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Full text of "Geschichte Griechenlands : seit dem Absterben des antiken Lebens bis zur Gegenwart"

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Geſchichte 


europäiſchen Staaten. 


Serausgegeben 
von 


A. H. L. Heeren, F. A. Ukert 
und 
W. v. Gieſebrecht. 


Geſchichte Griechenlands 


von 


Guftan Friedrich Hertzberg. 


Dritter Theil. 





Gotha. 

Friedrich Andreas Perthes. 
1878. 
5 Eu 


Gefchichte Griechenlands 


feit dem Abſterben des antiken Sehens 
bis zur Gegenwart. 


Bon 


Guftan Friedrich Hertzberg, 


außerorbentl. Peofeflor d. Gejcite a. b. Univerfität zu Halle. 


Dritter Theil. 


Bon der Vollendung der osmaniſchen Eroberung bis zur Erhebung 
der Neugriechen gegen die Pforte. (1470 — 1821.) 





Gotha, 
Friedrich Andreas Perthes. 
1878. 














Inhaltsverzeichniß. 


Erſtes Bud. 


Geſchichte Griechenlands von der Eroberung der Inſel 


Euböa durch die Osmanen bis zur franzöſiſchen Revo⸗ 


lution. — 1470 bis 1788 n. Chr. (S. 1—264.) 


Erftes Kapitel. Geſchichte Griechenlands von der 


Eroberung der Inſel Eubba durch die Osmanen 
bis zur Eroberung von Morea durch die Bene: 
tianer (1470 — 1684) .. 


I. Einleitung. S. 83 — Benetianifch = türkiſche 
Kämpfe ſeit 1471. ©. 5. — Friedensſchluß 1479 
zwilchen Venedig und der Pforte. ©. 7. — Die O8- 
manen greifen 1480 Rhodos vergeblih an, ©. 8, — 
erobern 1479 die Inſeln des Leonardo III. Tocco. 
©. 9..— Unruhen 1480 im Taygetos. ©. 10. — 
Sultan Bajefib I. (1481—1512). S. 11. — Kypros 
fällt 1489 an Venedig. ©. 13. 


ID. Der Krieg feit 1499 zwifhen Venedig und 
Bajefid I. ©. 14. — Venedig verliert Lepanto und 
Deefienien, S.15, — und behauptet im Frieden (1508) 


Seite 


3— 127 


Inhaltsverzeichniß. 


Zante und Kephalenia. ©. 16. — Selim IJ. (1511 
bis 1520). ©. 17. — Suleiman II. (1520—1566), 
©. 18, — erobert 1522 Rhodos, S. 19. — Kämpfe 
ber Maltefer und des Andreas Doria 1531/32 auf und 
bei Morea. &.20. — Khaireddin Barbarofia. S.22. — 
Krieg feit 1537 zwifchen der Pforte und Venedig. 
©. 23. — Verheerung der Inſeln des Archipelagus 
1537/38. ©. 24. — Benebig verliert 1540 Nauplion 
und Monembaſia. ©. 26. 


IH. Das Serzögtfum Naros 1463 bis 1541. 
©. 27. — Andros und Paros 1462 bis 1540. S. 28. — 
Die Osmanen erobern 1566 Chios. ©. 30. — 
Selim II. (1566 — 1574) auneltirtt 1566 Naros. 
©. 32. — Der jüdiſche Herzog von Naxos, Don Joſeph 
Naſt. ©. 33. — Die Osmanen erobern 1571 Kyprog, 
©. 34, — und die Schlacht bei Lepanto, ©. 35. — 
Die Infeln des ägäiſchen Meeres unter türkifcher Herr- 
ſchaft. S. 36. — Der lateinifhe Adel auf diefen Inſeln 
amd feine feindfelige Stellung zu ben Griechen. S. 37. — 
Die Fehde zwifchen den Kokkos und den Barozzi auf 
Naxos. ©. 41. 


IV. Griechenland feit 1573 bis 1601. ©. 42. — 
Griechenzüge der Maltefer 1603 bis 1620. ©. 45. — 
Wirrubige Bewegungen feit 1612 in der Maina. S. 46. — 
x Die Sphakioten auf ber Infel Kreta. ©. 47. — 
Benedig und bie Sphalioten. &. 49. — Foscariut’s 
Keformen auf Kreta feit 1574. &. 50. — Krieg zwiſchen 
ber Pforte und Venedig um Kreta feit 1645. ©.58. — 
Die Kriegsjahre 1646 bis 1660. ©. 54. — Ahmed 
Köprili. Der Kampf um Kandia feit 1666. ©: 57. — 
Kreta fällt 1669 an die Pforte ©. 58. — 
Ahmed Koeprili unterwirft 1670 bie Maniaten. 
©. 59. — Fränkiſche Corfaren feit 1673 im ägäiſchen 
Meere. ©. 61. 


V. Die Lage der Griechen amter ber türkiſchen 
Herrſchaft. S. 62. — Militärifche Leitungen der 
Griechen für bie Pforte ©. 65. — Stellung ber 
Dsmanen zu ihrem chriftlichen Untertbanen. ©. 66. — 
Die Organifation ber Verwaltung und das türkiiche 
Lehensſyſtem in ben griechiſchen Provinzen. S. 68. — 


Seite 





Inhaltsverzeichniß. vo 


Seite 
Mora. ©. 71. — Die Kopfſteuer. ©. 72. — Die 


Banern in Griechenland. ©. 73. — Der Zehnte 
©. 75. — Der Knabenzins. ©. 76. — Machtbereich 
und Machtftellung des griechiſchen Patriarchen in 
Conflantinopel. S. 78, — Kirchliche Beſteuerung ber 
Griechen. S. 82. — Das Patriarchion. ©. 83. — 
Bürgerlide Competenz des Patriarchen unb bes Epis- 
kopats. S. 84. — Griechiſch⸗-biſchöfliche und türfifche 
Rechtspflege. S. 86. — Schattenſeiten der Lage der 
Griechen unter türkiſcher Herrſchaft. S. 89. — Schatten⸗ 
ſeiten des höheren griechiſchen Klerus. S. 90. — Der 
niedere Klerus und die Mönche. ©. 92. — Die 
Sanarioten. ©. 97. — Die Großbragomane ber 
Pforte und der Flotte ©. 99. — Klephten und 
Armatolen. S.100. — Die griehiihe Gemeinde- 
verfafjung und die Primaten. ©. 105. — 
Gemeinbeverfaffung, Provinzialräthe, Kodſchabaſchis in 
More. S. 108. — Stellung der Brimaten. S. 110. — 
Gemeindeverfaffung auf ben Infeln, S. 112, — in 
Rumelien, S. 113. — Gefammtlage der Griechen 
unter osmaniſcher Herrſchaft. © 115. — 
Charakter ber ©rlechen, namentlih ber Moreoten, in 
biefem Zeitalter. S. 117. — Reugriechiſche Sprache 
und Litteratur. ©. 119. — Abfhaffung bes 
Knabenzinfes im 17. Jahrhundert. ©. 121. — 
Aufihwung des Klephtenthums. S. 122. — Crufins 
in Tübingen und die Griehen: S. 123. — Kyrillos 
Lukaris. ©. 124. — Athen. ©. 126. 


Zweites Kapitel. Geſchichte Griechenlands von 1684 
bi8 1718 Er 128—191 
I. Abfall der Schkupetaren zum Islam im 17. Jahr⸗ 

bundert. ©. 128. — Die i8lamitifhen Albanefen von 

Lala und Barbunia in Morea. S. 129. — Abfall ber 

griedifhen Kreter zum Islam. ©. 131. — Der 

Großweſſir Kara Muftapba feit 1676. ©. 133. — 

Krieg Venedigs gegen bie Pforte feit 1684. 

©. 134. — Francesco Morofini erobert 1685 Koron 

und die Maine. ©. 136. — Glänzende Feldzüge bes 

Grafen Königsmart fjeit 1686. ©. 138. — Anardie 

und Greuel der Griehen und Türken in Griechenland. 


vm Inhaltsverzeichniß. 


Seite 
©. 140. — Die Venetianer erobern 1687 Athen. Zer- 


flörung des Parthenon. ©. 142. — Räumung 
Athens 1688. Mehrjährige Verdbung ber GStabt. 
©. 145. — Kampf um Negroponte 1688 und Königs- 
mars Tod. S. 147. — Monembaſia 1690 venetianifch. 
©. 148. — Anarchie in Mittelgriehenland. S.149. — 
Liberati Geratichari, 1688 Beh der Maina, greift 1692 
mit den Osmanen Morea an. S. 150. — Morofini 
flirbt 1694. S. 152. — Kämpfe um Chios 1694/5. 
©. 153. — Liberali und die Osmanen greifen 1695 
Morea an. S.155. — Liberafi’8 Untergang. S. 156. — 
Friede zu Carlowig 1699. Benedig behauptet 
Morea. ©. 157. 


II. Venedigs Herrfhaft auf ben ionifchen Inſeln. 
©. 158. — Entoölferung Morea's nah Austreibung 
ber Türken. ©. 161. — Schmierigleiten für Venedig 
bei der Herftellung von Morea. ©.162. — Die 
General = Broveditoren. S. 164. — Die Moreoten. 
©. 165. — Neubevölkerung des Landes. S. 166. — 
Die nenen Feftungsbauten. ©. 167. — Die Maniaten. 
S. 168. — Die Organifation, die agrarifchen. Zuftände, 
das Beſteuerungsſyſten von Morea. ©. 169. — 
Landestultur und Merkantilſyſtem. ©. 172. — Städte» 
weien und Rechtspflege. © 174. — Kirdlide 
Schwierigkeiten. S. 175. — Lage der Moreoten unter 
Venedigs Herrſchaft. ©. 178. 


III. Die Pforte bereitet feit 1713 einen neuen 
Krieg gegen Benebig vor. S. 179. — Die militärifchen 
Schäden der Lage von Morea. ©. 181. — Ausbrud 
des Krieges im Borfommer 1715. ©. 182. — Die 
Osmanen erobern Korinth, S. 183, — Nauplion und 
das Caftell von Morea, S. 184, — Mobon, Monem- 
bafta und bie kretiſchen Feſtungen. S. 186. — Glänzende 
Bertheidigung (1716) Korfu’8 durch Schulenburg. 
S. 189. — Friebe (1718) zu Paſſarowitz. ©. 1%. 


Drittes Kapitel. Geſchichte Griechenlands von 1718 
be 1788.. 2 2 0 er. 191264 


I. Die Zuftände in Morea feit 1715. S. 191. — 
Die Griechen unter osmanifcher Herrſchaft. S. 194. — 








Inhaltsverzeichniß. 


Der Großdragoman Alexander Maurolorbatos und fein 
Geſchlecht. S. 195. — Die fanariotiſchen Hospodare 
und das Griechenthum in der Moldau und Walachei. 
S. 197. — Entſtehung neuer griechiſcher Bildungs⸗ 
anftalten. S. 200. — Eugenios Bulgaris und Theotolis. 
©. 203. — Die Erzbisthümer Ipek und Ochrida 1776/7 
unter den Patriarden von KConftantinopel geftellt. 
6.205. — Gräcifirung der Bulgaren durch die Kirche. 
©. 206. — Aufihwung bes materiellen Wohlſtandes 
ber Griehen. ©. 207. — Benedig und bie ionifchen 
Inſeln. ©. 208. — Tinos und Chios. ©. 209. — 
Hydra und Spetzä. ©. 210. — Griechenland und bie 
ruffifche Politi. S. 211. — Die Klephten unb bie 
Armatolen. S. 212. — Die Sulioten. ©. 218. — 
Die. Maniaten. ©. 221. 


DI. Die ruffifhen Sympathien für Griehenland zur 
Zeit Katharina's II. S. 224. — Ruſſiſche Agitation 
jeit 1765 unter den Griechen. Papadopulos. ©. 225. — 
Ruſſiſch-türkiſcher Krieg feit 1768. Aufftand 
in Morea 1770. ©. 227. — Nieberwerfung bes 
griechifcehen Aufftandes. ©. 230. — Die Ruffen räumen 
1. Juni 1770 Morea. S. 232. — Blutiges Wüthen 
der Albanefen gegen bie Griedhen in NRumelien und 
namentih in Morea. S. 234. — Andrutfoß. 
S. 236. — Die Aldanefen in More. ©. 237. — 
Die Inſelgriechen. ©. 238. — Die Sphalioten. 
S. 239. — PBiraterie. Metromarad. S. 240. — 
Der Friede von Kutſchuk-Kainardſche (1774), 
und deſſen nützliche Folgen für die Inſelgriechen. 
©. 241. — Die Familie Kololotronid. S. 244. — 
Stellung der Maniaten feit 1776. ©. 245. — Haſſan 
Shazi vernichtet 1779 die Macht ber Schlypetaren in 
Griechenland. ©. 246. — Hafieli- Bey in Athen. 
S. 248. — Haſſan Ghazi vernichtet 1780 das Haus 
Kolokotronis. S. 250. — Zuftände in Morea. ©. 252. — 
Rußland und die Griehen. S. 258. 


III. Gefchlecht ves Ali von Tepeleni. © 255. — 
Ali's Jugendgeſchichte. S. 257. — Ai 1788 Paſcha 
von Trittala. ©. 260. — Joannina. ©. 261. — 
Ali (1788) Paſcha von Janina, ©. 262, — 
erobert 1789 Alarnanien, und zerfiört Chormovo. ©. 263. 


— —ñ—e 


Seite 


IX 





x Inhaltsverzeichniß. 


Zweites Bud. 


Geſchichte Griechenlands von 1788 bis 1821 n. Chr. 
(S. 265 — 473.) 


— 


Seite 
Erftes Kapitel. Geſchichte Griechenlands von 1788 
bis 1811.2073899 


I. Allgemeine Betrachtungen. ©. 267. — Ruſſiſch— 
türtifher Krieg feit 1787. ©. 269. — Die 
Sulioten. S. 270. — Lambros Kanzonis. S. 271. — 
Friede zu Jaſſy 1792 und Ausgang bed Lambros 
Kanzonis. ©. 273. — Unglüdliher Krieg 1792 des 
Ali von Janina gegen die Sulioten. ©. 275. 


I. NReformpolitit des Sultans Selim DI. 
©. 279. — Untergang des Haffeli- Bey von Atben. 
©. 283. — Markos Politis auf Naros. ©. 284. — 
Machtaufſchwung des Ali-Pafcha von Janina. &. 285. — 
Paswan- Oglu von Widdin. S. 286. — Einfluß der 
franzöfifhen Revolution auf die Griechen. 
&.288. — Zuftände auf den ionifhen Imfeln unter 
Venedig. ©. 289. — Die Franzofen erobern 1797 die 
ionifhen Inſeln. S. 290. — Bonaparte und bie 
Maniaten. ©. 292. — Beziehungen der Franzofen zu 
Ali von Janina. S. 294. — Rhigas von Beleftino 
und das Haus Hypfilanti. ©. 295. — Die Hetärie, 
die Sturmlieber, ber Tod (1798) des Rhigas. S. 298. — 
Anthimos und Korais. ©. 303. 


II. Ali⸗-Paſcha bricht 1798 mit den Franzofen 
und erobert Prevefa. S. 304. — Die Auflen und 
Türken verbünden fi gegen Frankreich und erobern 
1798/99 vie ioniſchen Inſeln. ©. 3806. — Die 
ionifhe Republik der „Sieben Inſeln“, ibre 

Verfafiung, ihre Geſchichte. S. 309. — Ali rüftet 1799 
gegen die Sulioten. ©. 313. — Sein Krieg 1800 bis 
1803 gegen die Sulioten. ©. 314. — Übermältigung 
der Sulioten. Ihre Vertreibung aus Epirus. 
©. 3817. 


Iuhaltsverzeicniß. 


IV. Ali⸗Paſcha 1804 vorübergehend Beglerbeg von 
Rumelien. S. 319. — At und die Armatolen. 
S. 321. — Konftantin Hypſilanti fett 1799 rumäniſcher 
Hospodar. S. 322. — Der Aufſtand in Serbien ſeit 
1804, ©. 324, — und ber Zug bes Nilotfaras, 
©. 325. — Tod des Zacharias und (1806) Flucht des 
Theodor Kololotronis nah Bante. ©. 326. — Ver- 
fimmung zwifchen ber Pforte und Rußland, franzöfticher 
Einfluß in Stambul, und Krieg ber Pforte feit 1806 
gegen Rußland und England. ©. 3238. — Sturz 
Selims UL 1807. Muftapfa IV. ©. 333. — 
Zuflände auf den tonifhen Juſeln. ©. 334. — 
Machtaufſchwung (1806) des Ali - Palda. 
©. 335. — Griechiſche Bewegung (1807) für Rußland. 
©. 336. — Die ionifhen Inſeln werben 1807 
an Napoleon I. abgetreten. ©. 337. — Graf 
Giovanni Kapodiftrias tritt über in ben ruf- 
fifden Staatsdienſt. S. 389. — Griechiſche Corfaren 
1807 im ägäiſchen Meere. ©. 341. — Ali⸗Paſcha 
alliirt ſich 1808 mit England und dämpft ben Aufſtand 
ber tbefialifchen Klephten. S. 342. — Beli- Balda in 
Moren, Ali- Pharmali und Thesdor Kolofotronis. 
©. 345. — Sultan Mahmud II. 1808. ©. AT. — 
Auffifch - titrkifcher Krieg 1809 bis 1812._ ©. 348. — 
Konflantin und Alexander Hypfilanti. S. 350. — 
Ali-Paſcha, mit England verbindet, ftürzt 1809 ben 
Ibrahim von Berat. ©. 352. — Die Engländer be- 
fehden feit 1809 vie ionifhen Inſeln. ©. 354. — 
Kolofotronis in brittifhen Dienſten. S. 355. — 
Parga. ©. 356. — Die ionifhen Inſeln gehen 
1815 an England über. ©. 357. — Ali vertilgt 
1812 die Garbhifioten. S. 359. — Ai auf der Höhe 
feiner Macht und fein Verbältniß zu den Griechen. 
©. 361. — Odyſſeus von Ithaka. ©. 365. — Georg 
Karaistalis. S. 367. — Dr. Johann Kolettis. ©. 368. 


V. Neuer Auffhwung bes griechiſchen Seehandels. 
©. 869. — Hydra. ©. 370. — Spetzä. S. 375. — 
Para, und andere griehiihe Handelsplätze. S. 376. — 
Kydonia. S.378. — Die thefſaliſche Induſtrie. S.379. — 
Marathoniſi. S. 381. — Petros Mauromichalis, Bey 
der Maine. S. 382. — Die reihen Griechen im 
Ausland. ©. 383. — Die Infelgriehen. S. 384. — 


eu — 





zu Inhaltsverzeichniß. 


Seite 
Studien junger Griechen in Europa. ©. 385. — 


Griechiſche Akademien in Buchareſt, Stambul und Korfu. 
©. 386. — Entftehung neuer bellenifher Gymnafien. 
S. 887. — Die Bühne der Neugriehen. ©. 389. — 
8. Delonomos, N. Vamwas, N. Dukas. S. 390. — 
Korais. ©. 392. — Die Mbanefen und die neugriechifche 
Bollsiprade. ©. 393. — Koraid als Reformator ber 
neugriechiſchen Schriftſprache und als Politiker. S. 895. — 
Patriarch Gregor IV. von Eonftantinopel. S. 397. — 
Der „Gelehrte Merkur”. ©. 399. 


Zweites Kapitel. Gejchichte Griechenlands von 1814 


bi8 1821 400—473 


I. Politifhe Lage der Griechen feit 1815. S. 400. — 
Athen. S. 401. — Die Philomufen und die 
Philiker. ©. 403. — Entftebung der Hetärie ber 
Philiker. S. 404. — Organifation der Hetärie. ©. 407. — 
Die Anfänge der Hetärie. S. 409. — Erfolglofes Werben 
der SHetärie in Serbien. S. 410. — Stambul feit 
1818 Eentralfig der Hetärie. S. 411. — Ausbreitung 
der Hetärie 1818 und 1819. ©. 412. — GSenbung 
bes Xanthos nach Petersburg. ©. 414. — Graf Kapo- 
biftrias und die Hetärie. S. 415. 


I. Die ionifhen Infeln unter Englands 
Herrſchaft. S. 416. — Die tonifhe Verfaſſung vom 
Sabre 1817. ©. 417. — Die englifhe Verwaltung. 
©. 420. — Parga 1819 an Ali-Paſcha übergeben. 
©. 421. — Ali-Paſcha und Sultan Mahmud II. 
©. 423. — Veli-Paſcha 1812 aus Morea entfernt. 
©. 424. — Grimmige Feindſchaft zwifchen Ali und 
Ismael⸗Pacho⸗Bei. S. 425. — Offener Bruch 1820 
zwifhen Alt und ber Pforte ©.426. — Die Pforte 
erflärt den Krieg gegen Ai. ©. 427. — Die 
griechifehe Hetärie. ©. 428. — Alt eröffnet ven Krieg; 
fein Kriegsplan. S. 430. — Siegreiher Vormarfch ber 
osmanischen Armee gegen Ali. ©. 432. — Ali verliert 
ganz Mittelgriehenland, und wird enblih auf Ianina 
in Epirus beſchränkt. ©. 433. — Ismael-Pafdha 
blokirt feit Ende Auguft 1820 Janina. 
S. 436. — Die Sulisten und ihre Allianz 
(Anfang December 1820) mit Ali. ©. 487. — 





Inhaltsverzeichniß. 


Khurſchid⸗Paſcha von Morea geht Ende Januar 1821 
als Seraskier nah Janina ab. S. 441. — Ali über- 
Viefert im März 1821 ben Sulioten Kiapfa. S. 442. 


III. Unterhandlungen in Petersburg feit Februar 
1820 zwiſchen Xanthos, Kapobiftria und Alexander 
Hypſilanti. ©. 443. — Alexander Hypfilanti 
übernimmt im Frühling 1820 bie Führung 
der Hetärte. S. 416. — Sein Eharalter. S. 447. — 
Die Stimmungen in ber Hetärte. S. 448. — Hypfilanti 
geht nach Odeſſa. S. 449. — Die Chancen ber grie= 
chiſchen Erhebung und Griechenlands materielle Kräfte 
©. 450. — Hypfllanti's Pläne ©. 454. — Hypfilanti 
(Herbft 1820) gebt nach Kiſchenew, S.455, — beſchließt 
den Angriff auf Rumänien, ©. 456. — Aufftand des 
Wladimiresko (Februar 1821) tm der Meinen Walachei. 
©. 459. — Blutthat des Karamias in Galacz. S. 462. — 
Hypfilanti ziebt (7. März; 1821) in Saffy ein. 
©. 463. — Die Zuflände in Morea. ©. 464. — 
Germanos, Al. Zaimis und Andr. Londos. S. 466. — 
Ende Januar 1821 geht Khurſchib⸗Paſcha nach Janina, 
Theobor Kolokotronis nach Morea. S. 467. — Bor» 
fihtsmaßregeln ber Osmanen und bie Haltung ber 
Griechen. &.468. — Die erften Scenen bes Aufftandes 
in Morea. ©. 471. — Der Auffſtand zu Kalavryta. 
©. 472. — Die Maindtten (4. April 1821) 
erobern Kalamata. ©. 473. 


Ecite 


Erſtes Bud. 


— — 


Geſchichte Griechenſands von der Sroberung der 
Dnfel Fuböa durch die Osmanen bis zur franzö- 
ſtſchen Revolution. — 1470 bis 1788 n. Ehr. 


Sertzber g, Geſchichte Griechenlands. II. 1 





Erſtes Kapitel. 


Geſchichte Griechenlands von der Eroberung der Inſel 
Euböa durch die Osmanen bis zur Eroberung von Morea 
durch die Venetianer. (1470—1684.) 


— — — 


J. 


Mit der Eroberung des Peloponneſos und der Inſel Euböa 
durch die Osmanen hatte fich für das griechiſche Volt in 
analoger Weije ein bijtorticher Zeitraum vollendet, wie vor 
1615 Jahren Durch die von der Hand des Mummius voll- 
jogene Nieverwerfung des achäiſchen Bundes für die alten 
Hellenen. Wie damals den Ietten Ausläufen der alten 
Hoffiihen Zeit für bie griechiiche Welt ein mehrhundertjähriges 
in gewiſſem Sinne geichichtslofes Zeitalter folgte, jo hatte jet 
die blutige Fauſt der Osmanen dem griechiichen Mittelalter 
ein Ende gemacht, und eine neue „geſchichtsloſe“ Zeit ein- 
geleitet, aus welcher endlich in unſerem Jahrhundext ein ver⸗ 
jüngtes „neugriechiſches“ Volk hervorgehen follte. Aber die 
lange Zeit, während veren die Griechen der Hoheit ver Pforte 
unterworfen gewejen find, bat mit jener ver römiichen Herr- 
ſchaft nur wenig Ähnlichkeit gehabt; weit eber noch nach Seite 
ber Leiden, die mit jeder Fremdherrſchaft verbunden zu jein 

1 * 


4 Buch I Kap. J. 1. Einleitung. 


pflegen, als nach der belleren Seite Hin. Das Abfterben des 
biftoriichen Lebens und das Aufgehen der griechiichen Gejchichte 
in die eines mächtigen, von einer fremden Nationalität ge= 
tragenen Militärftantes wiederholt fich allerdings feit der zweiten 
Hälfte des funfzehntten Jahrhunderts für die Stämme griechifcher 
Zunge zwiſchen dem Sangarios und dem tonilchen Deere. 
Aber das Griechenland der neueren Zeit bat fein Zeitalter 
erlebt, wie Aſia und Achaja in den Blüthetagen der jüngeren 
Sophiſtik und in der „goldenen Zeit“ der Imperatoren. 
Und wie grauenbaft weit bleibt doch das Maaß und die Art 
der Durchſetzung bes Türkenthums mit den Griechen binter 
der wunderbar folgenreihen Berührung zwiſchen Römern 
und Hellenen, ja felbft Hinter der zwiſchen Berfern und Helfenen 
zurüd. Die Geſchichte der Griechen, die Sade im 
engften Sinne genommen, ift für die Zeit von 1470 bis zu 
dem Auftreten des Ali⸗Paſcha Zepeleni in der That nur jelten 
etwas mehr als ein „weißes Blatt”. Was nah diefer 
Seite für die Zuftände des griechiichen Volkes im türkiichen 
Reiche, für ihre kirchlichen und Gemeinde-Berhältniffe, 
für ihre litterariſche Thätigkeit, zulett auch für das allmähliche 
Emporfommen neuer Waffen- und Handelstüchtigkeit zu fagen 
tft, das faſſen wir nachher in großen Umriffen zufammen. 
Zunächſt aber knüpft fi der Baden hiſtoriſcher Erzählung 
noch an die ‘Darlegung der Ereignifjfe, die mit der zweiten 
für die Griechen der neueren Zeit ſchickſalsvoll gewordenen 
Großmacht, nemlih mit Venedig zuſammenhängen. 

Die furchtbare Kataftrophe von Negroponte war doch nicht 
dazu angetban, die Energie der venetianiichen Kriegspartei zu 
brechen. Triedensverjuche, die in der That während ber 
nächften Jahre gemacht wurden, jcheiterten noch immer an der 
Unvereinbarkeit der gegenjeitigen Forderungen. Es wurbe 
aber für Venedig zunädit ein Vortbeil, daß der Sultan 
Mohammed II. ſehr bald in Aften in einen Zoloffalen Krieg 
mit jenem perſiſchen Machthaber Ufunbajän verwidelt wurde, 
welcher, der natürliche Verbündete der Venetianer und aller 
Gegner der Pforte, ſeit Anfang des Jahres 1472 dem 


Benetianifch-türtifde Kämpfe feit 1471. 5 


Padiſchah ſehr gefährlich zu werden begann. Erſt des Sultans 
Sieg bei Terdſchan (26. Juli 1473) entſchied endgiltig über 
Kleinaſiens Schickſal; und noch bis 1478, wo der perſiſche 
Gewaltherrſcher ſtarb und ſein Reich zerfiel, mußte der Oſten 
ſorgſam beobachtet werden. Aber ſchon ſeit 1474 konnte 
Mohammed II. ſeine beſte Kraft wieder gegen den Weſten 
wenden. 

Bis dahin hatten die Venetianer ſich allerdings lebhaft 
gerührt. Die Republik ſchloß nach dem Fall von Eubda nicht 
nur mit Ujunbafän, fondern auch mit den Rittern von Rhodos 
und dem Pabſt Sirtus IV. eine fefte Kriegsallianz, an ber 
fih auch Neapel betheiligte.e So konnte (1471) der tapfere 
und bewährte Pietro Mocenigo 85 Kriegsſchiffe unter feinen 
Befehlen verjammeln. Doc gewannen die VBenetianer immer 
nur zur See einige Vortheile. Mochten die Offiziere der 
Republif jetzt immerhin in den ihnen noch gebliebenen Theilen 
des Peloponnes, wo fie jet gegenüber 60 türkiſchen feften 
Plägen nur noch achtzehn Schlöffer behaupteten, griechiſche 
Milizen (Armatolen) bilden und venfelben gleichen Rang 
mit den italtenijchen Truppen verleihen, fo blieb man auf dieſer 
Halbinfel immer nur auf einige Streifzüge befchräntt, die man 
aus den Ningmauern ver Feitungen und von den lafontichen 
Gebirgen herab gegen die osmaniſchen Beſitzungen verjuchte. 
Dagegen vermochte Mocenigo allervings durch feine See- 
züge bie übrigen Befigungen der Nepublit in der Levante zu 
retten und zugleich den Osmanen manchen empfindlichen Schlag 
beizubringen. Nur daß damals, wie noch fpäter bis zu ber 
Morofiniihen Verheerung des atheniſchen Bartbenon, nur 
allzuviele dieſer glüclichen Vorftöße der Venetianer und anderer 
Abenbländer, mit Einfchluß zahlreicher Eorfarenfahrten, den 
größten Schaden immer der griechiſchen Küſten— 
bevölkerung in dem Bereiche des osmantichen Reiches thaten, 
die dadurch allmählich materiell immer tiefer heruntergefommen 
it. So freuzte Mocenigo feit 1471 im ägäiſchen umd im 
pamphyliſchen Deere, eroberte und zerftörte 1472 nad 
beftigem Kampfe mit einer türkiichen Heerichaar die Stabt 


CB. J. K. J. 1. Venetianiſche und albanefifche Kämpfe mit ber Pforte. 


Smhrna und plünderte das afiatifche Geftabe gegenüber ber 
Infel Chios, bis nordwärts nach Attalia. Unb 1473 ver 
mochte der kühne Steiltaner Antonio ſogar das Zeughaus von 
Gallipoli mit allen daſelbſt aufgebäuften Vorräthen durch Feuer 
zu zeritören, fand dabet freilich ſammt jeinem Begleitern felbft 
den Zob. 

Aber mit dem Iahre 1474, wo der Seeheld Mocenigo 
nach der Heimath zurückkehrte, um dann zum Dogen erhoben 
zu werden, nahm Mohammed II den Krieg in Europa in 
großem Styhle wieder auf, und zwar berart daß die Wagichale 
der Venetianer bald immer höher emtporgeichnellt wurde. Die 
Hauptlämpfe wurden jest in Albanien ausgefochten, wo im 
Mai 1474 der türkiiche Beglerbeg Suleiman⸗-Paſcha, ein 
bosmifcher Renegat, die Angriffe gegen das durch Antonio 
Loredano vertbeidigte Skutari eröffnete. Glücklicherweiſe 
hatte die Republik jetzt die Freundſchaft der Mailänder und 
Florentiner gewonnen, auch die alten Beziehungen zu Montenegro 
wieder feſter geknüpft. Nun konnte der heldenmüthige Loredano 
die Stadt Skutari mit ſolcher Ausdauer vertheidigen, daß die 
Osmanen endlich im Auguſt ruhmlos abziehen mußten. Auch 
Kroja verleibte die Republik ihren albaneſiſchen Beſitzungen 
damals förmlich ein. Pauſirte der große Krieg im Jahre 
1476, wo der Sultan die genueſiſchen Colonien von Kaffa 
bis Tana erobern und ruiniren und die Krim annektiren 
ließ, — wo ferner die Naubzüge einer osmantichen Flotte m 
Archipel die bisher von einem Zweige ber in Chios berrichenben 
maonefiichen Giuſtiniani regierte Injel Ikaria zum Anſchluß 
. an die Ritter von Rhodos beitimmten, fo fahen die Venetianer 
dafür 1476 wieder ihr Gebiet ſtärker bedroht: Koron und Modon 
Durch die Osmanen in Morea, Xepanto durch ein Eomplott 
innerbalb der Mauern diefer Stadt, und Kroja durch Das 
Vorgehen ver türkichen Krieger gegen dieſes Bollwerl. Und 
mit dem Jahre 1477 ging ber Sultan immer wuchtiger auf 
fein Ziel los. Ein osmaniſches Heer unter Suleiman⸗Paſcha 
wälzte ſich unter furchtbaren Verheerungen gegen Xepanto 
und gegen bes venetianifchen Elienten Leonar do HI. Zocco 


Friedenoſchluß (1479) zwiſchen Wenebig und der Pforte 7 


Inſel Lenkadia. Gelang es bier dem tapferen Helden. Antonio 
Loredano, die Feinde abzuwehren, ſo plünderten nicht nur 
130 türkiſche Schiffe im Sommer deſſelben Jahres auf Chios 
und Naxos, ſondern osmaniſche Truppen brachen ſogar im 
Italien auf dem Landwege ein und verwüſteten in ben Fluß⸗ 
gebieten des Tagliamento und der Piave alles Laub mit Feuer 
und Schwert, bis bie Republik ſich der Räuber mit Aufgebot 
ver letzten Kraft erwehrte. Den Hauptſtoß aber richtete ver 
Sandſchak non AWbanten, Ahmedbeg, gegen Kroja. Nun 
wurde zwar. ber Bier commandirende Venetianer Pietro Vetturi 
uch Francesco Contarini von Skutari ber entiegt; aber auf 
dem Rückmarſche fanb der letztere durch einen Hinterhalt feinen 
jühen Untergang. Und mn brach pas Jahr 1478 Venedigs 
Energie im Widerftande. Denn jet wandte fich die türkiſche 
Flotte nicht bloß raubend gegen bie Inſeln der Johanniter, 
verheerte namentlich Kalymnos, Leros und Nilpros, fondern 
ihre wilden Banden erjchtenen auch abermals verwüſtend am 
Yonze, und in Albanien trugen die Heere der Pforte es 
endlich davon. Kroja mußte am 15. Juli Tapituliven; bie 
Stadt wurde jegt in das türkiſche Bollwerk Akhiſſar ver- 
wandelt, — den Einwohnern, die freien Abzug erhalten 
ſollten, wurbe bie Capitulation felbjtverftändlich nicht gehalten. 
Während dann bie übrigen albamefiichen Schlöffer raſch nach 
einander fielen, concentrirte fich alle Kraft des Sultans wie 
der Republik auf die erneute Belagerung von Skutari, wo 
der Stand der Dinge mit jeder Wache für Venedig hoffnungs- 
Iojer wurde. 

Da nun die Republit der Pforte zur Zeit völlig iſolirt 
gegenüberftann; ba ihr Handel und ihre öffentlichen Einkünfte 
arg gefchmälert waren, und nun auch noch eine Senche bie 
Hamptitabt jelbft heimmfuchte, jo entihloß fich Benedig zu 
einem ſchmählichen und verluftuollen Frieden, der enblich am 
25. Januar 1479 zu Conftantinopel gejchloffen wurbe. 
Venedig mußte fich entichließen, nun auch Skutari zu räumen 
und bebieft in Albanten nur Durazo und Antivari, in 
Mittelgriechenland nur noch Lepanto, währen ber Herzog 


8: 8.1. 8.1 1. Mobammeb II. greift 1480 Rhodos vergeblich an. 


von Leukadia der Willlür der Pforte preißgegeben wurbe. In 
Morea warb nun auch die Maina abgetreten, und in dem 
ägätichen Meere die Inſel Lemnos, während das Herzogthum 
Naxos mit in den Frieden eingeichloffen wurde. Die Ein- 
wohner von Skutari find fpäter auf Kypros angeftevelt worden. 
Für die in dem osmaniſchen Reiche verkehrenden Kaufleute und 
die zolffreie Ein» und Ausfuhr ihrer Waaren follte Die Republik 
der Pforte die jährliche Abgabe von 10,000 Dukaten bezahlen, 
ein venetianticher Bailo in Stambul gebulvet werben. In 
bem Archipel behauptete Venebig namentlich die Infeln Tinos 
und Mylonos, die feit 1472 dem Duca von Kreta zugeiviefen 
waren, und — bis 1718 im Beſitze der Republik geblieben — 
vorzugsweile italienischen Zypus angenommen haben. Wegen. 
der Grenzen der bei Venedig verbleibenden peloponnefiicher 
Teftungen Nauplion, Monembafia, Koron und Modon mit. 
Zonklon wurde noch eine nähere Regulirung vorbehalten. 

Die türkiſchen Waffen rubten aber auch nach dieſem 
neuen großen Erfolge noch nicht. Vielmehr knüpften fih an 
diefen venetianiichen Krieg unmittelbar noch einige weitere 
Vorſtöße der osmaniſchen Politik. Einerſeits nemlich wollte 
der Padiſchah ſich an den chiotiſchen Maoneſen dafür rächen, 
weil dieſelben während des jetzt endlich abgeſchloſſenen Krieges 
aus alter Freundſchaft gegen die Venetianer denſelben ſtets 
rechtzeitige Nachricht von den Rüſtungen der Osmanen ge⸗ 
geben hatten. Daher warf ſich im Sommer 1479 eine 
gewaltige türkiſche Flotte auf die ſchöne Inſel, verübte die 
ſchrecklichſten Verheerungen und ſchleppte mehr als tauſend 
Chioten als Sklaven fort. Als daher im folgenden Jahre 
1480 die Osmanen gegen Rhodos auszogen, kauften die 
Giuſtiniani von Chios ihre Inſel durch Zahlung von 10,000 
Goldſtücken von einer neuen Plünderung frei. Es gelang 
ihnen dieſes aber um ſo eher, weil der Sultan eben damals 
ſeine volle Kraft gegen den verhaßten Staat der chriſtlichen 
Ritter auf den Inſeln an Kleinaſiens Südweſtecke richten 
wollte. Mohammed IL. Hatte 160 größere und kleinere 
Tahrzeuge aufgeboten und ein Landheer von 100,000 Mann 


Die Türken erobern 1479 die Infeln bes Leonarbo III. Tocco. 9 


nah der kariſch⸗lykiſchen Küfte marjchiren laffen. Aber vie 
unüberwindliche Ausdauer, Tapferkeit und Eriegeriiche Gewandt⸗ 
beit des Großmeiſters Pierre d'Aubuſſon widerſtand allen, 
buch eine furchtbare Artillerie unterftätten Angriffen, welche 
der osmaniſche Feldherr Meſih⸗Paſcha mit feiner gewaltigen 
Übermacht feit dem Frühjahr 1480 gegen bie Hauptſtadt ber 
Nitter auf Rhodos verſuchte. Nachdem ihm auch der große 
Sturm am 28. Juli mißlungen war, mußte ver türkijche 
Heerführer fieglos nach Stambul zurückkehren. 

Slüclicher waren dagegen bie Osmanen im griechtichen 
Veiten gewejen. Gleih nach Abjchluß bes Friedens mit 
Benedig nemlich follte auch der letzte fränfiiche Dynaſt auf 
griehiichem Boden niebergeworfen werden, nemlich der Herzog 
von Leufadia. Leonardo II. Tocco hatte zu ſolchem Vor- 
geben dem Sultan nad mehreren Seiten bin ausreichende 
Handhaben geboten. Der ihm von der Pforte auferlegte jähr- 
lihe Tribut von 4000 Dukaten und das Ehrengeſchenk für 
türkiche Sandſchaks, die in Joannina oder Arta erjchienen, 
waren neuerdings von ihm nicht mehr gezahlt worben, und 
feine Stellung zu Venedig batte der Pforte ebenfalls nicht 
gefallen. Seht, wo bie jchwer bevrängte Republik e8 verab- 
ſäumt batte, ihn mit in den Schutz des Vertrages von 
Stambul aufzunehmen, beichloß der Sultan raſch zuzugreifen. 
Kedük-Ahmed, der Paſcha von Vallona, mußte im Sommer 
1479 mit 29 Kriegsichiffen gegen Herzog Leonardo III. zu 
Felde ziehen. Ohne Mühe eroberte er Vonizza und Leukadia. 
Auch Kephalenia mußte fich bald ergeben, und Zante fonnte 
auch durch die wüthende Gegenwehr des tapferen Capitäng 
Pietro del Broglio nicht gerettet werden. Das Schieljal der 
Injeln war türkiſch: was nicht zu entlommen vermochte, um 
ſich nah den venetianiſchen Befigungen in Morea zu retten, 
wurde zum ‘Theil nievergemeßelt, zum Theil in die Sklaverei 
nach den Inſeln der Bropontis abgeführt. 

Leonardo II, deſſen Sturz wegen jeiner tyranntichen 
Herrichaft bei feinem Volle wenig Bebauern erwect hatte, 
war mit feiner Familie zuerjt nach Neapel, dann nad Rom 


% Bud I Kap. J. 1. Otranto. Unruhen (1480) im Taygetos. 


geflüchtet, wo ihm die Curie ein Jahrgehalt von 2000 Dufaten 
ausſetzte. Aber ſelbſt Italien fchien wicht länger vor den 
Dömanen ficher bleiben zu jollen, vie fich jegt anſchickten, die 
Erbſchaft der alten buzantiniichen Kaiſer auch in Unteritalien 
einzuzieben. Denn der Paſcha Kedük⸗Ahmed überjchritt im 
folgenden Jahre mit feiner Flotte das ioniſche Meer, erftürmte 
(26. Juli 1480) Otranto und verübte hier die Durch 
Mohammed II. feinen Kriegern jetzt obligatoriich gemachten 
blutigen Infamien, um dam weithin das Gebiet von Brindiſi, 
Lecce und Tarent zu verwülten. Die Wechielfülle des Krieges, 
ben jet König Werrante (Ferdinand) von Neapel gegen bie 
Pforte verjuhen mußte, famen nur den VBenetianern zu 
Gute, die zur Zeit, auch abgefeben von ihrer alten Gegner- 


ichaft zu Neapel, im bitteren Groll über die Unthätigleit des 


Abenplandes während ihres legten Krieges, nur die berbfte 
Nützlichkeitspolitik gegenüber ver Pforte fultivirten. Allerdings 
wurden fie jchon im Jahre 1480 durch Suleiman, dem 
osmanischen Sandichat von Morea, wieder mit neuen Gewalt 
thätigfeiten bedroht, weil die abſchließende Grenzregulirung 
(S. 8) bier feine Fortfchritte machte. Es handelte fich 
babet namentlich um das feite Schloß Ther miſi bei Nauplion, 
um bie bort beſtehenden Salinen, um die in Nauplior 
geborgenen ſchlypetariſchen Flüchtlinge aus Damala und Pha—⸗ 
narion; ferner um Abertofajtron und Vatika, welche Plätze 
Mohammed II. als Depenvenzen des ehemaligen Despotates 
Miſithra für fich in Anipruch nahm. Darüber aber empörten 


fih, aufgeregt durch den mit feinen Leuten aus Koron aus 


gerücdten Armatolenkapitän Korkodeilos Kladas, die Slawen 
und Griechen um Tayhgetos (im Herbft 1480), hieben weit 
und breit auf beiden Seiten des Gebirges alle Türken nieber, 
gewannen 29 Gaftelle und brobten, nunmehr ven König 
Ferdinand von Neapel als König von Morea zu proflamiren, 
dem fie gegen DVenetianer ımd Osmanen ihre Hand bieten 
wollten: das erſte felbjtändige Auftreten des aus Slawen und 
Hellenen als kraftvolles Miſchvolk zuſammengewachſenen neuer 
Stammes der Maniaten der neueren Geſchichte. Unter 





Benebig befetzt Zante. Bajeſid II. (1481 — 1512). 11 


tiefen Umständen näberten fich Venetimer und Osmanen 
einander, und im April 1481 wurbe ber Friedensvertrag 
von Conſtantinopel erneuert und das ftreitige Gebiet ber 
Republik belaffen. Die Türken hatten mit Übermacht und 
wüften Greueln bie Maniaten wieder überwältigt. Kladas 
wor im April 1481 auf neapolitaniichen Schiffen nach Neapel 
entfommen!). ALS nachher nach Venedig die Kunde kam, daß 
des vertriebenen Herzogs Leonardo IN. Bruder Antonto 
Toceo in demfelben Jahre 1481 mit neapolitanifcher Unter- 
füsımg und Hilfe Tatalantfcher Söloner die Infeln Zante 
wid Kephalenia wieder erobert und die osmaniſche Beſatzung 
vertrieben batte, da reizte biefer Gewinn nur die Eiferjucht 
der Republik. Sie machte von diefen Dingen im April 1481 
ver Pforte Anzeige und ließ, kurz entichloffen, Zante durch 
ihre meſſeniſchen Caſtellane in Beſitz nehmen ?). 

Ein erträgliches Verhältniß zwiſchen Venedig und der Pforte 
wurde jetzt aber um ſo eher möglich, weil der furchtbare 
Würger Mohammed IL, mitten unter gewaltigen Rüſtungen 
zu emem neuen Rhodiſchen Feldzuge, zur Freude aller Welt 
endlich am 3. Mai 1481 im Feldlager bei dem Heinafintiichen 
Gebiſe, nur erft 52 Jahre alt, an einer Krankheit ftarb. 
Der neue Sultan, Bajefib I. (1481 — 1512), ber des 
bintigen Baters zerichmetternde Kraft nicht geerbt hatte um 
gleich nach feiner Thronbeiteigung erit noch einen Thronkrieg 
in Afien mit jenem Bruder Dſchem zu beftehen fich genöthigt 
fah, konnte nicht hindern, daß die Nenpolitaner fofort (Mai 
1481) die Stadt Dtranto wieber eroberten, wo fie num 
ihrerſeits Der osmaniſchen Beſatzung die Kapitulation nicht hielten, 
fondern biejelben großentgeild zu Ruderſklaven machten. Weil 
Bajefto aber auch perfönlich ein Mann von friedlicher Sinnesart 
war, fo trat er fofort zu Venedig in die beften Verhält—⸗ 
niſſe; mit der Republik wurden am 12. Januar 1482 neme 
Verträge gejchloffen, die namentlich ihrem Handel jehr zu Gute 


1) Sathas, "EAAds Toupxoxparoup£vn, P. 37 qq. 
2) Bol. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 161. 


12 Buch I. Kap. I 1. Prinz Dſchem. Kephalenia. Zante. 


famen. Und als Brinz Dſchem endlich zu den Yohannitern 
nah Rhodos fich begab, fchloß der Sultan im Mai 1483 
mit dem Orben einen Frieden ab, in Folge deſſen Dſchem ber 
Obhut, oder vielmehr der Gefangenſchaft bes Großmeifterg 
anvertraut wurde. Erſt als verjchievene Befreiungsverjuche 
bem Orben die Bewachung des Prinzen zu jchwer machten, 
ließ ihn der Großmeifter (1489) nad) Rom führen, wo Dichem 
als Gefarigener der Curie lebte, bis ihn enplich unter dem 
Drängen von Stambul her bei dem romantiichen, in lebter 
Linie der Levante geltenden, Teldzuge des Königs Karl VII. 
von Frankreich nad) Italien das Gift des Pabſtes Alerander VI. 
tödtete, an weldem der Prinz am 24. Februar 1495 zu 
Neapel ſtarb. 

Die Gefahr, welche in Dſchems Exiſtenz unter den Franken 
bis zu ſeinem Ende der Pforte drohte, hielt auch ihrerſeits 
das Schwert des Sultans dauernd in der Scheide zurück. 
Darüber kam namentlich Venedigs Macht auf griechiſchem 
Inſelterrain allmählich wieder empor. Jener Antonio Tocco 
hatte ſeine neue Stellung auf Kephalenia arg gemißbraucht. 
Aus der Inſel wurde ein Piratenneſt; der Prinz übte gegen 
Chriſten wie gegen Osmanen Raub, Gewaltthat und Mord. 
Als über dieſes Treiben durch Theodor Paläologos aus 
Kephalenia im Februar 1483 bittere Klagen nach Venedig 
getragen wurden, beſchloß die Republik, hier einzuſchreiten. 
Zehn Kriegsſchiffe erſchienen vor der Inſel. Nun erhob ſich 
das Volk im April 1483 gegen Antonio und tödtete ihn im 
offenen Kampfe, die Venetianer aber nahmen die Inſel in 
Beſitz. Darüber grollte nun freilich der junge Sultan. In⸗ 
deſſen, die venetianiſche Diplomatie arbeitete in Stambul mit 
ſolcher Geſchicklichkeit, daß wenigſtens der Verſuch des Hauſes 
Tocco, gegen erhöhten Tribut die Inſeln von der Pforte 
zurückzugewinnen, ſcheiterte. Venedig angehend, ſo entſchloß 
ſich der Sultan nur dazu, durch abſchließenden Vertrag vom 
April 1485 die Inſel Zante gegen einen jährlichen Tribut 
von 500 Dukaten abzutreten. Kephalenia mußte dagegen der 
Pforte zurückgegeben werden, der es die Republik erſt nachher 


Kypros fällt 1489 an Venedig. 13 


im Sabre 1503 abgewonnen bat!) Da bie Venetianer für 
Zante und die meſſeniſchen Städte ihren Zribut pünktlich 
zablten, jo gab es Bajeſid II. auch zu, daß die Republik ihre 
levantinifche Stellung wieder gewaltig ſtärkte, indem fie 1489 
durch die Erwerbung des Königreiches Kypros aus der Hand 
ber venetianischen Yürftin Katharina Cornaro, der kinderloſen 
Wittwe, reichen Eriag für das verlorene Nesroponte 
fand. 

Die aus Griechenland vertriebene Dynaſtie der Tocco 
ſetzte ihr Titularprätendententhum noch bis gegen Ende des 
ſiebzehnten Jahrhunderts fort und trat, in der Perſon des erſt 
gegen 1499 verſtorbenen Leonardo III. mit neapolitaniſchen 
Lehen reichlich ausgeſtattet, wieder in die Reihen des neapoli- 
taniſchen Adels zurück, aus denen ſie einſt hervorgegangen war 2). 
Die Schkypetaren aber in Albanien, die der Hauptſache 
nach bis tief hinein in das ſiebzehnte Jahrhundert in Maſſe 
bei der chriſtlichen Religion verharrten, entziehen ſich unjerer 
Betrachtung nunmehr für lange Zeit. 


II. 


Sultan Bajeſid II. hatte trotz ſeiner verhältnißmäßig 
friedlichen Politif doch. immer auf der Nordgrenze feines 
Reiches die alte Gegnerichaft gegen Rumänen, Magyharen und 
Südſlawen im Auge behalten, und nach einer Türzeren Zeit 
magyarifch-Eroatiicher Kämpfe (1492 — 1495) auch über die 
Moldau (1497) feine Herrichaft ausgedehnt, dabei zugleich den 
Polen fehr beveutenden Schaden zugefügt. Hatte der phan« 
taftiiche Plan des franzöfiichen Könige Karl VIII., feinen 
Abenteurerzug nach Neapel (1494 und 1495) in meiterem 
Derlaufe noch zu einem neuen, auf Sturz der Pforte und 
Herftellung eines griechiſch⸗fränkiſchen Reiches (vgl. Bd. II, S. 578) 
gerichteten Kreuzzuge zu erweitern, mit dem rajchen Niedergange 


D Sopfa a. O. ©. 161 u. 166. 
2) Ebend. S. 162 und „Chroniques greco-romanes “, p. 530. 


14 Buch J. Kap. J. 2. Krieg feit 1499 gwifchen ber Pforte und Venebig. 


der neuen franzöjiichen Herrlichkeit in Italien fein ſchnelles 
Ende erreicht: jo Enüpfte fih an die molbautich - polnischen 
Vorſtöße der Osmanen dagegen jehr bald die Bildung einer 
Eoalition gegen die Pforte, bei welcher Ungarn und Polen 
mit Litthauen im Vordergrunde, England und Frankreich im 
Hintertreffen ftanden. Ernitlich ins Gefecht Tamen aber außer 
den Magyaren nur die Venetianer, bie mit Gelb und 
biplomatifchen Künfter (1500) fich namentlich den Magharen 
näberten, weil zur Beit zwifchen ihnen umd der Pforte wieder 
ein Krieg ausgebrochen war, der ihren griechiſchen Beſitz⸗ 
ſtand erheblich ſchmälerte. 

Der Tod Dſchems (S. 12) hatte die Lage Der Pforte 
natürlich ſehr erleichtert. Nun gab man in Stumbul mebr- 
fah dem unmahren Gerüchte Gehör, als Habe die Republik 
Karls VII. türfenfeinpliche Pläne gefördert. Seit 1497 hatte 
es .ernitliche Reibungen zwiichen Venedig und dem Paſcha von 
Skutari gegeben, die im Jahre 1498 auf anderen Punkten 
fich fortjegten, während bereits die Forts bei Lepanto armirt 
wurden. Luigi Giorgio hatte auf ein türkiſches Schiff gefeuert; 
noh mehr, bei Nauplion wurden 500 Osmanen durch 
200 jchfupetariiche ,, Strabtoten ’ ver Republik nieberge- 
bauen. 

Da Bajefids I. Sühneforberungen nicht erfüllt wurden, 
jo rüftete er ein großes Heer und eine jtarle Flotte gegen bie 
griechiichen Beftgungen der Venetianer aus. Schon 1498 
verheerte der Corſar Kamoghi bie Infeln des ägätichen Meeres. 
Im Jahre 1499 aber führte der Beglerbeg von Rumelien 
das Landheer gegen Lepanto, wo er am 22. Juli erichten. 
Der Kapudanpaſcha Daũud bagegen griff bie venetianiiche Flotte 
in der Nähe von Modon bei der Inſel Sapienza an und 
ſchlug (28. Juli) den Admiral Antonio Grimani. Die Ver⸗ 
wüjtung von Zante und das Vorbringen der osmantjchen 
Flotte nah Lepanto war nicht aufzuhalten, der Fall dieſer 
Feſtung (26. Auguft) Tieß nicht lange auf fih warten. Es 
fam dazu, daß die Osmanen auch Dalmatien verheerten und 
bis zum Zagliamento vorbrangen. Gern hätte Die Republik 








Venedig verliert Lepanto umb Meſſenien, gewinnt Kephalenia. 5 


nun mit ber Pforte Frieden geichloffen; aber die Forderung 
des Sultans, Nauplion, Koron und Modon abzutreten, konnte 
ohne Kampf nicht genehmigt werden. Venedig rüftete aljv 
noch einmal mit voller Energie; leiver auch Diesmal vergeblich. 
Am 17. April 1500 309 Bajeſid II. perjänlich mit dem 
Beglerbeg Stnäan-Paida nah Morea und griff Modon und 
das benachbarte Schloß Rampano mit wüthender Energie an. 
Bährend einer -Zeit von fünfundvierzig Tagen fchlugen fich 
beite Gegner zu Wafler und zu Lande mit furcdhtbarer Er- 
bitterang. Endlich am 10. Auguſt gelang es den Janitſcharen, 
Modon mit Sturm zu nehmen. Die Bürger ftedten bie 
Stadt jelbft in Brand. Der lebte venetianifche Provebitore 
Antenio Zentani fiel im Kampfe. Der Biſchof der Stadt 
and mehr als ber dritte Theil der Einwohner wurden er- 
ſchlagen. Der Sultan gebot nachher, die veröbete Stadt 
wieber zu bevällern; jede größere Gemeinde der peloponneftichen 
Halbinſel follte je fünf Familien zur Bildung der neuen 
DBürgerichaft abgeben. Am 15. Auguft kapitulirte dann auch 
Zonklon (Navarinon), und Koron folgte fofort dieſem 
Beiſpiele. War e8 dem Sultan alfo gelungen, die älteften 
Eolonien der Benetianer in Griehenland an ſich zu 
reißen, jo mißglüdte dagegen ein Verſuch auf Nauplion. 
Mehr aber, der auf Grimani's Nachfolger Treviſani nunmehr 
folgende venetianiiche Generalkapitän Benedikt Peſaro verfolgte 
von Bante aus mit Glück die nach den Darbanellen zurüd- 
kehrende Flotte bes Sultans, ließ durch feine griechiichen Reiter 
(Stradioten) in Kleinafien, auf Tenedos und Lesbos plündern, 
gewann Das bereitd verlorene Aegina zurüd, und vermochte 
ſogar mit ſpaniſcher und neapolitanifcher Hilfe die Iniel 
Kepbalenta zu erobern. Damit war mwerigftend ein neuer 
Stützpunkt für die Republik im ioniichen Meere gewonnen: 
Außerdem aber. fievelten die Venetianer in der veröbeten Infel 
die griechiichen Flüchtlinge aus Lepanto und dem bisher 
italieniſchen Meffenien in Maffen an. Andererſeits ift Das 
bisher griechiſche Megara in dem weiteren Berlaufe bes 
Krieges als ein Hauptplag türkiiher Magazine von ber 


16 B. J. 8.L 2. Friedensſchluß (1503) zwiſchen Venebig und ber Pforte. 


venetianiſchen Flotte ſchwer heimgefucht, in feinem Wohlftanbe 
für immer erjchüttert, und ſeitdem der albanefiichen Beſiedelung 
eröffnet worden. 

Bedeutendes vermochten aber die Venetianer doch nicht 
mehr auszurichten. Ihre guten Beziehungen zu Spanien und 
Rhodos, ihre (13. Mai 1501) mit Rom und Ungarn formell 
abgefchloffene Allianz, und andere biplomatiiche Arbeiten im 
Abendlande vermochten ihre Macht doch nicht ausreichend zu 
jtärfen, um auch 1501 Größeres zu erzielen. Die momen- 
tane Wiedergeivinnung von Zonklon, vergebliche Angriffe auf 
Lesbos, auf Eubda, der Verluft von Durazzo, und wieder 

(26. April 1502) der Verluft von Butrinto und (30. Auguft 
- 1502) die Eroberung von Leukadia durch Venedig, bezeichnen 
ben weiteren Gang. Inzwiſchen hatten einerjeitS der Drud 
der transdanubiichen Allianz und anbererjeits birefte Unter- 
handlungen Venedigs mit der Pforte den Sultan zum Frieden 
geneigter gemacht. Der magyariſche Friedensſchluß vom 20. Auguft 
1503 fam auch der Republif zu Gute, die ihren Vertrag mit 
Bajeſid II. endlich am 6. Oktober dieſes Jahres endgiltig ab⸗ 
ſchloß. Freilich mußte fie auf Durazzo und Xepanto, wie auch 
auf Mefjenien verzichten, behielt aber die Injeln im ägätichen 
Meere und Zante mit Kephalenta, während Leukadia, 
deilen Einwohner nach Ithaka überfiebelten, im Jahre 1504 
zurücgegeben wurde ?). 

Seit diefer neuen fühlbaren Abſchwächung der vene- 
tianiſchen Machtitellung war in der Levante für längere 
Sabre Ruhe, die nur durch die immer wiederkehrende 
Piraterie des muhammedaniſchen wie des abendlänbifchen 
Corſarenthums unterbrochen wurde. Die beiden Mächte, unter 
deren Reibung das griechifche Volk zeritampft wurde und 
verarmte, Venedig und die Pforte, waren anderweitig beichäftigt. 
Für die Republik der Lagunen begann die harte Zeit, wo bie 


1) ®al. Finlay, Greece under othoman and venetian domination, 
p. 76. Hopf, Griehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©.167f. Sathas 
1. c. p. 59—72. 





Sultan Selim II. (1511 — 1520). 17 


Entvedung der transatlantiichen Erdtheile und die Verlegung 
ver Wege des Welthandels nad dem atlantifchen Ocean Tang- 
fam aber unrettbar die merlantilen Quellen ihres Neich- 
thums und ihrer Kraft verfiegen Tiefen. Ganz unmittel- 
har aber drüdte auf den durch die Tevantiniihe Fehde er- 
ſchöpften Staat, der jeit 1482 wieder verjucht hatte, für bie 
griechiſhen Verluſte in Italien fich zu entichädigen, ber ſchwere 
Krieg mit der fogenannten Liga von Cambray (1509— 1516), 
alſo mit der Allianz, welche der Pabſt, Frankreich, Kaifer 
Marimilian I. von Deutjchland, und Spanien gegen Venedig 
geihloffen hatten, und die daran weiter fich knüpfenden itafie- 
nichen blutigen Kämpfe. Sultan Bajeſid II. dagegen ſah 
auf der Oftgrenze feines Reiches in dem perfiichen Schahinichah 
mail, dem Gründer der Sſofi⸗Dynaſtie, der ſich als Uſun⸗ 
hafans Nachfolger fühlte, einen neuen gefährlichen Feind für 
die Pforte emporwachien. Als dann jchließlich 1511/12 fein 
jüngerer Sohn Selim I. mit Hilfe ber Ianiticharen ben 
Vater zur Abdankung genöthigt hatte und Bajefid am 26. Mat 
1512 geftorben war, zeigte ſich Selim, den zunächft blutige 
Kämpfe mit feinen Brüdern in Anſpruch nahmen, ſehr bereit, 
die guten Beziehungen zu Venedig fortzufegen. Später aber 
war er viel zu fehr mit feinen perjiichen und ägyptiſchen 
deldzügen beichäftigt, um die Venetianer beläftigen zu wollen. 
Auh als Selim, an kriegeriichem Ungeftüm und Glüd, aber 
ah an Beutegier, Graufamkeit und PVernichtungswuth ber 
ehte Enkel des gräßlihen Mohammed II., im Spätfommer 
1517 feine orientalifchen Feldzüge fiegreich beendigt Hatte, galt 
fein Sinmen nicht einem Kriege mit dem italieniſchen Abend» 
lande, fondern der endlichen Vernichtung ber heldenmüthigen 
Johanniter auf Rhodos, deren Eriftenz mitten in dem 
maritimen Centrum des osmantichen Reiches den Sultanen 
allmählich immer unerträglicher erichten. Nicht Davon zu reden, 
daß die Art der Kriegführung der Nitter (wie im Yalle 
günftiger Erfolge auch die der Venetianer) völlig nach Art der 
Türken in Griechenland und in den übrigen Seiten Ländern 
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. TIL. 


18. Buch I. Kap. IL 2. Suleiman II. der „Prächtige” (1520— 1566). 


ſehr wejentlich auf Abführung. mafjenhafter türkiicher Gefangenen 
als Sklaven gerichtet war. 

Solche Erwägungen und die Klagen: ber türftfchen Raufleute 
über ‘die empfindliche Störung des Handels zwifchen Stambul. 
und dem. Delta des Nil, der Aſiaten über. die Raubzüge der 
Ritter und der griechiichen Corſaren auf ihren Injeln, veran⸗ 
Yaßten enplich den Sultan Selim I., große Rüftungen gegen 
bie Rhodiſer anzuftellen. Als aber biefer Machthaber am 
21. September. 1520 in dem Lager zu Tſchorli (Zzurulon) 
an der Belt ftarb, fiel: die Herrichaft feinem fünfundzwanzig- 
jährigen Sohne Suleiman (IL) „dem Prächtigen‘ zu 
(1520— 1566); einem jungen, Manne, der zwar nicht ben 
Blutdurſt feines: Water tbeilte, aber an Kriegs⸗ und 
Eroberungsluft den gewaltigiten feiner Vorgänger gleichlam, 
und zugleih neben anderen großen Eigenſchaften als ein 
Staatsmann erften Ranges auftrat. Und dieſem follte nur 
allzubald auch Rhodos zufallen. Sp ſchwach Benedig zur 
Zeit. auch war, der neue Sultan. wollte bei ſeinen Plänen. 
gegen: die Magharen und die Johanniter durch die Flotte Der 
Republik nicht gehindert werben: Daher wurbe ſofort ver 
freundichaftlichite Verfehr angelnüpft, dann auch am 11. ‘Des 
zember 1521 ver alte Vertrag erneuert, der den Handel und 
Beſitzſtand der Venetianer in Griechenland und den des Hauſes 
Eriipo von Naxos garantirte; ald Tribut zahlte die Republik 
andauernd für Zante 500 und für Kypros 10,000 Dukaten. 
Auch wurden manche Erleichterungen für den Handel gewährt 
und ein Zuſammenwirken gegen die levantiniiche Piratenwirtbichaft 
in Ausficht genommen. Darüber hatte Venedig ruhig zugeſehen, 
wie Suleiman im Jahre 1521 durch Eroberung der magha⸗ 
rischen Süpfeftungen, namentlich Belgrabs, die Thore Ungarns 
erbrochen. Und man ſah wetter ruhig zu, als num der große 
Krieg gegen Rhodos ausbrah, und im Mai 1522 
Muſtapha⸗Paſcha 300 Schiffe aus den Dardanellen, Suleiman 
durch Kleinafien ein Heer von 100,000 Dann nad) der Inſel 
ber, Ritter führte. Auf Rhodos, wo ber tapfere Großmeifter 
Philipp de Billiers de "Isle Adam gegen die am 








Die Osmanen erobern (1522) Rhodos. 19 


24. Mat gelanveten Osmanen den Kampf beftand, entipann 
fh nun ein furchtbarer Feftungsfrieg, in welchem bie Ausdauer 
und die Übermacht des Sultans, der 100,000 Mann babei 
verloren bat, endlich über den Heldenmuth der Nitter ben 
Sieg davontrug. Als alle Werke unhaltbar geworben, jede 
Ausfiht anf Entjag gefchwunden war, Tapitulirte der Groß—⸗ 
melter am 21. December 1522. Mit Rhodos fielen auch 
die übrigen Inſeln des Nitterftaates und das Schloß Budrun 
(®. I, ©. 444) in die Hände der Osmanen. Am 1. Ianuar 
1523 räumten die Johanniter die Infel, um zunächſt nach 
Kreta überzutreten. Den Griechen auf Rhodos wurde Sicherheit 
ver Berfon, des Eigenthums, des Glaubens, dazu für fünf 
Jahre Steuerfreiheit gewährt; auch follte Fein Rhodier zum 
Corps der Janitſcharen gepreßt werben dürfen. Die Iebteren, 
die fchon damals ſehr ſtark dahin meigten, Prätorianer- 
Manieren zu entwideln, Tießen fich freilich jehr wider Sulei- 
mans Willen fünf Tage nach der Übergabe einen rohen und 
ſcheußlichen Einbruh in die Stadt zu Schulden kommen. 
Zaujend griechiiche Familien wanderten von Rhodos nach 
Kreta aus. 

Seit diefer neuen Kataſtrophe wurde Griechenland für 
nehrere Jahre den europäiſchen Intereſſen entrüdt, um fo 
mehr, als die türkifchen Heere in den nächſten Jahren ihre 
Waffen tief nach Ungarn hinein, endlich (1529) felbft bis vor 
bie Thore von Wien trugen. Venedig wenigftens hielt fich völlig 
ſtille. Und erft die DVerfuche des römiſch⸗ deutjchen Kaiſers 
Karl V., durch feinen Aomiral, den berühmten genuefiichen 
Seehelden Andreas Doria, wie auch der Johanniter, durch 
Kämpfe im Mittelmeer die Türken für ihre Einfälle in die 
Donanländer einigermaßen zu bezahlen, führten über ven 
Peloponnes noch einmal großes Elend herauf. Es wieder. 
holte fich Hier unter türkiicher Hoheit für das griechiiche Land 
wieder das Schickſal, wie e8 die alter Hellenen zur Zeit der 
Diadochen und wieder unter den Römern im legten Jahr⸗ 
hundert v. Chr. fo oft erfahren hatten. Der Kaiſer hatte 
bereit8 1526, beziebentlich 1530, den aus Rhodos vertriebenen 

2* 


20 Bub IL Rap. I 2. Kämpfe der Iohanniter (1531) um Modon. 


Johannitern die Injel Malta als neuen Sitz überwiefen; fie 
ſollten nad) wie vor ihren Krieg gegen Osmanen und Corfaren 
führen. Ihre jchon gegen das Jahr 1525 eingeleiteten, durch 
eine: griechifche Partei und einige mißvergnügte Türken auf 
Rhodos veranlaßten Verjuche, diefe Infel zurüdzugewinnen, 
waren mißlungen. Im April 1529 Hatte die Pforte die 
Kunde von dem Befteben einer Verſchwörung auf Rhodos 
erlangt; viele Griechen und Moslims, die mit Recht oder 
Unrecht für compromittirt galten, waren zur Rache getödtet 
worden. 

Nun aber faßten die Johanniter unter griechtfcher Anregung 
den Plan, fich des durch die Osmanen ſehr ftarf befejtigten 
Modon in Meifenten zu bemächtigen und bier wieder auf 
helleniſchem Boden fich feſtzuſetzen. Es gelang in der Feftung 
Einverjtändniffe zu gewinnen. As aber nah Tangiwierigen 
Vorbereitungen ein Geſchwader der Johanniter von ſechs 
Galeeren mit einigen Hunderten tüchtiger Krieger unter dem 
Admiral Salviati, dem fi etwa vier kleinere Schiffe mit 
einer Anzahl Griechen angejchloffen hatten, von Malta ber bei 
Sapienza angelommen und in der Nacht vom 2. zum 3. Sep- 
tember 1531 in den Befiß der meiften Werfe von Modon 
und der Stadt jelbft gelangt war: da hielten es bie Truppen 
der Ritter, anftatt die Ianitfeharen aus den letten Forts zu 
vertreiben, für zeitgemäß, die Stadt zu plündern. Und als 
num in aller Eile ein Theil der in der Nachbarichaft kantonirenden 
osmaniihen Truppen, welche der Sandſchak von Morea zum 
Zwed des Krieges in Ungarn für den Sultan gerüftet hatte, 
zur Gegenwehr berbeieilte, räumte Salviati noch am ſpäten 
Abend des 3. September die Stadt. Bald nachher aber 
wurden auf Grund der nun zweifellos klar geworbenen 
Zettelungen zwiſchen den Johannitern und den Griechen von 
Rhodos der griechiihe Metropolit dieſer Inſel, Euthymios, 
und mehrere der angeſehenſten Bürger von ben Türken hin 
gerichtet "). 


1) Sathas L. c. p. 89—102. 








Kämpfe bes Andreas Doria (1532) auf und bei Moren. 21 


Als nun aber im Jahre 1532 der Sultan drohend feine 
Waffen wieder gegen Wien zu tragen fich anſchickte, Dabei aber 
durch das Schloß Günz in Niever-Ungarn fich unerwartet zähe 
aufgehalten ſah, ſchickte Kaiſer Karl V. den großen genueftjchen 
Admiral Andreas Doria gegen bie türkifche Flotte aus; 
dabei follte auch Griechenland angegriffen und leider 
auch das griechich-albanefiiche Wolf des Südens zur Empörung 
aufgeftachelt werden. Am 6. Auguſt 1532 fegelte Doria mit 
80 Schiffen, mit denen fich ein päbftliches Geſchwader und bie 
Saleeren der Johanniter vereinigten, nach den griechtichen 
Gewäſſern ab. Während die Venetianer unter Vincenzo 
Capello fih bei Zakynthos vorfichtig neutral bielten, die 
Osmanen aber bei Eubda Freuzten, warf fich Dorian auf das 
ſtark verſchanzte Koron. Die Griechen und Schkypetaren des 
Peloponnes gerietben in gewaltige Bewegung. Dieſe wuchs, 
als Doria ein furchtbares Bombardement gegen Koron eröff« 
nete und endlich bet feinem vierten Sturme in die Stadt ein- 
drang. Als auch ein Entjegungsverfuh von Mifithra ber 
abgeichlagen war, übergaben die Zürfen von Koron am 
22. September bie noch behaupteten Kaftelle, die nun von 
dem fpaniichen Commandanten Mendoza mit 2000 Mann 
bejegt wurden. Nun jegelte Doria norbwärts, bombarbirte 
und eroberte Paträ, wo natürlich auch die griechiichen 
Quartiere geplündert wurden, und nahm weiter auch die 
Schlöffer der fogenannten Heinen Darbanellen (Rhion und 
Antirrhion) ein. Das Volt aber in Morea griff jett 
weit und breit zu den Waffen und megelte die Osmanen 
nieder. Nur allzubald follten die Meuterer wieder von ver 
rächenden Hand der Pforte getroffen worben. ‘Denn Doria, 
ber noch weiter an der Nordküſte des Peloponnes bis Korinth 
binaufgefahren war, mußte wegen bes Einbruch8 der fchlimmen 
Jahreszeit nach Italien zurüdfehren. Und nun Tonnten bie 
Osmanen an den Peloponnefiern ungehindert Rache nehmen, 
viele tödten und noch viel mehre aus dem Lande vertreiben. 
Und weiter jchiete der Sultan den Paſcha von Semendria 
mit einem Landheere, den Nuftibeg dagegen im Frühling 








2 Bud I. Kap. I 2. Khaireddin Barbaroffa. 


1533 gegen Koron. Noch einmal nöthigte Doria's Er- 
fcheinen die Osmanen zu Anfang Auguft von Diefer Stadt big 
nach Andruſſa zurücdzumeichen. Aber der inzwiichen erfolgte 
Friedensſchluß zwiichen Suleiman unb den Habsburgern machte 
bie Lage der Spanier in Koron, bie gegen Räumung ber 
Stadt proteftirten, haltlos. Als ihr neuer Führer Macika, 
der fih in Vorſtößen nah Mefjenien und Lafonien verjuchte, 
bei Andruſſa gefallen war, und bald nachher der Sultan den 
als Eorfaren gefürchteten griechiichen Renegaten Khaireddin 
Barbaroſſa, der bisher in tunefifchen Dienften ſich furchtbar 
gemacht hatte, an die Spige feiner Flotte ftellte, mußte 
Koron geräumt werben. 5000 Einwohner, großentheils 
Schkypetaren, wanderten mit aus und zogen, noch vielfach 
Durch Hunger und Seuchen decimirt, nach Neapel”). | 
Einftweilen wurde nun Suleiman durch einen großen 
Krieg mit Perfien beichäftigt. Als er aber im Januar 
1536 fiegreich aus Oberafien nad) Stambul beimgefehrt war, 
follte Karl V. für feine politifchen Beziehungen zu Perfien 
geitraft werden. Es fam zur Allianz zwijchen der Pforte und 
Frankreich, und bei der entichtebenen Tendenz des Sultans, 
jegt den Kaifer des Abendlandes wejentlich zur See anzugreifen, 
jollte in erjter Linie Benedigs Seemacht zertrümmert werben, 
die im Falle einer Verbindung mit Andreas Doria den Os⸗ 
manen leicht gefährlich werben fonnte. Zum Schaden ber 
Denetianer batten damals zweit einflußreiche Freunde der 
Republik bei ber Pforte ihren Untergang gefunden. Khatrebbin 
‚ und andere türkiſche Machthaber ftachelten den Groll bes 
Sultans gegen die Republik, die man jet beſchuldigte, den 
Kaiſer gegen die Pforte gehett zu haben. Nachdem bereits 
zahlreiche Conflikte durch Piraterieen veranlaßt waren, brad) 
Suleiman den Frieden mit Venedig endlich gewaltiam. Im 
Sommer 1537 wurden alle Güter und Waaren der in dem 
türkischen Neiche weilenden VBenetianer mit Beichlag belegt. 


1) Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 169. Sathas 
p. 102—110. 





Krieg feit 1587 zwiſchen der Pforte und Venedig. 2 


Dam aber zog der Sultan nah Epirus und fchlug zu 
Ballona jein Hanptquartier auf. Nun mußte der Großwelfir 
Ajas-Paſcha am 26. Auguft von Paramythia und der 
Küſte bei Butrinto aus mit Hüfe der türkiſchen Flotte nach 
Korfu überjegen. Der Angriff der Osmanen auf die Stabt 
ſcheiterte an deren unüberwindblichen Werken nach zehn Tagen 
vollftändig, und nach acht weiteren Tagen mußten fie die Injel 
ganz räumen. Aber während biefer achtzehn Tage hatten ihre 
Streifichnaren die infamften Verheerungen angerichtet, das 
offene Land mit Teuer und Schwert veriwäftet, die Kirchen 
zerftört, und viele Tauſende der Einwohner als Sklaven fort- 
geihleppt 1). 

Zur Rache wegen des Mißerfolges bei Korfu rie- 
teten die Osmanen jest ihre Waffen und ihre Beftialität 
gegen andere mittelbare und unmittelbare Befigungen ber 
Republik. Damals erhielt Kaſimbeg, zur Zeit Sandſchak von 
Morea, ven Befehl, (gegen Mitte September) fi ‚gegen 
Nauplion und Monembafia zu wenden. Khaireddin aber 
wandte fich über Paxos nach Parga und Prevefa, verwüſtete 
Repbalenia, Zante und Cerigo, und eilte, als die 
venetiantiche Flotte zum Schutze von Dalmatien und Korfu 
auslief, nunmehr die venetianischen Injeln des ägäiſchen Meeres 
mit 100 Segeln in jcheuklichiter Art heimzufuchen. Zuerſt 
fiel da8 blühende Negina. Die Stadt wurde nach wüthender 
Gegenwehr erftürmt und völlig zerſtört, Die Männer ermordet, 
6000 Weiber und Kinder in die Sklaverei gefchleppt. Die 
Inſel war noch lange nachher vollfommen menſchenleer; 
erft viel ſpäter fiebelten fich wieder albanefiiche Bauern ar, 
deren Abkömmlinge jetzt in dem fünlichen Theile wohnen; fie 
bat fich bis heute nicht wieder von jener Heimfuchung erholt. 
Dann kam die Weihe der Heimjuchung an die unmittelbar 
venetiamifchen Inſeln Skyros und Patmos, ferner an 
308, Therajia und Antiparos und andere Infeln, die 


1) Finlay p. 83. Hopf, 8b. 86, ©. 170. Sathas p. 112 
bis 118. 


l 


⸗ 


24 B. J. K. J. 2. Khaireddin verwüſtet 1537 die Inſeln bes Archipelagus. 


damals dem Aleſſandro Piſani (geſtorben 1550) gehörten 2), 
an Aftypaläa ?), deſſen letzte Herren Francesco II. 
(geftorben 1554) und Nicold V. Quirint (geftorben 1616) 
waren; und an Keos?®), welches damals Paolo und Luigi 
Premarini in Gemeinjchaft mit Januli VI Gozzadini inne 
hatten. Doc gelang es dem Paolo Premarini, im folgenden 
Sabre die Inſel wieder an fich zu bringen. Tinos, welches 
auch in die Hände der Osmanen fiel, wurde bald nachher von 
Kreta aus wieder befreit. Dagegen griff Khairebbin nun auch 
Naros an. Der armfelige Herzog Giovanni IV. Erifpo 
(j. unten) mußte jeine Zuflucht in dem Kaftell Gimoglia fuchen. 
Noch einmal gelang e8 (12. November), gegen einen Tribut 
von 5000 Dufaten das Tägliche Herzogtfum zu behaupten. 
Das hinderte aber nicht, daß die fchöne Inſel Naros greulich 
verheert und aus berjelben für mehr denn 25,000 Dulaten 
Beute fortgeichleppt wurde. Nun ging es nah Paros. Der 
damalige Inhaber diefer Inſel (j. unten), Bernardo Sagrebo, 
ſchlug fich tapfer, Hielt fich jelbit nach dem Verlufte von Aguſa 
in der Burg Kefalo mehrere Zage mit Heldenmuth. Aus 
Mangel an Munition mußte endlich Tapitulirt werden; Das 
Leben vetteten bie Einwohner dadurch freilich, aber die Inſel 
wurde greulich verheert und das Volk theils in die Sklaverei, 
theils zur Drefiur für den Janitſcharendienſt fortgeführt; 
(noch im December 1537). Während unter dem 1. Des 
cember 1537 ber Herzog von Naxos einen berühmt gewordenen 
Klagebrief an den Pabſt Paul II. und die Fürften ver 
Chriſtenheit richtete, in welchem er für fih als „ven Nach» 
fommen des Saluftius Criſpus“ Mitleid erflehte, zugleich eine 
genaue Schilderung der Greuel der Osmanen gab °), war alfo 


1) Bgl. bier auch Hopf in feinen „Veneto-byzantinifchen Analelten“, 
©. 408—420. 

2) Ebend. ©. 4771. 

3) Ebend. ©. 451. . 

4) Bol. Hopf, Gefhichte der Infel Andros, S. 125. 

5) Bol. auch E. Curtius, Naxos, ©. 25f. | 





Fortjegung biefer Raubzüge i. I. 1538. 2 


auh Paros gefallen, und Venedig mochte nun zuieben, ob 
und wie den Inſeln noch geholfen werden fonnte. 

Der Winter gebot einftweilen weiteren NRaubfahrten ber 
Osmanen Einhalt. Darüber fand die Nepublif Zeit zu 
Unterbandlungen. Die SKriegspartei unter Antonio Cornaro 
ſetzt e8 durch, daß mit Kaiſer Karl V. und mit Pabſt 
Paul II. ein Schug- und Trutzbündniß gejchloffen wurde. 
Eine ftarle Flotte unter dem Admiral Capello jollte fich mit 
Andrea Doria vereinigen. Hilfstruppen wurben nah Nauplion 
geihiett und Kafimbeg zur Aufhebung der Blokade genöthigt. 
Aber auch das Jahr 1538 brachte den Benetianern nur 
Unheil. Denn die Flotte des grimmen Khaireddin ſtach 
bald genug wieder in See. Nun ſuchte Erujino II. von 
Andros feine Infel durch einen Tribut von 35,000 Aspern 
oder 1000 Dukaten zu fichern, den er alljährlich am 1. März 
dem Bey von MNegroponte zu entrichten batte!). Andros 
blieb num freilich geichügt, wie auch die dem Herzog von Naxos 
gehörigen Injeln. Dagegen eroberte Khaireddin Skiathos, 
wie auch Skopelos. Als Hier der tapfere Commandant 
Girolamo Memo in fchändfiher Weife gegen den Willen 
Khaireddins ermordet wurde, erlitt der Mörder wenigitens 
eine harte Strafe. Dann aber wurde Seriphos dem 
Zommajo Meichieli 2) entriffen, Tinos zur Zahlung von 
jährlich 5000 Dukaten Tribut genötbigt, am 17. Yult aud 
Cerigo wieder geplündert. Dann wandte ſich Khaireddin 
gegen Kreta. War dieſe Infel (Bd. II, ©. 601) ſchon in dem 
Kriege des Jahres 1469 durch Die Osmanen geplündert worden, 
jo warf Khaireddin jegt bei Mylopotamo Truppen ans Land; 
indeſſen fcheiterten feine Angriffe auf Rethimo. Dann landete 
er wieder bet Suda, verheerte bie Umgegend und zerftörte den 
Sleden Ampikorna. Dagegen fcheiterten die Verſuche, die 
großen Pläge Kanea und Kandia zu erobern, an ber Tapfer⸗ 


1) Bel. Hopf, Gefhichte ver Infel Andros, S. 126ff.; „Griechenl. 
im Mittelalter”, Bd. 86, ©. 170. 
2) Bol. Hopf, Analelten, S. 440f. 





6 8.1.8.1. 2. Venedig verkiert im Frieden 1540 Naupfion u. Monembafie. 


feit der Venetianer vollſtändig )). Nun aber, eroberte Khair- 
eddin die Infel Karpathos ?), jegelte nah Modon und 
Ichiete fich an, der Flotte des Abendlandes zu begegrien, welche 
Ende Auguft bei Korfu ſich fammelte und fich enblith 
gegen das nunmehr von dem türfifchen Admiral mit 122 
Segeln gedeckte Preveja wandte. Es war ein Unheil, daß 
Dorian als Genueje nur wenig Interefje für einen Krieg zeigte, 
der hauptlächlih zu Gunften der PVenetianer geführt wurde. 
Die Seegefechte bei Prevera (Ende September) fielen zu Un⸗ 
gunften der Chriſten aus, und legtere mußten zujeben, wie 
ſelbſt Zante bedroht, und Caſtelnuovo in Dalmatien von den 
Türken genommen wurde. 

Unter diefen Umftänvden jehnte ſich Venedig nad Be 
endigung bes Krieges, zumal auch Karl V. und Frankreich 
einander zu nähern begannen. ‘Die Unterhanblungen mit ver 
Pforte führten allerdings zum Ziele; aber der Friedens— 
ſchluß des 2. Dftober 1540 war fchimpflich genug. Denn 
Benedig mußte nicht nur eine Kriegsfteuer von 300,000 
Dulaten an den Sultan bezahlen: die Republik ſah fich jetzt 
auch genöthigt, die legten peloponnefiichen Beftgungen, nemlich 
Nauplion und Monembajta, an die Pforte abzu- 
treten. Damit war nun enblih der Peloponnes voll- 
ftändig in die Hand der Osmanen gefommen. In 
den Äägätichen Meere behauptete Venedig’ aufer Kreta nur noch 
die Injeln Tinos und Mykonos. Alle Injeln, welche Khair- 
eddin den italienijchen Heinen Dynaſten entriffen Hatte, 
blieben bet ber Pforte; nur die Herren von Andros und 
Naxos (diefer mit Naxos, Milos, Santorini und Shra) 
wurden vorläufig noch als Klientelfürften des Sultans ge- 
duldet 9). 


1) Zinteifen, Geſchichte bes osmaniſchen Reiches in Europa, 
Th. IV, ©. 6255. 


2) Bol. Hopf, Analelten, ©. 4941. 


3) Hopf, Griechen!. im Mittelalter, Bd. 86, S. 170, und Sathas 
l. c. p. 119—126. 








Das Herzogthum Naxos feit 1463 bis 1494. 7 
II. 

An diefe neue Erſchütterung der venetianifchen Meacht- 
ftellung in ver griechifchen Welt reibt fih nunmehr die Eläg- 
liche Geſchichte des Unterganges der Testen italieniſchen 
Dpnaften in bem ägätichen Meere, foweit deren Schickſale bis⸗ 
ber noch nicht berührt worven find. Anknüpfend an das früher 
(Bd. I, S. 597 ff.) in diefer Richtung Mitgetheilte, bemerken wir, 
daß in dem bedeutendften der ttalientich-griechtichen Inſelſtaaten, 
in dem Herzogtum Naxos, das Haus Erifpo fih bis zur 
Vernichtung aller chriftlichen Selbitändigkeit im ägätichen Dieere 
erhalten Hat. Der Herzog Sacopo II. (1463 — 1480) 
binterließ bei feinem Tode nur zwei Töchter, fo daß ihm jet 
fein Bruder Giovanni III. (1480 — 1494) als Herricher 
folgte. Der gewaltiame Zug in dieſer Familie fam bet biefem 
Manne ſehr jcharf zu Tage. Hatte Herzog Jacopo III. noch 
1476 die Töchter feines Oheims Antonio mit Gewalt aus 
dem Befige der Injel Syra, ihrer Apanage, verdrängt, — 
jest folgte Giovanni III. dieſem ſchnöden Beiſpiele, indem er 
Jacopo’8 Tochter Fiorenza, die am 22. December 1479 mit 
dem Benetianer ‘Domenico Pilani vermählt worden, ihrer 
Mitgift, der Inſel Santorini, noch im Jahre 1480 mit 
brutaliter Gewalt beraubte. Es bedurfte bes fräftigjten Ein- 
Idreitens der Republik Venedig, bis Giovanni III. mit Ende 
de8 Jahres 1487 fich endlich bereit finden ließ, Fiorenza's 
Aniprüche mit Geld abzukaufen. Weiterhin verichlimmerte fich 
die Tage des Herzogthums durch die übermächtige Wucht Der 
Osmanen und die ewigen Neibungen zwilchen den Erijpi und 
ver Pforte wegen ber beiberieitigen wiederholten Piraterieen 
andauernd, obwohl die Nepublit Venedig die Herzöge von 
Naros wiederholt in die Frievensichlüffe mit der Pforte aufe 
zunehmen nicht verfäumte. Da jeboch Die Herzöge nichts 
Rechtes mehr zum Schuge ber Injeln thaten, wurde das Volt 
verftimmt und verdroſſen; und da nun Giovanni III. perjün- 
lich duch Härte und Graufamteit fich verhaßt machte, fo brach 


283 Bud I. Kap. I. 3. Naxos (1494—1564). Andros (1468—1538). 
| | 
endlich im Jahre 1494 auf Naxos ein Aufitand aus. Der 


Herzog wurde am 1. Juli erichlagen. Da er Feine legi- 
timen Nachkommen binterließ, jo nahm die Republik das | 
Herzogtfum vorläufig unter ihre eigene Verwaltung und 
verlieh es endlich zu Anfang des Jahres 1500 einem 
(1483 geborenen) Baftard des Giovanni III, Namens | 
Trancesco (III), der nun die Herrichaft bis zu Anfang 
des Jahres 1518 führte. Nach feinem Ableben erhielt fein 
Sohn, der uns jchon bekannte Giovanni IV. (1518—1564), 
die Regierung. 

Das Haus Sommaripa dagegen hielt jih nur mühſam 
auf feinen Injeln, die nach dem alle von Negroponte (1470) 
von den Türken ebenfalls jchwer mitgenommen worden waren; 
derart daß damals auf Andros nur noch 2000, auf Paros 
nur 3000, auf Antiparos nur 100 Menfchen wohnten. Als 
der Dynaſt von Andros, Herr Cruſino II. (1468—1500), 
unter deſſen Regierung ver lebte lateiniſche Biſchof von Andros, 
„der Mönch von Andros”, wegen frechen Mißbrauches jeines 
Amtes als Beichtvater zur Unzucht mit adeligen Nonnen, durch 
die venetianiiche Signorie 1484 abgeſetzt worden war, enblich 
jtarb, riß fein Baftard Nicold I. die Herrſchaft an fich, Die 
er bis zu jeinem Tode (1506) behauptete. Da er feine 
Kinder binterließ, fo fiel jegt die Injel an jeinen Oheim 
Francesco, der aber ſchon 1507 auf Grund der Klagen 
anderer Prätendenten durch die Republik abgefegt wurde, welche 
nunmehr die Inſel bis zum Sabre 1514 ſequeſtriren Tieß 
und endlich einem anderen Sohne bes zweiten Erufino, Namens 
Alberto, die Herrichaft zutheilte. Der Sohn diejes Dynaſten 
war jener Cruſino II., der jeit 1523 in Andros regierte 
und jich 1538 nur mit Mühe von der osmantichen Verheerung 
losfaufte. 

Auf der Inſel Paros endlih führte fett 1462 des 
Crufino J. (Bd. II, S.597) Sohn, des Domenico von Andros 
Bruder, Nicold I. die Regierung. Dieſer treffliche alte Herr, 
unter deſſen verftändiger Leitung die Inſel allmählich wieder 
eine gewifje Blüthe erlangte, ftarb enplih 1505. Als fein 


Baros (1462—1537). Andros feit 1538. Naxos feit 1540. 29 


Sohn Erufino II. 1518 kinderlos aus dem eben fchied, 
und num mehrere Machthaber, namentlich Herzog Giovanni IV. 
von Naxos, auf die Erbichaft Anſprüche erhoben, theilte bie 
Republit die Inſel Cruſino's Schweiter Fiorenza zu, die 
damals (1520) Wittwe des Mitbefiterd von Cerigo, Giovanni 
Francesco Venier war, und nun Paros fofort ihrem Sobne 
Nicold I. Venier abtrat. ALS auch dieſer 1531 kinderlos 
ftarb, entjtanden neue Erbjtveitigkeiten, die Venedig 1536 
dahin jchlichtete, Daß Paros an Nicold’8 Schwefter Cecilia 
fallen follte, welche fich 1531 mit dem trefflichen Venetianer 
Bernardo Sagredo (S. 24) vermählt hatte. Wir fahen 
aber, wie diefer Dynaſt jein Paros jchon im folgenden Jahre 
an die Osmanen verlor ?). 

Aus der wüjten Blutzeit des Khaireddin und aus ben 
darten Verluſten ver Republik in Morea, in Folge deren nicht 
wenige Peloponnefier nach Hydra und Spetzä und Zante, nicht 
wenige Inſulaner nach Kreta übertraten, — hatten jich alſo 
nur noch Andros, Keos, das Herzogtfum Naxos, und endlich 
die genuefiiche Maona auf Chios gerettet. Auch diefen Injeln 
aber brach nach Verlauf von 26 Jahren ver Tag an, wo fie 
von der Macht der Osmanen verjchlungen werben ſollten. 
Von beveutiamen Dingen weiß die Gejchichte dieſer Jahre nicht 
zu erzäblen. Auf Andros iſt der Dynaſt Erufino II 
ſchon im Sabre 1540 geitorben. Ihm folgte fein Sohn 
Biovan Francesco, während feine Tochter Cecilia bie 
Gattin des Erbherzogs von Naxos wurde. Auf Naros 
dagegen war ber Herzog Giovanni IV. durch die Er- 
ſchütterung der venetianifchen Macht jo übermüthig geworden, 
daß er allen Vorftellungen der Republik zum Trotze unter 
Zuftimmung der Pforte ſchon im Jahre 1541 das Haus 
Premarint aus Keos verbrängte, die Infel anneltirte und 
nm einen Theil verjelben den Gozzadini überlief. Da er 


1) Hopf, Analeften, S. 403— 412. „Geſchichte von Andros“, 
©. 112— 128. „Griechenland im Mittelalter“, Bd. 86, ©. 164 fi. 
»Chroniqueg gr&co-romanes“, p. 482 sqq. 


30 Bud I. Kap. I. 3. Chios feit 1479. 


ber Pforte jeinen Zribut regelmäßig zahlte, jo blieb bier das 
Verhältniß vorläufig ungetrübt; nur daß in dem Herzogthum. 
wie auf Andros die Nothwendigkeit, eben dieſen Zribut dem 
Lande abzugewinnen, allem Anicheine nach zu manchen Er- 
prefjungen führte, welche die Stimmung ver griechiichen 
Unterthanen gegen die fränkiichen Herren böje verbitterten. 
Bon Giovantit!s Kindern Hatte jeine Tochter Taddea bei 
Dpnaften von Andros, Giovan Francesco, geheirathet. Sein 
Sohn Jacopo (IV.), des letzteren Schwager, folgte dem 
Vater im Jahre 1564 auf Naros: 

Die Ginftiniant auf Chios Hatten feit der greulicher 
türfiihen Plünderung des Jahres 1479 ſich andauernd im 
Beſitze ihrer Inſel behauptet. Die von der Maona ein- 
geführten Imftitutionen ?), die allerdings als weſentlich Die 
Staltener angehenb uns bier nicht berühren, blübten noch 
immer. Die Infel, auf welcher (mit Ausnahme ver als 
Aderfnechte arbeitenden griechiichen Leibeigenen) auch Die Griechen 
fich erträglich ftanden, war noch immer durch ihre Maſtix⸗ 
wälder und als letztes genuefiiche8 Handeldemporium in der 
Levante wohlhabend. Reich und wohl angebaut, jchon damals 
bie Heimath jchöner und anmuthiger Frauen, durch die humane 
Gewohnheit der Maoneſen, jährlih 1000 Chriſtenſtlaven aus 
türkiſcher Gefangenſchaft frei zu faufen, wie auch entlaufene 


Sklaven bei fich anzufiebeln, felbit in dieſer Zeit an Ein. 


wohnerzahl wachſend, jo daß die Inſel immerhin gegen 
120,000 Seelen zählte: jo war Chios ſelbſt noch feit 1540 
eine Daje angenehmer Berbältniffe in der verfallenden grie- 
chiſchen Injelmelt. Aber auch diefer Injel nabte endlich das 
Berderben. Noch hatte ver franzöſiſche Einfluß, der feit 
1540, jeit dem Erlöfchen ver venetianifchen Macht, in der 
Levante das Übergewicht zu gewinnen begann, den Chioten 
eine Zeit ‚lang ſich nüßlich bewiefen. Allmählich aber reifte 


1) VBgl. alles Detail bei Hopf in dem oft citirten Artikel „Giuftiniani” 
in der „Allgem. Encyflopädie”, Selt. I, Bd. 68, ©. 326ff. v. Zeißberg, 
Kleinere Gefchichtsquellen Polens im Mittelalter (1877), ©. 41ff. 





Die Osmanen erobern. 1566 Chios. 51 


bei. dem unerfättlihen Sultan Suletman der Plan, aud 
ber reichen Maſtixinſel (dic Genua jchon 1558 biplomatiich 
preisgegeben hatte), wie auch des Herzogthums Naxos und des 
venetianiichen Kypros fich zu bemächtigen. Schon 1564 wurden 
beveutende Rüſtungen angeoronet zu dieſem Zwecke, die dann 
aber gegen Malta verwendet wurden. Als nun aber der An- 
griff auf bie nene Refidenz der Johanniter völlig geicheitert 
wor, gab Suleiman dem Zureden feines Großweſſirs Mo⸗ 
hammed⸗Paſcha, CHi08. anzugreifen, um fo lteber Gehör, weil‘ 
einerjeit8 bie zur Zeit von Schulden gedrüdte Maona mit. 
ihrem Tribut von jeßt 14,000 Golpftüden jeit 1564 in 
Rückftand geblieben, andererjeitd ein entlaufener Sklave des 
Großweſſirs nicht ausgeliefert worden war. So erichien denn: 
ver. Kapudan-Paſcha Piali am 14. April 1566 mit 80 
Galeeren vor Chios, landete zu Paſſaggio, lief ohne Wider- 
ſtand in ven Hafen. der Hauptitadt ein, nahm durch jchnöben- 
Derratb die Behörden verjelben ſammt dem Haupte der 
Maona, vem Podeftä Vincenzo Giuftiniant, gefangen und ließ 
nun (15. April) die Ianiticharen in bie Stadt einbrechen, bie 
energiſch plünderten und frevelten. Die Kirchen wurden theils 
verwüftet, theils in Moſcheen verwandelt, mit den Griechen 
eine erträgliche Kapitulation abgeſchlofſen, die Maoneſen aber 
nach Stambul geſchleppt, wo man die jungen Leute, die nicht 
um Islam übertreten wollten, ſcheußlich mordete. Die Er- 
wachjenen wurden zuerſt nach der Krim geführt und erhielten 
erft durch franzöfiihe Vermittlung 1567 ihre Freiheit wieder. 
Chios aber ſank unter türkiicher Herrichaft bald genug in 
Elend, obwohl nicht in dem Grade wie das (Bd. II, ©. 596) 
früher verlaffene. Samos, welches die Türken erſt wieder 
von Lesbos aus neu koloniſirt Hatten ). 

As Biali aus Chios nach Stambul zurüdlehrte, fand er 
einen neuen Großherrn. Suleiman war in der Nacht vom 
5. zum 6. September 1566 in dem Lager vor Gigeth in 


1) Hopf a. a. O. &.328—326. Finlay, Greece under othoman 
and venetian domination, p. 89 sqq. Sathas p. 129. 





32 Buhl. Kap.I. 3. Selim II. (1566—1574) anneltirt 1566 Naxos. 


Ungarn geftorben, und nun regierte fein Sohn Selim I. 
(1566 — 1574), ber freilih an Thatkraft Hinter dem Vater 
weit zurüditand, aber zur Zeit noch über einen genialen 
Großweffir, den Bosniaken Mohammed Sololli, verfügte. So 
blieb die erobernde Nichtung der Pforte zunächft noch im 
vollem Gange. Die erjte neue Eroberung war nur ein Spiel. 
Die Griechen von Andros und Naxos — letztere Eagten laut 
über die Ausjchweifungen und Grauſamkeiten des Herzogs 
Sacopo — führten nemlich bet Selim II. über ihren fränkischen 
Herrn Beſchwerde. Um fich zu rechtfertigen, eilte Sacopo IV. 
im November 1566 mit reichen Geldfummen nah Stambul. 
Aber das half ihm nicht. Er wurde in Stambul verhaftet ' 
und erhielt erft nach fünf Monaten jeine Freiheit wieder. ' 
Und während diefer Zeit, noch im Jahre 1566, ließ Sultan 
Selim durch Piali die Injeln des Archipelagus für die Pforte 
anneltiren. Das Herzogthum Naros mit allen feinen ‘Depen- 
benzen, bazu die Injel Keos (S. 29), wie auch ber Beſitz 
der Gozzadini auf Siphnos und Thermia, und die Inſel 
Andros, — fie alle wurden jest ohne bejondere Gewaltthätig- 
feiten ihren bisherigen italieniſchen Beherrſchern entzogen und 
auf Grund von Verabredungen wie zu Chios dem osmanischen 
Neiche einverleibt. Mit Ausnahme von Kreta und den ioniſchen 
Infeln war jet die italienische Flagge gänzlich aus den grie- 
chiſchen Gewäſſern verdrängt )). 

Die neu annektirten Inſeln kamen noch nicht unmittelbar 
unter türkiſche Verwaltung, fondern erhielten zunächſt — 
einen jüdiſchen Herzog. Juan oder Joäo Miquez war 
ber Name eines Juden, der nach zwangsweiſem Übertritt zur 
fatholiichen Religion zur Zeit Suleimans aus Portugal fich 
nad Stambul wandte, wo damals nicht wenige portugiefifche 
Juden, durch NReligionsorud vertrieben, ihre Zuflucht juchten. 
Miquez kehrte in Stambul zum Judenthum zurüd, beirathete 


1) 2gl. Eurtins, Naros, ©. 27 e 40 fi. Hopf, Analekten 
S. 451. „Geſchichte der Infel Andros“, S. 128f. „Griechenland im 
Mittelalter”, Bd. 86, ©. 171, und ‚„Chroniques greco- rowanes «, 
p. 482 sqq. Finlay p. 9. 











Don Joſeph Naft, „jübifcher Herzog“ von Naros. 33 


ein ſchönes, reiches Judenmädchen, feine Coufine, mit welcher 
er aus Portugal entwichen war. Es gelang ihm bald, die 
volle Gunft des Thronerben Selim zu erwerben, deſſen Geld» 
verlegenheiten und üppiger Genußiucht er mit Gewandtheit zu 
Ihmeicheln wußte. Schon 1558 ein Dann von großem Ein- 
fluffe in Stambul, ſcheint er nachher bei der Bewegung ber 
Griechen gegen die fränkiſchen Dynaſten im Archipelagus 1566 
jelbjt die. Hand mit im Spiele gehabt zu haben. Sicher ift, 
daß auf feinen Wunſch der Sultan Selim auf die Klage der 
Griechen Hin jofort dieſen feinen jübtichen Liebling an Stelle 
des Erijpo und de8 Sommaripa zum Herzog von Naros 
vnd den anderen Kykladen erhob. "Eine Stellung, für 
‘ weldhe der mächtige Hofjude, der byzantiniſche Nothichild dieſes 
Zeitalters, dann eine erhebliche Pachtiumme (14,000 Dufaten) 
an die Pforte zu zahlen hatte. Die Inſelgriechen proteftirten 
umjonjt gegen die Ernennung eines Juden zu ihrem Beherricher. 
Auch der depoffedirte Herzog Jacopo IV., der nach Entlaffung 
aus jeiner Haft von Stambul nah Rom fich begab, beſchwor 
den Pabft Pius V. und die Republik Venedig zunächit ver⸗ 
geblich, ihm fein Erbgut wieder zu verfchaffen. Günftigere 
Chancen für die vertriebenen italteniichen Dynaſten jchtenen 
erſt einige Jahre Später eintreten zu Sollen. ‘Der jüdiſche 
Herzog, feit dieſer Zeit al8 Herr der Kykladen in ber Geichichte 
diejer Tage gemwöhnlih „Don Joſeph Naſi“ genannt, kam 
nicht ſelbſt nach jeinem neuen Beſitzthum, ſondern Tieß daffelbe 
durh einen Gouverneur, den fpaniichen Hidalgo Dr. jur. 
Francesco Coronello, verwalten, dem es übrigens gelang, fich 
durch feine Tüchtigkeit und Nechtichaffenheit jehr beliebt zu 
machen. Der neue Herzog felbft, jo ſagte man ihm nach, 
und jo verhöhnte ihn auch jein bitterfter Gegner, der ftolze 
Großweſſir Mohammed Sokolli, hatte nur Intereffe für den 
Weinzehnten, den ihm die an trefflichen Neben reichen Injeln 
des Herzogthums Tieferten ?), nemlih 15,000 Skudi, von 
denen der Sultan 2000 Dufaten erhielt. Es bedurfte ine 


l) Eurtius, Naxos, ©. 43 u. 44f. 
Hersberg, Geſchichte Griechenlands. III. 3 


I 





34 Bud I Kap. I. 3. Die Osmanen erobern‘ 1570/1 Kypros. 


deſſen Doch noch eines neuen Krieges, um die Pforte in dem 
Beſitze des ägäiſchen Meeres dauernd zu fichern. 

Die erobernden Tendenzen waren, wie wir oben fagten, 
auch unter Selim I. in Stambul noch nicht zur Ruhe ge» 
fommen. Als einen Hauptgegner betrachteten die Osmanen 
noch immer den venetianiſchen Staat. Miquez vor Allen, 
ber theil8 durch perfönliche Rancune, theils durch feine uner- 
fättliche Habſucht zur Gegnerfchaft gegen die Republik geftachelt 
wurde, trieb den Sultan, in deſſen Rathe fein Wort nur 
allzuviel galt, zum Kriege mit Venedig. Sein Hauptziel war, 
auch die Krone der reichen Infel Kypros zu erlangen, deren 
Defig wegen ihrer feurigen Weine auch dem verjoffenen 
Sultan befonvers wünfchenswerth erichten. Verſchiedene Rei⸗ 
bungen mit den Venetianern bei Tino leiteten den muthwillig 
gefuchten Streit ein. Enblich forderte Selim rund und nett 
ımter Droßungen die Abtretung von Kypros. ALS die Republik 
dieſes fchmähliche Begehren unwillig ablehnte, erklärte die 
Pforte ven Krieg, ımb am 1. Inli 1570 führte Pialt 360 
Schiffe und (unter dem grimmigen Lala Muſtapha) 50,000 
Mann und 2000 Pferde nach der ſchönen griechtichen Inſel. 
Venedig juchte mit Eifer abendländiiche Verbündete zu gewinnen. 
Aber ehe Pabjit Pius V. und Spanien nachbrüdlich helfend 
eingreifen konnten, fiel die eine der Iyprifchen Hauptfeitungen, 
Nikoſia, am 9. September 1570 unter jchredlichem Blut- 
vergießen in die Hände der Osmanen. Die Hauptfeftung 
Famagufta, welche die Republik, obwohl noch neuerbings 
durch einen Arfenalbrand in ihrer Aktion gelähmt, mit frijchen 
Streitkräften verjeben Hatte, hielt fih mit 7000 Mann unter 
dem tapferen Commanbanten Marcantonio Bragadino bis 
zum 1. Auguft 1571. Muſtapha⸗Paſcha brach ſelbſtverſtändlich 
die geichloffene Kapitulation. Bragadino wurde nach der durch 
Sultan Mohammed I. in den türkischen Kriegsbrauch ein- 
geführten, jet wieder erneuerten Gewohnheit lebendig geſchunden 
und geviertheilt, Famaguſta aber mit Scheuflichfeiten heim⸗ 
gefucht, wie fie felbft in der osmanifchen Schandgefchichte nicht fehr 
Häufig find. Diefe Infamien wurden wenigftend einigermaßen 


Schlacht bei Lepanto 1571. 85 


dadurch geftraft, daß hie endlich um biefelbe Zeit unter dem 
Oberbefehl Des jpanifchen Prinzen Don Juan d' Auſtria zu. 
Meſſina ſich vereinigende fpanifch =» italienifche Flotte am 
7. Oktober 1571 in der furchtbaren Seefchlacht bei Lepanto 
einer osmaniſchen Armada, melde auf Kreta und auf ven 
ioniſchen Inſeln Verheerungen angerichtet hatte, eine entfegliche 
Niederlage beibrachte; 130 Schiffe und 30,000 Mann waren 
für die Türken verloren. Leider wurde der gewaltige Sieg 
nicht entiprechenb benutzt, weil unter den verbünveten Mächten 
jelbft weder rechtes Zutrauen noch nachbrüdliche politiiche 
Entſchloſſenheit beſtand. Daher konnte Venedig auch die 
nebenher gewonnenen Heinen Vortheile nicht behaupten. Es 
hatte nemlich unter Mitwirkung bes Generallapitäns Quirini 
im Oktober 1570 das Haus Gozzabini die Inſeln Siphnos 
und Thermia wieder erlangt; auch Naxos fcheint momentan 
beiegt worden zu fein. Herzog Jacopo IV. ſeinerſeits ſchenkte 
am 6. Januar 1571 fein Herzogthum der Republif und wollte 
für den Ball ber Erpberung nur ver Lehensmann Venedigs 
ſein, deſſen Flotte noch gegen Ende 1570 Syboton genommen 
hatte. Aber das Jahr 1572 verftrih unter unbebeutenden 
Serzügen, Mohammed - Pafcha wurde im ägätichen Meeve 
wieder Herr, unruhige Bewegungen der Griechen am 
Parnafjos, in der Maina und auf anderen Punkten, bie 
durch Die Kunde von der Lepantofchlacht hervorgerufen worben 
waren, wurden grauſam umerbrüdt, die Mletropoliten von 
Paträ und Thefiglonife lebendig verbrannt, — und Benedig 
mußte am 7. März 1573 jenen ichimpflichen Trieben ſchließen, 
in welhem es Syboton wieder räumte, Kypros abtrat, eine 
ſchwere Kriegsſteuer zahlte und ſich anheiſchig machte, nunmehr 
den Tribut für Zante auf 1000 Dukaten zu erhöhen. Nur 
die Gozzadinis behielten ihre Inſelchen (ſammt Kimolos, 
Bolyfandros, Gyaros, Sikinos) gegen Tributzahlung an bie 
Pforte, welche diefelben erft 1617 gänzlich an ſich riß. Naros 
dagegen blieb den Türken, beziebentlich dem jüdiſchen Herzoge. 
Ale Bemühungen des Herzogs Jacopo IV., die Inſel endlich 
durch direkte Unterhandlungen bei Selims II. Sohne ung 
g« 


36 83.1. 8:1 3. Die Infeln des ägäiſchen Meeres unter türkiſcher Herrfchaft. 


Nachfolger Murad II. (1574 — 1535) zurüdzuerlangen, 
. fcheiterten, und jo ftarb der legte Criſpo endlich im Jahre 
1576 vor Sammer zu Pera. Die Infeln des Herzogthums 
aber wurden unmittelbare Beſitzungen der Pforte feit 
Don Nafl’8 Tode, der am 2. Auguft 1579 erfolgte ?). 

Jetzt alfo der Pforte bireft untergeordnet, wurden die 
Inſeln des Archipelagus (mit Ausnahme einiger, vie der 
Favorit-Sultanin zufielen) nunmehr unter den Kapudan⸗Paſcha 
geftellt und durch einen Sandſchak und einen Kadi veraltet. 
Ihr 2008 geftaltete fich aber fehr erträglih. Denn fchon im 
Jahre 1580 gewährte ihnen Sultan Murad III. ein fehr 
günftiges Privileg, in Folge deſſen fie vieler Freiheiten theil- 
haftig wurden. Den Einwohnern blieben ihre municipalen 
Einrichtungen, ihre alten Gebräuche und Nechtsgewohnheiten 
gewahrt, die Primaten behielten das Recht der freien Wahl 
ihrer Verwaltungsbehörden; kein Türke follte die Inſeln be 
treten und fich auf denſelben anfieveln, die Bewohner aber 
durften frei Kirchen und Klöfter bauen, und ihren Gottesdienſt 
bet Slodenklang feiern. Der Kapudan⸗Paſcha Tief nur einmal 
jährlich mit feiner Flotte bei Baros an, um den ihm dajelbft 
dargebrachten bejtimmten, durch Selbitbefteuerung der Gemeinden 
aufzubringenden Tribut der einzelnen Inſeln in Empfang zu 
nehmen. Abgefehen endlih von dem Weinzehnten Hatten bie 
Bewohner einiger Inſeln die Verpflichtung, ein bejtimmtes 
Quantum ihnen eigenthümlicher Produkte jährlich nah Stam- 
bul zu führen. Sultan Ibrahim hat fpäter (nach 1640) 
das Patent mit einigen unwejentlichen Modifikationen er- 
neuert ?). 

Die lateiniſche Bevölkerung bat nad der osmanifchen 


1) Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 171f. u. 173. 
„Chroniques greco-romanes“, p. 482 sqg. „Geſchichte von Andros“, 
©. 1295. Eurtius, Naxos, ©. 28f. u. Alf. Finlay p. 92 sqg. 
Sathas p. 166 sqq. 


2) Hopf, Analelten, ©. 420 u. 518—523. „Griechenland im 
Mittelalter”, Bd. 86, ©. 172 u. 189. 





Der lateiniſche Adel auf den Infeln des Archipelagus. 87 


Befigergreifung die Infeln nicht verlajfen, ja ſogar nach—⸗ 
mald (j. unten) nach der Eroberung von Kreta durch Die 
Osmanen noch von dort aus Zuwachs erhalten. Diefe 
lateiniichen Elemente bejtanden aus dem Nachwuchs der zur 
Zeit der italienischen Dynaſten auf biejen Injeln angefiedelten 
itaftenijchen Einwanderer; aus Griechen, die bisher zur römijchen 
Kirche übergetreten waren; namentlich aber aus dem zahlreichen 
italieniichen Adel, der nun jeit nahezu drei Jahrhunderten bier 
fejte Wurzeln geichlagen Hatte, und im Laufe ber folgenden 
Zeiten noch mehrfachen abendlänbiichen Zuwachs erhielt. Haupt» 
fite diejer Yateinifchen Bevölkerung von geichichtlicher Bedeutung 
bi8 zur Entjtehung des neugriechiichen Königreiches in unferem 
Jahrhundert waren und blieben (nicht fowohl Andros, wo 
indejjen zur Zeit ber türfiichen Annerion noch immer ein 
lateiniſches Bisthum beftand, welches auch neben bem bald 
nachher neu eingerichteten griechiichen bis tief hinein in das 
jiebzehnte Jahrhundert blühte '), al8 vielmehr) Santorint 
und Naxos. Auf Santorini wurde die römiſche Kirche 
andauernd (und zwar bis auf den heutigen Zag) durch einen 
lateintichen Biſchof repräjentirt. Von venetianijhen Ge- 
Ihlechtern findet man (nachdem im Kaufe ber folgenven 
Jahrhunderte 225 fatholiiche Familien theils ausgeftorben, 
theil8 Durch Annahme der griechiichen Religion zu Griechen 
geworden find) die Barbarigo, Ghiſi, Venier, Bafegio, 
Manoleſſo und Zane; von früheren Inſeldynaſten entſproſſen 
die Crijpi, die fatalaniihen da Eorogna (Nachkommen 
ber ehemaligen Herren von Siphnos, jegt das angejehenite 
Seichleht auf Santorini), die de Lenda (Delendas), D’Argento 
(neben den griechiichen Argyri), Sirigo und Gavalas (Nach. 
kommen ber früheren Arhonten von Rhodos); von 
anderen Lateinern die de Cigala (aus welchen Haufe Carlo 
Antonio durch den deutichen Kaiſer Rudolf I. in ven 
Örafenftand erhoben wurde), die da Leonafja, de Mata, 
Roſſo, Mafonfos, des Aulps (Alpis), und einige, wie bie 


1) Hopf, Gefhichte der Infel Andros, S. 130. 





38 Buch I. Kap. I. 3. Der Iateintfche Adel auf Naros. 


vangadas, Nomilos, Saris, deren Herkunft etwas zweifel⸗ 
haft iſt ). 

