befenne mic^ allein ju ber fic^re 3efu unb feiner äpoftel, unt^' b
trage babei jum Unterfd^iebe ber öerf^iebenen politifc^ fcftflefc^ ^^^
im SieligionögefeHfd^aften bie Uniform ber eoangclifc^^rcformirteir-^cn
Siird^c, big eiS bann enblid^ ju ben »eigen Äleibcru fornrnt*"*""'
(Äpof. 7, 14). ©eine perf online religiöfe Uebcrjeugung ift aller- ^^'
bingö nic^t in bem ©inne pietiftifc^, tt)ie bie t)on ßampc. 85or -n
bem ©efü^l ber Slid^tigleit giebt er feine Äunbe, unb bcr järt=.==-'
lic^e Umgang mit bem Bräutigam befd^äftigt il^n nic^t. @tin^^
Seligion oerläuft melmc^r in einem fe^r jugefpi^ten Sorfe^ung^^
glauben, ©erfelbe unterfi^cibet fid§ aber oon bem gleid^en 3ntcr=
effe ber Slufflärung burd^ ben Untergrunb bed Duietidmu^, irr
ben ©tiQing in feiner Sugenb eingefül^rt »orben toar, unb burc^
bie SSorauöfe^ung ber oben ermähnten 35ogmen.
©tiQingd Seben^befd^reibung ift, mit Sludnal^me ber Sugenb«
gefd^id)te, eine fe^r tenbentiöfe Urfunbe feiner perfönlic^en Uebe^
jeugung. ©ie foQ Sebermann ju ber Slnerfennung ndt^igctt,
bag @ott ben äJ!ann burd^ aQe Abwege »ie 3^if4^^f^fen ^in^
burd^ iu feiner Seftimmuug als religiöfer ©c^riftfieUer geführt
527
fyibt, ol^nc baj5 bcrfclbc im SBorau^ ftd^ felbft baju bcfttmmt
pttc, tjielmcl^r fo, bng er nur immer ia§ burd^ ?lnbcrc fid^ f)at
abflctoinnen laffcn, xoa^ feiner Seftimmung flemäg war. ffibcn
bic SBillentofigleit, in welcher ©tilling fid^ ben SEBcnbungen feinet
Sc^idfatö anbequemte, galt i^m ald bie $robe ber @öttlid^feit
ber gügungen, bie i^m mieber^olt neue gdber feiner S^l^atigleit
öffneten. 3n früher Sugenb toax er abwec^felnb jmifd^en ©c^nei^
berci unb ©d^ulmeifterei l^in unb l^er geworfen morben. aiö er
nun mit Aufopferung feiner SBilbung^intcreffen fic^ cntfdjloffen
l^atte, bei bem ^anbwerl ju bleiben, tt)irb er burd^ einen ?inbern
faft gejttjungen, jur Sel^rtl^ätigfeit jurüdjufc^ren. 3n feiner
©teHung al« ^auöle^rer wirb er juglei^ in ^anbcl unb Snbu^
ftric eingeweiht ©ein ^ßrincipal eröffnet i^m fd^Iieglic^, ba§ er
jum ©tubium ber üRebicin beftimmt fei, unb er ift fogleic^ ba*
t)on überjeugt. Sltö er aber in ber ärjtli^en ^rajrid nid^t Sr^
folg l^Qt, mad^t i^m ein anberer @önner feine Seftimmung jur
giationalötonomie flar. Snblic^, aU feine Se^rtptigfeit in bie*
fem gad^e x\)n nid^t me^r befriebigt unb er fi^ banac^ fel^nt,
[xd) blo« ber religiöfen ©d^riftfteüerei ju tt)ibmen, öffnet i^m ber
©rofe^erjog öon Saben biefc^ gelb feiner cigent^ümlic^ften Se*
ftimmung burd^ @ott. gmifc^en biefe großen güge ber SBorfet)ung
@otted über fein £eben finb nun aber bie jo^lreic^en gölle t)on
erbetener unb ni^t erbetener ^ülfe @otte^ in ber Sefriebigung
bringenber 9la^rung^forgen unb Tilgung brudenber @elbfd^ulben
Dcrfloc^ten, I^atfad^en, bie um fo fd^logcnber finb, alö bie uner*»
ttHirtcten ©efd^enfe jmeimal auf geller unb ?ßfennig ben ©c^ulb*:
fummen entfprad^en, meldte i^re Säeja^lung erwarteten, ätö
©tiüing feine le^te SBeftimmung errei^t ^atte, rcfumirt <r feinen
SeweiiS ba^in, man fönne nid^t me^r fagen, fein SSertrauen auf
3efum ©^riftum unb feine SBeltregierung fei ©d^wärmerei unb
«berglaube. „3m ©cgent^eil, ber örlöfer ^at fid^ felbft unb
ben @lauben feined Sned^ted i)errlid^ unb augenfd^einlid^ legitim
mirt, unb jum Seweii^, ba§ il^m ©tiQing'^ Sntfc^lug mo^lgc«
fällig fei, gab er i^m nod^ folgenbed ^errlic^e 3^ici^^n feinet
gttäbigen SBeifaHö." Slämlic^ eine feiner SScre^rcrinnen in ber
gerne ffil^lt fid^ angetrieben, i^m ^unbert X^aler ju fd^icfen, bie
er jum Umjug Don ajlarburg nad^ ^eibelberg gerabe gebraud^en
fannl
3n feiner Sebendgefc^ic^te befennt ©tiUing wieber^olt, ha%
528
bcr ßeid^tfinn ein üorl^errfcfienbcr S^arattcrfe^Ier in i^m fei, je*
bod^ öcrfte^t er bie göttliche SSorfe^uncj über iljm fo, bafe bicfclbc
i^n t)on btefem |$e()[cr ju reinigen unternommen f)abt. (Er be^
fennt inö öefonbcre, ba§, al^ er feine SSerlobung mit einem 1^^^
ftcrif^'franfen SKäbd^en, trofebem bcibe aller 3Rittel jur bürgcr»
liefen (Sjiftenj entbehrten, für göttlid^e gügung anfa^, er fic^
fc^joer geirrt ^abe; benn folc^er ©d^ritt erforbcrc genaue lieber-
legung. StQein mie in biefem ^aüt, fo fann man auc^ in Dielen
anberen ©ntfc^eibungen ©tilling'ö feinen SJorfe^ungöglaubcn öon
feinem Seid^tfinn faum unterfc^eiben. 3m SJertrauen auf ^bic
fiaffc ber SSorfc^ung" , b. tj. auf bie unerwarteten, aber ju rec^*
ter Qdt cintreffenben ©efd^enfc bergreunbe, ^at er fic^ niemaU
gefc^eut, feinen §au^ftanb immer wieber mit ©d^ulben jju be-
laften. @tilling ^at fid^ Riebet niemals ftar gemacht, n)aS bar«
au^ entfte^en tt)ürbe, tt)enn aHe SWenfc^en fic^ auf folc^en SBor*
fe^ungöglauben einrichteten. 8tn bem bann eintretcnben inbirec*
ten (lommuni^mud mügte bie menfd^lid)e ©efeUfc^aft aUbalb ju
©runbe ge^en. Slber fo Ijot er eö aud^ gar nid^t gemeint. 3)er
JBorfe^ung^glaube in feinem ©inne foHte gar nic^t allgemein
gültig fein unb alö bie JRegel ber Religion für SlHe Derftanben
toerben. ®r meinte i^n, ä^nlid^ mie Siababie, atö eine au^jeic^^
nung feiner 5ßerfon. S)urcö i^n glaubte er fic^ ju ber aflollc b&i
5ßropl^eten ju eignen, in welcher it|m feine lefete unb p^fte SBe*
ftimmung burc^ ®ott aufgegangen tt)ar. S)iefe ©d^äftung feiner
5ßcrfon ^at aber i^rc SBurjeln in bem ?ßieti^mu^, beffen Sn^än-
ger immer auf eine fpcciellc Slnge^örigfeit ju @ott ober bem
^errn Sefuö bebaut finb, ttjeld^e nid^t Scbem jufommt. ©o
mic ©tiüing fid) biefen ©ebanfen formulirt ^at, trifft er jiemlic^
genau mit feinem ßeitgenoffcn Saüater jufammen. S)ie lieber
jeugung nämli^, in tt)elc^er er bei feinem Slufentl^alt in ©trafen
bürg fid^ gegen bie bamatö uernommenen @inmenbungen gegen
bag S^riftent^um entfd)ieben f)at, jprid^t er in folgenbcn ©a|en
aug: „derjenige, ber augenfc^einlid) baö ®ebet ber SRcnfc^en er*
prt unb i^rc ©d^idEfale munberbar unb fic^tbar lenlt, mu§
mafirer @)ott unb feine Se^re @otted SBort fein. 9lun ^abe id)
üon je^er 3efum S^riftum al3 meinen @ott bere^rt unb ange«
betet; er ^at mic^ in meinen 5Röt^en erhört unb mir ttjunberbar
beigeftanben. S^^lfl'i^ ift Scfuö ß^riftu^ tt)a^rer ®ott, feine
Se^re ift ©otteö SEBort unb feine Religion bie ma^re-" S)icfc
529
freie Uebereinfttmmung mit fiQt)Qter ift auc^ ber ®runb bet
^o^en 93erel^rung, tueld^e ©tiding bemfelben getoibmet f)at S)em«
gemäg liegt bie (Sonftatirung t)on @ebetSet^örungen i^m eben^^
faHg am ^erjen. 5Rur tjerftc^t er [xd) ju Saöatcr'i^ 2:^corie öon
benfelben nic^t o^ne Sinfd^ranfung. Stamlid^ einmal gefte^t er
offen ju, bag nid^t jebed ®thtt erhört mirb burd^ ©emäl^rung
bed erbetenen @uted, inbeffen motiDirt er bie Slufforberung }um
99eten baburc^, bag bemfelben irgenb ein @egenderfo(g immer
fidler ift. ^nbererfeitS behauptet er gegen Saüater, bag ber
tt)a^re ®(aube nid^t e^cr um ein beftimmte^ @ut bittet, atö
@ott felbft i^n baju anregt, unb fo bie Ucbereinftimmung folc^en
@cbcted mit feiner 93orfef)ung gemd^rleiftet. ^a^ ift ein bem
t)origen @ebanfen entgegengefc^ter @efic^tspunlt. 9loc^ weiter
aber entfernt ftd^ ©tilling Don bief en Srf lärungen , inbem er iu-
le^t auf bie quietiftifd^e Siegel ber (Srgebung in @otteiS SBiUen
unb bed SSerji^teS auf bie 93ittc um beftimmte ©aben ®otted
t)inaudfommt ^). @o n^enig alfo ftimmen bie am meiften Der^
tDanbten Wl&nnct auf biefem fünfte überein! Ueber einen &f)n^
liefen 3^9 pietiftifd^er ^rt urtf)eilt ©tiUing ebenfaUS umfic^tig
genug. Sd^ nieine bad „35äumcln", baö Drafelfud^en in ber
SBibel burd^ iufäQiged Sluffd^lagen berfelben. Sßann biefe ®c^
mo^n^eit aufgefommen ift, unb ob biefelbe pietiftifc^er ^erfunft
ift ober nid^t vermag ic^ nid^t ju Derrat^cn. 3n ber bid^erigen
®efd^id)te bci^ ^ieti^mud ift bad SJerfal^ren nod§ nid^t Dorgefom«
mcn. ©tilling nun berid^tet, ba§ er bei ber ?lnnä^erung ber
Äricg^efa^r im 3ai&re 1792 einen ©prud^ be^ S^rofte^ in biefer
SBeife gefud^t unb gefunben \)abc. ffir fügt aber ^inju, ba§ bü!^
Suffd^lagen biblifd^er ©prüc^e, um ben SBillen ©otted ober
gar bie ßi^f^nft ju erforfd^cn, aWigbrauc^ ber l^eiligen
©(^rift unb bem ©Triften nid^t erlaubt fei. ?llfo nur Iroft*
fprüc^e barf man burd^ baö 2)äumeln fud^en; aber miebcrum
meint ©tiHing, bag man nid^t Ileinmüt^ig werben barf, wenn
man ba^ ©egent^eil beg ©efud^ten finbc ; benn bie ganje ÜÄe*
t^obe fei un^ nid^t öon @ott ju irgenb einem S'^tdc angeteic:^
fen«). ©tining'8 t^eoretif^ed Ser^alten ju biefen bciben Sieb^
^bereien ber $ietiftcn, @cbet^ert)örungcn ju conftatiren unb in
1) «ttnb VII. 6. 258 ff.
2) «anb I. @. 479.
L 3*
630
bcr Sibcl Drafcl ju fud^cn, entfprid^t bct ©teHunfl, bic er fid&
äum ^ictiömu^ überhaupt gegeben l^ot. (Sr ift an bemfclbcn
ni^t mit öoHer ßi^ftiinniung bct^eiligt, er mad^t gegen »efent*
Ud^e unb unüermeiblid^e Umftänbe unb Folgerungen ber Sid^*
tung feine ftarfen aSorbcl^alte ; aber ttjiebcrum mad^t er fo öiel
wie möglid^ mit, weil er fic^ niemals üon bcr ©runbftimmung
beg ^ieti^mud abgelöft l^at unb i^ugleic^ fic^ nic^t üer^e^Icn
tonn, ba§ feine proVf)etif^e SSäirffamleit boc^ nur in jenem Äreifc
Slnflang finbcn werbe. 6^ giebt ja feine fd^Iagenbere Sronic, aU
bie JBeränbcrung be^ a;itelö ^bie ^ietiften" in ,,bie ^riftlic^cn
^^arifäer" über bcr 14. ©cenc auö bem ©eifterrcid^ ; aber
©tilling fclbft ^at biefe Stonie Weber beabfic^tigt, noc^ ate fol(^c
empfunbcn, ba er juglcid^ ben „majoren" $ictiften bic ©ruber*
Iianb gereid^t ^at, um mit il^nen jufammen fic^ alö bog ©alj
ber ®rbe bcr leibigen Äufflärung entgegeniufc^cn.
S^ ift berfelbc ©egenfa^, in wcld^cn fic^ aud^ fiaüater ge^
fteUt fa^, al^ er barauf brang, bag man fid^ ber Sigcntpmlic^
feit bed Sf)riftcntf)um^ iu Dcrfid^ern ^abe, unb nic^t jugebcn
bürfe, bag baffclbe in eine natürlid^c ÜKoral üerfc^wemmt roerbc.
3)affir war aud^ ©tiöing mit allen feinen Äffecten intcrcfprt.
Unb ^icr ift bcr 5ßunft, wo bcibe üRönner einen ©epc^töfrefe
eröffnen, weld^cr über i^re unmittelbaren Seiftungen ^inaudrcidit
unb aud^ ffir ©old^e maßgebcnb ift, bie nid^t il^rcr bircctcn
©pur folgen. @^ ift fc^on auf bie SBcbeutung bc^ Untcrnel^mcn^
t)on Sauater ^ingewicfcn worben, ba^ (Sigcntpmlic^e ber ^rift-
lid^en Steligion barin ju finbcn, wag ba^ Swige unb ftc^ gleich
Sleibcnbc in Sfiriftu^ ift (©. 512). 3n einer anbern, aber ni^t
weniger wid^tigen ©cjic^ng ^at ©tilling bad 9iid^tige getroffen.
3m Sa^rc 1775, nod^ in ©Ibcrfclb, ^at er feinem ßorn gegen bic
Slufflärung Slu^brudE gegeben in bcr „©d^leuber cineg Wirten-
fnaben gegen ben ^o^nfprec^enben 5ß^iliftcr, ben SJcrfaffcr bc^
©ebalb Slot^anf erg. " 3n ber SSorrebe ju biefer ©c^rift*) er-
flärt er fid^ nun gegen bie fd^on bamalg graffirenbe Slpologetif,
b. i), gegen bie SÄct^obc, in Sicligiongfad^en aug öemünftig fein
foHcnbcn ©runbfä^cn ju bemonftriren. „3ft bie SBcrnunft über
bie Offenbarung, fo ^aben wir fic (bie Offenbarung) nic^t nöt^ig.
3ft aber bic Offenbarung über bie SScrnunft, fo arbeiten bic
1) drgäniunoSbotU) 6. 709 ff.
531
S^^eologcn, toeld^c fic (bie Offenbarung nad^ bcr SScrnunft) rc^^
formiren wollen, gegen @olt unb olfo ium Serberben." S^gleid)
Denvetft er auf bic erfal^rung^mögige Stic^tigfeit bed $(udfprud^e^
S^rtfti, bag biejenigen, meldte ben äBtUen feinet l^tmmlifc^en
SSoter^g tt)un werben, fic^ baüon überführen, ba§ g^rifti Seigre
Don @ott fei. S)enn ba^ ift mirfü^ ber populäre Slu^brud be^
einjigen braud^boren 85ett)eifeg für bie SBa^r^eit bc^ S^riften^
tl^umd. @S ift mo^l nic^t baran ju jmeifetn, bag ber praftifc^e
©inn, ber im ?ßictiömu£; genährt roorben ift, aber eben in ber
SlUgemein^eit, meldte Don ber @pecialität bed $ietiigmud unter-
fc^ieben toerben fann, bie beiben SDlönner auf jene ©efid^t^punltc
ri(^tiger X()eoIogie gefül^rt ^at; aQein ju biefem (Erfolge ^at
weiter ber Umftanb mitgemirft, bag fte burc^ bie Z^eilna^me an
bem ^umanität^ftreben il)red 3^^^^^^^^^^ fic^ ^^n ber @pecialität
bed ißietidmui^ momentan frei machen tonnten.
^a^ eben bejeid^nete SSerbienft ©tilling'iS foQ i^m um fo
me^r angerechnet merben, als er übrigen^ fi^ burc^auS in ben
Salinen beS $ietiSmuS bewegt. SBaS er barin geleiftet l^at, ift
^auptfäd^licf) in ber ßeitfc^rift „ber graue 3Rann" nicbergelegt,
Weld^e er Don 1795 an ^eraudgab. @ie ift bad ^auptorgan ber
rcligiöfen ©d^riftfteüerci, ju welcher er burc^ bie Sßorfe^ung bc*
rufen ju fein glaubte^). S)er graue 9Äann ift Don ©tiHing
fd^on in feinem „§eimme^" (1793), bem ©eitenftüd ju öunpan'S
$ilgeneife, als ber S)irigent beS gefdjilberten Seben^laufeiS einge^
fü^rt roorben. S)iefe gefpcnftifd^e unb allegorifd^e gigur fü^rt
nun in ber ßettfcfirift bad SBort aliS ber ©efanbte ©otteö in ber
gegenwärtigen grift Dor bem (Eintreten bcS taufenbiäl^rigen Sieic^S,
um bie ^eiligen ju fammeln unb bie Slufflärer ju warnen ober
Dorläufig ju Derurt^eilen. ^ag ©tiHing fic^ biefer 3RaiU be^
bient, um feine Belehrungen unb (Entfc^eibungen funb ju geben,
ift beieid^nenb für bie Steigerung feinet prop^etifd^en ©elbftge«
fü^tö. ^ie (Einführung bei^ grauen SJZanneS ift aber jugleid^
red^t bequem für ben ©d)rif tfteUer , um ben Änforbcrungen an
bialeftifd^e unb funftgered^te ^arfteUuug feiner SKeinungen aus-
zuweichen. 3Benn er einmal bicfeS äJerfal^ren einfc^lägt, fo gel^t
t§m fe^r balb ber Slt^em auS, unb bann wirb ber graue älJann
mit feinen unfehlbaren efc^atologifc^en unb anberen {tuffc^lüffen
1) 3n bm ^ftmmili^en Serien SBanb VII. VIII.
532
in ©ccnc gcfc^, um bcm fd^riftftcQcmbcn $rop^ctcn Siuft ju
mad^en. 8Benn man btc 2)arftenunggform @tilltng*d in Setrac^t
}i€^t, fo ift eä f^tt)er t)erftänblicl^, maiS er felbft bejeugt, bag bod
„^cimtocj^"' einen bcifpieHofen ©eifaQ auf bcr flanjen (Srbc er*
tDorben, unb bag biefe^ ^u^, fon)ie bie „©iegeSgefc^ic^te bei
d^riftlic^en Weligion" (ffirflärung ber Offenbarung So^annii^),
bie „@cenen aui^ bem ©eiftcrreic^" unb enbltd^ bcr graue 3Rami
eine @emeinbe Don SSere^rern unb ©efinnung^genoffen für ®üU
Ung gewonnen ^aben, meldte je^t nod^ nid^t au^geftorbcn ift.
3!)er Wann entbel^rt burd^auiS ber fd^öpferifd^en ^^antafte; feine
poetifc^e ^raft ift fo bef^ränft mie mögli^, fd)ematif^, aQego«
rifdö, ©efpenfter erjeugcnb. 35ie ©efpräc^^form, beren er fic^ oft
bebient, ift la^m unb ermäbenb. Sieben feiner meltförmigen
9iebett)eife erf^eint bie @prad)e Kanaans faft reijenb, benn fte
ift bod^ gcmärjt. SlQein biefe^ Sllied ^at feine frommen SSerel^rer
nic^t geftört; benn bcr Sn^alt ber 99üd^er entfprid^t il^ren Sin-
fprfid^en. S)a^ Sntereffe am @e{)eimnig, aud) menn t^ nur in
SlQegorieen befte^t, liegt ben ^ictiften überf)aupt nal^e; jcboc^
i^rer uor^errfc^enben X^ctlnal^mc an bem @c^eimnig ber 3"^
fünft be^ Steic^cd S^rifti ift @tilltng mit befonberer Steb^abeiei
entgegengefommen.
3)ic Hoffnung auf baS Scöorfteticn einer l^errüc^en 3"funft
beö IReid^eg ß^rifti in bcr Äird^e, ttjcld^e ber ?ßieti«Jmui^ be^ 17.
Sa^rl^unbertd t)on Socceju^ übernommen ^atte, toat fc^on längft
nid^t me^r fo nait) geblieben, atö man fie urfprünglic^ gemeint
l^atte. SJitringa ^atte bie grogc Sebrängnig burd^ bie anti^rift«
lic^e ^ad^t Dorgefd^obcn (@. 294), unb auf feiner @pur ^otte
Senget bur^ feine Serec^nung ber 3^iten aud ber ^[poEal^pfe
ermittelt, baß gegen baö 3a^r 1790 ber Äampf bcö «ntic^rift
gegen bie £ir^e beginnen foDtc. S)ag fc^ien burc^ ben ®ang
ber franjöfifd^en Stcuolution beftätigt )u fein. S^ann man ftc^
nic^t DorfteUen, bag StQeS, ma^ in S)eutfd^lanb unb bcr ©c^meij
pictiftif^ mar, mit ängftlid^cr Spannung barauf tt)artete, wann
bie ©emaltt^atcn ber @egner bc^ S^riftcntl^umd ben ^öc^ften
@rab erreichen mürben, um bann bur^ bie fiditbarc Srfc^einung
bc^ Steic^cd (S^rifti abgclöft ju merben? yiun aber l^atte S3engel
ben SScrlauf ber S)inge in einer @enauigfeit bered^net, melc^
burc^ ben @ang ber Sreigniffe nicf)t gerechtfertigt mürbe. 2)a«
burc^ mürben bie ©laubigen Dcrmirrt unb unfi^er. 2)ed^alb
533
rid^tctc fid^ ©tiQing'ö Scftrcbcn barauf, btc Äjjofal^pfc in einer
n^enigcr bestimmten Serec^nung aller einjelnen jufünftigen Sr«
fd^einungen }u beuten. Stamentli^ machte er ben Sorbel^alt,
bQ§ bie finnlid^e 993iebererfd^einung S^rtfti jur Xufrid^tung feinet
Steic^e^ nic^t bered^net n^erben foQe, ba fte plö^Iid^ unb unenuar«
tet eintreten »erbe. Älfo bie änfid^t be§ Kocceiug (©. 145)
^atte fid^ aud§ wieber bal^in öerfc^oben, ba§ ©tiHing auf [innen*
fäQige ©egenwart S^rifti red^nete, ba berfelbe gefagt l^abe, er
werbe im jufünftigen 8leic^ ©otteö effen unb trinfcn, unb bie
Slpofalppfe bamit übereinftimme. 35cmgemä§ beult er nid^t blog
an eine Orbnung beS 9fieid^e^ Sl^rifti burd^ bie lebiglid^ innere
Sßirfung bed ^eiligen @eifted, fonbern aud^ burd§ ftatutarifd^e
formen. ©pecieH ift er ber SKeinung, baft bie Srttbergemeinbc,
in tneld^er er baö mit ber ©onne belleibetc SBeib fa^, baS öor
bem 2)rad^en in bie SBüfle flo^, baS SSorbtlb für bie ISinric^tun«
gen im JReid^e ffil^rifti barbiete. ,,S)ie äußere ffiinrid^tung ber
bttrgerlid&en ©efeUfd^aft ober bie Äird^en* unb ©emeinbepoUjei in
ber Srübergemeinbe l^at i^red @leid^en nic^t, unb entl^ätt gan}
getui§ ben ^eim unb bie @runblage beS ffinftigen Sieid^ed S^rifti
auf Srben. 3)enn tt)enn ein ganjei^ Steid^ auS lauter n)al^ren
©Triften beftänbe, fo fönnte feine bcffere ^olijei ftattfinben al«
biejjenige, bie in ben ^errnl^utifd^en ©emeinben in Uebung ift" *).
3n ber {Rid^tung auf bie SRä^c ber S^^i^^ft 6i&rifti begrüßte
©tilling bie ©tiftung ber ÜKifponögcfeÜf^aft in Sonbon (1795)
unb bie jugleid^ auf ben kontinent fibergreifenbe ^Inregung jur
SBorbereitung ber §eibenbelel^rung alö ein augenfc^einlid^e^ Qcu
d^en ber 3^^^ i>^ ^^^ SSerffinbigung bed (£t)angeliumi^ in aller
SSelt ber glorreid^en ß^^fwnft beö J^errn üoraugge^en mufe. S)ic*
fcr cfd^atologif^e ©efi^t^punlt erforberte freiließ einen fd&nellen
unb überttjältigenben @rfolg jene^ Unterncl^meng ; alig berfelbe
nac^ einigen Sauren nid^t eingetreten war, fonbern anftatt beffen
allerlei Hemmungen unb 9J2iierfolge ftd^ geltenb mad^ten, f)atte
ber graue äJ!ann Urfac^e, wieber auf ben gewöhnlichen ®ang
ber SSorfe^ung ju Derweifen. ^{an war alfo bod^ nod^ nic^t fo
weit, als man glaubte!
©neu praftifd^cn Qxotd Dcrmod^te ©tilling biefer ßwfunftÄ*
Hoffnung, bie ftet^ wieber in^ Unbeftimmte jurüdfc^lug, nur
1) «onb vn. 6. 118.
534
barin abjugctoinncn, bafe er bie grommcn baju ermahnte, mit
einanber jufammenjul^Qlten. SBie Säöater meinte er bamit niti^t,
bog fie QUO i^ren particularfir^li^cn SJerpltniffen augfd)eiben
unb eine neue gartet grunben foHten, bie bcn ßonfefftonäfirc^cn
analog tuäre. SJielmc^r foQtc jeber bei feiner ßonfeffton bleiben,
unb nur bie ?tnberen innerhalb ber irrigen na^ i^rem tpa^rcn
innem SBert^e fd^äften unb lieben, fie mögen im Uebrigen Reißen
tuie fte tDoIIen. 3Ran foll fid^ eben nid^t an bie ©c^alc, fonbern
an ben Äern galten. Allein biefe ßuntutl^ung [tiefe auf ^inbcr^
niffe. S)enn bie ©ottfetigen, rocnn fie anä) gegen bie Sonfcffton^
firmen gteid^gültig waren, fperrten fi^ unter einanber crft re(^t
üb. „O eS ift f^redli^, tt)0 man ^infommt, ba finbet man ör^
medte, aber immer eine ©efeHf^aft gegen bie anbere, unb eine
©eele gegen bie anbere eingenommen."^ SBicberIjolt Hagt ©tiHing,
bafe bie Parteiführer ber frommen biefelben me^r an \xd) felbft
fnüpfen, ate ju ßl^riftug führen, unb bafe fie i^re Sieblingömci»
nungen bem gemeinfamen 3ntercffc uoranfteHen. „S)er eine ^ongt
an ber SBicberbringung aQer S)ingc, ber anbere am e^elofcn
Seben, ber britte an ber SR^ftit, ber bierte an ber Offenbarung
3o^annig, ber fünfte ^at einen SBiberroiHen gegen ben geiftli^en
©tanb unb bie äußere fiird^enöerfaffung." Unfd^ulbigere gcic^en
t)on ^arteifud^t mad^t er barin bemerftid^, baß faft aQe ©d)üler
üon 5. 51. iJampe, weil biefer ein wenig f|infte, auc^ l^infen —
,M^ ift I^atfadjc," fügt er l^inju — unb baß bie grcunbc
Icrfteegen'g, weit biefer nad^ ärjttii^cr SJorfd^rift $ontat tranf,
o^ne ärjtlid^e SSorfd^rift aud^ ^ontal tranlen, unb ebenfo wie
i^r äWeifter läd^elten unb bie ^anb brüdten, enblic^ baß 3^"*^"*
borf'ö 2Ranieren üon feinen Slnl^ängern mögli^ft nac^gea^mt
würben. Stber eben aud§ Don biefen Umftänben l^at ©tilling bcn
©inbrud , baß fie ben bcrberblid^en ©ectengcift funbgebcn ! ©cnn
Don ba ge^t er ju einer fe^r emften SBefd^wörung ber §errn^uter
unb ber lerfteegianer über, fid^ mit einanber auöjugleic^en, unb
rid^tet an bie Sln^änger Sö£|me'ö bie bringenbe Äufforbcrung,
nic^t t^rc t^eofop^ifc^en Sieb^abereien bem praltif^en ß^riftcn-
t^um üorjubrängcn ^). S)ie Haltung alfo, weld^e Icrfteegen gegen
ßinjenborf eingenommen ^attc (©. 485), wirfte nac^ fediäig 3a^*
ren unter feinen SKn^ngern nod^ fort. ©tiOing aber befcnnt
1) «anb VIII. @. 14. 294 ff.
535
fid^ ju bciben äWänncru. !3n feiner fjormcl: ©l^riftuiJ für unS
unb ß^riftu^ in un^, meint er bie beiben gemeinfame SBa^rl^cit
JU befi^en, unb bcnuftt bie ©elegenl^eit, ben f einbüßen Srübern
öorju^alten, bog fie felbft nic^tö änbere« verträten, wenn fic
and) bie beiben ©lieber ber gormel Derfd^ieben accentuirten. S)er
@utc f)aitc feine Sinfid^t bQt)on, bag l^inter biefem abmeid^enben
Äccent ber groge ©egenfo^ ftedte, welken fd^on I^omoig unb
®un^ vertreten (©. 471), nämlid^ bie Streitfrage, ob bie grcube
bie not^tnenbige ober eine jufäHige Segleitung ber ©cligfeit fei.
9latürlic^ i)at bie ©mpfe^Iung ber neutralen fjormel burc^
Stiüing feinen birecten unmittelbaren Srfolg bei aQen feinen
gottfeligen greunben gel^abt. S)enn baß er gleii^geitig fid^ ju
Xerfteegen befannte unb bie Srübergemeinbc al^ bag ©onnen^
roeib unb atö ben ©tamm Suba unter ben ©tämmen be^ geift»
lid^en Sfrael rühmte, mürbe i^m t)on ben ^ietiften reformirter
?lbftammung fe^r übel genommen. ÄUein er ijat fe^r rid^tig er::
fannt, baß baiJ gemeinfame Untemel^men ber §eibenmiffton nad^
bem SSorbilbe ber Sonboner ©efetlfd^aft jur magren ^erjcnö* unb
©eifte^gemeinfc^aft aller magren El)riften aug aßen Parteien unb
jur Vorbereitung ber ©inen ^eerbe unter bem Uinen ^irten
jroedfmäfeig fein h)erbe. S)ie gemeinfame Slrbeit an beftimmten
aufgaben fonnte bie Äbmeid^ung in S^^eorieen unb Stimmungen
jurüdfftellen laffen, toie bie feit 1780 mit bem SSorort SBafel be*
ftcl^enbe ©eutfd^e E^riftentf|um^®cfellfd^aft bie Trennung ätoifc^en
Sutl^eranern unb 8leformirten abgefd^mäd^t l^atte. 3nbeffen fann
man jugleid^ in ©tilling'i^ Sluffaffungen be^ praftifd^en 6l^riften=
t^umg einen 3fi"9C^^*9 i^^für erfennen, toie bie ju feiner 3^'*
nod§ üormaltcnben Äbtoeid^ungen unter ben grommen eine Äuö*
gleid^ung finben tonnten. 2)enn er felbft fprid^t fic^ 5unäd)ft bei
tjerfc^iebenen ©elegen^eiten jiemlid^ berfd^iebenartig auö. (Rnmal
giebt er bem eöangelifd^en ^ietii^muö nieberlänbifd^er §erfunft
mieber^olt Slu^brud, toenn au^ mit abgeblaßter Färbung. S)er
6l)rift ^at fid^ burc^ bie 5ßrüfung feiner felbft öon feinem ganjen
(glenb unb Serberben ju überjcugen, um bann ju ß^riftu^ Qn^
findet ju nel^men, unb in ber S)auer biefe^ Slcteö Seru^igung
unb grieben ju finben, unb fiuft jum ®utcn in fid^ ju ermcden.
