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Geſchichte
europäiſchen Staaten.
Serausgegeben
von
A. H. L. Heeren, F. A. Ukert
und
W. v. Gieſebrecht.
Geſchichte Griechenlands
von
Guftan Friedrich Hertzberg.
Dritter Theil.
Gotha.
Friedrich Andreas Perthes.
1878.
5 Eu
Gefchichte Griechenlands
feit dem Abſterben des antiken Sehens
bis zur Gegenwart.
Bon
Guftan Friedrich Hertzberg,
außerorbentl. Peofeflor d. Gejcite a. b. Univerfität zu Halle.
Dritter Theil.
Bon der Vollendung der osmaniſchen Eroberung bis zur Erhebung
der Neugriechen gegen die Pforte. (1470 — 1821.)
Gotha,
Friedrich Andreas Perthes.
1878.
Inhaltsverzeichniß.
Erſtes Bud.
Geſchichte Griechenlands von der Eroberung der Inſel
Euböa durch die Osmanen bis zur franzöſiſchen Revo⸗
lution. — 1470 bis 1788 n. Chr. (S. 1—264.)
Erftes Kapitel. Geſchichte Griechenlands von der
Eroberung der Inſel Eubba durch die Osmanen
bis zur Eroberung von Morea durch die Bene:
tianer (1470 — 1684) ..
I. Einleitung. S. 83 — Benetianifch = türkiſche
Kämpfe ſeit 1471. ©. 5. — Friedensſchluß 1479
zwilchen Venedig und der Pforte. ©. 7. — Die O8-
manen greifen 1480 Rhodos vergeblih an, ©. 8, —
erobern 1479 die Inſeln des Leonardo III. Tocco.
©. 9..— Unruhen 1480 im Taygetos. ©. 10. —
Sultan Bajefib I. (1481—1512). S. 11. — Kypros
fällt 1489 an Venedig. ©. 13.
ID. Der Krieg feit 1499 zwifhen Venedig und
Bajefid I. ©. 14. — Venedig verliert Lepanto und
Deefienien, S.15, — und behauptet im Frieden (1508)
Seite
3— 127
Inhaltsverzeichniß.
Zante und Kephalenia. ©. 16. — Selim IJ. (1511
bis 1520). ©. 17. — Suleiman II. (1520—1566),
©. 18, — erobert 1522 Rhodos, S. 19. — Kämpfe
ber Maltefer und des Andreas Doria 1531/32 auf und
bei Morea. &.20. — Khaireddin Barbarofia. S.22. —
Krieg feit 1537 zwifchen der Pforte und Venedig.
©. 23. — Verheerung der Inſeln des Archipelagus
1537/38. ©. 24. — Benebig verliert 1540 Nauplion
und Monembaſia. ©. 26.
IH. Das Serzögtfum Naros 1463 bis 1541.
©. 27. — Andros und Paros 1462 bis 1540. S. 28. —
Die Osmanen erobern 1566 Chios. ©. 30. —
Selim II. (1566 — 1574) auneltirtt 1566 Naros.
©. 32. — Der jüdiſche Herzog von Naxos, Don Joſeph
Naſt. ©. 33. — Die Osmanen erobern 1571 Kyprog,
©. 34, — und die Schlacht bei Lepanto, ©. 35. —
Die Infeln des ägäiſchen Meeres unter türkifcher Herr-
ſchaft. S. 36. — Der lateinifhe Adel auf diefen Inſeln
amd feine feindfelige Stellung zu ben Griechen. S. 37. —
Die Fehde zwifchen den Kokkos und den Barozzi auf
Naxos. ©. 41.
IV. Griechenland feit 1573 bis 1601. ©. 42. —
Griechenzüge der Maltefer 1603 bis 1620. ©. 45. —
Wirrubige Bewegungen feit 1612 in der Maina. S. 46. —
x Die Sphakioten auf ber Infel Kreta. ©. 47. —
Benedig und bie Sphalioten. &. 49. — Foscariut’s
Keformen auf Kreta feit 1574. &. 50. — Krieg zwiſchen
ber Pforte und Venedig um Kreta feit 1645. ©.58. —
Die Kriegsjahre 1646 bis 1660. ©. 54. — Ahmed
Köprili. Der Kampf um Kandia feit 1666. ©: 57. —
Kreta fällt 1669 an die Pforte ©. 58. —
Ahmed Koeprili unterwirft 1670 bie Maniaten.
©. 59. — Fränkiſche Corfaren feit 1673 im ägäiſchen
Meere. ©. 61.
V. Die Lage der Griechen amter ber türkiſchen
Herrſchaft. S. 62. — Militärifche Leitungen der
Griechen für bie Pforte ©. 65. — Stellung ber
Dsmanen zu ihrem chriftlichen Untertbanen. ©. 66. —
Die Organifation ber Verwaltung und das türkiiche
Lehensſyſtem in ben griechiſchen Provinzen. S. 68. —
Seite
Inhaltsverzeichniß. vo
Seite
Mora. ©. 71. — Die Kopfſteuer. ©. 72. — Die
Banern in Griechenland. ©. 73. — Der Zehnte
©. 75. — Der Knabenzins. ©. 76. — Machtbereich
und Machtftellung des griechiſchen Patriarchen in
Conflantinopel. S. 78, — Kirchliche Beſteuerung ber
Griechen. S. 82. — Das Patriarchion. ©. 83. —
Bürgerlide Competenz des Patriarchen unb bes Epis-
kopats. S. 84. — Griechiſch⸗-biſchöfliche und türfifche
Rechtspflege. S. 86. — Schattenſeiten der Lage der
Griechen unter türkiſcher Herrſchaft. S. 89. — Schatten⸗
ſeiten des höheren griechiſchen Klerus. S. 90. — Der
niedere Klerus und die Mönche. ©. 92. — Die
Sanarioten. ©. 97. — Die Großbragomane ber
Pforte und der Flotte ©. 99. — Klephten und
Armatolen. S.100. — Die griehiihe Gemeinde-
verfafjung und die Primaten. ©. 105. —
Gemeinbeverfaffung, Provinzialräthe, Kodſchabaſchis in
More. S. 108. — Stellung der Brimaten. S. 110. —
Gemeindeverfaffung auf ben Infeln, S. 112, — in
Rumelien, S. 113. — Gefammtlage der Griechen
unter osmaniſcher Herrſchaft. © 115. —
Charakter ber ©rlechen, namentlih ber Moreoten, in
biefem Zeitalter. S. 117. — Reugriechiſche Sprache
und Litteratur. ©. 119. — Abfhaffung bes
Knabenzinfes im 17. Jahrhundert. ©. 121. —
Aufihwung des Klephtenthums. S. 122. — Crufins
in Tübingen und die Griehen: S. 123. — Kyrillos
Lukaris. ©. 124. — Athen. ©. 126.
Zweites Kapitel. Geſchichte Griechenlands von 1684
bi8 1718 Er 128—191
I. Abfall der Schkupetaren zum Islam im 17. Jahr⸗
bundert. ©. 128. — Die i8lamitifhen Albanefen von
Lala und Barbunia in Morea. S. 129. — Abfall ber
griedifhen Kreter zum Islam. ©. 131. — Der
Großweſſir Kara Muftapba feit 1676. ©. 133. —
Krieg Venedigs gegen bie Pforte feit 1684.
©. 134. — Francesco Morofini erobert 1685 Koron
und die Maine. ©. 136. — Glänzende Feldzüge bes
Grafen Königsmart fjeit 1686. ©. 138. — Anardie
und Greuel der Griehen und Türken in Griechenland.
vm Inhaltsverzeichniß.
Seite
©. 140. — Die Venetianer erobern 1687 Athen. Zer-
flörung des Parthenon. ©. 142. — Räumung
Athens 1688. Mehrjährige Verdbung ber GStabt.
©. 145. — Kampf um Negroponte 1688 und Königs-
mars Tod. S. 147. — Monembaſia 1690 venetianifch.
©. 148. — Anarchie in Mittelgriehenland. S.149. —
Liberati Geratichari, 1688 Beh der Maina, greift 1692
mit den Osmanen Morea an. S. 150. — Morofini
flirbt 1694. S. 152. — Kämpfe um Chios 1694/5.
©. 153. — Liberali und die Osmanen greifen 1695
Morea an. S.155. — Liberafi’8 Untergang. S. 156. —
Friede zu Carlowig 1699. Benedig behauptet
Morea. ©. 157.
II. Venedigs Herrfhaft auf ben ionifchen Inſeln.
©. 158. — Entoölferung Morea's nah Austreibung
ber Türken. ©. 161. — Schmierigleiten für Venedig
bei der Herftellung von Morea. ©.162. — Die
General = Broveditoren. S. 164. — Die Moreoten.
©. 165. — Neubevölkerung des Landes. S. 166. —
Die nenen Feftungsbauten. ©. 167. — Die Maniaten.
S. 168. — Die Organifation, die agrarifchen. Zuftände,
das Beſteuerungsſyſten von Morea. ©. 169. —
Landestultur und Merkantilſyſtem. ©. 172. — Städte»
weien und Rechtspflege. © 174. — Kirdlide
Schwierigkeiten. S. 175. — Lage der Moreoten unter
Venedigs Herrſchaft. ©. 178.
III. Die Pforte bereitet feit 1713 einen neuen
Krieg gegen Benebig vor. S. 179. — Die militärifchen
Schäden der Lage von Morea. ©. 181. — Ausbrud
des Krieges im Borfommer 1715. ©. 182. — Die
Osmanen erobern Korinth, S. 183, — Nauplion und
das Caftell von Morea, S. 184, — Mobon, Monem-
bafta und bie kretiſchen Feſtungen. S. 186. — Glänzende
Bertheidigung (1716) Korfu’8 durch Schulenburg.
S. 189. — Friebe (1718) zu Paſſarowitz. ©. 1%.
Drittes Kapitel. Geſchichte Griechenlands von 1718
be 1788.. 2 2 0 er. 191264
I. Die Zuftände in Morea feit 1715. S. 191. —
Die Griechen unter osmanifcher Herrſchaft. S. 194. —
Inhaltsverzeichniß.
Der Großdragoman Alexander Maurolorbatos und fein
Geſchlecht. S. 195. — Die fanariotiſchen Hospodare
und das Griechenthum in der Moldau und Walachei.
S. 197. — Entſtehung neuer griechiſcher Bildungs⸗
anftalten. S. 200. — Eugenios Bulgaris und Theotolis.
©. 203. — Die Erzbisthümer Ipek und Ochrida 1776/7
unter den Patriarden von KConftantinopel geftellt.
6.205. — Gräcifirung der Bulgaren durch die Kirche.
©. 206. — Aufihwung bes materiellen Wohlſtandes
ber Griehen. ©. 207. — Benedig und bie ionifchen
Inſeln. ©. 208. — Tinos und Chios. ©. 209. —
Hydra und Spetzä. ©. 210. — Griechenland und bie
ruffifche Politi. S. 211. — Die Klephten unb bie
Armatolen. S. 212. — Die Sulioten. ©. 218. —
Die. Maniaten. ©. 221.
DI. Die ruffifhen Sympathien für Griehenland zur
Zeit Katharina's II. S. 224. — Ruſſiſche Agitation
jeit 1765 unter den Griechen. Papadopulos. ©. 225. —
Ruſſiſch-türkiſcher Krieg feit 1768. Aufftand
in Morea 1770. ©. 227. — Nieberwerfung bes
griechifcehen Aufftandes. ©. 230. — Die Ruffen räumen
1. Juni 1770 Morea. S. 232. — Blutiges Wüthen
der Albanefen gegen bie Griedhen in NRumelien und
namentih in Morea. S. 234. — Andrutfoß.
S. 236. — Die Aldanefen in More. ©. 237. —
Die Inſelgriechen. ©. 238. — Die Sphalioten.
S. 239. — PBiraterie. Metromarad. S. 240. —
Der Friede von Kutſchuk-Kainardſche (1774),
und deſſen nützliche Folgen für die Inſelgriechen.
©. 241. — Die Familie Kololotronid. S. 244. —
Stellung der Maniaten feit 1776. ©. 245. — Haſſan
Shazi vernichtet 1779 die Macht ber Schlypetaren in
Griechenland. ©. 246. — Hafieli- Bey in Athen.
S. 248. — Haſſan Ghazi vernichtet 1780 das Haus
Kolokotronis. S. 250. — Zuftände in Morea. ©. 252. —
Rußland und die Griehen. S. 258.
III. Gefchlecht ves Ali von Tepeleni. © 255. —
Ali's Jugendgeſchichte. S. 257. — Ai 1788 Paſcha
von Trittala. ©. 260. — Joannina. ©. 261. —
Ali (1788) Paſcha von Janina, ©. 262, —
erobert 1789 Alarnanien, und zerfiört Chormovo. ©. 263.
— —ñ—e
Seite
IX
x Inhaltsverzeichniß.
Zweites Bud.
Geſchichte Griechenlands von 1788 bis 1821 n. Chr.
(S. 265 — 473.)
—
Seite
Erftes Kapitel. Geſchichte Griechenlands von 1788
bis 1811.2073899
I. Allgemeine Betrachtungen. ©. 267. — Ruſſiſch—
türtifher Krieg feit 1787. ©. 269. — Die
Sulioten. S. 270. — Lambros Kanzonis. S. 271. —
Friede zu Jaſſy 1792 und Ausgang bed Lambros
Kanzonis. ©. 273. — Unglüdliher Krieg 1792 des
Ali von Janina gegen die Sulioten. ©. 275.
I. NReformpolitit des Sultans Selim DI.
©. 279. — Untergang des Haffeli- Bey von Atben.
©. 283. — Markos Politis auf Naros. ©. 284. —
Machtaufſchwung des Ali-Pafcha von Janina. &. 285. —
Paswan- Oglu von Widdin. S. 286. — Einfluß der
franzöfifhen Revolution auf die Griechen.
&.288. — Zuftände auf den ionifhen Imfeln unter
Venedig. ©. 289. — Die Franzofen erobern 1797 die
ionifhen Inſeln. S. 290. — Bonaparte und bie
Maniaten. ©. 292. — Beziehungen der Franzofen zu
Ali von Janina. S. 294. — Rhigas von Beleftino
und das Haus Hypfilanti. ©. 295. — Die Hetärie,
die Sturmlieber, ber Tod (1798) des Rhigas. S. 298. —
Anthimos und Korais. ©. 303.
II. Ali⸗-Paſcha bricht 1798 mit den Franzofen
und erobert Prevefa. S. 304. — Die Auflen und
Türken verbünden fi gegen Frankreich und erobern
1798/99 vie ioniſchen Inſeln. ©. 3806. — Die
ionifhe Republik der „Sieben Inſeln“, ibre
Verfafiung, ihre Geſchichte. S. 309. — Ali rüftet 1799
gegen die Sulioten. ©. 313. — Sein Krieg 1800 bis
1803 gegen die Sulioten. ©. 314. — Übermältigung
der Sulioten. Ihre Vertreibung aus Epirus.
©. 3817.
Iuhaltsverzeicniß.
IV. Ali⸗Paſcha 1804 vorübergehend Beglerbeg von
Rumelien. S. 319. — At und die Armatolen.
S. 321. — Konftantin Hypſilanti fett 1799 rumäniſcher
Hospodar. S. 322. — Der Aufſtand in Serbien ſeit
1804, ©. 324, — und ber Zug bes Nilotfaras,
©. 325. — Tod des Zacharias und (1806) Flucht des
Theodor Kololotronis nah Bante. ©. 326. — Ver-
fimmung zwifchen ber Pforte und Rußland, franzöfticher
Einfluß in Stambul, und Krieg ber Pforte feit 1806
gegen Rußland und England. ©. 3238. — Sturz
Selims UL 1807. Muftapfa IV. ©. 333. —
Zuflände auf den tonifhen Juſeln. ©. 334. —
Machtaufſchwung (1806) des Ali - Palda.
©. 335. — Griechiſche Bewegung (1807) für Rußland.
©. 336. — Die ionifhen Inſeln werben 1807
an Napoleon I. abgetreten. ©. 337. — Graf
Giovanni Kapodiftrias tritt über in ben ruf-
fifden Staatsdienſt. S. 389. — Griechiſche Corfaren
1807 im ägäiſchen Meere. ©. 341. — Ali⸗Paſcha
alliirt ſich 1808 mit England und dämpft ben Aufſtand
ber tbefialifchen Klephten. S. 342. — Beli- Balda in
Moren, Ali- Pharmali und Thesdor Kolofotronis.
©. 345. — Sultan Mahmud II. 1808. ©. AT. —
Auffifch - titrkifcher Krieg 1809 bis 1812._ ©. 348. —
Konflantin und Alexander Hypfilanti. S. 350. —
Ali-Paſcha, mit England verbindet, ftürzt 1809 ben
Ibrahim von Berat. ©. 352. — Die Engländer be-
fehden feit 1809 vie ionifhen Inſeln. ©. 354. —
Kolofotronis in brittifhen Dienſten. S. 355. —
Parga. ©. 356. — Die ionifhen Inſeln gehen
1815 an England über. ©. 357. — Ali vertilgt
1812 die Garbhifioten. S. 359. — Ai auf der Höhe
feiner Macht und fein Verbältniß zu den Griechen.
©. 361. — Odyſſeus von Ithaka. ©. 365. — Georg
Karaistalis. S. 367. — Dr. Johann Kolettis. ©. 368.
V. Neuer Auffhwung bes griechiſchen Seehandels.
©. 869. — Hydra. ©. 370. — Spetzä. S. 375. —
Para, und andere griehiihe Handelsplätze. S. 376. —
Kydonia. S.378. — Die thefſaliſche Induſtrie. S.379. —
Marathoniſi. S. 381. — Petros Mauromichalis, Bey
der Maine. S. 382. — Die reihen Griechen im
Ausland. ©. 383. — Die Infelgriehen. S. 384. —
eu —
zu Inhaltsverzeichniß.
Seite
Studien junger Griechen in Europa. ©. 385. —
Griechiſche Akademien in Buchareſt, Stambul und Korfu.
©. 386. — Entftehung neuer bellenifher Gymnafien.
S. 887. — Die Bühne der Neugriehen. ©. 389. —
8. Delonomos, N. Vamwas, N. Dukas. S. 390. —
Korais. ©. 392. — Die Mbanefen und die neugriechifche
Bollsiprade. ©. 393. — Koraid als Reformator ber
neugriechiſchen Schriftſprache und als Politiker. S. 895. —
Patriarch Gregor IV. von Eonftantinopel. S. 397. —
Der „Gelehrte Merkur”. ©. 399.
Zweites Kapitel. Gejchichte Griechenlands von 1814
bi8 1821 400—473
I. Politifhe Lage der Griechen feit 1815. S. 400. —
Athen. S. 401. — Die Philomufen und die
Philiker. ©. 403. — Entftebung der Hetärie ber
Philiker. S. 404. — Organifation der Hetärie. ©. 407. —
Die Anfänge der Hetärie. S. 409. — Erfolglofes Werben
der SHetärie in Serbien. S. 410. — Stambul feit
1818 Eentralfig der Hetärie. S. 411. — Ausbreitung
der Hetärie 1818 und 1819. ©. 412. — GSenbung
bes Xanthos nach Petersburg. ©. 414. — Graf Kapo-
biftrias und die Hetärie. S. 415.
I. Die ionifhen Infeln unter Englands
Herrſchaft. S. 416. — Die tonifhe Verfaſſung vom
Sabre 1817. ©. 417. — Die englifhe Verwaltung.
©. 420. — Parga 1819 an Ali-Paſcha übergeben.
©. 421. — Ali-Paſcha und Sultan Mahmud II.
©. 423. — Veli-Paſcha 1812 aus Morea entfernt.
©. 424. — Grimmige Feindſchaft zwifchen Ali und
Ismael⸗Pacho⸗Bei. S. 425. — Offener Bruch 1820
zwifhen Alt und ber Pforte ©.426. — Die Pforte
erflärt den Krieg gegen Ai. ©. 427. — Die
griechifehe Hetärie. ©. 428. — Alt eröffnet ven Krieg;
fein Kriegsplan. S. 430. — Siegreiher Vormarfch ber
osmanischen Armee gegen Ali. ©. 432. — Ali verliert
ganz Mittelgriehenland, und wird enblih auf Ianina
in Epirus beſchränkt. ©. 433. — Ismael-Pafdha
blokirt feit Ende Auguft 1820 Janina.
S. 436. — Die Sulisten und ihre Allianz
(Anfang December 1820) mit Ali. ©. 487. —
Inhaltsverzeichniß.
Khurſchid⸗Paſcha von Morea geht Ende Januar 1821
als Seraskier nah Janina ab. S. 441. — Ali über-
Viefert im März 1821 ben Sulioten Kiapfa. S. 442.
III. Unterhandlungen in Petersburg feit Februar
1820 zwiſchen Xanthos, Kapobiftria und Alexander
Hypſilanti. ©. 443. — Alexander Hypfilanti
übernimmt im Frühling 1820 bie Führung
der Hetärte. S. 416. — Sein Eharalter. S. 447. —
Die Stimmungen in ber Hetärte. S. 448. — Hypfilanti
geht nach Odeſſa. S. 449. — Die Chancen ber grie=
chiſchen Erhebung und Griechenlands materielle Kräfte
©. 450. — Hypfllanti's Pläne ©. 454. — Hypfilanti
(Herbft 1820) gebt nach Kiſchenew, S.455, — beſchließt
den Angriff auf Rumänien, ©. 456. — Aufftand des
Wladimiresko (Februar 1821) tm der Meinen Walachei.
©. 459. — Blutthat des Karamias in Galacz. S. 462. —
Hypfilanti ziebt (7. März; 1821) in Saffy ein.
©. 463. — Die Zuflände in Morea. ©. 464. —
Germanos, Al. Zaimis und Andr. Londos. S. 466. —
Ende Januar 1821 geht Khurſchib⸗Paſcha nach Janina,
Theobor Kolokotronis nach Morea. S. 467. — Bor»
fihtsmaßregeln ber Osmanen und bie Haltung ber
Griechen. &.468. — Die erften Scenen bes Aufftandes
in Morea. ©. 471. — Der Auffſtand zu Kalavryta.
©. 472. — Die Maindtten (4. April 1821)
erobern Kalamata. ©. 473.
Ecite
Erſtes Bud.
— —
Geſchichte Griechenſands von der Sroberung der
Dnfel Fuböa durch die Osmanen bis zur franzö-
ſtſchen Revolution. — 1470 bis 1788 n. Ehr.
Sertzber g, Geſchichte Griechenlands. II. 1
Erſtes Kapitel.
Geſchichte Griechenlands von der Eroberung der Inſel
Euböa durch die Osmanen bis zur Eroberung von Morea
durch die Venetianer. (1470—1684.)
— — —
J.
Mit der Eroberung des Peloponneſos und der Inſel Euböa
durch die Osmanen hatte fich für das griechiſche Volt in
analoger Weije ein bijtorticher Zeitraum vollendet, wie vor
1615 Jahren Durch die von der Hand des Mummius voll-
jogene Nieverwerfung des achäiſchen Bundes für die alten
Hellenen. Wie damals den Ietten Ausläufen der alten
Hoffiihen Zeit für bie griechiiche Welt ein mehrhundertjähriges
in gewiſſem Sinne geichichtslofes Zeitalter folgte, jo hatte jet
die blutige Fauſt der Osmanen dem griechiichen Mittelalter
ein Ende gemacht, und eine neue „geſchichtsloſe“ Zeit ein-
geleitet, aus welcher endlich in unſerem Jahrhundext ein ver⸗
jüngtes „neugriechiſches“ Volk hervorgehen follte. Aber die
lange Zeit, während veren die Griechen der Hoheit ver Pforte
unterworfen gewejen find, bat mit jener ver römiichen Herr-
ſchaft nur wenig Ähnlichkeit gehabt; weit eber noch nach Seite
ber Leiden, die mit jeder Fremdherrſchaft verbunden zu jein
1 *
4 Buch I Kap. J. 1. Einleitung.
pflegen, als nach der belleren Seite Hin. Das Abfterben des
biftoriichen Lebens und das Aufgehen der griechiichen Gejchichte
in die eines mächtigen, von einer fremden Nationalität ge=
tragenen Militärftantes wiederholt fich allerdings feit der zweiten
Hälfte des funfzehntten Jahrhunderts für die Stämme griechifcher
Zunge zwiſchen dem Sangarios und dem tonilchen Deere.
Aber das Griechenland der neueren Zeit bat fein Zeitalter
erlebt, wie Aſia und Achaja in den Blüthetagen der jüngeren
Sophiſtik und in der „goldenen Zeit“ der Imperatoren.
Und wie grauenbaft weit bleibt doch das Maaß und die Art
der Durchſetzung bes Türkenthums mit den Griechen binter
der wunderbar folgenreihen Berührung zwiſchen Römern
und Hellenen, ja felbft Hinter der zwiſchen Berfern und Helfenen
zurüd. Die Geſchichte der Griechen, die Sade im
engften Sinne genommen, ift für die Zeit von 1470 bis zu
dem Auftreten des Ali⸗Paſcha Zepeleni in der That nur jelten
etwas mehr als ein „weißes Blatt”. Was nah diefer
Seite für die Zuftände des griechiichen Volkes im türkiichen
Reiche, für ihre kirchlichen und Gemeinde-Berhältniffe,
für ihre litterariſche Thätigkeit, zulett auch für das allmähliche
Emporfommen neuer Waffen- und Handelstüchtigkeit zu fagen
tft, das faſſen wir nachher in großen Umriffen zufammen.
Zunächſt aber knüpft fi der Baden hiſtoriſcher Erzählung
noch an die ‘Darlegung der Ereignifjfe, die mit der zweiten
für die Griechen der neueren Zeit ſchickſalsvoll gewordenen
Großmacht, nemlih mit Venedig zuſammenhängen.
Die furchtbare Kataftrophe von Negroponte war doch nicht
dazu angetban, die Energie der venetianiichen Kriegspartei zu
brechen. Triedensverjuche, die in der That während ber
nächften Jahre gemacht wurden, jcheiterten noch immer an der
Unvereinbarkeit der gegenjeitigen Forderungen. Es wurbe
aber für Venedig zunädit ein Vortbeil, daß der Sultan
Mohammed II. ſehr bald in Aften in einen Zoloffalen Krieg
mit jenem perſiſchen Machthaber Ufunbajän verwidelt wurde,
welcher, der natürliche Verbündete der Venetianer und aller
Gegner der Pforte, ſeit Anfang des Jahres 1472 dem
Benetianifch-türtifde Kämpfe feit 1471. 5
Padiſchah ſehr gefährlich zu werden begann. Erſt des Sultans
Sieg bei Terdſchan (26. Juli 1473) entſchied endgiltig über
Kleinaſiens Schickſal; und noch bis 1478, wo der perſiſche
Gewaltherrſcher ſtarb und ſein Reich zerfiel, mußte der Oſten
ſorgſam beobachtet werden. Aber ſchon ſeit 1474 konnte
Mohammed II. ſeine beſte Kraft wieder gegen den Weſten
wenden.
Bis dahin hatten die Venetianer ſich allerdings lebhaft
gerührt. Die Republik ſchloß nach dem Fall von Eubda nicht
nur mit Ujunbafän, fondern auch mit den Rittern von Rhodos
und dem Pabſt Sirtus IV. eine fefte Kriegsallianz, an ber
fih auch Neapel betheiligte.e So konnte (1471) der tapfere
und bewährte Pietro Mocenigo 85 Kriegsſchiffe unter feinen
Befehlen verjammeln. Doc gewannen die VBenetianer immer
nur zur See einige Vortheile. Mochten die Offiziere der
Republif jetzt immerhin in den ihnen noch gebliebenen Theilen
des Peloponnes, wo fie jet gegenüber 60 türkiſchen feften
Plägen nur noch achtzehn Schlöffer behaupteten, griechiſche
Milizen (Armatolen) bilden und venfelben gleichen Rang
mit den italtenijchen Truppen verleihen, fo blieb man auf dieſer
Halbinfel immer nur auf einige Streifzüge befchräntt, die man
aus den Ningmauern ver Feitungen und von den lafontichen
Gebirgen herab gegen die osmaniſchen Beſitzungen verjuchte.
Dagegen vermochte Mocenigo allervings durch feine See-
züge bie übrigen Befigungen der Nepublit in der Levante zu
retten und zugleich den Osmanen manchen empfindlichen Schlag
beizubringen. Nur daß damals, wie noch fpäter bis zu ber
Morofiniihen Verheerung des atheniſchen Bartbenon, nur
allzuviele dieſer glüclichen Vorftöße der Venetianer und anderer
Abenbländer, mit Einfchluß zahlreicher Eorfarenfahrten, den
größten Schaden immer der griechiſchen Küſten—
bevölkerung in dem Bereiche des osmantichen Reiches thaten,
die dadurch allmählich materiell immer tiefer heruntergefommen
it. So freuzte Mocenigo feit 1471 im ägäiſchen umd im
pamphyliſchen Deere, eroberte und zerftörte 1472 nad
beftigem Kampfe mit einer türkiichen Heerichaar die Stabt
CB. J. K. J. 1. Venetianiſche und albanefifche Kämpfe mit ber Pforte.
Smhrna und plünderte das afiatifche Geftabe gegenüber ber
Infel Chios, bis nordwärts nach Attalia. Unb 1473 ver
mochte der kühne Steiltaner Antonio ſogar das Zeughaus von
Gallipoli mit allen daſelbſt aufgebäuften Vorräthen durch Feuer
zu zeritören, fand dabet freilich ſammt jeinem Begleitern felbft
den Zob.
Aber mit dem Iahre 1474, wo der Seeheld Mocenigo
nach der Heimath zurückkehrte, um dann zum Dogen erhoben
zu werden, nahm Mohammed II den Krieg in Europa in
großem Styhle wieder auf, und zwar berart daß die Wagichale
der Venetianer bald immer höher emtporgeichnellt wurde. Die
Hauptlämpfe wurden jest in Albanien ausgefochten, wo im
Mai 1474 der türkiiche Beglerbeg Suleiman⸗-Paſcha, ein
bosmifcher Renegat, die Angriffe gegen das durch Antonio
Loredano vertbeidigte Skutari eröffnete. Glücklicherweiſe
hatte die Republik jetzt die Freundſchaft der Mailänder und
Florentiner gewonnen, auch die alten Beziehungen zu Montenegro
wieder feſter geknüpft. Nun konnte der heldenmüthige Loredano
die Stadt Skutari mit ſolcher Ausdauer vertheidigen, daß die
Osmanen endlich im Auguſt ruhmlos abziehen mußten. Auch
Kroja verleibte die Republik ihren albaneſiſchen Beſitzungen
damals förmlich ein. Pauſirte der große Krieg im Jahre
1476, wo der Sultan die genueſiſchen Colonien von Kaffa
bis Tana erobern und ruiniren und die Krim annektiren
ließ, — wo ferner die Naubzüge einer osmantichen Flotte m
Archipel die bisher von einem Zweige ber in Chios berrichenben
maonefiichen Giuſtiniani regierte Injel Ikaria zum Anſchluß
. an die Ritter von Rhodos beitimmten, fo fahen die Venetianer
dafür 1476 wieder ihr Gebiet ſtärker bedroht: Koron und Modon
Durch die Osmanen in Morea, Xepanto durch ein Eomplott
innerbalb der Mauern diefer Stadt, und Kroja durch Das
Vorgehen ver türkichen Krieger gegen dieſes Bollwerl. Und
mit dem Jahre 1477 ging ber Sultan immer wuchtiger auf
fein Ziel los. Ein osmaniſches Heer unter Suleiman⸗Paſcha
wälzte ſich unter furchtbaren Verheerungen gegen Xepanto
und gegen bes venetianifchen Elienten Leonar do HI. Zocco
Friedenoſchluß (1479) zwiſchen Wenebig und der Pforte 7
Inſel Lenkadia. Gelang es bier dem tapferen Helden. Antonio
Loredano, die Feinde abzuwehren, ſo plünderten nicht nur
130 türkiſche Schiffe im Sommer deſſelben Jahres auf Chios
und Naxos, ſondern osmaniſche Truppen brachen ſogar im
Italien auf dem Landwege ein und verwüſteten in ben Fluß⸗
gebieten des Tagliamento und der Piave alles Laub mit Feuer
und Schwert, bis bie Republik ſich der Räuber mit Aufgebot
ver letzten Kraft erwehrte. Den Hauptſtoß aber richtete ver
Sandſchak non AWbanten, Ahmedbeg, gegen Kroja. Nun
wurde zwar. ber Bier commandirende Venetianer Pietro Vetturi
uch Francesco Contarini von Skutari ber entiegt; aber auf
dem Rückmarſche fanb der letztere durch einen Hinterhalt feinen
jühen Untergang. Und mn brach pas Jahr 1478 Venedigs
Energie im Widerftande. Denn jet wandte fich die türkiſche
Flotte nicht bloß raubend gegen bie Inſeln der Johanniter,
verheerte namentlich Kalymnos, Leros und Nilpros, fondern
ihre wilden Banden erjchtenen auch abermals verwüſtend am
Yonze, und in Albanien trugen die Heere der Pforte es
endlich davon. Kroja mußte am 15. Juli Tapituliven; bie
Stadt wurde jegt in das türkiſche Bollwerk Akhiſſar ver-
wandelt, — den Einwohnern, die freien Abzug erhalten
ſollten, wurbe bie Capitulation felbjtverftändlich nicht gehalten.
Während dann bie übrigen albamefiichen Schlöffer raſch nach
einander fielen, concentrirte fich alle Kraft des Sultans wie
der Republik auf die erneute Belagerung von Skutari, wo
der Stand der Dinge mit jeder Wache für Venedig hoffnungs-
Iojer wurde.
Da nun die Republit der Pforte zur Zeit völlig iſolirt
gegenüberftann; ba ihr Handel und ihre öffentlichen Einkünfte
arg gefchmälert waren, und nun auch noch eine Senche bie
Hamptitabt jelbft heimmfuchte, jo entihloß fich Benedig zu
einem ſchmählichen und verluftuollen Frieden, der enblich am
25. Januar 1479 zu Conftantinopel gejchloffen wurbe.
Venedig mußte fich entichließen, nun auch Skutari zu räumen
und bebieft in Albanten nur Durazo und Antivari, in
Mittelgriechenland nur noch Lepanto, währen ber Herzog
8: 8.1. 8.1 1. Mobammeb II. greift 1480 Rhodos vergeblich an.
von Leukadia der Willlür der Pforte preißgegeben wurbe. In
Morea warb nun auch die Maina abgetreten, und in dem
ägätichen Meere die Inſel Lemnos, während das Herzogthum
Naxos mit in den Frieden eingeichloffen wurde. Die Ein-
wohner von Skutari find fpäter auf Kypros angeftevelt worden.
Für die in dem osmaniſchen Reiche verkehrenden Kaufleute und
die zolffreie Ein» und Ausfuhr ihrer Waaren follte Die Republik
der Pforte die jährliche Abgabe von 10,000 Dukaten bezahlen,
ein venetianticher Bailo in Stambul gebulvet werben. In
bem Archipel behauptete Venebig namentlich die Infeln Tinos
und Mylonos, die feit 1472 dem Duca von Kreta zugeiviefen
waren, und — bis 1718 im Beſitze der Republik geblieben —
vorzugsweile italienischen Zypus angenommen haben. Wegen.
der Grenzen der bei Venedig verbleibenden peloponnefiicher
Teftungen Nauplion, Monembafia, Koron und Modon mit.
Zonklon wurde noch eine nähere Regulirung vorbehalten.
Die türkiſchen Waffen rubten aber auch nach dieſem
neuen großen Erfolge noch nicht. Vielmehr knüpften fih an
diefen venetianiichen Krieg unmittelbar noch einige weitere
Vorſtöße der osmaniſchen Politik. Einerſeits nemlich wollte
der Padiſchah ſich an den chiotiſchen Maoneſen dafür rächen,
weil dieſelben während des jetzt endlich abgeſchloſſenen Krieges
aus alter Freundſchaft gegen die Venetianer denſelben ſtets
rechtzeitige Nachricht von den Rüſtungen der Osmanen ge⸗
geben hatten. Daher warf ſich im Sommer 1479 eine
gewaltige türkiſche Flotte auf die ſchöne Inſel, verübte die
ſchrecklichſten Verheerungen und ſchleppte mehr als tauſend
Chioten als Sklaven fort. Als daher im folgenden Jahre
1480 die Osmanen gegen Rhodos auszogen, kauften die
Giuſtiniani von Chios ihre Inſel durch Zahlung von 10,000
Goldſtücken von einer neuen Plünderung frei. Es gelang
ihnen dieſes aber um ſo eher, weil der Sultan eben damals
ſeine volle Kraft gegen den verhaßten Staat der chriſtlichen
Ritter auf den Inſeln an Kleinaſiens Südweſtecke richten
wollte. Mohammed IL. Hatte 160 größere und kleinere
Tahrzeuge aufgeboten und ein Landheer von 100,000 Mann
Die Türken erobern 1479 die Infeln bes Leonarbo III. Tocco. 9
nah der kariſch⸗lykiſchen Küfte marjchiren laffen. Aber vie
unüberwindliche Ausdauer, Tapferkeit und Eriegeriiche Gewandt⸗
beit des Großmeiſters Pierre d'Aubuſſon widerſtand allen,
buch eine furchtbare Artillerie unterftätten Angriffen, welche
der osmaniſche Feldherr Meſih⸗Paſcha mit feiner gewaltigen
Übermacht feit dem Frühjahr 1480 gegen bie Hauptſtadt ber
Nitter auf Rhodos verſuchte. Nachdem ihm auch der große
Sturm am 28. Juli mißlungen war, mußte ver türkijche
Heerführer fieglos nach Stambul zurückkehren.
Slüclicher waren dagegen bie Osmanen im griechtichen
Veiten gewejen. Gleih nach Abjchluß bes Friedens mit
Benedig nemlich follte auch der letzte fränfiiche Dynaſt auf
griehiichem Boden niebergeworfen werden, nemlich der Herzog
von Leufadia. Leonardo II. Tocco hatte zu ſolchem Vor-
geben dem Sultan nad mehreren Seiten bin ausreichende
Handhaben geboten. Der ihm von der Pforte auferlegte jähr-
lihe Tribut von 4000 Dukaten und das Ehrengeſchenk für
türkiche Sandſchaks, die in Joannina oder Arta erjchienen,
waren neuerdings von ihm nicht mehr gezahlt worben, und
feine Stellung zu Venedig batte der Pforte ebenfalls nicht
gefallen. Seht, wo bie jchwer bevrängte Republik e8 verab-
ſäumt batte, ihn mit in den Schutz des Vertrages von
Stambul aufzunehmen, beichloß der Sultan raſch zuzugreifen.
Kedük-Ahmed, der Paſcha von Vallona, mußte im Sommer
1479 mit 29 Kriegsichiffen gegen Herzog Leonardo III. zu
Felde ziehen. Ohne Mühe eroberte er Vonizza und Leukadia.
Auch Kephalenia mußte fich bald ergeben, und Zante fonnte
auch durch die wüthende Gegenwehr des tapferen Capitäng
Pietro del Broglio nicht gerettet werden. Das Schieljal der
Injeln war türkiſch: was nicht zu entlommen vermochte, um
ſich nah den venetianiſchen Befigungen in Morea zu retten,
wurde zum ‘Theil nievergemeßelt, zum Theil in die Sklaverei
nach den Inſeln der Bropontis abgeführt.
Leonardo II, deſſen Sturz wegen jeiner tyranntichen
Herrichaft bei feinem Volle wenig Bebauern erwect hatte,
war mit feiner Familie zuerjt nach Neapel, dann nad Rom
% Bud I Kap. J. 1. Otranto. Unruhen (1480) im Taygetos.
geflüchtet, wo ihm die Curie ein Jahrgehalt von 2000 Dufaten
ausſetzte. Aber ſelbſt Italien fchien wicht länger vor den
Dömanen ficher bleiben zu jollen, vie fich jegt anſchickten, die
Erbſchaft der alten buzantiniichen Kaiſer auch in Unteritalien
einzuzieben. Denn der Paſcha Kedük⸗Ahmed überjchritt im
folgenden Jahre mit feiner Flotte das ioniſche Meer, erftürmte
(26. Juli 1480) Otranto und verübte hier die Durch
Mohammed II. feinen Kriegern jetzt obligatoriich gemachten
blutigen Infamien, um dam weithin das Gebiet von Brindiſi,
Lecce und Tarent zu verwülten. Die Wechielfülle des Krieges,
ben jet König Werrante (Ferdinand) von Neapel gegen bie
Pforte verjuhen mußte, famen nur den VBenetianern zu
Gute, die zur Zeit, auch abgefeben von ihrer alten Gegner-
ichaft zu Neapel, im bitteren Groll über die Unthätigleit des
Abenplandes während ihres legten Krieges, nur die berbfte
Nützlichkeitspolitik gegenüber ver Pforte fultivirten. Allerdings
wurden fie jchon im Jahre 1480 durch Suleiman, dem
osmanischen Sandichat von Morea, wieder mit neuen Gewalt
thätigfeiten bedroht, weil die abſchließende Grenzregulirung
(S. 8) bier feine Fortfchritte machte. Es handelte fich
babet namentlich um das feite Schloß Ther miſi bei Nauplion,
um bie bort beſtehenden Salinen, um die in Nauplior
geborgenen ſchlypetariſchen Flüchtlinge aus Damala und Pha—⸗
narion; ferner um Abertofajtron und Vatika, welche Plätze
Mohammed II. als Depenvenzen des ehemaligen Despotates
Miſithra für fich in Anipruch nahm. Darüber aber empörten
fih, aufgeregt durch den mit feinen Leuten aus Koron aus
gerücdten Armatolenkapitän Korkodeilos Kladas, die Slawen
und Griechen um Tayhgetos (im Herbft 1480), hieben weit
und breit auf beiden Seiten des Gebirges alle Türken nieber,
gewannen 29 Gaftelle und brobten, nunmehr ven König
Ferdinand von Neapel als König von Morea zu proflamiren,
dem fie gegen DVenetianer ımd Osmanen ihre Hand bieten
wollten: das erſte felbjtändige Auftreten des aus Slawen und
Hellenen als kraftvolles Miſchvolk zuſammengewachſenen neuer
Stammes der Maniaten der neueren Geſchichte. Unter
Benebig befetzt Zante. Bajeſid II. (1481 — 1512). 11
tiefen Umständen näberten fich Venetimer und Osmanen
einander, und im April 1481 wurbe ber Friedensvertrag
von Conſtantinopel erneuert und das ftreitige Gebiet ber
Republik belaffen. Die Türken hatten mit Übermacht und
wüften Greueln bie Maniaten wieder überwältigt. Kladas
wor im April 1481 auf neapolitaniichen Schiffen nach Neapel
entfommen!). ALS nachher nach Venedig die Kunde kam, daß
des vertriebenen Herzogs Leonardo IN. Bruder Antonto
Toceo in demfelben Jahre 1481 mit neapolitanifcher Unter-
füsımg und Hilfe Tatalantfcher Söloner die Infeln Zante
wid Kephalenia wieder erobert und die osmaniſche Beſatzung
vertrieben batte, da reizte biefer Gewinn nur die Eiferjucht
der Republik. Sie machte von diefen Dingen im April 1481
ver Pforte Anzeige und ließ, kurz entichloffen, Zante durch
ihre meſſeniſchen Caſtellane in Beſitz nehmen ?).
Ein erträgliches Verhältniß zwiſchen Venedig und der Pforte
wurde jetzt aber um ſo eher möglich, weil der furchtbare
Würger Mohammed IL, mitten unter gewaltigen Rüſtungen
zu emem neuen Rhodiſchen Feldzuge, zur Freude aller Welt
endlich am 3. Mai 1481 im Feldlager bei dem Heinafintiichen
Gebiſe, nur erft 52 Jahre alt, an einer Krankheit ftarb.
Der neue Sultan, Bajefib I. (1481 — 1512), ber des
bintigen Baters zerichmetternde Kraft nicht geerbt hatte um
gleich nach feiner Thronbeiteigung erit noch einen Thronkrieg
in Afien mit jenem Bruder Dſchem zu beftehen fich genöthigt
fah, konnte nicht hindern, daß die Nenpolitaner fofort (Mai
1481) die Stadt Dtranto wieber eroberten, wo fie num
ihrerſeits Der osmaniſchen Beſatzung die Kapitulation nicht hielten,
fondern biejelben großentgeild zu Ruderſklaven machten. Weil
Bajefto aber auch perfönlich ein Mann von friedlicher Sinnesart
war, fo trat er fofort zu Venedig in die beften Verhält—⸗
niſſe; mit der Republik wurden am 12. Januar 1482 neme
Verträge gejchloffen, die namentlich ihrem Handel jehr zu Gute
1) Sathas, "EAAds Toupxoxparoup£vn, P. 37 qq.
2) Bol. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 161.
12 Buch I. Kap. I 1. Prinz Dſchem. Kephalenia. Zante.
famen. Und als Brinz Dſchem endlich zu den Yohannitern
nah Rhodos fich begab, fchloß der Sultan im Mai 1483
mit dem Orben einen Frieden ab, in Folge deſſen Dſchem ber
Obhut, oder vielmehr der Gefangenſchaft bes Großmeifterg
anvertraut wurde. Erſt als verjchievene Befreiungsverjuche
bem Orben die Bewachung des Prinzen zu jchwer machten,
ließ ihn der Großmeifter (1489) nad) Rom führen, wo Dichem
als Gefarigener der Curie lebte, bis ihn enplich unter dem
Drängen von Stambul her bei dem romantiichen, in lebter
Linie der Levante geltenden, Teldzuge des Königs Karl VII.
von Frankreich nad) Italien das Gift des Pabſtes Alerander VI.
tödtete, an weldem der Prinz am 24. Februar 1495 zu
Neapel ſtarb.
Die Gefahr, welche in Dſchems Exiſtenz unter den Franken
bis zu ſeinem Ende der Pforte drohte, hielt auch ihrerſeits
das Schwert des Sultans dauernd in der Scheide zurück.
Darüber kam namentlich Venedigs Macht auf griechiſchem
Inſelterrain allmählich wieder empor. Jener Antonio Tocco
hatte ſeine neue Stellung auf Kephalenia arg gemißbraucht.
Aus der Inſel wurde ein Piratenneſt; der Prinz übte gegen
Chriſten wie gegen Osmanen Raub, Gewaltthat und Mord.
Als über dieſes Treiben durch Theodor Paläologos aus
Kephalenia im Februar 1483 bittere Klagen nach Venedig
getragen wurden, beſchloß die Republik, hier einzuſchreiten.
Zehn Kriegsſchiffe erſchienen vor der Inſel. Nun erhob ſich
das Volk im April 1483 gegen Antonio und tödtete ihn im
offenen Kampfe, die Venetianer aber nahmen die Inſel in
Beſitz. Darüber grollte nun freilich der junge Sultan. In⸗
deſſen, die venetianiſche Diplomatie arbeitete in Stambul mit
ſolcher Geſchicklichkeit, daß wenigſtens der Verſuch des Hauſes
Tocco, gegen erhöhten Tribut die Inſeln von der Pforte
zurückzugewinnen, ſcheiterte. Venedig angehend, ſo entſchloß
ſich der Sultan nur dazu, durch abſchließenden Vertrag vom
April 1485 die Inſel Zante gegen einen jährlichen Tribut
von 500 Dukaten abzutreten. Kephalenia mußte dagegen der
Pforte zurückgegeben werden, der es die Republik erſt nachher
Kypros fällt 1489 an Venedig. 13
im Sabre 1503 abgewonnen bat!) Da bie Venetianer für
Zante und die meſſeniſchen Städte ihren Zribut pünktlich
zablten, jo gab es Bajeſid II. auch zu, daß die Republik ihre
levantinifche Stellung wieder gewaltig ſtärkte, indem fie 1489
durch die Erwerbung des Königreiches Kypros aus der Hand
ber venetianischen Yürftin Katharina Cornaro, der kinderloſen
Wittwe, reichen Eriag für das verlorene Nesroponte
fand.
Die aus Griechenland vertriebene Dynaſtie der Tocco
ſetzte ihr Titularprätendententhum noch bis gegen Ende des
ſiebzehnten Jahrhunderts fort und trat, in der Perſon des erſt
gegen 1499 verſtorbenen Leonardo III. mit neapolitaniſchen
Lehen reichlich ausgeſtattet, wieder in die Reihen des neapoli-
taniſchen Adels zurück, aus denen ſie einſt hervorgegangen war 2).
Die Schkypetaren aber in Albanien, die der Hauptſache
nach bis tief hinein in das ſiebzehnte Jahrhundert in Maſſe
bei der chriſtlichen Religion verharrten, entziehen ſich unjerer
Betrachtung nunmehr für lange Zeit.
II.
Sultan Bajeſid II. hatte trotz ſeiner verhältnißmäßig
friedlichen Politif doch. immer auf der Nordgrenze feines
Reiches die alte Gegnerichaft gegen Rumänen, Magyharen und
Südſlawen im Auge behalten, und nach einer Türzeren Zeit
magyarifch-Eroatiicher Kämpfe (1492 — 1495) auch über die
Moldau (1497) feine Herrichaft ausgedehnt, dabei zugleich den
Polen fehr beveutenden Schaden zugefügt. Hatte der phan«
taftiiche Plan des franzöfiichen Könige Karl VIII., feinen
Abenteurerzug nach Neapel (1494 und 1495) in meiterem
Derlaufe noch zu einem neuen, auf Sturz der Pforte und
Herftellung eines griechiſch⸗fränkiſchen Reiches (vgl. Bd. II, S. 578)
gerichteten Kreuzzuge zu erweitern, mit dem rajchen Niedergange
D Sopfa a. O. ©. 161 u. 166.
2) Ebend. S. 162 und „Chroniques greco-romanes “, p. 530.
14 Buch J. Kap. J. 2. Krieg feit 1499 gwifchen ber Pforte und Venebig.
der neuen franzöjiichen Herrlichkeit in Italien fein ſchnelles
Ende erreicht: jo Enüpfte fih an die molbautich - polnischen
Vorſtöße der Osmanen dagegen jehr bald die Bildung einer
Eoalition gegen die Pforte, bei welcher Ungarn und Polen
mit Litthauen im Vordergrunde, England und Frankreich im
Hintertreffen ftanden. Ernitlich ins Gefecht Tamen aber außer
den Magyaren nur die Venetianer, bie mit Gelb und
biplomatifchen Künfter (1500) fich namentlich den Magharen
näberten, weil zur Beit zwifchen ihnen umd der Pforte wieder
ein Krieg ausgebrochen war, der ihren griechiſchen Beſitz⸗
ſtand erheblich ſchmälerte.
Der Tod Dſchems (S. 12) hatte die Lage Der Pforte
natürlich ſehr erleichtert. Nun gab man in Stumbul mebr-
fah dem unmahren Gerüchte Gehör, als Habe die Republik
Karls VII. türfenfeinpliche Pläne gefördert. Seit 1497 hatte
es .ernitliche Reibungen zwiichen Venedig und dem Paſcha von
Skutari gegeben, die im Jahre 1498 auf anderen Punkten
fich fortjegten, während bereits die Forts bei Lepanto armirt
wurden. Luigi Giorgio hatte auf ein türkiſches Schiff gefeuert;
noh mehr, bei Nauplion wurden 500 Osmanen durch
200 jchfupetariiche ,, Strabtoten ’ ver Republik nieberge-
bauen.
Da Bajefids I. Sühneforberungen nicht erfüllt wurden,
jo rüftete er ein großes Heer und eine jtarle Flotte gegen bie
griechiichen Beftgungen der Venetianer aus. Schon 1498
verheerte der Corſar Kamoghi bie Infeln des ägätichen Meeres.
Im Jahre 1499 aber führte der Beglerbeg von Rumelien
das Landheer gegen Lepanto, wo er am 22. Juli erichten.
Der Kapudanpaſcha Daũud bagegen griff bie venetianiiche Flotte
in der Nähe von Modon bei der Inſel Sapienza an und
ſchlug (28. Juli) den Admiral Antonio Grimani. Die Ver⸗
wüjtung von Zante und das Vorbringen der osmantjchen
Flotte nah Lepanto war nicht aufzuhalten, der Fall dieſer
Feſtung (26. Auguft) Tieß nicht lange auf fih warten. Es
fam dazu, daß die Osmanen auch Dalmatien verheerten und
bis zum Zagliamento vorbrangen. Gern hätte Die Republik
Venedig verliert Lepanto umb Meſſenien, gewinnt Kephalenia. 5
nun mit ber Pforte Frieden geichloffen; aber die Forderung
des Sultans, Nauplion, Koron und Modon abzutreten, konnte
ohne Kampf nicht genehmigt werden. Venedig rüftete aljv
noch einmal mit voller Energie; leiver auch Diesmal vergeblich.
Am 17. April 1500 309 Bajeſid II. perjänlich mit dem
Beglerbeg Stnäan-Paida nah Morea und griff Modon und
das benachbarte Schloß Rampano mit wüthender Energie an.
Bährend einer -Zeit von fünfundvierzig Tagen fchlugen fich
beite Gegner zu Wafler und zu Lande mit furcdhtbarer Er-
bitterang. Endlich am 10. Auguſt gelang es den Janitſcharen,
Modon mit Sturm zu nehmen. Die Bürger ftedten bie
Stadt jelbft in Brand. Der lebte venetianifche Provebitore
Antenio Zentani fiel im Kampfe. Der Biſchof der Stadt
and mehr als ber dritte Theil der Einwohner wurden er-
ſchlagen. Der Sultan gebot nachher, die veröbete Stadt
wieber zu bevällern; jede größere Gemeinde der peloponneftichen
Halbinſel follte je fünf Familien zur Bildung der neuen
DBürgerichaft abgeben. Am 15. Auguft kapitulirte dann auch
Zonklon (Navarinon), und Koron folgte fofort dieſem
Beiſpiele. War e8 dem Sultan alfo gelungen, die älteften
Eolonien der Benetianer in Griehenland an ſich zu
reißen, jo mißglüdte dagegen ein Verſuch auf Nauplion.
Mehr aber, der auf Grimani's Nachfolger Treviſani nunmehr
folgende venetianiiche Generalkapitän Benedikt Peſaro verfolgte
von Bante aus mit Glück die nach den Darbanellen zurüd-
kehrende Flotte bes Sultans, ließ durch feine griechiichen Reiter
(Stradioten) in Kleinafien, auf Tenedos und Lesbos plündern,
gewann Das bereitd verlorene Aegina zurüd, und vermochte
ſogar mit ſpaniſcher und neapolitanifcher Hilfe die Iniel
Kepbalenta zu erobern. Damit war mwerigftend ein neuer
Stützpunkt für die Republik im ioniichen Meere gewonnen:
Außerdem aber. fievelten die Venetianer in der veröbeten Infel
die griechiichen Flüchtlinge aus Lepanto und dem bisher
italieniſchen Meffenien in Maffen an. Andererſeits ift Das
bisher griechiſche Megara in dem weiteren Berlaufe bes
Krieges als ein Hauptplag türkiiher Magazine von ber
16 B. J. 8.L 2. Friedensſchluß (1503) zwiſchen Venebig und ber Pforte.
venetianiſchen Flotte ſchwer heimgefucht, in feinem Wohlftanbe
für immer erjchüttert, und ſeitdem der albanefiichen Beſiedelung
eröffnet worden.
Bedeutendes vermochten aber die Venetianer doch nicht
mehr auszurichten. Ihre guten Beziehungen zu Spanien und
Rhodos, ihre (13. Mai 1501) mit Rom und Ungarn formell
abgefchloffene Allianz, und andere biplomatiiche Arbeiten im
Abendlande vermochten ihre Macht doch nicht ausreichend zu
jtärfen, um auch 1501 Größeres zu erzielen. Die momen-
tane Wiedergeivinnung von Zonklon, vergebliche Angriffe auf
Lesbos, auf Eubda, der Verluft von Durazzo, und wieder
(26. April 1502) der Verluft von Butrinto und (30. Auguft
- 1502) die Eroberung von Leukadia durch Venedig, bezeichnen
ben weiteren Gang. Inzwiſchen hatten einerjeitS der Drud
der transdanubiichen Allianz und anbererjeits birefte Unter-
handlungen Venedigs mit der Pforte den Sultan zum Frieden
geneigter gemacht. Der magyariſche Friedensſchluß vom 20. Auguft
1503 fam auch der Republif zu Gute, die ihren Vertrag mit
Bajeſid II. endlich am 6. Oktober dieſes Jahres endgiltig ab⸗
ſchloß. Freilich mußte fie auf Durazzo und Xepanto, wie auch
auf Mefjenien verzichten, behielt aber die Injeln im ägätichen
Meere und Zante mit Kephalenta, während Leukadia,
deilen Einwohner nach Ithaka überfiebelten, im Jahre 1504
zurücgegeben wurde ?).
Seit diefer neuen fühlbaren Abſchwächung der vene-
tianiſchen Machtitellung war in der Levante für längere
Sabre Ruhe, die nur durch die immer wiederkehrende
Piraterie des muhammedaniſchen wie des abendlänbifchen
Corſarenthums unterbrochen wurde. Die beiden Mächte, unter
deren Reibung das griechifche Volk zeritampft wurde und
verarmte, Venedig und die Pforte, waren anderweitig beichäftigt.
Für die Republik der Lagunen begann die harte Zeit, wo bie
1) ®al. Finlay, Greece under othoman and venetian domination,
p. 76. Hopf, Griehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©.167f. Sathas
1. c. p. 59—72.
Sultan Selim II. (1511 — 1520). 17
Entvedung der transatlantiichen Erdtheile und die Verlegung
ver Wege des Welthandels nad dem atlantifchen Ocean Tang-
fam aber unrettbar die merlantilen Quellen ihres Neich-
thums und ihrer Kraft verfiegen Tiefen. Ganz unmittel-
har aber drüdte auf den durch die Tevantiniihe Fehde er-
ſchöpften Staat, der jeit 1482 wieder verjucht hatte, für bie
griechiſhen Verluſte in Italien fich zu entichädigen, ber ſchwere
Krieg mit der fogenannten Liga von Cambray (1509— 1516),
alſo mit der Allianz, welche der Pabſt, Frankreich, Kaifer
Marimilian I. von Deutjchland, und Spanien gegen Venedig
geihloffen hatten, und die daran weiter fich knüpfenden itafie-
nichen blutigen Kämpfe. Sultan Bajeſid II. dagegen ſah
auf der Oftgrenze feines Reiches in dem perfiichen Schahinichah
mail, dem Gründer der Sſofi⸗Dynaſtie, der ſich als Uſun⸗
hafans Nachfolger fühlte, einen neuen gefährlichen Feind für
die Pforte emporwachien. Als dann jchließlich 1511/12 fein
jüngerer Sohn Selim I. mit Hilfe ber Ianiticharen ben
Vater zur Abdankung genöthigt hatte und Bajefid am 26. Mat
1512 geftorben war, zeigte ſich Selim, den zunächft blutige
Kämpfe mit feinen Brüdern in Anſpruch nahmen, ſehr bereit,
die guten Beziehungen zu Venedig fortzufegen. Später aber
war er viel zu fehr mit feinen perjiichen und ägyptiſchen
deldzügen beichäftigt, um die Venetianer beläftigen zu wollen.
Auh als Selim, an kriegeriichem Ungeftüm und Glüd, aber
ah an Beutegier, Graufamkeit und PVernichtungswuth ber
ehte Enkel des gräßlihen Mohammed II., im Spätfommer
1517 feine orientalifchen Feldzüge fiegreich beendigt Hatte, galt
fein Sinmen nicht einem Kriege mit dem italieniſchen Abend»
lande, fondern der endlichen Vernichtung ber heldenmüthigen
Johanniter auf Rhodos, deren Eriftenz mitten in dem
maritimen Centrum des osmantichen Reiches den Sultanen
allmählich immer unerträglicher erichten. Nicht Davon zu reden,
daß die Art der Kriegführung der Nitter (wie im Yalle
günftiger Erfolge auch die der Venetianer) völlig nach Art der
Türken in Griechenland und in den übrigen Seiten Ländern
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. TIL.
18. Buch I. Kap. IL 2. Suleiman II. der „Prächtige” (1520— 1566).
ſehr wejentlich auf Abführung. mafjenhafter türkiicher Gefangenen
als Sklaven gerichtet war.
Solche Erwägungen und die Klagen: ber türftfchen Raufleute
über ‘die empfindliche Störung des Handels zwifchen Stambul.
und dem. Delta des Nil, der Aſiaten über. die Raubzüge der
Ritter und der griechiichen Corſaren auf ihren Injeln, veran⸗
Yaßten enplich den Sultan Selim I., große Rüftungen gegen
bie Rhodiſer anzuftellen. Als aber biefer Machthaber am
21. September. 1520 in dem Lager zu Tſchorli (Zzurulon)
an der Belt ftarb, fiel: die Herrichaft feinem fünfundzwanzig-
jährigen Sohne Suleiman (IL) „dem Prächtigen‘ zu
(1520— 1566); einem jungen, Manne, der zwar nicht ben
Blutdurſt feines: Water tbeilte, aber an Kriegs⸗ und
Eroberungsluft den gewaltigiten feiner Vorgänger gleichlam,
und zugleih neben anderen großen Eigenſchaften als ein
Staatsmann erften Ranges auftrat. Und dieſem follte nur
allzubald auch Rhodos zufallen. Sp ſchwach Benedig zur
Zeit. auch war, der neue Sultan. wollte bei ſeinen Plänen.
gegen: die Magharen und die Johanniter durch die Flotte Der
Republik nicht gehindert werben: Daher wurbe ſofort ver
freundichaftlichite Verfehr angelnüpft, dann auch am 11. ‘Des
zember 1521 ver alte Vertrag erneuert, der den Handel und
Beſitzſtand der Venetianer in Griechenland und den des Hauſes
Eriipo von Naxos garantirte; ald Tribut zahlte die Republik
andauernd für Zante 500 und für Kypros 10,000 Dukaten.
Auch wurden manche Erleichterungen für den Handel gewährt
und ein Zuſammenwirken gegen die levantiniiche Piratenwirtbichaft
in Ausficht genommen. Darüber hatte Venedig ruhig zugeſehen,
wie Suleiman im Jahre 1521 durch Eroberung der magha⸗
rischen Süpfeftungen, namentlich Belgrabs, die Thore Ungarns
erbrochen. Und man ſah wetter ruhig zu, als num der große
Krieg gegen Rhodos ausbrah, und im Mai 1522
Muſtapha⸗Paſcha 300 Schiffe aus den Dardanellen, Suleiman
durch Kleinafien ein Heer von 100,000 Dann nad) der Inſel
ber, Ritter führte. Auf Rhodos, wo ber tapfere Großmeifter
Philipp de Billiers de "Isle Adam gegen die am
Die Osmanen erobern (1522) Rhodos. 19
24. Mat gelanveten Osmanen den Kampf beftand, entipann
fh nun ein furchtbarer Feftungsfrieg, in welchem bie Ausdauer
und die Übermacht des Sultans, der 100,000 Mann babei
verloren bat, endlich über den Heldenmuth der Nitter ben
Sieg davontrug. Als alle Werke unhaltbar geworben, jede
Ausfiht anf Entjag gefchwunden war, Tapitulirte der Groß—⸗
melter am 21. December 1522. Mit Rhodos fielen auch
die übrigen Inſeln des Nitterftaates und das Schloß Budrun
(®. I, ©. 444) in die Hände der Osmanen. Am 1. Ianuar
1523 räumten die Johanniter die Infel, um zunächſt nach
Kreta überzutreten. Den Griechen auf Rhodos wurde Sicherheit
ver Berfon, des Eigenthums, des Glaubens, dazu für fünf
Jahre Steuerfreiheit gewährt; auch follte Fein Rhodier zum
Corps der Janitſcharen gepreßt werben dürfen. Die Iebteren,
die fchon damals ſehr ſtark dahin meigten, Prätorianer-
Manieren zu entwideln, Tießen fich freilich jehr wider Sulei-
mans Willen fünf Tage nach der Übergabe einen rohen und
ſcheußlichen Einbruh in die Stadt zu Schulden kommen.
Zaujend griechiiche Familien wanderten von Rhodos nach
Kreta aus.
Seit diefer neuen Kataſtrophe wurde Griechenland für
nehrere Jahre den europäiſchen Intereſſen entrüdt, um fo
mehr, als die türkifchen Heere in den nächſten Jahren ihre
Waffen tief nach Ungarn hinein, endlich (1529) felbft bis vor
bie Thore von Wien trugen. Venedig wenigftens hielt fich völlig
ſtille. Und erft die DVerfuche des römiſch⸗ deutjchen Kaiſers
Karl V., durch feinen Aomiral, den berühmten genuefiichen
Seehelden Andreas Doria, wie auch der Johanniter, durch
Kämpfe im Mittelmeer die Türken für ihre Einfälle in die
Donanländer einigermaßen zu bezahlen, führten über ven
Peloponnes noch einmal großes Elend herauf. Es wieder.
holte fich Hier unter türkiicher Hoheit für das griechiiche Land
wieder das Schickſal, wie e8 die alter Hellenen zur Zeit der
Diadochen und wieder unter den Römern im legten Jahr⸗
hundert v. Chr. fo oft erfahren hatten. Der Kaiſer hatte
bereit8 1526, beziebentlich 1530, den aus Rhodos vertriebenen
2*
20 Bub IL Rap. I 2. Kämpfe der Iohanniter (1531) um Modon.
Johannitern die Injel Malta als neuen Sitz überwiefen; fie
ſollten nad) wie vor ihren Krieg gegen Osmanen und Corfaren
führen. Ihre jchon gegen das Jahr 1525 eingeleiteten, durch
eine: griechifche Partei und einige mißvergnügte Türken auf
Rhodos veranlaßten Verjuche, diefe Infel zurüdzugewinnen,
waren mißlungen. Im April 1529 Hatte die Pforte die
Kunde von dem Befteben einer Verſchwörung auf Rhodos
erlangt; viele Griechen und Moslims, die mit Recht oder
Unrecht für compromittirt galten, waren zur Rache getödtet
worden.
Nun aber faßten die Johanniter unter griechtfcher Anregung
den Plan, fich des durch die Osmanen ſehr ftarf befejtigten
Modon in Meifenten zu bemächtigen und bier wieder auf
helleniſchem Boden fich feſtzuſetzen. Es gelang in der Feftung
Einverjtändniffe zu gewinnen. As aber nah Tangiwierigen
Vorbereitungen ein Geſchwader der Johanniter von ſechs
Galeeren mit einigen Hunderten tüchtiger Krieger unter dem
Admiral Salviati, dem fi etwa vier kleinere Schiffe mit
einer Anzahl Griechen angejchloffen hatten, von Malta ber bei
Sapienza angelommen und in der Nacht vom 2. zum 3. Sep-
tember 1531 in den Befiß der meiften Werfe von Modon
und der Stadt jelbft gelangt war: da hielten es bie Truppen
der Ritter, anftatt die Ianitfeharen aus den letten Forts zu
vertreiben, für zeitgemäß, die Stadt zu plündern. Und als
num in aller Eile ein Theil der in der Nachbarichaft kantonirenden
osmaniihen Truppen, welche der Sandſchak von Morea zum
Zwed des Krieges in Ungarn für den Sultan gerüftet hatte,
zur Gegenwehr berbeieilte, räumte Salviati noch am ſpäten
Abend des 3. September die Stadt. Bald nachher aber
wurden auf Grund der nun zweifellos klar geworbenen
Zettelungen zwiſchen den Johannitern und den Griechen von
Rhodos der griechiihe Metropolit dieſer Inſel, Euthymios,
und mehrere der angeſehenſten Bürger von ben Türken hin
gerichtet ").
1) Sathas L. c. p. 89—102.
Kämpfe bes Andreas Doria (1532) auf und bei Moren. 21
Als nun aber im Jahre 1532 der Sultan drohend feine
Waffen wieder gegen Wien zu tragen fich anſchickte, Dabei aber
durch das Schloß Günz in Niever-Ungarn fich unerwartet zähe
aufgehalten ſah, ſchickte Kaiſer Karl V. den großen genueftjchen
Admiral Andreas Doria gegen bie türkifche Flotte aus;
dabei follte auch Griechenland angegriffen und leider
auch das griechich-albanefiiche Wolf des Südens zur Empörung
aufgeftachelt werden. Am 6. Auguſt 1532 fegelte Doria mit
80 Schiffen, mit denen fich ein päbftliches Geſchwader und bie
Saleeren der Johanniter vereinigten, nach den griechtichen
Gewäſſern ab. Während die Venetianer unter Vincenzo
Capello fih bei Zakynthos vorfichtig neutral bielten, die
Osmanen aber bei Eubda Freuzten, warf fich Dorian auf das
ſtark verſchanzte Koron. Die Griechen und Schkypetaren des
Peloponnes gerietben in gewaltige Bewegung. Dieſe wuchs,
als Doria ein furchtbares Bombardement gegen Koron eröff«
nete und endlich bet feinem vierten Sturme in die Stadt ein-
drang. Als auch ein Entjegungsverfuh von Mifithra ber
abgeichlagen war, übergaben die Zürfen von Koron am
22. September bie noch behaupteten Kaftelle, die nun von
dem fpaniichen Commandanten Mendoza mit 2000 Mann
bejegt wurden. Nun jegelte Doria norbwärts, bombarbirte
und eroberte Paträ, wo natürlich auch die griechiichen
Quartiere geplündert wurden, und nahm weiter auch die
Schlöffer der fogenannten Heinen Darbanellen (Rhion und
Antirrhion) ein. Das Volt aber in Morea griff jett
weit und breit zu den Waffen und megelte die Osmanen
nieder. Nur allzubald follten die Meuterer wieder von ver
rächenden Hand der Pforte getroffen worben. ‘Denn Doria,
ber noch weiter an der Nordküſte des Peloponnes bis Korinth
binaufgefahren war, mußte wegen bes Einbruch8 der fchlimmen
Jahreszeit nach Italien zurüdfehren. Und nun Tonnten bie
Osmanen an den Peloponnefiern ungehindert Rache nehmen,
viele tödten und noch viel mehre aus dem Lande vertreiben.
Und weiter jchiete der Sultan den Paſcha von Semendria
mit einem Landheere, den Nuftibeg dagegen im Frühling
2 Bud I. Kap. I 2. Khaireddin Barbaroffa.
1533 gegen Koron. Noch einmal nöthigte Doria's Er-
fcheinen die Osmanen zu Anfang Auguft von Diefer Stadt big
nach Andruſſa zurücdzumeichen. Aber der inzwiichen erfolgte
Friedensſchluß zwiichen Suleiman unb den Habsburgern machte
bie Lage der Spanier in Koron, bie gegen Räumung ber
Stadt proteftirten, haltlos. Als ihr neuer Führer Macika,
der fih in Vorſtößen nah Mefjenien und Lafonien verjuchte,
bei Andruſſa gefallen war, und bald nachher der Sultan den
als Eorfaren gefürchteten griechiichen Renegaten Khaireddin
Barbaroſſa, der bisher in tunefifchen Dienften ſich furchtbar
gemacht hatte, an die Spige feiner Flotte ftellte, mußte
Koron geräumt werben. 5000 Einwohner, großentheils
Schkypetaren, wanderten mit aus und zogen, noch vielfach
Durch Hunger und Seuchen decimirt, nach Neapel”). |
Einftweilen wurde nun Suleiman durch einen großen
Krieg mit Perfien beichäftigt. Als er aber im Januar
1536 fiegreich aus Oberafien nad) Stambul beimgefehrt war,
follte Karl V. für feine politifchen Beziehungen zu Perfien
geitraft werden. Es fam zur Allianz zwijchen der Pforte und
Frankreich, und bei der entichtebenen Tendenz des Sultans,
jegt den Kaifer des Abendlandes wejentlich zur See anzugreifen,
jollte in erjter Linie Benedigs Seemacht zertrümmert werben,
die im Falle einer Verbindung mit Andreas Doria den Os⸗
manen leicht gefährlich werben fonnte. Zum Schaden ber
Denetianer batten damals zweit einflußreiche Freunde der
Republik bei ber Pforte ihren Untergang gefunden. Khatrebbin
‚ und andere türkiſche Machthaber ftachelten den Groll bes
Sultans gegen die Republik, die man jet beſchuldigte, den
Kaiſer gegen die Pforte gehett zu haben. Nachdem bereits
zahlreiche Conflikte durch Piraterieen veranlaßt waren, brad)
Suleiman den Frieden mit Venedig endlich gewaltiam. Im
Sommer 1537 wurden alle Güter und Waaren der in dem
türkischen Neiche weilenden VBenetianer mit Beichlag belegt.
1) Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 169. Sathas
p. 102—110.
Krieg feit 1587 zwiſchen der Pforte und Venedig. 2
Dam aber zog der Sultan nah Epirus und fchlug zu
Ballona jein Hanptquartier auf. Nun mußte der Großwelfir
Ajas-Paſcha am 26. Auguft von Paramythia und der
Küſte bei Butrinto aus mit Hüfe der türkiſchen Flotte nach
Korfu überjegen. Der Angriff der Osmanen auf die Stabt
ſcheiterte an deren unüberwindblichen Werken nach zehn Tagen
vollftändig, und nach acht weiteren Tagen mußten fie die Injel
ganz räumen. Aber während biefer achtzehn Tage hatten ihre
Streifichnaren die infamften Verheerungen angerichtet, das
offene Land mit Teuer und Schwert veriwäftet, die Kirchen
zerftört, und viele Tauſende der Einwohner als Sklaven fort-
geihleppt 1).
Zur Rache wegen des Mißerfolges bei Korfu rie-
teten die Osmanen jest ihre Waffen und ihre Beftialität
gegen andere mittelbare und unmittelbare Befigungen ber
Republik. Damals erhielt Kaſimbeg, zur Zeit Sandſchak von
Morea, ven Befehl, (gegen Mitte September) fi ‚gegen
Nauplion und Monembafia zu wenden. Khaireddin aber
wandte fich über Paxos nach Parga und Prevefa, verwüſtete
Repbalenia, Zante und Cerigo, und eilte, als die
venetiantiche Flotte zum Schutze von Dalmatien und Korfu
auslief, nunmehr die venetianischen Injeln des ägäiſchen Meeres
mit 100 Segeln in jcheuklichiter Art heimzufuchen. Zuerſt
fiel da8 blühende Negina. Die Stadt wurde nach wüthender
Gegenwehr erftürmt und völlig zerſtört, Die Männer ermordet,
6000 Weiber und Kinder in die Sklaverei gefchleppt. Die
Inſel war noch lange nachher vollfommen menſchenleer;
erft viel ſpäter fiebelten fich wieder albanefiiche Bauern ar,
deren Abkömmlinge jetzt in dem fünlichen Theile wohnen; fie
bat fich bis heute nicht wieder von jener Heimfuchung erholt.
Dann kam die Weihe der Heimjuchung an die unmittelbar
venetiamifchen Inſeln Skyros und Patmos, ferner an
308, Therajia und Antiparos und andere Infeln, die
1) Finlay p. 83. Hopf, 8b. 86, ©. 170. Sathas p. 112
bis 118.
l
⸗
24 B. J. K. J. 2. Khaireddin verwüſtet 1537 die Inſeln bes Archipelagus.
damals dem Aleſſandro Piſani (geſtorben 1550) gehörten 2),
an Aftypaläa ?), deſſen letzte Herren Francesco II.
(geftorben 1554) und Nicold V. Quirint (geftorben 1616)
waren; und an Keos?®), welches damals Paolo und Luigi
Premarini in Gemeinjchaft mit Januli VI Gozzadini inne
hatten. Doc gelang es dem Paolo Premarini, im folgenden
Sabre die Inſel wieder an fich zu bringen. Tinos, welches
auch in die Hände der Osmanen fiel, wurde bald nachher von
Kreta aus wieder befreit. Dagegen griff Khairebbin nun auch
Naros an. Der armfelige Herzog Giovanni IV. Erifpo
(j. unten) mußte jeine Zuflucht in dem Kaftell Gimoglia fuchen.
Noch einmal gelang e8 (12. November), gegen einen Tribut
von 5000 Dufaten das Tägliche Herzogtfum zu behaupten.
Das hinderte aber nicht, daß die fchöne Inſel Naros greulich
verheert und aus berjelben für mehr denn 25,000 Dulaten
Beute fortgeichleppt wurde. Nun ging es nah Paros. Der
damalige Inhaber diefer Inſel (j. unten), Bernardo Sagrebo,
ſchlug fich tapfer, Hielt fich jelbit nach dem Verlufte von Aguſa
in der Burg Kefalo mehrere Zage mit Heldenmuth. Aus
Mangel an Munition mußte endlich Tapitulirt werden; Das
Leben vetteten bie Einwohner dadurch freilich, aber die Inſel
wurde greulich verheert und das Volk theils in die Sklaverei,
theils zur Drefiur für den Janitſcharendienſt fortgeführt;
(noch im December 1537). Während unter dem 1. Des
cember 1537 ber Herzog von Naxos einen berühmt gewordenen
Klagebrief an den Pabſt Paul II. und die Fürften ver
Chriſtenheit richtete, in welchem er für fih als „ven Nach»
fommen des Saluftius Criſpus“ Mitleid erflehte, zugleich eine
genaue Schilderung der Greuel der Osmanen gab °), war alfo
1) Bgl. bier auch Hopf in feinen „Veneto-byzantinifchen Analelten“,
©. 408—420.
2) Ebend. ©. 4771.
3) Ebend. ©. 451. .
4) Bol. Hopf, Gefhichte der Infel Andros, S. 125.
5) Bol. auch E. Curtius, Naxos, ©. 25f. |
Fortjegung biefer Raubzüge i. I. 1538. 2
auh Paros gefallen, und Venedig mochte nun zuieben, ob
und wie den Inſeln noch geholfen werden fonnte.
Der Winter gebot einftweilen weiteren NRaubfahrten ber
Osmanen Einhalt. Darüber fand die Nepublif Zeit zu
Unterbandlungen. Die SKriegspartei unter Antonio Cornaro
ſetzt e8 durch, daß mit Kaiſer Karl V. und mit Pabſt
Paul II. ein Schug- und Trutzbündniß gejchloffen wurde.
Eine ftarle Flotte unter dem Admiral Capello jollte fich mit
Andrea Doria vereinigen. Hilfstruppen wurben nah Nauplion
geihiett und Kafimbeg zur Aufhebung der Blokade genöthigt.
Aber auch das Jahr 1538 brachte den Benetianern nur
Unheil. Denn die Flotte des grimmen Khaireddin ſtach
bald genug wieder in See. Nun ſuchte Erujino II. von
Andros feine Infel durch einen Tribut von 35,000 Aspern
oder 1000 Dukaten zu fichern, den er alljährlich am 1. März
dem Bey von MNegroponte zu entrichten batte!). Andros
blieb num freilich geichügt, wie auch die dem Herzog von Naxos
gehörigen Injeln. Dagegen eroberte Khaireddin Skiathos,
wie auch Skopelos. Als Hier der tapfere Commandant
Girolamo Memo in fchändfiher Weife gegen den Willen
Khaireddins ermordet wurde, erlitt der Mörder wenigitens
eine harte Strafe. Dann aber wurde Seriphos dem
Zommajo Meichieli 2) entriffen, Tinos zur Zahlung von
jährlich 5000 Dukaten Tribut genötbigt, am 17. Yult aud
Cerigo wieder geplündert. Dann wandte ſich Khaireddin
gegen Kreta. War dieſe Infel (Bd. II, ©. 601) ſchon in dem
Kriege des Jahres 1469 durch Die Osmanen geplündert worden,
jo warf Khaireddin jegt bei Mylopotamo Truppen ans Land;
indeſſen fcheiterten feine Angriffe auf Rethimo. Dann landete
er wieder bet Suda, verheerte bie Umgegend und zerftörte den
Sleden Ampikorna. Dagegen fcheiterten die Verſuche, die
großen Pläge Kanea und Kandia zu erobern, an ber Tapfer⸗
1) Bel. Hopf, Gefhichte ver Infel Andros, S. 126ff.; „Griechenl.
im Mittelalter”, Bd. 86, ©. 170.
2) Bol. Hopf, Analelten, S. 440f.
6 8.1.8.1. 2. Venedig verkiert im Frieden 1540 Naupfion u. Monembafie.
feit der Venetianer vollſtändig )). Nun aber, eroberte Khair-
eddin die Infel Karpathos ?), jegelte nah Modon und
Ichiete fich an, der Flotte des Abendlandes zu begegrien, welche
Ende Auguft bei Korfu ſich fammelte und fich enblith
gegen das nunmehr von dem türfifchen Admiral mit 122
Segeln gedeckte Preveja wandte. Es war ein Unheil, daß
Dorian als Genueje nur wenig Interefje für einen Krieg zeigte,
der hauptlächlih zu Gunften der PVenetianer geführt wurde.
Die Seegefechte bei Prevera (Ende September) fielen zu Un⸗
gunften der Chriſten aus, und legtere mußten zujeben, wie
ſelbſt Zante bedroht, und Caſtelnuovo in Dalmatien von den
Türken genommen wurde.
Unter diefen Umftänvden jehnte ſich Venedig nad Be
endigung bes Krieges, zumal auch Karl V. und Frankreich
einander zu nähern begannen. ‘Die Unterhanblungen mit ver
Pforte führten allerdings zum Ziele; aber der Friedens—
ſchluß des 2. Dftober 1540 war fchimpflich genug. Denn
Benedig mußte nicht nur eine Kriegsfteuer von 300,000
Dulaten an den Sultan bezahlen: die Republik ſah fich jetzt
auch genöthigt, die legten peloponnefiichen Beftgungen, nemlich
Nauplion und Monembajta, an die Pforte abzu-
treten. Damit war nun enblih der Peloponnes voll-
ftändig in die Hand der Osmanen gefommen. In
den Äägätichen Meere behauptete Venedig’ aufer Kreta nur noch
die Injeln Tinos und Mykonos. Alle Injeln, welche Khair-
eddin den italienijchen Heinen Dynaſten entriffen Hatte,
blieben bet ber Pforte; nur die Herren von Andros und
Naxos (diefer mit Naxos, Milos, Santorini und Shra)
wurden vorläufig noch als Klientelfürften des Sultans ge-
duldet 9).
1) Zinteifen, Geſchichte bes osmaniſchen Reiches in Europa,
Th. IV, ©. 6255.
2) Bol. Hopf, Analelten, ©. 4941.
3) Hopf, Griechen!. im Mittelalter, Bd. 86, S. 170, und Sathas
l. c. p. 119—126.
Das Herzogthum Naxos feit 1463 bis 1494. 7
II.
An diefe neue Erſchütterung der venetianifchen Meacht-
ftellung in ver griechifchen Welt reibt fih nunmehr die Eläg-
liche Geſchichte des Unterganges der Testen italieniſchen
Dpnaften in bem ägätichen Meere, foweit deren Schickſale bis⸗
ber noch nicht berührt worven find. Anknüpfend an das früher
(Bd. I, S. 597 ff.) in diefer Richtung Mitgetheilte, bemerken wir,
daß in dem bedeutendften der ttalientich-griechtichen Inſelſtaaten,
in dem Herzogtum Naxos, das Haus Erifpo fih bis zur
Vernichtung aller chriftlichen Selbitändigkeit im ägätichen Dieere
erhalten Hat. Der Herzog Sacopo II. (1463 — 1480)
binterließ bei feinem Tode nur zwei Töchter, fo daß ihm jet
fein Bruder Giovanni III. (1480 — 1494) als Herricher
folgte. Der gewaltiame Zug in dieſer Familie fam bet biefem
Manne ſehr jcharf zu Tage. Hatte Herzog Jacopo III. noch
1476 die Töchter feines Oheims Antonio mit Gewalt aus
dem Befige der Injel Syra, ihrer Apanage, verdrängt, —
jest folgte Giovanni III. dieſem ſchnöden Beiſpiele, indem er
Jacopo’8 Tochter Fiorenza, die am 22. December 1479 mit
dem Benetianer ‘Domenico Pilani vermählt worden, ihrer
Mitgift, der Inſel Santorini, noch im Jahre 1480 mit
brutaliter Gewalt beraubte. Es bedurfte bes fräftigjten Ein-
Idreitens der Republik Venedig, bis Giovanni III. mit Ende
de8 Jahres 1487 fich endlich bereit finden ließ, Fiorenza's
Aniprüche mit Geld abzukaufen. Weiterhin verichlimmerte fich
die Tage des Herzogthums durch die übermächtige Wucht Der
Osmanen und die ewigen Neibungen zwilchen den Erijpi und
ver Pforte wegen ber beiberieitigen wiederholten Piraterieen
andauernd, obwohl die Nepublit Venedig die Herzöge von
Naros wiederholt in die Frievensichlüffe mit der Pforte aufe
zunehmen nicht verfäumte. Da jeboch Die Herzöge nichts
Rechtes mehr zum Schuge ber Injeln thaten, wurde das Volt
verftimmt und verdroſſen; und da nun Giovanni III. perjün-
lich duch Härte und Graufamteit fich verhaßt machte, fo brach
283 Bud I. Kap. I. 3. Naxos (1494—1564). Andros (1468—1538).
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endlich im Jahre 1494 auf Naxos ein Aufitand aus. Der
Herzog wurde am 1. Juli erichlagen. Da er Feine legi-
timen Nachkommen binterließ, jo nahm die Republik das |
Herzogtfum vorläufig unter ihre eigene Verwaltung und
verlieh es endlich zu Anfang des Jahres 1500 einem
(1483 geborenen) Baftard des Giovanni III, Namens |
Trancesco (III), der nun die Herrichaft bis zu Anfang
des Jahres 1518 führte. Nach feinem Ableben erhielt fein
Sohn, der uns jchon bekannte Giovanni IV. (1518—1564),
die Regierung.
Das Haus Sommaripa dagegen hielt jih nur mühſam
auf feinen Injeln, die nach dem alle von Negroponte (1470)
von den Türken ebenfalls jchwer mitgenommen worden waren;
derart daß damals auf Andros nur noch 2000, auf Paros
nur 3000, auf Antiparos nur 100 Menfchen wohnten. Als
der Dynaſt von Andros, Herr Cruſino II. (1468—1500),
unter deſſen Regierung ver lebte lateiniſche Biſchof von Andros,
„der Mönch von Andros”, wegen frechen Mißbrauches jeines
Amtes als Beichtvater zur Unzucht mit adeligen Nonnen, durch
die venetianiiche Signorie 1484 abgeſetzt worden war, enblich
jtarb, riß fein Baftard Nicold I. die Herrſchaft an fich, Die
er bis zu jeinem Tode (1506) behauptete. Da er feine
Kinder binterließ, fo fiel jegt die Injel an jeinen Oheim
Francesco, der aber ſchon 1507 auf Grund der Klagen
anderer Prätendenten durch die Republik abgefegt wurde, welche
nunmehr die Inſel bis zum Sabre 1514 ſequeſtriren Tieß
und endlich einem anderen Sohne bes zweiten Erufino, Namens
Alberto, die Herrichaft zutheilte. Der Sohn diejes Dynaſten
war jener Cruſino II., der jeit 1523 in Andros regierte
und jich 1538 nur mit Mühe von der osmantichen Verheerung
losfaufte.
Auf der Inſel Paros endlih führte fett 1462 des
Crufino J. (Bd. II, S.597) Sohn, des Domenico von Andros
Bruder, Nicold I. die Regierung. Dieſer treffliche alte Herr,
unter deſſen verftändiger Leitung die Inſel allmählich wieder
eine gewifje Blüthe erlangte, ftarb enplih 1505. Als fein
Baros (1462—1537). Andros feit 1538. Naxos feit 1540. 29
Sohn Erufino II. 1518 kinderlos aus dem eben fchied,
und num mehrere Machthaber, namentlich Herzog Giovanni IV.
von Naxos, auf die Erbichaft Anſprüche erhoben, theilte bie
Republit die Inſel Cruſino's Schweiter Fiorenza zu, die
damals (1520) Wittwe des Mitbefiterd von Cerigo, Giovanni
Francesco Venier war, und nun Paros fofort ihrem Sobne
Nicold I. Venier abtrat. ALS auch dieſer 1531 kinderlos
ftarb, entjtanden neue Erbjtveitigkeiten, die Venedig 1536
dahin jchlichtete, Daß Paros an Nicold’8 Schwefter Cecilia
fallen follte, welche fich 1531 mit dem trefflichen Venetianer
Bernardo Sagredo (S. 24) vermählt hatte. Wir fahen
aber, wie diefer Dynaſt jein Paros jchon im folgenden Jahre
an die Osmanen verlor ?).
Aus der wüjten Blutzeit des Khaireddin und aus ben
darten Verluſten ver Republik in Morea, in Folge deren nicht
wenige Peloponnefier nach Hydra und Spetzä und Zante, nicht
wenige Inſulaner nach Kreta übertraten, — hatten jich alſo
nur noch Andros, Keos, das Herzogtfum Naxos, und endlich
die genuefiiche Maona auf Chios gerettet. Auch diefen Injeln
aber brach nach Verlauf von 26 Jahren ver Tag an, wo fie
von der Macht der Osmanen verjchlungen werben ſollten.
Von beveutiamen Dingen weiß die Gejchichte dieſer Jahre nicht
zu erzäblen. Auf Andros iſt der Dynaſt Erufino II
ſchon im Sabre 1540 geitorben. Ihm folgte fein Sohn
Biovan Francesco, während feine Tochter Cecilia bie
Gattin des Erbherzogs von Naxos wurde. Auf Naros
dagegen war ber Herzog Giovanni IV. durch die Er-
ſchütterung der venetianifchen Macht jo übermüthig geworden,
daß er allen Vorftellungen der Republik zum Trotze unter
Zuftimmung der Pforte ſchon im Jahre 1541 das Haus
Premarint aus Keos verbrängte, die Infel anneltirte und
nm einen Theil verjelben den Gozzadini überlief. Da er
1) Hopf, Analeften, S. 403— 412. „Geſchichte von Andros“,
©. 112— 128. „Griechenland im Mittelalter“, Bd. 86, ©. 164 fi.
»Chroniqueg gr&co-romanes“, p. 482 sqq.
30 Bud I. Kap. I. 3. Chios feit 1479.
ber Pforte jeinen Zribut regelmäßig zahlte, jo blieb bier das
Verhältniß vorläufig ungetrübt; nur daß in dem Herzogthum.
wie auf Andros die Nothwendigkeit, eben dieſen Zribut dem
Lande abzugewinnen, allem Anicheine nach zu manchen Er-
prefjungen führte, welche die Stimmung ver griechiichen
Unterthanen gegen die fränkiichen Herren böje verbitterten.
Bon Giovantit!s Kindern Hatte jeine Tochter Taddea bei
Dpnaften von Andros, Giovan Francesco, geheirathet. Sein
Sohn Jacopo (IV.), des letzteren Schwager, folgte dem
Vater im Jahre 1564 auf Naros:
Die Ginftiniant auf Chios Hatten feit der greulicher
türfiihen Plünderung des Jahres 1479 ſich andauernd im
Beſitze ihrer Inſel behauptet. Die von der Maona ein-
geführten Imftitutionen ?), die allerdings als weſentlich Die
Staltener angehenb uns bier nicht berühren, blübten noch
immer. Die Infel, auf welcher (mit Ausnahme ver als
Aderfnechte arbeitenden griechiichen Leibeigenen) auch Die Griechen
fich erträglich ftanden, war noch immer durch ihre Maſtix⸗
wälder und als letztes genuefiiche8 Handeldemporium in der
Levante wohlhabend. Reich und wohl angebaut, jchon damals
bie Heimath jchöner und anmuthiger Frauen, durch die humane
Gewohnheit der Maoneſen, jährlih 1000 Chriſtenſtlaven aus
türkiſcher Gefangenſchaft frei zu faufen, wie auch entlaufene
Sklaven bei fich anzufiebeln, felbit in dieſer Zeit an Ein.
wohnerzahl wachſend, jo daß die Inſel immerhin gegen
120,000 Seelen zählte: jo war Chios ſelbſt noch feit 1540
eine Daje angenehmer Berbältniffe in der verfallenden grie-
chiſchen Injelmelt. Aber auch diefer Injel nabte endlich das
Berderben. Noch hatte ver franzöſiſche Einfluß, der feit
1540, jeit dem Erlöfchen ver venetianifchen Macht, in der
Levante das Übergewicht zu gewinnen begann, den Chioten
eine Zeit ‚lang ſich nüßlich bewiefen. Allmählich aber reifte
1) VBgl. alles Detail bei Hopf in dem oft citirten Artikel „Giuftiniani”
in der „Allgem. Encyflopädie”, Selt. I, Bd. 68, ©. 326ff. v. Zeißberg,
Kleinere Gefchichtsquellen Polens im Mittelalter (1877), ©. 41ff.
Die Osmanen erobern. 1566 Chios. 51
bei. dem unerfättlihen Sultan Suletman der Plan, aud
ber reichen Maſtixinſel (dic Genua jchon 1558 biplomatiich
preisgegeben hatte), wie auch des Herzogthums Naxos und des
venetianiichen Kypros fich zu bemächtigen. Schon 1564 wurden
beveutende Rüſtungen angeoronet zu dieſem Zwecke, die dann
aber gegen Malta verwendet wurden. Als nun aber der An-
griff auf bie nene Refidenz der Johanniter völlig geicheitert
wor, gab Suleiman dem Zureden feines Großweſſirs Mo⸗
hammed⸗Paſcha, CHi08. anzugreifen, um fo lteber Gehör, weil‘
einerjeit8 bie zur Zeit von Schulden gedrüdte Maona mit.
ihrem Tribut von jeßt 14,000 Golpftüden jeit 1564 in
Rückftand geblieben, andererjeitd ein entlaufener Sklave des
Großweſſirs nicht ausgeliefert worden war. So erichien denn:
ver. Kapudan-Paſcha Piali am 14. April 1566 mit 80
Galeeren vor Chios, landete zu Paſſaggio, lief ohne Wider-
ſtand in ven Hafen. der Hauptitadt ein, nahm durch jchnöben-
Derratb die Behörden verjelben ſammt dem Haupte der
Maona, vem Podeftä Vincenzo Giuftiniant, gefangen und ließ
nun (15. April) die Ianiticharen in bie Stadt einbrechen, bie
energiſch plünderten und frevelten. Die Kirchen wurden theils
verwüftet, theils in Moſcheen verwandelt, mit den Griechen
eine erträgliche Kapitulation abgeſchlofſen, die Maoneſen aber
nach Stambul geſchleppt, wo man die jungen Leute, die nicht
um Islam übertreten wollten, ſcheußlich mordete. Die Er-
wachjenen wurden zuerſt nach der Krim geführt und erhielten
erft durch franzöfiihe Vermittlung 1567 ihre Freiheit wieder.
Chios aber ſank unter türkiicher Herrichaft bald genug in
Elend, obwohl nicht in dem Grade wie das (Bd. II, ©. 596)
früher verlaffene. Samos, welches die Türken erſt wieder
von Lesbos aus neu koloniſirt Hatten ).
As Biali aus Chios nach Stambul zurüdlehrte, fand er
einen neuen Großherrn. Suleiman war in der Nacht vom
5. zum 6. September 1566 in dem Lager vor Gigeth in
1) Hopf a. a. O. &.328—326. Finlay, Greece under othoman
and venetian domination, p. 89 sqq. Sathas p. 129.
32 Buhl. Kap.I. 3. Selim II. (1566—1574) anneltirt 1566 Naxos.
Ungarn geftorben, und nun regierte fein Sohn Selim I.
(1566 — 1574), ber freilih an Thatkraft Hinter dem Vater
weit zurüditand, aber zur Zeit noch über einen genialen
Großweffir, den Bosniaken Mohammed Sololli, verfügte. So
blieb die erobernde Nichtung der Pforte zunächft noch im
vollem Gange. Die erjte neue Eroberung war nur ein Spiel.
Die Griechen von Andros und Naxos — letztere Eagten laut
über die Ausjchweifungen und Grauſamkeiten des Herzogs
Sacopo — führten nemlich bet Selim II. über ihren fränkischen
Herrn Beſchwerde. Um fich zu rechtfertigen, eilte Sacopo IV.
im November 1566 mit reichen Geldfummen nah Stambul.
Aber das half ihm nicht. Er wurde in Stambul verhaftet '
und erhielt erft nach fünf Monaten jeine Freiheit wieder. '
Und während diefer Zeit, noch im Jahre 1566, ließ Sultan
Selim durch Piali die Injeln des Archipelagus für die Pforte
anneltiren. Das Herzogthum Naros mit allen feinen ‘Depen-
benzen, bazu die Injel Keos (S. 29), wie auch ber Beſitz
der Gozzadini auf Siphnos und Thermia, und die Inſel
Andros, — fie alle wurden jest ohne bejondere Gewaltthätig-
feiten ihren bisherigen italieniſchen Beherrſchern entzogen und
auf Grund von Verabredungen wie zu Chios dem osmanischen
Neiche einverleibt. Mit Ausnahme von Kreta und den ioniſchen
Infeln war jet die italienische Flagge gänzlich aus den grie-
chiſchen Gewäſſern verdrängt )).
Die neu annektirten Inſeln kamen noch nicht unmittelbar
unter türkiſche Verwaltung, fondern erhielten zunächſt —
einen jüdiſchen Herzog. Juan oder Joäo Miquez war
ber Name eines Juden, der nach zwangsweiſem Übertritt zur
fatholiichen Religion zur Zeit Suleimans aus Portugal fich
nad Stambul wandte, wo damals nicht wenige portugiefifche
Juden, durch NReligionsorud vertrieben, ihre Zuflucht juchten.
Miquez kehrte in Stambul zum Judenthum zurüd, beirathete
1) 2gl. Eurtins, Naros, ©. 27 e 40 fi. Hopf, Analekten
S. 451. „Geſchichte der Infel Andros“, S. 128f. „Griechenland im
Mittelalter”, Bd. 86, ©. 171, und ‚„Chroniques greco- rowanes «,
p. 482 sqq. Finlay p. 9.
Don Joſeph Naft, „jübifcher Herzog“ von Naros. 33
ein ſchönes, reiches Judenmädchen, feine Coufine, mit welcher
er aus Portugal entwichen war. Es gelang ihm bald, die
volle Gunft des Thronerben Selim zu erwerben, deſſen Geld»
verlegenheiten und üppiger Genußiucht er mit Gewandtheit zu
Ihmeicheln wußte. Schon 1558 ein Dann von großem Ein-
fluffe in Stambul, ſcheint er nachher bei der Bewegung ber
Griechen gegen die fränkiſchen Dynaſten im Archipelagus 1566
jelbjt die. Hand mit im Spiele gehabt zu haben. Sicher ift,
daß auf feinen Wunſch der Sultan Selim auf die Klage der
Griechen Hin jofort dieſen feinen jübtichen Liebling an Stelle
des Erijpo und de8 Sommaripa zum Herzog von Naros
vnd den anderen Kykladen erhob. "Eine Stellung, für
‘ weldhe der mächtige Hofjude, der byzantiniſche Nothichild dieſes
Zeitalters, dann eine erhebliche Pachtiumme (14,000 Dufaten)
an die Pforte zu zahlen hatte. Die Inſelgriechen proteftirten
umjonjt gegen die Ernennung eines Juden zu ihrem Beherricher.
Auch der depoffedirte Herzog Jacopo IV., der nach Entlaffung
aus jeiner Haft von Stambul nah Rom fich begab, beſchwor
den Pabft Pius V. und die Republik Venedig zunächit ver⸗
geblich, ihm fein Erbgut wieder zu verfchaffen. Günftigere
Chancen für die vertriebenen italteniichen Dynaſten jchtenen
erſt einige Jahre Später eintreten zu Sollen. ‘Der jüdiſche
Herzog, feit dieſer Zeit al8 Herr der Kykladen in ber Geichichte
diejer Tage gemwöhnlih „Don Joſeph Naſi“ genannt, kam
nicht ſelbſt nach jeinem neuen Beſitzthum, ſondern Tieß daffelbe
durh einen Gouverneur, den fpaniichen Hidalgo Dr. jur.
Francesco Coronello, verwalten, dem es übrigens gelang, fich
durch feine Tüchtigkeit und Nechtichaffenheit jehr beliebt zu
machen. Der neue Herzog felbft, jo ſagte man ihm nach,
und jo verhöhnte ihn auch jein bitterfter Gegner, der ftolze
Großweſſir Mohammed Sokolli, hatte nur Intereffe für den
Weinzehnten, den ihm die an trefflichen Neben reichen Injeln
des Herzogthums Tieferten ?), nemlih 15,000 Skudi, von
denen der Sultan 2000 Dufaten erhielt. Es bedurfte ine
l) Eurtius, Naxos, ©. 43 u. 44f.
Hersberg, Geſchichte Griechenlands. III. 3
I
34 Bud I Kap. I. 3. Die Osmanen erobern‘ 1570/1 Kypros.
deſſen Doch noch eines neuen Krieges, um die Pforte in dem
Beſitze des ägäiſchen Meeres dauernd zu fichern.
Die erobernden Tendenzen waren, wie wir oben fagten,
auch unter Selim I. in Stambul noch nicht zur Ruhe ge»
fommen. Als einen Hauptgegner betrachteten die Osmanen
noch immer den venetianiſchen Staat. Miquez vor Allen,
ber theil8 durch perfönliche Rancune, theils durch feine uner-
fättliche Habſucht zur Gegnerfchaft gegen die Republik geftachelt
wurde, trieb den Sultan, in deſſen Rathe fein Wort nur
allzuviel galt, zum Kriege mit Venedig. Sein Hauptziel war,
auch die Krone der reichen Infel Kypros zu erlangen, deren
Defig wegen ihrer feurigen Weine auch dem verjoffenen
Sultan befonvers wünfchenswerth erichten. Verſchiedene Rei⸗
bungen mit den Venetianern bei Tino leiteten den muthwillig
gefuchten Streit ein. Enblich forderte Selim rund und nett
ımter Droßungen die Abtretung von Kypros. ALS die Republik
dieſes fchmähliche Begehren unwillig ablehnte, erklärte die
Pforte ven Krieg, ımb am 1. Inli 1570 führte Pialt 360
Schiffe und (unter dem grimmigen Lala Muſtapha) 50,000
Mann und 2000 Pferde nach der ſchönen griechtichen Inſel.
Venedig juchte mit Eifer abendländiiche Verbündete zu gewinnen.
Aber ehe Pabjit Pius V. und Spanien nachbrüdlich helfend
eingreifen konnten, fiel die eine der Iyprifchen Hauptfeitungen,
Nikoſia, am 9. September 1570 unter jchredlichem Blut-
vergießen in die Hände der Osmanen. Die Hauptfeftung
Famagufta, welche die Republik, obwohl noch neuerbings
durch einen Arfenalbrand in ihrer Aktion gelähmt, mit frijchen
Streitkräften verjeben Hatte, hielt fih mit 7000 Mann unter
dem tapferen Commanbanten Marcantonio Bragadino bis
zum 1. Auguft 1571. Muſtapha⸗Paſcha brach ſelbſtverſtändlich
die geichloffene Kapitulation. Bragadino wurde nach der durch
Sultan Mohammed I. in den türkischen Kriegsbrauch ein-
geführten, jet wieder erneuerten Gewohnheit lebendig geſchunden
und geviertheilt, Famaguſta aber mit Scheuflichfeiten heim⸗
gefucht, wie fie felbft in der osmanifchen Schandgefchichte nicht fehr
Häufig find. Diefe Infamien wurden wenigftend einigermaßen
Schlacht bei Lepanto 1571. 85
dadurch geftraft, daß hie endlich um biefelbe Zeit unter dem
Oberbefehl Des jpanifchen Prinzen Don Juan d' Auſtria zu.
Meſſina ſich vereinigende fpanifch =» italienifche Flotte am
7. Oktober 1571 in der furchtbaren Seefchlacht bei Lepanto
einer osmaniſchen Armada, melde auf Kreta und auf ven
ioniſchen Inſeln Verheerungen angerichtet hatte, eine entfegliche
Niederlage beibrachte; 130 Schiffe und 30,000 Mann waren
für die Türken verloren. Leider wurde der gewaltige Sieg
nicht entiprechenb benutzt, weil unter den verbünveten Mächten
jelbft weder rechtes Zutrauen noch nachbrüdliche politiiche
Entſchloſſenheit beſtand. Daher konnte Venedig auch die
nebenher gewonnenen Heinen Vortheile nicht behaupten. Es
hatte nemlich unter Mitwirkung bes Generallapitäns Quirini
im Oktober 1570 das Haus Gozzabini die Inſeln Siphnos
und Thermia wieder erlangt; auch Naxos fcheint momentan
beiegt worden zu fein. Herzog Jacopo IV. ſeinerſeits ſchenkte
am 6. Januar 1571 fein Herzogthum der Republif und wollte
für den Ball ber Erpberung nur ver Lehensmann Venedigs
ſein, deſſen Flotte noch gegen Ende 1570 Syboton genommen
hatte. Aber das Jahr 1572 verftrih unter unbebeutenden
Serzügen, Mohammed - Pafcha wurde im ägätichen Meeve
wieder Herr, unruhige Bewegungen der Griechen am
Parnafjos, in der Maina und auf anderen Punkten, bie
durch Die Kunde von der Lepantofchlacht hervorgerufen worben
waren, wurden grauſam umerbrüdt, die Mletropoliten von
Paträ und Thefiglonife lebendig verbrannt, — und Benedig
mußte am 7. März 1573 jenen ichimpflichen Trieben ſchließen,
in welhem es Syboton wieder räumte, Kypros abtrat, eine
ſchwere Kriegsſteuer zahlte und ſich anheiſchig machte, nunmehr
den Tribut für Zante auf 1000 Dukaten zu erhöhen. Nur
die Gozzadinis behielten ihre Inſelchen (ſammt Kimolos,
Bolyfandros, Gyaros, Sikinos) gegen Tributzahlung an bie
Pforte, welche diefelben erft 1617 gänzlich an ſich riß. Naros
dagegen blieb den Türken, beziebentlich dem jüdiſchen Herzoge.
Ale Bemühungen des Herzogs Jacopo IV., die Inſel endlich
durch direkte Unterhandlungen bei Selims II. Sohne ung
g«
36 83.1. 8:1 3. Die Infeln des ägäiſchen Meeres unter türkiſcher Herrfchaft.
Nachfolger Murad II. (1574 — 1535) zurüdzuerlangen,
. fcheiterten, und jo ftarb der legte Criſpo endlich im Jahre
1576 vor Sammer zu Pera. Die Infeln des Herzogthums
aber wurden unmittelbare Beſitzungen der Pforte feit
Don Nafl’8 Tode, der am 2. Auguft 1579 erfolgte ?).
Jetzt alfo der Pforte bireft untergeordnet, wurden die
Inſeln des Archipelagus (mit Ausnahme einiger, vie der
Favorit-Sultanin zufielen) nunmehr unter den Kapudan⸗Paſcha
geftellt und durch einen Sandſchak und einen Kadi veraltet.
Ihr 2008 geftaltete fich aber fehr erträglih. Denn fchon im
Jahre 1580 gewährte ihnen Sultan Murad III. ein fehr
günftiges Privileg, in Folge deſſen fie vieler Freiheiten theil-
haftig wurden. Den Einwohnern blieben ihre municipalen
Einrichtungen, ihre alten Gebräuche und Nechtsgewohnheiten
gewahrt, die Primaten behielten das Recht der freien Wahl
ihrer Verwaltungsbehörden; kein Türke follte die Inſeln be
treten und fich auf denſelben anfieveln, die Bewohner aber
durften frei Kirchen und Klöfter bauen, und ihren Gottesdienſt
bet Slodenklang feiern. Der Kapudan⸗Paſcha Tief nur einmal
jährlich mit feiner Flotte bei Baros an, um den ihm dajelbft
dargebrachten bejtimmten, durch Selbitbefteuerung der Gemeinden
aufzubringenden Tribut der einzelnen Inſeln in Empfang zu
nehmen. Abgefehen endlih von dem Weinzehnten Hatten bie
Bewohner einiger Inſeln die Verpflichtung, ein bejtimmtes
Quantum ihnen eigenthümlicher Produkte jährlich nah Stam-
bul zu führen. Sultan Ibrahim hat fpäter (nach 1640)
das Patent mit einigen unwejentlichen Modifikationen er-
neuert ?).
Die lateiniſche Bevölkerung bat nad der osmanifchen
1) Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 171f. u. 173.
„Chroniques greco-romanes“, p. 482 sqg. „Geſchichte von Andros“,
©. 1295. Eurtius, Naxos, ©. 28f. u. Alf. Finlay p. 92 sqg.
Sathas p. 166 sqq.
2) Hopf, Analelten, ©. 420 u. 518—523. „Griechenland im
Mittelalter”, Bd. 86, ©. 172 u. 189.
Der lateiniſche Adel auf den Infeln des Archipelagus. 87
Befigergreifung die Infeln nicht verlajfen, ja ſogar nach—⸗
mald (j. unten) nach der Eroberung von Kreta durch Die
Osmanen noch von dort aus Zuwachs erhalten. Diefe
lateiniichen Elemente bejtanden aus dem Nachwuchs der zur
Zeit der italienischen Dynaſten auf biejen Injeln angefiedelten
itaftenijchen Einwanderer; aus Griechen, die bisher zur römijchen
Kirche übergetreten waren; namentlich aber aus dem zahlreichen
italieniichen Adel, der nun jeit nahezu drei Jahrhunderten bier
fejte Wurzeln geichlagen Hatte, und im Laufe ber folgenden
Zeiten noch mehrfachen abendlänbiichen Zuwachs erhielt. Haupt»
fite diejer Yateinifchen Bevölkerung von geichichtlicher Bedeutung
bi8 zur Entjtehung des neugriechiichen Königreiches in unferem
Jahrhundert waren und blieben (nicht fowohl Andros, wo
indejjen zur Zeit ber türfiichen Annerion noch immer ein
lateiniſches Bisthum beftand, welches auch neben bem bald
nachher neu eingerichteten griechiichen bis tief hinein in das
jiebzehnte Jahrhundert blühte '), al8 vielmehr) Santorint
und Naxos. Auf Santorini wurde die römiſche Kirche
andauernd (und zwar bis auf den heutigen Zag) durch einen
lateintichen Biſchof repräjentirt. Von venetianijhen Ge-
Ihlechtern findet man (nachdem im Kaufe ber folgenven
Jahrhunderte 225 fatholiiche Familien theils ausgeftorben,
theil8 Durch Annahme der griechiichen Religion zu Griechen
geworden find) die Barbarigo, Ghiſi, Venier, Bafegio,
Manoleſſo und Zane; von früheren Inſeldynaſten entſproſſen
die Crijpi, die fatalaniihen da Eorogna (Nachkommen
ber ehemaligen Herren von Siphnos, jegt das angejehenite
Seichleht auf Santorini), die de Lenda (Delendas), D’Argento
(neben den griechiichen Argyri), Sirigo und Gavalas (Nach.
kommen ber früheren Arhonten von Rhodos); von
anderen Lateinern die de Cigala (aus welchen Haufe Carlo
Antonio durch den deutichen Kaiſer Rudolf I. in ven
Örafenftand erhoben wurde), die da Leonafja, de Mata,
Roſſo, Mafonfos, des Aulps (Alpis), und einige, wie bie
1) Hopf, Gefhichte der Infel Andros, S. 130.
38 Buch I. Kap. I. 3. Der Iateintfche Adel auf Naros.
vangadas, Nomilos, Saris, deren Herkunft etwas zweifel⸗
haft iſt ).
Auf Naxos, wo ſich allmählich die meiſten der lateiniſchen
Edelleute ſammelten, wo außer den venetianiſchen Patricier⸗
familien auch zahlreiche Bürgergeſchlechter ſich hielten, die
während des Mittelalters aus anderen Theilen Italiens zu
Handelszwecken Hier ſich angeſiedelt hatten, find nah und nach
nicht wenige der italieniſchen Geſchlechter erlofchen ; fo bie
Loredano , die Sanudo (viefe 1739), alba, Malatefta,
Sforza Caſtri (diefe 1844). Einige, Wie bie Cocco um
Baſegio, wurden Griechen. Unter den noch vorhandenen
Familien, zu benen die noch aus der herzoglichen Zeit
ftammenven Rocca, Girardi und Grimaldi, die erft Ende des
jechözehnten oder Anfang des jiebzehnten Jahrhunderts aus
Rreta eingewandberten Barozzi, bie erit 1690 aus Frankreich
eingewanderten, jet im Mannesſtamme erlojchenen, Raimond
de Mooene, und bie ebendaher exit 1744 über Rußland ein-
gewanderten Laſtie de Vigourouxr gehören, — nehmen noch
immer den erſten Platz ein die ſeit der Annexion von Andros
nach Naxos übergeſiedelten Sommaripa. Nur daß in ber
Gegenwart der frühere Reichtum des in viele Linien zer
jplitterten Gejchlechtes fich wefentlich verringert hat. Soweit
nicht einige der Iateiniichen Familien es allmählich worzogen,
griechifch zu werben, blieb das lateiniſche Element auch bier
ftreng römiſch-katholiſch, immer umter der Obhut ber
feit der Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts als Schutzmacht
der römifch » Fatholifchen ‚Kirche in der Levante auftretenden
Krone Frankreich. Seit 1626 haben die Sefuiten, jekt
(jeit 1783) unter dem Namen der Lazariften, mb feit 1635
die Kapıziner in Naxos ein Klofter. Die Zahl der römiſchen
Katholiten auf Naxos betrug 1835 aber nur noch 300, auf
den Inſeln des alten Herzogthums überhaupt 1859 nur etwa
1) Bol. Hopf, Analelten, ©. 421f., wo auch bie Lifte ber lateinifchen
Biſchöfe von Santorini von 1565—1856 angegeben ift; und „Griechen.
im Mittelalter”, Bd. 86, ©. 173 u. 184.
Feindſchaft zwiſchen ben Griechen und Lateinern auf Naxos. 89
600 Seelen. Unter den ehemals berzoglichen Inſeln hielten
fh auf Syra und Milos (wie auf ven noch längere Zeit
venetianiſch bleibenden Tinos und Mykonos) ebenfalls viele
Inteinifche &efchlechter, die aber großentheils „in Armuth ver-
ſunken oder im Elend andgegangen find‘ ?).
Das innere Leben diefer biöher fränkiſch geweienen Inſeln
geftaltete fich Feineswegs überall behaglih und frieblih. An
und für fich freilih waren die Bewohner dieſer Injeln nicht
gerade ungeftümer over tapferer Natur; im Gegentbeil galt
dei den Osmanen, denen dieje Imfelgriechen gern auswichen,
Schüchternheit al8 ein jo bervorftechender Zug ihres Charakters,
daß man die Inſeln, mamentlih die Kykladen, ſpottweife
„Tauſchan⸗-adoleri“, d. 5. Haſeneilande, zu nennen pflegte ?).
Das hinderte aber durchaus nicht, daß micht zwiſchen
Griechen und Franken unter osmaniſcher Hoheit bie
ditterfte Gehäffigfeit fich entwidelte. Während auf Santorimi
wenigjtens in den ſpäteren Jahrhunderten zwijchen ben beiben
Stämmen und Confeifionen ganz erträgliche Beziehungen fich
ausgebildet haben, war auf der Hauptinfel Naxos davon feine
Rede. Der alte Haß zwiſchen geiechiichen und lateiniſchen
Primaten der Injel erbte fort von Geichlecht zu Geichlecht.
Mit grimmiger Erbitterung blidten vie Lateiner auf der
Burghöhe der Hauptſtadt auf die Griechen der Unterjtabt,
1) Hopf, Griechenland im Mittelafter, Bd. 86, &. 172f., und fiehe
dazu außer den oft eitirten genenlogifchen Überfichten über bie Familien
des italienifchen Adels in ben Beilagen zu feinen „Chroniques greco-
romanes“ noch die „Geſchichte der Infel Andros und ihrer Beherrſcher“,
©. 130ff. und „Analekten“, S. 421ff. Eurtius, Naros, ©. 31 fi.
und 8. Roß, Reifen auf den griechifchen Inſeln des ägäiſchen Meeres,
Bd. 1, ©. 27, der au angibt, daß nach der Eroberung von Rhodos
dur die Osmanen (S. 19) die Eurie den Sit des dortigen lateiniſchen
Errbifhofs nad Naxos verlegte und ihm die bamaligen Güter ber
Johanniter auf diefer Infel zumies.
2) Sallmerayer, Fragmente aus dem Orient, 2. Aufl., ©. 578f.
und vgl. Menpdelsjohn - Bartholdy, Geſchichte Griechenlands,
Thl. I, &. 200. Finlay, History of the greek revolution, vol. I,
p- 33.
40 8.1. 8.1 3. Feindſchaft zwifchen Griechen u. Lateinern auf Naxos.
über welche fie einft zu gebieten gehabt Hatten, und denen fie
nun unter osmaniicher Hoheit gleichgeftellt waren. ‘Den
Griechen allein gaben fie e8 Schuld, daß man ber Pforte
unterthan, daß das Haus der Criſpi geftürzt worden. Dagegen
ließen e8 die Griechen bie lateiniſchen Familien oft bitter
fühlen, daß diefelben ihre alte Macht eingebüßt hatten und nun
mit jenen zufammen nur Sklaven des Sultans waren. Daher
bielt man auf beiden Seiten mit höchſter Schroffheit an ber
kirchlichen Trennung feit. Die Lateiner verfolgten namentlich
jolche Gefchlechter mit glühendem Haffe, die von der römiſchen
zur anatolifchen Kirche übergetreten waren. Sie erzielten in
Rom die Erlaubniß, Gejchwifterfinder unter einander ver-
- beirathen zu dürfen, um nur nicht ihr Blut mit dem ver-
haßten griechiſchen milchen zu ſollen. Die ihm untergebenen
griechifchen Landleute aber erbitterte der lateiniſche Adel bis
zur Zeit des neugriechiichen DBefreiungstrieged durch zähes und
eigenfinnige® Feſthalten an veralteten Feudalgebräuchen und
Smangspflichten, und pflegte dabei in dem Verkehr mit
feines leihen eine fteife Grandezza und eine Neigung zu
grotesfen Schnörfeln. Nur wenn ein türkisches Schiff ſich
zeigte, wetteiferten hier Griechen und Lateiner mit einander in
ſklaviſcher Unterwürfigfeit )).
Der erbitterte Gegenſatz zwiſchen Griechen und Lateinern
führte endlich am Ausgange der hier behandelten Periode noch
einmal zu einer ſchauerlichen Tragödie. Im letzten Viertel
des ſiebzehnten Jahrhunderts war weitaus der mächtigſte
griechiſche Primat auf Naxos der ſtolze Konſtantin
Kokkos aus dem venetianiſchen Patriciergeſchlecht der Cocco,
welches vollſtändig griechiſch geworden war. Kokkos gefiel ſich
oft in arger Verhöhnung der lateiniſchen Primaten und
ſtieß endlich hart zuſammen mit deren damaligem Führer,
Francesco Barozzi, deſſen Geſchlecht aus Kreta nach
Naxos übergeſiedelt war. Dieſer Edelmann war mit einer
| 1) Bgl. Hopf, Analekten, ©. 422; € urtius, Naros, ©. 34, und
Roß a. a. O. ©. 26.
Fehde zwifchen ben Kokkos und ben Barozzi feit 1687. 41
Tochter des franzöfiihen Conſuls Erufino Coronello (ver jeine
Abkunft auf Don Joſeph Naſi's Statthalter zurüdführte)
vermäßlt und hatte durch jeine Schwäger Germano und,
Jacopo Eoronelo und Erufino Sommaripa, wie auch burch
bie Pflege einer Anzahl ergebener Diener auf der Infel eine
ſehr ſtarke Stellung gewonnen. Die Schmähungen, mit denen
Kokkos jeine Gemahlin öffentlich überhäufte, rveizten ihn zur
Wuth, und er beichloß mit feinen Verwandten und Dienern
den verhaßten Griechen zu ermorden. Als Kokkos am
Sonntage den 22. März 1687 von feiner Billa in dem
Dorfe Potamia ohne Begleitung nach der Hauptſtadt Naxos
heimreiten wollte, Iodte ibn des Barozzi griechiicher Diener
Chomatianos auf einen Weg, wo ein Hinterhalt bereitet war.
Ein Diener des Barozzi jchoß den Koffos nieber, unb nun
bieben Barozzi und feine Schwäger ihr Opfer mit Beilen in
Stüde. Die Griechen der Inſel waren natürlich über
diefe Blutthat furchtbar empört, und e8 wandte fich das Haus
Kokos zunächſt an die Führer einer im Hafen von Nio
liegenden Flotte der Venetianer, die damals (ſ. unten) ihren
vorletten großen Zürfenfrieg führten. Barozzi wußte aber
duch Geldgeichenfe eine Ahndung Seitens der zur Zeit wieder
im Ägätichen Meere dominirenden Macht feiner Landsleute zu
verhindern. Darüber entbrannte auf Naxos die Vendetta mit
forfiiher oder maniatiſcher Gluth. Da Barozzi der Rache
der Familie Kokkos entgangen war, fo Tieß die Iektere
durch ihre Banditen feinen Schwiegervater, den alten Conjul
Erufino Coronello, auf der Rückkehr von feiner Billa Faſolia
bei Drymalia erſchießen. Diefen zu rächen, ſah fich bie
Wittwe, Anna Caterina Coronella (geftorben 1717), nad
einem bilfreichen Freunde um. Als nun 1690 der Maltejer
Johann Franz de Raimond de Modeine (S. 38)
aus Avignon bei einer Kreuzfahrt mit einer Fregatte ber
Johanniter nach Naxos Fam, machte er ber Wittme bes er-
morbeten Conſuls feinen -Befuch, verliebte fich in Deren ſchöne
Tochter Caterina und gab fich zum Werkzeuge der Tamilien-
vabe ber. Er Tieß aus feiner Fregatte die Kanonen aus-
2 Buch L Kap.L 3. Fehde zwiſchen ben Koltos u. Barozzi feit 1687.
fchiffen, und griff dann die Kokkos an, vie ſich in dem eine
Meile von Naxos entfernten, unter ihrem Batronate ſtehenden
Klojter Ipfili Hei Eucharaes verfchanzt Hatten. Als nad
kurzer Zeit die Kolkos auch dieſen Poſten räumten und die
Slucht in das Gebirge nahmen, ſchickte Raimond fein Schiff
und jein Ordenskreuz nah Malta zurüd, beirathete bie
junge Caterina Coronello, und begründete auf Naxos ein neues
mächtiges Geſchlecht. Den Frieden endlich zwilchen den Häujern
Kokkos und Barozzi ftellte wieder her die fchöne Tochter bes
ermordeten Konftantin Kolkos, die — zur Zeit des Sturmes
auf Zpfili wur erft vier Sabre alt — als Jungfrau dem
reichen und glänzenden Bernardo Barozzi (dem Sohne des
Francesco, der eimft ihren Vater getöbter) die Hand reichte
und durch ihre Klugheit und Liebenswilrnigfeit die feinplichen
Familien zu verjöhnen verfind. Echt türkijch tft aber ver
Schluß diefer griechiſch⸗fränkiſchen Epiſode. Denn eben dieſer
trefflihe Barozzi wurde um die Mitte des achtzehnten Jahr⸗
hunderts durch feinen Reichthum der Pforte verbächtig. Man
Iocte ihn nach Stambul, folterte ihn auf das Graufamite,
verbannte ihn 1754 nady dem öden Leros, und erlaubte ihm
endlich nur, als Bettler auf dem Boden von Naxos zu
fterben !).
IV.
Mit der Annerion der Inſeln des ägätichen Meeres und
zer Inſel Kypros durch die Pforte wird fir mehr dem
hundert Sabre die griechifche Geſchichte immer öder um
leerer. Sie zeigt uns nur noch einige für die Griechen nad-
theilige Berührungen auswärtiger Mächte mit ver Pforte,
einige boffnungslofe Bewegungen griechiicher Gebiete gegen bie
Osmanen, endlich aber die greuliche Kataftrophe ver Republit
Venedig auf Kreta. Summariih jeme iſolirten Ereigniſſe
zufammenzufafien, fo ftand gerade Venedig ſeit dem Abſchluſſe
1) Hopf, Analelten, ©. 422 - 426.
Griechenland feit 1573. 48
ſeines letzten Friedens dauernd in guten Beziehungen zu ber
Pforte und that Alles, um feinen levantiniſchen Handel, ber
ohnehin bei der feit Anfang des fechszehnten Jahrhunderts
eingeleiteten Veränderung der großen Linten des Welthandels
langſam abzunehmen begann, nicht fo bald wieder durch Krieg
mit der Pforte geftört zu jehen. Es war auch gelungen, mit
Murad III. ven Frieden 1575 einfach zu erneuern, und mit
feinen Nachfolgern Mohammed II. (1595—1603), Ahmed 1.
(1603 — 1617) und Muftapha I. (1617 — 1618), wie auch
mit Osman II. (1618 — 1622) freumbichaftliche Verhältniffe
zu erhalten. Im Jahre 1605 hatte man fogar neue Handels⸗
vortbeile zus erlangen vermocht, die auch beit Erneuerung des
betreffenden Bertrages 1618 und 1619 beftätigt wurben. Im
Einklang mit dieſer friedlichen Politif wurde dann auch jeder
Derfuch zur Aufrelzung von Untertbanen der Pforte unterlaffert,
unter Anderem 1602 Anträge zum Übertritt in die venetianiiche
Klientel, wie fie aus Albanien famen, freundlich aber beftimmt
abgelehnt ?).
Es wäre für die Griechen nur vortbeilbaft geweſen,
hätten fich auch die Übrigen Mächte des Abendlandes, fo lange
fie nicht mit durchichlagendem Nachdrucke eine wirkliche Be⸗
freumg berfelben in Angriff nehmen konnten oder wollten, auf
eine ſolche friedliche Politik beſchränkt. Davon war aber
feine Rede, um fo weniger, als ſeit Selims II. Zeit die
Macht und Schwungkraft der Osmanen, die endlich auf ber
Landſeite an der beutfchen und an ber perfiichen Kraft ihre
Schranten gefunven hatte, unter den ſchwachen Sultanen der
folgenden Jahrzehnte nad des großen Weſſirs Mohammed
Sololli Tode (1579) fühlbar zu ſchwinden begann. ‘Daher
wurde von Seiten mehrerer Mächte im Mittelmeer es für
längere Zeit üblich, durch Seezüge nach den Küften bes
osmanischen Reiches die Pforte zu beunrußigen. Solche Kreuz-
fahrten und Küftenplünverungen aber, denen fih dauernd
die private Piraterie zugefellte, ruinirten in ber
1) Hopf, Grlehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 173f.
44 Buch I. Kap. L 4. Griechenland 1578 — 1601.
Negel den Wohlftand und den Handel griechiſcher Unter
tbanen des Padiſchah 1), und reizten andererſeits wieder bie
unrubigften Elemente unter den Griechen zu lokalen Auf-
ftänden, welche zur Zeit doch nur zu fchweren Racheakten
Seitens der Osmanen führen Tonnten.
In folcher Weiſe wurde 1578 ein Aufitand der Kyprier ?),
im Sabre 1583 eine unrubige Bewegung im Archipelagus
niedergeworfen 3). Als wieder 1585 Griechen und Schlype⸗
taren in Alarnanien und Epirus unter Theodor Bun
Grivas, Pulios Drakos und Malamos meuterten, und die
Alarnanen die Türken in Bonika und Xeromeron nieberbieben,
die Epiroten aber Arta einnabmen und auf Joannina mar-
ihirten: ba trieben die türkischen Commandanten von Male
bonten und Theſſalien die Epiroten ſchnell genug auseinander.
Grivas dagegen wurde von dem Paſcha von Naupaltos ge
fchlagen und ftarb an feinen Wunden auf Ithafa %. Dagegen
plünderten 1595 die Spanter in Morea und verbrannten
Paträ, was die Pforte unfinnigerweile durch Vertreibung aller
unverheiratbeten Griehen aus Stambul rächte 5), während
eine lotte des Großherzogs von Toscana, Ferdinand L., unter
dem Aomiral Orfino bei einer Kreuzfahrt im Archipelagus
auh Chios angriff, dabei aber 500 Mann verlor und nur
die gewaltiame Mißhandlung und Vertreibung der meiften
Yateintihen Familien aus Chios durch die Türken veran-
laßte 6). Spaniihe Schiffe wandten ſich dagegen 1601 gegen
die Küften der Maina, eroberten Paſſava, und verheerten
Kos”).
1) Finlay, Greece under othoman and venetian domination,
p. 104 800.
2) Sathasl. c. p. 178.
3) Hopf, Geſchichte der Inſel Andros, S. 130.
4) Sathas p. 178 sg.
5) Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 174. Finlay
p. 106. 122.
6) Finlay p. 90 sq. Sathas p. 184.
7) Hopf, 8b. 86, &. 174. Finlay p. 122 sq.
Griechenzlige ber Maltefer (1603—1620). Die Maniatn. 45
Weitaus am confequenteften wurden bie griechtichen Küften
durch die Maltejer angegriffen. Ein Geichwaber dieſer
Ritter verheerte 1603 abermald das unglüdlihe Paträ und
plünderte 1604 die von ihren Vorfahren jo lange bejefjene
Inſel Kos. Während 1606 toskaniſche Schiffe bis nach Kypros
vorbrangen , verheerten bie Maltefer 1609 die Küften von
Raramanter, 1610 mit ficilianifchen und ſpaniſchen Schiffen
Kos zum zweiten Male. Im Sabre 1611 aber griffen fie
mit aller Macht Navarinon an; als das mißglüdte, erzwangen
fie bei Kenchreä die Landung, eroberten Korinth und fchleppten
500 Gefangene fort, während die Flotte von Toskana 1612
die Citadelle von Kos erjtürmte und 1000 Gefangene machte ?).
Und fo ſetzten fich dieſe und ähnliche Angriffe noch Lange fort,
freifih ohne irgend welchen nachhaltigen militärifchen Vor-
tbeil. Auch die kühne That der Maltefer im Jahre 1620,
die Erftürmung der moreotiihen Feſtung Caſtel Torneie
(2b. I, ©. 128), erzielte nur die Zerjtörung einer Maffe
bier aufgehäuften türkiichen Kriegsmaterials ?).
Die beftändigen Bewegungen chriftlicher Schiffe an ven
Küften des Peloponnes und wiederholte Aufreizungen Seitens
des Abendlandes hatten num aber allmählich auch die Eriegeriichen
Bewohner des Taygetos, Die helleniſch⸗ſlawiſche Miſchbevölkerung,
die jet immer ausfchliegliher Maniaten oder Mainotten
genannt wurden, in Bewegung gebracht. Als nun gegen das
Jahr 1612 ihnen befannt wurde, daß ein Ablömmling der
Baläologen — Herzog Carlo I. Gonzaga von Never, ber
von weiblicher Seite her von den Paläologen von Deontferrat
abitammte — fih mit phantaftiichen Plänen auf das byzan⸗
tinifhe Reich trug, ſetzten fie fi mit ihm in Verbindung.
Ungewarnt durch das Mißlingen eines völlig finnlojen Auf-
ftandes, den 1611 ein [abgefegter] Biſchof Dionyfios von Zriffala
mit Hirten und Bauern gegen die Zürfen in Joannina
verſucht hatte, ſchickten der Biſchof Niketas von Zygos und
mehrere mächtige Häuptlinge zwiſchen der Burg Mani und
1) Hopf a. a. ©. Finlayp. 123 sq. Sathas p. 195 30.
2) Hopf a. a. O. Finlay p. 111 sq. 127. Sathas p. 222.
48 Buch I. Kap.I 4. Unruhige Bewegungen feit 1612 in der Maina.
Ralamata einen Unterhändler an den Herzog nach Nom, und
boten ihm (gegen Ende 1612) die Herrichaft über Morea an;
fte ftelften nur die Bedingung, daß die griechiiche Religion im
ihrem Lande unangetajtet bleiben follte. Nevers fuchte Aun
bei der Eurie, in Florenz, in Frankreich, bet den Spaniern
und Maltejern Gelb und Krieger für feine Pläne zu gewinnen,
Er ſchickte den Herrn von Chatenu-Renault als feinen Agenten
nad Morea und verſprach, mit 15,000 Mann zu kommen,
wie auch Waffen für 20,000 Griechen mitzubringen. Er trat
mit dem Biſchof Neophytos von Dani, mit dem Metropoliten.
Chryſanthos Laskaris (jpäter mit Dionyfios) von Lakedämon, der
auch in Nauplion Verbindungen batte, in lebhaften Brief-
wechlel. Die Verſchwörung griff auch nach Albanien hinüber,
gewann auch. bei Biihöfen und Häuptlingen der ſüdflawiſchen
Provinzen der Pforte Boden. Geſchehen aber ift in
Wahrheit nichts! Die Osmanen, die den Maniaten
durchaus nicht trauten, ließen 1614 durch den Kapudan⸗Paſcha
bie feften Pläge rings um deren Gebiet möglichit ſtark beſetzen
und zwangen fie jeit diefer Zeit, den Kharadſch regelmäßig zu
bezahlen. Die Verhandlungen aber mit Nevers dauerten noch
längere Jahre fort. Briefwechſel mit jenen peloponnefiichen
Biihöfen, ferner (1618) auch mit Metrophanes von Mionem-
bafia und Gabriel von Naupaktos, Berechnungen aller Streit
fräfte und Aufnahme ver eigenen Hilfsmittel der Griechen zur
Defreiung des Landes, wiederholte Verfuche des Herzogs, fich
in Europa Unterftügungen zu verichoffen, — damit jchleppte
fih die Sache bis 1619 bin. AS endlich doch fünf von
Nevers geſammelte Schiffe durch Brand zu Grunde gegangen
waren, wurde die Sache bed Herzogs und der Maniaten um
fo boffnungslofer, weil inzwifchen jener entjetliche deutſche
Krieg ausgebrochen war, der für dreißig Sabre das Intereſſe
des gefammten Abendlandes von der Peripherie Europa's nad
deſſen in Blut und Flammen ſich ſelbſt zerfleiichenden Central⸗
ländern lenkte !).
1) Sathas p. 196 — 222. Finlay p. 126 8q. 134. Hopf,
Griechenl. im Mittelalter, Bd. 86, S. 174.
Die Sphakioten auf Kreta. 4
Über den großen Kämpfen zwifchen der römiſchen umb ver
proteſtantiſchen Welt auf dem ungeheuren Kriegsichauplage
zwiihen Dorpat und Dijon, zwiſchen Straljund und dem
Beltlin ift die griechiiche Welt in Europa für lange vergeffen
worden. Exit mit dem Sommer 1645, wo die Pforte ihre
Hand nach Venedigs letzter Beſitzung, nach Kreta ausftredte,
wurde mit Einem Male wieder das Intereffe des Abenblandes
energiih für das wilde Treiben auf einer fernen griechiichen
Inſel erweckt.
Seit den Zeiten des Khaireddin Barbaroſſa hatte Venedig
vie herrliche Inſel Kreta von den Osmanen int Ganzen
ungeftört behauptet. Die Geſchichte dieſes Landes während bes
ſechs zehnten Jahrhunderts bewegte fich bauptjächlich in zwei
Richtungen. Es kommen einerfeits in Betracht die grauenhaften
Kämpfe ver Republik mit dem troßigen Reſte unabhängiger
Griechen, darunter die Sphafioten, andererjeit8 die energifchen
Berfuche eines großen Staatsmannes, die venetianifche Ver-
waltung auf ver Infel von Grund aus zu veformiren. In
erfter Hinficht beginnen ſeit Beginn des ſechszehnten
Jahrhunderts die Sphakioten eine ähnliche Rolle zu ſpielen
und zwar bis auf den heutigen Tag, wie ım Peloponnes die
Mainstten bis zu der fefteren Begründung des neugriechiichen
Königreiches. Unter allen griechtiichen Kretern hatten ihren
notionalen Charakter am reiniten erhalten die Bewohner des
ſüdweſilichſten Theiles ver Imjel, die tapferen und räuberiichen
Gebirgsbewohner der unzugänglichen Höhen und ver füblichen
Abhänge der „Weißen Berge‘, des Gebietes ſüdlich von Karen
und ber berühmten Hochebene von Omalo. Die Sphaftoten,
die Bewohner des Gebirgsdiſtriktes von Sphakia, der feinen
Namen von einer Stadt und Burg an der Südlhüſte führte,
Ihöne, Eriegerifche, tapfere Griechen, galten wie die alten Kreter
noch immer als tüchtige Bogenſchützen und wußten jchon jeßt
auch das Teuergewehr mit vielem Geſchick zu gebrauchen.
Berühmt war die Gewanbtheit, mit welcher Männer, Weiber
und Kinder die fteilften Berge zu erflettern verjtanden. In
Haltung, Tracht und Waffen von den übrigen Bewohnern ver
48 Bud I. Kap. I. 4. Die Sphakioten.
Inſel verſchieden, pflegten fie beftänbig bewaffnet zu geben.
Bart und Haupthaar wurben lang getragen. Die Kleidung
beftand in einem weiten Kamijol, welches vorn und hinten
nachläſſig herabhing, und in großen, weit hinauf reichenven
Stiefeln, die mit Riemen an dem Gürtel befeftigt waren und
niemals abgelegt wurden. ALS Waffen führten fie vorn im
Gürtel einen Tangen Dolch; an der einen Seite nach griechiicher
Weile ein kurzes Schwert, an der anderen einen Köcher mit
Pfeilen, und auf der Schulter den Bogen. Diefe rauhen
Gebirgshirten, die mit Vorliebe bei ihren Heerden in Höhlen
und Feljenklüften fchliefen, waren indeſſen bei aller Rohheit
doch in der Hauptiache fügfam, wenn man fie zu leiten und
zu behandeln verftand, und jobald fie nicht durch übertrichene
Forderungen Seitens der Venetianer oder burch Fehden ver
Archonten gereizt wurben !).. Ihre Neigung zu abgefchloffener
Selbftändigfeit und Unabhängigkeit und ihr Widerwille gegen
bie hohe venetianifche Befteuerung hatte es aber dahin geführt,
daß zu Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts, als die durch
die bamaligen Fehden mit der Pforte beichäftigten Machtmittel
ber Republik auf Kreta zeitweile jchwächer waren, die Griechen
von Spakia, Selinos und Rhiza (mit dem Gebiete bie
hinab in die Ebene von Kanea) fich verbanven und in trosiger
Unabhängigkeit nur noch griechiihen Archonten, nicht mehr
unmittelbaren venetianifchen Beamten gehorchen wollten. An
bie Spige ftellten fie die mächtigen Häuptlinge Pateropulis von
Sphakia und namentlih den Georg Gadhanole von
Kruftogherafo, welcher lettere das Volk gegenüber ver Nepublil
vertrat.
Die DVenetianer ertrugen diejen Stand der Dinge aber
nur mit Unwillen und waren fehr darauf aus, dieſe neue
Selbftänbigfeit wieder zu Iniden. As nun (die Chronologie
1) Zinteifen, Geſchichte des osmaniſchen Neiches in Europa,
Thl. IV, ©. 644ff. Burfian, Geographie von Griechenland, Bd. I,
©. 538f. 548. Bernhard Schmidt, Das Voltsleben d. Neugrieden,
Thl. I, ©. 10 u. 14.
Benedig und die Sphalioten. 4
iſt nicht ſicher zu ermitteln *)) nad einiger Zeit Georg
Gadhanole für feinen Sohn Petros bei dem Venetianer
Francesco Molini zu Alikianu bei Kanea um die Hand
feiner jchönen Tochter warb, jo wurbe bieje Bitte freilich
bewilligt. Molini aber und die Benetianer in Kanea benutzten
mit tückiſcher Lift Die Hochzeitsfeier, um mit 1700 Mann und
150 Reitern die Gadhanoles, die mit 350 Genoſſen umd
100 Frauen erjchienen waren, als Alles beranicht dalag,
gefangen zu nehmen. Die Gadhanoles und bie angejehenften
ihrer Genoffen wurden aufgelnüpft, die übrigen Griechen in
vier Haufen getheilt und zu Kanea, Apoforone, Theriſo und
Kruſtogherako aufgehangen, letzteres zeritört, dann aber das
Schreckensſyſtem fortgeſetzt. Denn nunmehr erſchien in Lanea
der venetianiſche Proveditore Cavalli mit greulichen Blutauf⸗
trägen. Eine Anzahl angeſehener griechiſcher Familien, die ſich
in Fotigniaco bei Murnies, etwa 14 Stunde von Kaneq,
veriammelt hatten, wurden verhaftet. Die Ortichaft wurbe
zerſtört; daun find zwölf angelebene Griechen aufgelnüpft
worden, während mar vier Damen, bie guter Hoffnung waren,
vor allem Volke mit großen Meffern die Frucht aus dem
Leibe ſchnitt. Als dieſe viehifche Scheußlichkeit Taltblütig voll-
zogen war, wurde verlündigt, „ſo werde e8 allen ergeben, bie
nicht der Mepublif Venedig geborchen wollten; ansrotten werde
mon fie bis auf die Kinder im Leibe der Mutter!” Die
übrigen Gefangenen wurben nad Kanea getrieben, mo man
fie theils töbtete, theils in die Sklaverei führte. ‘Dann aber
drangen die venetianiichen Soldaten jengend und brennend
gegen die Sphakia vor, fo weit es möglich war. ‘Die noch
vorhandenen Häuptlingsfamilien wurben für vogelfrei erflärt,
1) Nach Pashley, Travels in Crete, T. I, p. 150sqq. ®gl. Finlay
l. c. p. 100 sqq. und v. Löher, Kretifhe Geflade, S. 100-105. Es
IR möglich und nicht unwahrſcheinlich, daß bie Gewalttaten des Cavalli,
deren Paſhley hernach gebentt, mit denen (f. unten) des Jahres 1571
ibentifch find. Zinkeiſen a. a. O. S. 540f.
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. III. 4
50 Buch J. Rap. 1. 4. Koßcarini’s Reformen auf Kreta (1574—1577).
ihr Eigenthum für verfallen. Wahrhaft infam aber mir es,
daß die Republik — der fchlechteften Frevel römifcher Trium⸗
virn nicht unwerth — jedem verfehmten Griechen Parbon bot,
wenn er nah Kanea komme und das Haupt feines Waters,
Bruders, Better oder Neffen bringe! Nur der Mord des
Sohnes wurde nicht verlangt.
Mochte nun auch immerhin die Verwaltung des ruhigen
Thetles der Infel Kreta verjtändig und ergiebig fein, fo fällt
Doch durch die Anwendung folcher Mittel, wie wir fie eben
tennen lernten, ein wahrhaft abjcheuliches Licht auf die Politik
der Venetianer. Natürlich blieb bei den unterdrückten Griechen
ingrimmiger Haß zurüd, und die Vertheidigung der Infel gegen
gelegentliche Angriffe der Osmanen oder auch nur mohamme-
daniicher Corſaren wurbe immer fchwierig, jobald die venetia-
nischen Behörden auf Kreta einmal nur auf ihre eigenen Kräfte
und auf Die ziweidentige Hilfe einheimiſcher Milizen angewieſen
waren. Hatte die Republik ſich enblih 1562 entichloffen, in
den kretiſchen Gewäſſern ein ftarfes Geſchwader dauernd zu
erhalten, jo gab ver Verſuch, die griehifhen Bauern
während des Krieges in Kypros (S. 34) zum Galeerendienit
zu zwingen, ben‘ Anftoß zu Aufſtänden bei Rethimo und
in ber Sphakia, die um fo gefährlicher wurden, weil bie
Meuterer bereits baran dachten, fich mit der Pforte in Ver⸗
bindung zu fegen. Noch gelang e8 1571, dieſe Bewegungen
mit furchtbarer Härte zu dämpfen. Aber der Berluft von
Kypros, die Nothiwendigfeit, nun Kreta unter allen Umftänden
zu behaupten, bewog jetzt den Senat von Venedig, den viel.
bewährten Giacomo Foscarini als General- Provebitore
des SKönigreiches Candia mit ausgevehnten Vollmachten zu
umfafjenden Reformen nad Kreta zu ſchicken. Diefer
ausgezeichnete Mann, ber feine Aufgabe mit großem Sinne
und in Tiberalem Geifte in Angriff nahm, verjuchte num
(1574— 1577) namentlich Y) eine den veränderten Zeit
umftänden entfprechende Umgeftaltung des Lehensweſens, bie
1) gl. Zinkeiſen a. a. 0. ©. 629723.
Foscarini's Neformen auf Kreta (1574—1577). bi
Herftellung eines Heerbannes, die neue NRegulirung des DVer-
hältniſſes aller Stände ber Inſel, die Beſchützung des
griehifchen Volkes gegen die Übergriffe der Feudalherren
und der Beamten, und die veritändige Hebung ber öffentlichen
Einkünfte der Inſel. Foscarini wußte namentlich durch vers
ftändige Behandlung die Sphakioten zu verjühnen und
mit ifmen (22. September 1575) einen Vertrag abzufchließen,
in Folge deſſen die Sphakia feitbem einer ber ruhigſten
Bezirke der Inſel blieb. Die ftolgen, fchänen, hochgewachſenen
Sphafioten find jeit Diefer Zeit ein bevorzugtes Glied des
Inſelvolkes geblieben. Sie haben auch fpäter fich niemals
mit den Osmanen vermilcht, ja felbft den Verkehr mit den
Städten gemieven. Ihre Töchter verbeiratbeten fie wohl an
Griechen des Niederlandes, Titten aber nicht, daß ein Nieder⸗
länder fich bei ihnen einheirathete. So tft e8 geſchehen, daß noch
beute ihr Stamm durch blondes Haar, blaue Augen und
blühende Gefichtsfarbe fich auszeichnet, wogegen bei ben übrigen
Kretern die braune Farbe mehr oder weniger vorberricht ?).
Biel fchwieriger war e8 für Foscarini, die Zuftände des
Adels zu reformiren, welcher übrigens einerfeitS nicht nur
eine Menge geborener Griechen in feiner Mitte zählte, ſondern
auch andererſeits faft völfig gräciſirt war, griechiiche Sprache,
Sitte, Brauch, und auf dem Lande vielfach auch die griechiiche
Religion angenommen Hatte, dabei in zahlreichen Fällen
in Dürftigfeit und Unbildung verfunfen war. In der Haupt»
ſache hat Foscarini freilich nicht viel ausrichten können. Bei
allem Wohlmwollen (das ſich nur den von ihm tödtlich verab-
ſcheuten Juden verfchloß), bei der entichievenften Neigung, das
bochbegabte griechifche Element auf der herrlichen Inſel zu
beben, beſſer zu ftellen und dadurch der Republif zu fichern,
dabet auch die Wehrkraft, namentlich ber bominirenden
ttafienifchen und griechiichen Klaffen neu zu orbnen und zu
ftärten, mußte er Doch das Meifte ver Zukunft überlafien.
Und fo beliebt er fich perſönlich auch gemacht hatte, jo konnten
1) DH. B. Schmidt a. a. O. ©. 14.
4 *
52 Buch J. Kap. IL 4. Koscarini’s Reformen auf Kreta (1674—1577).
doch feine Reformen nach jeiner Rückkehr aus Kreta nach
Venedig nur zum MHeinften Theile fich behaupten. Schon zehn
Sabre fpäter fühlte fih das griechiiche Landvolk von dem
Yateinifchen Adel und den Beamten wieder ſchwer gebrüdt, bie
Unordnung in der Verwaltung war jchlimm, und der griechiiche
Klerus fehürte den Haß des Landvolkes gegen die Venetianer:
die Stimmung reifte bier immer mehr einer Sehnſucht nach deut
osmanischen Zoch entgegen. Die Auswanderung nach Stambul
nahm eine unerhörte Ausdehnung an. Belt (1593), Erdbeben
(wie namentlich 1595), Hungersnoth (wie 1596) und bleibenver
Drud der Steuern wirkten in dieſer Richtung nicht minder
zerftörend. Kreta Hatte noch um die Mitte des jechszehnten
Jahrhunderts 271,489, noch zu Foscarini's Seit 219,000
Einwohner gehabt; 1627 war ihre Zahl ſchon bis auf 192,728
geſunken. Die Lage der Infel war überhaupt nicht jehr günftig,
als die Pforte den vierundzwanzigjährigen Krieg um Kreta
1645 jäh und überrafchend begann.
Der Friede, ven Venedig auch mit den Sultanen Muftapba I.
(1622—1623) und Murad IV. (1623—1640) erhalten hatte,
wurbe durch Ibrahim (1640—1648) endlich wieber gebrochen.
Der Kapudan⸗Paſcha Juſſuf, ein balmatinifcher Renegat, welcher
die Republit glühend haßte, gewann den ſchwachen Sultan
für den Gedanken, wegen eines Zujammenftoßes zwiſchen
venetianiichen Schiffen (1639) und muhammebaniichen Corſaren
in der Aria an der Republif Race zu nehmen. . Schon
wurden Rüftungen angejtellt, als ein Zwiſchenfall ven Krieg
jäh entzündet... Maltefifche Kreuzer hatten im September
1644 bei Karpathos ein mit Mella-Pilgern beſetztes türkiſches
Geſchwader, dabei mehrere vornehme osmaniſche Familien, wie
auch der Kislneraga des Seraild und die Amme von Ibrahims
Sohne, gekapert und ihre Beute in dem kretiſchen Hafen von
Kalismene oder Kalolimunton geborgen. Der Kislaeraga war
felbft im Kampfe gefallen. Jetzt richtete ſich des Sultans
voller Zorn auf Venedig, welches leichter zu beichäbigen
war, als das gefürchtete Malte. Im Divan wurde Kreta
nun noch heftiger als bisher als Rückzugsplatz aller chriftlichen
Krieg zwifchen ber Pforte und Venedig um Kreta feit 1645. 58 "
Corſaren und aller griechiichen Flüchtlinge aus den Provinzen der
pforte bezeichnet, die Eriftenz der Venetianer auf Kreta als
eme Schmach für die Pforte beNagt. Unb während kolofſale
Rüftungen getroffen wurden, juchte man die Republik durch
das Vorgeben zu täufchen, baß der drohende Krieg den Mal⸗
tefern gelten Tolle. Venedig aber, obwohl e8 die Gefahr
Iommen jab, war doch zunächſt nur auf feine eigenen Kräfte
und Nüftungen angewieſen. So Tonnte denn der Kapudan⸗
Paſcha am 30. April 1645 ungehindert aus den Dardanellen
auslaufen, feine Flottenjolvaten bei Chios und Karyſtos ſam⸗
mein, zu Thermiſi in Argolis neue Yandungstruppen an Bord
nehmen, endlich zur Vollendung der Ausrüftung nach Navarinon
jegeln. Nun erſt (1. Juni) erfolgten feinpfelige Alte Seitens
der Pforte gegen Venedig, und bald erfchten die türkiſche
Flotte ımter Juſſuf⸗Paſcha, 84 große und viele Heinere Schiffe
mit 80,000 Mam, vor Kreta, um bei Cap Spaba am
23. Juni anzulegen und am anderen Tage in der Nähe von
Ranen die Armee auszufchiifen. Da die Hauptmaſſe der
venetiantichen Flotte unter Francesco Molino und Girolamıo
Morofini noch bei Korfu lag, ver General» Provebitore
Andrea Eornaro aber auf Kreta nur über 3500 Mann
und. 200 Pferde verfügte, die Lebensreiterei und Landmiliz
höchft unzuverläfiig, die Stimmung der meiften Grieden
aber der Republik entichieven abgeneigt war, fo konnten bie
Osmanen fofort Kanea mit aller Macht belagern. Die
venetianifche Flotte eroberte freilich bald nachher Paträ mit
Ausnahme der Burg, plünverte und zerftörte die Stabt.
Aber Kanen, wo fich der trefflihe Provebitore Antonio
Ravagiero ausgezeichnet tüchtig ſchlug, mußte — da bie
tapferen Mantaten des Tayhgetos, vie ſich zur Hilfe er»
boten, keine Schiffe zur Überfahrt Hatten — am 19. Auguft
ehrenvoll Tapituliren. Die Türken hatten 30,000 Mann ver-
Ioren. ,
Juſſuf⸗Paſcha verwandelte fofort die drei Hauptlirchen von
Kanea in Mofcheen. Als er aber nah Stambul zurüdfehrte,
wußten ihn feine Gegner auf Grund feiner enormen Berlufte
54 Bud I. Kap. I 4. Das Kriegsjahr 1646.
und der für Venedig ‚viel zu günftigen‘‘ Kapitulation, bie er
bewilligt, zu ſtürzen; ja ber erbitterte Sultan ließ ihm im
vollen Zorne im Januar 1646 enthaupten. Nur daß
Ibrahim, den namentlih die Zerjtörung von Paträ empört
batte, vom Frieden mit Venedig nun erft recht nichts hören
wollte. Zunächſt immer nur durch die fleineren Staaten
Italiens unterftügt, und darauf bingewiefen, mit allen nur
mögligen Mitteln Geld zu machen, Schiffe und Truppen in
Tranfreih, Holland und Deutichland zu mietben, mußte
Venedig mit alter Zähigkeit den Krieg fortiegen, der all-
mählich auch über den Archipelagus und Dalmatien fich auß-
breitete. Die Sache jtellte fih dann jo, daß die venetianifche
Flagge zur See allerdings in der Hegel das Übergewicht
behauptete, während zu Lande die Osmanen es davontrugen.
