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Full text of "Geschichte eines Geistersehers."

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172 


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Sefhiäte 


eines 


Geiſterſehers. 


Aus den Papieren des Mannes 
mit der 


eiſernen Larve. 


Herausgegeben 
son 


Cajetan S ſchink. 


Z3weyt er Band. | 


. Wie n, 
bey Franz „ Satos ee; 
179% 1 


In tiefes ſchauerliches Dunkel huͤllte ſich 
der Wald, die Blitze leuchteten heller, 
ſtaͤrker rollte der Donner, immer lauter heul⸗ 


te der Sturm. 8 
Die Geſtalt richtete mit Muͤhe ſich em⸗ 


por, rang ſtumm die duͤrren Haͤnde uͤber dem 
Haupte zuſammen — und kant wieder zu 


Boden. 


„Was ſoll das werden? “ ſagte der 


Graf „ und führte mit dem Stock einen 
Streich. 

„Gnade, Gnade! nur einen Augen⸗ 
blick Erhohlung — ich will ja alles beken⸗ 
nen.“ 

„So bekenne! (rief ich) du warſt 
Amaliens Kammerdiener, und haſt mich 0 
zwey Briefe betrogen? 

1 709 Weh 


„ i 
„Weh mir, daß ich es that. Schwer 
buͤßte ich dafuͤr. Dieſer Betrug ward von 
dem Unbekannten fuͤrchterlich gerächt. „ 
„Von dem Unbekannten, mit dem du 
verſtanden warſt? „ 

Ich hatte es kaum 17 ſo ſtͤrzte 
der Menſch beſinnungslos auf die Er de hin, 
ſchaͤumte, bruͤllte, und waͤlzte ſich in ſchreck⸗ 
lichen Convulſionen umher. | 

Immer näher und ſchwaͤrzer zog das 
Gewitter heran. Leiſer und feuchter wehte 
der Wind, Kraͤchzen der Nachtvoͤgel durch 
toͤnte den Wald. Schlag auf Schlag Don⸗ 
ner und Blitz. | 

Die Zuckungen des Ungluͤcklichen hatten 
ein Ende, ohne Zeichen des Lebens lag er 
hingeſtreckt auf dem Boden. Ein Anblick, 
der zugleich Grauen und Mitleiden erregte! 
Ein ſchmetternder e brachte ihn 
in ſich. 


89; 

„Ihr ſeyd mit der fallenden Sucht be⸗ 
haftet? (ſagte der Graf) habt ihr 105 ſol⸗ 
che Anfaͤlle?“ 

„So oft es dem Unbekannten beliebt 
mich zu zuͤchtigen“ erwiederte er mit matter 
bebender Stimme. 

„ Wag es nicht uns zu taͤuſchen! (rief 
ich) Wie lange biſt du mit dieſer Krankheit 
behaftet?“ 

„Seit der Zeit, als ich Sie hinter⸗ 
ging gnaͤdigſter Herr!“ 

„Du ſluͤgſt Schurke.“ 

„So mag der naͤchſte Blitz mich 
toͤdten!“ ſprach er, und ſtreckte ſeine Hand 
gegen den Himmel. 

Der Blitz ſtrahlte. — Ein Schauer der 
Erwartung hielt unſern Athem an. — Aber 
der Aufforderer blieb unverſehrt.— Der Don⸗ 
ner brach ſich hundertfach in ſchrecklichem Wie⸗ 
derhall. Regen und Hagel firömte hernteder. 

Wir fluͤchteten uns in eine Grotte, die 
der ea bey dem Leuchten des Blitzes in ei⸗ 

A2 nie 


(4 
niger Entfernung gewahr wurde. Amaliens 
Kammerdiener folgte uns auf dem Fuſſe, 
bleich und zitternd. 

„Nun erzaͤhle deine Geſchichte, ( frac 
ich) aber faffe dich kurz.“ 

„Als ich den zweyten Brief an = ab⸗ 
geſchickt hatte, (hob er nach einer Pauſe an) 
ereignete es ſich in der darauf folgenden 
Nacht, daß ich ploͤtzlich aus dem Schlaf er» 
wachte, und meine Nachtlampe ausgeloͤſcht 
fand; mich daͤuchte, als wenn etwas an mei⸗ 
nem Bette vorbeywiſchte; ich ſtreckte meinen 
Arm aus, da ich aber rund herum nichts 
fühlte, waͤhnte ich, es waͤre ein Traum ges 
weſen, und ſchlief wieder ein. In kurzer 
Zeit erwachte ich abermahl, und hoͤrte deutlich, 
jemanden mit langſamen Schritten in mei⸗ 
nem Zimmer auf und niedergehn. Das konn⸗ 
te keine Taͤuſchung ſeyn, denn ich wachte 
hell, und das Auf- und Niedergehn dauerte 
fort. Ich war mir bewußt, die Thuͤre und 
das Fenſter vor dem Schlafengehn verſchloſ⸗ 

ſen 


480 

Fein zu haben, deſto größer war meine Be— 
ſtuͤrzung. Ich wollte nach einem Gewehr 
greifen, das an meinem Bette hing, es war 
weg. Dennoch faßte ich mich, und rief den 
Nachtwandler an. Keine Antwort erfolgte, 
das Gehen unterblieb. Meine Furcht ward 
dadurch um nichts gemildert. Ich wagte 
kaum zu athmen, horchte hoch auf — end— 
lich regt es ſich abermal, kommt naͤher, tritt 
an mein Bett, faͤhrt mir mit kalter Hand 
uͤber das Geſicht. Erſchrocken ſprang ich 
aus dem Bette, rief um Huͤlfe; aber, weil 
mein Zimmer abſeits gelegen war, hoͤrte mich 
Niemand. Ich wollte zur Thuͤre hinaus flie⸗ 
hen, es packte mich, und warf mich zuruͤck; 
— ich ſank ohne Beſinnung auf mein Lager. 
— Nach langer Zeit hoͤrte ich eine hohle 
Stimme meinen Nahmen ausrufen. Die 
Verzwelflung gab mir Muth, ich raffte mich 
auf, ſchlug Licht, und — gnaͤdigſter Herr, 
wer glauben Sie, ſtand vor mir? — “ 


Ein 


0 

Ein Donnerſchlag, der nicht fern von 
der Grotte eine Eiche zerſplitterte, unter⸗ 
brach meine Antwort. Wir ſtanden noch be⸗ 
taͤubt, als ein zweyter Schlag erfolgte. Der 
Baum loderte in hellen Flammen auf. Pi⸗ 
leski zitterte heftig, und ſuchte mit Mühe 
ſeine Faſſung zu behalten. Ich nahm das 

Wort: f 10 80 

„Wer war alſo das Geſpenſt, das dich zu 
naͤchtlicher Zeit in deinem Zimmer beunruhigte? 
„Der Unbekannte. Ich glaubte feinen 
Geiſt zu erblicken, und fuhr mit Entſetzen 
zuruͤck, aber er ging auf mich zu, und fragte 
mich mit fuͤrchterlichem Ernſt: „ Was mich 
bewogen habe zwey Briefe voll Erdichtungen 
an Ste zu ſchreiben?“ Da ich mich in ſei⸗ 
ner Gewalt ſah, glaubte ich mit dem Ges 
ſtaͤndniß der Wahrheit noch am beſten 
wegzukommen, und ſagte daher offenherzig; 
7, Ich habe aus ſeinen Verſchwinden in dem 
Zimmer der Graͤfinn und aus der wunder⸗ 
baren Heilung derſelben geſchloſſen, er muͤß⸗ 

fe 


® . 


2) 
te mehr als ein gewoͤhnlicher Menſch ſeyn, 
deßwegen waͤr ich bedacht geweſen mich um 
ihn verdient zu machen, und mir ſeine Gunſt 
zu erwerben. Aus dieſer Ruͤckſicht haͤtte ich 
in die Geſchichte von der Geneſung der Örd- 
finn jene Umſtaͤnde hinzugedichtet, wodurch 
ich ſeine Macht in den Augen eines andern zu 
vergroͤßern, und zu verherrlichen meinte.“ — 
„ Wurm! (erwiederte der Unbekannte mit 
zermalmendem Blick) durch Betrug waͤhnteſt 
du mich beſtechen zu koͤnnen? und durch Er- 
dichtungen meinen Nahmen zu verherrlichen? 
Was wird man von mir denken, wenn die 
Geſchichte, welche du durch Luͤgen entſtellteſt, 
in ihrer wahren Geſtalt bekannt wird?“ 
Ich wollte mich entſchuldigen, aber der Un⸗ 
bekannte ließ mich nicht zu Wort kommen. 
„Wird man nicht dafuͤr halten, ich ſey in 
Anſehung jener falfchen erdichteten Berichte 
mit dir verſtanden geweſen, um der Heilung 
der Graͤfinn den Schein eines Wunders zu 
geben?“ Ich wagte es nicht mehr mich uͤber 
ſel⸗ 


N 8) 

feine Vorwürfe zu vertheidigen. Er befahl mir 
ihm zu folgen bey Todesſtrafe, und ich folgte. 
Am Thore erwartete mich ein Wagen, der. 
Unbekannte hieß mich einſitzen, und nach 
fahren, wo ich feine weitere Befehle erwar— 
ten ſollte. Ich thats. Zu K erſchien er mie 
wieder. „ Nimm dieſes Pilgerkleld (ſagte 
er) und wandere baarfuß nach 'n, wo du 
denjenigen finden wirſt, den du belogen haft. 
Widerrufe, und fuͤge hinzu, daß ich dich hin⸗ 
geſandt habe.“ Ich wagte nicht, mich 
zu widerſetzen, und trat als Pilger meine 
Reiſe an. Weil ich das Wandern mit bloſſen 
Fuͤſſen zu beſchwerlich fuͤhlte, zog ich nach 
einigen Tagen Schuhe on, um meine Reife 
bequemer fortzuſetzen. Ach! hätte ich es 
nicht gethan! noch an dem naͤhmlichen Abend 
wurde ich mit der ſchrecklichen Strafe heim⸗ 
geſucht, die Sie kurz zuvor Fallſucht 
nannten. Nachher empfand ich ſie, ſo 
oft ich mir erlaubte, länger von meiner Wan⸗ 

| x ders 


9.7 
derſchaft auszuruhen, als die Ermübung mei; 
ner Kraͤfte unumgaͤnglich forderte. 

Pileski's Erzählung wurde oft durch 
das betaͤubende Getoͤſe des Gewitters un⸗ 
terbrochen, das gerade uͤber uns hinzog, 
und ſchrecklich wuͤthete. Endlich hatte es 
ſeine Wut erſchoͤpft, die Blitze leuchteten 
ſchwaͤcher, leiſer rollte der Donner, ſanft 
rieſelte der Regen herab. 

„Wie gieng es weiter? 7 ſagte der 
Graf. | 
„ Umfonft verſuchte ich dem Befehle 
des Unbekannten zu entfliehen. Ich hatte 
es ein paarmahl gewagt umzukehren, und 
den Weg nach meiner Vaterſtadt zu nehmen, 
aber ſogleich wurde ich von raſenden 
Schmerzen und Zuckungen befallen. Endlich 
nach einer langen muͤhſamen Wanderſchaft 
kam ich an allen Kraͤften erſchoͤpft, vor el⸗ 
ner halben Stunde in dieſer Gegend an. Der 
ſchoͤne erquickende Abend relzte mich zum Aus⸗ 
e ich warf mich ins Gras hin, und 
enk⸗ 


610 

entſchlummerte aus Ermuͤdung. Ein hefti⸗ 
ges Ruͤtteln weckte mich auf, ein Blitz leuch⸗ 
tete, der Donner knallte und — der Unbe⸗ 
kannte ſtand vor mir. N 

„Der Unbekannte, Gilcher wenn er 
nicht ſchon todt iſt, jetzt in iich eingekerkert 
ſitzt, der ſtand vor dir? (rief der Graf) 
biſt du verruͤckt? | 

„O daß ich es wäre! für den Ungluͤck⸗ 
lichen iſt es oft ein Gluͤck ſeinen Verſtand zu 
verlieren. 

„ Er ſtand vor dir, ſagteſt du? 0 

„Schrecklich wie ein Geiſt der Mltter— 
nacht, mit auf gehobenem drohenden Arm, 
mit einer Miene, die kein menſchlich Auge aus⸗ 
zuhalten vermag, ſtand er vor mir, und ſchrie 
mit donnernder Stimme: „„ Haft du ſchon 
widerrufen, weil du hier ruhig ſchlaͤfſt? 
Oder glaubteſt du vor meinem Blicke verbor⸗ 
gen zu ſeyn, well mich deine Augen nicht ſa— 
hen? Ueberall, wo du auch ſeyn magſt, um⸗ 
ſchwebt dich mein Geiſt, wie die Luft, wel⸗ 

che 


Ca.) 

che dich umgibt. Fort von hier! Weder 
Speis, noch Trank komm uͤber deine Zunge, 
und kein Schlaf ſchließe deine Augen, ehe du 
meinen Befehl vollzogen haſt.“ Mit dieſen 
Worten trieb es mich fort. Ueber Stock und 
Stein, durch Dornen und verwachſenes Ge⸗ 
ſträuch jagte er mich „daß mein Kleid in 
Stuͤcke riß, und Blut meine zerfleiſchten 
Fuͤße beſpritzte. Unfaͤhig die Schmerzen und 
fein ungeſtuͤmmes Treiben länger auszuhal⸗ 
ten, heulte ich lauter als der Wind, da er— 
ſchlenen Sie gnaͤdigſter Herr, und er vers 
ſchwand.“ 

Es hatte aufgehoͤrt zu regnen, das Ge⸗ 
witter war voruͤber, und machte dem herr— 
lichſten Abend Platz. Der Mond trat aus 
den zerriſſenen Wolken hervor, Wohlgeruch 
duftete der Wald, welcher jetzt vom hellen 
Schlag der Nachtigallen wiederhallte. Wir 
vekließen die Grotte. 0 

„ Iſt die Geſchichte ganz 10 wie Ihr 
fie erzähle habt?“ 
„Wie 


(:d2 ) 

„ Wie koͤnnte ich nach dem, was ich von 
dem Unbekannten für den erſten Betrug lel⸗ 
den mußte, noch einen zweyten wagen? „ 

„ Wofuͤr haltet ihr alſo den Unbekann⸗ 
ten? aber aufrichtig, ohne Zuruͤckhaltung! 
ſagt mir, was denkt ihr von ihm 24165 
| Gnaͤdigſter Herr! — ich denke — der 

Unbekannte tft ein uͤbermenſchliches Weſen. 

„ So? — Habt ihr vielleicht außer dem, 
was wir von ihm ſchon wiſſen, noch andere 
Nachrichten eingezogen? ' 

, Ich ſammelte freylich auf meiner Wan⸗ 
derſchaft verſchiedene Nachrichten, aber ich 
kann fuͤr ihre Wahrheit nicht buͤrgen. „ 

„ Erzähle, was ihr gehört habt.“ 

„ ͤIch hatte mich lange vergebens ber 
muͤht einen nähern Aufſchluß über ihn zu er⸗ 
halten. Dle meiſten wollten von einem ſol⸗ 
chen Menſchen nie etwas gehoͤrt oder geſehen 
haben, einige aber fchlenen meinen Fragen 
mit einer Art von Befremdung auszuweichen. 
Endlich in *r gab man mir den Rath mich 

| u 


. 
zu einem gewiſſen Einſiesler, der von dem 
Volke allgemein als ein Heiliger verehret 
wird, zu verfuͤgen, und ihm dieſe Frage vors 
zulegen. Ich ging hin. Er ſaß vor feiner 
Zelle auf einem Hügel, fein Haupt auf die 
Haͤnde geſtuͤtzt, und ſchien in Betrachtungen 
vertieft. Als ich naͤher kam, weckte ihn das 
Geraͤuſch, er ſah auf. Nie habe ich ein Geſicht 
geſehen, das auf den erſten Anblick mehr 
Ehrerbietung abdringt, als dieſes. Ob er 
gleich hundert und acht Jahre alt iſt, ſo tra⸗ 
gen doch ſeine Augen noch Spuren von Feuer, 
hohe Wuͤrde ſtralt aus jeder Miene und Ge— 
baͤrde. Ich kann ſagen, daß ich wie ein ar⸗ 
mer Suͤnder vor ihm ſtand. Er fragte mich, 
was ich wollte? Als ich ihm mein Verlan⸗ 
gen vorgetragen hatte, ſah er mich lange be— 
denklich an, dann hieß er mich ihm folgen, 
und fuͤhrte mich in ein enges dunkles Ge⸗ 
mach, das ſparſam durch den Schein einer 
kleinen Flamme, die in einem geſchloſſenen 
Glaſe brannte, erhellet wurde. Leiſe hob er 
die 


ee 
die Decke von einem großen Spiegel weg, 
der zunaͤchſt an dem Lichte hieng, und befahl 
mir hinzutreten, indeſſen er zurückwich. Er 
fragte mich, was ich in dem Spiegel erbli⸗ 
cke? Ich ſah meine eigene Geſtalt. Das iſt 
eine treffliche Lehre, ſagte der Einſiedler, 
lerne dich erſt ſelbſt kennen, ehe du andere 
zu kennen verlangſt. Ich glaubte, er ſuche 
durch dieſe Wendung meiner Neugierde aus⸗ 
zuweichen, und ſagte daher: Ehrwuͤrdiger 
Vater! was die Kenntniß meiner ſelbſt be⸗ 
trifft, ſo weiß ich gar wohl, daß ich ein ar⸗ 
mer ſuͤndiger Menſch bin — Sieh abermal in 
den Spiegel! unterbrach er mich. Ich ſah 
hin und trat erſchrocken zuruͤck. Was ſiehſt 
du? fragte der Eremit. Eben denjenigen, | 
den ich kennen zu lernen wuͤnſche. Ich hatte 
es kaum geſagt, ſo fiel die Decke herab und 
bedeckte den Spiegel. | 
„Du haſt dir ſelbſt das Urtheil gefpro- 
chen (ſagte der Einſiedler nach einem gerau⸗ 5 
men eee du HE nicht wuͤrdig 
den⸗ 


(as 
denjenigen kennen zu lernen, den du fo eben 
erblickteſt.“ — Ehrwuͤrdiger Vater (era 
wiederte ich) wenn ich ſchon nicht verdiene 
das ganze Geheimniß zu erfahren, ſollten 
mir nicht doch einige Strahlen Aufklaͤrung 
vergoͤnnt ſeyn? Er bedachte ſich eine Weile, 
und fuͤhrte mich dann in eine andere Zelle, 
die hell und geraͤumiger war, als die vorige. 
„Stehſt du auf irgend eine Weiſe mit dei⸗ 
nem Unbekannten im Verhaͤltniß ? Cfieng er 
an, nachdem wir uns geſetzt hatten) „In 
einem ſehr unvortheilhaften, erwiederte ich, 
und erzaͤhlte ihm die ganze Begebenheit. „Huͤ⸗ 
te dich vor ihm! (ſagte er mit ſehr ernſtem 
Geſicht) Seine Nache iſt ſchrecklich. Nur 
dle ſchnellſte, ſtrengſte Vollziehung feiner Be- 
fehle kann dich mit ihm wieder ausſoͤhnen. 
Ich kenne ihn. Er wandelt von einem Or— 
te zum andern, wohlzuthun, oder zu ſtra⸗ 
fen, ſo, wie es der Menſchen Thaten ver— 
dienen. Aber meiſtens wirkt er im Verbor⸗ 
genen; deſto gewiſſer faßt er ſeinen Mann, 
DR 


| ( 216 ) 
du koͤnnteſt eher den allſehendeu Augen des 
heimlichen Gerichts, als ihm, entgehen. Er 
richtet und ſtraft ohne Anſehung der Perſo⸗ 
nen; waͤgt den Koͤnig, wie den Bettler bloß 
nach ſeinem innern Gehalt. Silber und Gold 
hat in ſeinen Augen keinen Werth. Er iſt 
unbeſtechlich wie der Tod, und unerbittlich. 
Drohungen und Thraͤnen ruͤhren ihn nicht. 
Unbekuͤmmert um die Meinungen und die Urs 
thelle der Menſchen, ohne Ruͤckſicht auf hre 
Segnungen oder Verwuͤnſchungen geht er die 
Bahn, die er ſich vorgezeichnet hat. Sein 
Gang iſt wie der Gang des Schickſals, dun⸗ 
kel und unerklaͤrbar. Die Vergnuͤgungen der 
Menſchen haben fuͤr ihn keinen Reiz. Sein 
gewoͤhnlicher Zuſtand iſt kalter Gleichſinn, 
keine Leidenſchaft truͤbt die Heiterkeit ſeines 
Geiſtes. Ihn betruͤgt kein Schein, und der 
ausgelernteſte Schurke vermag nicht vor ſei⸗ 
nem Angeſicht zu beſtehen. Die Gedanken 
einzelner Menſchen zu wiſſen iſt ihm ein 
Spiel, die geheimſten Angelegenheiten und 
5 Ver⸗ 


| E 
Verhaͤltniſſe aller Staaten und Nakionen 
liegen vor ihm aufgedeckt. Was vor Sabre 
taufenden geſchehen, die Begebenheiten, wel— 
che ſich in das dunkelſte der Vorzeit verlie⸗ 
ren, weiß er mit einer Genauigkeit anzu— 
geben, als wäre er Augenzeuge davon ge: 
weſen. Willſt du die wichtigſten Vorfaͤlle 
erfahren, die ſich in dieſem Augenblicke in 
allen Theilen der Welt ereignen, frage ihn, 
er wird fie dir fo getreu und beſtimmt er— 
zaͤhlen, wie die Dinge, welche ſich vor ſei— 
nen Augen zutragen. Er blickt in das 
verborgene der Zukunft, nie tft eine Weiffas 
gung von ihm unerfuͤllt geblieben. — Mit⸗ 
ten unter Menſchen lebt er wie ein Buͤr—⸗ 
ger einer fremden Welt einſam und ohne 
Freunde. Seine einzige innigſte Vertraute 
iſt die Natur, in ihre verborgenfte Geheim— 
niſſe eingeweiht bringt er oft Wirkungen 
hervor, die jederman mit Erſtaunen erfuͤl— 
len. Daß er die Kunſt verſteht unedle Me— 
talle in Gold zu verwandeln, iſt eben ſo ge⸗ 
B wiß 


8 
wiß, als daß er die Gabe beſitzt ſich uns 
ſichtbar zu machen. Ich ſelbſt war zugegen, 
wie er einſt mitten aus einem Cirkel von 
Menſchen, wo aller Augen auf ihn gerichtet 
waren, ploͤtzlich verſchwand, und erſt nach 
einer geraumen Zeit in dem Kreiſe wieder 
ſichtbar wurde. Ueber reißende Stroͤme hab 
ich ihn wandeln geſehen, wie wir auf fe⸗ 
ſtem Lande dahergehen. Er hat eine übers 
menſchliche Stärfe des Koͤrpers ſowohl als 
des Geiſtes; nichts iſt vermoͤgend ihn zu 
baͤndigen, er ſiegt über alle Hinderniſſe mit 
Rieſenkraft. Doch bedient er ſich ſeiner 
koͤrperlichen Macht nur ſelten. Daß er feſt 
iſt wider Schuß und Stich, davon hab ich 
Beweiſe. Man will ſogar behaupten, daß 
er des Gehelmniſſes kundig ſey ſich fuͤr im⸗ 
mer vor der Sterblichkeit zu bewahren. 
Nur manchmahl tritt er aus der tiefen Ver⸗ 
borgenhelt, worin er faſt beſtaͤndig lebt, 


hervor. In Wäldern, an abgelegenen Or 


ten, zur Zeit, wann Tag und Nacht ſich 
ſchel⸗ 


9,9 

fcheidet, in Sturm und Wetter erſcheint er 
am liebſten. Mit Weſen hoͤherer Art ſoll 
er in Verbindung ſtehen. Er hat Sterben— 
de vom Tode gerettet, und Verſtorbene ins 
Leben zuruͤckgerufen, — Hier hielt der Eins 
ſiedler inne. Willſt du mehr wiſſen? fragte 
er endlich. Ich bath. Vergebens! du ver— 
langteſt nur einige Strahlen Aufklaͤrung, 
ſagte er, du haſt ſie erhalten. Zieh hin in 
Frieden, du weißt nun, in weſſen Macht 
du dich befindeſt. 5 

„Und weiter war nichts aus dem Moͤn⸗ 
che heraus zubringen? „ 

Nichts! erwiederte Pileski. Aber un— 
gefaͤhr drey Meilen von hier erfuhr ich von 
dem Unbekannten mehr, unter andern eine 
ſchreckliche Geſchichte — Bey dieſem Worte 
bebte Pileski zuruͤck. „ Ha! was iſt das? 
(rief er endlich, waͤhrend immer er ſtarr auf 
einen Fleck hinſah): Hab ich meln Geſchaͤft 
nicht ausgerichtet, hab ich nicht wiederru⸗ 
fen, wie du verlangteſt? — 

V2 „ Was 


9 

„ Was iſts? „rief ich und der Graf, 
und faßten Pileski am Arm. 

„ Sehen Sie ihn denn nicht? 

„ Wo? Wen? fragten wir betroffen. 

„Dort „erwiederte er, ohne die Aus 
gen von dem Flecke wegzukehren, und deu: 
tete mit der Hand in die Ferne. 

Ich ſah nichts, aber der Graf wollte 
eine menſchliche Figur fern ee den 
Baͤumen bemerken. 5 

„Schuͤtzen Sie mich! (chris pilesti u und 
drängte ſich zitternd an uns) Sehen fie, 
wie er drohend den Arm emporhebt. — 
Gott! er kommt näher — jetzt winkt er — 
Was If das? er deutet mir, mich zu ent 
fernen? — Ich gehorche ja ſchon! „ Mit 
dieſen Worten riß er ſich los, floh tlefer in 
den Wald und verſchwand bald aus e 
Augen. 

Iſt der Menſch verruͤckt, oder haben 
auch Sie den Unbekannten geſehen? 


} 


Der 


Ca) 

Der Graf beharrte darauf, daß er je— 
manden geſehen; ob es aber der Irlaͤnder 
war, habe er wegen der Entfernung und 
Dunkelheit nicht unterſcheiden koͤnnen. 

Wir eilten nun dem Orte zu, wo die Er— 
ſcheinung ſollte geſchehen ſeyn, aber in der 
ganzen Gegend war keine Spur eines Mens 
ſchen zu finden. Unbefriedigt kehrten wir 
zuruͤck. 

Viel ward auf dem Heimweg über Pi- 
leskt's Erſcheinung, über feine Nachrichten 
von dem Unbekannten geſprochen, geſtritten, 
und am Ende wußten wir eben ſo wenkg, 
als vorher, was davon zu halten waͤre. 
Wir mußten uns bequemen mit Geduld zu 
erwarten, welchen Aufſchluß die Zeit uns 
geben wird. 

Der Graf erhielt am zweyten Tage nach 
dleſer Begebenheit einen Brief von Amalten, 
worin ſie meldete, daß ihre Geſundheit bes 
reits vollkommen hergeſtellet ſey, ferner: 
daß ſie aus gewiſſen Urſachen, die ſie ihm 

jetzt 


C 
jetzt nicht eröffnen wollte, für gut befunden 
habe, das Waldſchloß zu verlaſſen, und ſich 
in ein anberes Land zu begeben, doch koͤnne 
ſie ihm ihren kuͤnftigen Aufenthalt nicht be⸗ 
kannt machen. 

Eine neue Grille meiner Sänger) 
ſagte der Graf, und gab mir den Brief. 
Ich las ihn, ſeufzte, gerieth in ſichtbare 
Verwirrung. Er beobachtete mich ſcharf. 
Seufzer? (liſpelte er halb vor ſich) vollends 
Thraͤnen? — Ich war in heftiger Bewe⸗ 
gung. Graf! (rief ich) fie flieht, o jetzt — 
jetzt iſts entſchieden, ich habe fie verloren. — 
Nennen ſie ihre Entfernung Flucht? Und 
was (ſetzte er mit Verwunderung hinzu) 
was verlieren denn Sie dabey, wenn Ama⸗ 
lie flieht? Ich hatte mich ſchon zu welt 
herausgelaſſen, ſetzt war es unſchicklich zu⸗ 
ruͤckzuhalten, ich geſtand ihm alles. Sie 
lieben Amalien, erwiederte er erſtaunt , 
warum vertrauten Sie mir das nicht fruͤ⸗ 
her? — Ach! rief ich auf, fo waͤre es wirk⸗ 

lich 


| 6 39 
lich zu ſpaͤt? — Ich ſage das nicht, verſetz⸗ 
te er, aber man haͤtte Vorkehrungen treffen 
koͤnnen. Weiß ſle von Ihrer Liebe? — 
„Sie weiß, o daran iſt kein Zweifel. „ 
Und wie gerathen Sie denn auf den Eins 
fall, daß Sie Ihretwegen ſich entferne? — 
„Well fie dem Sohne desjenigen auswei— 
chen will, den ſie fuͤr den Moͤrder ihres 
Gatten Hält. „ Dem Grafen ſchien ein Licht 
aufzugehen. So muß man ihr dieſen Wahn 
benehmen, fagte er endlich. „ Wie tft das 
moͤglich, wenn wir den Ort ihres Aufent- 
halts nicht wiſſen? „ — Das wird nicht 
lange dauern, war ſeine Antwort, wenigſtens 
hat ſie mich bisher immer eines vorzuͤgli⸗ 
chen Zutrauens gewuͤrdiget, und ich wette, 
daß fie mir im kurzem auch ihr gegenwaͤr⸗ 
tiges Geheimniß vertrauen wird. — 

Ich hatte ſeit geraumer Zeit mir alle 
Muͤhe gegeben das Bild der ſchoͤnen Graͤ— 
finn aus meinem Gedaͤchtniſſe zu verwiſchen, 
und elne Leidenſchaft, die Ich nie befriedi⸗ 

gen 


(24 ) 


gen zu können glaubte, aus meinem Herzen 
zu reißen. Wirklich hatten meine neuen Aben⸗ 
theuer, Bekanntſchaften, Zerſtreuungen, be⸗ 
ſonders der Verluſt meines Hofmeiſters ges 
macht, daß ich nicht fo häufig als vormahls 
an Amalien dachte, Zeit und Entfernung hat: 
ten auch das ihrige beygetragen das er⸗ 
ſte Feuer meiner Leidenſchaft zu mildern, 
und ſo uͤberredete ich mich leicht, die went: 
gen Ueberreſte von Liebe, wofuͤr ich jetzt 
die manchmahl wiederkehrenden Erinneruns 
gen und Gefuͤhle verfloſſener Gluͤckſeligkeit 
hielt, bald ganz zu vertilgen, und uͤber eine 
thoͤrichte Empfindung Meiſter zu werden. 
Allein Amaliens letzter Brief, und das Bes 
tragen des Grafen, der meiner Liebe nicht 
nur nicht abgeneigt, ſondern ſich ſogar das 
für zu intereffiren ſchien, hatten meine Aus 
gen aufgeklaͤrt, ich ſah, daß ich mich ſelbſt 
hintergangen hatte; die Glut meiner Lei— 
denſchaft, die bisher unter der betruͤgeri⸗ 
ſchen Aſche noch immer lebendig war, brach 
| durch 


7 


(e550 

durch dieſen Windſtoß wieder in helle Flam⸗ 
men aus. Die Ermahnung des Irlaͤnders 
„Nie der Liebe ernſtlich zu huldigen, wurde 
vergeſſen, ich kannte nun keine wichtigere 
Angelegenheit als meine Liebe. 

Ich erinnerte den Grafen, daß er 
mir noch die Fortſetzung von Amaliens Ge⸗ 
ſchichte ſchuldig ſey. Er fragte mich, 
wo er in ſeiner Erzählung geblieben waͤre? 
„Auf dem Wege, den Ihr Bruder zu Ur 
maliens Mutter nahm um ſie zur Gemahlinn 
zu begehren. 

„„Sie ſetzten (hob er an) ihre Reiſe ohne 
Hinderniſſe fort, und endigten ſie damit, 
daß ſie einander ewige Treue ſchwuren, es 
ergehe uͤber fie, was da wolle. Die Mut⸗ 
ter hatte ſchon vorher durch ihren Sohn 
und durch die Tante Nachricht von Amall⸗ 
ens Entfuͤhrung und dem Bemuͤhen meines 
Bruders ſie aufzuſuchen erhalten. Sie ſchien 
daher ſehr angenehm uͤberraſcht, als er die 
Verlorne wieder in ihre Arme zuruͤckfuͤhrte, 
Tief 


( 26 ) 
Tief beſtuͤrzt ſtellte fie fih an, als Amalie 
die Gefahr auf dem Klrrchhofe ſchilderte, 
woraus ſie mein Bruder befreyet hatte. 
Das verbindliche Betragen, womit die Mut⸗ 
ter demſelben entgegen kam, ſo oft er ſie 
beſuchte, ließ ihm wegen der Erfuͤllung fel> 
nes ſehnlichſten Wunſches keine Zweifel mehr 
übrig, und er hatte es mit Amalien verab⸗ 
redet, den kuͤnftigen Abend um ihre Hand 
zu bitten. Er erſcheint. Bey dem Eintrits 
te bemerkt mein Bruder Amaliens Augen 
zothgeweint, die Mutter kalt, voll erzwun⸗ 
gener Hoͤflichkeit, ihm ahndet nichts gutes, 
dennoch wagt er es mit ſeinem Antrage 


hervorzutreten. Die Mutter findet ſich da⸗ 0 


durch geehrt, bedauert aber in dieſe ſo vor⸗ 
theilhafte Verbindung nicht willigen zu koͤn⸗ 
nen, weill ihre Tochter ſchon für einen Mann 
beſtimmt waͤre, gegen den ſie noch aͤltere 
Verbindlichkeiten hätte und jetzt ſey es zu 
ſpaͤt ihr Verſprechen zuruͤckzunehmen. Mein 
Bruder iſt wie von Donner geruͤhrt, er 
| ſieht 


CD 

ſieht ſprachlos Mutter und Tochter an. 
Jetzt kann ſich Amalie nicht mehr länger 
halten, ſie bricht in einen Strom von Thraͤ⸗ 
nen aus — bie Mutter befiehlt ihr, ſich zu 
entfernen, Amalie faͤllt ihr zu Fuͤſſen, mein 
Bruder vereiniget ſein Flehen mit dem ih⸗ 
rigen. Umſonſt! die Mutter beharrt auf 
ihrem Ausſpruch, und Amalie muß ſich hin⸗ 
weg begeben. Schluchzend ſagt ſie meinem 
Bruder Lebewohl, und windet ſich ſanft aus 
ſeinen Armen, womit er ſie umſchlungen 
haͤlt. Dieſer iſt außer ſich, er verſucht alle 
Kuͤnſte den Entſchluß der Mutter zu aͤndern, 
ſie ſind alle vergeblich! Endlich — o der ju⸗ 
gendlichen Unbeſonnenheit! — ſetzt er jede 
Beſcheldenheit auf die Seite, er klagt uͤber 
Grauſamkeit, uͤber den Zwang „welchen 
man Amalien anthun will, droht die Sache 
vor Gericht zu bringen. Die Mutter wird 
wuͤtend, befiehlt ihm ihr Haus fuͤr immer 
zu meiden, und beyde trennen ſich in der 
beftigiten Erbitterung. 


— 


Als 


(08) 

Als meln Bruder wieder zur Beſinnung 
zam, gelangte er zugleich zu der ſchreckli⸗ 
chen Ueberzeugung, daß er durch fein unges 
ſtuͤmmes Betragen vollends alles verdorben 
habe. Der Erfolg beſtaͤtigte es. Er ſchrieb 
des andern Tages an Amaliens Mutter ei⸗ 
nen Brief voll der tiefſten Unterwuͤrfigkeit 
und Reue, er ward aber keiner Antwort 
gewuͤrdiget; er verſuchte es nach einigen Ta⸗ 
gen noch einmahl, allein auch dieſes Schrei⸗ 
ben blieb unbeantwortet. Jetzt verließ ihn 
die Hoffnung. 

Was ihn gaͤnzlich daniederſchlug, war 
der Umſtand, daß er Amalien weder ſehen, 
noch ſprechen konnte, ohne deren Wiſſen er 
nicht wagen wollte ſeine ferneren Maßre⸗ 
geln zu nehmen. Zu allen Stunden des 
Tages ſtrich er an ihrer Wohnung vorüber „ 
um fie beym Ausgehen, oder an dem Fenfter 
zu uͤber raſchen, aber feine Aufmerkſamkeit 
war vergebens. Umſonſt ſuchte er die Haus⸗ 
leute durch Geld und Verſprechungen zu 
5 befte= 


I, 

beſtechen, fie fanden alle im Solde der Mut⸗ 
ter, und wleſen feine Anerbiethungen zu— 
ruͤck. Um kein Mittel unverſucht zu laſſen 
ſchrieb er an Amaliens Tante, ſchilderte ihr 
die ganze Lage der Sache, und ſeine Ver: 
zweiflung, bath ſie, fuͤr ihn fuͤrzuſprechen. 
Die gute Frau, welche durch die Betruͤbniß 
über Amaliens Entführung auf das Fran: 
kenlager geworfen ward, erfuͤllte dennoch 
meines Bruders Bitte unverzuͤglich. Ihr 
Brief war ein wahres Meiſterſtuͤck von Be⸗ 
redſamkeit, aber das Herz der erbitterten 
Mutter war unbeweglich; es blieb beym 
alten. 

„Und Amalie! — was that Amalie 2, 

Ihr Zuſtand war noch weit ſchreckli— 
cher als der meines Bruders. Die plöglis 
che Trennung von ihrem Gellebten, zu eis 
ner Zeit, wo ſich beyde am Ziele ihrer Ver: 
einigung glaubten, die Verzweiflung es je 
wieder zu erreichen, eine troſtloſe Aus— 
ſicht in die Zukunft, inniges Bekuͤmmerniß 

über 


| e 
über das Schickſal meines Brubers — alles 
dieſes beſtuͤrmte, druͤckte ſie nieder, und 
doch durfte ſie es nicht wagen ihr Herz im 
Angeſicht ihrer Mutter, die ſie nicht aus 
den Augen ließ, durch Thraͤnen zu erleich⸗ 
tern; ſelbſt dieſen armſeligen Troſt hatte 
ihr die grauſame verſagt. Er verdient Ver⸗ 
achtung, rief fie, und nicht Thränen der 
Unwuͤrdige , der ſich vermaß mich zu belei⸗ 
digen. Amalte weinte und klagte nicht, 
aber der wuͤthende Schmerz, den ſie nicht 
aͤußern durfte, durchwuͤhlte ihr innerſtes, 
und brachte fie täglich dem Grabe näher. 
Unterdeffen war mein Bruder in voller 
Thaͤtigkeit das verbeſſern zu wollen, was 
er verdorben hatte. Er verfügte ſich in dies 
ſer Ruͤckſicht zu Amaliens Vormund, aber, 
was er befuͤrchtet hatte, traff ein; er fand 
ihn von allem unterrichtet und ganz auf der 
Mutter Seite. Kein Mittel, das Menſchen 
verführen, die feſteſten Entſchluͤſſe beugen 
kann, ließ mein Bruder unverſucht, allein 
| ' bier 


N 

bier ſchlugen fie alle fehl, nichts war vers 
moͤgend des Mannes eiſernen Sinn zu aͤn⸗ 
dern. Mein Bruder entfernte ſich ohne 
Hoffnung. 85 

Nun hatte er alle Wege betreten, einen 
einzigen ausgenommen, und dieſer war: die 
Sache vor Gericht zu bringen. Ein ver⸗ 
zweifelter Schritt! aber es blieb ihm keine 
Wahl uͤbrig. Es ließ ſich leicht vorausſe⸗ 
hen, daß dleſer Weg nicht nur der laͤngſte, 
ſondern auch der gefaͤhrlichſte wäre, indem die 
Mutter alles aufbiethen werde die Richter 
zu ihrem Vortheile zu beſtechen, und da er 
noch uͤberdieß erfahren hatte, daß ſie bey 
dem Gerichte nicht wenige Freunde und 
Verwandte zähle — ein Umſtand, der ſei⸗ 
nen Muth vollends zu Boden ſchlug, aber 
dennoch befahl die Nothwendigkeit dieſen 
letzten Schritt als den einzig en möglichen 
noch zu verſuchen, und mein Bruder war 
eben Willens zu gehorchen, als die Lage 

der 


n 

der Sache auf einmahl eine andere Wen⸗ 
dung erhielt. | 

Carl Amaliens Bruder war in aller 
Stille von Paris zuruͤckgekommen um ſeiner 
Mutter bey Ausfuͤhrung eines Bubenſtuͤcks 
unter die Arme zu greiffen, wozu er den 
Knoten ſo vortrefflich geſchuͤrtzt hatte. Er 
haßte ſeine Schweſter, weil ſie von der 
Mutter gehaßt wurde, deren Liebling er 
war. Aber ſeit ſeines Vaters Tod, deſſen 
Deſtament ohne Vergleich mehr zu ihrem, 
als feinem Vortheile war, ging fein Haß 
in thaͤtige Verfolgung uͤber. Er wuſte uur 
zu gut, daß Amaliens ganze Gluͤckſeligkeit 
auf dieſer Heyrath beruhte, Grund genug 
fuͤr ihn, daß er alle Kraͤfte anſpannte ſie 
zu hintertreiben. Die erſte Verraͤtherey be⸗ 
ging er, als er der Tante das Geheimnis 
ihrer Liebe entdeckte, die zweyte, als er den 
Griechen in das Haus derſelben einführte, 
und endlich — werden Sie es glauben, 
daß er derjenige war, welcher die Entfuͤh⸗ 
rung 


= 


(33) 


zung feiner Schweſter in Vorſchlag gebracht, 
und mit dem Griechen abgekartet hatte? 
Nun war er gekommen ſein ruͤhmliches Werk 
zu beſchlieſſen. Da er ſeine Ankunft vor mei⸗ 
nem Bruder geheim hielt, ſo konnte er, ohne 
von deſſen Aufmerkſamkeit etwas zu befuͤrch⸗ 
ten die Triebraͤder feiner Maſchine im Ver⸗ 
borgenen in Bewegung ſetzen, und während 
jener nicht das geringſte ahndete, feine teuf 
liſche Verraͤtherey vollfuͤhren. — 
Mein Bruder wohnte eines Tages in der 
* Kirche der Fruͤhmeſſe bey. Sufälliger 
Weiſe bemerkten feine herumſchwelfenden Bli⸗ 
cke in einem Stuhle nicht fern von ihm ein 
Faͤdchen, das ihn ſcharf in die Augen faß⸗ 
te, aber ſie niederſchlug, ſobald ihr fein Blick 
begegnete. Das fiel ihm auf, er betrachte⸗ 
te die liebliche Geſtalt genauer, konnte ſich 
aber mit aller Anſtrengung nicht erinnern, 
ſie irgendwo geſehen zu haben. Kaum hatte 
er ſeine Augen von Ihr weggewandt, fo bes 
merkte er durch einen Seitenblick, daß die 
C ih⸗ 


0) 

ihrigen abermahl auf ihm ruhen, und ſo, 
wie er ſich gegen ſie kehrte, war ihr Blick 
wieder auf dem Gebethbuch. Neugierig wie⸗ 
derholte er dieſen Verſuch oͤfters, der Er⸗ 
folg war immer derſelbe. Die Meſſe ging 
voruͤber, das Gedraͤnge hatte ſich verloren, 
das Maͤdchen blieb, er auch. Sie war jung 
und ſchoͤn wie ein Engel, ſein Blick weilte 
mit ſtillem Wohlgefallen auf ihr. Endlich 
ſtand fie auf, ſah meinen Bruder noch eins 
mahl an und ging. Seine Neugierde war 
auf den hoͤchſten Grad geſpannt, er folgte 
ihr auf dem Fuße. Aber wie ſtaunte er, 
als ſie unter der Kirchthuͤre ſtehen blieb und 
ihn erwartete. „Ich weiß nicht (ſagte ſie mit 
Erroͤthen und einer liebenswuͤrdigen Verwir⸗ 
rung, als er ſich naͤherte) ich weiß nicht, 
ob ich mich vielleicht in der Perſon irre, aber 
nach der Beſchreibung — die mir eine 
gewiſſe Amalie (indem ſie den Familiennah⸗ 
men hinzufuͤgte) von Ihnen machte, ſollte 
ich's nicht vermuthen.— “ Wle! rief mein 

| | ; Bru⸗ 


€ 55.) 

Bruder entzuͤckt, fie kennen dleſe Amalle? “! 
Ich ſtehe in einem engeren Verhaͤltniß mit 
ihr, ich bin ihre Freundinn (war die Ant⸗ 
wort). Aber darf ich um Ihren Nahmen 
bitten?“ Er entdeckte ihn ohne Verzug. „Sie 
finds, an den mein Auftrag lautet, ſagte 
das Maͤdchen. Ein Auftrag von Amalien? 
rief er in großer Bewegung. Stille, ſtille! er⸗ 
wiederte ſie, wir koͤnnten hier uͤberraſcht wer⸗ 
den. Begleiten Sie mich nach Hauſe, Sie 
ſollen mehr hoͤren. Mein Bruder war außer 
ſich, er gehorchte der reitzenden Unbekann⸗ 
ten wie der Stimme eines Engels. 

Der Weg wurde unter gleichguͤltigen 
Geſpraͤchen zuruͤckgelegt. Als fie dem Haufe 
ſich naͤherten, ſagte das Mädchen: Vor mei⸗ 
ner Mutter haben Sie kein Geheimniß, dieſe 
weiß Ihre ganze Geſchichte und intereſſirt 
ſich fuͤr Amalien nicht minder warm als ich. 
Sie traten ins Zimmer, eine ehrwuͤrdige 
Matrone kam ihnen entgegen, und als ſie von 
Luiſen, dies war der Nahme ihrer Tochter, 

C 2 er⸗ 


( RE.) 
erfahren hatte, wer mein Bruder waͤre, 
hieß ſie ihn niederſitzen, und fragte die er⸗ 
ſtere, ob fie ſich des Auftrages von Ama⸗ 
lien entlediget haͤtte? Sie erwiederte, daß 
ſie es eben Willens waͤre. Mein Bruder 
war ganz Ohr. | 
„Schon einige Tage her hatte ich be⸗ 
merkt (fing Luiſe an) daß Amalie ſehr duͤſter 
und zuruͤckhaltend war. Ich fragte ſie eini⸗ 
gemahl um die Urſache, fie entſchuldigte ſich 
immer damit, daß ſie ſich nicht wohl befaͤn⸗ 
de. Geſtern endlich gelang es mir, ſie einige 
Minuten in Abweſenheit ihrer Mutter zu 
ſprechen, ſie erzaͤhlte mir ihre traurige Ge⸗ 
ſchichte mit wenigen Worten, und ſchilderte 
ihr Ungluͤck mit ſo lebhaften Farben, daß 
ich bis zu Thraͤnen bewegt wurde. Als ſie 
dieſes bemerkte, druͤckte ſie mich an ihr Herz. 
O ſuch' ihn auf ( ſchluchzte fie) ſprich ihm 
Troſt ein, daß er nicht verzwelfſe. Sag ihm, 
daß meine Mutter unwandelbar auf ihrem 
Entſchluß beſtehe, daß keine andere Rettung 
ä moͤg⸗ 


% 
moͤglich ſey als Flucht. Sag ihm — Hier 
wurde Amalie durch die Dazwiſchenkunft 
ihrer Mutter unterbrochen, und da dieſe das 
Zimmer nicht wieder verließ, fo weiß ich Ih⸗ 
nen gegenwärtig nicht mehr zu ſagen.“ 

„Genug, rief mein Bruder, ſagte ſie 
nicht, daß keine andere Rettung moͤglich ſey 
als Flucht? Was brauche ich mehr zu wiſ⸗ 
ſen? Wir wollen fliehen, uns in einem ent⸗ 
fernten Winkel der Erde verborgen halten, 
und im ſtillen unſer Gluͤck genießen. O es 
iſt ein goͤttlicher Einfall! Ich kenne nichts 
leichters als ihn auszufuͤhren.“ 

Die Matrone ſchuͤttelte den Kopf. Mein 
Bruder lächelte über ihre Bedenklichkeiten. 
Freude und Liebe hatte in dteſem Augenblick 
ihn einem Betrunkenen gleich gemacht, der 
da keine Gefahr ahndet, wo der Nuͤchterne 
mit Schrecken zuruͤckfaͤhrt. Die Alte aber, 
welche ſich vor dieſem Rauſche zu fuͤechten 
ſchien, entließ ihn nicht eher, als bis er 

. ver⸗ 


A. 


1 688 


verſprach, keinen Schritt ohne ihr Wiſſen 
zu thun. 

Sobald er das Haus verlaſſen hatte, 
war ſeine erſte Sorge zu erforſchen, wer ſei⸗ 
ne unbekannten Wohlthaͤterinnen wären. 
Man ſagte ihm, daß die Matrone eines franzoͤ⸗ 
ſiſchen Offtclers Wittwe ſey, der vor zwey 
Jahren geſtorben und ſeiner Frau und Toch⸗ 
ter ſo viel hinterlaſſen habe, daß ſie bequem 
leben konnen. Mit dieſer Nachricht war 
mein Bruder zufrieden. 
| Als er fih des anderen Tages um die 
beſtimmte Zeit bey Luiſen einfand, erfuhr er, 
daß Amalte unpaͤßlich und nicht allein zu 
ſprechen geweſen ſey, weil ſie ſorgfaͤltig von 
der Mutter gehuͤtet wuͤrde. Das naͤhmliche 
ſagte man, als er den Tag darauf erſchien, 
doch ſuchte man ihn beydesmahl durch die 
Verſicherung zu beruhigen, daß die Unpaͤß⸗ 
lichkeit von keiner Bedeutung wäre. 

Aber am dritten Tage kam ihm Lniſe 
1 bey dem e mit der Nachricht 
ent⸗ 


0 

entgegen, daß ſich! Amalie beſſer beßind 
Allein — ſagte ſie und hlelt eine Welle 

— mein Bruder ſah fie beſtuͤrzt an — fie 
laͤchelte: . Sie ſich auf eine große, 
große Neuigkeit gefaßt, fuhr ſie mit ſchalk⸗ 
hafter Munterkeit ve » „Und dieſe Neu⸗ 
igkeit wäre? „ Daß Sie mein Braͤutigam 
ſind.“ Mein Bruder war wie aus den Wol⸗ 
ken gefallen, doch faßte er ſich, und nahm 
die Sache für Spaß. „Sie glauben, ich 
ſcherze, ſagte fie mit angenommener Ernſt⸗ 
haftigkeit: aber gewiß und wahrhaftig, Sie 
ſind mein Broͤutigam, und was noch ſonder⸗ 
barer klingt, Sie muͤſſen es ſeyn, und was 
erſt das aͤrgſte iſt, Ste machen ſich und Ama⸗ 
lien ungluͤcklich, wenn Sie es nicht ſeyn wol⸗ 
len.“ Meinem Bruder muß bey dieſer An⸗ 
rede wunderlich zu Muth geweſen ſeyn. Ei⸗ 
nen Augenblick ließ ihn die Schöne in dieſer 
Verlegenheit, dann zog he ein Blatt hervor, 
und überreichte es ihm. Er traute kaum ſei⸗ 
nen Augen: von Amalien? rief. er mit freu⸗ 

dis 


inne 


„ 
digem Erſtaunen, ja, ja, ich erkenne ihre 
Hand! Und was ſchreibt ſie, dieſe Hand?“ 
Ach! leider nicht mehr als eine Zeile: Thu 
alles, was dir Zuife ſagen wird. Iſt dies 
ſes zu meiner Bevollmaͤchtigung nicht genug? 
fragte das Maͤdchen. Aber in welcher Bezie⸗ 
hung ſteht ihre Bevollmaͤchtigung mit der 
Neuigkeit, daß ich ihr Bräutigam bin und 
ſeyn muß? erwiederte mein Bruder, mit al⸗ 
len Zeichen der Reugierde und Verwunderung. 
„ Darüber wird Ihnen Mama den Aufſchluß 
geben“ war die Antwort. s 
Die Matrone nahm das Wort: „Ich 
und meine Tochter berathſchlagten geſtern: wie 
der Einfall Amaliens — denn leider ſehe auch 
ich kein anders Rettungsmittel als die Flucht 
— zu realiſiren waͤre. Da wir die Sache 
bey kaltem Blut uͤberlegten, ſo fanden wir, 
daß die Ausfuhrung, welche Ihnen in der 
erſten Aufwallung fo leicht ſchien,, mit faſt 
unuͤberſteiglichen Schwierigkeiten verbunden 
iſt. Oder halten Sie es wohl fuͤr eine Klei⸗ 
5 nig⸗ 


(a): 
nigkeit, die Aufmerkſamkeit der Mutter, wel⸗ 
Amalien Tag und Nacht bewacht, und den 
Dienfteifer der Hausleute, die jeden ihrer 
Schritte belauern, zu hintergehen? An 
eine Entführung durch Gewaltthaͤtigkeit iſt 
ohnehin nicht zu gedenken. Ich und meine 
Tochter quaͤlten uns lange irgend einen aus⸗ 
fuͤhrbaren Plan zu dieſer Flucht aufzufinden, 
aber kaum war einer entworfen, als er ſei⸗ 
ner Unzulaͤnglichkeit wegen ſchon wieder ver⸗ 
worfen wurde. Ploͤtzlich fliegt mir ein Ge⸗ 
danke durch den Sinn: Wie 2 wenn es uns 
gelaͤnge, die Wachſamkeit der Mutter zu 
unterdruͤcken, wenn wir fie überreden koͤnnten, 
Sie haͤtten Luiſen durch einen Zufall kennen 
gelernt, ſie liebgewonnen, und, weil ſie die 
Hoffnung: Amaltens Hand zu erhalten aufge⸗ 
ben, ſich entſchloſſen, um die Hand ihrer 
Freundinn zu werben. Ich theilte meiner 
Tochter dieſen Gedanken mit. Anfangs wei⸗ 
gerte ſie ſich, aus Delicateſſe und Furcht vor 
den Folgen, dieſe Rolle zu uͤbernehmen, 
aber 


(we). 
aber die Freundſchaft für Amalien beſiegte 
doch zuletzt ihre Bedenklichkeiten, und ſie gab 
meiner Meinung nach. Nun war es noͤthig, 
| Ihrer Geliebten den neuenpPlan vorzulegen und | 
ihr Urtheil darüber zu vernehmen. Es gluͤckte 
Luiſen ſie allein zu ſprechen; ſie fand den 
Plan vortrefflich, und gab auf der Stelle 
ihre Einwilligung. Wir ſind jetzt begierig, 
Ihr Urtheil zu hoͤren. 
dein Bruder war von der Dienſtfertig⸗ 
keit ſeiner neuen Freundinnen uͤberraſcht und 
durchdrungen. Tief geruͤhrt ſtammelte er ſei⸗ 
nen Dank — aber das Mädchen rief: Spa⸗ 
ren Sie Ihren Dank, und ſagen Sie uns 
lieber Ihr Urtheil. b 
„ Amalie hat den Plan bewilliget? Mein 
Wille iſt jederzeit der ihrige.“ 
Nun ſchettt man zur Ausführung. Mein 
Bruder konnte kaum den andern Tag erwar⸗ 
ten, ſo begierig war er die Wirkung von 
Luiſens Liſt zu erfahren. Er kam noch vor 
der 


( 30 | 
der beſtimmten Zelt, und ſie eilte ihm mit 

folgender Nachricht entgegen: f 
„ Amaliens Mutter ließ ſich von meiner 
neuen Eroberung leichter uͤberreden, als ich 
dachte. Anfangs war ſie zwar der Meinung, 
ich ſcherze. Als ich aber ernſtlich auf mei⸗ 
ner Behauptung verharrte ‚ und unſerem 
Roman ſo viele Wahrſcheinlichkeit, als nur 
immer ein gedruckter hat, zu geben ſuchte, 
nahm ſie bald meine Ausſage fuͤr baare Muͤn⸗ 
ze, — ſo geneigt iſt der Menſch das zu glau⸗ 
ben, was er wuͤnſcht. Von dieſer Seite al⸗ 
ſo ging, wie Sie ſehen, alles erwuͤnſcht. 
Ach! warum kann ich Ihnen von Amaltens 
Geſundheitsumſtaͤnden nicht eben fo erwuͤnſch⸗ 
te Bothſchaft bringen. Das Fieber, wel- 
ches fie neulich befiel, iſt wiedergekehrt, und 
obſchon der Arzt verſichert, es waͤre nichts 
zu befürchten, fo dürfte es doch die unange⸗ 
nehme Folge haben, daß die Ausfuͤhrung 

unſers Plans dadurch verzoͤgert wird.“ 


Meln 


(4) | 

Mein Bruder war untroͤſtlich. Luife gab 

ih alle Mühe, ihn aufzuheltern, was ihr 
aber nur zur Hälfte gelang. Am folgenden 
Tag uͤberraſchte fie ihn mit einer Neuigkeit, 
die beſſere Wirkung that: „Sie ſollen mor⸗ 
gen Amalien ſehen! (ſagte ſie) das Mittel, 
wodurch Sie dieſes erhalten, iſt zwar ein 
wenig ſonderbar, aber es paßt in unſern 
Plan. Der Mutter ſind uͤber meine geſtrige 
Entdeckung Zweifel gekommen, die ich durch 
Thatſachen am beſten zu entkraͤften glaubte. 
Ich ſagte ihr daher, daß ſie mich morgen 
nach der Meſſe mit Ihnen Arm in Arm an 
ihrem Fenſter ſollte vorbeyſpatzleren ſehen. 
Sie verſprach, uns um die beſtimmte Zeit ja 
gewiß am Fenſter zu erwarten, und bey die⸗ 
ſer , werden ee auch Amalien 
ſehen. Ä 
Diee letzte Umſtand verſcheuchte bey met- 
nem Bruder jede Ueberlegung, und er harr⸗ 
te des anderen Morgens in der Kirche mit 
Ungeduld auf das Ende der Meſſe, um Lui⸗ 

ſen 


(#5) 
fen auf dem verabredeten Spatziergang zu 
begleiten. 