"än^ bicfen ©nabenwirtungen be§ l^eiligcn ©eiftcsst entfpringt bann
bie Heiligung. Auf ben ffiinbrud beö beftimmten ßcitpunfteö ber
Sefe^rung ift babei nic^t ju red^nen, loenn nur ber SßiQe jum
536
®iittn, ber %mh jum immertDä^renben ßuna^en ju @ott unb
ein beftSnbigcd SRügen über alle ©ebanfen, äBorte unb SBerfe
üor^crrfd^t 1). SBer foule nun ewarten, bafe ©tiDing, fo ju
fagen in IStnem ^tl^em, baS Sßefen bed Sl^riftent^umd auf bie
^errfd^aft bed @ett)iffend über bie triebe ber ä^eruoQfommnung
unb ber ©füdfcligfeit beftinimt? darunter üerfte^t er ficili^
nid^t bie Siugenbübung im aufflärarifd^en @inne. SBielmel^r fomtnt
bie $rQ£t^ barauf ^inaui^, bog man beftrebt ift, ju beten, ju
toaä)tn unb t)or @ott gu tDanbeln, fid^ in ber Sluff))ürung ber
Eigenliebe unb Sßenfc^engefäQigfeit bei unferem ^anbeln ju üben,
unb aQed @ute ber götttid^en @nabe ju uerbanfen. 3n biefer
(grfenntnife tuirb man immer bemütl^iger, befd^eibener, frcunblic^er,
man bulbet Unred^t mit @elaffenl^eit, tpirb tt)oI)tt^ätig unb fauft«
müt^ig aud^ gegen bie ^^einbe, fann fid^ in ben gemeinnü^tgen
^flid^ten nie genug t(|un, unb leiftet biefe^ aUeS atö bie SBer-
geltung für bie unenblid^e SSarml^ersigfeit, tDeld^e man Don ®ott
unb ß^riftuS ju erfal)ren überjeugt ift^). S3ergleid)t man mit
biefen ISrflärungen bad g^S^^P^i^^iB ©tiUing'd, bag ed Diele
üortrefflic^c E^riften gibt, toeld^e, o^ne e^ gu toiffen, ben Sääeg
ber Süße unb ©elbftüerleugnung gefien (©. 525), fo öcrjic^tet
er eben auf bie aQgemeine (Geltung ber {Regel beS pietiftifc^en
Sugfampfed. 9[ber baneben fte^t nun nod§ bad tDieber^olte ^c«
fenntnig ©tiUing'S }u Sierfteegen'S ©runbfä^en ber DoQftänbigen
paffiDen Ergebung in @otteS SSiillen unb be^ innent ©ebeted,
tüomit eö übereinftimmt, bag er bie Empfinbung ber ©cligfcit
für ettoag 3"fäIIige^ erflärt"). ©tiHing btto&f)xt burd^ biefe üon
einanber abn^eid^enben Erflärungen, bag er nid^t einfeitig an
Eine 3J2etl|obe ber ^eil^orbnung fid§ binbet. ^reilid^ Don ber
Slufd^auunggtoeife 3ittä^"t^orf ^ bietet er feine 5ßrobe bar. ©eine
©d^äftung ber Srübergcmeinbe befd^räntt fid^ offenbar auf beren
gcfeQfc^aftlid^e Etnrid^tungen unb rid^tet fic^ baneben nur na4
bem allgemeinen 3"fl ä^ gefteigerter retigiöfer Erregung, gflr
lerftecgen'ö I^eorie l^ingegen toar ©tiHing burd^ feine Sugenb»
erinnerungcn unb feine 8lrt Don 9Sorfel)ungög(auben bii^ponirt.
Slubererfeit^ Dermod^tc er bem „unbett)ugten Efiriftent^um" An*
1) »aitb VII. (S. 16. 171. 297. VIII. S. 232 ff.
2) »aitb VII. 6. 180. 183.
3) «onb VII. @. 104. 269. VIII. S. 236. 463.
537
cricnnung ju toibmcn, trcil er fclbft einen Bctougten Sugfamt)!
ntd^t crfal^rcn ^atte. Aber au^ ber ©egenuberftellung ber angc*
filierten äeugerungen crgicbt ftd§ bic %f)at\aä)t, büß er bie pieti»
ftifd^c 3;^corie nur in fe^r abgeftumpfter ©cftalt üertritt unb
auf 2irftecgen'i8 2Retf|obe nur fe^r unüoUftänbig eingegangen ift
3ur ffirHärung biefeö Umftanbcö ift ol^ne Steife! barauf ju a6)^
ten, ba§ er fid^ ber ©emcinfd^aft mit bcn ©onöentifeln feit feinem
30. Sebengjal^re cntfc^Iagen ^atte, unb feine fortbauernbe pietifti*
fd^e ©timmung nid^t me^r an ber feften Ueberliefcrung ber @e*»
meinfd^aft orientirte. Aber eben tüeil er in bie ©teUung eineiJ
fiiebl^aberd be^ $ieti§muS getreten tuar, meinte er audft ben t)er*
fd^iebcnen ©ruppen jumutl^en ju bfirfen, ba§ fie i^re Schroffheit
gegen einanber aufgeben foHten. Sllfo tt)enn nur Äße auf bie
mel^r toeltförmige Haltung eingingen, bie er felbft behauptete,
bann tuürben fte nid^t me^r banad^ fragen, ob ber 6^riftu^ für
und ober ber S^riftuiS in uni^ ben Sccent 5U empfangen l^abe,
jumal toenn fid§ SDe fold^en gemeinfamcn Unternel^mungen roib:«
meten, tt)ie bie ^eibenmiffion war. 3n biefer änfid^t ^at er aud^
toieber^olt gegen bie ©onüentifel feine Ungunft geäußert, unb
barauf gebrungen, bag man ilinen ben öffentlid^en ©ottedbienft
borjujie^en ^abe, aud^ toenn ber ^ebiger ni^t crtoedt toärc,
toenn er nur nid^t gegen bic anerfannten S)ogmen prebigte.
S)urd^ biefe Haltung gegen bie legitime Cjiftenäform beiJ
^ietiömu« eröffnet ©tilling bie 2lu§fic^t auf eine Umgcftaltung
ber bidl^cr in getrennten ©nippen bcriaufcnbcn (Srfd^einung.
S)ie SKerfmale biefe^ moberncn ^ieti^mug nac^ ©tiHing'd An*
toeifung laffen fic^ tJoDftänbig fo jufammenfaffen. 9Kan ^at bic
Dogmen aufred^tjuerl^alten, toeld^en bie ${uff(ärungdt Geologie ben
fd^ärfften SBiberfprud^ cntgegenfe^tc, bic Sc^rcn üom allgemeinen
Scrberbcn ber 3Jlcn\ä)\)cxt, Don ber ©ott^eit unb ber ©traffatid*
faction ©^rifti, üon ber ^Regierung ber SBelt burd^ (S^riftuö, öon
ber Wot^toenbigfeit ber äBitt^cilung bcö l^ciligcn ©ciftciS jur
Heiligung. An biefem SBorftenungöfrei« l^at man baö ©treben
nadft praftifd^em, erfa^rungdmäßigem ß^riftent^um ju orientiren,
fo baß baiJ 3ntereffc an ber {Red^tfcrtigung unb bad an ber ^ei«
ligung fid^ baS ©teid^getoi^t Ratten, j|ebenfalls feinei8 l^inter bem
anbem jurüclfte^t. (gd fommt ^iebei ebenfo tocnig auf confc*
quente unb plaftifc^e ftlar^eit ber pcrfönlid^cn Haltung, toie bei
bem SBerftänbnig ber Dogmen auf genaue Umriffc unb uoOftän»
538
bigen Sdtfd^Iug an bte {ird^Ud^e ^ogmatif an. 'Denn fonft
tDÜrbe bie aUfeitige SJcrbinbung bct fiinber Oottcd, »cld^c in
bcr ©nabenfrift bor bem Sluftrctcn bcö Äntic^rift nöt^ig ifl,
nid^t erreid^t werben. S)egl^alb ift aud^ ber Änfd^Iuß an bcn
öffcntli^cn ©otteöbicnft, wenn er nid^t bnrc^ craffe SleoCogte bc^
^rebigerö unmöglid^ gemad^t \Dirb, bcr 5ßPcgc bcr Eonöentilcl
üorjujie^cn, rocld^e bic ©i|e ^od^müt^tger gcgcnfeitigcr 8[bfper*
rung finb. 3n bcr gorm bcr g^eunbf^aft melmc^r foD man
fidö gegenfettig fud^cn unb religiöfcn 9(uStaufd^ üben, fomo^l bie
alten ©cnoffen, alö bie j^a^lrci^cn neuen äbeptcn, tt)cld)c burc^
bcn SJcrIauf ber franjöfifd^en iRcüoIution bem praftifc^cn 6^ri*
ftcnttjum jugonglid^ geworben finb, ol^nc auf eine ober bie an«
bere gorm bcö 5ßicti^mug fi^ einfd^ttjörcn ju laffen. ©ic alle
follcn fid^ jugleid^ burd^ gemeinnü^ige Unternehmungen toic bie
^cibcnmif fion , bie bag 3ci^ßn bcr 9iät|c be^ ffinbc^ ift, baöon
überführen laffen, bafe eö nid^t mcl^r auf bie ejacten gormen
bcö 5ßicti^muö ber ßonüctttifcl anfomme. 3n feiner SSScife alfo
l^at ©tilling eine SScrmettlid^ung bc^ ^ietiSmud beabfid^tigt. Unb
bicfcr ©^ritt toar not^tocnbig, wenn bie Slid^tung über bie
trcnncnben Slrtuntcrfd^icbe ju einer relativen ®inigfcit ^inau^c«
fü£|rt werben foQte. S)icfcö Qxtl fonnte entWeber in einer 8c»
wegung nad§ rüdwörts ober in einer Bewegung nact) üorwfirt^
auögefü^rt werben. S)ic erftere SDlöglid^fcit würbe bcn ^ictiömuö
in bcn Ä'at^oliciömug unb in baö Älofterleben j\urürfgcfü^rt
^aben, bie jweite Söcwcgung aber war nur au^fü^rbar, wenn
man eö auf ein 9}iag öon SScrweltli^ung nic^t anfommen Iie§.
S33aö baruntcr ju öerftel^cn ift, fann man fid^ gerabe an
bcr Sigcntpmlic^fcit ©tiQing'j^ anfc^aulid^ machen. 3c§ meine
bamit nid^t btoö bic SJicIgcfc^äftigfcit bcö Sebenig in bcr SaSelt,
welche er gegen feine urfprüngtic^c Slnge^örigfcit ju bem 6om
öentiteld^riftcnt^um cingetaufc^t ^atte, fonbcm bie bamit jufam^
menf)angcnbe ©tcllung beö SKannc^ im ^ieti^mu^, wel^c i^
fc^on alg bic bcö fiieb^aberö bejei^net t)abc. ®r ftcQt fic^ aU
fofd^cn bar, inbem er einmal fid^ t)on bcr legitimen ©emcim
fd^aftöform beö 5ßietiömug, öon bcn Sonbcntifcln , burd^auö ab^
gcwcnbet t)at, bann aber tro| feiner gong inbimbucH auiSgcprag*
tcn grömmigfeit bcn unter feinem 5ßublicum öor^errfc^cnben
äRet^oben bcö Sußfampfe« unb ber m^ftifc^cn SBiBenlojigfeit
fic§ anjubcquemen ücrmag. 2)icfc ©runbfä^e ^at er, wo er pc
539
an^\pxxä)t, nur äft^ctifd^ angeeignet. @r l^atte nicmate in biefen
3Reti)obcn gelebt, ^otte aud^ gor nid^t bie 5tbfici^t, fic^ tpirflid^
auf biefelbcn einjurid^ten. 5Rur mit feiner ©inbilbunggfroft ftat
er momentan feine Snfc^auung unb ®m|>finbung auf bic eine
unb bie anbere geftimmt, um bie gü^Iung mit feinen Stn^öngem
f eftgu^alten . S)ag fc^Iiegt feinerfeitig aud^ nid^tö toeniger in ftd§
ate Untüa^rl^aftigfeit. S)enn er tüar in allen S)ingcn Dilettant,
unb bie Dberfläd^lid^feit mar bag Sfement feinet Sfiarafterg. 3n
ben entfd^eibenben SBenbungen feinet 2ebcn§ jum mebicinifd^en
©tubium, jum nationalöfonomifd^en Se^ramt, jur religiöfcn
©d^rif tfteHcrei , ^at il^n jebeömal feine lebt)afte ®inbilbungöfraft
ju einem ©ntfc^Iuffe f ortgeriff en , ben er niemal« burd^ ernfte
unb gebulbige Arbeit als eine äBiQenSbeftimmung t)on fittlid^em
SBcrt^e bemäl^rt l^at. @r fanb fid^ jebeSmal bur^ bie 3tt>ecls
mäßigfeit unb ©d^ön^eit be§ ^rojecte« afficirt, um mit gleid^
obcrfläd^Ii^cr Seb^aftigfeit nad^ einigen 3al^ren tüieber auf eine
anbere Seftimmung fid^ einäulaffen. @otteS S8orfef|ung mußte
bann biefe Smpulfe bilettantifd^er ©emüt^i&art fo ergänzen, baß
fic^ ©tiHing jebeSmal in öollem ©leicftgetui^t mit fid^ befanb,
— bis baffelbe tuiebcr Verloren ging, ^uf ber legten ©tufc fci^
ner Seftimmung t)at er freilid^ bis in baS ^o^e (Sreifenalter auS«
gel^arrt; allein er ift andf in ber religiöfen ©d^riftfteHerei XikU
taut, unb ber große Umfang feiner SBSirfung begrfinbet feine
(Eintoenbung gegen biefeS Urt^eil. Wid^t nur ^at er in ber an^
gegebenen SBeife fi^ bie gormen beS ^ietiSmuS nur anempfun^»
ben, fonbcrn er I)at i^nen auc^ niemals üollftänbigen unb aut^en»
tifc^en SKuSbrud! üerlieljen. Sl^eologifc^e Urt^cilSfraft unb ficnnt^
niffe mangelten i^m burc^auS. (Snblic^ ift baS efd^atologifd^e
Sntereffe, in meld^cm ©tilling fid^ mit Vorliebe bewegte, in allen
gäßen Dilettantismus in ber Steligion, eine fibcrflüffigc S8c»
fd^äftigung ber SinbilbungStraft, btx meld^er bie 3"^* ^^^ ^''*
lenS ftctS ©^aben leibet ober in Serfall gerät^. ®in fo üielfei^^
tiger Dilettantismus ift eine eigene 9lrt öon SBeltfinn; bcnn bie
aiic^tung beS fiebenS auf @ott ffi^rt not^toenbig einen (Srnft
}inb eine ©emtffen^aftigfeit mit fi^, ju melier bic Haltung
©tiUing'S im ©egenfafte fte^t. @inc glei^artige SSermeltlid^ung
beS 5ßietiSmuS toirb nun öon ©tiHing in SluSfid^t genommen,
inbem er bie üerfd^iebenen ©ruppen beffelben bagu aufforbert,
bie jioifd^en if)nen obtvaltenben Unterfd^iebe geringer ju achten,
540
ate il^rc übcretnfttmmcnbc 8lid|tung auf pta!tifd^c§ ^^riftcntl^uin.
aaSo^ bebeutet biefc gumut^ung an bic icrftcegiaitcr unb ^crm*
lauter anberö , ate bag pe mit i^ren Ucberjcugungen gcrabe fo
obcrflät^Ud^ unb mcitförmig öerfal^rcn foDcn, wie e^ ©tiDing
felbft nad| feiner fonberbaren SRifd^ung öon Seid^tfinn unb
grömmigfeit möglich tüar! Unb ba^ foH .gcfd^el^en tocgcn ber
SßeltfteQung bed ^ietii^muS, um ber ^ufflörung gegenüber unb
in ©rwartung beö Slntid^rift eine gefd^Ioffene ©n^eit ju bilben.
Urfprüngli^ rid^tet fi^ ber ^eti^mug auf bie SJürgfd^aftcn ber
©eligfeit jjebei^ ®injelnen im @egenfa| ju ber Sßelt unb auf bic
Sble^nung afler ber Slüdfid^ten, tocfd^e bie Sird^e auf bic SBelt
ju nehmen pflegt. 3ft eö ni^t bemgemäg eine fpecififd^c SSer*
ttjeftli^ung. toenn bie ^ietiften jeftt t)on bcn SBürgfc^aftcn i^rer
©eligfeit fo üiel na^Iaffen foQen, um ftd& in eine impofante
©teÜung gegen bie SSielt ju fe^en, unb Aber bem S^etriebe ber
§eibenmiffion unb ber Ausübung ber tt)cltlid^en 3Rittd ju biefem
3toeclc bie 3;rennungögrünbe öergeffen foQen, tüeld^e fic biiJ^cr
afö ©etoiffcnSfad^e tnertt) gehalten l^atten? S33er ift, inbcm er
Sobenfte^n* fenncn lernte, barauf gefaßt getnefen, 120 3a^re ft)ä*
ter auf einen Vertreter beg 5ßietigmuiJ ju ftogcn, toie ber reli*
giöfe ©d^riftfteßer am $ofe bei^ ©roß^erjogg öon 83abcn iji?
©ie beibe pnb du« berfelben SBurjel entfproffcn; aber il^rc fafl
bur^gc^enbe Ungleid^^eit fteQt bod^ bie iBertneltlid^ung ber gc«
meinfamcn Slid^tung in ber ^erfon be^ Jüngern außer allen
3tt)eifel. Unb tnenu e^ nun ebenfo fidler ift, bag ber mit l^o^
natürlid^er fiieben^tnärbigfeit au^gerüftcte 9lad^fömm(ing fid^ eined
Beifalls JU erfreuen l^atte, tDclc^er bem ftrengen unb meltflü^tig
gefinntcn 5ßrebiger in Utred^t üerfagt blieb, fo ma^t man baron
bie mertwürbige ®rfa^rung, baß auc^ auf bem 93oben bcd $ic*
ti^mu^ biejcnigen SBenbungen bcn größern Srfolg ^aben, toeld^e
bem SBeltfinn me^r ©pielraum gcftatten. SBir finb biefer fc
fc^einung fd^on begegnet bei bem Ucbergett)ic^t , toetc^c^ ber
„eüangeiifc^c" ^ietiömuö in bcn Slieberlanbcn fiberben gefeftlic^n
gewann, inbcm er bic ©ontjcntifcl nid^t mcl^r nad^ ben ©efc^lec^
tern trennte. S)cnn biefeOrbnung fam bem toettlic^en Sntercjfc
ber allgemeinen (SefeHigfcit entgegen (©. 346).
541
24* Slnna Biftatttt.
S)ad Siel, tpe((|ed ©ttOing für ben ^ieti^mud in «u^fid^t
genommen ^atte, nomlid^ bag er feine ' befte^enben (Spaltungen
fibenoinben unb burd^ X^eilna^me an bem SBerfc ber ^eibem
miffion fid^ ^ufammenfc^aaren folle, ift aQerbingg in grogem Um^
fange erreicht worben. S)ie Stau, weld^e bemnäd^ft bie äufmert
famfeit in Slnfptud^ nimmt, barf atö ein 93eifpiel baüon ange^^
ffl^rt toerbcn, bag feit bem Seginn beö 19. Sö^r^unbcrta jene
öon ©tiQing befümorteten Qü^t be^ mobernen ^iettömug in bie
(fefc^einung treten. 3nbeffen ift an i^r baö innere Sieben xo\6)^
tiger, atö i^re 93etl^eiligung an ben Unternel^mungen ber äugem
unb ber inncrn SÄiffion. S^rc perfönlid^e grömmigfeit aber, fo
Qufgefd^loffen biefelbe für ben SSerfe^r mit 5ßerfonen üon üer:^
fd^iebenem pietiftifd^en Gepräge gemefcn ift, ^at einen ganj ent^
fc^tebenen Quq, unb trägt nic^t^ weniger an fid^ aU bie Ober«
fl&c^Iid^feit , ju n^eld^er ©tiQing feine Sefer angeleitet ^at. Wlit
i^m unb Sabatcr Derglid^en mad^t fie Dielmeljr eine tfidtläufige
Semegung ju älteren SSorbilbern ^in 0- @i^ finbet alfo i^re
richtige ©teUung in bem ^ier angefponnenen 3ufammen^ange bed
$tetigmud in ber reformirten j£ir^c.
Slnna kernet, geboren ju ©t. ©aßen 1773, mit bem
Kaufmann ©c^lat ter bcr^eirat^et 1795, geftorben 1826, ift burd^
einen überaus ftarfen %xkb md) religiöfer 3J2itt^eilung au^ge^^
jcid^net. 3^rc Suft i^r §erj ju eröffnen, ging aui^ i^rer Sereit^
fc^aft ^erbor, fiberall bie ^riftltd^c ^reunbfc^aft anjufnfipfen, in
welcher alle ^inbcr ©otted ani allen Sir^en ab bie ©lieber ber
UKi^ren ftirc^e auf Srben fid^ mit einanbcr uerbinben foQten, um
immer ft^tbarer ju tt)erben. „^6) meine immer, fc^rcibt fie, id^
mfiffe bon allen d^riftlid^en SJfcnfd^cn ettoai^ toiffen, n^eil ic^ aQe
fo fe^r liebe, unb eS getroft ^offe, auc^ einmal bon aDen geliebt
JU »erben." ©ie erjä^It felbft, ba§ fie bon frommen Äeltem er*
1) Sal %nm €<I^Iatter'8 Seben unb ^aä^lai (tStiefe, ®ebi<l^te, Vufffite)
^TQuSgegcben ))on g. W. S^^n- 3 Sfinbe. Bremen 1865. — ^xautnhxitU,
^ausgegeben t>on übolf So^n. fy^Ut 1662. 8. 1—144 umfaffen Briefe ber
542
jogen tporben fei, nie bie $anb jum @picl, unb nie ben ^n^
jum %anfi erhoben, aber uont jel^nten fieben^ja^re an @ott ge»
fud^t unb jugleid^ gegen ü)x ftoljeS unb ^eftigeS Temperament
angetämpft ijabc. ^iefe natürliche ©runblage i^re^ S^arafteriS
wirb burd^ ben ©rief einer mütterlid^en ^i^eunbin erläutert, toelc^
große Öerbienfte um fic l^atte, bereu ?lnregung fic 1804 i^rc
eigentlict)e SBelel^rung uerbanfte, unb welche i£|r 1805 Dor^ielt,
baß fie bie Steigung l^abe, Siecht ju bel^alten, baß bie ßciben^
fc^aftlid^feit, toit fie aud^ Flamen ööbe, immer in ©efa^r fei, um
ma^r gu fein, unb SBorte unb jßerfe, @eberbe unb Sludbrud
im @uten n)ie im 93öfen ju übertreiben pflege, baß Unnm^r^eit
aud^ an ber Unbeftänbigfeit ber Qmpfinbungen unb Seußerungen
l^afte, enblii^, baß e^ barauf anfomme, ben geifttid^en SBoQüftcn
abjufterben unb für bie göttlichen ©enüffe ber Siebe empfänglid^
JU n^erben. (£d gereid^t ber @d^latter jur Sl^re, baß bieSlufric^tigfeit
ber grau {Römer fie nid^t jurücfftieß, jumal biefelbc, noc^ ber
Angabe bed 93iograp^en, auf i^re rcligiöfe ©enußfud^t unb beren
gormein nicftt einging. SUcin bicfc 6t)arafteriftif bereitet barauf
oor, baß bie grömmigfeit ber ©c^latter uon manchen @elbfttäu*
fd^ungen begleitet gemefen ift.
Unter ben Urtunben i^ree^ inneren Sebenö finb uon bcfon*
berem SBcrtl)e bie ©riefe, bie fie an Anna (Slette) Saöatcr gc*
fc^rieben ^at, meiere jttjci So^re älter (geboren 1771) ftc^ 1795
mit @eorg ®effner ber^cirat^et ^at. S)ie ©riefe, welche 1792
beginnen, erftrecfen fic^ über 34 3aöre, unb fc^ließen mit einigen
ßeilen ab, welche bie ©c^latter brei läge üor i^rem Zobc gc*
fd^rieben £|at. Siner ber f rupften unter biefen ©riefen äcigt nun
bie ©d^latter nebft i^rer greunbin befangen in ben JBorfteQungen
Saüater'i^ Don bem gtoingenben Sinfluß bed &tbzteS> auf @ott.
^ie beiben äJtäbd^en nämlid^ Ratten fi(^ 1792 in ben ßopf ge»
fefet, baß (Seffner jum 3)ia!onu^ an ber 5ßeteri§firc^e in Sö^^r
alfo jum SoQegen fiat)ater'd gen^ä^lt toerben foQe, unb l^atten
barauf i^re @ebete gerichtet. SIU nun bie SSSal^l auf einen S(n?
bem gefallen mar, flogt 9lnna ©emet: „id^ liatte aud^ fo an^
bäc^tig unb bringenb tote möglich gebetet bid @onntag Slbenbd,
ba \6) glaubte, e^ fei nun entfc^ieben ; ad^ unb au^ meine ©d^ioe*
ftcrn beteten, unb unfcr aller ®cbet ift nun nid^t erhört ! @ott,
lebft S)u nid^t mel^r? Unb unfcr ^err fagte bo^, too jtoci ober
brei ein§ werben, eö fei warum fie bitten tooHen, eö foQ i^nen
643
toiberfo^ren . . . SBtr tPoQen &t)Tiftu^ bie Q^rc ant^un, il^m
benno(^ iu glauben, tpu n)ir nic^td t)on i^m fe^en . . . ^ie
SBcIt unb ber ©atatt foU bie ^reube nic^t ^aben, bag tutr @utt
üerlaffen, anä) tuenn er un^ ju uerlaffen fdjcint." S)aö ift nun
toicbcr eine 5ßrobe babon, toie ba^ Saöater'fc^c Slrgumcnt ber
®cbct«erf|örun9 für bie SBa^r^cit be^ ©Triften t^umö jur Unter«:
grabung beS Glaubend fül^rt. äBie es; fd^eint, ift bie[e Srfot)^
rung fc^Iieglic^ tP0^1tl)ätig getpefen; bie ©d^latter fommt nic^t
iDieber auf folc^e äSerfu^ung ®otte^ jurüd. UeberbieS äugert fie
1813, Scfu^ ßl^riftuö fc^eine in unferen lagen in Äranf^eiten
unb förperlic^en Uebeln nid^t mel)r fo ju l^elfen, toie in bcn Za^
gm feinet ffirbenlebeni^. ©eine Slbfic^t babei fei oönc g^^eifel
bie, bag bie Äinber @otte^ lernen foUen, ba^ S^i^l^*^^ ^^cr bem
©ciftigen unb Sn^igen ju üergeffen. S)ad ift gerabe im SSSiber-
fprud^ mit fiaDater, aber gen)ig richtig geurt^eilt.
Seboc^ ben SSerle^r mit bem |)cnn 3efug, bie Slat^öerl^O::
lung bei \\)m meinte fie ftetS fo reell unb correfponbenjlid^, n)ie
cd £at)ater üorgefc^rieben ^at. ^U i^r äRann fie jur S^e be^
geirrt ^atte unb fie nod^ jögerte einiumtOigen , fc^rieb fie: „(£S
toärc mir bod^ üiel leidster um'ö §erj, wenn Sefu^ ©l^riftuö, atö
er auf ISrben lebte, auc^ in einem folc^en ^^all (nämlid^ bed
^eirat^end) gen^efen märe. @o tommt e^ mir immer in @inn,
bod n)eig er nun nic^t aud eigener (Erfahrung, n)ie e^ mir in
meiner Sage ju 3)2ut^e ift. ^reilid^ fal^ er aud^ bei feiner
äRutter; toa^ e^elic^e^ Seben ift, fat) an einer ^oc^jeit, n^ie ed
fiiebenben ju 9)tut^e ift, benn er fa^ \a allen in'd ^erj unb
fte^t ed au^ je^t noc^. ^ber er felbft tonnte bies^ nic^t erfahren;
id) fann mir ben tröftlic^en Gebauten ni^t beuten, er n^ar auc^
einmal in einer äl)nlid^en Sage, n)o^l aber ben, er fann fi^ bef«
fcn ungead^tet ganj ^ineinfü^lcn." S)iefe ©frupel beö jungen
äRöbd^en^ bienen mel)r aU irgenb Stma^ jum SSerftänbnig ber
äRet^obe bcS Umganges mit bem |)errn 3efud, n^elc^e bem ge«
fammten $ieti^mud unb ben äJ^önd^en unb 9ionnen in ber fat^o^
lifdien Äirc^e gemeinfam ift. 3)Ht treffenbem Urt^eil befc^räntt
bie ©c^latter bad @ebiet ber 9{att)dert)oIung bei bem |)erien^
freunbe auf bie göHc, in benen ber fic^ erniebrigenbe @ott eigene
(Erfahrung ^at. S)enn ^ienad^ rid^tet fid^ auc^ bie urfprünglid^e
mittelaltrige SSorftellung t)on ber 9lac^a^mung IS^rifti. ^enn
alfo ber ^err Sefu^ leine (Erfahrung im ^eirat^en ^at, unb
544
barü6er aud^ feinen Mail) unb baju fein Sorbilb geben tonn,
fo tft bie Folgerung not]^n)enbig, bag man be^l^alb e^elod bleiben
mng tpie er. Snbent bie ©c^Iatter biefen ©c^Iug nid^t jie^t,
fteUt fie ft^ frei(td§ auf bie proteftantifd^e ^Bered^ttgung ber S^
3ebod^ btefer @ebanfe f)at burd^au^ fein SJerl^ältnig 2^ bem re^
ligiöfen @tanbpunft, melden fie einnimmt. jDe^^alb fc^iebt fie
einen neuen Sßittelgcbanfen anftatt beffen ein, ha% bie eigene
@rfa(|rung 3efu i^n jum SRat^geber geeignet mad^t, nämli^ feine
t^coretifd^e Ällmiffen^eit. Äuö biefer ^erau^ wirb er toiffen, toie
Siebenben ju 3Rut^e ift, unb toirb fie ju leiten üerftel^cn. $ic*
burd^ aber wirb bie t)orau^gefe|te ßonjunctur jerftört Unter bie»
fem Slttribut fann 3efu^ nic^t mefir aU ber ^erjen^freunb mit
feinen inbimbueßen (Erfahrungen öorgeftellt tnerben, fonbcrn er
n)irb ald ber Inbegriff ber ISrfenntnig aQe^ ®uten, alfo au(|
beS rid^tigen S3etragend Don 93rautleuten ber mit i^m Umgang
fud^enben @eele fern geftedt. ISd mar a(fo eine ©elbfttäufc^ung,
bag bie @d^Iatter meinte, bie gefunbenc SluiSfunft bleibe in bem
9tat)men i^rer @runbt)orfteOung. Slber fie betnä^rt bie UnDer«
einbarfeit ber S^e mit ber bon i^r behaupteten Stellung ju
3efu^ au^ nod^ breißig Satire nad^^er, aU fie i^re Softer bc?
(efirte: „SSienn fd^on (S^^riftud einem d^riftlic^en SSeib aud^ in
ber glficfli^ften @^c ber ^öd^fte @)egenftanb ber Siebe ift unb
fein foQ, ber i^r $erj aQein au^ufüden Dermag, fo ^at er felbft
ben iUlann bem SSieibe gegeben, bag biefer fein @teOt)ertreter fein
foO'' 0- 9iun ift e^riftu« ber ^ö^fte '©egenftanb ber Siebe, »eil
er ber JBerfö^ner ift; ate fold^er aber ^at er feinen ©teQDertreter.
$ann ber Seemann afö ©teQüertreter S^rifti gebucht tnerben, fo
ift bamit jugeftanben, bag S^riftud @egenftanb br&utlic^er Siebe,
unb btefe bie pd^fte unb audf^Iiegenbe 9[rt ber Siebe ift.
SSSirb S^riftud fo geliebt, fo ergiebt fi^, bag er aQein ha^ ^eij
auffüllen fann. ^ann aber ift mieberum ein ©teUüertreter un^
benfbar. SSiirb ein (Sl^emann atö @teQt)ertreter S^riftt angenom«
men, fo ift bie &f)t eine Untreue gegen S^riftud unb jugleic^
eine läufc^ung bcö SÄanneg, melier crmartet, in feiner Art
aQein geliebt ju merben. Slfo folgt aus bem 9[nfa^, bajs eine
^rau (S^^rtftuS mit bräutlid^er Siebe au^fc^lieglid^ liebt, nur boe
mit 9lot]^menbigfett, bag fie be^megen el^elod bleibt unb ber
1) grouenbriefe @. 81.
545
@td^er]^it falber in^ Slofter gcl^t. Set ©aDimatt^taS, tveld^en
bte ©d^Iütter ftd^ ju @ci^u(ben fommen (ägt, entftd^t alfo baraud,
bag fic bie fatl^olif^e jDet^otion gegen ben einzig geliebten ^räu^
ttgam S^riftud mit bem proteftantif^en Siedet auf bie lEl^e ju^
fantmenf äffen wiQ; pe crfennt nid^t, baft jene SDietl^obe mit aßen
meItU(|en SebenSt^er^ältniffen coOibirt.
^ie ©(glatter f)at ed auä) fd^merjli^ genug empfunben,
bag i^re SSerufdpflid^ten aU äßutter unb ^au^frau ebenfo üiele
^inberniffe bilbeten, um i^re ©ebanfen auf SefuiS ju rid^ten.