Auf Naxos, wo ſich allmählich die meiſten der lateiniſchen 
Edelleute ſammelten, wo außer den venetianiſchen Patricier⸗ 
familien auch zahlreiche Bürgergeſchlechter ſich hielten, die 
während des Mittelalters aus anderen Theilen Italiens zu 
Handelszwecken Hier ſich angeſiedelt hatten, find nah und nach 
nicht wenige der italieniſchen Geſchlechter erlofchen ; fo bie 
Loredano , die Sanudo (viefe 1739), alba, Malatefta, 
Sforza Caſtri (diefe 1844). Einige, Wie bie Cocco um 
Baſegio, wurden Griechen. Unter den noch vorhandenen 
Familien, zu benen die noch aus der herzoglichen Zeit 
ftammenven Rocca, Girardi und Grimaldi, die erft Ende des 
jechözehnten oder Anfang des jiebzehnten Jahrhunderts aus 
Rreta eingewandberten Barozzi, bie erit 1690 aus Frankreich 
eingewanderten, jet im Mannesſtamme erlojchenen, Raimond 
de Mooene, und bie ebendaher exit 1744 über Rußland ein- 
gewanderten Laſtie de Vigourouxr gehören, — nehmen noch 
immer den erſten Platz ein die ſeit der Annexion von Andros 
nach Naxos übergeſiedelten Sommaripa. Nur daß in ber 
Gegenwart der frühere Reichtum des in viele Linien zer 
jplitterten Gejchlechtes fich wefentlich verringert hat. Soweit 
nicht einige der Iateiniichen Familien es allmählich worzogen, 
griechifch zu werben, blieb das lateiniſche Element auch bier 
ftreng römiſch-katholiſch, immer umter der Obhut ber 
feit der Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts als Schutzmacht 
der römifch » Fatholifchen ‚Kirche in der Levante auftretenden 
Krone Frankreich. Seit 1626 haben die Sefuiten, jekt 
(jeit 1783) unter dem Namen der Lazariften, mb feit 1635 
die Kapıziner in Naxos ein Klofter. Die Zahl der römiſchen 
Katholiten auf Naxos betrug 1835 aber nur noch 300, auf 
den Inſeln des alten Herzogthums überhaupt 1859 nur etwa 


1) Bol. Hopf, Analelten, ©. 421f., wo auch bie Lifte ber lateinifchen 
Biſchöfe von Santorini von 1565—1856 angegeben ift; und „Griechen. 
im Mittelalter”, Bd. 86, ©. 173 u. 184. 











Feindſchaft zwiſchen ben Griechen und Lateinern auf Naxos. 89 


600 Seelen. Unter den ehemals berzoglichen Inſeln hielten 
fh auf Syra und Milos (wie auf ven noch längere Zeit 
venetianiſch bleibenden Tinos und Mykonos) ebenfalls viele 
Inteinifche &efchlechter, die aber großentheils „in Armuth ver- 
ſunken oder im Elend andgegangen find‘ ?). 

Das innere Leben diefer biöher fränkiſch geweienen Inſeln 
geftaltete fich Feineswegs überall behaglih und frieblih. An 
und für fich freilih waren die Bewohner dieſer Injeln nicht 
gerade ungeftümer over tapferer Natur; im Gegentbeil galt 
dei den Osmanen, denen dieje Imfelgriechen gern auswichen, 
Schüchternheit al8 ein jo bervorftechender Zug ihres Charakters, 
daß man die Inſeln, mamentlih die Kykladen, ſpottweife 
„Tauſchan⸗-adoleri“, d. 5. Haſeneilande, zu nennen pflegte ?). 
Das hinderte aber durchaus nicht, daß micht zwiſchen 
Griechen und Franken unter osmaniſcher Hoheit bie 
ditterfte Gehäffigfeit fich entwidelte. Während auf Santorimi 
wenigjtens in den ſpäteren Jahrhunderten zwijchen ben beiben 
Stämmen und Confeifionen ganz erträgliche Beziehungen fich 
ausgebildet haben, war auf der Hauptinfel Naxos davon feine 
Rede. Der alte Haß zwiſchen geiechiichen und lateiniſchen 
Primaten der Injel erbte fort von Geichlecht zu Geichlecht. 
Mit grimmiger Erbitterung blidten vie Lateiner auf der 
Burghöhe der Hauptſtadt auf die Griechen der Unterjtabt, 


1) Hopf, Griechenland im Mittelafter, Bd. 86, &. 172f., und fiehe 
dazu außer den oft eitirten genenlogifchen Überfichten über bie Familien 
des italienifchen Adels in ben Beilagen zu feinen „Chroniques greco- 
romanes“ noch die „Geſchichte der Infel Andros und ihrer Beherrſcher“, 
©. 130ff. und „Analekten“, S. 421ff. Eurtius, Naros, ©. 31 fi. 
und 8. Roß, Reifen auf den griechifchen Inſeln des ägäiſchen Meeres, 
Bd. 1, ©. 27, der au angibt, daß nach der Eroberung von Rhodos 
dur die Osmanen (S. 19) die Eurie den Sit des dortigen lateiniſchen 
Errbifhofs nad Naxos verlegte und ihm die bamaligen Güter ber 
Johanniter auf diefer Infel zumies. 

2) Sallmerayer, Fragmente aus dem Orient, 2. Aufl., ©. 578f. 
und vgl. Menpdelsjohn - Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, 
Thl. I, &. 200. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, 
p- 33. 








40 8.1. 8.1 3. Feindſchaft zwifchen Griechen u. Lateinern auf Naxos. 


über welche fie einft zu gebieten gehabt Hatten, und denen fie 
nun unter osmaniicher Hoheit gleichgeftellt waren. ‘Den 
Griechen allein gaben fie e8 Schuld, daß man ber Pforte 
unterthan, daß das Haus der Criſpi geftürzt worden. Dagegen 
ließen e8 die Griechen bie lateiniſchen Familien oft bitter 
fühlen, daß diefelben ihre alte Macht eingebüßt hatten und nun 
mit jenen zufammen nur Sklaven des Sultans waren. Daher 
bielt man auf beiden Seiten mit höchſter Schroffheit an ber 
kirchlichen Trennung feit. Die Lateiner verfolgten namentlich 
jolche Gefchlechter mit glühendem Haffe, die von der römiſchen 
zur anatolifchen Kirche übergetreten waren. Sie erzielten in 
Rom die Erlaubniß, Gejchwifterfinder unter einander ver- 
- beirathen zu dürfen, um nur nicht ihr Blut mit dem ver- 
haßten griechiſchen milchen zu ſollen. Die ihm untergebenen 
griechifchen Landleute aber erbitterte der lateiniſche Adel bis 
zur Zeit des neugriechiichen DBefreiungstrieged durch zähes und 
eigenfinnige® Feſthalten an veralteten Feudalgebräuchen und 
Smangspflichten, und pflegte dabei in dem Verkehr mit 
feines leihen eine fteife Grandezza und eine Neigung zu 
grotesfen Schnörfeln. Nur wenn ein türkisches Schiff ſich 
zeigte, wetteiferten hier Griechen und Lateiner mit einander in 
ſklaviſcher Unterwürfigfeit )). 

Der erbitterte Gegenſatz zwiſchen Griechen und Lateinern 
führte endlich am Ausgange der hier behandelten Periode noch 
einmal zu einer ſchauerlichen Tragödie. Im letzten Viertel 
des ſiebzehnten Jahrhunderts war weitaus der mächtigſte 
griechiſche Primat auf Naxos der ſtolze Konſtantin 
Kokkos aus dem venetianiſchen Patriciergeſchlecht der Cocco, 
welches vollſtändig griechiſch geworden war. Kokkos gefiel ſich 
oft in arger Verhöhnung der lateiniſchen Primaten und 
ſtieß endlich hart zuſammen mit deren damaligem Führer, 
Francesco Barozzi, deſſen Geſchlecht aus Kreta nach 
Naxos übergeſiedelt war. Dieſer Edelmann war mit einer 


| 1) Bgl. Hopf, Analekten, ©. 422; € urtius, Naros, ©. 34, und 
Roß a. a. O. ©. 26. 


Fehde zwifchen ben Kokkos und ben Barozzi feit 1687. 41 


Tochter des franzöfiihen Conſuls Erufino Coronello (ver jeine 
Abkunft auf Don Joſeph Naſi's Statthalter zurüdführte) 
vermäßlt und hatte durch jeine Schwäger Germano und, 
Jacopo Eoronelo und Erufino Sommaripa, wie auch burch 
bie Pflege einer Anzahl ergebener Diener auf der Infel eine 
ſehr ſtarke Stellung gewonnen. Die Schmähungen, mit denen 
Kokkos jeine Gemahlin öffentlich überhäufte, rveizten ihn zur 
Wuth, und er beichloß mit feinen Verwandten und Dienern 
den verhaßten Griechen zu ermorden. Als Kokkos am 
Sonntage den 22. März 1687 von feiner Billa in dem 
Dorfe Potamia ohne Begleitung nach der Hauptſtadt Naxos 
heimreiten wollte, Iodte ibn des Barozzi griechiicher Diener 
Chomatianos auf einen Weg, wo ein Hinterhalt bereitet war. 
Ein Diener des Barozzi jchoß den Koffos nieber, unb nun 
bieben Barozzi und feine Schwäger ihr Opfer mit Beilen in 
Stüde. Die Griechen der Inſel waren natürlich über 
diefe Blutthat furchtbar empört, und e8 wandte fich das Haus 
Kokos zunächſt an die Führer einer im Hafen von Nio 
liegenden Flotte der Venetianer, die damals (ſ. unten) ihren 
vorletten großen Zürfenfrieg führten. Barozzi wußte aber 
duch Geldgeichenfe eine Ahndung Seitens der zur Zeit wieder 
im Ägätichen Meere dominirenden Macht feiner Landsleute zu 
verhindern. Darüber entbrannte auf Naxos die Vendetta mit 
forfiiher oder maniatiſcher Gluth. Da Barozzi der Rache 
der Familie Kokkos entgangen war, fo Tieß die Iektere 
durch ihre Banditen feinen Schwiegervater, den alten Conjul 
Erufino Coronello, auf der Rückkehr von feiner Billa Faſolia 
bei Drymalia erſchießen. Diefen zu rächen, ſah fich bie 
Wittwe, Anna Caterina Coronella (geftorben 1717), nad 
einem bilfreichen Freunde um. Als nun 1690 der Maltejer 
Johann Franz de Raimond de Modeine (S. 38) 
aus Avignon bei einer Kreuzfahrt mit einer Fregatte ber 
Johanniter nach Naxos Fam, machte er ber Wittme bes er- 
morbeten Conſuls feinen -Befuch, verliebte fich in Deren ſchöne 
Tochter Caterina und gab fich zum Werkzeuge der Tamilien- 
vabe ber. Er Tieß aus feiner Fregatte die Kanonen aus- 


2 Buch L Kap.L 3. Fehde zwiſchen ben Koltos u. Barozzi feit 1687. 


fchiffen, und griff dann die Kokkos an, vie ſich in dem eine 
Meile von Naxos entfernten, unter ihrem Batronate ſtehenden 
Klojter Ipfili Hei Eucharaes verfchanzt Hatten. Als nad 
kurzer Zeit die Kolkos auch dieſen Poſten räumten und die 
Slucht in das Gebirge nahmen, ſchickte Raimond fein Schiff 
und jein Ordenskreuz nah Malta zurüd, beirathete bie 
junge Caterina Coronello, und begründete auf Naxos ein neues 
mächtiges Geſchlecht. Den Frieden endlich zwilchen den Häujern 
Kokkos und Barozzi ftellte wieder her die fchöne Tochter bes 
ermordeten Konftantin Kolkos, die — zur Zeit des Sturmes 
auf Zpfili wur erft vier Sabre alt — als Jungfrau dem 
reichen und glänzenden Bernardo Barozzi (dem Sohne des 
Francesco, der eimft ihren Vater getöbter) die Hand reichte 
und durch ihre Klugheit und Liebenswilrnigfeit die feinplichen 
Familien zu verjöhnen verfind. Echt türkijch tft aber ver 
Schluß diefer griechiſch⸗fränkiſchen Epiſode. Denn eben dieſer 
trefflihe Barozzi wurde um die Mitte des achtzehnten Jahr⸗ 
hunderts durch feinen Reichthum der Pforte verbächtig. Man 
Iocte ihn nach Stambul, folterte ihn auf das Graufamite, 
verbannte ihn 1754 nady dem öden Leros, und erlaubte ihm 
endlich nur, als Bettler auf dem Boden von Naxos zu 
fterben !). 


IV. 


Mit der Annerion der Inſeln des ägätichen Meeres und 
zer Inſel Kypros durch die Pforte wird fir mehr dem 
hundert Sabre die griechifche Geſchichte immer öder um 
leerer. Sie zeigt uns nur noch einige für die Griechen nad- 
theilige Berührungen auswärtiger Mächte mit ver Pforte, 
einige boffnungslofe Bewegungen griechiicher Gebiete gegen bie 
Osmanen, endlich aber die greuliche Kataftrophe ver Republit 
Venedig auf Kreta. Summariih jeme iſolirten Ereigniſſe 
zufammenzufafien, fo ftand gerade Venedig ſeit dem Abſchluſſe 


1) Hopf, Analelten, ©. 422 - 426. 








Griechenland feit 1573. 48 


ſeines letzten Friedens dauernd in guten Beziehungen zu ber 
Pforte und that Alles, um feinen levantiniſchen Handel, ber 
ohnehin bei der feit Anfang des fechszehnten Jahrhunderts 
eingeleiteten Veränderung der großen Linten des Welthandels 
langſam abzunehmen begann, nicht fo bald wieder durch Krieg 
mit der Pforte geftört zu jehen. Es war auch gelungen, mit 
Murad III. ven Frieden 1575 einfach zu erneuern, und mit 
feinen Nachfolgern Mohammed II. (1595—1603), Ahmed 1. 
(1603 — 1617) und Muftapha I. (1617 — 1618), wie auch 
mit Osman II. (1618 — 1622) freumbichaftliche Verhältniffe 
zu erhalten. Im Jahre 1605 hatte man fogar neue Handels⸗ 
vortbeile zus erlangen vermocht, die auch beit Erneuerung des 
betreffenden Bertrages 1618 und 1619 beftätigt wurben. Im 
Einklang mit dieſer friedlichen Politif wurde dann auch jeder 
Derfuch zur Aufrelzung von Untertbanen der Pforte unterlaffert, 
unter Anderem 1602 Anträge zum Übertritt in die venetianiiche 
Klientel, wie fie aus Albanien famen, freundlich aber beftimmt 
abgelehnt ?). 

Es wäre für die Griechen nur vortbeilbaft geweſen, 
hätten fich auch die Übrigen Mächte des Abendlandes, fo lange 
fie nicht mit durchichlagendem Nachdrucke eine wirkliche Be⸗ 
freumg berfelben in Angriff nehmen konnten oder wollten, auf 
eine ſolche friedliche Politik beſchränkt. Davon war aber 
feine Rede, um fo weniger, als ſeit Selims II. Zeit die 
Macht und Schwungkraft der Osmanen, die endlich auf ber 
Landſeite an der beutfchen und an ber perfiichen Kraft ihre 
Schranten gefunven hatte, unter den ſchwachen Sultanen der 
folgenden Jahrzehnte nad des großen Weſſirs Mohammed 
Sololli Tode (1579) fühlbar zu ſchwinden begann. ‘Daher 
wurde von Seiten mehrerer Mächte im Mittelmeer es für 
längere Zeit üblich, durch Seezüge nach den Küften bes 
osmanischen Reiches die Pforte zu beunrußigen. Solche Kreuz- 
fahrten und Küftenplünverungen aber, denen fih dauernd 
die private Piraterie zugefellte, ruinirten in ber 


1) Hopf, Grlehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 173f. 


44 Buch I. Kap. L 4. Griechenland 1578 — 1601. 


Negel den Wohlftand und den Handel griechiſcher Unter 
tbanen des Padiſchah 1), und reizten andererſeits wieder bie 
unrubigften Elemente unter den Griechen zu lokalen Auf- 
ftänden, welche zur Zeit doch nur zu fchweren Racheakten 
Seitens der Osmanen führen Tonnten. 

In folcher Weiſe wurde 1578 ein Aufitand der Kyprier ?), 
im Sabre 1583 eine unrubige Bewegung im Archipelagus 
niedergeworfen 3). Als wieder 1585 Griechen und Schlype⸗ 
taren in Alarnanien und Epirus unter Theodor Bun 
Grivas, Pulios Drakos und Malamos meuterten, und die 
Alarnanen die Türken in Bonika und Xeromeron nieberbieben, 
die Epiroten aber Arta einnabmen und auf Joannina mar- 
ihirten: ba trieben die türkischen Commandanten von Male 
bonten und Theſſalien die Epiroten ſchnell genug auseinander. 
Grivas dagegen wurde von dem Paſcha von Naupaltos ge 
fchlagen und ftarb an feinen Wunden auf Ithafa %. Dagegen 
plünderten 1595 die Spanter in Morea und verbrannten 
Paträ, was die Pforte unfinnigerweile durch Vertreibung aller 
unverheiratbeten Griehen aus Stambul rächte 5), während 
eine lotte des Großherzogs von Toscana, Ferdinand L., unter 
dem Aomiral Orfino bei einer Kreuzfahrt im Archipelagus 
auh Chios angriff, dabei aber 500 Mann verlor und nur 
die gewaltiame Mißhandlung und Vertreibung der meiften 
Yateintihen Familien aus Chios durch die Türken veran- 
laßte 6). Spaniihe Schiffe wandten ſich dagegen 1601 gegen 
die Küften der Maina, eroberten Paſſava, und verheerten 
Kos”). 


1) Finlay, Greece under othoman and venetian domination, 
p. 104 800. 

2) Sathasl. c. p. 178. 

3) Hopf, Geſchichte der Inſel Andros, S. 130. 

4) Sathas p. 178 sg. 

5) Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 174. Finlay 
p. 106. 122. 

6) Finlay p. 90 sq. Sathas p. 184. 

7) Hopf, 8b. 86, &. 174. Finlay p. 122 sq. 











Griechenzlige ber Maltefer (1603—1620). Die Maniatn. 45 


Weitaus am confequenteften wurden bie griechtichen Küften 
durch die Maltejer angegriffen. Ein Geichwaber dieſer 
Ritter verheerte 1603 abermald das unglüdlihe Paträ und 
plünderte 1604 die von ihren Vorfahren jo lange bejefjene 
Inſel Kos. Während 1606 toskaniſche Schiffe bis nach Kypros 
vorbrangen , verheerten bie Maltefer 1609 die Küften von 
Raramanter, 1610 mit ficilianifchen und ſpaniſchen Schiffen 
Kos zum zweiten Male. Im Sabre 1611 aber griffen fie 
mit aller Macht Navarinon an; als das mißglüdte, erzwangen 
fie bei Kenchreä die Landung, eroberten Korinth und fchleppten 
500 Gefangene fort, während die Flotte von Toskana 1612 
die Citadelle von Kos erjtürmte und 1000 Gefangene machte ?). 
Und fo ſetzten fich dieſe und ähnliche Angriffe noch Lange fort, 
freifih ohne irgend welchen nachhaltigen militärifchen Vor- 
tbeil. Auch die kühne That der Maltefer im Jahre 1620, 
die Erftürmung der moreotiihen Feſtung Caſtel Torneie 
(2b. I, ©. 128), erzielte nur die Zerjtörung einer Maffe 
bier aufgehäuften türkiichen Kriegsmaterials ?). 

Die beftändigen Bewegungen chriftlicher Schiffe an ven 
Küften des Peloponnes und wiederholte Aufreizungen Seitens 
des Abendlandes hatten num aber allmählich auch die Eriegeriichen 
Bewohner des Taygetos, Die helleniſch⸗ſlawiſche Miſchbevölkerung, 
die jet immer ausfchliegliher Maniaten oder Mainotten 
genannt wurden, in Bewegung gebracht. Als nun gegen das 
Jahr 1612 ihnen befannt wurde, daß ein Ablömmling der 
Baläologen — Herzog Carlo I. Gonzaga von Never, ber 
von weiblicher Seite her von den Paläologen von Deontferrat 
abitammte — fih mit phantaftiichen Plänen auf das byzan⸗ 
tinifhe Reich trug, ſetzten fie fi mit ihm in Verbindung. 
Ungewarnt durch das Mißlingen eines völlig finnlojen Auf- 
ftandes, den 1611 ein [abgefegter] Biſchof Dionyfios von Zriffala 
mit Hirten und Bauern gegen die Zürfen in Joannina 
verſucht hatte, ſchickten der Biſchof Niketas von Zygos und 
mehrere mächtige Häuptlinge zwiſchen der Burg Mani und 

1) Hopf a. a. ©. Finlayp. 123 sq. Sathas p. 195 30. 

2) Hopf a. a. O. Finlay p. 111 sq. 127. Sathas p. 222. 





48 Buch I. Kap.I 4. Unruhige Bewegungen feit 1612 in der Maina. 


Ralamata einen Unterhändler an den Herzog nach Nom, und 
boten ihm (gegen Ende 1612) die Herrichaft über Morea an; 
fte ftelften nur die Bedingung, daß die griechiiche Religion im 
ihrem Lande unangetajtet bleiben follte. Nevers fuchte Aun 
bei der Eurie, in Florenz, in Frankreich, bet den Spaniern 
und Maltejern Gelb und Krieger für feine Pläne zu gewinnen, 
Er ſchickte den Herrn von Chatenu-Renault als feinen Agenten 
nad Morea und verſprach, mit 15,000 Mann zu kommen, 
wie auch Waffen für 20,000 Griechen mitzubringen. Er trat 
mit dem Biſchof Neophytos von Dani, mit dem Metropoliten. 
Chryſanthos Laskaris (jpäter mit Dionyfios) von Lakedämon, der 
auch in Nauplion Verbindungen batte, in lebhaften Brief- 
wechlel. Die Verſchwörung griff auch nach Albanien hinüber, 
gewann auch. bei Biihöfen und Häuptlingen der ſüdflawiſchen 
Provinzen der Pforte Boden. Geſchehen aber ift in 
Wahrheit nichts! Die Osmanen, die den Maniaten 
durchaus nicht trauten, ließen 1614 durch den Kapudan⸗Paſcha 
bie feften Pläge rings um deren Gebiet möglichit ſtark beſetzen 
und zwangen fie jeit diefer Zeit, den Kharadſch regelmäßig zu 
bezahlen. Die Verhandlungen aber mit Nevers dauerten noch 
längere Jahre fort. Briefwechſel mit jenen peloponnefiichen 
Biihöfen, ferner (1618) auch mit Metrophanes von Mionem- 
bafia und Gabriel von Naupaktos, Berechnungen aller Streit 
fräfte und Aufnahme ver eigenen Hilfsmittel der Griechen zur 
Defreiung des Landes, wiederholte Verfuche des Herzogs, fich 
in Europa Unterftügungen zu verichoffen, — damit jchleppte 
fih die Sache bis 1619 bin. AS endlich doch fünf von 
Nevers geſammelte Schiffe durch Brand zu Grunde gegangen 
waren, wurde die Sache bed Herzogs und der Maniaten um 
fo boffnungslofer, weil inzwifchen jener entjetliche deutſche 
Krieg ausgebrochen war, der für dreißig Sabre das Intereſſe 
des gefammten Abendlandes von der Peripherie Europa's nad 
deſſen in Blut und Flammen ſich ſelbſt zerfleiichenden Central⸗ 
ländern lenkte !). 


1) Sathas p. 196 — 222. Finlay p. 126 8q. 134. Hopf, 
Griechenl. im Mittelalter, Bd. 86, S. 174. 





Die Sphakioten auf Kreta. 4 


Über den großen Kämpfen zwifchen der römiſchen umb ver 
proteſtantiſchen Welt auf dem ungeheuren Kriegsichauplage 
zwiihen Dorpat und Dijon, zwiſchen Straljund und dem 
Beltlin ift die griechiiche Welt in Europa für lange vergeffen 
worden. Exit mit dem Sommer 1645, wo die Pforte ihre 
Hand nach Venedigs letzter Beſitzung, nach Kreta ausftredte, 
wurde mit Einem Male wieder das Intereffe des Abenblandes 
energiih für das wilde Treiben auf einer fernen griechiichen 
Inſel erweckt. 

Seit den Zeiten des Khaireddin Barbaroſſa hatte Venedig 
vie herrliche Inſel Kreta von den Osmanen int Ganzen 
ungeftört behauptet. Die Geſchichte dieſes Landes während bes 
ſechs zehnten Jahrhunderts bewegte fich bauptjächlich in zwei 
Richtungen. Es kommen einerfeits in Betracht die grauenhaften 
Kämpfe ver Republik mit dem troßigen Reſte unabhängiger 
Griechen, darunter die Sphafioten, andererjeit8 die energifchen 
Berfuche eines großen Staatsmannes, die venetianifche Ver- 
waltung auf ver Infel von Grund aus zu veformiren. In 
erfter Hinficht beginnen ſeit Beginn des ſechszehnten 
Jahrhunderts die Sphakioten eine ähnliche Rolle zu ſpielen 
und zwar bis auf den heutigen Tag, wie ım Peloponnes die 
Mainstten bis zu der fefteren Begründung des neugriechiichen 
Königreiches. Unter allen griechtiichen Kretern hatten ihren 
notionalen Charakter am reiniten erhalten die Bewohner des 
ſüdweſilichſten Theiles ver Imjel, die tapferen und räuberiichen 
Gebirgsbewohner der unzugänglichen Höhen und ver füblichen 
Abhänge der „Weißen Berge‘, des Gebietes ſüdlich von Karen 
und ber berühmten Hochebene von Omalo. Die Sphaftoten, 
die Bewohner des Gebirgsdiſtriktes von Sphakia, der feinen 
Namen von einer Stadt und Burg an der Südlhüſte führte, 
Ihöne, Eriegerifche, tapfere Griechen, galten wie die alten Kreter 
noch immer als tüchtige Bogenſchützen und wußten jchon jeßt 
auch das Teuergewehr mit vielem Geſchick zu gebrauchen. 
Berühmt war die Gewanbtheit, mit welcher Männer, Weiber 
und Kinder die fteilften Berge zu erflettern verjtanden. In 
Haltung, Tracht und Waffen von den übrigen Bewohnern ver 








48 Bud I. Kap. I. 4. Die Sphakioten. 


Inſel verſchieden, pflegten fie beftänbig bewaffnet zu geben. 
Bart und Haupthaar wurben lang getragen. Die Kleidung 
beftand in einem weiten Kamijol, welches vorn und hinten 
nachläſſig herabhing, und in großen, weit hinauf reichenven 
Stiefeln, die mit Riemen an dem Gürtel befeftigt waren und 
niemals abgelegt wurden. ALS Waffen führten fie vorn im 
Gürtel einen Tangen Dolch; an der einen Seite nach griechiicher 
Weile ein kurzes Schwert, an der anderen einen Köcher mit 
Pfeilen, und auf der Schulter den Bogen. Diefe rauhen 
Gebirgshirten, die mit Vorliebe bei ihren Heerden in Höhlen 
und Feljenklüften fchliefen, waren indeſſen bei aller Rohheit 
doch in der Hauptiache fügfam, wenn man fie zu leiten und 
zu behandeln verftand, und jobald fie nicht durch übertrichene 
Forderungen Seitens der Venetianer oder burch Fehden ver 
Archonten gereizt wurben !).. Ihre Neigung zu abgefchloffener 
Selbftändigfeit und Unabhängigkeit und ihr Widerwille gegen 
bie hohe venetianifche Befteuerung hatte es aber dahin geführt, 
daß zu Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts, als die durch 
die bamaligen Fehden mit der Pforte beichäftigten Machtmittel 
ber Republik auf Kreta zeitweile jchwächer waren, die Griechen 
von Spakia, Selinos und Rhiza (mit dem Gebiete bie 
hinab in die Ebene von Kanea) fich verbanven und in trosiger 
Unabhängigkeit nur noch griechiihen Archonten, nicht mehr 
unmittelbaren venetianifchen Beamten gehorchen wollten. An 
bie Spige ftellten fie die mächtigen Häuptlinge Pateropulis von 
Sphakia und namentlih den Georg Gadhanole von 
Kruftogherafo, welcher lettere das Volk gegenüber ver Nepublil 
vertrat. 

Die DVenetianer ertrugen diejen Stand der Dinge aber 
nur mit Unwillen und waren fehr darauf aus, dieſe neue 
Selbftänbigfeit wieder zu Iniden. As nun (die Chronologie 


1) Zinteifen, Geſchichte des osmaniſchen Neiches in Europa, 
Thl. IV, ©. 644ff. Burfian, Geographie von Griechenland, Bd. I, 
©. 538f. 548. Bernhard Schmidt, Das Voltsleben d. Neugrieden, 
Thl. I, ©. 10 u. 14. 


Benedig und die Sphalioten. 4 


iſt nicht ſicher zu ermitteln *)) nad einiger Zeit Georg 
Gadhanole für feinen Sohn Petros bei dem Venetianer 
Francesco Molini zu Alikianu bei Kanea um die Hand 
feiner jchönen Tochter warb, jo wurbe bieje Bitte freilich 
bewilligt. Molini aber und die Benetianer in Kanea benutzten 
mit tückiſcher Lift Die Hochzeitsfeier, um mit 1700 Mann und 
150 Reitern die Gadhanoles, die mit 350 Genoſſen umd 
100 Frauen erjchienen waren, als Alles beranicht dalag, 
gefangen zu nehmen. Die Gadhanoles und bie angejehenften 
ihrer Genoffen wurden aufgelnüpft, die übrigen Griechen in 
vier Haufen getheilt und zu Kanea, Apoforone, Theriſo und 
Kruſtogherako aufgehangen, letzteres zeritört, dann aber das 
Schreckensſyſtem fortgeſetzt. Denn nunmehr erſchien in Lanea 
der venetianiſche Proveditore Cavalli mit greulichen Blutauf⸗ 
trägen. Eine Anzahl angeſehener griechiſcher Familien, die ſich 
in Fotigniaco bei Murnies, etwa 14 Stunde von Kaneq, 
veriammelt hatten, wurden verhaftet. Die Ortichaft wurbe 
zerſtört; daun find zwölf angelebene Griechen aufgelnüpft 
worden, während mar vier Damen, bie guter Hoffnung waren, 
vor allem Volke mit großen Meffern die Frucht aus dem 
Leibe ſchnitt. Als dieſe viehifche Scheußlichkeit Taltblütig voll- 
zogen war, wurde verlündigt, „ſo werde e8 allen ergeben, bie 
nicht der Mepublif Venedig geborchen wollten; ansrotten werde 
mon fie bis auf die Kinder im Leibe der Mutter!” Die 
übrigen Gefangenen wurben nad Kanea getrieben, mo man 
fie theils töbtete, theils in die Sklaverei führte. ‘Dann aber 
drangen die venetianiichen Soldaten jengend und brennend 
gegen die Sphakia vor, fo weit es möglich war. ‘Die noch 
vorhandenen Häuptlingsfamilien wurben für vogelfrei erflärt, 


1) Nach Pashley, Travels in Crete, T. I, p. 150sqq. ®gl. Finlay 
l. c. p. 100 sqq. und v. Löher, Kretifhe Geflade, S. 100-105. Es 
IR möglich und nicht unwahrſcheinlich, daß bie Gewalttaten des Cavalli, 
deren Paſhley hernach gebentt, mit denen (f. unten) des Jahres 1571 
ibentifch find. Zinkeiſen a. a. O. S. 540f. 

Hergberg, Geſchichte Griechenlands. III. 4 





50 Buch J. Rap. 1. 4. Koßcarini’s Reformen auf Kreta (1574—1577). 


ihr Eigenthum für verfallen. Wahrhaft infam aber mir es, 
daß die Republik — der fchlechteften Frevel römifcher Trium⸗ 
virn nicht unwerth — jedem verfehmten Griechen Parbon bot, 
wenn er nah Kanea komme und das Haupt feines Waters, 
Bruders, Better oder Neffen bringe! Nur der Mord des 
Sohnes wurde nicht verlangt. 

Mochte nun auch immerhin die Verwaltung des ruhigen 
Thetles der Infel Kreta verjtändig und ergiebig fein, fo fällt 
Doch durch die Anwendung folcher Mittel, wie wir fie eben 
tennen lernten, ein wahrhaft abjcheuliches Licht auf die Politik 
der Venetianer. Natürlich blieb bei den unterdrückten Griechen 
ingrimmiger Haß zurüd, und die Vertheidigung der Infel gegen 
gelegentliche Angriffe der Osmanen oder auch nur mohamme- 
daniicher Corſaren wurbe immer fchwierig, jobald die venetia- 
nischen Behörden auf Kreta einmal nur auf ihre eigenen Kräfte 
und auf Die ziweidentige Hilfe einheimiſcher Milizen angewieſen 
waren. Hatte die Republik ſich enblih 1562 entichloffen, in 
den kretiſchen Gewäſſern ein ftarfes Geſchwader dauernd zu 
erhalten, jo gab ver Verſuch, die griehifhen Bauern 
während des Krieges in Kypros (S. 34) zum Galeerendienit 
zu zwingen, ben‘ Anftoß zu Aufſtänden bei Rethimo und 
in ber Sphakia, die um fo gefährlicher wurden, weil bie 
Meuterer bereits baran dachten, fich mit der Pforte in Ver⸗ 
bindung zu fegen. Noch gelang e8 1571, dieſe Bewegungen 
mit furchtbarer Härte zu dämpfen. Aber der Berluft von 
Kypros, die Nothiwendigfeit, nun Kreta unter allen Umftänden 
zu behaupten, bewog jetzt den Senat von Venedig, den viel. 
bewährten Giacomo Foscarini als General- Provebitore 
des SKönigreiches Candia mit ausgevehnten Vollmachten zu 
umfafjenden Reformen nad Kreta zu ſchicken. Diefer 
ausgezeichnete Mann, ber feine Aufgabe mit großem Sinne 
und in Tiberalem Geifte in Angriff nahm, verjuchte num 
(1574— 1577) namentlich Y) eine den veränderten Zeit 
umftänden entfprechende Umgeftaltung des Lehensweſens, bie 


1) gl. Zinkeiſen a. a. 0. ©. 629723. 


Foscarini's Neformen auf Kreta (1574—1577). bi 


Herftellung eines Heerbannes, die neue NRegulirung des DVer- 
hältniſſes aller Stände ber Inſel, die Beſchützung des 
griehifchen Volkes gegen die Übergriffe der Feudalherren 
und der Beamten, und die veritändige Hebung ber öffentlichen 
Einkünfte der Inſel. Foscarini wußte namentlich durch vers 
ftändige Behandlung die Sphakioten zu verjühnen und 
mit ifmen (22. September 1575) einen Vertrag abzufchließen, 
in Folge deſſen die Sphakia feitbem einer ber ruhigſten 
Bezirke der Inſel blieb. Die ftolgen, fchänen, hochgewachſenen 
Sphafioten find jeit Diefer Zeit ein bevorzugtes Glied des 
Inſelvolkes geblieben. Sie haben auch fpäter fich niemals 
mit den Osmanen vermilcht, ja felbft den Verkehr mit den 
Städten gemieven. Ihre Töchter verbeiratbeten fie wohl an 
Griechen des Niederlandes, Titten aber nicht, daß ein Nieder⸗ 
länder fich bei ihnen einheirathete. So tft e8 geſchehen, daß noch 
beute ihr Stamm durch blondes Haar, blaue Augen und 
blühende Gefichtsfarbe fich auszeichnet, wogegen bei ben übrigen 
Kretern die braune Farbe mehr oder weniger vorberricht ?). 
Biel fchwieriger war e8 für Foscarini, die Zuftände des 
Adels zu reformiren, welcher übrigens einerfeitS nicht nur 
eine Menge geborener Griechen in feiner Mitte zählte, ſondern 
auch andererſeits faft völfig gräciſirt war, griechiiche Sprache, 
Sitte, Brauch, und auf dem Lande vielfach auch die griechiiche 
Religion angenommen Hatte, dabei in zahlreichen Fällen 
in Dürftigfeit und Unbildung verfunfen war. In der Haupt» 
ſache hat Foscarini freilich nicht viel ausrichten können. Bei 
allem Wohlmwollen (das ſich nur den von ihm tödtlich verab- 
ſcheuten Juden verfchloß), bei der entichievenften Neigung, das 
bochbegabte griechifche Element auf der herrlichen Inſel zu 
beben, beſſer zu ftellen und dadurch der Republif zu fichern, 
dabet auch die Wehrkraft, namentlich ber bominirenden 
ttafienifchen und griechiichen Klaffen neu zu orbnen und zu 
ftärten, mußte er Doch das Meifte ver Zukunft überlafien. 
Und fo beliebt er fich perſönlich auch gemacht hatte, jo konnten 


1) DH. B. Schmidt a. a. O. ©. 14. 
4 * 


52 Buch J. Kap. IL 4. Koscarini’s Reformen auf Kreta (1674—1577). 


doch feine Reformen nach jeiner Rückkehr aus Kreta nach 
Venedig nur zum MHeinften Theile fich behaupten. Schon zehn 
Sabre fpäter fühlte fih das griechiiche Landvolk von dem 
Yateinifchen Adel und den Beamten wieder ſchwer gebrüdt, bie 
Unordnung in der Verwaltung war jchlimm, und der griechiiche 
Klerus fehürte den Haß des Landvolkes gegen die Venetianer: 
die Stimmung reifte bier immer mehr einer Sehnſucht nach deut 
osmanischen Zoch entgegen. Die Auswanderung nach Stambul 
nahm eine unerhörte Ausdehnung an. Belt (1593), Erdbeben 
(wie namentlich 1595), Hungersnoth (wie 1596) und bleibenver 
Drud der Steuern wirkten in dieſer Richtung nicht minder 
zerftörend. Kreta Hatte noch um die Mitte des jechszehnten 
Jahrhunderts 271,489, noch zu Foscarini's Seit 219,000 
Einwohner gehabt; 1627 war ihre Zahl ſchon bis auf 192,728 
geſunken. Die Lage der Infel war überhaupt nicht jehr günftig, 
als die Pforte den vierundzwanzigjährigen Krieg um Kreta 
1645 jäh und überrafchend begann. 

Der Friede, ven Venedig auch mit den Sultanen Muftapba I. 
(1622—1623) und Murad IV. (1623—1640) erhalten hatte, 
wurbe durch Ibrahim (1640—1648) endlich wieber gebrochen. 
Der Kapudan⸗Paſcha Juſſuf, ein balmatinifcher Renegat, welcher 
die Republit glühend haßte, gewann den ſchwachen Sultan 
für den Gedanken, wegen eines Zujammenftoßes zwiſchen 
venetianiichen Schiffen (1639) und muhammebaniichen Corſaren 
in der Aria an der Republif Race zu nehmen. . Schon 
wurden Rüftungen angejtellt, als ein Zwiſchenfall ven Krieg 
jäh entzündet... Maltefifche Kreuzer hatten im September 
1644 bei Karpathos ein mit Mella-Pilgern beſetztes türkiſches 
Geſchwader, dabei mehrere vornehme osmaniſche Familien, wie 
auch der Kislneraga des Seraild und die Amme von Ibrahims 
Sohne, gekapert und ihre Beute in dem kretiſchen Hafen von 
Kalismene oder Kalolimunton geborgen. Der Kislaeraga war 
felbft im Kampfe gefallen. Jetzt richtete ſich des Sultans 
voller Zorn auf Venedig, welches leichter zu beichäbigen 
war, als das gefürchtete Malte. Im Divan wurde Kreta 
nun noch heftiger als bisher als Rückzugsplatz aller chriftlichen 


Krieg zwifchen ber Pforte und Venedig um Kreta feit 1645. 58 " 


Corſaren und aller griechiichen Flüchtlinge aus den Provinzen der 
pforte bezeichnet, die Eriftenz der Venetianer auf Kreta als 
eme Schmach für die Pforte beNagt. Unb während kolofſale 
Rüftungen getroffen wurden, juchte man die Republik durch 
das Vorgeben zu täufchen, baß der drohende Krieg den Mal⸗ 
tefern gelten Tolle. Venedig aber, obwohl e8 die Gefahr 
Iommen jab, war doch zunächſt nur auf feine eigenen Kräfte 
und Nüftungen angewieſen. So Tonnte denn der Kapudan⸗ 
Paſcha am 30. April 1645 ungehindert aus den Dardanellen 
auslaufen, feine Flottenjolvaten bei Chios und Karyſtos ſam⸗ 
mein, zu Thermiſi in Argolis neue Yandungstruppen an Bord 
nehmen, endlich zur Vollendung der Ausrüftung nach Navarinon 
jegeln. Nun erſt (1. Juni) erfolgten feinpfelige Alte Seitens 
der Pforte gegen Venedig, und bald erfchten die türkiſche 
Flotte ımter Juſſuf⸗Paſcha, 84 große und viele Heinere Schiffe 
mit 80,000 Mam, vor Kreta, um bei Cap Spaba am 
23. Juni anzulegen und am anderen Tage in der Nähe von 
Ranen die Armee auszufchiifen. Da die Hauptmaſſe der 
venetiantichen Flotte unter Francesco Molino und Girolamıo 
Morofini noch bei Korfu lag, ver General» Provebitore 
Andrea Eornaro aber auf Kreta nur über 3500 Mann 
und. 200 Pferde verfügte, die Lebensreiterei und Landmiliz 
höchft unzuverläfiig, die Stimmung der meiften Grieden 
aber der Republik entichieven abgeneigt war, fo konnten bie 
Osmanen fofort Kanea mit aller Macht belagern. Die 
venetianifche Flotte eroberte freilich bald nachher Paträ mit 
Ausnahme der Burg, plünverte und zerftörte die Stabt. 
Aber Kanen, wo fich der trefflihe Provebitore Antonio 
Ravagiero ausgezeichnet tüchtig ſchlug, mußte — da bie 
tapferen Mantaten des Tayhgetos, vie ſich zur Hilfe er» 
boten, keine Schiffe zur Überfahrt Hatten — am 19. Auguft 
ehrenvoll Tapituliren. Die Türken hatten 30,000 Mann ver- 
Ioren. , 
Juſſuf⸗Paſcha verwandelte fofort die drei Hauptlirchen von 
Kanea in Mofcheen. Als er aber nah Stambul zurüdfehrte, 
wußten ihn feine Gegner auf Grund feiner enormen Berlufte 


54 Bud I. Kap. I 4. Das Kriegsjahr 1646. 


und der für Venedig ‚viel zu günftigen‘‘ Kapitulation, bie er 
bewilligt, zu ſtürzen; ja ber erbitterte Sultan ließ ihm im 
vollen Zorne im Januar 1646 enthaupten. Nur daß 
Ibrahim, den namentlih die Zerjtörung von Paträ empört 
batte, vom Frieden mit Venedig nun erft recht nichts hören 
wollte. Zunächſt immer nur durch die fleineren Staaten 
Italiens unterftügt, und darauf bingewiefen, mit allen nur 
mögligen Mitteln Geld zu machen, Schiffe und Truppen in 
Tranfreih, Holland und Deutichland zu mietben, mußte 
Venedig mit alter Zähigkeit den Krieg fortiegen, der all- 
mählich auch über den Archipelagus und Dalmatien fich auß- 
breitete. Die Sache jtellte fih dann jo, daß die venetianifche 
Flagge zur See allerdings in der Hegel das Übergewicht 
behauptete, während zu Lande die Osmanen es davontrugen. 
Auf Kreta machte es fich gar ſehr bemerkbar, wie leicht hier 
die griechiſchen Bauern für die Pforte zu gewinnen waren. 
Hatten die Fretifchen Auswanderer in. Stambul die Osmanen 
ausreichend über die Lage der Dinge auf der Infel und in 
deren feften Plägen unterrichtet, jo wurde ed während bed 
langen Krieges auf Kreta den osmaniſchen Heerführern gar 
nicht ſchwer, die griechtifchen Bauern, denen fie ihre Produkte 
für die Armee abfauften, zur ruhigen Fortſetzung ihrer länd—⸗ 
lichen Arbeiten zu veranlaffen. So wurde es möglich, daß bie 
Osmanen, auch wenn fie durch die venettaniiche Flotte oder 
burch den Winter wiederholt Monate lang von der Verbindung 
mit Stambul abgefchnitten waren, aus ber Inſel ſelbſt die 
Mittel zu ihrem Unterhalte ziehen konnten. Die Hauptmomente 
bes langen Krieges um den Beſitz der Infel Kreta, foweit 
derielbe für unſere Darftellung in Betracht kommt, find 
nun biefe. Während es im Laufe des Jahres 1646 ben 
Venetianern nirgends gelang, ihren Gegnern erheblichen Ab⸗ 
bruch zu thun, und die rohe Plünderung der Inſeln Parog, 
Milo und Sifanto fogar die Griechen des Archipels Bitter 
gegen die Republik verftimmte, nahm Huſſein-Paſcha am 
20. Oktober die Stadt Rethimo mit Sturm. Cornaro 
und der Broveditore Molino fanden dabei ven Tod. Die 


Die Kriegsjahre 1647 bis 1651. 55 


Citadelle mußte am 10. November Tapituliren. Ein glänzender 
Serfieg bei Porto Raphti an der attiichen Küfte (27. Januar 
1647), bei welchem leider Tommaſo Moroſini fiel, und fehr 
erhebliche Vortheile der Venetianer in Dalmatien in dieſem 
und dem folgenden Sabre hinverten nun allervings nicht, daß 
der energiihe Huſſein-Paſcha 1647 die kretiſche Meffaren 
eroberte und die Blokade der Hauptſtadt Candia begann, 
während dann auch der größere Theil des Oftens von den 
Osmanen olfupirt wurde. Um die Stabt Candia drehte fich 
jeitvem der große Kampf hauptjächlih. Der treffliche General- 
kapitän Battifta Grimant, der 1647 das ägäiſche Meer völlig 
beberricht Hatte, fand leider (21. Mär; 1648) durch einen 
furhtbaren Orkan mit vielen Schiffen bei Pſara feinen Unter- 
gang; aber Leonardo Mocenigo erjegte ihn würdig, und vers 
theidigte im Frühjahr und Sommer 1648 die Stadt Candia 
gegen die energilchen Angriffe der Osmanen mit Xöwenmuth 
und jo glüclichem Erfolge, daß Hufjein endlich im November 
fh nach Rethimo zurüdziehen mußte. 

Die Revolution in Stambul, durch welche im Auguft 
1648 der Sultan Ibrahim aus dem Wege geräumt und jein 
fiebenjähriger Sohn Mohammed IV. (1648— 1687) auf 
den Thron erhoben worden war, führte jedoch nicht zu bem 
unter folchen Umjtänden in Venedig erwarteten und erjtrebten 
Frieden. Die Staatsmänner der Pforte beitanvden auf Ab- 
tretung ber gelammten Inſel Kreta und jetten daher ben 
Krieg um fo Tieber fort, weil fie bofften, Durch kriegeriſche 
Erfolge das Volf der Hauptſtadt mit ihrer Herrichaft aus- 
zuſöhnen. Zunächſt aber machten die türfiihen Waffen feine 
Hortfchritte. Die Osmanen auf Kreta rüdten in ihren An- 
griffen auf Kreta feinen Schritt vorwärts, und zur See 
behaupteten die Venetianer entichieven die Oberhand, freilich 
ohne die Zuführung friiher Truppen aus Stambul nach Kreta 
dauernd verhindern zu können. Vor Allem glänzend war ver 
Serfieg, den Mocenigo am 10. Suli 1651 zwiſchen Paros 
und Naxos über bie Flotte des Kapudan⸗Paſcha Hojambegiade 
At davontrug. Nachher fchleppte ſich bei der verworrenen 








36 Buch L Rap. I. 4. Die Kriegsjahre 1651 bis 1660. 


Lage in Stambul und bei der Erſchöpfung der Republif ver 
Krieg noch mehrere Jahre ohne größere Ergebniffe Hin. Nur 
daß die griechiichen Inſeln und Küften ver Pforte vielfach von 
ven Venetianern ausgeraubt, auf des Huffeln klugen, durch 
die kretiſche Geiſtlichkeit infpirirten Rath dagegen Seitens der 
Pforte den Kretern ein eigener Metropolit" mit fieben 
Suffraganen (1653) beiwilligt wurde. Als nachher der -vene- 
tianifche Generalfapitän Lorenzo Marcello im Juni 1656 
mit feinem Tode einen großartigen Seefteg in den Darbanellen 
erkauft Batte, der zunäcit zur Eroberung von Tenedos umd 
Lemnos führte, erhob der junge Sultan ven genialen Albanefen 
Mohammed Kdprili (15. September 1656) zum Groß- 
weifir, der nun eine Reihe großer Minifter eröffnete und bald 
genug im Stande war, bei den Osmanen den alten Triegeriichen 
Geiſt, Nationalgefühl und fanatifches Ungeftüm wieder zu er- 
wecken, durch Träftige Reformen in der Verwaltung, im Heer- 
und Seeweſen neue Ordnung berzuftellen und ven Vene» 
tianern jchwere Gefahren zu bereiten, obwohl nun allmählich 
Seitens des Abendlarives der Republik erhebliche Hilfe geleiftet 
wurde. Freilich konnte Lazaro Mocenigo eine neue türkifche 
Slotte unter Topal-Mohammed 1657 anfangs noch einige 
Zeit aufhalten; aber fein Tod in einem Gefechte in ben 
Dardanellen führte noch in demielben Jahre zu dem PVerlufte 
von Tenedos und Lemnos. Und nun nahm für längere Zeit 
die venetianiiche Kriegführung wieder einen nur befenfiven, 
weſentlich unentichloffenen Charakter an, während an Stelle 
des tapferen Huffen nunmehr Muſtafa⸗Paſcha vor Candia 
erichten. Die Plünderung der Infel Pathmos durch vene- 
tianiſche Kriegsichiffe (1659) verdarb den Ruf ihrer Flagge, 
die Beſetzung mehrerer Injeln, wie Naxos und Paros, war 
ohne beveutende Folgen, und ein noch vor Ablauf deſſelben 
Jahres duch Mazarin geſchicktes franzöftiiches Hilfskorps unter 
Almerico d'Eſte und Gremonville leiſtete jo wenig Erfolg⸗ 
reiches, daß (1660) ihr Abzug wie eine Erleichterung erfchien. 
Die Eroberung von Skiathos durch die Flotte hatte natürkich 
nur wenig zu bebeuten. 








Ahmed Köprili. Der Kampf um Candia feit 1666. 57 


Lähmte nun für die nächlten Jahre der gleichzeitige Krieg 
ber Pforte mit Ungarn und Öſterreich die Energie ber 
Osmanen in dem fretifchen Kriege, fo gelang es doch auch der 
Republik trog aller Anftrengungen nicht, in Stambul einen 
für fie annehmbaren Frieden zu erzielen. Und als erft bie 
Pforte (1664) mit Öfterreich Waffenftiliftand geichloffen Katie, 
deingte der Sultan, deſſen Lieblingsgattin, die Mutter Teine® 
erftgeborenen Sohnes, eine Griechin aus Rethimo war, feinen 
Großweſſir Ahmed Köprili, Candia um jeden Preis zu 
nehmen. ‘Daber wurden während Des Jahres 1665 enorme 
Rftungen angeftellt, von Smyrna, Salonichi, Negroponte und 
namentlich) von Moren aus Truppen und Kriegsmaterial in 
Maifen nach der Inſel geführt. Und im November 1666 
erihien der Großweſſir jelbft von Zeitun aus vor Candia. 
Nun that freilich and Pabft Clemens IX. Alles, um Venedig 
Hife zu Schaffen. Aus Frankreich kamen Subfibien und Frei⸗ 
willige; aber eine Rettung war micht mehr zu erzielen. 
Allerdings geftaltete fich der legte Kampf um Candia zu 
einem wahrhaft großartigen Belagerungsfriege. Der franzöfiiche 
Seneral Marquis de Bille, ein Ablömmling der alten Ville 
hardonins, den die. Republik feit 1665 an die Spike ihrer 
Truppen geftellt hatte, war zwar ſehr tüchtig, mußte fich aber 
doch Ichon im Frühjahr 1666 Hinter die Wälle von Candia 
zurückziehen. Hier num bat er neben dem Generalproveditore 
Antonio Barbaro (jeit Anfang 1668 durch Bernardo Nat 
eriegt) und dem Generalfapitän Francesco Morofint feit 
Ende Mai 1667 gegen bie 70,000 Dann des Großweifirg 
belvenmelithig gefochten. Als de Ville dann im Mat 1668 
die Inſel verließ, trat der Hugenotte St. Andre de Montbrun 
an feine Stelle, dem Latterino Cornaro als Generals 
Provebitore zur Seite jtand. Aber die Zahl der Vertheibiger 
ſchwand immer mehr dahin, obwohl von Zeit zu Zeit neue 
franzöſiſche Freiſchaaren eintrafen. Als endlich am 12. Mai 
1669 unter Joſias von Walded 3300 Braunfchweiger und 
Lüneburger landeten, und Zubwig XIV. im Juni 1669 etwa 
8000 Mann unter dem Herzöge von Navailles und dem 


58 Buch I Kap. I 4A. Kreta 1669 am die Pforte abgetreten. 


Herzoge von Beaufort nach Candia abſchickte, war e8 zu fpät. 
Die Osmanen batten Candia durch ihr Geſchütz bereits in 
einen Steinhaufen verwandelt. Catterino Cornaro war im 
Mai gefallen. Der Herzog von Beaufort, der am 19. Juni 
landete, fand amt 25. Juni bei einem Ausfalle den Tor. 
Navailles wurde am 25. Juli geichlagen und verlieh am 
20. Auguft Candia, wo Graf Waldeck am 8. Auguft bereits 
gefallen war. Mit nur noch 4000 Mann ſchlug Morofini 
noch einmal am 24. Auguft einen furchtbaren Angriff ver 
Osmanen zurüd. Die Feftung war aber nunmehr in foldhem 
Zuftande, daß Morofint fihb am 27. Auguft entichloß, mit 
dem Großweſſir Frieden zu machen. Am 6. September 
1669 kam der Vertrag zu Stande, vermöge deſſen bie 
Venetianer nun endlih Candia räumten (27. September). 
Die Republif trat Kreta an die Pforte ab, behielt 
nur die Plätze Suda, Spinalonge, Karabuja, die Inſeln 
Tinos und Mykonos, wie auch ihre neuen dalmatinifchen 
Eroberungen. Ebenſo natürlich. die ioniſchen Inſeln; für 
Zante blieb der alte Tribut an die Pforte, jest euphemiſtiſch 
„Penſion“ genannt, beftehen. ALS Tojtbare Reliquie hatten 
bie aus Candia abziehenden Venetianer Das Haupt bes heiligen 
Titus nach den Lagunen mitgenommen }). 

Damit waren, bie wenigen noch im Befige der Republik 
befinplichen griechiichen Eilande ausgenommen, die legten 
Reſte der politifhen Schöpfungen des lateiniſchen 
Kreuzzuges ausgetilgt, zugleich auch mit Ausnahme eben 
biefer venetianifchen Infeln und der Abkömmlinge der Griechen 
in Unter - Italien, die gefammte griechiſche Nation 
unter der Herrſchaft der Pforte zufammengefaßt. 
Die Pforte vernollftändigte ihren Sieg nach dieſer Richtung, 
indem fie noch im Jahre 1670 auch die Maniaten über 
wältigte. Dieſe tapferen Bergbewohner hatten während des 
fretiichen Krieges fich wieder völlig unabhängig gemacht, ven 


1) Bgl. Zinteifen a.a.O. S.730—1000. Finlay l.c. p. 127sqg. 
Sathas.l. c. p. 222—300. 





Ahmed Köprili unterwirft 1670 bie Maniaten. 59 


Denetianern vielfeitige Hilfe geleiftet, dabei auch Kalamata 
geplündert, und namentlich als Gorfaren fi den Osmanen 
ſehr läftig gemacht. Ein Verſuch, fie 1667 zu bänbigen, war 
mißglüdt. Nun griff Ahmed Köprili zu Fräftigeren Maß—⸗ 
regeln. Einerſeits wußte er fich der wilden Parteiungen unter 
den mächtigen Häuptlingen der Maina mit Glück zu feinem 
Vortbeile zu bedienen. Im jener Zeit vangen namentlich zwei 
mächtige, zu Vitylos angejeffene Clans in dieſem Hochlande 
um die Hegemonie, die Stephanopuli und die Jaträer 
(oder Medici). Ein Verwandter viejes leteren Clans, Liberios 
oder Liberaki Geratihari, war durch den Michael 
Kemithais, der zu den Stephanopuli gehörte, feiner Braut 
(einer Tochter des Giacomo Yatros) beraubt worden. Seit 
dem beftand erbitterte Fehde zwiichen beiden Clans. Inzwiſchen 
fiel Liberaki als Corſar in die Hände der Osmanen, die ibn 
für Yängere Zeit zum Galeerenſklaven machten. Jetzt aber 
gab ihm der Großweſſir frei und gewann ihn für das Intereſſe 
der Pforte. Mit reichen Mitteln ausgeſtattet, kehrte Liberaki 
nah feiner Heimath zurüd und zog durch das Gold des 
Großweſſirs feinen Elan, mit dem er nun die Gegenpartei 
befehvete, auf die Seite der Osmanen, deren Agenten außer- 
dem den Maniaten das Recht, fich der Kirchengloden bevienen 
zu dürfen, Befreiung von dem Stnabenzins, Herabiegung bes 
Kharadſch auf die Hälfte, und Fernhaltung türkiicher Anfiepler 
von ihrem Lande verfprachen. ALS endlich Candia gefallen war, 
ſchickte Ahmed Köprili 1670 von Chios aus eine bejtimmte 
Aufforderung an die Maniaten. Sie follten Amneitie er- 
balten und nicht genöthigt fein, die bisher unbezahlten Kopf⸗ 
fteuern nachzultefeern: aber unterwerfen müßten fie fich auf 
jeven Fall. Dann aber erichien fein Feldherr Keſy⸗Ali⸗Paſcha 
mit einer ftarlen Zlotte und 6000 Mann, zeritörte die 
Piratenflotte der Maniaten von Porto Quaglio und Tzimove, 
und ſchickte fih an, mit ſyſtematiſcher Klugheit die geſammte 
Maina milttärifch zu umfchnüren. Das rauhe Gebiet der 
ſüdlichſten Maniaten, die Schluchten und Teljennefter von 
Kakobunia (ſpottweiſe Kakobulia genannt), das Gebiet jüblich 


60 Buch I Kap. J. 4. Ahmed Koprili unterwirft 1670 bie Maniaten. 


von Tzimova, Sollte nicht unmittelbar angegriffen werben. 
Hier begnügte fih der Paſcha, bei Porto Quaglio ein ort 
anzulegen. Dagegen wurden bie wohlhabenden und an Pro- 
dukten reichen nörblichen Kantone ver alten Ezeriten und 
Melinger , die fünöftliche Seite des Taygetos mit Maras 
thoniſi und Die Weftjeite zwifchen Tzimova und der meſſeniſchen 
Grene (Ero- Mani und Zarnata) feiter gefaßt. Die 
Osmanen beiegten die Häfen von Marathoniſi, Vithlos 
und Armyros, wie auch die Schlöffer Paffava, Kelepha um 
Zarnata, ohne fich jedoch auf Vorftöße in das Gebirge einzus 
lafien. Dabei kam dem Paſcha die Freundichaft mit Xiberali 
ſehr zu Statten, deſſen Elan zu Vitylos und auf anveten 
Punkten die Stephanopuli befehdete. Da der von der Pforte 
begehrte Kharadſch nur etwa die Höhe von 1500 Pfund St. 
betrug; da der Drud der Pforte nur leicht war, die osmaniſchen 
Kriegsichiffe zu Tzimova und Porto Quaglio dagegen bie 
mantatifchen Corjaren tm Zaume hielten, fo fügte fich das 
maniatifche Bolt zur Zeit in das ungewohnte Joch. Nur der 
Anhang des Clans der Stephanopuli, die ſich durch Liberaft 
zu bart verfolgt fanden, und ein Trupp anderer Maniaten 
309 e8 vor, jest die alte Heimath zu verlaſſen und nach dem 
Abendlande auszuwandern. War um 1672 eine große Schnar 
nah Apulien gezogen, fo verliefen am 3. Oftober 1673 
etwa 750 Berfonen des Clans der Stepkanopuli Vitylos, um 
fih nachher in Corſika anzufiedeln ?). 

Dei jolcher Lage der Dinge waren es demnädft nur noch 
einige tapfere Corfaren, welche den Seelrieg gegen die 
Pforte fortjegten. Abgeſehen von ven Sohannitern (von denen 
wir ©. 41 für das Jahr 1690 bei der Gefchichte von 
Naxos fpeziell den Raimond de Modene kennen Yernten), fo 
fommt bier zunächſt ein Savoyarde in Betracht, der Marquis 


1) Über die Maniaten fiehe jest Finlay 1. c. p. XI u. 134-138. 
Sathas 1. c. p. 307— 310 und Hopf, Griechenlanb im Mittelalter, 
Bd. 86, S. 185. Aus der älteren Literatur fiehe noch bie verftänbige 
Kritit verjchlebener Angaben aus dem 17. und 18. Jahrhundert bei 
Manio, Sparta, Bb. II, Thl. 2, &. 144. 148 ff. 162ff. 165. 168 ff. 





Fränkiſche Corjaren im ägätfcgen Meere feit 1673. 61 


be Fleury, der 1673 mit zwei Kriegsichiffen von Marfeille 
auszog, um Naxos zu erobern. Derielbe lag im Hafen von 
Paros und fnüpfte mit den Narioten heimliche Verbindungen 
an. Nun aber griffen die Venetianer gu, Die auf Grund des 
legten Friedens gegenüber der Pforte verpflichtet waren, Teine 
Piraten im Wrchipel zu dulden AS Fleury nun reine 
dreibenterei trieb, fiel er bei Paros in venetianiiche Hände, 
wurde in den Yagunen vor Gericht geftellt und entging nur 
buch die Verwendung des franzöfiichen Hofes einem ſchmäh⸗ 
lihen Tode ?). 

Nicht Lange nachher unternahm einen ähnlichen Ritterzug 
deu tapfere Provenpale Hugo de Ereveliers, „das Urbild 
von Byrons Corſar“. Diefer Ritter hatte fich feit ſeinem 
zwölften Sabre in der Levante beivegt, die Zuftände und die 
Menichen der griechiich- türkifchen Welt genau kennen gelernt. 
Hugo war mit dem maniatifchen Kapitän Liberaki 
in Verbindung gelommen, ver jeinerfeitS jet wieder ber 
türkiſchen Freundſchaft fatt war. Im Einverftändniffe mit 
diefem zweideutigen Mann jammelte er ein Geſchwader zur 
Befreiung der Griechen, lanbete in der Maina und begann 
bier eine der türkiichen Zeitungen zu belagern. Der Verſuch 
mißlang indeſſen, weil die Maniaten ſchließlich die Provencalen 
im Stiche ließen. Kapitän Liberaki, der ſeit dieſer Zeit 
abermals gegen die Osmanen als Pirat auftrat, fiel ſpäter 
in deren Hände und wurbe für längere Sabre wieder als Galeeren⸗ 
Have in dem Bagno von Stambul feitgebalten. Creveliers 
Dagegen wandte fi von Morea nah dem Archipelagus, 
eroberte Paros, machte e8 zu feinem Stanbquartiere und 
beherrſchte jeit 1676 das ägäiſche Meer. Zwanzig mit 
Italienern, Griechen und Slawen bemannte Schiffe ſtanden 
ihm zu Gebote, mit denen er Petra auf Lesbos eroberte, 
die Inſeln des Archipelagus und manche Küftenftäbte wie 
Megara brandfchagte oder fich tributär machte. Er fam aber 
völlig unerwartet im Hafen von Aſtypaläa um, als (1678) 


1) Enrtins, Naxos, S. 29. Hopf a. a. O. S. 177. 


62 Buch J. Kap. J. 4. Fränkiſche Eorfaren im ägäiſchen Meere feit 1673. 


einer feiner Diener aus Privatrache die Pulverfammer feines 
Slaggenichiffes atzündete ). Nuten Hatte den Griechen 
auch diefer Corjar nicht gebracht; denn die Inſelgriechen 
waren immer genöthigt, ſobald fremde Krieger, früher die 
Benetianer, jegt die Corjaren, bei ihnen feiten Fuß faßten und 
Gelder erhoben, auch noch den Tribut an die Pforte zu zahlen. 
Entweder nachträglich, wenn die Herrichaft der Pforte wieder 
befejtigt war, oder freiwillig, aus kluger Vorfiht und Ge 
jchmeibigfelt 2). ‘Der legte türkenfeindliche Corfar in dieſer Zeit 
war der Griehe Johannes Kapfi, der fih 1677 zum 
Gebieter der Inſel Milo (Melos) machte, aber fchon 1680 
gefangen genommen und vor dem Serail aufgefnüpft wurde®). 
Andererjeit8 war wieder während der zweiten Hälfte bes 
fiebzehnten Jahrhunderts Lepanto ein Sit gefürchteter 
mobammedanifcher Eorjaren. Damit erreichen wir aber bereits 
bie Zeit, wo die Republik der Lagunen ſich anſchickte, bie 
Waffen noch einmal und zwar flegreich gegen die Osmanen 
zu erheben. Scenen, zu deren Schilderung uns nun erft eine 
Überfiht über bie Lage der Griechen unter ber türkischen 
Herrichaft führen joll. 


V. 


Wir bemerkten ſeiner Zeit, daß ſeit der Eroberung von 
Adrianopel durch die Osmanen die Geſchichte der griechiſch⸗ 
fränkiſchen Staatenwelt bis zu deren vollſtändiger Verſchlingung 
durch die Politik der Pforte vielfache Analogien darbietet mit 
der Geſchichte der letzten ſelbſtändigen Hellenen ſeit ihrer erſten 
Berührung mit Rom bis zur Zerſtörung von Korinth durch 
Mummius. Aber auch die Geſchichte der griechiſchen 
Nation unter der Herrſchaft der Pforte, wenigſtens 


1) Curtius a. a. O. © 29 f. Hopf, Bd. 86, ©. 177. 
Sathas l. c. p. 310. Pinlay L. c. p. 124. 


2) Qgl. Pinlay L. c. p. 132. 
3) Hopf ©. 177. 








Lage der Griechen unter ber türkifchen Herrichaft. 63 


bi8 zu der demnächſt zu erzäblenvden Eroberung des geſammten 
Peloponnes durch die Venetianer, zeigt nicht geringe Ähnlichkeit 
mit jener der Hellenen unter der Hoheit der Römer, über» 
wiegend freilich nach den Schattenjeiten. Genau wie die Ge⸗ 
ihichte der Hellenen während des letzten Jahrhunderts der 
römiſchen Republik zu den bunfelften Blättern in den Annalen 
biefer Nation zählt, fo ift die Gefchichte des griechtichen Volkes 
jeit dem Auftreten des furchtbaren Sultans Mohammed TI. 
bi zum legten Drittel des fiebzehnten Jahrhunderts abermals 
ein düſteres Nachtgemälde, nur jelten durch einen Lichtbfik 
belebt. Man muß jedenfalls eine weltgefchichtliche Perfpektive 
von ungebeurer zeitlicher Entfernung nehmen, um fich zu ber 
Beobachtung zu erheben !), daß die Unterwerfung und Zus 
lammenfaffung der gefammten griediichen Nation (mit 
Ausnahme des ioniichen Splitters) unter osmaniſche Hoheit 
gewiffermaßen ven Griechen die Möglichkeit gerettet habe, als 
eine einheitliche Nation fich bis auf die Gegenwart zu erhalten. 
Richtig ift bet diefer Bemerkung allerdings Die Thatfache, daß 
bie allmähliche Vernichtung aller fränkiſchen Herrichaften auf 
dem Boden des alten Romanien die zertrümmerte griechifche 
Nation fehließlich wieder zu einer ungetheilten Mafje gemacht 
bat, die jeßt im ähnlicher Weiſe Durch die eiferne osmaniſche 
Umrahmung zujammengebalten wurde, wie feit ber Eroberung 
auch Vorderaſiens einft die alten Hellenen durch die römifche. 
Aber für die Beſeitigung der abendländiichen Fremdherrichaft 
und für das Aufhören der zerftörenden Fehden zwiſchen bern 
vielen griechiſch⸗fränkiſchen Klein- und Feudalſtaaten bat bie 
griechische Nation einen furchtbar fchweren Preis zu zahlen 
gehabt. Bon der Zeit Mohammeds II. bis zur Vertreibung 
der Venetianer aus Kreta iſt e8 den Griechen des Mittel- 
alters nicht To gut geworden, wie einft den befiegten Hellenen 
während der fünfundachtzig Jahre nach der Zerftörung Korinth 


1) Bol. die etwas optimiſtiſch gefärbte Auffafjung in dem Buche von 
Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlands feit 1453, 
Wl. J, ©. 2. 





64 Buch I. Kap. J. 5. Lage ber Griechen umter türkiſcher Herrfchaft. 


und wieder von der Schlacht bet Aktium bis zu den Gothen⸗ 
kriegen bes dritten Jahrhunderts. Unſere bisherige Darftellung 
bat überreichlich zu zeigen gehabt, daß auch die Unterwerfung 
unter die Herrichaft des Halbmondes der aus taufend Wunden 
biutenden griechiſchen Nation feine Ruhe, keinen Frieden 
gebracht bat. Ihr Schidial während der langen bistig Dunklen 
Nothzeit feit dem Falle von Conſtantinopel und feit der Zer⸗ 
malmung ver Moreoten und Negropontiner durch Mohammed IL. 
bis zum Abzug Moroſini's aus den Ruinen von Candia war 
baffelbe, wie einſt jenes der Hellenen in ber Schreckenszeit 
von dem Blutvergießen des großen Mithridates bis zur Zer⸗ 
itampfung des Peloponnes durch Marcus Antonius vor ven 
weltbiftorifchen Septembertagen von Aktium. Vergeſſen 
worden iſt allerdings in Weſteuropa für zwei Jahrhunderte 
die Erijtenz eines griechiichen Volles. Aber Die Griechen hatten 
nicht das Glück, von ihren osmanischen Herren und von ben 
feindlichen. Nachbarn vergefjen zu fein. Mit Ausnahme ver 
Maniaten, ver Sphafioten und (j. unten) der allmählich auf 
tretenden Klephten und Armatolen tft für die eben geſchilderte 
Zeit von einem jelbftändigen Auftreten der Griechen feine 
Rede. Defto intenfiver waren die Leiden, welche den Griechen 
die endloſen Kriege zufügten. Dieſem unglüdlichen Volke, 
joweit e8 nicht auf den iontichen Infeln unter der Flagge von 
San Marco, in Stambul unmittelbar unter den türkiichen 
Kanonen, in Zrapezunt durch feine ferne Lage, in den inneren 
Provinzen durch die Entfernung von Meere gejchüßt mohnte, 
wurde vielfach nicht einmal die befcheivene Wohlthat zu Theil, 
zurüdgebrängt von allem altiven Antheil an der Politik der 
Zeit wenigftens in feinem nunmehr für mehrere Iahrhunderte 
lediglich communalen Dafein feinen Wohlitand wieberherftellen 
zu lönnen. Für die ganze bisher geichilperte Zeit wurde durch 
die niemals aufhörenden Fehden bald der Gorfaren aller 
Zungen des Mittelmeeres, bald der Iohanniter, bald der 
Venetianer und anderer Mächte, jede Küfte und jede Inſel des 
griechtich-türktichen Orients mit chronischer Regelmäßigkeit durch 
die Schreden der Verwültung, der Plünderung und des 








Militärifche Leiftungen ber Griechen für die Pforte. 65 


Menichenraubes beimgejucht. Die Folgen waren die theilweiſe 
Verödung und vieljäbrige Verarmung vieler Injeln und aus 
gedehnter Küftenftriche, das Abftrömen der Bevölkerung theile 
in die größeren Städte, theils in das innere Land, das Yang» 
wierige Erlahmen der Taufmännifchen und gewerblichen Thätig- 
tet, das Zurückdrängen der Maſſe der Griechen auf ein 
ziemlich eintöniges Bauernleben. Erhöht aber wurden biefe 
Keden.daburch, daß die Osmanen nicht allein fehr oft in 
der Rage fich befanden, vie griechiichen Küften, Inſeln und 
Halbinfeln zur Bafis ihrer Feldzüge zu machen, ſondern auch 
völlig nach altrömiicher Weife in den Provinzen Die Mittel 
fünden, durch deren rückſichtsloſe Ausbeutung ihre oft enormen 
Berlufte wieder zu ergänzen. Abgeſehen von finanziellen 
Erpreffungen und von dem „Knabenzins“, deſſen wir noch 
fpäter zu gebenfen haben, wurbe es namentlich bei Verluften 
im Seelrieg ihnen gar nicht ſchwer, durch Heran⸗ 
ziehung ber Mittel Griechenlands ſich immer wieder jchnell 
genug mit Kriegsmitteln zu verjehen. Abgeſehen von ihrer 
aus den Anfängen ihrer Machtentwiclung jtammenden Or⸗ 
ganifation haben die Osmanen eigentlich auf byzantinischen 
Doden jo gut wie gar nichts Neues gejchaffen, vielmehr einen 
guten Theil der uralten bizantiniichen Einrichtungen einfach 
übernommen, ins Türkiſche umgeprägt, oft auch nur einfach 
überſetzt; Höflicher ausgebrüdt, fie folgten jehr häufig in der⸗ 
jelben Weife wie die alten Rhomäer nur der Aufforderung 
der natürlichen Verhältniffe, in welche fie als Erben ver 
letzten Paläologen eintraten. In diefer Richtung waren unter 
Anderem für den Frieden bie Provinzen gehalten, nach alt 
bhzantiniſcher Methode einen Theil ihres Getreives zur Vers 
proviantirung von Stambul abzuliefern, für den Krieg aber 
die Infeln Rhodos, Milos, Santorini, Chios, Kypros, bie 
Halbinfel Morea, Lepanto, die Inſeln Santa Maura, 
Negroponte, Lesbos, Andros und Shra, Naxos und Paros, 
Samos, wie auch Lemnos, je nach ihrer Bedeutung genöthigt, 
eine beftimmte Anzahl von Kriegsichiffen zu ftellen; eine Zahl, 
bie allerdings nicht zu allen Zeiten biefelbe blieb. Um die 
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 





” 


66 Buch L Kap. I 5. Politik der Pforte gegenliber ber Rajah. 


Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts ftellten Rhodos vier, 
Chios ſechs, Kypros fieben, Morea nur drei folcher Fahr⸗ 
zeuge "). | 

Die jchwere Laſt des osmaniſchen Drudes, die Fremb- 
berzichaft überhaupt wurde aber für die Griechen, jobalb nur 
erit der blinde Haß gegen bie Lateiner einigermaßen verraucht 
war, namentlich deßhalb jo unerträglich, Tieß namentlich bef- 
halb niemals eine ‚prinzipielle Wendung zum Beſſeren zu, 
weil e8 eben eine Art der Herrichaft war, welche ſich jelbit 
dazu verurtheilt Hatte, ewig eine Fremdherrſchaft zu 
bleiben: Auch die römiſche Republik hatte einft bie lebens⸗ 
vollen griechiichen Staaten unter eine firenge Fremdherrſchaft 
gebeugt; aber damals fehlte zwifchen den Culturſtaaten dieſſeits 
und jenjeitS ber Abria die trennende und unüberſteigliche 
Mauer der Heligionsverichievenbeit. Und nachher Tag es 
gerabe in ber Nivellirungspolitif bes Kaiſerthums, allmählich 
vor Allen die Hellenen in den Kreis des immer weiter fich 
ausbreitenden römiichen Bürgerthums aufzunehmen. Völlig 
anders ift die Politik der Pforte gewejen. Erſt 
dem Jahre 1877 iſt es vorbehalten geblieben, bie phantaftifchen 
Seen eines osmaniſchen, über alle Stämme und Glaubens 
genofjenichaften des großherrlichen Reiches ausgedehnten Staats⸗ 
bürgerthums und einer für die bunte Welt dieſes Reiches aus- 
geipannten parlamentarifchen Verfaffung vor der erftaunten 
Mitwelt in Scene gelegt zu jehen. Bis dahin aber ift es 
mit wenigen Ausnahmen, die der hohen Diplomatie, ber 
Regierung einiger chriftlichen Provinzen, und jchließlich ber 
Gegenwart angehören, das Brincip der Pforte gewejen, die 
Herrihaft der osmaniſchen Race, beziehentlih den Moham⸗ 
medanern ausichließlich vorzubebalten, und feine andere Ber- 
ichmelzung mit der berrichenden Race in Ausficht zu nehmen, ale 
jene, durch welche nach der Sinnesweife der Völker auf ber 
Balkanhalbinſel vie neuen Elemente vollftändig in dem 
Osmanenthum aufgingen, nemlich durch Übertritt zum Islam. 


1) Finlayl.c.p. 118. 





Stellung der Osmanen zu ihren riftlichen Unterthanen. 67 


Sobald nicht Perioden ober Momente des Tanatismus kamen, 

mo das Feuer aus der Jugendzeit des Islam wieber aufloderte 
md man mit Gewalt befehrte, Tießen aber die osmaniſchen 
Sultane, denen ohnehin der maſſenhafte Übertritt ſlawiſcher 
und ſchlhpetariſcher Chriſten zur Religion des Propheten nicht 
immer lediglich vortheilhaft erfchtenen ift, die durch Predigt 
des Ilam nicht zu gewinnende chrijtlihe Maſſe, die auszu⸗ 
toten wener möglich noch nüßlih war, ald einen Staat in 
ihten Staate mit minberem Rechte fortbeiteben. Dieſes 
„Recht“ beftand darin, daß diefe Chriften, Bier alfo bie 
Örieden, als „Ungläubige“, als Unterworfene, als SHaven 
exiftiren durften und für das geichenfte Leben dem Herricher 
Zribut zu zahlen Hatten. Damit aber entitand jenes Ver⸗ 
hältnrißg, welches im neunzehnten Jahrhundert jeine Früchte 
ttͤgt. Der Os mane will nur berrichen und beiteuern, 
im Detail dagegen die Unterthanen der Pforte nicht einmal 
regieren. Die Völker des Sultans zerfallen in zwei völlig 
geichiedene Maſſen. Die eine ift der Srieger- und Herren. 
fand, welcher das Reich zufammenhält. ‘Die andere, bie 
m ewiger Abhängigkeit beftimmte, durch die Religion fo 
Kar als möglich von den Moslims getrennte, it ganz und 
dar auf ihr eigenes inneres Leben verwieien, jteht mit der 
Pforte nur durch den Knabenzins und durch den Kharadich in 
Berbindung, und kann nur, eben einige Ausnahmen abgerechnet, 
durch Abfall vom Chriftenthum an dem türkischen Staatswelen 
Theil nehmen. Hieraus bat fich der Zuſtand entwidelt, der 
ven Gegenſatz zwifchen Griechen und Osmanen fchließlich 
unverſöhnlich gemacht Hat. Es ift freilich wahr, daß auch 
imerhalb bes Islam die Verſchiedenheit zwiſchen Osmanen, 
Bosniaken und Schlnpetaren noch heute unter Umſtaͤnden fich 
bemerkbar macht; nicht minder wahr, daß das eine mächtige 
Moment der Gegenwart, die elementare Gewalt des Nationali- 
taͤtsprincips, in ber zweiten Hälfte unſeres Jahrhunderts 
griechifch » glänbige Südſlawen, Bulgaren, Rumänen und 
National-Griechen in einer früher nicht für möglich gehaltenen 
Weiſe auseinander treibt. Nichtsdeſtoweniger bleibt es bie 

5 


68 Buch J. Kap. J. 5. Organifation ber griechiſchen Provinzen ber Pforte. 


gegen Mitte bes neunzehnten Jahrhunderts eine Thatſache, 
daß auf ver Balkanhalbinſel feit dem Falle von Eonjtantinopel 
für beinahe vierhundert Jahre Religion und Nationalität 
vollfommen zufammenfielen, und daß noch heute auf dieſer 
Seite die Motive Tiegen, die bis auf die alferjüngfte Zeit alle 
politifche Entwicklung der chrijtlichen Untertfanen der Pforte 
nur im Abfall von der Herrichaft des Sultans gipfeln ließen, 
und welche nach aller bisherigen Erfahrung eine wirkliche 
Ausföhnung zwiſchen den Völkern des Großheren wahrſcheinlich 
für immer unmöglich machen. 

Der Doppel- Drganismus nun, in welchem die 
Griechen unter der osmaniſchen Herrfchaft fich bewegten, war 
biefer. Die türkiſche Umrahmung, im welche bie Griechen 
von Europa fich geipannt jahen, folgte den alten Formen bes 
Landes, wie nahezu allezeit feit den Tagen, wo Roms Statt 
halter in Theffalonite und Korinth geboten, — obwohl bie 
Pforte im Detail der politiich » militäriichen Gliederung im 
Laufe der Jahrhunderte wiederholt Veränderungen vorgenommen 
bat. Die Osmanen (welche geographiich nur Deorea und Rume⸗ 
lien, dieſes das Feftland im Norden von Korinth, unterjcheiven) 
ftellten von Anfang an dem Großweſſir in ihren europätichen 
Eroberungen ben Beglerbeg over Generalitatthalter von | 
Rumelien zur Seite, der unmittelbar unter der Oberauffict 
eben des leitenden Großbeamten der Pforte ebenjo fungirte, 
wie für die aftatifchen Provinzen der Beglerbeg von Anatolien. 
Als auch das Herzogthum Athen und Moren, endlich auch 
Eubda in die Hände der Osmanen gefallen waren, ftand ber 
rumelifhe Beglerbeg zu Sofia in analoger Weiſe an ber 
Spite der Ballanhalbinfel, wie vor langen Sahrhunderten in | 
bem ausgehenden römijchen Reiche der Präfelt von Sirmium, 
nachher von Theſſalonike, an der Spike der illyriſchen Prä— 
fektur; nur mit dem Unterfchteve, daß bie Pforte Die ſpät⸗ 
römiiche Trennung der Militärgewalt von der Civilgewalt 
nicht fannte, nur daß Dank ihren Syſtem das militäriſche 
Element weitaus das überwiegende war. Es find denn aud 
wejentlich militärische Gefichtspunfte, nach denen dg8 Gebiet 








Das osmanifche Lehensſyſtem. 69 


bes rumelifchen Beglerbegs, von welchem jedoch Die (Bd. II, S.569) 
dem Kislaer⸗Aga zugewielene Stadt Athen ausgenommen war, 
provinziell zerlegt ericheint. Die Sultane hatten nemlich 
bet ihrem Volke ein höchſt eigenthümliches Lehensſyſtem 
eingeführt. Jedes neu eroberte Land war jofort „nad 
Fahnen und Säbeln‘ in eine Menge Lehen vertheilt worden. 
Dadurch follten die neuen Provinzen fofort einen Stod wohl- 
fiturter türkischer Einwohner erhalten, die zugleich jeden 
Augenblid das ftehende Heer der Pforte verftärken konnten. 
Jede der neuen türkiichen Provinzen wurde organifirt als ein 
Militärbezirt oder Sandſchak, und ftand unter dem 
„Oberſten der Fahne“, dem Sandichat oder Sanpichafbeg, 
. der den Befehl über die angefiedelten Lebensreiter führte. 
Die Lehen zerfallen in größere (Siamet) und Kleinere 
(Zimar, dieſe mit einem Ertrag bis zu 20,000 Asper, 
wovon je 6O auf einen Thaler kommen). Man bat bevechnet, 
daß aus einem Siamet etiva funfzehn, aus einem Timar aber 
zwei Reiter geftellt werben konnten. Es waren aber dieſe 
dehen ohne Adel und zugleich ohne eigentliche Erbfolge der 
Söhne der Timarli. Allerdings follte in der Negel nur ein 
geborener Timarli wieder mit einem Timar bedacht werben, 
aber vor den Zeiten bes Verfalles war es Gejeß, daß ver 
Sohn eines Timarli bei dem Ableben des Vaters nur erft 
ein Heines Leben erhielt, und fich dann allmählich durch Ver⸗ 
dienfte als Reiter oder Sipahi zu befferer Lage emporarbeiten 
ſollte. Diefes eigenthümliche feudale Syſtem hatte Sultan 
Bajeſid I. auf altgriechiſchem Boden zuerſt gegen Ende des 
vierzehnten Jahrhunderts in Makedonien und Theſſalien 
in großem Umfange eingeführt. Murad II. hatte es weiter 
über die auf Koſten des Hauſes Tocco (Bd. II, ©. 457 u. 533) 
in Akarnanien und bei Arta gemachten Eroberungen aus⸗ 
gedehnt. Mohammed II. aber verbreitete e8 über das übrige 
Mittelgriehenland und Morea. 

Damit war das eigentliche Griechenland in einer viel 
fefteren und planmäßigeren Weife türkiſch⸗feudal umfpannt, als 
früher zur Zeit der lombardiſchen und franzöſiſchen Ritter 





70 Buch I. Kap. J. 5. Das osmaniſche Lehensſyſtem. 


herrſchaft. Auf Griechenland kamen nun füblich vom Olymp 
nach der vollitändigen Erjchütterung der venetianifchen Herr- 
ichaft durch ven Verluft von Eubda ſechs Sandſchaks. Es 
waren nemlid Morea mit etwa 109 Siamets und 342 
Zimars, Negroponte mit 12 Siamets und 188 Timars, 
Theſſalien (Neopaträ und Trilala) mit 60 Siamets und 
344 Timars, Lepanto mit 13 Siamets und 287 Timars, 
Rarlili (Arta oder Prevefa, Aetolien und Alarnanien) mit 
11 Siamets und 119 Timard, und Joannina mit 62 
Simats und 345 Timars. Dadurch wurde es möglich, von 
Anfang an aus diefen Provinzen etwa 7250 Sipahis zu 
ziehen. Die Inſeln, joweit dieſelben der Hoheit bes 
Kapudan-Paſcha zugewiefen waren und fich viel befier 
ftanden, als die Griechen des Feſtlandes, batten Dagegen 
bejtimmte Schiffsfontingente zu ftellen (S. 65); auf einigen 
Sporaden war aber das Lehensſhyſtem ebenfalls zur Durd- 
führung gelangt. Sp find auf Lesbos A Siamets und 
83 Zimars, auf Rhodos Dagegen 5 Siamets und 71 Timars 
gebildet worden. Als endlich die Injel Kreta erobert worden 
war, bildete die Pforte Die Sandſchaks Candia mit 8 Si 
mets und 1400 Timars, Kanea mit 5 Stamets und 
800 Timars, und Rethimo mit 4 Siamets und 350 Ti, 
mard. Der Sandſchakbeg oder, wie wir ung geläufiger 
ausprüden, der Paſcha ftand nun an der Spike feiner Provinz 
als Befehlshaber feiner Milttärmacht; zugleich aber war er 
der oberfte Juſtiz⸗ und Verwaltungsbeamte in feiner Provim, 
hatte die Polizei zu handhaben, über die öffentliche Sicherheit 
zu wachen und dafür zu forgen, daß die Steuern richtig umd 
regelmäßig eingeliefert wurden. Das Detail ber osmaniſchen 
Verwaltung lag dagegen nicht in feiner Hand. Sein Gebiet 
zerfiel nemlich wieder in eine Reihe Heinerer Provinzen, melde 
unter feiner Oberaufficht von türkiſchen Gouverneurs regiert 
wurden, die man gewöhnlih Woiwoden oder Beys, auf 
dem mittelgriechifchen Feftlande auch wohl Unterbaſchi zu 
nennen pflegte. Der Woiwode von Athen wurde durch bet 
Kislaer-Aga ernannt. Der Woiwode, der von dem Poaſcha 








Die Brovinzialbehörben. Morea. 1 


ernannt wurde, hatte über das’ Eingehen der Steuern und 
anderer fisfaliicher Einkünfte zu wachen und für vie Boll- 
Hebung ber vichterlichen Ursbeile Sorge zu tragen. Er war 
zugleich gewöhnlich ver Pächter der Einkünfte des Paſcha's, 
wie überhaupt der öffentlichen Einkünfte, was ihm die Ge⸗ 
legenheit zu zahlreichen Erprefiungen nur allzuoft bot. ALS 
exekutives Perfonal war ihm eine Anzahl osmantfcher Gens- 
dergen unter einem Bulukbaſchi zur Verfügung geftellt. 
Vervollftändigt wurde bie osmanijche Bureaukratie durch den 
Kadi, den türkischen geiftlichen Richter, welchen einer ber 
beiten Dberrichter m Stambul, der Kabiasker für Europa 
(beziebentlich Tpäter der Mufti), ernannte. Der Kabi hatte 
kinen Sitz im Hauptorte der Provinz des Woiwoden. Zu 
feiner Competenz gehörten alle Civil- und Hanbelsjachen, wenn 
fih die Parteien an ihn wenbeten; er hatte ferner die Straf- 
gerichtsbarkeit und die Polizei zu leiten ?). 

Morea, dem alten Peloponnes, der ſtets als ein großes 
Paſchalik behandelt worden ift, theilten Die Osmanen in 23 
Heinere Provinzen oder Gerichtsbarkeiten ein. Der Sik des 
paſcha's bat mehrfach gewechielt. Bid zur völligen Austreibung 
der Veuetianer aus der Hakbinfel jcheint das Generalcommando 
abwechſelnd in Korinth, Leondari ober Miſithra fich befunden 
u baden, wurde aber jeit 1540 bleibend nah Nauplion 
verlegt. Während des Hebzehnten Jahrhunderts dagegen ivar 
Batsä die Hauptftadt der Halbiniel. Die arkadiſche Stabt 
Xripoliga, welche feit Begim der osmanischen Herrichaft auf 
Loſter von Nikli und Muchlion und ver Überrefte von Tegea 
und Mantineia zur erfter Stadt des öftlichen Arkadiens (eine 
Stunde nordweſtlich vom den Ruinen von Tegea) emporwuchs, 
it erſt ſet Vertreibung der Venetianer aus Morea (f. unten) 
u Anfang. des achtzehnten Jahrhunderts zur peloponnefiichen 


1) Bol. 8. Ranke, Die Osmanen und bie fpanifhe WMonardie im 
16. u. 17. Jahrhundert, ©. 6 fe. Finlay lc. p. & sq. u. 21 sq. 
Hopf, Bd. 86, ©. 189. v. Maurer, Das griehifche Volk vor und 
nad, den Freiheitskampfe, Bd. I, ©. 60ff. 69. 83. 


12 Buch I. Kay. J. 5. Die Kopfſteuer. 


Gentralftant gemacht worden. Die Provinzen von Morea 
waren: Nauplion, Argos, Korinth, Tripoliga, Hag. Betros, 
Paträ, Voſtitza, Kalavryta, Gaſtuni, Arkadhia, Navarinon, 
Modon, Koron, Andruſſa, Kalamata, Phanarion, Karitena, 
Leondarion, Monembaſia, Miſithra, Bardunia und das 
Doppelgebiet der Maina 19). Im Mittelgriechenland 
waren unter anderen Orte wie Lepanto, Salona, Arachova, 
Livadia, Theben, Talanti, Megara u. a. m. Sitze von Woimoden 
und Kadis. . 

Solcher Geſtalt war der militäriſch-adminiſtrative Rahmen 
unter der osmaniſchen Herrſchaft, in welchem die Griechen 
ſich jetzt bewegten. Damit waren nun aber überaus ſchwere 
Laſten auch in völlig friedlichen Zeiten verbunden. Auf ihnen 
laſtete zuerſt der Kharadſch, die türkiſche Kopfſteuer, durch 
welche nach den Grundſätzen des Islam die „ungläubigen‘ 
Untertbanen des Padiſchah fi von Jahr zu Jahr das Recht, 
überhaupt zu exiftiren, erfauften. Dieſe Laft, ein Neal oder 
Silberdukaten für die verheiratheten und ein halber Real für 
bie unverheiratheten Meitgliever der Familien, traf principiell 
alle männlichen Einwohner der untermorfenen Provinzen. In 
der Praris blieben davon frei die Knaben unter zehn Jahren, 
bie Greife, die Geiftlichen‘, envli Dank der nach dieſer 
Richtung humanen Art des Orients die Blinden, die Rahmen 
und die Krüppel. Bei noch immer 250,000 Chriſten in ver 
zweiten Hälfte des fiebzehnten Jahrhunderts zahlte damals 
Morea jährlich 167,000 Realen Kopfiteuer ?).. Dazu traten 
nun aber noch andere höchſt wuchtig laſtende Abgaben jehr 
verichievener Art, die für mehrere Menſchenalter in jehr 
harakteriftiicher Weile das Schidjal der griechiſchen Benölferung 


1) Vgl. v. Maurer, ©. 61 u. 83. Hammer, Osmaniſche Ge⸗ 
ſchichte VI, ©. 183. 2. Ranke (in Bd. IE der „SHiftorifch - politifgen 
Zeitfehrift” 1835), Die Benetianer in Moren, ©. 433 u. 502, Eut- 
tius, Peloponnefos, TH. I, ©. 234. Burfian, Geographie von 
Griehenland, Thl. II, ©. 221. 

2) Bol. Ranke, Die Benetianet in Morea, ©. 485. Finlay 
1. c. p. 26 (vgl. „History of the greek revolution“, vol. I, p. 22). 


Die Bauern in Griechenland. 15 


beeinflußt haben. Im dem Reiche des Sultans galt ber 
Grundſatz des türkifchen Rechtes, "daß der Großherr der wahre 
Eigenthümer von allem eroberten Grund und Boden fei. 
Davon waren nur jene Inſeln des ägätichen Meeres aus- 
genommen, die durch Vertrag, beziehbentlich ohne Kampf unter 
bie Herrichaft der Pforte gekommen waren. Thatſächlich aber 
batten die Sultane bei der Eroberung von Griechenland nur 
das in ungeheurer Ausdehnung vorhandene, wirklich berrenlofe, 
beziebentlich durch die Eroberung jelbft berrenlos gewordene, 
Örundgebiet in Anipruch genommen. Daburch entjtanden nun 
— immer die meiften Infeln des ägätichen Meeres aus» 
genommen, wo fich das Griechenthum in alter Art behauptete — 
in Griechenland höchſt eigenthümliche Verhältniſſe. Die 
von- der türkiichen Krone thatſächlich offupirten Grundſtücke 
wurden theils als Siamets und Timars vergeben, 
theils als Vakufs den neu gegründeten Moſcheen verliehen, 
theils auch als Domänen in der Hand der Krone zurück⸗ 
behalten. Gegenüber viefer Ausbreitung des Osmanenthums 
auf dem griechiihen Grund und Boden vermochte fich 
jedoh das griechiſche Element recht wohl zu behaupten, 
und allmählich bei feiner numerifchen Überlegenheit auch in 
die neuen Verhältniſſe ſehr geſchickt einzuleben. Einerſeits 
behaupteten ſich doch auch abgeſehen von den Beſitzungen der 
Klöfter und von den principiell beſſer geſtellten Inſeln, auf 
vielen Stellen Griechenlands griechiſche Grundbeſitzer auf 
freiem Eigenthum. Nicht nur in Eubda und Attika vermochte 
ih ein Stamm freier griechiicher Bauern zu erhalten; in 
noch ausgebehnterem Grade. fand das in mehreren jener Land⸗ 
ihaften ftatt, die dann im neunzehnten Jahrhundert ver 
Hauptheerb des neugriechiichen Befreiungsfrieges geworben find. 
Allerdings unter ſehr bunten Modifikationen; aber doch 
in den meiften Xheilen bes alten Landes ver Sellenen, 
namentlich im Peloponnes, in einem großen Theile von 
Mittelgriechenland, in Epirus (hier in der Hauptfache aller- 
dings nur bis auf Ali Tepeleni) und im ſüdlichen Makedonien. 
Es Hielten fich nemlich theils einzelne größere griechiiche 





74 | Bud I. Kap. L 5. Die Bauern in Griechenland. 


Grundbeſitzer; noch andere wußten fich feit dem Verfalle der 
ftrammen osmaniſchen Zucht nach des großen Suleiman Tove 
durch mancherlei Mittel jogar in den Beſitz von Timars ein 
zufchleichen. Vielfach gab es ganze Dörfer, man’ nannte fie 
Kephalochoria, wo gar feine Türken mohnten ober Be 
fitzungen hatten, und wo num Häufer and Grundſtücke lediglich 
den Bauern gehörten. Ihrer großen Mebrhbeit nach maren 
die griechiichen Bauern fo geftellt, daß fie als Pächter das 
Leben fortjegten, welche! ihre Ahnen in ber franzöfiichen und 
paläologiichen Zeit als Hörige der fränktichen und griechtichen 
Barone geführt hatten. Sie erichtenen als Pächter auf ven 
Gütern der Mofcheen und der Klöfter; auf ven Lehensgütern 
der Sipahis, ſobald und ſoweit dieſe nicht felbft als Ader- 
bauern thätig waren; auf den großen Gütern (Zugoletia over 
Tſchiflicke) bebeutender in dem Lande angefievelter türkifcher 
. umd griechifcher Grumbherren. Dadurch ertitanden jehr bumte 
Rechtsverhältniſſe. Die Bauern, bie in folder Weite als 
Pächter auftraten, waren nicht mehr Hörige ever Leibeigene, 
hatten das Recht der Treizligigfeit, waren aber oft genug nur 
angeftedelte Tagelöhner. Oft geftaltete fich Die Sache jo, daß 
die Dauern ein großes Dorf bejaßen (welches freilich ſehr 
häufig nur aud wenigen Hänſern beſtand), ohne daß bie ringe 
antchließenden Grundſtücke ihnen gehörten; zuweilen waren fie 
ober auch im Beſitze einiger Kleinen Grunbbeligimgen. 

Noch andere Verhältniffe entitanden, weil die Griechen das 
Recht gewannen, von einem Sipahi unangebaute Grumpſtücke 
zu faufen, um biejelben zu bebauen. ‘Der Ertrag von Wein 
und Baumpflanzungen, welche griechtiche Bauern unter Zahlung 
einer beftimmten jährlichen Abgabe auf einem Vakuf uber 
Zichiffie angelegt hatten, gehörte den Anfteblern und konnte 
von ihnen unter denfelben Bedingungen vererbt und verkauft 
werden. Andererſeits konnte man fi vor Confiskation 
fchüten, indem man fein Grundeigenthum formell als Vakuf 
einer Moſchee oder einem Klofter vermachte und dafür jährlich 
eine beſtimmte Abgabe an bie betreffende heilige Corporation 
zablte. 











Der Zehnte. 75 


Auf allen dieſen bäuerlihen Verhältniſſen Taftete nun 
aber ein Fluch, der auch Heute noch nicht ganz von biefem 
Lande genommen ift, nemlich jene heilloſe Art der Befteuerung, 
bie in der Abgabe des jogenamten „Zehnten“ beftand. 
Es war nicht bloß die jchwere Laft der Abgabe je nach Um⸗ 
ſtänden des Zehnten, aber auch des achten, des fünften, ja 
kelbft des dritten Theile vom Ertrage der Güter, was biefe 
Steuer fo verberblih gemacht bat, die übrigens auch die 
türliſchen Einwohner, jobald fie nicht Lehensgüter befaßen, traf. 
Der größte Übelftand liegt darin, daß die Abgabe wieberholt 
an Mittelgmänner verpachtet, und daß fie in natura erhoben 
wurde. Im einer Zeit eingeführt, wo Griechenland verarmt, 
jertreten und von baarem Gelde entblößt war, ift fie anfangs 
als vergleichsweiſe milde aufgefaßt worden. Sie tft dann im 
Laufe der Jahrhunderte mit den Sitten der Griechen fo fehr 
verwachſen, daß der Wiberiwille der Griechen gegen Stener- 
jablung in baarem Gelde nach der Vertreibung der Osmanen 
aus Griechenland, wie feiner Zeit den Benetianern (j. unten), 
fo noch in unjerem Zeitalter dem Übergang zu einer rationellen 
Beſteuerung bie ftärfften Schwierigfeiten bereitet. Das 
Schlimmſte aber tft, daß dieſe Steuer und die Art ihrer Er⸗ 
hebung ver griechiichen Landwirthſchaft den größten Schaven 
getban, vor Allen ven Antrieb zu neuen probultiven Anlagen, 
die wicht fofort von einem Jahre zum anderen Früchte tragen 
Unnen, in bevenklicher Weije gelähmt, endlich auch der freien 
Verfügung des Grundbeſitzers über fein Gut und befien De 
wirthichaftumg erheblich Abbruch gethan hat. Denn dahin 
wirkte die fisfalifche Praxis, daß kulturfähige Grundſtücke eines 
Brivatmannes, die fieben Jahre lang unangebant Liegen blieben, 
Ionfiscirt und anderweitig verkauft werden komten. ‘Der - 
Zehnte, der auf ven Siamets und Timars ben Sipahis 
als Kriegsfold zufiel, wurde allmählich feit dem Verfalle des 
alten osmanifchen Lehensſyftems auch umntittelbar durch den 
Sultan an türkifche Großen verliehen. Der griechtiche Bauer 
aber hatte, mo er nicht auf den Lehensgütern arbeitete, außer der 
Abgabe des Zehnten an den Staat nun noch feinen Pacht 


76 Bud I. Kap. I. 5. Der Knabenzins. 


zins (oft eim Drittel des Ertrages) an den Grundherrn 
zu zahlen, außerdem aber noch manche Täftige Frohnden 
zu leiften *). 

So erbrüdend Tolche finanzielle Laften auf dem durch bie 
osmaniſchen Kriege und die Corfarenzüge fchwer genug heim⸗ 
geſuchten griechiſchen Volk laſteten, fo wuchtete doch noch 
entjegliher auf der unglüdlichen Nation ver abſcheuliche 
Knabenzins, deſſen bereitS mehrfach gedacht worden ift. 
Das mit entjeglichem Raffinement erjonnene ſchändliche Syſtem 
ber Gründer der osmaniichen Macht, aus der Blüthe ber den 
Sultanen unterworfenen chriftlichen Völker heraus Waffen von 
Knaben zu refrutiven, durch welche einerſeits die Zahl ver 
Mohammedaner unabläffig vermehrt, andererfeitS unaufhörlich 
bie prachtvolle ſtehende Kriegsmacht der Pforte ergänzt und 
ein trefflices Material für die Beamten des Großherrn 
getvonnen werben jollte, bat feit dem Talle ver letten 
Paläologen bis tief Hinein in das fiebzehnte Jahrhundert 
ſchwer auf den Griechen gelaftet. Nur Conftantinopel, 
Rhodos, ein Theil der Infeln, und bis zu einem gewiſſen 
Grade auch Athen waren von dieſer graufamen Blutſteuer 
frei geblieben, von der fich allerdings auch manche Städte 
durch große Summen freizufaufen vermochten. In Griechenland 
aber erichien aljo alle fünf Sabre die gefürchtete Zeit, wo ber 
Nation ein Stoß ins Herz verjegt wurde, wo ein Menfchen- 
Zehnte erhoben wurde, der mit Ausnahme weniger Punkte 
dem Volke allemal bie Hoffnungsvollfte Blüthe der männ- 
lichen Jugend knickte und das Land mit abfcheulicher Sicherheit 
moraliich entwaffnete. Kleine Abtheilungen türkifcher Krieger, 
jede unter ihrem Hauptmann, jede mit einem bejonderen 
Ferman ausgerüftet, zogen in den griechiichen Provinzen von 
Ort zu Ort. Wo fie ankamen, verfammelte der Gemeinde 


1) 2gl. v. Maurer, ©. 44 fi. 152 — 160. Menpdelsfohn- 
Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, Th. I, ©. 3f. Finlay 
p. 29sqg. (und „History of the greek revolution“, vol. I, p. 15800.). 
Ranke, Die Osmanen, ©. 71ff. und „Die Venetianer in Morea”, 
S. 446 ff. 





Der Knabenzins. 77 


vorſtand (ſ. unten) die Einwohner mit ihren Söhnen. Der 
türliſche Offizier hatte dann die Aufgabe, alle jungen Leute 
(durchſchnittlich den jedesmal fünften Theil), die vor anderen 
ſchön und ſtark, die vorzugsweiſe intelligent oder ſonſt begabt 
waren, von dem ſiebenten bis zu den mannbaren Jahren als 
Sklaven des Sultans auszuheben und nach Stambul abzu- 
führen. Wer in dieſer Weiſe als junger Menſch ſeine Heimath 
verlaſſen mußte, war für die griechiſche Nation und bie 
anatoliiche Kirche für immer verloren. “Denn dieſe ausgeſuchte 
Jugend wurde nun in wohlbemefjener ftrenger Zucht zu guten 
Mohammedanern erzogen, und tn reiferen Jahren theils dem 
Corps der Janitſcharen, theils den bejolveten, an der Pforte 
felbft dienenden Sipahis zugetbeilt, theils im höheren Staats» 
dienfte verwendet !).. Dieſes aljo waren die ſchweren und 
regelmäßigen Laſten, welde. mit wenigen Ausnahmen bie 
Griechen unter türkiſcher Hoheit zu tragen hatten. In 
Öriechenland waren es, wie wir fahen, nur die Mantaten, 
bie fih auf ihrem Gebiete mit Ausnahme des Kharadfch diefer 
türfifchen Plagen zu erwehren vermochten; in ber Zeit nach 
Abichaffung des Knabenzinſes haben fich auf Kreta nachher bie 


Sphakioten eine analoge balbfreie Stellung zu gewinnen 


gewußt. | 

Wir Iernten bisher die Art und Weiſe kennen, in welcher 
die Osmanen das griechiiche Volt beherrjchten. Wir zeigen 
nun, daß innerhalb dieſes eifernen Rahmens die griechifche 
Nation gewiſſermaßen einen Staat für fich bildete, welcher 
fein jelbftändiges Leben Hatte umd die zerftreuten Glieder der 
weit zeriprengten Rhomäer fait noch feiter zufammenbielt, 
beziebentlich wieder zujammenjchweißte, als e8 zur Zeit ber 
alten byzantiniſchen Kaiſer gefcheben war: derart daß ben 
Griechen wenigftens die nationale Zukunft gerettet worden iſt. 
Die Momente, die bier den Ausichlag gaben, waren bie 
griechiſche Kirche und die griediihe Gemeindever- 
faffung. Wir haben. früher erzählt, daß Mohammed II. in 


1) Rante, Die Osmanen, ©. 8ff. Finlay, p. 12sq. u. 45—50. 


_ 


78 Buch J. Kap. J. 5. Machtbereih bes Patriarchen von Eonftantinopel. 


feinem Stambul dem griechiſchen Patriarchen eine höchſt 
beveutjame, rechtlich anerkannte Machtſtellung verlichen bat. 
Die Huge Politik dieſes Padiſchah ift ur der That von außer⸗ 
ordentlichen Erfolge begleitet geweien. Der hohe Klerus der 
anatoliichen Kicche ift in ver That für mehrere Jahrhunderte 
ein ſehr wetentlicher und ſehr mütlicher Faktor der osmanifchen 
Macht geweien. Der Gedanke des Sultans war es, bie 
griechiiche Nation durch ihren höheren Klerus zu beherrſchen, 
zum Gehorſam gegen die Pforte zu gewinnen, ver Patriarch 
mit den höheren Klerikern haftete dem Großherrn geiwiffer- 
maßen als Bürge für die Xreue des griechiichen Volles. 
Dafür war nun dem BPatriarchen eine höchſt ausgedehnte 
geiftliche Herrſchaft und ein gewichtiges Maß tiefgreifenver 
bürgerlicher Gerechtiante eingeräumt. Geographiſch dehnte 
ſich der geiftliche Machtbereich des Patriarchen von Conftan- 
tinopel in den älteren Jahrhunderten der osmaniſchen Herr- 
Schaft allerdings ungleich weiter aus, als Heutzutage. Die 
Kirche non Conſtantinopel bat gerade umter der Oberhoheit 
ber Pforte Reſultate erzielt, welche den Byzantinern ſelbſt 
während ihrer kräftigiten Zeit immer umerreichbar geblieben 
- waren. Die Anjprüde in Conftantinopel auf die unbeziveifelte - 
Suprematie, innerhalb der anatoliichen Kirche find jet endlich 
unbejtritten,; auch die Oberhirten von Alerandrien, Serufalem 
und Antiochia jtanden jet tief unter bem „dkumeniſchen“ 
Patriarchen von Conjtantinopel, der allen griechiich Gläubigen 
als das fichtbare Haupt ihrer Kirche galt, der ſelbſt dem 
Dsmanen als , Petriti- Rum’ das Haupt ver großen grie⸗ 
chiſchen Gemeinde in ihrem Reiche war. Mehr aber, das 
Patriarhat von KConftantinopel machte gerade umter ber 
türkiſchen SHerrichaft die bebeutenbften Eroberungen auf 
ſlawiſchem Boden. Das große ruffiiche Volf im Norben 
ber rumäniſchen Grenzen, wie e8 ſeit Jahrhunderten jeine meiften 
Rulturelemente aus Byzanz gezogen, wie feine Dynaſtie (Bo. II, 
©. 579) dur Verbindung mit einer Tochter des lebten 
Paläologiichen ‘Despoten von Morea eine Art von ‚Rechts 
titel’ auf Romanien erheirathet hatte, wie auch das griechiſch⸗ 








Machtbereich des Patriarchen von Eonftantinopel. 79 


gläubige Element in Polen, verehrte auch nach der religidfen 
Seite in der Kirche von Conftantinopel feine heilige Mutter: 
firke. Diefed ging fo weit, daß der ökumeniſche Patriarch 
geraume Zeit fogar den Metropoliten von Rußland, ven 
Batriorchen von Moskau, zu ernenmen hatte. Nur daß feit 
1589 die ruſſiſche Staatsgewalt fich das nicht mehr gefallen 
ließ, jondern veranlaßte, daß water erheblichem Einfluß des 
Garen der Patriarch von Moskau von der ruffiſchen Geift« 
Iihfeit gewählt wurbe, während ebenfall® gegen Ende des 
ſechszehnten Jahrhunderts in den ruffifch« polnifchen Landen ein 
erheblicher Theil der griechtich » katholiichen Ehriften fich mit 
Rom „imirte‘. Nichtsdeſtoweniger blieb bie Firchliche Ver⸗ 
mung mit Rußland noch lange bedeutungsvoll genug; derart 
daß Eonjtantinopel für die ruffiihe Kirche in Glaubensfragen 
die Rolle einnahm, wie die römijche Curie bis auf diefen Tag 
für die Katholiten der gefammten Erde, daß noch 1642 fünf 
ruffiſche Biſchöfe an einer byzantiniſchen Synode theilnahmen. 
Grit Peter der Große hat 1721 diefe Verbindung bleibend 
jerrifien und unter Ausprägung des rufftichen Cäſaropapismus 
das ruſſiſche Patriarchat durch die „heilige Synode“ erſetzt. 
Dafür hatten auf osmaniſchem Gebiete die Patriarchen von 
Conftantinopel, denen nur die jerbiche Kirche verjchloffen blieb, 
nit nur unter Zurückdrängung der Autorität der Kirche von 
Achrida, für die Walachei int fechsgehnten, über die Moldau 
im fiebzehnten Jahrhundert be Hoheit über die rumänijchen 
Chriften gewonnen, fondern namentlid auch von Anfang an 
bie volle geiftliche Herrichaft über die Bulgaren erlangt, bie 
unter biefem Regimente bis zum Sabre 1870 von Conftantinopel 
aus confequent gräcfirt worden find, foweit ber Firchliche 
Einfluß nur immer zu veichen vermochte). For mell haben 
ſich die Berhältnifie in der anatoliichen Kirche fo geitellt, daß der 
zkumeniſche Patriarch als ihr Haupt galt; im Range folgten 
ihm bie Patriarchen von Alerandria, Moskau (jo jeit 1588) ?), 

1) Bgl.v. Maurer, S.383—387. Mendelsſohn-Bartholdy, 


©. 135, 
2) Bol. au Pichler, Cyrillus Lukaris und feine Zeit, ©. 52ff. 





80 Buch J. Kap. J. 5. Die Machtſtellung des Patriarchen. 


Antiochia und Jeruſalem. Auf osmaniſchem Boden waren 
außer den großen orientaliſchen Kirchenfürſten unmittelbar 
nicht von ihm abhängig (oder „autokephal“) der Erzbiſchof 
von Kypros, der Abt des Sinaiklofters, und in Europa die 
Erzbiichöfe von Achrida und Ypek (wie fpäter auch der Vladika 
von Montenegro). Achrida und Ypek find erſt im achtzehnten 
Jahrhundert (f. unten) ihm umterftellt worden). Das unmittel- 
bare geiftliche HerrichaftSgebiet des öfumeniichen Patriarchen um- 
faßte die ſämmtlichen chriftfichen Provinzen, die nicht unter ven 
„autokephalen“ Kirchenfürften ftanvden. Seine Diöceſen zer- 
fielen in zwei Klaffen, von denen die zwölf Erzbisthümer 
Cäſarea, Epheſos, Heraklea, Kyzikos, Nikomedia, Nikäa, 
Chalkedon, Derkos, Ternovo, Adrianopel, Theſſalonike und 
Amaſia die erſte bildeten. Die Erzbiſchöfe dieſer Diöceſen 
formirten mit dem Patriarchen in Stambul die heilige Synode, 
an welcher jedoch auch alle ſonſt in der Hauptſtadt anweſenden 
Patriarchen und Erzbiſchöfe Theil zu nehmen das Recht hatten. 
Nur bei minder wichtigen Angelegenheiten konnte der Patriarch 
lediglich mit dem Beirathe der vier Erzbiſchöfe von Heraklea, 
Kyzikos, Nikomedia und Chalkedon die Entſcheidung treffen. 
Dem Patriarchen mit feiner Synode war nun die nahezu 
unbeichränfte Gewalt über jein geiftliche8 Herrſchaftsgebiet 
verliehen. Neben feiner öfumeniichen Würde zugleich Biſchof 
von Konftantinopel, Präfivent der Synode, hatte er die 
Oberaufficht über die ſämmtlichen Metropoliten, Erzbiſchöfe, 
Biſchöfe feines Gebietes, wie auch über ſämmtliche Kirchen und 
Klöfter und deren ökonomiſche Verhältniſſe. Er Hatte das 
Recht, die Erzbiichöfe und Bilchöfe zu discipliniren, ein⸗ und 
abzufjegen, ohne dafür Jemandem Rechenichaft ſchuldig zu fein. 
Ihm ftand das Strafrecht über den gefammten Klerus nad 
dem’ Ritus der Kirche zu. Er Hatte theils allein, theils mit 
der Synode die etwa in der Kirche entjtandenen Streitigkeiten 
zu enticheiven, die Kirchenzucht zu handhaben, und Sprach den 
Kirchenbann aus. Endlich aber war er Proteftor und Ders 


1) Bgl, Jirecek, Gefhichte der Bulgaren, ©. 448. 466—410. 


L 





Die Machtſtellung des Patriarchen. 81 


treter aller Griechen bei der Pforte). Im dieſer Geſtalt, 
yon einer überaus zahlreichen Beamtung umgeben, unter 
welcher namentlich der Groß -Logothete® oder Erzkanzler des 
patriarchaliſchen Thrones hervortrat (der von dem Patriarchen 
und der Synode aus der Zahl der Notablen auf Lebenszeit 
gewählt und von der Pforte beftätigt wird), von ber Pforte 
mit dem Rang und Zitel eines Paſcha von drei Roßichweifen 
gehrt, war ber Patriarch für bie Griechen, bier jpeziell bie 
Rhomäer gemeint, gewiljermaßen der Nachfolger der byzan⸗ 
tiniſchen Raifer. Und fo genoß er ein wirklich gewaltiges 
Anfeben und bielt die chriftliche Nation zufammen. Er fandte 
ale Jahre feine Erarchen nach den Provinzen, um von ben 
Metropoliten die Gefälle des PatriarchatS einzuziehen. Alle 
fünf Jahre brach er felbft auf, feine Diöceſen zu fehen, ihre 
Streitigkeiten zu fehlichten und ihnen feinen Segen zu geben. 
Sein Anfeben war fo groß, daß man fich in allen möglichen 
Verhältniſſen auch des bürgerlichen Lebens an feinen Rath 
und feine Entſcheidung wendete. Seine Hauptmacht berubte 
bei den gläubigen Griechen eben auf feiner Stellung als das 
fihtbare Haupt ihrer Nation, trogigen Naturen gegenüber auf 
jeinem Rechte, die Ercommunication auszufprechen. ‘Denn 
namentlich in dem fechszehnten Jahrhundert glaubte man, daß 
ver Leib eines von dem Patriarchen verfluchten Menſchen in 
ber Erbe nicht verweje; jo lange habe der Satan die Seele 
in den Händen, fo lange könne das Band des Leibes nicht 
aufgelöjt werben, bis der Patriarch den Bann wieder löſe. 2) 
Dazu kam, daß die anatolifche Kirche auch über beveutende 
materielle Mittel zu verfügen hatte. Durch Sultan 
Mohammed II. war ihr der Beſitz der reichen Grundſtücke 


l) v. Maurer, S.3877. und vgl. Eihmaun, Die Reformen des 
osmaniſchen Neiches, S. 19 ff. 23 fi. | 

2) Auf den ionifhen Infeln erfand man im 18. Jahrhundert das 
Mittel, fih durch erfaufte Gegenereommunifationen vor den Wirkungen 
ber dort oft gemißbrauchten Ereommunilation Seitens des dortigen 
„Protopapa“ zu fügen. Graffet St. Sauveur, Die ehemaligen 
venetianiſchen Befigungen an der Küfte von Griechenland; überfegt von 
Sprengel, ©. 21f. 