Eine Strecke vor Amaliens Hauſe ſagte 
das Maͤdchen: „ Sie werden Ihre Geliebte 
ſehr blaß finden, das boͤſe Fieber hat ſie ein 
wenig übel mitgenommen, aber, um Got⸗ 
teswillen! vergeſſen Sie nicht, was Sie fuͤr 
eine Rolle ſpielen, halten Sie ihre Blicke im 
Zaum , und zeigen Sie eine heitere 
Miene!“ Sie waren jetzt bis zum Haufe 
gekommen, Amalie ſtand am Fenſter. Mein 
Bruder glaubte ihren Geiſt zu erblicken und 
blieb mit Beſtuͤrzung ſtehen; bleich und ab⸗ 
gezehrt, mit erloſchenen Augen ſtarrte ſie ihn 
einen Augenblick an, und verſchwand. „ Sind 
Sie ein Mann?“ fluͤſterte Luiſe und zerrte 
ihn fort, mein Bruder folgte maſchinenmaͤſ⸗ 
ſig ohne auf Amaliens Mutter Ruͤckſicht zu 
nehmen, und ſah beſtaͤndig nach dem Fen⸗ 
ſter, wo ſeine Geliebte erſchienen war. Sie 
hatten ſich ſchon eine gute Strecke vom Hau⸗ 
ſe entfernt, als ihn Luiſens Vorwuͤrfe erſt 

wie⸗ 


(46) 
wieder zu ſich brachten. Er wollte noch⸗ 
mahls zuruck, nur die lebhafteſten Einwen⸗ 
dungen konnten ihn davon abhalten. 

„Sie haben (ſagte Lulſe, als mein Bru⸗ 
der ſie den folgenden Tag beſuchte) mit ei⸗ 
nemmahl ein Gebaͤude eingeriſſen, an dem ich, 
meine Mutter und Amalie die Steine ſo muͤh⸗ 
ſam und kuͤnſtlich zuſammenfuͤgten; das iſt 
vermuthlich der Dank, womit Sie unſere 
Verwendung für Ihr Gluck belohnen?“ 

dein Bruder ſchwieg beſchaͤmt. — „Oder 
gedenken Sie vielleicht die Unternehmung oh⸗ 
ne unſer Zuthun auszufuͤhren, dann bedau⸗ 
re ich freylich, daß Sie uns das nicht fruͤ⸗ 
her wiſſen lleſſen.“ Mein Bruder bath um 
Vergebung, aber ihr Unwille war nicht ſo 
leicht zu beſaͤnftigen. „ Nein! (ſagte fie) 
ihr geſtriges Benehmen iſt durch nichts zu 
entſchuldigen. Ich warnte Sie doch! Sie 
konnten alſo nicht einmahl uͤberraſcht ſeyn. 
Oder daͤuchte es Ihnen ſo ſonderbar, daß die 
kranke Amalie nicht fo bluͤhend und rund aus⸗ 

ſah, 


Ci) 
ſah, wie die geſunde? Dieſer ſo natürliche 
Umſtand konnte fie ganz außer Faßung fer 
tzen? “ So ging es noch eine Weile fort, 
bis meines Bruders ſanftes bittendes Zure⸗ 
den ſie endlich gefaͤlliger machte. Doch be⸗ 
ſt and ſie feſt darauf, nie wieder an die Sache 
Hand anzulegen, wenn er nicht auf Ehre 
verſpraͤche, ihr kuͤnftig in allem puͤnktlich 
Folge zu leiſten. Da mein Bruder keine 
Moͤglichkeit vor ſich ſah, ſeinen Plan ohne 
ihre Huͤlfe auszufuͤhren, fand er ſich wohl 
nothgedrungen es zu verſprechen. | 

Den folgenden Tag machte ihm Lutiſe zu 
wiſſen, daß ſie mit Amallen verabredet haͤt⸗ 
te ihrer Mutter durch einen entſcheidenden 


= Streich allen Verdacht zu benehmen, ben fie 


ſeit dem letztern Vorfalle ziemlich deutlich 

merken ließe. In dieſer Ruͤckſicht (fuhr fie 

fort) ſagte ich der Mutter, daß Sie mich alle 

Abende auf meinem Zimmer beſuchen, und 

daß, wenn ſie ſich einmahl die Muͤhe geben 

wollte, uns in einem Nebengemach zu belaus 
i ſchen, 


ER 


(- 28 ) 


ſchen, fie ſelbſt von Ihren Geſinnungen ge: 


gen mich ſich uͤbtrzeugen koͤnne. Dieſer Vor⸗ 
ſchlag gefiel ſo ſehr, daß ſie auf der Stelle 
den morgenden Abend zur Ausfuͤhrung be⸗ 
ſtimmte. Es haͤngt alſo jetzt von Ihnen ab, 
derſelben Ihre Liebe zu mir, und ihre Ab⸗ 
ſichten auf meine Perſon ſo wahrſcheinlich zu 
machen, als Sie unſerm e gema fuͤr gut 


befinden.“ 


Mein Bruder erſchien um die ee 


Stunde. Er wurde in ein großes, durch den 


Schein eines einzigen Lichtes nur ſchwach er⸗ 
helltes Zimmer geführt, das in der Vertie⸗ 
fung ein Fenſter und noch eine Thuͤre hatte, 
die aber geſchloſſen war. Luiſe kam ihm bey 
dem Eintritt entgegen, und gab ihm durch 
einen Wink zu verſtehen, daß ſich Amaliens 
Mutter bereits in dem anſtoßenden Gemach 
befinde. Sogleich entſpann er ein Geſpraͤch, 
welches in kurzem zu dem verabredeten Zie⸗ 
le fuͤhrte. Das Mädchen unterſtuͤtzte ihn, 
fo viel die weibliche Deltcateffe erlaub⸗ 

f fe 


f 


C = 
te und fo wurde die Unterredung bald feu⸗ 
riger und trauter. O Luiſe! (rief er end⸗ 
lich mit allem Ausdruck eines begeiſterten 
Liebhabers) Sie haben eine Flamme in mie 
entzuͤndet, die mich verzehrt. Halten Sie 
nicht laͤnger ein Herz mit bloßen Hofnun⸗ 


gen hin, ein Herz, das fie anbethet, deſ⸗ 


ſen ausſchweifendſte Wuͤnſche ſich alle in 
dem einzigen vereinigen: fie zu beſitzen, 
und deſſen tobender Ungeſtuͤmm nicht laͤnger 
den Aufſchub eines Gluͤckes ertragen kann, 
das ihn zum Gott machen wird. Erlauben 
Sie, daß ich morgen ihre Mutter um ihre 


Hand bitte. „ Schwaͤrmer! (erwiederte 


das Maͤdchen) Und wenn ich es erlaube, 
und wenn ſie dieſe Hand erhalten (mein 
Bruder druͤckte ſie mit Heftigkeit an ſeine 
Lippen, indem er ſich vor ihr auf die Kniee 


warf) wie lange wird dieſe Schwaͤrmerey 


dauern, die jetzt alle ihre Empfindungen 

uͤberſpannt? Wer buͤrgt mir fuͤr ihre Treue, 

die Sie Amalten brachen. „ — Reden Sie 
D nicht 


( 5.) 

nicht fo! (rief er) Luiſe! Sie durchbohren 
mein Herz. Dieſe Amalie, von der Sie 
ſprechen, ich bekenne es, ſie war mir nicht 
gleichguͤltig, ihre Reitze haben meine Au⸗ 
gen geblendet, aber mehr war es nicht⸗ 
Geliebt? Ich kannte die Liebe nicht, als 
bis ich dich ſah Luiſe! Und endlich — 
was ſoll Amalien eine Treue, die ihr und 
mir nichts nuͤtzt? kann ich wider das Schick⸗ 
ſal kaͤmpfen, das meine Verbindung mit 
ihr unmoͤglich macht? „ 

„, Allmaͤchtiger Gott,, erſchallte es im 
Nebengemach, und zu gleicher Zeit geſchah 
ein Fall. Mein Bruder verblaßte, fuhr 
auf, rief zitternd „das iſt Amaliens Stim⸗ 
me, und drang zur verſchloſſenen Thuͤre 
mit der Miene ſie zu durchbrechen. Luiſe 
riß ihn zuruͤck. „ Haben Ste Ihr Verſpre⸗ 
chen ſchon vergeſſen? (ſagte ſie) wollen 
Sie wieber aufs neue alles verderben? „Die⸗ 
fer Schlag wirkte, fie benutzte den Augen 
blick, ſchob ihn flugs in ein Seitenkabinet, 

und 


7 


("83 .) 
und ſchloß von außen die Thuͤre ab. Nach 
einer geraumen Zeit kam fie mit der Nach⸗ 
richt zuruͤck: daß Amalie mit ihrer Mutter 
im Nebengemach am Fenſter gelauſcht und 
ploͤtzlich in Ohnmacht gefallen — Ama⸗ 
lie? rief mein Bruder und davon ſagten 
Sie mir nichts? — Aus zweyerley Urſachen 
(gab ſie zur Antwort) Erſtens geſchah es 
ohne mein Wiſſen, daß Amalie ihre Mut⸗ 
ter begleitete, und ſie fortzubringen, als 
ſie ſchon da war, ging nicht an. Zweytens: 
ſagte ich Ihnen von ihrer Gegenwart nichts, 
weil Sie dadurch uͤberraſcht Ihre Rolle ver> 
muthlich minder gut geſpielt haͤtten, als 
nach unferm Plane nothwendig war. „Iſt 
fie noch zugegen? , — Man hat ſie ſogleich 
nach Haufe gebracht (erwiederte Lulſe) 
„Aber warum fiel fie in Ohnmacht 2, — 
„Weiß ichs? Sie iſt eine Schwaͤrmerinn! 
vielleicht ſpielte ihr die Phantaſie einen 
Streich, und ſie nahm auf einen Augenblick 
die Scene, welche Taͤuſchung war, fuͤr 
D 2 Wirk⸗ 


4 
Wirklichkeit, und Ihre Worte für Ernſt. = 
Die Einbildungskraft, die, wie Sie wiſſen, 
bey Amallen ſehr lebhaft iſt, wirkte viel⸗ 
leicht auf ihre Nerven, und eine ploͤtzliche 
Ohnmacht war die Folge. Ich nehme jetzt 
dieſe Vielleicht als Erklaͤrung an, weil ich 

erſt morgen die wahre Urſache erfahren wer: 
i de.,, Mein Bruder ging in der entſetzlich⸗ 
ſten Unruhe nach Hauſe⸗ 

Was ich Ihnen bis hieher erzaͤhlet ha⸗ 
be, (ſagte der Graf, indem er aufſtand) 
iſt ein Auszug von meines Bruders, theils 
muͤndlichen theils ſchriftlichen Berichten, 
wovon ich die letzteren ſo oft las, daß ich 
ſie beynahe ganz auswendig weiß. Aber 
die Wendung, welche dieſe Geſchichte jetzt 
nimmt, ſollen ſie aus einem eigenhaͤndlgen 
Briefe deſſelben erfahren, den ich Ihnen 
morgen mittheilen werde. 
Ich empfieng des anbern Tages den 
. obenauf lag ein faſt unleferlicher 
Zettel 


. 


Zettel von der naͤhmlichen Hand. Hier iſt 
die Abſchrift von beyden. 


„Sie iſt todt! — du glaubſt es nicht? 
aber ſie iſt wahrhaftig todt — ich ſelbſt 
habe ſie geſehen. Es war tief um Mit⸗ 
ternacht, als ich ihr den letzten Beſuch 
am Sarge abſtattete. Mir ſtanden die 
Haare zu Berge, aber wenn du wuͤßteſt, 
was ſie geſprochen hat — Heute iſt ſie 
begraben worden. Ich war dabey zuge⸗ 
gen, mehr todt als lebendig. Aber jetzt 
bin ich ruhig. Nicht einmahl weinen kann 
ich. Wo ich hinſchaue, ſehe ich ſie. Sie 
hat mich ſehr lieb gehabt — aber ſie muß⸗ 
te ſterben, und ich begreiffe nicht, daß 
ich noch lebe. — Wo werde ich ſeyn, 
wenn du dieſe Zeilen lieſeſt! — 


„Was ich dir das letztemahl geſchrie⸗ 


„ ben habe, davon weiß ich kein Wort. 


„Eine 


(54) 

„Eline Art von Wahnſinn hatte ſich mei⸗ 
„ner bemaͤchtiget. Aber ſey ruhig Bru⸗ 
„der, dieſer ſchreckliche Zuſtand iſt voruͤ⸗ 
„ber, und ich kann jetzt wieder ruhig ſchla⸗ 
„fen. Das mag wohl daher kommen, weil 
9 ich ihren letzten Willen erfüllt habe. 

„Du weißt, daß Amalie nach dem letz⸗ 
», ten Vorfall ohnmaͤchtig nach Haufe ges 
„bracht wurde. Den andern Tag meldete 
„mir Luiſe, daß fie nicht, wie wir ver⸗ 
„ muthet hatten, über den Inhalt unferer 
„Unterredung ohnmaͤchtig geworden, ſon⸗ 


V 


„ dern zufaͤlliger Weile auf dem Tiſche, 


„ worauf fie mit ihrer Mutter ſtand: um 
uns am Fenſter zu belauſchen, ausgegleitet 
„ und eh' es jemand verhindern konnte, 
„ hinabgeſtuͤrzt wäre. Der Fall duͤrfte, 
„ wle der Arzt befuͤrchtet, eine Quet⸗ 
„ ſchung im Kopfe verurſachet haben, und 
„ von uͤbeln Folgen ſeyn, doch wären ges 
77 genwaͤrtig alle Hande beſchaͤftiget dieſe 
5 lu verhindern. „ ee keine Schil⸗ 
| Mm u, 


55.) 

„derung von dem Zuſtande, worein mich 
„ dieſe Nachricht verſetzte. 

In Jammer verſunken ſaß ich Abends 
„ ganz allein auf meinem Zimmer, ein ſtar⸗ 
„ kes Pochen an der Thuͤre ſtoͤrte mich auf. 
„ Wer iſts? rief ich unwillig „Ferdinand! 
„ wimmerte es von außen, dle Thuͤre 
„ huſchte auf, Niemand trat herein. Ein 
„Schauer der Ahndung durchbebte mein 
„ Sebein , die Stimme, welche meinen 
„Nahmen nannte, war Amaltens Stimme, 
„ id) flog mit dem Licht der Thüre zu. 
„Niemand war an der Schwelle, auch 
„draußen Niemand. Ich ſtuͤrmte die Trep⸗ 
„pe hinab, ſah rund umher, keine menſch⸗ 
„liche Geſtalt begegnete mir. Jetzt beſann 
„ich mich erſt, daß es vergebliche Mühe 
„ waͤre, Amalten, die krank zu Haufe liegt, 
„hier zu ſuchen; aber in eben dem Augen⸗ 
„blick entwickelte ſich in mir ein Gedanke, 
„der mich mit Entſetzen erfüllte, Ich eil 
„te nach Lutſens Wohnung, fie kam mir 


„% ver 


nun m" 
P Te ee 


= 
n 


29. 


40 


686 


verwirrt und zitternd enkgegen: Ach! 


(ſeufzte ſie und verbarg ihr Geſicht) Ama⸗ 
lie iſt ſehr krank! — „Sie iſt todt! , 
ſchrie ich außer Faſſung. „Allmaͤchtiger 
Gott! (ſagte fie) Sie wiſſen alſo ſchon — „ 
Jetzt war es heraus, was ich bloß vers 
muthet hatte, ich ſank ohnmaͤchtig nieder. 

„Als ich wieder die Augen aufſchlug⸗ 
fand ich Lulſen und ihre Mutter um 
mich befchäftiget. Mein erſter Laut war: 
Amalie! Sie ſagten mir: Man habe ſie 
£odt im Bette angetroffen. Auf die Fra⸗ 
ge, wie ich mich befinde, war meine Ant⸗ 
wort: Stark genug ‚um die Todte zu ſe⸗ 
hen. Ich bemerkte, daß man über mei⸗ 
ne Aeußerung erſchrack. Die Mutter nahm 
zuerſt das Wort: „Sie ſollen ſie ſehen, 
aber nicht jetzt. Wenn ich auch auf Ih⸗ 
ren eigenen Zuſtand keine Ruͤckſicht neh⸗ 
men wollte, ſo wuͤrde ich es dennoch zu 
verhindern trachten. Bedenken Sie die 
Need worein biefer ploͤtzliche To⸗ 

17 besfal 


1 


(Br > 

27 desfall das Haus verſetzt. Und wle koͤn⸗ 
„ nen Sie es wagen, der Mutter unter 
„ ſolchen Umſtaͤnden vor die Augen zu tre⸗ 
„ten? wie duͤrfen Sie hoffen, eingelaſſen 
„ zu werden? „ | 

„Sie verſprach mir, die Todtenwaͤchterinn 
zu beſtechen, und wenn alles im Haufe ruhig 
„ waͤre, mir durch fie Eingang zu verſchaf⸗ 
„ fen. Es ward beſchloſſen, daß gegen 
„ Mitternacht ihr Mann vor meine Woh- 
„nung kommen wuͤrde, dem ich auf ein 
„ verabredetes Zeichen folgen ſollte. Luiſens 
„ Mutter hielt Wort. Mit dem Schlage halb 
„ zwoͤlf erſchien ein Vermummter unter 
meinem Fenſter. Ich ſteckte eine gelade⸗ 
„ ne Piſtole zu mir, und machte 58 mit 


„ ihm auf den Weg. 


„ Finſter, wie mein Gemuͤth, war die 


2 Nacht. Nur hier und da flimmerten an 


„dem ſchwarzen Gewoͤlbe einzelne Ster⸗ 


„ene, wie Todtenlampen in Gruͤften. Eine 


5 ſchauerliche Sti ihr durch kein Luͤftchen uns 
72 ter⸗ 


| (58) 
„ terbrochen, lag über der Erde verbreitet. 
„ Auch in meiner Seele war Ruhe, aber 
„ ſie glich jener ſchrecklichen Ruhe, die 
„Nachts in einer Feſtung herrſcht, welche 
„ am Morgen mit Sturm übergehen ſoll. 
„ Ein folder Gemuͤthszuſtand leidet keine 
„ Beſchreibung. 

„Ich gelangte mit meinem Begleiter 
„ ſchweigend und unbemerkt zu Amaliens 
„ Haufe; er öffnete leiſe das Thor, und 
„ leitete mich die Treppe hinauf. Die Waͤch⸗ 
„ terinn, welche oben an der Schwelle mei⸗ 
„ ner harrte, ergriff meine Hand. Durch 
„ zwey finſtere Zimmer ward ich gefuͤhrt. 
„ Als die dritte Thuͤre aufging, wehte mich 
„ Leichengeruch an; hier war das Zimmer, 
„ wo Amalie lag. 2 

„Sechs Wachslichter brannten um 
„ den Sarg: worin ſie, mit einem weißen 
„Tuch bedeckt ruhte. Meine Führerinn 
„ winkte mir, näher zu treten und ſchlug 
„das Tuch zuruͤck. Dieſer Anblick verſetzte 

„ mich 


m) 

„ mich aus der tiefſten Erſtarrung "In eine 
„ fuͤrchterliche Bewegung. Amalie lag da 
„ wie eine Nonne gekleidet, ein Crueiſix 
„in der Hand, ihr Geſicht war durch kei⸗ 
„ ne Verzerrung entſtellt, ihr Mund ſchten 
„ zu laͤcheln. Amalie! rief ich in der hef⸗ 
„tigſten Aufwallung, und warf mich über 
„ fie hin. Aber das Weib riß mich su: 
, ruͤck, ſtuͤrzte zu meinen Fuͤſſen und bath 
„mich um Gotteswillen, fie durch mei⸗ 
„nen Ungeſtuͤmm nicht zu verrathen. Ich 
„ verſprach ihr ruhig zu ſeyn und wandelte 
„ haͤnderingend im Zimmer auf und nieder. 

„ Unterdeſſen ging der erſte heftigſte 
„Aufruhr in meiner Seele vorüber, und 
„ ließ der Erinnerung an einen Entſchluß 
„ Platz, vor deſſen Entdeckung du ſchau⸗ 
„dern wirſt. Ich fuͤhlte mich unfaͤhig oh⸗ 
„ne Amalie zu leben, und dieß hatte mich 
„ zu dem Entſchluſſe beſtimmt, mir an ih: 
„ rer Seite den Tod zu geben. Deßwegen 
„hatte ich die geladene Piſtole zu mir ge⸗ 

„ſteckt 


(se ) 

„ ſteckt, deßwegen hatte ich zu Haufe alle 
„ meine Sachen in Ordnung gebracht. Jetzt 
„ wollte ich nur noch ein paar Zeilen an Ama⸗ 
„ liens Mutter ſchreiben, und dann zur 
», Ausführung meines Vorhabens ſchreiten, 
„ öweil ich bey längerem Aufſchub durch ir⸗ 
„ gend einen Zufall daran gehindert zu wer⸗ 
den fuͤrchtete. Ich bedeutete der Waͤch⸗ 
2, terinn, die Todte mit dem Leichentuch zu 
„bedecken, druͤckte ihr ein Goldſtuͤck in die 
„ Hand und bath fie, in dem anſtoſſenden 
, Zimmer ſich fo lang entfernt zu halten, 
„ bis ich fie zuruͤckrufen würde. Das Gold 
5 und meine ſcheinbare Ruhe machten ſie 
7 folgſam. Sobald ich allein war, eilte 
„ich, zur Vollendung meines Entſchlußes 
„ mich anzuſchicken. | 

„Aber ſo mein Bruder! über uns wal⸗ 
z, tet eine höhere Macht, deren Sklaven 
g, wir find, wenn wir uns ſchon Herren 
„ unſers Schickſals duͤnken. Höre eine Be⸗ 
77 e die alle deine Faßungskraft 

„% weit 


= 


(.bi ) 
„ weit uͤberſteigt, deren bloßes Andenken 
„ meinen Geiſt ſchwindeln macht, und mich 
„ bis ins innerſte erſchuͤttert. 

„Schon hatte ich jene Zeilen an die Mut⸗ 
„ ter auf einen Tiſch hingelegt, ſchon war ich 
„ zum Tode bereitet, und eben wollte ich die 
„ Piſtole in der Hand, mich der Verſtorbenen 
„ nähern, als ploͤtzlich der Sarg bebte, die 
„Bretter krachten, das Leichentuch ſich be⸗ 
„ wegte. Erſchrocken fand ich ſtill. — „Fer⸗ 
„dinand! ſchallte es aus dem Sarge und zu 
„ gleicher Zeit richtete ſich Amalie empor. 


„Ihre Wangen blieben todtenblaß wie vor— 


„her, ihre Lippen blau, ihre Augen ſtarr, 
„ihre Haͤnde blieben gefaltet, und hielten 
„das Crucifir. Staunen und Entſetzen 
„hatten meine Fuͤſſe an Boden feſtgewur⸗ 


zelt, zu Eis ſtarrte mein Blut. „Fer⸗ 


„ dinand! (redete fie mit dumpfer Stim⸗ 

„me mich an) fuͤrchte dich nicht. Mein 

„ Geiſt durfte noch einmahl in feine ver⸗ 
3 „, laſſene 


(2, 
laſſene Huͤlle zuruͤckkehren um Abſchled 
„ von dir zu nehmen. Unſere Liebe war 
, nicht für dieſe Erde. Verlaß die Welt 
„ und harre in einem Kloſter des Stuͤnd⸗ 
„ leins, bas uns bald unaufloͤslich vereint 
„ gen wird. „ Sobald fie dieſes geſagt 
„ hatte, ſchloß fie Augen und Mund, und 
„ fiel wieder leblos in den Sarg zuruͤck. 
„Die Waͤchterinn, welche zur Thuͤre 
„ hereinſtuͤrzte, weckte mich aus der Erſtar⸗ 
„ rung, worein mich dieſer Auftritt verſetzte⸗ 
„ Sie blickte ſchuͤchtern im Zimmer umher, 
75 und als ihre Augen auf mich fielen, trat fie 
„ erſchrocken zuruͤck. Ich muß wie ein Ster⸗ 
„ bender ausgeſehen haben. „Jeſus Maria! 
„ was iſt Ihnen? (ſagte fie) Ich habe je⸗ 
„ mand in dieſem Zimmer ſprechen hoͤren? — 
„Nichts! nichts! (erwiederte ich, indem 
„eich mir den Angſſchweiß von der Stirn 
u „ wiſchte) Ich habe nur mit mir ſelbſt geſpro⸗ 
„„ chen. „ Da ich wahrnahm, daß fie mei⸗ 
„, nen Worten nicht glaubte, ſo entfernte 
/ „ ich 


» 


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1 


77 


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„ | 
ich mich, um allen fernern Fragen aus⸗ 
zuweichen. 

„ Fruͤh um neun Uhr ward Amalie bes 
graben. Ich wankte in einiger Entfer- 
nung hinter dem Leichenzug her, und erſt 
jetzt fiengen meine Thraͤnen zu flieſſen an. 
In wuͤthender Ergießung erleichterte ſich 
mein Herz, das bisher ſtummer zermal⸗ 
mender Schmerz zuſammenpreßte. Ich 
folgte dem Zuge blos in die Kirche der 
*biten, in deren Gruft Amalie beygeſetzt 
wurde. Waͤhrend der Leicheneeremonie 
ſtieg in mir einigemahl der Gedanke auf, 
daß ich bloß einen ſchrecklichen Traum 
träume. Aber als die Leichentraͤger den 
Sarg anfaßten, um ihn in die Gruft zu 
verſenken, erwachte ich mit einemmahl 
zu einem Gefuͤhl, das nur in der Todes⸗ 
ſtunde wiederhohlt werden kann. Wie 
mir in dieſem Augenblicke der Trennung 
war, ſo wird mir einſt ſeyn, wenn mei⸗ 
ne Seele vom Körper ſcheidet. — Un⸗ 

„ will⸗ 


od 

55 willkuͤhrlich ſtreckte ich meine zitternden 
„„ Arme nach dem Sarge aus, — er ver: 
, ſank. Ich glaubte mit ihm zu verſinken. — 
„ Drey Stunden waren ſchon nach dem 

„ Begraͤbniß verfloſſen, ich fand noch im⸗ 
„ämer auf dem alten Platze. Unmoͤglich 
„ uſchien es mir, einen Ort zu verlaffen, wo 
, alle meine Hoffnungen begraben lagen⸗ 
„ Doch endlich erinnerte der Schlieſſer, daß es 
„Zeit wäre die Kirche zu ſperren, und da 
„ half kein Widerſtreben. Ich wanderte aus 
„der Kirche in den Kreutzgang und von die⸗ 
„ ſem gerieth ich in das Kloſter. Da fielen 
„ mir ploͤtzlich Amallens Worte ein: „Ver⸗ 
„late die Welt und harre in einem Kloſter 
„deines Stuͤndleins,, Auf der Stelle war 
„der Entſchluß gefaßt hier das Ordenskleid 
„ zu nehmen. Ich freute mich über die Ger 
„ legenheit Amallens letzten Willen an eis 
„ nem Ort erfuͤllen zu koͤnnen, an den ich 
„ mich ſeit ihrem Begräbnig ſo maͤchtig an⸗ 
„gezogen fühlte. 


> 


> 


ES 


„ Mein 


W 
„ Mein Zweck iſt nun erreicht, denn 
„ am ſiebenten Tage ward ich in den Orden 
„ aufgenommen. 

„Aus dem Kloſter alſo erhaͤltſt du die⸗ 
„ fen Brief. Ich bitte dich, mich nicht mit 
„Vorwuͤrfen über den Schritt, den ich ges 
„ than habe, zu quälen, da fie ohnehin frucht⸗ 
jr 108 wären. Ich finde inner dieſen Maus 
„dern eine Beruhigung, die mir die Welt 
„nicht geben kann. „ 

Der Inhalt dieſes Briefes (ſagte ich 
nachdem ich ihn zweymahl durchleſen hatte, 
zu dem Grafen) iſt zum Theil eben ſo ſchreck⸗ 
lich als unglaublich. Die Scene mit Ama⸗ 
lien im Sarge erinnert mich an eine ähnli⸗ 
che, wovon mir Pileski Nachricht gab. 

„ieſe Nachricht war erdichtet, und 
Pileski ein Betruͤger. Ich will doch hoffen, 
daß Sie von meinem Bruder und ſeinem 
Berichte nicht ein gleiches denken? „ 

„Gott behuͤte! — aber — koͤnnte ihren 
Bruder nicht ein Traum geaͤffet haben — 

S % Das 


(6) 


„Daß dieſes der Fall nicht iſt, ſollte 
doch ſchon aus den beygefuͤgten Umſtaͤnden 
einleuchten — 

„„Die Begebenheit hätte nn. 1015 wirk⸗ 
lich zugetragen? 

„Genau fo, wie fie mein Bilder er⸗ | 
zaͤhlte. 70 

„Verzeihen Sie Graf! Ich halte Ihr 
Wort in Ehren, aber — auch meine Ver⸗ 
nunft. Ich kann nicht dafür, daß bier bey 
de in eine Colliſion kommen, die — 

„Sich heben wird, wenn Sie die Fort⸗ 
ſetzung der Geſchichte hoͤren wollen. „ 

Ich brannte vor Begierde, der Graf 
fuhr in ſeiner Erzaͤhlung fort: 
„„Der Inhalt dieſes Briefes ſetzte mich 
zum Thell nicht minder in Erſtaunen als 
Sie. Unertraͤglich aber war es mir, mei⸗ 
nen Bruder im Kloſter zu wiſſen. Unter⸗ 
deſſen, weil ich nicht hoffen konnte, in der 
Stimmung, worin er ſich jetzt befand, ihn 
auf vernuͤnftigere Gedanken zu bringen, hat⸗ 

te 


„ 

te ich beſchloſſen ein halbes Jahr vorbey ge⸗ 
hen zu laſſen, in der Meinung, daß bis da⸗ 
hin der Abſcheu, den er von feher gegen 
das Kloſterleben hegte, wieder erwachen 
und ihn geneigter machen wuͤrde, meinen 
Vorſtellungen Gehoͤr zu geben. Allein zwey 
Monathe vor der Zeit, wo ich ihm einen 
Beſuch in der eben bemeldten Abſicht zuge 
dacht hatte, war ich ſo gluͤcklich, eine Be⸗ 
kanntſchaft zu machen, die ſeinem Schickſale 
eine Wendung gab, welche meine kuͤhnſten 
Hoffnungen welt uͤberſtieg. 

Als ich eines Abends im Theater ſo 
eben einſchlummern wollte, erweckte mich 
in der Loge, die an die meinige ſtleß, eln 


Geraͤuſch, das meine Augen dahin zog. 


Ein Mann von mittlerer Länge in einem 
blauen Mantel verhuͤllt, den Hut tlef im 


Geſicht, trat herein, und ſetzte ſich mir ge⸗ 


genuͤber. Mit einer ungemeinen Schnelllg⸗ 
keit durchliefen ſeine Augen alle Gegenden 


des Theaters — plotzlich ſtanden fie fill, 


2 hin⸗ 


| (68 ) 
hingen einige Zeit forſchend und unverwandt 
an dem Gegenſtande, den fie geſucht und 
nun gefunden hatten. Bald darauf brach⸗ 
te er ein Miniaturgemaͤhlde unter dem Man⸗ 
tel hervor, das er mit derſelben Perſon - 
es war der Herzog von Or“ — zu verglei⸗ 
chen ſchien. Aber auf eine Bewegung, die 
dieſer machte, ſetzte ſich mein Nachbar tle⸗ 
fer in die Loge zuruͤck, wo ihn die Entfer⸗ 
nung und der Schatten fuͤr die uͤbrigen Zu⸗ 
ſchauer unkenntlich machte. Jetzt erſt ſchlug 
er ſeinen Mankel auseinander, nahm den 
Hut ab, und ließ mich ein Geſicht ſehen, 
das mich auf eine unbeſchretbliche Art über- 
raſchte. Ich habe viele Menſchen geſehen, 
aber nie ein ähnliches Geſicht. Solche Ein⸗ 
fachheit und ſolche Groͤße, ſo viel Geheimniß⸗ 
volles bey ſo vieler Offenheit! — Diefe koͤnig⸗ 
liche ſtarkgewoͤlbte Stirne, die geraumen 
Sitz hat für tauſend ſich kreutzende, ver- 
worfene und wieder ergriffene Anſchlaͤge — 
dieſes reingeſchllffene, unmerklich zuſinken⸗ 
b . de 


. 


a cr 2 
de Auge, mit dem leicht und ſchnell auffaf- 
ſenden, durchblickenden Blick, — die Naſe, 
welche alles von fern zu wittern ſcheint, 
was fuͤr und wider ihn iſt, — dieſer ver⸗ 


ſchlieſſende und verſchloſſene Mund — dieſes 


rund vorſtehende Kinn voll ſtolzer Kraft — 
alles, alles zeigte nach meinen geringen phy⸗ 


ſiognomiſchen Einfihten den Mann, dem 


es angeboren iſt, im ſtillen zu herrſchen und 
zu wirken, und weit und tief zu wirken 
durch Stille. Doch dieſe Schilderung iſt 
nur hoͤchſt unvollſtaͤndig, iſt bloß grober Um⸗ 
riß, der durch die uͤbrigen Geſichtszuͤge erſt 


Eigenheit und Intereſſe bekommt. Auf ſei⸗ 


ner Stirne war keine Spur von Freude, 
noch von Traurigkelt. Eine harmloſe Unbe⸗ 
fangenheit lag um die Augen herum. Der 
Mund war eben ſo rein von Haß als frey 
von Liebe. Zutraulichkeit ging nicht von 
dieſem Geſichte aus, und dennoch ſchien die 
ruhige, ſtille Tiefe der Phyſognomte mich in 
ſich hinabzuziehen. Nur zuweilen ward mir 

a an 


(7) 


an ihm ein Blitz innerer Bewegung ſichtbar, 


der mich zuruͤckſcheuchte. Seine blaſſe Far⸗ 


be erhöhte den ſonderbaren Eindruck, den 
diefe Geſichtsbildung auf mich machte. — 


„Was iſt das? (rief ich auf) Sie 
zeichnen ja das Portrait unſers Irlaͤnders 


fo lebendig, als ob ich ihn vor mir ſähe. 
„Wie? des Irlaͤnders? 
„Den langen weißen Bart wesgerech⸗ 
net — kann es wahrhaftig kein Menſchen⸗ 
geſicht geben, das zu Ihrer Copie beſſer 


paßte, als das Geſicht dieſes Mannes. 


„„Ich waͤre des Todes, wenn In ih⸗ 
re Behauptung beſtaͤtigte. „ 
„Das muͤſſen Sie am beſten eutſchelben 


koͤnnen, Ste haben ja ſelbſt ihn geſehen, als 9 


Sie ihn gefangen nahmen. „, 

„ Aber zu welcher Zeit? Nachts, beym 
Schein der Fakeln, und in einer Vermum⸗ 
mung, hinter der ich meinen Mann nim⸗ 
mermehr geſucht haͤtte, wenn ich auch in 


der Stimmung, worin ich mich damahls 


be⸗ 


(78) 
befand, fähig geweſen wäre. feine Geſichts⸗ 
zuͤge ſchaͤrfer zu beobachten. „ 

„ Was haben Sie gethan! 

„Durch Ihres Hofmeiſters unguͤnſtige 
Meinung von dem Unbekannten, und durch 
des Magiſtratraths Erzaͤhlung angetrieben 
hab ich einen Menſchen verhaften laſſen, 
dem Amalie und mein Bruder ihr Gluͤck zu 
danken hatten. 

„Graf! beſinnen Sie ſich. ,, 

„ Wenn es wahr iſt, daß der Selän- 
der und der Mann, von dem ich vorhin er» 
zaͤhlte, die naͤhmliche Perſon iſt, ſo ſehen 
Sie in mir einen der erſten Undankbaren, 
die je die Erde getragen hat. „ 

„Ich erſtaune, aber noch begrelffe ich 
Sie nicht. „ 

„ So hören Sie die Fortſetzung mel⸗ 
ner Erzählung: 

„Jener ſonderbare Menſch, den Ste 
fuͤr den Irlaͤnder halten, ſchien an dem 


Schauspiele gar keinen Antheil zu nehmen: 
i 6 | Er 


0 r 

Er zog ein Packet erbrochener Brlefe her⸗ 
vor, wovon er einen nach dem andern durch⸗ 
las. Als er damit zu Ende war, und ge: 
wahr wurde, daß mein Blick beſtaͤndig auf 
ihm ruhe, faßte er mir ſchaͤrfer ins Auge. 
Ich bemerkte ſogleich, daß ich ſeine Auf⸗ 
merkſamkeit erregt hatte, und weil ich gern 
die Urſache davon erfahren wollte, ſo ſuch⸗ 
te ich mit ihm ein Geſpraͤch anzubinden. 
Ich erſtaunte nicht wenig, da ich auf die 
Frage, wie ihm das Schauſpiel gefiele, ein 
eben ſo kurzes als gruͤndliches Urtheil nicht 
nur uͤber das Stuͤck, ſondern auch uͤber je⸗ 
den Schauſpieler insbeſondere bernahm. 
Noch hoͤher ſtleg mein Erſtaunen, als er 
mich bey meinem Nahmen nannte, und 
fragte, ob ich von meinem Bruder aus 
dem Kloſter der **iten zu ſchon lan⸗ 
ge keine Nachricht hätte. Da ich aus dieſer 
Frage ſchloß, daß er denſelben näher ken⸗ 
ne, ſo nahm ich keinen Anſtand ihm deſſen 
ganze Geſchichte ausführlich zu erzählen. — 

5 Er 


m 


733) 
Er horchte ſehr aufmerffam zu. Als ich 


die Erzaͤhlung geendiget hatte, ſah er eine 


Weile ſtarr vor ſich hin, und ſchien in tie⸗ 
fen Gedanken verloren. Ploͤtzlich faßte er 
mich bey der Hand, und ſagte: Kommen 
Ste morgen wieder an dieſen Ort, Ihr 
Bruder ſoll noch gluͤcklich werden. Mit die⸗ 
ſen Worten verließ er die Loge. 

Urtheilen Sie ſelbſt, wie mich das alles 
uberraſchte! — Mit ſolcher Ungeduld hatte 
ich noch nie den folgenden Tag erwartet. — 
Lange vor dem Anfang des Schaufpteleg 
ſaß ich ſchon im Theater. Aber meine Neus 
gierde wurde auf die Folter geſpannt. 
Erſt bey dem Schluße des Stuͤckes erſchien 
er in meiner Loge. „Es iſt unumgänglich 
nothwendig (ſagte er) daß Ste den zu ih⸗ 
rer Reiſe nach dem Kloſter geſetzten Termin 
verkuͤrzen. Kuͤnftige Woche muͤſſen Sie rei⸗ 


fen. Gleich bey ihrer Ankunft eilen Sie 


zu dem Provinzial des Kloſters und geben 
ihm dieſen aefienelten Zettel. Das welter e 
werden 


Ca) 

werden Sie von ihm hören. „Sobald er 
mir dieſen Auftrag ertheilet hatte, entfern⸗ 
te er ſich, ohne meinen Dank oder meine 
Antwort abzuwarten, und ich bekam ihn, 
trotz meiner Bemuͤhungen, nie an zu 
Geſichte. 

Wer iſt dieſer Menſch? (ſagte en zu 

mir ſelbſt) woher kennt er mich? was hat 

ihn beſtimmt ſich fuͤr meinen Bruder zu ver⸗ 
wenden, und wie mag er mit folder Ge⸗ 
wißheit behaupten, daß derſelbe noch gluͤck⸗ 
lich werden ſoll? Kann er im Buche des 
Schickſals leſen, oder Todte zum Leben er⸗ 
wecken? denn ohne Amalle wird mein Brus 
der nie glücklich ſeyn. — Alles dieſes war 
mir ein unaufloͤsliches Raͤthſel. 
f Die folgende Woche reiſte ich ab. Hoff⸗ 

nung und Furcht: wie ſich dieſes Geheimniß 
entwickeln ſoll, waren wechſelweiſe meine 
Begleiter. Gleich nach meiner Ankunft be⸗ 
gab ich mich zum Provinzial des Kloſters, 
und haͤndigte ihm den geſiegelten Zettel ein. 
1 Sie 


rg 6) 

Ste find alfo der Bruder des Grafen C— -l 2 
Cfagte er freundlich, nachdem er den Zettel 
geleſen hatte.) Auf meine Bejahung fragte 
er mich, ob ich meinen Bruder ſchon geſehen 
und geſprochen haͤtte. Als ich es verneinte, 
fuhr er fort: „Ich wuͤnſche, daß Sie noch 
die Veranlaſſung Ihrer Reiſe vor ihm geheim 
halten, Sie werden beym Ausgange der 
Sache elnſehen, warum ich dieſes wuͤnſche⸗ 
Jetzt gehen Sie ihn zu umarmen und ihm zu 
ſagen, daß er nach Verlauf einer halben 
Stunde zu mir komme.“ Er begleitete mich 
bis in den Gang, wo ich ihm noch verfpres 
chen mußte, in dem Kl W meinen Aufent⸗ 
halt zu nehmen. 

Nun eilte ich zu meinem Bruder; aber 
— Gott! wie fand ich ihn! Abgezehrt, in 
ſich verſchloſſen, geſchieden von jeder Freude 
dieſer Welt, und feſt beſtimmt den Orden 
nicht zu derlaſſen. Mein Herz blutete, und 
meine Troſtgruͤnde fielen in taube Ohren. — 
Als er vom Provinzial zuruͤckkam, erzaͤhlte 

er 


Kae N. 
er mir, daß er den Auftrag erhalten habe 
morgen nach dem Kloſter der Urſulinerinnen 
in ** zu reifen, und allda zwey Briefe, — 
einen an die Aebtiſſin, den andern an die 
Schweſter Seraphine Albaroſſt eigenhaͤndig 
abzugeben. Der Provinzial will — fuͤgte er 
hinzu — daß ich die Reiſe in deiner und des 
Pater Eugens Geſellſchaft mache. Aber (ſag⸗ 
te ich) wozu dieſe Reife? — Das dürfen wir 
nicht fragen, gab er zur Antwort. 

Noch war mir alles ein undurchdringli⸗ 
ches Geheimniß. Wir fuhren des anderen 
Tages ab, und kamen Abends in dem Dorfe 
an, wo wie in einer kleinen Entfernung 
zwiſchen zwey Reihen von Tannenbaͤumen, 
das Nonnenkloſter auf einer Anhoͤhe erblick⸗ 
ten. Die Sonne ſank ſo eben unter die Ber⸗ 
ge, und vergoldete mit ihren letzten Strah⸗ 
len die Kuppel des Kloſters, die ſtolz uͤber 
die Baͤume emporragte. Ernſt und ruhig 
wie der Eingang in ein Heiligthum war die 
Gegend, nur vom Thurm toͤnte ein Gloͤck⸗ 

f b chen. 


6 


chen. Es war das Zeichen zur Veſper. Pa- 
ter Eugen beſtand darauf dieſelbe in der Kir- 
che abzuwarten, weil die Nonnen waͤhrend 
dieſer Zelt nicht zu ſprechen waͤren. Wir 
hatten uns kaum dahin verfuͤgt, als die Ve⸗ 
ſper begann. Sie ward in der Emporkirche 
von Nonnen geſungen, die aber durch enge 
Gitter unſern Blicken entzogen wurden. Auf 
einmahl intonirte unter den Chorſaͤngerinnen 
eine reitzende mir bekannte Stimme, und in 
eben dem Augenblicke ſah ich meinen Bruder 
bis in die Lippen verblaſſen. „Das iſt 
Amalie! “ war alles, was er hervorbrachte. 

Ich ſagte das naͤhmliche. Pater Eugen ſchien 
darauf nicht zu merken; die vorige Stimme 
ließ ſich abermahl hören. Langer konnte 
ſich mein Bruder nicht halten, er ſprang 
auf, und theilte ſeine Meinung dem Pater 
mit. Ein mitleidiges Lächeln, und die Bes 
merkung: „ daß Todte nicht zu fingen pfle⸗ 
gen“ war feine Antwort. Dieß ſchlen 
5 meinen Bruder zu wirken. Er verſank in 

fine 


| 0.78.) 
feine vorige Duͤſterheit; aber fo oft jene 
Stimme erklang, ſah ich deutlich den Kampf, 
der in ſeiner Seele vorging. Ich ſelbſt wuß⸗ 
te nicht, was ich von der Sache halten ſollte. 
Nach geendigter Veſper ließen wir uns 
bey der Aebtiſſin melden. Sie erwartete uns 
im Sprachzimmer. Ein ſchoͤues Weib, bey 
vierzig Jahren. Der ſtille Gram, welcher um 
ihre Augen ſchwebte, wurde durch einen lie⸗ 
benswuͤrdigen Zug der Freundlichkeit um ih⸗ 
re Lippen gemildert. Wuͤrde und Beſchei⸗ 
denheit waren in ihrem Betragen auf die 
ſchoͤnſte Weiſe verbunden. Als ihr mein 
Bruder ſagte, wer ich waͤre, hieß ſie mich 
in ſehr verbindlichen Ausdruͤcken willkommen. 
Auf die Frage, welches Geſchaͤft die ehrwuͤr⸗ 
digen Herren in dieſes Kloſter führe, über> 
gab ihr mein Bruder den Brief. Mir ent 
gingen die oͤftern Blicke nicht, welche ſie 
waͤhrend dem Leſen auf denſelben warf. Wie 
ſie fertig war, bedeutete er ihr, daß er 
noch einen Brief in die Haͤnde der Se⸗ 
ü raphi⸗ 


E79: 3) 


taphine Albaroſſi abzuliefern habe; aber die 
Aebtiſſin bat, mit dieſer Beſtellung bis Mor⸗ 
gen früh zu warten, weil die Ordensregeln 
auf keine Weiſe erlaubten, eine Nonne nach 
der Veſper zu ſprechen. 

Wir hatten ſchon Abſchied genommen, 
als mein Bruder nochmahl zuruͤckkehrte. 
„ Ehrwuͤrdige Frau! Cfagte er) ich kaͤmpfe 
ſeit der Veſper mit einem Zweifel, den eine 
Stimme, die ich zuvor unter den Chorfäns 
gerinnen hoͤrte, in mir erweckt hat. Iſt nicht 
vor einigen Monathen eine gewiſſe Amalie 
von * in Ihren Orden aufgenommen wor— 
den? “ Ich kenne alle Rahmen der Ordens— 
ſchweſtern, (erwiederte die Aebtiſſin nach ei⸗ 
nigem Nachdenken) aber ich verſichere Sie, 
es iſt keine dieſes Nahmens aufgenommen 
worden. — 

„Wie konnte ich auch eine fo thoͤrichte Fra⸗ 
ge thun! ( ſagte mein Bruder, als wir weg⸗ 
gingen) ich haͤtte wohl in voraus uͤberzeugt 
ſeyn ſollen, daß ein Maͤdchen, welches ich 

ſelbſt 


u 
ſelbſt begraben ſah, nicht in ein Nonnenklo⸗ 
ſter gehen wird. — Aber warum mußte ich 
jene Stimme hoͤren, die mir den Kopf ver⸗ 
ruͤckte!“ — 

Als wir des 9 Morgens auf dem 
Wege nach dem Kloſter waren, bemerkte ich, 
daß ein Mann, der in Bildung und im An⸗ 
zuge ganz demjenigen glich, mit dem ich im 8 
Theater Bekanntſchaft machte, haſtig aus 
der Pforte trat, und um die Ecke des Klo: 
ſters hinwegeilte. Da aber die Entfernung 
zu groß war, um ſeine Geſichtszuͤge unter⸗ 
ſcheiden zu koͤnnen, ſo getraue ich mir nicht 
zu behaupten, ob melne Vermuthung richtig 
iſt. So viel iſt jedoch gewiß, daß ich dieſen 
Vorfall fuͤr eine guͤnſtige Vorbedeutung hielt, 
die meinen ſinkenden Muth belebte, ob ich 
gleich keine Moͤglichkeit eines glücklichen Aus⸗ 
ganges der Sache einſah. 

Sobald wir im Kloſter angekommen wa⸗ 
ren, führte man uns ins Sprachzimmer. 
Die Aebtiſſin erſchien. », Sie wollen Sera⸗ 

phi⸗ 


( 5 

phinen ſprechen? Sogleich! “ fagte fie zu 
meinem Bruder, und entfernte ſich. Nach 
einigen Augenblicken trat fie mit einer Non⸗ 
ne an der Hand herein, deren Geſicht mit 
dem Schleyer bedeckt war. Mein Bruder 
wollte ſich ihr eben mit dem Briefe naͤhern, 
da gab die Aebtiſſin einen Wink, die Nonne 
ſchlug den Schleyer zuruͤck, und — mein 
Bruder lag ohnmaͤchtig in meinen Armen. 

O Armuth der menſchlichen Sprache! du 
wirſt nie lebhafter gefuͤhlt, als wenn man 
Auftritte ſolcher Art ſchildern will. Verge⸗ 
bens wuͤrde ich mich quälen, Ihnen durch 
Worte einen Begriff von den Empfindungen 
zu geben, die mich in dem Augenblick beſtuͤrm⸗ 
ten, als ich der Nonne ins Geſicht ſah. 
Schließen Sie daraus, was mein Bruder 
fuͤhlen mußte, da er in ihr — ſeine fuͤr todt 
gehaltene Amalie wieder fand. 

Selbſt dann, nachdem er ſich von der 
Ohnmacht erholt hatte, merkte ich aus ſei⸗ 
nen Mlenen, Bewegungen, und abgebroches 
5 nen 


| (83 
nen Worten, daß er die ganze Sache für. ein 
Spiel feiner Phantaſie, oder für eine Er⸗ 
ſcheinung hlelt. Er war einer zweyten Ohn⸗ 
macht nahe, da die Aebtiſſin Amalien in feine 
Arme fuͤhrte, und ihn werkthaͤtig uͤberzeug⸗ 
te, daß alles Wirklichkeit ſey. 

Pater Eugen und die Domina waren ſo 
gefällig ſich zu entfernen, und mich allein zum 
Zeugen der erſten Herzensergießungen dieſes 
gluͤcklichen Paares zu hinterlaſſen. Aber wel⸗ | 
ches Erſtaunen ergriff meinen Bruder und 
mich, als der erſtere Amalien mit dem voll⸗ 
kom̃enſten Entzuͤcken des Wiederſehens in ſeine 
Arme ſchließen wollte, und ſie ihn mit kalter 
Verachtung zuruͤckſtleß. Hinweg Meineidi⸗ 
ger! Crief fie) find Sie hieher gekommen 
mit mir Ihren Spott zu treiben? — Starr 

und ſprachlos ſtand mein Bruder, mit der 
Mlene eines Menſchen, der ſich zum gluͤck⸗ 
lichſten Sterblichen der Erde geträumt hat; 
und beym Erwachen in einem ſchrecklichen 
Kerker ſich findet. Da ich ſah, daß er in 
ſei⸗ 


| 
| 


| 
| 


2 (83: ) 
ſelner Stellung verharrte ohne einen Laut 


von ſich zu geben, ſo nahm ich das Wort: 


Verzeihung Fraͤulein! daß ich mich in ihre 
Angelegenheiten miſche. Aber unmoͤglich kann 
es mir gleichguͤltig ſeyn, daß Sie meinen 
Bruder fuͤr einen Meineidigen halten. Wer 
hat ſich erfrecht dieſen unſeligen Verdacht in 


“ ihr Herz zu bringen? „Ach! daß es bloß 


Verdacht wäre! (erwiederte fie) Wenn ich 
nicht die uͤb erzeugendſten Beweiſe hätte, wuͤr⸗ 
de ich wohl dieſen Schleyer tragen?“ Bey 
den letzten Worten ſank ſie auf einen Stuhl, 
und verhuͤllte ihr Geſicht in ein Tuch, um 
ihre Thraͤnen zu bergen. Dieſer Anblick gab 
meinem Bruder mit einemmahl Leben und 
Sprache wieder. O Amalie! (rief er) wuͤr⸗ 
de ich in ſolcher Kleidung vor Ihnen erſchei⸗ 
nen, wenn ich ein treuloſer wäre? Doch 
ehe ich mich uͤber dieſen Punkt rechtfertige, 


nur zwey aus ihrem Munde! Welches Wun⸗ 


der brachte Sie in dieſes Kloſter, Sie, die 
ich im Sarge liegen und begraben ſah? — 
F 2 Ama⸗ 


| ( 

Amalle blickte ihn mit einer Miene an, die 
deutlich zu ſagen ſchien: Biſt du raſend, oder 
willſt du mich zu beſten haben? Aber wle 
hoch ſtieg ihr Be efremden, als jener fortfuhr: 
„„Ach! wodurch habe ich dieſen Unwillen 
verdient, daß Sie nicht einmahl einer Ants 
wort mich wuͤrdigen? habe ich den Auftrag, 
welchen Sie im Sarge mir ertheilten, nicht 
puͤnktlich erfuͤllt? iſt das Ordenskleid, wel⸗ 
ches ich trage, nicht ein unwiderſprechlicher 
Beweis? e Was ſagten Sie von Tod 
und Begraͤbniß 2 (ſorach Amalie, die noch 
immer ſeine Reden fuͤr die Sprache eines Un⸗ 
ſinnigen hielt) wann hatte ich Ihnen einen 
Auftrag gegeben?“ „In der Nacht vor⸗ 
her, als Sie begraben wurden.“ Zu⸗ 
gleich benannte er Tag und Monath. — 
„Die Nacht, von der Sie ſprechen, iſt eben 
diejenige, in der ich nach dieſem Kloſter fuhr. 
Nennen Sie, den Schleyer nehmen — be⸗ 
graben werden?“ — ,, So wahr ich lebe 

Cetef mein Bruder) ich ſah Sie wirklich im 

Sar⸗ 


(5) 
Sarge liegen, ich ſelbſt begleitete den Lei⸗ 
chenzug in die kiten Kirche, wo Sie mit 


allen Ceremonien begraben wurden.“ — 


„Nein! das iſt zuviel! “ rief Amalie — 
und Pater Eugen trat mit der Aebtiſſin herein. 