©ie fanb erft bann eine reichere Sefriebigung i^reö 3)afeinS, ate
i^re 3^tcr fo toeit ertoac^fen tuaren, um i^r allerlei ©efd^äftc
abjunel^men, unb fie fi(| jurüd^iel^en fonnte, um in ber ©i^rei«
bung i^rer Söriefe ftd^ bai8 Sntereffc i^re^ Sebeng ju bergegen^
loärtigen. S)ie ©tumpf^eit ber religiöfen Smpfinbung ^at fie
teic^Ud^ erfal^ren, menn bie @ebanfen an ^aud^alt unb ^^Icqt
ber ßinber fie au(| in il^re ©ebetMbungen Verfolgten. S)aräber
tl^ut fie folgenbe mertottrbige äeugerung: „SBie oft mac^e id^
bie (Srfal^rung, tt)ie fe^r »ir unter arbeit unb ©orge geiftig
ftumpf toerben. äBenn id^ aber meine fat^olifd^en i^reunbe S3a^r
unb @ogner, bie aU fatl^olifd^e @eiftlid^e t^öllige 9iu]^e
i)on irbifd^en ©orgen l^aben !onnten, auc^ über ©tumpf*
^ett unb geiftigc Dürre f lagen l^örte, fo ttjar e^ mir !lar, bog
eine innere, nid^t eine äußere Urfad^e ju ©runbc liegen muffe,
eben, koie bu bemerfft, eine Untreue im ©uc^en. 3^, n)enn ic^
feine Suft jum ®ebete unb 33ibellefen f)aU, toffe mic^ um fo
leidster abl^alten, ftatt bag id^ ba^ ©egent^eil t^un foQte."
SÄerfwürbig ift an biefer Äeugerung einmal baö inbirecte Qnc^c^
ftänbnig an ben ^eiligen Seml^arb, baß bie erftrcbte Deootion
eigentlid^ nur mit ber flöfterli^en fiebendn)eifc jufammengeprt ;
aber nid^t minber merfmfirbig fud^t bie ©c^latter bie Untreue,
»eld^e bem ©etuinn ber ©eligfeit entgegenfte^t, barin, baß fic
ft(^ nid^t iu ben Snba^tdubungen ^toingt, roä^renb bie Untreue
an einem anbern Umftanbe l^aftet. ©ie benft nid^t an bad ein^
fac^e, für bad Seben in ber SBelt maßgebenbe SBort be« ^errn:
äßer im kleinen nic^t treu ift, mie foD bem ba^ @roße anüer^
traut merben? ^ai S9erufdleben einer SKutter unb ^audfrau
lotrb nid^t mit ber fd^ulbigen Xreue geübt, menn eS t)on t)om
herein aü ^inbemiß beS ©eligfeiti^genuffe^ in ber birecten 9[n^
bad^t beurtl^eilt toirb. $lber bie Zreue im kleinen, toenn fie t)on
L 86
546
ber aOgemetnen ©timmung bc^ SJertrauend auf @ott getragen
unb nid^t gum Slnlag üertrauendlofer @orgc gemad^t iPtrb, ift
eine, biet fic^erere $ro6e unferer SSerfö^nung mit ®ott, aü bad
@tre6en nad^ bem @rogen, ber Sereinigung mit @ott, um be^»
ren miQen man bem fleinen Sienft bed Sebend ungebulbig ju
entgegen ftrebt. S)iefe Ireuc im steinen unb ben ©egen ber an
fie gefnüpften 93er^eigun(\ l^at bie fromme ^^rau nic^t gefannt.
®er Siogrop^i) |agt nod§ golgenbeg: „®ie Dielen ©efc^fte
im ^aufe fa^ fie als Slufgaben an, bie i^r ®ott auferlegt ^abe,
um in i^nen ju lernen, i^ren SEBiQen aufzugeben unb ben feinen
iu t^un. . . . Sd n)urbe i^rem geiftigen Sßefen in ber Z^at oft
fe^r fd^mcr, biefe Arbeiten ju übernehmen, aber fie ^ielt e8 pdö
oor, bog ba^ 3^^^ i^^^^ innern ücbtn^, feinen eigenen SEBiOen ju
^aben, loie ed i^r immer mel^r oor klugen gerüdt mürbe, gerabe
in fotd^en @efd^äften i^r nal^e gelegt merben fönne. & mar
i^r ernfte« anliegen, in i^rem näd&ften Serufe ®ott ju bienen,
fie fragte gern i^re ^reunbe um 9iat^, mie man in ber Unru^
fold^en ^erufSlebeniS in ber Snuigfeit bleiben fönne." Diefed
ßeugnig meift barauf ^in, bag bie ©d^latter ben @runbfa^ Xer*
fteegcniS fic^ jiu eigen 5U machen fud^te; aber biefer ift eben auc^
nid^t im Sinflang mit ber S3er))f{id^tung ber Xreue im fileinen.
Sebe Sirene im ^anbeln ift S9eftätigung beS eigenen SBiOem^ in
feiner Uebereinftimmung mit bem allgemeinen @efe^. äßer iebod^
im @tanbe ift, ben eigenen SEBiQen im Sergleid^ mit ®ott ein
Uebel 5U nennen, fann eben nid^t ben fleinen jDienft bed Sebend
im Berufe ald ben birecten ^ienft gegen ®ott mfirbigen unb bie
i^m gefteUte SSer^eigung erleben. 'Die ©d^latter mar eben mie*
ber in einer fd^meren ©elbfttäufd^ung begriffen, inbem fte i^re
^erufiSerfüUung atö Sienft gegen @ott unb juglei^ fo auffaßte,
bog er nid^t jur 93efeftigung unb 3bealiftruug, fonbem jurSec^
nic^tung i^red eigenen SßiQend beftimmt fei.
ffi^arafteriftifc^ für biefe grau mie für i^re Äuffaffung beö
(S^riftent^umd ift auc^ bie 9lrt, mie fie i^ren 3)tann beurt^eilte.
%l^ berfelbe fid^ um fie bemarb, befannte er, bog er an @ott,
(S^riftuiS unb bie ^ibel glaube, aber nic^t im ©taube fei, in bie
leibenfd^aftlid^e religiöfe ©timmung, meU^e 9[nna ^egte , ein^U'
ge^en. ©ie em))fanb aud^ baS )8ebenfen, bag er fo falt gegen
1) «. 0. O. »onb L 6. XXXYI.
547
(Sl^Ttftud unb fein Stetd^ in feinen 9(eugemngen toat unb fein
fiJ^Cid^ter SSorfe^ung^Iaube galt iijx afö einfad)er Unglaube. SlacJ^
menfd^Iid^em 9J2agftabc tioor biefe Ungleichheit genilgenb, um bie
Sen)er6ung abjulel^nen. ${IIein Snna ^atte fd^on bomafö ben
®runbfa| aufgenommen, bag man nid^t na^ eigener ginfi^t unb
Ueberlegung feinen SBiUen ju praftif^en 3^cden ju beftimmen,
fonbem fic^ ber göttli^en Seitung in öofler SBiDenloftgfeit ju
untertoerfen l^abe. „SBie emft, toit toiflenlo^, tt)ie bringenb bat
id^ um bie göttlid^e Seitung, unb legte mid§ ®ott l^in, mid^
franf, blinb, ftumm ober elenb jn machen, n^enn biefe ^eiratl^
mid^ tjon il^m unb feinem Steige entfernen foHte, ober toenn fie
fein SBiUe fein foBte, mein §erj baju ju neigen" *). SBie aber
foBte unter biefer SSorau8feftung ber SBiße ©otteg ermittelt tt)er*
bcn, tt)enn ni^t burd^ fpecielle Offenbarung? ©ie tt)äl)Ite, um
biefelbe ju erhalten, baS äRittel beS ^äumelni^, toel^e^ ©tiUing
unbcbingt ate äBigbrauc^ ber ^eiligen ©d^rift bejei^net ^at
(©. 529). SRa^bem fie im ®ebet i^rcn SBiflen ttjieberum gänj*
lid^ bem guten SBiUen ®otteö geopfert l^atte, fd^lug fie bie Sibel
auf , um ein Dralel ju empfangen ; i^r Äuge fiel auf 8löm. 1 0
U. 15, unb fie erfannte baraug, baß fie beftimmt fei, il^rem S5e*
merber baS feligmad^enbe (Soangelium ju prebigen, melc^eS er
nid^t fannte, mit anbem SBorten, i^n t)on feinem eöangelifd^en
®lauben, in n)eld^em is, qui seit, se per Ghristnm habere pro-
pitiam patrem, seit se ei eurae esse'), jur fatl^olifd^en 'Det^o^
tion JU bringen, ©ie fal^ fid^ bettjogen, gur 8lettung i^re^ Sieb*
l^aberd il^m bad Satoort gu geben. S3ar ei^ nun aber n^irflic^
bem SBiUen @otted gemäg, toa^ fie fid§ l^iemit t)omal^m? ^er
(grfolg ]^at, toie ber Siograp^ erlennen lägt, baö Drafel nid^t
beftätigt. S)ie ©d^latter ließ fid^ aber au^ nid^t öon il^rer öor^
gefaßten iDteinung abbringen, ^ie ©anftmut^, Siebe, ^emutt)
i^red äJtanncS, n^eld^e il^r gelegentltd^ bai^ SSefenntniß abnöt^ig«
ten, er fei beffer mie fie, erfannte fie niemals afö bog Äcnnjeid^en
c^riftlic^er ©efinnung unb ate ble5ßrobe be^ ©taube« ber SSerfö^nung
i^rcd 3Ranneg an. ©ie blieb babei, baß biefe 3;ugenben nur
1) Sticf an ben (Si^teluiner t)on (^ampogne t)om 6. SXfir) 1819, in
SBangemann, 9d{Ui4eS Stegen tiKb dlingen am Oftfee^anbe. Berlin 1861.
6. 132.
2) Ck>nf. Augastana art. XX. § 24.
548
9lQtur, nur glücl(i(|ed ^Temperament, unb beg^alb ^tnbemiffe feinet
(Glaubend feien; benn er erfannte [id) j|a nic^t atö ©ünberl „(St toax
beffer ald ic^ im S^^un, aber in ber @cftnnunQ loar er beinahe
ganj ungläubig.'' Unb babei fe^te ber äJtann ber religiöfen Srt
feiner $rau n^eber birect noc^ inbirect ©d^ronfen! @ie ^atte ft^
Vorgenommen, nad^ ber Slnn^eifung bed $etrud mit i^rem SBon^
bei o^ne Sßorte ju (eieren; bog biefe Siegel auc^ i^rem Spanne
ju @ute fam, moQte fie nid^t einfel^en. Srft wenige 3a^re Dor
i^rem Xobe fteUt fie i^rem Planne bad d^^S^iB ^^# ^^ glaube,
bag er nur burd^ S^riftum iBergebung unb etoigeS Sebcn er^at
ten fönne. iRun, bo^ mirb er immer geglaubt ^aben. 2)er 93io<
grap^ aber fügt l^inju, feine 8lrt fei nic^t getoefen, Diel Don fei*
nem innem Seben liü reben, unb er fei aud^ mo^l nic^t burc^
gleid^c 3;iefen ber ©ünbenerfcnntniS geführt morben, tote feine
^xan. 'Dann toar e^ ja mol^l ber SSiOe @otte^, bag er fein
(S^riftent^um in anberer SS^ife ben^äl^rte, mie bie ^au; unb ed
n)ar nid^t @otte^ S93ille, bag fie in if)m biefelben @aben enoeden
follte, in bereu SluSübung fie bad audfd^lieglid^e äKerfmal bed
e^riftent^um^ erblidte!
Ungead^tet biefer Ungtei^^eit ber beiben^ Seeleute ift i^re
SBerbinbung nid^t unglücflic^ gen)efen. S)ie ^Jh^au ^at ed jkuar
immer aU Sd^mälerung it)re^ Slec^ted empfunben, bag fte bie
3ntereffen il^reö SKanne^ nic^t be^errfc^en fonnte, fonbern j. JB.
an feiner toelt ticken Sectüre Xtjeil nehmen mugte; fie ^ielt fic^
bafür burd^ ben SBerle^r unb bie Sorrefponbenj mit ben i^r
gleid^ gefinnten greunben fd^abloö, einen aSer!e^r, bem ber
3J2ann fein ^inbernig in ben SSieg legte. @ie ^at nun bej^eugt,
bag baS ©treben nai^ ununterbrod^ener ^Bereinigung mit @ott
unb bie Ueberjeugung , bag nur i^re @ünbe fti^ berfelben ent*
gegenfteHe, fie in einen Äampf um bie Heiligung hineingeführt
^at, ttjeld^er aDerbingS jiellog fein mugte, toeil fie in il^ren tag*
lidjen Seruf^pflid^ten nic^t bie äKittel für ben Snoerb be^ guten
E^arafter^, fonbern nur Änläffe jur ^ctftreut^eit erfannte. ®ie
l^at in ben erften je^n Salären il^rer S^e aud^ unter bem 6in*
ftuffe ber ©efi^t^punfte geftonben, tt)eld^e in ber ©d^ule Don
Eollenbufd^ gangbar toaren, bag bie Heiligung in beftimmten er*
tennbüren Stufen erreid^t toerbe, unb l^at fogor burd^ bie Auf»
gäbe ber SBoQenbung actiber ^eiligfeit im trbifd^en Seben fid^
bleuben laffen. ^er Erfolg mar jebod^ bie ©teigerung bei»
549
©flnbcnbctDU^tfeini^ unb bic (Sntfcrnung bcr crfttcbtcn Scrcinu
gung mit ©Ott. 5)a lom cg ju einer Ärifi«, ote fic 1804 i^re
neunte ©ntbinbung unb mit bcrfclbcn iljren getoiffen Sob cr^
'ttjartete. ,5)ie oben genannte ^Jreunbin, ^xan {Römer, toeld^er fte
il^re ©timmung entbedte, riet^ i^r im ®t)Qngelium ju lefen, al^
ob S^riftud nur ju i^r fpräi^e. tiefer fRat\) n^ar t>6n (Srfolg.
„^d^t ton^tt id^, bag 3efuS (S^riftud anä) mein $err unb
$ei(anb fei, unb n^arb aus einer $öQe t)oII ^ngft in einen
§immet DoH ^Jrcube öerfe^t. 5Run brandete ic^ feinet SJienf^en
3cugni§ me^r; toenn alle Sibeln Verbrennten, fo n)ü§te id^ bod^
aus eigener Srfa^rung, bag 3efuS lebt unb für mid^ lebt, mid^
Hebt ^ä) toaxh unauSfpre^lid^ feiig, bie ganje SBelt befam
eine anbere ©eftalt für mic^, allcS kämpfen l^atte ein (£nbe; bie
Siebe erfüllte mein SBef en unb mad^te mir alleS I^un jur Suft. "
3n biefer Stimmung bejcugt fie aud^ im Sa^re 1809: „3d^
^nbe ben einzigen @runb aller 93eru]^igung , alles innern ^rie»
benS einzig in ber SSercinigung mit unferem §errn. SBenn i^
eS lerne, mid^ unb alles, n^aS um unb an mir ift, in i^m anju«
fe^en, alles als fein SBcrf , feine @abe, aUeS als äRittel, ii^m
nd^er ju fommen, fo ge^e id^ Slllem rul^ig entgegen, fo tDc\% id^,
bag ber gefürd^tete ©d^merj gerabe notfin^enbig ju meiner SuS«
btlbung in feinem JReid^e ift, fonft toürbe er mir i^n nid^t fenben."
2)aS n)ar alfo bie in)eite @tufe ber religiöfen Haltung ber
©(glatter. 3m SSergleid^ mit bem ©treben nad^ Pieren ©tufen
ber Heiligung ift ber eben gefd^ilberte ©tanbpunft mo^Itptig.
9Lbct eS ift mertoürbig, n)elc^ Unfic^er^eit ber 9iid^tung mit ber
leibenfd^aftlid^en ©nergie biefer ^Jrau öerbunben, unb wie i^rc
ben ^[nberen jugefe^rte ©elbftänbigfeit t)on einer auffallenben
öcftimmbarfeit burd^ bie SKeinungen i^rer greunbe begleitet ift.
Sie ift eben mit allen männlichen 3^9^" i^^^S (S^arafterS bie
grau, unb i^r Xrieb, ft^ ju beobad^ten unb über fid^ ju grübeln,
bringt i^r feinen ©egen. Ueber i^ren 3"ft^"^ ^*^^ 1804 bis
1809 fpric^t fte rüclbliclcnb in jwei faft gleichseitigen Söriefen,
bie bem Sa^re 1818 angehören ^), fic^ fo auS: „^^eilid^ ift baS
Sertrauen auf unfere {Reue ober auf unfer ©laubenSgebet ober
auf unfere Screinigung mit @ott immer noc^ ein felbftgered^teS
Vertrauen, meld^eS feine ©eligEeit nid^t bloS unb allein bem
1) ^Q^ai I. e. 49. II. e. 466.
550
SSerbtenft S^rifti iufd^reibt unb berbanft. 3^ ^citte 3^^^^^ ^^^
Sollte, tDO id^ mtd^ metner Bereinigung mit (S^rifio fo innig
freute, bag i^ faft glaubte, fein %oh unb feine ©ünbe fdnne
mid^ je öon il^m trennen; unb jefet ift mir bicfc greubc genom^
men, unb mir fommt c^ t)or, ald fönne er and^ je^t nod^ mit
ben ©einen mad^en, toai er n)ill.'' ;/ (Einige 3a^re lang ftü|tc
id^ mid^ auf bod ©efd^enf ber Siebe (S^rifti unb meine mit i^m
gefd^loffene SSereinigung , n^orau^ aQmä^üd^ tt)ieber eine anbere
8lrt ©elbftgered^tigfeit entftanb, n^orüber mir enblid^ @otte<S nie
ermübenbe Streue burd^ unfern lieben 93ood bie Sugen öffnete
unb mid^ lehrte, n)ie id^ mic^ auf gar nichts, auc^ nid^t auf
meinen gefd^cnften ©tauben unb meine erbettelte Siebe ftüften
fönne jum ©elign)erben, n)ei( beibe fo gebred^üd^ unb elenb feien,
fonbem allein auf ba^ 0))fer (Sl^rifti am ^euj ... @o nadt
unb fo blog n)ie id^ mid^ je^t ffil^le, n^erbe td^ armed ftüd^Iein
Eingetrieben unter bic ^lügel 3efu, n)0 aQein id^ bor bem ^inht
pd^er bin."
^iefe neue äßet^obe ift bie bed Duieti^muS. 3)urd^ @ogner
unb einen anbem fatl^olifd^en ©eiftlic^en Xa'ocv 93a^r ift fte 1809
mit S^erfteegen befannt gemad^t n)orben, unb l^at fid^ biefer 9(uo
torität untertDorfen, rodl fie ben Berjic^t auf baiS ©elbftgefül^l
in ber ©eligfeit auferlegt, ^enn hierin fd^ien i^r eine ^ö^ere unb
gottgemägere Seiftung be^^alb ju liegen, n^eil ba& ©elbftgeffi^l
nad^ ©elbftgered^tigfeit au^fa^. „9lun t)erlernte ic^ aümfil^licE
bag Ääm<)fen unb ©etbftoirfen unb lernte ba^ Ucberlaffen. ©o
lebte id^ meiftend feiig, mien^o^l unter 8lbh)ed^felungcn, toie ein
^inb im ©d^ooge 3efu, lieg mic^ reinigen t)on i^m, unb t)on
i^m mir äUcö auS ®nabe fd^enfen." SluS biefer Stimmung ^cr^
au^ fd^reibt fie 1814 an i^re ^reunbin: „^ä) fage aQed meinem
lieben (S^riftu^: ©iel^ fo unb fo fte^t c^ in meinem $erjen, fo
unb fo lieb l^abe id^ biefen äßenfd^en, jenen äßenfd^en. ©oDte
nun biefe Siebe ber Siebe ju bir ^inberlid^ fein, fo reigc fie ^er*
aug aug bem §erjen, ober bringe fie in bic redeten ©d^ranfen;
für} bir fibergebe id^ mein $er}, bag bu treuer ^irte eiS benml^
reft unb reinigeft. Unb, glaube mir, id^ ^abe fd^on augenblict^
lid^e groben ber SBirfung biefe« @ebet« erlebt." ©ie ^atte ge*
rabe bamal« bie greube gehabt, mit einem norbamerifanifd^en
Duäfer ©reUet i^re Uebereinftimmung ju tiptohm. „äRir toor
%Ut^, n)ad ©reOet t)on bem (Sindfein mit (S^riftud, bon bem
551
SoSmad^en bott aOetn flevi%^m ^ptaS), nur bie ©^ad^e, bie td^
feit brci Sorten in 3;crftccflcn'g ©d^riftcn fanb unb innig gcnog,
ja c8 toar mir oft, oU Prtc id^ i^rc SBortc. Äud^ bie ®u^on,
oud^ ©ailer fl)rid^t baffelbc/ Siemgemäg befennt fie pd^ ju bem
Orunbfoft: ®ott «tte«, bcr2Renfd^ Slid^t«, rcfignirt fid^ barouf,
bie Siebe Sl^rifti ju glauben, aud^ n)cnn fie biefelbe nid^t ffi^U,
ftrebt nad^ ber reinen Siebe, unb finbet jugleid^, bag bie t)on
Xetfteegen bargeftcllten ^eiligen @ee(en bod^ nod^ t)on eigener
©ered^ttgfeit erffiOt ju fein fd^einen. Slber bie Sntfd^ieben^ett
für biefen ©tonbpunft n^ar n^ieberüm nid^t fo flar, bog nid^t bie
@d^(Qtter injn^ifd^en bod^ barin l^ätte ^vanfenb n)crben lönnen.
3n bem julefet ongefül^rtcn ©rief berid^tet pe, ba% 1816 ein
3Rann, ber groge (Srleu^tung ^atte, aber fid^ in aQerlei l^o^c
^inge einlieg, i^r t)orgefteQt f)abc, man bürfe nid^t immer ein
ftinb in S^rifto fein, fonbern man muffe aud^ ein 3Rann in
i^m n^erben. ^iefe Slnforberung l^abe fie etn^ai^ aui^ bem ©c^ooge
3efu l^erau«gcbd(t, i^ren inneren gricben unb finbtid^en Umgang
mit (S^riftuS etnxid geftört, bid ber treue $irte fie n^ieber ^eim«
gel^olt ^abe. ©ie fei beftimmt, ein ftinblein in (S^riftuiB ju blei^
ben, aU arme ©ünberin fönne fie nur aud @nabe feiig n^erbcn,
unb n)enn fie ^unbert ^affxt naij aSoOfommen^eit ränge. 3n
einem S^riefe an ben 3)om^errn SSSalbl^äufer in Sin; t)on 1816
meint fie bie allgemein et)angelifd^e Seigre bon ber Unt)oQfommen«
l^eit ber guten SSerfe ju t)ertreten, inbem fie gut quietiftifd^
erll&rt: „@oba(b mein SSerf nid^t aud reiner Siebe ju ®ott unb
bem 9läd^ften gefd^icfit, id^ babei bie geringfte Sbfic^t auf mid^
l^abe, fo ^ört mein SSer! auf, ein guteS SSerf )u fein unb l^at
feinen Sol^n bal^in.''
a^ ift bie SRegel bed Duietii^muiB, bag bie aSerlaffungen unb
XrodCen^eiten ber G^finbung ebenfo atö SKerfmale ber @e(ig!eit
erfahren werben toie bie SKomente ber greubc; bcnn bie ^Jreube
ift nur eine jufäQige Seigabe ber in ber SSernid^tung bed eigenen
SBiQend um @otteg to\üm befte^enben ©eligfeit (®. 471). (Sine
tieftragifd^c Srfd^einung ift eS nun, bag bie ©d^Iatter in ben
Dier legten Sauren i^red Sebend, jumal afö fie t)on ©ied^t^um ^eim^
gefud^t »ar, biefe atcgel nid^t f)at jur Snn^enbung auf fid^ brim
gen fönnen. Sie ^at bie geiftlic^e ©enugfud^t nid^t jum 0))fer
ju bringen t)tvmskf)i. 3m Sommer 1821 mad^te fie atö S3eg(ei«
terin i^re^ nad^^erigen @d^tt)icgerfo^ni^ Siö^rig, eines ftaufman^
552
tted in SSarmen, eine Steife nad^ biefer @tabt, xotl<f)c fte bvttd)
SEBürttemberg unb toeiter ben SÄittetrl^ein hinunter führte. a)ie
SSefd^reibung biefcr Steife 0 ifl Dom pc^ften 3ntcreffe filr bie
@tQttftif unb bie Sigent^ümlid^fetten be^ $ietidmud. UeberaQ
iDerben bie d^riftUd^en ^reunbe befuc^t unb fiberaO Slnbac^^
Übungen angefteQt, toeld^e bie ©timmung ber 9leifenben oufd
^öd^fte fteigcrten. aber wenn bie (Selegen^eit be^ Orted fol^e
ßufomntenffinfte unmöglich mad^te, n)ie in ber !atl^olif(^en @tabt
Srud^fat, fo toax bie ©d^tatter fe^r toenig geneigt, bicfe (Bntbe^
rung ju ertragen, obgleid^ fie im {ßoraud fid^ bie Ueberjeugung
feftgefteüt ^atte, bag fie burd^ ben fo reid^en Serfe^r mit ben
@(eid^geftnnten an& ber ©ammlung getoorfen unb herleitet tott*
ben lönnte, gläubiger unb liebenber ju fpred^en, aU fie eigentlid^
fei unb fid^ in ein fd^önere^ Sid^t ju fe|en, als i^r gebü^.
3an)0]^(, ber Duietift foO ju $aufe bleiben, um nid^t bad ®letc^
gewicht jitoifd^en ^^reube unb Oebe bed ^erjcnd ju Verlieren,
n)orauf er fid^ t)er))f(ic^tet f^atl ^iefcd ©leic^getoic^t aber ftai
bie@d^latter niematö erreid^t; i^re affcctDoQe Krt toax Don t)oxti
herein auf ben Ouieti^mud ni^t angelegt. 3n bie Zrocfenl^eit
i^rer Smpfinbung gegen S^riftud unb @ott ^at fte fid^ nur mit
ber tl^eoretifd^en formet, nid^t mit i^rem äSBiOen gefd^idt. SSBer
fann o^ne bie tieffte S^iieilna^me folgenbe 83efenntniffe an i^re
greunbin ©effner lefen, weld^e mit 1822 beginnen! „Sd^ »erbe
©Ott entfrembcter, !älter, elenber, jcmefir id^ bürftc mit i^m eini8
ju n^erben. SlQe Xugenben finb mir au^gejogen unb nur ©finbe
unb @(enb mir fibrig geblieben. 3d^ hoffte, bie 9ieife unb ber
Umgang mit fo Dielen S^riften toerbe bleibenb auf mic^ n^irfen;
aber ic^ fe^e feine 5ot:tfd^ritte, unb njeife leinen Satl^, ate mid^
in bie ISrbarmung Sl^rifti ju Derfenfen/' „SBie gebeugt unb flein
mad^t mid^ bied, bag id^ je^t (na^ ber ^l^eier beS Slbenbma^tö)
ntd^t lebe, fonbem bürr unb falt ja tuic erftorben mid^ fft^le.
3lid)t einjelne ©finben unb Seibenf^aften brüdEen unb befd^ämen
mid^, aber biefe unerträglid^e, unleiblic^e ^älte unb fiiebeleer^t
gegen i^n, ber um meinettoiQen Dom X^ron ber ^errlic^feit ^erab
in unfer @lenb ftieg .... 3c^ fe^e nid^t aufg @efüf)l; beffen
3}2angel n)oUte ic^ gern tragen, toenn id^ ba^SBefen ^ätte . . . .
9lber bag iä) nid^t bleibe in i^m, feine ©tunbc ganj aQein bti
1) ^adfiai L 6. LXXX-CXIX.
553
iffox bleibe unb mit tl^m toad^e, bag jebe l^äu^ßd^e ftleinigfeit
mtc^ in ben l^eiligften 3Romenten jerfheuen unb meine ©ebanlen
auf ftd^ sieben tonn, i>a^ ifi mir ^um SuiSfpeien unerträglid^."
«rSReine innere ^inftemig unb @laubendleer]^eit . mad^t mtd^ fo
unloerträglid^ .... @ott nriQ mid^ lehren gebulbig fein, unb id^
mQ nid^t (cmen unb reibe mid^ an ben ©egenftänben meiner
Uebung. ^ied fommt nur bal^er, bog id^ nid^t (ebe in bem
(Stauben bed ©ol^ned &oik^, nid^t aud bem Glauben bie Siebe
ftbe, nid^t in betStä^e bed ^eilanbed bleibe. @o fe^r id^ füllte,
ba§ mein ^erj feine Stulpe unb feine ^reube finben fann auger
Sl^rifiu^, fo koenig lebenbigen S^rieb l^abe id^ in mir burd^jubrin^
gen ju i^m. 9Kein Xobe^uftanb benimmt mir fogar ein (eben:»
bigeiS ©eignen nad^ Seben unb S93ärme . . . . 3d^ mug mic^ ffir
fel^ jurädEgegangen erflärcn. @ott na^m feine ©aben jurfidC
unb lägt mid^ nun erfahren, n^aS id^ in mir felbft bin ... .
Oft fd^koinbet oQei^ t)or meinem SBIidC, unb id^ fann mid^ nur in
@ottei^ (Erbarmen l^ineinn^erf en , e^ möge mir gelten in 3^^^
unb (Smigfeit, mie er n^iU.'' ^a^ ift ja bie rid^tige formet
bed Duietii^mu^, aber man fielet, bie @d^(atter befennt fid^ baju
nid^t gern, fonbern ungern. Unb nun bie le^te Sleugerung,
toenige Sage Dor i^rem Xobe: „3c^ fü^le feinen Sroft, feine
äkbt (Sottet; e^ fd^eint mir, atö ptte er feine @nabe t)on mir
genommen unb liege mi^ nun mir felbft aber. Sein 9}erlangen
ju fterben unb feine %imbt ju leben ben)egt mid^; id^ bin in
Änfed^tung, in tocld^er nur bie gürbitte 3efu mein g^^Hcin
(SUauben erhalten fann, bamtt id^ nic^t mit ben ®ottIofen unu
lomme."
^a^ ift ein tragifd^er Slu^gang. ^ad SSer^ängnig ber
©d^latter beftanb t)or ^Üem barin, bag il^r äßagftSbe ber ^röm^
migfeit überliefert mürben, meiere nur im flöfterlid^en Seben
bnrd^gefü^rt merben fönnen, mäl^renb fie atö $roteftantin fid^
auf baiS el^elic^e Seben unb einen bfirgerlid^en Seruf angemiefcn
fal^. 31|r SSerffängnig mar ei femer, bag i^r SRann i^re geift^
lid^e SRid^tung unb i^r @elbftgeffif|l in berfelben atö etmad be«
re(^tigte3 gemä^rcn lieg, unb inbcm er i^r nic^t ju imponircn
üermoc^te, fie ber Sluctorität il^rer geiftlic^en ^^rcunbe fat^ofifd^er
(Eonfeffion an^imgab. @ie ^at tro^ i^red ftarfen unb aud^ in
i^rer quietiftifc^en (Spoc^e unüberminblid^en ©elbftgefft^tö auf
aQen ©tufen il^rer (Entmidelung ftc^ atö SSeib ertPtefen, melc^eS
554
ol^ne äBiberftanb bcr Settung bon SOtännem nad^gab. 9lur i^rtm
eigenen SKanne räumte ftc einen fold^en ®tnf(ug nid^t ein. Slber
^ier liegt bie @d^ulb il^red fiebend, nämlid^ in ber unüetft&nbi«
gen unb tro^igen Ueberl^ebung über ha^ S^riftentl^um \f)Tt&
äRanned, bem fie niematö bie ©(eid^bered^tigung mit il^rer 8rt
jugeftanb. 3Rit biefer ©c^ulb gleid^artig ift n)eiter i^re Unge^
neigtl^eit, an bem 93eruf ber äRutter unb ^audfrau bie Zreue
im kleinen ^n lernen, unb baran bie Uebereinfttmmung üon S)e«
mutl^ unb rid^tigem ©elbftgeffi^I ju erleben, oeld^e ber Siegel
bed ^roteftanti^mud entfprid^t, aber nad^ ber Stegel bed DuiettS«
mug nic^t erreid^t werben fonnte. Släd^ft ©icco Xjaben tfi bie
©d^Iattcr bie crfte^erfönttd^fcit, bereu SKitt^etlungcn ben ^etiS«
mud im inbit)ibuellen fieben beobad^ten laffen. 3n iebem ber
beiben %iüc giebt er fid^ nid^t atö eine Anleitung jur ©eligfeit
jU erlennen, fonbern ate eine Duelle jicUofer Seftrebungcn , bei
»eld^en bie ©eligfeit auSgefd^Ioffen ift, auf bie eiJ im ^roteftan*
tiSmud anfommt.