Hersberg, Geſchichte Griechenlands. IIT. 6 





82 Bud I. Kap. I. 5. Kirchliche Beſteuerung der Griechen. 


garantirt worden, welche fich zur Zeit des Unterganges ber 
Paläologen in geiftlicher Hand befanden. ‘Die Treigebigfeit 
aber, die Opferwilligkeit, zum Theil auch (vgl. ©. 74) bie 
politiiche Nothlage vieler Ehriften vermehrten dieſe Beſitzungen 
im Laufe ber Jahrhunderte wiederholt. So konnte es ger 
ſchehen, daß unter Anderem anf dem Gebiete, das gegenwärtig 
Rönigreih Griechenland genannt wird, (mit Ausnahme ver 
jonifchen Inſeln) noch im Sabre 1835 der vierte Theil nos 
Grund und Boden im Befitze der Kirchen und Kföfter ſich 
befand. So bezog and folchen Kirchengütern vor der Ber 
teibung der Osmanen aus Morea die Kirche von Korinth 
ein jährliches Einkommen von 1500 fpantichen Thalern (zu 
ſechs Franes), die Kirche von Vakedämon etwa 800, bie von 
CHriftionopolis 800, bie von Santorini bloß an Wein etwa 
1000 ſpaniſche Thaler. Dazu traten nım noch andere fehr 
bedeutende Einkünfte), Dem Patriarchen fielen zu Die Erb⸗ 
Ächaften der Erzbiſchöfe, Biſchöße, unverheiratheten Priefter und 
Mönche, die Orbinationdgebühren der Metropoliten, Erzbiſchöfe 
md Biihöfe, ferner die ihm als Biſchof von Conſtantinopel 
zukommenden Stolgebühren, wie auch die jährlichen Stenern 
sämmtlicher ihm amterftellter Btichöfe. Dazu kam noch eine 
alle drei Jahre von jeder griechiſchen Familie zu erhebende 
Abgabe. Die Erzbiſchöfe und Biſchöfe dagegen bezogen außer 
ben ihnen aus ben Kirchengütern guftrömenden Geldern noch 
andere höchſt reichlihe Einkünfte. Außer einer kleinen bes 
fimmten jährlichen Abgabe an Geld und Naturalien von jever 
Familie ihres Sprengels erhielten fie von den Laien für bie 
geiſtlichen Amtshandlungen jeber Art ſehr bebeutende Stol⸗ 
gebühren, desgleichen für die zum Abſchluß von Ehen gegebene 
Erlaubniß. Sehr erhebliche Summen wurden ihnen für die 
Leſung der Meſſen, namentlich der Seelenmeſſen gezahlt, wie 
auch jährlich für fie zweimal kollektirt. Die Klöſter, ſoweit 
fie nicht unter dem Patriarchen direkt ſtanden (ſogenannte 
Stauropigia), zahlten jährlich ihrem Biſchof eine beftimmte 


1) v. Maurer, ©. 53f. 393ff. 398}. 





Das Patriarchion in Conftantinopel. 88 


Steuer, während Die Briefter jenes Sprengeld außer einer 
hr erheblichen Summe für ihre Ordination noch verſchiedene 
Abgaben zu Tetften Hatten. Die Einfünfte waren jo bebeuten, 
daß man im legten Jahrhundert der osmaniſchen Herrichaft 
über Griechenland je nad ihren Einnahmen (bie Revenüen 
von den Kirchengütern noch ungerechnet) die Biſchöfe in vier 
Aaſſen theilen Tonnte, von denen die reichſte auf ein Jahres⸗ 
Entommen ven 80,000, die zweite von 60,000, bie dritte 
von 40,000, bie letzte immer noch von 25,000 türkiſchen 
piaſtern geſchätzt wurde. 

Theuer genug mußte alſo die griechiſche Nation damals 
die Machtſtellung und die glänzende Repräſentation ihres 
höheren Klerus bezahlen. Indeſſen wurde das im Allgemeinen 
gern ertragen, namentlich in Conjtantinopel. „Freudig 
ſah man dort das hohe Kreuz, das, auf dem Patriarchion 
aufgerichtet, weithin im Lande und weithinaus in die See zu 
erhliden mar. Das Patriarchion felbft, neben einer Marion 
Arche auf einer Anhöhe von Stambul, ein umichlofjener Hof 
mit ein paar Bäumen, und bie Wohnung des Batriarchen 
ſchien ein Heiligthum ’). Bor feinem Thore ging Niemand 
vorüber, ohne die Bruft mit der Hand zu berühren, fich zu 
beugen und im Weitergeben ein Kreuz zu maden.. Man 
überrebete fich, jene Kirche der Maria leuchte auch während 
der Finfternig wie die Sonne. Mean ging jelbft bis zu ‚einer 
umittelbaven Verknüpfung diefer Dinge mit ber Gottheit. 
» Wenn man Priefter und Diakonen in ihren Sticharien und 
Ormien hervortreten, um den Thron umbergehen, die Köpfe 
am Gebet neigen jehe, feien- fie den ‚Engeln Gottes gleich, 
wenn dieſe fich zu dem ‚Heilig ift Gott!‘ um ben himmliſchen 
Thron geſtellt. Ja, mit Gott felbft auf feinem himmliſchen 
Stuhfe Yaffe ſich der Patriarch vergleichen, ber eine Perſon 


1) Ganz genau erzählt, fo wurde nah Offupation (durch Moham⸗ 
meb II.) ver Sopbienfirche für den Islam das Patriarchion zuerſt nad 
der Kirche der h. Apofiel, aber noch in demſelben Jahre nach dem 
Kloßer der Allerfeligfien Jungfrau, 1578 nach der Kapelle des h. Deme- 
trios, 1608 mach "der Kapelle bes h. Georgios verlegt. 

6* 


84 Bud I. Kap. I. 5. Bürgerliche Eompetenz bes Patriarchen. 


der Trinität, nemlich Jeſum Chriftum, vorftelle auf jeinem 
irbiichen Thron. Das Heiligtfum ber Gebenedeiten, ein 
irdiiches Paradies, habe Gott gemacht und nicht Menſchen⸗ 
hand!«91) | 

Die Bedeutung des höheren Klerus für die Griechen war 
num allerdings keineswegs auf die geiftliche Stellung befjelben 
beichräntt. Vielmehr verfügte derjelbe mit dem Willen und 
der Zulaffung der Pforte über ein jehr namhaftes Stüd 
auch weltlicher Macht, nemlich auf Seite der Juſtiz. Noch 
in unmittelbarem Zufammenbange mit der geiftlichen Amts 
gewalt ſtand es, daß der griechiihe Episfopat alle Ehe- und 
ZTeftamentöftreitigfeiten, gemäß den Beitimmungen bes Tanonifchen 
Rechtes, lediglich vor fein Forum 309. Auf dieſer Seite 
fonnte von dem Spruce eines Biihofs nur an ven Patriarchen 
und die Synode in Conftantinopel appellivt werben 2). Außer: 
dem aber übten die Bifchöfe auch noch zum Theil allein, 
zum Theil mit den griechiichen Primaten (f. unten) eine 
ſehr bebeutende Gewalt in Civilftreitigfeiten unter Griechen 
aus. Nach der jetzt geltend gewordenen Anficht war dieſe ihre 
Gewalt keineswegs bloß eine jchiedsrichterliche, auf freiwillige 
Unterordnung der Parteien begründete, vielmehr °) feheint es, 
daß die Osmanen, deren Padiſchah ja felbit geiftliche und 
weltliche Macht in Einer Perjon verband, und deren Kadis 
zugleich geiftliche und weltliche Richter waren, e8 nur natürlich 
fanden, wenn die griechtichen Biſchöfe neben ihrer geiftlichen 
Competenz auch eine weltliche ausübten, und fich fortichreitend 
guf der Linie bewegten, wie fie feit der Zeit des Kaiſers 
Andronitos II. Paläologos (Bd. II, ©. 179 u. 265) und feines 
Enlels (1329) für die Beziehungen ber Bilchöfe zur Jurisdiktion 
giltig geweien war. Seit dieſer Zeit hatten die Bifchöfe jehr 
bedeutendes Anfeben bei der Juſtiz gehabt, in einigen Provinzen 


1) 2. Ranke, Die Osmanen, ©. If. 

2) v. Maurer, ©. 9. 

3) ®gl. Finlay, History of the byzantine and greek empires, 
vol. U, p. 5245q. Eichmann a. a. O. ©. 4. 14f. 24f. Heimbach, 
Griechiſch⸗römiſches Recht (Allgem. Encyklopäd., Sekt. J, Bd. 87, &.37—. 


Bürgerlicde Competenz des griechiichen Episfopates. 85 


jelbft bei den gerichtlichen Verhandlungen präſidirt. Wenn 
für die türfifche Zeit die biichöfliche Jurisdiktion nur als 
ſchiedsrichterlich ericheint, To Liegt diejes daran, daß die Parteien 
allerdings mit wenigen Ausnahmen das Recht hatten, falls ihnen 
bie geiftliche Entſcheidung nicht gefiel, die Sache bier liegen 
zu laffen und ven Proceß fofort vor ben türkiſchen Kadi zu 
bringen und von diejem Recht zu nehmen. Praktiſch machte 
fh Die Sache aber in der Regel fo. Der Patriarch in 
Stambul hielt an der Spike eines Capitels von vornehmen 
Klerikern und angefehenen Laien wöchentlich zweimal Gerichtötag 
und entichied bier alle vor ihn gebrachte Civilrechtsftreitigfeiten, 
übte aber auch binfichtli der von Griechen in Ehefachen und 
in Bezug auf gaben zu Kirchlichen Sweden begangenen Vers 
brechen eine bedeutende Criminaljurispiktion aus. In analoger 
Weile, obwohl mit viel beſchränkterer Competenz in Strafjachen, 
übten in ben Provinzen Erzbilchöfe und Biſchöfe unter 
Mitwirkung einer Anzahl von Geiftlichen und Laien die 
Gerichtsbarkeit aus. Der Batriarch hatte nur auf rund 
des Gehorſams, den die Anhänger feiner Kirche ihm zu leiten 
verpflichtet waren, ein gewiſſes korrektionelles Polizeirecht. 
Aber die Gewalt des Firchlichen und nationalen Zuſammen⸗ 
hanges, die ungeheure felbftändige Gewalt des hoben Klerus 
innerhalb der griechiichen Nation, endlich die nur ſpät in ihrer 
lähmenden Wirkung abgefchwächte Macht der Exkommunikations⸗ 
drobung waren Mittel genug, um den Entfcheivungen ber geijt« 
lichen Nichter bei den Griechen dauernd Nachachtung zu erzwingen. 

Dazu famen aber noch manche andere bebeutungsvolle 
Momente, welche der Stellung ber Biſchöfe ein ſolches 
Gewicht gaben, daß nicht Yeicht ein Grieche fi) von ihnen 
losſagen mochte. Der Biichof war eben für die verjchiedenften 
weltlichen Angelegenheiten der Rath und Beiftand feiner 
Glaubensgenofjen. Wollte ein Grieche einen Verlauf oder 
jonftigen Contrakt abichließen, fo wanbte er fich an feinen 
Biſchof, ließ von ihm die Urkunde abfaffen und zur größeren 
Beglaubigung mit unterfchreiben. Sollte ein Minderjähriger 
einen Vormund haben, die Bormundichaft über die geſetzliche 





86 Bud L. Rap. I. 5. Gerichtsbarkeit ber griechiſchen Bifchöfe. 


Zeit binaus verlängert werden, Rechnung von dem Vormunde 
abgelegt oder tonftiger Rath in Vormundſchaftsſachen ertheilt 
werben, jo wandte man fich an den Biſchof. Wegen Abfaffung 
von ZTeitamenten ging man zum Sanzler ober Notar Des 
Biſchofs. Es gab kaum eine Sache von Wichtigkeit, wegen 
ber man jich nicht vorher mit dem Biſchof berathen hätte. 
Endlih aber nahm der Biſchof auch an den allmählich ſich 
entwidelnden Gemeinde⸗ und Bezirföverfammlungen Theil und 
war ber natürliche Vertreter des Volkes im Talle gerechter 
Beſchwerden — gegen griechiſche Machthaber bei vem Woiwoden 
und gegen den Woiwoden bei dem Balcha !). Auf der anderen 
Seite ſtand e8 außer Zweifel, daß der Grieche in der Regel 
weit beifer fuhr, wenn er fich bet der bifchöflichen Entſcheidung 
in Rechtsfällen berubigte, als wenn er bei dem Kadi Recht 
juchte Der griechiſche Biſchof ftüßte ſich bei feinen 
Enticheivungen Hauptfächlich auf eine berühmte Bearbeitung bes 
älteren byzantinischen Nechtes oder vielmehr auf ein Handbuch, 
welches aus dem Proceiron des Kaiſers Baſilios J., aus den 
Baftlifen und aus den Novellen Yuftintans in der Mitte des 
vierzehnten Jahrhunderts durch Konftantin Harmeno- 
pulos, feiner Zeit Oberrichter unter Johannes Kantakuzenos 
und Johann V. Paläologos in Theſſalonike, Kergeftellt worben 
war und fich als Lieblingsbuch des Klerus in ausgedehnten 
Gebrauche erhielt. Daneben waren aber noch verjchiedene 
anbere Handbücher im Gebrauch, in denen bürgerliches und 
fanonifches Recht enthalten war 2). Daneben aber galt, nicht 
bloß bei den Vorſtänden der allmählih ſich ausbilvenden 
griechtichen Gemeinveverfaffungen, vielfach auch das fogenannte 
Gewohnheitsrecht, welches Teinesivegd überall mit dem Harme⸗ 
nopulos übereinftimmte, welches auch der Weiterbildung unter 
Sag, ftellenweife auch, wie zu Syra (1695), zu Santorini zu 
Ende des achtzehnten Jahrhunderts (1797), zu Naxos (1810) 
schließlich ſchriftlih Todificirt wurde. Obwohl nun bie 


1) v. Maurer, S. Yf. Heimbach, ©. 40. 
2) v. Maurer, S. 104ff. Heimbach, ©. 40 u. 4ff. 








Griechiſche und türkiſche Rechtspflege 87 


bifhöflihen Gerichte mit Einſchluß der nach dem Gewohn⸗ 
heitsrechte gefällten Entſcheidungen ſelbſtredend vieffache juriſtiſche 
Schattenſeiten hatten; obwohl namentlich die geiſtliche Gerichts⸗ 
barkeit von dem nationalen Übel der Käuflichkeit ſich durchaus 
nicht frei gehaften bat, jo waren die damit verbundenen 
Mißbräuche doch noch lange nicht fo fchlimm, als jene bei ver 
osmaniſchen Juſtiz. Der Broce bei dem Kadi war jehr 
theuer, indem berfelbe (unbejolvet wie er war) das Recht 
hatte, zehn Procent von jeder an ihn gebrachten Civilſache zu 
erheben. Und ats erft feit Suleimand des Prächtigen Tode 
vie osmanifche Herrichaft moralifch zu verfallen begann, nahm 
einerſeits die Käuflichkeit der türkifchen Suftiz überband, wurde 
es auch für die Griechen immer bevenklicher, durch Prozefie 
boy dem türkifchen Richter Reichthümer zu zeigen. Es galt 
im fiebzehnten Jahrhundert für ficher, daß pie bei türfijchen 
Nichteen geführten Prozeſſe zwiſchen zwei Griechen immer mit 
dem Ruin beider Parteien endigen müßten. Aber auch }o 
wor em jchlimmer Umſtand nur felten zu vermeiden. Aller« 
dings folften im Falle von Civilprozeſſen zwifchen Griechen, die 
bet dem Kadi geführt wurden, die türfiichen Richter nach dem 
griechifchen Rechte enticheiven. Aber die Zahl der gewiſſen⸗ 
haften Türken, welche fi) vor ihrer Urtheiläfindung bie Mühe 
nahmen, das griechiſche Hecht zu ftubiren, war nur gering. 
Biel öfter wandten fie kurz und gut türfifches Necht auf bie 
Griechen an, und waren ſogar in vielen Fällen gehalten, nur 
ihr türkisches Recht zur Anwendung zu bringen ). 

Die Folge viefer Berbältniffe ift denn auch geweſen, daß 
die Tendenz bes griechtihen Episkopats, die türfiichen 
Gerichtshöfe wenigſtens im ihrer Beziehung zu ven griechtichen 
Untertfanen des Padiſchah „trocken zu legen‘, die Griechen 
unter allen Umftänden von einer Hinwendung zu den Kadis 
zurückzuhalten, in ber Hauptſache vollitändig vom Erfolge 
gekrönt worden ft. Und das in ſolchem VUmfange, daß gar 
nicht jelten jogar Türken bei Nechtstreitigfeiten mit Griechen 


1) Bgl. v. Maurer, ©. ff. 





88 Bud I Kap. I 5. Griechiſche und türkifche Rechtepflege. 


e8 vorzogen, bei dem griechiichen Biſchof Hecht zu nehmen. 
Allerdings geftaltete fich auch nach Seite der Rechtspflege das 
Bild der griechiichen Zuftände ungemein bunt. Ganz und gar 
verdrängen ließ fich der Kadi und das türkiſche Hecht aller- 
dings auch in Civilſachen nicht. Es gab jogar einige Punkte 
in Griechenland, wie Modon, Kythnos und Negroponte, wo 
das türfiiche Pecht die Dberband gewann, wo es auf alle 
Nechtsverhältniffe der Griechen zur Anwendung gebracht wurde. 
Es gab auch verjchtevene gerichtliche - und außergerichtliche 
Handlungen, die vor den türliichen Richtern vorgenommen 
oder doch von ihnen bejtätigt werben mußten. Der Kabi 
mußte bie von den Griechen ernannten Euratoren oder Tutoren 
beftätigen. Ehekontrakte, Adoptionen, gewiife Käufe und Vers 
fäufe mußten zu voller Giltigfeit von dem Kadi wenigftens 
beftätigt werden. Ebenſo galt auf manchen Punkten für 
einzelne Nechtöfragen türkiiches Recht; fo zu Voſtitza im 
Vormundſchaftsweſen und in Sachen von Servituten, in Argos 
in Bezug auf den Termin der Volljährigkeit u. |. w. Sm 
Milos, in Athen, in Mifithra, in Meſſenien appellirte man 
nicht allzu felten von der Entſcheidung der griechtichen Behörde 
an die türkiichen Gerichte. Im Großen und Ganzen aber 
bominirte in dem Rechtsweſen bas griechifche Episfopat voll 
fommen, fo fehr daß auf vielen Punkten, namentlich in 
Nauplion, in Lakonien und auf den meiften Infeln, bie Biſchöfe 
in den ausſchließlichen Beſitz der Civilgerichtsbarkeit gelangt 
waren. Auf mehreren Injeln, wie auf Poros, Salamis und 
Aegina u. a. m., fauften die Gemeinden im fiebzehnten Jahr⸗ 
hundert bei dem Kapudan⸗Paſcha die ihnen Täftigen Stellen 
der Kadis und Woiwoden einfach aus ?). 

In dieſer Weife ift durch die Kirche die griechiſche 
Nation dauernd zufammengehalten, gewilfermaßen als eine 
Theofratie regiert, in ihrer Iſolirung von der Durchjegung 
mit dem osmaniſchen Wefen möglichit zurückgehalten und für 


1) Vgl. v. Maurer, S. 81. 94. 98f. 112f. 139f. 148. 266. 277. 
329. 338. 








Schattenfeiten der Sage ber Griechen unter türkiſcher Herrſchaft. 89 


eine beilere Zukunft gerettet worden. Sorgte ber türkiſche 
Drud an fich dafür, daß der alte Haß gegen die Fremdherr⸗ 
haft niemals erlofh, fo hielt der Bann der Kirche auch 
fichtblütigere Elemente davon zurüd, fich etwa in den Provinzen 
durch Heirathen mit den Osmanen zu verbinden, d. h. unter 
ihnen aufzugeben. Es wird nicht zu beftreiten fein, daß nur 
auf dieſe Weile. bei der Lage der Umſtände zur Zeit bes 
Unterganges der Paläologen Religion und Nationalität ver 
Rhomäer vor vollftändiger Auflöjung gerettet werden fonnte. 
Aber auh das kann nicht geleugnet werden, daß bie höheren 
geiftlichen Beherrſcher der griechiihen Nation unter türkiſcher 
Oberhoheit jammt der allmählich neu jich entwidelnben 
Ariftofratie des Fanars — wie fie immerhin den Beftand 
ihres Volksthums gerettet haben — Doch nicht die Elemente 
gewejen find, auf welche nachmals die Erneuerung des 
griechtichen Volles fich gründen konnte. Nicht das war bei 
dem Tirchlihen Regiment ber Griechen in ver Türkei das 
Schlimmſte, daß bei der bespotiichen Natur des osmaniſchen 
Herrenthums wiederholt die Willkür der Pforte die garantirten 
Privilegien der Griechen durchbrach und mißachtete, Daß bei 
dem Auflodern des Leicht zu entzündenden mujelmantichen 
Fanatismus bald die Organe der Regierung, bald die Maffe 
der Moslims, wie wir e8 bis auf diefen Tag erleben müffen, 
zu graufamen Verfolgungen und Bedrückungen ber Rhomäer 
ſich fortreißen ließen; auch nicht einmal der ſchnöde Umstand, 
daß die griechiichen Chriften in Sachen ihrer Rirchenbauten 
einer unwürdigen Beichränfung unterlagen, nicht unähnlich den 
Bladereien, denen fich noch im achtzehnten Jahrhundert Die 
Proteftanten in manchen Theilen der Republik Bolen ausgejett 
ſahen: Zuftände, Die namentlich im fiebzehnten Jahrhundert 
vielfach, wie in Argolis und Lakonien, zur Anlage von 
Höhlenfirchen führten. Dann allerdings verichaffte den Griechen 
erit der Friede von Kutſchuk⸗Kainardſche 1774 das Recht, ihre 
alten Kirchen ohne alle Beſchränkung repariren und neue erbauen 
ju dürfen. Bis dahin follten neue Kirchen überhaupt nicht 
gebaut, die alten — und zwar unter den leibigften Be—⸗ 


90 Buch I Kap. L 5. Schattemfeiten bes höheren griechifchen Klerus. 


ſchränkungen — nur erneuert oder reparirt werben !). Ein 
Berhältniß, welches jelbftrevend Die Duelle ber fchmählichften 
Ehilanen und Erpreifungen werben mußte Im Princip 
hielten doch tüchtige Sultane, ehrenhafte Muftis, intelligente 
Großweſſirs, welche die unermeßliche Wichtigkeit. des griechifchen 
Volkes für das osmaniſche Neich zu würbigen wußten, baran 
feit, Die der anatolifchen Kirche zugeſtandenen echte zu achten 
und zu beſchützen. Das größte Übel war doc, daß in den 
Yanar zu Conitantinopel eine Reihe ſchlimmer Schattenfeiten 
des Byzantinismus der fpäteren Zeiten bed ausgehenden 
Rhomäerthums fortlebten. Nicht daß es dem griechiichen 
höheren Klerus an griechifchem Nattonalgefühl gemangelt hätte. 
Nicht daß es der anatoliſchen Kirche an würdigen Häuptern 
gefehlt Hätte. Aber die den Griechen gegenüber jo mächtige 
und vielfach jo gewinnbringende Stellung, und wieder gegenüber 
ber Pforte die reale Machtlofigkeit einer äufßerlich überaus 
glänzenden Stellung des Patriarchen und weiter des Episkopats 
erzeugte jehr bald höchſt verberbliche Zuſtände. 

Der erſte böſe Nachtheil wurde ed, daß feit dem Sturz 
bes Kaiſerthums von Zrapezunt (Bd. II, ©. 583), in Folge 
beffen eine Menge vornehmer Laien und Slerifer aus der 
pontischen Refidenz nach Stambul überfievelten, in dem Fanar 
zwei Barteten fich bildeten, welche mit Ungejtüm und mit 
alten Mitteln der Intrigue um ben Beſitz der neuen kirchlichen 
Fürftenfrone von Conftantinopel ftritten. Damit drang aber 
ber Einfluß der Pforte auf die Beſetzung des geiftlichen 
Thrones ber griechiichen Welt und zugleich der verberblick 
Unfug der Simonte in weitem Umfange in die Kirche ein. 
Der Wille der osmanischen Machthaber und pas Geld wurden 
enticheivende Mächte in ven höheren Schichten der anatoliichen 
Kirche. Schon unter Mohammed I. war die ftipulirte 
Eremtion des Patriarchen von Steuern wett gemacht worden 
durch ein Antrittsgeſchenk, welches der Sirchenfürjt bei der 
Übernahme jeines Amtes der Pforte zu zahlen hatte, und welches 


1) Bgl. v. Maurer, ©. 381. 409. 








Schattenfeiten des Höheren griechiichen Klerus. Rn 


mm Dank ber fortdauernden Intriguen um die Beſetzung biefes 
Poftens fich fortlaufend jteigerte. Damit verlor aber gar bald 
auch die Befekung des Patriarchats ihren Werth. Theoretiſch 
jollte der Patriarch durch die Synode mit Einfchluß aller zur 
Zat enter Bacanz in Stambul anweſenden Erzbifchöfe und 
Biihöfe gewählt werben. Die Wahl war das Ergebniß einer 
vorgängigen geheimen Berathung zwiſchen ven einflußreichiten 
Mitgliedern der Synobe und den Notabeln des Fanars. War 
dann die Zuſtimmung der iu ben Vorhofe bes Patriardhion 
verſammelten PBatriarchalbenmten, der Notabeln des Fanars 
md dev Häupter der Gewerfe erfolgt, fo ertheilte die Pforte 
iſren Beftätigungsbrief, um ver neu Gewählte erhielt den 
Batrtarchenftab, den violett-blauen Patriarchenhut, die ſchwarze 
Kappe, ven Mantel, das geblümte Untergewand und ein weißes 
Roß. Praktiſch aber geftaltete fich die Sache fo, daß bald 
anf Wunſch des Sultans oder Großweifirs, ober. andererjeits 
Wieder mächtiger geiſtlicher und iweltlicher, auf den Diwan 
einwirkender Parteien des Fanars, je nach. Umftänden bie 
Synode von der Pforte ber beeinflußt wurde, und daß ferner 
für die Ausfertigung des großherrlichen Berat im Voraus eine 
beftimmte hohe Geldſumme verabredet war. Das Übelfte wurde 
mm, daß namentlich im Laufe des ſechszehnten Jahrhunderts nie 
Sitte einriß, die Patriarchen immer nur wenige Jahre im Amte 
Mm belaſſen. Spielte dabei nicht das griechiiche Intereffe feine 
ſchmähliche Role, jo war es oft genug der Wille ver Pforte, 
der — ſobald nicht offene Gewalt geübt, Patriarchen wie Biſchöfe 
nicht ohne Weiteres auf „Hochverrath“ angellagt, abgejett over 
getöbtet wurden — die Symode ohne Mühe beftimmte, ben 
Patriarchen (in der Negel „‚megen ſchlechter Amtsverwaltung“) 
abzujegen ober zur Abbanfung zu nöthigen. Weil aber bei 
folder Jagd nach dem Patriarchat das Geld die Hauptrolle 
jpielte, nachher auch wieder das Geld oft genug andere Plagen 
Seitens der Pforte abwehren mußte, fo kam die böfe Gewohnheit 
auf, nun auch wieder Seitens des Batriarchats Erzbisthümer 
und Bisthümer für Geld zu nergeben; damit Tief parallel bie 
Neigung mancher Kleriker, bei dem Paſcha ihrer Provinz durch 





2 Buch I. Kap. I. 5. Der niedere Klerus und die Mönche. 


analoge Mittel ſich die Fürfpracdhe in Stambul zu erkaufen, 
durch die man zur biichöflichen Würde emporzufteigen hoffte. 
Und für alle folche Gelvopfer juchte fi) dann der Biſchof 
wieder an dem niederen Klerus und an der Laienſchaft feines 
Sprengel zu entfchädigen. Der letztere Umftand hat ſehr 
weientlich dazu beigetragen, in den |lamwijchen Provinzen 
den griechiichen regierenden Klerus bei dem Volke höchſt un 
populär zu machen. Die Folge aller diefer Umſtände war ed 
natürlih, daß gar nicht felten Männer zu ven höheren kirch⸗ 
fihen Stellen gelangten, die als würdig nicht angeſehen 
werden konnten. Jedenfalls aber war diefes nicht bie 
Art, um die Leitung der griechiichen Hierarchie in die Hände 
von Männern mit unabhängigem Charakter zu bringen ?). 
Troß des innigen Zufammenhanges der Griechen mit 
ihrer Kirche würde dieſes Treiben die Anhänglichfeit der Nation 
tief erichüttert haben, wäre nicht die große Maſſe des 
niederen Klerus und theilweiſe auch der Mönche mwader, 
ebrenbaft und in dem intimften Zuſammenhange mit bem Leben 
des Volkes geblieben. Es gilt dieſes namentlich von der 
Pfarrgeiftlichkeit, ven Papas, welche recht eigentlich Die tröftende 
Seite der Kirche in der Karten Lage des griechiichen Volles 
vertraten. Ihr Einfluß war am bebeutendften nicht ſowohl 
in den großen Centralplägen, wo Maſſen von Griechen ſich 
_ unmittelbar mit den Osmanen berübrten, ſondern im ven 
Provinzen, auf dem Lande, wo in der Bauern⸗ und Hirten 
bevöfferung bie Zukunft der Griechen verborgen ruhte, und in 
den Heineren Städten. Der griechiiche Geiftliche, der in feiner 
Stellung nur felten von höherem Ehrgeize berührt wurde, 
war mit dem Volke durchaus verwachien. Da bei den Papas 
bie Heirath Regel war, blieb er allfeitig mit den Gefühlen 
und Intereffen der Nation in innigem Zufammenbange; da er 


1) v. Maurer, ©. 381ff. Eichmann, ©. 17 u. 20 f. 27-29. 
Finlay, Greece under othoman and venetian domination, p. 165 
bis 174 176— 178. Jirecek, Gefchichte der Bulgaren, ©. 468 f. 
Bihler, Eyrillus Lularis, ©. 15 ff. und Paul Trivier, Cyrille 
Lucaris (1877), p. 7sqq. cap. I—V, 





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" Der niebere Klerus und die Mönche. 93 


nur auf die Revenüen von dem eventuell vorhandenen Grund⸗ 
befig feiner Kirche, auf die mäßigen Stolgebühren und auf 
bie milden Gaben an Naturalten von Seiten der Gemeinde 
angewiejen war, jo galt für ihn die evangeliiche Armuth als 
Regel. Die Bildungsftufe der Papas war felten viel höher, 
als jene der beffer fituirten Bauern ihrer Gemeinden. Um 
als Weltpriefter orbinirt zu werben, beburfte es feiner 
nennensiwerthen theologiichen Ausbildung; auch die Kunſt des 
Schreibens war unter ihnen nicht gar fehr verbreitet. Des 
Werktags trieben fie wohl ein Handwerk. Dafür gehörten fie 
ganz ihrem Volke an, theilten deſſen Schickſal und Sinnes⸗ 
weile, deffen Leiden und Freuden in ganzem Umfange, ſympa⸗ 
thifirten mit ihm jo vollftändig als möglih, und waren in 
allen Dingen, bei denen man nicht erft den Bifchof zu Rathe 
zu ziehen brauchte, feine Vertrauten. Das ging fo weit, daß 
jelbft die griechiſchen Klephten (ſ. unten) und Corjaren, hier 
namentlich die Maniaten, bei ihren NRaubzügen gern einen 
Priefter oder Mönch mit fich führten, der ihnen bei töbtlicher 
Verwundung over nach vollbrachter That die nöthige Abfolution 
ertbeifen ſollte. Wurzelte in dieſem mächtigen Cinfluffe der 
Priefterfchaft vorzugsweiſe die Widerſtandskraft der griechifchen 
Chriften gegen die Verlodungen zum Übertritt zum Islam, fo 
war andererſeits freilich der in folcher Weile gepflegte Gefichts- 
reis fein fehr weiter, bie religiöfe Sinnesweife feine allzu 
ideale. Bei dem Drude, unter welchem die griechifche Nation 
feft aller Orten Iebte, entfalteten fich ohnehin mehr nur paffive 
Zugenden, mit Einſchluß eines fehr feften und zähen Familien» 
gefühles. Die fchlimmen Eigenjchaften, meldhe früher die 
ausgehende byzantiniſche Regierungsweiſe, dazu die vtelfache 
Fremdherrſchaft, nunmehr die osmanijche Gewaltherrichaft bei 
den Griechen förderte, namentlih Tüde, Nachjucht, tiefe 
Unwabrhaftigfeit, bösartige Verftocdtheit, dann wieder pfiffige 
Geihmeidigkeit, arge Uft, mit Einem Worte alle ſchlimmen 
Züge, wie fie lange und hoffnungsloſe Knechtſchaft gerade 
bei alten Kulturvölkern zu erzeugen pflegt, konnten auch durch 
die Kirche nicht gezäbmt werden. Wird immerhin den volks⸗ 


| 94 Bud I. Rap. I. 5. Die griechiſchen Mönche. 


tbümlichen Prieftern nur Mangel an Bildung und bäuriſches 
Weſen, mt aber Mangel an chriftlicher Sittlichleit vorge 
worfen, jo trug es body währen ber dunklen Jahrhunderte 
feit dem Falle von Conftantinopel und Morea bis zu den 
boffuungsreicheren Zagen des achtzehnten Jahrhunderts auch 
innerhalb der wohlmeinenden kirchlichen Kreiſe viefjeitig das 
äußere Kirchenthum Davon. Aberglaube, jtrenges Tefthalten 
an dem Cerimoniell und ven Niten ver anatoliichen Kieche, 
und in meiteftem Umfange von dem Patriarchion in Stambul 
bis nach Kreta und Kypros und Meſſenien die ausdauernd 
gemährte Abneigung gegen den Islam, and faft noch mehr 
gegen das röm iſch⸗katholiſche Weſen (welches man um jo 
mehr vexabicheute, weil Franken und Benetianer in der Regel 
dem griechiishen Klerus nicht einmal jene Conceſſionen machten, 
wie jelbit bie Pforte) begegnen uns bier allervings als 
harakteriftiiche Züge. Das Mönchthum endlich bildete eine 
jehr bunt zuſammengeſetzte Schaar. Ihre Lage war allerdings 
durchaus feine unbequeme. Ging ein Theil des Reſpekts, den 
die Moslims vor ihren eigenen Derwiſchen hegten, ‚auch auf 
bie chriſtlichen Klofterbrüber über, jo befanden ſich anbererjeits 
bie Klöfter in der Megel im Beſitze ausgevehnter Güter, welche 
in ähnlicher Weile wie jene der Kirche ſich ftetS vermehrten 
und beren NRechtstitel die Pforte nicht anfocht. Die Klöfter 
waren baher auch unter der oomaniſchen Herrichaft andauernd 
der Rückzugsplatz vieler weltmüder Menſchen von Bedeutung, 
freilich nuch zeitmeife alter Piraten und Klephten, welche 
während ihrer letzten Lebensjahre Hier ihre Sünden abbüßten 
oder vor der Ahndung der Juſtiz fich in das Dunkel ver 
Rutte verbargen. Sie waren aber .anbeverjeitd auch der Sik 
ehrgeiziger Klerifer, weil aus ihren Reiben vie höheren 
Würdenträger ber anatoliſchen Kirche großentheils hervorgingen. 
Wo nun bas Mönchthum nicht in Geftalt der einfamen Askeſe 
und bes Eremitenbafeins, fondern wie gewöhnlich in Tlöfterlicher 
Geftalt auftrat, va überwog aber doch bei nur geringer Pflege 
der Wiffenichaft und mönchiſchen Runftübung, und neben ber 
zur Routine geftalteten Anbachtsübung die predtiiche Land⸗ 








Der "Athos. N) 


wirtbichaft, bie vielfach ein einfaches und behagliches Leben 
ermöglichte, ohme jedoch Die irdiſchen Leidenſchaften aus ben 
Reiben der Brüder bannen zu können. Neben ver alten großen 
Mönchsrepublik auf dem Athos (devem jüngftes Kloſter 
Stauronikita vor 1545 Durch den Patriarchen Jeremias 
erbaut und fundirt wurde), welche alle Züge des griechiichen 
Höfterfichen Mönchthums in ihrem Bereiche vereinigte und 
bei bleibenber Verbindung mit dem byzantiniſchen Patriarchat 
jet dem Falle der Paläologen namentlich an ben griechiich- 
gläubigen Beherrſchern der Walachei, der Moldau und Ruß—⸗ 
lands freigebige Wohftbäter fand, und als vorzugsweiſe heilig 
immer mehr das Biel frommer Wallfahrten aus den nörb- 
lihen griechiſch⸗ gläubigen rumäniſchen und ſlawiſchen Ländern, 
wie auch gelehrter Reiſender aus dem Abendlande wurde, und 
im ſiebzehnten Jahrhundert etwa 6000 Mitglieder zählte; 
neben den Gebirgsklöftern in Theſfalien (Bd. I, ©. 341) 
und dem peloponnefifchen Megafpiläon war Griechenlands Feft- 
fand und Infelwelt mit Klöftern und Eremitenfigen bedeckt, — 
an Zug, welcher das Bild ber geiftigen Phyſiognomie der Griechen» 
welt unter türkiicher Herrſchaft entjchieben vervollitänbigt !). 
Sp beveutjam nun auch die anatoliiche Kirche zunächſt für 
vie Erhaltung der griechiichen Nationalität während mehr denn 
drei dunkler Jahrhunderte, jchließlich auch für den Charakter ver 
neugriechiichen Erhebung gegen die Pforte geworben ift: bie 
Sauptfrage war und blieb e8 doch bis zu Ende des achtzehnten 
Jahrhunderts, bis zu wer Zeit, wo das osmaniſche Reich fich 
ſelbſt auflöſen und völlig kraftlos werden zu follen ſchien, — 
lebten in der byzantiniſch, franzoſiſch und italieniſch vernugten 
griechiſhen Nation, wie fie glieverweife von den Osmanen 
überwältigt worden war, wirklich noch Elemente, von denen in 
irgend ‚einer befferen Zukunft eine politiſche Erneuerung ver 
Nation erwartet werben fonnte? Die Gefchichte Hat Diefe 


1) Bgl. v. Maurer, ©. 96 u. 403—415. Finlay, p. 180—183 
(und vgl. „History of the greek revolution“, vol. I, p. 12 sq.). 
Menderlsfohn- Bartholdy, S. 14—17T. Gaß, Zur Gefhichte 
der Athostlöſter, S. 36—43. 





9 Bud I Kap. I. 5. Die Fanarioten. 


Frage bejabend beantwortet. Nur durfte man fie nicht da 
fuchen, wo bis zum Todestage des edlen Konftantin Paläologos 
die Gentralfige des Rhomäerthums geweſen waren. Dart 
der bunten Vorgeichichte der osmanischen Ausbreitung auf dem 
Boden Romaniens bis zum Abzuge der Venettaner aus Candia 
batte die fociale und ethnographiſche Phyſiognomie ber Griechen 
auf dem wetten Gebiete von Korfu und Zante bis nach Kypros 
und Trapezunt einen beinahe ebenfo bunten Charakter an— 
genommen, wie nur in ben lebensvolliten Zeiten ver alten 
Hellenen. Aber im Großen betrachtet, jo rebuzirte fich der 
Hauptunterſchied unter den Griechen, über welche der Padiſchah 
gebot, doch immer auf ben Gegenſatz zwiſchen ven vergleich 
weile fernhaften, vielfach mit Wlachen und Schlypetaren 
burchießten Griechen zwiſchen dem Olymp und bem Cap 
Matapan; zwiſchen ven ihrem Blute nach viel ungemijchter 
erhaltenen, aber für die politiiche Erneuerung Griechenlands zur 
Zeit noch minder boffnungsreichen Griechen der Injeln des 
ägäiſchen Meeres, und zwiſchen den neu aufblübenden großen 
ſtädtiſchen Maſſen griechiichen Volkes, namentlich in Con- 
ftantinopel, welche letztere allmählich wieder eine Geſchichte für 
fih gewannen. 

Die große politische Bedeutung der Griechen von Con 
itantinopel, namentlih der Sanarioten, beginnt allerbings 
erit jett dem Ende des fiebzehnten Jahrhunderts, und erft 
während des achtzehnten bat fich die tiefe Mißſtimmung ber 
verſchiedenen chriftlichen Völker in dem Reiche bes Sultand 
gegen dieſen Zweig ver griechiichen Nation ausgebildet. Wir 
fernen jpäter und bei der Geſchichte bes neunzehnten Jahr⸗ 
hunderts die große Bedeutung fennen und würdigen, welce 
troß aller Anklagen auch die Fanarioten um die Wieder: 
geburt Grtechenlands fich erworben baben. Sicher aber ilt 
e8 allerdings, daß die in Stambul nen fich fammelnde 
griechtiche Gemeinde ihrer Natur nach nicht den hiftoriichen 
Beruf gehabt bat, der neue Mittelpunkt der fünftigen 
griehiichen Nation zu werden. Die unter Mohammed IL, 
iwie wir ſahen, mit allen Mitteln neu zufammengetriebenen 





Die Fanarioten. 97 


griechiſchen Maſſen mochten immerhin bald genug in ber 
wunderbaren Stadt am Golvenen Horn Wurzel jchlagen und 
zu neuen Gebeiben gelangen. Es war auch nur natürlich, 
daß aus einigen alten biyzantintichen großen Familien, aus 
dem nad Stambul geführten griechtichen Adel von Trapezunt, 
aus großen griechiichen Kaufleuten, aus ver hoben Laien- 
beamtung, die ſich um das Patriarchat gruppirte, allmählich 
eme neue fanariotiſche Ariitolratie der Griechen fich 
herausbildete. Aber die Vertreter diejer Familien waren es 
niht, bei denen ber Gedanke einer Wiebererhebung ver 
Griechen zuerft Wurzel jchlug. Bei den Griechen Stambuls 
demintrte lange nur der völlig natürliche Gedanke, fich mit 
ver osmanifchen Welt auf möglichft leiblichen Fuß zu ftellen 
und aus den Beziehungen zur Pforte und zu ber anatoltichen 
Hierarchte für fich möglichit erhebliche Vortheile herauszufchlagen: 
jene Sinnesweife,, die den Fanar noch heute vielfach erfüllt. 
Es gab manche angejehene Familie griechiichen Blutes, welche 
ſich dem türkifchen Weſen anzujchmiegen verjtand, auf Sitten, 
raten und Lebensgewohnbeiten der Osmanen einging, und 
m Laufe des jechszehnten Jahrhunderts nicht mehr fich ſcheute, 
unmittelbar in die Dienjte ber Pforte zu treten. Wenn 
auch damals noch lange nicht in dem Umfange, wie in ber 
althelleniſchen Zeit die Berfer, wußten die Osmanen allmählich 
doch die gefchäftliche Brauchbarkeit und gejchmeidige Gewandtheit 
der gebildeten Griechen zu würdigen und zu verwenden. 
Zunächft wurde es üblich, ſolche Männer als fiskafifche Agenten: 
oder als Steuerpächter ver Pforte zu verwenden. Wer damit 
den Handel verband, mit welchem auch auswandernde Griechen 
in Moskau umb Antwerpen befchäftigt waren, konnte es balo 
zu großen Reichthümern bringen. Paläologen (BIO, ©. 578.) 
und Kantakuzenen in Stambul, Mamalen und Notaraden in 
Morea, Bataziven, Chryſoloren, Azander in ven Häfen des 
ſchwarzen Meeres, traten in folcher Geftalt auf. Freilich war 
das immer ein ſehr unficheres Glück. Michael Kanta- 
kuzenos, ein reicher Handelsmann und erbarittungslofer, 
habgieriger Steuerpächter im fechszehnten Ihrhundert, von 
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 





GB Buch I Kap. I. 5. Michael ſtantakuzenos. Spanifche Juden. 


jeinen Landsleuten verwünſcht und als ‚Sohn bes Teufels” 
gejchmäht, übte Durch feine Beziehungen zu dem mächtigen 
Großweſſir Mohammed Sololli und burd feine Schmiegſamkeit 
vor den Sultanen Selm I. und Murad IL. Yange ven 
höchiten Einfluß aus. Aber obwohl er freigebig genug war und 
unter Anderem nach der Schlacht bei Lepanto (©. 35) der 
Pforte funfzehn Galeeren ſchenkte, ftürzte ihn fchließlich die 
Imtrigue eines Gegners, eines Paläologen, der die Habſucht 
Murads III. auf den Kröfus zu been verſtand. Auf Grund 
angeblicher Intriguen in der Moldau Tieß ihn der Sultan am 
3. März 1578 vor feinem eigenen Palaſt in Anchialos, wo 
Kantakuzenos die Salzpacht in der Hand hatte, aufknüpfen 
und jeine Schätze confisciren. Noch lange beflagten griechiſche 
Lieder den Untergang des reichen ‚‚Heren Michali”. Die 
Raubgier namentlich der jpäteren Sultane feit Sweimane II. 
Ausgang war allerdings die Klippe, an welcher Viele ftram 
heiten; brüdte fie doch auch allmählich immer fchwerer auf 
die am fich fo veiche Kaſſe bes Patriarchats, die für Griechen 
und Türlen wie eine fichere Depoſital⸗ und Crebitbanf galt, 
aber durch die Pforte fehliehlich in nahezu zermalmenver Weife 
in Anfpruch genommen wurde. Während aber die Fana⸗ 
rioten, überhaupt die Griechen in Stambul, jehr wohl in 
ber Lage waren, ſowohl durch Thätigkeit im türfiichen Finanz 
dienst, wie als Induſtrielle, als Banquiers und — bei bem 
unter Entfernung der früher übermäßig brüdenden genueftjchen 
und venetianiſchen Concurrenz wieder erwachten Handelsgeift — 
als Kaufleute enorme Reichthümer zu gewinnen, welche ber 
Osmane zu heben jo leicht nicht die Geſchicklichkeit beſaß; 
während Dagegen in Theſſalonike neben ver wenig zahl- 
teiden türkiſchen Bevölkerung die Griechen ſeit Mohammed IL 
ſtark zurückgedräugt wurben durch bie Einwanderung und 
Concurrenz der ſpaniſchen, burch Ferdinand ven Katholiſchen 
und Yabella aus Granada vertriebenen Juden (von benen 
etwa 40,000 in Stambul, 20,000 in XTheffalomite, viele 
andere in den übrigen Seejtäbten fich anftevelten), — drang in 
dem jiebzehnten Jahrhundert das griehifhe Element 





Die Großdragoman ber Pforte und der Flotte. 9 


in Stambul auch int die höhere Verwaltung ein, und zwar 
mnähft in Geftalt von Selretären bei ben verfchiebenen 
tühfchen Großbeamten. Ein entſcheidender Schritt zur Hebung 
des griechiſchen Elementes in Diefer Richtung erfolgte fett dem 
alle von Candia. Die in dem biplomatifchen Dienfte der 
Osmanen bisher als Selretäre und Dolmeticher gebrauchten 
Griechen waren doch immer nicht viel mehr geweſen als 
Slleven. Nun aber hatte fich bei der Eroberung von Candia 
ber Grieche Panajotatis Nilufios von Chios, der in 
Ralien Medien und Philoſophie ftudirt hatte, dem Großweſſir 
Ahmed Köprili, defien Dolmetſcher er war, ſowohl durch 
perſönliche Ergebenheit, wie durch außerordentliche diplomatiſche 
Geſchicklichkeit ſo werth gemacht, daß für ihn nunmehr die neue 
offizielle Stellung eines Großdragoman der Pforte 
geſchaffen wurde, bie nunmehr bie Griechen mit ihrer durchaus 
nicht ausgeftorberen Begabung für diplomatilche Kunſt wieder 
perfönlich in die europäiſche Diplomatie einführte. Es Hat 
ſich hieran die Schöpfung einer ähnlichen Banariotenftellung 
geſchloſſen: ber eines Großdragoman der Flotte zur 
Seite des mit der Verwaltung ber Inſeln des äggiſchen 
Meeres betrauten Kapudan⸗Paſcha. 

Sp beventungsvoll dieſes nun auch für die Machtftellung 
ver Fanarioten geworben ift, fo liegt es Doch auf ver Hand, 
daß auf dieſem Wege immer nur eine Art Ausgleichung 
zwiſchen einigen Böheren Klaſſen der Griechen und ihren 
osmaniſchen Herren erreicht werben Tonnte, bie an einer 
wirklichen Verſchmelzung jchließlich immer durch die Religions- 
writenenbeit gehindert wurden. Die wirkliche Zufunft der 
Örieden als Nation beruhte dagegen auf ver Bevölkerung 
der Länder Tänlich vom Olymp, wo die ungeheure Maffe des 
Volkes jent ein Hirten- und Bauernleben führte, wäh—⸗ 
rend m den Küſtenſtädten, durchmiſcht mit zahlreichen 
Türken und Suben, die griechiichen Einwohner wieder in zwei 
Öruppen fich theilten. Die eine beftand aus dem griedhiichen 
Benmten verfehtedenes Art in türkiſchen Dienften, die audere 
aus der Menge Heiner Leute, ver Kaufleute, der Schiffer und 

| 7* 


10 Bub I. Kap. IL. 5. Klephten und Armatolen. 


der Gewerbetreibenden, welche alle in ven beiferen Zeiten ber 
türkischen Herrſchaft — fobald nicht der Seelrieg und bie 
Corſarenwirthſchaft allen Verkehr zerftörten — mehrfach wieder 
zu Wohlftand und erträglichen Zuftänden geblieben. Das gilt 
von Orten wie Athen und Livadia, wie felbit von dem fo oft 
ausgeplünderten Paträ, von Gaftunt und Lepanto !). 

Die zufunftsreichen Elemente aber in diejen griechiicen 
Provinzen hatte man auf zwei Punkten zu juchen; einmal 
nach der militärtichen, dann aber nach der communalen 
Seite. Auch abgejehen von den Maniaten im Peloponnes 
hatte in Griechenland, wenigftens in Mittel- und Nord- 
griechenland, ein Theil ver Bevölkerung das Recht behauptet 
oder wieder erlangt, bie Waffen zu führen. Wir erinnern 
uns, daß doch nur Morea bet der Eroberung burch die Heere 
Mohammeds II. wirklich ſyſtematiſch zeritampft worden war, 
daß Dagegen die von Griechen bewohnten Landſchaften zwiſchen 
dem Haliakmon und dem Ifthmos von Korinth jo grauenhafte 
Vernichtungsichläge wie eben Morea nicht erfahren hatten. 
In allen diefen Gegenden, die fchredlichen Kämpfe mit ben 





Schkypetaren in ihrem Stammlande ausgenommen, hatte fih 
— gegenüber den im Dergleih zu Mohammed II. ungleid 
milderen Sultanen — in der Hauptſache die osmaniice 


Herrihaft nicht an die Stelle jelbjtändiger griechiicher, ſondern 
ſlawiſcher und italieniſcher gejegt: ber Hauptſtoß Hatte nicht 
die Griechen, fonbern deren frembe Beberricher getroffen. 
Weiter aber finden wir, daß in einem jehr erheblichen Theile 
der nord» und mittelgriechiichen Kantone das Volk, jekt 
nördlih von dem Iſthmos gewöhnlich in Bauſch und Bogen 
als „Rumelioten“ belannt, und vielfach mit gräcifirten 
Wlachen und Schkypetaren durchſetzt, ungleich Träftiger und 
kriegeriſcher geblieben war, als die jeit Alters tief berab- 
gevrüdten Moreoten mit Ausnahme einiger albanefiicher 


1) gt. Finlay, p. 183—192 u. 293sq. Ranfe, Die Osmanen, 
S. 285. v. Maurer, S. 227. 91f. Mendelsfohn-Bartholdy, 
©. 6. 





Klephten und Armatoleı. 101 


Stämme und der Maniaten. Die Osmanen fanden es viel 
ſchwieriger, als auf dem Peloponnes und allenfalls in Euböa, 
Attika und Böotien, in Rumelien überall einen bequemen Gehorſam 
zu erzwingen. Die Griehen am Olymp, auf den Grenzen 
von Epirus, in Phokis, Aetolien, Alarnanien — nicht zu reden 
von mehreren epirotiihen Albanejenftämmen, wie namentlich 
die ewig unrubigen Chimarioten — fügten fich viel troßiger 
in das osmaniſche Joch, als die Moreoten. Diefe Land⸗ 
ſchaften waren, um ber ätoliſchen Raubfahrten der älteren 
Zeit nicht zu gedenken, feit den Zeiten des Sulla bis tief in 
bie fpätere römiſche Kaiferzeit hinein der klaſſiſche Boden für 
ve Räuberei mit politifher Färbung gewefen. Diele 
Räuberei kehrte nun unter der osmaniſchen Herrichaft mit 
verftärfter Gewalt zurüd. Die „Klephturie“ wurde jeit 
dem Unterliegen der Griechen bis zur Schlacht bei Navarin (in 
etwas veränderter Geftalt leider auch wieder unter König Otto) 
ein harafteriftiicher Zug in dem Volksleben der Griechen ber 
neueren Jahrhunderte. Mißhandlung oder wirtbichaftlicher 
Ruin durch die neuen Herren wurden von vielen Griechen 
perächt, indem fie „in die Berge‘ zogen und von bier aus 
als Freibeuter, von den Sympathien des Volkes getragen, 
einen Privatfrieg gegen die Osmanen führten. Der Name 
eines Näubers, eines „Klepbten‘ wurde für Jahrhunderte 
in diefen Ländern nahezu ein Ehrenname; mehr noch in 
Numelien als gerade in Morea, wo jenfeitS der Gebirge der 
Maniaten das Klephtenthum nur felten einen höheren Auf- 
ſchwung genommen bat. Die große Schwierigkeit, in Rumelien 
diefer unrubigen Elemente allezeit ohne große Anftrengungen 
Meifter zu werben, beftimmte die Pforte ſchon ziemlich früß- 
geitig, bier ein anderes Verfahren einzujchlagen. Die Politik 
aller orientalifchen Höfe jeit der Zeit der Achämeniven bis auf 
diefen Tag hat mit der principiellen Strenge und ſyſtematiſchen 
Blanmäßigfeit der modernen Staatsweſen nur wenig gemein. 
Sobald es nicht möglich ift, Durch ein paar zerichmetternve 
Schläge ein- für allemal Ruhe zu fchaffen, verbietet es im 
Orient der politiiche Anftand keineswegs, mit Rebellen auf 








192 Bud I. Kay. IL 5. Klephten und Armatolen. 


gute Bedingungen bin fich zu verftännigen. ‘Die orthodore 
bemofratijche Eorreftheit der mobernen Staatsanſchauung, bie 
jedes Ausnahmerecht ſchämig ablehnt, ift im Orient unbelannt. 
Wie die Pforte daher allezeit fich zu einem erträglichen modus 
vivendi gegenüber den Maninten bequemt bat, fo fand fie 
auch für Rumelien das Mittel, um die Griechen durch ſich 
jelbit zu beberrichen, und zwar bier nicht bloß durch Die Geift- 
lichkeit , fondern auh durch griechiſche Dffiziere und 
Soldaten aus der Mitte der Nation, durch bie ſogenannten 
Armatolen. 

Die Entwicklung und Das Detail der griechiſchen Spezial⸗ 
geſchichte in dieſer Richtung iſt nur in feinen Umrifjen be 
fanıt. Der Name der Armatolen war fchon ziemlich 
früh, obwohl anfangs in anderem Sinne, den Bene 
fianern befannt. Nochmals nannte man mit biefem Worte 
die griechiichen Lokalmilizen in den moreotiichen Colonien ber 
Republik während des legten Jahrhunderts ihrer Kämpfe 
mit der Pforte, aber auch die griehifhen Milizen in 
Numelien, wie ſie fih auf Grundlage älterer. byzantiniſcher 
Einrichtungen im Verlaufe der langwierigen tbefialtfchen und 
epirotiichen Fehden gegen die Paläologen, Katalanen, Serben 
und Angiovinen ausgebilbet hatten, trugen biefen Namen. 
Diefe Art Milizen, in Geftalt einer zahlreichen chriſtlich⸗ 
griechiſchen Gensdarmerie, rief die Pforte wieder ind 
Leben. Solche rumeliotiiche Armatolen beitanden ſchon zur 
Zeit, als Conftantinopel türkiſch wurde; ihre Blüthezeit aber 
fiel in den Ausgang des fechözehnten und während bes fieb- 
zehnten Jahrhunderts, als die Ianiticharen der Pforte anfingen 
Yäftig und gefährlich zu werben (j. unten), als man nicht um 
gern in den Albanefen und Armatolen eine Ark Gegengewidt 
gegen jene trotzigen Prätorigner erkannte, 

Es jcheint doch, daß die Osmanen bie griechiichen Meilen 
von Anfang an in den rauhen makedoniſch⸗theſſaliſcher 
Grenzländern anerkannt haben, derart daß die kriegeriſchen 
Gebirgsbewohner in den Landihaften am Lakmon, am oberen 
Haliatmon, am Vardar, an ven kambuniſchen Bergen und am 





Klephten und Armatolen. 108 


Olhmpos wie freie Leute unter der Hoheit des Sultans lebten, 
daß fie im Dienfte des Sultans die Waffen führen, ihre eigenen 
Gemeindevorfteher wählen und felbit für bie Aufbringung ihrer 
Steuern forgen durften. Der zweite Hauptheerd bes 
ArmatolentHums wurde bie Landſchaft Agrapba, nem- 
lih das rauhe Binnenland von Aetolien und die anftoßenden 
nördlichen Striche zwiichen dem mittleren Acheloos, dem Belucht 
(Aumphreftos) ımb ben ſüdweſtlichen Gebirgen bes theffaliichen 
Peneiosgebietes, ein Land, wo fich die bier vorzugsweiſe kräftige 
mittelgriechtiiche Bevölkerung von Durchiegung mit Wlachen 
md Schlypetaren frei gehalten Hatte. Agrapha führte fein 
Boffenrecht auf Sultan Mohammed II. zurüd. Zuerſt ge 
duldet, dann ſyſtematiſch durch die Pforte geordnet und 
begünstigt, ift, wie wir noch in dem Schlußfapitel dieſes 
Dandes zu zeigen haben, das Armatolenthum wieder im Laufe 
des achtzehnten Jahrhunderts Seitens der Pforte conlequent 
geihwächt und zurücdgebrängt worden. In jeiner Blüthe- 
jeit aber dehnte fich dieſes Syſtem von dem Arios (Vardar) 
und Haliakmon bis zu dem Golfen von Arta und Sorinth 
us. Die rumteliotiichen Gebirgslandichaften waren in ur⸗ 
Iprünglich wierzehn, Tpäter zehn bis zwölf, dann wieder fiebzehn 
Armatoliks gegliedert, die auf das makedoniſch⸗ theſſaliſch⸗ 
epirotiiche Gebirgs⸗ und Grenzland, auf Agrapha, Alarnanien 
und Phokis (im weiteſten Sinne) und das Spercheiosgebiet 
Inmen. An ver Spige diefer ausjchlieglich griechiichen Krieger, 
die auf Koften der Gemeinden unterhalten wurden, und über 
weldhe in nächiter Linie ver Provinzialpaicha verfügte, ftand 
nahmals der osmanische Dervendicht- Pascha, eine Nachbildung 
der altbyzantiniſchen Kleifurarchen; eine Stellung, die anfcheinend 
nah byzantiniſcher Praxis mit der theſſaliſchen Statthalterjchaft 
verbunden , fchließlih (j. unten) in der Hand des unjeren 
älteren Zeitgenoffen noch erinnerlichen furchtbaren Ali» Bajcha 
von Ioannina war. Die Armatolen - Geleite büteten die 
Sicherheit ihrer Bezirke, dazu die großen Verbindungswege in 
dieſen Theilen von Rumelien. So follten fie im Norden bie 
große Straßenlinie fichern, die fih als ein Theil der alten 


104 Buch IL Kap. I. 5. Klephten und Armatolen. 


NRömerftraße von Dyrrhachion nach Theſſalonike durch die 
Paßgegend bei Kaftoria zieht. Ebenſo ftand unter ihrem 
Schute die große Heerftraße von Lariffa nach Monaftir ober 
Bitolia in Pelagonia. Die Armatolen von Agrapha waren 
mit dem Schutze der Pindospäffe ziviichen Epirus und The 
falten betraut. ‘Die chriftlichen Albanefen in Megaris, melde 
fünf große Dörfer, Derveno-Ehoria genannt, bewohnten, 
batten die DVerpflichtung, gegen Befreiung von verfchiebenen 
Steuerlaften, mit ihrer auf 2000 Mann berechneten Manns 
ichaft die über den Kithäron und die Geraneia führenden 
Päffe nach dem Iſthmos von Korinth zu fcehügen. 

Das Inftitut der Armatolen war für bie Griechen 
werthvoll genug, indem ed mwenigftens einen Theil der Nation 
wehrhaft erhielt, mochten auch immer die Osmanen, als fie 
erft anfingen, dagegen ernfthaft mißtrauiſch zu werben, vor 
ber Anwendung gewaltfamer Schritte damit beginnen, viele 
Loft für die Gemeinden zu fteigern. Als freilich die Griechen 
fich dazu verftanden, die jonjt aus Bauern, Yägern, Hirten 
und Maulthiertreibern fich ergänzenden Armatolen für Gelb 
durch geworbene albanefifche Söldner zu ergänzen, war ber 
Weg gebahnt, Seitens der Pforte und ihrer Pafchas dem 
Inftitut von innen ber beizufommen. Andererſeits diente es 
den Türken wiederholt dazu, gefürchtete Klephten aus Räubern 
in „zahme Klephten“ zu verwandeln. Für einen großen 
Theil aber von Rumelien gewannen für Yahrhunderte bie 
Führer ihrer Armatolen, mie fie im neunzehnten 
Jahrhundert den Generalftab der Befreiungsarmee abgegeben 
haben, mit ihrer gewöhnlich erblichen Würbe eine hohe focial- 
politifche Bedeutung. ‘Denn diefe Chef8 bewaffneter griechiicher 
Milizen, rüftiger Pallikaren, die Odichals oder Kapitäne 
oder Capitanis oder Protatoi, riſſen vielfach nicht nur that 
fächlich ein großes Maß von autonomer Macht gegenüber ven 
Paſchas und Woiwoden an fi. Im ihrer Eigenfchaft als 
anerfannte Schugberren der polizeilichen Sicherheit und des 
Öffentlichen Friedens in ihren Armatolifs repräjentiren fie 
auch für die Gemeinden Rumeliens die Seitens der Osmanen 

















Die griechiſche Gemeinbeverfaffung. 105 


ben Griechen und in der Grächfirung begriffenen Albanefen 
auf griechiihem Boden gelaffene Selbjtändigfeit in analoger 
Weiſe, wie in Morea und auf ben Infeln die fogenannten 
Primaten 2). 

Diefer Iettere Name führt uns hinüber zu ber zweiten 
Griheinung in dem Leben der Griechen unter türkiicher Herr- 
ſchaft, welche auf einen gefunden Kern bindeutete, der wenn 
immer in fernfter Zukunft eine Erneuerung des Volksthums 
als möglich ericheinen Tief. Es iſt nemlich nicht Daran zu 
denken, daß die Griechen jeit ihrer Unterwerfung unter 
ven Halbmond Tediglich in eine chaotifche ftumpfe Mafje ver- 
wandelt worden wären, die außer der unmittelbaren Herrſchaft 
Seitens ihres Episfopats eben nur durch die militärifch- 
polizeiliche Gewalt ihrer türkiſchen Herren zujfammengefaßt 
worden wären. Die Sache ftebt doch erheblich anders. 
Seitvem Griechenland wieder begann, die Aufmerkiamfeit und 
die lebendige Sympathie des gebilveten Europa auf fich zu 
sieben, beobachteten abendländiſche Reiſende, namentlich in Morea 
und auf verjchiedenen rührigen Inſeln des ägätichen Meeres 
bie Eriftenz einer Gemeindeverfaſſung, welde in ihrer 
Einfachheit und foliven Anlage feiner Zeit viel bewundert 
worden, und erſt jeit der Präfiventichaft des Grafen Kapodiſtrias 
in unferem Zeitalter erheblichen Veränderungen unterworfen 
worden ift. Ihre Entftehung iſt in Dunkel gehült. Sicher 
it nur, daß die Osmanen, lange viel zu bochmüthig, um 
fih um das innere Reben der in der Regel verachteten chriftlichen 
Rajah zu kümmern; ohnehin nach orientalifcher Herrenpraris 
wenig geneigt, weiter nach dem inneren eben der fremden 
Untertfanen zu forichen, ſobald nur ver Tribut richtig gezahlt, 
das Bolt im Gehorſam erhalten wurde und Unruhen nicht 


1) Vgl. „Mittheilungen aus der Gefhichte und Dichtung der Neu- 
griechen“ (nad) Fauriel), 8d.1,©.59ff. v. Maurer a. a. O. S. 6 ff. 45 ff. 
Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 22. 24—27. 37. 
Hopf, Griehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 190. Mendelsſohn— 
Bartholdy, ©. 4. 49. 54. Gervinus, Gefhichte des neunzehnten 
Jahrhunderts, Bd. V, TH. I, S. 73ff. 








106 Bud I. Kap. J. 5. Die griechiſche Gemeindeverfaffung. 


zu befürchten jtanden, — ber Ausbildung dieſer Berfaffung 
Hinderniſſe nicht in den Weg gelegt haben. Welcherlei 
communale Zuftände die Griechen des Feſtlandes aus ver 
fräntiichen und paläologiichen Zeit in Morea, aus der jerbiichen, 
unteritalifchen und floventinifchen Herrichaft in Rumelien, aus 
ber Zeit ihrer legten Herzöge auf ben Inſeln mitgebracht 
haben, ift mit Gewißheit nicht zu jagen. Sei e8 aber nun, 
daß altbizantiniiche Erinnerungen, Kenntniß ber municipalen 
Formen, wie fie namentlich Monembaſia fich bewahrt Hatte, 
bier den Ausſchlag gegeben bat: jei es daß lebiglich die Noth⸗ 
wenbigfeit, fich durch inniges Zufammenfchließen einigermaßen 
gegen den ſyſtematiſchen wie gegen den vegellofen Drud ver 
osmanischen Herrichaft zu wehren, die Griechen den natur 
gemäßen Weg zur Ausbildung ihrer Gemeindeverfafjung 
bat finden laſſen: jedenfalls finden wir viejelbe im ſechs⸗ 
zehnten Jahrhundert bereits in voller Thätigkeit und ſehen 
auch, daß dieſes munictpale Syſtem bet ben Inſulanern des 
Herzogthums Naxos in Wirkſamkeit fteht, fobald fie um 
mittelbar unter die Hoheit des Kapudan⸗-Paſcha gekommen 
find. 

In dieſer griechiſchen Gemeindeverfaſſung, bie (bei ver- 
ſchiedenen Abweichungen des Details ihrer Organe in den vers 
ſchiedenen Haupttheilen der griechiichen Welt von Europa) am 
volltommenften in Morea und auf einigen Infeln ausgebilvet 
war, minder entwidelt in Rumelien ericheint, dominirten bie 
Brincipien der allgemeinen Gleichheit und des all— 
gemeinen gleihen Wahlrehtes. Bekanntlich kennt und 
anerkennt, wie Serbien und Norwegen, das heutige Demofrattiche 
Griechenland keinerlei Abel. Abgejehen von dem alten 
italienifchen Adel auf den Injeln des ägäiſchen Meeres, von 
den venetianiich ausgebildeten Feudalherren auf den ioniſchen 
Snjeln, und dem im achtzehnten Jahrhundert neu fich bildenden 
fürſtlichen Adel des Fanars, Hatte Die despotiiche türkifche 
Trembberrfchaft überall die griechiiche Artjtofratie mit und 
ohne feudale Färbung einfach eingeftampft. Bei der allgemeinen 
Nivellirung feit Mobammeds I. Zeit war ar Stelle der 














Die Brimaten. 107 


ftändifchen Unterſchiede unter den Griechen die allgemeine 
Gleichheit, freilih nur die Gleichheit der Knechte vor dem 
Sultanismus, getreten. Die neuen ariftolratifchen 
Elemente (f. unten) aber, die fich unter türkiſcher Hoheit 
inmitten der Griechen doch wieder bildeten, Tonnten zu einem 
wirflihen Adel mit foctal ariſtokratiſcher Stellung einfach 
darum nicht gelangen, weil fie ebenjo gut wie ber einfachite 
Bauer jeder beliebigen Strafe türkischer Juſtiz over türkifcher 
Ülfir unterlagen, und zwar bis zur Kreuzigung, Pfählung 
und Baftonnade. Nichtöpeftoweniger würde man fich täujchen, 
wollte man heutzutage — etwa Angeſichts der Scenerie, wie 
fie da8 Heutige Deutichland bei feinen allgemeinen gleichen 
Wahlen entwickelt — fich der Annahme bingeben, als babe 
die griechiiche Art der Wahlen irgend welche jociale Er» 
fhütterungen mit ſich geführt oder bewußte bemofratiiche 
Geſinnungen zum Ausdrucke zu bringen vermocht. Ganz im 
Gegentheil, die auch in Griechenland neu fich bildenden 
ariftofratifhen Elemente wurden durch dieſe Verfaffung, 
nur eine der „nautiſchen“ Inſeln des achtzehnten Jahrhunderts 
ausgenommen, mit großer NRegelmäßigleit an die Spike ber 
Geſchäfte geführt. | 
Praktiſch Hat fich die Sache aber jo geftaltet. Gleichviel 
wann immer zuerft in Morea der neue Organismus ber 
Gemeinden zu einiger Ausbildung gelangt war, jo fam in ibm 
das Befteben von zwei Elementen in der griechiichen Laienwelt 
zu Tage. Meben ber Maſſe ver perjönlich freien bäuerlichen 
Bevölkerung in allen Abftufungen des Beſitzes bildete fich 
allmählich heraus die Klaſſe der fogenannten Primaten. 
Zu berielben gehörten in Morea (und in Rumelien, foweit bier 
nicht das Klement der Kapitäne bominirte) neben einigen 
wenigen großen älteren Familien, die fich auch jenſeits der 
venetianiſchen Feſtungen bei dem erſten Sturme des Dömanen- 
thums behauptet hatten, namentlich größere Grunbbefiger und 
größere Pächter neueren Datums. Dazu trat num aber eine 
Anzahl einflugreicher Griechen r bie fich als fiskaliſche Agenten, 
als Dolmeticher, Sekretäre, Ärzte der großen in Morea an⸗ 





108 Bud I Kay. L 5. Die griechiſche Gemeindeverfafiung in Moren. 


gefiedelten Osmanen eine neue Stellung erworben hatten. 
Diefe Familien find es, die auch bei ber griechiichen Ge⸗ 
meindeverfafjung die dominirende Stellung behaupteten. Denn 
aus ihrer Mitte wurde von der gefammten erwachſenen 
männlichen Bevölkerung alljährlih die unterjte  griechtiche 
Obrigkeit durch Stimmenmehrheit gewählt. Die Wahl fand 
gewöhnlich im Frühling jtatt (auf dem Teftlande gewöhnlich 
am St. Georgstage oder 23. April alten Styles); gewählt 
wurde in der Regel vor der Thüre der Kirche und unter 
Alfiftenz des Pfarrers. Die Ortsvorftände nannte man 
Demogeronten, Archonten, auch Geronten, Proöſtoi; diejelben 
hatten dann als Einnehmer ver Lokaleinkünfte, als Verwalter 
des vorhandenen Gemeindevermögens ſowie des Gemeinweſens 
überhaupt zu fungiren. In ihrer Hand lag die Handhabung 
der Orts- und Feldpolizei. Auch hatten fie in ähnlicher Art 
wie die Biſchöfe, ſoweit dieſelben nicht die Jurisdiktion gänzlich 
an fich gezogen hatten, oder ſoweit man diejelben nicht be- 
belligen wollte, bei civtilrechtlichen Streitfragen zu entfcheiven. 
Diefe einflußreihe Stellung der Gemeindevorfteher und das 
Wahlrecht der Griechen wurde nur dadurch beeinträchtigt, da 
die Wahlen zu praftifcher Giltigkeit erſt noch der Beftätigung 
burch Die osmanijche Behörde, nemlich durch den Kadi, beburften. 
In den Städten fielen die Gemeinvebezirfe mit denjenigen 
der Pfarren zufammen. Hatte bier die Competenz ber Ge 
meinbevorftände nach Seiten der Kaffenjachen, der Kirchen, 
Schulen und Hofpitäler noc eine größere Ausdehnung, fo 
trat bier ihre richterliche Stellung gar jehr vor jener des 
Klerus zurüd. 

Auf diefem Fundamente baute ſich num aber in Mores 
noch eine weitere Organifation auf, bie aber wohl nur jehr 
allmählich entftanden ift, nachdem für die Pforte der Beſitz 
der Halbinjel als völlig ruhig, ficher und ungeftört gelten 
fonnte. Es wurde nemlich allmählich üblich, und mit biejem 
Organismus find die Peloponnefier fchließlih in die Er 
fohütterungen der neugriechtiichen Erhebung eingetreten, — daß 
die osmanischen Woiwoden alljährlich die griechtichen Ger 











Provinzialräthe und Kodſchabaſchis im Morea. 109 


meindevorjtände ihrer Provinzen zu einer Zufammenkunft nach 
ver Bezirkshauptſtadt beriefen. Bier nun führte der Kadi 
den Vorfig, und wurben bie verjchtedenartigiten Geſchäfte 
vorgenommen. Abgeſehen von manchen bier zu erledigenven 
civilrechtlichen Streitigfeiten hatte dieſe Verfammlung ihre 
Zuftimmung zu neuen Auflagen, welche der Provinzialrath 
(. unten) vorjchlug, auszujprechen und diejelben unter bie 
einzelnen Gemeinden und Familien zu repartiren. Cine große 
Sauptfache war endlih die Ernennung mehrerer Mitglieder 
des Brovinzialrathes Die Verfammlung nemlich er- 
wählte durch Stimmenmehrheit zwei Primaten und einen 
Schatmeifter, Die dann der Paſcha in ihren Stellen zu 
bejtätigen hatte. ‘Der eine biefer Primaten wurde dem Kreiſe 
der osmanischen Einwohner entnommen und bie Ayan; der 
andere Dagegen war ein Grieche, gewöhnlich der angejehenfte 
Mann des Bezirkes, zuweilen ſelbſt der Biſchof, und hieß in 
auszeichnendem Sinne der „„Primate‘ oder Kodſchabaſchi. 
Diefe Primaten oder Kodſchabaſchis nun find es, welche in 
der griechtiichen Geſchichte bis zur Negentichaft des Grafen 
Kapodiſtrias (und in ihren Nachlommen noch heute) eine fo 
überaus bedeutſame Rolle gejpielt haben. Sie bildeten mit 
den türkischen Ayanen ben ftändigen Provinzialrath des Woi⸗ 
woden, im welchem die Ausführung der Befehle des Pafcha’s, 
ſämmtliche Angelegenheiten der Provinz überhaupt, namentlich 
aber auch die immer neu dem Lande zugemutheten Laſten 
erörtert wurden. 

Die Primaten im Allgemeinen und [peziell 
wieder die Kodſchabaſchis find nun für die Zuftände 
af Morea für mehrere Jahrhunderte höchſt charafteriftiiche 
Repräfentanten geworden. Man mag immerhin jagen, baß 
die Eriftenz umd die Arbeit diefer griechtichen Volfsverfaffung 
in erfter Linie den Osmanen Vortheil gebracht, ihnen das 
Detail der Verwaltung abgenommen, bie Laft der Steuer- 
wirtbichaft auf griechtiche Schultern gemwälzt bat. Nichte: 
deftoweniger blieb e8. von dauerndem Werthe, daß bie Griechen 
die Praxis der Selbftverwaltung niemals aus der Hand ver- 





110 Bub I. Kap. I. 5. Die Kobſchabaſchis. 


loren und ihre mumicipale Thätigkeit in Stadt und Land fi 
bleibend bis zu der Zeit behaupten fonnte, wo der Morgen 
der Freiheit, immerhin ſtürmiſch genug, ihnen enblich wieder 
zu leuchten begonnen bat. 

Diefen Bortheil Hat die Nation freilich theuer genug 
zu bezahlen gehabt, und das Regiment der Primaten und 
Kodſchabaſchis Kat mehrere keineswegs erfreuliche Seiten ent- 
widelt. Die Machtſtellung dieſer Männer war freilid 
nicht nur theoretiſch, fondern auch praftifch ſehr Bebeutend. 
Es war nur natürlih, daß diefe Männer und Familien, 
fobald fle nur erft eine anerkannte Stelfang gewonnen hatten, 
als die geborenen Vertreter ihrer Landsleute erichtenen. Die 
gewöhnlichen Primaten wirkten mit, fobald ein Grieche einen 
Contrakt abzuſchließen hatte, und unterſchrieben benfelben mit; 
auch bei dem Vormundſchaftsweſen hatten fie einen bedeutenden 
Antheil. Die größte Bedeutung aber gewannen boch bie 
Kodſchabaſchis. Nach ımten hin waren fte alferbings ver 
Provinzialveriammlung verantwortlih und konnten wegen 
ichlechter Amtsführung won verjelben bei dem Paſcha verklagt 
werben. Es war aber doch das Gemwöhnliche, daß man fie 
dem Paſcha in ihrer Stellung zur Beſtätigung wieder em- 
pfahl, ja felbft daß ihre Stellungen erblich wurden. St 
hatten aber auch bei allen Prozeſſen, die ein Grieche vor bem 
Kadi mit einem Türken führen mußte, und namentlich bei 
Kriminalprozeffen des Kadi gegen Griechen beren Patronat 
zu führen. Sie fonnten gegebenen Falles gegen Anordnungen 
des Woiwoden bei dem Paſcha rveffamiren, batten auch eine 
erhebliche Autorität über die Bulukbaſchis der Provinz (S.71). 
Die Flle waren gar nicht fo felten, daß der Paſcha auf 
Grund der Beſchwerden folder Kodſchabaſchts einen Woiwoden 
aus ſeiner Stellung entfernte. Der Paſcha ſelbſt, der auch 
fonft namhafte türkiiche und griechiiche, ans den Provinzen 
gewählte Primaten als eine Art Rath zur Seite Hatte, ber 
(von außerordentlihen Fällen und von Zuſammenberufung 
aller Kodſchabaſchis abgeſehen) jährlich zweimal in der Haupt⸗ 
ftabt von Morea fich jammelte, ſah fich oft genug in ber 








Die Primaten. 111 


Lage, an die Meinung der zufammenberufenen Woiwoden und 
Kodſchabaſchis zu appelliven. Dazu kam noch ein Anderes, 
was die Sitmation der größeren Griechen in ihrem Lande 
beventjam genug machte. Seit der Zeit-nemlich, wo (S. 99) 
die Fanarioten als offizielle Großdolmetſcher und Staats- 
minifter der Pforte in Stambul fungixten, wurbe eimerjeits 
auf deren Vorſchlag von ber Gentralregierung dem Paſcha 
ein Grieche als Dolmetſcher beigegeben, durch deſſen Hand alfo 
alle wichtigen Geichäfte Tiefen. Andererſeits aber wurde es 
üblich, daß zwei oder drei einflußreiche moreotifche Primaten 
fänvig in Stambul fich aufhtelten, wo fie, auf das PBatriarchat 
pitügt, Die Intereifen ihres Landes bei der Pforte perfönlich 
vertraten. 

Man bat nicht mit Unvecht die Primaten bie wahren 
Kegenten von Morea unter der türfiichen Herrichaft genannt. 
Ire Stellung brachte aber für fie und für die Griechen viel 
Bedenfliches mit fi. Diskretionär im höchſten Grade, wie 
fie natürlich war, konnte fie jedenfalls jchlimm gemißbraucht 
werden. ‘Die Herrſchaft ver Sultane und Paſchas war allzu 
srientaftfch gewaltſam, das Glück der griechiichen wie ber 
türfifchen Großen namentlich unmittelbar in der Nähe ber 
Machthaber viel zu unficher, als daß nicht die Schmiegiamteit 
und die intriguante Natur des ſpäteren Rhomäerthums gerade 
bei dieſer Klaſſe von Griechen, verantwortlich wie fie ben 
osmaniſchen Behörden für die Einziehung der Steuern aus 
ihren Bezirken waren, vielfach fich Hätte in analoger Wetje 
ausbilden mäffen, wie bei den Fanarioten. Weiter, auf die 
großen Primaten des Peloponnes vererbte fich der zwieträchtige 
Seift der alten griechtichen Barone over Archonten ber 
Paläologenzeit. Diejed wurde für die türfifche Periode vie 
Quelle zahlloſer Imtriguen an dem Hofe des Paſchas, wie in 
unſerem Jahrhundert der Ausgangspunkt der enblojen inneren 
Kämpfe, Wahlichlachten und an Auftralien erimmernden con- 
ſtitutionellen Minifterwechfel der heutigen Griechen von Athen. 
Enplih aber, was nach oben an Schmiegiamfeit nöthig wurde, 
braten die Primaten nur allzu jehr nach unten wieder ein. 


112 Bud I. Kap. I. 5. Gemeindeverfafiung auf ben Infeln. 


Hatten fie doch Dank ihrer Stellung eine fo überaus ent- 
icheivende Macht über das gefammte Wohl und Wehe, nar 
mentlich aber über die materielle Lage fo vieler ihrer griechiichen 
Landsleute. Im ihres einflußreichen Stellung, oft genug durch 
einen Heinen Hofftaat von Selvetären, Ärzten und Brieftern 
umgeben, haben fie daher im Großen und Ganzen keineswegs 
einen beſonders günftigen Namen in ver Geichichte Griechen- 
lands während dieſer Periode ſich erworben; was natürlich 
nicht ausſchließt, Daß nicht wenige diefer Machthaber wackere, 
patriotifche und wohlmeinende Männer gewejen find, wie uns 
das ſpäter bie Zeit zeigen wird, wo aus der Maſſe der Griechen 
bie interejjanten Charakterföpfe der Nevolutionsführer unferes 
Jahrhunderts entgegenſpringen. 

Nicht in dem Maße gegliedert wie in Morea, aber ver 
Hauptſache nach doch analog ftanden die Verhältniſſe auf 
den Injeln des ägäiſchen Meeres. Die eigenthümliche 
Färbung der Zuftände auf Hydra und Spetzä wird erjt da 
zu erörtern fein, wo dieſe bisher wenig bevölferten Injeln als 
aufblübende neue Gemeinden uns begegnen werden. Sonſt iſt 
nur zu jagen, daß auf der Mafje der italienifch geweſenen 
Infeln die Klaſſe ver Primaten fih normaler entivicelt 
batte, al8 in Morea. Hier find es die größeren griechtichen 
und fränkiſchen Grundbeſitzer, letztere bis zu Ende des acht- 
zehnten Jahrhunderts mit zäh feitgehaltener feudaler Unterlage. 
Dieſe nun wählten ebenfalls alljährlich zu Anfang des Früh— 
jahres ifre Gemeindevorftände, die — je nah ver 
Größe der einzelnen Orte an Zahl ſehr verjchieden — eben- 
falls Proöftoi, noch häufiger Archonten, in Aegina und Milos 
Epitropoi over Vecchiardoi (in Tinos ſpäter Geronten) beißen. 
Auf Chios, Milos und anderen Injeln wurde auch den ab 
gegangenen Vorſtänden des je lebten Jahres (häufig aus 
zeichnend „die Alten‘ oder Vecchiardi genannt) noch ein Antheil 
an der Berwaltung eingeräumt. Die Ortsvorftände der 
Infeln Hatten in ausgedehnter Weife mit der Finanzwirthicaft 
ihrer Gemeinden, mit Einſchluß des türktichen Zributes, zu 
thun. Die lokalen Einnahmen beftanden Hier in Zöllen und 


Die Gemeinbeverfaflung auf den Infeln und in Rumelien. 118 


Zehnten, ein allfälliges Deftcit deckte man durch außerordent- 
Iihe Umlagen, welche die Ortsvorſtände nach Verhältniß des 
Vermögens auf die fteuerpflichtigen Gemeinden vertbeilten. Die. 
Iuftiz war analog geordnet, wie in Morea. Der Kadi, der 
bier noch etwas mehr zurückgeſchoben, theilweiſe (S. 88) felbft 
ausgefauft wurde, war in Civilſachen durch bie Gerichtsbarkeit 
ver Archonten und Biſchöfe nahezu troden gejett. Die durch 
ven Kapudan-Paſcha ernannten Woiwoden hatten dieſelbe 
Stellung wie in Morea. Allmählich aber, namentlich feit den 
letzten Zeiten des fiebzehnten Jahrhunderts, nahm die 
Sache einen für die Griechen noch günftigeren Charakter an. 
Der Dragoman ber Slotte, felbit ein Grieche, wurde 
einerſeits die Inſtanz, an welche bie Infelgriechen von ben 
Sprüchen der Archonten appelliven konnten. Andererſeits 
verfhaffte fein Einfluß den Inſeln viele Erleichterungen auf 
Koften des türkiichen Elementee. Mean jtellte e8 mehr und 
mehr den Wünfchen der griechiichen Bevölkerung anheim, ob 
fie einen Woimoden (der dann die Einkünfte des Kapudan⸗ 
Paſcha pachtete, zuweilen auch die Stellung des Kabi über- 
nahm) zu Haben geneigt waren, und ernannte nicht jelten zu 
dieſem Amte einen Griechen. Selbſt das Amt des Kadi, der 
auf den Inſeln auch an die Mitwirkung der Archonten ge⸗ 
bunden war, wurde zumeilen in griechiiche Hände gelegt. 
Analog geftellt waren bie der jevesmaligen Favoritſultanin 
zugetheilten Inſeln, wie Andros (und ſpäter Tinos), welche 
diefe Damen durch eigene Agas verwalten ließen. 

Am unvollkommenſten war das griechiiche Gemeindeweſen 
in Rumelien ausgebilvet, obwohl aud Hier die in Morea 
ung begegnenden Grundzüge wiederkehren. Gegenüber dem 
Shitem der Woiwoden und Kadis mit der untergeorbneten 
türkischen Beamtenhierarchie dominirte allerdings in den durch 
griechiihe Armatolen gehüteten Landſtrichen der rumeliotiſchen 
Paſchaliks (bis zur theilweiſen moslemitiichen Durchjegung der⸗ 
ſelben im achtzehnten Jahrhundert) die Macht der griechiſchen 
Capitäne. Wo aber die Griechen nicht militäriſch organiſirt 
erichtenen, hatte ſich bie Gemeindeverfafjung ebenfalls aus⸗ 

Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 


114 Bud I. Rap. L 5. Die Gemeindeverfaflung in Rumelien. 


gebildet. Neben den in Athen von jech® zu ſechs Monaten 
wechſelnden Epitropoi oder Vecchiardoi (d. i. Alten) fand man 
aller Orten die Demogeronten oder Archonten, die bier aber 
oft ganz einfach auch nur Primaten, ober felbft für jede Ge⸗ 
meinde Kodichabafchts genannt wurden. Die Ernennung der 
Kodſchabaſchis für den Provinzialratb erfolgte durch eine 
Berfammlung von Primaten, welche die Gemeinden zu biefem 
Zwecke gewählt hatten. Die Mitglieder des Provinzialrathes, 
denen es freilich in ben rumeliotifchen Paſchaliks feltener, als 
in Morea (und gar auf den Injeln) gelang, arge Belaftungen 
des Landes direft abzuwehren, waren gewöhnlich für Lebenszeit 
im Amte, ihre Stellung oft erblih, feltener nur für zwei 
oder drei Jahre ernannt. Kine Vertretung in Stambul 
dagegen Hatten fich die Rumelioten ni H zu ſchaffen ver- 
mocht ’). 

Faſſen wir Alles zufammen, fo mu man fagen, bie 
Griehen unter der osmaniſchen Herrihaft wurden haupt 
fächlih durch ihre Kirche, durch ihre Sprache und durch den 
Gegenjat zu den Osmanen zujammengebalten, und behaupteten 
verichiedene Elemente, auf welchen in Zukunft unter günjtigen 
Verhältniſſen eine Art von neuer Selbftändigkeit fich erbauen 
fonnte. Sonft' aber war die Lage der Griechen, wie wir 
ſahen, je nach ihren Ständen, je nad) den einzelnen Land⸗ 
ichaften, und je nach den Sahrhunderten eine weſentlich 
verichievene. Im Ganzen genommen nit in der Art 
unerträglih, wie man fich das oft gedacht bat, mehrfach an 
die Lage unter der alten PBerjerherrichaft erinnernd, war fie in 
der Regel grundfäglich beſſer al8 jene der Chriften in 
hriftlichen Ländern jener Zeit, welche nicht die Confeſſion ber 
Majorität tbeilten, over gar der Juden und Moriskos in 
Spanien. Am bärteften unmittelbar nach ber Eroberung 


1) Bgl.v. Maurer, ©. 8 ff. 54 ff. 62—70.76— 89. 92. 97. 98. 102.130. 
Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 13 sq. 16 sqq. 29 sqg. (und 
„Greece under othoman and venetian domination“, p. 351 sqgq.). 
Eihmann, ©. 35 fl. Hopf, Orieenlanb im Mittelalter, Bd. 86, 
©. 189. Menvelsfohbn- Bartholdy, ©. Afl. 


Die Gefammtlage der Griechen unter der o8manifchen Herrſchaſt. 115 


empfunden; auf manchen Punkten bi8 zur Mitte des ſechs⸗ 
zehnten Sahrhunderts und darüber hinaus gerade durch bie 
Angriffe des Abendlandes auf die griechiichen Uferlande des 
türfiichen Reiches dunkel genug gejtaltet, — war doch die 
Gefammtlage der Griechen unter dem Halbmonde fo lange 
mehrfach wohl geeignet, fich durch privaten Wohlitand für die 
Abhängigkeit zu emtichädigen, als zu Stambul jelbft ein 
mpolantes, fräftiges und jolives Regiment geführt wurde. 
A das aber nad des großen Suleiman Ausgang aufhörte; 
ald die Osmanen ſelbſt im Civil» und Heerweien zu entarten 
begannen, und die befjere Zeit großer Pfortenminifter nur noch 
leidliche Epiſoden zu jchaffen vermochte, da kamen auch alle 
jene Diomente gar fehr zu drüdender Geltung, welche immer 
wieder bie grundfäßliche Unverföhnlichkeit zwiſchen moslemitifcher 
Herrihaft und dem Griechentfum ans Licht zogen. Nach Seite 
der Religionsverſchiedenheit Hin wird wiederholt die 
Kirche jchweren Erprefiungen ausgeſetzt, erlaubt fich bie 
Volkswuth zeitweiſe entjegliche Ausfchreitungen,, bleibt ber 
Grieche Doch immer — mit Ausnahme des allmählich fich 
entwickelnden diplomatiichen Dienſtes, der Finanzbeamten, der 
Selretäre, der Dolmetjcher und der Fanarioten — von ber 
Theilnahme am höheren Staatöleben entfernt. Von gejicherter 
perfönlicher Freiheit ift doch in einem Staate feine Nebe, 
wo einerjeitS ſelbſt die herrſchende Race der despotiſchen 
Willkür der Sultane und der Paſchas unterliegt, wo anderer» 
jeit8 für Diele berrichende Race wirklich bindende Schranken 
gegenüber ver Rajah nicht beftehen; .jo ſehr daß bei 
Kriminalfällen das Zeugniß des Chriften gegen den Moslim 
fine Geltung batte, daß bei wachlender Entartung die alte 
perfiiche Herrenfünde der Wolluft in erhöhter Wildheit zum 
Vorſchein kam, fchöne Mädchen und Knaben die beliebte Beute, 
das jagdbare Wild für türfiiche mächtige Frevler wurden. 
Damals bilvete fich bei den riechen bie ververbliche Sitte 
aus, ihre jungen Töchter möglichit früh zu verbeirathen, weil 
die Türken feine Frauen in ihre Harems zu nehmen pflegten. 


Der graufamen Strafen und Hinrichtungen fei nur nebenbei 
8 * 


116 8.1.8.1. 5. Die Geſammtlage d. Griechen unter o8manifcher Herrſchaft. 


gedacht. Nach Seite des Wohlftandes endlich drückte ein 
Doppeltes Übel. inerfeit8 die jeden Augenblick eintretende 
Möglichkeit, neben der zerftörenden Art der Erhebung des 
Zehnten immer neue außerorbentliche Laften gefordert zur jehen, 
auch von der regellofen Erpreffung türkifcher großer und Heiner 
Machthaber abgejehen. Andererſeits die Planloſigkeit und die 
„Zufallsnatur“ des Despotismus, die feiner neuen nützlichen 
Schöpfung eines tüchtigen Griechen oder Türfen Dauer und 
forgjame Pflege ficherte, vielmehr den thörichtiten Schlägen 
gegen alte oder neue Quellen des Wohlitandes Thür und 
Thor öffnete. Nimmt man nun noch Hinzu die bereits 
geſchilderten Schattenjeiten des Negimentes der griechifchen 
höheren SKlerifer und dev Primaten, jo wird man leidt 
fich vorftellen dürfen, daß mehrere Menfchenalter hindurch, die 
Armatolen, Klepbten und Mantaten, die Infulaner und bie 
Athener allenfalls ausgenommen, über dem Leben der Griechen 
des türkiſchen Reiches ein wahrhaft bleierner Himmel aus 
gebreitet lag. 

Die Folgen folder Zuftände find leicht zu bemeſſen. 
Auf der einen Seite an vielen Punkten pie ſtarke Neigung 
— tie einft in den gotbifchen, bunnifchen und jlamtichen 
Sturmzeiten bie alten Hellenen getban —, in Maſſen nad 


Stambul überzufieveln, wo fich bi 1590 eine griediid | 


redende Bevölkerung von mehr denn 100,000 Seelen wieder 
gefammelt, und wo man immer noch am erften Schuß und 
Gedeihen zu finden die Ausficht hatte. Selbft aus Attike 
ftrömte wiederholt die Bevölkerung nach dem Bosporus ab). 





Weiter aber fam in vielen Theilen des Landes alle höhere 


produktive Thaͤtigkeit und aller Fortichritt zum Steben. 


längere Zeit pflege in Pertoven langfamen PBerfalles (die | 


anfangs viel behaglicher zu fein pflegen, als die allezeit mit 
vielen ſocialen Unbequemlichleiten begleitete wirtbfchaftliche 
Blüthe), namentlich der Bauer, der feinen ausreichenden Abſatz 
findet, feine Produkte zu verzehren, bis allmählich bei 


1) Bol. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 189. 


Eharakter d. Griechen, namentl. d. Moreoten, unter osman. Serrichaft. 117 


zunehmendem Verſchwinden aller Unterlagen und Förderungs⸗ 
mittel nüglicher Zhätigfeit, und bei dem Mangel aller Diit- 
wirfung der Staatsregierung zu ernitbaften Verbeſſerungen 
Verarmung, Verödung und Verkümmerung des Bodens grell 
genug zu Tage treten. Die Osmanen tbaten eben jo gut wie 
gar nichts für Brüden, Straßen, Kanäle und .vergleichen, und 
jo fteuerte auch das innere Griechenland auf vielen Punkten 
dem Berfall entgegen. 

Der Charakter aber des Volkes wurde dabei natürlich 
niht bejfer. Wir kennen bas Haifiiche Urtheil ber Vene⸗ 
fianer über die — Albaneien wie Rhomäer — der Waffen 
entwohnten, unter ihren Laften endlich nahezu ftumpf gewordenen 
Moreoten des auägebenden ſiebzehnten Jahrhunderts. 
„Durch Feine Belehrung‘, fagte ein jcharfer Beurtheiler ?), 
„laſſen fie fich von dem Gewohnten abbringen. Sie fürchten 
immer betrogen zu werben. Alles und Jedes erweckt ihnen 
Verdacht, aber in demſelben Maße denken auch fie auf nichts 
als Berrug. Wenden fie fih an die Staatsgewalt, jo follte 
man im erften Moment ſchwören, fie hätten das vollkommenſte 
Recht von der Welt; in der Regel aber ift es Alles 
Falſchheit und erlogenes Weſen. Nur auf Gewinn denken fie: 
das ift das Erite, das Einzige, wozu der Sohn vom Vater 
angewiefen wird. Sie leben armielig, denn fie bilden fich ein, 
der Erwerb hänge mehr davon ab, daß man fich jchlecht nähre, 
als von Fleiß und Thätigkeit. Nur fo viel arbeiten fie, als 
es die unvermeibliche Nothwendigkeit gebietet. Wer es irgend 
vermag, läßt das Land lieber bauen, als daß er ſelbſt Hand 
anlegen ſollte.“ 

Es war aber nur natürlich, daß gerade die beiten und 
intelfigenteften ver Griechen die harten Übelftände ber 
Fremdherrſchaft — denn die blieb es doch immer, troß aller 
Selbftregierung durch Klerus und Primaten — am drückendſten 
empfanden; viel mehr als die Slawen und Schfypetaren, vie 
unter denjelben Nachtbeilen litten. Mochte auch immer die 


I) Grimani bei & Ranke, Die Venetianer in Morea, S. 439. 


118 Bud I. Kap. I. 5. Hoffnungen und Ideale der Griechen. 


griechiſche Volksſprache jeit der osmantichen Eroberung 
möglichit tief in Verfall geratben, jo blieb doch der lebendige 
Zuſammenhang mit der älteren Litteratur erhalten: und mun 
faftete die Erinnerung an die herrliche Vorzeit der alten 
Hellenen und an die beiten Zeiten der Kaifer von Byzantion 
mit erbrüdender Schwere gerade auf ben edelſten Gemüthern, 
die niemals aufbörten, auf jeve Regung im Abendlande zu 
achten, die nur irgend auf Befreiungspläne zum Beſten ber 
Griechen binzudeuten jchten. Charakteriftiich aber tft e8 immer, 
daß Dank der ganzen Entwidlung der griechifchen Nation feit 
Arkadius alle Hoffnungen und Wünfche der nach Erneuerung 
des Volkes jich fehnenden Griechen mit der Antife, mit Athen 
und Sparta, nichts mehr zu thun haben. Dafür fteht jet 
im Vordergrunde die anatoliihe Kirche und Das verlorene 
chriſtliche Conftantinopel. Und die Klage um dieſes ver 
Iorene Paradies, die Klage um ven legten Fatjerlichen 
Paläologen und die goldene Stadt am Bosporus geht von 
Jahrhundert zu Jahrhundert durch die neugriechiiche Titteratur, 
bi8 dann in unjerem Zeitalter die griechiiche Nealpolitif und 
der neu erivachte Gegenja zwilchen Slawen und Griechen 
innerhalb verfelben Kirche die Stadt Konftantins des Großen 
anjcheinend für immer außerhalb der griechiichen Hoffnungen 
geitellt Haben ). Im Ganzen aber ift für die Zeit bis zu 
Ende des fiebzehnten Jahrhunderts auch das geiftige Niveau 
des Griechenthums und feine litterariſche Produktivität 
möglichit tief gejunfen. 

Die neugriechifche Vulgärſprache, von der Geiftlichfeit nicht 
begünftigt, verwilderte zunächft immer mehr, nunmehr auch ben 
Einwirkungen des ſchul- und alphabetlojen Albanefifchen aus 
geſetzt. Der lebhafte Zufammenhang mit den gelehrten 
Griechen der Emigration in Italien und Wefteuropa, die jid 
allerdings bis zum achtzehnten Jahrhundert conjequent fort- 
ſetzte, erloſch doch auch allmählich. Das Studium ber 

1) Bgl. Ellifſen, Analekten, Thl. IV, Abth.2, S. 147. Nicolai, 


Geſchichte ber neugriechiſchen Litteratur, ©. 85 f. und „La prise de 
Constantinople “ (118 Berfe); franz. u. griech. edirt (1876) von Le Grand. 


Neugriechiſche Sprache und Litteratur. Kreta. Athen. 119 


Alten wurde immer fpärlicher betrieben; mit der fort- 
ihreitenden Ausbreitung der Osmanen auch in den venetiantfchen 
Defigungen im Peloponnes gegen Ende des funfzehnten Jahr⸗ 
hunderts (S. 15) erloih auch der noch in Mifithra fort- 
Iebende Reft der Schule Plethons !). Gelehrte Studien auf 
griechiſchem Boden unter der Herrichaft des Halbmondes wurden 
außer der Patriarchenichule in Stambul nur jelten ſyſtematiſch 
betrieben. Peloponneſiſche, chtotifche, ioniſche, Fretifche Jünglinge 
mußten ihre höheren Studien jchon in Stalten machen, um 
tiefere Bildung fich erwerben zu können, während Dagegen 
wenigitend die Inſel Kreta, jo lange fie noch unter der 
herrſchaft Venedigs ftand, troß der vielen Leiden des gries 
chiſchen Landvolkes, immer noch bis tief in das fiebzehnte 
Jahrhundert hinein eine Menge gelehrter Griechen erzeugte, 
welhe mit hohem Eifer die Alterthumswiſſenſchaft pflegten. 
Aus eben Diefer Infel ging dann auch jener Vincenz Kornaros 
von Sithia hervor, welcher in der zweiten Hälfte des ſechs— 
jehnten Jahrhunderts das berühmte national-romantijche Epos 
„Erotokritos“ (10,000 ‚,politiiche‘‘ Reimverje in fünf Büchern) 
verfaßt hat. Ebenjo jener Athanafios Skleros, welcher ven 
Untergang der venetianifchen Herrihaft auf Kreta poetiſch 
beichrieben bat. Während auf dem Feſtlande die projaiiche 
litterariiche Produktion des jechszehnten und fiebzehnten Jahr⸗ 
hunderts nad) Seite der Gefchichte meift in Schöpfung. möndjijch 
gefärbter Chronifen gipfelte, Athen aber doch in jeinem 
Theodofios oder Theodoros Zygomalas (Sohn des Johannes 
Zygomalas von Nauplion), ver feit 1580 an der Spike der 
Patriarchenihule in Stambul ſtand, zeitweife einen jehr 
tühtigen Lehrer bejaß, der dann auch als Protonotar des 
Patriarhats , anſchließend an Laonikos Chalkokondylas die 
türkifch - griechtiche Geichichte von 1391 bis 1578 befchrieb; 
während Athen, trog feines auffallend verberbten Dialektes 
wenigſtens noch in der Volksnatur einen Reſt ber alten 
griechiichen Grazie und die Pflege einer fangbaren Lyrik jich 


1) Bol. Elliffen (Ausgabe der „Neära“) a. a. O. ©. 29. 





189 Bud I. Kap. I. 5. Die Infeln. 


erhielt, jonit aber (zur venetianifchen Zeit noch Nauplion und 
die ioniſchen Inſeln ausgenommen) überall höhere Bildung in 
Berfall gerietb oder nur noch von Einzelnen gerettet wurbe, 
auch litterartiche Schätze in Vergeſſenheit geriethen (die nicht 
immer fo glüclich gerettet wurden, wie um 1600 bei einem 
großen Brande die des Kloſters Megafpilion) — ftand es 
wenigftens auf einigen Inſeln befier. Nach Überwindung 
der türkiſchen Zerjtörungen bei der Eroberung Batten namentlich 
Lesbos und Lemmos ſich erholt. Chios aber, obwohl lange 
nicht mehr jo blübend, wie einft unter der Maona, war doch 
durch die Pflege feines im faiferlichen Harem boch gejchäßten 
Maſtix, durch feinen allmählich reich entwidelten Hanvel mit 
jeinen vielen Produkten wohlbabend geworben, und unter ber 
Theilnahme einer gebilveten Bevölkerung Sig wie Heimath 
nicht verächtlicher wiſſenſchaftlicher Studien, belanntlich auch 
die Geburtsitätte des berühmten Leo Allatius (geboren um 
1586) !). | 

Wir zeigen in den nächiten Kapiteln dieſes Bandes, wie feit 
ven legten Zeiten des fiebzehnten Jahrhunderts und während 
des achtzehnten nach biefer wie nach anderen Richtungen bin in 
Griechenland eine wejentliche Beſſerung eingetreten ift. ine 
erhebliche Beſſerung für die Lage der Griechen ging aber 
ihon früher von der Pforte felbft aus; nemlich die Ab- 
ihaffung des jhredlihen Knabenzinſes. Es Hing 
diefes mit der Ansartung der Janitſcharen zufammen. Das 
biaboliiche Shftem, auf welchen dieſes Corps begründet war, 
batte doch eine erhebliche Lücke. Wie für die Grenzlegionen 
ber älteren römiſchen Kaiferzeit während ihrer Dienftjahre 
erfannte das Shftem ber Pforte für die Ianiticharen Feine 
rechtsgiltige Ehe an: das wurde auf die Dauer unbaltbar. 
Die Yanitieharen erzivangen endlich jchon unter dem großen 
Suleiman das Recht, fih zu verbeiratben. Im jchnellem 


1) Bgl. Ranke, Die Osmanen, ©. 25 fi. und namentlih bie 
Überfiht bei Nicolai, Gefhichte der neugriechiſchen Fitteratur, ©. 23 
bis 95. 





Abſchaffung des Knabenzinfes im 17. Jahrhundert. 121 


Fortſchritte nöthigten fie bet feiner Thronbefteigung Suleimang 
Nachfolger Selim IL. die Berechtigung ab (1566), ihre 
Söhne in ihre Reiben aufnehmen zu dürfen. Unter Murad III. 
(1574— 1595) fam es dann dahin, daß gegen alle uralte 
Praris nun auch Türken und andere Moslims aus allen 
Nationen des Islam in wachſender Menge in das alte 
Renegatencorps eingejtelt wurden. Und unter Ahmed 


(1603 — 1617) fam es bereits dahin, daß bie einzelnen 


Janitſcharen, wenn fie im Lande umher, wenn fie an ben 
Grenzen lagen, Gewerbe zu treiben und jich dem Handel zu 
ergeben anfingen. Ruinirte dieſe Veränderung etnerjeits bie 
jeldatiiche Brauchbarkeit der Ianiticharen, jo kam fie bafür ben 
Chriſten zu Gute. Die Janitſcharen felbft waren feit der 
Aulaffung isrer Söhne zum Dienfte nicht fehr geneigt, neue 
zahlreiche fremde Knaben zu ihrem Corps zuzulaffen; und jeit 
der Aufnahme maſſenhafter geborener Moslims in dieſe 
Zruppe boten die Türken den Chriften jelbft gern die Hand, 
gegen ein Stück Gelb die Aushebung der chriftlichen Kinder 
praktiſch abzuftellen, zumal die zunehmende Entvölferung des 
offenen Landes e8 wünjchensiwerth machte, die Verringerung 
der Einwohner möglichtt zu vermeiden. Daher wurbe dann 
werit ımter Murad IV. (1623 — 1640) gegen Ende feiner 
Regierung (1638) der Knabenzins abgeftellt. Ganz hat die Pforte 
damals doch noch nicht darauf verzichtet, obwohl fie num auch 
anfing, die Chriſten unter den Albanefen in dem osmaniſchen 
Heeresdienſt zuzulaffen. Noch einmal im Sabre 1676 wurden 
3000 Kriftlihe Knaben zum Heereöbienfte der Janitſcharen 
ausgehoben, dann durch die Verordnung vom Sahre 1685 
der Knabenzins bleibend abgeftellt '). 

Damit wurde der Rajah überhaupt, fpeziell aber den 
Griechen, ein großer Vortbeil gewährt. Nun erft konnte 
wieder von einem Aufblühen ver phufiichen wie der moralijchen 


1) Vgl. Rante, Die Osmanen, ©. 69. Finlay, Greece under 
othoman and venetian domination, p. 194sqq. Gervinus, Geſchichte 
des 19. Jahrhunderts, Bo. V, Thl. I, ©. 37. 





_ 


122 Bud I. Kap. J. 5. Aufihwung des griechifchen Klephtenthums. 


Bolfstraft die Rede jein, ſeitdem nicht mehr die beften jugend- 
lichen Kräfte ver Nation ihr für immer entfremdet wurden. 
Wie aber die Dinge in Griechenland einmal lagen, wirkte die 
Abftellung des Knabenzinſes bier zuerſt am fühlbarften zurüd 
auf den Aufihwung des Klephtenthums. Kin großer 
Hiftorifer macht mit gewohntem Scharfblide darauf aufmerf- 
fam, daß der erjte Klephte, den die Lieder der Neugriecen 
preifen, noch in dem fiebzehnten Jahrhundert feine wilde Lauf 
bahn eröffnet. Es war ber berühmte Chriftos Milionis, 
ber jeinen zweiten Namen von der langen Flinte (Milionion), 
führte, der er fich zu bevienen pflegte, und, in vem 
nördlichen Akarnanien zu Haufe, namentlich den Osmanen von 
Arta gefährlich wurde. Chriftos fiel endlich bei Armyros in 
dem alarnaniichen Kanton Valtos im Zweilampfe mit einem 
ihm befreundeten Moslimen, Namens Soliman, ven der 
Dervenaga Muchtar gegen ihm ausgeſchickt hatte (gegen Ende 
des fiebzehnten Jahrhunderts). Ihm folgte der Alarnane 
Bukowallas (mit feinem wilden Eidam Johannes, des 
Stathas Sohn), der unter Anderem bei Keraſſowo glückliche 
Kämpfe gegen des ſpäter jo berüchtigten Ali⸗Paſcha von 
Soannina Vater Beli, den Bey von Tepeleni, beitand ?). 

Es bat jevoch bis zum legten Drittel des achtzehnten 
Sahrhunderts gedauert, ehe die Kämpfe der Klephten und 
enblich auch der Armatolen mit den osmaniſchen Meachthabern 
bie Theilnahme auch des Abendlandes erwedten, Vorher war 
Griechenland im Großen der europäiſchen Welt bereits 
wieder näher gerüdt worden: einmal für breißig Jahre durch 
eine neue Wendung der großen Politif, nachher aber durch 
den endlich wieder bemerfbaren werfantilen und geiftigen 
Aufihwung der allmählich fich wieder erhebenvden Nation. Bis 
zum Galle von Candia war allerbings der geijtige Zuſammen⸗ 
bang zwilchen Griechenland und dem Abendlande immer biünner 


1) Rante, Die Osmanen, ©. 70 und vgl. das Bud: „Mit- 
theilungen aus ber Gefchichte und Dichtung der Neugriechen“ (nad 
Fauriel, Bd. I, ©. 7ff. 














Cruſius von Tübingen und die Griechen. 123 


geworden, jobald wir von jenen Griechen abſehen, die in Italien 
itudirten und in Europa Stellungen gefunden haben. Aller- 
dings find wohl briefliche Verbindungen zu gelehrten Zweden 
angefnüpft worden zwiichen einigen griechiichen PBatrioten und 
Belehrten mit namhaften Männern der. europätfchen Welt, 
auch jenjettS der romaniichen Staaten des Weftens. So unter 
Anderem zwiichen Philipp Melanchthon und Antonios Eparchos 
in Korfu, wie (1559) zwilchen jenem großen Freunde Luthers 
und dem Patriarchen Joaſaph IL., wie auch mit dem Diakon 
Dimitrios Myſos an der Hauptfirche zu Salonicht ?), 

So hatte der gelehrte protejtantiiche Tübinger Profeffor 
Martin ECrufius (Kraus) in dem letten Drittel bes ſechs⸗ 
zehnten Jahrhunderts durch feinen Briefwechjel mit 390» 
malas und anderen griechiichen Gelehrten (1576 — 1578) 
Griechenland für das gebildete Deutjchland gleichiam neu ent- 
det, d. 5. er hatte für jeine beutjchen Zeitgenojjen urkundlich 
feitgeftellt, daß noch immer ein griechiiches Volk, wenngleich in 
jebr gejunfenem Zuftande und bei tiefem Verfalle der Bildung, 
ja daß felbft noch ein Athen wirklich exijtirte, mitten unter den 
zum Theil nicht mehr veritandenen, aber immerhin noch 
erheblichen Nejten des griechiichen Altertbums. Manche Griechen 
juhten jogar in Tübingen damals ihre Bildung ?). Und 
wieder ftand 1652 der Athener Leonard PHilaras im Brief- 
wechjel mit dem Engländer Milton und hätte burch venjelben 
gern die Shmpatbien der engliichen Republik für Griechenland 
erwedt ?). Neben den Beziehungen einzelner riechen zu 
Melanhthon und Milton; neben dem durch Martin Kraufe’s 
und Andreä's jungen Freund Stephan Gerlach (Kaplan bei 
David von Ungnad, des Kaiſers Mar II. Gejandten in Stambul) 


1) Bgl. v. Maurer, ©.18.424. Nicolai, ©.49.86. Pichler, 
Cyrillus Lukaris, ©. 33. Paul Trivier, Cyrille Lukar., p. 35800. 

2) Bgl. v. Maurer, ©. 18. 424f. Michaelis, Der Parthenon 
(Text), S. 56. Wach smuth, Die Stabt Athen im Altertbum, Bd. I, 
©. 63. De Laborde, Athenes aux XVe, XVIe et XVIIe siöcles, 
tom. I, p. 5ösq. Nicolai, ©. 47f. 59. Gervinus, Bb.V, Thl. 1, 
©. 114. Pichler, S. 34ff. Trivier, p. 35—40. 

3) Bol. Gervinus, Bo. V, Thl. 1, ©. 26. Nicolai, ©. 43. 





124 Bud I. Kap. I. 5. Kyrillos Lukaris. 


bei vem Patriarchen Jeremias II. angejtellten Berbindungsverfuche 
Augsburgiicher Confeſſionsverwandten jeit 1574/5, giebt e8 endlich 
auch wenigiteng eine jtarfe Spur davon, daß die gewaltige geiftige 
Bewegung, wie fie in ganz Europa wejtlich von der Adria, ven 
Karpathen und der Düna durch die Reformation hervorgerufen 
worden ijt, einigen Gliedern der anatoliichen Kirche nicht völlig 
fremd blieb. Der Hauptſache nach bewegte fich allerdings das 
innere Xeben der Griechen nur in ber Abwehr Hier des 
Alam, dort des Papismus, und zwar jo, daß bie eigentliche 
Schärfe des Gegenjakes immer gegen das lateiniſche Dogma 
und Kirchenthum gerichtet blieb. An Welleitäten im Sinne 
einer Annäherung der Griechen an Rom hat e8 freilich nicht 
ganz gefehlt; noch 1480 hatte der Patriarch Maximos ein 
biefelbe betreffendes Schreiben an den - venetianifchen Dogen 
Giovanni Mocenigo ‘gerichtet ). Praktiſche Folgen Haben 
diejelben aber zu feiner Zeit gehabt. Aber auch die Donner 
bes welthiitoriichen Kampfes zwilchen Wittenberg und Nom, 
und der helle Schlachtruf des Calvinismus in Frankreich, in 
Schottland und anderen Ländern des Weftens, find nur in 
dumpfen Tönen innerhalb des Bereiches der griechiichen Kirche 
unter dem Schatten der osmanifchen Herrichaft vernommen 
worden ?). Wirklich Boden ſchien der Calvinismus Hier nur 
einmal zu gewinnen, und zwar zu Anfang des fiebzehnten 
Jahrhunderts, als der hochgefinnte und hochbegabte Kyrillos 
Lukaris (geboren 1572 zu Candia), ein Mann von freierer 
Sinnesweile, der auch für die Pflege der neugriechifchen Vulgär⸗ 
iprache Sympathie hatte, in toleranter Haltung hervorleuchtend, 
und von den reformatoriichen Ideen lebhaft berührt, ben Thron 
des Patriarchats inne hatte. In erfter Linie kam es ihm darauf 
an, die wiljenfchaftlichen Bildungsquellen des Abendlandes der 


1) Thomas, Eine griehifhe Originalurlunde zur Gefchichte der 
orientalifchen Kirche (München 1853), und Hopf, Griechenland im 
Mittelalter, Bb. 86, ©. 162. 