Kinder! (ſagte die letztere) ihr werdet 
einander nimmer verſtehen, ſo lange euch der 
Schluͤſſel zu eurer Geſchichte fehlt. Ihr ſeyd 
beyde durch eine unerhoͤrte Buͤberey betro⸗ 
gen. Nur wenige Tage noch Geduld, dann 
ſollt ihr vollkommenen Aufſchluß, und ich 
hoffe, auch Genugthuung bekommen. 

Die Verſicherung der Aebtiſſin von mei⸗ 
nes Bruders Unſchuld und der Brief des 
Provinzials war hinreichend, Amalien mit ihm 
auszuſoͤhnen. Die Folge davon war, daß 
beyde ihren Ordenshabit auszogen, und am 
fuͤnften Tage — Hochzeit hielten. 

„Gott ſey Dank! Wahrhaftig Graf! 
Sie haben mir um das Paar bange gemacht.“ 

Die Geſchichte iſt noch nicht zu Ende 
Die Trauung geſchah Abends auf einem 

Schlo⸗ 


(286 .) 

Schloße, das dem Freyherrn von Per“ ei⸗ 
nem Anverwandten P. Eugens gehoͤrte, und 
ungefaͤhr zwey Stunden von dem Nonnen⸗ 
klioſter entfernt war. Der Pater hatte eben 

den Segen uͤber das Paar geſprochen, wel⸗ 
ches noch Hand in Hand an dem Altare 
ſtand, als die Thuͤrfluͤgeln der Schloßkapel⸗ 
le aufflogen, und Amaltens Mutter und Bru⸗ 
der an der Schwelle ſich zeigten. Ein Augen⸗ 
blick der Verſtelnerung auf beyden Seiten! 
Am erſten erhohlte ſich Carl; er ſchrie über 
Verraͤtherey, aber ihn machte ein Blick des 
Paters ſtumm. Nachdem der letztere die Zeu⸗ 
gen, welche bey der Einſegnung zugegen wa⸗ 
ren, ſich auf kurze Zeit hinwegzubegeben er⸗ 
ſucht hatte, trat er mit einem fuͤrchterlichen 
Ernſt vor, und ſprach, mehr gegen Carln als 
die Mutter gewandt: Ich habe Sie durch ein 
Schreiben aus dem Kloſter der Urſulinerin⸗ 


nen hieher beſchieden, theils um fie zu Zeu⸗ 


gen einer Verbindung zu machen, dle alle 
ihre Bemuͤhungen nicht verhindern konnten, 
theils 


— 


G 
theils um ſie zu einem Bekenntniß aller der 
niedertraͤchtigen Streiche, die fie dieſem 
Paare ſptelten, und zur Genugthuung, die 
ſie demſelben ſchuldig ſind, anzuhalten. 
Wenn ſie dieſe gerechte Forderung nicht fo> 
gleich erfuͤllen, ſo habe ich Mittel in den 
Händen, fie dazu auf eine Art zu zwingen 
deren Folgen ſie bereuen duͤrften. Sobald 
Amaliens Mutter und Bruder dieſe nach⸗ 
drucksvolle Sprache hoͤrten, krochen ſie zum 
Kreuze und beichteten. Der Inhalt ihres 
Bekenntnißes war dieſer: 
Carls Plan ging dahin, nicht nur alles 
gute Vernehmen zwiſchen Amalien und Fer⸗ 
dinand aufzuheben, ſondern auch, damit 
kein Ruͤckfall zu fuͤrchten ſey, die erſtere oh⸗ 
ne Wiſſen meines Bruders in ein Kloſter zu 
ſtecken. Dieſes hatte fuͤr ihn noch den Vor— 
| theil, daß ihr vaͤterliches Erbtheil in ſeine 
Haͤnde kam — ein Umſtand, der wirklich 
ein Hauptgrund dieſer Unternehmung war, 
weil das Vermögen, welches ihm fein Va⸗ 
fer 


(88. ) 

ger hinterlaſſen, bey weitem nicht zureichte, 
ſeine aus ſchwelfende Lebensart zu beguͤnſti⸗ 
gen. Carl wurde von Luiſen geltebt. Es 
war ihm alſo leicht ſie in den Bund zu 
ziehen, welchen er und ſeine Mutter wider das 
ungluͤckliche Paar errichtet hatten. Sie 
willigte um ſo lieber ein, da Carl ihr mei⸗ 
nen Bruder als einen Menſchen ſchilderte, 
der eine ſehr unvortheilhafte Parthie fuͤr 
ſeine Schweſter wäre und indem er zus 
gleich nicht undeutlich merken ließ, daß 
er bereit ſey Luiſen am Altare feine Hand 
zu biethen, wenn ſie bey Ausfuͤhrung ſei⸗ 

nes Plans ihm Huͤlfe leiſten wuͤrde. 
Die Mittel, deren man ſich zur Aus⸗ 
fuͤhrung bedlente, habe ich Ihnen ſchon um⸗ 
ſtaͤndlich bekannt gemacht; fie find die nähm- 
lichen, welche, wie man meinem Bruder 
vorſpiegelte, abzielen ſollten, Amallens Mut⸗ 
ter zu hintergehen. Die Schlinge war fo 
gelegt, daß Ferdinand darein fallen muß⸗ 
te. Die Bekanntſchaft, welche er mit Lui⸗ 
Nr fen 


„ 
fen in der Kirche errichtete, war der erſt 
und entſcheidende Schritt zu ſeinem Ungluͤcke. 
Carl ſtellte dieſe Bekanntſchaft feiner Schwe⸗ 
ſter als eine Eroberung vor, die Luife an 
meinem Bruder gemacht haͤtte. Anfangs 
lachte zwar Amalie uͤber eine ſolche Zumu⸗ 
thung. Alleln Carls Geliebte, die auf ſei⸗ 
ner Ausſage beharrte, log täglich neue Ber 
weiſe von Ferdinands Zudringlichkeit, und 
ſo mußte endlich in Amaliens Herzen die 
Eiferſucht mit all ihrem ſchrecklichen Ge⸗ 
folge erwachen. | 
„Aber wie konnte fie in dieſem Zu⸗ 
ſtande Ihrem Bruder jene Weiſung ſchicken: 
alles zu thun, was Luiſe, ihre Nebenbuh⸗ 
lerinn, verlangen wird?“ | 
„„Die Wetſung war ja nicht acht. Carl 
hatte die Hand feiner ee nachge⸗ 
macht. u 
„Ich verſtehe. eben Sie fort. „ 

„„ Bisher hatte Amalten die bloſſe Moͤg⸗ 

A von Ferdinands Untreue geoͤngſtiget, 
al⸗ 


. 
allein die Moͤglichkeit erreichte den hoͤchſten 
Grad der Wahrſcheinlichkeit, da ſie an ihrem 
Fenſter Luiſen im Triumph an meines Bru⸗ 
ders Arm vorbeyſpatzieren ſah. Als ſie aber 
der Scene beywohnte, die derſelbe in Lui⸗ 
ſens Wohnung ſpielte, da ging die Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit zur Gewißheit uͤber. Die erſte 
Folge davon war eine Ohnmacht, die zwey⸗ 
te die tieſſte Verachtung gegen meinen Bru⸗ 
der. Auf dieſe Stimmung hatte Carl lange 
gelauert um ſie zur Annehmung des Schley⸗ 
ers zu bereden. Es gelang ihm ohne Muͤ⸗ 
he. Ste verlleß gern eine Welt, in der ihr 
nichts mehr theuer war. 1 ö 
Allein Carl begnuͤgte ſich nicht damit, 
ſeine Schweſter im Kloſter zu wiſſen. Ob⸗ 
ſchon er es ſo veranſtaltet hatte, daß ihre 
Aufnahme äußerſt geheim, und unter einem 
fremden Nahmen geſchah, ſo glaubte er ſie 
doch vor Ferdinands Nachforſchungen nicht 
ſicher genug. Um fie denſelben auf immer 
zu entziehen, ließ er ſie von Luiſen fuͤr todt 
i aus⸗ 


91) 

ausgeben. Damit er meinen Bruder noch 
feſter in dieſer Meinung beſtärkte, ſo kuͤn⸗ 
digte er Abends ihren Tod durch jenes Wim⸗ 
mern von ſeiner Thuͤre an, und ſpielte noch 
in der nähmlihen Nacht, in welcher fie nach 
dem Kloſter fuhr, die Rolle der todten 
Amalie. Ste ſtaunen? Sie ſehen mit Be⸗ 
fremdung mich an? Aber es iſt nicht anders. 
Carl hatte an jenem Abend die Zeit abgewar⸗ 
tet, wo Ferdinand feinen Bedienten weg⸗ 
ſchickte. Leiſe ſchlich er ſich an deſſen Thuͤr, 
rief, indem er ſeiner Schweſter Stimme 
nachahmte, in einem wehklagenden Tone Fer⸗ 
dinands Nahmen, oͤffnete die Thuͤre, und 
entwich. — 

„Es ſey! Ich will es Ihnen glauben 
Aber daß er die Rolle der Todten ſpielte, ſich 


der augenſcheinlichen Gefahr ausſetzte auf 


dem Betrug ertappt zu werden, und daß ihr 
Bruder durch dieſes plumpe Quiproquo ſich 
ſollte haben hintergehen laſſen, davon wer⸗ 
den Sie mich nimmermehr uͤberreden.“ 

„ Und 


(92) | 

„ Und dennoch iſt es ſo. Da Carl in 
der Geſichtsbildung ungemein viele Aehn⸗ 
lichkeit mit ſeiner Schweſter hatte, und die 
uͤbrigen Theile des Koͤrpers durch die Non⸗ 
nenkleidung verdeckt wurden, ſo war die 
Taͤuſchung leicht moͤglich. Nehmen Sie noch 
dazu, daß mein Bruder in Luiſens Erzaͤh⸗ 
lung von Amaliens Tode nicht den gering⸗ 
ſten Zweifel ſetzte „ daß er durch die 
vorhergehenden Nachrichten von ihrer Uns 
paͤßlichkeit, durch jenes Wimmern von ſel⸗ 
ner Thuͤre, durch das geheimnißvolle We⸗ 
ſen, womit man ihn um Mitternacht in das 
Zimmer der angeblich Verſtorbenen fuͤhrte, 
und durch andere dergleichen Umſtaͤnde hin⸗ 
laͤnglich vorbereitet war das Schauſplel, 
welches man ihm gab, fuͤr baare Wahrheit 
zu halten. Fügen Ste noch hinzu, daß der 
Sarg mit den ſechs brennenden Wachskerzen 
umgeben, der kuͤnſtlich hervorgebrachte Lei⸗ 


chenduft, die ebenfalls kuͤnſtlich aufgetragene 


de auf Carls Geſichte, deſſen fey⸗ 
erli⸗ 


nn 


— — — 


4 9850 


erliche tiefe Ruhe — dem Blendwerk den 


hoͤchſten Schein der Wirklichkeit gaben; rech⸗ 
nen Sie noch uͤberdieß die ſchreckliche Ge⸗ 
muͤthsſtimmung meines Bruders, und er 
waͤgen Sie nun, ob er im Stande war den 
Betrug zu entdecken, oder nur von fern zu 


ahnden? — Carl hätte nicht die Hälfte von 


der Dreiſtigkeit, die er wirklich hatte, ge⸗ 
braucht, um dieſe Rolle ohne Furcht vor Ents 
deckung zu ſplelen.“ | 

„Alles dieſes zugegeben, war Carl den⸗ 
noch nicht ſicher. Was haͤtte er zum Bey 
ſpiel gethan, wenn Ihr Bruder, als er ſich 
über den Sarg hinwarf, in ihm Leben be⸗ 
merkt haͤtte? „ 

„In dem erſten heftigen Affekt war 
dieſe Bemerkung meinem Bruder nicht moͤg⸗ 


lich. Ware er aber zum zweytenmahl Carln 
ſo nahe auf den Leib gekommen, ſo haͤtte 


ſich dieſer ſogleich in Sarg aufgerichtet, und 
jene feyerlichen Worte, die er ſpaͤter hin 


l ſchon damahls geſprochen. „ 
„ Gut, 


(.94'). | 

„Gut, daß fie mich an jene Worte 
erinnern. Wollte er ſich damit nur Ihren 
Bruder vom Leibe halten, oder war ihm 


wirklich an ber Erfüllung derſelben gelegen? ee 1 


„Beydes. Sobald Ferdinand die Tod⸗ 
tenwaͤchterinn entfernte, vermuthete Carl 
eine Abſchtedsſcene, die ihm gefährlich ſchlen; 
deßwegen richtete er ſich ſogleich im Sarge 
auf, als er deſſen Annaͤherung vernahm. 
Die Weiſung, welche er ihm gab, ins Klo⸗ 
ſter zu gehen, war ſehr klug, denn dieſer 
Schritt entfernte meinen Bruder und Ama⸗ 
lien nach allen Regeln der Wahrſcheinlichkeit 
auf ewig von einander. Wenn der Erfolg 
Carls Erwartung nicht beſtaͤtigte, fo lag 
die Schuld gewiß nicht an ihm.!“ 

„Bis hieher iſt mir alles begreifflich. 
Aber das Begraͤbniß! Carl hatte doch nicht 
Luſt ſich begraben zu laſſen? „ 

„Ein Stuͤck Holz mit der Nonnenklel⸗ 
dung angethan, und ein waͤchſernes Geſicht 
mit dem N bedeckt vertrat ſeine oder 

viel⸗ 


5s 
vielmehr Amaliens Stelle, und wurde in 
die Kirche der **iten mit aller Sele 
keit beygeſetzt. 75 Um 

50 Unerhoͤrt! Aber wie konnte der Ir⸗ 
laͤnder den Erfolg eines ſo teufliſch angeleg⸗ 
ten, ſo trefflich durchgefuͤhrten, und ſo gluͤck⸗ 
lich vollendeten Gewebes von Buͤberey zer⸗ 
nichten?“ 

„ Das moͤgen Sie ihn fragen, 10 weiß 
es nicht.“ 

Der Irlaͤnder i eln Gott! Crlef 10 
8 5 

„Und ich ſeln Verräther! /, — der 
Graf verhuͤllte ſich ſein Geſicht. 

Vergebens ſuchte ich ihn mit der Vor⸗ 
ſtellung zu troͤſten, daß er denſelben aus 
Voreiligkeit und aus einem ſehr verzeihlichen 
Irrthume verhaften ließ. „Bin ich deß⸗ 
wegen weniger die Urſache feines Todes 2, 
war ſeine Antwort. Auch die Erinnerung 
an Pilesky's Aus ſage, daß der Irlaͤnder 
ey fen, half vl iu des Grafen Beru: 

bis 


K 
higung. „Was kann ich auf eine Nachricht 
bauen (erwiederte er) die aus einer ſolchen 
Quelle kommt 2, Seine Heiterkeit und Rus 
he war von dieſer Zeit an dahin. 

Ich erinnerte ihn, daß er noch den 
Schluß von Amaliens Geſchichte nachzutra⸗ 
gen habe. Er nahm den Faden ſeiner Er⸗ 
zaͤhlung auf und fuhr alſo fort: 
Nachdem Mutter und Sohn ihr demuͤ⸗ 
thigendes Bekenntniß geendiget hatten, frag⸗ 
te Pater Eugen die Neuvermaͤhlten: Was ſie 
fuͤr eine Genugthuung verlangten? Forſchend 
hing Ferdinand an den Blicken ſeiner neuen 
Gattin, die nach einem kurzen Stillſchwei⸗ 
gen mit himmliſcher Lieb und Guͤte in je⸗ 
der Miene, Mutter und Bruder die Hand 
reichte, und auf jede Genugthuung Verzicht 
that. Ihrem Beyſpiele folgte mein Bru⸗ 
der. Das hatten die beyden Miſſethaͤter 
nicht erwartet, ein Strahl von Freude ent⸗ 
zuͤndete ſich auf ihren Geſichtern „den aber 

Pater Eugen in derſelben Minute wieder 
vers⸗ 


ER) | 
verſcheuchte: „ Dieſe Großmuth (ſagte er, 
indem er ſich zur Mutter wandte) fordert 
ihre Billigkeit auf. Es iſt Sitte, eine Toch⸗ 
ter dem Braͤutigam nicht ohne Ausſteuer zu 
uͤbergeben. Ich denke, 30000 Livres wer— 
den die Grenzen der Billigkeit nicht uͤber⸗ 
ſchreiten. Es veeſteht ſich, daß dieſe Sum⸗ 
me nicht von Amaliens vaͤterlichem Erbthei⸗ 
le, welches ohnehin ihr Sigenthum iſt, ge⸗ 
nommen werden darf. Nach vier Wochen 
haben Sie die Guͤte das Geld zu 'in dem 
Kloſter der iten niederzulegen, welches der 
Graͤfinn daſſelbe ohne Verzug ausliefern 
wird. Eben dieſes Kloſter, das ſie durch 
jenes Gauckelſpiel von Begräbniß zu hiunter⸗ 
gehen die Frechheit hatten, fordert zur Ges 
nugthuung die Summe von Soco Livres, 
welche für fromme Stiftungen beſtimmt iſt.“ 
Als er dieß geſagt hatte, zog er eine Glocke 
und die entlaſſene Zeugen traten wieder her⸗ 
ein. 


6 „Ich 


2 


6980 

„Ich erſuche Sie meine Herren! Crebes 
te der Pater ſie an) einer ſchriftlichen Geld⸗ 
verſicherung, welche dieſe Dame von ſich ges 
ben wird, durch ihr Zeugniß die volle Zuver⸗ 
laͤßigkeit zu verſchaffen.“ 

„Und was ſagte Amaliens Mutter N 
was ſagte Carl? Sie weigerten ſich doch?“ 

„ Da half kein Weigern. Pater Eu⸗ 
gens Drohungen machten ſie gehorſam. S 
groß war die Furcht vor der Macht dieſes 
Ordens. . 

Sobald er die ſchriftliche Verſicherung 
in den Händen hatte, und die Zeugen hin⸗ 
ausgegangen waren, entdeckte er Carln und 
ſeiner Mutter, daß die ganze Geſchichte hier 
jedermann, ſelbſt dem Herrn des Schloßes 
ein Geheimniß ſey, ſie moͤchten alſo, um 
nicht Aufſehen oder Verdacht durch eine un⸗ 
zeitige Entfernung zu erwecken, dem Hoch- 
zeitsfeſte beywohnen. Die Einladung wurde 
angenommen, — man kann denken, mit 
welchem Herzen. ö 
Der 


7-99. ) 

Der Freyherr von Per“ hatte nichts uns 
terlaſſen, die Gäfte feines Hauſes auf die 
glaͤnzendſte Art zu bewirthen. Eine ausge⸗ 
ſuchte Geſellſchaft, eine ſchwelgeriſche Tafel, 
und eine goͤttliche Muſik verherrlichten das 
Feſt. Laut und allgemein herrſchte die Freu— 
de. Selbſt Carl war ausgelaſſen luſtig, aber 
in feiner Bruſt kochte ſchwarze tuͤcklſche Na⸗ 
che. Nach aufgehobener Tafel eroͤffnete mein 
Bruder mit Amalien den Ball. — Welch ein 
Tanz! Meine Phantaſte ſetzte mich in die 
Zeiten der alten Griechen zuruͤck. Wie von 
einem Zauber hingeriſſen hiengen alle Blicke 
an dem ſchwebenden Paare, das die Selig—⸗ 
keit und Harmonie ſeiner Empfind ungen ſo 
ſprechend in jeder Wendung und Gebaͤrde 
ausdruͤckte. Dieſes Schaufpiel beſchaͤftigte 
die Aufmerkſamkeit der Anweſenden fo ganz, 
daß man erſt dann, als es unter allgemei⸗ 
nemZurufen und Haͤndeklatſchen geendiget war, 
des neuen Gaſtes gewahr wurde, der unter⸗ 
deſſen in unſern Cirkel ſich eingedrungen hat⸗ 

G 2 fe» 


— 


(( 100 ') 
te. Es war eine weiſſe Maske, wie ein — 
Genius gekleidet, von mittlerer Statur und 
edlem Anſehen. Neugierig drängte ſich als 
les um fie herum, und beſtuͤrmte fie mit Fra⸗ 
gen und Zeichen, — die Maske erwiederte 
nichts. Aber dadurch wurde der Vorwitz 
nur noch mehr gereitzt, beſonders da uns der 
Herr des Schloßes verſicherte, daß die Mas⸗ 
ke keiner von den geladenen Gaͤſten ſeyn koͤn⸗ 
ne, in dem dieſe ſchon alle zugegen waren, 
ehe ſie erſchien. Nun ging das Beſchauen, 
und Befragen vom neuen an, man rleth hin 
und her, ſchrieb der Maske verſchledene Nah⸗ 
men in die Hand, ſie machte bey jedem eine 
verneinende Bewegung. Als ſie ſich auf kei⸗ 
ne Weiſe zu erkennen geben wollte, bewog 
man endlich den Srenheren von Per“, daß er 
ſie anredete. „ Dein Herr! (ſagte er) wer 
Sie auch immer ſeyn moͤgen, Sie ſind mir 
willkommen. Allein das Verlangen dieſer 
Herren und Damen Sie kennen zu lernen 
ſetzt mich in die Nothwendigkeit Sie zu erſu⸗ 

i chen 


(1010) 

chen, daß Sie ſich entlarven.“ — Die 
Maske entlarvte ſich nicht, ſondern nahm den 
Pater Eugen, der ihr am naͤchſten ſtand, bey 
der Hand, und zeichnete einige uns unver⸗ 
ſtaͤndliche Charaktere hinein. Sogleich trat 
der Pater hervor, und bedeutete der Geſell— 
ſchaft, daß die Maske unerkannt bleiben zu 
dürfen bitte, doch fen fie bereit ſich nach geen⸗ 
digtem Feſte dem Freyherrn von Per“ zu ent⸗ 
decken. Es blieb uns demnach nichts übrig, 
als unſere Neugierde zu bezaͤhmen. Um dieß 
deſto leichter zu bewirken, uͤberließ en wir 
uns mit ganzer Seele dem Tanze. 

Die Maske nicht. Sie war dald da, 
bald dort, und machte bloß den Zuſchauer 
und Beobachter. Die letztere Rolle ſpielte 
ſie beſonders in Ruͤckſicht auf Amallens Bru⸗ 
der. Sie verlor ihn, ohne daß er es zu be⸗ 
merken ſchien, die ganze Zeit hindurch nicht 
aus dem Geſichte | 

Es war gegen Morgen, als Ferdinand 
vom Tanz ermuͤdet ſich an einen Tiſch zuruͤck⸗ 

zog, 


681820 
zog, der mit Weinflaſchen und Pokalen be⸗ 
deckt war. Carl ſetzte ſich an den naͤmlichen 
Tiſch, und ließ ſich mit Ferdinand in eln 
Geſpraͤch ein. Ich ſchloß aus einigen Reden, 
die ich während des Tanzes auffing, daß es 
ein Aus ſoͤhnungsgeſpraͤch ſey: dieſe Vermu⸗ 
thung wurde noch mehr beſtäatiget, als ich 
Carln mit meinem Bruder die Becher wech⸗ 
ſeln fah. Aber wie aͤnderte ein Augenblick 
die ganze Scene! Da Ferdinand Carls Be⸗ 
cher ergriff und Miene machte zu trinken, 
rief die Maske, welche in einiger Entfernung 
ſtand, ein fo lautes alt, daß alles auf⸗ 
merkſam wurde. Es war das erſte Wort, 
das aus ihrem Munde kam. Tanz und Mufif 
hoͤrte auf, jeder mann drängte ſich herzu. 
Die Maske nahm meinem Bruder den Becher 
aus der Hand, und erſuchte ihn, den feine 
gen zuruͤckzufordern. Carl war betroffen, 
doch faßte er ſich, und fragte die Maske in 
einem belelbigenden Tone: Wer ihr das Recht 
gegeben ſich in fremde Dinge zu miſchen. 
„ Das 


(" 263%.) 

„ Das follen Sie hernach erfahren, C erwies 
derte dieſe kalt) wenn Sie aus dem Becher 
werden getrunken haben, den Sie dem Herrn 
Grafen anbothen.“ Zugleich uͤberreichte er 
ihm denſelben. Ein Gemurmel, das immer 
lauter wurde, erhob ſich unter den Anweſen— 
den. Carl wollte der Maske den Becher aus 
der Hand ſchlagen, aber fie ſchien das vor— 
geſehen zu haben, und hielt ihn feſt. „Sie 
wollen nicht trinken? (ſagte ſie ſo kalt als zu⸗ g 
vor) ich glaube es gern: denn Sie wiſſen, 
was darlinn fl. Aber — indem ſie einen 
Schritt naͤher trat, mit bedeutendem Blick:) 
ich weis es auch.“ Carl war außer ſich, er 
forderte die Maske auf es zu beweiſen. „Weil 
Sie denn durchaus wollen, C antwortete 
dieſe) Es iſt (ſie ſagte Ihm ein Wort ins 

Ohr und trat ſchnell zuruͤck) Carls Geſicht 
entfaͤrbte ſich, wie das Geſicht eines Ster⸗ 
benden. Vergebens ſuchte er ſein Entſetzen 
zu verbergen, er zitterte, und ſchien einer 

Ohnmacht nahe. Alle Augen waren mit 

\ Schre⸗ 


( 4 ) | 

Schrecken bald auf ihn, bald auf die Maske ge⸗ 
richtet, alle Anweſenden ſtanden in tiefer ſchau⸗ 

dernder Erwartung. Erſt nach langer Zeit er⸗ | 
hielt Carl Sprach und Kräfte wieder: Menſch 
oder Teufel! (ſchrie er und fuhr nach der Larve) 
ich will dich kennen lernen. Aber die Maske 
ſchleuderte ihn zuruͤck, daß er auf den Seſſel 

niedertaumelte. „ Giftmiſcher! (ſagte ifie 
mit ſchrecklicher Stimme) du biſt nicht wuͤr⸗ 
dig mein Geſicht zu ſchauen.“ Das Wort 
Giftmiſcher verurſachte eine allgemeine Bes 
wegung. Als die Maske das bemerkte, 
wandte ſie ſich zu den Zuſchauern und ſagte: 
indem ſie den Becher hoch empor hob: „Ich 
gehe dem Herrn des Hauſes von meiner 
Handlung auf ſeinem Zimmer Rechenſchaft 
zu geben, doch vorher muß ich bitten den 
jungen Herrn feſtzumachen, er iſt uͤberreif 
fuͤr den Rabenſtein.“ Die Mutter, die ih⸗ 
res Sohnes Bubenſtuͤck geahndet zu haben 
ſchien, hatte ſich nach dem Anfang dleſer 
Scene in aller Stille entfernt. Amalie, die 

uͤber 


(nde, 

über den abſcheulichen Auftritt ohnmaͤchtig 
geworden war, erhohlte ſich eben, da man ſich 
ihres Bruders bemaͤchtigte. Er gewann mit 
der hoͤchſten Anſtrengung, die ihm die Ra⸗ 
ſerey verlieh, noch den Vortheil, ſeinen 
Dolch zu ziehen. „Ich will nicht unter 
der Hand des Henkers ſterben „ Kſchrie er, 
ſtieß ſich den Dolch in die Bruſt, und ſank 
zu Boden; feine Schweſter mit ihm. 

Wer wäre fähig das Entfegen zu ſchil⸗ 
dern, das uns alle in dieſem Augenblicke 
ergriff? Der Eindruck, den dieſe Begeben⸗ 
heit machte, war um ſo ſchrecklicher, da ſie 
uns mitten in der Freude uͤberraſchte. Nur 
die Maske blieb ſich immer gleich, ſie ſorg⸗ 
te, daß Amalie in ein Nebenzimmer getra— 
gen wurde, wo man ſie mit unſaͤglicher 
Muͤhe wieder zu ſich brachte. Dann eilte 
die Maske zu Carln, welcher ohne Zeichen 
des Lebens auf dem Boden lags, der von 
dem häufig ſtroͤmenden Blute weit umher 
befeuchtet war, Sie unterſuchte und ver⸗ 

8 band 


( 106 


band ſelne Wunde. Obwohl ihn jederman 
fuͤr todt hielt, ſo verſicherte ſie doch, daß 
noch Leben in ihm ſey, und ſchickte nach 
Aerzten. Wirklich erhohlte ih Carl, ehe 
noch dieſe kamen. Seine erſte Frage war, 
ob Ferdinand nicht vergiftet ſey? Als man 
mit Nein antwortete, ſtieß er einen ſchreck⸗ 
lichen Fluch aus. Pater Eugen trat hinzu, 
und ermahnte ihn zur Buße. Aber Carl riß 
ſeinen Verband los, ſpritzte dem Pater Blut 
ins Geſicht, und gab den Geiſt auf. „ 
Der Graf hielt inne. Die Veraͤnde⸗ 
rung feiner Geſichtszuͤge , welche die bloße 
Erinnerung an dieſen Auftritt hervorbrach⸗ 
te, war mir ein Buͤrge der ſchaudervollen 
Wirkung, welche die Begebenhelt ſelbſt, 
auf ihn, und alle Zuſchauer gemacht haben 
muß. — „Hinweg! Crief ich) hinweg von 
dieſer abſcheulichen Scene! — Was machte 
die Maske? wer war darunter verborgen? 
Jetzt wird fie ſich doch entdeckt haben? „ 


„ Dem 


1 


) 

„ Dem Herrn des Schloßes, welchen 
ſie um eine Unterredung auf ſeinem Zimmer 
erſuchte, von der Niemand als Pater Eugen 
Zeuge war. Da beyde ihr ewige Verſchwie— 
genheit gelobten, ſo hat kein Menſch uͤber 
dieſe ſonderbare Erſcheinung Aufſchluß er⸗ 
halten. „ 

„Iſt ihr denn Niemand gefalge; als 
fie das Schloß verließ? „ 

„Niemand hatte den Muth. Mit lang⸗ 
ſamen feyerlichen Schritten kam die Maske 
ſchweigend in den Saal zuruͤck, und wurde 
von dem Freyherrn und dem Pater ehrer— 

biethig bis zur Thuͤre begleitet, wo ſie ſich 
ſchnell entfernte. Keiner der Anweſenden 
wagte es, ihre Spur zu verfolgen. „ 
| „Und haben Sie gar keine Vermuthung, 
wer dieſer Sonderling moͤchte geweſen ſeyn ?, 
„ Wenigſtens keine zuverlaͤßige. „ 

Ich errathe, wen Ihre Vermuthung 
trift. Den Irlaͤnder? Nicht? „ 


An 


(os) 

„An Statur und Bildung glich ihm 
die Maske, aber ſeine Sie hatte ſie 
nicht. „ 

„Die laͤßt ſich zur Noth wohl verſtel⸗ 
len. Und nehmen Sie dazu, daß es ganz 
feine Art zu handeln iſt — Selbſt das Go 
| heimniß volle, worein er ſich verbarg, gibt 
mir einen Beweis mehr, daß Ihre Vers 
muthung gegründet ſey. „ 

„So habe ich ihm nicht nur meines 
Bruders Gluͤck ſondern auch die Erhaltung 
ſeines Lebens zu danken und ich bin durch 
deſſen Gefangennehmung ein doppelter Ver⸗ 
brecher. „ Der Graf verſank in feine vorige 
Duͤſterheit, und ſchwieg. Ich ſuchte ihn 
durch Fragen zu zerſtreuen. 

„War der Wein, den Carl Ihrem 
Bruder reichte, wirklich vergiftet? Was iſt 
aus Carls Mutter geworden? was aus Lui⸗ 
ſen? Wie ging es dem neuen Brautpaar, 
truͤbte keln friſcher Unfall ihr Ba 
ges Gluͤck? „ 

Man 


x 
— 


5 
= 8 
* 


(7859 ) 

„ Man goß einen Theil jenes Weins 
einem Hunde ein, dem dieſer Verſuch Abends 
nach fuͤrchterlichen Convulſionen das Leben 
koſtete. Carls Mutter ſtarb nach zwey Mo⸗ 
nathen aus Gram uͤber den Verluſt ihres 
Sohnes. Luiſe wurde wahnſinnig. Ferdinand 
lebte mit Amalien auf ſeinen Guͤtern durch 
drey Jahre ein Leben des Himmels. „ 

„Wohl haben es beyde im vollen Maße 
verdient. Aber was unterbrach nach drey 
Jahren eine Gluͤckſeligkeit, die ewig haͤtte 
waͤhren ſollen? „ 

Das Geſicht des Grafen wurde ſicht— 
barlich finſterer. Er ſchwieg. Ein hefti⸗ 
ger Affekt ſchien in feiner Seele zu arbei- 
ten. Er verſuchte zu reden und konnte nicht. 
Es war ein Anblick, der mich bis ins in⸗ 
nerſte ruͤhrte. 

„O mein Bruder! Crief er endlich mit 
halb erſtickter Stimme) was iſts, daß mich 
dein Andenken in dieſem Augenblick mit ſol⸗ 
cher Heftigkeit ergreifft? Zwey Jahre ſind 

75 ſchon 


— 
— 


7 


( 10.) 

ſchon voruͤber, fett ich dich das letztemaht 
mit heißer Bruderliebe an mein Herz ſchloß, 
da du mit weinenden Augen mir die Hand 
druͤckteſt, und mir zuriefſt: Lebe wohl! in 5 
drey Monathen ſehen wir uns wieder. Dein 
Verſprechen blieb unerfuͤllt! wir ſahen uns 
nicht wieder. Und nie hab ich den ſchreck⸗ 
lichen Verluſt lebhafter gefuͤhlt, als da ich 
die Nachricht deines Todes erhielt, und 
jetzt. — „ Thraͤnen erſtickten feine Worte. 

Es dauerte lange, bis er wieder ſo 
ruhig wurde, daß er erzaͤhlen konnte. 

„Ferdinand 0 fagte er) war in Ges 
ſchaͤften von Wichtigkeit nad) ien gereißt. 
Im zweyten Monathe erhielten wir von ihm 
einen Brief, worin er unter andern meldete, er 
habe mit einem Grand, der in Por“ ein 
hohes Amt beklelde, und jetzt Geſchaͤfte hal⸗ 
ber in wien ſich einige Tage aufhalte, ei⸗ 
ne Befanntfchaft gemacht, wovon er uns 
naͤchſtens ausführlicher ſchreiben werde. Das 
Schreiben — er ſelbſt blieb aus. Die zu 

„ Et 


” 


(1) 

feiner Ruͤckkehr beſtimmte Zeit war lange 
ſchon voruͤber. Endlich kam ein Brief von 
unbekannter Hand, der die Nachricht ents 
hielt, daß man meinen Bruder mit vielen 
Stichen ermordet gefunden habe. Durch 
einen unſeligen Zufall fiel dieſer Brief in 
Amaliens Hände. Sie trug eben das er— 
ſte Pfand ihrer Liebe unter dem Herzen, 
eine unzeitige Geburt war die Folge. Das 
Kind kam todt zur Welt, man zitterte fuͤr 
der Mutter Leben. „ 

Der Graf brach ab. „Ich bin mit 
meiner Erzaͤhlung zu Ende (ſagte er nach 
einigem Stillſchweigen) Vielleicht bin ich 
weitlaͤuftiger geweſen, als ich ſollte, aber 
die Schikſale zweyer mir fo theuren Mens 
ſchen, als Amalie und mein Bruder ſind, 
ſcheinen mir fo wichtig, daß ich in der Dar: 
ſtellung nicht umſtaͤndlich genug ſeyn zu 
koͤnnen glaubte. Vergeben Sie, wenn ich 
mich geirrt habe.,, Ich verſicherte ihm, in⸗ 
dem ich e Hand mit Wärme drückte, 

daß 


( #19.) 

daß er mir durch feine Erzaͤhlung einen 
Freundſchaftsdienſt erwieſen habe, den ich 
ihm nie vergeſſen werde. Und wir verließen 
uns beyde mit geruͤhrten Herzen. — — 

Ich hatte die Gewohnheit mich oͤfters, 
beſonders Abends mit, meiner Guitarre zu 
unterhalten. Von jeher liebte ich dieſes In⸗ 
ſtrument vor allen andern, und man ſchmei⸗ 
chelte mir, daß ich es zu ſpielen verſtehe. 
Eines Abends hatte ich mich laͤnger als ge⸗ 
woͤhnlich in das Spiel vertieft. Es war 
ſchon zehn Uhr voruͤber, und noch hatte ich 
nicht Luſt davon abzuſtehen. Ungefaͤhr ſah 
ich zum Fenſter, an dem ich ſaß, hinaus. 
Ich entdeckte, daß ich behorcht werde. Der 
Mond ſchien hell und machte mir eine Ge⸗ 
ſtalt ſichtbar, die im Haufe von dem mel 
nigen gegenuͤber im Fenſter lag, und mein 
Spiel belauſchte. — Es war ein goͤttliches 
Mädchen in einem weißen Nachtgewand, 
welches durch das ſchwarze in natuͤrlichen 
Locken herabfließende Haar beſchattet wur⸗ 

b 8 de. 


** 


( 113 
de. Die Schoͤne mußte es bemerken, daß 
ich ſie ins Auge faßte, dennoch zog ſie ſich 
nicht zuruͤck. Ich ſpielte fort, ſie blieb; Ich 
hörte fie ſogar am Ende ei es Stuͤckes ſeuf⸗ 
zen. Die Mut biste auf und fie entfernte 
ch. 

Meine Neuglerde war gereist, Ich er— 
kundigte mich des anderen Tages bey meis 
nem Wirthe nach ihr, und erfuhr, daß ſie 
die Tochter eines reichen Kaufmannes ſey, 
der aber fo wie die Mutter ſchon vor einis 
gen Jahren geſtorben wäre, daß fie ſich ges 
genwaͤrtig bey ihrem Oheim befinde, von dem 
fie ſehr ſtreng gehalten werde. Sie habe 
(fuͤgte mein Wirth hinzu) vor fuͤnf Wochen 
eine ſehr vortheilhafte Parthie ausgeſchlagen, 


er wiſſe aber nicht warum. 


Ich gab mir Mühe fie bey Tage zu ers 
blicken, aber es war umſonſt. Abends um 
zehn Uhr erſchien ſie am Fenſter. Die geſtri⸗ 
ge Scene wurde wiederhohlt. 


Rn) | Un⸗ 


* 


a 

Unterdeſſen uͤberließ ſich der Graf mit 
ganzer Seele der finſterſten Melancholie. Tie⸗ 
fer Gram ſtand auf ſeiner Stirne gezeichnet. 
In ſich zuruͤckgezogen vermied er mich und 
alle Menſchen, verſchloß ſich in ſein Zim⸗ 
mer, oder irrte in abgelegenen unbeſuchten 
Gegenden umher, und kam erſt ſpaͤt in der 
Nacht zu Hauſe. Selbſt in Traͤumen aͤng⸗ 
ſtigte ihn das Schickſal des Unbekannten. 
Sein Diener geſtand mir, daß er oft im 
Schlaf aufſchreye, und wunderliche Reden 
fuͤhre. 
Sein Zuſtand griff mir in die Seele. Ich 
hatte ſchon durch verſchiedene Mittel ihn auf⸗ 
zuheitern geſucht, aber, wie ich mit Be⸗ 
kuͤmmerniß wahrnahm, immer ohne Erfolg. 
Ich entdeckte ihm den Vorfall mit dem Maͤd⸗ 
chen, und weil er nach meiner Schilderung 
einige Luſt beze igte es kennen zu lernen, ſo 
beſchied ich ihn Abends um zehn Uhr auf 
mein Zimmer. Er erſchien, aber unſere ſchoͤne 
Nachbarinn nicht. Ich fieng an auf der Sulz 

f tarre 


(Ki 


tarre zu ſpielen, und nach einigen Minuten 
zeigte ſie ſich am Fenſter. Der Graf ſchien 


von ihrem Anblick bezaubert. Der Gram war 
von ſeiner Stirne geſchwunden. Ich las 
Heiterkeit und Liebe in ſeinen Blicken. 
Wenn gleich ſein Mund nicht geſtand, 
was ſein Herz fuͤhlte, ſo verrieth es doch 
fein Betragen nur zu deutlich. Sein gan 
zes Weſen war ſeit dieſer Minute veraͤndert. 
Oer Anblick dieſer Schoͤnheit hatte ein Wun⸗ 
der gewirkt, das allen Bemuͤhungen der zaͤrt⸗ 
lichſten Freundſchaft unmoͤglich war. Seine 


Laun und Geſelligkeit kehrten wieder. Der 


vorige Truͤbſinn ward durch eine ſanftere 
Schwaͤrmerey verdraͤngt. Des Irlaͤnders 


erwahnte er nur ſelten, deſto oͤfter des Maͤd⸗ 


chens. i 
So vergiengen ſechs Tage. Am ſieben⸗ 
ten ſchlug ich eine Spatzierfahrt auf das 
Land vor, aber ich hatte Muͤhe, ihn zu be— 
reden. Als wir am folgenden Tage zuruͤck 
kamen, wie veroͤndert fanden wir alles! 
H 2 Un⸗ 


(386: ) 0 
Unſer Wirth eilte uns mit einer Nach⸗ 
richt entgegen, die uns verſteinerte. Fran⸗ 
ziska (ſagte er) nach welcher ſie ſich neu⸗ 
lich bey mir erkundigten, iſt gerichtlich ein⸗ 
gezogen worden. Sie ſoll ihren Oheim, 
den man todt im Bette fand, vergiftet ha⸗ 


ben. Die Hausmagd hat es bey der Obrig⸗ 


keit angezeigt, des Arztes Ausſage ſtimmt 
damit übereln, und bey gerichtlicher Unter⸗ 
ſuchung ſind bey Franziska Giftpulver 


entdeckt worden. Sie hat wahrſcheinlich nichts 


anders als den Tod zu erwarten., 


Der Wirth hatte wahr geſagt. Was 


ich und der Graf für unmöglich hielten, ge⸗ 


ſchah. Der Ungluͤcklichen preßte die Folter 


das Jawort ab. Sie wurde zum Schwerte 


verurtheilt und am achten Tage zur Richt⸗ 


ſtaͤtte gefuͤhrt. 


Ich begleitete mit dem Grafen den Zug 


in der ſicheren Hofnung, ein Zeuge ihrer Be⸗ 
gnadigung zu werden. Sie ſaß in einem 


weißen Kleibe mit ſchwarzen Schleifen auf 


dem 


5 


( @117 ,) 

dem Wagen, neben ihr ein Moͤnch, der ihr 
zuſprach. Die Angſt vor dem herannahenden 
Tode lag auf ihrem bleichen zerſtoͤrten Ge- 
ſichte, ihre Augen waren faſt beſtaͤndig auf 
das Crucſfix gerichtet, das fie in den zittern⸗ 


den Haͤnden hielt, und manchmahl an den 


Mund fuͤhrte. Nur ſelten geſchah es, daß ſie 
einen Blick auf die Zuſchauer heftete, der um 
Huͤlfe zu flehen ſchien. Ich ſah Theilnahme 
und Ruͤhrung auf allen Geſichtern, auf den mei⸗ 
ſten Glauben an ihre Unſchuld, auf vielen 
Thraͤnen. Dieß beſtaͤrkte meine und des 
Grafen Hoffnung. 

Endlich kam ſie auf dem Richtplatz an. 
Nach abgelegter Beichte wurde ſie von zwey 
Henkern vorgefuͤhrt. Ihre Augen, in denen 
noch Hofnung der Begnadigung ſtrahlte, 
ſchienen den Ueberbringer derſelben zu ſuchen. 
Als aber dieſer nach langem Harren noch 
immer nicht erſchien, da verdunkelte ſich ihr 
Geſicht, mit bebender Stimme fragte ſie den 
Scharfrichter, ob keine Rettung zu hoffen 
ſey? 


nis 

ſey? Dieſer hatte kaum mit Nein geantwor⸗ 
tet, als fie die Hände zum Himmel ringend 
in der fuͤrchterlichſten Bewegung aufrief: 
O mein Gott, ſo muß ich denn unſchuldig 
in der Bluͤthe meiner Jahre ſterben! 

Unter dem Volke entfiand ein Murren, 
das lauter und immer lauter wurde. Der 
Pater trat hinzu und ſuchte ſie mit ſanftem 
Zuſpruch zur Reſignation zu bewegen. Ihr 
Entſetzen vor dem Tode machte ſeine Muͤhe 
lange fruchtlos. Ich kann mir keine Todes- 
angſt ſchrecklicher denken, als biejentge war, 

mit der ſie rang. 

Aber die Vorſtellung, daß der Wider- 
ſtand zu nichts nuͤtze, als ihre Qual zu ve⸗ 
laͤngern, bewog ſie endlich zur Ergebung. 
Sie ſetzte ſich auf einen Stuhl, an dem man 
ſie mit Stricken feſt band. Die Annaͤherung 
des entſcheidenden Augenblicks geboth eine 
allgemeine Stille. Die Augen wurden ihr 
verbunden, der Scharfrichter entbloͤßte ſchon 
ſein Schwert zund noch kein Zeichen der gehoff⸗ 

ken 


(erg) 
ten Begnadigung. Alles ſtand in banger 
tiefer Erwartung. — Der toͤdliche Streich 
wurde gefuͤhrt, und der Graf ſank mit einem 
lauten Schrey in meine Arme. 

Noch ſchwebt die ganze ſchreckliche Sce⸗ 
ne vor meinen Augen. Der Eindruck, den 
ſie auf mich machte, wird nie aus meinem 
Gedauͤchtniße verloͤſchen. 

Die Ungluͤckliche ward ſchuldlos hinge⸗ 
richtet. Mit dieſer entſetzlichen Nachricht 
kam der Graf, den ich den ganzen Nachmit⸗ 
tag nicht geſehen hatte, Nachts um zehn 
Uhr auf mein Zimmer. Zu ſpaͤt (ſagte er) 
iſt nun die wahre Verbrecherinn entdeckt. 
Die Haus ufd iſts, dle ben Alten vergiftete, 
und ihrer Gebietherinn die Giftpulver unter- 
terſchob, um auf ſie die Schuld des Mordes 
zu waͤlzen. Zu dieſer That wurde fie von der 
Mutter des jungen Menſchen beſtochen, dem 
die Ungluͤckliche vor einiger Zeit ihre Hand 
verweigert hatte. Aber eben dieſer Menſch, 
der noch heute vormittag als ein Augenzeuge 

ihrer 


(mo) 

ihrer Hinrichtung das Vergnügen einer teuf⸗ 
liſchen Rache ſchmeckte, der naͤhmliche iſts, der 
heute Abends von fuͤrchterlichen Gewiſſensbiſ⸗ 
ſen verfolgt, ſich ſelbſt, ſeine Mutter und die 
Magd vor Gericht verklagte. — Schon wallt 
eine Menge Menſchen zur Richtſtaͤtte hinaus, 
und an ihrer Spitze die Verwandten der Tod⸗ 
ten, um die Ehre derſelben zu retten, und die 
Leiche von dem ſchimpflichen Begraͤbnißorte 
zu entfernen. 

Der Graf ließ mir keine Ruhe, bis ich 
mit ihm nach der Richtſtaͤtte ging. Schon 
von ferne flammten uns durch die raben⸗ 


ſchwarze Nacht unzaͤhlige Fakeln entgegen, 


und eine dumpfe feyerliche Mufik drang in 
unſere Ohren. Als wir näher kamen, wur⸗ 
den wir einer groſſen Anzahl von Menſchen 
gewahr, die ſich zu dem Leichenbegaͤngniße 
verſammelt hatten. Ich und der Graf be- 
gleiteten den Zug in die Domkirche, wo (ch 
gleich bey dem Eintritte in einem abgelege⸗ 
nen finſtern Winkel mich niederließ, um dem 
Schau⸗ 


9 


— 


6 12 

Schauſpiele ungeſtoͤrt zuzuſehen. Man trug 
die Leiche unter Poſaunenſchall und Trauer— 
geſang dreymahl in der Kirche herum, und 
ſtellte ſie dann vor dem Hochaltar nieder, wo 
ſie bis an den folgenden Tag ausgeſetzt blieb. 

Schauerliche Ruͤhrung, Bangigkeit, 
Wehmuth waren die Empfindungen, die mich 
wechſelweiſe bey dieſem Auftritte durchſtroͤm⸗ 
ten. Mein Geiſt bekam dadurch eine Stim— 
mung, in der er willig jede Vorſtellung er— 
griff und feſthielt, die in Ton und Farbe 
Aehnlichkeit mit den Bildern der Gegenwart 
hatten. Das Schickſal des Irlaͤnders war 
der naͤchſte Gedanke, der meiner Phantaſie ſich 
aufdrang, und zugleich die Erinnerung an 
meinen Hofmeiſter und Amalien erweckte. 
Meine Einbildungskraft war geſchaͤftig ge: 
nug mir alle dieſe Gegenſtaͤnde von ihrer 
dunkelſten Seite zu zeigen, und mich mit 
Zweifeln und Bekuͤmmernißen zu erfuͤllen. 
Erſt ſpaͤt, nachdem faſt alle An weſende ſchon 
die Kirche verlaſſen hatten, erwachte ich wie 

aus 


( 122 ) 
aus einem tiefen ſchweren Traume. Alles 
um mich herum war feyerlichſtill und dun⸗ 
kel. Ich ſah mich nach dem Grafen um, 
aber auch er war nicht mehr zugegen. Jetzt 
ſprang ich auf, und eilte nach der Kirch- 
thuͤre. Auf dem Wege dahin bemerkte ich 
bey dem aufflimmernden Schein einer ver⸗ 
loͤſchenden Lampe einen Schwarzvermumm⸗ 
ten, der ſich mitten unter den Ausgang 
ſtellte. Als ich naͤher kam, trat er etwas 
ſeitwaͤrts und ließ mich durch. Ich ſah mich 
um, und er folgte mir auf dem Fuße. Mei⸗ 
nen Bedienten hatte ich nicht mit mir ge⸗ 
nommen, und die Nacht war finſter; ich 
blieb ſtehen um den Vermummten vorbey 
zu laſſen, aber auch er ſtand file. Ich ging 
eine Strecke etwas ſchneller vorwaͤrts, 
er that das naͤhmliche, und als ich ſtehen 
blieb, hielt auch er. Dieß kam mir ſonder⸗ 
bar vor, ich redete ihn an. Er ſchwieg. 
Ich redete ihn nochmahls an, und er ging 
langſam auf mich zu, ſah mich an und ſagte 
dann 


2234) 
dann ſchnell: Willkommen Herzog! Sie ver⸗ 
kennen mich, war meine Antwort, und die 
ſeinige: ich verkenne ſie nicht. Gewiß! fuhr 
ich fort, den ich bin nicht Herzog. Sie 
ſinds, ſagte der Vermummte mit Nachdruck— 
Das war zu auffallend. Sein Geſicht konnte ich 
nicht ſehen, und die Stimme war mir gänzlich 
unbekannt. Ich blieb noch immer auf der 
Vermuthung, daß er ſich in der Perſon Irre, 
und ſagte daher: Es iſt doch wunderbar, 
daß Sie beſſer, als ich ſelbſt, wiſſen ſollten, 
wer ich bin. | 
Wunderbar, aher nicht unmöglich. Sie 
find der Herzog von ina.“ 
„Noch nicht (erwiederte ich betroffen) 
Aber — wer ſind denn Sie?“ 

„Ein Bothe des Irlaͤnders?“ 
Angenehmer kann keine Ueberraſchung 
ſeyn. Ich umarmte ihn mit Entzuͤcken. Alſo 
er lebt noch, (rief ich) und wo? 

„Haben Ste Zeit mir zu folgen, fo ſol⸗ 
len Sie ſeine Geſchichte hoͤren:“ 
„Er⸗ 


€ 724.) 

„‚ Erzählen Sie, ich folge, wohin Ste 
wollen.“ 

„Der Irlaͤnder (ſagte der Vermummte 
im Gehen) ward von ſeinen Richtern, des 
Verbrechens der Zauberey ſchuldig erkannt, 
und anfangs zum Holzſtoſſe verdammt. Weil 
aber in der Folge mehrere Nachrichten ein⸗ 
liefen, die ſogar den Richtern Furcht und 
Ehrfurcht gegen ihn einfloͤßten, ſo ward 
beſchloßen, ihn in der Stille auf die Seite 
zu raͤumen, um alles Aufſehen zu vermeiden. 
Ich darf nicht vergeſſen, daß ſie alles auf⸗ 
gebothen hatten um ſich ſeiner zu verſichern und 
das Entwiſchen ihm unmoͤglich zu machen. 
Tief unter der Erde hatten ſie ihn in ſchwe— 
ren Ketten aufgehangen, und noch uͤberdieß 
den Eingang ſeines von allen Selten undurch⸗ 
dringlichen Kerkers mit ſtarken Wachen bes 
ſetzt. Denken Sie ſich nach ſolchen Vorkeh⸗ 
rungen das Erſtarren der Richter, als der 


Henker, den fie abgeſchickt hatten um den 


Irlaͤnder im Kerker zu enthaupten, mit der 
| Nach⸗ 


£ 


102529 
Nachricht zuruͤckkehrte, daß derſelbe unſicht⸗ 
bar geworden waͤre.“ 

„Unerhoͤrt! — Aber man hat doch die 
Wege entdeckt, auf denen er entkam.“ 

„Ungeachtet der ſtrengſten Unterſuchun— 
gen hat man keinen entdeckt. Ungeachtet als 
ler Nachfragen hat man von dem Verſchwun⸗ 
denen keine Spur gefunden.“ 

„Wer machte ihn von ſeinen Banden 
los, wie konnte er die Aufmerkſamkeit der 
Wache hintergehen, wie bahnte er ſich durch 
undurchdringliche Mauern einen Weg? 

„um das wie muͤſſen Sie bey dem Ir⸗ 
laͤnder nie fragen. Genug! er iſt frey.“ 

„Alſo waͤre es doch wahr, was mir Ama— 
liens Kammerdiener hinterbrachte, und was 
ich nicht glauben konnte. Aber wo iſt er? 

„Er iſt nicht fern.“ 

„Nicht fern? und warum zoͤgert er mir 
zu erſcheinen? O fuͤhren Sie mich zu ihm.“ 

„„Was wollen ſie von ihm?“ 


„Was 


26 


„Was ich will? — Ueber das Schick⸗ 
ſal meines Hofmeiſters will ich von ihm 
Aufſchluß haben, — oder koͤnnen Sie mir 
Beſcheid geben.“ 

„Was vermuthen Sie zu N 

„Er ift todt!“ 

„Sie ſollen ihn ſehen.“ 

„Jenſeits des Grabes?“ 

„Sie ſollen ihn auf dieſer Welt ſehen, 
und ſprechen. Aber jetzt forſchen Sie nicht 
weiter.“ 

„Ihr Verſprechen genuͤgt mir. Aber 
Amalie — was wiſſen Sie von ihr?“ 

„Wunderbar! daß Sie ſich um dieſe 
Perſonen ſo ſorgfaͤltig bekuͤmmern, und den 
Gegenſtand, der Ihnen der wichtigſte 1 
foll, fo ganz vergeſſen? “ 

„Der wichtigſte Gegenſtand?“ 

„Weh dem Juͤngling, dem nicht ſein 
Herz ſagt, daß dieſer das Vaterland iſt.“ 

„Was kann ich fuͤr mein Vaterland 
thun?“ | \ 

| „Die 


(227) 
„Die Frage iſt nicht, was Sie thun 
koͤnnen, ſondern ob Sie etwas thun wollen.“ 
V Aber wie kommen Sie jetzt auf biefe 
Frage?“ 

„Darum, weil Sie weder den Irlaͤnder, 
noch Ihren Hofmeiſter, noch Amalien je 
mehr ſehen werden, wenn Sie nicht eine ent⸗ 
ſcheidende Antwort geben.“ 

Ich ſchwieg. 