Auf Kreta machte es fich gar ſehr bemerkbar, wie leicht hier
die griechiſchen Bauern für die Pforte zu gewinnen waren.
Hatten die Fretifchen Auswanderer in. Stambul die Osmanen
ausreichend über die Lage der Dinge auf der Infel und in
deren feften Plägen unterrichtet, jo wurde ed während bed
langen Krieges auf Kreta den osmaniſchen Heerführern gar
nicht ſchwer, die griechtifchen Bauern, denen fie ihre Produkte
für die Armee abfauften, zur ruhigen Fortſetzung ihrer länd—⸗
lichen Arbeiten zu veranlaffen. So wurde es möglich, daß bie
Osmanen, auch wenn fie durch die venettaniiche Flotte oder
burch den Winter wiederholt Monate lang von der Verbindung
mit Stambul abgefchnitten waren, aus ber Inſel ſelbſt die
Mittel zu ihrem Unterhalte ziehen konnten. Die Hauptmomente
bes langen Krieges um den Beſitz der Infel Kreta, foweit
derielbe für unſere Darftellung in Betracht kommt, find
nun biefe. Während es im Laufe des Jahres 1646 ben
Venetianern nirgends gelang, ihren Gegnern erheblichen Ab⸗
bruch zu thun, und die rohe Plünderung der Inſeln Parog,
Milo und Sifanto fogar die Griechen des Archipels Bitter
gegen die Republik verftimmte, nahm Huſſein-Paſcha am
20. Oktober die Stadt Rethimo mit Sturm. Cornaro
und der Broveditore Molino fanden dabei ven Tod. Die
Die Kriegsjahre 1647 bis 1651. 55
Citadelle mußte am 10. November Tapituliren. Ein glänzender
Serfieg bei Porto Raphti an der attiichen Küfte (27. Januar
1647), bei welchem leider Tommaſo Moroſini fiel, und fehr
erhebliche Vortheile der Venetianer in Dalmatien in dieſem
und dem folgenden Sabre hinverten nun allervings nicht, daß
der energiihe Huſſein-Paſcha 1647 die kretiſche Meffaren
eroberte und die Blokade der Hauptſtadt Candia begann,
während dann auch der größere Theil des Oftens von den
Osmanen olfupirt wurde. Um die Stabt Candia drehte fich
jeitvem der große Kampf hauptjächlih. Der treffliche General-
kapitän Battifta Grimant, der 1647 das ägäiſche Meer völlig
beberricht Hatte, fand leider (21. Mär; 1648) durch einen
furhtbaren Orkan mit vielen Schiffen bei Pſara feinen Unter-
gang; aber Leonardo Mocenigo erjegte ihn würdig, und vers
theidigte im Frühjahr und Sommer 1648 die Stadt Candia
gegen die energilchen Angriffe der Osmanen mit Xöwenmuth
und jo glüclichem Erfolge, daß Hufjein endlich im November
fh nach Rethimo zurüdziehen mußte.
Die Revolution in Stambul, durch welche im Auguft
1648 der Sultan Ibrahim aus dem Wege geräumt und jein
fiebenjähriger Sohn Mohammed IV. (1648— 1687) auf
den Thron erhoben worden war, führte jedoch nicht zu bem
unter folchen Umjtänden in Venedig erwarteten und erjtrebten
Frieden. Die Staatsmänner der Pforte beitanvden auf Ab-
tretung ber gelammten Inſel Kreta und jetten daher ben
Krieg um fo Tieber fort, weil fie bofften, Durch kriegeriſche
Erfolge das Volf der Hauptſtadt mit ihrer Herrichaft aus-
zuſöhnen. Zunächſt aber machten die türfiihen Waffen feine
Hortfchritte. Die Osmanen auf Kreta rüdten in ihren An-
griffen auf Kreta feinen Schritt vorwärts, und zur See
behaupteten die Venetianer entichieven die Oberhand, freilich
ohne die Zuführung friiher Truppen aus Stambul nach Kreta
dauernd verhindern zu können. Vor Allem glänzend war ver
Serfieg, den Mocenigo am 10. Suli 1651 zwiſchen Paros
und Naxos über bie Flotte des Kapudan⸗Paſcha Hojambegiade
At davontrug. Nachher fchleppte ſich bei der verworrenen
36 Buch L Rap. I. 4. Die Kriegsjahre 1651 bis 1660.
Lage in Stambul und bei der Erſchöpfung der Republif ver
Krieg noch mehrere Jahre ohne größere Ergebniffe Hin. Nur
daß die griechiichen Inſeln und Küften ver Pforte vielfach von
ven Venetianern ausgeraubt, auf des Huffeln klugen, durch
die kretiſche Geiſtlichkeit infpirirten Rath dagegen Seitens der
Pforte den Kretern ein eigener Metropolit" mit fieben
Suffraganen (1653) beiwilligt wurde. Als nachher der -vene-
tianifche Generalfapitän Lorenzo Marcello im Juni 1656
mit feinem Tode einen großartigen Seefteg in den Darbanellen
erkauft Batte, der zunäcit zur Eroberung von Tenedos umd
Lemnos führte, erhob der junge Sultan ven genialen Albanefen
Mohammed Kdprili (15. September 1656) zum Groß-
weifir, der nun eine Reihe großer Minifter eröffnete und bald
genug im Stande war, bei den Osmanen den alten Triegeriichen
Geiſt, Nationalgefühl und fanatifches Ungeftüm wieder zu er-
wecken, durch Träftige Reformen in der Verwaltung, im Heer-
und Seeweſen neue Ordnung berzuftellen und ven Vene»
tianern jchwere Gefahren zu bereiten, obwohl nun allmählich
Seitens des Abendlarives der Republik erhebliche Hilfe geleiftet
wurde. Freilich konnte Lazaro Mocenigo eine neue türkifche
Slotte unter Topal-Mohammed 1657 anfangs noch einige
Zeit aufhalten; aber fein Tod in einem Gefechte in ben
Dardanellen führte noch in demielben Jahre zu dem PVerlufte
von Tenedos und Lemnos. Und nun nahm für längere Zeit
die venetianiiche Kriegführung wieder einen nur befenfiven,
weſentlich unentichloffenen Charakter an, während an Stelle
des tapferen Huffen nunmehr Muſtafa⸗Paſcha vor Candia
erichten. Die Plünderung der Infel Pathmos durch vene-
tianiſche Kriegsichiffe (1659) verdarb den Ruf ihrer Flagge,
die Beſetzung mehrerer Injeln, wie Naxos und Paros, war
ohne beveutende Folgen, und ein noch vor Ablauf deſſelben
Jahres duch Mazarin geſchicktes franzöftiiches Hilfskorps unter
Almerico d'Eſte und Gremonville leiſtete jo wenig Erfolg⸗
reiches, daß (1660) ihr Abzug wie eine Erleichterung erfchien.
Die Eroberung von Skiathos durch die Flotte hatte natürkich
nur wenig zu bebeuten.
Ahmed Köprili. Der Kampf um Candia feit 1666. 57
Lähmte nun für die nächlten Jahre der gleichzeitige Krieg
ber Pforte mit Ungarn und Öſterreich die Energie ber
Osmanen in dem fretifchen Kriege, fo gelang es doch auch der
Republik trog aller Anftrengungen nicht, in Stambul einen
für fie annehmbaren Frieden zu erzielen. Und als erft bie
Pforte (1664) mit Öfterreich Waffenftiliftand geichloffen Katie,
deingte der Sultan, deſſen Lieblingsgattin, die Mutter Teine®
erftgeborenen Sohnes, eine Griechin aus Rethimo war, feinen
Großweſſir Ahmed Köprili, Candia um jeden Preis zu
nehmen. ‘Daber wurden während Des Jahres 1665 enorme
Rftungen angeftellt, von Smyrna, Salonichi, Negroponte und
namentlich) von Moren aus Truppen und Kriegsmaterial in
Maifen nach der Inſel geführt. Und im November 1666
erihien der Großweſſir jelbft von Zeitun aus vor Candia.
Nun that freilich and Pabft Clemens IX. Alles, um Venedig
Hife zu Schaffen. Aus Frankreich kamen Subfibien und Frei⸗
willige; aber eine Rettung war micht mehr zu erzielen.
Allerdings geftaltete fich der legte Kampf um Candia zu
einem wahrhaft großartigen Belagerungsfriege. Der franzöfiiche
Seneral Marquis de Bille, ein Ablömmling der alten Ville
hardonins, den die. Republik feit 1665 an die Spike ihrer
Truppen geftellt hatte, war zwar ſehr tüchtig, mußte fich aber
doch Ichon im Frühjahr 1666 Hinter die Wälle von Candia
zurückziehen. Hier num bat er neben dem Generalproveditore
Antonio Barbaro (jeit Anfang 1668 durch Bernardo Nat
eriegt) und dem Generalfapitän Francesco Morofint feit
Ende Mai 1667 gegen bie 70,000 Dann des Großweifirg
belvenmelithig gefochten. Als de Ville dann im Mat 1668
die Inſel verließ, trat der Hugenotte St. Andre de Montbrun
an feine Stelle, dem Latterino Cornaro als Generals
Provebitore zur Seite jtand. Aber die Zahl der Vertheibiger
ſchwand immer mehr dahin, obwohl von Zeit zu Zeit neue
franzöſiſche Freiſchaaren eintrafen. Als endlich am 12. Mai
1669 unter Joſias von Walded 3300 Braunfchweiger und
Lüneburger landeten, und Zubwig XIV. im Juni 1669 etwa
8000 Mann unter dem Herzöge von Navailles und dem
58 Buch I Kap. I 4A. Kreta 1669 am die Pforte abgetreten.
Herzoge von Beaufort nach Candia abſchickte, war e8 zu fpät.
Die Osmanen batten Candia durch ihr Geſchütz bereits in
einen Steinhaufen verwandelt. Catterino Cornaro war im
Mai gefallen. Der Herzog von Beaufort, der am 19. Juni
landete, fand amt 25. Juni bei einem Ausfalle den Tor.
Navailles wurde am 25. Juli geichlagen und verlieh am
20. Auguft Candia, wo Graf Waldeck am 8. Auguft bereits
gefallen war. Mit nur noch 4000 Mann ſchlug Morofini
noch einmal am 24. Auguft einen furchtbaren Angriff ver
Osmanen zurüd. Die Feftung war aber nunmehr in foldhem
Zuftande, daß Morofint fihb am 27. Auguft entichloß, mit
dem Großweſſir Frieden zu machen. Am 6. September
1669 kam der Vertrag zu Stande, vermöge deſſen bie
Venetianer nun endlih Candia räumten (27. September).
Die Republif trat Kreta an die Pforte ab, behielt
nur die Plätze Suda, Spinalonge, Karabuja, die Inſeln
Tinos und Mykonos, wie auch ihre neuen dalmatinifchen
Eroberungen. Ebenſo natürlich. die ioniſchen Inſeln; für
Zante blieb der alte Tribut an die Pforte, jest euphemiſtiſch
„Penſion“ genannt, beftehen. ALS Tojtbare Reliquie hatten
bie aus Candia abziehenden Venetianer Das Haupt bes heiligen
Titus nach den Lagunen mitgenommen }).
Damit waren, bie wenigen noch im Befige der Republik
befinplichen griechiichen Eilande ausgenommen, die legten
Reſte der politifhen Schöpfungen des lateiniſchen
Kreuzzuges ausgetilgt, zugleich auch mit Ausnahme eben
biefer venetianifchen Infeln und der Abkömmlinge der Griechen
in Unter - Italien, die gefammte griechiſche Nation
unter der Herrſchaft der Pforte zufammengefaßt.
Die Pforte vernollftändigte ihren Sieg nach dieſer Richtung,
indem fie noch im Jahre 1670 auch die Maniaten über
wältigte. Dieſe tapferen Bergbewohner hatten während des
fretiichen Krieges fich wieder völlig unabhängig gemacht, ven
1) Bgl. Zinteifen a.a.O. S.730—1000. Finlay l.c. p. 127sqg.
Sathas.l. c. p. 222—300.
Ahmed Köprili unterwirft 1670 bie Maniaten. 59
Denetianern vielfeitige Hilfe geleiftet, dabei auch Kalamata
geplündert, und namentlich als Gorfaren fi den Osmanen
ſehr läftig gemacht. Ein Verſuch, fie 1667 zu bänbigen, war
mißglüdt. Nun griff Ahmed Köprili zu Fräftigeren Maß—⸗
regeln. Einerſeits wußte er fich der wilden Parteiungen unter
den mächtigen Häuptlingen der Maina mit Glück zu feinem
Vortbeile zu bedienen. Im jener Zeit vangen namentlich zwei
mächtige, zu Vitylos angejeffene Clans in dieſem Hochlande
um die Hegemonie, die Stephanopuli und die Jaträer
(oder Medici). Ein Verwandter viejes leteren Clans, Liberios
oder Liberaki Geratihari, war durch den Michael
Kemithais, der zu den Stephanopuli gehörte, feiner Braut
(einer Tochter des Giacomo Yatros) beraubt worden. Seit
dem beftand erbitterte Fehde zwiichen beiden Clans. Inzwiſchen
fiel Liberaki als Corſar in die Hände der Osmanen, die ibn
für Yängere Zeit zum Galeerenſklaven machten. Jetzt aber
gab ihm der Großweſſir frei und gewann ihn für das Intereſſe
der Pforte. Mit reichen Mitteln ausgeſtattet, kehrte Liberaki
nah feiner Heimath zurüd und zog durch das Gold des
Großweſſirs feinen Elan, mit dem er nun die Gegenpartei
befehvete, auf die Seite der Osmanen, deren Agenten außer-
dem den Maniaten das Recht, fich der Kirchengloden bevienen
zu dürfen, Befreiung von dem Stnabenzins, Herabiegung bes
Kharadſch auf die Hälfte, und Fernhaltung türkiicher Anfiepler
von ihrem Lande verfprachen. ALS endlich Candia gefallen war,
ſchickte Ahmed Köprili 1670 von Chios aus eine bejtimmte
Aufforderung an die Maniaten. Sie follten Amneitie er-
balten und nicht genöthigt fein, die bisher unbezahlten Kopf⸗
fteuern nachzultefeern: aber unterwerfen müßten fie fich auf
jeven Fall. Dann aber erichien fein Feldherr Keſy⸗Ali⸗Paſcha
mit einer ftarlen Zlotte und 6000 Mann, zeritörte die
Piratenflotte der Maniaten von Porto Quaglio und Tzimove,
und ſchickte fih an, mit ſyſtematiſcher Klugheit die geſammte
Maina milttärifch zu umfchnüren. Das rauhe Gebiet der
ſüdlichſten Maniaten, die Schluchten und Teljennefter von
Kakobunia (ſpottweiſe Kakobulia genannt), das Gebiet jüblich
60 Buch I Kap. J. 4. Ahmed Koprili unterwirft 1670 bie Maniaten.
von Tzimova, Sollte nicht unmittelbar angegriffen werben.
Hier begnügte fih der Paſcha, bei Porto Quaglio ein ort
anzulegen. Dagegen wurden bie wohlhabenden und an Pro-
dukten reichen nörblichen Kantone ver alten Ezeriten und
Melinger , die fünöftliche Seite des Taygetos mit Maras
thoniſi und Die Weftjeite zwifchen Tzimova und der meſſeniſchen
Grene (Ero- Mani und Zarnata) feiter gefaßt. Die
Osmanen beiegten die Häfen von Marathoniſi, Vithlos
und Armyros, wie auch die Schlöffer Paffava, Kelepha um
Zarnata, ohne fich jedoch auf Vorftöße in das Gebirge einzus
lafien. Dabei kam dem Paſcha die Freundichaft mit Xiberali
ſehr zu Statten, deſſen Elan zu Vitylos und auf anveten
Punkten die Stephanopuli befehdete. Da der von der Pforte
begehrte Kharadſch nur etwa die Höhe von 1500 Pfund St.
betrug; da der Drud der Pforte nur leicht war, die osmaniſchen
Kriegsichiffe zu Tzimova und Porto Quaglio dagegen bie
mantatifchen Corjaren tm Zaume hielten, fo fügte fich das
maniatifche Bolt zur Zeit in das ungewohnte Joch. Nur der
Anhang des Clans der Stephanopuli, die ſich durch Liberaft
zu bart verfolgt fanden, und ein Trupp anderer Maniaten
309 e8 vor, jest die alte Heimath zu verlaſſen und nach dem
Abendlande auszuwandern. War um 1672 eine große Schnar
nah Apulien gezogen, fo verliefen am 3. Oftober 1673
etwa 750 Berfonen des Clans der Stepkanopuli Vitylos, um
fih nachher in Corſika anzufiedeln ?).
Dei jolcher Lage der Dinge waren es demnädft nur noch
einige tapfere Corfaren, welche den Seelrieg gegen die
Pforte fortjegten. Abgeſehen von ven Sohannitern (von denen
wir ©. 41 für das Jahr 1690 bei der Gefchichte von
Naxos fpeziell den Raimond de Modene kennen Yernten), fo
fommt bier zunächſt ein Savoyarde in Betracht, der Marquis
1) Über die Maniaten fiehe jest Finlay 1. c. p. XI u. 134-138.
Sathas 1. c. p. 307— 310 und Hopf, Griechenlanb im Mittelalter,
Bd. 86, S. 185. Aus der älteren Literatur fiehe noch bie verftänbige
Kritit verjchlebener Angaben aus dem 17. und 18. Jahrhundert bei
Manio, Sparta, Bb. II, Thl. 2, &. 144. 148 ff. 162ff. 165. 168 ff.
Fränkiſche Corjaren im ägätfcgen Meere feit 1673. 61
be Fleury, der 1673 mit zwei Kriegsichiffen von Marfeille
auszog, um Naxos zu erobern. Derielbe lag im Hafen von
Paros und fnüpfte mit den Narioten heimliche Verbindungen
an. Nun aber griffen die Venetianer gu, Die auf Grund des
legten Friedens gegenüber der Pforte verpflichtet waren, Teine
Piraten im Wrchipel zu dulden AS Fleury nun reine
dreibenterei trieb, fiel er bei Paros in venetianiiche Hände,
wurde in den Yagunen vor Gericht geftellt und entging nur
buch die Verwendung des franzöfiichen Hofes einem ſchmäh⸗
lihen Tode ?).
Nicht Lange nachher unternahm einen ähnlichen Ritterzug
deu tapfere Provenpale Hugo de Ereveliers, „das Urbild
von Byrons Corſar“. Diefer Ritter hatte fich feit ſeinem
zwölften Sabre in der Levante beivegt, die Zuftände und die
Menichen der griechiich- türkifchen Welt genau kennen gelernt.
Hugo war mit dem maniatifchen Kapitän Liberaki
in Verbindung gelommen, ver jeinerfeitS jet wieder ber
türkiſchen Freundſchaft fatt war. Im Einverftändniffe mit
diefem zweideutigen Mann jammelte er ein Geſchwader zur
Befreiung der Griechen, lanbete in der Maina und begann
bier eine der türkiichen Zeitungen zu belagern. Der Verſuch
mißlang indeſſen, weil die Maniaten ſchließlich die Provencalen
im Stiche ließen. Kapitän Liberaki, der ſeit dieſer Zeit
abermals gegen die Osmanen als Pirat auftrat, fiel ſpäter
in deren Hände und wurbe für längere Sabre wieder als Galeeren⸗
Have in dem Bagno von Stambul feitgebalten. Creveliers
Dagegen wandte fi von Morea nah dem Archipelagus,
eroberte Paros, machte e8 zu feinem Stanbquartiere und
beherrſchte jeit 1676 das ägäiſche Meer. Zwanzig mit
Italienern, Griechen und Slawen bemannte Schiffe ſtanden
ihm zu Gebote, mit denen er Petra auf Lesbos eroberte,
die Inſeln des Archipelagus und manche Küftenftäbte wie
Megara brandfchagte oder fich tributär machte. Er fam aber
völlig unerwartet im Hafen von Aſtypaläa um, als (1678)
1) Enrtins, Naxos, S. 29. Hopf a. a. O. S. 177.
62 Buch J. Kap. J. 4. Fränkiſche Eorfaren im ägäiſchen Meere feit 1673.
einer feiner Diener aus Privatrache die Pulverfammer feines
Slaggenichiffes atzündete ). Nuten Hatte den Griechen
auch diefer Corjar nicht gebracht; denn die Inſelgriechen
waren immer genöthigt, ſobald fremde Krieger, früher die
Benetianer, jegt die Corjaren, bei ihnen feiten Fuß faßten und
Gelder erhoben, auch noch den Tribut an die Pforte zu zahlen.
Entweder nachträglich, wenn die Herrichaft der Pforte wieder
befejtigt war, oder freiwillig, aus kluger Vorfiht und Ge
jchmeibigfelt 2). ‘Der legte türkenfeindliche Corfar in dieſer Zeit
war der Griehe Johannes Kapfi, der fih 1677 zum
Gebieter der Inſel Milo (Melos) machte, aber fchon 1680
gefangen genommen und vor dem Serail aufgefnüpft wurde®).
Andererjeit8 war wieder während der zweiten Hälfte bes
fiebzehnten Jahrhunderts Lepanto ein Sit gefürchteter
mobammedanifcher Eorjaren. Damit erreichen wir aber bereits
bie Zeit, wo die Republik der Lagunen ſich anſchickte, bie
Waffen noch einmal und zwar flegreich gegen die Osmanen
zu erheben. Scenen, zu deren Schilderung uns nun erft eine
Überfiht über bie Lage der Griechen unter ber türkischen
Herrichaft führen joll.
V.
Wir bemerkten ſeiner Zeit, daß ſeit der Eroberung von
Adrianopel durch die Osmanen die Geſchichte der griechiſch⸗
fränkiſchen Staatenwelt bis zu deren vollſtändiger Verſchlingung
durch die Politik der Pforte vielfache Analogien darbietet mit
der Geſchichte der letzten ſelbſtändigen Hellenen ſeit ihrer erſten
Berührung mit Rom bis zur Zerſtörung von Korinth durch
Mummius. Aber auch die Geſchichte der griechiſchen
Nation unter der Herrſchaft der Pforte, wenigſtens
1) Curtius a. a. O. © 29 f. Hopf, Bd. 86, ©. 177.
Sathas l. c. p. 310. Pinlay L. c. p. 124.
2) Qgl. Pinlay L. c. p. 132.
3) Hopf ©. 177.
Lage der Griechen unter ber türkifchen Herrichaft. 63
bi8 zu der demnächſt zu erzäblenvden Eroberung des geſammten
Peloponnes durch die Venetianer, zeigt nicht geringe Ähnlichkeit
mit jener der Hellenen unter der Hoheit der Römer, über»
wiegend freilich nach den Schattenjeiten. Genau wie die Ge⸗
ihichte der Hellenen während des letzten Jahrhunderts der
römiſchen Republik zu den bunfelften Blättern in den Annalen
biefer Nation zählt, fo ift die Gefchichte des griechtichen Volkes
jeit dem Auftreten des furchtbaren Sultans Mohammed TI.
bi zum legten Drittel des fiebzehnten Jahrhunderts abermals
ein düſteres Nachtgemälde, nur jelten durch einen Lichtbfik
belebt. Man muß jedenfalls eine weltgefchichtliche Perfpektive
von ungebeurer zeitlicher Entfernung nehmen, um fich zu ber
Beobachtung zu erheben !), daß die Unterwerfung und Zus
lammenfaffung der gefammten griediichen Nation (mit
Ausnahme des ioniichen Splitters) unter osmaniſche Hoheit
gewiffermaßen ven Griechen die Möglichkeit gerettet habe, als
eine einheitliche Nation fich bis auf die Gegenwart zu erhalten.
Richtig ift bet diefer Bemerkung allerdings Die Thatfache, daß
bie allmähliche Vernichtung aller fränkiſchen Herrichaften auf
dem Boden des alten Romanien die zertrümmerte griechifche
Nation fehließlich wieder zu einer ungetheilten Mafje gemacht
bat, die jeßt im ähnlicher Weiſe Durch die eiferne osmaniſche
Umrahmung zujammengebalten wurde, wie feit ber Eroberung
auch Vorderaſiens einft die alten Hellenen durch die römifche.
Aber für die Beſeitigung der abendländiichen Fremdherrichaft
und für das Aufhören der zerftörenden Fehden zwiſchen bern
vielen griechiſch⸗fränkiſchen Klein- und Feudalſtaaten bat bie
griechische Nation einen furchtbar fchweren Preis zu zahlen
gehabt. Bon der Zeit Mohammeds II. bis zur Vertreibung
der Venetianer aus Kreta iſt e8 den Griechen des Mittel-
alters nicht To gut geworden, wie einft den befiegten Hellenen
während der fünfundachtzig Jahre nach der Zerftörung Korinth
1) Bol. die etwas optimiſtiſch gefärbte Auffafjung in dem Buche von
Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlands feit 1453,
Wl. J, ©. 2.
64 Buch I. Kap. J. 5. Lage ber Griechen umter türkiſcher Herrfchaft.
und wieder von der Schlacht bet Aktium bis zu den Gothen⸗
kriegen bes dritten Jahrhunderts. Unſere bisherige Darftellung
bat überreichlich zu zeigen gehabt, daß auch die Unterwerfung
unter die Herrichaft des Halbmondes der aus taufend Wunden
biutenden griechiſchen Nation feine Ruhe, keinen Frieden
gebracht bat. Ihr Schidial während der langen bistig Dunklen
Nothzeit feit dem Falle von Conſtantinopel und feit der Zer⸗
malmung ver Moreoten und Negropontiner durch Mohammed IL.
bis zum Abzug Moroſini's aus den Ruinen von Candia war
baffelbe, wie einſt jenes der Hellenen in ber Schreckenszeit
von dem Blutvergießen des großen Mithridates bis zur Zer⸗
itampfung des Peloponnes durch Marcus Antonius vor ven
weltbiftorifchen Septembertagen von Aktium. Vergeſſen
worden iſt allerdings in Weſteuropa für zwei Jahrhunderte
die Erijtenz eines griechiichen Volles. Aber Die Griechen hatten
nicht das Glück, von ihren osmanischen Herren und von ben
feindlichen. Nachbarn vergefjen zu fein. Mit Ausnahme ver
Maniaten, ver Sphafioten und (j. unten) der allmählich auf
tretenden Klephten und Armatolen tft für die eben geſchilderte
Zeit von einem jelbftändigen Auftreten der Griechen feine
Rede. Defto intenfiver waren die Leiden, welche den Griechen
die endloſen Kriege zufügten. Dieſem unglüdlichen Volke,
joweit e8 nicht auf den iontichen Infeln unter der Flagge von
San Marco, in Stambul unmittelbar unter den türkiichen
Kanonen, in Zrapezunt durch feine ferne Lage, in den inneren
Provinzen durch die Entfernung von Meere gejchüßt mohnte,
wurde vielfach nicht einmal die befcheivene Wohlthat zu Theil,
zurüdgebrängt von allem altiven Antheil an der Politik der
Zeit wenigftens in feinem nunmehr für mehrere Iahrhunderte
lediglich communalen Dafein feinen Wohlitand wieberherftellen
zu lönnen. Für die ganze bisher geichilperte Zeit wurde durch
die niemals aufhörenden Fehden bald der Gorfaren aller
Zungen des Mittelmeeres, bald der Iohanniter, bald der
Venetianer und anderer Mächte, jede Küfte und jede Inſel des
griechtich-türktichen Orients mit chronischer Regelmäßigkeit durch
die Schreden der Verwültung, der Plünderung und des
Militärifche Leiftungen ber Griechen für die Pforte. 65
Menichenraubes beimgejucht. Die Folgen waren die theilweiſe
Verödung und vieljäbrige Verarmung vieler Injeln und aus
gedehnter Küftenftriche, das Abftrömen der Bevölkerung theile
in die größeren Städte, theils in das innere Land, das Yang»
wierige Erlahmen der Taufmännifchen und gewerblichen Thätig-
tet, das Zurückdrängen der Maſſe der Griechen auf ein
ziemlich eintöniges Bauernleben. Erhöht aber wurden biefe
Keden.daburch, daß die Osmanen nicht allein fehr oft in
der Rage fich befanden, vie griechiichen Küften, Inſeln und
Halbinfeln zur Bafis ihrer Feldzüge zu machen, ſondern auch
völlig nach altrömiicher Weife in den Provinzen Die Mittel
fünden, durch deren rückſichtsloſe Ausbeutung ihre oft enormen
Berlufte wieder zu ergänzen. Abgeſehen von finanziellen
Erpreffungen und von dem „Knabenzins“, deſſen wir noch
fpäter zu gebenfen haben, wurbe es namentlich bei Verluften
im Seelrieg ihnen gar nicht ſchwer, durch Heran⸗
ziehung ber Mittel Griechenlands ſich immer wieder jchnell
genug mit Kriegsmitteln zu verjehen. Abgeſehen von ihrer
aus den Anfängen ihrer Machtentwiclung jtammenden Or⸗
ganifation haben die Osmanen eigentlich auf byzantinischen
Doden jo gut wie gar nichts Neues gejchaffen, vielmehr einen
guten Theil der uralten bizantiniichen Einrichtungen einfach
übernommen, ins Türkiſche umgeprägt, oft auch nur einfach
überſetzt; Höflicher ausgebrüdt, fie folgten jehr häufig in der⸗
jelben Weife wie die alten Rhomäer nur der Aufforderung
der natürlichen Verhältniffe, in welche fie als Erben ver
letzten Paläologen eintraten. In diefer Richtung waren unter
Anderem für den Frieden bie Provinzen gehalten, nach alt
bhzantiniſcher Methode einen Theil ihres Getreives zur Vers
proviantirung von Stambul abzuliefern, für den Krieg aber
die Infeln Rhodos, Milos, Santorini, Chios, Kypros, bie
Halbinfel Morea, Lepanto, die Inſeln Santa Maura,
Negroponte, Lesbos, Andros und Shra, Naxos und Paros,
Samos, wie auch Lemnos, je nach ihrer Bedeutung genöthigt,
eine beftimmte Anzahl von Kriegsichiffen zu ftellen; eine Zahl,
bie allerdings nicht zu allen Zeiten biefelbe blieb. Um die
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III.
”
66 Buch L Kap. I 5. Politik der Pforte gegenliber ber Rajah.
Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts ftellten Rhodos vier,
Chios ſechs, Kypros fieben, Morea nur drei folcher Fahr⸗
zeuge "). |
Die jchwere Laſt des osmaniſchen Drudes, die Fremb-
berzichaft überhaupt wurde aber für die Griechen, jobalb nur
erit der blinde Haß gegen bie Lateiner einigermaßen verraucht
war, namentlich deßhalb jo unerträglich, Tieß namentlich bef-
halb niemals eine ‚prinzipielle Wendung zum Beſſeren zu,
weil e8 eben eine Art der Herrichaft war, welche ſich jelbit
dazu verurtheilt Hatte, ewig eine Fremdherrſchaft zu
bleiben: Auch die römiſche Republik hatte einft bie lebens⸗
vollen griechiichen Staaten unter eine firenge Fremdherrſchaft
gebeugt; aber damals fehlte zwifchen den Culturſtaaten dieſſeits
und jenjeitS ber Abria die trennende und unüberſteigliche
Mauer der Heligionsverichievenbeit. Und nachher Tag es
gerabe in ber Nivellirungspolitif bes Kaiſerthums, allmählich
vor Allen die Hellenen in den Kreis des immer weiter fich
ausbreitenden römiichen Bürgerthums aufzunehmen. Völlig
anders ift die Politik der Pforte gewejen. Erſt
dem Jahre 1877 iſt es vorbehalten geblieben, bie phantaftifchen
Seen eines osmaniſchen, über alle Stämme und Glaubens
genofjenichaften des großherrlichen Reiches ausgedehnten Staats⸗
bürgerthums und einer für die bunte Welt dieſes Reiches aus-
geipannten parlamentarifchen Verfaffung vor der erftaunten
Mitwelt in Scene gelegt zu jehen. Bis dahin aber ift es
mit wenigen Ausnahmen, die der hohen Diplomatie, ber
Regierung einiger chriftlichen Provinzen, und jchließlich ber
Gegenwart angehören, das Brincip der Pforte gewejen, die
Herrihaft der osmaniſchen Race, beziehentlih den Moham⸗
medanern ausichließlich vorzubebalten, und feine andere Ber-
ichmelzung mit der berrichenden Race in Ausficht zu nehmen, ale
jene, durch welche nach der Sinnesweife der Völker auf ber
Balkanhalbinſel vie neuen Elemente vollftändig in dem
Osmanenthum aufgingen, nemlich durch Übertritt zum Islam.
1) Finlayl.c.p. 118.
Stellung der Osmanen zu ihren riftlichen Unterthanen. 67
Sobald nicht Perioden ober Momente des Tanatismus kamen,
mo das Feuer aus der Jugendzeit des Islam wieber aufloderte
md man mit Gewalt befehrte, Tießen aber die osmaniſchen
Sultane, denen ohnehin der maſſenhafte Übertritt ſlawiſcher
und ſchlhpetariſcher Chriſten zur Religion des Propheten nicht
immer lediglich vortheilhaft erfchtenen ift, die durch Predigt
des Ilam nicht zu gewinnende chrijtlihe Maſſe, die auszu⸗
toten wener möglich noch nüßlih war, ald einen Staat in
ihten Staate mit minberem Rechte fortbeiteben. Dieſes
„Recht“ beftand darin, daß diefe Chriften, Bier alfo bie
Örieden, als „Ungläubige“, als Unterworfene, als SHaven
exiftiren durften und für das geichenfte Leben dem Herricher
Zribut zu zahlen Hatten. Damit aber entitand jenes Ver⸗
hältnrißg, welches im neunzehnten Jahrhundert jeine Früchte
ttͤgt. Der Os mane will nur berrichen und beiteuern,
im Detail dagegen die Unterthanen der Pforte nicht einmal
regieren. Die Völker des Sultans zerfallen in zwei völlig
geichiedene Maſſen. Die eine ift der Srieger- und Herren.
fand, welcher das Reich zufammenhält. ‘Die andere, bie
m ewiger Abhängigkeit beftimmte, durch die Religion fo
Kar als möglich von den Moslims getrennte, it ganz und
dar auf ihr eigenes inneres Leben verwieien, jteht mit der
Pforte nur durch den Knabenzins und durch den Kharadich in
Berbindung, und kann nur, eben einige Ausnahmen abgerechnet,
durch Abfall vom Chriftenthum an dem türkischen Staatswelen
Theil nehmen. Hieraus bat fich der Zuſtand entwidelt, der
ven Gegenſatz zwifchen Griechen und Osmanen fchließlich
unverſöhnlich gemacht Hat. Es ift freilich wahr, daß auch
imerhalb bes Islam die Verſchiedenheit zwiſchen Osmanen,
Bosniaken und Schlnpetaren noch heute unter Umſtaͤnden fich
bemerkbar macht; nicht minder wahr, daß das eine mächtige
Moment der Gegenwart, die elementare Gewalt des Nationali-
taͤtsprincips, in ber zweiten Hälfte unſeres Jahrhunderts
griechifch » glänbige Südſlawen, Bulgaren, Rumänen und
National-Griechen in einer früher nicht für möglich gehaltenen
Weiſe auseinander treibt. Nichtsdeſtoweniger bleibt es bie
5
68 Buch J. Kap. J. 5. Organifation ber griechiſchen Provinzen ber Pforte.
gegen Mitte bes neunzehnten Jahrhunderts eine Thatſache,
daß auf ver Balkanhalbinſel feit dem Falle von Eonjtantinopel
für beinahe vierhundert Jahre Religion und Nationalität
vollfommen zufammenfielen, und daß noch heute auf dieſer
Seite die Motive Tiegen, die bis auf die alferjüngfte Zeit alle
politifche Entwicklung der chrijtlichen Untertfanen der Pforte
nur im Abfall von der Herrichaft des Sultans gipfeln ließen,
und welche nach aller bisherigen Erfahrung eine wirkliche
Ausföhnung zwiſchen den Völkern des Großheren wahrſcheinlich
für immer unmöglich machen.
Der Doppel- Drganismus nun, in welchem die
Griechen unter der osmaniſchen Herrfchaft fich bewegten, war
biefer. Die türkiſche Umrahmung, im welche bie Griechen
von Europa fich geipannt jahen, folgte den alten Formen bes
Landes, wie nahezu allezeit feit den Tagen, wo Roms Statt
halter in Theffalonite und Korinth geboten, — obwohl bie
Pforte im Detail der politiich » militäriichen Gliederung im
Laufe der Jahrhunderte wiederholt Veränderungen vorgenommen
bat. Die Osmanen (welche geographiich nur Deorea und Rume⸗
lien, dieſes das Feftland im Norden von Korinth, unterjcheiven)
ftellten von Anfang an dem Großweſſir in ihren europätichen
Eroberungen ben Beglerbeg over Generalitatthalter von |
Rumelien zur Seite, der unmittelbar unter der Oberauffict
eben des leitenden Großbeamten der Pforte ebenjo fungirte,
wie für die aftatifchen Provinzen der Beglerbeg von Anatolien.
Als auch das Herzogthum Athen und Moren, endlich auch
Eubda in die Hände der Osmanen gefallen waren, ftand ber
rumelifhe Beglerbeg zu Sofia in analoger Weiſe an ber
Spite der Ballanhalbinfel, wie vor langen Sahrhunderten in |
bem ausgehenden römijchen Reiche der Präfelt von Sirmium,
nachher von Theſſalonike, an der Spike der illyriſchen Prä—
fektur; nur mit dem Unterfchteve, daß bie Pforte Die ſpät⸗
römiiche Trennung der Militärgewalt von der Civilgewalt
nicht fannte, nur daß Dank ihren Syſtem das militäriſche
Element weitaus das überwiegende war. Es find denn aud
wejentlich militärische Gefichtspunfte, nach denen dg8 Gebiet
Das osmanifche Lehensſyſtem. 69
bes rumelifchen Beglerbegs, von welchem jedoch Die (Bd. II, S.569)
dem Kislaer⸗Aga zugewielene Stadt Athen ausgenommen war,
provinziell zerlegt ericheint. Die Sultane hatten nemlich
bet ihrem Volke ein höchſt eigenthümliches Lehensſyſtem
eingeführt. Jedes neu eroberte Land war jofort „nad
Fahnen und Säbeln‘ in eine Menge Lehen vertheilt worden.
Dadurch follten die neuen Provinzen fofort einen Stod wohl-
fiturter türkischer Einwohner erhalten, die zugleich jeden
Augenblid das ftehende Heer der Pforte verftärken konnten.
Jede der neuen türkiichen Provinzen wurde organifirt als ein
Militärbezirt oder Sandſchak, und ftand unter dem
„Oberſten der Fahne“, dem Sandichat oder Sanpichafbeg,
. der den Befehl über die angefiedelten Lebensreiter führte.
Die Lehen zerfallen in größere (Siamet) und Kleinere
(Zimar, dieſe mit einem Ertrag bis zu 20,000 Asper,
wovon je 6O auf einen Thaler kommen). Man bat bevechnet,
daß aus einem Siamet etiva funfzehn, aus einem Timar aber
zwei Reiter geftellt werben konnten. Es waren aber dieſe
dehen ohne Adel und zugleich ohne eigentliche Erbfolge der
Söhne der Timarli. Allerdings follte in der Negel nur ein
geborener Timarli wieder mit einem Timar bedacht werben,
aber vor den Zeiten bes Verfalles war es Gejeß, daß ver
Sohn eines Timarli bei dem Ableben des Vaters nur erft
ein Heines Leben erhielt, und fich dann allmählich durch Ver⸗
dienfte als Reiter oder Sipahi zu befferer Lage emporarbeiten
ſollte. Diefes eigenthümliche feudale Syſtem hatte Sultan
Bajeſid I. auf altgriechiſchem Boden zuerſt gegen Ende des
vierzehnten Jahrhunderts in Makedonien und Theſſalien
in großem Umfange eingeführt. Murad II. hatte es weiter
über die auf Koſten des Hauſes Tocco (Bd. II, ©. 457 u. 533)
in Akarnanien und bei Arta gemachten Eroberungen aus⸗
gedehnt. Mohammed II. aber verbreitete e8 über das übrige
Mittelgriehenland und Morea.
Damit war das eigentliche Griechenland in einer viel
fefteren und planmäßigeren Weife türkiſch⸗feudal umfpannt, als
früher zur Zeit der lombardiſchen und franzöſiſchen Ritter
70 Buch I. Kap. J. 5. Das osmaniſche Lehensſyſtem.
herrſchaft. Auf Griechenland kamen nun füblich vom Olymp
nach der vollitändigen Erjchütterung der venetianifchen Herr-
ichaft durch ven Verluft von Eubda ſechs Sandſchaks. Es
waren nemlid Morea mit etwa 109 Siamets und 342
Zimars, Negroponte mit 12 Siamets und 188 Timars,
Theſſalien (Neopaträ und Trilala) mit 60 Siamets und
344 Timars, Lepanto mit 13 Siamets und 287 Timars,
Rarlili (Arta oder Prevefa, Aetolien und Alarnanien) mit
11 Siamets und 119 Timard, und Joannina mit 62
Simats und 345 Timars. Dadurch wurde es möglich, von
Anfang an aus diefen Provinzen etwa 7250 Sipahis zu
ziehen. Die Inſeln, joweit dieſelben der Hoheit bes
Kapudan-Paſcha zugewiefen waren und fich viel befier
ftanden, als die Griechen des Feſtlandes, batten Dagegen
bejtimmte Schiffsfontingente zu ftellen (S. 65); auf einigen
Sporaden war aber das Lehensſhyſtem ebenfalls zur Durd-
führung gelangt. Sp find auf Lesbos A Siamets und
83 Zimars, auf Rhodos Dagegen 5 Siamets und 71 Timars
gebildet worden. Als endlich die Injel Kreta erobert worden
war, bildete die Pforte Die Sandſchaks Candia mit 8 Si
mets und 1400 Timars, Kanea mit 5 Stamets und
800 Timars, und Rethimo mit 4 Siamets und 350 Ti,
mard. Der Sandſchakbeg oder, wie wir ung geläufiger
ausprüden, der Paſcha ftand nun an der Spike feiner Provinz
als Befehlshaber feiner Milttärmacht; zugleich aber war er
der oberfte Juſtiz⸗ und Verwaltungsbeamte in feiner Provim,
hatte die Polizei zu handhaben, über die öffentliche Sicherheit
zu wachen und dafür zu forgen, daß die Steuern richtig umd
regelmäßig eingeliefert wurden. Das Detail ber osmaniſchen
Verwaltung lag dagegen nicht in feiner Hand. Sein Gebiet
zerfiel nemlich wieder in eine Reihe Heinerer Provinzen, melde
unter feiner Oberaufficht von türkiſchen Gouverneurs regiert
wurden, die man gewöhnlih Woiwoden oder Beys, auf
dem mittelgriechifchen Feftlande auch wohl Unterbaſchi zu
nennen pflegte. Der Woiwode von Athen wurde durch bet
Kislaer-Aga ernannt. Der Woiwode, der von dem Poaſcha
Die Brovinzialbehörben. Morea. 1
ernannt wurde, hatte über das’ Eingehen der Steuern und
anderer fisfaliicher Einkünfte zu wachen und für vie Boll-
Hebung ber vichterlichen Ursbeile Sorge zu tragen. Er war
zugleich gewöhnlich ver Pächter der Einkünfte des Paſcha's,
wie überhaupt der öffentlichen Einkünfte, was ihm die Ge⸗
legenheit zu zahlreichen Erprefiungen nur allzuoft bot. ALS
exekutives Perfonal war ihm eine Anzahl osmantfcher Gens-
dergen unter einem Bulukbaſchi zur Verfügung geftellt.
Vervollftändigt wurde bie osmanijche Bureaukratie durch den
Kadi, den türkischen geiftlichen Richter, welchen einer ber
beiten Dberrichter m Stambul, der Kabiasker für Europa
(beziebentlich Tpäter der Mufti), ernannte. Der Kabi hatte
kinen Sitz im Hauptorte der Provinz des Woiwoden. Zu
feiner Competenz gehörten alle Civil- und Hanbelsjachen, wenn
fih die Parteien an ihn wenbeten; er hatte ferner die Straf-
gerichtsbarkeit und die Polizei zu leiten ?).
Morea, dem alten Peloponnes, der ſtets als ein großes
Paſchalik behandelt worden ift, theilten Die Osmanen in 23
Heinere Provinzen oder Gerichtsbarkeiten ein. Der Sik des
paſcha's bat mehrfach gewechielt. Bid zur völligen Austreibung
der Veuetianer aus der Hakbinfel jcheint das Generalcommando
abwechſelnd in Korinth, Leondari ober Miſithra fich befunden
u baden, wurde aber jeit 1540 bleibend nah Nauplion
verlegt. Während des Hebzehnten Jahrhunderts dagegen ivar
Batsä die Hauptftadt der Halbiniel. Die arkadiſche Stabt
Xripoliga, welche feit Begim der osmanischen Herrichaft auf
Loſter von Nikli und Muchlion und ver Überrefte von Tegea
und Mantineia zur erfter Stadt des öftlichen Arkadiens (eine
Stunde nordweſtlich vom den Ruinen von Tegea) emporwuchs,
it erſt ſet Vertreibung der Venetianer aus Morea (f. unten)
u Anfang. des achtzehnten Jahrhunderts zur peloponnefiichen
1) Bol. 8. Ranke, Die Osmanen und bie fpanifhe WMonardie im
16. u. 17. Jahrhundert, ©. 6 fe. Finlay lc. p. & sq. u. 21 sq.
Hopf, Bd. 86, ©. 189. v. Maurer, Das griehifche Volk vor und
nad, den Freiheitskampfe, Bd. I, ©. 60ff. 69. 83.
12 Buch I. Kay. J. 5. Die Kopfſteuer.
Gentralftant gemacht worden. Die Provinzen von Morea
waren: Nauplion, Argos, Korinth, Tripoliga, Hag. Betros,
Paträ, Voſtitza, Kalavryta, Gaſtuni, Arkadhia, Navarinon,
Modon, Koron, Andruſſa, Kalamata, Phanarion, Karitena,
Leondarion, Monembaſia, Miſithra, Bardunia und das
Doppelgebiet der Maina 19). Im Mittelgriechenland
waren unter anderen Orte wie Lepanto, Salona, Arachova,
Livadia, Theben, Talanti, Megara u. a. m. Sitze von Woimoden
und Kadis. .
Solcher Geſtalt war der militäriſch-adminiſtrative Rahmen
unter der osmaniſchen Herrſchaft, in welchem die Griechen
ſich jetzt bewegten. Damit waren nun aber überaus ſchwere
Laſten auch in völlig friedlichen Zeiten verbunden. Auf ihnen
laſtete zuerſt der Kharadſch, die türkiſche Kopfſteuer, durch
welche nach den Grundſätzen des Islam die „ungläubigen‘
Untertbanen des Padiſchah fi von Jahr zu Jahr das Recht,
überhaupt zu exiftiren, erfauften. Dieſe Laft, ein Neal oder
Silberdukaten für die verheiratheten und ein halber Real für
bie unverheiratheten Meitgliever der Familien, traf principiell
alle männlichen Einwohner der untermorfenen Provinzen. In
der Praris blieben davon frei die Knaben unter zehn Jahren,
bie Greife, die Geiftlichen‘, envli Dank der nach dieſer
Richtung humanen Art des Orients die Blinden, die Rahmen
und die Krüppel. Bei noch immer 250,000 Chriſten in ver
zweiten Hälfte des fiebzehnten Jahrhunderts zahlte damals
Morea jährlich 167,000 Realen Kopfiteuer ?).. Dazu traten
nun aber noch andere höchſt wuchtig laſtende Abgaben jehr
verichievener Art, die für mehrere Menſchenalter in jehr
harakteriftiicher Weile das Schidjal der griechiſchen Benölferung
1) Vgl. v. Maurer, ©. 61 u. 83. Hammer, Osmaniſche Ge⸗
ſchichte VI, ©. 183. 2. Ranke (in Bd. IE der „SHiftorifch - politifgen
Zeitfehrift” 1835), Die Benetianer in Moren, ©. 433 u. 502, Eut-
tius, Peloponnefos, TH. I, ©. 234. Burfian, Geographie von
Griehenland, Thl. II, ©. 221.
2) Bol. Ranke, Die Benetianet in Morea, ©. 485. Finlay
1. c. p. 26 (vgl. „History of the greek revolution“, vol. I, p. 22).
Die Bauern in Griechenland. 15
beeinflußt haben. Im dem Reiche des Sultans galt ber
Grundſatz des türkifchen Rechtes, "daß der Großherr der wahre
Eigenthümer von allem eroberten Grund und Boden fei.
Davon waren nur jene Inſeln des ägätichen Meeres aus-
genommen, die durch Vertrag, beziehbentlich ohne Kampf unter
bie Herrichaft der Pforte gekommen waren. Thatſächlich aber
batten die Sultane bei der Eroberung von Griechenland nur
das in ungeheurer Ausdehnung vorhandene, wirklich berrenlofe,
beziebentlich durch die Eroberung jelbft berrenlos gewordene,
Örundgebiet in Anipruch genommen. Daburch entjtanden nun
— immer die meiften Infeln des ägätichen Meeres aus»
genommen, wo fich das Griechenthum in alter Art behauptete —
in Griechenland höchſt eigenthümliche Verhältniſſe. Die
von- der türkiichen Krone thatſächlich offupirten Grundſtücke
wurden theils als Siamets und Timars vergeben,
theils als Vakufs den neu gegründeten Moſcheen verliehen,
theils auch als Domänen in der Hand der Krone zurück⸗
behalten. Gegenüber viefer Ausbreitung des Osmanenthums
auf dem griechiihen Grund und Boden vermochte fich
jedoh das griechiſche Element recht wohl zu behaupten,
und allmählich bei feiner numerifchen Überlegenheit auch in
die neuen Verhältniſſe ſehr geſchickt einzuleben. Einerſeits
behaupteten ſich doch auch abgeſehen von den Beſitzungen der
Klöfter und von den principiell beſſer geſtellten Inſeln, auf
vielen Stellen Griechenlands griechiſche Grundbeſitzer auf
freiem Eigenthum. Nicht nur in Eubda und Attika vermochte
ih ein Stamm freier griechiicher Bauern zu erhalten; in
noch ausgebehnterem Grade. fand das in mehreren jener Land⸗
ihaften ftatt, die dann im neunzehnten Jahrhundert ver
Hauptheerb des neugriechiichen Befreiungsfrieges geworben find.
Allerdings unter ſehr bunten Modifikationen; aber doch
in den meiften Xheilen bes alten Landes ver Sellenen,
namentlich im Peloponnes, in einem großen Theile von
Mittelgriechenland, in Epirus (hier in der Hauptfache aller-
dings nur bis auf Ali Tepeleni) und im ſüdlichen Makedonien.
Es Hielten fich nemlich theils einzelne größere griechiiche
74 | Bud I. Kap. L 5. Die Bauern in Griechenland.
Grundbeſitzer; noch andere wußten fich feit dem Verfalle der
ftrammen osmaniſchen Zucht nach des großen Suleiman Tove
durch mancherlei Mittel jogar in den Beſitz von Timars ein
zufchleichen. Vielfach gab es ganze Dörfer, man’ nannte fie
Kephalochoria, wo gar feine Türken mohnten ober Be
fitzungen hatten, und wo num Häufer and Grundſtücke lediglich
den Bauern gehörten. Ihrer großen Mebrhbeit nach maren
die griechiichen Bauern fo geftellt, daß fie als Pächter das
Leben fortjegten, welche! ihre Ahnen in ber franzöfiichen und
paläologiichen Zeit als Hörige der fränktichen und griechtichen
Barone geführt hatten. Sie erichtenen als Pächter auf ven
Gütern der Mofcheen und der Klöfter; auf ven Lehensgütern
der Sipahis, ſobald und ſoweit dieſe nicht felbft als Ader-
bauern thätig waren; auf den großen Gütern (Zugoletia over
Tſchiflicke) bebeutender in dem Lande angefievelter türkifcher
. umd griechifcher Grumbherren. Dadurch ertitanden jehr bumte
Rechtsverhältniſſe. Die Bauern, bie in folder Weite als
Pächter auftraten, waren nicht mehr Hörige ever Leibeigene,
hatten das Recht der Treizligigfeit, waren aber oft genug nur
angeftedelte Tagelöhner. Oft geftaltete fich Die Sache jo, daß
die Dauern ein großes Dorf bejaßen (welches freilich ſehr
häufig nur aud wenigen Hänſern beſtand), ohne daß bie ringe
antchließenden Grundſtücke ihnen gehörten; zuweilen waren fie
ober auch im Beſitze einiger Kleinen Grunbbeligimgen.
Noch andere Verhältniffe entitanden, weil die Griechen das
Recht gewannen, von einem Sipahi unangebaute Grumpſtücke
zu faufen, um biejelben zu bebauen. ‘Der Ertrag von Wein
und Baumpflanzungen, welche griechtiche Bauern unter Zahlung
einer beftimmten jährlichen Abgabe auf einem Vakuf uber
Zichiffie angelegt hatten, gehörte den Anfteblern und konnte
von ihnen unter denfelben Bedingungen vererbt und verkauft
werden. Andererſeits konnte man fi vor Confiskation
fchüten, indem man fein Grundeigenthum formell als Vakuf
einer Moſchee oder einem Klofter vermachte und dafür jährlich
eine beſtimmte Abgabe an bie betreffende heilige Corporation
zablte.
Der Zehnte. 75
Auf allen dieſen bäuerlihen Verhältniſſen Taftete nun
aber ein Fluch, der auch Heute noch nicht ganz von biefem
Lande genommen ift, nemlich jene heilloſe Art der Befteuerung,
bie in der Abgabe des jogenamten „Zehnten“ beftand.
Es war nicht bloß die jchwere Laft der Abgabe je nach Um⸗
ſtänden des Zehnten, aber auch des achten, des fünften, ja
kelbft des dritten Theile vom Ertrage der Güter, was biefe
Steuer fo verberblih gemacht bat, die übrigens auch die
türliſchen Einwohner, jobald fie nicht Lehensgüter befaßen, traf.
Der größte Übelftand liegt darin, daß die Abgabe wieberholt
an Mittelgmänner verpachtet, und daß fie in natura erhoben
wurde. Im einer Zeit eingeführt, wo Griechenland verarmt,
jertreten und von baarem Gelde entblößt war, ift fie anfangs
als vergleichsweiſe milde aufgefaßt worden. Sie tft dann im
Laufe der Jahrhunderte mit den Sitten der Griechen fo fehr
verwachſen, daß der Wiberiwille der Griechen gegen Stener-
jablung in baarem Gelde nach der Vertreibung der Osmanen
aus Griechenland, wie feiner Zeit den Benetianern (j. unten),
fo noch in unjerem Zeitalter dem Übergang zu einer rationellen
Beſteuerung bie ftärfften Schwierigfeiten bereitet. Das
Schlimmſte aber tft, daß dieſe Steuer und die Art ihrer Er⸗
hebung ver griechiichen Landwirthſchaft den größten Schaven
getban, vor Allen ven Antrieb zu neuen probultiven Anlagen,
die wicht fofort von einem Jahre zum anderen Früchte tragen
Unnen, in bevenklicher Weije gelähmt, endlich auch der freien
Verfügung des Grundbeſitzers über fein Gut und befien De
wirthichaftumg erheblich Abbruch gethan hat. Denn dahin
wirkte die fisfalifche Praxis, daß kulturfähige Grundſtücke eines
Brivatmannes, die fieben Jahre lang unangebant Liegen blieben,
Ionfiscirt und anderweitig verkauft werden komten. ‘Der -
Zehnte, der auf ven Siamets und Timars ben Sipahis
als Kriegsfold zufiel, wurde allmählich feit dem Verfalle des
alten osmanifchen Lehensſyftems auch umntittelbar durch den
Sultan an türkifche Großen verliehen. Der griechtiche Bauer
aber hatte, mo er nicht auf den Lehensgütern arbeitete, außer der
Abgabe des Zehnten an den Staat nun noch feinen Pacht
76 Bud I. Kap. I. 5. Der Knabenzins.
zins (oft eim Drittel des Ertrages) an den Grundherrn
zu zahlen, außerdem aber noch manche Täftige Frohnden
zu leiften *).
So erbrüdend Tolche finanzielle Laften auf dem durch bie
osmaniſchen Kriege und die Corfarenzüge fchwer genug heim⸗
geſuchten griechiſchen Volk laſteten, fo wuchtete doch noch
entjegliher auf der unglüdlichen Nation ver abſcheuliche
Knabenzins, deſſen bereitS mehrfach gedacht worden ift.
Das mit entjeglichem Raffinement erjonnene ſchändliche Syſtem
ber Gründer der osmaniichen Macht, aus der Blüthe ber den
Sultanen unterworfenen chriftlichen Völker heraus Waffen von
Knaben zu refrutiven, durch welche einerſeits die Zahl ver
Mohammedaner unabläffig vermehrt, andererfeitS unaufhörlich
bie prachtvolle ſtehende Kriegsmacht der Pforte ergänzt und
ein trefflices Material für die Beamten des Großherrn
getvonnen werben jollte, bat feit dem Talle ver letten
Paläologen bis tief Hinein in das fiebzehnte Jahrhundert
ſchwer auf den Griechen gelaftet. Nur Conftantinopel,
Rhodos, ein Theil der Infeln, und bis zu einem gewiſſen
Grade auch Athen waren von dieſer graufamen Blutſteuer
frei geblieben, von der fich allerdings auch manche Städte
durch große Summen freizufaufen vermochten. In Griechenland
aber erichien aljo alle fünf Sabre die gefürchtete Zeit, wo ber
Nation ein Stoß ins Herz verjegt wurde, wo ein Menfchen-
Zehnte erhoben wurde, der mit Ausnahme weniger Punkte
dem Volke allemal bie Hoffnungsvollfte Blüthe der männ-
lichen Jugend knickte und das Land mit abfcheulicher Sicherheit
moraliich entwaffnete. Kleine Abtheilungen türkifcher Krieger,
jede unter ihrem Hauptmann, jede mit einem bejonderen
Ferman ausgerüftet, zogen in den griechiichen Provinzen von
Ort zu Ort. Wo fie ankamen, verfammelte der Gemeinde
1) 2gl. v. Maurer, ©. 44 fi. 152 — 160. Menpdelsfohn-
Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, Th. I, ©. 3f. Finlay
p. 29sqg. (und „History of the greek revolution“, vol. I, p. 15800.).
Ranke, Die Osmanen, ©. 71ff. und „Die Venetianer in Morea”,
S. 446 ff.
Der Knabenzins. 77
vorſtand (ſ. unten) die Einwohner mit ihren Söhnen. Der
türliſche Offizier hatte dann die Aufgabe, alle jungen Leute
(durchſchnittlich den jedesmal fünften Theil), die vor anderen
ſchön und ſtark, die vorzugsweiſe intelligent oder ſonſt begabt
waren, von dem ſiebenten bis zu den mannbaren Jahren als
Sklaven des Sultans auszuheben und nach Stambul abzu-
führen. Wer in dieſer Weiſe als junger Menſch ſeine Heimath
verlaſſen mußte, war für die griechiſche Nation und bie
anatoliiche Kirche für immer verloren. “Denn dieſe ausgeſuchte
Jugend wurde nun in wohlbemefjener ftrenger Zucht zu guten
Mohammedanern erzogen, und tn reiferen Jahren theils dem
Corps der Janitſcharen, theils den bejolveten, an der Pforte
felbft dienenden Sipahis zugetbeilt, theils im höheren Staats»
dienfte verwendet !).. Dieſes aljo waren die ſchweren und
regelmäßigen Laſten, welde. mit wenigen Ausnahmen bie
Griechen unter türkiſcher Hoheit zu tragen hatten. In
Öriechenland waren es, wie wir fahen, nur die Mantaten,
bie fih auf ihrem Gebiete mit Ausnahme des Kharadfch diefer
türfifchen Plagen zu erwehren vermochten; in ber Zeit nach
Abichaffung des Knabenzinſes haben fich auf Kreta nachher bie
Sphakioten eine analoge balbfreie Stellung zu gewinnen
gewußt. |
Wir Iernten bisher die Art und Weiſe kennen, in welcher
die Osmanen das griechiiche Volt beherrjchten. Wir zeigen
nun, daß innerhalb dieſes eifernen Rahmens die griechifche
Nation gewiſſermaßen einen Staat für fich bildete, welcher
fein jelbftändiges Leben Hatte umd die zerftreuten Glieder der
weit zeriprengten Rhomäer fait noch feiter zufammenbielt,
beziebentlich wieder zujammenjchweißte, als e8 zur Zeit ber
alten byzantiniſchen Kaiſer gefcheben war: derart daß ben
Griechen wenigftens die nationale Zukunft gerettet worden iſt.
Die Momente, die bier den Ausichlag gaben, waren bie
griechiſche Kirche und die griediihe Gemeindever-
faffung. Wir haben. früher erzählt, daß Mohammed II. in
1) Rante, Die Osmanen, ©. 8ff. Finlay, p. 12sq. u. 45—50.
_
78 Buch J. Kap. J. 5. Machtbereih bes Patriarchen von Eonftantinopel.
feinem Stambul dem griechiſchen Patriarchen eine höchſt
beveutjame, rechtlich anerkannte Machtſtellung verlichen bat.
Die Huge Politik dieſes Padiſchah ift ur der That von außer⸗
ordentlichen Erfolge begleitet geweien. Der hohe Klerus der
anatoliichen Kicche ift in ver That für mehrere Jahrhunderte
ein ſehr wetentlicher und ſehr mütlicher Faktor der osmanifchen
Macht geweien. Der Gedanke des Sultans war es, bie
griechiiche Nation durch ihren höheren Klerus zu beherrſchen,
zum Gehorſam gegen die Pforte zu gewinnen, ver Patriarch
mit den höheren Klerikern haftete dem Großherrn geiwiffer-
maßen als Bürge für die Xreue des griechiichen Volles.
Dafür war nun dem BPatriarchen eine höchſt ausgedehnte
geiftliche Herrſchaft und ein gewichtiges Maß tiefgreifenver
bürgerlicher Gerechtiante eingeräumt. Geographiſch dehnte
ſich der geiftliche Machtbereich des Patriarchen von Conftan-
tinopel in den älteren Jahrhunderten der osmaniſchen Herr-
Schaft allerdings ungleich weiter aus, als Heutzutage. Die
Kirche non Conſtantinopel bat gerade umter der Oberhoheit
ber Pforte Reſultate erzielt, welche den Byzantinern ſelbſt
während ihrer kräftigiten Zeit immer umerreichbar geblieben
- waren. Die Anjprüde in Conftantinopel auf die unbeziveifelte -
Suprematie, innerhalb der anatoliichen Kirche find jet endlich
unbejtritten,; auch die Oberhirten von Alerandrien, Serufalem
und Antiochia jtanden jet tief unter bem „dkumeniſchen“
Patriarchen von Conjtantinopel, der allen griechiich Gläubigen
als das fichtbare Haupt ihrer Kirche galt, der ſelbſt dem
Dsmanen als , Petriti- Rum’ das Haupt ver großen grie⸗
chiſchen Gemeinde in ihrem Reiche war. Mehr aber, das
Patriarhat von KConftantinopel machte gerade umter ber
türkiſchen SHerrichaft die bebeutenbften Eroberungen auf
ſlawiſchem Boden. Das große ruffiiche Volf im Norben
ber rumäniſchen Grenzen, wie e8 ſeit Jahrhunderten jeine meiften
Rulturelemente aus Byzanz gezogen, wie feine Dynaſtie (Bo. II,
©. 579) dur Verbindung mit einer Tochter des lebten
Paläologiichen ‘Despoten von Morea eine Art von ‚Rechts
titel’ auf Romanien erheirathet hatte, wie auch das griechiſch⸗
Machtbereich des Patriarchen von Eonftantinopel. 79
gläubige Element in Polen, verehrte auch nach der religidfen
Seite in der Kirche von Conftantinopel feine heilige Mutter:
firke. Diefed ging fo weit, daß der ökumeniſche Patriarch
geraume Zeit fogar den Metropoliten von Rußland, ven
Batriorchen von Moskau, zu ernenmen hatte. Nur daß feit
1589 die ruſſiſche Staatsgewalt fich das nicht mehr gefallen
ließ, jondern veranlaßte, daß water erheblichem Einfluß des
Garen der Patriarch von Moskau von der ruffiſchen Geift«
Iihfeit gewählt wurbe, während ebenfall® gegen Ende des
ſechszehnten Jahrhunderts in den ruffifch« polnifchen Landen ein
erheblicher Theil der griechtich » katholiichen Ehriften fich mit
Rom „imirte‘. Nichtsdeſtoweniger blieb bie Firchliche Ver⸗
mung mit Rußland noch lange bedeutungsvoll genug; derart
daß Eonjtantinopel für die ruffiihe Kirche in Glaubensfragen
die Rolle einnahm, wie die römijche Curie bis auf diefen Tag
für die Katholiten der gefammten Erde, daß noch 1642 fünf
ruffiſche Biſchöfe an einer byzantiniſchen Synode theilnahmen.
Grit Peter der Große hat 1721 diefe Verbindung bleibend
jerrifien und unter Ausprägung des rufftichen Cäſaropapismus
das ruſſiſche Patriarchat durch die „heilige Synode“ erſetzt.
Dafür hatten auf osmaniſchem Gebiete die Patriarchen von
Conftantinopel, denen nur die jerbiche Kirche verjchloffen blieb,
nit nur unter Zurückdrängung der Autorität der Kirche von
Achrida, für die Walachei int fechsgehnten, über die Moldau
im fiebzehnten Jahrhundert be Hoheit über die rumänijchen
Chriften gewonnen, fondern namentlid auch von Anfang an
bie volle geiftliche Herrichaft über die Bulgaren erlangt, bie
unter biefem Regimente bis zum Sabre 1870 von Conftantinopel
aus confequent gräcfirt worden find, foweit ber Firchliche
Einfluß nur immer zu veichen vermochte). For mell haben
ſich die Berhältnifie in der anatoliichen Kirche fo geitellt, daß der
zkumeniſche Patriarch als ihr Haupt galt; im Range folgten
ihm bie Patriarchen von Alerandria, Moskau (jo jeit 1588) ?),
1) Bgl.v. Maurer, S.383—387. Mendelsſohn-Bartholdy,
©. 135,
2) Bol. au Pichler, Cyrillus Lukaris und feine Zeit, ©. 52ff.
80 Buch J. Kap. J. 5. Die Machtſtellung des Patriarchen.
Antiochia und Jeruſalem. Auf osmaniſchem Boden waren
außer den großen orientaliſchen Kirchenfürſten unmittelbar
nicht von ihm abhängig (oder „autokephal“) der Erzbiſchof
von Kypros, der Abt des Sinaiklofters, und in Europa die
Erzbiichöfe von Achrida und Ypek (wie fpäter auch der Vladika
von Montenegro). Achrida und Ypek find erſt im achtzehnten
Jahrhundert (f. unten) ihm umterftellt worden). Das unmittel-
bare geiftliche HerrichaftSgebiet des öfumeniichen Patriarchen um-
faßte die ſämmtlichen chriftfichen Provinzen, die nicht unter ven
„autokephalen“ Kirchenfürften ftanvden. Seine Diöceſen zer-
fielen in zwei Klaffen, von denen die zwölf Erzbisthümer
Cäſarea, Epheſos, Heraklea, Kyzikos, Nikomedia, Nikäa,
Chalkedon, Derkos, Ternovo, Adrianopel, Theſſalonike und
Amaſia die erſte bildeten. Die Erzbiſchöfe dieſer Diöceſen
formirten mit dem Patriarchen in Stambul die heilige Synode,
an welcher jedoch auch alle ſonſt in der Hauptſtadt anweſenden
Patriarchen und Erzbiſchöfe Theil zu nehmen das Recht hatten.
Nur bei minder wichtigen Angelegenheiten konnte der Patriarch
lediglich mit dem Beirathe der vier Erzbiſchöfe von Heraklea,
Kyzikos, Nikomedia und Chalkedon die Entſcheidung treffen.
Dem Patriarchen mit feiner Synode war nun die nahezu
unbeichränfte Gewalt über jein geiftliche8 Herrſchaftsgebiet
verliehen. Neben feiner öfumeniichen Würde zugleich Biſchof
von Konftantinopel, Präfivent der Synode, hatte er die
Oberaufficht über die ſämmtlichen Metropoliten, Erzbiſchöfe,
Biſchöfe feines Gebietes, wie auch über ſämmtliche Kirchen und
Klöfter und deren ökonomiſche Verhältniſſe. Er Hatte das
Recht, die Erzbiichöfe und Bilchöfe zu discipliniren, ein⸗ und
abzufjegen, ohne dafür Jemandem Rechenichaft ſchuldig zu fein.
Ihm ftand das Strafrecht über den gefammten Klerus nad
dem’ Ritus der Kirche zu. Er Hatte theils allein, theils mit
der Synode die etwa in der Kirche entjtandenen Streitigkeiten
zu enticheiven, die Kirchenzucht zu handhaben, und Sprach den
Kirchenbann aus. Endlich aber war er Proteftor und Ders
1) Bgl, Jirecek, Gefhichte der Bulgaren, ©. 448. 466—410.
L
Die Machtſtellung des Patriarchen. 81
treter aller Griechen bei der Pforte). Im dieſer Geſtalt,
yon einer überaus zahlreichen Beamtung umgeben, unter
welcher namentlich der Groß -Logothete® oder Erzkanzler des
patriarchaliſchen Thrones hervortrat (der von dem Patriarchen
und der Synode aus der Zahl der Notablen auf Lebenszeit
gewählt und von der Pforte beftätigt wird), von ber Pforte
mit dem Rang und Zitel eines Paſcha von drei Roßichweifen
gehrt, war ber Patriarch für bie Griechen, bier jpeziell bie
Rhomäer gemeint, gewiljermaßen der Nachfolger der byzan⸗
tiniſchen Raifer. Und fo genoß er ein wirklich gewaltiges
Anfeben und bielt die chriftliche Nation zufammen. Er fandte
ale Jahre feine Erarchen nach den Provinzen, um von ben
Metropoliten die Gefälle des PatriarchatS einzuziehen. Alle
fünf Jahre brach er felbft auf, feine Diöceſen zu fehen, ihre
Streitigkeiten zu fehlichten und ihnen feinen Segen zu geben.
Sein Anfeben war fo groß, daß man fich in allen möglichen
Verhältniſſen auch des bürgerlichen Lebens an feinen Rath
und feine Entſcheidung wendete. Seine Hauptmacht berubte
bei den gläubigen Griechen eben auf feiner Stellung als das
fihtbare Haupt ihrer Nation, trogigen Naturen gegenüber auf
jeinem Rechte, die Ercommunication auszufprechen. ‘Denn
namentlich in dem fechszehnten Jahrhundert glaubte man, daß
ver Leib eines von dem Patriarchen verfluchten Menſchen in
ber Erbe nicht verweje; jo lange habe der Satan die Seele
in den Händen, fo lange könne das Band des Leibes nicht
aufgelöjt werben, bis der Patriarch den Bann wieder löſe. 2)
Dazu kam, daß die anatolifche Kirche auch über beveutende
materielle Mittel zu verfügen hatte. Durch Sultan
Mohammed II. war ihr der Beſitz der reichen Grundſtücke
l) v. Maurer, S.3877. und vgl. Eihmaun, Die Reformen des
osmaniſchen Neiches, S. 19 ff. 23 fi. |
2) Auf den ionifhen Infeln erfand man im 18. Jahrhundert das
Mittel, fih durch erfaufte Gegenereommunifationen vor den Wirkungen
ber dort oft gemißbrauchten Ereommunilation Seitens des dortigen
„Protopapa“ zu fügen. Graffet St. Sauveur, Die ehemaligen
venetianiſchen Befigungen an der Küfte von Griechenland; überfegt von
Sprengel, ©. 21f.
Hersberg, Geſchichte Griechenlands. IIT. 6
82 Bud I. Kap. I. 5. Kirchliche Beſteuerung der Griechen.
garantirt worden, welche fich zur Zeit des Unterganges ber
Paläologen in geiftlicher Hand befanden. ‘Die Treigebigfeit
aber, die Opferwilligkeit, zum Theil auch (vgl. ©. 74) bie
politiiche Nothlage vieler Ehriften vermehrten dieſe Beſitzungen
im Laufe ber Jahrhunderte wiederholt. So konnte es ger
ſchehen, daß unter Anderem anf dem Gebiete, das gegenwärtig
Rönigreih Griechenland genannt wird, (mit Ausnahme ver
jonifchen Inſeln) noch im Sabre 1835 der vierte Theil nos
Grund und Boden im Befitze der Kirchen und Kföfter ſich
befand. So bezog and folchen Kirchengütern vor der Ber
teibung der Osmanen aus Morea die Kirche von Korinth
ein jährliches Einkommen von 1500 fpantichen Thalern (zu
ſechs Franes), die Kirche von Vakedämon etwa 800, bie von
CHriftionopolis 800, bie von Santorini bloß an Wein etwa
1000 ſpaniſche Thaler. Dazu traten nım noch andere fehr
bedeutende Einkünfte), Dem Patriarchen fielen zu Die Erb⸗
Ächaften der Erzbiſchöfe, Biſchöße, unverheiratheten Priefter und
Mönche, die Orbinationdgebühren der Metropoliten, Erzbiſchöfe
md Biihöfe, ferner die ihm als Biſchof von Conſtantinopel
zukommenden Stolgebühren, wie auch die jährlichen Stenern
sämmtlicher ihm amterftellter Btichöfe. Dazu kam noch eine
alle drei Jahre von jeder griechiſchen Familie zu erhebende
Abgabe. Die Erzbiſchöfe und Biſchöfe dagegen bezogen außer
ben ihnen aus ben Kirchengütern guftrömenden Geldern noch
andere höchſt reichlihe Einkünfte. Außer einer kleinen bes
fimmten jährlichen Abgabe an Geld und Naturalien von jever
Familie ihres Sprengels erhielten fie von den Laien für bie
geiſtlichen Amtshandlungen jeber Art ſehr bebeutende Stol⸗
gebühren, desgleichen für die zum Abſchluß von Ehen gegebene
Erlaubniß. Sehr erhebliche Summen wurden ihnen für die
Leſung der Meſſen, namentlich der Seelenmeſſen gezahlt, wie
auch jährlich für fie zweimal kollektirt. Die Klöſter, ſoweit
fie nicht unter dem Patriarchen direkt ſtanden (ſogenannte
Stauropigia), zahlten jährlich ihrem Biſchof eine beftimmte
1) v. Maurer, ©. 53f. 393ff. 398}.
Das Patriarchion in Conftantinopel. 88
Steuer, während Die Briefter jenes Sprengeld außer einer
hr erheblichen Summe für ihre Ordination noch verſchiedene
Abgaben zu Tetften Hatten. Die Einfünfte waren jo bebeuten,
daß man im legten Jahrhundert der osmaniſchen Herrichaft
über Griechenland je nad ihren Einnahmen (bie Revenüen
von den Kirchengütern noch ungerechnet) die Biſchöfe in vier
Aaſſen theilen Tonnte, von denen die reichſte auf ein Jahres⸗
Entommen ven 80,000, die zweite von 60,000, bie dritte
von 40,000, bie letzte immer noch von 25,000 türkiſchen
piaſtern geſchätzt wurde.
Theuer genug mußte alſo die griechiſche Nation damals
die Machtſtellung und die glänzende Repräſentation ihres
höheren Klerus bezahlen. Indeſſen wurde das im Allgemeinen
gern ertragen, namentlich in Conjtantinopel. „Freudig
ſah man dort das hohe Kreuz, das, auf dem Patriarchion
aufgerichtet, weithin im Lande und weithinaus in die See zu
erhliden mar. Das Patriarchion felbft, neben einer Marion
Arche auf einer Anhöhe von Stambul, ein umichlofjener Hof
mit ein paar Bäumen, und bie Wohnung des Batriarchen
ſchien ein Heiligthum ’). Bor feinem Thore ging Niemand
vorüber, ohne die Bruft mit der Hand zu berühren, fich zu
beugen und im Weitergeben ein Kreuz zu maden.. Man
überrebete fich, jene Kirche der Maria leuchte auch während
der Finfternig wie die Sonne. Mean ging jelbft bis zu ‚einer
umittelbaven Verknüpfung diefer Dinge mit ber Gottheit.
» Wenn man Priefter und Diakonen in ihren Sticharien und
Ormien hervortreten, um den Thron umbergehen, die Köpfe
am Gebet neigen jehe, feien- fie den ‚Engeln Gottes gleich,
wenn dieſe fich zu dem ‚Heilig ift Gott!‘ um ben himmliſchen
Thron geſtellt. Ja, mit Gott felbft auf feinem himmliſchen
Stuhfe Yaffe ſich der Patriarch vergleichen, ber eine Perſon
1) Ganz genau erzählt, fo wurde nah Offupation (durch Moham⸗
meb II.) ver Sopbienfirche für den Islam das Patriarchion zuerſt nad
der Kirche der h. Apofiel, aber noch in demſelben Jahre nach dem
Kloßer der Allerfeligfien Jungfrau, 1578 nach der Kapelle des h. Deme-
trios, 1608 mach "der Kapelle bes h. Georgios verlegt.
6*
84 Bud I. Kap. I. 5. Bürgerliche Eompetenz bes Patriarchen.
der Trinität, nemlich Jeſum Chriftum, vorftelle auf jeinem
irbiichen Thron. Das Heiligtfum ber Gebenedeiten, ein
irdiiches Paradies, habe Gott gemacht und nicht Menſchen⸗
hand!«91) |
Die Bedeutung des höheren Klerus für die Griechen war
num allerdings keineswegs auf die geiftliche Stellung befjelben
beichräntt. Vielmehr verfügte derjelbe mit dem Willen und
der Zulaffung der Pforte über ein jehr namhaftes Stüd
auch weltlicher Macht, nemlich auf Seite der Juſtiz. Noch
in unmittelbarem Zufammenbange mit der geiftlichen Amts
gewalt ſtand es, daß der griechiihe Episfopat alle Ehe- und
ZTeftamentöftreitigfeiten, gemäß den Beitimmungen bes Tanonifchen
Rechtes, lediglich vor fein Forum 309. Auf dieſer Seite
fonnte von dem Spruce eines Biihofs nur an ven Patriarchen
und die Synode in Conftantinopel appellivt werben 2). Außer:
dem aber übten die Bifchöfe auch noch zum Theil allein,
zum Theil mit den griechiichen Primaten (f. unten) eine
ſehr bebeutende Gewalt in Civilftreitigfeiten unter Griechen
aus. Nach der jetzt geltend gewordenen Anficht war dieſe ihre
Gewalt keineswegs bloß eine jchiedsrichterliche, auf freiwillige
Unterordnung der Parteien begründete, vielmehr °) feheint es,
daß die Osmanen, deren Padiſchah ja felbit geiftliche und
weltliche Macht in Einer Perjon verband, und deren Kadis
zugleich geiftliche und weltliche Richter waren, e8 nur natürlich
fanden, wenn die griechtichen Biſchöfe neben ihrer geiftlichen
Competenz auch eine weltliche ausübten, und fich fortichreitend
guf der Linie bewegten, wie fie feit der Zeit des Kaiſers
Andronitos II. Paläologos (Bd. II, ©. 179 u. 265) und feines
Enlels (1329) für die Beziehungen ber Bilchöfe zur Jurisdiktion
giltig geweien war. Seit dieſer Zeit hatten die Bifchöfe jehr
bedeutendes Anfeben bei der Juſtiz gehabt, in einigen Provinzen
1) 2. Ranke, Die Osmanen, ©. If.
2) v. Maurer, ©. 9.
3) ®gl. Finlay, History of the byzantine and greek empires,
vol. U, p. 5245q. Eichmann a. a. O. ©. 4. 14f. 24f. Heimbach,
Griechiſch⸗römiſches Recht (Allgem. Encyklopäd., Sekt. J, Bd. 87, &.37—.
Bürgerlicde Competenz des griechiichen Episfopates. 85
jelbft bei den gerichtlichen Verhandlungen präſidirt. Wenn
für die türfifche Zeit die biichöfliche Jurisdiktion nur als
ſchiedsrichterlich ericheint, To Liegt diejes daran, daß die Parteien
allerdings mit wenigen Ausnahmen das Recht hatten, falls ihnen
bie geiftliche Entſcheidung nicht gefiel, die Sache bier liegen
zu laffen und ven Proceß fofort vor ben türkiſchen Kadi zu
bringen und von diejem Recht zu nehmen. Praktiſch machte
fh Die Sache aber in der Regel fo. Der Patriarch in
Stambul hielt an der Spike eines Capitels von vornehmen
Klerikern und angefehenen Laien wöchentlich zweimal Gerichtötag
und entichied bier alle vor ihn gebrachte Civilrechtsftreitigfeiten,
übte aber auch binfichtli der von Griechen in Ehefachen und
in Bezug auf gaben zu Kirchlichen Sweden begangenen Vers
brechen eine bedeutende Criminaljurispiktion aus. In analoger
Weile, obwohl mit viel beſchränkterer Competenz in Strafjachen,
übten in ben Provinzen Erzbilchöfe und Biſchöfe unter
Mitwirkung einer Anzahl von Geiftlichen und Laien die
Gerichtsbarkeit aus. Der Batriarch hatte nur auf rund
des Gehorſams, den die Anhänger feiner Kirche ihm zu leiten
verpflichtet waren, ein gewiſſes korrektionelles Polizeirecht.
Aber die Gewalt des Firchlichen und nationalen Zuſammen⸗
hanges, die ungeheure felbftändige Gewalt des hoben Klerus
innerhalb der griechiichen Nation, endlich die nur ſpät in ihrer
lähmenden Wirkung abgefchwächte Macht der Exkommunikations⸗
drobung waren Mittel genug, um den Entfcheivungen ber geijt«
lichen Nichter bei den Griechen dauernd Nachachtung zu erzwingen.
Dazu famen aber noch manche andere bebeutungsvolle
Momente, welche der Stellung ber Biſchöfe ein ſolches
Gewicht gaben, daß nicht Yeicht ein Grieche fi) von ihnen
losſagen mochte. Der Biichof war eben für die verjchiedenften
weltlichen Angelegenheiten der Rath und Beiftand feiner
Glaubensgenofjen. Wollte ein Grieche einen Verlauf oder
jonftigen Contrakt abichließen, fo wanbte er fich an feinen
Biſchof, ließ von ihm die Urkunde abfaffen und zur größeren
Beglaubigung mit unterfchreiben. Sollte ein Minderjähriger
einen Vormund haben, die Bormundichaft über die geſetzliche
86 Bud L. Rap. I. 5. Gerichtsbarkeit ber griechiſchen Bifchöfe.
Zeit binaus verlängert werden, Rechnung von dem Vormunde
abgelegt oder tonftiger Rath in Vormundſchaftsſachen ertheilt
werben, jo wandte man fich an den Biſchof. Wegen Abfaffung
von ZTeitamenten ging man zum Sanzler ober Notar Des
Biſchofs. Es gab kaum eine Sache von Wichtigkeit, wegen
ber man jich nicht vorher mit dem Biſchof berathen hätte.
Endlih aber nahm der Biſchof auch an den allmählich ſich
entwidelnden Gemeinde⸗ und Bezirföverfammlungen Theil und
war ber natürliche Vertreter des Volkes im Talle gerechter
Beſchwerden — gegen griechiſche Machthaber bei vem Woiwoden
und gegen den Woiwoden bei dem Balcha !). Auf der anderen
Seite ſtand e8 außer Zweifel, daß der Grieche in der Regel
weit beifer fuhr, wenn er fich bet der bifchöflichen Entſcheidung
in Rechtsfällen berubigte, als wenn er bei dem Kadi Recht
juchte Der griechiſche Biſchof ftüßte ſich bei feinen
Enticheivungen Hauptfächlich auf eine berühmte Bearbeitung bes
älteren byzantinischen Nechtes oder vielmehr auf ein Handbuch,
welches aus dem Proceiron des Kaiſers Baſilios J., aus den
Baftlifen und aus den Novellen Yuftintans in der Mitte des
vierzehnten Jahrhunderts durch Konftantin Harmeno-
pulos, feiner Zeit Oberrichter unter Johannes Kantakuzenos
und Johann V. Paläologos in Theſſalonike, Kergeftellt worben
war und fich als Lieblingsbuch des Klerus in ausgedehnten
Gebrauche erhielt. Daneben waren aber noch verjchiedene
anbere Handbücher im Gebrauch, in denen bürgerliches und
fanonifches Recht enthalten war 2). Daneben aber galt, nicht
bloß bei den Vorſtänden der allmählih ſich ausbilvenden
griechtichen Gemeinveverfaffungen, vielfach auch das fogenannte
Gewohnheitsrecht, welches Teinesivegd überall mit dem Harme⸗
nopulos übereinftimmte, welches auch der Weiterbildung unter
Sag, ftellenweife auch, wie zu Syra (1695), zu Santorini zu
Ende des achtzehnten Jahrhunderts (1797), zu Naxos (1810)
schließlich ſchriftlih Todificirt wurde. Obwohl nun bie
1) v. Maurer, S. Yf. Heimbach, ©. 40.
2) v. Maurer, S. 104ff. Heimbach, ©. 40 u. 4ff.
Griechiſche und türkiſche Rechtspflege 87
bifhöflihen Gerichte mit Einſchluß der nach dem Gewohn⸗
heitsrechte gefällten Entſcheidungen ſelbſtredend vieffache juriſtiſche
Schattenſeiten hatten; obwohl namentlich die geiſtliche Gerichts⸗
barkeit von dem nationalen Übel der Käuflichkeit ſich durchaus
nicht frei gehaften bat, jo waren die damit verbundenen
Mißbräuche doch noch lange nicht fo fchlimm, als jene bei ver
osmaniſchen Juſtiz. Der Broce bei dem Kadi war jehr
theuer, indem berfelbe (unbejolvet wie er war) das Recht
hatte, zehn Procent von jeder an ihn gebrachten Civilſache zu
erheben. Und ats erft feit Suleimand des Prächtigen Tode
vie osmanifche Herrichaft moralifch zu verfallen begann, nahm
einerſeits die Käuflichkeit der türkifchen Suftiz überband, wurde
es auch für die Griechen immer bevenklicher, durch Prozefie
boy dem türkifchen Richter Reichthümer zu zeigen. Es galt
im fiebzehnten Jahrhundert für ficher, daß pie bei türfijchen
Nichteen geführten Prozeſſe zwiſchen zwei Griechen immer mit
dem Ruin beider Parteien endigen müßten. Aber auch }o
wor em jchlimmer Umſtand nur felten zu vermeiden. Aller«
dings folften im Falle von Civilprozeſſen zwifchen Griechen, die
bet dem Kadi geführt wurden, die türfiichen Richter nach dem
griechifchen Rechte enticheiven. Aber die Zahl der gewiſſen⸗
haften Türken, welche fi) vor ihrer Urtheiläfindung bie Mühe
nahmen, das griechiſche Hecht zu ftubiren, war nur gering.
Biel öfter wandten fie kurz und gut türfifches Necht auf bie
Griechen an, und waren ſogar in vielen Fällen gehalten, nur
ihr türkisches Recht zur Anwendung zu bringen ).
Die Folge viefer Berbältniffe ift denn auch geweſen, daß
die Tendenz bes griechtihen Episkopats, die türfiichen
Gerichtshöfe wenigſtens im ihrer Beziehung zu ven griechtichen
Untertfanen des Padiſchah „trocken zu legen‘, die Griechen
unter allen Umftänden von einer Hinwendung zu den Kadis
zurückzuhalten, in ber Hauptſache vollitändig vom Erfolge
gekrönt worden ft. Und das in ſolchem VUmfange, daß gar
nicht jelten jogar Türken bei Nechtstreitigfeiten mit Griechen
1) Bgl. v. Maurer, ©. ff.
88 Bud I Kap. I 5. Griechiſche und türkifche Rechtepflege.
e8 vorzogen, bei dem griechiichen Biſchof Hecht zu nehmen.
Allerdings geftaltete fich auch nach Seite der Rechtspflege das
Bild der griechiichen Zuftände ungemein bunt. Ganz und gar
verdrängen ließ fich der Kadi und das türkiſche Hecht aller-
dings auch in Civilſachen nicht. Es gab jogar einige Punkte
in Griechenland, wie Modon, Kythnos und Negroponte, wo
das türfiiche Pecht die Dberband gewann, wo es auf alle
Nechtsverhältniffe der Griechen zur Anwendung gebracht wurde.
Es gab auch verjchtevene gerichtliche - und außergerichtliche
Handlungen, die vor den türliichen Richtern vorgenommen
oder doch von ihnen bejtätigt werben mußten. Der Kabi
mußte bie von den Griechen ernannten Euratoren oder Tutoren
beftätigen. Ehekontrakte, Adoptionen, gewiife Käufe und Vers
fäufe mußten zu voller Giltigfeit von dem Kadi wenigftens
beftätigt werden. Ebenſo galt auf manchen Punkten für
einzelne Nechtöfragen türkiiches Recht; fo zu Voſtitza im
Vormundſchaftsweſen und in Sachen von Servituten, in Argos
in Bezug auf den Termin der Volljährigkeit u. |. w. Sm
Milos, in Athen, in Mifithra, in Meſſenien appellirte man
nicht allzu felten von der Entſcheidung der griechtichen Behörde
an die türkiichen Gerichte. Im Großen und Ganzen aber
bominirte in dem Rechtsweſen bas griechifche Episfopat voll
fommen, fo fehr daß auf vielen Punkten, namentlich in
Nauplion, in Lakonien und auf den meiften Infeln, bie Biſchöfe
in den ausſchließlichen Beſitz der Civilgerichtsbarkeit gelangt
waren. Auf mehreren Injeln, wie auf Poros, Salamis und
Aegina u. a. m., fauften die Gemeinden im fiebzehnten Jahr⸗
hundert bei dem Kapudan⸗Paſcha die ihnen Täftigen Stellen
der Kadis und Woiwoden einfach aus ?).
In dieſer Weife ift durch die Kirche die griechiſche
Nation dauernd zufammengehalten, gewilfermaßen als eine
Theofratie regiert, in ihrer Iſolirung von der Durchjegung
mit dem osmaniſchen Wefen möglichit zurückgehalten und für
1) Vgl. v. Maurer, S. 81. 94. 98f. 112f. 139f. 148. 266. 277.
329. 338.
Schattenfeiten der Sage ber Griechen unter türkiſcher Herrſchaft. 89
eine beilere Zukunft gerettet worden. Sorgte ber türkiſche
Drud an fich dafür, daß der alte Haß gegen die Fremdherr⸗
haft niemals erlofh, fo hielt der Bann der Kirche auch
fichtblütigere Elemente davon zurüd, fich etwa in den Provinzen
durch Heirathen mit den Osmanen zu verbinden, d. h. unter
ihnen aufzugeben. Es wird nicht zu beftreiten fein, daß nur
auf dieſe Weile. bei der Lage der Umſtände zur Zeit bes
Unterganges der Paläologen Religion und Nationalität ver
Rhomäer vor vollftändiger Auflöjung gerettet werden fonnte.
Aber auh das kann nicht geleugnet werden, daß bie höheren
geiftlichen Beherrſcher der griechiihen Nation unter türkiſcher
Oberhoheit jammt der allmählich neu jich entwidelnben
Ariftofratie des Fanars — wie fie immerhin den Beftand
ihres Volksthums gerettet haben — Doch nicht die Elemente
gewejen find, auf welche nachmals die Erneuerung des
griechtichen Volles fich gründen konnte. Nicht das war bei
dem Tirchlihen Regiment ber Griechen in ver Türkei das
Schlimmſte, daß bei der bespotiichen Natur des osmaniſchen
Herrenthums wiederholt die Willkür der Pforte die garantirten
Privilegien der Griechen durchbrach und mißachtete, Daß bei
dem Auflodern des Leicht zu entzündenden mujelmantichen
Fanatismus bald die Organe der Regierung, bald die Maffe
der Moslims, wie wir e8 bis auf diefen Tag erleben müffen,
zu graufamen Verfolgungen und Bedrückungen ber Rhomäer
ſich fortreißen ließen; auch nicht einmal der ſchnöde Umstand,
daß die griechiichen Chriften in Sachen ihrer Rirchenbauten
einer unwürdigen Beichränfung unterlagen, nicht unähnlich den
Bladereien, denen fich noch im achtzehnten Jahrhundert Die
Proteftanten in manchen Theilen der Republik Bolen ausgejett
ſahen: Zuftände, Die namentlich im fiebzehnten Jahrhundert
vielfach, wie in Argolis und Lakonien, zur Anlage von
Höhlenfirchen führten. Dann allerdings verichaffte den Griechen
erit der Friede von Kutſchuk⸗Kainardſche 1774 das Recht, ihre
alten Kirchen ohne alle Beſchränkung repariren und neue erbauen
ju dürfen. Bis dahin follten neue Kirchen überhaupt nicht
gebaut, die alten — und zwar unter den leibigften Be—⸗
90 Buch I Kap. L 5. Schattemfeiten bes höheren griechifchen Klerus.
ſchränkungen — nur erneuert oder reparirt werben !). Ein
Berhältniß, welches jelbftrevend Die Duelle ber fchmählichften
Ehilanen und Erpreifungen werben mußte Im Princip
hielten doch tüchtige Sultane, ehrenhafte Muftis, intelligente
Großweſſirs, welche die unermeßliche Wichtigkeit. des griechifchen
Volkes für das osmaniſche Neich zu würbigen wußten, baran
feit, Die der anatolifchen Kirche zugeſtandenen echte zu achten
und zu beſchützen. Das größte Übel war doc, daß in den
Yanar zu Conitantinopel eine Reihe ſchlimmer Schattenfeiten
des Byzantinismus der fpäteren Zeiten bed ausgehenden
Rhomäerthums fortlebten. Nicht daß es dem griechiichen
höheren Klerus an griechifchem Nattonalgefühl gemangelt hätte.
Nicht daß es der anatoliſchen Kirche an würdigen Häuptern
gefehlt Hätte. Aber die den Griechen gegenüber jo mächtige
und vielfach jo gewinnbringende Stellung, und wieder gegenüber
ber Pforte die reale Machtlofigkeit einer äufßerlich überaus
glänzenden Stellung des Patriarchen und weiter des Episkopats
erzeugte jehr bald höchſt verberbliche Zuſtände.
Der erſte böſe Nachtheil wurde ed, daß feit dem Sturz
bes Kaiſerthums von Zrapezunt (Bd. II, ©. 583), in Folge
beffen eine Menge vornehmer Laien und Slerifer aus der
pontischen Refidenz nach Stambul überfievelten, in dem Fanar
zwei Barteten fich bildeten, welche mit Ungejtüm und mit
alten Mitteln der Intrigue um ben Beſitz der neuen kirchlichen
Fürftenfrone von Conftantinopel ftritten. Damit drang aber
ber Einfluß der Pforte auf die Beſetzung des geiftlichen
Thrones ber griechiichen Welt und zugleich der verberblick
Unfug der Simonte in weitem Umfange in die Kirche ein.
Der Wille der osmanischen Machthaber und pas Geld wurden
enticheivende Mächte in ven höheren Schichten der anatoliichen
Kirche. Schon unter Mohammed I. war die ftipulirte
Eremtion des Patriarchen von Steuern wett gemacht worden
durch ein Antrittsgeſchenk, welches der Sirchenfürjt bei der
Übernahme jeines Amtes der Pforte zu zahlen hatte, und welches
1) Bgl. v. Maurer, ©. 381. 409.
Schattenfeiten des Höheren griechiichen Klerus. Rn
mm Dank ber fortdauernden Intriguen um die Beſetzung biefes
Poftens fich fortlaufend jteigerte. Damit verlor aber gar bald
auch die Befekung des Patriarchats ihren Werth. Theoretiſch
jollte der Patriarch durch die Synode mit Einfchluß aller zur
Zat enter Bacanz in Stambul anweſenden Erzbifchöfe und
Biihöfe gewählt werben. Die Wahl war das Ergebniß einer
vorgängigen geheimen Berathung zwiſchen ven einflußreichiten
Mitgliedern der Synobe und den Notabeln des Fanars. War
dann die Zuſtimmung der iu ben Vorhofe bes Patriardhion
verſammelten PBatriarchalbenmten, der Notabeln des Fanars
md dev Häupter der Gewerfe erfolgt, fo ertheilte die Pforte
iſren Beftätigungsbrief, um ver neu Gewählte erhielt den
Batrtarchenftab, den violett-blauen Patriarchenhut, die ſchwarze
Kappe, ven Mantel, das geblümte Untergewand und ein weißes
Roß. Praktiſch aber geftaltete fich die Sache fo, daß bald
anf Wunſch des Sultans oder Großweifirs, ober. andererjeits
Wieder mächtiger geiſtlicher und iweltlicher, auf den Diwan
einwirkender Parteien des Fanars, je nach. Umftänden bie
Synode von der Pforte ber beeinflußt wurde, und daß ferner
für die Ausfertigung des großherrlichen Berat im Voraus eine
beftimmte hohe Geldſumme verabredet war. Das Übelfte wurde
mm, daß namentlich im Laufe des ſechszehnten Jahrhunderts nie
Sitte einriß, die Patriarchen immer nur wenige Jahre im Amte
Mm belaſſen. Spielte dabei nicht das griechiiche Intereffe feine
ſchmähliche Role, jo war es oft genug der Wille ver Pforte,
der — ſobald nicht offene Gewalt geübt, Patriarchen wie Biſchöfe
nicht ohne Weiteres auf „Hochverrath“ angellagt, abgejett over
getöbtet wurden — die Symode ohne Mühe beftimmte, ben
Patriarchen (in der Negel „‚megen ſchlechter Amtsverwaltung“)
abzujegen ober zur Abbanfung zu nöthigen. Weil aber bei
folder Jagd nach dem Patriarchat das Geld die Hauptrolle
jpielte, nachher auch wieder das Geld oft genug andere Plagen
Seitens der Pforte abwehren mußte, fo kam die böfe Gewohnheit
auf, nun auch wieder Seitens des Batriarchats Erzbisthümer
und Bisthümer für Geld zu nergeben; damit Tief parallel bie
Neigung mancher Kleriker, bei dem Paſcha ihrer Provinz durch
2 Buch I. Kap. I. 5. Der niedere Klerus und die Mönche.
analoge Mittel ſich die Fürfpracdhe in Stambul zu erkaufen,
durch die man zur biichöflichen Würde emporzufteigen hoffte.
Und für alle folche Gelvopfer juchte fi) dann der Biſchof
wieder an dem niederen Klerus und an der Laienſchaft feines
Sprengel zu entfchädigen. Der letztere Umftand hat ſehr
weientlich dazu beigetragen, in den |lamwijchen Provinzen
den griechiichen regierenden Klerus bei dem Volke höchſt un
populär zu machen. Die Folge aller diefer Umſtände war ed
natürlih, daß gar nicht felten Männer zu ven höheren kirch⸗
fihen Stellen gelangten, die als würdig nicht angeſehen
werden konnten. Jedenfalls aber war diefes nicht bie
Art, um die Leitung der griechiichen Hierarchie in die Hände
von Männern mit unabhängigem Charakter zu bringen ?).
Troß des innigen Zufammenhanges der Griechen mit
ihrer Kirche würde dieſes Treiben die Anhänglichfeit der Nation
tief erichüttert haben, wäre nicht die große Maſſe des
niederen Klerus und theilweiſe auch der Mönche mwader,
ebrenbaft und in dem intimften Zuſammenhange mit bem Leben
des Volkes geblieben. Es gilt dieſes namentlich von der
Pfarrgeiftlichkeit, ven Papas, welche recht eigentlich Die tröftende
Seite der Kirche in der Karten Lage des griechiichen Volles
vertraten. Ihr Einfluß war am bebeutendften nicht ſowohl
in den großen Centralplägen, wo Maſſen von Griechen ſich
_ unmittelbar mit den Osmanen berübrten, ſondern im ven
Provinzen, auf dem Lande, wo in der Bauern⸗ und Hirten
bevöfferung bie Zukunft der Griechen verborgen ruhte, und in
den Heineren Städten. Der griechiiche Geiftliche, der in feiner
Stellung nur felten von höherem Ehrgeize berührt wurde,
war mit dem Volke durchaus verwachien. Da bei den Papas
bie Heirath Regel war, blieb er allfeitig mit den Gefühlen
und Intereffen der Nation in innigem Zufammenbange; da er
1) v. Maurer, ©. 381ff. Eichmann, ©. 17 u. 20 f. 27-29.
Finlay, Greece under othoman and venetian domination, p. 165
bis 174 176— 178. Jirecek, Gefchichte der Bulgaren, ©. 468 f.
Bihler, Eyrillus Lularis, ©. 15 ff. und Paul Trivier, Cyrille
Lucaris (1877), p. 7sqq. cap. I—V,
|
|
" Der niebere Klerus und die Mönche. 93
nur auf die Revenüen von dem eventuell vorhandenen Grund⸗
befig feiner Kirche, auf die mäßigen Stolgebühren und auf
bie milden Gaben an Naturalten von Seiten der Gemeinde
angewiejen war, jo galt für ihn die evangeliiche Armuth als
Regel. Die Bildungsftufe der Papas war felten viel höher,
als jene der beffer fituirten Bauern ihrer Gemeinden. Um
als Weltpriefter orbinirt zu werben, beburfte es feiner
nennensiwerthen theologiichen Ausbildung; auch die Kunſt des
Schreibens war unter ihnen nicht gar fehr verbreitet. Des
Werktags trieben fie wohl ein Handwerk. Dafür gehörten fie
ganz ihrem Volke an, theilten deſſen Schickſal und Sinnes⸗
weile, deffen Leiden und Freuden in ganzem Umfange, ſympa⸗
thifirten mit ihm jo vollftändig als möglih, und waren in
allen Dingen, bei denen man nicht erft den Bifchof zu Rathe
zu ziehen brauchte, feine Vertrauten. Das ging fo weit, daß
jelbft die griechiſchen Klephten (ſ. unten) und Corjaren, hier
namentlich die Maniaten, bei ihren NRaubzügen gern einen
Priefter oder Mönch mit fich führten, der ihnen bei töbtlicher
Verwundung over nach vollbrachter That die nöthige Abfolution
ertbeifen ſollte. Wurzelte in dieſem mächtigen Cinfluffe der
Priefterfchaft vorzugsweiſe die Widerſtandskraft der griechifchen
Chriften gegen die Verlodungen zum Übertritt zum Islam, fo
war andererſeits freilich der in folcher Weile gepflegte Gefichts-
reis fein fehr weiter, bie religiöfe Sinnesweife feine allzu
ideale. Bei dem Drude, unter welchem die griechifche Nation
feft aller Orten Iebte, entfalteten fich ohnehin mehr nur paffive
Zugenden, mit Einſchluß eines fehr feften und zähen Familien»
gefühles. Die fchlimmen Eigenjchaften, meldhe früher die
ausgehende byzantiniſche Regierungsweiſe, dazu die vtelfache
Fremdherrſchaft, nunmehr die osmanijche Gewaltherrichaft bei
den Griechen förderte, namentlih Tüde, Nachjucht, tiefe
Unwabrhaftigfeit, bösartige Verftocdtheit, dann wieder pfiffige
Geihmeidigkeit, arge Uft, mit Einem Worte alle ſchlimmen
Züge, wie fie lange und hoffnungsloſe Knechtſchaft gerade
bei alten Kulturvölkern zu erzeugen pflegt, konnten auch durch
die Kirche nicht gezäbmt werden. Wird immerhin den volks⸗
| 94 Bud I. Rap. I. 5. Die griechiſchen Mönche.
tbümlichen Prieftern nur Mangel an Bildung und bäuriſches
Weſen, mt aber Mangel an chriftlicher Sittlichleit vorge
worfen, jo trug es body währen ber dunklen Jahrhunderte
feit dem Falle von Conftantinopel und Morea bis zu den
boffuungsreicheren Zagen des achtzehnten Jahrhunderts auch
innerhalb der wohlmeinenden kirchlichen Kreiſe viefjeitig das
äußere Kirchenthum Davon. Aberglaube, jtrenges Tefthalten
an dem Cerimoniell und ven Niten ver anatoliichen Kieche,
und in meiteftem Umfange von dem Patriarchion in Stambul
bis nach Kreta und Kypros und Meſſenien die ausdauernd
gemährte Abneigung gegen den Islam, and faft noch mehr
gegen das röm iſch⸗katholiſche Weſen (welches man um jo
mehr vexabicheute, weil Franken und Benetianer in der Regel
dem griechiishen Klerus nicht einmal jene Conceſſionen machten,
wie jelbit bie Pforte) begegnen uns bier allervings als
harakteriftiiche Züge. Das Mönchthum endlich bildete eine
jehr bunt zuſammengeſetzte Schaar. Ihre Lage war allerdings
durchaus feine unbequeme. Ging ein Theil des Reſpekts, den
die Moslims vor ihren eigenen Derwiſchen hegten, ‚auch auf
bie chriſtlichen Klofterbrüber über, jo befanden ſich anbererjeits
bie Klöfter in der Megel im Beſitze ausgevehnter Güter, welche
in ähnlicher Weile wie jene der Kirche ſich ftetS vermehrten
und beren NRechtstitel die Pforte nicht anfocht. Die Klöfter
waren baher auch unter der oomaniſchen Herrichaft andauernd
der Rückzugsplatz vieler weltmüder Menſchen von Bedeutung,
freilich nuch zeitmeife alter Piraten und Klephten, welche
während ihrer letzten Lebensjahre Hier ihre Sünden abbüßten
oder vor der Ahndung der Juſtiz fich in das Dunkel ver
Rutte verbargen. Sie waren aber .anbeverjeitd auch der Sik
ehrgeiziger Klerifer, weil aus ihren Reiben vie höheren
Würdenträger ber anatoliſchen Kirche großentheils hervorgingen.
Wo nun bas Mönchthum nicht in Geftalt der einfamen Askeſe
und bes Eremitenbafeins, fondern wie gewöhnlich in Tlöfterlicher
Geftalt auftrat, va überwog aber doch bei nur geringer Pflege
der Wiffenichaft und mönchiſchen Runftübung, und neben ber
zur Routine geftalteten Anbachtsübung die predtiiche Land⸗
Der "Athos. N)
wirtbichaft, bie vielfach ein einfaches und behagliches Leben
ermöglichte, ohme jedoch Die irdiſchen Leidenſchaften aus ben
Reiben der Brüder bannen zu können. Neben ver alten großen
Mönchsrepublik auf dem Athos (devem jüngftes Kloſter
Stauronikita vor 1545 Durch den Patriarchen Jeremias
erbaut und fundirt wurde), welche alle Züge des griechiichen
Höfterfichen Mönchthums in ihrem Bereiche vereinigte und
bei bleibenber Verbindung mit dem byzantiniſchen Patriarchat
jet dem Falle der Paläologen namentlich an ben griechiich-
gläubigen Beherrſchern der Walachei, der Moldau und Ruß—⸗
lands freigebige Wohftbäter fand, und als vorzugsweiſe heilig
immer mehr das Biel frommer Wallfahrten aus den nörb-
lihen griechiſch⸗ gläubigen rumäniſchen und ſlawiſchen Ländern,
wie auch gelehrter Reiſender aus dem Abendlande wurde, und
im ſiebzehnten Jahrhundert etwa 6000 Mitglieder zählte;
neben den Gebirgsklöftern in Theſfalien (Bd. I, ©. 341)
und dem peloponnefifchen Megafpiläon war Griechenlands Feft-
fand und Infelwelt mit Klöftern und Eremitenfigen bedeckt, —
an Zug, welcher das Bild ber geiftigen Phyſiognomie der Griechen»
welt unter türkiicher Herrſchaft entjchieben vervollitänbigt !).
Sp beveutjam nun auch die anatoliiche Kirche zunächſt für
vie Erhaltung der griechiichen Nationalität während mehr denn
drei dunkler Jahrhunderte, jchließlich auch für den Charakter ver
neugriechiichen Erhebung gegen die Pforte geworben ift: bie
Sauptfrage war und blieb e8 doch bis zu Ende des achtzehnten
Jahrhunderts, bis zu wer Zeit, wo das osmaniſche Reich fich
ſelbſt auflöſen und völlig kraftlos werden zu follen ſchien, —
lebten in der byzantiniſch, franzoſiſch und italieniſch vernugten
griechiſhen Nation, wie fie glieverweife von den Osmanen
überwältigt worden war, wirklich noch Elemente, von denen in
irgend ‚einer befferen Zukunft eine politiſche Erneuerung ver
Nation erwartet werben fonnte? Die Gefchichte Hat Diefe
1) Bgl. v. Maurer, ©. 96 u. 403—415. Finlay, p. 180—183
(und vgl. „History of the greek revolution“, vol. I, p. 12 sq.).
Menderlsfohn- Bartholdy, S. 14—17T. Gaß, Zur Gefhichte
der Athostlöſter, S. 36—43.
9 Bud I Kap. I. 5. Die Fanarioten.
Frage bejabend beantwortet. Nur durfte man fie nicht da
fuchen, wo bis zum Todestage des edlen Konftantin Paläologos
die Gentralfige des Rhomäerthums geweſen waren. Dart
der bunten Vorgeichichte der osmanischen Ausbreitung auf dem
Boden Romaniens bis zum Abzuge der Venettaner aus Candia
batte die fociale und ethnographiſche Phyſiognomie ber Griechen
auf dem wetten Gebiete von Korfu und Zante bis nach Kypros
und Trapezunt einen beinahe ebenfo bunten Charakter an—
genommen, wie nur in ben lebensvolliten Zeiten ver alten
Hellenen. Aber im Großen betrachtet, jo rebuzirte fich der
Hauptunterſchied unter den Griechen, über welche der Padiſchah
gebot, doch immer auf ben Gegenſatz zwiſchen ven vergleich
weile fernhaften, vielfach mit Wlachen und Schlypetaren
burchießten Griechen zwiſchen dem Olymp und bem Cap
Matapan; zwiſchen ven ihrem Blute nach viel ungemijchter
erhaltenen, aber für die politiiche Erneuerung Griechenlands zur
Zeit noch minder boffnungsreichen Griechen der Injeln des
ägäiſchen Meeres, und zwiſchen den neu aufblübenden großen
ſtädtiſchen Maſſen griechiichen Volkes, namentlich in Con-
ftantinopel, welche letztere allmählich wieder eine Geſchichte für
fih gewannen.
Die große politische Bedeutung der Griechen von Con
itantinopel, namentlih der Sanarioten, beginnt allerbings
erit jett dem Ende des fiebzehnten Jahrhunderts, und erft
während des achtzehnten bat fich die tiefe Mißſtimmung ber
verſchiedenen chriftlichen Völker in dem Reiche bes Sultand
gegen dieſen Zweig ver griechiichen Nation ausgebildet. Wir
fernen jpäter und bei der Geſchichte bes neunzehnten Jahr⸗
hunderts die große Bedeutung fennen und würdigen, welce
troß aller Anklagen auch die Fanarioten um die Wieder:
geburt Grtechenlands fich erworben baben. Sicher aber ilt
e8 allerdings, daß die in Stambul nen fich fammelnde
griechtiche Gemeinde ihrer Natur nach nicht den hiftoriichen
Beruf gehabt bat, der neue Mittelpunkt der fünftigen
griehiichen Nation zu werden. Die unter Mohammed IL,
iwie wir ſahen, mit allen Mitteln neu zufammengetriebenen
Die Fanarioten. 97
griechiſchen Maſſen mochten immerhin bald genug in ber
wunderbaren Stadt am Golvenen Horn Wurzel jchlagen und
zu neuen Gebeiben gelangen. Es war auch nur natürlich,
daß aus einigen alten biyzantintichen großen Familien, aus
dem nad Stambul geführten griechtichen Adel von Trapezunt,
aus großen griechiichen Kaufleuten, aus ver hoben Laien-
beamtung, die ſich um das Patriarchat gruppirte, allmählich
eme neue fanariotiſche Ariitolratie der Griechen fich
herausbildete. Aber die Vertreter diejer Familien waren es
niht, bei denen ber Gedanke einer Wiebererhebung ver
Griechen zuerft Wurzel jchlug. Bei den Griechen Stambuls
demintrte lange nur der völlig natürliche Gedanke, fich mit
ver osmanifchen Welt auf möglichft leiblichen Fuß zu ftellen
und aus den Beziehungen zur Pforte und zu ber anatoltichen
Hierarchte für fich möglichit erhebliche Vortheile herauszufchlagen:
jene Sinnesweife,, die den Fanar noch heute vielfach erfüllt.
Es gab manche angejehene Familie griechiichen Blutes, welche
ſich dem türkifchen Weſen anzujchmiegen verjtand, auf Sitten,
raten und Lebensgewohnbeiten der Osmanen einging, und
m Laufe des jechszehnten Jahrhunderts nicht mehr fich ſcheute,
unmittelbar in die Dienjte ber Pforte zu treten. Wenn
auch damals noch lange nicht in dem Umfange, wie in ber
althelleniſchen Zeit die Berfer, wußten die Osmanen allmählich
doch die gefchäftliche Brauchbarkeit und gejchmeidige Gewandtheit
der gebildeten Griechen zu würdigen und zu verwenden.
Zunächft wurde es üblich, ſolche Männer als fiskafifche Agenten:
oder als Steuerpächter ver Pforte zu verwenden. Wer damit
den Handel verband, mit welchem auch auswandernde Griechen
in Moskau umb Antwerpen befchäftigt waren, konnte es balo
zu großen Reichthümern bringen. Paläologen (BIO, ©. 578.)
und Kantakuzenen in Stambul, Mamalen und Notaraden in
Morea, Bataziven, Chryſoloren, Azander in ven Häfen des
ſchwarzen Meeres, traten in folcher Geftalt auf. Freilich war
das immer ein ſehr unficheres Glück. Michael Kanta-
kuzenos, ein reicher Handelsmann und erbarittungslofer,
habgieriger Steuerpächter im fechszehnten Ihrhundert, von
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III.
GB Buch I Kap. I. 5. Michael ſtantakuzenos. Spanifche Juden.
jeinen Landsleuten verwünſcht und als ‚Sohn bes Teufels”
gejchmäht, übte Durch feine Beziehungen zu dem mächtigen
Großweſſir Mohammed Sololli und burd feine Schmiegſamkeit
vor den Sultanen Selm I. und Murad IL. Yange ven
höchiten Einfluß aus. Aber obwohl er freigebig genug war und
unter Anderem nach der Schlacht bei Lepanto (©. 35) der
Pforte funfzehn Galeeren ſchenkte, ftürzte ihn fchließlich die
Imtrigue eines Gegners, eines Paläologen, der die Habſucht
Murads III. auf den Kröfus zu been verſtand. Auf Grund
angeblicher Intriguen in der Moldau Tieß ihn der Sultan am
3. März 1578 vor feinem eigenen Palaſt in Anchialos, wo
Kantakuzenos die Salzpacht in der Hand hatte, aufknüpfen
und jeine Schätze confisciren. Noch lange beflagten griechiſche
Lieder den Untergang des reichen ‚‚Heren Michali”. Die
Raubgier namentlich der jpäteren Sultane feit Sweimane II.
Ausgang war allerdings die Klippe, an welcher Viele ftram
heiten; brüdte fie doch auch allmählich immer fchwerer auf
die am fich fo veiche Kaſſe bes Patriarchats, die für Griechen
und Türlen wie eine fichere Depoſital⸗ und Crebitbanf galt,
aber durch die Pforte fehliehlich in nahezu zermalmenver Weife
in Anfpruch genommen wurde. Während aber die Fana⸗
rioten, überhaupt die Griechen in Stambul, jehr wohl in
ber Lage waren, ſowohl durch Thätigkeit im türfiichen Finanz
dienst, wie als Induſtrielle, als Banquiers und — bei bem
unter Entfernung der früher übermäßig brüdenden genueftjchen
und venetianiſchen Concurrenz wieder erwachten Handelsgeift —
als Kaufleute enorme Reichthümer zu gewinnen, welche ber
Osmane zu heben jo leicht nicht die Geſchicklichkeit beſaß;
während Dagegen in Theſſalonike neben ver wenig zahl-
teiden türkiſchen Bevölkerung die Griechen ſeit Mohammed IL
ſtark zurückgedräugt wurben durch bie Einwanderung und
Concurrenz der ſpaniſchen, burch Ferdinand ven Katholiſchen
und Yabella aus Granada vertriebenen Juden (von benen
etwa 40,000 in Stambul, 20,000 in XTheffalomite, viele
andere in den übrigen Seejtäbten fich anftevelten), — drang in
dem jiebzehnten Jahrhundert das griehifhe Element
Die Großdragoman ber Pforte und der Flotte. 9
in Stambul auch int die höhere Verwaltung ein, und zwar
mnähft in Geftalt von Selretären bei ben verfchiebenen
tühfchen Großbeamten. Ein entſcheidender Schritt zur Hebung
des griechiſchen Elementes in Diefer Richtung erfolgte fett dem
alle von Candia. Die in dem biplomatifchen Dienfte der
Osmanen bisher als Selretäre und Dolmeticher gebrauchten
Griechen waren doch immer nicht viel mehr geweſen als
Slleven. Nun aber hatte fich bei der Eroberung von Candia
ber Grieche Panajotatis Nilufios von Chios, der in
Ralien Medien und Philoſophie ftudirt hatte, dem Großweſſir
Ahmed Köprili, defien Dolmetſcher er war, ſowohl durch
perſönliche Ergebenheit, wie durch außerordentliche diplomatiſche
Geſchicklichkeit ſo werth gemacht, daß für ihn nunmehr die neue
offizielle Stellung eines Großdragoman der Pforte
geſchaffen wurde, bie nunmehr bie Griechen mit ihrer durchaus
nicht ausgeftorberen Begabung für diplomatilche Kunſt wieder
perfönlich in die europäiſche Diplomatie einführte. Es Hat
ſich hieran die Schöpfung einer ähnlichen Banariotenftellung
geſchloſſen: ber eines Großdragoman der Flotte zur
Seite des mit der Verwaltung ber Inſeln des äggiſchen
Meeres betrauten Kapudan⸗Paſcha.
Sp beventungsvoll dieſes nun auch für die Machtftellung
ver Fanarioten geworben ift, fo liegt es Doch auf ver Hand,
daß auf dieſem Wege immer nur eine Art Ausgleichung
zwiſchen einigen Böheren Klaſſen der Griechen und ihren
osmaniſchen Herren erreicht werben Tonnte, bie an einer
wirklichen Verſchmelzung jchließlich immer durch die Religions-
writenenbeit gehindert wurden. Die wirkliche Zufunft der
Örieden als Nation beruhte dagegen auf ver Bevölkerung
der Länder Tänlich vom Olymp, wo die ungeheure Maffe des
Volkes jent ein Hirten- und Bauernleben führte, wäh—⸗
rend m den Küſtenſtädten, durchmiſcht mit zahlreichen
Türken und Suben, die griechiichen Einwohner wieder in zwei
Öruppen fich theilten. Die eine beftand aus dem griedhiichen
Benmten verfehtedenes Art in türkiſchen Dienften, die audere
aus der Menge Heiner Leute, ver Kaufleute, der Schiffer und
| 7*
10 Bub I. Kap. IL. 5. Klephten und Armatolen.
der Gewerbetreibenden, welche alle in ven beiferen Zeiten ber
türkischen Herrſchaft — fobald nicht der Seelrieg und bie
Corſarenwirthſchaft allen Verkehr zerftörten — mehrfach wieder
zu Wohlftand und erträglichen Zuftänden geblieben. Das gilt
von Orten wie Athen und Livadia, wie felbit von dem fo oft
ausgeplünderten Paträ, von Gaftunt und Lepanto !).
Die zufunftsreichen Elemente aber in diejen griechiicen
Provinzen hatte man auf zwei Punkten zu juchen; einmal
nach der militärtichen, dann aber nach der communalen
Seite. Auch abgejehen von den Maniaten im Peloponnes
hatte in Griechenland, wenigftens in Mittel- und Nord-
griechenland, ein Theil ver Bevölkerung das Recht behauptet
oder wieder erlangt, bie Waffen zu führen. Wir erinnern
uns, daß doch nur Morea bet der Eroberung burch die Heere
Mohammeds II. wirklich ſyſtematiſch zeritampft worden war,
daß Dagegen die von Griechen bewohnten Landſchaften zwiſchen
dem Haliakmon und dem Ifthmos von Korinth jo grauenhafte
Vernichtungsichläge wie eben Morea nicht erfahren hatten.
In allen diefen Gegenden, die fchredlichen Kämpfe mit ben
Schkypetaren in ihrem Stammlande ausgenommen, hatte fih
— gegenüber den im Dergleih zu Mohammed II. ungleid
milderen Sultanen — in der Hauptſache die osmaniice
Herrihaft nicht an die Stelle jelbjtändiger griechiicher, ſondern
ſlawiſcher und italieniſcher gejegt: ber Hauptſtoß Hatte nicht
die Griechen, fonbern deren frembe Beberricher getroffen.
Weiter aber finden wir, daß in einem jehr erheblichen Theile
der nord» und mittelgriechiichen Kantone das Volk, jekt
nördlih von dem Iſthmos gewöhnlich in Bauſch und Bogen
als „Rumelioten“ belannt, und vielfach mit gräcifirten
Wlachen und Schkypetaren durchſetzt, ungleich Träftiger und
kriegeriſcher geblieben war, als die jeit Alters tief berab-
gevrüdten Moreoten mit Ausnahme einiger albanefiicher
1) gt. Finlay, p. 183—192 u. 293sq. Ranfe, Die Osmanen,
S. 285. v. Maurer, S. 227. 91f. Mendelsfohn-Bartholdy,
©. 6.
Klephten und Armatoleı. 101
Stämme und der Maniaten. Die Osmanen fanden es viel
ſchwieriger, als auf dem Peloponnes und allenfalls in Euböa,
Attika und Böotien, in Rumelien überall einen bequemen Gehorſam
zu erzwingen. Die Griehen am Olymp, auf den Grenzen
von Epirus, in Phokis, Aetolien, Alarnanien — nicht zu reden
von mehreren epirotiihen Albanejenftämmen, wie namentlich
die ewig unrubigen Chimarioten — fügten fich viel troßiger
in das osmaniſche Joch, als die Moreoten. Diefe Land⸗
ſchaften waren, um ber ätoliſchen Raubfahrten der älteren
Zeit nicht zu gedenken, feit den Zeiten des Sulla bis tief in
bie fpätere römiſche Kaiferzeit hinein der klaſſiſche Boden für
ve Räuberei mit politifher Färbung gewefen. Diele
Räuberei kehrte nun unter der osmaniſchen Herrichaft mit
verftärfter Gewalt zurüd. Die „Klephturie“ wurde jeit
dem Unterliegen der Griechen bis zur Schlacht bei Navarin (in
etwas veränderter Geftalt leider auch wieder unter König Otto)
ein harafteriftiicher Zug in dem Volksleben der Griechen ber
neueren Jahrhunderte. Mißhandlung oder wirtbichaftlicher
Ruin durch die neuen Herren wurden von vielen Griechen
perächt, indem fie „in die Berge‘ zogen und von bier aus
als Freibeuter, von den Sympathien des Volkes getragen,
einen Privatfrieg gegen die Osmanen führten. Der Name
eines Näubers, eines „Klepbten‘ wurde für Jahrhunderte
in diefen Ländern nahezu ein Ehrenname; mehr noch in
Numelien als gerade in Morea, wo jenfeitS der Gebirge der
Maniaten das Klephtenthum nur felten einen höheren Auf-
ſchwung genommen bat. Die große Schwierigkeit, in Rumelien
diefer unrubigen Elemente allezeit ohne große Anftrengungen
Meifter zu werben, beftimmte die Pforte ſchon ziemlich früß-
geitig, bier ein anderes Verfahren einzujchlagen. Die Politik
aller orientalifchen Höfe jeit der Zeit der Achämeniven bis auf
diefen Tag hat mit der principiellen Strenge und ſyſtematiſchen
Blanmäßigfeit der modernen Staatsweſen nur wenig gemein.
Sobald es nicht möglich ift, Durch ein paar zerichmetternve
Schläge ein- für allemal Ruhe zu fchaffen, verbietet es im
Orient der politiiche Anftand keineswegs, mit Rebellen auf
192 Bud I. Kay. IL 5. Klephten und Armatolen.
gute Bedingungen bin fich zu verftännigen. ‘Die orthodore
bemofratijche Eorreftheit der mobernen Staatsanſchauung, bie
jedes Ausnahmerecht ſchämig ablehnt, ift im Orient unbelannt.
Wie die Pforte daher allezeit fich zu einem erträglichen modus
vivendi gegenüber den Maninten bequemt bat, fo fand fie
auch für Rumelien das Mittel, um die Griechen durch ſich
jelbit zu beberrichen, und zwar bier nicht bloß durch Die Geift-
lichkeit , fondern auh durch griechiſche Dffiziere und
Soldaten aus der Mitte der Nation, durch bie ſogenannten
Armatolen.
Die Entwicklung und Das Detail der griechiſchen Spezial⸗
geſchichte in dieſer Richtung iſt nur in feinen Umrifjen be
fanıt. Der Name der Armatolen war fchon ziemlich
früh, obwohl anfangs in anderem Sinne, den Bene
fianern befannt. Nochmals nannte man mit biefem Worte
die griechiichen Lokalmilizen in den moreotiichen Colonien ber
Republik während des legten Jahrhunderts ihrer Kämpfe
mit der Pforte, aber auch die griehifhen Milizen in
Numelien, wie ſie fih auf Grundlage älterer. byzantiniſcher
Einrichtungen im Verlaufe der langwierigen tbefialtfchen und
epirotiichen Fehden gegen die Paläologen, Katalanen, Serben
und Angiovinen ausgebilbet hatten, trugen biefen Namen.
Diefe Art Milizen, in Geftalt einer zahlreichen chriſtlich⸗
griechiſchen Gensdarmerie, rief die Pforte wieder ind
Leben. Solche rumeliotiiche Armatolen beitanden ſchon zur
Zeit, als Conftantinopel türkiſch wurde; ihre Blüthezeit aber
fiel in den Ausgang des fechözehnten und während bes fieb-
zehnten Jahrhunderts, als die Ianiticharen der Pforte anfingen
Yäftig und gefährlich zu werben (j. unten), als man nicht um
gern in den Albanefen und Armatolen eine Ark Gegengewidt
gegen jene trotzigen Prätorigner erkannte,
Es jcheint doch, daß die Osmanen bie griechiichen Meilen
von Anfang an in den rauhen makedoniſch⸗theſſaliſcher
Grenzländern anerkannt haben, derart daß die kriegeriſchen
Gebirgsbewohner in den Landihaften am Lakmon, am oberen
Haliatmon, am Vardar, an ven kambuniſchen Bergen und am
Klephten und Armatolen. 108
Olhmpos wie freie Leute unter der Hoheit des Sultans lebten,
daß fie im Dienfte des Sultans die Waffen führen, ihre eigenen
Gemeindevorfteher wählen und felbit für bie Aufbringung ihrer
Steuern forgen durften. Der zweite Hauptheerd bes
ArmatolentHums wurde bie Landſchaft Agrapba, nem-
lih das rauhe Binnenland von Aetolien und die anftoßenden
nördlichen Striche zwiichen dem mittleren Acheloos, dem Belucht
(Aumphreftos) ımb ben ſüdweſtlichen Gebirgen bes theffaliichen
Peneiosgebietes, ein Land, wo fich die bier vorzugsweiſe kräftige
mittelgriechtiiche Bevölkerung von Durchiegung mit Wlachen
md Schlypetaren frei gehalten Hatte. Agrapha führte fein
Boffenrecht auf Sultan Mohammed II. zurüd. Zuerſt ge
duldet, dann ſyſtematiſch durch die Pforte geordnet und
begünstigt, ift, wie wir noch in dem Schlußfapitel dieſes
Dandes zu zeigen haben, das Armatolenthum wieder im Laufe
des achtzehnten Jahrhunderts Seitens der Pforte conlequent
geihwächt und zurücdgebrängt worden. In jeiner Blüthe-
jeit aber dehnte fich dieſes Syſtem von dem Arios (Vardar)
und Haliakmon bis zu dem Golfen von Arta und Sorinth
us. Die rumteliotiichen Gebirgslandichaften waren in ur⸗
Iprünglich wierzehn, Tpäter zehn bis zwölf, dann wieder fiebzehn
Armatoliks gegliedert, die auf das makedoniſch⸗ theſſaliſch⸗
epirotiiche Gebirgs⸗ und Grenzland, auf Agrapha, Alarnanien
und Phokis (im weiteſten Sinne) und das Spercheiosgebiet
Inmen. An ver Spige diefer ausjchlieglich griechiichen Krieger,
die auf Koften der Gemeinden unterhalten wurden, und über
weldhe in nächiter Linie ver Provinzialpaicha verfügte, ftand
nahmals der osmanische Dervendicht- Pascha, eine Nachbildung
der altbyzantiniſchen Kleifurarchen; eine Stellung, die anfcheinend
nah byzantiniſcher Praxis mit der theſſaliſchen Statthalterjchaft
verbunden , fchließlih (j. unten) in der Hand des unjeren
älteren Zeitgenoffen noch erinnerlichen furchtbaren Ali» Bajcha
von Ioannina war. Die Armatolen - Geleite büteten die
Sicherheit ihrer Bezirke, dazu die großen Verbindungswege in
dieſen Theilen von Rumelien. So follten fie im Norden bie
große Straßenlinie fichern, die fih als ein Theil der alten
104 Buch IL Kap. I. 5. Klephten und Armatolen.
NRömerftraße von Dyrrhachion nach Theſſalonike durch die
Paßgegend bei Kaftoria zieht. Ebenſo ftand unter ihrem
Schute die große Heerftraße von Lariffa nach Monaftir ober
Bitolia in Pelagonia. Die Armatolen von Agrapha waren
mit dem Schutze der Pindospäffe ziviichen Epirus und The
falten betraut. ‘Die chriftlichen Albanefen in Megaris, melde
fünf große Dörfer, Derveno-Ehoria genannt, bewohnten,
batten die DVerpflichtung, gegen Befreiung von verfchiebenen
Steuerlaften, mit ihrer auf 2000 Mann berechneten Manns
ichaft die über den Kithäron und die Geraneia führenden
Päffe nach dem Iſthmos von Korinth zu fcehügen.
Das Inftitut der Armatolen war für bie Griechen
werthvoll genug, indem ed mwenigftens einen Theil der Nation
wehrhaft erhielt, mochten auch immer die Osmanen, als fie
erft anfingen, dagegen ernfthaft mißtrauiſch zu werben, vor
ber Anwendung gewaltfamer Schritte damit beginnen, viele
Loft für die Gemeinden zu fteigern. Als freilich die Griechen
fich dazu verftanden, die jonjt aus Bauern, Yägern, Hirten
und Maulthiertreibern fich ergänzenden Armatolen für Gelb
durch geworbene albanefifche Söldner zu ergänzen, war ber
Weg gebahnt, Seitens der Pforte und ihrer Pafchas dem
Inftitut von innen ber beizufommen. Andererſeits diente es
den Türken wiederholt dazu, gefürchtete Klephten aus Räubern
in „zahme Klephten“ zu verwandeln. Für einen großen
Theil aber von Rumelien gewannen für Yahrhunderte bie
Führer ihrer Armatolen, mie fie im neunzehnten
Jahrhundert den Generalftab der Befreiungsarmee abgegeben
haben, mit ihrer gewöhnlich erblichen Würbe eine hohe focial-
politifche Bedeutung. ‘Denn diefe Chef8 bewaffneter griechiicher
Milizen, rüftiger Pallikaren, die Odichals oder Kapitäne
oder Capitanis oder Protatoi, riſſen vielfach nicht nur that
fächlich ein großes Maß von autonomer Macht gegenüber ven
Paſchas und Woiwoden an fi. Im ihrer Eigenfchaft als
anerfannte Schugberren der polizeilichen Sicherheit und des
Öffentlichen Friedens in ihren Armatolifs repräjentiren fie
auch für die Gemeinden Rumeliens die Seitens der Osmanen
Die griechiſche Gemeinbeverfaffung. 105
ben Griechen und in der Grächfirung begriffenen Albanefen
auf griechiihem Boden gelaffene Selbjtändigfeit in analoger
Weiſe, wie in Morea und auf ben Infeln die fogenannten
Primaten 2).
Diefer Iettere Name führt uns hinüber zu ber zweiten
Griheinung in dem Leben der Griechen unter türkiicher Herr-
ſchaft, welche auf einen gefunden Kern bindeutete, der wenn
immer in fernfter Zukunft eine Erneuerung des Volksthums
als möglich ericheinen Tief. Es iſt nemlich nicht Daran zu
denken, daß die Griechen jeit ihrer Unterwerfung unter
ven Halbmond Tediglich in eine chaotifche ftumpfe Mafje ver-
wandelt worden wären, die außer der unmittelbaren Herrſchaft
Seitens ihres Episfopats eben nur durch die militärifch-
polizeiliche Gewalt ihrer türkiſchen Herren zujfammengefaßt
worden wären. Die Sache ftebt doch erheblich anders.
Seitvem Griechenland wieder begann, die Aufmerkiamfeit und
die lebendige Sympathie des gebilveten Europa auf fich zu
sieben, beobachteten abendländiſche Reiſende, namentlich in Morea
und auf verjchiedenen rührigen Inſeln des ägätichen Meeres
bie Eriftenz einer Gemeindeverfaſſung, welde in ihrer
Einfachheit und foliven Anlage feiner Zeit viel bewundert
worden, und erſt jeit der Präfiventichaft des Grafen Kapodiſtrias
in unferem Zeitalter erheblichen Veränderungen unterworfen
worden ift. Ihre Entftehung iſt in Dunkel gehült. Sicher
it nur, daß die Osmanen, lange viel zu bochmüthig, um
fih um das innere Reben der in der Regel verachteten chriftlichen
Rajah zu kümmern; ohnehin nach orientalifcher Herrenpraris
wenig geneigt, weiter nach dem inneren eben der fremden
Untertfanen zu forichen, ſobald nur ver Tribut richtig gezahlt,
das Bolt im Gehorſam erhalten wurde und Unruhen nicht
1) Vgl. „Mittheilungen aus der Gefhichte und Dichtung der Neu-
griechen“ (nad) Fauriel), 8d.1,©.59ff. v. Maurer a. a. O. S. 6 ff. 45 ff.
Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 22. 24—27. 37.
Hopf, Griehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 190. Mendelsſohn—
Bartholdy, ©. 4. 49. 54. Gervinus, Gefhichte des neunzehnten
Jahrhunderts, Bd. V, TH. I, S. 73ff.
106 Bud I. Kap. J. 5. Die griechiſche Gemeindeverfaffung.
zu befürchten jtanden, — ber Ausbildung dieſer Berfaffung
Hinderniſſe nicht in den Weg gelegt haben. Welcherlei
communale Zuftände die Griechen des Feſtlandes aus ver
fräntiichen und paläologiichen Zeit in Morea, aus der jerbiichen,
unteritalifchen und floventinifchen Herrichaft in Rumelien, aus
ber Zeit ihrer legten Herzöge auf ben Inſeln mitgebracht
haben, ift mit Gewißheit nicht zu jagen. Sei e8 aber nun,
daß altbizantiniiche Erinnerungen, Kenntniß ber municipalen
Formen, wie fie namentlich Monembaſia fich bewahrt Hatte,
bier den Ausſchlag gegeben bat: jei es daß lebiglich die Noth⸗
wenbigfeit, fich durch inniges Zufammenfchließen einigermaßen
gegen den ſyſtematiſchen wie gegen den vegellofen Drud ver
osmanischen Herrichaft zu wehren, die Griechen den natur
gemäßen Weg zur Ausbildung ihrer Gemeindeverfafjung
bat finden laſſen: jedenfalls finden wir viejelbe im ſechs⸗
zehnten Jahrhundert bereits in voller Thätigkeit und ſehen
auch, daß dieſes munictpale Syſtem bet ben Inſulanern des
Herzogthums Naxos in Wirkſamkeit fteht, fobald fie um
mittelbar unter die Hoheit des Kapudan⸗-Paſcha gekommen
find.
In dieſer griechiſchen Gemeindeverfaſſung, bie (bei ver-
ſchiedenen Abweichungen des Details ihrer Organe in den vers
ſchiedenen Haupttheilen der griechiichen Welt von Europa) am
volltommenften in Morea und auf einigen Infeln ausgebilvet
war, minder entwidelt in Rumelien ericheint, dominirten bie
Brincipien der allgemeinen Gleichheit und des all—
gemeinen gleihen Wahlrehtes. Bekanntlich kennt und
anerkennt, wie Serbien und Norwegen, das heutige Demofrattiche
Griechenland keinerlei Abel. Abgejehen von dem alten
italienifchen Adel auf den Injeln des ägäiſchen Meeres, von
den venetianiich ausgebildeten Feudalherren auf den ioniſchen
Snjeln, und dem im achtzehnten Jahrhundert neu fich bildenden
fürſtlichen Adel des Fanars, Hatte Die despotiiche türkifche
Trembberrfchaft überall die griechiiche Artjtofratie mit und
ohne feudale Färbung einfach eingeftampft. Bei der allgemeinen
Nivellirung feit Mobammeds I. Zeit war ar Stelle der
Die Brimaten. 107
ftändifchen Unterſchiede unter den Griechen die allgemeine
Gleichheit, freilih nur die Gleichheit der Knechte vor dem
Sultanismus, getreten. Die neuen ariftolratifchen
Elemente (f. unten) aber, die fich unter türkiſcher Hoheit
inmitten der Griechen doch wieder bildeten, Tonnten zu einem
wirflihen Adel mit foctal ariſtokratiſcher Stellung einfach
darum nicht gelangen, weil fie ebenjo gut wie ber einfachite
Bauer jeder beliebigen Strafe türkischer Juſtiz over türkifcher
Ülfir unterlagen, und zwar bis zur Kreuzigung, Pfählung
und Baftonnade. Nichtöpeftoweniger würde man fich täujchen,
wollte man heutzutage — etwa Angeſichts der Scenerie, wie
fie da8 Heutige Deutichland bei feinen allgemeinen gleichen
Wahlen entwickelt — fich der Annahme bingeben, als babe
die griechiiche Art der Wahlen irgend welche jociale Er»
fhütterungen mit ſich geführt oder bewußte bemofratiiche
Geſinnungen zum Ausdrucke zu bringen vermocht. Ganz im
Gegentheil, die auch in Griechenland neu fich bildenden
ariftofratifhen Elemente wurden durch dieſe Verfaffung,
nur eine der „nautiſchen“ Inſeln des achtzehnten Jahrhunderts
ausgenommen, mit großer NRegelmäßigleit an die Spike ber
Geſchäfte geführt. |
Praktiſch Hat fich die Sache aber jo geftaltet. Gleichviel
wann immer zuerft in Morea der neue Organismus ber
Gemeinden zu einiger Ausbildung gelangt war, jo fam in ibm
das Befteben von zwei Elementen in der griechiichen Laienwelt
zu Tage. Meben ber Maſſe ver perjönlich freien bäuerlichen
Bevölkerung in allen Abftufungen des Beſitzes bildete fich
allmählich heraus die Klaſſe der fogenannten Primaten.
Zu berielben gehörten in Morea (und in Rumelien, foweit bier
nicht das Klement der Kapitäne bominirte) neben einigen
wenigen großen älteren Familien, die fich auch jenſeits der
venetianiſchen Feſtungen bei dem erſten Sturme des Dömanen-
thums behauptet hatten, namentlich größere Grunbbefiger und
größere Pächter neueren Datums. Dazu trat num aber eine
Anzahl einflugreicher Griechen r bie fich als fiskaliſche Agenten,
als Dolmeticher, Sekretäre, Ärzte der großen in Morea an⸗
108 Bud I Kay. L 5. Die griechiſche Gemeindeverfafiung in Moren.
gefiedelten Osmanen eine neue Stellung erworben hatten.
Diefe Familien find es, die auch bei ber griechiichen Ge⸗
meindeverfafjung die dominirende Stellung behaupteten. Denn
aus ihrer Mitte wurde von der gefammten erwachſenen
männlichen Bevölkerung alljährlih die unterjte griechtiche
Obrigkeit durch Stimmenmehrheit gewählt. Die Wahl fand
gewöhnlich im Frühling jtatt (auf dem Teftlande gewöhnlich
am St. Georgstage oder 23. April alten Styles); gewählt
wurde in der Regel vor der Thüre der Kirche und unter
Alfiftenz des Pfarrers. Die Ortsvorftände nannte man
Demogeronten, Archonten, auch Geronten, Proöſtoi; diejelben
hatten dann als Einnehmer ver Lokaleinkünfte, als Verwalter
des vorhandenen Gemeindevermögens ſowie des Gemeinweſens
überhaupt zu fungiren. In ihrer Hand lag die Handhabung
der Orts- und Feldpolizei. Auch hatten fie in ähnlicher Art
wie die Biſchöfe, ſoweit dieſelben nicht die Jurisdiktion gänzlich
an fich gezogen hatten, oder ſoweit man diejelben nicht be-
belligen wollte, bei civtilrechtlichen Streitfragen zu entfcheiven.
Diefe einflußreihe Stellung der Gemeindevorfteher und das
Wahlrecht der Griechen wurde nur dadurch beeinträchtigt, da
die Wahlen zu praftifcher Giltigkeit erſt noch der Beftätigung
burch Die osmanijche Behörde, nemlich durch den Kadi, beburften.
In den Städten fielen die Gemeinvebezirfe mit denjenigen
der Pfarren zufammen. Hatte bier die Competenz ber Ge
meinbevorftände nach Seiten der Kaffenjachen, der Kirchen,
Schulen und Hofpitäler noc eine größere Ausdehnung, fo
trat bier ihre richterliche Stellung gar jehr vor jener des
Klerus zurüd.
Auf diefem Fundamente baute ſich num aber in Mores
noch eine weitere Organifation auf, bie aber wohl nur jehr
allmählich entftanden ift, nachdem für die Pforte der Beſitz
der Halbinjel als völlig ruhig, ficher und ungeftört gelten
fonnte. Es wurde nemlich allmählich üblich, und mit biejem
Organismus find die Peloponnefier fchließlih in die Er
fohütterungen der neugriechtiichen Erhebung eingetreten, — daß
die osmanischen Woiwoden alljährlich die griechtichen Ger
Provinzialräthe und Kodſchabaſchis im Morea. 109
meindevorjtände ihrer Provinzen zu einer Zufammenkunft nach
ver Bezirkshauptſtadt beriefen. Bier nun führte der Kadi
den Vorfig, und wurben bie verjchtedenartigiten Geſchäfte
vorgenommen. Abgeſehen von manchen bier zu erledigenven
civilrechtlichen Streitigfeiten hatte dieſe Verfammlung ihre
Zuftimmung zu neuen Auflagen, welche der Provinzialrath
(. unten) vorjchlug, auszujprechen und diejelben unter bie
einzelnen Gemeinden und Familien zu repartiren. Cine große
Sauptfache war endlih die Ernennung mehrerer Mitglieder
des Brovinzialrathes Die Verfammlung nemlich er-
wählte durch Stimmenmehrheit zwei Primaten und einen
Schatmeifter, Die dann der Paſcha in ihren Stellen zu
bejtätigen hatte. ‘Der eine biefer Primaten wurde dem Kreiſe
der osmanischen Einwohner entnommen und bie Ayan; der
andere Dagegen war ein Grieche, gewöhnlich der angejehenfte
Mann des Bezirkes, zuweilen ſelbſt der Biſchof, und hieß in
auszeichnendem Sinne der „„Primate‘ oder Kodſchabaſchi.
Diefe Primaten oder Kodſchabaſchis nun find es, welche in
der griechtiichen Geſchichte bis zur Negentichaft des Grafen
Kapodiſtrias (und in ihren Nachlommen noch heute) eine fo
überaus bedeutſame Rolle gejpielt haben. Sie bildeten mit
den türkischen Ayanen ben ftändigen Provinzialrath des Woi⸗
woden, im welchem die Ausführung der Befehle des Pafcha’s,
ſämmtliche Angelegenheiten der Provinz überhaupt, namentlich
aber auch die immer neu dem Lande zugemutheten Laſten
erörtert wurden.
Die Primaten im Allgemeinen und [peziell
wieder die Kodſchabaſchis find nun für die Zuftände
af Morea für mehrere Jahrhunderte höchſt charafteriftiiche
Repräfentanten geworden. Man mag immerhin jagen, baß
die Eriftenz umd die Arbeit diefer griechtichen Volfsverfaffung
in erfter Linie den Osmanen Vortheil gebracht, ihnen das
Detail der Verwaltung abgenommen, bie Laft der Steuer-
wirtbichaft auf griechtiche Schultern gemwälzt bat. Nichte:
deftoweniger blieb e8. von dauerndem Werthe, daß bie Griechen
die Praxis der Selbftverwaltung niemals aus der Hand ver-
110 Bub I. Kap. I. 5. Die Kobſchabaſchis.
loren und ihre mumicipale Thätigkeit in Stadt und Land fi
bleibend bis zu der Zeit behaupten fonnte, wo der Morgen
der Freiheit, immerhin ſtürmiſch genug, ihnen enblich wieder
zu leuchten begonnen bat.
Diefen Bortheil Hat die Nation freilich theuer genug
zu bezahlen gehabt, und das Regiment der Primaten und
Kodſchabaſchis Kat mehrere keineswegs erfreuliche Seiten ent-
widelt. Die Machtſtellung dieſer Männer war freilid
nicht nur theoretiſch, fondern auch praftifch ſehr Bebeutend.
Es war nur natürlih, daß diefe Männer und Familien,
fobald fle nur erft eine anerkannte Stelfang gewonnen hatten,
als die geborenen Vertreter ihrer Landsleute erichtenen. Die
gewöhnlichen Primaten wirkten mit, fobald ein Grieche einen
Contrakt abzuſchließen hatte, und unterſchrieben benfelben mit;
auch bei dem Vormundſchaftsweſen hatten fie einen bedeutenden
Antheil. Die größte Bedeutung aber gewannen boch bie
Kodſchabaſchis. Nach ımten hin waren fte alferbings ver
Provinzialveriammlung verantwortlih und konnten wegen
ichlechter Amtsführung won verjelben bei dem Paſcha verklagt
werben. Es war aber doch das Gemwöhnliche, daß man fie
dem Paſcha in ihrer Stellung zur Beſtätigung wieder em-
pfahl, ja felbft daß ihre Stellungen erblich wurden. St
hatten aber auch bei allen Prozeſſen, die ein Grieche vor bem
Kadi mit einem Türken führen mußte, und namentlich bei
Kriminalprozeffen des Kadi gegen Griechen beren Patronat
zu führen. Sie fonnten gegebenen Falles gegen Anordnungen
des Woiwoden bei dem Paſcha rveffamiren, batten auch eine
erhebliche Autorität über die Bulukbaſchis der Provinz (S.71).
Die Flle waren gar nicht fo felten, daß der Paſcha auf
Grund der Beſchwerden folder Kodſchabaſchts einen Woiwoden
aus ſeiner Stellung entfernte. Der Paſcha ſelbſt, der auch
fonft namhafte türkiiche und griechiiche, ans den Provinzen
gewählte Primaten als eine Art Rath zur Seite Hatte, ber
(von außerordentlihen Fällen und von Zuſammenberufung
aller Kodſchabaſchis abgeſehen) jährlich zweimal in der Haupt⸗
ftabt von Morea fich jammelte, ſah fich oft genug in ber
Die Primaten. 111
Lage, an die Meinung der zufammenberufenen Woiwoden und
Kodſchabaſchis zu appelliven. Dazu kam noch ein Anderes,
was die Sitmation der größeren Griechen in ihrem Lande
beventjam genug machte. Seit der Zeit-nemlich, wo (S. 99)
die Fanarioten als offizielle Großdolmetſcher und Staats-
minifter der Pforte in Stambul fungixten, wurbe eimerjeits
auf deren Vorſchlag von ber Gentralregierung dem Paſcha
ein Grieche als Dolmetſcher beigegeben, durch deſſen Hand alfo
alle wichtigen Geichäfte Tiefen. Andererſeits aber wurde es
üblich, daß zwei oder drei einflußreiche moreotifche Primaten
fänvig in Stambul fich aufhtelten, wo fie, auf das PBatriarchat
pitügt, Die Intereifen ihres Landes bei der Pforte perfönlich
vertraten.
Man bat nicht mit Unvecht die Primaten bie wahren
Kegenten von Morea unter der türfiichen Herrichaft genannt.
Ire Stellung brachte aber für fie und für die Griechen viel
Bedenfliches mit fi. Diskretionär im höchſten Grade, wie
fie natürlich war, konnte fie jedenfalls jchlimm gemißbraucht
werden. ‘Die Herrſchaft ver Sultane und Paſchas war allzu
srientaftfch gewaltſam, das Glück der griechiichen wie ber
türfifchen Großen namentlich unmittelbar in der Nähe ber
Machthaber viel zu unficher, als daß nicht die Schmiegiamteit
und die intriguante Natur des ſpäteren Rhomäerthums gerade
bei dieſer Klaſſe von Griechen, verantwortlich wie fie ben
osmaniſchen Behörden für die Einziehung der Steuern aus
ihren Bezirken waren, vielfach fich Hätte in analoger Wetje
ausbilden mäffen, wie bei den Fanarioten. Weiter, auf die
großen Primaten des Peloponnes vererbte fich der zwieträchtige
Seift der alten griechtichen Barone over Archonten ber
Paläologenzeit. Diejed wurde für die türfifche Periode vie
Quelle zahlloſer Imtriguen an dem Hofe des Paſchas, wie in
unſerem Jahrhundert der Ausgangspunkt der enblojen inneren
Kämpfe, Wahlichlachten und an Auftralien erimmernden con-
ſtitutionellen Minifterwechfel der heutigen Griechen von Athen.
Enplih aber, was nach oben an Schmiegiamfeit nöthig wurde,
braten die Primaten nur allzu jehr nach unten wieder ein.
112 Bud I. Kap. I. 5. Gemeindeverfafiung auf ben Infeln.
Hatten fie doch Dank ihrer Stellung eine fo überaus ent-
icheivende Macht über das gefammte Wohl und Wehe, nar
mentlich aber über die materielle Lage fo vieler ihrer griechiichen
Landsleute. Im ihres einflußreichen Stellung, oft genug durch
einen Heinen Hofftaat von Selvetären, Ärzten und Brieftern
umgeben, haben fie daher im Großen und Ganzen keineswegs
einen beſonders günftigen Namen in ver Geichichte Griechen-
lands während dieſer Periode ſich erworben; was natürlich
nicht ausſchließt, Daß nicht wenige diefer Machthaber wackere,
patriotifche und wohlmeinende Männer gewejen find, wie uns
das ſpäter bie Zeit zeigen wird, wo aus der Maſſe der Griechen
bie interejjanten Charakterföpfe der Nevolutionsführer unferes
Jahrhunderts entgegenſpringen.
Nicht in dem Maße gegliedert wie in Morea, aber ver
Hauptſache nach doch analog ftanden die Verhältniſſe auf
den Injeln des ägäiſchen Meeres. Die eigenthümliche
Färbung der Zuftände auf Hydra und Spetzä wird erjt da
zu erörtern fein, wo dieſe bisher wenig bevölferten Injeln als
aufblübende neue Gemeinden uns begegnen werden. Sonſt iſt
nur zu jagen, daß auf der Mafje der italienifch geweſenen
Infeln die Klaſſe ver Primaten fih normaler entivicelt
batte, al8 in Morea. Hier find es die größeren griechtichen
und fränkiſchen Grundbeſitzer, letztere bis zu Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts mit zäh feitgehaltener feudaler Unterlage.
Dieſe nun wählten ebenfalls alljährlich zu Anfang des Früh—
jahres ifre Gemeindevorftände, die — je nah ver
Größe der einzelnen Orte an Zahl ſehr verjchieden — eben-
falls Proöftoi, noch häufiger Archonten, in Aegina und Milos
Epitropoi over Vecchiardoi (in Tinos ſpäter Geronten) beißen.