Sine befonberS miglid^e ©teQung nimmt im $ietidmu$ bie
(Jrjiel&ung ber Äinber ein. 8ud^ hierfür bietet bai8 Seben ber
.©glatter eine eigent^mlid^c ?ßrobe bar, toeld^e jugleid^ ben An*
blidE einer bcfonbern ©pielart öon ^ietiömud eröffnet. Sie
jä^Ite unter i^ren gottfeligen Söefannten einen 9Äann iRamend
§anÄ Safob ©d^äfer in appenjcll, toetd^er in «ftronomie, 6^e*
mie unb arjeneimitteUel^rc untcrrid^tet , toegcn ber (enteren %tu
tigleit t)on bem SSoIf aU «rst gcfud^t »urbe. ffir toar fiberbie«
in ber öibel betoanbcrt, unb gab ftd^ mit SSercd^nung ber fEklU
jeiten ab, 3)emgemä6 Derfünbete er, bafe bie 6000 3a^rc be8
crften aScItlauf« mit 1816 ju (Snbe feien, bafe bie leftte SBod^e
nac^ 3)aniel 9, 27 anbre^e unb binnen 3V2 3a^ren ber etoige
©abbat^ beginne. Slud^ gab er fid^ mit SSorl^crfagungen fiber cinjelne
^crfoncn unb S)inge ab. 3n ben 3Jerfe^r mit bicfem SRanne,
njcld^er ber ©d^Iatter fel^r imponirte, l^atte fie nun aud^ i^re
5 löd^ter eingeführt, »eld^e fie, »ie ber Siogra^)^ fagt, 1818
nod^ nid^t alö wa^r^aft belel^rt glaubte anfeilen jn bürfen, ob*
gleich fie nic^t ermangelt l^at, i^re ^inber ju il^rer SJ^et^obe t)on
grömmigicit bircct anjuregen. ©d^äfer aber gab fid^ nic^t bloS
mit bem unfd^ulbigcn SSergnügen bcr ©ered^nung ber Seiten
@otted ab, fonbern ^atte aud^ feine ^eitöorbnung fic^ fturec^
gemad^t; unb in btefe liegen fid^ bie Zöd^ter t^erftridCen , gerobe
555
afe bie aJhittcr Äittag fanb, bcn SScrlcl^r mit ©d^äfct abju^
breiten. SBcnn bcr Stograpl^ bcrid^tct, bic löd^tcr l^ättcn Dor«
^cr in faft änflfilid&cm ©cl^orfam gcgcit i^re SDiuttcr gcftanbcn,
fo tDirb ber SSertl^ biefeg Srjic^ungiSrcfultateg, unb bog äßag
bc« t)on ber SRuttcr crtüorbencn SBcrtroucitö ber löd^ter boburc^
in ein bebenflid^eiS fiid^t gefteQt, bag fte nnn gegen ha^ Verbot
bcr SRutter fic^ gerabe erft re^t mit ©d^äfcr in SSerbinbnng feft*
tcn unb feine Se^ren öerfd^tongen. 5)iefc gingen barauf l^inauiJ,
bag für i^n unb feine Sn^anger bie Spod^e bed endigen ^obiatf)^
fd^on angebrod^en fei, bag ber @)egenfag jn^ifd^en @etft unb
glcifdö in i^nen, bie bur^ S^rifti Opfer gel^eiligt feien, fd^on
cntfd^ieben, bag fein fittlidier fiampf mel^r für fie nötl^ig, unb
bag fein SKenf^ ju lieben unb ju eieren fei, fonbern nur ®ott,
unb ein SKenfd^ nur infofem, als ®ott in il^m njol^ne *). 3)ic Xöd^ter
ber ©d^totter culttöirten biefe 3been bur^ eifrigei^ öibettefen unb
Seten, fügten fid^ aber jugteic^ fp Don i^rer SKutter toiJ, bog fie
nad^ bem biet mtgbraud^ten ©a^e t)on bem SSorjuge bed ©el^or«
fami^ gegen ®ott öor bem gegen SRcnfd^en il^r bie ^Jolgfomleit
Demieigerten , unb i^r ben ®nabenftanb abfprad^enl SSarum
benn aud^ nid^t? 5)ie SKutter t^ot ja bem SSoter bag ©teid^e!
Unb toenn bie ftinber Don jel^er unter ben Sleij gefteigerter reti*
giöfer ß^K^iit^i^ngen gefteQt tooren , fo ift e^ bcr 3ugenb nid^t
iu öerbenfen, bog fie bem ftärfften Steije ber ärt, ber gerabe
bargeboten n)trb, j^ugänglid^ ift. ^ie ©d^latter l^at biefe SrfaJ^«
rung natürlich mit bem tiefften ©d^mcrje erfüDt; jum ®lüdt
tnurben ben löd^tern bie Äugen geöffnet, ali^ ein mit ©d^äfer
eng Derbunbener SRann, Slameng Slänni fie in bie antinomifti*
fd^cn gotflc^u^^flcn QUö beffen Se^ren ju tjcrftridtcn untcrnal^m.
©0 famen fie aümä^Iid^ n)ieber unter ben ®inf(ug ber äRutter.
^iefelbe fd^eint feine Ahnung baDon gehabt ju ^aben, bag
fie mit if)rer ©rjie^ung ben Strgang il^rcr Äinber birect üerfd^uU
bet ^at. ^ann man fid^ nun tounbern, bag fie i^r ©elbftgefü^I
auc^ auf einem ®ebiete geltenb mad^te, n^eld^eS fie atö gottfelige
^rau natürlid^ für i^re Domäne anfa^, nämlt^ bie X^eologie?
©ie ^at eine unleugbare ^ertigfeit gehabt, ben engen ^reig i^rer
inbiüibuellen ^fal^rungen unb Seftrebungen barj^ufteüen , n)enn
fte aud^ barin eben nid^tg DrigineOed leiftete. ^Qein n)eiter
1) 9U4Iaft IL e. 142. Srauenbriefe 6. 145 ff.
556
reid^te i^re SBefäl^tgung ntc^t. ©ic l^at einmal in einem Sriefe
an tl^re ^od^ter 0 t^te S^rage ju bcantoorten unternommen, ob
ber ^err Sefud für un^ bcm ©atan eine ©d^ulb ju i^afj|itn ge«
Ijabt l^ätte. ^tefe obfoletc ^mtriftifd^e X^eorie l^tte alfo einen
JRetj für fie. ©ie rebet aber, wie fclbft ber Herausgeber, i^r
Snfel, anerfennt, burd^aud Dertoorren barüber, ol^ne ed ju bemec^
fen. @ie fnü^ft ferner an Slcanber'S ©cnftoürbigtciten aud bet
@efc^td^te beS S^riftcnt^umS ben SluSfpruc^, fie glaube an i^m
etoaS iut)iel $retf|eit n)a^rjune]^men, mnn ed barauf anfommt,
über @rigel unb Xeufcl, äBunber unb Srfd^einungen ju f^nred^en ').
S)iefe S^l^emata alfo finb if|r t^cologifd^ ebenfo n)ic^tig, toie 0m
bereS. ©ie f)at, als i^r ^eunb SooS in Sinj gefangen gefegt,
unb i^re SSriefe an benfelben jur ^cnntnig bed bortigen X)om<
capitetö gclommcn waren, mit einem S)om^erm SBalbl^dufer eine
Eorrefponbenj begonnen , um eg aufjullären , toie fie bie ^ote»
ftantin baju gelommen fei, mit fcnem lat^olifd^en ^arrcr Sriefe
p toed^fetn. ©ie nimmt baöon ben Änla^, jenen ©egncr öon
Sood über bie ))roteftantifd^c unb bie fat^olifd^e 9led^tfertigungd«
le^re }u unterrid^ten. SS ift fd^on (©. 551) bemertt worben, bag
fie i^ren OuietiSmuS in bie proteftantifd^e Sefire einmifc^t, unb
fie ift aud^ nid^t im ©tanbe, bie fat^olifd^e Sc^re, toie ber Am
berc fie Vorträgt, rid^tig aufjufaffen. 3^ i^ren mert^toOfien
Ueberjcugungen red^nete bie ©(|latter bie Sefjre Don ber ®id)cr^
bringung. SHS fie nun auf i^rer JReife nac^ ©armen in (Kdln
ben ^aftorcn Ärafft unb ®räber na^e trat, brad^te fie au^ bie
Äcbe auf biefeg Il^ema. @g entfpann fid^ ein ©treit, in toelc^m
öon beiben ©eiten ©d^riftjeugniffe gegen einanber gefegt tourben,
biö bie ©d^tatter irre tourbe, ba i^r bie grömmigfeit ber @eg*
ner, i^r SBa^r^eit«finn unb i^rc SKenfd^enliebe in^wnirtc. ©ie
1) Srouenbriefe 6. 78.
2) 9(. a. O. @. 125. Sie ffi^rt bort fori: „^^n ^u^t mit bem gro«
(en halfen finbet immer bo^ fe^r fd^neQ ben Splitter in beS BruberB Vii|e;
f)arum örgerie i^ mi^ baran , ali i^ in ber Sorrebe beB |toeiten Z^tili bie
SBocte laS: Sur^ bie gütige SertDcnbung beS Dere^rungStoörbigenO)
Dr. Paulus in ^eibelberg. Db baB ni^i ^eigt, ^en Göttern SBei^rau^ ftreyen,
toenn ein ^xifi einen ^ann ber unfern i^errn (S^rißuB fo ^erunterfett unb
gern entthronen »Urbe, bere^rungSttürbig nennt.' 9llfo toenn man ben BaUen
im eigenen 9luge t^eoretif^ suge^el^t, barf man getrofi ben @|plitier im Vuge
beB 9ia4ßen finbenl
557
eilte olfo auf ü^t ßi^nter; ,,t^ marf mid^ i)üt ®ott metnem
^tlonb triebet unb legte i^m meinen Siebling, ben ©lauben an
bie enbßd^c (Erlöfung bed ganjen äßenfd^engefd^Ied^ti^ bon ©finbe,
Xob unb Zeufel aU ein 3faaföopfer ju t^fi^en, menn biefer
@lQube QU^ meiner SSernunft unb nic^t ani feinem $er}en
lomme" ^). SEBie fie nad^^er an bie beiben äßönncr fd^rieb, ^atte
fie ben liebften ^eiligften ©egenftanb i^rcr SBünfc^e unb §off:^
nungen auf @otteiS Hltat gelegt unb im ftiUen @lauben gewar«'
tet, ob @ott i^n berje^ren ober i^r n^iebergeben tt)olle. 9lun
fommt fie nac^ ^ranffurt ju 3o^. ^riebr. bon SRe^r. X)iefer
bringt fie n^ieber l^erum. „^d) fanb in i^m einen oöUigen 3StiU
genoffen meiner feiigen Hoffnung unb n)urbe noc^ feiiger im
SKitgenug.'' @ott alfo fiaitt fie l^ierbur^ bered^tigt, bie ftrei:^
ttge Se^re atö i^re Ueberjeugung feftju^olten. äBad fd^einbar
aud ber 93ibel ni^t ju entfc^eiben n^ar, entfc^ieb &ott burd^
^^erm bon älRetjer in ^ranffurt am ÜRain gauj^ bem SBunfc^e
ber ©c^latter gemäg. @e^r fomif^ enblic^ ift i^r UntotUe gegen @ott^
frieb Daniel ßrummad^er in Slberfelb, al^ berfelbe in einer $re^
bigt über l^ed^. 34, 16 bie lutl^erifd^e Ueberfe^ung (baS @tarfe
unb i^te n)ill id^ behüten, ftatt: t)ertilgen) berid^tigte, toa&
feine ^id^t mar. ^ie ©d^latter erjä^It : „Wi^xtnh ^rummad^er
eiferte gegen bie fetten unb ftarlen @^afe, fprac^ ic^ ju meinem
^eilanb, bu n^eigt, bag id) meber griec^ifd^, ^ebräifc^ noc^ latei^
nifd^ Derfte^e, alfo ^alte id^ mid^ an bie beutfc^e Ueberfe^ng;
bu magft gnäbig jufe^en, marum ^aft bu Sut^er bein SSort fo
flberfeften laffen? 3Bir Armen, bie nur beutfc^ berfte^en, tt)ü§«
ten ja fonft nid^t me^r, mag mir glauben; alfo galten mir und
an bad, mad n)ir bidl^er gelernt ^aben aud beinem äSBort/'
©c^lieglid^ erforbert nod^ ber freunbfc^aftlid^e SSerfel&r ber
©(glatter mit ben Iat(|olif^en ©eiftli^en einige ^eac^tung. S)ad
finb ^auptf&^li^ SRi^el ©ailer, SDeartin Sood, 3o^anned ®og^
ner unb bie meniger befannten Xat)er 93a^r unb $aib. X)er
le|te, toeld^er eine Seit lang atö Seigrer am ^riefterfeminar in
@t. @aQen mirfte, mar ber eigentlid^e ^aui^freunb. 2)ie juerft
genannten SKänner, Don benen @ogner jule^t in bie ebangelifdbe
ftird^e eintrat, merben regelmäßig ba^in beurt^eilt, bag fie atö
Sat^olifen bem ebangelifc^en ©lauben fid^ angen&l^ert ober gar
1) Jta^lai L 6. CXIY, U. 6. 456 ff.
558
benfclben ergriffen ^aben; unb indbefonbere loirb i^re geifUtcle
©cmeinfc^aft mit ber @c^Iatter tute mit anbeten (Suangelifc^en
atö ein ^en)eid f&r btefe SSe^auptung geltenb gemacht, hingegen
in ber Eat^oltfc^en offtcieUen ^udbrud^tDeife fmffiren fie unb i^r
ansang unter bem iitet bc& «Äfterm^ftici^mug." ©ailer (gebo=
ren 1751) juleftt Sifc^of oon SlegeniSburg, ift ber adtcftc unter
ben ^rei unb ^at al^ ^rofeffor auf ber bifc^öflid^ Sugi^burgi«
fc^cn Uniberfität ju ^iQingen in engem SBerfe^r mit Saüater ge^
ftanben, ift auc^ 1794 biefed ^mtei^ entfe^t n^orben, toeil er im
äSerbac^t unlat^olifc^er ©efinnung ftanb. 1799 $rofeffor in
3ngolftabt, bann in Sanb^^ut, t)at er feinen ©d^^Ier SBood
gelegentlid^ unter feinen @ci^ug genommen, aber auc^ jur %f^
ftumpfung feiner Se^re angehalten. Senn fon^eit beibe fiber^aupt
gleid^er Uebei^eugung n^aren, ift Sood (geboren 1762) bie trei«
beube Äraft gemefen ^).
äR artin S3oo^ l^at atö junger ©eiftlid^er t)on einer Iran«
!en grau, meiere er für ba^ Sterben mit il^rer grömmigfeit tr5*
ften rnoUte, jum erften äRale gehört, bag fie im SSertrauen auf
i^re grömmigfeit gen)i§ t)erbammt tottbc, aber auf 3efum il^ren
§cilanb getroft fterbcn fönnc. 2)iefe grau war offenbar mit ber
officieüen liturgifc^en Änwcifung jur Vorbereitung ber ©terben^
ben in ber lat^olifc^en Äird^c «) beffcr befannt afö i^r ©celfor*
ger. 3)iefer aber l^at fic^ bon ba an (1788 ober 1789) mit bie^
fer SBa^r^eit unb i^rer ©ttitigfeit aud^ für bad d^riftlid^e Seben
burc^brungen. Um fo me^r toar bied ber gaQ, aU er aufrid^«
tige @emüt^er, toeld^e bie @eligleit unb ben grieben auf bem
SBege ber SSeidE^eiligfeit fud^ten aber baS ®egent^eil fanben, mit
bem ©ebanlen tröftcn fonnte, baß fie burd^ 6f)rifti SSerbienft im
Vorauf bie Vergebung ber @ünben empfangen unb baran einfad^
ju glauben ptten. Sie entgegengefetfte Dulgär^at^olifc^c äRe^
t^obe ber (Erfüllung bed ©efeged jum 3^^^^ ^^ ©eltgfeit l^at
bemgemäg Voo^ al^ p^arifäifc^ benoorfen. 3)a0 ftimmt nun
faft wörtlich mit ber ^ofition Sut^er'g überein. Unb man fönnte
fogar ju ber anficht Derfuc^t fein, bafe Sooig Sutl^cr übertroffen
^abe, inbem er in (Sinem kt^em S^riftud aud^ (üä \>q& WotiD
1) Sgl. SDHartin SBooS, ber ^rebtger ber Sete^tigfeii Die oor ®ott gilt.
@ein 6eUiflbiograp^. herausgegeben toon 3o^. (Softner. Seipiig 1826.
2) %I. Se^re oon ber Sied^tfertigung unb Serf&^nung L e. 125.
559
ber Heiligung befennt, alfo „S^riftuS für und unb in und'' für
boS ^unbament erflärt, auf tuelc^em bte guten SBerfe gebaut
merben. 2)enn baburc^ befeitigt er Don Dorn herein ben ©d^ein,
tveld^er Sut^er belaftet, bog bte Heiligung eine @ac^e in)eiter
Orbnung fei. Sd fd^eint babei nic^t Diel ju uerf erlagen, bag
93ood bie 9ied^tfertigung aud bem lebenbigen @(auben gelegentlid^
Quci^'mit Sinfd^Iug ber Heiligung oerfte^t ^enn ed fommt i^m
immer barauf an, bag ein fefter Sinbrud ber burc^ S^riftud ver-
liehenen @änbent)ergebung ba fei, e^e man ^rei^eit unb ^reu-
bigfeit gu guten äSSerEen faffen fann. Unb bad ift auc^ bie fOltu
nung Sut^er'd. S)ennoc^ bm&ffxt fic^ in ber SSergleic^ung beiber
äJtönner bod SBort : si dao dicunt idem, non est idem. 3nbem
93ood jene Se^re auffteUt, behauptet er einen anbem ©efic^td*
fretd unb bett^egt fid^ in einer anbern geiftigen Stmofpl^äre, atö
Sut^er. äSä^renb Sut^er mit aller 99eftimmtl^eit baran feftge«
galten f^at, bag ber ^eilige ®eift, ber ben @lauben n)irft, nur
burc^ bod geprebigte SBort @otted verliefen mv\>, b. f). bag ber
inbioibuelle @(aubendftanb nur in bem Stafimen ber öffentUd^en
ftird^e unb in bem georbneten Ser^Itnig }u i^rer @efammtan«
fc^auung gefunb ift, fo benft 83ood barilber anberd. Sr glaubt,
bag S^riftud feinen ^eiligen ©eift t^eild mittelbar, tl^eiU un«
mittelbar an bie ©laubigen mittlieile, bag S^riftud noc^ ^eute
feine ©laubigen burc^ allerlei Xräume, Srf d^einungen , ©efid^te,
©timmen u. f. to. unterrid^te, ferner bag man ben magren leben^^
bigen ©louben aQein in ber ©d^ule bed ^eiligen ©eifted lerne
nac^ vielem ©ebet, ßampf unb S)emüt^igung aller 8lrt ^). SBirb
Qu4 ^iebei Vorbehalten, bag nüglic^e Snftalten jum Unterrid^t
nic^t }u Vern^erfen finb, fo ift bie 93ebeutung ber angeführten
©&^e unverfennbar bie, bag bie aßet^obe von f8oo& auf einen
engem ßreid ald ben ber öffentlid^en ^irc^e, auf allerlei apo«
fr^^e äßittel ber $eildgen)ig]^eit, unb juglei^ barauf red^net,
ba| ber lebenbige ©laube burc^ adfetifd^e 3)idciplin ern^irft n^erbe,
loenn er nic^t fo leidet anfprid^t, n)ie ed in vielen (Srn)edtungd«
fäQen vorgefommen fein mag. X)enn n)enn auc^ biefe Sorberei^
tung jum lebenbigen ©lauben in einem parallelen @a^ jugleic^
ald bie äSirfung Sl^rifti begeid^net n^irb, fo lautet bo^ ber
mitget^eilte Sudfpruc^ auf bie Seiftung eigener Xnftrengung ju
1) SRartin Sooft 6. 66. 141.
560
iencm ßed. ^ataud oBer ergiebt ft^, bog bie Wed^tfecttguitfiSle^
uon 93oo$ einen anbem @inn f)at , otö bie ton fiutl^er. 2)entt
ed ift jiemüc^ glctd^geltenb , ob man feine ©eligleit burd^ gute
SBerfc erftrebt ober feinen lebenbigen b. f). feligmod^enbtn &lan^
ben fic^ abgcn)tnncn unQ burd^ @ebet, föampf unb 2)eniilt^igun«
gen, toelc^e getabe jielloi^ ftnb, n>enn fie nid^t aud bem lebenbi*
gen @Iauben ^erüorgel^en. S^gleid^ ö^et ftc^ ein ganj anbercd
Sebendgebiet, ald ed Üntf)ti abgeftedt ^at, tt^enn ^ur inbtoibneOen
^eil^etotgl^eit @timmen, Xräume ober anbere bloge ®efü^ld«
einbrüde bienlid^ gefunben tocrben. SnbererfcitiS mar bie Seilte
t)on SooS n^irfUc^ im SinElang mit bem S)ecret beS Xribentini«
fd^en (Soncild de iustificatione. S)iefe Uebereinftinunung tft 1811
bei ber erften in £inj gegen 83ood geffil^rten Unterfuc^ung feß»
gefteQt n^orben, ba auc^ bie @etoig^eit ber 8egnabigung, n^Id^e
Soo^ betont, nid^t gegen ba^ 9. (Sa^itel bed S)ecretd ber fec^ftcn
@effion oerftögtO- SBenn man @ailer jutrauen barf, bag er
bie ^nfid^ten t)on ^ood jugleic^ mit 93iIIigfeit unb SBerftSnbnig
beurti^eilte, fo bietet folgenbe ^eugerung beffelben loo^I bie näf*
tige ^anbgabe, um 93oo^' @teQung ju beftimmen. @ai(er f c^retbt
10. äßai 1811 an ben geiftlid^cn SRat^ 93ertgen ju £in5, loelc^
bie Unterfuc^ung gegen 93ood fo eben auf ber ®runb(age bei^
Xribentinum^ in befriebigenber äBeife gefc^loffen ^atte: „(fö giebt
unter und ßatl^olifen mec^anifc^e, fc^olaftifc^e, geiftüc^e S^iiften.
93ood ift geiftlid^'fat^olifd^er S^rift; benn er fagt aOc Se^ren
ber fatl^olifc^en jlird^e aud bem ©efic^tdpunft bed inneren Se^
ben«, ber 3nnigfeit, ber ©ottfeligfeit"«). S)a« Reifet: ©ie «b*
fic^t bon 93ood ^ält bie Sinie ber flöfterlic^n X)eDotion inne,
aud^ inbem fie an Saien erprobt koirb. SSenn berfelbe atö Sor*
fte^cr eine« fölofter« feine ßloftergemetnbe mit feinen (Srunb^
fa^en burd^brungen ptte, fo würbe er fd^n)erlid^ Slnftog erregt
^aben. ^enn bie Softer finb bie $f(egeftätten ber äRljftif unb
biefe ift in i^ren t)erfd^iebenen 9rten bie äRet^obe, fc^on bei SUb*
ieiten feiner @eligfeit gen)ig ju n^erben. S)a]^in weift bei SBoo«
einmal ber ©a^, bag (S^riftu« bie ©einigen burc^ @(eft(^te unb
©timmen unterrichtet, ferner aber ber Umftanb, ba| er bie ©^rift
1) 1. a. O. @. 174. 184. %(. Se^e kwit ber Sle^tfertifiimg xatt Her«
fS^nung III. 6. 130.
2) 9(. a. O. e. 190.
1) 1. 0. C. e. lea. 222. 372. 388. oben 6. 645.
2) fBuü über i^n Oer^ofi in brr Stedenc^Ko^bie XIU. 6. 306
Mi 811.
L 86
561
bc8 Dttietiften ^ttnihx^üowxsnt^ „bad t^erbotgene Sebtit mit
S^rifto in ®otV* überall unb regelmäßig unter feinen 8[nl^ngetn i
iierbreitet ^at. Sr ^at aud^ offenbar feine perfönUd^e Ueberjeu«
gung t)on biefer quietiftifd^en SIR^ftif nid^t mit Seftimmt^eit untere 1
fd^ieben, benn er befennt fid^ mit ISmp^afe baju, bag bad (Soan^
gelium ben SV^enfd^en ju 9lic^td unb @0tt in (S^rifto ju SlQem mad§t.
2)tefem @tanbpunlt ift e^ auc^ gemäß, bag SBoodSSerlaffungen erfttl^r,
bie ©timme bed Sräutigamd nur feiten l^örte unb felbft ba^:
ran itocifclte, ob er ©otte« ftinb fei *). Qa einem redeten Duie:*
tidmud ^at er c& in feinem betoegten unb geplagten Seben freilid^
ntc^t gebracht; aber bie Xenbenj ba^in bilbet ben Untergrunb
feiner Sntgegenfe^ung bed lebenbigen Glaubend gegen bie Dul««
gäre äSBerfgered^tigfeit. ®enn n^ie n^erben ft^ bie ®ebete, kämpfe
unb ^emüt^igungen, bie um beS lebenbigen ©laubenS n)iQen bor^
gefd^rieben »werben, t)on ben gleichen Uebungen ^^ur (Erreid^ung ber
SEBiQenlofigfeit gegen @ott unterfd^eiben laffen?
JBon ben beiben Snberen ift ber Keltere, 3Rid^ael@aiter*),
niemate ooQftänbig auf ben @ebanfengang t)on SooiS eingegan^
gen. X)ie ISrmectungen, loeld^e unter bem (Einfluß beS Septem
.oorfamen, l^aben i^m oorttberge^enb imponirt. HUtxn feine Xen»
benj auf $eifiSt)erfic^erung l^at er ntd^t an bie 9led^tfertigung aud
bem @Iauben gefnttpft, fonbem an bie (Sorrefponbenj feiner ©egen«
liebe mit ber burc^ S^riftud ben)ä^rten Siebe @otted. 8ln bem
®rabe ber erfteren, an feiner ^ä(|igfeit ber ©elbftüerleugnung
unb bed @ebeted fud^te er ed ffir fic^ f eftiufteOen, ob er im S3ud^e
beiS Sebend eingefd^rieben fei. %a^ ift bie ^ormel ber einfad^en
latl^olifd^en X)et)Otion, n^eld^e in il^rer Art genau unterfd^ieben
toerben muß t)on bem @lauben an Sl^riftuiS, ber bie 9lec|tfertt«
gang unb SSerfö^nung erfährt, ^ie Zoleranj unb SSeit^erjigleit
gegen SRitglieber ber ct)angelifd^en fiird^e, n)eld^ @ailer auf bie^
fem @tanbpunfte fid^ abgemonnen, gilt eben fold^en, meldte ftd^
ber !at^olifc^en S)et)otion annäl^erten. (Er ^at aud^ feine lieber«
jeugung f(^tt)erlid^ t^crleugnet, atö er 1820 fic^ öffenttid^ t)on bem
fogenannten ^Kfterm^ftici^mud" loi^fagte. (Er l^attc fid^ nämlid^
niemals ju benjenigen f^ormeln befannt, in loeld^en 93oo8 fid^
&62
fd^einbar betn fiut^ettl^um angenähert l^at. Unb bie (StflSrung
ber Untevn^erfung unter baS Urt^eil bed $apfted brauchte i^m
bie @c^lQtter nid^t übel ju ne(|men, tuenn fie Dermod^t fiätU fid^
in bie @emiit^dart eine^ ßat^oUCen ^ineinjuüerfe^en. @te fiot
eben bie Sebingungen bed religiöfen SSerfel^re^ gn^ifd^en @ai(er
unb i(|r nid^t burc^fd^aut, wenn fie meinen fonnte, ba§ biefcr
i^reunb jemals eine ^crfuc^ung erfal^rcn ^abe, feine Sonfeffton
ju n^ec^feln.
@ol(^eSerfuc^ung f^at nun ber i&ngfte unter biefen brei^reun«
ben3o^anne«@o6ner (geb. 1773, geft. 1858) fei^r frfl^ em*
pfunben. ^Qein n^enn aud^ fc^on im Sa^re 1804 ber ßufammen«
^ang mit bem ^ierarc^ifd^en unb ceremonieQen ^at^olici^mud i^n
brüdEte^), fo f)at er boc^ erft 1826 ben Uebertritt gur et)Qngcli«
fc^en Äirc^e fic^ abgewinnen fönnen. (Sr ift 1797 burc^ JBriefe
t)on SooS erwedt werben. 9iid^td befto weniger ift auc^ er auf
bie eigentl^ämlid^e Sel^rweife biefed 3}lanne& nic^t eingegangen,
fonbern ^at ftd^ birect auf ben ä93eg ber fat^olifd^en 2)eDotion
begeben. 9lad^ einanber ^at er fic^ erft in ber quiettfttfc^en SRe-
t^obe geübt, bann nac^ ber bem^arbinifd^en Slnweifung ftd^ ge«
richtet, bag man in ber Heiligung Dorgefd^ritten fein mä|te, um
ben Umgang be^ ^eilanbei^ gu geniegen. Srft 1804 lenft er
infoweit auf bie f8af)n Don ^ooi^ ein, al^ er auf bie ©ünben^
Vergebung burd^ ben 9}erfö^ner ©ewic^t legt, unb im 93erfe^r
mit bemfelben auf bie Doraui^gel^enbe Heiligung Dergid^tet, tnbem
er aner!ennt, bag man gerabe mit feinen @ünben gum ^eilanbe
fommen bürfe, um üon i^m angenommen gu werben. SLUein ba^
Sewugtfein ber Serfö^nung, weld^e^ an biefen fünften orienttrt
ift, fommt bod^ nur barauf ^inauS, bag bie erlöfenbe Siebe (S^rifK
fid^ birect an ber Srwedtung ber inbtüibueQen @egenliebc unb
bantbaren 3)ienftfertigfeit bewähre, öon ber lut^erifd^cn JRcc^t*
fertigung^le^re ^at er in biefer Spo^e, welche aud^ bie 3cit fei«
ner greunbfd^aft mit ber ©d^latter ift, feine Ahnung, fonbern
red^net barauf, bag (S^riftuS, ber ©erec^te, in i^m fei, unb er
felbft in i^m gerecht gefunben werbe'). @ogncr untcrfc^eibct
fic^ gugleic^ t)on ben beiben Ruberen baburd^ , ba§ er auger Don
1) äo^anneS ^oftnet, 9io0ta|)(te au8 ZagebiU^em unb Briefen |eroll^
gegeben toon 3. SX ^co^noto (aioei Steile 1864) I. @. lao. 1S2.
2) «. Q. O. 6. 118. 124. 126.
563
SQt)Qtet aud^ nod^ t)on anbeten ©d^rtftfteQem au^erl^alb ber
fot^olifd^en ^r^e Sloti} nimmt, namentlid^ t)on Zerfieegen unb bon
ßinjcnborf. S)cr SRct^obe be« Icfttern ftellt er fid^ am näc^ften,
unb au^ biefem @runbe f)at er nt^t blöd bie X^etlna^me unb
Snl^ängltd^Iett üon gläubigen SJ^itgliebern ber et)angelif(i^en ^ird^e
gefunben, fonbern fid^ aud^ bie SSorfteQung gebilbet, ba^ er un^
mittelbar aud ber fat^olifc^en ^ird^e in i>Q& Sel^ramt ber eDan^^
gelifc^en l^inübergleiten bürfe, ol^ne ftd^ t)or einer ^irc^enbe^rbe
orbnungdmägig au^uiDeifen. 3)enn bie red^tlid^en ^ebingungen
bed 93eftanbed einer Sirene ^at er ftd^ fd^roerli^ jemals flar ge«
mac^t, inbem fein Sntereffe nur auf bie SSerbinbung ber mit i^m
gleid^ ©efinnten in ben Derfc^iebenen etablirten {{ird^en gerid^tet
mar. ^ieraud ergiebt fic^ aber mie bei Sood bie S^l^atfad^e, ba§
bie ^römmigfeit, bie er t)ertrat unb ^verbreitete, eigen tlid^ in'd
Älofter gehörte.
hieran entf treibet ftd^ nun aud^ bie Haltung, n>eld^e bie
fat^olifc^^fird^lic^en ^uctorttäten gegen bie Sn^nger bed älfter^^
m^fticidmud eingenommen l^aben. SBarum tonnten biefe ÜRänner
in ber fattfoltfd^en ^ird^e nid^t ertragen merben, obgteid^ i^re
^römmigfeit burd^ unb burc^ fat^olifd^ unb nid^td meniger atö
lut^erifc^ mar? ©ie fonnten ebenfo menig ertragen merben, mie
üRic^ael aßolinod, atö fid^ ergab, bag beffen „@eiftlid^er p^er"
bie Seute gleid^gültig mad^te gegen Stofenfranj unb (Srueifi;.
Die fübbeutfc^en ÜRänner, Don bencn bie Sebe ift, oerfe^Iten ed
ebenfalls barin, bag fie bei i^rem 3^9^ ^^^ innem 3)et)Otion
nic^t barum beforgt maren, i^re Hn^änger ebenfo beftimmt l^in^
jumeifen auf bie äugere ceremonielle S>eDotion unb ßud^t. SBei^
bed nämlic^ gehört im ®inne ber fat^olifd^en ^ird^e jufammen.