„Sie zweifeln vielleicht an der Wahr⸗ 
heit dieſer Drohung, aber fie ſoll fo gewis 
erfüllt werden — fo gewiß, als Franzis da 
hier unſchuldig geblutet hat.“ 

Ich ſah auf. Wir ſtanden vor dem Hoch⸗ 
gericht. Im Eifer der Unterredung hatte ich 
auf den Weg nicht Acht gegeben, den der 
Vermummte mich fuͤhrte. Seine letzten Wor⸗ 
te fuhren mir wie ein Dolch ins Herz. 

Bey meiner Ehre, (ſagte ich) mein in⸗ 
nigſter heiſſeſter Wunſch iſt, meinem Vater⸗ 
lande zu dienen; aber bedenken Sie den Un- 
willen meines Vaters, die Gefahren, welche 

| 5 mit 


\ 


(1128. ) 
mit einem fo gewagten Schritte verbunden 
ſind, die geringe Hoffnung, daß er gelingen 
wird. — 75 
Der Vermummte ergriff mit Heftigkeit 
mich beym Arm. Ha Wankelmuͤthiger! rief 


er mit veraͤnderter Stimme, in der ich ſogleich 


die Stimme des Irlaͤnders erkannte —hal ten 
Sie alſo Wort?“ 

Ich wollte reden, aber es war, als 
ſchnuͤrte mir jemand die Kehle zufammen- 
Ich zitterte, als ſtaͤnde ich vor einem fuͤrch⸗ 
terlichen Weſen hoͤherer Art. | 

„Oder haben Sie ſchon vergeſſen (fuhr a 
der Irlaͤnder fort) was Sie mir zuſagten, 
daß Ihr ganzes Beſtreben kuͤnftighin nur das 
hin gehen fol, der Ehre zu huldigen, und 


Ihrem Vaterlande nuͤtzlich zu ſeyn. Haben 


Sie es denn vergeſſen, daß Ihr Vaterland 
unter unrechtmaͤſſiger tyraniſcher Obergewalt 
ſeufzet, und daß der rechtmäßtae Koͤnig von 
dem Throne ſeiner Vaͤter verbannt im vers 
borgenen ſchmachten muß?“ 0 
„Der 


(2 

„Der alte König ſollte wirklich noch“ 
leben?“ fragte ich ſchuͤchtern und leiſe: 

„Wenn Sie mir Stillſchweigen ſchwoͤ⸗ 
ren, ſo ſollen Sie ihn ſehen. Und wenn 
dann der Anblick des ehrwuͤrdigen hundert 
und achtjaͤhrigen Greiſes nicht alle Ihre 
Kräfte ſpannt, fein Recht auf den Thron 
geltend zu machen, ſo verdienen Sie nicht 
ein Menſch zu heißen.“ 

„Nennen Siemir ſeinen Aufenthalt, daß 
ich hinreiſe, und ihm huldige. Mein Leben 
ſtehe Ihnen zum Pfande meines Stillſchwei⸗ 
gens.“ 

„Wenn Sie nach kommen, fo fras 
gen Sie nach dem frommen Einſiedler, und 
wenn man Sie zu ihm fuͤhret, fo ſtehen Ste 
vor dem Koͤnig.“ 

„Pileski (ſagte ich erſtaunt) erzählte 
mir neulich von einem ſolchen Einſiedler — 
Er iſt der naͤhmliche. Dort Herzog 
werde ich Sie wieder ſehen, und eine enk⸗ 
ſcheidende Antwort fordern.“ 

J „Ste 


( 8830 2) 

„Sie nannten mich ſchon zuvor Her⸗ 
zog von ina. Wie ſoll ich mir is er⸗ 
klaͤren.“ 

„Sie werden es in Wie Zeit e 
ren. Leben Sie wohl.“ 

Er war auf dem Wege zu ſcheiden, als 
mich ploͤtzlich der Anblick des Hochgerichts 
an des Maͤdchens ungluͤckliches Schickſal 
erinnerte. „Sie waren hier, (rief ich) und 
doch mußte Franziska unſchuldig ſterben?“ 

„Der Faden ihres Lebens war nach einer 
ewigen Beſtimmung in der Mitte entzwey⸗ 
geriſſen; ich konnte ihren Tod nicht verhin⸗ 
dern. Aber die Ehre des Maͤdchens zu ret⸗ 
ten, ſtand in meiner Macht und ich thats, 
denn ich wars, der durch Zureden das Ge⸗ 
wiſſen des Boͤſewichts ſo in Aufruhr brach⸗ 
te, daß er ſelbſt vor Gericht ging und die 
wahren Schuldigen angab. 1 

Der Irlaͤnder wandte ſich ſchnell um 
und entfernte ſich. 


G 131.) 

Ich eilte zum Grafen, der lange vor 
mir nach Hauſe gekommen war und mich mit 
Sehnſucht erwartet hatte. Der Anblick des 
Leichenbegaͤngnißes (ſagte er) machte eine 
fo ſchreckliche Wirkung auf mich, daß ich 
in der Kirche nimmer aushalten konnte. Aber 
wo blieben denn Sie ſo lange?“ 

„In der Geſellſchaft — des Irlaͤnders.“ 

Eine ploͤtzliche Roͤthe flog bey dieſem 
Worte des Grafen blaſſe Wangen an, er maß 
mich eine Weile mit großen Augen, die zu 
forſchen ſchlenen, ob es Scherz oder Ernſt 
ſey, was ich ſagte. 

„In Wahrheit lieber Graf! ich habe den 
Irländer geſehen und geſprochen.“ Und nun 
erzählte ich ihm den ganzen Vorfall. 

„Er hat alſo erfuͤllt, (rief der Graf am 
Ende der Erzaͤhlung freudig auf) was er 
Ihnen bey ſeiner Gefangennehmung verſpro⸗ 
chen hatte, Sie in 'n wieder zu ſehen.““ 
Die Erſcheinung des Irlaͤnders war erquk⸗ 

J 2 cken⸗ 


( 132 ) 

ckender Balſam auf die Wunde, welche Frans 
ziska's Tod dem Herzen des Grafen ſchlug. 

Ich wußte nun entſchieden, welchen 
Plan der Unbekannte mit mir vorhatte. Noch 
immer fluͤſterte eine geheime innere Stimme 
mir zu: mich in ein ſo gefaͤhrliches Unter⸗ 
nehmen nicht verwickeln zu laſſen. Aber der 
Graf zerſtreute meine Bedenklichkeiten: „Aus 
dem, was bisher geſchah, iſt es klar, daß 
der Irlaͤnder mehr kann, als wir andern 
Menſchen. Sein Geiſt iſt uns eben ſo uͤber⸗ 
legen als ſeine Macht. Seiner Leitung zu 
folgen ſcheint mir daher weit weniger ges 
faͤhrlich, als ſich ſeinem Willen zu widerſe⸗ 
ben. Oder glauben Sie denn, daß der Sr 
länder etwas unternehmen wird, deſſen Aus⸗ 
gang er nicht in voraus berechnet hat? In 
einem ſolchen Kopfe kann gar fein Plan ent⸗ 
ſtehen, der in der Wirklichkeit nicht ausfuͤhr⸗ 
bar waͤre. Das Ziel, welches er ſich vor⸗ 
ſteckt, iſt gewiß immer das beſte, und die 
Mittel „welche er zu deſſen Erreichung wählt, 

1 ſind 


(13 ) 
find gewiß immer die ſicherſten. Seine Weiss 
heit iſt mir Buͤrge, daß er nur das will, 
was er kann, und ſeine Gewalt, daß er 
alles kann, was er will.“ 

„Wird ſeine Gewalt mich auch vor dem 
Zorne meines Vaters ſchuͤtzen, oder ſeine 
Weisheit bewirken, daß derſelbe mein Un⸗ 
ternehmen nicht erfaͤhrt?“ 

„Iſt Ihnen das letztere nicht wahrſchein⸗ 
lich? Mir allerdings. Verborgenheit iſt ja 
der Kanal, durch den der Irlaͤnder zu wir 
ken pflegt. Auch Ihre Thaten wird er durch 
dieſen Kanal leiten, damit ſie Ihres Vaters 
Ohr nicht erreichen.“ 85 

„Wenn er mir das verſpricht, ſo bin 
ich entſchloſſen.“ 

Auffallend war die Freude, welche der 
Graf uͤber meinen Entſchluß aͤuſſerte, und 
gleich der zweyte Tag wurde zu unſerer Reiſe 
nach dem Aufenthalte des e Ein⸗ 
ſiedlers beſtimmt. 


Der 


C 134 

Der Ort war ungefaͤhr dreyßig Mellen 
entfernt. Kurz vorher, ehe wir in den Was 
gen fliegen, erhielt ich von dem Magiſtrats- 
rathe einen Brief, in dem er eine toͤdtliche 
Krankheit, als die Urſache angab, warum 
er mir erſt jetzt berichten koͤnne, daß der Ir— 
laͤnder auf eine unbegreifliche Art aus dem 
Kerker verſchwunden ſey. Dieſe Beftättgung 
der wunderbaren Geſchichte des Unbekann⸗ 
ten war fuͤr mich ein neuer Sporn zur Be⸗ 
ſchleunigung unſerer Reiſe. Da aber der 
Graf bey der Nacht nicht fahren wollte, ſo 
kamen wir erſt am Abend des dritten Ta⸗ 
ges an den beſtimmten Ort. Wir ließen uns ſo⸗ 
gleich zu dem Einſiedler fuͤhren, und der 
erſte Anblick uͤberzeugte mich, daß die Moͤnchs⸗ 
kleidung einen Koͤnig decke. 

Ich hatte ihm kaum geſagt, wer wir 
ſind, und wer Mind ſandte, als er uns wills 
kommen hieß, und in feine Zelle führte. Hier 
bewirthete er uns mit Einſtedlerkoſt, und ich 
erzaͤhlte ihm meine Geſchichte mit dem Un⸗ 

bes 


(135) 

bekannten, fo kurz ich fie faſſen konnte. Er 
unterbrach die Erzaͤhlung mit keinem Wor⸗ 
te; nachdem ich damit zu Ende war, fuͤhrte 
er uns in jene andere Zelle, wovon uns 
Pileski ſagte, zog von dem Bilde des Unbe— 
kannten, das auf einem Altare ſtand, den 
Vorhang weg, und fragte: ob es dieſer waͤre? 

Er iſts! rief ich aus, und in der That! 
treffender kann kein Bild gemalt ſeyn, die 
hoͤchſte täufhendfte Aehnlichkeit in jeder 
Ruͤckſicht; nur der lange weiße Bart man⸗ 
gelte, die Kleidung war arabiſch. „ So 
(ſagte der Koͤnig) ſah ich ihn das erſtemahl 
nach dem ungluͤcklichen Treffen in Afrika, 
wo ich ſchwer verwundet vom Pferde ſank. 


Ferne von dem Schlachtfeld erwachte ich 


nach einer langen Ohnmacht in feinen Ar⸗ 
men wieder zum Leben. Er war der wohl- 
thaͤtige Samartte, der Oehl und Wein in 
meine Wunden goß, und mich pflegte, bis 


ich genas. Meiner Sicherheit wegen verbrei⸗ 


tete er den Ruf von meinem Tode, und um 
N den 


(136 ) 
den u der Unglaͤubigen in dieſem Wahne 
vollkommen zu beftärfen, wurde ihm der zer⸗ 
fezte Leichnam eines Chriſten, der in der 
Schlacht geblieben war, ſtatt des meinigen 
uͤberbracht. Dieſen Koͤrper legte man in ei⸗ 
ne Kiſte, und bezeichnete den Ort, wo er 
begraben wurde, mit Steinen. Allein ſobald 
mein Reich an die niſche Krone uͤberging, 
ließ dieſe den Leichnam nach Bm bringen, 
und allda beyſetzen, vermuthlich aus Vor⸗ 
ſicht, damit ich nicht wieder lebendig wuͤrde, 
wenn ich wuͤßte, daß ich ordentlich 1 
ben ſey.“ 

„„Durch meines Wohlthaͤters Unterricht 
lernte ich bald die arabiſche Sprache, die 
Sternkunde, die Naturgeſchichte. Er theil⸗ 
te mir einige Geheimniße aus der Arzney⸗ 
kunſt mit, deren Gebrauche ich mein langes 
Leben danke, und womit ich ſchon viele Kran⸗ 
ke geheilet habe, die man für unheilbar aus 
gab. Dadurch erwarb ich mir auch den Nabe 

men 


| „„ 

men des wunderthaͤtigen Einſtedlers, den 
ich weit und breit in dieſer Gegend führe.’ 
„ Hiermanfor, fo nannte fih mein 
Wohlthaͤter, fuͤhrte in einer paradiſiſchen Öes 
gend ein ſtilles verſchloſſenes Leben. Die 
meiſte Zeit unterhielt er ſich mit mir. Es 
waren nur zwey Stunden, in denen ich ihn 
nie zu Geſichte bekam, die zwoͤlfte zu Mit⸗ 
tag, und in der Nacht. Bey Annaͤherung 
derſelben entfernte er ſich allezeit unter ir⸗ 
gend einem ſcheinbaren Vorwand, und wo 
ich ihn dann immer ſuchte, fand ich ihn nir= 
gends. Ich hatte ein paarmahl angefangen 
uͤber dieſen Punkt zu ſprechen, da er aber 
meinen Fragen mit einem ſehr ernſten Ge⸗ 
ſichte auswich, ſo wagte ich es nicht, weiter 
in ihn zu dringen. Allein im ſtillen lauerte 
ich ſorgfaͤltig auf Gelegenheit das Geheim⸗ 
niß zu enträthfeln. Ein Zufall gab, was 
allen meinen Planen mißlang. Ich jagte ei⸗ 
nes Abends in der Gegend einer glaͤnzenden 
himmelblauen Schlange nach, und als ich 


( 138) | 
“fie endlich zu haſchen glaubte, entſchluͤpfte 
ſie in einen Buſch. Ich brach durch das Ge⸗ 


ſtraͤuche, und befand mich an dem Eingang 


einer niedrigen Grotte, die durch eine ſchma⸗ 
le Treppe unter die Erde führte. Neugie⸗ 


rig ſtieg ich hinab. Ich kam an eine eiſerne 


Thuͤre. Alle Verſuche ſie zu oͤffnen waren 
vergebens. Mir war, als hoͤrte ich inwen⸗ 
dig ein heftiges Brauſen. Weiter konnte ich 
nichts entdecken; aber ich glaubte dem Ge⸗ 
heimniße Hiermanſors auf der Spur zu 


— 


ſeyn, und das war mir fuͤr dießmahl ge⸗ 


nug. Von der zwoͤlften Stunde der Nacht 
erwartete ich naͤheren Aufſchluß. In dieſer 
Ruͤckſicht hielt ich mich um dieſe Zeit in der 
Nähe verborgen. Hiermanſor kam mit el⸗ 


ner kleinen Laterne, und ging an mir vor⸗ 


uͤber. War es die naͤchtliche Finſterniß, 
oder eine ſtaͤrkere Macht, welche mich vor 
ſeinen Augen verhuͤllte, er bemerkte mich 
nicht. Ich hoͤrte die eiſerne Thuͤre aufge⸗ 
hen, und raſſelnd wieder zufallen. Schuͤch⸗ 
tern 


63439) 

tern und mit angehaltenem Athem ſtieg ich 

in die Grotte hinab. Die Pforte war ver— 
ſchloſſen, aber ein Ritz in derſelben, den 
ich nach langem ſuchen entdeckte, ließ mich 
in das innere ſehen. Ein altes tiefes matt⸗ 
erleuchtetes Gewoͤlbe ſtellte ſich meinem Bli⸗ 
cke dar; drey ſchwarze Polſter lagen in der 
Mitte, Hiermanſor warf ſich mit gefalte⸗ 
ten Haͤnden auf den mitteren nieder, und 
ſchien zu bethen. Nach ungefaͤhr fuͤnf Mi⸗ 
nuten ſtieg er auf, und verlor ſich in dem 
finſtern Hintergrunde des Gewoͤlbes. Lang— 
ſam und bleich kam er zurück, einen Tod⸗ 
ſchaͤdel in der rechten Hand, einen kriſtallenen 
Becher in der andern. Er trat vor die Lam⸗ 
3 und goß aus dem Schaͤdel etwas in den 
Becher, das ich fuͤr Blut hielt; Seine Na⸗ 
tur ſchien ſich zu widerſetzen, aber er trank 
ihn aus. Dann ſtreckte er ſich auf den Pol⸗ 
ſter, ſchloß die Augen und regte ſich nicht 
mehr. Auf einmahl hoͤrte ich etwas rau⸗ 
ſchen, und aus der Tiefe traten zwey weis⸗ 

ge: 


( 40) 
gekleidete Geſtalten, die ſich neben Hierman⸗ 
ſorn auf die Polſter niederließen. Sie ſchie⸗ 
nen zwey neubeſelte Leichname, die ſo eben 
ihre Graͤber verlaſſen hatten. Beyde hatten 
ihn kaum beruͤhrt, als er ſich aufrichtete, 
und fie mit einem Bick anſah, der deutlich 
zeigte, daß er mit dieſen Gegenſtaͤnden des 
Entſetzens ſchon bekannt ſey. Aus der Be- 
wegung des Mundes ſchloß ich, daß 
Hiermanſor mit der einen Geſtalt rede, 
aber es war mir unmoͤglich den geringſten 
Laut zu vernehmen. Dann wandte er ſich 
zu der andern, und ſchien ſich auch mit die⸗ 
ſer zu beſprechen. Auf einmal verdunkelte 
ſich ſein Geſicht, er fieng an zu zittern, die 
Geſtalt ſtieg auf, des Gewoͤlbes matte Be⸗ 
leuchtung erhob ſich ploͤtzlich zu einer blen⸗ 
denden Helle, welche aber im naͤchſten Aus 
genblicke von der ſchwaͤrzeſten Finſterniß ver⸗ 
ſchlungen wurde, die Erde erſchuͤtterte ſich 
unter meinen Füßen, ein ſchmetterndes Ge⸗ 
toͤſe, als ob alles einſtuͤrze und verſinke, 
ſchlug 


1 * 
* 


| 


{ 291 2) | 
ſchlug an meine Ohren, ich hoͤrte Hierman⸗ 
ſorn heftig ſchreyen — Todesangſt ergriff 
mich — ich flog die Treppe herauf, und kam 
außer mir auf mein Zimmer.“ 

„Den ganzen Theil der Nacht hindurch 


lag ich ſchlaflos auf meinem Bette; als der 


Tag anbrach, trat Hiermanſor reiſefertig 
herein, und nahm von mir Abſchied; er ver- 
ſprach in einigen Tagen zuruͤck zu kehren, 
und geboth mir, waͤhrend feiner Abweſen⸗ 
heit auf meiner Hut zu ſeyn. Ich war es 
nicht. Jugendliche Unbeſonnenheit verleitete 
mich ſchon am folgenden Tage, mich weiter 
zu entfernen, als ich ſollte. Einige Sara⸗ 
zenen, die der ungluͤcklichen Schlacht bey— 
gewohnt hatten, entdeckten und ergriffen 
mich. Zum Gluͤcke wurde ich nur fuͤr einen 
chriſtlichen Feldherrn gehalten, ohne den Koͤ⸗ 
nig, welchen man todt glaubte, in mir zu 
vermuthen. Man geſell te mich den uͤbrigen 
Sklaven bey, mit denen ich die Laſt gleicher 
Arbelt und Mißhandlungen ertragen mußte, 
bis 
* 


* 


uw: 
22 


( a2 9. 
bis mich Hiermanſor mit einer unscheufen 
Geldſumme loskaufte.“ 1 
„Die Empfindung, welche ich ſeit jenem 
nächtlichen Auftritte gegen meinen Wohlthaͤ⸗ 
ter hatte, kann ich unmoͤglich durch Worte 
ausdruͤcken. Obwohl meine Dankbarkeit un⸗ 
veraͤndert blieb, ſo wurde doch meine Liebe 
gegen ihn durch eine gewiſſe Ehrfurcht be⸗ 
graͤnzt, die in ſelner Gegenwart ſogar in 
eine Art von Bangigkeit uͤberging. Er ſchien 
dieß zu bemerken, wle ich aus einigen Fra⸗ 
gen wahrnahm, aber ich getraute mich nicht, 
frey zu antworten. Sein Betragen gegen 
mich blieb zwar das naͤmliche, aber meine 
Idee von ihm war veraͤndert — ich fand 
zwiſchen uns beyden eine Kluft, die ich nicht 
aus zufuͤlen wußte, mir ward in feinem Krei⸗ 
ſe zu enge. Auch war mein Temperament 
nicht für das ſtille ruhige Leben. Das Feu⸗ 
er der Jugend und der Sporn der Ehre trieb 
1 das Getuͤmmel der Welt zu fuchen. 
- e 


(2443 .)) 
Ich hatte kein Bleiben mehr, ich erklaͤrte 
ihm meinen Entſchluß zu reiſen.“ 

„Das ſollen Sie, ſagte Hiermanſor, 
aber in Ihr Koͤnigreich, um wieder den Thron 
zu beſteigen. Allein dazu war ich nicht zu 
bewegen. Mich peinigte der Gedanke den⸗ 
jenigen unter die Augen zu treten, wel⸗ 
che mir den Zug wider die Unglaͤubigen ſo 
heftig widerrathen hatten. Den Schimpf 
der verlornen Schlacht durch einen neuen ſieg⸗ 
reichen Zug auszuloͤſchen, war ſchlechterdings 
nicht zu hoffen, indem ich mein ganzes Heer 
und den Kern des Adels verloren hatte. 
Mein Plan war, meinen Nahmen erſt durch 
neue Thaten meines Armes in fremden Raus 
den beruͤhmt zu machen, und dann mit Ehre 
f gekroͤnt in mein Koͤnigreich einzuziehen. Ver⸗ 
gebens warnte mich Hlermanſor vor zu 
ſpaͤter Reue. Ich beharrte auf meinem Ent⸗ 
ſchluß und reiſte.“ 

„Er begleitete mich. Eine ausführliche 
Geſchichte meiner Reiſen würde zugleich die 

Ge⸗ 


(- 5144 °%) 


Geschichte feiner Wunderthaten ſeyn. Aber 
eine Zeit von mehreren Tagen duͤrfte kaum 
hinreichen, nur eine gedraͤngte Schilderung 
zu geben. Eine einzige Begebenheit, die ſich 
auf unſerer Reiſe nach Algier zutrug, will 
ich als Beyſplel erzählen. “ 

„Wir zogen durch ein Gebuͤſch. Dort, 
wo es am dichteſten verwachſen war, erblick⸗ 
ten wir einen jungen Menſchen, mehr als 
zur Haͤlfte gegen uns gewandt, in der Stel⸗ 
lung des aͤußerſten Kummers. Sein Geſicht 
war tief eingefallen, feine Hände herabge⸗ 
ſunken, die rechte mit einem Dolche bewaff⸗ 
net, und fein Auge ſtarr darauf geheftet. 
Ohne von ihm bemerkt zu werden kam ich 
gerade in dem Augenblick an, als er ſich 
durchſtoſſen wollte. Ich hielt ihm die Hand 
und entriß ihr den Dolch. Er lag ſinnlos in 
meinen Armen.“ 

„Als er durch unſere Bemuͤhung wieder 
zu ſich kam, vernahm ich nach oft wieder⸗ 
hohlten Bitten die Geſchichte feiner Ver⸗ 

zwelf 


| ; 


Cs 
lung. Ich bin der Sohn des oberſten Staats⸗ 
dieners von Algler, ſagte der Juͤngling, und 
heiße Morgan. Mein Herz ſchlaͤgt fuͤr die 
Tochter des Dey und das ihrige für mid. 
Ihr Vater kannte und beguͤnſtigte unſere 
flammende Liebe, bis ein maͤchtiger Neben: 
buhler an dieſem Hof erſchien, ein mauri⸗ 
taniſcher Prinz, Benharad mit Nahmen. Die⸗ 
ſer warb um die Hand meiner Geliebten 


und der Dey ſagte ſie aus Ehrgeiz ihm zu. We⸗ 


der ſein mir gegebenes Wort, weder mein 


Flehen, noch die Thraͤnen des Maͤßrchens 


vermochten feinen Sinn zu andern. Mor⸗ 
gen Abends iſt die Vermaͤhlung. 

„Liebt der Dey ſeine Tochter?“ frag⸗ 
te Hlermanſor. 

„Er liebt ſie. Aber Stolz und Ehr⸗ 
geiz machen ihn grauſam.“ 

„Du ſollſt fie haben.“ d 

Ein bitteres Lächeln des Juͤnglings 
and fein Blick auf den Doſch in meiner Hand 
zeigte, was er von dieſem Verſprechen hielt. 

| K Allein 


. 

Allein Hiermanſor wußte bald durch 
die Allmacht ſeiner Beredſamkeit Morgans 
erſtorbenen Muth zu wecken. Wer glaubt 
nicht gern, was er wuͤnſcht? Hoffnung roͤ⸗ 
thete des Juͤnglings blaſſe Wange. 


| 


Am Morgen des folgenden Tages frage 


te mich Hiermanſor, ob ich nicht Luſt haͤt⸗ 
te mich in einem Kampfſpiele zu verſuchen, 
wozu Benharad alle Großen und Edeln rund 
umher eingeladen habe, um durch die Tha⸗ 
ten ſeines Armes zu beweiſen, daß er der 
ſchoͤnen Tochter des Dey wuͤrdig waͤre. Ich 
nahm Hiermanſors Vorſchlag an. Als ich 


in die Bahn ritt, wöͤͤnſchte er mir nochmahls g 


Gluͤck, und verlor ſich dann im ene 
der Zuſchauer. 

Der Dey ſelbſt verhetelichte mit ſeiner 
Gegenwart das Feſt. Zur rechten ſaß ſeine 
Tochter. Ihre reizende Geſtalt war durch 
die blendende Pracht ihres Anzuges noch 
mehr erhoben, aber die Leiden ungluͤcklicher 
Liebe hatten ihre Wangen gebleicht. Sie 

| “080 


sr 


( 


ſah es gleichguͤltig an, daß Benharad einen 


Gegner nach den andern uͤberwand. Aber 


um fo mehr wurmte mich dieſer Anblick. 
Ich ſtellte mich, um die Gefallenen zu raͤ⸗ 
chen, dem ſtolzen Sieger mit meiner Lanze 
entgegen. Er rannte wie ein Sturm auf 
mich los, und ſein Stoß traf ſo hart, 
daß ich mit Muͤhe im Buͤgel mich feſthielt, 
indeß meine Lanze an dem Schilde des un⸗ 
erſchuͤtterlichen in tauſend Splitter brach. 
Durch ſo viele Siege kuͤhn gemacht for⸗ 
derte Benharad einen nach dem andern auf, 
allein keiner wagte es mehr ſich mit ihm zu 
meſſen. Schon wollte er umwenden und ſich 
den Stufen des Dey nahen, um den Preis 
aus den Händen feiner Tochter zu empfan⸗ 
gen, als ploͤtzlich ein ſtattlicher Mann her⸗ 
vorſprengte und dem ſtolzen Aufforderer die 
Stirne both. Der neue Ankoͤmmling ſpannte 
die allgemeine Aufmerkſamkeit. Ein Theil 
ſeines Geſichtes war durch eine mit Silber 
geſtickte Binde bedeckt, die vom Kinn bie 
8 | K 2 ge⸗ 


„ 

gegen die Augen reichte. Von ſelner Schul⸗ 
ter wehte ein grüner Tafft, auf den mit gols 
denen Buchſtaben geſchrieben ſtand: „Mein 
Geſicht wird mein Gegner fruͤh genug nach 
meinem Siege ſehen. u 

Das it Morgan! erſchallte es unter dem 
Volke. Es iſt Morgan! las ich in den fun⸗ 
kelnden Augen der Prinzeſſinn und auf ihren 
gluͤhenden Wangen. 

„Ha! du biſts! rief Bi den 
ich bisher vergebens ſuchte. An deiner Bil⸗ 
dung und deinen Kleidern erkenne ich dich 
trotz dieſer Vermummung. Elender Prah⸗ 
ler! wenn weibliche Schoͤnheit der Preis der 
Tapferkeit iſt, ſo ſollſt du von meinem Arm 
erfahren, wer von uns beyden der wuͤrdi⸗ 
gere ſey.“ Statt aller Antwort zielte der 
Verhuͤllte mit ſeinem Wurfſpiße, allein Ben⸗ 
harad uͤberhohlte ihn — er warf ſeine Lanze 
und nur eine augenblickliche Wendung des 
Verhuͤllten verhinderte, daß ſie dieſen nicht 
durchbohrte. Dafuͤr traff der Wurfſpieß des 

Ver⸗ 


(149 
Verhuͤllten Benharads Pferd ſo toͤdtlich, daß 
es mit dem Reiter zu Boden ſtuͤrzte. 

Die Bewegungen der Prinzeſſin verrie⸗ 
then deutlich ihr Entzuͤcken. Wild rafte 
Benharad ſich auf und zo das Schwert; 
raſch ſprang der Verhuͤllte vom Pferde und 
entbloͤßte das ſeine. Der grimmigſte Kampf 
begann — doch er blieb nicht lange unentſchte⸗ 


den, Benharad wurde am rechten Arme ver— 


wundet und heftig blutend hinweggetragen. 
Der Verhuͤllte naͤherte ſich dem Throne um den 
Preis des Kampfes zu hohlen — er empfieng 
ihn aus den zitternden Händen der Prinzeſ⸗ 


ſinn unter lautem Zuruf des Volkes. 


Aber eine Dodtenſtille durch keinen Athem- 
zug unterbrochen erfolgte, als der Sieger 
die Binde vom Geſichte nahm, und ein un⸗ 


bekanntes Geſicht ſich den ſtaunenden Zu⸗ 
ſchauern zeigte, es war nicht Morgan, es 


war Hiermanſor. 
Er benutzte den Augenbltck. Tochter 
des maͤchtigen Dey, ſagte er, den Preis 
des 


(- E50 9) 
des Kampfes nehme ich dankbar aus deiner 
Hand, dieſe ſelbſt aber ſey die Belohnung 
Morgans, deſſen Sache und Waffen ich bey 
5 dem Kampfe gefuͤhret habe. 
eit ſtolzer Herabſetzung erwlederte der 
Dey: Auf meiner Tochter Hand hat Mor- 
gan ſo wenig Anſpruch als auf deine Tapfer⸗ 
keit. Beyde ſind das Eigenthum eines Andern. 

„Und weſſen Eigenthum waͤre die Hand 
deiner Tochter?“ 

Beuharads. 

„Sagte dieſer nicht ſelbſt, die weibli⸗ 
che Schoͤnheit ſey der Preis der Tapferkeit, | 
und wer war Steger?“ 

„Nicht Benharad, auch Morgan nicht, 
aber ich bin Gebiether.“ Mit Unwillen er⸗ 
hob ſich der Dey. | 

„Sey auch Vater! (rief Hiermanfor ) 
deine Tochter liebt Morgan, er ſie. Beyde 
ſind einander werth. Er ſelbſt wuͤrde ſich 
heute durch ſeine Thaten ihrer wuͤrdig be⸗ 


wieſen haben, haͤtte nicht der Schmerz un⸗ 
glück⸗ 


E 

gluͤcklicher Liebe ihn aufs Krankenlager ge— 
worfen. Du beguͤnſtigteſt vorhin die Liebe 
dieſes edeln Paares, kroͤne fie jetzt durch die 
Einwilligung in ihre Verbindung.“ | 
| „Ha! Verraͤther! der bu mit erborgten 

Waffen fremde Haͤndel ſchlichten willſt, wer 
biſt. du, daß bu dich erkuͤhnſt mir Geſetze vor⸗ 
zuſchreiben? 

„Wer ich bin, ſollſt du bald erfahren“ 
ſagte Hiermanſor drohend und wollte ſich 
entfernen. 

„Haltet ihn! (rief der Dey im Grimme) 
Schleppt ihn ſogleich in den tiefſten Kerker, 
werft ihn morgen oͤffentlich den Loͤwen zur 
Speiſe vor.“ | 

Er ward ergriffen und fortgeführt; aber 
ſein Zweck war erreicht, Benharads Wunde 
ſchien gefaͤhrlich, die Vermaͤhlung unterblieb. 

Am folgenden Tage begab ich mich nach 
dem Orte, wo der ſchrecklichſte Tod ihn er⸗ 
wartete. Der Platz war rund herum mit 
einer Mauer eingefaßt, die Gänge wimmel⸗ 

ken 


* 


) 

ten von Zuſchauern. Der Dey ſelbſt erſchien 
um feinen Durſt nach Rache durch den Ans 
blick des graͤßlichen Schauſpieles zu ſtillen. 
Hiermanſor wurde vorgeführt. Die Loͤ⸗ 
wen begruͤßten ihn aus ihren Behälrnißen 
mit einem fuͤrchterlichen Gebruͤlle, aber auf 
feinem Angeſichte ſtand feſte Entſchloſſenheit, 
die ihn auch alsdann nicht verließ, da auf 
ein gegebenes Zeichen ein eiſernes Gitter ge⸗ 
oͤffnet, und ein Löwe herausgelaſſen wurde, 
deſſen Auge von ferne Tod und Verderben 
ankuͤndigte. Hiermanfor ging unbewaff⸗ 
net, wie er war, ihm entgegen, ſtreckte def⸗ 
fen weit aufgeriffenem Rachen den Arm hin 
und der Loͤwe fiel todt zu feinen Fuͤſſen nieder. 

Der Dey erbleichte. Hlermanſor wand⸗ 
te ſich zu ihm: „Wer ich bin (rief er) haſt 
du jetzt erfahren. Zwinge mich nicht, mei⸗ 
ne Macht gegen dich zu kehren, gieb Mor⸗ 
gan deine Tochter.“ 

Dieſe Worte in einem feſten drohenden 
Tone geſagt empoͤrten den Stolz des Dey. 

2. Laß 


| 
| 
. — 


(3) 

„Laß uns ſehen (ſprach er) ob deine 
Macht die Probe haͤlt.“ Und zugleich gab 
er Befehl einen zweyten Löwen loszulaſſen. 
Das grimmige Ungeheuer ſprang auf Hier: 
manſorn zu, abermahls ſtreckte dieſer feinen 
Arm aus, und das Thier ſtuͤrzte leblos zu 
Boden. i 

Allgemeines Erſtaunen ward laut. In 


groſſer Bewegung verlleß der Dey ſeinen 


Platz, und geboth dem Loͤwenbezwinger, 
ihm zu folgen. In das innerſte feines Pal⸗ 
laſtes fuͤhrte er ihn und befragte ihn wegen 


feiner Macht. 


„Die iſt mir von Allah gegeben Cer— 
wlederte Hlermanſor) durch fie beuge ich 
den Stolz der Maͤchtigen und hebe den nie⸗ 


dergedruͤckten Sterblichen aus dem Staube. 


Laß dir guͤtlich rathen und gieb Morgan dei⸗ 
ne Tochter.“ 

Furcht erſchuͤtterte das Herz des Dey 
vor dem gewaltigen Unbekannten, aber Stolz 


und Ehrgeitz behielten ſelbſt uͤber ſeine Furcht 


die 


ke er 
die Oberhand. Er an 95 guͤtlichen An: 
trag aus. 

Hiermanfor wollte ſich 1 7 Aber 
der Dey, welcher aus ſeinen Mienen fuͤrch⸗ 
terliche Folgen zu ahnden ſchien, ergriff ihn 
ſanft bey der Hand und zog ihn an ſich. 

„Mein halbes Reich (ſagte er freund⸗ 
lich) ſteht zu deinem Gebothe, aber laße mir 
nur in dieſem Punkte meinen Willen.“ 

„ GGluͤckſeligkeit iſt Allahs Wille — 
der deinige: zwey Geſchoͤpfe ungluͤcklich zu 
machen — und eines davon iſt deine Toch⸗ 
ter. “ f g 

„Ste wird nicht unglücklich ſeyn, die 
Be! wird ihre Leldenſchaft dame ſie 
wird Morgan vergeſſen.“ 

„Du irreſt. Meine Blicke dringen tie⸗ 
fer in die Zukunft als die deinigen. Der 
Gram wird ſie toͤdten.“ 

„O du, dem uͤbermenſchliche Macht ver⸗ 
liehen iſt, weißt du kein Mittel, ſie von die⸗ 

| er 


(iss 
ſer unſeligen Leldenſchafk zu heilen, denn ich 
kann von meinem Entſchluße nicht weichen.“ 
Hiermanſor ſchien ſich zu bedenken. 
Ich will einen Trank bereiten, ſagte er endlich, 
der fie von ihrer Leidenſchaft heilen fol. 
Der Dey ſchloß ihn freudig in ſeine Arme. 
Der Trank wurde bereitet. Die Prin- 
zeſſin nahm ihn, als ſie zu Bette ging. Da 
man fie am folgenden Morgen wecken woll⸗ 
te, fand man ſie todt. | 
Die Nachricht fuhr wie ein Wetterſchlag 
durch des Dey Seele. Vergebens raufte er 
ſeinen eisgrauen Bart aus, vergebens wurden 
die Aerzte beſchenkt und bedroht, das Maͤd⸗ 
chen blieb ohne Zeichen des Lebens. 
Hiermanſor, auf deſſen Kopf ein un⸗ b 
geheurer Preis gebothen war, wurde allen⸗ 
thalben geſucht, nirgends gefunden. End- 
lich erſchien er ſelbſt. Sein Anblick entkraͤf⸗ 
tete die Wut des Dey, der ſtaar und ſprach— 


los ſtand. „Du wollteſt deine Tochter von 


ihrer Leidenſchaft geheilt wiſſen (ſagte Hier⸗ 
man⸗ 


("156 :) 
manfor ) dein Wille iſt erfüllt. Kein an⸗ 
deres Mittel vermochte ihre Liebe zu tilgen.“ 
Gleb mir ſie wieder, ſchrie der Dey, gib 
mir meine Tochter wieder. „Damit der f 
Gram fie nochmahls toͤdte, war die Ant⸗ 
wort, du magſt nun die Folge deines Staar⸗ 
ſinns tragen und dein Leben kinderlos be⸗ 
ſchließen.“ Er wollte gehen; man hielt ihn 
auf. „Ha! Verraͤther! (ſagte der Dey) 
der ſchrecklichſte Tod, der ſich denken läßt, 
fen der deinige, unter tauſend Martern ſollſt 
du deinen Geiſt aufgeben, wenn du nicht 
meine Tochter ſogleich erweckeſt.“ Hierman⸗ 
ſor ſah ihn mit kalter Verrachtung an und 
ſchwieg. Zu ſeinen Fuͤßen warf ſich der 
Dey, weinend flehte er ihn um die Wieder⸗ 
erweckung ſeines Kindes, die Hälfte feines 
Reiches verſprach er ihm zum Lohne. Be⸗ 
halte dein Reich (ſagte jener) und ſchwoͤre 
mir, deine Tochter mit Morgan zu ver⸗ 
mäßhlen, fo will ich fie ins Leben rufen. 


Der 


* ee 


(257 93 

Der ganze Hof wurde verſammelt, Mor- 
gan her beygefuͤhrt, der Dey ſchwur feyer— 
lich, ihm feine Tochter zur Gattin zu geben 

Hiermanſor ſank bethend an dem Lager der 

Verblichenen nieder und ergriff ihre Hand. 
Sie fieng an, ſich zu regen, ihre Wangen 
fläaäͤrbten ih, in Morgans Armen ſchlug fie 
! die Augen auf; fein Anblick gab ihr Leben 
und Bewußtſeyn wieder, ihn ſchien die Freu⸗ 
de zu toͤdten. 

Hiermanfor ſtand und weidete ſich an 
dem entzuͤckenden Schauſpiele, das ganz 
ſein Werk war. Aber als Morgan wieder zu 
ſich ſelbſt kam und dem Schoͤpfer ſeines 
Gluͤckes danken wollte, entwich dieſer und 
ließ ſich nimmer ſehen. Am folgenden Tage 
feyerte das liebende Paar das Feſt des 
ewigen Bundes.“ | a 

Der Koͤnig ſchwieg eine Welle, um den 
erſten Eindruck dieſer Erzählung voruͤberge— 
hen zu laſſen, dann ſetzte er ſeine Geſchich⸗ 
te alſo fort: | 

| Mein 


(0758.09 
Mein Hang zu reifen und Abenteuer 
aufzuſuchen erſchoͤpfte ſich endlich. Die Jah⸗ 
re der Jugend waren verfloſſen. ) Mein 
Beruf zum Throne und die Begierde meine 
Unterthanen wieder zu ſehen, fiengen an, ſich 
maͤchtig in meiner Seeie zu regen, beſonders 


da mir Hiermanſor ſagte, daß ſchon drey a 


Betrüger ſich erkuͤhnt hätten, meine Perſon 


oͤffentlich vorzuſtellen, und auf den Thron 


Anſpruch zu machen. Aber eben das, was 


mich noch mehr ſpornte in mein Königreich 
zuruͤckzueilen, ſtellte mir Hiermanſor als 


einen Grund vor, meine Reiſe noch zu ver⸗ 
ſchieben. Man würde Sie jetzt für den vier⸗ 


ten Betrüger halten, ſagte er, oder der Koͤ— 
nig von 'nien wuͤrde wenigſtens keine Mit⸗ 
tel ſparen, Sie dafiir auszugeben. Er rieth 
mir, einen beſſern Zeitpunkt im ſtillen abzu⸗ 
warten. Ich begab mich von ihm begleitet 
in ein Kloſter, wo er von mir mit der Er⸗ 
| nahe 
Man vergleiche dieſe Erzählung mit jener im 
erſten Theile. S. 271: 272. 36 


# 


(159°) | 
mahnung Abſchied nahm, auf ſeine Zuruͤck— 
kunft zu harren. f 

Allein meine Ungeduld den väterlichen 
Boden und meine Unterthanen wieder zu 
ſehen wuchs mit jedem Tage. Ich fand 
Hiermanſors Beſorgniß übertrieben. Die 
Wahrheit und Gerechtigkeit meiner Sache, 
dachte ich, wird fuͤr mich ſprechen, meine 
Perſon ſelbſt hat unverkennbare Merkmahle, 
die meine Ausſage beſtaͤtigen muͤſſen. Kurz! 
ich uͤberwand alle Bedenklichkeiten, und trat 
ohne länger auf die Ankunft meines Freun⸗ 
des zu warten die Rüuckreiſe an. = 

Hiermanſor befand ſich zu dieſer Zeit 
in der Hauptſtadt meines Königreiches. Un⸗ 
geachtet der Entfernung von mir wußte er 
mein Unternehmen. Er ſuchte es zu beguͤn⸗ 
ſtigen, obwohl ich als Uebertreter feiner War: 
nung feinen Unwillen verdient haͤtte. In 
eine Moͤnchskleidung verhuͤllt ging er zu dem 
Prinzen von B' in der Abſicht, ihn zur 
Verwendung für meine Sache zu bereden. Da 
aber 


(„ 


aber Hiermanſor ſah, daß der Prinz auf 
allen Seiten auswich, wartete er auf eine 
andere Gelegenhelt meinem Unternehmen Vor⸗ 
ſchub zu thun. Dieſe zeigte ſich auch bald. 
Das Volk wurde durch eine neue Bedruͤckung 
des Königs von nien fo aufgebracht, daß 
es ſich, wie fie ſelbſt wiſſen werden, im 
Herzen meines Reiches zuſammenrottete, und 
in laute Klagen ausſtrͤmte. Damahls 
ging Hlermanſor in Moͤnchsgeſtalt unter 
den Unzufriedenen umher, und ſuchte ſie im 

Tone einer heiligen Begeiſterung zu meinem 
Vortheile zu entflammen. 
Sobald die Nachricht davon nach vg, 
wo ich mich damahls befand, gedrungen 
war, gab ich mich ſogleich oͤffentlich fuͤr 
denjenigen aus, der ich wirklich bin. Ich 
wurde auf Anſtiften des“ niſchen Geſandten 
vor Gericht gefordert es zu bewelſen und 
ich rechtfertigte mich. Dennoch blieb ich 
drey Jahre verhaftet, bis mein Prozeß zu 
Ende kam. O wenn Sie wuͤßten, was meine 
fuͤrch⸗ 


( 161. ) 
fuͤrchterlichen Richter während diefer Zeit 
anwandten, um mich eines Betrugs zu uͤber— 
führen, welche Mittel der König von 'nien 
aufboth meinen Untergang zu bewirken, — 
haͤtte ich nicht Geheimniße entdeckt, die ich 
unmoͤglich hätte wiſſen koͤnnen, wäre ich nicht 
derlenige geweſen, für den ich mich erklaͤr⸗ 
te, hötte man mich nur auf der kleinſten 
Falſchheit betreten, hätten nicht alle um⸗ 
ſtaͤnde laut für die Wahrheit meiner Aus- 
ſagen geſprochen — mein Leben waͤre ohne 
Rettung verloren geweſen.“ 

„Unterdeſſen fachte Htermanſor das 
Feuer, welches er in den Köpfen und Hera 
zen meines Volkes bey der erwähnten Ges 
legenheit entzündet hatte, thells durch Schrifs 
ten, die er drucken und ausſtreuen ließ, theils 
durch die Kuͤnſte der mündlichen Ueberredung 
zu hellen Flammen an. Er war auch die 
geheime Urſache, daß ſich zu Verla die Wun⸗ 
derglocke hoͤren ließ, von der man ſagte, daß 
ſie bey bevorſtehenden groſſen Begebenheiten, 

? 2 die 


Cole.» 7 

die das koͤnigliche Haus, oder das Reich bee 
. von ſelbſt laͤute. Mit einem Wor⸗ 
te: Hiermanſor hatte nicht unterlaſſen N 
die Cem het meiner Unterthanen zu meinem 
Vortheile in Bewegung zu ſetzen und zu er⸗ 
halten; ſelbſt den König von 'r n“ brachte 
er dahin, daß ſich derſelbe fuͤr mich ver⸗ 
wandte. Meine Richter konnten dem lauten 
Zurufe ſo vieler und ſo anſehnlicher Stim⸗ 
men, dle meine Befreyung begehrten, nicht 
laͤnger widerſtehen, ſie ließen mich los. Auf⸗ 
fallend iſt es, daß ich unſchuldig erkannt 
wurde, und doch Befehl erhielt, das Gebleth 
zu raͤumen, aber es nicht minder merkwuͤrdig, 
daß man mir acht Tage Zeit gab mich zum 
Abzuge zu ruͤſten.“ 

„Die Wahl zwiſchen zweyen Wegen, 
welche in mein Koͤnigreich fuͤhrten, ſetzte 
mich in Verlegenheit. Hiermanſor ſchlug 
mir den Weg durch Gr“ und Sch! von 
Allein die meiſten widerrtethen mir denſel⸗ 
ben wegen einer anſteckenden Seuche, welche 
ſich 


(163 ) 
ſich allda verbreltete. Ich wählte alſo den 
Weg durch das S***fche Gebieth, und waͤhl— 
te mein Verderben. Ungeachtet der Domi⸗ 
nikanerkutte, in die ich mich verbarg, wur⸗ 
de ich erkannt, eingezogen, und an die niſche 
Regierung ausgeliefert.“ 

Der König brach die Erzählung ab. Sein 
Geſicht verduͤſterte fih. Das Gefühl der 
traurigfien Erinnerung ſchien mit aller ne 
ihn zu ergreifen. 

„O Hiermanſor! (ſagte er endlich) der Un⸗ 
gehorſam gegen deine Rathſchlaͤge wurde von 
dem Himmel ſchwer an dem Uebertreter ge⸗ 
raͤcht, er koſtete mich meine Krone, meine 
Ehre, und meine Freyheit. O mein Wohle 
thaͤter! Vergebens hatkeſt du mich aus den 
Haͤnden jenes fuͤrchterlichen Gerichtes befreyt 
und mich den Weg zu meinem Gluͤcke gefuͤhrt 
— ich bin durch meine eigene Hand gefal— 
len.“ Er vermochte nicht weiter zu ſprechen. 

Ich warf mich vor ihm nieder. O mein 
Koͤnig! rief ich, die Tage ihres Gluͤckes 

L 2 ſols 


( 164 ) 


ſollen wieder kommen. Nicht umſonſt hat 
Sie ein guͤtlges Schickſal Ihr Jahrhundert 
uͤberleben laſſen, Ihr Alter ſcheint ein Un⸗ 
terpfand des Himmels zu ſeyn, daß noch 
beſſere Tage Ihrer warten. Das jetzige Jahr— 
hundert wird die Ungerechtigkeit des verfloſ⸗ 
ſenen erſetzen. Noch lebt Hlermanſor, auf 
ihn darf ich kuͤhn Ihre Hofnungen verweiſen. 
Und wenn ich beſtimmt bin einen Stein zu 
dem neuen Gebaͤude Ihres Glückes beyzu⸗ 
tragen, ſo ſoll mir ſelbſt mein Leben nicht 
zu theuer ſeyn, es daran zu wagen. 

Der Koͤnig ſchien von der Begeiſterung, 
womit ich dieß ſagte, uͤberraſcht. Seine 
Augen glänzten von Thraͤnen der Freude, 
Er hob mit einer Umarmung mich auf „ und 
druͤckte mir die Hand. Sein ſtummer Dank 
ruͤhrte mich mehr als die feurigſte Beredſam⸗ 
keit. 
Lange währte das Stillſchweigen. Ends 
lich ergriff der Koͤnig das Wort: 


Ich 


i 

„Ich will mir dlefe frohe Stunde nicht 
durch die Erzaͤhlung der traurigſten Bege— 
benheiten meines Lebens verbittern. Auch 
iſt das Verfahren der 'niſchen Regierung 
und die Geſchichte meiner Mißhandlungen 
ohnehln genug bekannt. ) Sie endigte ſich 
mit meiner Verhaftung zu St. Cr. O wie 
oft wuͤnſchte ich in meinem Kerker: haͤtte ſich 
auch mein Leben damit geendigt. Was konn⸗ 
te mir die Verlaͤngerung eines Daſeyns from⸗ 
men, welches ich bey kaͤrglichem Brod und 
Waſſer nur muͤhſam friſtete, welches mir 
durch die Erinnerung verlorner Gluͤckſelig⸗ 
keit täglich peinigender und durch die Un- 
moͤglichkeit auf irgend eine Art befreyt zu 
werden vollends unertraͤglich wurde?“ 

„In einer finſtern ſtuͤrmiſchen Nacht, als 
ich vom Gram nledergedruͤckt auf meinem 
harten Lager entſchlafen war, ſtieß mich et> 
was in die Seite, und zu gleicher Zeit hoͤr— 
te ich meinen Nahmen rufen. Ich fuhr auf, 

aber 
*) Sieh den erſten Theil. S. 274. u. 275. 


( 166 ) 


aber die rabenſchwarze Finſterniß, die mich 
umgab, ließ mich keinen Gegenſtand entde⸗ 
cken. Auf meine Frage, wer mich gerufen 
habe, ſtrahlte mir ein Licht entgegen und 
Hiermanſor, der ſeinen Mantel zuruͤckſchlug, 
fland mit einer Laterne vor mir. Er loͤſte 
meine Ketten und hieß mich folgen. Wir 
gingen an den Wachen voruͤber ohne aufge⸗ 
halten zu werden. Ich hielt alles fuͤr Taͤu⸗ 
ſchung eines gluͤcklichen Traumes. Erſt als 
wir ins freye kamen, war ich von der Wirk- 
lichkeit deſſen, was ſich mit mir zutrug, 
überzeugt. Hiermanſor gab mir Kleidung, 
zum unkenntlich machen. Wir warfen uns 
in einen beſtellten Wagen, der wie ein Pfeil 
mit uns laͤngſt der Graͤnze fortflog, und 
langten endlich ohne entdeckt zu werden zu 
an. Von hier gingen wir zu Fuße bis 
in die Gegend, wo ich mich gegenwaͤrtig 
befinde, und wo Hiermanſor mich verließ. 
Auf, feinen Rath zog ich dieſe Kleidung an, 
hinter der Niemand den Koͤnig vermuthet, 
| wel⸗ 


—— — 


— © m 0 


E17) 
welchen man für laͤngſt vermodert haͤlt. Auf 
ſer ihnen beyden weiß keine Seele um das 
Geheimniß als ich und mein Wohlthaͤter.“ 

„Und wird es auch Niemand erfahren 
(ſagte der Graf) bis der laute Ruf zum 
Throne es von ſelbſt enthuͤllen wird. Aber 
zeigt ſich Hiermanſor nicht oͤfters an die⸗ 
ſem Orte? . 

„Niemahls, als wenn ich ihn rufe.“ 

Ich und der Graf ſahen bald uns bald 
den Koͤnig mit Verwunderung an. i 

„Sie verſtehen mich nicht (ſagte der leg: 
tere) Ich will mich Ihnen deutlicher erklaͤ⸗ 
ren. Bey ſeinem Abſchiede lehrte mich Hier⸗ 
manſor ein Geheimniß, das ich, ſo auſ⸗ 
ſerordentlich es iſt, doch in der Anwendung 
allezelt bewaͤhrt gefunden habe. Ich kuͤſſe 
dreymahl ſein Bild, und ſpreche dabey mit 
inniger Erſchuͤtterung einige Worte; und Hier: 
manſor erſcheint in der naͤmlichen Minute, 
wo er auch immer ſeyn mag. Nur in der 
zwoͤlften Stunde ſowohl bey Tag als bey 

Nacht 


( 168 ) 
Nacht darf ich von dieſem Geheimnlße kel⸗ 
nen Gebrauch machen. Jetzt iſt Ein Uhr 


voruͤber. Wollen Sie ſich von der Wahrheit 


meiner Ausſage uͤberzeugen, ſo will ich ihn 
rufen | 

Scherz war bey dem Ernſte, womit der 
Koͤnig ſprach, nicht zu vermuthen, und doch 
war dle Sache ſo unglaublich, daß die Er⸗ 
fuͤllung nicht moͤglich ſchien. Welche Neu⸗ 
gierde hätte einem ſolchen Reitze widerſtan⸗ 
den? Wir bathen den Koͤnig, ihn zu rufen. 

Er trat vor das Bild, das neben der 
Thuͤre ſtand. Lange blieb er in deſſen An⸗ 


blick verſunken, dann ſprach er wie von ei⸗ 


ner Begeilſterung ergriffen einige uns uns 
verſtaͤndliche Worte und kuͤßte das Ges 
maͤhlde dreymahl. Ploͤtzlich entſtand ein 
Raſſeln, eine helle Flamme fuhr uͤber das Bild 
hin und verloſch, das Licht im Glaſe vers 
ſchwand und kam wieder hervor, und bins 
ter uns ſprach es deutlich: „Was willſt du 


Koͤnig?“ Erſchrocken wandten wir uns um 


und 


6690 


und ſahen in der Ecke der Zelle Hlermanſor 
ſtehen, leichenblaß im Geſichte, ſchwarz 
gekleidet, mit dem Scharlachmantel umgeben. 