2) Einer Schrift des zelotifchen Wandermönde Pachomios Rhuſanos 
aus Zante gegen Luther in des Reformators eigener Zeit gedenkt Nico⸗ 
lai, S. 49. 








Kyrillos Lukaris. Die Griechen und Rußland. 135 


griechtichen Kirche nutzbar zu machen. Er hatte daher noch als 
Erzbiichof von Alerandrien (1602—1621) den auf dem Athos ge- 
bildeten jungen Metrophanes Kritopulos aus dem makedoniſchen 
Berrhöa (nachmals zu Stambul Protoſynkellos) zu neuen 
Studien nach Deutichland und England geichidt. Nur daß 
für einen folchen Dann die Zeit noch nicht reif war. Seine 
theologijche und litterariiche Thätigfeit überhaupt, die Berufung 
des, wie er jelbit, in Padua philoſophiſch gebildeten, calviniſtiſch 
angefärbten Atheners Theophilos Korydaleus zum Scholarchat 
in Stambul, die Anlage einer, auch Durch die engliiche Gejandt- 
ſchaft unterftügten Druderei in Stambul (1627) und Ahnliches 
tiefen eine leidenichaftliche Gegnerfchaft hervor. Theile Seitens 
der griechiſchen Orthodoxie, theild Seitens ber Jeſuiten, Die 1583 
begonnen hatten, bier und in der Levante feften Fuß zu fallen. 
Der Rückhalt, den Lukaris (1621—1638 Patriarch in Con- 
ftantinopel) an den Gejanbtichaften Englands und Hollande 
gefunden hatte, wie auch fein Appell: an das Nationalgefühl 
der Griechen und an die Gebildeten feiner Nation vermochten 
ihn auf die Dauer gegen die zuletzt auf polittiche Verdächtigung 
binauslaufenden Intriguen feiner Gegner nicht zu ſchützen. Er 
iit wiederholt entfernt, verbannt, wieder nach Stambul berufen, 
endlich auf Grund der Anklage jeines Feindes und Nachfolgers, 
des Erzbiichofs Kyrill Kontari von Berrhöa, als Hochverräther 
gen die Pforte am 27. Juni 1638 hingerichtet, feine Lehre 
und Arbeit durch die Synode am 24. September 1638 mit 
dem Anathema belegt worden ). 

Außer folchen Beziehungen hatten fich indeſſen noch andere 
allmählich erttwicelt. Seit dem Niedergange der venetiantichen 
Macht in der Mitte umd in der zweiten Hälfte des fech- 
zehnten Sahrhunverts Hatten die Hoffnungen des griechiichen 
Volkes angefangen, fib auf das Reich der glaubend- 
verwandten Ruſſen zu richten 9). Schon 1576 entging es 


1) Bgl. Menvdelsfohn- Bartholdy, ©. 23. Gaß, Zur Ge— 
ſchichte der Athosklöſter, ©. 37. Nicolai, ©. 43. 49 f. 52. 67. 91. 
Bihler, ©. 37—180. 215ff. Trivier, p. 42—77,. 133g. 

2) Bol. Sathas, Griechenland unter türkischer Herrſchaft, S.177f. 


126 Buch I. Kap. I. 5. Athen. 


den Slugen venetianifchen Beobachtern nicht mehr, daß ber 
künftige Hauptgegner der Pforte in dem großen Slawenreiche 
des Nordoftens heranwachſe, und daß diefer bei den Slawen 
und Griechen ver Balkanhalbinſel zu paffender Stunde auf 
jtarfe und werkthätige Shympathien werde rechnen können. 
Unmittelbar fühlbar machte ſich Dagegen der franzöſiſche 
Einfluß, der jeit der Zeit des Könige Franz I. am Bosporus 
für lange Zeit der dominirende war, und zugleich zuerft wieber 
ſeit dem Aufhören der lateiniſchen Herrichaft auf dem griechiichen 
Feitlande und auf den Inſeln jenjeit$ des noch beitehenden 
venretianischen Machtgebietes der vömijch-Fatholiihen Miſſion 
die Wege ebnete. Es find zuerit die Jeſuiten, welche jeit 
Beginn des fiebzehnten Jahrhunderts von ihren Milfionen zu 
Stambul, Salonidi, Smyrna, Chios und Naros aus auf 
die griechiiche Welt erheblichen Einfluß zu gewinnen ars 
fingen '). | 

Die alte geiftige Hauptſtadt der Hellenen, Athen, fah 
ebenfalls 1645 — 1658 eine Miſſion der Jeſuiten auf ihrem 
Boden. Athen war jeit dem Ausgange der Acciajuolis gleich 
iam „durch eine chinefiihe Mauer” von dem Abendlande 
getrennt geweſen und, wie gejagt, wenigftens für das germaniiche 
Europa erft durch jenen Zübinger wieder entdeckt morben. 
Erft jeit dem fiebzehnten Jahrhundert kamen wieder einzelne 
Europäer als Bejucher nach Athen, ohne daß es ihnen jedoch 
immer gelang, Eintritt in die Akropolis zu erhalten; am 
ebeiten noch, wenn fie franzöfiihe Geſandte, ober durch 
Frankreich gedeckt, oder doch Confuln einer großen europätichen 
Macht waren. Einem der 1645—1658 in Athen, nachher in 
Negroponte, thätig gewejenen Jeſuiten, dem Pater Babin, 
verbankte man befanntlich jpäter (1672) einen vortrefflichen und 
interejfanten Bericht über das damalige Athen und jeine 
noch vorhandene Sehenswürdigfeiten. Als 1658 die Jeſuiten 
ihre Milfion aus Athen nach Negroponte verlegten , folgten 
ihnen in der Stadt des Kekrops franzdfiihe Kapuziner, 


1) Bl. Nicolai, ©. 50. 





Athen. 127 


bie (1669) ihr Klojter, wo alle fränkischen Fremden Aufnahme 
fanden, an das ‘Denkmal des Lyſikrats anbauten und nament- 
ih durch ihre archäologiſchen Studien für das Abenpland 
intereffant geworben find. Freilich Bat ba ihre geringere 
wiſſenſchaftliche Vorbildung zu manchen feltfamen Irrthümern 
Veranlaffung gegeben. Am feltiamften war es, daß fie ſich 
ganz umbebenklich der in Athen und auch fonft in ber 
griechifchen Welt mit höchſter Zähigkeit verbreiteten volfs- 
thümlihen Anſchauung hingaben, verzufolge der Parthenon in 
hriftlicher Zeit zuerft dem ,, unbefannten Gott ‘‘ geweiht 
gewejen fein follte. Wollten doch diefe Kapuziner fogar bie 
Inihrift „ayyaorw dew“* am Tempel gefunden haben, — 
em reines Phantafiegebilde. Den Irrtum enthüllte bereits 
der erfte der vielen europäiichen Reiſenden, bie dann ſeit 
1675 immer zahlreicher Athen und Griechenland zu befuchen 
anfingerr, nemlich der Arzt und ausgezeichnete Antigquar 
' Dr. Jakob Spon zu Lyon. Leider war aber Spon (1676) 
auch der letzte gebildete Antiquar, welcher den Parthenon noch 
in feiner vollftändigen Schönheit geieben hat. Denn die Zeit 
tand unmittelbar bevor, wo ein furchtbarer Krieg die Eriftenz 
der Osmanen in Europa bedrohte, ihnen noch einmal 
Morea entriß, zugleich aber ſchweres Verberben über Athen 
brachte 1). 


1) ®gl. De Laborde |]. c., tom. I, p. 46—256. Michaelis, 
Der Barthenon (Text), S. 56—61. Wachsmuth, Die Stadt Athen 
im Altertbum, 8b. I, ©. 62—79 u. 745ff. Zu bemerken ift noch, daß 
die Bropyläen Bereit eine Zerflörung erlitten hatten. Die Türken 
hatten hier ein Pulvermagazin untergebracht, in welches im Jahre 1656 
ein nächtlicher Blitz einfhlug ine furchtbare Exrplofion fprengte die 
nabe gelegene Wohnung bes damaligen Aga Iſuf in die Luft und zu=- 
gleich einen großen Theil der Propyläen, zerjchmetterte die Architrave 
ſämmtlich, zerftörte zwei ionifche Säulen und riß von allen librigen bie 
oberen Partien fort. Die griechifche Legende faßte diefen nächtlichen Blitz 
auf als göttliche Strafe für den frevelhaften Plan Iſufs, den Tag 
darauf eine fleine atheniſche Kirche zur Feier eines hohen türkifchen 
Feſtes durch Kanonenfhüffe zu zerftören. Bol. Wahsmuth, ©. 14. 
Mommsen, Athenae Christianae, p. 52sqq. 58sqg. 





18 3.1 K. II. 1. Übertritt der Schfypetaren zum Islam im 17. Jahrh. 


Zweites Kapitel. 
Geſchichte Griechenlands von 1684 bis 1718. 


— — — 


J. 


Die Eroberung von Kreta durch die Osmanen trotz aller 
Anſtrengungen der Venetianer und der Nachzügler der alten 
Kreuzfahrer hatte die Hoffnungen der Griechenwelt auf eine 
künftige Befreiung von dem Joche der Pforte ſo tief als nur 
möglich herabgedrückt. In der That erreichte die Neigung 
zum Abfall vom Chriſtenthum ſeit jener Zeit ihren 
Höhepunkt. Übertritte zum Islam waren ſeit dem Falle von 
Stambul an fih nichts Seltenes geweſen. Die Renegaten 
hatten fich theils aus vereinzelten ehrgeizigen Chriften refrutirt, 
theil8 waren es ganze Familien, welche Den erdrückenden 
finanztelfen Laften und namentlih dem greulichen Knabenzins 
entgehen wollten. Sehen wir ab von der Entwicklung be 
den Bulgaren und bei dem bosniakiſchen Adel, fo erfolgten 
auf der Balfanhalbinjel Übertritte zum Islam in größeren ' 
Maffen erft im ſiebzehnten Jahrhundert. Allen voran 
ftehen bier die Schfypetaren. Die zäben Bewohner de 
eigentlichen Albaniens hatten fich, ſehr zahlreiche Ausnahmen 
bier nicht noch näher zu erörtern, einige Menfchenalter hin⸗ 
durch gegen den Islam ftanphaft gewehrt. Endlich aber 
erlahmte weithin ihre Kraft. Namentlih der Adel und bie 
fonjt mächtigen Familien des Landes, gleichviel ob römiſch— 
oder griechiſch⸗-katholiſch, fanden es endlich ihren Intereſſen 
entſprechend, durch die Annahme des Islam ihre Stellung 
gründlich zu verbefiern. Das will fagen, namentlich zur 
Zeit ‘des deutſchen breißigjährigen Krieges wurde bier ber 
Abfall vom Kreuze ziemlich allgemein. ‘Die größeren alba 
nefifchen Familien traten dadurd ein in bie herrichende Race, 











Die Abanefen von Lala in Moren. 129 


in deren Rechte und Vortheile, die fie dann auch fonit 
gegenüber ihren chrüjtlichen Brüdern und nieberen Klaſſen, wie 
gegenüber den Osmanen energiſch wahrzunehmen verftanden 
haben. Bei der an Feindſeligkeit grenzenden Geringichätung, 
mit welcher die Schkypetaren bi8 auf dieſen Tag nach Art 
des islamitiſchen Adels jlawijcher Abkunft in Bosnien auf Die 
Osmanen zu bliden pflegen, wurde allerdings die Stellung 
diejer Albanejen baburch erheblich ftärker denn zuvor. Diejer 
fall zum Islam, ber feit 1610 fich eingeleitet Hatte, war 
um die Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts To weit vor⸗ 
geihritten, daß man damals annehmen Tonnte, die Zahl der 
römiſch-katholiſchen Chriſten in dem eigentlichen Albanien fei 
von 350,000 bis auf 50,000 geſunken; und bas fette fich 
ttopfenweife noch bis zum Anfang des achtzehnten Jahrhunderts 
fort, namentlich auf Koften der römiſchen Katholifen, deren 
mals auch in Stambul nicht wenige abflelen ?). 

Viel ausdauernder als die Schiypetaren bielten bie 
National-Griechen mit Einer beveutenden Ausnahme am 
Chriſtenthume feſt. Auf dem althellenifchen Feftlande war bie 
Zahl der angefiebelten Türken immer nur mäßig; nambafte 
Maſſen verfelben fand man nur in Theffalien, wo feit dem ſechs⸗ 
sehnten Sahrhundert wie weiter im Norden, neben jeldichudifchen 
Örundherren oder Kontaren, Koniariven, die aus Turachans Zeit 
ftammten, auch die Balbnomadiichen Yürüfen aus Kleinafien 
vielfach erfcheinen. In Moren gab es nur zwei Punkte, wo eine 
den angefievelten Osmanen ftammfrembe Bevölkerung in Maſſen 
den Islam angenommen batte, und auch dieſe beitand aus 
eingewonberten Schiypetaren. Wir meinen nemlich die 
mobammebanifchen Albanefenftämme in Lala und Baͤrdunia. 
Auf den fünlichen, das Alpheiosgebiet weithin beherrſchenden, 
nad den Landſchaften des mittleren Elis ſchauenden Theilen 
bes Gebirges Pholod nemlih Tannte man im achtzehnten 
Jahrhundert die Albanefen von Lala, die Hier noch zu 
Anfang der neugriehiihen Erhebung fih hielten und ben 


1) Gervinus a. aD. ©. 27. 
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 9 











180 Buch IL Kap. II. 1. Die Barbunioten. 


Dsmanen eine ftarfe Stütze in diefem Lande waren !). Die 
friegeriihen Einwohner des weit zerftreuten,, durch mehrere 
fefte Thürme der Primaten gebecdten Dorfes, 3000 Seelen 
ſtark, konnten 400 rüftige Krieger ftellen. Noch viel bedeu—⸗ 
tender war der Stamm von Bardunia?). Mit diefem 
Namen bezeichnete man (nach einem alten bizantinifchen 
Schloſſe am Taygetos) ein ausgedehntes Gebiet in LRalonien, 
welches fi von Gorani und von den Quellen des nad 
Paſſava ftrömenden Bergwafjers über die füdöſtlichen Abhänge 
und Vorhöhen des Gebirges Tangetos in der Nichtung auf 
Marathonifi, Lewetſowa und ben unteren Eurotas ausbreitet. 
Hier fiedelten die wilden Bardunioten, bie in vielen 
Stüden die Sitten und Gebräuche ihrer weitlichen Nachbarn, 
der Maniaten, theilten. Wie die nambaften Familien ber 
Maniaten, jo beiaßen die der albanefiihen Barbunioten 
befeitigte Schlöffer oder Thürme, alle jehr eigenthümlicher Art. 
Eine Solche Burg beftand aus einem drei bis vier Stockwerke 
hoben vieredigen Thurme, der verichievene Wohnzimmer ent 
hielt, und deſſen flaches Dach mit runden Thürmchen an den 
Eden und mit einer Bruftwehr mit Zinnen und Schießfcharten 
gefrönt war. An dieſen Thurm ſtieß ein feft gebaute 
Wohnhaus, deſſen Wände ebenfalls Schießicharten hatten. Den 
Hofraum oder Burghof, der eine Eifterne enthielt, umgab 
eine ftarke Dauer mit vorjpringenden, zur Vertheidigung durch 
Kanonen eingerichteten Baftionen. Der Eingang war gewunden 
und batte mehrere Thore. Die wilden Mohammedaner dieſes 
Stammes, der bei etwa funfzig nambaften Familien (unter 
ihnen fpäter fagen- und Tiebergefeterte Helden wie Amus-Aga und 
Muctar « Bardunias) 2500 Krieger aufbringen konnte, Tagen 


1) Curtius, Peloponnefos, Th. II, ©. 4. Roß, Griechiſche 
Königsreifen, Thl. I, ©. 178. „Reifen im Peloponnes” I, ©, 110. 
Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 36. 

2) ®gl. Leake, Morea, vol. I,p.189sq. 264sqq. Roß, Griechiſche 
Königsreifen, Thl. IL, ©. 213 ff. Finlay l.c.p.36. Curtius aaO, 
Th. I, ©. 266. Burfian, Geographie von Griechenland, Bd. I, 
©. 105. 132. 146. 








Abfall der griechifchen Kreter zum Islam. 131 


oft genug in biutigem Hader mit den Maniaten, deren Vor⸗ 
fahren durch fie wahrjcheinlih aus dem fühlichen Eurotas⸗ 
gebiete verbrängt waren. Uber auch unter einander Jagen 
die Agas von Bardunia oft genug in wilden Familienfehden, 
und plünderten gern nah Norden bin in dem flachen grie- 
hüchen Lande. Als Gegner der Maniaten und türfifches 
Gegengewicht gegen biefes chriftliche Bergvolk fcheinen fie aber 
erft im achtzehnten Jahrhundert höhere Bedeutung gewonnen 
zu haben. Wann fie aber in Moren fich angefievelt Haben, 
it nicht ficher zu beftimmen; wahrjcheinlich tft wohl, daß vie 
Barbunioten ſchon feit dem funfzehnten Jahrhundert in ihren 
Sitzen wohnten und erft bier den Islam annahmen. Die 
Schiypetaren von Yala dagegen Fönnten eher jchon als 
Mobammebaner, aber wohl erit im fiebzehnten Jahrhundert, 
nah dem Pholos gekommen jein. 

Unter der im ethnographiihen Sinne Griechen zu 
nennenden Bevölkerung des alten Landes ver Hellenen bat ber 
Islam nur auf Einem Punkte bedeutende und zwar bis auf 
diefen Tag empfindlich nachwirkende Erfolge erzielt, nemlich 
auf der Inſel Kreta, wo nur die Sphafioten nach Art ver 
Maniaten ganz unbeläftigt fich durch ihre Brimaten felbftändig 
vegierten.. Bei den furchtbaren Kämpfen um Candia hatte 
der islamitiſche Fanatismus noch einmal einen gewaltigen 
Aufſchwung gewonnen, während andererfeits neben einer dünnen 
den BVenetianern zugethanen Minorität die griechiiche Be⸗ 
völferung bei ihrer Abneigung gegen das ſchwere Joch ver 
Republik dem Islam bier nicht jenen ausgiebigen Wipderftand 
leitete, wie fonft die Maſſe ihrer griechifchen Stammes⸗ 
genofien, und theils der Gewalt, theild den vortheilbaften 
Lockungen zur Annabme des Glaubens der berrichenden Race 
in weiten Umfange nachgegeben bat. Waren die drei 
Hauptfirhen von Candia fofort nah der Eroberung zu 
Moicheen gemacht worden, fo fehlte e8 nachher nicht an fehr 
ausgedehnten und jehr gemaltfamen Maßregeln der Osmanen, 
die Tretifchen Griechen zum ‚Glauben zu „bekehren“. Und 
die Zahl der Kreter auf diefer Infel, die theild mit Gewalt 

9 * 


182 Bud I Kap. UI. 1. Abfall ber griechifchen Kreter zum Islam. 


zu „Türken“ gemacht wurden, theils durch freiwilligen Über 
tritt Ehre, Sicherheit des Eigenthums und mächtige Stellung 
neben den in Menge (S. 70) Hier angefiebelten osmaniſchen 
Zimarioten behaupteten, wuchs zuſehends; jo jehr daß zur Zeit 
der neugriechiichen Erhebung auf Kreta die Mobammebaner 
entichteden in der Deebrbeit waren. Daraus find aber gerade 
auf Kreta ganz abicheuliche Verbältniffe zwiſchen ven beiben 
Religionsparteien entftanden. Es gehört nur dem Anfang ber 
Geſchichte dieſer Inſel unter türkifcher Hoheit an, daß die 
Männer „des mächtigen Clans der Kurmuliden zu Chufi in 
der Ebene Meffaren, trog ihres Übertrittes zum Islam, 
heimliche Chriſten und öffentliche Beichüger ihrer wahren 
Glaubensgenofjen blieben‘. Im Laufe ver Zeit Hat fich das 
Verhältniß zwilchen den griechiichen Muhammedanern und den 
griechiichen Chriſten der Inſel ebenjo bösartig geftaltet, wie 
nur zwiichen den moslemitiichen und ben griechiich- gläubigen 
Slawen in Bosnien und Herzegowina. Es wird in bielen 
Zuftänden dadurch nichts geändert, daß noch lange ber 
gewaltfam zum Islam befehrte Kreter nur äußerlich „laut zu 
Allah betete, im Herzensgrund aber die Panagia anrief und 
Mohammed verfluchte‘‘; auch das beſſert die Beziehungen 
nicht, daß fich die griechiichen Moslims der Inſel in vielen 
Stüden ihre alten Bräuche behauptet haben. ‘Denn wie fie 
in Tracht und Sitte nur wenig ſich von ben Chriſten unter 
ſchieden, auch die Frauen kaum den Schleier annahmen, jo 
mochten die Männer dem trefflichen Weine der Inſel nicht 
entjagen, und die Weiber — namentlih auf dem Lande — 
verzichteten nicht darauf, „wenn ind und Kub in Noth“, 
ihre Stoßgebete an die Panagia zu richten. Namentlich ba, 
wo man nur, um den jteten Erprefjungen fich zu entziehen 
und fein Gut zu behalten, den Islam angenommen Hatte, hat 
fih Hinter der türkischen Maske noch vielfach (freilich in ber 
Regel nur im Faſtenhalten und Cerimoniell) das Chriſtenthum 
erhalten. Nur daß noch jett fein chriftlicher Grieche ein 
moslemitiſches Griechenmäbchen heirathen kann, ohne feine 
eigene Familie tödtlich zu verlegen, während bie türktichen 





Der Großweſſir Kara Muſtapha feit 1676. 138 


Kreter unbebenflih hübſche Chriftenmänchen nehmen (oder 
noch Tieber vauben), fo daß dann die Rinder dem Islam 
anbeimfallen. 

Bon anderen Punkten, wo Griechen aller Stänve in Menge 
zum Islam übertraten — abgelehen von zahlreichen einzelnen 
Fällen, die aus ſehr verſchiedenen Motiven bervorgingen —, 
ift nur noch ein Theil der Infel Eubda zu nennen. Im 
Ganzen aber rechnete man, daß zu Ende des ftebzehnten 
Jahrhunderts auf dem europätichen Gebiete der Pforte 
bon der magyariſchen Grenze bis zur kretiſchen Süpfüfte etwa 
eine Million Muhammedaner Tebten, die ihre Abkunft von 
riftlichen Ahnen aller Stämme dieſes Theiles des Neiches 
abzuleiten Hatten ?). 

Sp ſchien es in der That, als follte noch in der Zeit, 
wo die Friegerifhe Kraft ver Osmanen nur noch ruckweiſe 
wieder belebt werben konnte, wo ber Verfall ihrer alten 
Inftitutionen bereit vecht ſehr fühlbar wurde, wo zugleich im 
Halbkreife rings um das osmaniſche Reich im Abendlande 
neue Kriegsmächte emporwuchien, im Inneren der Halbmond 
num doch noch den nahezu vollftändigen Sieg über das Kreuz 
davontragen. Und doch war der Moment bereits gelommen, 
wo die exrpanfive Kraft des Osmanenthums entichteven zu 
ebben begann, wo der Islam endlich wieder Terrain verlor, 
wo das Griechenthum zu neuem Leben nach Tangem 
Winterfrofte erwedt wurde. Diefe8 aber Bing zujammen 
mit einer hochwichtigen Wendung der großen europäifchen 
Politik. 

Des gewaltigen Großweſſirs Ahmed Köprili Nachfolger 
(ſeit dem November 1676) Kara Muſtapha, der im 
Dienſte der Köprilis emporgekommen war, aber bei dem 
Mangel bedeutender Eigenſchaften in jeder Beziehung tief 
unter den großen Männern dieſes Hauſes ſtand, glaubte es 
mit der Hoffnung auf Erfolg wagen zu dürfen, den alten 


1) Vgl. Finlay, Greece under othoman and venetian domination, 
p. 138 sqg. 





134 Buch J. Kap. IL 1. Krieg Venedigs gegen bie Pforte feit 1684. 


Zraum der ftolzeiten osmaniichen Machthaber, die Zer- 
trümmerung der habsburgiſchen Macht und die Eroberung 
von Wien zu verwirklicden. Sein Sultan Mohammed IV. 
(1648— 1687), der den Krieg gegen bie Chriften für eine 
heilige Pflicht hielt, theilte feine Pläne vollſtändig. Der 
Großweſſir aber, der durch einen ſolchen Erfolg zugleich fehr 
erhebliche innere Schwierigfeiten aus dem Wege fchaffen wollte, 
eröffnete in der That, durch Frankreich ermuntert, durch 
maghariihe Mißvergnügte gerufen, den Krieg gegen das 
Haus Habsburg im Frühling 1683. Als aber bie ihrer 
Zeit weltberühmte Belagerung von Wien an der Tapferkeit 
der Beſatzung und der Bürger, und an der vechtzeitigen An- 
funft der polnijchen und beutichen Hilfstruppen völlig gejcheitert 
war (September 1683), da fiel des Großweſſirs Haupt vor 
dem Zorne des Sultans, und es bildete fich eine mächtige 
Coalition, die nunmehr das feit der Schlacht bei Varna 
(Bd.II, S.521) verichollene Werk der Niederwerfung der Osmanen 
mit aller Macht in Angriff zu nehmen bejchloß. Der deutſche 
Kaiſer Leopold I. und König Johann Sobiesfy von Bolen 
gewannen mit Hilfe des Pabftes Innocenz XI. die Allianz der 
Nepublif Venedig, deren Flotte ihnen unentbehrlich war. 
Die Republik Hatte fih nun zwar kaum erſt einigermaßen 
finanziell von ver gewaltigen Erichöpfung des Krieges wegen 
Kreta erholt. Aber der alte Heldengeift war in den Lagumen 
noh nicht erlofehen; und da außerdem auch nach dem Jahre 
1670 die Häfeleien mit ver Pforte niemals ganz aufgehört 
hatten, fo wurde e8 jet bei dem neuen Aufſchwunge des 
friegerifchen Ungeftüms der Chriftenbeit gegenüber den Türken 
ber Ariegspartei im Senate nicht fchwer, Die Mehrheit für 
fich zu gewinnen. Ihr Führer aber war der Held von Candia, 
ber gewaltige, unter ven Waffen ergraute, bochfinnige Held 
Trancesco Morofini, der jegt mit feinen Freunden die 
Kriegserflärung an die Pforte durchſetzte. Im Frühjahre 
1684 wurde bie Allianz, ver „Heilige Bund‘, mit dem 
deutſchen Reiche und mit Polen geichloffen, am 15. Juli 
deſſelben Jahres in Stambul ver Krieg förmlich erklärt, 


Benebig miethet deutſche Truppen für Griechenland. 185 


Morofini aber, damals 66 Yahre alt, zum ‚, Generals 
tapitän des Meeres’ ernannt. 

Damit begann jener gewaltige Krieg, der Griehenland 
mit Einem Male wieder in den Vordergrund bes europätichen 
Intereſſes ftellte.e Venedig Hatte fich den kriegführenden 
Mächten hauptſächlich in der Erwartung angeſchloſſen, jekt 
— io bie osmaniſche Hauptmacht in Ungarn, an der Donau, 
in der Moldau und Walachei auf das Stärkfte durch ‘Deutiche 
und Polen bejchäftigt war — wenigſtens einen Theil ber 
ihweren Verlufte wieder gut machen zu können, welche ber 
Republif durch ihre letzten unglüdlichen Türkenkriege zugefügt 
worden waren. Und in biejem Sinne wurden gewaltige 
Nüftungen getroffen. Die Republik brachte durch die ein- 
ihneidendften, zum Theil gewagteften Finanzmaßregeln bebeu- 
tende Geldmittel auf, mit denen fie dann während mehrerer 
Jahre nambafte Landheere aufzuftellen vermochte. Da die 
eigenen Befigungen der Republik nicht genug Soldaten aufzu- 
bringen vermochten, da auch bie päbftlichen, tosfantichen und 
maltefiichen Schaaren für die großen Pläne Moroſini's nicht 
ausreichten, fo Half fich der Senat durch Miethsverträge mit 
einer Reihe de utſcher Fürſten, die nach einander der Republik 
für ſchweres Geld (& 200 Francs für den Mann) game 
wohlgeichulte Negimenter für den Krieg in Griechenland über- 
ließen. Hannoveraner, Braunjchweiger, Heflen, Sachen, 
Würtemberger, Waldecker, Meininger haben in den nächſten 
Jahren ruhmvoll unter den Fahnen des Heiligen Marcus 
gefochten. Schwieriger war es freilich für Moroſini, fich 
bauernd mit diefen Truppen zu verjtändigen und (namentlich 
in Bezug auf bie Führer) die purchgreifende Disciplin zu be» 
wahren 7). | 


1) Zu der Gefchichte dieſes Krieges vol. Ranke, Die Venetianer in 
Morea 1685 — 1715, ©. 417 —431. Schwende, Geſchichte der Han⸗ 
nover'ſchen Truppen in Griehenland, 1685—1699. Pfifter, Der Krieg 
von Morea in ben Jahren 1687 und 1688. Zinkeiſen, Gefhichte bes 
Omanifcherr Heiches in Europa, Thl. V, S. 129—236. De Laborde, 





188 Buhl. Kap. IL 1. Königsmark erobert 1686 Navarinon, 


Griechenland zu gewinnen. Dieſer hochbegabte Mann, ver 
ſchwediſche Feldmarfhall Graf Otto Wilhelm von Königs» 
mar, ver britte Sohn des im breifigjährigen Kriege Io 
berühmt gewordenen Generals Königsmarf, war außerordentlich 
geſchickt, die „kühnen Entwürfe Moroſini's mit taktiicher 
Wiſſenſchaft, vorfichtiger und unerjchrodener Ausführung zu 
unterftügen”. Er erihien am 3. Mai zu Santa Maura mit 
namhaften deutſchen Verſtärkungen. Das venetianijche Heer 
betrug jet 10,800 Mann (darunter 2900 Hannoveraner 
und 1500 Sachſen), konnte jedoch erft im Juni den Feldzug 
eröffnen. Der im Kriegsrath aufgetworfene Gedanke, Candia 
anzugreifen, wurde um jo eher verworfen, weil inzwijchen bie 
Dsmanen von Moren den Krieg im April eröffnet, bie 
Maina angegriffen und das Schloß Kelepha blofirt Hatten. 
Aus diefer Stellung wichen fie dann bei der Ankunft eines 
venetianiichen Geſchwaders unter Lorenzo Venier zurüd. Bald 
erihien nun Morofint an der meffenifchen Küfte und nöthigte 
(Pylos) Alt-Navarinon jofort zur Ergebung Neu» 
Navarinon dagegen, welches die Osmanen zur Be 
berrichung der füblichen Einfahrt in bie Herrliche durch bie 
Inſel Sphakteria gebildete Bucht 1572 verſchanzt hatten, wurde 
durch Sefer-Pafcha tapfer vertheidigt. ALS aber verfchievene 
Berjuche des in Morea commandirenden türkifchen Generals 
Ismail⸗Paſcha, die Stadt zu entiegen, jcheiterten, nöthigten 
bie türkischen Offiziere und PBrimaten ihren Commandanten zu 
kapituliren. Sefer - Pafcha fprengte fich aber, ehe er die 
Kapitulation tbatjächlih vollzog, mit den meiften der vor 
nehmen Osmanen in die Luft. Gleich nach der Eroberung 
von Navarinon nahmen die Venetianer nad ſchwacher Gegen- 
wehr (10. Juli) auh Modon, um fi nun nad der Oftfeite 
des Beloponnejo8 zu wenden, wo Nauplion das Hauptobjelt 
ihrer Angriffe wurde. Königsmark landete am 30. Juli in 
Port Tolon, oftiüidöftlich von Nauplion. Sein geübter Blick 
erfannte jofort die große militärische Bedeutung bes damals 
noch nicht verfchanzten Felſenkegels Balamidi, welcher, ein 
peloponnefiiches Gibraltar, auf 1000 Stufen von Nauplion 








Moden und Raupfion. Sieg 1687 bei Paträ. 1% 


ber zu erfteigen, nach drei Seiten fchroff abfallend, die fchmale 
Landenge bominirt, durch welche die Stadt mit dem inneren 
Rande verbunden wird. Dieje Kuppe beſetzte er alfo fofort. 
Aber obwohl er nun die blolirte Stadt völlig mit feinen 
Geſchützen beberrichte, obwohl auch die osmaniſchen Truppen 
bei Argos in heißem Kampfe nach Korinth zurüdkgeichlagen 
wurden, machte Königsmark doch nur langſame Fortfchritte. 
Dabei räumten die klimatiſchen Fieber in dem Lager bet 
Tirynth unter den beutichen Truppen entieglich auf. Erſt als 
ein neuer Angriff der Osmanen auf diefes Lager am 29. Auguft 
mit brillantem Erfolge abgeichlagen war, ergab fih Nauplion 
am 3. September. 

Die Friedensvorſchläge, welche die Pforte jet machte, 
wurden von den DVenetianern abgelehnt. Sie fowohl, bie 
auch während des Winters viel durch Seuchen zu leiden hatten, 
wie die Osmanen rüfteten mit aller Kraft für den entſcheidenden 
Feldzug des Jahres 1687, bei welchem es fich um die nörd⸗ 
lihen Küften von Morea bandelte. Außer anderem hatten 
bie Türfen auch die jchmale Dieerenge von Rhion, jet bie 
„kleinen Dardanellen‘ genannt, durch Forts gedeckt. Dieſer 
Stellung jfammt der Stadt Paträ, in deren Nähe 
Mehemet - Pafha mit 10,000 Mann ein verichanztes 
Lager anlegte, galt der im Yuli 1687 von Königemark mit 
7000 Mann (darunter viele Heſſen und Schwaben) verfuchte 
Angriff. Er landete am 22. Juli umweit Paträ an einer 
von den Türken für fumpfig gehaltenen Stelle, weftlih von 
ver Stadt. Nun eilte er, die Türken aufzufuchen, die ihm 
aber felbft entgegengingen. Am Morgen des 23. Juli fam 
es zur Schlacht, in welcher Königsmark nach hartem Kampfe 
entſcheidend fiegte, um fogleich das türkiſche Lager zu erftürmen. 
Da nun auch die Flotte die Meerenge von Rhion palfirt 
batte, jo wich Mehemet- Pafcha in wilder Eile nach Korinth 
zurück. Paträ, die beiden Saftelle an dem Sund von Rhion, 
wie auch das ftarle Lepanto ergaben fich fofort den 
Denetinnern. Noch mehr, die Osmanen gaben jet auch 
Cftel-Tornefe, Salona, ja felbft Korinth auf, und wichen 


136 Bud I. Kap. II. 1. Francesco Morofini. Das Kriegsjahr 1684. 


Die Feindſeligkeiten zwiſchen Venetianern und Osmanen 
hatten 1684 auf jenem Gebiete begonnen, wo bie Republik 
auch in ihren letzten Kriegen immer mit Erfolg geftritten 
hatte, nemlich in Dalmatien. Morofini, dem der Senat 
volle Freiheit in feinen Bewegungen gelaffen, hielt es in 
beffen nicht für zwedmäßig, in Dalmatien eine neue „ Terra 
ferma‘“ zu erobern, ſondern erfannte es für wichtiger, vor 
Allem den Seefrieg energifch zu betreiben und namentlich als 
einträglichen Erſatz für Kreta jegt feinem DVaterlande Morea 
neu und Negroponte zurüd zu erobern. Er fuhr baber 
mit feiner Flotte an der Küfte von Dalmatien vorüber, und 
wandte fich zuerft gegen das Coriarenneft Santa Maura, 
welches am 8. Auguft Tapitulirte. Dann wurde Alarnanien 
geplündert. Endlich fiel am 29. September auch Prevefa 
nach nur achttägiger Beſchießung. 

Nun galt es, alle Kräfte gegen Morea zu richten. Hier 
eröffnete Morofini den Krieg im Jahre 1685. Sein 
Heer war jet durch italieniſche und deutſche Hilfstruppen 
(darunter zur Zeit 2400 Hannoveraner unter dem Oberften 
von Ohr) 8200 Mann ftart. Während ber Admiral Deolino 
das ägätiche Meer beobachtete, eröffnete Morofini im Yun 
den Kampf um Morea. Er rechnete ftark auf die Hilfe ber 
Maniaten, deren Häuptlinge ihm zugeſagt hatten, fie woliten 
fih für Venedig erheben und die Provinz in Aufruhr bringen, 
jobald er mit ſtarker Macht in Griechenland erjcheinen würde. 
Als aber der verretiantjche Heerführer zu Anfang des Juli bie 
Inſel Saptenza erreicht hatte, kamen Botichafter ver Maniaten 
mit leeren Händen zu ihm. Freilich hatten die Gebirgskrieger 
des Taygetos noch neuerbings dem Ismail⸗Paſcha von Morea 
bei einem harten Zufammenftoße erhebliche Verlufte beigebradit. 
Dofür aber Hatte fich dieſer Statthalter jet durch einen 


Athönes aux XVe, XVIe et XVIIe siteles, tom. II, p. 67 — 254. 
Finlay, Greece under othoman and venetian domination, p. 205—233. 
Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 177 fi. Sathas, 
Griechenland unter türkiſcher Herrſchaft, S. 310—427. 





Morofini erobert 1685 Koron und die Schlöffer der Maine. 1837 


grimmigen Vorftoß in das Land der Maniaten gerächt, viele 
grauen und Kinder als Geileln mitgefchleppt, die (S. 60) 
ftarfen Zwingburgen des Landes ſtark mit Truppen befekt. 

Trotzdem ließ Morofint fich nicht abfchredien. Er führte 
jest feine Flotte gegen Koron und begann, dieſe ftarfe Feftung 
zu belagern. Die Armee, mit welcher Ismail⸗Paſcha dieſe 
Stabt zu entjegen fuchte, wurde in mehreren Gefechten ge» 
ihlagen, und nad einer Belagerung von 47 Tagen fiel Koron 
am 12. Auguft unter einem fchredlichen Blutbade in bie 
Hände der Eroberer. Nun hatte Morofint in Morea 
feften Fuß gefaßt. Koron wurde ſtark verfchanzt; dann 
ging man, jett durch die Ankunft von 3300 Sachfen unter 
dem General Degenfeld verftärkt, weiter vorwärts. Das 
nächite Objeft war Ralamata, wo der Kapudan⸗Paſcha in 
einem verichanzten Lager mit 6000 Mann und 2000 Spahis 
itand. Während der Vorbereitungen zum Angriff glüdte es, 
das Schloß Zarnata, eine der Feſſeln der Maina, zur 
Übergabe zu beftimmen (10. September). Gleich nachher 
wußte der General Degenfeld in Träftigem Vorftoße das 
türfifche Lager bei Kalamata und dieſe Stadt felbft zu erobern: 
bag Mustketenfeuer ver wohlgeichulten Sachfen und die Geſchütze 
ber Flotte hatten dabei vortrefflich zufammengewirtt. Nun 
räumten die Osmanen auch die Schlöffer Kielapha (over 
Kelepha) und Paſſava (©. 60). Die Maniaten fühlten 
fih wieder frei von der eiſernen türkiihen Umklammerung 
mb traten zu Venedig über. Ihr gefammtes Gebiet erhielt 
wieder als „Braccio di Maina“ feine eigenen Rettoren. 
Paffava und das Schloß Kalamata wurden zerftört, Zarnata 
dagegen und Kielapha mit ftarfen Belatungen belegt. ‘Dann 
führte Morofini Flotte und Heer in die Winterquartiere auf 
den ioniſchen Inſeln. 

Der Feldzug des Jahres 1686 brachte noch größeren 
Gewinn. Es wurde ein ſehr erheblicher Vortheil für die 
venetianiſche Sache, daß es jetzt gelungen war, an Stelle des 
zu Moroſini nur wenig ſtimmenden Generals Degenfeld einen 
Feldherrn erſten Ranges für das Landheer der Republik in 


142 Bud I Kap. II 1. Die Venetianer wenden fich gegen Athen. 


nah Paträ Gefandte an Morofint mit dem Ausprude ihrer 
Sympathien geſchickt Hatte. Der Generallapitän war jedoch 
bamit militäriich nicht einverftanden, fondern wollte dann nur 
noch vor der Beziehung der Winterquartiere eine auf Brand» 
ſchatzung abzielende Demonftration gegen die Türken am Jliſſos 
verfuchen. Er führte daher jeine Flotte am 18. Auguft 1687 
von Korinth um den Peloponnes, lief am 27. Auguft bei ber 
Maina an und veranlaßte bie Osmanen von Mifithra, 
die furz zuvor den Commandanten von Zarnata mit 6000 
Maniaten abgeichlagen batten, nun ihrerfeit$ zu Tapituliren. 
Nur Monembafia verweigerte die Ergebung, und die An- 
griffe, welche der Aomiral Venier mit zwölf Kriegsichiffen, 
burch zahlreiche Mantaten und Kytheräer unterftüßt, verfuchte, 
blieben ohne Erfolg. 

Moroftint jeinerfeits fegelte nach dem faroniichen Meer⸗ 
bulen, nahm am 13. September die jet durch albanefilche 
Bauern bevölferte Inſel Aegina in Beige, nahm am 
20. September am Iſthmos Königsmarks Truppen an Bord 
und Tief in ber Naht zum 21. September im Peiräeus 
ein, wo dann am folgenden Morgen das Heer, jett etwa 
10,000 Dann ftark, ans Land gelegt wurde. Die Osmanen 
in Athen hatten bereits nach der Schlacht bei Paträ fih un 
ficher gefühlt und daher für den Fall eines Angriffes, zum 
Schutze gegen die zahlreiche venetianiiche Artillerie, bie 
Akropolis durch eine neue Batterie verftärkt. Zur dieſem 
Zwede brachen fie den Tempel der Nife Apteros ab, 
bauten auf deſſen Sundamenten ans den Marmorblöden die 
Bettungen für die Gefchüte, und verlegten das "Pulvermagazin 
in das Gewölbe unter der Cella dieſes Tempelchens. Als nun 
die Benetianer wirfich am 21. September in dem Peiräeus 
ans Land ftiegen, vetteten die Türken in panticher Angft ſich 
fefbft, ihre Familien und Schäge hinauf zu der Beſatzung auf 
die Burg, bie bis dahin für unbezwinglich galt. Die Griechen 
ber Stadt aber jchidten den Erzbiihof Jakob und jeinen 
Klerus, dazu die vier angejebenften Primaten als Gejandte zu 
Morofint und veriprachen ihn ihre werkthätige Unterftüätung, 


Beichießung ber Alropolis, Zerſtörung des Partbenon. 143 


wenn er fchnell in der Stadt einrüden und fie gegen bie 
Osmanen in der Burg jchüten werde. 

Da beihloß man denn, Athen zu erobern, zunädft 
um gute Winterguartiere fich zu erfämpfen. Noch am Abend 
bes 21. September rüdte Graf Königsmark in die Stadt 
ein und jegte am folgenden Tage Alles in DBereitichaft, um 
bie Akropolis beichießen zu können. Am 23. September 
eröffneten die venetianifchen großen Batterien auf dem Mufen- 
bügel, dem Bayer und dem Areopagos, wie auch von ber 
Süpjeite ber ihr euer, ofme jedoch erhebliche Wirkungen zur 
erzielen. Da num auch Die gegen bie Felfen ver Burg ver» 
fuchten Minirungen ohne Erfolg blieben, da ferner die Gefahr 
beftand, durch die Osmanen von Theben her angegriffen zu 
werben, fo folkte der Angriff mit erhöhter Kraft verjucht 
werden. Mean errichtete noch eme neue Batterie mit zwei 
Mörſern gegenüber der Ojftjeite der Burg. Noch immer ohne 
Erfolg. Da brachte ein Überläufer die Kunde, daß das gefammte 
Pulvermagazin der Osmanen fih im Parthenon befinde: 
die türkifchen Heerführer ſeien bes guten Glaubens, daß die 
Franken den herrlichen Bau ſchonen würden. Genau war die 
Botichaft freilich nicht, die Osmanen bewahrten nur ben für 
jeven Tag allemal nötbigen Vorrath an Pulver in der Cella 
des Tempels. Aber auch die Deutichen und Venetianer dachten 
nicht an Schonung des durch alle Stürme ber Weltgejchichte 
feit Perikles bis auf Morofint fo wunderbar geretteten herr» 
fihen Baumerfes. Die Aropolis ſollte unter allen Umſtänden 
falfen, und fo richtete man jet die Bomben ber öſtlichen 
Mörierbatterie gegen die Oftfeite des Parthenon. Es war ein 
füneburgifcher Artillerie » Lieutenant — vor dem zornigen 
Schmerze der gebildeten Welt des Abendlandes tft nachher 
der Name dieſes neuen Heroftratos todtgejchiutegen worden —, 
der das traurige Glück hatte, am 26. September Abends 
7 Uhr die unbeilvolle Bombe zu Ienfen, welche nun endlich 
das türkifche Pulver erreichte. „Mit furchtbarem Krachen 
flog der Meifterbau des Iktinos auseinander , breihundert 
Menichen unter jeinen Trümmern begrabend, große Marmor- 





144 Bud I. Kap. II. 1. Übergabe der Akropolis. 


blöde Hoch durch die Luft bis Hinab zu den DBelagerern 
ſchleudernd.“ 

Noch aber hielten die Osmanen aus. Als jedoch ein 
Vorſtoß der bei Theben lagernden Armee am 28. September 
gegen die Belagerer durch Königsmark leicht abgewieſen wurde; 
als der Brand auf der Burg unaufhaltſam weiter wüthete, 
und der Commandant mit feinem Sohne gefallen war, 308 
man am Abend des 28. September die weiße Fahne auf, 
Am 29. September fapitulirten die Türken auf freien Abzug; 
am 4. Dftober verließen 3000 Menſchen die Burg, um für 
die Abfahrt nach Smyrna zur Einfchiffung nach dem Peiräeus 
geführt zu werben. Cine einzige Bombe, jo rühmte man 
wohl, batte eine bisher für unbezwingbar geltende Feſtung zur 
Ergebung genöthigt. Nur daß der Zorn und Schmerz Europa’s 
auf dieſe Eriegerifche Großthat den dunkelſten Schatten warf. 
Nur daß in wahrhaft tragiicher Weife Morofini’d Glüd mit 
dieſer Scene zu Ende ging ?). 

Denn die Eroberung von Athen erwies fich jehr bald 
als militäriſch völlig nuglos, dieſer Punkt als für bie 
weiteren Kämpfe entichieven unbaltbar. Zunächſt allerdings 
— denn Königsmarf wollte von Moroſini's Plan, nun dod 
noch auf das erſchreckte Negroponte zu fallen, nichts wiſſen — 
legte man die beutjchen Negimenter, Hannoveraner, Heilen, 
Würtemberger in die Stadt Athen in die Winterquartiere. 
Hier wurde durch ihren Feldkapellan Beithmann am 19. Ol 
tober eine Moſchee zur lutheriſchen Kirche gemacht. Aber ver 
Aufenthalt zeigte fih als ſehr unerfreulihd. Abgeſehen von 
ben VBorftößen der Osmanen aus Theben und Negroponte, jo 
trat Mangel ein, namentlich aber decimirte eine furchtbare 
Peit die deutichen Truppen in bebvenklicher Weile. Es zeigte 
fih auch bald, daß die Eroberung dieſes Punktes ſehr unnütz 
gewefen war; denn man hatte nicht die Mittel, die Stadt 


1) Das Detail Über Athen fiehe außer bei Laborde jetzt bei 
Michaelis, Der Parthenon, S. 6Iff. Pal. auch Wachsmuth, Die 
Stadt Athen, S. 15f. 79. 


Morofimi’S attifche Beute. Athen am 4. April 1688 geräumt. 145 


nad damals moderner Art zu befeftigen, und beſaß auch nicht 
Streitkräfte genug, um die Akropolis im der Art zu beieken, 
daß dieſe Garniſon nicht als völlig verlorener Poften hätte 
gelten müſſen. Schon am 31. December 1687 mußte man 
fih mit der Idee, die Stadt und Burg wieder zu räumen, 
beftinant vertraut machen. Selbft der Gedanke, Athen zu 
zerftören, tauchte damals im Kriegsrathe auf. Über folchen 
Beratungen verging das Frühjahr 1688. Endlich entichloß 
fih Morofini, die Burg nur zu entwaffnen, fonftige Zer⸗ 
ftörungen aber zu unterlaffen. Doc, follte aus Athen eine 
ftolge Siegesbeute nad den Lagunen entführt werden. Da 
(im Mär; 1688) der Verſuch, den Poſeidon und bie beiden 
Pferde von Athene's Geſpann aus dem Weftgiebel des Par- 
tbenon auszubrechen bei ber Unvorfichtigleit der Arbeiter nur 
zur Vernichtung dieſer herrlichen Skulpturen geführt hatte, jo 
beihloß Moroſini, eine Anzahl antiker Löwen aus Athen zu 
tauben. Er ließ nemlich eine Löͤwin aus Hymettiſchem Marmor 
bon ber Burg, einen anberen Löwen, auf dem Wege nach ber 
Akademie belegen, und enblic einen jener beiden bamals 
weltberühmten, nach welchen ber Peiräeus den Namen 
Borto Leone erhalten batte, ausbeben. Sie hüten heute ben 
Eingang zum Arfenal von Venedig .. Umjonjt boten Die 
Einwohner von Athen, 4000 bis 5000 (nach anderer Annahme 
10,000) Seelen, große Summen an, wenn man eine Belagung 
bei ihnen zurüdlaffen wollte. Da fie wegen ihrer energifchen 
Sympathien für die VBenetianer von den Osmanen Alles zu 
fürdten Satten, jo blieb ihnen nichts übrig, als bei ver Kunde 
von Morofini's Entſchluß, Attika völlig aufzugeben, num auf) 
ihrerfeitö das Land zus verlaften. Als Die durch die Peit auf 
die Hälfte zufausmengefchinolgene Beſatzung am 4. April 1688 
Üben verließ, folgten ihr bie jammernben Einwohner. Sie 
zritreuten fich nach Korinth, Aegina, Salamis, nad) dem öſt⸗ 
lichen Moren, nach dem Archipel und den ioniſchen Inſeln. 
Am 9. April fegelte die venetiantiche Flotte nach dem pracht- 


1) Bgl. namentlich Wachsmuth a. a. O. ©. 161. 147 u. 751. 
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 10 





146 Buch J. Kap. I. 1. Dreijährige Veröbung von Athen (1688—1690). 


vollen Hafen von Poros (Kalauria) ab, wo fie die nöthigen 
Berftärkungen zu den Sommerfeldzuge abwarten follte. 

Athens Schidjal war nun kläglich. Nach dem Abzuge 
der DVenetianer bejetten die Oſsmanen die Akropolis wieber 
und erneuerten bie Feſtungswerke, bauten auch in die Cella 
des Parthenon (von dem doch immer mehr als zwei Drittel 
bie Exrplofion überbauert Hatten) eine Heine Moſchee hinein. 
Die Unterftabt aber, bie fie öde fanden, brannten fie zur 
Strafe für das Volk gänzlich niever. Damit war das alte 
Athen, welches fo viele Stürme überdauert, und nur einmal 
durch Leo Sguros vorübergehend einen ernftlichen Stoß er 
fahren Hatte, zu den Todten geworfen. Die Nuinen der 
Stadt lagen drei Jahre lang wüfte und öde da (1688— 1690). 
Diefes ift befanntlich „, die fakttiche Unterlage‘ für die (Früher 
Bd. I, ©. 128 f. erörterte) Fallmerayer'ſche faljche Annahme 
einer angeblich in das frühefte Mittelalter fallenden „,vier- 
hunbertjährigen Verödung“ des Atheniichen Stadtbodens. Erft 
nach drei Jahren gewährte die Pforte unter Mitwirkung bes 
Patriarchen von Conftantinopel den weitzerftreuten Bewohnern 
von Athen Amnejtie und Erlaubniß zur Rückkehr. Allmählich 
entftand wieder amt Fuße der Akropolis ein Heiner, häßlicher, 
ſehr ſtark albaneftich gefärbter Ort, der erft wieder in dem 
legten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts hiſtoriſches Intereſſe 
geivonnen bat ?). 

Anders fiel Morofin!’S Loos. Der glänzende Sieger 
war ſechs Tage vor der Abfahrt aus dem Peiräeus im ber 
Heimath zum Dogen ernannt worden. Aber — mochte auch 
feit 1687 Rußland in die Neihe der Teinde der Pforte ge- 
treten fein, mochten auch die venetiantichen Waffen in Dalmatien 
gute Erfolge erfämpfen, mochte auch in Stambul die Revolution 
toben (Sultan Mohammed IV. wurde nach dem alle von 
Athen entthront und ftatt feiner fein Bruder Suleiman II. 
zum Padiſchah erhoben), mochten auch die Osmanen an der 


1) 2gl. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bb. 86, ©. 178. 
Michaelis a. a. O. 85.6. Wahsmuth, S. 17f. u. 722. 





Kämpfe um Negroponte (1688). Königemarts Tod. 147 


Nordgrenze eine Niederlage nach der anderen erfahren: für 
ben neuen Dogen blübte fein Lorbeer mehr. 

Moroſini's Streitmaht war feit dem April 1688 big 
auf 200 Segel, 30,000 Seeleute und 24,000 Mann Land⸗ 
truppen (darunter 12,000 Mann friiher Hilfstruppen) ver- 
mehrt worden. Am 7. und 8. Juli verließ die Flotte ben 
Hafen von Poros und wandte fih gegen Eubda. Die 
Osmanen hatten Negroponte auf das Stärkfte verſchanzt, 
mit 6000 Mann bejegt, dazu noch vor der Stadt ein ver- 
ihanztes (durch 4000 Janitſcharen ber Garnifon gehaltene) 
Lager angelegt. Wider den befjeren Rath Königsmarks, ber 
werft die Verbindung mit Theben abjchneiden und bie Angriffe 
von der böotiſchen Seite ber beginnen wollte, veranlaßte ber 
Doge, daß (zwifchen 12. bis 24. Yuli) die Armee die Landung 
auf der Inſel erzwang und von bier aus bie Belagerung 
eröffnete. Nun gelang es zwar, nach Ablauf eines Monates 
am 30. Auguft das verichanzte Lager zu erftürmen. Dagegen 
blied Dank der durch das Fort Karababa gebedten Brücke 
über den Sund die Verbindung der Stadt mit Theben immer 
offen, während Morofini’8 Heer durch Peit und Marichfieber 
in graufenbafter Weiſe decimirt wurde. Krankheit machte bald 
die meiften Stabsoffiztere bienitunfähig, zu allem Unheile 
ſtarb Königsmark am 15. September, und zu dem lebten 
Sauptfturme am 12. Dftober auf die in Trümmer gefchofjene 
Stadt konnte Morofint nur noch 8000 Mann aufbringen. 
Als auch diefer Angriff mit 1000 Mann Verluſt abgefchlagen 
war, gab Meorofint die Belagerung auf; er hatte 20,000, bie 
Osmanen nur 6000 Leute verloren. Tief entmuthigt ließ er 
(19/21. Oktober) das Heer abziehen und lanbete in der Bucht 
von Kaſtri (Hydra gegenüber) in dem fühlichen Argolis 
(25. Oktober). Hier nun wurde das Heer aufgelöft, bie 
furchtbar zufammengejchmolgenen deutſchen Hilfstruppen nach 
ihrer Heimath zurüdgeführt. 

Es war in der That ein Glück für die Republik, daß 
ſowohl ihre eigenen Waffen in Dalmatien, wie bie ihrer 


nordiichen Verbündeten in den Donaulanden anbauernd den 
10* 








148 Buch J. Kap. I. 1. Monembaſia ergibt ſich 1690 den Venetianern. 


Dsmanen überlegen blieben. Denn mit feltenen Ausnahmen 
verfagte fich ihnen feitvem in Griechenland das SKriegeglüd. 
Morofini felbft bat im Sabre 1689 verjucht, die letzte 
türkiſche Feftung in Morea, nemlich Monembaſiag, mit 
Gewalt zu nehmen. Auch dieſes gelang ihm nicht; Dann nöthigte 
ihn der Zuftend feiner Gefunbheit, die Führung ver flotte 
aufzugeben (13. September) und nach Venedig zurückzukehren. 
Die Stellung als Generallapttän war inzwilchen anf des 
Dogen VBeranlafjung an den bisherigen Commmandanten ber 
venetianifchen Truppen in Dalmatien, Girolamo Eornars, 
verlichen worden, ber bereit8 mit 2000 Wann balmatiniicher 
Soldaten in Griechenland erichienen war, nunmehr das Com 
mando vor Monembafia übernahm, indeſſen nach einiger Zeit 
die Leitung der Blokade dem Antonio Molino übertrug und 
fih nach Nauplion begab. Im Früblahre 1690 nahm er 
dann perfönlich die Belagerung der ſtolzen Telfenfeitung von 
ver Landſeite wie vom Meere ber mit erhöhter Energie wieder 
auf; indefien war es doch hauptlächlich der Proviantmangel, 
durch den die Beſatzung fich endlich genöthigt fand, am 
10. Auguft 1690 zu Tapituliven. Am 12. Auguft fegelten 
bie Osmanen aus Monembafia nach Kreta ab. 

Das war nun wieder ein beveutender Erfolg für bie 
Republik; jetzt endlich war das gefammte Moren in ihrer 
Hand. Nun aber galt es, ven koſtbaren Befig nicht nım neu 
‚zu orgenifiren, wie bereits feit einiger Zeit begomıen war 
(j. unten), ſondern aud gegen bie Angriffe der Pforte zu 
vertheidigen. Das hatte zur Zeit nicht geringe Schwierigfeiten. 
Denn feit 1688 ftand das gewaltige Frankreich wieder in 
einem großen Kriege gegen das deutſche Reich und Öſterreich; 
die beutfchen Reichsfürſten waren nicht mehr in der Lage, 
Immer neue Megimenter nach dem menſchenverzehrenden 
Griechenland zu fchiefen; ber Drud ber dfterreichtichen Waffen 
auf die Osmanen an der Donau wurde für längere Zeit 
erheblich ſchwächer, während bie Pforte (wo dann nach bed 
Sultans Suleiman Tode am 23. Juni 1691 deſſen Briber 
Uhmed II. den Thron deitieg) feit ber Exrnermumg bes 


Anarchiſche Zuftände in Mittelgriehenland. 149 


Muſtapha Köprili (November 1689) zum Großweſſir mit Einem 
Male eine neue und jehr erhebliche militäriiche Kraft entwidelte. 
Die Osmanen waren durchaus nicht geionnen, auf ven Beſitz 
von Griechenland fo fchnell zu verzichten. Zur Zeit allerdings 
der Verwüftung von Athen und bes Kampfes um Negraponte 
ſah e8 für fie jchlimm genug aus. Denun auch in Mittel- 
griehenland waren ja die Osmanen auf das Gebiet 
zurüdgebrängt, welches durch die Beſatzungen von Livadia, 
Theben, Zeitun und Talanti noch gededt wurde. Nur daß 
in dem zur Zeit herrenloſen griechtichen Gebiete zwiſchen Arta 
und Livadia durchaus wüfte Zuftände herrichten, derart daß 
zahlreiche Banden von türfijchen und venetianiihen (d. h. 
balmatintfchen und albanefiichen) Dejerteurs und Marodeurs dag 
griechiſche Landvolk ungehindert plünbern Tonnten. Es kam ſo 
weit, daß ſich ein Chef ſolcher Banden, Namens Boſſina, 
in dem ätoliſchen Karpenifi (am Südfuße der Bergpyramide 
des Veluchi oder Tymphreſtos) feſtſetzen und von den Primaten 
der Umlande Tribut beziehen konnte, wofür er ihnen dann 
gegen Muhammedaner und Klephten Sicherheit gewährte. Da 
die Republik ihre Söldner nicht immer regelmäßig bezahlen 
fonnte, fo halfen alle Bemühungen Morofini’d und per 
Armatolen zur Eindämmung des Übels nur wenig. Elias 
Damianowich Tonnte fogar in dem Städtchen Liohorifi bei 
Salona eine Ähnliche Herrichaft improvifiren, wie Boſſina. 
Diefe anarchiichen Zuſtände erhielten aber eine ftarfe Stets 
gerung, als die Pforte, deren Reiter nach Moroſini's Ab- 
zuge von Negroponte auch die griechifchen Anhänger Venedigs 
auf Eubdan hart geplagt Hatten, den Verſuch machte, num 
ihrerfeits Griehen gegen die Republik aufzu- 
bieten. 

Man wandte ſich nemlich noch im Jahre 1688 am jenen 
maniatifchen Rapttän Liberafi Geratfhart, der (S. 61) 
jr Zeit im Bagno zu Stambul als Staatsgefangener ſich 
befand. Diefer zweidentige Abenteurer wurde jest in Freiheit 
gefegt, zum „Beh der Maina‘“ ernannt und mit ber 
Aufgabe betraut, die Griechen gegen Venedig aufzuwiegeln. 








150 Buch J. Rap.II. 1. Liberafi Geratſchari, feit 1688 Bey ber Maine, 


Nachdem er noch eine junge und reiche griechiiche Dame aus 
guter Familie geheirathet und nach wenigen Wochen wieder 
verlaffen Batte, 308 er zu Ende bes Jahres 1688 mit 300 
Mann nach Theben, wo er fich dem dort ftehenden Heere von 
10,000 Kriegern des Ismail⸗Paſcha anſchloß. Er verfprad, 
5000 Mann gegen Venedig aufzubringen. Dann nerfuchte er 
fetne Anfchläge zuerft bei ven nach Aegina und Salamis ent- 
wichenen Athenern, bemühte fih auch die Banden von 
Lidhorikion und Karpenift für die Pforte zu gewinnen, unter 
handelte aber vor allen Dingen mit feinen Mlaniaten, bie 
unter verlodenden Zuſagen berevet wurben, die Hoheit bes 
Padiſchah wieder anzuerfennen und fich gegen die Venetianer 
zu erheben. Morofint, der damals (1689) nur 11,000 
Mann zu feiner Verfügung batte, der zugleih Monembafia 
belagerte und die türkifchen SKriegsichiffe im ägätfchen Meere 
beobachten mußte, die damals unter Anderem 350 Griechen 
al8 Sklaven aus Salamis fortführten, kam durch Diele 
Intriguen in nicht geringe DVerlegenheit, obwohl es feinen 
Unterfeldherren gelang, einen Vorſtoß der Osmanen von 
Theben und des Liberafi gegen Korinth abzujchlagen. Ein 
Angriff des Mainottenbey's, der nachher in Mittelgriechenland 
furchtbare Brandichagungen erhob, auf Salona wurde eben 
falls, diesmal beſonders durch rumeliottihe Milizen und 
einige Denetianer glücklich abgewehrt. Es blieb zumädt 
vergeblih, daß Morofini, der 1657 ben Liberaki aus ber 
Taufe gehoben Hatte, durch einen alten Kameraden des Bey's, 
Giovanni Dambi, der zu Liberali nah Vrachori gejchidt 
wurde, benjelben wieder für Venedig zu gewinnen fich be- 
mübte. 

As Morofint nachher (S. 148) nach Venedig zurückgekehrt 
und Girolamo Cornaro, wie wir faben, 1690 mit der 
Eroberung von Monembafta beihäftigt war, gelang es ben 
Osmanen, einerfeitS Die Freibeuter aus Lidhorikion und 
Karpeniſi zu vertreiben und das ganze offene Land nörblic 
vom forintbiichen Meerbufen bis zum Rayon von Lepanto 
zurüczugewinnen. Die VBenetianer dagegen Tonnten feine 





greift 1692 mit ben Osmanen Morea an. 151 


neuen Triumphe davontragen. Für fie war e8 ein Glück, daß 
ber gewaltige Großweſſir Muſtapha Köprili am 19. Auguft 
1691 bei der Niederlage von Szalanfemen feinen Tod fand, 
daß überhaupt feit Diefer Zeit bie Thatkraft der Osmanen 
wieder erlahmte: Denn auf ihren ſüdlichen Theilen des 
ungeheuren SKriegsichauplates Hatte freilich Girolamo Eornaro 
noch 1690 Kanina und Vallona in Epirus erobern können. 
Aber ſchon im September deſſelben Jahres war er zu Vallona 
am Fieber geſtorben, und die epirotiſchen Plätze mußten ſchon 
im nächſten Frühjahr 1691 aufgegeben werben. Cornaro's 
Nachfolger, Domenico Mocenigo, konnte nicht hindern, 
daß die Fretifche Zeitung Grabuſa oder Sarabufa halb durch 
Verrath, halb durch Ohnmacht der ſchwachen Bejakung an 
den Pafcha von Ranea verloren ging. Als Mocenigo nachher 
im Juli 1692 jeinerfeits in Kreta landete und Kanea 
bereits dem Falle nahe zu fein fchten: da fam aus Morea 
die böfe Kunde, daß die Dsmanen verheerend in der Halbinfel 
eingebrochen waren. 

Liberaft nemlich war inzwilchen aus feinem Lager bei 
Megara mit 5000 Dann aufgebrochen und hatte die vene- 
tianifhen Zruppen am Iſthmos, 2000 griechifche Milizen, 
ſlawiſche, griechifche, albaneſiſche Söldner und 400 Reiter, 
auseinandergeiprengt. Die venetiantichen Reiter waren nach 
Nauplion geflüchtet. Der Proveditore Marino Michele Hatte 
fih auf die Burg von Korinth mit 3000 Mann zurüdgezogen. 
Nun aber zerftörte ver Mainottenbey die verlaffene Unterftabt 
Korinth. Und als der Serastier Chalil⸗Chodſcha⸗Paſcha von 
Zheben mit neuen 5000 Mann nacrüdte, blofirte man 
Aroforinth, verbeerte in blinder Wuth alles Land bis vor 
die Thore von Nauplion und verbrannte Argos. Schon jetten 
ſich die türkiſchen Neiter auch gegen Tripolita, Kalavryta und 
Voſtitza in Bewegung. Da kam die Nachricht, daß Mocenigo, 
der auf ſolche Botichaften Hin fofort von Kanea abgelafjen 
hatte, mit feiner Flotte, die 12,000 Dann und 800 Reiter 
führte, fi dem Peloponnes näherte. Sofort wich) der 
Seraskier, nachdem er die Burg von Korinth fiebzehn Tage 


6 


152 Buhl. Kap.II. 1. Kämpfe 1692 um Lepauto. Moroſini ſtirbt 169. 


fang belagert hatte, aus Morea zurüd. Gefangene nahm er 
mir wenig mit. Denn die Deoreoten, taub gegen alle Anträge 
des Liberali, hatten fih m Maſſen flüchtig nach den Gebirgen 
gerettet. Die Republik, die auch 2000 für Mlocenigo com 
promittirte, jest mit ihm nach Morea ausgewanderte Kreter 
bier mit Grundbeſitz ausitattete, dankte den beichäbigten 
Dioreoten ihre junge Treue durch verfchievene Steuer 
erleichterungen, wie auch durch veichliche Unterſtützung bei ber 
Herftellung der zeritörten Drtichaften und der verwüſteten 
Felder und fonftigen Pflanzungen. Moreotiihe Schkypetaren 
machten bann einen rächenden Raubzug über ben Iſthmos 
hinaus bis nach Livadia. Als endlich Ehalil- Pajcha vor 
Joannina noch zu Anfang Oktober veffelben Jahres 1692 mit 
6000 Dann fih auf Lepanto ftürzte, fanden er und der aud 
bier ericheinende Liberafi in dem Commanbanten Marco Venier 
einen böchit ſtandhaften Gegner. Die Ankunft Weocenigo’s, 
des Commandanten von Paträ, und des General» Broveditore 
der ioniſchen Inſeln mit namhaften Streitkräften führte zu 
einer jchweren Niederlage der Osmanen, bie zugleich durch 
bas Feuer der venetianiſchen Kriegsichiffe aus ihren Laufgräben 
vertrieben und durch einen kühnen Ausfall Veniers gewaltig 
erichüttert wurden. 

Noch Bedeutenderes erwartete man in Venedig, als Ende 
Mai 1693 der greife Moroſini noch einmal als General 
fapitän fich nach Griechenland einjchiffte. Dieſe Hoffnungen find 
nicht in Erfüllung gegangen. Denn der alte Held, ver Ende Juni 
in Monembaſia eintraf, fab fich auch jet richt in der Lage, bie 
Erfüllung feines Hauptwunjches, die Eroberung von Negroponte, 
zu erzielen. Seine Mittel reichten nur eben aus, ben dauernd 
bebrobten Iſthmos zu decken und die Werke ber Inſeln 
Hegina, Salamis, Hydra und Spekä zu verbollitändigen. Ein 
Seezug durch das ägäiſche Meer hatte gar feine Ergebnifle. 
Krank im Herbfte nah Nauplion zurückgekehrt, bat er noch 
bie Schanzen dieſer Stabt und die des Iſthmos nach Kräften 
verſtärken lafjen, um dann am 6. Januar 1694 fih zer 
ewigen Rube zu legen. Sein Nachfolger, Antonio Zen, 


Zeno gewinnt 1694 Chios. 158 


noch mehr gereizt durch die Schroffheit der Pforte, Die zu 
Anfang des Jahres 1694 die Zulafjung venetianiicher Kauf⸗ 
fente in ihrem Reiche auch unter neutraler oder befveundeter 
Flagge rundweg verboten Hatte, wollte mit dem ibm zuge 
fommenen Verſtärkungen einen enticheivenden Zug ausführen. 
Er fam auf den umglüdlichen Gedanken, die Inſel Chios zu 
erobern, obwohl biefe Inſel viel zu entfernt von Moren war, 
um dauernd behauptet werden zu können, und viel zu reich, 
ber Pforte viel zu werthvoll, um nicht die Osmanen zur 
wüthenditen Gegenwehr berauszuforbern. 

Trotz dieſer Bedenken jegte Zeno jeinen Plan ins Werk. 
Nachdem er noch die Osmanen in Livadien Durch einen Vor⸗ 
ftoß über den Iſthmos hinaus geſchreckt hatte, bei welchen bie 
Armatolen der Venetianer plündernd bis nach Livadia und 
Neopaträ vordrangen, zog er zu Unfang Auguft mit 93 Segeln, 
dazu mit 8000 Mann und 400 Pferden unter dem beutichen 
General Baron Heinrih von Steinau gegen Chios 
aus. Vier Wochen ſpäter landete er auf der ſchönen Inſel, 
wo bie griechiiche wie die katholiſche Bevölkerung der Inſel 
ihn mit großer Freude begrüßte. Mit nur 200 Mans 
Berluft erzielte Zeno binnen acht Tagen bie Eroberung ber 
ganzen Inſel, batte aber dann weder Muth noch Geſchicklich⸗ 
keit, die osmaniſche Flotte zu zerichmettern. Die Freude über 
dieien Sieg in Venedig wurde jchnell genug gebämpit. “Die 
Osmanen jebten in ver That Alles in Bewegung, um bie 
Denetianer aus Chios wieder zu vertreiben. Der neue Vor» 
ſtoß allerdinge, welchen Liberafi und der Serasfier von 
Megara und Theben aus gegen den korinthiſchen Iſthmos 
veriuchten, hatte wenig Wirkung. Zwar brangen die Osmanen 
wieder bis in bie Gegend von Argos vor. Aber der drohende 
Anmarſch venetianifher Truppen aus Nauplion, Lakonien un 
Ahaja, und ein Gefecht bei Petri in der Nähe des pelo- 
ponmefiichen Trilkala, in welchem nur mit höchſter Mühe ie 
Zürfen das Schlachtfeld behaupteten, nöthigten die letzteren zw 
baldigem Abzug aus Morea. Und nun jeßten wieder bie 
Denetianer theils von den tonijchen Inſeln, theils von Lepanto, 


154 Buch J. Kap. II. 1. Die VBenetianer verlieren 1695 Chios wieder. 


theils von Morea aus ihrerfeits den Heinen Krieg in Mitte: 
griechenland fort, indem fie nach wie vor ihre jlawilcen, 
albanefiichen und griechiihen Söldner in den Stand fegten, 
fih auf verjchievenen Punkten mit rumeliotiichen Armatolen 
in Akarnanien, Xetolien, Agrapba, Phokis und Böotien zu 
verbinden und die Osmanen zu beläftigen. Aber baburd 
wurde bie jchwierige Lage nicht gebejjert, in welche Zeno 
jebr bald auf Chios gerietb. Gereizt und befchäbigt, wie fie 
e8 durch den Verluſt dieſer Inſel waren, rüſteten bie 
Osmanen mit aller Macht zu deren möglichſt fchneller 
Wiedergemwinnung. In Xichesme fammelte der Serasfier 
Gendſch⸗Mohammed⸗Paſcha ein Heer von 100,000 Mann, in 
Stambul und in den Darbanellen rüfteten der Kapudan⸗Paſcha 
Hufjein und ein algeriiher Seeheld, der Eorfar Haſan 
Mezzomorto zahlreihe große Linienihiffe aus, welche ben 
venetianiſchen Kriegsſchiffen beifer gewachſen jein ſollten, ale 
die gewöhnlichen Galeeren, und warben dann in Smyrna halb 
zwangsweiſe für hohen Sold Matroſen von holländiſchen und 
engliſchen Kauffahrern. Und während die Hilfsflotte aus den 
Lagunen durch Sturm und Winter in der Adria feſtgehalten 
wurde, Tnüpfte der Kapudan⸗-Paſcha mit einer Anzahl mi 
vergnügter orthodorer Griechen auf Chios, vie fchon jetzt 
wieber lieber die Türken als die Lateiner al8 Herren fid 
wünſchten, Verbindungen an. Am 8. Februar 1695 fegelte 
Huffein von Smyrna gegen Chios aus; zwei mörderiſche 
Seeihlachten bei den Spalmadoren (9. und 18. ebruar) 
fielen nicht zu Gunſten der DVenetianer aus. Darüber verlor 
Zeno den Muth. Er räumte am 21. Februar in Balder 
Flucht die Infel, begleitet von 500 lateinifchen Chioten, 
bie nachher in Moren bei Modon angefievelt wurden. Die 
Osmanen wurden von ben orthodoren Griechen mit Yubel- 
geichrei aufgenommen, — ber Jubel war freilich unzeitig. 
Zwar wurden vier vornehme Lateiner nunmehr bingerichtet, 
ihre Güter confiseirt, ferner der römiſch-katholiſche Kultus 
auf der Infel verboten, die katholifche Kathedrale zur Moſchee 
gemacht. Aber die orthodoxen Griechen mußten doch an 


Liberali und die Osmanen greifen 1695 Moren an. 155 


die Pforte zur Abwehr der Plünderung, auf welche die türkifche 
Armee fih umſonſt gefreut Hatte, die Ertra- Steuer von 
47,000 Pfund Sterling bezahlen. 

Der unglüdliche Zeno wurde nach den Lagunen abberufen 
und follte vor Gericht geftellt werben, ftarb aber in der Haft. 
Sein Nachfolger wurde der tapfere und als Seemann aus- 
gezeichnete Aleffanpro Molino, der aber alle Mühe batte, 
mit jeiner Flotte dem nunmehr als Kapudan⸗Paſcha fungirenven 
Mezzomorto die Spike zu bieten, welcher nemlich 1696 
ganz entſchieden theils die Infel Tinos, theils Morea bedrohte. 
Zwei glückliche Gefechte 1695 bei Chios, 1696 bei Andros, 
dann aber eine Niederlage (1697) bei Lemnos bezeichnen bie 
Schidjale der Flotte unter dieſem Generalkapitän. Sonft 
tonnte auch er Feine Fortichritte machen, vie Hauptſache blieb 
die Behauptung von Morea. Die Osmanen hatten nemlich 
nach der Wiedergewinnung von Chios fich angeichielt, auch den 
Peloponnes zurüdzuerobern. Während Molino alſo wenigftend 
nachher fo glüdlih war, Morea 1695 auf der Seejeite vor 
der türkifchen Flotte zu fchügen, machten Liberaki und der 
Serasfier Ibrahim⸗Paſcha im Vorfommer 1695 wieder einen 
großen Einfall in das Innere der Halbinjel, jener mit 3000 
Griechen, dieſer mit 12,000 Türken. Liberali jprengte bie 
griechiichen Milizen, welche den Iſthmos hüteten, mit feinen 
Banden leicht auseinander, und drang dann verheerend bis 
nah Tripolitza, Leondari und Karitena vor. ‘Der Serasfier 
dagegen marjchirte wieder bireft gegen Argos vor. Hier 
zurückgewieſen, verfchanzte er jein Lager, damals noch in ber 
Hoffnung auf die Ankunft der türkifchen Flotte im faronijchen 
Golfe, und zog Biberafi an fih. Da nun fammelten General 
Steinau und der moreotiiche General Broveditore Agoftino 
Sagredo alle in Nauplion vorhandenen veutfchen, ſlawiſchen 
und italienischen Truppen, und brachten ihm unter Anwendung 
höchſt gefchiefter taktiſcher Bewegungen endlich bei Paläokaſtron 
zwiſchen Nauplion und Argos einen derben Schlag bei, durch 
welchen die Türken 700 Todte und 400 Verwundete verloren. 
Die Venetianer hatten nur 250 Mann eingebüßt. Jetzt trat 








156 Buch I. Kap. IL. 1. Liberati’s Untergang 1696. 


der Seraskier raſch den Rüdzug nach dem Iſthmos an, af 
welchem ihm die nachpringenden Albanefen der Republik, vor 
denen er noch mehrere Hunderte an Xodten und Gefangenen 
verlor, eine Menge Schlachtvieh, Proviant und Gepäd abs 
nahmen. Dann verfchanzte General Steinau im Sinne 
Vernada's die Hauptpäffe des Iſthmos durch eine Anzahl 
ſtarker Wachthürme und Redouten, die bann auch weiteren 
Einbrücen der Osmanen den Weg verjperrten. Dazu glückte es 
endlich im Sahre 1696 dem Generalfapttän Molino, bei 
dem Entgegentommen des Liberafi, dieſen Mann für 
Benedig zu gewinnen. Zu Xepanto, wohin er übertrat, 
wurben die Verhandlungen abgefchloffen; er ſollte venetianiſcher 
Ritter werben, ein ftandesgemäßes Einfommen erhalten, ſowie 
für funfzehn Perjonen feines Gefolges Schu und Unterhalt. 
Dazu ernannte ihn die Republik zu ihrem Kapitän in Rumelien. 
As aber nachher ein Vorftoß gegen Rumelien verfucht wurde, 
moreotifche Albaneſen bis nach Theben und Athen plünverten, 
und Liberaki gegen bie Türken in Böotten von Salona her 
operirte, da wurde er burch den Commandanten Mohammed⸗ 
Paſcha von Livadia zurüdgeichlagen, Salona jelbft ftel wieder 
in türkifche Hand. Nun fam der neue Nitter auf ben Ein 
fall, fih gegen Eurytanien, Epirus und Arta plür 
dernd zu wenden. Am 27. Auguft 1696 yplünberte er 
biefe wehrloſe chriftlihe Stadt, verbrannte die Kirche bes 
Evangeliften Johannes. Die unglüdlichen Einwohner flehten 
darauf hin die Venetianer Ende Oftober an, fich ihrer anzıs 
nehmen, die Stadt und Umgebung zu beſetzen. Da lieh bie 
Republik den Liberati und feinen Bruder Georgios ver- 
Baften. Sie wurden zuerit nach Nauplion, dann nach Italien 
geführt. Georgios endete 1702 durch Selbſtmord im Ge 
fängniſſe zu Palma, Liberali aber verjchwand in einem Kerker 
zu Brescia. 

Trotzdem hätte der Krieg in Griechenland, wo nad 
Molino’s Abberufung 1698 fein Nachfolger Jacopo Cor» 
naro bei Lesbos ein hartes Seegefecht beftand, es hätten auch 
die venetianiichen Erfolge in Dalmatien und Albanien nicht 





Friede zu Carlowitz 1699. Venedig behauptet Morea. 157 


vermocht, der Republit ven ruhigen Beft von Morea zu 
fihern. Nun aber brüdten neuerdings Die Erfolge ver 
Öfterreicher und ber Ruſſen fo ſtark auf die Pforte, daß 
Sultan Muſtapha IL. (feit 1695 jeines Oheims Ahmed II. 
Nachfolger) fich emblich entichliegen mußte, nach längeren 
Unterbandlungen auf jenen Frieden mit feinen ſämmtlichen 
Gegnern einzugeben, der am 26. Januar 1699 zu Carlo⸗ 
wis unterzeichnet wurde. 

Hier Hatte die Pforte zum erjten Male feit ihrer Er- 
klärung in Europa aufgehört, von Tributen zu reden. Sie 
unterwarf fich Hier zuerjt einer regelmäßigen Unterhandlung 
und erkannte zum eriten Male ein für Alle gleichmäßiges 
Recht an. Benedig aber behielt (neben einigen Erweiterungen 
feines Gebietes in Dalmatien und) neben feinen wenigen alten 
Befitungen in dem ägäifchen Meere, die Infel Aegina, das 
ganze Morea bis zum Heramilion, dazu bie Injel Santa 
Maura. Lepanto dagegen wurbe geräumt, bie Einwohner 
nah Moren verpflanzt. Preveſa und das Caſtell Antirrhion 
oder Schloß von Rumelien wurben geichleift, der alte Tribut 
für Zante an bie Pforte fam jett endlich in Wegfall. Die 
Einwohner von Preveja fievelten nah Santa Maura über. 
Die legten nachträglichen Verbandlungen zwiſchen Venedig und 
ber Pforte fanden am 15. April 1701 zu Stambul ihren 
Abſchluß. | 


Io. 


Der Republit Benedig fiel nun die Tolofjale Aufgabe 
zu, ihre neue Provinz zu organiftren. Das war aber furchtbar 
ſchwer, mochten auch immer die Benetianer in Griechenland 
Teiche Erfahrungen gefammmelt haben. Man war fich jehr Har 
darüber, daß bie Fehler non Sreta nicht wienerholt werben 
binften. Daß die Republik fich doch mit ben Griechen ver- 
ftändigen konnte, zeigte das Beiſpiel der Inſel Timos, 
wie wicht minder Das der ioniſchen Infeln. Hier Hatte 
die venetianiſche Herrichaft ſich vollſtändig eingebürgert. Hier 





158 Buch J. Kap. II. 2. Venedigs Herrfchaft auf ben ioniſchen Inſeln. 


war allerdings von großen trogigen Maſſen ver Griechen, die 
zu Empörungen visponirt gewejen wären, feine Rede. Ab 
geiprengt von ihrer Nation ſeit der Zeit des lateiniſchen 
Kreuzzuges, durch Die venetianiichen Waffen mit Exfolg gegen 
die Osmanen geichüßt, erfreuten fich dieſe Inſeln einer guten 
Verwaltung. Wenn man nicht unbejonnen alle feinpieligen 
Schilderungen nachichreiben will, in benen fich nach ber Ber 
nichtung bes venetianiichen Staates franzöfiihe Schriftiteller 
gefallen haben, jo wird man jagen dürfen, daß bie wirth 
Ichaftlihen Schattenjeiten und Das argwöhniſche Shftem der 
venetianifchen Politik die Republik der Lagımen bamals nicht 
gehindert haben, den io niſchen Griechen ein ganz erträglices 
2008 zu jchaffen, namentlich auch nach der religiöfen und ethno- 
grapbifchen Seite bin bei ftraffem Regiment und toleranten 
Grundfägen die bunte Bewohnerſchaft der Injeln in guter Ordnung 
zu erhalten. Auch der Wohlftand der Injeln blühte, und bie 
namentlich während bes fechszehnten Jahrhunderts eifrig in 
Aufnahme gebrachte Pflege der Korinthen erwies fich als jehr 
einträglih. Wir werden allerdings noch jeben, daß feit dem 
Berfalle Venedigs während bes achtzehnten Jahrhunderts aud 
die Jonier im Gegenfate zu den übrigen Griechen fich mehr- 
fach in abſteigender Linie bewegen. Bis dahin aber Hatten bie 
Moreoten viel eher Grund, die venetianische der osmaniſchen 
Fremdherrſchaft vorzuziehen. Am auffallenditen Hatte fich die 
venetianiſche Art des Feudalismus auf dieſen Infeln eingebürgert, 
die dann auch allein (neben dem ſpäteren Fanariotenadel) mit 
einer Geburtsariftofratie in bie jpäteren Bewegungen des 
demokratiſchen Griechenvolkes eingetreten find. Hier war in 
ver That ein fürmlicher feudaler Adel organifirt; jede ber 
Inſeln führte, wie Venedig felbft und früher auch Kreta, ein 
eigenes ‚Goldenes Buch“. Auf Korfu, wo allerdings die 
alten Familien aus der Zeit der Angiovinen ausgeftorben 
waren, beftanden im achtzehnten Jahrhundert funfzehn Baro⸗ 
nien, in der Hand theils einheimiſcher, theils venetianijcher 
Adelsfamilten. Zu venfelben gehörte (vgl. Bo. I, ©. 472) 
das fogenannte Zigeunerlehen (Aringant), welches 1540 dem 


Benebigs Herrfchaft auf den ioniſchen Inſeln. 169 


berühmten SHelleniften Antonio Eparchos (S. 123) erblich 
verliehen wurbe, aus deſſen Hand es Durch Heirath zu Anfang 
bes achtzehnten Jahrhunderts in die Hand der Familie 
Proſalendi kam. Die nachmals fo berühmt geworbene Familie 
Kapodiſtrias war 1373 aus Iſtrien (aus dem alten Juſtino⸗ 
polis) eingewanbert; in den Grafenſtand wurde (unter fpäterer 
Anertennung Seiten® ver venetianijchen Negierung) vieles 
Seichleht 1689 durch ben Herzog Karl Emmanuel von 
Savoyhen erhoben. Auf Zante, wo die Regierung noch 1712 
fanatiiche Ausbrüche der Volkswuth gegen die Juden mit Kraft 
zu bändigen hatte, beftanden zwölf, auf SKephalenia ſechs 
Baronien. Cerigo's Grundbeſitz verblieb bis 1797 größten- 
theil8 der Familie Venier und deren Verwandten, während 
ein Broveditore der Republik dort bie Hobeitsrechte ausübte. 
AS Nepräfentanten Venedigs ericheinen daneben der Bailo⸗ 
Proveditore von Korfu und die Provebitoren von Zante, 
Kephalenia und Aſſo ’). 

Nach der Ausbreitung der türkiſchen Herrichaft über den 
griechiichen und venetianiichen Peloponnes ericheinen dieſe 
Infeln, namentlich Korfu, lange als Zufluchtsftätte flüchtiger 
griechifcher Gelehrten, wie auch jelbjtändig als Heimath von 
Trägern griechiicher Wilfenichaft und Dichtung, und als wich» 
tige Vermittlungspunfte des griechiichen mit dem italieniichen 
Geiſtesleben. Brachte e8 bie politiiche Verbindung mit Venedig 
von ſelbſt mit fi, daß bis zum Untergange der Republik 
zublreiche junge Jonier auf ven oberitalieniichen Univerfitäten 
ihre Studien machten, fo brachten die Infeln ihrerſeits auch 
zahlreiche Gelehrte hervor, welche jowohl während wie nach 
der Periode dem griechiſchen Namen Ehre machten, bie durch 
die Anſiedlung der flüchtigen Rhomäer des funfzehnten 
Jahrhunderts im Abenplande charakterifirt wurde. So 


1) Bgl. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bb. 86, ©. 184. 186. 
187. 188 f. und „Die Einwanberung ber Zigeuner in Europa”, 
©. 19. Mendelsfohn - Bartholdy, Graf Johann Kapodiſtrias, 
©. ff. 


160 Buhl Kap. II. 2. Venedigs Herrfchaft auf den tom iſchen Inſeln. 


des Johannes Laskaris Schüler Chriftophoros Kontoleon ans 
Cerigo, Matthäos Devaris und Nikolaos Sophianos and 
Korfu, welcher letztere bereits begann, die neugriechiſche 
Vulgärſprache durch Verbindung mit antiken Elementen zur 
Schul⸗ und Schriftſprache zu erheben. So der ſchon mehrmals 
erwähnte Zeitgenoffe Melanchthons, der korfiotiſche Hellenift, 
Dichter und Schriftfteller Baron Antonio Eparchos, dem fid 
neben zahlreichen anderen tontichen Männern der Kirche und 
der Wiffenfchaft, und neben den Dichtern (um 1530) Joannes 
Tſanes Koronäos (der in neugriechiiher Sprache die erfte 
neugriechiiche Epopde, die Thaten des als Führer epirotiſcher 
Söldner im venetianiſchen Dienfte feit 1495 belannten Mer- 
furios Bua Grivas von Korfu feiernd, fchrieb) und Yafoh 
Trivolis aus Korfu (1520 — 1550), Mitglied einer 1474 
in das Goldene Buch aufgenommenen Familie, feinerſeits 
1541 griechiiher Syndikus, 1545 Rath auf Korfu, der 
ebenfalls im Volksdialekte die Seezüge des Venetianers Tagia— 
pieras gegen albanefiihe Piraten (1520) bei Korfu poetiih 
ſchilderte, — Später die zahlreichen Jonier anreihen, welde 
der 1657 bis 1716 in Korfu blühenden, 1732 twieber er 
neuerten korfiotiſchen (erften) neugriechiichen Akademie degli 
Assicurati (av "Efnopalısp&vwv) ihre Kräfte widmeten. 
ALS die VBenetianer in die Lage famen, ben inneren 
Zuftänden von Morea ihre Aufmerkſamkeit wiomen zu müflen, 
als es fih nun darum handelte, diejes neue Beſitzthum einer- 
ſeits wieder zu georbneten PVerbältniffen emporzubringen, 
anbererjeit$ für die Republik nutbringend zu machen, war & 
allerdings unmöglich, das auf den tonijchen Infeln angewandte 
Syſtem auch bier zur Geltung zu bringen. Der Zuſtand, in 
welchem Morea nah volljtändiger Austreibung ver Osmanen 
fih befand, war in der That furchtbar. Krieg und Seuden 
batten in diefem Lande entjetlich aufgeräumt. Das zeigte fid 


1) Bgl. Nicolai, Geſchichte der neugriechiſchen Litteratur, &. 391. 
47..49. 68 fi. 84 f. 87. „Histoire de Tagiapinos , succomite 
Venitien “; po&me grec par J. Trivolis (E. Legrand, Paris 1875). 





Entvölferung von Moren nach Austreibung ber Türken. 161 


bei dem erſten offiziellen Verſuche einer ftatiftiichen Erhebung. 
Die Republik, die bier bleibend Fuß zu faſſen entichloffen war, 
batte ſchon während bes Krieges ihre Verwaltung organifirt. 
Morofini hatte zu Ende des Jahres 1687 die neue Provinz 
in vier kleinere Provinzen getheilt, Romania, Lakonia, Meſſenia 
und Achaja, mit den Hauptftädten Nauplion, Monembafia 
oder Malvafia, Navarinon und Paträ (Patras), deren jede 
nachher unter einen Rettore für die Civilverwaltung, und 
einen PBroveditore für das Militärweſen geftellt wurde. An 
der Spike des Ganzen ftand em General- Provebitore, zuerſt 
Giacomo Cornaro 9. Zur Gewinnung eines erften 
Überblides über die Lage bes Landes wurden ihm Drei 
Senatoren beigegeben, bie für die eriten Einrichtungen und 
die bringendfte Nothwendigkeit zu ſorgen hatten. Ihre Aufgabe 
war ed, bie wüftliegenden und herrenloſen Beſitzungen feſtzu⸗ 
ftellen, die Beftgtitel zu prüfen, einen Katafter zu entwerfen, 
da8 Steuerweſen zu oronen, die für Die Zwecke ver Staats⸗ 
verwaltung und für ben lateiniichen Kultus geeigneten Gebäude 
auszuſcheiden, und namentlich auch eine Volkszählung zu 
veranftalten. Das Ergebniß derjelben war wahrhaft entjetlich. 
Moren foll unter der türkischen Herrihaft vor Ausbruch des 
Krieges 250,000 griechiiche und albanefifche und 50,000 türfifche 
Bewohner gezählt haben. Jetzt aber fand Cornaro — bie 
Maina und das Gebiet von Korinth nicht mit eingerechnet — 
nur noch 20,123 waffenfähige Männer, überhaupt nur 
86,468 Seelen. Bon 2115 Ortichaften lagen jest 656 in 
Trümmern ?.. Mag nun immerhin gegen das Ergebniß 
dieſes Genius mancher Einwand erhoben werben, jedenfalls 
war das Land in bis dahin unerhörter Weile Herunter- 
gekommen. 

Die Republik hat nun in der That alles ihr Mögliche 
aufgeboten, um dem Lande wieder aufzuhelfen. Das Urtheil 


1) Zinkeiſen a. aD. S. 137%. 

2) Bol. Ranke a a. DO. ©. 432 1.485f. Finlay, Greece ‚under 
othoman and venetian domination, p. 236 sq. Zinkeiſen a. a. O. 
©. 479. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 178 u. 187. 

Hergberg, Gedichte Griechenlands. III. 11 





i 


162 Buch J. Kap. II. 2. Schwierigkeiten bei der Herfiellung von Moren. 


über die venetianifhhe Verwaltung in Moren hat 
fich heute in Erwägung der furchtbaren ihr entgegentretenven 
Schwierigkeiten der Hauptfache nach günftig gejtaltet. Sobald 
man die Ergebniffe der in unferem Jahrhundert in Griechen 
land nad Abſchluß feines Befreiungskrieges Seitens ber 
bayeriſch⸗ griechiichen und nachher der rein griechiichen Ne 
gterungsgewalten zur Europätfirung des neugriechtichen Lanbes 
und Volkes angeftellten Verſuche mit ben venetiantfchen 
Neorganifationsarbeiten nah beiden Seiten hin billig und 
ohne gehälfige Nörgelei vergleicht, wird man boch kaum umbin 
fünnen, den Venetianern jener älteren Zeit das Lob ber 
größeren Staatöflugbeit, der beijeren Einficht und ber glüd- 
ficheren Hand zuzugeftehen !), Am treffendſten urtheilt wohl 
Ranke?), wenn er bemerkt: „Mir fcheint, Die Schwierig 
feiten zeigten fich allemal dort beſonders ftark, ja unüberſteig⸗ 
lich, wo bie Venetianer ihren bisherigen Staat nach Griechen⸗ 
and übertrugen. Mißlingt es ihnen num bort, wo fie ihren 
bisherigen Staat mit der neuen Eroberung in Verhältniß 
bringen, fo gelingt e8 ihnen dagegen, fo oft fie die Forberung 
der Sache ganz allein ins Auge faſſen und ihr gemäß zu Werte 
geben.‘ 

Sehen wir ganz ab davon, daß die neuen Schöpfungen der 
Benetianer von Anfang an darunter zu leiden hatten, daß 
leßtere noch eilf Sabre lang nach der Ernennung des erften 
General» Proveditore ihre weientliche Aufmerkſamkeit auf den 
Krieg mit den Türken richten mußten, fo waren die Schwierig. 
feiten einer Erneuerung dieſes Landes unter allen Umſtänden 
wahrhaft furchtbar. Es galt, ein im umfafjender Weiſe ent 


1) Mit befonberer Sympathie urtbeilt über bie venetianifche Ver⸗ 
waltung Ranke in der Schrift „Die Benetianer in Morea”, ©. 410 
bis 416 u. 432 — 486; vielleicht noch günftiger urtheilt Finlay]. ec. 
p. 234—258 u. 277 8q. Ihnen ſchließt fih vollſtändig an Hopf a. a. O. 
S. 178 u. 187f. Ungünſtiger iſt die Stimmung bei Zinkeiſen a. a. O. 
©. 473—489. Höchſt unbillig aber ſpricht über Venedig ab Nicolai, 
Geſch. der neugriech. Litteratur, S. 53. 

2) Ranke a. a. O. S. 485. 





Schwierigkeiten bei ber Herftellung von Morea. 163 


völfertes Land erft nur wieder mit Menfchen griechifcher 
Zunge zu bejegen, der ganz entmutbigten Bevölkerung nur 
erit wieder den Glauben und das Zutrauen zu einer künftigen 
Beſſerung der Verbältniffe beizubringen, unendliche produktive 
Ausgaben in der Hoffnung auf die Zukunft zu machen, und 
dabei vor Allen „bei den neuen Unterthanen nicht ſowohl 
einen leivenden, als einen thätigen, einen freiwilligen Ge— 
horſam“ zu erzielen. Das Alles nun bei einem Volke, welches 
zu allen Zeiten, bis zur Vertreibung ber „Bavareſen“ aus 
Öriechenlanb vor 34 Jahren, immer nur die Hilfe bes 
Abendlandes zu feiner Befreiung von der Pforte erfehnte, um 
bernach der neuen Fremdherrſchaft gegenüber fich bald genug 
kühl und feindfelig zu verhalten. Das Alles bei einem Volke, 
welches durch die nunmehr 228jährige Türkenherrichaft in ver 
Art „‚orientalifirt‘ worden war, daß es fchlieglich die ftraffe 
Ordnung der eivilifirten italieniichen Regierung vielleicht noch 
unluftiger ertrug, als bie bald blutige, bald gemüthliche 
Anarchie des planlofen osmanischen Negimentes. Das Alles 
bei einem Volle, welches in jeinem kräftigſten heile, den 
Maniaten, nur die loſeſte Suprematie ertrug, in feiner Maſſe 
dagegen nur zu leicht bereit war, den aus der türktichen 
Hauptſtadt, als dem Patriarchion kommenden Aufreizungen 
zu folgen und feine ftärkfte Leidenſchaft, den religiöſen 
Fanatismus, gegen Die neue römijch- fatholiiche Regierung 
zu richten. 

Gegenüber dieſen Schwierigkeiten Tam nun den Bene» 
tianern in hohem Grade die Thatjache zu Gute, daß fie ſeit 
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts ohne Unterbrechung als 
Regenten mit ben verichiedenften Gliedern der griechiſchen 
Nation zu thun gehabt Hatten. Die BVenetianer fonnten 
nicht in den Fehler der Bhilhellenen und der deutichen Ver⸗ 
waltung unſeres Jahrhunderts verfallen und ein byzantiniſches 
Volt, welches fie aus türkiichen Felfeln ausgenommen hatten, 
als unmittelbare Nachlommen der antiten Hellenen behandeln 
wollen. Biel zu jehr in einer uralten Schule praftiicher 


Staatsfunft gebildet, fonnten die Venetianer gar nicht daran 
11* 


464 Buch I. Kap. IL. 2. Die General-Provebitoren von Moren. 


denken, lediglich wohlwollende oder bureaukratiſche Experimente 
mit diefem alten Volle zu machen, deffen jchroffe Eigenart fie 
in langer Erfahrung nur zu gut kennen gelernt hatten. War 
es dennoch ein Fehler, baß fie — nicht zivar mehr ben 
Feudalismus nach korfiotiiher Art, wohl aber — ide 
Regierungsmechanismus von Italien auch nach Morea ver- 
pflanzten, jo gab es dafür allerdings erhebliche Erklärungs⸗ 
gründe. Kaun auf der einen Seite freilich micht geleugnet 
werden, baß ber venetianiiche Staat vielfach zu altern begonnen 
und bedeutend an ausgiebiger politiicher Schöpfungsfraft ver- 
Ioren hatte: jo Darf auf der anderen Seite Doch nicht vergeſſen 
werben, daß bei der furchtbar fchwierigen Zeitlage es in 
Morea vor Allem darauf anlam, ein zuverläffiges, ftraffes 
Regiment zu jchaffen und die Verwaltung nur ficheren und 
gefchulten Männern anzuvertrauen. Solche waren aber zur 
Zeit wenigftens in Morea noch Taum zu finden. Es kam 
dazu, daß (wöllig anders als in unſerem Jahrhundert zu 
Kapopiftrias’ Zeit) Die Moreoten, immer bie Maina ausgenommen, 





an den Kämpfen um ibre Befreiung von dem osmaniſchen 


Joche gar feinen Antheil genommen, mit Ausnahme ihrer 
Gemeindeverfaſſung perſönlich Nichts geichaffen Hatten, was 
den neuen Herren zwingend bätte imponiren können. Die 
Fehler aber ihres Merkantiliuftems haben die Venetianer denn 
auch fchließlich Kart genug büßen müſſen. Es war num ein 
Glück, daß die Republik in ten Reihen ihres Adels nad 
einander eine Anzahl tüchtiger , ftreng rechtlicher und . wohl, 
meinender Männer fand, die als General-Proveditoren 
das Geſchick entfalteten, die unleugbar beſtehenden Schatten- 
feiten des venetianiſchen Herrichafts- und Verwaltungsſhſtems 
durch ihre perjönliche Trefflichkeit vielfach auszugleichen, und 
namentlich mit Der nöthigen Energie und praftifchen Erfahrung 
eine verftändige Milde und Huge Nachgiebigfett zu verbinden. 
Diefe Männer — nad Giacomo Cornaro (1688 — 1690) 
noh Taddeo Grabenigo (bi8 zum März; 1692), Antonio 
Molino, Antonio Zeno, Francesco Grimani (1698 — 1701), 
Daniele Dolfino, Angele Emo (1705 — 1708), Marco (bit 


Die Moreoten. 165 


1711) und Antonio Loredano, Agoftino Sagredo (bi8 1715), 
und zulegt Girolamo Delfino — baben fich durch ihre der 
Sorihung noch heute vorliegenden Berichte über ihre moreotijche 
Zhätigfeit ſelbſt ein treffliches Zeugniß über ihren guten Willen 
und ihre praktiſche Einficht ausgeftellt. 

Die erfte Aufgabe diefer Männer, bie immer wieber in 
ven Bordergramd ſich drängte, war jene der möglichit raſchen 
Wiederbevölkerung der veröveten Halbinfel. ‘Die jenjeits 
der Grenzen ver Maina in Moren befindlichen Einwohner, 
Griechen und Albanejen, waren zur Zeit für fih allein nicht 
im Stande, als die Grundlage einer neuen Blüthe ihres 
Landes benutzt zu werden. ‘Die immerbin etwas wohlbabenveren, 
civiliſirteren Griechen, mehr noch dem ftäbtiichen Leben ale 
gerade mit Vorliebe dem Wderbau zugewandt, und bie 
Albaneſen, zum Theil Bauern, zum Theil halbnomadiſche, 
verwilderte Hirten, die großentbeild im Sommer in ven 
arfadiichen Gebirgen ihr Vieh weideten und im Winter nach 
den Ebenen von Elid und Argos fich zogen, — waren Danf 
ben barten Zeiten jeit mehr denn zweihundert Jahren in ihres 
polttiihen und focialen Moralität ziemlich berabgelommen. 
Koh heutzutage bejteben in der griechiichen Welt jtarfe 
Antipathien gegen die Moreoten. Man jchreibt ihnen ver- 
ſchiedene jchlimme Eigenichaften zu). Ihre Primaten galten 
noch zur Zeit ded 1821 anhebenden Befreiungsfrieges vielfach 
als intriguant, verrätberiich und boshaft. Im ihrer Weiſe 
joltten auch Bürger und Bauern nicht befjer fein; ihre Wahr- 
baftigleit und Rechtsliebe wurde ftark angefochten. Gab mar 
willig zu, daß fie rührig und intelligent wären, fo jchrieben 
ihnen doch namentlich die mannhaften Rumelioten Mangel at 
Redlichkeit, neidiſches und undankbares Wejen, und Mangel 
on Muth zu. Die VBenetianer nun fanden (vgl. ©. 117) 
neben Dielen Zügen namentlich die trogige Neigung, in ihrer 
Unwiſſenheit zu bebarren, ein hartnäckiges böfes Mißtrauen, 


1) Vgl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p: 31 
und „Greece under othoman and venetian domination “, p. 245g. 


166 Buch I. Kap. IL 2. Neubevölkerung von Morea. 


falihe Sparjamfeit, Abneigung gegen ſchwere Arbeit, und (bie 
Deaniaten ausgenommen) tiefe Antipathie gegen die Führung 
der Waffen bei ihnen ausgeprägt. Es mag dahingeſtellt 
bleiben, wie weit fih die Beobachtungen der venetianifchen 
Proveditoren auf die Albanefen und die eigentlichen Griechen 
vertheilen laſſen müſſen. Sollte aber wenigftens das eigentliche 
griehiiche Element mit feiner natürlichen Begabung, mit 
feiner rüftigen Anjchlägigfeit, mit feiner angeborenen Neigung, 
fih durch befjere Beiſpiele zur fortichrittlichen Nacheiferung 
beftimmen zu lafjen, nugbar gemacht werben, jo beburfte es 
der Einführung neuer Fermente. 

Es war nicht mehr daran zu denken, das Land mit und 
ohne feudale Gliederung etwa von Italien aus zu colonifiren. 
Venedig griff nur zur Anfegung fremder Griechen, um 
zwar zunächit bis zu Ende des Krieges folcher Elemente, bie 
fih wiederholt für die Sache der Republik compromittirt 
batten. Wir fahen bereits, wie man flüchtige Athener (662 
Familien), Kreter und Chioten in Morea colonifirte. ‘Daneben 
wurben aber auch von Xepanto aus jehr zahlreiche Rumelioten 
zum Übertritt nach Moren bewogen; jchon 1691 waren beren 
gegen 6000 mit Hab und Gut angekommen, bie jich mit Eifer 
dem Landbau wibmeten und namentlich bei Voſtizza, Paträ 
und Kalavryta fich anfievelten. Je mehr nun die Republil 
biefe Einwanderer durch Überweilung herrenlofen Landes und 
burch Steuererlaß begünftigte, um fo ſtärker wirkte auf dem 
Seftlande der Zug zur Überfievlung nach Morea, wo bie 
Nordgriechen beifere Zage zu erleben Hofften, als im ben 
türkiſchen Provinzen (ähnlich wie wiederholt in Hindoftan in den 
Ländern indifcher Fürften neben neuen brittiichen Provinzen). 
Aus ganz Numelien bis nordwärts nach Joannina und nod 
weiter kamen die neuen Anftebler, zu denen fich auch viele 
Sonier gejellten. So geſchah es, daß Morea jchon 1692 wieder 
an 116,000, und 1701 bereit8 mehr denn 200,000 Ein 
wohner ) zählte. 


1) Hopf (Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 179) hat ſogar 
die Zahl 259,564 für das Jahr 1701. 


Venetianiſche Feſtungsbauten. 167 


Die Hauptſache war es aber doch, der neuen Bevölkerung 
das Gefühl der äußeren und der inneren Sicherheit bei⸗ 
zubringen, und fie durch gute Behandlung an das neue 
Regiment zu feſſeln. Was zunächſt die äußere Sicherheit bes 
Landes angeht, jo trafen die Intereſſen der Venetianer und 
der Griechen hier vollfommen zufammen. Sobald nur erit 
der türfiiche Krieg beendigt war, konnte nichts Die allmählich 
doch wieder belebte Neigung der Griechen, Grundbeſitz zu er- 
werben, mehr ftärten, als bie auffeimenbe Überzeugung, daß 
die Republif unter allen Umſtänden die Abficht Hatte, das 
Land zu verteidigen. Diefe Überzeugung gewannen bie Ein- 
wohner namentlich aus den Fejtungsbauten der Venetianer. 
Diefelben Hatten anfangs bie zahlreichen türkischen Feſtungen 
ſämmtlich fefthalten wollen und durch ihre Ingenieurs berftellen 
laſſen. Allmählich aber überzeugte man fich, daß dieſe Pläße, 
bon denen nur Alroforinth und Monembafia Ichon durch ihre 
natürliche Lage ftarf waren, zu jchwach fein würden, um ohne 
lebr bebeutende Streitkräfte wirkſam vertbeibigt werben zu 
fönnen. Da nun aus den Einwohnern nur fehr allmählich 
brauchbare Milizen formirt werden fonnten; da bie Republif 
im Frieden immer nur 7000 Dann gemworbener Krieger im 
Lande zu unterhalten vermochte, jo beichloß man (ohne daß 
jedoch ver Plan, die jchwächeren Plätze zu jchleifen, zur Aus⸗ 
führung fam), alle militäriſchen Kräfte auf drei Hauptpunkte 
zu concentriren, nemlich auf Modon, auf (Rhion oder) das 
„Schloß von Morea“, und namentlich auf die Hauptſtadt 
Nauplion. Auf dem letteren Punkte wurde in der That der 
Palamidhi (S. 138 f.) mit wahrhaft gigantiichen Boll⸗ 
werfen gekrönt, die noch in unferem Jahrhundert das 
Staunen der Reifenben erregt Haben !), wie auch ver Hafen 
der Stadt neu befeſtigt. Nur daß die neuen Werke von 
Nauplion immer eine jehr beveutende Beſatzung in Anfpruch 
nahmen. 


1) Vgl. hier auch Eurtius, Peloponnefos, Thl. J. S.103; Thl. II, 
6. 390. Burfian, Geograpfie von Griedenland; Thl. IL, ©. 60. 


168 Bud I. Kap. IL 2. Die Maniaten. Räuberbanben. 


Die innere Sicherheit wurde auf eine minver Loftipielige 
Weije endlich wieder hergeftellt. Hier kam e8 auf der einen 
Seite darauf an, mit den Maniaten, die jest immer mehr 
als ein felbftändiges Volf auftraten, ſich dauernd zu bei 
ftändigen. Die Allianz, weldhe Morofini jeiner Zeit mit ihnen 
geichloffen Hatte und ihre Friegeriichen Verdienſte um bie 
Republik gaben dieſen Tangetosgriechen (damals 25,000 Seelen) 
eine ganz eigentbümliche Stellung. Sie waren von allen 
Saiten des Landes frei, zahlten nur einen Keinen Tribut, 
Maktu genannt, zur Anerkennung der venetianiſchen Ober 
hoheit, und regierten fich im Inneren völlig felbſtändig. Dar 
burch erwuchien jedoch mancherlei Schwierigkeiten. “Die der 
Maina benachbarten Bauerngemeinden mußten ebenfalls be 
quemer geftellt, ihre Steuern auf ven in eine feite Geldrente 
verwandelten Zehnten befchränft werden. Die Maniaten 
aber ftürzten fih nur allzugern in eine Fluth blutiger 
Familien» und Clanfehden, fleiner Bürgerkriege, welche bie 
Denetianer nicht mit Gewalt zu bändigen vermochten. Noch 
jchlimmer war e8, daß die unterliegenden Parteien fich dann 
gern durch Raubzüge nach Meſſenien und Lakonien, oder durch 
Corjarenfahrten für ihre Verluſte zu entſchädigen fuchten. Hier 
vermochte nur der Muth und bie perjönliche Gewandtheit 
Einhalt zu thun, mit welcher mehrere ver venetianifchen 
General» Broveditoren fie zu behandeln verftanden. Grimani 
brachte e8 wirflih dahin, daß much Hier wenigftens eine Art 
von Ruhe eintrat, während der erjte Loredano auch bie 
regelmäßige Zahlung des Maktu mit Süd zu erzielen 
wußte. 

In anderer Weile mußte die öffentliche Sicherheit in ben 
unmittelbar durch die Republik beherrichten Zeilen der Halb- 
inſel bergeftellt werden. Bier hatte der Krieg überall zur 
Auflöjung jeder Ordnung geführt, und majfenbafte 
Näuberbanden entitehen lalfen, die fich aus verarmten 
Moreoten, Rumelioten, Dejerteur8 von der Flotte und ben 
Zruppen zulammenjegten. Dieſe nun beraubten die Reiſenden, 
plünderten öffentliched® und privates Eigenthum, verbreiteten 


DOrganifation von Morea. 169 


eine allgemeine Unficherbeit. Gegen dieſe jcheuklichen Zujtände 
griff zuerit Grimani zu ven wirfiamiten Mitteln. Er vers 
einigte ſich mit den Dorfichaften, die num ihrerjeits im Großen 
auf die Wegelagerer Jagd machten, feste ſich ſelbſt mit ven 
benachbarten türkiihen Commandanten in entiprechende Ver⸗ 
bindung, und verfolgte perfönlich mit energifcher Confequenz 
auf jede mögliche Weile die Banditen. Marco Loredano ift 
nachmals ſelbſt jo weit gegangen, die räuberifchen Bauern 
mehrerer meſſeniſcher Gebirgsdörfer aus ihren Siken nad 
ber Ebene bei Karitena zu verpflanzen und in ihren neuen 
Vohnplägen Durch eine ‘Dragoner- Schwadron überwachen zu 
laſſen. 

Die Hauptſache blieb aber immer die verſtändige Pflege 
bes materiellen Wohlſtandes der Einwohner, bie Aus- 
gleihung zwijchen ben materiellen Interefien der Griechen und 
ber NRepublil. Die vier Provinzen der Halbinjel Moren 
(S. 161) waren, im Ganzen unter Beibehaltung ver biöher 
beftandenen Grenzen der türkiſchen (S. 72) Woiwodſchaften, 
in 24 Territorien zerlegt worden’). (Die neue Landes⸗ 
eintbeilung beftand definitiv jeit dem 29. Juni 1692.) Auf 
„Romania“ kamen aljo bie Territorien Napoli (Nauplion), 
Argos, Korinth, Zripoliga, San Pietro (Hag. Petros) di 
Zacogna; auf „Achaja“ Patras, Voſtitza, Kalavryta, Gaſtuni; 
auf „Meſſenia“ Navarin, Modon, Koron, Andruſſa, Kala⸗ 
mata, Leondari, Karitena, Phanarion, Arkadhia; auf, Lakonia“ 
endlich Malvaſia, Miſithra, Bardunia, Kielapha, Paſſava und 
Zarnata. Für die wichtige Finanzverwaltung ſtand ſeit ver 
definitiven Zerlegung bes „Königreiches“ Morea in die vier 
größeren Provinzen, jevem Provebitore ein Camerlengo zur 
Seite. Wirklich gedeihen konnte jedoch das Finanzweſen erft, 
ſeitdem einerjeitS der Krieg mit der Pforte zu Ende, anderer- 
ſeits das Beſitzrecht auf der Halbinjel völlig ficher geftellt 
war. In letzterer Hinficht trugen die Verordnungen ber 


1) Bol. Rante, S.502. v. Maurer a. a. O. &©.59f. Sathas 
L c. p. 364 2qq. 