Auf Chios, Milos und anderen Injeln wurde auch den ab
gegangenen Vorſtänden des je lebten Jahres (häufig aus
zeichnend „die Alten‘ oder Vecchiardi genannt) noch ein Antheil
an der Berwaltung eingeräumt. Die Ortsvorftände der
Infeln Hatten in ausgedehnter Weife mit der Finanzwirthicaft
ihrer Gemeinden, mit Einſchluß des türktichen Zributes, zu
thun. Die lokalen Einnahmen beftanden Hier in Zöllen und
Die Gemeinbeverfaflung auf den Infeln und in Rumelien. 118
Zehnten, ein allfälliges Deftcit deckte man durch außerordent-
Iihe Umlagen, welche die Ortsvorſtände nach Verhältniß des
Vermögens auf die fteuerpflichtigen Gemeinden vertbeilten. Die.
Iuftiz war analog geordnet, wie in Morea. Der Kadi, der
bier noch etwas mehr zurückgeſchoben, theilweiſe (S. 88) felbft
ausgefauft wurde, war in Civilſachen durch bie Gerichtsbarkeit
ver Archonten und Biſchöfe nahezu troden gejett. Die durch
ven Kapudan-Paſcha ernannten Woiwoden hatten dieſelbe
Stellung wie in Morea. Allmählich aber, namentlich feit den
letzten Zeiten des fiebzehnten Jahrhunderts, nahm die
Sache einen für die Griechen noch günftigeren Charakter an.
Der Dragoman ber Slotte, felbit ein Grieche, wurde
einerſeits die Inſtanz, an welche bie Infelgriechen von ben
Sprüchen der Archonten appelliven konnten. Andererſeits
verfhaffte fein Einfluß den Inſeln viele Erleichterungen auf
Koften des türkiichen Elementee. Mean jtellte e8 mehr und
mehr den Wünfchen der griechiichen Bevölkerung anheim, ob
fie einen Woimoden (der dann die Einkünfte des Kapudan⸗
Paſcha pachtete, zuweilen auch die Stellung des Kabi über-
nahm) zu Haben geneigt waren, und ernannte nicht jelten zu
dieſem Amte einen Griechen. Selbſt das Amt des Kadi, der
auf den Inſeln auch an die Mitwirkung der Archonten ge⸗
bunden war, wurde zumeilen in griechiiche Hände gelegt.
Analog geftellt waren bie der jevesmaligen Favoritſultanin
zugetheilten Inſeln, wie Andros (und ſpäter Tinos), welche
diefe Damen durch eigene Agas verwalten ließen.
Am unvollkommenſten war das griechiiche Gemeindeweſen
in Rumelien ausgebilvet, obwohl aud Hier die in Morea
ung begegnenden Grundzüge wiederkehren. Gegenüber dem
Shitem der Woiwoden und Kadis mit der untergeorbneten
türkischen Beamtenhierarchie dominirte allerdings in den durch
griechiihe Armatolen gehüteten Landſtrichen der rumeliotiſchen
Paſchaliks (bis zur theilweiſen moslemitiichen Durchjegung der⸗
ſelben im achtzehnten Jahrhundert) die Macht der griechiſchen
Capitäne. Wo aber die Griechen nicht militäriſch organiſirt
erichtenen, hatte ſich bie Gemeindeverfafjung ebenfalls aus⸗
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III.
114 Bud I. Rap. L 5. Die Gemeindeverfaflung in Rumelien.
gebildet. Neben den in Athen von jech® zu ſechs Monaten
wechſelnden Epitropoi oder Vecchiardoi (d. i. Alten) fand man
aller Orten die Demogeronten oder Archonten, die bier aber
oft ganz einfach auch nur Primaten, ober felbft für jede Ge⸗
meinde Kodichabafchts genannt wurden. Die Ernennung der
Kodſchabaſchis für den Provinzialratb erfolgte durch eine
Berfammlung von Primaten, welche die Gemeinden zu biefem
Zwecke gewählt hatten. Die Mitglieder des Provinzialrathes,
denen es freilich in ben rumeliotifchen Paſchaliks feltener, als
in Morea (und gar auf den Injeln) gelang, arge Belaftungen
des Landes direft abzuwehren, waren gewöhnlich für Lebenszeit
im Amte, ihre Stellung oft erblih, feltener nur für zwei
oder drei Jahre ernannt. Kine Vertretung in Stambul
dagegen Hatten fich die Rumelioten ni H zu ſchaffen ver-
mocht ’).
Faſſen wir Alles zufammen, fo mu man fagen, bie
Griehen unter der osmaniſchen Herrihaft wurden haupt
fächlih durch ihre Kirche, durch ihre Sprache und durch den
Gegenjat zu den Osmanen zujammengebalten, und behaupteten
verichiedene Elemente, auf welchen in Zukunft unter günjtigen
Verhältniſſen eine Art von neuer Selbftändigkeit fich erbauen
fonnte. Sonft' aber war die Lage der Griechen, wie wir
ſahen, je nach ihren Ständen, je nad) den einzelnen Land⸗
ichaften, und je nach den Sahrhunderten eine weſentlich
verichievene. Im Ganzen genommen nit in der Art
unerträglih, wie man fich das oft gedacht bat, mehrfach an
die Lage unter der alten PBerjerherrichaft erinnernd, war fie in
der Regel grundfäglich beſſer al8 jene der Chriften in
hriftlichen Ländern jener Zeit, welche nicht die Confeſſion ber
Majorität tbeilten, over gar der Juden und Moriskos in
Spanien. Am bärteften unmittelbar nach ber Eroberung
1) Bgl.v. Maurer, ©. 8 ff. 54 ff. 62—70.76— 89. 92. 97. 98. 102.130.
Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 13 sq. 16 sqq. 29 sqg. (und
„Greece under othoman and venetian domination“, p. 351 sqgq.).
Eihmann, ©. 35 fl. Hopf, Orieenlanb im Mittelalter, Bd. 86,
©. 189. Menvelsfohbn- Bartholdy, ©. Afl.
Die Gefammtlage der Griechen unter der o8manifchen Herrſchaſt. 115
empfunden; auf manchen Punkten bi8 zur Mitte des ſechs⸗
zehnten Sahrhunderts und darüber hinaus gerade durch bie
Angriffe des Abendlandes auf die griechiichen Uferlande des
türfiichen Reiches dunkel genug gejtaltet, — war doch die
Gefammtlage der Griechen unter dem Halbmonde fo lange
mehrfach wohl geeignet, fich durch privaten Wohlitand für die
Abhängigkeit zu emtichädigen, als zu Stambul jelbft ein
mpolantes, fräftiges und jolives Regiment geführt wurde.
A das aber nad des großen Suleiman Ausgang aufhörte;
ald die Osmanen ſelbſt im Civil» und Heerweien zu entarten
begannen, und die befjere Zeit großer Pfortenminifter nur noch
leidliche Epiſoden zu jchaffen vermochte, da kamen auch alle
jene Diomente gar fehr zu drüdender Geltung, welche immer
wieder bie grundfäßliche Unverföhnlichkeit zwiſchen moslemitifcher
Herrihaft und dem Griechentfum ans Licht zogen. Nach Seite
der Religionsverſchiedenheit Hin wird wiederholt die
Kirche jchweren Erprefiungen ausgeſetzt, erlaubt fich bie
Volkswuth zeitweiſe entjegliche Ausfchreitungen,, bleibt ber
Grieche Doch immer — mit Ausnahme des allmählich fich
entwickelnden diplomatiichen Dienſtes, der Finanzbeamten, der
Selretäre, der Dolmetjcher und der Fanarioten — von ber
Theilnahme am höheren Staatöleben entfernt. Von gejicherter
perfönlicher Freiheit ift doch in einem Staate feine Nebe,
wo einerjeitS ſelbſt die herrſchende Race der despotiſchen
Willkür der Sultane und der Paſchas unterliegt, wo anderer»
jeit8 für Diele berrichende Race wirklich bindende Schranken
gegenüber ver Rajah nicht beftehen; .jo ſehr daß bei
Kriminalfällen das Zeugniß des Chriften gegen den Moslim
fine Geltung batte, daß bei wachlender Entartung die alte
perfiiche Herrenfünde der Wolluft in erhöhter Wildheit zum
Vorſchein kam, fchöne Mädchen und Knaben die beliebte Beute,
das jagdbare Wild für türfiiche mächtige Frevler wurden.
Damals bilvete fich bei den riechen bie ververbliche Sitte
aus, ihre jungen Töchter möglichit früh zu verbeirathen, weil
die Türken feine Frauen in ihre Harems zu nehmen pflegten.
Der graufamen Strafen und Hinrichtungen fei nur nebenbei
8 *
116 8.1.8.1. 5. Die Geſammtlage d. Griechen unter o8manifcher Herrſchaft.
gedacht. Nach Seite des Wohlftandes endlich drückte ein
Doppeltes Übel. inerfeit8 die jeden Augenblick eintretende
Möglichkeit, neben der zerftörenden Art der Erhebung des
Zehnten immer neue außerorbentliche Laften gefordert zur jehen,
auch von der regellofen Erpreffung türkifcher großer und Heiner
Machthaber abgejehen. Andererſeits die Planloſigkeit und die
„Zufallsnatur“ des Despotismus, die feiner neuen nützlichen
Schöpfung eines tüchtigen Griechen oder Türfen Dauer und
forgjame Pflege ficherte, vielmehr den thörichtiten Schlägen
gegen alte oder neue Quellen des Wohlitandes Thür und
Thor öffnete. Nimmt man nun noch Hinzu die bereits
geſchilderten Schattenjeiten des Negimentes der griechifchen
höheren SKlerifer und dev Primaten, jo wird man leidt
fich vorftellen dürfen, daß mehrere Menfchenalter hindurch, die
Armatolen, Klepbten und Mantaten, die Infulaner und bie
Athener allenfalls ausgenommen, über dem Leben der Griechen
des türkiſchen Reiches ein wahrhaft bleierner Himmel aus
gebreitet lag.
Die Folgen folder Zuftände find leicht zu bemeſſen.
Auf der einen Seite an vielen Punkten pie ſtarke Neigung
— tie einft in den gotbifchen, bunnifchen und jlamtichen
Sturmzeiten bie alten Hellenen getban —, in Maſſen nad
Stambul überzufieveln, wo fich bi 1590 eine griediid |
redende Bevölkerung von mehr denn 100,000 Seelen wieder
gefammelt, und wo man immer noch am erften Schuß und
Gedeihen zu finden die Ausficht hatte. Selbft aus Attike
ftrömte wiederholt die Bevölkerung nach dem Bosporus ab).
Weiter aber fam in vielen Theilen des Landes alle höhere
produktive Thaͤtigkeit und aller Fortichritt zum Steben.
längere Zeit pflege in Pertoven langfamen PBerfalles (die |
anfangs viel behaglicher zu fein pflegen, als die allezeit mit
vielen ſocialen Unbequemlichleiten begleitete wirtbfchaftliche
Blüthe), namentlich der Bauer, der feinen ausreichenden Abſatz
findet, feine Produkte zu verzehren, bis allmählich bei
1) Bol. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 189.
Eharakter d. Griechen, namentl. d. Moreoten, unter osman. Serrichaft. 117
zunehmendem Verſchwinden aller Unterlagen und Förderungs⸗
mittel nüglicher Zhätigfeit, und bei dem Mangel aller Diit-
wirfung der Staatsregierung zu ernitbaften Verbeſſerungen
Verarmung, Verödung und Verkümmerung des Bodens grell
genug zu Tage treten. Die Osmanen tbaten eben jo gut wie
gar nichts für Brüden, Straßen, Kanäle und .vergleichen, und
jo fteuerte auch das innere Griechenland auf vielen Punkten
dem Berfall entgegen.
Der Charakter aber des Volkes wurde dabei natürlich
niht bejfer. Wir kennen bas Haifiiche Urtheil ber Vene⸗
fianer über die — Albaneien wie Rhomäer — der Waffen
entwohnten, unter ihren Laften endlich nahezu ftumpf gewordenen
Moreoten des auägebenden ſiebzehnten Jahrhunderts.
„Durch Feine Belehrung‘, fagte ein jcharfer Beurtheiler ?),
„laſſen fie fich von dem Gewohnten abbringen. Sie fürchten
immer betrogen zu werben. Alles und Jedes erweckt ihnen
Verdacht, aber in demſelben Maße denken auch fie auf nichts
als Berrug. Wenden fie fih an die Staatsgewalt, jo follte
man im erften Moment ſchwören, fie hätten das vollkommenſte
Recht von der Welt; in der Regel aber ift es Alles
Falſchheit und erlogenes Weſen. Nur auf Gewinn denken fie:
das ift das Erite, das Einzige, wozu der Sohn vom Vater
angewiefen wird. Sie leben armielig, denn fie bilden fich ein,
der Erwerb hänge mehr davon ab, daß man fich jchlecht nähre,
als von Fleiß und Thätigkeit. Nur fo viel arbeiten fie, als
es die unvermeibliche Nothwendigkeit gebietet. Wer es irgend
vermag, läßt das Land lieber bauen, als daß er ſelbſt Hand
anlegen ſollte.“
Es war aber nur natürlich, daß gerade die beiten und
intelfigenteften ver Griechen die harten Übelftände ber
Fremdherrſchaft — denn die blieb es doch immer, troß aller
Selbftregierung durch Klerus und Primaten — am drückendſten
empfanden; viel mehr als die Slawen und Schfypetaren, vie
unter denjelben Nachtbeilen litten. Mochte auch immer die
I) Grimani bei & Ranke, Die Venetianer in Morea, S. 439.
118 Bud I. Kap. I. 5. Hoffnungen und Ideale der Griechen.
griechiſche Volksſprache jeit der osmantichen Eroberung
möglichit tief in Verfall geratben, jo blieb doch der lebendige
Zuſammenhang mit der älteren Litteratur erhalten: und mun
faftete die Erinnerung an die herrliche Vorzeit der alten
Hellenen und an die beiten Zeiten der Kaifer von Byzantion
mit erbrüdender Schwere gerade auf ben edelſten Gemüthern,
die niemals aufbörten, auf jeve Regung im Abendlande zu
achten, die nur irgend auf Befreiungspläne zum Beſten ber
Griechen binzudeuten jchten. Charakteriftiich aber tft e8 immer,
daß Dank der ganzen Entwidlung der griechifchen Nation feit
Arkadius alle Hoffnungen und Wünfche der nach Erneuerung
des Volkes jich fehnenden Griechen mit der Antife, mit Athen
und Sparta, nichts mehr zu thun haben. Dafür fteht jet
im Vordergrunde die anatoliihe Kirche und Das verlorene
chriſtliche Conftantinopel. Und die Klage um dieſes ver
Iorene Paradies, die Klage um ven legten Fatjerlichen
Paläologen und die goldene Stadt am Bosporus geht von
Jahrhundert zu Jahrhundert durch die neugriechiiche Titteratur,
bi8 dann in unjerem Zeitalter die griechiiche Nealpolitif und
der neu erivachte Gegenja zwilchen Slawen und Griechen
innerhalb verfelben Kirche die Stadt Konftantins des Großen
anjcheinend für immer außerhalb der griechiichen Hoffnungen
geitellt Haben ). Im Ganzen aber ift für die Zeit bis zu
Ende des fiebzehnten Jahrhunderts auch das geiftige Niveau
des Griechenthums und feine litterariſche Produktivität
möglichit tief gejunfen.
Die neugriechifche Vulgärſprache, von der Geiftlichfeit nicht
begünftigt, verwilderte zunächft immer mehr, nunmehr auch ben
Einwirkungen des ſchul- und alphabetlojen Albanefifchen aus
geſetzt. Der lebhafte Zufammenhang mit den gelehrten
Griechen der Emigration in Italien und Wefteuropa, die jid
allerdings bis zum achtzehnten Jahrhundert conjequent fort-
ſetzte, erloſch doch auch allmählich. Das Studium ber
1) Bgl. Ellifſen, Analekten, Thl. IV, Abth.2, S. 147. Nicolai,
Geſchichte ber neugriechiſchen Litteratur, ©. 85 f. und „La prise de
Constantinople “ (118 Berfe); franz. u. griech. edirt (1876) von Le Grand.
Neugriechiſche Sprache und Litteratur. Kreta. Athen. 119
Alten wurde immer fpärlicher betrieben; mit der fort-
ihreitenden Ausbreitung der Osmanen auch in den venetiantfchen
Defigungen im Peloponnes gegen Ende des funfzehnten Jahr⸗
hunderts (S. 15) erloih auch der noch in Mifithra fort-
Iebende Reft der Schule Plethons !). Gelehrte Studien auf
griechiſchem Boden unter der Herrichaft des Halbmondes wurden
außer der Patriarchenichule in Stambul nur jelten ſyſtematiſch
betrieben. Peloponneſiſche, chtotifche, ioniſche, Fretifche Jünglinge
mußten ihre höheren Studien jchon in Stalten machen, um
tiefere Bildung fich erwerben zu können, während Dagegen
wenigitend die Inſel Kreta, jo lange fie noch unter der
herrſchaft Venedigs ftand, troß der vielen Leiden des gries
chiſchen Landvolkes, immer noch bis tief in das fiebzehnte
Jahrhundert hinein eine Menge gelehrter Griechen erzeugte,
welhe mit hohem Eifer die Alterthumswiſſenſchaft pflegten.
Aus eben Diefer Infel ging dann auch jener Vincenz Kornaros
von Sithia hervor, welcher in der zweiten Hälfte des ſechs—
jehnten Jahrhunderts das berühmte national-romantijche Epos
„Erotokritos“ (10,000 ‚,politiiche‘‘ Reimverje in fünf Büchern)
verfaßt hat. Ebenjo jener Athanafios Skleros, welcher ven
Untergang der venetianifchen Herrihaft auf Kreta poetiſch
beichrieben bat. Während auf dem Feſtlande die projaiiche
litterariiche Produktion des jechszehnten und fiebzehnten Jahr⸗
hunderts nad) Seite der Gefchichte meift in Schöpfung. möndjijch
gefärbter Chronifen gipfelte, Athen aber doch in jeinem
Theodofios oder Theodoros Zygomalas (Sohn des Johannes
Zygomalas von Nauplion), ver feit 1580 an der Spike der
Patriarchenihule in Stambul ſtand, zeitweife einen jehr
tühtigen Lehrer bejaß, der dann auch als Protonotar des
Patriarhats , anſchließend an Laonikos Chalkokondylas die
türkifch - griechtiche Geichichte von 1391 bis 1578 befchrieb;
während Athen, trog feines auffallend verberbten Dialektes
wenigſtens noch in der Volksnatur einen Reſt ber alten
griechiichen Grazie und die Pflege einer fangbaren Lyrik jich
1) Bol. Elliffen (Ausgabe der „Neära“) a. a. O. ©. 29.
189 Bud I. Kap. I. 5. Die Infeln.
erhielt, jonit aber (zur venetianifchen Zeit noch Nauplion und
die ioniſchen Inſeln ausgenommen) überall höhere Bildung in
Berfall gerietb oder nur noch von Einzelnen gerettet wurbe,
auch litterartiche Schätze in Vergeſſenheit geriethen (die nicht
immer fo glüclich gerettet wurden, wie um 1600 bei einem
großen Brande die des Kloſters Megafpilion) — ftand es
wenigftens auf einigen Inſeln befier. Nach Überwindung
der türkiſchen Zerjtörungen bei der Eroberung Batten namentlich
Lesbos und Lemmos ſich erholt. Chios aber, obwohl lange
nicht mehr jo blübend, wie einft unter der Maona, war doch
durch die Pflege feines im faiferlichen Harem boch gejchäßten
Maſtix, durch feinen allmählich reich entwidelten Hanvel mit
jeinen vielen Produkten wohlbabend geworben, und unter ber
Theilnahme einer gebilveten Bevölkerung Sig wie Heimath
nicht verächtlicher wiſſenſchaftlicher Studien, belanntlich auch
die Geburtsitätte des berühmten Leo Allatius (geboren um
1586) !). |
Wir zeigen in den nächiten Kapiteln dieſes Bandes, wie feit
ven legten Zeiten des fiebzehnten Jahrhunderts und während
des achtzehnten nach biefer wie nach anderen Richtungen bin in
Griechenland eine wejentliche Beſſerung eingetreten ift. ine
erhebliche Beſſerung für die Lage der Griechen ging aber
ihon früher von der Pforte felbft aus; nemlich die Ab-
ihaffung des jhredlihen Knabenzinſes. Es Hing
diefes mit der Ansartung der Janitſcharen zufammen. Das
biaboliiche Shftem, auf welchen dieſes Corps begründet war,
batte doch eine erhebliche Lücke. Wie für die Grenzlegionen
ber älteren römiſchen Kaiferzeit während ihrer Dienftjahre
erfannte das Shftem ber Pforte für die Ianiticharen Feine
rechtsgiltige Ehe an: das wurde auf die Dauer unbaltbar.
Die Yanitieharen erzivangen endlich jchon unter dem großen
Suleiman das Recht, fih zu verbeiratben. Im jchnellem
1) Bgl. Ranke, Die Osmanen, ©. 25 fi. und namentlih bie
Überfiht bei Nicolai, Gefhichte der neugriechiſchen Fitteratur, ©. 23
bis 95.
Abſchaffung des Knabenzinfes im 17. Jahrhundert. 121
Fortſchritte nöthigten fie bet feiner Thronbefteigung Suleimang
Nachfolger Selim IL. die Berechtigung ab (1566), ihre
Söhne in ihre Reiben aufnehmen zu dürfen. Unter Murad III.
(1574— 1595) fam es dann dahin, daß gegen alle uralte
Praris nun auch Türken und andere Moslims aus allen
Nationen des Islam in wachſender Menge in das alte
Renegatencorps eingejtelt wurden. Und unter Ahmed
(1603 — 1617) fam es bereits dahin, daß bie einzelnen
Janitſcharen, wenn fie im Lande umher, wenn fie an ben
Grenzen lagen, Gewerbe zu treiben und jich dem Handel zu
ergeben anfingen. Ruinirte dieſe Veränderung etnerjeits bie
jeldatiiche Brauchbarkeit der Ianiticharen, jo kam fie bafür ben
Chriſten zu Gute. Die Janitſcharen felbft waren feit der
Aulaffung isrer Söhne zum Dienfte nicht fehr geneigt, neue
zahlreiche fremde Knaben zu ihrem Corps zuzulaffen; und jeit
der Aufnahme maſſenhafter geborener Moslims in dieſe
Zruppe boten die Türken den Chriften jelbft gern die Hand,
gegen ein Stück Gelb die Aushebung der chriftlichen Kinder
praktiſch abzuftellen, zumal die zunehmende Entvölferung des
offenen Landes e8 wünjchensiwerth machte, die Verringerung
der Einwohner möglichtt zu vermeiden. Daher wurbe dann
werit ımter Murad IV. (1623 — 1640) gegen Ende feiner
Regierung (1638) der Knabenzins abgeftellt. Ganz hat die Pforte
damals doch noch nicht darauf verzichtet, obwohl fie num auch
anfing, die Chriſten unter den Albanefen in dem osmaniſchen
Heeresdienſt zuzulaffen. Noch einmal im Sabre 1676 wurden
3000 Kriftlihe Knaben zum Heereöbienfte der Janitſcharen
ausgehoben, dann durch die Verordnung vom Sahre 1685
der Knabenzins bleibend abgeftellt ').
Damit wurde der Rajah überhaupt, fpeziell aber den
Griechen, ein großer Vortbeil gewährt. Nun erft konnte
wieder von einem Aufblühen ver phufiichen wie der moralijchen
1) Vgl. Rante, Die Osmanen, ©. 69. Finlay, Greece under
othoman and venetian domination, p. 194sqq. Gervinus, Geſchichte
des 19. Jahrhunderts, Bo. V, Thl. I, ©. 37.
_
122 Bud I. Kap. J. 5. Aufihwung des griechifchen Klephtenthums.
Bolfstraft die Rede jein, ſeitdem nicht mehr die beften jugend-
lichen Kräfte ver Nation ihr für immer entfremdet wurden.
Wie aber die Dinge in Griechenland einmal lagen, wirkte die
Abftellung des Knabenzinſes bier zuerſt am fühlbarften zurüd
auf den Aufihwung des Klephtenthums. Kin großer
Hiftorifer macht mit gewohntem Scharfblide darauf aufmerf-
fam, daß der erjte Klephte, den die Lieder der Neugriecen
preifen, noch in dem fiebzehnten Jahrhundert feine wilde Lauf
bahn eröffnet. Es war ber berühmte Chriftos Milionis,
ber jeinen zweiten Namen von der langen Flinte (Milionion),
führte, der er fich zu bevienen pflegte, und, in vem
nördlichen Akarnanien zu Haufe, namentlich den Osmanen von
Arta gefährlich wurde. Chriftos fiel endlich bei Armyros in
dem alarnaniichen Kanton Valtos im Zweilampfe mit einem
ihm befreundeten Moslimen, Namens Soliman, ven der
Dervenaga Muchtar gegen ihm ausgeſchickt hatte (gegen Ende
des fiebzehnten Jahrhunderts). Ihm folgte der Alarnane
Bukowallas (mit feinem wilden Eidam Johannes, des
Stathas Sohn), der unter Anderem bei Keraſſowo glückliche
Kämpfe gegen des ſpäter jo berüchtigten Ali⸗Paſcha von
Soannina Vater Beli, den Bey von Tepeleni, beitand ?).
Es bat jevoch bis zum legten Drittel des achtzehnten
Sahrhunderts gedauert, ehe die Kämpfe der Klephten und
enblich auch der Armatolen mit den osmaniſchen Meachthabern
bie Theilnahme auch des Abendlandes erwedten, Vorher war
Griechenland im Großen der europäiſchen Welt bereits
wieder näher gerüdt worden: einmal für breißig Jahre durch
eine neue Wendung der großen Politif, nachher aber durch
den endlich wieder bemerfbaren werfantilen und geiftigen
Aufihwung der allmählich fich wieder erhebenvden Nation. Bis
zum Galle von Candia war allerbings der geijtige Zuſammen⸗
bang zwilchen Griechenland und dem Abendlande immer biünner
1) Rante, Die Osmanen, ©. 70 und vgl. das Bud: „Mit-
theilungen aus ber Gefchichte und Dichtung der Neugriechen“ (nad
Fauriel, Bd. I, ©. 7ff.
Cruſius von Tübingen und die Griechen. 123
geworden, jobald wir von jenen Griechen abſehen, die in Italien
itudirten und in Europa Stellungen gefunden haben. Aller-
dings find wohl briefliche Verbindungen zu gelehrten Zweden
angefnüpft worden zwiichen einigen griechiichen PBatrioten und
Belehrten mit namhaften Männern der. europätfchen Welt,
auch jenjettS der romaniichen Staaten des Weftens. So unter
Anderem zwiichen Philipp Melanchthon und Antonios Eparchos
in Korfu, wie (1559) zwilchen jenem großen Freunde Luthers
und dem Patriarchen Joaſaph IL., wie auch mit dem Diakon
Dimitrios Myſos an der Hauptfirche zu Salonicht ?),
So hatte der gelehrte protejtantiiche Tübinger Profeffor
Martin ECrufius (Kraus) in dem letten Drittel bes ſechs⸗
zehnten Jahrhunderts durch feinen Briefwechjel mit 390»
malas und anderen griechiichen Gelehrten (1576 — 1578)
Griechenland für das gebildete Deutjchland gleichiam neu ent-
det, d. 5. er hatte für jeine beutjchen Zeitgenojjen urkundlich
feitgeftellt, daß noch immer ein griechiiches Volk, wenngleich in
jebr gejunfenem Zuftande und bei tiefem Verfalle der Bildung,
ja daß felbft noch ein Athen wirklich exijtirte, mitten unter den
zum Theil nicht mehr veritandenen, aber immerhin noch
erheblichen Nejten des griechiichen Altertbums. Manche Griechen
juhten jogar in Tübingen damals ihre Bildung ?). Und
wieder ftand 1652 der Athener Leonard PHilaras im Brief-
wechjel mit dem Engländer Milton und hätte burch venjelben
gern die Shmpatbien der engliichen Republik für Griechenland
erwedt ?). Neben den Beziehungen einzelner riechen zu
Melanhthon und Milton; neben dem durch Martin Kraufe’s
und Andreä's jungen Freund Stephan Gerlach (Kaplan bei
David von Ungnad, des Kaiſers Mar II. Gejandten in Stambul)
1) Bgl. v. Maurer, ©.18.424. Nicolai, ©.49.86. Pichler,
Cyrillus Lukaris, ©. 33. Paul Trivier, Cyrille Lukar., p. 35800.
2) Bgl. v. Maurer, ©. 18. 424f. Michaelis, Der Parthenon
(Text), S. 56. Wach smuth, Die Stabt Athen im Altertbum, Bd. I,
©. 63. De Laborde, Athenes aux XVe, XVIe et XVIIe siöcles,
tom. I, p. 5ösq. Nicolai, ©. 47f. 59. Gervinus, Bb.V, Thl. 1,
©. 114. Pichler, S. 34ff. Trivier, p. 35—40.
3) Bol. Gervinus, Bo. V, Thl. 1, ©. 26. Nicolai, ©. 43.
124 Bud I. Kap. I. 5. Kyrillos Lukaris.
bei vem Patriarchen Jeremias II. angejtellten Berbindungsverfuche
Augsburgiicher Confeſſionsverwandten jeit 1574/5, giebt e8 endlich
auch wenigiteng eine jtarfe Spur davon, daß die gewaltige geiftige
Bewegung, wie fie in ganz Europa wejtlich von der Adria, ven
Karpathen und der Düna durch die Reformation hervorgerufen
worden ijt, einigen Gliedern der anatoliichen Kirche nicht völlig
fremd blieb. Der Hauptſache nach bewegte fich allerdings das
innere Xeben der Griechen nur in ber Abwehr Hier des
Alam, dort des Papismus, und zwar jo, daß bie eigentliche
Schärfe des Gegenjakes immer gegen das lateiniſche Dogma
und Kirchenthum gerichtet blieb. An Welleitäten im Sinne
einer Annäherung der Griechen an Rom hat e8 freilich nicht
ganz gefehlt; noch 1480 hatte der Patriarch Maximos ein
biefelbe betreffendes Schreiben an den - venetianifchen Dogen
Giovanni Mocenigo ‘gerichtet ). Praktiſche Folgen Haben
diejelben aber zu feiner Zeit gehabt. Aber auch die Donner
bes welthiitoriichen Kampfes zwilchen Wittenberg und Nom,
und der helle Schlachtruf des Calvinismus in Frankreich, in
Schottland und anderen Ländern des Weftens, find nur in
dumpfen Tönen innerhalb des Bereiches der griechiichen Kirche
unter dem Schatten der osmanifchen Herrichaft vernommen
worden ?). Wirklich Boden ſchien der Calvinismus Hier nur
einmal zu gewinnen, und zwar zu Anfang des fiebzehnten
Jahrhunderts, als der hochgefinnte und hochbegabte Kyrillos
Lukaris (geboren 1572 zu Candia), ein Mann von freierer
Sinnesweile, der auch für die Pflege der neugriechifchen Vulgär⸗
iprache Sympathie hatte, in toleranter Haltung hervorleuchtend,
und von den reformatoriichen Ideen lebhaft berührt, ben Thron
des Patriarchats inne hatte. In erfter Linie kam es ihm darauf
an, die wiljenfchaftlichen Bildungsquellen des Abendlandes der
1) Thomas, Eine griehifhe Originalurlunde zur Gefchichte der
orientalifchen Kirche (München 1853), und Hopf, Griechenland im
Mittelalter, Bb. 86, ©. 162.
2) Einer Schrift des zelotifchen Wandermönde Pachomios Rhuſanos
aus Zante gegen Luther in des Reformators eigener Zeit gedenkt Nico⸗
lai, S. 49.
Kyrillos Lukaris. Die Griechen und Rußland. 135
griechtichen Kirche nutzbar zu machen. Er hatte daher noch als
Erzbiichof von Alerandrien (1602—1621) den auf dem Athos ge-
bildeten jungen Metrophanes Kritopulos aus dem makedoniſchen
Berrhöa (nachmals zu Stambul Protoſynkellos) zu neuen
Studien nach Deutichland und England geichidt. Nur daß
für einen folchen Dann die Zeit noch nicht reif war. Seine
theologijche und litterariiche Thätigfeit überhaupt, die Berufung
des, wie er jelbit, in Padua philoſophiſch gebildeten, calviniſtiſch
angefärbten Atheners Theophilos Korydaleus zum Scholarchat
in Stambul, die Anlage einer, auch Durch die engliiche Gejandt-
ſchaft unterftügten Druderei in Stambul (1627) und Ahnliches
tiefen eine leidenichaftliche Gegnerfchaft hervor. Theile Seitens
der griechiſchen Orthodoxie, theild Seitens ber Jeſuiten, Die 1583
begonnen hatten, bier und in der Levante feften Fuß zu fallen.
Der Rückhalt, den Lukaris (1621—1638 Patriarch in Con-
ftantinopel) an den Gejanbtichaften Englands und Hollande
gefunden hatte, wie auch fein Appell: an das Nationalgefühl
der Griechen und an die Gebildeten feiner Nation vermochten
ihn auf die Dauer gegen die zuletzt auf polittiche Verdächtigung
binauslaufenden Intriguen feiner Gegner nicht zu ſchützen. Er
iit wiederholt entfernt, verbannt, wieder nach Stambul berufen,
endlich auf Grund der Anklage jeines Feindes und Nachfolgers,
des Erzbiichofs Kyrill Kontari von Berrhöa, als Hochverräther
gen die Pforte am 27. Juni 1638 hingerichtet, feine Lehre
und Arbeit durch die Synode am 24. September 1638 mit
dem Anathema belegt worden ).
Außer folchen Beziehungen hatten fich indeſſen noch andere
allmählich erttwicelt. Seit dem Niedergange der venetiantichen
Macht in der Mitte umd in der zweiten Hälfte des fech-
zehnten Sahrhunverts Hatten die Hoffnungen des griechiichen
Volkes angefangen, fib auf das Reich der glaubend-
verwandten Ruſſen zu richten 9). Schon 1576 entging es
1) Bgl. Menvdelsfohn- Bartholdy, ©. 23. Gaß, Zur Ge—
ſchichte der Athosklöſter, ©. 37. Nicolai, ©. 43. 49 f. 52. 67. 91.
Bihler, ©. 37—180. 215ff. Trivier, p. 42—77,. 133g.
2) Bol. Sathas, Griechenland unter türkischer Herrſchaft, S.177f.
126 Buch I. Kap. I. 5. Athen.
den Slugen venetianifchen Beobachtern nicht mehr, daß ber
künftige Hauptgegner der Pforte in dem großen Slawenreiche
des Nordoftens heranwachſe, und daß diefer bei den Slawen
und Griechen ver Balkanhalbinſel zu paffender Stunde auf
jtarfe und werkthätige Shympathien werde rechnen können.
Unmittelbar fühlbar machte ſich Dagegen der franzöſiſche
Einfluß, der jeit der Zeit des Könige Franz I. am Bosporus
für lange Zeit der dominirende war, und zugleich zuerft wieber
ſeit dem Aufhören der lateiniſchen Herrichaft auf dem griechiichen
Feitlande und auf den Inſeln jenjeit$ des noch beitehenden
venretianischen Machtgebietes der vömijch-Fatholiihen Miſſion
die Wege ebnete. Es find zuerit die Jeſuiten, welche jeit
Beginn des fiebzehnten Jahrhunderts von ihren Milfionen zu
Stambul, Salonidi, Smyrna, Chios und Naros aus auf
die griechiiche Welt erheblichen Einfluß zu gewinnen ars
fingen '). |
Die alte geiftige Hauptſtadt der Hellenen, Athen, fah
ebenfalls 1645 — 1658 eine Miſſion der Jeſuiten auf ihrem
Boden. Athen war jeit dem Ausgange der Acciajuolis gleich
iam „durch eine chinefiihe Mauer” von dem Abendlande
getrennt geweſen und, wie gejagt, wenigftens für das germaniiche
Europa erft durch jenen Zübinger wieder entdeckt morben.
Erft jeit dem fiebzehnten Jahrhundert kamen wieder einzelne
Europäer als Bejucher nach Athen, ohne daß es ihnen jedoch
immer gelang, Eintritt in die Akropolis zu erhalten; am
ebeiten noch, wenn fie franzöfiihe Geſandte, ober durch
Frankreich gedeckt, oder doch Confuln einer großen europätichen
Macht waren. Einem der 1645—1658 in Athen, nachher in
Negroponte, thätig gewejenen Jeſuiten, dem Pater Babin,
verbankte man befanntlich jpäter (1672) einen vortrefflichen und
interejfanten Bericht über das damalige Athen und jeine
noch vorhandene Sehenswürdigfeiten. Als 1658 die Jeſuiten
ihre Milfion aus Athen nach Negroponte verlegten , folgten
ihnen in der Stadt des Kekrops franzdfiihe Kapuziner,
1) Bl. Nicolai, ©. 50.
Athen. 127
bie (1669) ihr Klojter, wo alle fränkischen Fremden Aufnahme
fanden, an das ‘Denkmal des Lyſikrats anbauten und nament-
ih durch ihre archäologiſchen Studien für das Abenpland
intereffant geworben find. Freilich Bat ba ihre geringere
wiſſenſchaftliche Vorbildung zu manchen feltfamen Irrthümern
Veranlaffung gegeben. Am feltiamften war es, daß fie ſich
ganz umbebenklich der in Athen und auch fonft in ber
griechifchen Welt mit höchſter Zähigkeit verbreiteten volfs-
thümlihen Anſchauung hingaben, verzufolge der Parthenon in
hriftlicher Zeit zuerft dem ,, unbefannten Gott ‘‘ geweiht
gewejen fein follte. Wollten doch diefe Kapuziner fogar bie
Inihrift „ayyaorw dew“* am Tempel gefunden haben, —
em reines Phantafiegebilde. Den Irrtum enthüllte bereits
der erfte der vielen europäiichen Reiſenden, bie dann ſeit
1675 immer zahlreicher Athen und Griechenland zu befuchen
anfingerr, nemlich der Arzt und ausgezeichnete Antigquar
' Dr. Jakob Spon zu Lyon. Leider war aber Spon (1676)
auch der letzte gebildete Antiquar, welcher den Parthenon noch
in feiner vollftändigen Schönheit geieben hat. Denn die Zeit
tand unmittelbar bevor, wo ein furchtbarer Krieg die Eriftenz
der Osmanen in Europa bedrohte, ihnen noch einmal
Morea entriß, zugleich aber ſchweres Verberben über Athen
brachte 1).
1) ®gl. De Laborde |]. c., tom. I, p. 46—256. Michaelis,
Der Barthenon (Text), S. 56—61. Wachsmuth, Die Stadt Athen
im Altertbum, 8b. I, ©. 62—79 u. 745ff. Zu bemerken ift noch, daß
die Bropyläen Bereit eine Zerflörung erlitten hatten. Die Türken
hatten hier ein Pulvermagazin untergebracht, in welches im Jahre 1656
ein nächtlicher Blitz einfhlug ine furchtbare Exrplofion fprengte die
nabe gelegene Wohnung bes damaligen Aga Iſuf in die Luft und zu=-
gleich einen großen Theil der Propyläen, zerjchmetterte die Architrave
ſämmtlich, zerftörte zwei ionifche Säulen und riß von allen librigen bie
oberen Partien fort. Die griechifche Legende faßte diefen nächtlichen Blitz
auf als göttliche Strafe für den frevelhaften Plan Iſufs, den Tag
darauf eine fleine atheniſche Kirche zur Feier eines hohen türkifchen
Feſtes durch Kanonenfhüffe zu zerftören. Bol. Wahsmuth, ©. 14.
Mommsen, Athenae Christianae, p. 52sqq. 58sqg.
18 3.1 K. II. 1. Übertritt der Schfypetaren zum Islam im 17. Jahrh.
Zweites Kapitel.
Geſchichte Griechenlands von 1684 bis 1718.
— — —
J.
Die Eroberung von Kreta durch die Osmanen trotz aller
Anſtrengungen der Venetianer und der Nachzügler der alten
Kreuzfahrer hatte die Hoffnungen der Griechenwelt auf eine
künftige Befreiung von dem Joche der Pforte ſo tief als nur
möglich herabgedrückt. In der That erreichte die Neigung
zum Abfall vom Chriſtenthum ſeit jener Zeit ihren
Höhepunkt. Übertritte zum Islam waren ſeit dem Falle von
Stambul an fih nichts Seltenes geweſen. Die Renegaten
hatten fich theils aus vereinzelten ehrgeizigen Chriften refrutirt,
theil8 waren es ganze Familien, welche Den erdrückenden
finanztelfen Laften und namentlih dem greulichen Knabenzins
entgehen wollten. Sehen wir ab von der Entwicklung be
den Bulgaren und bei dem bosniakiſchen Adel, fo erfolgten
auf der Balfanhalbinjel Übertritte zum Islam in größeren '
Maffen erft im ſiebzehnten Jahrhundert. Allen voran
ftehen bier die Schfypetaren. Die zäben Bewohner de
eigentlichen Albaniens hatten fich, ſehr zahlreiche Ausnahmen
bier nicht noch näher zu erörtern, einige Menfchenalter hin⸗
durch gegen den Islam ftanphaft gewehrt. Endlich aber
erlahmte weithin ihre Kraft. Namentlih der Adel und bie
fonjt mächtigen Familien des Landes, gleichviel ob römiſch—
oder griechiſch⸗-katholiſch, fanden es endlich ihren Intereſſen
entſprechend, durch die Annahme des Islam ihre Stellung
gründlich zu verbefiern. Das will fagen, namentlich zur
Zeit ‘des deutſchen breißigjährigen Krieges wurde bier ber
Abfall vom Kreuze ziemlich allgemein. ‘Die größeren alba
nefifchen Familien traten dadurd ein in bie herrichende Race,
Die Abanefen von Lala in Moren. 129
in deren Rechte und Vortheile, die fie dann auch fonit
gegenüber ihren chrüjtlichen Brüdern und nieberen Klaſſen, wie
gegenüber den Osmanen energiſch wahrzunehmen verftanden
haben. Bei der an Feindſeligkeit grenzenden Geringichätung,
mit welcher die Schkypetaren bi8 auf dieſen Tag nach Art
des islamitiſchen Adels jlawijcher Abkunft in Bosnien auf Die
Osmanen zu bliden pflegen, wurde allerdings die Stellung
diejer Albanejen baburch erheblich ftärker denn zuvor. Diejer
fall zum Islam, ber feit 1610 fich eingeleitet Hatte, war
um die Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts To weit vor⸗
geihritten, daß man damals annehmen Tonnte, die Zahl der
römiſch-katholiſchen Chriſten in dem eigentlichen Albanien fei
von 350,000 bis auf 50,000 geſunken; und bas fette fich
ttopfenweife noch bis zum Anfang des achtzehnten Jahrhunderts
fort, namentlich auf Koften der römiſchen Katholifen, deren
mals auch in Stambul nicht wenige abflelen ?).
Viel ausdauernder als die Schiypetaren bielten bie
National-Griechen mit Einer beveutenden Ausnahme am
Chriſtenthume feſt. Auf dem althellenifchen Feftlande war bie
Zahl der angefiebelten Türken immer nur mäßig; nambafte
Maſſen verfelben fand man nur in Theffalien, wo feit dem ſechs⸗
sehnten Sahrhundert wie weiter im Norden, neben jeldichudifchen
Örundherren oder Kontaren, Koniariven, die aus Turachans Zeit
ftammten, auch die Balbnomadiichen Yürüfen aus Kleinafien
vielfach erfcheinen. In Moren gab es nur zwei Punkte, wo eine
den angefievelten Osmanen ftammfrembe Bevölkerung in Maſſen
den Islam angenommen batte, und auch dieſe beitand aus
eingewonberten Schiypetaren. Wir meinen nemlich die
mobammebanifchen Albanefenftämme in Lala und Baͤrdunia.
Auf den fünlichen, das Alpheiosgebiet weithin beherrſchenden,
nad den Landſchaften des mittleren Elis ſchauenden Theilen
bes Gebirges Pholod nemlih Tannte man im achtzehnten
Jahrhundert die Albanefen von Lala, die Hier noch zu
Anfang der neugriehiihen Erhebung fih hielten und ben
1) Gervinus a. aD. ©. 27.
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 9
180 Buch IL Kap. II. 1. Die Barbunioten.
Dsmanen eine ftarfe Stütze in diefem Lande waren !). Die
friegeriihen Einwohner des weit zerftreuten,, durch mehrere
fefte Thürme der Primaten gebecdten Dorfes, 3000 Seelen
ſtark, konnten 400 rüftige Krieger ftellen. Noch viel bedeu—⸗
tender war der Stamm von Bardunia?). Mit diefem
Namen bezeichnete man (nach einem alten bizantinifchen
Schloſſe am Taygetos) ein ausgedehntes Gebiet in LRalonien,
welches fi von Gorani und von den Quellen des nad
Paſſava ftrömenden Bergwafjers über die füdöſtlichen Abhänge
und Vorhöhen des Gebirges Tangetos in der Nichtung auf
Marathonifi, Lewetſowa und ben unteren Eurotas ausbreitet.
Hier fiedelten die wilden Bardunioten, bie in vielen
Stüden die Sitten und Gebräuche ihrer weitlichen Nachbarn,
der Maniaten, theilten. Wie die nambaften Familien ber
Maniaten, jo beiaßen die der albanefiihen Barbunioten
befeitigte Schlöffer oder Thürme, alle jehr eigenthümlicher Art.
Eine Solche Burg beftand aus einem drei bis vier Stockwerke
hoben vieredigen Thurme, der verichievene Wohnzimmer ent
hielt, und deſſen flaches Dach mit runden Thürmchen an den
Eden und mit einer Bruftwehr mit Zinnen und Schießfcharten
gefrönt war. An dieſen Thurm ſtieß ein feft gebaute
Wohnhaus, deſſen Wände ebenfalls Schießicharten hatten. Den
Hofraum oder Burghof, der eine Eifterne enthielt, umgab
eine ftarke Dauer mit vorjpringenden, zur Vertheidigung durch
Kanonen eingerichteten Baftionen. Der Eingang war gewunden
und batte mehrere Thore. Die wilden Mohammedaner dieſes
Stammes, der bei etwa funfzig nambaften Familien (unter
ihnen fpäter fagen- und Tiebergefeterte Helden wie Amus-Aga und
Muctar « Bardunias) 2500 Krieger aufbringen konnte, Tagen
1) Curtius, Peloponnefos, Th. II, ©. 4. Roß, Griechiſche
Königsreifen, Thl. I, ©. 178. „Reifen im Peloponnes” I, ©, 110.
Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 36.
2) ®gl. Leake, Morea, vol. I,p.189sq. 264sqq. Roß, Griechiſche
Königsreifen, Thl. IL, ©. 213 ff. Finlay l.c.p.36. Curtius aaO,
Th. I, ©. 266. Burfian, Geographie von Griechenland, Bd. I,
©. 105. 132. 146.
Abfall der griechifchen Kreter zum Islam. 131
oft genug in biutigem Hader mit den Maniaten, deren Vor⸗
fahren durch fie wahrjcheinlih aus dem fühlichen Eurotas⸗
gebiete verbrängt waren. Uber auch unter einander Jagen
die Agas von Bardunia oft genug in wilden Familienfehden,
und plünderten gern nah Norden bin in dem flachen grie-
hüchen Lande. Als Gegner der Maniaten und türfifches
Gegengewicht gegen biefes chriftliche Bergvolk fcheinen fie aber
erft im achtzehnten Jahrhundert höhere Bedeutung gewonnen
zu haben. Wann fie aber in Moren fich angefievelt Haben,
it nicht ficher zu beftimmen; wahrjcheinlich tft wohl, daß vie
Barbunioten ſchon feit dem funfzehnten Jahrhundert in ihren
Sitzen wohnten und erft bier den Islam annahmen. Die
Schiypetaren von Yala dagegen Fönnten eher jchon als
Mobammebaner, aber wohl erit im fiebzehnten Jahrhundert,
nah dem Pholos gekommen jein.
Unter der im ethnographiihen Sinne Griechen zu
nennenden Bevölkerung des alten Landes ver Hellenen bat ber
Islam nur auf Einem Punkte bedeutende und zwar bis auf
diefen Tag empfindlich nachwirkende Erfolge erzielt, nemlich
auf der Inſel Kreta, wo nur die Sphafioten nach Art ver
Maniaten ganz unbeläftigt fich durch ihre Brimaten felbftändig
vegierten.. Bei den furchtbaren Kämpfen um Candia hatte
der islamitiſche Fanatismus noch einmal einen gewaltigen
Aufſchwung gewonnen, während andererfeits neben einer dünnen
den BVenetianern zugethanen Minorität die griechiiche Be⸗
völferung bei ihrer Abneigung gegen das ſchwere Joch ver
Republik dem Islam bier nicht jenen ausgiebigen Wipderftand
leitete, wie fonft die Maſſe ihrer griechifchen Stammes⸗
genofien, und theils der Gewalt, theild den vortheilbaften
Lockungen zur Annabme des Glaubens der berrichenden Race
in weiten Umfange nachgegeben bat. Waren die drei
Hauptfirhen von Candia fofort nah der Eroberung zu
Moicheen gemacht worden, fo fehlte e8 nachher nicht an fehr
ausgedehnten und jehr gemaltfamen Maßregeln der Osmanen,
die Tretifchen Griechen zum ‚Glauben zu „bekehren“. Und
die Zahl der Kreter auf diefer Infel, die theild mit Gewalt
9 *
182 Bud I Kap. UI. 1. Abfall ber griechifchen Kreter zum Islam.
zu „Türken“ gemacht wurden, theils durch freiwilligen Über
tritt Ehre, Sicherheit des Eigenthums und mächtige Stellung
neben den in Menge (S. 70) Hier angefiebelten osmaniſchen
Zimarioten behaupteten, wuchs zuſehends; jo jehr daß zur Zeit
der neugriechiichen Erhebung auf Kreta die Mobammebaner
entichteden in der Deebrbeit waren. Daraus find aber gerade
auf Kreta ganz abicheuliche Verbältniffe zwiſchen ven beiben
Religionsparteien entftanden. Es gehört nur dem Anfang ber
Geſchichte dieſer Inſel unter türkifcher Hoheit an, daß die
Männer „des mächtigen Clans der Kurmuliden zu Chufi in
der Ebene Meffaren, trog ihres Übertrittes zum Islam,
heimliche Chriſten und öffentliche Beichüger ihrer wahren
Glaubensgenofjen blieben‘. Im Laufe ver Zeit Hat fich das
Verhältniß zwilchen den griechiichen Muhammedanern und den
griechiichen Chriſten der Inſel ebenjo bösartig geftaltet, wie
nur zwiichen den moslemitiichen und ben griechiich- gläubigen
Slawen in Bosnien und Herzegowina. Es wird in bielen
Zuftänden dadurch nichts geändert, daß noch lange ber
gewaltfam zum Islam befehrte Kreter nur äußerlich „laut zu
Allah betete, im Herzensgrund aber die Panagia anrief und
Mohammed verfluchte‘‘; auch das beſſert die Beziehungen
nicht, daß fich die griechiichen Moslims der Inſel in vielen
Stüden ihre alten Bräuche behauptet haben. ‘Denn wie fie
in Tracht und Sitte nur wenig ſich von ben Chriſten unter
ſchieden, auch die Frauen kaum den Schleier annahmen, jo
mochten die Männer dem trefflichen Weine der Inſel nicht
entjagen, und die Weiber — namentlih auf dem Lande —
verzichteten nicht darauf, „wenn ind und Kub in Noth“,
ihre Stoßgebete an die Panagia zu richten. Namentlich ba,
wo man nur, um den jteten Erprefjungen fich zu entziehen
und fein Gut zu behalten, den Islam angenommen Hatte, hat
fih Hinter der türkischen Maske noch vielfach (freilich in ber
Regel nur im Faſtenhalten und Cerimoniell) das Chriſtenthum
erhalten. Nur daß noch jett fein chriftlicher Grieche ein
moslemitiſches Griechenmäbchen heirathen kann, ohne feine
eigene Familie tödtlich zu verlegen, während bie türktichen
Der Großweſſir Kara Muſtapha feit 1676. 138
Kreter unbebenflih hübſche Chriftenmänchen nehmen (oder
noch Tieber vauben), fo daß dann die Rinder dem Islam
anbeimfallen.
Bon anderen Punkten, wo Griechen aller Stänve in Menge
zum Islam übertraten — abgelehen von zahlreichen einzelnen
Fällen, die aus ſehr verſchiedenen Motiven bervorgingen —,
ift nur noch ein Theil der Infel Eubda zu nennen. Im
Ganzen aber rechnete man, daß zu Ende des ftebzehnten
Jahrhunderts auf dem europätichen Gebiete der Pforte
bon der magyariſchen Grenze bis zur kretiſchen Süpfüfte etwa
eine Million Muhammedaner Tebten, die ihre Abkunft von
riftlichen Ahnen aller Stämme dieſes Theiles des Neiches
abzuleiten Hatten ?).
Sp ſchien es in der That, als follte noch in der Zeit,
wo die Friegerifhe Kraft ver Osmanen nur noch ruckweiſe
wieder belebt werben konnte, wo ber Verfall ihrer alten
Inftitutionen bereit vecht ſehr fühlbar wurde, wo zugleich im
Halbkreife rings um das osmaniſche Reich im Abendlande
neue Kriegsmächte emporwuchien, im Inneren der Halbmond
num doch noch den nahezu vollftändigen Sieg über das Kreuz
davontragen. Und doch war der Moment bereits gelommen,
wo die exrpanfive Kraft des Osmanenthums entichteven zu
ebben begann, wo der Islam endlich wieder Terrain verlor,
wo das Griechenthum zu neuem Leben nach Tangem
Winterfrofte erwedt wurde. Diefe8 aber Bing zujammen
mit einer hochwichtigen Wendung der großen europäifchen
Politik.
Des gewaltigen Großweſſirs Ahmed Köprili Nachfolger
(ſeit dem November 1676) Kara Muſtapha, der im
Dienſte der Köprilis emporgekommen war, aber bei dem
Mangel bedeutender Eigenſchaften in jeder Beziehung tief
unter den großen Männern dieſes Hauſes ſtand, glaubte es
mit der Hoffnung auf Erfolg wagen zu dürfen, den alten
1) Vgl. Finlay, Greece under othoman and venetian domination,
p. 138 sqg.
134 Buch J. Kap. IL 1. Krieg Venedigs gegen bie Pforte feit 1684.
Zraum der ftolzeiten osmaniichen Machthaber, die Zer-
trümmerung der habsburgiſchen Macht und die Eroberung
von Wien zu verwirklicden. Sein Sultan Mohammed IV.
(1648— 1687), der den Krieg gegen bie Chriften für eine
heilige Pflicht hielt, theilte feine Pläne vollſtändig. Der
Großweſſir aber, der durch einen ſolchen Erfolg zugleich fehr
erhebliche innere Schwierigfeiten aus dem Wege fchaffen wollte,
eröffnete in der That, durch Frankreich ermuntert, durch
maghariihe Mißvergnügte gerufen, den Krieg gegen das
Haus Habsburg im Frühling 1683. Als aber bie ihrer
Zeit weltberühmte Belagerung von Wien an der Tapferkeit
der Beſatzung und der Bürger, und an der vechtzeitigen An-
funft der polnijchen und beutichen Hilfstruppen völlig gejcheitert
war (September 1683), da fiel des Großweſſirs Haupt vor
dem Zorne des Sultans, und es bildete fich eine mächtige
Coalition, die nunmehr das feit der Schlacht bei Varna
(Bd.II, S.521) verichollene Werk der Niederwerfung der Osmanen
mit aller Macht in Angriff zu nehmen bejchloß. Der deutſche
Kaiſer Leopold I. und König Johann Sobiesfy von Bolen
gewannen mit Hilfe des Pabftes Innocenz XI. die Allianz der
Nepublif Venedig, deren Flotte ihnen unentbehrlich war.
Die Republik Hatte fih nun zwar kaum erſt einigermaßen
finanziell von ver gewaltigen Erichöpfung des Krieges wegen
Kreta erholt. Aber der alte Heldengeift war in den Lagumen
noh nicht erlofehen; und da außerdem auch nach dem Jahre
1670 die Häfeleien mit ver Pforte niemals ganz aufgehört
hatten, fo wurde e8 jet bei dem neuen Aufſchwunge des
friegerifchen Ungeftüms der Chriftenbeit gegenüber den Türken
ber Ariegspartei im Senate nicht fchwer, Die Mehrheit für
fich zu gewinnen. Ihr Führer aber war der Held von Candia,
ber gewaltige, unter ven Waffen ergraute, bochfinnige Held
Trancesco Morofini, der jegt mit feinen Freunden die
Kriegserflärung an die Pforte durchſetzte. Im Frühjahre
1684 wurde bie Allianz, ver „Heilige Bund‘, mit dem
deutſchen Reiche und mit Polen geichloffen, am 15. Juli
deſſelben Jahres in Stambul ver Krieg förmlich erklärt,
Benebig miethet deutſche Truppen für Griechenland. 185
Morofini aber, damals 66 Yahre alt, zum ‚, Generals
tapitän des Meeres’ ernannt.
Damit begann jener gewaltige Krieg, der Griehenland
mit Einem Male wieder in den Vordergrund bes europätichen
Intereſſes ftellte.e Venedig Hatte fich den kriegführenden
Mächten hauptſächlich in der Erwartung angeſchloſſen, jekt
— io bie osmaniſche Hauptmacht in Ungarn, an der Donau,
in der Moldau und Walachei auf das Stärkfte durch ‘Deutiche
und Polen bejchäftigt war — wenigſtens einen Theil ber
ihweren Verlufte wieder gut machen zu können, welche ber
Republif durch ihre letzten unglüdlichen Türkenkriege zugefügt
worden waren. Und in biejem Sinne wurden gewaltige
Nüftungen getroffen. Die Republik brachte durch die ein-
ihneidendften, zum Theil gewagteften Finanzmaßregeln bebeu-
tende Geldmittel auf, mit denen fie dann während mehrerer
Jahre nambafte Landheere aufzuftellen vermochte. Da die
eigenen Befigungen der Republik nicht genug Soldaten aufzu-
bringen vermochten, da auch bie päbftlichen, tosfantichen und
maltefiichen Schaaren für die großen Pläne Moroſini's nicht
ausreichten, fo Half fich der Senat durch Miethsverträge mit
einer Reihe de utſcher Fürſten, die nach einander der Republik
für ſchweres Geld (& 200 Francs für den Mann) game
wohlgeichulte Negimenter für den Krieg in Griechenland über-
ließen. Hannoveraner, Braunjchweiger, Heflen, Sachen,
Würtemberger, Waldecker, Meininger haben in den nächſten
Jahren ruhmvoll unter den Fahnen des Heiligen Marcus
gefochten. Schwieriger war es freilich für Moroſini, fich
bauernd mit diefen Truppen zu verjtändigen und (namentlich
in Bezug auf bie Führer) die purchgreifende Disciplin zu be»
wahren 7). |
1) Zu der Gefchichte dieſes Krieges vol. Ranke, Die Venetianer in
Morea 1685 — 1715, ©. 417 —431. Schwende, Geſchichte der Han⸗
nover'ſchen Truppen in Griehenland, 1685—1699. Pfifter, Der Krieg
von Morea in ben Jahren 1687 und 1688. Zinkeiſen, Gefhichte bes
Omanifcherr Heiches in Europa, Thl. V, S. 129—236. De Laborde,
188 Buhl. Kap. IL 1. Königsmark erobert 1686 Navarinon,
Griechenland zu gewinnen. Dieſer hochbegabte Mann, ver
ſchwediſche Feldmarfhall Graf Otto Wilhelm von Königs»
mar, ver britte Sohn des im breifigjährigen Kriege Io
berühmt gewordenen Generals Königsmarf, war außerordentlich
geſchickt, die „kühnen Entwürfe Moroſini's mit taktiicher
Wiſſenſchaft, vorfichtiger und unerjchrodener Ausführung zu
unterftügen”. Er erihien am 3. Mai zu Santa Maura mit
namhaften deutſchen Verſtärkungen. Das venetianijche Heer
betrug jet 10,800 Mann (darunter 2900 Hannoveraner
und 1500 Sachſen), konnte jedoch erft im Juni den Feldzug
eröffnen. Der im Kriegsrath aufgetworfene Gedanke, Candia
anzugreifen, wurde um jo eher verworfen, weil inzwijchen bie
Dsmanen von Moren den Krieg im April eröffnet, bie
Maina angegriffen und das Schloß Kelepha blofirt Hatten.
Aus diefer Stellung wichen fie dann bei der Ankunft eines
venetianiichen Geſchwaders unter Lorenzo Venier zurüd. Bald
erihien nun Morofint an der meffenifchen Küfte und nöthigte
(Pylos) Alt-Navarinon jofort zur Ergebung Neu»
Navarinon dagegen, welches die Osmanen zur Be
berrichung der füblichen Einfahrt in bie Herrliche durch bie
Inſel Sphakteria gebildete Bucht 1572 verſchanzt hatten, wurde
durch Sefer-Pafcha tapfer vertheidigt. ALS aber verfchievene
Berjuche des in Morea commandirenden türkifchen Generals
Ismail⸗Paſcha, die Stadt zu entiegen, jcheiterten, nöthigten
bie türkischen Offiziere und PBrimaten ihren Commandanten zu
kapituliren. Sefer - Pafcha fprengte fich aber, ehe er die
Kapitulation tbatjächlih vollzog, mit den meiften der vor
nehmen Osmanen in die Luft. Gleich nach der Eroberung
von Navarinon nahmen die Venetianer nad ſchwacher Gegen-
wehr (10. Juli) auh Modon, um fi nun nad der Oftfeite
des Beloponnejo8 zu wenden, wo Nauplion das Hauptobjelt
ihrer Angriffe wurde. Königsmark landete am 30. Juli in
Port Tolon, oftiüidöftlich von Nauplion. Sein geübter Blick
erfannte jofort die große militärische Bedeutung bes damals
noch nicht verfchanzten Felſenkegels Balamidi, welcher, ein
peloponnefiiches Gibraltar, auf 1000 Stufen von Nauplion
Moden und Raupfion. Sieg 1687 bei Paträ. 1%
ber zu erfteigen, nach drei Seiten fchroff abfallend, die fchmale
Landenge bominirt, durch welche die Stadt mit dem inneren
Rande verbunden wird. Dieje Kuppe beſetzte er alfo fofort.
Aber obwohl er nun die blolirte Stadt völlig mit feinen
Geſchützen beberrichte, obwohl auch die osmaniſchen Truppen
bei Argos in heißem Kampfe nach Korinth zurüdkgeichlagen
wurden, machte Königsmark doch nur langſame Fortfchritte.
Dabei räumten die klimatiſchen Fieber in dem Lager bet
Tirynth unter den beutichen Truppen entieglich auf. Erſt als
ein neuer Angriff der Osmanen auf diefes Lager am 29. Auguft
mit brillantem Erfolge abgeichlagen war, ergab fih Nauplion
am 3. September.
Die Friedensvorſchläge, welche die Pforte jet machte,
wurden von den DVenetianern abgelehnt. Sie fowohl, bie
auch während des Winters viel durch Seuchen zu leiden hatten,
wie die Osmanen rüfteten mit aller Kraft für den entſcheidenden
Feldzug des Jahres 1687, bei welchem es fich um die nörd⸗
lihen Küften von Morea bandelte. Außer anderem hatten
bie Türfen auch die jchmale Dieerenge von Rhion, jet bie
„kleinen Dardanellen‘ genannt, durch Forts gedeckt. Dieſer
Stellung jfammt der Stadt Paträ, in deren Nähe
Mehemet - Pafha mit 10,000 Mann ein verichanztes
Lager anlegte, galt der im Yuli 1687 von Königemark mit
7000 Mann (darunter viele Heſſen und Schwaben) verfuchte
Angriff. Er landete am 22. Juli umweit Paträ an einer
von den Türken für fumpfig gehaltenen Stelle, weftlih von
ver Stadt. Nun eilte er, die Türken aufzufuchen, die ihm
aber felbft entgegengingen. Am Morgen des 23. Juli fam
es zur Schlacht, in welcher Königsmark nach hartem Kampfe
entſcheidend fiegte, um fogleich das türkiſche Lager zu erftürmen.
Da nun auch die Flotte die Meerenge von Rhion palfirt
batte, jo wich Mehemet- Pafcha in wilder Eile nach Korinth
zurück. Paträ, die beiden Saftelle an dem Sund von Rhion,
wie auch das ftarle Lepanto ergaben fich fofort den
Denetinnern. Noch mehr, die Osmanen gaben jet auch
Cftel-Tornefe, Salona, ja felbft Korinth auf, und wichen
136 Bud I. Kap. II. 1. Francesco Morofini. Das Kriegsjahr 1684.
Die Feindſeligkeiten zwiſchen Venetianern und Osmanen
hatten 1684 auf jenem Gebiete begonnen, wo bie Republik
auch in ihren letzten Kriegen immer mit Erfolg geftritten
hatte, nemlich in Dalmatien. Morofini, dem der Senat
volle Freiheit in feinen Bewegungen gelaffen, hielt es in
beffen nicht für zwedmäßig, in Dalmatien eine neue „ Terra
ferma‘“ zu erobern, ſondern erfannte es für wichtiger, vor
Allem den Seefrieg energifch zu betreiben und namentlich als
einträglichen Erſatz für Kreta jegt feinem DVaterlande Morea
neu und Negroponte zurüd zu erobern. Er fuhr baber
mit feiner Flotte an der Küfte von Dalmatien vorüber, und
wandte fich zuerft gegen das Coriarenneft Santa Maura,
welches am 8. Auguft Tapitulirte. Dann wurde Alarnanien
geplündert. Endlich fiel am 29. September auch Prevefa
nach nur achttägiger Beſchießung.
Nun galt es, alle Kräfte gegen Morea zu richten. Hier
eröffnete Morofini den Krieg im Jahre 1685. Sein
Heer war jet durch italieniſche und deutſche Hilfstruppen
(darunter zur Zeit 2400 Hannoveraner unter dem Oberften
von Ohr) 8200 Mann ftart. Während ber Admiral Deolino
das ägätiche Meer beobachtete, eröffnete Morofini im Yun
den Kampf um Morea. Er rechnete ftark auf die Hilfe ber
Maniaten, deren Häuptlinge ihm zugeſagt hatten, fie woliten
fih für Venedig erheben und die Provinz in Aufruhr bringen,
jobald er mit ſtarker Macht in Griechenland erjcheinen würde.
Als aber der verretiantjche Heerführer zu Anfang des Juli bie
Inſel Saptenza erreicht hatte, kamen Botichafter ver Maniaten
mit leeren Händen zu ihm. Freilich hatten die Gebirgskrieger
des Taygetos noch neuerbings dem Ismail⸗Paſcha von Morea
bei einem harten Zufammenftoße erhebliche Verlufte beigebradit.
Dofür aber Hatte fich dieſer Statthalter jet durch einen
Athönes aux XVe, XVIe et XVIIe siteles, tom. II, p. 67 — 254.
Finlay, Greece under othoman and venetian domination, p. 205—233.
Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 177 fi. Sathas,
Griechenland unter türkiſcher Herrſchaft, S. 310—427.
Morofini erobert 1685 Koron und die Schlöffer der Maine. 1837
grimmigen Vorftoß in das Land der Maniaten gerächt, viele
grauen und Kinder als Geileln mitgefchleppt, die (S. 60)
ftarfen Zwingburgen des Landes ſtark mit Truppen befekt.
Trotzdem ließ Morofint fich nicht abfchredien. Er führte
jest feine Flotte gegen Koron und begann, dieſe ftarfe Feftung
zu belagern. Die Armee, mit welcher Ismail⸗Paſcha dieſe
Stabt zu entjegen fuchte, wurde in mehreren Gefechten ge»
ihlagen, und nad einer Belagerung von 47 Tagen fiel Koron
am 12. Auguft unter einem fchredlichen Blutbade in bie
Hände der Eroberer. Nun hatte Morofint in Morea
feften Fuß gefaßt. Koron wurde ſtark verfchanzt; dann
ging man, jett durch die Ankunft von 3300 Sachfen unter
dem General Degenfeld verftärkt, weiter vorwärts. Das
nächite Objeft war Ralamata, wo der Kapudan⸗Paſcha in
einem verichanzten Lager mit 6000 Mann und 2000 Spahis
itand. Während der Vorbereitungen zum Angriff glüdte es,
das Schloß Zarnata, eine der Feſſeln der Maina, zur
Übergabe zu beftimmen (10. September). Gleich nachher
wußte der General Degenfeld in Träftigem Vorftoße das
türfifche Lager bei Kalamata und dieſe Stadt felbft zu erobern:
bag Mustketenfeuer ver wohlgeichulten Sachfen und die Geſchütze
ber Flotte hatten dabei vortrefflich zufammengewirtt. Nun
räumten die Osmanen auch die Schlöffer Kielapha (over
Kelepha) und Paſſava (©. 60). Die Maniaten fühlten
fih wieder frei von der eiſernen türkiihen Umklammerung
mb traten zu Venedig über. Ihr gefammtes Gebiet erhielt
wieder als „Braccio di Maina“ feine eigenen Rettoren.
Paffava und das Schloß Kalamata wurden zerftört, Zarnata
dagegen und Kielapha mit ftarfen Belatungen belegt. ‘Dann
führte Morofini Flotte und Heer in die Winterquartiere auf
den ioniſchen Inſeln.
Der Feldzug des Jahres 1686 brachte noch größeren
Gewinn. Es wurde ein ſehr erheblicher Vortheil für die
venetianiſche Sache, daß es jetzt gelungen war, an Stelle des
zu Moroſini nur wenig ſtimmenden Generals Degenfeld einen
Feldherrn erſten Ranges für das Landheer der Republik in
142 Bud I Kap. II 1. Die Venetianer wenden fich gegen Athen.
nah Paträ Gefandte an Morofint mit dem Ausprude ihrer
Sympathien geſchickt Hatte. Der Generallapitän war jedoch
bamit militäriich nicht einverftanden, fondern wollte dann nur
noch vor der Beziehung der Winterquartiere eine auf Brand»
ſchatzung abzielende Demonftration gegen die Türken am Jliſſos
verfuchen. Er führte daher jeine Flotte am 18. Auguft 1687
von Korinth um den Peloponnes, lief am 27. Auguft bei ber
Maina an und veranlaßte bie Osmanen von Mifithra,
die furz zuvor den Commandanten von Zarnata mit 6000
Maniaten abgeichlagen batten, nun ihrerfeit$ zu Tapituliren.
Nur Monembafia verweigerte die Ergebung, und die An-
griffe, welche der Aomiral Venier mit zwölf Kriegsichiffen,
burch zahlreiche Mantaten und Kytheräer unterftüßt, verfuchte,
blieben ohne Erfolg.
Moroftint jeinerfeits fegelte nach dem faroniichen Meer⸗
bulen, nahm am 13. September die jet durch albanefilche
Bauern bevölferte Inſel Aegina in Beige, nahm am
20. September am Iſthmos Königsmarks Truppen an Bord
und Tief in ber Naht zum 21. September im Peiräeus
ein, wo dann am folgenden Morgen das Heer, jett etwa
10,000 Dann ftark, ans Land gelegt wurde. Die Osmanen
in Athen hatten bereits nach der Schlacht bei Paträ fih un
ficher gefühlt und daher für den Fall eines Angriffes, zum
Schutze gegen die zahlreiche venetianiiche Artillerie, bie
Akropolis durch eine neue Batterie verftärkt. Zur dieſem
Zwede brachen fie den Tempel der Nife Apteros ab,
bauten auf deſſen Sundamenten ans den Marmorblöden die
Bettungen für die Gefchüte, und verlegten das "Pulvermagazin
in das Gewölbe unter der Cella dieſes Tempelchens. Als nun
die Benetianer wirfich am 21. September in dem Peiräeus
ans Land ftiegen, vetteten die Türken in panticher Angft ſich
fefbft, ihre Familien und Schäge hinauf zu der Beſatzung auf
die Burg, bie bis dahin für unbezwinglich galt. Die Griechen
ber Stadt aber jchidten den Erzbiihof Jakob und jeinen
Klerus, dazu die vier angejebenften Primaten als Gejandte zu
Morofint und veriprachen ihn ihre werkthätige Unterftüätung,
Beichießung ber Alropolis, Zerſtörung des Partbenon. 143
wenn er fchnell in der Stadt einrüden und fie gegen bie
Osmanen in der Burg jchüten werde.
Da beihloß man denn, Athen zu erobern, zunädft
um gute Winterguartiere fich zu erfämpfen. Noch am Abend
bes 21. September rüdte Graf Königsmark in die Stadt
ein und jegte am folgenden Tage Alles in DBereitichaft, um
bie Akropolis beichießen zu können. Am 23. September
eröffneten die venetianifchen großen Batterien auf dem Mufen-
bügel, dem Bayer und dem Areopagos, wie auch von ber
Süpjeite ber ihr euer, ofme jedoch erhebliche Wirkungen zur
erzielen. Da num auch Die gegen bie Felfen ver Burg ver»
fuchten Minirungen ohne Erfolg blieben, da ferner die Gefahr
beftand, durch die Osmanen von Theben her angegriffen zu
werben, fo folkte der Angriff mit erhöhter Kraft verjucht
werden. Mean errichtete noch eme neue Batterie mit zwei
Mörſern gegenüber der Ojftjeite der Burg. Noch immer ohne
Erfolg. Da brachte ein Überläufer die Kunde, daß das gefammte
Pulvermagazin der Osmanen fih im Parthenon befinde:
die türkifchen Heerführer ſeien bes guten Glaubens, daß die
Franken den herrlichen Bau ſchonen würden. Genau war die
Botichaft freilich nicht, die Osmanen bewahrten nur ben für
jeven Tag allemal nötbigen Vorrath an Pulver in der Cella
des Tempels. Aber auch die Deutichen und Venetianer dachten
nicht an Schonung des durch alle Stürme ber Weltgejchichte
feit Perikles bis auf Morofint fo wunderbar geretteten herr»
fihen Baumerfes. Die Aropolis ſollte unter allen Umſtänden
falfen, und fo richtete man jet die Bomben ber öſtlichen
Mörierbatterie gegen die Oftfeite des Parthenon. Es war ein
füneburgifcher Artillerie » Lieutenant — vor dem zornigen
Schmerze der gebildeten Welt des Abendlandes tft nachher
der Name dieſes neuen Heroftratos todtgejchiutegen worden —,
der das traurige Glück hatte, am 26. September Abends
7 Uhr die unbeilvolle Bombe zu Ienfen, welche nun endlich
das türkifche Pulver erreichte. „Mit furchtbarem Krachen
flog der Meifterbau des Iktinos auseinander , breihundert
Menichen unter jeinen Trümmern begrabend, große Marmor-
144 Bud I. Kap. II. 1. Übergabe der Akropolis.
blöde Hoch durch die Luft bis Hinab zu den DBelagerern
ſchleudernd.“
Noch aber hielten die Osmanen aus. Als jedoch ein
Vorſtoß der bei Theben lagernden Armee am 28. September
gegen die Belagerer durch Königsmark leicht abgewieſen wurde;
als der Brand auf der Burg unaufhaltſam weiter wüthete,
und der Commandant mit feinem Sohne gefallen war, 308
man am Abend des 28. September die weiße Fahne auf,
Am 29. September fapitulirten die Türken auf freien Abzug;
am 4. Dftober verließen 3000 Menſchen die Burg, um für
die Abfahrt nach Smyrna zur Einfchiffung nach dem Peiräeus
geführt zu werben. Cine einzige Bombe, jo rühmte man
wohl, batte eine bisher für unbezwingbar geltende Feſtung zur
Ergebung genöthigt. Nur daß der Zorn und Schmerz Europa’s
auf dieſe Eriegerifche Großthat den dunkelſten Schatten warf.
Nur daß in wahrhaft tragiicher Weife Morofini’d Glüd mit
dieſer Scene zu Ende ging ?).
Denn die Eroberung von Athen erwies fich jehr bald
als militäriſch völlig nuglos, dieſer Punkt als für bie
weiteren Kämpfe entichieven unbaltbar. Zunächſt allerdings
— denn Königsmarf wollte von Moroſini's Plan, nun dod
noch auf das erſchreckte Negroponte zu fallen, nichts wiſſen —
legte man die beutjchen Negimenter, Hannoveraner, Heilen,
Würtemberger in die Stadt Athen in die Winterquartiere.
Hier wurde durch ihren Feldkapellan Beithmann am 19. Ol
tober eine Moſchee zur lutheriſchen Kirche gemacht. Aber ver
Aufenthalt zeigte fih als ſehr unerfreulihd. Abgeſehen von
ben VBorftößen der Osmanen aus Theben und Negroponte, jo
trat Mangel ein, namentlich aber decimirte eine furchtbare
Peit die deutichen Truppen in bebvenklicher Weile. Es zeigte
fih auch bald, daß die Eroberung dieſes Punktes ſehr unnütz
gewefen war; denn man hatte nicht die Mittel, die Stadt
1) Das Detail Über Athen fiehe außer bei Laborde jetzt bei
Michaelis, Der Parthenon, S. 6Iff. Pal. auch Wachsmuth, Die
Stadt Athen, S. 15f. 79.
Morofimi’S attifche Beute. Athen am 4. April 1688 geräumt. 145
nad damals moderner Art zu befeftigen, und beſaß auch nicht
Streitkräfte genug, um die Akropolis im der Art zu beieken,
daß dieſe Garniſon nicht als völlig verlorener Poften hätte
gelten müſſen. Schon am 31. December 1687 mußte man
fih mit der Idee, die Stadt und Burg wieder zu räumen,
beftinant vertraut machen. Selbft der Gedanke, Athen zu
zerftören, tauchte damals im Kriegsrathe auf. Über folchen
Beratungen verging das Frühjahr 1688. Endlich entichloß
fih Morofini, die Burg nur zu entwaffnen, fonftige Zer⸗
ftörungen aber zu unterlaffen. Doc, follte aus Athen eine
ftolge Siegesbeute nad den Lagunen entführt werden. Da
(im Mär; 1688) der Verſuch, den Poſeidon und bie beiden
Pferde von Athene's Geſpann aus dem Weftgiebel des Par-
tbenon auszubrechen bei ber Unvorfichtigleit der Arbeiter nur
zur Vernichtung dieſer herrlichen Skulpturen geführt hatte, jo
beihloß Moroſini, eine Anzahl antiker Löwen aus Athen zu
tauben. Er ließ nemlich eine Löͤwin aus Hymettiſchem Marmor
bon ber Burg, einen anberen Löwen, auf dem Wege nach ber
Akademie belegen, und enblic einen jener beiden bamals
weltberühmten, nach welchen ber Peiräeus den Namen
Borto Leone erhalten batte, ausbeben. Sie hüten heute ben
Eingang zum Arfenal von Venedig .. Umjonjt boten Die
Einwohner von Athen, 4000 bis 5000 (nach anderer Annahme
10,000) Seelen, große Summen an, wenn man eine Belagung
bei ihnen zurüdlaffen wollte. Da fie wegen ihrer energifchen
Sympathien für die VBenetianer von den Osmanen Alles zu
fürdten Satten, jo blieb ihnen nichts übrig, als bei ver Kunde
von Morofini's Entſchluß, Attika völlig aufzugeben, num auf)
ihrerfeitö das Land zus verlaften. Als Die durch die Peit auf
die Hälfte zufausmengefchinolgene Beſatzung am 4. April 1688
Üben verließ, folgten ihr bie jammernben Einwohner. Sie
zritreuten fich nach Korinth, Aegina, Salamis, nad) dem öſt⸗
lichen Moren, nach dem Archipel und den ioniſchen Inſeln.
Am 9. April fegelte die venetiantiche Flotte nach dem pracht-
1) Bgl. namentlich Wachsmuth a. a. O. ©. 161. 147 u. 751.
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 10
146 Buch J. Kap. I. 1. Dreijährige Veröbung von Athen (1688—1690).
vollen Hafen von Poros (Kalauria) ab, wo fie die nöthigen
Berftärkungen zu den Sommerfeldzuge abwarten follte.
Athens Schidjal war nun kläglich. Nach dem Abzuge
der DVenetianer bejetten die Oſsmanen die Akropolis wieber
und erneuerten bie Feſtungswerke, bauten auch in die Cella
des Parthenon (von dem doch immer mehr als zwei Drittel
bie Exrplofion überbauert Hatten) eine Heine Moſchee hinein.
Die Unterftabt aber, bie fie öde fanden, brannten fie zur
Strafe für das Volk gänzlich niever. Damit war das alte
Athen, welches fo viele Stürme überdauert, und nur einmal
durch Leo Sguros vorübergehend einen ernftlichen Stoß er
fahren Hatte, zu den Todten geworfen. Die Nuinen der
Stadt lagen drei Jahre lang wüfte und öde da (1688— 1690).
Diefes ift befanntlich „, die fakttiche Unterlage‘ für die (Früher
Bd. I, ©. 128 f. erörterte) Fallmerayer'ſche faljche Annahme
einer angeblich in das frühefte Mittelalter fallenden „,vier-
hunbertjährigen Verödung“ des Atheniichen Stadtbodens. Erft
nach drei Jahren gewährte die Pforte unter Mitwirkung bes
Patriarchen von Conftantinopel den weitzerftreuten Bewohnern
von Athen Amnejtie und Erlaubniß zur Rückkehr. Allmählich
entftand wieder amt Fuße der Akropolis ein Heiner, häßlicher,
ſehr ſtark albaneftich gefärbter Ort, der erft wieder in dem
legten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts hiſtoriſches Intereſſe
geivonnen bat ?).
Anders fiel Morofin!’S Loos. Der glänzende Sieger
war ſechs Tage vor der Abfahrt aus dem Peiräeus im ber
Heimath zum Dogen ernannt worden. Aber — mochte auch
feit 1687 Rußland in die Neihe der Teinde der Pforte ge-
treten fein, mochten auch die venetiantichen Waffen in Dalmatien
gute Erfolge erfämpfen, mochte auch in Stambul die Revolution
toben (Sultan Mohammed IV. wurde nach dem alle von
Athen entthront und ftatt feiner fein Bruder Suleiman II.
zum Padiſchah erhoben), mochten auch die Osmanen an der
1) 2gl. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bb. 86, ©. 178.
Michaelis a. a. O. 85.6. Wahsmuth, S. 17f. u. 722.
Kämpfe um Negroponte (1688). Königemarts Tod. 147
Nordgrenze eine Niederlage nach der anderen erfahren: für
ben neuen Dogen blübte fein Lorbeer mehr.
Moroſini's Streitmaht war feit dem April 1688 big
auf 200 Segel, 30,000 Seeleute und 24,000 Mann Land⸗
truppen (darunter 12,000 Mann friiher Hilfstruppen) ver-
mehrt worden. Am 7. und 8. Juli verließ die Flotte ben
Hafen von Poros und wandte fih gegen Eubda. Die
Osmanen hatten Negroponte auf das Stärkfte verſchanzt,
mit 6000 Mann bejegt, dazu noch vor der Stadt ein ver-
ihanztes (durch 4000 Janitſcharen ber Garnifon gehaltene)
Lager angelegt. Wider den befjeren Rath Königsmarks, ber
werft die Verbindung mit Theben abjchneiden und bie Angriffe
von der böotiſchen Seite ber beginnen wollte, veranlaßte ber
Doge, daß (zwifchen 12. bis 24. Yuli) die Armee die Landung
auf der Inſel erzwang und von bier aus bie Belagerung
eröffnete. Nun gelang es zwar, nach Ablauf eines Monates
am 30. Auguft das verichanzte Lager zu erftürmen. Dagegen
blied Dank der durch das Fort Karababa gebedten Brücke
über den Sund die Verbindung der Stadt mit Theben immer
offen, während Morofini’8 Heer durch Peit und Marichfieber
in graufenbafter Weiſe decimirt wurde. Krankheit machte bald
die meiften Stabsoffiztere bienitunfähig, zu allem Unheile
ſtarb Königsmark am 15. September, und zu dem lebten
Sauptfturme am 12. Dftober auf die in Trümmer gefchofjene
Stadt konnte Morofint nur noch 8000 Mann aufbringen.
Als auch diefer Angriff mit 1000 Mann Verluſt abgefchlagen
war, gab Meorofint die Belagerung auf; er hatte 20,000, bie
Osmanen nur 6000 Leute verloren. Tief entmuthigt ließ er
(19/21. Oktober) das Heer abziehen und lanbete in der Bucht
von Kaſtri (Hydra gegenüber) in dem fühlichen Argolis
(25. Oktober). Hier nun wurde das Heer aufgelöft, bie
furchtbar zufammengejchmolgenen deutſchen Hilfstruppen nach
ihrer Heimath zurüdgeführt.
Es war in der That ein Glück für die Republik, daß
ſowohl ihre eigenen Waffen in Dalmatien, wie bie ihrer
nordiichen Verbündeten in den Donaulanden anbauernd den
10*
148 Buch J. Kap. I. 1. Monembaſia ergibt ſich 1690 den Venetianern.
Dsmanen überlegen blieben. Denn mit feltenen Ausnahmen
verfagte fich ihnen feitvem in Griechenland das SKriegeglüd.
Morofini felbft bat im Sabre 1689 verjucht, die letzte
türkiſche Feftung in Morea, nemlich Monembaſiag, mit
Gewalt zu nehmen. Auch dieſes gelang ihm nicht; Dann nöthigte
ihn der Zuftend feiner Gefunbheit, die Führung ver flotte
aufzugeben (13. September) und nach Venedig zurückzukehren.
Die Stellung als Generallapttän war inzwilchen anf des
Dogen VBeranlafjung an den bisherigen Commmandanten ber
venetianifchen Truppen in Dalmatien, Girolamo Eornars,
verlichen worden, ber bereit8 mit 2000 Wann balmatiniicher
Soldaten in Griechenland erichienen war, nunmehr das Com
mando vor Monembafia übernahm, indeſſen nach einiger Zeit
die Leitung der Blokade dem Antonio Molino übertrug und
fih nach Nauplion begab. Im Früblahre 1690 nahm er
dann perfönlich die Belagerung der ſtolzen Telfenfeitung von
ver Landſeite wie vom Meere ber mit erhöhter Energie wieder
auf; indefien war es doch hauptlächlich der Proviantmangel,
durch den die Beſatzung fich endlich genöthigt fand, am
10. Auguft 1690 zu Tapituliven. Am 12. Auguft fegelten
bie Osmanen aus Monembafia nach Kreta ab.
Das war nun wieder ein beveutender Erfolg für bie
Republik; jetzt endlich war das gefammte Moren in ihrer
Hand. Nun aber galt es, ven koſtbaren Befig nicht nım neu
‚zu orgenifiren, wie bereits feit einiger Zeit begomıen war
(j. unten), ſondern aud gegen bie Angriffe der Pforte zu
vertheidigen. Das hatte zur Zeit nicht geringe Schwierigfeiten.
Denn feit 1688 ftand das gewaltige Frankreich wieder in
einem großen Kriege gegen das deutſche Reich und Öſterreich;
die beutfchen Reichsfürſten waren nicht mehr in der Lage,
Immer neue Megimenter nach dem menſchenverzehrenden
Griechenland zu fchiefen; ber Drud ber dfterreichtichen Waffen
auf die Osmanen an der Donau wurde für längere Zeit
erheblich ſchwächer, während bie Pforte (wo dann nach bed
Sultans Suleiman Tode am 23. Juni 1691 deſſen Briber
Uhmed II. den Thron deitieg) feit ber Exrnermumg bes
Anarchiſche Zuftände in Mittelgriehenland. 149
Muſtapha Köprili (November 1689) zum Großweſſir mit Einem
Male eine neue und jehr erhebliche militäriiche Kraft entwidelte.
Die Osmanen waren durchaus nicht geionnen, auf ven Beſitz
von Griechenland fo fchnell zu verzichten. Zur Zeit allerdings
der Verwüftung von Athen und bes Kampfes um Negraponte
ſah e8 für fie jchlimm genug aus. Denun auch in Mittel-
griehenland waren ja die Osmanen auf das Gebiet
zurüdgebrängt, welches durch die Beſatzungen von Livadia,
Theben, Zeitun und Talanti noch gededt wurde. Nur daß
in dem zur Zeit herrenloſen griechtichen Gebiete zwiſchen Arta
und Livadia durchaus wüfte Zuftände herrichten, derart daß
zahlreiche Banden von türfijchen und venetianiihen (d. h.
balmatintfchen und albanefiichen) Dejerteurs und Marodeurs dag
griechiſche Landvolk ungehindert plünbern Tonnten. Es kam ſo
weit, daß ſich ein Chef ſolcher Banden, Namens Boſſina,
in dem ätoliſchen Karpenifi (am Südfuße der Bergpyramide
des Veluchi oder Tymphreſtos) feſtſetzen und von den Primaten
der Umlande Tribut beziehen konnte, wofür er ihnen dann
gegen Muhammedaner und Klephten Sicherheit gewährte. Da
die Republik ihre Söldner nicht immer regelmäßig bezahlen
fonnte, fo halfen alle Bemühungen Morofini’d und per
Armatolen zur Eindämmung des Übels nur wenig. Elias
Damianowich Tonnte fogar in dem Städtchen Liohorifi bei
Salona eine Ähnliche Herrichaft improvifiren, wie Boſſina.
Diefe anarchiichen Zuſtände erhielten aber eine ftarfe Stets
gerung, als die Pforte, deren Reiter nach Moroſini's Ab-
zuge von Negroponte auch die griechifchen Anhänger Venedigs
auf Eubdan hart geplagt Hatten, den Verſuch machte, num
ihrerfeits Griehen gegen die Republik aufzu-
bieten.
Man wandte ſich nemlich noch im Jahre 1688 am jenen
maniatifchen Rapttän Liberafi Geratfhart, der (S. 61)
jr Zeit im Bagno zu Stambul als Staatsgefangener ſich
befand. Diefer zweidentige Abenteurer wurde jest in Freiheit
gefegt, zum „Beh der Maina‘“ ernannt und mit ber
Aufgabe betraut, die Griechen gegen Venedig aufzuwiegeln.
150 Buch J. Rap.II. 1. Liberafi Geratſchari, feit 1688 Bey ber Maine,
Nachdem er noch eine junge und reiche griechiiche Dame aus
guter Familie geheirathet und nach wenigen Wochen wieder
verlaffen Batte, 308 er zu Ende bes Jahres 1688 mit 300
Mann nach Theben, wo er fich dem dort ftehenden Heere von
10,000 Kriegern des Ismail⸗Paſcha anſchloß. Er verfprad,
5000 Mann gegen Venedig aufzubringen. Dann nerfuchte er
fetne Anfchläge zuerft bei ven nach Aegina und Salamis ent-
wichenen Athenern, bemühte fih auch die Banden von
Lidhorikion und Karpenift für die Pforte zu gewinnen, unter
handelte aber vor allen Dingen mit feinen Mlaniaten, bie
unter verlodenden Zuſagen berevet wurben, die Hoheit bes
Padiſchah wieder anzuerfennen und fich gegen die Venetianer
zu erheben. Morofint, der damals (1689) nur 11,000
Mann zu feiner Verfügung batte, der zugleih Monembafia
belagerte und die türkifchen SKriegsichiffe im ägätfchen Meere
beobachten mußte, die damals unter Anderem 350 Griechen
al8 Sklaven aus Salamis fortführten, kam durch Diele
Intriguen in nicht geringe DVerlegenheit, obwohl es feinen
Unterfeldherren gelang, einen Vorſtoß der Osmanen von
Theben und des Liberafi gegen Korinth abzujchlagen. Ein
Angriff des Mainottenbey's, der nachher in Mittelgriechenland
furchtbare Brandichagungen erhob, auf Salona wurde eben
falls, diesmal beſonders durch rumeliottihe Milizen und
einige Denetianer glücklich abgewehrt. Es blieb zumädt
vergeblih, daß Morofini, der 1657 ben Liberaki aus ber
Taufe gehoben Hatte, durch einen alten Kameraden des Bey's,
Giovanni Dambi, der zu Liberali nah Vrachori gejchidt
wurde, benjelben wieder für Venedig zu gewinnen fich be-
mübte.
As Morofint nachher (S. 148) nach Venedig zurückgekehrt
und Girolamo Cornaro, wie wir faben, 1690 mit der
Eroberung von Monembafta beihäftigt war, gelang es ben
Osmanen, einerfeitS Die Freibeuter aus Lidhorikion und
Karpeniſi zu vertreiben und das ganze offene Land nörblic
vom forintbiichen Meerbufen bis zum Rayon von Lepanto
zurüczugewinnen. Die VBenetianer dagegen Tonnten feine
greift 1692 mit ben Osmanen Morea an. 151
neuen Triumphe davontragen. Für fie war e8 ein Glück, daß
ber gewaltige Großweſſir Muſtapha Köprili am 19. Auguft
1691 bei der Niederlage von Szalanfemen feinen Tod fand,
daß überhaupt feit Diefer Zeit bie Thatkraft der Osmanen
wieder erlahmte: Denn auf ihren ſüdlichen Theilen des
ungeheuren SKriegsichauplates Hatte freilich Girolamo Eornaro
noch 1690 Kanina und Vallona in Epirus erobern können.
Aber ſchon im September deſſelben Jahres war er zu Vallona
am Fieber geſtorben, und die epirotiſchen Plätze mußten ſchon
im nächſten Frühjahr 1691 aufgegeben werben. Cornaro's
Nachfolger, Domenico Mocenigo, konnte nicht hindern,
daß die Fretifche Zeitung Grabuſa oder Sarabufa halb durch
Verrath, halb durch Ohnmacht der ſchwachen Bejakung an
den Pafcha von Ranea verloren ging. Als Mocenigo nachher
im Juli 1692 jeinerfeits in Kreta landete und Kanea
bereits dem Falle nahe zu fein fchten: da fam aus Morea
die böfe Kunde, daß die Dsmanen verheerend in der Halbinfel
eingebrochen waren.
Liberaft nemlich war inzwilchen aus feinem Lager bei
Megara mit 5000 Dann aufgebrochen und hatte die vene-
tianifhen Zruppen am Iſthmos, 2000 griechifche Milizen,
ſlawiſche, griechifche, albaneſiſche Söldner und 400 Reiter,
auseinandergeiprengt. Die venetiantichen Reiter waren nach
Nauplion geflüchtet. Der Proveditore Marino Michele Hatte
fih auf die Burg von Korinth mit 3000 Mann zurüdgezogen.
Nun aber zerftörte ver Mainottenbey die verlaffene Unterftabt
Korinth. Und als der Serastier Chalil⸗Chodſcha⸗Paſcha von
Zheben mit neuen 5000 Mann nacrüdte, blofirte man
Aroforinth, verbeerte in blinder Wuth alles Land bis vor
die Thore von Nauplion und verbrannte Argos. Schon jetten
ſich die türkiſchen Neiter auch gegen Tripolita, Kalavryta und
Voſtitza in Bewegung. Da kam die Nachricht, daß Mocenigo,
der auf ſolche Botichaften Hin fofort von Kanea abgelafjen
hatte, mit feiner Flotte, die 12,000 Dann und 800 Reiter
führte, fi dem Peloponnes näherte. Sofort wich) der
Seraskier, nachdem er die Burg von Korinth fiebzehn Tage
6
152 Buhl. Kap.II. 1. Kämpfe 1692 um Lepauto. Moroſini ſtirbt 169.
fang belagert hatte, aus Morea zurüd. Gefangene nahm er
mir wenig mit. Denn die Deoreoten, taub gegen alle Anträge
des Liberali, hatten fih m Maſſen flüchtig nach den Gebirgen
gerettet. Die Republik, die auch 2000 für Mlocenigo com
promittirte, jest mit ihm nach Morea ausgewanderte Kreter
bier mit Grundbeſitz ausitattete, dankte den beichäbigten
Dioreoten ihre junge Treue durch verfchievene Steuer
erleichterungen, wie auch durch veichliche Unterſtützung bei ber
Herftellung der zeritörten Drtichaften und der verwüſteten
Felder und fonftigen Pflanzungen. Moreotiihe Schkypetaren
machten bann einen rächenden Raubzug über ben Iſthmos
hinaus bis nach Livadia. Als endlich Ehalil- Pajcha vor
Joannina noch zu Anfang Oktober veffelben Jahres 1692 mit
6000 Dann fih auf Lepanto ftürzte, fanden er und der aud
bier ericheinende Liberafi in dem Commanbanten Marco Venier
einen böchit ſtandhaften Gegner. Die Ankunft Weocenigo’s,
des Commandanten von Paträ, und des General» Broveditore
der ioniſchen Inſeln mit namhaften Streitkräften führte zu
einer jchweren Niederlage der Osmanen, bie zugleich durch
bas Feuer der venetianiſchen Kriegsichiffe aus ihren Laufgräben
vertrieben und durch einen kühnen Ausfall Veniers gewaltig
erichüttert wurden.
Noch Bedeutenderes erwartete man in Venedig, als Ende
Mai 1693 der greife Moroſini noch einmal als General
fapitän fich nach Griechenland einjchiffte. Dieſe Hoffnungen find
nicht in Erfüllung gegangen. Denn der alte Held, ver Ende Juni
in Monembaſia eintraf, fab fich auch jet richt in der Lage, bie
Erfüllung feines Hauptwunjches, die Eroberung von Negroponte,
zu erzielen. Seine Mittel reichten nur eben aus, ben dauernd
bebrobten Iſthmos zu decken und die Werke ber Inſeln
Hegina, Salamis, Hydra und Spekä zu verbollitändigen. Ein
Seezug durch das ägäiſche Meer hatte gar feine Ergebnifle.
Krank im Herbfte nah Nauplion zurückgekehrt, bat er noch
bie Schanzen dieſer Stabt und die des Iſthmos nach Kräften
verſtärken lafjen, um dann am 6. Januar 1694 fih zer
ewigen Rube zu legen. Sein Nachfolger, Antonio Zen,
Zeno gewinnt 1694 Chios. 158
noch mehr gereizt durch die Schroffheit der Pforte, Die zu
Anfang des Jahres 1694 die Zulafjung venetianiicher Kauf⸗
fente in ihrem Reiche auch unter neutraler oder befveundeter
Flagge rundweg verboten Hatte, wollte mit dem ibm zuge
fommenen Verſtärkungen einen enticheivenden Zug ausführen.
Er fam auf den umglüdlichen Gedanken, die Inſel Chios zu
erobern, obwohl biefe Inſel viel zu entfernt von Moren war,
um dauernd behauptet werden zu können, und viel zu reich,
ber Pforte viel zu werthvoll, um nicht die Osmanen zur
wüthenditen Gegenwehr berauszuforbern.
Trotz dieſer Bedenken jegte Zeno jeinen Plan ins Werk.
Nachdem er noch die Osmanen in Livadien Durch einen Vor⸗
ftoß über den Iſthmos hinaus geſchreckt hatte, bei welchen bie
Armatolen der Venetianer plündernd bis nach Livadia und
Neopaträ vordrangen, zog er zu Unfang Auguft mit 93 Segeln,
dazu mit 8000 Mann und 400 Pferden unter dem beutichen
General Baron Heinrih von Steinau gegen Chios
aus. Vier Wochen ſpäter landete er auf der ſchönen Inſel,
wo bie griechiiche wie die katholiſche Bevölkerung der Inſel
ihn mit großer Freude begrüßte. Mit nur 200 Mans
Berluft erzielte Zeno binnen acht Tagen bie Eroberung ber
ganzen Inſel, batte aber dann weder Muth noch Geſchicklich⸗
keit, die osmaniſche Flotte zu zerichmettern. Die Freude über
dieien Sieg in Venedig wurde jchnell genug gebämpit. “Die
Osmanen jebten in ver That Alles in Bewegung, um bie
Denetianer aus Chios wieder zu vertreiben. Der neue Vor»
ſtoß allerdinge, welchen Liberafi und der Serasfier von
Megara und Theben aus gegen den korinthiſchen Iſthmos
veriuchten, hatte wenig Wirkung. Zwar brangen die Osmanen
wieder bis in bie Gegend von Argos vor. Aber der drohende
Anmarſch venetianifher Truppen aus Nauplion, Lakonien un
Ahaja, und ein Gefecht bei Petri in der Nähe des pelo-
ponmefiichen Trilkala, in welchem nur mit höchſter Mühe ie
Zürfen das Schlachtfeld behaupteten, nöthigten die letzteren zw
baldigem Abzug aus Morea. Und nun jeßten wieder bie
Denetianer theils von den tonijchen Inſeln, theils von Lepanto,
154 Buch J. Kap. II. 1. Die VBenetianer verlieren 1695 Chios wieder.
theils von Morea aus ihrerfeits den Heinen Krieg in Mitte:
griechenland fort, indem fie nach wie vor ihre jlawilcen,
albanefiichen und griechiihen Söldner in den Stand fegten,
fih auf verjchievenen Punkten mit rumeliotiichen Armatolen
in Akarnanien, Xetolien, Agrapba, Phokis und Böotien zu
verbinden und die Osmanen zu beläftigen. Aber baburd
wurde bie jchwierige Lage nicht gebejjert, in welche Zeno
jebr bald auf Chios gerietb. Gereizt und befchäbigt, wie fie
e8 durch den Verluſt dieſer Inſel waren, rüſteten bie
Osmanen mit aller Macht zu deren möglichſt fchneller
Wiedergemwinnung. In Xichesme fammelte der Serasfier
Gendſch⸗Mohammed⸗Paſcha ein Heer von 100,000 Mann, in
Stambul und in den Darbanellen rüfteten der Kapudan⸗Paſcha
Hufjein und ein algeriiher Seeheld, der Eorfar Haſan
Mezzomorto zahlreihe große Linienihiffe aus, welche ben
venetianiſchen Kriegsſchiffen beifer gewachſen jein ſollten, ale
die gewöhnlichen Galeeren, und warben dann in Smyrna halb
zwangsweiſe für hohen Sold Matroſen von holländiſchen und
engliſchen Kauffahrern. Und während die Hilfsflotte aus den
Lagunen durch Sturm und Winter in der Adria feſtgehalten
wurde, Tnüpfte der Kapudan⸗-Paſcha mit einer Anzahl mi
vergnügter orthodorer Griechen auf Chios, vie fchon jetzt
wieber lieber die Türken als die Lateiner al8 Herren fid
wünſchten, Verbindungen an. Am 8. Februar 1695 fegelte
Huffein von Smyrna gegen Chios aus; zwei mörderiſche
Seeihlachten bei den Spalmadoren (9. und 18. ebruar)
fielen nicht zu Gunſten der DVenetianer aus. Darüber verlor
Zeno den Muth. Er räumte am 21. Februar in Balder
Flucht die Infel, begleitet von 500 lateinifchen Chioten,
bie nachher in Moren bei Modon angefievelt wurden. Die
Osmanen wurden von ben orthodoren Griechen mit Yubel-
geichrei aufgenommen, — ber Jubel war freilich unzeitig.
Zwar wurden vier vornehme Lateiner nunmehr bingerichtet,
ihre Güter confiseirt, ferner der römiſch-katholiſche Kultus
auf der Infel verboten, die katholifche Kathedrale zur Moſchee
gemacht. Aber die orthodoxen Griechen mußten doch an
Liberali und die Osmanen greifen 1695 Moren an. 155
die Pforte zur Abwehr der Plünderung, auf welche die türkifche
Armee fih umſonſt gefreut Hatte, die Ertra- Steuer von
47,000 Pfund Sterling bezahlen.
Der unglüdliche Zeno wurde nach den Lagunen abberufen
und follte vor Gericht geftellt werben, ftarb aber in der Haft.
Sein Nachfolger wurde der tapfere und als Seemann aus-
gezeichnete Aleffanpro Molino, der aber alle Mühe batte,
mit jeiner Flotte dem nunmehr als Kapudan⸗Paſcha fungirenven
Mezzomorto die Spike zu bieten, welcher nemlich 1696
ganz entſchieden theils die Infel Tinos, theils Morea bedrohte.
Zwei glückliche Gefechte 1695 bei Chios, 1696 bei Andros,
dann aber eine Niederlage (1697) bei Lemnos bezeichnen bie
Schidjale der Flotte unter dieſem Generalkapitän. Sonft
tonnte auch er Feine Fortichritte machen, vie Hauptſache blieb
die Behauptung von Morea. Die Osmanen hatten nemlich
nach der Wiedergewinnung von Chios fich angeichielt, auch den
Peloponnes zurüdzuerobern. Während Molino alſo wenigftend
nachher fo glüdlih war, Morea 1695 auf der Seejeite vor
der türkifchen Flotte zu fchügen, machten Liberaki und der
Serasfier Ibrahim⸗Paſcha im Vorfommer 1695 wieder einen
großen Einfall in das Innere der Halbinjel, jener mit 3000
Griechen, dieſer mit 12,000 Türken. Liberali jprengte bie
griechiichen Milizen, welche den Iſthmos hüteten, mit feinen
Banden leicht auseinander, und drang dann verheerend bis
nah Tripolitza, Leondari und Karitena vor. ‘Der Serasfier
dagegen marjchirte wieder bireft gegen Argos vor. Hier
zurückgewieſen, verfchanzte er jein Lager, damals noch in ber
Hoffnung auf die Ankunft der türkifchen Flotte im faronijchen
Golfe, und zog Biberafi an fih. Da nun fammelten General
Steinau und der moreotiiche General Broveditore Agoftino
Sagredo alle in Nauplion vorhandenen veutfchen, ſlawiſchen
und italienischen Truppen, und brachten ihm unter Anwendung
höchſt gefchiefter taktiſcher Bewegungen endlich bei Paläokaſtron
zwiſchen Nauplion und Argos einen derben Schlag bei, durch
welchen die Türken 700 Todte und 400 Verwundete verloren.
Die Venetianer hatten nur 250 Mann eingebüßt. Jetzt trat
156 Buch I. Kap. IL. 1. Liberati’s Untergang 1696.
der Seraskier raſch den Rüdzug nach dem Iſthmos an, af
welchem ihm die nachpringenden Albanefen der Republik, vor
denen er noch mehrere Hunderte an Xodten und Gefangenen
verlor, eine Menge Schlachtvieh, Proviant und Gepäd abs
nahmen. Dann verfchanzte General Steinau im Sinne
Vernada's die Hauptpäffe des Iſthmos durch eine Anzahl
ſtarker Wachthürme und Redouten, die bann auch weiteren
Einbrücen der Osmanen den Weg verjperrten. Dazu glückte es
endlich im Sahre 1696 dem Generalfapttän Molino, bei
dem Entgegentommen des Liberafi, dieſen Mann für
Benedig zu gewinnen. Zu Xepanto, wohin er übertrat,
wurben die Verhandlungen abgefchloffen; er ſollte venetianiſcher
Ritter werben, ein ftandesgemäßes Einfommen erhalten, ſowie
für funfzehn Perjonen feines Gefolges Schu und Unterhalt.
Dazu ernannte ihn die Republik zu ihrem Kapitän in Rumelien.
As aber nachher ein Vorftoß gegen Rumelien verfucht wurde,
moreotifche Albaneſen bis nach Theben und Athen plünverten,
und Liberaki gegen bie Türken in Böotten von Salona her
operirte, da wurde er burch den Commandanten Mohammed⸗
Paſcha von Livadia zurüdgeichlagen, Salona jelbft ftel wieder
in türkifche Hand. Nun fam der neue Nitter auf ben Ein
fall, fih gegen Eurytanien, Epirus und Arta plür
dernd zu wenden. Am 27. Auguft 1696 yplünberte er
biefe wehrloſe chriftlihe Stadt, verbrannte die Kirche bes
Evangeliften Johannes. Die unglüdlichen Einwohner flehten
darauf hin die Venetianer Ende Oftober an, fich ihrer anzıs
nehmen, die Stadt und Umgebung zu beſetzen. Da lieh bie
Republik den Liberati und feinen Bruder Georgios ver-
Baften. Sie wurden zuerit nach Nauplion, dann nach Italien
geführt. Georgios endete 1702 durch Selbſtmord im Ge
fängniſſe zu Palma, Liberali aber verjchwand in einem Kerker
zu Brescia.
Trotzdem hätte der Krieg in Griechenland, wo nad
Molino’s Abberufung 1698 fein Nachfolger Jacopo Cor»
naro bei Lesbos ein hartes Seegefecht beftand, es hätten auch
die venetianiichen Erfolge in Dalmatien und Albanien nicht
Friede zu Carlowitz 1699. Venedig behauptet Morea. 157
vermocht, der Republit ven ruhigen Beft von Morea zu
fihern. Nun aber brüdten neuerdings Die Erfolge ver
Öfterreicher und ber Ruſſen fo ſtark auf die Pforte, daß
Sultan Muſtapha IL. (feit 1695 jeines Oheims Ahmed II.
Nachfolger) fich emblich entichliegen mußte, nach längeren
Unterbandlungen auf jenen Frieden mit feinen ſämmtlichen
Gegnern einzugeben, der am 26. Januar 1699 zu Carlo⸗
wis unterzeichnet wurde.
Hier Hatte die Pforte zum erjten Male feit ihrer Er-
klärung in Europa aufgehört, von Tributen zu reden. Sie
unterwarf fich Hier zuerjt einer regelmäßigen Unterhandlung
und erkannte zum eriten Male ein für Alle gleichmäßiges
Recht an. Benedig aber behielt (neben einigen Erweiterungen
feines Gebietes in Dalmatien und) neben feinen wenigen alten
Befitungen in dem ägäifchen Meere, die Infel Aegina, das
ganze Morea bis zum Heramilion, dazu bie Injel Santa
Maura. Lepanto dagegen wurbe geräumt, bie Einwohner
nah Moren verpflanzt. Preveſa und das Caſtell Antirrhion
oder Schloß von Rumelien wurben geichleift, der alte Tribut
für Zante an bie Pforte fam jett endlich in Wegfall. Die
Einwohner von Preveja fievelten nah Santa Maura über.
Die legten nachträglichen Verbandlungen zwiſchen Venedig und
ber Pforte fanden am 15. April 1701 zu Stambul ihren
Abſchluß. |
Io.
Der Republit Benedig fiel nun die Tolofjale Aufgabe
zu, ihre neue Provinz zu organiftren. Das war aber furchtbar
ſchwer, mochten auch immer die Benetianer in Griechenland
Teiche Erfahrungen gefammmelt haben. Man war fich jehr Har
darüber, daß bie Fehler non Sreta nicht wienerholt werben
binften. Daß die Republik fich doch mit ben Griechen ver-
ftändigen konnte, zeigte das Beiſpiel der Inſel Timos,
wie wicht minder Das der ioniſchen Infeln. Hier Hatte
die venetianiſche Herrichaft ſich vollſtändig eingebürgert. Hier
158 Buch J. Kap. II. 2. Venedigs Herrfchaft auf ben ioniſchen Inſeln.
war allerdings von großen trogigen Maſſen ver Griechen, die
zu Empörungen visponirt gewejen wären, feine Rede. Ab
geiprengt von ihrer Nation ſeit der Zeit des lateiniſchen
Kreuzzuges, durch Die venetianiichen Waffen mit Exfolg gegen
die Osmanen geichüßt, erfreuten fich dieſe Inſeln einer guten
Verwaltung. Wenn man nicht unbejonnen alle feinpieligen
Schilderungen nachichreiben will, in benen fich nach ber Ber
nichtung bes venetianiichen Staates franzöfiihe Schriftiteller
gefallen haben, jo wird man jagen dürfen, daß bie wirth
Ichaftlihen Schattenjeiten und Das argwöhniſche Shftem der
venetianifchen Politik die Republik der Lagımen bamals nicht
gehindert haben, den io niſchen Griechen ein ganz erträglices
2008 zu jchaffen, namentlich auch nach der religiöfen und ethno-
grapbifchen Seite bin bei ftraffem Regiment und toleranten
Grundfägen die bunte Bewohnerſchaft der Injeln in guter Ordnung
zu erhalten. Auch der Wohlftand der Injeln blühte, und bie
namentlich während bes fechszehnten Jahrhunderts eifrig in
Aufnahme gebrachte Pflege der Korinthen erwies fich als jehr
einträglih. Wir werden allerdings noch jeben, daß feit dem
Berfalle Venedigs während bes achtzehnten Jahrhunderts aud
die Jonier im Gegenfate zu den übrigen Griechen fich mehr-
fach in abſteigender Linie bewegen. Bis dahin aber Hatten bie
Moreoten viel eher Grund, die venetianische der osmaniſchen
Fremdherrſchaft vorzuziehen. Am auffallenditen Hatte fich die
venetianiſche Art des Feudalismus auf dieſen Infeln eingebürgert,
die dann auch allein (neben dem ſpäteren Fanariotenadel) mit
einer Geburtsariftofratie in bie jpäteren Bewegungen des
demokratiſchen Griechenvolkes eingetreten find. Hier war in
ver That ein fürmlicher feudaler Adel organifirt; jede ber
Inſeln führte, wie Venedig felbft und früher auch Kreta, ein
eigenes ‚Goldenes Buch“. Auf Korfu, wo allerdings die
alten Familien aus der Zeit der Angiovinen ausgeftorben
waren, beftanden im achtzehnten Jahrhundert funfzehn Baro⸗
nien, in der Hand theils einheimiſcher, theils venetianijcher
Adelsfamilten. Zu venfelben gehörte (vgl. Bo. I, ©. 472)
das fogenannte Zigeunerlehen (Aringant), welches 1540 dem
Benebigs Herrfchaft auf den ioniſchen Inſeln. 169
berühmten SHelleniften Antonio Eparchos (S. 123) erblich
verliehen wurbe, aus deſſen Hand es Durch Heirath zu Anfang
bes achtzehnten Jahrhunderts in die Hand der Familie
Proſalendi kam. Die nachmals fo berühmt geworbene Familie
Kapodiſtrias war 1373 aus Iſtrien (aus dem alten Juſtino⸗
polis) eingewanbert; in den Grafenſtand wurde (unter fpäterer
Anertennung Seiten® ver venetianijchen Negierung) vieles
Seichleht 1689 durch ben Herzog Karl Emmanuel von
Savoyhen erhoben. Auf Zante, wo die Regierung noch 1712
fanatiiche Ausbrüche der Volkswuth gegen die Juden mit Kraft
zu bändigen hatte, beftanden zwölf, auf SKephalenia ſechs
Baronien. Cerigo's Grundbeſitz verblieb bis 1797 größten-
theil8 der Familie Venier und deren Verwandten, während
ein Broveditore der Republik dort bie Hobeitsrechte ausübte.
AS Nepräfentanten Venedigs ericheinen daneben der Bailo⸗
Proveditore von Korfu und die Provebitoren von Zante,
Kephalenia und Aſſo ’).
Nach der Ausbreitung der türkiſchen Herrichaft über den
griechiichen und venetianiichen Peloponnes ericheinen dieſe
Infeln, namentlich Korfu, lange als Zufluchtsftätte flüchtiger
griechifcher Gelehrten, wie auch jelbjtändig als Heimath von
Trägern griechiicher Wilfenichaft und Dichtung, und als wich»
tige Vermittlungspunfte des griechiichen mit dem italieniichen
Geiſtesleben. Brachte e8 bie politiiche Verbindung mit Venedig
von ſelbſt mit fi, daß bis zum Untergange der Republik
zublreiche junge Jonier auf ven oberitalieniichen Univerfitäten
ihre Studien machten, fo brachten die Infeln ihrerſeits auch
zahlreiche Gelehrte hervor, welche jowohl während wie nach
der Periode dem griechiſchen Namen Ehre machten, bie durch
die Anſiedlung der flüchtigen Rhomäer des funfzehnten
Jahrhunderts im Abenplande charakterifirt wurde. So
1) Bgl. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bb. 86, ©. 184. 186.
187. 188 f. und „Die Einwanberung ber Zigeuner in Europa”,
©. 19. Mendelsfohn - Bartholdy, Graf Johann Kapodiſtrias,
©. ff.
160 Buhl Kap. II. 2. Venedigs Herrfchaft auf den tom iſchen Inſeln.
des Johannes Laskaris Schüler Chriftophoros Kontoleon ans
Cerigo, Matthäos Devaris und Nikolaos Sophianos and
Korfu, welcher letztere bereits begann, die neugriechiſche
Vulgärſprache durch Verbindung mit antiken Elementen zur
Schul⸗ und Schriftſprache zu erheben. So der ſchon mehrmals
erwähnte Zeitgenoffe Melanchthons, der korfiotiſche Hellenift,
Dichter und Schriftfteller Baron Antonio Eparchos, dem fid
neben zahlreichen anderen tontichen Männern der Kirche und
der Wiffenfchaft, und neben den Dichtern (um 1530) Joannes
Tſanes Koronäos (der in neugriechiiher Sprache die erfte
neugriechiiche Epopde, die Thaten des als Führer epirotiſcher
Söldner im venetianiſchen Dienfte feit 1495 belannten Mer-
furios Bua Grivas von Korfu feiernd, fchrieb) und Yafoh
Trivolis aus Korfu (1520 — 1550), Mitglied einer 1474
in das Goldene Buch aufgenommenen Familie, feinerſeits
1541 griechiiher Syndikus, 1545 Rath auf Korfu, der
ebenfalls im Volksdialekte die Seezüge des Venetianers Tagia—
pieras gegen albanefiihe Piraten (1520) bei Korfu poetiih
ſchilderte, — Später die zahlreichen Jonier anreihen, welde
der 1657 bis 1716 in Korfu blühenden, 1732 twieber er
neuerten korfiotiſchen (erften) neugriechiichen Akademie degli
Assicurati (av "Efnopalısp&vwv) ihre Kräfte widmeten.
ALS die VBenetianer in die Lage famen, ben inneren
Zuftänden von Morea ihre Aufmerkſamkeit wiomen zu müflen,
als es fih nun darum handelte, diejes neue Beſitzthum einer-
ſeits wieder zu georbneten PVerbältniffen emporzubringen,
anbererjeit$ für die Republik nutbringend zu machen, war &
allerdings unmöglich, das auf den tonijchen Infeln angewandte
Syſtem auch bier zur Geltung zu bringen. Der Zuſtand, in
welchem Morea nah volljtändiger Austreibung ver Osmanen
fih befand, war in der That furchtbar. Krieg und Seuden
batten in diefem Lande entjetlich aufgeräumt. Das zeigte fid
1) Bgl. Nicolai, Geſchichte der neugriechiſchen Litteratur, &. 391.
47..49. 68 fi. 84 f. 87. „Histoire de Tagiapinos , succomite
Venitien “; po&me grec par J. Trivolis (E. Legrand, Paris 1875).
Entvölferung von Moren nach Austreibung ber Türken. 161
bei dem erſten offiziellen Verſuche einer ftatiftiichen Erhebung.
Die Republik, die bier bleibend Fuß zu faſſen entichloffen war,
batte ſchon während bes Krieges ihre Verwaltung organifirt.
Morofini hatte zu Ende des Jahres 1687 die neue Provinz
in vier kleinere Provinzen getheilt, Romania, Lakonia, Meſſenia
und Achaja, mit den Hauptftädten Nauplion, Monembafia
oder Malvafia, Navarinon und Paträ (Patras), deren jede
nachher unter einen Rettore für die Civilverwaltung, und
einen PBroveditore für das Militärweſen geftellt wurde. An
der Spike des Ganzen ftand em General- Provebitore, zuerſt
Giacomo Cornaro 9. Zur Gewinnung eines erften
Überblides über die Lage bes Landes wurden ihm Drei
Senatoren beigegeben, bie für die eriten Einrichtungen und
die bringendfte Nothwendigkeit zu ſorgen hatten. Ihre Aufgabe
war ed, bie wüftliegenden und herrenloſen Beſitzungen feſtzu⸗
ftellen, die Beftgtitel zu prüfen, einen Katafter zu entwerfen,
da8 Steuerweſen zu oronen, die für Die Zwecke ver Staats⸗
verwaltung und für ben lateiniichen Kultus geeigneten Gebäude
auszuſcheiden, und namentlich auch eine Volkszählung zu
veranftalten. Das Ergebniß derjelben war wahrhaft entjetlich.
Moren foll unter der türkischen Herrihaft vor Ausbruch des
Krieges 250,000 griechiiche und albanefifche und 50,000 türfifche
Bewohner gezählt haben. Jetzt aber fand Cornaro — bie
Maina und das Gebiet von Korinth nicht mit eingerechnet —
nur noch 20,123 waffenfähige Männer, überhaupt nur
86,468 Seelen. Bon 2115 Ortichaften lagen jest 656 in
Trümmern ?.. Mag nun immerhin gegen das Ergebniß
dieſes Genius mancher Einwand erhoben werben, jedenfalls
war das Land in bis dahin unerhörter Weile Herunter-
gekommen.
Die Republik hat nun in der That alles ihr Mögliche
aufgeboten, um dem Lande wieder aufzuhelfen. Das Urtheil
1) Zinkeiſen a. aD. S. 137%.
2) Bol. Ranke a a. DO. ©. 432 1.485f. Finlay, Greece ‚under
othoman and venetian domination, p. 236 sq. Zinkeiſen a. a. O.
©. 479. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 178 u. 187.
Hergberg, Gedichte Griechenlands. III. 11
i
162 Buch J. Kap. II. 2. Schwierigkeiten bei der Herfiellung von Moren.
über die venetianifhhe Verwaltung in Moren hat
fich heute in Erwägung der furchtbaren ihr entgegentretenven
Schwierigkeiten der Hauptfache nach günftig gejtaltet. Sobald
man die Ergebniffe der in unferem Jahrhundert in Griechen
land nad Abſchluß feines Befreiungskrieges Seitens ber
bayeriſch⸗ griechiichen und nachher der rein griechiichen Ne
gterungsgewalten zur Europätfirung des neugriechtichen Lanbes
und Volkes angeftellten Verſuche mit ben venetiantfchen
Neorganifationsarbeiten nah beiden Seiten hin billig und
ohne gehälfige Nörgelei vergleicht, wird man boch kaum umbin
fünnen, den Venetianern jener älteren Zeit das Lob ber
größeren Staatöflugbeit, der beijeren Einficht und ber glüd-
ficheren Hand zuzugeftehen !), Am treffendſten urtheilt wohl
Ranke?), wenn er bemerkt: „Mir fcheint, Die Schwierig
feiten zeigten fich allemal dort beſonders ftark, ja unüberſteig⸗
lich, wo bie Venetianer ihren bisherigen Staat nach Griechen⸗
and übertrugen. Mißlingt es ihnen num bort, wo fie ihren
bisherigen Staat mit der neuen Eroberung in Verhältniß
bringen, fo gelingt e8 ihnen dagegen, fo oft fie die Forberung
der Sache ganz allein ins Auge faſſen und ihr gemäß zu Werte
geben.‘
Sehen wir ganz ab davon, daß die neuen Schöpfungen der
Benetianer von Anfang an darunter zu leiden hatten, daß
leßtere noch eilf Sabre lang nach der Ernennung des erften
General» Proveditore ihre weientliche Aufmerkſamkeit auf den
Krieg mit den Türken richten mußten, fo waren die Schwierig.
feiten einer Erneuerung dieſes Landes unter allen Umſtänden
wahrhaft furchtbar. Es galt, ein im umfafjender Weiſe ent
1) Mit befonberer Sympathie urtbeilt über bie venetianifche Ver⸗
waltung Ranke in der Schrift „Die Benetianer in Morea”, ©. 410
bis 416 u. 432 — 486; vielleicht noch günftiger urtheilt Finlay]. ec.
p. 234—258 u. 277 8q. Ihnen ſchließt fih vollſtändig an Hopf a. a. O.
S. 178 u. 187f. Ungünſtiger iſt die Stimmung bei Zinkeiſen a. a. O.
©. 473—489. Höchſt unbillig aber ſpricht über Venedig ab Nicolai,
Geſch. der neugriech. Litteratur, S. 53.
2) Ranke a. a. O. S. 485.
Schwierigkeiten bei ber Herftellung von Morea. 163
völfertes Land erft nur wieder mit Menfchen griechifcher
Zunge zu bejegen, der ganz entmutbigten Bevölkerung nur
erit wieder den Glauben und das Zutrauen zu einer künftigen
Beſſerung der Verbältniffe beizubringen, unendliche produktive
Ausgaben in der Hoffnung auf die Zukunft zu machen, und
dabei vor Allen „bei den neuen Unterthanen nicht ſowohl
einen leivenden, als einen thätigen, einen freiwilligen Ge—
horſam“ zu erzielen. Das Alles nun bei einem Volke, welches
zu allen Zeiten, bis zur Vertreibung ber „Bavareſen“ aus
Öriechenlanb vor 34 Jahren, immer nur die Hilfe bes
Abendlandes zu feiner Befreiung von der Pforte erfehnte, um
bernach der neuen Fremdherrſchaft gegenüber fich bald genug
kühl und feindfelig zu verhalten. Das Alles bei einem Volke,
welches durch die nunmehr 228jährige Türkenherrichaft in ver
Art „‚orientalifirt‘ worden war, daß es fchlieglich die ftraffe
Ordnung der eivilifirten italieniichen Regierung vielleicht noch
unluftiger ertrug, als bie bald blutige, bald gemüthliche
Anarchie des planlofen osmanischen Negimentes. Das Alles
bei einem Volle, welches in jeinem kräftigſten heile, den
Maniaten, nur die loſeſte Suprematie ertrug, in feiner Maſſe
dagegen nur zu leicht bereit war, den aus der türktichen
Hauptſtadt, als dem Patriarchion kommenden Aufreizungen
zu folgen und feine ftärkfte Leidenſchaft, den religiöſen
Fanatismus, gegen Die neue römijch- fatholiiche Regierung
zu richten.
Gegenüber dieſen Schwierigkeiten Tam nun den Bene»
tianern in hohem Grade die Thatjache zu Gute, daß fie ſeit
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts ohne Unterbrechung als
Regenten mit ben verichiedenften Gliedern der griechiſchen
Nation zu thun gehabt Hatten. Die BVenetianer fonnten
nicht in den Fehler der Bhilhellenen und der deutichen Ver⸗
waltung unſeres Jahrhunderts verfallen und ein byzantiniſches
Volt, welches fie aus türkiichen Felfeln ausgenommen hatten,
als unmittelbare Nachlommen der antiten Hellenen behandeln
wollen. Biel zu jehr in einer uralten Schule praftiicher
Staatsfunft gebildet, fonnten die Venetianer gar nicht daran
11*
464 Buch I. Kap. IL. 2. Die General-Provebitoren von Moren.
denken, lediglich wohlwollende oder bureaukratiſche Experimente
mit diefem alten Volle zu machen, deffen jchroffe Eigenart fie
in langer Erfahrung nur zu gut kennen gelernt hatten. War
es dennoch ein Fehler, baß fie — nicht zivar mehr ben
Feudalismus nach korfiotiiher Art, wohl aber — ide
Regierungsmechanismus von Italien auch nach Morea ver-
pflanzten, jo gab es dafür allerdings erhebliche Erklärungs⸗
gründe. Kaun auf der einen Seite freilich micht geleugnet
werden, baß ber venetianiiche Staat vielfach zu altern begonnen
und bedeutend an ausgiebiger politiicher Schöpfungsfraft ver-
Ioren hatte: jo Darf auf der anderen Seite Doch nicht vergeſſen
werben, daß bei der furchtbar fchwierigen Zeitlage es in
Morea vor Allem darauf anlam, ein zuverläffiges, ftraffes
Regiment zu jchaffen und die Verwaltung nur ficheren und
gefchulten Männern anzuvertrauen. Solche waren aber zur
Zeit wenigftens in Morea noch Taum zu finden. Es kam
dazu, daß (wöllig anders als in unſerem Jahrhundert zu
Kapopiftrias’ Zeit) Die Moreoten, immer bie Maina ausgenommen,
an den Kämpfen um ibre Befreiung von dem osmaniſchen
Joche gar feinen Antheil genommen, mit Ausnahme ihrer
Gemeindeverfaſſung perſönlich Nichts geichaffen Hatten, was
den neuen Herren zwingend bätte imponiren können. Die
Fehler aber ihres Merkantiliuftems haben die Venetianer denn
auch fchließlich Kart genug büßen müſſen. Es war num ein
Glück, daß die Republik in ten Reihen ihres Adels nad
einander eine Anzahl tüchtiger , ftreng rechtlicher und . wohl,
meinender Männer fand, die als General-Proveditoren
das Geſchick entfalteten, die unleugbar beſtehenden Schatten-
feiten des venetianiſchen Herrichafts- und Verwaltungsſhſtems
durch ihre perjönliche Trefflichkeit vielfach auszugleichen, und
namentlich mit Der nöthigen Energie und praftifchen Erfahrung
eine verftändige Milde und Huge Nachgiebigfett zu verbinden.
Diefe Männer — nad Giacomo Cornaro (1688 — 1690)
noh Taddeo Grabenigo (bi8 zum März; 1692), Antonio
Molino, Antonio Zeno, Francesco Grimani (1698 — 1701),
Daniele Dolfino, Angele Emo (1705 — 1708), Marco (bit
Die Moreoten. 165
1711) und Antonio Loredano, Agoftino Sagredo (bi8 1715),
und zulegt Girolamo Delfino — baben fich durch ihre der
Sorihung noch heute vorliegenden Berichte über ihre moreotijche
Zhätigfeit ſelbſt ein treffliches Zeugniß über ihren guten Willen
und ihre praktiſche Einficht ausgeftellt.
Die erfte Aufgabe diefer Männer, bie immer wieber in
ven Bordergramd ſich drängte, war jene der möglichit raſchen
Wiederbevölkerung der veröveten Halbinfel. ‘Die jenjeits
der Grenzen ver Maina in Moren befindlichen Einwohner,
Griechen und Albanejen, waren zur Zeit für fih allein nicht
im Stande, als die Grundlage einer neuen Blüthe ihres
Landes benutzt zu werden. ‘Die immerbin etwas wohlbabenveren,
civiliſirteren Griechen, mehr noch dem ftäbtiichen Leben ale
gerade mit Vorliebe dem Wderbau zugewandt, und bie
Albaneſen, zum Theil Bauern, zum Theil halbnomadiſche,
verwilderte Hirten, die großentbeild im Sommer in ven
arfadiichen Gebirgen ihr Vieh weideten und im Winter nach
den Ebenen von Elid und Argos fich zogen, — waren Danf
ben barten Zeiten jeit mehr denn zweihundert Jahren in ihres
polttiihen und focialen Moralität ziemlich berabgelommen.
Koh heutzutage bejteben in der griechiichen Welt jtarfe
Antipathien gegen die Moreoten. Man jchreibt ihnen ver-
ſchiedene jchlimme Eigenichaften zu). Ihre Primaten galten
noch zur Zeit ded 1821 anhebenden Befreiungsfrieges vielfach
als intriguant, verrätberiich und boshaft. Im ihrer Weiſe
joltten auch Bürger und Bauern nicht befjer fein; ihre Wahr-
baftigleit und Rechtsliebe wurde ftark angefochten. Gab mar
willig zu, daß fie rührig und intelligent wären, fo jchrieben
ihnen doch namentlich die mannhaften Rumelioten Mangel at
Redlichkeit, neidiſches und undankbares Wejen, und Mangel
on Muth zu. Die VBenetianer nun fanden (vgl. ©. 117)
neben Dielen Zügen namentlich die trogige Neigung, in ihrer
Unwiſſenheit zu bebarren, ein hartnäckiges böfes Mißtrauen,
1) Vgl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p: 31
und „Greece under othoman and venetian domination “, p. 245g.
166 Buch I. Kap. IL 2. Neubevölkerung von Morea.
falihe Sparjamfeit, Abneigung gegen ſchwere Arbeit, und (bie
Deaniaten ausgenommen) tiefe Antipathie gegen die Führung
der Waffen bei ihnen ausgeprägt. Es mag dahingeſtellt
bleiben, wie weit fih die Beobachtungen der venetianifchen
Proveditoren auf die Albanefen und die eigentlichen Griechen
vertheilen laſſen müſſen. Sollte aber wenigftens das eigentliche
griehiiche Element mit feiner natürlichen Begabung, mit
feiner rüftigen Anjchlägigfeit, mit feiner angeborenen Neigung,
fih durch befjere Beiſpiele zur fortichrittlichen Nacheiferung
beftimmen zu lafjen, nugbar gemacht werben, jo beburfte es
der Einführung neuer Fermente.
Es war nicht mehr daran zu denken, das Land mit und
ohne feudale Gliederung etwa von Italien aus zu colonifiren.
Venedig griff nur zur Anfegung fremder Griechen, um
zwar zunächit bis zu Ende des Krieges folcher Elemente, bie
fih wiederholt für die Sache der Republik compromittirt
batten. Wir fahen bereits, wie man flüchtige Athener (662
Familien), Kreter und Chioten in Morea colonifirte. ‘Daneben
wurben aber auch von Xepanto aus jehr zahlreiche Rumelioten
zum Übertritt nach Moren bewogen; jchon 1691 waren beren
gegen 6000 mit Hab und Gut angekommen, bie jich mit Eifer
dem Landbau wibmeten und namentlich bei Voſtizza, Paträ
und Kalavryta fich anfievelten. Je mehr nun die Republil
biefe Einwanderer durch Überweilung herrenlofen Landes und
burch Steuererlaß begünftigte, um fo ſtärker wirkte auf dem
Seftlande der Zug zur Überfievlung nach Morea, wo bie
Nordgriechen beifere Zage zu erleben Hofften, als im ben
türkiſchen Provinzen (ähnlich wie wiederholt in Hindoftan in den
Ländern indifcher Fürften neben neuen brittiichen Provinzen).
Aus ganz Numelien bis nordwärts nach Joannina und nod
weiter kamen die neuen Anftebler, zu denen fich auch viele
Sonier gejellten. So geſchah es, daß Morea jchon 1692 wieder
an 116,000, und 1701 bereit8 mehr denn 200,000 Ein
wohner ) zählte.
1) Hopf (Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 179) hat ſogar
die Zahl 259,564 für das Jahr 1701.
Venetianiſche Feſtungsbauten. 167
Die Hauptſache war es aber doch, der neuen Bevölkerung
das Gefühl der äußeren und der inneren Sicherheit bei⸗
zubringen, und fie durch gute Behandlung an das neue
Regiment zu feſſeln. Was zunächſt die äußere Sicherheit bes
Landes angeht, jo trafen die Intereſſen der Venetianer und
der Griechen hier vollfommen zufammen. Sobald nur erit
der türfiiche Krieg beendigt war, konnte nichts Die allmählich
doch wieder belebte Neigung der Griechen, Grundbeſitz zu er-
werben, mehr ftärten, als bie auffeimenbe Überzeugung, daß
die Republif unter allen Umſtänden die Abficht Hatte, das
Land zu verteidigen. Diefe Überzeugung gewannen bie Ein-
wohner namentlich aus den Fejtungsbauten der Venetianer.
Diefelben Hatten anfangs bie zahlreichen türkischen Feſtungen
ſämmtlich fefthalten wollen und durch ihre Ingenieurs berftellen
laſſen. Allmählich aber überzeugte man fich, daß dieſe Pläße,
bon denen nur Alroforinth und Monembafia Ichon durch ihre
natürliche Lage ftarf waren, zu jchwach fein würden, um ohne
lebr bebeutende Streitkräfte wirkſam vertbeibigt werben zu
fönnen. Da nun aus den Einwohnern nur fehr allmählich
brauchbare Milizen formirt werden fonnten; da bie Republif
im Frieden immer nur 7000 Dann gemworbener Krieger im
Lande zu unterhalten vermochte, jo beichloß man (ohne daß
jedoch ver Plan, die jchwächeren Plätze zu jchleifen, zur Aus⸗
führung fam), alle militäriſchen Kräfte auf drei Hauptpunkte
zu concentriren, nemlich auf Modon, auf (Rhion oder) das
„Schloß von Morea“, und namentlich auf die Hauptſtadt
Nauplion. Auf dem letteren Punkte wurde in der That der
Palamidhi (S. 138 f.) mit wahrhaft gigantiichen Boll⸗
werfen gekrönt, die noch in unferem Jahrhundert das
Staunen der Reifenben erregt Haben !), wie auch ver Hafen
der Stadt neu befeſtigt. Nur daß die neuen Werke von
Nauplion immer eine jehr beveutende Beſatzung in Anfpruch
nahmen.
1) Vgl. hier auch Eurtius, Peloponnefos, Thl. J. S.103; Thl. II,
6. 390. Burfian, Geograpfie von Griedenland; Thl. IL, ©. 60.
168 Bud I. Kap. IL 2. Die Maniaten. Räuberbanben.
Die innere Sicherheit wurde auf eine minver Loftipielige
Weije endlich wieder hergeftellt. Hier kam e8 auf der einen
Seite darauf an, mit den Maniaten, die jest immer mehr
als ein felbftändiges Volf auftraten, ſich dauernd zu bei
ftändigen. Die Allianz, weldhe Morofini jeiner Zeit mit ihnen
geichloffen Hatte und ihre Friegeriichen Verdienſte um bie
Republik gaben dieſen Tangetosgriechen (damals 25,000 Seelen)
eine ganz eigentbümliche Stellung. Sie waren von allen
Saiten des Landes frei, zahlten nur einen Keinen Tribut,
Maktu genannt, zur Anerkennung der venetianiſchen Ober
hoheit, und regierten fich im Inneren völlig felbſtändig. Dar
burch erwuchien jedoch mancherlei Schwierigkeiten. “Die der
Maina benachbarten Bauerngemeinden mußten ebenfalls be
quemer geftellt, ihre Steuern auf ven in eine feite Geldrente
verwandelten Zehnten befchränft werden. Die Maniaten
aber ftürzten fih nur allzugern in eine Fluth blutiger
Familien» und Clanfehden, fleiner Bürgerkriege, welche bie
Denetianer nicht mit Gewalt zu bändigen vermochten. Noch
jchlimmer war e8, daß die unterliegenden Parteien fich dann
gern durch Raubzüge nach Meſſenien und Lakonien, oder durch
Corjarenfahrten für ihre Verluſte zu entſchädigen fuchten. Hier
vermochte nur der Muth und bie perjönliche Gewandtheit
Einhalt zu thun, mit welcher mehrere ver venetianifchen
General» Broveditoren fie zu behandeln verftanden. Grimani
brachte e8 wirflih dahin, daß much Hier wenigftens eine Art
von Ruhe eintrat, während der erjte Loredano auch bie
regelmäßige Zahlung des Maktu mit Süd zu erzielen
wußte.
In anderer Weile mußte die öffentliche Sicherheit in ben
unmittelbar durch die Republik beherrichten Zeilen der Halb-
inſel bergeftellt werden. Bier hatte der Krieg überall zur
Auflöjung jeder Ordnung geführt, und majfenbafte
Näuberbanden entitehen lalfen, die fich aus verarmten
Moreoten, Rumelioten, Dejerteur8 von der Flotte und ben
Zruppen zulammenjegten. Dieſe nun beraubten die Reiſenden,
plünderten öffentliched® und privates Eigenthum, verbreiteten
DOrganifation von Morea. 169
eine allgemeine Unficherbeit. Gegen dieſe jcheuklichen Zujtände
griff zuerit Grimani zu ven wirfiamiten Mitteln. Er vers
einigte ſich mit den Dorfichaften, die num ihrerjeits im Großen
auf die Wegelagerer Jagd machten, feste ſich ſelbſt mit ven
benachbarten türkiihen Commandanten in entiprechende Ver⸗
bindung, und verfolgte perfönlich mit energifcher Confequenz
auf jede mögliche Weile die Banditen. Marco Loredano ift
nachmals ſelbſt jo weit gegangen, die räuberifchen Bauern
mehrerer meſſeniſcher Gebirgsdörfer aus ihren Siken nad
ber Ebene bei Karitena zu verpflanzen und in ihren neuen
Vohnplägen Durch eine ‘Dragoner- Schwadron überwachen zu
laſſen.
Die Hauptſache blieb aber immer die verſtändige Pflege
bes materiellen Wohlſtandes der Einwohner, bie Aus-
gleihung zwijchen ben materiellen Interefien der Griechen und
ber NRepublil. Die vier Provinzen der Halbinjel Moren
(S. 161) waren, im Ganzen unter Beibehaltung ver biöher
beftandenen Grenzen der türkiſchen (S. 72) Woiwodſchaften,
in 24 Territorien zerlegt worden’). (Die neue Landes⸗
eintbeilung beftand definitiv jeit dem 29. Juni 1692.) Auf
„Romania“ kamen aljo bie Territorien Napoli (Nauplion),
Argos, Korinth, Zripoliga, San Pietro (Hag. Petros) di
Zacogna; auf „Achaja“ Patras, Voſtitza, Kalavryta, Gaſtuni;
auf „Meſſenia“ Navarin, Modon, Koron, Andruſſa, Kala⸗
mata, Leondari, Karitena, Phanarion, Arkadhia; auf, Lakonia“
endlich Malvaſia, Miſithra, Bardunia, Kielapha, Paſſava und
Zarnata. Für die wichtige Finanzverwaltung ſtand ſeit ver
definitiven Zerlegung bes „Königreiches“ Morea in die vier
größeren Provinzen, jevem Provebitore ein Camerlengo zur
Seite. Wirklich gedeihen konnte jedoch das Finanzweſen erft,
ſeitdem einerjeitS der Krieg mit der Pforte zu Ende, anderer-
ſeits das Beſitzrecht auf der Halbinjel völlig ficher geftellt
war. In letzterer Hinficht trugen die Verordnungen ber
1) Bol. Rante, S.502. v. Maurer a. a. O. &©.59f. Sathas
L c. p. 364 2qq.
170 Buch I. Kap. IL. 2. Die agrarifchen Zuftände.
Regierung bis zum Jahre 1699 einen wejentlich proviſoriſchen
Charakter. Man begann damit, Jeden in dem Beſitze zu
beftätigen, in weldem man ihn fand. Wer fein Anrecht an
ein Stüd Land auch nur durch zwei Zeugnifje erbärtete, be-
hielt e8 ohne Weiteres. Auch die Kirche wurde unbedenklich
in ihren Gütern beftätigt. “Die ungeheure Maſſe des
Domanialgebietes (nemlich bes bisherigen osmaniſchen Grund:
befige8) wurde theils gegen Zahlung des Zehnten und Her-
ftelflung der zeritörten Gebäude, theil® gegen den britten Theil
der Nutzung auf Türzere Zeit, theils auch bei minder bequemen
Grundftüden gegen geringen Zins auf möglichit lange Zeit
friften bin verpachtet. Als nachher durch den Karlowitzer
Frieden Morea feit an die Venetianer abgetreten war, erflärte
der Senat der Republif dur Beſchluß vom 18. Juli 1699
zu fehr großem Vortheile für ven Aufichwung der Landwirth⸗
fchaft „die Perpetuität des Grundbeſitzes“. Nun begann
man auch einen Satafter zu entwerfen und die Grundftüde
vermefien zu laſſen. Die neuen Landvertheilungen aber
wurden jest befjer regulirt, nicht in zu großem Maßſtabe
unternommen, und in ber Art verfügt, daß man einen einen
Theil angebauten mit einem größeren noch unangebauten
Landes verband. Nicht minder nüßlich erwies es fich, daß
_ mit dem Jahre 1701 die Pachtſummen auf Domanialgütern
in Erbzins verwandelt wurden. Nun: jollte aber auch das Land
die Mittel aufbringen, die zu feiner Verwaltung und
Sioherftellung nöthig waren, und natürlich noch einen Überſchuß
liefern. Bei der Zerrüttung aller alten und der Jugend aller
neuen Verbältnilfe in Morea fam man aber gerade in Diejer
Richtung nur ſehr Tangfam- vorwärts. Die alte Praxis ber
Erhebung des Zehnten wurde auch von der Republik über-
nommen. Aber die Eugen italientihen Beamten erkannten
ſehr bald, welche ſchweren Nachtheile für das Volk wie für
den Staat mit der alten Unfitte der Verpachtung der Zehnten⸗
erhebung an den Meijtbietenden verbunden waren. Da war
es denn der Muge und wohlmeinende General »« Broveditore
Grimani, der nah Proclamirung der WPerpetuität der
Syftem ber Befteuerung. 111
Beſitzthümer den verjtändigen Schritt wagte, Die Gemeinden
dabin zu bringen, daß eine jede die Auszahlung
ihres Zehnten ſolidariſch felbft übernahm. Weil
er aber in feinem Eifer die Einkünfte auf dem Papier zu
hoch veranſchlagt Hatte, fich darum ſehr bald einem berben
Defiett gegenüberfah, jo verfuchte er es wieder mit dem alten
Shftem, bis nachher ver kühlere und mehr praftiihe Emo
(1705— 1708) das zwechnäßige Shitem einführte (2. April
1707), daß man bie je nach ihren Kräften bemejjene Erhebung
des Zehnten pachtweile (immer auf fünf oder jech® Jahre) den
verſchiedenen Gemeinden ſelbſt überließ. Allmählich verfuchte
man es auch, die Höhe des Zehnten beſtimmt zu fixiren. Zu
dem Erbzins von den Domänen und dem Zehnten von den
Grundbeſitzungen kamen nun die indirekten Abgaben von
Bein, Aquavit, Ol, Tabak und Salz, bie jedoch verhältniß⸗
mäßig nur wenig einbrachten. Namentlich die Salzfrage
machte große Schwierigkeiten. Die Venetianer wollten den
Salzhandel für den Staat monopoliſiren; die Griechen, die
bisher ihr Salz ohne Mühe durch die zahlreichen Küſtenſalinen
gewonnen hatten, ſollten nun das Salz von Venedig kaufen.
Man ſchloß daher alle die bisher beſtandenen privaten Salinen,
nahm die von Thermiſi in Argolis und Kamenitza in Achaja
für den Staat in Anſpruch, und ſetzte in acht Bezirken die
nöthigen Pächter ein, welche das Salz, immerhin billig genug,
zu verkaufen hatten. Weil aber die benachbarten türkiſchen
Salinen das Salz noch billiger gaben, weil ferner die Griechen
ſich doch ohne Mühe an jeder Küſte ihr Seeſalz verſchaffen
konnten, ſo war das Monopol leicht zu umgehen. Erſt Emo
und Marco Loredano wußten wenigſtens die ſchlimmſten Ge⸗
häſſigkeiten des Monopolſyſtems abzuſtellen. Emo mar es
auch, der das Syſtem der wichtigen Weideverpachtungen für
alle Theile zweckmäßig zu ordnen verſtand. Im Ganzen wußte
Emo die Einkünfte aus Morea bis auf thatſfächlich 461,548
Nealen zu bringen. Unter Marco Loredano ftiegen fie dann
allmählich 5i8 auf etwas über 500,000 Realen (ven Neal
gleich zwanzig heutigen engliichen Pences gerechnet), Bon
172 Buch L Kap. II. 2. Landeskultur.
biefer Summe wurben in Morea 250,000 Realen als regel,
mäßige, 30,000 als außerordentliche Ausgaben verwendet.
Man befoldete damit das Heer, baute die Feſtungen aus und
beftritt alle fonftigen Koften. Der Reſt floß. in die Kaffe ver
venetianiichen Flotte, aus welder bis auf Grimani for
während Zujchüffe an die morentifche Verwaltung abgegeben
worden waren.
Ericheint nach allen vielen bisher erörterten Seiten Hin die
venetianiſche Verwaltung weientlich in günftigem Lichte,
ſo gab es doch auch verichtevene Momente, wo ihr Auftreten
theils wirklich nachtheilige. Folgen Hatte, theils minder erfolg.
veich geblieben ift. Bon Anfang an zeigte es fi, daß das
egoiſtiſche Merkantilſyſtem Venedigs und die Anwendung det
Principien der damals geltenden Colonialpolitif auf Morea
nach verichiedenen Richtungen bin die Bemühungen, die neue
Provinz zu wirklicher Blüthe zu bringen, empfinvlich beein
trächtigen mußten. Nun lag e8 in der That in der auf
geiprochenen Abficht der General» Proveditoren, auch über bie
bisher bezeichnete Xinte hinaus das Land zu fördern. Für ben
inneren Verkehr wurde feit Grimani's Verwaltung zuerft bis
zu einem gewilfen Umfange das Poſtweſen in Stand gebradt.
Die noch immer jehr zahlreichen Produkte des Landes (Bd. II,
S. 480 f.) fuchte man erheblich zu vermehren. Namentlich wurde
der Weinbau, diefer durch Einführung fremder Neben, und
baneben die Produktion von Rofinen und von Korinthen
(Bd. I, ©. 44), die (anfcheinend feit 1580 von Naxos nad
Morea gelommen) ſeitdem für das nördliche Morea von ber
großastigften Wichtigfeit geworben find, erheblich gefärbert,
während dagegen die Anlage von Seivenfabrilen geringere
Bortichritte machte 1).
Alle diefe jehr wohlgemeinten Anregungen wurden aber
in ihrer Wirkung dadurch erheblich. beeinträchtigt, daß bie
Republik, um es kurz auszudrüden, trog aller Bemühungen
1) Während des Mittelalters waren in Morea auch noch bie Kagen,
die Apfelfinen, und bei Argos der Tabalsbau (wie in Theſſalien) ein-
beimifch geworben.
Venetianiſches Merkantilſyſtem. Kranzöftfcge Intriguen. 178
ber veritändigiten General» Proveditoren ſich nicht entichließen
fonnte, mit jenem Syſtem enbgiltig zu brechen, welches bie
Hauptftadt Venedig auf Koften des Colonialgebietes zum
ausſchließlichen Mittelpunkt alles Verkehrs erheben wollte.
Grieche nland, fpeziell wieder Morea, unterhielt bisher nur
wenig merlantife Beziehungen; folche hatten zwilchen Meffenien
und Nordafrika, zwiſchen Monembafta und Alerandrien, zwiſchen
Nauplion und den Inſeln des ägätichen Meeres, zwiſchen
Korinth, Paträ und den tontihen Inſeln beſtanden. Venedig
wollte nun, daß der ganze Verkehr der Moreoten mit ber
übrigen Belt nur durch die Vermittlung der Hauptftabt in
den Lagunen vollzogen werben ſollte. Während des Krieges
hatten die General» Provebitoren einen „Indult“ erzielt,
welcher dieſes für den Aufichwung des moreotiichen Aktiv⸗
handels mörderiſche Syſtem von der Halbinjel noch fern Hielt.
Aber fie Formten nicht bewirken, daß das Syſtem principiell
aufgegeben wurde. Ließ die Unficherheit wegen der ‘Dauer bes
Indultes den moreotiichen Handel nur langfam fich entfalten,
jo fehlte es auch nicht an pofitiven Handelsbeſchränkungen.
Namentlich das DI mußte zum Verlauf nach Venedig geführt
werden; die venetianiiche Induſtrie zeigte bald eine krämerhafte
Ciferfucht auf die neu aufblühende moreotiiche, und bie
fremden Kaufleute, namentlich Engländer und Franzoſen, zogen
es oft vor, die griechiichen Produkte unter bequemeren DVer-
bältniffen in den griechiihen Provinzen der Pforte zu kaufen.
Auf dieſem Punkte alfo wurzelte ein großer heil der
Unzufriedenheit, die ver Republik fchließlich fo theuer zu ftehen
fam, einerjeitS unter den Griechen der Seeftäbte, andererſeits
unter den bei dem levantintichen Handel betheiligten Europäern.
Am gereizteften zeigten fich die Franzoſen. Hat man ben
leßteren doch ſogar nachgefagt, daß ihre Conſuln in Griechen-
land 1) zu ſyſtematiſcher Untergrabung ber venetianifchen
Herrichaft in Morea große Geldmittel aufwandten, um mit
mr zu gutem Erfolge venetianiiche Söldner in den pelo-
1) Zinteifen a. a. O. ©. 486f.
174 Buch I Kap. II. 2. Das Städtewefen.
ponnefiichen und in den legten Tretifchen Feſtungen zur Deſer⸗
tion zu erlaufen!! Zur Abwehr dieſer ichmählichen Intriguen
fuchten die Venetianer dagegen ihre Söldner nach Kräften
durch . Begünftigung der Verheirathung derſelben an ihr
Interefje zu feſſeln. Anders als die Handelsbeſchränkungen
wirkten gewiffe liberale Maßregeln. Moroſini batte glei
nach der Eroberung in den Städten diefelbe Municipal⸗
verfaffung eingeführt, wie fie in den übrigen Provinzen ber
Republik im Gebraudh war. Im jeder Stadt, die er gewann,
bildete er ein venetianifch-griechiiches Conſeglio, welches aus
den griechiichen Einwohnern die Magijtrate zu wählen, bie
ftäbtifchen Amter zu befeten Hatte, und wie biefe griechiichen
neuen Beamten jehr bedeutende Privilegien genoß. Dazu er
hielten die Städte das Borrecht, daß ihre Bürger von ber
Laſt der Einguartierung des ftebenden Heeres frei blieben.