Ich geſtehe, daß mich dieſe Erſcheinung 
des Unbekannten mit eben der ſchaudernden 
Bewunderung durchgrlff, womit mich vor— 
mahls fein ploͤtzliches Verſchwinden in dem 
Zimmer Amaliens erfuͤllet hatte. Meine Aus 
gen, die in der ganzen Gegend der kleinen Zelle 
keinen Ort entdeckten, durch den Hiermanfor 
fönnte zum Vorſchein gekommen feyn , 
kehrten erſtaunt auf den Unbegreiflichen zus 
ruͤck, der ſich nach einem geraumen Still- 
ſchweigen gegen uns bewegte, und die vori— 
ge Frage an den Koͤnig wiederhohlte. 

„Ich habe dich auf Verlangen meiner 
Gaͤſte gerufen“ verſetzte der letztere. 

Hler manſor wandte ſich zu mir: „Was 
haben ſie beſchloßen?“ ſagte er. 

„Ihrem Willen unbedingt zu folgen“ 
war meine Antwort. 


„So 


N 

„So eilen Sie nach *r—n*. Laſſen Ste 
ſich durch nichts auf ihrer Reiſe aufhalten, 
hoͤren Sie! durch gar nichts. Trachten Sie 
Nachts in der Reſidenzſtadt einzutreffen, und 
erſcheinen Sie allda nie bey Tage. Ge⸗ 
ben Sie ſich für einen ttaltenifhen Abbe aus, 
der ſich einige Zeit zur Beluſtigung aufzu⸗ 
halten gedenkt, und ſuchen Sie durch des 
Grafen Vermittelung (indem er auf meinen 
Gefährten wies) bey der Koͤniginn eine ge⸗ 
beine Audienz zu erhalten. Sie wird Ihnen 
geſtattet werden, ſobald der Graf dieſe Pa- 
piere in die Hände der Koͤniginn wird ges 
liefert haben. (Er übergab ihm ein verſie⸗ 
geltes Paket, und fuhr dann wieder zu mir 
fort:) Aber ich ſchaͤrfe Ihnen nochmahls 
Behutſamkelt, und das ſtrengſte Incognito 
ein. Forſchen Ste nicht nach der Urſache, 
die ich nicht entdecken darf, nur ſo viel kann 
ich Ihnen ſagen, daß Ihr Tod entſchieden 
iſt, wenn der König von 'r— n' ober der 
Kardinal von chel'“ erfährt, wer Sie find, 

i | Keda 


ei ; 


„ 
Kehren Sie ſich an nichts, was die Koͤni⸗ 
ginn thun oder reden mag, außer in ſo weit 
es Ihren Auftrag betrifft. Beſtehen Ste 
auf der Bitte, daß, wenn es zwiſchen Ih- 
rem Vaterlande und dem Könige von 'nien 
zu einer Spaltung koͤmmt, die irn iſche 
Regierung ſich auf die Seite des erſteren er⸗ 
klaͤre. Die Koͤniginn, welche den maͤchtig⸗ 
ſten Einfluß auf die Regterung hat, kann 
und wird diefe Bitte erfüllen. Wenn Sie 


aber wegen des neuen Kronwerbers in Sie 


dringen ſollte, ſo huͤten Sie ſich, ihr den 
aͤchten zu nennen. 

„Wen ſoll ich nennen?“ 

„Den Herzog von B““ 

Er ſah mein Befremden. Sein Blick 
durchdrang mich; „Sie haben ſich freywil— 
lig in meine Gewalt begeben, Cſagte er) 
aber noch laſſe ich Sie frey, wenn Ste zus 
ruͤcktreten wollen, nur muͤſſen Sie ewiges 
Geheimhalten des Vergangenen ſchwoͤren. 

Be⸗ 


972) 
Beharren Ste aber auf Ihrem Entſchluße, 
ſo geloben Sie es in meine Hand.“ 

Ich reichte ihm mit Betäubung bie Rechte. 

Er druͤckte Ste, ſagte mit feyerlichem 
Ernſt: „Jetzt ſind Sie mein.“ Sein Auge 
faßte dann den Grafen, und verweilte fors 
ſchend auf ihm. Dieſer ſchlug den Blick zu 
Boden, das Papier zitterte in ſeinen Haͤn⸗ 
den, er warf ſich zu Hiermanſors Fuͤßen. 
„ Wer Sie auch ſeyn moͤgen (rief er) ich habe 
Sie verkannt. Ich bin von meinem Irr⸗ 
wahne geheilt; kann die aufrichtigſte Reue 
und die Verſicherung meiner gaͤnzlichen Er⸗ 
gebenheit Sie verſoͤhnen, fo bin ich Ihrer 
Vergebung wuͤrdig.“ 

„Stehen Sie auf (verſetzte groß und 
edel Hiermanſor) Ich habe Ihnen verges 
ben. Ein Beweis davon iſt der Auftrag, 
den ich in Ihre Haͤnde legte. Wuͤrde ich 
wohl einem, den ich haſſe, dieſe wichtigen 
Papiere anvertrauen. Ich kenne Sie lange 
und kenne Sie gut. Geloben Sie mir uns 

ver⸗ 


(4173 7 
verbruͤchliche Verfchwiegenbeit, fo follen auch 
Sie meinen Plan erfahren.“ | r 

Der Graf ſchwur den Eid der Verſchwie— 
genheit. Hlermanfor nahm das Wort: 
5 „Der koͤnigliche Greis, ſo gerecht auch 

ſeine Sache iſt, hat doch weder Kriegsvolk, 
noch auswaͤrtige Unterſtuͤtzung um Sie ſelbſt 
zu fuͤhren, man mußte ſie daher in die Haͤn⸗ 
de eines Maͤchtigen legen. Ich kenne keinen 
Maͤchtigern im Lande, als den Herzog von 
Br*, Der dritte Theil des Koͤnigreichs iſt 
fein Eigenthum, das Volk liebt ihn, es 
wuͤnſcht ihn zum Regenten. Dem Herzoge 
kann es alſo nicht ſchwer fallen ſich des Thro⸗ 

nes zu bemeiſtern. Zwar koſtete es ungemeine 
Muͤhe ihn zu dieſem Unternehmen zu bereden, 
doch endlich hat er ſich entſchloſſen. Schon 
find die Triebraͤder in Bewegung. Sobald 
er ſich des Thrones wird verſichert haben, 
dann wird er denjenigen, der den geltend— 
ſten Anſpruch darauf hat, aus der Dunkel- 
heit hervorziehen, ihn oͤffentlich fuͤr den wirk⸗ 

li⸗ 


(ara) 
ichen Koͤnig erelaͤren und auf deſſen 1 
die neueroberte Krone ſetzen.“ | 

„Sind Sie diefer Selbſtberlaͤugnung 
des Herzogs von Binn gewiß?“ 

„Ich pflege nicht auf Ungewißheit zu 
bauen, Cantwortete mir Hiermanſor bes 
leidigt) Ich weiß, daß Sie dem Herzog 
abhold ſind, aber ſie irren ſich in ſeinem Cha⸗ 
rakter. Sein Herz iſt gut, darauf koͤnnen 
Sie ſich verlaſſen. Fir das übrige laſſen 
Sie mich ſorgen.“ 

„Wenn ſich aber die Koͤnkginn 'r n' in 
der Folge getaͤuſcht findet, wenn ſie einen 
andern als den Herzog von Bir, für den 
Sie ſich verwendet hat, den Thron einneh⸗ 
men ſieht, wird ſich dann nicht ihre Gnade 
in Rache verwandeln? wird die 'r—niiſche 
Regierung, die fuͤr mein Vaterland gewon⸗ 
nen war, ſich nicht wieder daſſelbe erklaͤren.“ 

„Zu ſpaͤt! Iſt ihr Vaterland einmahl 
von dem niſchen Joche losgeriſſen, hat der 
neue Koͤnig Fuß gefaßt, dann wird man 

| ſchon 


(s 
ſchon Mittel finden die Drohungen aus waͤr⸗ 
tiger Mächte zu vereiteln. Dieſe dürfen nur 
die Auffuͤhrung des Gebaͤudes nicht hindern, 
wenn es vollenbet daſteht, dann wird es 
ſchon durch ſeine innere Feſtigkeit aͤußeren 
Anfaͤllen trotzen. Doch dieſe Anfaͤlle ſind nicht 
wahrſcheinlich; denn ob der Herzog von B*** 
oder ein anderer, der feine Anſpruͤche bewei⸗ 
ſen kann, die Krone behaͤlt, iſt fuͤr die aus⸗ 
waͤrtigen Maͤchte im Grunde einerley. Nur 
die Uebertragung der Krone von dem miſchen 
Hauſe auf ihr Vaterland kann ihnen der 
neuen Verhaͤltniße wegen, in die ſie dadurch 
geſetzt werden, nicht gleichguͤltig ſeyn, und 
in dieſer Ruͤckſicht muͤſſen fie gewonnen wer⸗ 
den. Alſo nicht für den Herzog von Birr, 
ſondern für Ihr Vaterland bey der Koͤniginn 
von rn“ vorzuſprechen, ſey die Abſicht 
Ihrer Reife, 3 — d, K — d, S — n, 
ſind bereits zum Vortheile Ihres Vaterlan⸗ 
des geſtimmt, wenn nun auch rn dieſen 
f : drey 


(. 276 2) 
drey Mächten beytritt, ſo iſt dle Revolution 
von außen geſichert.“ 

„Erlauben Ste mir noch elne Einwendung: 
die Koͤniginn 'r n' iſt eine Schweſter des 
Königs von nien, wie läßt ſich hoffen, 
daß ſie zum Nachtheile Ihres Bruders auf 
unſere Seite treten wird?“ 

„Und dennoch wird Sie es, aus Urſa⸗ 
chen, die ich nicht entdecken darf. O Her⸗ 
zog! es giebt ſtaͤrkere Triebfedern als eine 
ſolche Verwandtſchaft — doch was ſage ich? 
— Sind nicht Faͤlle denkbar, wo das In⸗ 
tereſſe des Blutes dem Intereſſe der Poll⸗ 
tik nachſtehen muß. Glauben Sie nicht?“ 

„Ich gelobte 915 unbedingt zu fol⸗ 
gen. 7 
„„Durch dieſes Verſprechen iſt nur Ihr 
Wille gebunden. Die Freyheit zu denken 
bleibt Ihnen unbenommen.“ 

„Was nuͤtzt mir dieſe ohne die Frey⸗ 
heit zu handeln? — Ich opfere meine Ein: 


ſichten den Ihrigen auf.“ 
„Sie 


6 
„Ste reifen olſo? 
„Mit Tagesanbruch.“ 
„So reiſen Ste gluͤcklich. Und wenn 


Ste dort Ihe Geſchaͤft verrichtet haben, fo 


eilen Sie nach nien. Nehmen Sie von mir 
die Verſicherung, daß Ihr Vater niemahls, 
auch nur von ferne, Ihr Vorhaben ahnden 
wird. Ich ſetze voraus, daß Sie ihm die 
Reife nach 'r n“ durch irgend einen ſchein⸗ 
baren Vorwand werden zu verheimlichen 
wiſſen. Meine uͤbrigen Maßregeln aber ſind 
fo beſchaffen, daß Niemand als die Ver— 
ſchwornen das geringſte von dem, was Sie 
fuͤr die Revolutton thun, jemahls erfahren 
kann. Und ſelbſt dann, wenn Ihre Hands 
lungen laut werden ſollten, wuͤrde es vor 
aller Welt Augen den Anſchein haben, daß 
Sie nicht nur kein Theilnehmer und Begins 
ſtiger, ſondern der khaͤtigſte Feind der Ver⸗ 
ſchwoͤrung waren. Sie werden aber von 
ſelbſt einſehen, daß ich dabey auf dle ſtreng⸗ 
ſte Befolgung meiner Maßregeln rechne.“ 
M „Ges 


(we ) 

„Gewiß! das duͤrfen Sie auch.“ 

„Erfuͤllen Sie dieſe Ver ſicherung wie 
ein Mann, und der ſchoͤnſte Lohn ſol Ih⸗ 
nen werden.“ 

„Ich mache auf keinen andern Anspruch 
als den mir das Bewußtſeyn gewähren wird, 
daß ich die Feſſel meines Vaterlandes zer⸗ 
brechen und dem koͤniglichen Greiſe ſein Recht 
verſchaffen half.“ 55 

„Bleiben Sie immerhin dabey, um ſo 
angenehmer muß Sle ein Lohn uͤberraſchen, 
der alle Wuͤnſche Ihres Herzens uͤberſchweng⸗ 5 
lich befriedigen wird.“ f 

Ich las den Sinn dieſer Worte in ſei⸗ 
nen Blicken, und auch er mußte in den mel⸗ 
nigen leſen, daß ich ihn verſtand. Er eilte 
hinweg ohne den Ausbruch meiner Empfin⸗ 
dungen abzuwarten, die mich zum gluͤcklich⸗ 
ſten aller Sterblichen machten. Der koͤnig⸗ 
liche Einſiedler, der ih hn bis vor die Thuͤre 
begleitete, führte uns nach feiner Zuruͤckkunft 

a | in 


„ v; 
in eine andere Zelle, wo er uns das Nacht- 
lager anwies. 

Aber kein Schlummer fant auf meine 
Augenlieder, ich traͤumte wachend. Der 
Inhalt meiner Traͤume war Amalie — denn 
wer anders als fie konnte jene uͤberſchweng⸗ 
liche Belohnung ſeyn, die Hiermanſor mir 
verhieß. Die Ausſicht, welche er durch die⸗ 
ſes Verſprechen mir eroͤffnete, ſtroͤmmte durch 
mein ganzes Weſen neues Leben, gab mir 
Kraft und Entfchloffenheit alles zu thun, 
und alles zu leiden. Meine Phantaſte zau⸗ 
berte mir Amaliens liebliches Bild mit allem 
Reitze der Neuheit, die Auftritte der wenkl⸗ 
gen mit ihr durchlebten Stunden mit aller 
Staͤrke der Wirklichkelt, und dle Freue 
den der Zukunft mit aller Mannigfaltigkeit 
idealiſches Genuſſes vor. Vergebens ſtellten ſich 
meinem Blicke in die Zukunft die bedenklich⸗ 
ſten Hinderniße dar, mein ſchwaͤrmender 
Geiſt kaͤmpfte fie muthig zu Boden, und wo 
ſeine Staͤrke nicht auslangte, kam ihm Hler⸗ 
M 2 man⸗ 


(e 
manſors Wundermacht zu Huͤlfe. In dleſen 
ſuͤſſen Traͤumereyen verloren entſchlummerte 
ich gegen Morgen. Ungefaͤhr eine Stunde 
mochte ich geruht haben, als der Graf mich 
weckte; es war Zeit zum Aufbruch. Wir 
nahmen von unſerem koͤniglichen Wirthe Ab⸗ 
ſchled, der uns mit Thraͤnen im Augentließ. 
Als wir in dem Gaſthofe ankamen, wo 
der Bediente mit dem Reiſewagen unſer war⸗ 
tete, uͤbergab mir dieſer ein Paket, das mir 
von dem letzten Orte durch einen reitenden 
Boten nachgeſchickt ward. Bey deſſen Er⸗ 
oͤffnung fand ich das Zeugniß meiner Her⸗ 
zogswuͤrde, und einen Brief von meinem Va⸗ 
ter folgendes Inhalts: . 
„O mein Sohn! wo du auch immer ſeyn 
magſt, ſo eile in die Arme deines ſterbenden Va⸗ 
ters, der dich noch einmahl zu ſehen und zu ſeg⸗ 
nen wuͤnſcht. Mit matter zitternder Hand 
ſchreibe ich am Rande des Grabes dleſe Zei⸗ 
len, um der erſte zu ſeyn, welcher dich als 
Herzog von ina grüßte Ich übertrug die⸗ 
ſe 


( 181 ) 

fe Würde, ſobald meine Krankheit gefährlis 
cher wurde, im Angeſichte meines ganzen Ho⸗ 
fes auf dich, und ließ es zu ina oͤf⸗ 
fentlich kund machen. Sollte ich auch mit 
Gottes Beyſtand von meiner Krankheit ges: 

neſen, fo bleibſt du Herzog, und id) 
Markgraf von Villa“ 
Wer jemahls den Trieb kindlicher Liebe 
fuͤhlte, ſtelle ſich meine ſchreckllche Verlegen⸗ 
heit vor. Als ich dem Unbekannten nach 
er —n zu reiſen unbedingt verſprach, hatte 
ich alle Fälle, nur nicht die Aufforderung 
eines ſterbenden Vaters in Anſchlag gebracht, 
und nun war dieſer Fall da, mit den drin⸗ 
genſten Beweggruͤnden da, womit Kindes- 
pflicht und Pflicht der Dankbarkeit ein fuͤh⸗ 
lendes Herz beſtuͤrmen. Was ſollte und was 
konnte ich in dieſer Lage thun? — zu meinem 
Vater zuruͤckeilen, und mein dem Unbekannten 
gegebenes Ehrenwort brechen? Oder nach 
Ar— n reiſen, und dle gerechte Aufforderung 
meines Vaters unerfuͤllt laſſen? Auf beiden 

Sei⸗ 


( 82 ) 

Selten Vorſtellungen, die mit gleicher Kraft 
mich anzogen und zuruͤckſtteßen, wie haͤtte ich 
einen Entſchluß faſſen koͤnnen? O nun fuͤhlte 
ich erſt den Oruck derFeſſeln, die ich durch jenes 
unbedingte Verſprechen mir angelegt hatte. 

Ich theilte dem Grafen meine Verle⸗ 
genheit mit. Er fand meine Zweifel ge⸗ 
gruͤndet, aber nicht unaufloͤslich. „In Fäl⸗ 
len, wo mehrere Pflichten in Zuſammenſtoß 
gerathen, (ſagte er) darf nicht das Gefühl, 
welches ein blinder und oft ſehr partheyi⸗ 
ſcher Fuͤhrer iſt, — es muß die Vernunft 
entſcheiden, und dieſe kann nur zum Vor⸗ 
theile jener Parthey entſcheiden, fuͤr die 
mehrere oder wichtigere Gruͤnde ſprechen. 
Welche Gruͤnde haben Sie nun fuͤr die Ruͤck⸗ 
kehr zu Ihren Vater aufzuweiſen? Kindli⸗ 
che Liebe. Ste iſt mir heilig, aber iſt Ihr 
gegebenes Ehrenwort nach 'r n zu reiſen, 
minder heilig? und find uͤberdieß die Pflih> 
ten gegen Ihr Vaterland und Ihren recht⸗ 
mäßigen Koͤnig nicht zwey neue dringende 

Gruͤn⸗ 


| s 
Grunde, die laut für die Reiſe nach *c—n* 
ſprechen? Sie ſehen ſchon, wohin die Mehr⸗ 
heit der Gruͤnde den Ausſchlag gibt, laſſen 
Sie uns nun unterſuchen, auf welche Seite 
die Wichtigkeit der Gruͤnde die Wagſchale 
neige: | 
„Warum ſollen Ste in die Arme Ihres 
Vaters zuruͤckeilen? Damit er das Vergnü⸗ 
gen habe Sie nochmahls zu ſehen und zu 
ſegnen? Aus welcher Abſicht hleß Sie der 
Unbekannte nach 'r n' reifen? Zum Nu⸗ 
zen Ihres Vaterlandes und des rechtmaͤßlt⸗ 
gen Königs? Welcher Grund iſt nun wich⸗ 
tiger: Vergnuͤgen oder Nutzen? Welche Pflicht 
iſt dringender: die Wuͤnſche des Vaters oder 
die Wuͤnſche des vaterlandes zu befriedigen? 
Wir wollen jetzt auf die Folgen Ruͤckſicht 
nehmen. Wenn Ste nach 'r n“ reifen, fo 
kann es geſchehen, daß ihr Vater ſtirbt ohne 
Sie geſehen zu haben, es wuͤrde, ich beken⸗ 
ne es, ſowohl für Ihn als für Sie ſehr 
ſchmerzlich ſeyn; allein ſeinen Schmerz wuͤr⸗ 
c de 


(1840 
de der Tod, und ihren die Zeit heilen. Wie 
vermoͤchten Sie aber den Schaden zu erſe⸗ 
. Ben, den Sie durch die Ruͤckkehr zu Ihrem 
Vater dem Vaterlande zufuͤgen wuͤrden? 
Es iſt bereits klar, daß Hiermanſor ſich Ih⸗ 
res Beyſtandes als eines Triebrades bedies 
nen will, welches den Lauf der großen Ma⸗ ö 
ſchine glücklich vollenden hilft, die ſein Geiſt zur 
Befreyung Ihres Vaterlandes und zur Wie⸗ 
dereinſetzung des alten Koͤnigs zuſammen 
fügte. Wenn Sie nun durch Erfuͤllung des 
väterlichen Willens den Lauf der Maſchi⸗ 
ne ſtocken oder gar ruͤckgaͤngig machten? Koͤn⸗ 
nen Sie wiſſen, welchen wichtigen Einfluß 
Ihre Reife nach irn“ auf den Umtrieb 
derſelben hat? So viel iſt ausgemacht, daß 
ſich Hiermanſor dieſer Reiſe als eines Mit⸗ 
tels zur Ausführung des großen Planes be⸗ 
dient, und wie viel ihm daran gelegen ſeyn 
muß, mögen Sie aus dem Nachdrucke ſchlieſe 
fen, womit er Sie dazu ermunterte: Laſſen 
Sie ſich ja von Ihrer Reiſe durch nichts ab⸗ 
hal 


iss) 
halten — ſagte er — durch gar nichts. Sie 
gaben ihm Ihr Ehrenwort darauf, und ſte⸗ 
hen nun am Scheideweg es zu halten oder 
zu brechen.“ | 

Ich will es halten, rief ich beſchaͤmt, 
nur die Macht kindlicher Liebe kann mich 
entſchuldigen, daß ich einige Augenblicke am 
Scheidewege verweilte. 

Herzog! ſagte der Graf, indem er freund⸗ 
lich meine Hand ergriff, der ſchoͤnſte Lohn 
ſoll Ihnen werden. Erinnern Sie ſich des 
Verſprechens noch? 

Dteſe uͤberraſchende Wendung des Gras 
fen ſchuf in einem Augenblick meine ganze 
Gemuͤthsſtimmung um. Ich woͤre zuvor aus 
Pflicht nach 'r n' gereift. jetzt war es Drang 
des Herzens, der mit ſuͤſſer Gewalt mich da⸗ 
hin zog. Alle Vorſtellungen der verfloſſenen 
Nacht waren zuruͤckgekehrt; Amalie ſchien 
mir nach rn zu winken, ihr Bild ver⸗ 
dunkelte das Bild meines Vaters, ich glaub⸗ 
te den Zuruf des Unbekannten, und meines 

Va⸗ 


» 


6 8600 
Vaterlandes und des alten Königs zu hoͤe 
ren, der Ruf der Ehre und der Liebe uͤber⸗ 
toͤnte laut die Stimme des ſterbenden Bar 
ters; der Gedanke, daß dieſer an meiner 
Entfernung von Amalien, daß die That, 
welche die Erſcheinung von ihm ausſagte, 
vielleicht an der Entfernung ihres Herzens 
von mir Schuld ſey, — ſetzte mein Blut noch 
ſtaͤrker in Bewegung, ich hatte keine Ruhe 
mehr, ich befahl dem Bedienten den Wagen 
vorfahren zu laſſen. 

Nicht zu raſch Herzog! ſagte der Graf. 
Sie koͤnnen Ihrem Vater nicht willfahren, 
aber ſchonen muͤſſen Sie ihn. Seine Ein⸗ 
ladung verdient doch eine Entſchuldigung, 
wenn Sie diefelbe nicht annehmen. 

Ich fuͤhlte tief die Gerechtigkeit dieſes 
Vorwurfs, aber ich fand in der Eile keinen 
Vorwand, wodurch ich mich bey meinem Va⸗ 
ter zu rechtfertigen hoffen konnte. 

„„Mir faͤllt etwas bey (ſagte der Graf 
tach einigem Beſinnen) Ich denke — aber 

life 


(5187 4) 
laſſen Sie mich — ich 15 es ſogleich Ing 
Reine bringen.“ 

Mit dieſen Worten eilte er hinweg. Ich 
begriff nicht, was er vorhatte. In einer 
halben Stunde kam er mit einem Wund⸗ 
arzte zuruͤck: 

„Sie ſind mit dem Pferde geſtuͤrzt (ſagte 
der Graf zu mir) und haben eine ſtarke Quet⸗ 
ſchung im linken Arm erhalten. Daruͤber 
wird Ihnen dleſer Herr gegen zwanzig Dukaten 
ein Zeugniß ausſtellen, welches Sie Ihrem 
Vater zum Beweiſe len, daß Sie nicht 
keien koͤnnen.“ 

Ich zahlte dem Wundarzte die a, 
Summe, bekam das Zeugniß, ſchrieb einige 
Zeilen und ſchickte beydes meinem Vater. 

Wir traffen dann die Abrede, der Arzt 
möchte, falls der letztere abermahls ſchriebe, 
unter dem Vorwande, daß mir wegen Be: 
ſchleunigung meiner Geneſung jede Anſtren⸗ 
gung verbothen ſey, anſtatt meiner antwor⸗ 
ten, den Brief meines Vaters aber fo lan⸗ f 

ge 


E88 4) 

ge aufbewahren, bis ich ihm durch bein ei⸗ 
genhaͤndiges Schreiben den Ort beſtimmen 
wuͤrde, wohin er ihn zu ſchicken habe. 

Eine friſche Bezahlung von zwanzig Du⸗ 
katen bewirkte, daß er alles auf das puͤnkt⸗ 
lichſte zu erfuͤllen verſprach. Er empfahl ſich 
und rote ſetzten uns in den Wagen. 

„Warum (ſagte ich waͤhrend der Fahrt 
nach rn“ zu mir ſelbſt) warum wählte 
Hiermanſor gerade mich zu dleſer geheimen 
Geſandſchaft, und zwar in ein Reich, das 
zu betreten mein Vater mir fo oft und fo 
ſtrenge verboth? Mit welchem Grunde kann 
jener hoffen, daß die Koͤniginn fo gefällig 
gegen mich ſeyn wird eine Bitte zu erfuͤl⸗ 
len, die ihrem Bruder zum groͤßten Scha⸗ 
den gereicht? Aus welcher Abſicht will mein 
Vater mich von den Grenzen eines Reiches 
entfernt halten, in deſſen Mittelpunkt mich 
Hlermanſor durch die wichtigſten Aufforde⸗ 
rungen und Verheißungen hinein zu ziehen 
ſtrebt? Mit welchem Rechte kann der letzter; 

mir 


(189) 
mir fo vlele Macht über das Herz der Re⸗ 
gentinn zumuthen, die ich zum erſtenmahl 
ſehen und ſprechen werde, waͤhrend er an: 
dererſeits mich mit Kummer und Furcht vor 
dem Regenten zu erfuͤllen ſucht, welcher mich 
niemahls geſehen hat und von mir auf keine 
Weiſe beleidiget wurde? Warum darf ich 
mich der Koͤniginn fo zuverſichtlich darſtellen, 
da doch meine Gegenwart dem Koͤnig und 
feinem erſten Staatsminiſter ein tiefes Ge⸗ 
heimniß bleiben muß? Hat ſich vielleicht 
mein Vater elnes Verbrechens gegen den 
r niſchen Staat ſchuldig gemacht? wie 
kann ich aber alsdann eine guͤnſtige Aufnahme 
von der Königinn erwarten? Oder beruht der 
Haß des Regenten gegen unſere Familie auf 
Privaturſachen, allein warum faͤnde mein Va⸗ 
ter fuͤr nothwendig, ſie ſeinem Sohne zu 
verſchweigen? Fließt die Gnade der Koͤntginn 
und der Haß des Koͤnigs gegen mich aus 
verſchiedenen Quellen oder aus einer? Hat 
die erſtere in dem letzteren den Monarchen 
oder 


Co.) 

oder den Gemahl zu ſcheuen, ‚ well ſie ohne 
ſein Wiſſen mich ſprechen muß? Verheim⸗ 
lichte mir mein Vater die wahre Urſache 
feines Verbothes nach 'r n' zu reifen we⸗ 
gen politiſcher oder häuslicher Verhaͤltniße? 
Bezieht ſich die Gunſt der Koͤniginn und die 
Abneigung des Koͤnigs auch auf meinen Va⸗ 
ter oder wohl nur gar durch ihn auf mich? und 
wenn das der Fall waͤre, wie groß und von 
welcher Art maͤßte die Verbindlichkeit der 
Koͤnigtun gegen ihn ſeyn, wenn ſie der 
Bitte ſeines Sohnes das Beſte ihres elgenen 
Bruders aufopferte? wie groß und von wel⸗ 
cher Art muͤßte zugleich ſein Verbrechen ge⸗ 
gen den Koͤnig ſeyn „da diefer es ſogar an dem 
Sohne mit dem Tode raͤchen will? Sollte 
vielleicht ſelbſt der Grund von der Verbind⸗ 
lichkeit der Koͤniginn gegen meinen Vater 
ſein Verbrechen gegen den De, 
machen? — — “ 

Alle dleſe Fragen, die ich an mich ſel bſt 
that, um ein ſo un Geheimniß zu er⸗ 

for⸗ 


r 
forſchen, führten mich zu keiner Gewißheit, 
ſondern nur auf Muthmaßungen, welche aber 
durch andere Betrachtungen bald wieder ent⸗ 
kraͤftet wurden. Ich verwies daher meine 
Wißbegierde auf den Zeitpunkt, wo ich durch 
die Zuſammenkunft mit der Koͤniginn nähere 
und suverläßigere Aufſchluͤße uͤber diefer Sa⸗ 
che zu erhalten hoffte. 

Unterdeſſen ſetzten wir unſere Reiſe mit 
großer Schnelligkeit fort. Allein eben dieſes 
| ungeſtuͤmme Treiben machte, daß ſechs Mei⸗ 
len vor der Grenze ein Rad am Wagen brach 
Rund der Graf bey deſſen Umſturz ſich den 
linken Arm verrenkte — ein verdruͤßlicher 
Zufall, der ihn vier Tage das Bette zu huͤt⸗ 
ten zwang, und uns auf eine unangeneh⸗ 
me Art belehrte, daß Uebertreibung eben 
fo langſam als Laͤſſigkeit zum Ziele führe. 

Am fuͤnften Tage aber war die Unge⸗ 
duld des Grafen durch alle Vorſtellungen des 
Arztes nicht mehr zu baͤndigen. Wir fuhren 
ab, und langten Abends in 'r—-n7 an. 


Ich 


(a) 

In der folgenden Nacht fetten wir unſere 
Reiſe fort, und am fruͤhen Morgen des zwoͤlf⸗ 
ten Tages hatten wir die Reſidenzſtadt erreicht. 
Der Graf erhielt noch an eben dieſem Tage 
bey der Koͤnlginn Audienz, fein trlumphi⸗ 
render Gang bey der Zuruͤckkunft weiſſagte 
mir die gluͤckliche Vollziehung ſeines Auftra⸗ 
ges, feine Worte beſtaͤtigten ſie: „O Her: 
zog! ich habe fie geſehen, die Papiere in 
ihre Hände geliefert. Welch ein Weib! — 
zur Koͤniglun geboren bedarf ſie des ſchalen 
Behelfes erkuͤnſtelter Würde nicht, um jene 
Ehrfurcht einzufloͤſſen, die den ſtaͤrkſten Geiſt 
bey ihrem Anblicke durchdringen muß — 
zur Ersberinn aller Herzen geboren weiß fie 
durch ihre herablaſſende Freundlichkeit die: 
jenigen wieder zu ſich hinauf zu zlehen, wel⸗ 
che der Glanz ihrer Hoheit ihr unterworfen 
hat. Das Gefuͤhl, womit ich vor ihr ſtand, 
war eine aus Verehrung und Zutrauen ge⸗ 
miſchte Empfindung, die aber in die lebhaf⸗ 

gehe 


= (6.8293 2) 


teſte Freude verwandelt wurde, als ſich die 
Koͤniginn, nach Durchleſung der Papiere, 


mir mit ſchweſterlicher Zutraulichkeit naͤher⸗ 
te, und mit unbeſchreiblicher Holsſeligkeit 
ſagte: „Lieber Graf! melden Sie dem Her— 


zoge von ina, daß ich ihn herzlich willfone 


men heiße, daß der Koͤnig uͤbermorgen nach⸗ 
mittags auf das Land reifen wird, und daß 
ich dann Abends feinen Beſuch erwarte. Sie 


theilte mir hierauf die Maßregeln mit, wel⸗ 


che wir zu nehmen haben, damit dieſer Be⸗ 
ſuch vor ungebetenen Augen verborgen 
bleibe, und entließ mich, indem ſie mir 
ihre Hand zum Kuße, dieſen Ring zum Ge⸗ 
ſchenk uͤberreichte.“ — — 

Alles das ſpannte meine Neugierde nur 
noch hͤͤber. Ich konnte den Uebermorgen 
kaum erwarten. Mich duͤnkte mein Hotel ein 
Gefängnis, alle Uhrzeiger ſchienen mie file 
zu ſtehen. Endlich ſchlug die gewuͤnſch te 
Stunde. Es war zehn Uhr Abends. Ich 


begab mich als Abbe gekleidet mit dem Gra⸗ 


N | fen 


| Ä ( 194 ) 
fen nach dem Schloßpark, wo uns ſchon 
die erſte Kammerfrau der Koͤniginn am Git⸗ 
ter erwartete, und bewillkommte. Sie ſpa⸗ 
zierte wit uns durch verſchiedene von dem 
Monde ſparſam erleuchtete Alleen, um ſich 
zu verſichern, ob wir nicht von unſichtba⸗ 
ren Zeugen belauſcht wuͤrden; und wandte ſich 
hierauf gegen das Schloß, wo ſie den Gra⸗ 
fen bey einer großen dichten Hecke erſuchte 


einige Zeit zu verweilen. Dann ſchlug ſie 


mit mir einen Seitengang ein, der an die 


Schloßmauer fuͤhrte, die auf einer Seite 


mit Laubſpalter bedeckt war, hinter welche 


die Kammerfrau ſchluͤpfte. Sie bath mich 


ihr zu folgen. Wir gingen ungefähr zwan⸗ 
zig Schritte, als ſie mich ſtilleſtehen hieß, 
und an der Mauer einige Bewegungen mach⸗ 
te, worauf ſich ein Theil derſelben in Ge⸗ 
ſtalt einer kleinen Thuͤre oͤffnete, zu der 
ſie mich hineinſchob. Hier erwartete mich 
ſchon die zweyte Dame mit einer kleinen La⸗ 
terne, und fuͤhrte mich uͤber eine ſchmale 
; hohe 


( 195 ) 
hohe Treppe in ein ſchwach erhelltes Zim⸗ 
mer, wo ſie die Glocke zog; und mich ſchnell 
verließ. 

Ich ſtand fuͤnf Minuten. Niemand kam. 
Meine Stimmung war ſonderbar. Es ver⸗ 
gingen noch fuͤnf Minuten — da regte es 
ſich endlich im naͤchſten Zimmer. Eine Ta⸗ 
petenthäre ging auf. Die Koͤnigin mit eis 
nem Licht in der Hand erſchien an der Schwelle. 
Mein Haupt neigte ſich tief vor ihr, indeſſen 
mein Herz ihr entgegen flog. Ihr Auge 
verweilte lange unver vandt auf mir, ihre 
vorhin blaſſen Wangen faͤrbten ſich hochroth. 
Sind Sie der Herzog von 'inag, ſagte Sie 
endlich mit einer ungemein lieblichen doch 
etwas bebenden Stimme! Ich bins Eure 
Majeſtaͤt! war meine Antwort. So kommen 
Ste in dieſes on erwiederte Sie — 
Ich kam. — 

Ste ſetzte ſich auf ein Sopha und zog 
mich neben ſich nieder. — „Erlauben Sie 
a gnädigfte Röntginn! (ſagte ich, ine 

Na dem 


( 196 ) 
dem ich aufſtand, und auf ein Knle mich 
niederließ) daß ich Ihnen eine Bitte vortra⸗ 
ge, die ich nur auf Ihre große Seele, und 
aus Liebe fuͤr mein Vaterland wagen kann. 

„Nicht eher, als bis Sie aufſtehen und 5 
ſich neben mir ſetzen ſprach N ie, indem Sie 
mich aufhob⸗ 

Ihre zuvorkommende Guͤte, ee | 
mit einer gewiſſen Verlegenheit, die fie, N 
muͤhſam zu verbergen ſuchte, verwirrte mich. 
Mir fiel kein ſchicklicher Eingang zu meiner 
Bitte bey, und doch hatte ich mich ſo gut 
darauf vorbereitet. Sie kam meiner Ver⸗ 
wirrung, die Sie nicht bemerken zu wollen a 
ſchien, gefällig zu Huͤlfe. 

„Der Graf von C — v Cſagke 
fie) haͤndigte mir vorgeſtern einige Papiere 
ein, die mich auf Ihren Beſuch und 0 
1 Bitte vorbereiteten:“ 

„So wird Eurer Majeſtaͤt nicht unbe⸗ 
kannt ſeyn, daß man den geheimen Anſchlag 
hat, mein bedraͤngtes Vaterland von der 

5 5 "nie 


5 
'niſchen Herrſchaft frey zu machen, und dle 
Regierung dem alten rechtmäßigen Könige zu⸗ 
ruͤckzuſtellen. Ich bin hier, gnaͤdigſte Königinn 
Sie im Nahmen der Gerechtigkeit zu bitten, 
daß Sie Ihren Einfluß auf die Regierung zu 
Gunſten dieſes Unternehmens verwenden?“ 

„Wie? Ich ſollte ein Unternehmen wie 
der meinen geliebten Bruder beginftigen ? 
Sie ſah mir nicht unwillig, aber ſcharf und 
forſchend in die Augen. 

„Gnaoͤdigſte Koͤniginn — Ich wollte — 
es it — wenn Euere Majeſtaͤt — “ 

„Wie kamen Sie auf den Einfall hie⸗ 
ber zu reiſen: um die Schweſter wider den 
Bruder aufzuford ern? Lieber Herzog, Sie 
muͤſſen ſelbſt geſtehen, daß dieß ein wenig 
ſonderbar iſt, wie verſielen Sie auf dleſen 
Gedanken ? 2? . 

„Eure Mafeſtaͤt ſollten nicht wiſſen, 
wer mich zu dieſem Schritte verleitete, die 
Paplere, welche Sie aus des Graſen Hand 

em⸗ 


(198) 
empfiengen, ſollten Sie nicht ſchon hinlaͤng⸗ 
lich über dieſen Punkt aufgeklaͤret haben? 

„Die Popiere enthalten bloß eine vor⸗ 
laͤufige Nachricht von Ihrer Ankunft, von 
der bevorſtehenden Revolution, und einen 
Beweis von der Gerechtigkeit derſelben. Der 
Nahme des Schreibers iſt nicht unterzeich⸗ 
net, die Hand ſelbſt it mir nd unbe⸗ 
kannt.“ 

Das hatte ich nicht erwartet. Ich war 
bisher der feſten Meinung, Hiermanſor wuͤr⸗ 
de ſich der Koͤuiginn wenigſtens zum Theil 
entdeckt haben, um durch ſein Anſehen mel⸗ 
ner Bitte Eingang zu verſchaffen. Wie ſehr 
alſo mußte ich betroffen ſeyn, da ich milch 
in die Nothwendigkeit verſetzt ſah als ein 

Fremdling an dieſem Hofe ganz allein ein 
Geſuch durch zuſetzen, das der Königinn nicht 
anders als hoͤchſt verwegen vorkommen konnte. 

Meine Verlegenheit war ſichtbar. „Re⸗ 
den Sie ohne Scheu Herzog (ſagte die Koͤ⸗ 
niginn freundlich) Sagen Sie mir ohne Zu⸗ 

ruͤck⸗ 


99: 7) 
ruͤckhaltung, wer hat Sie zu dieſem Schrit⸗ 
te bewogen.“ i 

„Ein unbekanntes Weſen, (rief ich) das 

mich während meiner ganzen Reiſe verfolgt, 

| mit zauberiſcher Gewalt jede meiner Handluns 

gen beſtimmt, das eben ſo guͤtig als ſchrecklich 

mich im verborgenen beherrſcht, das vom 
gewiſſen Waſſertode mich befreyte, und durch 
das Feuer drang um das Bild meiner Mut⸗ 
ter zu retten — 

Eine flammende Roͤthe uͤberzog das Ant⸗ 
litz der Koͤniginn „Mutter — (ſtammelte fie) 
das Bild ihrer Mutter? 

„Es iſt ein kleines mit Edelſteinen be⸗ 
ſetztes Portrait — “ 

„Haben Sie es bey ſich?“ fiel fie mir 
ins Wort. | 

Es Tag in meiner Brieftaſche. Ich 
nahm es heraus. zitternd empfieng fie es 
aus meiner Hand, hielt es gegen das Licht, 
in ihre Augen draͤngten ſich Thraͤnen, die 

fie zuruͤckpreßte, ihre Bruſt arbeitete ei⸗ 
ner 


( 200 ) 


ner heftigen Empfindung den Ausbruch zu | 
verhalten. Sie ſah das Bild lange Zeit 
ſprachlos an, um Faſſung zu gewinnen. 

„Iſt fie todt?“ ſagte ſie endlich Sn 
mich anzuſehen. . 

„ Seit zwoͤlf Jahren“ eitolebtne ich 
feufzend. 

„Ihre Geſichtszuͤge Herzog! (fuhr fie 
nach einer langen Pauſe fort) haben keine 
Aehnlichkeit mit den Zuͤgen diefes Bildes. 
Und doch iſt mir das Originelle des Geſich⸗ 
tes ſo merkwuͤrdig! — Wollen Sie mir die 
Freube machen, es mir zu uͤberlaſſen?“ 

4 „Wenn Ent Mai. waͤßt. n, wie theuer 
es mir iſt — “ Er 

„Deſto Höher werde ich es zu chaten 
wiſſen. So oft ich das Portrait der Mut⸗ 

ter anſehe, will ich mich an den Sohn erin⸗ 
nern — Ich verl ange es ja nicht geſchenkt 
— Sie ſollen mein Bild dafuͤr haben. Wol⸗ 
len Sie mir gegen dieſen Tauſch ee 
Hein 1255 

Ich 


r 

Ich verneigte mich. 

Sie hielt das für eine bejahende Ant- 
wort, eilte vergnuͤgt zur Schatulle, legte 
das Portrait meiner Mutter hinein, und 

hohlte ihr eigenes heraus, das mit ungleich 

koſtbareren Steinen als jenes geſck muͤckt war. 

„Nehmen Sie es hin Herzog! und ſo 
oft Ste es anſehen, fo denken Ste, daß es 
das Bild — eines ſehr ungluͤcklichen Wei⸗ 
bes iſt.“ Mit dieſen Worten uͤberreichte ſie 
mir das Gemaͤhlde. 

Diäer Ton und die Miene, womit fie 
ihre Worte begleitete, ſchnitten tief in men 

Herz. Ich warf mich vor ihr nieder: „Wle 

meine theuerſte Koͤnlginn! Sie waren nicht 

gluͤcklich? und dieſes Denkmahl Ihrer Gna⸗ 
de ſollte mit zugleich ein Denkzeichen Ihres 
traurigen Schickſales feya ? O nennen Sie 
mir deſſen Quelle, und wenn menſchliche 

Kraͤfte es zu aͤndern vermoͤgen, ſo will ichs 

= felbft mit Gefahr meines Lebens verſu⸗ 

chen. 


F 202 ) 
chen. „Ich drückte. meine Lippen mit In⸗ 
nigkeit auf ihre Hand. 1 

„Stehen Sie auf. Dieſe Theilneh⸗ 
mung macht, daß ich fon nicht mehr un⸗ 
gluͤcklich bin. Mich gluͤcklich zu machen ſteht 
nicht in Ihrer Gewalt, wenn ich Ihnen auch 
ein Geheimniß eroͤfnen duͤrfte, das ewig 
verborgen bleiben muß. Stehen Sie auf 
Herzog!“ Sie neigte ſich herab, um mich 
aufzurichten, ihre Wange beruͤhrte mein 
Geſicht, ein Schauer der Freude fuhr durch 
all meine Glieder. 

„O faſſen Sie Muth! Crief (6) Wenn 
auch weder meine noch irgend eines Men⸗ 
ſchen Kraͤfte hinreichen, Sie gluͤcklich zu ma⸗ 
chen — ich kenne jemanden, der elne uͤber⸗ 
menſchliche Macht beſitzt, und ich denke, 
daß meine Bitte bey ihm etwas vermag. Sle 
ſollen durch ihn noch. glücklich werden Koͤ⸗ 
niginn!“ 

Ste blickte mit grün Augen 
auf mich, dann gegen den Himmel, dann wieder 

d a auf 


(2030 


auf mich. „Ihre Bitte (ſagte ſie endlich) 
wuͤrde fruchtlos ſeyn. Und wenn ein Engel 
hernieder ſtiege — mich koͤnnte er nicht gluͤck⸗ 
lich machen, ſo lange gewiſſe menſchliche Ge⸗ 
ſetze und politiſche Verhaͤltniße beſtehen. — 
Laſſen Sie uns davon abbrechen Herzog!“ 

Ich ſah, welchen Kampf Sie kaͤmpfte, 
es waͤre grauſam geweſen durch ferneres Zu⸗ 
dringen Ihr den Sieg zu erſchweren. Ich 
ſchwieg — aber ſie mußte in meinen Bli⸗ 
cken ihre Vergoͤtterung leſen — und ich las 
ihren Dank. . 

„Sie ſagten mir vorhin; (hob fie nach 
einer Welle an) daß Ihre ter todt waͤre. 
Aber Ihr Vater wird doch noch leben?“ 

„Ich zweifle. / 

Die Koͤniginn verblich bis in die Lip» 
pen. „Ste zwelfeln! (ſtammelte fie) Sie 
zweifeln an Ihres Vaters Leben?“ | 

„Eine ſchwere Krankheit, die ihn aufs 
Lager warf, macht mich fuͤrchten — aber 
was fehlt Eurer Majeſtaͤt?“ 5 


„Nichts 


(204... 
„Nichts — wahrhaftig nichts — Eine 
ſchwere Krankheit, ſagen Sie?“ 
ö „So ſchrieb er mir vor einiger Zeit 
ſelbſt, und bath mich in feine Arme zu ellen, 
damit er mich noch einmahl vor feinem Tode 
ſehe und ſegne. N 
Die Koͤniginn ſtand 110 und ging 
ſeitwaͤrt 8; Sie that, als ſuchte Sle etwas, 
und kam dann wieder zuruͤck: 
„Er will Ste ſehen und Sie ſind hier?“ 
„Gnaͤdigſte Koͤntginn, ehe ich noch das 
Schreiben meines Vaters erhlelt, hakte ich 
jenem Unbekannten, von dem ich vorhin ſprach, 
mein Ebrenwort . „daß mich nichts 
abhalten fol nach *r—n* zu reifen, und bey 
Ihnen für mein Vaterland zu fprechen. 
V Armer Vater! (ſagte die Koͤniginn in 
ſich verloren) mit welcher Sehnſucht er auf 
die Ankunft des Sohnes wird geharret her 
ben — ich ſehe ihn vor mir den ſterbenden 
Markgrafen, wie er ſeine Arme vergebens 
nach dem Kinde feiner Liebe ausſtreckt —' 
0 | m Ken⸗ 


15 205 ) 8 

„Kennen ihn Eure Majeſtaͤt?“ fragte 
ich haſtig. | a 

Sie ſah betreten mich an. „Ob ich 
Ihn kenne? — nein! — ja — ich habe ihn, 
als ich noch am Hofe meines Vaters war, 
einigemahl geſehen — Aber wie kommen Sie 
auf dieſe Frage.“ 

Ohne mich antworten zu laſſen fuhr 
ſie fort: „Eilen Sie in ihr Vaterland zu⸗ 
ruͤck Herzog! Vielleicht treffen Sie ihn noch 
lebend — Ihr Anblick wird ihm neue Kraͤfte 
geben — in Ihren Armen wird er ſich er⸗ 
hohlen, er wird vielleicht geneſen — “ Das 
letztere ſagte ſie mit ſichtlich freudiger Auf⸗ 
wallung. f 

„Soll ich von Ihnen ſchelden Cerwie⸗ 
derte ich) ohne den Zweck meines Hierſeyns 
erreicht zu haben? ſoll die Bitte fuͤr mein 
ungluͤckliches Vaterland bey einer ſo edeln 
Seele keinen Eingang finden, ſoll mir das. 
Bild der beſten Koͤniginn ein bleibendes 

ARE: Denk⸗ 


( 206 ) 


Denkmahl ſowohl ihrer Gnade als Ungnade 
ſeyn?“ | Ä 

Sie ſchien ſich zu befinnen. „Es iſt 
wahr, (ſagte ſie endlich) wir haben uns 
ganzlich von Ihrer Angelegenheit entfernt. 
Sprachen Sie nicht vorhin von einer Er⸗ 
ſcheinung, die Ihnen allenthalben auf dem 
Fuße folgt? Auch ich hatte vor einiger Zelt 
eine Erſcheinung. Es war der Geiſt meines 
verſtorbenen Vaters, der um Mitternacht 
dle Vorhaͤnge meines Bettes aufzog, und alſo 
ſprach: „Ich bin ſehr ungluͤcklich meine Toch⸗ 
ter! Weder Gebethe noch Seelenmeſſen wer⸗ 
den mir helfen, ſo lange Port“, deſſen wir 
uns ungerechter Weiſe bemoͤchtigten, unter 
"nifchen Scepter ſteht. O meine Tochter! 
Wenn du noch einen Funken Liebe fuͤr mich 
haſt, wenn du von meinen unausſprechlichen 
Leiden mich erloͤſen willſt, fo verwende dei⸗ 
nen ganzen Einfluß an dieſem Hofe um die 
Bemühungen derjenigen zu unterſtuͤtzen, wel⸗ 
che gegenwaͤrtig an der Befreyung Por“ 's 

en 


89957 


, 
in geheim arbeiten. Ein edler Juͤngling wird 
in einigen Tagen in dieſer Ruͤckſicht zu dir 
kommen, und dich um deinen Beyſtand er» 
ſuchen. Er iſt vom Himmel zu dir geſandt, 
erhoͤre feine Bitte. Er träge an der linken 
Seite ſeiner Bruſt ein Mahl — das ſey dir 
das Zeichen ſeiner Sendung.“ | 

Ich ſprang auf. „Dieſer Juͤngling ſteht 
vor Ihnen (rief ich und entbloͤßte meine 
Bruſt.) Sehen Sie hier das Zeichen? O 
helfen Sie den Geiſt und mein Vaterland er⸗ 
loͤſen.“ 

Sie ſchien außer ſich zu ſeyn. Ihre 
Arme umſchlangen mich und druͤckten mich 
heftig an ihren Buſen. „Deine Bitte iſt 
erhoͤrt“ fagte fie mit erſchoͤpfter Stimme. 

Kaum war die letzte Sylbe aus ihrem 
Munde, fo lautete ein Gloͤckchen im Zimmer. 
Sie ließ mich los, und flog zuruͤck: Gott 
im Himmel! (rief ſie erblaßt) mein Gemahl 
iſt von der Reiſe zuruͤck. Fort! um Got⸗ 
teswillen fort! 

Ich 


s 
Ich wollte gehen, ſie hielt mich zu⸗ 
ruͤck.“ Was zwiſchen uns beyden vorgefal⸗ 
len iſt, C flüferte fie) ſey ewig in Ihrer 
Bruſt verſchloſſen. Verlaſſen Ste die Burg 
und das Reich ſo ſchnell als moͤglich: Huͤten 
Sie ſich vor dem König, ich beſchwoͤre Sie.“ f 
Ich fanf vor Ihr nieder, umfaßte wei⸗ 
nend ihre Kaiee „ wolle Abſchied nehmen 
und vermochte es nicht. 0 
Das Gloͤckchen im Zimmer laͤutete aber⸗ 
mahl; die Koͤniginga wand ſich erſchrocken los: 
„Eilen Sie, fliehen Ste — 9 bleibe! Crlef 
ſie, als ich nach der Thuͤre ſprang) komm 
zuruͤck.“ Sie breitete ihre Arme gegen 
mich aus, ich flog an ihre Bruſt, fie druͤckte 
drey brennende Kuͤße auf meinen Mund, und 
ſtuͤrzte fort in ein anſtoſſendes Zimmer. 

Ich weiß nicht, wie ich zur Thuͤre hin⸗ 
aus kam. Erſt an der Treppe bemerkte ich, 
daß die naͤhmliche Dame, welche mich her⸗ 
aufgefuͤhrt hatte „mir zur Seite war. Wir 
gingen den naͤhmlichen Weg zuruͤck, auf dem 

5 wir 


( 209.) 

wir hleher gekommen waren, und ich ges 
langte mit dem Grafen unentdeckt nach Hauſe. 

Nachdem ich ihm kurz die gluͤckliche Vol⸗ 
lendung meines Geſchaͤftes gemeldet hatte, 
begab ich mich auf mein Zimmer um mei⸗ 
nen Gedanken ungeſtoͤrt Gehoͤr zu geben. Al⸗ 
lein ich mochte ſinnen und ſinnen, wie ich 
wollte, mir blieb dennoch das Betragen der 
Koͤniginn fo raͤthſelhaft, als mein eigenes Ge⸗ 
fuͤhl bey dem ganzen Auftritte. War es Liebe, 
was ich fuͤr die Koͤniginn fühlte? gewiß nicht! 
wenigſtens war meine Empfindung gegen 
ſie von jener gegen Amallen ſo ganz ver⸗ 
ſchieden. War es bloſſe Hochachtung, die 
mir ſie werth machte? Eben ſo wenig! denn 
ich fühlte wirklich einen geheimen unerklaͤr⸗ 
baren Drang, der mich an ſie zog. — Mein 
Herz gad mir über dieſen Punkt nicht mehr 
Licht als meine Vernunft. Freylich draͤng⸗ 
te ſich vorzuͤglich immer Ein Gedanke in 
meiner Seele hervor, aber ſobald ich andere 
umſtaͤnde in Erwägung jog, fo kam er mie 

8 5 laͤ⸗ 


( 21) 
lächerlich und ungereimt vor. Was mir die 
Koͤniginn von der Erſcheinung ihres Vaters 
sagte , verwirrte mich vollends. War. dies 
felbe ein Werk des Unbekannten, und glaub⸗ 
te fie wirklich den Geiſt des Verſtorbenen 
geſehen zu haben? In dieſem Falle war dle 
‚Gewährung meiner Bitte vielleicht bloß eine 
Folge von der Liebe zu ihrem Vater, den 
ſie dadurch von ſeinen Leiden zu erloͤſen 
hoffte; ſelbſt ihre Thraͤnen, Umarmungen 
und Kuͤße waren nur ein Kunſtgriff, um alle 
meine Kraͤfte zur Betreibung eines Unter⸗ 
nehmens zu ſpannen, von deſſen gluͤcklicher 
Vollendung die Erloͤſung des Geiſtes abhing. 
Vielleicht aber — und das daͤuchte mich nicht 
minder moͤglich — erdichtete ſie dieſe Er⸗ 
ſcheinung nur in der Abſicht, um mir einen 
annehmbaren Grund vorzuſpiegeln, aus dem 
ich mir ihre Einwilligung in mein Begeh⸗ 
ren, und ihr zutrauliches liebevolles Betra⸗ 
gen. gegen mich erklaͤren follte, ohne zu an⸗ 
dern Muthmaſſungen meine Zuflucht nehmen 

z 


ar‘) 

zu duͤrfen. Selbſt die Wendung, durch wels 

che ſie auf das Mahl an meiner Bruſt zu 

ſprechen kam, ſchien mir eine Liſt, wodurch 

ſie ſich mehr meiner Perſon als meiner Sen⸗ 
dung von Oben zu verſichern ſuchte, und 

ihre auffallende Aeußerung nach der Entde— 
ckung beſtaͤrkte dieſe Vermuthung nicht we⸗ 
nig. — Gs trieb ich mich in elnem verwuͤnſch⸗ 
ten Kreiſe von Vermuthungen und Zweifeln 
herum, bis der Schlaf ſich allgemach mei⸗ 
nes Bewußtſeyns bemaͤchtigte, und meine 
Augen ſchloß. 