170 Buch I. Kap. IL. 2. Die agrarifchen Zuftände. 


Regierung bis zum Jahre 1699 einen wejentlich proviſoriſchen 
Charakter. Man begann damit, Jeden in dem Beſitze zu 
beftätigen, in weldem man ihn fand. Wer fein Anrecht an 
ein Stüd Land auch nur durch zwei Zeugnifje erbärtete, be- 
hielt e8 ohne Weiteres. Auch die Kirche wurde unbedenklich 
in ihren Gütern beftätigt. “Die ungeheure Maſſe des 
Domanialgebietes (nemlich bes bisherigen osmaniſchen Grund: 
befige8) wurde theils gegen Zahlung des Zehnten und Her- 
ftelflung der zeritörten Gebäude, theil® gegen den britten Theil 
der Nutzung auf Türzere Zeit, theils auch bei minder bequemen 
Grundftüden gegen geringen Zins auf möglichit lange Zeit 
friften bin verpachtet. Als nachher durch den Karlowitzer 
Frieden Morea feit an die Venetianer abgetreten war, erflärte 
der Senat der Republif dur Beſchluß vom 18. Juli 1699 
zu fehr großem Vortheile für ven Aufichwung der Landwirth⸗ 
fchaft „die Perpetuität des Grundbeſitzes“. Nun begann 
man auch einen Satafter zu entwerfen und die Grundftüde 
vermefien zu laſſen. Die neuen Landvertheilungen aber 
wurden jest befjer regulirt, nicht in zu großem Maßſtabe 
unternommen, und in ber Art verfügt, daß man einen einen 
Theil angebauten mit einem größeren noch unangebauten 
Landes verband. Nicht minder nüßlich erwies es fich, daß 
_ mit dem Jahre 1701 die Pachtſummen auf Domanialgütern 
in Erbzins verwandelt wurden. Nun: jollte aber auch das Land 
die Mittel aufbringen, die zu feiner Verwaltung und 
Sioherftellung nöthig waren, und natürlich noch einen Überſchuß 
liefern. Bei der Zerrüttung aller alten und der Jugend aller 
neuen Verbältnilfe in Morea fam man aber gerade in Diejer 
Richtung nur ſehr Tangfam- vorwärts. Die alte Praxis ber 
Erhebung des Zehnten wurde auch von der Republik über- 
nommen. Aber die Eugen italientihen Beamten erkannten 
ſehr bald, welche ſchweren Nachtheile für das Volk wie für 
den Staat mit der alten Unfitte der Verpachtung der Zehnten⸗ 
erhebung an den Meijtbietenden verbunden waren. Da war 
es denn der Muge und wohlmeinende General »« Broveditore 
Grimani, der nah Proclamirung der WPerpetuität der 





Syftem ber Befteuerung. 111 


Beſitzthümer den verjtändigen Schritt wagte, Die Gemeinden 
dabin zu bringen, daß eine jede die Auszahlung 
ihres Zehnten ſolidariſch felbft übernahm. Weil 
er aber in feinem Eifer die Einkünfte auf dem Papier zu 
hoch veranſchlagt Hatte, fich darum ſehr bald einem berben 
Defiett gegenüberfah, jo verfuchte er es wieder mit dem alten 
Shftem, bis nachher ver kühlere und mehr praftiihe Emo 
(1705— 1708) das zwechnäßige Shitem einführte (2. April 
1707), daß man bie je nach ihren Kräften bemejjene Erhebung 
des Zehnten pachtweile (immer auf fünf oder jech® Jahre) den 
verſchiedenen Gemeinden ſelbſt überließ. Allmählich verfuchte 
man es auch, die Höhe des Zehnten beſtimmt zu fixiren. Zu 
dem Erbzins von den Domänen und dem Zehnten von den 
Grundbeſitzungen kamen nun die indirekten Abgaben von 
Bein, Aquavit, Ol, Tabak und Salz, bie jedoch verhältniß⸗ 
mäßig nur wenig einbrachten. Namentlich die Salzfrage 
machte große Schwierigkeiten. Die Venetianer wollten den 
Salzhandel für den Staat monopoliſiren; die Griechen, die 
bisher ihr Salz ohne Mühe durch die zahlreichen Küſtenſalinen 
gewonnen hatten, ſollten nun das Salz von Venedig kaufen. 
Man ſchloß daher alle die bisher beſtandenen privaten Salinen, 
nahm die von Thermiſi in Argolis und Kamenitza in Achaja 
für den Staat in Anſpruch, und ſetzte in acht Bezirken die 
nöthigen Pächter ein, welche das Salz, immerhin billig genug, 
zu verkaufen hatten. Weil aber die benachbarten türkiſchen 
Salinen das Salz noch billiger gaben, weil ferner die Griechen 
ſich doch ohne Mühe an jeder Küſte ihr Seeſalz verſchaffen 
konnten, ſo war das Monopol leicht zu umgehen. Erſt Emo 
und Marco Loredano wußten wenigſtens die ſchlimmſten Ge⸗ 
häſſigkeiten des Monopolſyſtems abzuſtellen. Emo mar es 
auch, der das Syſtem der wichtigen Weideverpachtungen für 
alle Theile zweckmäßig zu ordnen verſtand. Im Ganzen wußte 
Emo die Einkünfte aus Morea bis auf thatſfächlich 461,548 
Nealen zu bringen. Unter Marco Loredano ftiegen fie dann 
allmählich 5i8 auf etwas über 500,000 Realen (ven Neal 
gleich zwanzig heutigen engliichen Pences gerechnet), Bon 


172 Buch L Kap. II. 2. Landeskultur. 


biefer Summe wurben in Morea 250,000 Realen als regel, 
mäßige, 30,000 als außerordentliche Ausgaben verwendet. 
Man befoldete damit das Heer, baute die Feſtungen aus und 
beftritt alle fonftigen Koften. Der Reſt floß. in die Kaffe ver 
venetianiichen Flotte, aus welder bis auf Grimani for 
während Zujchüffe an die morentifche Verwaltung abgegeben 
worden waren. 

Ericheint nach allen vielen bisher erörterten Seiten Hin die 
venetianiſche Verwaltung weientlich in günftigem Lichte, 
ſo gab es doch auch verichtevene Momente, wo ihr Auftreten 
theils wirklich nachtheilige. Folgen Hatte, theils minder erfolg. 
veich geblieben ift. Bon Anfang an zeigte es fi, daß das 
egoiſtiſche Merkantilſyſtem Venedigs und die Anwendung det 
Principien der damals geltenden Colonialpolitif auf Morea 
nach verichiedenen Richtungen bin die Bemühungen, die neue 
Provinz zu wirklicher Blüthe zu bringen, empfinvlich beein 
trächtigen mußten. Nun lag e8 in der That in der auf 
geiprochenen Abficht der General» Proveditoren, auch über bie 
bisher bezeichnete Xinte hinaus das Land zu fördern. Für ben 
inneren Verkehr wurde feit Grimani's Verwaltung zuerft bis 
zu einem gewilfen Umfange das Poſtweſen in Stand gebradt. 
Die noch immer jehr zahlreichen Produkte des Landes (Bd. II, 
S. 480 f.) fuchte man erheblich zu vermehren. Namentlich wurde 
der Weinbau, diefer durch Einführung fremder Neben, und 
baneben die Produktion von Rofinen und von Korinthen 
(Bd. I, ©. 44), die (anfcheinend feit 1580 von Naxos nad 
Morea gelommen) ſeitdem für das nördliche Morea von ber 
großastigften Wichtigfeit geworben find, erheblich gefärbert, 
während dagegen die Anlage von Seivenfabrilen geringere 
Bortichritte machte 1). 

Alle diefe jehr wohlgemeinten Anregungen wurden aber 
in ihrer Wirkung dadurch erheblich. beeinträchtigt, daß bie 
Republik, um es kurz auszudrüden, trog aller Bemühungen 

1) Während des Mittelalters waren in Morea auch noch bie Kagen, 


die Apfelfinen, und bei Argos der Tabalsbau (wie in Theſſalien) ein- 
beimifch geworben. 





Venetianiſches Merkantilſyſtem. Kranzöftfcge Intriguen. 178 


ber veritändigiten General» Proveditoren ſich nicht entichließen 
fonnte, mit jenem Syſtem enbgiltig zu brechen, welches bie 
Hauptftadt Venedig auf Koften des Colonialgebietes zum 
ausſchließlichen Mittelpunkt alles Verkehrs erheben wollte. 
Grieche nland, fpeziell wieder Morea, unterhielt bisher nur 
wenig merlantife Beziehungen; folche hatten zwilchen Meffenien 
und Nordafrika, zwiſchen Monembafta und Alerandrien, zwiſchen 
Nauplion und den Inſeln des ägätichen Meeres, zwiſchen 
Korinth, Paträ und den tontihen Inſeln beſtanden. Venedig 
wollte nun, daß der ganze Verkehr der Moreoten mit ber 
übrigen Belt nur durch die Vermittlung der Hauptftabt in 
den Lagunen vollzogen werben ſollte. Während des Krieges 
hatten die General» Provebitoren einen „Indult“ erzielt, 
welcher dieſes für den Aufichwung des moreotiichen Aktiv⸗ 
handels mörderiſche Syſtem von der Halbinjel noch fern Hielt. 
Aber fie Formten nicht bewirken, daß das Syſtem principiell 
aufgegeben wurde. Ließ die Unficherheit wegen der ‘Dauer bes 
Indultes den moreotiichen Handel nur langfam fich entfalten, 
jo fehlte es auch nicht an pofitiven Handelsbeſchränkungen. 
Namentlich das DI mußte zum Verlauf nach Venedig geführt 
werden; die venetianiiche Induſtrie zeigte bald eine krämerhafte 
Ciferfucht auf die neu aufblühende moreotiiche, und bie 
fremden Kaufleute, namentlich Engländer und Franzoſen, zogen 
es oft vor, die griechiichen Produkte unter bequemeren DVer- 
bältniffen in den griechiihen Provinzen der Pforte zu kaufen. 
Auf dieſem Punkte alfo wurzelte ein großer heil der 
Unzufriedenheit, die ver Republik fchließlich fo theuer zu ftehen 
fam, einerjeitS unter den Griechen der Seeftäbte, andererſeits 
unter den bei dem levantintichen Handel betheiligten Europäern. 
Am gereizteften zeigten fich die Franzoſen. Hat man ben 
leßteren doch ſogar nachgefagt, daß ihre Conſuln in Griechen- 
land 1) zu ſyſtematiſcher Untergrabung ber venetianifchen 
Herrichaft in Morea große Geldmittel aufwandten, um mit 
mr zu gutem Erfolge venetianiiche Söldner in den pelo- 


1) Zinteifen a. a. O. ©. 486f. 


174 Buch I Kap. II. 2. Das Städtewefen. 


ponnefiichen und in den legten Tretifchen Feſtungen zur Deſer⸗ 
tion zu erlaufen!! Zur Abwehr dieſer ichmählichen Intriguen 
fuchten die Venetianer dagegen ihre Söldner nach Kräften 
durch . Begünftigung der Verheirathung derſelben an ihr 
Interefje zu feſſeln. Anders als die Handelsbeſchränkungen 
wirkten gewiffe liberale Maßregeln. Moroſini batte glei 
nach der Eroberung in den Städten diefelbe Municipal⸗ 
verfaffung eingeführt, wie fie in den übrigen Provinzen ber 
Republik im Gebraudh war. Im jeder Stadt, die er gewann, 
bildete er ein venetianifch-griechiiches Conſeglio, welches aus 
den griechiichen Einwohnern die Magijtrate zu wählen, bie 
ftäbtifchen Amter zu befeten Hatte, und wie biefe griechiichen 
neuen Beamten jehr bedeutende Privilegien genoß. Dazu er 
hielten die Städte das Borrecht, daß ihre Bürger von ber 
Laſt der Einguartierung des ftebenden Heeres frei blieben. 
Daraus aber erwuchſen bei der jeit der Zeit des Despotates 
Mifithra und während der langen Osmanenherrichaft nur 
allzu üppig entwidelten griechiihen Corruption erhebliche 
Übelftände. Die neu privilegirten Moreoten entfalteten wieber 
die Neigung der früheren Archonten, ihre Landsleute zu ver 
gewaltigen und zu beeinträchtigen. Und die freiheit ber 
Bürger von Einguartierung veranlaßte eine Menge von Ge- 
meinden, fich um ftäbtifche echte zu bewerben, Die dazu gar 
feine innere Möglichkeit beſaßen. ALS die DVenetianer darauf 
nicht eingingen, fingen die Bauern an, „‚fich den Städten zu 
affiltiren, d. 5. obwohl fie auf dem Lande wohnen blieben, 
fich Doch die Nechte von Bürgern zu verichaffen. Da num feit 
Grimani's Verwaltung immer je Ein Mann bes ftehenven 
Heeres für jeine Lebensmittel auf achtzehn DBauernfamilien 
angewiefen war, jo wurde mit der Zunahme der an bie 
Städte affiliirten ober „aggregirten“ Bauern die Laft für bie 
übrigen, natürlich die ärmeren, immer fchwerer. Hier griff 
dann wieder Emo durch, ber die Eremtion der aggregirten 
Bauern von der Einquartierungslaft verbot. Marco Loredano 
endlich bob das Shitem der Affiliirung ohne Weiteres auf und 
erleichterte dafür die Militärlaft in jeder ihm möglichen Weife. 





Rechtspflege. Kirchliche Schwierigkeiten. 175 


Auch die Einführung der venetianiichen Rechtspflege in 
Moren Bat zu vielen Übelftänden geführte. Sie war aller- 
dings unvergletihlich beſſer, al8 jene der Osmanen. Aber die 
jungen venetianifchen Nobilis, die als juriftiiche Doftoren, und 
andere, die als Cancellieri, und bie Jonier, Die als Avogadoren 
nah Morea kamen, waren ihrerſeits oft ſehr unwiſſend und 
ſelbſt gewiſſenlos, und wußten fich die jchlimme Neigung der 
Moreoten, die jeit den Zeiten des Kaifers Nero den fremden 
Herrfchern in dieſem Lande fo oft aufgefallen ift, ſich gegen- 
feitig durch gerichtliche Zänkereien zu plagen und durch endloſe 
Brozeffe zu ruiniven, und die auf dieſem Boden jeit Alters 
eingewurzelte Käuflichkeit, oft in wenig erfreulicher Weiſe 
nugbar zu machen. 

Während nad diefer Richtung die venetianische Vers 
waltung, oft mit jehr mangelhaften italienischem Material, 
nur ſehr jchrittweife die Demoralifation, die gegenfeitige Ge⸗ 
bäfligfeit, die Neigung zur Bedrückung des ärmeren Landvolkes 
Seitens der befjer gejtellten Elemente der griechifchen Geſell⸗ 
Ihaft, zu befämpfen vermochte, gingen aus ben kirchlichen 
Verbältniffen noch größere Schwierigleiten für die Venetianer 
hervor. Ganz anders als zur Zeit nach der Eroberung von 
Conftantinopel durch Enrico Dandolo, trat die Republik jegt 
in Morea höchſt tolerant auf; dieſes in dem Grabe, daß fie 
rubig zuſah, wie allmählih 1317 mohammedantiche (anfcheinend 
Nenegaten-) Bamilien, bie zum Chrijtentfum über» ober 
zurüdtraten, nicht der römiſchen, fondern der anatolilchen - 
Kirche fich anfchloffen. Trotzdem bildete andauernd die con« 
feffionelle Verſchiedenheit zwijchen Griechen und Venetianern 
eine in jener Zeit auf feine Weife zu überbrüdende Kluft, 
und die doch nicht ausgebliebenen Verſuche römiſcher Priefter, 
unter den Griechen Proſelyten zu gewinnen, find ſpäter zu 
bitterem Vorwurfe gegen die Staatsregierung aufgebaufcht 
worden. Die politifchen Schwierigkeiten, die für Venedig 
in ber confefftonellen Frage wurzelten, lagen jedoch auf einem 
anderen Punkte. Verargen konnte man ven neuen Herren 
des Landes natürlich nicht, daß fie auch bier ihre eigene 


176 Buch I. Kap. IL 2. Kirchliche Schwierigteiten. 


Confeifion treu pflegten. Die Republit Hat in den größeren 
Städten der Halbiniel eine Anzahl in Moſcheen verwandelter 
Kirchen wieder für den katholiſchen Gottesdienſt weihen laſſen, 
und nachher für die vier Provinzen eben ſo viele Bisthümer 
gebildet, unter denen das korinthiſche erzbiſchöflichen Rang hatte. 
In Meſſenien, wo ſie auch früher ſo lange geherrſcht 
hatte, zeigen (namentlich bei Kalamata) noch heute viele 
Dörfer eigenthümliche, gegen die griechiſch-anatoliſche Sitte 
verbältnißmäßig hohe, Kirchthürme, die an Diefe Zeit 
erinnern )). Suchte nun die Regierung der General- 
Proveditoren mit großer Klugheit die religidien Beſorgniſſe 
der Griechen zu beichwichtigen und Kirchliche Neibungen zu 
verhindern; blieb das Beiſpiel der an Bildung und geiftlicher 
Würde ben damaligen moreotiichen weit überlegenen vene⸗ 
tianiſchen Kleriker nicht ohne nüßliche Wirkung, jo war Dagegen 
eine böfe Klippe das Verhältniß zu dem Patriarchen in 
Conſtantinopel. 

Das Patriarchat empfand es ſehr unangenehm, daß ein ſo 
wichtiges Glied der griechiſchen Nation wie eben” ver Pelo⸗ 
ponneſos bis zu einem gewiffen Grade feiner uralten Macht⸗ 
vollfommenheit jeßt wieder entzogen war. Der Patriard 
hatte feine Luft, feine geiftlichen und finanziellen echte auf 
dieſes Land aufzugeben; die Ernennung der Bilchöfe und vieler 
Abte fammt den von dieſen Klerikern ihm zuſtrömenden 
Zributen (S. 82f.) waren Dinge, auf die man im Fanar 
den höchſten Werth legte. Wenedig dagegen wollte weber bad 
Abftrömen fo bedeutender Geldmittel nach Stambul, noch die 
Ausübung geiftlicher Hoheitsrechte auf feinem Gebiete durch 
einen auswärtigen, bier noch dazu von der Pforte abhängigen, 
Kirchenfürften dulden und juchte feit 1687 dem Patriarchen 
entgegenzuarbeiten. Dieſes um fo mehr, weil die geiftliche 
Armee der griechiichen Kirche in Morea fehr ſtark war. Um 
den jetzt als Metropofiten fungirenden Erzbiihof von Tri— 
poliga nemlich gruppivten fich vier andere Erzbiichöfe, zwölf 


1) Vgl. L. Roß, Griechiſche Köntgsreifen, Bd. I, ©. 213. 





Kirchliche Schwierigkeiten. 877 


Suffraganbiichöfe und ſechszehn Titularbiichöfe. Dazu famen 
1367 Dlönche in 158 Klöftern, von denen 26 Stauropigia 
waren, deren Äbte der Patriarch ernannte. Obwohl nun die 
venetianifche Republik mit der Geichidlichleit und dem Erfolge, 
ver bisher nur bei arijtofratiichen Staatsgewalten in Con⸗ 
flikten mit Rom beobachtet worden iſt, wiederholt der römijchen 
Curie die Spige zu bieten vermocht hatte, jo war fie in ihrer 
Gegenwehr gegen ven Fanar doch nur theilweiſe glücklich. 
Denn als die Regierung die Wahl der Bilchöfe den neu 
formirten griechischen Municipalitäten übertrug, jo riß bie 
ſchlimmſte Simonie bei den Wahlen ein; vie wählenden 
Dürger trugen jo wenig Bedenken, fich für ihre Wahlftimmen 
bezahlen zu laſſen, wie nur ſonſt (S. 91ff.) der Klerus. Und 
das neue geijtliche Berfonal wurde dadurch weder beijer noch 
zuverläjfiger als zuvor. Auch die Geldſendungen nad) Stambul 
waren nicht zu verhindern. Venedig fonnte nur verbieten, 
daß der Patriarch feinen Exarchen nach der Halbinſel zur 
Einnahme feiner Gefälle ſchickte. Es konnte auch Die 
patriarchalen Bullen wie päbjtliche behandeln, denen das 
Iandesgerrliche Crequatur mangeltee Aber man mußte bei 
dem Drude, den die byzantiniſche Exkommunikationsdrohung 
ausübte, tbatfächlich zulaffen, daß im Stillen der Erzbiichof 
von Paträ als Exarch arbeitete; denn fein Biſchof konnte 
fih weigern, ven für Stambul begehrten Gelbbeitrag zu 
leiften. 

Der Hauptjache nach mußte Venedig hier das Beſte von 
der Zeit erivarten. Die wohlmollende Behandlung und kluge 
Gewinnung auch des griechtiichen Klerus — wie denn noch 
Morofini während des Krieges den vor ben Osmanen ges 
flüchteten Biichöfen von Salona, Theben, Lariffa, Athen und 
Negroponte Benftonen ausgejegt hatte —; die Abwehr jedes 
römtichen Eingreifens in die griechiiche Kirche der Halbiniel; 
die verſtändige Arbeit moraliih und nach Seite des Geld» 
Punktes fauber fich haltender Tateinifcher Prieſter und Mönche 
in der Pflege des vernachläffigten Unterrichtes, in der 
Anlage von Hofpitälern und in der uneigennützigen Kranken⸗ 

Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. ILL. 12 


178 Buch J. Kap. II. 2. Lage der Moreoten unter Benebigs Herrfchaft. 


pflege; endlich die Gründung von Gymnaſien, namentlich des 
„taktiſchen Gymnaſiums“ zu Tripolitza 1); das waren Mo- 
mente, von denen ſich auf bie Dauer Gutes Hoffen Tief. 
Nichtödeftoweniger foftete e8 Alles zufammengenommen 
erhebliche Mühe, Morea emporzubringen. Und wie es allezeit 
und überall zu geben pflegt, die Minderheit der Unzufriedenen 
erbob damals und fpäter ihre Stimme viel lauter als bie 
Mehrheit der unter der milden und wohlmeinenben vene 
tianiſchen Herrichaft fih wohl fühlenden Griechen, und nod 
mehr, — nachdem das osmaniſche Joch ohne Mitwirkung ber 
Moreoten entfernt war, wandte fich ſehr fehnell und mit 
allezeit beobachteter Übertreibung Die erbitterte Klage ber 
Unzufrievenen, wie derer die aus derb materiellen ober aus 
eonfejfionellen Gründen die Rückkehr der Osmanen wünſchten, 
gegen die auch ſonſt fühlbaren Übelſtände der neuen Zeit. 
Das willfürliche Regiment des Paſchas, der Woiwoden, ber 
Kadis, die Gewaltftreihe der Timarioten und Yanitfcharen 
waren ſchnell vergeſſen. Jetzt grollte man bitter über bie 
Mißgriffe und fchlechten Eigenichaften eines Theiles ber mitt- 
leren und niederen Beamten der Republif, deren Sünden 
buch das Wohlwollen und die Tüchtigkeit der General» 
Provebitoren doch nicht immer ausgeglichen werden Tonnten. 
Und die durch die Regierung nur ſchwer zu zähmende Neigung 
ber Söldner und ihrer Offiziere zu Übergriffen mancherle 
Art, ſeit dem Ausgange der Kommenenzeit ein gerabe auf 
biefem Boden unter allem Wechjel der Weltpolitif (und ber 
Uniformen) allezeit hart empfundenes, noch heute nicht ver⸗ 
ſchwundenes Übel, gab nicht weniger Anlaß zu lagen und zur 
Verſtimmung. Nichtspeftoweniger war die Lage ber Moreoten 
unter Venedigs Herrfchaft nicht nur ganz unvergleichlich beffer, 
als fie e8 während der Iangen Jahrhunderte feit dem Aus 
gange der Billeharbouins jemals geweſen ift. Ste berechtigte 
auch zu ſehr guten Hoffnungen, wie ſchon an dem fchnellen 
und glänzenden Aufichwunge der Hauptftabt Nauplion erkannt 


1) 2gl. auch Nicolai a. a. ©. ©. 53. 





Der lebte Krieg der Pforte gegen Venedig. 179 


werden mochte. Leider aber war es dem: unjeligen Geichlechte 
der Neugriechen verjagt, unter der milden Berrichaft der 
General» Provebitoren ihren Übergang aus dem buzantinifch- 
türkichen Mittelalter in das moderne europätiche Leben zu 
vollziehen. Die thörichte Sehnfucht eines unzufriedenen Theiles 
ber Griechen nach der Rückkehr des Turbans follte ganz un⸗ 
erwartet ſchnell in Erfüllung geben. 


II. 


In Stambul hatte man fich von Anfang an nur mit dem 
höchſten Unwillen in die Nothwendigkeit gefügt, Morea in ben 
Händen der Venetianer laſſen zu müſſen. Namentlich die 
vielen durch Morofini aus der Halbinfel vertriebenen türkiſchen 
Familien drängten bei der Pforte beftändig auf Berftellung 
ihres ehemaligen Befigftandes. Die Waffen ergriff die Re 
gierung des Großheren doch erit jechszehn Jahre nach dem 
Frieden von Carlowig wieder gegen die Republik, als die 
Berhältniffe zu den europäifchen Mächten fich auffallend günſtig 
für die Osmanen geftaltet hatten. 

Um es fur; zu jagen, die gewaltige Macht griechiich 
glänbiger Slawen im Norden des jchwarzen Meeres, das 
Rußland Peters des Großen, auf welches fich die Zukunfts⸗ 
boffnungen der griechifchen Orthodoxie jet immer beftimmter 
richteten, hatte in einem neuen Kriege durch die Osmanen 
1711 eine empfindliche Demüthigung erlitten. Rußland war 
durch den definitiven Frieden des Jahres 1713 wieder von 
dem Aſowſchen Meere zurücdgeichleubert worden. Und nun 
war der Kriegsmuth und die Unternehmungsluft der Pforte 
(zur Zeit regierte 1703 — 1730 des Sultans Muftapha IL. 
Bruder und Nachfolger Ahmed II.) lebhaft wieder erwacht; 
dieſes um jo mehr, weil damals das gefammte Abendland in 
den letzten Stadien des furchtbaren, alle Kräfte erichöpfenden 
„ſpaniſchen Erbfolgekrieges“ ftand. Der anfangs in Stambul 
genährte Plan, die eifrig betriebenen Nüftungen zu einem 


Kriege gegen Polen zu verwenden, wurde durch die Gewandt⸗ 
12* 


180 Buch J. Kap. II. 3. Die Pforte rüftet zum Kriege gegen Venedig. 


beit der polnischen Diplomatie abgewandt, welche für ihr Land 
im April 1714 die Erneuerung des Carlowiger Vertrages 
erzielte. Dafür gab nun theils der Wunſch der aus More 
vertriebenen Türken, theil8 bie heimliche Verbindung des 
Großweſſirs Damad Ali⸗-Paſcha Kumurdſchi mit verbroffenen 
moreotijchen Primaten, theils auch (vgl. ©. 173) der Einfluf 
der auf Venedigs levantinifche Handelspolitif eiferfüchtigen und 
erbitterten Franzoſen ber türkischen Kriegspartet die Richtung 
gegen das Ichwache und zur Zeit ohne Bundesgenofjen daſtehende 
Venedig . Die politiihen und Anjtands - Bedenken ver 
Sriedenspartei im Diwan und Serat wußte der Großwellit 
theils durch feine beijere Kenntnig der damaligen Weltlage, 
tbeils im Hinblid auf die Shmpathien vieler moreotiicer 
Griechen für die Pforte zu überwinden. So wurde alfo ber 
Krieg eingeleitet, deſſen Worbereitung die alte osmaniſche 
Tüde, deſſen Führung die alte folvatiiche Kraft, aber auch die 
alte furchtbare Wildheit und Graufamfeit der Osmanen in 
überrafchender Weiſe wieder ang Licht treten ließ. 

Es galt zunächit, die Republik möglichit Tange zu täuichen, 
um fie dann jäh und wuchtig zu überfallen, ehe fie noch meit- 
Ihichtige Werbungen anftellen könnte. Freilich wurde Venedig 
boch bedenklich über vie foloffalen Nüftungen aller Art zu 
Stambul, zu Salonichi, Lariffa, Volo und Negroponte, über 
das türfiiche Verbot der Getreiveausfuhr, die Anhäufung von 
Zruppen in Bosnien, die vertragswidrige Erneuerung der 
Schanzen von Antirrbion, und die unverfennbaren heimlichen 
Unterhandlungen zwiichen Stambul und den griechtichen Biſchöfen. 
Aber Sicheres erfuhren fie nicht eher, als bis endlich — dem 
Namen nah auf Grund der (noch dazu wider Willen der 
venetianiichen Oberbehörden erfolgten) Aufnahme einer Schaar 
durch den bosniihen Paſcha verfolgter Montenegriner auf 
venetianiſchem Gebiete bei Gattaro im Oftober 1714 — ber 


1) Bgl. wieder Ranke a. a. O. ©. 488—498. Finlay, Greece 
under othoman and venetian domination, p. 258—--276. Zinteifen 
a. a. O. ©. 461 — 472 u. 488 — 582. Hopf, Bd. 86, ©. 179 f. 
Sathas l. c. p. 443—448. 


Gefährliche Lage Venedigs bei dem Ausbruche bes Krieges. 181 


Großweſſir am 8. December 1714 dem Bailo der Republik 
in Stambul, Andrea Memo, in brutalfter Form den 
Krieg erklärte, ihn ſelbſt feftnehmen, die zu Stambul und 
Smyrna angefiedelten Venetianer aber aus dem Reiche aus 
weifen Tief. Sofort folgten auch der Kriegserflärung auf der 
balmatiniichen Seite Die erften Feindſeligkeiten. Die Republik 
aber, die fih in den Wahn, die Pforte rüſte eigentlich gegen 
Malta, eingewiegt, und daher fich vollſtändig Hatte überraſchen 
laffen, die nur im Vatikan Freunde fand, dagegen in Wien 
einer eisfalten Neutralität begegnete, ſah fich jo gut wie außer 
Stande, durch ſchnelles Handeln die drohende Kataftrophe 
abzuwehren. Sie hatte zur Zeit feinen Mann in ihrer Mitte, 
wie noch Moroſini gewejen war, und fo wurde e8 unmöglich, 
das jchlimme Deficit an militärischen Kräften zu decken, über 
welches ihr letzter moreotiſcher General» Proveditore, der für 
1715 eben antretende Generallapitän Girolamo Delfino, 
von Tag zu Tag ichlimmere Nachrichten einfendete. 

Das Heer der Republik jet viel zu jchwach, die Be- 
fagungen für die vielen Feitungen auf Morea und ben Inſeln 
zu dünn, namentlich mangele es auch am Artilleriften, die 
neuen Teltungsbauten ſeien noch nicht überall fertig, es 
mangele vielfach an Proviant und Munition. Das Schlimmite 
jedoch war, Daß der Geilt der Armee durchweg fchlecht war, 
und daß nicht wenige Beamte der Republif völlig den Kopf 
verloren hatten. 

Zrogdem geichah jegt in Venedig, was nur irgend noch 
getdan werben konnte. Während Delfino die Flotte, zur 
Zeit nur acht gut armirte und eilf jchlechte Galeeren, nach 
der Inſel Sapienza führte, beeilte man ſich, möglichjt viele 
Kriegsichiffe, Truppen, Proviant, Munition nad Morea zu 
ſchicken, wohin auch Aleffandro Bono als außerorventlicher 
Commiſſar abging. Es gelang noch, Nauplion und Korinth 
für zwet Jahre zu verproviantiren und mit friichen Truppen 
zu verſehen. Die Flotte bei Sapienza wurvde bie auf 22 
große Kriegsichiffe und 27 Fahrzeuge geringeren Ranges gebracht, 
dann in den Hafen von Klimino gelegt. Der Kriegsplan 


182 3B.L8.IIL 3. Die Osmanen eröffnen im Sommer 1715 den Krieg. 


war, unter fchnelfler Räumung aller anderen Städte, unter 
Schleifung der Werfe von Alt» und Neu-Navarin, zunächſt 
nur Korinth, Argos, Nauplion, Malvafia, Kelepha, Zarnate, 
Modon und Rhion energiich zu vertheibigen. 

Bald aber nahm der Krieg eine Wendung, bei der man 
in den Nagunen ausrufen mußte: „Lasciate ogni speranza!“ 
Bald erfuhr man in Nauplion, daß fih im April 1715 dee 
foloffalen Streitkräfte der Osmanen zu Waffer und zu 
Lande in Bewegung gejeßt batten. Der Patriarch aber vor 
Conftantinopel hatte den Bann gegen alle rechtgläubigen 
Griechen gejchleudert, die für Venedig die Waffen führen 
würden. Der erfte Schlag fiel im ägäiſchen Meere. Der 
Kapudan⸗Paſcha Dſchanum Khodſcha landete mit einer gewal- 
tigen Flotte am 5. Juni 1715 auf der Inſel Tinos. Und 
num verlor bier der Provebitore Bernardo Balbi ſo 
gänzlich ven Kopf, daß er troß der Ergebenbeit der katholiſchen 
treuen Bevölkerung feiner Inſel, troß der Stärke und guten 
Ausrüftung des Felfenjchloffes der Hauptſtadt, auf die erite 
Aufforderung Hin gegen freien Abzug mit Waffen und Gepäd 
fapitulirte. Die Feſtung wurde fofort zerftört, und zwei⸗ 
hundert der angefehenften Familien in die Verbannung nad 
den Barbaresfenftaaten geführt. Während das Entjeten über 
diefe feige Schmach fich lähmend über Morea ausbreitete und 
die Flotte der Türken im faroniichen Golfe kreuzte, wälzte fih 
bas Landheer des Großweſſirs von Aorianopel aus nad) 
Griechenland. Damad Ali Kumurdſchi führte fein Heer zuerit 
nah Theben, wo er am 9. Juni 1715 etwa 22,844 Weiter 
und 72,520 Mann mufterte, denen bald immer jtärfere Maffen 
beutegieriger Türken, unregelmäßiger Truppen, und rumeliotijcher 
Armatolen (diefe unter dem Dervendſchi-Baſcha Topal Osman 
von Lariffa) folgten. Die aftatifchen Soldaten mußten die Päffe 
bes Kithäron und des Geraneion für das Gepäd und die Artillerie 
gangbar machen. Dann marfchirte der Großweſſir am 25. Juni 
über den Iſthmos. Da der General-Proveditore Delfino in 
ganz Morea nur über 8000 Mann wirklicher Truppen verfügen 
fonnte, fo waren weder bie ſchwachen Schanzen auf dem Iſthmos 





Die Osmanen erobern Korinth. 183 


noh die Linie zwilchen Korinth und Lechäon zu alten. 
Kumurdſchi zog mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiele 
durch dieje Linien, entjendete ein großes Corps zum Vormarſch 
an der Süpfeite des Golfes von Korintb nah Rhion, und 
eröffnete am 28. Juni durch Sari⸗Achmet⸗Paſcha, den Beglerbeg 
von Rumelien, die Belagerung des mit Flüchtlingen überfüllten 
Korinth, welches der Proveditore Giacomo Minoto mit 
400 Sölpnern und 200 Griechen vertbeidigte. Der Muth 
biefes DBefehlshabers, auf den das Sammergefchrei der ber 
lagerten Flüchtlinge nur allzu ftarf wirkte, ſank, als die 
Osmanen die Burg fünf Zage lang beichofjen und die 
Janitſcharen fih zum Sturm gerüftet hatten. Er Tapitulirte 
baber auf Abzug ohne Waffen mit geringer Habe; die Gar- 
niſon follte nach Korfu geführt werben. Aber die Osmanen, 
die in biefem Kriege alle ihre Gewohnheiten aus den ſchlimm⸗ 
ſten Zagen Mohammeds IL. wieder zur Geltung brachten, 
hielten die Kapitulation nicht. As am Morgen des 3. Juli 
Minoto zum Abmarſch nach Kenchreä rüftete, erftiegen die 
Sanitfcharen bereits die Burg und eröffneten die Plünderung. 
Und als um 9 Uhr früh ein Pulvermagazin in die Xuft. flog, 
gab man dieſes den Venetianern Schuld und hieb die Truppen 
wie die Einwohner bis auf wenige Leute nieder, bie dann in 
die Sklaverei gejchleppt wurden. Nur etwa 200 Menſchen 
Ihiette der Großweifir nach Korfu. Dieſes war die furchtbare 
Kataftrophe, die in Lord Bhron in der Dichtung „The siege 
of Corinth * ihren Sänger gefunden hat. 

Die jchnelle Eroberung von Korinth fchlug überall die 
Hoffnungen der Venetianer niever. Wie fchon vorher Myko⸗ 
n08, fo ergab fich jegt Aegina dem Kapudan⸗-Paſcha ohne 
Weiteres. Die Griechen aber, die anfangs ihre Dörfer, 
die dann in Flammen aufgingen, verlafien und fih in die 
Derge gerettet hatten; die aber jetzt Venedigs Sache aufgaben 
und noch dazu vernahmen, daß Kumurdſchi gute Disciplin 
halte, Mißhandlung der Griechen verboten babe, umd alle 
Debürfniffe feines Heeres baar bezahlen laſſe, ftrömten in 
Maſſen nach dem türkifchen Lager und bulvigten dem Große 


184 Buch I. Kap. II. 8. Belagerung von Nauplion. 


weifir, der dann auch die beftimmteiten Befehle zu ihrem Schube 
erließ. Dafür Halfen die Griechen dann wieder bei ber Anlage 
der großen Magazine, welche die Türken namentlich bei Voſtitza 
errichteten. Delfino aber, der fonft zur Unzeit das blühende 
Land bis nach Nauplion bin unverwüſtet ließ, rächte bie grie⸗ 
chiſche Servilität in Achaja durch arge Verheerungen. 

Während nun das Heinere türfiiche Corps gegen Rhion 
operirte, marſchirte Kumurdſchi von Korinth mit ber 
Hauptmacht nach dem fofort genommenen Argos, dann aber 
gegen Nauplion, wo Aleſſandro Bono, jett als General 
Provevitore (Delfino war zum Generalfapitän und Procurator 
von San Marco ernannt. worden) mit 1700 Söldnern, 
1000 italienischen Breimilligen und einigen Hunderten freilih 
nur wenig brauchbarer Griechen fich entichloffen zu fchlagen 
gedachte. Unglüclicherweife waren nun für fein kleines Heer die 
neuen Werke bes Palamidhi zu ausgedehnt, wie auch das 
Mauerwerk noch zu Schwach, um die Wucht der türktichen 
Vollkugeln genügend auszuhalten. Am 11. Sult fchlugen bie 
Maſſen des Großweſſirs ihr Lager in der Ebene zwiſchen 
Tirynth und Nauplion auf. Die erften Angriffe der Janit 
fcharen auf die Vorwerke des Palamidhi am 14. Juli wurden 
gut abgeichlagen, nur daß Oberſt Carbofi, der Commandant 
der Citadelle, leiver dabei fiel. Nach Ankunft ver türkiſchen 
Flotte (15. Yuli) begann ein beftiges Bombardement, nod 
immer ohne Erfolg. Da glüdte e8 den Yaniticharen, am 
20. Juli in einem Werke des Palamidhi durch die Sprengumg 
einer Mine eine größere Breiche zu legen. Nun ftürmten fie 
mit Ungeſtüm über die Trümmer aufwärts. Der neue Com⸗ 
mandant, Oberft La⸗Sala, verlor den Muth und ben Kopf ſo 
vollftändig, daß er fofort die Kanonen vernageln ließ. Mit 
Einem Worte, der Palamidhi wurde in kurzer Zeit in der 
ſchmachvollſten Weije aufgegeben; bald eilte die Befagung in 
toller Flucht abwärts nah der Stadt, ihr nach bie Jar 
nitiharen. Kaum aber erblidten die übrigen Türken in der 
Ebene die Fahnen des Großherrn auf dem Palamidhi wehen, 
ſo erjtürmten fie nuch die Wälle der Stadt. 





Die Osmanen erobern Rauplion und das Eaflell von Diorea. 185 


Es war zu jpät, daß Bono jekt die weiße Fahne auf 
ziehen ließ. Denn die osmantichen Truppen wollten feine 
Kapitulation, fie wollten energijch morden und plünbern, ebe 
ibre Feldherren dazwiſchentreten Tönnten. Und ihr Wunſch 
ging in Erfüllung. Umfonft jchlugen ſich jegt die Offiziere 
und Nobilis der Venetianer in den Straßen; fie fielen 
rühmlich in dieſem Iekten Kampf. Sonſt aber find an 
25,000 Menſchen an dieſein Tage vernichtet worden; mit 
Einſchluß der für die Sklaveret beftimmten Frauen und 
Kinder. Mit beionderem Grimme wöütbeten, vielleicht Durch 
bie Griechen geleitet, die Janitſcharen gegen die katholiſchen 
Kleriker; auch der Erzbiſchof Carlint wurde ermordet, während 
Bong ſchwer verwundet in die Hände Kumurdſchi's fiel. Der 
Großweſſir perjünfich zeigte fich fchlieglich als echten Nachfolger 
der alten türkijchen Ichuftigen Henler von Ntegroponte und 
Kypros. Er kaufte nemlich feinen Janitſcharen taujend ge⸗ 
fangene venetianische Söldner ab, und machte fich dann Die 
Freude, dieſelben ſämmtlich entbaupten zu laſſen. ‘Der an- 
ſcheinend erfaufte Commandant des auf einer Inſel belegenen 
Hafenforts Burtzi übergab feinen Pla unmittelbar nach dem 
Salle Der Stadt. 

Der osmanifche blutige Sieger eilte, dem Löwen von San 
Marco bie letten töbtlichen Schläge beizubringen. Kumurdſchi 
marihirte von Nauplion über Achlapholampo , Tripolika, 
Veligofti, das mefjeniiche Lakkosthal und Nifi gegen Modon, 
unter deſſen Mauern er am 11. Auguft fein Lager aufichlug. 
Hier nun zeigte es fih, daß der Fall von Nauplion bei den - 
Söldnern der Republik die Zügel der Disciplin zerrifjen und 
ihren fchlechten Geift entfeifelt Hatte. Schon kam aus Achaja 
eine militärisch ſchmachvolle Kunde. Kara Muſtapha, Paſcha 
von Diarbefir, hatte zu Anfang Auguft mit feiner koloſſalen 
Macht die 1100 Mann angegriffen, mit denen der General- 
lieutenant Eaftelli das gut verfchanzte und trefflich ausgerüftete 
Rhion oder Caftell von Morea vertheibigte. Nach einer 
Beichieung von nur vier Tagen forberte bie menteriiche 
Garniſon die Übergabe; und trotz der energiichen Einreden 








16 Buch J. Kap. II. 3. Die Osmanen erobern Mobon und Monembafte. 


des Provebitore Pietro Marcello war Caſtelli ſchwach genug, 
mit Kara Muſtapha zu unterbanveln. Er erlangte allerdings 
den Abzug mit Gepäd, aber ohne Waffen, nach Kephalenia. 
Auch dieſe Kapitulation wurde nicht volljtändig gehalten. 
Denn die Ianiticharen liefen nur die italieniichen Soldaten, 
600 an der Zahl, ſich einichiffen. Dann aber machten fie 
ven Reit, Slawen und Griechen, zu Sklaven. 

. Das war ein böſes Vorzeihen für Modon. Anfangs 
zwar bielt fich die Beſatzung erträglih. Als aber Delfino, 
der zur Zeit mit 50 Schiffen bei Saptenza lag, bei der Ans 
funft des Kapudan⸗Paſcha die Flotte nicht aufs Spiel ſetzen 
wollte, begannen die Soldaten nach einigen Zagen jchlaffer 
BVertheidigung zu meutern und die Übergabe zu fordern. Ein 
frecher Unteroffizier fette jelbft dem Proveditore Vincenzo 
Paſta die Piltole auf die Bruſt. AS dann der Großweſſir 
bedingungslofe Übergabe verlangte, flüchteten mit Zuftimmung 
des Kapudan⸗Paſcha, eines humaner gejinnten Mannes, die 
Soldaten und viele reiche Bürger bet Nacht auf die türkiſche 
Flotte. Als am folgenden Morgen die Janitſcharen im die 
balb öde Stadt drangen, mußte auch Paſta verwundet zu dem 
Kapudan⸗Paſcha flüchten; die Stadt felbft wurde ausgeraubt, 
das Volk zu Sklaven gemadt. Und nun ergaben fich aud 
bie Schlöffer Kelepha und Zarnata ohne Gegenwehr. Die 
Maniaten hatten jchon während der Belagerung von Modon 
ihren Frieden mit Kumurdſchi gemacht und fich der Oberhoheit 
der Pforte wieder unterworfen. 

Als Modon gefallen war, fegelte der Kapudan⸗Paſcha mit 
der Flotte, durch Delfino nicht gehindert, gegen Monembalia 
und gegen die legten fretifhen Feſtungen der Venetianer. 
Kumurdſchi aber ſchickte einerfeits ein ſtarkes Corps nad 
dem Iſthmos, um bier den Andrang raub⸗ und beuteluftiger 
Mohammedaner nach Morea abzuwehren. Andererſeits aber 
führte er fein Heer über Leondari und Mifithra gegen 
Monembafta. ALS fich der Hier commanbirende Provebitore 
Federigo Badoaro zu Waffer und zu Lande zu gleicher 
Zeit bedroht ſah, Tapitulirte auch er ohne Schuß und übergab 





Benedig verliert bie Eretifchen Feſtungen. 187 


die feite Stadt ohne alle Notb am 7. September an ven 
Lapudan⸗Paſcha. Venedigs ftolze Flagge war fo tief als 
nur möglich in Blut und Schmach getaucht worden ! 

Noh wurden einerjeitd die einft durch Moroſini aus 
Morea vertriebenen mohbammedaniihen Tamilien jet 
wieder in ihre alten Beſitzungen eingefegt, andererjeitS nicht 
wenige jener unter Venedigs Herrihaft (©. 175) zum 
Chriſtenthum übergetretenen Moslims zur Strafe enthauptet. 
Dann kehrte Kumurdſchi mit feinen Trophäen triumphirend 
nah Abrianopel zurüd, wo fih fein Sultan zur Zeit 
aufpielt. 

Benedig Dagegen follte noch neue Unheilsbotſchaften 
empfangen und zugleich inne werden, daß die Osmanen in 
Abfiht Hatten, den Krieg in dem folgenden Jahre in dem 
ioniſchen Meere fortzufegen. Während der Mebgericenen in 
Morea nemlih hatten die Osmanen auf Kreta auch gegen 
die venetianischen Feitungen Suda und Spinalonga ven 
Kampf eröffnet. Bier aber ftand das Glück den energifchen 
Commandanten Luigi Magni und Francesco Giuſtiniani längere 
Zeit zur Seite. Endlich aber erjchten der Kapudan⸗Paſcha 
(18. September) mit 43 Segeln vor diefen Schlöffern, und 
feiner Übermacht gelang es dann, zwei Tage nachher Suba 
zur Ergebung zu nöthigen. ‘Die Venetianer zogen nad Korfu 
ab. Gegen bie Griechen der Stabt brach der Sultan ben 
abgefchloffenen Vertrag; er ließ fie theils zu Sklaven machen, 
theil8 ermorden. Spinalonga fapitulirte zu Anfang Oftober. 
Und nun ſah fih auch der tapfere Commandant Sebaſtiano 
Marcello genöthigt, die jetzt unbaltbar geworbene Inſel 
Cerigo ehrenvoll zu räumen und zu Delfino abzuziehen. 
Biel drohender aber noch erjchten es in Venebig, daß feit dem 
Falle des Caftell8 von Morea jener Kara Muftapha mit mehr 
denn 30,000 Mann auch gegen Santa Maura zu operiren 
begonnen hatte. Anfangs entjchloffen, dieſes ſtarke Bollwerk 
ju vertheidigen, erkannte man bald deſſen beveutende Mängel. 
AS daher nach Eerigo’8 Fall der Kapudan⸗-Paſcha gewillt zu 
fein fchten, nach dem ionifchen Meere zu fegeln, entjchloß man 


188 Buch I. Kay. II. 3. Neue Rüftungen ber Venetianer. 


fich fchnell, Die Feſtung zu jchleifen und zu fprengen, bie Zlotte 
beit Korfu zu fammeln und nun — da die türkifche Flotte 
nach Chios gefegelt war — die noch offene Zeit zu neuen 
Nüftungen zu verwenden. 

Venedig war bisher wenigftens in Dalmatien ſehr 
glücklich gegen die Osmanen geweſen. Mehr aber, in Wien 
hatte die unerhört jchnelle Eroberung von Morea burd bie 
Türken große Betroffenheit erregt. Da nun einerfeits am 
1. September 1715 der Tod Ludwigs XIV. von Frankreich 
das Haus Habsburg im Weften viel ficherer denn bisher ftellte, 
andererfeit8 aber die Zuverficht der Pforte auf Grund ihrer 
letten Siege dermaßen gewachſen war, daß man in Stambul 
bereit wieder von einer Eroberung der Städte Wien und 
Rom zu phantafiren anfing, alles Ernites aber an einen 
Donaufeldzug dachte: fo ging man unter dem entijcheidenben 
Einflufje des gewaltigen Kriegsbelden Prinz Eugen enblich auf 
die Allianzvorſchläge der DVenetianer ein. Die leßteren, bie 
ohnehin nur durch Ddalmatiniiche Abtretungen den Trieben 
hätten erfaufen fönnen, wurben durch die wahrhaft infame 
Behandlung der in osmaniſcher Hand verbliebenen Kriege 
gefangenen und durch die zu Ende des Jahres 1715 defretirte 
Ausichließung aller venetianiichen Waaren aus dem osmanischen 
Neiche zu neuer Energie gezwungen. Am 13. April 1716 
wurde das Schutz⸗ und Trugbündniß zwiſchen dem Wiener 
Hofe und der Republik geichloffen. Prinz Eugen eröffnete 
auf Grund des durch die Wegnahme von Morea Seitens ber 
Pforte verübten Bruches des Friedens von Carlowitz fofort 
von Ungarn ber ben Srieg, den er dann mit großartig 
glänzendem Erfolge geführt bat. 

Die Republik ihrerjeits hatte während des Winters zu 
Waffer wie zu Lande kraftvoll gerüftet. Die Flotte übernahm 
feit dem Februar 1716 Andrea Piſani, für das Landheer 
aber hatte man endlich im Oftober 1715 einen ausgezeichneten 
tbüringijhen Teldheren gewonnen. Es war der Baron 
Johann Matthias von der Schulenburg, der in 
jächfifchen Dienften bereits in Polen, Ungarn, Deutichland und 








Slänzende Bertheibigung (1716) Korfu's durch Schulenburg. 189 


andern boden Ruhm erworben hatte und zur Zeit in Wien 
fih aufhtelt, wo ihn der Kaiſer nach dem Eintritt als Feld» 
marichall in venetianiſche Dienjte am 15. Dftober zum 
Neichsgrafen erhob. Diejer treffliche Heerführer fand allerdings 
im gebruar 1716 in Korfu nur 1600 Mann, die er mit 
Mühe bis auf 3000 (dabei nur 50 Artifferijten) verſtärkte. 
Die Flotte dagegen zählte mit Einſchluß päbjtlicher und 
maltefiiher Schiffe 48 Lintenichiffe und 130 Fleinere Fahrzeuge. 
As endlich die osmaniſche Flotte (135 Segel und 21,000 
Mann) bei der durch Schulenburg mit unerbörter Anftrengung 
wehrbaft gemachten Injel Korfu erjchten, am 5. Juli bei 
Butrinto ſich mit dem Landheere des Kara Muftapha ver- 
einigte, und nachher 30,000 Mann auf ver Inſel landete, 
welhe am 25. Juli die Belagerung eröffneten: da bat ver 
deutihe Held auf griechiihem Boden jeinen Ruhm glänzend 
bewährt und das Glück zu den Fahnen der Republik wieder 
zurüdgeführt. Am 1. Auguft begannen die wüthenden Sturm- 
angriffe der Osmanen. Aber in den grimmigen Kämpfen ver 
folgenden drei Wochen brachte Schulenburg mit feinen großen- 
tbeil8 deutichen Zruppen den Osmanen eine Neibe fchwerer 
Schläge bei, To daß fie endlich am 22. Auguft einen ſchimpf⸗ 
lihen und verluftvollen Rüdzug antraten. Die Botichaft von 
dem gewaltigen Siege des Prinzen Eugen bei Peterwarbein 
(5. Auguft), wo der blutige Kumurdſchi felbft tödtlich ver- 
wundet wurde, demoraliſirte die Osmanen vollends. Und 
wenn nun auch die Angriffe des Admirals Pifani auf Modon, 
Donita und Preveja, die Schulenburg widerrathen hatte, 
erfolglos blieben, fo eroberte Schulenburg ſelbſt dagegen zu 
Anfang September die epirotiihe Feſtung Butrinto, und 
beſetzte auh Santa Maura wieder, wo die Schanzen im 
November erneuert wurden. Der tapfere Thüringer, der im 
December nach den Lagunen zurüdfehrte, wurde von ber 
wieder aufathmenden Signorie mit glänzenden Ehren aus 
gezeichnet. Außer anderem befchloß man, feine Neiterftatue in 
Korfu aufzuftellen, die dann im Jahre 1718 dafelbft auf dem 
großen Waffenplage enthüllt wurbe. 


1% Buch I. Kap. II. 3. Friebe zu Paffarowig 1718. 


Das Kriegsjahbr 1717 war für die Pforte nicht minder 
unbeilvoll, denn im Norden zwang Prinz Eugen die Feſtung 
Belgrad, am 18. Auguft zu kapituliren. Schulenburg 
bagegen (gegen deſſen Rath der Admiral Pifani im Juni die 
Flotte von Korfu bis nach Imbros Hatte gehen laſſen, bie 
dann gegen den neuen Kapudan⸗Paſcha Ibrahim von Aleppo 
bei dieſer Inſel umd nachher bei Cerigo vühmlich, aber ohne 
Erfolg focht) vermochte noch im Herbite von Santa Maura 
aus zuerſt Preveſa (22. Oktober), dann auh Von itza (im 
November) zu erobern. 

Dagegen gelang ihm, in einer Zeit, wo ber Wiener Hof 
bereit8 während ber durch den ſpaniſchen Miniſter Alberont 
veranlaßten neuen polittihen Verwicklungen im Weften und 
in Italien den Frieden mit der Pforte ernftlich in Ausficht 
nahm — im Sommer 1718 die Eroberung der albanefifchen 
Küfte nicht, die er (durch feinen venetianiichen Kriegsrath 
überftimmt) wiber feinen Willen mit einem Angriffe nicht auf 
Durazzo, fondern auf ‘Dulcigno hatte beginnen müfjen. Am 
11. Auguft wurde Albanien wieder geräumt. Am 21. Iuli 
1718 war bereits zu Paſſarowitz der Friede auf Grund 
des „uti possidetis“ (ohne den Grundſatz allzu genau zu 
nehmen) gejchloffen worden. Abgejeben von der Herftellung 
feiner alten merkantilen Verhältniffe zur Levante und der 
Herabjegung der Zölle von fünf auf drei Procent (was am 
27. Juli ftipulivt wurde), trat jeßt Venedig Tinos, 
Mykonos, Suda, Spinalonga, Aegina und Morea definitiv an 
die Pforte ab. Es erhielt aber in Dalmatien eine verbefjerte 
Grenze, und bebielt außer den alten toniichen Infeln mit 
Santa Maura noch die Feſtungen Butrinto, Parga, Pres 
veſa und Vonitza, jede mit einem Gebiete von einer Stunde 
im Umkreiſe. Zurüdgegeben wurden der NRepublif die Infeln 
Gerigo und Cerigotto. 

Damit fchließen dann die jeit Enrico Dandolo begonnenen 
Kämpfe der Venetianer um eine neue Herrenftellung in ver 
Levante für immer ab. Graf Schulenburg ift allerbings 
bis zu feinem Tode (1747) in venetianifchen Dienſten geblieben 











Zuftände in Moren. 191 


und arbeitete nach Kräften, der Republik die Reſte ihrer 
griehifchen Beflgungen zu fichern. Er forgte namentlich 
für deren ausgiebige Befeſtigung. Auf Korfu, wo no am 
28. Oftober 1718 eine furchtbare Pulvererplofion gräßliche 
Verwäftungen angerichtet Hatte, auf Zante, Santa Maura 
und die epirotiichen Fejtungen wurden ſehr beveutende Summen 
verwendet. Die Odmanen wenigftens find nicht wieder in bie 
Lage gekommen, die Defenfinfraft diefer neuen Bollwerke auf 
bie Brobe zu jtellen. 


Drittes Kapitel. 
Gefchichte Griechenlands von 1718 bis 1788. 


I. 


Die kurze Epiſode der venetianiichen Herrichaft in Morea 
und die Erfahrungen, welche die Pforte während der von uns 
jo eben gejchilverten Pertobe im Norden wie im Süben ber 
Balkanhalbinſel gemacht hatte, find von bleibender und zwar 
entichteden günftiger Wirkung für das weitere Schidial der 
Öriechen, und zwar nach ſehr verſchiedenen Seiten hin geweſen. 
In erfter Reihe ift da zu fagen, daß nach dem Urtheile 
ſachkundiger Beobachter die ttalientjche Herrichaft im Pelo- 
ponnejos Teineswegs fpurlos vorübergegangen ift. Mochten 
immerhin die alten Zuftände, wie fie vor dem Erſcheinen 
Moroſini's in Meffenien, in Morea bejtanden hatten, 
äußerlich wieder bergeftellt worben jein (nur mit ber Ver⸗ 
änderung, daß jekt ver Sit des Paſcha's nah Tripoliga 
[5. 71] verlegt wurde 1)); mochte immerhin der orthodore 


1) Bol. v. Maurer a. a. O., Th. J, ©. 61. 


12 Bud I Kap. II. 1. Die Zuftände in Morea feit 1716. 


Grieche die Anweſenheit der Osmanen im Lande jener ber 
katholiſchen Venetianer vorziehen: die Saat, welche Venedigs 
intelligente und tbatkräftige General» Proveditoren ausgeftreut 
hatten, war doch nicht wieder zu vertilgen. Die Berührung 
wit einer verjtändigen und vielfeitig anregenden civilifirten 
Regierung blieb trog alles confeiltonellen Gegenſatzes bei den 
riechen Teineswegs ohne nachhaltige Wirkung. Es war doch 
die ſtumpfe Ergebung in die öde türkiſche Knechtſchaft ver- 
ſchwunden. Die dreißig Jahre neuer Anregung hatten doch 
bahin gewirkt, daß die Moreoten des achtzehnten Yahı- 
bunderts nicht mehr in dem Grade apathiich und waffenſcheu, 
und zugleich ungleich bildungsbegieriger auftraten, denn zuvor. 
Ihre Ianpwirthichaftliche Produktion und ihr Verkehr, nun 
mehr auch wieder von den Beichränfungen der venetianiichen 
Merkantilpolitif befreit, mwächft zujehennd. Der Landbau, ber 
ergiebige Weinbau, die noch ergiebigere Anlage der Korinthen⸗ 
gärten auf der Nordküſte des Beloponnefos !), das Alles 
ſchuf den Griechen dieſes Landes allmählich einen neuen Wohl- 
ftand. Auch jonft entwidelten fich neue interefjante Handel 
verbindungen. Dabin gehört die Anſiedlung von arabiſchen 
Hanvelsleuten auf verichiedenen Punkten von Elis, wie 
namentlich Gaftunt, Pyrgos und Derwiſch⸗Tſchelebi, die fich 
bis zu der Erhebung der Neugriechen daſelbſt behauptet haben ?). 
Dazu aber nahm unter den Griechen das Gemeindeleben einen 
neuen Aufihwung; wie denn die ſyſtematiſche Ausbildung 
verichiedener Rechte (S. 108 ff.) nach diefer Richtung doch wohl 
erft diefer Zeit angehört, und zwar indireft in Folge des 
Einflufjes, welchen die Zuftände feit Morofini’8 Stege und 
dem Garlowiger Frieden auf die Behandlung der chriftlichen 
Untertbanen Seitens der Pforte ausgeübt hatten. 

Trotz des vorübergehenden milttärifchen Wiederaufichwunges 
der Osmanen durch die Thatkraft und Begabung des Ali 


1) Vgl. Curtius, Peloponnefos, Thl. I, ©. 408. 421. 
2) Dal. Fallmerayer, Geſchichte von Moren, Thl. IL, ©. 448 |. 
u. 456. 


Die Zuftände in Morea feit 1715. 18 


Kumurdſchi war es Doch nicht zu verfennen, baß die Pforte 
aufgehört Hatte, dem Abenblanbe wirklich furchtbar zu fer. 
Sie war bereits darauf angewiejen, ſehr ernſthaft auf Die 
politiichen Gegenſätze unter den Staaten der Chriftenheit 
rechnen zu müfjfen, und konnte ſich nicht mehr völlig taub 
gegen die Wünfche großer befreundeter Mächte in Bezug auf 
die Lage der Ehriften in ihrem Neiche verhalten. Andere 
Eriheinungen aber hatten fi noch empfinvlicher geltend 
gemadt. Am Hofe von Stambul hatte man mit wahrem 
Entſetzen bemerkt, daß während des Krieges mit dem ,,beiligen 
Bunde’ (1683 — 1699) aus den nördlichen Provinzen der 
Balkanhalbinſel die füdflawiihen Rajah zu vielen Tauſenden 
nad den öfterreichiichen Grenzländern auswanderten. Eben fo 
it bereit8 erzählt worden (S. 166), daß während ber 
venetiantfchen Herrichaft in Moren die Auswanderung ber 
griehiichen Aumelioten nach dieſer Halbinjel fich ununter- 
brochen fortgejett Hat. Die Entvölferung der osmaniſchen Pro- 
vinzen von nüßlichen fteuerzahlenden Einwohnern nahm bald 
jolde Dimenfionen an, daß man fich nicht mehr mit dem 
Abftrömen der unruhigen und unzuverläffigen Elemente unter 
den Untertbanen tröften konnte Es mußte daher nach ver- 
ſchiedenen Seiten hin der Drud gemilvert werden, ber bisher 
auf den chriftlichen Unterthanen laſtete. Dahin gehört unter 
Anderem die allmähliche Umwandlung der perjönlichen Lajten 
der Rajahbevölkerung in Gelb und Naturallteferungen. Dahin 
auch die Befreiung der Moreoten nach ber Eroberung des 
Landes für zwei Jahre von der Grundſteuer, und die Be- 
freiung aller (nach dem Frieden von Paſſarowitz) zu neuer 
Anfiedlung in Morea veranlaften Eoloniften von dieſer Steuer 
für bie erften drei Jahre). Zu einem planmäßigen Shitem 
bat es die Zufallsnatur des türfifchen Despotismus nun 
allerdings damals nicht zu bringen vermocdt. Nach mie vor 
blieb die ſchwerſte Laſt für bie Rajah, wir denken Hier ſpeziell 


1) Finlay , Greece under othoman and venetian domination, 
p. 283. 
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. IIL. 13 





1% Buch J. Kap. III. 1. Lage ber Griechen unter osmanifcher Herrſchaft. 


nur an die Griechen, daß aud bei wohlmeinenven Abfichten 
ber Centralvegierung die Willfür und Grauſamkeit der Pafchas, 
Woiwoden, Kadis und Gensdarmen nicht Leicht zu brechen war. 
Sneonfequenz, Yaune, Willfür blieben Doch im Allgemeinen 
das Charakteriſtiſche der Verwaltung. Übergriffe ver einzelnen 
Osmanli als ZTimarioten, Soldaten und Gensdarmen; Ers 
prefjungen, die oft mit Gewaltthaten und blutiger, ſchnöder 
Juſtiz verbunden waren; Angriffe auf bie Ehre der Weiber; 
Entführung junger griechtiher Mädchen in die Harems ber 
Großen, was die Griechen zu ber jchlimmen Sitte trieb, ihre 
Töchter unzeitig früh zu verheirathen; dann wieder launenhafte 
oder grundthörichte Wirthichaftspolitit, wodurch zuweilen mit 
Einem Schlage neu entjtehende hoffnungsreiche Induſtriezweige 
zerjtört wurden: das blieben freilich die dunklen Schattenfeiten 
der osmantjchen inneren Regierung auch nach ben Friedens 
ihlüffen von Carlowig und Paſſarowitz, — Schäden, welde 
bie Moreoten es bald bereuen ließen, daß fie der Austreibung 
ber Denetianer zugejauchzt Hatten, Schäden, welche has 
Klephtenthum immer lebendig erhielten. Aber wenn auf ber 
einen Seite die Kraft der Pforte jeit 1718 mehr und mehr 
erlahmte; wenn die Türkei bei den veralteten und verfallenen 
Zuftänden der Vorzeit beharrte und „in dumpfer und ftolger 
Selbitgenügiamfeit an den technijchen und materiellen Zort- 
fchritten ber europätfchen Welt nur wenig Antheil nahm”, 
jo hörte auf der anderen Cette jeit der Feſtſetzung ber 
Venetianer in Morea jenes Shitem auf, welches einem Auf 
ſchwunge der Griechen aus fich heraus bisher wiberftanben 
- hatte. Die Pforte öffnete einerjeitd in noch weiterem Um 
fange als bisher den griechtihen Sanarioten neue um 
wichtige Staatsämter in ihrem Reiche, und ftellte andererjeitd 
dem unter lebhafter Mitwirkung des Fanars mehrfach erw 
wacten Bejtreben der Griechen, auf dem Wege höherer 
Geiftesbildung ihre Nation zu verjüngen, und zugleich wäh 
rend einer langen Reihe von Friedensjahren ihren materiellen 
Wohlſtand emporzubringen,, feine Schwierigkeiten im ben 
Weg. 











Der Grofdragoman Alerander Mauroforbatos. 1% 


Weitaus der gefeiertfie unter den Fanarioten jener Periode 
var Alerander Maurofordatos, der Ahnherr einer 
Familie, die feit feiner Zeit mit den Schickſalen der Neugriechen 
innig verbunden geblieben tft. Sein Vater Nikolaos (der erfte 
Maurokordatos, deffen die Quellen gedenken) war 1599 auf 
Chios geboren und als Seidenhändler zu Reichthum und 
Anjeben gelangt; er kam nachher nach Stambul und heirathete 
dort die Wittwe eines iwalachtichen Fürften, Rorandra aus 
dem reichen Haufe Starlatos )). Sein Sohn Alerander 
nım ftubirte in Padua und Bologna Medien — (wie feit 
jener Zeit bis auf Kolettis, Zografos, Glarakis fo viele tüchtige 
Griechen, die dann ebenfalls ihrer ärztlichen Prarts den erjten 
Einfluß bei den Osmanen verdankten) —, ſchrieb ein geſchätztes 
Wert über den Umlauf bes Blutes, und wirkte in Stambul 
als Profeffor der Philofophie und Medicin an der 1661 
von dem reihen Manolafis aus Kaftoria neben ber alten 
Patriarchenfchule für den Fanar neu geftifteten und glänzend 
ausgeftatteten Hochſchule, deren Anlage in dem Wieder» 
erwachen bes griechiichen wilfenfchaftlichen Bildungstriebes neben 
ben kirchlichen Bahnen Epoche machte, und welche eine Reihe 
ausgezeichneter Lehrer befeflen hat?). Durh Empfehlung 
eines angejebenen Türken wurde Aleranber, deſſen Gewandtheit 
in der griechifchen, lateiniſchen, italieniſchen, franzöftichen 
Sprade, wie im Slawiſchen, Türkiſchen, Berfiichen und 
Arabifchen berühmt war, zweiter Dolmeticher; nachher fungirte 
er als Großlogothet oder Schagmeifter des Patriarchats, bis ihn 
dann nach dem Ableben des Großdragoman Panafotafis Nikufios 
(S. 99) im Oftober 1673 fein Gönner, der Großweſſir 
Ahmet Köprili, an deſſen hochwichtige Stelle erhob. Als 
Großdragoman der Pforte und Leibarzt des Sultans Hat num 
Alerander während eines Menſchenalters eine höchſt bedeutjame 


1) Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, TH. L 
©. 2. | 
2) Bol. v. Maurer a. a. D. ©. 428. Nicolai, Gecſchichte ber 


neugriech. Litteratur, ©. 24. 52f. 74. 13* 


196 Buch I. Rap. III. 1. Das Haus Maurolorbatos. 


Rolle geipielt. Ein Dann von durchaus tüchtiger Art, hat 
diefer Chiote, den die Osmanen für viel ehrenwerther und 
zuverläffiger erfannten, als die falfche und intriguante Maſſe 
der Fanarioten, auch höchſt ausgezeichnete diplomatiſche Fähtg- 
keiten entmwidelt, die ihn der Pforte noch werther machten. In 
Wahrheit ver Chef des auswärtigen Amtes in Stambul, it 
er nach Abichluß des Carlowitzer Friedens, der ihn auf ben 
Gipfel des Ruhmes führte, von Kaiſer Leopold (vorläufig 
ohne daß die Osmanen biefes „Familiengeheimniß“ ber 
Maurokordatos erfuhren) in den Würftenftand erhoben 
worden 1). 

Die unerhört glänzende Laufbahn Aleranderd bat nad 
drei Seiten bin auf die weitere Entwicklung bes Griechen: 
thums unter der osmaniſchen Herrichaft gewirkt. Einerſeits 
nemlich bediente ſich die Pforte zunächſt ſeiner eigenen Familie, 
um gebildete, in Geſchäften tüchtige und ihrem Intereſſe 
ergebene Griechen nun auch noch in anderen hohen Staats⸗ 
ämtern zu verwenden. Die Pforte hatte zur Zeit ihres 
1715 erneuerten Krieges mit Venedig und Oſterreich ernſten 
Grund, die Zuverläſſigkeit der Rumänen in der Moldau 
und Walachei zu bezweifeln. Sie entſchloß ſich daher, die 
Regierung dieſer Provinzen in die Hände der Fanarioten 
zu legen, und wählte zu ben neuen Ämtern der griechiſchen 
Woiwoden oder Hospodaren zuerit Die Söhne des Alerander 

Maurokordatos. Der ältefte Sohn Nilolaos, der nad 
des Vaters Tode (1709) Pfortendolmeticher geworden, hat 
fett 1712 zuerſt al8 Hospodar in der Moldau, feit Februar 
1716 aber in der Walachei in dieſer fürftlichen Stellung 
regiert. Freilich ſchon im November deſſelben Jahres burd 
deutiche Truppen gefangen genommen, wurde er zumächft durch 
feinen Bruder Johannes erfeßt, und übernahm die Regierung 
erſt 1719 wieder. Nachher ift ihm 1731 fein Bruder Kon 
ftantin gefolgt, der zwei Jahre fpäter die Regierung ber 


1) Zinteifen a. a. O. © 47. Mendelsfohn- Bartholdy 
a. a. O. S. 25. 





Die fauariotiſchen Hospodare in ber Walachei und Moldau. 197 


Moldau übernahm !), und dann noch wiederholt bald im 
Buchareft, bald in Jaſſy die Herrſchaft führte. 

Die Eröffnung diefer beiden wichtigen Plätze für Griechen 
aus dem Fanar Hatte höchſt intereffante Folgen. Zuerſt 
nemlich iſt aus dieſer Hohen Beamtung ein neuer fürſtlicher 
Adel unter den riechen entftanden, der allerdings auf dem 
lediglich demokratiich rafirten Boden des gegenwärtigen neu⸗ 
griechiichen Königreiches feine Geltung mehr hat, aber nörblich 
vom Othrys noch immer von Bedeutung geblieben if. Die 
Söhne nemlich der Hospodaren, auch wenn fie nicht in ben 
Donaufürftenthümern geboren waren, führten den Fürftentitel 
fort, zum Theil mißbräuchli, da?) nur den Maurokordatos, 
Kallimachi, Muruſi, Sutzo, Hypfilanti und Handjery dieſe 
Berechtigung zuerkannt wurde. Von den großen und noch 
heute vielgenannten Familien des Fanars, die als Hospodare, 
als Großdolmetſcher, ſpäter auch als auswärtige Geſchäftsträger 
der Pforte nach einander in die Geſchichte eingetreten ſind, 
und unter denen die Maurokordatos, Sutzo und Hypſilanti 
bei ihrer Nation den glänzenvften Namen erworben haben, 
find aber nur wenige jebr alten, und nicht alle urjprünglich 
griechiichen Stammes. Aus Stambul jelbjt gingen hervor die 
Handjery, die ihren griechifchen Namen Zatilianos mit einem 
orientaliichen Titel vertaufchten, und die Argyropulos. Die 
Maurokordatos waren aus Chios gelommen, die Maurogenis 
aus Mykonos. Die Hyypſilanti und Muruſi führen ihre 
Abkunft anf den Abel von Trapezunt, bie Rakowitza und 
Manol-Bada auf Kleinafien zurüd. Die Ghika find albanefiichen, 
die Rojetti anjcheinend moldo⸗wlachiſchen, die Julianos - ficher 
fränfiihen Stammes, die Kallimachi aus der Moldau, die 
Karadja aus Raguja, Die Sutzo aus Bulgarien in Conftantinopel 
eingewandert 3). 


1) Bgl. Zinteilen a. a O. ©. 538 ff. und Finlay 1. o. 
p. 296g. u. 859. 

2) So nad Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 1%. 

3) Diefes das Ergebniß der Unterfuchungen bei Hopf, Griechenland 
im Mittelalter, Bd. 86, S. 189F., der auch noch bie chiotiſchen Mauro⸗ 





198 Buch L Kap. II. 1. Das Griehentbum in Rumänien. 


Die Anpflanzung der griediihen Füriten in 
ber Moldau und Walachei wirkte aber nach mehreren 
Seiten hin politiich böchft eigenthümlich. Für längere Jahre 
entichieven zum Wortheil der Pforte. Durch die Eröffnung 
ber transdanubiſchen Provinzen für die griechiichen Machthaber 
feflelte jie allmählich eine ganze Reihe mächtiger fanariotiicer 
Gejchlechter auf das Engfte an ihr Intereſſe. Mehr aber, 
demjelben Zuge folgte auch eine Mafje Griechen aus ben 
mittleren und unteren Schichten dieſes Volles. Denn bie 
großen griechiichen Familien meinten jegt, fich bier gewiſſer⸗ 
maßen eine neue Provinz erobern zu können, und zogen 
überaus zahlreiche Griechen al8 Diener und als Beamte in 
allen Stellungen, ſpäter auch al8 Soldaten nach Rumänien. 
Der griechiiche Kaufmann und Gewerbetreibende folgte vielem 
Zuge. Das Land wurde in der That bis zu einem gemiflen 
Grade gräcifirt, derart daß aus ſolchen Verhältnifien heraus 
wenigftens zum Theil jener furchtbare Mißgriff des Alerander 
- Sppfilantt fich erklären läßt, der etwa hundert Jahre nad ber 
Entjtehbung der Fanariotenmacht in Rumänien den griechiicen 
Befreiungsfrieg gegen die Pforte bier eröffnen wollte In 
Wahrheit konnte jedoch die griechiſche Herrſchaft bei den 
Rumänen nur wenig populär werden. An Wohltbaten hat 
es allerdings nicht gefehlt. Nikolaos und Konftantin Mauro⸗ 
kordatos, beides bochgebildete Männer, gaben in ver That 
den erften Anftoß zur Civiliſirung dieſer Provinzen. Kon 
ftantin war auch für die materiellen Intereifen thätig, führte 
die Maiskultur ein, „löſte das Band, welches die walachiſchen 
Bauern bisher an die Scholle gefeifelt Hatte‘. Und wenn 
auch das Griechenthum, bisher nur durch die griechiſchen Abte 
der (dem heiligen Grabe oder den Klöftern des Athos und 


torbatos urfprünglih aus Mykonos flammen läßt. Bol. auch noch 
Finlayl.c. p. 295 u. 859. v. Maurer a.a.0. S. 9 ff. 2. 
Fallmerayer in der Vorrebe zu dem zweiten Theile feiner „Geſchichte 
von Morea“ (S. XXXIU) leitete auch die Kallimachi aus Trape⸗ 
zunt ber. 





Das Griechenthum in Rumänien. 199 


des Sinai untergeorbneten) vumäntichen SKlöfter vertreten, 
durh die civilifatoriichen Arbeiten der Maurokordatos und 
durch das Aufblühen der beilenifchen Studien. in der griechiichen 
Schule zu Buchareft den Hauptgewinn bavontrug, fo kam das 
Aled doch auch den Rumänen zu Gute‘). Aber im Ganzen 
gewann die fanariotifche Herrichaft bei den Rumänen feine 
Beliebtheit. Mit Ausnahme der Regierung einiger wirklich 
tüchtigen griechiichen Hospodare galt die griechtiche Herrichaft 
in Jaſſy und Buchareft, die in Stambul von den Miniftern 
der Pforte Seitens der Fanarioten mit jchwerem Gelbe er- 
dandelt wurde, mit ihren geldgierigen Beamten als härter 
und fchlechter, denn jene, welche die türkiſchen Paſchas in ven 
benachbarten Provinzen des Reiches ausübten?).. Bei dem 
Charakter der meiften Yanarioten, denen wohl ein gutes Maß 
bon Intelligenz und Talent, aber auch bie tiefite Verdorben⸗ 
beit, Kriecherei gegen die Osmanen und hochfahrendes, gewalt« 
fames, ſelbſt graufames Weſen nach Unten zugejchrieben wird, 
kann das allerdings nicht befremben 3). 

Die Eröffnung folder neuen Bahnen zu Macht und Ein- 
fluß erweckte num aber auch bei zahlreichen Griechen, zuerft 
im Fanar, dann auch jenſeits deffelben eine lebhafte Sehnjucht 
nach der Eroberung wiſſenſchaftlicher Bildung, wie fie 
ausichlieplih von der Kirche jchon lange nicht mehr geboten 
werben fonnte. Und bier kommen wir wieder auf ein ſehr 
großes Verbienft jenes Alerander Maurofordatos und 
ber beſſeren Fanarioten zu fprechen, die nun bie geijtige 
Überlegenheit der Griechen über bie Osmanen zu wecken und 
zur Geltung zu bringen, buch Gründung und Pflege 
von Schulen und Gymnaſien den griedifhen Geift 


1) Bgl. Mendelsfohn - Bartholdy, ©. 25. Nicolai, 
873 f. 

2) Finlay, p. 296— 301. 2gl. Eihmann, Die Reformen bes 
osmaniſchen Reiches, S. 19. 40. 

3) Furchtbar gehäfftge Äußerungen über die Fanarioten find mit- 
zetheilt bei Zinteilen a. a. O., Thl. VI, ©. 252, und Jirecel, 
Gedichte der Bulgaren, ©. 468. 





200 8.1 8.III. 1. Entſtehung nener griechifcher Bildungsanſtalten. 


zu weden, und auf dieſe Weile ihr Volk zu erneuern bedacht 
waren. 

Alerander Maurokordatos hatte Durch feirte glänzende 
Stellung als ausmwärtiger Minifter der Pforte auch auf die 
inneren Angelegenheiten einen bedeutenden Einfluß gewonnen; 
„feine Fürſprache rettete vor Galgen und Schwert, feine 
Thür war ftetS von bevrängten Griechen umlagert, er galt 
als ein Vater des unterdrückten griechiichen Volkes‘. Am 
bleibendften aber bat er fein Andenken bei ben Griechen ver- 
ewigt, indem er bei feinem bebeutenden Vermögen die 
geiftige Erneuerung des griechiſchen Volkes mit 
Wort, Schrift und That perjönlich mit Energie und Ausdauer 
förderte. Nicht nur daß er (wie feine Söhne) felbft ale 
Schriftfteller auftrat, — er regte einerfeitS an zur Ruckkehr 
zu den antik⸗helleniſchen Studien, andererjeits aber vollzog 
er fo zu fagen die Anerkennung der neugriechifchen 
Bulgäriprade im Fanar, und drang mit Eifer und Erfolg 
auf die Hebung, Pflege und verftändige Säuberung biejer 
bisher von dem Klerus und dem neuen Adel geringichätig 
behandelten Volksſprache. Bor Allem aber förberte, unter 
ftügte und regte er an die Stiftung von neuen bellenijchen 
Schulen in den verichtedenften Theilen der griechiichen Welt. 
Es bedeutete etwas wie eine nationale That; es fchuf für die 
zerftreuten Griechen einen neuen gemeinjchaftlichen Boden; es 
öffnete neue Wege zur Hebung fowohl der allgemeinen 
Bildung, wie des griechtichen nattonalen Gedankens, daß man 
in ben neuen, jet und jpäter in immer größerer Menge 
entftebenven Schulen die alte bellenifhe Sprade nidt 
mehr bloß (wie bisher in den mwenigen gelehrten Inſtituten zu 
Stambul, Chios, Ioannina) für geiftliche Zwecke, fondern nun 
allgemein zur Hauptgrundlage des höheren Unterrichtes 
machte ’). 


1) Vgl. Gervinus, Geſchichte d. 19. Jahrhunderts, Bd. V, Thl. J, 
©. 80f. Mendelsfohn-Bartholdy, ©, 25. Bgl. au Finlay 
l. c. p. 347 sq. Nicolaia. a. O. ©. 73f. 


Entſtehung neuer griechifcher Bilbungsanftalten. 201 


In ſolcher Weiſe entſtanden nun nach dem Vorbilde von 
Conſtantinopel (um 1700) theils neue helleniſche Schulen, 
theils wurden ältere oder ſchon während der letzten Hälfte des 
ſiebzehnten Jahrhunderts geſtiftete analoge Inſtitute zu 
Trägern dieſes neuen Geiſtes umgebildet. So wurde auf 
Pathmos die ältere Patriarchenſchule im Kloſter des heiligen 
Johannes des Theologen durch Maurokordatos zu einem 
„EAAnvopougetoy“ erweitert, mit Bildungsmitteln aus⸗ 
geitattet, gut botirt, und von dem Priefter Malarios 
tüchtig geleitet. Malarios felbft und bie Zunft ver Pelz. 
händler in Stambul ftatteten die Schule noch weiter 
aus ). 

Begnügte ſich der Peloponnes für jetzt noch mit der alten 
Kloſterſchule (ſ. unten) in dem arkadiſchen Dimitzana?), 
ſo wurde in Athen (wo die neuen Verſuche zur Hebung des 
wiſſenſchaftlichen Unterrichtes, die man 1667 begonnen hatte, 
in der allgemeinen Kataſtrophe ſeit 1687 wieder untergegangen 
waren) 1715 durch Gregorios Sotiris ein „Phrontiſterion“ 
der helleniſchen Wiſſenſchaft neu geftiftet, melches allmählich 
fröhlich emporblühte 8). Helleniihe Gymnaſien entftanden in 
Theifalien, in Zriffala und in Lariſſa, wo Bartbenios 1702 
das Mufeum jtiftete, litterariiche DBebeutung gewannen das 
makedoniſche Kofani, wie auch um 1715 Kaſtoria, Salonidi, 
und in Shralien vie belleniiche Schule zu Adrianopel. Geiftig 
befonders regſam erichienen jest die Griechen von Epirus. 
Her blühten nicht nur feit älterer Zeit zahlreiche Kloſter⸗ 
ſchulen. Die alte Hochſchule zu Joannina oder Janina, 
bie einft die Despoten des Haufes Angelos gegründet hatten, 
wurde durch die Stiftung des Manuel Skiuma 1675 er» 
neuert, dieje neue Schule jelbft (etwa jeit 1723) durch 


1) Für das Detail und für die Spezialfchriften hierüber fiehe 
Nicolai, ©. 34. 51. 63f. 110. 


2) Curtius, Beloponnefos, Thl. I, S. 3527. 
3) Nicolai, ©. 51. 54. 





W2 8.I 8.II. 1. Die neue geiftige Bewegung unter den Griechen. 


Balanos Bajilopulos in mehr moderner Weife um- 
gebildet ?). 

Dieje neuen Schöpfungen find für die weitere Ent- 
widlung Griechenlands im böchften Grabe bedeutungsvoll 
geworden. Die Pforte bat diefer neuen Bildungsweiſe 
feine Hinberniffe in den Weg gelegt. Ste ahnte nicht, daß 
aus diefen Schulen, die nachmals beftändig an Zahl und 
Bedeutung zunabmen, allmählich ein Geift und ein Aufſchwung 
ber Griechen hervorgehen follte, der den osmaniſchen Intereffen 
und der osmanischen Herrichaft ganz entſchieden feindlich war. 
Aber die neu gepflanzte Bildung erfchütterte bei ven Griechen 
allmählich auch noch ein Anderes, nemlich bie bis dahin um 
beſchränkte Herrichaft — nicht der Religion, wohl aber ber 
anatoliihen Kirche bei diefem Volle. Ihre Alleinherrichaft 
bei den Griechen war natürlich fchon dadurch erheblich ein 
geengt worden, daß neben dem Patriarchat die neuen einfluß. 
reichen weltlichen Stellungen der griechtiichen Miniſter und 
Fürſten im Dienfte des Sultans ausgebildet waren. “Die 
neue Bildung aber rief allmählich unter ben gebilbeten 
Führern der Nation eine Richtung hervor, die fich mehr und 
mebr von der ausſchließlichen Beichäftigung mit geiftlichen und 
firchlichen Interefien abwandte, dafür philologiſche Studien, 
moderne europätiche PHilofophie und exakte Wiffenfchaften in 
ben Vordergrund ftellte.e Wohl ericheint um die Mitte des 
achtzehnten Jahrhunders der Patrard Samuel noch 
unter den getitigen Führern der Nation. Aber allmählich, 
zum Theil jelbft durch europätich gebildete Priefter und Möonche 
getragen, drangen boch Ideen durch, welche — nicht oder doch 
nur felten gegen die Religion, wohl aber gegen die bunflen 
Schattenfeiten des byzantiniſchen Kirchenregiments fich richteten 
und von Seiten der litterariichen Vertreter der Kirche wie 
von dieſer felbft aus wieberbolt eine lebhafte Gegnerſchaft 
hervorriefen, die erft nach dem Austoben ber beftigjten, durch 


1) Bgl. Mendelsfohn- Bartholdy a. a. O. und Nicolai, 
©. 54ff. 110. 





Eugenios Bulgaris. 203 


die Schwingungen der franzöfiihen Revolution erzeugten 
Gegenfäge fich wieder ausglih. Im diejer Richtung beivegten 
fih bereit8 die erjten namhaften Männer,’ die in der neu 
griechiichen Litteratur Epoche gemacht haben, nemlich Eugenios 
Bulgaris und Nilepboros Thentofis. Bulgaris, der 1716 
als Sohn einer Familie aus Zante in Korfu geboren wurde, 
batte als venetiantjcher Unterthan feine Studien in Philoſophie, 
Phyſik, Mathematik und Philologie in Padua vollendet, war 
dann Diakon geworden und (1742 — 1746) durch die reichen 
und bochfinnigen Brüder Stmon und Lampros Maruſos oder 
Marutſis an die Spike der zivei Jahre vorher neben ber 
alten in Joannina neu gegründeten Lehranſtalt geftellt 
worden. Er ift nachher zu Koſani 1750 zum Schulhaupt 
befördert worden und gewann unter feinem Volke bald den 
Hänzendften Namen. Bulgaris war nicht nur von der 
univerfellen Neigung erfüllt, die fich jeit der Eröffnung der 
neuen Fitterariichen Bahnen jo vieler feiner wiſſensdurſtigen 
Landsleute bis in unjere Generation hinein bemächtigt bat. 
Er war auch wirklich ein univerjeller Getft, der bei jeltenen 
Gaben und eifernem Fleiße auf bie neue griechiiche Bildung 
theoretiich und praftifch ven größten Einfluß ausübte. Er gab 
den neuen Studien Methode, fchuf für die Vulgäriprache den 
Styl, der bis auf Koraid den Zeitgenoffen die Richtung gab; 
er felbft, genährt an der Philofopbie von Lode, Leibnig und 
Wolf, lehrte in den verjchiebenjten Fächern zu Janina und 
Koſani, fchrieb außerdem feinem Volke für Logik, Phyſik und 
andere Fächer vie noch fehlenden Lehrbücher. Der Ruf jeiner 
Bedeutung veranlaßte dann den Patriarchen Kyrillos, ihn 
1753 zum Scholarchen der auf dem Athos im Anjichluß an 
das Kloſter Vatopädion neu gebildeten Athonias - Akademie zu 
berufen, deren fieben Schüler unter Bulgaris’ tüchtiger Leitung 
fih durch Zuftrömen junger Leute aus den griechiichen Pro- 
binzen der Türkei und aus Rußland und Italien allmählich 
bis auf 170, ja endlich bis auf 200 vermehrten. Aber ber 
freie Geift des Bulgaris gerieth mit den Mönchen des heiligen 
Berges Schließlich in Conflikt. Dan trat ihm feindlich ent- 


204 Bud I. Kap. III. 1. Bulgaris. Theotokis. 


gegen, man verbächtigte jeine und jeiner Schüler Moral, und 
brachte e8 endlich dahin, daß er 1758 von Stambul aus 
abberufen wurde. ° Die Schule von Vatopädion ift dann ver 
fümmert und dem Vegetiven überlajjen geblieben. ‘Der Geift, ven 
Bulgaris Hier geweckt hatte, lebte fort auf ver nunmehr zu 
einer „Akademie“ erweiterten Hocdichule von Mefolongion 
(Miſſolunghi) in Aetolien, vie feiner Zeit der Theſſalier 
Panagiotis Balamas geftiftet hatte. Bulgaris aber, ver feit 
1761 jeine Lehrthätigleit im Fanar fortiegte, konnte fich auch 
bier nicht halten. Er iſt dann 1775 in ruſſiſche Dienite 
übergetreten, wurde 1776 Erzbiichof von Cherion und nah 
feinem Rüdtritte von dieſem Poften 1779 Mitglied ver 
fatferlichen Akademie in St. Petersburg, wo er enblich 1806 
gejtorben ijt!). Sein Zeitgenoife und Landsmann Niles 
phoros Theotokis von Korfu (geboren 1736), der in 
Padua und Bologna Philoſophie und Mathematik ſtudirt 
hatte, wurde ein nicht minder trefflicher Lehrer der Griechen 
auf den helleniſchen Schulen zu Korfu und Jaſſy und ſchrieb 
für ſein Volk eine Geographie, eine Experimentalphyſik und 
eine Mathematik. Auch dieſer Mann iſt 1775 in rujfilde 
Dienfte getreten, wurde dem erzbiichäflichen Site in Aſtrachan 
zugewiefen und ift 1800 in einem Klofter zu Moskau ges 
itorben 2). 

Zeigte fich aljo für längere Zeit die erft viel jpäter über» 
wundene Erjcheinung, daß im Großen die anatoliiche Siehe 
mit ihrem hierarchiſchen Syſtem und mit ihren Klöftern zu 
dem neuen Aufichwung in Schule und Wiſſenſchaft nur fühl 
und zögernd fich verhielt, während in glänzender Weife nad 
biejer Seite die Wohlthätigfeit vieler Privatleute und bildungs⸗ 
eifriger Gemeinden und Genoſſenſchaften fich entfaltete: jo 


1) Bol. Gervinusa.a.Dd. S.8lf. Mendelsfohn- Bartholdy, 
© 25 f. v. Maurer, ©. 429 f. Fallmerayer, Fragmente aus 
dem Orient, Th. II, S. 184 ff. Gaß, Zur Gefchichte der Athosflöfter, 
©. 44f. Nicolai, ©. 69. 110. 120. 123. Finlay ]. c. p. 3484. 
Sathas l. c. p. 616 sqq. 


2) v. Manrer, ©. 4305. Nicolai, ©. 124. 


Die Macht des Patriarchen 1766/7 auf Ipek u. Achriba ausgebehnt. 206 


machte auf anderen Punkten die griechiſche Kirche nicht 
unerhebliche Eroberungen. Wir meinen namentlich die Unter- 
werfung der (S. 80) feit der osmantichen SHerrichaft noch 
immer „autokephal“ verbliebenen flawtichen Kirchen auf der 
Balkanhalbinſel unter die Hoheit des byzantiniſchen Patriarchats. 
Schon 1737 war der Fanariot Johannes Hüpfilanti bei ber 
Pforte mit dem Borichlage aufgetreten, das Erzbisthum 
Ochrida aufzuheben, damit durch die Direkte Unterordnung ber 
Slawen unter die geiftliche Herrichaft von Eonftantinopel die 
(ſ. unten) Intriguen der damals mit den Osmanen frieg- 
führenden Öfterreicher abgeichnitten werben Könnten. Der Plan 
mißlang damals. Aber die Fanarioten, Die einerjeitd mit 
Hilfe der neuen Kirchengebtete die Schulden des byzantiniſchen 
Patriarchats deden, amdererfeitS bei dem neuen Aufichwunge 
des Griechentbums die Südſlawen möglichjt umfaſſend gräcifiren 
wollten, rafteten nicht. Die altbewährte griechiiche Zähigfeit 
trug den Sieg davon; und im Jahre 1766, als erit unter 
der Einwirkung ruffiiher Agitationen am Vorabende eines 
neuen Ruſſenkrieges und einer Bewegung in Montenegro 
(f. unten) der Erzbiſchof von Ipek fih ſchlimm compromittirt 
Hatte, wurde mit Zuftimmung der Pforte die ferbiiche Kirche 
von Jpek, am 16. Januar 1767 auch Ochrida (Achrida) mit 
Conftantinopel verbunden, der legte „autofephale‘ bulgariiche 
Erzbiichof von Ochrida, der Bulgare Arfenij, zur Refignation 
und Überſiedlung nach dem Athos genöthigt 1). Damit gewarın 
aber au die Gräcifirung ber Bulgaren dur die 
Kirche neues Leben und neue Energie. Die Slawen unter 
der geiftlihen Herrſchaft der Fanarioten mußten es jekt 
empfinden, daß die Griechen das erfte Volk unter der Hoheit 
der Osmanen waren, bei denen die volle Kraft des nationalen 
Gefühles neu erwacht war, während bei Slawen und Rumänen 
dieje Elementargewalt noch fehlummerte. Den Griechen gelang 
jest, etwa bi8 zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, 


1) Iirecet, Gefohichte der Bulgaren, S. 470. Bgl. 2. Rante, 
Die ſerbiſche Revolution, S. 327. 





206 Buhl. Kap. II. 1. Gräcifirung der Bulgaren durch bie Kirche. 


was den alten Gewalten ver Rhomäer von Baſilios II. bie 
auf das Haus Angelos nicht möglich gewejen, nemlic das 
bulgarifche Volk jeine Nationalität nahezu vergeffen zu machen. 
Auf Betrieb der griechiſchen Biſchöfe wurde überall in 
ben Kirchen bie ſlawiſche Liturgie Durch die griechiiche verdrängt, 
vor Allem zuerft in den Städten, dann auch auf dem Lande 
die Popenichulen gräcifirt. Unter Mitwirkung jelbft bulgarifcher 
Kaufleute wurden dann auch in rein bulgariichen Stäbten in 
Makedonien, Thrafien und dem eigentlichen Donau-Bulgarien 
bellenijche Lebranftalten gegründet; griechiiche Kultur (vie 
einzige, von welcher dieſe Slawen einen Begriff batten) 
begann das Land zu durchdringen. Die Popen wurden mehr 
und mehr aus Griechen und gräcifirten Bulgaren ergänt. 
Im neunzebnten Jahrhundert war, nur die Frauen au 
genommen, jelbit die Handeld- und Privatcorrefpondenz ber 
Bulgaren griechifch geworben; die Bulgaren der Städte fühlten 
fih beinahe als Griechen. Selbſt die Kenntniß der alten 
kyrilliſchen Schrift ging verloren; denn auch da, wo man bie 
griechtiche Sprache nicht lernte, konnte man das Slawiſche nur 
noch in griechiicher Schrift leſen und fchreiben. Nur auf dem 
offenen Lande erhielt fich bei der mißtrauischen und unzugäng- 
Yichen Art des bulgariichen Landvolkes und bei feiner Abneigung 
gegen die vielfach gelpgierigen fanariotiſchen Biſchöfe die bul- 
garifche Nationalität ungebroden. Die litterarifche Gegen 
bewegung, welche zuerft ber bulgariiche Mönch Pauſios oder 
Payfin von Samokov (geboren um 1720) in ben Athosklöftern 
Chilantart und Zografu 1758 — 1762 mit feiner bulgariichen 
Chronik, und nachher der Priejter Stojko von Kotel (geboren 
1739), nachmals unter dem Namen Sofrontj ſeit 1794 
Biſchof zu Braca (gejtorben 1816 zu Buchareft) beganı, 
blieb zunächſt auf das niedere Volt beichräntt. Wir zeigen 
jpäter, wie im neunzehnten Jahrhundert die Gräcifirung der 
Bulgaren ihren Hohepunkt erreicht hat und für lange Zeit 
behauptete ). 


1) Sirecet, ©. 507ff. u. S. 516-523. 








Auffhwung bes griechifhen Wohlftandes. Griechen in Breslau. 207 


Parallel mit dem neuen geiftigen Aufichwunge des grie- 
chiſchen Volkes Tief nun aber auch fett Ablauf der venetiantichen 
Zeit eine bebeutende Hebung feines materiellen Wohl- 
itandes, foweit diejelbe durch Handel und Schifffahrt erzielt 
werden konnte. Mit dem befinitiven Niedergange der venes 
ttaniihen Macht in der Levante und ber bleibenden Aus⸗ 
treibung der Flagge des heiligen Marcus aus Morea verband 
jih einerjeitö ein jehr ſtarkes Vorbringen des franzöftichen 
Handels nach den griechtfch-türkiichen Gewäſſern. Andererſeits 
bejannen fih die Griechen, beren nautifche Tüchtigkeit un⸗ 
unterbrochen jett Mohammed II., jobald fie nicht jelbft Cor⸗ 
jaren gewejen, theil® den Osmanen, theils den DVenetianern 
gevient hatte, wieder auf ihre uralte Begabung zum Handel. 
Bisher mehr auf Stambul, Moslau, Venedig, die vene- 
tianiſchen Pläge in Epirus gewielen, in ihren eigenen Häfen 
weientlich als Senfale und Mäkler thätig, begannen jie 
nunmehr mit wachſendem Erfolge den Handel in ihren Meeren 
wieder in ihre eigene Hand zu nehmen. Damit beginnt auch 
die Zeit, wo bie griechiiche Diaſpora fich anſchickt, ſich über 
die großen Handelsplätze theils des Meittelmeeres, theild des 
ruſſiſchen Reiches, tbeild auch des mittleren und weitlichen 
Europa zu verbreiten, bamit zugleih neue Verbindungen 
jwiichen Griechenland und ber europäifchen Kulturbewegung 
des achtzehnten Jahrhunderts Herzuftellen. Für uns ‘Deutiche 
iit e8 dabei interefjant zu erfahren, daß felbft in dem binnen- 
ländiichen Breslau unter König Friedrich II. von Preußen 
zwiichen 1742 und 1785 eine makedoniſche Colonie beftand, 
die in ihren beiten Tagen gegen funfzig Seelen zählte). Den 
entiheidenden Aufſchwung bat die junge Blüthezeit des 
griechifchen Handels aber erjt jeit dem rujfiich » türkifchen 
Frieden von Kutſchuk⸗-Kainardſche (1774) genommen, von 
dem wir bald zu reden haben. Nur daß die Griechen 
ſchon längſt ibrerjeits die Agenten, Confuln und ‘Dol« 


1) Bgl Beheim- Shwarzbadh, Hohenzoller'ſche Eolonifationen, 
©. 352 ff. 








208 Bud L Kap. III. 1. Venedig und bie ionifchen Infeln. 


metfcher der europätichen Mächte in der Levante geworben 
waren. , 
Die übrigen nicht jehr zahlreichen Thatfachen der grie 
chiſchen Geſchichte feit 1718 bis zu dem Kriege, ber zu 
Kutſchuk⸗Kainardſche feinen Abſchluß fand, ftehen zum Theil 
mit der Hanbelsgeichichte Griechenlands in Zufammenbang. 
Die allmähliche Zurüddrängung des venetianifchen Handels 
aus der Levante wirkte jehr lähmend zurüd auf die Finanzen 
der alternden Republit der Lagunen, und damit” wieber auf 
bie ioniſchen Inſeln (S. 191). Die Erhaltung der 
Schulenburgiſchen Feſtungswerke und der Truppen wurde immer 
fchiwieriger, je mehr die finanziellen Kräfte ber Republik ver 
ftegten, je deutlicher es fich zeigte, daß die griechtichen Be 
figungen den Venetianern allmählich mehr Hofteten, als fie 
einbrachten. Damit bing dann auch das Verſinken der Re 
publif in jene apathiſche Neutralität in ben levantiniſchen 
Dingen zufammen, bie ihre legten Zeiten charakterifirt. “Die 
Erneuerung des Friedens von Pafjarowig (1733) mit bem 
Sultan Mahmud I. — (der am 2. Oktober 1730 buch 
einen Aufitand der bürgerlichen wie ver Militär⸗Bevölkerung 
son Stambul an Stelle feines Oheims Ahmed III. auf ben 
Thron erhoben war, den er dann bi8 1754 einnahm) — für 
„ewige Zeiten”, bedeutete den freiwilligen Rücktritt ver 
Venetianer von ber levantiniichen Politit, die etnft der große 
Enrico Dandolo am Goldenen Horn eingeleitet Hatte. Die 
Nothwendigkeit aber, das Deficit der griechtichen Verwaltungs 
foften zu decken, führte die Republik zu einem drüdenden 
Steuerſyſtem in diefen Befigungen, welches deren produktiven 
Kräften erheblichen Eintrag that und auf dieſen Inſeln bie 
Deweglichlett und bie rege Entwicklung des Volles vielfad 
lähmte ?). 

Während aljo für die fpäteren Jahrzehnte bes achtzehnten 
Jahrhunderts die materielle und Die geiftige Lage der ioniſchen 


1) Bol. Zinteifen a. a. O. Thl. V, ©. 580ff. Hopf, Griedenl. 
im Mittelalter, Bd. 86, ©. 180. 





Tinos. Chlos. 209 


Inſeln unter Venedigs unmittelbarer Herrichaft allmählich eine 
gewiffe Stagnation zeigte, die in der Rohheit und Gewaltſam⸗ 
keit des niederen Volkes in unliebiamer Weile zu Tage trat, 
galt in dem ägäiſchen Meere die von der Republif Jahr⸗ 
hunderte lang milde und gefickt verwaltete Injel Tinos 
andauernd als die mohlgeorbnetite und blübenbfte unter den 
vielen griechiſchen Inſeln, die einit in italieniſcher Hand fich 
befunden Batten. Nur Chios behauptete unter den griechiichen 
See» und Inſelgebieten in jemer Zeit noch einen höheren 
Rang, obwohl die Steuerlaft der Inſel jeit 1727 erheblich 
erhöht worden iſt. Abgejeben von ber Blüthe jeines Land⸗ 
baues, feiner Inpuftrie, feiner Kultur, feines Handels gilt 
dieſes namentlich auch von dem moraliichen Charakter und bey 
Bildung der griechiſchen Chioten, bie in der That in jener 
Zeit als Die beiterzogenen, als die wackerſten und ebelften aller 
Griechen nicht mit Unrecht galten, venen man eben nur bie 
fleißigen, urbanen, anftändigen Griechen von Tinos zur Seite 
ftellte. Unexfreulichen Schatten auf das innere Leben der 
ſchönen Injel warf wur ein Moment, nemlich der fortvauernde 
Hader. zwilchen ben orthodoxen Griechen und ver katholiſchen 
Minderheit, welcher letzteren (5. 154) der franzöfiiche Einfluß 
endlich im Jahre 1719 den Beſitz der im Jahre 1695 ver- 
Iorenen Rechte wieder verfchafft hatte. Namentlich wurben bie 
Griechen durch die Thätigkeit franzöſiſcher Miſſionäre auf der 
Inſel zuweilen lebhaft erbittert; ſo beſonders ſeit 1724, bis 
ed der Orthodoxie 1728 gelang, die Pforte zum Einſchreiten 
gegen diefen Brofelptismus zu beftimmen !). 

Der Zeit endlich nach der Bertreibung der Benetianer 
aus Morea gebört der Anfang des neuen Aufichwunges a, 
den jet einige Inſeln Des ägäiſchen Meeres nehmen, welche 
gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts in den Vorder 
grund der neugriechtichen Geſchichte treten, nemlih Hydra 
und Spetzä. Hier fpielen freilich nicht Griechen, fondern 


1) Bgl. Finlay, Greece under othoman and venetian doamination, 
p. 283 sqq. 
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. II. 14 





210 Bud I. Kay. III. 1. Hydra und Spetzä. 


Albanejen die enticheidende Rolle. Albanefen hatten fchon 
nach der Eroberung von Aegina (S. 183) fih bier in 
Menge neu amngefievelt '), obne daß biefe Inſel jemals zu 
höherer Bedeutung wieder gelangt wäre. Uber nad ber 
Eroberung von Nauplion und Monembafia durch Die Osmanen 
(1715) geichah es, daß die Ältere, nur erft dünne Schaar ber 
Hirten, Bauern und Fiſcher auf Hydra und Spekä fih 
durch Auswanderer aus Morea erheblich vermehrte. Die 
griechifchen Flüchtlinge, die anjcheinend aus Monembaſia famen 
(neben noch älteren Elementen aus Parga und Zante), wurden 
aber an Bedeutung und Maſſe weit übermogen durch bie 
Albanefen, bie jegt in Menge aus dem öftlichen Pelo 
ponnes, namentlich aus Argolis, auf den beiden Telfeninjeln 
fih anfiebelten, um dem ihnen läftigen erneuten Drud ber 
moreotiichen Paſchas zu entgehen. ‘Die neue Eolonifation tritt 
fett etwa 1730 in beftimmteren Zügen uns entgegen. Auch 
diefe Inſeln ftehen num unter der Oberhoheit des Kapudan⸗ 
Paſcha; fie zahlen einen mäßigen Tribut, der für Hydra ſich 
Damals auf 200 Binfter (nicht ganz 30 Pfund Sterling) 
belief; Handel und nautiſche Tüchtigkeit gaben den Inſeln 
allmählich eine gewiſſe Bebeutung Wie die Albanefen der 
benachbarten feitländiichen und Inſel⸗Plätze Poros, Kaſtri und 
Kranidhi, bildeten fich die Hydrioten und Spegioten zu jehr 
tüchtigen Seeleuten aus. Das moreotiihe Municipalſyſtem 
wurde bier fortgepflanzt; nur daß die weientliche Macht in 
den Händen ber reicheren Schiffsfapitäne und Rheder lag. 
Auf Hydra wählte das Volk zuerft drei Primaten over 
Geronten, die in der albanefiichen Sprache Plekjerin genannt 
wurden). Wir werben fpäter bie Umſtände kennen lernen, 
unter denen dann diefe neuen Colonien fchnell zu einer außer 
ordentlichen Handelsblüthe gediehen. 


1) Finlay l. c. p. 84. 

2) ®al. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 37 
u. 88. Orlandos, loropla ray rpıäv vaurızav vhawv (s. Naurıza), 
tom. I, p. 13 qq. A. Miaulis, Die Infel Hybra, überſetzt von 
Peuder, ©. 5ff. 


Griechenland und bie rufftfche Politik. 211 


Mocte nun aber die Pforte immerhin nicht ohne be- 
deutende Erfolge es verjuchen, fich zu ben Griechen beſſer als 
früher zu ftellen: im letten Grunde Yebte doch bei ber grie- 
chiſchen Nation die Sehnſucht nach Befreiung von der osmaniſchen 
Herrihaft, — fo feltiam das auch nah den Erfahrungen 
eriheint, die zuletzt Venedig mit den Griechen gemacht hatte. 
Diefe Stimmung bat langſam, aber für mehr denn anderthalb 
Jahrhunderte fortdauernd, einen ganz neuen Charakter an- 
genommen, feit das glaubensverwandte Rußland durch 
jeinen Peter den Großen in die Reihe der mächtigften Staaten 
ber europätjchen Welt eingeführt wurde. Mochte auch ber 
große Czar 1711 am Pruth in feinem Kampfe gegen vie 
Osmanen gejcheitert fein: die Hoffnungen ber Griechen waren 
jest auf das große Slamenreich des Nordens gerichtet, beffen 
Deberricher ſchon längſt begonnen hatten, für Kirche und 
Staat ihre Diener aus dem griechiichen Volke zu ergänzen, 
und mit denen man fich durch die Religion eben fo entichieven 
verbunden fühlte, wie jcharf getrennt durch das Schisma von 
den katholiſch⸗abendländiſchen„Befreiern“. Peters reiche 
Schmud- und Bücherfendungen an die Klöfter und Metropolen 
Griechenlands, und fein Brief vom 23. März 1711 an bie 
griechiichen Untertbanen der Pforte blieben unvergeffen. Sein 
Name wurde von Prieftern und Mönchen denen der volks⸗ 
thümlichen Schußheiligen beigejellt. 

Die ruſſiſche Politik, deren Richtung auf ben pon- 
tiichen und byzantiniſchen Süden fich damals immer beftimmter 
berausbildete, war viel zu intelligent, um nicht Die großen 
Vortheile zu erkennen, bie aus ven griechiichen Sympathien 
für die Durchführung ihrer antitürkifchen Pläne gewonnen 
werden Tonnten. Als daher feit 1736 eim neuer Krieg zwifchen 
Nuflen und Osmanen ausbrach, an welchem jeit 1737 auch 
Öfterreich an der Seite Rußlands theilnahm, ba war es ber 
Rathgeber der ruffiichen Katjerin Anna, ver Generalfeldmarſchall 
Graf Münnich, welcher ven Gedanken aufnahm, Die griechiichen 
Chriften im türkiſchen Weiche ſyſtematiſch gegen die Pforte 
aufzuwiegeln. Materiell iſt damit damals noch nicht: viel 

14* 





212 Bud I. Kay. IIL 1. Die Klephten und Armatolen feit 1740. 


erreicht worben. In dem Kriege, der am 18. September 
1739 wit dem Belgrader Frieden abſchloß, Hatte Oſterreich 
nur Berlufte gehabt, Rußland nur wenig zu erreichen ver⸗ 
mocht. Venedig, dem die kriegführenden Mächte jogar (1737) 
Morea in Ausficht geſtellt, hatte die Theilnahme an einem 
neuen Türkenkriege entichteven abgelehnt. Die abenteuerlichen 
Projekte enplich, welche ver Kardinal Alberoni (1736) bei dem 
Beginne dieſes Krieges entwarf, und welche eine europäiſche 
Allianz gegen die Pforte und Theilung ber Türkei in Ausficht 
nahmen (unter Anderem jollte Stambul an ben Herzog von 
Holftein- Gottorp, Kreta und Smyrna an England, Rhodos 
an bie Niederlande, Negropente an Preußen, Livabien (dad 
Öftliche Meittelgriechenland) ar Genua, Morea an Venedig 
fallen!) blieben eben nur politiiche Phantaſien ?). 
Nichtsdeftoweniger datirte aus dieſer Zeit ein tiefed 
Mißtrauen der Pforte gegen die waffenkräftigen Clemente 
innerhalb ver chriftlihen griehifhen und griechiſch— 
albanefifhen Welt, nemlich gegen die Armatolen 
(S. 102). Seit diefer Zeit beginnen bie allmählich immer 
energiicher fortgefeßten Verfuche ver osmanifchen Centralgewalt, 
die Macht und Bebeutung dieſer chriftlichen Miliz ſyſtematiſch 
abzuſchwächen und dieſelbe dich mohammedaniſche, 
namentlich albaneſiſche Zruppen zu verdrängen. Damit be 
ginnen aber auch die unabläffigen Eriegerifchen Zufanmenftöße 
zwitchen den chriftlihen Armatolen und den Paſchas in Epirus 
und KRumelien, ber erneute höchſt emergifche Aufſchwung bed 
griechiſchen Klephtenthums, und das Höchft flüffige 
Verhältniß zwiſchen griechiichen Armatolen und Klephten. 
Kurz zuſammengefaßt, jo begann bie Pforte nach dem 
Trieben von Belgrad dieſes Werk damit, daß fie feit 1740 
von dem Princip abging, keine Albaneſen als Paſchas in ihrer 
Heimath und in Griechenland zu verwenden, ſondern jekt bie 
albanefifhen Mobammedaner, deren Bedeutung für 
das osmaniſche Keich uns jet in raſchem Steigen und ſchnell 


1) Bgl. Zinteifen a. a. O., Thl. V, &. 709 ff. 








Die Klephten und Armatolen feit 1740. 218 


zunehmender Ausdehnung begegnet, als Werkzeuge ber Unter« 
brüdung der griechiſchen Waffenkraft zu benugen. Mean 
verband alfo fett 1740 die Stellung des Derwendſchi⸗Paſcha 
(S. 103) mit dem Paſchalik von Joannina und verlieh das 
Amt dem Albanefen Suleiman von Argbhrofaftron, einem 
kühnen und thätigen Solbaten, der nunmehr die Zurückdrängung 
ver Armatolen eimzuleiten begann. Die Anwerbung und 
Organtfirung mohammedaniſcher Lolalmilizen unter zahlreichen 
Derwen⸗Agas; die übergroße Belaſtung griechifcher Gemeinden 
mit Forderungen für den Sicherheitsdienft, um viejelben zu ° 
veranlaſſen, daß fie Geldmittel aufbrachten zur Aufftellung 
geworbener Armatolen, die dann aus Albaneſen formirt 
wurden; die Duldung wilder Raubthaten, um hernach den 
Gemeinden der Griechen wegen der Unzulänglichkeit ihrer 
Miligzen Vorwürfe machen zu können, waren Mittel, deren 
fich die Schlauheit der Paſchas jetzt zu bedienen begann. 
Gelang es endlich, einen oder den anderen griechiſchen 
Armatolenführer aus ſeiner Stellung zu verdrängen, ſo war 
der offene Krieg zwiſchen Griechen und Moslims da. Dann 
verwandelte ſich der Armatole in den wilden Klephten, zog mit 
ſeinen Pallikaren in die Gebirge, warb neue Krieger an, zog 
die nächſten wilden Klephten an ſich, und fehdete nun in 
grimmiger Energie mit allen Mohammedanern der Ume 
lande. 

Aus ſolchen Verhältniſſen heraus entwickelte ſich nun jene 
Kriegsſchule, die ſeit 1821 den Griechen ſo ſehr zu Gute 
kommen ſollte; freilich nicht ohne auch Nachtheile nach ſich zu 
ziehen, unter denen die Griechen des jetzigen Königreiches noch 
heute zu leiden haben. Die Sache blieb natürlich nicht dabei 
ftehben, daß der kämpfende Armatole nach einiger Zeit feinen 
Frieden mit der türkifchen Regierung machte oder erzwang. 
Anch nicht dabei, daß die wachſende Unficherheit ihrer Stellung 
die Armatolen oft zum Losichlagen veranlaßte, um einer nur 
vermutbeten Gefahr zuvorzukommen. Das Bedenkliche war, 
daß wie gefagt das Verhältniß zwiſchen Armatolen und Klephten 
allmählich ein fehr flüffiges wurde, und daß die Lage großer 





214 Bub I Kap. II. 1. Die Klephten und Armatolen feit 1740. 


Theile Griechenlands e8 dahin brachte, daß aus dem 
Klephtenthum bis zu einem gewiſſen Grade eine nationale, 
von den Shmpathien der Nation getragene Inftitution werben 
mußte. Ein Moment, welches nach fchlieplicher Austreibung 
ber Osmanen aus Griechenland es auferorbentlich ſchwer 
gemacht bat, num auch die ſchlimmen Nachwehen folcher Ver 
bältnifje, nemlich das gemeine Räuberthum, endgiltig zu über- 
winden. 

Nah der militäriſchen Seite bin Hat der feit 1740 
- beitändig glimmende Gebirgs- und Heckenkrieg zwifchen Arma⸗ 
tolen, Klepbten und Mobammedanern im Laufe von achtiig 
Sahren jene ausgezeichnete leichte griechifche Infanterie aus 
gebildet, welche Hunger und Durſt und Strapazen jever Art 
leicht und ohne Murren ertrug, in törperlicher Gewandtheit 
und im jchnellen Marſchiren Außerorventliches Teiftete und mit 
vollendeter Sicherheit zu ſchießen verftand. Ihre Gefechtsart 
aber, die fih aus ber Natur ihrer Fehden entwidelte, wo 
felten nur dreihundert Mann, oft nur Hundert oder funfzig 
Pallitaren Einem Führer folgten — ausgezeichnet auf den 
Kampf in den Bergen, hinter Mauern, Klippen, Bäumen, 
ſchnell aufgeworfenen leichten Verichanzungen berechnet wie fie 
war, nemlih ein zähe genährtes, zeritreutes Plänklergefecht 
mit der Schußwaffe, und nur im Notbfall eim wilder 
Säbelangriff auf den Feind —, tft für den neugriechiichen 
Breibeitäfrieg nach mehreren Seiten Hin charakteriftiich ge 
worden. 