Sie ÜR^ftif, meldte in ben ^löftern i^re ^eimatl^ ^at, bfirfte
auc^ in biefen t^reiftätten nid^t geübt merben, menn nid^t bafelbft
fär bie $ünftlic^feit in aUen Zeremonien ganj befonberS geforgt
märe. Slun lönnte man beulen, baß bie Anhänger jener a)?än*
ner fi^ ju Kongregationen in ber fatl^olifd^en ^r^e geeignet
Ratten, mie bie lertiarier. allein an ben SBebingungen baju
fefilte boc^ ba« SReifte. S)enn folc^e Kongregationen muffen
eben irgenb einem Drben afpliirt fein, fie muffen fid^ auc^ ein
gemiffed Duantum oon ceremonieQen Uebungen gefaUen laffen,
pe muffen nad^ ben @efd^led^tem getrennt fein, unb enblid^ fic^
ber Auffielt oon Sorgcfefeten unterorbnen. «n fold^e ©c^ranfen
564
unter ben Qtttoidten l^aben lueber 9ood noc^ ®o§net nod) itgenb
ein @efinnung8genoffe berfelben gebac^U 2)aju aber fam/^lofi
fie burd^ ben f$reunbfc^ftiSt)erfe^r mit ©liebern ber eüangditfc^en
^ixä)t, toeld^er gerabe auf ber religiöfen Uebereinftimmung be«
ru^tc, bod politifd^e 3ntereffe t^rer ftird^e Derle^ten. 2>ie Eat^o«
lif^en «uctorit&ten Ratten alfo DoOftanbig SHec^t, biefe aRSnner
unfc^äblic^ ju mad^en; fie brandeten i^nen nur nic^t einen fo
^äglid^en Xitel anjul^eften. Umgefel^rt Derrät^ e^ mangelhafte
Sinftd^t in bie @ad^e, tocnn man ba^ auftreten unb ben (trfolg
biefer äJlänner in ber fat^olifc^en JHrd^e atö ein 3^ufltti& ^^
baiS l£t)angelium im @inne Sut^er'^ ju betrachten ))flegt. ^nn
ju biefem (Evangelium ^at fid^ eben feiner üon i^nen betannt,
aud^ @ogner nic^t in ber 2eben^e))0(^e, n^elc^e ^ier in S^etra^t
fommt. ^er SBerfe^r mit ©liebern ber lut^erifd^en unb ber refor«
mirten ^rd^e, ju n?eld^em fie fid^ ^erbeiliegen, fann feine (lin«
tt^enbung gegen biefe^ Urt^eil begrfinben. ^enn biefe culttüirten
fämmtlid^ in abgeftufter 2)eutlid^feit Dielmel^r fat^olifc^e 2)et)otton
atö eoangelifc^e ^^römmigteit. ^ie fatl^olifc^en ^reunbe alfo blie^
btn eben in bem in i^rer Sird^e möglid^en t^c^^noaffer, ald fie
auf jenen SSerfe^r eingingen; unb bie (]r)^eunbe in ber ebonge-
lif^en ßird^e maren im Srrt^um, otö fie i^re m^ftifd^en Sn«
fc^uungen für ben redeten unb uoQen euangelifd^en @lauben an*
fa^en. 9n biefem Srrt^um l^at bie ©c^latter reic^lic^ Slnt^eil
genommen. Stber fo fe^r i^r @elbftgefä^l geftcigert morben ift
burc^ bie ^^tcunbfd^oft unb (S^re, u^eld^e fie biefen fat^olifc^cn
©eiftlid^en abgett^ann, fo borf man bejtoeifeln, ob i^r ba& jum
@egen gereicht ^at. ©ogner ^at i^r Xerfteegen'd @(^riften in
bie ^anb gegeben, unb fie boburd^ auf bie 93a^n bed Quieti^
mu^ geführt, d^ ift gejeigt n)orben, tt)ie tt^enig fie in biefer
SRet^obe jur Slu^e gefommen ift. 93ei i^rem Xem))erament unb
in \t)xcx S3eruf^ftellung tonnte e^ ouc^ nid^t^ SSerfe^rterei^ geben,
ote fie auf biefen äBeg ju u^eifen, ber für einfame unb ftille
* 9Renfd^en gangbar ift, nid^t aber für eine ©atttn unb äKutter
ja^lreid^er ^nber unb für eine Seele mit einem fo unübertoinb^
lic^ ftarfen ©elbftgefü^l.
565
25* Santittl SoOettittfc^ nnb feilte Sil^itle*
®egen ba^ Snbe be^ 18. Sal^r^unbcrtiS f)at ber $iettöinuiS
in ben reformirtctt Territorien t)on S>eutfc^(anb unb ber ©d^toeij,
fotocit toir i^n bi^^er ücrfolgt ^aben, in jttjei ©piclarten ge^errfd^t,
in ber ortl^obojcen f$orm, n^eld^e üampc im Sinüang mit ber nie«
berlänbifd^en (£ntn)ide(ung Vertritt, unb in ber gorm be^ Ztt^
fteegen'f^en Ouieti^muS, bei n?el(^er t)on ber calüinifc^en Sr«
tt^äl^ng^le^re unb überhaupt t)on bem SBert^e ber Sonfeffioni^
firc^e abgelesen n?irb. 3^ biefen beiben SRid^tungen gefeQt fid^
eine britte, n?cld^e ben beiben onberen Soncurrenj mad^t, inbem
fie mit ber einen unb ber anbem t^eitoctfe übcreinftimmt. S)a8
n)ir ^ier auf eine eigent^ümlid^ unregelmäßige Srfd^einung flogen,
giebt fic^ fd^on borin funb, ba^ ©amuel Soüenbufc^^), beffen
lEinmirfungcn gerabe in bie reformtrtc ^rc^e einfd^logen, fflr
feine ^erfon Sut^eroner roax. 9l(d fold^cr ffat er hai Siecht ge«
^Qbt, Srtoä^lung unb SSertoerfung burd^ ®ott nad^ ber üor^er«
gefe^enen äSärbigfeit ober Unn^ürbigfeit ber SRenfd^en ju oer«
ftel^en. ^a% er tro^bem unter reformirten ^ietiften Slnflong
gefunben ^dt, tft babur^ erflärlic^, bag fc^on Xerfteegen bie
ort^obo; reformirte Se^re aber biefen $unft bei @eite gefe|t
^atte. Stö Sutl^eraner l^ot Soüenbufd^ ferner in Serbinbung
mitibem $ietii^mud in SBürttemberg geftanben, unb feine au8«
f^Iieglid^ Quf bie l^cilige ©d^rift ju grünbenbe X^eologie an
Scngel unb Detingcr orientirt. ^icburc^ ober näherte er ftc^
bem Sntereffe ber Sampe'fc^en SHec^tgläubigfeit, mit n?elc^er er,
mc bie S3engerfd^e @d^ule bie Sbftammung t)on SoccejuS unb
jugleid^ ba^ Sntcreffe an ber Sw^wft ^^ Äird^e, in^befonbere
ber 3ubenbcfe^rung, gemein j^at. ^abei trennt i^n t)on Zer«
fteegen fein @runbfa$ ber t^ätigen Heiligung, n^elc^e ber Qama^
t^ung^ber SBillcnlofigfeit um ®ottc« toillen birect miberfpric^t
SJon Serfteegen unb Sampc, aber nid^t minber öon feinen tt)ürt*
1) (Geboren ^u aBi^Ungtaufen bei Carmen 1. iBtpi, 1724. Unt in
f)ut8buT0, 1784 in Ernten, geftorben 1. Btpt 1808. — ^i. über frin Se*
ben 0oebel in ^er^og'S 9leaI-@nc))no))fibie VIII. @. 19—28. 34 benute
feine .frflfttung biblifd^r SBa^r^eiten', na4 feinem Xobe bon greunben ge«
fammelt unb herausgegeben. 9Uun Qefie. (Siberfelb 1807 ff.
566
tembergtfc^en ä^orbUbern unterfd^eibet t^n bann eine ©efammt^
Qnfid^t k)om S^riftent^um, n?e(d^e i^n jugleid^ ju einer ahtotu
^enben SSorfteQung t)on bem SSerfe unb t)on ber $erfon S^rifti
angeleitet i)at.
93et ber f^ftemotifd^en X^eologie fommt ed bcfonntlic^ ba«
rauf an, ben Snl^alt ber d^rtftlid^en Sleligion, in^befonberc bie
Srlöfung burd^ S^riftniS nac^ bem aRagftabe einer allgemeinen
(Srfenntnig Don bem ä^erpitnig jn?ifd^en ®ott unb bem äRen«
fd^engefd^led^t ju orbnen. S)ie Ideologie wirb öerfd^iebenartig
auiSfaüen, ie nad^bem man biefe Siegel t)on ben (Erfahrungen
E^rifti felbft unb ber an i^n ©laubenben abftral^irt ober pc
anber^mo^er fd^öpft. Ser le^te %aü gilt t)on aller bi^ auf
SoQenbufd^ t)erlaufenen Ortl^obo^ie. SQerbingS mu^ jebe ^orm
d^riftlid^er Seigre anerlennen, baß bie Uebel, »eld^e ben @lSu«
bigen treffen, nid^t ben S33ert^ öon SSergeltungöftrafen im allge-
meinen, fonbem regelmäßig ben oon ©rjie^ungömitteln unb $rfi^
fungen l^aben, unb ben SBertl) t)on SBergeltung^ftrafen nur aud«
na^nrötoeife unb unter befonberen Sebingungen. 3nbcjfen alle
biSl^erige Drtl^obojfie ftfi^t fid^ auf bie aud bem ^eibentl^um unb
getDiffen (Einbrüdten ber altteftamentlid^en ©efc^id^te gefc^öpfte
Siegel, baß ®ott bad SBerpltniß ber 9}2enfd^en ju ftd^ nad^ bem
©runbfa^ ber SSergeltung orbne, unb nad^ bem ber notl^menbi«
gen @traft)ergeltung für ben fJfaQ ber Uebertretung bed göttlichen
@efe^e$. @oQ nun aber in bem @ebiete be^ S^riftent^umiS
nid^t biefe Siegel, fonbern bie entgegengcfefete Siegel ber @nabc
gelten, fo mirb t)on jener SSorau^fe^ung bod^ ber @ebraud^ ge«
mad^t, baß an bem SS}enbe))unft jn^ifd^en ber urfprfingli^en unb
ber d^riftlid^en SBeltorbnung, nämlid^ an ber $erfon (S^l^rifti,
ber ©runbfafe ber ©trafuergeltung gegen bie fünbige äWcnfc^^eit,
unb bie unerfüllt gebliebene ^orberung beiS göttlichen ®efe|ed
erprobt »orben fein muffe. S)ie öon il^m abftammenbe Drbnung
ber @nabe »irb alfo baburd^ unter bie urfprünglid^e Drbnung
beg SSergeltung^red^teö fubfumirt, baß E^riftu^ für alle 9Ken*
fd^en bie SSerbammung^ftrafe erlitten, unb bie gefefelic^e fjorbe«
rung fünblofer SJoIKommenl^eit erfüllt l^abc. S)enn öon ber fort^
bauernben ©ültigleit biefer fteHöertretcnben ©enugt^uungen G^rifti
an ®otte^ ®ered^tigfeit unb @efe^ mirb eS abhängig gemad^t,
baß bie an S^riftu^ glaubenben SReufd^en nad^ ber Siegel ber
@nabe @otteS beurt^eilt loerben. S)aiS @efüge ber Serfö^nungS^
567
Icl^rc, toeld^c« in bicfcr $räcifton in bcr Il^coloflic bcr fiutl^craner
unb ber Slcformirtcn ju ©tonbc gefommen toax, fjattt eine Der*
fc^ärfte ^eutlid^feit burd^ Socceju^ empfangen, inbem bte nu
fprünglid^e SEBeltorbnung ate ber 93unb ber SBerfe bejetc^net
tt)orben xoax. ^enn bte finnenfäUigen ^anblungen ftnb gerabe
ber @toff, meld^er bte Seurtl^etlung burd^ bo^ SHed^t ^erauiSfor«
bert. 3nbeffen ift jene gormel b^ Eoccejug fein neuer ®ebanle,
ha aQe Ort^obo^en ba^ SSerge^en ber ©tammältem gegen bad
SBerbot @ottc^ ald Uebertretung be^ aQgemetnen unb emigen ®e>
fe^ed ®ottci t)erftQnben l^atten. SSor nun aber burd^ biefen
S(ct ba^ ganje SRenfd^engefd^Ied^t ber SSerbammungdftrafe t)er«
fallen, fo ipurbe auö ber öorau^gefefeten Äegel ber Vergeltung
gefolgert, bag ber anbere Slbam biefe SSerbammungSftrafe abge«
tragen l^abe, um fortan ber Siegel ber @nabe Slaum ju i)cx^
fc^affen.
Sd tft oft genug nad^gemtef en , bag btefer 3ufctmmen^ang
bte {Regel beiS d^riftlic^en Sebend einem ®runbfa| jübtfd^er unb
l^eibnifd^er SSernunft untern^irft. ^ie Sln^änger biefed t^eologi*
f^en SBerfa^ren^ äben fid^ nur um fo mel^r in ber S)reiftigfeit,
ben ^el^ler bed funbamentalen Slationali^mud , ben fie felbft be^
ge^en, benjcnigen t)oriurü(ten , toelc^e fic^ t)on bemfelben befreit
^aben. S^riftlid^e iBernunft aber n)irb fic^ beffen enthalten, bie
@eftalt S^rifti nad^ einer beliebig interpolirten SSorfteQung t)on
9lbam )u meffen; t)ielme^r n)irb fie bte allgemeine ©tellung ber
9Rcnfd^^eit )u ®ott nad^ ben erfennbaren Regierungen ber $er«
fon S()rtfti beurt^eilen. ^enn aud§ bie äSergleid^ung gn^ifd^en
ben beiben $olen bed äRenfc^engefc^led^teS burc^ $auluiS ift k)on
S^riftu^ au$ entworfen, ^emgemäg ^at fid^ aud^ SoQenbufc^
orientirt. ^er Stngelpunft, um ben fid^ feine neue t^eologifd^
©efammtanfd^auung bre^t, ift in bem unfd^einbaren ©a^e ent«
l^alten: ,,9bam ift gcprfift morben, nid^t ob er bleiben tt^ürbe in
bem ©efcfe ber SBerfe, fonbcrn im @efe^ beö ®lauben^; benn
ee giebt jÄeierlci ®efcfec nad^ 9iöm. 3, 27"*). hierin nämlid^
ift bie grünblid)cre Setrad^tung eingefd^lagen, n?eld^e nid^t nur
baö SJiotio ber crfd^cinenben ^anblung beftimmt, fonbcrn ju«
gleid) auf bie Suctorität @otted ald auf bie 9lorm ^inUKift,
n?eld^e in ber Uebertretung bed äSerbotei^ t)erle^t n)orben ift.
1) drnarutns mi SGa^t^eiten I. 9anb. 6. 256.
568
©oD bte ^anblung 9[bam'S td\%\ä^ t)erftanben koerben — uitb
barauf fommt eiS bod^ an -- fo tnug in ber Uebertretung bed
Döttltd^en ©efe^eS bte Serle^ung bei^ @(Qu6cn^ an ben ^cildgott
erfoimt toerben. S)te X^eologie, n?elc^e fi(^ biefer Sntfd^eibung
entl^ält, 6let6t an ber Oberfläche l^aften, unb fte begtebt ftc^ in
einen f))eciftf^en ^cf)lex, tnenn fte i^re oberftad^Uc^e Betrachtung
ber erften @ünbe atö SSerftog gegen einen blod erbid^tetcn ^nb
ber SBerfe ftjcirt, unb bie funbamentale S3eurtl^etlung bed 8er<
pitniffe^ @otted ju ben SRenfc^en auf eine Uorgebli^ bon ®ott
eingerid^tete @egenfeitig!eit t)on Siebten ^inaui^fü^rt. 3)tefe gai^
äßet^obe ift fd^on baburd^ üerurt^eilt, bag bie Sugdburgifc^
Sonfeffton %xt. 2 bad äBejen ber @ünbe aU ben SKangel an
lE^rfurc^t unb SBertrauen gegen @ott bejetd^net. SoQenbuf^
erprobt nun bie Slic^tigfeit bed obigen @a^ed baran, bag au^
Sl^riftud burd^ bie SSerfuc^ung bed Xeufel^ barin geprüft »orben
ift, ob er bai^ @efe^ be^ @lauben$ gegen ben 9leij ber £uft
aufredet erl^alten »erbe, äugerbem aber ift burd^ feine Setben
bie @tanbl^aftig!eit feines Glaubend an @ott unb feines ftttltd^en
©el^orfamS gegen benfelben geprüft loorben. ®iefe ©tanbl^aftig«
!eit ^at nun S^riftuS ben^ä^rt, unb ^at ben üoDfornmenften ®e»
l^orfam bis anS ^euj geleiftet, entgegen ber Haltung Slbam'S,
totlä)cx bie Prüfung feines ©e^orfantS unb @(aubcnS nic^t bts
ftanben ^at. ®ie ^rüfungSleiben S^rifti aber finb feine ©träfe
fär il^n, aud^ nid^t im ©inne ber SBertretung ber ©ünber. @o
loie bte 3il^tigungen ber S^riften SD^erfmale unb Sorred^te i^rer
©otteSünbfd^aft unb Sennjeic^en ber Siebe @otteS gegen fte ftnb,
fo finb bie Seiben, loelc^e Sl^riftuS trafen, nur Prüfungen fetneS
©e^orfamS. 9lirgenbtD0 bietet bie l^eilige ©d^rift ben @q^ bar,
bag @ott S^riftuS geftraft f)abe, Dielnte^r ^at er ben Xob frei«
iDiQig über ftd^ genommen; nirgenbioo merben feine Setben t)om
dorn @otteS abgeleitet; mit iBorbeba^t bat $auluS ®al 3, 13
fid^ gehütet, SbnftuS ju bejeid^nen a(S Don @ott t)erflu(^t;
^öBcnftrafcn fonnten ben nid^t treffen, ttjeld^er ber «ßer^eiligfte
ift. S)ie SBorftellungen beS SöfeprcifeS unb beS DpferS brfiden
ettDaS ganj SnbereS aus, unb ber Xob fd^liegt in Xnfe^ung
Sl^rifti fo n?enig ben SBertl^ einer ©träfe in fid^, als überhaupt
ber lob bie fpecififd^e ©träfe ber ©ünbe ift. ®iefe «nfi^t
^ätte SoUenbufd^ ebenfalls an ber ©elbftbeurt^eilung ber S^ri»
ften Orientiren tonnen; fo mie er fte auSfpric^t, oernetnt er eben^
569
falte eine Srolserung au^ber iuriftifd^enSäetrac^tungSiDetfe/ioeld^e
feit Kuguftin in bte 6i6ltfd^e Urhtnbe eingefc^oben ju »werben
pftegt. S)ie @finbe unb bte aOoemeine X^atfad^e beiS ©tcrbeni^
leitet er aOerbingiS bon W>am^ Ungel^orfam ab; aber otö einen
©c^aben, an tnelc^em nid^t mir, fonbern eben bte ©tamnt:»
altern fc^ulbtg ftnb. 3)ed^alb ift aud^ ein neugeborene^ ^inb
jmar nid^t o^ne @ebred^en, aber e^ ^at fid^ nod^ nic^t felbft
üerfd^ulbet unb berberbt burd^ bad @äen auf baiS ^ki\df. ,,@d^ulb
nun ift jeberjeit eine SBerpflid^tung )ur Srftattung; ©träfe
aber ifi nid^t Srftattung ber ©d^ulb"; alfo ift aud^ bemgemäg
nid^t barauf ju red^ncn, bag bie @utmad^ung bc^ burd^ W>am
berfc^ulbeten ©d^abend ber äßenfc^en burd^ S^riftud in ber
gorm einer fteUöertrctcnben ®eftrafung erfolge.
3ft jebo^ ber ©tammt)ater Don SRed^t^ioegen fd^ulbig,
ben ©d^aben, ben er feinen 9lac^!ommen jugefägt ^at, ju erfe^en,
unb ift bei ber birecten Unmdglic^feit biefer Seiftung S^riftuiS
an feiner ©teile berufen, ben Ungel^orfam Slbam'd ju oergüten;
ift n^eiter^in bie $räfung beS ©el^orfami^ @^rifti burc^ Seiben
rec^tlid^ gefd^el^en, fo ^aben biefe ©ä^e bon SoQenbufd^ ben
Snfc^ein, atö ob er bie Deutung bed äBer!eiS Sl^rifä Don bem
äKagftabe bed öffentltd^en Sled^te^ auf ben beS $rit)atred^te^
jurfictgebilbet ^abe. S>iefed ift jebod^ nic^t ber fJfaO. Sie 83er^
pflic^tung, ben ©c^aben ber ©ünbe ju tilgen, n^eld^e an ber
Herbeiführung beffelben ^aftet, unb toeld^e S^riftu^ erfüllt, gilt
nic^t ©Ott gegenüber , fonbern bem 9Renf d^engef c^led^t. Unb bie
SHed^tntägigfett ber ^rufung^leiben S^rifti bebeutet i^rc 3^^^
mägigleit ($ebr. 2, 10) ober fittlic^e 9lot]^n?enbig!eit einmal ^nx
SoSenbung bed ©el^orfam^ S^rifti felbft, bann aber baju, bag
er aU ^önig ber ganzen ©^öpfung unb $o]^er))riefter ^aupt
feiner ©emeinbe unb Siid^ter aud^ über feine SSeräd^ter fei, bie
er burd^ bie ftrengftcn äWittel jur ©ienftleiftung unb ©rftattung
ic» angerichteten ©d^abena anhält, ^iefe S)arfteaung n)eid^t
Don ber ^ergebrad^ten Seigre aud^ barin ab, bag bo^ jiönigt^um
S^rifti feinem ^o^enprieftertlium übergeorbnet n?irb, unb jioar
in Sejiel^ung auf ben (^olg für S^riftuS felbft. Stdmlid^ toa&
bie Ausübung biefer äemter betrifft, fo ift nad^ ber ^crgcbrac^*
ten fiel^e S^riftud früher, nämli^ in feinem Seiben, aU ^o^er«
priefter ttnrffam, fpäter in feiner Sr^ö^ung al& ftönig. SoQeni*
bufc^*d abmeid^enbe SKeinung aber loirb burd^ feinen ©dualer
570
Sol^ann ©crl^arb ^afcnlomp*) bal^tn erläutert, bofe 6^ri*
ftu^ um feines äBo^toer^altenS toiOen n?firbtg unb gef^tdt ge«
n?orben fei, bcn oDeroberften Soften in ber {Regierung oQer VkU
ten jit befleiben, unb bag in biefer feiner SJlac^tfteQung bie
l^o^enpriefterlic^e Function eingefd^loffen fei, bie ©ünbenfd^ulben
ju erloffen unb fein unauflöSlid^eS fibematfirlic^ed £e6en mit«
jut^eilen.
S)ie ännäl^crung biefer JBeftimmungen an ben ©ocinianiS^
muS ift oft genug bemerft roorben; fie wirb fogor üon ^afen»
fam^ an^hx&dliä) jugeftanben. S)iefelbe rü^rt ba^er, bog ^icr
bie Deutung ber $erfon Sl^rifti innerhalb il^rer gefd^ic^tlid^en
Crfd^einnng ebenfo mangelhaft orientirt ift, toie im ©ocinianid»
muS. 3n beiben Sel^rarten nämlid^ mirb Sl^riftuS ald bie ein^
jclne $erfon, atö baS ©ubjcct ber inbiöibueQen fittlid^cn Sebenö*
fä^rung betrad^tet, unb bie abfid^tlid^e, not^n?enbige unb xtut^tnU
liäjt Delation berfclben auf bie ©emeinbe Sl^rifti ober bie neue
äRenfd^^eit, loeld^e in feinem 93eruf, ha^ fRdä) @otted unb bie
SSerfö^nung ju ftiften, ju ericnnen ift, gelangt nic^t jum Äu^
brucf. auf biefem 5ßunft ^at au^ ©ottfrieb aRenIcn*) bie
Se^re öon KoKenbuf^ nid^t toirlli^ Uerbeffert. ®enn baß in
ber äSoQenbung beS ©e^orfamS S^rifti bie menfd^lid^e 9latur
fünbloö bargefteKt toorben ift, ge^t nur bie 5ßerfon C^riftuS an,
aber effectiö feine anbere ^erfon. SBenn man nid^t baS fönig^
l\ä)t ämt au(^ in ber irbifc^en SebenSffil^rung ©l^rifti nad^toeift,
fo fann man nid^t ben ©e^prfam im lobe für bie SSerfo^nung
ber ©emeinbe toertoert^en. Slber eben biefe ©rfcnntnig fc^lt ber
©d^ule t)on EoDcnbuf(^ wie bcn ©ociniancrn, ihbem bcibc ^r*
teicn S^riftuö nur ate inbiuibucHe ^erfon lennen, beuor fie i^m
feit ber ÄuferttjedEung bie S^rc ber ©ottl^eit unb ^errf^aft bei*
1) Geboren ju 30e4ie in ber (S^raff^aft Ztdltnhnx^ 1786, Stector bei
(S^mnaflumS au Duisburg 1766, ge{iorben 1777. Sgl. ben oben 6. 503 an*
geführten IBriefme^fel s^ifd^cn Saüaier unb J^afenlamp. 6. 182. 166.
2) Ser(u4 einer Anleitung ^um eigenen Unterrtd^t in ber ^eiligen @4^ft,
1805 (1825); bie eherne Solange, 1812 (1829). 95gl. 5el^re üon ber »e^t»
fertigung unb SJerfö^nung I. S. 568; III. @. 492. — 3Kenfcn ifl geboten in
SBremen 29. 9Wai 1768, pubirte in 3ena unb ©utfiburg, $rebiger 1794 in
gronffurt ü. 9Jl., 1796 in SBe^lor, 1802 in SBremen an 6. *auli, 1811 ^ri*
moriuS an 6. Martini, geworben 1.3uni 1881. Sgl. (S. ^. 0iIbetnetflet,
fieben unb SBirlen bon (Soitfrieb ^enfen. 2 SB&nbe. Sternen 1861.
571
legen. S)iefc fel^Ier^afte äuffaffung brücft Soßenbufd^ ncbft fcU
nen ©d^ülem tl^citö bur^ bic fogenannte X^corte ber Senofe,
ti)cU& burd^ bic riod^ befrembenbere Sel^auptung an^, bag ^f)xu
ftud an bem ß^ft^nbe bed mcnfd^Ud^en äSefenS tl^etlgenotnmen
^obe, toeld^et burd^ Slbatnd Unge^orfam l^erbeigefü^rt ift. S>ag
alfo &)xi\m in bcr ©eftalt beg ffinblid^en gflcif^e« öon @ott
gefanbt [et, foQte aud fRöm. 8, 3 l^eraudgelefen n)erben. ^amtt
toai frcilid^ m6)ti tocniger gemeint ate ein S^^if^^ ^n bcr effcc«
tiüen fittUd^cn SSoQfommenl^cit unb @ünb(oftgfeit 6:i^rifti. @oU
Icnbufc^ fal^ \\ä) uiclmc^r nur aud ber 9tüdCftd^t ju jener 9e^
l^auptung beioogcn, loetl eg ^ebr. 4, 16 l^cigt, ba^ S^riftud gc«
prüft ober t)erfu(i^t n)orbcn fei (nid^t n)ic Sbatn, fonbern) n^ie
n)ir! ^ic ©ocinianer l^atten bic @Icid§^eit beS ffinbloS t)oIRom«
menen S^riftug mit ben übrigen äRcnfc^en inf^infid^t bcr fitt^
Ud^en Seben^fü^rung baburd^ erreid^t, bag fie bic Srbfünbc leug«
neten. S)ie entgegengcfe|te (Sntfc^ctbung, n^eld^c SoQenbufd^ unb
§afcnfamp barbieten, ift jebod^ nur eine golge bc^ SBud^ftabcn*:
bienftei^, meldten ber (entere einmal fe^r angclcgentlid^ ^erau^
ftreid^t '). ®enn eigentUd^ nimmt ja aud^ SoQenbufd^ bic Srb«
ffinbe in bem ))oftttt)cn @innc als concupiscentia nid^t an, inbem
er bic allgemeine @terb(id^feit t)on Slbam t)erfc^u(bet fein lägt.
Unb feine Unterfd^eibung jn?ifd^en ben Prüfungen k)or bem ®ün«
benfaQ unb nad^ bemfelben ift nichtig, ba SSerfud^ung überl^aupt
ein @runb möglid^er ©ünbe t)on auberer Slrt als ber fünbige
§ang, unb nur bann ju ftatuiren ift, wenn feine fünbige Sc*
gierbc im ©piele ift. ^iernad^ ftcl^t bic SSerfud^ung für S^riftuS
auc^ bei feiner @ünb(oftg!eit ben äSerfud^ungen ganj gleid^, toeld^e
bie fünbigen äRenfd^en nur in fold^en ©ituationen erfahren, in
1) tBrifftoe^fel 6. 131. .(9^a ri^tete fi4 m^ ber menf^Itd^n 9{ahtr
unb beoba^tete ni^t bie auSgef^iro^enen ^u^flaben. f)ur4 bie forofaittgfte
^eoMtung ber $u4fto6en ($falm 40) (ot ber ^efftaS bie menf^U^e 9loiur
loieber (ergefleat. ^ur^ an^altenbe IBe^ersigung ber ^u^jlaben toirb ber
0ei{i im iDlenfd^n geboren . . . ^ur^ boS Sfeft^alten an ben ^u^ftoben ijl
SefuS »firbig getoorben, fid^ s» fe^en ouf ben 2:(ron ber 9J{QJejl&t in ber ^ö^e.'
^an fie^t, in biefen Sefenntniffen errei^t ber $ietiSmu8 gerabe baS (Entgegen*
gefe^e, aU t)on »o er ausgegangen ift. f)a nun biefer (i^runbfat t)on ^fen«
iamp conftiiutib getoorben ift in ber %xi, toxt ber $ietiSmuS bie (eiüge S^rift
bel^nbeli, fo ift au4 baran bie grttnbUd^e iBeranberung ber Siid^tung binnen
150 ^a^ren )u erfennen.
572
loeld^e fte unfd^ulbig unb atö Unfd^ulbtge ffir ben (efttminten
fJfaQ geratl^en. Unabftd^tltd^ gtcbt SoQenbufd^ felbft btcfett @a|
ju, tnbem er bei einer anbcm SSeranlaffung fogar ben 9lu8fpruc|
tl^ut, bafe feiner geprüft werben fann, »enn er ntd^t üor^er ein
guter 9Renfd^ geworben ift *).
S)er ©ociniani^mug ift befanntlid^ ein t^eologif^c« ©Aftern
Don Qbfi^tlid^ biblifd^em unb burd^auiS fupranaturQliftifc^em @e»
präge, ^t^fjalb erftredt fi^ bie Analogie jwifd^en i^m unb ber
fie^re t)on SoQenbufd) anä) auf bie Deutung beiS Sleid^ed S^rifti,
}U beffen ÜBe^errfd^ung berfelbe burc^ feine Sewäl^rung in Seben
unb Seiben erhoben ift. ^er biblifd^e SHeoIi^mud, wie ntan je|t
baö auf biefent fünfte geltcnbe 3ntereffe öon EoBcnbufc^ nennt,
crfcfieint nur in ber JBergleid^ung mit ber aufflärung^tl^eologie
otö etWQg 93efonbere^ unb SScrtl^boQe^ ; aber alle 3^9^» weld^e
feine Sluffaffung bed 9ieid)ed Sl^rifti bejeid^nen, finb auc^ bei bot
©ociniancrn ju finben*). 3lai) SoDenbufd^ fc^icft e« jic^ nic^t,
S^riftu^ einen moralifd^en $önig ju nennen. Sr ift tnelme^r
bad ^aupt aDer Sreoturen, ber 9laturbinge wie ber SRenfc^,
ber böfen wie ber guten (Sngel. 3^* ^^^ Segriffen öon bicfcm
SReic^e ge^rt aud^, bag bie SBunber ni^t fowo^I Sßirfungen ber
einfad^en Slllmad^t @otted, a(d SEBirlungen ber !önig(td^en 9iegie^
rung S^rifti finb, weld^e auf baö ®ebet ber Slot^Ieibenbcn in
ber ^örperwelt burc^ bie (iebeuoQe ^ienftbarfeit ber ISngel jur
Sfreubc ber Siot^teibenben au^efü^rt werben. 3n bem ütidft
e^rifti ift bie Siebe, wcld^e atö ber wefcntUd^c SBiUe ©otteÄ
überhaupt burd^ i^n offenbart worben ift, bie leitenbe unb alle^
jufammenfaffcnbe äRac^t ate bie greube an ber ©lüdEfeligfcit ber
ätnberen. 2Ba§ ®ott in feinem Äeid^c ben äWenfc^en leiftct unb
öon i^ncn forbcrt, rid^tct ficf) nadft ©ottc^ Siebe gegen feinen
eingeborenen ©o^n, gegen bad ganje 9lei^ unb gegen jebe^ ein»
jelnc ©lieb bcffclben. S^fl^cid^ aber ift ju bemerfen, ba§ auc^
biefeö 9ieid^ nid^t o^ne Drbnung unb JRed^t befte^en fann. Die
eigent^ümlic^fte ?lnwenbung, weld^e biefer ©a| in ber Annahme
t)on ©tufcn ber Heiligung unb ©cligfeit finbet, foQ l^ier junäc^ft
nur berührt werben. Ucbrigen^ gehört e^ jur Drbnung bcg Äei*
d^eS S^rtfti, bag wenn S^riftu^ in ber 9Ritte berer gegenwärtig
1) (SrfIffniiiQ btMifd^er SBa^r^etten I. 6. 235.
2) gfocf, SocinianiSmuS 6. 640 f.
573
ift, loeld^e ftd^ m feinem iRamen t)erfammeln, um il^nen nü|(id^
ju fem, bicfc? üon feiner SBirfunfl üerftanben »erben muß. (Ed
gel^t birect gegen Sat)ater'd Snficl^t (@. 513), bag SiüQcnbufc^
bie äSerl^eigung @^rifti ni(^t förperli^ fonbern reid^^mägig ge^
beutet toiffen loiQ. SSa^ ber 3tt)inglianer atö bie aQgenteinfte
SBal^rl^eit bed @:^riftent^umd in ^nfprud^ nimmt, bag @:^riftud
in feiner uerllärten menfd^Ii^en ©cftalt an taufenb Orten ju*
gleich perfön (id^ gegenn?ärtig fei, lel^nt ber Sut^eraner SoQen:'
buf^ pofitik) ab, unb berjid^tet ^ieburd^ mä) auf bie allgemeine
93orau^fe|ung, n^elc^e ber $ietidmu^ uon bem -^eiligen Sem^arb
^rfibergenommen ^atte. SoQenbufd^ unb feine ©d^üler nel^men
nid^t an ben gormein bed järtlid^en SSerfel^re^ mit bem $erm
3efud X^eil. Umgefe^rt ^at Saüater fc^tt^erlid^ Unrecht gel^abt,
fi^ guf bie au^ Safob > 99öl^me'S 3been ergänjten fRei^dbegriffe
^afenfam))'^ üom @atan nid^t einjulaffen (@. 507). Snbeffen
noc^ aud einigen anberen Folgerungen t)on ^afenfamp ift erfid^t^:
lic^, n^eld^e Sebeutung bie Se^auptung ^at, bag bad 9iei^ @:^rifti
burd^ 9ied^t georbnet ift. ®egen fiaüater'd fc^ranfenlofe Srtoar^
tung in ^infid^t ber ©ebet^erl^örungen fd^reibt ^afenfamp, bag
man bie (Srprung felbft Don ber Slrt ber Sr^örung ju unter^^
f^eiben f)abe. „SUe ©ebete, bie ben äßiQen @otteiS, b. ^. feiner
Statur«, ^olijei« unb @uabenorbnung gemäg finb, n^erben erhört,
aber mand^mal fc^r langfam unb fpät, manchmal auf eine ganj
anbere Srt, atö mir gebac^t ^aben. äßir muffen ba^er, um rid^tig
ju urtl^eilen, alle göttlid^en ©d^riften {ufammenne^men , alle
Spräche in allen i^ren SSer^ältniffen unb i^rem 3uf<^inen^ange
mit ber gefammten @c^riftp^ilofopl^ie ermägen. Sin ieber 99eter
alfo prüfe fd^arf, tt)a§ nac^ @otte^ SSiQen fic^ für i^n fd^ide,
fonft fann man bei ben ernftlic^ften Slbfid^ten unb @ebeten in
üiele 9h)t^ gerat^en"^). 2)ad fommt auf bie SReinung l^inauiS,
tt)eld^e ©tiUing k)on ber @ad^e ^egt (@ 529). (Eine äl^nli^e Sin^
fd^ränfung lägt ^afenfamp ber pietiftif^en Siebling^uorfteüung
uou ber SEBieberbringung angebet^en. „(Sx glaubt, mc er fagt,
lool^l eine juffinftige jufriebene Untertpnigfeit aller ®inge aufS
(Srlenntnig bed Sled^ti^, aber feine äBieberbringung. 2)er Xeufel
toirb niematö ju feiner vorigen ^errlid^feit toiebergebrac^t, tt^enn
er gleid^ nad^ erlernter Untert^änigfeit in miliigen ^ienften jum
1) «tleftoe^fel 6. 32.