In der folgenden Nacht verließen wir 
die Reſidenzſtadt und in der vierzigſten das 
Relch. Der Vorſchrift Hiermanſors getreu 
richteten wir unſern Weg nach 'nien. 

Zu ria zwanzig Meilen von rn. —9 
Srenze beſchloß ich, weil ich mich hinlaͤng⸗ 
lich ſicher glaubte, einige Tage zu verwei⸗ 
len. Ich erhielt durch den beſtochenen Wunde 
arzt ein Schreiben meines Vaters, der mit 
von der Beſſerung ſeiner Gefundheitsum⸗ 

O 2 ſtaͤn⸗ 


Ken 
ſtände Nachricht gab. Dieſe erfreuliche Zei 
tung bewirkte, daß ich ohne Verzug auf⸗ 
brach, um unſere Reiſe fortzuſetzen. 


Wir langten in pala an, und fliegen | 
im Gaſthofe zum goldenen Schiffe ab. Das 


erſte, was mir hier in die Augen fiel, war 
ein huͤbſcher wohlgekleideter Menſch, deſſen 
Geſichtsbildung ſchon von ferne meine Auf⸗ 
merkſamkeit erregte, weil ſie mir bekannt 
ſchlen. Er ſprach eben ſehr eifrig mit einem 
langen hagern Mann, und bemerkte mich 
nicht fruͤher, bis ich beynahe neben ihm 
ſtand. Er war nicht wenig betroffen, als er 
mich erblickte, und ich ſelbſt war uͤberraſcht, 
denn erſt jetzt entdeckte ich in ihm den vor⸗ 
mahligen Kammerdiener Amaliens. Mit ei⸗ 
ner Verlegenheit, die er durch allen Zwang 
nicht zu verbergen vermochte, ging er auf 
mich zu, und begruͤßte mich mit einigen hoͤf⸗ 
lichen Gemeinplaͤtzen. Ich hieß ihn aber 
mir auf mein Zimmer zu folgen. 


N 


Hit 


„„ 

Hier war meine erſte Frage nach Ama⸗ 
lien. Pileskt bedauerte, daß er mir gar nichts 
von ihr zu ſagen wiſſe. Ich fragte nach dem 
Unbekannten, und er verſicherte mich, daß 
er ſeit jenem Auftritt im Walde nichts von 
ihm gehoͤrt noch geſehen habe. Aber Sie 
ſind mir noch (fuhr ich fort) eine ſchreckli⸗ 
che Geſchichte zu erzaͤhlen ſchuldig, die Sie 
auf Ihrer Pilgerreiſe von dem Unbekannten 
erfuhren. Pileski ſchten ſich zu beſinnen, 
er verſprach mir, morgen Wort zu halten, 
indem ihn heute einige wichtige Geſchaͤfte 
verhinderten. Ich entließ ihn mit der Er⸗ 
innerung, daß ich ihn morgens Abends er⸗ 
warte. 8 

Ich harrte aber vergebens. Am darauf 
folgenden Abend erſchien ſtatt ſeiner ein Ka⸗ 
puzinermoͤnch, der mich allein zu ſprechen 
I verlangte, Er brachte mir die Nachricht, 

daß Pileski geſtern mit einigen jungen Leu: 

i ten, die ihn zuerſt berauſchten und dann auf⸗ 
besten, ſich in eine Schlaͤgerey eingelaſſen, 
1 | und 


Ca). 
und unheilbare Wunden davon getragen ha⸗ 
be, daß er gegenwärtig in dem Spitale lies 
ge, und mich wegen Entdeckungen von grofe 
ſer Wichtigkeit zu ſich bitten laſſe. Der 
Moͤnch erboth ſich ſelbſt, mich dahin zu be⸗ 
gleiten. — Ich fuhr mit ihm in hochgeſpann⸗ 
ter Erwartung nach dem Spitale. 

Am Thore deſſelben begegnete mir der 
Graf. Er ſtand wie verſteinert, als er mich 
und den Mönch erblickte. Wo wollen Ste 
hin? fragte er endlich. Zu unſerem ſterben⸗ 
den Piſeski, antwortete ich. Der Graf ent- 
faͤrbte ſich, und führte mich feitwärts. Ges 
ben Sie nicht zu ihm, ſagte er, der Menſch 
hat eine ſehr anſteckende Krankheit. Nicht 
doch! erwiederte ich, er liegt an ſchweren 
Wunden, wie ſein Beichtvater mir verſicher⸗ 
te, darnieder. Ich komme ſo eben von ihm 
(fuhr der Graf mit ſichtbarer Angſt fort) 
das Wundfieber hat ihm den Kopf verruͤckt, 
er wird Ihnen allerley albernes Gezeug vor⸗ 
ſchwaͤtzen. — So muß ich mirs gefallen laſ⸗ 

een, 


6 215 ) 
fen, war meine Antwort, allein er hat mich 
ſehr wichtiger Entdeckungen wegen zu ſich 
gebethen. Was kann er Ihnen zu entdecken: 
haben, ſagte der Graf, Pileski war von je⸗ 
her ein Betruͤger. — Deſto merkwuͤrdiger, 
erwiederte ich, wird mir fein Bekenntniß 
auf dem Sterbebette ſeyn. Ich habe keine 
Minute zu verlieren. Auf Wiederſehen Graf! 
Und hiemit riß ich mich los. ' 
Ich eilte mit dem Moͤnche nach Piles⸗ 
ki's Zimmer. Auf einen Wink des erſteren 
entfernten ſich die zwey Krankenwaͤrter. 
„Wenn ich noͤthig ſeyn ſollte, fo duͤr⸗ 
fen Sie nur ſchellen, ich bleibe in der Naͤ⸗ 
he“ ſagte der Moͤnch und ging zur Thuͤre 
hinaus. Pileski mit der Farbe des heran⸗ 
nahenden Todes auf ſeinem eingefallenen Ge⸗ 
ſichte, und mit dem Ausdruck der ſchrecklich⸗ 
fen Gewiſſensangſt in all feinen Zügen ſtarr⸗ 
te mich einige Zeit ſprachlos an: „O! gnas 
digſter Herr! (begann er endlich) Tauſend 
Dank, daß Sie meine Bitte erfuͤllten und 
ä ſich 


65 216 ) 


fich hleher bemuͤhten, ich wuͤrde als ein Opfer 
der Verzweiflung dieſe Welt verlaſſen has 
ben, wenn ich nicht vorher einige Geheim⸗ 
niße, die ſchwer auf meiner Seele laſten, 
in Ihre Bruſt haͤtte ausſchuͤtten koͤnnen.“ 
Ich ließ mich voll entſetzlicher Ahndun⸗ 
gen auf einen Stuhl neben dem Bette nieder: 
„Aber gnaͤdigſter Herr! (fuhr er fort, 
und faltete feine Hände) werden Sie mir 
auch meine Vergehungen wider Sie verzei⸗ 
hen koͤnnen, wenn ich Sie werde uͤberfuͤhrt 
haben, daß ich bloß das Werkzeug groͤßerer 
Betruͤger war.“ 
„Bekennen Sie frey und auftichtig 
(ſagte ich) und alles ſey Ihnen vergeben.“ 
„Gnaͤdigſter Herr! — Ste find in ſchreck⸗ 
lichen Haͤnden. Jener Unbekannte —“ | 
, Wer iſt er? “ fiel ich haſtig eln.“ 
„Wer er iſt, welß ich nicht! — ſo ge⸗ 
wiß ich in kurzer Zeit vor Gottes Richter⸗ 
ſtuhl treten werde, ich weiß es nicht. Im⸗ 
mee 


Gan) 

mer beobachte er über diefen Punkt gegen 
mich die ſtrengſte Zuruͤckhaltung. Ich bin, 
wer ich bin, ſagte er, ſo oft ich ihn aus⸗ 
forſchen wollte, und ich bin nie das, was 
ich ſcheine. Drey Tage fruͤher, als Ste zum 
erſtenmahl in dem Haufe der Graͤfinn ers 
ſchienen, kam er ſpaͤt des Abends in Geſtalt 
eines Bettlers vors Thor, und fragte nach 
mir. In der Meinung, daß ihm um ein 
Allmoſen zu thun ſey, reichte ich ihm eine 
kleine Gabe. Er ſchlug aber ein lautes Ge⸗ 
laͤchter auf, waͤhrend er eine Handvoll Ze⸗ 
chinen aus feiner Taſche zog, und fie in meine 
ſteckte. „Das iſt nur ein kleines Vorſpiel 
zu dem, was ich fuͤr Sie in der Folge thun 
will (ſagte der Bettler, ohne auf mein Er⸗ 
ſtaunen zu achten) wenn Sie mir behuͤlflich 
ſeyn wollen einen Plan, den ich vorhabe, 
im Hauſe der Graͤfinn auszufuͤhren, ohne 
daß fie unfer Elnverſtaͤndniß merkt. „Und 
worin . dieſer Plan?“ Der Plan iſt 
ſeht 


(ei). 


ſehr unſchuldig (erwiederte er) Ich moͤchte 
in dieſem Hauſe gern einige Wunder wirken, 
bey denen ich ihre Mitwirkung brauche. 
„Wozu ſollte das fuͤhren?“ Zwey Men⸗ 
ſchen gluͤcklich zu machen; (antwortete er) die 
Graͤfinn und einen jungen Cavalier, den Sie 
nach drey Tagen kennen lernen werden. Er 
erklärte ſich nun deutlicher. Die Gräfinn, 
(ſagte er) uͤberlaͤßt ſich dem Gram uͤber den 
Tod ihres Gatten zu ſehr. Sie davon zu 
heilen weiß ich kein beſſer Mittel als den 
alten Geliebten durch einen neuen, den tod⸗ 
ten durch einen lebenden aus ihrem Herzen 
zu verdraͤngen. Als Mittelsmann zwiſchen 
der Gräfinn und dem Juͤngling muß ich mich 
beyden wichtig machen und dazu habe ich 
Zeichen | und Wunder noͤthig; werde ich mich 
einmahl ihres Verſtandes bemeiſtert haben, 
fo bin ich auch Melſter ihres Herzens. Er 
fragte dann, ob er ſich auf mich verlaſſen duͤr⸗ 
fe, und ob nicht die noch uͤbrigen Hausleute 
durch Geld zu gewinnen waͤren? Ich ver⸗ 
| | ſich⸗ 


I 
. 


| 


= ( 219) 
ſicherte ihn meiner Dlenſtwilligkeit und Treue, 
und verſprach, das letztere zu verſuchen. 
Es gelang mir auch. Sein Gold wirk- 
te um ſo maͤchtiger und ſchneller, da man 
es als Aufmunterung betrachtete, ein loͤb⸗ 
liches, wenigſtens unſchaͤdliches Unternehmen 
zu unterſtuͤtzen. Der Betrug, welcher dabey 
Ihnen und der Graͤfinn geſpielt werden ſoll⸗ 
te, wurde fuͤr unſchuldig erkannt, und hatte 
als Mittel zu einem guten Zwecke nichts ab⸗ 
ſchreckendes. Kurz! Ich meldete dem Une 
bekannten am folgenden Tage, daß wir alle 
feſt entſchloſſen waͤren, ihm zur Ausfuͤhrung 


ſeines Planes behuͤlflich zu ſeyn — ein Ent⸗ 


ſchluß, den er abermahl mit einer e 


Zechinen belohnte.“ 


„Sobald die Graͤfinn Abends zu Bette 
gegangen war, fuaͤhrte ich den großmuͤthigen 
Sonderling in unfere Geſellſchaft ein. Er 
uͤberzeugte uns bald, daß er in dieſem 
Schloße nichts weniger, als ein Fremdling 


ſep; er wußte jede Stube und jeden Wins 


kel. 


(220) 


kel. „Ich kannte den Fuͤrſten von Ge“ 
(ſagte er) den vorigen Herrn des Schloßes 


ſehr genau, er war ein vorzuͤglicher Liebha⸗ 


ber der Phyſik und Chemie, und ſeine gluͤck⸗ 
lichen Verſuche in denſelben verſchafften ihm 
Sffentlih den Nahmen eines Taufendfünfte 
lers, den Nahmen eines Schwarzkuͤnſtlers 


heimlich. Sein Stand ſchuͤtzte ihn vor der 


Ahndung, welche die Ehre der letztern Ver 
muthung jedem andern zugezogen hätt. Er 
ließ das Schloß in dieſem Walde bauen, um 
hier frey von Zerſtreuung den Wiſſenſchaften 


zu leben und ſich mit phyſiſchen und chemis 


ſchen Operationen zu unterhalten, durch wel⸗ 
che er dann manchen Gaſt, der ungebethen 


bey ihm elnſprach, mit Schrecken aus dem 


Schloße jagte. Beſonderen Unfug aber trieb 


er in dem letzten Zimmer des erſteren Stock⸗ 


werkes, das mit einer verborgenen Stube 
hier unten mittelſt einer Maſchiene in Ver⸗ 
bindung flieht. Da dieſe Stube weder Fen⸗ 

Ä met 


(est) 

ſter noch Thuͤre hat, fo zwelfle ich, ob fie 
dieſelbe ſchon entdeckt haben werden.“ 

„Wirklich war dieſe Stube bisher uns 
allen verborgen geblieben. Der Unbekannte 
forderte ein Licht, und erſuchte uns, ihn 
zu begleiten. Er fuͤhrte uns zu einer Wand, 
auf die wir bisher niemahls geachtet hatten. 
Hier hob er in einiger Entfernung einen Zie⸗ 
gelſtein von dem Fußboden heraus, ſteckte 
den Arm in die Luͤcke, und zu unſerm Er⸗ 
ſtaunen ſchob ſich ein Theil der hoͤlzernen 
Wand zuruͤck. Wir folgten ihm durch die 
Oeffnung und kamen in eine kleine Stube, 
wo uns ſogleich die Maſchine, von der er 
geſprochen hatte, in die Augen fiel. Sie 
beſtand in einer Feder, die mit einem groſ⸗ 
fen hoͤlzernen Wuͤrfel zuſammen hieng, der 
oben in dem Gewölbe eingepaßt, und durch 
einen vorgeſchobenen Riegel befeſtiget war⸗ 
Wenn nun der Riegel zuruͤckgeſchoben wur⸗ 
de, und man in dem obern Zimmer auf den 
Würfel trat, fo drückte mam durch die Let⸗ 

8 - bes⸗ 


(a2: 


besſchwere die Feder nieder, und fuhr zwiſchen 


vier Pfaͤhlen, in deren Fugen der Wuͤrfe lief, 
herunter. Sobald man aber vom Wuͤrfel weg⸗ 
fprang , fo ſchnellte die Feder ihn durch ihre 
Kraft wieder an die vorige Stelle hinauf. Um 


uns davon zu uͤberzeugen, ſtieg der Unbekannte 


auf einer Doppelleiter hinan, und hieng eis 
nige Gewichte, welche in der Stube vorhanden 
waren, an die am Untertheile des Wuͤrfels 
hervorſtehenden Hacken, welcher dann in eben 
dem Augenblicke, als er den Riegel weg⸗ 
ſchob, herunter glitt, und ſo, wie er die 


Gewichte abloͤſte, durch die Federkraft wie⸗ 


der hinaufgeſchnellet wurde. Dieſe Maſchi⸗ 


ne konnte in dem oberen Zimmer, deſſen ein- 


gelegter Fußboden durchgehends gewuͤrfelt 
war, um ſo weniger bemerkt werden, da 
der bewegliche Wuͤrfel an Geſtalt, Farbe 
und Lage ganz den unbeweglichen glich, und 
mit ihnen genau zuſammenzuhaͤngen ſchien.“ 
Nebſt dieſer Maſchine wurden wir noch 
elne gedrehte Roͤhre gewahr, die aus dem 
| Ge⸗ 


Cas, 


Geſimſe hervor kam und in ſchiefer Richtung 


bis in die Mitte der Stube herabrelchte. 


Dieſe Röhre (ſagte der Unbekannte) läuft in 
die Mauer des oberen Zimmers fort, wo 


ſie ſich in dem offenem Rachen elnes der 
vier Loͤwenkoͤpfe endiget, die in der Mit⸗ 


te der vier Wände als Buͤſten hervorra- 


gen. Mittelſt dieſer Maſchine kann man 
nicht nur alles, was in dem obern Zimmer 


auch noch ſo leiſe geſprochen wird, ſehr deut⸗ 
lich in dieſer Stube hoͤren, ſobald man das 


Ende der Roͤhre hier oͤffnet, ſondern man 
hört auch eben fo deutlich in dem obern Zim 
mer, was man hier ſpricht, ohne nur ver⸗ 
muthen zu koͤnnen, woher die Stimme kom⸗ 
me. — Wle gut der Unbekannte beyde Ma⸗ 
ſchinen zu benutzen wußte, haben Sie 8 


gnaͤdigſter Herr ſelbſt erfahren.“ 


„Ehe er bey Anbruch des Tages von uns 
ſchied, fragte er mich, in welchem Zimmer 
die Graͤfinn fremde Beſuche anzunehmen pfle⸗ 
ge. Es iſt das Zimmer (ſagte ich) welches 

an 


Gr 1 
an dasjenige ſtoͤßt, worin ſich der Fußbo⸗ 
den mit dem beweglichen Wuͤrfel befindet. 
Mit dieſer Antwort zufrieden entfernte er ſich ““ 

„Als er am folgenden Tage im Schloß 
erſchien, eilte er mir freudig entgegen: Mor⸗ 
gen ſchon (ſagte er) muͤſſen wir Wunder zu 
wirken anfangen. Ich habe einen Plan aus⸗ 
gedacht, der nicht fehlſchlagen kann. Noch 
heute Nachts wird der junge Cavalier in 
dem Schloße anlangen. Stellen Sie in ei⸗ 
nige Fenſter ſowohl der untern als obern 
Zimmer Licht, damit er nicht irregehen kann, 
und laſſen Sie das Thor, wenn jemand die 
Glocke zieht, ohne Bedenken oͤffnen. Die Graͤ⸗ 
finn, welche um dieſe Zeit ſchon ſchlafen 
wird, kann ſeinen Beſuch erſt morgen fruͤh 
annehmen. Wenn Sie ihn dann zu ihr 
werden begleitet haben, ſo treten Sie nach 
elniger Zeit mit dieſer Schatulle und dieſem 
Zettel ins Zimmer und geben beydes der 
Graͤfinn. Man wird Sie nach dem Ueber⸗ 
Ma fragen, ſchildern Ste. mich fo, wle 

Sie 


VE, 


( 225 ) 
Sie mich das erſtemahl ſahen. Der junge 


Cavalier wird begierig die Gelegenhelt er⸗ 


greiffen, mich ſehen und ſprechen zu wollen. 


Sagen Sie ihm nur, daß ich mich ſogleich 


entfernt hätte; um fo hitziger wird man mir 


nachſetzen laſſen. Dieſe Mühe will ich Ihnen ers 
ſparen, denn ich werde ohnehin im Schloſſe 


ſeyn und mich gern in ihre Haͤnde liefern. 
Halten Sie einige ſchwach zuſammengenaͤh⸗ 
te Stricke bereitet, womit fie mich bins 
den, und laſſen Sie mich fo zur Graͤfinn fuͤh⸗ 
ren, mit dem Vorgeben: ich waͤre nicht an⸗ 
ders zuruͤckzubringen geweſen. Ich werde 
dann die Stricke zerreiſſen, in das anſtoſſen⸗ 
de Zimmer fliehen, und die Thuͤre, hinter 
welcher der bewegliche Wuͤrfel angebracht 
ft, bey meinem Eintritte zuſchlagen. Unlerdeſ⸗ 


ſen muͤſſen Sie ſich bereits unten in der ver⸗ 


borgenen Stube befinden, und den Riegel 
zuruͤckgeſchoben haben, damit ich in dem Au⸗ 
genblicke, als ich auf den Wuͤrfel trete, ver⸗ 
finfe, und fo wie der Wuͤrfel wieder herauf⸗ 
5 faͤhrt 


(236) 


fährt, ſchieben Ste, um ihn feſtzumachen, 
den Riegel vor. Wenn dann die Gräfinn 
und ihr Gaſt beglerig mich zu haſchen die 
Thuͤre aufreiſſen und in das Zimmer ſtuͤr⸗ 
zen, ſo finden ſie es zu ihrem Erſtaunen 
leer, und da ihnen die Maſchine gänzlich 
unbekannt iſt, ſo werden ſie glauben, ich 
ſey wahrhaftig verſchwunden.“ 

„Sie wiſſen gnaͤdigſter Herr! wie ir 
lich und gluͤcklich dieſer Entwurf ausgeführt 
wurde. Ein Zufall machte, daß ſich aus 
dieſer Begebenheit ein zweyter noch wichti⸗ 
gerer Plan entſpann, deſſen Ausfuhrung nicht 
minder gelang. Der Unbekannte, welcher 
nach ſeinem Verſchwinden ſorgfaͤltig in der 
verborgenen Stube horchte, was in dem obern 
Zimmer uͤber dieſen Vorfall geſprochen wur⸗ 
de , vernahm unter andern durch Huͤlfe der 
Röhre auch die Bitte, welche die Seäfinn 
wegen. der Erſcheinung ihres Gemahls an 
ihn richtete. Er uͤberdachte in wenig Mie 
nuten die Meglichteit der Erfuͤllung, und 

= ſag⸗ 


( 5227 ‚) | 
ſagte fie ihr zu. Die Röhre war der Kanal, 
welche ſeine Worte in das obere Zimmer 
fuͤhrte.“ 

Erſtaunt uͤber plesttes fee und 
immer neugierig auf deren Fortſetzung hatte 
ich ihn bisher niemahls unterbrochen: aber 
jetzt konnte ich mich nicht laͤnger halten: 
„Alſo iſt es wirklich wahr: (rief ich) Ama⸗ 
lie iſt ſchuldlos, fie wußte von den Des 
truͤgereyen des Unbekannten nichts?“ 

„Nichts! (erwlederte Pilcsfi) So wahr 
Gott lebt und ich ſelig zu werden wuͤnſche, 
dle Graͤfinn iſt ſchuldlos, fie wurde eben fo 
hintergangen, wie Sie gnaͤdigſter Herr! Und 
wahrſcheinlich glaubt ſie noch jetzt ſo feſt an 
dle Wundermacht des ER als da⸗ 
mahls.““ 

Dieſe Binsen milderte meinen Un⸗ 
muth, mich ſo ſchaͤndlich betrogen zu ſehen, 
um vieles: Ich erſuchte Pileski, in der Er⸗ 
zaͤhlung fortzufahren. 


P 2 Sie 


228 


„Ste erinnern ſich doch gnädigfter Here 
noch an alle Umſtaͤnde der Geiſtererſcheinung?“ 

„Auch an die kleinſten.“ 

„So hoͤren Sie denn die Erttärung. 
Am Tage vor dem Schauſpiele vertraute 


mir der Unbekannte, daß er den Schwager 


der Graͤfinn, welcher vor kurzer Zeit ange⸗ 


kommen wäre, um feine Schwägertnn durch 


einen unvermutheten Beſuch zu uͤberraſchen, 


auf unſere Seite gezogen und beredet habe, 


die Rolle des Geiſtes zu übernehmen — 
„Uumoͤglich! (rief ich) Hier muß ein 
Irrthum obwalten. Ste meinen doch nicht 


den Bruder von Amallens verſtorbenem Gat⸗ 


ten? 2 1. 


„Den nähmlichen, der gegenwaͤrtig Ihr 


Relſegefaͤhrte iſt.“ 


Ein kalter Schauer rieſelte mir vom Wir⸗ 5 
bel des Hauptes das Ruͤckenmark hinab, 
und ergoß ſich durch alle Theile meines We⸗ 
ſens. Mein Geiſt maß mit einem Blicke des 
Kütſeskus die Vergangenheit und Gegen⸗ 


wart. 


(229 ) 

wart. Ich ſah mich in der Gewalt zweyer 
Menſchen, deren elner durch die Maske der 
engſten Vertraulichkeit, der andere durch 
ſeine ſcheinbare Wundermacht mit meinem 
Herzen und Verſtande fein Spiel trieb, und 
die beyde in fuͤrchterlicher Eintracht mich el⸗ 
ner dunkeln gefahrvollen Zukunft entgegen 
führten. 

„O Plleski (rief ich nach langer Haufe) 
wle ſchrecklich haben Sie mir die Augen ger 
| öffnet ? “ 

„Faſſen Sie ſich gnaͤdigſter Herr! Ich 
fuͤhle es: meine Zeit iſt koſtbar, und 10 
habe Ihnen noch vieles zu entdecken — 

„Der Graf uͤbernahm die Rolle des 
Gelſtes (fuhr Pileskt fort) und er konnte ſie 
um ſo taͤuſchender ſpielen, da er mit ſeinem 
Bruder wirklich viele Aehnlichkeit hatte. 
Was noch mangelte, erſetzte er durch die 
Kuͤnſte der Mahlerey, worin er ein Melſter 
iſt. Den Leib uͤberzog er ſich mit einem fel⸗ 
nen Rehfelle, das er mit gleicher Farbe wie 

ſein 


Ca: 


fein Geſicht beſtrich. Zwiſchen dem bloſſen 
Leibe und dem Felle, das auf der linken Sei⸗ 
te fuͤnf Einſchnitte hatte, war ein mit blutro⸗ 


ther Farbe gefuͤllter Schwamm verborgen. 
Sobald die Uhr, welche ich nach Endigung 
des Nachtmahles unſern Anſtalten gemäß 
gerichtet hatte, die zwoͤlfte Stunde ſchlug, 
und die Lichter verloſchen, wurde der be⸗ 
wegliche Würfel durch Huͤlfe der Gewichte 


in die untere Stube hinabgezogen, der Graf 


ſtieg an der Leiter hinauf, und der Wuͤrfel 
trat nach Hinwegſchaffung der Leiter und 


Gewichte an feine vorige Stelle zuräc. Der 


Spiritus, womit der Graf das Tuch be⸗ 


ſtrichen hatte, in das er eingehüllt war, 


verbreitete einen leichenaͤhnlichen Duft. Auf 
ein gegebenes Zelchen leuchtete eln Blitz, und 


nun ſahen Sie das Geſpenſt vor ſich ſtehen, 


welches in einem ernſten feyerlichen Tone 


dle Graͤfinn anredete. So oft der Geiſt an 
den verborgenen Schwamm druͤckte, floß die 


rothe Farbe durch die welten Einſchnitte des 


Fel⸗ 


4 
| 234, 
| (28) 
5 Felles heraus. Als ſeine Rolle zu Ende war, 
trat er im finſtern auf den bewegl ichen 

5 Wuͤrfel zuruͤck und verſank.“ 
„„Unerhoͤrter Betrug! (tief ich auf) ſo 
einfach und ſo undurchdringlich! Aber Pi⸗ 
leski! noch iſt mir manches bey dem Vor⸗ 
gange dunkel. Durch welche Kuaͤnſte vermoch⸗ 
te man das Blitzen und Donnern hervorzu⸗ 
bringen, das wirklich die hoͤchſte Aehnlich⸗ 
keit mit einem natürlichen Ungewitter hatte?“ 
„„ Beydes wurde durch zwey Menſchen 
bewirkt, die ſich uͤber Ihnen in dem Zimmer 
des zweyten Stockwerks befanden. Der eine 
ſchuͤttelte eine große runde Kupferplatte, 
die der Unbekannte in der verborgenen Stu- 
be gefunden hatte, und die bald leiſeren 
bald ſtaͤrkeren Schwingungen der Platte ver» 
urſachten das donnernde Getoͤſe. Der aus 
dere ſtand am Fenſter, und ließ, um das 
ſtarke anhaltende Blitzen hervorzubringen, 
aus einer magiſchen Laterne das Licht in eis 
nen großen Spiegel fallen, der dem Fenſter 
0 die 


(29 ) 
des Zimmers, wo die Erfcheinung vorging, 
gegenuͤber ſo aufgeſtellt war, daß er den 
Schein nothwendig hinein werfen, und das 
Geſpenſt erhellen mußte, welches in gerader 
Linle von dem Fenſter her ſtand. Die zit | 
ternde Bewegungs worein man den Spies ö 
gel verſetzte, gab der Beleuchtung das blitz⸗ 
aͤhnliche, und dieſe verſchwand, ſo oft man 
den Schieber an der Laterne zufallen ließ.“ 
„Aber wie kam es denn, daß ich den 
Spiegel nicht bemerkte, indem ich doch beym 
Eintritt in das Zimmer und auch ſpaͤterhin 
zum Fenſter hinausſah? Stellte man ihn viel⸗ 
leicht erſt zur Zeit der Erſcheinung auf?“ 
„„Er wurde ſchon, als fie noch bey Tiſche 
ſaſſen, an den Aeſten eines dem Fenſter ge⸗ 
genüber ſtehenden Baumes befeſtiget. Allem 
die Finſterniß der Nacht, die Entfernung 
des Baumes und das ſchwarze Tuch, wo⸗ 
mit der Spiegel bis zur zwoͤlften Stunde | 
bedeckt blieb, machten ihn unſichtbar. — Ih⸗ 
ren Bedienten, den man nicht in die Karte 
bli⸗ 


( 233 ) 

Blicken laſſen wollte, entfernte man in ein 
abgelegenes Zimmer, wo man ihn bey Wein 
und Spiele bis nach Mitternacht unterhielt.“ 
„ Warum ſuchte der Unbekannte nicht 
vielmehr, ihn auf feine Seite zu ziehen? “ 
„Wir hatten auch wirklich den Auftrag 

es zu verſuchen. Allein wir fanden bey dem 
jungen Menſchen eine ſo unerſchuͤtterliche 
Treue und Anhaͤnglichkeit an Sie, daß wir 
alle Hoffnung aufgaben, ihn zu gewinnen.“ 
Daß Pileski die gute Meinung, welche 

ich immer von meinem Bedlenten hatte, durch 
feine Ausſage beftätigte, freute mich deſto 
inniger, da ich mich in der Meinung, die 
ich von dem Grafen und Unbekannten hatte, 
ſo ſehr getaͤuſcht ſah. — Aber noch kam mir 
in dem Betruge, den mir die letztern durch 
die Geiſtererſcheinung ſpielten, ein Umſtand 
unbegreiflich vor, — der Umſtand naͤhmlich, 
daß vor der Erſcheinung beyde Lichter von 
ſelbſt verloſchen, und ſobald ſie verſchwun⸗ 
0 8 | den 


( 234 ) 
den war, ſich von ſelbſt wieder entzündeten. 
Ich befragte Pileski, und erhielt hierüber 
folgenden Aufſchluß. 
„Sowohl die Kerzen, als auch Be keuch⸗ 
ter (ſagte er) waren kuͤnſtlich zubereitet. Die 
letzteren gab mir der Unbekannte, und ich 
brachte fie unter dem Vorwande, daß ich 
ſte ihrer Wohlfeilkeit wegen in der Stadt 
gekauft habe, der Graͤfinn nach Haufe. Aus 
beyden Kerzen war der Tocht von unten 


hinauf ausgezogen, bis auf ein Reſtchen von 


drey Zoll; ſobald alſo dieſes verbrannt war, 5 
mußten beyde Lichter nach dem vorher berech⸗ 
neten Zeltlaufe von ſelbſt verloͤſchen. In der 
durch Aus ziehung der Tochts hohlgeworde⸗ 
nen Roͤhre einer jeden Kerze ſtack ein ande⸗ 
rer zubereiteten ſteifer Tocht, mit einem zar⸗ 
ten Gläschen umgeben, aus dem ihn eine 
Feder hinaus ſchlug, welche durch ein in den 
Leuchtern verborgenes Trlebwerk zur beſtimm⸗ 
ten Zeit losgelaſſen wurde; die hervordrin⸗ 
gende Spitze des Tochts war mit einer ent⸗ 
zuͤnd⸗ 


( 235 ) 

zuͤndbaren Materie verſehen und brannte 
von ſelbſt, ſobald es in freye Luft kam. 

„Ich weiß nicht (fuhr Pileski fort) ob 
die glückliche Ausführung des ganzen Ent⸗ 
wurfes mehr auf Rechnung des Grafen oder 
des Unbekannten zu ſchreiben iſt, wovon die⸗ 
fer die Anordnung und Lektung, jener die 
Ausuͤbung auf ſich genommen hatte. We⸗ 
nigſtens ſcheint ſo viel gewiß zu ſeyn, daß 
beyde mit gleicher Thaͤtigkeit und Geſchick⸗ 
lichkeit einander in die Haͤnde arbeiteten. 
Wer alle waren über den gluͤcklichen Gang 
dieſer Unternehmung entzuͤckt. Doch Beſtuͤr⸗ 
zung trat an die Stelle der Freude, als 
wir die ſchlimme Wirkung des Gaukelſpiels 
auf die Geſundheit der Graͤfinn erfuhren? 
Nur die ungeheuern Geſchenke des Unbe⸗ 
kannten ‚ und die Verſicherung, daß die 
Kranke durch ſeine Vermittelung bald ge⸗ 
neſen ſoll, konnten verhindern, daß wir nicht 
die ganze Betruͤgerey verrlethen.“ 


„War 


n 

„War die Krankheit der Gräfinn wirk⸗ 
lich fo gefaͤhrlich, als man mir durch mei⸗ 
nen Bedienten berichten ließ?“ 

„Ste erhielten von uns lauter uͤber⸗ 
triebene Berichte, und zwar auf Anſtiften 
des Unbekannten. Wenn Sie fuͤr Amalien 
eine Neigung gefaßt hatten, meinte er, fo 
wuͤrde dieſe in eben dem Grade wachſen, 
als die Gefahr die Geliebte zu verlieren ſich 
vergroͤßerte. Als wir ihn bey Ihrer Abreiſe 
befragten, warum er Ihre Entfernung nicht 
hindere, wenn es ſein Plan waͤre, ſie bey⸗ 
de gluͤcklich zu machen, gab er zur Antwort? 
Ihr verſteht euch ſchlecht auf die Liebe. Der 
Funke, welcher in beyder Buſen glimmt, 
muß erſt durch Hinderniße und Schwierige 
keiten zur hellen Flamme angefacht werden; 
eine gewaltſame Trennung zweyer Llebenden 
ſchließt ihre Herzen nur näher an einander. 
Selbſt die falſche Nachricht von dem Tode 
der Graͤſinn ſchrieb ich auf Befehl des Un⸗ 
bekannten; er wollte aus der Wirkung, wel⸗ 


che 


4 


( 232 ) 

che dleſelbe auf Sie machen wuͤrde, ſich des 
Srades Ihrer Leldenſchaft fuͤr Amalien ver⸗ 
ſichern. Mein Schreiben von der wunder⸗ 
baren Wiederherſtellung der Graͤfinn hatte 
die Abſicht, Sie über die erſte Nachricht zu 
troͤſten, und zugleich, Ihnen einen hohen 
Begriff von der Macht des Unbekannten bey⸗ 
zubringen.“ 

„Aber mit ſeinem Wiſſen und Willen 
ſchrieben Sie dieſen Brief doch nicht?“ 

„Auf ſeinen Befehl.“ 

„Und jener Wiederruf im Luſtwalde 
8 TEE 

„War neuer Betrug?“ 

Ich ſah ihn mit Erftaunen an. 

„Um dieſen Streich zu erklaͤren, muß 
ich etwas weiter aushohlen. Ich ſagte Ih⸗ 
nen gnaͤdigſter Herr! ſchon vorhin, daß der 
Unbekannte alle Hoffnung aufgegeben hatte, 
Ihren Bedienten auf ſeine Seite zu bringen; 
und doch bedurfte er eines Menſchen, der 
Ihres Umganges und Vertrauens genoß, 

um 


( 88 
um durch ihn Ihre Handlungen, Wuͤnſche 
und Geſinnungen zu erfahren, und durch 
deſſen Vermittelung Sie unbemerkt nach ſei⸗ 
nem Willen zu lenken. Der Graf erboth ſich 
einen Verſuch zu wagen und Bekanntſchaft 
mit Ihnen zu errichten. Allein es kam vor al⸗ 
lem darauf an, den Scharfblick Ihres Hofmel⸗ 
ſters zu hintergehen und in dieſer Abſicht be⸗ 
guͤnſtigte der Graf gleich bey ſeinem erſten 
Auftritte deſſen Haß wider den Unbekannten. 
Er erklaͤrte dieſen für einen Betruͤger, um 
dadurch ſich das Anſehen eines redlichen und 
helldenkenden Mannes zu verſchaffen, und er 
beharrte ſtandhaft auf ſelner Erklaͤrung, um 
ſie beyde zu beſtaͤrken, daß ers ernſtlich mel⸗ 
ne. In dleſer Ruͤckſicht ſchlug er ſich mit 
Ihnen, er zeigte den Brief auf, worin 
ihm Amalie die wahre Umſtaͤnde ihrer Wle⸗ 
derherſtellung entdeckte, und wodurch alſo 
mein fabelhaftes Schreiben widerlegt wurde, 
er beſchuldigte ſogar den Unbekannten elnes 
Einverſtaͤndnißes mit mir, um auch dle lel⸗ 
8 e 


( 39. ) 

ſeſte Vermuthung, daß er mit einem von 
uns beyden in Verbindung ſtehe, fuͤr immer 
zu zernichten. Der Graf wuͤrde es ſicher 
nicht gewagt haben, ſo weit zu gehen, wenn 
er nicht vorausgeſehen haͤtte, daß eine Sce⸗ 
ne wie diefenige, welche ich im Luſtwalde 
zu 'n fpielte, all das in Ihren Augen wie⸗ 
der gut machen, und den Unbekannten von 
dem Verdachte, daß er mit mir einverſtan⸗ 
den war, gaͤnzlich reinigen werde. Der Er⸗ 
folg uͤberzeugte ihn, daß er ſich nicht geir⸗ 
ret habe, und nun war es nach feiner Rech⸗ 
nung Zeit, das Blatt zu wenden. Bisher 
hatte der Graf, ſo wichtige Dienſte er auch 
dem Unbekannten geleiſtet hatte, doch we⸗ 
nigſtens dem Scheine nach gegen ihn gear⸗ 
beitet, da er ſich aber nun Ihres Vertrau⸗ 
ens vollkommen verſichert glaubte „ fo fieng 
er an, ſich für denſelben zu erflären. Er 
konnte leicht vorausſehen, welche verfuͤhre⸗ 
riſche Wirkung dieſer neue Ton auf Ste ma⸗ 
chen würde: Denn naturlich mußte in Ihe 

nen 


6240 9) 
nen zuerſt der Gedanke aufſteigen, daß der 
Graf fein unguͤnſtiges Vorurthell von dem 
Unbekannten, welches er ſo lange mit aller 
Hartnaͤckigkeit behauptete, bloß von der 
Wahrheit und Groͤße ſeiner Wunderthaten 


bezwungen endlich abgelegt habe, und in die⸗ 


fer Vorausſetzung mußten Sie ſich um fo 
mehr berechtiget glauben, der erhabenen Vor⸗ 
ſtellung, die Sie bisher von der Macht des 
Unbekannten oft wider Willen hatten, ſich 
nun mit ganzer Seele zu uͤberlaſſen. Aber un⸗ 
moͤglich konnte der Graf, ohne mit ſich ſelbſt 


in Widerſprüͤch zu gerathen, den Ton fruͤ⸗ 


her umſtimmen, als bis der Unbekannte ſo⸗ 
wohl in ſeinen als Ihren Augen hinlaͤnglich 
gerechtfertiget erſchien, und aus dleſem Grun⸗ 
de ward jenes Gaukelſpiel im Luſtwalde zu 
en veranſtaltet.“ 

„Ich begreiffe Sie ganz (ſagte ich und 
knürſchte mit den Zähnen) Aber das Gau⸗ 
kelſplel ſelbſt? “ 


9 
, War 


ſes? “ 


+ 


a 

„War theils von meiner, theils von des 
Grafen Erfindung. Ich hielt mich ſchon ei⸗ 
nige Tage vorher zu en verborgen, und hat⸗ 
te mit dem Grafen alles, was ich in Ih⸗ 
rer Gegenwart thun und reden wuͤrde, aufs 
genaueſte verabredet. Wir waͤhlten zur Aus⸗ 
führung geflleſſentlich einen Abend, an dem 
wir aus ſicheren Anzeichen ein Donnerwet⸗ 
ter vermutheten, damit die Sache mehr Fey⸗ 
erlichkeit gewann. Zum Schauplatze ward 
eine unbeſuchte abgelegene Gegend im Wal⸗ 
de auserſehen, wo ich unter den Truͤmmern 
einer morſchen Huͤtte meine zerriſſene Pil⸗ 
germaske anzog, und unbemerkt ihre Ankunft 
erwartete. Um meine Geſtalt noch auffal⸗ 
lender zu machen beſtrich ich mein Geſicht mit 
weisgelber und meine Fuͤße mit rother Farbe 


und ſo ſtuͤrzte ich dann zu rechter Zeit mit 


Geſchrey aus dem Hlnterhalte hervor. 
„Sie fielen wie ſinnlos auf den Boden, 
gebaͤrdeten ſich wie ein raſender, wozu dies 


I „ Bloß 


184242 ) | 

„Bloß um den Eindruck zu verſchaͤrfen 
und meiner Erzaͤhlung mehr Gewicht zu 1 
ben. 70 

„Sie behaupteten den Unbekannten zu 
ſehen; war er wirklich in der Nähe, oder 
wollten Sie mich taͤuſchen?“ 

„Das letztere; denn er war Aaable 
noch viele Meilen von 'n entfernt?“ 

„Aber was Sie mir von jenem Einſied⸗ 
ler erzählten, hatte doch ſeine Richtigkeit, 
oder war auch dieß nur eine eingelernte 
Rolle?“ 

Seine Antwort wurde durch eine ploͤtz⸗ 
liche Ohnmacht gehindert, die ihm vermuth⸗ 
lich das viele Reden zugezogen hatte. Auf 
mein Klingeln eilte der Moͤnch, dann der 
Krankenwaͤrter herein, und ich entfernte 
mich mit dem Vornehmen, morgen fruͤh die 
Fortſetzung von d Entdeckungen zu 
hoͤren. 

Welches unnennbare Gefuͤhl N 
mich auf dem Heimwege? Ich freute und 

fuͤrch⸗ 


x 243) 

fuͤrchtete mich, den Grafen zu Haufe zu 
treffen. Mich entzuͤckte der Gedanke den ent- 
larvten in feiner demäthigenden Bloͤße mit 
einem Blicke zu meſſen, in dem er alle Ver⸗ 
achtung zuſammengepreßt finden wuͤrde, die er 
verdiente. Aber ich erſchrack vor dem Triebe 
nach Rache, der ſich in meinem Buſen em— 
poͤrte, und mich eine Genugthuung nehmen 
hieß vor der mein guter Genius mich warnte. 
Doch zu meinem und ſeinemGluͤcke —traff ich 
den Grafen nicht zu Hauſe. Er hatte, wie mir 
Pedro ſagte, waͤhrend meiner Abweſenheit 
einige Papiere aus feinem Koffer zu ſich ge— 
ſteckt, und ohne ein Wort zu verlieren ſich 
ſchnell hinwegbegeben. Der Abend, die Nacht 
verging, ohne daß der Graf ſichtbar wurde, 
und als ich fruͤh morgens nach dem Spitale 
fuhr, war er noch nicht zuruͤck. 

Voll Begierde die Fortſetzung von Plz 
leskt's Aufſchluͤſſen zu erfahren trat ich in 
ſein Zimmer. Ach! — ich traff ihn in den 

i Q 2 letz⸗ 


G 
letzten Zügen. Er verſchied nach wenigen 
Minuten in meiner Gegenwart. 

Was haͤtte ich damahls gegeben, um 
das Leben dieſes Menſchen auf einige Stun⸗ 
den verlängern zu konnen! Seine Erzählung 
hatte wie ein Blitzſtrahl, der durch ein un⸗ 
terirdiſches Gewoͤlbe fährt, nur einen Theil 
meiner dunkeln Geſchichte beleuchtet, ein 
großer wichtiger Theil derſelben lag noch in— 
grauſe Finſterniß gehuͤllt. Nie in meinem 
Leben hatte ich es tlefer empfunden, daß 
halb befriedigte Neugierde und Ungewißhelt 
quälender find, als gaͤnzliche Unwiſſenheit 
und als die ſchrecklichſte Gewißheit. Wie 
ſehr bereute ich es nun, daß ich Pileski nicht 
am vorigen Tage um das Schickſal meines 
Hofmeiſters, um Amaliens Geſinnungen ge⸗ 
gen mich, und ihren Aufenthalt befragte. | 
Zwar hatte mir der Unbekannte kroͤſtliche 
Ausſichten auf dieſe mir ſo theuren Menſchen 
eroͤffnet, allein was konnte ich auf die Ver⸗ 
heißungen eines Betruͤgers bauen? — Mie 

ſfelbſt 


(. 243%) 


fſelbſt uͤberlaſſen mußte ich es feiner Großmuth 


oder einem guͤnſtigen Zufalle anheimſtellen, 
ob mir je bie Freude des Wiederſehens wuͤr— 
de zu Theile werden. | 

Leidige Hoffnungen! und doch waren fie 
mir unentbehrliche Stuͤtzen, um mich in mei⸗ 
ner gegenwaͤrtigen Lage aufrecht zu erhalten. 
In einer mir fremden Welt, ohne Fuͤhrer, 
ohne Freund, von den unſichtbaren Netzen 
zweyer Betrüger umgeben, von einer unge— 
wißen dunkeln Zukunft bedroht gab ich mich 
gerne den lieblichen Vorſtellungen der Moͤg— 
lichkeit hin, um mich über die traurige Wirk— 

lichkelt zu troͤſten. 

Zwey Tage waren ſchon voruͤber, und 
noch kam der Graf nicht zum Vorſchein. Ich 
hielt nun das für gewiß, was ich gleich ans 
fangs geahndet hatte, daß er entflohen war. 
Ein Blick auf ſeinen Koffer erregte einen Ge⸗ 
danken in mir, den ich feſthielt. Die Folge 
davon war, daß ich durch einen Nachſchluͤſ⸗ 
ſel den Koffer oͤfnen ließ, um zu forſchen, 

f bob 


| Cr. 246%. ) 
ob ſich nicht vielleicht noch einige Papiere 
darin befaͤnden, welche mir uͤber die Dun⸗ 
kelheiten in meiner Geſchichte Licht geben 
dürften. Wirklich fand ich mehrere Schrif⸗ 
ten, die aber in Chiffern abgefaßt waren. 
Nun wurde es mir klar, warum mich der 
Graf oͤfters gefragt hatte, ob ich mich auf 
Chiffer verſtehe. Da ich aus einer Vorſicht, 
die ich mir uͤber dieſen Punkt von jeher zum 
Geſetze machte, immer mit Nein geantwor⸗ 
tet, ſo hatte er jene Schriften, vermuth⸗ 
lich in der feſten Meinung, daß ſie mir un⸗ 
verſtaͤndlich waͤren, zuruͤckgelaſſen, um in 
der Eile diejenigen zu retten, welche mit 
gewöhnlicher Schrift geſchrieben waren. Als 
lein der Graf hatte ſich dießmal betrogen, 
denn ich verſtand das Dedhiffriren ſehr gut. 
Ich nahm von den Papieren, die mit 1. 2. 
3. 2C., bezeichnet waren, eines zur Hand, 
allein mit Verwunderung bemerkte ich gleich 
beym erſten Verſuche, daß meine Kunſt eine 
ſehr ſchwere Probe wuͤrde zu beſtehen haben. 
| Doch 


(247: ) 
Ooch ſchreckte mich dieſes nicht ab, ſondern 
ſpornte mich vielmehr allen meinen Kraͤften 
aufzubiethen, um den Schluͤſſel zu dem ers 
ſten Papiere zu finden, indeſſen mein Be⸗ 
dienter bemüht war die übrigen Schriften 
getreu zu kopiren. 

Schon kam der zweyte Nachmittag her⸗ 
an, ohne daß ich meine Arbeit belohnt fand. 
Ich warf eben voll Unwillen das Blatt hin, 
als mein Bedienter, den ich auf die Poſt ges 
ſchickt hatte, mit einem Briefe eintrat. Wel⸗ 
che Ueberraſchung, er war vom Grafen: 

„Was Ihnen durchlauchtiger Herr! Pi⸗ 
„leski von mir immer entdeckt haben mag, 
„ fo bin ich doch verſichert, daß er nichts ges 
„ſagt haben kann, was ich vor dem Richter⸗ 
„ ſtuhle meines Gewiſſens nicht verantworten 
„koͤnnte, aber vor keinem geiſtlichen und welt⸗ 
„lichen Gerichte zu verantworten vermag. Ich 
„habe Sie getaͤuſcht, aber zu einem großen 
„edeln Endzwecke, und auf Befehl des Ges 
„ waltigen, in deſſen Macht ich und Sie ſte⸗ 
5 ; ben, 


(248. 98 


„hen. Ich würde mich ſelbſt verachten, wenn 
„niedrige, oder eigennuͤtzige Abſichten mich zu 
„dem bewogen hätten, was ich that. Thaͤ— 
„tige Theilnahme an der Befreyung Ihres 
„Vaterlandes bey Ihnen zu erwecken, und 
. „ zu erhalten, war eine Urſache, warum Sie 
„getaͤuſcht wurden. Aber auch ohne Pileski's 
„Entdeckung hätte dieſe Taͤuſchung nicht lange 
„mehr gewaͤhrt, der Ihnen Unbekannte wuͤr⸗ 
„de die Binde ſelbſt von Ihren Augen genom⸗ 
„men und Sie in ein neue Welt eingefuͤhret 
„haben, zu der jene Taͤuſchung nur Vorberei⸗ 
„tung war. Durch Irrthum gelangt der 

„Menſch nach einer ewigen Regel der Natur 

„zur Wahrheit. Sie mußten mit Blendwer⸗ 

„ken bekannt gemacht werden, damit ihr Blick 
„ fuͤr kuͤnftige Erkenntniß geſchaͤrft werde, Sie 

„mußten die hoͤchſte Stuffe des Betruges kenen 
„lernen, um dleFaͤhigkeit zu gewinnen nimmer 

„betrogen zu werden. Dann und nicht fruͤher 

„war der Zeitpunkt da, wo der Ihnen Un⸗ 
a bekannte ſich in ſeiner wahren Geſtalt gezeigt, 
a und 


7249.) 


„und Sie nicht nur als einen Retter Ihres 
„Vaterlandes, ſondern auch als einen Ein— 
„geweihten des Heiligthums, das den ſtum⸗ 
„pfen Augen gewöhnlicher Menſchen ewig vers 
„ borgen bleibt, umarmet hätte. Eine Macht 
„und eine Seligkeit, wovon Sie noch keine 
„Ahndung haben, wuͤrde Ihr Lohn geweſen 
„ſeyn. Ihr Hofmeiſter genießt ihn bereits, 
„und wäre Ihr Geiſtesblick ſcharf genug ges 
„weſen den Nebel der Blendwerke, womit man 
„Sie pruͤfend umgab, ohne fremde Huͤlfe zu 
„durchdringen, fo wären auch Sie dieſes Lohr 
„ nes ſchon würdig erkannt worden. Mehr darf 
„ich jetzt nicht ſagen. Aber warnen muß ich Sie, 
„daß Sie Ihre Reiſe nicht verzoͤgern, 
„und weder an dem Unbekannten noch 
an mir auf irgend eine Art zum Verraͤther 
| „werden. Ueberſchreiten Sie eine dieſer 
„Warnungen, ſo werden Sie ſich ſelbſt 
, alle uͤbeln Folgen, die daraus entſte hen, 
„„zuſchreiben muͤſſen, fo werden Ste weder 

„Ihren Hofmeiſter noch Amalien je in Ihrem 
N Le⸗ 


{ 250 ) 

„ben wieder ſehen. Ich beſchwoͤre Ste, die⸗ 

y ſes für keine neue Taͤuſchung zu halten. Sind 

„Sie aber geſonnen ſich nach dieſen Warnun⸗ 

„gen zu richten, fo beſchleunigen Sie nach 
1 Kräften Ihre Reiſe, die erſt mit Ihrer An⸗ 
„kunft in der Hauptſtadt ' niens in M't wird 
„geendiget ſeyn. Sie werden auf dem Wege 

„dahin den Unbekannten, Amalien und Ihren 

„ Hofmetſter finden. Zu 'ubia kehren Ste in 

„dem Gaſthofe zum Splegel ein, wo Sie ei- 
„nen wichtigen Beſuch erhalten werden. Mel⸗ 
„nen Koffer erſuche ich Sie zu zin ins Poſt⸗ 

„ haus zu liefern, wo ich ihn werde abholen 

„loſſen. Ich bin mit aller Verehrung und Lie⸗ 
be, womit ich e Herzog! immer erge⸗ 

„ben war, 21. 

Ein ſolches e ich geſtehe es, 
hatte ich nimmermehr erwartet. Einen Brief 
voll Demuth und Reue vermuthete ich, als 
ich ihn erbrach, und fand das Schreiben 
elnes Mannes voll guten Bewußtſeyns, fand 
Zurechtweiſungen und Warnungen. Was 

er 


By, 
er von einer neuen Welt von einem verborgenen 
Heiligthume ſagte, in das mich der Unbekannte 
nach uͤberſtandener Pruͤfung habe einfuͤhren 

wollen, war mir gaͤnzlich raͤthſelhaft, noch raͤth⸗ 
ſelhafter, was er von meinemHofmeiſter ſagte. 
Ich hlelt anfangs das alles fuͤr Beſchoͤnigung 
des veruͤbten Betruges, und fuͤr eine Liſt mich 
neuerdings zu koͤrnen. Allein der Gedanke: wenn 
es vielleicht doch Wahrheit wäre, beunruhig⸗ 
te und die wegen Unterlaſſung der Reiſe bey⸗ 
gefuͤgte Drohung erſchreckte mich. Die bloſſe 
Moͤglichkeit ihrer Erfuͤllung war hinreichend 
mich zur Fortſetzung meiner angefangenen Rei⸗ 
ſe zu beſtimmen. Pedro mein treuer Diener 
ſuchte mich zwar durch Vorſtellungen und 
Thraͤnen von meinem Entſchluß abzuziehen, 
aber ich blieb dabey. Um Amalien und mei⸗ 
nen Hofmeiſter wieder zu ſehen waͤre ich als. 
len Gefahren und Schrecknlſſen entgegen ge— 
gangen. Am fruͤheſten Morgen des folgenden 
Tages fuhr ich ab. 