In anderer Weiſe wirkte das allezeit auf Kampf und 
Todesgefahr geſtellte Leben dieſer Gebirgskrieger nach der 
ethiſchen und nach der ſozialen Seite hin. Es iſt ganz 
unleugbar, daß dieſes Wildlingsleben, welches bekanntlich auch 
in einem Zweige ber neugriechiſchen Volksdichtung feinen oft 
erbabenen, oft wunderbar ergreifenden Ausdruck gefunden bat, 
mehrere wahrhaft großartige Züge unter dieſem Theile ver 
Griechen ausgebildet Hat. Der wilde Klephte mußte fid, 
fobald er nicht feinen Frieden mit den Türken machen und 
wieder Armatole oder „zahmer Klephte‘ werben konnte, alle 





Die Klephten und Armatolen feit 1740. 215 


zeit auf einen gewaltiamen Tod gefaßt machen. Fiel er gar 
ald Gefangener in die Hände der Moslims, jo erlitt er mit 
feltenen Ausnahmen den Henkertod, und zwar oft genug unter 
den ſcheußlichften Qualen, wie fie (mamentlich ſeit Alt« Pajche, 
defien wir bald zu gedenken Baben) nur immer die blutige 
Grauſamkeit der osmaniſchen und jchfypetariichen Nace zu 
erfinnen vermochte. Gegenüber foldhem Schickſal entfaltete 
nun der griechtiche Gebirgäfrieger eine wahrhaft bewunderungs⸗ 
würdige Todesverachtung und eine heroiſche Stanbhaftigkeit 
unter ben greulichiten Torturen, denen durch Abfall zum 
Islam fich zu entziehen, fich nicht Leicht auch eine. ſchwächere 
Natur zwingen ließ. Die Überlieferung der Armatolen und 
der Klephten bis herab zu den erſten Jahren ihres neugriechtichen 
Nationalkrieges iſt reich an ſolchen ſchauerlichen Tragödien, 
deren grauenhaftes Colorit nur durch den unerſchütterlichen 
Heldenmuth dieſer tapferen Opfer eine etwas lichtere Färbung 
erhält. Bei ſolchen Naturen iſt es dann auch nicht auffallend, 
wenn ihnen der Tod im Gefecht als der liebſte, ja als der 
einzige eines Mannes würdige galt, ja, wenn es Freundespflicht 
wurde, dem ſchwer verwundeten Genoſſen, den man nicht mehr 
retten konnte, den Kopf abzuſchneiden und denſelben mitzu⸗ 
nehmen, damit die Gegner ihn nicht öffentlich zur Schau 
ausſtellen könnten. Auch der Zug hob ſie hoch empor über 
das Niveau gewöhnlicher Räuber oder moderner Brigandage 
in anderen Ländern, daß ſie die Ehre gefangener Frauen und 
Jungfrauen ritterlich ſchützten, bis dieſelben ausgelöft waren. 
Mißhandlung, Entehrung, Demüthigung derſelben galt als 
Frevel. Es kam ſelbſt vor, daß die Pallikaren einen ihrer 
Chefs, der ſich an der Ehre einer gefangenen Türkin vergehen 
wollte, kurzweg niederſchoſſen. Auch die fromme Anhänglich⸗ 
keit dieſer Pallikaren an ihre Kirche, die einen ganz anderen 
Charakter trug als etwa die Bigotterie der alten und neuen 
unteritalieniſchen Banditen, gehört zu den auszeichnenden Zügen 
dieſer Männer, wie andererſeits die heroiſche Tapferkeit ihrer 
Frauen und die treue Anhänglichkeit an ihre Waffenbrüder. 
Ihr Leben ſelbſt in den Gebirgen, welches nicht wenige Züge 





218 Bud I. Kap. III. 1. Die Klepften und Armatolen feit 1740. 


althomerifcher Art wieder zur Ericheinung brachte, und jelbit 
anf gebildete Griechen und Abendländer einen eigenthihnlichen 
Reiz ausübte, erhielt durch die Sympathie der Hirten und 
des Landvolkes, deſſen Familien fich gegen allzugroßen Drud 
der Zürfen erft dann recht gefichert wußten, wenn einige ihrer 
Söhne und Brüder bei der nächſten Klephtenſchaar fich befanden, 
einen materiellen Rückhalt, der nicht zu unterjchägen war. 
Ihre Gelage zumal, wo der feurige Wein den zebratenen 
Hammel over Bod, das Harte Brod, das Wildpret des Ger 
birges würzte, gaben ihnen rechte Gelegenbeit, jene poetiſche 
Begabung, jene Beweglichkeit der Phantafte, des Wites und 
der Laune zu entfalten, die fich bei den Griechen bleibend als 
Erbgut fortgepflanzt haben. 

Andererfeits konnten aber auch dunkle Schatten- 
jeiten nicht ausbleiben. Alle Bewunderung, welche feiner 
Zeit die Klephturte bei den gebilveten Philhellenen des Abend- 
landes gefunden bat, kann doc die Thatſache nicht verbeden, 
daß die Art dieſes Gegenfages zu den Osmanen und moham⸗ 
medantichen Albanejen zu den furchtbarſten Gewaltthaten führen 
mußte. Es war nur natürlich, daß die entjegliche Graufamteit 
der mohammedaniſchen Henker auch die blutigen Neigungen der 
Klepbten herausforderte. Man mag biefe Griechen immerhin 
als „einfache, vaube, aber großmüthige Seelen‘’ bezeichnen, 
bie non Natur nicht grauſam waren. Aber ihre Rache an 
ben Feinden war, fobald ſie als die Sieger erjchienen, barım 
boch furchtbar. Und die Gefchichte des Freiheitskrieges und 
weiter jene ver Klephten des neunzehnten Jahrhunderts zeigt 
nur allzudentlih, daß fie nicht immer nur maſſenhaft niever- 
hoffen und nievermegelten, jondern auch manche Henkerkünſte 
von ihren Gegnern gelernt Hatten. Zu ſehr fchlimmen Com 
fequenzen bat es weiter geführt, daß ihr Krieg, bei dem jie 
eben außerhalb des Sriegsrechtes ſtanden, zu fehr großem 
Theile durch Raub und Plünberung geführt werden mußte 
Denn e8 war auf die Dauer nicht möglich, diele verwüſtenden 
Züge nur auf die Heerden, Grundſtücke und Perſonen der 
Mohammedaner zu beſchränken. Allmählich Hatten auch die 








Die Klephten und Armatolen feit 1740. 217 


Öriehen des Niederlandes barunter zu leiden, namentlich 
bann und ba, wo (wie beſonders in dem von Klephten minver 
bewohnten Morea) vie Klephturie mehr als Raub, deun 
als Armatolenkrieg auftrat. War der griechiſche Landwirth 
etwa Pächter oder Agent eines Türken; ſtand ber griechtiche 
Brimat oder Bilchof, Bope oder Klojterbruber etwa mit ben 
Osmanen gut; war etwa gar ein griechiicher Kanton der 
Raubfahrten fatt und mit den Zürlen in der Abwehr der 
Klepbten einig: dann wurden bie Griechen und ihr Eigen» 
tbum nicht beifer als die Moslims behandelt. Sa, dieſelben 
Klephten, die wohl unter Umſtänden ihre Kameraden an bie 
Zürfen auslieferten, wenn fie fih an einer Kirche vergriffen 
hatten, ſchonten dann ſelbſt vie Klöfter und die Priefter nicht. 
Unter ſolchen Verhältniſſen kamen die mit Brandſchatzung 
bedrohten griechiſchen Gemeinden nicht ſelten zwiſchen Klephten 
und Türken in eine höchſt unangenehme Lage. Bei den Ge⸗ 
birgöfriegern aber, und auch das lebte bei ſchlechten Führern 
während des Freiheitskrieges nachmals in böſer Weite fort, 
wurde die rüdjichtsloje Ausbeutung auch ihrer Landsleute 
vielfach ſchlimme Praxis 1). 

Sehr Schnell ift den albanefiichen Derwendſchi⸗Paſchas, deren 
die Pforte vor dem eigentlicgen Vernichter der Armatolen, 
dem furchtbaren Alis Bajcha, vier mit diefer Aufgabe betraut 
bat, die Zurüdprängung der Armatolen nicht gelungen, 
mochte auch Suleiman anfangs fich bald des Geldes, bald ver 


1) Über die Armatolen und Klephten vgl. aus ver reichen Litteratur 
bier nur; aus dem ſchon mehrmals genannten, auf Yauriel baftrten Buche 
„Mittheilungen aus der Gefhidhte und Dihtung ber 
Neugriehen”, ®b. I, ©. 69 — 95. Gänzlih rojenfarben ift die 
Schilderung in ben geiftreih und glänzenb gefchriebenen, aber freilich 
auch einfeitigen und an hiſtoriſchen Irrthümern und Ungenauigkeiten 
nur allzureichen, vielberühmten Bude der Gräfin Dora d'Iſtria, 
Les femmes en Orient, vol. I, p. 359 sqq. - Mit vieler Wärme und 
Sympathie fchildern die Hier zu berührenden Verbältnifie Gervinus 
(a. a. O. ©. 73 fi) und Mendelsfohn- Bartholdy (©. 49 fi.). 
Kühler und herber find die Urtheile bei Finlay 1. c., vol.I, p. 25—82. 











218 Bud L Kap. III 1. Die Sufioten. 


Ziwiftigleiten unter verfchtevenen Rapitänen nicht ohne Erfolg 
bebienen. Noch waren biefe Milizen zu zahlreich; noch konnten 
fich die Führer der Armatolen zeitweife ſelbſt im Niederlande 
gegen die albaneftichen Krieger behaupten. Namentlich bie 
Kapitäne in den ftärkiten Armatolils, in Makedonien, an dem 
alfezeit freien Olhmpos, und in Agrapha behaupteten fich mit 
Glück. Heftiger feste ihnen erſt der energiiche Kurd-Pafcha 
zu, der in feinem Paſchalik Berat, nachher auch in Joannina, 
ihr eifriger Gegner war, und namentlich die Durch den nächſten 
ruffiichen Krieg (ſ. hernach) erzeugte Unruhe in Griechenland 
als Handhabe benugte, um die Stellung der Armatolen zu 
erichüttern ). 

Wir jehen nachher, wie das erft feinem Nachfolger Ali-⸗Paſcha 
in größerem Umfange gelungen if. Zunächſt gebenten mir 
noch der beiden Berguölfer auf griechtichem Boden, deren eines 
ſchon jest den epirotiſchen Paſchas jtetS ein Dorn im Auge 
war, und welche beide demnächſt bedeutend in den Vordergrund 
ber griechiſchen Gejchichte treten, nemlich der Sulioten und 
der Maniaten. 

Die Sulioten ?) waren urjprünglich die Nachkommen 
albanefiicher Ehriften; fie gehörten zu den jogenannten Tſchamiden, 
einer ber drei Hauptabtheilungen der (Bd. II, S.384) Tosten. 
Die Entftehung aber ihrer nachmals jo berühmt geivorbenen 
Genoſſenſchaft war ziemlich jung. Die aufgelöften, "wilden 
Zuftände, welche namentlih durch die Erichütterungen ber 
legten neun Jahre des durch den Carlowitzer Frieden beendigten 
Benetinnerfrieges in dem norbweitlichen Griechenland berbeis 
geführt waren, Hatten in dem ſüdlichen Epirus zahlreiche 
Ehriften beftimmt, fich unter Zulaffung der Osmanen nad 


1) Mittheilungen, Th. I, ©. 70 u. 99f. und Finlaylc. 
p. 25 sq. 

2) Bgl. jetzt namentlih Finlay l.c. p. 5isgg,. Mendelsſohn— 
Bartholdy in Raumers „Hiftorifhen Taſchenbuch“, 4. Folge, VII, 
1867, in dem Artikel „Ali-Paſcha von Janina“, S. 107 ff. umd 
„Geſchichte Griechenlands”, TH. I, S. 88 fl. Zinfeifen wa. O. 
Thl. VII, ©. 270 ff. 








Die Sufioten. 219 


Art der Armatolen zum Schutze ihres Eigenthums zu be- 
waffnen. Auf dem Gebiete eines zu Joannina wohnenden 
Zimarioten in den wilden Kaffiopeifchen Bergen ſüdlich von 
Parampthia (etwa 13 bi8 14 Stunden in faft gleicher Ent» 
fernung von Janina, Arta und Prevefa), bildeten fich ur⸗ 
Iprünglih vier Gemeinden, welche burch einige von dem 
Joannina⸗Paſcha mit dem Waffenrechte privilegirte Armatolen- 
compagnien gefhüßt wurden. In dem Jahre 1730 jchäkte 
man die zur Waffenführung berechtigten Elemente des neu fich 
ausbildenden Stammes nur erft auf 100 Familien. Allmählich 
entwidelten fich die Verhältniffe bedeutender. Die ftolzen Krieger 
dieſes Diſtriktes bildeten eine ſoldatiſche Kafte, unter deren 
Schuß griechiihe und albanefiiche Bauern fi mit einer ge- 
wiſſen Sicherheit vor Übergriffen der Mohammebaner bewegten. 
AS dann gegen Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bie 
Sulwten in Fehden mit ihren moslemitiichen Nachbarn ger 
rietben, nahmen fie jeden mutbigen und thätigen jungen 
Chriiten aus dem Stamme der Tſchamiden in ihre Gemein« 
haft auf, und erlaubten ihm, wenn er fich als Krieger bes 
währte, ein firliotiiches Mädchen zu beirathen. So wuchſen 
fie an Zahl und Macht. Der Schreden der moslemitifchen 
Gemeinden von Paramythia und Margariti, ihrer immer 
feindlichen Nachbarn, fanden fie ftet8 an den Venetianern von 
Parga und Prevefa einen freundfchaftlichen Anhalt. Zur Zeit, 
als fie im vorlegten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts 
in Griechenland als eine politiihe Macht auftraten, beftand 
ihre waffenfähige Mannſchaft aus 1000 urjprünglichen An⸗ 
fieblern und 1500 Coloniften, den Bewohnern von fieben 
Gemeinden (Heptachorion), bie fi im Laufe ber Zeit an 
den Kern der vier eigentlichen juliotifchen Gemeinden angejett 
batten. 

Die Stärke und Bebeutung dieſes Fleinen Stammes 
berußte damals wie fpäter in erjter Linie auf der natürlichen 
Seftigfeit ihres Gebietes. Der Kern deſſelben war nemlich 
das wilde Gebirge über dem epirotiichen Bergftrom Acheron. 
Die tief eingefenkte Thalfchlucht dieſes wilden Gewäſſers dedte 


220 Buch IL Kap. III. 1. Die Sulioten. 


in weiter Bogenlinie das eigentliche Smiiotenland. Der 
Hamptzugang war vom tonifchen Meere her, wo ber mit bem 
Kokhkytos vereinigte Acheron bei Port Banari mündet. Wer 
ftromaufwärts die dunklen Wellen des Acheron verfolgte und 
das DefildE von Glyky paifirt Hatte, erreichte endlich das 
Felſenthor von Kleifura, welches durch das Fort Tichos gevedt 
wurde. Hinter vemjelben lagen auf dem vechten Ufer bes 
Bluffes, auf einem Plateau, 2000 Fuß über dem Spiegel des 
Acheron, die Dörfer Avartlo, Kiapfa und Samoneva, einen 
Büchſenſchuß davon nörbli der Hauptort Sult, der dem 
Stamme feinen Namen gegeben bat. Noch Fieber nannte man 
den Plot „Kako⸗Suli“, das böfe oder „Schreckens⸗Suli“. 
Denn bier vor Allem zeigte ſich Die gewaltige Schwierigfeit, 
den hinter ihren grauen Klippen ober Steinbauten fechtenden 
ſuliotiſchen Schügen mit größeren Truppenmaſſen ober gar 
nit Artillerie wirkſam beizufommen. Wer von Kiapha aus 
nah Suli vordringen wollte, mußte zuerſt fich längere Zeit 
nahezu im Bette des tobenden Acheron felbft bewegen. Endlich 
erreichte man bei der Einmündung eines braufenden Waldbaches 
die überragende Klippe, ven fpäter ſtark verichanzten Felſen⸗ 
fegel Kunghi, welcher den böſen Pfad vominirte, und mußte 
fih dann noch über rauhe Abhänge auf Ziegenpfaben ben Weg 
nah Sult bahnen. Diefe ftarle Stellung wurde nm 
zweitens allezeit durch dieſen Kriegerbund mit höchſter 
Tapferkeit gehütet. Dieſe Sulioten, die nur Viehzucht, Krieg 
und Raub als Manneswerke ſchätzten, Handel und Gewerbe 
verachteten, ſtets bewaffnet gingen, Frauen von gleicher Art 
zur Seite hatten, ſchulten ſchon ihre Knaben vom zehnten 
Jahre an in dem Kriegshandwerke. Dabei bewegte fich ihr 
Gemeindeleben in fehr einfachen Verbältniffen. Jedes Dorf 
zerfiel in Phare, d. 5. in Familiengenoſſenſchaften, am deren 
Spige ein Ältefter ſtand. Als Gefeg galt das Herkommen, 
der alte Brauch; im Fritiichen Zeiten aber traten die Häupter 
der vier alten jultotiichen ‘Dörfer zur Rathsverſammlung 
zufammen. In folder Weile behaupteten ſich die Sulioten 
während ber Zeit bis auf Ali⸗Paſcha ficher umd gefürchtet. 





Die Maniaten. 21 


Nur das wurde ihnen zum Schaden, daß fie bei ihren Raub» 
zügen auch Chriften und Griechen nicht zu jchonen pflegten, 
und dadurch für längere Zeit eine ihnen feindſelige Stimmung 
bei den griechiichen Armatolen erzeugten. 

Ahnlich kriegeriſch, äußerlich viel entwidelter, innerlich aber 
viel ftürmifcher und unruhiger, bewegte fich in bemijelben 
Zeitalter das Leben der Gebirgskrieger des lakoniſchen Taygetos, 
nemlich der Maniaten. Seit der Herftellung ber osmaniſchen 
Herrihaft in Morea hatten fich die Maniaten, die jet immer 
beitimmter als ein jelbftändiger neugriechiicher Stamm erfcheinen, 
ben Osmanen gegenüber in einem Zuſtande befunden, ver 
wieder lebhaft an die Zeiten vor Achmet Köprili und Kapitän 
Kiherali erinnert. Ste gehorchten eben den osmanifchen 
Behörden nur jo viel, als ihnen jelbjt geftel, zahlten einen 
ſchwachen Zribut von jährlich 4000 Piaftern, der aber oft 
genug nur unregelmäßig entrichtet und mit maniatiſchem 
Stolje an der Grenze auf ver Spike des Säbels überreicht 
wurde. Ihr inneres Leben aber war von den Osmanen 
völlig unberührt. Die Hauptrolle ſpielten Hier die zahlreichen 
Rapitäne, die, von der Bevölkerung gewählt, aber fo daß die 
Würde in der Regel bei den großen Familien forterbte, an 
der Spike Der verichtebenen Städte, Burgen und größeren 
Gemeinden (oder auch Kompleren von Dorfgemeinden) bie 
Civil- und Militärgewalt in der Hand hatten, namentlich 
auch die Steuern erhoben. Allmählich fcheinen fih dann 
Eparchien oder Bezirke gebildet zu haben, an deren Spige 
Bezirkskapitäne mit der Hoheit über die untergeoroneten 
Stadt» und Dorflapitäne ftanden. Die verfammelten Kapitäne 
der Maina bildeten den Rath des Landes, ber über alle 
wichtigen Angelegenheiten entichieb und aus jeiner Mitte einen 
oberften Kapitän ernannte Erinnerten die Zuftände in ben 
Sigen der einzelnen Kapitäne vollitändig an das Wejen ber 
ans in Hochſchottland, fo erinnerten andere Züge noch ſehr 
lange an Eosfila. 

Die Maniaten, die jegt vollitändig als Griechen er⸗ 
jheinen, obwohl zu ber alten, gerade bier jo befonbers ſtarken 





222 Buch I. Kap. III. 1. Die Mantaten. 


Miſchung mit Slawen jeit dem funfzehnten Jahrhundert 
wahrjcheinlich auch noch albanefiiche Elemente gefommen waren, 
gaben fich jegt gern als Nachlommen der alten Spartiaten, 
während boch das alte griehiiche Element in ihrem Volke 
allenfalls auf Eleuthero⸗Lakonen zurücdgeführt werden kann. 
Aber von der fpartiatiichen Erbichaft war nur der wilde 
friegerifche Geift im Lande verblieben, leider nicht auch die 
Disciplin. Die Freiheit der Taygetosgriechen war etwas 
theuer erkauft; und erjt eine jpäte Zukunft mußte zeigen, ob 
bie hier bewahrte ſoldatiſche Kraft zugleich ven Beruf entfalten 
würde, die Spige zu nehmen in dem enticheivenden SKampfe 
um die Befreiung der übrigen Griechen. Vorläufig trug das 
Leben der Maniaten einen vorzugsweife wilden Cbarafter. 
Mit der rauben Freibeitsliebe der Sulioten und der rume— 
liotiichen Klephten verbanden auch fie (mit Einfchluß ihrer 
Priejter) die gefährliche Gewohnheit, ſtets bewaffnet zu geben, 
und die noch fchlimmere Praxis, unter einander in beftändigem 
Hader zu leben, ſobald äußere Gefahren fie nicht bebroßten. 
Die Maina war damals das Haifiiche Gebiet der blutigen 
Clan» und Familienfehden, deren Wildheit, zähe Dauer und 
ververbliche- Wirkung durch das jchredliche, nur in Montenegro 
und in Eorfila in gleicher Ausdehnung erhaltene, volksthümliche 
Geſetz der Vendetta, der Blutrace, in jehauerlicher Weile 
genährt und gejteigert wurde. Die mächtigen Thürme ober 
feften Schlöffeer — mir beichrieben ihre Geſtalt jchon früher 
(S. 130) —, welche als die Wohnfite der großen Familien 
das Land bebedten (man zählte noch 1834 deren 800), 
bienten, viel häufiger al8 zur Abwehr der Osmanen, den 
Maniaten als ihre Bollwerfe in den Clanfehden, unb als 
Sicherbeitspläge 1), wenn einer ver ftolzen Krieger dieſes 
Landes unter dem Banne der Blutrache lag. Denn bie 
maniatiſche Blutrache, die in alter Kraft noch bis zur Zeit 
bes Königs Otto beftand, und beren Gejeß zum Glück wenig: 
jtens die Frauen nicht unterlagen, war ein furchtbarer Braud; 


1) ®gl. Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 319. 








Die Maniaten. 223 


fie hatte fich fo tief in ven Volksgeiſt eingefreifen, daß ver 
Maniate e8 für jchlimmer bielt, die Faſten zu brechen, als 
einen Mord an einem Feinde zu verüben. Wer einen Mord 
begangen hatte, war den Verwandten des Erfchlagenen Blut 
Ihuldig, wenn ihm nicht durch völlige Ergebung feiner Perſon 
bie Gnade und Verſöhnung zu erzielen möglih war. Die 
Race konnte Jahrzehnte lang vwerfchoben werben; aber fie 
mußte vollzogen werden, denn man glaubte lange, der un⸗ 
gerächte Todte könne nicht zur ewigen Ruhe und Seligfeit 
gelangen, — fie wurde wohl dur Teftament ver- 
erbt und vermacht, — und erzeugte dann neue Rache. 
Ein Maniate darbte und fparte wohl Jahre lang, bis er das 
Pulver zufammengebracht hatte, um unter den Thurm des 
Gegners eine Mine zu legen. Auch das kam vor, daß fih in 
bemjelben Dorfe die Träger der Blutfehde aus ihren Thürmen 
gegenjeitig bejchoffen, während die Weiber ungeftört ruhig ihre 
Wege machten, um für die Kämpfer Munition und Proviant 
zu bolen. Damit verband fich die alte Neigung namentlich 
ver Kakovuniaten zu Raub und Plünderung, zu Waffer wie 
zu Lande, die oft verzweifelt naiv zum Ausdruck kam und fich 
nicht bloß gegen die Osmanen geltend machte. alten baneben 
Sparfamfeit, Nüchternheit und zäher Familiengeiſt, ebeliche 
Treue und Freude an einer zahlreichen Familie, als gute Züge 
ver Maniaten, aus deren rauheſten Gegenden alljommerlich 
auch viele Männer zur Theilnabme an den Erntearbeiten nach 
anderen Theilen von Morea wanderten; verband fich mit ihrer 
rauhen Art doch auch altertbümliche Gaftfreundfchaft; jo war 
ihnen auch die natürliche geiftige Begabung des neugriechiichen 
Bolfes nicht verjagt, und namentlich die geiftige Gewandtheit 
und glüdliche Redegabe der Maniaten tft bei dem rohen und 
unwiſſenden Wolle des Taygetos europätichen Beobachtern 
vielfach aufgefallen 1). Zunächſt allerdings waren e8 die 


1) Bgl. v. Maurer a. a. O. ©. 70ff. 176ff. u. 203ff. Manſo, 
Sparta, Bd. III, Abthl. 2, ©. 146—178. 2. Roß, Griechiiche 
Königsreifen, Bd. I, ©. 2233 ff. Mendelsfohn- Bartholdy, 





24 Buch J. Kap. III. 2. Die ruffiihen Sympathien für Griechenland. 


joldatifchen und die Hepbtifchen Eigenichaften ber Maniaten, 
denen wir in Griechenlands Geſchichte wieder begegnen 
werden. 


II. 


Griechenland war feit dem Frieden von Paſſarowitz nicht 
wieder der Schauplat eines größeren Krieges geweſen. “Die 
mantatiichen Privatfehben, die lokalen Kämpfe ber Sulioten 
und Armatolen, Raubfahrten wilder Albanejen ?) haben feine 
eigentliche detaillirte Geſchichtsdarſtellung zu beanfpruchen. Der 
Anftoß dagegen zu einer neuen und wahrhaft entjetlichen 
Rataftrophe Griechenlands kam aus dem Auslande, diesmal 
aus Rußland Die Kaiſerin Ratbarina IL, der es 
darauf ankam, die Erinnerung an die Blutthat, der fie ihre 
Herrichaft verdankte, durch glänzende Scenen friſchen Ruhmes 
vergeffen zu machen, war ſehr bereit, die „byzantiniſche Idee“ 
wieder aufzunehmen. An dem Petersburger Hofe lebten bie 
feit Peter dem Großen genährten Pläne mit neuer Stärke 
wieder auf, und bie ruffiichen Eroberungspfäne hüllten ſich 
jegt mit Vorliebe in die Phantaſien von der Befreiung 
der Griechen aus der türfifchen Unterjschung. Die Stimme 
des einflußreichen franzöftfchen Zeitgenojien Voltaire, befien 
Philhellenismus bei Friedrich dem Großen von Preußen Teinen 
Anklang fand, wurde in Petersburg nur allzugern gehört. Im 
Rußland war es vor Allem das mächtige, der Kaiſerin damals 
vorzugsweife nahe ftehende Haus Orlow, welches den Ge 
danken, Münnichs (S. 211) griechtihe Pläne zur That zu 
machen, verfolgte. Dabei fehlte e8 nicht an Griechen, welde 
fih anregend an bie Ruffen drängten. In erjter Reihe ein 


Geſchichte Griechenlands, Bd. I, ©. 182. Hopf, Griechenland im 
Mittelalter, Bd. 86, S. 185. 


1) Hopf (a.a. O. &. 180) gibt noch an, daß zur Zeit bes Sultans 


Dsman III (1754— 1756) plündernde Albanefenhorben Attila aus⸗ 
geraubt und ſelbſt Athen bedroht hätten. 








Ruſſiſche Agitation feit 1765 unter ben Griechen. Papabopulos. 225 


Günftling der Orlows, der griechiiche Artilleriefapitän im 
tatlerlicden Dienfte, Papasoglu oder Gregorios Papado» 
pulos aus Lariffa, welcher, feurig und reich an jchönen 
Worten, den Ruſſen die Möglichkeit zeigte, in Griechenland 
einen umfafjenden Aufitand gegen die Pforte in Scene zu 
ſetzen. Als daher feit vem Jahre 1764 mit dem Eingreifen 
ber ruſſiſchen Politik in die polnischen Verhältniffe auch neue 
Verwickelungen zwiichen Rußland und der Pforte entitanden, 
die allmählich einen immer drobenderen Charakter gewannen: 
da ſchritt die rulfiihe Politik fofort zu dem Syſtem, bie 
orthoboren Untertbanen des Sultans auf der Balfanhalbiniel 
in umfafjender Weile gegen die Osmanen aufzuwiegeln ?). 
Seit dem Jahre 1765 wurden nun nicht nur bei Monte⸗ 
negrinern und chriftlihen Albanefen, jondern namentlich auch 
alferorten bei den Griechen in Rumelien, Theſſalien, auf den 
Infeln bis nach Kreta Hin und in Morea durch ruffiiche 
Kundſchafter und Senpboten Verbindungen angelnüpft, die bei 
der niemals erlöjchenden Sehnſucht der Griechen nad DBe- 
fretung, jegt noch dazu durch orthodoxe Glaubensbrüder, den 
Ruſſen in der That bedeutenden Erfolg zu veriprechen ſchienen. 
Am ftärkiten wurde Morea bearbeitet. Im Jahre 1766 
erichten im Auftrage des Grafen Alerej Orlow, welcer 
diefe unterirpifche Arbeit ſyſtematiſch leitete, jener Papadopulos 
in Moren, um vor Allem die Maniaten zu gewinnen. Bet 
dieſen richtete er anfangs nichts Beſonderes aus; fie wollten 
eben erft die Ankunft einer genügenden ruſſiſchen Macht mit 
Augen ſehen. Dagegen gelang es ihm, den mächtigen meſſe⸗ 
niihen PBrimaten Panagiotis Benakis von Kalamata, 


1) Die folgenden Ereignifje in Griechenland bis zur Herftellung ber 
Ruhe in Morea dur Austreibung der Schkypetaren fiehe bei Zinf- 
eifen, Thl. V, S. 926ff. u. Thl. VI, ©. 65—74. Finlay, Greece 
under othoman and venetian domination, p. 302 — 325. Gervinus 
a. a. O. © 31. Menvelsfohn- Bartholdy, ©. 64 ff. Hopf 
00.0. S. 180 ff. Sathas, "EAAds roupxoxparouuevn, p. 452—533, 
ber beiläufig p. 452 den Papadopulos jetzt für den Griechen „Georgios 
Papazolis aus Siatifti (Schatifta) in Makedonien” erklärt. 

Hergberg, Geſchichte Griechenlands. TIL 15 


26 8.1.8.IIL 2. Ruſſiſche Agitation unter db. riechen. Papadopulos. 


einen Abfömmling des Liberaki Geratichari, in fein Intereſſe 
zu zieben, den reichiten Griechen in Morea, der als ein 
Hauptvermittler des maniatifchen Verkehres auch in der Maina 
großen Einfluß ausübte umd jett eine große Anzahl moreotijcer 
Primaten zu der unfinnigen Erklärung bewog, fie wollten im 
Falle der Ankunft ruſſiſcher Truppen in Morea 100,000 
Griechen in Waffen bringen. Unter ſolchen Umſtänden trug 
man fich jchon 1767, wie der engliiche Reiſende Chandler 
damals beobachtet bat, mit alten Weilfagungen und nenen 
Hoffnungen von der unmittelbar bevorjtehenden Befreiung 
Griechenlands durch die Ruſſen. Eine Bewegung der Mon 
tenegriner freilih (1767) wurbe von den Osmanen ohne 
Mühe gedämpft. Um jo eifriger aber bearbeiteten jetzt von 
Venedig aus Alerej und Feodor Orlow, der feurige ruſſiſche 
Philhellene Tamara, und unter anderen enthufiaftiichen Griechen 
in Venedig namentlich der griechiiche Bankier Maruzzi bie 
Balktanhalbinjel. Den Griechen wurben Waffen und Träftige 
Unterftügung Seitens der Rufen zugefagt, durch Alexej Orlow 
endlich 1769 zu Pila ein förmlicher Vertrag mit den 
Kapitänen ver Maina und verfchtiedenen anderen moreotijchen 
und rumeliotiichen PBrimaten abgeichloffen, die fih an ber 
großen Unternehmung betheiligen wollten. Andere Maninten 
batten freilich 1767 ihr Land verlaffen, um nach Florida in 
Amerifa auszuwandern. 

Als endlich die ruffisch-polnisch-türkiichen Verwicklungen jo 
weit gediehen waren, daß fie nur noch durch das Schwert 
gelöſt werben konnten; al8 die Pforte — nemlich Sultan 
Muſtapha II, 1757 — 1774, Ahmeds II. Sohn, der 
auf Mahmuds I. Bruder und Nachfolger Osman II. 
(1754—1756) gefolgt war — im Herbit 1768 an Rußland 
den Krieg erklärt Hatte: da eroberten die Ruſſen im Jahre 
1769 zunächſt die Moldau und die Walachei, und rüjteten 
zugleih jene große Flotte aus, melde vom baltifchen 
Meere nach den griechiihen Gewäſſern fegeln und den großen, 
fett Langem vorbereiteten Bran in Morea entzünden 
follte. 





Ruſſiſch⸗ türkiſcher Krieg feit 1768. Die Ruſſen 1770 in Moren. 227 


Der Viceadmiral Spiridow führte feit Ende September 
1769 vierundzwanzig große Kriegsichiffe von Kronſtadt nach 
dem Mittelmeer. Bon Port Mahon und Malta ber er- 
Idien am 28. Februar 1770 deſſen erfte Abtheilung, 
drei Kriegsichiffe und drei Transportfahrer, mit 500 Mann 
unter dem Grafen Feodor Orlom bei dem maniatiſchen 
Vithlos. Es wurde dieſes das Signal zur Erhebung 
der Griechen, bie fich verpflichtet hatten, bei ver Ankunft 
der Ruffen Loszwichlagen, den Befehlen des ruffiichen Ober- 
feloheren zu folgen und die Ruffen mit Proviant zu verforgen. 
Zum Unglüd für die Griehen war aber Seitend der 
Rufen der Kriegsplan und Die Leitung ſehr mangelbaft. 
Dejonders jchlimme Folgen Hatte e8, daß Feodor Orlow zu 
früh Ind mit viel zu ſchwachen Streitfräften angelommen 
war. Sp fehlte e8 am bdisciplinirten Truppen, welche ven 
Maniaten und ben moreotifchen Imjurgenten einerjeitS ven 
feiten foldatiichen Anhalt geben , andererſeits dieſelben 
bominiren und von unnügen Gewalttbaten hätten abhalten 
können. Die Folge ift leider die geweſen, daß die griechijche, 
von der Maina her nun raſch in einem großen Theile des 
Peloponnefos, in vielen Kantonen Mittelgriechenlands, und bei 
ven fretiichen Sphakioten aufflammende Empörung jofort 
zu den wildejten Raub» und ‚Blutfcenen führte, nachher aber 
die viel zu ſchwache ruſſiſche Macht die compromittirten 
Griechen vor der grauiamjten Mache ver Osmanen und 
islamitiſchen Schkypetaren nicht zu ſchützen vermochte. 

deodor Orlow, der zugleich bie infurgirten Griechen 
in den Dienft der Kaiferin zu nehmen gedachte, verabrebete 
mit den Maniaten, daß die legteren die offenen türkiſchen 
Pläge des moreotiihen Binnenlandes angreifen jollten. Die 
Ruſſen ihrerſeits wollten fih gegen die feften Pläge, 
namentlich an der Küfte, wenden, und führten ihre Streitkräfte 
zunächit gegen Koron, wo ſich Maniaten unter Johannes 
Mauromichalis, Sphakioten, ioniſche, montenegrinifche und 
ſlawiſche Freiwillige zu ihnen fanden. Während dieſer Platz 


von ihnen vergeblich belagert wurde, ftürzten fich bie 
15* 





228 Buch I. Kap. III. 2. Der ruffifch-griechifche Krieg 1770 im Moren. 


Daniaten (3000 Mann, die Orlow in die Tpartantice 
Legion unter Antonios Pfaros aus Mykonos, und die meſſe⸗ 
nijche Legion unter dem Fürften Peter Dolgorudt theilte) auf 
Kalamata und Miſithra. Einige ruffiiche Offiziere in 
ihrer Begleitung fonnten nicht hindern, daß bie Klephten des 
Zapgetos die türkiichen Einwohner biefer Städte nievermegelten 
und beren Eigentbum, wie auch das der Chriſten, als Beute 
nad) den Gebirgshöhen jchleppten. Militäriſch betrachtet, fo 
batte Dolgorudi nah Einnahme von Kalamata und Ber 
nichtung aller Mohammedaner in den meſſeniſchen Cbenen 
wentgitens noch Arkadhia genommen. Piaros Hatte nah 
dem Raubzuge über Paſſava und dur Bardunia nad 
Mijitbra (5. März) in diefer Stadt aus dem Biſchof und 
den Primaten einen „Senat von Sparta‘ gebildet und 
wenigftens noch 3000 friihe moreotiſche Rekruten gejammelt. 
Daneben fchwärmten ioniſche Griechen von den venetianijchen 
Inſeln hinüber nah Moren, verübten allerwärts Mord und 
Raub an türkiichen Grundherren und deren Befitungen. In 
Rumelien aber erhoben fich auf eine faljche Nachricht von ber 
Eroberung Korond durch die Ruſſen die Griechen in Meſo— 
longtion, nötbigten die bei ihnen wohnenden Türken zum 
Abzuge nach Paträ, und gewannen auch das benachbarte Ana- 
toliton, ftellten fi dann unter Rußlands Schug, während bie 
ätoliihen und alarnaniichen Klephten und Armatolen bie 
Waffen nach Eurptanien und Theffalten trugen.‘ Überall in 
Rumelien wogte die Empörung bis nach Megaris und Attila 
und berührte ſich mit dem Aufitande der Griechen an dem 
forinthiichen Iſthmos. 

Endlich erfchien die zweite Abtbeilung der ruſfiſchen 
Flotte an der maniatifchen Küfte. Nun kam noch etwas mehr 
Schwung in die Dinge. Ruſſiſche Truppen unter einem 
Mulatten, dem General Hannibal, gewannen Navarin, wo 
bie Maniaten vertragsbrüdig die Türken mordeten und bie 
Stadt in Brand ftedten. Die Jonier und aufftändtfchen Griechen 
von Morea aber gewannen vie Stadt Paträ, nur daß bie 
Citadelle in den Händen der Türken blieb. Alerej Orlom 


Die Türken ziehen bie Schkypetaren zu ihrer Hilfe nach Morea. 229 


aber, der nun (23. April) von Italien nach Morea gefommen 
war und das Commando übernommen hatte, ließ von Koron 
ab, ſammelte feine Macht zu Navarin und veranlaßte einen 
großen Vorſtoß gegen das Innere. Nun marjchirten allerdings 
15,000 ®riechen, meift Mantaten, von ruffiihen Offizieren 
geführt, gegen Tripoliga. Es war das Corps des Piaros, 
mit dem fi) von Meſſenien ber über Leondari marjchirend 
ein zweites ruſſiſch⸗griechiſches Corps verband. Aber diefe 
15,000 Mann vermochten feine Erfolge zu erzielen. 

Der damals regierende Palha von Moren, Mehemet 
Emin, leitete nemlich die Vertheidigung der Halbinjel gegen 
die Nuffen und die griechiichen Infurgenten ganz vortrefflic, 
obwohl er Fein Soldat war. Die vor den Griechen flüchtenben 
albanefiichen und osmaniſchen Mohammedaner feines Paſchaliks, 
fomeit diefelben nicht nach der Citadelle von Paträ fich gerettet 
hatten, wurden zu Zripoliga gejammelt, wo bie ftreitbaren 
Männer fich zu einem Neitercorps vereinigten. ‘Der Paſcha 
jelbjt Hatte jein Hauptquartier nach Nauplion verlegt, wo 
er alle Anftalten traf, um den Empfang ſtarker Hilfstruppen 
vorzubereiten, welche auf feinen Betrieb die Pforte in aller 
Eile nach Morea ſchickte. Weil die regulären Streitkräfte an ber 
Nordgrenze des Reiches in Anſpruch genommen waren, fo griff 
die Pforte jetzt zu dem fchredlichen Meittel, die wilde Fluth ver 
mohammedaniſchen Schkypetaren, namentlich der Gegen, aus 
Albanien nach Morea zu birigiren. Und bald ergoffen fich Toloffale 
Maſſen diefer wilden, blut» und beutegierigen Albanefen über 
das unglücliche Land, die bald jeden Gedanken der übrigen 
Sriechen, den Moreoten und Ruſſen Hilfe zu Teiften, erftickten. 
Unter den rumeliotifchen Griechen hatte e8 namentlich der 
tapfere und kriegsgewandte Andrutios, des jpäter fo 
berühmt gewordenen neugriechifchen Feldherrn Odyſſeus hoch⸗ 
geachteter Vater, zur Zeit der tüchtigjte Armatolenfapttän in 
Üvadien, gewagt, mit etwa 300 Pallifaren aus feinen oft 
lofriihen Bergen über ben Iſthmos nach Morea zu ziehen. 
Diefer Kapitän erreichte aber weder bie Griechen mehr bei 
Tripolitza, noch felbft die Ruffen, — das Unheil brach eben 


20 Buch I. Kay. IH. 2. Nieberwerfung des Aufſtandes in Morea. 


zu fchneli herein. Während die moslemitiichen Corfaren des 
adriatiichen Meeres auf Mehemet Emins Befehl fo raſch als 
möglich ſchkypetariſche Krieger zu Waſſer nach Paträ führten 
und zugleich die tonifchen Inſeln überwachten; während bei 
biefer Gelegenheit ein Geſchwader aus Dulcigno in hartem 
Sampfe Mefolongion beitürmte, viele Griechen töbtete, bie 
Maſſe des Vollkes zur Flucht nach ben tonifchen Inſeln 
nöthigte, während Albanefen aus Angelofaftron dann aud 
Anatoliton wieder gewannen und ausmorbeten: war bie Vor⸗ 
But der zu Lande anrüdenven Schlupetaren, 6000 Mann ftarf, 
gerade in dem Augenblide nah Tripolita gelommen, als 
Pſaros endlich fo weit gerüftet ftand, um die nicht allzuſtarken 
Werke dieſer Stadt ernitbaft angreifen zu fönnen. Zu feinem 
Uubeil Hatte fih die Maſſe feiner Schaaren weithin aus 
gebreitet, um Proviant zu jammeln, jo daß er fich eigentlich 
nur auf die 400 Nuffen und etwa 4000 Griechen einigermaßen 
verlaffen konnte. Als nun die Albanefen vereint mit den 
moslemitifchen Neitern in der Stadt die Griechen ungeftim 
Angriffen, wurden bie Griechen des Pfaros ſchnell über ben 
Haufen geworfen, während die 400 Ruſſen tapfer fechtend 
insgefammt fielen. ‘Dreitaufend Griechen fanden auf ber 
Flucht den Tod. Nur Leondari wurde noch einige Zeit 
gehalten. Am Tage aber nach biefem Siege Tieß der Paſcha 
son Morea den Metropoliten von Tripoliga und mehrere andere 
durch ihre Beziehungen zu den Ruſſen compromittirte Biſchöfe 
auffnüpfen. Cine Menge griechtiche Bürger der Stabt (bis zu 
3000 Menſchen) wurden ebenfaliS getödtet, ihre Häufer zerftört. 
In Baträ aber, zu beifen Wiedergewinnug ein anderer 
albanefiicher Trupp von Korinth aus marſchirte, hatten bereitd 
am Charfreitag die Dsmanen und moreotifhen Moslims in 
der Burg, durch jenen Zuzug aus Dulcigno (400 Dann) 
verjtärft, einen Ausfall gemacht. Die blofirenden Moreoten 
und Jonier wurden völlig geichlagen, die Stadt ausgeplündert 
und zeritört, die Einwohner theils getöbtet oder zu Sklaven 
gemacht, theils zur Flucht nach den ioniſchen Inſeln ges 
nöthigt. 





Nieberiwerfung des Aufftanbes in Moren. 231 


Gegenüber folchen jchweren Mißerfolgen nahm es fich 
wunderbar genug aus, daß Alerej Orlow in dem von ibm 
ſtark verichanzten Navarin in der zur Kirche geweihten Haupt 
moihee am 2. Mat 1770 nah einem feierlichen Hochamt 
den Griechen nochmal® in einem hochtönenden Manifeſt ihre 
Befreiung von dem Joche der Ungläubigen durch die Waffen 
der „heiligen und rechtgläubigen‘ Raiferin Katharina IL. an 
findigte, und bie Griechen nochmals aufforberte, ald Streiter 
. für ihre Religion, Freiheit und Vaterland die Waffen zu er 
greifen. Die Belagerung von Modon, welche Peter Dolgorucki 
gleih nachher mit anfehnlichen Streitkräften zu Waffer und zu 
Lande eröffnete, hatte feinen Erfolg. Und während die 
Ruſſen bier gefeffelt ftanden, janf die moreotifche Erhebung 
äberall in fich zufammen. 

Die Schredenstage von Tripolita und Paträ Hatten bie 
Griechen vollftändig entmuthigt. Allmählich waren nun immer 
größere Maffen von Schkopetaren in Zripoliga erichienen. 
AS man Seitens der Türken fich zu größeren Unternehmungen 
ftarf genug fühlte, theilte fich ihr Heer in zwei Gewalthaufen. 
Der eine drang in Lakonien ein, eroberte Mifitbra und 
trieb die Schaaren des Pſaros ſüdwärts zurüd nach ber 
Küfte, bis hinein in die Schluchten des Taygetos; überall 
verfuhren die Albanefen, deren Gewalttbaten Mehemet Emin 
aur zum MHeinften Theile abwehren fonnte, mit barbarifcher 
Grauſamkeit. Gerade dieſer Theil des Peloponnes?) Titt 
damals bejonders furchtbar. Die alte Praxis der orientaliichen 
Ausrottungsfriege, Tchredliche Verwüftung und Plünderung des 
Landes, maſſenhaftes Ausmorben bes Landes, TFortichleppung 
zahlloſer Frauen und Kinder in die Sklaverei, wurbe hier in 
(hlimmer Ausvehnung ausgeübt. Der andere Haufe, 
8000 Mann unter Hadſchi⸗Osman, brang nad Mefjenien 
vor, trieb auch hier die Maniaten nach einem mörberijchen 
Kampfe mit Johannes Mauromichalis in ihre Gebirge zurüd, 
und griff endlich die Auffen und Griechen vor Modon an. 


1) Bgl. L. Roß, Griechiſche Königsreifen, Thl. II, S. 206. 


232 Bud I Kap. III. 2. Die Ruſſen räumen 1. Juni 1770 More. 


Auch bier blieben die Albanefen Steger und nöthigten bie 
Belagerer, unter Preisgebung ihrer Gefchüge und Magazine 
ſchnell nach Navarinon zurüdzumweichen, während die Gar, 
niion von Modon die Häufer der Chriften in der Stadt 
plünderte und zerftörte. Im und bei Navarin aber, deſſen Fort 
jedoch Orlow ven fliehenden Griechen nicht öffnete, und auf 
ber ebenfalls verichanzten altberühmten Hafeninfel Sphakteria 
oder Sphagia drängte fich jettt Alles zufammen; namentlich 
bie Inſel füllte fich mit angſtvoll flüchtenden Griechen, von 
benen bernach nur wenige auf bie ruſſiſchen Schiffe fich vetten 
konnten. Es waren greuliche Jammerſcenen. Als nemlich 
die Osmanen und Albaneſen endlich vor dieſer letzten ruſſiſchen 
Station erichtenen, warfen fich die Griechen mit ihren Familien 
in Maſſe angftvoll auf jedes zur Hand befindliche Fahrzeug, 
juchten in der großen Hafenbucht Schutz vor ihren Teinden; 
aber bet ber wilden Angjt fenterten viele der Heinen Fahr- 
zeuge, fo daß die Unglüdlichen in Menge ertranfen. Etwa 
4000 bi8 5000 Griechen retteten fich endlich doch nad 
Spbalteria, wo fie nun vor Hunger und Durſt verfamen, 
und die Leichen ihrer Freunde und Angehörigen in den Wellen 
treiben jehen mußten ). Aber auh von diefen armen Reſten 
biefer unfeligen Opfer einer herz⸗ und kraftloſen Politik 
vetteten ſich jchließlich nur wenige. Denn Alerei Orlom 
hatte den Muth, in Morea noch weiter zu kämpfen, ganz und 
gar verloren. Da nun der in rujfiihen Dienjten arbeitende 
Ichotttiihe Contre- Admiral Elphinſtone, der kurz vorher 
“mit einer zweiten großen Slottenabtheilung in den lakoniſchen 
Gewäſſern angelangt war und zur Zeit bei Nauplion kreuzte, 
erfahren batte, daß die osmaniſche Flotte bereit8 bei Andros 
liege, und den Orlow aufforderte, fich mit ibm zu vereinigen, 
jo beichloß Alexej, jet Tofort abzufegeln. Vergeblich befchworen 
ihn die Griechen, unter ihnen Benakis und Bapadopulos, und 


1) Über bie Schredensfcenen auf und bei Sphakteria vgl. auch 
Rulhiöre, Histoire de l’anarchie de Pologne, tom. III, p. 413 und 
Curtius, Peloponnefos, Thl. I, ©. 182. 


J 





Die Ruffen räumen 1. Iuut 1770 Moren. 233 


deren Freunde unter den ruſſiſchen Offizieren, in dem jegt 
ohne Mühe“ gegen die Albaneſen zu haltenden Navarin eine 
ruffiſche Beſatzung zu laſſen, welche den Bier noch verfammelten 
Griechen als Schug, den Gebirgsfriegern aber als bleibender 
Rückhalt dienen könnte. Alexej blieb gegen biefe Bitten und 
Rathichläge taub, Tieß ſofort Gejchüge und Truppen einichiffen, 
einen Theil der Kanonen vernageln, die neuen Schanzen zer⸗ 
ftöyen, und ging am 1. Juni 1770 mit ver Flotte unter 
Segel, um ſich mit Elphinſtone zu vereinigen. Nur- einige 
Hundert griechiicher Flüchtlinge, darunter Papabopulos, Bena⸗ 
kis, die Bilchöfe von Koron, Modon, Ralamata, Paträ, und 
verſchiedene Primaten konnten noch eingejchifft und nah Port 
Mahon geführt werden. Die übrigen mochten fehen, wie fie 
fih retteten, oder dem Untergange verfallen. Papadopulos 
ift nicht Tange nachher auf einer Inſel des ägätichen Meeres, 
Benakis in Livorno gejtorben. 

Die Leiden des PBeloponnefos erreichten ihre volle 
Höhe aber erft nach dem Abzuge der Ruſſen. Die Pforte, 
die Osmanen und die Albanefen, durch Die weit verbreitete 
Neigung der Griechen zum Abfall jchwer betroffen und furcht- 
bar erbittert, ergingen fich lange Zeit in Handlungen grau⸗ 
jamer Rache, die am fchwerften und dauerndften auf Morea 
fielen. Gleich bei dem Ausbruche der griechtichen Erhebungen 
batte Die Pforte ftrenge Evicte gegen das Waffentragen ber 
Rajah erlaffen, die öffentlichen Gebete der Chriſten verboten, 
die Kirchen gefchloffen. Die Erhebung der Meontenegriner, 
der Ausbruch des Krieges mit Rußland, das Durchleuchten 
der Aufitandsgedanfen hatten die Pforte jo mißtrautjch ge- 
macht, daß ſchon 1767 Ananias von Dimikanı, damals 
Metropolit von Lakedämon, ein unbejonnener Feuerkopf, 
bingerichtet „ Daß nachher zur Zeit der Ausfahrt ver 
tuffiichen Flotte nach Griechenland der Patriarch Meletios II. 
von Stambul abgefegt und fammt dem Bilhof von Karyſtos 
und vielen anderen vornehmen Klerifern und Laien in ftrenge 
Haft genommen wurde. Mehr aber, der griechiiche Aufjtand 
veranlaßte die Pforte, von den alten Principien der Durch 





234 3.1L8.HI 2. Blutiges Wüthen der Schkypetaren gegen d. Griechen. 


Mohammed IL. eingeführten Kirchenpolitik erheblich abzumeihen 
und in weiten Umfange Kirchen und Klöſter (auch die durch 
ven Feuerkopf Seraphim compromittirten Mönche des Athos 
nicht ausgenommen) ihrer Befigungen zu berauben, die man 
dann ben Moſcheen zuwies. Ganz unmittelbar aber Titten die 
Griechen fühlih vom Olymp unter den furdhtbaren Gewalt 
tbaten der Albanejen, die zur Austreibung ver Ruffen aus 
Moren und zur Nievertvetung ber bis tief nach Theſſalien 
binein flammenden griechiichen Inſurrektion 1770 aufgeboten 
worden waren. Der Aufmarich ver Albanefen, theils um die 
Bewegungen in Rumelien zu dämpfen, theils um nach Morea 
zu ziehen, überfluthete zunächit die Kantone zwiſchen dem Peneios 
und dem korinthiſchen Golfe mit einer Fülle von Unheil. Die 
Gewaltthaten in Philtppopolis und Mofchopolis erinnern mehr 
an die Ausbrüche der Rohheit und des Fanatismus gegen die 
Chriften, wie fie noch heutzutage bei folchen türkifchen Kriegen 
in Menge vorfommen, welche die Pforte mit Rußland zu 
führen Hat. Aber die furchtbaren Blutthaten in Lariffa um 
Trikkala zeigten die immer wieder durchfchlagende Neigung der 
Türken zu rober Rache an umnfchuldigen Opfern unb zur 
Meaffenvernichtung im blutigften Lichte. Im Lariffa nemlich 
ließen am 9. März 1770 die türkiichen Befehlshaber 3000 
Griechen aus Trikkala und Umgegend, die zur Abnrtbeilung 
eines großen Zwieſpaltes zwilchen ben Parteien zweier mädy 
tiger PBrimatenfamilien dieſer Eparchie nach der thefjaliichen 
Hauptftadt zu kommen veranlagt waren, fammt und jonderd 
nievermegeln. Daran anſchließend erſchoſſen die Janitſcharen 
zu ihrem Privatvergnügen auch eine Anzahl chriftlicher Ein 
wohner von Lariſſa, zerftörten die Kirche des  Beifigen 
Achillios, und ruinirten durch eine energiiche Plünderung ven 
Wohlftand der Griechen diefer Stadt für geraume Zeit. Die 
Albanefen ihrerſeits fuchten am 14. Juli die Stadt Trikkala 
in ihrer Weife mit Plünderung, Mord und Brand beim. 
Die gegen die Pforte aufgeftandenen Klephten und Armatolen 
in Rumelien (die „Stereo-Helladiten”, wie fie auf 
genannt werden) hatten fich bei dem Anmarjche ver albaneſiſchen 





Scheußliche Mißhaudlung ber Moreoten. 285 


Maffen zum Theil ſchnell zur Ruhe und zur Unterwerfung 
bringen laſſen; fo namentlich in Hypata, Karpenifi, Agrapha 
und im Valtos. Die Armatolen dagegen von Vonitza und 
Zeromeron, unter dem Befehle zweier Brüder des fchon ba- 
mald in Akarnanien mächtigen Hauſes Grivas, Chriftos 
und Tſegios, die bisher Vrachori belagert hatten, fielen ta 
mörbertichen Gefechten in der Nähe von Ungelofaftron. Und 
in derſelben Weife wurden die fämmtlichen Kantone von 
Mittelgriechenland, wo fi) Imjurgenten gezeigt hatten, mit 
deuer und Schwert wieder „beruhigt. Phthiotis, Livadien, 
die Landſchaft am Parnaflos, deren Armatolen endlich nach 
Moren flüchteten; Megaris, wo bie Infurgenten endlich die 
Stat Megara ſelbſt zerftörten und nad) Salamis entwichen; 
die Gebirge bei Lepanto und die ätoliſche Landſchaft Kravari 
(öftlih vom Euenos oder Fidari) wurden unter Strömen Blutes 
wieder den Osmanen unterworfen. 

Zur Ruhe ift nun aber Griechenland auch nach Abzug der 
Ruſſen eben nicht gekommen, — zunächſt nicht, weil auf 
anderen Punkten der ruſſiſch⸗türkiſche Krieg noch mehrere Jahre 
fortwogte. Unter diefen Umſtänden batte die blutige Gewalt⸗ 
that der mohammedaniſchen Krieger noch lange gegen vie 
Griechen freien Spielraum. In Trikkala kamen no 1773 
Ermordungen angejehener Primaten vor. Und die unglück⸗ 
lichen Flüchtfinge von Mejolongion, deren geſammte Stabt 
und Umgegend die Wuth der Moslims gründlich zerftört 
hatte, konnten erft nach Jahren in der alten Heimath wieder 
Fuß fafſen. Das größte Unheil aber fam über Moren. 
Man gibt gewöhnlich an, daß fchließlich nicht weniger benn 
150,000 bewaffnete Räuber — albaneſiſche Milizen und in 
ibrem Gefolge wüftes Naubgefindel aller Stämme aus ber 
Balkanhalbinſel — den ımglüdlihen Peloponnes über- 
flutheten und nun alle Kantone diefes Landes mit aller Wut 
des mohammedaniſchen Fanatismus und entfeffelter Raub- und 
Blutgier heimjuchten. Mord und Todichlag, Raub und Brand, 
Verſklavung zahllofer Weiber und Kinder, Zerftörung der 
Dörfer, vieler Städte, Möfter, Kirchen und Schulen wurde 


236 Buch I. Kap. III. 2. Anbrutfos. 


die allgemeine Loſung. Die organifirten Gewalten der Pforte 


hatten zunächſt nur wenig zu bedeuten; die Macht fiel mehr 
und mehr in die Hände der unbändigen Schkypetarenführer, 
die natürlich) außer ven Osmanen und den wenigen griechiichen 


Moslims nur ihre mohammebanifchen Slaubensgenofien von 


Barbunta und Lala fchonten. 
Natürlich festen fih die Griechen vielfältig zur Wehr. 
Aber in biefer Zeit allgemeinen Unheils, in welcher umngezählte 


Zaufende der Moreoten zu beimathlojen Bettlern und Aus 


wanderern wurden, gab es nur wenige Lichtpunkte. Großen 
Kriegsrufm gewann damals wenigftens Ein Grieche, nem 
fih jener tapfere (S. 229) lokriſche Kapitän Andrutfos. 











Diefer Armatolenführer Hatte die Gebirge der Maina erft in 


dem Augenblide zu erreichen vermoct, wo die Stellung bei 
Navarin von Alerei Orlow bereits enbgiltig geräumt worden 
war. Nun blieb ihm nur übrig, mit Aufbietung aller Kunft, 
Lift und kriegeriſchen Entſchloſſenheit fich den Rückweg nad 
Rumelien mitten duch die Maſſen der Albanejen und 
Dsmanen zu bahnen, und auf biefem jchiwierigen Zuge die 
Pallitaren in feiner Umgebung bei guter Stimmung zu er 
halten. Es gelang dem trefflichen Armatolen wirklich, ſich bis 
zum Iſthmos durchzuſchlagen. Bier aber verlegten ihm mehr 
als 8000 feindliche Krieger den Weg. Nachdem er fich ihrer 
Angriffe mit Mühe erwehrt hatte, mußte er fich weitwärts 
wenden und dem ſüdlichen Strande des Golfes von Korinth 
folgen. Er hoffte, hier in irgend einem Hafen auf vettende 
tonifche Fahrzeuge zu treffen. Unter beftändigen Gefechten mit 
ben ihm nachdringenden Albanejen und Osmanen erreichte er 
binnen zehn Tagen die Gegend von Voſtitza, wo er num nad 
brei Tagen verzweifelten Kampfes endlich am vierten Tage unter 
Verluſt des vierten Theiles feiner Leute einen entſcheidenden 
Sieg über feine Verfolger davontrug. Nun konnte er enblid 
in die Stadt Voſtitza einrüden und auf ioniſchen Schiffen ſich 
nach dem venetianiichen Preveja zurüdzieben ?). 

1) Bgl. bier auch die oft citirten „Mittheilungen aus ber 
Geſchichte und Dichtung der Neugriehen”, Thl. I, S. 87—96. 


Herrſchaft und wüſtes Treiben ber Albanefen in Dora. 2837 


Lebte diefer Steg und der Xenophontiiche Rückzug des 
Andrutjos lange in der Erinnerung und Dichtung der Griechen 
fort, fo erlahmte dagegen in Moren jelbjt die Kraft ber 
Maniaten, die feit dem September 1770 nun auch in ihren 
Gebirgen von den Albanejen angegriffen wurden. Ihnen blieb 
fchließlich nichts übrig, als mit dem Paſcha von Morea einen 
Bergleich zu fchließen, durch den fie fich der Pforte wieder 
unterwarfen, während ihr Tribut erhöht und die Norbgrenze 
ihres Gebietes bei Kalamata gezogen wurde. 

Morea war nun freilich wieder der Pforte unterworfen. 
Aber die türkiiche Regierung hatte Davon feinen Gewinn. Die 
Peit und Hungersnoth dezimirten die verarmten Einwohner, 
und- nicht einmal der Kharatich Tonnte für die o8manifche 
Regierung eingezogen werden. Denn die Albanefen, die 
von der Pforte feinen Solo erhalten konnten, wollten mit 
Ausnahme einiger beutebeladener Schaaren nicht wieder aus 
bem Lande abziehen. In zahlreiche Banden getheilt, beberrichten 
fie die Halbinfel, verübten an Griechen, wie felbjt an zahl« 
reichen osmaniſchen Grundherren, wilde Gewaltthaten, plünderten 
in Stadt und Land, verheerten Felder und Weinberge, nahmen 
für fich die beften :Chetle der Ernte weg und fetten fich felbit 
zu Steuerpäctern ein, verkauften auch Tauſende chriſtlicher 
Frauen und Rinder in die Sklaverei. Umſonſt Batte bie 
Bforte nad dem Abzug der Ruffen eine Amneftte proflamirt. 
Alle ihre Verjuche, die Albanejen mit Güte ober mit Gewalt 
zum Abzug aus Morea zu beftimmen, fcheiterten vorläufig 
daran, daß die Paſchas von Tripoliga weder Geld noch 
Zruppen genug hatten. 

Die elende Lage der Moreoten wurbe auch durch Die 
militärifchen Erfolge der Ruffen im ägätichen Meere nicht 
gebeſſert. Alexej Orlow und Eipbinftone hatten ſich nach der 
Räumung von Navarin in dem Golfe von Nauplion am 
23. Juni 1770 vereinigt. Die bei der aufjtandsluftigen 
Stimmung der Infel- Griechen nur mit fchlechten Matroſen 
bemannte und von dem Kapudan⸗Paſcha Hoſam⸗Eddin ſchlecht 
geführte osmaniſche Flotte wurde nachher in dem Kanal 





238 Buch IL Rap. II 2. Schlacht bei Tſchesme. Die Infelgriechen. 


von Chios in der Gegend von Tſchesme am 5. Yuli 1770 
ichwer geichlagen und in der Nacht vom 6./7. Juli, namentlich 
mit Hilfe geübter griechiicher Seeleute, durch Feuer völlig zer⸗ 
ftört. Aber die Folgen dieſes großen Schlages waren auf vem 
griehifhen Kriegsſchauplatze doch nur von vergleichsweiſe 
geringem Belang. Während der Pöbel und die Sanitfcharen 
von Smüurna bie jchredliche Niederlage am 8. Juli durch 
Ermordung von 500 bi8 1000 Griechen und Franken rächten, 
erflärten fich allerdings 27 griechiſche Infeln des ägätichen 
Meeres für Rußland, huldigten der Kaiſerin und verfpracen, 
mit ihren Schiffen den Rufſen Beiftand zu leiften. Von den 
Inſeln an der Küfte von Argolis hat fih damals Spetzä 
für Rußland compromittirt. Die jchlaueren Hydrioten 
Dagegen unterwarfen fich zwar den Ruſſen, lieferten ihnen aud 
Proviant, unterhielten aber heimlich.ihre Verbindung mit dem 
Kapudan⸗Paſcha und zahlten ihren Tribut). Aber Orlow 
verftand e8 nicht, feine Erfolge nachhaltig und zu größeren 
Schlägen gegen die Dsmanen auszubenten. Nach Jängerem 
Schwanten entjchloß er fich wenigſtens, die Infel Lemmnos zu 
erobern, von der aus die Darbanellen geſperrt werden follten. 
Während ein Theil der Flotte mit den Türken der ‘Darda- 
nellenichlöffer plänfelte und das rumeliihe Kavalla zeritörte, 
wurde nun zwar das offene Land von Lemnos ohne Schwier 
rigfeiten bejegt; aber die Hauptfeftung ver Inſel hielt fich viele 
Wochen lang mit zäher Auspauer. Und als fie enblih am 
6. Dftober fich genöthigt jab zu kapituliren: da landete ber 
tapfere und energiſche Kapudan⸗Bey Haffar aus Algier 
(Dichefairli), einer der beiten türkiichen Flottenführer dieſer 
Tage, mit 25 Schiffen und 3400 Dann an ber Oftjeite ber 
Inſel, erftürmte am 9. Oktober das Lager der Ruſſen, welche 
die Feſtung noch nicht übernommen hatten, und trieb fie unter 
Verluſt ihrer Artillerie und Vorräthe auf ihre Schiffe. 
Orlow vermochte dann auch zu Wafjer dem Haffan (nur 


1) Orlandos, Naurıxa, vol. I, p. 17 59. A. Miautis, Die 
Inſel Hydra, S. 10 ff. 





Die Infelgriegen. Die Sphakioten. 239 


mehr Ghaſi, der Stegreiche, zubenannt) nichts anzuhaben 
und zog ſich nach der Inſel Paros zurüd, wo ver Hafen 
von Nauſſa ſtark verfchanzt und zum Hauptdepot ber ruffiichen 
lotte gemacht wurde. Auch die Injeln Thaſos und Im- 
bros blieben vorläufig ruffiihe Stationen. Auf Lemnos 
aber wurden nach dem Abzug der Ruſſen die Griechen burch 
Mord und Plünderung ſchwer heimgeſucht. Beſonderes hat die 
tuffiihe Flotte in der Levante während dieſes Krieges nicht 
weiter auszurichten vermodt. Ste bat allenfalls noch 1771 
Angriffe auf Tſchesme, Negroponte, Lesbos verjucht und da⸗ 
ſelbſt türkiſche Magazine zerftört, fie hat 1772 im Oftober bei 
Baträ ein Geſchwader von Dulcignioten vernichtet, und 1773 
noch das ſyriſche Beirut für einige Zeit bejeßt. Bedeutendes 
wurde bier aber nicht gewonnen. Die Ruſſen konnten auch 
nicht verhindern, daß ein anderer in ihrem Intereſſe gegen bie 
Pforte aufgeftandener griechiiher Stamm, vie Fretilchen 
Sphafioten, von den Osmanen wieder überwältigt wurden. 
Die tapferen Sphafioten, welche bei dem Ericheinen 
der ruljiichen Flotte an den Küften dev Maina dem BBeifpiele 
der Maniaten gefolgt und unter Führung des Johannes 
Daskalakis aus Anopolis von der Pforte abgefallen waren, 
jaben fich den Angriffen eines türkiſchen Heeres von 15,000 
Mann ausgejegt, welche bereits die Erhebung bes fretiichen 
Unterlandes jchnell niedergeworfen hatten. ‘Die Osmanen 
führten noch im Sabre 1770 einen graujamen und erfolg- 
reichen Krieg gegen die Sphalia. Viele Dörfer wurden zer. 
jtört, die SHeerden und andere fahrende Habe weggeführt, 
zahlreiche Frauen und Rinder in die Sklaverei geichleppt. 
Mit Hilfe einiger griechiicher Knaben, die durch reiche Geſchenke 
als Führer erfauft waren, drangen die Dömanen endlich jogar 
bis zu den ſchwierigſten Gebirgsitellungen der Griechen vor. 
Hier hatten fie nun zwar anfcheinend feine glänzenden Erfolge 
zu verzeichnen. Aber die Sphakioten konnten fich auf Die 
Dauer in ihrer Felfenwilonig doch nicht behaupten. Ihr 
Führer Daskalakis gerietb in türkiſche Gefangenſchaft und 
wurde zum Beweis der niemals auszutilgenden Barbarei 





40 Buhl. Kap. III. 2. Die Sphakioten. Piraterie. Metromaras. 


diefer Sorte blutiger Sieger lebendig geichunden. Erſt feinem 
Sohne Georgios Tſelepis, der am 15. Yunt 1821 die 
Empörung gegen die Pforte begann, blieb es vorbehalten, bes 
Vaters Tod blutig zu rächen. Die Spbafioten aber, durch 
Mangel und &lend erichöpft, unterwarfen fich endlich ber 
Pforte und zablten ihr von nun an den Kharadſch, während 
fie bisher nur den Paſchas der Injel etwas Eis geliefert 
batten. Damit aber war die Kraft der Sphakioten für 
lange Zeit gebrochen, und auf Kreta nahm einerjeits ber 
Abfall der Griechen zum Islam, andererſeits ber rohe Ueber 
muth der Mohammedaner, namentlich der in vier Janitſcharen⸗ 
regimenter eingejchriebenen Türken, täglich zu. Gewaltthaten 
ber Türken, namentlich der wüften Waffenknechte, gegen junge 
chriſtliche Weiber, gegen die Geiftlichen, überhaupt gegen Ehre, 
Eigentgum und Perfon der Chriften, waren an der Tage 
ordnung, die materielle Lage der Inſel war Häglich, bis zuerft 
wieder 1813 der ftarle und rüdfichtslofe Paſcha Hadſchi⸗Osman 
mit Gewalt die Rohheit des bewaffneten wie des unbewaffneten 
türkiichen Geſindels bänbigte. 

Das Gemälde des Elendes, welches Diefer Krieg über bie 
Griechen gebracht hat, wird vervollftändigt durch bie falt 
jelbftverftändliche Ericheinung, daß in feinem Gefolge in dem 
ägäiſchen Meere die Biraterie fofort wieder einen überaus 
flotten Aufihwung nahm. Im erfter Reihe find es jeßt 
hriftliche Corfaren, die in dem Kielwaſſer der ruffifchen Flotte 
fih bewegten; nur daß nicht wenige biefer Sreibeuter nit 
daran dachten, zwiſchen türkiſchem und griechiichen Eigenthum 
einen beſonders feinen Unterſchied zu machen. Der (S. 236) 
aus Megaris ausgewichene Klephte Metromaras ſammelte 
zu Salamis zahlreiche Flüchtlinge aus Morea und dem 
griechiſchen Feſtlande, plünderte die Geſtade des ſaroniſchen 
Golfes, dehnte ſeine Seezüge bis nach Syra und Negroponte 
aus, und wagte es endlich ſelbſt, nach Böotien und Attila 
binein feine Vorſtöße zu richten. Die Osmanen in Alten 
hielt er geradezu blofirt, vernichtete auch eine aus Nauplion 
nach Athen gejendete türkiſche Abtheilung, bis er dann endlich 











Friede (1774) von Kutihul-Rainarbfche. 241 


jelbft am 15. Februar 1772 in einem Gefechte feinen Tod 
find. Maniatiſche und ſphakiotiſche Eorjaren ſchwärmten 
an den Küften von Morea und Kreta. Am läftigften aber 
wurben den Osmanen⸗damals die Eorfaren der Heinen Inſel 
Plara bei Chios, die damals den nauttjchen Auf dieſer 
Gemeinde begründeten. Ihre Geſchwader erfüllten die grie- 
chiſchen Gewäſſer von der kleinaſiatiſchen Küfte bis nad 
Makedonien und dehnten ihre Naubzüge bis nach Syrien 
aus. 

Die bedeutenden Erfolge, welche die ruſſiſchen Waffen in⸗ 
zwiſchen auf dem nördlichen Kriegsſchauplatze davongetragen 
hatten, nöthigten die Pforte, am 21. Juli 1774 zu 
Kutſchuk-Kainardſche bei Siliſtria einen für ſie höchſt 
nachtheiligen Frieden zu ſchließen. Abgeſehen von verſchiedenen 
Grenzveränderungen zu Gunſten der Ruſſen iſt nun ein Dop⸗ 
peltes für die Zukunft auch der Griechen höchſt bedeutungsvoll 
geworden. Einerſeits nemlich verſtand es die Gewandtheit der 
ruſſiſchen Diplomatie, aus den Artikeln VII, XVI und XVII 
bed Vertrages fich das Schugrecht über die unter osmaniſcher 
Herrichaft lebenden Chriften herauszulefen. Obwohl der Sultan 
nur im Allgemeinen das Berjprechen gegeben hatte, die chrift- 
liche Religion und ihre Kirchen zu ſchützen, fo fonnte e8 bei 
der Stimmung der chriftlihen Rajah ver ruffiichen Ein» 
miſchungsluſt nicht ſchwer werben, jedes von Türken an der 
Rajah verübte Unrecht zu einem Anlaß diplomatiicher Be⸗ 
Ihwerden über Vertragsverlegung zu machen. 

Auf der anderen Seite gewannen die griechiſchen 
Inſeln damals eine bequeme Handhabe, ihrem Handel 
einen höchft bedeutenden Aufſchwung zu geben. Die Ruſſen 
batten für die compromittirten Griechen volle Amneftie aus- 
bedungen. Die unglüdlihen Moreoten haben davon freilich 
zunächit wenig Gewinn gehabt; dieſe, deren Sympathie für 
Rußland für Lange Jahre gründlich abgekühlt war, konnten 
erit nach mehreren Jahren durch ganz andere Mittel aus 
ihrem Elend gerettet werben. Anders ftand es mit ben 
Inſeln des ägäiſchen Meeres. Als Rußland jetzt biefe 

Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 16 





242 Buhl. Kap. III. 2. Gute Folgen dieſes Friedens für die Infelgriecen. 


Erwerbungen an die Pforte zurüdgab, veriprach der Sultarı 
ben Nefioten ‚volle Amneftie, ewiges Vergefien aller wirklichen 
oder vorausgefegten Verbrechen und Beeinträchtigungen; die 
hriftliche Religion ſollte nicht im Geringften beeinträchtigt, ver 
Wiederaufbau und die Ausbefferung der. Kirchen (S. 89f.) nicht 
gehindert fein; durch denſelben (XVI.) Artikel des Friedens 
vertrages wurden die während des Krieges nicht gezahlten 
Tribute einfach kaſſirt, Tributfreiheit noch für zwei weitere 
Sabre, freie Auswanderung für Ein Jahr ftipulirt . Nach 
Abzug der Ruffen war die Pforte — Seit dem 21. Januar 
1774 Sultan Abdul-Hamid I. (des Muſtapha III. Br 
der) — weder gewillt, noch im der Lage, dieſe Zufagen zu 
brechen. Die Nejtoten aber fanden in anderen Beftimmungen 
bes Frievensvertrages das Mittel, fich zu glänzenden merkan⸗ 
tilen Berbältniffen emporzufchwingen. Rußland hatte durch 
den Vertrag das Recht erworben, nicht nur Conſuln und 
Viceconfuln anzuftellen, ſondern namentlich auch mit feinen 
Rauffahrern in ben türkiichen Gewäſſern und Häfen frei 
zu verfehren und ungehindert die Seeftraßen zwiſchen bem 
ſchwarzen und dem ägätichen Meere zu benugen, mit denfelben 
Begünftigungen und Vorrechten, wie die am meiften begünftigten 
Nationen, namentlih Franzofen und Engländer. Diele 
merkantilen Bortbeile find nun aber vorzugsweiſe ben 
Griechen, in erjter Linte den Inſelgriechen, zu Gute ge 
kommen. | 

Diefe rührigen Seeleute und Kaufleute mußten nemlich 
bie neuen von Rußland gewonnenen Rechte fofort in ihrem 
Sntereffe auszubeuten. Die von Rußland ernannten Conluln, 
zu denen allmählich in vielen Fällen Griechen ernannt wurden, 
dienten zunächſt weit weniger dem ruſſiſchen Handel, als daß 
fie vielmehr die ftändigen Agenten wurben zur Pflege ber 
Beziehungen mit der Rajah, die Träger „des ruffifchen Auf 
wiegelungsſhſtems“ in den chriftlichen Provinzen der Türke. 
Diefe Eonfuln ertbeilten an griechifche Seeleute und Kauf 
Yeute zunächſt zahlreiche Patente; und bald (ſ. auch unten) 
wurde es den Griechen möglich, unter ruſſiſcher Flagge auf 








Gute Folgen dieſes Friedens für die Anfelgriechen. 243 


dem Schwarzen Meere und auf ben jett der ruffiichen Flagge 
geöffneten Seeſtraßen zwiſchen dieſem und dem ägätichen 
(„weißen“) Meere ven lebhafteſten Handelsverkehr zu eröffnen, 
während ihnen früher bie engliſche und franzöſiſche Concurrenz 
und für ben inneren und Küften- Handel die Vorrechte ber 
Mollahs und Yaniticharen große Schwierigkeiten bereitet 
hatten ). Seit diefer Zeit nahm beſonders ber Handel ber 
Inſeln Spegä und Hydra außerorventli an Bedeutung zu. 
Die fühnen Hydrioten Hatten ſchon um 1765 verbotenen 
Kornhandel im ägätichen leere getrieben. Ihre und die Kraft 
ber Spesioten (welche Iettere allerdings noch 1770 von 
Nauplion her durch Osmanen und Wbanejen mit Mord und 
Brand heismgefucht worden waren) erhielt aber jeit 1770 noch 
eine beſondere Stärkung durch das Elend ver Moreoten. 
Denn die jammervollen Zuftände des Peloponnes (S. 237) 
veranlaßten damals fehr zahlreiche Bewohner biejer Provinz 
zur Auswanderung, die fich theilweile, namentlich von ver 
Oſtküſte ber, auch auf dieſe Imjeln richtete. Darunter waren 
nicht wenige Griechen von Monembajia; die Bebeutung 
biefer althellenijchen Stadt iſt damals erlojchen und für längere 
Jahre zum größten Theile und in hiſtoriſch hochbedeutſamer 
Weile auf die Injeln Hydra und Spekä übergegangen ?), wie 
wir in dem folgenden Buche zu zeigen haben werben. 

Die Lage der griechiichen Inſeln des ägätichen Meeres 
wurde aber ferner wejentlich gefördert durch die verjtändige 
At, in welder Haſſan Ghazi, der jeit 1773 als 
Lapudan⸗Paſcha fungirte, nach dem Friedensſchluſſe Die Griechen 
behandelte. Einerſeits nemlich verjuchte diefer ausgezeichnete 
Seemann, welcher die Flotte ver Pforte wiederherſtellte, ſich 
jeßt der griechiſchen Matrofen zu bedienen, die man bei 


1) VBgl. no Gervinus, Gefhichte des 19. Jahrhunderts, Bd. V, 
Abth. 1, S. 34 u. 84. 

2) Bgl. Eurtins, Pelopounefos, Thl. II, ©. 294. Orlandos, 
Navrıza, p. 14—16. 19 und 4. Miaulis, Die Iufel Hybra, überſetzt 
von Bender, S. 10—12. 

16* 





244 Buch I Kap. II. 2. Maurogenis. Die Familie Kolofotronis. 


fefter Treue erhalten zu können glaubte. Andererſeits war 
der neue ‚Großdragoman ber Flotte‘, der Grieche Nikolaos 
Maurogenis aus Mylonos (früher Haſſans Sekretär, 
nachmals 1786—1788 Hospodar der Walachei), ein edler und 
wohlmeinender Dann, der feinen mohammebantichen Chef für 
Das Intereſſe der Griechen zu gewinnen verftand ?). 

Eben diefer Kapudan⸗Paſcha wurde endlich auch der Be 
freier der Halbinfel Morea von den Albanejen. Trotz des 
Triedensichluffesg der Pforte mit Rußland, trog der Abſicht 
der Pforte, den Peloponnes nun endlich wieder zu beruhigen 
und wieder für fich nugbar zu machen, waren bie Albanefen 
(S. 237) weber mit Gewalt noch mit guten Worten aus 
der Halbinjel berauszubringen und wurden allmählich ven 
Mobammevanern des Paſchaliks nicht weniger Täftig, als ben 
Chriften. Abgejehen von ven Maniaten, vermochten fich damals 
nur wenige Klepbtenführer in den lakoniſch⸗meſſeniſchen Gebirgen 
zu balten, unter denen die größte Bedeutung gewonnen bat 
Johannes Kolofotronis. Diefer Peloponnefier (bekanntlich 
der Vater des größten moreotiichen Feldherrn des neunzehnten 
Jahrhunderts, des berühmten Theodor Kolokotronis), war das 
Haupt einer ſehr zahlreichen meſſeniſchen Familie, bie ihre 
Ablunft aus der Stadt Leondari berleitete und feit ber 
venetiantichen Eptjode in der jonjt namentlich den Aumelioten 
geläufigen Art umſchichtig zum Schugke der öffentlichen 
Ordnung und im eigenen Intereſſe die Waffen zu führen 
gewohnt war. Die Zahl der Kolofotronäer, bie in ihrem 
Bette gejtorben, war nicht eben groß, und die Zeit feit 1770 
hatte das tapfere Geichlecht in feinem ganzen Umfange zu ben 
Waffen gerufen. Seine militärifche Stellung aber Hatte ber 
alte Kolofotronis zur Zeit dadurch zu ftärken gewußt, daß er 
mit dem mächtigen albanefiichen Aga Ali Pharmaki zu Lala 
einen feſten Bruderbund eingegangen war ?). 


1) Bgl. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bd. 86, ©, 181. 

2) ®gl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 1%. 
191 und Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, &b.1, 
©. 183. 











Die Stellung der Maniaten feit 1776. 245 


Auch der Kapudan⸗Paſcha hatte feit dem Friedensſchluſſe 
alljährlich in den Gewäſſern von Moren gekreuzt, aber nichts 
gegen die Albanefen verjuchen fünnen. Dagegen war es ibm 
gelungen, im Jahre 1776 mit ven Maniaten, die durch 
den Drud der albanefiihen Banden ich jehr beengt fühlten, 
einen enbgiltigen Vertrag zu Stande zu bringen. Die Maniaten 
erfannten die Oberhoheit des Sultans förmlich an und gelobten, 
ver Pforte jährlich einen Tribut von 1000 Dufaten (ober 
15,000 Biafter), dazu als Gejchent für den Kapudan »Pajcha 
noch 2000 Piaſter zu entrichten. Die höchſte lokale Autorität 
in der Maina verlieh der Sultan nunmehr regelmäßig wieder 
(S. 149) einem Bey; d. h. fie behielt fich die Beftätigung 
des oberften Kapitäns vor, den die (S. 221) maniatiichen 
Häuptlinge an ihre Spike ftellten. Im Jahre 1777 erichien 
ber erfte Bey, Tzanetos Kutupharis von Zarnata, in 
Rhodos vor dem Kapudan⸗Paſcha und leiftete die Huldigung. 
Den Wünjchen der Maniaten entiprechend, hatte Haſſan Ghazi 
bei der Pforte e8 durchgefeßt, daß die Maina (fammt Koron, 
Mifithra und Malvafia) von dem Paſchalik Morea getrennt 
und gleich den Imfelgriechen der Gewalt des Kapudan⸗Paſcha 
untergeorpnet wurde. Der neue Bey aber verpflichtete fich, 
die berfömmlichen Steuern für die innere Verwaltung und ben 
Tribut feines Volkes zu fammeln und Ießteren abzuliefern; 
zu feiner Crleichterung wurde ihm dafür das Monopol ver 
Ausfuhr von DI, Seide und Anoppereicheln bewilligt ?). 
Dabei war es feine Aufgabe, für Ruhe und Orbnung in 
der Maina zu forgen; jo blieb er auch ver oberfte Anführer 
der bewaffneten Macht. 

Wagten e8 1777 dann auch wieder Die reicheren Primaten 
aus Morea auf Grund tröftlicher Zufagen Seitens ber Pforte, 
ih nach ihren Befigungen umzufehen, jo dachte die Pforte 
doch erft im Frühling 1779 ernftlich daran, die Ordnung in 
diefer Provinz gründlich wieder berzuftellen. Die Erneuerung 


1) Bel. auch no v. Maurer a. a. O., Th. I, ©. 70ff. 74ff. 
Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 316. 


246 B. J. A. III. 2. Haflan Ghazi vernichtet bie Schkypetaren in Griechenl. 


bes Friedensvertrages mit Rußland im März dieſes Jahres 
hatte endlich ihre Zuverſicht wieder geſtärkt. Gleich nachher 
erhielt daher Haſſan Ghazi den Befehl, als Seraskier 
nah Morea zu marſchiren und erſt nach vollſtändiger Aus 
rottung der fchfupetarifchen Räuber nah Stambul zurüdzus 
fehren. Während ein Theil der Flotte nach den griechiichen 
Gewäſſern auslief und ein Heer vom 30,000 Mann aus ben 
rumeliotiihen Sandſchaks an dem Eorintbifchen Iſthmos ſich 
jammelte, 308 Hafſan jelbft mit 2000 Dann Kerntruppen 
(Marinefoldaten oder ‚‚Levenvden‘) vom Goldenen Horn nad 
Korinth. Bei Argos fuchte er mit den Führern der Albanefen 
noch einmal friedlich zu verhandeln. Als aber dieſer Weg 
nicht zum Ziele führte, fo beichloß er, fchnell und mit aller 
Kraft gegen die Schkypetaren loszuſchlagen. 

Es galt, die Albanefen, die unter Führung ber beiben 
tosfiichen Brüder Beſſiaris (aus der Gegend von Tepeleni) 
in und bei ber Stadt Tripoliga ihre Hauptmacht gefammelt 
Batten, zu zerfchmettern. Haſſan Ghazi fchiefte daher einerfeits 
Boten an die ftreitbaren griechiichen Klephtenführer des Pelo- 
ponne®, von denen jet der alte Kolokotronis mit 1000 
Mann die Höhen des Trikorpha bei Tripoliga befegte. Er 
jelbjt , von feinem Dolmetiher Maurogenis und einem 
zahmen Löwen begleitet, brach mit den Truppen, bie er zu 
Waller von Korinth nah Rauplion und Argos geführt Hatte, 
mit 4000 Mann ausgeluchter türkiicher Infanterie, zu bemen 
nun noch mehrere Tauſende trefflicher Reiter des rumeliotiſchen 
Heeres, eime tüchtige Artillerie und gegen 3000 fireitbare 
Griechen kamen, am 10. Juni 1779 vom Argos auf. Mm 
raſchen Märfchen erreichte er die Ebene von Tripoliga und 
erichien vor den Verſchanzungen der Albanefen, bie hier 12⸗ 
bis 13,000 Mam ſtark fich gejanmelt hatten. Die Albanefen 
rückten fiegesgewiß aus ihren Schanzen aus; aber bie Taktik 
Hafjans, die Tapferkeit ferner Infanterie und das Feuer feiner 
Artillerie warf fie in Heißer Schlacht völlig zu Boden. Ihr 
bier verjammeltes Heer wurde einfach vernichtet; Die Klephten 
vollendeten die Vertilgung, nur 700 entrannen aus der Gegend 





Haſſan Ghazi vernichtet die Schlypetaren in Griechenland. 247 


von Tripoliga. Haſſan Ghazi ftellte nun Trophäen auf, wie 
fie der bier kämpfenden Barbaren nur allzu würdig waren. 
120 Köpfe, darunter der bed Ruſtembeg, eines Hauptführere, 
wurden als Siegeszeichen nah Stambul geſchickt. Dann aber 
fieß der furchtbare Sieger auf der Oftjeite von Tripoliga aus 
4000 Köpfen erfchlagener Feinde eine große Schädelpyramide 
errichten: ein fcheußliches Monument, welches noch gegen Ende 
des achtzehnten Sahrhunderts Hier zu fehen.war. Dann aber 
vertheilte er fein Heer tm verichievene Colonnen und ftelfte 
gegen die übrigen Albanden in Morea ein großartiges 
Keffeltreiben an. Nur wenige konnten fich nach den unzugäng- 
lichſten Gebirgen von Lakonien und Arkabien, oder zu ben 
Bardunioten und Lalioten retten. ‘Die meiften wurben ent» 
weder ohne Gnade nievergemegelt, oder zur Flucht über ben 
Iſthmos hinaus gendthigt; einige traten auch in Haſſans 
Dienfte ). Aber Haffan folgte ihnen auch nach dem Norden. 
Dei Theben fiel ein ſchkypetariſches Corps von 11,000 Mann 
in einen Hinterhalt und wurde volljtändig aufgerieben. Und 
überall bis nah dem Olymp bin empfanven jet bie Albaneſen 
die ſchwere Hand des algierijhen Bluträchers. 

In demſelben Jahre kam endlih auch Athen wieder 
zu größerer Ruhe. Seit dem Karlowitzer Frieden war 
am Fuße der Akropolis allmählich wieder eine griechiiche 
Mittelſtadt mit ſehr ſtarkem albaneſiſchen Beilage entſtanden. 
Die damals wieder ſechſs⸗ bis achttauſend Einwohner hatten 
fi) ziemlich weitläufig ausgebreitet; obwohl mit engen und 
krummen Gaffen zog fich die Stadt mit ihren Gärten und 
Hofräumen Hin am nörblichen Abhange und Fuße des Areopagos 
und der Akropolis, oftwärts erftredte fie ſich bis gegen ben 
Pla des jegigen Schloffes, und zog fih dann ſüdöſtlich bis 
an den Bogen des Hadrian und an das alte Theater unter 
der Süpoftede der Burg. Die Atbener hatten, von der 
übrigen Welt jetst jo ziemlich vergeffen, unter ihren Woiwoden 

und ihrer Iofalen Verwaltung ein friedliches und bequemes 


1) ®gL au Leake 1. c. p. 208. 





248 Buch I. Kap. III. 2. Athen. 


Dafein geführt; nur daß die Osmanen feit ver fchlimmen 
Moroſiniſchen Kataſtrophe nicht mehr daran dachten, nach früherer 
Art die Altertbümer zu ſchonen. Marmorftüde und Relief 
bilder auf der Burg wurden oft nach Belieben in Trümmer 
zerichlagen oder gar in die Kalköfen geworfen, im bejten Falle 
unter die Hütten auf der Burg begraben oder auch in irgend 
einem Neubau als Werkfteine vermauert. Und in der Unter 
ftabt verbrauchten bie Kalköfen, namentlich die in der Sohle des 
panathenätfchen Stadiums aufgeftellten, unausgejegt Stüde 
edlen Marmors, namentlich Infchriftfteine, Kleinere Skulptur. 
werfe oder Architelturrefte. Um das Jahr 1760 ließ bie 
türfiiche Behörde jogar eine der damals noch ftehenden fiebzehn 
Säulen des Olympieion abbrechen und zu Kalk brennen, deſſen 
man zur Erbauung einer neuen Mofchee im Bazar beburfte. 
Für die Wilfenichaft wurde es daher höchft werthvoll, daß feit 
1751 die Engländer, der Maler James Stuart und ver 
Architeft Nicholas Revett, die noch vorhandenen Alterthümer 
in umfaſſender Weiſe wiffenfchaftlih und fünftlerifch aufnahmen. 
Die Ruhe von Athen iſt nachher, wie wir jchon ſahen (S.240), 
fett dem Ausbruche des vuffiich- türkifchen Krieges arg genug 
geitört worben. Auch al8 der Klephte Metromaras (S. 241) 
gefallen war, hörte die Gefahr für Attila und Athen nicht auf. 
Denn die albaneſiſchen Raubſchaaren, wie fie Morea fo 
greulich heimfuchten, erfannten auch diefen Theil Griechenlands 
als bequeme Beute. Zum Glück ftießen fie aber bier auf 
tüchtigen Wiberftand. Ein entichlojiener türkiicher Befehlshaber 
nemlih, der Woiwode Hadſchi⸗Ali-⸗Haſſeki-Bei, ber 
damals 1777 — 1779 die Stadt regierte, griff 1777 an ber 
Spite der Osmanen und der Griechen von Athen ein 
albanefilches Corps non 3500 Mann unter Delibafis, welches 
bie Landſchaft verheerte, energiih an und fchlug daſſelbe bei 
Chalandria (zwifchen Patiffia und Kiviſia) vollftändig. Weil 
aber tm folgenden Sabre neue Raubſchaaren die Stabt Athen 
zu bedrohen jchienen, bie feit dem venetinnifchen Kriege nur 
durch die Akropolis geſchützt war, fo hielt Haſſeki es für 
nöthig, auch die Unterftabt durch Verfchanzungen gegen einen 





Atheniſcher Mauerbau (1778) des Hafleli-Bel. 249 


Handftreich zu decken, und befahl, eine neue Ringmauer 
aufzuführen. Noch im Februar Hatte man fich durch ein 
neues Gefecht bei Maruſi (ſüdlich von Kivifia) einer Bande 
von 600 Schkypetaren erwehren müffen. Nun ließ ber 
Woimode am 18. Februar 1778 den Mauerbau eröffnen, 
der mit themiftoleiicher Energie gefördert wurde. Weil hier 
Jedermann Hand anlegen mußte, wurde der Bau, ed war 
eine dünne Steinmauer mit vorjpringenden Thürmen, binnen 
neunzig Tagen vollendet. Die Mauer ift erft 1835 wieder 
abgebrochen worden. Bet diefem eiligen Werke wurde aber 
freilich alles Material mit verbraucht, was man irgend zur 
Hand Hatte. Namentlich wurden mehrere Denkmäler des 
Alterthums, Die noch Stuart gejehen Hat, nievergeriffen und 
ihre Materialien als Baufteine oder zum Kalkbrennen ver- 
wendet. So tft damals ein noch wohl erhaltener ionifcher 
Zempel oberhalb ber Kallircho&, der längere Zeit als eine 
Kapelle der Panagia gedient batte, abgebrochen worben. 
Ebenſo verſchwanden jest in der neuen Mauer die Reſte der 
antifen Brücke über den Iliſſos (in ber Nähe des Stadiums), 
und die ioniſchen Säulen von der Wafjerleitung des Habrian 
und bes Antoninus Pius am Fuße des Xhfabettos, deren 
Architran mit der Hälfte der Infchrift nun über dem Thore 
Bubuniftra (vor dem jegigen Schloffe) als Oberfchwelle eins 
gemanert wurde. Auch die Reſte eines bei der Brüde auf 
dem jenfeitigen Ufer des Iliſſos belegenen Nonnenklofterg, 
das feit ver Türkenherrſchaft verlaffen dalag, find damals 
abgebrochen worden. Die neue Mauer z0g fich von dem 
Bogen des Hadrian, den fie als Nebenthor benugte, an ber 
Dftfeite der Stadt längs der Südſeite des Burgfelſens an die 
Ruinen des Odeions des Herodes, an welches fie fich anlehnte; 
dann vor der Weſtſeite der Akropolis vorüber und über den 
Rüden des Areopagos, und ging von hier in einem großen 
balben Bogen, bie ebenere nördliche Stadt umſchließend, wieder 
an das Thor des Habdrian zurüd. Ihre Hauptthore waren 
das More-Rapefi an der Weftjeite, innerhalb des alten Dipylon, 
das Egribo- Kapefi gegen Norden, die Bubunijtra auf der 


0 Bud J. Kap. III. 2. Zuflände in Moren. 


Dftfeite, und auf der Süpfeite das Inter Kapefi zwifchen ben 
Ruinen des Olympieion und dem Theater des Dionyſos. 
Die Athener fühlten ſich jet gefichert, und ver Woiwode 
Haffelt, der ſchon 1775 ſich ihre Sympathie erivorben hatte, 
war zur Zeit der populärfte Mann in ver alten Stabt des 
Kekrops }). 

Hafſan Ghazi ſuchte inzwiichen nach der Austreibung 
der Albanejen die Ruhe und die Autorität der Pforte in 
Morea fo vollitändig als nur möglich berzuftellen. “Daher 
fiel feine Hand nun fchwer genug auch auf die umruhigen 
Elemente unter den Griechen. Er hatte, nach Beendigung 
des Krieges auch mit ver Verwaltung von Morea betraut, 
allerdings jehr bereitwillig fich dem griechenfreundlichen Rath 
chlägen des Maurogenis zugeneigt ; aber die Klephten 
mußten fallen. Er Hatte unter dem 21. September 1779 
den verftorbenen mantatiichen Bey Tzanetos Kutupharis durd 
Michalis Trupakis von Skardamula?) erjegt, und war im 
November nad Stambul zurückgekehrt. Aber die gemaltthätige 
Regierung feines Intendanten vermochte das Land um jo 
weniger zu beruhigen, als jest die Pforte bei ihrer Finanznoth 
bie verarmten und beeimirten, durch die ſchrecklichen Jahre jeit 
1770 bi8 auf 100,000 (gezählte) Seelen reduzirten Moreoten 
zwingen wollte, die alte Summe bes Kharadſch aufzubringen, 
wodurch faktiſch die jeßigen Einwohner mit dem doppelten und 


1) Für Athen vgl. Surmelis, Kardorasıs auvontuch Tfis nökens 
"Abnvov, p. 78 sq. (92 8q.). Hopf, Griedenland im Mittelalter, 
Bo. 86, ©. 182. L. Roß, Archäologiſche Auffäge, Bd. I, ©. 267 und 
„Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenland”, ©. 28ff., theild 
nach mündlichen Überlieferungen, theils nach ber aus den letzten Zeiten 
des 18. Jahrhunderts ftammenden handfchriftlichen Stabtchronif bed 
Atheners Antbimos. (Sathas 1. c. p. 521 .meint, daß die neue 
atbenifche Stabtmauer um das Jahr 1771 gegen Metromaras aufgeführt 
worben fei.) Dann namentlih Mihaelis, Der Parthenon, ©. 68 fi 
und €. Wahsmuth, Die Stadt Athen im Alterthum, Bd. I, ©. 19 
bis 23 u. 80 ff. 


2) Sathas 1. c. p. 531. Leakel.c. p. 316. 





Saflan Ghazi vernichtet 1780 das Haus Kololatronis. 251 


dreifachen des alten Kopfgeldes belaftet wurden. Da die 
Umuben nicht aufhörten, jo landete Haſſan Ghazi 1780 
mit Maurogenis an der lakoniſchen Küfte zu Marathoniſi, 
und fegte bier Zruppen and Land, welche unter Aliben bie 
Hauptführer der Klephten, namentlich die Familie Koloko⸗ 
tronis, der zu Raftaniga am Taygetos ftand, den Maniaten 
Panagiotaros Benetzianakis, und andere Bandenchefs bändigen 
jollten.. Maurogenis beftimmte den Trupalis, die Mainotten 
in Ruhe zu balten, und jo gelang es den Osmanen mit Hilfe 
der Bardunioten, die Klephten zu Kaſtanitza zu überwältigen 
und theils jofort zu töbten, theils auf der Flucht zu erlegen 
oder gefangen zu nehmen und graufam Ginzurichten. Der alte 
Johannes Kolokotronis (der feiner Zeit 700 Moslims 
getödtet), deſſen Familie dDamals zum Theile ihren Untergang 
fand, wurde zu Anbruffa in Meffenten aufgefnüpft, nachdem 
man ihm zuvor Hände und Füße abgebauen hatte. Theodor 
Kolofotronis (geboren am 3. April 1770), fein Sohn, 
wie auch deſſen Schweiter, die alte Mutter und ber Obeim 
Anagnoftes wurden durch ihre Pallikaren gerettet; zwei jüngere 
Drüder Theodors erlangten erft fpäter die Freiheit wieder. 
Theodor reifte dann jchnell genug in der Maina zum Rächer 
jeined Vaters heran }). 

Die troftlofe wirthichaftliche Lage von Morea machte es 
aber nur zu natürlich, daß die Auswanderung der Einwohner 
nah den Nachbarländern nicht aufhört. Die moreotijchen 
Griechen zogen fi) damals nicht nur nach Kleinaſien und nad 
ben toniichen Inſeln zuräd. Nicht nur Rußland, fonvdern auch 
Ofterreich lockte nach der tm achtzehnten Jahrhundert fehr 
üblichen Praris Maſſen fremder Coloniften nach feinen Ländern. 
In Griechenland dienten dabei die Priefter als Vermittler. 
Und wie für die Krim, fo ftellte auch für Sftrien jegt neben 
den Inſeln des Archipelagus namentlib Morea zahlreiche 


1) Sathas 1. c. p. 5ölsg. Finlay, History of the greek 
revolution, vol. I, p. 189 sg. Mendelsſohn-Bartholdy, Thl. J, 
©. 183. 


252 Buch I. Kap. III. 2. Zuftände in Moren. 


Anſiedler. Unter folhen Umftänden konnte ſich die letztere 
Provinz nur ſehr langſam erholen. Zu allem Unheil kam 
noch, daß ſeit 1781 vier Jahre lang ſchlimme Seuchen die 
elende Bevölkerung heimſuchten. Neue Unruhen in der Maina 
und auf anderen Punkten nöthigten 1784 den Haſſan Ghajzi, 
abermals mit Gewalt einzujchreiten. ‘Die Maniaten wurden 
wieder genöthigt, ihren Tribut richtig zu bezahlen, und mußten 
als Pfand ihrer Treue Geileln nach Stambul ftellen. “Dabei 
fehlte e8 nicht an neuen Blutthaten und Dinrichtungen com- 
promittirter . griechiicher Machthaber. Der als ruſſiſcher 
Purteigänger und nachher als Corſar bekannt gewordene 
Maninte Murginos wurde nach tapferer Gegenwehr gefangen 
genommen und an der großen Raae von Haſſans Admiralſchiff 
anfgelnüpft. In Tripolitza wurde der Exarch Gregorafis mit 
einer Anzahl maniatiicher Begleiter hingerichtet. Auch Baſil 
Petimezas, der Führer eines klephtiſchen Geſchlechtes von 
Ralavryta, welches jeit 1770 mehrere namhafte Männer ver 
Ioren hatte, fand damals feinen Tod. Es war dann ein At 
echt maniatiiher Blutrache, daß einige Zeit nachher ein 
ftarfer Trupp der Verwandten des GregorafisS und feiner 
Freunde die Moslims in Paſſava überfiel und nieber- 
mebelte. 

Haſſans Nachfolger für das Paſchalik Morea, der grimmte 
Juſſuf-Paſcha, hielt nun freilich mit blutiger Strenge 
von Tripoliga aus weitere Unruhen nieder. Aber ber Wohl- 
ſtand des Landes ftellte fich troß der wohlwollenden Abfichten 
des Sultans Abdul⸗Hamid nur allmählich wieder her. Nur 
mühſam und unter werkthätiger Hilfe der anatolifchen Kirche '), 
unter kräftiger Mitarbeit aderbauernder Mönche, welche die 
Dauern durch geiftlichen Troft, durch Ermunterung und Bei 
ſpiel belebten, überwanden die Moreoten dieſe harte Zeit. 
Die Einkünfte des (jet allerdings durch Abtrennung der 
Maina verkleinerten) Paſchaliks, die bis 1770 zwei Millionen 
Piaſter betragen hatten, erreichten 1786 kaum erſt wieder 


1) Bgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Thl. LI ©. 65f. 





Rußland und die Griechen. 253 


705,000 Biafter. Erft fett 1789 zeigte ſich auch im Pelo- 
ponned wieder eine bemerkbare Zunahme des allgemeinen 
Gedeihens. 

Trotz des ſchweren Unheils, welches die Orlows über 
Griechenland gebracht hatten, waren aber die ruſſiſchen 
Sympathien bei der Mehrheit der Griechen noch keineswegs 
erloſchen. Und von Rußland her war man andauernd bemüht, 
dieſe ruſſenfreundliche und der Pforte abgeneigte Stimmung 
zu erhalten und zu ſteigern. Die Kaiſerin Katharina II. 
hatte auch nach dem Friedensſchluſſe von 1774 das „griechiſche 
Projekt“ nicht aus den Augen verloren. Begabte Griechen, 
wie Bulgarid (S. 204), der noch 1774 in einer Denk 
Ihrift die Kaiferin als ,, Schreden der Osmanen aufgefordert 
batte, ihr Siegeswerk zu Trönen und Griechenland zu befreien, 
und Theotoli8 waren in ruſſiſche Dienfte gezogen worben. 
Daneben aber 3098 fih auf Grund der durch ven lebten 
Frieden geichaffenen politiichen Lage eine niemals abreißende 
Kette Hin von Ddiplomatiichen Streitigkeiten zwilchen ven 
Staatskanzleien von St. Petersburg und Stambul, die jeden 
Augenblid benugt werden fonnten, um bet paffender Gelegen- 
beit den offenen Krieg wieder zu entflammen. Ehe das wirklich 
geſchah, find allerbings dreizehn Sabre verftrichen. Aber 
Katharina II. fand inzwiichen wiederholt Gelegenheit, vor den 
Griechen ihre legten weittragenden Pläne am fernen Horizont 
als glänzende Tata Morgana aufleuchten zu laſſen. Als im 
Januar 1779 ihr zweiter Enkel Konftantin geboren wurde, 
ſchien das ‚‚griechiiche Projekt‘ Leben und Geſtalt gewinnen 
zu ſollen. Wenigjtens trug ſich die ſtolze „Semiramis des 
Nordens’ feit diefer Zeit — nicht ſehr zur Freude der Fühler 
urtbeilenden Staatsmänner ihres Landes — immer lebhafter 
mit der Idee, für diefen Prinzen den byzantiniſchen Kaiſer⸗ 
tbron wieder aufzurichten. Zunächſt allerdings verlief fich 
diefer Plan wieder im Sande; auch die Bemühungen der 
Katjerin, fih mit dem beutichen Katjer Joſeph II. über eine 
Theilung türkiſcher Provinzen auf ber Balkanhalbinſel zu 
verjtändigen, bei welcher Bosnien, Serbien und Belgrad an 





24 Buch I. Kap. IH. 2. Ruſſiſche Baratare griechifcher Abkunft. 


OÖfterreich, Rumänien an Potemkin, die übrige Balkanhalbinſel 
mit den Injeln an Prinz Konftantin fallen follte, — machten 
vorläufig Teine greifbaren Fortſchritte. Die Verftimmung ber 
übrigen europäifchen Mächte über folche Pläne mahnte übrigens 
in St. Petersburg und Wien zur Vorſicht. Dagegen gelang 
es der ruſſiſchen Politik, die Sympathien namentlich bes 
merfantilen und nauttichen Theiles der Griechen felbft immer 
entfchievener für fich zu gewinnen. Rußland Hatte bei ver 
Erneuerung des Friedensvertrages von Kutſchuk-Kainardſche 
durch die Convention von Ainali-Kawak (21. März 1779) 
die Beitimmung erzielt, daß die Pforte (Art. VIII) die Griechen 
von Moren für die ihnen entzogenen und den Moſcheen als 
Wakuf zugetheilten Güter entichädigen ſollte. Außerdem aber 
war das Recht Rußlands zur freien Schifffahrt auf dem 
ichwarzen Meere und auf den nach dem ägäiſchen Meere 
führenden Seeftraßen genauer regulirt worben. Und in bem 
für die Ruſſen unerhört günftigen Handelsvertrage, ver im 
Frühling (21. Juni) 1783 zwiſchen Rußland und ver Pforte 
abgeichloffen wurde, erhielten auch die Griechen des Archipelagus 
das Recht, unter ruſſiſcher Flagge zu fahren. Während der 
ruffiihe Fürſt Potemkin in Petersburg eine Militärfchule für 
junge talentvolle Griechen ſchuf, die dann als rufjtiche Offiziere, 
oder als Dolmetſcher und Confuln in der Türkei verwendet 
wurden; während zur Zeit die Iefuiten für Rußland arbeiteten 
und namentlich Die griechiichen Untertbanen gegen die Pforte 
aufwiegelten; agitirten bie rujfiihen Handelsconfuln in ver 
ichtedenen Theilen des osmanischen Reiches mit Energie gegen 
die Pforte. Nicht immer zwar fo offen wie zu Mykonos, wo 
der General» Eonful für den Archipelagus fich eine förmlice 
Feſtung als Balaft erbaute. Aber es wurde jeßt immer 
allgemeiner, daß die ruffiichen Conſuln ihren griechiſchen 
Schüglingen ftatt der einfachen Patente (S. 242) mißbräuchlich 
die Diplome (Berat) ertheilten, die (uriprünglich nur für bie 
türkischen Untertbanen im Dienjte der fremden ‘Diplomaten 
bejtimmt) ihren Inhabern einen befonderen Schug gewährten. 
Diefe ruffiichen „Baratare“ find allmählich zu ungebeurer 





Ali» Tepeleni. 25 


Zahl angewachſen, bie aus osmaniſchen gleichſam zu ruſſiſchen 
Unterthanen wurden und deren Schiffsladungen als ruſſiſches 
Eigenthum galten 1). 

Die neue ungeſtüme Agitation, welche die ruſſiſche Politik 
auf verſchiedenen Punkten Griechenlands verſucht hat, als 
endlich im Sommer 1787 der lange ſchleichende Kampf zwiſchen 
Veteröburg und Stambul wieder in offenen Krieg auslief, 
ihildern wir in dem erſten Abfchnitte ber folgenden Periode. 
Nicht der neue Ruſſenkrieg, wohl aber das Zufammentreffen 
deſſelben mit einer Reihe anderer wichtiger hiſtoriſcher Momente 
veranlagt uns, bier die Grenze zu ziehen zwilchen ben lebten 
Ausläufern des griechiihen Mittelalters und der wichtigen 
Übergangsperiobe, die für Griechenland abfchliegt mit jenen 
venfwürdigen Frühlingstagen des Jahres 1821, an welchen 
Aerander Hhpfilenti in Rumänien, Germands, Petrobei und 
Theodor Kolofotronis in Morea die Gefchichte des modernen 
Öriechenlands eröffnen. 


II. 


Ehe wir aber zur Darftellung dieſer Übergangsperiobe 
borichreiten, müſſen wir noch einen Blid auf das Empor- 
Iommen des Ali⸗Paſcha von Janina richten. Denn biefer 
Mann ift es, der — foweit die mohanımebantichen Machthaber 
bier in Betracht kommen — ſeit 1788 bis 1821 in ber 
verichiedenften Geſtalt für die Griechen und ihre fpätere 
nationale Erhebung nicht minder bedeutungsvoll geworben fit, 
ald der Padiſchah in Stambul felbit, als Abdul⸗Hamids I. 
reformatoriſcher Nachfolger. 


1) Bol. Zinkeiſen a. a. DO, Thl. VI, ©. 222 f. 268 fi. 310 fi. 
850 fi. 378 ff. 499 ff. 515. Finlay, Greece under othoman and 
venetian domination, p. 327. 344. Gervinus, Geſchichte des 19. Jahrh., 
8. V, Th. I, ©. 31. 85. Mendelsfohn-Bartholby, a I, 
S. 68 fi. 





256 Bud I. Kap. II. 3. Ali's Geſchlecht. 


Ali von Xepeleni !) entftammte einem uralten alba- 
neſiſchen Gefchlechte, weldyes dem tosftiichen Zweige ber 
Schkypetaren angehörte, und feit Menſchengedenken ven Flecen 
und den Diftrift von Zepelent in der unmirthlichen Felſen⸗ 
landſchaft an der mittleren Vojuſſa (nördlich von dem epiro- 
tiihen Arghyrokaſtron) in der Vaſallenſchaft des Paſcha's von 
Berat beſaß. Diefes Geichleht war im fünfzehnten Yahr- 
hundert vom Chriftentbum zum Islam übergetreten, hatte 
jedoch, wie die Mehrzahl der Tosken (und jpeziell die Liapen, 
zu denen Alt zählte), im Gegenſatze zu ben junnitifchen Gegen, 
fih der Sekte der Schliten angeſchloſſen. Ali's Geſchlecht, 
urfprünglih Hiſſas geheißen, war zu höherer Bedeutung 
gelangt durch die kriegeriſche Tüchtigkeit des Mutjochujos im 
fiebzehnten Jahrhundert (Alt’8 Urgrogvater), nach welchem fein 
Clan fih die Mutfoifaten nannte. Muchtar⸗Bei, der Sohn 
dieſes Mannes, ein Krieger erften Ranges, fand an der Spike 
feiner Xruppen 1716 bei dem Angriffe der Osmanen auf das 
durch Schulenburg fo ritterlich vertheidigte Korfu feinen Tod. 
Sein dritter Sohn Vely (©. 122), dem die Pforte 
nachmals das Paſchalik Delvino verlieh, vermochte fih in 
diejer Stellung nicht lange zu behaupten. Er ſtand in dem 
Rufe, in wilden blutigen Hader mit feinen Brüdern um dad 
Erbgut Zepeleni dieſelben unter fchauerlichen Schreckensſcenen 
vernichtet zu haben. Intriguen und Gewaltthaten ffrupelloier 
Gegner ftürzten ihn; er wurde ſchließlich aus feinem Erbgut 
vertrieben und ftarb enplih, nur erft fünfundvierzig Jahre 
alt, 1754 in Kummer und Elend, als fein (wahrſcheinlich 
1741 geborener) Sohn Alt nur erft das breizehnte Jahr 
vollendet hatte. 


1) Wir citiren bier nur bie neueften Arbeiten Über Ali's Anfänge; 
nemlih Zinteifen a. a. O., Thl. VIL ©. 253ff. Finlay, History 
of the greek revolution, vol. I, p. 70 sgg. und jeßt namentlich 
Mendelsſohn-Bartholdy (in v. Raumers „Hiflorifchen Taſchen⸗ 
buche”, 4. Folge, Jahrg. VIII, 1867), Ai-Bafcha von Sanina, &.87f. 
und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, S. 81ff. 





Alis Jugendgeſchichte. 27 


Ali war jett lediglich auf feine Mutter Chamko angewieſen; 
fie war die Tochter des Beys von Khonitza, eines jener 
furchtbaren Weiber, wie fie ſchon pas antike Epirus geſehen 
dat, tapfer, verichlagen, aber von tigerartiger Wildheit und 
unverjößnlicher Rachgier beſeelt. Es gelang ihr, mit Hilfe der 
Pallikaten ihres todten Gatten und geftügt auf ihre Ver⸗ 
wandtſchaft mit Kurt⸗Paſcha von Berat, für Alt und ihre 
Tohter Chainiga einen Theil ihrer Befigungen zu behaupten. 
Der energtiche, reich begabte und hart geartete Alt wurde von 
ihr zu einem grimmigen Arieger und zu eier vollendeten 
Thrannennatur ausgebildet. In den vieler lofalen Fehden 
ſchulte Alt, tapfer und ehrgeizig wie er war, fich zugleich zur 
einem Manne von unergründlicher Schlauheit, der aber auch 
von fi) wie von Allen, über die er gebot, rückſichtsloſe 
Entichloffenheit und Ausdauer forderte. 

Die Angaben der verſchiedenen neueren Schriftiteller, die 
fd mis Ali's Biographie befchäftigen, über die Details ber 
Geſchichte feines allmählichen Emporkommens find nad ber 
chronologiſchen Seite nur fehr ſchwer mit einander in Einklang 
zu bringen. Sicher ift aber, dag Alt, nicht viel über zwanzig 
Jahre alt, bei einem unglücklichen Gefechte in vie Hände der 
Truppen des Mächtigen Kurt⸗Paſcha Yon Berat (©. 218) 
fiel, des damals beveistendften Machthaber in Mittel» und 
Unteralbartten. Ars interejfante VBerjönlichleit und die Für- 
bitte ferner Mutter Chamko gewarnen ihm die Gnade des 
Paſcha's, der ihn in feinen Dienft nahm, wo er bald &e- 
legenheit fand, durch tapfere Thaten fich auszuzeichnen. Als 
aber die Intriguen einflußreicher Gegner des jungen Mannes 
ven Paſcha beſtimmt hatten, feine bereit8 mit Alt verlobte 
Tochter dvemſelben wieder zu entziehen und das. junge Mädchen 
mit Ibrahim, Bei von Aolona, einem reichen und wackeren 
Freier and dem Geſchlechte der Sinanpaffaliven, zu vermählen, 
entwich Alt wieder ans Berat und erneuerte an der Spike 
einer Schaar kecker Palltfaren in Begleitung feiner Mutter 
md Schweſter feine Klephrenzüge mit erhöhter Energie. Noch 
immer aber verfagte fich ihm vas Glück. Als er lelich mit 

Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. II. 