Daraus aber erwuchſen bei der jeit der Zeit des Despotates
Mifithra und während der langen Osmanenherrichaft nur
allzu üppig entwidelten griechiihen Corruption erhebliche
Übelftände. Die neu privilegirten Moreoten entfalteten wieber
die Neigung der früheren Archonten, ihre Landsleute zu ver
gewaltigen und zu beeinträchtigen. Und die freiheit ber
Bürger von Einguartierung veranlaßte eine Menge von Ge-
meinden, fich um ftäbtifche echte zu bewerben, Die dazu gar
feine innere Möglichkeit beſaßen. ALS die DVenetianer darauf
nicht eingingen, fingen die Bauern an, „‚fich den Städten zu
affiltiren, d. 5. obwohl fie auf dem Lande wohnen blieben,
fich Doch die Nechte von Bürgern zu verichaffen. Da num feit
Grimani's Verwaltung immer je Ein Mann bes ftehenven
Heeres für jeine Lebensmittel auf achtzehn DBauernfamilien
angewiefen war, jo wurde mit der Zunahme der an bie
Städte affiliirten ober „aggregirten“ Bauern die Laft für bie
übrigen, natürlich die ärmeren, immer fchwerer. Hier griff
dann wieder Emo durch, ber die Eremtion der aggregirten
Bauern von der Einquartierungslaft verbot. Marco Loredano
endlich bob das Shitem der Affiliirung ohne Weiteres auf und
erleichterte dafür die Militärlaft in jeder ihm möglichen Weife.
Rechtspflege. Kirchliche Schwierigkeiten. 175
Auch die Einführung der venetianiichen Rechtspflege in
Moren Bat zu vielen Übelftänden geführte. Sie war aller-
dings unvergletihlich beſſer, al8 jene der Osmanen. Aber die
jungen venetianifchen Nobilis, die als juriftiiche Doftoren, und
andere, die als Cancellieri, und bie Jonier, Die als Avogadoren
nah Morea kamen, waren ihrerſeits oft ſehr unwiſſend und
ſelbſt gewiſſenlos, und wußten fich die jchlimme Neigung der
Moreoten, die jeit den Zeiten des Kaifers Nero den fremden
Herrfchern in dieſem Lande fo oft aufgefallen ift, ſich gegen-
feitig durch gerichtliche Zänkereien zu plagen und durch endloſe
Brozeffe zu ruiniven, und die auf dieſem Boden jeit Alters
eingewurzelte Käuflichkeit, oft in wenig erfreulicher Weiſe
nugbar zu machen.
Während nad diefer Richtung die venetianische Vers
waltung, oft mit jehr mangelhaften italienischem Material,
nur ſehr jchrittweife die Demoralifation, die gegenfeitige Ge⸗
bäfligfeit, die Neigung zur Bedrückung des ärmeren Landvolkes
Seitens der befjer gejtellten Elemente der griechifchen Geſell⸗
Ihaft, zu befämpfen vermochte, gingen aus ben kirchlichen
Verbältniffen noch größere Schwierigleiten für die Venetianer
hervor. Ganz anders als zur Zeit nach der Eroberung von
Conftantinopel durch Enrico Dandolo, trat die Republik jegt
in Morea höchſt tolerant auf; dieſes in dem Grabe, daß fie
rubig zuſah, wie allmählih 1317 mohammedantiche (anfcheinend
Nenegaten-) Bamilien, bie zum Chrijtentfum über» ober
zurüdtraten, nicht der römiſchen, fondern der anatolilchen -
Kirche fich anfchloffen. Trotzdem bildete andauernd die con«
feffionelle Verſchiedenheit zwijchen Griechen und Venetianern
eine in jener Zeit auf feine Weife zu überbrüdende Kluft,
und die doch nicht ausgebliebenen Verſuche römiſcher Priefter,
unter den Griechen Proſelyten zu gewinnen, find ſpäter zu
bitterem Vorwurfe gegen die Staatsregierung aufgebaufcht
worden. Die politifchen Schwierigkeiten, die für Venedig
in ber confefftonellen Frage wurzelten, lagen jedoch auf einem
anderen Punkte. Verargen konnte man ven neuen Herren
des Landes natürlich nicht, daß fie auch bier ihre eigene
176 Buch I. Kap. IL 2. Kirchliche Schwierigteiten.
Confeifion treu pflegten. Die Republit Hat in den größeren
Städten der Halbiniel eine Anzahl in Moſcheen verwandelter
Kirchen wieder für den katholiſchen Gottesdienſt weihen laſſen,
und nachher für die vier Provinzen eben ſo viele Bisthümer
gebildet, unter denen das korinthiſche erzbiſchöflichen Rang hatte.
In Meſſenien, wo ſie auch früher ſo lange geherrſcht
hatte, zeigen (namentlich bei Kalamata) noch heute viele
Dörfer eigenthümliche, gegen die griechiſch-anatoliſche Sitte
verbältnißmäßig hohe, Kirchthürme, die an Diefe Zeit
erinnern )). Suchte nun die Regierung der General-
Proveditoren mit großer Klugheit die religidien Beſorgniſſe
der Griechen zu beichwichtigen und Kirchliche Neibungen zu
verhindern; blieb das Beiſpiel der an Bildung und geiftlicher
Würde ben damaligen moreotiichen weit überlegenen vene⸗
tianiſchen Kleriker nicht ohne nüßliche Wirkung, jo war Dagegen
eine böfe Klippe das Verhältniß zu dem Patriarchen in
Conſtantinopel.
Das Patriarchat empfand es ſehr unangenehm, daß ein ſo
wichtiges Glied der griechiſchen Nation wie eben” ver Pelo⸗
ponneſos bis zu einem gewiffen Grade feiner uralten Macht⸗
vollfommenheit jeßt wieder entzogen war. Der Patriard
hatte feine Luft, feine geiftlichen und finanziellen echte auf
dieſes Land aufzugeben; die Ernennung der Bilchöfe und vieler
Abte fammt den von dieſen Klerikern ihm zuſtrömenden
Zributen (S. 82f.) waren Dinge, auf die man im Fanar
den höchſten Werth legte. Wenedig dagegen wollte weber bad
Abftrömen fo bedeutender Geldmittel nach Stambul, noch die
Ausübung geiftlicher Hoheitsrechte auf feinem Gebiete durch
einen auswärtigen, bier noch dazu von der Pforte abhängigen,
Kirchenfürften dulden und juchte feit 1687 dem Patriarchen
entgegenzuarbeiten. Dieſes um fo mehr, weil die geiftliche
Armee der griechiichen Kirche in Morea fehr ſtark war. Um
den jetzt als Metropofiten fungirenden Erzbiihof von Tri—
poliga nemlich gruppivten fich vier andere Erzbiichöfe, zwölf
1) Vgl. L. Roß, Griechiſche Köntgsreifen, Bd. I, ©. 213.
Kirchliche Schwierigkeiten. 877
Suffraganbiichöfe und ſechszehn Titularbiichöfe. Dazu famen
1367 Dlönche in 158 Klöftern, von denen 26 Stauropigia
waren, deren Äbte der Patriarch ernannte. Obwohl nun die
venetianifche Republik mit der Geichidlichleit und dem Erfolge,
ver bisher nur bei arijtofratiichen Staatsgewalten in Con⸗
flikten mit Rom beobachtet worden iſt, wiederholt der römijchen
Curie die Spige zu bieten vermocht hatte, jo war fie in ihrer
Gegenwehr gegen ven Fanar doch nur theilweiſe glücklich.
Denn als die Regierung die Wahl der Bilchöfe den neu
formirten griechischen Municipalitäten übertrug, jo riß bie
ſchlimmſte Simonie bei den Wahlen ein; vie wählenden
Dürger trugen jo wenig Bedenken, fich für ihre Wahlftimmen
bezahlen zu laſſen, wie nur ſonſt (S. 91ff.) der Klerus. Und
das neue geijtliche Berfonal wurde dadurch weder beijer noch
zuverläjfiger als zuvor. Auch die Geldſendungen nad) Stambul
waren nicht zu verhindern. Venedig fonnte nur verbieten,
daß der Patriarch feinen Exarchen nach der Halbinſel zur
Einnahme feiner Gefälle ſchickte. Es konnte auch Die
patriarchalen Bullen wie päbjtliche behandeln, denen das
Iandesgerrliche Crequatur mangeltee Aber man mußte bei
dem Drude, den die byzantiniſche Exkommunikationsdrohung
ausübte, tbatfächlich zulaffen, daß im Stillen der Erzbiichof
von Paträ als Exarch arbeitete; denn fein Biſchof konnte
fih weigern, ven für Stambul begehrten Gelbbeitrag zu
leiften.
Der Hauptjache nach mußte Venedig hier das Beſte von
der Zeit erivarten. Die wohlmollende Behandlung und kluge
Gewinnung auch des griechtiichen Klerus — wie denn noch
Morofini während des Krieges den vor ben Osmanen ges
flüchteten Biichöfen von Salona, Theben, Lariffa, Athen und
Negroponte Benftonen ausgejegt hatte —; die Abwehr jedes
römtichen Eingreifens in die griechiiche Kirche der Halbiniel;
die verſtändige Arbeit moraliih und nach Seite des Geld»
Punktes fauber fich haltender Tateinifcher Prieſter und Mönche
in der Pflege des vernachläffigten Unterrichtes, in der
Anlage von Hofpitälern und in der uneigennützigen Kranken⸗
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. ILL. 12
178 Buch J. Kap. II. 2. Lage der Moreoten unter Benebigs Herrfchaft.
pflege; endlich die Gründung von Gymnaſien, namentlich des
„taktiſchen Gymnaſiums“ zu Tripolitza 1); das waren Mo-
mente, von denen ſich auf bie Dauer Gutes Hoffen Tief.
Nichtödeftoweniger foftete e8 Alles zufammengenommen
erhebliche Mühe, Morea emporzubringen. Und wie es allezeit
und überall zu geben pflegt, die Minderheit der Unzufriedenen
erbob damals und fpäter ihre Stimme viel lauter als bie
Mehrheit der unter der milden und wohlmeinenben vene
tianiſchen Herrichaft fih wohl fühlenden Griechen, und nod
mehr, — nachdem das osmaniſche Joch ohne Mitwirkung ber
Moreoten entfernt war, wandte fich ſehr fehnell und mit
allezeit beobachteter Übertreibung Die erbitterte Klage ber
Unzufrievenen, wie derer die aus derb materiellen ober aus
eonfejfionellen Gründen die Rückkehr der Osmanen wünſchten,
gegen die auch ſonſt fühlbaren Übelſtände der neuen Zeit.
Das willfürliche Regiment des Paſchas, der Woiwoden, ber
Kadis, die Gewaltftreihe der Timarioten und Yanitfcharen
waren ſchnell vergeſſen. Jetzt grollte man bitter über bie
Mißgriffe und fchlechten Eigenichaften eines Theiles ber mitt-
leren und niederen Beamten der Republif, deren Sünden
buch das Wohlwollen und die Tüchtigkeit der General»
Provebitoren doch nicht immer ausgeglichen werden Tonnten.
Und die durch die Regierung nur ſchwer zu zähmende Neigung
ber Söldner und ihrer Offiziere zu Übergriffen mancherle
Art, ſeit dem Ausgange der Kommenenzeit ein gerabe auf
biefem Boden unter allem Wechjel der Weltpolitif (und ber
Uniformen) allezeit hart empfundenes, noch heute nicht ver⸗
ſchwundenes Übel, gab nicht weniger Anlaß zu lagen und zur
Verſtimmung. Nichtspeftoweniger war die Lage ber Moreoten
unter Venedigs Herrfchaft nicht nur ganz unvergleichlich beffer,
als fie e8 während der Iangen Jahrhunderte feit dem Aus
gange der Billeharbouins jemals geweſen ift. Ste berechtigte
auch zu ſehr guten Hoffnungen, wie ſchon an dem fchnellen
und glänzenden Aufichwunge der Hauptftabt Nauplion erkannt
1) 2gl. auch Nicolai a. a. ©. ©. 53.
Der lebte Krieg der Pforte gegen Venedig. 179
werden mochte. Leider aber war es dem: unjeligen Geichlechte
der Neugriechen verjagt, unter der milden Berrichaft der
General» Provebitoren ihren Übergang aus dem buzantinifch-
türkichen Mittelalter in das moderne europätiche Leben zu
vollziehen. Die thörichte Sehnfucht eines unzufriedenen Theiles
ber Griechen nach der Rückkehr des Turbans follte ganz un⸗
erwartet ſchnell in Erfüllung geben.
II.
In Stambul hatte man fich von Anfang an nur mit dem
höchſten Unwillen in die Nothwendigkeit gefügt, Morea in ben
Händen der Venetianer laſſen zu müſſen. Namentlich die
vielen durch Morofini aus der Halbinfel vertriebenen türkiſchen
Familien drängten bei der Pforte beftändig auf Berftellung
ihres ehemaligen Befigftandes. Die Waffen ergriff die Re
gierung des Großheren doch erit jechszehn Jahre nach dem
Frieden von Carlowig wieder gegen die Republik, als die
Berhältniffe zu den europäifchen Mächten fich auffallend günſtig
für die Osmanen geftaltet hatten.
Um es fur; zu jagen, die gewaltige Macht griechiich
glänbiger Slawen im Norden des jchwarzen Meeres, das
Rußland Peters des Großen, auf welches fich die Zukunfts⸗
boffnungen der griechifchen Orthodoxie jet immer beftimmter
richteten, hatte in einem neuen Kriege durch die Osmanen
1711 eine empfindliche Demüthigung erlitten. Rußland war
durch den definitiven Frieden des Jahres 1713 wieder von
dem Aſowſchen Meere zurücdgeichleubert worden. Und nun
war der Kriegsmuth und die Unternehmungsluft der Pforte
(zur Zeit regierte 1703 — 1730 des Sultans Muftapha IL.
Bruder und Nachfolger Ahmed II.) lebhaft wieder erwacht;
dieſes um jo mehr, weil damals das gefammte Abendland in
den letzten Stadien des furchtbaren, alle Kräfte erichöpfenden
„ſpaniſchen Erbfolgekrieges“ ftand. Der anfangs in Stambul
genährte Plan, die eifrig betriebenen Nüftungen zu einem
Kriege gegen Polen zu verwenden, wurde durch die Gewandt⸗
12*
180 Buch J. Kap. II. 3. Die Pforte rüftet zum Kriege gegen Venedig.
beit der polnischen Diplomatie abgewandt, welche für ihr Land
im April 1714 die Erneuerung des Carlowiger Vertrages
erzielte. Dafür gab nun theils der Wunſch der aus More
vertriebenen Türken, theil8 bie heimliche Verbindung des
Großweſſirs Damad Ali⸗-Paſcha Kumurdſchi mit verbroffenen
moreotijchen Primaten, theils auch (vgl. ©. 173) der Einfluf
der auf Venedigs levantinifche Handelspolitif eiferfüchtigen und
erbitterten Franzoſen ber türkischen Kriegspartet die Richtung
gegen das Ichwache und zur Zeit ohne Bundesgenofjen daſtehende
Venedig . Die politiihen und Anjtands - Bedenken ver
Sriedenspartei im Diwan und Serat wußte der Großwellit
theils durch feine beijere Kenntnig der damaligen Weltlage,
tbeils im Hinblid auf die Shmpathien vieler moreotiicer
Griechen für die Pforte zu überwinden. So wurde alfo ber
Krieg eingeleitet, deſſen Worbereitung die alte osmaniſche
Tüde, deſſen Führung die alte folvatiiche Kraft, aber auch die
alte furchtbare Wildheit und Graufamfeit der Osmanen in
überrafchender Weiſe wieder ang Licht treten ließ.
Es galt zunächit, die Republik möglichit Tange zu täuichen,
um fie dann jäh und wuchtig zu überfallen, ehe fie noch meit-
Ihichtige Werbungen anftellen könnte. Freilich wurde Venedig
boch bedenklich über vie foloffalen Nüftungen aller Art zu
Stambul, zu Salonichi, Lariffa, Volo und Negroponte, über
das türfiiche Verbot der Getreiveausfuhr, die Anhäufung von
Zruppen in Bosnien, die vertragswidrige Erneuerung der
Schanzen von Antirrbion, und die unverfennbaren heimlichen
Unterhandlungen zwiichen Stambul und den griechtichen Biſchöfen.
Aber Sicheres erfuhren fie nicht eher, als bis endlich — dem
Namen nah auf Grund der (noch dazu wider Willen der
venetianiichen Oberbehörden erfolgten) Aufnahme einer Schaar
durch den bosniihen Paſcha verfolgter Montenegriner auf
venetianiſchem Gebiete bei Gattaro im Oftober 1714 — ber
1) Bgl. wieder Ranke a. a. O. ©. 488—498. Finlay, Greece
under othoman and venetian domination, p. 258—--276. Zinteifen
a. a. O. ©. 461 — 472 u. 488 — 582. Hopf, Bd. 86, ©. 179 f.
Sathas l. c. p. 443—448.
Gefährliche Lage Venedigs bei dem Ausbruche bes Krieges. 181
Großweſſir am 8. December 1714 dem Bailo der Republik
in Stambul, Andrea Memo, in brutalfter Form den
Krieg erklärte, ihn ſelbſt feftnehmen, die zu Stambul und
Smyrna angefiedelten Venetianer aber aus dem Reiche aus
weifen Tief. Sofort folgten auch der Kriegserflärung auf der
balmatiniichen Seite Die erften Feindſeligkeiten. Die Republik
aber, die fih in den Wahn, die Pforte rüſte eigentlich gegen
Malta, eingewiegt, und daher fich vollſtändig Hatte überraſchen
laffen, die nur im Vatikan Freunde fand, dagegen in Wien
einer eisfalten Neutralität begegnete, ſah fich jo gut wie außer
Stande, durch ſchnelles Handeln die drohende Kataftrophe
abzuwehren. Sie hatte zur Zeit feinen Mann in ihrer Mitte,
wie noch Moroſini gewejen war, und fo wurde e8 unmöglich,
das jchlimme Deficit an militärischen Kräften zu decken, über
welches ihr letzter moreotiſcher General» Proveditore, der für
1715 eben antretende Generallapitän Girolamo Delfino,
von Tag zu Tag ichlimmere Nachrichten einfendete.
Das Heer der Republik jet viel zu jchwach, die Be-
fagungen für die vielen Feitungen auf Morea und ben Inſeln
zu dünn, namentlich mangele es auch am Artilleriften, die
neuen Teltungsbauten ſeien noch nicht überall fertig, es
mangele vielfach an Proviant und Munition. Das Schlimmite
jedoch war, Daß der Geilt der Armee durchweg fchlecht war,
und daß nicht wenige Beamte der Republif völlig den Kopf
verloren hatten.
Zrogdem geichah jegt in Venedig, was nur irgend noch
getdan werben konnte. Während Delfino die Flotte, zur
Zeit nur acht gut armirte und eilf jchlechte Galeeren, nach
der Inſel Sapienza führte, beeilte man ſich, möglichjt viele
Kriegsichiffe, Truppen, Proviant, Munition nad Morea zu
ſchicken, wohin auch Aleffandro Bono als außerorventlicher
Commiſſar abging. Es gelang noch, Nauplion und Korinth
für zwet Jahre zu verproviantiren und mit friichen Truppen
zu verſehen. Die Flotte bei Sapienza wurvde bie auf 22
große Kriegsichiffe und 27 Fahrzeuge geringeren Ranges gebracht,
dann in den Hafen von Klimino gelegt. Der Kriegsplan
182 3B.L8.IIL 3. Die Osmanen eröffnen im Sommer 1715 den Krieg.
war, unter fchnelfler Räumung aller anderen Städte, unter
Schleifung der Werfe von Alt» und Neu-Navarin, zunächſt
nur Korinth, Argos, Nauplion, Malvafia, Kelepha, Zarnate,
Modon und Rhion energiich zu vertheibigen.
Bald aber nahm der Krieg eine Wendung, bei der man
in den Nagunen ausrufen mußte: „Lasciate ogni speranza!“
Bald erfuhr man in Nauplion, daß fih im April 1715 dee
foloffalen Streitkräfte der Osmanen zu Waffer und zu
Lande in Bewegung gejeßt batten. Der Patriarch aber vor
Conftantinopel hatte den Bann gegen alle rechtgläubigen
Griechen gejchleudert, die für Venedig die Waffen führen
würden. Der erfte Schlag fiel im ägäiſchen Meere. Der
Kapudan⸗Paſcha Dſchanum Khodſcha landete mit einer gewal-
tigen Flotte am 5. Juni 1715 auf der Inſel Tinos. Und
num verlor bier der Provebitore Bernardo Balbi ſo
gänzlich ven Kopf, daß er troß der Ergebenbeit der katholiſchen
treuen Bevölkerung feiner Inſel, troß der Stärke und guten
Ausrüftung des Felfenjchloffes der Hauptſtadt, auf die erite
Aufforderung Hin gegen freien Abzug mit Waffen und Gepäd
fapitulirte. Die Feſtung wurde fofort zerftört, und zwei⸗
hundert der angefehenften Familien in die Verbannung nad
den Barbaresfenftaaten geführt. Während das Entjeten über
diefe feige Schmach fich lähmend über Morea ausbreitete und
die Flotte der Türken im faroniichen Golfe kreuzte, wälzte fih
bas Landheer des Großweſſirs von Aorianopel aus nad)
Griechenland. Damad Ali Kumurdſchi führte fein Heer zuerit
nah Theben, wo er am 9. Juni 1715 etwa 22,844 Weiter
und 72,520 Mann mufterte, denen bald immer jtärfere Maffen
beutegieriger Türken, unregelmäßiger Truppen, und rumeliotijcher
Armatolen (diefe unter dem Dervendſchi-Baſcha Topal Osman
von Lariffa) folgten. Die aftatifchen Soldaten mußten die Päffe
bes Kithäron und des Geraneion für das Gepäd und die Artillerie
gangbar machen. Dann marfchirte der Großweſſir am 25. Juni
über den Iſthmos. Da der General-Proveditore Delfino in
ganz Morea nur über 8000 Mann wirklicher Truppen verfügen
fonnte, fo waren weder bie ſchwachen Schanzen auf dem Iſthmos
Die Osmanen erobern Korinth. 183
noh die Linie zwilchen Korinth und Lechäon zu alten.
Kumurdſchi zog mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiele
durch dieje Linien, entjendete ein großes Corps zum Vormarſch
an der Süpfeite des Golfes von Korintb nah Rhion, und
eröffnete am 28. Juni durch Sari⸗Achmet⸗Paſcha, den Beglerbeg
von Rumelien, die Belagerung des mit Flüchtlingen überfüllten
Korinth, welches der Proveditore Giacomo Minoto mit
400 Sölpnern und 200 Griechen vertbeidigte. Der Muth
biefes DBefehlshabers, auf den das Sammergefchrei der ber
lagerten Flüchtlinge nur allzu ftarf wirkte, ſank, als die
Osmanen die Burg fünf Zage lang beichofjen und die
Janitſcharen fih zum Sturm gerüftet hatten. Er Tapitulirte
baber auf Abzug ohne Waffen mit geringer Habe; die Gar-
niſon follte nach Korfu geführt werben. Aber die Osmanen,
die in biefem Kriege alle ihre Gewohnheiten aus den ſchlimm⸗
ſten Zagen Mohammeds IL. wieder zur Geltung brachten,
hielten die Kapitulation nicht. As am Morgen des 3. Juli
Minoto zum Abmarſch nach Kenchreä rüftete, erftiegen die
Sanitfcharen bereits die Burg und eröffneten die Plünderung.
Und als um 9 Uhr früh ein Pulvermagazin in die Xuft. flog,
gab man dieſes den Venetianern Schuld und hieb die Truppen
wie die Einwohner bis auf wenige Leute nieder, bie dann in
die Sklaverei gejchleppt wurden. Nur etwa 200 Menſchen
Ihiette der Großweifir nach Korfu. Dieſes war die furchtbare
Kataftrophe, die in Lord Bhron in der Dichtung „The siege
of Corinth * ihren Sänger gefunden hat.
Die jchnelle Eroberung von Korinth fchlug überall die
Hoffnungen der Venetianer niever. Wie fchon vorher Myko⸗
n08, fo ergab fich jegt Aegina dem Kapudan⸗-Paſcha ohne
Weiteres. Die Griechen aber, die anfangs ihre Dörfer,
die dann in Flammen aufgingen, verlafien und fih in die
Derge gerettet hatten; die aber jetzt Venedigs Sache aufgaben
und noch dazu vernahmen, daß Kumurdſchi gute Disciplin
halte, Mißhandlung der Griechen verboten babe, umd alle
Debürfniffe feines Heeres baar bezahlen laſſe, ftrömten in
Maſſen nach dem türkifchen Lager und bulvigten dem Große
184 Buch I. Kap. II. 8. Belagerung von Nauplion.
weifir, der dann auch die beftimmteiten Befehle zu ihrem Schube
erließ. Dafür Halfen die Griechen dann wieder bei ber Anlage
der großen Magazine, welche die Türken namentlich bei Voſtitza
errichteten. Delfino aber, der fonft zur Unzeit das blühende
Land bis nach Nauplion bin unverwüſtet ließ, rächte bie grie⸗
chiſche Servilität in Achaja durch arge Verheerungen.
Während nun das Heinere türfiiche Corps gegen Rhion
operirte, marſchirte Kumurdſchi von Korinth mit ber
Hauptmacht nach dem fofort genommenen Argos, dann aber
gegen Nauplion, wo Aleſſandro Bono, jett als General
Provevitore (Delfino war zum Generalfapitän und Procurator
von San Marco ernannt. worden) mit 1700 Söldnern,
1000 italienischen Breimilligen und einigen Hunderten freilih
nur wenig brauchbarer Griechen fich entichloffen zu fchlagen
gedachte. Unglüclicherweife waren nun für fein kleines Heer die
neuen Werke bes Palamidhi zu ausgedehnt, wie auch das
Mauerwerk noch zu Schwach, um die Wucht der türktichen
Vollkugeln genügend auszuhalten. Am 11. Sult fchlugen bie
Maſſen des Großweſſirs ihr Lager in der Ebene zwiſchen
Tirynth und Nauplion auf. Die erften Angriffe der Janit
fcharen auf die Vorwerke des Palamidhi am 14. Juli wurden
gut abgeichlagen, nur daß Oberſt Carbofi, der Commandant
der Citadelle, leiver dabei fiel. Nach Ankunft ver türkiſchen
Flotte (15. Yuli) begann ein beftiges Bombardement, nod
immer ohne Erfolg. Da glüdte e8 den Yaniticharen, am
20. Juli in einem Werke des Palamidhi durch die Sprengumg
einer Mine eine größere Breiche zu legen. Nun ftürmten fie
mit Ungeſtüm über die Trümmer aufwärts. Der neue Com⸗
mandant, Oberft La⸗Sala, verlor den Muth und ben Kopf ſo
vollftändig, daß er fofort die Kanonen vernageln ließ. Mit
Einem Worte, der Palamidhi wurde in kurzer Zeit in der
ſchmachvollſten Weije aufgegeben; bald eilte die Befagung in
toller Flucht abwärts nah der Stadt, ihr nach bie Jar
nitiharen. Kaum aber erblidten die übrigen Türken in der
Ebene die Fahnen des Großherrn auf dem Palamidhi wehen,
ſo erjtürmten fie nuch die Wälle der Stadt.
Die Osmanen erobern Rauplion und das Eaflell von Diorea. 185
Es war zu jpät, daß Bono jekt die weiße Fahne auf
ziehen ließ. Denn die osmantichen Truppen wollten feine
Kapitulation, fie wollten energijch morden und plünbern, ebe
ibre Feldherren dazwiſchentreten Tönnten. Und ihr Wunſch
ging in Erfüllung. Umfonft jchlugen ſich jegt die Offiziere
und Nobilis der Venetianer in den Straßen; fie fielen
rühmlich in dieſem Iekten Kampf. Sonſt aber find an
25,000 Menſchen an dieſein Tage vernichtet worden; mit
Einſchluß der für die Sklaveret beftimmten Frauen und
Kinder. Mit beionderem Grimme wöütbeten, vielleicht Durch
bie Griechen geleitet, die Janitſcharen gegen die katholiſchen
Kleriker; auch der Erzbiſchof Carlint wurde ermordet, während
Bong ſchwer verwundet in die Hände Kumurdſchi's fiel. Der
Großweſſir perjünfich zeigte fich fchlieglich als echten Nachfolger
der alten türkijchen Ichuftigen Henler von Ntegroponte und
Kypros. Er kaufte nemlich feinen Janitſcharen taujend ge⸗
fangene venetianische Söldner ab, und machte fich dann Die
Freude, dieſelben ſämmtlich entbaupten zu laſſen. ‘Der an-
ſcheinend erfaufte Commandant des auf einer Inſel belegenen
Hafenforts Burtzi übergab feinen Pla unmittelbar nach dem
Salle Der Stadt.
Der osmanifche blutige Sieger eilte, dem Löwen von San
Marco bie letten töbtlichen Schläge beizubringen. Kumurdſchi
marihirte von Nauplion über Achlapholampo , Tripolika,
Veligofti, das mefjeniiche Lakkosthal und Nifi gegen Modon,
unter deſſen Mauern er am 11. Auguft fein Lager aufichlug.
Hier nun zeigte es fih, daß der Fall von Nauplion bei den -
Söldnern der Republik die Zügel der Disciplin zerrifjen und
ihren fchlechten Geift entfeifelt Hatte. Schon kam aus Achaja
eine militärisch ſchmachvolle Kunde. Kara Muſtapha, Paſcha
von Diarbefir, hatte zu Anfang Auguft mit feiner koloſſalen
Macht die 1100 Mann angegriffen, mit denen der General-
lieutenant Eaftelli das gut verfchanzte und trefflich ausgerüftete
Rhion oder Caftell von Morea vertheibigte. Nach einer
Beichieung von nur vier Tagen forberte bie menteriiche
Garniſon die Übergabe; und trotz der energiichen Einreden
16 Buch J. Kap. II. 3. Die Osmanen erobern Mobon und Monembafte.
des Provebitore Pietro Marcello war Caſtelli ſchwach genug,
mit Kara Muſtapha zu unterbanveln. Er erlangte allerdings
den Abzug mit Gepäd, aber ohne Waffen, nach Kephalenia.
Auch dieſe Kapitulation wurde nicht volljtändig gehalten.
Denn die Ianiticharen liefen nur die italieniichen Soldaten,
600 an der Zahl, ſich einichiffen. Dann aber machten fie
ven Reit, Slawen und Griechen, zu Sklaven.
. Das war ein böſes Vorzeihen für Modon. Anfangs
zwar bielt fich die Beſatzung erträglih. Als aber Delfino,
der zur Zeit mit 50 Schiffen bei Saptenza lag, bei der Ans
funft des Kapudan⸗Paſcha die Flotte nicht aufs Spiel ſetzen
wollte, begannen die Soldaten nach einigen Zagen jchlaffer
BVertheidigung zu meutern und die Übergabe zu fordern. Ein
frecher Unteroffizier fette jelbft dem Proveditore Vincenzo
Paſta die Piltole auf die Bruſt. AS dann der Großweſſir
bedingungslofe Übergabe verlangte, flüchteten mit Zuftimmung
des Kapudan⸗Paſcha, eines humaner gejinnten Mannes, die
Soldaten und viele reiche Bürger bet Nacht auf die türkiſche
Flotte. Als am folgenden Morgen die Janitſcharen im die
balb öde Stadt drangen, mußte auch Paſta verwundet zu dem
Kapudan⸗Paſcha flüchten; die Stadt felbft wurde ausgeraubt,
das Volk zu Sklaven gemadt. Und nun ergaben fich aud
bie Schlöffer Kelepha und Zarnata ohne Gegenwehr. Die
Maniaten hatten jchon während der Belagerung von Modon
ihren Frieden mit Kumurdſchi gemacht und fich der Oberhoheit
der Pforte wieder unterworfen.
Als Modon gefallen war, fegelte der Kapudan⸗Paſcha mit
der Flotte, durch Delfino nicht gehindert, gegen Monembalia
und gegen die legten fretifhen Feſtungen der Venetianer.
Kumurdſchi aber ſchickte einerfeits ein ſtarkes Corps nad
dem Iſthmos, um bier den Andrang raub⸗ und beuteluftiger
Mohammedaner nach Morea abzuwehren. Andererſeits aber
führte er fein Heer über Leondari und Mifithra gegen
Monembafta. ALS fich der Hier commanbirende Provebitore
Federigo Badoaro zu Waffer und zu Lande zu gleicher
Zeit bedroht ſah, Tapitulirte auch er ohne Schuß und übergab
Benedig verliert bie Eretifchen Feſtungen. 187
die feite Stadt ohne alle Notb am 7. September an ven
Lapudan⸗Paſcha. Venedigs ftolze Flagge war fo tief als
nur möglich in Blut und Schmach getaucht worden !
Noh wurden einerjeitd die einft durch Moroſini aus
Morea vertriebenen mohbammedaniihen Tamilien jet
wieder in ihre alten Beſitzungen eingefegt, andererjeitS nicht
wenige jener unter Venedigs Herrihaft (©. 175) zum
Chriſtenthum übergetretenen Moslims zur Strafe enthauptet.
Dann kehrte Kumurdſchi mit feinen Trophäen triumphirend
nah Abrianopel zurüd, wo fih fein Sultan zur Zeit
aufpielt.
Benedig Dagegen follte noch neue Unheilsbotſchaften
empfangen und zugleich inne werden, daß die Osmanen in
Abfiht Hatten, den Krieg in dem folgenden Jahre in dem
ioniſchen Meere fortzufegen. Während der Mebgericenen in
Morea nemlih hatten die Osmanen auf Kreta auch gegen
die venetianischen Feitungen Suda und Spinalonga ven
Kampf eröffnet. Bier aber ftand das Glück den energifchen
Commandanten Luigi Magni und Francesco Giuſtiniani längere
Zeit zur Seite. Endlich aber erjchten der Kapudan⸗Paſcha
(18. September) mit 43 Segeln vor diefen Schlöffern, und
feiner Übermacht gelang es dann, zwei Tage nachher Suba
zur Ergebung zu nöthigen. ‘Die Venetianer zogen nad Korfu
ab. Gegen bie Griechen der Stabt brach der Sultan ben
abgefchloffenen Vertrag; er ließ fie theils zu Sklaven machen,
theil8 ermorden. Spinalonga fapitulirte zu Anfang Oftober.
Und nun ſah fih auch der tapfere Commandant Sebaſtiano
Marcello genöthigt, die jetzt unbaltbar geworbene Inſel
Cerigo ehrenvoll zu räumen und zu Delfino abzuziehen.
Biel drohender aber noch erjchten es in Venebig, daß feit dem
Falle des Caftell8 von Morea jener Kara Muftapha mit mehr
denn 30,000 Mann auch gegen Santa Maura zu operiren
begonnen hatte. Anfangs entjchloffen, dieſes ſtarke Bollwerk
ju vertheidigen, erkannte man bald deſſen beveutende Mängel.
AS daher nach Eerigo’8 Fall der Kapudan⸗-Paſcha gewillt zu
fein fchten, nach dem ionifchen Meere zu fegeln, entjchloß man
188 Buch I. Kay. II. 3. Neue Rüftungen ber Venetianer.
fich fchnell, Die Feſtung zu jchleifen und zu fprengen, bie Zlotte
beit Korfu zu fammeln und nun — da die türkifche Flotte
nach Chios gefegelt war — die noch offene Zeit zu neuen
Nüftungen zu verwenden.
Venedig war bisher wenigftens in Dalmatien ſehr
glücklich gegen die Osmanen geweſen. Mehr aber, in Wien
hatte die unerhört jchnelle Eroberung von Morea burd bie
Türken große Betroffenheit erregt. Da nun einerfeits am
1. September 1715 der Tod Ludwigs XIV. von Frankreich
das Haus Habsburg im Weften viel ficherer denn bisher ftellte,
andererfeit8 aber die Zuverficht der Pforte auf Grund ihrer
letten Siege dermaßen gewachſen war, daß man in Stambul
bereit wieder von einer Eroberung der Städte Wien und
Rom zu phantafiren anfing, alles Ernites aber an einen
Donaufeldzug dachte: fo ging man unter dem entijcheidenben
Einflufje des gewaltigen Kriegsbelden Prinz Eugen enblich auf
die Allianzvorſchläge der DVenetianer ein. Die leßteren, bie
ohnehin nur durch Ddalmatiniiche Abtretungen den Trieben
hätten erfaufen fönnen, wurben durch die wahrhaft infame
Behandlung der in osmaniſcher Hand verbliebenen Kriege
gefangenen und durch die zu Ende des Jahres 1715 defretirte
Ausichließung aller venetianiichen Waaren aus dem osmanischen
Neiche zu neuer Energie gezwungen. Am 13. April 1716
wurde das Schutz⸗ und Trugbündniß zwiſchen dem Wiener
Hofe und der Republik geichloffen. Prinz Eugen eröffnete
auf Grund des durch die Wegnahme von Morea Seitens ber
Pforte verübten Bruches des Friedens von Carlowitz fofort
von Ungarn ber ben Srieg, den er dann mit großartig
glänzendem Erfolge geführt bat.
Die Republik ihrerjeits hatte während des Winters zu
Waffer wie zu Lande kraftvoll gerüftet. Die Flotte übernahm
feit dem Februar 1716 Andrea Piſani, für das Landheer
aber hatte man endlich im Oftober 1715 einen ausgezeichneten
tbüringijhen Teldheren gewonnen. Es war der Baron
Johann Matthias von der Schulenburg, der in
jächfifchen Dienften bereits in Polen, Ungarn, Deutichland und
Slänzende Bertheibigung (1716) Korfu's durch Schulenburg. 189
andern boden Ruhm erworben hatte und zur Zeit in Wien
fih aufhtelt, wo ihn der Kaiſer nach dem Eintritt als Feld»
marichall in venetianiſche Dienjte am 15. Dftober zum
Neichsgrafen erhob. Diejer treffliche Heerführer fand allerdings
im gebruar 1716 in Korfu nur 1600 Mann, die er mit
Mühe bis auf 3000 (dabei nur 50 Artifferijten) verſtärkte.
Die Flotte dagegen zählte mit Einſchluß päbjtlicher und
maltefiiher Schiffe 48 Lintenichiffe und 130 Fleinere Fahrzeuge.
As endlich die osmaniſche Flotte (135 Segel und 21,000
Mann) bei der durch Schulenburg mit unerbörter Anftrengung
wehrbaft gemachten Injel Korfu erjchten, am 5. Juli bei
Butrinto ſich mit dem Landheere des Kara Muftapha ver-
einigte, und nachher 30,000 Mann auf ver Inſel landete,
welhe am 25. Juli die Belagerung eröffneten: da bat ver
deutihe Held auf griechiihem Boden jeinen Ruhm glänzend
bewährt und das Glück zu den Fahnen der Republik wieder
zurüdgeführt. Am 1. Auguft begannen die wüthenden Sturm-
angriffe der Osmanen. Aber in den grimmigen Kämpfen ver
folgenden drei Wochen brachte Schulenburg mit feinen großen-
tbeil8 deutichen Zruppen den Osmanen eine Neibe fchwerer
Schläge bei, To daß fie endlich am 22. Auguft einen ſchimpf⸗
lihen und verluftvollen Rüdzug antraten. Die Botichaft von
dem gewaltigen Siege des Prinzen Eugen bei Peterwarbein
(5. Auguft), wo der blutige Kumurdſchi felbft tödtlich ver-
wundet wurde, demoraliſirte die Osmanen vollends. Und
wenn nun auch die Angriffe des Admirals Pifani auf Modon,
Donita und Preveja, die Schulenburg widerrathen hatte,
erfolglos blieben, fo eroberte Schulenburg ſelbſt dagegen zu
Anfang September die epirotiihe Feſtung Butrinto, und
beſetzte auh Santa Maura wieder, wo die Schanzen im
November erneuert wurden. Der tapfere Thüringer, der im
December nach den Lagunen zurüdfehrte, wurde von ber
wieder aufathmenden Signorie mit glänzenden Ehren aus
gezeichnet. Außer anderem befchloß man, feine Neiterftatue in
Korfu aufzuftellen, die dann im Jahre 1718 dafelbft auf dem
großen Waffenplage enthüllt wurbe.
1% Buch I. Kap. II. 3. Friebe zu Paffarowig 1718.
Das Kriegsjahbr 1717 war für die Pforte nicht minder
unbeilvoll, denn im Norden zwang Prinz Eugen die Feſtung
Belgrad, am 18. Auguft zu kapituliren. Schulenburg
bagegen (gegen deſſen Rath der Admiral Pifani im Juni die
Flotte von Korfu bis nach Imbros Hatte gehen laſſen, bie
dann gegen den neuen Kapudan⸗Paſcha Ibrahim von Aleppo
bei dieſer Inſel umd nachher bei Cerigo vühmlich, aber ohne
Erfolg focht) vermochte noch im Herbite von Santa Maura
aus zuerſt Preveſa (22. Oktober), dann auh Von itza (im
November) zu erobern.
Dagegen gelang ihm, in einer Zeit, wo ber Wiener Hof
bereit8 während ber durch den ſpaniſchen Miniſter Alberont
veranlaßten neuen polittihen Verwicklungen im Weften und
in Italien den Frieden mit der Pforte ernftlich in Ausficht
nahm — im Sommer 1718 die Eroberung der albanefifchen
Küfte nicht, die er (durch feinen venetianiichen Kriegsrath
überftimmt) wiber feinen Willen mit einem Angriffe nicht auf
Durazzo, fondern auf ‘Dulcigno hatte beginnen müfjen. Am
11. Auguft wurde Albanien wieder geräumt. Am 21. Iuli
1718 war bereits zu Paſſarowitz der Friede auf Grund
des „uti possidetis“ (ohne den Grundſatz allzu genau zu
nehmen) gejchloffen worden. Abgejeben von der Herftellung
feiner alten merkantilen Verhältniffe zur Levante und der
Herabjegung der Zölle von fünf auf drei Procent (was am
27. Juli ftipulivt wurde), trat jeßt Venedig Tinos,
Mykonos, Suda, Spinalonga, Aegina und Morea definitiv an
die Pforte ab. Es erhielt aber in Dalmatien eine verbefjerte
Grenze, und bebielt außer den alten toniichen Infeln mit
Santa Maura noch die Feſtungen Butrinto, Parga, Pres
veſa und Vonitza, jede mit einem Gebiete von einer Stunde
im Umkreiſe. Zurüdgegeben wurden der NRepublif die Infeln
Gerigo und Cerigotto.
Damit fchließen dann die jeit Enrico Dandolo begonnenen
Kämpfe der Venetianer um eine neue Herrenftellung in ver
Levante für immer ab. Graf Schulenburg ift allerbings
bis zu feinem Tode (1747) in venetianifchen Dienſten geblieben
Zuftände in Moren. 191
und arbeitete nach Kräften, der Republik die Reſte ihrer
griehifchen Beflgungen zu fichern. Er forgte namentlich
für deren ausgiebige Befeſtigung. Auf Korfu, wo no am
28. Oftober 1718 eine furchtbare Pulvererplofion gräßliche
Verwäftungen angerichtet Hatte, auf Zante, Santa Maura
und die epirotiichen Fejtungen wurden ſehr beveutende Summen
verwendet. Die Odmanen wenigftens find nicht wieder in bie
Lage gekommen, die Defenfinfraft diefer neuen Bollwerke auf
bie Brobe zu jtellen.
Drittes Kapitel.
Gefchichte Griechenlands von 1718 bis 1788.
I.
Die kurze Epiſode der venetianiichen Herrichaft in Morea
und die Erfahrungen, welche die Pforte während der von uns
jo eben gejchilverten Pertobe im Norden wie im Süben ber
Balkanhalbinſel gemacht hatte, find von bleibender und zwar
entichteden günftiger Wirkung für das weitere Schidial der
Öriechen, und zwar nach ſehr verſchiedenen Seiten hin geweſen.
In erfter Reihe ift da zu fagen, daß nach dem Urtheile
ſachkundiger Beobachter die ttalientjche Herrichaft im Pelo-
ponnejos Teineswegs fpurlos vorübergegangen ift. Mochten
immerhin die alten Zuftände, wie fie vor dem Erſcheinen
Moroſini's in Meffenien, in Morea bejtanden hatten,
äußerlich wieder bergeftellt worben jein (nur mit ber Ver⸗
änderung, daß jekt ver Sit des Paſcha's nah Tripoliga
[5. 71] verlegt wurde 1)); mochte immerhin der orthodore
1) Bol. v. Maurer a. a. O., Th. J, ©. 61.
12 Bud I Kap. II. 1. Die Zuftände in Morea feit 1716.
Grieche die Anweſenheit der Osmanen im Lande jener ber
katholiſchen Venetianer vorziehen: die Saat, welche Venedigs
intelligente und tbatkräftige General» Proveditoren ausgeftreut
hatten, war doch nicht wieder zu vertilgen. Die Berührung
wit einer verjtändigen und vielfeitig anregenden civilifirten
Regierung blieb trog alles confeiltonellen Gegenſatzes bei den
riechen Teineswegs ohne nachhaltige Wirkung. Es war doch
die ſtumpfe Ergebung in die öde türkiſche Knechtſchaft ver-
ſchwunden. Die dreißig Jahre neuer Anregung hatten doch
bahin gewirkt, daß die Moreoten des achtzehnten Yahı-
bunderts nicht mehr in dem Grade apathiich und waffenſcheu,
und zugleich ungleich bildungsbegieriger auftraten, denn zuvor.
Ihre Ianpwirthichaftliche Produktion und ihr Verkehr, nun
mehr auch wieder von den Beichränfungen der venetianiichen
Merkantilpolitif befreit, mwächft zujehennd. Der Landbau, ber
ergiebige Weinbau, die noch ergiebigere Anlage der Korinthen⸗
gärten auf der Nordküſte des Beloponnefos !), das Alles
ſchuf den Griechen dieſes Landes allmählich einen neuen Wohl-
ftand. Auch jonft entwidelten fich neue interefjante Handel
verbindungen. Dabin gehört die Anſiedlung von arabiſchen
Hanvelsleuten auf verichiedenen Punkten von Elis, wie
namentlich Gaftunt, Pyrgos und Derwiſch⸗Tſchelebi, die fich
bis zu der Erhebung der Neugriechen daſelbſt behauptet haben ?).
Dazu aber nahm unter den Griechen das Gemeindeleben einen
neuen Aufihwung; wie denn die ſyſtematiſche Ausbildung
verichiedener Rechte (S. 108 ff.) nach diefer Richtung doch wohl
erft diefer Zeit angehört, und zwar indireft in Folge des
Einflufjes, welchen die Zuftände feit Morofini’8 Stege und
dem Garlowiger Frieden auf die Behandlung der chriftlichen
Untertbanen Seitens der Pforte ausgeübt hatten.
Trotz des vorübergehenden milttärifchen Wiederaufichwunges
der Osmanen durch die Thatkraft und Begabung des Ali
1) Vgl. Curtius, Peloponnefos, Thl. I, ©. 408. 421.
2) Dal. Fallmerayer, Geſchichte von Moren, Thl. IL, ©. 448 |.
u. 456.
Die Zuftände in Morea feit 1715. 18
Kumurdſchi war es Doch nicht zu verfennen, baß die Pforte
aufgehört Hatte, dem Abenblanbe wirklich furchtbar zu fer.
Sie war bereits darauf angewiejen, ſehr ernſthaft auf Die
politiichen Gegenſätze unter den Staaten der Chriftenheit
rechnen zu müfjfen, und konnte ſich nicht mehr völlig taub
gegen die Wünfche großer befreundeter Mächte in Bezug auf
die Lage der Ehriften in ihrem Neiche verhalten. Andere
Eriheinungen aber hatten fi noch empfinvlicher geltend
gemadt. Am Hofe von Stambul hatte man mit wahrem
Entſetzen bemerkt, daß während des Krieges mit dem ,,beiligen
Bunde’ (1683 — 1699) aus den nördlichen Provinzen der
Balkanhalbinſel die füdflawiihen Rajah zu vielen Tauſenden
nad den öfterreichiichen Grenzländern auswanderten. Eben fo
it bereit8 erzählt worden (S. 166), daß während ber
venetiantfchen Herrichaft in Moren die Auswanderung ber
griehiichen Aumelioten nach dieſer Halbinjel fich ununter-
brochen fortgejett Hat. Die Entvölferung der osmaniſchen Pro-
vinzen von nüßlichen fteuerzahlenden Einwohnern nahm bald
jolde Dimenfionen an, daß man fich nicht mehr mit dem
Abftrömen der unruhigen und unzuverläffigen Elemente unter
den Untertbanen tröften konnte Es mußte daher nach ver-
ſchiedenen Seiten hin der Drud gemilvert werden, ber bisher
auf den chriftlichen Unterthanen laſtete. Dahin gehört unter
Anderem die allmähliche Umwandlung der perjönlichen Lajten
der Rajahbevölkerung in Gelb und Naturallteferungen. Dahin
auch die Befreiung der Moreoten nach ber Eroberung des
Landes für zwei Jahre von der Grundſteuer, und die Be-
freiung aller (nach dem Frieden von Paſſarowitz) zu neuer
Anfiedlung in Morea veranlaften Eoloniften von dieſer Steuer
für bie erften drei Jahre). Zu einem planmäßigen Shitem
bat es die Zufallsnatur des türfifchen Despotismus nun
allerdings damals nicht zu bringen vermocdt. Nach mie vor
blieb die ſchwerſte Laſt für bie Rajah, wir denken Hier ſpeziell
1) Finlay , Greece under othoman and venetian domination,
p. 283.
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. IIL. 13
1% Buch J. Kap. III. 1. Lage ber Griechen unter osmanifcher Herrſchaft.
nur an die Griechen, daß aud bei wohlmeinenven Abfichten
ber Centralvegierung die Willfür und Grauſamkeit der Pafchas,
Woiwoden, Kadis und Gensdarmen nicht Leicht zu brechen war.
Sneonfequenz, Yaune, Willfür blieben Doch im Allgemeinen
das Charakteriſtiſche der Verwaltung. Übergriffe ver einzelnen
Osmanli als ZTimarioten, Soldaten und Gensdarmen; Ers
prefjungen, die oft mit Gewaltthaten und blutiger, ſchnöder
Juſtiz verbunden waren; Angriffe auf bie Ehre der Weiber;
Entführung junger griechtiher Mädchen in die Harems ber
Großen, was die Griechen zu ber jchlimmen Sitte trieb, ihre
Töchter unzeitig früh zu verheirathen; dann wieder launenhafte
oder grundthörichte Wirthichaftspolitit, wodurch zuweilen mit
Einem Schlage neu entjtehende hoffnungsreiche Induſtriezweige
zerjtört wurden: das blieben freilich die dunklen Schattenfeiten
der osmantjchen inneren Regierung auch nach ben Friedens
ihlüffen von Carlowig und Paſſarowitz, — Schäden, welde
bie Moreoten es bald bereuen ließen, daß fie der Austreibung
ber Denetianer zugejauchzt Hatten, Schäden, welche has
Klephtenthum immer lebendig erhielten. Aber wenn auf ber
einen Seite die Kraft der Pforte jeit 1718 mehr und mehr
erlahmte; wenn die Türkei bei den veralteten und verfallenen
Zuftänden der Vorzeit beharrte und „in dumpfer und ftolger
Selbitgenügiamfeit an den technijchen und materiellen Zort-
fchritten ber europätfchen Welt nur wenig Antheil nahm”,
jo hörte auf der anderen Cette jeit der Feſtſetzung ber
Venetianer in Morea jenes Shitem auf, welches einem Auf
ſchwunge der Griechen aus fich heraus bisher wiberftanben
- hatte. Die Pforte öffnete einerjeitd in noch weiterem Um
fange als bisher den griechtihen Sanarioten neue um
wichtige Staatsämter in ihrem Reiche, und ftellte andererjeitd
dem unter lebhafter Mitwirkung des Fanars mehrfach erw
wacten Bejtreben der Griechen, auf dem Wege höherer
Geiftesbildung ihre Nation zu verjüngen, und zugleich wäh
rend einer langen Reihe von Friedensjahren ihren materiellen
Wohlſtand emporzubringen,, feine Schwierigkeiten im ben
Weg.
Der Grofdragoman Alerander Mauroforbatos. 1%
Weitaus der gefeiertfie unter den Fanarioten jener Periode
var Alerander Maurofordatos, der Ahnherr einer
Familie, die feit feiner Zeit mit den Schickſalen der Neugriechen
innig verbunden geblieben tft. Sein Vater Nikolaos (der erfte
Maurokordatos, deffen die Quellen gedenken) war 1599 auf
Chios geboren und als Seidenhändler zu Reichthum und
Anjeben gelangt; er kam nachher nach Stambul und heirathete
dort die Wittwe eines iwalachtichen Fürften, Rorandra aus
dem reichen Haufe Starlatos )). Sein Sohn Alerander
nım ftubirte in Padua und Bologna Medien — (wie feit
jener Zeit bis auf Kolettis, Zografos, Glarakis fo viele tüchtige
Griechen, die dann ebenfalls ihrer ärztlichen Prarts den erjten
Einfluß bei den Osmanen verdankten) —, ſchrieb ein geſchätztes
Wert über den Umlauf bes Blutes, und wirkte in Stambul
als Profeffor der Philofophie und Medicin an der 1661
von dem reihen Manolafis aus Kaftoria neben ber alten
Patriarchenfchule für den Fanar neu geftifteten und glänzend
ausgeftatteten Hochſchule, deren Anlage in dem Wieder»
erwachen bes griechiichen wilfenfchaftlichen Bildungstriebes neben
ben kirchlichen Bahnen Epoche machte, und welche eine Reihe
ausgezeichneter Lehrer befeflen hat?). Durh Empfehlung
eines angejebenen Türken wurde Aleranber, deſſen Gewandtheit
in der griechifchen, lateiniſchen, italieniſchen, franzöftichen
Sprade, wie im Slawiſchen, Türkiſchen, Berfiichen und
Arabifchen berühmt war, zweiter Dolmeticher; nachher fungirte
er als Großlogothet oder Schagmeifter des Patriarchats, bis ihn
dann nach dem Ableben des Großdragoman Panafotafis Nikufios
(S. 99) im Oftober 1673 fein Gönner, der Großweſſir
Ahmet Köprili, an deſſen hochwichtige Stelle erhob. Als
Großdragoman der Pforte und Leibarzt des Sultans Hat num
Alerander während eines Menſchenalters eine höchſt bedeutjame
1) Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, TH. L
©. 2. |
2) Bol. v. Maurer a. a. D. ©. 428. Nicolai, Gecſchichte ber
neugriech. Litteratur, ©. 24. 52f. 74. 13*
196 Buch I. Rap. III. 1. Das Haus Maurolorbatos.
Rolle geipielt. Ein Dann von durchaus tüchtiger Art, hat
diefer Chiote, den die Osmanen für viel ehrenwerther und
zuverläffiger erfannten, als die falfche und intriguante Maſſe
der Fanarioten, auch höchſt ausgezeichnete diplomatiſche Fähtg-
keiten entmwidelt, die ihn der Pforte noch werther machten. In
Wahrheit ver Chef des auswärtigen Amtes in Stambul, it
er nach Abichluß des Carlowitzer Friedens, der ihn auf ben
Gipfel des Ruhmes führte, von Kaiſer Leopold (vorläufig
ohne daß die Osmanen biefes „Familiengeheimniß“ ber
Maurokordatos erfuhren) in den Würftenftand erhoben
worden 1).
Die unerhört glänzende Laufbahn Aleranderd bat nad
drei Seiten bin auf die weitere Entwicklung bes Griechen:
thums unter der osmaniſchen Herrichaft gewirkt. Einerſeits
nemlich bediente ſich die Pforte zunächſt ſeiner eigenen Familie,
um gebildete, in Geſchäften tüchtige und ihrem Intereſſe
ergebene Griechen nun auch noch in anderen hohen Staats⸗
ämtern zu verwenden. Die Pforte hatte zur Zeit ihres
1715 erneuerten Krieges mit Venedig und Oſterreich ernſten
Grund, die Zuverläſſigkeit der Rumänen in der Moldau
und Walachei zu bezweifeln. Sie entſchloß ſich daher, die
Regierung dieſer Provinzen in die Hände der Fanarioten
zu legen, und wählte zu ben neuen Ämtern der griechiſchen
Woiwoden oder Hospodaren zuerit Die Söhne des Alerander
Maurokordatos. Der ältefte Sohn Nilolaos, der nad
des Vaters Tode (1709) Pfortendolmeticher geworden, hat
fett 1712 zuerſt al8 Hospodar in der Moldau, feit Februar
1716 aber in der Walachei in dieſer fürftlichen Stellung
regiert. Freilich ſchon im November deſſelben Jahres burd
deutiche Truppen gefangen genommen, wurde er zumächft durch
feinen Bruder Johannes erfeßt, und übernahm die Regierung
erſt 1719 wieder. Nachher ift ihm 1731 fein Bruder Kon
ftantin gefolgt, der zwei Jahre fpäter die Regierung ber
1) Zinteifen a. a. O. © 47. Mendelsfohn- Bartholdy
a. a. O. S. 25.
Die fauariotiſchen Hospodare in ber Walachei und Moldau. 197
Moldau übernahm !), und dann noch wiederholt bald im
Buchareft, bald in Jaſſy die Herrſchaft führte.
Die Eröffnung diefer beiden wichtigen Plätze für Griechen
aus dem Fanar Hatte höchſt intereffante Folgen. Zuerſt
nemlich iſt aus dieſer Hohen Beamtung ein neuer fürſtlicher
Adel unter den riechen entftanden, der allerdings auf dem
lediglich demokratiich rafirten Boden des gegenwärtigen neu⸗
griechiichen Königreiches feine Geltung mehr hat, aber nörblich
vom Othrys noch immer von Bedeutung geblieben if. Die
Söhne nemlich der Hospodaren, auch wenn fie nicht in ben
Donaufürftenthümern geboren waren, führten den Fürftentitel
fort, zum Theil mißbräuchli, da?) nur den Maurokordatos,
Kallimachi, Muruſi, Sutzo, Hypfilanti und Handjery dieſe
Berechtigung zuerkannt wurde. Von den großen und noch
heute vielgenannten Familien des Fanars, die als Hospodare,
als Großdolmetſcher, ſpäter auch als auswärtige Geſchäftsträger
der Pforte nach einander in die Geſchichte eingetreten ſind,
und unter denen die Maurokordatos, Sutzo und Hypſilanti
bei ihrer Nation den glänzenvften Namen erworben haben,
find aber nur wenige jebr alten, und nicht alle urjprünglich
griechiichen Stammes. Aus Stambul jelbjt gingen hervor die
Handjery, die ihren griechifchen Namen Zatilianos mit einem
orientaliichen Titel vertaufchten, und die Argyropulos. Die
Maurokordatos waren aus Chios gelommen, die Maurogenis
aus Mykonos. Die Hyypſilanti und Muruſi führen ihre
Abkunft anf den Abel von Trapezunt, bie Rakowitza und
Manol-Bada auf Kleinafien zurüd. Die Ghika find albanefiichen,
die Rojetti anjcheinend moldo⸗wlachiſchen, die Julianos - ficher
fränfiihen Stammes, die Kallimachi aus der Moldau, die
Karadja aus Raguja, Die Sutzo aus Bulgarien in Conftantinopel
eingewandert 3).
1) Bgl. Zinteilen a. a O. ©. 538 ff. und Finlay 1. o.
p. 296g. u. 859.
2) So nad Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 1%.
3) Diefes das Ergebniß der Unterfuchungen bei Hopf, Griechenland
im Mittelalter, Bd. 86, S. 189F., der auch noch bie chiotiſchen Mauro⸗
198 Buch L Kap. II. 1. Das Griehentbum in Rumänien.
Die Anpflanzung der griediihen Füriten in
ber Moldau und Walachei wirkte aber nach mehreren
Seiten hin politiich böchft eigenthümlich. Für längere Jahre
entichieven zum Wortheil der Pforte. Durch die Eröffnung
ber transdanubiſchen Provinzen für die griechiichen Machthaber
feflelte jie allmählich eine ganze Reihe mächtiger fanariotiicer
Gejchlechter auf das Engfte an ihr Intereſſe. Mehr aber,
demjelben Zuge folgte auch eine Mafje Griechen aus ben
mittleren und unteren Schichten dieſes Volles. Denn bie
großen griechiichen Familien meinten jegt, fich bier gewiſſer⸗
maßen eine neue Provinz erobern zu können, und zogen
überaus zahlreiche Griechen al8 Diener und als Beamte in
allen Stellungen, ſpäter auch al8 Soldaten nach Rumänien.
Der griechiiche Kaufmann und Gewerbetreibende folgte vielem
Zuge. Das Land wurde in der That bis zu einem gemiflen
Grade gräcifirt, derart daß aus ſolchen Verhältnifien heraus
wenigftens zum Theil jener furchtbare Mißgriff des Alerander
- Sppfilantt fich erklären läßt, der etwa hundert Jahre nad ber
Entjtehbung der Fanariotenmacht in Rumänien den griechiicen
Befreiungsfrieg gegen die Pforte bier eröffnen wollte In
Wahrheit konnte jedoch die griechiſche Herrſchaft bei den
Rumänen nur wenig populär werden. An Wohltbaten hat
es allerdings nicht gefehlt. Nikolaos und Konftantin Mauro⸗
kordatos, beides bochgebildete Männer, gaben in ver That
den erften Anftoß zur Civiliſirung dieſer Provinzen. Kon
ftantin war auch für die materiellen Intereifen thätig, führte
die Maiskultur ein, „löſte das Band, welches die walachiſchen
Bauern bisher an die Scholle gefeifelt Hatte‘. Und wenn
auch das Griechenthum, bisher nur durch die griechiſchen Abte
der (dem heiligen Grabe oder den Klöftern des Athos und
torbatos urfprünglih aus Mykonos flammen läßt. Bol. auch noch
Finlayl.c. p. 295 u. 859. v. Maurer a.a.0. S. 9 ff. 2.
Fallmerayer in der Vorrebe zu dem zweiten Theile feiner „Geſchichte
von Morea“ (S. XXXIU) leitete auch die Kallimachi aus Trape⸗
zunt ber.
Das Griechenthum in Rumänien. 199
des Sinai untergeorbneten) vumäntichen SKlöfter vertreten,
durh die civilifatoriichen Arbeiten der Maurokordatos und
durch das Aufblühen der beilenifchen Studien. in der griechiichen
Schule zu Buchareft den Hauptgewinn bavontrug, fo kam das
Aled doch auch den Rumänen zu Gute‘). Aber im Ganzen
gewann die fanariotifche Herrichaft bei den Rumänen feine
Beliebtheit. Mit Ausnahme der Regierung einiger wirklich
tüchtigen griechiichen Hospodare galt die griechtiche Herrichaft
in Jaſſy und Buchareft, die in Stambul von den Miniftern
der Pforte Seitens der Fanarioten mit jchwerem Gelbe er-
dandelt wurde, mit ihren geldgierigen Beamten als härter
und fchlechter, denn jene, welche die türkiſchen Paſchas in ven
benachbarten Provinzen des Reiches ausübten?).. Bei dem
Charakter der meiften Yanarioten, denen wohl ein gutes Maß
bon Intelligenz und Talent, aber auch bie tiefite Verdorben⸗
beit, Kriecherei gegen die Osmanen und hochfahrendes, gewalt«
fames, ſelbſt graufames Weſen nach Unten zugejchrieben wird,
kann das allerdings nicht befremben 3).
Die Eröffnung folder neuen Bahnen zu Macht und Ein-
fluß erweckte num aber auch bei zahlreichen Griechen, zuerft
im Fanar, dann auch jenſeits deffelben eine lebhafte Sehnjucht
nach der Eroberung wiſſenſchaftlicher Bildung, wie fie
ausichlieplih von der Kirche jchon lange nicht mehr geboten
werben fonnte. Und bier kommen wir wieder auf ein ſehr
großes Verbienft jenes Alerander Maurofordatos und
ber beſſeren Fanarioten zu fprechen, die nun bie geijtige
Überlegenheit der Griechen über bie Osmanen zu wecken und
zur Geltung zu bringen, buch Gründung und Pflege
von Schulen und Gymnaſien den griedifhen Geift
1) Bgl. Mendelsfohn - Bartholdy, ©. 25. Nicolai,
873 f.
2) Finlay, p. 296— 301. 2gl. Eihmann, Die Reformen bes
osmaniſchen Reiches, S. 19. 40.
3) Furchtbar gehäfftge Äußerungen über die Fanarioten find mit-
zetheilt bei Zinteilen a. a. O., Thl. VI, ©. 252, und Jirecel,
Gedichte der Bulgaren, ©. 468.
200 8.1 8.III. 1. Entſtehung nener griechifcher Bildungsanſtalten.
zu weden, und auf dieſe Weile ihr Volk zu erneuern bedacht
waren.
Alerander Maurokordatos hatte Durch feirte glänzende
Stellung als ausmwärtiger Minifter der Pforte auch auf die
inneren Angelegenheiten einen bedeutenden Einfluß gewonnen;
„feine Fürſprache rettete vor Galgen und Schwert, feine
Thür war ftetS von bevrängten Griechen umlagert, er galt
als ein Vater des unterdrückten griechiichen Volkes‘. Am
bleibendften aber bat er fein Andenken bei ben Griechen ver-
ewigt, indem er bei feinem bebeutenden Vermögen die
geiftige Erneuerung des griechiſchen Volkes mit
Wort, Schrift und That perjönlich mit Energie und Ausdauer
förderte. Nicht nur daß er (wie feine Söhne) felbft ale
Schriftfteller auftrat, — er regte einerfeitS an zur Ruckkehr
zu den antik⸗helleniſchen Studien, andererjeits aber vollzog
er fo zu fagen die Anerkennung der neugriechifchen
Bulgäriprade im Fanar, und drang mit Eifer und Erfolg
auf die Hebung, Pflege und verftändige Säuberung biejer
bisher von dem Klerus und dem neuen Adel geringichätig
behandelten Volksſprache. Bor Allem aber förberte, unter
ftügte und regte er an die Stiftung von neuen bellenijchen
Schulen in den verichtedenften Theilen der griechiichen Welt.
Es bedeutete etwas wie eine nationale That; es fchuf für die
zerftreuten Griechen einen neuen gemeinjchaftlichen Boden; es
öffnete neue Wege zur Hebung fowohl der allgemeinen
Bildung, wie des griechtichen nattonalen Gedankens, daß man
in ben neuen, jet und jpäter in immer größerer Menge
entftebenven Schulen die alte bellenifhe Sprade nidt
mehr bloß (wie bisher in den mwenigen gelehrten Inſtituten zu
Stambul, Chios, Ioannina) für geiftliche Zwecke, fondern nun
allgemein zur Hauptgrundlage des höheren Unterrichtes
machte ’).
1) Vgl. Gervinus, Geſchichte d. 19. Jahrhunderts, Bd. V, Thl. J,
©. 80f. Mendelsfohn-Bartholdy, ©, 25. Bgl. au Finlay
l. c. p. 347 sq. Nicolaia. a. O. ©. 73f.
Entſtehung neuer griechifcher Bilbungsanftalten. 201
In ſolcher Weiſe entſtanden nun nach dem Vorbilde von
Conſtantinopel (um 1700) theils neue helleniſche Schulen,
theils wurden ältere oder ſchon während der letzten Hälfte des
ſiebzehnten Jahrhunderts geſtiftete analoge Inſtitute zu
Trägern dieſes neuen Geiſtes umgebildet. So wurde auf
Pathmos die ältere Patriarchenſchule im Kloſter des heiligen
Johannes des Theologen durch Maurokordatos zu einem
„EAAnvopougetoy“ erweitert, mit Bildungsmitteln aus⸗
geitattet, gut botirt, und von dem Priefter Malarios
tüchtig geleitet. Malarios felbft und bie Zunft ver Pelz.
händler in Stambul ftatteten die Schule noch weiter
aus ).
Begnügte ſich der Peloponnes für jetzt noch mit der alten
Kloſterſchule (ſ. unten) in dem arkadiſchen Dimitzana?),
ſo wurde in Athen (wo die neuen Verſuche zur Hebung des
wiſſenſchaftlichen Unterrichtes, die man 1667 begonnen hatte,
in der allgemeinen Kataſtrophe ſeit 1687 wieder untergegangen
waren) 1715 durch Gregorios Sotiris ein „Phrontiſterion“
der helleniſchen Wiſſenſchaft neu geftiftet, melches allmählich
fröhlich emporblühte 8). Helleniihe Gymnaſien entftanden in
Theifalien, in Zriffala und in Lariſſa, wo Bartbenios 1702
das Mufeum jtiftete, litterariiche DBebeutung gewannen das
makedoniſche Kofani, wie auch um 1715 Kaſtoria, Salonidi,
und in Shralien vie belleniiche Schule zu Adrianopel. Geiftig
befonders regſam erichienen jest die Griechen von Epirus.
Her blühten nicht nur feit älterer Zeit zahlreiche Kloſter⸗
ſchulen. Die alte Hochſchule zu Joannina oder Janina,
bie einft die Despoten des Haufes Angelos gegründet hatten,
wurde durch die Stiftung des Manuel Skiuma 1675 er»
neuert, dieje neue Schule jelbft (etwa jeit 1723) durch
1) Für das Detail und für die Spezialfchriften hierüber fiehe
Nicolai, ©. 34. 51. 63f. 110.
2) Curtius, Beloponnefos, Thl. I, S. 3527.
3) Nicolai, ©. 51. 54.
W2 8.I 8.II. 1. Die neue geiftige Bewegung unter den Griechen.
Balanos Bajilopulos in mehr moderner Weife um-
gebildet ?).
Dieje neuen Schöpfungen find für die weitere Ent-
widlung Griechenlands im böchften Grabe bedeutungsvoll
geworden. Die Pforte bat diefer neuen Bildungsweiſe
feine Hinberniffe in den Weg gelegt. Ste ahnte nicht, daß
aus diefen Schulen, die nachmals beftändig an Zahl und
Bedeutung zunabmen, allmählich ein Geift und ein Aufſchwung
ber Griechen hervorgehen follte, der den osmaniſchen Intereffen
und der osmanischen Herrichaft ganz entſchieden feindlich war.
Aber die neu gepflanzte Bildung erfchütterte bei ven Griechen
allmählich auch noch ein Anderes, nemlich bie bis dahin um
beſchränkte Herrichaft — nicht der Religion, wohl aber ber
anatoliihen Kirche bei diefem Volle. Ihre Alleinherrichaft
bei den Griechen war natürlich fchon dadurch erheblich ein
geengt worden, daß neben dem Patriarchat die neuen einfluß.
reichen weltlichen Stellungen der griechtiichen Miniſter und
Fürſten im Dienfte des Sultans ausgebildet waren. “Die
neue Bildung aber rief allmählich unter ben gebilbeten
Führern der Nation eine Richtung hervor, die fich mehr und
mebr von der ausſchließlichen Beichäftigung mit geiftlichen und
firchlichen Interefien abwandte, dafür philologiſche Studien,
moderne europätiche PHilofophie und exakte Wiffenfchaften in
ben Vordergrund ftellte.e Wohl ericheint um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunders der Patrard Samuel noch
unter den getitigen Führern der Nation. Aber allmählich,
zum Theil jelbft durch europätich gebildete Priefter und Möonche
getragen, drangen boch Ideen durch, welche — nicht oder doch
nur felten gegen die Religion, wohl aber gegen die bunflen
Schattenfeiten des byzantiniſchen Kirchenregiments fich richteten
und von Seiten der litterariichen Vertreter der Kirche wie
von dieſer felbft aus wieberbolt eine lebhafte Gegnerſchaft
hervorriefen, die erft nach dem Austoben ber beftigjten, durch
1) Bgl. Mendelsfohn- Bartholdy a. a. O. und Nicolai,
©. 54ff. 110.
Eugenios Bulgaris. 203
die Schwingungen der franzöfiihen Revolution erzeugten
Gegenfäge fich wieder ausglih. Im diejer Richtung beivegten
fih bereit8 die erjten namhaften Männer,’ die in der neu
griechiichen Litteratur Epoche gemacht haben, nemlich Eugenios
Bulgaris und Nilepboros Thentofis. Bulgaris, der 1716
als Sohn einer Familie aus Zante in Korfu geboren wurde,
batte als venetiantjcher Unterthan feine Studien in Philoſophie,
Phyſik, Mathematik und Philologie in Padua vollendet, war
dann Diakon geworden und (1742 — 1746) durch die reichen
und bochfinnigen Brüder Stmon und Lampros Maruſos oder
Marutſis an die Spike der zivei Jahre vorher neben ber
alten in Joannina neu gegründeten Lehranſtalt geftellt
worden. Er ift nachher zu Koſani 1750 zum Schulhaupt
befördert worden und gewann unter feinem Volke bald den
Hänzendften Namen. Bulgaris war nicht nur von der
univerfellen Neigung erfüllt, die fich jeit der Eröffnung der
neuen Fitterariichen Bahnen jo vieler feiner wiſſensdurſtigen
Landsleute bis in unjere Generation hinein bemächtigt bat.
Er war auch wirklich ein univerjeller Getft, der bei jeltenen
Gaben und eifernem Fleiße auf bie neue griechiiche Bildung
theoretiich und praftifch ven größten Einfluß ausübte. Er gab
den neuen Studien Methode, fchuf für die Vulgäriprache den
Styl, der bis auf Koraid den Zeitgenoffen die Richtung gab;
er felbft, genährt an der Philofopbie von Lode, Leibnig und
Wolf, lehrte in den verjchiebenjten Fächern zu Janina und
Koſani, fchrieb außerdem feinem Volke für Logik, Phyſik und
andere Fächer vie noch fehlenden Lehrbücher. Der Ruf jeiner
Bedeutung veranlaßte dann den Patriarchen Kyrillos, ihn
1753 zum Scholarchen der auf dem Athos im Anjichluß an
das Kloſter Vatopädion neu gebildeten Athonias - Akademie zu
berufen, deren fieben Schüler unter Bulgaris’ tüchtiger Leitung
fih durch Zuftrömen junger Leute aus den griechiichen Pro-
binzen der Türkei und aus Rußland und Italien allmählich
bis auf 170, ja endlich bis auf 200 vermehrten. Aber ber
freie Geift des Bulgaris gerieth mit den Mönchen des heiligen
Berges Schließlich in Conflikt. Dan trat ihm feindlich ent-
204 Bud I. Kap. III. 1. Bulgaris. Theotokis.
gegen, man verbächtigte jeine und jeiner Schüler Moral, und
brachte e8 endlich dahin, daß er 1758 von Stambul aus
abberufen wurde. ° Die Schule von Vatopädion ift dann ver
fümmert und dem Vegetiven überlajjen geblieben. ‘Der Geift, ven
Bulgaris Hier geweckt hatte, lebte fort auf ver nunmehr zu
einer „Akademie“ erweiterten Hocdichule von Mefolongion
(Miſſolunghi) in Aetolien, vie feiner Zeit der Theſſalier
Panagiotis Balamas geftiftet hatte. Bulgaris aber, ver feit
1761 jeine Lehrthätigleit im Fanar fortiegte, konnte fich auch
bier nicht halten. Er iſt dann 1775 in ruſſiſche Dienite
übergetreten, wurde 1776 Erzbiichof von Cherion und nah
feinem Rüdtritte von dieſem Poften 1779 Mitglied ver
fatferlichen Akademie in St. Petersburg, wo er enblich 1806
gejtorben ijt!). Sein Zeitgenoife und Landsmann Niles
phoros Theotokis von Korfu (geboren 1736), der in
Padua und Bologna Philoſophie und Mathematik ſtudirt
hatte, wurde ein nicht minder trefflicher Lehrer der Griechen
auf den helleniſchen Schulen zu Korfu und Jaſſy und ſchrieb
für ſein Volk eine Geographie, eine Experimentalphyſik und
eine Mathematik. Auch dieſer Mann iſt 1775 in rujfilde
Dienfte getreten, wurde dem erzbiichäflichen Site in Aſtrachan
zugewiefen und ift 1800 in einem Klofter zu Moskau ges
itorben 2).
Zeigte fich aljo für längere Zeit die erft viel jpäter über»
wundene Erjcheinung, daß im Großen die anatoliiche Siehe
mit ihrem hierarchiſchen Syſtem und mit ihren Klöftern zu
dem neuen Aufichwung in Schule und Wiſſenſchaft nur fühl
und zögernd fich verhielt, während in glänzender Weife nad
biejer Seite die Wohlthätigfeit vieler Privatleute und bildungs⸗
eifriger Gemeinden und Genoſſenſchaften fich entfaltete: jo
1) Bol. Gervinusa.a.Dd. S.8lf. Mendelsfohn- Bartholdy,
© 25 f. v. Maurer, ©. 429 f. Fallmerayer, Fragmente aus
dem Orient, Th. II, S. 184 ff. Gaß, Zur Gefchichte der Athosflöfter,
©. 44f. Nicolai, ©. 69. 110. 120. 123. Finlay ]. c. p. 3484.
Sathas l. c. p. 616 sqq.
2) v. Manrer, ©. 4305. Nicolai, ©. 124.
Die Macht des Patriarchen 1766/7 auf Ipek u. Achriba ausgebehnt. 206
machte auf anderen Punkten die griechiſche Kirche nicht
unerhebliche Eroberungen. Wir meinen namentlich die Unter-
werfung der (S. 80) feit der osmantichen SHerrichaft noch
immer „autokephal“ verbliebenen flawtichen Kirchen auf der
Balkanhalbinſel unter die Hoheit des byzantiniſchen Patriarchats.
Schon 1737 war der Fanariot Johannes Hüpfilanti bei ber
Pforte mit dem Borichlage aufgetreten, das Erzbisthum
Ochrida aufzuheben, damit durch die Direkte Unterordnung ber
Slawen unter die geiftliche Herrichaft von Eonftantinopel die
(ſ. unten) Intriguen der damals mit den Osmanen frieg-
führenden Öfterreicher abgeichnitten werben Könnten. Der Plan
mißlang damals. Aber die Fanarioten, Die einerjeitd mit
Hilfe der neuen Kirchengebtete die Schulden des byzantiniſchen
Patriarchats deden, amdererfeitS bei dem neuen Aufichwunge
des Griechentbums die Südſlawen möglichjt umfaſſend gräcifiren
wollten, rafteten nicht. Die altbewährte griechiiche Zähigfeit
trug den Sieg davon; und im Jahre 1766, als erit unter
der Einwirkung ruffiiher Agitationen am Vorabende eines
neuen Ruſſenkrieges und einer Bewegung in Montenegro
(f. unten) der Erzbiſchof von Ipek fih ſchlimm compromittirt
Hatte, wurde mit Zuftimmung der Pforte die ferbiiche Kirche
von Jpek, am 16. Januar 1767 auch Ochrida (Achrida) mit
Conftantinopel verbunden, der legte „autofephale‘ bulgariiche
Erzbiichof von Ochrida, der Bulgare Arfenij, zur Refignation
und Überſiedlung nach dem Athos genöthigt 1). Damit gewarın
aber au die Gräcifirung ber Bulgaren dur die
Kirche neues Leben und neue Energie. Die Slawen unter
der geiftlihen Herrſchaft der Fanarioten mußten es jekt
empfinden, daß die Griechen das erfte Volk unter der Hoheit
der Osmanen waren, bei denen die volle Kraft des nationalen
Gefühles neu erwacht war, während bei Slawen und Rumänen
dieje Elementargewalt noch fehlummerte. Den Griechen gelang
jest, etwa bi8 zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts,
1) Iirecet, Gefohichte der Bulgaren, S. 470. Bgl. 2. Rante,
Die ſerbiſche Revolution, S. 327.
206 Buhl. Kap. II. 1. Gräcifirung der Bulgaren durch bie Kirche.
was den alten Gewalten ver Rhomäer von Baſilios II. bie
auf das Haus Angelos nicht möglich gewejen, nemlic das
bulgarifche Volk jeine Nationalität nahezu vergeffen zu machen.
Auf Betrieb der griechiſchen Biſchöfe wurde überall in
ben Kirchen bie ſlawiſche Liturgie Durch die griechiiche verdrängt,
vor Allem zuerft in den Städten, dann auch auf dem Lande
die Popenichulen gräcifirt. Unter Mitwirkung jelbft bulgarifcher
Kaufleute wurden dann auch in rein bulgariichen Stäbten in
Makedonien, Thrafien und dem eigentlichen Donau-Bulgarien
bellenijche Lebranftalten gegründet; griechiiche Kultur (vie
einzige, von welcher dieſe Slawen einen Begriff batten)
begann das Land zu durchdringen. Die Popen wurden mehr
und mehr aus Griechen und gräcifirten Bulgaren ergänt.
Im neunzebnten Jahrhundert war, nur die Frauen au
genommen, jelbit die Handeld- und Privatcorrefpondenz ber
Bulgaren griechifch geworben; die Bulgaren der Städte fühlten
fih beinahe als Griechen. Selbſt die Kenntniß der alten
kyrilliſchen Schrift ging verloren; denn auch da, wo man bie
griechtiche Sprache nicht lernte, konnte man das Slawiſche nur
noch in griechiicher Schrift leſen und fchreiben. Nur auf dem
offenen Lande erhielt fich bei der mißtrauischen und unzugäng-
Yichen Art des bulgariichen Landvolkes und bei feiner Abneigung
gegen die vielfach gelpgierigen fanariotiſchen Biſchöfe die bul-
garifche Nationalität ungebroden. Die litterarifche Gegen
bewegung, welche zuerft ber bulgariiche Mönch Pauſios oder
Payfin von Samokov (geboren um 1720) in ben Athosklöftern
Chilantart und Zografu 1758 — 1762 mit feiner bulgariichen
Chronik, und nachher der Priejter Stojko von Kotel (geboren
1739), nachmals unter dem Namen Sofrontj ſeit 1794
Biſchof zu Braca (gejtorben 1816 zu Buchareft) beganı,
blieb zunächſt auf das niedere Volt beichräntt. Wir zeigen
jpäter, wie im neunzehnten Jahrhundert die Gräcifirung der
Bulgaren ihren Hohepunkt erreicht hat und für lange Zeit
behauptete ).
1) Sirecet, ©. 507ff. u. S. 516-523.
Auffhwung bes griechifhen Wohlftandes. Griechen in Breslau. 207
Parallel mit dem neuen geiftigen Aufichwunge des grie-
chiſchen Volkes Tief nun aber auch fett Ablauf der venetiantichen
Zeit eine bebeutende Hebung feines materiellen Wohl-
itandes, foweit diejelbe durch Handel und Schifffahrt erzielt
werden konnte. Mit dem befinitiven Niedergange der venes
ttaniihen Macht in der Levante und ber bleibenden Aus⸗
treibung der Flagge des heiligen Marcus aus Morea verband
jih einerjeitö ein jehr ſtarkes Vorbringen des franzöftichen
Handels nach den griechtfch-türkiichen Gewäſſern. Andererſeits
bejannen fih die Griechen, beren nautifche Tüchtigkeit un⸗
unterbrochen jett Mohammed II., jobald fie nicht jelbft Cor⸗
jaren gewejen, theil® den Osmanen, theils den DVenetianern
gevient hatte, wieder auf ihre uralte Begabung zum Handel.
Bisher mehr auf Stambul, Moslau, Venedig, die vene-
tianiſchen Pläge in Epirus gewielen, in ihren eigenen Häfen
weientlich als Senfale und Mäkler thätig, begannen jie
nunmehr mit wachſendem Erfolge den Handel in ihren Meeren
wieder in ihre eigene Hand zu nehmen. Damit beginnt auch
die Zeit, wo bie griechiiche Diaſpora fich anſchickt, ſich über
die großen Handelsplätze theils des Meittelmeeres, theild des
ruſſiſchen Reiches, tbeild auch des mittleren und weitlichen
Europa zu verbreiten, bamit zugleih neue Verbindungen
jwiichen Griechenland und ber europäifchen Kulturbewegung
des achtzehnten Jahrhunderts Herzuftellen. Für uns ‘Deutiche
iit e8 dabei interefjant zu erfahren, daß felbft in dem binnen-
ländiichen Breslau unter König Friedrich II. von Preußen
zwiichen 1742 und 1785 eine makedoniſche Colonie beftand,
die in ihren beiten Tagen gegen funfzig Seelen zählte). Den
entiheidenden Aufſchwung bat die junge Blüthezeit des
griechifchen Handels aber erjt jeit dem rujfiich » türkifchen
Frieden von Kutſchuk⸗-Kainardſche (1774) genommen, von
dem wir bald zu reden haben. Nur daß die Griechen
ſchon längſt ibrerjeits die Agenten, Confuln und ‘Dol«
1) Bgl Beheim- Shwarzbadh, Hohenzoller'ſche Eolonifationen,
©. 352 ff.
208 Bud L Kap. III. 1. Venedig und bie ionifchen Infeln.
metfcher der europätichen Mächte in der Levante geworben
waren. ,
Die übrigen nicht jehr zahlreichen Thatfachen der grie
chiſchen Geſchichte feit 1718 bis zu dem Kriege, ber zu
Kutſchuk⸗Kainardſche feinen Abſchluß fand, ftehen zum Theil
mit der Hanbelsgeichichte Griechenlands in Zufammenbang.
Die allmähliche Zurüddrängung des venetianifchen Handels
aus der Levante wirkte jehr lähmend zurüd auf die Finanzen
der alternden Republit der Lagunen, und damit” wieber auf
bie ioniſchen Inſeln (S. 191). Die Erhaltung der
Schulenburgiſchen Feſtungswerke und der Truppen wurde immer
fchiwieriger, je mehr die finanziellen Kräfte ber Republik ver
ftegten, je deutlicher es fich zeigte, daß die griechtichen Be
figungen den Venetianern allmählich mehr Hofteten, als fie
einbrachten. Damit bing dann auch das Verſinken der Re
publif in jene apathiſche Neutralität in ben levantiniſchen
Dingen zufammen, bie ihre legten Zeiten charakterifirt. “Die
Erneuerung des Friedens von Pafjarowig (1733) mit bem
Sultan Mahmud I. — (der am 2. Oktober 1730 buch
einen Aufitand der bürgerlichen wie ver Militär⸗Bevölkerung
son Stambul an Stelle feines Oheims Ahmed III. auf ben
Thron erhoben war, den er dann bi8 1754 einnahm) — für
„ewige Zeiten”, bedeutete den freiwilligen Rücktritt ver
Venetianer von ber levantiniichen Politit, die etnft der große
Enrico Dandolo am Goldenen Horn eingeleitet Hatte. Die
Nothwendigkeit aber, das Deficit der griechtichen Verwaltungs
foften zu decken, führte die Republik zu einem drüdenden
Steuerſyſtem in diefen Befigungen, welches deren produktiven
Kräften erheblichen Eintrag that und auf dieſen Inſeln bie
Deweglichlett und bie rege Entwicklung des Volles vielfad
lähmte ?).
Während aljo für die fpäteren Jahrzehnte bes achtzehnten
Jahrhunderts die materielle und Die geiftige Lage der ioniſchen
1) Bol. Zinteifen a. a. O. Thl. V, ©. 580ff. Hopf, Griedenl.
im Mittelalter, Bd. 86, ©. 180.
Tinos. Chlos. 209
Inſeln unter Venedigs unmittelbarer Herrichaft allmählich eine
gewiffe Stagnation zeigte, die in der Rohheit und Gewaltſam⸗
keit des niederen Volkes in unliebiamer Weile zu Tage trat,
galt in dem ägäiſchen Meere die von der Republif Jahr⸗
hunderte lang milde und gefickt verwaltete Injel Tinos
andauernd als die mohlgeorbnetite und blübenbfte unter den
vielen griechiſchen Inſeln, die einit in italieniſcher Hand fich
befunden Batten. Nur Chios behauptete unter den griechiichen
See» und Inſelgebieten in jemer Zeit noch einen höheren
Rang, obwohl die Steuerlaft der Inſel jeit 1727 erheblich
erhöht worden iſt. Abgejeben von ber Blüthe jeines Land⸗
baues, feiner Inpuftrie, feiner Kultur, feines Handels gilt
dieſes namentlich auch von dem moraliichen Charakter und bey
Bildung der griechiſchen Chioten, bie in der That in jener
Zeit als Die beiterzogenen, als die wackerſten und ebelften aller
Griechen nicht mit Unrecht galten, venen man eben nur bie
fleißigen, urbanen, anftändigen Griechen von Tinos zur Seite
ftellte. Unexfreulichen Schatten auf das innere Leben der
ſchönen Injel warf wur ein Moment, nemlich der fortvauernde
Hader. zwilchen ben orthodoxen Griechen und ver katholiſchen
Minderheit, welcher letzteren (5. 154) der franzöfiiche Einfluß
endlich im Jahre 1719 den Beſitz der im Jahre 1695 ver-
Iorenen Rechte wieder verfchafft hatte. Namentlich wurben bie
Griechen durch die Thätigkeit franzöſiſcher Miſſionäre auf der
Inſel zuweilen lebhaft erbittert; ſo beſonders ſeit 1724, bis
ed der Orthodoxie 1728 gelang, die Pforte zum Einſchreiten
gegen diefen Brofelptismus zu beftimmen !).
Der Zeit endlich nach der Bertreibung der Benetianer
aus Morea gebört der Anfang des neuen Aufichwunges a,
den jet einige Inſeln Des ägäiſchen Meeres nehmen, welche
gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts in den Vorder
grund der neugriechtichen Geſchichte treten, nemlih Hydra
und Spetzä. Hier fpielen freilich nicht Griechen, fondern
1) Bgl. Finlay, Greece under othoman and venetian doamination,
p. 283 sqq.
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. II. 14
210 Bud I. Kay. III. 1. Hydra und Spetzä.
Albanejen die enticheidende Rolle. Albanefen hatten fchon
nach der Eroberung von Aegina (S. 183) fih bier in
Menge neu amngefievelt '), obne daß biefe Inſel jemals zu
höherer Bedeutung wieder gelangt wäre. Uber nad ber
Eroberung von Nauplion und Monembafia durch Die Osmanen
(1715) geichah es, daß die Ältere, nur erft dünne Schaar ber
Hirten, Bauern und Fiſcher auf Hydra und Spekä fih
durch Auswanderer aus Morea erheblich vermehrte. Die
griechifchen Flüchtlinge, die anjcheinend aus Monembaſia famen
(neben noch älteren Elementen aus Parga und Zante), wurden
aber an Bedeutung und Maſſe weit übermogen durch bie
Albanefen, bie jegt in Menge aus dem öftlichen Pelo
ponnes, namentlich aus Argolis, auf den beiden Telfeninjeln
fih anfiebelten, um dem ihnen läftigen erneuten Drud ber
moreotiichen Paſchas zu entgehen. ‘Die neue Eolonifation tritt
fett etwa 1730 in beftimmteren Zügen uns entgegen. Auch
diefe Inſeln ftehen num unter der Oberhoheit des Kapudan⸗
Paſcha; fie zahlen einen mäßigen Tribut, der für Hydra ſich
Damals auf 200 Binfter (nicht ganz 30 Pfund Sterling)
belief; Handel und nautiſche Tüchtigkeit gaben den Inſeln
allmählich eine gewiſſe Bebeutung Wie die Albanefen der
benachbarten feitländiichen und Inſel⸗Plätze Poros, Kaſtri und
Kranidhi, bildeten fich die Hydrioten und Spegioten zu jehr
tüchtigen Seeleuten aus. Das moreotiihe Municipalſyſtem
wurde bier fortgepflanzt; nur daß die weientliche Macht in
den Händen ber reicheren Schiffsfapitäne und Rheder lag.
Auf Hydra wählte das Volk zuerft drei Primaten over
Geronten, die in der albanefiichen Sprache Plekjerin genannt
wurden). Wir werben fpäter bie Umſtände kennen lernen,
unter denen dann diefe neuen Colonien fchnell zu einer außer
ordentlichen Handelsblüthe gediehen.
1) Finlay l. c. p. 84.
2) ®al. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 37
u. 88. Orlandos, loropla ray rpıäv vaurızav vhawv (s. Naurıza),
tom. I, p. 13 qq. A. Miaulis, Die Infel Hybra, überſetzt von
Peuder, ©. 5ff.
Griechenland und bie rufftfche Politik. 211
Mocte nun aber die Pforte immerhin nicht ohne be-
deutende Erfolge es verjuchen, fich zu ben Griechen beſſer als
früher zu ftellen: im letten Grunde Yebte doch bei ber grie-
chiſchen Nation die Sehnſucht nach Befreiung von der osmaniſchen
Herrihaft, — fo feltiam das auch nah den Erfahrungen
eriheint, die zuletzt Venedig mit den Griechen gemacht hatte.
Diefe Stimmung bat langſam, aber für mehr denn anderthalb
Jahrhunderte fortdauernd, einen ganz neuen Charakter an-
genommen, feit das glaubensverwandte Rußland durch
jeinen Peter den Großen in die Reihe der mächtigften Staaten
ber europätjchen Welt eingeführt wurde. Mochte auch ber
große Czar 1711 am Pruth in feinem Kampfe gegen vie
Osmanen gejcheitert fein: die Hoffnungen ber Griechen waren
jest auf das große Slamenreich des Nordens gerichtet, beffen
Deberricher ſchon längſt begonnen hatten, für Kirche und
Staat ihre Diener aus dem griechiichen Volke zu ergänzen,
und mit denen man fich durch die Religion eben fo entichieven
verbunden fühlte, wie jcharf getrennt durch das Schisma von
den katholiſch⸗abendländiſchen„Befreiern“. Peters reiche
Schmud- und Bücherfendungen an die Klöfter und Metropolen
Griechenlands, und fein Brief vom 23. März 1711 an bie
griechiichen Untertbanen der Pforte blieben unvergeffen. Sein
Name wurde von Prieftern und Mönchen denen der volks⸗
thümlichen Schußheiligen beigejellt.
Die ruſſiſche Politik, deren Richtung auf ben pon-
tiichen und byzantiniſchen Süden fich damals immer beftimmter
berausbildete, war viel zu intelligent, um nicht Die großen
Vortheile zu erkennen, bie aus ven griechiichen Sympathien
für die Durchführung ihrer antitürkifchen Pläne gewonnen
werden Tonnten. Als daher feit 1736 eim neuer Krieg zwifchen
Nuflen und Osmanen ausbrach, an welchem jeit 1737 auch
Öfterreich an der Seite Rußlands theilnahm, ba war es ber
Rathgeber der ruffiichen Katjerin Anna, ver Generalfeldmarſchall
Graf Münnich, welcher ven Gedanken aufnahm, Die griechiichen
Chriften im türkiſchen Weiche ſyſtematiſch gegen die Pforte
aufzuwiegeln. Materiell iſt damit damals noch nicht: viel
14*
212 Bud I. Kay. IIL 1. Die Klephten und Armatolen feit 1740.
erreicht worben. In dem Kriege, der am 18. September
1739 wit dem Belgrader Frieden abſchloß, Hatte Oſterreich
nur Berlufte gehabt, Rußland nur wenig zu erreichen ver⸗
mocht. Venedig, dem die kriegführenden Mächte jogar (1737)
Morea in Ausficht geſtellt, hatte die Theilnahme an einem
neuen Türkenkriege entichteven abgelehnt. Die abenteuerlichen
Projekte enplich, welche ver Kardinal Alberoni (1736) bei dem
Beginne dieſes Krieges entwarf, und welche eine europäiſche
Allianz gegen die Pforte und Theilung ber Türkei in Ausficht
nahmen (unter Anderem jollte Stambul an ben Herzog von
Holftein- Gottorp, Kreta und Smyrna an England, Rhodos
an bie Niederlande, Negropente an Preußen, Livabien (dad
Öftliche Meittelgriechenland) ar Genua, Morea an Venedig
fallen!) blieben eben nur politiiche Phantaſien ?).
Nichtsdeftoweniger datirte aus dieſer Zeit ein tiefed
Mißtrauen der Pforte gegen die waffenkräftigen Clemente
innerhalb ver chriftlihen griehifhen und griechiſch—
albanefifhen Welt, nemlich gegen die Armatolen
(S. 102). Seit diefer Zeit beginnen bie allmählich immer
energiicher fortgefeßten Verfuche ver osmanifchen Centralgewalt,
die Macht und Bebeutung dieſer chriftlichen Miliz ſyſtematiſch
abzuſchwächen und dieſelbe dich mohammedaniſche,
namentlich albaneſiſche Zruppen zu verdrängen. Damit be
ginnen aber auch die unabläffigen Eriegerifchen Zufanmenftöße
zwitchen den chriftlihen Armatolen und den Paſchas in Epirus
und KRumelien, ber erneute höchſt emergifche Aufſchwung bed
griechiſchen Klephtenthums, und das Höchft flüffige
Verhältniß zwiſchen griechiichen Armatolen und Klephten.
Kurz zuſammengefaßt, jo begann bie Pforte nach dem
Trieben von Belgrad dieſes Werk damit, daß fie feit 1740
von dem Princip abging, keine Albaneſen als Paſchas in ihrer
Heimath und in Griechenland zu verwenden, ſondern jekt bie
albanefifhen Mobammedaner, deren Bedeutung für
das osmaniſche Keich uns jet in raſchem Steigen und ſchnell
1) Bgl. Zinteifen a. a. O., Thl. V, &. 709 ff.
Die Klephten und Armatolen feit 1740. 218
zunehmender Ausdehnung begegnet, als Werkzeuge ber Unter«
brüdung der griechiſchen Waffenkraft zu benugen. Mean
verband alfo fett 1740 die Stellung des Derwendſchi⸗Paſcha
(S. 103) mit dem Paſchalik von Joannina und verlieh das
Amt dem Albanefen Suleiman von Argbhrofaftron, einem
kühnen und thätigen Solbaten, der nunmehr die Zurückdrängung
ver Armatolen eimzuleiten begann. Die Anwerbung und
Organtfirung mohammedaniſcher Lolalmilizen unter zahlreichen
Derwen⸗Agas; die übergroße Belaſtung griechifcher Gemeinden
mit Forderungen für den Sicherheitsdienft, um viejelben zu °
veranlaſſen, daß fie Geldmittel aufbrachten zur Aufftellung
geworbener Armatolen, die dann aus Albaneſen formirt
wurden; die Duldung wilder Raubthaten, um hernach den
Gemeinden der Griechen wegen der Unzulänglichkeit ihrer
Miligzen Vorwürfe machen zu können, waren Mittel, deren
fich die Schlauheit der Paſchas jetzt zu bedienen begann.
Gelang es endlich, einen oder den anderen griechiſchen
Armatolenführer aus ſeiner Stellung zu verdrängen, ſo war
der offene Krieg zwiſchen Griechen und Moslims da. Dann
verwandelte ſich der Armatole in den wilden Klephten, zog mit
ſeinen Pallikaren in die Gebirge, warb neue Krieger an, zog
die nächſten wilden Klephten an ſich, und fehdete nun in
grimmiger Energie mit allen Mohammedanern der Ume
lande.
Aus ſolchen Verhältniſſen heraus entwickelte ſich nun jene
Kriegsſchule, die ſeit 1821 den Griechen ſo ſehr zu Gute
kommen ſollte; freilich nicht ohne auch Nachtheile nach ſich zu
ziehen, unter denen die Griechen des jetzigen Königreiches noch
heute zu leiden haben. Die Sache blieb natürlich nicht dabei
ftehben, daß der kämpfende Armatole nach einiger Zeit feinen
Frieden mit der türkifchen Regierung machte oder erzwang.
Anch nicht dabei, daß die wachſende Unficherheit ihrer Stellung
die Armatolen oft zum Losichlagen veranlaßte, um einer nur
vermutbeten Gefahr zuvorzukommen. Das Bedenkliche war,
daß wie gefagt das Verhältniß zwiſchen Armatolen und Klephten
allmählich ein fehr flüffiges wurde, und daß die Lage großer
214 Bub I Kap. II. 1. Die Klephten und Armatolen feit 1740.
Theile Griechenlands e8 dahin brachte, daß aus dem
Klephtenthum bis zu einem gewiſſen Grade eine nationale,
von den Shmpathien der Nation getragene Inftitution werben
mußte. Ein Moment, welches nach fchlieplicher Austreibung
ber Osmanen aus Griechenland es auferorbentlich ſchwer
gemacht bat, num auch die ſchlimmen Nachwehen folcher Ver
bältnifje, nemlich das gemeine Räuberthum, endgiltig zu über-
winden.
Nah der militäriſchen Seite bin Hat der feit 1740
- beitändig glimmende Gebirgs- und Heckenkrieg zwifchen Arma⸗
tolen, Klepbten und Mobammedanern im Laufe von achtiig
Sahren jene ausgezeichnete leichte griechifche Infanterie aus
gebildet, welche Hunger und Durſt und Strapazen jever Art
leicht und ohne Murren ertrug, in törperlicher Gewandtheit
und im jchnellen Marſchiren Außerorventliches Teiftete und mit
vollendeter Sicherheit zu ſchießen verftand. Ihre Gefechtsart
aber, die fih aus ber Natur ihrer Fehden entwidelte, wo
felten nur dreihundert Mann, oft nur Hundert oder funfzig
Pallitaren Einem Führer folgten — ausgezeichnet auf den
Kampf in den Bergen, hinter Mauern, Klippen, Bäumen,
ſchnell aufgeworfenen leichten Verichanzungen berechnet wie fie
war, nemlih ein zähe genährtes, zeritreutes Plänklergefecht
mit der Schußwaffe, und nur im Notbfall eim wilder
Säbelangriff auf den Feind —, tft für den neugriechiichen
Breibeitäfrieg nach mehreren Seiten Hin charakteriftiich ge
worden.
In anderer Weiſe wirkte das allezeit auf Kampf und
Todesgefahr geſtellte Leben dieſer Gebirgskrieger nach der
ethiſchen und nach der ſozialen Seite hin. Es iſt ganz
unleugbar, daß dieſes Wildlingsleben, welches bekanntlich auch
in einem Zweige ber neugriechiſchen Volksdichtung feinen oft
erbabenen, oft wunderbar ergreifenden Ausdruck gefunden bat,
mehrere wahrhaft großartige Züge unter dieſem Theile ver
Griechen ausgebildet Hat. Der wilde Klephte mußte fid,
fobald er nicht feinen Frieden mit den Türken machen und
wieder Armatole oder „zahmer Klephte‘ werben konnte, alle
Die Klephten und Armatolen feit 1740. 215
zeit auf einen gewaltiamen Tod gefaßt machen. Fiel er gar
ald Gefangener in die Hände der Moslims, jo erlitt er mit
feltenen Ausnahmen den Henkertod, und zwar oft genug unter
den ſcheußlichften Qualen, wie fie (mamentlich ſeit Alt« Pajche,
defien wir bald zu gedenken Baben) nur immer die blutige
Grauſamkeit der osmaniſchen und jchfypetariichen Nace zu
erfinnen vermochte. Gegenüber foldhem Schickſal entfaltete
nun der griechtiche Gebirgäfrieger eine wahrhaft bewunderungs⸗
würdige Todesverachtung und eine heroiſche Stanbhaftigkeit
unter ben greulichiten Torturen, denen durch Abfall zum
Islam fich zu entziehen, fich nicht Leicht auch eine. ſchwächere
Natur zwingen ließ. Die Überlieferung der Armatolen und
der Klephten bis herab zu den erſten Jahren ihres neugriechtichen
Nationalkrieges iſt reich an ſolchen ſchauerlichen Tragödien,
deren grauenhaftes Colorit nur durch den unerſchütterlichen
Heldenmuth dieſer tapferen Opfer eine etwas lichtere Färbung
erhält. Bei ſolchen Naturen iſt es dann auch nicht auffallend,
wenn ihnen der Tod im Gefecht als der liebſte, ja als der
einzige eines Mannes würdige galt, ja, wenn es Freundespflicht
wurde, dem ſchwer verwundeten Genoſſen, den man nicht mehr
retten konnte, den Kopf abzuſchneiden und denſelben mitzu⸗
nehmen, damit die Gegner ihn nicht öffentlich zur Schau
ausſtellen könnten. Auch der Zug hob ſie hoch empor über
das Niveau gewöhnlicher Räuber oder moderner Brigandage
in anderen Ländern, daß ſie die Ehre gefangener Frauen und
Jungfrauen ritterlich ſchützten, bis dieſelben ausgelöft waren.
Mißhandlung, Entehrung, Demüthigung derſelben galt als
Frevel. Es kam ſelbſt vor, daß die Pallikaren einen ihrer
Chefs, der ſich an der Ehre einer gefangenen Türkin vergehen
wollte, kurzweg niederſchoſſen. Auch die fromme Anhänglich⸗
keit dieſer Pallikaren an ihre Kirche, die einen ganz anderen
Charakter trug als etwa die Bigotterie der alten und neuen
unteritalieniſchen Banditen, gehört zu den auszeichnenden Zügen
dieſer Männer, wie andererſeits die heroiſche Tapferkeit ihrer
Frauen und die treue Anhänglichkeit an ihre Waffenbrüder.
Ihr Leben ſelbſt in den Gebirgen, welches nicht wenige Züge
218 Bud I. Kap. III. 1. Die Klepften und Armatolen feit 1740.
althomerifcher Art wieder zur Ericheinung brachte, und jelbit
anf gebildete Griechen und Abendländer einen eigenthihnlichen
Reiz ausübte, erhielt durch die Sympathie der Hirten und
des Landvolkes, deſſen Familien fich gegen allzugroßen Drud
der Zürfen erft dann recht gefichert wußten, wenn einige ihrer
Söhne und Brüder bei der nächſten Klephtenſchaar fich befanden,
einen materiellen Rückhalt, der nicht zu unterjchägen war.
Ihre Gelage zumal, wo der feurige Wein den zebratenen
Hammel over Bod, das Harte Brod, das Wildpret des Ger
birges würzte, gaben ihnen rechte Gelegenbeit, jene poetiſche
Begabung, jene Beweglichkeit der Phantafte, des Wites und
der Laune zu entfalten, die fich bei den Griechen bleibend als
Erbgut fortgepflanzt haben.
Andererfeits konnten aber auch dunkle Schatten-
jeiten nicht ausbleiben. Alle Bewunderung, welche feiner
Zeit die Klephturte bei den gebilveten Philhellenen des Abend-
landes gefunden bat, kann doc die Thatſache nicht verbeden,
daß die Art dieſes Gegenfages zu den Osmanen und moham⸗
medantichen Albanejen zu den furchtbarſten Gewaltthaten führen
mußte. Es war nur natürlich, daß die entjegliche Graufamteit
der mohammedaniſchen Henker auch die blutigen Neigungen der
Klepbten herausforderte. Man mag biefe Griechen immerhin
als „einfache, vaube, aber großmüthige Seelen‘’ bezeichnen,
bie non Natur nicht grauſam waren. Aber ihre Rache an
ben Feinden war, fobald ſie als die Sieger erjchienen, barım
boch furchtbar. Und die Gefchichte des Freiheitskrieges und
weiter jene ver Klephten des neunzehnten Jahrhunderts zeigt
nur allzudentlih, daß fie nicht immer nur maſſenhaft niever-
hoffen und nievermegelten, jondern auch manche Henkerkünſte
von ihren Gegnern gelernt Hatten. Zu ſehr fchlimmen Com
fequenzen bat es weiter geführt, daß ihr Krieg, bei dem jie
eben außerhalb des Sriegsrechtes ſtanden, zu fehr großem
Theile durch Raub und Plünberung geführt werden mußte
Denn e8 war auf die Dauer nicht möglich, diele verwüſtenden
Züge nur auf die Heerden, Grundſtücke und Perſonen der
Mohammedaner zu beſchränken. Allmählich Hatten auch die
Die Klephten und Armatolen feit 1740. 217
Öriehen des Niederlandes barunter zu leiden, namentlich
bann und ba, wo (wie beſonders in dem von Klephten minver
bewohnten Morea) vie Klephturie mehr als Raub, deun
als Armatolenkrieg auftrat. War der griechiſche Landwirth
etwa Pächter oder Agent eines Türken; ſtand ber griechtiche
Brimat oder Bilchof, Bope oder Klojterbruber etwa mit ben
Osmanen gut; war etwa gar ein griechiicher Kanton der
Raubfahrten fatt und mit den Zürlen in der Abwehr der
Klepbten einig: dann wurden bie Griechen und ihr Eigen»
tbum nicht beifer als die Moslims behandelt. Sa, dieſelben
Klephten, die wohl unter Umſtänden ihre Kameraden an bie
Zürfen auslieferten, wenn fie fih an einer Kirche vergriffen
hatten, ſchonten dann ſelbſt vie Klöfter und die Priefter nicht.
Unter ſolchen Verhältniſſen kamen die mit Brandſchatzung
bedrohten griechiſchen Gemeinden nicht ſelten zwiſchen Klephten
und Türken in eine höchſt unangenehme Lage. Bei den Ge⸗
birgöfriegern aber, und auch das lebte bei ſchlechten Führern
während des Freiheitskrieges nachmals in böſer Weite fort,
wurde die rüdjichtsloje Ausbeutung auch ihrer Landsleute
vielfach ſchlimme Praxis 1).
Sehr Schnell ift den albanefiichen Derwendſchi⸗Paſchas, deren
die Pforte vor dem eigentlicgen Vernichter der Armatolen,
dem furchtbaren Alis Bajcha, vier mit diefer Aufgabe betraut
bat, die Zurüdprängung der Armatolen nicht gelungen,
mochte auch Suleiman anfangs fich bald des Geldes, bald ver
1) Über die Armatolen und Klephten vgl. aus ver reichen Litteratur
bier nur; aus dem ſchon mehrmals genannten, auf Yauriel baftrten Buche
„Mittheilungen aus der Gefhidhte und Dihtung ber
Neugriehen”, ®b. I, ©. 69 — 95. Gänzlih rojenfarben ift die
Schilderung in ben geiftreih und glänzenb gefchriebenen, aber freilich
auch einfeitigen und an hiſtoriſchen Irrthümern und Ungenauigkeiten
nur allzureichen, vielberühmten Bude der Gräfin Dora d'Iſtria,
Les femmes en Orient, vol. I, p. 359 sqq. - Mit vieler Wärme und
Sympathie fchildern die Hier zu berührenden Verbältnifie Gervinus
(a. a. O. ©. 73 fi) und Mendelsfohn- Bartholdy (©. 49 fi.).
Kühler und herber find die Urtheile bei Finlay 1. c., vol.I, p. 25—82.
218 Bud L Kap. III 1. Die Sufioten.
Ziwiftigleiten unter verfchtevenen Rapitänen nicht ohne Erfolg
bebienen. Noch waren biefe Milizen zu zahlreich; noch konnten
fich die Führer der Armatolen zeitweife ſelbſt im Niederlande
gegen die albaneftichen Krieger behaupten. Namentlich bie
Kapitäne in den ftärkiten Armatolils, in Makedonien, an dem
alfezeit freien Olhmpos, und in Agrapha behaupteten fich mit
Glück. Heftiger feste ihnen erſt der energiiche Kurd-Pafcha
zu, der in feinem Paſchalik Berat, nachher auch in Joannina,
ihr eifriger Gegner war, und namentlich die Durch den nächſten
ruffiichen Krieg (ſ. hernach) erzeugte Unruhe in Griechenland
als Handhabe benugte, um die Stellung der Armatolen zu
erichüttern ).
Wir jehen nachher, wie das erft feinem Nachfolger Ali-⸗Paſcha
in größerem Umfange gelungen if. Zunächſt gebenten mir
noch der beiden Berguölfer auf griechtichem Boden, deren eines
ſchon jest den epirotiſchen Paſchas jtetS ein Dorn im Auge
war, und welche beide demnächſt bedeutend in den Vordergrund
ber griechiſchen Gejchichte treten, nemlich der Sulioten und
der Maniaten.
Die Sulioten ?) waren urjprünglich die Nachkommen
albanefiicher Ehriften; fie gehörten zu den jogenannten Tſchamiden,
einer ber drei Hauptabtheilungen der (Bd. II, S.384) Tosten.
Die Entftehung aber ihrer nachmals jo berühmt geivorbenen
Genoſſenſchaft war ziemlich jung. Die aufgelöften, "wilden
Zuftände, welche namentlih durch die Erichütterungen ber
legten neun Jahre des durch den Carlowitzer Frieden beendigten
Benetinnerfrieges in dem norbweitlichen Griechenland berbeis
geführt waren, Hatten in dem ſüdlichen Epirus zahlreiche
Ehriften beftimmt, fich unter Zulaffung der Osmanen nad
1) Mittheilungen, Th. I, ©. 70 u. 99f. und Finlaylc.
p. 25 sq.
2) Bgl. jetzt namentlih Finlay l.c. p. 5isgg,. Mendelsſohn—
Bartholdy in Raumers „Hiftorifhen Taſchenbuch“, 4. Folge, VII,
1867, in dem Artikel „Ali-Paſcha von Janina“, S. 107 ff. umd
„Geſchichte Griechenlands”, TH. I, S. 88 fl. Zinfeifen wa. O.
Thl. VII, ©. 270 ff.
Die Sufioten. 219
Art der Armatolen zum Schutze ihres Eigenthums zu be-
waffnen. Auf dem Gebiete eines zu Joannina wohnenden
Zimarioten in den wilden Kaffiopeifchen Bergen ſüdlich von
Parampthia (etwa 13 bi8 14 Stunden in faft gleicher Ent»
fernung von Janina, Arta und Prevefa), bildeten fich ur⸗
Iprünglih vier Gemeinden, welche burch einige von dem
Joannina⸗Paſcha mit dem Waffenrechte privilegirte Armatolen-
compagnien gefhüßt wurden. In dem Jahre 1730 jchäkte
man die zur Waffenführung berechtigten Elemente des neu fich
ausbildenden Stammes nur erft auf 100 Familien. Allmählich
entwidelten fich die Verhältniffe bedeutender. Die ftolzen Krieger
dieſes Diſtriktes bildeten eine ſoldatiſche Kafte, unter deren
Schuß griechiihe und albanefiiche Bauern fi mit einer ge-
wiſſen Sicherheit vor Übergriffen der Mohammebaner bewegten.
AS dann gegen Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bie
Sulwten in Fehden mit ihren moslemitiichen Nachbarn ger
rietben, nahmen fie jeden mutbigen und thätigen jungen
Chriiten aus dem Stamme der Tſchamiden in ihre Gemein«
haft auf, und erlaubten ihm, wenn er fich als Krieger bes
währte, ein firliotiiches Mädchen zu beirathen. So wuchſen
fie an Zahl und Macht. Der Schreden der moslemitifchen
Gemeinden von Paramythia und Margariti, ihrer immer
feindlichen Nachbarn, fanden fie ftet8 an den Venetianern von
Parga und Prevefa einen freundfchaftlichen Anhalt. Zur Zeit,
als fie im vorlegten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts
in Griechenland als eine politiihe Macht auftraten, beftand
ihre waffenfähige Mannſchaft aus 1000 urjprünglichen An⸗
fieblern und 1500 Coloniften, den Bewohnern von fieben
Gemeinden (Heptachorion), bie fi im Laufe ber Zeit an
den Kern der vier eigentlichen juliotifchen Gemeinden angejett
batten.
Die Stärke und Bebeutung dieſes Fleinen Stammes
berußte damals wie fpäter in erjter Linie auf der natürlichen
Seftigfeit ihres Gebietes. Der Kern deſſelben war nemlich
das wilde Gebirge über dem epirotiichen Bergftrom Acheron.
Die tief eingefenkte Thalfchlucht dieſes wilden Gewäſſers dedte
220 Buch IL Kap. III. 1. Die Sulioten.
in weiter Bogenlinie das eigentliche Smiiotenland. Der
Hamptzugang war vom tonifchen Meere her, wo ber mit bem
Kokhkytos vereinigte Acheron bei Port Banari mündet. Wer
ftromaufwärts die dunklen Wellen des Acheron verfolgte und
das DefildE von Glyky paifirt Hatte, erreichte endlich das
Felſenthor von Kleifura, welches durch das Fort Tichos gevedt
wurde. Hinter vemjelben lagen auf dem vechten Ufer bes
Bluffes, auf einem Plateau, 2000 Fuß über dem Spiegel des
Acheron, die Dörfer Avartlo, Kiapfa und Samoneva, einen
Büchſenſchuß davon nörbli der Hauptort Sult, der dem
Stamme feinen Namen gegeben bat. Noch Fieber nannte man
den Plot „Kako⸗Suli“, das böfe oder „Schreckens⸗Suli“.
Denn bier vor Allem zeigte ſich Die gewaltige Schwierigfeit,
den hinter ihren grauen Klippen ober Steinbauten fechtenden
ſuliotiſchen Schügen mit größeren Truppenmaſſen ober gar
nit Artillerie wirkſam beizufommen. Wer von Kiapha aus
nah Suli vordringen wollte, mußte zuerſt fich längere Zeit
nahezu im Bette des tobenden Acheron felbft bewegen. Endlich
erreichte man bei der Einmündung eines braufenden Waldbaches
die überragende Klippe, ven fpäter ſtark verichanzten Felſen⸗
fegel Kunghi, welcher den böſen Pfad vominirte, und mußte
fih dann noch über rauhe Abhänge auf Ziegenpfaben ben Weg
nah Sult bahnen. Diefe ftarle Stellung wurde nm
zweitens allezeit durch dieſen Kriegerbund mit höchſter
Tapferkeit gehütet. Dieſe Sulioten, die nur Viehzucht, Krieg
und Raub als Manneswerke ſchätzten, Handel und Gewerbe
verachteten, ſtets bewaffnet gingen, Frauen von gleicher Art
zur Seite hatten, ſchulten ſchon ihre Knaben vom zehnten
Jahre an in dem Kriegshandwerke. Dabei bewegte fich ihr
Gemeindeleben in fehr einfachen Verbältniffen. Jedes Dorf
zerfiel in Phare, d. 5. in Familiengenoſſenſchaften, am deren
Spige ein Ältefter ſtand. Als Gefeg galt das Herkommen,
der alte Brauch; im Fritiichen Zeiten aber traten die Häupter
der vier alten jultotiichen ‘Dörfer zur Rathsverſammlung
zufammen. In folder Weile behaupteten ſich die Sulioten
während ber Zeit bis auf Ali⸗Paſcha ficher umd gefürchtet.
Die Maniaten. 21
Nur das wurde ihnen zum Schaden, daß fie bei ihren Raub»
zügen auch Chriften und Griechen nicht zu jchonen pflegten,
und dadurch für längere Zeit eine ihnen feindſelige Stimmung
bei den griechiichen Armatolen erzeugten.
Ahnlich kriegeriſch, äußerlich viel entwidelter, innerlich aber
viel ftürmifcher und unruhiger, bewegte fich in bemijelben
Zeitalter das Leben der Gebirgskrieger des lakoniſchen Taygetos,
nemlich der Maniaten. Seit der Herftellung ber osmaniſchen
Herrihaft in Morea hatten fich die Maniaten, die jet immer
beitimmter als ein jelbftändiger neugriechiicher Stamm erfcheinen,
ben Osmanen gegenüber in einem Zuſtande befunden, ver
wieder lebhaft an die Zeiten vor Achmet Köprili und Kapitän
Kiherali erinnert. Ste gehorchten eben den osmanifchen
Behörden nur jo viel, als ihnen jelbjt geftel, zahlten einen
ſchwachen Zribut von jährlich 4000 Piaftern, der aber oft
genug nur unregelmäßig entrichtet und mit maniatiſchem
Stolje an der Grenze auf ver Spike des Säbels überreicht
wurde. Ihr inneres Leben aber war von den Osmanen
völlig unberührt. Die Hauptrolle ſpielten Hier die zahlreichen
Rapitäne, die, von der Bevölkerung gewählt, aber fo daß die
Würde in der Regel bei den großen Familien forterbte, an
der Spike Der verichtebenen Städte, Burgen und größeren
Gemeinden (oder auch Kompleren von Dorfgemeinden) bie
Civil- und Militärgewalt in der Hand hatten, namentlich
auch die Steuern erhoben. Allmählich fcheinen fih dann
Eparchien oder Bezirke gebildet zu haben, an deren Spige
Bezirkskapitäne mit der Hoheit über die untergeoroneten
Stadt» und Dorflapitäne ftanden. Die verfammelten Kapitäne
der Maina bildeten den Rath des Landes, ber über alle
wichtigen Angelegenheiten entichieb und aus jeiner Mitte einen
oberften Kapitän ernannte Erinnerten die Zuftände in ben
Sigen der einzelnen Kapitäne vollitändig an das Wejen ber
ans in Hochſchottland, fo erinnerten andere Züge noch ſehr
lange an Eosfila.
Die Maniaten, die jegt vollitändig als Griechen er⸗
jheinen, obwohl zu ber alten, gerade bier jo befonbers ſtarken
222 Buch I. Kap. III. 1. Die Mantaten.
Miſchung mit Slawen jeit dem funfzehnten Jahrhundert
wahrjcheinlich auch noch albanefiiche Elemente gefommen waren,
gaben fich jegt gern als Nachlommen der alten Spartiaten,
während boch das alte griehiiche Element in ihrem Volke
allenfalls auf Eleuthero⸗Lakonen zurücdgeführt werden kann.
Aber von der fpartiatiichen Erbichaft war nur der wilde
friegerifche Geift im Lande verblieben, leider nicht auch die
Disciplin. Die Freiheit der Taygetosgriechen war etwas
theuer erkauft; und erjt eine jpäte Zukunft mußte zeigen, ob
bie hier bewahrte ſoldatiſche Kraft zugleich ven Beruf entfalten
würde, die Spige zu nehmen in dem enticheivenden SKampfe
um die Befreiung der übrigen Griechen. Vorläufig trug das
Leben der Maniaten einen vorzugsweife wilden Cbarafter.
Mit der rauben Freibeitsliebe der Sulioten und der rume—
liotiichen Klephten verbanden auch fie (mit Einfchluß ihrer
Priejter) die gefährliche Gewohnheit, ſtets bewaffnet zu geben,
und die noch fchlimmere Praxis, unter einander in beftändigem
Hader zu leben, ſobald äußere Gefahren fie nicht bebroßten.
Die Maina war damals das Haifiiche Gebiet der blutigen
Clan» und Familienfehden, deren Wildheit, zähe Dauer und
ververbliche- Wirkung durch das jchredliche, nur in Montenegro
und in Eorfila in gleicher Ausdehnung erhaltene, volksthümliche
Geſetz der Vendetta, der Blutrace, in jehauerlicher Weile
genährt und gejteigert wurde. Die mächtigen Thürme ober
feften Schlöffeer — mir beichrieben ihre Geſtalt jchon früher
(S. 130) —, welche als die Wohnfite der großen Familien
das Land bebedten (man zählte noch 1834 deren 800),
bienten, viel häufiger al8 zur Abwehr der Osmanen, den
Maniaten als ihre Bollwerfe in den Clanfehden, unb als
Sicherbeitspläge 1), wenn einer ver ftolzen Krieger dieſes
Landes unter dem Banne der Blutrache lag. Denn bie
maniatiſche Blutrache, die in alter Kraft noch bis zur Zeit
bes Königs Otto beftand, und beren Gejeß zum Glück wenig:
jtens die Frauen nicht unterlagen, war ein furchtbarer Braud;
1) ®gl. Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 319.
Die Maniaten. 223
fie hatte fich fo tief in ven Volksgeiſt eingefreifen, daß ver
Maniate e8 für jchlimmer bielt, die Faſten zu brechen, als
einen Mord an einem Feinde zu verüben. Wer einen Mord
begangen hatte, war den Verwandten des Erfchlagenen Blut
Ihuldig, wenn ihm nicht durch völlige Ergebung feiner Perſon
bie Gnade und Verſöhnung zu erzielen möglih war. Die
Race konnte Jahrzehnte lang vwerfchoben werben; aber fie
mußte vollzogen werden, denn man glaubte lange, der un⸗
gerächte Todte könne nicht zur ewigen Ruhe und Seligfeit
gelangen, — fie wurde wohl dur Teftament ver-
erbt und vermacht, — und erzeugte dann neue Rache.
Ein Maniate darbte und fparte wohl Jahre lang, bis er das
Pulver zufammengebracht hatte, um unter den Thurm des
Gegners eine Mine zu legen. Auch das kam vor, daß fih in
bemjelben Dorfe die Träger der Blutfehde aus ihren Thürmen
gegenjeitig bejchoffen, während die Weiber ungeftört ruhig ihre
Wege machten, um für die Kämpfer Munition und Proviant
zu bolen. Damit verband fich die alte Neigung namentlich
ver Kakovuniaten zu Raub und Plünderung, zu Waffer wie
zu Lande, die oft verzweifelt naiv zum Ausdruck kam und fich
nicht bloß gegen die Osmanen geltend machte. alten baneben
Sparfamfeit, Nüchternheit und zäher Familiengeiſt, ebeliche
Treue und Freude an einer zahlreichen Familie, als gute Züge
ver Maniaten, aus deren rauheſten Gegenden alljommerlich
auch viele Männer zur Theilnabme an den Erntearbeiten nach
anderen Theilen von Morea wanderten; verband fich mit ihrer
rauhen Art doch auch altertbümliche Gaftfreundfchaft; jo war
ihnen auch die natürliche geiftige Begabung des neugriechiichen
Bolfes nicht verjagt, und namentlich die geiftige Gewandtheit
und glüdliche Redegabe der Maniaten tft bei dem rohen und
unwiſſenden Wolle des Taygetos europätichen Beobachtern
vielfach aufgefallen 1). Zunächſt allerdings waren e8 die
1) Bgl. v. Maurer a. a. O. ©. 70ff. 176ff. u. 203ff. Manſo,
Sparta, Bd. III, Abthl. 2, ©. 146—178. 2. Roß, Griechiiche
Königsreifen, Bd. I, ©. 2233 ff. Mendelsfohn- Bartholdy,
24 Buch J. Kap. III. 2. Die ruffiihen Sympathien für Griechenland.
joldatifchen und die Hepbtifchen Eigenichaften ber Maniaten,
denen wir in Griechenlands Geſchichte wieder begegnen
werden.
II.
Griechenland war feit dem Frieden von Paſſarowitz nicht
wieder der Schauplat eines größeren Krieges geweſen. “Die
mantatiichen Privatfehben, die lokalen Kämpfe ber Sulioten
und Armatolen, Raubfahrten wilder Albanejen ?) haben feine
eigentliche detaillirte Geſchichtsdarſtellung zu beanfpruchen. Der
Anftoß dagegen zu einer neuen und wahrhaft entjetlichen
Rataftrophe Griechenlands kam aus dem Auslande, diesmal
aus Rußland Die Kaiſerin Ratbarina IL, der es
darauf ankam, die Erinnerung an die Blutthat, der fie ihre
Herrichaft verdankte, durch glänzende Scenen friſchen Ruhmes
vergeffen zu machen, war ſehr bereit, die „byzantiniſche Idee“
wieder aufzunehmen. An dem Petersburger Hofe lebten bie
feit Peter dem Großen genährten Pläne mit neuer Stärke
wieder auf, und bie ruffiichen Eroberungspfäne hüllten ſich
jegt mit Vorliebe in die Phantaſien von der Befreiung
der Griechen aus der türfifchen Unterjschung. Die Stimme
des einflußreichen franzöftfchen Zeitgenojien Voltaire, befien
Philhellenismus bei Friedrich dem Großen von Preußen Teinen
Anklang fand, wurde in Petersburg nur allzugern gehört. Im
Rußland war es vor Allem das mächtige, der Kaiſerin damals
vorzugsweife nahe ftehende Haus Orlow, welches den Ge
danken, Münnichs (S. 211) griechtihe Pläne zur That zu
machen, verfolgte. Dabei fehlte e8 nicht an Griechen, welde
fih anregend an bie Ruffen drängten. In erjter Reihe ein
Geſchichte Griechenlands, Bd. I, ©. 182. Hopf, Griechenland im
Mittelalter, Bd. 86, S. 185.
1) Hopf (a.a. O. &. 180) gibt noch an, daß zur Zeit bes Sultans
Dsman III (1754— 1756) plündernde Albanefenhorben Attila aus⸗
geraubt und ſelbſt Athen bedroht hätten.
Ruſſiſche Agitation feit 1765 unter ben Griechen. Papabopulos. 225
Günftling der Orlows, der griechiiche Artilleriefapitän im
tatlerlicden Dienfte, Papasoglu oder Gregorios Papado»
pulos aus Lariffa, welcher, feurig und reich an jchönen
Worten, den Ruſſen die Möglichkeit zeigte, in Griechenland
einen umfafjenden Aufitand gegen die Pforte in Scene zu
ſetzen. Als daher feit vem Jahre 1764 mit dem Eingreifen
ber ruſſiſchen Politik in die polnischen Verhältniffe auch neue
Verwickelungen zwiichen Rußland und der Pforte entitanden,
die allmählich einen immer drobenderen Charakter gewannen:
da ſchritt die rulfiihe Politik fofort zu dem Syſtem, bie
orthoboren Untertbanen des Sultans auf der Balfanhalbiniel
in umfafjender Weile gegen die Osmanen aufzuwiegeln ?).
Seit dem Jahre 1765 wurden nun nicht nur bei Monte⸗
negrinern und chriftlihen Albanefen, jondern namentlich auch
alferorten bei den Griechen in Rumelien, Theſſalien, auf den
Infeln bis nach Kreta Hin und in Morea durch ruffiiche
Kundſchafter und Senpboten Verbindungen angelnüpft, die bei
der niemals erlöjchenden Sehnſucht der Griechen nad DBe-
fretung, jegt noch dazu durch orthodoxe Glaubensbrüder, den
Ruſſen in der That bedeutenden Erfolg zu veriprechen ſchienen.
Am ftärkiten wurde Morea bearbeitet. Im Jahre 1766
erichten im Auftrage des Grafen Alerej Orlow, welcer
diefe unterirpifche Arbeit ſyſtematiſch leitete, jener Papadopulos
in Moren, um vor Allem die Maniaten zu gewinnen. Bet
dieſen richtete er anfangs nichts Beſonderes aus; fie wollten
eben erft die Ankunft einer genügenden ruſſiſchen Macht mit
Augen ſehen. Dagegen gelang es ihm, den mächtigen meſſe⸗
niihen PBrimaten Panagiotis Benakis von Kalamata,
1) Die folgenden Ereignifje in Griechenland bis zur Herftellung ber
Ruhe in Morea dur Austreibung der Schkypetaren fiehe bei Zinf-
eifen, Thl. V, S. 926ff. u. Thl. VI, ©. 65—74. Finlay, Greece
under othoman and venetian domination, p. 302 — 325. Gervinus
a. a. O. © 31. Menvelsfohn- Bartholdy, ©. 64 ff. Hopf
00.0. S. 180 ff. Sathas, "EAAds roupxoxparouuevn, p. 452—533,
ber beiläufig p. 452 den Papadopulos jetzt für den Griechen „Georgios
Papazolis aus Siatifti (Schatifta) in Makedonien” erklärt.
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. TIL 15
26 8.1.8.IIL 2. Ruſſiſche Agitation unter db. riechen. Papadopulos.
einen Abfömmling des Liberaki Geratichari, in fein Intereſſe
zu zieben, den reichiten Griechen in Morea, der als ein
Hauptvermittler des maniatifchen Verkehres auch in der Maina
großen Einfluß ausübte umd jett eine große Anzahl moreotijcer
Primaten zu der unfinnigen Erklärung bewog, fie wollten im
Falle der Ankunft ruſſiſcher Truppen in Morea 100,000
Griechen in Waffen bringen. Unter ſolchen Umſtänden trug
man fich jchon 1767, wie der engliiche Reiſende Chandler
damals beobachtet bat, mit alten Weilfagungen und nenen
Hoffnungen von der unmittelbar bevorjtehenden Befreiung
Griechenlands durch die Ruſſen. Eine Bewegung der Mon
tenegriner freilih (1767) wurbe von den Osmanen ohne
Mühe gedämpft. Um jo eifriger aber bearbeiteten jetzt von
Venedig aus Alerej und Feodor Orlow, der feurige ruſſiſche
Philhellene Tamara, und unter anderen enthufiaftiichen Griechen
in Venedig namentlich der griechiiche Bankier Maruzzi bie
Balktanhalbinjel. Den Griechen wurben Waffen und Träftige
Unterftügung Seitens der Rufen zugefagt, durch Alexej Orlow
endlich 1769 zu Pila ein förmlicher Vertrag mit den
Kapitänen ver Maina und verfchtiedenen anderen moreotijchen
und rumeliotiichen PBrimaten abgeichloffen, die fih an ber
großen Unternehmung betheiligen wollten. Andere Maninten
batten freilich 1767 ihr Land verlaffen, um nach Florida in
Amerifa auszuwandern.
Als endlich die ruffisch-polnisch-türkiichen Verwicklungen jo
weit gediehen waren, daß fie nur noch durch das Schwert
gelöſt werben konnten; al8 die Pforte — nemlich Sultan
Muſtapha II, 1757 — 1774, Ahmeds II. Sohn, der
auf Mahmuds I. Bruder und Nachfolger Osman II.
(1754—1756) gefolgt war — im Herbit 1768 an Rußland
den Krieg erklärt Hatte: da eroberten die Ruſſen im Jahre
1769 zunächſt die Moldau und die Walachei, und rüjteten
zugleih jene große Flotte aus, melde vom baltifchen
Meere nach den griechiihen Gewäſſern fegeln und den großen,
fett Langem vorbereiteten Bran in Morea entzünden
follte.
Ruſſiſch⸗ türkiſcher Krieg feit 1768. Die Ruſſen 1770 in Moren. 227
Der Viceadmiral Spiridow führte feit Ende September
1769 vierundzwanzig große Kriegsichiffe von Kronſtadt nach
dem Mittelmeer. Bon Port Mahon und Malta ber er-
Idien am 28. Februar 1770 deſſen erfte Abtheilung,
drei Kriegsichiffe und drei Transportfahrer, mit 500 Mann
unter dem Grafen Feodor Orlom bei dem maniatiſchen
Vithlos. Es wurde dieſes das Signal zur Erhebung
der Griechen, bie fich verpflichtet hatten, bei ver Ankunft
der Ruffen Loszwichlagen, den Befehlen des ruffiichen Ober-
feloheren zu folgen und die Ruffen mit Proviant zu verforgen.
Zum Unglüd für die Griehen war aber Seitend der
Rufen der Kriegsplan und Die Leitung ſehr mangelbaft.
Dejonders jchlimme Folgen Hatte e8, daß Feodor Orlow zu
früh Ind mit viel zu ſchwachen Streitfräften angelommen
war. Sp fehlte e8 am bdisciplinirten Truppen, welche ven
Maniaten und ben moreotifchen Imjurgenten einerjeitS ven
feiten foldatiichen Anhalt geben , andererſeits dieſelben
bominiren und von unnügen Gewalttbaten hätten abhalten
können. Die Folge ift leider die geweſen, daß die griechijche,
von der Maina her nun raſch in einem großen Theile des
Peloponnefos, in vielen Kantonen Mittelgriechenlands, und bei
ven fretiichen Sphakioten aufflammende Empörung jofort
zu den wildejten Raub» und ‚Blutfcenen führte, nachher aber
die viel zu ſchwache ruſſiſche Macht die compromittirten
Griechen vor der grauiamjten Mache ver Osmanen und
islamitiſchen Schkypetaren nicht zu ſchützen vermochte.
deodor Orlow, der zugleich bie infurgirten Griechen
in den Dienft der Kaiferin zu nehmen gedachte, verabrebete
mit den Maniaten, daß die legteren die offenen türkiſchen
Pläge des moreotiihen Binnenlandes angreifen jollten. Die
Ruſſen ihrerſeits wollten fih gegen die feften Pläge,
namentlich an der Küfte, wenden, und führten ihre Streitkräfte
zunächit gegen Koron, wo ſich Maniaten unter Johannes
Mauromichalis, Sphakioten, ioniſche, montenegrinifche und
ſlawiſche Freiwillige zu ihnen fanden. Während dieſer Platz
von ihnen vergeblich belagert wurde, ftürzten fich bie
15*
228 Buch I. Kap. III. 2. Der ruffifch-griechifche Krieg 1770 im Moren.
Daniaten (3000 Mann, die Orlow in die Tpartantice
Legion unter Antonios Pfaros aus Mykonos, und die meſſe⸗
nijche Legion unter dem Fürften Peter Dolgorudt theilte) auf
Kalamata und Miſithra. Einige ruffiiche Offiziere in
ihrer Begleitung fonnten nicht hindern, daß bie Klephten des
Zapgetos die türkiichen Einwohner biefer Städte nievermegelten
und beren Eigentbum, wie auch das der Chriſten, als Beute
nad) den Gebirgshöhen jchleppten. Militäriſch betrachtet, fo
batte Dolgorudi nah Einnahme von Kalamata und Ber
nichtung aller Mohammedaner in den meſſeniſchen Cbenen
wentgitens noch Arkadhia genommen. Piaros Hatte nah
dem Raubzuge über Paſſava und dur Bardunia nad
Mijitbra (5. März) in diefer Stadt aus dem Biſchof und
den Primaten einen „Senat von Sparta‘ gebildet und
wenigftens noch 3000 friihe moreotiſche Rekruten gejammelt.
Daneben fchwärmten ioniſche Griechen von den venetianijchen
Inſeln hinüber nah Moren, verübten allerwärts Mord und
Raub an türkiichen Grundherren und deren Befitungen. In
Rumelien aber erhoben fich auf eine faljche Nachricht von ber
Eroberung Korond durch die Ruſſen die Griechen in Meſo—
longtion, nötbigten die bei ihnen wohnenden Türken zum
Abzuge nach Paträ, und gewannen auch das benachbarte Ana-
toliton, ftellten fi dann unter Rußlands Schug, während bie
ätoliihen und alarnaniichen Klephten und Armatolen bie
Waffen nach Eurptanien und Theffalten trugen.‘ Überall in
Rumelien wogte die Empörung bis nach Megaris und Attila
und berührte ſich mit dem Aufitande der Griechen an dem
forinthiichen Iſthmos.
Endlich erfchien die zweite Abtbeilung der ruſfiſchen
Flotte an der maniatifchen Küfte. Nun kam noch etwas mehr
Schwung in die Dinge. Ruſſiſche Truppen unter einem
Mulatten, dem General Hannibal, gewannen Navarin, wo
bie Maniaten vertragsbrüdig die Türken mordeten und bie
Stadt in Brand ftedten. Die Jonier und aufftändtfchen Griechen
von Morea aber gewannen vie Stadt Paträ, nur daß bie
Citadelle in den Händen der Türken blieb. Alerej Orlom
Die Türken ziehen bie Schkypetaren zu ihrer Hilfe nach Morea. 229
aber, der nun (23. April) von Italien nach Morea gefommen
war und das Commando übernommen hatte, ließ von Koron
ab, ſammelte feine Macht zu Navarin und veranlaßte einen
großen Vorſtoß gegen das Innere. Nun marjchirten allerdings
15,000 ®riechen, meift Mantaten, von ruffiihen Offizieren
geführt, gegen Tripoliga. Es war das Corps des Piaros,
mit dem fi) von Meſſenien ber über Leondari marjchirend
ein zweites ruſſiſch⸗griechiſches Corps verband. Aber diefe
15,000 Mann vermochten feine Erfolge zu erzielen.
Der damals regierende Palha von Moren, Mehemet
Emin, leitete nemlich die Vertheidigung der Halbinjel gegen
die Nuffen und die griechiichen Infurgenten ganz vortrefflic,
obwohl er Fein Soldat war. Die vor den Griechen flüchtenben
albanefiichen und osmaniſchen Mohammedaner feines Paſchaliks,
fomeit diefelben nicht nach der Citadelle von Paträ fich gerettet
hatten, wurden zu Zripoliga gejammelt, wo bie ftreitbaren
Männer fich zu einem Neitercorps vereinigten. ‘Der Paſcha
jelbjt Hatte jein Hauptquartier nach Nauplion verlegt, wo
er alle Anftalten traf, um den Empfang ſtarker Hilfstruppen
vorzubereiten, welche auf feinen Betrieb die Pforte in aller
Eile nach Morea ſchickte. Weil die regulären Streitkräfte an ber
Nordgrenze des Reiches in Anſpruch genommen waren, fo griff
die Pforte jetzt zu dem fchredlichen Meittel, die wilde Fluth ver
mohammedaniſchen Schkypetaren, namentlich der Gegen, aus
Albanien nach Morea zu birigiren. Und bald ergoffen fich Toloffale
Maſſen diefer wilden, blut» und beutegierigen Albanefen über
das unglücliche Land, die bald jeden Gedanken der übrigen
Sriechen, den Moreoten und Ruſſen Hilfe zu Teiften, erftickten.
Unter den rumeliotifchen Griechen hatte e8 namentlich der
tapfere und kriegsgewandte Andrutios, des jpäter fo
berühmt gewordenen neugriechifchen Feldherrn Odyſſeus hoch⸗
geachteter Vater, zur Zeit der tüchtigjte Armatolenfapttän in
Üvadien, gewagt, mit etwa 300 Pallifaren aus feinen oft
lofriihen Bergen über ben Iſthmos nach Morea zu ziehen.
Diefer Kapitän erreichte aber weder bie Griechen mehr bei
Tripolitza, noch felbft die Ruffen, — das Unheil brach eben
20 Buch I. Kay. IH. 2. Nieberwerfung des Aufſtandes in Morea.
zu fchneli herein. Während die moslemitiichen Corfaren des
adriatiichen Meeres auf Mehemet Emins Befehl fo raſch als
möglich ſchkypetariſche Krieger zu Waſſer nach Paträ führten
und zugleich die tonifchen Inſeln überwachten; während bei
biefer Gelegenheit ein Geſchwader aus Dulcigno in hartem
Sampfe Mefolongion beitürmte, viele Griechen töbtete, bie
Maſſe des Vollkes zur Flucht nach ben tonifchen Inſeln
nöthigte, während Albanefen aus Angelofaftron dann aud
Anatoliton wieder gewannen und ausmorbeten: war bie Vor⸗
But der zu Lande anrüdenven Schlupetaren, 6000 Mann ftarf,
gerade in dem Augenblide nah Tripolita gelommen, als
Pſaros endlich fo weit gerüftet ftand, um die nicht allzuſtarken
Werke dieſer Stadt ernitbaft angreifen zu fönnen. Zu feinem
Uubeil Hatte fih die Maſſe feiner Schaaren weithin aus
gebreitet, um Proviant zu jammeln, jo daß er fich eigentlich
nur auf die 400 Nuffen und etwa 4000 Griechen einigermaßen
verlaffen konnte. Als nun die Albanefen vereint mit den
moslemitifchen Neitern in der Stadt die Griechen ungeftim
Angriffen, wurden bie Griechen des Pfaros ſchnell über ben
Haufen geworfen, während die 400 Ruſſen tapfer fechtend
insgefammt fielen. ‘Dreitaufend Griechen fanden auf ber
Flucht den Tod. Nur Leondari wurde noch einige Zeit
gehalten. Am Tage aber nach biefem Siege Tieß der Paſcha
son Morea den Metropoliten von Tripoliga und mehrere andere
durch ihre Beziehungen zu den Ruſſen compromittirte Biſchöfe
auffnüpfen. Cine Menge griechtiche Bürger der Stabt (bis zu
3000 Menſchen) wurden ebenfaliS getödtet, ihre Häufer zerftört.
In Baträ aber, zu beifen Wiedergewinnug ein anderer
albanefiicher Trupp von Korinth aus marſchirte, hatten bereitd
am Charfreitag die Dsmanen und moreotifhen Moslims in
der Burg, durch jenen Zuzug aus Dulcigno (400 Dann)
verjtärft, einen Ausfall gemacht. Die blofirenden Moreoten
und Jonier wurden völlig geichlagen, die Stadt ausgeplündert
und zeritört, die Einwohner theils getöbtet oder zu Sklaven
gemacht, theils zur Flucht nach den ioniſchen Inſeln ges
nöthigt.
Nieberiwerfung des Aufftanbes in Moren. 231
Gegenüber folchen jchweren Mißerfolgen nahm es fich
wunderbar genug aus, daß Alerej Orlow in dem von ibm
ſtark verichanzten Navarin in der zur Kirche geweihten Haupt
moihee am 2. Mat 1770 nah einem feierlichen Hochamt
den Griechen nochmal® in einem hochtönenden Manifeſt ihre
Befreiung von dem Joche der Ungläubigen durch die Waffen
der „heiligen und rechtgläubigen‘ Raiferin Katharina IL. an
findigte, und bie Griechen nochmals aufforberte, ald Streiter
. für ihre Religion, Freiheit und Vaterland die Waffen zu er
greifen. Die Belagerung von Modon, welche Peter Dolgorucki
gleih nachher mit anfehnlichen Streitkräften zu Waffer und zu
Lande eröffnete, hatte feinen Erfolg. Und während die
Ruſſen bier gefeffelt ftanden, janf die moreotifche Erhebung
äberall in fich zufammen.
Die Schredenstage von Tripolita und Paträ Hatten bie
Griechen vollftändig entmuthigt. Allmählich waren nun immer
größere Maffen von Schkopetaren in Zripoliga erichienen.
AS man Seitens der Türken fich zu größeren Unternehmungen
ftarf genug fühlte, theilte fich ihr Heer in zwei Gewalthaufen.
Der eine drang in Lakonien ein, eroberte Mifitbra und
trieb die Schaaren des Pſaros ſüdwärts zurüd nach ber
Küfte, bis hinein in die Schluchten des Taygetos; überall
verfuhren die Albanefen, deren Gewalttbaten Mehemet Emin
aur zum MHeinften Theile abwehren fonnte, mit barbarifcher
Grauſamkeit. Gerade dieſer Theil des Peloponnes?) Titt
damals bejonders furchtbar. Die alte Praxis der orientaliichen
Ausrottungsfriege, Tchredliche Verwüftung und Plünderung des
Landes, maſſenhaftes Ausmorben bes Landes, TFortichleppung
zahlloſer Frauen und Kinder in die Sklaverei, wurbe hier in
(hlimmer Ausvehnung ausgeübt. Der andere Haufe,
8000 Mann unter Hadſchi⸗Osman, brang nad Mefjenien
vor, trieb auch hier die Maniaten nach einem mörberijchen
Kampfe mit Johannes Mauromichalis in ihre Gebirge zurüd,
und griff endlich die Auffen und Griechen vor Modon an.
1) Bgl. L. Roß, Griechiſche Königsreifen, Thl. II, S. 206.
232 Bud I Kap. III. 2. Die Ruſſen räumen 1. Juni 1770 More.
Auch bier blieben die Albanefen Steger und nöthigten bie
Belagerer, unter Preisgebung ihrer Gefchüge und Magazine
ſchnell nach Navarinon zurüdzumweichen, während die Gar,
niion von Modon die Häufer der Chriften in der Stadt
plünderte und zerftörte. Im und bei Navarin aber, deſſen Fort
jedoch Orlow ven fliehenden Griechen nicht öffnete, und auf
ber ebenfalls verichanzten altberühmten Hafeninfel Sphakteria
oder Sphagia drängte fich jettt Alles zufammen; namentlich
bie Inſel füllte fich mit angſtvoll flüchtenden Griechen, von
benen bernach nur wenige auf bie ruſſiſchen Schiffe fich vetten
konnten. Es waren greuliche Jammerſcenen. Als nemlich
die Osmanen und Albaneſen endlich vor dieſer letzten ruſſiſchen
Station erichtenen, warfen fich die Griechen mit ihren Familien
in Maſſe angftvoll auf jedes zur Hand befindliche Fahrzeug,
juchten in der großen Hafenbucht Schutz vor ihren Teinden;
aber bet ber wilden Angjt fenterten viele der Heinen Fahr-
zeuge, fo daß die Unglüdlichen in Menge ertranfen. Etwa
4000 bi8 5000 Griechen retteten fich endlich doch nad
Spbalteria, wo fie nun vor Hunger und Durſt verfamen,
und die Leichen ihrer Freunde und Angehörigen in den Wellen
treiben jehen mußten ). Aber auh von diefen armen Reſten
biefer unfeligen Opfer einer herz⸗ und kraftloſen Politik
vetteten ſich jchließlich nur wenige. Denn Alerei Orlom
hatte den Muth, in Morea noch weiter zu kämpfen, ganz und
gar verloren. Da nun der in rujfiihen Dienjten arbeitende
Ichotttiihe Contre- Admiral Elphinſtone, der kurz vorher
“mit einer zweiten großen Slottenabtheilung in den lakoniſchen
Gewäſſern angelangt war und zur Zeit bei Nauplion kreuzte,
erfahren batte, daß die osmaniſche Flotte bereit8 bei Andros
liege, und den Orlow aufforderte, fich mit ibm zu vereinigen,
jo beichloß Alexej, jet Tofort abzufegeln. Vergeblich befchworen
ihn die Griechen, unter ihnen Benakis und Bapadopulos, und
1) Über bie Schredensfcenen auf und bei Sphakteria vgl. auch
Rulhiöre, Histoire de l’anarchie de Pologne, tom. III, p. 413 und
Curtius, Peloponnefos, Thl. I, ©. 182.
J
Die Ruffen räumen 1. Iuut 1770 Moren. 233
deren Freunde unter den ruſſiſchen Offizieren, in dem jegt
ohne Mühe“ gegen die Albaneſen zu haltenden Navarin eine
ruffiſche Beſatzung zu laſſen, welche den Bier noch verfammelten
Griechen als Schug, den Gebirgsfriegern aber als bleibender
Rückhalt dienen könnte. Alexej blieb gegen biefe Bitten und
Rathichläge taub, Tieß ſofort Gejchüge und Truppen einichiffen,
einen Theil der Kanonen vernageln, die neuen Schanzen zer⸗
ftöyen, und ging am 1. Juni 1770 mit ver Flotte unter
Segel, um ſich mit Elphinſtone zu vereinigen. Nur- einige
Hundert griechiicher Flüchtlinge, darunter Papabopulos, Bena⸗
kis, die Bilchöfe von Koron, Modon, Ralamata, Paträ, und
verſchiedene Primaten konnten noch eingejchifft und nah Port
Mahon geführt werden. Die übrigen mochten fehen, wie fie
fih retteten, oder dem Untergange verfallen. Papadopulos
ift nicht Tange nachher auf einer Inſel des ägätichen Meeres,
Benakis in Livorno gejtorben.
Die Leiden des PBeloponnefos erreichten ihre volle
Höhe aber erft nach dem Abzuge der Ruſſen. Die Pforte,
die Osmanen und die Albanefen, durch Die weit verbreitete
Neigung der Griechen zum Abfall jchwer betroffen und furcht-
bar erbittert, ergingen fich lange Zeit in Handlungen grau⸗
jamer Rache, die am fchwerften und dauerndften auf Morea
fielen. Gleich bei dem Ausbruche der griechtichen Erhebungen
batte Die Pforte ftrenge Evicte gegen das Waffentragen ber
Rajah erlaffen, die öffentlichen Gebete der Chriſten verboten,
die Kirchen gefchloffen. Die Erhebung der Meontenegriner,
der Ausbruch des Krieges mit Rußland, das Durchleuchten
der Aufitandsgedanfen hatten die Pforte jo mißtrautjch ge-
macht, daß ſchon 1767 Ananias von Dimikanı, damals
Metropolit von Lakedämon, ein unbejonnener Feuerkopf,
bingerichtet „ Daß nachher zur Zeit der Ausfahrt ver
tuffiichen Flotte nach Griechenland der Patriarch Meletios II.
von Stambul abgefegt und fammt dem Bilhof von Karyſtos
und vielen anderen vornehmen Klerifern und Laien in ftrenge
Haft genommen wurde. Mehr aber, der griechiiche Aufjtand
veranlaßte die Pforte, von den alten Principien der Durch
234 3.1L8.HI 2. Blutiges Wüthen der Schkypetaren gegen d. Griechen.
Mohammed IL. eingeführten Kirchenpolitik erheblich abzumeihen
und in weiten Umfange Kirchen und Klöſter (auch die durch
ven Feuerkopf Seraphim compromittirten Mönche des Athos
nicht ausgenommen) ihrer Befigungen zu berauben, die man
dann ben Moſcheen zuwies. Ganz unmittelbar aber Titten die
Griechen fühlih vom Olymp unter den furdhtbaren Gewalt
tbaten der Albanejen, die zur Austreibung ver Ruffen aus
Moren und zur Nievertvetung ber bis tief nach Theſſalien
binein flammenden griechiichen Inſurrektion 1770 aufgeboten
worden waren. Der Aufmarich ver Albanefen, theils um die
Bewegungen in Rumelien zu dämpfen, theils um nach Morea
zu ziehen, überfluthete zunächit die Kantone zwiſchen dem Peneios
und dem korinthiſchen Golfe mit einer Fülle von Unheil. Die
Gewaltthaten in Philtppopolis und Mofchopolis erinnern mehr
an die Ausbrüche der Rohheit und des Fanatismus gegen die
Chriften, wie fie noch heutzutage bei folchen türkifchen Kriegen
in Menge vorfommen, welche die Pforte mit Rußland zu
führen Hat. Aber die furchtbaren Blutthaten in Lariffa um
Trikkala zeigten die immer wieder durchfchlagende Neigung der
Türken zu rober Rache an umnfchuldigen Opfern unb zur
Meaffenvernichtung im blutigften Lichte. Im Lariffa nemlich
ließen am 9. März 1770 die türkiichen Befehlshaber 3000
Griechen aus Trikkala und Umgegend, die zur Abnrtbeilung
eines großen Zwieſpaltes zwilchen ben Parteien zweier mädy
tiger PBrimatenfamilien dieſer Eparchie nach der thefjaliichen
Hauptftadt zu kommen veranlagt waren, fammt und jonderd
nievermegeln. Daran anſchließend erſchoſſen die Janitſcharen
zu ihrem Privatvergnügen auch eine Anzahl chriftlicher Ein
wohner von Lariſſa, zerftörten die Kirche des Beifigen
Achillios, und ruinirten durch eine energiiche Plünderung ven
Wohlftand der Griechen diefer Stadt für geraume Zeit. Die
Albanefen ihrerſeits fuchten am 14. Juli die Stadt Trikkala
in ihrer Weife mit Plünderung, Mord und Brand beim.