Zu 


U 282) 

Zu zin lieferte ich des Grafen Koffer 
ins Poſthaus, nachdem ich die Schriften, 
wovon die Copien in meinen Haͤnden waren, 
hineingelegt, und das Schloß durch einen 
Nachſchluͤßel zugemacht hatte. Zu jelo 
endlich gluͤckte es mir die Chifferſchrlft zu 
en (raͤthſeln, die ich faſt file unaufloͤslich zu 
halten anfieng. Ich hatte es ſchon mit allen 
Sprachen, deren ich kundig war, ver— 
ſucht, mit der lateiniſchen gelang es. Wie ’ 
hoch fand ich meine Mühe belohnt, als ich 
entdeckte, daß es Abſchriften von Briefen 
wären, die der Unbekannte an Pinto R' io 
geheimen Rath des Herzogs von B.“ 
in Anſehung meiner geſchrieben hatte. a iſt 
die Entzifferung davon: 

„Eurer Exzellenz wiſſen, wie ſorgfältig 
„wir den Ort unſerer geheimen Zuſammenkuͤnf⸗ 

„te — um ihn vor Beſuchen ungebethener 
„Zeugen zu ſichern — in dem Ruf erhielten, 
„daß er von Poltergeiſtern bewohnet wuͤrde. 
„Allein das konnte dennoch nicht hindern, daß 

ge⸗ 


2530 
„geſtern ein junger Cavalier, der mit ſei⸗ 
„nem alten Freunde auf Reiſen ging, des 
„Nachts in dem Schloße einkehrte, und zwar 
„in der Abſicht, mit den Geiſtern Bekannt⸗ 
„ ſchaft zu machen. Wir hatten kaum ihre Eine 
„kehr in das Schloß erfahren, als Georgie 
„de Mer es auf ſich nahm fie für ihren Vor- 
„witz zu zuͤchtigen. Die zwoͤlfte Stunde war 
„zur Ausfuͤhrung beſtimmt. Er kleidete ſich 
„ zu dem fuͤrchterlichſten Geſpenſte um, das 
„je um Mitternacht erſchien. — Weil aber 
„aus dem Beginnen der beyden Fremden zu 
„vermuthen war, daß fie Muth und Ent— 
„ ſchloſſenheit befäffen, fo panzerte er ſich und 
zog noch uͤberdieß eine aus Ochſenhaut verfer⸗ 
tigte Maske an um ſich gegen Stich und Schuß 
„feſtzumachen. Eine Vorſicht, die, wie die Er⸗ 
„fahrung nachher zeigte, nicht uͤberfluͤßig war. 
„So geruͤſtet naͤherte er ſich mit dem 
„Schlage Zwoͤlf von uns begleitet laͤrmend 
„dem Zimmer, das die beyden Fremden zus 
„ naͤchſt an der Treppe genommen hatten Die 
8 Thuͤ⸗ 


0 254) 

„Thuͤre war von innen, wie wir vermutheten, 
„verriegelt, da aber hier fo wie in allen uͤbri⸗ 
„gen Zimmern, der Hacken, worein der Riegel 
„, paßte, die Wand durchdrang, und an der 
„draußen vorſtehenden Spitze nur mit einem 
7 durchgezogenen Stift befeſtiget war, ſo ko⸗ 
5 ſtete es Georgio, ſobald er den Stift her— 
„aus gezogen hatte, keine Mühe die verrte⸗ 
„gelte Thuͤre ſo aufzuſtoſſen, daß inwendig 
der Hacken an dem eiſernen Schieber hängen 
„ blieb. Ich ſtand unbemerkt vor der Schwelle 
„um den Ausgang abzuwarten. Georglo trat 
„ kaum hinein, um auf denjenigen loszugehen, 
„der nahe an dem Fenſter neben einen mit 
„zwey brennenden Kerzen beſetzten Tiſche lag, 
„ als der aͤltere aufſprang und auf feinen zum 
„Gluͤck bepanzerten Ruͤcken einen Stoß mit 
„dem Degen führte. Georgio aber warf ihn 
, dafuͤr mit ſolcher Gewalt zur Erde, daß er 
„ſich nicht mehr regte. Durch dieſen Anblick | 
57 entwaffnete er den juͤngern, der eben eine 
„ Piſtole auf ihn abdruͤcken wollte. Er ging 


2 * nun 


| (25) 
„nun mit bonnernder Stimme auf ihn los, 
„loͤſchte die beyden Lichter aus, und verfuhr 
„mit ihm, als ob er ihn zermalmen wollte. 
„Da Georgio's Kleidung ganz mit Phospho⸗ 
„rusſalbe beſtrichen war, fo ſchien er im fin⸗ 
„Kern ein aus Feuer zuſammengeſetztes We⸗ 
„ſen. Der ſchreckliche Eindruck, den alles 
„dieſes auf den Juͤngling machen mußte, wur⸗ 
„de noch durch das Heulen, Winſeln und 
„Poltern vermehrt, welches einige der unfris 
„gen über dem Zimmer erweckten; er ſchien 
17 ganz außer ſich zu ſeyn. Sobald Georgis 
„dieſes bemerkte, nuͤtzte er den Augenblick, 
„ zuͤndete mit Phosphorus die beyden Kerzen 
„ an, ſteckte an der Thuͤrwand den Hacken durch 
„dle Oeffnung, befeſtigte ihn außen mit dem 
„Stift, zog die Thuͤre zu, und entfernte ſich.“ 
„Theils um zu ſehen, was dieſer Auf— 
tritt für eine Wirkung gemacht habe, theils 
„um den beyden Fremden alle Luſt zu einem 


„iweyten Beſuche zu vertreiben, kam Georgts 


„nach einer Stunde wieder, und erneuerte 
x ® 


die 
4 ; 


a 


(256 
„vorige Scene. Beyde lagen wie das erſte⸗ 
„mahl auf ihren Betten. Der aͤltere aber 
„blieb dießmahl unbeweglich liegen, daher er 
„auch verfchont wurde. Sobald Georgio mit 
„ dem jüngern fertig war, verließ er das Zim⸗ 
„mer ohne die Kerzen anzuzuüͤnden, weil er 
„beſorgte, daß derſelbe nicht fo wie das erſte⸗ f 


„mahl die Beſonnenheit verloren haben und 


„ihn vielleicht beobachten möchte. Er hatte 
„ſich nicht geirrt. Aber wer wuͤrde dem frem⸗ 
„den Juͤngling die Kuͤhnheit zugemuthet ha⸗ 
„ben, daß er bey der Ruͤckkehr des Geſpen⸗ 
„ſtes durch einen langen finſteren Gang nach⸗ 
„ſchleichen und deſſen Spur verfolgen ſollte. 
„Georgto, der auch nichts weniger als das 
„erwartete, ſah ſich weder im Gehen um, 
„noch zog er die offene Fallthuͤre zu, durch 
„welche er in das untere Gewoͤlbe auf ein zu⸗ 
„bereitetes Lager von Stroh und Heu hin⸗ 
„abſprang. Er hatte ſich kaum entfernt, ſo hoͤr⸗ 
te man einen Schuß fallen. Einige der unſe⸗ 
rigen, bie in der Naͤhe waren, eilten in 
ſchwar⸗ 


Vi 


(257, ) 

ſchwarze Däntel vermummt mit Lichtern herz 
„bey, und fanden den jungen Fremden auf dem 
er „ erſterwäͤhnten Lager. Er war durch die Oeff⸗ 
5 „nung, welche er im inſtern nicht bemerkte, in 
„das Gewoͤlbe hinabgeſtuͤrzt und ſeine Pi iole 
„hatte ſich entladen. Man führte ihn ſoglelch in 
„den Conferenzſaal, wo an einer langen Tafel 
„die Verbuͤndeten faßen, welche das Gefi cht, 
yum ſich unkenntlich zu machen, mit Larven be⸗ 
„deckt hatten. Als man ibm den Tod zur Stra⸗ 
» fe ſeines Unternehmens ankuͤndigte, both er 
Trotz und zog ſeinen Degen. Aber er ward ent⸗ 
„waffnet, und in eln Seitenzimmer abgefuͤhrt. 
„Stellen ſich Eure Excellenz unſer Er⸗ 

5 ‚ Raunen vor, als wir ſahen, ‚ wer derjenige 
„ war, dem man ſo uͤbel mitgeſplelt hatte. 
5 Es war miguel der Sohn des Herzogs von 
„ ina und Markgrafen von Villa“, der Alte 
war Graf“ erez ſeln Hofmeiſter. Die meiften 
„Verbuͤndeten kamen uͤbereln, beyde dem Tode 
„zu übergeben, damit unſer Geheimniß nicht 
J verrathen wuͤrde., Allein ich beſtand darauf, 

| N daß 


( 0258 )) 


„daß man fie erſt verhoͤren, und darnach dat 
„Urtheil abfaſſen ſollte. Dieß geſchah. Wir 
„erfuhren nun, daß Miguel von feinem Vas 


V ter geſchickt wäre die merkwuͤrdigſten Staͤd⸗ 
„te Europens in Geſellſchaft feines Hofmei⸗ 


ſters zu bereiſen, und daß ihn die Erzaͤhlun⸗ 


„gen des Pfarrers, bey dem er eingekehrt war, 


„neugierig gemacht hätten, die Bewohner 


„dieſes ee näher kennen zu lernen. So⸗ 
„bald beyde nach geendigtem Verhoͤr abge⸗ 
„fährt waren, ergriff ich das Wort, und 
„ ſprach alſo.“ og! 

„Glaubt man durch ihren Tod vor 
„Entdeckung geſichert zu ſeyn? Ich glaube 
„vielmehr das Gegentheil. Der Bedlente, 
„der Pfarrer und fein Hausgeſinde weiß, daß 
„ fe in dieſem Schloße übernachtet haben, und 
„wenn ſie heute nicht zuruͤckkehren, fo weiß 
„ das ganze Dorf die Geſchichte. Sie wird 
„und muß zu den Ohren des alten Herzogs 
„von 'ina kommen, und wer kann wohl im 


„Ernſte vermuthen, daß dieſer fo leichte 


glaͤu⸗ 


(6259) 


„ gläaubig ſeyn werde den Tod ſeines Soh⸗ 


„nes auf Rechnung der Geſpenſter zu ſchrei⸗ 
„ben? Ein ſolches Leben iſt dem Vater und 


„Staate zu wichtig, als datz deſſen Verluſt 


„nicht die ſtrengſte Unterſuchung nach fi 


„ ziehen ſollte. Das Schloß wied umrun⸗ 
„egen, durchforſcht und wir werden entde⸗ 


„cket werden, oder wir muͤſſen durch die 
„Flucht zuvorkommen. In beyden Faͤllen 


„ſind wir gezwungen den Ort zu verlaſſen. 


„Das iſt der natuͤrlichſte Gang der Sache. 


„Gerade der Tod dieſer Menſchen wird: 
„ unſer Verraͤther ſeyn. Laſſen wir ſie alſo 
„leben. Ich kenne das Haus der Villas 


„ genauer, Miguel und Graf *eres find Maͤn⸗ 
„ner von Ehre; nehmen wir von beyden das 
„Ehrenwort die Geſchichte dieſer Nacht ge⸗ 


„heim zu halten, und wir find ſicher. Aber 
„das iſt nicht alles, was ich durch die Er⸗ 


„haltung ihres Lebens zu erzielen gedenke 
„Ein weit höherer Zweck liegt mir am Hers 


ß zen. Ich will Miguel für unſere Parthey 


R 2 ge⸗ 


(280.4 
„gewinnen. Er ſoll den Knoten loͤſen helfen, 
„der wir geſchuͤrzt haben, und den Gang des 
„großen Schauſpieles beſchleunigen. Ich 
„ſehe Befremdung und Staunen, aber ich 
„pflege nichts zu unternehmen, was ich nicht 


7. auszuführen vermag, Ich will mich in der 8 


„Folge deutlicher erklaren. Jetzt nehmen 
„wir von den Gefangenen den Eid der Ver⸗ 
„ſchwiegenheit, und laſſen fie frey.“ 


„Das geſchah. Und ich ergriff ſogleich 


„die Feder um Eurer Exzellenz biefen Vor⸗ 
„ fall zu berichten.“ 

Mie haͤtte ich gedacht, daß der Unbe⸗ 
kannte der Verfaſſer dieſes Briefes wäre, 
hatten mich nicht die folgenden davon übers 
zeugt. Immer betrachtete ich mein Abenteu⸗ 
er in jenem Schloße als einen einzelnen Aufs 
tritt in meiner Geſchichte, den ich mit un⸗ 
ſerer Entlaſſung aus demſelben fuͤr gluͤcklich 
beendiget, aber auch fuͤr gaͤnzlich geſchloſſen 


hielt. Nie war die leifeſte Vermuthung in 


mir erwacht, daß meine nachherigen Aben⸗ 
teuer 


7 


6 


feuer mit jenem erſten in Beziehung, viel 
weniger daß fie in einer fo engen Verbin: 
dung ſtaͤnden. Wohl ſah ich jene Verlarv— 
ten im Schloße ſogleich fuͤr Perſonen von 
hohem Range an, allein daß ſie die Haͤup⸗ 
ter der Verſchwornen waͤren, die ſich hier 
zur Befreyung meines Vaterlands in ges 
heim verſammelten, kam mir bisher noch 
niemahls in den Sinn. Ich war immer der 
Meinung, der Unbekannte habe erſt dazu⸗ 
mahl, als er in dem ſonderbaren Bettleran— 
zuge mit uns zuſammentraff, ſeinen Anſchlag 
auf mich gefaßt; daß er ihn ſchon in jenem 
Schloße faßte, daß er es war, der durch 
feinen Vorſpruch mich und meinen Hofmei— 
ſter vom Tode rettete, haͤtte ich mir nie traͤu⸗ 
men laſſen. Um fo maͤchtiger uͤberraſchte 
mich das alles. Ich ſchwor bey mir, dem 
Unbekannten dieſen edeln wichtigen Dienſt, 
den er ohne unſer Wiſſen uns leiſtete, nie 
zu vergeſſen. Wie merkwuͤrdig war mir der 
ſo 


(6262 
ſo muͤhſam entzifferte Brief, der zweyke war 
es nicht minder. 


„Mein Plan geht dahin, Miguel durch 


„die Blendwerke der ſogenannten Magie 
„nach meinem Willen zu leiten. Eure Ex⸗ 


„reellen; dürften vielleicht denken, daß dieſer 
„Plan bey einem Juͤnglinge fehlſchlagen muͤſ⸗ 


„ fe, der fo gar nichts an Geiſter glaubt, 


„daß er bey Nacht in einem wegen ders 


„ſelben berufenen und gefuͤrchteten Schloße 


„ elnkehrt. Allein wenn ich auch annehmen 


„wollte, daß er bey dieſer Einkehr keine 
„andere Abſicht hatte, als ein Abenteuer zu 
„ beſtehen, fo bewies er ſchoͤn dadurch Hang 
„zu Schwaͤrmerey, freylich von derjenigen 
„ganz verſchleden, zu der ich ihn geſtimmt 
„brauche; doch Schwaͤrmerey, wie fie auch 
„immer ſich aͤußern mag, bleibt Schwaͤrme⸗ 
„rey, und es kommt bloß darauf an, daß 


„ich ihr eine zu meinem Zwecke paſſende 


„Richtung gebe, welches mir bey einem Juͤng⸗ 
5 ling von ſeinem Temperament, ſeiner Wiß⸗ 
be⸗ 


853 

„beglerde und bey feinen noch unbefeſtigten 
„Grundſaͤtzen eben nicht ſehr ſchwer wer⸗ 
„den fo, i 

„Man wurde aber gewiß zu weit ges 
„hen, wenn man aus ſeiner Einkehr in dem 
„Schloſſe folgern wollte, daß er von dem 
„Ungrunde der Geiſtergeſchichten überzeugt 
„war. Ich ziehe vielmehr daraus den ent 
„gegengeſetzten Schluß, und ich denke, mit 
„vollem Rechte. Denn waͤre Miguel von 
„der Nichtigkeit der Geiſtererſcheinungen 
und Geſpenſtermaͤrchen ſchon im voraus 
uͤberzeugt geweſen, fo hätte er ſich davon 
„nicht erſt durch die Erfahrung uͤberzeugen 
„wollen, aber eine geheime Stimme, die 
„in ihm trotz feiner Phtloſophie für die Moͤg⸗ 
„lichkeit der Erſcheinungen ſprach, erregte 
„ſeinen Vorwitz, und dieſer beſtimmte ihn 
e, zu dem Entſchluße. Wäre Miguel verſi⸗ 
chert geweſen, daß die Bewohner des Schloſ— 
„ſes Niemand anders als Menſchen ſeyn 
„ koͤnnen, ſo war ſeine Einkehr nicht nur 
f übers 


264) 
„ uͤberfluͤßig, ſondern unſinnig, indem er 
„aus keinem andern Grund, als das zu ers 
fahren, was er ohnehin ſchon wußte, ſein 
„Leben in die Haͤnde unbekannter Menſchen 
„lieferte. Allein eben der Mangel an Uebere 
„zeugung, das Schwanken zwiſchen Glau⸗ 
„ben und Unglauben war die Urfache, daß 
er um zur Gewißheit zu gelangen ſo vieles 


70 wagte. Haͤtte das Geſpenſt ſeine Rolle 


„mit mehrerer Beſcheldenheit geſpielt, ich 


„ bin gewiß, Miguels Phlloſophie hätte eine 


7 gewaltige Erſchuͤtterung gelitten. 


„Dieß letztere durch Feinheit, und die | 


„ Kuͤnſte natuͤrlicher Magie zu bewirken ‚ 
a wird mein erſtes — und ich hoffe, nicht 
7 fruchtloſes — Beſtreben ſeyn. Habe ich es 


„denn nur dahln gebracht, daß Miguel, 


aus Unfähigkeit meine Thaten natuͤrlich zu 
„ erklären , mir mehr als menſchliche Kraͤfte 


„zuzumuthen anfängt, fo iſt er in meiner 


v ‚Gewalt, bie ich werde zu benuͤtzen wiſſen. 


Z „Seine Wißbeglerde, und ſein Hang zum 


75 Aben⸗ 


\ 


6 2650 
„Abenteuerlichen wird mir die Arbeit, 
„welche ich bey einem anderen haͤtte, um 
„vieles erleichtern. Und um Kop fund Herz 
55 zugleich zu verſtricken, will ich ihn mit ei⸗ 
„ner Schwaͤrmerinn In Verbindung bringen, 
„die durch die wunderllchen Schickſale ihres 
Lebens geſtimmt iſt, an Wunder und uͤber⸗ 
„natuͤrliche Erſcheinungen aller Art zu glau⸗ 
„ben. Schwaͤrmerey ſteckt an, und theilt 
„ſich deſto ſchneller und bezaubernder mit, 
„wenn die Schwärmerinn ein fo ſchoͤnes 
„reitzendes Weibchen, wie die Graͤfinn von 
„C — vl iſt. In ihrer Geſellſchaft will 
„ich Miguel bald zu einem Schwaͤrmer 
„bilden, der eben ſo faͤhlg iſt Geiſter zu 
„ſehen, als ſein Leben fuͤr die Geliebte und 
„das Vaterland aufs Spiel zu ſetzen. 

„Iſt er aber einmahl dahin geſtimmt, 

„ dann kann ich raſch mit ihm zum Ziel eilen. 

„Alle Gründe der philoſophie und Vater⸗ 

landsliebe wären nimmer im Stande, ihn 

„ſo gewiß und ſchnell dahin, wo wir ſei⸗ 
ner 


(66 
„ner nach unſerem Plane bedürfen, zus 
5 bringen, als das Wort eines Mannes, 
„dem er übermenſchliche Macht und Sens 
dung von Oben zumuthet. Ich werde 
„es für meine Pflicht halten, Eurer Excel⸗ 


„lenz von jedem wichtigen Schritte, den ich 


„in dieſer Sache vorwärts thue, Rechen⸗ 
„ſchaft zu geben, weil Sie als die Seele 
„unſeres Unternehmens jede Verrichtung der 
„einzelnen Glieder wiſſen muͤſſen, um ihren 


„Einfkuß auf das Ganze zu berechnen. Nur 


„ bitte ich, dem Erzbiſchoffe von Li bon nichts 


„von meinen magiſchen Operationen zu ſa⸗ 


„gen. Eure Excellenz kennen ſeine ſtrengen 
„Grundſaͤtze; ſo thätig er auch die Ver⸗ 
„ſchwoͤrung begünftiget „ und fo ſehr ihn 
„die an Miguel gemachte Eroberung freuen 
„wird, fo wuͤrde er doch die Mittel, wodurch 
„ich deuſelben zu gewinnen gedenke, ohne 
„Gnade mißbilligen. Ich ſelbſt koͤnnte mir 
„den Betrug, welchen ich dem edeln Juͤngling 


‚spielen will, nimmer vergeben, wenn ihn nicht 


dle 


3 

„die Groͤße des Endzweckes in meinen Au⸗ 
„gen entſchuldigte, und wenn ich nicht 
„den feſten Vorſatz hätte, dem getaͤuſchten 
ſelbſt die Augen zu öffnen, ſobald der End: 
„zweck erreicht iſt. Ich bin ꝛc.“ 

Die letzteren Zeilen beſtaͤtigten jene 
Aeußerung des Grafen, daß der Undekannte 
nach Verlauf einiger Zeit ſelbſt die Binde 
von meinen Augen wuͤrde genommen haben. 
Allein das rechtfertigte ihn vor mir noch 
keineswegs. Wenn er auch die Taͤuſchung 
in der Folge ſelbſt zerſtoͤrt haͤtte, war ich 
nicht dennoch betrogen, und er ein Betruͤ⸗ 
ger, ſo lange die Taͤuſchung waͤhrte, und 
kann je ein an ſich niedriges unerlaubtes 
Mittel durch einen edeln Endzweck geadelt 
werden? — Indeſſen kann ich nicht laͤugnen, 
daß ich den Scharfblick, womit der Under 
kannte meine ſchwache Seite ausgeſpuͤrt, 
die Geſchicklichkeit, womit er dieſe Entde⸗ 
ckung benuͤtzt, und die Feinheit der Künfte, 
wodurch er mich hintergangen hatte, eben 


ſo 


(„ 268 c 
fo ſehr bewunderte, als ich andererſeits 
über mich ſelbſt erbittert war, daß ich die 
Probe, auf welche meine Philoſophie geſtel⸗ 
let wurde, fo ſchlecht beſtand. Sehr ange: 
nehm aber fand ich mich uͤberraſcht, den 
Erzbiſchoff von Lil bon in der Zahl der Vers 


ſchwornen zu treffen. Ich kannte ihn gut, 


und es ſchmeichelte meinem Stolze, an einem 
Unternehmen Antheil zu haben, womit ſich 
dieſer gelehrte und wuͤrdige Prieſter befaß⸗ 
te. Eben ſeine ſtrengen Grundſaͤtze, die der 
Unbekannte fuͤrchtete, waren mir ſichere Buͤr⸗ 


gen fuͤr die Gerechtigkeit des Unternehmens. 


Voll Begierde die Nahmen der übrigen Ver⸗ 
ſchwornen zu erfahren „griff ich nach dem 
dritten Blatt, aber es war eines ganz an⸗ 
dern Inhalts: 

„Ich habe an Miguel und ſeinem Hof⸗ 
„meiſter mein erſtes Probeſtuͤck abgelegt. Da 
„ich aus ihrer eigenen Ausſage beym Ver⸗ 
„dire den Weg wußte, welchen fie nehmen wuͤr⸗ 
„den, fo eilte ich gleich nach Tagesanbruch mit 

5 mei⸗ 


( 269 ) 

z meinen zwey Dlenern voraus, und erwar⸗ 
„tete fie am Rande des ***ulano Waldes, 

„eine Melle vor der naͤchſten Stadt. Ich 

„waͤhlte, um einen uͤberraſchenden und blets 
„ benden Eindruck auf fie zu machen, den 
| „auffallendſten abenteuerlichſten Anzug. Ein 
„alter zerlumpter Rock, der muͤhſam an 
„meinem Leibe hielt, ſtach ſeltſam gegen 
„eine neue goldgeſtickte Weſte ab, die fo 
„lang war, daß ſie meine Schenkel bedeck⸗ 
„te; der uͤbrige Theil der Beine blieb nackt. 
„Am Kinne hatte ich mir kuͤnſtlich einen 
„weißen Bart befeſtiget, der ſich mit mei⸗ 
„nen ſchwarzen Haupthaaren ſchwer zus 
„ſammenreimen ließ. Sobald Miguels Was 
gen Abends angefahren kam, hinkte ich auf 
„elner Kruͤcke hervor, und erſuchte den Hofe 

„meiſter, Schuhe und Struͤmpfe auszuzie⸗ 

„hen, und fie mir zu geben. Eure Excellent 
„haͤtten das Erſtaunen uͤber dieſe unerwar⸗ 
„tete Kuͤhnheit ſehen ſollen. Da ich aber mit 
der unverſchoͤmten Zudringlichkeit eines aͤch⸗ 
N N ten 


1 


ie®ı 
„ten Bettlers auf meiner Bitte beharrte 
„und ohne mich durch Scheltworte und Deo⸗ 
hungen abſchrecken zu laffen, am Schlage des 
„Wageus feſt angeklammert ſtehen blieb, fa 
„ bequemte ſich endlich der Alte mein Geſuch zu | 
„ erfuͤllen. Wie er um die Schnallen aufzulöfen 
i ſich niederbeugte, bemerkte ich feitwärts am 
Polſter, wo er ſaß, eine Brieftaſche, die er viel 
leicht nit dem Schnupftuche herausgeſtreut 
„ hatte; und ſo, wle ich mit einer Hand nach 
„den dargereichten Schuhen und Struͤmpfen 
„ langte, haſchte ich mit der andern die 
„ Brieftaſche und ſteckte fie zu mir. Ich 
„ging dann zu Miguel, den ich um Rock und 
„Beinkleid bath. Nun riß beyden die Ge⸗ 
„ duld, man befahl mir augenblicklich zu es 
„hen. Ich ſah Miguel mit blitzenden Augen 
„an und lachte ſo fürchterlich auf, daß man 
„erſchrocken den Kutſcher fortfahren hieß. 
„„Aber raſch ſprang ich vor, und ſchlug das 
„eine Pferd mit meiner Kruͤcke ſo heftig 
„an die Schamtheile, daß es ee 
Dieſe 


„ 
„„Oieſe That wirkte. Miguel ſieng an, ſich 
zu entkleiden. Als er das Beinkleid auss 
5 zog nahm er ſeine Boͤrſe heraus, und 
„ ſteckte fie in den Rock, welchen der Bedien⸗ 
„te aus dem Reiſekoffer geholt hatte. Ich 
„aber erſah meinen Zeitpunkt, und während 
„ſich Miguel mit dem Anziehen des neuen 
„„Beinkleides beſchaͤftigte, ward feine Boͤr⸗ 
„ſe von mir durch einen geſchickten Griff in 
„die Rocktaſche entwandt. Nachdem er mit 
„dem Aus und Ankleiden fertig war, dank⸗ 
„te ich beyden fuͤr die empfangene Gabe, 
„und ermahnte fie, bey ihrer Ankunft in der 
„Stadt den Gaſthof zum 'zu vermelden, 
„und ſich hier nach drey Tagen um die 
„nähmliche Zeit wieder einzuſtellen. Ich 
„hinkte dann nach einer hoͤflichen Verbeu⸗ 
„gung mit meiner Beute beladen in den Wald, 
„wo ich ſie ſtuͤckweiſe, mit dem Wolluſtge⸗ 
„kuͤhle eines Siegers, nach gewonnener 
„Schlacht, beſchaute. Und im Ernſte! wenn 
es gleich keine Heldenthat war, ſo war es 
doch 


„ 
„doch kelne Kle igkeit „ in der erbaͤrmlicheit 
„Geſtalt eines Bettlers ohne Waffen als 
meine Krücke einem Grafen Struͤmpfe und 
„Schuhe, und einem Herzogsſohne Rock 
PR und Beinkleid vom Leibe weg, in ihren 
55 eigenen Wagen, abzufordern und zu er⸗ 
„halten. Jederman wird mir eingeftehen , ‚ 
„daß dieſer Streich nur durch einen beträchtli⸗ 
57 chen Grad von Entſchloſſenheit, Kuͤhnheit, Fi 
5 e und Gelſtesgegenwart ge⸗ 
„lingen konnte. Von der Entfremdung der 
„Boͤrſe und u die bloß auf ein 
„wenig Klugheit und Geſchwindigkeit an⸗ 
„kam, will ich gar nichts ſagen. Aber für 
„Miguel und feinen Hofmeifter if dieſer 
Streich nicht minder wichtig als der vork⸗ 
„ ge. Wie viel habe ich fuͤr meinen Zweck i 
5 gewonnen, daß es mir gelang, gleich bey 
„dem erſten Auftritte mich auf eine Art 
5 anzukündigen, die Beyden in jeder Rück⸗ 
„ ſicht unvergeßlich ſeyn muß. Ich habe 


„nun Muth, welt kuͤhnere Verſuche mit 
ber 


( 273 ) 


„der zuverlaͤßigen Hoffnung eines gluͤckli⸗ 


„chen Verſuches zu wagen. Selbſt die 


„Verſchwornen, denen ich ſogleich durch 


„einen meiner Diener die Kleidungsſtuͤ— 
„cke, nebſt einem kurzgefaßten Berichte 
„von deren Eroberung, in das Schloß ſchick—⸗ 
„te, werden dieſe Siegeszeichen fuͤr Buͤr— 
„gen kuͤnftiger noch herrlicherer Siege er» 
„kennen, die ich uͤber Miguel zu erfechten 
„verſprach. Und dazu find auch bereits alle 
„Anſtalten getroffen. Nicht umſonſt waͤhlte 
„ich die benannte Gegend zum Schauplatze 


„meiner Handlung; in dem Walde ſteht ein 


„Gebaͤude, das vormahls der Fuͤrſt von 
„Ge bewohnte, und welches jetzt der 
„Graͤfinn von C— vl, jener Schwaͤrme— 
„rinn, von der ich Eurer Excellenz in mei⸗ 
„nem letzten Briefe Meldung machte, zum 
„Aufenthalte dient. Dahin gedenke ich Mi⸗ 
„guel zu locken, wenn er nach drey Tagen 


„„an dem Platze erſcheint, wohin ich ihn be— 
„ſchieden habe. Und erſcheinen wird er ges 


S „wiß, 


| ( 274 ) 

„wiß, wenn nicht aus Neugierde, boch aus 
„Hoffnung die Boͤrſe und Brieftaſche, wel⸗ 
„che er in meinen Haͤnden weiß, zuruͤckzu⸗ 
„bekommen; das wird und muß er auch, 
„denn ich will in feinen Augen für einen 

„Tauſendkuͤnſtler, und nicht fuͤr einen Beu⸗ 

„telſchneider gelten, aber er fol fie nirgends 

„als in dem Hauſe der Graͤfinn erhalten. 
„Ich habe einen Plan darüber entwor⸗ 
„fen, von dem ich mir vieles verſpreche, 
„und den Eure Excellenz im naͤchſten Briefe 
„erfahren werden. | 

„Daß ich Miguel bey ee Abſchlede 
„ermahnte, im Gaſthofe zum“ nicht einzu⸗ 
„ kehren, hatte gleichfalls feinen guten Grund, 
„denn ich wollte mich aus der Beobachtung 
„oder Hintanſetzung dieſer Warnung verſi⸗ 
„chern, ob meine Worte bey ihm Eingang 
„und Glauben faͤnden oder nicht. Ich eilte 
„daher, als es finſter wurde, von meinem 
„Diener begleitet in einem ordentlichen un⸗ 
ae verdächtigen Anzuge nach der Stadt, und 
| , kehr⸗ 


( 275 ) 

„kehrte in jenem Gaſthofe ein, um zu ers 
„fahren, ob man meine Warnung befolgt 
„habe. Leider erfuhr ich das Gegentheil, 
denn Miguel und fein Hofmeiſter find hier, 
„und daran iſt wahrſcheinlich der letztere 
„Schuld, aber ich will ihn ſo beſtrafen, 
„daß er es gewiß bereuen fol hier einges 
„kehrt zu haben. In dieſer Ruͤckſicht mie⸗ 
„thete ich das Zimmer, welches gerade an 
„das ſeinige ſtoͤßt, und in welchem ich die 
„Geſchichte des heutigen Tages fuͤr Eure 
„Excellenz niederſchreibe. Sie werden aber 
„erlauben, daß ich jetzt die Feder aus der 
„Hand lege um zum Handeln zu ſchreiten, 
„denn es iſt ſpaͤt in der Nacht und die Zeit 
„meinen Entwurf auszuführen riet heran. 
„Ich bin ꝛc.“ 

Das folgende Blatt Re bie Fort⸗ 
ſetzung: 

„ Was iſt nicht alles ſeit der kurzen 
„Zeit geſchehen, als ich Eurer Excellenz zu 
„ ſchreiben die Ehre hatte! Meine Unter⸗ 

S 2 „ neh⸗ 


(5786) 
„nehmungen gehen raſches Ganges fort und 
„, ſelbſt das Schickſal ſcheint fie zu beguͤnſti⸗ 
„gen. Ich hatte, wie ich ſchon juͤn gſthin 
„berichtete, in jener Nacht einen Plan ges 
„faßt Miguels Hofmeiſter fir feinen Unge⸗ 
„horſam gegen mich zu zuͤchtigen, dieſen 
„Plan zernichtete ein Zufall, wodurch aber 
„meine Abſicht nur noch herrlicher erreicht 
„ wurde. Schon hatte ich eine Art von 
„Noͤnchskutte, die in meinem Felleiſen lag, 
„angezogen, und den weiſſen Bart (der 
„aber aus Unvorſichtigkeit durch eine bren⸗ 
„nende Kerze bald in Flammen aufgelodert 
„ ware) an meinem Rinne befeſtiget, und 
„ſchon wollte ich fo angethan aus dem Zim⸗ 
„mer treten, um meinen Entwurf aus zu⸗ 
fuͤhren, als ploͤtzlich Feuerlaͤrm im Haufe 
„ entitand. Die dringende Gefahr geſtattete 
„ nicht, mich erſt umzukleiden, und ich fluͤch⸗ 
„tete daher fo, wie ich war, mit meinen 
„Habſchaften auf die Gaſſe, wo ich ſie in 
„einem abgelegenen ſicheren Winkel verbarg. 
Ich 


(D) 
„Ich ſtellte mich dann mit meinem Diener 
„fo, daß Miguel und fein Hofmeiſter, ſo⸗ 
„bald ſie aus dem Hauſe kaͤmen, uns in 


„dle Augen fallen mußten. Allein wie hoch 
y ſtieg mein Beſorgniß, da der Brand ſchon 


„ſchrecklich um ſich griff, und wir fie noch 
„immer nicht entdeckten. Ich fieng ſchon 


„an, das ſchlimmſte zu fuͤrchten, als ſie 


„plotzlich aus dem Hauſe herausſtuͤrzten. 


„Mein Diener, dem ich den Auftrag gege⸗ 


„ben hatte, ihre Schritte und Reden genau 
„zu beobachten, ging ihnen auf der Ferſe 
„nach, ich ſelbſt folgte in einer kleinen Ent⸗ 
„fernung mit verhuͤlltem Geſichte. Sie hat⸗ 
„ten kaum Halt gemacht, als Miguel ſich 
„erinnerte, daß er das Bildniß feiner Mut⸗ 
„ter auf dem Tiſche zuruͤckgelaſſen habe; 
„haͤtte ihn ſein Hofmeiſter nicht abgehalten, 
„er waͤre fortgerannt es zu hohlen, fo ſehr 
„hieng fein Herz daran. Mein Diener, der 
„mir davon Bericht gab, ließ ſich durch 
‚feine Liebe zu mir und — zu den ſechs 
Ze⸗ 


( 78 )) 
„ Zechinen, die ich ihm anboth, bewegen, 
„das Wagſtuͤck zu unternehmen. Er for⸗ 
„derte unter dem Vorwande loͤſchen zu hel⸗ 
„fen eine naffe Decke, huͤllte ſich dareln ⸗ 
„drang ins Haus, gelangte gluͤcklich in 
„Miguels Zimmer, ergriff das Portrait, 
„„und ſprang damit, um die gefährliche Ruͤck⸗ 
„kehr zu erſparen, zum Fenſter hinaus, das 
„nicht hoͤher als ein Stockwerk war. Ha⸗ 
„fig machte er ſich durch das Gedraͤnge der 
„Menſchen, die ihn laut bewunderten, 
„Platz, und eilte zu mir. Ich nahm das 
„Portrait, trat zu Miguel, und gab es 
„ihm mit einem ſehr ernſten Verweiſe, daß 
„er meine Warnung uͤbertrat. Er ſtaunte 
„mit ſtarrem Blicke anfangs mich, dann 
„das Bildniß an, ich aber drehte mich in 
„eben den Augenblick um, und trat hinter 
„meinen Diener. Zugleich riß ich meinen 
„Bart los, und verwandelte meine kuͤnſtlich 
„zugerichtete Kutte durch einen Zug der 
„ daran hangenden Schnüre in eine andere 
| Mase 


(9) | 
„Maske, die von jener ganz verſchieden war 
„Ich mußte lachen, als Miguel, nachdem 
„er das Bild ſatt angeſehen, meinen Diener 
in der Meinung, daß ichs wäre, beym 
„Arm ergriff, und, da er ſeinen Irrthum 
„einſah, rund herum nach mir fragte, mich 
„rund herum vergebens mit den Augen ſuch⸗ 
„te, obwohl ich kaum ſechs Schritte von 
„ihm entfernet fand. >. 

„Nothwendig mußte das alles den er= 
„ſten Eindruck, den ich als Bettler auf ihn 
„machte, verſtaͤrken „ mußte mich bey ihm 
„in den Verdacht eines Wahrſagers und 
„Zauberers bringen. Das war mir aber 
„recht, denn er wurde dadurch nur deſto 
„mehr angefeuert am dritten Tage auf dem 
„ beſtimmten Platze zu erſcheinen, um mit 
„ mir nähere Bekanütſchaft zu machen. 

„Eure Exzellenz koͤnnen ſich leicht vor⸗ 
„ſtellen, daß ich dieſe drey Tage nicht un⸗ 
„benuͤtzt ließ, mich auf Miguels Empfang 
gehörig vorzubereiten. Meine erſte Sorge 

BSR „ war, 


(880 )) 
„war, die Leute der Graͤfinn, in deren 
„Haus ich ihn einfuͤhren wollte, zu gewin⸗ 


„nen, damit ich allda ohne der Graͤfinn 


„Wiſſen meine Rolle ſpielen koͤnnte. Es 
„gluͤckte mir, mit einer groſſen Summe Gel⸗ 
„des ſie zu erkaufen, und gelehrig zu mar 
„chen. Meine zweyte Sorge war, alle We⸗ 
„ge, Gebuͤſche und Schlupfwinkel des Wal⸗ 
„des genau kennen zu lernen, um mich ders 
„ſelben nach Erforderniß der Umftände zu 
7 bedienen. Und endlich ging mein Bemuͤhen 
„dahin, meine Untergeordneten zu den Rol⸗ 
„len abzurichten, die ich ihnen auftrug, 
„um mein Spiel zu unterſtuͤtzen. Ihre Zahl 
„bellef ſich auf acht Mann, denn meln 
„Diener Manuel, welchen ich mit den bes 
„wußken Kleidungsſtuͤcken nach dem Schloße 
„abgeſandt hatte, war am zweyten Tage 
„mit ſechs anderen zuruͤckgekommen, die 
„mir zum Behufe meiner Unternehmungen 
„von den Verſchwornen mit dem Bedeuten 
„ geſchickt wurden, daß ich mich auf ihre 
hr Treue, 


(6281) 

„Treue, und Thaͤtigkeit verlaſſen duͤrfte. 
„Und wirklich leiſteten mir dieſe Leute, wie 
„die Folge zeigen wird, treffliche Dienſte. 

„Unter andern darf ich einer komiſchen 
„Begebenheit nicht vergeſſen, die ſich waͤh⸗ 
„rend den drey Tagen mit mir ereignete. 
„Auf einem Spaziergange durch die Vor⸗ 
„ ſtadt gerleth ich zwey liederlichen Geſellen 
„in die Haͤnde, welche vom Geiſterban⸗ 
„nen Profeſſion machen. Ich ließ mich 
„bereden mit ihnen in ihre vier Treppen 
„hohe Wohnung hinauf zu ſteigen, wo dann der 
„eine die Beſchwoͤrung unter vielen Grimaſ⸗ 
„ſen und Zerimonten vornahm. Ich ſah der 
„„ ganzen Comedie mit erzwungenem Ernſte 
„zu. Als aber das Geſpenſt erſchien , konn⸗ 
„te ich mich nicht laͤnger verſtellen und brach 
„„an ein lautes Gelächter aus. Dieſe Aeuſ⸗ 
„ſerung zu einer Zeit, wo man Furcht und 
„Zittern bey mir erwartete, uͤberzeugte die 
„Geiſterbanner auf der Stelle, daß ich den 
„Spaß Kere; Sie ſahen ſich ſchon im 
% Gels 


282) 


„Geiſte am Pranger oder im Zuchthauſe, 
„ und bathen mich aͤngſtlich fie nicht um 
„Brod und Ehre zu bringen. Als ich aber 
„ihnen zu verſtehen gab, daß ich ſie wohl 
„gar bey Gelegenheit brauchen duͤrfte, lief: 
„fen fie getroͤſtet und Kun mich von hin⸗ 
„nen ziehen. — N 
„Die drey Jage waren verſtrichen, die 
7, beſtimmte Stunde kam, und mit ihr Mi⸗ 
„guel, ſein Hofmeiſter und der Bedlente. Ich 
„ erſchien im Bettlergewand am Eingange des 
„Gehoͤlzes und winkte ihnen ſich zu naͤhern. 
„Als ſie das thaten, ging ich tiefer hinein, 
„und deutete ihnen ſchweigend, mir zu fol⸗ 
75 gen. Nachdem wir eine ziemliche Strecke 
„Weges zuruͤckgelegt hatten, und ich ohne 
„ein Wort zu reden, immer wacker fort⸗ 
„ ſchritt, tief mir der Hofmeiſter zu: ich ſoll⸗ 
„te mich erklaͤren, wohin ich ſie fuͤhre, ſonſt 
„wuͤrden fie nicht weiter folgen. Allein ich 
„ging ohne Antwort fuͤrbaß, und winkte 
lhnen „das naͤhmliche zu thun. Das brach⸗ 
RT: 


( 283 ) | 
„te fie, wie ich erwartete, in Harniſch, 
„und Miguel fprang vor, um mich zu Bas 
„ſchen, ich riß aber meinen Rock vom Leibe, 
„warf die Kruͤcke weg, und gab meinen 
„Süßen Fluͤgel. Da ich beynahe unbeklei⸗ 
„det war, wie auch alle Schlupfwinkel und 
„Gebuͤſche kannte, ſo hatte ich nebſt dem 
„Vorſprunge noch den Vortheil vor meinem 
„Nachfolger, daß ich ſowohl leichter durch 
„dick und dünn lief, als auch mich manch⸗ 
„mahl in Geſtraͤuche verſtecken, und dann 
„anderwaͤrts zum Vorſchein kommen konnte. 
„Auf meiner Flucht ſah ich mich jedoch im⸗ 
„mer fleißig nach Miguel um, und ſo oft 
„ich merkte, daß er die Luſt verliere mir 
„nachzuſetzen, gab ich ihm elne Bloͤße, die 
„ihm Hofnung machte mich zu erreichen, 
„und ihn eben darum in Bewegung erhielt. 
„Ich verlaͤngerte forgfältig den Weg durch 
„Umſchweife, und lief beſtaͤndig in krummen 
„Linien, theils um den Hofmeiſter zu er⸗ 
„muͤden, theils um den Bedienten von unſerer 
| „Spur 


( 84 ) 
Spur zu entfernen. Beydes war mir mit 
„Einbruch der Nacht gelungen. Allein nun 


„machte Miguel ernſtliche Miene zuruͤckzu⸗ 


„kehren und mich laufen zu laſſen. So wie 
„ich dieſes merkte, warf ich ein mit Phos⸗ 


„ phorusſalbe beſtrichenes Maͤntelchen, dass 


„ich aus der Weſtentaſche zog, um den Leib, 
„ſchwang mich auf den Aſt eines Baumes 
„und arbeitete, als ob ich unwillkuͤhrlich 
„an den Zwelgen haͤngen geblieben waͤre, 
„mit Armen und Füßen, um die Meinung 
zu erwecken, daß ich ſtrebe mich loszureißen. 
„Der leuchtende Mantel machte Migueln 
„bald dieſes Schaufptel ſichtbar, und huſch! 


„eilte er in der gewißen Hoffnung ſich mei⸗ 


„ner nun zu bemaͤchtigen herbey; doch ich 
ließ bey feiner Annäherung weislich den Aſt, 
„ woran ich mich gehalten hatte, fahren, 
„und warf mich In die Flucht. Aufgebracht 


„„ durch dieſe neue Taͤuſchung und durch des 
„Mantels verraͤtheriſches Licht gereitzt jagte 
„% mir Miguel neuerdings fo lange nach, bis 


ich 


(285 ) 
„ich den Mantel von den Schultern nahm, 
„und in die Taſche ſteckte, mich ſelbſt aber, 
„ ohne von ihm bemerkt zu werden, in einem 
„dichten Gebuͤſche verbarg. 

„Ich hatte nun meine Abſicht erreicht; denn 
„wir befanden uns bereits in der Gegend, 
„wo meine acht dienſtbaren Geiſter ausge⸗ 
„ ſtellt waren. Sie lagen ruͤck⸗ und ſeitwaͤrts 
„im Geſtraͤuche vertheilt, fü daß Miguel 
„von unſichtbaren Waͤchtern eingeſchloſſen 
„nur vorn freye Bahn behielt. Vergebens 
„rufte er ſeinem Höfmeiſter und Bedienten, 
„vergebens ſchalt er ſich ſelbſt einen Thoren, 
„es war zu fpät! Er warf ſich troſtlos auf 
„die Erde. Einer der meinigen, welcher 
„in der Naͤhe verborgen lag, regte ſich; 
„„das Geraͤuſch trieb Miguel empor, weil 
„er aber Nlemanden entdeckte, ließ er ſich 
„wiederum nieder. Allein der verborgene 
„im Buſche regte ſich nach einiger Zeit noch⸗ 
„ mahl, da erhob ſich Miguel und ſetzte ſei⸗ 
ane Wanderung fort mit entbloͤßtem Degen. 

ö S 67 Er 


(286) 

„Es war bereits finſter geworden, und 
zugleich machte fi ein heftiger Sturm⸗ 
„ wind auf, fo daß meine Leute ohne Beſorgniß 
geſehen oder gehoͤrt zu werden aus denGGebuͤ⸗ 
schen hervorruͤckten, und den Wanderer in klei⸗ 
„nerer Entfernung begleiteten und verfolgten. 
„Ste erhoben ein Geſchrey, worin fie das 
„Bruͤllen wilder Thiere fo natuͤrlich nach⸗ 
„ahmten, daß Miguel voll Entſetzen fort⸗ 
„ſtuͤrzte. Hinter und neben ihm erſchallte 
„das Gebruͤll, alſo ſtand ihm nur vorwaͤrts 
„der Weg zur Flucht offen, und das wollte 
„„man eben denn es war der Weg zum Hau⸗ 
ſe der Graͤftnn. Sobald er ins freye kam 
„ und das Schloß, welches vermoͤge meines 
„Einverſtändnißes mit den Hausleuten auf 
„ dleſer Seite beleuchtet war, von fern ers 
blickte, flog er darauf zu, um ſich den Un⸗ 
„ gethuͤmen zu entziehen, die ihn noch im⸗ 
„mer bruͤllend verfolgten. Das wiederhohl⸗ 
„te Reißen an der Thorglocke und ſein Ru⸗ 
77 927 verriethen e feine Todesangſt. 

5 „Der 


7) 

5 Der Pfoͤrtner, welcher ſchon vorbereitet 
5 war, öffnete das Thor, und ließ ihn hinein. 

„Sobald ſich Miguel an Ort und Stel⸗ 
„le befand, beorderte ich meine Mannſchaft 
„den Hofmeiſter aufzuſuchen, aber ihn, falls 
„ er ſchlafend gefunden wuͤrde, nicht zu we⸗ 
„cken, ſondern es mir bekannt zu machen. 
„Meine Abſicht war, ihm Schrecken und 
„ zugleich Reſpekt vor meiner Macht einzu⸗ 
„ floͤſſen, denn ich konnte es nicht vergeſſen, 
„„daß er juͤngſthin meine Warnung wegen 
„des Gaſthofes ſo ſchnoͤde hintanſetzte. Ma⸗ 
„ nuel entdeckte ihn zuerſt und brachte mir 
„Nachricht. Sobald die übrigen alle an 
„den beſtimmten Platz zuruͤckgekommen was 
„ren, gingen wir zuſammen in die Gegend, 
„ wo ſich der Schlaͤfer befand. Hier vertheil⸗ 
„ke ich die ſechs, welche die Verſchwornen 
„mir geſandt hatten, in einiger Entfernung 
„ zwiſchen Hecken und Stauden mit dem 
, Befehle, den Hofmeiſter und Bedtenten, 
„wenn fie aufbrechen würden, mit Dolchen 
. T 2 „in 


4323 


( 288 9 
„zu überfallen, ohne jedoch ihr Leben in Gefahr 


„zu ſetzen, beſonders geboth ich ihnen, den 


„Hofmeiſter zu ſchonen, und ſich mit Aus⸗ 
„druͤcken großer Beſtuͤrzung zu entfernen, 
„ſobald ich unter fie treten würde. Trotz 
„meiner Vorſicht aber wäre aus dem Spaß 
„bald Ernſt geworden, denn der Hofmeil⸗ 
„ſter und Beblente, welche mit Seitenge⸗ 
„währen verſehen waren, vertheldigten ſich 
„ſo ungeſtuͤmm, daß in kurzer Zeit das Ge⸗ 
„ fecht hitziger wurde, als ich für gut fand. 
„Ich eilte alfo aus meinem Hinterhalte hervor, 
„um der Sache ein Ende zu machen. Dank 
„und hohes Eeſtaunen las ich in des Hof⸗ 
„meiſters Mienen, da er die ſechs Burſche 
„bey meiner Erſchelnung heulend davon 
„fliehen, und ſich gerettet ſah. „Gehen Sie 
„ohne Beſorgniß nach der Stadt, jetzt ſind Sie 
‚Sicher ſagte ich, und entfernte mich ſchnell, 
„weil ich eine Unterredung vermeiden wollte. 

„Aber die Weiſung nach der Stadt zu 
7 19095 gab ich ihm nicht umſonſt. Waͤre 

„EE 


ve) 
„er noch länger im Walde umher gewan⸗ 
delt, fo hätte er das Schloß der Gröfiun 
„entdecken und ſich allda nach Miguel er⸗ 
„kundigen koͤnnen, — was ich fuͤr hoͤchſt 
„ uͤberfluͤßig hielt. Eure Excellenz werden 
„vielleicht begierig ſeyn, zu erfahren, wie 
„es Migueln im Schloße ergieng? ich wer⸗ 
„de daher nicht zögern im naͤchſten Briefe 
„ausführlichen Bericht davon abzuſtatten ꝛc.“ 
In den naͤchſten drey Abſchriften fand 
ich eine umſtaͤndliche Beſchreibung der Strei⸗ 
che, die mir ſchon Pileski kurz vor ſeinem 
Tode erzaͤhlte. Ich werde alſo, um unnoͤ⸗ 
thige Wiederhohlungen zu vermeiden, hier 
nur diejenigen Stellen ausheben, in denen 
Dinge erklaͤret werden, von denen mir Pi⸗ 
leski nichts ſagte, vermuthlich, weil er nichts 
davon wußte. 
„ —— Wenn ich mich in „ Mignels Cha⸗ 
„ rakter uch ganz irre, ſo wird er ſich ge⸗ 
„ wiß bey der Geiſtererſcheinung einfinden, 
g die io der Graͤfinn verſprochen habe. Ich 
„882 


( 29 ) 
„geſtehe, daß mir an feinem Beyſeyn wief 
gelegen iſt, und daß ich ſie vorzuͤglich darum 
„Amalien zuſagte. Um ihn einigermaſſen 
„auf die Erſcheinung vorzuberelten, ſchickte 
„ich ſogleich Manuel zu den zwey Geiſter⸗ 
Z bannern, wovon ich in einem meiner vorigen 
Z „Briefe Meldung machte, und ließ denſelben 
5 bedeuten, daß ſie nicht fern vom Ausgange 
6 des Waldes Mkguel erwarten, und ihn bes 
77 reden follten FR einem ihrer Gaukelſpiele bey⸗ 
„suroohnen. Meinem Diener Manuel gab 
55 ich den Auftrag, ihnen Miguels Geſtalt 
„und Kleidung genau zu beſchretben, damit 
„hie ihn unmöglich verfehlen könnten. - Ich 
1 dachte alſo: gelingt es den beyden Ma⸗ 
„ giern ihn zu taͤuſchen, ſo wird er fuͤr das 
„Schauſpiel, welches ich vor ihm aufführen 
„ wil „nicht nur empfaͤnglicher, er wird 
„ auch neugieriger darauf werden. Gelingt 
„es ihnen nicht, und er ſchaut den Betrug 
„duch, fo wird er meine Taͤuſchung eben 
darum, weil er das feingeſvonnene Ges 
Wei 


(aa) 
webe derſelben nicht wird durchſchauen koͤn⸗ 
„nen, um ſo leichter fuͤr baare Wahrheit 
„nehmen, und, weil ſelne Philoſophie und 
„Erfahtung nicht hinreicht die Erſcheinung 
„ natuͤrlich zu erklaͤren, fie für uͤber⸗ 
„natuͤrlich halten. — — — — Aber wenn 
„Miguel wider alles Vermuthen ſich dabey 
„nicht einfaͤnde? — Selbſt dann wuͤrde mel⸗ 
„ne Muͤhe nicht fruchtlos ſeyn, denn er wuͤr⸗ 
„de doch in der Folge aus dem Munde 
„der Graͤfinn eine Beſchreibung hoͤren, 
„die — ihre Weiblichkeit läge michs erwar⸗ 
„ten — das Wunderbare des Schauſpieles 
„vlelmehr vergroͤſſern als verkleinern duͤrf⸗ 
„te, und wie gerne wird Miguel den un⸗ 
„verdaͤchtigen Worten der ſchoͤnen Schwar⸗ 
„merinn glauben. ——-— —— — 


15 Triumph Miguel und fein Hofmeifter 
wohnten der Geiſterſcene im Hauſe der 
„Graͤfinn bey. Sie ſelbſt war es, dle ohne 
, ihr Wiſſen weinen waͤrmſten Wunſch erfülle 

„te, 


(.292 ) 

„te, und beyde als Zuſchauer einlud. Es 
„iſt ein merkwuͤrdiges Beyſpiel von den 
„ Wlderſpruͤchen des weiblichen Herzens, 
„daß eben die Dame, welche ein ſo groſſes 
„Verlangen trug ihren verſtorbenen Ges 
„mahl zu ſehen, am Tage, wo es befrie⸗ 
„diget werden ſollte, ein ſolches Grauen das 
„vor empfand, daß fie ſogar, ohne Ruͤck⸗ 
„ſicht auf weibliche Deltfatefie, ein eigenhaͤn⸗ 
„diges Einladungsbillet an Miguel ſchrieb⸗ 
„Wie erfreut war ich beym Empfang 

757 dieſer Nachricht, daß ich bey der Zuberei⸗ 
„kung des Schauſpieles nicht ermangelt hat⸗ 
te alles zu verwenden, was ſelbſt den ſcharf⸗ 
„ ſinnigſten Kopf verwirren, und dem Blend⸗ 
„werke den hoͤchſten Schein der Wahr⸗ 
heit geben mußte. Der Graf C— vl ſpiel⸗ 
„te die Rolle feines verſtorbenen Bruders — 
„Eure Excellenz kennen ihn doch dieſen fet⸗ 
„ nen durchtriebenen Kopf, der durch die 
„verwickelten Schickſale ſeines Lebens, durch 
ee ‚ange Reihe von Erfahrungen allen 

Art 


| (. 298 } 
„Art und durch eigenes Nachdenken ſich die 
„Geſchicklichkeit erworben hat alles mit gluͤck⸗ 
„lichem Erfolge zu wagen — der Ml. dfbhrI; 
„ glgws.. hmrf. egt Tml. mgsrim. FschgpSr. 
„ hlnyhs: rpqvbs. grbn. sbCe. . BvnmD. 
„IgHzmm. nfl. Zu meinem Gluͤcke war er 
„nicht mehr als fuͤnf Meilen entfernt, ich 
„ſchickte einen reitenden Bothen nach ihm 
„und er kam. Er mußte wohl kommen vers 
jr mögenem. „Bvndrgn...helgs: tbt. ggrmm., 
„hlt. tscTs....Crsth : pssrs: tfqu ., Insn M. 
Abt = . E. | 
Ich führe dieſe Worte, welche ich mit 
aller Muͤhe nie entziffern konnte, bloß darum 
an, weil es moͤglich iſt, daß ein Geſchick⸗ 
terer als ich den Schluͤſſel auffindet. Die 
naͤhmliche Chifferſchrift kam in den uͤbrigen 
Blaͤttern noch einigemahl vor, und mir fiel 
meine Unfaͤhigkeit fie zu entraͤthſeln um fa 
ſchmerzlicher, da der Unbekannte damit wahr⸗ 
ſcheinlich Geheimniße von großer Wichtig⸗ 
kelk bezeichnete? aus sanft sera! lag 
| Von 


6 2 ) 
Von dem folgenden Briefe verdient hier 
wur das Ende angefuͤhrt zu werden. 