574
93eften ber t)on tl^m t)erffil^rten SRenfd^en (Sl^rifto aud^ l^ulbigen
unb ©Ott bonfcn wirb. S)ie öcrbammtcn SRcnfc^cn erlangen
nimmer bie ^ier uerfd^erjtc ^errltc^feit n)teber. lE^ ge^t aüt^
nad^ Orbnung unb Siedet. äBad in ber 6e[onbern ©nobenseit
ucrfäumt toirb, bog wirb in ber ^öDc wal^rj^oftig nie toiebergc*
6rad^t" 0-
®er ^QUptpuntt, an meld^em SoQenbufd^ bie ©eltung t)on
9{ed^t unb Drbnung im SReid^e (S^rifti bewal^ren wiQ, ift bie Wh
ftufung ber ©eligleit nad^ bcn ©raben ber Heiligung. 6r ift
jugleid^ barauf bcbad^t, bie SRed^tfertigung t>or ber Heiligung
fidler ju (teilen, inbem er jwifd^en ber ©nabe be^ ©rlaffe« ber
©d^ulben unb ber ©abe be3 ^eiligen ©eifte^ unterfd^eibet. Allein
na^ äRaggobe feiner eigenen (Erfahrung unb ber ^eobod^tung
Ruberer legt er baS ^auptgemid^t auf bie le^tere SBa^rl^eit. Sr
erjä^It, wie er frfil^ bie ©eltung S^rifti für uniS fic^ angeeignet
l^abe, aber babei ber äJleinung gewefen fei, bad ©anje ju befl|en.
Sr glaubte bie Vergebung ber ©finben unb weiter nid^tiS. 2)urd^
Seibnife I^eobiceen warb er auf bie ^errlic^Ieit be« G^riftenberuf«
aufmerffam, unb würbe bann burc^ bie ©d^riften Don ^^(
Slnton in ^alle, Sengel unb Detinger aud^ über ba^ ©e^eimnife
beg S^riftu^ in un^ unterrid^tet *). S)emgemäg urt^eilt er ä^n*
lid^ wie Sobenfte^n über bie UnDoQfommenl^eit bed ©tanbpunfte^,
ben er felbft juerft eingenommen ^at, unb rügt biejenigen, wel^c
bei bcm erften Anfang beö El^riftent^umg fte^en bleiben Wollen,
^afenfamp ad^tet fid^ bemgemäg für bere^tigt, neben ber ©lau^
ben^red^tfertigung t)on ber SebeniSred^tfertigung gleid^ Heiligung
ju fpred^en, unb bie erftere toerftel^t er ))ietiftifd^ ate bie SEBert^^
befttmmung, weld^e ber biöl^er ©ottlofe öon feinem ©lauben ^at*).
S)ag ift biejenigc SSerfd^iebung beö reformatorifd^en Segriff^,
welche t^eil^ baraud ^erüorge^t, bag bie )n:a!tifd^e Segiel^ung ber
Sled^tfertigung auf bie SSerfö^nung mit bem üon ©Ott geleiteten
äBeltlauf t)erborgen bleibt, t^eitö barauS, bag ba^ ©ewic^t auf
ba§ eigene SBirfen überl^au^Jt gelegt wirb. S)iefer Umftanb ift ja nun
für bie Heiligung ganj berechtigt. 3n beren ©ebiet, fagt Sollen^
bufd^ mit t)oQem Siecht gegen ben Ouieti^mud, fommt man burc^
1) «. a. D. 6. 121.
2) @raarung hrbl äBolftr^eiten H. @. 161.
S) «rteftoe^fel @. 73. 93. 179.
575
©tiQefetn unb 9ltd^töt^un nid^t jur Stulpe, fonbent burd^ Sßirlen.
S)Qffir tft bte Stulpe ©ottcd naä) feinem SSerf ber [ed^d Xage
maggebenb. @ott loiQ nid^td t^un ol^ne un^, tpte tDir and) ni^tö
tl^un fönnen o^ne i^n. Unfere ©d^ulbigfctt ift t^, unfere (Erbe
fclbft ju bauen. S)iefcr begriff ber octiuen Heiligung ift nun
Quc^ nid^t gemeint al^ bie Uebung ber $räcifität, otö bie SBcrftp^^
tigicit gefe^li^er ^Pflichterfüllung, fonbem ate ber Qttmxb ber
Xugenbcn. ^aburd^ befommt bie urfprünglid^e calüinifd^e SBor«
fd^rift be^ [tufenmäfeigcn gortfd^ritteö in ber Heiligung einen ge«
funben ©inn. An ber ffirfüUung be« ©efcfteö mar biefer gort*
fd^ritt nid^t anfc^auli^ ju machen; baroud ift ed erflarlid^, bog
I^eobor Sralel (S. 271) ben gortfd^ritt in ben ©raben ber
(Kontemplation in ebenfo unbeutlid^er SSJeife unterfd^ieben tonnte;
barouf l^at ber ebongelifc^e $ietidmu^ ba^ ganje Problem faDen
laff en ; eg ift alfo eine Sereid^erung bc^ ©efid^töf reifet, bog Kot
lenbufd^ biefe Aufgabe beö d^riftlid^en Sebenä an ben ©rtoerb ber
Sugenben fnfipfte. S)amit üerbinbet er bie (Sinfid^t, bafe bie &t'
metnfd^aft ber ^eiligen eine unumgängliche 99ebingung ffir bie
SSfung biefer Seben^aufgabe ift. SSie irrig ift nad^ SoQenbuf(^
bie SKeinung ^Bieter, fie Ratten ju i^rer ©eligfeit unb innerlid^en
^errltc^mad^ung n^eiter nid^t^ nöt^ig, aU @}ott unb ben äJüttler
itoifd^en ®ott unb ben ÜRenfd^en unb ben geiftlid^en @aft aud
bem geiftUd^en SBeinjftoct. S)iefe ^ormel t)on 3o^. XeeQindt
(© 287) bejeid^net er einfad^ ate Aberglauben. SBenn e^ toa^r
tt)äre, bag @ott aQe äRenfc^en in aQe äBa^r^eit leiten fönnte
o^ne bie @emeinfd^aft ber ^eiligen, fo ^eige bad fo t)iel, atö bag
@ott nad^ bem Siedete feiner @ered^tigfcit aQe ju ^ropl^eten
mad^en fönnte. ®enn Sleic^t^um be^ gcioiffen SSerftanbeS nac^
ßol. 2, 1. 3, b. ff. an (Einfielt in bie fittlid^en Aufgaben finbet
man nur innerl^alb ber ©emeinbc ber ^eiligen, äußerl^ülb il^rer
ift nur geiftlid^e Ärmut^ ju erttjarten ; in i^r ift geiftli^er 9icid^=
tl^um JU l^offen. 2)enn n)er burd^ bie Siebe eingemurjelt ift in
ben ^crjen einer großen änjaftl üon El)riften, ber ift toie ein
99aum, n^eld^er fd^neU ju grogem SBad^^tl^um gelangt, Dielen
änbcren jum Sinken unb jur gwube. S)iefe ©runbfäfee erflären
cS, bag, toie ^afenfamp fd^reibt *) , bie frommen Seute in 3)ui3«
bürg SoQenbufd^ unb feine @eftnnung^enoffen für toeltförmtg
1) S3nefa>e4fel 6. 96.
576
gel^alten l^aben, tnbem fte beten frft^(i% ®ttmmititg mit t^er
eigenen ängftltd^en unb grüblertf^en Haltung üerglic^n. 3n«
beffen ^aftet bod^ an ber rid^ttgen Stnftd^t biefer ®ru^ bte
Unfreiheit, bog bie ®rabe ber Heiligung em^rifd^ beoba^et
werben foQten. ^qju meinte SoQenbufc^ burd^ bte ^d^ft&ielei
in ber Siertpert^ung üon 8ibelfteIIen uerpflt^tet unb berechtigt
ju [ein. ©0 unter[d^eibet er nad^ ber bekannten ®teQe 1 3o^ 2
bie Siinblein in @:^riftu^, toddft Straft )um göttlid^en Seben,
bie ^inber, n^eld^e ^oft jum göttlid^en SBanbel, bie Sünglinge,
wddit iiraft jum Saufen unb kämpfen ^ben, enblic^ bie
SBöter in @:i^riftu^, u^eld^e in ber Siebe untabelig gen^orben ftnb,
alfo il^re Heiligung üoQenbet l^aben. Slbgefe^en baüon, ba§ ^ie^
bei nid^t bie quantitative UnDoQftänbigfett ber Heiligung im
bieffeitigen Seben vorbehalten ift, bleibt j|ene S)tftinction unbeut-
lid^ genug. Ueberbici^ folgert SoDenbufd^ auiS bem @ec^dtage«
merf ©otted unb bem 93egriff bed göttli^en Sbenbilbed im
äRenfc^en, bag ed fieben (Stufen ber Heiligung gebe.
®iefc Snna^me fanb nun eine eigentpmlid^e )9eft5tigung
unb ©pecipcation au^ ber jenfeitigen SBelt. 3m Saläre 1772
l^ielt fid^ bei SoQenbufd^ in ^uidburg ein fomnambuied SRibc^en
auf, ^orot^ea 9Bup))ermann aud äBic^Iing^aufen bei 93ar«
men *). S)icfelbe ^attc von i^rcm fcd^Sten fieben^ja^re an Ser*
fe^r mit ®eiftem SSerftor bener, unb ba fie barau^ lernte, bag
biefelben burd^ baS SEßort ju einer fo grogen ^errtid^feit gelangt
feien, fo fibte fie fi^ unmägig im SSorte, b. f). in ber Sefung
ber Sibel, unb tourbe bur^ ben frommen ^rebigcr S^eobor
äJlüQer in äBid^ling^aufen ^u einem bud^ftäblid^en Serftanb ber
^ibel eingefd^ult. @ie tt)ugte n^eiter nic^td von ^get^un unb
einem geformten ©tauben, fud^te jjebod^ alle @elegenl^eiten auf,
ihnber @otted ju finben, bie i^r baS SBort @otted beutlic^er
mad^en foQten. 9la^ bem Xobe il^rer Keltern tt^urbe fte Don
1) f)amal8 25 3a(re alt, oI{o 1747 geboren, (at fie f|)fiter ben ^ftoi
(SlberS in Süttring^aufen gel^eitat^et, too Oottfrieb SRenfen 1794 unb 1796
fte befugt (at. $fil. in Srtebrid^ d^riftop^ Oetinger'S Seben unb «riefe, ^•
ausgegeben t)on (Sämann (Stutig. 1859) 6. 778^798, eine 9lel(e bon 9e»
rieten über fie bon Sammeter, SioHenbuf^. ^afen!am|>, femer beh 9ricfiDc4fel
Ittifd^en Satiaier unb ^a]ttdamp an bieten ©teilen, enbli^ Ü. ^. dilbtmelfler ,
Seben unb äBirhn t>on (Soitfr. SRenfen, 8anb I. 6. 105. 169.
577
bcn SSormünbcrn unb ©cfd^tuiftcm jur ©itcifcit angehalten, n)0*
burc^ ftc in bie Äleiberprad^t geriet^. Snbeffen tarn fte balb in
eine entfcfelid^c Unruhe toegen i^rer ©ünben; burd^ EoBcnbufd^
aber mürbe fic aufgerid^tct unb jur SSerfi^crung ber Vergebung
i^rer ©ünben gebrad^t, worauf ber Umgang mit bcn ©eiftem
t)on Steuern begann. S)urc^ Sefung ber 33ibel unb ber ®engel*
fd^en (Srflärung ber SpofalQpfe, fo n)ie burd^ Uebung be$ @e«
beteö, weld^eö alleö fie ju nädjtlidEier 3<^t öorna^m, ttjcil jic t&
uor i^ren Angehörigen uerbergen niollte, ^atte fie fic^ um aQen
©c^Iaf gebrad)t, unb öerficl nad^ einem 3Q^re in ben „Ärampf^
fd^Iaf", in roeldiem fie üon Eottenbufd^ bcobacf)tet »urbe. ©o
fam berfelbe i^rem SSerfe^r mit ben ©eiftern auf bie ©pur, unb
erhielt burd^ fie foldje SKitt^eilungen au^ ber jenfeitigcn S33elt,
meldte feine j^eorie öon ben ©tufen ber Heiligung beftätigte.
S)er l)auptfäd^Iid^e ©cwä^r^mann , roeld^er bie SBuppermann
unterrichtete, toar ber im Sa^re 1766 öerftorbene ttjürttcmbergi*
fc^e Pfarrer grider. S)urd^ i^n erfuhr fie, baß nac^ ben ©elig*
prcifungen in ber SBergprcbigt fieben ©tufen ber Heiligung unb
©eligfeit beftänben, unb baß biejenigen ©tufen , meldte ffiiner im
irbifc^en Seben noc^ nid^t burd^gemac^t f)abc, vermöge ber ^o^en«
prieftcrlic^cn JRed^te 3cfu jenfeit^ erreid^t »erben fönnten, enbli^,
baß f^u biefcm ßmede aud^ jenfeit^ ein Unterrid^t in ber ^eiligen
©^rift angeorbnet fei. 9iur braud^e man jenfeitö eine uicl län*
gere S^itfrift t)on l^unbcrten ober taufenben üon Sauren, um bie
gortfdjritte ju mad^en, bie im irbifc^en Seben öiel fd^neßer mög»
lid^ finb. Sluf jeber ©tufe ber jenfeitigen ©eligfeit ftonbc eine
große S(njat)l uon @efeQfd^aften gleichartiger @eifter, j. 93. auf
ber ätueiten ©tufe bie Äleingläubigen, bie um ba^ 9iecf)t ©trei*
tenben, bie ^olbfetigen. 3n ber fec^^ten Slaffc finb bie ganj
Steinen am Jperjen, in ber fiebenten bie ^ofmüfitanten , bie 144
Xaufenb iinb üiele anbere Don ben äSorsäglic^ften. 9lad^ ^afen«
famp'iS S^^S^^iB ^) ift er felbft unb SoQenbufd^ bollftönbig ein«
genommen niorben uon biefen Offenbarungen, in tt)eld^en eine
^erquidung t)on ©tt)ebenborg'jc^en unb (Sollen6ufd)'fc^en 3been
unuerfennbar ift. ^afenfamp aber ^atte nod^ ein befonbered
Sntereffe an biefen 2)ingen. Sr n?ar fd^n?inbfüc^tig unb fonnte
nic^t auf langet Seben rechnen. 9iun ^atte bie äßuppermann
1) 8rieftDf4fel €. 118.
L 87
578
eine Offenbarung ttber üjn, er ptte \xa6) @otte^ äBtOen ade
©tufcn bcr Heiligung burd^ge^en foHen unb fönnen; loeil er
aber ju l^eftig gctpefen fei unb ju lout unb ftarl gerebct unb
geprebtgt f)abc, fei feine @efuub^eit befc^äbigt iDorben unb er
tDcrbc in ber fünften ©tufe öcimgc^cn. S)iefe SJiittfieilung mad)t
§afcnlamp an Dctingcr 9. aKärj 1772, unb fd^reibt barauf on
Äaöatcr 30. Suni beffclben Sal^re^ folgenbc Siufeanmcnbung:
,,SQ3iberfpruci^ fanu id^ fc^on jiemlid) Vertragen auc^ k)on from^
nxen Scuten. S)ur^ biefe meine Äaltblütigfcit, bie mir öon
9latur gar nic^t eigen tft, tt)Oju tc^ mid^ burd^ mele Uebung
^abe ju^ingen muffen unb nod) jioingen mug, ^offe id^ in jniei
ober brci Sauren bie britte ©tufe ju öoHenben, aUe^ bii^ jur
gertigfeit gelernt ju l^aben, wag jur Sanftmut^ geprt. Unb
ttJie werbe i^ mic^ freuen, wenn id^ erft bie üiertc ©tufe jurüd^
gelegt \)abc, bie (Erlernung ber @ebulb, nid^t mübe werben, nic^t
au^fd^eiben, bei ben wo^l überlegten (Entwarfen aud^arren; bann
wirb ed gewig fd^wercre Slufgaben fe^en, aber an jlraft an^ ber
^ö^e wirb cd bei SBo^ber^alten aud^ nie fehlen, ^omme ic^
in bie fünfte ©tufe, fo ^abe id^ bie gurc^t bed 9JüdtfaIte übcr^
wunbcn. SBcr bie öierte ©tufe öoUcnbet ^at, fann nic^t me^r
auö ber §anb beö §errn gcriffen werben, fo feft plt er fic^ an
i^n. ©0 ne^me id^ bie SBortc: id^ will feinen Slamen nic^t aud«
tilgen aud bem Söud^e beö Scbend." ?lm 8lnfang bcd 3. 1775
nad) einer fd^Weren (Erfranlung fc^reibt er wieber: „SBeil ic^
meine Heiligung nac^ meiner ätec^nung faum auf bie $ölfte
gebrad^t f)abc, fo wäre ber ©^abcn unerfejjli^ gcwefen, wenn
id^ nun fd^on geftorben wäre. 3c^ weig gewife, ba§ bie §eili^
gung bort langfamer öon ©tatten ge^t aü ^ier." Unb enblic^
fd^reibt er 16. Sloöember 1776 über SoHenbuf^: „(Er lernt iefet.
wag eg ^eißc, rcineö Jperjeng werben (alfo bie fci^gtc ©tufe).
O ' aüerfeligfteg @efd^äfte! baburc^ allein gelangt matf bod) ju
ber über alle äBclt^errlid^feit uncnblid^ erhabenen (S^re, @ott ju
fd^auen. D^ne Heiligung wirb Siiemanb bcn Jpcrrn fe^cn" *).
3d) l^abe oben ju rühmen gehabt, bag biefe äRänner ben
@runbfa^ beg ^^ortfc^ritteg in bcr Heiligung auf ben (Erwerb
ber Xugenben gebeutet ^aben. äBie un^eimlid^ aber ift biefe Qiu
gäbe ber ©tufen , weld^e bered^nct, unb weld^e nac^ ben (Ent^üb
1) H. a. O. @. 119. 229. 238.
579
lungen bcr ©omnombule in bad jenfeitige fieben ^incin t)etfoIgt
toerben. 3n bcm Äreife, bct fid^ burd^ SoQcnbuf^ leiten lit%,
ftnb Quc^ biefe 3been fortgepflonjt morben. äRenfen f)at in
bem ^SSetfud^ einer Anleitung jum eigenen Unterricht in ber
^eiligen Schrift/' in bcffen SBorrebe er fi^ atö ®ä)üUt öon
^oQenbufc^ befannte, nic^t bloS au^gefpro^en, bag bie .^eitigung
auf @rben DoUenbet n)erben fonn, fonbern oud^, ba^ biefelbe i^re
©tufen ^at (3Äatt^. 5, 3-9; 2 $etr. 1, 5-7). ®en «uöblid
auf bie ienfeitige ^ortfegung ber Heiligung f)at er in ber be^
jeid)neten ©c^rift nic^t eröffnet; inbeffen ftel^t ed feft, ba^ auc^
biefe ße^rc feinen fpecießen Sn^öngern ni^t fremb mar. SBenig^
ften^ lommcn in ber Sebenöbefd^reibung ber ©c^Iatter *) einige
aud^ in ^Jltnltn'^ )iBiograp^ie genannte Samen in Bremen t)or,
bie mit ber 3(nna^mc ber ©tufen auc^ ben ©lauben an bie
^ortfc^ung ber Heiligung im Senfeitd t)crbanben. S^ ift baran
ju erinnern, bafe bie ©c^latter burd^ biefe grcunbinnen öorüber^
ge^enb fi^ beftimmen liejs, biefelbe 3Jletf)oit ju untemel^men
(©. 548) ; fie fanb jeboc^ m berfetben nic^t il^rcn ^rieben.
(SoQenbufd^ ^at eine @ruppe Don ^ietiften in ber reformir^
ten ftird^e auf baS ^oblem ber Heiligung j\urfidfgefäl^rt, in xotU
c^eni ber ^ietiömU'S entftanben ift. 3)er eöangclifc^e ^ietiömuS
niebertänbifd^er ^erfunft ^atte bie (Kontemplation über bie actit)e
Heiligung erl^oben ; (SoQenbufd^ mac^t überhaupt feinen @ebraud^
uon ber Kontemplation. Siefe ©teQung erflärt fic^ aud feinem
ßufammenl^ange mit ber unter ben SBurttembergifd^en X^eologen
ber ^engerfd^en ©c^ulc gepflegten Stiftung, n)eld^e barauf ange^
liefen maren, ber einfeitigen SBctonung ber 9ted^tfertigung an^
bem Glauben entgegenjumirfen. 3m SSergleic^ bamit, ba§ Die
Heiligung im Sabini^mu^ urfprünglid^ auf bie ^räcifität ber
@efegerfüQung gebeutet mürbe, ^at SoQenbufd^ bie grünbltc^ere
(Srfenntnig gemonnen, bajs fie in bem Srmerbe ber Xugenben
befte^t. 2)enn biefe finb ber örfolg ber Pflichterfüllung für ben
(S^arafter felbft. SBag ift nun aber an biefem ©tanbpunft pie«
tiftifd^? Wan erfährt nid^t, bag CoUenbufc^ unb bie ©einigen
if)re Sluffaffung be$ ct)riftUd^en fiebend abfi^tli^ in ber Silbung
Don (SonDentifeln mirffam gemacht ^aben, fonbern ed mar unter
biefer SSoraudfe^ung iufäQig, bo^ gemiffe pietiftifd^e ©ruppen
1) Seben unb 9ladftIaB 33anb I. e. Uli.
580
fic^ bte neue Se^re aitcigneteit. 3(ber eigentlich n^ar biefelbe auc^
nur für fotc^e Ärcifc jugänglic^. S)cnn biefc ße^rc »urbc md)t
bloö auf bie ?luctorität ber ^eiligen ©c^rift, fonbern in einem
i^rer mefentlic^en X^eilc auf bie Offenbarungen ber Sßuppermann
begrünbet. S)ie ©laubmürbigfett berfelben empfahl fic^ nur in
folc^en Streifen, Ujelc^e burc^ i^ren ©cfd^mad an bcn ©d^eim-
niffen bed geiftlic^en fieben^ fic^ t)or ber gemö^nlid^en ober auf«
geflärten äJtenge au^eid^neten. dürfen mir annehmen, bag bie
^ietiften am 9lieberr^ein, meldte fid^ an ßollenbufc^ anfc^loffen,
t)or^er cntmeber ben eoangelifc^en ^ietiSmud ober ben Ouieti^^
muö gepflegt l^atten, fo taufd^ten fic freiließ ein niögüc^ft cntge--
gengefe^te^ Sntereffe ein, blieben aber in ber fc^wülen unb grüb^
lerifc^en Stimmung, meiere in jenen SRid^tungcn erjeugt war unb
burc^ bie ftcte ^Beobachtung unb öerec^nung ber ©tufcn ber
Heiligung erhalten n^erben mugte. 23ic ^eterobo^ie an ber Se^re
t)on (SoUenbufct) fam nic^t in 93etrac^t, mo man fic^ burc^ t>a^
^eiligungdftreben ^atte anjicf)en laffen. Senn in allen ^aücw
finb mit bem ^ßietiömuö, ben wir fenncn gelernt ^aben, Äbwci?
d^ungen t)on ber fRcc^tgläubigteit uerbunben; unb auc^ biejenigcn
^ictiftcn, welche bie Äbfid^t ^abcn, fic^ folc^er ju enthalten, ftub
für jcbe ^eterobojie jugänglic^, menn fie nur ben ©cf)ein beö
gottfeligen 2Befen^ an fidj ^at. Unb bie fie^rmeife öon Konen-
bufd^ ^at nic^t bloö biefen ©c^ein , fonbern ^at ein fc^r refpcc*
tabled @epräge, wenn wir i^ren ©runbfag beachten, nur fc^rift^
mägig ju Derfa^ren unb feine 3){öglid^feit natürlicher älcligion
jujulaffen. SKcnfen'^ „Anleitung" ift unb bleibt ein fe^r mcrf*
würbiger SUerfuc^ reiner Dffcnbarung^t^eologie. @in fold^cr 6nt*
Wurf öon religiöfer ffirfenntnife mu^te crft gemad^t werben, wenn
ed beutlic^ werben foUte, wie uiel rein t^eoretifd^e Srfenntni^
ber 3)inge in bcn ort^obojen @t)ftemen mit ber c^riftlid^en Sic-
ligion Dcrquicft worben war. 8ln biefer unflaren SJcrmifcljung
üerfc^icbencr ©rfenntnifemetlioben war fc^liefelid^ bie ©laubwür^
bigfeit ber ort^obojen Se^rfl)fteme gefc^eitert. Um alfo bie @tU
tung bed pofitiüen &^riftentf)um^ unter ben aufgeflärtcn SRen-
fdjen wiebcr ^erjuftellen, war eö not^wenbig, fic^ ber (Srfenntnife
aud ber Offenbarung in ber f)eiligen Schrift ju oerfi^ern. Aber
wie merf würbig ift e^ nun, oon einem ©enoffen biefer @d^ule,
griebrid^ Ärnolb §afenfamp^), eine Deutung ber Offen*
1) ytoä^ feinem ^aU)brubet, 3o^ann (üer^axb, Vttdox )u S)ttU(utg; fie«
581
barung ju ücrnc^meii, weld^c ben geiler ber Ort^obojie ia einer
anbern gotmel loicber j&crftellt! S)erfelbe fc^rcibt '): ,,2)ie 99ibcl,
tDctd)c bic l^eiligen Offenbarungen ©otteö cntt)ätt, ift ein ma^rcd
ÜRagajin öon SBa^r^eitcn alter ?lrt. 3n i^r finbcn toit bic
ric^tigften SRcgcln einer cd^ten Sogif, bie reellften begriffe einer
toa^rcn 9Jietap^^fiE unb einer ^f^c^ologic, bergteic^en man
iiod^ nirgenb f)at" 2)ie barauf folgenben ©ä^e beioeifen aller*
bingö, tt)ie unflar biefer ?luöfpruc^ gebadet ift*). aber fo öiel
ergicbt fic^ auö bem ©afee mie auö feiner Srflärung, baß biefer
3lnt|änger SoUenbufc^'ö bie SSerfd^ieben^eit jtt)ifd^cn bem religio*
fen unb bem t^eoretifc^en ©rfennen ebenfo rtenig begriffen f)at,
tüie bie ort^obojcen ®c{)ult()eologen. S)eS^alb ift auc^ bie t)on
goQenbufc^ ausgegangene 9iidE)tung ber 2:^eologie ftetd bereit
fic^ in bie @dE)ult^eologie jurücf jubilben , n^eld^er fte juerft mit
gutem @runbe entgegengetreten ift. 3nbeffen bie t^eologifc^en
Srfd^einungen, auf n)el^e id^ l^iemit ^inbeute, gepren in ein
anbereS ©cbiet. §ier ift nur noc^ auf baö S^uflnife ©oebers«)
JU DertDeif en , bag Sollcnbufd^'S^n^änger im 3ülid^'fd)en unb
S3ergifc^en Sanbe fid^ burc^ ^römmigleit unb fir^lid^e ®cfin*
nung aui^eid)nen, aber aud^ bei ber ^eftreitung ber Se^ren t)on
boren 1747 , gejiorben 1795. Sgl. »riefe Aber toid^tige äBal^rl^etten bei ^elu
0ion, 2 Sr^etle, Duisburg 1794.
1) «. a. O. I. 6. 46.
2) 3BeU no4 in ber ©egentoart eine HJlenge Don Seuten in bieder S^ule
!ranf ftnb, !ann t4 nit^ ntd^t entl^alten, bie Erläuterung beS obigen ^[uSfbtu^ef
auSjul^eben: »^enn bie $tbe( legt au4 bie ge^eimflen galten be§ menf^Ii^en
^er)en§ bar, setgt toxt man bie ^^or^eit fliegen unb ber SBeiS^eit na^jagen
foQ, unb mac^t unS mit bem ^iOefen ber ®inge befannt, mebr toie aQe iSü^er
aller ^^tloiopden. ^uger ben 2Beif{agungen fünftiger SOeltbegeben^eiten unb
auger ben SBerl^ei^ungen befjen, »aS ®Dlt unS in biefer unb ber )ufflnftigen
®elt t^un tt)iQ, finb bie ^eiligen Sü^er gleid^fam eine Sefd^reibung Don biefer
SBelt. 3n i^ncn ^ahtn mit 20in!e über ben Urf))rung beS Söfen unb über bie
Sttlaffung Deffelbcn. @ie erÜären e§ unS, toarum eS ben iBöfen gut unb ben
®uten Übel ge^t. ferner ift eS ma^r, bag bie ganje fogenannte ^oral in ben
^eiligen Supern in ©efd^td^ten, (S^lei^niffen unb lehrreichen Sprühen Dorgetra«
gen toirb. ^tefe Segriffe ^ai man in bie natürliche ^Religion übertragen , ol^ne
eS lü toiffen unb 3u tooQen." 6o ri^ttg bie le^tere Senterfung ift, fo ni^tig
finb bie erfleren, um bie Sibel aU bie Sfunbgrube ber oben genannten pl^ilofo«
p^ifd^en @rfenntniffe ^u ertoeifen.
3) «rtüel über EoHenbufd^ in l^er)og'8 9t. d. Vni. S. 23.
582
ber @trafgcnugtl^uung (S^riftt unb t)on bet boppciten unbcbing^
tcn ^ßtäbeftination öcr^arnen. 3n bicfen Ärcifen i[t auc^ ba^
3ntcreffc an 3ubcn* unb Jpeibcnmiffion gepflegt »orbcn, unb bie
SKiffion^efeHfc^aft, mic bag SKiffionö^au« in Sannen öctbanft
t^nen t^te Sntftel^ung.
26* @ottfrieb Santel ftruntntad^et nnb ^ermann ^riebrii^
fto^nrfigge. 6(^Ing.
3n ben nieberrfieinifd^cn ©ebicten bet reformirten Äird^e,
n)o Xerfteegen unb (SoQenbufd^ i^re Stn^änger gewonnen Ratten,
bauerten iugleid^ bie 9lac^n)irfungcn Don f$. S(. Sampe fort
(©. 453). 3nbeffen bei ber äRe^rja^l ber ^rebigcr, bie i^m
folgten, n)ar feine äßet^obe troden unb mec^anifc^ gemorben.
SBenigfteng fc^reibt fein Urenlel SKenfen atö Sanbibat in ©ui^-
bürg 1792 an feine äWuttcr: „öin ©^ufter f erlägt mit mc^t
Z^eilna^me ber @eele an feiner $änbc äEBcrf einen @c^ul^ über
einen ßciften, ate fie eine 5ßrebigt fc^rciben, au^roenbig lernen
unb in niebrigcm Äanjetton ^ermürgen. ©ic finb fcelenlojc
öc^og; man ^ört nie fie felbft, fonbern immer nur ben ^rofeffor,
bet fie geleiert unb üerfe^rt l^at. äBar baS ein ^eibe, fo finb
fie ed auc^; toar bad ein Slbergläubiger, ber äRenfd^enn^ort mie
©otteömort öere^rte, fo finb fie t^ and), fo beten fie 3^rem
®ro§üater Sampe feine SBa^r^eiten unb feine 3trtpmcr nac^,
tüic ber bie tc^tercn, überrtunben öon bem ©eifte feiner ÜWitrtclt,
bcr2)ortrec^tcr©^nobe nachbetete" 0- 3cbo^ »erben in ben ®cmcin*
ben bie (Sonüentifel berjenigen fortgebauert ^aben/ meldte mit
®ici^er!)eit ober mit Unfid^er!)eit bc^ §eitöftanbe^, inbcm fie
(S^riftud annehmen fonnten, ober nac^ i^m hungerten unb bur-
fteten, t)on ber im @anjen gleid^gültigen Haltung ber ©emeinbcn
fi^ ju unterfd^ciben unternal^men. ?luc^ beburftc e^ nur ein*
mal eineg mirfungööoUen ^ßrcbiger^, um ber pictiftifd^en SKc^*
tung tvieber me^r fiuft ju mad^en unb me^r Schärfe ^u Derlei«
1) IBei ^ilbemetfler I. 8. 60.