Die gegen die Pforte aufgeftandenen Klephten und Armatolen
in Rumelien (die „Stereo-Helladiten”, wie fie auf
genannt werden) hatten fich bei dem Anmarjche ver albaneſiſchen
Scheußliche Mißhaudlung ber Moreoten. 285
Maffen zum Theil ſchnell zur Ruhe und zur Unterwerfung
bringen laſſen; fo namentlich in Hypata, Karpenifi, Agrapha
und im Valtos. Die Armatolen dagegen von Vonitza und
Zeromeron, unter dem Befehle zweier Brüder des fchon ba-
mald in Akarnanien mächtigen Hauſes Grivas, Chriftos
und Tſegios, die bisher Vrachori belagert hatten, fielen ta
mörbertichen Gefechten in der Nähe von Ungelofaftron. Und
in derſelben Weife wurden die fämmtlichen Kantone von
Mittelgriechenland, wo fi) Imjurgenten gezeigt hatten, mit
deuer und Schwert wieder „beruhigt. Phthiotis, Livadien,
die Landſchaft am Parnaflos, deren Armatolen endlich nach
Moren flüchteten; Megaris, wo bie Infurgenten endlich die
Stat Megara ſelbſt zerftörten und nad) Salamis entwichen;
die Gebirge bei Lepanto und die ätoliſche Landſchaft Kravari
(öftlih vom Euenos oder Fidari) wurden unter Strömen Blutes
wieder den Osmanen unterworfen.
Zur Ruhe ift nun aber Griechenland auch nach Abzug der
Ruſſen eben nicht gekommen, — zunächſt nicht, weil auf
anderen Punkten der ruſſiſch⸗türkiſche Krieg noch mehrere Jahre
fortwogte. Unter diefen Umſtänden batte die blutige Gewalt⸗
that der mohammedaniſchen Krieger noch lange gegen vie
Griechen freien Spielraum. In Trikkala kamen no 1773
Ermordungen angejehener Primaten vor. Und die unglück⸗
lichen Flüchtfinge von Mejolongion, deren geſammte Stabt
und Umgegend die Wuth der Moslims gründlich zerftört
hatte, konnten erft nach Jahren in der alten Heimath wieder
Fuß fafſen. Das größte Unheil aber fam über Moren.
Man gibt gewöhnlich an, daß fchließlich nicht weniger benn
150,000 bewaffnete Räuber — albaneſiſche Milizen und in
ibrem Gefolge wüftes Naubgefindel aller Stämme aus ber
Balkanhalbinſel — den ımglüdlihen Peloponnes über-
flutheten und nun alle Kantone diefes Landes mit aller Wut
des mohammedaniſchen Fanatismus und entfeffelter Raub- und
Blutgier heimjuchten. Mord und Todichlag, Raub und Brand,
Verſklavung zahllofer Weiber und Kinder, Zerftörung der
Dörfer, vieler Städte, Möfter, Kirchen und Schulen wurde
236 Buch I. Kap. III. 2. Anbrutfos.
die allgemeine Loſung. Die organifirten Gewalten der Pforte
hatten zunächſt nur wenig zu bedeuten; die Macht fiel mehr
und mehr in die Hände der unbändigen Schkypetarenführer,
die natürlich) außer ven Osmanen und den wenigen griechiichen
Moslims nur ihre mohammebanifchen Slaubensgenofien von
Barbunta und Lala fchonten.
Natürlich festen fih die Griechen vielfältig zur Wehr.
Aber in biefer Zeit allgemeinen Unheils, in welcher umngezählte
Zaufende der Moreoten zu beimathlojen Bettlern und Aus
wanderern wurden, gab es nur wenige Lichtpunkte. Großen
Kriegsrufm gewann damals wenigftens Ein Grieche, nem
fih jener tapfere (S. 229) lokriſche Kapitän Andrutfos.
Diefer Armatolenführer Hatte die Gebirge der Maina erft in
dem Augenblide zu erreichen vermoct, wo die Stellung bei
Navarin von Alerei Orlow bereits enbgiltig geräumt worden
war. Nun blieb ihm nur übrig, mit Aufbietung aller Kunft,
Lift und kriegeriſchen Entſchloſſenheit fich den Rückweg nad
Rumelien mitten duch die Maſſen der Albanejen und
Dsmanen zu bahnen, und auf biefem jchiwierigen Zuge die
Pallitaren in feiner Umgebung bei guter Stimmung zu er
halten. Es gelang dem trefflichen Armatolen wirklich, ſich bis
zum Iſthmos durchzuſchlagen. Bier aber verlegten ihm mehr
als 8000 feindliche Krieger den Weg. Nachdem er fich ihrer
Angriffe mit Mühe erwehrt hatte, mußte er fich weitwärts
wenden und dem ſüdlichen Strande des Golfes von Korinth
folgen. Er hoffte, hier in irgend einem Hafen auf vettende
tonifche Fahrzeuge zu treffen. Unter beftändigen Gefechten mit
ben ihm nachdringenden Albanejen und Osmanen erreichte er
binnen zehn Tagen die Gegend von Voſtitza, wo er num nad
brei Tagen verzweifelten Kampfes endlich am vierten Tage unter
Verluſt des vierten Theiles feiner Leute einen entſcheidenden
Sieg über feine Verfolger davontrug. Nun konnte er enblid
in die Stadt Voſtitza einrüden und auf ioniſchen Schiffen ſich
nach dem venetianiichen Preveja zurüdzieben ?).
1) Bgl. bier auch die oft citirten „Mittheilungen aus ber
Geſchichte und Dichtung der Neugriehen”, Thl. I, S. 87—96.
Herrſchaft und wüſtes Treiben ber Albanefen in Dora. 2837
Lebte diefer Steg und der Xenophontiiche Rückzug des
Andrutjos lange in der Erinnerung und Dichtung der Griechen
fort, fo erlahmte dagegen in Moren jelbjt die Kraft ber
Maniaten, die feit dem September 1770 nun auch in ihren
Gebirgen von den Albanejen angegriffen wurden. Ihnen blieb
fchließlich nichts übrig, als mit dem Paſcha von Morea einen
Bergleich zu fchließen, durch den fie fich der Pforte wieder
unterwarfen, während ihr Tribut erhöht und die Norbgrenze
ihres Gebietes bei Kalamata gezogen wurde.
Morea war nun freilich wieder der Pforte unterworfen.
Aber die türkiiche Regierung hatte Davon feinen Gewinn. Die
Peit und Hungersnoth dezimirten die verarmten Einwohner,
und- nicht einmal der Kharatich Tonnte für die o8manifche
Regierung eingezogen werden. Denn die Albanefen, die
von der Pforte feinen Solo erhalten konnten, wollten mit
Ausnahme einiger beutebeladener Schaaren nicht wieder aus
bem Lande abziehen. In zahlreiche Banden getheilt, beberrichten
fie die Halbinfel, verübten an Griechen, wie felbjt an zahl«
reichen osmaniſchen Grundherren, wilde Gewaltthaten, plünderten
in Stadt und Land, verheerten Felder und Weinberge, nahmen
für fich die beften :Chetle der Ernte weg und fetten fich felbit
zu Steuerpäctern ein, verkauften auch Tauſende chriſtlicher
Frauen und Rinder in die Sklaverei. Umſonſt Batte bie
Bforte nad dem Abzug der Ruffen eine Amneftte proflamirt.
Alle ihre Verjuche, die Albanejen mit Güte ober mit Gewalt
zum Abzug aus Morea zu beftimmen, fcheiterten vorläufig
daran, daß die Paſchas von Tripoliga weder Geld noch
Zruppen genug hatten.
Die elende Lage der Moreoten wurbe auch durch Die
militärifchen Erfolge der Ruffen im ägätichen Meere nicht
gebeſſert. Alexej Orlow und Eipbinftone hatten ſich nach der
Räumung von Navarin in dem Golfe von Nauplion am
23. Juni 1770 vereinigt. Die bei der aufjtandsluftigen
Stimmung der Infel- Griechen nur mit fchlechten Matroſen
bemannte und von dem Kapudan⸗Paſcha Hoſam⸗Eddin ſchlecht
geführte osmaniſche Flotte wurde nachher in dem Kanal
238 Buch IL Rap. II 2. Schlacht bei Tſchesme. Die Infelgriechen.
von Chios in der Gegend von Tſchesme am 5. Yuli 1770
ichwer geichlagen und in der Nacht vom 6./7. Juli, namentlich
mit Hilfe geübter griechiicher Seeleute, durch Feuer völlig zer⸗
ftört. Aber die Folgen dieſes großen Schlages waren auf vem
griehifhen Kriegsſchauplatze doch nur von vergleichsweiſe
geringem Belang. Während der Pöbel und die Sanitfcharen
von Smüurna bie jchredliche Niederlage am 8. Juli durch
Ermordung von 500 bi8 1000 Griechen und Franken rächten,
erflärten fich allerdings 27 griechiſche Infeln des ägätichen
Meeres für Rußland, huldigten der Kaiſerin und verfpracen,
mit ihren Schiffen den Rufſen Beiftand zu leiften. Von den
Inſeln an der Küfte von Argolis hat fih damals Spetzä
für Rußland compromittirt. Die jchlaueren Hydrioten
Dagegen unterwarfen fich zwar den Ruſſen, lieferten ihnen aud
Proviant, unterhielten aber heimlich.ihre Verbindung mit dem
Kapudan⸗Paſcha und zahlten ihren Tribut). Aber Orlow
verftand e8 nicht, feine Erfolge nachhaltig und zu größeren
Schlägen gegen die Dsmanen auszubenten. Nach Jängerem
Schwanten entjchloß er fich wenigſtens, die Infel Lemmnos zu
erobern, von der aus die Darbanellen geſperrt werden follten.
Während ein Theil der Flotte mit den Türken der ‘Darda-
nellenichlöffer plänfelte und das rumeliihe Kavalla zeritörte,
wurde nun zwar das offene Land von Lemnos ohne Schwier
rigfeiten bejegt; aber die Hauptfeftung ver Inſel hielt fich viele
Wochen lang mit zäher Auspauer. Und als fie enblih am
6. Dftober fich genöthigt jab zu kapituliren: da landete ber
tapfere und energiſche Kapudan⸗Bey Haffar aus Algier
(Dichefairli), einer der beiten türkiichen Flottenführer dieſer
Tage, mit 25 Schiffen und 3400 Dann an ber Oftjeite ber
Inſel, erftürmte am 9. Oktober das Lager der Ruſſen, welche
die Feſtung noch nicht übernommen hatten, und trieb fie unter
Verluſt ihrer Artillerie und Vorräthe auf ihre Schiffe.
Orlow vermochte dann auch zu Wafjer dem Haffan (nur
1) Orlandos, Naurıxa, vol. I, p. 17 59. A. Miautis, Die
Inſel Hydra, S. 10 ff.
Die Infelgriegen. Die Sphakioten. 239
mehr Ghaſi, der Stegreiche, zubenannt) nichts anzuhaben
und zog ſich nach der Inſel Paros zurüd, wo ver Hafen
von Nauſſa ſtark verfchanzt und zum Hauptdepot ber ruffiichen
lotte gemacht wurde. Auch die Injeln Thaſos und Im-
bros blieben vorläufig ruffiihe Stationen. Auf Lemnos
aber wurden nach dem Abzug der Ruſſen die Griechen burch
Mord und Plünderung ſchwer heimgeſucht. Beſonderes hat die
tuffiihe Flotte in der Levante während dieſes Krieges nicht
weiter auszurichten vermodt. Ste bat allenfalls noch 1771
Angriffe auf Tſchesme, Negroponte, Lesbos verjucht und da⸗
ſelbſt türkiſche Magazine zerftört, fie hat 1772 im Oftober bei
Baträ ein Geſchwader von Dulcignioten vernichtet, und 1773
noch das ſyriſche Beirut für einige Zeit bejeßt. Bedeutendes
wurde bier aber nicht gewonnen. Die Ruſſen konnten auch
nicht verhindern, daß ein anderer in ihrem Intereſſe gegen bie
Pforte aufgeftandener griechiiher Stamm, vie Fretilchen
Sphafioten, von den Osmanen wieder überwältigt wurden.
Die tapferen Sphafioten, welche bei dem Ericheinen
der ruljiichen Flotte an den Küften dev Maina dem BBeifpiele
der Maniaten gefolgt und unter Führung des Johannes
Daskalakis aus Anopolis von der Pforte abgefallen waren,
jaben fich den Angriffen eines türkiſchen Heeres von 15,000
Mann ausgejegt, welche bereits die Erhebung bes fretiichen
Unterlandes jchnell niedergeworfen hatten. ‘Die Osmanen
führten noch im Sabre 1770 einen graujamen und erfolg-
reichen Krieg gegen die Sphalia. Viele Dörfer wurden zer.
jtört, die SHeerden und andere fahrende Habe weggeführt,
zahlreiche Frauen und Rinder in die Sklaverei geichleppt.
Mit Hilfe einiger griechiicher Knaben, die durch reiche Geſchenke
als Führer erfauft waren, drangen die Dömanen endlich jogar
bis zu den ſchwierigſten Gebirgsitellungen der Griechen vor.
Hier hatten fie nun zwar anfcheinend feine glänzenden Erfolge
zu verzeichnen. Aber die Sphakioten konnten fich auf Die
Dauer in ihrer Felfenwilonig doch nicht behaupten. Ihr
Führer Daskalakis gerietb in türkiſche Gefangenſchaft und
wurde zum Beweis der niemals auszutilgenden Barbarei
40 Buhl. Kap. III. 2. Die Sphakioten. Piraterie. Metromaras.
diefer Sorte blutiger Sieger lebendig geichunden. Erſt feinem
Sohne Georgios Tſelepis, der am 15. Yunt 1821 die
Empörung gegen die Pforte begann, blieb es vorbehalten, bes
Vaters Tod blutig zu rächen. Die Spbafioten aber, durch
Mangel und &lend erichöpft, unterwarfen fich endlich ber
Pforte und zablten ihr von nun an den Kharadſch, während
fie bisher nur den Paſchas der Injel etwas Eis geliefert
batten. Damit aber war die Kraft der Sphakioten für
lange Zeit gebrochen, und auf Kreta nahm einerjeits ber
Abfall der Griechen zum Islam, andererſeits ber rohe Ueber
muth der Mohammedaner, namentlich der in vier Janitſcharen⸗
regimenter eingejchriebenen Türken, täglich zu. Gewaltthaten
ber Türken, namentlich der wüften Waffenknechte, gegen junge
chriſtliche Weiber, gegen die Geiftlichen, überhaupt gegen Ehre,
Eigentgum und Perfon der Chriften, waren an der Tage
ordnung, die materielle Lage der Inſel war Häglich, bis zuerft
wieder 1813 der ftarle und rüdfichtslofe Paſcha Hadſchi⸗Osman
mit Gewalt die Rohheit des bewaffneten wie des unbewaffneten
türkiichen Geſindels bänbigte.
Das Gemälde des Elendes, welches Diefer Krieg über bie
Griechen gebracht hat, wird vervollftändigt durch bie falt
jelbftverftändliche Ericheinung, daß in feinem Gefolge in dem
ägäiſchen Meere die Biraterie fofort wieder einen überaus
flotten Aufihwung nahm. Im erfter Reihe find es jeßt
hriftliche Corfaren, die in dem Kielwaſſer der ruffifchen Flotte
fih bewegten; nur daß nicht wenige biefer Sreibeuter nit
daran dachten, zwiſchen türkiſchem und griechiichen Eigenthum
einen beſonders feinen Unterſchied zu machen. Der (S. 236)
aus Megaris ausgewichene Klephte Metromaras ſammelte
zu Salamis zahlreiche Flüchtlinge aus Morea und dem
griechiſchen Feſtlande, plünderte die Geſtade des ſaroniſchen
Golfes, dehnte ſeine Seezüge bis nach Syra und Negroponte
aus, und wagte es endlich ſelbſt, nach Böotien und Attila
binein feine Vorſtöße zu richten. Die Osmanen in Alten
hielt er geradezu blofirt, vernichtete auch eine aus Nauplion
nach Athen gejendete türkiſche Abtheilung, bis er dann endlich
Friede (1774) von Kutihul-Rainarbfche. 241
jelbft am 15. Februar 1772 in einem Gefechte feinen Tod
find. Maniatiſche und ſphakiotiſche Eorjaren ſchwärmten
an den Küften von Morea und Kreta. Am läftigften aber
wurben den Osmanen⸗damals die Eorfaren der Heinen Inſel
Plara bei Chios, die damals den nauttjchen Auf dieſer
Gemeinde begründeten. Ihre Geſchwader erfüllten die grie-
chiſchen Gewäſſer von der kleinaſiatiſchen Küfte bis nad
Makedonien und dehnten ihre Naubzüge bis nach Syrien
aus.
Die bedeutenden Erfolge, welche die ruſſiſchen Waffen in⸗
zwiſchen auf dem nördlichen Kriegsſchauplatze davongetragen
hatten, nöthigten die Pforte, am 21. Juli 1774 zu
Kutſchuk-Kainardſche bei Siliſtria einen für ſie höchſt
nachtheiligen Frieden zu ſchließen. Abgeſehen von verſchiedenen
Grenzveränderungen zu Gunſten der Ruſſen iſt nun ein Dop⸗
peltes für die Zukunft auch der Griechen höchſt bedeutungsvoll
geworden. Einerſeits nemlich verſtand es die Gewandtheit der
ruſſiſchen Diplomatie, aus den Artikeln VII, XVI und XVII
bed Vertrages fich das Schugrecht über die unter osmaniſcher
Herrichaft lebenden Chriften herauszulefen. Obwohl der Sultan
nur im Allgemeinen das Berjprechen gegeben hatte, die chrift-
liche Religion und ihre Kirchen zu ſchützen, fo fonnte e8 bei
der Stimmung der chriftlihen Rajah ver ruffiichen Ein»
miſchungsluſt nicht ſchwer werben, jedes von Türken an der
Rajah verübte Unrecht zu einem Anlaß diplomatiicher Be⸗
Ihwerden über Vertragsverlegung zu machen.
Auf der anderen Seite gewannen die griechiſchen
Inſeln damals eine bequeme Handhabe, ihrem Handel
einen höchft bedeutenden Aufſchwung zu geben. Die Ruſſen
batten für die compromittirten Griechen volle Amneftie aus-
bedungen. Die unglüdlihen Moreoten haben davon freilich
zunächit wenig Gewinn gehabt; dieſe, deren Sympathie für
Rußland für Lange Jahre gründlich abgekühlt war, konnten
erit nach mehreren Jahren durch ganz andere Mittel aus
ihrem Elend gerettet werben. Anders ftand es mit ben
Inſeln des ägäiſchen Meeres. Als Rußland jetzt biefe
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 16
242 Buhl. Kap. III. 2. Gute Folgen dieſes Friedens für die Infelgriecen.
Erwerbungen an die Pforte zurüdgab, veriprach der Sultarı
ben Nefioten ‚volle Amneftie, ewiges Vergefien aller wirklichen
oder vorausgefegten Verbrechen und Beeinträchtigungen; die
hriftliche Religion ſollte nicht im Geringften beeinträchtigt, ver
Wiederaufbau und die Ausbefferung der. Kirchen (S. 89f.) nicht
gehindert fein; durch denſelben (XVI.) Artikel des Friedens
vertrages wurden die während des Krieges nicht gezahlten
Tribute einfach kaſſirt, Tributfreiheit noch für zwei weitere
Sabre, freie Auswanderung für Ein Jahr ftipulirt . Nach
Abzug der Ruffen war die Pforte — Seit dem 21. Januar
1774 Sultan Abdul-Hamid I. (des Muſtapha III. Br
der) — weder gewillt, noch im der Lage, dieſe Zufagen zu
brechen. Die Nejtoten aber fanden in anderen Beftimmungen
bes Frievensvertrages das Mittel, fich zu glänzenden merkan⸗
tilen Berbältniffen emporzufchwingen. Rußland hatte durch
den Vertrag das Recht erworben, nicht nur Conſuln und
Viceconfuln anzuftellen, ſondern namentlich auch mit feinen
Rauffahrern in ben türkiichen Gewäſſern und Häfen frei
zu verfehren und ungehindert die Seeftraßen zwiſchen bem
ſchwarzen und dem ägätichen Meere zu benugen, mit denfelben
Begünftigungen und Vorrechten, wie die am meiften begünftigten
Nationen, namentlih Franzofen und Engländer. Diele
merkantilen Bortbeile find nun aber vorzugsweiſe ben
Griechen, in erjter Linte den Inſelgriechen, zu Gute ge
kommen. |
Diefe rührigen Seeleute und Kaufleute mußten nemlich
bie neuen von Rußland gewonnenen Rechte fofort in ihrem
Sntereffe auszubeuten. Die von Rußland ernannten Conluln,
zu denen allmählich in vielen Fällen Griechen ernannt wurden,
dienten zunächſt weit weniger dem ruſſiſchen Handel, als daß
fie vielmehr die ftändigen Agenten wurben zur Pflege ber
Beziehungen mit der Rajah, die Träger „des ruffifchen Auf
wiegelungsſhſtems“ in den chriftlichen Provinzen der Türke.
Diefe Eonfuln ertbeilten an griechifche Seeleute und Kauf
Yeute zunächſt zahlreiche Patente; und bald (ſ. auch unten)
wurde es den Griechen möglich, unter ruſſiſcher Flagge auf
Gute Folgen dieſes Friedens für die Anfelgriechen. 243
dem Schwarzen Meere und auf ben jett der ruffiichen Flagge
geöffneten Seeſtraßen zwiſchen dieſem und dem ägätichen
(„weißen“) Meere ven lebhafteſten Handelsverkehr zu eröffnen,
während ihnen früher bie engliſche und franzöſiſche Concurrenz
und für ben inneren und Küften- Handel die Vorrechte ber
Mollahs und Yaniticharen große Schwierigkeiten bereitet
hatten ). Seit diefer Zeit nahm beſonders ber Handel ber
Inſeln Spegä und Hydra außerorventli an Bedeutung zu.
Die fühnen Hydrioten Hatten ſchon um 1765 verbotenen
Kornhandel im ägätichen leere getrieben. Ihre und die Kraft
ber Spesioten (welche Iettere allerdings noch 1770 von
Nauplion her durch Osmanen und Wbanejen mit Mord und
Brand heismgefucht worden waren) erhielt aber jeit 1770 noch
eine beſondere Stärkung durch das Elend ver Moreoten.
Denn die jammervollen Zuftände des Peloponnes (S. 237)
veranlaßten damals fehr zahlreiche Bewohner biejer Provinz
zur Auswanderung, die fich theilweile, namentlich von ver
Oſtküſte ber, auch auf dieſe Imjeln richtete. Darunter waren
nicht wenige Griechen von Monembajia; die Bebeutung
biefer althellenijchen Stadt iſt damals erlojchen und für längere
Jahre zum größten Theile und in hiſtoriſch hochbedeutſamer
Weile auf die Injeln Hydra und Spekä übergegangen ?), wie
wir in dem folgenden Buche zu zeigen haben werben.
Die Lage der griechiichen Inſeln des ägätichen Meeres
wurde aber ferner wejentlich gefördert durch die verjtändige
At, in welder Haſſan Ghazi, der jeit 1773 als
Lapudan⸗Paſcha fungirte, nach dem Friedensſchluſſe Die Griechen
behandelte. Einerſeits nemlich verjuchte diefer ausgezeichnete
Seemann, welcher die Flotte ver Pforte wiederherſtellte, ſich
jeßt der griechiſchen Matrofen zu bedienen, die man bei
1) VBgl. no Gervinus, Gefhichte des 19. Jahrhunderts, Bd. V,
Abth. 1, S. 34 u. 84.
2) Bgl. Eurtins, Pelopounefos, Thl. II, ©. 294. Orlandos,
Navrıza, p. 14—16. 19 und 4. Miaulis, Die Iufel Hybra, überſetzt
von Bender, S. 10—12.
16*
244 Buch I Kap. II. 2. Maurogenis. Die Familie Kolofotronis.
fefter Treue erhalten zu können glaubte. Andererſeits war
der neue ‚Großdragoman ber Flotte‘, der Grieche Nikolaos
Maurogenis aus Mylonos (früher Haſſans Sekretär,
nachmals 1786—1788 Hospodar der Walachei), ein edler und
wohlmeinender Dann, der feinen mohammebantichen Chef für
Das Intereſſe der Griechen zu gewinnen verftand ?).
Eben diefer Kapudan⸗Paſcha wurde endlich auch der Be
freier der Halbinfel Morea von den Albanejen. Trotz des
Triedensichluffesg der Pforte mit Rußland, trog der Abſicht
der Pforte, den Peloponnes nun endlich wieder zu beruhigen
und wieder für fich nugbar zu machen, waren bie Albanefen
(S. 237) weber mit Gewalt noch mit guten Worten aus
der Halbinjel berauszubringen und wurden allmählich ven
Mobammevanern des Paſchaliks nicht weniger Täftig, als ben
Chriften. Abgejehen von ven Maniaten, vermochten fich damals
nur wenige Klepbtenführer in den lakoniſch⸗meſſeniſchen Gebirgen
zu balten, unter denen die größte Bedeutung gewonnen bat
Johannes Kolofotronis. Diefer Peloponnefier (bekanntlich
der Vater des größten moreotiichen Feldherrn des neunzehnten
Jahrhunderts, des berühmten Theodor Kolokotronis), war das
Haupt einer ſehr zahlreichen meſſeniſchen Familie, bie ihre
Ablunft aus der Stadt Leondari berleitete und feit ber
venetiantichen Eptjode in der jonjt namentlich den Aumelioten
geläufigen Art umſchichtig zum Schugke der öffentlichen
Ordnung und im eigenen Intereſſe die Waffen zu führen
gewohnt war. Die Zahl der Kolofotronäer, bie in ihrem
Bette gejtorben, war nicht eben groß, und die Zeit feit 1770
hatte das tapfere Geichlecht in feinem ganzen Umfange zu ben
Waffen gerufen. Seine militärifche Stellung aber Hatte ber
alte Kolofotronis zur Zeit dadurch zu ftärken gewußt, daß er
mit dem mächtigen albanefiichen Aga Ali Pharmaki zu Lala
einen feſten Bruderbund eingegangen war ?).
1) Bgl. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©, 181.
2) ®gl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 1%.
191 und Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, &b.1,
©. 183.
Die Stellung der Maniaten feit 1776. 245
Auch der Kapudan⸗Paſcha hatte feit dem Friedensſchluſſe
alljährlich in den Gewäſſern von Moren gekreuzt, aber nichts
gegen die Albanefen verjuchen fünnen. Dagegen war es ibm
gelungen, im Jahre 1776 mit ven Maniaten, die durch
den Drud der albanefiihen Banden ich jehr beengt fühlten,
einen enbgiltigen Vertrag zu Stande zu bringen. Die Maniaten
erfannten die Oberhoheit des Sultans förmlich an und gelobten,
ver Pforte jährlich einen Tribut von 1000 Dufaten (ober
15,000 Biafter), dazu als Gejchent für den Kapudan »Pajcha
noch 2000 Piaſter zu entrichten. Die höchſte lokale Autorität
in der Maina verlieh der Sultan nunmehr regelmäßig wieder
(S. 149) einem Bey; d. h. fie behielt fich die Beftätigung
des oberften Kapitäns vor, den die (S. 221) maniatiichen
Häuptlinge an ihre Spike ftellten. Im Jahre 1777 erichien
ber erfte Bey, Tzanetos Kutupharis von Zarnata, in
Rhodos vor dem Kapudan⸗Paſcha und leiftete die Huldigung.
Den Wünjchen der Maniaten entiprechend, hatte Haſſan Ghazi
bei der Pforte e8 durchgefeßt, daß die Maina (fammt Koron,
Mifithra und Malvafia) von dem Paſchalik Morea getrennt
und gleich den Imfelgriechen der Gewalt des Kapudan⸗Paſcha
untergeorpnet wurde. Der neue Bey aber verpflichtete fich,
die berfömmlichen Steuern für die innere Verwaltung und ben
Tribut feines Volkes zu fammeln und Ießteren abzuliefern;
zu feiner Crleichterung wurde ihm dafür das Monopol ver
Ausfuhr von DI, Seide und Anoppereicheln bewilligt ?).
Dabei war es feine Aufgabe, für Ruhe und Orbnung in
der Maina zu forgen; jo blieb er auch ver oberfte Anführer
der bewaffneten Macht.
Wagten e8 1777 dann auch wieder Die reicheren Primaten
aus Morea auf Grund tröftlicher Zufagen Seitens ber Pforte,
ih nach ihren Befigungen umzufehen, jo dachte die Pforte
doch erft im Frühling 1779 ernftlich daran, die Ordnung in
diefer Provinz gründlich wieder berzuftellen. Die Erneuerung
1) Bel. auch no v. Maurer a. a. O., Th. I, ©. 70ff. 74ff.
Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 316.
246 B. J. A. III. 2. Haflan Ghazi vernichtet bie Schkypetaren in Griechenl.
bes Friedensvertrages mit Rußland im März dieſes Jahres
hatte endlich ihre Zuverſicht wieder geſtärkt. Gleich nachher
erhielt daher Haſſan Ghazi den Befehl, als Seraskier
nah Morea zu marſchiren und erſt nach vollſtändiger Aus
rottung der fchfupetarifchen Räuber nah Stambul zurüdzus
fehren. Während ein Theil der Flotte nach den griechiichen
Gewäſſern auslief und ein Heer vom 30,000 Mann aus ben
rumeliotiihen Sandſchaks an dem Eorintbifchen Iſthmos ſich
jammelte, 308 Hafſan jelbft mit 2000 Dann Kerntruppen
(Marinefoldaten oder ‚‚Levenvden‘) vom Goldenen Horn nad
Korinth. Bei Argos fuchte er mit den Führern der Albanefen
noch einmal friedlich zu verhandeln. Als aber dieſer Weg
nicht zum Ziele führte, fo beichloß er, fchnell und mit aller
Kraft gegen die Schkypetaren loszuſchlagen.
Es galt, die Albanefen, die unter Führung ber beiben
tosfiichen Brüder Beſſiaris (aus der Gegend von Tepeleni)
in und bei ber Stadt Tripoliga ihre Hauptmacht gefammelt
Batten, zu zerfchmettern. Haſſan Ghazi fchiefte daher einerfeits
Boten an die ftreitbaren griechiichen Klephtenführer des Pelo-
ponne®, von denen jet der alte Kolokotronis mit 1000
Mann die Höhen des Trikorpha bei Tripoliga befegte. Er
jelbjt , von feinem Dolmetiher Maurogenis und einem
zahmen Löwen begleitet, brach mit den Truppen, bie er zu
Waller von Korinth nah Rauplion und Argos geführt Hatte,
mit 4000 Mann ausgeluchter türkiicher Infanterie, zu bemen
nun noch mehrere Tauſende trefflicher Reiter des rumeliotiſchen
Heeres, eime tüchtige Artillerie und gegen 3000 fireitbare
Griechen kamen, am 10. Juni 1779 vom Argos auf. Mm
raſchen Märfchen erreichte er die Ebene von Tripoliga und
erichien vor den Verſchanzungen der Albanefen, bie hier 12⸗
bis 13,000 Mam ſtark fich gejanmelt hatten. Die Albanefen
rückten fiegesgewiß aus ihren Schanzen aus; aber bie Taktik
Hafjans, die Tapferkeit ferner Infanterie und das Feuer feiner
Artillerie warf fie in Heißer Schlacht völlig zu Boden. Ihr
bier verjammeltes Heer wurde einfach vernichtet; Die Klephten
vollendeten die Vertilgung, nur 700 entrannen aus der Gegend
Haſſan Ghazi vernichtet die Schlypetaren in Griechenland. 247
von Tripoliga. Haſſan Ghazi ftellte nun Trophäen auf, wie
fie der bier kämpfenden Barbaren nur allzu würdig waren.
120 Köpfe, darunter der bed Ruſtembeg, eines Hauptführere,
wurden als Siegeszeichen nah Stambul geſchickt. Dann aber
fieß der furchtbare Sieger auf der Oftjeite von Tripoliga aus
4000 Köpfen erfchlagener Feinde eine große Schädelpyramide
errichten: ein fcheußliches Monument, welches noch gegen Ende
des achtzehnten Sahrhunderts Hier zu fehen.war. Dann aber
vertheilte er fein Heer tm verichievene Colonnen und ftelfte
gegen die übrigen Albanden in Morea ein großartiges
Keffeltreiben an. Nur wenige konnten fich nach den unzugäng-
lichſten Gebirgen von Lakonien und Arkabien, oder zu ben
Bardunioten und Lalioten retten. ‘Die meiften wurben ent»
weder ohne Gnade nievergemegelt, oder zur Flucht über ben
Iſthmos hinaus gendthigt; einige traten auch in Haſſans
Dienfte ). Aber Haffan folgte ihnen auch nach dem Norden.
Dei Theben fiel ein ſchkypetariſches Corps von 11,000 Mann
in einen Hinterhalt und wurde volljtändig aufgerieben. Und
überall bis nah dem Olymp bin empfanven jet bie Albaneſen
die ſchwere Hand des algierijhen Bluträchers.
In demſelben Jahre kam endlih auch Athen wieder
zu größerer Ruhe. Seit dem Karlowitzer Frieden war
am Fuße der Akropolis allmählich wieder eine griechiiche
Mittelſtadt mit ſehr ſtarkem albaneſiſchen Beilage entſtanden.
Die damals wieder ſechſs⸗ bis achttauſend Einwohner hatten
fi) ziemlich weitläufig ausgebreitet; obwohl mit engen und
krummen Gaffen zog fich die Stadt mit ihren Gärten und
Hofräumen Hin am nörblichen Abhange und Fuße des Areopagos
und der Akropolis, oftwärts erftredte fie ſich bis gegen ben
Pla des jegigen Schloffes, und zog fih dann ſüdöſtlich bis
an den Bogen des Hadrian und an das alte Theater unter
der Süpoftede der Burg. Die Atbener hatten, von der
übrigen Welt jetst jo ziemlich vergeffen, unter ihren Woiwoden
und ihrer Iofalen Verwaltung ein friedliches und bequemes
1) ®gL au Leake 1. c. p. 208.
248 Buch I. Kap. III. 2. Athen.
Dafein geführt; nur daß die Osmanen feit ver fchlimmen
Moroſiniſchen Kataſtrophe nicht mehr daran dachten, nach früherer
Art die Altertbümer zu ſchonen. Marmorftüde und Relief
bilder auf der Burg wurden oft nach Belieben in Trümmer
zerichlagen oder gar in die Kalköfen geworfen, im bejten Falle
unter die Hütten auf der Burg begraben oder auch in irgend
einem Neubau als Werkfteine vermauert. Und in der Unter
ftabt verbrauchten bie Kalköfen, namentlich die in der Sohle des
panathenätfchen Stadiums aufgeftellten, unausgejegt Stüde
edlen Marmors, namentlich Infchriftfteine, Kleinere Skulptur.
werfe oder Architelturrefte. Um das Jahr 1760 ließ bie
türfiiche Behörde jogar eine der damals noch ftehenden fiebzehn
Säulen des Olympieion abbrechen und zu Kalk brennen, deſſen
man zur Erbauung einer neuen Mofchee im Bazar beburfte.
Für die Wilfenichaft wurde es daher höchft werthvoll, daß feit
1751 die Engländer, der Maler James Stuart und ver
Architeft Nicholas Revett, die noch vorhandenen Alterthümer
in umfaſſender Weiſe wiffenfchaftlih und fünftlerifch aufnahmen.
Die Ruhe von Athen iſt nachher, wie wir jchon ſahen (S.240),
fett dem Ausbruche des vuffiich- türkifchen Krieges arg genug
geitört worben. Auch al8 der Klephte Metromaras (S. 241)
gefallen war, hörte die Gefahr für Attila und Athen nicht auf.
Denn die albaneſiſchen Raubſchaaren, wie fie Morea fo
greulich heimfuchten, erfannten auch diefen Theil Griechenlands
als bequeme Beute. Zum Glück ftießen fie aber bier auf
tüchtigen Wiberftand. Ein entichlojiener türkiicher Befehlshaber
nemlih, der Woiwode Hadſchi⸗Ali-⸗Haſſeki-Bei, ber
damals 1777 — 1779 die Stadt regierte, griff 1777 an ber
Spite der Osmanen und der Griechen von Athen ein
albanefilches Corps non 3500 Mann unter Delibafis, welches
bie Landſchaft verheerte, energiih an und fchlug daſſelbe bei
Chalandria (zwifchen Patiffia und Kiviſia) vollftändig. Weil
aber tm folgenden Sabre neue Raubſchaaren die Stabt Athen
zu bedrohen jchienen, bie feit dem venetinnifchen Kriege nur
durch die Akropolis geſchützt war, fo hielt Haſſeki es für
nöthig, auch die Unterftabt durch Verfchanzungen gegen einen
Atheniſcher Mauerbau (1778) des Hafleli-Bel. 249
Handftreich zu decken, und befahl, eine neue Ringmauer
aufzuführen. Noch im Februar Hatte man fich durch ein
neues Gefecht bei Maruſi (ſüdlich von Kivifia) einer Bande
von 600 Schkypetaren erwehren müffen. Nun ließ ber
Woimode am 18. Februar 1778 den Mauerbau eröffnen,
der mit themiftoleiicher Energie gefördert wurde. Weil hier
Jedermann Hand anlegen mußte, wurde der Bau, ed war
eine dünne Steinmauer mit vorjpringenden Thürmen, binnen
neunzig Tagen vollendet. Die Mauer ift erft 1835 wieder
abgebrochen worden. Bet diefem eiligen Werke wurde aber
freilich alles Material mit verbraucht, was man irgend zur
Hand Hatte. Namentlich wurden mehrere Denkmäler des
Alterthums, Die noch Stuart gejehen Hat, nievergeriffen und
ihre Materialien als Baufteine oder zum Kalkbrennen ver-
wendet. So tft damals ein noch wohl erhaltener ionifcher
Zempel oberhalb ber Kallircho&, der längere Zeit als eine
Kapelle der Panagia gedient batte, abgebrochen worben.
Ebenſo verſchwanden jest in der neuen Mauer die Reſte der
antifen Brücke über den Iliſſos (in ber Nähe des Stadiums),
und die ioniſchen Säulen von der Wafjerleitung des Habrian
und bes Antoninus Pius am Fuße des Xhfabettos, deren
Architran mit der Hälfte der Infchrift nun über dem Thore
Bubuniftra (vor dem jegigen Schloffe) als Oberfchwelle eins
gemanert wurde. Auch die Reſte eines bei der Brüde auf
dem jenfeitigen Ufer des Iliſſos belegenen Nonnenklofterg,
das feit ver Türkenherrſchaft verlaffen dalag, find damals
abgebrochen worden. Die neue Mauer z0g fich von dem
Bogen des Hadrian, den fie als Nebenthor benugte, an ber
Dftfeite der Stadt längs der Südſeite des Burgfelſens an die
Ruinen des Odeions des Herodes, an welches fie fich anlehnte;
dann vor der Weſtſeite der Akropolis vorüber und über den
Rüden des Areopagos, und ging von hier in einem großen
balben Bogen, bie ebenere nördliche Stadt umſchließend, wieder
an das Thor des Habdrian zurüd. Ihre Hauptthore waren
das More-Rapefi an der Weftjeite, innerhalb des alten Dipylon,
das Egribo- Kapefi gegen Norden, die Bubunijtra auf der
0 Bud J. Kap. III. 2. Zuflände in Moren.
Dftfeite, und auf der Süpfeite das Inter Kapefi zwifchen ben
Ruinen des Olympieion und dem Theater des Dionyſos.
Die Athener fühlten ſich jet gefichert, und ver Woiwode
Haffelt, der ſchon 1775 ſich ihre Sympathie erivorben hatte,
war zur Zeit der populärfte Mann in ver alten Stabt des
Kekrops }).
Hafſan Ghazi ſuchte inzwiichen nach der Austreibung
der Albanejen die Ruhe und die Autorität der Pforte in
Morea fo vollitändig als nur möglich berzuftellen. “Daher
fiel feine Hand nun fchwer genug auch auf die umruhigen
Elemente unter den Griechen. Er hatte, nach Beendigung
des Krieges auch mit ver Verwaltung von Morea betraut,
allerdings jehr bereitwillig fich dem griechenfreundlichen Rath
chlägen des Maurogenis zugeneigt ; aber die Klephten
mußten fallen. Er Hatte unter dem 21. September 1779
den verftorbenen mantatiichen Bey Tzanetos Kutupharis durd
Michalis Trupakis von Skardamula?) erjegt, und war im
November nad Stambul zurückgekehrt. Aber die gemaltthätige
Regierung feines Intendanten vermochte das Land um jo
weniger zu beruhigen, als jest die Pforte bei ihrer Finanznoth
bie verarmten und beeimirten, durch die ſchrecklichen Jahre jeit
1770 bi8 auf 100,000 (gezählte) Seelen reduzirten Moreoten
zwingen wollte, die alte Summe bes Kharadſch aufzubringen,
wodurch faktiſch die jeßigen Einwohner mit dem doppelten und
1) Für Athen vgl. Surmelis, Kardorasıs auvontuch Tfis nökens
"Abnvov, p. 78 sq. (92 8q.). Hopf, Griedenland im Mittelalter,
Bo. 86, ©. 182. L. Roß, Archäologiſche Auffäge, Bd. I, ©. 267 und
„Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenland”, ©. 28ff., theild
nach mündlichen Überlieferungen, theils nach ber aus den letzten Zeiten
des 18. Jahrhunderts ftammenden handfchriftlichen Stabtchronif bed
Atheners Antbimos. (Sathas 1. c. p. 521 .meint, daß die neue
atbenifche Stabtmauer um das Jahr 1771 gegen Metromaras aufgeführt
worben fei.) Dann namentlih Mihaelis, Der Parthenon, ©. 68 fi
und €. Wahsmuth, Die Stadt Athen im Alterthum, Bd. I, ©. 19
bis 23 u. 80 ff.
2) Sathas 1. c. p. 531. Leakel.c. p. 316.
Saflan Ghazi vernichtet 1780 das Haus Kololatronis. 251
dreifachen des alten Kopfgeldes belaftet wurden. Da die
Umuben nicht aufhörten, jo landete Haſſan Ghazi 1780
mit Maurogenis an der lakoniſchen Küfte zu Marathoniſi,
und fegte bier Zruppen and Land, welche unter Aliben bie
Hauptführer der Klephten, namentlich die Familie Koloko⸗
tronis, der zu Raftaniga am Taygetos ftand, den Maniaten
Panagiotaros Benetzianakis, und andere Bandenchefs bändigen
jollten.. Maurogenis beftimmte den Trupalis, die Mainotten
in Ruhe zu balten, und jo gelang es den Osmanen mit Hilfe
der Bardunioten, die Klephten zu Kaſtanitza zu überwältigen
und theils jofort zu töbten, theils auf der Flucht zu erlegen
oder gefangen zu nehmen und graufam Ginzurichten. Der alte
Johannes Kolokotronis (der feiner Zeit 700 Moslims
getödtet), deſſen Familie dDamals zum Theile ihren Untergang
fand, wurde zu Anbruffa in Meffenten aufgefnüpft, nachdem
man ihm zuvor Hände und Füße abgebauen hatte. Theodor
Kolofotronis (geboren am 3. April 1770), fein Sohn,
wie auch deſſen Schweiter, die alte Mutter und ber Obeim
Anagnoftes wurden durch ihre Pallikaren gerettet; zwei jüngere
Drüder Theodors erlangten erft fpäter die Freiheit wieder.
Theodor reifte dann jchnell genug in der Maina zum Rächer
jeined Vaters heran }).
Die troftlofe wirthichaftliche Lage von Morea machte es
aber nur zu natürlich, daß die Auswanderung der Einwohner
nah den Nachbarländern nicht aufhört. Die moreotijchen
Griechen zogen fi) damals nicht nur nach Kleinaſien und nad
ben toniichen Inſeln zuräd. Nicht nur Rußland, fonvdern auch
Ofterreich lockte nach der tm achtzehnten Jahrhundert fehr
üblichen Praris Maſſen fremder Coloniften nach feinen Ländern.
In Griechenland dienten dabei die Priefter als Vermittler.
Und wie für die Krim, fo ftellte auch für Sftrien jegt neben
den Inſeln des Archipelagus namentlib Morea zahlreiche
1) Sathas 1. c. p. 5ölsg. Finlay, History of the greek
revolution, vol. I, p. 189 sg. Mendelsſohn-Bartholdy, Thl. J,
©. 183.
252 Buch I. Kap. III. 2. Zuftände in Moren.
Anſiedler. Unter folhen Umftänden konnte ſich die letztere
Provinz nur ſehr langſam erholen. Zu allem Unheil kam
noch, daß ſeit 1781 vier Jahre lang ſchlimme Seuchen die
elende Bevölkerung heimſuchten. Neue Unruhen in der Maina
und auf anderen Punkten nöthigten 1784 den Haſſan Ghajzi,
abermals mit Gewalt einzujchreiten. ‘Die Maniaten wurden
wieder genöthigt, ihren Tribut richtig zu bezahlen, und mußten
als Pfand ihrer Treue Geileln nach Stambul ftellen. “Dabei
fehlte e8 nicht an neuen Blutthaten und Dinrichtungen com-
promittirter . griechiicher Machthaber. Der als ruſſiſcher
Purteigänger und nachher als Corſar bekannt gewordene
Maninte Murginos wurde nach tapferer Gegenwehr gefangen
genommen und an der großen Raae von Haſſans Admiralſchiff
anfgelnüpft. In Tripolitza wurde der Exarch Gregorafis mit
einer Anzahl maniatiicher Begleiter hingerichtet. Auch Baſil
Petimezas, der Führer eines klephtiſchen Geſchlechtes von
Ralavryta, welches jeit 1770 mehrere namhafte Männer ver
Ioren hatte, fand damals feinen Tod. Es war dann ein At
echt maniatiiher Blutrache, daß einige Zeit nachher ein
ftarfer Trupp der Verwandten des GregorafisS und feiner
Freunde die Moslims in Paſſava überfiel und nieber-
mebelte.
Haſſans Nachfolger für das Paſchalik Morea, der grimmte
Juſſuf-Paſcha, hielt nun freilich mit blutiger Strenge
von Tripoliga aus weitere Unruhen nieder. Aber ber Wohl-
ſtand des Landes ftellte fich troß der wohlwollenden Abfichten
des Sultans Abdul⸗Hamid nur allmählich wieder her. Nur
mühſam und unter werkthätiger Hilfe der anatolifchen Kirche '),
unter kräftiger Mitarbeit aderbauernder Mönche, welche die
Dauern durch geiftlichen Troft, durch Ermunterung und Bei
ſpiel belebten, überwanden die Moreoten dieſe harte Zeit.
Die Einkünfte des (jet allerdings durch Abtrennung der
Maina verkleinerten) Paſchaliks, die bis 1770 zwei Millionen
Piaſter betragen hatten, erreichten 1786 kaum erſt wieder
1) Bgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Thl. LI ©. 65f.
Rußland und die Griechen. 253
705,000 Biafter. Erft fett 1789 zeigte ſich auch im Pelo-
ponned wieder eine bemerkbare Zunahme des allgemeinen
Gedeihens.
Trotz des ſchweren Unheils, welches die Orlows über
Griechenland gebracht hatten, waren aber die ruſſiſchen
Sympathien bei der Mehrheit der Griechen noch keineswegs
erloſchen. Und von Rußland her war man andauernd bemüht,
dieſe ruſſenfreundliche und der Pforte abgeneigte Stimmung
zu erhalten und zu ſteigern. Die Kaiſerin Katharina II.
hatte auch nach dem Friedensſchluſſe von 1774 das „griechiſche
Projekt“ nicht aus den Augen verloren. Begabte Griechen,
wie Bulgarid (S. 204), der noch 1774 in einer Denk
Ihrift die Kaiferin als ,, Schreden der Osmanen aufgefordert
batte, ihr Siegeswerk zu Trönen und Griechenland zu befreien,
und Theotoli8 waren in ruſſiſche Dienfte gezogen worben.
Daneben aber 3098 fih auf Grund der durch ven lebten
Frieden geichaffenen politiichen Lage eine niemals abreißende
Kette Hin von Ddiplomatiichen Streitigkeiten zwilchen ven
Staatskanzleien von St. Petersburg und Stambul, die jeden
Augenblid benugt werden fonnten, um bet paffender Gelegen-
beit den offenen Krieg wieder zu entflammen. Ehe das wirklich
geſchah, find allerbings dreizehn Sabre verftrichen. Aber
Katharina II. fand inzwiichen wiederholt Gelegenheit, vor den
Griechen ihre legten weittragenden Pläne am fernen Horizont
als glänzende Tata Morgana aufleuchten zu laſſen. Als im
Januar 1779 ihr zweiter Enkel Konftantin geboren wurde,
ſchien das ‚‚griechiiche Projekt‘ Leben und Geſtalt gewinnen
zu ſollen. Wenigjtens trug ſich die ſtolze „Semiramis des
Nordens’ feit diefer Zeit — nicht ſehr zur Freude der Fühler
urtbeilenden Staatsmänner ihres Landes — immer lebhafter
mit der Idee, für diefen Prinzen den byzantiniſchen Kaiſer⸗
tbron wieder aufzurichten. Zunächſt allerdings verlief fich
diefer Plan wieder im Sande; auch die Bemühungen der
Katjerin, fih mit dem beutichen Katjer Joſeph II. über eine
Theilung türkiſcher Provinzen auf ber Balkanhalbinſel zu
verjtändigen, bei welcher Bosnien, Serbien und Belgrad an
24 Buch I. Kap. IH. 2. Ruſſiſche Baratare griechifcher Abkunft.
OÖfterreich, Rumänien an Potemkin, die übrige Balkanhalbinſel
mit den Injeln an Prinz Konftantin fallen follte, — machten
vorläufig Teine greifbaren Fortſchritte. Die Verftimmung ber
übrigen europäifchen Mächte über folche Pläne mahnte übrigens
in St. Petersburg und Wien zur Vorſicht. Dagegen gelang
es der ruſſiſchen Politik, die Sympathien namentlich bes
merfantilen und nauttichen Theiles der Griechen felbft immer
entfchievener für fich zu gewinnen. Rußland Hatte bei ver
Erneuerung des Friedensvertrages von Kutſchuk-Kainardſche
durch die Convention von Ainali-Kawak (21. März 1779)
die Beitimmung erzielt, daß die Pforte (Art. VIII) die Griechen
von Moren für die ihnen entzogenen und den Moſcheen als
Wakuf zugetheilten Güter entichädigen ſollte. Außerdem aber
war das Recht Rußlands zur freien Schifffahrt auf dem
ichwarzen Meere und auf den nach dem ägäiſchen Meere
führenden Seeftraßen genauer regulirt worben. Und in bem
für die Ruſſen unerhört günftigen Handelsvertrage, ver im
Frühling (21. Juni) 1783 zwiſchen Rußland und ver Pforte
abgeichloffen wurde, erhielten auch die Griechen des Archipelagus
das Recht, unter ruſſiſcher Flagge zu fahren. Während der
ruffiihe Fürſt Potemkin in Petersburg eine Militärfchule für
junge talentvolle Griechen ſchuf, die dann als rufjtiche Offiziere,
oder als Dolmetſcher und Confuln in der Türkei verwendet
wurden; während zur Zeit die Iefuiten für Rußland arbeiteten
und namentlich Die griechiichen Untertbanen gegen die Pforte
aufwiegelten; agitirten bie rujfiihen Handelsconfuln in ver
ichtedenen Theilen des osmanischen Reiches mit Energie gegen
die Pforte. Nicht immer zwar fo offen wie zu Mykonos, wo
der General» Eonful für den Archipelagus fich eine förmlice
Feſtung als Balaft erbaute. Aber es wurde jeßt immer
allgemeiner, daß die ruffiichen Conſuln ihren griechiſchen
Schüglingen ftatt der einfachen Patente (S. 242) mißbräuchlich
die Diplome (Berat) ertheilten, die (uriprünglich nur für bie
türkischen Untertbanen im Dienjte der fremden ‘Diplomaten
bejtimmt) ihren Inhabern einen befonderen Schug gewährten.
Diefe ruffiichen „Baratare“ find allmählich zu ungebeurer
Ali» Tepeleni. 25
Zahl angewachſen, bie aus osmaniſchen gleichſam zu ruſſiſchen
Unterthanen wurden und deren Schiffsladungen als ruſſiſches
Eigenthum galten 1).
Die neue ungeſtüme Agitation, welche die ruſſiſche Politik
auf verſchiedenen Punkten Griechenlands verſucht hat, als
endlich im Sommer 1787 der lange ſchleichende Kampf zwiſchen
Veteröburg und Stambul wieder in offenen Krieg auslief,
ihildern wir in dem erſten Abfchnitte ber folgenden Periode.
Nicht der neue Ruſſenkrieg, wohl aber das Zufammentreffen
deſſelben mit einer Reihe anderer wichtiger hiſtoriſcher Momente
veranlagt uns, bier die Grenze zu ziehen zwilchen ben lebten
Ausläufern des griechiihen Mittelalters und der wichtigen
Übergangsperiobe, die für Griechenland abfchliegt mit jenen
venfwürdigen Frühlingstagen des Jahres 1821, an welchen
Aerander Hhpfilenti in Rumänien, Germands, Petrobei und
Theodor Kolofotronis in Morea die Gefchichte des modernen
Öriechenlands eröffnen.
II.
Ehe wir aber zur Darftellung dieſer Übergangsperiobe
borichreiten, müſſen wir noch einen Blid auf das Empor-
Iommen des Ali⸗Paſcha von Janina richten. Denn biefer
Mann ift es, der — foweit die mohanımebantichen Machthaber
bier in Betracht kommen — ſeit 1788 bis 1821 in ber
verichiedenften Geſtalt für die Griechen und ihre fpätere
nationale Erhebung nicht minder bedeutungsvoll geworben fit,
ald der Padiſchah in Stambul felbit, als Abdul⸗Hamids I.
reformatoriſcher Nachfolger.
1) Bol. Zinkeiſen a. a. DO, Thl. VI, ©. 222 f. 268 fi. 310 fi.
850 fi. 378 ff. 499 ff. 515. Finlay, Greece under othoman and
venetian domination, p. 327. 344. Gervinus, Geſchichte des 19. Jahrh.,
8. V, Th. I, ©. 31. 85. Mendelsfohn-Bartholby, a I,
S. 68 fi.
256 Bud I. Kap. II. 3. Ali's Geſchlecht.
Ali von Xepeleni !) entftammte einem uralten alba-
neſiſchen Gefchlechte, weldyes dem tosftiichen Zweige ber
Schkypetaren angehörte, und feit Menſchengedenken ven Flecen
und den Diftrift von Zepelent in der unmirthlichen Felſen⸗
landſchaft an der mittleren Vojuſſa (nördlich von dem epiro-
tiihen Arghyrokaſtron) in der Vaſallenſchaft des Paſcha's von
Berat beſaß. Diefes Geichleht war im fünfzehnten Yahr-
hundert vom Chriftentbum zum Islam übergetreten, hatte
jedoch, wie die Mehrzahl der Tosken (und jpeziell die Liapen,
zu denen Alt zählte), im Gegenſatze zu ben junnitifchen Gegen,
fih der Sekte der Schliten angeſchloſſen. Ali's Geſchlecht,
urfprünglih Hiſſas geheißen, war zu höherer Bedeutung
gelangt durch die kriegeriſche Tüchtigkeit des Mutjochujos im
fiebzehnten Jahrhundert (Alt’8 Urgrogvater), nach welchem fein
Clan fih die Mutfoifaten nannte. Muchtar⸗Bei, der Sohn
dieſes Mannes, ein Krieger erften Ranges, fand an der Spike
feiner Xruppen 1716 bei dem Angriffe der Osmanen auf das
durch Schulenburg fo ritterlich vertheidigte Korfu feinen Tod.
Sein dritter Sohn Vely (©. 122), dem die Pforte
nachmals das Paſchalik Delvino verlieh, vermochte fih in
diejer Stellung nicht lange zu behaupten. Er ſtand in dem
Rufe, in wilden blutigen Hader mit feinen Brüdern um dad
Erbgut Zepeleni dieſelben unter fchauerlichen Schreckensſcenen
vernichtet zu haben. Intriguen und Gewaltthaten ffrupelloier
Gegner ftürzten ihn; er wurde ſchließlich aus feinem Erbgut
vertrieben und ftarb enplih, nur erft fünfundvierzig Jahre
alt, 1754 in Kummer und Elend, als fein (wahrſcheinlich
1741 geborener) Sohn Alt nur erft das breizehnte Jahr
vollendet hatte.
1) Wir citiren bier nur bie neueften Arbeiten Über Ali's Anfänge;
nemlih Zinteifen a. a. O., Thl. VIL ©. 253ff. Finlay, History
of the greek revolution, vol. I, p. 70 sgg. und jeßt namentlich
Mendelsſohn-Bartholdy (in v. Raumers „Hiflorifchen Taſchen⸗
buche”, 4. Folge, Jahrg. VIII, 1867), Ai-Bafcha von Sanina, &.87f.
und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, S. 81ff.
Alis Jugendgeſchichte. 27
Ali war jett lediglich auf feine Mutter Chamko angewieſen;
fie war die Tochter des Beys von Khonitza, eines jener
furchtbaren Weiber, wie fie ſchon pas antike Epirus geſehen
dat, tapfer, verichlagen, aber von tigerartiger Wildheit und
unverjößnlicher Rachgier beſeelt. Es gelang ihr, mit Hilfe der
Pallikaten ihres todten Gatten und geftügt auf ihre Ver⸗
wandtſchaft mit Kurt⸗Paſcha von Berat, für Alt und ihre
Tohter Chainiga einen Theil ihrer Befigungen zu behaupten.
Der energtiche, reich begabte und hart geartete Alt wurde von
ihr zu einem grimmigen Arieger und zu eier vollendeten
Thrannennatur ausgebildet. In den vieler lofalen Fehden
ſchulte Alt, tapfer und ehrgeizig wie er war, fich zugleich zur
einem Manne von unergründlicher Schlauheit, der aber auch
von fi) wie von Allen, über die er gebot, rückſichtsloſe
Entichloffenheit und Ausdauer forderte.
Die Angaben der verſchiedenen neueren Schriftiteller, die
fd mis Ali's Biographie befchäftigen, über die Details ber
Geſchichte feines allmählichen Emporkommens find nad ber
chronologiſchen Seite nur fehr ſchwer mit einander in Einklang
zu bringen. Sicher ift aber, dag Alt, nicht viel über zwanzig
Jahre alt, bei einem unglücklichen Gefechte in vie Hände der
Truppen des Mächtigen Kurt⸗Paſcha Yon Berat (©. 218)
fiel, des damals beveistendften Machthaber in Mittel» und
Unteralbartten. Ars interejfante VBerjönlichleit und die Für-
bitte ferner Mutter Chamko gewarnen ihm die Gnade des
Paſcha's, der ihn in feinen Dienft nahm, wo er bald &e-
legenheit fand, durch tapfere Thaten fich auszuzeichnen. Als
aber die Intriguen einflußreicher Gegner des jungen Mannes
ven Paſcha beſtimmt hatten, feine bereit8 mit Alt verlobte
Tochter dvemſelben wieder zu entziehen und das. junge Mädchen
mit Ibrahim, Bei von Aolona, einem reichen und wackeren
Freier and dem Geſchlechte der Sinanpaffaliven, zu vermählen,
entwich Alt wieder ans Berat und erneuerte an der Spike
einer Schaar kecker Palltfaren in Begleitung feiner Mutter
md Schweſter feine Klephrenzüge mit erhöhter Energie. Noch
immer aber verfagte fich ihm vas Glück. Als er lelich mit
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. II.
258 Buch I. Kap. III. 3. Ali's Iugendgefchichte.
feiner Familie den erbitterten Einwohnern von Chormovo
(jünöftlih von Tepeleni, nicht fern dem Vojuſſathal, dieje
Ehriften) und Gardiki (jüdweitlih von Arghyrokaſtron, dieſe
Mohammtedaner) in die Hände gefallen war, mußten fie
mehrere Wochen in harter Haft zu Gardiki ſchmachten und
wurden erit durch Vermittlung des Griechen Ulalikavos zu
Arghyrokaſtron für 65,000 Franken losgekauft. Aber bie
beiden Frauen waren vorher höchſt brutal behandelt und mit
bewußter Niederträchtigkeit [nftematifch entehrt worden. Beide
beichworen nun den Ai, fie blutig zu rächen. Er bat jeit
diefer Zeit die Blutrache an den Gardikioten und Chormo-
viaten mit derjelben unerbittlichen Zähigfeit verfolgt, wie beit:
Gedanken, jenen glüdlichen Liebhaber Ibrahim-Bei einft zu.
vertilgen. Aber es dauerte lange, bis er zu ſolchem Beginnen.
bie Macht gewann. in Angriff auf Chormovo fcheiterte
gänzlih. Nachher blieb ihm michts übrig, als zeitweile bei
dem Paſcha von Negroponte mit 30 Mann als Bulukbaſchi
in Dienfte zu treten, und dam wieder in Theſſalien und im
Pindosgebirge als Klephte ſich aufzufpielen. Verſchiedene
Erfolge, die er jet davontrug, lenkten die Aufmerkſamkeit des
Kapelan⸗-Paſcha von Delvino auf ihn, der ihm feine Tochter
Emineh vermählte und die Hoffnung nährte, in dem damals
24j25jährigen Alt eine gute Stüge bei feinen eigenen anarchiicen
Abfichten zu gewinnen. Es war damals (S. 225) die Zeit,
wo die ruffiihen Agenten in NRumelien gegen die Pforte fräftig
zu arbeiten begannen. Als nun 1767 die Pforte die Albanejen
gegen bie aufſtändiſchen Montenegriner und andere Infurgenten
aufbot, jpielte Kapelan eine ſehr zweideutige Rolle, für bie er.
nachher zu Monaftir mit feinem Kopfe büßen mußte, während
ber Staat feine Güter einzog. Ali, der inzwiſchen durch Lit
und Gewalt fich in den Alleinbefig von Xepelent gejett hatte
und nunmehr nach höheren Zielen ftrebte, wußte zunächſt bad
Wohlwollen des neuen Paſcha's von Delvino, des Ali-⸗Bey
von Arghyrokaſtron zu gewinnen, indem er ihm feine Schweitet
Chainiga zur Frau gab. AS aber dieſer Mann auf bes
Herrn von Tepeleni Antrieb durch feinen eigenen Bruder.
Ali's Jugendgeſchichte. 259
ermordet, nun aber doch nicht Ali, ſondern ein gewiſſer,
bereits bejahrter Selim⸗Bey⸗Koka in Stambul zum Paſcha
von Delvino ernannt worden war, da wußte Ali mit katzen⸗
artiger Schlauheit ſich in das Vertrauen dieſes trefflichen
Mannes einzuſchleichen und ihn zu verderben. Selim gab die
Praxis ſeiner Vorgänger auf und ſtellte ſich zu den Venetianern
in dem benachbarten Korfu auf guten Fuß, erregte aber dadurch
in Stambul Mißtrauen. Dies wußte Ali zu benutzen, um ihn
zu ſtürzen. Er umſchlich den Paſcha ſpionirend, verdächtigte ihn
bei der Pforte mit ſolchem Erfolge, daß dieſe nur allzubald
über Selim das Todesurtheil verhängte, mit deſſen Ausführung
Ali beauftragt wurde. |
Diefer Frevel, der aus der unheimlichen Atmojphäre des
ruſſiſch- türfiichen Krieges und aus dem Zorne der Pforte
über die griechiiche Inſurrektion fich erklärt, joweit der Diwan
dabei mitwirkte, wurde der Ausgangspunkt für Ali's Fünftige
Größe. Die Pforte ernannte jet den ihr anfcheinend jo treu
ergebenen Mann zum Stellvertreter des neuen Derwendſchi⸗
Baſchi von Theſſalien, — eine Stellung, die er aber jchändlich
mißbrauchte. Anftatt nemlih mit Energie für die Sicherheit
der Straßen und des Verkehrs zu ſorgen, trat Ali mit den
Klephten in heimliche Verbindung. Viele Klephten erhielten
von ihm für Geld fürmliche Freibriefe; felbjt ein Antheil ver
Beute ſoll zuweilen für ihn ausgemacht worden fein. Jeden⸗
falls erreichte in den unter feiner Aufficht ftehenden Zerritorien,
wo ja noch bie jchredliche Albanefen-Blutzeit (S. 234 ff.)
nachwirkte, die Räuberwirthſchaft allmählich eine furchtbare
Höhe. AS endlich die Pforte den Derwendicht - Bajcht zur
Verantwortung 309, gelang e8 dem Ali, mit feinem Geld in
Stambul fo erfolgreich zu arbeiten, daß er felbit jeder Strafe
entging, während fein Chef für die wüſten Zuftände in feinem
Departement mit jeinem Kopfe büßen mußte.
AS endlich 1787 der neue Krieg mit Rußland ausbrad),
erhielt er unter dem Großweſſir Juſſuf ein wichtiges Com⸗
mando. Bei diefer Gelegenheit zeichnete er fich fo entichieven
aus, daß ihn die Pforte im Jahre 1788 unter Belaſſung
17*
260 Bud I. Kap. II. 3. Mi wird 1788 Paſcha von Triltala.
in der Stellung bei der Auffiht über die Sicherheit ber
Heerftraßen (jetzt ſelbſt als Derwendfſchi-Paſcha oder
Großaufſeher aller Straßen von Rumili) mit der Ernennung
zum Paſcha von Trikkala belohnte. Gewiſſe dunkle Gerüchte
von bedenklichen Beziehungen, die zwiſchen Ali und den Ruſſen
ſtattgefunden haben ſollten, wußte er durch ſeine Freunde und
durch ſein Gold zum Schweigen zu bringen. Um fich aber
jetzt in dem Vertrauen des Diwan in Stambul völlig feſt zu
jegen, führte er. ſofort einen großen Schlag aus. Zu feiner
wejentlichen Aufgabe gehörte es, die große Heerſtraße von
Stambul nad Janina frei und ficher zu balten und namentlich
das PBeneiosthal von Räubern zu reinigen. Ali bot daher ein
Zruppencorpe von 4000 Mann Schknpetaren auf, und bald
gelang es ihm, dem begabten Heerführer, fein nüchites Ziel zu
erreichen. Es koſtete ihn feine fehr große Mühe, die ala
nefiichen und griechifchen Klephten und die unruhigen griechiiden
Armatolen, deren Kämpfe mit Alt feit dieſer Zeit fich em
leiten, aus den Ebenen herauszuſchlagen und zum Rüchzuge
nach den Gebirgen zu zwingen. Es gelang ihm bald, in
bem ganzen Gebiete zwilchen dem Pindos, dem Tempethal
und den Thermopylen die äußere Ordnung und Gider
heit herzuſtellen. Nun aber galt e8, noch Größeres zu er-
langen.
Alt’ 8 glühender Wunſch war es, das Paſchalik von
Sanina zu gewinnen. Seine perjönlichiten, wie feine höher
gehenden politifchen Pläue machten ihm die Gewinnung dieler
Stellung nöthig, von der aus bie Herrichaft über Albanien
erworben werden ſollte. Vorbereitet hatte Alt feinen Vorftei
auf Epirus fchon lange. Die Zahl feiner Freunde und Be
wunderer in Stambul war groß. Demetrios Paläopulos von
Karpenifi, ber angefehenfte griechiſche Armatolenführer in ber
Landichaft Agrapha, war ihm befreundet und verbändet, und
hatte bereits mit. alarnaniſchen und theſſaliſchen Armatolen
untev Bakvvallas und Kanavos die Fehde gegen den Paſcha
von Sunina eröffnet. Die Zuftände in Janina ſelbſt unter
ftügten gerabe damals Ali's Pläne. Diefe veiche und blühende
Ayannina. 261
Stadt Hatte fich feit der osmanifchen Beſitzergreifung (Bd. IL,
S. 456) lange einer Art halber Freiheit zu erfreuen vermocht,
bie erit 1611 arg geftört worden war. Damals nemlich
hatte der wahnfinnige Putſch des fanatiichen Thoren Dionyſios
Sleloſophos, des Ex⸗Biſchofs von Trikkala (©. 45), nad)
Bertilgung der Meuterer der Stadt großen Schaden gebracht.
Die Griechen hatten die Burg räumen müffen, eine Anzahl
ihrer Kirchen waren zerftört worben, die bisher durch ihre
eigenen Organe allein verwaltete Stabt wurde nun auch unter
das Regiment der Paſchas geſtellt. Trotzdem blieb der vom
einer rübrigen, noch immer zahlreichen griechiichen Bevölkerung,
wie auch von vielen Türken und Juden bewohnte Plat bei
kiner glücklichen Lage für den Verkehr, bei mäßiger Der
fteuerung, und nachher wieder al8 Sit blühenber griechiicher
Lehranſtalten (S. 201) fehr bedeutend. Die Macht des
Paſchas in der Stadt felbjt war noch immer, ſobald nicht jo
kräftige Männer wie Kurd von Berat (©. 218) einmal hier
regierten, durch die Rechte der Einwohner beſchränkt. Nur
daß unter den Einwohnern die leidenſchaftlichſten Partetungen
beitanben. Die einflußreichiten Agas oder Beis, denen fich die
Griechen anſchloſſen, haderten bitter mit einander, auf ihre
feften Raftelle geftügt; die Stadt war oft genug der Schauplag
des Haders und der Anarchie. Namentlich neuerdings jeit
Kurds Tode hatte diefes Übel unter ſchwachen Paſchas wieder
ftarf um fich greifen können. Alt wußte das wohl zu benutzen.
Ging er einerfeit8 aus von ver Abhängigfeit, in welcher früher
der Janina⸗Paſcha einige Zeit lang von dem zu Trikkala
geftanden Hatte, fo bildete er fich andererſeits unter ven
Griechen der epirotifhen Hauptſtadt eine Partei, die allerbings
bei dem Abjchen der Beis gegen „ven Sohn der Entehrten‘
nur langjam fich ausbreiten konnte. Als aber ver legte Paſcha
farb und nun über die Neubejegung der Stelle in Ianina
wilde Parteiungen ausbrachen, griff Ali zu. Er überfchritt
den Pindos mit ftarfer Macht und erſchien im Berbft 1788
vor Janina. Nun vereinigten fich freilich die Beis und griffen
ihn an dem Ufer des herrlichen Sees an, ber ihre Stadt
262 Bud L Kap. III. 3. Ali (1788) Paſcha von Janina. |
beipülte. Sie wurden geichlagen und nad Janina zurüde
geworfen. Da nun Alt feinerfeitS nicht ftarf genug war, bie
Stadt zu erftürmen, fo blofirte er fie nur, während auf
feinen Antrieb feine Barteifreunde in Janina eine Gefanbtichaft
nah Stambul jchidten, um feine Ernennung zum Paſcha zu
fordern.
Sobald Alt erfuhr, daß diefer Schritt erfolglos geblieben
war, daß vielmehr die Pforte verfügt Hatte,. er jollte jofort
nad Theſſalien zurüdtehren, beichloß er, mit rückſichtsloſeſter
Unverfchämtheit vorzugehen. Im Einverſtändniß mit feiner
Partei wird der großberrlihe Ferman gefälſcht. Als die
Beis von Ianina nah altem Brauche ausmarfchiren, um ben
Verman zu vernehmen, Hören fie mit Staunen, daß ber
Padiichah ven Alt zum Pafcha von Ianina ernannt hat und Allen
befieblt, ihm zu gehorchen. Noch wiverjtreben fie; aber nun
entftebt in der Stadt eine allgemeine Verwirrung, und barüber
gelingt es Ali's Freunden, ihm in einer Oftobernacht ben
Eintritt in die Stadt zu eröffnen.
Nun warf Alt fofort eine ftarfe Beſatzung in die Citadelle
der Stadt. Dann wandte er feine ganze Schlauheit an, um
ſich möglichft feft zu jegen. Die ihm feindlichen Beis wurden
durch den Schein offenen Entgegenfommend gewonnen ober
wenigſtens bejchiwichtigt; freilich nur, um fie nachmals ſyſtematiſch
zu fchwächen und zu berauben. Die Schkypetaren wurden auf
jede Weife an feine Perſon gefejfelt. Die riechen aber
— mit denen ber frivole Cyniker Alt ebenjo unbedenklich auf
das Wohl der Panagia trank, wie er je nach Umſtänden den
moslemitifchen Fanatifer fpielte, oder wieder auf die Ideen
ber freigeiftigen Bektabfcht, der Pantbeiften des Islam ein
ging — wurden geködert, indem Mi fie ohne Weiteres in
feinen Rath, in fein Heer, in jeine Verwaltung aufnahm umd
aus ihren Reihen feine Leibärzte wählte, wie fpäter namentlid
bie Metaras, Spathes und Kolettis. Eine neue, diesmal mit
großen Gefchenten bewaffnete, Gejandtfchaft aber ging nad
Stambul ab und erfaufte daſelbſt bei dem Diwan die An
erfennung deifen, was die durch den Ruſſenkrieg bejchwerte
Ai erobert 1789 Alarnanien und zerftört Chormovo. 263
Pforte doch nicht mehr zu Kindern vermochte. Und nun griff
Alt fofort weiter. Leicht fand ſich ein Vorwand, eine Fehde
(1789) gegen ven Paſcha von Arta zu eröffnen; in vafchen
Voritoße gelang es, ganz Alarnanien zu erobern. Nun follte
auch die eine Hälfte des blutigen Vermächtniffes vollzogen
werden, welches ihm feine Mutter Chamko bei ihrem Tode
(kurz; vor der Einnahme von Janina) ans Herz gelegt hatte.
Gardiki konnte zur Zeit noch nicht angegriffen werden, wohl
aber ſollt Chormovo fallen. Diefe Stadt wurde mit Lift
gewonnen, bis auf den Grund zerftört. Die männlichen Ein-
wohner, foweit fie nicht fliehen konnten, wurden niedergehauen;
ein Mann, welcher feiner Zeit der Chamko Gewalt angetban
hatte, wurde auf einem Roſte lebendig gebraten; die Weiber
und Kinder verfielen der Sklaverei.
Ram bet diefer Gelegenheit die Tigernatur dieſes Albaneſen,
ſeine ideale Befähigung zu kaltblütiger Verübung der uner⸗
hörteſten Graufamfeiten, in wahrhaft ſchauerlicher Weiſe zum
Vorſchein, ſo zugleich ſeine Gewandtheit im raſchen Zugreifen.
Denn jetzt wurde auch noch der Kanton von Khonitza, das
Thal von Karamutadez, die Stadt Libochovo und ein Theil
des Kantons von Premiti erobert. Auch die Befignahme ber
wichtigen Pofition von Kliffura gelang. So hatte nun Ali
die Verbindung zwiſchen Janina und Tepeleni bergeftellt und
beherrichte das gefammte Tlußgebiet des Vojuſſa von der
Quelle bis nach Tepeleni. Sein alter Nival bei ver DBe-
werbung um die Hand der Tochter des Kurd-Paſcha, jet
Kurds Nachfolger zu Berat, Ibrahim, dem die unverjühn-
liche Rache Ali's drohte, konnte diefe Eingriffe Mi’s in fein
Gebiet auch mit Waffengewalt gegenüber den Schkopetaren
und den Armatolen feines Gegners nicht hindern. Es Tam
ein Vertrag zu Stande, durch welchen Ibrahim die von Alt
eroberten Kantone abtrat, und zwar unter dem Namen einer
Mitgift, welche feine jet mit Ali's Sohne Muchtar vermählte
Tochter erbielt.
Alt war jeßt der dominirende Machthaber in Theſſalien,
Epirus umd Alarnanien. Für die Griechen in Nord» und
284 Buch J. Kap. II. 3. Mi-Pafe yon Janina.
Mittelgriechenland zur Zeit bereits mindeſtens eben jo wichtig
wie der Sultan ſelbſt, wird nunmehr feine Herrihaft für
die gefammte weitere Zeit bis 1821 eines der bedeutungs⸗
vollften Momente in der ganzen weiteren Gejchichte der Griechen.
des Feſtlandes.
Zweites Bud.
— —
Geſchichte Griechenſands von 1788 his 1821 n. Ehr.
— — — — —
Erfies Kapitel.
Gefchichte Griechenlands von 1788 bis 1814.
I.
Es ift keineswegs die Willfür des Hiſtorikers, wenn wir
die Gefchichte der legten Periode des griechifchen Lebens unter
osmaniſcher Herrichaft mit dem Ausgange des neunten Jahr⸗
zehnts des achtzehnten Jahrhunderts beginnen. In der That
treffen gerade in dieſem Momente eine Reihe von Motiven
zufammen, welche in höchſt intenfiver Weije auf die vollftändige
äußere und innere Umgeftaltung ver Lage der griechtichen
Nation eingewirkt haben. Ber 1787 wieder auögebrochene
türkiſch-ruſſiſche Krieg, deſſen gleich hernach in erfter Linte zu
gedenken fein wird, und die damit zufammenhängenden Unruben
und Kämpfe in Epirus und im ägätfchen Meere, mie auch
jeine Folgen für den griechiichen Hanbelsverfehr würden une
noch nicht beftimmen können, gerade bier den Ausgangspunkt
einer neuen Epoche des griechifchen Yebens zu erfennen. Wohl
aber ift e8 von höchſter Bedeutung auch für Griechenland
geworden, daß gerade in biefe Zeit der Beginn der fran-
zöſiſchen Revolution fällt. Die Feuerfunken, das Flug⸗
feuer der koloſſalen Bewegung in Frankreich, zünden auch in
268 BuhIL Kap. J. 1. Die allgemeine politifche Lage ber Griechenwelt.
-Sriechenland, überall in der griechiichen Welt, felbft bei ben
Klephten der Gebirge. Die großen Kriege der Nevolution
und der Napoleonijchen Zeit berühren auch den Weſtrand ber
griechifchen Welt, nemlih Epirus und die tonijchen Snieln.
Der ungeheure europäiſche Brand dieſes Zeitalters fommt dem
Aufihwunge des griechiihen Handels, der neuen griechijcen
Bildung und der griechiichen Treiheitäglutb in fühlbarfter
Weife zu Statten. Mehr aber, vor dem Eindringen ber
. modernen franzöjiihen vevolutionären Ideen bei den Griechen
und vor der immer allgemeiner werdenden Berührung der
Griehen mit ber europätichen Civiliſation tritt die bisher
vorherrſchende orthodoxe Eympathie mit Rußland in erheb
lihem Grade zurüd. Dazu kommt noch ein Anderes. Die
bumgsitäyen und veformatorüchen Ideen des achtzehnten Jahr⸗
hunderts, wie fie vor dem Ausbruch der franzöfifchen Kata⸗
ſtrophe auch auf den Halbinjeln der Pyrenäen und ber
Appenninen in umfafjender Weife zur Geltung und praftiicen
Durchführung gekommen waren, gelangen nun fchließlich au
auf der Balkanhalbinſel zum Durchbruch. Diesmal fir es
bie Osmanen jelbit, der Sultan an der Spike, welche dieſen
Weg einschlagen, der dann doch nur den Griechen wirkid
zum Vortheil gereihen ſollte. Die Schwäche aber des
Gentralvegimented in Stambul ruft auf der Balfauhalbinfel
und auf anderen Punkten unter den Mohammebanern felbft
Erſcheinungen hervor, die an bie Loslöſung der perfifchen
Satrapen des vierten Jahrhunderts v. Chr. von dem Reiche
der Achämeniden und deren Fehden unter einander erinnern.
Unter diejen modernen Satrapen aber nimmt für bie Griechen
wieder bie wichtigite Stelle ein jener Ali-Paſcha von Janine,
deſſen wir zulett noch gebacht Haben. Und Alt ift es, ber
lange als ber gefürdhtete Herr der Griechen bes Feſtlandes
auf die Armatolen den entſcheidendſten Einfluß ausübt, zulegt
aber in feinem feinvlichen Gegenfage zu der Macht de
Großherrn felbft wider fein Wiffen und Willen ven Schleier
stehen hilft, Hinter welchem fich die jelbftändige Erhebung ber
Griechen gegen die Pforte vorbereitet.
Ruſſiſch⸗türkiſcher Krieg feit 1787. 29
Die vergleichsweife Leichtigkeit, mit welcher Mi-Pafcha fich
unter Zulaffung des Diwans in den Beſitz von Janina, Arta
und anderen Gebieten hatte jegen können, hing doch damit
zuſammen, daß die Pforte (S. 255) feit dem Sommer
1787 wieber in jchweren Kämpfen mit Rußland ftand, an
deſſen Seite im Februar 1788 auch Sfterreich trat. Die
kriegeriſchen Ereigniffe an der nördlichen Grenze des osma⸗
niihen Reiches kommen für und bier nicht weiter in Betracht;
fie intereffiren und nur wegen ihrer Rückwirkung auf einen
Theil von Griechenland. Gleich bei dem Ausbruche des
neuen Krieges war das Shftem der Aufiwiegelung ber chrift-
lichen Unterthanen ver Pforte Seitens der Gegner berjelben
mit Eifey wieder aufgenommen worben; namentlich auch burch
die al8 ruffiihe Conſuln auf den ioniſchen Inſeln fangirenven
Griechen: Die Erinnerung an das Schickſal der Moreoten
im letter Kriege und an bie Rückgabe der zu Rußland damals
übergetretenen Inſeln an die Pforte war jedoch noch zu frifch,
ald daß fich gerade in dieſen griechiichen Provinzen Semand
jest ernftlich für die ruffiiche Politik Hätte compromittiren mögen.
Nuffiicherfeitd dachte man daher nunmehr daran, die viel
kräftigeren Sulioten und Rumelioten in Bewegung zu jeken.
Freilich war e8 ein ſehr übler Umftand, daß die Agenten
Rußlands perſönlich nicht viel werth waren, die ihnen für
ihre Landsleute zugewieſenen bebveutenden Mittel zum Theil
für ihr eigenes Imtereffe verwendeten, unb nachher in ihren
Berichten nach Petersburg unbebeutende Gefechte als große
Ationen. darftellten. Namentlich der Kapitän Pjaros aus
Mykonos (S. 228f.), ver 1788 im Auftrage des mit ber
Leitung bes Unternehmens betvauten Generald Tamara (S. 226)
mit dent Brimaten Sotirt von Voftika den Aufftand in
Albanien organifiren follte, erwarb fich nach diefer Richtung
din einen fchlimmen Ruf. Die ganze Unternehmung, fomeit
Öriehenland diesmal in Betracht Tam, fchwebte um jo
mehr in der Luft, weil. Rußland durch den Ausbruch eines
Krieges mit den von Stambul aus gewonnenen Schweven inr
Sommers 1788 gehindert war, feine Flotte aus ver Oſtſee
270 Bu II. Kap. I. 1. Andrutſos. Die Sulioten.
nach dem ägätichen Micere zu fchidlen. Die zahlreichen Kaper
verichiedener Nationalität, welche unter ruſſiſcher Flagge bie
griechiichen Gewäſſer durchichwärmten, verübten allerdings eine
Reihe furchtbarer Gewalttbaten, jelbjt an der griechiichen Be⸗
völferung, waren dagegen militäriich ohne Werth. Indeſſen
gelang es dann den ruffiichen Agenten doch, einerfeits die
Sulioten mobil zu machen, andererſeits auch ven alten
tapferen Armatolen Andrutios (S. 236) zu gewinnen,
welcher Ießtere nach dem Friedensichluffe von Kutjchuf- Kai-
nardſche auf Grund der türkiichen Amnejtie aus Preveja nad
Livadien zurückgefehrt war, jet aber fich gern bereit zeigte,
jeine Waffen wieder mit denen der Osmanen zu Freuzen.
Die Sultioten, die auch durch Ibrahim von Berat und-
andere albanefiihe Gegner des Ali⸗-Paſcha aus privatem
Interefje zur Eröffnung von Feindfeligfeiten gegen den neuen
Herrn von Ianina anfgeftachelt wurden, hatten dann aud m
Jahre 1789 ihre Raubzüge gegen die benachbarten Landſchaften
Albaniens, d. h. des epirotiichen Landes, mit Glück begonnen,
und Ali's Krieger Hatten ihnen nichts Ernfthaftes anhaben
fönnen. ine Geſandtſchaft von Sultoten und einigen Inſel⸗
griechen ging jogar im April 1790 nach Petersburg, tabelte
zwar das Verhalten jenes Pſaros auf das Bitterjte, Hulbigte
aber der Kaiſerin und begehrte von ihr einen neuen Fürſten
für Griechenland, da der Stamm ihrer alten eigenen Herricer
dabin ſei! Prinz Konftantin wurde damals als König Grie⸗
chenlands begrüßt. Aber militärijch wurde hernach nichts
ausgerichtet. Bon Suli her — diefer Plan ward allerdings:
entworfen —, wo fich ein Heer griechiicher Injurgenten, babei
auch Andrutſos mit jeinen PBallifaren, und ruffiicher Krieger
jammeln follte, gedachte man eine Colonne direkt gegen
Saloniht zu birigiren. Die andere follte durch Livadien
marſchiren, Zuzug aus Moren aufnehmen, und, zulegt eben-
falls Salonichi im Auge, bei Eubda die Verbindung mit einem
kühnen griechiichen Flottenführer gewinnen, der eben damals
gegen die Osmanen im Archipelagos operirte. Diefer Mann
war Lambros Kanzonis aus Lebavein, welcher (geboren
Lambros Kanzonis 1790. 271
um 1752) jeit 1770 in ruſſiſchen Kriegsdienſten fich bereits
burch tapfere Thaten einen großen Namen erworben hatte.
Diefer Grieche war zu Anfang 1788 in Trieſt erjchienen und
hatte Hier theils mit ruffiichen Mitteln, theils mit Hilfe frei-
williger Beiträge reicher Griechen von Trieſt und anderen Orten,
allmählich ein Geſchwader von zwölf Schiffen ausgerüftet, mit.
welhem er, ver nunmehr felbjt den Rang eines ruſſiſchen
Majors erhielt, unter ruffiiher Flagge im April 1790 nad
dem ägäiſchen Meere auslief, nachdem er bereitd 1788 und
namentlich 1789 mit einigen Fahrzeugen im ioniichen, ägäiſchen
und ſyriſchen Meere den Osmanen großen Schaden gethan
hatte. Leider nur bejaß Lambros ‚mehr Zapferfeit und Teuer,
als Feldherrntalent. Sein jegiges Ericheinen in dem Archi⸗
pelagus veranlaßte die Pforte, die ſchon bisher gegen ibn.
aufgebotenen Schiffe zu verftärfen und einen Theil ihrer
Flotte aus dem fhwarzen Meere gegen ihn kreuzen zu laffen..
Nun eroberte Lambros zwar die Injel Keos, verichanzte ſich
bier, richtete jeine Bewegungen gegen die anderen Injeln und
die osmaniſchen Geſchwader. Geraume Zeit mit Erfolg. Endlich.
aber griff er zur Unzeit bei Andros fieben große algierijiche
Corjaren an, die fi) mit den Osmanen vereinigt hatten.
Nah heldenmüthigem und erbittertem Kampfe (18. Mat
1790) unterlagen die Griechen der Wucht und dem über-
Iegenen Gefchüg der Gegner. Die griechiihe Flotte wurde
vernichtet; nur Lambros felbit entfam verwundet mit zwei
Begleitern in einem offenen Boote nach Melos, dann nach
Gerigo.
Damit fiel aber bie ganze griechiſche Bewegung
wieder in fih zufammen. Die rulfiichen Agenten waren
weder in der Lage, noch auch ernitlich gewillt, ven Lambros
jegt noch bei feinen ausſichtslos gewordenen Unternehmungen.
zu unterftügen. Die Petersburger Politif, die ohnehin mit
den Erfolgen der eigenen rujfiihen Waffen an der Nordgrenze
des osmanischen Reiches immerhin zufrieden fein konnte, gab
die Griechen einftweilen auf, ſobald es fich zeigte, daß
die Infurreftion auch diesmal nur einen fehr untergeorpneten.
M2 Buch II. Rap. I. 1. Ausgang des Lambros Kanzonis.
militärifchen Werth für dem großen Krieg entwickelte. Unter
diefen Umftänden hatten die weiteren Kämpfe ber wenigen
inſurgirten Griechen und ber Sulioten fir bie griechiiche Welt
nur den einen Nuten, daß fie berfelben zeigten, welche zähe
und nachhaltige ſoldatiſche Kraft in dem Bereiche griechticher
Armatolen, chriſtlich ⸗albaneſtfcher Gebtrgsfrieger und grie
chiſcher Seeleute die allmählich fich emporarbeitende griechiſch⸗
albaneſiſche Nation ſchon jetzt wieder zu entfalten im Stande
mar. Die Sulioten, deren große Kriegsplaäne jetzt zu
Waſſer geworben waren, blieben anf ben Kaͤmpf gegen Al
Paſcha beſchränkt. Sie haben denſelben während der Jahre
1790 und 1791 mit Erfolg geführt. Aber ihre Raubzlge
nahmen fett einen fo ſchonungsloſen Charakter ar, daß fie es
deldurch auch mit den ihnen wohlgefinnten mohammedaniſchen
Gegnern Ali's In Epirus und Albanien, und mit ben benach⸗
barten griechlichen Armatolen gruͤndlich verdarben. Der tapfere
Andrutfos konnte mit 800 Dann, tiber welche er etion
verfügte, unter den obwaltenden Untftänden natürlich auch
nichts Erhebliches ausrichten. Ihm blieb ſchließlich nichts
übrig, als ſich wieder nach Preveſa zurückzuziehen. Lambros
Kanzonis endlich war allerdings gewandt genug, wieder ein
Geſchwader von neun kleinen Schiffen zuſammenzubringen, mit
dem er zunächſt ſich nach Ithaka zug, um wert nun ab die
Osmanen als Corſar, beziehentlich als ruſſiſcher Kaper zu
befehden. Denn noch immer intereſſirten ſich die Ruffen,
Fürſt Potemkin und General Tamara, perſönlich lebhaft fir
ihn, behandelten ihn als einen Faktor ihrer griechiſchen Politik.
Eine Reiſe nach Trieſt and Wien zu perſönlicher Verhandlung
mit den Vertretern Rußlands brachte ihn in Trieft in Gefahr,
von feinen Glaubigern feftgehnlten zu werden. Won feinen
Freunden aus diefer Klemme befreit, ntit neuen Mitteln zur
Berftärfung feier Flottille ausgeſtartet, Tief Lambtos dieſelbe
dann theils in Ithaka, theils in Sicilien überwintern, ſegelte
etwa im März 1791 nah der Maina, machte auf deren
Oſtſeite den Hafen Porto Onaglto (Kalo), nur wenig
nördlich vom Kap Matapan, zu feinem Standquartier, und
Friedensichluß zu Siſtowa 1791, zu Jaſſy 1792. 273
verjuchte ed, die Maniaten für fich in Bewegung zu bringen.
Dieſes gelang ihm aber nicht. Das Jahr 1791 verftrich
in Unthätigfeit, und gleich nachher beraubte der Friedensichluß
zwiichen den friegführenden Großmächten den griechiichen Kapitän
des ruſſiſchen Rückhaltes.
Der politiſche Druck, den die Abneigung der europäiſchen
Welt, England und Preußen damals an der Spitze, gegen den
öſterreichiſch⸗ruſſiſchen Türkenkrieg auf die Höfe von Petersburg
und Wien ausübte, veranlaßte Oſterreich, deſſen Waffen ohne
bin nur zweifelhafte und geringe Erfolge davongetragen hatten,
zuerft amt 19. September 1790 zu Giurgewo einen Waffen«
ftillitand, dann am 4. Auguft 1791 zu Siftowa den Trieben
mit der Pforte zu ſchließen. Rußland aber, deſſen Heer-
führer namentlich in einer Reihe von Belagerungstämpfen
verſchiedene glänzende, obwohl ſehr tbeuer erfaufte Siege
gewonnen hatten, ftand zwar jchon fett dem 14. Auguft 1790
wit Schweden wieder im Frieden, fand e8 aber nach Ofter-
reichs Rücktritt von dem Kriege tm Hinblid auf die damaligen
Zuftände in Polen und in Frankreich, und auf die Nachbar-
mächte für zweckmäßig, den bis zuleßt fiegreich geführten Kampf
num ebenfalls einzuftellen. Am 9. Januar 1792 wurde zu
Jaſſy der Friede unterzeichnet, durch welchen die Beſtimmungen
der Berträge ‚von 1774, 1779 und 1783 erneuert, die
Grenze Rußlands aber bis zum niefter vorgerückt wurde.
Seit diefem Momente fchwebten die bisher für Ruß—⸗
land compromittirten Gegner der Pforte in Griechenland
fo zu fagen „in der Luft“. Lambros Kanzonis zunächſt
fügte fich nicht der Aufforderung des Generald Tamara, nun⸗
mehr die Feinbfeligfeiten gegen die Türken einzuftellen, ſondern
verihanzte fih in Porto Quaglio und beichloß, ben Kampf
auf eigene Hand fortzufegen. Die Unterftügung der Kakobu⸗
niaten und der Zuzug vieler durch den Friedensichluß dienſtlos
gewordener Seeleute kam ibm dabei zu Statten. Hoffe
nungslos, wie für jene Zeit fein Verfuch unter allen Umftänden
war, jcheiterte Lambros ſchnell genug an der mit feiner Stellung
nun einmal unvermeidlich verbundenen Piraterie. Die Weg⸗
Hertzberg, Geſchichte Griechenſands. III. 18
274 8.1.8.1 1. Vernichtung des Lambros Kanzonis 1792. Andrutfos.
- sabme einiger franzöfiiher Kauffahrer bei Nauplion wurde
Beranlafjung, daß bei der Expedition, welche ver Kapudan⸗
Paſcha Huffein im Juli 1792 mit achtzehn großen Kriege
ſchiffen und vielen Sanbungstruppen gegen Porto Quaglio
unternahm, auch zwei in den griechiichen Gewäflern kreuzende
franzöftiche Fregatten fich betheiligten. Yambros wagte mit
feinen eilf zur Hand befindlichen Schiffen natürlich Fein See
gefecht, ſondern vertbeibigte fich in feinen VBerichanzungen. Die
Angriffe der Osmanen und Sranzofen am 17. bis 19. Yult
auf Porto Quaglio ſchlug Lambros anfangs mit Glück ab.
Als aber die Stellung unbaltbar wurde, folgte er dem Beim
lichen Rathe des gegen ihn mit 7000 Mann aufgebotenen
bamaligen Mainottenbeys Tzanetos Gregorakis, ent
wich mit einer Heinen Zahl feiner Begleiter in der Nacht zu
Waffer nach Cerigo, dann nah Ithaka, während feine Sente
fih durch die Gebirge Lakoniens zerftreuten und vorläufig zu
Lande retteten. Nur daß fpäter, wer von biefen Mannſchaften
im ägäiſchen Meere in türftiche Hände fiel, in Stambul hin⸗
gerichtet wurde. Lambros ſeinerſeits wurbe von der. Pforte
noch weiter verfolgt. Auf ihre Forderung lieferte Die vene
tianifche Regierung mehrere ſeiner Begleiter an die osmaniſchen
Bebörven aus. Lambros ſelbſt vermochte noch bei Zeiten nad
Parga zu entlommen. Weitere VBerfolgungen verhinderte bie
Intervention der Kaiſerin Katharina IL. Lambros kehrte
dann nach Rußland zurüd und verbrachte die lebten Jahre
feines Nebens in der Krim. Sein Tod fällt in das Jahr
1804. Minder glüdlich war ver. tapfere Andrutſos ge
weien. Dieien lieferte in jener Zeit die venetianijche Regierung
wirflih nach Stambul aus, we er als Kettengefangener im
Bagno bis gegen 1796, nach anderen Angaben bi gegen 1800
jein Leben vertrauert hat ?). |
1) Die litterariſche Unterlage des bisher in dieſer Periode Erzählten
bieten die Werfe: Finlay, Greece under othoman and venetian
domination, p. 328—334. „History of the greek revolution “, vol. I,
D. 55. Binteifen a. a O., Thl. VI, ©. 804 fi. und TU. VI,
Ali eröffnet 1792 den Krieg gegen bie Sulioten. 275
In glänzendem Gegenjage zu dem mehr ober minder
traurigen Ausgang dieſer Männer fteht nun her helden⸗
müthige und fiegreiche Sumpf, ber als Nachſpiel des ruffifch-
türliihen Kriege® bie tapferen Sulioten zu beftehen hatten.
Ali-Paſcha brannte vor Begier, dieſe trogigen Klephten zu
überwältigen, bie feinen Waffen jo entichloffen trogten; und
es beburfte Taum des Befehls der Pforte, bie ihn nach dem
Frieden von Jaſſy energiich antrieb, dieſen gefährlichen Vor⸗
poſten der ruſſiſchen Politik auf ihrem Gebiete zu vernichten.
Im Frühjahr 1792 traf der fchlaue Satrap von Janina die
umfaſſendſten Maßnahmen, um bie Sulioten zu vernichten.
Cr gewann ſogar den Ibrahim von Berat auf Grund der
gemeinſamen moslemitiichen Feindſchaft gegen die Chriften zum
Abſchluß Der Allianz gegen bie dem Berater früher befreundeten
Klepbten von Suli. Dieſes Bündniß wurde dann durch bie
Berbeiratbung von. Ibrahims zweiter Tochter mit Ali's Sohne
Veli beftegelt. Und bei der Erbitterung, welche die letzten
Raubzüge der Sulioten (S. 272) auch unter ven griechiichen
Chriften ringsum erregt hatten, wurde es Alt wicht fchwer,
duch feinen Freund Paläopulos auch die griechiſchen
Armatolen von Akarnanien, Agrapha und Theſſalien gegen die
trogige Klephtenrepublik aufzubieten. Es kam Dazu, daß Alt,
der ſchon viel Höhere Dinge im. Sinne hatte, jeinen Partet-
8.273 ff. Gervinus, Geſchichte des 19. Jahrhunderts, Thl. V, 1.
6. 325. 35f. Mendelsſohn-Bartholdy, Ali⸗Paſcha, S. 109 ff.
und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, ©. 69ff. 89ff., und Sathas
l.c. p. 538—564. Sathas läßt von allen bisherigen Annahmen
abweihend ben Andrutfos, ber bei Porto Quaglio mit Lambros
zuſammen geftanden babe, feinen berühmten Nüdzug aus More (ftatt
1770) im Jahre 1792 ausführen (p. 562). Nah Sathas (p. 5625q.)
wäre Andrutſos non. den ionifchen Infeln aus 1792 nad Stambul aus-
geliefert worden, und farb gegen 1796. Die „Mittheilungen (nad
Fauriel) aus der Geſchichte und Dicht ung der Neugriehen”,
80.11, ©. 97 ff. Iafien ihn von Dalmatien her außliefern und gegen 1800 zu
Stambul an der Peſt flerben. Über die Theilnahme der Spegioten
an Lambros“ Zügen filfe Orlandos, Nautıxa, p. 17. Bgl. auch
A. Miaulis, Die Infel Hydra, ©. 14f.
18 *
276 Buch LI. Kap. L 1 is Krieg gegen die Sulioten.
gängern zu verſtehen gab, — wenn er fi erjt unabhängig
gemacht haben werbe, fo jolle in feinem Lande zwiichen Rajah
und Zürfen fein Unterichieb mehr fein. Einige ber Armatolen
Alarnaniend und Theſſaliens, bie fich nicht entichließen konnten,
für Mi die Waffen zu ergreifen, wurden wenigitens zu
neutraler Haltung beftimmt. So gelang es ihm denn, binnen
furzer Zeit ein Heer von 10. bis 15,000 Mann bei Ianina
aufzuitellen, mit welchem er am 1. Juli 1792 von Janina
ausmarjchirte. Um aber die Sulioten völlig in. Sicherheit zu
wiegen, verbreitete er das Gerücht, der Felbzug gelte lediglich
der unbotmäßigen Stabt Argbprolaftro, und lud fogar zwei
nambafte juliotiiche Kapitäne ein, ihn dabei gegen hohen Sol
zu unterjtügen. Nur einer derjelben, Lambros Tiavellas
mit Namen, ging in die Falle und ftellte fich mit fiebzig
Sulioten bei Alt ein. Nun ging es wirffih eine Zeit lang
vorwärts in der Richtung auf Arghyrokaſtro. Dann wurde
bei Zita ein Lager nufgeichlagen, die Sulioten plößlich ver
baftet und als Gefangene nach Janina abgeführt. Einer aber
biefer Männer wußte doch zu entlommen. Er konnte noch zu
rechter Stunde die Heimath erreichen, wo nun fofort Ale
fich zu entſchloſſenſter Vertheidigung bereit machte.
Die Sulioten ftanden damals auf der Höhe ihrer
Macht. Sie Hatten (vgl. S. 219f.) ihren Nachbarn, ben
Mohammedanern von Margariti und Paramptbia, und dem
Paſchalik Ianina zufammen nahezu 70 Ortichaften entriffen,
bie ihnen nun zinsbar waren. Im ihren vier Gebirgsbörfern
(bem Tetrachorion) lebten in Kiapha in vier „Pharas“ 60,
in Avariko und Samoneva in je drei Pharas je 55 und 30,
in Kako⸗Suli in 19 Pharas 425 ober 450 Familien. ‘Diele
vermochten aljo ohne Mübe 1000 Pallifaren zum Kampfe zu
jtellen, die im Kriege noch durch 1500 Krieger aus dem
Heptachorion, den fieben äußeren Suliotendörfern (©. 219)
am Fuße ihrer Bergfeftung, verftärkt werben fonnten. Der
Kleine Sriegerjtamm, Alles zuſammen 7000 Seelen, erbielt die
Nachricht von Ali's Anmarſch gerade noch zu vechter Zeit, um
fih dem Paſcha fo drohen gegenüberzuftellen, daß derſelbe fi
Ali's Krieg gegen die Sulioten. 27
entſchloß, vorläufig den Weg der Liſt zu verſuchen. Ali ſtellte
daher dem gefangenen Kapitän Tſavellas die Wahl zwiſchen
grauſamer Hinrichtung und einer durch Verrath oder Übergabe
von Sult zu gewinnenden glänzenden Ehrenftellung. Tſavellas
erflärte ſich bereit, feine Wiünfche zu erfüllen, Tieß feinen
zmölfiährigen Sohn Photo als Geifel zurüd, und wurbe zu
feinen Landsleuten entlaffen. In Suli angelommen, rief
er die Häuptlinge zuſammen, ermunterte fie mit antikem
heroismus zu dem äußerften Wiberftande; um das Leben
feines Sohnes jollten fie ſich nicht kümmern, fondern vor der
Hand nur durch den Schein der Unterhanblung fidh die Zeit
zur Vollendung ihrer NRüftungen gewinnen. Das geſchah denn
auch; Die Bewohner des Heptachorion wurden in die Berge
gerettet, die feiten Pläke auf ſechs Monate mit Proviant
berieben. Dann kündigte Tſavellas mit rüdfichtslofer Offenheit
dem Pafcha fchriftlich an, „daß er fich freue, einen Schurken
getäujcht zu Haben. Wohl wife er, daß fein Sohn werde
fterben müſſen; jedenfalls werde diejer nicht ungerächt fallen.
Tas Schreiben des furltotiichen Kapitäns verjette den Alt in
ben höchſten Zorn. Der junge Photo freilich, ber durch den
ihlihten Heldenmuth, mit dem er bei ven jchredlichiten
Drohungen Veli's nur die Zuverficht äußerte, daß fein Vater
ihn ‚rächen werde, den Albaneſen imponirt hatte, wurde
geihont. Gegen Suli aber jollte jegt der große Gewaltichlag
gerührt werben.
Alt erſchien am 15. Juli von Paramhthia ber (S. 220)
an dem XThaleingang zu den fuliotifchen Felſenneſtern. Am
20. Juli ließ er den Angriff eröffnen; jeder Soldat, welcher
Kako⸗Suli erftürmen würde, follte 500 Piaſter als Belohnung
erhalten. 2000 mohammedaniſche Schkypetaren, benen ein
ftarfer Nachichub folgte, drangen mit wilder Energie im
Thale des Acheron hinauf. Es gelang ihnen auch, biesmal
tiefer in dieſes Thal einzubringen, als je die früheren Gegner
der Sulioten. Über ed war doch nur eine ſchlimme Selbft-
täuſchung, wenn fie die Sulioten, die unter Bojia (Georg
Bokaris) vor ihrem Säbelangriffe fo weit. gewichen waren,
278 Buch II. Kap. L 1. Ali's Niederlage vor Suli.
wirklich geichlagen zu baben meinten. An einer zur Ber-
theidigung vorzüglich geeigneten Stelle bei Kiapha Hielt Bojia
und gab das Signal zum allgemeinen Vorbrechen. Nun warf
fich eine andere Schaar unter feinem Sohne, noch eine andere
unter Tſavellas wuthentbrannt auf die Schlypetaren. Die
fuliottichen Weiber, von des Tiavellas Frau Moscho geführt,
wälzten furchtbare Steinmaflen auf die Teinde herab, denen
zugleich ein Vorſtoß der Sulioten aus dem Kaftell Tichos den
Rückweg verlegte. Es entftand ein ſchreckliches Gemetel, dem
nur 140 Schkypetaren entraunen.
Die unerwartete Niederlage erichredite Alt und fein Heer
ſo gewaltig, daß fie in jäher, ungeordneter Flucht nach Janina
zurücdiagten, — verfolgt von den Siegern, bie bis zu ben
Vorſtädten von Janina ihnen nacbräugten. Doch auch ſie
hatten mehrere Hundert Mann verloren und nahmen gern
den Frieden an, den jet ver Biſchof von Janina im Namen
des Paſchas ihnen bot. Die Loslaſſung der gefangenen
Sulioten und bie Abtretung des epirotiichen Gebietes nordoſt⸗
wärts bis nach Dervidziana (etwa ſechs Meilen ſüdlich von
Sanina) mußte ihnen zugeftanden werden. ‘Die Ausführung
biefes Vertrages ließ freilich auf fi) warten, und fchredlice
Rache gedachte Alt bei pafjender Gelegenheit an Suli zu
nehmen. Aber vorläufig hatten die Sulioten Ruhe vor ihm.
Sie Hatten ſich als viel beflere Krieger bewährt, denn jemals
die Maniaten; fie machten damals die erjte jener fchred-
fichen Leltionen im Kriege größeren Stil buch, bie fie
nachmals befähigt haben, bei dem Ausbruche bes ‘großen
griechiichen Nationallrieges an der Seite der tüchtigſten
Rumelioten bie frifcheften Kränze nationalen Heldenruhmes zu
erringen !).
1) Über diefe Kämpfe zwifchen Ali und dem Sulioten vgl. namentlid
„Mittbeilungen ꝛc.“, 8b. UI, ©. 231ff. Zinteifen, Thl. VII,
©. 270—278. Finlay, History of the greek revolution, vol. I,
p. 55 sqgg. Mendelsfohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 118—11T,
und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, S. Y0ff.
Reformpolitik des Sultans Selim IIL 279
u.
Ali's Kämpfe mit Suli rubten aljo jeit feiner ſchmäh⸗
lichen Niederlage im Sommer 1792 für längere Sabre.
Seine Gefchichte verichlingt fich vorläufig mit den nun fich
entwiclelnden inneren Bewegungen in der Türkei
und mit den milttäriihen Beriuchen der Franzoſen der
Kevolutionsperiode, auf griechiihem Boden feiten Fuß
zu faſſen.
Die letzte Hälfte des ruſſiſchen Krieges und ber Kampf
gegen bie Sufioten fiel bereits nicht mehr unter die Regierung
des Sultans Abdul» Hamid J. Diefer Herrider war am
7. April 1789 geftorben, und den Thron hatte beitiegen des
dritten Muſtapha achtumbzwanzigjähriger Sohn (geboren den
24. December 1761), der Sultan Selim II., ein begabter,
ingenblich feuriger Mann. Geftügt auf mehrere tüchtige und
aufgeflärte Staatsmänner, namentlich auf jeinen vertrauten
Sugendfreund, den Kapudan⸗Paſcha Kutichul-Huffein, und den
faft neungzigjährigen Mahmud⸗Tſchelebi⸗Efendi, ſchickte fich
Selm nach Abſchluß des Friedens von Jaſſy ſehr ernitlich
an, der Reformator feines Reiches zu werden. Zu feinem
Unglüd war aber der neue Sultan zwar ftrebiam und thätig,
aber nicht umfichtig, entfchloffen und ausdauernd genug, um
bie folcher koloſſaler Aufgabe widerjtrebenden Schwierigleiten
endgiltig zu überwinden. So viel Verftändbiges auch theils
eingeleitet, theil8 ausgeführt worden ift, bie Reformen Selims
führten einerſeits doch nur zu gewaltfamen Reaktionen, endlich
zu feinem Sturze, andererſeits Tamen fie thatjächlich nur der
griehiichen Bevölkerung des Reiches zu Gute. Selim
begann zunächſt mit ber Umgeftaltung des Diwan, bed groß
herrlichen Staatsratbes, zu einem anſehnlich erweiterten
Reihsrathe, welchem fortan alle Gejegvorichläge und iwiche
tigen Staatsangelegenheiten zur Begutachtung, beziehentlich
Entſcheidung vorgelegt werben follten. Damit jollte namentlich
die bisher übergroße Macht des Großweſſirs beichränft werden.
30 Buch D. Kap. I. 2. Reformpolitil de8 Sultans Selim IIL
Prineipiell gut gemeint, war dieſes aber für die damalige Lage
der Pforte ein fchlimmer Tebler. Denn die Reform würbe
viel leichter durch einen dem Sultan treu ergebenen, macht⸗
vollen Großweſſir durchgeführt worben fein, als durch einen
vielföpfigen Reichsrath, innerhalb deſſen fich natürlich fofort
Parteien bildeten, die dann zum Theil den Neuerungen felbft
widerwillig gegenüberftanden. Zunächſt ging es jedoch Träftig
vorwärts. Alle Zweige des öffentlichen Dienftes follten gründlich
reformirt werben; vor Allem jene, wo der Verfall der alten
Ordnung am fohreiendften hervortrat, nemlich die Finanzen
und das Heerweien. Die jchlimmen Erfahrungen während ver
letzten Ruffenfriege hatten den Verfall der militärifchen ‚Aus
bildung und der Disciplin bei den Janitſcharen wie bei ben
alten Xehenstruppen recht veutlich erkennen laffen. Namentlich
die Janitſcharen, „die ihre Stellen wie Pfründen anfahen, nur
an den Tagen der Soldzahlung in Reih und Glied erfchienen,
in den Städten, wo fie garnifonirten, zugleich die Herricaft
ausübten und Gewerbe und Handel trieben‘, waren zı einem
Krebsjchaden des Reiches geworden. Es galt nun, vor Allem
die Wehrfraft des Neiches zu erneuern, und dieſe zugleich
auf einen gutgefüllten Schat zu fügen. Damit waren
natürlih ſehr tiefgreifende Veränderungen verbunden. So
fange es fich nur erft um bie Verbefferung ber Feftungen, ber
Artillerie und um die Neugeftaltung der Flotte, bei welcher
die Türken nicht ernftlih in Betracht Tamen, handelte, hatte
die Sache Heine Schwierigkeiten. Aber der Gebante, bie
Saniticharen der europätfchen Discipfin zu unterwerfen, aud
nur aus den jüngeren Männern biefer faulen Prätorianer ein
disciplinirtes Corps in Stambul zu bilden, zeigte fich, wenige
ften® in weiterer Ausdehnung, als unausführbar. So wurde
man denn dahin getrieben, zuerjt in Levend⸗Tſchiflik in ber
Nähe der Hauptitadt, dann in größerem Umfange feit 1796
in Alten auf dem Wege der Werbung völlig neue Truppen
in europäifcher Welfe auszurüften, mit benen man auch ſehr
gute Erfolge erzielte. Der eiferfüchtige Haß der Ianitfcharen
and die Exbitterung ber alttürfiichen Partei, namentlich auch
Reformpolitit bes Sultans Selim ILL. 231
ber Maſſe des Volles, gegen das neumodiſche Wejen ſtieg
freilich bei dem Fortichreiten aller diefer Neuerungen. Nicht
minder tief mußte die Reform des Finanzweſens und ber
Verwaltung gerade die berrichende Race in dieſem Neiche
aufregen. Allerdings ftellte die Einficht des Sultans eine
ganze Reihe von finanziellen Gewohnheiten ab, die feit Alters
auf den bürgerlichen Wohlſtand und das Gedeihen der Osmanen
wie der Rajah ſehr ungünſtig eingewirkft hatten. Aber bie
Einrichtung der neuen Kriegsfaffe, welche ver auch als
Seneralinipeltor aller Feftungen, aller neuen militärijchen
Inftitute und der neuen Truppen fungirende Tſchelebi⸗Efendi
u verwalten hatte (unter deſſen Yurisdiction beiläufig auch
Athen als Feftung damals geftellt wurde *)), führte zu einer
fundamentalen Neuerung in dem osmantichen Staatdorganismus.
Einerjeit8 bob der Sultan principiell das alte Syitem (S. 69 f.)
ber Lehensgüter auf. Alle durch den Tod ver Inhaber
eriedigten Siamets und Timars ſollten fortan fchrittweiie
eingezogen, als Krongüter verwaltet, ihr Ertrag der Kriegs⸗
faffe zugeführt werden. Schon jet wurden ſolche Lehensgüter
eingezogen, beren Inhaber ven. Kriegsdienſt vernachläffigt hatten.
Ebenſo follten die lebenslänglichen Pachtungen der Zehnten zu
Gunſten dieſer Kaffe eingezogen, besgleichen die Zölle von
Stambul, die Tabakspacht und verſchiedene neue indirekte
Steuern berjelben zugewieſen werben. Die Kriegskaſſe bezog
ſchon 1798 jährlih 324, 1800 etwa 50 und 1806 an
75 Miltionen Piaſter. Selbſt der Gedanke tauchte bereit
auf, mit Bejeitigung aller Finanzpacht wirthichaft eine Regie
großberrlicher Einkünfte durch Staatsbeamte einzuführen. Dann
aber wollte man die fchrankenlofe und zeitlih unbejtimmte
Gewalt der Paſchas reguliven. Die Paſchas follten nicht
mehr die Herren ihrer Provinzen fein, nicht mehr Satrapen,
wie fie diefes feit dem Verfalle der alten Kraft der Central»
zegierumg immer mehr geworben waren. Sie follten wieber
1) Diefe Notiz gibt Finlay, History of the greek revolution,
vol. I, p. 4.
232 Bub II. Kap. I. 2. Reformpolitit des Sultans Selim IIL
zu Beamten des Staates werben, nur auf je drei Jahre follte
ihre Beftallung lauten, auch nicht erneuert werben, wenn füch
der Inhaber nicht bemüht Habe, bie Bevölkerung feiner Provinz
zu befriedigen.
Damit ging denn auch ber verſtändige Gedanke Hand in
Hand, den die aus der rufftichen Agitation unter den Am |
haͤngern der anatolifchen Kirche wiederholt erwachſene Gefahr
nahe genug legte, fich mit der Rajah befier zu jtelen und
beren Sympathien einigermaßen zu gewinnen. Wir jehen nod
ſpäter, in welcher Weife dpiefer Sultan bie Bemühungen der
Griechen begünftigt bat, in diefer Zeit anf allen Punkten
ihre Bildungsanftalten zu vermehren und zu verbefjern, und
ihre materielle Lage zu fördern. Unmittelbar bemerkbar wurde
e8, daß der große Neformator der türkiichen Flotte, ber
ausgezeichnete Kapudan⸗Paſcha Kutſchuk⸗Huſſein, ipre
Bemannung immer umfafjender aus ben Inſel griechen
ergänzte ).
Zrog allen Schwierigleiten, die ihm auf allen Seiten
entgegentraten, würde Selim II. fein Reformwerk in frie-
fihen Zeiten wahrjcheinlih doch glüdlich zu Ende geführt
haben. Es gevieh ihm aber zum Unheil, daß gerade parallel
mit feiner Regierung in dem fernen europäifchen Weſten bie
franzöſiſche Revolution aufloverte. Die gewaltige Kunde
von ber vulkaniſchen Erfchütterung, welche die Zauberformel
ber „Freiheit und Gleichheit‘ in ganz Frankreich hervorrief,
und das aufregende Schaufpiel diejes in Blut und Flammen ſich
verzehrenden Landes und der ungeftümen Verbreitung ber
republikaniſchen Heere jenfeitS der franzöftichen Grenzen, wirkten
auf die Völker des türkiich » griechiichen Drients geradezu bes
rauſchend. Alle Elemente in dem Reiche der Osmanen,
welche ich zu ber Regierung von Stambul im Gegenſatze
fanden, fühlten fih durch das Braufen des aus Frankreich
kommenden Orkans ungeftim angeregt und geftärkt. Die
Wirkungen waren fehr verfchievenartig, fie gipfelten aber
1) Bgl. Zinteifen, Thl. VII, ©. 385.
Eentrifugale Elemente. Haſſekis Tyrannei in Athen. 288
alle darin, daß die friepliche Reformarbeit Selims IH. im
Sinne der großen Männer des achtzehnten Jahrhunderts
überffügelt, gehemmt, endlich zum Stehen gebracht wurde;
daß bie centrifugale Stimmung der Sraftelemente auf der
Peripherie des Reiches unter den Moslemen gewaltig gejteigert,
bag eudlich die unmittelbar vevolutionären Stimmungen unter
ber griechiſchen Rajah in fühlbarfter Weije neu entzündet
wurden.
Ehe noch franzöfiihe Truppen die Macht der Republik
Benedig in Trümmer warfen und die XZrilolore nad den
ionifchen Inſeln trugen, bot — um bier von Ägypten und
Aften nicht weiter zu reden — die europäliche Türkei das
Schaufpiel einer Auflöfung dar, gegen welche der Sultan
Selim III. no immer mit Energie Tämpfte, die aber zunächft
wieder dem kühlſten und ſchlaueſten der Politiker dieſes Landes,
nemlih dem Alt von Janina, bie reelliten Vortheile bringen
ſollte.
Gewifſermaßen en miniature ſpiegeln ſich die Stimmungen
dieſes Zeitalters in einigen Scenen in Athen und auf Naxos
ab. In Athen nemlich war es den Vorftellungen ber Ges
meinde, welche (S. 250) mit großer Liebe an dem Woiwoden
Hadſchi⸗Ali⸗Haſſeki hing, in Stambul gelungen, die Pforte
zu beitimmen, daß jie dieſen Statthalter, der übrigen
1783 — 1785 Athen zum britten Male regiert hatte, feit
1789 in feinem Amte für Lebenszeit beftätigtee Nun aber
warf Haſſeki feine Maske ab und zeigte feinen wahren Charalter.
Er trat kurz gefagt als ein grimmiger, babgieriger Tyrann
auf und wurde binnen kurzer Zeit eine ſchwere Plage für bie
osmanitchen Bewohner der Stadt nicht minder, als für bie
griechiichen, ſoweit nicht eine Partei der leteren ſich ihm enger
angeichloffen hatte. Das Unbehagen wurde noch dadurch ere
höht, daß 1789 und 1792 die Stadt von ver Peſt beimgefucht
ward. Während diefer beiden Yahre ftarben damals von ber
Hriftlichen Einwohnerfchaft 2200, dazu jehr viele Osmanen.
Der Harte Drud aber des felbitberrlichen Keinen Despoten
veranlaßte nicht wenige Griechen, Haus und Hof aufzugeben
234 3.0.8.1. 2. Haſſeli's Sturz 1792. Markos Polltis auf Naros.
und aus Athen auszuwandern. Haſſeki, ver zuletzt ſogar einen
bochangefehenen Türken, Mafi mit Namen, der nach Stambul
reifen wollte, um feine Abjeung zu betreiben, hatte ermorden
laffen, fand fich endlich einer drohenden Erbebung faſt der
gejammten Bürgerfchaft gegenüber. Nun endlich erfolgte von
Stambul aus feine Abfegung (1792). Haſſeki wurde nad
der Inſel Kos verbannt und auf Betreiben feiner atbeniichen
Feinde daſelbſt jchlieplich im December 1795 enthauptet ?).
Beigte fih bier der Islam mit feiner Richtung auf
felbitherrliche Despotie, fo jptelten in berjelben Zeit auf
Naxos revolutionäre Scenen, die an die Tyrannis des alten
Lygdamis in Pififtratos’ Zeit erinnern. Hier war es ber
Grieche Markos PBolitis, melder an ber Spike ber
griechiihen Einwohner die verhaßten fränkiſchen Abels⸗
familien, die noch immer zäh an ihrem Griechenhaſſe und
an ihren Yäftigen feubalen Vorrechten fefthielten, von ihrer
bisherigen Machtſtellung verdrängte, dieſelben fich zinsbar
machte, und mehrere Jahre im Archipel eine dominirende
Rolle ſpielte. Erſt im Jahre 1800 endete dieſer Machthaber,
gefangen, durch den Strang ?).
Das waren aber nur Wrabesfen zu bem großen Gemälde
der wilden Bewegungen auf der Balkanhalbinſel. Wahrhaft
gefährlich dagegen waren der Pforte die felbjtherrlichen Regungen
kühner Machthaber im nörblichen Albanien und in Bulgarien.
In Albanien war es die mächtige Familie der Buſchatli,
d. 1. des Mehemet⸗Beg von Buſchat, die fich feit der Mitte
des achtzehnten Jahrhunderts in ben erblicken Beſitz bes
Paſchaliks von Skodra geſetzt hatte, nach Art der perſiſchen
Satrapen zur Zeit des Ageſilaos eine völlig ſelbſtändige
auswärtige Politif trieb, und fchlteßlich der Pforte nur fo meit
gehorchte, wie ihr gerade paßte. Nicht lange nun nad Ali's
Mißerfolgen gegen bie Sultoten kam e8 zwiſchen ihnen, jett ben
1) Hopf , Griehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 182, und
Surmelis l. c. p. 80 sgg.
2) Vgl. Curtius, Naros, ©. 84. Hopfa. a. O. ©. 182.
Machtaufſchwung des Ali⸗Paſcha von Sanina. 285
troftoollen Kara⸗Mahmud an der Spike, und der Pforte
zum offenen Bruce. Mahmud wurde zum „Fermanli“ er⸗
Härt (d. 5. geächtet), und Ali erhielt ven Befehl, ſich mit dem
gegen den Paſcha von Skodra (Sfutari) ausziehenden Heere
des Rumili⸗-Valeſſi zu vereinigen. Diejer Feldzug mißlang
nun zwar der Pforte. Die osmaniſchen Truppen, welche den
Mahmud in feinem Skutari hart belagerten, wurben durch
die über ihre Ausjchweifungen erbitterten mohammedaniſchen
ud chriftlichen Albanejen, Gegen und Mirditen, derb geichlagen.
Mahmud aber, der im Frieden von der Pforte den Titel des
Rumili⸗Valeſſi erhalten hatte, fand ſchon 1795 feinen
Untergang in einem Kriege gegen feine alten Feinde, die
Montenegriner, die damals — (feit dem legten Ruſſen⸗
riege an Stelle Venedigs nunmehr ganz der nordiſchen Macht
jugewandt, und jetzt unter der Hoheit ihres Vladika oder Fürft-
biſchffs Peter Petrowich Niegoſch) — thatjächlich ihre Unab-
hängigleit von der Pforte begründeten. Darüber hatte aber
U von Janina für ſich den Löwenantheil bavongetragen.
Diefer Machthaber hatte, feiner alten Praxis, Chriften durch
Mobammeraner und Mohammebaner durch Chrijten zu be
Timpfen, getreu, zu dem Zuge gegen Skutari die griechiſchen
Armatolen jeiner Provinzen in Mafje aufgeboten. Die
glänzende Tapferkeit dieſer Krieger, wie namentlih Des
Chriſtalis von Preveſa, des Bukovallas, Paläolopulos und
Kanavos, und des Euthymios Blachavas von Theſſalien, gab
ihm, da er den unmittelbaren Anſchluß an die Osmanen
vermied, die Möglichkeit, verichtevene albaneſiſche Städte,
Namentlich aber auh das als Knotenpunkt zwiichen Stambul
und Mittelalbanien fo werthvolle Achrida für fich zu erobern.
Die Eiferfucht und die Furcht, die ihm bei dieſer Gelegenheit
die Kraft der griechiichen Armatolen eingeflößt hatte, gedachte
et erit jpäter in fchweren Thaten blutiger Unterbrüdung aus⸗
zudrücken. Borläufig hatte er wieber Zeit, einerſeits in feinem
Bereiche mit furchtbarem Nachdruck und grauenhaften Strafen
dem Näuberthum ein Ende zu machen, andererſeits aber
jhſtematiſch ſowohl die Feindfeligkeiten zwiichen den ihm benach⸗
286 Buch II. Kap. I 2. Paswan-Ogfu von Wibbin.
barten kleineren albanefiichen Machthabern zu näheren, um
diefelben dann ſich unterwürfig zu machen, wie auch die großen
türfiihen Grundbeſitzer allmählich zu ruiniren und aus feinen
Provinzen zu verdrängen.
Ars Bedeutung in den Augen ber Pforte ſtieg noch mehr,
als er mehrere Jahre nach Mahmuds von Skodra Ausgange
ſich an dem großen Feldzuge gegen den damals gefährlichſten
Widerſacher des Sultans und zugleich der neuen Reformen
betheiligte. Dieſer Mann war der ſeiner Zeit weitberühmte
Osman Paswan⸗Oglu von Widdin. Abkömmling einer
bosniſchen Adelsfamilie, Sohn des Omar von Widdin, der
ſeine hier belegenen Lehensgüter und Privatbeſitzungen im
Kampfe mit dem Paſcha dieſes Platzes, ſein Leben auf dem
Schaffot verloren hatte, — war der junge Osman zuerſt ein
Führer ſchkypetariſcher Räuber, dann in dem letzten öſterreichiſch⸗
ruſſiſchen Kriege der glückliche und energiſche Chef eines Frer
corp8 geweien. Seine Zapferfeit in diefem Kriege belohnte
die Pforte 1792 durch die theilweile Zurüdgabe jeiner väter
lichen Befigungen. Damit jedoch noch nicht zufrieden, und
voll Begier, den Tod feines Vaters zu rächen, jammelte er
zu Kirſa bei Widdin die damals nach dem Kriege in Maſſe
unter dem Namen der „Kirdſchalen“ als Räuber in Yulgarien
hauſenden entlaffenen Soldaten und beutegierigen Strolde
jeder Art, reichte auch den aus ähnlichen Elementen gebildeten
großen Banditenhaufen in Rumelien, den Daglis, denen die
Ihlaffen Janitſcharen ver Pforte nicht gewachſen waren, die Bru⸗
berband, — und eroberte nun nicht bloß Die ſämmtlichen
früheren Befigungen feines Vaters, ſondern ſetzte fi) auch
mit Gewalt in den Beſitz des Paſchaliks von Widdin. Dieje
Stabt befeitigte er fo ſtark als möglich, und trat nun fort
ichreitend energiicher im Sinne der alttürliichen Elemente als
Gegner der neuen Einrichtungen des Sultans Seltm IIL, als
Teind der neuen, bei den Maſſen unbeliebten , inbivekten
Steuern, der Pforte feindlich auf. Dabei ſprach auch er in
dem Jargon diejer Zeit der Revolution gern von ‚Treiheit
und Recht‘, wollte auch nicht als Rebell, fondern nur ala
Paswan⸗Oglu von Widdin. 237
Feind „der fchlechten Rathgeber des Sultans“ gelten. ‘Da
feine ftarfe Stellung nicht nur die Niederwerfung ver Banditene
heere in Rumelien unmöglich machte, die fich jet ebenfalls als
pofittihe Gegner der neuen Steuern zu erfennen gaben, jonvern
er auch jein Heer bis auf 80,000 Mann brachte und 1797
ganz Bulgarien okkupirte, bereits auch Belgrad und bie
Walachei bedrohte, jo entichloß fich nach einer Reihe erfolglojer
Unterhandlungsverſuche die Pforte, im Sabre 1798 den
Kapıdan- Pascha Huſſein mit einer Armee von 100,000 Dann.
gegen ihn ind Feld zu jchiden, die im April von Abrianopel
aus ihren Marſch antraten. Alt von Janina batte dabei
mit demonjtrativem Eifer ftatt 10,000 nahezu 20,000 Mann
geſtellt, darunter 8000 Mann Glitetruppen. Die mit großen
Hoffnungen eingeleitete Unternehmung führte aber zu feinem
den großen Rüſtungen entjprechenden Ergebniſſe. Auf Wibbin
und Orſowa zurüdgedrängt, bielt ſich Paswan-Oglu in Widdin
ſo tapfer, daß die Armee der Pforte, unter welcher ihr Gegner
als Vertreter der alttürkiihen Intereffen große Sympathien
fand, nach mehrmonatlicher Belagerung endlich mit ſchweren
Verluſten fchimpflih abziehen mußte Die Stellung des
Sultans und der Reformpartei wurbe dadurch ſchwer er-
Ihüttert. Noch mehr, als die Pforte im Jahre 1799 mit ihrem
Gegner Frieden ſchloß und ihn zum Paſcha von drei Roß-
ſchweifen ernannte. | |
. Das Zurüdiweichen der Pforte vor biefer Rebellion erklärte
fh allerdings weit mehr aus der Rückficht auf die gerade jest
von Frankreich ber ihr drohende Gefahr, mit: welcher zu⸗
gleich weithin eine gewaltige revolutionäre Gährung unter ver
Öriehen des Reiches parallel lief. Schon in der früheren
Zeit, als noch die ruſſiſchen Sympathien die griechiſche Welt
vollſtändig beberrichten, hatte der Einfluß der damals modernen
franzöſiſchen Litteratur auf die gebildeten Griechen ſich fehr
bemerkbar gemacht. Die vornehmen fanariotiichen Familien
beriefen mit Vorliebe franzöfifche Erzieher, und Voltaire's
Schriften wurden in dieſen reifen in weitem Umfange über-
238 3.1.8.1 2. Einfluß der franzöfifhen Revolution auf bie Griechen.
jegt und mit Enthuſiasmus gelefen !).. Viel ungeftümer aber
wirkten in der griechifchen Welt die neuen Theorien und die
blutigen Flammenzeichen ber franzöfiichen Revolution. Der
mächtige Aufſchwung (ſ. unten) des griechiſchen Seehandels
gerade in und ſeit dieſer Zeit führte griechiſche Seeleute und
Handelsherren immer häufiger nach den ſüdfranzöſiſchen Häfen;
ſie brachten die neuen franzöſiſchen Ideen als ein mächtiges
Ferment mit nach Hauſe zurück, wo die weltberühmte Erklärung
der „Menſchenrechte“ und die wilde Geſchichte der fran—⸗
zöſiſchen Revolutionshelden unter allen Klaſſen des griechiſchen
Volkes zündeten. Selbſt die grimmigen Klephten ber Gebirge
empfanden etwas von der vulkaniſchen Gluth, in welcher das
Land der Franken ſich damals verzehrte. Theodor Kolo—
kotronis (S. 251), damals zum kräftigen Manne gereift,
und nach alter Art darauf bedacht, die Rache für den Tod
ſeines Vaters zu vollziehen, gewann damals zuerſt einen höheren
Horizont. „Die franzöfiihe Revolution”, fo Hat er ſpaͤter
erzählt, „habe ihm erft die Augen geöffnet; fie ſei die Welt
trompete gewefen, welche verkündete, daß der Tag ber Freiktt
Tomme.' 2) Unmittelbar praftifh aber trat di
Revolution den Griechen erft im Jahre 1797 vor Augen,
und zwar auf ben tontjchen Inſeln.
Die Republit Venedig war längft von ihrer alten Hök
herabgejunfen. Das Detail ihrer Beziehungen zu ber Pforte |
zeigt uns ſehr zahlreiche Demüthigungen, welche fich bie einft
in der Levante jo gewaltige Flagge des heiligen Marcus von |
dem Diwan, wie von einzelnen Paſchas während der beiden
legten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts wiederholt jhwer
gend gefallen laſſen mußte. Auf den io niſchen Infeln aber |
war ihr Regiment zivar nicht gerade unpopulär; aber &
Hatte fih hier eine allgemeine Stagnation verbreitet. Die
Schwäche des Alters trat auch hier in der Verwaltung, in
1) Vgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlande,
Thl. I, ©. 26.
2) ®gl. ebend. ©. 71f.
Zuftände auf den ioniſchen Infeln unter Venedig. 239
der Juſtiz und in den Bildungsanftalten kenntlich hervor.
Die Fehler des veralteten Zol-, Merlantil» und Monopol»
ſyſtems der Republit hemmten den Aufihwung des Handels
und der Induſtrie. Das niedere Volf, namentlich der Bauer,
das allgemeine Laftthier, galt als bigotter und ftumpfer, als
in den lebhaft angeregten Provinzen der Rumelioten, namentlich
in Eptrus, und auf den regfameren Infeln des ägäifchen Meeres.
Und leider gehörten Mord und Todtſchlag zu den jchlimmen
Lieblingsgemohnheiten der damaligen Jonier. Wüthende
Eiferſucht in gefchlechtlichen Dingen, namentlich auf Korfu und
Zante; die feheußliche Gewohnheit vieler großer Familien, fich
ihrer Gegner durch bezahlte Banditen zu entledigen; bie
leivenfchaftliche Art des Volles; dazu die fchlimme Nachficht,
Schlaffheit und theilweiſe Küuflichkeit der Juſtiz hatten das
Übel groß werden laffen !). Das venetianiiche Feudalſyſtem
endlich war bier fo tief al8 möglich eingemwurzelt und beftand
noch bis zuleßt in feiner ganzen Volljtändigfet. Im Ganzen
waren die Zuftände durch lange Gewohnheit erträglich; doch
fehlte e8 natürlich weder an ven Elementen zur Entftehung
einer demofratiichen Partei, noch auch an Epiſoden ſchlimmer
Habfuht und roher Exceſſe brutaler Beamten, wie auch
feudaler Härte. In letzterer Beziehung fennt die volksthümliche
Überlieferung namentlich 2) den vorlegten Beſitzer des feiner
Zeit (S. 159) der Familie Proſalendi verliehenen ,, Zigeuner»
lehen“. Diefer, Graf Xeodoro Michele (geftorben 1787),
erinnerte in feiner Wilfür wohl felbft „an ittalieniſch⸗
mittelalterliche Tyrannenlaunen“.
1) gl. Finlay, History of Greece under othoman and venetian
domination, p. 340, und namentlich die zwar ſehr gebälftge, aber auch fehr
lehrreiche Darſtellung bei Sraffet Saint Sauveur, Belchreibung
der ehemaligen venetianifchen Befigungen auf dem feften Lande und an
dem Küften von Griechenland; überfegt von M.E. Sprengel, namentlich
©. 20ff. 28. 66ff. 108Fff. 115 ff. 234 ff. 238ff. Fr. Lenormant, La
question Ionienne (1859), p. 12—16.
2) Bgl. Hopf, Die Einwanderung der Zigeuner in Europa, ©. 19
ut. 22. Ä
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. III. 19
20 3.0. 8.1. 2. Die Franzofen erobern 1797 die ionifchen Inſeln
Alles dieſes nahm ein jähes Ende, als unter den
Stürmen der franzöfiihen Revolutionskriege die Republik
Venedig durch Napoleon Bonaparte's grauſame Perfidie und
Gewaltſamkeit einfach vernichtet wurde. Am 12. Mai 1797
batte befanntlich die alte venetianiiche Regierung, mit ihr das
alte Venedig überhaupt, fich auflöſen müſſen. Während dann
Bonaparte noch immer bie venetianische Municipalität in
faliche Sicherheit einwiegte, gedachte er bereits die levantiniſchen
Beſitzungen der Republit für Frankreich zu gewinnen, deren
Wichtigkeit für den franzöfiichen Levante - Handel und als
Stüßpuntt für weitere Eroberungen in diefer Richtung ihm
beutlich entgegeniprang. Obſchon e8 bereits jo gut wie ausgemacht
war, daß die damals zwiſchen Franfreih und SÖfterreih
jchwebenden Triedensverhandlungen zur Auslieferung von
Venedig an letztere Macht führen follten, veranlaßte Bona⸗
parte doch noch Ende Mai die Municipalität von Wenebig,
die „zur Sicherung‘ der ioniſchen Inſeln dahin ab
zufendende franzöfiihe Expedition des korſiſchen Generals
Gentili durch einige Abtheilungen venetianifcher Truppen
begleiten zu laffen. Gentili jeinerfeitS erhielt den Befehl,
zunähft nur als „Bundesgenoſſe“ Venedigs aufzutreten,
zugleich aber alle venetianiichen Beſitzungen, Kriegsichiffe,
Staatsnermögen zu olfupiren, dabei jedoch die Sympathie ber
Einwohner zu gewinnen und unter geichmeibiger Annäherung
an etwa vorhandene Neigungen zur Unabhängigkeit in feinen
Proflamationen an die Griechen recht viel von Hellas, Athen
und Sparta zu rveben.
Gentili!) erihien am 28. Juni 1797 vor Korfu,
wo fchon drei Tage zuvor ein junger franzöfiicher Gelehrter,
1) 2pl. v. Sybel, Gefchichte der Revolutionszeit von 1789—1800,
3b. IV, Abth. 2, ©. 582f. 615ff. Zinkeifen, Thl. VI, ©. 883;
Thl. VII, ©. 80ff. Finlay, Greece under othoman and venetian
domination, p. 385 sqq. Mendelsfohn-Bartholby, Ali-Paſcha,
S. 117ff. und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, S. 92 fi. 26 fi.
n. 72 ff. Gervinus a. a. O. S. 68 fl u. 75 ff. Sathaslc.
p. 565 sgg. Lenormantl. c. p. 16sgg.
Die Franzofen erobern 1797 die ionifchen Infeln. 291
der feurige Republifaner Arnault, auf den Zinnen der alten
Aropolis von Korkyra die Tritolore aufgepflanzt hatte. Der
franzöfifche Feldherr nahm von der venetianifchen Flotte Befit,
nachher auch von der Citadelle der Stabt mit 600 Geſchützen.
Die Truppen wurden von den Griechen, den Klerus an der
Spige, mit Jubel empfangen; bier galten in dem eriten
Rauch der nun auch nach Griechenland greifenden Revolution
die Sranzojen noch als Befreier. Alle demokratiſchen
Elemente traten nun zu Tage; vorläufig börte man nur
Stimmen des Enthufiasmus über den Sturz des adeligen
Regimes. Nun wurden auch die Inſeln Santa Maura, dann
Kephalenia und Zante beiegt. Auf Kephalenia war der
demokratiſche Jubel bejonders lebhaft; die Zeichen der alten
Herrichaft, die Zitel und Abzeichen der Arijtofratie, bis auf die
ungeheuren Perücken der Nobili, wurden den Flammen übergeben,
ein Sicherbeitsausjchuß eingejeßt. Nur auf Zante zeigte die
bier ſehr ftarke altvenetianifche Partei größeren Widerſtand.
Sentili hatte bei feiner Landung in Korfu den Griechen
Sreiheit und Gleichheit, Sicherheit von Religion und Eigen⸗
thum, und die Wiedergeburt Griechenlands zu feinem alten
Ölanze verſprochen. Nachher wurde in dem Frieden von
Campo Formio am 17. Oktober 1797 Dalmatien mit
Venedig an Öſterreich gegeben, während die ionijchen
Injeln fammt den bisher venetianiichen Beligungen auf dem
griechiich-albantichen Teitlande an Frankreich fielen.
Der alte venetianische Feudalismus auf den ioniſchen
Injeln wurde damals mit Einem Schlage vernichtet. Steigerten
nun einerfeit8 der revolutionäre Taumel und die Parteiwuth
die gewaltiamen Neigungen der Einwohner, jo kamen bie
Infeln andererjeitS noch feineswegs fo fehnell zur Ruhe.
Bonaparte betrachtete fie zunächit nur al8 Ausgangspunfte
zu weitgreifenden orientaliichen Plänen auf Koften des osma⸗
nilchen Reiches. Die Citadellen von Korfu und Kephalenia
wurden möglichit ftark befeitigt, und ſchon feit der erjten Be⸗
jetung von Korfu war das berfömmliche bonapartiftifche doppelte
Spiel in der Politik vollkommen im Zuge.
19*
292 Buch II. Kap. I. 2. Bonaparte und die Maniaten.
Auf der einen Sette fuhte Bonaparte Verbindungen
mit den Griehen, namentlih mit den kriegeriſchen Ma-
niaten. Der damals fungivende, beziebentlich noch fich haltende
Bey der Maina !) Hatte ihm bereits einen Geſandten nad
Stalien gejchiet, der ihm den Wunich ausdrücken jollte, daß
einige franzöfiiche Schiffe nach den Häfen der Maina gejentet
würden, bamit die Maniaten baburch Gelegenheit gewinnen
tönnten, „ſich Frankreichs großem Volke auf irgend eine Weile
nüglich zu machen‘. Bonaparte war jofort Darauf eingegangen.
Gerade damals trafen in Mailand zwei junge Männer bei
ihm ein, Dimo und Nicold Stepbanopoli, Abkömm⸗
linge ver ſeit dem Ende des fiebzehnten Jahrhunderts in
Corſika (S. 60) angefiedelten mantatifchen Colonte, die im
Jahre 1797 eine botanilch- mebizintiche Reiſe nach Dalmatien
angetreten, bier aber bet den ſlawiſchen Unterthanen Venedigs
als franzöftiche Aufwiegler eine jehr jchlechte Aufnahme gefunden
batten, und fich nun im Intereffe ihrer Sache an den gewal
tigen franzöfiichen Feloherrn wenden wollten. ‘Diefe Männer
erbielten jest von Bonaparte beveutende Geldmittel und den
1) Es war dieſes ber bereit oben S. 274 genannte, feiner Zeit
befonder8 berühmte Tzanet-Bey Gregorakis von Maratbonifi, der
feit etwa 14 Jahren fein Amt verwaltete (nachdem Trupakis, vgl.
©. 250 ff., auf Grund der Klagen fränfifher Botſchafter in Stambul
wegen Piraterie, die er vor feiner Herrſchaft am europäiſchen Schiffen
begangen batte, durch den Kapudan⸗-Paſcha verhaftet und zu Lesbos
entbauptet worben war). Tza net⸗Bey wurbe wegen feiner Beziehungen
zu Frankreich durch feinen Feind Komundburos von Kitriaes, einen
Anhänger der Pforte, bei dem Diwan in Stambul benuncirt, im fol
genden Jahre mit Gewalt feines Amtes beraubt und durch diefen feinen
Anlläger erfegt. Komunduros ſeinerſeits regierte fleben Sabre; banı
wurde auch er abgefegt und auf die Klage bes öſterreichiſchen Gefanbten,
dag er an der Beraubung eines äfterreichifchen Schiffes Theil genommen
babe, auf Lebenszeit zu Stambul eingelerlert. Ihm folgte Antonio
Gregoralis von Vathy, ein eifriger Gegner der Piraterie. Bel.
Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 234. 235. 317 sq.
Sathas, p. 504. (Finlay, Greece under othoman and venetian
domination, p. 135, gibt dem Tzanet-Bey nur die Sabre 1785
bis 1796.)
Bonaparte und die Maniaten. 293
Auftrag, nah Morea zu geben, dort die Griechen für die
Sache der Freiheit und Unabhängigkeit zu gewinnen, namentlich
aber die Zujtände in der Maina genauer zu unterjuchen. Mit
einem Kmpfehlungsichreiben Bonaparte’ 8 an den Ben ver
Maina verjehen, fchifften fie fih im Yuli 1797 in Ankona
nach Griechenland ein, verweilten mehrere Monate in ber
Maina, kehrten dann im Frühling 1798 nach Frankreich
zurüd. Das weientliche Ergebniß der Wahrnehmungen, über
welche Dimo in Paris dem General Bonaparte perjönlich
berichtete, war allerdings, daß bie griechiiche Bevölkerung in
Morea und Rumelien ſich lebhaft nach Abjchüttelung der
osmantichen Herrichaft fehne, daß man fich aber nicht ohne
fremde Unterjtügung zu erheben wage. Diele Hilfe erwartete
man aber damals beftimmt von der Republif Frankreich und
von dem ,‚, Befreier Italiens, dem glänzenden Helden
Bonaparte, deſſen Abfunft damals noch dazu vielfach (mo
man die Abftammung feines Haujes von den langobardiſchen
Kadolingern noch nicht näher kannte) auf eine maniatiſche
Familie zurüdgeführt wurde ?).. Bonaparte hatte indeſſen fein
rechte8 Zutrauen zu den Griechen. Da ohnehin damals jchon
fein Sinn auf Aegypten gerichtet war, jo ließ man dieſen
Faden wieder fallen und bejehwichtigte in Stambul den Zorn
der Pforte über die Beziehungen zu den Maniaten durch
einige biplomatiiche Unwahrheiten, mit denen fih der Diwan
zunächſt zufrieden gab.
Wirklichen Gewinn hatte unter allen Machthabern auf
griechiichem Boden von der Ankunft der Franzoſen in Korfu
nur Ali⸗Paſcha von Ianina, mit welchem die Politik Bona-
parte’8 in völlig anderer Weiſe fih in Beziehung fette. Hatte
bisher die Nepublif Venedig die ganz over halb freien
chrijtlichen Gemeinwefen auf ber epirotiichen Küfte geſchützt, und
troß der Schwäche des alternden Staates daran feitgehalten,
daß feine türkiichen Schiffe den Sund von Korfu paffiren, daß
in der Entfernung einer deutjchen Meile von der See auf der
1) Bgl. bier auch Manfo, Sparta, Bd. III, Thl. I, ©. 144 fi.
294 B. II. 8.I 2. Beziehungen der Franzofen zu Ali von Janina.
epirotiichen Küfte feine Feſtungen erbaut werden burften: jetzt
lag e8 in Bonaparte's Intereffe, Alt für Die franzöftiche
Sache zu gewinnen und ihm zu feiner Stärkung alle möglichen
Eonceffionen zu gewähren, die nicht gerade den Franzoſen
nachtheilig waren. Alt jeinerfeit$, der in jeiner cyniſchen
Virtuofität der Ideen- und Menichenverachtung auch mit dem
franzöfiichen Republikanismus ſich vortrefflich abzufinden wußte,
nahm feine Stellung mit orientaliiher Kunſt. Als nach der
franzöfifchen Bejegung von Korfu des Generald Gentili
Generaladjutant, der damals zweiundfechzigiährige Roſa (ein
geborener Marjeilfer, der aber bei feinem Oheim, dem fran-
zöfiihen Conjul in Paträ, erzogen war), in Janina erichten,
empfing Alt biefen Offizier, deſſen Charakter er ſchnell durch⸗
Ihaute, mit glänzenden Ehren, machte mit ihm Brüderſchaft,
ließ fih von ihm bie breifarbige Kokarde anheften, und ver-
Ichaffte ihm die Hand der ftebzehnjährigen Griechin Zoitza,
des ſchönſten Mädchens in Yanina, deren Hochzeit in Ali's
Schloſſe gefeiert wurde. Mi mußte das Vertrauen ber
Franzoſen vollitändig zu gewinnen. Gentili erlaubte ihm denn
auch fofort, den Sund von Korfu mit bewaffneten Schiffen
zu befahren. Und Ali ergriff nun die Gelegenheit, zwei ihm
verhaßte chriftliche Bezirke der unabhängigen Chimarioten, deren
Jugend fonft für Neapel und Venedig Solddienſte zu thun
pflegte, zu Waſſer zu überfallen, von denen ihn zu Lande das
Paſchalik Delvino trennte. Alt rüftete in dem Golf von
Arta eine Flotte; dieſe landete am heiligen Abend vor Oftern
1798 in der Bucht von Lukovo, und ihre XZruppen über
fielen die Gemeinden Nivitſa⸗Buba und Hagio-Vaſili, mit
zufammen 6000 Menſchen, die nun geplündert, niebergehauen,
oder auch graufam hingerichtet wurden. Die Ortichaften ließ
Alt zerftören, in dem Gebiete von Hagio- Vafilt wurden dann
Batterien errichtet, welche den Sund von Korfu beherrichten.
Zum Dank für dieſe wüſte Bluttbat erhielt Alt von ver
Pforte den Ehrentitel „Arslan“. Andererſeits wurde bie
Näbe der Franzoſen dem Paſcha Doch auc recht unbequem.
Als Ali, wie wir jahen, im Sommer 1798 vor Widdin im
Rhigas von Veleftino. 295
Lager ftand, erhielt er von feinem Sohne Muchtar, der für
ihn in Ianina regierte, die Nachricht, daß die Franzofen fich
durchaus nicht genirten, die Griechen zu injurgiren. Sie
hatten bereit8 mit den Sulioten Verbindungen angefnüpft, der
franzöfiihe Conſul zu Arta vertheilte in der Umgegend die
pretfarbigen Kolarden zu Tauſenden. Mehr noch, Muchtar
wußte bereitd, daß die griehiihen Bauern ein gluthathmendes
Led fangen, welches, wie er meinte, die Marjeillaife jei, die
der Theſſalier Rhigas ind Oriechifche überjegt babe. Ali, der
weiter auch erfuhr, daß Bonaparte die franzöfiiche Armee nad)
Aeghpten geführt und am 2. Juli 1798 Aleranbrien erftürmt
babe, ſah den Bruch zwilchen ver Pforte und Frankreich voraus.
Um fi) durch die Ereigniffe nicht überrafchen zu laſſen, erbat
er auf Grund der Mittheilungen jeines Sohnes bei dem
Seraskier Huffein die Erlaubniß, nach Janina zurückkehren zu
dürfen, wo wir ihn demnächit wiederfinden werben.
Die Nachrichten Muchtars über die Marfeillaiie waren
micht völlig richtig. Wohl aber Hatte damals die revolutionäre
Stimmung unter den Griechen ein jelbitändiges Sturmlied
geichaffen, welches recht wohl die griechiiche Marſeillaiſe genannt
zu werben verdient. Der Dichter aber war jener noch heute
von feinen Landsleuten enthuſiaſtiſch gefeterte Feuergeiſt Kon⸗
ſtantin Rhigas „Pheräos“, der als „der erſte Märtyrer
der griechiſchen Freiheit“ gilt. Rhigas war im Jahre 1754
in dem theſſaliſchen Veleſtino (bei den Ruinen des antiken
Pherä, nicht fern von dem Golfe von Volo) geboren. Er
hatte fich anfangs dem kaufmänniſchen Stande gewidmet und,
noch ehe er in gereiftere Jahre gefommen war, in Buchareft
nievergelaffen. Bald aber warf er fich mit größtem Intereſſe
auf die Litteratur. in Mann von gewaltiger phyſiſcher
Kraft, war er auch geiftig reich begabt. Mit der ganzen
Zernbegierde und raſchen Auffaffungsgabe feines Volkes machte
er fich die deutiche und bie ttalientiche Sprache zur eigen, jchrieb
mit gleicher Geläufigfett franzöſiſch wie griechifch, entwickelte
ebenfo beveutende mufifaliihe wie Dichteriiche Fähigkeiten.
Eine Zeit lang Lehrer der griechifchen und der franzöfiichen
296 Bud II. Kap. I. 2. Die Familie Hypfilanti.
Sprache, erbielt er dann eine offizielle Stellung al8 Sekretär
bet den fanariotiihen Hospobaren der Walachei. Hier ftand
er in bejonders nahen Verbältniffen zu den Fürſten Michael
Sutzos I. (1783 — 1786 und 1791 — 1793) und Alexander
Hypſilanti I. Die Familie Hypfilanti, trapezuntifcher Abel
[S. 90 u.97], nach dem Orte Hypſili bei Trapezunt genannt,
ftand damals unter allen fanariotiichen Familien weitaus
im beiten Rufe. Wie vor zwei Menichenaltern das Haus
Maurofordatos, fo nährten jegt vor Allen die Hhpfilanti die
patriotiiche Sinnesweile im Fanar. Die Rumänen abe
zählten die Männer dieſes Geichlechte8 zu den wenigen twirk-
lichen Wohlthätern ihres armen Volles unter ben Griechen.