258 Buch I. Kap. III. 3. Ali's Iugendgefchichte. 


feiner Familie den erbitterten Einwohnern von Chormovo 
(jünöftlih von Tepeleni, nicht fern dem Vojuſſathal, dieje 
Ehriften) und Gardiki (jüdweitlih von Arghyrokaſtron, dieſe 
Mohammtedaner) in die Hände gefallen war, mußten fie 
mehrere Wochen in harter Haft zu Gardiki ſchmachten und 
wurden erit durch Vermittlung des Griechen Ulalikavos zu 
Arghyrokaſtron für 65,000 Franken losgekauft. Aber bie 
beiden Frauen waren vorher höchſt brutal behandelt und mit 
bewußter Niederträchtigkeit [nftematifch entehrt worden. Beide 
beichworen nun den Ai, fie blutig zu rächen. Er bat jeit 
diefer Zeit die Blutrache an den Gardikioten und Chormo- 
viaten mit derjelben unerbittlichen Zähigfeit verfolgt, wie beit: 
Gedanken, jenen glüdlichen Liebhaber Ibrahim-Bei einft zu. 
vertilgen. Aber es dauerte lange, bis er zu ſolchem Beginnen. 
bie Macht gewann. in Angriff auf Chormovo fcheiterte 
gänzlih. Nachher blieb ihm michts übrig, als zeitweile bei 
dem Paſcha von Negroponte mit 30 Mann als Bulukbaſchi 
in Dienfte zu treten, und dam wieder in Theſſalien und im 
Pindosgebirge als Klephte ſich aufzufpielen. Verſchiedene 
Erfolge, die er jet davontrug, lenkten die Aufmerkſamkeit des 
Kapelan⸗-Paſcha von Delvino auf ihn, der ihm feine Tochter 
Emineh vermählte und die Hoffnung nährte, in dem damals 
24j25jährigen Alt eine gute Stüge bei feinen eigenen anarchiicen 
Abfichten zu gewinnen. Es war damals (S. 225) die Zeit, 
wo die ruffiihen Agenten in NRumelien gegen die Pforte fräftig 
zu arbeiten begannen. Als nun 1767 die Pforte die Albanejen 
gegen bie aufſtändiſchen Montenegriner und andere Infurgenten 
aufbot, jpielte Kapelan eine ſehr zweideutige Rolle, für bie er. 
nachher zu Monaftir mit feinem Kopfe büßen mußte, während 
ber Staat feine Güter einzog. Ali, der inzwiſchen durch Lit 
und Gewalt fich in den Alleinbefig von Xepelent gejett hatte 
und nunmehr nach höheren Zielen ftrebte, wußte zunächſt bad 
Wohlwollen des neuen Paſcha's von Delvino, des Ali-⸗Bey 
von Arghyrokaſtron zu gewinnen, indem er ihm feine Schweitet 
Chainiga zur Frau gab. AS aber dieſer Mann auf bes 
Herrn von Tepeleni Antrieb durch feinen eigenen Bruder. 





Ali's Jugendgeſchichte. 259 


ermordet, nun aber doch nicht Ali, ſondern ein gewiſſer, 
bereits bejahrter Selim⸗Bey⸗Koka in Stambul zum Paſcha 
von Delvino ernannt worden war, da wußte Ali mit katzen⸗ 
artiger Schlauheit ſich in das Vertrauen dieſes trefflichen 
Mannes einzuſchleichen und ihn zu verderben. Selim gab die 
Praxis ſeiner Vorgänger auf und ſtellte ſich zu den Venetianern 
in dem benachbarten Korfu auf guten Fuß, erregte aber dadurch 
in Stambul Mißtrauen. Dies wußte Ali zu benutzen, um ihn 
zu ſtürzen. Er umſchlich den Paſcha ſpionirend, verdächtigte ihn 
bei der Pforte mit ſolchem Erfolge, daß dieſe nur allzubald 
über Selim das Todesurtheil verhängte, mit deſſen Ausführung 
Ali beauftragt wurde. | 

Diefer Frevel, der aus der unheimlichen Atmojphäre des 
ruſſiſch- türfiichen Krieges und aus dem Zorne der Pforte 
über die griechiiche Inſurrektion fich erklärt, joweit der Diwan 
dabei mitwirkte, wurde der Ausgangspunkt für Ali's Fünftige 
Größe. Die Pforte ernannte jet den ihr anfcheinend jo treu 
ergebenen Mann zum Stellvertreter des neuen Derwendſchi⸗ 
Baſchi von Theſſalien, — eine Stellung, die er aber jchändlich 
mißbrauchte. Anftatt nemlih mit Energie für die Sicherheit 
der Straßen und des Verkehrs zu ſorgen, trat Ali mit den 
Klephten in heimliche Verbindung. Viele Klephten erhielten 
von ihm für Geld fürmliche Freibriefe; felbjt ein Antheil ver 
Beute ſoll zuweilen für ihn ausgemacht worden fein. Jeden⸗ 
falls erreichte in den unter feiner Aufficht ftehenden Zerritorien, 
wo ja noch bie jchredliche Albanefen-Blutzeit (S. 234 ff.) 
nachwirkte, die Räuberwirthſchaft allmählich eine furchtbare 
Höhe. AS endlich die Pforte den Derwendicht - Bajcht zur 
Verantwortung 309, gelang e8 dem Ali, mit feinem Geld in 
Stambul fo erfolgreich zu arbeiten, daß er felbit jeder Strafe 
entging, während fein Chef für die wüſten Zuftände in feinem 
Departement mit jeinem Kopfe büßen mußte. 

AS endlich 1787 der neue Krieg mit Rußland ausbrad), 
erhielt er unter dem Großweſſir Juſſuf ein wichtiges Com⸗ 
mando. Bei diefer Gelegenheit zeichnete er fich fo entichieven 
aus, daß ihn die Pforte im Jahre 1788 unter Belaſſung 

17* 


260 Bud I. Kap. II. 3. Mi wird 1788 Paſcha von Triltala. 


in der Stellung bei der Auffiht über die Sicherheit ber 
Heerftraßen (jetzt ſelbſt als Derwendfſchi-Paſcha oder 
Großaufſeher aller Straßen von Rumili) mit der Ernennung 
zum Paſcha von Trikkala belohnte. Gewiſſe dunkle Gerüchte 
von bedenklichen Beziehungen, die zwiſchen Ali und den Ruſſen 
ſtattgefunden haben ſollten, wußte er durch ſeine Freunde und 
durch ſein Gold zum Schweigen zu bringen. Um fich aber 
jetzt in dem Vertrauen des Diwan in Stambul völlig feſt zu 
jegen, führte er. ſofort einen großen Schlag aus. Zu feiner 
wejentlichen Aufgabe gehörte es, die große Heerſtraße von 
Stambul nad Janina frei und ficher zu balten und namentlich 
das PBeneiosthal von Räubern zu reinigen. Ali bot daher ein 
Zruppencorpe von 4000 Mann Schknpetaren auf, und bald 
gelang es ihm, dem begabten Heerführer, fein nüchites Ziel zu 
erreichen. Es koſtete ihn feine fehr große Mühe, die ala 
nefiichen und griechifchen Klephten und die unruhigen griechiiden 
Armatolen, deren Kämpfe mit Alt feit dieſer Zeit fich em 
leiten, aus den Ebenen herauszuſchlagen und zum Rüchzuge 
nach den Gebirgen zu zwingen. Es gelang ihm bald, in 
bem ganzen Gebiete zwilchen dem Pindos, dem Tempethal 
und den Thermopylen die äußere Ordnung und Gider 
heit herzuſtellen. Nun aber galt e8, noch Größeres zu er- 
langen. 

Alt’ 8 glühender Wunſch war es, das Paſchalik von 
Sanina zu gewinnen. Seine perjönlichiten, wie feine höher 
gehenden politifchen Pläue machten ihm die Gewinnung dieler 
Stellung nöthig, von der aus bie Herrichaft über Albanien 
erworben werden ſollte. Vorbereitet hatte Alt feinen Vorftei 
auf Epirus fchon lange. Die Zahl feiner Freunde und Be 
wunderer in Stambul war groß. Demetrios Paläopulos von 
Karpenifi, ber angefehenfte griechiſche Armatolenführer in ber 
Landichaft Agrapha, war ihm befreundet und verbändet, und 
hatte bereits mit. alarnaniſchen und theſſaliſchen Armatolen 
untev Bakvvallas und Kanavos die Fehde gegen den Paſcha 
von Sunina eröffnet. Die Zuftände in Janina ſelbſt unter 
ftügten gerabe damals Ali's Pläne. Diefe veiche und blühende 








Ayannina. 261 


Stadt Hatte fich feit der osmanifchen Beſitzergreifung (Bd. IL, 
S. 456) lange einer Art halber Freiheit zu erfreuen vermocht, 
bie erit 1611 arg geftört worden war. Damals nemlich 
hatte der wahnfinnige Putſch des fanatiichen Thoren Dionyſios 
Sleloſophos, des Ex⸗Biſchofs von Trikkala (©. 45), nad) 
Bertilgung der Meuterer der Stadt großen Schaden gebracht. 
Die Griechen hatten die Burg räumen müffen, eine Anzahl 
ihrer Kirchen waren zerftört worben, die bisher durch ihre 
eigenen Organe allein verwaltete Stabt wurde nun auch unter 
das Regiment der Paſchas geſtellt. Trotzdem blieb der vom 
einer rübrigen, noch immer zahlreichen griechiichen Bevölkerung, 
wie auch von vielen Türken und Juden bewohnte Plat bei 
kiner glücklichen Lage für den Verkehr, bei mäßiger Der 
fteuerung, und nachher wieder al8 Sit blühenber griechiicher 
Lehranſtalten (S. 201) fehr bedeutend. Die Macht des 
Paſchas in der Stadt felbjt war noch immer, ſobald nicht jo 
kräftige Männer wie Kurd von Berat (©. 218) einmal hier 
regierten, durch die Rechte der Einwohner beſchränkt. Nur 
daß unter den Einwohnern die leidenſchaftlichſten Partetungen 
beitanben. Die einflußreichiten Agas oder Beis, denen fich die 
Griechen anſchloſſen, haderten bitter mit einander, auf ihre 
feften Raftelle geftügt; die Stadt war oft genug der Schauplag 
des Haders und der Anarchie. Namentlich neuerdings jeit 
Kurds Tode hatte diefes Übel unter ſchwachen Paſchas wieder 
ftarf um fich greifen können. Alt wußte das wohl zu benutzen. 
Ging er einerfeit8 aus von ver Abhängigfeit, in welcher früher 
der Janina⸗Paſcha einige Zeit lang von dem zu Trikkala 
geftanden Hatte, fo bildete er fich andererſeits unter ven 
Griechen der epirotifhen Hauptſtadt eine Partei, die allerbings 
bei dem Abjchen der Beis gegen „ven Sohn der Entehrten‘ 
nur langjam fich ausbreiten konnte. Als aber ver legte Paſcha 
farb und nun über die Neubejegung der Stelle in Ianina 
wilde Parteiungen ausbrachen, griff Ali zu. Er überfchritt 
den Pindos mit ftarfer Macht und erſchien im Berbft 1788 
vor Janina. Nun vereinigten fich freilich die Beis und griffen 
ihn an dem Ufer des herrlichen Sees an, ber ihre Stadt 





262 Bud L Kap. III. 3. Ali (1788) Paſcha von Janina. | 


beipülte. Sie wurden geichlagen und nad Janina zurüde 
geworfen. Da nun Alt feinerfeitS nicht ftarf genug war, bie 
Stadt zu erftürmen, fo blofirte er fie nur, während auf 
feinen Antrieb feine Barteifreunde in Janina eine Gefanbtichaft 
nah Stambul jchidten, um feine Ernennung zum Paſcha zu 
fordern. 
Sobald Alt erfuhr, daß diefer Schritt erfolglos geblieben 
war, daß vielmehr die Pforte verfügt Hatte,. er jollte jofort 
nad Theſſalien zurüdtehren, beichloß er, mit rückſichtsloſeſter 
Unverfchämtheit vorzugehen. Im Einverſtändniß mit feiner 
Partei wird der großberrlihe Ferman gefälſcht. Als die 
Beis von Ianina nah altem Brauche ausmarfchiren, um ben 
Verman zu vernehmen, Hören fie mit Staunen, daß ber 
Padiichah ven Alt zum Pafcha von Ianina ernannt hat und Allen 
befieblt, ihm zu gehorchen. Noch wiverjtreben fie; aber nun 
entftebt in der Stadt eine allgemeine Verwirrung, und barüber 
gelingt es Ali's Freunden, ihm in einer Oftobernacht ben 
Eintritt in die Stadt zu eröffnen. 

Nun warf Alt fofort eine ftarfe Beſatzung in die Citadelle 
der Stadt. Dann wandte er feine ganze Schlauheit an, um 
ſich möglichft feft zu jegen. Die ihm feindlichen Beis wurden 
durch den Schein offenen Entgegenfommend gewonnen ober 
wenigſtens bejchiwichtigt; freilich nur, um fie nachmals ſyſtematiſch 
zu fchwächen und zu berauben. Die Schkypetaren wurden auf 
jede Weife an feine Perſon gefejfelt. Die riechen aber 
— mit denen ber frivole Cyniker Alt ebenjo unbedenklich auf 
das Wohl der Panagia trank, wie er je nach Umſtänden den 
moslemitifchen Fanatifer fpielte, oder wieder auf die Ideen 
ber freigeiftigen Bektabfcht, der Pantbeiften des Islam ein 
ging — wurden geködert, indem Mi fie ohne Weiteres in 
feinen Rath, in fein Heer, in jeine Verwaltung aufnahm umd 
aus ihren Reihen feine Leibärzte wählte, wie fpäter namentlid 
bie Metaras, Spathes und Kolettis. Eine neue, diesmal mit 
großen Gefchenten bewaffnete, Gejandtfchaft aber ging nad 
Stambul ab und erfaufte daſelbſt bei dem Diwan die An 
erfennung deifen, was die durch den Ruſſenkrieg bejchwerte 





Ai erobert 1789 Alarnanien und zerftört Chormovo. 263 


Pforte doch nicht mehr zu Kindern vermochte. Und nun griff 
Alt fofort weiter. Leicht fand ſich ein Vorwand, eine Fehde 
(1789) gegen ven Paſcha von Arta zu eröffnen; in vafchen 
Voritoße gelang es, ganz Alarnanien zu erobern. Nun follte 
auch die eine Hälfte des blutigen Vermächtniffes vollzogen 
werden, welches ihm feine Mutter Chamko bei ihrem Tode 
(kurz; vor der Einnahme von Janina) ans Herz gelegt hatte. 
Gardiki konnte zur Zeit noch nicht angegriffen werden, wohl 
aber ſollt Chormovo fallen. Diefe Stadt wurde mit Lift 
gewonnen, bis auf den Grund zerftört. Die männlichen Ein- 
wohner, foweit fie nicht fliehen konnten, wurden niedergehauen; 
ein Mann, welcher feiner Zeit der Chamko Gewalt angetban 
hatte, wurde auf einem Roſte lebendig gebraten; die Weiber 
und Kinder verfielen der Sklaverei. 

Ram bet diefer Gelegenheit die Tigernatur dieſes Albaneſen, 
ſeine ideale Befähigung zu kaltblütiger Verübung der uner⸗ 
hörteſten Graufamfeiten, in wahrhaft ſchauerlicher Weiſe zum 
Vorſchein, ſo zugleich ſeine Gewandtheit im raſchen Zugreifen. 
Denn jetzt wurde auch noch der Kanton von Khonitza, das 
Thal von Karamutadez, die Stadt Libochovo und ein Theil 
des Kantons von Premiti erobert. Auch die Befignahme ber 
wichtigen Pofition von Kliffura gelang. So hatte nun Ali 
die Verbindung zwiſchen Janina und Tepeleni bergeftellt und 
beherrichte das gefammte Tlußgebiet des Vojuſſa von der 
Quelle bis nach Tepeleni. Sein alter Nival bei ver DBe- 
werbung um die Hand der Tochter des Kurd-Paſcha, jet 
Kurds Nachfolger zu Berat, Ibrahim, dem die unverjühn- 
liche Rache Ali's drohte, konnte diefe Eingriffe Mi’s in fein 
Gebiet auch mit Waffengewalt gegenüber den Schkopetaren 
und den Armatolen feines Gegners nicht hindern. Es Tam 
ein Vertrag zu Stande, durch welchen Ibrahim die von Alt 
eroberten Kantone abtrat, und zwar unter dem Namen einer 
Mitgift, welche feine jet mit Ali's Sohne Muchtar vermählte 
Tochter erbielt. 

Alt war jeßt der dominirende Machthaber in Theſſalien, 
Epirus umd Alarnanien. Für die Griechen in Nord» und 


284 Buch J. Kap. II. 3. Mi-Pafe yon Janina. 


Mittelgriechenland zur Zeit bereits mindeſtens eben jo wichtig 
wie der Sultan ſelbſt, wird nunmehr feine Herrihaft für 
die gefammte weitere Zeit bis 1821 eines der bedeutungs⸗ 


vollften Momente in der ganzen weiteren Gejchichte der Griechen. 


des Feſtlandes. 


Zweites Bud. 


— — 


Geſchichte Griechenſands von 1788 his 1821 n. Ehr. 


— — — — — 





Erfies Kapitel. 
Gefchichte Griechenlands von 1788 bis 1814. 


I. 


Es ift keineswegs die Willfür des Hiſtorikers, wenn wir 
die Gefchichte der legten Periode des griechifchen Lebens unter 
osmaniſcher Herrichaft mit dem Ausgange des neunten Jahr⸗ 
zehnts des achtzehnten Jahrhunderts beginnen. In der That 
treffen gerade in dieſem Momente eine Reihe von Motiven 
zufammen, welche in höchſt intenfiver Weije auf die vollftändige 
äußere und innere Umgeftaltung ver Lage der griechtichen 
Nation eingewirkt haben. Ber 1787 wieder auögebrochene 
türkiſch-ruſſiſche Krieg, deſſen gleich hernach in erfter Linte zu 
gedenken fein wird, und die damit zufammenhängenden Unruben 
und Kämpfe in Epirus und im ägätfchen Meere, mie auch 
jeine Folgen für den griechiichen Hanbelsverfehr würden une 
noch nicht beftimmen können, gerade bier den Ausgangspunkt 
einer neuen Epoche des griechifchen Yebens zu erfennen. Wohl 
aber ift e8 von höchſter Bedeutung auch für Griechenland 
geworden, daß gerade in biefe Zeit der Beginn der fran- 
zöſiſchen Revolution fällt. Die Feuerfunken, das Flug⸗ 
feuer der koloſſalen Bewegung in Frankreich, zünden auch in 


268 BuhIL Kap. J. 1. Die allgemeine politifche Lage ber Griechenwelt. 


-Sriechenland, überall in der griechiichen Welt, felbft bei ben 
Klephten der Gebirge. Die großen Kriege der Nevolution 
und der Napoleonijchen Zeit berühren auch den Weſtrand ber 
griechifchen Welt, nemlih Epirus und die tonijchen Snieln. 
Der ungeheure europäiſche Brand dieſes Zeitalters fommt dem 
Aufihwunge des griechiihen Handels, der neuen griechijcen 
Bildung und der griechiichen Treiheitäglutb in fühlbarfter 
Weife zu Statten. Mehr aber, vor dem Eindringen ber 
. modernen franzöjiihen vevolutionären Ideen bei den Griechen 
und vor der immer allgemeiner werdenden Berührung der 
Griehen mit ber europätichen Civiliſation tritt die bisher 
vorherrſchende orthodoxe Eympathie mit Rußland in erheb 
lihem Grade zurüd. Dazu kommt noch ein Anderes. Die 
bumgsitäyen und veformatorüchen Ideen des achtzehnten Jahr⸗ 
hunderts, wie fie vor dem Ausbruch der franzöfifchen Kata⸗ 
ſtrophe auch auf den Halbinjeln der Pyrenäen und ber 
Appenninen in umfafjender Weife zur Geltung und praftiicen 
Durchführung gekommen waren, gelangen nun fchließlich au 
auf der Balkanhalbinſel zum Durchbruch. Diesmal fir es 
bie Osmanen jelbit, der Sultan an der Spike, welche dieſen 
Weg einschlagen, der dann doch nur den Griechen wirkid 
zum Vortheil gereihen ſollte. Die Schwäche aber des 
Gentralvegimented in Stambul ruft auf der Balfauhalbinfel 
und auf anderen Punkten unter den Mohammebanern felbft 
Erſcheinungen hervor, die an bie Loslöſung der perfifchen 
Satrapen des vierten Jahrhunderts v. Chr. von dem Reiche 
der Achämeniden und deren Fehden unter einander erinnern. 
Unter diejen modernen Satrapen aber nimmt für bie Griechen 
wieder bie wichtigite Stelle ein jener Ali-Paſcha von Janine, 
deſſen wir zulett noch gebacht Haben. Und Alt ift es, ber 
lange als ber gefürdhtete Herr der Griechen bes Feſtlandes 
auf die Armatolen den entſcheidendſten Einfluß ausübt, zulegt 
aber in feinem feinvlichen Gegenfage zu der Macht de 
Großherrn felbft wider fein Wiffen und Willen ven Schleier 
stehen hilft, Hinter welchem fich die jelbftändige Erhebung ber 
Griechen gegen die Pforte vorbereitet. 











Ruſſiſch⸗türkiſcher Krieg feit 1787. 29 


Die vergleichsweife Leichtigkeit, mit welcher Mi-Pafcha fich 
unter Zulaffung des Diwans in den Beſitz von Janina, Arta 
und anderen Gebieten hatte jegen können, hing doch damit 
zuſammen, daß die Pforte (S. 255) feit dem Sommer 
1787 wieber in jchweren Kämpfen mit Rußland ftand, an 
deſſen Seite im Februar 1788 auch Sfterreich trat. Die 
kriegeriſchen Ereigniffe an der nördlichen Grenze des osma⸗ 
niihen Reiches kommen für und bier nicht weiter in Betracht; 
fie intereffiren und nur wegen ihrer Rückwirkung auf einen 
Theil von Griechenland. Gleich bei dem Ausbruche des 
neuen Krieges war das Shftem der Aufiwiegelung ber chrift- 
lichen Unterthanen ver Pforte Seitens der Gegner berjelben 
mit Eifey wieder aufgenommen worben; namentlich auch burch 
die al8 ruffiihe Conſuln auf den ioniſchen Inſeln fangirenven 
Griechen: Die Erinnerung an das Schickſal der Moreoten 
im letter Kriege und an bie Rückgabe der zu Rußland damals 
übergetretenen Inſeln an die Pforte war jedoch noch zu frifch, 
ald daß fich gerade in dieſen griechiichen Provinzen Semand 
jest ernftlich für die ruffiiche Politik Hätte compromittiren mögen. 
Nuffiicherfeitd dachte man daher nunmehr daran, die viel 
kräftigeren Sulioten und Rumelioten in Bewegung zu jeken. 
Freilich war e8 ein ſehr übler Umftand, daß die Agenten 
Rußlands perſönlich nicht viel werth waren, die ihnen für 
ihre Landsleute zugewieſenen bebveutenden Mittel zum Theil 
für ihr eigenes Imtereffe verwendeten, unb nachher in ihren 
Berichten nach Petersburg unbebeutende Gefechte als große 
Ationen. darftellten. Namentlich der Kapitän Pjaros aus 
Mykonos (S. 228f.), ver 1788 im Auftrage des mit ber 
Leitung bes Unternehmens betvauten Generald Tamara (S. 226) 
mit dent Brimaten Sotirt von Voftika den Aufftand in 
Albanien organifiren follte, erwarb fich nach diefer Richtung 
din einen fchlimmen Ruf. Die ganze Unternehmung, fomeit 
Öriehenland diesmal in Betracht Tam, fchwebte um jo 
mehr in der Luft, weil. Rußland durch den Ausbruch eines 
Krieges mit den von Stambul aus gewonnenen Schweven inr 
Sommers 1788 gehindert war, feine Flotte aus ver Oſtſee 





270 Bu II. Kap. I. 1. Andrutſos. Die Sulioten. 


nach dem ägätichen Micere zu fchidlen. Die zahlreichen Kaper 
verichiedener Nationalität, welche unter ruſſiſcher Flagge bie 
griechiichen Gewäſſer durchichwärmten, verübten allerdings eine 
Reihe furchtbarer Gewalttbaten, jelbjt an der griechiichen Be⸗ 
völferung, waren dagegen militäriich ohne Werth. Indeſſen 
gelang es dann den ruffiichen Agenten doch, einerfeits die 
Sulioten mobil zu machen, andererſeits auch ven alten 
tapferen Armatolen Andrutios (S. 236) zu gewinnen, 
welcher Ießtere nach dem Friedensichluffe von Kutjchuf- Kai- 
nardſche auf Grund der türkiichen Amnejtie aus Preveja nad 
Livadien zurückgefehrt war, jet aber fich gern bereit zeigte, 
jeine Waffen wieder mit denen der Osmanen zu Freuzen. 

Die Sultioten, die auch durch Ibrahim von Berat und- 
andere albanefiihe Gegner des Ali⸗-Paſcha aus privatem 
Interefje zur Eröffnung von Feindfeligfeiten gegen den neuen 
Herrn von Ianina anfgeftachelt wurden, hatten dann aud m 
Jahre 1789 ihre Raubzüge gegen die benachbarten Landſchaften 
Albaniens, d. h. des epirotiichen Landes, mit Glück begonnen, 
und Ali's Krieger Hatten ihnen nichts Ernfthaftes anhaben 
fönnen. ine Geſandtſchaft von Sultoten und einigen Inſel⸗ 
griechen ging jogar im April 1790 nach Petersburg, tabelte 
zwar das Verhalten jenes Pſaros auf das Bitterjte, Hulbigte 
aber der Kaiſerin und begehrte von ihr einen neuen Fürſten 
für Griechenland, da der Stamm ihrer alten eigenen Herricer 
dabin ſei! Prinz Konftantin wurde damals als König Grie⸗ 
chenlands begrüßt. Aber militärijch wurde hernach nichts 
ausgerichtet. Bon Suli her — diefer Plan ward allerdings: 
entworfen —, wo fich ein Heer griechiicher Injurgenten, babei 
auch Andrutſos mit jeinen PBallifaren, und ruffiicher Krieger 
jammeln follte, gedachte man eine Colonne direkt gegen 
Saloniht zu birigiren. Die andere follte durch Livadien 
marſchiren, Zuzug aus Moren aufnehmen, und, zulegt eben- 
falls Salonichi im Auge, bei Eubda die Verbindung mit einem 
kühnen griechiichen Flottenführer gewinnen, der eben damals 
gegen die Osmanen im Archipelagos operirte. Diefer Mann 
war Lambros Kanzonis aus Lebavein, welcher (geboren 








Lambros Kanzonis 1790. 271 


um 1752) jeit 1770 in ruſſiſchen Kriegsdienſten fich bereits 
burch tapfere Thaten einen großen Namen erworben hatte. 
Diefer Grieche war zu Anfang 1788 in Trieſt erjchienen und 
hatte Hier theils mit ruffiichen Mitteln, theils mit Hilfe frei- 
williger Beiträge reicher Griechen von Trieſt und anderen Orten, 
allmählich ein Geſchwader von zwölf Schiffen ausgerüftet, mit. 
welhem er, ver nunmehr felbjt den Rang eines ruſſiſchen 
Majors erhielt, unter ruffiiher Flagge im April 1790 nad 
dem ägäiſchen Meere auslief, nachdem er bereitd 1788 und 
namentlich 1789 mit einigen Fahrzeugen im ioniichen, ägäiſchen 
und ſyriſchen Meere den Osmanen großen Schaden gethan 
hatte. Leider nur bejaß Lambros ‚mehr Zapferfeit und Teuer, 
als Feldherrntalent. Sein jegiges Ericheinen in dem Archi⸗ 
pelagus veranlaßte die Pforte, die ſchon bisher gegen ibn. 
aufgebotenen Schiffe zu verftärfen und einen Theil ihrer 
Flotte aus dem fhwarzen Meere gegen ihn kreuzen zu laffen.. 
Nun eroberte Lambros zwar die Injel Keos, verichanzte ſich 
bier, richtete jeine Bewegungen gegen die anderen Injeln und 
die osmaniſchen Geſchwader. Geraume Zeit mit Erfolg. Endlich. 
aber griff er zur Unzeit bei Andros fieben große algierijiche 
Corjaren an, die fi) mit den Osmanen vereinigt hatten. 
Nah heldenmüthigem und erbittertem Kampfe (18. Mat 
1790) unterlagen die Griechen der Wucht und dem über- 
Iegenen Gefchüg der Gegner. Die griechiihe Flotte wurde 
vernichtet; nur Lambros felbit entfam verwundet mit zwei 
Begleitern in einem offenen Boote nach Melos, dann nach 
Gerigo. 

Damit fiel aber bie ganze griechiſche Bewegung 
wieder in fih zufammen. Die rulfiichen Agenten waren 
weder in der Lage, noch auch ernitlich gewillt, ven Lambros 
jegt noch bei feinen ausſichtslos gewordenen Unternehmungen. 
zu unterftügen. Die Petersburger Politif, die ohnehin mit 
den Erfolgen der eigenen rujfiihen Waffen an der Nordgrenze 
des osmanischen Reiches immerhin zufrieden fein konnte, gab 
die Griechen einftweilen auf, ſobald es fich zeigte, daß 
die Infurreftion auch diesmal nur einen fehr untergeorpneten. 


M2 Buch II. Rap. I. 1. Ausgang des Lambros Kanzonis. 


militärifchen Werth für dem großen Krieg entwickelte. Unter 
diefen Umftänden hatten die weiteren Kämpfe ber wenigen 
inſurgirten Griechen und ber Sulioten fir bie griechiiche Welt 
nur den einen Nuten, daß fie berfelben zeigten, welche zähe 
und nachhaltige ſoldatiſche Kraft in dem Bereiche griechticher 
Armatolen, chriſtlich ⸗albaneſtfcher Gebtrgsfrieger und grie 
chiſcher Seeleute die allmählich fich emporarbeitende griechiſch⸗ 
albaneſiſche Nation ſchon jetzt wieder zu entfalten im Stande 
mar. Die Sulioten, deren große Kriegsplaäne jetzt zu 
Waſſer geworben waren, blieben anf ben Kaͤmpf gegen Al 
Paſcha beſchränkt. Sie haben denſelben während der Jahre 
1790 und 1791 mit Erfolg geführt. Aber ihre Raubzlge 
nahmen fett einen fo ſchonungsloſen Charakter ar, daß fie es 
deldurch auch mit den ihnen wohlgefinnten mohammedaniſchen 
Gegnern Ali's In Epirus und Albanien, und mit ben benach⸗ 
barten griechlichen Armatolen gruͤndlich verdarben. Der tapfere 
Andrutfos konnte mit 800 Dann, tiber welche er etion 
verfügte, unter den obwaltenden Untftänden natürlich auch 
nichts Erhebliches ausrichten. Ihm blieb ſchließlich nichts 
übrig, als ſich wieder nach Preveſa zurückzuziehen. Lambros 
Kanzonis endlich war allerdings gewandt genug, wieder ein 
Geſchwader von neun kleinen Schiffen zuſammenzubringen, mit 
dem er zunächſt ſich nach Ithaka zug, um wert nun ab die 
Osmanen als Corſar, beziehentlich als ruſſiſcher Kaper zu 
befehden. Denn noch immer intereſſirten ſich die Ruffen, 
Fürſt Potemkin und General Tamara, perſönlich lebhaft fir 
ihn, behandelten ihn als einen Faktor ihrer griechiſchen Politik. 
Eine Reiſe nach Trieſt and Wien zu perſönlicher Verhandlung 
mit den Vertretern Rußlands brachte ihn in Trieft in Gefahr, 
von feinen Glaubigern feftgehnlten zu werden. Won feinen 
Freunden aus diefer Klemme befreit, ntit neuen Mitteln zur 
Berftärfung feier Flottille ausgeſtartet, Tief Lambtos dieſelbe 
dann theils in Ithaka, theils in Sicilien überwintern, ſegelte 
etwa im März 1791 nah der Maina, machte auf deren 
Oſtſeite den Hafen Porto Onaglto (Kalo), nur wenig 
nördlich vom Kap Matapan, zu feinem Standquartier, und 





Friedensichluß zu Siſtowa 1791, zu Jaſſy 1792. 273 


verjuchte ed, die Maniaten für fich in Bewegung zu bringen. 
Dieſes gelang ihm aber nicht. Das Jahr 1791 verftrich 
in Unthätigfeit, und gleich nachher beraubte der Friedensichluß 
zwiichen den friegführenden Großmächten den griechiichen Kapitän 
des ruſſiſchen Rückhaltes. 

Der politiſche Druck, den die Abneigung der europäiſchen 
Welt, England und Preußen damals an der Spitze, gegen den 
öſterreichiſch⸗ruſſiſchen Türkenkrieg auf die Höfe von Petersburg 
und Wien ausübte, veranlaßte Oſterreich, deſſen Waffen ohne 
bin nur zweifelhafte und geringe Erfolge davongetragen hatten, 
zuerft amt 19. September 1790 zu Giurgewo einen Waffen« 
ftillitand, dann am 4. Auguft 1791 zu Siftowa den Trieben 
mit der Pforte zu ſchließen. Rußland aber, deſſen Heer- 
führer namentlich in einer Reihe von Belagerungstämpfen 
verſchiedene glänzende, obwohl ſehr tbeuer erfaufte Siege 
gewonnen hatten, ftand zwar jchon fett dem 14. Auguft 1790 
wit Schweden wieder im Frieden, fand e8 aber nach Ofter- 
reichs Rücktritt von dem Kriege tm Hinblid auf die damaligen 
Zuftände in Polen und in Frankreich, und auf die Nachbar- 
mächte für zweckmäßig, den bis zuleßt fiegreich geführten Kampf 
num ebenfalls einzuftellen. Am 9. Januar 1792 wurde zu 
Jaſſy der Friede unterzeichnet, durch welchen die Beſtimmungen 
der Berträge ‚von 1774, 1779 und 1783 erneuert, die 
Grenze Rußlands aber bis zum niefter vorgerückt wurde. 

Seit diefem Momente fchwebten die bisher für Ruß—⸗ 
land compromittirten Gegner der Pforte in Griechenland 
fo zu fagen „in der Luft“. Lambros Kanzonis zunächſt 
fügte fich nicht der Aufforderung des Generald Tamara, nun⸗ 
mehr die Feinbfeligfeiten gegen die Türken einzuftellen, ſondern 
verihanzte fih in Porto Quaglio und beichloß, ben Kampf 
auf eigene Hand fortzufegen. Die Unterftügung der Kakobu⸗ 
niaten und der Zuzug vieler durch den Friedensichluß dienſtlos 
gewordener Seeleute kam ibm dabei zu Statten. Hoffe 
nungslos, wie für jene Zeit fein Verfuch unter allen Umftänden 
war, jcheiterte Lambros ſchnell genug an der mit feiner Stellung 
nun einmal unvermeidlich verbundenen Piraterie. Die Weg⸗ 

Hertzberg, Geſchichte Griechenſands. III. 18 


274 8.1.8.1 1. Vernichtung des Lambros Kanzonis 1792. Andrutfos. 


- sabme einiger franzöfiiher Kauffahrer bei Nauplion wurde 
Beranlafjung, daß bei der Expedition, welche ver Kapudan⸗ 
Paſcha Huffein im Juli 1792 mit achtzehn großen Kriege 
ſchiffen und vielen Sanbungstruppen gegen Porto Quaglio 
unternahm, auch zwei in den griechiichen Gewäflern kreuzende 
franzöftiche Fregatten fich betheiligten. Yambros wagte mit 
feinen eilf zur Hand befindlichen Schiffen natürlich Fein See 
gefecht, ſondern vertbeibigte fich in feinen VBerichanzungen. Die 
Angriffe der Osmanen und Sranzofen am 17. bis 19. Yult 
auf Porto Quaglio ſchlug Lambros anfangs mit Glück ab. 
Als aber die Stellung unbaltbar wurde, folgte er dem Beim 
lichen Rathe des gegen ihn mit 7000 Mann aufgebotenen 
bamaligen Mainottenbeys Tzanetos Gregorakis, ent 
wich mit einer Heinen Zahl feiner Begleiter in der Nacht zu 
Waffer nach Cerigo, dann nah Ithaka, während feine Sente 
fih durch die Gebirge Lakoniens zerftreuten und vorläufig zu 
Lande retteten. Nur daß fpäter, wer von biefen Mannſchaften 
im ägäiſchen Meere in türftiche Hände fiel, in Stambul hin⸗ 
gerichtet wurde. Lambros ſeinerſeits wurbe von der. Pforte 
noch weiter verfolgt. Auf ihre Forderung lieferte Die vene 
tianifche Regierung mehrere ſeiner Begleiter an die osmaniſchen 
Bebörven aus. Lambros ſelbſt vermochte noch bei Zeiten nad 
Parga zu entlommen. Weitere VBerfolgungen verhinderte bie 
Intervention der Kaiſerin Katharina IL. Lambros kehrte 
dann nach Rußland zurüd und verbrachte die lebten Jahre 
feines Nebens in der Krim. Sein Tod fällt in das Jahr 
1804. Minder glüdlich war ver. tapfere Andrutſos ge 
weien. Dieien lieferte in jener Zeit die venetianijche Regierung 
wirflih nach Stambul aus, we er als Kettengefangener im 
Bagno bis gegen 1796, nach anderen Angaben bi gegen 1800 
jein Leben vertrauert hat ?). | 


1) Die litterariſche Unterlage des bisher in dieſer Periode Erzählten 
bieten die Werfe: Finlay, Greece under othoman and venetian 
domination, p. 328—334. „History of the greek revolution “, vol. I, 
D. 55. Binteifen a. a O., Thl. VI, ©. 804 fi. und TU. VI, 


Ali eröffnet 1792 den Krieg gegen bie Sulioten. 275 


In glänzendem Gegenjage zu dem mehr ober minder 
traurigen Ausgang dieſer Männer fteht nun her helden⸗ 
müthige und fiegreiche Sumpf, ber als Nachſpiel des ruffifch- 
türliihen Kriege® bie tapferen Sulioten zu beftehen hatten. 
Ali-Paſcha brannte vor Begier, dieſe trogigen Klephten zu 
überwältigen, bie feinen Waffen jo entichloffen trogten; und 
es beburfte Taum des Befehls der Pforte, bie ihn nach dem 
Frieden von Jaſſy energiich antrieb, dieſen gefährlichen Vor⸗ 
poſten der ruſſiſchen Politik auf ihrem Gebiete zu vernichten. 
Im Frühjahr 1792 traf der fchlaue Satrap von Janina die 
umfaſſendſten Maßnahmen, um bie Sulioten zu vernichten. 
Cr gewann ſogar den Ibrahim von Berat auf Grund der 
gemeinſamen moslemitiichen Feindſchaft gegen die Chriften zum 
Abſchluß Der Allianz gegen bie dem Berater früher befreundeten 
Klepbten von Suli. Dieſes Bündniß wurde dann durch bie 
Berbeiratbung von. Ibrahims zweiter Tochter mit Ali's Sohne 
Veli beftegelt. Und bei der Erbitterung, welche die letzten 
Raubzüge der Sulioten (S. 272) auch unter ven griechiichen 
Chriften ringsum erregt hatten, wurde es Alt wicht fchwer, 
duch feinen Freund Paläopulos auch die griechiſchen 
Armatolen von Akarnanien, Agrapha und Theſſalien gegen die 
trogige Klephtenrepublik aufzubieten. Es kam Dazu, daß Alt, 
der ſchon viel Höhere Dinge im. Sinne hatte, jeinen Partet- 


8.273 ff. Gervinus, Geſchichte des 19. Jahrhunderts, Thl. V, 1. 
6. 325. 35f. Mendelsſohn-Bartholdy, Ali⸗Paſcha, S. 109 ff. 
und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, ©. 69ff. 89ff., und Sathas 
l.c. p. 538—564. Sathas läßt von allen bisherigen Annahmen 
abweihend ben Andrutfos, ber bei Porto Quaglio mit Lambros 
zuſammen geftanden babe, feinen berühmten Nüdzug aus More (ftatt 
1770) im Jahre 1792 ausführen (p. 562). Nah Sathas (p. 5625q.) 
wäre Andrutſos non. den ionifchen Infeln aus 1792 nad Stambul aus- 
geliefert worden, und farb gegen 1796. Die „Mittheilungen (nad 
Fauriel) aus der Geſchichte und Dicht ung der Neugriehen”, 
80.11, ©. 97 ff. Iafien ihn von Dalmatien her außliefern und gegen 1800 zu 
Stambul an der Peſt flerben. Über die Theilnahme der Spegioten 
an Lambros“ Zügen filfe Orlandos, Nautıxa, p. 17. Bgl. auch 
A. Miaulis, Die Infel Hydra, ©. 14f. 

18 * 





276 Buch LI. Kap. L 1 is Krieg gegen die Sulioten. 


gängern zu verſtehen gab, — wenn er fi erjt unabhängig 
gemacht haben werbe, fo jolle in feinem Lande zwiichen Rajah 
und Zürfen fein Unterichieb mehr fein. Einige ber Armatolen 
Alarnaniend und Theſſaliens, bie fich nicht entichließen konnten, 
für Mi die Waffen zu ergreifen, wurden wenigitens zu 
neutraler Haltung beftimmt. So gelang es ihm denn, binnen 
furzer Zeit ein Heer von 10. bis 15,000 Mann bei Ianina 
aufzuitellen, mit welchem er am 1. Juli 1792 von Janina 
ausmarjchirte. Um aber die Sulioten völlig in. Sicherheit zu 
wiegen, verbreitete er das Gerücht, der Felbzug gelte lediglich 
der unbotmäßigen Stabt Argbprolaftro, und lud fogar zwei 
nambafte juliotiiche Kapitäne ein, ihn dabei gegen hohen Sol 
zu unterjtügen. Nur einer derjelben, Lambros Tiavellas 
mit Namen, ging in die Falle und ftellte fich mit fiebzig 
Sulioten bei Alt ein. Nun ging es wirffih eine Zeit lang 
vorwärts in der Richtung auf Arghyrokaſtro. Dann wurde 
bei Zita ein Lager nufgeichlagen, die Sulioten plößlich ver 
baftet und als Gefangene nach Janina abgeführt. Einer aber 
biefer Männer wußte doch zu entlommen. Er konnte noch zu 
rechter Stunde die Heimath erreichen, wo nun fofort Ale 
fich zu entſchloſſenſter Vertheidigung bereit machte. 

Die Sulioten ftanden damals auf der Höhe ihrer 
Macht. Sie Hatten (vgl. S. 219f.) ihren Nachbarn, ben 
Mohammedanern von Margariti und Paramptbia, und dem 
Paſchalik Ianina zufammen nahezu 70 Ortichaften entriffen, 
bie ihnen nun zinsbar waren. Im ihren vier Gebirgsbörfern 
(bem Tetrachorion) lebten in Kiapha in vier „Pharas“ 60, 
in Avariko und Samoneva in je drei Pharas je 55 und 30, 
in Kako⸗Suli in 19 Pharas 425 ober 450 Familien. ‘Diele 
vermochten aljo ohne Mübe 1000 Pallifaren zum Kampfe zu 
jtellen, die im Kriege noch durch 1500 Krieger aus dem 
Heptachorion, den fieben äußeren Suliotendörfern (©. 219) 
am Fuße ihrer Bergfeftung, verftärkt werben fonnten. Der 
Kleine Sriegerjtamm, Alles zuſammen 7000 Seelen, erbielt die 
Nachricht von Ali's Anmarſch gerade noch zu vechter Zeit, um 
fih dem Paſcha fo drohen gegenüberzuftellen, daß derſelbe fi 








Ali's Krieg gegen die Sulioten. 27 


entſchloß, vorläufig den Weg der Liſt zu verſuchen. Ali ſtellte 
daher dem gefangenen Kapitän Tſavellas die Wahl zwiſchen 
grauſamer Hinrichtung und einer durch Verrath oder Übergabe 
von Sult zu gewinnenden glänzenden Ehrenftellung. Tſavellas 
erflärte ſich bereit, feine Wiünfche zu erfüllen, Tieß feinen 
zmölfiährigen Sohn Photo als Geifel zurüd, und wurbe zu 
feinen Landsleuten entlaffen. In Suli angelommen, rief 
er die Häuptlinge zuſammen, ermunterte fie mit antikem 
heroismus zu dem äußerften Wiberftande; um das Leben 
feines Sohnes jollten fie ſich nicht kümmern, fondern vor der 
Hand nur durch den Schein der Unterhanblung fidh die Zeit 
zur Vollendung ihrer NRüftungen gewinnen. Das geſchah denn 
auch; Die Bewohner des Heptachorion wurden in die Berge 
gerettet, die feiten Pläke auf ſechs Monate mit Proviant 
berieben. Dann kündigte Tſavellas mit rüdfichtslofer Offenheit 
dem Pafcha fchriftlich an, „daß er fich freue, einen Schurken 
getäujcht zu Haben. Wohl wife er, daß fein Sohn werde 
fterben müſſen; jedenfalls werde diejer nicht ungerächt fallen. 
Tas Schreiben des furltotiichen Kapitäns verjette den Alt in 
ben höchſten Zorn. Der junge Photo freilich, ber durch den 
ihlihten Heldenmuth, mit dem er bei ven jchredlichiten 
Drohungen Veli's nur die Zuverficht äußerte, daß fein Vater 
ihn ‚rächen werde, den Albaneſen imponirt hatte, wurde 
geihont. Gegen Suli aber jollte jegt der große Gewaltichlag 
gerührt werben. 

Alt erſchien am 15. Juli von Paramhthia ber (S. 220) 
an dem XThaleingang zu den fuliotifchen Felſenneſtern. Am 
20. Juli ließ er den Angriff eröffnen; jeder Soldat, welcher 
Kako⸗Suli erftürmen würde, follte 500 Piaſter als Belohnung 
erhalten. 2000 mohammedaniſche Schkypetaren, benen ein 
ftarfer Nachichub folgte, drangen mit wilder Energie im 
Thale des Acheron hinauf. Es gelang ihnen auch, biesmal 
tiefer in dieſes Thal einzubringen, als je die früheren Gegner 
der Sulioten. Über ed war doch nur eine ſchlimme Selbft- 
täuſchung, wenn fie die Sulioten, die unter Bojia (Georg 
Bokaris) vor ihrem Säbelangriffe fo weit. gewichen waren, 


278 Buch II. Kap. L 1. Ali's Niederlage vor Suli. 


wirklich geichlagen zu baben meinten. An einer zur Ber- 
theidigung vorzüglich geeigneten Stelle bei Kiapha Hielt Bojia 
und gab das Signal zum allgemeinen Vorbrechen. Nun warf 
fich eine andere Schaar unter feinem Sohne, noch eine andere 
unter Tſavellas wuthentbrannt auf die Schlypetaren. Die 
fuliottichen Weiber, von des Tiavellas Frau Moscho geführt, 
wälzten furchtbare Steinmaflen auf die Teinde herab, denen 
zugleich ein Vorſtoß der Sulioten aus dem Kaftell Tichos den 
Rückweg verlegte. Es entftand ein ſchreckliches Gemetel, dem 
nur 140 Schkypetaren entraunen. 

Die unerwartete Niederlage erichredite Alt und fein Heer 
ſo gewaltig, daß fie in jäher, ungeordneter Flucht nach Janina 
zurücdiagten, — verfolgt von den Siegern, bie bis zu ben 
Vorſtädten von Janina ihnen nacbräugten. Doch auch ſie 
hatten mehrere Hundert Mann verloren und nahmen gern 
den Frieden an, den jet ver Biſchof von Janina im Namen 
des Paſchas ihnen bot. Die Loslaſſung der gefangenen 
Sulioten und bie Abtretung des epirotiichen Gebietes nordoſt⸗ 
wärts bis nach Dervidziana (etwa ſechs Meilen ſüdlich von 
Sanina) mußte ihnen zugeftanden werden. ‘Die Ausführung 
biefes Vertrages ließ freilich auf fi) warten, und fchredlice 
Rache gedachte Alt bei pafjender Gelegenheit an Suli zu 
nehmen. Aber vorläufig hatten die Sulioten Ruhe vor ihm. 
Sie Hatten ſich als viel beflere Krieger bewährt, denn jemals 
die Maniaten; fie machten damals die erjte jener fchred- 
fichen Leltionen im Kriege größeren Stil buch, bie fie 
nachmals befähigt haben, bei dem Ausbruche bes ‘großen 
griechiichen Nationallrieges an der Seite der tüchtigſten 
Rumelioten bie frifcheften Kränze nationalen Heldenruhmes zu 
erringen !). 


1) Über diefe Kämpfe zwifchen Ali und dem Sulioten vgl. namentlid 
„Mittbeilungen ꝛc.“, 8b. UI, ©. 231ff. Zinteifen, Thl. VII, 
©. 270—278. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, 
p. 55 sqgg. Mendelsfohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 118—11T, 
und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, S. Y0ff. 











Reformpolitik des Sultans Selim IIL 279 


u. 


Ali's Kämpfe mit Suli rubten aljo jeit feiner ſchmäh⸗ 
lichen Niederlage im Sommer 1792 für längere Sabre. 
Seine Gefchichte verichlingt fich vorläufig mit den nun fich 
entwiclelnden inneren Bewegungen in der Türkei 
und mit den milttäriihen Beriuchen der Franzoſen der 
Kevolutionsperiode, auf griechiihem Boden feiten Fuß 
zu faſſen. 

Die letzte Hälfte des ruſſiſchen Krieges und ber Kampf 
gegen bie Sufioten fiel bereits nicht mehr unter die Regierung 
des Sultans Abdul» Hamid J. Diefer Herrider war am 
7. April 1789 geftorben, und den Thron hatte beitiegen des 
dritten Muſtapha achtumbzwanzigjähriger Sohn (geboren den 
24. December 1761), der Sultan Selim II., ein begabter, 
ingenblich feuriger Mann. Geftügt auf mehrere tüchtige und 
aufgeflärte Staatsmänner, namentlich auf jeinen vertrauten 
Sugendfreund, den Kapudan⸗Paſcha Kutichul-Huffein, und den 
faft neungzigjährigen Mahmud⸗Tſchelebi⸗Efendi, ſchickte fich 
Selm nach Abſchluß des Friedens von Jaſſy ſehr ernitlich 
an, der Reformator feines Reiches zu werden. Zu feinem 
Unglüd war aber der neue Sultan zwar ftrebiam und thätig, 
aber nicht umfichtig, entfchloffen und ausdauernd genug, um 
bie folcher koloſſaler Aufgabe widerjtrebenden Schwierigleiten 
endgiltig zu überwinden. So viel Verftändbiges auch theils 
eingeleitet, theil8 ausgeführt worden ift, bie Reformen Selims 
führten einerſeits doch nur zu gewaltfamen Reaktionen, endlich 
zu feinem Sturze, andererſeits Tamen fie thatjächlich nur der 
griehiichen Bevölkerung des Reiches zu Gute. Selim 
begann zunächſt mit ber Umgeftaltung des Diwan, bed groß 
herrlichen Staatsratbes, zu einem anſehnlich erweiterten 
Reihsrathe, welchem fortan alle Gejegvorichläge und iwiche 
tigen Staatsangelegenheiten zur Begutachtung, beziehentlich 
Entſcheidung vorgelegt werben follten. Damit jollte namentlich 
die bisher übergroße Macht des Großweſſirs beichränft werden. 


30 Buch D. Kap. I. 2. Reformpolitil de8 Sultans Selim IIL 


Prineipiell gut gemeint, war dieſes aber für die damalige Lage 
der Pforte ein fchlimmer Tebler. Denn die Reform würbe 
viel leichter durch einen dem Sultan treu ergebenen, macht⸗ 
vollen Großweſſir durchgeführt worben fein, als durch einen 
vielföpfigen Reichsrath, innerhalb deſſen fich natürlich fofort 
Parteien bildeten, die dann zum Theil den Neuerungen felbft 
widerwillig gegenüberftanden. Zunächſt ging es jedoch Träftig 
vorwärts. Alle Zweige des öffentlichen Dienftes follten gründlich 
reformirt werben; vor Allem jene, wo der Verfall der alten 
Ordnung am fohreiendften hervortrat, nemlich die Finanzen 
und das Heerweien. Die jchlimmen Erfahrungen während ver 
letzten Ruffenfriege hatten den Verfall der militärifchen ‚Aus 
bildung und der Disciplin bei den Janitſcharen wie bei ben 
alten Xehenstruppen recht veutlich erkennen laffen. Namentlich 
die Janitſcharen, „die ihre Stellen wie Pfründen anfahen, nur 
an den Tagen der Soldzahlung in Reih und Glied erfchienen, 
in den Städten, wo fie garnifonirten, zugleich die Herricaft 
ausübten und Gewerbe und Handel trieben‘, waren zı einem 
Krebsjchaden des Reiches geworden. Es galt nun, vor Allem 
die Wehrfraft des Neiches zu erneuern, und dieſe zugleich 
auf einen gutgefüllten Schat zu fügen. Damit waren 
natürlih ſehr tiefgreifende Veränderungen verbunden. So 
fange es fich nur erft um bie Verbefferung ber Feftungen, ber 
Artillerie und um die Neugeftaltung der Flotte, bei welcher 
die Türken nicht ernftlih in Betracht Tamen, handelte, hatte 
die Sache Heine Schwierigkeiten. Aber der Gebante, bie 
Saniticharen der europätfchen Discipfin zu unterwerfen, aud 
nur aus den jüngeren Männern biefer faulen Prätorianer ein 
disciplinirtes Corps in Stambul zu bilden, zeigte fich, wenige 
ften® in weiterer Ausdehnung, als unausführbar. So wurde 
man denn dahin getrieben, zuerjt in Levend⸗Tſchiflik in ber 
Nähe der Hauptitadt, dann in größerem Umfange feit 1796 
in Alten auf dem Wege der Werbung völlig neue Truppen 
in europäifcher Welfe auszurüften, mit benen man auch ſehr 
gute Erfolge erzielte. Der eiferfüchtige Haß der Ianitfcharen 
and die Exbitterung ber alttürfiichen Partei, namentlich auch 


Reformpolitit bes Sultans Selim ILL. 231 


ber Maſſe des Volles, gegen das neumodiſche Wejen ſtieg 
freilich bei dem Fortichreiten aller diefer Neuerungen. Nicht 
minder tief mußte die Reform des Finanzweſens und ber 
Verwaltung gerade die berrichende Race in dieſem Neiche 
aufregen. Allerdings ftellte die Einficht des Sultans eine 
ganze Reihe von finanziellen Gewohnheiten ab, die feit Alters 
auf den bürgerlichen Wohlſtand und das Gedeihen der Osmanen 
wie der Rajah ſehr ungünſtig eingewirkft hatten. Aber bie 
Einrichtung der neuen Kriegsfaffe, welche ver auch als 
Seneralinipeltor aller Feftungen, aller neuen militärijchen 
Inftitute und der neuen Truppen fungirende Tſchelebi⸗Efendi 
u verwalten hatte (unter deſſen Yurisdiction beiläufig auch 
Athen als Feftung damals geftellt wurde *)), führte zu einer 
fundamentalen Neuerung in dem osmantichen Staatdorganismus. 
Einerjeit8 bob der Sultan principiell das alte Syitem (S. 69 f.) 
ber Lehensgüter auf. Alle durch den Tod ver Inhaber 
eriedigten Siamets und Timars ſollten fortan fchrittweiie 
eingezogen, als Krongüter verwaltet, ihr Ertrag der Kriegs⸗ 
faffe zugeführt werden. Schon jet wurden ſolche Lehensgüter 
eingezogen, beren Inhaber ven. Kriegsdienſt vernachläffigt hatten. 
Ebenſo follten die lebenslänglichen Pachtungen der Zehnten zu 
Gunſten dieſer Kaffe eingezogen, besgleichen die Zölle von 
Stambul, die Tabakspacht und verſchiedene neue indirekte 
Steuern berjelben zugewieſen werben. Die Kriegskaſſe bezog 
ſchon 1798 jährlih 324, 1800 etwa 50 und 1806 an 
75 Miltionen Piaſter. Selbſt der Gedanke tauchte bereit 
auf, mit Bejeitigung aller Finanzpacht wirthichaft eine Regie 
großberrlicher Einkünfte durch Staatsbeamte einzuführen. Dann 
aber wollte man die fchrankenlofe und zeitlih unbejtimmte 
Gewalt der Paſchas reguliven. Die Paſchas follten nicht 
mehr die Herren ihrer Provinzen fein, nicht mehr Satrapen, 
wie fie diefes feit dem Verfalle der alten Kraft der Central» 
zegierumg immer mehr geworben waren. Sie follten wieber 


1) Diefe Notiz gibt Finlay, History of the greek revolution, 
vol. I, p. 4. 


232 Bub II. Kap. I. 2. Reformpolitit des Sultans Selim IIL 


zu Beamten des Staates werben, nur auf je drei Jahre follte 
ihre Beftallung lauten, auch nicht erneuert werben, wenn füch 
der Inhaber nicht bemüht Habe, bie Bevölkerung feiner Provinz 
zu befriedigen. 

Damit ging denn auch ber verſtändige Gedanke Hand in 
Hand, den die aus der rufftichen Agitation unter den Am | 
haͤngern der anatolifchen Kirche wiederholt erwachſene Gefahr 
nahe genug legte, fich mit der Rajah befier zu jtelen und 
beren Sympathien einigermaßen zu gewinnen. Wir jehen nod 
ſpäter, in welcher Weife dpiefer Sultan bie Bemühungen der 
Griechen begünftigt bat, in diefer Zeit anf allen Punkten 
ihre Bildungsanftalten zu vermehren und zu verbefjern, und 
ihre materielle Lage zu fördern. Unmittelbar bemerkbar wurde 
e8, daß der große Neformator der türkiichen Flotte, ber 
ausgezeichnete Kapudan⸗Paſcha Kutſchuk⸗Huſſein, ipre 
Bemannung immer umfafjender aus ben Inſel griechen 
ergänzte ). 

Zrog allen Schwierigleiten, die ihm auf allen Seiten 
entgegentraten, würde Selim II. fein Reformwerk in frie- 
fihen Zeiten wahrjcheinlih doch glüdlich zu Ende geführt 
haben. Es gevieh ihm aber zum Unheil, daß gerade parallel 
mit feiner Regierung in dem fernen europäifchen Weſten bie 
franzöſiſche Revolution aufloverte. Die gewaltige Kunde 
von ber vulkaniſchen Erfchütterung, welche die Zauberformel 
ber „Freiheit und Gleichheit‘ in ganz Frankreich hervorrief, 
und das aufregende Schaufpiel diejes in Blut und Flammen ſich 
verzehrenden Landes und der ungeftümen Verbreitung ber 
republikaniſchen Heere jenfeitS der franzöftichen Grenzen, wirkten 
auf die Völker des türkiich » griechiichen Drients geradezu bes 
rauſchend. Alle Elemente in dem Reiche der Osmanen, 
welche ich zu ber Regierung von Stambul im Gegenſatze 
fanden, fühlten fih durch das Braufen des aus Frankreich 
kommenden Orkans ungeftim angeregt und geftärkt. Die 
Wirkungen waren fehr verfchievenartig, fie gipfelten aber 


1) Bgl. Zinteifen, Thl. VII, ©. 385. 


Eentrifugale Elemente. Haſſekis Tyrannei in Athen. 288 


alle darin, daß die friepliche Reformarbeit Selims IH. im 
Sinne der großen Männer des achtzehnten Jahrhunderts 
überffügelt, gehemmt, endlich zum Stehen gebracht wurde; 
daß bie centrifugale Stimmung der Sraftelemente auf der 
Peripherie des Reiches unter den Moslemen gewaltig gejteigert, 
bag eudlich die unmittelbar vevolutionären Stimmungen unter 
ber griechiſchen Rajah in fühlbarfter Weije neu entzündet 
wurden. 

Ehe noch franzöfiihe Truppen die Macht der Republik 
Benedig in Trümmer warfen und die XZrilolore nad den 
ionifchen Inſeln trugen, bot — um bier von Ägypten und 
Aften nicht weiter zu reden — die europäliche Türkei das 
Schaufpiel einer Auflöfung dar, gegen welche der Sultan 
Selim III. no immer mit Energie Tämpfte, die aber zunächft 
wieder dem kühlſten und ſchlaueſten der Politiker dieſes Landes, 
nemlih dem Alt von Janina, bie reelliten Vortheile bringen 
ſollte. 

Gewifſermaßen en miniature ſpiegeln ſich die Stimmungen 
dieſes Zeitalters in einigen Scenen in Athen und auf Naxos 
ab. In Athen nemlich war es den Vorftellungen ber Ges 
meinde, welche (S. 250) mit großer Liebe an dem Woiwoden 
Hadſchi⸗Ali⸗Haſſeki hing, in Stambul gelungen, die Pforte 
zu beitimmen, daß jie dieſen Statthalter, der übrigen 
1783 — 1785 Athen zum britten Male regiert hatte, feit 
1789 in feinem Amte für Lebenszeit beftätigtee Nun aber 
warf Haſſeki feine Maske ab und zeigte feinen wahren Charalter. 
Er trat kurz gefagt als ein grimmiger, babgieriger Tyrann 
auf und wurde binnen kurzer Zeit eine ſchwere Plage für bie 
osmanitchen Bewohner der Stadt nicht minder, als für bie 
griechiichen, ſoweit nicht eine Partei der leteren ſich ihm enger 
angeichloffen hatte. Das Unbehagen wurde noch dadurch ere 
höht, daß 1789 und 1792 die Stadt von ver Peſt beimgefucht 
ward. Während diefer beiden Yahre ftarben damals von ber 
Hriftlichen Einwohnerfchaft 2200, dazu jehr viele Osmanen. 
Der Harte Drud aber des felbitberrlichen Keinen Despoten 
veranlaßte nicht wenige Griechen, Haus und Hof aufzugeben 





234 3.0.8.1. 2. Haſſeli's Sturz 1792. Markos Polltis auf Naros. 


und aus Athen auszuwandern. Haſſeki, ver zuletzt ſogar einen 
bochangefehenen Türken, Mafi mit Namen, der nach Stambul 
reifen wollte, um feine Abjeung zu betreiben, hatte ermorden 
laffen, fand fich endlich einer drohenden Erbebung faſt der 
gejammten Bürgerfchaft gegenüber. Nun endlich erfolgte von 
Stambul aus feine Abfegung (1792). Haſſeki wurde nad 
der Inſel Kos verbannt und auf Betreiben feiner atbeniichen 
Feinde daſelbſt jchlieplich im December 1795 enthauptet ?). 

Beigte fih bier der Islam mit feiner Richtung auf 
felbitherrliche Despotie, fo jptelten in berjelben Zeit auf 
Naxos revolutionäre Scenen, die an die Tyrannis des alten 
Lygdamis in Pififtratos’ Zeit erinnern. Hier war es ber 
Grieche Markos PBolitis, melder an ber Spike ber 
griechiihen Einwohner die verhaßten fränkiſchen Abels⸗ 
familien, die noch immer zäh an ihrem Griechenhaſſe und 
an ihren Yäftigen feubalen Vorrechten fefthielten, von ihrer 
bisherigen Machtſtellung verdrängte, dieſelben fich zinsbar 
machte, und mehrere Jahre im Archipel eine dominirende 
Rolle ſpielte. Erſt im Jahre 1800 endete dieſer Machthaber, 
gefangen, durch den Strang ?). 

Das waren aber nur Wrabesfen zu bem großen Gemälde 
der wilden Bewegungen auf der Balkanhalbinſel. Wahrhaft 
gefährlich dagegen waren der Pforte die felbjtherrlichen Regungen 
kühner Machthaber im nörblichen Albanien und in Bulgarien. 
In Albanien war es die mächtige Familie der Buſchatli, 
d. 1. des Mehemet⸗Beg von Buſchat, die fich feit der Mitte 
des achtzehnten Jahrhunderts in ben erblicken Beſitz bes 
Paſchaliks von Skodra geſetzt hatte, nach Art der perſiſchen 
Satrapen zur Zeit des Ageſilaos eine völlig ſelbſtändige 
auswärtige Politif trieb, und fchlteßlich der Pforte nur fo meit 
gehorchte, wie ihr gerade paßte. Nicht lange nun nad Ali's 
Mißerfolgen gegen bie Sultoten kam e8 zwiſchen ihnen, jett ben 


1) Hopf , Griehenland im Mittelalter, Bd. 86, ©. 182, und 
Surmelis l. c. p. 80 sgg. 
2) Vgl. Curtius, Naros, ©. 84. Hopfa. a. O. ©. 182. 





Machtaufſchwung des Ali⸗Paſcha von Sanina. 285 


troftoollen Kara⸗Mahmud an der Spike, und der Pforte 
zum offenen Bruce. Mahmud wurde zum „Fermanli“ er⸗ 
Härt (d. 5. geächtet), und Ali erhielt ven Befehl, ſich mit dem 
gegen den Paſcha von Skodra (Sfutari) ausziehenden Heere 
des Rumili⸗-Valeſſi zu vereinigen. Diejer Feldzug mißlang 
nun zwar der Pforte. Die osmaniſchen Truppen, welche den 
Mahmud in feinem Skutari hart belagerten, wurben durch 
die über ihre Ausjchweifungen erbitterten mohammedaniſchen 
ud chriftlichen Albanejen, Gegen und Mirditen, derb geichlagen. 
Mahmud aber, der im Frieden von der Pforte den Titel des 
Rumili⸗Valeſſi erhalten hatte, fand ſchon 1795 feinen 
Untergang in einem Kriege gegen feine alten Feinde, die 
Montenegriner, die damals — (feit dem legten Ruſſen⸗ 
riege an Stelle Venedigs nunmehr ganz der nordiſchen Macht 
jugewandt, und jetzt unter der Hoheit ihres Vladika oder Fürft- 
biſchffs Peter Petrowich Niegoſch) — thatjächlich ihre Unab- 
hängigleit von der Pforte begründeten. Darüber hatte aber 
U von Janina für ſich den Löwenantheil bavongetragen. 
Diefer Machthaber hatte, feiner alten Praxis, Chriften durch 
Mobammeraner und Mohammebaner durch Chrijten zu be 
Timpfen, getreu, zu dem Zuge gegen Skutari die griechiſchen 
Armatolen jeiner Provinzen in Mafje aufgeboten. Die 
glänzende Tapferkeit dieſer Krieger, wie namentlih Des 
Chriſtalis von Preveſa, des Bukovallas, Paläolopulos und 
Kanavos, und des Euthymios Blachavas von Theſſalien, gab 
ihm, da er den unmittelbaren Anſchluß an die Osmanen 
vermied, die Möglichkeit, verichtevene albaneſiſche Städte, 
Namentlich aber auh das als Knotenpunkt zwiichen Stambul 
und Mittelalbanien fo werthvolle Achrida für fich zu erobern. 
Die Eiferfucht und die Furcht, die ihm bei dieſer Gelegenheit 
die Kraft der griechiichen Armatolen eingeflößt hatte, gedachte 
et erit jpäter in fchweren Thaten blutiger Unterbrüdung aus⸗ 
zudrücken. Borläufig hatte er wieber Zeit, einerſeits in feinem 
Bereiche mit furchtbarem Nachdruck und grauenhaften Strafen 
dem Näuberthum ein Ende zu machen, andererſeits aber 
jhſtematiſch ſowohl die Feindfeligkeiten zwiichen den ihm benach⸗ 


286 Buch II. Kap. I 2. Paswan-Ogfu von Wibbin. 


barten kleineren albanefiichen Machthabern zu näheren, um 
diefelben dann ſich unterwürfig zu machen, wie auch die großen 
türfiihen Grundbeſitzer allmählich zu ruiniren und aus feinen 
Provinzen zu verdrängen. 

Ars Bedeutung in den Augen ber Pforte ſtieg noch mehr, 
als er mehrere Jahre nach Mahmuds von Skodra Ausgange 
ſich an dem großen Feldzuge gegen den damals gefährlichſten 
Widerſacher des Sultans und zugleich der neuen Reformen 
betheiligte. Dieſer Mann war der ſeiner Zeit weitberühmte 
Osman Paswan⸗Oglu von Widdin. Abkömmling einer 
bosniſchen Adelsfamilie, Sohn des Omar von Widdin, der 
ſeine hier belegenen Lehensgüter und Privatbeſitzungen im 
Kampfe mit dem Paſcha dieſes Platzes, ſein Leben auf dem 
Schaffot verloren hatte, — war der junge Osman zuerſt ein 
Führer ſchkypetariſcher Räuber, dann in dem letzten öſterreichiſch⸗ 
ruſſiſchen Kriege der glückliche und energiſche Chef eines Frer 
corp8 geweien. Seine Zapferfeit in diefem Kriege belohnte 
die Pforte 1792 durch die theilweile Zurüdgabe jeiner väter 
lichen Befigungen. Damit jedoch noch nicht zufrieden, und 
voll Begier, den Tod feines Vaters zu rächen, jammelte er 
zu Kirſa bei Widdin die damals nach dem Kriege in Maſſe 
unter dem Namen der „Kirdſchalen“ als Räuber in Yulgarien 
hauſenden entlaffenen Soldaten und beutegierigen Strolde 
jeder Art, reichte auch den aus ähnlichen Elementen gebildeten 
großen Banditenhaufen in Rumelien, den Daglis, denen die 
Ihlaffen Janitſcharen ver Pforte nicht gewachſen waren, die Bru⸗ 
berband, — und eroberte nun nicht bloß Die ſämmtlichen 
früheren Befigungen feines Vaters, ſondern ſetzte fi) auch 
mit Gewalt in den Beſitz des Paſchaliks von Widdin. Dieje 
Stabt befeitigte er fo ſtark als möglich, und trat nun fort 
ichreitend energiicher im Sinne der alttürliichen Elemente als 
Gegner der neuen Einrichtungen des Sultans Seltm IIL, als 
Teind der neuen, bei den Maſſen unbeliebten , inbivekten 
Steuern, der Pforte feindlich auf. Dabei ſprach auch er in 
dem Jargon diejer Zeit der Revolution gern von ‚Treiheit 
und Recht‘, wollte auch nicht als Rebell, fondern nur ala 





Paswan⸗Oglu von Widdin. 237 


Feind „der fchlechten Rathgeber des Sultans“ gelten. ‘Da 
feine ftarfe Stellung nicht nur die Niederwerfung ver Banditene 
heere in Rumelien unmöglich machte, die fich jet ebenfalls als 
pofittihe Gegner der neuen Steuern zu erfennen gaben, jonvern 
er auch jein Heer bis auf 80,000 Mann brachte und 1797 
ganz Bulgarien okkupirte, bereits auch Belgrad und bie 
Walachei bedrohte, jo entichloß fich nach einer Reihe erfolglojer 
Unterhandlungsverſuche die Pforte, im Sabre 1798 den 
Kapıdan- Pascha Huſſein mit einer Armee von 100,000 Dann. 
gegen ihn ind Feld zu jchiden, die im April von Abrianopel 
aus ihren Marſch antraten. Alt von Janina batte dabei 
mit demonjtrativem Eifer ftatt 10,000 nahezu 20,000 Mann 
geſtellt, darunter 8000 Mann Glitetruppen. Die mit großen 
Hoffnungen eingeleitete Unternehmung führte aber zu feinem 
den großen Rüſtungen entjprechenden Ergebniſſe. Auf Wibbin 
und Orſowa zurüdgedrängt, bielt ſich Paswan-Oglu in Widdin 
ſo tapfer, daß die Armee der Pforte, unter welcher ihr Gegner 
als Vertreter der alttürkiihen Intereffen große Sympathien 
fand, nach mehrmonatlicher Belagerung endlich mit ſchweren 
Verluſten fchimpflih abziehen mußte Die Stellung des 
Sultans und der Reformpartei wurbe dadurch ſchwer er- 
Ihüttert. Noch mehr, als die Pforte im Jahre 1799 mit ihrem 
Gegner Frieden ſchloß und ihn zum Paſcha von drei Roß- 
ſchweifen ernannte. | | 

. Das Zurüdiweichen der Pforte vor biefer Rebellion erklärte 
fh allerdings weit mehr aus der Rückficht auf die gerade jest 
von Frankreich ber ihr drohende Gefahr, mit: welcher zu⸗ 
gleich weithin eine gewaltige revolutionäre Gährung unter ver 
Öriehen des Reiches parallel lief. Schon in der früheren 
Zeit, als noch die ruſſiſchen Sympathien die griechiſche Welt 
vollſtändig beberrichten, hatte der Einfluß der damals modernen 
franzöſiſchen Litteratur auf die gebildeten Griechen ſich fehr 
bemerkbar gemacht. Die vornehmen fanariotiichen Familien 
beriefen mit Vorliebe franzöfifche Erzieher, und Voltaire's 
Schriften wurden in dieſen reifen in weitem Umfange über- 





238 3.1.8.1 2. Einfluß der franzöfifhen Revolution auf bie Griechen. 


jegt und mit Enthuſiasmus gelefen !).. Viel ungeftümer aber 
wirkten in der griechifchen Welt die neuen Theorien und die 
blutigen Flammenzeichen ber franzöfiichen Revolution. Der 
mächtige Aufſchwung (ſ. unten) des griechiſchen Seehandels 
gerade in und ſeit dieſer Zeit führte griechiſche Seeleute und 
Handelsherren immer häufiger nach den ſüdfranzöſiſchen Häfen; 
ſie brachten die neuen franzöſiſchen Ideen als ein mächtiges 
Ferment mit nach Hauſe zurück, wo die weltberühmte Erklärung 
der „Menſchenrechte“ und die wilde Geſchichte der fran—⸗ 
zöſiſchen Revolutionshelden unter allen Klaſſen des griechiſchen 
Volkes zündeten. Selbſt die grimmigen Klephten ber Gebirge 
empfanden etwas von der vulkaniſchen Gluth, in welcher das 
Land der Franken ſich damals verzehrte. Theodor Kolo— 
kotronis (S. 251), damals zum kräftigen Manne gereift, 
und nach alter Art darauf bedacht, die Rache für den Tod 
ſeines Vaters zu vollziehen, gewann damals zuerſt einen höheren 
Horizont. „Die franzöfiihe Revolution”, fo Hat er ſpaͤter 
erzählt, „habe ihm erft die Augen geöffnet; fie ſei die Welt 
trompete gewefen, welche verkündete, daß der Tag ber Freiktt 
Tomme.' 2) Unmittelbar praftifh aber trat di 
Revolution den Griechen erft im Jahre 1797 vor Augen, 
und zwar auf ben tontjchen Inſeln. 

Die Republit Venedig war längft von ihrer alten Hök 
herabgejunfen. Das Detail ihrer Beziehungen zu ber Pforte | 
zeigt uns ſehr zahlreiche Demüthigungen, welche fich bie einft 
in der Levante jo gewaltige Flagge des heiligen Marcus von | 
dem Diwan, wie von einzelnen Paſchas während der beiden 
legten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts wiederholt jhwer 
gend gefallen laſſen mußte. Auf den io niſchen Infeln aber | 
war ihr Regiment zivar nicht gerade unpopulär; aber & 
Hatte fih hier eine allgemeine Stagnation verbreitet. Die 
Schwäche des Alters trat auch hier in der Verwaltung, in 


1) Vgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlande, 
Thl. I, ©. 26. 
2) ®gl. ebend. ©. 71f. 





Zuftände auf den ioniſchen Infeln unter Venedig. 239 


der Juſtiz und in den Bildungsanftalten kenntlich hervor. 
Die Fehler des veralteten Zol-, Merlantil» und Monopol» 
ſyſtems der Republit hemmten den Aufihwung des Handels 
und der Induſtrie. Das niedere Volf, namentlich der Bauer, 
das allgemeine Laftthier, galt als bigotter und ftumpfer, als 
in den lebhaft angeregten Provinzen der Rumelioten, namentlich 
in Eptrus, und auf den regfameren Infeln des ägäifchen Meeres. 
Und leider gehörten Mord und Todtſchlag zu den jchlimmen 
Lieblingsgemohnheiten der damaligen Jonier. Wüthende 
Eiferſucht in gefchlechtlichen Dingen, namentlich auf Korfu und 
Zante; die feheußliche Gewohnheit vieler großer Familien, fich 
ihrer Gegner durch bezahlte Banditen zu entledigen; bie 
leivenfchaftliche Art des Volles; dazu die fchlimme Nachficht, 
Schlaffheit und theilweiſe Küuflichkeit der Juſtiz hatten das 
Übel groß werden laffen !). Das venetianiiche Feudalſyſtem 
endlich war bier fo tief al8 möglich eingemwurzelt und beftand 
noch bis zuleßt in feiner ganzen Volljtändigfet. Im Ganzen 
waren die Zuftände durch lange Gewohnheit erträglich; doch 
fehlte e8 natürlich weder an ven Elementen zur Entftehung 
einer demofratiichen Partei, noch auch an Epiſoden ſchlimmer 
Habfuht und roher Exceſſe brutaler Beamten, wie auch 
feudaler Härte. In letzterer Beziehung fennt die volksthümliche 
Überlieferung namentlich 2) den vorlegten Beſitzer des feiner 
Zeit (S. 159) der Familie Proſalendi verliehenen ,, Zigeuner» 
lehen“. Diefer, Graf Xeodoro Michele (geftorben 1787), 
erinnerte in feiner Wilfür wohl felbft „an ittalieniſch⸗ 
mittelalterliche Tyrannenlaunen“. 


1) gl. Finlay, History of Greece under othoman and venetian 
domination, p. 340, und namentlich die zwar ſehr gebälftge, aber auch fehr 
lehrreiche Darſtellung bei Sraffet Saint Sauveur, Belchreibung 
der ehemaligen venetianifchen Befigungen auf dem feften Lande und an 
dem Küften von Griechenland; überfegt von M.E. Sprengel, namentlich 
©. 20ff. 28. 66ff. 108Fff. 115 ff. 234 ff. 238ff. Fr. Lenormant, La 
question Ionienne (1859), p. 12—16. 

2) Bgl. Hopf, Die Einwanderung der Zigeuner in Europa, ©. 19 
ut. 22. Ä 
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. III. 19 


20 3.0. 8.1. 2. Die Franzofen erobern 1797 die ionifchen Inſeln 


Alles dieſes nahm ein jähes Ende, als unter den 
Stürmen der franzöfiihen Revolutionskriege die Republik 
Venedig durch Napoleon Bonaparte's grauſame Perfidie und 
Gewaltſamkeit einfach vernichtet wurde. Am 12. Mai 1797 
batte befanntlich die alte venetianiiche Regierung, mit ihr das 
alte Venedig überhaupt, fich auflöſen müſſen. Während dann 
Bonaparte noch immer bie venetianische Municipalität in 
faliche Sicherheit einwiegte, gedachte er bereits die levantiniſchen 
Beſitzungen der Republit für Frankreich zu gewinnen, deren 
Wichtigkeit für den franzöfiichen Levante - Handel und als 
Stüßpuntt für weitere Eroberungen in diefer Richtung ihm 
beutlich entgegeniprang. Obſchon e8 bereits jo gut wie ausgemacht 
war, daß die damals zwiſchen Franfreih und SÖfterreih 
jchwebenden Triedensverhandlungen zur Auslieferung von 
Venedig an letztere Macht führen follten, veranlaßte Bona⸗ 
parte doch noch Ende Mai die Municipalität von Wenebig, 
die „zur Sicherung‘ der ioniſchen Inſeln dahin ab 
zufendende franzöfiihe Expedition des korſiſchen Generals 
Gentili durch einige Abtheilungen venetianifcher Truppen 
begleiten zu laffen. Gentili jeinerfeitS erhielt den Befehl, 
zunähft nur als „Bundesgenoſſe“ Venedigs aufzutreten, 
zugleich aber alle venetianiichen Beſitzungen, Kriegsichiffe, 
Staatsnermögen zu olfupiren, dabei jedoch die Sympathie ber 
Einwohner zu gewinnen und unter geichmeibiger Annäherung 
an etwa vorhandene Neigungen zur Unabhängigkeit in feinen 
Proflamationen an die Griechen recht viel von Hellas, Athen 
und Sparta zu rveben. 

Gentili!) erihien am 28. Juni 1797 vor Korfu, 
wo fchon drei Tage zuvor ein junger franzöfiicher Gelehrter, 


1) 2pl. v. Sybel, Gefchichte der Revolutionszeit von 1789—1800, 
3b. IV, Abth. 2, ©. 582f. 615ff. Zinkeifen, Thl. VI, ©. 883; 
Thl. VII, ©. 80ff. Finlay, Greece under othoman and venetian 
domination, p. 385 sqq. Mendelsfohn-Bartholby, Ali-Paſcha, 
S. 117ff. und „Geſchichte Griechenlands”, Thl. I, S. 92 fi. 26 fi. 
n. 72 ff. Gervinus a. a. O. S. 68 fl u. 75 ff. Sathaslc. 
p. 565 sgg. Lenormantl. c. p. 16sgg. 











Die Franzofen erobern 1797 die ionifchen Infeln. 291 


der feurige Republifaner Arnault, auf den Zinnen der alten 
Aropolis von Korkyra die Tritolore aufgepflanzt hatte. Der 
franzöfifche Feldherr nahm von der venetianifchen Flotte Befit, 
nachher auch von der Citadelle der Stabt mit 600 Geſchützen. 
Die Truppen wurden von den Griechen, den Klerus an der 
Spige, mit Jubel empfangen; bier galten in dem eriten 
Rauch der nun auch nach Griechenland greifenden Revolution 
die Sranzojen noch als Befreier. Alle demokratiſchen 
Elemente traten nun zu Tage; vorläufig börte man nur 
Stimmen des Enthufiasmus über den Sturz des adeligen 
Regimes. Nun wurden auch die Inſeln Santa Maura, dann 
Kephalenia und Zante beiegt. Auf Kephalenia war der 
demokratiſche Jubel bejonders lebhaft; die Zeichen der alten 
Herrichaft, die Zitel und Abzeichen der Arijtofratie, bis auf die 
ungeheuren Perücken der Nobili, wurden den Flammen übergeben, 
ein Sicherbeitsausjchuß eingejeßt. Nur auf Zante zeigte die 
bier ſehr ftarke altvenetianifche Partei größeren Widerſtand. 
Sentili hatte bei feiner Landung in Korfu den Griechen 
Sreiheit und Gleichheit, Sicherheit von Religion und Eigen⸗ 
thum, und die Wiedergeburt Griechenlands zu feinem alten 
Ölanze verſprochen. Nachher wurde in dem Frieden von 
Campo Formio am 17. Oktober 1797 Dalmatien mit 
Venedig an Öſterreich gegeben, während die ionijchen 
Injeln fammt den bisher venetianiichen Beligungen auf dem 
griechiich-albantichen Teitlande an Frankreich fielen. 

Der alte venetianische Feudalismus auf den ioniſchen 
Injeln wurde damals mit Einem Schlage vernichtet. Steigerten 
nun einerfeit8 der revolutionäre Taumel und die Parteiwuth 
die gewaltiamen Neigungen der Einwohner, jo kamen bie 
Infeln andererjeitS noch feineswegs fo fehnell zur Ruhe. 
Bonaparte betrachtete fie zunächit nur al8 Ausgangspunfte 
zu weitgreifenden orientaliichen Plänen auf Koften des osma⸗ 
nilchen Reiches. Die Citadellen von Korfu und Kephalenia 
wurden möglichit ftark befeitigt, und ſchon feit der erjten Be⸗ 
jetung von Korfu war das berfömmliche bonapartiftifche doppelte 


Spiel in der Politik vollkommen im Zuge. 
19* 





292 Buch II. Kap. I. 2. Bonaparte und die Maniaten. 


Auf der einen Sette fuhte Bonaparte Verbindungen 
mit den Griehen, namentlih mit den kriegeriſchen Ma- 
niaten. Der damals fungivende, beziebentlich noch fich haltende 
Bey der Maina !) Hatte ihm bereits einen Geſandten nad 
Stalien gejchiet, der ihm den Wunich ausdrücken jollte, daß 
einige franzöfiiche Schiffe nach den Häfen der Maina gejentet 
würden, bamit die Maniaten baburch Gelegenheit gewinnen 
tönnten, „ſich Frankreichs großem Volke auf irgend eine Weile 
nüglich zu machen‘. Bonaparte war jofort Darauf eingegangen. 
Gerade damals trafen in Mailand zwei junge Männer bei 
ihm ein, Dimo und Nicold Stepbanopoli, Abkömm⸗ 
linge ver ſeit dem Ende des fiebzehnten Jahrhunderts in 
Corſika (S. 60) angefiedelten mantatifchen Colonte, die im 
Jahre 1797 eine botanilch- mebizintiche Reiſe nach Dalmatien 
angetreten, bier aber bet den ſlawiſchen Unterthanen Venedigs 
als franzöftiche Aufwiegler eine jehr jchlechte Aufnahme gefunden 
batten, und fich nun im Intereffe ihrer Sache an den gewal 
tigen franzöfiichen Feloherrn wenden wollten. ‘Diefe Männer 
erbielten jest von Bonaparte beveutende Geldmittel und den 


1) Es war dieſes ber bereit oben S. 274 genannte, feiner Zeit 
befonder8 berühmte Tzanet-Bey Gregorakis von Maratbonifi, der 
feit etwa 14 Jahren fein Amt verwaltete (nachdem Trupakis, vgl. 
©. 250 ff., auf Grund der Klagen fränfifher Botſchafter in Stambul 
wegen Piraterie, die er vor feiner Herrſchaft am europäiſchen Schiffen 
begangen batte, durch den Kapudan⸗-Paſcha verhaftet und zu Lesbos 
entbauptet worben war). Tza net⸗Bey wurbe wegen feiner Beziehungen 
zu Frankreich durch feinen Feind Komundburos von Kitriaes, einen 
Anhänger der Pforte, bei dem Diwan in Stambul benuncirt, im fol 
genden Jahre mit Gewalt feines Amtes beraubt und durch diefen feinen 
Anlläger erfegt. Komunduros ſeinerſeits regierte fleben Sabre; banı 
wurde auch er abgefegt und auf die Klage bes öſterreichiſchen Gefanbten, 
dag er an der Beraubung eines äfterreichifchen Schiffes Theil genommen 
babe, auf Lebenszeit zu Stambul eingelerlert. Ihm folgte Antonio 
Gregoralis von Vathy, ein eifriger Gegner der Piraterie. Bel. 
Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 234. 235. 317 sq. 
Sathas, p. 504. (Finlay, Greece under othoman and venetian 
domination, p. 135, gibt dem Tzanet-Bey nur die Sabre 1785 
bis 1796.) 





Bonaparte und die Maniaten. 293 


Auftrag, nah Morea zu geben, dort die Griechen für die 
Sache der Freiheit und Unabhängigkeit zu gewinnen, namentlich 
aber die Zujtände in der Maina genauer zu unterjuchen. Mit 
einem Kmpfehlungsichreiben Bonaparte’ 8 an den Ben ver 
Maina verjehen, fchifften fie fih im Yuli 1797 in Ankona 
nach Griechenland ein, verweilten mehrere Monate in ber 
Maina, kehrten dann im Frühling 1798 nach Frankreich 
zurüd. Das weientliche Ergebniß der Wahrnehmungen, über 
welche Dimo in Paris dem General Bonaparte perjönlich 
berichtete, war allerdings, daß bie griechiiche Bevölkerung in 
Morea und Rumelien ſich lebhaft nach Abjchüttelung der 
osmantichen Herrichaft fehne, daß man fich aber nicht ohne 
fremde Unterjtügung zu erheben wage. Diele Hilfe erwartete 
man aber damals beftimmt von der Republif Frankreich und 
von dem ,‚, Befreier Italiens, dem glänzenden Helden 
Bonaparte, deſſen Abfunft damals noch dazu vielfach (mo 
man die Abftammung feines Haujes von den langobardiſchen 
Kadolingern noch nicht näher kannte) auf eine maniatiſche 
Familie zurüdgeführt wurde ?).. Bonaparte hatte indeſſen fein 
rechte8 Zutrauen zu den Griechen. Da ohnehin damals jchon 
fein Sinn auf Aegypten gerichtet war, jo ließ man dieſen 
Faden wieder fallen und bejehwichtigte in Stambul den Zorn 
der Pforte über die Beziehungen zu den Maniaten durch 
einige biplomatiiche Unwahrheiten, mit denen fih der Diwan 
zunächſt zufrieden gab. 

Wirklichen Gewinn hatte unter allen Machthabern auf 
griechiichem Boden von der Ankunft der Franzoſen in Korfu 
nur Ali⸗Paſcha von Ianina, mit welchem die Politik Bona- 
parte’8 in völlig anderer Weiſe fih in Beziehung fette. Hatte 
bisher die Nepublif Venedig die ganz over halb freien 
chrijtlichen Gemeinwefen auf ber epirotiichen Küfte geſchützt, und 
troß der Schwäche des alternden Staates daran feitgehalten, 
daß feine türkiichen Schiffe den Sund von Korfu paffiren, daß 
in der Entfernung einer deutjchen Meile von der See auf der 


1) Bgl. bier auch Manfo, Sparta, Bd. III, Thl. I, ©. 144 fi. 


294 B. II. 8.I 2. Beziehungen der Franzofen zu Ali von Janina. 


epirotiichen Küfte feine Feſtungen erbaut werden burften: jetzt 
lag e8 in Bonaparte's Intereffe, Alt für Die franzöftiche 
Sache zu gewinnen und ihm zu feiner Stärkung alle möglichen 
Eonceffionen zu gewähren, die nicht gerade den Franzoſen 
nachtheilig waren. Alt jeinerfeit$, der in jeiner cyniſchen 
Virtuofität der Ideen- und Menichenverachtung auch mit dem 
franzöfiichen Republikanismus ſich vortrefflich abzufinden wußte, 
nahm feine Stellung mit orientaliiher Kunſt. Als nach der 
franzöfifchen Bejegung von Korfu des Generald Gentili 
Generaladjutant, der damals zweiundfechzigiährige Roſa (ein 
geborener Marjeilfer, der aber bei feinem Oheim, dem fran- 
zöfiihen Conjul in Paträ, erzogen war), in Janina erichten, 
empfing Alt biefen Offizier, deſſen Charakter er ſchnell durch⸗ 
Ihaute, mit glänzenden Ehren, machte mit ihm Brüderſchaft, 
ließ fih von ihm bie breifarbige Kokarde anheften, und ver- 
Ichaffte ihm die Hand der ftebzehnjährigen Griechin Zoitza, 
des ſchönſten Mädchens in Yanina, deren Hochzeit in Ali's 
Schloſſe gefeiert wurde. Mi mußte das Vertrauen ber 
Franzoſen vollitändig zu gewinnen. Gentili erlaubte ihm denn 
auch fofort, den Sund von Korfu mit bewaffneten Schiffen 
zu befahren. Und Ali ergriff nun die Gelegenheit, zwei ihm 
verhaßte chriftliche Bezirke der unabhängigen Chimarioten, deren 
Jugend fonft für Neapel und Venedig Solddienſte zu thun 
pflegte, zu Waſſer zu überfallen, von denen ihn zu Lande das 
Paſchalik Delvino trennte. Alt rüftete in dem Golf von 
Arta eine Flotte; dieſe landete am heiligen Abend vor Oftern 
1798 in der Bucht von Lukovo, und ihre XZruppen über 
fielen die Gemeinden Nivitſa⸗Buba und Hagio-Vaſili, mit 
zufammen 6000 Menſchen, die nun geplündert, niebergehauen, 
oder auch graufam hingerichtet wurden. Die Ortichaften ließ 
Alt zerftören, in dem Gebiete von Hagio- Vafilt wurden dann 
Batterien errichtet, welche den Sund von Korfu beherrichten. 
Zum Dank für dieſe wüſte Bluttbat erhielt Alt von ver 
Pforte den Ehrentitel „Arslan“. Andererſeits wurde bie 
Näbe der Franzoſen dem Paſcha Doch auc recht unbequem. 
Als Ali, wie wir jahen, im Sommer 1798 vor Widdin im 


Rhigas von Veleftino. 295 


Lager ftand, erhielt er von feinem Sohne Muchtar, der für 
ihn in Ianina regierte, die Nachricht, daß die Franzofen fich 
durchaus nicht genirten, die Griechen zu injurgiren. Sie 
hatten bereit8 mit den Sulioten Verbindungen angefnüpft, der 
franzöfiihe Conſul zu Arta vertheilte in der Umgegend die 
pretfarbigen Kolarden zu Tauſenden. Mehr noch, Muchtar 
wußte bereitd, daß die griehiihen Bauern ein gluthathmendes 
Led fangen, welches, wie er meinte, die Marjeillaife jei, die 
der Theſſalier Rhigas ind Oriechifche überjegt babe. Ali, der 
weiter auch erfuhr, daß Bonaparte die franzöfiiche Armee nad) 
Aeghpten geführt und am 2. Juli 1798 Aleranbrien erftürmt 
babe, ſah den Bruch zwilchen ver Pforte und Frankreich voraus. 
Um fi) durch die Ereigniffe nicht überrafchen zu laſſen, erbat 
er auf Grund der Mittheilungen jeines Sohnes bei dem 
Seraskier Huffein die Erlaubniß, nach Janina zurückkehren zu 
dürfen, wo wir ihn demnächit wiederfinden werben. 

Die Nachrichten Muchtars über die Marfeillaiie waren 
micht völlig richtig. Wohl aber Hatte damals die revolutionäre 
Stimmung unter den Griechen ein jelbitändiges Sturmlied 
geichaffen, welches recht wohl die griechiiche Marſeillaiſe genannt 
zu werben verdient. Der Dichter aber war jener noch heute 
von feinen Landsleuten enthuſiaſtiſch gefeterte Feuergeiſt Kon⸗ 
ſtantin Rhigas „Pheräos“, der als „der erſte Märtyrer 
der griechiſchen Freiheit“ gilt. Rhigas war im Jahre 1754 
in dem theſſaliſchen Veleſtino (bei den Ruinen des antiken 
Pherä, nicht fern von dem Golfe von Volo) geboren. Er 
hatte fich anfangs dem kaufmänniſchen Stande gewidmet und, 
noch ehe er in gereiftere Jahre gefommen war, in Buchareft 
nievergelaffen. Bald aber warf er fich mit größtem Intereſſe 
auf die Litteratur. in Mann von gewaltiger phyſiſcher 
Kraft, war er auch geiftig reich begabt. Mit der ganzen 
Zernbegierde und raſchen Auffaffungsgabe feines Volkes machte 
er fich die deutiche und bie ttalientiche Sprache zur eigen, jchrieb 
mit gleicher Geläufigfett franzöſiſch wie griechifch, entwickelte 
ebenfo beveutende mufifaliihe wie Dichteriiche Fähigkeiten. 
Eine Zeit lang Lehrer der griechifchen und der franzöfiichen 


296 Bud II. Kap. I. 2. Die Familie Hypfilanti. 


Sprache, erbielt er dann eine offizielle Stellung al8 Sekretär 
bet den fanariotiihen Hospobaren der Walachei. Hier ftand 
er in bejonders nahen Verbältniffen zu den Fürſten Michael 
Sutzos I. (1783 — 1786 und 1791 — 1793) und Alexander 
Hypſilanti I. Die Familie Hypfilanti, trapezuntifcher Abel 
[S. 90 u.97], nach dem Orte Hypſili bei Trapezunt genannt, 
ftand damals unter allen fanariotiichen Familien weitaus 
im beiten Rufe. Wie vor zwei Menichenaltern das Haus 
Maurofordatos, fo nährten jegt vor Allen die Hhpfilanti die 
patriotiiche Sinnesweile im Fanar. Die Rumänen abe 
zählten die Männer dieſes Geichlechte8 zu den wenigen twirk- 
lichen Wohlthätern ihres armen Volles unter ben Griechen. 
Fürſt Alexander I., wegen jeiner wohlwollenden Regierung bei 
ihnen nachmals „der Großvater‘ genannt, hatte 1774 bis 
1777 die Walachet, 1787 die Moldau, 1796 wiederum bie 
Walachei verwaltet. Bet dieſer letzten Verwaltung war er 
allerdings der Pforte verdächtig geworben; er jollte fich gegen 
Paswan⸗Oglu zu lau benommen haben, und batte bemijelben 
in der That ohne großen Widerftand eine von Widdin ber 
geforderte Contribution an Geld, Proviant und Kriegsmaterial 
geliefert. Deßhalb Hatte ihn 1798 Kutichuf- Hufjein abgelegt 
und durch feinen Flottendragoman Konſtantin Handjery er 
jest 2). Trotzdem ftand Fürſt Aleranvder im Ganzen mit ber 
Pforte auf gutem Fuße. Denn er. gehörte zu jenen Griechen, 
die — mie denn in jener Zeit auch dieſe Nichtung unter 
einem Theile der Nation, Mönche und höherer Klerus an ber 
Spite, ihre Vertreter fand ?) — fich ſehr bereit zeigten, auf 
Selims III. Reformgebanten einzugehen. Hatte er noch 
während des letzten ruſſiſch-öſterreichiſchen Krieges mit ben 
Gegnern der Pforte im Sinne der Befreiung Griechenlands 
Beziehungen gepflogen, fo war er jeßt burch den Ausgang 
dieſes Krieges enttäufcht, und nun fehr bereit, im Anſchluſſe 


1) Zinkeiſen, Thl. VO, ©. 237. 
2) Bol. Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlandd, 
Thl. I, S. 18. Gervinus a. a. O. ©. 82ff. 


Rhigas und die Familie Hypfilanti. 297 


an die Neuerungen des Sultans auf eine Ausgleichung ziwiichen 
Griechen und Osmanen binzuarbeiten. 

An der Seite und in der Schule dieſes Mannes gewann 
nun jener Rhigas den Einblid in die allgemeine Politik 
diefer Zeit; nur daß feine eigenen politifchen Gedanken eine 
ganz andere Richtung nahmen. Der Hochbegabte Mann ift 
jeinee Zeit lange nach den verſchiedenſten Seiten hin ichrift- 
ftelferifch thätig geweien; feine Lieblingsneigung galt der Geo- 
graphie. Aber der Gefahr der Zerjplitterung entriß ihn ber 
glühende griechiiche Patriotismus, der durch den Ausbruch der 
franzöjijhen Revolution nunmehr neuen Schwung 
und Halt gewann. Seit diefer Zeit entwidelte fich in ver 
Sphäre des Hauſes Hypſilanti ein merkwürdig buntes Leben. 
Das vnollftändige Durcheinander der politiichen Ideen dieſer 
patriotifchen Griechen entſpricht vollfommen ber unflaren 
Gährung und Freiheitsfehnjucht ihres Zeitalters, wie auch 
(und das bat fich noch viele Jahrzehnte lang bei den Neu- 
griehen fühlbar gemacht) ver Buntheit der Elemente und 
Anregungen, aus denen ihre wiljenjchaftliche und politiiche 
Bildung hervorging. Während alſo Fürft Alerander auf 
ben Anichluß an den reformiftiichen Sultan bedacht war, 
neigte fein hochbegabter, geiſtvoller Sohn Konftantim (jeit 
1796 dann Großdragoman ber Pforte), ber ſtets ven Gedanken 
einer Befreiung der Griechen durch eine aus der Rajah zu 
bildende Kriegsmacht erwog, zur Anlehnung an die nicht- 
franzöfiihen Mächte, namentlich an Rußland, dieſes ſchließlich 
zum Schaden für jeine Pläne. Rhigas dagegen war voll. 
jtändig von den franzöſiſchen Ideen bingeriffen und Tonnte 
fich die Befreiung Griechenlands nur unter dem Schuge ber 
fränkiſchen Zrifolore denken. 

Die Befreiung Öriehenlands wurde jett für dieſen 
gewaltigen Menſchen bie große Leidenjchaft feines Lebens. Nicht 
mehr zufrieden, nur mit dem gejchriebenen Worte zu wirken, 
entfaltete er nun auch, durch ein mächtiges Rednertalent 
unterftüßt, eine umfaffende praktiſche Xhätigfeit. ‘Deutlich 
e8 zu bezeichnen, er faßte den Plan, eine große geheime Ver⸗ 


298 Bud II. Kap. I 2. Die Hetärie und die Pläne des Rhigas. 


bindung, eine politiihe „Hetärte‘ zu bilden, für ven Zwech, 
ganz Griechenland gegen die Pforte in Aufitand zu bringen. 
Es gelang ihm, aller Orten einflußreiche Griechen, Biſchöfe, 
Primaten, reiche Kaufleute, Gelehrte, Schiffsfapitäne für dieſen 
Bund zu gewinnen. Mehr aber, er wußte auch in feinem 
thefjaliichen Heimathlande verfchtevene ber angejehenjten 
Armatolen- und Klepbtenführer, die eine beffere Bildung 
befaßen, für die große nationale Idee zu erwärmen, fie 
über die wilde naturwüchfige Freiheitsliebe hinaus zu Höheren 
Zielen zu jtimmen. Zu dieſen gehörte namentlich der im 
Klofter erzogene Nilotfaras aus Alaffona, in befien 
Familie eines der vier olympiichen Armatoliks erblich war, 
und der Bapı Euthymios Blachavas, aus der Gegend 
am Gebirge Chaffia (nördlich von Trikkala) gebürtig, ver für 
den geiftlichen Stand beitimmt gewejen, aber bei dem Tode 
feines Vaters aus dem Klofter entlaufen war. 

Soweit unterjcheidet fich die energifche Agttation des Rhigas 
nicht viel von analogen nationalen Erfcheinungen bei anderen 
Völkern umter Ähnlichen Verhältniſſen. Charakteriftiich aber 
für dieſes Volt, und zugleich für dieſes Zeitalter, wo noch 
nicht wie heutzutage das neu aufgetretene Nationalitätsprincip 
ben tiefen Riß zwiichen bie ſlawiſchen und bie nattonalgriechtichen 
Anhänger der anatoliichen Kirche gemacht Hatte; wo bei der 
nicht römiſch-katholiſchen Rajah das griechiiche Kreuz das 
allgemeine Panier war, — iſt die Tendenz des Rhigas, alle 
griechiich « gläubigen Rajahſtämme bes osmantichen Reiches zur 
Erhebung gegen die Pforte zu gewinmen. Dem fühnen Rebellen 
perjönlich eigenthümlich war endlich der Gedanke, fogar 
unter den Mohammedanern Bundesgenoſſen gegen bie Herr- 
Ihaft des Sultans zu werben. Seine geheimen Verbindungen 
reichten bis nach dem Schloffe des Paſchas von Janina, und 
im feltiamen Parallelismus zu den Compromißideen zwilchen 
Griechen und „liberalen“ Türken hatte Rhigas jogar bie 
Sreundichaft des Paswan-Oglu von Wibdin gewonnen. 

Wie immer in den genialen Ideen großer Männer bie 
legten und unbewußten Gedanken ver Maſſe ihrer Zeitgenoffen 





Die Hetärie und bie Pläne des Rhigas. 299 


in veredelter Gejtalt fich abjpiegeln, jo lag in bielem phan⸗ 
taſtiſchen Plane des Rhigas ein erheblicher Theil der jpäteren 
griechiſchen Entwidlung bereit8 angebeutet. Gehörte bie 
epirotiſch⸗ widdiniſche Allianz nur dem Rhigas perfönlich an, fo 
lag doch in dem Gedanken der allgemeinen Erhebung der 
griechiich-gläubigen Rajah gegen bie Pforte ſchon jene jogenannte 
„große Idee“, jener byzantiniſche Traum verhüllt, nemlich 
der Gedanke einer Erneuerung der alten Rhomäerberrichaft 
in neuem Gewande auf der Balkanhalbinſel, den nachmals die 
Politiler der ſpäteren politiichen Hetärie wieder aufgenommen 
baben. Mehr aber, jchon bei Rhigas tritt vecht deutlich auch 
die ſchlimme Mitgabe hervor, welche bie Zuftände der Unter, 
johung auf das neugriechiiche Volt vererbt haben, nemlich bie 
finftige bittere Parteiung. Nur Daß bei bem gewaltigen 
Agitator der zornige Unwille zunächit gegen diejenigen Elemente 
auch des eigenen Volkes fich richtete, in denen er die Mit⸗ 
ihuldigen der osmaniſchen Herrichaft zu erkennen glaubte, 
nemlich gegen einen Theil des Klerus und der Primaten. 

Es ift nicht zu bezweifeln, daß dieſelbe Zwietracht, bie 
nahmals die Erhebung des Jahres 1821 jo fchwer geſchädigt 
bat, ſchon jett zum Ausbruch gefommen jein würbe, bätte bie 
Arbeit Des Rhigas unmittelbar zu einer erfolgreichen Bewegung 
führen können. Das zu erleben wurde jedoch dem edlen 
Manne eripart; ihm blieb vorbehalten, der erfte Märtyrer 
der neugriedbtiihen Bewegung zu werden. Immer 
energiicher angeregt durch die gewaltigen Erfolge der fran- 
zöjiihen Nevolutionsarmee in Stalien unter dem von ihm 
vergötterten Bonaparte, eilte Rhigas 1796 nah Wien. 
Treu feinem Programm, für Religion und Vaterland, für 
Freiheit und Recht Alles anfzubieten, riß er die zahlreichen 
Griehen in Wien, meijtentheild Kaufleute oder Gelehrte, 
völlig Hin, gewann fie für feine Hetärie, die bier bei der 
mächtigen Strömung der Zeit immer mehr einen franzd- 
ſiſchen Anftrich gewann. ‘Die Hetäriften betrachteten Bona- 
parte als einen der Ihrigen ; namentlich von dieſer Seite ber 
wurde die Sage von der peloponnefiichen Abfunft der Bona⸗ 





300 Buch II. Kap. L 2. Die Sturmlieber des Rhigas. 


parte oder Kallimeri colportirt. Der damalige franzöiike 
Geſandte in Wien, Bernabotte, trat jelbjt mit Rhigas in 
Unterhandlung. In Wien entjtanden nun auch 1796 jene 
Inrifchen Gedichte des Rhigas, die fich mit wunderbarer 
Schnelligkeit durch die ganze griechiiche Welt bis in bie Hütten 
der Bauern und in die Bivouaks der Klephten und Armatolen 
verbreiteten , und mit ihrem zugleich fchivermüthigen um 
ftürmifch » Teivenjchaftlichen Tone das Flugfeuer der Revolution 
über das ganze Land der Osmanen trugen. „Selbſt bie 
Türken“, beißt e8, „die den Sinn der Worte doch nidt 
veritanden, fanden Gefallen an ven einjchmeichelnden Melodien um 
ließen fich diefelben gern burch ihre griechiichen Muſiker vorfpielen. 
Sie lauſchten ahnungslos der eigenen Leichenprebigt.‘ Das 
berühmtefte biejer Lieber, zu welchem Rhigas durch das Vorbil 
und die Melodie ver Marjeillatfe angeregt wurde, ift das wirkid 
binteißende „Aeüte raldes twv EAANvwv, O xaupds is 
ö6Ens TAdev“ x. T. A. Es iſt daſſelbe Lied, welches in 
Flammenworten die Söhne von Hellas aufforbert, bie viel: 
hundertjährige Schmach der Unterjochung zu fühnen, zum 
Sturme auf die „Stadt ber fieben Hügel” (Byzanz) zu 
ziehen, und mit einer fehwungvollen Erinnerung an Leonidas 
und bie Thermopylen jchließt. Auf die Erwärmung der rauhen 
Gebirgsfrieger Griechenlands für die große nationale Idee war 
das andere Lieb berechnet, welches gewößnlid nach feiner erjten 
Zeile „, x nöte, nahlnxdpta, va Loüpev ota oreva“x.t.. 
eitirt wird. Ein grell gefärbte Gemälde des griechiſchen 
Stlaventfums unter der Türkenherrſchaft, viel mehr noch 
unter der Tyrannei, die auch auf den Türken jelber Tafte; 
ein kräftiger Aufruf zur Freiheit unter republilaniichen Formen: 
der Aufruf an alle Rajah⸗Völker der Pforte zu kühner 
Männerthat und an bie ins Ausland gewanderten Griechen; ein 
verjähnliches Wort für die Osmanen; ein fühner Ruf am ben 
„Adler“ Baswan » Oglu zur Theilnahme an dem Kampf 
gegen die Despotie, und zum Schluß eine glänzenbe, rauſchende 
Siegesfanfare kennzeichnen Diefe Hhmme. Nach Gervinus geben 
wir den Anfang: 





Die Sturmlieber des Rhigas. 301 


„Wie lang noch, Pallilaren, wollt in den Schludten ihr 
Wie Löwen einfam weilen im Feld- und Bergrevier? 
Wie lang in Höhlen haufen, im dunklen Waldeäzelt, 
In Furcht der bittern Anechtichaft entfliehn dem Licht der Welt? 
Wie lang die Brüder lafjen, Eltern und Baterland, 
Die Freunde und die Kinder, des Haufes ganzen Stand? 
Iſt ſchöner Eine Stunde des freien Daſeins doc), 
AS lange taufend Jahre in hartem Sklavenjoch!“ 


Und den Schluß nach Mendelsſohn⸗Bartholdy: Von ben 
Bergen Bosnien bis zu den Wüften Arabiens follen bie 
Freiheitsfeuer wie Eine Flamme aufglüben. 
„Das Kreuz des Heilands leuchte 

Hoch über Land und See, 

Gerechtigkeit erjcheine, 

Des Feindes Macht verweh'! 

Der Knechtſchaft Harte Geißel 

Sei aus der Welt verbannt! 

ALS Freie laßt und wohnen 

Im freien Vaterland! " 


Diefe Lieber blieben für lange das Vermächtniß des 
theifalifchen Tyrtäos. Denn Rhigas ſelbſt erlag unerwartet 
Ichnell feinem Verhängniß. Haſtig und vorwärtsbrängend wie 
er war, fehlte ihm das an Klugheit und Vorſicht, was er in 
überreihem Maße an Begeiſterung und Thatkraft beſaß. Die 
Verbindung mit Bernabotte machte überbem die Griechen in 
Wien allzu ficher und übermüthig. Alle Welt wußte, was fie 
vorhatten, jelbft der türkiſche Botſchafter; aber während biejer 
indolente Osmane die Sache in ftumpfer Ruhe und Hoch 
müthiger Verachtung der Rajah überfah, mußten die Wiener 
Behörden und der Diwan beffer, was die Sache zu bedeuten 
hatte. Rhigas wollte nun im Frühjahr 1798 nach Trieſt 
reifen, um dem Schauplage ber Ereignifjfe näher zu fein, die 
vermutheten Folgen des franzöfifchen Ügupterzuges für Grie- 
chenland fofort ausnugen, und womöglich mit Bonaparte 
jelbft in Verbindung treten. Er fchidte zwölf Kiſten mit 
Gedichten, dazu ein Paket Briefe für Bonaparte, voraus an 
jeinen Freund Antonios Koronios, die aber in deſſen Ab- 





502 Buch II Rap. I. 2. Rhigas' Tob 1798. 


weienheit von feinem Aſſocie Demetrios Difonomos aus Kozant 
geöffnet wurden, der num ven Inhalt fofort der öfterreichtichen 
Regierung mittheilte. Nicht lange nachher fam Rhigas mit 
feinem Freunde Perrhävos in Triejt an, und wurbe bier bald 
genug durch die öjterreichiiche Polizei verhaftet. Noch gelang 
e8 ihm, bie Lifte der Hetäriften, die er bei ſich trug, zu 
verichluden. Der Verſuch, fich Telbit zu töbten, gelang nicht. 
Er wurde nun nah Wien geführt und sollte mit Koronios 
und anderen Setärijten vor ben Unterjuchungsrichter gejtellt 
werben. Dean verbörte ihn und einige jeiner Genojjen; dam 
lieferte die öſterreichiſhe Regierung ihn und fünf andere 
Hetärijten, türfiiche Unterthanen, ohne Bedingung dem Paſcha 
von Belgrad, Hadicht-Muftapha, aus. Da damals Paswan⸗ 
Dglu, des Rhigas Freund, den Weg nad Stambul beherrichte, 
fo konnten die Gefangenen nicht nach dem Bosporus geführt 
werden. Aber alle Verfuche, die jest Alexander Hhpfilanti, 
. Baswan-Oglu und jelbit Ali⸗Paſcha von Janina zur Rettung 
der Hetäriften anjtellten, jcheiterten an dem Starrfinne des 
Paſchas von Belgrad. Gereizt durch die Nettungsverjuce, 
ließ er die Hetäriften (darunter Koronios und Dr. Orgelb) 
Dann für Mann in der Donau ertränfen. Rbigas allein 
wehrte ſich mit unmwiderftehlicher Gewalt gegen Feſſelung und 
Sortichleppung. Da ließ ver Paſcha ihn durch zwei Türken 
erichießen (im Dat 1798). Sterbend aber rief ber heroiſche 
Grieche: „So fterben Pallikaren! Ich Habe Saat gemug 
gejäet, die Stunde fommt, wo mein Volk die fühen Früchte 
ernten wird.‘ 1) 


1) Über Rhigas vgl. außer ber allgemeinen Litteratur biefes Kapitels 
noh den Nachtrag zu ber v. Horntharfcen Überfekung ber 
„Geſchichte der Wiebergeburt Griechenlands von Pouqueville“, von 
Dr. Schott, zu 8b. IV, S. 5ff. u. To ff. Auf ©. 83 ff. findet fid 
Tert und Überfegung ber griechifchen Marfeillaife in zwei verfchiebenen 
Zrabitionen. ‚Die erfie, der wir auch oben folgen, ift die belanntere und 
befiere. Die UÜberſetzuug bes PBallifaren- ober Gebirgsliedes findet fi in 
Bd. II der Horntharfcen Überfegung, S. 296— 307. Bgl. ferner 
Braubis, Mittheilungen über Griechenland, Thl. II, ©. 13 ff., und 
Nicolai, Geſchichte der neugriechiichen Litteratur, S. 153 ff. 


Anthimos und Korais. 503 


Mit dem Tode dieſes Mannes fiel zunächſt dieſe griechifche 
Bewegung wieder in ſich zuſammen. „Die Hetärie zerſtreute 
ſich nur Name und Erinnerung blieben. Aber Rhigas hatte 
Recht; die Saat, die er ausgeftreut, war nicht verloren. 
Nur jo jchnell, wie er es gehofft und gewollt, reifte fie doch 
nicht heran. Die dur Rhigas aufgeregten Elemente ent» 
behrten zunächſt der zujammenhbaltenden Kraft und Zeitung. 
Die franzöfifche Expedition aber nach Ägypten, die noch 
einmal die Geifter in Griechenland eleftrifirt hatte, ſah fich 
bald genug am Nil und in Shrien in äußerft jchiwierige 
Kämpfe verftridt. Ali⸗Paſcha von Ianina erichien bald genug 
al8 entichtevener Gegner der Franzoſen auf griechiichem Boden. 
Mehr noch, die Pforte verbündete ſich auf Grund des 
ägpptiichen Zuges der Franzoſen nicht nur mit England, 
fondern auch mit dem altfeinplichen Rußland gegen Frankreich. 
Und innerhalb des Bereiches der griechiſchen Welt felbft 
richtete auf Veranlaffung des Sultans Seltm III. der Batriarch 
Antbimos von Ierufalem, damals der ältefte der griechtichen 
Prälaten, ber ein großes Anjeben und einen mächtigen Einfluß 
beſaß, nicht lange nach Rhigas' Untergang und im Hinblid 
auf die revolutionäre Agitation unter den Griechen ein 
„väterliches Rundſchreiben“ an alle Griechen, in welchem 
er jeiner geiſtlichen Heerde im Orient rieth, der erhabenen 
Pforte treu zu bleiben, den Padiſchah als ihren legitimen 
Souverän zu betrachten, und feierlich betonte, daß „die Vor» 
ſehung die osmaniſche Herricaft an bie Stelle des in der 
Orthodoxie wankenden byzantiniſchen Kaiſerthums und als einen 
Schutz gegen die abendländiſche Häreſie auserſehen habe“. 
Dieſes Rundſchreiben erregte allerdings bei den griechiſchen 
Patrioten gewaltigen Zorn und fand in dem „brüderlichen 
Rundſchreiben“ aus der Feder des Korais (j. unten) eine 
ſcharfe Antwort 1). Zunächſt Hatte dieſes die Folge, daß zwiſchen 
dem leidenſchaftlicheren Theile der griechiſchen Patrioten und 
einem erheblichen Theile des anatoliſchen Klerus eine Spaltung 
eintrat, die nicht ſofort überwunden werden konnte. 