583
^cn. (ginc fold^c pc^ft cinflufercid^c unb c^araftcrüollc ^erfön*
lid^feit toax ©ottfrieb ®anicl Ärummac^cr, ^rebigcr in
gtbcrfclb 0. 83olb m6) bcm ?lntritte feinet Slmteö in Sacrl ift
bcr 24|äf)ri9c SKann burd^ bic pictiftifd)c ßww^i^t^wi^flr l)ic ®na*
benioirfungcn bcö ^eiligen ©ciftcs; in fid^ ju crfal^rcn, in bcn
Öufefampf getrieben morben, um fid^ feine gänjlic^e SBemetflid^*
!eit t)or @ott einzuprägen. SEBie e$ biefe äRetpbc mit fi^ bringt,
ijdt er, nad^ bcm S^uflniffe be^ SBiograp^en, batb in ben Reifte*
ftcn Anfechtungen, balb in ber greubigfeit beg öoHenbeten &c^
rechten geprebigt, unb burd^ bie üraft unb Unmittctbarleit, in
ber er beiben Stimmungen SluSbrudE gab, eine gen)altige äBirfung
ausgeübt. S)ie @emeinbe ju SBaerl n^ar il)m bafiir in grojser
änljänglic^feit ergeben. 3ebodjj, fagt ber Siograp^, foHte bie
aOÖirffamfcit in berfelben nic^t lange tüä^ren. „örft brittel^alb
3a^re ^atte er biefe ^eerbe mit mufter^after Irene gerteibct, ha
^icfe eig einmal ju i^m in einer feiigen ©tunbe öor bem §errn:
„„^eifc^e öon mir, mag foQ id^ bir t^un?"" Unb mic unmißfürlid^
entfuhr i^m bag SBort: „„SKad^e mid^ jum 5ßrebiger in SBüIf*
ratt).'"' 2)icfer SBunfd^ mürbe erfüllt, ör mürbe jum tiefen
Seibmefen feiner ©emeinbe bort gemä^It, unb nun mujste er fid^
im nadtten ©tauben burd) bie @c^merjen bed Slbfc^iebed ^in«
burdöfd^Iagen. 2)ie ©emeinbe in S5aerl bat il^n auf bie fle^ent*
licftfte SBeife ju bleiben, aber er fonntc unb burfte biefen SBüm
fd^en nid^t nachgeben, er mugte Don bannen jie^en, mie fe^r
aud^ fein järttid^eg Jperj barüber blutete." „3n SSJüIfratl^ nun
ftanb bamaU ba^ geiftlic^e Sebcn in DoHcr Stütze; inbeffen mar
boc^ mo^t ber ^ö^enpunft erreid^t, unb bie Qtit be^ StfidCganged
na^ie. ®ie ©emeinbe mufetc ben ©c^a^ , ben i^r @ott in firum*
mac^er gegeben f)atte , nid^t ju mürbigen. ^ie ^ird^e mar in
SBütfrat^ oft leer. SSon befonberen örfolgen feiner SBirffamleit
bafelbft läfet fic^ ba^er nic^t öiel er}äl)len; eg mufete im ©lauben
auf .g^offnung geadtert unb gefäet mcrben." ©o meit eg möglich
ift, biefen ^ragmatiömuj^ ju öerfte^cn, gilt bie Unmillfürli^feit
1) Geboren in 3:e(ilenbur0 1774, Pfarrer in Sattt bft ^eurS 1798, in
tlBülfrati 1801, in (Slberfelb 181G, geflorben 1837. — Sergl. StbenSbefdftrn«
bung, t>tx\aH t)on bem 92effen @. 2B. j^rummad^ft a(S Sorrebe ju <S. ^. ihr.
@uter ^otfd^ft , einer Sammlung t)on ^rebigten. ^Iberfelb 1838. ^te pane«
g^rifc^e ^arfteOung beS 9{effen bürfte in mannen Regierungen )u berid^tigen
fein na4 ®oebel in i^ersog'8 Slealenc^flo^fibie VIII. ®. 118—121.
584
ber Slnttuort jtrummod^er'i^ auf bte bon t^m Vernommene @otted^
ftimme aU bie @en)ä^r bafur, bag feine Berufung nad) äBälfrat^
@otted SS3tQen gemäg, unb bag er bc^^alb Derpflid^tet tuar, ber-
fetben }u folgen , obgteid^ oQe @rünbe menfc^lid^cr SScrpflid^tung
xf)n in SBaerl fcft^icltcn. 2)iefc Slnfid^t ift eine golge beS pic*
tiftif^en ©rnubfafec«: ®er 2»enfc^ SRid^tö, ®ott «Ucö. »e^^alb
nämlid^ t)er{)Q(t fi^ ®ott aud^ ncgatit) gegen jebe oernünftige unb
pflid^tmäfeige Uebertegnng gegebener menfd^tic^cr aSerl^dltniffc.
©e^g^alb bebeutet ber fittli^e SBertli einer erfolgreid^en unb burc|
Änl^änglic^feit ber ©emcinbe getrogenen amtlid^en ©tellung unb
bie berechtigte SBefriebigung borin gar nic^t^ gegen bie Sombina«
tion jmifd^en einer wahrgenommenen ©otteöftimme , einem um
überlegten, minfürUd^en SBunfc^c unb ber Erfüllung beffelben
burd^ eine @ntfc^cibung oon äRenfd^en. S)ie Unüberlegtheit jened
SBunfd^eö neben ber Erfüllung beffelben foH bafür bürgen, bafe
biefelbe ber öeftimmung ©otteö entfprad). 2)iefc^ ift nun bie
^Dtet^obc be^ pietiftifc^en SSorfe^ungdglaubenS, in n^elc^em ^rum^
mad^er mit ber ©d^latter übereintommt.
Sllö 5ßietiftcn jeigt fic^ ferner Ärummad^er in bcn ^rebigten
burd) bie tief bunfele ©c^ilberung ber fittlid^cn ßwftänbe ber
d^riftlic^en ©efetlfd^aft, unb njieber burc^ bie Slujgfic^t auf bie-
unöergleic^lic^e S3efferung berfelben. „S)er auf ber ffirbc l^aftenbe
glud^ mirb einft üöUig aufgehoben werben, bie gülle ber Reiben
eingeben unb alfo ganj Sfrael feiig werben. @d ^at auc^ ganj
bog Slnfe^en, baß fid^ alle^ baju in Sereitfd^aft feje, fowol^t
burc^ bcn Slbfall oon ber SBa^r^eit, bur^ baS ©treben na^
einem unbelanntcn 3^^^^' olö burd^ bie augcnfd^einlic^e Jperbei^
fc^affung üon Äall unb ©tein jum S3au ßionö. SSenn fid^ nun
überbicö bie ^eiligen in i^rem ©ebet bereinigen, fo Wirb ber
§crr nic^t fäumcn, fein SUotf ju crlöfen, wo ung bann fein wirb
wie Iräumenben" '). 2llS I^colog fd^liefet fic^ Ärummad^er an
Sampe an. @r nennt mit befonberer ^Betonung ®ott ben 33un^
beögott, unb ergebt fic^ mit SJorliebe in ber t^pifd^en 3)eutung
ber ©inric^tungcn beö alttcftamentlic^cn Kultur auf bie ffirlöfung
burd) K^riftuS. ÜRit Sampe ^at er auc^ bie Se^re öon ber bop*
pelten ^räbeftination gemein; allein er oerlei^t berfelben eine
©c^ärfe jur Siegelung be§ Jpeilgbewu§tfein§, wie eö Weber Sampe
1) d^ute »otfi^aft @. 88.
585
nod^ irgcnb einer ber ^rcbiger get^an f|at, bcnen mir aU SBcr*
tretern beö ^JJictt^muö in bcr reformirten Äirc^e begegnet finb.
Strummac^cr fprid^t eö jioar nid^t auö, bog bie Serbammten,
toclc^c in bcr J^öUe ®ott burd^ beulen unb 3äf)neflappern mc^t
minbcr üer^crrlid^en, mic bie Sluöcrmä^Iten im Jpimmel, bie burd^
freien ffintfd^Iufe ©ottcd SScrmorfenen finb. @r üerfolgt nac^ ber
Siegel be^ SnfrQlQpfariömu« i^re Sage nur jurüdf auf bie eigene
Sünbenfd^ulb. allein inbcm er cö betont, bafe ©Ott aQein ben
SEBiUen fdiafft, toetc^er fic^ bem ^cilc entgcgenbetüegt, unb inbem
er bie meiften SOienfc^en für unbegnabigt erftärt, fo wie cö für
verlorene äKü^e a^tet, bie Ungläubigen Don i^rer geinbfc^aft
gegen @ott ju übcrfül)ren, fo l)at er fein 3led)t baju, bie ©ün*
ber für if)re Spaltung gegen ®ott Deranttoortlid^ ju machen! ör
ift anbererfeitö fo meit einöcrftanben mit bem Kalüiniömuö, baj5
er bie aetioe Heiligung ald ben 3^^^ ^^^ @rlöfung, unb ba§ er
©tufcn in berfelben anerfennt. SlUein er öerlei^t biefcr ©eitc
ber c^riftlic^en Set)re feinen 9iad)brudf, fonbern befc^rdnft fic^
immer nur auf ben Kontraft jitoifdien ©nabe unb ©ünbe unb
auf bie tjrage nac^ ber SSerfic^erung bcr ©ünbenücrgcbung. SRan
fönnte urt^cilcn, bog hierin eine 9lüdbilbung beS Satoini^mu^
auf bie Sinic beö Sntereffe^ öorlicgt, auf bem bag urfprünglic^c
2utl)ert^um fidt) gehalten ^at. ?lUcin baö Problem ber ©finben*
uergcbung mirb bur^ jh:ummac^cr mit aQcn möglidien ©d^mic^
rigfcitcn umgeben. Unb biefe überfd^reiten bie SKet^obc beig
„eöangelifd)en" ^ictidmuö in bem SKafie, atö fie burc^ bie Qn^
rüdEroeifung aller Selbftt{)ätigfeit ücrftärft finb, tücil biefe bem
@runbfd)ema ber calöinifc^en ^^Jräbeftinationöle^re miberfprec^en
mürbe.
93ei ber mieber^ottcn Siarftcllung biefer ©dimierigfeiten jum
©eminn ber ©ünbcnüergebung Derfä^rt Ärummad^er j^iemlic^ un-
parteiifd). gr trifft mit feineu 2tuöfüf)rungen ebenfo fcl)arf ge*
roiffe Sieb^abeveicn bcr grommcn, mie bie S)iöpofition berer,
meldte JU bicfcm Ärcife nicf)t gehören. Jpinbcrniffe ber ©nabcn=
Ic^re finbct er junädift bei jmci Älaffcn uon ©olc^en, bie er nid^t
birect JU ben ^cinbcn beö £I)riftent^umö rechnen fann *). 3)ic
Sinen ^aben fo etma^ ©anftcd, ©tillcig unb 9lac^giebiged an
fic^, fuc^en ftd) nid^t blo^ t)or groben ©ünbcn, fonbern anc^ wx
1) @ute 9ot{4<ift e. 115 ff.
586
fubtilcrcn ju l)üten, ^aben einen foId)cn JRcfpect Dor bcn ®naben^
mittein unb bem SBortc ©otteiS , eine fo gute SRcIigiongcrfenntnife,
unb Ratten ß^riftuö unb fein üerbienftlid^eö Seiben ^oc^. Aber
(SiniS fe^lt i^nen bod); unb mutl^et man il^nen nun ju, ben einen
©d^ritt nod^ ju tl|un, fo luerbcn fte betreten. (&^ bflnft i^nen
feltfam, baß man nod^ me^r üon it)nen fotbere unb pd^ i^nen
ol^ne Urfac^e aU ein ^eiliger gegenäberftellen ju n)oIIen fc^eine,
ober fic ge^cn gar ju einer nic^t geringen ISrbittcrung über.
„SBie ift bei fo beraubten Umftänben baran jU benfcn, bafe bie
©nabenle^re ?ln* unb aufnähme finbe?" SBaö Ärummac^er ^ic^
mit meint, tt)irb an ber anbcm Klaffe, bie er begeic^net, flar
werben. S)ad finb bie, tüctd^e fic^ für rec^tf(^affenc unb tugenb«
^afte 9Äenfd^en galten, unb fein Sebenlen tragen, fid^ ba« SSeP
bienft Sl^rifti jujueignen, tücit er ja für alle 2Renfd)eii geftorben fei.
®ie finb if)reö ©nabenftanbeö fidler, obgleid^ fic bod^ nid^t^ öon
©ünbcngefü^l, üon SefenntniS unb SBerlegenl^eit barüber unb
öon JRingcn um ®nabc miffen. ®iefe ®emüt^«bett)egung alfo ift
ba^ öon i^m geftcUte ffirforbemi§ für bie ©nabcnöerfid^erung !
$Run aber gc^t er ju bem §inbcrni6 über, tüel(^eg tüicbcr bicfe^
©ünbengefü^I mit fid) bringt. ®r mißbißigt bie aufrid^tigen
©eelen, rteld^e i^re ©ünbener!enntni§ no^ nic^t gro§ genug
finben, rteld^e an ber Stufrid^tigleit berfelbcn ätt)eifeln, unb pt^
fd^euen, i^rc 3iiffw^t i« ei)riftng ju nef)men, mcil fie fid^ einen
gett)iffen @rab öon ^ersenögüte abgewinnen möd^ten, c^e fie an
bie @nabe bcnfen bürften. @inigc berfelben Dermidteln fic^ in
fd)redE^afte SSorfteüungen Don ©otteö 3<^^"9cric^ten, üon ©üdö^^
lung unb SUerrterfung, öon ber geringen 3ot|l ber Sfinber ®otte^,
ober fämpfen im ©tiQcn mit fpöttifc^en ®ebanfen unb jmcifetn
am SBorte ®otteg. SJrummad^er ergebt gegen biefe Srfd^einungen
ben SUortüurf beg Unglauben^. 3lber mit meld^em SRed^te? ®a
bod) nac^ feiner Slnfic^t bie ß^^^ifliiwng be^ Jpcileö o^ne ba^ 3"=
t^un beö aRenfd^en erfolgt, unb bie 3uniut^ung eine^ aufgeregt
ten ®efü^fö Don bem @lenb unb ber Slbfd^eulid^feit beö ©ünbcn«
ftanbeö in fid^ grenjenloö ift. ®r erflärt nun, ba§ @ott ju
jenem Qxocdc leiner SKittel bebarf, ba§ er aber regelmäßig ba^
orbcntlid^e SRittel be^ SBorteö unb beg ^rebigtamte^ gcbraui^t,
um eine befümmerte Seele beö Jpeiteö ju öerfid^ern. „Unb mem
tt)ärc e^ unbefannt, ba§ eine einzige ©c^riftftetle, ein SieberDcr«,
eine ^rebigt alfo gcfcgnet fein fann, bafe auf einmal alle 3^^^!^^»
587
öcbenflid^Icitcn unb öefümmcrniffc tt)ic toccjfleblafcn tüerben, afö
fönntcn fie nie tüieber auffteigcn." fieibcr ift c^ nun and) bc*
fannt, bog biefe $rt ber ßucignung immer ntc^t Dor^ält! Unter
bcn au6crorbentIid)en ÜJJitteln berfetben bejeidfinet Ärummad^er
btc örfa^rung, ba§ S^riften ju il^rem 3;roftc etmag Slcufeerlid^ed
gefe^en ^aben, bog eS }. 3. gan} ^ell um fie n)urbe, ober ber
§err gebietet einer ©ecle innerlich, ein beftimmte^ ßieb, eine be^
ftimmte ©d^riftftelle auf juf erlagen, rtclc^e ben Siroft barbietet,
ober ein $ßrcbiger fü^lt fic^ gebrungen, über einen beftimmten
lejt gegen feine abfiit ju prebigcn, unb nad^^er ergiebt eö fic^,
ba§ biefcig ;\um Iroft einer einj^elnen ©eele erfolgt ift, ober ge*
toiffc äußere ©reigniffe unter befonberen Umftänben geben fid^
atö ß^wfliiiffc ber fpecieUen @nabe ©ottcö funb. ?lber öon allen
biefen örfa^rungen ber SSerfidicrung urt^cilt Ärummac^er, ba§
fie nic^t bie ©ünbenöcrgebung felbft finb. 2)iefe ift Sllen notl^*
n^enbig, jene mirb S3te(en nid^t ju ST^eil. SBaiS bleibt alfo benen
übrig, meldten ber ®laube nid^t aU geioiffe ^u^^^Pci^t öcrlie^en
wirb? ©ie ^aben bei ber gortbauer ber Sefümmernife über bie
©ünbe i^ren ©lauben in bem Jpunger unb S)urft nad^ ©erec^^
tigteit unb in ber 3"ff"^t ju ß^riftuö. 2)ie^ ift aud^ eine
gorm beig magren ©laubcmg. Aber bennod^ foU ieber bie SSer«
fic^crung fuc^cn, obgleid^ ber ^err fie nic^t allen feinen Äinbem
fc^enft. ©0 entfcl)eibet Ärummad^er fd^ticfelid^ in Uebereinftim*
mung mit Sampe (@. 324).
allein nun Reifet e« miebernm anbertoärtö, bafe man qc^
n^altige SSerfid^erungcn erfahren ^aben unb bod^ getvaltig tv^
fdöredCen fann, menn ber §err fein Slngefid^t öcrbirgt. S)ann
pflegt ber ©igentüiUe @ott uorjuf d^rciben , mann, mie unb in
melc^em SKafee er bie geifttid^en @aben be^ Sirofteg unb ber
Jpeitigung mitt^eilen foU. SBie feiten finb biejenigen, bie fic^
gelaffen ber gciftlic^en @aben berauben laffen, unb fid^ in i^re
geiftlic^c Slrmut^ unb S)ürre fc^idEen? 2)?an mill mo^l in ber
J^eiligung öon ben befd^merlic^ften Unarten je c^er je lieber lod
fein; greift aber ©Ott ba^ SUerberben bei ber SBurj^el an, foU bie
ffiigenliebe unb ber eigene SBillc umgele^rt merben , fo meiert man
fic^, fo öiet man fann. Sllfo menn man im Slnfangc feine«
6f|riftenftanbeö eine füfee Slnbad^t im @ebet, einen innigen Um*
gan^ mit bem Jperrn erfahren, menn man eine garte Siebe ju
3efu«, JU ben ©laubigen unb ju aQen 9)2enfc^en gefaxt ^at,
588
unb in einer ^eiligen ©tillc nnb ?lb9cjOflen^eit uon allen ©reo^
tuten ftcf)t, fo mad^t man alöbalb tüicbcr bie ©rfa^rung, bafe
bic 5^ud)t bcg (Seiftet öerbcdt njirb , bag baö innerliche SSerbcr»^
ben fic^ gcroaltig regt unb bic ©eele fid^ tt)ie fleifd^Iic^ ffi^It unb
unter bcr ©ünbc Derlauft. Stber fo muß cö ge^en, bamit ba^
SBcrtrauen auf unS felbft immer me^r au^erottct rterbe. ©n
S^riftentl^um, bei rtelcftem man Slleö ober aud^ SSieleö felbft
auörid)ten lann, ift offenbar baö red)te nic^t. SSicImcl^r muß
allcd, toaS man an gutem SBiQcn unb S^orfag ^egt, unb too^
man an 3Witteln ber ©rbauung ^od^ f)ält, ju SRi(^t§ toerben,
bamit bcr §err aDein ber fjete fei. SBiß K^riftuö bic einjigc
©tü^e unb 3wP*^^^ ^cr ©eele werben, unb fie anleiten, i^m
allein anju^angen, fo muß fid^ ber ftarle SBinb ergeben, ber aUe^
unfid^cr mad^t unb e^ einprägt, baß in E^riftuö allein äße
gülle mo^nt, unb in it)m aße SUerl^eißungen 3a unb amen
finb. 2)iefer ©runbfafe fommt bamit überein, baß bic ^üüt ber
SSergebung ba ift, tt)o bcr ©laubige in ftd^ nid^t^ alö ©finbe
finbet. Ärummad^er fügt l^inju, baß „ttjcnn brei ober öier in
biefer Serfammlung unter biefe Klaffe gehören, baö tt)irb loo^l
«Beg fein" »).
2)ie 8lbficf)t biefer Slnrteifungen ift beutlid^ bic, bic ©croiß^
^eit beö ^eileö foöiel mie möglid^ ju öcrl^inbcrn. S)cnn biejcni*
gen, tocld^c feine SSerfic^erung errei^en, baß S^riftuö für fie ge*
ftorben fei unb fie geliebt ^abc, »erben bie ©efü^löerregung über
bie ©ünbc, rteld^e fie fic^ abgenöt^igt l^aben, laum jemals burd^
bie nüd)terne Uebcrlegung ftißen, baß für fie bod^ ©ünbenöerge^
bung überl^aupt öor^anben unb gültig fei. Ober wenn biefe
®abc für bic bußfertigen mit bem Seftanbe ber ÄJird^e öcrfnüpft
ift, ju ber fie gcl^örcn, fo ift burd^auS fein ®runb öor^anben,
nur eine befonberö gcftärlte Süße gelten jw laffen, unb ba§
S^riftent^um berer für mangelhaft ober t)ielmef)r für nid^tig ju
erflären, rtcld^c i^rer ©ünbc in toeniger aufgeregter aber juücr*
läffigcrer SBcife abfagen, tt)ic bie ^ictiften. 2)enn baS 5Reft,
rteldöeg nad) pietiftifdf)cr 3lntt)eifung bie ©ünbc im ©anjen lieben
foB, ^at regelmäßig fo toeite SRafd^en, baß eine ÜJicngc öon bc^
fonberen ©ünbcn nid^t au§ bem ©runbe bcö SBißcnö ^craufgc^
jogen toirb. Unb roa^ ift benn bie aßgemeinc ©ünbc in iebem
1) «. a. O. S. 187. 250. 289. 322.
589
I
©injclnen, tücnn nic^t bic ©unimc aller befonbcrn ©clbftfud^t?
SBer aber baju fic^ anleiten läßt, übet eine allgemeine unb un*
beutlic^e SSorfteUung feinet fünbtic^en SSerberbend in Aufregung
ju gcrattjcn, unb bie gefttf)Itc SSerficftcrung ber Vergebung nic^t
errcid^t, tt)irb burd^ Ärummac^er eben auf Ungett)i§^eit beö $ci=
(ed angetDiefen. Saffelbe beabfic^tigt er aber auc^ an benen,
toeld^c eine SSerfid^erung erfahren ^aben. ©ie tüerben eben bc*
beutet, bafe biefelbe feinen SBeftanb ^at, fonbern baß bie Unfi^cr*
l^eit nad^ @otted toillEürlid^er t^ügung immer n)ieber einjutreten
^at, bis bie üoUe Vernichtung be^ menf^lic^en ©etbft^ unb SBert^^
gefu^Id erreicht unb ber @egenfa| jmifd^en Seib unb $reube auf«
gei^oben ift. SaS ift ja bie fad^gemäge ^inmeifung barauf, bag
bie gefud^ten SScrfid^crungen blo^ äft^ctifc^er Slrt finb. SlQein
ber tc^te SBefc^eib, melcfjen Ärumma^er ju geben öermag^), ift
bie gormel be^ Ouieti^mud: „Unfer äEBille ift ba^ eigentliche
SBir felbft; unb menn ber geftorben ift, fo finb tüir mit @ott
eins unb ^aben äberaQ nichts mel^r auSjufegen''. ^aS ift bie
©eligfeit beS S)unö ©cotuö (©. 471). 2)ie ßöfung beö 5ßro^
blcmS öon ©ünbe unb ©nabe mirb alfo erreicht in ber loömolo«
gifdien ober metapti^fifd^en SS3al^r()eit , bag bie SSerneinung ber
creatürlid^en öigcn^eit bic Sbcntität aller ffiefen mit ®ott fcft*
ftettt, ba ©Ott aU ber miDffirlid^e SBiUe ber ©runb aller SBcfcn
ober baS cinjige tvirflic^e äBefen überhaupt ift.
S)a6 Ärummad^er'ö JpeiUle^rc biefen ^intergrunb jetgt,
fann ni^t befrembcn. ^er ganje „eDangelif^e" ^ietidmuS, in
beffen SRci^e biefer ^ßrebiger getjört, rturjelt im ©otteöbegriff
beö großen grancigcaner=3;t)eologen; unb fiberbieS berid^tet bct
Siograp^, ba§ bic Schriften ber ©u^on unb lerftcegen'iS in
f)o^em SBert^e bei jfrummac^er geftanbcn ^aben. 3n einem
fünfte aber n)eict)t er öon ber SRcitie feiner SJorgönger ab: er
mad^t feinen ©ebrauc^ öon ben 95ilbcrn beö ^o^enliebcS. 3)er
©cfd^madE für biefen äpparat fehlte it)m o^nc 3^cifcl auö bcm^
fclben ©runbe, auS tüclcftem er für feine ^ßerfon unbcre^eli^t
blieb.. Snbeffcn gcfd)ie^t it)m boc^ mo^l ju öiel ö^re, rtenn ber
Siograp^ bie ©ciftedoerttjanbtfc^aft Salüin'ö mit firummac^cr
betont. 3n ber ©enauigfeit ber ©ebanfen unb bed SludbrudES
fann man boc^ l)öc^ftenS bie ©eiftcgoertoanbtfc^aft Ärummac^cr'ä
1) fi. a. C. e. 333.
590
«
mit Ealötit finbcn*). Allein bicfe ©cmcinf^aft ^at bo(^ il^tc
fc^r bcftimmtctt ©tcnjcn. 2)en ©cft^töpunft bcr Heiligung,
)De(^cn Sabin atö ben 3^^^ ^^^ S^rtftentl^untd fo ^oc^ ftellt,
f)at ^ummo^er tl^atfä^Iic^ QU^faDen laffen. Senn er ftc^t
eben bcm „etoangelifd^en" ^icti^mud reformirtcr Sinic nod^ nä^er
al^ bem ®rttnber feiner fiird^e. Sener aber fommt über bem
^oblem ber ^eiteöcrfic^crung unb ber unabläffigen Prüfung
ber Sd^ttieit bed ©laubcnd unb ber $eilderfa^rungen nid^t bagu,
bie Slufgabe ber Heiligung ernftlic^ ju ergreifen, änftatt beffen
gelangt aud^ biefcr Vertreter be^ 5ßietii^mug nur jur äufrcd^t^
er^altung ber Ungctoift^eit beö Jpeileö, unb biefed erllärt ftc^
aui3 ber fat^olifc^en SEBurjel ber ganjen Siic^tung. äBenn biefer $ie«
tidmuS 9te^t ^at, bann fonnten fiutl^er unb Sabin fid^ i^re
Wlixf)t erfparen unb ben abenblänbifc^en SöUern bie äieligion^^
Wege. Qnx .^eiteungertife^eit bietet bie fat^olifd^e Äirc^c alle
möglid^e Anleitung; aber aud^ bie brci ober üicr, meldte Ärum*
mad^er qU in feinem ©inne t)onfommene (S^riften t)orauSfc|t,
lüürbtn in ber fatljolifd^en Äird^e i^re Scfriebigung ^abcn finbcn
fönnen.
@ine $robe bat)on, tveld^e Srfolge ^rummad^er burd^ feine
5ßrebigten erreid^t ^at, giebt bie ©d^tatter in bcm Serid^t über
i^re ^eife na^ bem SEuppert^al »). ©ie lernte in ffilberfclb jtoci
fjreunbinncn fcnnen, öon benen bie ®rfte fid^ fo au^fprad^:
,,@ott ^at @ro^eS an mir getrau, unb mic^ auf einen SBeg gc:=
fteUt, ben nur bie $(udcrn)ä()lten tvanbeln; ic^ bin nid^t me^r
gefangen unter ber ©ünbcn ®efe^, fonbern burd^gebrungen jiur
j^errli^cn grei^cit bcr fiinber ©ottcö. 3Äeine greubc unb §off^
nung ift, ba§ mein §err S^riftuö erfd^cinen mirb, feine unb
meine ^cinbe in bie etpigc SScrbammnife ffi tüerfen, mid^ aber
1) (Stnen etgenttiUmUdien HRangel an (S^enautgfett in btffem Ser^filtnil
berrfitti übrigens (ü. ^. j^rummad^er barin, bag er t)on (Salt)in'S SnjiituttO'
nen rebet (®uie ^otMaft 6. 109). 3Bunberbarer 3Beife ift bieie SBegei^nung
gum (hummad^erf^en gf^niiliengut geworben. ®er Stuber t)on (Sottfrieb ^a>
niel, nfimlid^ gfriebrid^ ^olf St, ^at bie .Snjiiiutionen ber ^rtfUid^en Ketiglon"
tn'S ^eutf^e fiberfeltt (1822. 1834) unb bejicn 6o^n (Smtl SBtl^elm gebraust
btefen fCuSbrud in ber borllegenben Siograpl^ie feineS Ol^eimS €. XLVII, nid^t
minber ber ju biefer (&Tuppt in entfernterer SBegiel^ung gehörige Vbolf Sa^n
(grauenbriefe 6. 164).
2) fieben unb ^aäfiai L 6. CXU.
5dl
fantmt allen Sluöcrtoäl^ltcn mit fid^ in bic ^immlifc^c grcube nnb
^crrlid^Ieit p nehmen". S)ic Slnbcrc aber toax llrinlaüt, brfidtc
eine X^ranc jurfid unb flogte gan^ leife: „%di \d) liebe ben
^ermSefuö nod^ gar nid)t genug 1 0 tücnn id^ i^n lieben fönntc
ttrfc 91. fagt, ba§ fie i^n lieben fönne! D loenn ic^ nur fo in
feiner ©emeinfc^aft lebte! S)ie ©orgen um meine Äinber nel^men
mic^ fo ein, ba|3 fie bod^ feiig merben unb aud^ in ber äBelt
orbenttic^ burcI)fommen ; id^ bin fo fc^tüac^, fo gar nic^tö." 2)ic
^d^tatter fnüpft biefc öefcnntniffe unmittelbar an i^re angaben
über Ärummad^er'd ^rebigt (©. 557); bie grauen, bie fic^ fo
auöfprad)cn, muffen alfo ju benen ge^rt ^aben, rtcld^e fic^ an
i^n anfd)loffcn. 3m SSergleic^ mit ben in ber ,,®uten Öotfd^aft"
gcfammeltcn ^rcbigten, ift freiließ ber Ion, ben bie erfte ©eleu*
nerin anfd[)lägt, jiemlid^ auffallenb. .Mein ald bie ©d^latter
1821 in bie 9iä^e t)on Ärummac^er fam, waren erft fünf 3a^re
feit beffen antritt beö ?lmte^ in ffitberfelb »ergangen. 3n bcm
Seginne feiner SBirIfamfeit aber l)at er bie Se^re öon ber Cr«
n}äl)lung ftarf in ben SSorbergrunb gefc^oben. (£r ^at jebo^ ba--
ran eine ©rfa^rung mad^en muffen, n)cld)c i^m SSorfid^t aufge^
nöt^igt l^at. 3n einer jU ©Iberfelb ge^örenben SBauerf c^aft , gc^
nannt SEBuften^of, fagte man bic t)on jfrummad^er geprebigte
(£rn)ä()lung fo auf, bajs fie bcm ©laubigen gcmils fei, aud^ locnn
beffen alter aWcnfd^ in ber ©finbe ju mirlen fortfaf)re. 3llö
neue äKcnfc^cn meinten biefe „SBüften^öfer" fc^on auferftanben
mit ß^riftuö unb im §immcl ju fein. SBenn fie jufammenlamen,
flagten fie bei SBvanntroein über baö irbifc^e Seben unb tranfen
fid^ auf bic enblid^e Srlöfung auS bemfclben ju 0* d^fl^^^^
brängten fie fic^ an Ärummac^cr, ber fie nac^ oberflächlicher 8)e^
fanntfc^aft für geförberte Sl^riften ^ielt unb o^ne Arg fid^ mit
t{)nen einlief, gür Slnbere blieb \f)x treiben ni^t verborgen ;
c^ tarn aber in bie völlige Deffentli(^feit , alg fie bie ^rebigt,
roeldje 1818 bei ber regelmäßigen SSerfammlung ber Slberf eiber
ßlaffiö bereu 3nfpector ^ielt, burc^ Sad^en unb SKurren ftörten,
loeil fie in i^r SRügen ber Ärummac^er'fc^en ße^rmeife ju erfen*
neu glaubten, ©ie fuhren bamit fort, mä^renb beiS ©otteebien*
fteS in anberen ^irc^en be$ äBuppertl^aled XabaE ju rauchen,
1) Sttuq, jlritti^e (Sefd^t^te bet eectuerct im mupptxi^al. ($I6erfe(b
1851. 6. 261. Ve^nltd^ bie flnft^t t)on S^fifer in ^ptnitU; f. o. 8. 665.