Fürſt Alexander I., wegen jeiner wohlwollenden Regierung bei
ihnen nachmals „der Großvater‘ genannt, hatte 1774 bis
1777 die Walachet, 1787 die Moldau, 1796 wiederum bie
Walachei verwaltet. Bet dieſer letzten Verwaltung war er
allerdings der Pforte verdächtig geworben; er jollte fich gegen
Paswan⸗Oglu zu lau benommen haben, und batte bemijelben
in der That ohne großen Widerftand eine von Widdin ber
geforderte Contribution an Geld, Proviant und Kriegsmaterial
geliefert. Deßhalb Hatte ihn 1798 Kutichuf- Hufjein abgelegt
und durch feinen Flottendragoman Konſtantin Handjery er
jest 2). Trotzdem ftand Fürſt Aleranvder im Ganzen mit ber
Pforte auf gutem Fuße. Denn er. gehörte zu jenen Griechen,
die — mie denn in jener Zeit auch dieſe Nichtung unter
einem Theile der Nation, Mönche und höherer Klerus an ber
Spite, ihre Vertreter fand ?) — fich ſehr bereit zeigten, auf
Selims III. Reformgebanten einzugehen. Hatte er noch
während des letzten ruſſiſch-öſterreichiſchen Krieges mit ben
Gegnern der Pforte im Sinne der Befreiung Griechenlands
Beziehungen gepflogen, fo war er jeßt burch den Ausgang
dieſes Krieges enttäufcht, und nun fehr bereit, im Anſchluſſe
1) Zinkeiſen, Thl. VO, ©. 237.
2) Bol. Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlandd,
Thl. I, S. 18. Gervinus a. a. O. ©. 82ff.
Rhigas und die Familie Hypfilanti. 297
an die Neuerungen des Sultans auf eine Ausgleichung ziwiichen
Griechen und Osmanen binzuarbeiten.
An der Seite und in der Schule dieſes Mannes gewann
nun jener Rhigas den Einblid in die allgemeine Politik
diefer Zeit; nur daß feine eigenen politifchen Gedanken eine
ganz andere Richtung nahmen. Der Hochbegabte Mann ift
jeinee Zeit lange nach den verſchiedenſten Seiten hin ichrift-
ftelferifch thätig geweien; feine Lieblingsneigung galt der Geo-
graphie. Aber der Gefahr der Zerjplitterung entriß ihn ber
glühende griechiiche Patriotismus, der durch den Ausbruch der
franzöjijhen Revolution nunmehr neuen Schwung
und Halt gewann. Seit diefer Zeit entwidelte fich in ver
Sphäre des Hauſes Hypſilanti ein merkwürdig buntes Leben.
Das vnollftändige Durcheinander der politiichen Ideen dieſer
patriotifchen Griechen entſpricht vollfommen ber unflaren
Gährung und Freiheitsfehnjucht ihres Zeitalters, wie auch
(und das bat fich noch viele Jahrzehnte lang bei den Neu-
griehen fühlbar gemacht) ver Buntheit der Elemente und
Anregungen, aus denen ihre wiljenjchaftliche und politiiche
Bildung hervorging. Während alſo Fürft Alerander auf
ben Anichluß an den reformiftiichen Sultan bedacht war,
neigte fein hochbegabter, geiſtvoller Sohn Konftantim (jeit
1796 dann Großdragoman ber Pforte), ber ſtets ven Gedanken
einer Befreiung der Griechen durch eine aus der Rajah zu
bildende Kriegsmacht erwog, zur Anlehnung an die nicht-
franzöfiihen Mächte, namentlich an Rußland, dieſes ſchließlich
zum Schaden für jeine Pläne. Rhigas dagegen war voll.
jtändig von den franzöſiſchen Ideen bingeriffen und Tonnte
fich die Befreiung Griechenlands nur unter dem Schuge ber
fränkiſchen Zrifolore denken.
Die Befreiung Öriehenlands wurde jett für dieſen
gewaltigen Menſchen bie große Leidenjchaft feines Lebens. Nicht
mehr zufrieden, nur mit dem gejchriebenen Worte zu wirken,
entfaltete er nun auch, durch ein mächtiges Rednertalent
unterftüßt, eine umfaffende praktiſche Xhätigfeit. ‘Deutlich
e8 zu bezeichnen, er faßte den Plan, eine große geheime Ver⸗
298 Bud II. Kap. I 2. Die Hetärie und die Pläne des Rhigas.
bindung, eine politiihe „Hetärte‘ zu bilden, für ven Zwech,
ganz Griechenland gegen die Pforte in Aufitand zu bringen.
Es gelang ihm, aller Orten einflußreiche Griechen, Biſchöfe,
Primaten, reiche Kaufleute, Gelehrte, Schiffsfapitäne für dieſen
Bund zu gewinnen. Mehr aber, er wußte auch in feinem
thefjaliichen Heimathlande verfchtevene ber angejehenjten
Armatolen- und Klepbtenführer, die eine beffere Bildung
befaßen, für die große nationale Idee zu erwärmen, fie
über die wilde naturwüchfige Freiheitsliebe hinaus zu Höheren
Zielen zu jtimmen. Zu dieſen gehörte namentlich der im
Klofter erzogene Nilotfaras aus Alaffona, in befien
Familie eines der vier olympiichen Armatoliks erblich war,
und der Bapı Euthymios Blachavas, aus der Gegend
am Gebirge Chaffia (nördlich von Trikkala) gebürtig, ver für
den geiftlichen Stand beitimmt gewejen, aber bei dem Tode
feines Vaters aus dem Klofter entlaufen war.
Soweit unterjcheidet fich die energifche Agttation des Rhigas
nicht viel von analogen nationalen Erfcheinungen bei anderen
Völkern umter Ähnlichen Verhältniſſen. Charakteriftiich aber
für dieſes Volt, und zugleich für dieſes Zeitalter, wo noch
nicht wie heutzutage das neu aufgetretene Nationalitätsprincip
ben tiefen Riß zwiichen bie ſlawiſchen und bie nattonalgriechtichen
Anhänger der anatoliichen Kirche gemacht Hatte; wo bei der
nicht römiſch-katholiſchen Rajah das griechiiche Kreuz das
allgemeine Panier war, — iſt die Tendenz des Rhigas, alle
griechiich « gläubigen Rajahſtämme bes osmantichen Reiches zur
Erhebung gegen die Pforte zu gewinmen. Dem fühnen Rebellen
perjönlich eigenthümlich war endlich der Gedanke, fogar
unter den Mohammedanern Bundesgenoſſen gegen bie Herr-
Ihaft des Sultans zu werben. Seine geheimen Verbindungen
reichten bis nach dem Schloffe des Paſchas von Janina, und
im feltiamen Parallelismus zu den Compromißideen zwilchen
Griechen und „liberalen“ Türken hatte Rhigas jogar bie
Sreundichaft des Paswan-Oglu von Wibdin gewonnen.
Wie immer in den genialen Ideen großer Männer bie
legten und unbewußten Gedanken ver Maſſe ihrer Zeitgenoffen
Die Hetärie und bie Pläne des Rhigas. 299
in veredelter Gejtalt fich abjpiegeln, jo lag in bielem phan⸗
taſtiſchen Plane des Rhigas ein erheblicher Theil der jpäteren
griechiſchen Entwidlung bereit8 angebeutet. Gehörte bie
epirotiſch⸗ widdiniſche Allianz nur dem Rhigas perfönlich an, fo
lag doch in dem Gedanken der allgemeinen Erhebung der
griechiich-gläubigen Rajah gegen bie Pforte ſchon jene jogenannte
„große Idee“, jener byzantiniſche Traum verhüllt, nemlich
der Gedanke einer Erneuerung der alten Rhomäerberrichaft
in neuem Gewande auf der Balkanhalbinſel, den nachmals die
Politiler der ſpäteren politiichen Hetärie wieder aufgenommen
baben. Mehr aber, jchon bei Rhigas tritt vecht deutlich auch
die ſchlimme Mitgabe hervor, welche bie Zuftände der Unter,
johung auf das neugriechiiche Volt vererbt haben, nemlich bie
finftige bittere Parteiung. Nur Daß bei bem gewaltigen
Agitator der zornige Unwille zunächit gegen diejenigen Elemente
auch des eigenen Volkes fich richtete, in denen er die Mit⸗
ihuldigen der osmaniſchen Herrichaft zu erkennen glaubte,
nemlich gegen einen Theil des Klerus und der Primaten.
Es ift nicht zu bezweifeln, daß dieſelbe Zwietracht, bie
nahmals die Erhebung des Jahres 1821 jo fchwer geſchädigt
bat, ſchon jett zum Ausbruch gefommen jein würbe, bätte bie
Arbeit Des Rhigas unmittelbar zu einer erfolgreichen Bewegung
führen können. Das zu erleben wurde jedoch dem edlen
Manne eripart; ihm blieb vorbehalten, der erfte Märtyrer
der neugriedbtiihen Bewegung zu werden. Immer
energiicher angeregt durch die gewaltigen Erfolge der fran-
zöjiihen Nevolutionsarmee in Stalien unter dem von ihm
vergötterten Bonaparte, eilte Rhigas 1796 nah Wien.
Treu feinem Programm, für Religion und Vaterland, für
Freiheit und Recht Alles anfzubieten, riß er die zahlreichen
Griehen in Wien, meijtentheild Kaufleute oder Gelehrte,
völlig Hin, gewann fie für feine Hetärie, die bier bei der
mächtigen Strömung der Zeit immer mehr einen franzd-
ſiſchen Anftrich gewann. ‘Die Hetäriften betrachteten Bona-
parte als einen der Ihrigen ; namentlich von dieſer Seite ber
wurde die Sage von der peloponnefiichen Abfunft der Bona⸗
300 Buch II. Kap. L 2. Die Sturmlieber des Rhigas.
parte oder Kallimeri colportirt. Der damalige franzöiike
Geſandte in Wien, Bernabotte, trat jelbjt mit Rhigas in
Unterhandlung. In Wien entjtanden nun auch 1796 jene
Inrifchen Gedichte des Rhigas, die fich mit wunderbarer
Schnelligkeit durch die ganze griechiiche Welt bis in bie Hütten
der Bauern und in die Bivouaks der Klephten und Armatolen
verbreiteten , und mit ihrem zugleich fchivermüthigen um
ftürmifch » Teivenjchaftlichen Tone das Flugfeuer der Revolution
über das ganze Land der Osmanen trugen. „Selbſt bie
Türken“, beißt e8, „die den Sinn der Worte doch nidt
veritanden, fanden Gefallen an ven einjchmeichelnden Melodien um
ließen fich diefelben gern burch ihre griechiichen Muſiker vorfpielen.
Sie lauſchten ahnungslos der eigenen Leichenprebigt.‘ Das
berühmtefte biejer Lieber, zu welchem Rhigas durch das Vorbil
und die Melodie ver Marjeillatfe angeregt wurde, ift das wirkid
binteißende „Aeüte raldes twv EAANvwv, O xaupds is
ö6Ens TAdev“ x. T. A. Es iſt daſſelbe Lied, welches in
Flammenworten die Söhne von Hellas aufforbert, bie viel:
hundertjährige Schmach der Unterjochung zu fühnen, zum
Sturme auf die „Stadt ber fieben Hügel” (Byzanz) zu
ziehen, und mit einer fehwungvollen Erinnerung an Leonidas
und bie Thermopylen jchließt. Auf die Erwärmung der rauhen
Gebirgsfrieger Griechenlands für die große nationale Idee war
das andere Lieb berechnet, welches gewößnlid nach feiner erjten
Zeile „, x nöte, nahlnxdpta, va Loüpev ota oreva“x.t..
eitirt wird. Ein grell gefärbte Gemälde des griechiſchen
Stlaventfums unter der Türkenherrſchaft, viel mehr noch
unter der Tyrannei, die auch auf den Türken jelber Tafte;
ein kräftiger Aufruf zur Freiheit unter republilaniichen Formen:
der Aufruf an alle Rajah⸗Völker der Pforte zu kühner
Männerthat und an bie ins Ausland gewanderten Griechen; ein
verjähnliches Wort für die Osmanen; ein fühner Ruf am ben
„Adler“ Baswan » Oglu zur Theilnahme an dem Kampf
gegen die Despotie, und zum Schluß eine glänzenbe, rauſchende
Siegesfanfare kennzeichnen Diefe Hhmme. Nach Gervinus geben
wir den Anfang:
Die Sturmlieber des Rhigas. 301
„Wie lang noch, Pallilaren, wollt in den Schludten ihr
Wie Löwen einfam weilen im Feld- und Bergrevier?
Wie lang in Höhlen haufen, im dunklen Waldeäzelt,
In Furcht der bittern Anechtichaft entfliehn dem Licht der Welt?
Wie lang die Brüder lafjen, Eltern und Baterland,
Die Freunde und die Kinder, des Haufes ganzen Stand?
Iſt ſchöner Eine Stunde des freien Daſeins doc),
AS lange taufend Jahre in hartem Sklavenjoch!“
Und den Schluß nach Mendelsſohn⸗Bartholdy: Von ben
Bergen Bosnien bis zu den Wüften Arabiens follen bie
Freiheitsfeuer wie Eine Flamme aufglüben.
„Das Kreuz des Heilands leuchte
Hoch über Land und See,
Gerechtigkeit erjcheine,
Des Feindes Macht verweh'!
Der Knechtſchaft Harte Geißel
Sei aus der Welt verbannt!
ALS Freie laßt und wohnen
Im freien Vaterland! "
Diefe Lieber blieben für lange das Vermächtniß des
theifalifchen Tyrtäos. Denn Rhigas ſelbſt erlag unerwartet
Ichnell feinem Verhängniß. Haſtig und vorwärtsbrängend wie
er war, fehlte ihm das an Klugheit und Vorſicht, was er in
überreihem Maße an Begeiſterung und Thatkraft beſaß. Die
Verbindung mit Bernabotte machte überbem die Griechen in
Wien allzu ficher und übermüthig. Alle Welt wußte, was fie
vorhatten, jelbft der türkiſche Botſchafter; aber während biejer
indolente Osmane die Sache in ftumpfer Ruhe und Hoch
müthiger Verachtung der Rajah überfah, mußten die Wiener
Behörden und der Diwan beffer, was die Sache zu bedeuten
hatte. Rhigas wollte nun im Frühjahr 1798 nach Trieſt
reifen, um dem Schauplage ber Ereignifjfe näher zu fein, die
vermutheten Folgen des franzöfifchen Ügupterzuges für Grie-
chenland fofort ausnugen, und womöglich mit Bonaparte
jelbft in Verbindung treten. Er fchidte zwölf Kiſten mit
Gedichten, dazu ein Paket Briefe für Bonaparte, voraus an
jeinen Freund Antonios Koronios, die aber in deſſen Ab-
502 Buch II Rap. I. 2. Rhigas' Tob 1798.
weienheit von feinem Aſſocie Demetrios Difonomos aus Kozant
geöffnet wurden, der num ven Inhalt fofort der öfterreichtichen
Regierung mittheilte. Nicht lange nachher fam Rhigas mit
feinem Freunde Perrhävos in Triejt an, und wurbe bier bald
genug durch die öjterreichiiche Polizei verhaftet. Noch gelang
e8 ihm, bie Lifte der Hetäriften, die er bei ſich trug, zu
verichluden. Der Verſuch, fich Telbit zu töbten, gelang nicht.
Er wurde nun nah Wien geführt und sollte mit Koronios
und anderen Setärijten vor ben Unterjuchungsrichter gejtellt
werben. Dean verbörte ihn und einige jeiner Genojjen; dam
lieferte die öſterreichiſhe Regierung ihn und fünf andere
Hetärijten, türfiiche Unterthanen, ohne Bedingung dem Paſcha
von Belgrad, Hadicht-Muftapha, aus. Da damals Paswan⸗
Dglu, des Rhigas Freund, den Weg nad Stambul beherrichte,
fo konnten die Gefangenen nicht nach dem Bosporus geführt
werden. Aber alle Verfuche, die jest Alexander Hhpfilanti,
. Baswan-Oglu und jelbit Ali⸗Paſcha von Janina zur Rettung
der Hetäriften anjtellten, jcheiterten an dem Starrfinne des
Paſchas von Belgrad. Gereizt durch die Nettungsverjuce,
ließ er die Hetäriften (darunter Koronios und Dr. Orgelb)
Dann für Mann in der Donau ertränfen. Rbigas allein
wehrte ſich mit unmwiderftehlicher Gewalt gegen Feſſelung und
Sortichleppung. Da ließ ver Paſcha ihn durch zwei Türken
erichießen (im Dat 1798). Sterbend aber rief ber heroiſche
Grieche: „So fterben Pallikaren! Ich Habe Saat gemug
gejäet, die Stunde fommt, wo mein Volk die fühen Früchte
ernten wird.‘ 1)
1) Über Rhigas vgl. außer ber allgemeinen Litteratur biefes Kapitels
noh den Nachtrag zu ber v. Horntharfcen Überfekung ber
„Geſchichte der Wiebergeburt Griechenlands von Pouqueville“, von
Dr. Schott, zu 8b. IV, S. 5ff. u. To ff. Auf ©. 83 ff. findet fid
Tert und Überfegung ber griechifchen Marfeillaife in zwei verfchiebenen
Zrabitionen. ‚Die erfie, der wir auch oben folgen, ift die belanntere und
befiere. Die UÜberſetzuug bes PBallifaren- ober Gebirgsliedes findet fi in
Bd. II der Horntharfcen Überfegung, S. 296— 307. Bgl. ferner
Braubis, Mittheilungen über Griechenland, Thl. II, ©. 13 ff., und
Nicolai, Geſchichte der neugriechiichen Litteratur, S. 153 ff.
Anthimos und Korais. 503
Mit dem Tode dieſes Mannes fiel zunächſt dieſe griechifche
Bewegung wieder in ſich zuſammen. „Die Hetärie zerſtreute
ſich nur Name und Erinnerung blieben. Aber Rhigas hatte
Recht; die Saat, die er ausgeftreut, war nicht verloren.
Nur jo jchnell, wie er es gehofft und gewollt, reifte fie doch
nicht heran. Die dur Rhigas aufgeregten Elemente ent»
behrten zunächſt der zujammenhbaltenden Kraft und Zeitung.
Die franzöfifche Expedition aber nach Ägypten, die noch
einmal die Geifter in Griechenland eleftrifirt hatte, ſah fich
bald genug am Nil und in Shrien in äußerft jchiwierige
Kämpfe verftridt. Ali⸗Paſcha von Ianina erichien bald genug
al8 entichtevener Gegner der Franzoſen auf griechiichem Boden.
Mehr noch, die Pforte verbündete ſich auf Grund des
ägpptiichen Zuges der Franzoſen nicht nur mit England,
fondern auch mit dem altfeinplichen Rußland gegen Frankreich.
Und innerhalb des Bereiches der griechiſchen Welt felbft
richtete auf Veranlaffung des Sultans Seltm III. der Batriarch
Antbimos von Ierufalem, damals der ältefte der griechtichen
Prälaten, ber ein großes Anjeben und einen mächtigen Einfluß
beſaß, nicht lange nach Rhigas' Untergang und im Hinblid
auf die revolutionäre Agitation unter den Griechen ein
„väterliches Rundſchreiben“ an alle Griechen, in welchem
er jeiner geiſtlichen Heerde im Orient rieth, der erhabenen
Pforte treu zu bleiben, den Padiſchah als ihren legitimen
Souverän zu betrachten, und feierlich betonte, daß „die Vor»
ſehung die osmaniſche Herricaft an bie Stelle des in der
Orthodoxie wankenden byzantiniſchen Kaiſerthums und als einen
Schutz gegen die abendländiſche Häreſie auserſehen habe“.
Dieſes Rundſchreiben erregte allerdings bei den griechiſchen
Patrioten gewaltigen Zorn und fand in dem „brüderlichen
Rundſchreiben“ aus der Feder des Korais (j. unten) eine
ſcharfe Antwort 1). Zunächſt Hatte dieſes die Folge, daß zwiſchen
dem leidenſchaftlicheren Theile der griechiſchen Patrioten und
einem erheblichen Theile des anatoliſchen Klerus eine Spaltung
eintrat, die nicht ſofort überwunden werden konnte.
1) Sol. Sathas 1. c. p. 633sqg. Nicolai, S. 103 u. 108.
304 Bud IL Kap. I. 3. Ali⸗Paſcha bricht 1798 mit den Franzofen.
III.
Borläufig war es aljo wieder die große europätiche Polttit,
welche enticheivend auf das Schickſal der Griechen zurüd-
wirkte. Zuerſt empfanden das die epirotifchen Grieden,
foweit fie bisher unter Venedig geftanden Hatten und jeit
1797 an Frankreich gefallen waren. Ali⸗Paſcha hatte
während des Abganges der franzöfiichen Expedition nad
Ägypten zuerjt noch die Miene angenommen, als wolle er mit
Frankreich auf gutem Fuße bleiben. Auch als er im Sommer
1798 aus dem Lager vor Widdin (S. 295) nach Janina
zurückkehrte, erklärte er den franzöfiihen Behörden in Korfu,
daß er gemwillt fe, vie jtrengfte Neutralität zu bewahren.
Raum aber war er von ber Kriegserflärung der Pforte an
Frankreich (1. September 1798) unterrichtet, jo trat er al
Teind der Republif auf, und zwar mit feiner gewohnten
Tücke )). Den unglüdlichen General Roſa (S. 294) Todte
er zu einer Conferenz nad) der epirotiichen Stadt Philated
(nicht weit öftlih von dem der Stadt Korfu gegenüberliegenven
Küftenjaum), täujchte ihm gänzlich durch ein glänzenves Teil,
ließ ihn aber nachher verbaften und nach Ianina führen.
Dort wurden dem General durch die Xortur die ge
nauejten Angaben über die Stärke der Franzojen auf Korfu
und in ben übrigen toniich » albanefiihen Pläten abgeprekt,
Roſa jelbit bald darauf als Spion nah Stambul gebradt,
wo er dann im Oktober 1799 ftarb. Und gleich nach biejem
Alte echt albanefiicher Hinterlift ftürzte Ali fi) mit ſtarker
1) Bgl. für die folgende Darftellung: Zinkeiſen, Th. VL,
S. 79—94. Mendelsfohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, ©. 121 fi;
„Graf Johann Kapopiftrias”, S. Iff. und „Geſchichte Griechenlands“,
Thl. J. S. 94ff. Gervinus, S. 69f. v. Sybel a. a. O., Bd. F,
Abth. 1, S. 173 u. 224 ff. Finlay, Greece under othoman and
venetian domination, p. 336sqq. Sathas, p.566—569. Bulgari,
Les sept-iles ioniennes, p. 1—12. Neigebaur, Die PVerfaffung ber
ionifchen Infeln, S. Tff. Lenormantl. c. p. 16—34.
Ali» Pafcha erobert 1798 Preveſa. 305
Macht auf das fchwach beſetzte Butrinto (22. September
1798) und eroberte es. Galt er jomit nun überall als ein
treuer Feldherr des Sultans, fo fonnte e8 ihm nicht ſchwer
werden, nunmehr die Contingente aus ganz Albanien an fich
zu ziehen, um jet auch das griechiide Preveſa anzu-
greifen.
Die Lage der franzöfiihen Truppen auf den ioniſchen
Infeln und in den albanefifhen, aus Venedigs Erbichaft
ihnen zugefallenen Plägen war jehr ſchwierig. Man hatte die
Injeln in drei Departements getheilt (Korkyra, Ithafa und
„ägäiſches Meer’), hatte auch überall demokratiſch organifirte
Lokalbehörden geichaffen, und in Korfu eine meift mit Griechen
bejegte Gentralverwaltung unter dem Grafen Spiridion Theo⸗
tokis, einem Advofaten, eingelegt. Aber die Bejakungstruppen
ver Franzoſen waren nicht fehr ftarf, namentlich auf bem
Feſtlande, und ihr Verſuch, Sulioten zur Verſtärkung nad)
Preveja zu ziehen, hatte nur fehr geringen Erfolg. Trotzdem
bielt es der franzöfiiche General La Salcette für möglich, mit
300 Franzojen, 400 bewaffneten Bürgern und einer Hand
vol Sulioten Preveſa gegen Ali's Maſſen zu Halten, bie im
Dftober 1798 vor diefer Stadt erjchienen. Nun batte aber
Alt Durch den griechiſchen Erzbiichof Ignatios von Arta einen
Theil der Griechen für fich gewonnen. Und al® er in ber
Nacht des 25. Oktober den Angriff mit 5000 Dann ver-
juchte, fielen die Griechen von den Franzoſen ab; die letzteren
fümpften mit bewundernswürdiger Tapferkeit, erlagen aber
endlich doch ver Übermadht. Die Stabt Prevefa übergab Alt
einer zweitägigen Plünderung. 1500 Weiber und finder
wurden zu Sklaven gemacht, viele Bürger fanden den Tod,
und einige Hundert bewaffnete Griechen, die nach Afarnanien
geflohen waren und fich durch bie Vermittlung des jelbjt jchwer
getäufchten Erzbiihofs von Arta zur Nüdfehr hatten bethören
laſſen, ließ Ai Laltblütig bet dem. Zollamt zu Salagora
(an der Norblüfte des Golfs von Arta) enthaupten. ‘Der
Lohn für dieſe Blutthaten war der dritte Roßſchweif, ben bie
Pforte diefem blutigen Paſcha verlieh.
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. III. 20
806 3.11. 8.I 3. Ruſſiſch⸗ türkiſche Allianz 1798 gegen Frankreich.
Bereits auf dem Wege zu weiteren Unternehmungen, ſah
ih Alt auf diefem Sriegsfchauplage bald genug burch bie
Operationen der Ruffen und der Osmanen bejchränft. Der
ruſſiſche Kaiſer Paul I. (jeit 1796), damals von leidenſchaft⸗
lichem Eifer gegen das vevolutionäre Frankreich erfüllt, Hatte
bie gegen die Türkei gerichteten Eroberungspläne feiner Mutter
Katharina II. aufgegeben. „Immer aber‘, jagt v. Steel,
„lag auch in feinen Augen die Zürfei fo jehr innerhalb des
eigentlich ruſſiſchen Meachtbereiches, daß ihm die Feſftſetzung
eines fremden Einfluffes auf ihrem Gebiete als die Verlegung
eines ruffiichen Lebensintereſſes erſchien..“ Hatte nun bie
Pforte, bereitd durch die Vernichtung der franzöfiichen Flotte
in der Seejchlacht bei Abukir (1. Auguft) durch Nelſon leb⸗
baft ermutbigt, unter ihres Großdragomans Konftantin
Hypſilanti eifrigem franzojenfeinblichem Drängen am
1. September 1798 den Krieg an Frankreich erklärt, fo gab
fie auch den Vorſchlägen Rußlands bereitwillig Gehör. Die
Defenfivalltianzg mit St. Petersburg wurde formell allerdings
erft am 23. December 1798 abgeſchloſſen; die mit England
dann am 5. Sanuar 1799. Aber jchon am 5. Auguft 1798
war von Sebaftopol kommend der Admiral Uſchakoff mit
dreizehn (meiftens mit griechiſchen Matrofen bemannten)
Srtegsichtffen und 1500 Mann im Bosporus eingelaufen.
Ste follten namentlich die ioniſchen Infeln den Franzofen
entreißen, und zu dieſem Zwecke jollte fich eine türkiſche
Flotte unter Kadir⸗Bei mit den Ruſſen vereinigen, die aber
erft (ſechs Linienichiffe und acht leichtere Fahrzeuge) am
1. Oltober jegelfertig wurde.
Die Lage der Franzoſen wurde nun jehr jchivierig. Sie
hatten fich, wie zur Zeit ihrer Republit damals fo oft, binnen
furzer Zeit auch bei ihren griehifchen Untertbanen höchſt
unbeliebt gemacht. Die üblichen Gewaltthätigleiten und Er
prefiungen waren auch bier nicht ausgeblieben. Bor Allem
aber Hatten fie durch Beihimpfungen der griechiichen wie ber
römiſchen Geiftlichfeit das Volk tief erbittert. Die Einjchmelzung
der Kirchenichäge des korfiotiſchen Lieblingsheiligen St. Spiribion
Rufien und Türken erobern 1798/99 die ioniſchen Infeln. 807
ar nur mit Mühe verhindert worben. Es kam bazu, daß
bie bürgerlichen Commiſſäre der franzöftichen Regierung mit ven
Militärbehörden fich ſchlecht ſtanden. Die Armee war ſchwach,
Kriegsichiffe nur im ganz geringer Zahl zur Zeit vorhanden.
Als daher die Kunde Fam, daß Nuffen und Türken die Inieln
angreifen würden, wurde ed der altvenetianischen Adelspartei
jehr leicht, Das Volk überall gegen die Franzoſen aufzumiegeln.
Mehr aber, der Ankunft der Wlotte ging auf Veranlaſſung
des Sultans ein Hirtenbrief des Patriarden von
Conftantinopel voraus, der bie Jonier aufforverte, bie
Berbündeten bei Vertreibung der Franzoſen nach Kräften zu
unterftügen. Es gelte, fie „von dem Joche des franzöftichen
Atheismus zu befreien. Die Verbündeten wollten ihnen bie
wahre Freiheit bringen. Man wolle ihnen ihre Freiheiten
md Privilegien belafjen und es ihnen überlafjen, fich eine
neue Verfaffung, wie etwa die der Republik Raguſa, zu
geben!‘ Wuch der engliihe Admiral Nelfon Hatte eine
Vroffamation an die Ionter gerichtet, in welcher er jie auf-
forderte, zur Wiebererlangung ihrer Rechte und Freiheiten mit
ihm gemeinichaftlich die Waffen zu ergreifen. Dieſes Alles
hatte fo zündend gewirkt, baf der damals auf Korfu an
Gentili's Stelle commandirende franzöfiiche General Chabot
fih genöthigt ſah, das Volk auf diefer Injel zu entwaffnen, um
eine gewaltfame Erhebung zu verhindern.
Unter diefen Umftänden wurde den Ruſſen und Osmanen
ihre Arbeit nicht ſchwer. Als fie im Dftober 1798 zuerit
vor Cerigo erjchienen, wurde bie Citabelle nach heißent
Rampfe mit Sturm genommen. Zante und Kephalenia
wurden mit leichter Mühe gewonnen. Santa Maura
dagegen, verftärkt durch die Beſatzung von Vonitza, welches
jest von Ali⸗Paſcha beſetzt wurde, bielt fich zwölf Tage, und
wurde noch zu vechter Zeit von den Ruſſen bejettt, ehe Alt
bier zugreifen konnte. Mi Hatte inzwijchen auch die ihm
befonders verhaßte griechifche Stabt Parga aufgeforbert,
ihre franzofiſche Beſatzung zu vertreiben und fich ihm zu
unterwerfen; jede ihnen fonjt exwünichte Verfaſſung wolle er
290* .
.
308 8.1.8.1 3. Rufen u. Türten erobern 1798/99 d. ionifchen Infeln
ihnen bewilligen. Die tapferen Parganioten Hatten fich jedoch
weder bereven noch fchreden laſſen. Die Ankunft des Admirals
Uſchakoff beftimmte nachher die Franzoſen zur Räumung von
Parga; aber die Stabt wurde damals noch durch die Ruſſen
vor Ali's Tigergriffen gefchügt. Der Paſcha durfte nur das
Schloß Gomenitſa offupiren.
Zähen Widerſtand fanden Auffen und Osmanen nur auf
Korfu. Obwohl die Griechen bier, wie auf den übrigen
Snjeln, die Verbündeten mit lauter Freude aufgenommen hatten,
hielt fich General Chabot mit 5000 Mann doch jo tapfer,
daß die verbündete Flotte, die jet durch Ali⸗-Paſcha Tebhaft
unterftügt wurde, mehr denn drei Monate vor der Stadt
Korfu liegen bleiben mußte. Erftam 1. März 1799 glücte
ein enticheivender Kampf, in Folge beifen General Chabot am
2. März kapitulirte.
Da die Verbündeten zunächſt ihre Unternehmungen gegen
die Franzoſen in Italien fortjegten, fo Tiefen fie nur 500
Osmanen und 300 Ruſſen auf den Infeln zurüc, zu denen
ipäter noch aus Taganrog ein vujfiiches Negiment fam. Den
Sontern blieb es überlaſſen, fich einftweilen proviforiid
einzurichten, bis fich die Verbündeten mit ihmen über die
Schöpfung ihrer definitiven Verfaſſung geeinigt haben würden.
Die neue Berfafjung der Injeln wurbe der Gegenftand
lebhafter Debatten. Die bei ber Stimmung eines Theiles
der Korfioten für Ofterreich bei den Ruſſen erwachte Beſorz—
niß, als ftrebe die Wiener Regierung nach dem Beſitze dieſer
Injeln, verzog fich bald wieder. Dagegen jtrebte in Stambul
Konftantin Hypſilanti mit vielem Eifer dahin, die Sonier,
unter dem Schuge bejonderer Verträge, in einer freieren
Stellung, nicht als Rajah, unter die ummittelbare Hoheit ber
Pforte zu bringen; ihm lag daran, aus dieſen Infeln für feine
heimlichen Pläne ein griechifch- chriftliches Centrum zu machen.
Ein Plan, der wieder zu ben politiichen Abfichten der Ruſſen
nicht ſtimmte. Diefe bewirkten es daher noch 1799 in
Stambul, daß er als Hospodar nach Jaſſy geſchickt wurde
Noch lebhafter war natürlich der Parteifampf unter ben
Vertrag d. 3. 1800. Die Republit der „Sieben Infeln“. 809
Iontern felbit. Zu Anfang September 1799 nun wandte fich
eine aus zwölf Notabeln der Injeln zujammengejegte Deputation
berjelben, an ihrer Spike die Grafen Antonio Maria Kapo⸗
diſtrias (Vater des jpäteren Präfidenten von Griechenland),
ein ftrenger Ariftofrat, der als Gegner der Franzoſen von
diefen lange in Haft gehalten worden war, und Xefcotilfa,
nah Stambul, um dem Sultan für die Befreiung der Injeln
von der franzöfiichen Herrichaft zu banken und um die Er.
theilung einer neuen Verfaffung nach dem Mufter jener von
Raguſa zu bitten. Ein Theil dieſer Deputirten ging dann
ah noch nach St. Petersburg. Unter den Joniern jelbit
traten die Gegenſätze der ariftofratiihen und der jungen
demokratischen Partei mit großer Heftigfeit auf; jene, völlig
in den alten Anfchauungen befangen, wollte nur dem alten
benetianijchen Adel das Necht der Theilnahme an der künftigen
geſetzgebenden Verfammlung eingeräumt wiſſen; dieſe forderte
im Sinne der neuen Zeit daß auch dem damals jogenannten
Tiers- Etat, wie etwa bei dem nieberländijchen Generaljtaaten,
das entiprechende Maß der Vertretung zu Theil werben ſollte.
Schließlich behielt, da man Ragufa zum Mufter nahm, das
ariitofratiiche Element die Vorherrſchaft. (Die Pforte hatte
Ihlieglih von den jechs in Stambul zurücgebliebenen Joniern
mr mit dem alten Kapodiſtrias und Nicold Gradenigo ver«
handelt.) Die näheren Beitimmungen barüber wurden feſt⸗
gejegt im dem DVertrage, den General Tamara für Rußland
und Ibrahim⸗Ismet⸗Bey für die Pforte am 21. März 1800
zu Stambul abichloffen und ohne Zuziehung der Jonier
unterzeichneten. Diefer Vertrag trat einerfeit8 die früher
benetianischen Städte in Epirus definitiv an die Pforte ab;
die chriftlichen Einwohner follten diefelben Rechte behalten, wie
die Rumänen, fein Mohammebaner fich dafelbft niederlaſſen
dürfen, Die Plätze überhaupt nur durch einen Statthalter der
Pforte regiert werben. Für die ionifhen Infeln, bie
nunmehr als „Siebeninſelſtaat, als Hephtanefos‘ eine Re
publik bilden follten, wurde feftgeftellt, daß die Einwohner ſich
ſelbſt zu regieren, Rußland die Gewähr für bie Integrität
830 Bud U. Kap. I. 3. Verfaſſung der ionifchen Republil.
ihres Gebietes, für Erhaltung ihrer Verfaffung und Privilegien
übernehmen, die Pforte als Schugmacht die Suzeränetät über
bie Inſeln Haben ſollten. Alle drei Jahre Hatte die neue
Republik einen Tribut von 75,000 Piaſtern nad Stambul
zu fenden. Wappen der NRepublif wurde im blauen Selbe ein
goldener Löwe, welcher in der einen Klaue fieben vereinigte
Pfeile, in der anderen ein Evangelienbuch bielt, über welchem
fih ein Kreuz mit der Yahreszahl 1800 mit der entiprechenben
der Hebichra befand.
Die neue ioniſche Verfafjung aber trug ausſchließlich
ein ariftofratifches Gepräge. An der Spike der Republil
ftand fortan ein zu Korfu bomteilirter Gentral- Senat, der
über Erhaltung der Verfaffung und der Gelee machen,
bauptfächlich aber für bie öffentliche Ordnung und Sicherheit
Sorge tragen follte. Die Senatoren gingen hervor aus dem
„Consiglio maggiore‘“ der einzelnen Infeln, in deſſen Händen
überall die Ernennung der Iofalen Yuftiz- und Finanzbeamten
lag. Da jedoch dieſe verfchtevenen Configlia nur aus ben
Nobilis, die das fünfundzwanzigite Lebensjahr erreicht Hatten,
Beitanden, jo war die Theilnabme der Jonier an bem
politiihen Xeben ihres Landes eine ziemlich eng beichräntte.
An der Spige der Republik ftand als Oberhaupt der Präſident
des Senates der fieben Injeln; zuerft jener (S. 305) Graf
Spiridion Theotofis, ein geiftig frifcher reis, der fich bei
waderem Charakter und bedeutenden Talenten eines großen
Anſehens erfreute. Senatsjefretär aber wurde damals Graf
Giovanni Kapopdiftrias (geboren am 11. Februar 1776
zu Korfu), der hochbegabte, gewandte, arbeitsfroße Sohn de
alten Antonio Maria, der feine Studien als Arzt in Padua
gemacht hatte, jet aber in ben öffentlichen Dienſt über:
trat.
Der neue Vertrag kam nur den griechijchen Chriften von
Parga zu Gute. Weder Rußland noch die Pforte waren
gewillt, diejen wichtigen Pla in die Hände des bereits über
mächtigen Paſchas von Janina fallen zu jehen, und verhinderten
Daher, daß At fih der Stabt ſchließlich noch bemächtigte.
Geſchichte der jungen ionifchen Republik. 311
Parga galt ſeit dieſer Zeit als ein Beſitzthum des Sultans,
durfte aber ſeine municipale Freiheit ungeſtört behaupten.
Was Dagegen die ioniſchen Infeln angeht, fo erkannte
die Pforte, die jeßt formell endlich die gefammte
Griechenwelt unter ihrer Hoheit vereinigt fah, fehr bald, daß
ber politiiche Gewinn aus den letzten Abmachungen wejentlich
den Ruſſen zufallen würde. Dieſes aber auf Grund des
neuen ionifchen VBerfafiungslebens. Die Ionier waren
großentheild mit dem ariftofratiichen ‚Charakter der neuen
Verfaffung nur wenig zufrieven. Auf mehreren Infeln ent-
ftanden jehr heftige Parteilämpfe, welche bei der wilden, durch
bie politiichen Erichütterumgen der drei legten Jahre noch mehr
verberbten Art biejes griechiſchen Stammes einen ſehr bö8-
artigen Charakter annahmen. Auf Kephalenia kam es zu
blutigen Auftritten, bei denen endlich die ‘Demokraten ven
Kürzeren zogen. In Zante dagegen behaupteten bie Demos
traten unter Vortritt der Ärzte und Advokaten die Oberhand,
ertrogten bie Vertretung des „dritten Standes‘ in dem
Consiglio maggiore und zogen bie engliiche Flagge auf, bie
dann im Einverftännnig mit Lord Elgin, dem engliichen Ger
fandten in Pera, die Pforte durch Abſendung von ſechs
türfiichen und einigen engliichen Fregatten bier die alte Drd-
nung wieder berftellte. Nun gab es aber auch in Korfu
ſelbſt lebhafte Bewegungen. Die bürgerliche, gerade bier höchſt
mächtige, Demokratie forderte bie Anderung der Verfaffung
zu Gunften des Übergewichtes der Notabeln aller Klafien.
Unruben unter dem Landvolke wurden auch bier durch englijche
Truppen gevämpft, die im Namen der Pforte landeten. Nun
ſchickte aber auf Bitten der ioniſchen Regierung auch Rußland
(1802) von Neapel her 2000 Mann nach Korfu. Trogdem
mußte der Präfident Theotokis den Demokraten erlauben,
Gejandte nah Stambul und St. Petersburg zu Gunſten der
von ihnen beantragten Verfafjungsänderungen zu jchiden.
Die neue Berfaffung wurde unter den Aufpizien des
Grafen Mocenigo aus Zante, der früher ruffiicher Gejandter
in Venedig geweien, und 1802 durch Kaijer Alerander I. zum
812 Buch II Kap. I. 3. Geſchichte der jungen ioniſchen Republik.
ruffiichen Geichäftsträger in Jonien ernannt worden war, von
Theotofi8 und Giovanni Kapodiſtrias vorbereitet, dann in
fangen Debatten von der conititutrenden Verfammlung ver
Jonier ausgearbeitet, und am 24. November 1803 ſantktio⸗
nirt, worauf die fremden Truppen zum Theil wieder
zurücigezogen werden Tonnten. Dieſe neue, von Rußland und
der Pforte genehmigte Verfaffung, die bei den Joniern noch
lange als ein polttiiches Ideal galt, nivellirte zunächſt die
altbeftandenen Adelsverhältniſſe vollſtändig. Formell jollte
zwar bie „untheilbare“ Republik ariſtokratiſch bleiben 9); aber
es konnte jetzt Jeder in den „Adel“ aufgenommen werden,
der 1840, auf der kleinſten Inſel 540 Dukati als Einkommen
nachwies und feine Handarbeit verrichtete. Der Vermögens⸗
nachweis fiel aber fort, wenn Iemand einen akademiſchen Grad
befaß, ober eine hervorragende Stellung in Kunſt und Wiſſen⸗
ſchaft einnahm, oder jonft von feinen Zalenten leben fonnte.
Die fünfundzwanzigjährigen Mitglieder biejes „Adels“, vieler
jogenannten „‚conjtitutionellen Nobilität“, Hatten das Recht,
je auf ihrer Inſel, an der alle zwei Jahre zufammentretenven
Berjammlung der fogenannten „Synkliti“ Theil zu nehmen,
welhe nun die drei berrichenden Großbehörden wählten.
Man wählte einerjeits die erefutive Gewalt, den Senat,
ber fich jährlich erneuerte, aus fiebzehn Mitgliedern beftand,
und an jeiner Spige einen Principe batte, ben Vertreter
der Republik nach Außen; andererjeits bie Legislative,
vierzig Nationalvertreter, die alle zwei Jahre am 1. April
zu Rorfu auf zwei Monate zufammentraten,; endlich bie
richterliche Gewalt, bie Censura generale, drei Genjoren unter
einem Ephoren, die Wächter der Verfaffung, denen alle neuen
Vermaltungsmaßregeln des Senats vorher zur Begutachtung
vorgelegt werden mußten. Der für je zwei Jahre regierende
Principe, auch jegt wieder Theotofis, konnte bei der Legislative
angeklagt, eventuell zum Oftrafismus oder zum Tode ver-
urtbeilt werden. Die griechiſche Sprade follte fortan die
1) Vgl. au v. Maurer, Das griehifche Volt, Bd. I, &. 56.
Ali-Paſcha rüftet feit 1799 gegen bie Sulioten. 813
Nattonaliprache fein, und mit 1820 auf allen Pankten auch
als Gefchäftsiprache an Stelle der bisher bräuchlichen italieniſchen
treten.
Graf Theotokis als Principe, Giovanni Kapodiſtrias jett
al8 erfter Sekretär der legislativen Verjammlung, und Graf
Mocenigo, zur Zeit bie drei bebeutendften Politifer ver Infeln,
behielten auch jeßt ihren beberrichenden Einfluß. Aber es war
den Joniern damals nicht beichteden, jo bald wieder in ein
langes Stillleben zurüdzufehren, wie fie das jeit Schulenburgs
Zeit getvohnt gewejen waren. Wir Tebren jchon in dem
nächſten Abſchnitte wieder zu den weiteren Schidjalen ver
jungen ioniſchen Republik zurüd, und verfolgen nun noch die
Ereignifje, die fich inzwilchen jeit der Vertreibung der Frans
zoſen aus Korfu in den Gebirgsthälern der Sulioten!)
abgefpielt Hatten.
Sobald Ali-Paſcha von Yanina erfgnnt batte, daß
Rufen und Türken ibm nicht erlaubten, feine blutige Hand
auf Barga und die ionifchen Injeln zu legen, beichloß er mit
feiner ganzen wilden Energie, nunmehr mit ben tapferen
Sulioten ein- für allemal aufzuräumen, die ihm jegt, wo
Rußland auf Korfu feiten Fuß gefaßt hatte, noch weit gefähr-
liher als früßer erfchienen. Ali rüftete daher feit 1799
umfaffend und mit großem Nachorude gegen bie tapferen
Hochländer. Er rief mit Erfolg ringsum den Fanatismus
der Muſelmanen gegen die verhaßten Chriften von Sult zu
den Waffen, und fnüpfte zugleich mit einem der mächtigften
Sulioten, mit Georg Botzaris, der zur Zeit unglüdlicher-
weiſe mit jeinen Landsleuten zerfallen war, geheime Unter»
bandlungen an. Botaris, durch 25,000 Piaſter erfauft, follte
jede Bejorgniß der Sulioten wegen Ali's Rüſtungen, die als
gegen die Ruſſen in Korfu oder gegen die Franzojen gerichtet
1) Bgl. Mendelsfohbn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 123 —133;
„Geſchichte Griechenlands”, Thl. L, S. 96—102. „Mittheilungen:c“”,
Th. I, ©. 242— 291. Finlay, History of the greek revolution,
vol. I, p. 57—64. Gervinus a. a. O. © 59 fl. Zinkeiſen,
Thl. VII, ©. 280-286.
814 3. II K. J. 3. Ai führt feir 1800 Krieg gegen bie Sulioten.
dargeſtellt wurben, vericheuchen und dem Paſcha womöglich bie
Munition des Volles in die Hände [pielen.
Als nun Alt im Juni 1800 mit nahezu 18,000 Mann
vor der fuliotiichen Bergfeſtung erichten, deren Gewäſſer noch
dazu durch die Dürre dieſes Sommers ſtark gejchmälert waren,
ging Georg Botzaris mit feinem Clan zu ihm über. Aber
das tapfere Volk verzagte troß der boppelten Überraſchung
nicht. Yegt unter Führung jenes tapferen Jünglings Photo
Tſavellas (S. 277) — der Vater war neuerdings (1795)
geftorben —, feiner Mutter, der grimmen Heroine Moscho,
und bes Chriſtos oder Kitſos Botzaris, erhob fih das ge
fammte Bolt bis zu 3000 Streitern. Alle Angriffe Ali's
wurden mit fiegreichem Erfolge abgejchlagen. Georg Bokarid
war ebenio empfindlich geichlagen geworben; er ftarb bald
nachher, fei e8 aus Sram und Neue, jet e8 an Gift, weldes
er aus Verzweiflung genommen.
Unter diefen Umſtänden beichloß Alt, die Sultoten auszu⸗
bungern. Auf mehrere Meilen weit ringsum wurde dad
epirotiiche Land verwüſtet. Dazu ließ der Pafcha zuerft bie
Päffe nah Suli durch verichanzte Lager fperren, und als
Seuhen und die Nähe des Winters ihn zum Abzuge be
ſtimmten, in einem weiteren Umkreiſe zu dauernder Blokade
die feindliche Gebirgsftellung durch eine Kette von Forts
umichließen. Obwohl nun die Sulioten im Stande waren,
einige Hundert bilflofer Weiber, Greiſe und Kinder nach Parga
und Korfu zu entfernen, fo machte ihnen allmählich doch bie
harte Blokade große Noth. Über die Stanbhaftigleit und
Treue der Sulioten und ihre unbezwingliche Tapferkeit bielten
auch ven gefteigerten Gefahren des Jahres 1801 kräftig
Stand. Ali's PVerfuche, durch trügeriſche Friedensporfchläge,
durch tückiſchen Verrath, durch DBeftechung ihrer Führer ven
Sieg zu gewinnen, blieben ebenſo vergeblih wie die offenen
Angriffe, welche Alt und die ihm verbündeten Albanejen wagten.
Die Mipftimmung gegen Alt und die Achtung vor den Su
lioten wurde endlich fo durchichlagend, Daß gegen Ende bed
Jahres 1801 Die meilten ber einigermaßen ſelbſtändigen,
Ali führt fett 1800 Krieg gegen die Sulioten. 815
friegeriichen Häuptlinge, die er gegen Suli aufgeboten hatte,
fi) ihm veriagten, die Paſchas Ibrahim von Berat und
Muftapha von Delvino an der Spige, — fich- fogar mit den
Sulioten befreundeten und benfelben Broviant und Deunition
zuführten. Mehr noch, die blinde Wuth, in welcher Ali bei
dieſem Anlaffe fih nun auch mit dem griehifchen Armatolen
Kanavos verfeindete und benfelben in ven Päſſen des
Makrynoro (zwiichen dem Golf von Arta und dem Acheloos)
meuchleriich erſchießen Tieß, veranlaßte auch des Ermordeten
Schwager, Ali's Langjährigen Freund Baläopulos, fich zu
erheben und zufammen mit Euthymios Blachavas von Akar⸗
nanten bis zum Othrys die Armatolen zum Abfall von Ali
zu beftimmen. Ihnen fchloffen fih auch die Osmanen von
Salona an, und der tapfere meſſeniſche Klephtenkapitän
Theodor Kolokotronis eilte mit feinen Pallikaren nad
Xetolien.
Dadurch gewannen die Sulioten wieder Luft; fie
fonnten fich wieder friſch mit allen Mitteln verſehen, erfolg-
reiche Ausfälle verjuchen, und ſich auch ſonſt wieder erholen.
Ihre Kraft war jet dadurch gewachlen, daß fich ein geheim
nißooller Bafilianermönd, Samuel mit Namen, unbelannter
Herkunft — (man Hält ihn jegt für einen Albanefen aus ber
Inſel Andros) —, zu ihnen gefellt Hatte, welcher das Volt
von Suli durch feine tobesverachtende Tapferkeit, durch jeine
folvatiichen Fähigkeiten begeifterte und zugleich mit feinem
düfteren Fanatismus bezauberte. Denn biefer grimmige Held,
der fich felbft nur das „Jüngſte Gericht‘ nannte, pflegte den
Sulioten ‚in Bredigten voll entichloffener Todesfreudigkeit
und fchauerlicher Sterbeluft den Berluft des Lebens als den
Weg in eine Zukunft vorzubalten, wo ber Tod und die Natur
mit Staunen die Creatur in unvergänglichem Ruhme wieder:
feben würden‘. Dazu aber ließ er verjtändigermweife neue
Schanzen anlegen und namentlih auf einem Hauptpunkte,
nemlich auf dem Berge Kunghi (S. 220) zwiſchen Kiapha
und Kako⸗Suli, eine ftarke Zeitung, St. Par aſke wi genannt,
erbauen.
316 B. II. K. J. 3. Ali führt ſeit 1800 Krieg gegen bie Sulioten.
Rettung brachte dieſes Alles freilich auf die Dauer ben
Sulioten nicht. Die überaus fchlaue Diplomatie Ali's
wußte die Gegnerichaft der albanefifchen Häuptlinge bald
wieder unwirkſam zu machen, endlich zu bejchiwichtigen. Die
vornehmen Osmanen von Salona bändigte er durch Auf—
wiegelung des Proletariats Diefer Gemeinde. Die Armatolen
aber, die ihre Pallikaren noch nicht gefammelt Hatten, wußte
er durch raſches Vorgehen und andere Schredimittel derart
einzufchüchtern, daß dem Paläopulos zur Zeit nur die raſche
Flucht nach Agrapha übrig blieb. Auch der auf Befehl der
Pforte (1802) erfolgende Abmarſch eines Theiles feiner
Truppen nach Rumelien, zur Mitwirkung bei der Bekämpfung
der Meuterer in dieſer Provinz, verlängerte die Rettungsfriit
für die Sulisten nur um eine kurze Zeit.
Der Anfang des Jahres 1803 fand die Sulioten
durch Ali's Sohn Muchtar wieder möglichft eng blofirt.
Schlimmer wirkte e8, daß die erneuerte Noth und jet auch
die glatte Rebe und das Gold des Paſchas von Janina unter
ihnen Uneinigfeit und eine gewijje Erſchlaffung hervorriefen.
Als nun in biefer Zeit die Pforte, die mit dem permanenten
Kriegszuftande zwilchen Alt und den Sulioten aus Gründen
höherer Überwachungspolitik nicht einverftanden war, dem
Paicha befahl, mit ven letzteren einen Vergleich abzujchließen,
verjchiwieg er ihnen den Befehl der Pforte, machte ihnen aber
den Antrag, unter anfcheinend leichten Bebingungen Frieden zu
ichliegen; nur müßten fie den Kapitän Photo Tſavellas,
den tapferiten Helden, Sänger und Kitharöden ihres Stammes,
bei deſſen Schwert das Volk zu ſchwören pflegte, aus ihrem
Gebiete entfernen. Ermüdet, wie die Kapitäne der Sulioten
momentan waren, nahmen fie bieje Vorſchläge wirklich ar,
und veranlaßten ben Ziavellas in der That, fie meinten nur
auf wenige Donate, Suli zu verlaffen. Trotz der fchweren
Bedenken wegen dieſes höchſt gewagten Beichluffes und feiner
Folgen, räumte Tfavellas, ein junger Held von wahrhaft
antifem Charakter, fofort feine Heimath und zog fich nach dem
‚ benachbarten Chorta zurüd. Kaum war das gefchehen, jo ließ
Überwältigung ber Sulioten i. 3. 1808, 817
Ali den Abſchluß des Friedens verfchleppen, berief dann den
Tſavellas zu fich nach Janina, behandelte ihn mit ausgefuchter
dreundlichfeit und juchte ihn, den er für tief erbittert gegen
die Sulioten bielt, zu bereden, jetzt als Gefandter des
Paſchas nah Suli zu geben und feine Landsleute zur An⸗
nahme der neuen viel härteren Bedingungen Ali's zu beftimmen.
Dabei machte Photo fich anheifchig, mit ihrer Antivort nach
Janina zurückzukehren.
Tſavellas, der in Janina die wahre Lage ber Verhält-
niffe erfahren batte, kehrte nur nad Suli zurüd, um jeine
Landsleute zur äußerſten Hartnädigleit anzuipornen. Bei der
Stimmung der Pforte werde Alt nachgeben müffen, wenn fie
nur Stand halten wollten. Nach Janina zurüdgefehrt, wurde
der ſuliotiſche Regulus von Alt fofort im ftrenge Haft gelegt.
Das fteigerte freilich die Erbitterung feiner Landsleute. Zu
ihrem Unheil fand aber Alt jegt die Möglichkeit, die Sulioten
als Verbündete der Franzofen darzuftellen, und erhielt nun
aus Stambul den Yerman, der ibm gebot, alle Kräfte
Albaniend gegen Sult aufzubieten; der Erzbiſchof Ignatios
bon Arta mußte bei Strafe der Excommunikation den Chriſten
ber Umlande jede Unterftügung der Sulioten unterjagen. Als
nun im Sommer 1803 der wüthende Kampf begann, erfochten
die Sulioten allerdings noch einmal bei einem kühnen
Ausfall unter Samueld und WMitofofalis’ Führung einen
glänzenden Sieg. Nun aber bot Alt feine ganze Kraft auf,
jtellte Veli, feinen jüngeren Sohn, damals Paſcha von
Tſchamuri, an Die Spite des Heeres, und zog zunächit bie
Gernirungslinien immer dichter. Und nun glüdte e8 dem
jungen Feldherrn, für Gelb in dem Sulioten Philios
Guſis, der wegen ver Mißachtung, mit der man ihn wegen
Teigbeit im Kampfe nach Art der alten Spartiaten behandelte,
bitter grolite, einen höchſt brauchbaren Verräther zu er-
faufen. Seiner Hilfe war es zuzufchreiben, daß bei bem
großen Sturmangriffe, ven Veli am 26. September verfuchte,
binnen Kurzem Kako⸗Suli und Avarikon, dann auch bie übrigen
Dörfer gewonnen werden konnten.
BIS Buch II. Kap. I. 3. Überwältigung der Sulioten i. 3. 1803.
Koch aber hielten ſich Kiapha und die mächtige Citadelle
St. Paraſkewi. Da nun Ali nicht Luft Hatte, an bie
Eroberung diefer uneinnehmbaren Feſtung fein Heer zu ſetzen,
fo entließ er gegen ben 11. November den Photo Tfanellas
aus feiner Haft; er follte fein Voll zur Einftellung des
Kampfes und zur Auswanderung aus Epirus beftimmen.
Tſavellas ſetzte fih mit Veli und mit feinen Landsleuten in
Verbindung Er entwarf den Plan, die Albanefen zu über-
Iiiten, nach Parga zu geben, die Bürger dieſer Stabt zur
Aufnahme der Frauen und Rinder von Suli zu bereben,
dann aber den Krieg mit wilder Energie fortzufegen. Zu
feinem Unheil 309 ſich aber die Unterhandlung mit Parga
etwas in bie Länge; und als die zufttimmende Antwort ber
- nun von ihm angelprochenen Regierung von Korfu eintraf,
war Veli über den Plan des Tiavellas fo ziemlich ins Klare
gefommen. Inzwiſchen Hatten auch einige der fuliotifchen
Kapitäne ihrerfeits mit Veli unterhandelt und waren mit
ihren Clans aus Kiapha abgezogen. Tſavellas konnte daher
nicht8 anderes thun, als nach St. Barajfewi zurückkehren und
bier mit Samuel mit wahrem Löwenmuth zu fechten. ALS die
Gegner ihnen endlih auch das Waffer abgeichnitten hatten,
nahmen fie die Kapitulation auf freien Abzug mit Hab und
Gut an, die ihnen in Bewunderung ihrer Tapferkeit Veli amt
12. December 1803 bewilligte. Die Hauptmajje unter
Ziavellas, Dimo Drakos und Tzimo Serbas marſchirte auf
Parga. Die zweite Hauptichaar der Sulioten, die (f. oben)
Kiapha fchon früher verlaflen Hatte, unter Kutjonilas und
Palaskas, zog ſüdwärts nach Klofter Zialongo am Acheron,
in der Richtung auf Rogos, um über Preveja nad Santa
Mara zu wandern. Ein Meinerer Trupp bverfelben, über
iwiegend Frauen, wollte nach Regniaffa oder Riniaffa (an ber
Küfte zwiſchen Parga und Preveſa), noch andere unter
Chriſtos Botzaris nach Aetolien marſchiren.
Die Helden von Suli ſchienen gerettet zu ſein. Aber der
grauenhafte Heroismus des Mönchs Samuel, ber mit noch
fünf Kriegern bei der Übergabe von St. Paraſtewi an bie
Vertreibung der Sulioten aus Epirus. 819
Abanefen das Schloß in die Luft fprengte, gab dem Pafcha
von Janina bie willlommene Beranlafjung, die Kapitulation
mit den Sulioten für gebrochen zu erklären und feine Truppen
zur wilden Jagd auf ihre getrennten Colonnen auszujchiden.
Nur die Abtbeilung des Tſavellas Tam ohne erhebliche
Berlufte glücklich nach Parge. Die Sulioten in Tſalongo
dagegen wurben von Ali's Truppen gefaßt; nach zwei Tagen
tapferer Gegenwehr und antikem Selbftmord der meiften
Grauen mit ihren Kindern entlamen in mörderiihem Nacht»
gefeht nur 150 mach Parga. Der Trupp in Riniaſſa,
großentheil® Frauen, wurde völlig vertilgt; die Heroine Despo
Iprengte fich mit ihren DBegleiterinnen in einem Thurme in
die Luft. Die vierte Schaar, 1000 Krieger unter Nothi und
Chriſtos Botzaris, bielt fich bis zum April 1804 in dem
Klojter Seltion in der Näbe von Breftiniga (öftlih von
Burgareli) am atbamanifchen Acheloos, bis fie bier endlich
durch die Kugeln des Feindes und in den Wellen des Stromes
ihren Untergang fanden. Nothi wurbe gefangen, Chriſtos
Botzaris aber ſchlug fih mit 45 Dann nah Parga durch
(freilich nur, um neun Sabre fpäter auf Ali's Befehl in Arta
durch den Albanefen Gogos Bakolas beim Mahle getödtet zu
werden). Ali war nun endlich der Sultoten Herr geworben,
deren relativ wenige Gefangene er graufam hinrichten Tieß.
Ihre Dörfer wurden niedergebrannt, ihre feiten Pläte dagegen,
namentlich auch Kiapha, in möglichit ſtarke Stellungen im
Sinne der damals modernen Kriegsbaufunft umgewanvelt.
IV.
Die Überwältigung der gefürchteten Sulioten gab dem
Palcha von Sanina in den Augen des Diwans in Stambul
einen erhöhten Triegerifchen Nimbus. Seine Erfolge zu be-
lohnen, ernannte ihn die Pforte nunmehr zum „Rumili⸗
Valeſi“ oder Beglerbeg von Rumelien. Er follte jest
mit feiner erprobten Kraft das Räuberthum mit politiicher
därbung in Makedonien und Thrakien (S. 286 u. 316),
820 B. II. K. J. 4..Ali (1804) vorübergehend Beglerbeg von Rumelien.
welches, nach kurzer Zurückdrängung 1802 (S. 316), wieder eine
unerhörte Ausdehnung gewonnen hatte, gänzlich niederwerfen,
was bei dem geheimen Zuſammenhange dieſer Schaaren mit
der reformfeindlichen Partei in Stambul, mit Paswan⸗Oglu,
und mit vielen hohen osmaniſchen Beamten, bisher nicht hatte
gelingen wollen. Ali zog auch im Frühjahr 1804 mit
10,000 Mann nach Monaſtir, jetzt dem Sitze des rumeliſchen
Beglerbegs, ſammelte hier die Contingente von Theſſalien,
Delvino, Berat und Skutari, Makedonien und Sofia, um ſich
und warf mit 80,000 Mann in der That die Räuberei
weithin nieder. Nun aber wurde feine Haltung dem Diwan
io verdächtig, daß man von Stambul aus. in feinem Nager
eine Meuteret gegen ihn anftiftete, die ihn nöthigte, mit einer
Maſſe erpreßter Gelder und Geſchütze nah Monaſtir zurüd-
zufebren. Die bald nachher, obwohl unter jehr eleganten
Formen, erfolgende Enthebung von dem rumelifchen Commando
machte ihn zum bitteriten Teinde des Sultans Selim II.
Einftweilen aber bewahrte er noch immer den Schein treuer
Ergebenbeit gegen die Pforte, fuchte aber jeit dieſer Zeit
entjchievener bei den europäifhen Großmädten m
mittelbare Beziehungen anzuknüpfen, um für alle Fälle ſich
einen Rückhalt zu fchaffen. Die Rückſchläge der Bewegungen
der großen europäilchen Politik auf Ali's Stellung, auf das
Haus Hppfilanti, auf die Lage der ioniichen Inſeln, und
daneben der demnächſt fich einleitende Vertilgungskampf Ali's
gegen die Armatolen und Klepbten Griechenlands find für vie
nächſten Jahre die wejentlichiten Momente in der Gejchichte
Griechenlands.
Alt erkannte recht Mar, daß neben der Eiferſucht ber
Pforte auf feine übergroße Macht es namentlich die ruſſiſche
Politif war, die ihm Schwierigkeiten bereitete. Rußland
nemlich, damald auf den toniichen Inſeln übermächtig, fand
bei feinen Abfichten, in Albanien Einfluß zu gewinnen, Alt ſich
überall im Wege. Daher denn die diplomatiiche Arbeit der
ruffifchen Agenten gegen Alt fowohl in Stambul, wie nidt
minder bei den nambafteften der griechiichen Kapitäne in
Ali und die Armatolen. 821
Nordgriechenland. Alt knüpfte daher jet nicht ohne Erfolg
Verbindungen mit England an. ALS aber der Presburger
Friede (26. December 1805) das venetianifche Gebiet mit
Dalmatien in die Hände des franzöfiihen Kaiſers Napoleon I.
gegeben hatte, bevachte fich der fchlaue Albaneje Teinen Augen«
blid, nunmehr wieder mit Frankreich anzufnüpfen und mit
dem franzöfifchen Imperator in fehr intimen Verkehr zu treten.
Das dominirende Moment aber für bie folgenden Sabre
wurde nicht mehr bloß bet Alt, fondern auch bei der Pforte
die Feindfeligfeit gegen Rußland und gegen die Bewegungen
auf der Balkanhalbinſel, welche irgendwie mit ruſſiſchen Ins
tereffen in Verbindung zu jteben jchienen.
Seit 1802 hatte Ai (S. 315) mit den chriftlichen
Armatolen principiell gebrochen. Das Mißtrauen war gegen«
ſeitig. Die gewaltige Vermehrung der Macht des Paſchas
von Janina durch die Offupation der Bergfeftung von Sult,
die dm nun Schkupetaren aus Tepeleni hüteten; die ſyſtematiſche
Conſequenz, mit welcher Ali nun auch in Agrapha das alte
Machtgebiet der Armatolen zu beichränfen juchte Y); zuletzt
no die tückiſche Ermordung eines mit Paläopulos befreundeten,
hoch angejebenen ätoliichen Primaten (1805) zu Arta, ber
tie Flucht des oft gemipbrauchten Erzbiichofs Ignatios [zumächit]
nad Korfu und die Vertreibung des Paläopulos aus Agrapha
folgte, fteigerten die Erbitterung der griechiſchen „zahmen“
und wilden Klephten gegen den albanefiichen Tiger. Die Folge
war nun, daß der Widerjtand der Klephten und
Armatolen gegen Alt feit dem Sommer 1805 eine
planmäßige Geftalt annahm. Damals Hatten fich Die ange⸗
jebenften Kapitäne zu gemeinfamer Berathung in Karpenifi
verjammelt. Hier verhandelte Alt durch feinen Milchbruder,
den „Araber Juſſuf“, einen Mulatten, einen jeiner thätigiten,
aber auch graufamften Heerführer, noch einmal mit ihnen ?).
1) Vgl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 26sqq.
2) Servinus a. a. DO. ©. 77ff. Mendels ſohn-Bartholdy,
Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 108.
Hergberg, Geihichte Griechenlands. III. 21
22 Bud II. Kap.I. 4. Konftantin Hypfilanti rumänifcher Hospobar.
Man verkehrte in jener eigenthümlichen, Halb vertraulichen,
balb lauernd vorfichtigen Art mit einander, welche den Verkehr
zwiichen dieſen griechtiichen Kapitanis und dem Paſcha von
Janina charalterifirt. Jufſuf mußte bereits erkennen, daß Ali
wohl bie Stellung der Armatolen erichüttern, das Klephten⸗
thum aber ſchwerlich würde auscotten können; denn die Pflicht
der Nahe für die in folchen Kämpfen umgelommenen over
Bingerichteten Gebirgsfrieger verftärkte deren Reihen beftändig
ans der Maſſe des griechiichen Volkes Heraus. Jedenfalls
kam es damals zu keiner Verftändigung zwiſchen Alt und ven
Kapitanis. Mehr aber, noch im Laufe deſſelben Jahres
nüpften Konſtantin Hypfilanti und von den ioniſchen Inſeln
her vufjtiiche Agenten mit ihnen Verbindungen an im Sinne
eines großen gegen die Osmanen zu führenden Schlages.
Diejes aber hing fo zufammen.
Die Zuftände in den nördlichen Provinzen der europätichen
Türkei Hatten während der legten ſechs Jahre einen ganz neuen
Charakter angenommen. Fürit Ronftantin Hypfilantt
Batte (S. 308) jeit 1799 als Hospodar der Moldau durch
jeine verftändige Regierung erträgliche Zuftände gefchaffen und
fih bei den Numänen große Beliebtheit gewonnen. Um fo
trauriger waren dagegen die Verbältniffe der Walachei, die
unter dem fchwachen Regimente der Familie Sußos fih der
wilden Raubzüge nicht mehr erwehren konnte, welche von
Paswan⸗Oglu's Heerhaufen und von den noch viel wilderen
Banden der damald in dem unglüdlihen Serbien zügello®
berrichenden Häuptlinge (Dahis) zuchtlofer Janitſcharenhorden
gegen das walachiſche Gebiet unternommen wurden. Da
richteten nun die walachiſchen Bojaren, in Erinnerung an
Alexander Hypfilanti und im Hinblid auf den trefflichen Ruf,
den Ronftantin in Jaſſh fich erworben, an bie Pforte die
dringende Bitte, ihnen ven letzteren ald Hospodar zu jenben.
Da auch Rußland und die ihm aus der Zeit feines Drago⸗
manates ber ſehr befreundete preußiſche Regierung dieſes Geſuch
lebhaft unterſtützten, ſo wurde an Stelle des mit Schimpf
und Schande aus Buchareſt gewichenen Michael Sutzos nun
Konftantin Hypfilanti rumüniſcher Hospodar. 823
mehr (4. Oktober 1802) Konftantin Hypiilanti zum
Hospodar der Walachei ernannt. Die Wahl war eine
bortreffliche. Eine damald auf ruffiihen Antrieb erfolgte
Verbefjerung in der Lage der Hospodare (fie erhielten
nomentlich ihr Amt auf je fieben Sabre, vinften nur auf
Grund wirklich erwielener Vergehen unter Vorwiſſen ber
ruſſiſchen Gejanbtichaft in Pera früher entfernt werben), wie
auch der Rumänen erleichterte ihm fein Auftreten ſehr. Mit
fefter Hand und ficherem Blicke griff Konftantin zu, gewann
dad Bertrauen der rumäntichen Einwohner, wie der auf dieſem
Boden den Griechen näherjtehenden Osmanen, und mußte fidh
nun namentlich aus Griechen und ausgeivanverten Koſaken ein
Neines Heer zu jchaffen, mit welchem er bie Räubereien des
trog feiner endlichen Ernennung zum Paſcha von Widdin an,
dauernd unruhigen Paswan⸗Oglu glüclich abzuwehren vermochte.
Schwierig genug, wie jeine Stellung freilich immer blieb gegenüber
ven Intriguen, welche bie jet in Stambul energifch vordringende
franzöſiſche Politif und Michael Sutzos bei dem Diwan gegen ihn
in Scene jeßten, und gegen bie er namentlich an Preußen jeinen
Halt fand, — juchte er fi nun im Sinne feiner jpäteren
Pläne ein jelbftändiges walachiſch⸗ moldauiſches Heer zu Ichaffen.
Damit kam er aber bei dem Mißtrauen der Pforte und
der Schlaubeit der Rufien nicht vorwärts. Als endlich Die
damals auf das höchſte Maaß gefteigerten ſchändlichen Zur
ſtände in Serbien es dahin getrieben hatten, daß im dieſer
Provinz unter Leitung des Kara⸗Georg und des Jakob
Nenadowitſch im Frühling 1804 die allgemeine Erhebung des
infam gemißhanbelten Volles gegen die Osmanen ausbrach,
die anfangs, als gegen die wüſte Janitſcharenherrſchaft gerichtet,
nm Stambul ſelbſt nieht ungern gejeben wurde: ba
unterftüßte auch Fürft Ronftantin die Serben mit Waffen
und Kriegsvorräthen, und durch jeine Berichte im Diwan.
AS aber mit Hilfe des Paſchas von Bosnien die Macht ver
Dahis gebrochen war, und nun über der Abneigung ber
Serben, in das alte Rajahverhältniß zurüdzutreten, die leßteren
ih an Rußland wandten, um (1804/5) durch deſſen Hilfe
21*
34 Bud II. Kap. L 4. Der Aufftand in Serbien (1804—1807).
eine ähnliche ſtaatsrechtliche Stellung zu erlangen, wie jchon
bamald die Rumänen bejaßen: da war es Konitantin
Hypſilanti, der, fo heißt es, ihnen die koloſſale Forderung
eingab,, die fie bet einer Zufammenkunft mit osmaniſchen
Abgeordneten aus Belgrad und den für die Pforte handelnden
Vertretern der rumäniſchen Hospodare zu Oftrufchniga (im
April 1805) aufitellten, — nemlich daß künftig alle Feftungen
bes jerbijchen Landes mit ferbifchen Truppen befetst werben
follten. Man glaubt, daß Hyyſilanti bet feiner fchlauen
Politik diefen Schritt in der Hoffnung gethan habe, von der
Pforte unter diejen neuen Verlegenheiten die Gewährung jur
Bildung feines Heeres endlich Doch zu erlangen.
Die Forderung der Serben konnte Selim II. aus Rück⸗
ficht auf die Mufelmanen doch nicht gewähren. Aber er beging
den Fehler, auch andere, fie für die Zukunft fichernde Zu
geftändnifjfe zu verweigern, und befahl dem Paſcha von Nic,
nunmehr die ferbiiche Rajah wieder zu entwaffnen. Da brad
nun gegen Ende des Jahres 1805 der neue Nationalfrieg
aus zwilchen ven Serben einerjeit$, den noch in Serbien
wohnenden Osmanen und der Pforte andererjeits. Die letztere
bot die Paſchas Bakir von Bosnien und Ibrahim von Skutari
gegen die jerbiihe Rajah auf. ES ift befannt, daß Diefer
fürchterliche Kampf, der fich allmählich auch mit einem neuen
ruſſiſch⸗türkiſchen Kriege verichlang, zunächſt bis tief in das
Jahr 1807 hinein von den Serben mit immer wachiendem
Erfolge geführt worden if. Tür unjere weitere Aufgabe
fommt fortan die Gejchichte Serbiend nur noch gelegentlich in
Betracht. Hier aber haben wir nun zu erzählen, daß bei
dem neuen Auflobern des gegen die Pforte gerichteten jerbiichen
Aufſtandskrieges im Winter 1805 auf 1806 nun eben
auh die griechiſchen Armatolen zu Gunften ver
Serben in Bewegung gebracht wurden, obmwohl gerade die
Serben, jpeziell wieder ihr berühmter Führer Kara» Georg,
durchaus Feine befondere Freunde der Griechen waren ?).
1) Bgl. L. Ranke, Die ferbifhe Revolution, S. 172ff.
Nito⸗-Tſaras (1805). 835
Im Spätjabre 1805 aljo beriefen ruſſiſche Agenten bie
u Karpenifi verfammelt geweſenen Kapitanis zu einer Be⸗
iprehung in dieſem Sinne nah Santa Maura. Und im
Einverftänbnig mit SKonftantin Hyypſilanti entichloß fich ihr
damals nambaftefter Führer !) Nikos, der tapfere Sohn des
Zaras, Held „Niko⸗Tſaras“ von Alaffona in Theſſalien
(S. 298), mit 300 auserlefenen Pallikaren den Serben zu
Hilfe zu ziehen. Der Zug ift jchließlich erfolglos geblieben;
aber er ift für den Geiſt und die Energie dieſer Gebirgskrieger
in hohem Grade charakteriftiih. Niko⸗Tſaras war geichict
genug, ben Türken auszumeichen, welche ihm die Päſſe zwifchen
Makedonien und Theſſalien fperrten. Er erreichte endlich den
Strymon; aber der Weg zu der jchmalen, mit Ketten an
die Ufer gefeffelten Holzbrüde über dieſen Strom nad der
Stadt Pravi wurde ihm durch 3000 Krieger Ali's geiperrt.
Bald fah er fich auf einen Hügel gedrängt, wo er nun brei
Tage und drei Nächte um jein Leben Tämpfen mußte, und
nichts zu leben fand, als ven Schnee auf den Bergen. Als
endlich auch der Schießbedarf knapp wurde, blieb den Griechen
nur ein salto mortale übrig. Am Morgen des vierten Tages
berjuchten fie auf Xeben und Tod ihren wilden Säbelangriff.
Der Stoß gelang; fie nahmen die Brüde über den Strymon
mit Sturm, überjchritten fie, hieben die Ketten am jenjeitigen
Ufer ab und fchleuderten die Brüde in den Strom, um dann
Pravi auszuplündern. Bald nachher aber erfuhren fie, daß
die nach dem Norden führenven Päfje zu ſtark befegt waren,
als daR fie e8 vermocht hätten, auch hier burchzudringen. So
blieb dem tapferen Nito-Tjaras zur Zeit nichts übrig, als ſich
mit alfer möglicher klephtiſcher Schlauheit nah dem Olymp
zurückzuſchleichen ?).
1) Die Borgefhichte bes Niko - Tjaras ſiehe ausführlih in ben
„Mittheilungen aus der Geſchichte und Dichtung der Neugriechen“,
Bd. II, ©. 166—172.
2) Bol. über das bisher Entwidelte namentlib Ranke a. a O.
&. 127. Zinteifen, Th. VII, ©. 243fj. 305. 307. 316ff. Ger-
326 8. II. 8. I. 4. Zacharias und Theodor Kolofotronis in Moren.
Seit dieſer Zeit war vorläufig die Klephturie zur Ruhe
gebracht. Ali Hielt Armatolen und Klephten von Xetolien
bis zum Olymp mit furchtbarer Gewalt nieder. Niko⸗Tſaras
ſelbſt verlor fein Armatolik, und ſah fich genöthigt, von
Platamona aus zur See zu geben und mit einem Kleinen
Geſchwader von drei Schiffen als Corſar aufzutreten. Er
machte die Injeln Skyros, Skiathos und Skopelos zu feiner
Station und plünderte bis zu ben Dardanellen Hin). Auch
mn Morea war es eben damals mit dem griechiichen
Klephtenthum zu Ende gegangen. Hier waren es namentlich
zwei fühne Krieger geweſen, welche auf eigene Hand den Kampf
mit den Osmanen führten. Der ältere, feiner Zeit viel
gefürchtet, aber auch durch feinen derben Humor bekannt, war
Zacharias, ver Abkömmling einer alten lakoniſchen Klephten⸗
familie, deſſen Tapferkeit, Gewandtheit und kriegeriſche Be
gabung auch den Osmanen imponirte, die ebenſo gut wie die
islamitiſchen Albaneſen in dieſer Zeit vor der Kernhaftigkeit
der Pallikaren Achtung gewonnen hatten. Der militäriſch und
geiſtig ungleich bedeutendere aber war ſein jüngerer Waffen⸗
bruder, nemlich Theodor Kolokotronis, der Blut
rächer ſeines Vaters. Theodor hatte ſeine Jugend nach
dem Untergange ſeines Hauſes in der Maina zugebracht.
Funfzehn Jahre alt ſiedelte er über nach dem Gebiete von
Sambazika an dem nördlichen Abhange des Taygetos, und mit
zwanzig Jahren (1790) heirathete er die Tochter des damaligen
griechiichen &emeinvevorfteherd von Leondari, die ihm ein
erhebliches Heirathsgut mitbrachte. Sieben Jahre vergingen
ihm noch frienlich, obwohl (S. 288) die franzöfliche Freiheits⸗
vinus, ©. 70 ff. u. 77 fe Mendelsfohn- Bartholdy, Ali⸗
Paſcha, S. 133f.; „Gefchichte Griechenlands”, Bb. I, S. 103. „Mit-
tbeilungen”“ a. a. O. ©. 172fl.
1) ®gl. Sathas 1. c. p. 577 sgq., ber aber von allen Anderen
abweichend ben großen Zug bes Nik. nad Pravi (p. 580 sqg.) erft In
das Jahr 1807 verlegt (ſ. unten), mit ven Bewegumgen bes Admirals
Stiniawin verbindet, und ben Kampf bei Pravi als ein Rückzugsgefecht
Darftellt.
Zacharias' Tod 1799. Kolokotronis flieht 1806 nad Zante. 827
botſchaft in ihm ſchon damals die Triegeriihe Natur feines
Gejchlechtes wachgerufen hatte, und er mit Vorliebe als
Milizführer auftrat. Bonaparte's, des franzöftichen Kriegs⸗
belven, in welchem er „den Gott des Krieges‘ zu erkennen
glaubte, Zug nad Aegypten riß ihn vollends bin, und einige
Raubzüge nach den Nieberungen des meſſeniſchen Ganes
Emblafifa, der Ebene des antiken Stenyklaros, warfen ihn
entichieden in Das Klephtenthum hinein. Seine Zeit war aber
damals noch nicht gelommen. Während Zacharias, ver nach
der Ichlimmen Art namentlich der Moreoten feines Standes
auch die Griechen nicht ſchonte, bejonders den Primaten und
den Prieftern zuweilen ein böſer Gaſt war, endlich (1799)
in türkiſche Hände fiel und in Tripoliga gepfählt wurde,
ſchwankte auch des Kolofotronis Leben mehrere Jahre bin
zwiſchen Raubfehden gegen Osmanen und wohlhabende Gries
den, und zeitweiſem Waffendienft für griechiiche Klöfter oder
Primaten. Es Half ihm nur wenig, daß ber griechifche
dreiheitsgedanke fchon jest in ihm lebendig glühte “Die
griegiichen Moreoten mit Ausnahme der Mlaniaten waren
durch Die Schrediniffe, die auf das Jahr 1770 gefolgt, jo
verdroſſen, namentlich die Bauern der Klephturie jo fatt, daß
fie fchließlich den Osmanen herzlid) gern Die Hände boten, als
e8 fih 1806 darum handelte, auf der Halbinjel dem
Räuberthum mit und ohne politiiche Färbung ein Ende zu
machen. Damals wurden aljo diefe Schaaren überall nieber-
gebegt, mehrere Mitgliever der Familie Theodors erichlagen,
Kolokotronis felbft, der auch in der Maina feine Sicherheit
fand, Anagnoſtaras und andere Führer genöthigt, fich nach
Zante zurüdzuzieben, wo jener endlich die Möglichkeit fand, fich
zu feiner fünftigen Thätigfeit noch in anderer Weiſe einzu-
ihulen 9).
1) Bgl. Pouqueville, Geſchichte der Wiedergeburt Griechenlands,
Aberſetzt durch v. Hornthal, Bd. II, ©. 269. „Mittheilungen“
a. a. O. S. 64fj. Finlay, History of the greek revolution, vol. I,
p. 32 u. 190 sqq. Menpdeisfohn - Bartholdy, Geſch. Griechenl.,
8b. I, ©. 183 ff.
323 8. II 8.1 4. Verſtimmung zwifhen ber Pforte und Rußland.
Trog der Schläge, welche neuerdings Klephten und
Armatolen erlitten hatten, loderte jchon in dem folgenven
Sabre 1807 parallel mit der jerbiichen Bewegung auf ver-
ichiedenen Punkten auch eine neugriechiſche Erhebung auf.
Diejes nemlich im Zuſammenhang mit der großen europätfchen
Boliti. In Stambul hatte ſeit mehreren Jahren die
franzöfifhe Diplomatie energiih dahin gearbeitet, die
zuffiiche aus dem Felde zu fchlagen. In der That war das
burch den gemeinjamen Feldzug gegen die iontichen Injeln und
weiter zwilchen Stambul und Petersburg begründete freund-
ichaftliche Verhältniß bereitö wieder erheblich abgekühlt worden,
nicht ohne jtarfe Schuld der Ruſſen und ihrer fortbauernd
betriebenen Dlinirungsarbeit auf osmaniſchem Gebiete. Schon
1803 fanden die Osmanen es unerträglih, daß Rußland
bem größten Theile der Handelsjchiffe der griechiichen Inſeln
ben Gebrauch jeiner Flagge gejtattet hatte Weil auf vielem
Wege die Pforte die Botmäßigkeit über einen großen Teil
ihrer beiten Seeleute verlor, jo hatte jchon damals ber
Kapudan-Paſcha, dem es ſchwer wurde, bie nöthige Zahl von
griechiihen Matrojen für die Kriegsflotte aufzubringen, mit
Gewalt eingegriffen. Er ließ nemlich in der Nähe der Inſel
Hydra und der maniatifchen Küfte fortwährend ein üÜber—
wachungsgeichwader freuzen, behandelte alle griechiichen Schiffe,
bie fich unter fremder Flagge bliden ließen, ald Corſaren und
ließ einmal jogar den Kapitän eines ſolchen aus einem Hafen
der Maina auslaufenden Kauffahrers zum Zwecke ver Ab
ichredung einfach enthaupten ?). Bei der Geſchicklichkeit indeſſen,
mit welcher die ruffiihe Politik, die in der Türkei das Geld
nicht Iparte, in Stambul und im Diwan ſelbſt fich eine
. einflußreihe Partei gejchaffen Hatte, hätten alle dieſe Ver⸗
ftimmungen zu feinem Bruche geführt, — ohne das immer
nachdrücklichere Bohren der energiichen Gejandten Napoleons,
denen e8 damals darauf anfam, die Pforte unter allen Um-
jtänden von Rußland zu trennen. Allmählich drang Frankreich
1) Bgl. Zinkeiſen, Thl. VII, ©. 353.
Berfiimmung zwiſchen ber Pforte und Rußland. 829
mit feinen Aufbegungen durch. Die Erklärung des Hafens
von Sebaftopol zum Kriegshafen, bie immer ausjchließlichere
Belegung der Offizierftellen in der Pontusflotte mit Griechen,
die Detachirung (1804) neuer ruffiicher Abtheilungen aus
Sehaftopol nach den ioniſchen Injeln (wo fich dann, jchließlich
15,000 Mann und fechs zu Korfu ftationirte Kriegsfchiffe
befanden), mußten ver Pforte allerdings ernſtlich mißfallen.
Nah langem diplomatiihem Kampfe zwiſchen den franzöfifchen
und ruſſiſchen Geſandten bei der Pforte gewann endlich unter
dem imponirenden Gindrude der Schlacht bei Aujterlig und
des Presburger Friedens (1805) die franzöfiiche Partei im
Divan das Übergewicht. Noch freilich : hatte die Pforte
(30. December 1805) auf Rußlands ‘Drängen ven alten
Vertrag von 1798 auf neun Jahre verlängert. Nun aber
(1806) gab man doch den franzöfiichen Einflüffen mehr und
mer Gehör. Es war doch Hauptfächlich gegen Rußland ges
richtet, daß die Pforte fich plöglich entichloß, dem jchlimmen
Mißbrauch zu begegnen, der feit Jahren mit den Schugbriefen
oder Patenten („Barats“, ©. 254.) der auswärtigen Mächte
zu Gunſten der chriftlichen Unterthanen des Sultans getrieben
worden war. Es ergab fihb, daß Rußland allein etwa
200,000 folder Schußbefohlenen in dem osmaniſchen Reiche
batte. Nun jollten, fo war der Wille der Pforte, dieſe
Baratare entweder nach dem Wortlaut der - Barats allemal
an den Stationen der betreffenden Conjulate verbleiben,
beriebentlih dahin zurückkehren, ober aber wieder in die
Kaffe der gewöhnlichen Rajah zurüdtreten. Diefer Schritt,
mit dem zugleich ein thörichter Mißgriff in Schärfung ber
Abfonderung der Rajah durch die Kleidung und Klaffifietrung
verſchiedener Rajahklaſſen durch äußere Abzeichen Hand in
Hand ging, erregte nun freilich nicht bloß bei den Ruſſen arge
Mißſtimmung. Es konnte auch wohl nur wenig helfen, wenn
jeßt der Sultan jelbft Barats an feine eigenen, auch an bie
hriftlichen Untertbanen ausgab. Schließlich verlief fich dieſe mit
Nachdruck eröffnete Reftaurationsmaßregel in den bald eintretenden
größeren politifchen Erjchütterungen des Weiche. Zunächit
30 8.IL 8.1. 4. Diplomatifche Agitation Frankreichs in Stambul
hatte fih eben Rußland infofern nachgiebig gezeigt, Daß «
„ven Gebrauch der ruffiihen Flagge für Unterthanen ver
Pforte auf die Länder und Inſeln beichränfte, welche wäh
rend des Krieges unter ruſſiſcher Botmäßigkeit geſtanden
hatten“ ?).
Als aber im Verlaufe des Jahres 1806 der Katier
Napoleon I. den neuen großen Krieg gegen Preußen und
Rußland eröffnete, galt es, nunmehr alles Ernftes auch die
Bforte zum Bruch mit Rußland, zugleih auch mit England,
damals dem ausdauerndften Teinde des neuen Frankreich,
zu treiben. Diesmal gelang ed. Der neue franzöfiiche
Geſandte in Stambul, General Horace Sebaſtiani (jet
10. Auguft), war ein Meiſter in der Kunſt, die Gemüther
der Osmanen zu gewinnen, und wußte namentlich die befonbere
Gunſt des Sultans Selim II. zu erlangen. Seiner und feine
unmittelbaren Vorgängers, des bisherigen Gejchäftsträgerd
Ruffin, Thätigkeit gelang es bald genug, eine enticheivende
Wendung herbeizuführen. ‘Die. franzöfiiche Partet in Stambul
jegte e8 zunächſt durch, Daß die ihre beſonders umbequemen
griechiichen Hospodare in Rumänien, Konftantin Hypſi⸗
lanti in Buchareft und Alerander Murufi in Jaſſy, als
Parteigänger und verrätherifche Werkzeuge der ruffiichen Polittl
am 30. Auguft durch einen Hattiicheriff des Sultans unter
Druh des 1802 (S. 323) mit Rußland geichloffenen Ab-
kommens abgejegt, dafür die Fürften Alerander Sutfos und
Kallimachi zu Hospodaren ernannt wurden. “Die Folgen biejer
Gewaltmaßregel blieben nicht aus. Währenn nur Murufi
nach dem Fanar zurüdfehrte, Konftantin Hypfilanti dagegen es
vorzog, nach Siebenbürgen zu entweichen, wo er num börte,
daß die Pforte fein Vermögen in Stambul hatte configciren
und feinen greilen Vater Alexander verhaften Yaffen 2): fo
entwidelte fich aus ſolchem Vorgehen der Pforte jehr bald die
ſtärkſte Spannung mit Rußland. Die von Selim ID. in
1) Zinteifen, ©. 397ff. Gervinus, ©. 85.
2) Bgl. Zinkeiſen, Thl. VII, S. 402 ff.
Krieg der Pforte feit 1206 gegen Rußland und England. 881
ärgfter Verlegenheit unter bem 17. Oktober auf engliiches und
ruſſiſches Drängen verfügte Zurücknahme ber Ablekung jener
beiden alten Hospodare fam zu fpät, um die Wltion ber
ruffifchen Regierung noch aufzuhalten. Mit dem 16. Oftober
batten fich bereits die tm Laufe des Sommers am Dnuieſter
gefammelten ruffiichen Truppen in Bewegung gejegt, um im
Rumänien einzurüden. Nur an der walachiichen Grenze
momentan durch die Paſchas Muſtafa Bairaktar von Ruftichud
und jenen Paswan-Oglu von Widdin aufgehalten, Hatten die
Ruſſen am 24. December auch Buchareſt bejegen können.
Am 27. December 1806 erfolgte dann die förmliche
Kriegserflärung der Pforte an Rußland. Alexander Hypfilanti
aber (er wurde Ende Januar 1807 Hingerichtet )) und Mu⸗
rufi waren dem Henker verfallen.
Die Kämpfe zwiichen Ruſſen und Zürfen an der Nord⸗
greme bes osmanischen Reiches haben für unjere weitere
Darſtellung keine Bedeutung; nur daß der Tod Pas»
wan-⸗Oglu's am 5. Februar 1807 hier die Verhältniſſe
ſehr vereinfachte, und daß vieler Ruſſenkrieg bie Kriegs⸗
lage der Serbier für das Jahr 1807 erheblich erleichterte.
Für ums von Wichtigkeit ift aber die Rückwirkung, welche die
ſeit dem Spätjahre 1806 neu entwicelte kriegeriſche Stellung
ver Pforte einerjeitS auf die Osmanen, andererſeits auf
bie verfchiedenen Glieder der griechiſchen Welt ausge-
übt hat.
Der Bruch der Pforte mit Rußland jchuf ihr auch Diesmal
zunächft einen ſehr unbequemen Sriegsichauplag auf der
Seefeite des Reiches. Denn in feiner zähen Feindſchaft gegen
das Napoleonifche Frankreich ergriff jetzt auh England im
Januar 1807 mit Energie für Rußland und gegen bie Pforte
Partei. Bei der Inſel Tenedos fammelte fi) eine beveutenbe
engliiche Flotte unter dem Admiral Duckworth, der am
19. Februar mit vollen Segeln die Darbanellen paifirte und
nad einem glüclichen Seegefechte bei Nagara am 20. Yebruar
1) Ebend. ©. 475.
832 B. II. K. J. 4. Krieg der Pforte feit 1806 gegen Rußland und England.
bet der Inſel Proti, nur drei Stunden ſüdöſtlich von Stambul,
vor Anker ging und demnächft die osmanijche Hauptſtadt mit
einem Angriff bedrohte. Da war es die Entichloffenheit und
Energie des franzöfiichen Geſandten Sebaftiani, an welcher
Selim II. fich aufrichtete. Dieſer Heerführer felbjt und eine
Anzahl in Stambul befindlicher Franzojen organifirten mit
großer Gewandtheit in aller Eile die Vertheidigung von
Stambul. Der mächtig auflodernde Fanatismus der Muſel⸗
manen, aber auch der griechifche Patriarch und die Griechen
von Conjtantinopel unterjtüßten diefe Arbeiten mit unerwartetem
.Nachdrucke. So geſchah es, daß binnen kurzer Zeit ver
Admiral Dudworth fih außer Stande ſah, mit einiger Hoff-
nung auf Erfolg den Angriff auf Stambul überhaupt noch zu
verjuchen, und am 1. März, nicht ohne fchwere Verluſte be
ber Dardanellenfahrt, den Rüdzug nach dem ägätichen Meere
antreten mußte. Obwohl nun gleich nachher der ruſſiſche
Admiral Demetrios Sintawin von der Station vor
Korfu ber mit den Engländern bei Tenedos fich vereinigte
(7. März), jo wurde Stambul doch nun nicht weiter bebroßt.
Duckworth wandte fich vielmehr gegen Äghpten, währen
Siniawin in der beobachtenden Stellung vor den Darbanelien
liegen blieb.
Inzwiſchen kehrte fihb in Stambul aber nah über
ftandener Gefahr der alttürkifche rohe Hochmuth und bie
Eiferfucht der Janitſcharen gegen den übermächtig hervor
tretenden Einfluß des Generald Sebaftiani; biefes um fo
mehr, weil Selim III. fih mit wachſender Entjchievenheit bei
der Vollendung jeiner militäriihen Reformen auf bielen
energiihen Mann ftüste. Nun war unglücklicherweiſe ber
kräftige Kutjchuf-Huffein Ende 1803 geftorben. Die Gährung
unter Janitſcharen und Pöbel namentlich der Hauptftabt, bie
nur mühſam zu bänbigen war, hatte feit dem März 1805,
wo der Sultan feine neuen Truppen durch allgemeine Con
jeription aus dem Volt und aus ven Ianitfcharen zu ergänzen
begann, eine bedrohliche Höhe erreicht. Noch mehr, die in
Karamanien formirten neuen Tyuppen, 16,000 Mann zu Fuß
Sturz Selims II. (1807). Muftafa IV. 338
und 1500 Reiter, die Selim im Frühjahr 1806 nach Rumelien
gezogen batte, waren auf fo wüthenden bewaffneten Wiberftand
ber Janitſcharen geftoßen, daß der Sultan fie im Herbſt nach
Aien batte zurüdienden müflen. Nun war e8 des Padiſchah
Unheil, daß der im Frühjahr 1807 neu ernannte Muftt und
ein anderer einflußreicher Miniſter nur äußerlich zu der Reform
fi befannten, während fie derjelben im Geheimen jo feindlich
als immer möglich waren. Beide Schurken, auf die Ulemas und
die Janitſcharen geftüßt, Teiteten von langer Hand mit tücticher
At ein Complott gegen den Sultan ein, dejjen Ausführung
endlich mit einem Aufitande der alten Zruppen in ben,
Batterien des Bosporus begann (26. Mai). Unter Führung
des grimmigen Kabakſchi⸗Oglu trugen dieſe Meuterer bie
Erhebung von Bujuldere am 29. Mat nah Stambul, wo
nun der Pöbel und die Janitſcharen in Maſſe ihnen zufielen,
und bie ſcheußliche Ermordung ver durch die vornehmen Führer
des Aufſtandes proferibirten Freunde der Reform ind Wert
gefeßt wurde. Selim II. mußte die neuen Truppen für
aufgelöft erklären, wurde aber gleich nachher (31. Mai) ab»
geſetzt, und an feiner Stelle Abdul-Hamids I Sohn,
Muſtafa IV., auf ven Thron erhoben.
Die neue biyzantiniiche Revolution übte auf den Krieg
gegen Rußland eine höchſt lähmende Wirkung aus, während
gerade Damals bei der fchwierigen Lage der Rufjen und Preußen
auf dem preußtich - polniichen Kriegsichauplage die ruſſiſche
Regierung nur mit jchwacher Macht in Rumänien auftreten
fonnte. Zur See war es den Osmanen überdem ganz neuer.
dings jchlimm genug gegangen. Denn der ruffiiche Admiral
Siniawin hatte am 19. Mat in der Nähe von Tenedos
dem Kapudan⸗Paſcha Seid⸗Ali eine vollſtändige Niederlage
beigebracht. Freilich hatte auch die ruſſiſche Flotte bei dieſem
Kampfe ſo ſchwer gelitten, daß Siniawin bald nachher nach
Korfu zurückkehrte ). Die Kunde von dem Abſchluſſe des
Tilfiter Friedens zwiſchen Frankreich und Rußland (8. Yult)
1) Zinteifen, ©. 477.
854 Buch II. Kay. I. 4. Zuftände auf den ionifchen Infeln.
lähmte nachher auf allen Punkten des türfiichen Kriegsichauplates
die weiteren Bewegungen.
Die Zeitgenoſſen der Seeſchlacht bei Tenedos bemerkten
mit Überraihung, daß!) die griechifchen Matrofen auf ver
türfifchen Flotte damals wit großer Tapferkeit gegen bie
Nuffen fochten. Nichtspeftoweniger hatte die ruſſiſche Agitation
auch diesmal einen erheblichen Theil ber Griechen unter die
Waffen gerufen. In eriter Reibe hatte fich die Republik
der tonifhen Inſeln ſchon jet 1805 auf Rußlands
Betrieb zu Frankreich feindlich geftelt. Dazu aber wurben
biefelben Inſeln, bie in diefer, wie früher zur venetianiſchen,
Zeit Aſyl und Rüdzugshafen aller aus den türfijchen Provinzen
austretenden Flüchtlinge blieben, auch der Ausgangspunkt ber
Unternehmungen verjchtedener Eorfaren gegen bie Pforte. Für
die militäriiche Ausbildung nicht weniger griechiicher Pallikarer
führer, bie feit 1821 in dem großen griechtichen Befreiungsfriege
eine bedeutende Rolle fpielten, ift e8 allerdings werthvoll geworben,
daß diefe Zuftände den Anlaß gaben, auf den Injeln verſchiedene
griechiiche regelmäßige Truppenabtheilungen zu formiren. Ein
Theil griechischer Pallitsren aus Rumelien und Morea nahm
beit ven Zruppen der jungen Republik ‘Dienfte. Rußland
jeinerjeits bildete für feine Zwecke in Zante unter dem Oberjten
Papadopulos ein griechtiches Regiment aus Maniaten unter
Pieralis, dem Sohne des Tzanetbei, und Moreoten unter
Anagnojtaras. Auch aus den Trümmern der Sulioten
auf Korfu fuchten die Ruſſen Nuten zu ziehen. Diele un
glüdlichen Leute nemlih waren damals fich ſelbft und ben
Joniern zur Laft geworben. Fern von ber alten Heimath,
wurbe e8 ihnen jehr fchwer, aus Gebirgskriegern Bauern zi
werben und das ihnen zugetheilte Land zu Zolonifiren. Die
klephtiſchen Neigungen famen jest bei Männern und Frauen
in läftiger Weife zum Vorſchein; fie wurden unangenehme
Ziegen» und Holzdiebe. Endlich formirten die Ruſſen aus
1) 2gl. Ponqueville a a. ©. bei v. Hornthal, Bd. J,
©. 1871.
Machtaufſchwung des Ali-⸗Paſcha. Graf Giovanni Kapodiſtrias. 385
den jungen ſuliotiſchen Kriegern eine ſoldatiſche Truppe, die
jedoch bei verſchiedenen Gelegenheiten, wo ſie zum Kampfe
kam, weit hinter ihrem alten Rufe zurückblieb, ſobald es
nicht gegen die Mohammedaner ging. Viel wichtiger wurde
dagegen 1807 die Verbindung verſchiedener Rumelioten mit
den Joniern.
Das Auflodern des ruſſiſch⸗türkiſchen Krieges und die neue
Freundſchaft zwiſchen Frankreich und der Pforte gab dem Ali⸗
Paſcha von Janina einen ganz neuen Aufſchwung. “Der
franzöſiſchen Freundſchaft verdankte er es, daß er damals ſeine
Herrſchaft nahezu über das geſammte Griechenland
ausdehnen konnte. Denn als der Krieg zwiſchen Rußland und
der Pforte ausbrach, verlieh anf Verwendung der Franzöfiichen
Sejandtfchaft der Sultan Alt’8 Söhnen zwei wichtige griechtiche
Paſchaliks. Belt erbielt Morea, Muchtar dagegen Lepanto.
Nun aber jekte Mi Alles in Bewegung, um mit franzöfiicher
Hilfe auch die tonifhen Inieln zu erobern. Den geo-
graphiſchen Verhältnifſen entiprechend, war jein erfter Angriff
gegen Santa Maura gerichtet.
So ſtanden die Dinge zu Anfang des Jahres 1807. In
ihrer Bedrängniß ſuchte die ioniſche Republik ihre Rettung
in der Energie und Geſchicklichkeit des jungen Grafen Gio⸗
vanni Kapodiſtrias. Diefer Staatsmann war in der legten
Zeit ftarf unpopulär geworben. Die demokratiichen Züge in
der neuen Verfaſſung von 1803 (S. 312) mißfielen ihm; er
hatte dem alten Mocenigo die Hand geboten, als dieſer unter
Eonnivenz der ruffiichen Regierung gegen Ende des Jahres
1806 eine Commiſſion berief, um über eine Reform der
ioniihen Verfaſſung im Sinne einer Stärkung ber erefutiven
gegenüber der Tegislativen Gewalt und Erhöhung des ruſſiſchen
Einfluffes auf die Zufammenjegung der Exekutive zu verhandeln.
Er Hatte darüber fein Amt als Staatsfefretär niedergelegt.
Jetzt aber in dem Moment der Noth Tümmerten ſich Die
Sonier nicht mehr um die innere Trage, fondern ernannten
Kapodiftrias zum außerordentlichen Milttärgouverneur, und
verliehen ihm zum Schutze von Santa Maura ben Oberbefehl
336 3. II. 8. I. 4. Griehifche Bewegung für Rußland i. 3. 1807.
über die Truppen der Republit, zu denen auch eine ruſſiſche
Abtheilung ſtieß. Mit richtigem Blicke ließ er den jchmalen
Iſthmos, welder Santa Maura mit Alarnanien verband,
buch einen mit Batterien gebedten Graben durchſtechen,
zugleich die bier ſchon vorhandenen Forts verftärken. “Die
energijche Freiheitsliebe der Jonier, fpeciell der Griechen von
Ithaka, kam ihm babei weientlih zu Hilfe; feine Truppen
aber erhielten durch der Zuzug albanefiicher, vumeliotiicher,
moreotifcher Pallilaren eine ſehr erwünjchte und ſehr nützliche
Verftärkung. Kapodiſtrias feinerfeitS kam damals mit meh
reren der fpäter namhafteſten griechiichen Kapitäne in per-
fönliche Beziehungen. Der Angriff Ars — im Mai ımd
Juni 1807 — murde aljo auch damals wieder ver
eitelt.
Parallel mit diefen Arbeiten und Kämpfen Tief aber bis
zur Zeit der Schlacht bei Tenedos und des Friedens von
ZTilfit eine andere Bewegung unter den Griechen des Felt
landes und der Inſeln des Oſtens. Die Aufreizungen ber
rulfiihen Agenten batten ihre Wirkungen auf dem Yeitlande
nicht verfehlt; auch im ägätichen Meere blieb ein Aufruf des
Admirals Siniawin an die Griechen nicht ohne Wirkung.
Während Theodor Kolofotronts ald Kaper an den weftlicen
und nördlichen Küften von Morea auftrat; mährend bie
ioniſche Republit noch am 17. Juni der Pforte und Franfreid
den Krieg erflärte, und nach Abwehr der Albanejen die grie
Shichen Armatolen von Santa Maura aus unter Katſan—
tonis und Kitfos (Chriftos) Botzaris ſich über Afarnanien,
Epirus und Theffalien verbreiteten, war im Frühling auch auf
Hydra ein Aufftand zu Gunften der Rufen ausgebrochen,
der (ſ. unten) zur Zeit bier rvegierende Gouverneur oder Dei
Georg Bulgaris zur Flucht nach Poros und Athen genöthigt,
und mehrere Schiffsführer, wie Kyriakos Skurtis, Antonicd
Tukas, Anaftafios Balis, eröffneten ihre Seezüge gegen
osmaniiche Schiffe. Nikotſaras endlich, der (S. 326) ſich
auf der See nicht hatte halten können und ſich zuerit
nah Hydra, dann nach den ioniſchen Inſeln zurückgezogen
Die ioniſchen Infeln 1807 an Napoleon I. abgetreten. 337
hatte, feßte fih mit Siniawin unmittelbar in Berbin-
bung 9).
Inzwiichen Hatte fih auf dem Baltifchen Kriegsſchauplatze
jene frappante Veränderung vollzogen, welche in überrafchender
Weiſe die Stellung der Franzofen und der Ruſſen zu ber
Pforte und zu ben Griechen neu geftaltete. Belanntlich wußte
Kaiſer Napoleon I. während der dem ZTilfiter Friedensſchluſſe
vorangehenden Unterhandlungen den ruffifchen Kaiſer Alexander J.
vollfommen für fich zu gewinnen. Ideen über eine Theilung
des dem Untergange verfallenen Reiches der Osmanen, ober
boh der Balkanhalbinſel mit Ausnahme von Thrakien, bei
welder Frankreich Albanien, Theſſalien, das Land bis zum
Golf von Salonichi, Morea und Kreta für fih in Anfpruch
nahm, Tamen zur Sprade. Pläne dieſer Art fcheiterten
Ihlieplich daran, daß Rußland für dieſen Fall auch Stambul
für fich begehrte, was Napoleon niemals zuzugeitehen dachte.
Shließlich fand die Sache dabei ihr Bewenden, daß Napoleon
und Alexander in den geheimen Attileln des Friedens.
ſchluſſes ein Schutz⸗ und Trutzbündniß mit einander feftjtellten,
und Rußland aufer Gattaro auh die Republik ber
ioniſchen Infeln an Frankreich überließ. Mehr aber,
Frankreich wollte in Stambul die Vermittlung zwiichen Ruß⸗
land und der Pforte übernehmen; follte das nicht binnen Drei
Monaten zu einem genügenden Ergebniß führen, jo wollte
Srankreih mit Rußland gegen die Osmanen vorgeben und
ihnen außer Stambul und Thrakien alle Provinzen der
Balkanhalbinſel entreißen ?).
Die neue ruffiich » franzöfiiche Alltanz trug für Die ver-
ſchiedenen osmaniſchen und mujelmaniichen Gewalten , wie für
die griechiiche Welt ihre Früchte in fehr verfchtedener Art. ‘Die
Pforte mußte fich entichließen, Frankreichs Vermittlung
1) ®gl. Sathas, p. 570—582. Miaulis, ©. 22. Finlay,
Greek revolution, vol. I, p. 191. Mendelsſohn -Bartholdy,
Graf Kapodiftrias, S. 14—18; „Geſchichte Griechenl.“, Bd. I, ©. 103f.
Pougueville a. a. O., 3b. I, ©. 183.
2) Zinteifen, ©. 515ff.
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. II. 22
388 B. II. K. 1. 4. Dieionifhen Infeln 1807 an NapoleonL abgetreten.
anzunehmen; zunäcft wurde zu Sloboſia bei Dſchurdſchewo
in der Walachei am 24. Auguft 1807 ein Waffenſtillſtand
abgeichloffen, der mindeſtens bis zum 21. März 1808 dauern
follte und die gänzlice Räumung der Walachei und Moldau
von ruſſiſchen wie von türkiihen Truppen jtipulirte. Nur
daß hernach über den aus ver übrigen Weltlage zwilden
Alerander und Napoleon neu erwachlenden Streitigkeiten die
Nufjen die Donau» Fürftentbümer keineswegs vollftändig ver.
hießen.
Mit großer Energie dagegen hatten die Franzoſen bie
Dffupation der tonijhen Injeln vollzogen. Trotz des
Widerſtrebens der meijten Ionier und des tiefen Bedauernd
der griechiihen Welt, die nun nach wenigen Jahren den
einzigen Punkt wieder verichwinden jah, wo ein Theil ve
griechiichen Volkes wenigftend dem Namen nach jelbftändg
beftanden hatte, bejegten franzöfiihe Truppen im Laufe de
Juli und während der erſten Hälfte des Auguft 1807 das
Gebiet der bisherigen Republik der fieben Injeln. Der nad
des Grafen Theotofis Tode rvegierende Principe, Graf Komuto
aus Zante, trat zurüd. Seitens der Franzojen wurde der
erite militäriihe Gouverneur der General Ceſar Berthter,
dem nach einiger Zeit der General Donzelot folgte. Die
Injeln wurden nicht förmlich mit dem franzöfifchen Kaiſerthum
verichmolzen. Der Senat blieb fortbejteben; nur daß ſeine
Defrete erft noch der kaiſerlichen Beftätigung zu ihrer Giltigfeit
bedurften. Die Geſetze des Landes blieben in Kraft, die
griechtiche Kirche galt als die anerkannte Landeskirche. Dagegen
wurde die PVerfaffung von 1803 erjegt. durch ‚eine jener
ichablonenartigen Verfaſſungen mit conftitutionellem Anſtriche
und Titel, der nur mühſam die provinzielle Abhängigkeit von
Frankreich verbarg”. Die offiziellen Aftenjtüde des Kleinen
Staates trugen feit dieſer Zeit die Überjchrift: „Empire
francais, gouvernement local de Corfou“. Nach Außen bin
gewannen bie Jonier jet wenigftens mit Ali-Pajcha Frieden,
der fich zur Zeit vor der Macht der Franzoſen in Acht nehmen
mußte. Mit einigen Ausnahmen, bie die Überſiedlung nad
Graf Giovanni Kapobiftrias tritt in den ruſſiſchen Dienft über. 889
Rußland vorzogen, gingen die fuliotiichen Zruppen in fran⸗
zöfiichen ‘Dienjt über. Die auf den Inſeln befindlichen grie-
chiſchen Flüchtlinge und Armatolen empfahl der junge Graf
Kapodiſtrias der Obhut und dem Wohlwollen ber neuen
Regierung. Eines nur konnten die neuen Herren ben Joniern
nicht eriparen: die Feindſchaft Englands Denn bei
dem permanenten riegszuftand zwiichen England und Napoleon I.
ſah e8 das Kabinet von St. James nur mit bem höchiten
Unwillen, daß dieſe hochwichtige Tevantiniiche Stellung jest in
franzöfifche Hände gefallen war, und beeilte fich, die ioniſchen
Haupthäfen durch englische Kriegsichiffe zeitweiſe blokiren zu
laſſen 1).
Der größte Verluſt, den der Übergang der ioniſchen Inſeln
an Frankreich dem kleinen Staate und den Griechen überhaupt
bereitete, beitand aber darin, daß nunmehr der jugendliche,
hohbegabte Graf Giovanni Kapopdiftrias, ber bereits
früher den Titel eines Taiferlich » ruifiichen Collegienrathes
erhalten Hatte, nunmehr einer Einladung Des Kanzlers
Komanzoff folgte, Korfu verließ und in den ruſſiſchen
Staatsdienſt übertrat ?). Er begab fich zu Anfang des Jahres
1809 nad St. Petersburg und wurde bier zuerit als Attache
in dem Miinifterium des Auswärtigen angeftellt. Im Jahre
1811 wurbe er der rujfiichen Geſandtſchaft in Wien zugetbeilt,
und nachher 1812 (j. unten) bei den abichließenden Unter⸗
handlungen des ruifiihen Admirals Zichitichagoff mit der
Pforte zum Chef von deſſen diplomatiihem Büreau gemacht.
Während des großen Krieged8 1813 gegen die Franzoſen
befand ſich Kapodiſtrias im Stabe des ruffiichen Generals
Barclay de Zolly, hatte dann als Vorſtand der Kanzlei im
ruſſiſchen Hauptquartiere bi8 1815 an den biplomatifchen
1) Mendelsfohn- Bartholdy, Graf Johann Kapodiftriag,
S. 18ff. Bulgari, Les sept-iles ioniennes, p. 12—14. Neigebaur,
Die Verfaſſung der ionifhen Infeln, S. 10 ff. Zinteifen, ©. 520f.
8899, Lenormant, p. 84 800.
2) Mendelsjobn-Bartholpy a. a. DO. ©. 20—42.
22*
340 Buch II. Kap. J. 4. Kapodiſtrias. Hydra.
' Arbeiten, welche dieſen gewaltigen Krieg theils begleiteten,
theils ihm folgten, einen erheblichen Antheil. Bereits der
ausgeiprochene Günftling Alexanders I., ſtieg bei feinem
Souverän fein Einfluß auf dem Wiener Eongreß immer höher,
und am 20. November 1815 umterzeichnete er für Rußland
ben zweiten Pariler Frieden, um gleich darauf von jeinem
Souverän zum Staatsfefretär erhoben zu werden. Mit dem
Fürften Neffelrode nunmehr an der Spike der auswärtigen
Angelegenheiten des gewaltigen Neiches, zugleich ver had
populäre Minifter für das (f. unten) damals neu gewonnene
Beſſarabien, fo galt er als ver Stolz der griechiſchen
Nation. Auf dem Zenith feiner Macht werden wir ihm in
dem legten Abfchnitt diefer Periode griechiicher Gefchichte wieder
begegnen.
Sehr verſchieden geftaltete fich Dagegen das Loos jemt
für Rußland neuerdings compromittirten Griechen, die duch
ven Waffenſtillſtand von Sloboſia ihren. Rückhalt wieder vers
foren Batten. Doc ging es diesmal. nicht fo greulich ber,
wie 1770. Der den Osmanen treu gebliebene, vorher aus
Hydra nach Athen ausgetretene, Georg Bulgaris (©. 336)
wußte die drohenden Mafregeln des Vely⸗Paſcha von Moren
gegen jeine Heimath abzulenten, bemächtigte fich fehon gegen
Ende Juni mit A. Miaulis wieder der Gewalt auf Hydra, umd
wirkte dahin, daß am 20. Auguft, als Siniawin definitiv das
ägäiſche Meer verließ, die compromittirten Hydräer ımter
Kyriakos Skurtis fich ihm anfchloffen. Nachher gingen dieſe
Flüchtlinge nach den Kykladen und erlangten, foweit fie mit
den Tod gefunden hatten, im November 1807 gegen Zahlung
einer großen Strafſumme Verzeihung. Auch mehrere com
promittirte Griechen von Tenedos, Lemnos und Same
juchten ſich Amneftie zu erfaufen; doch fehlte es Hier nicht an
Gewaltthaten Seitens des Kapudan⸗Paſcha und amberer
türkiſcher Machthaber. Anbererfeits blieb es nicht aus, daß
das ägäiſche Meer fih wieder mit griechiichen Eorfaren
bedeckte. Verſchiedene Begleiter der ruſſiſchen Flotte, mehrere
Armatolen des Feſtlandes, einige Inſulaner ſuchten nach alter
Griechiſche Eorfaren (1807) im ägäifchen Meere. 841
Art in dieſer wilden Eriftenz Zuflucht vor den Osmanen und
Nahe. Namentlich die Wildheit des Ali⸗Paſcha, in deſſen
Hände ſchließlich auch Katfantonis mit feinem Bruder
Georg in Agrapha durch Verrath gefallen war, um dann in
Janina von unten herauf durch Schmiedehämmer zerichmettert
zu werden, — und bie wilden Verbeerungen, die Ali's Schky⸗
petaren in der olympiſchen Landſchaft und, im ſüdlichen
Makedonien anrichteten, trieben viele theffaliihe Armatolen,
unter ihnen namentli den Blachavas, auf das Meer.
Skiathos, wo auch Nikotſaras und Theodor Kolokotronis
zu ihnen ftießen, wurde wieder der Ausgangspunkt ihrer
Raubzüge, bei der fie al8 griechiſche Flagge ein weißes
Kreuz in blauem Felde führten. Dabei wurden furchtbare Ge-
waltthaten verübt, Dörfer zeritört, die Einwohner niedergehauen,
Weiber und Kinder als Sklaven fortgeichleppt. “Der wüthende
Angriff eines türkiichen Geſchwaders auf die Infel Skiathos im
November 1807 bradıte die Eorfaren in große Noth, aus der
fie nur durch die Hilfe einer englifchen Fregatte gerettet
wurden. Der bereinbrechenve Winter und die durch die Pforte
erwirkten Excommunikationsdrohungen, welche der griechiiche
Patriarh von Conſtantinopel aus gegen fie jchleuderte, zwangen
fie dann im December zur Ruhe. Kolofotronis zog ſich nad)
Zante zurüd. Die theſſaliſchen Armatolen Tehrten nach dem
Olymp zurüd, den Alt auf Befehl. des Diman wieder geräumt
batte. Nur Nikotſaras blieb auf der Inſel Stopelos. Der
legte Kampf dieſer norbgriechiichen Kapitanis gegen bie Mos⸗
lims entbrannte erſt im folgenden Sabre, in welchem Ali
noch einmal einen blutigen Triumph über fie davontragen
jolite 1).
Ali-Paſcha von Janina war durch die unerivartete
Allianz zwiſchen Frankreich und Rußland fehr unangenehm
überrafcht worden. Der fchlaue Politiker hatte e8 nicht ver-
1) 2gl. Sathas 1. c. p. 582—587. „Mittheilungen” a. a. O.,
8. II, ©. 152f. Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 51 sq.
Miaulis, ©. 22ff.
342 Bud II. Kap. I 4. Ali-Paſcha alliirt fi 1808 mit England.
ſäumt, nah Zilfit einen eigenen Agenten zu ſchicken. Als er
fand, daß für ihn nichts zu erwarten ftand, begann er wieber,
als wäre er ein ſelbſtändiger Souverän, ein fchlaues biplo-
nratiiches Doppelipie. Schon jet fing er an, fih mit
England in Verbindung zu fegen. Daneben aber jchidte er
den Georg Janko, einen feiner Vertrauten, mit neuen Vor
ſchlägen an ven Kaiſer Napoleon I, und begehrte, als
Vaſall des franzöfiichen Keiches angenommen zu werben; jur
gleich aber jollten die ioniſchen Infeln mit Epirus vereinigt,
und dieſes ganze Gebiet al8 erbliches Fürſtenthum dem Ali
zugetbeilt werden. Der franzöfiihe Kaiſer antwortete auf
diefen Einfall nur mit feiner in folchen Fällen üblichen Grob
beit: „Er wolle von Alt nichts mebr hören! Falls Ai aber
fünftig e8 wieder wagen jollte, bie zwiſchen Frankreich und ber
Pforte beftehenden Kapitulationen zu übertreten, fo werde de
Kaifer von Frankreich ihn durch den Padiſchah züchtigen zu
laffen wiſſen.“ Alt ſah fi alfo durch die Franzoſen vol-
ftändig überliſtet. Nunmehr trat er als ihr entſchiedener
Gegner auf. Barga, welches dieſelben beſetzt Hatten, konnte
er ihnen nicht entreifen. Dagegen bäufte er in Voniza,
Prevefa und namentlich in Butrinto Truppen an, und unter:
handelte, nachdem er auch, wie wir fahen, wieder ftark auf
bie Armatolen Theſſaliens geichlagen hatte, nunmehr nad
brüdli in London und in der Levante mit England.
Wirklich forderte ihn im Frühjahr 1808 der Aomiral
Collingwood auf, mit den brittifchen Streitfräften gegen Korfu
zu operiren. Ali fperrte denn auch durch ungeheure Abgaben
bie Ausfuhr von Schlachtvieh und Getreide aus Albanien nad
ven ioniſchen Injeln faft gänzlih, und traf in der naächſten
Zeit auf den Ruinen von Nikopolis mit einem Agenten
Collingwoods nähere Verabredungen. Unmittelbar denſelben
nachzukommen, ſah fich Alt aber gehindert, weil gerade vamald
ber neue große Aufſtand der tbeffaliichen Armatolen gegen
feine Herrſchaft ausbrach !).
1) Zinteifen, S. 540ff.
.
Aufftand (1808) der thefialifchen Klephten gegen Ali. 318
Der Führer diejer Bewegung war ber ſchon mehrfach
genannte Eutbymios Blachavas. Zur Zeit ber geiftig
bedeutendfte Mann unter den Klephten, zugleich der alfezeit
unverjöhnlichhte unter Ali's griechiichen Gegnern, war dieſer
frühere Prieſter auch derjenige unter den norbtbefialiichen
Kapitanis, ber über den bloß momentanen Kampf mit Alt
hinaus dachte und in feinem glühenden griechiichen Patriotismus
auch die dauernde Befreiung der Griechen ins Auge faßte.
Es ift jehr ſchwer, mit Beftimmtheit zu jagen, weßbalb er
gerade die Zeit nach Abichluß des Waffenftillitandes von
Sloboſia zu feinen Unternehmungen gewählt hat. Man kann
indeflen daran erinnern, baß gerade der Stanb der ferbifchen
Inſurrektion zu Ende des Jahres 1807 hoffnungsreich genug
war, um einem tüchtigen Griechen ven Gedanken, der griechtiche
Rara-Georg zu werben, nahe genug zu legen. Die Revolution
tn Stambul, die bald noch andere erzeugen follte, konnte
ebenfalls nur anregend auf Eutbymios wirken. . Endlich hatten
bie wechfelnden Ereigniffe des Jahres 1807 die griechtichen
Kapitäne zu Waffer wie zu Lande mehr denn fonft in Bes
wegung und zum Bewußtſein ihrer Kraft gebracht, während
die Sehnjucht, an Ali fih ausgiebig zu rächen, nicht erſt noch
angefacht zu werden brauchte. Wie weit dabei fortwirkenve
Bemühungen ruffiiher Agenten und die Ausficht auf neue
Angriffe von Epirus ber ihre Nolle geipielt haben; wie weit
etwa Anregungen von Serbien ber bei Eutbymios den Aus-
Ihlag gegeben haben, ftebt dahin. Genug, Euthymios
Blachavas veriammelte in ber Mitte des Februar 1808
die theffalifchen Kapitäne, die ihn zu ihrem Führer ernannten,
und fegte fich nun nad) alter Praris mit anderen Armatolen
des griechifchen Numeliens in Verbindung. Auch die gegen
Alt tief erbitterten QTürken von Larifja und Trikkala wußte er
für fich zu gewinnen. Cine zweite Verfammlung beftimmte
dann den 29. Mai, den Tag der Eroberung von Eonftantinopel
durch die Osmanen, zum Zeitpunkt der allgemeinen Erhebung.
Da geſchah es, dag der Armatole Deligiannts von Metſowo
de ganze Sache am 1. Mat an Alt verrieth, ber bereits mit
34 BIL.RLI 4. Aufſtand (1808) der thefſaliſchen Klephten gegen ATi.
einem durch Franzoſen, Sulioten und Armatolen unterjtügten
Aufftande der Albanefen in dem epirotiichen Tſchamurien zu
thun hatte. Dadurch ſah fih Eutbymios zu übereiltem
Handeln gezwungen. Er pflanzte nun ſchon am 5. Mai auf
dem Gebirge Chaſſia die Fahne des Aufitandes auf, bejegte
mit 600 Dann jofort Kaftri (Kaſtraki, Kalabaka), den Schlüffel
der Pindospäſſe, und rief durch Eilboten alle feine Verbündeten
zu vajcher Anfammlun. Da die Türken in Theſſalien es
nicht wagten, ihm zuzuziehen, jo übergab Euthymios feinem
Bruder Theodor das Commando in Kaftri und eilte felbft zu
rajcher Aufbietung der Olympier nach dem DOften. Ein anderer
Bruder des Euthymios, Demetrios, bielt mit nur 300 Mann
die Stellung bet Krya⸗Bryſis gegen den Derwenaga Juſſuf
und die mit diefem vereinigten Albanefen aus Trikkala.
Inzwiſchen Hatte Alt mit gewohnter Energie gehanbelt
Sein Sohn Muchtar war fofort aus Janina mit 5000
Mann ausmarichirt, erreichte am 7. Mai Metſowo und griff
am 8. Mai die Griechen bei Kaftri mit Ungeftim an. Nach
mörberiihem Kampfe wurde die tapfere Schaar voliftändig
vernichtet. Euthymios, der zu fpät mit Hilfstruppen eintraf,.
mußte in aller Eile nach dem Olymp retiriren. Muchtar
jeinerfeit8 erreichte unter blutigen Gewaltthaten gegen die
chriftliche Bevölkerung fiegreih Trikkala. Unter jolchen Um-
ftänden war für Eutbymios Fein Bleiben in Theſſalien mehr
möglich. Er zog fich wieder nach ber Infel Stopelos zurüd
und eröffnete wieder mit Nilotfaras und anderen Olympiern
einen graujamen, namentlich auch gegen die makedoniſch⸗
theſſaliſchen Küften fich richtenden Piratenfrieg. Unter dieſen
Umftänden fchloß Ai einftweilen feinen Frieden mit den übrigen
Armatolen, nur darauf bedacht, endlich des Euthymios Herr
zu werden. Der lettere batte allmählich eine folche Maſſe
verzweifelter Eorfaren um fich verfammelt, daß der Diwan in
Stambul, unter deſſen Mitgliedern Euthymios ſelbſt einige
Gönner hatte, denen nichts daran lag, daß Ali's Macht immer
gewaltiger wurde, e8 vorzog, durch den Patriarchen von Com
ftantinopel mit ihm Frieden zu fchließen, ihm und feinen
Veli⸗Paſcha und Ismael⸗Pacho⸗Bei in Moren. 545
Genoſſen Amneftie zu ertbeilen, und auch dem Pafcha von
Janina die Einftellung weiterer Fehden in XTheffalien gebot.
Ali ließ auch wirklich die übrigen Armatolen ruhig nach ihren
Wohnſitzen zurückkehren. Den Blachavas aber Iodte er durch
einen falichen Brief — Euthymios mußte glauben, einige
jeiner Freunde riefen ihn nach der Gegend von Faterina an
der Küfte des olympiichen Makedonien — ans Land, ließ ihn
bier durch feine Albanefen verhaften und nach Janina führen,
wo der tapfere Klephte graufam hingerichtet wurde. Zugleich
mit ihm ftarb unter den jcheußlichiten Martern der mit ibm.
eingebrachte Mönch ‘Demetrios, ein Pindoswlache von Sam⸗
marina ?).
In demjelben Jahre gab e8 auch in Morea unrubige
Bewegungen. Ali's Hier regierender Sohn Veli⸗Paſcha
hatte es nicht ohne Glück verjucht, fich populär zu machen;
freilich weniger bei den Mafien, als bei den Primaten und
Arhonten, die er lebhaft begünftigte, denen er manche Be⸗
drücungen des Volkes nachſah. Die Erpreffungen aber, in
denen er ſich nach feines Vaters Beiſpiel gefiel, wurben
wenigſtens von den Griechen mit einer gewiljen Refignation
ertragen, weil er ihnen auf firchlichem Gebiete fchäßenswerthe
Conceſſionen machte. Veli geftattete ven Moreoten, nad ihrem
Debürfniffe Kirchen zu bauen, und ber griechiiche Klerus.
genoß an feinem Hofe ein Anfehen, wie man dergleichen bisher
unter moslemitiſcher Herrſchaft nicht gewohnt geweſen war ?).
Zu jeinem Schaden aber hatte er als feinen Seliktar (,, Schwerdt-
träger’, Brotofpathar) einen Mann bei fich, der ſchon damals ale
heimlicher Feind Ali's und feiner Familie arbeitete. Dieſes war
Ismael-Pacho⸗Bei, ein Verwandter Ali's und an deſſen
1) Die Darftellung ift Hauptfächlich gegeben nah Sathas (p. 587
bis 605), der fehr erheblich abweicht von ber Schilderung bei Pougque-
ville a. a. O., Bd. I, ©. 214— 221. Bol. auh Mendelsfohn-
Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 104 f. und „Mit-
theilungen“, Bd. II, ©. 186 ff. |
2) Bol. Pouqueville a a. O., ®b. I, ©. 214. Brandis,
Mittheilungen über Griechenland, Thl. IL, ©. 16.
846 Bud II. Kap. I. 4. Mi-Pharmali und Theodor Kolokotronis.
Hofe aufgezogen, aber ein fanatiicher Alttürfe und als fchroffer
Sunnit an fi fchon gegen den freigeifteriichen Schtiten Alt
erbittert. Diefer Beamte unterließ nichts, um binter Veli's
Rüden feinen Chef in Moren verbaßt zu machen. Am meiſten
antipathiſch war die Herrichaft des jungen albanefifchen Paſchas
von Anfang an einem der großen Häuptlinge feines eigenen
Stammes in Moren, nemli dem mächtigen moslemitilchen
Albanejenbei Ali-Pharmaki zu Lala in Elis, dem (©. 244)
Dlutfreunde des alten Kolofotronis. Zwiſchen dieſem Mad:
haber und Veli⸗Paſcha brach 1808, im Zuſammenhang mit
den albanefifchen Bewegungen in Tſchamurien, und mit anderen
mißvergnügten moslemitiichen und griechiſchen Moreoten ein
grimmiger Conflift aus. Der Paſcha griff das Kaftell de
Ali⸗Pharmaki mit ftarfer Macht an, und der Ießtere ſah fih
bald von aller Hilfe verlafien. Da eilte ihm unerwartet der
junge tapfere Theodor Kolofotronis zu Hilfe Bee
ritterliche Krieger hatten einander früher niemals geſehen,
erſt jüngft bei Erwägung der Bewegungen gegen Veli-paſcha
einander gefunden, und die Erinnerung an bie alte Freund
ſchaft feines Vaters mit dem Lalioten war jeßt bei Theodor ſo
mächtig, daß er auf die Nachricht von Ali⸗Pharmaki's Nothlage
und Mangel an Streitkräften unverzüglich der Bitte bed
bebrängten Bei's folgte und mit fechszehn auserlefenen Pal
foren von Zante nach Lala eilte. Da Belt fein Geſchütz zur
Hand Hatte, mußte er fih auf eine längere Blokade einlaflen,
während deren Pharmaki bei der ihm und Kolokotronis
durchaus nicht abgeneigten Gefinnung der Belagerer Gelegenheit
genug fand, feine Vorräthe zu ergänzen. Endlich kam es zu
einem Bergleiche. Ali-Pharmaki huldigte dem Paſcha von Morea
unter anftändigen Formen, und Kolofotronis durfte ruhig mad
Zante zurüdfehren ?).
Damit geben für bie ganze Zeit bis zur Einleitung dei
Vernichtungskrieges zwilchen der Pforte und Alt von Yanin
) Bol. Brandis a. a. O. ©. 18. Finlay, History of the
greek revolution, vol. I, p. 191 sg. Sathas, p. 606.
Sultan Mahmud II. (1808). 847
die mehr oder minder felbftändigen bewaffneten Unter-
nehmungen griechifcher Häuptlinge zu Ende. Die noch übrigen
Ereignifje der griechiſchen Geichichte bis zum Ablaufe des
Napoleoniichen Zeitalter8 und bis zur Stiftung der großen
politifchen Hetärie, wenig zahlreich wie fie find, knüpfen fich
lediglich an die Politik der Großmächte, die damals über das
Schickſal der Levante entihieven. Die Pforte ihrerjeits
wurde befanntlich in jener Zeit noch mehrmals durch dynaſtiſche
Nevolutionen erichüttert. Der Paſcha von Ruftihud, Mur
ftafa»- Bairaltar, ein treuer Anhänger Selims II. und
der Reform, marjchirte im Sommer 1808 mit jeinem Heere
nach Stambul, ftürzte bajelbit das Prätorianer- Regiment,
wurde am 26. Yuli von Muftafa IV. zum Generalilfimus
der osmantjchen Armee ernannt. Als er dann am 28. Yult
den regierenden Sultan zur Abdankung zwingen und Selim II.
wieder auf den Thron führen wollte, benutzte Muftafa IV.
den legten Augenblid, um feinen enttbronten Vorgänger fofort
ermorben zu lafien. Da griff Bairaktar mit Gewalt ein.
Muftafa IV. wurde verhaftet, und jofort fein jüngerer, hoch⸗
begabter Bruder (geboren 25. Juli 1785) ald Mahmud II.
um Sultan erhoben. Num wurde Bairaktar zum Großweifir
ernannt und eilte, erfüllt von osmaniſchem Batriotismus,
ein Dann von großer Energie und reblichftem Willen, Se
Ims III. Reformen wieder aufzunehmen. Die Reform des
Janitſcharencorps und die umfafjende Erneuerung der nad)
‚europäiichem Mufter ausgebildeten Truppen wurde aljo mit
neuem Nachdruck in Angriff genommen. Aber auch dieſer
fühne Neformer erlag nad furzer Zeit ben alttürfiichen Eles
menten. Als er zur Dämpfung eines alttürkiichen Aufjtandes
in Rumelien bebeutende Truppenmafjen aus Stambul hatte
entjenden müſſen, erhoben fih am 14. November 1808
Vanitiharen, Ulemas und Pöbel der Hauptitabt wider ihn.
In der folgenden Nacht fand er durch eine von den Infurgenten
beranlaßte Feuersbrunft in einem Thurme feines Palaſtes
durch die Gluth und Hite der Flammen den Tod der Er-
ftifung. Der Straßenfampf, ven die Neformpartei noch
3485 Bub II Kap. I. 4. NRuffifchetürkifcher Krieg feit 1809.
mehrere Tage lang tapfer fortjegte — der entthronte Mu⸗
ftafa IV. wurde auf ihren Betrieb am 16. November er
droſſelt —, endigte am 18. November mit bem Siege
ber Rebellen, und dem Sultan Mahmud II. blieb nur
übrig, fih mit Sanitfcharen und Ulemas zu vergleichen.
Die Vertilgung der Ianiticharen und bie Fortſetzung ber
Reform mußte auf beinahe zwanzig Jahre hinaus vertagt
werden.
Die Pforte mußte alſo ſeit Ablauf des blutigen Jahres
1808 wieder mit ihren alten Mitteln den Kampf ums Daſein
gegen ihre zahlreichen Gegner fortſetzen. Dabei iſt ſie nun
allerdings gerade während der nächſten Jahre immerhin er-
träglich vurchgefommen. ‘Der Friede mit England wurde am
5. Sanuar .1809 in aller Form wieberhergeftellt. Als aber
ber Krieg mit Rußland, dem die Pforte die von Napoleonl
feinem Petersburger Freunde bereits zugebilligten Provine
Walachei und Moldau natürlich nicht überlaffen wollte, am
1. April 1809 von Neuem ausbradh: da war freilich das
Kriegsglük den osmaniſchen Waffen weder in Serbien noch
an der Donau fonderlich hold, ſahen fich die Türken vielmehr
allmählich in eine ziemlich fchwierige Defenfive gedrängt. Aber
num gereichte es zu ihrem Heile, daß feit dem Ende de
Jahres 1810 die auch für die Pforte jo gefährliche Freund⸗
ſchaft zwilchen Frankreih und Rußland ſich allmählich wieder
auflöfte. ALS endlich der welthiftoriiche Krieg zwiſchen dieſen
beiden viefigen Mächten feinem Ausbruche immer näher rückte,
zeigte ſich Rußland, um feine Donau-Armee gegen Frankreich
frei zu befommen, bei ven Verhandlungen mit der Pforte
höchſt nachgiebig.. So unangenehm überrafjcht natürlich Napos
leon I. war; fo jehr die Sache auch ſonſt vielfadh in Europ
frappirte: die türkifchen Unterbändler waren doch wohl im
Nechte, als fie — der ehemalige Reis⸗Efendi Galib und ber
griechifche Fürſt Demetrios Murufis, Großbragoman ber
Pforte, an ver Spite — am 28. Mat 1812 zu YBuchareft
mit dem ruffiihen Admiral Tſchitſchagoff den Frieden unter
zeichneten, welcher der Pforte die bereitd als verloren geltenden
Friedensſchluß zu Buchareſt 1812. 849
Provinzen Walachei und Moldau zurüdgab, und nur das
Gebiet öftlich des Pruth bei Rußland beließ. Das Schickſal
freilich der bet dieſen Unterhandlungen betbeiligt gewejenen
Griechen war ſehr verjchieden. In Rußland gewannen
darauf Bin Hohe Gunſt zwei ber diplomatiſchen Gehilfen
Tſchitſchagoffs, jener Ignatios von Arta (S. 321), der fi
nach dem Falle von Sult von Ali⸗Paſcha getrennt, feit 1807
in Pifa vefidirt, dann fih zu den Ruſſen begeben Hatte, und
Metropolit von Buchareft geworden war, und weiter (S. 339 f.)
Graf Giovanni Kapodiſtrias. Demetrios Murufis aber,
ein Mann, der feiner Zeit zu ven eifrigften Törberern von
Selims III. Reformplänen gehört hatte, mußte es ſchwer
büßen, daß unter der Wucht der franzöftichen Schläge, bie
1812 auf Rußland fielen, in Stambul der Mißmuth groß
wurde über den raſchen Abichluß des Buchareſter Vertrages,
der nun für die Pforte viel zu ungünftig erichien. Er galt
Kt als beſtochen durch ruffiihe und engliſche Gefchente
md Zufagen; auh von Galib-Efenbi ſofort preisgegeben,
wurde er bei feiner Rückkehr nach Schumna (im September
1812) jammt feinem in Stambul verhafteten Bruder
Panajotis, dem ftellvertretenden Dragoman, enthauptet 1).
Die aufftändifhen Serben aber, denen biefer Friebensichluß
erhebliche echte, etwa nach Art der am beiten geftellten
griechiſchen Inſeln des ägätfchen Mleeres', gewährte, ſahen fich
durch den neuen Weltkrieg des Jahres 1813 jedes ſchützenden
ruſſiſchen Aückhaltes beraubt. Es war. dann die Schuld, bie
Zwietracht und die fehlerhafte Leitung ihrer Führer, was ben
Osmanen es erlaubte, in biefem denkwürdigen Jahre biefes
füdffawifche Land vollftändig zurüdzuerobern. Erſt die unver⸗
änderliche Thorbeit, wilde Graufamfeit und Wortlofigfeit ber
neuen türkischen Machthaber erzeugte wieder jene tiefe Er»
bitterung der Serben, aus welcher heraus am Palmfonntage
1815 Milofch Obrenowitfch die neue jerbifche Erhebung wagen
konnte.
l) Zinteifen, ©. 745f.
350 Buch II. Kap. L 4. Konftantin Hypfilanti.
Ehe wir noch die legten Ereigniſſe griechiſcher Gejchichte
in diejer Periode, die fih auf Ali- Palha und die tomijchen
Inſeln beziehen, zuſammenfaſſen, gevenfen wir noch eines
anderen vielgenannten griechtichen Politikers, der ebenfalls ein
Opfer ber rujfiih-türkiichen Kämpfe geworden war, und ber
Nachwelt nur noch als Bater des erften unglüdjeligen Führers
ber Revolution von 1821 befannt geblieben iſt. Wir meinen
den Fürften Konjtantin Hypfilanti. Diefer fchlaue
Politifer Hatte feit feiner Entweichung (S. 330) aus der
Walachei im Sabre 1806 fi alle Mühe gegeben, Rußland
bei dem damals fich einleitenden Kriege gegen die Pforte zu
einer möglichit ausgreifenden, kühnen Politik zu beftinnmen. Ob
wohl in St. Petersburg gut aufgenommen und von Alexander J
mit viel Wohlmwollen angejeben, war e8 doch fchon damals zu
Mißverjtändniffen gefommen. Als dann der Krieg wirklih
ausgebrochen war, erichien Hhpfilanti zu Anfang des Jahre
1807 in Jaſſy. Hier und in der Walachei wählten bie
Bojaren nun zwar den populären Sanarioten zu ihrem Fürften;
aber das half ihm nur wenig. Seine Pläne waren dem
Kaiſer Napoleon I. nicht unbekannt geblieben, und dieſer ihm
bitter feindlih gefinnt. Bei den Xilfiter Unterhanplungen
hatte der franzöfifche Kaifer fich in diefem Sinne, zugleich
bitterbdje und geringichägig, über Hhpfilanti gegen Alexander
von Rußland geäußert, der fonjt wirkliche Theilnahme für den
fanariotiichen Odyſſeus empfand. ebenfalls ging die öffentliche
Thätigfeit des Iekteren damals zu Ende. Denn Hypfilanti
fand, daß in dem Pertrage von Slobofia (S. 338) am
24. Augujt 1807 wider jein Erwarten zu jeinen Gunſten
nicht8 beſtimmt wurde. Vielmehr waren dort die Unterhändler
dahin übereingelommen, baß nach dem jtipulirten Abmaride
der Ruſſen aus Rumänien die Regierung der beiden YFürften
thümer bis zum befinitiven Frieden von einem aus Bojaren
gebildeten Diwan geführt werben follte. Die von ver Pforte
ernannten neuen Hospodare und Hypſilanti ſollten ihrer
Würde gänzlich entfagen, alles Weitere in Sachen bes legteren
vorbehalten bleiben. Tief erbittert verließ Hypſilanti ſchon am
Konftantin und Alerander Hypfilanti. 351
28. Auguſt die walachiſche Hauptſtadt. Seine politiſche Rolle
war zu Ende. Er bat nachher zu Kiew gelebt; ſeine griechiſchen
Pläne gingen auf jeine Söhne über. Bon biefen ift ver
jugendlich feurige Alexander (geboven 1792) dann 1809 in
ven ruſſiſchen Gardedienſt getreten, in welchem er tüchtige
joldatiiche Fähigkeiten entfaltete und für jeine Perfon eine
glänzende Laufbahn machte. ALS ein tüchtiger Neiteroffizier
in dem Kriege mit Frankreich 1812 erprobt, machte er ven
großen Krieg in Deutjichland 1813 mit, und verlor in der
Schlacht bei Dresden (27. Auguft 1813) durch einen Kar»
tätichenfchuß Die rechte Hand. Getragen von der perjänlichen
Gunſt des ruſſiſchen Kaiſers iſt Fürſt Alerander dann ſchnell
avancirt. Oberſt und Adjutant des Kaiſers, erhielt er 1817
den Rang als Generalmajor und das Commando einer
Qujarenbrigade. Wie jein Freund, der glänzende Korfiote
Kapodiſtrias, jo galt damals auch diejer fanariotiiche Offizier
ald ein Stolz und eine Hoffnung der Griechen. Wir zeigen
ſpäter, in welche politiiche Enticheivung ihn dieſe Stellung
Ihlieglich gedrängt hat. Vorläufig war er nur erft auf das
politiiche Zeftament ſeines Vaters Konjtantin hingewieſen,
der ihm bei feinem Tode in Kiew (1816) auf Grund jener
berben Erfahrungen mit Rußland die Abſchiedsworte hinterließ:
„Vergiß e8 niemals, daß die Griechen, um frei zu werben,
ich nur auf fich jelber ftügen müfjen!‘‘ 1)
Während verjelben Zeit, wo auf jehr verſchiedenen Wegen
die beider Griechen, deren wir jo eben gedachten, ihre Laufbahn
in ruſſiſchen Dienften begannen, unterlagen die ioniſchen
Inſeln noch einmal einem merkwürdigen Schickſalswechſel.
Unangenehm genug, wie die Zeitiegung ber Franzoſen gerade
auf diejem Punkte auch der Pforte war und blieb: die
heftigften Gegner diejer neuen Situation waren natürlich auf
der einen Seite Ali-Paſcha, auf der anderen die Engländer,
1) Bel. Zinteifen, ©. 484 u. 529. Gervinus, ©. 71f. 142.
Nendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechen!., TH. I, ©. 143f.
Finlay l. c. p. 185 9q.
352 Bud II. Kap. I. 4. Allianz zwiſchen Alt-Bafıha und Englant.
die auch nicht abließen, den Kampf auf dieſem Buntte
fortzufegen. Beide Theile verfolgten babet natürlich ihre
ipeziellen Intereffen, indem es für England Hauptiächlid
darauf ankam, durch bleibende Gewinnung des Hephtaneſos,
mit dem e8 damals am liebjten auch noch Kreta verbunden
Hätte, feine Herrfchaft im öſtlichen Mittelmeer zu fichern,
während Alt, da er auf ven Injeln nun einmal doc nicht
feiten Fuß faflen durfte, in feiner Allianz mit England auf
die enbliche Gewinnung von Parga und die Vernichtung feiner
legten albanefifchen Rivalen dachte. Die Folge dieſer Ver-
hältniffe war nun, daß fchon während des Jahres 1808
engliſche Kriegsichiffe (vgl. S. 339) wiederholt ioniſche Häfen
Blofirten. Als dann zu Anfang des Jahres 1809 der Trier
zwifchen England und der Pforte wieder (S. 348) vollitändig
hergeftellt war, nahm die Freundſchaft zwiſchen Alt und de
Engländern den innigften Charakter an. Angriffe auf Paryı
wurden ihm freilich ernftlich unterfagt; dafür aber mußte ihm
der als brittiicher Reſident beglaubigte Kapitän Leake einen
vollftändigen Artilleriepart mit einigen Hunderten der bamald
neu erfundenen furdtbaren Congreve » Raketen im Februar
1809 als Gefchen? zuführen. Alt dagegen öffnete jeine Häfen
den engliichen Schiffen, unterjtüßte die englifche Flotte im der
Levante, und trat entjchteven feindlich gegen Ruſſen um
Sranzofen auf. Im Sommer verabrebete er wit ben
Engländern, er wollte, während fie nunmehr vom Süden her
gegen den Hephtanejos operirten, ven Paſcha Ibrahim von
Berat angreifen, dadurch die epirotifchen Küften völlig veden
und dann bei der Belagerung von Korfu mitwirken. Unbe
fümmert um die Tangjährigen Familienbeziehungen zu dem
alten braven Ibrahim, wollte er endlich außer feiner Länder
gier auch feine (S. 263) feit vierzig Iahren verhaltene Rachgier
an biefem Paſcha befriedigen. Mit diabolifcher Lift wußte er
Ibrahim als an Frankreih verkauft in Stambul darzuftelien.
Und troß der Abmahnungen feiner Söhne und des Unwillens
der Pforte eröffnete er wirklich den Krieg gegen Berat. De
einft durch Ibrahim aus dem Lande vertriebene albanefilde
Ali ſtürzt 1809 den Ibrahim von Berat. 858
Glüdsfoldat Omer-Bei-Brionts oder Vriontes aus Ver⸗
gtondi bei Berat (zur Zeit des griechtichen Befreiungsfrieges in
Europa gewöhnlich Omer-Vrione genannt) war damals als reicher
Mann und berühmter Krieger aus Agppten zurückgekehrt. Bon Alt
böchit Freundlich aufgenommen, wurde er jet als Werkzeug gegen
Ibrahim gebraucht. Anicheinend nur um jeine alten Befigungen
zurüdzuerobern, marjchirte er mit 8000 Mann gegen Berat, und
bald zwang das furdhtbare Feuer der Congreve-Rafeten den alten
Paſcha zur Ergebung. Ali feinerjeits ‚vermittelte‘ nun; das
will fagen, er machte Omer zu Ibrahims Nachfolger, während
Ihrahim mit jeiner Familie fih nah Aulona zurüdziehen
mußte. Die Pforte in ihrer damaligen jchwierigen Xage
zwiſchen den jerbiichen und rufjiihen Feinden an der Donau
und den kaum befchwichtigten Janitſcharen der Hauptitadt
mußte fich dem fait accompli gegenüber bei den lügenhaften
Darftelungen beruhigen, die über dieſe Gewaltthat nad
Stumbul berichtet wurden; das übrige that Ali's Gold.
Dafielbe Gold bejichwichtigte auch den Zorn des Divans, als
At nicht lange nachher ſich auch der Perjon Ibrahims be-
mächtigte und den alten Herrn zu dauernder Haft nach Janina
abführen ließ.
Diefer Gewaltftreich war die Revanche wegen der Pläne,
die inzwilchen die Franzoſen wider ihn gefponnen hatten. Es
war die Abficht, Alt gleichzeitig von Dalmatien durch Marmont,
und von Korfu aus durch franzöfiiche. und griechifche Truppen
angreifen zu laſſen. Der Plan kam nicht zur Ausführung,
weil die fchwierige Lage der Franzoſen auf der Phrenätichen
Halbinjel die Abführung der dalmatinifchen Garnilonen nach
Spanien nöthig machte. Dazu Fam, daß die Engländer
unter Admiral Eollingwood und den Generalen Sir John
Stuart und Oswald nun aud den Franzofen auf ven
tonifhen Infeln fehr ernfthaft zu Leibe gingen. Die Pforte
freilich hatte 1809 auf alle ihre Rechte an dieſen Injeln zu
Gunſten Frankreichs verzichtet. England aber, jeine Pläne
zäh verfolgend, griff — indem es die Befreiung ber Inſeln
von dem franzöſiſchen Joch und Herftellung ber ioniſchen Re»
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. II. 23
BA B. I. K. J. 4. Die Engländer befehden feit 1809 die ionifchen Infeln.
publif, Sicherftellung der griechiichen Religion und der Rechte
der Einwohner proflamirte — die Infeln jeit Anfang Oktober
1809 mit Macht an. Schon zu Ende dieſes Monats waren
ohne befondere Schwierigkeiten die Inſeln Cerigo, Zante,
Kepbalenia und Ithaka den Franzojen entriffen worben.
Santa Maura leijtete ſtärkeren Widerftand. Zwar bie
Inſelbewohner, Bauern und Armatolen, ber Klerus, und ein
Theil ttalienticher Truppen fielen dem General Oswald ſchnell zu.
Aber die Tapferkeit der franzöfiichen Truppen in der Haupt
feftung nöthigte Oswald, die Übergabe erſt durch ein furchtbares
Bombardement (Ianuar 1810) zu erzwingen.
Alt Hatte inzwiichen jeine perfide Natur und Habſucht
boch nicht ganz verleugnen können. Zum größten Unwillen
des brittiichen Reſidenten Leake, ver deßhalb auch zu Ende
1809 feinen Poſten bei Alt aufgab, hörte er nicht auf, nad
Santa Maura und Korfu Proviant abgehen zu laſſen, ven
Eintritt albanefiiher Krieger in franzöfiiche Dienfte zu dulden;
er fuchte fogar den franzöfiichen Generalconful Pouquenile
(freilich vergeblich) zu beftimmen, ihm gegen Übertritt zu
Frankreich den Belig von Santa Maura zu verichaffen. Und
nach dem Falle diejer Feftung, deren Belagerung er in nächſter
Nähe mit jtarfer Macht beobachtet hatte, forderte er fie von
Oswald für jih, und legte bei deſſen Ablehnung an dem
Kanal zwiſchen der Inſel und Akarnanien zwei bominirende
Koftelle an. Es gelang endlich der überlegenen Schlauheit
des neuen brittiihen Refidenten, des Griechen Georg Torefti,
Ali zu beichwichtigen und für längere Zeit das Übergewicht
bes brittiichen Einfluffes in Janina feftzuftelen. Korfu ver
mochten die Engländer darum aber doch nicht zu erobern.
Die franzöfiichen Ingenieurs hatten vieje Feſtung feit drei
Jahren zu unüberwinblicher Stärfe ausgebaut, und Donzelot
hielt ſich mit der bier gefammelten franzöfiichen Kriegsmacht
in größter Zähigkeit gegen alle Angriffe ').