„Es tft mir kein Zweifel mehr, daß ſich 
„zwiſchen Miguel und Amalie eine Liebe ent⸗ 
„ſponnen hat, die bald hellere Flammen 
„ ſchlagen duͤrfte; das Geſchenk, welches er 
„ihr mit einem Ringe von ungemeinem Wer⸗ 
77 the machte, und welches ſie annahm, ſei⸗ 
„ane Blicke an ihrer Tafel, und Amaliens 
ausgezeichnete Freundlichkeit gegen ihn, 
„ſeine Beſtuͤrzung über ihre Unpaͤßlichkeit 
„ſind mir Beweiſe davon. So erwuͤnſcht 
„mir nun die Gründung dieſer wechſelſeiti⸗ 
„gen Zuneigung iſt, weil fie mir ein ſicheres 
„Mittel an die Hand gibt den flatternden 
„Miguel zu koͤrnen, ſo ellig muß ich doch 
„die Foreſchritte dieſer keimenden Leidens 
„ ſchaft zu unterbrechen trachten, weil er 
„ſonſt von ihr eingenommen, und uͤber⸗ 
mannt für meine hoheren Abſichten unbrauch⸗ 
„bar wuͤrde: Ich habe daher ſchon der Er⸗ 
„ ſcheinung Worte in den Mund gelegt, von 

1995 „des 


(295) 
„ denen ich voraus ſah, daß fie ein Mißver⸗ 
„haͤltniß zwiſchen beyde Liebende bringen 
„müßten. Eure Excellenz werden ſich erin⸗ 
„nern, daß der Geiſt den Vater Miguels 
als ſeinen vormahligen Moͤrder anklagte. 
„Dadurch hoffte ich, wenkgſtens den ferneren 
„Umgang zwiſchen Miguel und Amalie auf⸗ 
„zuheben, denn der Sohn des angeblichen 
„Moͤrders koͤnnte es doch ſchwerlich wagen 
„der Gattinn des ermordeten unter die Aus 
„gen zu treten, und falls er es wagte, 
„wuͤrde doch ſie ſeine Beſuche ſich verbitten 
„oder zum mindeſten ihm kalt und zuruͤck⸗ 
„ſtoſſend begegnen. Allein dieſes Mißver⸗ 
„ haͤltniß dürfte wohl nicht von langer Dau⸗ 
„er ſeyn, denn bey einer genauern Unterfus 
„chung wuͤrden ſich beyde von der Erſchei⸗ 
„nung betrogen finden, und diefiebe wuͤrde ihre 
„vorigen Rechte wieder behaupten. Ich habe 
„daher einen dringenden Brief an Miguels 
„Vater, jedoch ohne meine Nahmens unter⸗ 
ſchrift, abgeſchickt, worin ich ihn auffordere 
eeſeſa 


(296 ) 

„ feinem Sohne eine weite und ſchleunige Ent⸗ 
fernung zu befehlen, damit er von einer thoͤ⸗ 
„richten Leidenſchaft, die er für die Graͤfinn 
„von Barbis faßte, geheilet werde. Ich 
77 hoffe, der Brief ſoll bald bie erwuͤnſchte 
„„ Wirkung thun; und auf dieſen Fall will 
„ich mich reiſefertig halten, um Migueln 
„mit meinen dienſtbaren Geiſtern uͤberall 
„ nachzufolgen, wohin er auch immer ſich 
„begeben mag, denn mein Plan erfordert un⸗ 
„ umgaͤnglich, mich nicht von ihm zu trennen.“ | 
Der folgende Brief iſt fo wichtig, daß 

lch ihn ganz einrüde. | 
„Eure Excellenz werfen mir in Ibrem 
„Schreiben von ı2ten dieſes Monats vos, daß 
„ es eben fo unreblich, als unklug war den 
„Grafen in der Rolle des Geiſtes eine Un⸗ 
„wahrheit ſagen zu laſſen, welche die Ehre 
„eines untadelhaften Mannes verletzt, und 
„ welche ‚wenn. fie von feinem Sohne oder 
7 der Graͤfinn auf was immer fuͤr eine Art 
7 entdeckt wird, mich und den Geiſt als Bes 

truͤ⸗ 


( 297 ) 
„truͤger ſtempelt. Ich hatte dieſen harten 
„Vorwuͤrfen Eurer Excellenz zuvorkommen 
„ können, wenn ich bey meinem letzten Schrei⸗ 
„ben Zeit gehabt Hätte mich umſtaͤndlich über 
„die Sache zu erklaͤren. Fürs erſte iſt die 
„Ausſage des Geiſtes nicht Unwahrheit, ſon⸗ 
„ dern bloß eine orakelmaͤßige Zweydeutigkeit, 
welche man bey Weſen dieſer Art ſchon gewohnt 
„iſt. Wirklich ließ den Gatten Amaliens der 
„Mann, den Miguel Vater nennt, ermorden; 
ner iſt aber nicht ſein Erzeuger, ſondern nur der 
„Echalter feines Lebens; mit einem Worte: 
„der Staatsſekretair vas ros tig; den Miguel, 
„weil er ihn als Knaben aus einer Todesgefahr 
2 rettete, ſeinen zweyten Vater zu nennen pflegt. 
„Dieſen meinte der Geiſt bey ſeiner Ausſage 
„und alſo ſagte er keine Rüge, er wurde bloß 
„mißverſtanden. Dieſes Mißverſtändutz hatte 
„den zufälligen — und wenn Eure Excellenz 
wollen, erwuͤnſchten Nutzen „daß es zwi⸗ 
„ſchen Miguel und der Groͤfinn eine Schelde⸗ 
„wand ſetzte. Damit es jedoch nicht zum 


02986 
„ weſentlichen Schaden des Markgrafen von 
„ Billa gereichte, und Amalle verſucht wer⸗ 
„den moͤchte an ihm den Tod ihres Gatten zu 
„rächen, fo fügte der Geiſt vorſtchtig die Wor⸗ 
te bey: Sey edel und vergib meinem Moͤr⸗ 
„der. Die Ehre des Markgrafen, welche eds 
„gentlich nicht durch die Ausſage des Geiſtes 
„ſondern duech das Mißverſtaͤndniß litt, 
„ſoll — ich ſchwoͤre es — vollkommene Ge⸗ 
„nugthuung erhalten Mir ſelbſt liegt zu viel 
„daran, daß Miguel und Amalle den achten 
„Moͤrder ihres Gemahls kennen lerne, Das 
„mit ſowohl das gute Vernehmen zwiſchen 
„ beyden Liebenden in Zukunft wieder herge⸗ 
75 ſtellt, als auch der Verbrecher fuͤr die Strafe 
„reif erkannt werde, die Über ſeinem Haup⸗ 
„te ſchwebt. Eure Excellenz haben das 
„Todesurtheil, welches die uͤbrigen Ver⸗ 
„ſchwornen uͤber Vas ros den Unterdruͤcker 
„ vaterlaͤndiſcher Freyheit ausſprachen, mit 
„der vollen Ueberzeugung, wie ſehr er es 
„ verdiene, unterſchrieben; allein koͤnnte nicht 

u Mus 


(29 ) 
„Miguel in ihm mehr den Retter ſeines Lebens 
„als den Tyrannen ſehen, und durch Mit⸗ 
„leiden oder Dankbarkeit getrieben ihn vom 
„Tode zu retten ſuchen? Wenn er aber be: 
„lehret wird, daß der Schalter ſeines Le⸗ 
„bens ſowohl Unterdruͤcker der vaterlaͤndi⸗ 
„ſchen Freyheit, als auch Moͤrder des Gat⸗ 
„ten der Gräfinn iſt, dann wird die Liebe 
„zu Det letzteren feinem Patriosmus Schnell⸗ 
„kraft geben und ſeine Dankbarkeit gegen 
„Vas“ os uͤberſtimmen, dann wird der Zuruf 
„des Vaterlandes und der Geliebten, wel⸗ 
„che Rache über den Verbrecher ſchreyen, 
„die Stimme feines Herzens, welche um Scho⸗ 
„nung gegen feinen Retter bittet, uͤbee⸗ 
„toͤnen, er wird der Gerechtigkeit auf Ko⸗ 
„ſten feiner Empfindfamfett ein Opfer brin⸗ 
„gen, und in Vas os Tod willigen. Nicht 
„umſonſt ließ ich die Erſcheinung in einer 
„fo jammervollen Geſtalt auftreten, nicht 
„umſonſt ließ ich ihr die blutenden odeswun⸗ 
„den aufweiſen, nicht umſonſt feine ſchaͤnd⸗ 
„liche 


(30 ) 
„ ſtche Ermordung burch Helfershelfer offen 
„baren; auch den kaͤlte ſten Zuſchauer hätte 
das alles in heftige Bewegung ſetzen muͤſ⸗ 
i fen, um wie viel mehr mußte es den Lie bhaber 
„des unglück! ichen Welbes zum Unwillen ge⸗ 
„gen den Moͤrder entflammen ? ? Eure Ex⸗ 
„cellenz ſehen bier den zweyten geheimeren | 
„Endzweck, den ich mit der Geiſteserſchei⸗ 
„nung erreichen wollte, und zugleich wer⸗ 
den Sie uͤberzeugt ſeyn, daß ich weder den 
57 „Geiſt noch mich der Gefahr prelsgab auf 
„einer Lüge betreten zu werden, wenn auch 
„wirklich Amalie und Miguel entdeckt haͤt⸗ 
„ten, daß fein leiblicher Vater der Thaͤ⸗ 
„ter nicht wars Allein zu diefer Entdeckung 
7 fonnte es nicht kommen, da Miguel ſeit 
„jener Zeit die Graͤfinn zu beſuchen vermich, 
„und endlich von ſeinem Vater den durch mein 
7 Schrelben gluͤcklich erwirkten Befehl erhielt, 
„den Ort ſogleich zu verlaſſen“ Amaliens g 
7 Haus leute lockten dieſe mir hoͤchſt erfreuliche f 
„ Nachricht aus dem Bedienten heraus, und 
ich 


1 380 

iich verſaͤumte nichts mich und meine 
„Leute in den Stand zu ſetzen, Mi 
„ gueln am Tage feiner Abreiſe theils zu 
Pferde, theils in Waͤgen zu folgen. Dem 
„Kammerdiener der Graͤfinn, den ich mir ganz 
„verpflichtet habe, ertheilte ich ein paar 
„wichtige Aufträge, die Eure Excellenz naͤch⸗ 
„ ſtens ausfuͤhrlich erfahren ſollen, indem 
„dle abgehende Poſt mir fuͤr dieſesmahl nicht 
, laͤn ger zu ſchreiben erlaubt.“ 

Ich befand mich ſchon zu ubia in dem 
vom Grafen bezeichneten Gaſthofe, als ich 
dieſes Blatt entzifferte. Es war Abend, 
und ich dachte eben uͤber den wichtigen Be⸗ | 
ſuch nach, welchen der Graf mir allbier vers 
ſprochen hatte, als ich das Ger olle eines 
Wagens hoͤrte, der vor meinem Fenſter ſtille 
ſtand. In wenig Augenblicken trat meln Be⸗ 
dienter mit der Nachricht tus Zimmer, daß 
ein Irländiſcher Schiffskaplt ain mit Nahmen 
Dromley angekommen waͤre, der mich zu ſpre⸗ 


a e Bey dem Worte Irlaͤndiſcher 
*. hf 


6302 
lief mirs heiß und kalt durch alle Nerven. 
Er mag kommen ſagte ich, und drehte mich 
weg, um dem Bedienten mein Geſicht zu ver⸗ 5 
bergen, auf welchem meine Empfindungen 
mit deutlichen Farben ſich mahlen mußten. 
Ich trat ans Fenſter um mich zu ſam⸗ 
meln, die Thuͤre flog auf ein Officler in 
blauer Uniform trat herein — ich ging ihm 
zwey Schritte entgegen, Wat en den Antes b 
kannten vor mir. 8 . 
Seln Anblick raubte mir die 1 
75 Sie werden ſich wundern Herzog! mich 
hier zu ſehen (ſagte er) Allein die Angelegen⸗ 
heiten Ihres Herzens, — denn nur dieſen 
gilt mein Beſuch — ſind mir zu wich⸗ 
tig, als daß ich mich nicht über jede Den 
wee hinwegſetzen ſollte. /- 
Der Irlaͤnder ſchwieg. Noch kam kein 
Laut uͤber meine Zunge. Er ſah mit ruhiger 
Entſchloſſenhelt mich an, und erat um einen 
Schritt naͤher. „Herzog! (hob er mit einem 
ſanften einſchmeichelnden Tone an) Sie lieben 
SE „a { dle 


( 303 ) 
die ſchoͤne Gröfinn von C— -l! aber Ste 
wuͤrden ſie ewig fruchtlos lieben, haͤtte Ihnen 
nicht meine Macht ihre Gegenliebe zugeſichert.“ 
Jetzt war das Band meiner Zunge ge⸗ 


loͤſt. „Haben Ste ihr alſo entdeckt, (rtef 


ich) daß nicht mein wirklicher Vater der 
Moͤrder ihres Gatten war?“ 

Der Irlaͤnder ſchien betroffen er e 
tednlfend: in meinen Augen. Nach einigen 


Sttillſchweigen aber fuhr er in elnem feſteren 


eingreiffenderen Tone fort: Dieſe Entdeckung 
war meine Pflicht, fie würde jedoch nimmer 
hingereicht haben Ihnen Amaliens Gegen⸗ 
liebe zu verſichern, haͤtte ich nicht noch etwas 
gethan, was nicht meine Pflicht war. 5 
Was haben Sie gethan? Ich bin in 
dem Begriffe von Ihren Thaten fa irre ge⸗ 
macht worden, daß ich en mat Wok 
aus danken kann.“ 
„Danken! (verſetzte Want Saen Als 
db ich je des Dankes wegen etwas gethan 
Aim Um Ihren Dank deſto ſicherer zu vers 
€ 1 2 meis 


(3830 
meiden , will ich nicht lagen, was ch fuͤt 
Sie that.“ 1 
Der Ton, in dem e er 79 wage 990 
verlegen. Ich ſchwieg. 0 
„Damit Sie aber die Wirkung des Dien 

ſtes, den ich Ihnen leiſtete, nicht ſelbſt zer⸗ 
ſtoͤren, fo hüten Ste ſich, mich der Graͤfinn 
als einen Betrüger, wofür. Sie mich halten, 
darzuſtellen. Sie werden in der Zukunft 
einſehen, wie nöthig die Befolgung dieſer 
Warnung zu Ihtem eigenen Gluͤcke ſen. 10 
„„Aber um des Gluͤckes, daß Sie mir 
bereitet haben, genteßen zu koͤnnen, muß ich | 
doch erſt von Ihnen Amalkens knee 
erfahren. „„ 780 

aha Nicht eher, bis Ste AR Obe Ehren⸗ 
wort geben jene Warnung zu befolgen.“ 
h Sollte ich Amallen hintergehen laſſen / | 
wle ich hin tergangen ward, ſollte ich einer 
Taͤuſchung Ihre Gegenliebe verdanken ?“ 
„„Wer ſagte Ihnen, daß ich die Graͤ⸗ 
f 1 1 Sie wiſſen ja nicht, was ich 

4 that 


SN 


| 


4 


{368 ) 


that, es wäre alſo billig, daß Sle nicht im 


voraus daruͤber urtheilten, wie Sie nicht im 
voraus dafür danken wollen.““ | 

„Ich ſchließe aus Ihren vorhergehen⸗ 
den Handlungen, die ich jetzt ſehr gut ken⸗ 
ne, auf eine That, die ich noch nicht kenne. 
Iſt dieſer Schluß fo unbillig?“ 

„Er iſt voreiltg Herzog! Jeder Plan 
muß den Umſtaͤnden, jede Handlung dem 
Plan angepaßt werden, ſobald ſich alſo Um⸗ 
ſtaͤnde und Plan anderen, darf man aus den 
vorhergehenden Handlungen nicht auf die ge⸗ 
genwaͤrtigen ſchließen.“ 

„„Ich verſtehe Sie nicht ganz.“ 

„Sie wurden durch Taͤuſchungen ge⸗ 
prüft. Die Zeit dieſer Prüfung aber iſt vor⸗ 
uͤber. Die Blendwerke ſchwinden von der 
Morgenroͤthe der Wabehen dle Ihnen au» 
geht.“ | 

„Wer gab Ihnen das debe mich 
in Aach 7 | 


„Wer 


( 3560 


9 „er 94b mie. das Befugnis Se ‚vom 
Waſſertode zu retten?“ 1 

77 Was ſoll 1180 Frage att elner Ank⸗ 
wort “, 1 
| 2 „Ihnen fügen, daß jedermann das Bes 
fugniß hat einem Andern 3350 nutzen ohne 
deſſen Vorwiſſen und Erlaubniß. n en 
un Ich werde es Ihnen wohl gar noch 
als eine Wohlthat danken 8 bab € Sie 
mich bintergingen. N 
50 „Wenn Täuſchungen glücklich machen, 
wenn ſie zur Wahrheit fuͤhren, eo And Mr ie 
„alerbinge Wohlehat.” 
Ba „So? 2 Nach meinen Begriffen kann fi 0 
| wirkliche Glückſelgteit fo wenig auf Täu⸗ 
ſchung, als die Wahrheit auf Irrthüm 
gruͤnden. Täuschung und Irrthum ſind Hin⸗ 
| „berniße, aber keine Mittel Hir, Glücſelgkeit 

und Wahrheit., 
„ „Dann mögen Sie bie Natur anklagen, 
dle nach elnem Ihren Begriffen enfgegenge- 
len f blaue handelt. Machte fie nicht 

die 


. 
j 
| 
| 


Car „0 
die Phantafie, dleſe Mutter der Illuſion zur 
Quelle unnennbarer Freuden? fie allein ge⸗ 

waͤhrt, was die Wirklichkeit nicht geben 
kann, nimmerſatten Genuß. Ste bewahrt, 
erneuert und erhoͤht jedes Vergnügen, was 


die Sinne dem Menſchen verſchaffen — wer 


anders als die Phantaſt ie iſt die Schoͤpferinn 
der reinſten hoͤchſten Entzuͤckungen der Liebe? 


Oder denken Sie vielleicht, daß die ſinn⸗ 


lichen Empfindungen frey von Taͤuſchung 


ſind, daß wir von den Organen, welche 
die Natur uns verlieh, nicht hintergangen 


werden 2 Ja wenn wir mittelſt derſelben die 
Gegenſtaͤnde ſelbſt, und nicht bloß deren 
Bilder, wenn wir das Weſen, nicht bloß 


die Oberflache der Dinge erkennen koͤnnten 2 


fo würden. Sie recht haben; allein da ſie 


uns nie die Sache ſelbſt ſondern nur den 


Schein derſelben darſtellen, fo iſt dle Wahr⸗ 


beit der ſinnlichen Empfindungen ziemlich 
5 verdächtig. Und da aus dieſen ſogar unſere 
a deuklichſten Begriffe abgezogen werden, ſo 


wird 


(308) 
wird man endlich ſelbſt die Zunerläßtgfeie 
der ſogenannten Vernunftſchluͤße bezweifeln 
oder aber zugeben müffen, daß Taͤuſchungen 
der Weg zur Wahrhelt find. Die tägliche 
Erfahrung beſtaͤtiget es, daß man durch 
Fehlen lerne. So gewiß die Finſterniß dem 
Lichte voraus ging, ſo gewiß geht der Irr⸗ 


thum vor der Wahrheit her. Wenn alſo die 
Natur ſelbſt den Menſchen durch Taͤuſchung 


und Irrthum zur Gluͤckſeligkeit und Wahr⸗ 
heit führt, ſo koͤnnen Ste mirs um fo we⸗ 
ulger verbenken daß ich Sie zu dieſem Ziele 


auf dem naͤhmlichen Wege leiten wollte. “ 


Aber zu welcher Gluͤckſeligkeit und Wahr: 
heit? Da alle unſere Empfindungen, und 
Begriffe auf Taͤuſchungen gegruͤndet find, 
ſo giebt es ja keine i Gene en und 
feine reine Wahrheit. | 

„Es gibt beydes Herzen aber was die 
Menschen getooͤhnlich dafür a 1 wels 
N 5 e e eee ee md Buma 


e e . e 
e — TR 7 
1 


(7309 °) 

„Sie wollen mich alfo mit einer neuen 
SGluͤckſeligkelt und Wahrheit bekannt machen, 
und fuͤhrten mich dem ungewoͤhnlichen Lichte 

auf dem gewoͤhnlichem Wege „ auf der 

bert der Illuſion entgegen“ 
„„Der Menſch muß menſchlich behandelt 

118 ſiufenweiſe gefuͤhret werden. Der Ueber⸗ 

ſorung aus der Daͤmmerung in das unmit⸗ 
telbar ſtrahlende Sonnenlicht, aus dem Lan⸗ 
de ſuͤßer Schwaͤrmereyen in reine Paradie⸗ 

ſesſeligkeit wuͤrde ihn außer ſich ſetzen. Ste 
mußten daher durch alle Mittelſtufen des 

Taͤuſchung, aber nicht der alltaͤglichen ſon⸗ 

dern elner ungewoͤhnlichen Taͤuſchung ges 

hen, um zu dem Beſitz eines ungewoͤhnll⸗ 
chen Schatzes zu gelangen. Der Platz, wo 
der Tallsman durch den derſelbe gehoben 
wird, vergraben liegt, iſt die hoͤchſte Stufe 
der Taͤuſchung aber eben darum auch die 
letzte. Wer ſie glücklich erſtiegen hat, tritt 
aus dem Labyrinthe der Bezauberungen hin⸗ 

eus er ſteht einen neuen Himmel, eine neue 

Erde 


( 310 ) 

Erde vor ſich liegen, und ſchreitet wie neu: 
geſchaffen in das Reich unverfaͤlſchter Wahr: 
heit und Seligkeit hinuͤber, wo er ſich dann 
im Vorhofe jenes ewigen Tempels befindet, 
von dem ihn nur noch das Grab trennet.“ 
en PAIR biafes Bläkerſt ache ache 
klären ? U, er boch ihm ER Suhl. Ar 
ließen uns nieder. | 
„Die Geſchichte aller gaben uns; vol 
ker Cfieng der Irlander an) und die tägliche 
Erfahrung uͤberzeuget uns, daß aller Mens 
ſchen Streben — nach Gluͤckſeligkeit, aber 
nur der Edleren Streben — nach Wahrheit 
gerichtet ſey, nicht als ob die letzteren nicht 
gleichfalls trachteten ſich gluͤcklich zu machen, 
ſondern well ſie theils in der Beſchauung der 
Wahrheit ihre Gluͤckſeltgkeit finden, theils 
well bieſe nach ihrer Meinung nicht bes 
ſtehen kann, ohne auf Wahrheit gegruͤn⸗ 

det zu ſeyn. Gleichwie aber die erſtere Klaſ⸗ 
\ 1985 die Gluͤckſeltgkeit auf verſchiedenen und 
ver⸗ 


(Ar) 
verkehrten Wegen ſucht und wenn ſie die⸗ 
ſelbe gefunden zu haben glaubt, eln lieb⸗ 
liches Schattenbild umarmet, ſo ſucht die 
zweyte Klaſſe auf nicht minder verſchledenen 

und verkehrten Wegen die Wahrheit, und 
wenn ſie endlich dleſelbe entdeckt zu haben 
waͤhnt, fo weldet es ſich an dem Schimmer 
eines Irrlichtes. Manche nehmen die Taͤu⸗ 
ſchung wahr, manche nicht. Die erſteren 
ſuchen auf den einmahl betretenen Wegen 
weiter fort, und well ſie immer durch neue 
»Schattenbilder und Irrlichter ſich geaͤfft fius 
den, ſo verbreiten fie endlich das Geſchrey: 
es gebe hienieden gar keine aͤchte Wahrheit 
und Gluͤckſeligkett. Wie ware es nun, wenn 
einmahl ein Menſch von ſeltener Geiſtesgroͤſ⸗ 
ſe, in dem feſten Glaaben, daß fie hienteden 
zu finden ſeyn muͤßten, ſich aufgemacht, ſie 
auf ungewoͤhnlichen bisher nie betretenen 
8 Pfaden geſucht — endlich nach ungeheuern 
Verlrrungen, welche bey ſelner Wanderung 
guf ungebahnten Wegen nicht zu vermelden 
8 wa⸗ 


(812 

ren, die Wahrheit und Gluͤckſeligkeit in ur⸗ 
ſpruͤnglicher Reinigkelt und! ſchweſterlicher 
Eintracht gefunden, und das Geheimniß ſei⸗ 
nen Freunden mit der Bedingung anvertraut 
haͤtte, daß fie es nur wenigen, und auch 
dieſen nicht fruͤher mittheilen duͤrften, bis 
ſie durch ungewoͤhnliche Taͤuſchungen man⸗ 
cherley Art, wie er, waͤren gepruͤft wor⸗ 
den; — wuͤrden Sie es mir vergeben Her⸗ 
zog! wenn ich s im 1 e 
baͤtte?“ | | 

„ Dann bin ich wa nicht Ver⸗ 
gebung, ſondern hohen Dank ſchuldig. Allein 
weil die Zeit der Pruͤfung, wie Sie ſelbſt 
ſagten, ſchon vorbey iſt „dürften Sie mie 
nicht elnige Strahlen von dem Lichte mit⸗ 
theilen, das ich bald AR olle war zu 
ſehen hoffe?“ reset 3 
w Mein Auftrag lautet, Sie erst Bach 
der Befreyung Ihres Vaterlandes mit dem 
Wee u BEIM er ee u 


1 — 


Pr ale 


6313 
„Alſo ware wohl die MEERE a 
ganz vollendet 7% Wen 
„Die Zeit der Fee m Norbert 
Aber dafuͤr tritt die Epoche des Handelns 
ein, zu dem jene nur Vorbereitung und Ans 
trieb war- Nuͤtzen Ste ihre Kraͤfte zur Net⸗ 
kung des Vaterlands, daun haben Sie die 
letzte Probe uͤberſtanden?“ ä 
„Wie ſoll ich das?“ ' 
„Zu Mie werden Sie es erfahren. 
„ Morgen früh breche ich dahin auf.“ 
„ Zu zwey Meilen von hier mögen 
Ste auf kurze Zeit Halt machen, aber mer⸗ 
ken Sie wohl, auf kurze Zeit. N werden 
allda Amalien wieder ſehen — 
7, Amalien! “ 155 
y Und ſie anders geſinnt finden, als 
Sie 2. meine 3 fie AR haͤt⸗ 
ten.“ 2 
575 Was wollen Sie damtt a 950 
„Die Graͤfinn hatte dem Manne ihres 
Herzens geſchworen, treu zu bleiben bis an 
: 193 


(34 ) 
ihren Tod. Oft hatte ſie dieſes ſtreuge Ges 
luͤbbe an dem Grabmahle, das ſie ſeinem 
Andenken weihte, erneuert, und dadurch 
dem geliebten Schatten mit ſeltener Selbſts 
verlaͤugnung in der Bluͤthe ihrer Jahre ein 
Opfer zugeſichert, das alle Maͤnner und 
Juͤnglinge, dle durch thre Sch oͤnheit bezau⸗ 


bert wurden, zur Verzweiflung brachte. Das; 
hin Herzog! wuͤrde auch Sie Ihre Liebe ge⸗ 
führt haben, hätte nicht ein Wunder mel⸗ 


ner Macht den ſchrecklichen Vund zerriſſen, 


den Amalie dem Geiſte des Verſtorbenen zu 
ben gelobte. Ae. NIE di: 14 (a. 17 8 
Ich ſprang auf wie ein Raſender. „Das 5 


hätten Sie ee 2 ü, cn we ‚ee 
Sie gethan?“ ds 
Kalt erhob ih 1 abcr von W 


nem Sitze. „Maͤſſigen Sie Ihre Freude 
(fagte er) Es iſt Ihnen ja noch unbewußt, ob 


ich die Graͤfinn nicht taͤuſchte “ 


( 315 ) 

a vergeſſen Ste, was ich vorhin ſag⸗ 

Weſen Ihrer Art ſind uͤber alle Laͤſte⸗ 
rungen erhaben. e a was ich 
ſagte.““ DE 
„Wenn Sie zu ei ſo laſ⸗ 
ſen Sie ſich in dem Saſthofe zum heiligen 
Jakob nieder, und Ste ſollen dann aus mei⸗ 
nen Handlungen ſehen, daß ich Ihnen ver⸗ 
geben habe.“ Er druͤckte mir die Baus und 
Seng inet | 
Wer iſt dieſer bie ee e Mensch! 
(ſagte ich zu mir ſelbſt, als fein Wagen bins 
wegrollte) War ich nicht vor elner halben 
Stunde ſein geſchworner Feind, und bin 
nun ſein Freund und Verehrer wieder, 
liege vom neuen in den Feſſeln, von denen 
ich mich fuͤr immer losgemacht zu haben 
glaubte? Iſt mein Schwaͤche Schuld daran, 
oder geht ein Zauber von ihm aus, der mit 
geheimer Macht alle Herzen nach Belieben 
lenkt? — 


Ba 


(6316) 

O du, der einſt dieſe Geſchichte lieſt, 
wer du auch immer ſeyn magſt, bilde nicht 
im uͤbermuͤthigen Gefuͤhle deiner Geiſtesſtaͤrke 
auf meinen Ruͤckfall nieder Du haſt das Ge⸗ 
fine bieſes Menſchen nicht geſehen, haſt 
nicht ihn ſprechen gehoͤrt; Nicht fo viel das, 
was er fagte; als wie er es ſagte, riß mich 
dahin. Die Zauberkraft, welche er durch 
Blick, und Miene, Ton und Gebaͤrde in 
feine Worte zu legen wußte, machte ſelbſt das 
Unwahrſcheinliche glaubwürdig, und erhob 
das Wahrſcheinliche zu Gewißheit. So lang 
er ſprach, dachte ich wenig daran, ihn durch 
Einwendungen zu unterbrechen, ich uͤberließ 
mich zu gern dem Anſchaun der lieblich en 
Bilder, die er vor mir aufſtellte; erſt dann 
als ich allein mit ruht gem kalten Blicke die 
Kette ſeiner Behauptungen zergliederte und 
pruͤfte, entdeckte ich Schwachen, Luͤcken, 
und Unwahrſcheinlichkeiten, die meinen Glau⸗ 
beu bis in den Grund erſchuͤtterten / und die 
reitzenden Ausſſchten ktruͤbten, die er meinen 

trun⸗ 


j 
| 
| 
| 


| X Br 


krunkenen Augen eröffnete. Aber bey einer 
Vorſtellung verwellte ich mit freudiger Zu⸗ 
verſicht. Sie wird in Erfültung gehen (rief 
ich) wenn auch alle uͤbrigen Verheißungen 
des Irlaͤnders leere Phantome ſind. Ich 
werde dich ſehen Amalte! und gluͤcklich ſeyn. 

Allein auch dieſe Hoffnung fing zu ſchmel⸗ 
zen an, da ich am folgenden Tage zu äh 
in dem Gaſthofe, wohin der Irländer mich 
beſchied, von acht Uhr fruͤh bis ſieben Uhr 
Abends umfonſt feine Ankunft erwartete. 


Ich ergriff fo eben meine Guitarre um die 


— 


Schmerzen getaͤuſchter Erwartung in Tine 
auszuſtroͤmen, als mein Bedienter mir die 
Nachricht brachte, daß ein Mädchen vor 
der Thuͤre ſtehe, die mich zu ſprechen ver⸗ 
langte. Ich ließ ſie vor; nach viel u Buͤck⸗ 
lingen und Umſchweifen kam. die unbe ekang⸗ 
te Schoͤne endlich mit dem Antrage heraus? 2 
ich moͤchte die Gnade haben ihre Herrſchaft Ä 
mit einem Beſuche zu beehren. Auf die Frä⸗ 
5 . ge ß 


Ä 318 3 


ge, wer ihre Heerſchaft waͤre, erhlelt ich 
zur Antwort, das duͤrfe ſie nicht ſagen, ſie 
habe aber den Auftrag, mir den Weg zum 
Schloße zu welſen. „Wenn es keine Dame 
Kb, die ich beſuchen ſoll, ſo hat ſie ſich um⸗ 
ſonſt hieher bemüht, denn ich werde nicht. 
mitgehen“ ſagte ich in der Abſicht, ſie aus⸗ 
zuhohlen, Freylich ſey es eine Dame, denn 
bey gnaͤdigen Herren nehme ſie keine Dienſte⸗ 
Und die Dame ſelbſt hat fie zu mir geſandt?“ 
— Gott bewahre! (erwiederte ſie) meine 
Heerſchaft weiß kein Wort davon. Ihro Gna⸗ 
den muͤſſen ſogar unter einem fremden Nahmen 
ſich melden laſſen. — „er gab ihr denn alſo 
diefen Auftrag?“ fragte ich erſtaunt. Ein 
Officler in blauer Uniform, (verſetzte fie} 
5 vor einlger Zeit meine Herrſchaft beſuch⸗ 

Er ſagte mir auch, wo ich Ihro Gna⸗ 
995 „ wuͤrde; aber ich bitte um alles 
in der Welt, mich nicht zu verrathen, denn 
er hat mir ein Goldſtuͤck geſchenkt, daß ichs 
geheim halten oll. 

Nun 


( 319) 

Nun wußte ich, wie ich daran war 
Ich hatte der Schwaͤtzerinn um den Hals 
fallen und ſie kuͤſſen moͤgen. Hier! (ſagte 
ich und leerte meine Boͤrſe in ihre Schürze) 
Füͤßre fie mich nun auf den Fluͤgeln der Winde 
zu ihrer Herrſchaft. Das Maͤdchen außer 
ſich vor Freude flog die Treppe hinab ich 
hinterdrein. In der zweyten Gaſſe hielt 
ſie ſtill und ſagte, daß wir zur Stelle waͤ⸗ 
ren. Ich ließ mich als Marcheſe Albertini 
melden, und wurde vorgelaſſen. Mit unge⸗ 
ſtuͤmmklopfenden Herzen eilte ich durch das 
erſte Zimmer, und als das zweyte gesffnet 
wurde, kam mir eine unbekannte aͤltliche 
Dame entgegen, die mich freundlich empfieng⸗ 
5 Ich ſtand — und ſtand — wie einer, der 
durch Feenkunſt geblendet in die Arme einer 
unſterblichen Schoͤnen zu ſtuͤrzen waͤhnte, 
und auf den Schwung der Zauberruthe 
ſich in den Armen einer alten Matrone er⸗ 
blickt. Die Dame ſchien gleichfalls — ich 
5 1 2 7 


( 322) 
wußte nicht über mich oder meine Verlegen⸗ 
heit — erſtaunt und ich bath ſtammelnd um 
Vergebung, daß ich mich verirrt — daß ich 
in der Meinung, die Graͤfinn von Cv 
zu treffen, mir die Freyhelt genom⸗ 
men habe, hier einzuſprechen, — ſieh! da 
ging die Thuͤre des dritten Zimmers auf und 
eine Geſtalt ſchoͤn wle ein Engel, weiß ge⸗ 
kleidet, mit einer ſchwarzen Binde umguͤr⸗ 
tet, mit freyen wallenden Locken trat her⸗ 
aus — ich flog hin und druͤckte — Ama: 
liens Hand an meine Lippen. 
Angenehm erſtaunt ſchien fie unwillkuͤhrlich 
ihre Hand in der meinigen ruhen zu laffen: 
„Sie hier Herzog? (ſagte ſte endlich) wie ſoll ich 
mir das erklaren?“ und zog eee n 
ihre Hand zuruͤck. 2 965 

„Weiß ichs ſelbſt? (elef ich) Ein Wun⸗ 
der meines Lebens verbraͤngt das andere, 
und es iſt gewiß eines der ſchoͤnſten, das 
mich hieher führte, guaͤdigſte Graͤfinn!“ | 


63219 

„Sie treffen mich in der SGeſellſchaft 
einer Freundinn (ſagte Amalie, indem fie 
mich jener Dame vorſtellte) die ich in mei⸗ 
ner fruͤheſten Jugend verlor, durch einen 
wunderbaren Zufall, den ich unter die gluͤck⸗ 
lüchſten Ereigniße meines Lebens zaͤhle, vor 
vier Monathen wieder fand, und die auch 
Ihnen nicht ganz unbekannt iſt.“ | 
Ich machte der Dame eine ſtumme Ver⸗ 
beugung, ſie war mir ſo unbekannt, als 
der Sinn von Amaliens Worten. 

Amalie ſchien das zu merken und laͤ⸗ 
chelte. „Erinnern Sie ſich nicht, daß ich 
in der Erzaͤhlung meiner Jugendgeſchichte 
Sie mit einer weißen Frau bekannt machte, 
die mir einſt in der Daͤmmerung bey der 
Grotte des väterlichen Gartens erſchien 
und die wie ein himmliſches Weſen meine 

Kindheit leitete und erquickte?“ 

„Sehr wohl! und dieſe weiße Dame?“ 

„Iſt die Baroneſſe von Delier, welche 
vor Ihnen ſteht.“ 
Fſts 


( 323 ). 
RE möglich! rief ich. 
„Es iſt wirklich!“ verſetzte die Dame 
mit einem halben fluͤchtigen Laͤcheln. 
Erſt jetzt betrachtete ich ihr Geſicht ge⸗ 
nauer. Es war eine treffliche Phiſtognomie 
voll Geiſt, und ſelbſt bie Zeit hatte die Spuren 
von Schoͤnheit nicht vertilgen koͤnnen „ die 
einſt auf dieſem Geſichte muß gebluͤht Haben. 
„ Guaͤdige Frau! (ſagte ich) die Grat 
finn erzählte mir ſo viel Edles und Wunder: 
bares, daß mein Erſtaunen ſo natuͤrlich, 
als meine Neugierde verzeihlich iſt. “/ — 
„Ich werde Ihnen alſo wohl gar einen 

Olenſt erweiſen (fiel Amalie ein) wenn ich 
die Baroneſſe um die Gefälligkeit bitte 05 
Geſchichte zu erklaͤren. “ 

„ Warum nicht? (verſetzte die za von 
Oelier) Wollen wir uns niederlaffen? Mau | 
ſagt, das Alter ſey geſchwätzg aber 100 
werde mich kurz faſſen: 8 

a „In einem Hauſe / das nur Wnech rg 

N von dem vaͤterlichen Hauſe der Graͤ⸗ 

fon 


{ 323 ) 

finn gefrennet war, lebte eine Freundinn, 
welche die Eltern derſelben und die grauſa⸗ 
me Behandlung, die Amalie von ihrer Mist 
ter ertragen mußte, genau kannte. Die 
Schilderung, welche mir meine Freundinn 
oͤfters davon machte, griff deſto tiefer in 
mein Herz, da ich von jeher eine außeror⸗ 
dentliche Liebe zu den Kindern trug. Ich 
beſchloß das harte Schlickſal der ungluͤckli⸗ 
chen Kleinen zu mildern, und entwarf in 
dieſer Ruͤckſicht einen Plan, den ich durch 
Huͤlfe der Waͤrterinn ausfuͤhrte, die ich mit gu⸗ 
ten Worten und einer Summe Geldes beſtach. 
Die Gaͤrten meiner Freundinn und der Aeltern 
Amaliens waren bloß durch eine Mauer ge⸗ 
trennt, in der ſich eine kleine Thuͤre 

befand, die aus dem Garten der erſteren 
in die Grotte des andern Gartens fuͤhr⸗ 
te. Dieſe Thuͤre ließ ich mir durch die 
Waͤrterinn oͤffnen, welche ſich aber ver⸗ 
moͤge unſers Einverſtaͤndnißes zur Zelt 
an Erſchelnung immer entfernen und am 
Eins 


9 
6 324) 

Eingange des Gartens Wache halten mußte, 
um mi durch ein verabredetes Zeichen vor 
Ueberraſchung zur warnen. Was ich in der 
Grotte mit Amalien ſprach und verhandelte, 
werden Sk Herzog! 0 aus een 
Munde wiſſen.“ Ang 

„Aber warum (fragte ich) machten Sie 


aus Ihrem Nahmen und Stande der Graͤ⸗ 


finn ein Geheimniß? 

„Damit ih unentdeckt geblieben Wet 
wenn die Kleine in einem Anfalle kindiſcher 
Plauderhaftigk ein die Zuſammenkunft mit der 
weißen Dame ausgeſagt haͤtte. Als Ama⸗ 


lie älter wurde ſpielte ich das Geheimniß 


fort, weil ich bemerkte, daß es meinen 

Werth in ihren Augen erhoͤhte, und meinen 
Troͤſtungen und Belehrungen ein größeres 
Gewiht gab. Doch nicht fuͤr immer woll⸗ 
te ich unerkannt bleiben; in jenem verſigel⸗ 
gen Papiere, das ich der Tochter meines 
Herzens beym Abſchiede uͤbergab, und das 


fr 40 verlor, haͤtte ſie nebſt meinem 


N Bil⸗ 


( 323 ) 
Bilde die Entraͤthſelung des Geheimnißes 
gefunden. Ä 

Wenn ich mich recht erinnere, ſo über» 
gaben Sie das Papier mit dem Auftrage, 
daß es die Graͤfinn erſt dann eroͤffnen ſollte, 
wenn ſie den Juͤngling ihrer Liebe gefunden 
haͤtte. ; 

„Allerdings! weil es rn, Lehren ent⸗ 
hlelt, die fuͤr ein verllebtes Maͤdchen hoͤchſt 
wichtig waren.“ 

„Sie ſagten gnaͤdige Frau! bey ihrem 
Abſchiede der Graͤfinn vor, daß ihr hartes 
Schickſal nach drey Monathen eine gluͤckli⸗ 
che Wendung nehmen wuͤrde, und dieſe 
Wahrſagung ging wirklich durch die Tante 
der Graͤfinn in Erfuͤllung — “ 

„Das war ſehr natuͤrlich, weil ich bie 
ganze Sache durch meine Freundinn, wel⸗ 
che die Tante ſehr gut kannte, damahls 
ſchon vermittelt hatte.“ | 


Aber 


(33 )) 

Aber warum ſetzten Sie Ihre gehei⸗ 
men . eh bis a e ne Tan: 
” fort 2 9 | ) 
923 Wen € dh mit meinem emal weg⸗ 
veifen mußte.“ 

„Und feit biefer Zeit ſahen Ste and . 
SUR ſich nimmer?“ N 

„Und wuͤrden uns auch nimmer gest 
hen haben, haͤtten nicht nach dem Tode 
meines Gatten mich wichtige Geſchaͤfte nach 
* gerufen, wo ich eines Tages, als ich 
eben ans der Thuͤre der Domkirche trat, 
meine vielgeltebte Grafinn aus dem Wagen 
ſteigen, und ohne daß ſie mich unter dem 
Gedraͤnge bemerkte, auf mich zukommen ſah. 
O Herzog! was ſind alle Freuden gegen die 
Freuden eines ſolchen Wiederſehens 2 Ihre 
Ausbeüche waren auch ſo lebhaft, daß wir, 
um micht von der Menge der ſtaunenden 
Zuſchauer erdruͤckt zu werden, uns in den 


Wagen werfen mußten, der mich dann wle 


im: lage nach Amallens Einfiedeley fuͤhrte.“ 
„Nein! 


| (39) 

„Nein! (rief die Graͤfinn bis zu Thraͤ⸗ 
nen bewegt und druͤckte der Baroneſſe Hand 
an ihre Bruſt) diefen Tag werde ich nim⸗ 
mermehr vergeſſen, ſo lange 58 = 
hier ſchlaͤgt!“ 

„Und doch (fuhr die Stun 1 von Delier 
nach einer ruͤhrenden Pauſe fort) — ſollten 
Ste es glauben Herzog — fo erfreut meine 
edle Freundinn war, mich wieder gefunden 
zu haben, koſtete kes mich doch nicht gerin⸗ 
ge Muͤhe ſie zu bereden, daß fie ihr Wald⸗ 
Schloß verließ und ſich nach dem meinigen 
begab, wo wir nun beyde ein Leben voll 
feliger Zufriedenheit fuͤhren. Wahrhaftig! 
meine Amalie war ſchon ganz zur Klakenes. 
rinn geworden.““ 

„„Ich geſtehe es weint BE cer er⸗ 
wiederte dieſe) Der Ort meines damahligen 
Aufenthaltes hatte ſo vielen Reitz für mich, 
das einſame ſtille Leben war mir ſo ſehr zur 
Natur geworden, daß ich bepdes nur um 
er An ante han se it 


( 328 ) 
diefen Ort, und um lte Beben verfang,.- 
konnte.“ 

Das Gespräch wurde tief in den Abend 
perlängert, Endlich brach ich auf und kehr⸗ 
Le nach erhaltener Einladung morgen wie⸗ 
der zu kommen w e nach Haufe. 
zuruͤck. 

7 Ja wohl! (rief 10 85 ine Zin⸗ 
mer) du haſt recht gute Frau: was ſind alle 
Freuden gegen die Freude des Wlederſehens.““ 
— Amalie war mein letzter Gedanke vor 
dem Entſchlafen! Amalie mein erſter Auf⸗ 
ruf beym Erwachen, und Sie ſelbſt war es, 
aus deren Blicken, und Worten ich den 
groͤßten Theil des Tages hindurch neues ſe⸗ 
liges Leben fog.. N ' 

Aber von Tag zu Tag e 1255 Bel 
terfeit. ab. Ein Flor ſchien ihren ſonſt hel⸗ 
len freyen Blick zu umd aͤmmern. Ihre an⸗ 
gebohrne Offenheit und Freundlichkeit wan⸗ 
Selte ſich in Verſchloſſenheit, und Melane 
cholie, die ſie umſonſt zu bergen ſuchte. Ich 

uͤber⸗ 


( 329 ) 

äberrafchte fie einlgemahl, wle Ihre Augen 
betrachtend auf mir ruhten und bey meinem 
Hlnblicke betroffen zur Erde fahen — fie 
ſprach wenig und zerſtreut — aber in ihrem 
Betragen war nichts abſtoſſendes — ihr 
Buſen ſchien ein geheimes Anltegen zu ver⸗ 
ſchließen, nach deſſen Entdeckung ich ver⸗ 
gebens forſchte. Ss oft ich von dem Uns 
bekannten zu ſprechen anfing, fah Amas 
lie die Frau von Deller verlegen und ſchůch⸗ 
tern an, und dieſe wandte dann das Ge⸗ 
ſpraͤch ſchnell auf einen anderen Gegenſt tand. 
Daß der Irlaͤnder in dem Haufe war, wuß⸗ 
te ich gewiß, man geſtand mir ſogar, daß 
man durch ihn meine Erhebung zur Her: 
zogswuͤrde erfahren habe, aber weiter ver⸗ 
mochte ich nichts herauszup sreßen. Dieſer 
Umſtand und Amaltens’ Benehmen erweckte 
Bermuthungen in mir, die mich zwiſchen 
Himmel und Hoͤlle herumwarfen. Langer 
als vier Tage konnte ich es nicht erfragen. 

e Abend des vierten Tages benutzte ich 
den 


k 386) 
den Augenblick, wo ich mit der Frau von 


Delier allein war, fie dringend um die Auf⸗ 
fung dieſer Räthſel zu bitten. Ste ließ 
ſich erweichen und beſchied mich * morgen 
Mittags in dem Fichtenwaͤldchen, das an 


den Schloßgarten ſtleß, zu erſcheinen wo 
fie meiner Birte Genuͤge leiſten wollte. 
Meit welcher Sehnſucht harrte ich dem 


Schlage der zwölften Stunde entgegen. Ste 


ſchlug endlich, und mit dem letzten Streiche 


eilte ich zur Thuͤre hinaus um nach dem Fich⸗ 
tenwäldchen zu fllehen. Aber der Irlaͤnder be⸗ 
gegnete mir noch auf der Treppe. „ Kom⸗ 
men Ste 8 rief er mir e. 


% Wohin? 2 71 


„„Sie ſollen bart bn aberkaſcht Abet 
den. Kommen Sie nur, Mein ee 


wartet Sie.“ 


„Ich kann ihre DPD ei in les 
Stunde annehmen. Jetzt treibt mich ein Ge⸗ 8 
ſchaͤft von Wichtigkeit , das keinen Aufſchub 


leidet. 19 
er „Mein 


\ 


( 338 ) 
„„Mein Geſchaͤft leider eben ſo wenig‘ 


Aufſchub und iſt von weit groͤßerer Wich⸗ 


tigkeit. Ich muß Ste bey einem alten Be⸗ 
kannten auffuͤhren, den zu ſehen ſchon lan⸗ 
ge Ihr waͤrmſter Wunſch war. 1 
„Ein alter Bekannter — mein 5 
ſter Wunſch — Ste meinen doch nicht“ 
„Ihren Sofmeiſter meine ich. So ms 
men Sle nur.. | 
58 Mit einem lautem Schrey der BEN 
ärzte: ich an des Irlaͤnders Hals, druͤckte 
ihn mit Heftigkeit an mein z und ſerang 


in den Wagen. 


Wir fuhren zum 1 1 9 
Die Pferde jagten in vollem Galopp, und 
doch ſchien mir die Fahrt fo langſam. Haben 
wir noch weit? (rief ich endlich) Wo hält er 
ſich denn auf, iſt er geſund, weiß er, daß 
ich komme? — „Das alles werden Sie ſo⸗ 
gleich erfahren ſagte der Irlaͤnder, und 


befahl dem Kutſcher zu halten 


Wie 


(E82) 

Wir ſtlegen aus. Die Sonne verfin⸗ 
1 fi, wle das Geſicht des Irlaͤnders 
— er ſchwleg/ und deutete mir ſchwelgend zu 
1 folgen. 5 
Wir befänden uns in er aden gböge⸗ 
legenen Gegend ber Vorſtadt. An einer 
hohen Mauer, uͤber welche dle Wipfel als 
ter Baume hervorragten, ſtand der Srldas 
der ſtille. Er ſah, ſo ſchiens mir, mit eis 
nem wehmuͤthigen Blicke mich an, und ſchlug 
dann mit geballter Fauſt an das Thor. Die 
Fluͤgel droͤhnten auf, und wir ſtanden an 
dem Eingang eines Kirchhofs. 

Der Irländer ſchritt hinein. „, Was 
wollen Sie hier?“ fragte ich mit erſtarren⸗ 
der Zunge. „Kommen Sie (erwiederte er) 
und ſeyen Sie ein Mann.“ Er zog mich 
hineln und die Thorfluͤgel Velen knar⸗ 
rend hinter mir zu. 

Die Stille ewiger Ruhe, wilde bier 
herrſchte, und die Schauer der Verweſung, 
die mich umwehten, fluͤſterten mir vernehm⸗ 

lich 


(333) 
lich zu, daß dieſer Ort kein Aufenthalt fie 
Lebendige ſey. — Iſt mein Hofmetiſter hier? 
— fragte ich nach einer entſetzlichen Pauſe 
den Irlaͤnder, der ſich mit verſchraͤnkten 
Armen vor mir hinſtellte. 


Er beantwortete meine Frage nicht. 
„Hlermanſor! iſt mein Hofmeiſter hier?“ 
„Er iſt hier!“ 


Huch! ſo iſt er todt!“ ſtammelte ich 
und ſchwankte an einen Leichenſtein, um mich 
aufrecht zu erhalten. 4 


Dies Irlaͤnders Geſicht erheiterte ſich, 
et reichte mir ſeine Hand: „Kommen Sie 
Herzog! und uͤberzeugen Ste ſich, daß auch 
auf dieſer Staͤtte, wo gewoͤhnliche Menſchen 
nur Tod und Verweſung ſehen, die Blume 
des nn. blüht. ges 


19 iu Er 


( 334 ) 
Er fuͤhrte mich um die Ecke elner kleinen 
Kapelle hinüber, und ich ſah = was ich im 
erſten Augenblicke meinen eigenen Augen 
nicht glaubte ſah fünf Schritte vor mir mel⸗ 
nen Hofmeiſter auf einem Grabhuͤgel; er ſtand, 
durchaus weißgekleidet, in ruhiger wartung. 


Antonio mein Freund! rief ich zitternd 
vor Freude, und flog mit ausgebreiteten Armen 
den Hügel hinauf. Ader ich taumelte vor 
Entſetzen zuruͤck, als ich ſtatt meinen Freund 
zu umarmen — eine Dunſtgeſtalt durch⸗ 
griff. A 


„Miguel! fürchte dich nicht! (ſagte das 
ätheriſche Weſen ohne den Mund zu oͤffnen 
oder ſich zu veraͤndern) du ſiehſt keine Erſchei⸗ 
nung aus jener Welt. Ich lebe, aber meis 
ne dichtere Menſchenhuͤlle iſt uͤber hundert 
Meilen von hier entfernte Mein Geiſt redet 
in dieſer Geſtalt zu dir. Du wirſt einſt 
| ies e 


931.90 


( 335 ) 

dieſes Geheimniß begreiffen lernen, wenn 
du Hiermanfors Welſungen folgſt. Juͤng⸗ 
ling! es gibt eine höhere Gluͤckſeligkeit hie⸗ 
nieden als Frauenllebe. Verlaß Amalien 
und eile nach Me. Hilf die ſchaͤndlichen Feſ⸗ 
ſeln zerreiſſen, womit ein Deſpot dein Vater⸗ 
land an ſeinen Thron kettet. Nieder in den 
Staub mit Vas“ os, der die Feſſel ſchmiedete, 
und kaͤglich druͤckender macht. Wenn dein 
Vaterland frey iſt, ſollſt du mich wleder 
ſehen; ich ſelbſt werde dann Amallen in deine 
Arme fuͤhren. Bis dahin Miguel lebe wohl.“ 


Die Geſtalt zer floß nicht, fig verſank nicht, 
und erhob ſich nicht, und doch war ſie 
weg aus meinen Augen, ſchnell wie eines 
Menſchen Gedanke. 


„Antonio mein Freund! (rief ich) wenn 
dein Geiſt noch hier weilt, ſo ſage mir, 
daef ich mich Hlermanſorn unbedingt über: 
laſſen ?“ 
Die 


(56K 
Die vorige Geſtalt ſtand wieder auf 
dem Grabhuͤgel; ihr Erſcheinen war ſo ſchnell 
und unbegreiflich, als ihr Entweichen. „Ue⸗ 
berlaſſe dich Hiermanſorn, (ſagte fie) wie 
du dich mir uͤberließeſt. Er vertrete meine 
Stelle bey dir. Ich verkannte ihn einſt wie 
du, du wirkt ihn aber bald kennen, wie ichs 
Juͤngling! dann wird uns beyde ein engeres 
Band umſchlingen.“ 


Die Geſtalt verſchwand, und hinter mie 
hoͤrte ich laut den Unbekannten rufen. 


Ende des zweyten Bandes,