592
unb ©ebctduerfornmlungen eines ^rebigerS in Carmen burd^
(Knrterfcn ber fjcnftcr ju [törcn. yiadf ber Angabe ®ocbel%
tt)elc^er ftc^ auf bie bieten beruft, ^at tro^bem ^ummac^er frc^
nic^t gefc^eut, \xä) bicfer Seute, tveld^c ft(| atö feine ^nffängn
geltcnb mad^ten, mit ß^^istc^^ anjune^men, unb eS ^ot ben
$täfeS ber nieberrfieinifd^en ©eneralf^nobe Diel @ebulb unb
Slad^fi^t fletoftct, bis? jener einfal^, bafe er fic^ öon bicfen An-
hängern lodjufagen f)abz, ^aä) langem ©träuben entfd^log er
ftd^, bie i^m uon ber firc^ liefen Se^örbe aufgegebene $rebigt
über SRöm. 6, 1 ju ()alten, burd) n^eld^e er ben t)on ben SBuften«
Pfcm vertretenen ©runbfa^ miberlegte *). 2)icfe Seute aber 1)0^
ben fid^ baburd^ nic^t betc^ren laffen, fonbern traben im Stillen
i^reSReinung unb i^ren ^uf^nimen^ang aufrecht er()alten. Wlan
ftef)t aber auS bem Don \>tx ©c^tattcr mitgetl^cilten Sefenntniffc
ber ungenannten $rau, ba§ aud^ in bem t)öd^ft gebilbeten j^reife
ber @emeinbc ber (Srmä^lungdgebanfe jmar nic^t in antinomtfti«
fd^er, aber bod^ in felbftgered^ter SBcnbung angeeignet ujorben
ttjar. 3)iefe Stimmung ift in ber reformirten ©emeinbc ffilbcr^f
felbS aud^ noc^ burd^ anbere ^rebiger, namentlich burc^ ben
Steffen griebric^ SBil^elm Ärummad^er gepflegt Sorben.
Sie ift fc^lieglid^ jur Separation t)on ber Sanbcdlird^c
tt)irf)am gemorben. ^er ^etiSmuS ^at oon Slnfang an ni(^t
t)iel Geneigtheit für bie StaatStirc^e. 9lud^ JÜlrummad^er ^egt
eine SorfteUung Don Staat unb bon itirc^c^), lüetc^c ber 6om^
bination beiber nic^t günftig ift. Seine Slnfid^t Dom Staate
fommt barauf ^inaui^, bag er ber gefeüfc^aftlic^e SSerein ber
äRenfc^en jum Q^cd ber ©r^altung i^reö irbifc^en fiebenS fei,
gleichgültig gegen it)re fittli^e 9)eftimmung unb i^r unfterblic^ed
S93efen, gleid^gültig gegen allen Unterfc^ieb Don Glauben unb
£eben, fo lange nic^t bie menfc^lic^e G^ellfd^aft baburc^ bebro^t
tt)irb, blöd gerietet auf bad Seugerlid^e unb Grobe, ^rum^
mac^er berücffic^tigt baneben auc^ bie X^atfac^e, ba§ ber Staat
bie ^Religion unb £^irc^e beachtet, unb bag eS barum auc^ Staate«
religion gicbt; aber er crflärt biefeS barauS, bafe ber Staat bie
Religion ju feinen ßmedEen benu^t, unb betont bagegen bereu
unDergleid^lic^ erhabenere ^eftimmung. dt trifft alfo mit ber
1) 3n ber guten Sotf^aft 8. 347.
2) 91. a. O. e. 92 ff.
593
latl^oUfd^en unb t^ulgar 4ibcralcn , mand^eftcrltt^en SBorfteDuttg
Dom (Staate gufammen. SSon ^ter aud ergiebt fi^ folgerecht ffir
ben ^roteftantt^mud bte derfpUtterung in lauter Kongregationen.
S)ed^alb ift ber t)on biefer flnfid^t crfüQte ^ieti^mud, au^ totnn
er vorläufig eine noc^ fo ^od^firc^Ud^e Haltung annimmt, gar
nic^t im @tanbe bem @^aben entgegenjumirten, loelc^en jene
Stnftc^t oom Staate foroo^I ber fittlic^en 93ilbung be^ fßoltt»
aU ber @eltung ber d^riftlid^en Siird^e juffigt. Sei jtrummad^er
unb feinen 9lnpngern fam aber nod) bagu, bag i^nen in um
beutlid^er Erinnerung bie bid jur napoleonif^en 3^it beftanbene
^irc^enüerfaffung in beu nieberr^einif^en ^erjogt^mern ali
eine burd)auS Dom ©taate unabhängige Dorfam, unb bag fie bed»
()alb bie ftaatdfird^lic^en ÜJ^a^regeln beS jfönigi^ t^riebrii^ S&iU
i]dm III. für Union unb Slgenbe a(^ unbered^tigte (Eingriffe in
i()r fird^tid^ed Softem empfanben. 3lxä)t^ befto n^eniger beuieift
ber äSerlauf ber ^inge am 9tieberr^ein, bag ^ier ber ^ietiSmuiS
im @an}cn unb ©ro^en anbevS gefinnt mar atö gleid^/^eitig in
ben 9lieber(anben. ÜJ^an tvar ^ier nic^t fo bereit n)ie bort, jur
(Separation oon ber Saubcc^fir^e ju fd)reiten. S)ie Anfänge ber
preugifd^en ^irc^cnpolitif, meiere bie Union ber eüangelifc^en Son^
feffionen unb bie ägenbe bc^ Äönigs^ ibentificirte, ferner bie (Sin*
fü^rung ber r^einifc^^^meftfälifc^en $tird^ent)erfaffung 1835 faUeit
no^ in bie Sebeui^jeit ^rummac^er'^. ^iefclben fanben aller*
bingS, namentli^ in ber reformirten Scmeinbe ju (Slberfelb,
oielcn SS3iberfpru^. SlUein inbem bie Rettung t)on Union unb
Slgenbe ermäßigt tourbe, untem)arf man fic^ ber auf (Sonfiftorium
unb (S^nobe geftellten proüincialen jiirc^enuerfaffung. 9{ur wenige
unb jmar üorne^me ©lieber ber reformirten unb ber lut^erifd^n
@emeinbe traten aud ber fianbeSfirc^e aud, inbem fie bie ganje
(Sd^ärfe i^reö Urt^eitö gegen bag „abgefallene Öabel" unb gegen
bie ^rebiger aU SRiet^linge unb (Staatdfned^te richteten 0* ^i^f^
(Gruppe fanb nun i^ren geiftlic^en ^^ü^rer an einem ^oQänbcr
^ermann ^riebrid^ ^o^lbrägge, 2)oetor ber Si^eologte.
tiefer äRann ftammte aud ber lut^ertfc^en Sirene in ben
9tieberlanben, unb i^toai aud bem fleineren SSerbanbe ber fieben
1) 3um folgenben Detgletd^e ^x, SB. j^rumma^et über i^o^lbtftfige
unb feine 6^le, in ben $almblfittetn, itoeiter Qanb. ^Iberfelb 1845. Sfemer
jlrug 0. 0. O. 6. 306 ff.
I. 88
594
lut^crifd^cn ©cmeinbcn, tocld^c feit 1792 ate bic „lofebcr^crge^
ftcütc lut^crif^c Stixd)r ober alö M^ alte ßi^t" ftc^ öon ber
äRe^rjal^l ber jur S^ufflärung übergegangenen @cmetnben gc«
trennt t)atten. @r »ar juerft §ülföprcbiger an ber ©emeinbe
ju Slmfterbam. Unter beven ^aftoren war aber einer aud) fd^on
tDteber rattonaliftifd^ d^ftnnt, unb als ^o^lbrügge in bem (Sifet
um bie reine ßel&re eine ^rebigt beffelben ben ©emeinberepräfcn«
tanteu ald nic^t rechtgläubig benuncürte, n)urbe ber auf ber ^anjel
fortgefcftte ©treit jtt)ifc^en S5eiben enblid^ burd^ bie Sienftentlaf«
fung beö ^ülföprebigerö beenbet. Serfelbc sog fic^ nac^ Utred^t
jurücf, um iid^ jum t^eologifd^en 5)octorat Dorjubereiten ; in bie^
fcr SBcfc^äftigung begriffen überjeugte er fid^ t)on ber ©c^rift:^
gemäß^eit ber ^räbefiination3lel)re Eatoin'8. @r wollte bemge*
maß jur reformirten Siirc^e übertreten. 2)a aber bereu SSertrc*
tern ber ort^obofe ©treiter nic^t willfommen war, fo fonnte er
bic ?lufnat)me in ben Slieberlanben ni^t errei(^en. ffir fam unter
biefen Umftänben 1833 in baö SQSuppcrtl^al, würbe bort Don
bem Srummad^er'fd^en Äreife ate äRärt^rer mit ©lanj cmpfan^
gen, unb genöt^igt, auf ber Äanjel Seugniß t)on feinen @a6cn
abzulegen, ^ad gefd^a^ mit folc^em Srfolg, bag man i^n für
ben Sienft ber Sanbedfirc^e ^u gewinnen fud^te, unb ha& ^on^
ftftorium war bereit baju, il)m burdö eine Prüfung bic SBcret^^
tigung baju ju eröffnen. Snbcffcn !am cS nid^t baju, ba Slof)U
brügge, inbem er einen angefc^enen ^rebigcr beS SSäuppert^ale^
t)or mehreren Qtu^cn breift als 3rrle^rer bejcid^nete, baö i^m
t)on ber iöc^örbc gcfd^cnftc SJertrauen üerfcljerjte. ©eine Än^
länger legten il^m bicfe Vereitelung il)rer auf i^n gefegten Hoff-
nungen als e^renDoQe SSerfolgung auS, unb blieben mit i^m
in SScrbinbung, ba er alsbalb in bic Slieberlanbc jurücRe^rte.
3ur ©onftituirung einer feparirtcn ©emeinbc fam cS erft, nadj-
bem griebrid^ SQäil^clm IV. bic ftaatlid^e ©enel^migung ba^u
ert^eilt ^atte, unb fie erfolgte 18. Slpril 1847 unter bem SJamcn
ber nicbcrlänbifd^^rcformirtcn ©emeinbe. Äo^lbrüggc würbe 1848
jum ^rebiger berfclben gewäl^U; baS belgifd^e, baS fd^ottijt^c
93e!enntnig unb ber Heibelberger Jtatc^iSmuS würben als bic
t)erbinblid)cn Sctirnormcn ancriannt. ©owcit bie religiöfc Sü^*
tung ber ©cmcinbc nad^ ben ^ublicationen i^rcS SeiterS beur*
t^eilt werben barf, ift ber in i^r gepflegte SalüiniSmuS feineS^^
Wegs ed^t. ©djon Ärummad^er t)atte bie fpccicHe ©igcnt^mlic^«
595
feit bcffelbcn, bie Slufgabc bcr ^ciliguitfl, t)intct basf Problem
ber ftctg ftic^cnbcn ^eil^gctoife^cit bci^ SBufefertigen jurücfgcftcttt.
^o^Ibräggc aber I)Qt boburd^ \f)n überboten, bag er bie Aufgabe
ber Heiligung übcr^au^Jt aui^fallcn ließ, ©eine fie^re ri^tetc
fid^ barauf, ba§ mit bem SSerjjid^t auf bie eigene ©erec^tigfeit
unb ber gläubigen Snnal^me ber Oered^tigfeit ©^rifti auf beni
@runbe ber göttlichen ©nabenma^l gerabc badjenige @efü^I üon
ber ©ünbc j^ufammcntreffen müffc, bafe man unter i^r ©efcfe
forttt)ät|rcnb üerfauft fei. 3n ©orrefponbenj ju biefer Änfid^t
fc^eint ed ju fte^en, bag ^o^lbrügge mit SoQenbuf^ leierte,
ß^riftui^ f)abc an ber fUnbigen äRenfd)]^eit S^^eil genommen ^).
Snbeffen ift eö nic^t ber 9Äü^c loertl^, bie t)erfd^robencn tl^eolo«
gifd^en @ebanfengänge biefei^ äRanneS tt)eiter }u oerfolgen. (Er
^at auf feine @emcinbe eine @ett)alt ausgeübt, meldte t^eitö an
fiababie, t^eife an goon erinnert, ©cit feinem 1875 erfolgten
lobe ift bie ©cmeinbe gefpaltcn jtt)ifc^en ben jwei ^rebigem,
n^eld^e ju i^r getreu. ®enn j[e !leiner eine ©eparationSgemetnbe
ift, um fo fd^mäc^er ift ber ©inn il^rer ©lieber für (£in()eit unb
3ufammengc^örigteit.
®er ^ieti^mug, toeld^er in ber reformirten Äird^e ber SWc*
bcrlanbe unb ©cutfd^lanbö juerft mit bem Änfprud^ aufgetreten
ift, ben EalöiniömuS üoUftänbig burd^juf e|en , bie 9iefonnation
be^ 16. 3öi&r^unbertö an fämmtlic^en ©liebem ber Äirc^e jU
t)onenben, bie ?lufgabe ber Heiligung über baö „rec^tfc^affene
bürgertid^e Etiriftentl^um" ju erl^eben, banad^ aber ftd^ auf ®c*
ootion fat^olifc^en ©eprägeS unb quietiftifd^e äR^ftif unb auf bie
.^Öffnung einer l)errli^en 3^t^^f* ^^^ Äir^e befd^ränft, ^at ben
Saloiniömuö innerlich aufgelöft. fei e^, ba§ er bod^ nod^ bcffen
dufeerc ffirfc^einung^formen aufredet erl^ält, ober bafe er pc^ gleid^^:
gültig gegen bie confeffionellen 2;rennung3grünbe fteHt. Slnftatt
bcr §eil3gett)i6^cit, bie mit bem fird^lic^en ^eimatl^örec^t jcbem
üerlie^en wirb, weld^cr fic^ überhaupt ber Aufgabe beö S^riftcn*
t^umi^ annimmt, taufest ber ^ietiömud, tt)eil er bag fird^lid^c
|)eimat^öred^t gering ad^tet unb nid^t üerfte^t, bie Unfid&er^eit
ber perfönlid^en ^eilöfteHung ein. ?lnftatt ber Heiligung, »eld^c
i^ren Ort in ber gü^rung beg fittlid^en SBerufe^ ^aben fott.
1) Ktug a. a. O. @. 333. 343.
596
taufd^t er bie abtocd^fctnb crfolgrcid^c unb crfolglofc Eontent:»
t)Iation ber Sicbcnötoürbigfcit unb ©d^önl^cit bc8 §crm Sefu^
unb bie ©elbftgered^ttgfeit beiS Sonüenttfelt^umd ein, n^elc^e mit
' fittlid^et Strenge gegen fid^ felbft üerbunbcn fein fann, aber
nid^t üerbunben ju fein broud^t. Slnftatt reformatorifd^ auf bie
übrigen ©lieber ber Äird^e ju »irfen, ftößt ber ^ieti^mu«
biefelben ab; ober fie finben ftd^ t)on i^m abgeftofeen, xotnnaud)
bai Siedet p biefem SBer^altcn nid^t burc^ bie rid^tige STfennt^^
ni^ be^ @runbfe^(erd beS ^ieti^mud unb bie (Einfettung einer
rid^tigen Srfenntnig bed euangelifd^en (St)riftent^umd crtoorben
tt)irb. Aber ber ^ietiömuö, mlä)n eben bie fat^olifd^e Seöotion
in bog eüangelifd^e S^riftent^um eingefd^oben ^Qt, unb babei be»
Rauptet, baffelbe gerabe in feiner Äutl^entie ju Vertreten, ^at
baburd^ bie ©d^ulb auf fid^ gelaben, baS eüangelifd^e E^riften^
t^unt Quc^ feinen Oegnern unücrftönblid^ ju machen.
2)ic ©efd^id^tc be^ ^ieti^mug in ber reformirten Äir^e ber
SKeberlanbe unb Deutfc^Ianbg fonnte bis in bie neuere Qtit Der*
folgt tt)crben, o^ne baft bie gteid^artigen ©rfc^einungen in ber
Iutf)erifc^en Äird^e nad^ ber SRüdCfid^t ber ©leid^j^eitigfeit bajtoifc^cn
flcfd^oben toorben finb. ®ie pofitiöcn ffiinwirfungen pietiftif^cr
(Erfd^einungen in ber lutl^erifd^en Äird)e auf bag rcformirtc ®e=
biet, toeld^e berül^rt tt)erben mußten, finb üon geringem Umfange,
unb fonntcn aud^ auger i^rem urfprünglid^en ßufammen^ange
Dcrftänblid^ gcmad^t werben, aber umgefcl^rt wirb eine @e=
fc^id^tc bed ^teti^nmd in ber lutl^erifd^en fiird^e eine anbere Sln^
läge erforbcm, alö fie bisher gefunben l^at. 2Kan toirb üor Allem
bie Slufmerffamfeit barauf ju rid^ten ^aben, toie frül^ neben ben gor*
berungen einer SReform ber lutl^crifd^en Äird^e bie Silber beö
tiol^cn Siebet in bcrcn aöfetifd^er Siteratur unb Sieberbid^tung
auftreten. Senn fd^on nac^ ber biö jefet erreid^ten Äenntniß öon
bem ^ieti^mud in ber lut^erifd^cn ^irc^e barf man behaupten,
baß ©pener nid^t ber Urt)eber einer neuen SRid^tung ber gröm*
migfeit gemefen ift, fonbern baß er nur ben Antrieben ju biefer
Slid^tung, meldte üor i^m t)orf)anben waren, bie ©Eiftcniform
ber ©onüentifel t)ermittelt ^at. 3^ biefem Unternel^men aber
ift er aud^ nur burd^ Rubere bewogen worben, weld^en biefe
©ammclpun!tc einer befonbem d^riftlic^en ©efinnung in ber
reformirten ^ir^e wo^I bcfannt fein tonnten.
91 e g i ft e r.
flbenbmal^I; Sebenfen über bte 3u'
laffung 9{td^ttDieberge6oreneT 1 14. 184.
228. 264. 379. 880. 887. 890.
428. 466. 482. 500. Sut^er. unb
calDtn. 9tttffa{fung \>om V. 161. 387.
fletnmtS 64. 66.
«ftermt^^dSmnS, fat^oüfd^er 558.
9[Iardin, Johannes, 877.
9^o(o0etif 580.
«pofbüf^eS (r(rt{ient(um 14. 19. 26.
71. 110. 120. 160. 182. 196. 220.
285. 848. 899.
Knninianet 185.
9[rnbt, Jol^ann 411.
Krnolb, (Sottfrieb 411. 422. 424. 457.
474. 486. 488. 490. 496. 514.
528.
«tsoriuS 122.
Salbuin, gran) 87.
9axUmti9tx 887.
IBat^r, Tiaux 545. 550. 557.
Setzte in ber lut^er. Ptrc^e 95.
Sengrl, «tlbrc^t 505. 582. 574. 577.
579.
Strn^Qtb Don dlairDaus 37. 46. 126.
254. 277. 281. 299. 326. 885.
344. 877. 486. 473. 478. 485.
490. 514. 516. 519.
Srsa 185.
Stlbrrbtif, 9BtII)eIm 855.
Sobmer, 3obann ^etnrtc^ 499.
Sobmer, 3o^nne8 500.
a3ogaari, 3u{ht8 Don ben 371.
95$me, Safob 96. 411. 424. 507.
584.
Sö^mif^e Srflbet 20. 489.
9oo8, SRarttn 550. 556. 557. 562.
SBofman, (Sonrab 245.
SBourignon, ^tntonte 226. 846. 411.
457. 481.
träfet, ^(eobor a 288. 268. 500.
575.
«rafel, Iföil^Im a 288. 291. 808.
830. 876. 411. 480. 486. 440.
442. 447. 452. 457. 474. 481.
514.
8ren) 64. 71.
^Tornle^, X^omai 98. 424.
9rud^eru8, d^riflo^^ 385. 346. 450.
Srttber be8 gemeinfamen Gebens 20.
45. 844.
Sucet 64.
Su^anan, (Srorg 77.
9u4f eiber, (Srnff ffiil^elm 877.
9ucntann, gran) 138» 878.
«uftfam^f 126. 298. 808. 489. 586.
588.
Sutilar, (Stm bon 417. 426.
Sallenberg, (Hara (5Iifabet( Don, iHt»
e^eüd^te Don SRarfat^ 418. 425.
dalDtn 88. 63. 71. 81. 88. 125. 188.
167. 259. 295. 589.
(S^irlßabt 28.
dbtUa^tf^e 9nMauungen 27. 88. 144.
186. 205. 212. 288. 240. 248.
265. 298. 399. 406. 446. 451.
496. 521. 582. 565. 584. 595.
(Hugnt) 10.
(Kocceiu8, Sol^ann 130. 181. 265.
371. 877. 399. 401. 407. 427.
429. 451. 458. 505. 582. 565.
(Eocceianer 188. 307. 428.
(lo(f , ^enbri! be 856.
doflenbufct, 6amuel 522. 548. 565.
582. 595.
donflanttn ber (Srofte 148. 488.
dontem^Iotton 45. 171. 179. 192.
250. 271. 278. 826. 441. 514.
595.
(£ont)entt!eI 101. 117. 283. 2<K). 801.
808. 812. 817. 344. 870. 875.
881. 891. 894. 405. 417. 428.
462. 524. 537. 582. 596.
(Souper, Steiner 386. 429.
^ann^uer 110.
3)aumeln 529. 547.
Send, 3o(ann 28.
$>tix)9, $eter griebri^ 446.
SeDenter, ^inrt4 ban 240. 244.
S)eDoibn, fat(oItf4*m5tt4if4< tö- 201.
845. 478. 511. 514. 545. 660. 696.
598
Giriertet, 3BiI(eIm 376.
2)m(e)), W^^PP SaM 406. 409.
421. 424.
2)i§ciplin, tixä^lxfy 63. 114. 204. 397.
3)ittelba4, $eiruS 243. 379.
!2)un§ 6coiu3 37. 468. 470. 485.
534. 589.
ef^t, ^eurt^etlungen brrfeI6fn 229.
232. 423. 477. 543.
<Snfa6et^ t)on bec ^fal), Vebttfftn )u
^erforb 227. 233.
eOec'We IRotte 480.
(gitgelSbrüber 98.
(SffentuS, llnbreas 138.
(SStotjIer, äoianneS 289. 349.
SDongelif^e ^ieitften 291. 344. 384.
486. 540. 579. 585. 589.
ffaxtl, 3BiI^eIm 73.
Seine ober ernjKge 101. 153. 165.
308. 337. 346. 351.
Senemo, ©erben 318.
SranciScuS t)on llfftfl 13.
SranciScanif^e S^efornt 13. 30. 72.
110.
SfranclScuS t)on Cfuna 468.
grancfe, ^uguft ^ermann 422. 474.
gfran!, ©eba^ian 422.
Pfronten; ^gtbiuS 301.
grider, Pfarrer 577.
Oagner, 3ofep]^ 518.
debetSerl^drung 517. 529. 542. 573.
^eb^arb, gfrau 417.
(S^erbeS, 'S)an\tl 331.
(S^er^arb, äo^ann 86.
(S^er^arb, Subtoig 452.
®t4tel, Sodann (Seorg 98. 226 232.
305. 411. 424. 481.
(S^te)enbanner, Ulrid^ 496. 499.
(Stffen, 'S)a\)iti glub t>an 293.
(Slaubc, begriff 88. 435.
©omaruS 135. 174. 176. 323.
(»ofener, Sol^anneä 545. 550. 557.
562.
®otte§begriff 132. 169. 179. 279.
431. 473. 589.
®rebel, ^onrab 25.
©regor VU. 9. 18.
©fitergememf^afi 230. 240. 244.
®u)^on 589.
fiaib 557.
arf, ^tnrt4 468.
Hartman, 9licDlau§ 333. 336.
^afenfamp, grrtebri^ tlmoCb 580.
ÖofenfonH), 3o6. Oer^. 505. 507. 570.
Rattern, $onttaan Dan 341.
Heiligung 113. 153. 249. 271. 285.
409. 440. 465. 535. 648. 574.
.^85. 590. 595.
^eüenbroef, ^bra^am 301.
Berber, ?lbrian be 227.
ilerrn^uter 484. 517. 534.
^efener, So^anneS 240. 243.
^inber! äonffen 340.
I^o^mann toon igo^enau 421. 429.
456.
^offmann, SBil^elm 456. 462. 479.
^ofmann, ^el^ior 32.
^o^edlieb 46. 126. 172. 250. 254.
270. 279. 281. 287. 297. 301.
306. 324. 372. 376. 385. 436.
486. 589. 596.
^oneri, äo^. Dan ben 350.
^or^e, ^etnrt4 398. 420.
^VLi, ^an§ 61.
SanotD, SRatt^iaS t)on 19.
3efuttiSmuS 188. 254. 489.
3mmtnf, äacobuS 333.
3nbepenbenttSmu§ 78. 111. 182.342.
357.
Soad^tm toon gloriS 19.
So^anneS be Sruce 468.
3oriS, ^atoib 422.
dung-^timng, ^etnrtdk 523. 547.
3üngjl, ©ottfrteb 438.
StttJUtlf S)ton9ftuS toan ber 334.
itinbererste^ung 242. 244. 481. 554.
Stixdii, begriff berfelben 43. 84. 140.
156. 256. 450. 483. 510. «eur-
t^eilung i^rer Suflänbe 162. 372.
442. 584. Seurt^eilung t^ret ©e»
J4i4te 143. 488. (Srtoartung i^re^
sufünftigen (errU^en 3uflanbe8 f.
^^iltalttfc^e flnMauungen.
jtlopfer, ^Qlt^afar (S^riflopt 402. 406.
Stnoi, äo^n 77.
i^oelman, SaCob 130. 184. 264. 290.
Po^IbrUgge, ^ermann griebrid^ 598.
ftdntg, Samnel 406. 409. 417. 421.
496.
j^rumma^er, (Bottfrteb f>amel 567.
583.
Stu^^pixS, (»erl^rb 347.
599
Sobabte, 3fan be 118. 123. 149. 185.
189. 191. 343. 345. 358. 373.
595.
fiababtftii^f ©emeinbe 220.
SabobtSmuS in OftfrieSlanb 379., am
9}iebfrt4etn 380. 455.
Lambert, Sran) 73.
ßampe, griebric^ ?lboIf 322. 427.
514. 522. 534. 565. 582. 584.
587.
SoSfi, 3obann 78. 120.
Sobater, Sol^ann PoS^ar 494. 528.
.563.
ßcobe, 3onc 98. 496.
fiignon, Vierte bu 204. 228. 231.
237. 240.
Sippe, ®raf 9luboIf jur 421. 423.
Sobenjlet^n, 3obocu§ Dan 92. 152.
206. 287. 343. 371. 377. 378.
431. 450. 453. 487. 519. 574.
fiope), ©regoriuS 459.
Sot^ola, 3gnattu§ bon 489.
Subber§, 3o(. 330.
ßut^er 22. 28. 37. 70. 73. 80. 84.
106. 132. 558.
aHaccoDtuS 135.
maioT, 3obann 77.
Warcf, ao^iann 308.
^at^ai), ^ector Sicomie be 425.
^eifner, 9alt(|a|ar 106.
3neIan4t(on 40. 80. 84.
^eld^ioT, %lbtxi ^il^elm 456.
Renten, (dottfrieb 453. 570. 579.
580. 582.
^menuret, 9ean 205. 226.
^Mlfion 243. 533. 635. 537. 541.
582.
Wolcnaor, 5)ir! 355. 359.
<Dlolino§, m^atl 255. 474. 563.
^orgenlfinbij^e itir^e 20.
^üQec, ^einttdk 404.
WttQer, $b(i>bor576.
^mnflerif^e ^iebertfiufer 61.
fWpftif 28. 35. 45. 122. 128. 167.
201. 487. 514. Outettfli{4e Wl){ii(
f. OuietiSntuS.
«
9leanbeT, Soa^tm 388.
9{et^enu3, 6amuel 388.
9li4tigCeit beS Wenfc^en 169. 192.
247. 309. 328. 384. 392. 431.
471. 486. 516. 520. 527.
Üetinger, d^rtflop^ 505. 574.
^aracelfuS, ^eopl^raftuS 97.
Veterjcn, Jo^. ©ilj. 395. 407. 452.
betrug bon ^(cantara^468.
^tlitabelp]^if4e ®emeinben 411.
?^ieter ^enbrüSj 352.
^ietismu§, ^b<>^<^^^i^ii^i^ ^^ ^^ngemet-
nen 3. 5. 77. 101. 192. 266. 339.
342. 347. 404. 445. 473. 501.
514. 519. 580. 590. 595; ouf
lutberif^em Gebiete 596; moberner
521. 537.
Voiret', Veter 457. 467. 481. 488.
490. ol4.
Vorbage, 3obn 98. 411. 418. 424.
Vräcifitöt 104. 112. 157. 177. 283.
288. 291. 342. 346. 373. 376.
389. 579.
VrfibeflinationSlebre 126. 132. 174.
340. 467. 494. 523. 528. 584.
591. 594.
VrätoriuS, BUpf^an 93.
VrotepQnii§mu§ 81.
OuietiSmuS 179. 254. 301. 457. 459.
466. 487. 523. 526. 550. 660.
564. 589. 595.
Sle^tfertigung au§ bem ®(auben 150.
157. 247. 294. 438. 465. 496.
558.
9IeformbebUrfni6 innerbalb beS Vroie«
ftantiSmuS 80. 159. 313.
?Reforinolion im fWittelalter 7.
9Ieformation beS 16. dal^r^unbertS 16.
178
^Rei« (S^rifii 572.
9)ei4 (Spottes 14(). 159. 181. 372.
9leit|, 3obann i&einridi 375. 403.
411. 421. 523.
^entt), Marquis be 461.
9tömeling, ^^riftian %nion 446.
9lou§, Stands 128. 281. 396.
9{u))Sbroe(f , 3o^ann 275.
eabbatb, Sd^d^ung beffelben 138. 229.
253. 269. 4.30.
eoiler, ani^ael 557. 560. 561.
SarceriuS, @ra8mu3 66.
S^fifer, ^and 3Qtob 554.
Sparer, i)ta!onuS 496.
84Iatter, Knna, geb. kernet 541.
579. 584. 590.
S^Ittter, ^etnri4 226. 226. 233.
264. 380. 390. 455.
emittier, Veter 244.
600
e^olif, ^enbrif ^ru§ 359.
e^orHns^utS, aBtI(. 327. 349. 450.
©^urman, 9[nna ^axxa t>on 120.
162. 206. 225. 238. 247. 269.
380. 521.
64ttt, Sodann 3afo6 383.
©elbftoerleugnunQ 168. 249. 343.
461. 465. 486. 536. 546. 561.
Selidfeit 468. 485. 534.
6e|>aratiSinu8 184. 216. 222. 356.
398. 411. 417. 447. 466. 500.
592; abgelehnt 184. 444. 482.
Qtxnaa^, Zf^oma^ 245.
6miite0elt, ^ernarbuS 291. 431.
SoctniantlmuS 570.
6ommel8btif 237. 243. 246.
eouoerfinetät ®otieS 169. 173. 247.
278. 309. 884. 431.
ebener 369. 383. 398. 411. 474.
487. 596.
6pe)^er, Sodann Sfriebrt^ 495.
Spiritualen im StancUcanerorben 17.
34. 97. 489.
6taat, 8eur%ilun0 beffelben 44. 592.
6te0netu§, ^ermann 333. 336.
@»ebenborg 577.
3:aufe 184. 228. 264. 351. 379. 391.
423
tttüxnd, 3o(anneS 284. 575.
XttUind, 3BtI(eIm 104. 118. 124.
149. 191. 880. 343. 346. 377.
Xerfteegen, (der^orb 458. 517. 519.
522. 534. 536. 546. 550. 563.
582. 580.
tertiarier 15. 30. 45. 76.
Xfufel 393. 398. 507. 556. 573.
2:eufelSbef4>D5rung 518.
tteofop^ie 96. 802. 411. 424.
tl^eiefla a 3efu 468.
St^omaS t>on Vquino 77. 280. 282.
441. 468. 485. 534.
Xf^nt^mn, X^eoboruS t)an 321. 429.
Xiaben, Sicco 308. 411. 433. 520.
534.
UbemanS, ^ottfcieb SorneltuS 105.
Umgang mit bem i^errn 3e{u§ 46.
126. 192. 287. 296. 310. 328.
344. 384. 432. 436. 459. 475.
490. 511. 519. 543. 549. 562.
ünio mystioa 167.
Unteret^d, X^bot 371. 378. 388.
398. 404. 411. 428. 431. 446. 455.
Urfinuf 323.
IBerlaffungen, gei^Ii^e 58. 130. 171.
175. 251. 272. 306. 310. 314.
337. 373. 376. 384. 437. 460.
477. 486. 516. 551. 561.
9^erf4uir, So^. 324. 328. 376. 450.
»erjftinung, ^^egriff bcrfclben 56. 157.
170. 461. 504. 566.
Sitringa, damp. berSrltere 294. 302.
353. 411. 428. 451. 474. 532.
l^itringa, (Eamp. ber Sflngere 434.
$oet,®i§beTi 89. 101. 135. 149. 152.
168. 177. 191. 206. 231. 282.
342. 345. 371. 378. 401. 404.
l^Oftianer 138. 283. 289. 307. 430.
SBoarommen^Gtt, c^nfllt^e 38. 45. 153.
305. 440.
Sorfe^ungSglaube 41. 526. 547. 584.
tBaetien, nan ber 277. 293. 428.
SalbuS, Petrus 14. 19.
Steiget, SBalentin 96. 411. 426.
3Beltbe^ertf4ung, ((nflUc^e 520.
^tt^tl, grau 412. 420. 425.
fBieberbringung ber ^erbammttn 395.
407. 418. 423. 452. 480. 496.
534. 556. 573.
äBifbertöufer 7. 22.61.71. 110. 145.
182. 343.
9Bitfiug, ^ermann 91. 237. 270. 294.
440. 442. 447. 453.
^ittftorongel, ^etntS 105.
SBittgenfiein, (Strafen )u 421.
mt^tl, (S^rorg 31. 42.
SBotsogen, Submig 214.
$2Bu))permann, Sorot^ra 576.
9t)on, $eter 195. 204. 214. 225. 233.
247. 252. 269. 283. 37.S. 595.
^it^Ux, ®eorg 495.
Siegler, Sta%pax 496.
Sinaenborf 484. 516. 534. 568.
SUri^cr $ieti§mu8 494.
Süri^er äBiebertAufet 25.
Stoicfauer ')$ro^l^en 25. 27.
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II