1) Bgl. Zinteifen, ©. 614—616 u. 692—698. Bulgari, Im
sept-iles ioniennes, p. 14—21. Mendel sſohn-Bartholdy, Ali-Paſcha,
S. 135 ff.; „Sei. Griechenl.“, Thl. JI, S. 100 ff. Lenormant, p. 39sgg-
Kolofotronis und bie griechiſchen Truppen in Englands Sold. 355
Die Eroberung der ionifchen Injeln dich die Engländer
ft nicht bloß für die Griechen dieſer Republik, ſondern auch
fir die milttäriiche Ausbildung zahlreicher, in dem fpäteren
griechtichen Tretheitsfampfe auftretender, griechiicher Krieger ber
benahbarten Landſchaften von Bedeutung geworden. Auf
Zante nemlih, wo fte auch eine provtioriiche Regierung er-
richteten, formirten fie bald nach der Gewinnung dieſer Inſel
en geworbenes, hochbeſoldetes, griechiſches Regiment
(6000 Mann, Schützen und Jäger) unter dem Commando
deſſelben Sir Richard Church, der nachmals als Philhellene
in der Geſchichte des griechiſchen Nationalkrieges gegen die
Osmanen eine ſo wichtige Rolle geſpielt hat. Oberſtlieutenant
Church wurde damals der militäriſche Chef des Theodor
Lolokotronis, der zuerſt als Kapitän bei dieſen Truppen
antrat, und jpäter den Rang eines Majors erlangte. Die
Öriehen wurden bereits bei der Belagerung von Santa Maura
mt verwendet, wo Church ernitlich verwundet worden ift.
KolototrontS blieb nach dem Abichlujfe des allgemeinen
europäiſchen Friedens und Aufldjung des (auch in Malta ımd
Steilien verwendeten) Regimentes jeit 1815 brittiicher Benfionär.
Der alte Klephte ging vorläufig zu der friedlichen Beichäftigung
eines Viehhändlers und Proviantfahrers über, ein Geichäft,
welches er endlich 1821 wieder mit dem eines der eriten Chefs
der peloponnefilchen Erhebung gegen die Pforte vertaufchte )).
Der Zujammenjturz der Napoleontihen Weltherrichaft
machte jchlieglich auch der Stellung der Franzoſen auf Korfu
und in Parga ein Ende. Auf die Nachricht von dem Sturze
Napoleons I. und dem Abfchluffe der Convention vom 23. April
und (30. Mai 1814) des erften Pariſer Friedens übergab
der tapfere Donzelot im Juli 1814 die jo lange behauptete
Feſtung an die engliichen Truppen unter Generallieutenant
Sir James Campbell, der furz zuvor noch Paxos gewonnen
1) ®gl. Finlay, History of the greek revolution, vol.I, p. 192 q,
und vol. II, p. 135. Menpelsfohn-Bartholdy, Gejch. Griechenl.,
Bd. 1, ©. 184f.
23*
556 Buch I. Kay. I. 4. Parga.
hatte. Alt» Paicha dagegen, der auf der Lauer lag, um jetzt
endlich in den Beſitz des jo lange von ihm begehrten Parga
zu gelangen, ſah fich auch bet dieſer Gelegenheit noch einmal
in jeinen Erwartungen getäufcht. Denn ein Handitreih, ven
ver Paſcha noch vor Napoleons Tal im März 1814
gegen die Stadt verfucht Hatte, war von Griechen und
Franzoſen blutig abgewiejen worden. Und al® nun Alt die
Hilfe des brittiichen Nefidenten Foreſti in Anſpruch nahm, that
biefer Huge Dann, veffen ehrenhafte Sinnesweiſe vor ber
Auslieferung feiner 4000 griechiichen Landsleute in Parga an
den blutigen Albanejen zurüdichauderte, Alles, um die tapfere
Stadt zu retten. Foreſti und General Campbell auf Zante,
mit denen fich die Parganioten bereitd in Verbindung geiekt
batten, entwarfen ven Plan, bie Stadf durch rafchen Überfal
zu erobern. Funfzehn Tage nach der Nieberlage der Truppe
des Paichas, in der Nacht zum 22. März 1814, aljo nd
mebrere Wochen vor dem alle von Korfu, erichien eime
engliiche Abtheilung unter Sir Charles Gordon mit zwei
Tregatten vor Parga. Die Bürger öffneten die Tchore ihrer
Stadt und eine Pforte der Citadelle, und fo konnten vie
Sranzojen bier fat ohne Kampf zum Abzuge nach Korfu
genöthigt werden. Barga ftand fett dieſer Zeit mehrere
Sabre unter engliſchem Schuge ?).
Leider ift dieſer Schug nicht vertragsmäßig fichergeftellt,
bie epirotiſche Griechenſtadt, wie wir fpäter jehen werben, nidt
folivariich mit der demnächſt in neuer Geftalt wieder auf
lebenden tonifchen Republit verbunden worben. Die ioniſchen
Injeln waren num allerdings fett dem Frühling 1814 in
brittiicher Hand; aber über ihre künftige Lage follte erft auf
dem Wiener Congreß entjchieden werden. War doch Korfu
nad dem Wortlaute des Parifer Vertrages von Donzelet
„den alliirten Mächten gemeinfam übergeben worden“. Di
1) Zgl. Pouqueville a. a. O., 3b. I, ©. 298— 307. Mer
delsfohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, ©. 144; „Geſchichte Griechen!‘
Thl. J, ©. 110f.
Die ionifchen Inſeln. 357
Sonier jelbjt hegten den lebhaften Wunſch, als freie Republik
fortzubefteben , jedenfalls das Protektorat der eventuellen
Schutzmacht Tediglich in ein nominelle8 verwandelt, jeden Ein.
griff der Schugmacht in ihre Selbjtregierung ausgeſchloſſen zu
iehen. In diefem Sinne hatte ver Senat von Korfu
bereit8 unter bem 21. Mat 1814 eine Denticrift an
Giovanni Kapodiſtrias gerichtet, in welcher die Erhaltung ver
Berfajlung von 1803, vorbehaltlich weiterer Modifikationen
buch die Griechen felbjt, und bie Einverleibung der Pläße
Parga, Butrinto , Preveſa und Vonitza erbeten wurde.
Alerander I. von Rußland erlaubte auch dem Grafen, die
Intereſſen jeiner Landsleute theils perſönlich zu vertreten, theils
durch andere vertreten zu lafien. Die Eiferjucht der Großmächte
bätte ver brittifchen Regierung jehr gern die hochwichtige Stellung
von Korfu aus den Händen gewunden. Es war wohl davon
bie Rede, die ioniſchen Inſeln als Nachlaß Venedigs unter
Oſterreichs Protektorat zu ſtellen, ober fie ſogar dem neu zu
belebenden Orden ber Johanniter zu überlajjen. Indeſſen, die
engliſche Interejjenpolitif drang doch durch. Graf Kapodiſtrias
aber ſeinerſeits trat ſelbſt als eifriger Vertheidiger des eng⸗
liſchen Protektorates auf, welches er für die Jonier als das
vortheilhafteſte hielt. Nur davon wollte auch er nichts wiſſen,
daß England die Inſeln bedingungslos erhalten ſollte, und daß
die frühere republikaniſche Negierungsform über den Haufen
geworfen würde. In Wien kam man nicht zum Abjchluß;
das Übergewicht aber, welches 1815 die Schlacht bei Waterloo
bei den Parifer Verhandlungen den Engländern verlieh, wurde
für die Rechte der Ionier verhängnißvoll. Denn nun forderte
England (4. Auguft 1815) die Infeln zu erblichem Beſitze
für Die brittijche Krone, die daſelbſt alle Souveränetätsrechte
ausüben ſolle. Rußland und Kapopiftrias widerſtrebten eifrig.
Endlich einigte man fich zu dem von den damals entſcheidenden
Mächten England, Rußland, Öjterreich und Preußen genehmigten
Parijer Vertrage vom 5. November 1815, ver freilich den
Griechen nur wenig zufagen konnte. Unter Ausſchluß der
früheren epirotiichen Depenbenzen (auch Parga blieb ausge-
3585 3.11. 8.1 4. Die ioniſchen Iufeln fallen 1815 an England.
ichloffen) follten die fieben Inſeln „einen einzigen, freien und
unabhängigen Staat unter dem Namen der Vereinigten
Staaten der fieben Infeln‘ bilden, und fortan unter
dem „unmittelbaren und ausichlieglichen ‚Schuße‘ des Könige
von England und feiner Nachfolger ſtehen“. Die Jonier
follten fortan ihre inneren Angelegenheiten mit Zufttmmung
ver Schugmacht oronen. Der König von England ernannte
einen „Lord⸗Obercommiſſär“. Dieſer jollte die Formen
der Berufung einer gejeßgebenden Verfammlung regel, jollte
deren Arbeiten zu dem Zwede leiten, daß „eine auf bie bie
berige Berfaffung gegründete neue conftitutionelle Charte ent
worfen würde, die der König dann erfucht ward zu ratificiren“.
England erhielt das Recht, die feiten Plätze der Inſeln zu
bejegen; ihre bewaffnete Macht wurde unter den Befehl ii
brittifchen Obercommandanten geftellt. Über die Stärke ir
engliihen Bejagung in Triebenszeiten und deren Bezahlım
jollte zwifchen der Krone von England und dem itomilden
Souvernement ein befonderer Vertrag abgejchloffen werben.
Die tonifche Flagge wurde als die eines ‚freien und una
hängigen“ Staates anerlannt; aber das Wappen jtellte ver
König von England feit, die ionifchen Häfen wurden unter
engliiche Jurisdiction geftellt, und ftatt der Anftellung von
Geſandten im Ausland nur die Zulaffung von Hanvelsconiuln
gewährt. In Folge dieſes Vertrages wurde zuerft der General
Tieutenant Sir Thomas Maitland, ein talentooller und
gejchäftsgewandter, aber auch harter und herriſcher Mann mit
rauhen und abftoßenden Manieren, als brittijcher Lord
Obercommiſſär nad) Korfu geichiett (Anfang Februar 1816),
ber fich mit dem Baron Theotofis (kein Verwandter des alten
Principe), dem damaligen Präfiventen des Senates, in Ber
bindung fegte und nun jene den Griechen jo unltebfame Thätigfeit
eröffnete, die uns jpäter noch näher beichäftigen wird 2).
1) Bgl. Mendeilsfogn- Bartholdy, Kapodiſtrias, ©. 27— 3.
Neigebaur, ©. 125. Bulgari, p. 21—68. Lenormant,
p. 42-60.
Ali vernichtet 1812 die Gardhikioten. 869
Wir beichließen die Geichichte dieſer Zeit mit einem Blicke
auf die Machtftelung des Ali von Janina, bie ſich damals
im Zenith befand. Alt Hatte feit der Feſtſetzung der Engländer
in Santa Maura und feit dem Sturze Ibrahims von Berat
feine Herrichaft in Epirus jenjeitS der Marten von Parga
raſch vollendet. Es handelte fich dabei weſentlich um die
Unterwerfung ber letzten von ihm noch unabhängigen alba»
neſiſchen Drtichaften und Machthaber im weitlichen Epirus
zwiſchen Arghyrokaſtron und Margariti. Mit allen wiefen hat
U nah Ibrahims (S. 353) Sturze raſch aufgeräumt.
Zuerft eroberte er das Paſchalik Delvino und vertrieb den
Muſtapha⸗Paſcha aus feinem Sige, der nun nad Gardhiki
flüchtete. Dann griff er (1812) die bisher unabhängige
Gebirgsſtadt Arghyrokaſtron an, die mit Liit gewonnen und
ſofort aufs Stärkfte befeftigt wurde. Und nun gelang e8 ihm
auch, die Rache für feine Mutter und Schweiter an Gardhiki zu
vollziehen, nach welcher fich jein Herz (S. 258 u. 263) jeit den
Tagen feiner Jugend fo lange gejehnt hatte. Erft nach längerer
Belagerung Tapitulirten die Gardhikioten (Ende Februar oder
Anfang März 1812) Nun vollzog Alt mit kaltem Blute
feine furchtbare Nache, indem er zuerft die männlichen Ein-
wohner unter Proflamirung einer Ammeftie mit boniglüßen
Worten aus ihrer Stadt heraus nach dem Schloffe Chenpria,
dann nach dem Hofe des benachbarten Khan von Wuwali
oder Baltara Iodte. Hier aber wurden 666 biefer Männer
plöglich eingeiperrt. Nun follten die Truppen dieſe Unglüd-
lichen einfach nievermegeln. Aber die moslemitiichen Garde—
fruppen des Paſchas weigerten fich jchroff, ihre wehrloſen
Ölaubensgenoffen für den eibbrücigen Frevler wie Schafe
Abzuichlachten. Die moslemitiſchen Gegen, die Rothmäntel
ſeines Heeres, folgten ihrem Beiſpiele. Die römiſch⸗katholiſchen
Mirditen aber, das „ſchwarze“ Bataillon, wollten die Gar⸗
dhifioten nur dann angreifen, wenn ihnen Waffen zu ehrlichen
Kampfe in bie Hand gegeben würden. Da war e8 ein Grieche,
der gefürchtete Athanaſios Vaja, übrigens einer der tüchtigften
Offiziere Ali's (Sohn der Amme feiner Kinder), der ſich erbot,
860 Buch II. Kap. I. 4. Ali vernichtet 1812 die Garbhilioten.
mit feinen griechtiihen Soldaten das Henkerwerk zu vollziehen,
und nun wirklih mit 150 Mann ven blutigen Mord voll
endete, der in den Augen der Zeitgenoſſen Alt’8 Ruf als den
eines Ungeheuers ohne Gleichen jicherjtellte. Die Griechen
baben dem Baja feine Henkerthat niemals verziehen. Die eigene
Frau verweigerte ihm ſeitdem ihr Bett; und noch nach feinem
Tode brandmarkte eines der griechtihen Volkslieder jeinen
Namen in büfter » jchauerlicher Weile für alle Zeiten. Die
weiblidhe Bevölkerung von Gardhiki wurde inzwilchen von
den Soldaten Ali's gejchändet. Chainitza ließ den Frauen
dann bie Haare abichneiden, um damit ihre Matraken aus
ftopfen zu laſſen: die Unglüdlichen find nachher in die Sklaverei
verkauft worden, während Alı noch nachträglich alle männlichen
Gardhikioten ausrotten ließ, die ihm irgend erreichbar waren.
Dieſe jchändliche Epiiode vor Allem wurde Urjache, daß ibm
nachher 1814 die Engländer die Einnahme von Parga um
möglich gemacht haben.
Nichtsdeftoweniger jtand Ali jegt auf der Höhe jeiner
Macht. Mochten immerhin felbjt feine Soldaten und Ber
trauten zuweilen, wie eben bei Gardhiki, vor ihm zurüd-
ihaubern, im Ganzen imponirte feinem Volke, welches nur die
‚‚ Offenbarung der Kraft‘ reſpektirt, die Xigernatur feines
Weſens, die beinahe niemals ihr Ziel verfehlende Takenartige
Schlauheit Ali's, die jchauerliche Energie feiner Grauſamkeit,
und zugleich jeine durchichlagende Kraft. Im der That war
dieſer Mann doch beveutend mehr, als nur ein gemeiner
Bluthund. Es erſchien nicht bloß den Schkypetaren, fondern
auch den Europäern, deren Politifer in London, in Paris, in.
Petersburg mit dieſem mächtigen Faktor levantiniſcher Politik
zu rechnen genöthigt waren, doch als etwas Gewaltiges, daß
Ali e8 vermocht hatte, aus der Lage eines verzweifelten Aben-
teurers heraus fich bis zu einer Höhe emporzufchwingen, wo
er nun theils unmittelbar, theils mittelbar die gefammte
ſüdliche Hälfte der Balkanhalbinſel beherricte.
Außer Parga ganz Epirus, Albanien bis zum Bereiche ber
Paſchas von Stutari, das ſüdweſtliche Makedonien, Theffalien,
Ali⸗Paſcha auf ber Höhe feiner Macht. 361
Mittelgriechenland bis nach Böotien, endlich Morea Bingen
von jeinem Willen ab. Geld und Streitkräfte ftanben ihm
veihlicher zu Gebote als dem Sultan, und jein GeleitSbrief
bedeutete damals mehr, als jelbit ver Ferman des Padiſchah.
Für Albanien und den albaneſiſchen Theil von Epirus
hat die Herrſchaft dieſes Mannes eine ganz eigenthümliche
Bedeutung gehabt. „Ali⸗Paſcha“, jo drückt fich jein neueiter
beuticher Biograph aus, „hat für Albanien ven Bruch mit
dem Mittelalter und dem Feudalismns vollzogen, bat bier ber
Civiliſation in Geſtalt de8 modernen Abfolutismus Bahn
gebrochen.‘ 2) Unſere bisherige Darjtellung bat freilich gezeigt,
in welch furchtbar blutiger Geftalt Ali's Herrſchaft, Ali's
„intelligenter Despotismus‘ wiederholt auftrat. Aber dieſer
albanefiiche Nachfolger der regierenden Reformer des acht»
zehnten Jahrhunderts war nicht nur kraftvoller, fondern auch
gücklicher als Selim II. Die Bernichtung der jelbjtändigen
albaneſiſchen Beys, Kapitanis, Städte, Dijtrikte, die Nivellirung
aller Paſchaliks von Lepanto bis zu den Grenzen des Skodra—⸗
Palhas hinauf, die DBefeitigung ver feudalen Häuptlinge, des .
feubalen, auf Koften des Volkes durch Erpreffung, Raub und
Viehdiebſtahl lebenden Waffenaveld der Schkupetaren jchuf
weithin Sicherheit in dieſen Ländern. Da unter Ali's
Ölutregiment die Henker zu feiner Zeit feierten, jo erzielte er
endlich eine ſeit Jahrhunderten in dieſem Lande nicht mehr
gekannte Ruhe, Ordnung, öffentliche Sicherheit für Handel
und Verkehr. Zugleich öffnete Ali dem Handel die Küſten,
und gab dadurch dem Verkehr der Bewohner der Kantone
nördlich vom Othrys und Makrynoro die Richtung nach den
ioniſchen Inſeln, die namentlich ſeit 1815 lebhaft verfolgt
wurde. Mehr noch, zuerit unter ihm fand auch die Rajah
eine parteilofe Gerechtigfeit, „wenn man bon ber einen
Ausnahme zu Gunften des Selbſtherrſchers abſah, herrichte
Öfeihheit vor dem Geſetz“. Nur daß daneben Seitens des
geldgierigen und geldmachenden Paſchas arge wirthichaftliche
1) Bgl. Mendelsſohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 153 fl.
32 Buch II. Kap. I 4. Mi unb bie Griechen.
und finanzielle Willkürmaßregeln berliefen, die fich doc mic
Damit entichuldigen laffen, daß bei den milden Zuftänden
namentlich der albanefiichen Kantone „ein eiferner Arm de
Herrſchers immerhin als eine Wohlthat, die Tyrannis bis zu
einem gewiſſen Grade al8 ein Segen‘ gelten Tonnte.
Für unjere Darftellung bat nun noch ein Haupt
intereffe das Verhältnig dieſes merkwürdigen Mannes zu ven
Griechen, und zwar auch noch vor feiner Kataftropke,
Hinter welcher wir jchlieplih den großen neugriechiihen Be
freiungstrieg auflovern fehen werben. Schon vor Wii
Machtaufihwung hatten die Albaneſen (von ihrer früheren
Einwanderung in Griechenland ganz abgelehen) den Griechen
mehr umd mehr zu imponiren begonnen. Man bat die Br
merfung gemacht !), daß bei dem Derfalle der eigentlid
osmaniſchen Kraft feit der Mitte des achtzehnten Yfr
hunderts die Schkypetaren als fchlagfräftige Krieger der Pit
immer entichievener an die Stelle der Osmanen, namentih
auch der faulen Saniticharen, getreten find. In ver That
haben fich gerade feit dieſer Zeit die Schkypetaren in immer
größeren Maſſen als Söldner über das geſammte, von dem
Padiſchah in Stambul direkt und indireft beberrichte Redk
gebiet verbreitet. Jeder Paſcha hielt fich feine „Arnauten“:
und diefer Name, wie auch ‚Bewaffnung und Koftüm de
Albanefen, wurde oft auch von folchen Kriegern angenommen,
bie keineswegs aus den Kantonen der Schkypetaren ftammten.
Speziell die Griechen fürdhteten feit ven Schreckenszeiten, die
für fie mit 1770 begonnen hatten, die islamitiſchen Albaneſer
viel mehr, als die eigentlichen Osmanen. ALS. dann wiee |
frienlichere Zeiten eingetreten waren, als nun Ali's Herricaft
in imponivrender Weife über alles Land zwiſchen dem Varda
und Leondari ſich ausbreitete, wird eine eigenthlimliche Aus
1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 47 sg
Bol. dann auch Menpdelsfohn - Bartholdy, Gedichte Grieder
lands, Th. I, ©. 80. Leake, Travels in the Morea, vol. 1
P. 209.
A und bie Griechen. 36H
gleihung ziviichen Griechen und Albanefen bemerkbar. Auf
der einen Seite wird auch bei den Griechen des Feſtlandes
albanefiiches Koftüm gewiffermaßen Mode; die albanefiiche
Suftanella erobert weithin, wie bie osmaniſche, fo auch Die
griechische Welt. Beſonders die Armatolen und Iofalen
Milizen trugen fie gern. In Morea, wo doch auch fchon
jeit Alters jo viele Albanefen wohnten, war biefe Tracht
jit 1770 namentlih bei ver griechtichen und türkiſchen
Jugend verbreitet, und namentlih unter Veli⸗Paſcha wurde
(S. 345) die weiße tosfiiche Fuſtanella immer allgemeiner
üblih. Auf der anderen Seite unterliegen die Albanejen
mehr und mehr den Einflüffen ver höher civilifirten Griechen.
Eine wirkliche Miſchung zwiſchen beiden Völkern, eine wirk-
liche Gräcifirung der Albaneſen bat fich bis zur Zeit ver letzten
gemeinfchaftlichen Erhebung der Chriften beider Völker gegen
bie Pforte allerdings nur in Arkadien kenntlich gezeigt !).
Mer auch Die Albanefen der nautiſchen Injeln, wie Hydra,
ohnehin mit griechiichen Elementen gemiſcht, folgen immer
mehr der Nichtung des Griechenthbums. Chriftliche Klephten
und Armatolen griecktichen Glaubens treten einander immer
näher, namentlih in Epirus; derart daß zum Beiſpiel bie
Sulioten ſchon jest fo gut wie Griechen angejehen werben.
Un griechiſche Sprache, das dominirende Idiom in dem
Verkehr der Levante, berricht auch an dem Hofe Ali's von
Janina.
Ali feinerfeits, in feiner fühl verjtändigen Art, war viel
zu frei von nationalen und religidjen Vorurtheilen, um nicht
mit Vorliebe fich der Dienfte ver Griechen überall zu ber
dienen, wo er die Intelligenz, die Geſchmeidigkeit, die Bildung,
die foldatiiche Brauchbarfeit der Männer dieſes Volles ge⸗
brauchen konnte. Die Griechen ihrerjeit8 ſtanden fich beffer
unter feinem Regiment, als unter dem ver gewöhnlichen
türfiichen Paſchas. Gerade die vorher gejchilderten Züge feines
1) Bgl. auch v. Hahn, Albanefiihe Studien, Thl. I, ©. 223 u.
258.
864 Buch IL Rap. I. 4. Mi und die Griechen.
Weſens und jeiner Herrichaft, namentlich auch die thatjächlice
Gleichftellung der Griechen mit den Mufelmanen, war für das
rührige und ermwerbsluftige Volk von erheblichem Werthe; nur
daß auch fie natürlich berfelben jchauerlichen Grauſamkeit
unterlagen, wie alle anderen, auf welche Ali's fchwerer Arm
fiel. Alt Hat e8 doch dahin gebracht, daß zur Zeit feiner
Regierung feine Reſidenz Janina eine der denkbar glänzenoften
griechiſchen Städte in jener Zeit allgemeinen friſchen Ge
deihens der griechiichen Welt geworben iſt. Die Zabl ver
Einwohner ift bis auf 40,000 geftiegen; eine Weihe anſehn⸗
liher Bauten fchmücdte jie, und neben neunzehn Moſcheen und
fünf türkifchen Klöftern gab es bier auch ſechs ſtattliche
griechiiche Kirchen. Der von Alters ber lebendige Handel
verfehr dieſer Stadt und das auf die beiden höheren griechiicen
Schulen von Janina ſich ſtützende friſche wiſſenſchaftliche be
in Janina verliehen der Hauptſtadt von Ali's Reiche em
beſonders feifelnden Charakter ). Freilich hatte dieſer Glanz
auch einen fatalen Beigeſchmack. Wie unter den gebildeten
europätichen Reiſenden, die feinen Hof bejuchten, fehlte es noch
weniger unter den Griechen an ſchlimmen Schmeichlern, die
duch ihr Benehmen die chnijche Menjchenverachtung des Paſcha
nur fteigern konnten. Alt jelbft, der fich ſehr gern mit dem
alten braven Pyrrhos der antiken Welt vergleichen ließ, fprad
wohl ſchmunzelnd von feinem berühmten Vorfahren ‚, Burrhus,
aber der alte brutale Cyniker betrachtete die Wiffenfchaft und
gar erjt die Gelehrten nur als eine Art von feinerem Luxus
und als Werkzeuge jeiner Macht und freute fich, ihrer unter
Umftänden als erfahrener Mann der Praris jpotten zu können.
Nichtödeftoweniger war ihm die Rührigkeit, die Geſchäfts⸗
gewanbtbeit, die Intelligenz der Griechen bei feiner Politi
und bei feinen civilifatorifchen Arbeiten unentbehrlich, wie die
Griechen wiederum ihren Vortheil unter feiner Herrichaft Hug
genug wahrzunehmen wußten.
1) Bgl. Zinteifen, S. 269. Mendelsfohbn-Bartholby, Ak
Paſcha, S. 147 ff.
Odyſſeus von Ithaka. 365
Für die folgende Zeit beſonders bedeutſam iſt jedoch die
Beziehung Ali's zu der militäriſchen Kraft der Griechen
geworden. Auch abgeſehen von ſolchen Griechen, die vollſtändig
in ſeinem Heeresdienſte ſtanden, übte er auf die Armatolen
den ſtärkſten Einfluß aus. Eine Menge der Helden des neu⸗
griechiſchen Freiheitskampfes Hat unter ihm ihre Kriegsſchule
durchgemacht; bis zu der Nieverwerfung des Euthymios Bla⸗
chavas wiederholt als feine Gegner, nach dieſer Kataftrophe in
der Regel unter feiner Leitung. Die Armatolifs jener Zeit
(man nannte damals als folhe: für Makedonien Werria
oder Karapheria, Servia, Alaſſona, Greveno und Milias; für
<hefjalten Olhmpos, Maurovuni, Chaſſia, Malakaſſis,
Patradſchik, Agrapha; für Aetolien und Akarnanien
Zeromeros, Venetiko, Lidhoriki, zu denen aber noch Milizen
in Vonitza, Arta, Wrachori, die Armatoliks Livadia und
Talandi, wie auch die Miliz von Megaris kamen), die 1814
mehr als 10,000 Dann aufftellen konnten ), waren damals
ſo gut wie ganz von ihm abhängig, und das freie Klephten⸗
thum trat erheblich zurück. Unter den Griechen, die ſchon zu
US Zeit namhaft waren, aber erſt nach feinem Sturze eine
dominivende Stellung unter ihrem Volle gewannen , find
namentlich drei zu nennen. Der erjte ift der berühmte
Odyſſeus von Ithaka. Odyſſeus war der Sohn des
alten braven Armatolen Andrutfog, den wir früher als
einen der wenigen wirklichen Helden des Jahres 1770
fennen lernten, und einer Albanefin aus Prevefa. Auf der
Inſel Ithaka (oder, wie fie damals genannt wurde, Theafi)
im Jahre 1788 geboren, ift Odyſſeus nach dem Tode feines
Vaters an dem Hofe des Ali-Paſcha aufgezogen worden, ber
mit Andrutfos in freundfchaftlichen Beziehungen geftanvden hatte.
Seiner Abkunft nach Halb Grieche und halb Schkypetare, fo
michten fi) auch in feinem Weſen die charakteriftifchen Züge
1) Bol. Pouqueville a. a. O., Bd. I, ©. 40, und Gorbon,
— der griechiſchen Revolution, bearbeitet von Zinkeiſen, Thl. J,
‚831.
366 Bub II. Kap. L 4. Odyffeus von Ithaka.
beider Stämme, deren tüchtige wie fchlimme Eigenſchaften.
ALS gereifter Mann erichien Odyſſeus als ein jchöner Krieger,
von mittlerem Wuchle, kräftiger Geftalt, blondhaarig, mit
breiter Stirne und dichten bujchigen Augenbrauen. Ein flinfer,
elaitticher Läufer, ein Menjch von jeltener phyſiſcher Kraft, zum
Soldaten und zum Gebieter geboren, zeichnete ihn als echten
Griechen die reiche Antchlägigfeit feiner Natur, fein fcharfer
Berftand, feine glühbende Wißbegierve aus. Aber er beſaß
leider auch die ganze Neigung der Schlupetaren zur Der
rätherei uud zur Rachſucht, und die Taljchheit und Der
ſtellungskunſt der Griechen. Odyſſeus gehört zu jenen Führern
der Neugriechen, die nachmal® am wenigiten den jchlinmten
Einflüffen fich zu entziehen vermocht haben, welche die corrum-
pirende Herrichaft Alt’8 auf das Griechenthum ausgeübt hat
Der unrubige, beftige, unbändige Süngling hatte in ber
ihlimmen Schule an dem Hofe zu Janina viel Böſes gelernt:
Wolluſt und Graufamkeit, Habjucht, unergründliche Verlogen⸗
beit, — endlih auch eine ganz. ungriechiſche Freigeiſterei.
Längere Zeit Bage in Ali's unmittelbarer Nähe, war Odhſſeus
fogar in den türkischen Orden der freigeifteriichen Bektaſchi⸗
Derwiſche eingetreten, um fich perſönlich möglichit ficher zu
jtellen. Seine Begabung, feine Kühnheit und Geiſtesgegenwart
batten ihm allmählich das ausgemachte Wohlwollen des Paſchas
gewonnen, der ihn dann auf alle Weile förderte. Schon
1814 erjcheint er als Befehlshaber von Ali's Leibgarde;
nachber bat ihn der Paſcha mit einer reich ausgejtatteten
Dame aus Kalavryta verbeirathbet und ihn an die Spike ber
Armatolen von Livadia und Talandi gejtellt ). Wir finden
ihn nachher noch zur Zeit von Ali's Kataſtrophe als Heer
führer für den Paſcha in eriter Neihe beichäftigt.
Ganz anderer Art ift ein zweiter griechticher Dffizier, ber
im Gegenjage zu Odyſſeus aus der wüften Art des um Al
1) Bgl. jet Pouqueville a. a. ©., 2b. I, ©. 197 u. 308.
Gervinus, Bd. V, Thl. 1, ©. 3225. Mendelsſohn-Bartholdy,
Geſchichte Griechenlands, Bd. I, ©. 209. Finlay, History of the
greek revolution, vol. I, p. 94 u. 305.
Georg Karalskakis. 367
gruppirten Treibens zu einer ber frilcheiten Geſtalten Des
griechiichen Freiheitskrieges fich Herausarbeiten jollte. Dieſer
Mann war Georg Karaistafis, ein Epirote aus Slyli⸗
faria, einige Meilen djtlih von Arta auf der Grenze der
andihaften Agrapha, Alarnanien und Arta belegen. Er tit
1782 geboren; den Vater fennt man nicht, die Mutter war
eine Nonne aus vornehmer Familie, des Kapitäns Gogos
Bakolas Couſine. Karaistafis ift abwechjelnd in Ali's Kriege-
dienit und als wilder Klephte emporgefommen. Wieperholt
old Klephte in Ali's Hände gefallen, rettete ihm bet dem
Baiha die Rückſicht auf jeine Verwandtichaft das Leben.
Aulegt noch einer der angejebeniten Krieger in der Schnar
des Katſantonis (wie deſſen tapferer Protopallifare, der nach⸗
mals ebenfall8 vielgenannte Tſongos oder Tſongas !), mußte
er nach dem jümmerlichen Ausgange feines Chefs (S. 341)
abermal8 mit Alt jeinen Frieden machen und in die ®arbe
des paſchas eintreten, der dem Heinen, lebhaften, feurigen,
geijtig und ſoldatiſch hochbegabten Manne feine bejondere Gunſt
zugewandt hatte. Daß auch diefer Kriegsmann die Neigung
zu loderen Sitten und Verrätheret lange Zeit nicht los werben
fonnte, zeigt das feinere ‘Detail jeiner Biographie; aber er
bar doch aus echtem Metall, wie uns feine jpätere &efchichte
kigen wird ?).
Weitaus der bedeutendfte Charakter jedoch, der aus Ali's
Hofe Hervorging, war ein gräcifirter Pinposwlache, der nicht
nur als Solvat und Bolitifer unter den Griechen des Frei⸗
heitskrieges eine bedeutfame Stelle einnahm, ſondern auch
Jahre lang mit ftarfer Hand das junge griechiiche Königreich
tegiert bat. Es iſt Dr. Johann Kolettis, der aus der
Pindosgemeinde Syrako (bei Kalarites), fündftlih von dem
Janina- See, im oberen Gebiete des Arachthos oder „Fluſſes
von Arta“ ſtammte. Kolettis (geboren 1788) war, mie jo
1) Bgl. „Mittheilungen”, 3b. I, ©. 155.
2) Bol. jett Lediglich Mendelsfohn- Bartholdy, Gefdichte
Griechenl, Thl. L, ©. 430f.
368 Bud II. Kap. I. 4. Dr. Johann Kolettis.
viele junge, gebildete Griechen dieſer Zeit, wie der früheren
Jahrhunderte, urfprünglich Arzt (er hatte in Italien ftubirt,
1810 in Bologna die Doftorwürde erworben), und als folcer
an Ali's Hofe thätig, wo er bejonvderd für den Dienit
Muchtars in Anspruch genommen wurde. Im ber europäijchen
Welt ift diefer Epirote erft ſeit ben erjten Jahren des neu-
griechiichen Befreiungsfrieges allgemeiner belannt gemorben.
Eine mächtige Natur von außerordentlich nachhaltigen Kräften,
war Rolettis nach zwei Seiten bin durch feinen Aufenthalt in
Janina für jeine fpätere Rolle mehrfach beifer vorbereitet,
als die im Tanar oder in Europa geichulten riechen. Er
verftand es vortrefflich, mit der Sinnesweile, den Xiebhabereien,
den Vorurtheilen der griechifchen und albaneſiſchen Kapitäne,
namentlich der Rumelioten, zu rechnen und fich zu verftändigen.
Dazu aber hatte der Aufenthalt in der Höhle des Löwen ihn
als Politiker ausgiebig gejchult, die angeborene Verſchlagenheit
des Stammes noch mehr ausgebildet. Dem ftattlichen Manne
vol Menfchenkenntnig waren feterlihe Würde, abwartende
Klugheit und unerjchütterliches Phlegma ‚zur anderen Natur‘
geworden: Cigenfchaften, denen er fpäter ſehr erheblide Er⸗
folge verdankt bat, freilich auch dann, wenn es fich um. fühle
Durchführung eigenthümlich „bohrender Rache“ Hanbelte‘).
Unfere Darftellung, die zunächſt bier abbricht, wird bald
Beranlaffung finden, das Zufammenwirken der unter A
gefehulten, wie ber moreotifchen Elemente in allgemein grie
chiſchem Intereſſe zu jchilvern. Noch aber müſſen wir einen
Dli werfen auf die feit 1789 entfaltete Blüthe griechiichen
Handels und griechiicher Bildung, die uns zugleich die neue
Bedeutung der ,‚,nautifhen Inſeln“ für Griechenland ver
jteben lehrt.
1) Vgl. Pougqueville a. a. ©, 3b. U, ©. 436. Finlayı,
Greek revolution, vol.I, p. 244 u. 345. Mendelsfohn-Bartholtr
(a. a. O. ©. 329), der aber irriger Weife gegen die übrigen Angaben
auh 2. Roß Hat mir perfänfich die wlachiſche Abkunft des Kolettis be
ftätigt) dem Kolettiß die Abkunft von Zigeunern zufchreibt. Sathas,
p. 640 saqgq.
Neuer Aufſchwung des griechiſchen Seehandels. 869
V.
Es iſt ſchon früher dargelegt worden, wie ſehr bie Offnung
des ſchwarzen Meeres, des Bosporus und der Dardanellen
für die ruſſiſche Flagge, und weiter bie Berechtigung ver
Griechen (S. 254 f.), mit ruffiichen Berats und ruſſiſcher
Flagge ausgerüftes zu fahren, ſich geeignet erwielen haben,
den Aufichwung des griehifhen Seehandels zu fördern.
Die großen politiichen Ereigniffe num, welche von 1789 bis
1815 die geſammte europäiſche Welt von Liſſabon und Cadir
bis nah Moskau Kin unabläffig in Erichütterung brachten,
find gerade den Griechen materiell in hohem Grave zu
Gute gekommen, während zugleich der reformfreudige Sultan -
Selim III. und der ſchlaue, felbftfüchtige Alt von Janina alle
mente förderten, welche die Hebung der Induſtrie, bes
Handels und der geiftigen Bildung der griechifchen Unter.
thanen der Pforte zu begünftigen nur irgend geeignet waren.
Die furchtbare Selbitzerfleiihung Frankreichs durch Die
Revolution, nachher die unaufhörlichen Kriege der Franzofen
der Republif wie des erften Napoleonifchen Kaiſerthums, und
die dauernde Feindſchaft Englands gegen Frankreich und bie
von diefem. Stante beberrichten Vajallenftaaten, wurden Ver⸗
anlaffung, daß vor Allem der Getreidebandel auf dem
mittelländifchen Deere in die Hände der griehifchen See—
fahrer für eine lange Reihe van Jahren gefallen tft. Die
heiter Ebenen bes fünlichen Rußlands Hatten begonnen, eine ber
großen Kornlammern von Europa zu werden, und griechiiche
Schiffe waren es, welche ſehr ſchnell felbft der brittiſchen
Handelsflagge erhebliche Concurrenz machten und die Ausfuhr
de8 ruſſiſchen Getreives faft ausichließlih an fich zogen.
Odeffa, die jeit 1794 neu entftanbene junge ruffiiche Grün-
dung, das große führuffifche Weizenemporium des fchwarzen
Meeres, blühte zunächft vor Allem durch griechifche Anſiedler
und griechiiche Nührigfeit empor. “Die griechiichen Schiffe
iegelten bald bi8 zu der Meerenge von Gibraltar, allmäplich
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 24
370 Bud II. Kap. I. 5. Hybre.
jelbft über den atlantifhen Ocean hinaus. Als erſter
hydriotiſcher Kapitän, ver fich bis nach Amerika wagte, wird
Demetrios Chriftophilos genannt. Griechiſche Kauflente be-
ftimmten in Italien und Spanien die Kornpreife, gewannen
auf franzdfiichen und engliichen Börſen eine wichtige Stimme,
bilveten in zahlreichen Handelsplätzen von Europa, aufer
Trieft nun auch in Livorno, Marfeille, London, Linerpool
einflußreiche Handelskolonien. Mehr aber, mit ver Eröffnung
neuer zahlreicher Kanäle zur Einſtrömung europätfcher Ideen
und fränkiſcher Civiliſation nad den griechiichen Häfen; mit
dem ftarfen Aufſchwunge griechifcher feemännifcher Übung und
ZTüchtigfeit; mit der Zunahme des Wohlftandes, ja jelbft des
Reichthums, wuchs auh die Waffentüchtigkeit der
griechiſchen Marine Denn die in dieſen unruhigen
Zeiten ewig drobende Gefahr Seitens der Piraten, namatlıh
auch Seitens der Barbaresken und der Algerier, nöthigte dr
Griechen, allmählih auch größere und vor Allem je nad
ihrer Größe durch act bis zwanzig Kanonen armirte, gut
bewaffnete Schiffe zur bauen. Im Jahre 1816 rechnete man
auf die griechiihe Hanbelsmarine über 600 Schiffe mit |
17,000 Matrojen und 6000 Kanonen ?).
Der Löwenantheil an dieſem Gewinn fiel aber auf bie brei
fogenannten nautifchen Infeln der Neugriehen, nemlich auf
Hydra, Spetzä und Pſara. Es war namentlidh die
bisher jchon wiederholt genannte Injel Hydra, die jeit ber
Kataftrophe von 1770 an Einwohnern, fett dem Friedens⸗
ichluffe von Kutſchuk⸗Kainardſche an merkantiler Bedeutung ie
gewaltig zugenommen hatte. Die Hhbrioten waren als bie
fühnften und gewandteften Seeleute des griechifchen Archipels
berühmt geworben ; trefflihe Seefahrer und Handelsleute,
verwegene Blofadebrecher, hatten fie je nach Umſtänden bie
1) gl. Gervinus, ©. 34 84 fe. Finlay, Greece unde
othoman and venetian domination, p. 843 sg. Gordon be
Zinteifen, TH. I, S. 37ff. Mendelsſohn-Bartholdy, Geld
Griechenl. Thl. I, S. 67ff. 71ff. Miaulis, Die Infel Hybra, über.
son Bender, ©. 18ff.
Hydra. 51
tuffihe Flagge und bie Neutralität der Pforte glücklich zu
verwertben verftanden, und waren auf diefem Wege zu aufer-
ordentlichen Weichtbümern gelangt. Das gab fich jedem
Fremden jchon äußerlih zu erfennen. “Die Heine Inſel
(90 DRilometer groß), die aus einem von Südweſt nach
Nordoſt ziehenden fchmalen Bergrüden befteht, welcher faft
überall nur den nadten Fels zeigt oder mit unfruchtbarem,
alles Anbaues ſpottendem Geröll bevedt, daher (jet) größten.
theils baumlos und ohne Quellwaſſer ift und lediglich im
weitlichen Theile eine etwas fruchtbarere Strede befitt, ſah auf
ihrer allein zugänglichen Nordküſte an dem Haupthafen während
diejer Periode eine überaus blühende Stadt emporwachien.
Während die Nebenhäfen Porto Mandri und Porto Molo
(weitlich) und Porto Panagia (öſtlich) minder bedeutend blieben,
erhlühte aljo bei dem Haupthafen, ziemlich in der Mitte der
etwa fünf Stunden langen Noroküfte die Stadt Hydra, auf
drei ſchroff auffteigenden Hügeln belegen und in den zwiſchen
denielben nach dem Meere fich Binabziehenden Thaljchluchten.
An 3000 meiſt große und jchöne Steinhäuſer ftiegen bier
terrafienartig über einander auf und gewährten mit ihren
platten Dächern und weißen Mauern einen eigenthünlich
maleriichen Charakter. In den joliven Fels eingegraben, im.
Inneren oft mit Marmorplatten aus Livorno gepflajtert, mit
Smyrnaer Teppichen und Bolftern aus Marjeille bebedt,
Ihmiegen fich die Häuſer dieſer Stadt völlig dem Terrain an.
Die Straßen find außer dem unmittelbar am Meere ge
legenen Marftplage durchaus uneben, durch fahlen Felsboden
oder trockene Betten früherer Gießbäche gebildet. Selbſt die
kürzeſte Straße gleicht mehr einer Treppe als einem Wege.
Dabei beſaß die Stadt 26 Kirchen und Kapellen, alle reich an
Weihgeſchenken der Schiffer. Der Stolz der Hydrioten war
ihre Ratheprale aus weißem Marmor; noch heute imponirt
ihr don der Kirche getrennt ftehender Glockenthurm, deſſen
Kuppel aus zehn Bogen von weißem Marmor befteht, durch
welhe der Himmel hindurchſcheint. Hoc über ber Stadt
endlich thront ein Klofter des Hag. Elia.
24*
872 Buch II. Kap. L 5. Hydra.
Während ver Blüthezeit, die allerdings das Jahr 1815
nicht jehr lange überbauert hat, war die Bevölkerung bis
anf nahezu 40,000 Seelen geftiegen, von denen nur eine Heine
Minderzahl der Landwirthfchaft ſich widmete. Die Seeleute
verdankten das ſchnelle Wachſen ihres Wohlſtandes, mit dem
auch europäilche Civiliſation bei ihnen eindrang, ihren nationalen
Eigenthümlichfeiten. Die Matroſen ver einzelnen Schiffe,
verhältnigmäßig fehr zahlreich, waren, wie auch bei ben Griechen
oft der Fall, gemöhnlih bis zum Sciffsiungen herab Ber
wandte des Kapitäns, oder auch feine Gevattern, ftanden nit
in Sold, fondern erbielten alle, ohne Unterichten des Alters,
gewiffe Procente von dem Netto» Ertrage der Fahrt, hatten
alfo immer ihr Intereffe daran, ihre Reiſe möglichit fahnel
zurüdzulegen. Andererſeits war bei dieſen bybriotifchen Abe
neſen die nationale Tugend der Sparjamtleit und Niüchternit
ftart ausgebildet; die Wohlfeilheit der erjten Lebensmittel trat
in erfreulicher Weife dazu. Hhdra verfügte ſchließlich ük
mehr denn 110 eigene Schiffe. Daneben hatte der Einfluß
des Griechenthums fich bei ihnen ſehr bebeutend geltend
gemacht. Schon vor der Erhebung des Jahres 1821 vertan |
und fprach bier jedermann griechiſch, obwohl Damals dad
Albanefiihe in Hydra und Spekä noch immer bie Sprache
des täglichen Lebens blieb. Auch in ver Tracht Hatten fi
fih den übrigen Infulanern des Archipels ftarf genähert. Aus
bier alfo die ungeheuer weiten, fadartigen Pludderhoſen, dit
bis auf die Mitte der Waden reichen; um bie Mitte be}
Leibes der buntfarbige Gürtel, der als Taſche für Meilen,
Tabakspofe und Uhr dient; dazu Weſte und Jacke ohne
Kragen, mit Ligen und Schnüren vielfach beſetzt. Auf dem
Haupte endlich der rothe Fey, die Nationalmüge von Tuch, in
Form eines fiumpfen Kegels, oben mit einer Troddel ven
blauer Seide. Nur daß diefe — anders als bei ben übrige
Inſelbewohnern — nicht frei herunterhing, fondern in Form
eines Kreiſes auf der oberen Fläche des Fez ausgebreitet 14
Der größere Reichthum an Falten der Beinkleider bezeichnelt
bie größere oder geringere Wohlhabenheit des Beſitzers; ebeni‘
— ——
Hybra. 373
durften damals nur die Beſitzer eigener Schiffe, Häufer,
Güter, und deren Söhne — Strümpfe tragen !).
Die leidenichaftliche Natur des Volles und der alte Partei
geift, ven dieſe Abkömmlinge der Schlupetaren mit den Griechen
vollkommen theilten, verleugneten fi aber zur Zeit ihres
kräftigen Aufichwunges durchaus nicht. Das kam namentlich
bei ven inneren Bewegungen der Hydrioten zu Zage, in
denen die Parteilämpfe der alten Helleniichen Städterepubliken
wiederholt ein intereffantes Nachipiel fanden. Mit einer in
Griechenland jeltenen Wahrheitsliebe, mit großer Zuverläffig-
kit, Ehrlichkeit und Solivität verbanden fie auch einige
Eigenichaften, welche jebr geeignet waren, das communale
chen unruhig genug zu geitalten. Das Voll war gemalt
thätig und ungeftim, die Primaten eiferfüchtig und Bart, Alle
aber zu Barteiungen fehr geneigt, wie nur irgend ein griechiicher
Stamm. Stolz, Anmaßung, unruhiges Naturell und Habjucht
blieben ihr albanefiiches Erbtheil. Es wurde ihren einheimijchen
jelbſtgewählten Behörden jchwer genug, bei dem mächtigen
Aufſchwunge der Infel überall die unruhige Art ihrer Lands⸗
leute zu zähmen und die Strafen über Mord und Todtichlag
zu verbängen, die bier nur allzubäufig waren. Schließlich
hatten fich die Hydrioten ſogar genöthigt gejehen, bei ber
Pforte, beziebentlich bei ihrem großen Gönner, dem Kapudan⸗
Paſcha Kutſchuk⸗Huſſein, die Ernennung eines eigenen Gouver⸗
neurs mit dem Rechte über Leben und Tod (S. 113) zu beantragen,
and Huffein hatte zuerit am 27. December 1802 auf Vor⸗
ihlag der Primaten jenen Georg Bulgaris, den wir
bereits kennen gelernt haben, zu diefer Stellung als Bey
1) Bgl. L. Roß, Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenland,
S. 121 fe. Henri Belle, Eine Reiſe in Griechenland (in dem
„Globus“ 1877, Nr. 3), S. 36 f£E Burſian, Geographie von
Griehen!., Bd. II, S. 99f. Finlay, History of the greek revolution,
vol. I, p. 37 sq. u. 207. v. Maurer, Das griechifche Bolt, Bd. I,
8.53. Gervinus, Br. V, Th. 1, ©. 86 fi. Mendelsſohn—
Bartholdy, Gefhichte Griechenl, Bd. I, ©. 200f. Miaulis, Die
Infel Hydra, ©. 20ff. 25 ff.
874 Bud II. Kap. I. 5. Hydra.
ernannt, einen energiichen, vielbewährten Seemann (geftorben
23. Auguft 1812), der auch von der barbariichen Prügelftrafe
feines Volkes einen höchſt ausgiebigen Gebrauch machte. Die
Ihwerften Verbrecher fandte er nach Stambul zur Todes⸗ oder
Galeerenſtrafe. ‘Die Gemeinveverfaffung (S. 210) hatte fih
ichließlich unter Yulgaris’ Einfluß dahin ausgebilpet, daß die
reihen Primaten jährlich zwölf Proöftote8 oder Demogeronten
ernannten, die zur Seite des Beys einen regierenden Municipalrath
bildeten. Derfelbe zerfiel in drei Gruppen zu je vier Mitgliedern,
die umichichtig von vier zu vier Monaten die Gejchäfte führten.
Die Zuftände hatten alfo bier einen wefentlich oligarchiichen
Charakter angenommen, indem einerjeitd die zahlreichen neuen
Anfiedler keineswegs alle Rechte der älteren Einwohner erlangt,
andererfeit8 das Wahlrecht fich wejentlih zu einen Belt
ber am meiften begüterten Bevölkerung geftaltet batt‘).
Man unterſchied nemlich die drei Klaſſen ver Matrofen; m
Schiffskapitäne, welche für irgend einen der Primaten, bie Ihnen
das Kapital für die Schiffsladungen vorjchoffen und dann von
dem Gewinne ber Handelsfahrt erhebliche Zinfen erhielten,
arbeiteten; und die Primaten over „Oekokyräer“, vie herr
chende Kaffe. Die Stellung eines folchen Primaten war hier
nicht erblich; fie mußte mühſam erarbeitet werben und fiel
nur denen zu, bie durch glüdliche Seefahrten und Handels⸗
jpefulationen reich geworben, zum Beſitze eigener Häuſer ge
langt waren, und ein oder mehrere Schiffe durch andere
Kapitäne führen ließen. So war ihre Zahl wiederholt vem
Wechſel unterworfen. Bulgaris Hatte dann die Zahl ver
Primaten auf 24 normirt und zugleih das Finanzweſen ber
Infel dahin geordnet, daß von dem Gewinne jedes Yahrzeuges
die Abgabe von fünf Procent dem Gemeinweſen zufallen follte
Nun aber tobte innerhalb der Kreife der Primaten zu allen
Zeiten ein überaus heftiger Gegenſatz der Yaltionen, neben
dem auch demokratiſche Aufwallungen keineswegs ausblieben.
1) Zgl. Finlay 1. c. p. 88 qq. v. Maurer, ©. 5Lf.
Servinus, ©. 195 fi. Mendelsfohn-Bartholdy, ©. Al.
Miaulis, ©. 24f.
Spetzã. 875
Unter den Primaten der Inſel waren Familien wie die
Tſamados, die Kriezis, die Buturis, Miaulis, Sachturis,
Bulgaris, Tombaſis und namentlich die Konduriotis
bedeutend, welche letztere kurz nach der Austreibung der
Venetianer aus Morea (S. 210) von dem Dorfe Kundura
oder Kondura am Gebirge Karydhi in Megaris nach Hydra
übergeſiedelt waren, und jetzt bei wahrhaft enormen, nach
Millionen zählenden Reichthümern das höchſte Anſehen genoſſen.
Zur Zeit des neuen Aufſchwunges von Hydra und nachher der
Erhebung Griechenlands gegen die Pforte ſind die Brüder
Georg und Lazaros Konduriotis beſonders einflußreich ge⸗
weſen.
Auf der kleineren Inſel Spetzä, die nur acht⸗ bis neun⸗
tauſend Einwohner zählte, waren analoge Verhältniſſe; nur
daß bier die Verfaffung fih etwas mehr demokratiſch geitaltet
datte. Auch bier wurde feit 1802 durd den Kapudan⸗Paſcha
ein griechiicher Beh an die Spitze geftellt, den die Primaten
borjchlugen. Aber die Zahl der Primaten war bier erheblich
größer, als auf Hydra; das will jagen, die Oekokyräer jchloffen
fi hier minder Haffenartig ab, al8 auf Hydra, jeder neu zu
Reichthum gelangte Bürger konnte fich ihnen fofort zugejellen,
und namentlich die Zahl der Heineren Kapitalijten war hier
nicht gering. Außerdem batte ihre Klaſſe die Sorge für die -
wichtigften Angelegenheiten der &emeinde in ihrer Hand, jo
daß den vier ober fünf von ihmen ernannten Demogeronten
eigentlich nur Die exekutive Gewalt blieb. Endlich wurde bier
unter Umftänden auch die Verfammlung des gejammten Volkes
berufen. Spetzä batte fich etwas langſamer entwidelt, als die
größere Schwefterinjel; erjt mit dem Jahre 1810 war man
bier zur Erbauung größerer Schiffe von nambaften Umfange
porgefchritten. Unter den Primaten » Gejchlechtern dieſer
Inſel treten in diefer und ber folgenden Zeit namentlich
Die Meris, die Botafis, die Anargyros, die Bukuris, die
Andrutios, die Tſupas auf. Bis zur Zeit der neugriechiichen
Erhebung dominirten bier umſchichtig die mächtigen Tamilien
Mexis und Botafie.
316 Buch II. Kap. I. 5. Pſara.
Die Hydrioten, bie eine direlte Steuer nach Stambul
nicht zahlten, mußten feit Kutſchuk⸗Huſſeins Zeit jährlich em
Contingent von 250 tüchtigen Seeleuten fir die osmaniſche
Flotte ftellen (vorher, feit 1779, nur erſt 50), bie aus ben
Mitteln der Gemeinde mit etwa 16,000 Dollars jährlich
unterhalten wurben. Die Spetzioten hatten in derſelben
Weiſe jährlich bi8 zu SO Matroſen zu ftellen und zu unter
halten. Die Koften für dieſe Mannſchaften brachte vie Ge⸗
meinde Spetzä theils durch Eingangszölle auf, wie fie auch zu
Hydra beitanden, theils Durch eine geringe auf jede Familie
vertbeilte Kopfſteuer. Dazu kamen für beide Inſeln noch
werthvolle Gefchenfe, die man dem Kapudan⸗Paſcha, bem
Dragoman der Flotte, und anderen böberen Beamten ber
Admiralität in Stambul jährlih zu bringen gehalten war).
Neben dieſen kühnen albanefifchen, nur erſt in dem Über
gange zur Gräcifirung begriffenen Seeleuten nahm bamals we
nachher zur Zeit des Befreiungsfrieges gleihen Rang ein in
nautijcher, bereit8 in vielen Kämpfen, Corfaren- und Handels⸗
zügen erprobter, Tüchtigkeit und in kaufmänniſchem Aufſchwunge
bie weſentlich griechifche 2) Benölferung der Heinen Yniel
Pſara. Auf diefer hohen Yeljenklippe in der Nähe von
Chios lebten in dieſer Zeit ſechs⸗ bis fiebentaufenn Menſchen,
deren Intelligenz, Ruͤhrigkeit und Bildung unter den Griechen
berühmt war. In ihrer Art des gemeinjchaftlichen nautiſchen
Geichäftsbetriebes in derſelben Weiſe organifirt, wie bie Hr
brioten und Spegioten, ftellten im Gegenſatze zu Hydra bie
Piarioten eine reine Demolratie dar. Geber Bewohner vieler
1) Speziell Über Spetsä, aber mit vielen Seitenbliden auf Hydra und
Pfara, ſiehe Hier noch überhaupt Orlandos, Naurıxd, tom. I, p. 17— 0.
Miaulis, Die Juſel Hydra, ©. 13 f. u. 17 f. Bol. dann neh
Finlay le p. 4. v Maurer, © 51. Mendelsſohn—
Bartholdy, ©. 201.
2) Gegen den mehrfach (vgl. oben), auch von Hopf (fiehe noch
„Griechenl. im Mittelalter”, Bd. 86, &.185) angenommenen albanefljcen
Grundcharakter ber Pfarioten ſprechen unter ben Neueren namentlid
Finlay (l. c. p. 205. 206), Menbelsfohn-Bartholdy (&. 329)
und v. Hahn (Albaneſiſche Studien, Bd. I, S. 223).
Andere griechifhe Handelsplätze. 877
Inſel, ſobald er ein eigenes Haus hatte, oder Theilhaber einer
Handelsfahrt, oder auch nur einfacher Matroſe aber zugleich
Familienvater war, durfte an der jährlich zuſammentretenden
Gemeindeverſammlung mit vollgiltigem Stimmrechte ſich be⸗
theiligen. Dieſe Verſammlung wählte daun, ohne daß das
paſſive Wahlrecht an ein größeres Vermögen geknüpft war,
alljährlich vierzig Rathmänner, denen wieder die Ernennung
der ebenfali8 von Jahr zu Sahr wechlelnden Demogeronten
witand. Die leßteren führten nach griechiicher Weiſe die lokale
Regierung und waren bei allen wichtigen Angelegenheiten an
bie Zuftimmung ber Vierzig gewielen '). Unter ihnen ift
damals Nikolaos Apoſtolis beſonders nambaft.
Die Marine und der Flor der zahlreichen übrigen grie⸗
bien Inſeln, der alten und neuen griechiſchen Hafenplätze
konnten mit dem der bisher geſchilderten drein, nautiſchen
Inſeln“ nicht verglichen werben. Indeſſen gab es doch noch
une Punkte, die in diefee Periode zu höherer nautiicher Be
beutung fich hinaufgenvbeitet Hatten. Nur den SKüftenhandel
und den Verkehr zwiſchen den Inſeln des ägätfchen Meeres
betrieben auf Tleineren Schiffen die Albanejen von Poros, Kaſtri
und Kranidhi. Die nachher in dem Befreiungskriege zeitweile
ſehr wichtige Inſel Kaſos zwiſchen Kreta und Karpathos zählte
1821 bei einer Bevölkerung von 1500 Familien 15 Schiffe
bon mehr als 100 Zonnen Gehalt. Und auf dem griechifchen
Feſtlande beſaß ber theſſaliſche Handelsplatz ZTrichert an dem
Eingange in den Golf von Volo damals bei 400 Familien
30, die rührige lokriſche, den korinthiſchen Golf belebende
Handelsſtadt Galaxidhi endlich bei 600 Familien 60 Schiffe
verſchiedener Größe ). Das Hauptgewicht fiel aber immer
auf die drei Inſeln Hydra, Spegä und Pjara Als
diefelben nachmal® 1821 ſich der Erhebung gegen die Pforte
anſchloſſen, Ichlug man die griechiſch⸗albaneſiſche Handelsmarine
des griechiichen Landes ſüdlich von ven Thermophlen mit
1) Finlay 1. ce, vol. I, p. 206; vol. U, p. 49.
2) Ibid., vol. I, p. 40 u. 208.
378 Bud IL Kap. I. 5. Kybonia.
Einſchluß von Para, Kafos und Tricheri auf zuſammen
350 Schiffe (Schooner und Briggs) von 60 bis 400 Tonnen
Gehalt mit mehr als 12,000 Matroſen an, zu denen noch
ſehr viele Fleinere Fahrzeuge famen. Darunter bejaß Para
40, Spetzä etwa 60, Hydra 115 Schiffe von mehr als 100
Tonnen Gehalt. Das Durchdringen endlich bes jungen
Hellenismus auch auf Spegä und Hydra bezeugen die vielen
antiten Namen, die man fchon damals dieſen Schiffen zu
geben pflegte )).
Es gab aber auch noch viele andere Punkte der griechiicen
Welt rings um das ägäiſche Meer, wo fich ver jelbftänbige
neue materielle Aufichwung dieſes Zeitalters energiich bemerk
bar gemadt bat. Um nicht wieder oder noch nicht wieder
von Chios und anderen befjer fituirten Inſeln zu veben, Io
war damals der Stolz der Eleinafiatiichen Griechen di
herrliche Stadt Kydonia. An der Oftlüfte nemlich de
Golfes von Adramyttion, der Inſel Muskoniſia und dem
nördlichen Lesbos gegenüber, hatte ſchon lange eine ärmliche
Anſiedlung, von den Türken Aiwaly, von den Griechen
Kydonia, das Quittendorf, genannt, beſtanden, die nun jet
der Mitte der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts
rafch zu einer blühenden griechiichen Stadt emporwuchs. Ein
Bürger diefer Heinen Anſiedlung, der hochbegabte, energiſche
und gewandte Bafilianerpriefter Johannes Oekonomos,
ein glühender Patriot, erlangte bei der Pforte die Regierung
ſeines Geburtsortes und zugleich jehr erhebliche Privilegien für
feine Heimath. Türken follten bier nicht wohnen, die Leitung
der Geichäfte nur in ben Händen der alljährlich neu an bie
Spite geftellten Primaten liegen. Dem Paſchalik von Bruſſa
zugetbeilt, wurde Kydonia mit überrafchender Geſchwindigkeit
1) Finlay l. c., vol. I, p. 206. Mendelsfohn- Bartbolby,
S. 200. Orlandos (l. c. p. 55 sg.) rechnet 1821 für Spegä ned
genauer die Zahl von etwa 50 großen, auch für ben Seekrieg zu
braucenden Schiffen; für Hydra dagegen (neben einer größeren Zahl
Älterer, daher zum Seefriege nicht gut zu verwendender) 60, für Bfare
40 folder Schiffe.
Die theſſaliſche Inbuftrie. 879
eine prächtige Stadt, die 1820 in 3000 jteinernen Häuſern
eine rein griechtiche Bevölkerung von 30+ bis 40,000 Seelen
zählte und zu den lebhafteften griechtichen Handelsplätzen biejes
Beitalters gehörte. Vierzig Olmühen, dreißig Seifenfabriten,
verſchiedene andere Manufalturen zeugten für ben regen Ges
werbfleiß. Zwei wohlverſehene, auf Koften der Gemeinte
erbaute Hospitäler, und namentlich das 1813 gefchaffene,
wegen feiner trefflichen Lehrer von mehr als 300 Schülern
beiuchte helleniſche Gymnaſium waren der Stolz dieſer jungen,
damals fo glücklichen Gemeinde *).
Auf dem griechiihen Feſtlande in Europa war unter
Selims III. den Griechen wohlwollendem Regime, und von
Ali-Paſcha in Sanina gern geſehen, neben dem Flor ver
epirotifchen Hauptſtadt bie theſſaliſche Induſtrie zu
merfwürbiger Blüthe gediehen. Bier ſtand namentlich das
Sehiet des unteren Peneios in Flor. Turnovo, nicht viel
über drei Stunden nördlich von Lariffa an dem zum Peneios
frömenden Xeragi belegen, der Sit überaus zahlreicher
Türkiſch⸗ Roth⸗Garn⸗Fabriken, von einer faft ganz griechiichen
Devölferung bewohnt, hatte auch in feinem Ausfehen einen
weientlich europäifchen Charakter angenommen. Die einft
duch Turachan eifrig geförberte, ſchon im fiebzehnten Jahr⸗
hundert bebeutende Stadt war zu neuem Aufſchwunge gevieben.
Der Reichtum Theſſaliens an Baumwolle, wovon dieſes Ge-
biet jährlich 3000 Ballen erzeugte, dazu die Kunft, ben im
funfzehnten Jahrhundert durch die Türken in das Land ges
braten Krapp mit Ginfter und der Kalipflanze (für Pottafche)
zur Färbung zu verwenden, bildeten die Unterlage dieſer
Induſtrie, welcher in dem bulgarifchen, nördlich von Turnovo
belegenen, Tiharitihena, unterjtügt durch die prächtigen
theſſaliſchen Maulbeerbäume, eine lebhafte Seivenweberei zur
Seite ging. Die reichte Blüthe gedieh aber unter analogen
1) Bgl. v. Maurer, Bd. I, ©. 19. Gordon hei Zintetjen,
I, S. 247 f. Gervinus, ©. 86. Finlay 1. c., vol. ],
p. 221.
880 Bud II. Kap. J. 5. Die thefialifche Induſtrie.
Umftänden, wie zu Turnovo, in dem Städtchen Ambelakia,
mit 4000 Seelen, norböftlic von Lariſſa auf einer hoben
Dffa-Halde an einem zum Peneios ftrömenven Bache belegen.
Die als Hausinbuftrie betriebene Garnfärberei, bie hier ſehr
geſchickt organifirt war, verbreitete zu Ende des achtzehnten
Jahrhunderts und während der Zeit der Continentaliperre
Arbeit und Wohljtand ringsum. Denn nicht mır die Türke,
fondern auch Öfterreich und Deutichland, ja felbft England,
wurden von Hier aus verjorgt. Peſth, Wien und Leipzig
wurden Hauptniederlagen unb Mittelpunfte des ,,türkiichen‘
Garnhandels, und große Summen floffen aus dem Abenblande
nad Theffalien. Nur dag nachmals das theſſaliſche Han
geſpinuſt dem Fortichritte der brittiihen und dem Aufſchwunge
ber deutſchen Induſtrie, und die Färbekunft der europäijchen
Ehemie nicht hat Schritt halten Tünnen, und ſchon gegen Fit
des neunzehnten Jahrhunderts jelbft auf der Balkanhalbüd
burch bie brittiiche Concurrenz arg geichädigt worden it‘).
Das allgemeine Gebeihen erſtreckte fich auch auf Das früher
fo hart mitgenommene Morea. Diejes an Hilfsquellen to
reihe Land zählte doch ſchon zu Ende des achtzehnten Jahr⸗
hunderts wieder eine hrijtliche Bevölkerung von nahezu
340,000 Seelen, die fi dann bi8 1820 auf die Höhe von
iiber 458,000 vermehrt bat ?). Selbit die harten Maniaten
entzogen fich unter der Leitung intelligenter und wohlmeinenver
Beis diejer Richtung innerhalb der griechiichen Welt keineswegs.
Allerdings berrichte vorzugsweile bei dieſem Zweige des nen
griechiichen Volkes noch der unruhige Geift vor, der fih in
Fehden ver Familien, der Parteien, ver auf die höchſte Gewalt
in ihrem Lande eiferfüchtigen Häuptlinge, und in gelegentlicen
1) Vgl. Fallmerayer, Fragmente aus dem Orient, Thl. I.
©. 218—234, Gervinus, ©.86. Finlay, Greece under othoman
and venetian domination, p. 844.
2) Hopf, Griedhenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 190, nad
Gordon Bei Zinteifen, ®b. I, ©. 83. Bol. auh Graffet St
Sauveur, Beidreibung ber venetianifhen Befigungen in Griechenl,
überf. von Sprengel, S. 240 ff.
Moratbonift. 881
Naubfahrten andauernd Luft machte. Dabei aber fühlten fie
fich jett gänzlich ala „Hellenen“; fie wollten als Abkömmlinge
ber alten Spartiaten gelten (obwohl ſelbſt das helleniſche
Element in ihrer Miſchung nur auf die alten Elentherolakonen
zurückgeführt werben kann), und hörten es gern, wenn in dem
legten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts der Dichter
Niphakis Nikitas fie als die Kinder des alten Sparta
pries. Ganz im Sinne der neuen Zeit aber war es, daß
ſeit Hhdra's neuem Aufblühen etwa 400 Maniaten regelmäßig
auf buoriotifchen Schiffen dienten, daß auch die Maniaten fich
auf den Küſtenhandel zu legen anfingen, nech mehr, daß
ver berühmte Tzanetbei oder Tzannettis Gregoralis
(S. 292), einer der tapferften, populärjten und hoch—
itrebendften Pürften der Maina, während feiner Berrichaft
in der Maina eine neue Stadt gründete. Tzanetbei bat
uemlich in ver Nähe der Ruinen des alten GEytheion, gegen-
über der Heinen Inſel Marathoniſi, ber „Fenchelinſel“,
die im Alterthum Kranad bieß, eine neue ftädtiiche Anlage ins
ben gerufen, auf welche feitvem der Name Marathonifi
überging, und welche al$ der natürliche Ausfuhrhafen für die
Produkte Des Eurotasgebiete® und der ſüdöſtlichen Maina
— des Ols und der Seide non Mifithra, des Ols, bes
Honigs und der Gerbereicheln (Valanidia) der Mainı —
ſchnell zu einem lebhaften Hanvelsplage emporwuchs, wo ſich
zugleich für längere Zeit der Sitz des maniatiihen Beis
befand ?). Nicht weniger lebhaft für das materielle Gedeihen
1) Über jenen Dichter und fein berühmtes Gebicht, welches bie
damaligen Zuftände der Maina ausführlich fchildert, namentlich den
Zzanetbei, feine Kriegstbaten und die Gründung der Stadt Maratbonift
feiert, flehe namentlid Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 332 qg.,
über die maniatifchen Seeleute p. 248. v. Maurer, Das griechifche
Bolt, Bd. 1, ©. 190ff. (u. Bd. UI, S. Iff.). Hopf, Griechenland im
Mittelalter, Bd. 86, S.185 und Nicolai, Geſchichte der neugriechiſchen
titteratur, ©. 208. Über Marathonifi vgl. Leake 1. c. p. 234.
240 agg. 245 sag. 249 8q. 8. Roß, Griechiſche Königsreijen, Bo. IL,
©. 231ff. u. 237. v. Maurer, Bd. I, ©. 19.
882 Bud IL Kap. I. 5. Petros Mauromichalis, Bey der Maine.
jeiner Maniaten war der wackere und intelligente Dann
beforgt, welcher bereit während der lesten Jahre vor dem
Ausbruche des neugriechiichen Unabhängigkeitskrieges als letzter
Den der Maina regiert bat. Es war biejes der nachmals jo
berühmt gewordene Petrobei (gejtorben 1848) von Limeni
bei Zjimova, der feit 1811 an der Spike der: Maina
ftand 2). Diefer Fürft, der Liebling der Maniaten, der unter
dem unbändigen Volke fich eines außerordentlichen Anſehens
erfreute, war jeiner Zeit den Griechen nur „vwie durch ein
Wunder’ erbalten geblieben. Bei den mörberifchen Kämpfen
des Jahres 1770 mit den fiegreich nach dem tiefften Süden
bes Peloponnes vorbringenden Albanefen ?) war (S. 231) ver
alte tapfere Sohbann Mauromichalis in einem feiten
Plate belagert geweien und aus dem Feuer des durch eim
moslemitiiche Bombe in Flammen gefetten Pyrgos und km
Flintenfeuer der Schkypetaren allein mit dem Knaben Bette?
entlommen. Diejer Petros Mauromichalis regierte ſchließlih
die Maina mit faft monarchifhem Anjehen. Die große Aus
dehnung und die weit verzweigten Familienverbindungen, wie
auch der Neichthum des Hauſes Mauromichalis; ver alt
fürftliche Ahnenſtolz des Petrobei; die Schönheit und bie
Würde jeiner perjönlichen Ericheinung; feine Leutjeligfeit und
jeine milden Sitten, imponirten nicht lediglich feinen Maniaten,
jondern auch europätichen Beobachtern. Hat auch die jpätere
Zeit gezeigt, daß ihm die Gaben fehlten, ver eigentlice
Führer der neugriehiihen Bewegung zu werben, fo ift bob
immer das lebendigſte Intereffe für das Wohl feiner Ma
niaten ibm nachgerühmt worden, deren Armuth zu tilgen, denen
neue Erwerbsquellen zu eröffnen, die regelloje Räubernatur
1) Hopf, Griechenl. im Mittelalter, Bd. 86, ©. 185.
2) Als Schaupfaß diefer Scene nennt Mendelsfohn-Bartholdr
(Geſch. Griechenl, Bd. I, S. 182f.) den Pla „Mylipyrgos“. Sathas
(l. c. p. 601 sqq.) gibt an, daß dieſer Vorfall ſtattfand (S. 231) bei
dem wilden Kampfe zu Niſi, durch melden Johannes Mauromichalis
damals den Rückzug der Ruſſen nach Navarinon decken wollte.
Die reichen Griechen im Auslande. 8883
abzugewöhnen, Bildung zuzuführen, fein eifriges Bemühen ges
weſen ift *).
Die bedeutendften Erfolge hatten damals aber doch immer
im Großen jene Griechen, die fich entweder in den großen
Handelsplägen des fünlichen Europa nieverließen und bier
gewaltige, dann wieder mit höchiter Treigebigfeit und Wohl⸗
thätigfeit verwendete, Reichthümer erwarben, wie namentlich
die gefeierten, opferfreudigen griechiſchen Batrioten, die eptrotifchen
Brüder Zofimas in Livorno, Moskau und Niſhnew⸗Nowgorod,
und der berühmte Pfarier Johannes Varvakis, der in
Atrahan und Taganrog ein enormes Vermögen erwarb, und
deſſen jährliche Einkünfte die Höhe von einer Million
Rubel erreicht haben follen 2), — oder aber in Stambul
unter denn Augen der Pfortenregierung große Handelsgeſchäfte
betrieben. Der Wunfh Selims III, durch Conceffionen an
die griechifchen Untertbanen ver gefährlichen Ausdehnung des
Beratſyſtems der fremden Mächte (S. 329) zu begegnen, gab-
1) Über Betrobey fiche fhon hier Leakel.c.p. 312. 314sq. 316 ;
minder günftig Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 183. Günſtiger
Brandis, Mittheilungen über Griehenland, Thl. III, ©. 254 fi.
Gervinus, ©.183. — Die Unterabtheilungen der Maina waren nicht
immer biefelben. Abgeſehen von der (S. 59. u. 221) natürlichen Gliederung
de8 Landes und der anſcheinend barauf ſich ſtützenden Theilung in vier
Eyardien, fo unterſchied man eine Anzahl von Kapitaneien, die nicht
immer dieſelbe blieb. Es ſcheint, daß unter dem Bei direkt eine Anzahl
von Stadt- und Dorflapitänen fand, daß aber neben ihm mehrere.
größere Kapitäne fich hielten, die nicht immer geneigt waren, insgeſammt
dem jeweiligen Bey zu huldigen; aus folden Familien gingen dann bie
Nachfolger des jedesmal regierenden Bey’s, aber auch bie wüthenden Gegner
defielben bervor. Graffet St. Sauveur („Die venetianifchen Be—
ſitzungen“, überf. von Sprengel) wußte (S. 265 ff.) nur von vier
Kapitänfchaften. Reale (l. c. p. 315 sq.) kannte während der Napo-
leoniſchen Periode fieben größere Kapitäne bei Namen, während wieber
Gordon bet Zinteifen (Bd. I, ©. 180) die Maina mit 100 Städten
und Dörfern 1820 in neun Kapitänfchaften und brei unabhängige
oz einmejen getbeilt nennt. Bol. endlih v. Maurer, ©. 72.
fl.
2) Bgl. Gervinus, ©. 87 u. 89. v. Maurer, ©. 439.
384 Bud II. Kap. I. 5. Die Infelgriechen.
unter eifriger Mitwirkung des damals in höchſter Gunſt
jtehenden Großdragomans Demetrios Murufis, der dem Sultan
bei allen zur Ausſöhnung der Rajah verfuchten Maßnahmen
bie Hand bot, die Möglichkeit zur Bereinigung der Griechen
der Hauptſtadt und der großen levantiniichen &mporien zu
einer großen Handelsgeſellſchaft, weiche die Vorrechte aller in
ber Türkei anfälfigen Unterthanen fremder Staaten geneh').
Daneben fanden’ aber andauernd auch ſolche Injelgrieden,
die nicht als große Kaufleute nach Stambul und anderen
türfifchen Gentralplägen überfievelten, an dieſen Orten
in Mafje ihren reichen Gewinn. Nach einer intereffanten
Skizze eines der beften Kenner des heutigen türkiſch⸗griechiſchen
Drientes ?) liebten es die Infulaner, in allen nur möglicen
Erwerbszweigen fich nach diefen Orten zu begeben. Ging anf
der Injelgrieche gern nach Jaſſy und Buchareft im die Gurk
der Hospodare, jo lieferten die weniger als Pſara, Kaſoß.
Kalymnos, Patnos nautiih belebten Eilande Vertreter aller
möglichen bürgerlichen Gewerbe. Tinos uud Syra ftellten
jpeziell Die beiten Köche; die Kykladen und Sporaden lieferten
und liefern noch Heute die brauchbariten Dienſtmädchen in ver
Levante, Tinos, Stra und Nikaria endlich die meiſten Bonnen
und Ammen.
Parallel aber mit dem neuen materiellen Aufſchwunge ber
griechischen Welt und zum großen Theile auf dieſen geftükt,
ging nun unter dem gewaltigen Eindrucke ber ftürmiſchen
Dewegungen in ganz Europa feit dem Ausbruche ber fran-
zöfiichen Revolution bis zum vollftändigen Nievergange bes
ersten franzöfiichen Kaiſerthums der kraftvolle geiftige Auf-
ſchwung des Griechenthums, durch welchen die fich verjüngende
und zugleich zu dem antiken Hellenismus zurüdgreifende Nation
in diefer Zeit ganz vorzugsweife die Sympathie der gebildeten
Welt des Abendlandes zu gewinnen begann. 8 gab in bieler
Richtung namentlih Drei Momente, durch welche die geijtige
1) Bgl. Gervinus, ©. 8. v. Maurer, ©. 20.
2) ®gl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 3.
[1
Studien junger Griechen in Europa. 385
Wiedergeburt der griechiichen Nation in ber bier vom ung
geihilderten Periode wejentlich gefördert worden tft. Im
erjter Reihe fommt bier das Studium der jungen Griechen
in Europa in Betradt. War bis zu dem Zeitalter ber
franzöfiichen Revplution Italien Das Land geivefen, wo feit
Alters die beffer fituirte Jugend ihre Höheren Studien gemacht
hatte: jeßt zogen junge Griechen in immer wachſender Zahl
auch nach den Studienjigen Frankreichs, Englands und Deutich
lands, um port höhere Bildung zu gewinnen. Damit wuchs
von Jahr zu Jahr die Maſſe der gebildeten Griechen, welche
theils als Ärzte, theils als Lehrer ihres Volles den Beruf
und den Willen in fih fühlten, an der Erneuerung ihrer
Nation mitzuarbeiten und den Gedanken der zurüdzugewinnenben
Unabhängigkeit von der Herrichaft ver Pforte in immer weitere
Kreife zu tragen. Eine Thätigfeit, die um fo folgenreicher
werden mußte, weil der private wie der öffentliche Lehrftand
in vollkommener Unabhängigkeit fich bewegte.
Einen ftarten Rückhalt erhielten aber dieſe Beſtrebungen
an der Entjtehung von mehreren großen bellenifchen Bildungs⸗
anftalten auf der Peripherie der griechtichen Welt. Sehen
wir bier ab von den beflenifchen Schulen in Livorno, Zrieft
und Venedig, von der helleniſchen Schule und Druderei in
Dien, von der ſlawo⸗gräco⸗lateiniſchen Akademie zu St. Peters-
burg, und von dem 1814 bis 1816 durch ben griechiichen
Handelsftand zu Odeſſa organifirten Hanbelsgymnafium, fo
fam bier in erjter Reihe das fanariotiihe Rumänien in
Betracht, wo unter der Regierung des Hauſes Hypfilanti
(©. 296 u. 322 ff.) das Griechenthum eine Zeit lang eine neue
Eroberung machen zu follen fchien, parallel mit der damals
(©. 206) in vollem Zuge begriffenen Gräcifirung der Bul-
garen. Die helleniſche Hochſchule zu Buchareſt hatte ſchon
1698 den Charakter einer Akademie angenommen. Aber
ihre volle moderne Blüthe gewann fie erft feit 1795 unter
der trefflichen Leitung des Lampros Photiadid aus Yanina.
Nach feinem Tode veranlaßte der ruffiich-türfifche Krieg eine
Hersberg, Geſchichte Griechenlands. II. 25
836 B. II. Q. J. 5. Helleniſche Akademien zu Bucharefi, Stambul u. Korfu.
Schließung des Imftitute® (1806— 1810), weldes nachher
durch den Erzbiihof Ignatios (S. 349), den Präfidenten ber
damals (1810) unter ruſſiſchem Schute neu geftifteten gräco-
dakiſchen Titterariichen Gejellfchaft, mit Einkünften aus ben
Kircheniprengeln der Walachet nusgeftattet, 1815 aber umter
dem Einfluffe des berühmten Schriftteller8 (geboren 1788 in
Stambul) Jakovakis Rhiſos Nerulos, der in der fanariotijchen
Verwaltung Rumäniens eine fehr bedeutjame Stellung einnahm
und an der Spite des Schulwejens ftand, der Leitung eines
ausgezeichneten epirotiſchen Hellenijten, des Neophyto8 Dufas
aus Zagori (geboren 1760), eines feurigen griechiichen Patrioten,
unterjtellt wurde !). Parallel mit den Arbeiten der griechiichen
gelehrten Patrioten an der Dimbowita, neben welchen auch bie
Centralichule zu Jaſſy ihre hohe Bedeutung hatte, ging da
Aufblühen einer neuen großartigen helleniſchen Bildungsazfalt
zu Stambul felbft, welche unter Zuftimmung des Sultun
Selim IH. durch deſſen damaligen griechtichen Günftling, ven
ihon mehrfach erwähnten Demetrios Murufis und deſſen
Tamilie 1804 ind Leben gerufen wurde. Dieſe Hohe Lehr⸗
anftalt zu Kuru⸗Tſchesme am Bosporus, unter Sanction des
Patriarchen und der Synode von den angejeheniten Fanarioten
unterhalten, und zunächit duch den Mathematiker Theodor
Proios aus Chios geleitet, die auch den Realwiſſenſchaften
einen bedeutenden Raum gewährte, wurde die Schule, der
nicht wenige der namhaften Griechen bes Unabhängigkeits⸗
frieges ihre Bildung verdankt haben ?). Ferner ft die kurze
Zeit jchattenhafter Selbftändigfeit ver Republik der tonijchen
Injeln auch durch die Stiftung einer böberen Lebranitalt
bezeichnet worden. Im Jahre 1808, „in der 647. Olymptabe”,
bereit8 wieder unter franzöfifher Hoheit (S. 338), wurde
nemlih in Korfu die neue jogenannte ioniſche Alademie
gegründet ; e8 war ein wiſſenſchaftliches Inſtitut mit drei
1) Bgl. Nicolai, Geſchichte der neugriechifchen Kitteratur, S. 117f.
176.
2) Ebend. ©. 110f.
Entftehung neuer helleniſcher Gymnaſien. 887
Lehrkurſen, für Phyſik und Mathematik, für Ethik und Politik,
für Philologie und Kunſt ?).
Noch fühlbarer aber wurde die Wirkung der während
bieier Periode, und zwar unter fpezieller Begünſtigung des
Sultand Selim IL., allenthalben in dem Bereiche ber
inneren griechiichen Welt neu entjtehenden over zu neuer
Kraft belebten und verjüngten Schulen und helleniſchen
Oymnajien, bei deren Stiftung und Dotirung ſich nament-
fh die Privatwoplthätigkeit reicher patriotifcher Griechen in
großartiger Weije geltend machte. Der griedhiihe Handels.
tand, in erjter Reihe die griechiihen Häufer im Ausland,
wie in Odeſſa und anderen ruffiichen Emporien, bier wieder
die Zofimaden und Varvakis an der Spike, in Wien, in Trieft,
in Livorno, aber auch in Stambul und in den griechiichen
Provinzen der Pforte, ijt es ſehr weſentlich gewefen, ver fein
Intereſſe an Volksbildung und Wiſſenſchaft in außerordentlich
reihen Schenkungen und Stiftungen praftiih an ven Tag
Igte. Bon Alters ber behaupteten hier unter dem Einfluffe
dev opferfreudigen Freigebigfeit der Zofimaben, wie auch des
Hauſes Marutfis, die blühenden Lehranftalten in Janina
ihren Ruf bis zu der traurigen Kataftrophe viefer glänzenden
griechiichen Stadt im Jahre 1820. Auf Samos begegnen
bir in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts einem
„Pythagoreum“; auf Chio 8, deſſen Hauptſtadt ſich im Beſitze
eines Gymnaſiums und Muſeums befand, ſtiftete Varvakis
eine reiche Bibliothek und eine Druckerei. Kydonia (S. 378)
mit ſeinem ſeit 1813 beſtehenden, namentlich durch die reiche
Familie der Saltellis geſchaffenen, Gymnaſium wurde eine
beſonders blühende Bildungsanſtalt. Hier herrſchte der Ein⸗
fluß eines ſehr merkwürdigen Griechen, des Theophilos
Kalris von Andros, der als Mönch in einem Kloſter feiner
Inſel mit, unſäglicher Anſtrengung ſich weiter gebildet, dann
ſeine Studien in Frankreich fortgeſetzt hatte, und nun an der
Seite ſeiner dichteriſch begabten Schweſter Euanthia in der
1) Bl. Nicolai, ©. 121.
25 *
888 Buch II. Kap. L 5. Entſtehung neuer helleniſcher Gymnaſien.
Stabt des Oekonomos hellentfche Kultur pflegte. In Smyrna
beitand fchon jeit älterer Zeit die „Evangeliſche Schule‘, bie
auch in der zweiten Hälfte des achtzehuten Jahrhunderts jehr
bedeutende Schüler heranbildete. Eimer berielben, Agapios
mit Namen, ſchuf die ältere Klofterfdule (S. 201) zu
Dimitzana im Peloponnes (um 1764) erit zu einem Gym-
nafium neuerer Art um, welches dann wieder die Dlutteranftalt
mebrerer anderer Inftitite wurde. In Smiyvna jelbit entftand
1809—1818 das neue ‚Bhilologiiche Gymnaſium“ unter ver
Leitung des in Wien gebildeten Konſtautin Kumas von Lariſſa
(geboren 1777) und der Brüber Stefanos und Konftantin
Oekonomos (geboren 1780) aus dem theifalifchen Tſcharitſchena.
Diefe Anftalt, die fchon 1812 mehr denn 300 Schüler zählte,
ftügte fich mit befonberer Euergie auf das Studium dr
Antife und gewährte auch den Realwiſſenſchaften einen ber
tenben Raum. Allenthalben wurden aus dem gebildeten Curom
neue befjere Lehrmethoden, Lehrmittel aller Art, neue um
praktiſche Lehrbücher für Die verfchiedenen Disciplinen eingeführt,
Bibliotbefen und Buchdruckereien gebildet, Hin und wieder
fogar die Ausbilbung der Schüler in körperlichen Übungen
wicht vergefien. Mit der Wiederbelebung der Antile im ven
gebildeten Kreiien, mit dem Kinbringen moderner Bildung
ta immer weitere Kreife und in immer größere Ziefen ber |
Nation, erwachte nun weit und. breit in der geographiſch
fo viel getbeilten Nation immer ftärfer das Bewußtſein ber
Bufammengebörigfeit und zugleich die beige, durch die geſammte
Temperatur dieſes Zeitalters gefteigerte und gemäbrte,
Sehnſucht nach ihrer endlichen Befreiung von ber Herricaft
der Osmanen, denen fich der Grieche geiftig und wirtbfchaftlic
auf vielen Stellen des Reiches der Pforte immer bejtimmter
überlegen zu fühlen begann). Daneben aber trugen Griechen
mit dem wieder erwachten Wanbertriebe ihrer Nation nicht nur
1) Bgl. v. Maurer, ©. 434 fi. Nicolai, S. 112 fi. 119 f
Mendelsfohn-Bartholdy, Gefchichte Griechenlands, Thl. J, &.29.
Gervinus, ©. 88 ff.
Die Bühne der Neugriechen. 580
den griechiichen Hanbelsgeift, ſondern auch griechiiche Schule
und Wiſſenſchaft jelbft bis nach Hindoſtan, wie Demetrios
Galanos aus Athen, um 1800 Lehrer in Kalkutta und als
Indologe neben Gregor von Siphnos (1815 in Dalfa)
genannt.
Hand in Hand mit dieſer Neubelebung des griechiichen
Nattonalgeifte® durch Schule und Erziehung ging ein neuer
Aufihwung der Litteratur. Nur daß für die nächte
polttiiche Zukunft Griechenlands und der griechtichen Nation
bie gelebrten Patrioten,, die gelehrien Vorkämpfer ves
Hellenismus unvergleichlich beveutungsvoller geworben find, als
— jenen gewaltigen Rhigas von Beleftino ausgenommen —
bie Vertreter der redenden Künſte. Griechiiche Dramatiker,
wie der treffliche Johannes Zampelios aus Leukas, zur Zett
der jungen tonilchen Republik „Erzrichter“ des Keinen Injel-
taates, umd der bochbegabte Staatsmann (S. 386) Jakovakis
Rhiſos Nerulos in Buchareft, waren allerbings bebeutenbe
‚poettiche Erjcheinungen in diefer Zeit. Aber ihre Wirkſamkeit
nah dieſer Richtung Hin konnte Doch nur eine fehr beichräntte
bleiben. Bei ver damaligen Lage der griechtiihen Welt fanb
allerbings der geiftige Wiederaufichtvung der griechiſchen Nation
auch auf ver Bühne feinen Ausdruck, natürlich nur auf ver
Peripherie. Die griechtihen Theater in Korfu, in Buchareſt
und Jaſſy, in Odeſſa dienten in ihrer Weiſe ebenfall® den
patriottichen Beftrebungen. Aber lange bat man fich bier mit
ber Überfegung und Nachbildung italienifcher und franzöſiſcher
Stüde (namentlich Voltaire's) beholfen. Zampelios wanbte
fh der herben, patriotiichen Muſe Alfieri's zu; fein „Qimo-
leon“ wurde allerdings in Buchareft mit demſelben Enthuſias⸗
mus aufgenommen, wie bes Nerulos den franzöftichen Klaffitern
nachgebilvete patriotifche Dramen ‚‚Aspafia” und „Polyrena“,
deren erſtes 1811 in der walachiſchen Hanptftadt, und nachher
mit dem zweiten Stüd in Odeſſa, Jaſſy und Korfu wiederholt
mit bedeutendem Erfolge aufgeführt worben ift. Nur daß dieſe
Art der Kumftdichtung und litterarifcher Agitation, die nur
wenig mit der ungeftümen Naturfraft des Volksliedes der
30 Buch II. Kap. J. 5. Konftantin Oekonomos.
Gebirgskrieger gemein hatte, doch nur auf eine fehr bünne
Schicht gebildeter Griechen einzuwirken vermochte ?).
Unvergleichlich wirkungsvoller, auch nach Seiten des Abend»
landes bin, zeigte fich dagegen die Arbeit der gelebrten
Patrivten. Die Sympathie des gebildeten Europa bat fi
gerade während der jtürmiichen Zeit von 1789 bis zum Aus
gange des Napoleoniihen Kaiſerthums immer entſchiedener
vem aus langer Nacht wieder eriwachenden Griechenthum
zugewenbet, deſſen jugenpliche Repräfentanten an den Bildungs⸗
ftätten des Abendlandes fich wiſſensdurſtig jammelten, beijen
tüchtigite Gelehrte in ernjten Studien fih an der Antike
wieder aufzurichten bemüht waren. Und parallel mit ber
neuen geiftigen Erhebung der Griechen Tief der gejteigerte Zug
europäilcher Forſcher nah dem alten klaſſiſchen Boden de
Landes der Hellenen; jener zahlreichen Reiſenden aus alen
Kulturländern des Weftens, bie — in eriter Reihe den ix
länder Leake zu nennen — mit immer neuen antiquarticden
Entdeckungen auch eine immer lebhaftere Theilnahme für bie
Intereifen des lebenden Gejchlechtes der Griechen nach ihrer
Heimath zurücdbrachten 2). Deehrere jener griechiichen Gelehrten,
beren Blüthe bereits in dieſes Zeitalter fällt, Haben auch
nachmals zur Zeit des Freiheitsfampfes und unter König Orte
eine bebeutfjame Rolle geipielt. Unter den höchſt zahlreichen
Griechen diefer Art erinnern wir bier nur an Männer wie
jener (S. 388) theffaliihe Konftantin Defonomos?),
ber feine Laufbahn als Priefter in der Heimath begonnen, fid
bei der Erhebung (S. 343) des Euthymios Blachavas bedenklich
compromittirt hatte, mit Mühe nur der Nache Ali's von
Janina entronnen war, und nachher (feit 1809) in Smyrna
feinen glänzenden Ruf als hinreißender Kanzelredner, theologiſcher
Forſcher, tüchtiger Philologe und ausgezeichneter Erzieher be
1) gl. Nicolai, S. 150ff. 177 ff. 179. und Mendelsſohn—
Bartholdy, Thl. L ©. 27f.
2) Bgl. Hier auh Gervinus a. a. O., Bb. V, Thl. 1, ©. I6fl.
3, Nicolai, ©. 126.
N. Vamwas und N. Dulas. Korais. 391
gründete. Ferner Neophytos Vamwas (1770 zu Chios
geboren), ein namhafter Lehrer, Theologe und Sprachfenner,
der einige Zeit zu Conftantinopel als Lehrer thätig war, feit
1807 in Paris philofophiiche und naturwilienfchaftliche Studien
trieb, und zulett längere Sabre die gelehrte Schule in feiner
ſchönen Heimath leitete, bis ihn der Ausbruch des Freiheits⸗
fampfed 1821 an die Seite bes Fürjten Demetrios Hhpfilanti
führte 1). Weiter jener (S. 386) Neophytos Dukas im
Buchareſt, ven namentlich feine reine Liebe zu Schule, Bildung
und Altertbum, jein Fleiß und fee Opferfreubigfeit den
Öriechen theuer, gemacht haben ?). „Alle dieſe Männer und
zahlreiche zeitgenöſſiſche Geſinnungsverwandte und Mitftrebende‘‘,
jagt ein neuerer Geſchichtsſchreiber,, gingen nicht ſowohl darauf
aus, Formenſchönheit und Reiz der Darſtellung, als vielmehr
Ernſt und Tiefe der alten Klaſſiker zu erkennen und ſich
anzueignen. Es galt, die politiſchen Principien, Charaktere und
Sitten der Alten dem aufſtrebenden Geſchlecht als einen
Spiegel vorzuhalten, ſtatt des Anakreon den Thukydides, den
Demoſthenes, als ewig leuchtende Muſter helleniſcher Geſinnung
hinzuſtellen.“ 3)
Weitaus der hervorragendſte Vertreter dieſer Richtung,
und neben dem Grafen Giovanni Kapodiſtrias der in Europa
wie unter den Griechen einflußreichſte helleniſche Mann dieſes
Zeitalters des „Sturmes und Dranges“ der neu erwachten
Nation aber, war Adamantios (Diamantis) Korais (Coray).
Der Sohn eines auf der Infel Chios anfäffigen wohlhabenden
Kaufmanns, am 27. April 1748 zu Smyrna geboren, wurbe
Korais zuerft in feiner Geburtsftabt an ver „Evangeliſchen
Hochſchule“ (5.388) in die theologifche und philologiiche Wiſſen⸗
Ihaft eingeführt. eich begabt und voll zäheſter Arbeitskraft,
berjucchte er fich zuerst als Kaufmann, dann aber nach ber
1) Bgl. Nicolai a. a. O. ©. 128 ff. Finlay, History of the
greek revolution, vol. I, p. 213.
2) Nicolai, ©. 132.
3) Mendelsfohn-Bartholdy a. a. ©. ©. 28.
BHR Bud IL. Rap. I. 5. Korals.
damaligen Art fo vieler Griechen als Student der Medicin.
Nah Vollendung feiner Studien in Medicin (1782 — 1788
zu Montpeliier), Theologie und Philologie an ber Haupt
plätzen wilfenfchaftlicher Bildung in Frankreich und Stalien,
wurde er ein Hanptvertreter der modernen griechifchen Wiſſen⸗
ſchaft. Ein glühender griechiiher Patriot, voll Begierde zu
lernen, um ſodann fein Volk zu belehren, hatte er fich fchen
vor Ausbruch der franzöfiichen Revolution in Paris nieder
gelafjen und übte von dieſem Mittelpunkte der damaligen
Welt mehr: denn funfzig Sabre hindurch bis zu feinen Tode
in Paris (6. April 1833) auf fein Volk ven ftärkiten
Einfluß aus. Ein durchaus lauterer Charakter, em anf
gezeichneter Gelehrter, lebte er im ftolzer Einfachheit und
bei feiner &leichgültigfeit gegen Reichthümer in ,, anftänbiger
Armuth“, nur für Die großen Imtereffen feiner Nation
thätig.
Die Thätigleit und der Einfluß dieſes außerordemtlichen
Mannes machten fich nach ſehr verſchiedenen Richtungen bin
geltend. Überwiegend nach ber wiffenfchaftlichen Seite hin
bedeutſam wurben feine philologijchen Arbeiten. Die von ihm
bejorgte Herausgabe der proſaiſchen Autoren des Alterthums
(feit 1794, beziehentlich 1805, bi8 1827), „ein Unternehmen von
nationaler Tendenz und großartiger Anlage‘, das ihm auch in
den philologifchen Kreijen von Europa hohes Anſehen erwarb,
das eine Hauptwerk feines Lebens, nunmehr ein Tojtbarer Beſitz
feiner Nation, Tann feiner Natur nad bier eben nur genannt
werden !). Auf das Xiefite und Folgenreichſte aber griff
Korais durch eine ganz beitimmte Art Iinguiftiicher Arbeit em
in das griechiiche Volfsleben, nemlich durch fein ‚, legislatoriſches
Verdienſt“ auf dem Gebiete der neugriehifhen Volks—
fprade.
Seit der Vertreibung der DVenetianer aus Morea Batten,
bie ioniſchen Inſeln ausgenommen, die fremdländtichen Miſchungen
und Überfchichtungen der griechiichen Nation enblich aufgehört.
1) Bgl. hier nur die Überfigt bei Nicolai a. a. O. ©. 104ff.
Die Abanefen in Griechenland. 893
*
Abgeſehen namentlich von dem einmal in die Sprache auf⸗
genommenen Beitand an italientihen Wörtern und vielen
durch den romanifchen Einfluß beitunmten Laut» und Wort
bilbungen unterlag das Griechiiche nur noch dem boppelten
Einfluffe des Türkiſchen und des Albanefifhen. Auch Die
Wanderungen der Albaneſen in alter Art waren endlich zum
Stehen gelommen, und als wejentlih albanefifch galten
jetzt auf altbellenifchen Boben !) der größere Theil von
Böotien, ein Theil des öſtlichen Lokris bei Talanti, Attila
(mit Ausichluß des größeren Theiles der Stadt Athen),
Megaris (mit Ausnahme des Haupttheiles ver Stadt Megara),
ganz Salamis, Angiftri, ein Theil von Aegina, das füdliche
Eubda und das nördliche Andros. Im Peloponnes waren
ganz Korinthia mit Ausnahme der Stabt Korinth, das öſtliche
Achaja, Das nördliche Arkadien, auf der Weftfeite Die Gebirge-
genden von Lala bis über die meſſeniſche Neda hinaus von
Abaneſen befett. Kleinere Maſſen fievelten in Meſſenien zwifchen
der Bucht von Navarinon und Koren, in Arkadien bei
Karitena. Im Lalonien fievelten fie bauptfächlich in ver Land»
haft Bardunia, wie auch in der Gegend von Monembafia
üblich von Tſchakonien und nörbfih von den Griechen von
Vatika. Auch Argolis gehörte ihnen ganz; bier Hatte fich nur
Nauplion ganz und Argos der Hauptſache nach griechiich
erhalten. Daß Boros, Hydra und Spetä albanefiihe Inſeln
waren, wiſſen mir bereits. Zerſtreute Trupps ver Albanejen
auf anderen Inſeln waren (wie namentlich auf Jos) mehr
Sder minder gräcifirt worden. So zählte man auf dem
1) Finlay, History of the’ greek revolution, vol. I, p. 34 sq.;
„Greece under othoman and venetian domination“, p. 147, und
„Griechenland und Trapezunt im Mittelalter”, S. 36. v. Hahn,
Abaneſiſche Studien, Th. IL, S. 223. Mendelsfohn-Bartholdy,
Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 79. Mikloſich, Sitzungsberichte
der Wiener k. k. Alademie der Wiſſenſchaften, phil.⸗ hiſt. Klafſe, Bd. 63,
Heft DIL (1869), ©. 5332 ff. und „Denktſchriften ber Akad. d. Wiſſenſch.“,
Bd. 19 (1870), ©. 338. L. Diefenbach, Die Vollsſtämme ber
europäifchen Türkei, ©. 35.
894 Buch II. Kap. I. 5. Die neugriechifche Volksſprache.
Terrain, welches heute zum Königreich Griechenland gehört,
etwa 200,000 Einwohner des ſchkypetariſchen Stammes, jett
nur ein Fünftel der gefammten Bevölkerung.
Wo die Albanefen in compalten Maſſen bei einander jaßen,
batten fie fich bisher ziemlich unvermifcht erhalten, nur in
Arkadien (S. 363) war die Gräcifirung ſchon jett bebeutend
vorgeichritten. Aber die Religion und die feit Sahrhunderten
gemeinjchaftlichen Schiefjale hatten beide Völker einander jehr
nahe gebracht, und Griechen und Tosken hatten (namentlich
auch in Epirus) ſehr bebeutend auf einander eingewirkt. Auch
bie Albanejen (die Frauen überall ausgenommen) bedienten fi
im öffentlichen Verkehr in weitem Umfange ver neugriechiichen
Sprade. Aber fie batten dabei ſehr ftarf auf die Bildung
oder Verbildung der neugriechiſchen Sprache eingewirkt. Hatten
Romanen und Dsmanen wejentlih nur zahlreiche Wörter in
biejelbe eingeführt, jo bat das Schfupetarifche — beim
Einfluß auf das Neugriechifche noch heute an erfter Stel
genannt wird — im Wortihag, in der Syntax, in der
Berbalbildung jehr deutlich erfennbare Spuren zurücdgelaflen,
unter Anderem allem Anjcheine nach „die Anwendung einer
finiten Verbalform mit einer Conjunction anjtatt des antiken
Infinitios im Neugriechiichen veranlaßt ‘ ).
Der neue Aufichwung des griechifchen Geifteslebens aber
nötbigte zu rationeller Behandlung der Volksſprache,
die doch noch immer neben ver Weligion das weitzer⸗
ftreute und vielgetheilte Volt der Griechen zufammenhielt.
Seit der Zeit des Eugenios Bulgaris (©. 203) ent
widelten ſich in dieſer Beziehung drei verſchiedene Schulen.
Die eine Gruppe griechiicher Schriftfteller , Männer mie
1) Bgl. Heilmaier, Über die Entflefung der Romaiſchen Sprache
unter dem Einfluffe fremder Zungen, ©. 34 fi. 39 fi. Mikloſich,
Sitnngsberichte a. a. D. ©. 583—535. v. Hahn a. a. O., TELL,
p. vi. Diefenbad a. a. O. ©. 41. 45. Mullad, Grammatif ber
griehifhen Vulgärſprache in hiftorifcher Entwidlung, S. 83—107, und
(Allgemeine Enchklopädie, Sekt. 1, Bd. 81) „Die griechifche Sprache“,
©. 14 fi.
Korais und die neugriechifde Volksſprache. 595
Athanaſios Chriftopulos aus Kaftoria, Daniel Philippines
aus Miliäs und andere, neigten dahin, die Volksſprache, das
geiprochene Neugriechifch, unverändert jo wie e8 eben gejprochen
wurde, als Schriftſprache zur Herrichaft zu bringen. Im
ſtärkſten Gegenfage zu ihnen brängten vie rüdfichtslofen Ber
hunderer des Althelleniichen, an ihrer Spike der Athener
Kodrikas (in Iaffy und Paris) und Neophytos Dulas, dahin,
in der Schriftfprache möglichft zu ver alten Spracde zurück⸗
zukehren; dieſe und andere Vertreter des fogenannten
Maccaroniftils wollten weſentlich das moderne Idiom durch
alte, außer Gebrauch gelommene Worte und Wendungen wieder
bereveln. Korais nun fchlug einen Mittelweg ein. Er
rieth dahin, „ein ebenſo correftes, wie allgemein verftänbliches
Neugriechiich zu fchreiben, welches ben Bedürfniſſen der Ge-
kehrten und des Volkes gleichermaßen entipräche. Er befolgte
das Syſtem, unter Zulaffung einer freien Bewegung, bie
Voksiprache ſchrittweiſe zu reinigen, ohne deßhalb alterthünliche
dormen einzuführen, die dem Munde des gemeinen Mannes
femd geworben waren, bie zabllojen Fremdwörter dagegen zu
verbannen und durch Ausdrücke zu erjegen, die aus dem
Shake der alten Schriftiprache gefchöpft waren.“ Unter
lebhaften Kampfe mit feinen Gegnern auf beiden Seiten hat
er ſchließlich dieſes Syſtem zur Herrichaft gebracht. Namentlich)
duch die Fülle feiner eigenen Schriften, welde die
Griechen entzüdten und hinriſſen, welche als thatfächliches
Mufter der neugriechifchen profaiichen Schriftiprache der Gegen⸗
wart durch ausdrucksvollen Stil, glüdliche und maßvolle Ver-
bindung des antiken und bes volfsthümlichen Clementes in
Grammatik und Wortſchatz ſich auszeichneten. ?)
Denn Korais war keineswegs nur gelehrter Philologe.
Zahlreiche andere Schriften, die namentlich dahin wirkten, bie
Opferfreudigkeit der reichen und gebildeten Griechen für bie
Sache der Volksbildung zu entflammen, dienten der nationalen
I) Nicolai, ©. 14 f. 103. 107. 127. 129. 182 f. 164. 177 f.
Denderisfohn- Bartholdy, S. 29.
596 Buch II. Kap. I. 5. Korais als Politiker.
Erziehung des griechtiichen Volkes, auf die er das höchſte Ge-
wicht legte. Mehr aber, dieſer fenrige Patriot, genährt an
dem Teuer ber Ideen der franzöfiichen Revolution, war zu
gleich ein glühender Borlämpfer des Gedankens der fünftigen
Befreiung der griechiichen Nation von der türkiſchen Herr-
ichaft. In den .erften Stabien feines Auftretens als politifcher
Schriftiteller dachte auch er ſchon zu feiner Zeit an eine baldige
gewaltiame Erhebung. Die energiiche Ablehnung (S. 303)
des von dem Patriarchen Anthimos von Jeruſalem gegen die
neubellenifche Bewegung gerichteten Hirtenbriefe8 (1798) war
feine erjte litterariſche That in dieſer Nichtung. Iſt bie
Antorjchaft des Koraid an dem ſchwungvollen poetifchen Anf-
ruf an die Griechen zum Kampfe gegen vie Türken, der unter
dem Titel der , Kriegstrompete‘ des „Atrametos von Mr
rathon“ 1801 in Paris erichien, nicht ganz zweifellos, fo zeigte
bagegen jeine Bearbeitung des berühmten Wertes von Heu
„Dei delitti e delle pene“ (Parts 1802) jein politiſches
Programm, dab die politiiche Wiebergeburt Griechenlanbs
durch die geiftige erft vorbereitet werden müſſe, aber zugleich
auch, daß die geiftige nicht Statt haben könne, ohne die
politifche nach fich zu ziehen. Und um die Augen ber Zeit
genoffen auf die Erneuerung feiner Nation zu lenken, las er
1803 zu Paris in der „Geſellſchaft der Menichenbeobachter “
jene Denkichrift über „den gegenwärtigen Zuftand ber Cinilifation
von Griechenland”, welche die vorherrſchende Meimung von ver
Geſunkenheit der Griechen befämpfte, unb ben intellettuelien
und materiellen ortjchritt der Nation während ber lebten
Jahrzehnte darlegte. |
War es nun von auferordentlicher DBedentung, einen
panhbellenifhen Patriotismus bet dieſer Nation zu ent
flommen, wo noch jo oft altvererbter Heinlicher Haß um
Neid Dorf von Dorf, Thal von Thal trennte, fo drohte
einige Zeit lang eine für bie Zukunft ver griechiichen Bewegung
gefährliche Spaltung zwiichen ven enthufiaftifchen Freunden ber
Sreiheit und den jtarken alten Mächten des Griechenthums
eintreten zu follen. Jener Hirtenbrief des Anthimos blieb
Der Patriarch Gregor IV. von Eonftantinopel. 897
nicht allein ftehen. Es entwidelte ſich in ber That eine tiefe
Abneigung des Höheren anatoliichen Klerus gegen die an
Boltaire geuährte Neigung ber Junghellenen zur modernen
Aufflärung und Freidenkerei, balb auch gegen ben über.
iprudelnden nationalen Freiheitsgeift der europäiſch geichulten
Jugend. Es fam zu ſehr gehälfigen Entgegnungen Seitens
der repolutionär angebauchten Elemente gegen bie Schattenjeiten
des orthodoxen Kirchenregimente® und zugleich gegen bie
Sanarioten, deren Charakter, und deren Thätigkeit im Dienfte
der Pforte. Den Höhepunkt vieler Gereiztheit bezeichnet das
befannte fatiriihe Dramolet ‚ver Ruß-Engländer-Franzofe ‘,
welches ben glühendſten Haß gegen Griechenlands innere und
äußere Feinde athmet und namentlich auf die Träger bes
Episkopats die jchwärzeften Schatten häuft !).
Inzwiſchen blieb diefe Spaltung zwiſchen bem Klerus und
ven griechifchen Patrioten zum Glück für die Griechen nur
vorübergehender Art. Die Macht der Verhältniſſe war jtarf
genug, um beibe Theile wieder zufammenzuführen. Mit dem
Verrauſchen der wild revolutionären Bewegung in Frankreich,
und nachher in ben Kreifen der Griechenwelt, mit der immer
farer und maßvoller heraustretenden Darlegung ver Politik
des Korais und des vor Allem auf nationale Befreiung
gerichteten Zuges der neuen wifjenfchaftlichen Bewegung näherte
fih der patriotiich gefinnte Klerus den neuen Beitrebungen
immer mehr. Bald zählten einzelne Häupter der Kirche und
viele gebildete Geiftliche zu den eifrigften Förderern der poli-
tichen Ideen. Der Patriarch von Eonftantinopel, Gregor IV.
(Georg Angelopulos aus Dimigana in Arkadien), ein Mann
von höchſt achtungswerthen Eigenichaften in feinem Brivatleben,
eine moralifch höchſt achtungswerthe, perjönlich Tiebenswürbige,
ſchöne und anziehende Erſcheinung, der ſich durch Ernſt,
Sittenſtrenge und Fleiß hervorthat und durch eigene Kraft zu
den höchſten geiſtlichen Würden emporgeſchwungen hatte (er
war 1784 zum Metropoliten von Smyrna, 1798 zum
1) Bgl. Nicolai, ©. 175.
898 Buch II. Kap. I. 5. Die Kirche und die nationale Bewegung.
Patriarchen der Hauptſtadt gewählt worden, hatte aber zivei-
mal, 1800 und 1808, in die Verbannung nach dem Athos
Wandern müfjen, um nachher 1819 zum legten Mal auf ven
Batriarchenjtuhl berufen zu werben 9), war ber neuen geiftigen
Bewegung eifrig zugethban und jumpathifirte notorijch mit den
patriotiihen Tendenzen jeiner Landsleute: mochte er auch bei
feiner jchwierigen Stellung und feiner weichen und nachgiebigen
Natur fich bemühen, die Gunft der Pforte nicht zu verlieren,
wie er denn 1807 bei der Vertheidigung von Stambul gegen
die Engländer mit Wort und That eifrig mitgewirkt hat.
Aber der gefeierte Theologe und Kanzelredner Miniatis und
ber feurige Dichter Sophronios Athenäos, ein patriotiſcher
Mönch von dem Athosklofter Vatopädion, deſſen ,, Gebet für
Hellas “ (1817) und „Ode an Griechenland‘ (1818)
nachmals alles Volk Hinrifjen ®), gingen ganz offen mit ber
Sprache heraus, Anderer bier nicht näher zu gedenken. %
weniger damals die anatolijche Kirche durch innere Streitige
feiten zerriffen war; je näher in der Griechenwelt Klerus
und Volk einander ftanden; je mächtiger ber Einfluß ber
Geijtlichleit auf das Volk war; je mehr auch materiell bei ber
damaligen (S. 234 ff.) vergleichsweilen Armut der Kirche die
Schulden der patriarchalen Hofhaltung das griechiiche Volt
in Mitleidenihaft gezogen hatten, und bie Hofichulpicheine,
deren auf das fpätere Königreich Griechenland fallende Lajt
1821 über eine Million Piaſter betrug, als beliebtes Papier-
geld bei den Griechen in Umlauf waren ®): um fo bebeutungs«-
voller mußte es auf bie Dauer werben, wenn es gelang, auch
ben Klerus in weitem Umfange für die nationale Sache zu
erwärmen ®).
1) ®gt. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 281.
Mendelsfohn-Bartholdy, Th. I, ©. 218.
2) Nicolai, ©. 109 u. 155.
3) v. Maurer, Das griedifhe Voll, Bd. I, ©. 3% f. Men-
delsſohn-Bartholdy, ©. 14.
4) Nicolai, ©. 108f. Gervinus, Bd. V, Th. I, S. ff.
Der „Gelehrte Merkur“. 599
Daneben blieb ed immer förbernd und wichtig, daß
Korais, das „Drafel der Nation‘, der ſich auch als
tbeologiicher Schriftfteller mit Erfolg verfucht bat, bis an das
Ende feiner Thätigkeit feine Stimme gegen die anatolijche
Bigotterie, gegen den Stolz und bie Übergriffe des Klerus
erhob, wie auch die Schattenfeiten des Fanars belämpfte ?).
Das beveutendfte Litterarijche Organ endlich, welches
fih die Griechen dieſes intereffanten Übergangs» und Vor⸗
bereitungszeitalters geichaffen,, erichten in Wien, wo fi
ein Hauptmittelpunft für die griechiichen Intereſſen gebilvet
hatte, und welches jeit dem Untergange ver Republik Venedig
der Hauptdruckort für griechiiche Werfe geworben war. Hier
nun wurde auf Rath des Korais 1811 von Seiten ber
Buchareſter Griechen unter ber Leitung des Archimanbriten
Anthimos Gazis (aus Miliäs im theffaliichen Magneſia) der
„Gelehrte Merkur“ („Aöyıos "Eppins“) gegründet, deſſen
Führung jeit 1816 Konftantin Koflinafis aus Chios und
(i8 1819) der Archimandrit Theoklitos Pharmakidis (geboren
1784) aus Lariffa übernahmen. Ein Archiv neugriechiicher
Üteratur, mit Vorliebe den Intereffen der Volfsbildung und
des Schulwejens zugewandt, follte diefe Zeitichrift ‚, gleichlam
den geiftigen Mittelpunkt der noch immer politiicher Unab⸗
hängigfeit beraubten Griechen darſtellen“ 2).
1) Über Korais überhaupt vgl. v. Maurer, ©. 43lff. Finlay,
Greece under othoman and venetian domination, p. 349sq. Ger-
vinus, S. 90 ff. Hfl. Menvelsfohn- Bartholdy, ©. 28 fi.
Nicolai, ©. 103—107. Sathas, p. 633800q. 636 gg.
2) v. Maurer, ©. 433. Gervinus, ©. 75. 91. Mendels-
ſohn-Bartholdy, ©. 30. Nicolai, S. 18. 130. 158.
400 Buch I. Kap. IL. 1. Rage der Griechen feit 1815.
weites Rapitel.
Geſchichte Griechenlands von 1814 bis 1821.
— —
J.
Der Gedanke iſt nicht ſelten ausgeſprochen worden, daß
den Griechen nichts Beſſeres zu wünſchen geweſen ſein würde,
als die Möglichkeit, noch ein volles Menſchenalter hindurch
ungeftört an der foliden Zundirung ihres bürgerlichen
Wohlſtandes und an der Erziehung und immer tiefer
Durchſetzung ihrer ungebildeten und in alter Barbara be—
fangenen Maſſen mit tüchtigen Bildungselementen arbeiten p
innen, Daran aber war bei dem Abſchluſſe Der Napeleonilden
Epoche gar nicht mehr zu denken. Die von bundert Stel
ber mit immer wachiender Energie aufgeregte Nation mar
allmählich in eine ſolche Gährung gerathen, ihre Sehnſucht nad
Abiehlittelung der osmaniſchen Herrichaft jo mächtig geworben,
daß es früher ober fpäter zu einer gewaltiamen Erhebung
gegen die Pforte kommen mußte. Die Trage war eigentlid
(don 1814 nur noch die, wer bei ſolcher Bewegung bie
Führung übernehmen, auf welche der Pforte feindliche Madt
die Griechen fich ftügen, unter welchen Auſpicien ber Kampf
begonnen werben jolkte.
Der Verlauf des Wiener Congrefies wirkte auf Die grie
chiſche Nation noch verftimmender ein, als auf die Italiener.
Tür die politifche Stellung der Griechen war bei der Lage
der Dinge gar nichts gefcheben. Die Pforte blieb nach wie
vor in dem ftaatsrechtlich unbefchränkten Beſitz ihrer griechtichen
Provinzen, nad) diefer Seite Hin nur durch die verfchiebenen
feit 1774 mit Rußland gejchloffenen Verträge und thatjächlid
Durch die ganze neuere innere Entwicklung ihres Reiches
Lage ber Griechen feit 1815. Athen. 1
mehrfach geichwächt und beeinträchtigt. Der allgemeine Frie-
denszuftand in dem gänzlich ermüdeten Europa nach Napoleons I.
Sturze bot den Griechen, die natürlich damals noch nicht
allein losſchlagen Tonnten, und deren ungejtüme Jugend Doch
bereit8 von jtürmifcher Freiheitsgluth erfüllt war, nur bie
Ehance, vorläufig noch auf unbeftimmte Zeit ruhig auszubarren.
Ali-Paſcha von Ianina fonnte feinem ganzen Charakter nach
niemal8 ber Vorkämpfer ber neubellenifchen Freiheit werben.
Frankreich, nievergeworfen wie es war, fam zur Zeit nicht
mehr in Betracht. England, dem jonit die Infelgriechen
vielfach geneigt waren, gewann gerade damals (f. unten)
durch fein Auftreten auf den tonijchen Imjeln nur wenig
Sympathie in der griechiihen Welt. Unter dieien Umftänden
richteten fich, durch Feine Erfahrung ſeit 1770 ernftlich belehrt
und gewarnt, bie Hoffnungen der Meiften immer wieder auf
das alaubensverwandte Rußland , deſſen Kaiſer in ven
Angen der Griechen aus den furchtbaren Kämpfen mit Napo⸗
kon I. als der neue Schiedsrichter der europäiſchen Welt
herausgetreten zu fein fchien, und in deſſen nächfter Umgebung
die Griechen Kapodiſtrias und Alerander Hhpfilanti ven ber
deutendſten Einfluß befaßen. Rußland daher war die Macht,
auf welche feit 1814 jene merkwürdige Genoffenjchaft zur
Befreiung der Griechen ihre Hoffnung richtete, die jeit Ende
dieſes Jahres — lange masfirt und binter einer zu anderen
Zweden geftifteten Gejellfchaft fich bergend — unter dem
Namen ber Hetärie ſich allmählich über die gefammte griechifche
Welt auszubreiten begann. |
Die Stadt Athen war feit Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts unter dem Aufſchwunge der Reiſeluſt gelehrter,
nad Griechenland pilgernder Europäer ein Sammelplag ge-
bilveter Fremder, eine Art „wiſſenſchaftlicher Colonie‘ des
Abendlandes geworden. Dadurch und durch die Anmwefenbeit
der fremden Confuln gewann das Leben in Athen wieder eine
veichere Färbung. Denn die Meine Stabt, mit ihren feines-
wegs wohlhabenden albaneſiſchen, "griechiichen und türfifchen
Gutsbefigern und Heinen Kaufleuten — unter denen bie
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. IH. 26
402 Bud II. Kap. II. 1. Elgins Raub am Parthenon.
Zürfen nur etwa ben fünften Theil der Einwohner aus—⸗
machten —, war arm. Gehütet durch den Woiwoden mit
60 Albanejen, bot fie damals nur durch ihren alten Ruhm
und "ihre ehrwürbigen Ruinen höheres Intereſſe ). Diele
Denkmäler batten 1801 bi8 1803 eine ſchlimme Einbuße
erlitten, als der engliiche Gejandte Lord Elgin mit Erlaubnif
der Pforte einen Theil der jchönften Skulpturen und jonftigen
Bildbauerarbeiten vom Partbenon und der Burg abnehmen
ließ, und diefelben nach England entführte 2). Der Lärm, ber
darüber in Europa entjtand, veranlaßte dann die Osmanen,
weitere DVerichleppungen aus Athen zu verhindern; fatjerlice
Termane und Hirtenbriefe des Batriarchen follten nunmehr
die Ultertbümer in Griechenland jchügen, ſelbſt Veli⸗Paſcha in
Morea (S. 345) nahm ein eigenthümliches Interefje am den
Reiten der antiken Vorwelt. In Athen aber, wo neben
dem durch feine feine Umgänglichleit geichägten Archomen
Logothetis Lange Zeit drei nambafte PHilhellenen, der brittüik
Lord Guilford, der öfterreichtiche Conjul Gropius und der
franzöfiiche Yauvel die Seele ver fränkiihen Colonie waren?),
entftand endlich im Jahre 1812 unter dem Einfluffe der
Fremden, namentlich Guilfords und feiner Landsleute *), eine
1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 199g.
2) Zinteifen, Geſchichte des osmanischen Reiches, Bd. VII, ©. 1471.
Michaelis, Der Partberon, S. 74-87. Wachs muth, Die Stadt
Athen, Bd. I, S. 20f. Gervinus, ©. 100.
3) Gervinus, ©. 9.
4) Das Jahr 1812 geben ganz beſtimmt an Finlay (History of the
greek revolution, vol. I, p. 120) und Menpveisfohn- Bartholdy
(Geſchichte Griechenlands, Thl. I, ©. 130f.). Die Übrigen Schriftfieller
pflegen gewöhnlih minder genau erft das Jahr 1814, wo allo
Kapodiſtrias die nominelle Leitung übernahm, al8 das Jahr der Stiftung
der Philomufen anzugeben. Vgl. aus der ziemlich reichen Litteratur über
Die Vorgefhichte der griehifchen Revolution: Pouqueville, überſ. von
v. Hornthal, Thl. J. S.311. Gordon bei Zinteifen, Bd. J, ©. 4,
der noch (wie Pouqueville) die Philomufen und bie politifche Hetärie
identifteirtt. Mendelsfohbn- Bartholdy felhft hielt noch in feiner
„Biographie des Grafen Johann Kapodiſtrias“ (S. 35) an dem Jahre
1814 feſt. Vgl. ferner v. Prokeſch⸗Oſten, Geſchichte bes Abfalls ber
Die Philomufen und die Philifer. 403
gelehrte Geſellſchaft, die Hetärie der Philomufen, zum
Zwede der Erhaltung der Alterthümer, der Anlage einer
Bibliothek und eines Muſeums, und der Gründung neuer
Schulen in Griechenland. Bei der politiichen Bedeutung,
welche die Pflege der Schulbildung und der Litteratur damals
für die Griechen gewonnen hatte, hoffte man damit auch zu
allmählicher Beſſerung der allgemeinen Lage der Griechen bei-
zutragen. In diefem Sinne geſchah es, daß man zur Zeit
des Wiener Congreſſes den damals mächtigften griechiichen
Staatsmann in Europa, den Grafen Kapodiſtrias, zum
Borjtand der Gejellichaft ernannte. Diejer fand auch feine
Schwierigkeit, dieſer philhelleniihen Genoſſenſchaft die Gunit
und die Theilnahme der in Wien verfammelten Fürften und
Staatsmänner zuzumwenden. „Miniſter, Fürften und Prinzen
waren gern bereit, den goldenen und ebernen Ring, das
äußere Erfennungszeichen des Philomujenbundes, anzulegen.
Kaiſer Alexander I. von Rußland, die Kronpringen von
Bayern und Würtemberg, traten bei und jpendeten Geld-
beiträge. Die Kaffe fam dann nah München.
Es Tiegt auf der Hand, daß ein Bund Diejer Art weder
Die Abjicht noch die Kraft haben fonnte, eine gewaltiame Er-
bebung Griechenlands einzuleiten. Es war vielmehr eine
Hetärie ganz anderer Art, welche — oft mit dem Bunde
ver Philomufen vermwecjelt, längere Zeit Hinter demſelben
verborgen und durch denſelben fich dedend — in den nächſten
Jahren aus ſehr unjcheinbaren Anfängen bervorging, die auf
diefesg andere Ziel binarbeiteten. Der Ort, wo die neue,
ausſchließlich politiihe, „Hetärie der Philiker“ gegen.
Ende des Jahres 1814 gegründet wurde, war die große
ruſſiſche Handelsſtadt Odeſſa, damals der Sig einer zahl-
reichen griechifchen Colonie. Die Stifter des neuen Bundes,
der allmählich die griechiiche Lawine ind Rollen zu bringen
Griechen vom türkiſchen Reiche im Sabre 1821, ©. 7. Gervinus,
©. 91. 123. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bb. 86, ©. 183
Nicolai, ©. 99. 137.
26*
44 Bud IL Kap. IL. 1. Entſtehung der Hetärie der Philiker.
berufen war, find drei bisher ziemlich unbedeutende Männer
gewejen. Der eine war Nilolaos Stuffas aus Arte,
ein achtbarer, aber wenig bedeutender und ungebildeter grie
hilcher Kaufmann. Der andere nannte fih Athanafios
Zfataloff aus Janina. Diefer Epirote war bereit8 mit
ähnlichen Gedanken tief vertraut. Er hatte nemlich früher in
Paris fih an einem zu Anfang des Yahres 1814 dafelbft
unter den Aujpicien des Grafen Chotjeul-Gouffier, früheren
frangöftihen Gefandten in Stambul, formirten griechiſchen
Bunde betheiligt, der äußerlich der Aufflärung und Bildung
der bellenijchen Jugend galt, der aber ſehr beſtimmte politiſche
Pläne verfolgte und fich den Namen „Helleniſches Gaſthaus“
gegeben hatte. Die franzöftiihe Kataftrophe entzog jedoch ſehr
bald diefer griechiichen Verbindung in Paris den Boden md
Rückhalt ). Der dritte Gründer endlich war der Freimaurer
Emanuel Xanthos aus Patmos, neben dem dann ihn
früh unter weiteren nambaften Gliedern des neuen Bundes
Panagiotis Anagnoftopulos aus dem peloponnefijchen
Andrigeng genannt wird ?).
Der Verdruß über die Sleichgültigfeit des Wiener Cons
greſſes gegen das politiiche Schickſal der Griechen führte dieje
Männer in Odeſſa zufammen. Sie vereinigten fich im ver
Abfiht, eine neue Hetärie ind Leben zu rufen, welche im
kraftvoller Weife für die baldige Befreiung des griechiichen
1) 2gl. Sathas 1. c. p. 608g. Mendelsfohn- Bartholdy,
Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 131.
2) Abgefehen von Finlay (History of the greek revolution, vol.I,
p. 120 sgq.), bieten jett für bie Gefchichte der „Hetärie ber Philifer “
da8 am meiften gefichtete Material unter beutfchen Bearbeitern ber
neugriehifhen Duellen bar: v. Brotefh- Often a. a. O., Thl. L
©. 7ff. (bee ©. 8 den Anagnoftopulos zuerft als britten Gründer ber
Hetärie nennt), und Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Sriechen-
lands, Thl. I, S. 131 ff. (der ©. 131 als dritten Gründer den Xanthos
angibt). Sehr erhebliches Material hatten zufammengeftellt Brandis,
Mittheilungen Aber Griehenland, TH. UI, ©. 20 ff. und (mebrfad
durch Mendelsfohn - Bartholdy verbefiert) Gervinus, Bd. V, Thl. 1,
©. 123 ff.
Entftehung der Hetärie ber Pbilifer. 405
Volkes wirken ſollte. Dieſe Hetärie tft e8 zugleich, welche
(S. 298 ff.) bis zu einem gewiffen Umfange auf die alten
phantajtiichen politiſchen Ideen des umvergefjenen Rhigas vor
Beleftino zurüdging. Wir meinen, bie neue Hetärie der
Philiker wurde die Trägerin der jogenannten ‚, großen Idee‘.
Nicht das vergleichöweile engere Projeft der Losreißung ber
Griechen von der Pforte war ihr Ziel. Ihr Plan wurde
e8 vielmehr, unter ftarler Betonung des religiöfen Momentes
das griehifche Reich mit der Hauptftadt Byzantion
wieder zu erneuern.
Die Mittel aber, mit denen die neue Hetärie arbeitete,
entſprachen vollitändig dem Geiſte dieſes Seitalterd, Der
damaligen Art der meiften Griechen, und der Lage der Ver⸗
hältniffe. Wer heute in Deutihland lebt und die Bor-
geichichte der neugriechiſchen Revolution ſtudirt, hat vor
anderen Zeitgenojjen Mühe, , jene Verhältniſſe zu begreifen.
Wir meinen, wer das in ver Gefchichte aller Zeiten geradezu
beijpiellofe Schaujpiel beobachtet, wie auf deutichem Boden jeit
einer Reihe von Jahren die nach Hunderttauſenden zählende
Partei der rothen Nepublif und ver ſocialiſtiſchen Revolution
mit großartiger Unumwundenheit und ungehindert vor den
Augen der Deitwelt die Zerjtörung des heutigen jtaatlichen und
gefellichaftlichen ‘Dajeins ſyſtematiſch vorbereitet, — wer alſo
das beobachtet, Hat viele Mühe, ein Zeitalter noch zu verftehen,
wo ein großer Theil des füdlichen Europa in umfafjendfter Weile
von geheimen Gejellihaften überzogen war. Es war
num der Geift und die Praris dieſer geheimen Gejellichaften,
der in der Hetärie der Philiker lebte. Die alte Übung in
Lift und in verdedtem Spiele, wie fie jett dem lateinijchen
Kreuzzuge den Rhomäern zur anderen Natur geworben war,
tritt in der Art der Arbeit der Hetäriften recht kenntlich zu
Tage. Aber im jchlimmften Sinne „byzantiniſch“ war Doch
die arge Lift, mit welcher die Führer des neuen Geheimbundes
von Anfang an dahin wirkten, ihre Anhänger über das Ders
hältniß zu den Philomufen und zu Rußland zu täujchen.
Da es jehr zwedmäßig erſchien, die Arbeit zur Befreiung
406 Buch II. Rap. II. 1. Entſtehung der Hetärie ver Philiker.
Griechenlands gleihlam unter dem Schuge der großen Namen
des Abendlandes zu betreiben, welche den Bund der Philo-
mufen patronifirten, jo wurde mit byzantiniſcher Lift ver
Unterjchied zwifchen beiden Hetärien verdedt. Die Chefs ver
„ Philiker beichloffen, „in der Meinung der Griechen ihren
geheimen Bund an die Stelle des offenfundigen zu fchieben,
jenem mit Hilfe des Iegteren Anhänger und Genoſſen zu
werben‘. Dan verbreitete, daß biefelben Mitglieder in
beiden SHetärien wirkten, daß die Philomufen in Wahrheit
baffelbe erftrebten, wie die Philifer. „So tft denn‘, nah
einer Äußerung von Trifupis, „vie neue Hetärie unter dem
Schute des Philomufenbundes gleihjam als Schmarogerpflanze
emporgewachlen. “ Noch bevenflicher aber, obwohl höchſt
erfolgreich, mußte e8 wirken, daß die Führer biejer Hetäri,,
bie bei der gegenwärtigen Lage der Dinge, bei dem ſeit 1806
immer Harer auögeiprochenen Gegenſatze zwiſchen der Pforte
und Rußland, auf welches trog aller Erfahrungen feit 1770
bie Maffe ver Griechen doch immer ihre befte Hoffnung fette,
auch ihrerſeits in letter Inftanz auf Rußland zählten, — von
Anfang an über die angeblich höchſte leitende Behörde ein
Geheimniß ausbreiteten, den Schein einer höchſten Regierung
des neuen Bundes eriwedten, in welcher die Neophyten ver
Hetärte natürlich die Majeftät des ruſſiſchen Kaiſers ahnen zu
Dürfen meinten.
Die drei Gründer der Hetärie der Philifer ftellten aljo
zu Ende des Yahres 1814 in Odeſſa den Plan feit, die
bewaffnete Gemeinſchaft aller griechiichen Chriften des osma⸗
niihen Reiches zur Erhöhung des Kreuzes über den Halbmond
herbeizuführen. Die Erfahrungen, welche die thatenluftigen
griechtiichen Patrioten fett dem Dichter Rhigas gemacht hatten,
nötbigten zur Bewahrung eines tiefen Geheimniſſes. Die
Formen eines folchen Geheimbundes aber entlehnte Zjafaloff
feiner Parifer Praxis, Xanthos der damaligen Geftalt der
Freimaurerei. Die drei Männer arbeiteten alfo Schwur und
Zeichen und bie übrigen Riten einer geheimen Gejellihaft aus.
Nachher gingen Sfuffas und Ziafaloff wegen zerrütteter
Organiſation der Hetärie. 407
Gelvverhältniffe nah Moskau, und mwarben dort im Herbfte
1815 mehrere Anhänger. Erſt im Jahre 1816, als fie
wieder nach Odeſſa zurüdgefehrt waren, erhielt ver Bund feine
vollftändige Ausbildung. Die neue Hetärie zerficl in fieben
Grade. Die jorgfältig zu prüfenden Neophyten jollten erſt in
den unteren Graben ver Verbrüberten und Verbundenen (oder
Smpfohlenen) ſich bewähren, bis ſie dann die Weiben ber
höheren fünf Grade der Priefter, Hirten, Erzhirten, Geweihten
und Führer der Geweihten erlangen könnten. ‘Die Einweihung
und Vorbereitung zu allen dieſen Stufen zielte conjequent auf
Ermahnung zu der befreienden That. Die Neuaufzunehmenden
mußten zu nächtlicher Stunde in einem Betzimmer nieber-
knieen; dann wurde ihnen unter gebeimnißvollen Cerimonien
von einem Priejter vor dem Bilde der Auferftehung auf das
Evangelium der Eid auf Treue, Beharrlichkeit, Schweigen
und unbedingten Gehorſam abgenommen. Die Brüder der
erſten Klaſſe jollten ihre Waffen in Bereitichaft und funfzig
Patronen halten, um fie zu gebrauchen, wenn fie Befehl von
Oben erhielten. Die Mitgliever de8 zweiten Grades er-
hielten die Inſtruktion: „für Glauben und DBaterland zu
fehten, die Feinde des Glaubens, des Vaterlandes und des
Volkes zu Haffen, zu verfolgen und zu vernichten”. Den
Priejtergrad und damit Kunde von den eigentlichen Zielen
der Verbrüberung, die die Freiheit der Griechen beziwedte,
und beren wirkliches Mitglied man erjt durch dieſen Grad
wurde, erlangte nur, wer für jeelenjtarf genug galt, Gut und
Blut, jede andere Verpflichtung , jedes andere Band den
Verpflichtungen des Bundes zum Opfer zu bringen. Die
„Prieſter“ wurden durch einen furchtbaren Eid gefejfelt. Sie
durften Brüder einführen, den Neophhten einen Geldbeitrag
abnehmen, und verpflichteten, wie wir ſahen, die neuen Brüder
(in ſeltſamer Miſchung des Antiken und Kirchlichen) zugleich
durch den Eid auf das Evangelium, und „vermöge ver Macht,
die ihnen der Großpriefter der Eleufinien verliehen!” Nach
unbedingteren Gehorſam und Hingebung gelobten die beiden
oberften Rlaffen der Geweihten und der Führer der Ges
408 Bud I. Kap. II. 1. Organiſation ber Hetärie.
weihten. Diefe hatten militäriichen Charakter und waren
unmittelbar für den Krieg beſtimmt. Wer in die höchſte
Klaffe aufgenommen wurbe, erhielt von dem Satecheten ein
Schwert, mit den Worten: ‚Dein Vaterland gibt es Dir,
gebrauche es in jeinem Dienſte!“ Dabei wurben Beiträge
gezeichnet unter dem Vorwande der Hilfeleiftung für eine nen
zu errichtende Schule, eines Muſeums, oder für die Heraus
gabe und den Anlauf von Büchern u. dgl. Der geheime
DBriefwechfel wurde durch eine aus Buchſtaben und Zahlen
zufammengejegte Chiffer oder durch Mittheilung über erionnene,
dem Uneingeweihten gleichgültig ericheinende, dem Eingeweihten
verjtändliche Verhältniffe geführt. Der Phönir und die fchmerze
Fahne find dann die Symbole der Hetäriften geworden.
Die Gründer behielten die Leitung des Bundes in ifrer
Hand, gaben fich aber den Neuaufgenommenen immer nur ald
Werkzeuge einer ungenannten höheren, leitenden Mast 1
erfennen. Ihre Zahl vermehrten fie nur mit Vorficht; bis
1819 wurden nur Galatis, Komizopulos, A. Seferis, A. Gais,
jpäter Lewentis, Dikäos, Ignatios und Maurofordatos, endlich
Patfimadis und Hhpfilanti aufgenommen.
Vorläufig Hatte die Hetärie in dem eigentlichen
Griechenland noch gar nicht Boden gefaßt. Einſtweilen nod
an dem Norbrande der Türkei, auf ruſſiſchem Boden unter
den Griechen ſich ausbreitend, gerieth fie fogar ſchon 1816
in die Gefahr vorzeitiger Entdedung. Es war fein glücklicher
Griff, den Skuffas that, als er in Obeffa dem jumgen
Nilolaos Salatis aus Ithafa in das Direktorium der
Hetärie aufnahm. Eitel und anmaßend, hochmüthig, ungejtüm
und unbelonnen, wie er war, verlor Galatis über feiner neuen
Stellung alle Haltung und Vorſicht. Er warb überall für
die Hetärie mit Ungeftüm neue Anhänger, trat bei einer Reile
nah Moskau und St. Petersburg als Graf und als
„Abgeſandter des hellenischen Volkes’ auf, pocte in ver
ruffiſchen Reſidenz jo unbejonnen auf feine Lanpsmannichaft
mit Kapodiftrias, benahm fich überhaupt fo auffallend, daß
ihn schließlich die vuffiiche Polizei fammt den durch feine
Die Anfänge ber Hetärie. 409
Thorheit compromittirten Hetäriften Perrhäwos (S. 302)
und Arghhropulos verbaften ließ. Der Polizeichef Gorgolis
fand in jeinen Papieren das ganze Geheimniß ber neuen
Hetärte enthüllt und berichtete darüber jofort an den Raifer.
Werander II. conferivte über die heikle Frage mit Kapodiſtrias,
und diejer wußte jeinen Souverän dahin zu bejtimmen, daß
der Sache vorläufig weiter feine Folge gegeben wurde.
Perrhäwos und Argbyropulos wurden fofort freigelafien und
entichädigt, Galatis aber nach der Moldau ausgewiejen, wo
ihm in Jaſſy der ruſſiſche Generalconful Pint unter wohl-
wollenden Worten eine namhafte Summe auszahlte. Dieſes
nahm Galatis natürlih als einen Sporn zu erneuter
propaganbiftiicher Arbeit auf. . Hatte ibm doch Pini gejagt,
„man nehme fich jeiner an, bamit er nicht als Mitglied eines
Bundes, der das Joch der Türken abichütteln wolle, von dieſen
zu leiden habe!“
Während nun Anagnoſtopulos damals mehrere einflußreiche
griechiſche Offiziere gewann, die über Odeſſa nach St. Peters⸗
burg reiſten, um daſelbſt Soldanſprüche geltend zu machen,
dazu die Maniaten Elias Chryſoſpathis und Panagiotis
Dimitrakopulos und andere namhafte Männer für die Hetärie
warb, dieſelbe überhaupt in Rumänien und in dem füdlichen
Rußland immer mehr Anhänger an ſich zog, trat auf des
Galatis Antrieb eine ſehr bedeutende Kraft in den Bund ein.
Es war dieſes der junge feurige Peloponneſier Georg
Lewentis, des Generalconſuls Pini Dolmetſcher, ein ſehr
thätiger und intelligenter Mann, der ſofort einen der beſten
griechiſchen Offiziere in der Garde des Hospodars der Walachei,
ven tapferen olympifchen Armatolen Georg (oder Geor-
gafis) Nikolaos' Sohn — einen bochpatriotifchen, braven
und erfahrenen Soldaten, welcher in Rumänien bei allen
griechiichen und albanefiihen Sölonern das höchſte Anjehen
genoß ) —, für die Sache des Freiheitsfampfes in-
tereifirte.
1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 1503q.
40 Buch II. Kap. I. 1. Erfolglofe Verfuche der Hetärie auf Serbien.
LewentiS und Georgakis waren aber nicht die Männer
langwieriger Verſchwörung, fondern zu rvafcher, kühner That
geftimmt, und auf der Stelle gewillt, die Erhebung fofort zu
beginnen, und zwar mit Hilfe ver Serben® deren Chancen
(S. 349) damals fich wieder bedeutend gehoben hatten. Dem
ſchlauen, tapferen und thatkräftigen Miloſch Obrenomitih
war es nemlich gelungen, den neuen Aufitand, den er am
Balmfonntag 1815 begonnen hatte, mit glüdlichem Erfolge
durchzuführen. ‘Die volle Unabhängigkeit vermochte er freilich
jenem Volke nicht zu erkämpfen; wohl aber brachte er es
dahin, daß die Türken, die feit 1815 fehr ernfthafte Rüchſicht
auf Rußland nehmen mußten, mit ihm ausſichtsvolle Unter:
banblungen führten. Die Lage Serbiens tft fchließlich dahin
geordnet worden, daß die Osmanen im Beſitze der ferbilden
Feſtungen blieben, daß das Land in einer Art Halbe Ahr
bängigfeit von der Pforte blieb, daß dagegen Milofch fett
am 6. November 1817 von allen Kneſen und Prülaten
Serbiend zum erblichen Oberbaupte (oder „oberſten nes‘)
des Landes erwählt wurde, — eine Stellung, in welcher bie
Pforte ihn dann auch vorläufig anerkannt bat.
Che es jedoch fo weit fam, Hatten jene energiichen
Hetäriften (1817) den Verſuch gemacht, die neue ſerbiſche
Erhebung zum Hebel und Ausgangspunkt für die allgemeine
hriftlich » griechifche Bewegung auf der Balfanhalbinfel zu be—
nugen. Der Olympier Georgalis ging nach Bellarabien,
intereffirte ben berühmten ferbifchen Flüchtling (S. 323 f.)
Kara-Georg, der zur Zeit fich Hier aufhielt, für die Sache.
Kara: Georg, der an Rußlands Billigung dieſer Pläne nicht
zweifelte, der in Serbien noch viele Anhänger Hatte, auch auf
Miloſch eiferjüchtig war, Tieß fich leicht gewinnen. In Galata
bei Jaſſy fanden nächtliche Beiprechungen jtatt, bei denen auch
Galatis zugegen war. Lewentis, der zur Zeit das Eon
ſulat in Jaſſy proviforifch verwaltete, weihte den jerbiichen
Häuptling in die Hetärie ein, gab ihm alle nöthigen Rath |
ſchläge über die in der jerbiichen Sache zu verjuchenden Schritte
und verſah ihn mit den nöthigen Gelomitteln, wie auch mit
!
Stambul feit 1818 Centralfit der Hetärie. 411
einem vuffiichen Paſſe. Kara-Georg ging durch die Bukowina,
Siebenbürgen und das Banat nach der jerbiichen Donaugrenze,
und begab fi nach Adzagna bei Smeberewo (Smendria)
zunächft zu feinem alten Freunde Wuiza (oder Vätſa). Seine
Anweſenheit war aber dem türkiſchen Paſcha in Belgrad,
Darajchli- Alt, verratben worden, der nunmehr von Miloſch
die Auslieferung dieſes gefährlichen Mannes forverte. Miloſch
ſeinerſeits, deſſen Intereſſe e8 zumider war, fich durch Kara-
Georg verdrängen und das ferbiihe Land zu griechiichen
Zweden neu aufwiegeln zu laffen, ver aber auch ven alten
Helden nicht an die Osmanen ausliefern Tonnte, kam endlich
dahin, von Wuiza unter Drobungen den Kopf des Kara-Georg
zu fordern. Und wirklich ließ Wuiza nach einiger Zeit durch
einen feiner Bewaffneten den Gaftfreund im Schlafe er-
morden 1).
Auch als Miloſch nachher anerkannter Fürft von Serbien
geworden war und nun der Olympier Georgafis fich mit ihm
unmittelbar in Beziehung fegte, erhielt die Hetärie (24. März
1818) von jenem nur allgemeine und verflaufulicte Außerungen
jeiner Zuftimmung zu den griechiichen Unternehmungen. Über
Serbien aufgeklärt und auf griechiiche Mittel allein hingewieſen,
faßte endlich das Direktorium der Hetärte zu Anfang April
1818 den verwegenen Entihlug, Stambul jelbft zum
Mittelpunkt der gefammten weiteren Agitation und Minirungs-
arbeit zu machen. Und als der überaus rührige Stuffas im
Juli deffelben Jahres ftarb, wurde das Haus des Xanthos
der Sit des Direftoriums und der Ausgangspunkt der Fühnen
Propaganda in allen griechiichen Provinzen des Reiches der
Pforte. Zugleich begann man dieſe griechifehen, beziehentlich
die ftarf von Griechen bewohnten, Landichaften ſyſtematiſch mit
einem Netze von Agitationscentren und jelundären Ver⸗
ſchwörungsminen zu überziehen. Man errichtete alfo in allen
paſſenden Landichaften Epborten oder commiljariiche Be⸗
1) Vielfach mwiberfprechend find im Detail die Angaben bei Ranke,
Die ferbifche Revolution, S. 290ff., bei Gerpinus, ©. 126f. und bei
Mendelsfohn-Bartholdy, Th. I, ©. 135.
412 Buch II. Kap. II. 1. Ausbreitung ber Hetärie 1818 und 1819.
börben, deren Mitglieder von ven Hetäriften ihres Bezirkes
mit einfacher Majorität gewählt werben jollten. Jede Ephorie
führte eine bejonvdere Kaſſe und hatte volle Macht, in ihrem
Kreife zu handeln und alle Mittel zu ergreifen, welche ber
Zwed des Bundes erforderte. Die Verbindung mit dem
leitenden Direktorium — welches fich nach des Skuffas Tode
durch mehrere angefehene Männer, wie namentlich ver reiche,
intelligente Kaufmann PBanagiotis Athanaſios Seferis (aus
Zripolita) in Stambul, Anthimos Gazis in Milines,
Nikolaos Patfimadis und Antonios Komizopulos in Moslan,
bis auf acht Köpfe verftärkte, und die Entſcheidung der wid»
tigiten Fragen vorbebielt — wurde durch Sendboten
bergeftellt, die zugleich als ‚fliegende‘ Agitatoren zu wirken
hatten. Die legteren arbeiteten jegt mit vajch wachſendem
Erfolge. Im ſüdlichen Rußland traten unter Anderen
bie Prinzen Nikolaos, Georg und Demetrios Hhpfilanti 1818
dem Bunde bei. In Rumänien, wo außer Anagnoftopule
namentlich auch ber ungeftüme, großiprecheriiche, verſchwenderiſche,
aber trotzdem patriotilch-energiiche ‚und höchſt thätige Ardr
mandrit Gregor Dikäos (auhb Papa Tleffas genannt)
ftand, bewirkte Nikolaos Hopfilantt 1819 die Aufnahme ve
J. Rhiſos Nerulos, 1820 die des ©. Manos und des Prinzen
Gregor Sutjos. Auf dem griechiſchen Feſtlande arbeiteten
mit Erfolg Anthimos Gazis, diefer von feiner theffaliichen
Heimath aus, wie auch Johannes Pharmalis. Tſakaloff begab
fich nach Italien, um in Piſa den (S. 386) alten Metrope
Yiten Ignatios und den Fürften Alerander Maurofordatos
(ein Abkömmling der altberühmten Tanariotenfamilie dieſes
Namens, geboren 1791, Neffe des 1818 nach Italien ent
wichenen Fürften Johann Raradja, bisherigen Hospodars ber
Walachei) zu gewinnen. Nah Hydra und Morea imurben
griechiiche Offiztere (©. 334.338 1.409), die aus Rußland zurüd:
gefehrt, geichieft, unter denen namentlich Perrhäwos und ber alt
Klephte (S. 334) Anagnoftaras T) bedeutend waren. Jener
1) Für Morea vgl. noh Gordon, Geld. der griech. Rewolution,
überf. von Zinkeiſen, Thl. I, ©. 212f.
Ausbreitung der Hetärie 1818 und 1819. 418
zog namentlich ven Maniatenbet Petros Mauromihalis
(S. 382) in den Bund. Nur daß dieſer jchlaue Realpolitifer
jofort von dem Direktorium für feine Maina Die unmögliche
Summe von einer halben Million Biafter forderte, und erft
duch die Bermahnungen des kurz zuvor (S. 398) reaktivirten,
in das Geheimniß des Bundes eingeweihten Patriarchen Gregor
(unter dem 30. Juli 1819) — der ihn wegen feines Eifers
für Errichtung eines „griechiſchen Muſeums“ lobte und ihm
den Schuß der Kirche zufiherte — in Die rechte Richtung
gebracht wurde. Perrhäwos bewirkte auch die Ausjöhnung der
Mauromihalts mit den großen rivalifirenden Familien ver
Zrupafiden und Gregorianer, fo daß nun bis zum Herbſt
1819 die ganze Maina einmüthig für das neue „Helleno⸗
muſeum“ fich verband.
Rückſichtslos entichloffen, wie die Führer der Hetäriften
waren — und zwar fo fehr, daß fie den läftig, zweibeutig,
endlich Togar verdächtig gewordenen Galatis zu Ende November
de8 Jahres 1818 in der Gegend des alten Hermione einfach
erihießen ließen —, fahen fie nun 1818 und 1819 ihre Saat
in der griechiichen Welt üppig hberanreifen. Cine Menge
Mönche und Erzbiichöfe, viele Klephten und Armatolenführer,
die Seeleute und Primaten auf den Infeln des ägätfchen
Meeres, die Führer der Sulioten auf den ionifchen Inſeln
und namhafte griechiiche Offiziere, wie Theodor Kolofotronig,
die griechifchen Umgebungen der türfifchen Behörden, namentlich
ver Paſchas, von Morea und SIanina bis nach Makedonien,
zahlreiche Moreoten aller Klaffen, Biichöfe und Primaten in
eriter Reihe, die griechiichen Kaufleute in Alexandrien, Chpern,
Jeruſalem, Syrien, auf der Heinafiatifchen Küfte, bie be-
deutendſten griechiichen Familien in Stambul jelbjt, wurden
nach und nach für die Hetärie gewonnen, die allerdings auf
dem Feſtlande Rumeliens feineswegs jo jchnelle Fortichritte
machte, wie in Morea oder gar auf den Infeln. Sehr
zahlreich waren überall in der Hetärie die Baratare vertreten;
jene Griechen, die (S. 329) durch Gewinnung eines Patentes
einer mit der Pforte befreundeten Macht, obwohl auf türkiichen
414 Bud II. Kap. II. 1. Sendung bes Zanthos nach Petersburg.
Boden bleibend, völlig zu Unterthanen eines fremden, chriſt⸗
lihen Staates geworden waren !).
Allmählich aber wurde der Bund viel zu mächtig, viel zu
ausgebehnt, die Aufregung vieler hetäriftiichen Elemente ſchwoll
viel zu ftarf an, die Abneigung gegen die Osmanen und bie
Luft zu baldigem Losichlagen wuchs zu jehr, als daß die mir:
lichen Führer der Hetärie, von denen nur Seferis regelmäßig
in Stambul verweilte, auf die Dauer im Stande geweſen
wären, bie colofjale Aufgabe noch länger mit ihren eigenen
Kräften allein zu leiten. Noch hatte nicht die Pforte felbit
jenen Krieg gegen Alt» Bafcha von Janina erklärt, durch ben
allein es nachher möglich geworden ift, daß nicht Die ganze
Agitation der Hetärie ſchließlich in Nebel ſich auflöfte. Vor⸗
läufig aber fonnten die Führer des Bundes gar nicht daran
denken, offen einzugefteben, daß die geheimnißvollen Hindeuntungen
auf die verborgene höchſte ruſſiſche Leitung eitel Humbug warn:
ſie hätten ſich der Lächerlichkeit und der allgemeinen Erbitterung
ihrer Landsleute preisgeben müſſen. Unter dieſen Umſtänden
beſchloſſen ſie, und zwar gegen Ende des Jahres 1818, mit
der ruſſiſchen Spitze Ernſt zu machen, und entweder den
Grafen Giovanni Kapodiſtrias oder den Fürſten Alexander
Hypſilanti für die Übernahme der oberſten Leitung des Bundes
zu gewinnen. Auf Grund einer Abkunft vom 22. September
1818 begab ih Emanuel Xanthos von Stambul aus
auf die Reife nach St. Peteröburg, um mit den beiden vor:
nehmen Griechen in der Umgebung des Katjers Alerander I.
zu verhandeln. Xanthos trat feine Fahrt im Februar 1819
an. Da er jedoch in Buchareft, in Kiew und namentlich in
Moskau — wo ihn die Errichtung einer Nationalbant be
ichäftigte, die mit einem Kapital von einer Million Rubel zu
ſechs Procent verzinslich den Kriegszweden der Hetärte Dienen
ſollte — fich jehr lange aufbielt, fo traf er erft im Februart
1820 bei dem Grafen Kapodiſtrias ein.
1) Finlay l. c. p. 131g.
Kapodiftriad und die Hetärie. 415
Wir ſehen fpüter, welchen Erfolg dieje Sendung berbei-
geführt bat. Graf Kapodiſtrias war inziwilchen jchon feit
geraumer Zeit von dem Sturme unterrichtet, der fich unter
jeinen Landsleuten vorbereitete. Er batte nach Beendigung
des Aachener Congreſſes (21. November 1818) eine Urlaub$-
reife nach feiner ioniſchen Heimath angetreten und bier bie
Zuſtände Griechenlands genau erfannt. Die Huldigungen ber
Sulioten, des Kolokotronis und der rumeliotiſchen Armatolen;
deren energiſche Darlegung ihrer Wünjche und Hoffnungen;
die Art, wie die ihn bejuchenden Griechen feine Anweſenheit
als für die Sache der Hetärie und Rußlands Leitung derſelben
günjtig aufnahmen, hatte ihm die Gährung der Gemüther jehr
deutlich verrathen. Seine VBerfuche, die Griechen zu bejchwich-
tigen, halfen nichts mehr. Auch die Schrift, die er (unter
dem 18. April 1819) verbreiten ließ — fie mahnte zur
Bedachtſamkeit, empfahl die Pflege der natürlichen Reife des
Boltes, rieth zu feſtem Anſchluß an die Kirche, wies auf den
Haubensverwandten Norden bin ) — Tonnte nicht aufhalten
wirken. Kapodiſtrias erhielt aber allmählich ganz direkte An⸗
fragen, weil der Wahn allgemein fich verbreitet hatte, daß er
der geheime Chef des Bundes jei. Der alte Metropolit
Ignatios fehrieb in dieſem Sinne an ihn, ebenjo der kluge
danariot Theodor Negaris aus Buchareſt, wie auch der reiche
Schiffsherr Lazaros Konduriotis aus Hydra. Bedeutungsvoll
wurde es endlih, daß der Mainottenbey Betros Mauro-
mihalis feinerfeitS den Kamarinos Kyriakos nah St. Pe-
teröburg ſchickte, der bei Kapodiſtrias genaue Erkundigung
einziehen umd zugleih von dem Grafen Gelomittel fordern
jolte. Vardalachos in Odeſſa, einer der angefehenften
Öriechen dieſer Stadt, ein Schulfreund des Grafen, ſchrieb an
benfelben, um ibn zu fragen, welche Ideen er bezüglich der
Hetärie habe, und welche Anfichten und Gedanken Kaiſer
Aerander über den Aufftand in Griechenland hege? Mehr
1) Bgl. Hier au Mendelsfohn- Bartholdy, Graf Johann
Kapodiſtrias, S. 43—49.
416 2.0. 8.0. 2. Die ioniſchen Infeln unter Englands Herrſchaft.
aber, die in die Hetärie eingeweihten Klerifer und Primaten
von Morea hielten zu Anfang des Jahres 1820 in Tripoliga
eine Berfammlung und beichloffen, einen Vertrauensmann nad
St. Petersburg zu ſchicken, der die leitende Regierung, deren
Pläne und Mittel entveden, und weiter berjelben beftimmte
Vorſchläge in Sachen des Peloponnefos machen ſollte. Zu
ihrem Agenten aber ernannten fie den Johannes Papar—
rigopulog, den Dragoman des ruſſiſchen Conſuls Vlaſſo⸗
pulos in Patrik. Da war es num höchſt merkwürdig, daß
berielbe Paparrigopulos damals auch von dem Ali-Paſcha
von Janina auserſehen wurde, als fein Botichafter nad
St. Petersburg zu gehen, um in Rußland Hilfe zu erbitten
bei dem zwilchen ihm und Sultan Mahmud II. fich eben jest
einleitenden Kriege). Wir fehen fchließlich, welche Antworten
Kapodiſtrias dieſen Botjchaftern ertbeilt hat. Auf dieiem
Punkte aber, wo in eigenthümlichiter Weile die politiihe
Arbeit der Hetärie mit jener des Paſcha von Epirus ſich
verichlingt, muß fich unſere Darjtellung binüberwenven zu ber
weiteren Entwillung der epirotiſchen Dinge bis zu Alte
für das Griechenthum enticheidender Kataftro pbe.
D.
Seit dem Ausgange der Napoleoniſchen Zeit hatte fich das
Intereffe der Griechen mit befonderer Energie auf die Zuſtände
der toniihen Inſeln und auf Ali-Paſcha gerichtet.
Das neue englifche Proteltorat war bei den Ioniern nic
populär geworden. Noch zwar gab es Fein aufitänbifce
Griechenland, noch fein Königreich der Hellenen, mit welchem
verbunden zu werden die Jonier hätten trachten können.
Dagegen empfanden es die Griechen des Sitebeninfelftaate
ſehr unangenehm, daß unter den Händen bes brittifchen Lord
Obercommiſſärs Maitland (©. 358), deſſen Perjönlicte:
ihnen an ſich nur wenig ſympathiſch war, deſſen Walten ihne
1) gl. auch Gordon, ©. 213f.
Die ionifche Berfaffung vom 3. 1817. 417
jebr bald als eine „Tyrannis“ erfchien, aus dem englifchen
Proteftorate binnen kurzer Zeit eine ſehr kräftig gehandhabte
Herrſchaft wurde. Der Beginn der langwierigen Conflikte
zwilchen England und den Joniern war die Art der Ent.
jtehung der neuen Verfaſſung, melde Maitland dem
Inſelſtaate gewiffermaßen oftreyirte. Maitland verbrängte von
Anfang an aus dem Fforfiotiichen Senate, den er nur als
Lokalbehörde anerkannte, die federen oppofitionellen Elemente,
wie den Grafen Flambuvianis aus Zante und den Ritter
Dietaras aus Kephalenia. Endlich jchaffte er (22. Mai 1816)
diejen Senat ab. Dann berief er am 19. November 1816
eine Landesdeputation, die er felbft ernannte. Es waren eilf
notable Männer, an deren Spige der Baron Emanuel
Theotokis (S. 358) jtand, ein Neffe des Nikephoros
Theotokis, jedenfalls ein fehr beveutender Dann. Diefe
Commiſſion trat am 10. Januar 1817 zufammen und
entwarf unter Maitlande Aufpizien die neue Verfaſſung.
Im März wählten dann die Injeln 29 Repräjentanten, die
mis jenen Eilf am 23. April 1817 zu einer „geſetzgebenden
Berfammlung zufammehtraten. ‘Der Verfaſſungsentwurf
wurde in nur vier Sigungen burchberatben und fchließlich mit
großer Einmüthigfeit angenommen. Von der brittijchen Krone
(26. Auguft 1817) genehmigt, trat die neue Verfaffung und
Drganilation des Yandes mit dem 1. Sanuar 1818 in
Wirkſamkeit.
Korfu wurde Sitz der Regierung. Die Verfaſſung kannte
drei geſonderte Gewalten: den Lord-Obercommiſſär, den Senat
als vollziehende Gewalt, und Die gejeßgebende Verſammlung.
Der Senat beitand aus einem Präfidenten, welchen der König
von England, d. h. der Lord» Obercommiffär, aus den ger
borenen Soniern auswählte (der erfte war jener Baron
Theotofis) und aus fünf Mitgliedern, welche von der Legis—⸗
Yativen gewählt wurden; nur daß der Lord - Obercommiffär für
jeve Wahl eines Senators, wie auch des Präfidenten ber
Legislativen, ein Veto hatte, welches er zweimal ausüben
durfte, — jchließlich Tonnte er dann je zwei Candidaten vor⸗
Hertberg, Geſchichte Griechenlands. TIL j 27
418 Bud OD. Kap. U. 2. Die ioniſche Verfaffung vom I. 1817.
ſchlagen, aus denen einer gewählt werben mußte. ‘Die Amts-
dauer bes neuformirten Senates follte immer auf je fünf
Sabre fih eritreden. Der Senat zerftel in drei Geichäfts-
abtbeilungen: 1) das &eneraldepartement, beftehend aus dem
Bräfiventen und einem Senator, 2) die Sinanzabtheilung, und
3) die des Inneren, jede aus zwei Senatoren bejtehend mit
den zugehörigen Sefretären. Durch die ihm zuitehende Er-
nennung des Sefretärd des Generalvepartements ficherte ſich
der Lord-Obercommiſſär vie Initiative im allen wichtigeren
Fragen. Der Senat befegte alle öffentlichen Amter, und
machte die Geſetzesvorſchläge, welche die Legislative zu berathen
hatte. Die Bejchlüffe der Mehrheit unterlagen dann noch ver
Sanftion des Lord-Obercommiſſärs. Die auf je fünf Jahre
gewählte geſetzgebende Verjammlung (die alle zwei Jahre
am 1. Mat auf drei Donate zujammentreten follte, von dem
Lord⸗Obercommiſſär auf jech8 Monate vertagt, von der Krone
aufgelöft werben fonnte) beftand aus 40 Mitgliedern. Bon
denſelben wurden nur 29 Mitglieder (in Korfu, in Kephalenia
md in Zante je fieben, in Santa Maura vier, in Ithäfe,
Gerigo und Paxos je eined, und das neunundzwanzigſte
umjchichtig von einer dieſer drei Heimen Injeln) durch indirekte
Wahl ernannt. Die anderen Mitglieder beftanden aus abs
gehenden Senatsmännern und aus den jevesmal abgehenten
finf Hyparchen ober „Regenten“ der verjchtevenen Inſeln.
Wähler war jeder, der 800 Gulden Einkünfte hatte, oder eine
„freie Kunſt“ betrieb, Arzt, Advokat oder etwas Ähnliches
war. — Außer ven älteren Bistyümern Korfu, Kephalenia,
Cerigo und Santa Maura wurden noch das Erzbisthum
Zante, wie auch die Suffraganbistbümer Ithafa (von Kepha—
lenia) und Paxos (von Korfu abhängig) formirt. Die Bilchöfe
wurden von dem Staate, beziehentlih von dem Klerus ihrer
Didcefen, ernannt, von dem Patriardhen in Conftantinopel
nur kanoniſch beftätigt. Zur Vertretung des Patriarchen
wurde feftgeftelt, daß von Parlament zu Parlament vie
Bifchöfe von Korfu, Kephalenia, Zante und Santa Maura in
der Stellung als Exarchen over Metropolitanen abmechiefn
- Die ionifche Berfaffung vom 3. 1817. 419
jollten. — Für die Civil verwaltung wurte bejtimmt, daß
jede Inſel einen eigenen Verwaltungsrath bejiken follte; als
Vertreter des Lord-⸗Obercommiſſärs fungirten jpezielle Reſi—
denten. Lie Wahl des Hhparchen und des Staatsanmwaltes
unterlag der Entſcheidung des Lord⸗Obercommiſſärs. Auch die
Ernennung der Richter hatte der Lord- Obercommilfär zu
genehmigen. Bei Entjcheidungen des höchiten Iuftizcoflegiums
zu Korfu batte- für ven Fall der Stimmengleichheit ver Lord⸗
Obercommiffür den Stichenticheid. Die griechiſche Sprache
follte Landes- und Gerichtsiprache fein; vorläufig behielt aber
bei den oberen Gerichten das Italieniſche noch jeine Giltigfeit.
Neben ver regelmäßigen brittiichen Befakung von 3000 Dann
jollten griechiihe Milizcorp8 gebildet werden. Die englijchen
Conſuln ſollten zugleich die Jonier mit vertreten. Die
Handelsflagge führte den venettanijchen Löwen im blauem
Felde, in der Ede aber das engliihe Wappen. Als Wappen
des Staates wurde das großbritanniiche angenommen, ringe
umgeben von ven Wappen ver einzelnen Inſeln. Höchſt
harakteriftiih entlih war es, Daß die bis dahin einzige
Buchoruderei des Staates unter die Verwaltung des Senates
und des Lord⸗Obercommiſſärs gejtellt wurde, ohne deren Ge⸗
nehmigung feine andere errichtet werden jollte ).
Jonien war in der That eine brittiiche Eroberungstolonie '
geworden, und bie Klagen der Oppofition über die Abweichungen
von dent Detail des Pariſer Bertrages (S. 358) und die
Dftropirung blieben nicht aus, wurden freilih von Maitland
1) Bol. Neigebaur, Die Berfaffung der ionifchen Infeln, S. 13—20.
Bulgari, Les sept-iles Joniennes, p. 31. Mendelsſohn-Bar—
tboldy, Graf Johann Kapodiftrias, S. 44}. Lenormant, p. 59—70.
Die ionifhen Münzen zeigten feit 1821 auf der einen Seite das alte
ionifhe Wappen, ben venetianifchen Löwen, mit fieben Pfeilen und ber
Umſchrift: „Iovixov Kparos“, und auf der anderen Seite bie brittifche
Jungfrau mit der Umjchrift „Britannia“ in lateinifchen Yettern. Die
fpanifchen Piafter, Colonnati, wurden als Landesmünze erflärt, und in
Kupfer Obolen zu 100 auf einen Biafter, zu halben Obolen, ganze,
boppelte und fünf Obolen gusgeprägt. Neigebaur, ©. 27f.
27*
40) Bud II. Kap. II. 2. Jonien unter englifher Herrſchaft.
brutal genug zum Schweigen gebracht. Auch des Grafen
Giovanni Kapodiſtrias Bemühungen, bei feinem Aufenthalt
in Rorfu 1819, wie nachher bei einem Beſuche in London, zu
Gunften feiner Landsleute zu interveniren, hatten durchaus
feinen Erfolg, Dagegen ift nicht zu leugnen, daß die
brittiihe Verwaltung und Maitlands eijerne Fauſt
(immerhin ohne Sammethandſchuh) für die Injeln vieljeitig
überaus wohlthätig gewejen if. Maitland ftelltg die öffentliche
Sicherheit mit rücjichtslojer Energie her. ‘Diebe, Mörder und
Straßenräuber wurden ohne fentimentale Bedenken in Menge
ausgerottet; namentlich aber wurde für Handel und Schiff-
fahrt, für den jo jehr wichtigen Straßenbau, für Häfen,
Aderbau, Volksunterricht Erhebliches geleiftet, dazu auch der
alte jchlimme Mißbrauch der Verpachtung der Staatseinkünfte
an einzelne vornehme Jonier mit fräftiger Hand abgeſtellt.
Beſonders wertbuoll wurde endlich die Stiftung der Uni-
verfität in Korfu, welche — aus ber älteren (1808)
ioniſchen Akademie heraus entwidelt — 1824/5 mit vier
Fakultäten ins Leben trat, als ihren erjten Kanzler den
glübenden Philhellenen Lord Guilford, der ihr bedeutende
Mittel zumandte, an ihrer Spike ſah, und für mehrere
Sahrzehnte ein neuer Mittelpunkt griechiicher Wiſſenſchaft,
ein Sammelplag namhafter griechiicher Gelehrter geworben
tt).
Nichtöpeftoweniger vermochte fich zwilchen der herben Art
der Engländer und den SIoniern niemals ein näheres Ver—⸗
hältniß zu entwideln. Die Spannung tit eine unlösbare
geworden, als (ſ. unten) Maitland jich eifrig bemühte, vie
wirkſame Theilnahme ver Ionier an dem endlich ausbrechenden
neugriechifchen Befreiungsfampfe zu hindern. Uber fchon
1818 und 1819 hatte fich bei ihnen und ben Griechen
überhaupt England höchſt unbeliebt gemacht durch die Aus-
1) Bgl. Neigebaur, ©. 23—28. 31. Mendelsfohn - Bar-
tholdya. a. O. ©. 4—55. Nicolai, Geſchichte der neugriechifchen
Litteratur, S. 121.
Parga. 471
lieferung der Stadt Parga an Ali- Pafcha von 9a
nina.
Die tapfere Stadt Barga war (©. 357 f.) unglüdlicherweife
in dem abjchließenden DVertrage, welcher die Engländer zu
Schutherren der tonifchen Injeln machte, nicht mit erwähnt
worden. Aber die Stadt ftand doch thatfächlich unter brit-
tiihem Schutze, fie galt allgemein als ein Zubehör des
toniichen Inſelſtaates, fie war feit mehr denn vier Jahr⸗
hunderten venetianiih, ntemals aber türfiich geweſen.
Man feste in der griechiihen Welt einfach voraus, daß
England als chriftlihe Macht fih zu Parga ebenjo ftellen
würde, wie früher die Republik der Lagunen, nament-
lich auf Grund der Zuſagen, welde (S. 356) bei dem
Übertritt der Barganioten zu England General Campbell
gegeben hatte. Aber die Sache nahm jchmählicherweiie einen
völlig anderen Gang. Ali-Paſcha von Iantna rubte nicht,
bis fein glübender Wunſch, auch diefe wichtige eptrotifche
Stadt mit ihrem Hafen, ihrer Citadelle, ihren blühenden
Drangen » und Limonienhainen zu befiten, in Erfüllung
gegangen war. Ali hatte fich früher, wie wir jahen, in ben
legten Jahren der Napoleoniichen Kriege wiederholt ven
Danf der Engländer verdient. Ali wußte auf der anderen
Seite !) durch fein Gold in Stambul es durchzufegen, daß
bie Pforte auf Grund (S. 309) des Vertrages von 1800
in das engliihe Proteftorat über die ioniſche Republik nur
unter der Bedingung einwilligte, daß Parga ihr überlafjen
würde. Ein geheimer Vertrag aber bejtimmte, daß bie
Pforte die Stadt ihrem getreuen Vaſallen Ali übergeben
ſollte.
Die Parganioten erfuhren bereits durch ein Schreiben,
welches Maitland am 24. März 1817 an den Oberſtlieutenant
von Boſſet richtete, daß England ſie binnen einiger Zeit der
1) So ſtellt jetzt die Couliſſengeſchichte dieſes Handels dar: Men-
delsſohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 145, und „Geſch. Griechenl.“,
Bd. J, S. 111.
42? Bud II. Kap. II. 2. Barga 1819 an Ali-PBafcha übergeben.
vollen Souveränetät der Pforte überlaffen würde. Noch aber
unterhandelte England durch jeinen Conſul in Paträ,
Der. Cartwright, in Janina mit Alt umd einem Agenten ber
Pforte, um den etwa vor der Übergabe an Ali zur Aus
wanderung entichlofjenen Pargantoten eine Entſchädigung für
ihre Häufer und ihr Eigenthum zu erwirfen. Nach längeren
Unterbandlungen und verjchtedenen Verfuchen, in der Höhe der
den Parganioten zu gewährenden Entſchädigung eine mittlere
Linie zwiichen Ali's Vorichlägen und benen der Engländer
und der Parganioten zu finden, einigten fich Alt und Maitland
im Frühling 1818 zu Butrinto auf die Summe von
150,000 Pfund Sterling. As Tag der Übergabe von
Parga an Ali wurde der 10. Mat 1819 anberaumt.
ALS diejer Zeitpunkt fich näherte, als Ali's Truppen allmählich
gegen Parga vorrüdten, geriethen die Parganioten in Ver—⸗
zweiflung und raſende Wuth. Sie kamen auf ven wilden
Gedanken, die Scenen von Sagunt vor den Augen ber modernen
Welt zu erneuern. Sie errichteten auf dem Markte ihrer Stadt
einen Scheiterhaufen aus Olivenholz, auf welchem die wieder
ausgegrabenen Gebeine ihrer Vorfahren verbrannt werben
jollten. Dann aber beichlojfen fie, in dem Augenblide des
Einrüdens der Mohammedaner ihre Weiber und Kinder zu
ermorden und felber unter ben Bajonetten der Schkypetaren
und Engländer den Tod zu fuchen. Da eilte ein englijcher
Offizier nach Korfu und fehilderte dem Lord- Obereommiffär
die Lage. Sofort ſchickte Maitland den in Korfu comman-
direnden General Trederic Adams, einen humanen unb
als Gemahl einer korfiotiſchen Dame den Griechen wertben
Dann, nah Parga. Diejem gelang e8, die vorzeitige An-
näherung der Schkypetaren zu verhindern und die Barganioten
vom Außerften abzuhalten. Sie begnügten fich damit, bie
Gebeine ihrer Vorfahren zu verbrennen. Dann fchifften fie
fih am Morgen des 10. Mai 1819 nah Korfu ein, wo
die tonijche Legislative am 22. Mai beichlog, alle dieſe Aus
wanderer als ioniſche Staatsbürger aufzunehmen. Binnen
vier Monaten Tollten fie ihre Namen von den Hyparchen
Ali⸗Paſcha und Sultan Mahmud LU. 428
der verfchiedenen Inſeln in das Bürgerverzeihnig aufnehmen
laſſen ?).
Unmittelbar nad der Abfahrt der Parganioten hatten
Ali's Truppen die verdvete Stadt in Bejig genommen. Die
Entichädigungsfumme brachte er rajch Durch eine außerordentliche
Steuer auf, die er über alle Bewohner feines Reiches, Telbft
die Soldaten und feine Dienerfchaft nicht ausgenommen, vers
hängte. Der Ruf Englands in der Levante litt fchwer unter
diejen Vorgängen. ‘Der Stern Ali's aber begann unmittelbar
nach Ddiejer graufamen Erfüllung feines legten Wunfches zu
erbleichen. Der übermädtige Paſcha von Janina war dem
energiihen Sultan Mahmud I. ſchon lange in böchftem
Grade widerwärtig. Diefer Padiſchah verfolgte jeit feiner
TIhronbefteigung (S. 347) mit böchiter Zähigkeit und Aus-
dauer den Plan, das osmaniſche Reich zu reformiren. Che
das aber möglich wurde, mußten, ſollte nicht die Kataſtrophe
Selims III. fi wiederholen, bie zügellojen Milizen und die
übermächtig gewordenen Vajallen des Reiches niebergeworfen,
der innere Zuſammenhang des Neiches erft wieder bergejtellt
werden. Erſt jeit dem Frieden mit Rußland 1812 fonnte
die Belämpfung der rebelliichen Unterthanen und jelbftberrlichen
Satrapen der Pforte mit Nahdrud und Erfolg tn Angriff
genommen werden. Das Schiejal Serbiens und die Her-
ftelung der Verhältniſſe zu Miloſch Obrenowitich lernten wir
bereit® fernen. Auch Bulgarien war feit Paswan-Oglu's
Ende bald wieder feit an das Reich gefejlelt worden, Und
in den afiatifchen Provinzen trug die Schlauheit und Energie
des jungen Sultans gegen die bier aufgeichojfenen Machthaber
and unbändigen Machtelemente nach einander ſehr bedeutende
Erfolge davon. Endlich blieben nur noch Die beiden großen
Paſchas Mehemed⸗Ali von Ägypten und Ali-Paſcha von Ianina
1) gl. Bougqueville, überſ. durch v. Hornthal, Bd. 1],
©. 319 — 334. Neigebaur a. a. O. S. 26 f. Finlay, Greece
under othoman and venetian domination, py 338 sqy. Mendeld-
fohbn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 143ff.; „Geſchichte Griechenlands“,
Bd. J, ©. 110ff.
424 Buch I. Kap. II. 2. Veli⸗Paſcha 1812 aus Morea entfernt.
zu vernichten übrig, deren immerhin mögliche Verbindung
abzuwarten der Sultan nicht gewillt war. Am geboteniten
erichien es, zuerjt die Macht des Alt- Balcha zu brechen, ver
ichon jeit Jahren der Pforte verhaßt und verdächtig war.
Den erften Streih hatte die Pforte bereits im
Auguft des Jahres 1812, nicht lange nah dem Gemetzel
von Gardhiki (S. 360), gegen Alt geführt, gerade als der
gewaltige Albaneje die Sonnenhöhe feiner Macht erreicht zu
haben fchten. Damals nemlich ſah fich der Diwan veranlaft,
den Klagen der Moreoten über die Verwaltung von Alt’
Sohne Veli nachzugeben und den jungen Paſcha aus Tripolitza
abzuberufen. Um zugleich Unfrieden in das fürftlihe Haus
von Janina zu werfen, wurde das Paſchalik Theſſalien dem
Ali entzogen, und Veli angewiejen, fich als Paſcha nach Trikkala
zu begeben. Alt war indejjen von den Klagen der Moreoten
in Stambul bei Zeiten unterrichtet worden. Er wies Daher
feinen Sohn an, den Befehlen aus der türfiichen Hauptftadt
nicht zu folgen und den Abzug aus Morea zu verichleppen, es
werde leicht fein, den Widerruf des großberrlichen Fermans zu
bewirten, — für alle Fälle jtänden 10,000 Schkupetaren zu
feiner Hilfe bereit. In demſelben Sinne jchrieb Alt an feinen
Better Ismael-Pacho⸗-Bei, Veli's Seliktar, verbot ihm
unter Drohungen jede Nachgiebigkeit. Jetzt aber zeigte es
fih, daß dieſer als fanatifcher Alttürfe und Sunnit dem
Sultan mehr gehorchte, als dem ſchiitiſchen freigeiiterijchen
Paſcha von Janina. Veli gab in der That den Vorftellungen
feines Seliktars nach, geborchte den Wetjungen bes Vaters
nicht, und: begab fih, als jein befignirter Nachfolger für
Morea bereits in Nauplion angefommen war, wirklich nach
Theſſalien, wo er jeinen Sig in Lariſſa nahm.
As Alt erfuhr, wer feinen Sohn beitimmt hatte,
Morea doch zu räumen, ſchwur er dem Pacho⸗-Bei blutige
Rache. E8 wurde fein Verhängniß. Im feiner blinden Wuth
jhidte er einige Banditen nad Yarijja, welche den Pacho-Bei
ermorden follten. Nur mit äußerfter Mühe entging der
Seliktar den Kugeln dev Mörder. Aber er mußte doch die
Feindſchaft zwiſchen Ali-⸗Paſcha und Ismael⸗Pacho-Bei. 425
Flucht ergreifen und wurde nun von Ali andauernd wie ein
gehetztes Wild verfolgt. Pacho-Bei fand auch in Karyſtos bei
Dmer-Bei feine Sicherheit. AS er ſich dann auf der Inſel
Skiathos barg, wußte Alt ihn auch bier zu entdeden und zu
vericheuchen. Nach langer Wanderung durch Ägypten und
Kleinafien juchte er endlich jeine Zuflucht in Makedonien bei
dem mächtigen „Dramali“, bet Mahmud, dem Paſcha von
Drama Auch hier aber war feines Bleibens vor Alt’s
Nachftellungen nicht, und nach einigen Monaten mußte Pacho-
Dei abermals flüchten. Endlich wandte er fih nad Stambul,
wo ihm feine imponirende Periönlichkeit, feine Talente und
feine Sprachkenntniſſe großes Anfehen verihafften. Jetzt machte
er fih zum Organ Aller, welche bei dem Diwan über bie
Verwaltung Alt’8 und feiner Söhne klagten. Er mußte die
Sympathie der Derwilhe und Ulemas zu gewinnen; den
Sultan felbft veizte er auf, indem er ihn auf Ali's koloſſale
Schäte aufmerfiam machte, der zu Zepeleni 150 Millionen,
zu Arghyrokaſtro und Janina noch mehr liegen babe, ver
außerdem fammt feinen Söhnen aus jeinem Reiche wahrhaft
enorme Einkünfte beziehe. Bacho-Bei wurde endlich jogar zum
Kämmerer des Diwans ernannt. Seine Vorichläge, gegen
Alt den Krieg zu beginnen, den er als durchaus nicht
Ichwierig bezeichnete, wurben inzwiſchen noch längere Zeit durch
die großen Geſchenke paralbfirt, welche Ali den Minijtern der
Pforte regelmäßig zu fpenden pflegte. Endlich aber gewann
Bacho- Bei, unterjtügt durch einen von Ali aus Lariſſa ver-
triebenen türkiſchen Großen, Abdi-Efendi, den mächtigen
Sünftling des Sultans, Chalet-Efendi, der neuerdings mit
Ali zerfallen war, weil der Paſcha ihn nicht mehr entiprechend
befchenfte. Der erfte Schlag, den er gegen Alt richtete, beſtand
barin, daß er den Sultan beftimmte, dem verſchwenderiſchen
Regime des Veli ein Ende zu machen, der Theſſalien durch
feine Erpreffungen erichöpfte. Welt mußte Thefjalien räumen
und wurde nach dem minder angejebenen Pafchalif Yepanto
verjeßt (1819). Auf diefen Zug antwortete Ali mit dem
Verſuche, jeinen Todfeind mitten in Stambul durch zwei
46 BI.8IL 2. Offener Bruch (1820) zwiſchen Ali u. ber Pforte.
albanefiihe Banditen erichießen zu laſſen. Der Verjuch miß-
Yang (Anfang Februar 1820), und auf der Flucht wurde
ber eine Schurke zu Adrianopel gefangen genommen, der num
geftand, daß Ali ihm zu dieſem Morde gedungen babe. Nun
endlich wurde, zunächſt in geheimer Berathung, von der Pforte
der Beichluß gefaßt, Alt zu vernichten und das Pajchalif
Janina auf den Pacho⸗-Bei zu übertragen. Es dauerte aud
nicht mehr lange, jo jchritt die Pforte zur Ausführung Diefes
auch für jie ſelbſt geradezu verhängnißvollen Beichlujjes ?).
Alt, der den. drohenden Sturm vorausjah, ſuchte fich im
diejer Nothlage durch einen fühnen Zug zu retten. Er mußte
ſehr wohl, daß die griehifhe Welt in voller Gährung
war. Die Erijtenz der Hetärte, welcher die namhafteſten
Primaten und Kapitanis angehörten, war ihm nicht unbekannt,
fonnte ihm bei ber weiten Ausdehnung des Bundes und bei der
ſtürmiſchen, Teichtfinnigen Art vieler Griechen auch nicht fein.
Nun fuchte er die Details zu erfahren, Tieß daher mehrere
griechiiche Häuptlinge, die in feine Hände fielen, foltern (und
hernach tödten), um von ihnen Geſtändniſſe über das Geheimniß
"zu erprejfen. Dann aber gab er ji den Anichein eines
treuen und eifrigen Gläubigen und berichtete nah Stambul
über die Gefahr, melde dem Islam von Dielen „ tollen
Kapitanis“ probe, bot auch feine Hilfe an gegen den Ausbruch
biefes Aufftandes. Auf dieſe Anzeige bin wurde in Stambul
ein Minifterrath gehalten, welchem der Großweſſir und andere
Großwürdenträger der Pforte beiwohnten. Aber jet übere
wogen im Diwan zum Heil für die Griechen Alt’8 Gegner.
Die Stimmen der Hügeren Nathgeber des Sultans, wie Des
Miniſters des Inneren Saiva -Efendi, kamen nicht auf gegen
die Anficht der "Mehrheit, welche Ali's Anzeige für erfunden,
in feinen Angaben über die Hetärie nur eine tüdiiche Intrigue
gegen treue Untertbanen des Sultans erkennen wollte. In⸗
1) Menpdelsfohbn- Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 156 fi. umb
„Sei. Griechenl.“, Bd. I, S. 118ff. Finlay, History of the greek
‚revolution, vol. I, p. 8ösgg.
Die Pforte erflärt Ali den Krieg. 427
ziviichen wollte man ihn noch nicht unmittelbar angreifen,
jondern verfuchte zunächit, ihn diplomatiſch zu überflügeln, die
Grundlage feiner Macht zu untergraben. Alt Dagegen, der
Die Zeichen der Zeit erkannte, fpielte jet neue und ſtarke
Trümpfe zu ſeiner Rettung aus. Die Agenten des Sultans,
welche die griechiſchen Häuptlinge gegen ihn aufwiegeln ſollten,
ließ er einfach fejtnehmen und tödten. Dazu aber ſetzte er
fih mit allen Elementen der Unzufriedenheit in Verbindung.
Er unterhandelte mit den Serben und Montenegrinern; er
gab einerſeits den Schiiten und moslemitiichen Freivenfern
die beften Worte, andererſeits verijprah er den Griechen
nationale Unabhängigkeit, und jöhnte ſich mit den Klephten
und Armatolen aus, die er jo oft verfolgt und befämpft hatte.
Mehr aber, er berief im Mat 1820 die einflußreichiten
moslemitiichen und chriftlichen Häuptlinge von Albanien zu
einem Diwan nad Janina, wo er durch glänzende Beredt⸗
ſamkeit, lockende Verſprechungen, und Austheilung von Ge⸗
ſchenken es wirklich erreichte, daß (23. Mai) Alle ſich für Alt
erflärten. Ja, er verkündete jogar laut, daß er den Epiroten
eine „Charte“ gewähren wollel Inzwiſchen hatte die Pforte
aber ihre Rüftungen eingeleitet. Cine Flotte wurde armirt;
der milde Paſcha Behlewan- Baba von Ruftihud, ein Gegner
von Ali's Söhnen, jollte in Bulgarien, Mahmud Dramali
(jet Schwiegervater des Pacho-Bei) in jeinem Gebiete, Muſtai,
Paſcha von Skutari, im nördlichen Albanien gegen Alt rüften,
das Obercommando aber dem für Janina neu defignirten
Pacho⸗Bei zugetheilt werden ).
Im Juli 1820?) wurde endlih in Stambul der Hatti-
Scherif des Sultans - veröffentlicht, welcher den Paſcha von
Janina des Majejtätsverbrehens als ſchuldig und ald „Fer⸗
manli“, d. h. als geächteten Reichsfeind, erklärte, falls er
1) gl. Mendelsfohn- -Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 159ff. und
„Geſch. Griechenl.“, Bd. I, ©. 120ff.
2) Diefe Chronologie gibt beftimmt an Mendelsfohn - Bar-
tholdy, Ali-Paſcha, ©. 162, und „Geſchichte Griechenlands”, Bd. I,
S. 122.
428 Bud II. Kap. II. 2. Tie Pforte und die griechifche Hetärie.
nicht binnen vierzig Tagen in Stambul erjcheinen und fi
dort rechtfertigen würde. Damit famen die Ereignijie
überall in Fluß, und bald zeigte es fich, daß die beiden
moslemitiihen Gegner, der Sultan und Ali, durch ihren
Kampf nur für die Griechen arbeiteten.
Die Pforte ihrerfeits bat fi) neun Monate jpäter dur
den Ausbruch der griechiichen Revolution vollſtändig überrajchen
laffen. An Warnungen bat es freilih dem Diwan nidt
gefehlt. Seit jener großen Denunciatton der Hetärie dur
Ali find noch mehrfache andere Anzeigen über das Zreiben
der griechtihen Verſchwörung in Stambul eingelaufen. Der
Kapudans Paicha und verfchiedene andere osmaniſche Befehls-
haber berichteten in ähnlichem Sinne; e8 war eben nit
ſchwer, die Eriftenz einer jo großen Verbrüderung, die doch auch
ab und zur treulofe Männer in ihren Reihen zählte, zu erratben.
Mehemed⸗Ali in Ägypten gab ähnliche Mittheilungen. Ebenſo
warnten, namentlih im Hinblide auf die in demjelben Jahre
1820 in Italien ausgebrochene Revolution, mehrere europütiche
Mächte, Rußland nicht ausgenommen, vor den Umtrieben ver
geheimen Gejellichaften. Aber die Pforte achtete nicht auf
jolhe Mahnungen. E8 war nicht bloß Leichtfinn und apatbifche
Sorglofigfeit, die fie zu folcher Indolenz bejtimmte. Seit
Alters gewohnt, die Rajah zu verachten, hatten die Osmanen
feinen Begriff von der neuen geiſtigen Bewegung unter den
Hellenen, von dem Aufichwunge bedeutender Theile dieſes
Volkes. Es kam dazu, daß gerade jekt die äußere Lage ber
Griechen viel bejfer war, als in ben früheren Zeiten ver
osmaniichen Herrſchaft; das Sinken (f. unten) der hydriotiſchen
Rhederei jeit 1815 war nicht die Schuld der Pforte. Von irgend
welchem neuen Drude, der gerade jekt auf ven Griechen
gelaftet oder fie friich erbittert hätte, war auch nichts befamnt.
Mehr aber, die Pforte ftand zur Zeit mit Rußland in vollem
Frieden, — daß aber die Griechen ohne ruffiiche Hilfe etwas
gegen die Osmanen verjuchen würden, war nad allen Er-
fahrungen jeit 1770 ven Osmanen höchſt unwahrſcheinlich.
Daß aber Motive wie der italieniiche Carbonarismus dem
Die Pforte und die griechifche Hetärte. 429
Reiche des Großherrn hei feiner merkwürdigen Eigenart follten
gefährlich werden fönnen, glaubte doch auch Niemand in
Stambul ). Sultan Mahmud II. Hatte daher unbedenklich
zu dem VBernichtungsfriege gegen den verhaßten Satrapen von
Janina fich entichloffen. Er ahnte nicht, dag er damit in
einer Zeit, wo bereit8 auf der Phrenätjchen Halbiniel und in
Italien die Revolution in der damals gefährlichiten Gejtalt,
nemlich in der großer militärischer Empörungen, wieder auf der
Bühne der Weltgejchichte erfchtenen war, jelbjt den Brand
entzündete, der längjt von anderen Händen vorbereitet worden
war. Ohne Bild: der Krieg des Sultans gegen Ali, der die
Kräfte der Pforte in ausgevehntem Umfange in Anjpruch
nahm, und zugleich die ſtarke albanefiihe Macht im Süpen
der Balkanhalbinſel, die der Schreden der Griechen gewefen
war, zertrümmerte, wurde der notbwendige Anftoß zum
Ausbruche der griechiichen Erhebung. Mehr aber, — fo
feltjam e8 der Pforte zuerit erſchien, daß gerade die chrijtlichen
Krieger des Südens als Vertheidiger ihres langjährigen Fein-
des in Janina auftraten, fo bat fie nachher nur allzulange
die griechiihe Bewegung lediglich für einen Ausläufer der
epirotiichen Kataſtrophe gehalten, und jchlieglich gab der lange
Zodesfampf Ali's der Injurreftion des griechiichen Südens
ausreichend Zeit fich in umfafjender Weile zu organifiren.
Che nod die osmaniſche Armee gegen Janina aufbrach,
hatte ein Mißgriff ver Türken bereits einen Theil der Griechen
zu den Waffen gerufen. Der Nachfolger des Veli⸗Paſcha in
Theſſalien und in der durch Alt zunächſt ohne Widerftand
aufgegebenen Stellung des Derwendſchi-Baſchi, Suleiman-
Paſcha, ließ fich durch feinen griechiichen Sekretär Anagnoſtes,
einen erbitterten Feind Ali's, zugleih aber auch fchlauen
Hetäriften, beftimmen, den für alle Kadis bejtimmten Ferman,
welcher den Alt als geächteten Neichsfeind erklärte, auch den
Griechen mitzutheilen. Er ſelbſt mußte das Aftenftüd ins
1) gl. namentih Brandis aa. O., Th. II, ©. 31 fi. und
v. Prokeſch⸗-Oſten a. a. O. 8. 1, ©. 11 u 19ff.
4 Bud II. Kap. I. 2. Ali⸗Paſcha eröffnet den Krieg.
Griechiſche überlegen, und machte daraus liſtig einen bfut-
triefenden Aufruf des Padiihah an die griechtiiche Rajah, fich
gegen Ali's Schkypetaren zu bewaffnen. In Tolge dieſes
tückiſchen Streiches griffen die Griechen in Nordgriechen-
land vom Pindos bis zu den Thermopylen in der That zu
den Waffen, zunächit ohne Teindjeligfeiten gegen die Moslims
zu verüben !). Ali jeinerjeitd3 bot nun den Hetäriiten immer
rücfichtSlofer die Hand. In jener Hoffnung auf brittiiche
Hilfe getäujht, wollte er jegt mit Rußland in Verbindung
treten. Er wählte taber (S. 416) jenen PBaparrigopulog in
Paträ aus, um für ihn mit den rujjiihen Mäniftern Kapo⸗
diftrias und Nejfelrode zu unterbandeln. Er veriprach, feiner-
feit8 40,000 Mann zu den Waffen zu rufen, wenn Rußland
der Pforte den Krieg erklären würde. Nach einigem Schwanten
nahm Paparrigopulos auf Rath des hetäriſtiſchen Erzbifchofs
Germanos von Paträ wirflid den Auftrag an, und ging
zugleich als Bote des Paichn’8 und der peloponnefijchen
Hetäriften nach St. Petersburg. Erfolge hat dieſe Sendung
dem Satrapen freilich nicht gebracht ?).
Inzwilchen jtellte Ali eine erhebliche Macht auf und beſchloß,
den Krieg durch) fühnes Vorbrechen gegen das Centrum der Balkan⸗
halbinſel zu eröffnen. Sein Aufruf an die Klephten und Armatolen
batte jeine Wirkung gethan. Nicht nur daß jchon jet bie
Klephturie auf den Grenzen gegen die Provinzen der Pforte
einen bedeutenden Aufihwung nahm, jo fand Alt maſſenhafte
griechiiche Krieger jest bereit, jeine Schlachten auszufechten.
Sein Liebling (S. 366) Odyſſeus, dieſer jelbit jeit 1818
Mitglied der Hetärie ?), wurbe mit dem Commando über Die
Armatolen in Livadien betraut. Andere namhafte Kapitäne,
die nachher großentheild als Helden des griechiichen Freiheits⸗
1) Vgl. Pouqueville a. a. ©. 3b. II, S. 25ff. v. Prokeſch⸗
Oſten, ©. 6.
2) Mendelsfohn- Bartholdy, Ali-Paſcha, ©. 163 f., und
„Geld. Griechenl.“, Bo. I, S. 122,
3) Brandis, Thl. II, S. 27.
Ali's Kriegsplan. 451
fampfes ihre Rolle fpielten, büteten Salona, Lokris, Agrapha,
Ätolien und die Achelooslandichaften. Hier galt e8, die Ver—⸗
bindungen mit den Provinzen des Sultans zu jperren. Für
feine Offenſive dagegen beging Ali ven Zehler, mit uns.
zureichenden Streitkräften einen Kriegsplan durchführen zu
wollen, den ihm einjt einige brittiiche Offiziere entworfen
hatten, die mit dem wirklichen Beſtande feiner Kriegsmittel
feineswegs genau befannt waren. Der Zielpunkt jeiner
Armee jolite — Worianopel fein. ‘Daher tbeilte er feine
mobilen Streitfräfte in drei ftarfe Colonnen. Omer Vrionis
marſchirte auf dem rechten Flügel mit 15,000 Mann über
ven Pindos auf Lariſſa, beziehentlich durd) das Thal Tempe
nach der Gegend von Saraferia (Berda). Ebendahin follte
ber direkt aus Albanien nach Mafedonien dirigirte Selichtaris
(Seliktar Poda) aufbrechen. Vaſiaris (Hago Beſſiaris Mus.
hurdar) endlich ſollte zunächſt nach Berat geben, dort refrutiren,
eine ſtarke Garnifon dort laſſen, endlich jelbjt ebenfall® nach
Makedonien abichwenfen }).
Ali's Plan ift binnen furzer Zeit gänzlich mißlungen.
Jetzt rächte fih an ihm die dämoniſche Selbitiucht, die den
Grundzug jeines Weſens ausmachte. Der furchtbare Satrape,
der durch ein Meer von Blut gewatet war und niemalg
Liebe gewedt, niemals Treue und Hochherzigfeit gezeigt, mußte
bald erfennen, daß es in der Zeit der Krifis feine geiftige
Gewalt, feine Idee gab, durdy die er feine Völker zu aus»
dauernder Energie in dieſer Rebellion hätte entflammen fünnen.
Bei feinen moslemitiihen Truppen übermog ſehr bald die
Scheu, gegen den Pabiihah, den geijtlichen Chef des Islam,
fich zu jchlagen, die Pflicht gegen ihren Brobheren. Die
Griechen aber, die doch unmöglich in Alt den Vorkämpfer
für die befleniiche Freiheit zu erfennen vermochten, nahmen jehr
bald die Gelegenheit wahr, Ali's ſchwierige Lage liftig im ihrem
eigenen Interefje auszunugen.
1) Vgl. Pouqueville, Thl. II, S. 19-24. Mendelsfohn-
Bartholdy, Geſch. Griechenl. S. 1227.
432 8.11. K. II. 2. Siegreiches Tordringen der Osmanen gegen Ali.
Anfangs allerdings hatte Ali noch einige Erfolge, nament-
lich in Theſſalien. Er hatte ven Anagnoftes bei Suleiman-
Paſcha zu verbächtigen gewußt; der Grieche war nad Stambul
entwichen. Und während Suleiman noch glaubte, jeinerjeits
durch Unterbandlungen den Paſcha von Janina täuſchen zu
fönnen, wurde er nad der Hauptſtadt abberufen, als Ber-
räther zu Salonicht enthauptet, jein Paſchalik dem Mah—⸗
mud Dramali übertragen. Dann aber begannen enblic
die Operationen der osmaniſchen Arme. Den linken
Flügel derjelben bildeten die wahrhaft ſcheußlichen, raub⸗ und
blutgierigen Schwärme bewaffneten Geſindels, welche jener
Paſcha von Ruftihuf, Pehlewan- Baba, aus dem wilden
Kirdichalen (S. 286) gebildet hatte, die wir früher als die viel⸗
jährige Geißel Bulgariend und Rumeliens fennen gelernt
haben. Diefe Schaaren rüdten zuerit in Theſſalien ein, für
Griechen und Mohammedaner dieſes Landes in gleicher Weije
widerwärtig und läſtig. Erſt a8 Mahmud Dramali
ebenfalls in Lariſſa eintraf, 308 Pehlewan nach den Thermo-
pulen ab, um den Odyſſeus anzugreifen. Yangjamer rückte
das Heer des ISsmael-Pacho⸗Bei ihnen nad.
Und nun brach fchnell genug Ali's Macht zufammen. Der
Gewandtheit des Dramali gelang es, zunächſt die Armatolen
und die albanefiichen Truppen des Pajcha’8 von Janina zu
gewinnen, bie bereits zwiſchen den nordtheſſaliſchen Gebirgen
und der makedoniſchen Weftgrenze fich ausgebreitet Hatten.
Selihtaris fiel offen von Alt ab und erließ ſelbſt einen
Aufruf zur Empörung wider ihn. Omer Vrionis, ber
ebenfalls jchlimme Beweiſe von der Tücke des Satrapen er«
fahren Hatte, wich aus Theſſalien zurüd und trat feinerjeits
mit Dramali und Pacho⸗Bei in vnerrätheriiche Beziehungen.
Dramali ging zunäcit nur bis zu dem Pindospafle von
Gomphi vor und erwartete die Ankunft des Pacho - Bei.
Inzwilchen überfluthete die Armee des Pehlewan-Baba
mit wilder Energie Mittelgriehenland. Die Thermopylen
waren nicht zu halten. Und als die wilden Schaaren in
Böotien einbrachen, welches fie in fchlimmer Weiſe ausjogen,
Ali verliert ganz Mittelgriechenlano. 433
durch Brandſchatzungen erjchöpften, und mit jehänblichen Aus-
fchweifungen bejubelten, erhoben fich die Griechen ber Stadt
Livadia (Lebadeia) gegen ven General Odyſſeus und
zwangen ihn mit Gewalt, ven Plag zu räumen, und nach dem
Weiten zu vetiriven. Bon Behlewan- Baba energiich verfolgt,
sich Odyſſeus über Salona; einige Gefechte bei Lidhoriki
vermochten die Osmanen nicht ernſthaft aufzuhalten. Um fo
‚weniger, als Veli⸗Paſcha darauf verzichtete, fich in Lepanto
zu behaupten und mit Dinterlafjung einer fchwachen Beſatzung
fich nach Prevefa zu werfen bejchloffen Hatte. ‘Den Befehlen
des inzwilchen mit 20,000 Dann in Larijfa eingetroffenen
Seraskiers Ismael⸗Pacho-Bei folgend, griff Behlewan
dann Lepanto an, welches ohne Schuß fiel, und gewann eben-
falls ohne Kampf, aber ftetS unter Erhebung gewaltiger Con⸗
tributionen, die Städte Mefolongion, Anatoliton und Vrachori
in Ütolien, und rückte endlich ohne Schwertitreich in Vonitza
ein. Das jcheußliche Treiben dieſes Heerführers und feiner
Banden hatte inzwilchen überall bahin gewirkt, daß bie
Hellenen Mittelgriehenlands von der tiefiten Crbitterung
gegen die Osmanen erfüllt wurden. Derjelbe Anagnojtes,
der ſchon vor Ausbruch des Kampfes die Bewaffnung der
Theſſaler veranlaßt hatte, und jet feine perfive Doppelrolfe
als Agent des Behlewan fortjette, ftachelte die allenthalben
in die Gebirge zurückweichenden Griechen zur Bewaffnung an.
Anscheinend noch immer gegen Alt, in Wahrheit zum Schute
gegen Pehlewans Truppen, und fünftig zum Kampfe gegen bie
Dsmanen, gegen welche, wie er auöbreitete, auch Rußland
bereit8 am Pruth ein Heer ſammele. Bereits hatte auch
Dramali in Theſſalien durch fein unbejonnenes Auftreten
gegen die zu ibm übergetretenen Armatolen und durch feinen
fehr zur Unzeit berausgefehrten Abſcheu vor dem Chriftenthum
und dem unter Ali's toleranter Herrfchaft gefchügten griechiichen
Kierus, weit und breit dva8 Bedauern über Ali's Niedergang
erwedt und eine für die Entwidlung der Dinge im Sinne ver
griechiſchen Erhebung höchſt günftige Temperatur in allen
Klaffen der chriftlichen Bewohner diefer Gegenden erzeugt.
Hertberg, Geſchichte Griechenlands. III. 28
484 Buch II. Kap. IL 2. Ali verliert Epirus.
Inzwilchen ſchnellte Ali's Schale einige Zeit lang no
immer höher empor. Im nördlichen Albanien hatte
Muftai, der junge Paſcha von Skutari, feinerjeits den Angriff
begonnen, ver ihm jchnell alles Land bis nach Durazzo mit
biejer Stabt in die Hände warf. Vaſiaris und Ali's Sohn
Muchtar, damals für feinen Vater Gouverneur im Sand
ihat Berat, wurden baburch bier feftgehalten. Indeſſen
wurde Muftai, der ſelbſt Albaneje, felbitherrlich wie Alt, und
fein perjönlicher Feind des Satrapen war, nicht jehr gefährlich.
In Elbaſſan angelangt, nahm er einen Angriff der Monte⸗
negriner auf fein Pafchalit wohl nicht ungern zur Veranlafjung,
den Krieg nicht fortzufegen und den Rüdzug anzutreten. Aber
auch Muctar benuste diefen Bortheil nicht zum Vorſtoß
gegen Makedonien, und deckte nur jein Gebiet gegen eventuelle
Angriffe des Rumili⸗Valeſſi Selim von Salonichi, dem Pacho-
Bei den Auftrag ertbeilte, aus Makedonien direkt gegen Berat
vorzubringen. Biel verberblicher wurde für Ali Dagegen bie
osmaniſche Flotte, die unter dem Kapudan⸗Bei, mit ben
gegen Alt erbitterten Hydrioten bemannt und durch geworbene
Krieger aus der Maina verftärkt, ohne jedes Hinderniß gegen
bie epirotifche Küfte operiren konnte. Won dem Hafen
Banormos aus wurden jet die Chimarioten gegen Alt auf
gewiegelt, und Muchtar ſah fich bald genöthigt, von Berat
nach der ftarten Seftung Arghyrokaſtron zurückzuweichen,
wojelbft er — als die Flotte auch Butrinto und Parga
erobert batte — bald genug erfuhr, daß auch fein Bruder
Belt durch Behlewan zu Lande und durch die Flotte von ber
Seefeite ber in der Citadelle von Preveja blofirt wurde. Bald
genug hatte der Kapudan⸗Bei fo viele chriftlide Gegner
Ali's ans Epirus zur Seite, daß Pehlewan abziehen, durch
Alarnanien und die Päſſe des Makrynoro geben, und Arta
den Truppen des Odyſſeus entreißen konnte, der baun nach
Janina zurückwich.
In Arta erhielt Pehlewan den Befehl, nunmehr dem Is mael⸗
Pacho⸗Bei die Hand zu bieten, welcher jet im Begriffe
ftand, aus Theffalien durch die Väffe des Pindos gegen Janina
Ali auf Janina befchräntt. 435
vorzudringen. Pehlewan rüdte daher auf der großen Straße
nah Janina bis nach der ftrategiich höchft wichtigen Stellung
von Pendepigadhia nor. Alt feinerjeits ſuchte gegen Ismael⸗
Bacho- Bei den großen Pindospaß von Metzowo durch des
Omer Brionid 15,000 Mann zu jchügen, während ber jübliche
Paß von Portaes, der nach den Ruinen von Gomphi und
nah Trikkala führte, durch verſchiedene griechiiche Armatolen
und albanefiihe Häuptlinge gebütet wurde. Pacho⸗Bei war
ihlau genug, den Angriff auf Metzowo zu vermeiden. Das
Shſtem der Päſſe von Trilkala nach Epirus wurde Dagegen
fräftig angegriffen, und nach dem eriten Erfolge der großherr-
lichen Truppen gingen Ali's Hier aufgeftellte Schaaren, zuerſt
der Armatole Sturnaris, ohne Weiteres zu Pacho⸗Bei über,
der nun bie Verbindung mit Pehlewan berftellen konnte.
Omer Brionis aber, amjtatt ſich raſch nah Janina zu
ziehen, ließ fich durch das Beriprechen des Paichalils von
Berat beitimmen, jest Alt unmittelbar zu verrathen. Kaum
daß Alt felbit, den man mit Liſt in Omers Lager gelodt
batte, noch nach Janina entfliehen konnte. Omers Armee lief
theils aus einander, theild trat fie in die Dienjte des Pacho-
Dei über, der jest nahe daran war, jeine Rache vollitändig
zu jättigen ?).
Ali⸗Paſcha gab ſich indejfen noch keineswegs ganz ver»
(oren. Geftüßt auf feine ſtarken und wohlverjehenen Saftelle
m und bei Janina, auf eine jehr zahlreiche und vortreffliche
‚Artillerie, auf eine Garnifon von noch immer 6000 Dann,
auf die den See von Sanina beberrichende bewaffnete, mit
Korfioten bemannte Flottille, glaubte Alt eine Belagerung
ohne Gefahr aushalten zu können. Überzeugt, daß ein einziger
glücklicher Schlag das bunt und locker zufammengejeßte Heer
des Ismael⸗Pacho⸗Bei zerreißen müffe, war er um jo weniger
ängftlich, als der Serasfier zur Zeit noch Fein ſchweres Des
1) gl. Bougqueville, Thl. U, ©. 37—81. Finlay, History
of the greek revolution, vol. I, p. 87’ — 9. Mendelsjohn - Bar
Holdy, Geſch. Griechenl, Thl. I, ©. 122—124.
28*
436 Buch II. Kap. II. 2. Ismael⸗Paſcha blofirt Janina.
lagerungsgeſchütz zur Hand Hatte. Der Tiger von Epirus
begann feine Gegenwehr gegen bie Osmanen mit einer furcht-
baren Barbarei; er ließ, während bie Einwohner von Janina
die blühende Stadt zu räumen genöthigt wurben, dieſelbe durch
feine ſchlypetariſche Garde plündern und bann durch das
Bombenfener der beiden Citadellen (Seeſchloß und Litharizza)
zerftören. Die flüchtigen Einwohner wurben großentheil von
den Vortruppen der osmanifchen Armee geplündert, — ein
Theil der Fräftigften rächte fich nachher durch wilde Klephturie.
Als endlich die osmaniſche Armee (Ende Auguft 1820)
die Ruinen von Janina erreichte, wurde Pacho⸗Bei, jekt
„Ismael⸗Paſcha“, in aller Form an Ali's Stelle zum Paſcha
von Epirus proflamirt, und die Blokade von Ali's Schlöffern
im September eröffnet. Damit fam man aber nur [ehr
langſam vorwärts. Während man Alt gar nicht Kindern
fonnte, fich über den See andauernd friich zu verpropiantiren;
während ber durch Theſſalien ben osmaniſchen Truppen vor Ianina
zuziehende Nachſchub durch feine Erprejjungen die Griechen
diefer Gegenden immer mehr erbitterte, ftand Alt in ver
lebbafteften Correipondenz mit den Führern der griechiichen
Hetäriften in Buchareft und Jaſſh, die im November mit
Plänen zu baldiger Inſurgirung der Walachet, der Inſeln
und des Peloponnes fih trugen. Odyſſeus aber mußte
etwa 1500 ätolische Armatolen, die in der Einichliegung
ſich unbehaglich fühlten, bei einem Ausfalle den Osmanen als
Überläufer zuführen. Dann zog fich der fchlaue Parteigänger
nah Ithaka zurüd; feine Leute aber wurden durch die plumpe
Ungefchicklichleit, mit welcher der Serastier in feinem bornirten
islamitiſchen Fanatismus mehr und mehr alle Chriften vor
den Kopf ftieß und zugleich mit alttürfiihem Mißtrauen vie
Schkypetaren reiste und erbitterte, dermaßen verlegt, daß fie
das türkische Lager verließen und bie Osmanen nunmehr
als Klephten zu befehden anfingen. Überhaupt entfaltete
Ismael-Paſcha allmählih ein höchſt achtungswerthes
Talent, das Volk, welches er regieren ſollte, zu erbittern und
wichtige Machtelemente ſich feindlich zu ſtimmen, ohne dabei
Die Sulioten. 437
mit militäriſcher Einfiht und Kraft trog feiner fchlieplich
60,000 Mann die Belagerung von Janina wirklich vorwärts
bringen zu können. Nur darin war er endlich glücklich, daß
es ihm gelang, Ali's Söhne, zuerft Veli in Prevefa, dann
ah Muchtar in Argbyrolaitron, zu beitimmen, baß fie
gegen bie Zuſage der Amneſtie und ber Ausftattung mit
afiattichen Paſchaliks Fapitulirten, ihres Vaters Sache aufgaben,
ihre Feftungen den Osmanen übergaben und ſich, jener an
Bord einer türkiſchen Fregatte, dieſer zunächſt nach Salonicht
begaben. Beide find nachher unter ficherer Bedeckung nad
Anatolien gebracht worden.
Die Übergabe von Preveſa fette endlich den Ismael-Paſcha
in den Stand, im Oktober Ali's Citadellen mit jchweren Ger
ſchützen angreifen zu fünnen. Des Pehlewan- Baba, der mit
ihm zerfiel und endlich mit Alt zu tranfigiven begann, ent-
ledigte er fih durch Gift, Tieß fich aber gleich nachher durch
Alt in einem gewaltigen Ausfall aufs Haupt fchlagen, und fah
bei jeiner militärtich » politifchen Ungeſchicklichkeit und bei dem
einreißenden Proviantmangel fein Heer gegen den Spütherbft
bin ſich theilweiſe auflöjen. Unter dieſen Umftänden kamen
die Osmanen auf den Gedanken, Alt’s alte erbitterte Gegner,
die Sultioten, gegen den Satrapen von Janina aufzubieten.
Ismael⸗-Paſcha wurde burch den Sultan autorifirt, mit ihren
zu unterbandeln und ihnen eventuell als Lohn für ihre Hilfe
ihr Gebirgsland Suli zurüdzugeben. Die Sulioten auf den
ioniſchen Injeln — jeßt geführt von dem jugendlichen Mar⸗
kos Botzaris (geboren um 1788), des Kitzos Bokaris
(S. 319) herrlichem Sohne, der durch ftattliche Erſchei⸗
nung, dur glänzende Tapferkeit, kriegeriſche Gewandt⸗
beit und mufifaliihe Begabung jeinem Volke werth, durch
feinen waderen Charakter nachmals auch der Gegenſtand ber
Hochachtung Seitens der Europäer wurde — gingen fehr
bereitwillig auf die Vorſchläge der Osmanen ein und ers
jchienen, gegen 800 rüſtige Krieger, in dem Lager vor Ianina.
Aber die Freundichaft mit Ismael-Paſcha dauerte nicht lange.
Diefer bornirte Mohammedaner, der nur zu gern der Abneigung-
438 Buß II. Kap. IL. 2. Allianz der Sulioten mit Ali.
der früheren moslemitiichen Nachbarn der Sulioten entgegen-
kam (S. 219), der die Chriften am Tiebften doch nur als
rechtsloſe, gefnechtete Rajah dulden mochte, machte durchaus
feine Anstalt, die Sulioten in den Befit des ſtarken, von
Ali's Truppen bejegten Kiapha (S. 319) zu fegen. Deſto
geneigter war er, ihnen ſtets die gefährlichitien Poſten vor
Sanina anzumeiien. Als endlich das türkiſche Lager immer
mehr durch die Rückenanfälle von Ali's Parteigängern und
von den durch Ismael⸗Paſcha beraubten und in ihren religiöſen
Gefühlen verlegten Chriſten des Landes geplagt wurde, zeigte
er fehr zur Unzeit gegen’ bie fchlecht bezahlten und ſchlecht
verproviantirten Sulioten ein beleivigendes Mißtrauen und
verwies fie aus feinem Lager nach einem anderen Plage. Der
Huge Ali-Paſcha wurde nicht fo bald dieſes ſchweren Miß—⸗
griffes feines Todfeindes gewahr, als er auch mit feiner
gewohnten Gefchidlichfeit geheime Unterhandlungen mit den
Sulioten anzufnüpfen verftand. Die Sulioten gingen jofort
darauf ein, Botzaris jelbjt fuhr eines Nachts über den See
zu At und jchloß mit ihm einen förmlichen Vertrag.
Schon längſt in das Geheimniß der Hetärie eingeweiht, theilten
ibm die Sulioten die legten Pläne der Griechen natürlich)
nicht mit. Aber fie befchlofien, Alt zunächit gegen die D&-
manen zu unterjtügen, ſoweit fich) das mit ihren und mit den
Sntereffen der Griechen vertrug. Beide Parteien ftellten
einander Geijeln, die Sulioten follten 500,000 Piaſter und
Ali's Schlöjfer in Suli, Kiapha ausgenommen, erhalten.
Am 6. December 1820 (alten Styles) verließen Die
Sulioten mit fliegenden Fahnen die türkiſchen Stellungen und
marichirten auf dem Wege über Variadhes nah Suli.
Ehe die Osmanen vor Janina von ihrem Erjtaunen, die
Schkypetaren im Lager von ihrem Schreden über ben Abfall
ber gefürchteten Sulioten fich erholten, bejegten dieſe fchnell
ihr altes Gebiet außer Kiapha, organifirten fich wieder nad
alter Weije als jelbftändigen Stamm (S. 220) und fuchten
das Landvolk ihres früheren unterländiichen Gebiete wieder
als „Para⸗Sulioten“ ficy anzuglievern, wie auch die benach⸗
Allianz ber Sulioten mit Alt. 439
barten Stämme zum Kampfe gegen Ismael⸗Paſcha zu ent-
flammen. Des Markos Bokaris Oheim (S. 319) Nothi,
der neu erwählte Polemarch und Chef der (aus acht Männern
beftebenden) Regierung von Suli, hatte bald 3500 Krieger
um fich verfammelt. Die Vertreibung der türkiichen Poſten
aus den wichtigen Stellungen von Dervidziana und Variadhes
auf der Straße zwilchen Janina, Suli und Prevefa war die
erfte auffallende That der Sulioten in dem neuen Kampfe,
und der jugendliche Held Markos, das Schwert von Sul,
eroberte mit 240 Mann den einft von Alt verichanzten Boften
von Penbepigabhia auf der Mitte des Weges zwiſchen Ianina
und Arta, ehe noch das Jahr 1820 zu Ende ging Der
Bannftraßl, weldden auf osmantichen Befehl der Erzbiichof
Porphyrios von Arta gegen Suli fchleudern mußte, blieb
natürlih ohne alle Wirkung. Aber die Sulioten verzagten
auch nicht, als die erbitterten Osmanen nun mit Macht fich
gegen fie wandten, und wußten, durch Schaaren aus Agrapba,
durch Refte der Truppen des Odyſſeus und frühere albanefijche
Krieger Ali's unterftüßt, deren Angriffen erfolgreich die Spike
zu bieten. Unter ſolchen Umftänden kam Ali-Paſcha endlich
auf den Gedanken, einen allgemeinen Ausfall zu wagen, ven
Die durch Ismaels Tehler fchwer verlegten Albanefen im
osmaniichen Lager und bie Sulioten unterftügen follten.
Gelang dieſe vortrefflich vorbereitete Unternehmung, fo konnte
der ganze Krieg mit Einem Schlage zu Gunſten Ali's ent-
fchieden werden. Da die Osmanen zur Zeit nur noch
13,000 Dann wirflih zuverläffiger Truppen vor Janina
ftehen Batten, fo fam Alles auf ven Entſchluß der Sulioten
an, bie Alt jet Durch einen beweglichen Brief (21. Januar 1821)
zur Theilnahme an dieſer fühnen Unternehmung einlub, wofür
er ihnen dann Kiapha veriprad. „Der Kriegsrath der
Sulioten aber’, fe gibt es die neuefte griechiiche Hiftortograpbie
an?), ‚„beichloß, in dieſem kritiſchen Moment Alt’8 Wüniche
1) Die frühere Angabe war befanntlich die, daß Ismael- Baia den
Brief Ali's an die Sulioten aufgefangen und baburd des Satrapen
440 Buch II. Kap. II. 2. Allianz der Sulisten mit AR.
nicht zu erfüllen. Sie glaubten ihn genau genug zu kennen,
um vorausfehen zu müſſen, daß er nach feiner Entjegung bie
Gnade bed Sultans durch Preisgebung von Suli und eifrige
Dienfte gegen die Griechen würde erfaufen wollen. Mit
entfprechender Liſt baten die Sulioten daher ven Ali um
Aufichub, Tießen aber den Boten, der den Brief überbrachte,
erit dann nah Janina gelangen, als der für ben Ausfall
beftimmte Termin vorüber war.‘ Unter dieſen Umſtänden
mußte ber gewaltige Ausfall der Beſatzung von Janina am
26. Sanuar (alten Styles) 1821) trog aller Tapferkeit
ber Krieger Ali's und trog der Gewandtheit der Oberleitung bet
bem Ausbleiben der Sultoten fchließlich jcheitern, und Ali fa
fih allmählich auf eine hoffnungsloſe Defenfive zurückgeworfen,
bie num nur noch ber keimenden griechiſchen Revolution zu
Gute kam ?).
In letzterer Beziehung haben wir namentlich zu bemerken,
daß gerade jetzt der gewaltige osmaniſche Feldherr, der neuer⸗
dings (November 1820) das Paſchalik Morea erhalten Hatte,
ber vielbewährte Veteran Khurichid- Balcha, in einen höchſt
fritiichen Augenblide Tripolitza verlaffen und das Ober
commando übernehmen mußte. Sultan Mahmud II. wollte
unter allen Umftänden mit dem verbaßten Alt zu Ende
fommen. Da Ismael » Pajcha, der ohnehin nicht mehr
die volle Gunft des Khalet⸗Efendi beſaß, nicht fertig zu
werben vermochte, jo befahl ver Padiſchah, daß Khuricht ven
Plag als Serasfier auf dem epirotiichen Sriegsfchauplate
Pläne vereitelt habe. Die jett vorgetragene Darlegung ſtützt fich auf
Mendelsfohn- Bartholdy (Gefchichte Griehen!., Bd. I, ©. 1267.),
der dern neuen Angaben des Kutſonikas über Suli, Ali Pafdha und bie
Geneſis der griechiſchen Erhebung folgt.
1) Diefes Datum geben Pouqueville (a.a.O., Th. LU, S. 186 ff.)
und Mendelsjohn- Bartholdy (a. a O. ©. 127), während
Finlay (History of the greek revolution, vol. I, p. 101) dafür nod
genauer den 7. Februar (mn. St.) berechnet.
2) Ponqueville, ©. 82—202. Finlay ]. c. p. 96—101.
Mendelsfohn- Bartholdy, ©. 124 fi.
Khurſchid⸗Paſcha v. Moren geht (Ian. 1821) als Seraskier nach Janina. 441
einnehmen jolltel Dieſer Befehl tft für die Osmanen ver«-
hängnißvoll geworden. Nicht nur Nord» und Mittelgriechen-
land waren burd ben epirotiichen Krieg auf das Xiefite
aufgeregt worden. Auch in Morea, wo von Ausichweifungen,
wie fie die türkiichen. Truppen un Generale auf dem Marfche
nad Janina andauernd verübt hatten, gar feine Rede war,
gährte es überall. Die (f. unten) erhöhte Arbeit der Hetärie
und der Wieverhall der Kämpfe in Epirus regten auch bier
alle Gemüther auf. Ungewöhnliche Phänomene und ein großes
Erobeben im December 1820 trugen dazu bei, bei Moslims
und Chriften der Halbinfel die Ahnung einer nahen und
gewaltigen Erichütterung zu ftärlen. Zu großem Vortheile
aber für die Griechen glaubte auch der Huge und energifche
Khurſchid in der allgemeinen Aufregung doch nur bie
Folgen der Imtriguen Ali's zu erkennen; mit Ali's Unter-
gange, jo glaubten überall bie türkfiichen Befehlshaber, werde
auch Griechenland jofort wieder zur Ruhe kommen. Anſtatt
aljo Alles zu kraftvoller Abwehr einer griechiihen Empörung
zu rüften, überließ Khurſchid — der jchon vor drei Monaten
eine Milfion Piafter für den Krieg und bie Defignation zum
Seraskier erhalten hatte — nunmehr jeinem Kaimakam ober
Stellvertreter Mebemet-Salif-Aga, einem anmaßenven,
unfähigen, jungen Manne, da8 Commando in XTripolika,
brach Ende Januar 1821 nad Larifja auf, um Die dort neu
fi) jammelnden Truppen zu übernehmen, und marſchirte
(während er etwa 1000 Mann zur Verſtärkung der Bejagungen
nach Morea dirigirte) mit 22,000 Mann über Triffale
nach ben Nuinen von Sanina, die er endlich in der erjten
Hälfte des März 1821 erreichte. Noch einmal wurden
Unterhandlungen mit Alt angelnüpft. Die Forderungen aber,
welche Ali im Hinblid auf die eben damals (ſ. unten) ſich
einleitende griechiiche Erhebung in Rumänien und Moren
ftellte, — Amneftie, Hinrichtung des Ismael⸗-Paſcha, Über-
laſſung des Paſchaliks Janina mit der Küjte und Akarnanien
an At auf Lebenszeit, wogegen Ali alle Kriegskoſten und
rücjtändigen Tribute auszahlen wollte — , Wurden bon
442 B. II. . V. 2u.8. At überläßt (März 1821) Kiapha den Sulisten.
Stambul aus rund und nett abgelehnt, Ergebung auf Dis
fretion an Khurſchid gefordert. Auf dieſe Abwetiung antwortete
Ali mit einem enticheidenden Zuge; er ließ nemlich nunmehr
gegen Ende März 1821 die Feltung Kiapha mit allen ihren
Vorräthen und Kriegsmitteln rüdfichtslos den Sulioten
überliefern. Khurſchid-⸗Paſcha, der nicht wie der nunmehr
nah Arta abeommandirte Ismael⸗Paſcha durch perfönlice
Nachgier und Sehnſucht nach Ali's Schägen getrieben wurde,
fondern lediglich für die Intereffen des Sultans Tämpfte,
mochte nun immerhin mit befjerem militärifchen Verſtändniß
und größerer politiicher Einficht den Kampf gegen Ali energiih
wieder aufnehmen. Aber als der März des verhängnißvollen
Jahres 1821 zu Ende ging, handelte es fich ſchon nicht mehr
darum, Alt und Die wieder aufgeloderte Inſurrektion ber
epirotiichen Schkupetaren niederzumerfen, noch auch einen neuen
Vertilgungstrieg gegen die Hand voll Sulioten zu eröffnen.
Bereits war in Rumänien die Revolution der Hetärie au
gebrochen, und nur wenige Tage noch trennten die Aufpflanzung
des Krenzes auf den Thürmen Kiapha's von dent Auflodern
der biutigen Volkserhebung in Morea }).
IM.
Die Augen der Osmanen wie der Griechen waren jeit
dem Aufmarfche des Behlewan- Baba gegen Odyſſens feft auf
den grimmigen Kampf bei Janina gerichtet geweſen. Darüber
batte die Maffe der Bevölkerung ver Ballanhalbinſel nicht
darauf geachtet, wie während bes Jahres 1820 die Hetärie
endlich ihre einheitliche Leitung zu erzielen vermocht hatte.
Als die verfchtevenen Anfragen, deren wir früher (S. 415)
1) Vgl. Pougueville, 3b. IL, S. 206ff. 214 — 219. 220 — 226.
230 ff. 260 fe. Finlay l. c. p. 101 sqg. v. Protefh - Ofen,
Bd. I, ©. 41f. Mendelsfohn- Bartholdy, Bd. I, ©. 127.
178f. 187.
Zantho8 (Februar 1820) und Kapodiſtrias. 443
gebachten, zu Anfang des Jahres 1820 an den Grafen
Kapopdijtrias gelangten, befand fich berfelbe Feineswegs in
bejonders bequemer Lage. Die Nachrichten aus dem romas -
niſchen Südeuropa, zunächſt die Kunde von bem zu Cabir
unter den jpanischen Truppen zu’ Anfang des Jahres 1820
ausgebrochenen großen Aufitande Riego's und deſſen immer
weiter brennenden Folgen, batten den Kaiſer Alerander I.
auf das Ziefite verftimmt. Bei diefer Temperatur war alfo
zur Zeit von dem fonjt griechenfreundlichen Kaiſer nichts zu
hoffen, am wenigjten für einen griechiichen Geheimbund und
für eine revolutionäre Bewegung bes belleniichen Stammes.
Es fam dazu, daß ber toniiche Staatsmann von einer auf
fih allein beſchränkten griechiichen Erhebung nur Unheil für
fein Boll, für Griechenland nur von dem ruſſiſchen
Schwerte eine durchſchlagende Hilfe erwartete, auf die bei dem
gegenwärtigen Stande der allgemeinen Politik noch nicht
gerechnet werden fonnte. Unter diejen Umftänden verhielt
fih Kapodiſtrias gegen die erjten Anfragen und Boten aus
griechiichen Kreijen, gegen Negris, Vardalachos und Kamarinos,
fhroff und rund ablefnend. Als aber im Webruar 1820
jener Lanthos mit einem Empfehlungsichreiben des Anthimos
Gazis bei dem Grafen eintrat, bemfelben die ganze Ver⸗
ſchwörung, ihre Mittel, ihre Lage entdeckte und vollitändig in
feine Hände gab, den Aufitand als unvermeidlich erklärte und
die Anficht ausſprach, Daß Kapopiftrias feinem Wolfe jeine
Führerfchaft nicht entziehen dürfe: da mußte der iomijche
Staatsmann eine bejtimmtere Erklärung abgeben. Er lehnte
die ihm zugedachte Leitung entſchieden ab, befannte fich aber
mit dem Grundgedanken des Bundes einverftanden, indem er
dem Xanthos fchließlich ſagte: „Kann ich jett nicht, jo können
die Vorſteher, jobald fie dieſes erfahren, andere Mittel er-
greifen, und ich flehe, daß ihnen Gott zur Erreichung ihres
Zieles behilflich jei!
In diejer Weiſe von dem Staatsmanne zurücdgewieien,
befchloß Lanthos fih nunmehr an den Fürften Alexander
Hypſilanti zu wenden, ber in feiner Stellung doch auch
44 Bud II. Kap. IL 3. Xauthos und Alexander Hyypſilanti.
wohl geeignet war, ben Schein jener hoben ruffüchen Be⸗
ziebungen zu erhalten, deſſen die Hetärie nicht entbehren konnte.
Xanthos ließ daher den jungen Offizier zunächſt durch
einen Vertrauten ausforichen, und als er ven kecken, ehr⸗
geizigen unb patriotiich glübenden Fürſten nur allzu bereit
fand, trat er mit ibm perjönlich in Verbindung und machte
ibm Namens der Hetärie die nöthigen Anträge. Hypſilanti
ab fich vor eine ſchwere Entſcheidung geftellt. Die Annahme
ber führenden Stelle in ver Hetärie und in dem erwarteten
Kampfe gegen die Pforte mußte ibm zunächſt einen ficheren
ichweren Verluſt zuzieben. Seine Yamilie Hatte neuerdings
ihre in Rumänien eingezogenen Güter von ber Pforte zurüd-
verlangt und dazu eine Entiehäbigung von mehreren Miillionen
Trance in Anſpruch genommen. Für Aleranver felbit ftanven
zwei Millionen Francs auf dem Spiele. Er wußte, daß bie
ruffiihe Regierung bei den feit einigen Sahren in Stambul
über die rumäniſchen Verhältniſſe ftattfindenden Conferenzen
auch für jeine Angelegenheiten mit bebeutender Ausficht auf
Erfolg thätig war. Das Alles ging verloren, wenn er ſich
jet auf ein von Rußland nicht gebilligtes Wageſtück einliek.
Da trug e8 denn der Ehrgeiz, die Erinnerung an bie alten
Pläne feines Vaters, und der griechiiche Patriotismus bei
Hypiilanti davon. Hoffte er auf der einen ‚Seite, daß für
alle Fälle die griechenfreunbliche Gefinnung des Kaiſers ihm
den Rüden decken werde, jo überjchägte er auf der auberen
Geite ohne jeine Schuld die Bedeutung der Hetärie und
glaubte annehmen zu bürfen, daß ihr in Wahrheit nur noch
die Traftvolle einheitliche Leitung fehle. So erklärte er
jihb gegen XZantho8 bereit, die Führung Der
Hetärie zu übernehmen. Über feine nächſten Schritte
gibt der neuefte deutſche Hiftoriograph des griechischen Aufs
ftandes !) Folgendes an: „Da er wegen Unpäßlichleit das
Zimmer hüten mußte, lud er feinen Freund Kapodiſtrias ein
1) Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, TEL J.
©. 145.
Kapodiſtrias und Alerander Hypfilanti. 445
und erzählte ihm das Vorgefallene. Als nun der Diplomat,
weit entfernt davon, Einſprache zu erheben, ihn in feinem
Vorhaben beftärkte, da wuchs Hypſilanti's Vertrauen auf
einen glüdlichen Ausgang, und er fragte nun gerade heraus,
ob man auf materielle Unterftügung von ruſſiſcher Seite
zählen dürfe? ,Das Krfcheinen weniger Tauſend Aufs
Ttändifcher in Griechenland genügt, damit Rußland nad
Kräften zu Hilfe kommt. — ‚Mehr wünjchte ich nicht‘,
erwiberte Hhpfilanti, ‚als ih die Oberleitung übernahm‘,
wollte nun aber perſönlich mit dem Katjer über fein Vorhaben
reden. Davon rieth ihm nun Kapodiſtrias entſchieden ab,
beftimmte ihn endlich dahin, eine Denkſchrift über die Lage zu
fchreiben, die er dem Kaiſer bei günftiger Gelegenheit vorzue
Yegen verſprach. Hhpfilantt überfandte dieſe Schrift feinen
Sreunde ſchon am folgenden Tage. Nun bat Kapodiſtrias
um einen achttägigen Aufſchub. Als die Friſt herum war,
erflärte er, es fet völlig unmöglich, dem Kaiſer derartige
Borfchläge zu machen, da Alerander einem Kriege Rußlands
mit der Türkei und einer Verwicklung mit England entfchieden
abgeneigt ſei. Trotz alledem nahm ber Miniſter weder feine
früheren Verficherungen zurück, noch mißbilfigte er ben Plan
Hypfilanti's, fi an die Spige der Hetärie zu ftellen, und es
war nur zur begreiflih, daß fih in dem betbörten Soldaten
der feſte Glaube bildete, der Katfer beblirfe einer vollendeten
Thatfache und ermutbige bloß offizieller Rückſichten halber ein
Unternehmen nicht, dem er insgeheim Hold fe. Zugleich
redete KRapodiftrias ihm zu, den ruſſiſchen Dienft nicht zu
verlajfen, während Öhpfilantt mit richtigem Takte anfänglich
den Austritt beabfichtigt Batte. Alles war dahin angelegt, den
- Gedanken ruſſiſcher Connivenz rege zu erhalten.‘
Leichtgläubig und bethört, wie er war, ging Alerander
Hypfilantt dann ruhig feinen verhängnißvollen Weg weiter,
einigte fih volfftändig mit Kanthos, und zeigte zunächit ben
Dberhäuptern des Bundes an, „daß er die Oberleitung übers
nommen babe und für feine Handlungen nach dem Kriege dem
Volke Rechenſchaft ablegen werde”. Xanthos, ber ihm auf
446 B8.ILR.IL 3. Aler. Hhpſilanti übernimmt b. Führung d. Hetärie.
eigene Berantwortung Alles gewährt Hatte, was Hyyſilanti
forderte, verjandte das aufgenommene einfache Protokoll an
die Vorſteher (12/24. April 1820), und übergab bem
Zürften, der nun zum „General-Ephoren der „Apyn“
ernannt wurde, alle Rechnungen, Papiere und Briefichaften
ber Hetärie. Nun wurde die Ernennung des Hypſilanti zum
General⸗Ephoren nach allen Richtungen bin angezeigt, Beiträge
in Geld und Waffen begehrt, Kampfbereitfchaft empfohlen.
Am 15. Junt war er, ohne dab der lebte geheimnißvolle
Schleier gelöft wurde, als oberfter Vorſtand der Hetärie von
ven bisherigen Führern anerfannt und allen Ephorien als ber
Veloherr für den „heiligen“ Krieg gegen die Osmanen be=
zeichnet 9).
Die Griechen konnten feinen größeren Mißgriff begeben,
al8 gerade diefen Zürften Alerander Hypſilanti an die
Spitze ihres unter allen Umftänden furchtbar gewagten Unter
nehmens zu ftellen. Nicht viel über Ein Jahr iſt verſtrichen,
als in der gefammten belleniichen Welt darüber kein Zweifel
mehr beitand. Dieſer Abkömmling einer Familie bedeutender
Staatsmänner , wohlgeihulter Diplomaten, bejaß feinen
einzigen Zug, wie er für den Chef einer großen nationalen
Erhebung geradezu unerläßlih if. Es ift wahr, Alerander
Hypfilanti beſaß als Privatmann fehr achtungswertbe Eigen⸗
ſchaften. Er war ein tapferer und unerjchrodener Solbat,
und fein Herz ſchlug warm für fein griechiiche® Vaterland,
bem er gern beveutende materielle Vortheile geopfert hatte.
Zu feinem Unheil aber fehlte ihm jede ſtaatsmänniſche Ber
gabung. Leicht erregbar, hatte er fich ohne alle Kenntniß der
wirklichen Lage Griechenlands, ohne Kenntniß der europäiichen
1) 2gl. Brandis a. a. O. Bd. DU, S. 29. Gervinus a. a. O.,
Bd. V, Thl. 1, S. 138fl. Pinlay, History of the greek revolution,
vol. I, p. 134s840. Hopf, Griechen. im Mittelalter, Bd. 86, S. 188.
v. Protefh - Often, ©. 13. Mendelsfohn - Bartholdy, Graf
Johann Kapodiſtrias, S. 86 u. 58 ff.; „Gefchichte Griechenlands *,
©. 142-—146.
Charakter des Alerander Hypfilanti. 447
Politit, ja ohne Erkenntniß feiner eigenen Mittel in einer
Weiſe in die Sache der Hetärte eingelajfen, die man nur
einen ‚Sprung in das Dunkle‘ nennen kann. Boll blinder
Bertrauengjeligkeit in Sachen feiner ruffiichen Beziehungen, wo
ihn weder das Schidjal noch die Abfchievsworte feines fter-
benden Vaters warnten; erfüllt von unklaren Träumen einer
fünftigen Herrſchaft über ein neues byzantiniſches Neich, ent-
behrte er wirklider Menſchenkenntniß in fchlimmer Wetfe.
Mehr aber, ohne Klarheit und Sicherheit in feinen Plänen,
leider auch ohne rechte Wahrbeitsliebe, war er außer Stande,
der politijhe Führer unter Berbältnilfen zu jein, wo das
Meifte auf den Zauber einer Alle zufammenhbaltenden und
fortreißenden Berjönlichkeit anlam. Noch weniger war ihm
ſchöpferiſcher Geiſt, Reichtum an Hilfsmitteln, fchnelle Ent-
ichlofjengeit , frijche Geifteögegenwart, oder auch nur zäbe
Ausdauer und fichere Haltung in Widermwärtigfeiten zu Theil
geworden. Zu allem Unheil - waren endlich ſelbſt feine
militärijchen Fähigkeiten nur die des braven Soldaten,
nicht die des guten Feldherrn. An zweiter oder britter Stelle
ſehr wohl zu brauchen, fehlte es ihm auch nach dieſer Richtung
durchaus an den Fähigkeiten, wie fie nicht lange nach feiner
Ratajtrophe die hydriotiſchen, peloponnefischen und rumeliotiſchen
Chefs in jo glücklicher Weile entfalteten.
Nichtsdeſtoweniger wirkte fein erftes Auftreten in den
der Hetärie zugewandten Kreiſen längere Zeit ſehr nützlich. Die
neue einheitliche Leitung, die nun jogar von St. Petersburg
ber fich fühlbar machte, wurde mohlthätig empfunden. ‘Die
erften Aufrufe des General. Ephoren wurden überall, im
Konak des Hospodaren der Moldau (Michael Sukos), im
Fanar, wie bet dem berben Major Theodor Kolofotronis,
mit wahrer DBegeijterung aufgenommen. Auch das erwies
fih als nüglih, daß Hypſilanti ſofort dazu ſchritt, ben
Organismus der Hetärie zu vereinfachen und auf mehreren
Punkten fejter und militärischer zu gejtalten. Nicht fchön
dagegen hört es fich an, daß die Hetärie — der Antheil des
General-Ephoren an vieler Blutthat ift nicht ganz ficher feſt⸗
448 Bud II. Kap. II. 3. Die Stimmungen in der Hetärie.
zuftelfen ) — jenen Kamarinos (©. 415), der mit fehr
unbequemen Enthüllungen über die durchaus problematiſche
Natur der ruffiihen Hilfe nach Griechenland zurückkehrte, bei
ber Überfahrt über die Donau bei Galacz erfchießen ober
ertränfen Tief.
Hypſilanti ftand noch nicht Yange an der Spike ber
Hetärie, als die Frage, was in Sachen der griechiichen
Erhebung nun wirklich geichehen follte, immer dringlicher ar
ihn heran trat. Auch jet fehlte es innerhalb des Bundes
keineswegs an gewichtigen Stimmen, die noch immer zum
Abwarten mabıten. Die kühlen Gejchäftsleute an der Spike
der Hetärte wären noch immer zu balten geweien; andere
Männer hätten am liebſten direkt auf bie europäiichen
Kabinette gewirkt, wie namentlih Alexander Maurokordatos,
deſſen Denkſchrift über die Lage des osmaniſchen Reiches Fürft
Johannes Karadja noch im September 1820 mehreren Höfen
zujandte ?).. Nur daß auch dieſer fonft befonnene Bolitiker
nicht nur auf einen nahen Krieg Rußlands mit der Pforte
rechnete, Sondern ebenfall$ die Idee von der Wiederherftelfung
des byzantiniſchen Reiches feithielt.
Alle Beſonnenheit aber ſchwand, die Schwärmer und
Enthuſiaſten in der Hetärie gewannen das Übergewicht,
Hppfilanti felbft wurde durch den von ihm gegebenen Anſtoß
mit fortgeriffen, al8 die Temperatur in Südeuropa durch das
mächtige Fortichreiten der ſpaniſchen Ntevolution, durch deren
Weiterbrennen hinüber nach Portugal, noch mehr durch das
an Spaniens Beiſpiel im Juli 1820 ſich entzündende Feuer
der Revolution in Neapel, das fpäter auch nach Piemont
weiter loderte, — fo Heiß fich geftaltete, daß auch Griechenland
davon ergriffen wurde. Noch kräftiger wirkte enplich ver
Ausbruch des epirotifchen Srieges.
1) v. Prokeſch⸗Oſten (Bd. J, S. 13.) fehreibt ganz unverblümt
diefen Mord dem Alerander Hypfllanti zur Schuld, während Finlad
(I. c. p. 137) die Sache, foweit der Fürft dabei betbeiligt, wieder als
zweifelhaft erjcheinen Yäßt.
2) Bgl. in diefer Richtung v. Prokeſch-Oſten, ©. 15ff.
Hypfilanti geht nach Odeſſa. 449
Unter diefen Umftänden glaubte Hypſilanti nicht länger in
dem fernen St. Petersburg verweilen zu dürfen. „Kapodiſtrias
ſelbſt“, jo Heißt es ), „half ihm über alle Zweifel hinweg,
indem er die Pläne ver Hetäriſten volllommen billigte und zu
raſchem Losjchlagen rieth.“ Hypſilanti nahm daher auf
unbeſtimmte Zeit zu einer Badereiſe Urlaub und begab ſich
Ende Juli 1820 mit Xanthos und zwei anderen Hetäriſten
zuerſt nach Moskau, dann nach Kiew, wo er ſich von feiner
Mutter Eliſabeth verabſchiedete, endlich nach Odeſſa, wo er
im Hauſe des Kantakuzenos die freundlichſte Aufnahme
fand ?).
As man jet der ungebeuren Unternehmung praftifch
näher trat, enthüllte fich fofort ein Doppeltes: einerjeits
die troß aller Agitationen der Hetärie noch immer höchſt un⸗
genügende Vorbereitung der griechiichen Welt zu dem Tolojjalen
Kampfe mit der Pforte, andererjeits die volljtändige
politiiche Unzulänglichleit des Fürften Alerander Hhpfilantt.
Daß die politische Lage des osmaniſchen Neiches troß ver
Kraft, ver Einfiht und der zähen Ausdauer des Sultans
Mahmud I. den Plänen der griechiichen Batrioten damals
günftig genug war, fol nicht geleugnet werden. Der epirotifche
Krieg verzehrte die beiten moslemitischen Kräfte der Balkan⸗
balbinjel, jchwächte die militäriiche Bemwegungsfreibeit ber
Pforte, verftimmte die Triegeriichen Schkypetaren, trieb die
griechifehen ARumelioten zur Wuth. Es Fam dazu, daß die
Gährung in Serbien, wo das harte Regime des Milojch viele
Gegner hatte, nicht erlojchen war, daß die Donaufürftenthümer
tief aufgeregt waren, daß endlich während des Jahres
1820 die politiichen Beziehungen zwiſchen St. Petersburg
und Stambul mehrfach einen gereizten Charakter annahmen.
Rußlands Conſuln im osmanischen Weiche, faft ſämmtlich
Griechen von Geburt, arbeiteten daher ſowohl im Intereſſe
der ruſſiſchen Macht, wie aus landsmannſchaftlicher Sym⸗
1) So gibt es jetzt rund und nett an Mendelsſohn-Bartholdy,
Geſch. Griechenl. Bd. I, S. 147.
2) Ebend. S. 147f.
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. IH. 29
450 Bud II. Kap. II. 3. Die Ehancen ber griechifchen Erhebung.
pathie, mit wachſender Energie den Beftrebungen der Hesäriften
in die Hände.
Weiter aber kann nicht beftritten werben, baß für einen
Aufftand der Griechen gegen bie Osmanen jenen allerbinge
fehr bedeutende Machtmittel zu Gebote ftanden. Diefelben
berubten einerjeits in der (S. 378) vortrefflihen Marine,
namentlich der griechifchen und albanefiichen Inſeln bes ägäiſchen
Meeres, weiter in der geiftigen Überlegenheit des griechijchen
Stammes über Osmanen und Schfupetaren, eublich in ber
derben Naturfraft der Sphafioten, der Maniaten, und ber
rumeliotiichen Klephten und Armatolen, wie auch in den in
europäifchen Dienften geichulten griechiichen Offizieren und
anderen Veteranen. Der große Nachtheil aber für bie
Griechen war und blieb, daß mit Ausnahme der Stämme,
die zwilchen dem ionijchen Meere und der Inſel Samos,
zwilhen Cap Matapan und SKaraferia, und zwar auf bem
Teitlande und auf Kreta noch immer jehr ftarf mit Moham⸗
medanern burchfegt wohnten, die damals etwa 34 Millionen
Seelen zählende griechiiche Nation !) auf Hunderten von Meilen
nur in bünnen Schichten zerftreut gelagert war. Das Bes
benfen war gar nicht zu unterbrüden, baß die Griechen,
mochten fie immerhin im beften Falle zu Anfang erhebliche
Vortheile durch die Überraihung gewinnen können, auf ihre
eigenen Kräfte allein geftützt jchließlich Doch unterliegen müßten,
wenn bie Pforte nur erft dazu Tam, ihre große materielle
Übermacht ausgiebig zu verwenden und ihre Kräfte in Fluß
zu bringen. Es kam nun darauf an, daß die Hetärie ımb
Hypſilanti wenigftend für den Anfang alles Nöthige vor
bereitet hatten, daß die Erhebung auf dem richtigen Punkte
begonnen wurde, daß fie endlich politifches Geſchickk und aus
giebige Kraft genug entiwidelten, um eine fremde Inter⸗
vention zu ihren Gunften auch nur möglich zu machen.
Damit ſah es aber überall ſehr bedenklich aus. Es ift
wahr, Das alte Land der Hellenen, jene Landichaften,
1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 2.
Materielle Kräfte Griechenlands. 451
bie nachher die Laſt des Krieges hauptjächlich getragen baben,
waren reich an Mitteln aller Art. Ein ſehr ſcharfblickender
engliicher Beobachter und Theilnehmer bes griechischen Krieges
ihlug die Einwohnerzahl dieſes Gebietes in runder Summe
auf etwa Eine Million an. ‘Dabei berechnete er für
Morea im Jahre 1820 etwa 458,000 Griechen, zu benen
bann 40> bis 50,000 Mohammebaner kamen; von dem zur
Zeit wirklich angebauten Fünftel des Bodens befanden fich
etwa vier Fünftel in moslemitiichen Hänben. Der Reichthum
des Landes beitand mwejentlich in Heerden von Kleinvieh; man
mochte mehr denn zwei bis drei Millionen Schafe und drei
bis vier Millionen Ziegen rechnen. Der Werth der jährlich
in Morea erzeugten Produkte konnte vielleicht auf 45 Millionen
türfifcher Piafter (damals gleich ebenjovielen France), bie
Ausfuhr der Maina dazu noch auf 14 Millionen Francs
gejchägt werden. Nur daß von dem Einkommen der Halbinjel
etwa 14 Millionen Piaſter durch die Abgaben (Morea bradite
von den Zöllen abgejehen an Kopfiteuer 463,000, an Zehnten
2,500,000, an Rofaljteuern 10 Millionen Piafter auf) und durch
die Koften der Erhaltung der osmaniſchen Truppen und Feftungen,
wie auch der Geiftlichfeit aufgebraucht wurden; nur daß zwei
Drittheile des Reſtes in die Hände der türfiichen Grundbefiger
gingen. Mittelgriehenland (mit Euböa, mit den livadiſchen
Diftriften oder Provinzen Attila, Böotien oder Theben,
Livadia, Talanti, Turkochorion, Bodoniga, Salona, Lidhoriki,
Lepanto, Malandrino, Patradſchik, Zeitun, Agrapha, Karpentfi,
Kravvari, Apofuron, Vlochos, Mejolongion, Venetiko, bazu
pie afarnaniihen Kantone Xeromero , Vonitza, Valtos,
Aspropotamos) mochte zujammen von etwas über 291,350
Ehriften und mehr ald 20,000 Mohammedanern bewohnt
werden. Don diefer dünnen Bevölkerung kamen beiläufig auf
Euböa 36,000 Chriften und 7000 Moslims, auf Attifa
nicht viel über 20,000 Griechen und etwa 1700 Osmanen,
auf Akarnanien, Metolien, Phokis und Lokris zufammen
ungefähr 80,000 Ehriften. Diejes Gebiet brachte an Kharadſch
251,605, an Zehnten 994,292, an anderweitigen Steuern
29 *
452 Bud I. Kap. I. 3. Materielle Kräfte Griechenlands.
1,629,900, an Lokalſteuern zwei Millionen Piafter auf.
Epirus, Thefjalien, das ſüdliche Makedonien, an Produkten
bes Aderbaues, an Süpfrüchten, theilweife auch an Erzeug-
niſſen ber Induſtrie veich, beſaßen etwa 6 Millionen Schafe
und 8 Millionen Ziegen. ‘Die fonftigen ftatiftiichen Verhält-
niffe find bier nicht jo genau bekannt. ‘Die jchlagfertige
ftreitbare Kraft des griechiichen Landes zwiſchen Cap Ma-
tapan und Karaferia, Maniaten, Gebirgsmilizen von Dtegaris,
(10,000) Armatolen und die Sulioten, zu denen noch die Mann⸗
ichaften der nautiihen Inſeln (und eventuell die Sphafioten
auf Kreta) zu zählen waren, Tonnte auf etwa 30,000 Mann
angejchlagen werben, bie vielleicht (Kreta eventuell mit ein-
gerechnet) durch griechiiche Milizen noch um 20,000 Mann
verftärkt werben mochten ?).
Das waren immerbin fchägbare Kräfte; nur zeigte es fich
bald, daß die Hetärie mehr und mehr in den gefährlichen
Fehler gerathen war, viel mehr das Ungeftüm, die Unrube,
den Enthuſiasmus zu nähren, al8 gerade die praftiiche Unter»
lage für ein erfolgreiches Losichlagen zu ſtärken. Dan war
nicht dazu gefommen, beveutende Kaffen berzuftellen, größere
Borräthe von Waffen und Proviant aufzuipeichern. Nur in
Morea, wo es aber doch jehr an Geld fehlte, und mehr noch
auf den nautiichen Infeln Hatte man die Sache ſchon ernfter
ind Auge gefaßt ). Trogdem und trog ver türfifchen
Feſtungen und Milizen im Lande (10- bis 12,000 Dann)
hätte es fich fehr wohl empfohlen, den Aufftand in dem
eigentlihen Griechenland zu beginnen, wo die Maffen
der Hellenen dicht bei einander wohnten. Bon ven ſechs
großen Paſchaliks, in welche die eigentlich griechiiche Welt, vie
Inſeln des ägätfchen Meeres bier abgerechnet, damals
eingejpannt war, — nemlich Morea (wo jevoh [S. 245] vie
Maina unter der Yurispiktion des Kapudan-Paſcha ftand),
Lepanto, Negroponte mit dem bis nad Aetolien fich aus⸗
1) Vgl. Hier namentlich Gordon, Geſchichte der griechifchen Re-
solution, bearbeitet von Zinteifen, Thl. I, S. 55—92.
2) Brandis a. a. O., Th. U, ©. 34ff.
Materielle Kräfte Griechenlands. 453
dehnenden „livadiſchen“ Rumelien, Ianina mit Alarnanien,
Selanik (wo beiläufig die Nachkommen des alten Ewrenosbeg
noch immer bie alten Zehen inne hatten) und Kreta mit feinen
drei Militärgonvernements zu Kandia, Canea und Retimo ?) —,
empfablen fich unter den damaligen Zeitverhältniffen bei ber
ungebeuren vefenfiven natürlichen Stärle des Landes
Moren und Negroponte weitaus am meiften für diefen Zweck.
Da war e8 aber die Unklarbeit über die legten Ztele, bie
für den Anfang der griechiichen Erhebung jo fehr zum Nadı-
theile gereicht Bat. Es war noch nicht das Schlimmite, daß
man überall viel zu jehr auf die Wunder der Begelfterung
und in letzter Inftanz auf Rußland fich verließ: Das Übelfte
war, baß ber fehr praftiiche Gedanke einer Befreiung der
wejentlih griechiichen Provinzen jeden Augenblid verbunfelt
wurde durch die völlig phantaftifche Idee der Wiederberftellung
des byzantiniſchen Neiches, die doch nicht nur an dem Padi-
ſchah, jondern auch an der rufftichen Politik ſehr bejtimmmte
Gegner finden mußte.
Hypſilanti felbit zeigte nun von Anfang an, daß er
gar feinen beftimmten Plan hatte, daß ihm ver Blid für
das wirklich Erreichbare durchaus verjagt war, daß er aus
einem gefährliden Schwanken nicht berausiommen konnte.
Anfangs bejtochen durch Tede, glänzende Pläne veriwegener
junger Abenteurer, kam er doch endlich auf ben verjtändigen
Gedanken, über Zrieft nah der Maina zu geben, um bajelbit
am 25. März 1821 ven Befreiungsfampf zu eröffnen. reis
lich Hatte er fich dabei über die wahre Nage des Peloponnes
in ſchlimmer Weife täuschen laſſen. Nun erreichte ihn aber
jener (©. 416) Baparrigopulos im Auguft und September
1820 zu Odeſſa, erwirkfte von ihm die Zuftimmung zu ber
Bildung einer wohlgeoroneten, jelbjtändigen Ephorie für ben
Peloponnes, ftellte ihm aber auch die milttärifchen Kräfte im
Süden als zu gering vor. Und nun fam man mehr und
mehr auf den Gedanken, die Bewegung auf der Nordſeite
1) gl. Finlay 1. c. p. 3sgg.
454 Bud II. Kap. II. 3. Die Pläne Hypfilanti’s.
des „‚illyriichen Dreieds‘ zu beginnen, — im Sinne der
Nathgeber, die dieſen Plan empfahlen, freilih nur, um
durch eine folche ‘Diverfion Die nicht gegen Alt verwendeten
Streitfräfte der Pforte im Donaugebiete feftzubalten und
dadurch für Griehenland freie Bewegung möglich zu
machen ).
Zur Entichetvung über die wichtige Grundfrage, wo nım
endlich zu erſt Losgeichlagen werben jollte, hielt Hypfilanti am
13. Dftober auf dem Kirchbofe zu Ismail eine Verſammlung
der bebeutendften Männer ber Hetärie ab. Gegen die Idee,
das Hauptgewicht auf die Bewegung im Norden zu legen,
wie das namentlich der erſt feit 1819 durch Theodor Negris
für die Hetärie gewonnene Sawwas Kaminaris aus Pathmos
in Buchareſt, ein alter Soldat, zulegt Offizier in ver
bospodariihen Garde, that, der das Beſte nur von einem
ruſſiſchen Kriege erhoffte, — erhoben fich namentlich
Männer wie Lewentis, Dikäos und andere, bie nur eine
Diverfion in Rumänien zulaffen, in vollem Ernte aber
nur im Peloponnes fechten wollten. Freilich ftunmten
die nüchternen Angaben des Perrhäwos nicht zu ben viel«
verheißenden Meittheilungen, welche ver in ſolchen Dingen
wenig zuverläffige Dikäos über die Sriegsbereitichaft des
Peloponnes im Gegenjage zu Paparrigopulos vorlegte. Aber
bie Mehrheit der Anweſenden und Hyyſilanti jelbft ftimmten
jest für ven peloponnefifhen Plan, mit welchen: zugleich
der Gedanke ſich verband, die türkiſche Flotte in Stambul zu
verbrennen, wie auch die vielen in Ägypten, in Neapel, in ber
Krim zerftreuten griechiichen Veteranen auf jede mögliche
Weile beranziziehen. Der Plan empfahl ſich für Hhpfilanti
auch dadurch, daß er bei folcher Erhebung in Morea feine
ruſſiſchen Beziehungen viel weniger bedenklich compromtittirte,
al8 bei dem Vorgehen am Pruth. Die Vortheile, vie bei
dem Aufitand in Morea durch die Nähe der nautiſchen Inſeln
1) Vgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlands,
Thl. J, ©. 147 ff.
Hypſilanti (Herbſt 1820) in Kifchenem. 455
auf der einen, des Alt- Bafcha und der albanefifchen Wirren
auf der anderen Seite jofort zu gewinnen waren, mußten ihm
ohnehin jogleich einleuchten. So wurde denn wirklich
bier das Richtige beichloffen. Hyypſilanti wollte fich
über Zrieft nach Morea begeben. Sofort wurden nun
Rundichreiben und Boten nach allen Richtungen ausgeſendet,
darunter ein Pelopidas nad Ägypten, Themelis aus Pathmos
nach den Inſeln, Dikäos nah Morea, Perrhäwos nad
Lakonien und zu den Sulioten, um les zu dem Empfange
des General» Ephoren vorzubereiten. Überall ſollte ver Krieg
energiich eingeleitet, namentlich auch die Flotte der nautifchen
Inſeln ansgerüftet, wie auch die Armatolen bes Olympos
mobil gemacht werden. Hypſilanti jelbft theilte das Be⸗
ichloffene in Skulent dem Rhiſos Nerulos (S. 386) mit,
einem ber thätigjten Hetäriften der Moldau, dem Miniſter
des Hospodaren Michael Sutos in Jaſſy. Gera ftimmte
Nerulos zu und verſprach, jchließlich auch jeinen Chef zu
gewinnen. Dann begab fih der General.» Ephore nad)
Kiſchenew in Beſſarabien, wo er zunäcit im Haufe bes
Gouverneurs, feines Schwagers, des Generals Katafazy, feinen
Sitz nahm.
Da ift es ihm nun verberblich geworden, daß er bei
feinem Wanfelmuthe jofort wieder von dem zu Ismail
wohlerwogenen Blane abjprang und auf andere Borftellungen
anderer Umgebungen bin wieder auf Die Idee zurüdfam, ven
Krieg num doch in allem Ernfte, und zwar fofort, in Rumüs
nien zu beginnen. Mochte ihn auf der einen Seite bie
Erinnerung an Rhigas von DVeleftino und die Beſorgniß ein-
ſchüchtern, in Trieſt von der öfterreichiichen Behörde verhaftet
zu werden, fo bejtimmten ihn auf der anderen Seite in feiner
naiven Unkenntniß der wirklichen Welt wahricheinlich auch [ehr
thörichte Erwartungen. Hyypſilanti, fo ſcheint es, konnte
ſchließlich den Gedanken nicht faſſen, ſich von ſeinem geträumten
ruſſiſchen Rückhalt zu entfernen. Wahrſcheinlich ſpekulirte
er jetzt darauf, daß Rußland auf Grund der Verträge ſich in
die Sache miſchen ſollte, ſobald die Pforte auf Grund einer
456 B. II. 8.11. 3. Hypſilanti befchließt den Angriff auf Rumänien.
griechiichen Empörung am Pruth und an der Dimbowita ihre
Truppen etwa obne vorgängige Zuftimmung Rußlands über
bie Donau vorgeben laſſen würde. Unter allen Umftänden
aber konnte man duch foldhes Vorgehen Rußland in ben
Handel verwideln. Weiter aber fcheint er fich ſchon jest als
Nachfolger der Paläologen gefühlt und an Gewinnung aud
ber Donaufürftenthümer für das neue griechiiche Neich gedacht
zu baben. Nach diejer Richtung war freilich eine Selbft-
täufchung gerade für einen Hhpfilanti wohl möglich. Gehörte
doch gerade fein Gefchlecht zu den wenigen griechifchen großen
Familien, die bei den Rumänen wirklich beliebt gewejen waren.
Treilih Eonnte jeder wirflih Sachkundige von dem Plane,
diefe Landſchaften zur Hauptbafis für den grie-
hifhen Krieg zu machen, doch nur abmahnen. Obwohl
Rumänien als ein gräcifirtes Land äußerlich erichten, jo war
doch gerade Bier das Griechentbum nur oberflächlich ein-
gewurzelt, in Wahrheit zu jagen, bei den Eingeborenen bes
Landes tief verhaßt. Die fanariotifhen Hospodare
namentlich der Ießten Zeiten hatten durch ihre finanziellen
Erpreflungen fich einen böjen Namen erworben. Die Bojaren
bes Landes waren den Griechen tief abgeneigt, ber in primi-
tiven Zuftänden verharrende Bauer folgte nur dem Antriebe
des mit dem Adel gleichgefinnten Klerus. ‘Die meitverbreitete
Unzufrievenheit tim Lande war viel weniger gegen die Pforte,
als gegen deren griechiiche Paſchas gerichtet. Die Griechen
aber in Rumänien, obwohl immerhin zahlreich, waren nur
theilmeife zu brauchen. Unter den griechiichen Offizieren des
Landes gab es freilich mehrere ausgezeichnete Männer; viele
aber waren Leute von ſehr zweifelhaften Charakter, bie Zahl
ber Truppen überhaupt nicht jehr groß, nur etwa 4000 Mann,
fobald e8 nicht gelang, auch die einheimiſchen Landmilizen,
die tributfreien Bergbewohner (Pleyafchen) an der öfterreichifchen
Grenze und die bafelbft nationalen Potofefchen oder Lands
gensdarmen (,, die walachiſchen Klephten und Armatolen ‘‘)
zu gewinnen. Die niebere griechifche Civilbenölferung aber galt
als corrumpirt, ohne rechten Zufammenhang mit den nationalen
Hypfilanti befchließt den Angriff auf Rumänien. 457
Ideen ihrer Stammesgenofjen. Die Hoffnungen endlich auf
Serbiens Hilfe mußten bei irgend näherer Kenntniß von
dem jchlauen, jelbitjüchtigen Charakter des Fürften Miloſch,
wie auch der Lage der Serben, die thatjählich fich frei
von der türkifchen Hoheit befanden, zur Zeit in Stambul
Unterbandlungen führten, und fchwerlich Luft batten, ven
Griechen zu Liebe ihre Eriftenz wieder aufs Spiel zu feben,
Doch geradezu als illuſoriſch ericheinen. Aber alle dieſe ſchwer⸗
wiegenden Bedenken waren für den thörichten modernen Ari»
ftagoras in Kifchenew nicht vorhanden ?).
Hypſilanti jeßte wirklich den 14/26. November 1820
als den Moment zur Eröffnung des Aufftandes feit. Die
von ihm mit großen Commandos betrauten hetäriſtiſchen
Offiziere, ber Olympier Georg und Sawwas, ſollten in ber
Nacht zum 26. November (neuen Stile) in Buchareft eine
proviſoriſche Regierung bilden und fich zugleich mit Miloſch in
Verbindung fegen. Ein anderer griechifcher Offizier, Baſilios
Karamias aus Ithafa, in Galacz follte mit möglichit zahl-
reihen Mannſchaften vor Jaſſy eintreffen. Ganz unfinnige
und unausführbare Befehle zur Ausführung eines großen
Schlages gingen nah Stambul ab. Nicht minder bochfahrenve
und zuverfichtliche Senpfchreiben wurden nach den nautijchen
Inſeln und (Anfang November) auch an Miloſch beförbert.
Diefe ſouveräne Zuverficht beftimmte dann. auch den erit im
piefem Jahre 1820 nah Jaſſy geichidten Hospodar der
Moldau, Michael Sugo, ver Hetärie und Hypſilanti's
Plänen jest fih anzuſchließen. Es war diefer Schritt ein
noch größeres Stück patrioticher Hingebung, als früher jene
des Hypſilanti ſelbſt. Der Hospodar opferte in Wahrbeit
damit. Alles auf. Er war bisher ein Günftling des Sultans
Mahmud II. geweſen; er hatte die Gunft des Großherrn
jelbit dann noch behauptet, als er, ber griechiiche Chrift, es
1) Bgl. Finlay 1. c. p. 140 5qq. Gordon, ©. 117fj. Bran-
dis, ©. 31. Gervinus, S. 144—149. v. Prokeſch-Oſten,
S. 22f. Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Griechenl., Thl. I,
©. 149 ff.
458 B. II. 8.11. 3. Hypfilanti befehlieft den Angriff auf Rumänien.
wagte, gegen Chalet-Efendi in Mahmuds Kabtnetsrathe wider
den Krieg mit Ali⸗Paſcha von Ianina zu ſprechen. Er hatte
eine liebenswürbige Familie, große Neichtfümer, Jugend und
eine glänzende Stellung. Wenn er fich jet entjchloß, um
Hypfilanti Die nöthige ftrategifche Baſis zu fchaffen, Alles
Binzugeben und fich jelbjt den jchwerften Vorwürfen des Uns
dankes und bes DVerrathes gegen ben Sultan auszujegen, fo
beftimmte ihn bier neben der Zwangslage, in die ihn jeine
hetäriftifche Umgebung bereits gebracht, wirklich ein kräftiger
Durchbruch griechiſchen Nationalgefühlee. Der wahrhaft
tragtiche Zug, der durch nicht wenige diefer griechiich-türkifchen
Beziehungen Dank ihrer grauenhaften Vorgeſchichte hindurch⸗
gebt, fehlte auch bier nicht. Michael Sutzo erinnerte fi,
daß vor ihm vierzehn feiner Familie als Opfer der Willkür
ver Sultane gefallen waren. Er wollte jest für fich und
feine hoffnungsvollen Söhne „ein Vaterland und Sicherheit
gewinnen; er hoffte auf die Herftellung des griechiichen Reiches;
er glaubte an den ruſſiſchen Krieg, und an die Billigung des
Aufitandes von Seiten det großen Nachbarmadit; er burfte
endlich glauben, daß an feinem Entſchluſſe bie Geſchicke feines
Volles hingen”. Noch aber mußte fihb Hypſilanti
entfchließen, ven Termin der Erhebung wieder zu vertagen.
Die Vorbereitungen in Rumänien, foweit davon überhaupt
die Rede fein konnte, waren nicht jo ſchnell wie er boffte
berzuftellen. ‘Die beiden wichtigen militärifchen Führer in ber
Walachei, Georgafis und Sawwas, Tonnten fih nicht ver-
ftändigen, weil diejer als vorfichtiger Soldat erjt mit Miloſch
abſchließen und die nöthigen Rüftungen auch in Rumelien’
gefichert wilfen, jener aber die Serben auch wider Miloſch's
Willen aufwiegeln wollte Miloſch feinerfeitS Dachte höchſtens
Daran, die Hetärte zu feinen Zwecken auszımugen. Hyypfilanti
mußte daher fich noch gedulben: nur an dem thörichten Plane,
in Rumänien zur beginnen, hielt er jegt feit. Und dieſes Land
wurde jett durch die Hetäriiten immer energiicher durchwüßlt;
1) v. Prokeſch-Oſten, ©. 23.
Zuftände in den Donaufürftenthimern. 459
nur daß die rumäniichen Bojaren, für welche Alles auf die
Entſcheidung Rußlands anzulommen ſchien, ihrerſeits fich
dauernd in ihrer Reſerve hielten. |
Über diejem Zaubern kam Alles wieder ins Stoden.
Michael Sutzo kam auf die Bahn des Petros Mauromichalis
(S. 415) und fuchte fich zu überzeugen, wie weit Rußland
wirflih mit Hypſilanti's Vorgehen einverjtanvden jet. Es half
wenig, daß der General-Ephore (7/19. Januar 1821) dem
ſerbiſchen Miloſch den Titel eines rechtmäßigen Fürften
zugeftand und für das jpätere Verhältniß zwiichen Serbien
und dem griechiichen Reiche eine füderative Form vorfchlug.
Das Eingehen der griechischen Hetäriften auf die Beſchwerden
der Rumänen gegen die dermalige Verwaltung führte endlich
fogar zu einer Spannung zwilchen Hypfilanti und Michael
Sutzo, der das Bertranen auf die Hetärte verlor und bei dem
Ableben des Fürften Alexander Sugo in Buchareft (1. Februar
1821) jchon lieber daran dachte, fih um die Stellung als
Hospodar der Walachei zur bewerben.
Da war es eben dieſer Todesfclil, der die Ereigniffe ins
Rollen brachte. Abmahnungen, an denen es auch jebt nicht
fehlte, wurden nicht weiter beachtet. Die hetäriftiiche Ephorie
in Buchareſt glanbte, die Zeit bis zur Ernennung eined neuen
Hospodars durch die Pforte jofort benuten zu müfjen. Kapitän
Georgakis mochte nicht Yänger zögern und bewog einen
Heinen rumäniſchen Bojaren Sludſchiar Todor oder Theodor
aus Sulza in der Heinen Walachei, der als Oberftlieutenant
in ruffiihen Dienften das Wladimirkreuz gewonnen hatte und
deßhalb Wladimiresko genannt wurde, den Aufftand zu
begimen. Theodor, der damals in ber Buchareſter Garde
ftand, ein mißtrauifcher, verichlagener und graufamer Mann,
ver aber bei allem Mangel an Bildung viel foldatiiches
Geſchick und rohen Ehrgeiz beiaß, war zwar in die Entwürfe
Der Hetärie „halb eingeweiht”, aber den Griechen nicht
minder gram, als den Osmanen. Trotzdem jchien es dem
Georgakis möglih, den zur Zeit durch Procejje nahezu
zuinirten Mann mit ft dahin zu bringen, daß er in. der
460 B. II . II. 3. Auffland d. Wladimiresko (Febr. 1821) in d. kl. Walachei.
kleinen Walachei eine Erhebung begann, welche — toll genug —
im Sinne des Wladimiresko gegen die Fanarioten gerichtet
ſein ſollte, die aber die Hetäriſten hernach für ihre Zwecke
ausnutzen zu können hofften. Wladimiresko ging wirklich
auf die Vorſchläge des Olympiers ein, ging Anfang Februar
1821 mit 50 ihm von Georgafis zugewiejen ‚ Arnauten
nach der Heinen Walachei, fammelte mehrere Hunderte
rumäniſcher Bauern und Landmilizen (Panduren), die fih auf
ſocialdemokratiſche Plünderung der befjer fituirten Einwohner
Rechnung machten, und verfündigte von Xicherneg aus Ab⸗
ftellung der Frohnden, Minderung der Abgaben und Bejeitigung
ber hospodariſchen Mißbräuche. Dabei erbat er in Stambul
die Vermittlung eines osmaniſchen Commiſſars. Die von dem
interimiftiich regierenden Diwan (Metropolit und Bojaren) in
Buchareft wider ihn ausgeſchickten 800 Mann wurden von
drei Hetäriften geführt, von Georgakis felbit, von feinem
Freunde Farmakis aus Epirus, und von Konftantin Samur-
kaſis. Diefe Offiziere leijteten natürlih der Bewegung nur
Vorſchub, Tießen ihre Soldaten großentheil® zu Theodor deſertiren.
ALS die drei griechiſchen Kaimakams, welche der Seitens ver
Pforte zum Hospodaren der Waladhei neu ernannte Fürft
Karl Kallimachi, ein Gimftling des Chalet-Efendi, zur Her-
jtellung der Ordnung nah Buchareft ſchickte, daſelbſt am
10. März ankamen, batte der Wladimiresko mit Ausnahme
ber Stadt Krajowa bereit8 die gefammte ‚Meine‘ Walachei
bis zur Aluta injurgirt und dachte auf ben Marſch nad
Buchareſt ?).
Wenige Tage zuvor aber war Hypſilanti in Jaſſy
eingezogen. Der General-Ephore hatte während des Monats
Februar 1821 nicht gefeiert. Fürſt Michael Sugo in
Jaſſy Hatte fich jeßt feinen kategoriſchen Forderungen fügen
müffen. „Er jegte die von Hhpfilanti gewünfchten Militär-
commandanten in Pakoſi, Kiatra und Suftawa ein, jorgte
1) Bgl. Gordon, ©. 119 ff. Finlay, p. 1518q. Gervinns,
©. 149. v. Prokeſch-Oſten, ©.25. Mendelsſohn-Bartholdy,
©. 150ff.
Spannung in ber allgemeinen Lage. 461
für Proviant und Lebensmittel, Tieferte 135,000 Grofien
(Biafter) und verfprah dem General-Ephoren noch weitere
150,000 zu liefern.) Selbft wenn Hhpfilanti gewollt
hätte, er konnte ſchon nicht mehr zurüd. Denn man wußte
jett, daß der Pforte das Geheimniß der Hetärie enthüllt, daß
ihr jet von allen Seiten die zweifellojeften Mittheilungen
über die ihr drohende griechtiche Gefahr zugelommen waren.
Salt e8 in Jaſſy als ftabtbefannt, daß der Hospodar mit
offenem Verrath gegen die Pforte fich trage, fo Hatten in
Stambul Euftathios Galatis, der Bluträcher feines (S. 413)
ermordeten Bruders, und Aſimakis den osmanischen Behörden
umfafjende Denunciationen gemacht. Ein Adjutant Hyypſilanti's,
Demetrivs Hhpatrog mit Namen, der mit Briefen des
General» Ephoren aus Beffarabien an Ali⸗-Paſcha und bie
griechiſchen Kapitäne in Epirus abgeichidt worden, war im
Spätherbite 1820 zu Nauffa oder Wiaufta im füblichen
Makedonien (zwilchen Vardar und Haliakmon) durch feinen
Gaftfreund, den Primaten Zaphirafis, Ali's Todfeind, er⸗
polht , feine Papiere an Mahmud Dramali abgeliefert
worden. Endlich war auh des Fürſten letter Bote an
Miloſch, der Pope Ariftives, im Januar 1821, aufgefangen
und nah Widdin dirigiert worden. ‘Dieler fand jedoch Ges
legenheit, auf dem Wege feine Papiere zu vernichten und fich
bei Fetislam von einer Klippe zu ftürzen ?).
Unter dieſen Umjtänden glaubte Hypſilanti nicht Länger
zögern zu Dürfen. Obwohl ihm noch am 22. Februar Kon⸗
ftantin Dufas und Geraſimos Orphanos von Jaſſy aus
mittheilten, daß noch nicht Alles genügend vorbereitet fei, Tieß
er doch zu Anfang März den Hetäriften in der Moldau durch
jenen Dukas erklären, daß er am 7. März von Kiſchenew
aus den Pruth überjchreiten werde. Während man nun in
Jaſſy zu feinem Empfange rüftete, eröffnete bereits ein
1) Mendelsfohn- Bartholdy, ©. 182.
2) Bol. Pouqueville, Thl. U, ©. 226 fl. Finlay, p. 254.
Gervinus, S. 151. v. Prokeſch⸗Oſten, S. 18. Mendelsfohn-
Bartholdy, S. 152f.
— —
— — — —
462 Bud II. Kap. II. 3. Blutthat des Karawias zu Galacz.
anderer Hetärift die griechijche Revolution durch eine ebenfo
feige ald dumme Schandthat der jcheußlichhten Art. Der
Kapitän Karawias nemlihd (S. 457), zuerſt in ruifiichen
Dienften gejhult, dann in den Dienjten des Hospodars
Karadja ergraut, Chef ver fürftlichen Truppen in dem großen
Donaubafen Galacz, fammelte in der Naht vom 5. zum
6. März 1821 jeine Krieger und die Bundesbrüder ber
Stadt, verlündigte ihnen ven Ausbruch des Aufftandes und
warf fich plößli auf die Schwache türfiihe Beſatzung, die nun
binnen furzer Zeit nicht bloß, wie dem Karawias befohlen war,
entwaffnet, jondern in Stüde gehauen war. Dann ließ der
rohe Bluthund etwa dreißig türkiiche Kaufleute in Galacz, wie
auch die Matrofen einiger türkiicher Schiffe im Hafen falt-
hlütig ermorden, und krönte dieſe Großthat durch die um-
faffende Plünderung des Eigenthums der Ermordeten, durch
Schändung der Mojcheen, Zöbtung des Imams, und anbere
Berbrechen, wie fie revolutionärer Pöbel zur Teier jolcher
Saturnalien zu begeben zu allen Zeiten und in allen Ländern
liebt ). Erreicht Hatte Held Karawias nur, daß dem neuen
Kriege ſchon in feiner erjten Stunde der Charakter der
gräßlichiten Unmenfchlichkeit aufgeprägt wurde, und daß er fehr
zur Unzeit die Zürfen in dem benachbarten Braila warnte,
auf ihrer Hut zu jein.
Am Abend nun des folgenden Tages (6. März) verließ
Alerander Hypjilanti Kifchenew in Begleitung feiner
Brüder Nikolaos und Georg, des früheren Uhlanenoberſten
in rufſiſchen Dienften Georg Kantakuzenos, des Sekretärs
Manos,, des polnischen Offiziers Garnoffsky, und einiger
Diener. Am 7. März 1821 überfchritt er dann ven
gefrorenen Pruth bei Skuleni, zog auf dem Wege mach ber
nahen moldauiſchen Hauptſtadt Jaſſy die verichievenen Weiter:
trupps an fich, 200. Mann ftark, welche vie hetäriſtiſchen
Offiziere in Jaſſy ihm entgegengefchidt Hatten, und rüdte
1) Gordon, ©. 123. Finlay, p. 146g. Gervinus, &.157.
Mendelsfohn-Bartboldy, ©. 168.
Hypſilanti zieht (7. März 1821) in Jaſſy ein. 463
nun wit dieſer Eskorte eine Halbe Stunde nah Sonuen⸗
untergang in diejer Stadt ein, wo fich fofort Die ganze Garde
des Hospedars für ihn erklärte. Hypſilanti nahm fein
Hauptquartier in dem Balafte der Fürftin Kantaluzena, der
Mutter der Brüder Georg und Gregor Kantafuzenos ').
Der Würfel war geworfen, bad Unheil durfte feinen Lauf
nehmen.
Ehe wir die Darftellung dieſes Zeitraumes abjchließen,
müjjen wir nun noch die Vorgänge in Morea Ichildern,
welche — im Gegenjage zu der unglüdjeligen Schilverhebung
in Rumänten — die große volfstbümliche griechiiche Erhebung
des Südens einleiteten. Obwohl Hyypfilanti, wie wir jahen,
den verjtändigen Plan, jeinen Krieg vom Peloponmnes aus zu
eröffnen, zu jeinem Schaden wieder hatte fallen laſſen, jo
waren doch die (S. 455) im Dftober 1820 nach dem Süden
abgeordneten Boten nicht zurüdberufen worden. Namentlich
ber energiiche Archimandrit Dikäos konnte daher mit rüd-
ſichtsloſer Heftigfeit das Geſchäft der Agitation in Griechenland
betreiben. Er hatte fi über Stambul und Kydonia nad)
Hydra und Moren begeben und agitirte bei den Primaten
und bei bem Volke mit jehr bebdeutendem Erfolge. Sehr
bedenklich ift er bei der Wahl feiner Mittel freilich nicht
gewejen; namentlich der Schwindel von der zu erivartenden
rujfiihen Hilfe?) wurde von ihm nur zu jchr vermertbet.
Allmählich gerieth der Beloponnes, ohnehin jchon von Jauina
und Suli ber mit Pulvergeruh erfüllt, in ficberhafte Be—⸗
wegung. Schon erflehten die Biichöfe und Mletropoliten auf
den Ranzeln bie göttliche Hilfe bei dem nahen Befreiungs-
fampfe. Anthimos von Helos jchlog den General- Ephoren
Hypſilanti in die fonntägliche Fürbitte ein. Wer für jolde
- Buftände ein feines Gefühl Hatte, mußte bereit den Blut-
1) Bol. Jakovakis Rhiſos Nerulos (über. von Eiſenbach),
Geſchichte des neueren Griechenlands feit ber Zeit bes Befreiungsfrieges,
©. 28. Gordon, ©. 122. v. Prokeſch-Oſten, ©. 18. 26.
Mendelsfohn-Bartholdy, S. 158.
2) Gordon, ©. 216.
-
464 Buch U. Kap. II. 3. Die Zuftände in Morea.
geruch jpüren, ver über Griechenland fich wieder einmal weithin
ausbreitete.
In Morea wurde dann auch in weiten Umfange an ber
heimlichen Bewaffnung des Volles gearbeitet. Dabei fuchten
bie Hetäriften dieſes Landes mit großer Sorgfalt ihr Geheimniß
zu bewahren. Auffallende Zhatfachen wurden den Osmanen
gegenüber auf Die Schuld der Intriguen Ali's von Epirus
geichoben ; die bemerkbare Neigung des Volkes, fich mit
Pulver zu verfehen, deſſen Vertrich die Osmanen auffallender⸗
weile in der Hand der Rajah gelajjen hatten, wurde durch
das Überbandnehmen der Raubthiere in dem gegenwärtigen
jehr ftrengen Winter als gerechtfertigt, als politiih harmlos
bingeftellt ?).
Die Elemente nun, auf welche neben der Flotte der
nautifchen Inſeln und den Armatolen in Rumelien für den
Krieg bauptjächlich gezählt werden mußte, begannen in Morea
bereit8 ſehr Tenntlich Hervorzutreten. Sehr bald bat es fü
nachher gezeigt, daß das ſpezifiſch militäriſche Element in
Morea fo wenig wie in Rumelien mit dem fpezifiih bürger-
lichen außer Zeiten der böchften Noth fich feſt zu verbinden
vermochte. Zur Zeit aber waren beive Machtgruppen doch
noch gar ſehr auf einander angewielen. Das militäriiche
Element hatte jelbftverftändlich feinen Kern in den Maniaten,
denen fich zuerjt die alten Eepbtiichen Führer des Landes
wieder anſchloſſen. Bei dem bürgerlichen Elemente da⸗
gegen kommen in erſter Reihe die großen Brimaten und
Khodſchabaſchis der Halbinjel in Betracht, die bis zu der
jüngften Zeit in der Lage geweſen waren, je nach dem
Anichluffe an den einen oder den anderen ber großen
osmanifchen ©runpberren im Lande für fich eine nicht
unerbebliche Machtitellung zu gewinnen. So hatten nod
zulegt der reiche, glänzende Kiamil⸗Bei zu Korinth und ber
Scheik Nejib-Efendt auch unter den großen Primaten je eine
1) Bgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Geich. Griechenl. TH. I,
S. 179f.
Die Zuftände in Morea. 465
anfehnliche Partei). Bei der Vorbereitung zum Aufſtande
trug e8 auch bei den Primaten des Peloponnes in erter
Reihe die nen angefachte Gluth des heflenifchen Patriotismus
Davon. Das fehloß aber ganz und gar nicht aus, daß nicht
die großen Klerifer und Khodſchabaſchis fehr entichieven von
dem nahbeliegenden Gedanken beherricht wurden, nach Aus»
treibung der Osmanen die Herrichaft über das Volk nun
einfach in ihre Hand zu nehmen. Auch fehlte es keineswegs
an folchen Primaten, die nur jehr zögernd fich der griechiichen
Sache anichloffen, weil die Erinnerung an das Sahr 1770
und feine Folgen ihnen die Gefahr zeigte, Alles zu verlieren,
oder auch weil fie vorausſetzten, daß eine gelungene Revolution
fünftig ihre Nechte und Privilegien erheblich ſchmälern müßte.
Auch das iſt nicht zu bezweifeln, daß ſchwere finanzielle Ver-
ſchuldung gegenüber der türkiichen Regierung, Hinrichtungen
und Eonftsfationen, wie fie neuerdings ?) mehrere Khodſcha⸗
baſchis, namentlich Sotiri und Georg, die Häupter der großen
Familien Londos zu Voſtizza und Delijannis zu Karitena
betroffen hatten, zur Theilnahme an dem Aufitand mitgewirkt
baben.
Der Hauptfit aber ber bebeutendften Griechen bürger-
lichen Standes, welche die natürlichen Führer des Auf-
jtande8 wurden, war das weſtliche Adhaja. Hier galt
al8 der bedeutendſte dieſer Männer zunächſt der Erzbilchof
Germanos von Paträ, — diefer zu Dimikana in Arkadien
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geboren, auf ber
Schule diefer Stadt gebildet, fpäter Grammatift des Metro⸗
politen von Argos, nach der Kataſtrophe von 1770 andauernd
in der Umgebung feines Landsmannes Gregor, des Erzbiſchofs
von Smyrna und (S. 397) fpäteren Patriarchen der Haupt-
ftadt. Nachher Archiviafonus des Erzbiihofs Joachim von
Kyzikos, wurde Germanos 1806 zum Erzbifchof von Paträ
gewählt. Ein Hochgebildeter Mann, ein tiefer Menfchentenner,
1) Gordon, ©. 173.
2) Gordon, ©. 173,
Hergberg, Gefhichte Griechenlands. IL. 30
466 Buch II. Kap. II. 3. Germanos. Af. Zaimis. Anbr. Londos.
war Germanos mit der Gabe einer hinreißenden volksthüm⸗
lichen Beredtſamkeit ausgeftattet, und bei ſcharfem politischen
Blide, bei energiihem Ehrgeiz und bei feinen Verbindungen
mit dem ruſſiſchen Conſul Vlaſſopulos in Paträ ſehr geſchickt,
auf das Volk, deſſen Kraft ihm als das weſentliche Moment
für den Aufſtand galt, einzuwirken ). Unter ven Primaten
jener Gegend aber galt als weitaus der wackerſte Aſimakis
Zaimis in Kalavryta, ein allezeit als hoch ehrenbaft
befundener Mann. „Mit ven blauen Augen, ber gelben
Geſichtsfarbe, dem frühzeitig weißen Haare, der ausdrucksvollen,
aber immer gleichen ruhigen Phyſiognomie, ber geraben
jtrammen Haltung‘, erichien Zaimis, der wider alfe Natur
der raſchen und rebeluftigen Griechen als ſyſtematiſcher
„Schweiger“ galt, die „Pythia von Kalavryta“, ver Mann
ſeltener Thatkraft und Willensftärte, als eine Perfönlichkett,
welcher Freund und Feind die Achtung niemals verfagt haben.
Ganz anderer Natur war fein Freund Andreas Londos
in Boftita, der Sohn eines feiner Zeit bei Veli⸗-Paſcha Hoch)
angefeßenen Primaten ?); wie Germanos durch feine Wußer-
Tichfeit Teineswegs imponirend, feinerfeits als junger Manm zu
Ausichweifungen geneigt, jet ein eifriger Politiker und warmer
Patriot von tüchtiger Begabung. Alle drei waren, obwohl
an ſich zu vorfchnelfem Losichlagen nicht geneigt, demnächſt
berufen, die Sahne des Aufitandes zu entfalten.
Die wachſende Aufregung der Griechen in Morea fchon
im Verlauf des Jahres 1820 Hatte den Osmanen doch nicht
ganz entgehen können. Der Divan batte daher (S. 440) im
Herbft jenen kraftvollen Khurſchid⸗Paſcha als Paſcha nad
Tripolitza geſchickt, deſſen impofante Perſoͤnlichkeit, deſſen
Klugheit und Thatkraft als ſehr geeignet ſchien, Unruhen hier
im Keime zu unterdrücken. Aber auch dieſer Statthalter hatte
ſich ſchließlich täuſchen laſſen. Ali's Intriguen und das
1) Pouqueville, Bd. I, ©. 244ff. Gervinus, ©. 184f.
2) Gervinus a. a DO. und Mendelsſohn-Bartholdy,
S. 181 u. 189.
Khurſchid⸗Paſcha geht nach Janina, Kolofotronis (Ian. 1821) n. Morea. 467
Unbehagen des Volkes über die außerordentlichen Auflagen zum
Zwecke des epirotiichen Krieges galten als bie einzige Urjache
ber Aufregung. Schließlich) wurde Seitend der Osmanen es
doch unterlaffen, jich überall Trüftig zu rüften, und Khurſchid
(S. 441) hatte wirklich, obwohl nicht ohne alle Beſorgniß,
Ende Januar 1821 Tripolita verlaffen, um als Serasfier
nach Sanina zu gehen. Sein Abzug aus Morea bat nun den
Beloponnefiern ihr Werft in hohem Grade erleichtert.
Um diefelbe Zeit, wo Khurſchid fein Paſchalik verlieh,
erſchienen Die eriten Boten des nahen Sturmes in Morea.
Der Major Theodor Kolokotronis (S. 355) Batte feit
einiger Zeit die Inſel Zante verlaffen; er war in Hhbra
gewejen, dann in Spetzä, nun landete er, nicht ohne Antrieb
Seitens des Fürſten Hhypfilanti, mit dem er in Correjpondenz
ſtand, zu Ende Januar in dem mantatiichen Sfarbamula,
während fein Bruder Johann an ber Bewegung in Rumänien
fich betheiligte. Theodor begab fich zunächſt zu der mit den
Mauromichalis rivalifirenden Familie der Maina, den Tru⸗
pakiden oder Murtzinos )). Dadurch wirkte er mächtig auf
Petros Mauromichalis, den Bey der Maina, deſſen bei allem
patriotifchen Iutereffe etwas bequeme und relativ weniger
thatfräftige Natur an Kolofotronis jegt die nöthige Stüße
und den fräftigen Antrieb empfing. Außer dem alten Klephten
und nunmehrigen brittiichen Major fehrten noch andere
befannte militäriiche Häuptlinge nach dem Peloponnes zurüd,
ſo namentli die Petinezaden aus dem Gebirge bes weftlichen
Achaija, des Kolokotronis Neffe Nikita, und der alte
Anagnoftaras, der fich nach) Mefjenien begab. Die Kunde von
der Ankunft des Theodor Kolofotronis in ver Maina
wurde von den Griechen überall mit Freude und Hoffnung
begrüßt; aber auch die Osmanen erkannten recht wohl, was
fie zu bedeuten hatte, und ſchickten fih an, ihre abwehrenden
Maßregeln zu ergreifen.
1) So jegt nad) Mendelsfohn-Bartboldy, Geſch. Griechenl.,
8b. I, ©. 186.
30 *
468 Bub II. Kap. UI. 3. Borfihtsmaßregeln der Türen in Morea.
Seitens der griechifchen Bevdlferung machten fich die
Symptome der Gährung, des Übermuthes, der Widerfpenftig-
keit in ben verfchtevenen Theilen des Landes auch blöden Augen
bemerkbar. Da juchte nun Khurſchids Kaimalım in Tripolitza,
Salit-Aga, durch Maßregeln, die ibm theils bie in folchen
Fällen herkömmliche türfiiche Praxis, theils Khurſchid ſelbſt
auf ſeine Anfrage im Lager des Seraskiers vorſchrieb, der
drohenden Bewegung entgegenzuarbeiten. Dahin gehört es,
daß er um die Mitte Februar 1821 die Pulvermühlen bei
Dimitzana abbrechen ließ ). Mehr aber, die Osmanen, die
bisher Teinen Grund batten, der Treue des Petrobet, deſſen
einer Sohn zur Zeit fich al8 Getfel in Stambul befand, zu
mißtrauen, forderten ihn auf, den alten Kolofotronis und
beffen Freunde zu verhaften und anszuliefern: ein Anfinnen,
dem nachzulommen der Bei der Maina weder gewillt noch im
Stande war. Nun gedachte Salik⸗Aga auf Khurſchids
Befehl die feit Alters wie noch heute bräuchlide Maßregel
türkiſcher Gewaltpraxis in Scene zu fegen. &r wollte nemlich
bie chriftliche Bevölkerung entwaffnen, eine doppelte Kopfſteuer
erheben , und vor Allem durch Verhaftung ber höheren
Kleriler und großen Primaten, ber Führer des Volkes, die
nöthigen Geijeln für die Ruhe des Landes fich verichaffen.
Der Kaimalam berief daher (25. Februar) die bei
brobenden Kriegen oder Empörungen üblihe Zuſammenkunft
der Biſchöfe und Kodſchabaſchis nah Tripoliga, angeblich
zu einer Berathung über Beichwichtigung der durch Alve
Intriguen erzeugten Unruhe, — um bernach durch ihre Feſt⸗
haltung die Abfichten der Griechen zu vereiteln.
Diefe Schritte, zulegt biefe Aufforderung, die von mehreren
vornehmen Moslims in Moren, wie Kiamil⸗Bei von Korinth,
entſchieden gemißbiligt wurden, wirkten enticheibend ein auf bie
Haltung der Griechen. Es hatten während ver legten Zeit
mehrfache Berathungen unter den angejehenjten Hetäriften im
Lande ftatigefunden. Bejonders wichtig war eine Verfammlung
1) v. Brotefh-Öften, Bd. I, ©, 42.
Maßregeln der Griechen und der Türken in Morea. 469
ber nambafteften Bifchöfe und Primaten von Morea geworben,
bie Anfang Februar ın dem Klofter St. Georg bei Voſtitza
itattfand. Die aus den ungejtümeren, ärmeren und un⸗
wilfenderen Elementen beſtehende radikale Gruppe, Kolokotronis
und Dikäos an ihrer Spite, wollte von Aufichub nichts wiffen.
Dikäos Hielt feſt an feinen Schwindeleien wegen der ruffiichen
Hilfe, und erflärte den 6. April 1821 als den äußerten
Termin, wo man losichlagen müſſe. Schließlich drang er
jeboch nicht durch und zog ſich unwillig nach dem Klofter
Retfila zurüd. Die Verſammlung aber beichloß, am 6. April
noch nicht Toszwichlagen, vielmehr die Entſcheidung zu vertagen
bis zur Rückkehr der Boten, die nach Hydra und Spekä, wie
auch nach Pifa an den Erzbifchof Ignatios, und an Hypſilanti
zu genauer Erkundigung über den militäriichen und politifchen
Rückhalt der Bewegung geichidt werben follten. Als nun
Ende Februar die Vorladung des Kaimakam in der ganzen
Provinz bekannt gemacht wurde, entftand unter den Hetäriften
eine allgemeine Unficherheit. Mehrere ver eingeladenen Männer
entſchuldigten ihr Nichtlommen durch Krankheit oder andere
Gründe. Dagegen leifteten neun Biſchöfe (darunter die von
Korinth, Arkadhia und Monembafia) und zwölf Brimaten
(darumter Theodor Delijannis von Karitena, Sotirtos Notaras
bon Korinth, Johannes Perrukas von Argos) der Einladung
wirflich Folge. Der Bet der Maina ſchickte wenigftens feinen
Sohn Anajtaftos nach Tripolitza. Alle diefe Hatten in ihrer .
Unentfchloffenheit doch noch gehofft, womöglich das Mißtrauen
der Osmanen durch gejchmeidiges momentanes Nachgeben ein⸗
ſchläfern zu können.
Selbſt Germanos und Londos ſchickten ſich endlich an
(18/19. März), nach Tripolitza zu reiſen. Als ſie aber nach
Kalavryta kamen, wurden ſie wieder unſchlüſſig und durch
Zaimis und Andere ernſtlich vor der Reiſe nach der Haupt⸗
ſtadt gewarnt. Sie trafen hier noch andere Primaten und
Kleriker, die ebenſo wenig geneigt waren, ſich in die Gewalt
des Kaimakam zu geben. Man kam endlich auf einen pfiffigen
Einfall. Man beſchloß, zum Scheine in Geſellſchaft anderer
470 Buch IL Kap. II. 3. Die Primaten in Kalaoryta.
Griechen und Türken die Reiſe nach Tripolitza fortzufeßen,
unterwegs aber ſich von dort aus einen jelbitfabricirten
anonymen warnenden Brief übergeben zu laſſen. Als fie
bemnächit zu Satjanaes im Ladonthal anlamen, erhielten fie
wirklih einen Brief, in welchem angeblihb ein anonhimer
türkiſcher Freund fie vor der Reiſe nach Zripolika warnte,
wo ihnen Seitens des Kaimalam ber Tod geichworen fei.
Mit geheuchelter Entrüftung und Beſtürzung lafen die Em-
pfänger auf offener Straße dieſes Schreiben in Gegenwart
der anweſenden Türken, Diener und Maulthiertreiber. Dann
ſchickte man bittere Beichwerben nach Tripolitza und begab fi
nach dem Klofter St. Laura. Die Türken in der PBrovinzial-
bauptitabt zerbrachen fich vergeblich ben Kopf wegen des
Schreibers dieſes Briefes ; aber ihre Einladungen an jene
borzugsweile wichtigen Führer der Griechen blieben vergeb-
ih, — vielmehr zerftreuten ich diefe nunmehr nach ihren
Wohnſitzen, um überall Bewaffnete zu nachbrüdlicher Gegenwehr
zu ſammeln !).
Darüber kam nun die Volksbewegung in Morea zu
ihrem blutigen Ausbruche. Hatte es ſchon früher einmal in
ber eriten Hälfte des Februar zu Paträ (damals eine Stadt
von 18,000 Einwohnern, von denen zwei Drittel Griechen
waren) nicht unerhebliche Unruhen gegeben ?), jo war troß
des Beichlufjes ver Berfammlung von St. Georg von Seiten
der ungeftümeren Setärijten immer wüthender gehetzt worben.
Die erjten dunklen und übertriebenen Nachrichten von dem Ein⸗
fall des Fürſten Hypſilanti in die Moldau wirkten anfregend
genug auf die Mohammebaner, wie auf alle Klaſſen ver
Griechen. Die gewaltige Gährung, die jet Alles mit ſich
fortrig, äußerte fich bereits griechiicherfeits in mehrfachen
Gewaltthaten. Und bald fam die Revbolution in vollen Fluß.
In der vorzugsweile aufgeregten Stadt Paträ fchien bei
1) Bgl. Finlay L. c. p. 176—179. v. Brotefd-Often, ©. 42.
Mendelsjfohn-Bartholby, S. 186ff.
2) Ponqueville, Bb. U, ©. 206ff. und Gordon, S. 176.
Ä
Die erften Scenen bes Auffianbes in Moren. 4711
einem blinden Lärm die Erhebung ſchon am 20. März aus-
brechen zu follen. Hier fanden die Osmanen noch die Zeit,
ihre Familien und Schätze in bie Citabelfe zu bringen und
biefelbe mit ſchweren Gejchügen zu armiren !), während bie
Griechen fich jet ganz offen mit Munition verjahen, und bie
fremben Eonfjuln ihre Wohnungen verjchanzten. Den legten
Stoß aber gab der Lawine nun doch jener wilde Archimandrit
Dikäos, welcher die Partei der großen Primaten unter
allen Umftänden in den Kampf Hineinreißen wollte. Schon
am 25. März Hatten die Hetärtften in dem Thale des Krathis
bei dem Dorfe Agridhi drei Couriere des Kaimakam mit
Depeichen an Khurſchid⸗Paſcha aufgefangen. Am 26. März
aber Bat nun — angeregt von Diläos, der mit einem folchen
Schachzuge den ganzen Diftrikt von Kalavryta compromittiren
wollte — deſſen Freund Nikolaos Soliotis, ein einfluß-
reicher Hetärift aus Solos am oberen Krathis, in verjelben
Gegend, nicht weit von dem See von Phonia, mit feinen
Lenten acht moslemitiiche Schkupetaren nievergehauen, welche .
zur Eintreibung des Kharadſch ausgeſchickt waren. Das
erfte türkiſche Blut in Morea war jett vergoffen worden,
und bald jchwoll die Bande des Soliotis auf 300 Mann an.
Mit denen griff er fammt den Petmezaden drei Tage nachher
60 wohlbewaffnete Abanefen, die bei Afrata (Agä) gelandet
waren und die Garniſon von Tripolitza veritärfen follten, bei
Berfowa in Achaja an, töbtete Davon 20, nöthigte die anderen
zur Ergebung. Gleichzeitig hatte Aſimakis Zaimts Träftig
in die Bewegung eingegriffen, um endlich auch feinerfeits bie
befremnbeten Brimaten fortzureißen. Auf feinem Gute zu
Kerpint bei Kalavryta veranlaßte er am 27. März mehrere
in feinem Dienfte ftehende frühere Klephten, namentlich einen
gewiſſen Chondrogiannis, den Seid-Aga von Lala zu über-
fallen, der mit einer tärfiichen Eskorte erhebliche Geldſummen
von Kalavryta nah Tripolitza bringen follte. Nun entging
zwar ber bei Zeiten gewarnte Aga mit dem Gelde glücklich
1) Pouqueville, Bd. II, ©. 246ff. Gordon, ©. 175f.
472 Bub II. Kap. II. 3. Aufftand zu Kalavryta.
dem Binterbalte, den ihm am 30. März dieſe Klephten bei
Ratfanges legten; nur ein Diener mit Gepäd: war ben Griechen
in die Hände gefallen. Die gewaltig übertriebene Kunde von
dieſem Borfall galt in Tripolitza als das Signal Des
nunmehr ausgebrochenen Aufftandes der Griechen, unb ber
Kaimakam Hatte Mühe, die Biichöfe und Primaten vor ber
Wuth des türfifchen Pöbeld zu fchügen. ‘Der Woiwode von
Kalavryta dagegen, Arnaut-Oglu, ein wenig fcharffinniger
Mann, Mitglied einer der reichften moslemitiſchen Familien
in Moren, der bisher mit verfchtevenen Primaten auf be-
freundetem Fuße gelebt und alle Beſorgniß vor einem Aufftande
ber Griechen für eitel Thorheit gehalten hatte, kehrte auf bie
Nachricht von diefer und einigen anderen Gewalttbaten von
einer Reife, die er über das arkadiſche Dara nach Tripolitza
unternommen, jofort um und verfchanzte ſich mit allen
türfifchen Familien von Kalavryta in den brei Kaftellen dieſes
Platzes. Und nun erhoben fich fofort die Griechen ber Um⸗
gegend, 600 an der Zahl, und belagerten die Osmanen.
Am 2. April brad der Aufftand des griechiſchen
Volkes weithin im Peloponnes aus. Die Verbindungen
zwiſchen ven größeren Plätzen waren fofort überall abgefchnitten,
und die entſetzliche Wuth der Griechen und Albaneſen, welche
bie Rache für die Unbill von mehr denn drei Jahrhunderten
„in Einen Moment zufammenfafen‘ wollten, begann fid
fofort in zahlreichen Niedermetzelungen zerftreuter, wehrlofer
Mohammedaner ohne Rückſicht auf Alter und Gejchlecht ‚zu
vollziehen.
Schon am 3. April kapitulirten die Türken in Kalavryta.
Aber die Kapitulation ift nicht oder doch nur fchlecht gehalten
worden, denn von ben 300 Leuten, bie fich Hier den Griechen
ergaben, ift nur Arnaut-Oglu.1825 aus Mäglicher Gefangen
ſchaft endlich durch Auswechſelung befreit worden. Die meiften
Männer wurden ermorvet, Weiber und Kinder fielen in
Dienftbarkeit bei griechiichen Familien. Unmittelbar darauf
erfolgten aber die entfcheivenden erjten Schläge im Süden wie
im Norben der Halbiniel. Die Führer ber Maina, bie
Die Mainotten (4. April 1821) erobern Kalamata. 418
ohne Mühe 8000 Krieger aufftellen Tonnten, und ihre Hepb-
tiichen Genoſſen waren bereit8 in voller Eriegeriicher Arbeit.
Mit dem Wahlipruhe „Sieg oder Tod“, mit der alt
jpartiatiichen Schilddeviſe „Mit ihm oder auf ihm‘ auf ihren
Velbzeichen, waren die Maniaten bes alten Betrobei, deſſen
Sohn (S. 468) glüdlihd aus Stambul entfommen war, nad
Meſſenien binabgeftiegen und hatte fich mit den Schnaren des
Murkinos, Theodor Kolofotronis, Dikäos und Anagnoftaras
bereinigt. Die Ermordung des vornehmen Türken Murad,
ber mit feiner Familie aus Kalamata nad Zripoliga flüchten
wollte, durch die Schaaren des Nikitas am 2. April eröffnete
das Gemegel in Mefjenien. Gegen Mittag des 3. April war
KRalamata von 2000 Griechen blofirt. Am 4. April
fapitulirte die Stadt; auch bier ift die Zuficherung des Lebens
den Zürfen nicht gehalten, find die Männer nach ver Maina
abgeführt, dajelbft nach und nach ermordet worden. Dem
friegerifchen und dem revoluttonärsrachlüchtig-treulofen Moment
der Erhebung fchloß fich fofort das Firchliche an. Am 5. April
nemlich feierte die griechiiche Nevolutionsarmee, 5000 Krieger,
am Ufer des Kalamata bejpülenden Fluſſes Nedon, in den
feierlichen Bormen der anatolichen Kirche ein durch fünfund-
zwanzig Priefter geleitetes großartiges Hochamt; in berfelben
Zeit, wo bereits die türkiſchen Kanonen der Citabelle von
Paträ gegen die Griechen bonnerten, die ebenfalld am
4. April, „dem Geburtstage der griechiichen Freiheit”, in
biefer großen Handelsſtadt die Fahne des Aufitandes erhoben
hatten 9.
1) Finlay, p. 179 — 186. v. Prokeſch-Oſten, ©. 42.
Menpelsfohn-Bartholdy, ©. 189—191.
Drud von Friebe. Andr. Perthes in Gotha.