1) Sol. Sathas 1. c. p. 633sqg. Nicolai, S. 103 u. 108. 








304 Bud IL Kap. I. 3. Ali⸗Paſcha bricht 1798 mit den Franzofen. 


III. 


Borläufig war es aljo wieder die große europätiche Polttit, 
welche enticheivend auf das Schickſal der Griechen zurüd- 
wirkte. Zuerſt empfanden das die epirotifchen Grieden, 
foweit fie bisher unter Venedig geftanden Hatten und jeit 
1797 an Frankreich gefallen waren. Ali⸗Paſcha hatte 
während des Abganges der franzöfiichen Expedition nad 
Ägypten zuerjt noch die Miene angenommen, als wolle er mit 
Frankreich auf gutem Fuße bleiben. Auch als er im Sommer 
1798 aus dem Lager vor Widdin (S. 295) nach Janina 
zurückkehrte, erklärte er den franzöfiihen Behörden in Korfu, 
daß er gemwillt fe, vie jtrengfte Neutralität zu bewahren. 
Raum aber war er von ber Kriegserflärung der Pforte an 
Frankreich (1. September 1798) unterrichtet, jo trat er al 
Teind der Republif auf, und zwar mit feiner gewohnten 
Tücke )). Den unglüdlichen General Roſa (S. 294) Todte 
er zu einer Conferenz nad) der epirotiichen Stadt Philated 
(nicht weit öftlih von dem der Stadt Korfu gegenüberliegenven 
Küftenjaum), täujchte ihm gänzlich durch ein glänzenves Teil, 
ließ ihn aber nachher verbaften und nach Ianina führen. 
Dort wurden dem General durch die Xortur die ge 
nauejten Angaben über die Stärke der Franzojen auf Korfu 
und in ben übrigen toniich » albanefiihen Pläten abgeprekt, 
Roſa jelbit bald darauf als Spion nah Stambul gebradt, 
wo er dann im Oktober 1799 ftarb. Und gleich nach biejem 
Alte echt albanefiicher Hinterlift ftürzte Ali fi) mit ſtarker 


1) Bgl. für die folgende Darftellung: Zinkeiſen, Th. VL, 
S. 79—94. Mendelsfohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, ©. 121 fi; 
„Graf Johann Kapopiftrias”, S. Iff. und „Geſchichte Griechenlands“, 
Thl. J. S. 94ff. Gervinus, S. 69f. v. Sybel a. a. O., Bd. F, 
Abth. 1, S. 173 u. 224 ff. Finlay, Greece under othoman and 
venetian domination, p. 336sqq. Sathas, p.566—569. Bulgari, 
Les sept-iles ioniennes, p. 1—12. Neigebaur, Die PVerfaffung ber 
ionifchen Infeln, S. Tff. Lenormantl. c. p. 16—34. 











Ali» Pafcha erobert 1798 Preveſa. 305 


Macht auf das fchwach beſetzte Butrinto (22. September 
1798) und eroberte es. Galt er jomit nun überall als ein 
treuer Feldherr des Sultans, fo fonnte e8 ihm nicht ſchwer 
werden, nunmehr die Contingente aus ganz Albanien an fich 
zu ziehen, um jet auch das griechiide Preveſa anzu- 
greifen. 

Die Lage der franzöfiihen Truppen auf den ioniſchen 
Infeln und in den albanefifhen, aus Venedigs Erbichaft 
ihnen zugefallenen Plägen war jehr ſchwierig. Man hatte die 
Injeln in drei Departements getheilt (Korkyra, Ithafa und 
„ägäiſches Meer’), hatte auch überall demokratiſch organifirte 
Lokalbehörden geichaffen, und in Korfu eine meift mit Griechen 
bejegte Gentralverwaltung unter dem Grafen Spiridion Theo⸗ 
tokis, einem Advofaten, eingelegt. Aber die Bejakungstruppen 
ver Franzoſen waren nicht fehr ftarf, namentlich auf bem 
Feſtlande, und ihr Verſuch, Sulioten zur Verſtärkung nad) 
Preveja zu ziehen, hatte nur fehr geringen Erfolg. Trotzdem 
bielt es der franzöfiiche General La Salcette für möglich, mit 
300 Franzojen, 400 bewaffneten Bürgern und einer Hand 
vol Sulioten Preveſa gegen Ali's Maſſen zu Halten, bie im 
Dftober 1798 vor diefer Stadt erjchienen. Nun batte aber 
Alt Durch den griechiſchen Erzbiichof Ignatios von Arta einen 
Theil der Griechen für fich gewonnen. Und al® er in ber 
Nacht des 25. Oktober den Angriff mit 5000 Dann ver- 
juchte, fielen die Griechen von den Franzoſen ab; die letzteren 
fümpften mit bewundernswürdiger Tapferkeit, erlagen aber 
endlich doch ver Übermadht. Die Stabt Prevefa übergab Alt 
einer zweitägigen Plünderung. 1500 Weiber und finder 
wurden zu Sklaven gemacht, viele Bürger fanden den Tod, 
und einige Hundert bewaffnete Griechen, die nach Afarnanien 
geflohen waren und fich durch bie Vermittlung des jelbjt jchwer 
getäufchten Erzbiihofs von Arta zur Nüdfehr hatten bethören 
laſſen, ließ Ai Laltblütig bet dem. Zollamt zu Salagora 
(an der Norblüfte des Golfs von Arta) enthaupten. ‘Der 
Lohn für dieſe Blutthaten war der dritte Roßſchweif, ben bie 
Pforte diefem blutigen Paſcha verlieh. 

Hergberg, Geſchichte Griechenlands. III. 20 


806 3.11. 8.I 3. Ruſſiſch⸗ türkiſche Allianz 1798 gegen Frankreich. 


Bereits auf dem Wege zu weiteren Unternehmungen, ſah 
ih Alt auf diefem Sriegsfchauplage bald genug burch bie 
Operationen der Ruffen und der Osmanen bejchränft. Der 
ruſſiſche Kaiſer Paul I. (jeit 1796), damals von leidenſchaft⸗ 
lichem Eifer gegen das vevolutionäre Frankreich erfüllt, Hatte 
bie gegen die Türkei gerichteten Eroberungspläne feiner Mutter 
Katharina II. aufgegeben. „Immer aber‘, jagt v. Steel, 
„lag auch in feinen Augen die Zürfei fo jehr innerhalb des 
eigentlich ruſſiſchen Meachtbereiches, daß ihm die Feſftſetzung 
eines fremden Einfluffes auf ihrem Gebiete als die Verlegung 
eines ruffiichen Lebensintereſſes erſchien..“ Hatte nun bie 
Pforte, bereitd durch die Vernichtung der franzöfiichen Flotte 
in der Seejchlacht bei Abukir (1. Auguft) durch Nelſon leb⸗ 
baft ermutbigt, unter ihres Großdragomans Konftantin 
Hypſilanti eifrigem franzojenfeinblichem Drängen am 
1. September 1798 den Krieg an Frankreich erklärt, fo gab 
fie auch den Vorſchlägen Rußlands bereitwillig Gehör. Die 
Defenfivalltianzg mit St. Petersburg wurde formell allerdings 
erft am 23. December 1798 abgeſchloſſen; die mit England 
dann am 5. Sanuar 1799. Aber jchon am 5. Auguft 1798 
war von Sebaftopol kommend der Admiral Uſchakoff mit 
dreizehn (meiftens mit griechiſchen Matrofen bemannten) 
Srtegsichtffen und 1500 Mann im Bosporus eingelaufen. 
Ste follten namentlich die ioniſchen Infeln den Franzofen 
entreißen, und zu dieſem Zwecke jollte fich eine türkiſche 
Flotte unter Kadir⸗Bei mit den Ruſſen vereinigen, die aber 
erft (ſechs Linienichiffe und acht leichtere Fahrzeuge) am 
1. Oltober jegelfertig wurde. 

Die Lage der Franzoſen wurde nun jehr jchivierig. Sie 
hatten fich, wie zur Zeit ihrer Republit damals fo oft, binnen 
furzer Zeit auch bei ihren griehifchen Untertbanen höchſt 
unbeliebt gemacht. Die üblichen Gewaltthätigleiten und Er 
prefiungen waren auch bier nicht ausgeblieben. Bor Allem 
aber Hatten fie durch Beihimpfungen der griechiichen wie ber 
römiſchen Geiftlichfeit das Volk tief erbittert. Die Einjchmelzung 
der Kirchenichäge des korfiotiſchen Lieblingsheiligen St. Spiribion 


Rufien und Türken erobern 1798/99 die ioniſchen Infeln. 807 


ar nur mit Mühe verhindert worben. Es kam bazu, daß 
bie bürgerlichen Commiſſäre der franzöftichen Regierung mit ven 
Militärbehörden fich ſchlecht ſtanden. Die Armee war ſchwach, 
Kriegsichiffe nur im ganz geringer Zahl zur Zeit vorhanden. 
Als daher die Kunde Fam, daß Nuffen und Türken die Inieln 
angreifen würden, wurde ed der altvenetianischen Adelspartei 
jehr leicht, Das Volk überall gegen die Franzoſen aufzumiegeln. 
Mehr aber, der Ankunft der Wlotte ging auf Veranlaſſung 
des Sultans ein Hirtenbrief des Patriarden von 
Conftantinopel voraus, der bie Jonier aufforverte, bie 
Berbündeten bei Vertreibung der Franzoſen nach Kräften zu 
unterftügen. Es gelte, fie „von dem Joche des franzöftichen 
Atheismus zu befreien. Die Verbündeten wollten ihnen bie 
wahre Freiheit bringen. Man wolle ihnen ihre Freiheiten 
md Privilegien belafjen und es ihnen überlafjen, fich eine 
neue Verfaffung, wie etwa die der Republik Raguſa, zu 
geben!‘ Wuch der engliihe Admiral Nelfon Hatte eine 
Vroffamation an die Ionter gerichtet, in welcher er jie auf- 
forderte, zur Wiebererlangung ihrer Rechte und Freiheiten mit 
ihm gemeinichaftlich die Waffen zu ergreifen. Dieſes Alles 
hatte fo zündend gewirkt, baf der damals auf Korfu an 
Gentili's Stelle commandirende franzöfiiche General Chabot 
fih genöthigt ſah, das Volk auf diefer Injel zu entwaffnen, um 
eine gewaltfame Erhebung zu verhindern. 

Unter diefen Umftänden wurde den Ruſſen und Osmanen 
ihre Arbeit nicht ſchwer. Als fie im Dftober 1798 zuerit 
vor Cerigo erjchienen, wurde bie Citabelle nach heißent 
Rampfe mit Sturm genommen. Zante und Kephalenia 
wurden mit leichter Mühe gewonnen. Santa Maura 
dagegen, verftärkt durch die Beſatzung von Vonitza, welches 
jest von Ali⸗Paſcha beſetzt wurde, bielt fich zwölf Tage, und 
wurde noch zu vechter Zeit von den Ruſſen bejettt, ehe Alt 
bier zugreifen konnte. Mi Hatte inzwijchen auch die ihm 
befonders verhaßte griechifche Stabt Parga aufgeforbert, 
ihre franzofiſche Beſatzung zu vertreiben und fich ihm zu 
unterwerfen; jede ihnen fonjt exwünichte Verfaſſung wolle er 

290* . 





. 


308 8.1.8.1 3. Rufen u. Türten erobern 1798/99 d. ionifchen Infeln 


ihnen bewilligen. Die tapferen Parganioten Hatten fich jedoch 
weder bereven noch fchreden laſſen. Die Ankunft des Admirals 
Uſchakoff beftimmte nachher die Franzoſen zur Räumung von 
Parga; aber die Stabt wurde damals noch durch die Ruſſen 
vor Ali's Tigergriffen gefchügt. Der Paſcha durfte nur das 
Schloß Gomenitſa offupiren. 

Zähen Widerſtand fanden Auffen und Osmanen nur auf 
Korfu. Obwohl die Griechen bier, wie auf den übrigen 
Snjeln, die Verbündeten mit lauter Freude aufgenommen hatten, 
hielt fich General Chabot mit 5000 Mann doch jo tapfer, 
daß die verbündete Flotte, die jet durch Ali⸗-Paſcha Tebhaft 
unterftügt wurde, mehr denn drei Monate vor der Stadt 
Korfu liegen bleiben mußte. Erftam 1. März 1799 glücte 
ein enticheivender Kampf, in Folge beifen General Chabot am 
2. März kapitulirte. 

Da die Verbündeten zunächſt ihre Unternehmungen gegen 
die Franzoſen in Italien fortjegten, fo Tiefen fie nur 500 
Osmanen und 300 Ruſſen auf den Infeln zurüc, zu denen 
ipäter noch aus Taganrog ein vujfiiches Negiment fam. Den 
Sontern blieb es überlaſſen, fich einftweilen proviforiid 
einzurichten, bis fich die Verbündeten mit ihmen über die 
Schöpfung ihrer definitiven Verfaſſung geeinigt haben würden. 
Die neue Berfafjung der Injeln wurbe der Gegenftand 
lebhafter Debatten. Die bei ber Stimmung eines Theiles 
der Korfioten für Ofterreich bei den Ruſſen erwachte Beſorz— 
niß, als ftrebe die Wiener Regierung nach dem Beſitze dieſer 
Injeln, verzog fich bald wieder. Dagegen jtrebte in Stambul 
Konftantin Hypſilanti mit vielem Eifer dahin, die Sonier, 
unter dem Schuge bejonderer Verträge, in einer freieren 
Stellung, nicht als Rajah, unter die ummittelbare Hoheit ber 
Pforte zu bringen; ihm lag daran, aus dieſen Infeln für feine 
heimlichen Pläne ein griechifch- chriftliches Centrum zu machen. 
Ein Plan, der wieder zu ben politiichen Abfichten der Ruſſen 
nicht ſtimmte. Diefe bewirkten es daher noch 1799 in 
Stambul, daß er als Hospodar nach Jaſſy geſchickt wurde 
Noch lebhafter war natürlich der Parteifampf unter ben 


Vertrag d. 3. 1800. Die Republit der „Sieben Infeln“. 809 


Iontern felbit. Zu Anfang September 1799 nun wandte fich 
eine aus zwölf Notabeln der Injeln zujammengejegte Deputation 
berjelben, an ihrer Spike die Grafen Antonio Maria Kapo⸗ 
diſtrias (Vater des jpäteren Präfidenten von Griechenland), 
ein ftrenger Ariftofrat, der als Gegner der Franzoſen von 
diefen lange in Haft gehalten worden war, und Xefcotilfa, 
nah Stambul, um dem Sultan für die Befreiung der Injeln 
von der franzöfiichen Herrichaft zu banken und um die Er. 
theilung einer neuen Verfaffung nach dem Mufter jener von 
Raguſa zu bitten. Ein Theil dieſer Deputirten ging dann 
ah noch nach St. Petersburg. Unter den Joniern jelbit 
traten die Gegenſätze der ariftofratiihen und der jungen 
demokratischen Partei mit großer Heftigfeit auf; jene, völlig 
in den alten Anfchauungen befangen, wollte nur dem alten 
benetianijchen Adel das Necht der Theilnahme an der künftigen 
geſetzgebenden Verfammlung eingeräumt wiſſen; dieſe forderte 
im Sinne der neuen Zeit daß auch dem damals jogenannten 
Tiers- Etat, wie etwa bei dem nieberländijchen Generaljtaaten, 
das entiprechende Maß der Vertretung zu Theil werben ſollte. 
Schließlich behielt, da man Ragufa zum Mufter nahm, das 
ariitofratiiche Element die Vorherrſchaft. (Die Pforte hatte 
Ihlieglih von den jechs in Stambul zurücgebliebenen Joniern 
mr mit dem alten Kapodiſtrias und Nicold Gradenigo ver« 
handelt.) Die näheren Beitimmungen barüber wurden feſt⸗ 
gejegt im dem DVertrage, den General Tamara für Rußland 
und Ibrahim⸗Ismet⸗Bey für die Pforte am 21. März 1800 
zu Stambul abichloffen und ohne Zuziehung der Jonier 
unterzeichneten. Diefer Vertrag trat einerfeit8 die früher 
benetianischen Städte in Epirus definitiv an die Pforte ab; 
die chriftlichen Einwohner follten diefelben Rechte behalten, wie 
die Rumänen, fein Mohammebaner fich dafelbft niederlaſſen 
dürfen, Die Plätze überhaupt nur durch einen Statthalter der 
Pforte regiert werben. Für die ionifhen Infeln, bie 
nunmehr als „Siebeninſelſtaat, als Hephtanefos‘ eine Re 
publik bilden follten, wurde feftgeftellt, daß die Einwohner ſich 
ſelbſt zu regieren, Rußland die Gewähr für bie Integrität 





830 Bud U. Kap. I. 3. Verfaſſung der ionifchen Republil. 


ihres Gebietes, für Erhaltung ihrer Verfaffung und Privilegien 
übernehmen, die Pforte als Schugmacht die Suzeränetät über 
bie Inſeln Haben ſollten. Alle drei Jahre Hatte die neue 
Republik einen Tribut von 75,000 Piaſtern nad Stambul 
zu fenden. Wappen der NRepublif wurde im blauen Selbe ein 
goldener Löwe, welcher in der einen Klaue fieben vereinigte 
Pfeile, in der anderen ein Evangelienbuch bielt, über welchem 
fih ein Kreuz mit der Yahreszahl 1800 mit der entiprechenben 
der Hebichra befand. 

Die neue ioniſche Verfafjung aber trug ausſchließlich 
ein ariftofratifches Gepräge. An der Spike der Republil 
ftand fortan ein zu Korfu bomteilirter Gentral- Senat, der 
über Erhaltung der Verfaffung und der Gelee machen, 
bauptfächlich aber für bie öffentliche Ordnung und Sicherheit 
Sorge tragen follte. Die Senatoren gingen hervor aus dem 
„Consiglio maggiore‘“ der einzelnen Infeln, in deſſen Händen 
überall die Ernennung der Iofalen Yuftiz- und Finanzbeamten 
lag. Da jedoch dieſe verfchtevenen Configlia nur aus ben 
Nobilis, die das fünfundzwanzigite Lebensjahr erreicht Hatten, 
Beitanden, jo war die Theilnabme der Jonier an bem 
politiihen Xeben ihres Landes eine ziemlich eng beichräntte. 
An der Spige der Republik ftand als Oberhaupt der Präſident 
des Senates der fieben Injeln; zuerft jener (S. 305) Graf 
Spiridion Theotofis, ein geiftig frifcher reis, der fich bei 
waderem Charakter und bedeutenden Talenten eines großen 
Anſehens erfreute. Senatsjefretär aber wurde damals Graf 
Giovanni Kapopdiftrias (geboren am 11. Februar 1776 
zu Korfu), der hochbegabte, gewandte, arbeitsfroße Sohn de 
alten Antonio Maria, der feine Studien als Arzt in Padua 
gemacht hatte, jet aber in ben öffentlichen Dienſt über: 
trat. 

Der neue Vertrag kam nur den griechijchen Chriften von 
Parga zu Gute. Weder Rußland noch die Pforte waren 
gewillt, diejen wichtigen Pla in die Hände des bereits über 
mächtigen Paſchas von Janina fallen zu jehen, und verhinderten 
Daher, daß At fih der Stabt ſchließlich noch bemächtigte. 

















Geſchichte der jungen ionifchen Republik. 311 


Parga galt ſeit dieſer Zeit als ein Beſitzthum des Sultans, 
durfte aber ſeine municipale Freiheit ungeſtört behaupten. 

Was Dagegen die ioniſchen Infeln angeht, fo erkannte 
die Pforte, die jeßt formell endlich die gefammte 
Griechenwelt unter ihrer Hoheit vereinigt fah, fehr bald, daß 
ber politiiche Gewinn aus den letzten Abmachungen wejentlich 
den Ruſſen zufallen würde. Dieſes aber auf Grund des 
neuen ionifchen VBerfafiungslebens. Die Ionier waren 
großentheild mit dem ariftofratiichen ‚Charakter der neuen 
Verfaffung nur wenig zufrieven. Auf mehreren Infeln ent- 
ftanden jehr heftige Parteilämpfe, welche bei der wilden, durch 
bie politiichen Erichütterumgen der drei legten Jahre noch mehr 
verberbten Art biejes griechiſchen Stammes einen ſehr bö8- 
artigen Charakter annahmen. Auf Kephalenia kam es zu 
blutigen Auftritten, bei denen endlich die ‘Demokraten ven 
Kürzeren zogen. In Zante dagegen behaupteten bie Demos 
traten unter Vortritt der Ärzte und Advokaten die Oberhand, 
ertrogten bie Vertretung des „dritten Standes‘ in dem 
Consiglio maggiore und zogen bie engliiche Flagge auf, bie 
dann im Einverftännnig mit Lord Elgin, dem engliichen Ger 
fandten in Pera, die Pforte durch Abſendung von ſechs 
türfiichen und einigen engliichen Fregatten bier die alte Drd- 
nung wieder berftellte. Nun gab es aber auch in Korfu 
ſelbſt lebhafte Bewegungen. Die bürgerliche, gerade bier höchſt 
mächtige, Demokratie forderte bie Anderung der Verfaffung 
zu Gunften des Übergewichtes der Notabeln aller Klafien. 
Unruben unter dem Landvolke wurden auch bier durch englijche 
Truppen gevämpft, die im Namen der Pforte landeten. Nun 
ſchickte aber auf Bitten der ioniſchen Regierung auch Rußland 
(1802) von Neapel her 2000 Mann nach Korfu. Trogdem 
mußte der Präfident Theotokis den Demokraten erlauben, 
Gejandte nah Stambul und St. Petersburg zu Gunſten der 
von ihnen beantragten Verfafjungsänderungen zu jchiden. 

Die neue Berfaffung wurde unter den Aufpizien des 
Grafen Mocenigo aus Zante, der früher ruffiicher Gejandter 
in Venedig geweien, und 1802 durch Kaijer Alerander I. zum 


812 Buch II Kap. I. 3. Geſchichte der jungen ioniſchen Republik. 


ruffiichen Geichäftsträger in Jonien ernannt worden war, von 
Theotofi8 und Giovanni Kapodiſtrias vorbereitet, dann in 
fangen Debatten von der conititutrenden Verfammlung ver 
Jonier ausgearbeitet, und am 24. November 1803 ſantktio⸗ 
nirt, worauf die fremden Truppen zum Theil wieder 
zurücigezogen werden Tonnten. Dieſe neue, von Rußland und 
der Pforte genehmigte Verfaffung, die bei den Joniern noch 
lange als ein polttiiches Ideal galt, nivellirte zunächſt die 
altbeftandenen Adelsverhältniſſe vollſtändig. Formell jollte 
zwar bie „untheilbare“ Republik ariſtokratiſch bleiben 9); aber 
es konnte jetzt Jeder in den „Adel“ aufgenommen werden, 
der 1840, auf der kleinſten Inſel 540 Dukati als Einkommen 
nachwies und feine Handarbeit verrichtete. Der Vermögens⸗ 
nachweis fiel aber fort, wenn Iemand einen akademiſchen Grad 
befaß, ober eine hervorragende Stellung in Kunſt und Wiſſen⸗ 
ſchaft einnahm, oder jonft von feinen Zalenten leben fonnte. 
Die fünfundzwanzigjährigen Mitglieder biejes „Adels“, vieler 
jogenannten „‚conjtitutionellen Nobilität“, Hatten das Recht, 
je auf ihrer Inſel, an der alle zwei Jahre zufammentretenven 
Berjammlung der fogenannten „Synkliti“ Theil zu nehmen, 
welhe nun die drei berrichenden Großbehörden wählten. 
Man wählte einerjeits die erefutive Gewalt, den Senat, 
ber fich jährlich erneuerte, aus fiebzehn Mitgliedern beftand, 
und an jeiner Spige einen Principe batte, ben Vertreter 
der Republik nach Außen; andererjeits bie Legislative, 
vierzig Nationalvertreter, die alle zwei Jahre am 1. April 
zu Rorfu auf zwei Monate zufammentraten,; endlich bie 
richterliche Gewalt, bie Censura generale, drei Genjoren unter 
einem Ephoren, die Wächter der Verfaffung, denen alle neuen 
Vermaltungsmaßregeln des Senats vorher zur Begutachtung 
vorgelegt werden mußten. Der für je zwei Jahre regierende 
Principe, auch jegt wieder Theotofis, konnte bei der Legislative 
angeklagt, eventuell zum Oftrafismus oder zum Tode ver- 
urtbeilt werden. Die griechiſche Sprade follte fortan die 


1) Vgl. au v. Maurer, Das griehifche Volt, Bd. I, &. 56. 











Ali-Paſcha rüftet feit 1799 gegen bie Sulioten. 813 


Nattonaliprache fein, und mit 1820 auf allen Pankten auch 
als Gefchäftsiprache an Stelle der bisher bräuchlichen italieniſchen 
treten. 

Graf Theotokis als Principe, Giovanni Kapodiſtrias jett 
al8 erfter Sekretär der legislativen Verjammlung, und Graf 
Mocenigo, zur Zeit bie drei bebeutendften Politifer ver Infeln, 
behielten auch jeßt ihren beberrichenden Einfluß. Aber es war 
den Joniern damals nicht beichteden, jo bald wieder in ein 
langes Stillleben zurüdzufehren, wie fie das jeit Schulenburgs 
Zeit getvohnt gewejen waren. Wir Tebren jchon in dem 
nächſten Abſchnitte wieder zu den weiteren Schidjalen ver 
jungen ioniſchen Republik zurüd, und verfolgen nun noch die 
Ereignifje, die fich inzwilchen jeit der Vertreibung der Frans 
zoſen aus Korfu in den Gebirgsthälern der Sulioten!) 
abgefpielt Hatten. 

Sobald Ali-Paſcha von Yanina erfgnnt batte, daß 
Rufen und Türken ibm nicht erlaubten, feine blutige Hand 
auf Barga und die ionifchen Injeln zu legen, beichloß er mit 
feiner ganzen wilden Energie, nunmehr mit ben tapferen 
Sulioten ein- für allemal aufzuräumen, die ihm jegt, wo 
Rußland auf Korfu feiten Fuß gefaßt hatte, noch weit gefähr- 
liher als früßer erfchienen. Ali rüftete daher feit 1799 
umfaffend und mit großem Nachorude gegen bie tapferen 
Hochländer. Er rief mit Erfolg ringsum den Fanatismus 
der Muſelmanen gegen die verhaßten Chriften von Sult zu 
den Waffen, und fnüpfte zugleich mit einem der mächtigften 
Sulioten, mit Georg Botzaris, der zur Zeit unglüdlicher- 
weiſe mit jeinen Landsleuten zerfallen war, geheime Unter» 
bandlungen an. Botaris, durch 25,000 Piaſter erfauft, follte 
jede Bejorgniß der Sulioten wegen Ali's Rüſtungen, die als 
gegen die Ruſſen in Korfu oder gegen die Franzojen gerichtet 


1) Bgl. Mendelsfohbn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 123 —133; 
„Geſchichte Griechenlands”, Thl. L, S. 96—102. „Mittheilungen:c“”, 
Th. I, ©. 242— 291. Finlay, History of the greek revolution, 
vol. I, p. 57—64. Gervinus a. a. O. © 59 fl. Zinkeiſen, 
Thl. VII, ©. 280-286. 


814 3. II K. J. 3. Ai führt feir 1800 Krieg gegen bie Sulioten. 


dargeſtellt wurben, vericheuchen und dem Paſcha womöglich bie 
Munition des Volles in die Hände [pielen. 

Als nun Alt im Juni 1800 mit nahezu 18,000 Mann 
vor der fuliotiichen Bergfeſtung erichten, deren Gewäſſer noch 
dazu durch die Dürre dieſes Sommers ſtark gejchmälert waren, 
ging Georg Botzaris mit feinem Clan zu ihm über. Aber 
das tapfere Volk verzagte troß der boppelten Überraſchung 
nicht. Yegt unter Führung jenes tapferen Jünglings Photo 
Tſavellas (S. 277) — der Vater war neuerdings (1795) 
geftorben —, feiner Mutter, der grimmen Heroine Moscho, 
und bes Chriſtos oder Kitſos Botzaris, erhob fih das ge 
fammte Bolt bis zu 3000 Streitern. Alle Angriffe Ali's 
wurden mit fiegreichem Erfolge abgejchlagen. Georg Bokarid 
war ebenio empfindlich geichlagen geworben; er ftarb bald 
nachher, fei e8 aus Sram und Neue, jet e8 an Gift, weldes 
er aus Verzweiflung genommen. 

Unter diefen Umſtänden beichloß Alt, die Sultoten auszu⸗ 
bungern. Auf mehrere Meilen weit ringsum wurde dad 
epirotiiche Land verwüſtet. Dazu ließ der Pafcha zuerft bie 
Päffe nah Suli durch verichanzte Lager fperren, und als 
Seuhen und die Nähe des Winters ihn zum Abzuge be 
ſtimmten, in einem weiteren Umkreiſe zu dauernder Blokade 
die feindliche Gebirgsftellung durch eine Kette von Forts 
umichließen. Obwohl nun die Sulioten im Stande waren, 
einige Hundert bilflofer Weiber, Greiſe und Kinder nach Parga 
und Korfu zu entfernen, fo machte ihnen allmählich doch bie 
harte Blokade große Noth. Über die Stanbhaftigleit und 
Treue der Sulioten und ihre unbezwingliche Tapferkeit bielten 
auch ven gefteigerten Gefahren des Jahres 1801 kräftig 
Stand. Ali's PVerfuche, durch trügeriſche Friedensporfchläge, 
durch tückiſchen Verrath, durch DBeftechung ihrer Führer ven 
Sieg zu gewinnen, blieben ebenſo vergeblih wie die offenen 
Angriffe, welche Alt und die ihm verbündeten Albanejen wagten. 
Die Mipftimmung gegen Alt und die Achtung vor den Su 
lioten wurde endlich fo durchichlagend, Daß gegen Ende bed 
Jahres 1801 Die meilten ber einigermaßen ſelbſtändigen, 





Ali führt fett 1800 Krieg gegen die Sulioten. 815 


friegeriichen Häuptlinge, die er gegen Suli aufgeboten hatte, 
fi) ihm veriagten, die Paſchas Ibrahim von Berat und 
Muftapha von Delvino an der Spige, — fich- fogar mit den 
Sulioten befreundeten und benfelben Broviant und Deunition 
zuführten. Mehr noch, die blinde Wuth, in welcher Ali bei 
dieſem Anlaffe fih nun auch mit dem griehifchen Armatolen 
Kanavos verfeindete und benfelben in ven Päſſen des 
Makrynoro (zwiichen dem Golf von Arta und dem Acheloos) 
meuchleriich erſchießen Tieß, veranlaßte auch des Ermordeten 
Schwager, Ali's Langjährigen Freund Baläopulos, fich zu 
erheben und zufammen mit Euthymios Blachavas von Akar⸗ 
nanten bis zum Othrys die Armatolen zum Abfall von Ali 
zu beftimmen. Ihnen fchloffen fih auch die Osmanen von 
Salona an, und der tapfere meſſeniſche Klephtenkapitän 
Theodor Kolokotronis eilte mit feinen Pallikaren nad 
Xetolien. 

Dadurch gewannen die Sulioten wieder Luft; fie 
fonnten fich wieder friſch mit allen Mitteln verſehen, erfolg- 
reiche Ausfälle verjuchen, und ſich auch ſonſt wieder erholen. 
Ihre Kraft war jet dadurch gewachlen, daß fich ein geheim 
nißooller Bafilianermönd, Samuel mit Namen, unbelannter 
Herkunft — (man Hält ihn jegt für einen Albanefen aus ber 
Inſel Andros) —, zu ihnen gefellt Hatte, welcher das Volt 
von Suli durch feine tobesverachtende Tapferkeit, durch jeine 
folvatiichen Fähigkeiten begeifterte und zugleich mit feinem 
düfteren Fanatismus bezauberte. Denn biefer grimmige Held, 
der fich felbft nur das „Jüngſte Gericht‘ nannte, pflegte den 
Sulioten ‚in Bredigten voll entichloffener Todesfreudigkeit 
und fchauerlicher Sterbeluft den Berluft des Lebens als den 
Weg in eine Zukunft vorzubalten, wo ber Tod und die Natur 
mit Staunen die Creatur in unvergänglichem Ruhme wieder: 
feben würden‘. Dazu aber ließ er verjtändigermweife neue 
Schanzen anlegen und namentlih auf einem Hauptpunkte, 
nemlich auf dem Berge Kunghi (S. 220) zwiſchen Kiapha 
und Kako⸗Suli, eine ftarke Zeitung, St. Par aſke wi genannt, 
erbauen. 


316 B. II. K. J. 3. Ali führt ſeit 1800 Krieg gegen bie Sulioten. 


Rettung brachte dieſes Alles freilich auf die Dauer ben 
Sulioten nicht. Die überaus fchlaue Diplomatie Ali's 
wußte die Gegnerichaft der albanefifchen Häuptlinge bald 
wieder unwirkſam zu machen, endlich zu bejchiwichtigen. Die 
vornehmen Osmanen von Salona bändigte er durch Auf— 
wiegelung des Proletariats Diefer Gemeinde. Die Armatolen 
aber, die ihre Pallikaren noch nicht gefammelt Hatten, wußte 
er durch raſches Vorgehen und andere Schredimittel derart 
einzufchüchtern, daß dem Paläopulos zur Zeit nur die raſche 
Flucht nach Agrapha übrig blieb. Auch der auf Befehl der 
Pforte (1802) erfolgende Abmarſch eines Theiles feiner 
Truppen nach Rumelien, zur Mitwirkung bei der Bekämpfung 
der Meuterer in dieſer Provinz, verlängerte die Rettungsfriit 
für die Sulisten nur um eine kurze Zeit. 

Der Anfang des Jahres 1803 fand die Sulioten 
durch Ali's Sohn Muchtar wieder möglichft eng blofirt. 
Schlimmer wirkte e8, daß die erneuerte Noth und jet auch 
die glatte Rebe und das Gold des Paſchas von Janina unter 
ihnen Uneinigfeit und eine gewijje Erſchlaffung hervorriefen. 
Als nun in biefer Zeit die Pforte, die mit dem permanenten 
Kriegszuftande zwilchen Alt und den Sulioten aus Gründen 
höherer Überwachungspolitik nicht einverftanden war, dem 
Paicha befahl, mit ven letzteren einen Vergleich abzujchließen, 
verjchiwieg er ihnen den Befehl der Pforte, machte ihnen aber 
den Antrag, unter anfcheinend leichten Bebingungen Frieden zu 
ichliegen; nur müßten fie den Kapitän Photo Tſavellas, 
den tapferiten Helden, Sänger und Kitharöden ihres Stammes, 
bei deſſen Schwert das Volk zu ſchwören pflegte, aus ihrem 
Gebiete entfernen. Ermüdet, wie die Kapitäne der Sulioten 
momentan waren, nahmen fie bieje Vorſchläge wirklich ar, 
und veranlaßten ben Ziavellas in der That, fie meinten nur 
auf wenige Donate, Suli zu verlaffen. Trotz der fchweren 
Bedenken wegen dieſes höchſt gewagten Beichluffes und feiner 
Folgen, räumte Tfavellas, ein junger Held von wahrhaft 
antifem Charakter, fofort feine Heimath und zog fich nach dem 
‚ benachbarten Chorta zurüd. Kaum war das gefchehen, jo ließ 


Überwältigung ber Sulioten i. 3. 1808, 817 


Ali den Abſchluß des Friedens verfchleppen, berief dann den 
Tſavellas zu fich nach Janina, behandelte ihn mit ausgefuchter 
dreundlichfeit und juchte ihn, den er für tief erbittert gegen 
die Sulioten bielt, zu bereden, jetzt als Gefandter des 
Paſchas nah Suli zu geben und feine Landsleute zur An⸗ 
nahme der neuen viel härteren Bedingungen Ali's zu beftimmen. 
Dabei machte Photo fich anheifchig, mit ihrer Antivort nach 
Janina zurückzukehren. 

Tſavellas, der in Janina die wahre Lage ber Verhält- 
niffe erfahren batte, kehrte nur nad Suli zurüd, um jeine 
Landsleute zur äußerſten Hartnädigleit anzuipornen. Bei der 
Stimmung der Pforte werde Alt nachgeben müffen, wenn fie 
nur Stand halten wollten. Nach Janina zurüdgefehrt, wurde 
der ſuliotiſche Regulus von Alt fofort im ftrenge Haft gelegt. 
Das fteigerte freilich die Erbitterung feiner Landsleute. Zu 
ihrem Unheil fand aber Alt jegt die Möglichkeit, die Sulioten 
als Verbündete der Franzofen darzuftellen, und erhielt nun 
aus Stambul den Yerman, der ibm gebot, alle Kräfte 
Albaniend gegen Sult aufzubieten; der Erzbiſchof Ignatios 
bon Arta mußte bei Strafe der Excommunikation den Chriſten 
ber Umlande jede Unterftügung der Sulioten unterjagen. Als 
nun im Sommer 1803 der wüthende Kampf begann, erfochten 
die Sulioten allerdings noch einmal bei einem kühnen 
Ausfall unter Samueld und WMitofofalis’ Führung einen 
glänzenden Sieg. Nun aber bot Alt feine ganze Kraft auf, 
jtellte Veli, feinen jüngeren Sohn, damals Paſcha von 
Tſchamuri, an Die Spite des Heeres, und zog zunächit bie 
Gernirungslinien immer dichter. Und nun glüdte e8 dem 
jungen Feldherrn, für Gelb in dem Sulioten Philios 
Guſis, der wegen ver Mißachtung, mit der man ihn wegen 
Teigbeit im Kampfe nach Art der alten Spartiaten behandelte, 
bitter grolite, einen höchſt brauchbaren Verräther zu er- 
faufen. Seiner Hilfe war es zuzufchreiben, daß bei bem 
großen Sturmangriffe, ven Veli am 26. September verfuchte, 
binnen Kurzem Kako⸗Suli und Avarikon, dann auch bie übrigen 
Dörfer gewonnen werden konnten. 


BIS Buch II. Kap. I. 3. Überwältigung der Sulioten i. 3. 1803. 


Koch aber hielten ſich Kiapha und die mächtige Citadelle 
St. Paraſkewi. Da nun Ali nicht Luft Hatte, an bie 
Eroberung diefer uneinnehmbaren Feſtung fein Heer zu ſetzen, 
fo entließ er gegen ben 11. November den Photo Tfanellas 
aus feiner Haft; er follte fein Voll zur Einftellung des 
Kampfes und zur Auswanderung aus Epirus beftimmen. 
Tſavellas ſetzte fih mit Veli und mit feinen Landsleuten in 
Verbindung Er entwarf den Plan, die Albanefen zu über- 
Iiiten, nach Parga zu geben, die Bürger dieſer Stabt zur 
Aufnahme der Frauen und Rinder von Suli zu bereben, 
dann aber den Krieg mit wilder Energie fortzufegen. Zu 
feinem Unheil 309 ſich aber die Unterhandlung mit Parga 
etwas in bie Länge; und als die zufttimmende Antwort ber 
- nun von ihm angelprochenen Regierung von Korfu eintraf, 
war Veli über den Plan des Tiavellas fo ziemlich ins Klare 
gefommen. Inzwiſchen Hatten auch einige der fuliotifchen 
Kapitäne ihrerfeits mit Veli unterhandelt und waren mit 
ihren Clans aus Kiapha abgezogen. Tſavellas konnte daher 
nicht8 anderes thun, als nach St. Barajfewi zurückkehren und 
bier mit Samuel mit wahrem Löwenmuth zu fechten. ALS die 
Gegner ihnen endlih auch das Waffer abgeichnitten hatten, 
nahmen fie die Kapitulation auf freien Abzug mit Hab und 
Gut an, die ihnen in Bewunderung ihrer Tapferkeit Veli amt 
12. December 1803 bewilligte. Die Hauptmajje unter 
Ziavellas, Dimo Drakos und Tzimo Serbas marſchirte auf 
Parga. Die zweite Hauptichaar der Sulioten, die (f. oben) 
Kiapha fchon früher verlaflen Hatte, unter Kutjonilas und 
Palaskas, zog ſüdwärts nach Klofter Zialongo am Acheron, 
in der Richtung auf Rogos, um über Preveja nad Santa 
Mara zu wandern. Ein Meinerer Trupp bverfelben, über 
iwiegend Frauen, wollte nach Regniaffa oder Riniaffa (an ber 
Küfte zwiſchen Parga und Preveſa), noch andere unter 
Chriſtos Botzaris nach Aetolien marſchiren. 

Die Helden von Suli ſchienen gerettet zu ſein. Aber der 
grauenhafte Heroismus des Mönchs Samuel, ber mit noch 
fünf Kriegern bei der Übergabe von St. Paraſtewi an bie 


Vertreibung der Sulioten aus Epirus. 819 


Abanefen das Schloß in die Luft fprengte, gab dem Pafcha 
von Janina bie willlommene Beranlafjung, die Kapitulation 
mit den Sulioten für gebrochen zu erklären und feine Truppen 
zur wilden Jagd auf ihre getrennten Colonnen auszujchiden. 
Nur die Abtbeilung des Tſavellas Tam ohne erhebliche 
Berlufte glücklich nach Parge. Die Sulioten in Tſalongo 
dagegen wurben von Ali's Truppen gefaßt; nach zwei Tagen 
tapferer Gegenwehr und antikem Selbftmord der meiften 
Grauen mit ihren Kindern entlamen in mörderiihem Nacht» 
gefeht nur 150 mach Parga. Der Trupp in Riniaſſa, 
großentheil® Frauen, wurde völlig vertilgt; die Heroine Despo 
Iprengte fich mit ihren DBegleiterinnen in einem Thurme in 
die Luft. Die vierte Schaar, 1000 Krieger unter Nothi und 
Chriſtos Botzaris, bielt fich bis zum April 1804 in dem 
Klojter Seltion in der Näbe von Breftiniga (öftlih von 
Burgareli) am atbamanifchen Acheloos, bis fie bier endlich 
durch die Kugeln des Feindes und in den Wellen des Stromes 
ihren Untergang fanden. Nothi wurbe gefangen, Chriſtos 
Botzaris aber ſchlug fih mit 45 Dann nah Parga durch 
(freilich nur, um neun Sabre fpäter auf Ali's Befehl in Arta 
durch den Albanefen Gogos Bakolas beim Mahle getödtet zu 
werden). Ali war nun endlich der Sultoten Herr geworben, 
deren relativ wenige Gefangene er graufam hinrichten Tieß. 
Ihre Dörfer wurden niedergebrannt, ihre feiten Pläte dagegen, 
namentlich auch Kiapha, in möglichit ſtarke Stellungen im 
Sinne der damals modernen Kriegsbaufunft umgewanvelt. 


IV. 

Die Überwältigung der gefürchteten Sulioten gab dem 
Palcha von Sanina in den Augen des Diwans in Stambul 
einen erhöhten Triegerifchen Nimbus. Seine Erfolge zu be- 
lohnen, ernannte ihn die Pforte nunmehr zum „Rumili⸗ 
Valeſi“ oder Beglerbeg von Rumelien. Er follte jest 


mit feiner erprobten Kraft das Räuberthum mit politiicher 
därbung in Makedonien und Thrakien (S. 286 u. 316), 


820 B. II. K. J. 4..Ali (1804) vorübergehend Beglerbeg von Rumelien. 


welches, nach kurzer Zurückdrängung 1802 (S. 316), wieder eine 
unerhörte Ausdehnung gewonnen hatte, gänzlich niederwerfen, 
was bei dem geheimen Zuſammenhange dieſer Schaaren mit 
der reformfeindlichen Partei in Stambul, mit Paswan⸗Oglu, 
und mit vielen hohen osmaniſchen Beamten, bisher nicht hatte 
gelingen wollen. Ali zog auch im Frühjahr 1804 mit 
10,000 Mann nach Monaſtir, jetzt dem Sitze des rumeliſchen 
Beglerbegs, ſammelte hier die Contingente von Theſſalien, 
Delvino, Berat und Skutari, Makedonien und Sofia, um ſich 
und warf mit 80,000 Mann in der That die Räuberei 
weithin nieder. Nun aber wurde feine Haltung dem Diwan 
io verdächtig, daß man von Stambul aus. in feinem Nager 
eine Meuteret gegen ihn anftiftete, die ihn nöthigte, mit einer 
Maſſe erpreßter Gelder und Geſchütze nah Monaſtir zurüd- 
zufebren. Die bald nachher, obwohl unter jehr eleganten 
Formen, erfolgende Enthebung von dem rumelifchen Commando 
machte ihn zum bitteriten Teinde des Sultans Selim II. 
Einftweilen aber bewahrte er noch immer den Schein treuer 
Ergebenbeit gegen die Pforte, fuchte aber jeit dieſer Zeit 
entjchievener bei den europäifhen Großmädten m 
mittelbare Beziehungen anzuknüpfen, um für alle Fälle ſich 
einen Rückhalt zu fchaffen. Die Rückſchläge der Bewegungen 
der großen europäilchen Politik auf Ali's Stellung, auf das 
Haus Hppfilanti, auf die Lage der ioniichen Inſeln, und 
daneben der demnächſt fich einleitende Vertilgungskampf Ali's 
gegen die Armatolen und Klepbten Griechenlands find für vie 
nächſten Jahre die wejentlichiten Momente in der Gejchichte 
Griechenlands. 

Alt erkannte recht Mar, daß neben der Eiferſucht ber 
Pforte auf feine übergroße Macht es namentlich die ruſſiſche 
Politif war, die ihm Schwierigkeiten bereitete. Rußland 
nemlich, damald auf den toniichen Inſeln übermächtig, fand 
bei feinen Abfichten, in Albanien Einfluß zu gewinnen, Alt ſich 
überall im Wege. Daher denn die diplomatiiche Arbeit der 
ruffifchen Agenten gegen Alt fowohl in Stambul, wie nidt 
minder bei den nambafteften der griechiichen Kapitäne in 


Ali und die Armatolen. 821 


Nordgriechenland. Alt knüpfte daher jet nicht ohne Erfolg 
Verbindungen mit England an. ALS aber der Presburger 
Friede (26. December 1805) das venetianifche Gebiet mit 
Dalmatien in die Hände des franzöfiihen Kaiſers Napoleon I. 
gegeben hatte, bevachte fich der fchlaue Albaneje Teinen Augen« 
blid, nunmehr wieder mit Frankreich anzufnüpfen und mit 
dem franzöfifchen Imperator in fehr intimen Verkehr zu treten. 
Das dominirende Moment aber für bie folgenden Sabre 
wurde nicht mehr bloß bet Alt, fondern auch bei der Pforte 
die Feindfeligfeit gegen Rußland und gegen die Bewegungen 
auf der Balkanhalbinſel, welche irgendwie mit ruſſiſchen Ins 
tereffen in Verbindung zu jteben jchienen. 

Seit 1802 hatte Ai (S. 315) mit den chriftlichen 
Armatolen principiell gebrochen. Das Mißtrauen war gegen« 
ſeitig. Die gewaltige Vermehrung der Macht des Paſchas 
von Janina durch die Offupation der Bergfeftung von Sult, 
die dm nun Schkupetaren aus Tepeleni hüteten; die ſyſtematiſche 
Conſequenz, mit welcher Ali nun auch in Agrapha das alte 
Machtgebiet der Armatolen zu beichränfen juchte Y); zuletzt 
no die tückiſche Ermordung eines mit Paläopulos befreundeten, 
hoch angejebenen ätoliichen Primaten (1805) zu Arta, ber 
tie Flucht des oft gemipbrauchten Erzbiichofs Ignatios [zumächit] 
nad Korfu und die Vertreibung des Paläopulos aus Agrapha 
folgte, fteigerten die Erbitterung der griechiſchen „zahmen“ 
und wilden Klephten gegen den albanefiichen Tiger. Die Folge 
war nun, daß der Widerjtand der Klephten und 
Armatolen gegen Alt feit dem Sommer 1805 eine 
planmäßige Geftalt annahm. Damals Hatten fich Die ange⸗ 
jebenften Kapitäne zu gemeinfamer Berathung in Karpenifi 
verjammelt. Hier verhandelte Alt durch feinen Milchbruder, 
den „Araber Juſſuf“, einen Mulatten, einen jeiner thätigiten, 
aber auch graufamften Heerführer, noch einmal mit ihnen ?). 


1) Vgl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 26sqq. 

2) Servinus a. a. DO. ©. 77ff. Mendels ſohn-Bartholdy, 
Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 108. 

Hergberg, Geihichte Griechenlands. III. 21 


22 Bud II. Kap.I. 4. Konftantin Hypfilanti rumänifcher Hospobar. 


Man verkehrte in jener eigenthümlichen, Halb vertraulichen, 
balb lauernd vorfichtigen Art mit einander, welche den Verkehr 
zwiichen dieſen griechtiichen Kapitanis und dem Paſcha von 
Janina charalterifirt. Jufſuf mußte bereits erkennen, daß Ali 
wohl bie Stellung der Armatolen erichüttern, das Klephten⸗ 
thum aber ſchwerlich würde auscotten können; denn die Pflicht 
der Nahe für die in folchen Kämpfen umgelommenen over 
Bingerichteten Gebirgsfrieger verftärkte deren Reihen beftändig 
ans der Maſſe des griechiichen Volkes Heraus. Jedenfalls 
kam es damals zu keiner Verftändigung zwiſchen Alt und ven 
Kapitanis. Mehr aber, noch im Laufe deſſelben Jahres 
nüpften Konſtantin Hypfilanti und von den ioniſchen Inſeln 
her vufjtiiche Agenten mit ihnen Verbindungen an im Sinne 
eines großen gegen die Osmanen zu führenden Schlages. 
Diejes aber hing fo zufammen. 

Die Zuftände in den nördlichen Provinzen der europätichen 
Türkei Hatten während der legten ſechs Jahre einen ganz neuen 
Charakter angenommen. Fürit Ronftantin Hypfilantt 
Batte (S. 308) jeit 1799 als Hospodar der Moldau durch 
jeine verftändige Regierung erträgliche Zuftände gefchaffen und 
fih bei den Numänen große Beliebtheit gewonnen. Um fo 
trauriger waren dagegen die Verbältniffe der Walachei, die 
unter dem fchwachen Regimente der Familie Sußos fih der 
wilden Raubzüge nicht mehr erwehren konnte, welche von 
Paswan⸗Oglu's Heerhaufen und von den noch viel wilderen 
Banden der damald in dem unglüdlihen Serbien zügello® 
berrichenden Häuptlinge (Dahis) zuchtlofer Janitſcharenhorden 
gegen das walachiſche Gebiet unternommen wurden. Da 
richteten nun die walachiſchen Bojaren, in Erinnerung an 
Alexander Hypfilanti und im Hinblid auf den trefflichen Ruf, 
den Ronftantin in Jaſſh fich erworben, an bie Pforte die 
dringende Bitte, ihnen ven letzteren ald Hospodar zu jenben. 
Da auch Rußland und die ihm aus der Zeit feines Drago⸗ 
manates ber ſehr befreundete preußiſche Regierung dieſes Geſuch 
lebhaft unterſtützten, ſo wurde an Stelle des mit Schimpf 
und Schande aus Buchareſt gewichenen Michael Sutzos nun 


Konftantin Hypfilanti rumüniſcher Hospodar. 823 


mehr (4. Oktober 1802) Konftantin Hypiilanti zum 
Hospodar der Walachei ernannt. Die Wahl war eine 
bortreffliche. Eine damald auf ruffiihen Antrieb erfolgte 
Verbefjerung in der Lage der Hospodare (fie erhielten 
nomentlich ihr Amt auf je fieben Sabre, vinften nur auf 
Grund wirklich erwielener Vergehen unter Vorwiſſen ber 
ruſſiſchen Gejanbtichaft in Pera früher entfernt werben), wie 
auch der Rumänen erleichterte ihm fein Auftreten ſehr. Mit 
fefter Hand und ficherem Blicke griff Konftantin zu, gewann 
dad Bertrauen der rumäntichen Einwohner, wie der auf dieſem 
Boden den Griechen näherjtehenden Osmanen, und mußte fidh 
nun namentlich aus Griechen und ausgeivanverten Koſaken ein 
Neines Heer zu jchaffen, mit welchem er bie Räubereien des 
trog feiner endlichen Ernennung zum Paſcha von Widdin an, 
dauernd unruhigen Paswan⸗Oglu glüclich abzuwehren vermochte. 
Schwierig genug, wie jeine Stellung freilich immer blieb gegenüber 
ven Intriguen, welche bie jet in Stambul energifch vordringende 
franzöſiſche Politif und Michael Sutzos bei dem Diwan gegen ihn 
in Scene jeßten, und gegen bie er namentlich an Preußen jeinen 
Halt fand, — juchte er fi nun im Sinne feiner jpäteren 
Pläne ein jelbftändiges walachiſch⸗ moldauiſches Heer zu Ichaffen. 
Damit kam er aber bei dem Mißtrauen der Pforte und 
der Schlaubeit der Rufien nicht vorwärts. Als endlich Die 
damals auf das höchſte Maaß gefteigerten ſchändlichen Zur 
ſtände in Serbien es dahin getrieben hatten, daß im dieſer 
Provinz unter Leitung des Kara⸗Georg und des Jakob 
Nenadowitſch im Frühling 1804 die allgemeine Erhebung des 
infam gemißhanbelten Volles gegen die Osmanen ausbrach, 
die anfangs, als gegen die wüſte Janitſcharenherrſchaft gerichtet, 
nm Stambul ſelbſt nieht ungern gejeben wurde: ba 
unterftüßte auch Fürft Ronftantin die Serben mit Waffen 
und Kriegsvorräthen, und durch jeine Berichte im Diwan. 
AS aber mit Hilfe des Paſchas von Bosnien die Macht ver 
Dahis gebrochen war, und nun über der Abneigung ber 
Serben, in das alte Rajahverhältniß zurüdzutreten, die leßteren 
ih an Rußland wandten, um (1804/5) durch deſſen Hilfe 
21* 





34 Bud II. Kap. L 4. Der Aufftand in Serbien (1804—1807). 


eine ähnliche ſtaatsrechtliche Stellung zu erlangen, wie jchon 
bamald die Rumänen bejaßen: da war es Konitantin 
Hypſilanti, der, fo heißt es, ihnen die koloſſale Forderung 
eingab,, die fie bet einer Zufammenkunft mit osmaniſchen 
Abgeordneten aus Belgrad und den für die Pforte handelnden 
Vertretern der rumäniſchen Hospodare zu Oftrufchniga (im 
April 1805) aufitellten, — nemlich daß künftig alle Feftungen 
bes jerbijchen Landes mit ferbifchen Truppen befetst werben 
follten. Man glaubt, daß Hyyſilanti bet feiner fchlauen 
Politik diefen Schritt in der Hoffnung gethan habe, von der 
Pforte unter diejen neuen Verlegenheiten die Gewährung jur 
Bildung feines Heeres endlich Doch zu erlangen. 

Die Forderung der Serben konnte Selim II. aus Rück⸗ 
ficht auf die Mufelmanen doch nicht gewähren. Aber er beging 
den Fehler, auch andere, fie für die Zukunft fichernde Zu 
geftändnifjfe zu verweigern, und befahl dem Paſcha von Nic, 
nunmehr die ferbiiche Rajah wieder zu entwaffnen. Da brad 
nun gegen Ende des Jahres 1805 der neue Nationalfrieg 
aus zwilchen ven Serben einerjeit$, den noch in Serbien 
wohnenden Osmanen und der Pforte andererjeits. Die letztere 
bot die Paſchas Bakir von Bosnien und Ibrahim von Skutari 
gegen die jerbiihe Rajah auf. ES ift befannt, daß Diefer 
fürchterliche Kampf, der fich allmählich auch mit einem neuen 
ruſſiſch⸗türkiſchen Kriege verichlang, zunächſt bis tief in das 
Jahr 1807 hinein von den Serben mit immer wachiendem 
Erfolge geführt worden if. Tür unjere weitere Aufgabe 
fommt fortan die Gejchichte Serbiend nur noch gelegentlich in 
Betracht. Hier aber haben wir nun zu erzählen, daß bei 
dem neuen Auflobern des gegen die Pforte gerichteten jerbiichen 
Aufſtandskrieges im Winter 1805 auf 1806 nun eben 
auh die griechiſchen Armatolen zu Gunften ver 
Serben in Bewegung gebracht wurden, obmwohl gerade die 
Serben, jpeziell wieder ihr berühmter Führer Kara» Georg, 
durchaus Feine befondere Freunde der Griechen waren ?). 


1) Bgl. L. Ranke, Die ferbifhe Revolution, S. 172ff. 





Nito⸗-Tſaras (1805). 835 


Im Spätjabre 1805 aljo beriefen ruſſiſche Agenten bie 
u Karpenifi verfammelt geweſenen Kapitanis zu einer Be⸗ 
iprehung in dieſem Sinne nah Santa Maura. Und im 
Einverftänbnig mit SKonftantin Hyypſilanti entichloß fich ihr 
damals nambaftefter Führer !) Nikos, der tapfere Sohn des 
Zaras, Held „Niko⸗Tſaras“ von Alaffona in Theſſalien 
(S. 298), mit 300 auserlefenen Pallikaren den Serben zu 
Hilfe zu ziehen. Der Zug ift jchließlich erfolglos geblieben; 
aber er ift für den Geiſt und die Energie dieſer Gebirgskrieger 
in hohem Grade charakteriftiih. Niko⸗Tſaras war geichict 
genug, ben Türken auszumeichen, welche ihm die Päſſe zwifchen 
Makedonien und Theſſalien fperrten. Er erreichte endlich den 
Strymon; aber der Weg zu der jchmalen, mit Ketten an 
die Ufer gefeffelten Holzbrüde über dieſen Strom nad der 
Stadt Pravi wurde ihm durch 3000 Krieger Ali's geiperrt. 
Bald fah er fich auf einen Hügel gedrängt, wo er nun brei 
Tage und drei Nächte um jein Leben Tämpfen mußte, und 
nichts zu leben fand, als ven Schnee auf den Bergen. Als 
endlich auch der Schießbedarf knapp wurde, blieb den Griechen 
nur ein salto mortale übrig. Am Morgen des vierten Tages 
berjuchten fie auf Xeben und Tod ihren wilden Säbelangriff. 
Der Stoß gelang; fie nahmen die Brüde über den Strymon 
mit Sturm, überjchritten fie, hieben die Ketten am jenjeitigen 
Ufer ab und fchleuderten die Brüde in den Strom, um dann 
Pravi auszuplündern. Bald nachher aber erfuhren fie, daß 
die nach dem Norden führenven Päfje zu ſtark befegt waren, 
als daR fie e8 vermocht hätten, auch hier burchzudringen. So 
blieb dem tapferen Nito-Tjaras zur Zeit nichts übrig, als ſich 
mit alfer möglicher klephtiſcher Schlauheit nah dem Olymp 
zurückzuſchleichen ?). 


1) Die Borgefhichte bes Niko - Tjaras ſiehe ausführlih in ben 
„Mittheilungen aus der Geſchichte und Dichtung der Neugriechen“, 
Bd. II, ©. 166—172. 


2) Bol. über das bisher Entwidelte namentlib Ranke a. a O. 
&. 127. Zinteifen, Th. VII, ©. 243fj. 305. 307. 316ff. Ger- 


326 8. II. 8. I. 4. Zacharias und Theodor Kolofotronis in Moren. 


Seit dieſer Zeit war vorläufig die Klephturie zur Ruhe 
gebracht. Ali Hielt Armatolen und Klephten von Xetolien 
bis zum Olymp mit furchtbarer Gewalt nieder. Niko⸗Tſaras 
ſelbſt verlor fein Armatolik, und ſah fich genöthigt, von 
Platamona aus zur See zu geben und mit einem Kleinen 
Geſchwader von drei Schiffen als Corſar aufzutreten. Er 
machte die Injeln Skyros, Skiathos und Skopelos zu feiner 
Station und plünderte bis zu ben Dardanellen Hin). Auch 
mn Morea war es eben damals mit dem griechiichen 
Klephtenthum zu Ende gegangen. Hier waren es namentlich 
zwei fühne Krieger geweſen, welche auf eigene Hand den Kampf 
mit den Osmanen führten. Der ältere, feiner Zeit viel 
gefürchtet, aber auch durch feinen derben Humor bekannt, war 
Zacharias, ver Abkömmling einer alten lakoniſchen Klephten⸗ 
familie, deſſen Tapferkeit, Gewandtheit und kriegeriſche Be 
gabung auch den Osmanen imponirte, die ebenſo gut wie die 
islamitiſchen Albaneſen in dieſer Zeit vor der Kernhaftigkeit 
der Pallikaren Achtung gewonnen hatten. Der militäriſch und 
geiſtig ungleich bedeutendere aber war ſein jüngerer Waffen⸗ 
bruder, nemlich Theodor Kolokotronis, der Blut 
rächer ſeines Vaters. Theodor hatte ſeine Jugend nach 
dem Untergange ſeines Hauſes in der Maina zugebracht. 
Funfzehn Jahre alt ſiedelte er über nach dem Gebiete von 
Sambazika an dem nördlichen Abhange des Taygetos, und mit 
zwanzig Jahren (1790) heirathete er die Tochter des damaligen 
griechiichen &emeinvevorfteherd von Leondari, die ihm ein 
erhebliches Heirathsgut mitbrachte. Sieben Jahre vergingen 
ihm noch frienlich, obwohl (S. 288) die franzöfliche Freiheits⸗ 


vinus, ©. 70 ff. u. 77 fe Mendelsfohn- Bartholdy, Ali⸗ 
Paſcha, S. 133f.; „Gefchichte Griechenlands”, Bb. I, S. 103. „Mit- 
tbeilungen”“ a. a. O. ©. 172fl. 

1) ®gl. Sathas 1. c. p. 577 sgq., ber aber von allen Anderen 
abweichend ben großen Zug bes Nik. nad Pravi (p. 580 sqg.) erft In 
das Jahr 1807 verlegt (ſ. unten), mit ven Bewegumgen bes Admirals 
Stiniawin verbindet, und ben Kampf bei Pravi als ein Rückzugsgefecht 
Darftellt. 








Zacharias' Tod 1799. Kolokotronis flieht 1806 nad Zante. 827 


botſchaft in ihm ſchon damals die Triegeriihe Natur feines 
Gejchlechtes wachgerufen hatte, und er mit Vorliebe als 
Milizführer auftrat. Bonaparte's, des franzöftichen Kriegs⸗ 
belven, in welchem er „den Gott des Krieges‘ zu erkennen 
glaubte, Zug nad Aegypten riß ihn vollends bin, und einige 
Raubzüge nach den Nieberungen des meſſeniſchen Ganes 
Emblafifa, der Ebene des antiken Stenyklaros, warfen ihn 
entichieden in Das Klephtenthum hinein. Seine Zeit war aber 
damals noch nicht gelommen. Während Zacharias, ver nach 
der Ichlimmen Art namentlich der Moreoten feines Standes 
auch die Griechen nicht ſchonte, bejonders den Primaten und 
den Prieftern zuweilen ein böſer Gaſt war, endlich (1799) 
in türkiſche Hände fiel und in Tripoliga gepfählt wurde, 
ſchwankte auch des Kolofotronis Leben mehrere Jahre bin 
zwiſchen Raubfehden gegen Osmanen und wohlhabende Gries 
den, und zeitweiſem Waffendienft für griechiiche Klöfter oder 
Primaten. Es Half ihm nur wenig, daß ber griechifche 
dreiheitsgedanke fchon jest in ihm lebendig glühte “Die 
griegiichen Moreoten mit Ausnahme der Mlaniaten waren 
durch Die Schrediniffe, die auf das Jahr 1770 gefolgt, jo 
verdroſſen, namentlich die Bauern der Klephturie jo fatt, daß 
fie fchließlich den Osmanen herzlid) gern Die Hände boten, als 
e8 fih 1806 darum handelte, auf der Halbinjel dem 
Räuberthum mit und ohne politiiche Färbung ein Ende zu 
machen. Damals wurden aljo diefe Schaaren überall nieber- 
gebegt, mehrere Mitgliever der Familie Theodors erichlagen, 
Kolokotronis felbft, der auch in der Maina feine Sicherheit 
fand, Anagnoſtaras und andere Führer genöthigt, fich nach 
Zante zurüdzuzieben, wo jener endlich die Möglichkeit fand, fich 
zu feiner fünftigen Thätigfeit noch in anderer Weiſe einzu- 
ihulen 9). 


1) Bgl. Pouqueville, Geſchichte der Wiedergeburt Griechenlands, 
Aberſetzt durch v. Hornthal, Bd. II, ©. 269. „Mittheilungen“ 
a. a. O. S. 64fj. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, 
p. 32 u. 190 sqq. Menpdeisfohn - Bartholdy, Geſch. Griechenl., 
8b. I, ©. 183 ff. 


323 8. II 8.1 4. Verſtimmung zwifhen ber Pforte und Rußland. 


Trog der Schläge, welche neuerdings Klephten und 
Armatolen erlitten hatten, loderte jchon in dem folgenven 
Sabre 1807 parallel mit der jerbiichen Bewegung auf ver- 
ichiedenen Punkten auch eine neugriechiſche Erhebung auf. 
Diejes nemlich im Zuſammenhang mit der großen europätfchen 
Boliti. In Stambul hatte ſeit mehreren Jahren die 
franzöfifhe Diplomatie energiih dahin gearbeitet, die 
zuffiiche aus dem Felde zu fchlagen. In der That war das 
burch den gemeinjamen Feldzug gegen die iontichen Injeln und 
weiter zwilchen Stambul und Petersburg begründete freund- 
ichaftliche Verhältniß bereitö wieder erheblich abgekühlt worden, 
nicht ohne jtarfe Schuld der Ruſſen und ihrer fortbauernd 
betriebenen Dlinirungsarbeit auf osmaniſchem Gebiete. Schon 
1803 fanden die Osmanen es unerträglih, daß Rußland 
bem größten Theile der Handelsjchiffe der griechiichen Inſeln 
ben Gebrauch jeiner Flagge gejtattet hatte Weil auf vielem 
Wege die Pforte die Botmäßigkeit über einen großen Teil 
ihrer beiten Seeleute verlor, jo hatte jchon damals ber 
Kapudan-Paſcha, dem es ſchwer wurde, bie nöthige Zahl von 
griechiihen Matrojen für die Kriegsflotte aufzubringen, mit 
Gewalt eingegriffen. Er ließ nemlich in der Nähe der Inſel 
Hydra und der maniatifchen Küfte fortwährend ein üÜber— 
wachungsgeichwader freuzen, behandelte alle griechiichen Schiffe, 
bie fich unter fremder Flagge bliden ließen, ald Corſaren und 
ließ einmal jogar den Kapitän eines ſolchen aus einem Hafen 
der Maina auslaufenden Kauffahrers zum Zwecke ver Ab 
ichredung einfach enthaupten ?). Bei der Geſchicklichkeit indeſſen, 
mit welcher die ruffiihe Politik, die in der Türkei das Geld 
nicht Iparte, in Stambul und im Diwan ſelbſt fich eine 
. einflußreihe Partei gejchaffen Hatte, hätten alle dieſe Ver⸗ 
ftimmungen zu feinem Bruche geführt, — ohne das immer 
nachdrücklichere Bohren der energiichen Gejandten Napoleons, 
denen e8 damals darauf anfam, die Pforte unter allen Um- 
jtänden von Rußland zu trennen. Allmählich drang Frankreich 


1) Bgl. Zinkeiſen, Thl. VII, ©. 353. 


Berfiimmung zwiſchen ber Pforte und Rußland. 829 


mit feinen Aufbegungen durch. Die Erklärung des Hafens 
von Sebaftopol zum Kriegshafen, bie immer ausjchließlichere 
Belegung der Offizierftellen in der Pontusflotte mit Griechen, 
die Detachirung (1804) neuer ruffiicher Abtheilungen aus 
Sehaftopol nach den ioniſchen Injeln (wo fich dann, jchließlich 
15,000 Mann und fechs zu Korfu ftationirte Kriegsfchiffe 
befanden), mußten ver Pforte allerdings ernſtlich mißfallen. 
Nah langem diplomatiihem Kampfe zwiſchen den franzöfifchen 
und ruſſiſchen Geſandten bei der Pforte gewann endlich unter 
dem imponirenden Gindrude der Schlacht bei Aujterlig und 
des Presburger Friedens (1805) die franzöfiiche Partei im 
Divan das Übergewicht. Noch freilich : hatte die Pforte 
(30. December 1805) auf Rußlands ‘Drängen ven alten 
Vertrag von 1798 auf neun Jahre verlängert. Nun aber 
(1806) gab man doch den franzöfiichen Einflüffen mehr und 
mer Gehör. Es war doch Hauptfächlich gegen Rußland ges 
richtet, daß die Pforte fich plöglich entichloß, dem jchlimmen 
Mißbrauch zu begegnen, der feit Jahren mit den Schugbriefen 
oder Patenten („Barats“, ©. 254.) der auswärtigen Mächte 
zu Gunſten der chriftlichen Unterthanen des Sultans getrieben 
worden war. Es ergab fihb, daß Rußland allein etwa 
200,000 folder Schußbefohlenen in dem osmaniſchen Reiche 
batte. Nun jollten, fo war der Wille der Pforte, dieſe 
Baratare entweder nach dem Wortlaut der - Barats allemal 
an den Stationen der betreffenden Conjulate verbleiben, 
beriebentlih dahin zurückkehren, ober aber wieder in die 
Kaffe der gewöhnlichen Rajah zurüdtreten. Diefer Schritt, 
mit dem zugleich ein thörichter Mißgriff in Schärfung ber 
Abfonderung der Rajah durch die Kleidung und Klaffifietrung 
verſchiedener Rajahklaſſen durch äußere Abzeichen Hand in 
Hand ging, erregte nun freilich nicht bloß bei den Ruſſen arge 
Mißſtimmung. Es konnte auch wohl nur wenig helfen, wenn 
jeßt der Sultan jelbft Barats an feine eigenen, auch an bie 
hriftlichen Untertbanen ausgab. Schließlich verlief fich dieſe mit 
Nachdruck eröffnete Reftaurationsmaßregel in den bald eintretenden 
größeren politifchen Erjchütterungen des Weiche. Zunächit 


30 8.IL 8.1. 4. Diplomatifche Agitation Frankreichs in Stambul 


hatte fih eben Rußland infofern nachgiebig gezeigt, Daß « 
„ven Gebrauch der ruffiihen Flagge für Unterthanen ver 
Pforte auf die Länder und Inſeln beichränfte, welche wäh 
rend des Krieges unter ruſſiſcher Botmäßigkeit geſtanden 
hatten“ ?). 

Als aber im Verlaufe des Jahres 1806 der Katier 
Napoleon I. den neuen großen Krieg gegen Preußen und 
Rußland eröffnete, galt es, nunmehr alles Ernftes auch die 
Bforte zum Bruch mit Rußland, zugleih auch mit England, 
damals dem ausdauerndften Teinde des neuen Frankreich, 
zu treiben. Diesmal gelang ed. Der neue franzöfiiche 
Geſandte in Stambul, General Horace Sebaſtiani (jet 
10. Auguft), war ein Meiſter in der Kunſt, die Gemüther 
der Osmanen zu gewinnen, und wußte namentlich die befonbere 
Gunſt des Sultans Selim II. zu erlangen. Seiner und feine 
unmittelbaren Vorgängers, des bisherigen Gejchäftsträgerd 
Ruffin, Thätigkeit gelang es bald genug, eine enticheivende 
Wendung herbeizuführen. ‘Die. franzöfiiche Partet in Stambul 
jegte e8 zunächſt durch, Daß die ihre beſonders umbequemen 
griechiichen Hospodare in Rumänien, Konftantin Hypſi⸗ 
lanti in Buchareft und Alerander Murufi in Jaſſy, als 
Parteigänger und verrätherifche Werkzeuge der ruffiichen Polittl 
am 30. Auguft durch einen Hattiicheriff des Sultans unter 
Druh des 1802 (S. 323) mit Rußland geichloffenen Ab- 
kommens abgejegt, dafür die Fürften Alerander Sutfos und 
Kallimachi zu Hospodaren ernannt wurden. “Die Folgen biejer 
Gewaltmaßregel blieben nicht aus. Währenn nur Murufi 
nach dem Fanar zurüdfehrte, Konftantin Hypfilanti dagegen es 
vorzog, nach Siebenbürgen zu entweichen, wo er num börte, 
daß die Pforte fein Vermögen in Stambul hatte configciren 
und feinen greilen Vater Alexander verhaften Yaffen 2): fo 
entwidelte fich aus ſolchem Vorgehen der Pforte jehr bald die 
ſtärkſte Spannung mit Rußland. Die von Selim ID. in 


1) Zinteifen, ©. 397ff. Gervinus, ©. 85. 
2) Bgl. Zinkeiſen, Thl. VII, S. 402 ff. 


Krieg der Pforte feit 1206 gegen Rußland und England. 881 


ärgfter Verlegenheit unter bem 17. Oktober auf engliiches und 
ruſſiſches Drängen verfügte Zurücknahme ber Ablekung jener 
beiden alten Hospodare fam zu fpät, um die Wltion ber 
ruffifchen Regierung noch aufzuhalten. Mit dem 16. Oftober 
batten fich bereits die tm Laufe des Sommers am Dnuieſter 
gefammelten ruffiichen Truppen in Bewegung gejegt, um im 
Rumänien einzurüden. Nur an der walachiichen Grenze 
momentan durch die Paſchas Muſtafa Bairaktar von Ruftichud 
und jenen Paswan-Oglu von Widdin aufgehalten, Hatten die 
Ruſſen am 24. December auch Buchareſt bejegen können. 
Am 27. December 1806 erfolgte dann die förmliche 
Kriegserflärung der Pforte an Rußland. Alexander Hypfilanti 
aber (er wurde Ende Januar 1807 Hingerichtet )) und Mu⸗ 
rufi waren dem Henker verfallen. 

Die Kämpfe zwiichen Ruſſen und Zürfen an der Nord⸗ 
greme bes osmanischen Reiches haben für unjere weitere 
Darſtellung keine Bedeutung; nur daß der Tod Pas» 
wan-⸗Oglu's am 5. Februar 1807 hier die Verhältniſſe 
ſehr vereinfachte, und daß vieler Ruſſenkrieg bie Kriegs⸗ 
lage der Serbier für das Jahr 1807 erheblich erleichterte. 
Für ums von Wichtigkeit ift aber die Rückwirkung, welche die 
ſeit dem Spätjahre 1806 neu entwicelte kriegeriſche Stellung 
ver Pforte einerjeitS auf die Osmanen, andererſeits auf 
bie verfchiedenen Glieder der griechiſchen Welt ausge- 
übt hat. 

Der Bruch der Pforte mit Rußland jchuf ihr auch Diesmal 
zunächft einen ſehr unbequemen Sriegsichauplag auf der 
Seefeite des Reiches. Denn in feiner zähen Feindſchaft gegen 
das Napoleonifche Frankreich ergriff jetzt auh England im 
Januar 1807 mit Energie für Rußland und gegen bie Pforte 
Partei. Bei der Inſel Tenedos fammelte fi) eine beveutenbe 
engliiche Flotte unter dem Admiral Duckworth, der am 
19. Februar mit vollen Segeln die Darbanellen paifirte und 
nad einem glüclichen Seegefechte bei Nagara am 20. Yebruar 


1) Ebend. ©. 475. 


832 B. II. K. J. 4. Krieg der Pforte feit 1806 gegen Rußland und England. 


bet der Inſel Proti, nur drei Stunden ſüdöſtlich von Stambul, 
vor Anker ging und demnächft die osmanijche Hauptſtadt mit 
einem Angriff bedrohte. Da war es die Entichloffenheit und 
Energie des franzöfiichen Geſandten Sebaftiani, an welcher 
Selim II. fich aufrichtete. Dieſer Heerführer felbjt und eine 
Anzahl in Stambul befindlicher Franzojen organifirten mit 
großer Gewandtheit in aller Eile die Vertheidigung von 
Stambul. Der mächtig auflodernde Fanatismus der Muſel⸗ 
manen, aber auch der griechifche Patriarch und die Griechen 
von Conjtantinopel unterjtüßten diefe Arbeiten mit unerwartetem 
.Nachdrucke. So geſchah es, daß binnen kurzer Zeit ver 
Admiral Dudworth fih außer Stande ſah, mit einiger Hoff- 
nung auf Erfolg den Angriff auf Stambul überhaupt noch zu 
verjuchen, und am 1. März, nicht ohne fchwere Verluſte be 
ber Dardanellenfahrt, den Rüdzug nach dem ägätichen Meere 
antreten mußte. Obwohl nun gleich nachher der ruſſiſche 
Admiral Demetrios Sintawin von der Station vor 
Korfu ber mit den Engländern bei Tenedos fich vereinigte 
(7. März), jo wurde Stambul doch nun nicht weiter bebroßt. 
Duckworth wandte fich vielmehr gegen Äghpten, währen 
Siniawin in der beobachtenden Stellung vor den Darbanelien 
liegen blieb. 

Inzwiſchen kehrte fihb in Stambul aber nah über 
ftandener Gefahr der alttürkifche rohe Hochmuth und bie 
Eiferfucht der Janitſcharen gegen den übermächtig hervor 
tretenden Einfluß des Generald Sebaftiani; biefes um fo 
mehr, weil Selim III. fih mit wachſender Entjchievenheit bei 
der Vollendung jeiner militäriihen Reformen auf bielen 
energiihen Mann ftüste. Nun war unglücklicherweiſe ber 
kräftige Kutjchuf-Huffein Ende 1803 geftorben. Die Gährung 
unter Janitſcharen und Pöbel namentlich der Hauptftabt, bie 
nur mühſam zu bänbigen war, hatte feit dem März 1805, 
wo der Sultan feine neuen Truppen durch allgemeine Con 
jeription aus dem Volt und aus ven Ianitfcharen zu ergänzen 
begann, eine bedrohliche Höhe erreicht. Noch mehr, die in 
Karamanien formirten neuen Tyuppen, 16,000 Mann zu Fuß 








Sturz Selims II. (1807). Muftafa IV. 338 


und 1500 Reiter, die Selim im Frühjahr 1806 nach Rumelien 
gezogen batte, waren auf fo wüthenden bewaffneten Wiberftand 
ber Janitſcharen geftoßen, daß der Sultan fie im Herbſt nach 
Aien batte zurüdienden müflen. Nun war e8 des Padiſchah 
Unheil, daß der im Frühjahr 1807 neu ernannte Muftt und 
ein anderer einflußreicher Miniſter nur äußerlich zu der Reform 
fi befannten, während fie derjelben im Geheimen jo feindlich 
als immer möglich waren. Beide Schurken, auf die Ulemas und 
die Janitſcharen geftüßt, Teiteten von langer Hand mit tücticher 
At ein Complott gegen den Sultan ein, dejjen Ausführung 
endlich mit einem Aufitande der alten Zruppen in ben, 
Batterien des Bosporus begann (26. Mai). Unter Führung 
des grimmigen Kabakſchi⸗Oglu trugen dieſe Meuterer bie 
Erhebung von Bujuldere am 29. Mat nah Stambul, wo 
nun der Pöbel und die Janitſcharen in Maſſe ihnen zufielen, 
und bie ſcheußliche Ermordung ver durch die vornehmen Führer 
des Aufſtandes proferibirten Freunde der Reform ind Wert 
gefeßt wurde. Selim II. mußte die neuen Truppen für 
aufgelöft erklären, wurde aber gleich nachher (31. Mai) ab» 
geſetzt, und an feiner Stelle Abdul-Hamids I Sohn, 
Muſtafa IV., auf ven Thron erhoben. 

Die neue biyzantiniiche Revolution übte auf den Krieg 
gegen Rußland eine höchſt lähmende Wirkung aus, während 
gerade Damals bei der fchwierigen Lage der Rufjen und Preußen 
auf dem preußtich - polniichen Kriegsichauplage die ruſſiſche 
Regierung nur mit jchwacher Macht in Rumänien auftreten 
fonnte. Zur See war es den Osmanen überdem ganz neuer. 
dings jchlimm genug gegangen. Denn der ruffiiche Admiral 
Siniawin hatte am 19. Mat in der Nähe von Tenedos 
dem Kapudan⸗Paſcha Seid⸗Ali eine vollſtändige Niederlage 
beigebracht. Freilich hatte auch die ruſſiſche Flotte bei dieſem 
Kampfe ſo ſchwer gelitten, daß Siniawin bald nachher nach 
Korfu zurückkehrte ). Die Kunde von dem Abſchluſſe des 
Tilfiter Friedens zwiſchen Frankreich und Rußland (8. Yult) 


1) Zinteifen, ©. 477. 





854 Buch II. Kay. I. 4. Zuftände auf den ionifchen Infeln. 


lähmte nachher auf allen Punkten des türfiichen Kriegsichauplates 
die weiteren Bewegungen. 

Die Zeitgenoſſen der Seeſchlacht bei Tenedos bemerkten 
mit Überraihung, daß!) die griechifchen Matrofen auf ver 
türfifchen Flotte damals wit großer Tapferkeit gegen bie 
Nuffen fochten. Nichtspeftoweniger hatte die ruſſiſche Agitation 
auch diesmal einen erheblichen Theil ber Griechen unter die 
Waffen gerufen. In eriter Reibe hatte fich die Republik 
der tonifhen Inſeln ſchon jet 1805 auf Rußlands 
Betrieb zu Frankreich feindlich geftelt. Dazu aber wurben 
biefelben Inſeln, bie in diefer, wie früher zur venetianiſchen, 
Zeit Aſyl und Rüdzugshafen aller aus den türfijchen Provinzen 
austretenden Flüchtlinge blieben, auch der Ausgangspunkt ber 
Unternehmungen verjchtedener Eorfaren gegen bie Pforte. Für 
die militäriiche Ausbildung nicht weniger griechiicher Pallikarer 
führer, bie feit 1821 in dem großen griechtichen Befreiungsfriege 
eine bedeutende Rolle fpielten, ift e8 allerdings werthvoll geworben, 
daß diefe Zuftände den Anlaß gaben, auf den Injeln verſchiedene 
griechiiche regelmäßige Truppenabtheilungen zu formiren. Ein 
Theil griechischer Pallitsren aus Rumelien und Morea nahm 
beit ven Zruppen der jungen Republik ‘Dienfte. Rußland 
jeinerjeits bildete für feine Zwecke in Zante unter dem Oberjten 
Papadopulos ein griechtiches Regiment aus Maniaten unter 
Pieralis, dem Sohne des Tzanetbei, und Moreoten unter 
Anagnojtaras. Auch aus den Trümmern der Sulioten 
auf Korfu fuchten die Ruſſen Nuten zu ziehen. Diele un 
glüdlichen Leute nemlih waren damals fich ſelbft und ben 
Joniern zur Laft geworben. Fern von ber alten Heimath, 
wurbe e8 ihnen jehr fchwer, aus Gebirgskriegern Bauern zi 
werben und das ihnen zugetheilte Land zu Zolonifiren. Die 
klephtiſchen Neigungen famen jest bei Männern und Frauen 
in läftiger Weife zum Vorſchein; fie wurden unangenehme 
Ziegen» und Holzdiebe. Endlich formirten die Ruſſen aus 


1) 2gl. Ponqueville a a. ©. bei v. Hornthal, Bd. J, 
©. 1871. 





Machtaufſchwung des Ali-⸗Paſcha. Graf Giovanni Kapodiſtrias. 385 


den jungen ſuliotiſchen Kriegern eine ſoldatiſche Truppe, die 
jedoch bei verſchiedenen Gelegenheiten, wo ſie zum Kampfe 
kam, weit hinter ihrem alten Rufe zurückblieb, ſobald es 
nicht gegen die Mohammedaner ging. Viel wichtiger wurde 
dagegen 1807 die Verbindung verſchiedener Rumelioten mit 
den Joniern. 

Das Auflodern des ruſſiſch⸗türkiſchen Krieges und die neue 
Freundſchaft zwiſchen Frankreich und der Pforte gab dem Ali⸗ 
Paſcha von Janina einen ganz neuen Aufſchwung. “Der 
franzöſiſchen Freundſchaft verdankte er es, daß er damals ſeine 
Herrſchaft nahezu über das geſammte Griechenland 
ausdehnen konnte. Denn als der Krieg zwiſchen Rußland und 
der Pforte ausbrach, verlieh anf Verwendung der Franzöfiichen 
Sejandtfchaft der Sultan Alt’8 Söhnen zwei wichtige griechtiche 
Paſchaliks. Belt erbielt Morea, Muchtar dagegen Lepanto. 
Nun aber jekte Mi Alles in Bewegung, um mit franzöfiicher 
Hilfe auch die tonifhen Inieln zu erobern. Den geo- 
graphiſchen Verhältnifſen entiprechend, war jein erfter Angriff 
gegen Santa Maura gerichtet. 

So ſtanden die Dinge zu Anfang des Jahres 1807. In 
ihrer Bedrängniß ſuchte die ioniſche Republik ihre Rettung 
in der Energie und Geſchicklichkeit des jungen Grafen Gio⸗ 
vanni Kapodiſtrias. Diefer Staatsmann war in der legten 
Zeit ftarf unpopulär geworben. Die demokratiichen Züge in 
der neuen Verfaſſung von 1803 (S. 312) mißfielen ihm; er 
hatte dem alten Mocenigo die Hand geboten, als dieſer unter 
Eonnivenz der ruffiichen Regierung gegen Ende des Jahres 
1806 eine Commiſſion berief, um über eine Reform der 
ioniihen Verfaſſung im Sinne einer Stärkung ber erefutiven 
gegenüber der Tegislativen Gewalt und Erhöhung des ruſſiſchen 
Einfluffes auf die Zufammenjegung der Exekutive zu verhandeln. 
Er Hatte darüber fein Amt als Staatsfefretär niedergelegt. 
Jetzt aber in dem Moment der Noth Tümmerten ſich Die 
Sonier nicht mehr um die innere Trage, fondern ernannten 
Kapodiftrias zum außerordentlichen Milttärgouverneur, und 
verliehen ihm zum Schutze von Santa Maura ben Oberbefehl 





336 3. II. 8. I. 4. Griehifche Bewegung für Rußland i. 3. 1807. 


über die Truppen der Republit, zu denen auch eine ruſſiſche 
Abtheilung ſtieß. Mit richtigem Blicke ließ er den jchmalen 
Iſthmos, welder Santa Maura mit Alarnanien verband, 
buch einen mit Batterien gebedten Graben durchſtechen, 
zugleich die bier ſchon vorhandenen Forts verftärken. “Die 
energijche Freiheitsliebe der Jonier, fpeciell der Griechen von 
Ithaka, kam ihm babei weientlih zu Hilfe; feine Truppen 
aber erhielten durch der Zuzug albanefiicher, vumeliotiicher, 
moreotifcher Pallilaren eine ſehr erwünjchte und ſehr nützliche 
Verftärkung. Kapodiſtrias feinerfeitS kam damals mit meh 
reren der fpäter namhafteſten griechiichen Kapitäne in per- 
fönliche Beziehungen. Der Angriff Ars — im Mai ımd 
Juni 1807 — murde aljo auch damals wieder ver 
eitelt. 

Parallel mit diefen Arbeiten und Kämpfen Tief aber bis 
zur Zeit der Schlacht bei Tenedos und des Friedens von 
ZTilfit eine andere Bewegung unter den Griechen des Felt 
landes und der Inſeln des Oſtens. Die Aufreizungen ber 
rulfiihen Agenten batten ihre Wirkungen auf dem Yeitlande 
nicht verfehlt; auch im ägätichen Meere blieb ein Aufruf des 
Admirals Siniawin an die Griechen nicht ohne Wirkung. 
Während Theodor Kolofotronts ald Kaper an den weftlicen 
und nördlichen Küften von Morea auftrat; mährend bie 
ioniſche Republit noch am 17. Juni der Pforte und Franfreid 
den Krieg erflärte, und nach Abwehr der Albanejen die grie 
Shichen Armatolen von Santa Maura aus unter Katſan— 
tonis und Kitfos (Chriftos) Botzaris ſich über Afarnanien, 
Epirus und Theffalien verbreiteten, war im Frühling auch auf 
Hydra ein Aufftand zu Gunften der Rufen ausgebrochen, 
der (ſ. unten) zur Zeit bier rvegierende Gouverneur oder Dei 
Georg Bulgaris zur Flucht nach Poros und Athen genöthigt, 
und mehrere Schiffsführer, wie Kyriakos Skurtis, Antonicd 
Tukas, Anaftafios Balis, eröffneten ihre Seezüge gegen 
osmaniiche Schiffe. Nikotſaras endlich, der (S. 326) ſich 
auf der See nicht hatte halten können und ſich zuerit 
nah Hydra, dann nach den ioniſchen Inſeln zurückgezogen 





Die ioniſchen Infeln 1807 an Napoleon I. abgetreten. 337 


hatte, feßte fih mit Siniawin unmittelbar in Berbin- 
bung 9). 

Inzwiichen Hatte fih auf dem Baltifchen Kriegsſchauplatze 
jene frappante Veränderung vollzogen, welche in überrafchender 
Weiſe die Stellung der Franzofen und der Ruſſen zu ber 
Pforte und zu ben Griechen neu geftaltete. Belanntlich wußte 
Kaiſer Napoleon I. während der dem ZTilfiter Friedensſchluſſe 
vorangehenden Unterhandlungen den ruffifchen Kaiſer Alexander J. 
vollfommen für fich zu gewinnen. Ideen über eine Theilung 
des dem Untergange verfallenen Reiches der Osmanen, ober 
boh der Balkanhalbinſel mit Ausnahme von Thrakien, bei 
welder Frankreich Albanien, Theſſalien, das Land bis zum 
Golf von Salonichi, Morea und Kreta für fih in Anfpruch 
nahm, Tamen zur Sprade. Pläne dieſer Art fcheiterten 
Ihlieplich daran, daß Rußland für dieſen Fall auch Stambul 
für fich begehrte, was Napoleon niemals zuzugeitehen dachte. 
Shließlich fand die Sache dabei ihr Bewenden, daß Napoleon 
und Alexander in den geheimen Attileln des Friedens. 
ſchluſſes ein Schutz⸗ und Trutzbündniß mit einander feftjtellten, 
und Rußland aufer Gattaro auh die Republik ber 
ioniſchen Infeln an Frankreich überließ. Mehr aber, 
Frankreich wollte in Stambul die Vermittlung zwiichen Ruß⸗ 
land und der Pforte übernehmen; follte das nicht binnen Drei 
Monaten zu einem genügenden Ergebniß führen, jo wollte 
Srankreih mit Rußland gegen die Osmanen vorgeben und 
ihnen außer Stambul und Thrakien alle Provinzen der 
Balkanhalbinſel entreißen ?). 

Die neue ruffiich » franzöfiiche Alltanz trug für Die ver- 
ſchiedenen osmaniſchen und mujelmaniichen Gewalten , wie für 
die griechiiche Welt ihre Früchte in fehr verfchtedener Art. ‘Die 
Pforte mußte fich entichließen, Frankreichs Vermittlung 


1) ®gl. Sathas, p. 570—582. Miaulis, ©. 22. Finlay, 
Greek revolution, vol. I, p. 191. Mendelsſohn -Bartholdy, 
Graf Kapodiftrias, S. 14—18; „Geſchichte Griechenl.“, Bd. I, ©. 103f. 
Pougueville a. a. O., 3b. I, ©. 183. 

2) Zinteifen, ©. 515ff. 

Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. II. 22 


388 B. II. K. 1. 4. Dieionifhen Infeln 1807 an NapoleonL abgetreten. 


anzunehmen; zunäcft wurde zu Sloboſia bei Dſchurdſchewo 
in der Walachei am 24. Auguft 1807 ein Waffenſtillſtand 
abgeichloffen, der mindeſtens bis zum 21. März 1808 dauern 
follte und die gänzlice Räumung der Walachei und Moldau 
von ruſſiſchen wie von türkiihen Truppen jtipulirte. Nur 
daß hernach über den aus ver übrigen Weltlage zwilden 
Alerander und Napoleon neu erwachlenden Streitigkeiten die 
Nufjen die Donau» Fürftentbümer keineswegs vollftändig ver. 
hießen. 

Mit großer Energie dagegen hatten die Franzoſen bie 
Dffupation der tonijhen Injeln vollzogen. Trotz des 
Widerſtrebens der meijten Ionier und des tiefen Bedauernd 
der griechiihen Welt, die nun nach wenigen Jahren den 
einzigen Punkt wieder verichwinden jah, wo ein Theil ve 
griechiichen Volkes wenigftend dem Namen nach jelbftändg 
beftanden hatte, bejegten franzöfiihe Truppen im Laufe de 
Juli und während der erſten Hälfte des Auguft 1807 das 
Gebiet der bisherigen Republik der fieben Injeln. Der nad 
des Grafen Theotofis Tode rvegierende Principe, Graf Komuto 
aus Zante, trat zurüd. Seitens der Franzojen wurde der 
erite militäriihe Gouverneur der General Ceſar Berthter, 
dem nach einiger Zeit der General Donzelot folgte. Die 
Injeln wurden nicht förmlich mit dem franzöfifchen Kaiſerthum 
verichmolzen. Der Senat blieb fortbejteben; nur daß ſeine 
Defrete erft noch der kaiſerlichen Beftätigung zu ihrer Giltigfeit 
bedurften. Die Geſetze des Landes blieben in Kraft, die 
griechtiche Kirche galt als die anerkannte Landeskirche. Dagegen 
wurde die PVerfaffung von 1803 erjegt. durch ‚eine jener 
ichablonenartigen Verfaſſungen mit conftitutionellem Anſtriche 
und Titel, der nur mühſam die provinzielle Abhängigkeit von 
Frankreich verbarg”. Die offiziellen Aftenjtüde des Kleinen 
Staates trugen feit dieſer Zeit die Überjchrift: „Empire 
francais, gouvernement local de Corfou“. Nach Außen bin 
gewannen bie Jonier jet wenigftens mit Ali-Pajcha Frieden, 
der fich zur Zeit vor der Macht der Franzoſen in Acht nehmen 
mußte. Mit einigen Ausnahmen, bie die Überſiedlung nad 





Graf Giovanni Kapobiftrias tritt in den ruſſiſchen Dienft über. 889 


Rußland vorzogen, gingen die fuliotiichen Zruppen in fran⸗ 
zöfiichen ‘Dienjt über. Die auf den Inſeln befindlichen grie- 
chiſchen Flüchtlinge und Armatolen empfahl der junge Graf 
Kapodiſtrias der Obhut und dem Wohlwollen ber neuen 
Regierung. Eines nur konnten die neuen Herren ben Joniern 
nicht eriparen: die Feindſchaft Englands Denn bei 
dem permanenten riegszuftand zwiichen England und Napoleon I. 
ſah e8 das Kabinet von St. James nur mit bem höchiten 
Unwillen, daß dieſe hochwichtige Tevantiniiche Stellung jest in 
franzöfifche Hände gefallen war, und beeilte fich, die ioniſchen 
Haupthäfen durch englische Kriegsichiffe zeitweiſe blokiren zu 
laſſen 1). 

Der größte Verluſt, den der Übergang der ioniſchen Inſeln 
an Frankreich dem kleinen Staate und den Griechen überhaupt 
bereitete, beitand aber darin, daß nunmehr der jugendliche, 
hohbegabte Graf Giovanni Kapopdiftrias, ber bereits 
früher den Titel eines Taiferlich » ruifiichen Collegienrathes 
erhalten Hatte, nunmehr einer Einladung Des Kanzlers 
Komanzoff folgte, Korfu verließ und in den ruſſiſchen 
Staatsdienſt übertrat ?). Er begab fich zu Anfang des Jahres 
1809 nad St. Petersburg und wurde bier zuerit als Attache 
in dem Miinifterium des Auswärtigen angeftellt. Im Jahre 
1811 wurbe er der rujfiichen Geſandtſchaft in Wien zugetbeilt, 
und nachher 1812 (j. unten) bei den abichließenden Unter⸗ 
handlungen des ruifiihen Admirals Zichitichagoff mit der 
Pforte zum Chef von deſſen diplomatiihem Büreau gemacht. 
Während des großen Krieged8 1813 gegen die Franzoſen 
befand ſich Kapodiſtrias im Stabe des ruffiichen Generals 
Barclay de Zolly, hatte dann als Vorſtand der Kanzlei im 
ruſſiſchen Hauptquartiere bi8 1815 an den biplomatifchen 


1) Mendelsfohn- Bartholdy, Graf Johann Kapodiftriag, 
S. 18ff. Bulgari, Les sept-iles ioniennes, p. 12—14. Neigebaur, 
Die Verfaſſung der ionifhen Infeln, S. 10 ff. Zinteifen, ©. 520f. 
8899, Lenormant, p. 84 800. 

2) Mendelsjobn-Bartholpy a. a. DO. ©. 20—42. 

22* 


340 Buch II. Kap. J. 4. Kapodiſtrias. Hydra. 


' Arbeiten, welche dieſen gewaltigen Krieg theils begleiteten, 
theils ihm folgten, einen erheblichen Antheil. Bereits der 
ausgeiprochene Günftling Alexanders I., ſtieg bei feinem 
Souverän fein Einfluß auf dem Wiener Eongreß immer höher, 
und am 20. November 1815 umterzeichnete er für Rußland 
ben zweiten Pariler Frieden, um gleich darauf von jeinem 
Souverän zum Staatsfefretär erhoben zu werden. Mit dem 
Fürften Neffelrode nunmehr an der Spike der auswärtigen 
Angelegenheiten des gewaltigen Neiches, zugleich ver had 
populäre Minifter für das (f. unten) damals neu gewonnene 
Beſſarabien, fo galt er als ver Stolz der griechiſchen 
Nation. Auf dem Zenith feiner Macht werden wir ihm in 
dem legten Abfchnitt diefer Periode griechiicher Gefchichte wieder 
begegnen. 
Sehr verſchieden geftaltete fich Dagegen das Loos jemt 
für Rußland neuerdings compromittirten Griechen, die duch 
ven Waffenſtillſtand von Sloboſia ihren. Rückhalt wieder vers 
foren Batten. Doc ging es diesmal. nicht fo greulich ber, 
wie 1770. Der den Osmanen treu gebliebene, vorher aus 
Hydra nach Athen ausgetretene, Georg Bulgaris (©. 336) 
wußte die drohenden Mafregeln des Vely⸗Paſcha von Moren 
gegen jeine Heimath abzulenten, bemächtigte fich fehon gegen 
Ende Juni mit A. Miaulis wieder der Gewalt auf Hydra, umd 
wirkte dahin, daß am 20. Auguft, als Siniawin definitiv das 
ägäiſche Meer verließ, die compromittirten Hydräer ımter 
Kyriakos Skurtis fich ihm anfchloffen. Nachher gingen dieſe 
Flüchtlinge nach den Kykladen und erlangten, foweit fie mit 
den Tod gefunden hatten, im November 1807 gegen Zahlung 
einer großen Strafſumme Verzeihung. Auch mehrere com 
promittirte Griechen von Tenedos, Lemnos und Same 
juchten ſich Amneftie zu erfaufen; doch fehlte es Hier nicht an 
Gewaltthaten Seitens des Kapudan⸗Paſcha und amberer 
türkiſcher Machthaber. Anbererfeits blieb es nicht aus, daß 
das ägäiſche Meer fih wieder mit griechiichen Eorfaren 
bedeckte. Verſchiedene Begleiter der ruſſiſchen Flotte, mehrere 
Armatolen des Feſtlandes, einige Inſulaner ſuchten nach alter 


Griechiſche Eorfaren (1807) im ägäifchen Meere. 841 
Art in dieſer wilden Eriftenz Zuflucht vor den Osmanen und 
Nahe. Namentlich die Wildheit des Ali⸗Paſcha, in deſſen 
Hände ſchließlich auch Katfantonis mit feinem Bruder 
Georg in Agrapha durch Verrath gefallen war, um dann in 
Janina von unten herauf durch Schmiedehämmer zerichmettert 
zu werden, — und bie wilden Verbeerungen, die Ali's Schky⸗ 
petaren in der olympiſchen Landſchaft und, im ſüdlichen 
Makedonien anrichteten, trieben viele theffaliihe Armatolen, 
unter ihnen namentli den Blachavas, auf das Meer. 
Skiathos, wo auch Nikotſaras und Theodor Kolokotronis 
zu ihnen ftießen, wurde wieder der Ausgangspunkt ihrer 
Raubzüge, bei der fie al8 griechiſche Flagge ein weißes 
Kreuz in blauem Felde führten. Dabei wurden furchtbare Ge- 
waltthaten verübt, Dörfer zeritört, die Einwohner niedergehauen, 
Weiber und Kinder als Sklaven fortgeichleppt. “Der wüthende 
Angriff eines türkiichen Geſchwaders auf die Infel Skiathos im 
November 1807 bradıte die Eorfaren in große Noth, aus der 
fie nur durch die Hilfe einer englifchen Fregatte gerettet 
wurden. Der bereinbrechenve Winter und die durch die Pforte 
erwirkten Excommunikationsdrohungen, welche der griechiiche 
Patriarh von Conſtantinopel aus gegen fie jchleuderte, zwangen 
fie dann im December zur Ruhe. Kolofotronis zog ſich nad) 
Zante zurüd. Die theſſaliſchen Armatolen Tehrten nach dem 
Olymp zurüd, den Alt auf Befehl. des Diman wieder geräumt 
batte. Nur Nikotſaras blieb auf der Inſel Stopelos. Der 
legte Kampf dieſer norbgriechiichen Kapitanis gegen bie Mos⸗ 
lims entbrannte erſt im folgenden Sabre, in welchem Ali 
noch einmal einen blutigen Triumph über fie davontragen 
jolite 1). 
Ali-Paſcha von Janina war durch die unerivartete 
Allianz zwiſchen Frankreich und Rußland fehr unangenehm 
überrafcht worden. Der fchlaue Politiker hatte e8 nicht ver- 


1) 2gl. Sathas 1. c. p. 582—587. „Mittheilungen” a. a. O., 
8. II, ©. 152f. Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 51 sq. 
Miaulis, ©. 22ff. 


342 Bud II. Kap. I 4. Ali-Paſcha alliirt fi 1808 mit England. 


ſäumt, nah Zilfit einen eigenen Agenten zu ſchicken. Als er 
fand, daß für ihn nichts zu erwarten ftand, begann er wieber, 
als wäre er ein ſelbſtändiger Souverän, ein fchlaues biplo- 
nratiiches Doppelipie. Schon jet fing er an, fih mit 
England in Verbindung zu fegen. Daneben aber jchidte er 
den Georg Janko, einen feiner Vertrauten, mit neuen Vor 
ſchlägen an ven Kaiſer Napoleon I, und begehrte, als 
Vaſall des franzöfiichen Keiches angenommen zu werben; jur 
gleich aber jollten die ioniſchen Infeln mit Epirus vereinigt, 
und dieſes ganze Gebiet al8 erbliches Fürſtenthum dem Ali 
zugetbeilt werden. Der franzöfiihe Kaiſer antwortete auf 
diefen Einfall nur mit feiner in folchen Fällen üblichen Grob 
beit: „Er wolle von Alt nichts mebr hören! Falls Ai aber 
fünftig e8 wieder wagen jollte, bie zwiſchen Frankreich und ber 
Pforte beftehenden Kapitulationen zu übertreten, fo werde de 
Kaifer von Frankreich ihn durch den Padiſchah züchtigen zu 
laffen wiſſen.“ Alt ſah fi alfo durch die Franzoſen vol- 
ftändig überliſtet. Nunmehr trat er als ihr entſchiedener 
Gegner auf. Barga, welches dieſelben beſetzt Hatten, konnte 
er ihnen nicht entreifen. Dagegen bäufte er in Voniza, 
Prevefa und namentlich in Butrinto Truppen an, und unter: 
handelte, nachdem er auch, wie wir fahen, wieder ftark auf 
bie Armatolen Theſſaliens geichlagen hatte, nunmehr nad 
brüdli in London und in der Levante mit England. 
Wirklich forderte ihn im Frühjahr 1808 der Aomiral 
Collingwood auf, mit den brittifchen Streitfräften gegen Korfu 
zu operiren. Ali fperrte denn auch durch ungeheure Abgaben 
bie Ausfuhr von Schlachtvieh und Getreide aus Albanien nad 
ven ioniſchen Injeln faft gänzlih, und traf in der naächſten 
Zeit auf den Ruinen von Nikopolis mit einem Agenten 
Collingwoods nähere Verabredungen. Unmittelbar denſelben 
nachzukommen, ſah fich Alt aber gehindert, weil gerade vamald 
ber neue große Aufſtand der tbeffaliichen Armatolen gegen 
feine Herrſchaft ausbrach !). 


1) Zinteifen, S. 540ff. 








. 
Aufftand (1808) der thefialifchen Klephten gegen Ali. 318 


Der Führer diejer Bewegung war ber ſchon mehrfach 
genannte Eutbymios Blachavas. Zur Zeit ber geiftig 
bedeutendfte Mann unter den Klephten, zugleich der alfezeit 
unverjöhnlichhte unter Ali's griechiichen Gegnern, war dieſer 
frühere Prieſter auch derjenige unter den norbtbefialiichen 
Kapitanis, ber über den bloß momentanen Kampf mit Alt 
hinaus dachte und in feinem glühenden griechiichen Patriotismus 
auch die dauernde Befreiung der Griechen ins Auge faßte. 
Es ift jehr ſchwer, mit Beftimmtheit zu jagen, weßbalb er 
gerade die Zeit nach Abichluß des Waffenftillitandes von 
Sloboſia zu feinen Unternehmungen gewählt hat. Man kann 
indeflen daran erinnern, baß gerade der Stanb der ferbifchen 
Inſurrektion zu Ende des Jahres 1807 hoffnungsreich genug 
war, um einem tüchtigen Griechen ven Gedanken, der griechtiche 
Rara-Georg zu werben, nahe genug zu legen. Die Revolution 
tn Stambul, die bald noch andere erzeugen follte, konnte 
ebenfalls nur anregend auf Eutbymios wirken. . Endlich hatten 
bie wechfelnden Ereigniffe des Jahres 1807 die griechtichen 
Kapitäne zu Waffer wie zu Lande mehr denn fonft in Bes 
wegung und zum Bewußtſein ihrer Kraft gebracht, während 
die Sehnjucht, an Ali fih ausgiebig zu rächen, nicht erſt noch 
angefacht zu werden brauchte. Wie weit dabei fortwirkenve 
Bemühungen ruffiiher Agenten und die Ausficht auf neue 
Angriffe von Epirus ber ihre Nolle geipielt haben; wie weit 
etwa Anregungen von Serbien ber bei Eutbymios den Aus- 
Ihlag gegeben haben, ftebt dahin. Genug, Euthymios 
Blachavas veriammelte in ber Mitte des Februar 1808 
die theffalifchen Kapitäne, die ihn zu ihrem Führer ernannten, 
und fegte fich nun nad) alter Praris mit anderen Armatolen 
des griechifchen Numeliens in Verbindung. Auch die gegen 
Alt tief erbitterten QTürken von Larifja und Trikkala wußte er 
für fich zu gewinnen. Cine zweite Verfammlung beftimmte 
dann den 29. Mai, den Tag der Eroberung von Eonftantinopel 
durch die Osmanen, zum Zeitpunkt der allgemeinen Erhebung. 
Da geſchah es, dag der Armatole Deligiannts von Metſowo 
de ganze Sache am 1. Mat an Alt verrieth, ber bereits mit 





34 BIL.RLI 4. Aufſtand (1808) der thefſaliſchen Klephten gegen ATi. 


einem durch Franzoſen, Sulioten und Armatolen unterjtügten 
Aufftande der Albanefen in dem epirotiichen Tſchamurien zu 
thun hatte. Dadurch ſah fih Eutbymios zu übereiltem 
Handeln gezwungen. Er pflanzte nun ſchon am 5. Mai auf 
dem Gebirge Chaſſia die Fahne des Aufitandes auf, bejegte 
mit 600 Dann jofort Kaftri (Kaſtraki, Kalabaka), den Schlüffel 
der Pindospäſſe, und rief durch Eilboten alle feine Verbündeten 
zu vajcher Anfammlun. Da die Türken in Theſſalien es 
nicht wagten, ihm zuzuziehen, jo übergab Euthymios feinem 
Bruder Theodor das Commando in Kaftri und eilte felbft zu 
rajcher Aufbietung der Olympier nach dem DOften. Ein anderer 
Bruder des Euthymios, Demetrios, bielt mit nur 300 Mann 
die Stellung bet Krya⸗Bryſis gegen den Derwenaga Juſſuf 
und die mit diefem vereinigten Albanefen aus Trikkala. 
Inzwiſchen Hatte Alt mit gewohnter Energie gehanbelt 
Sein Sohn Muchtar war fofort aus Janina mit 5000 
Mann ausmarichirt, erreichte am 7. Mai Metſowo und griff 
am 8. Mai die Griechen bei Kaftri mit Ungeftim an. Nach 
mörberiihem Kampfe wurde die tapfere Schaar voliftändig 
vernichtet. Euthymios, der zu fpät mit Hilfstruppen eintraf,. 
mußte in aller Eile nach dem Olymp retiriren. Muchtar 
jeinerfeit8 erreichte unter blutigen Gewaltthaten gegen die 
chriftliche Bevölkerung fiegreih Trikkala. Unter jolchen Um- 
ftänden war für Eutbymios Fein Bleiben in Theſſalien mehr 
möglich. Er zog fich wieder nach ber Infel Stopelos zurüd 
und eröffnete wieder mit Nilotfaras und anderen Olympiern 
einen graujamen, namentlich auch gegen die makedoniſch⸗ 
theſſaliſchen Küften fich richtenden Piratenfrieg. Unter dieſen 
Umftänden fchloß Ai einftweilen feinen Frieden mit den übrigen 
Armatolen, nur darauf bedacht, endlich des Euthymios Herr 
zu werden. Der lettere batte allmählich eine folche Maſſe 
verzweifelter Eorfaren um fich verfammelt, daß der Diwan in 
Stambul, unter deſſen Mitgliedern Euthymios ſelbſt einige 
Gönner hatte, denen nichts daran lag, daß Ali's Macht immer 
gewaltiger wurde, e8 vorzog, durch den Patriarchen von Com 
ftantinopel mit ihm Frieden zu fchließen, ihm und feinen 








Veli⸗Paſcha und Ismael⸗Pacho⸗Bei in Moren. 545 


Genoſſen Amneftie zu ertbeilen, und auch dem Pafcha von 
Janina die Einftellung weiterer Fehden in XTheffalien gebot. 
Ali ließ auch wirklich die übrigen Armatolen ruhig nach ihren 
Wohnſitzen zurückkehren. Den Blachavas aber Iodte er durch 
einen falichen Brief — Euthymios mußte glauben, einige 
jeiner Freunde riefen ihn nach der Gegend von Faterina an 
der Küfte des olympiichen Makedonien — ans Land, ließ ihn 
bier durch feine Albanefen verhaften und nach Janina führen, 
wo der tapfere Klephte graufam hingerichtet wurde. Zugleich 
mit ihm ftarb unter den jcheußlichiten Martern der mit ibm. 
eingebrachte Mönch ‘Demetrios, ein Pindoswlache von Sam⸗ 
marina ?). 

In demjelben Jahre gab e8 auch in Morea unrubige 
Bewegungen. Ali's Hier regierender Sohn Veli⸗Paſcha 
hatte es nicht ohne Glück verjucht, fich populär zu machen; 
freilich weniger bei den Mafien, als bei den Primaten und 
Arhonten, die er lebhaft begünftigte, denen er manche Be⸗ 
drücungen des Volkes nachſah. Die Erpreffungen aber, in 
denen er ſich nach feines Vaters Beiſpiel gefiel, wurben 
wenigſtens von den Griechen mit einer gewiljen Refignation 
ertragen, weil er ihnen auf firchlichem Gebiete fchäßenswerthe 
Conceſſionen machte. Veli geftattete ven Moreoten, nad ihrem 
Debürfniffe Kirchen zu bauen, und ber griechiiche Klerus. 
genoß an feinem Hofe ein Anfehen, wie man dergleichen bisher 
unter moslemitiſcher Herrſchaft nicht gewohnt geweſen war ?). 
Zu jeinem Schaden aber hatte er als feinen Seliktar (,, Schwerdt- 
träger’, Brotofpathar) einen Mann bei fich, der ſchon damals ale 
heimlicher Feind Ali's und feiner Familie arbeitete. Dieſes war 
Ismael-Pacho⸗Bei, ein Verwandter Ali's und an deſſen 


1) Die Darftellung ift Hauptfächlich gegeben nah Sathas (p. 587 
bis 605), der fehr erheblich abweicht von ber Schilderung bei Pougque- 
ville a. a. O., Bd. I, ©. 214— 221. Bol. auh Mendelsfohn- 
Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 104 f. und „Mit- 
theilungen“, Bd. II, ©. 186 ff. | 

2) Bol. Pouqueville a a. O., ®b. I, ©. 214. Brandis, 
Mittheilungen über Griechenland, Thl. IL, ©. 16. 








846 Bud II. Kap. I. 4. Mi-Pharmali und Theodor Kolokotronis. 


Hofe aufgezogen, aber ein fanatiicher Alttürfe und als fchroffer 
Sunnit an fi fchon gegen den freigeifteriichen Schtiten Alt 
erbittert. Diefer Beamte unterließ nichts, um binter Veli's 
Rüden feinen Chef in Moren verbaßt zu machen. Am meiſten 
antipathiſch war die Herrichaft des jungen albanefifchen Paſchas 
von Anfang an einem der großen Häuptlinge feines eigenen 
Stammes in Moren, nemli dem mächtigen moslemitilchen 
Albanejenbei Ali-Pharmaki zu Lala in Elis, dem (©. 244) 
Dlutfreunde des alten Kolofotronis. Zwiſchen dieſem Mad: 
haber und Veli⸗Paſcha brach 1808, im Zuſammenhang mit 
den albanefifchen Bewegungen in Tſchamurien, und mit anderen 
mißvergnügten moslemitiichen und griechiſchen Moreoten ein 
grimmiger Conflift aus. Der Paſcha griff das Kaftell de 
Ali⸗Pharmaki mit ftarfer Macht an, und der Ießtere ſah fih 
bald von aller Hilfe verlafien. Da eilte ihm unerwartet der 
junge tapfere Theodor Kolofotronis zu Hilfe Bee 
ritterliche Krieger hatten einander früher niemals geſehen, 
erſt jüngft bei Erwägung der Bewegungen gegen Veli-paſcha 
einander gefunden, und die Erinnerung an bie alte Freund 
ſchaft feines Vaters mit dem Lalioten war jeßt bei Theodor ſo 
mächtig, daß er auf die Nachricht von Ali⸗Pharmaki's Nothlage 
und Mangel an Streitkräften unverzüglich der Bitte bed 
bebrängten Bei's folgte und mit fechszehn auserlefenen Pal 
foren von Zante nach Lala eilte. Da Belt fein Geſchütz zur 
Hand Hatte, mußte er fih auf eine längere Blokade einlaflen, 
während deren Pharmaki bei der ihm und Kolokotronis 
durchaus nicht abgeneigten Gefinnung der Belagerer Gelegenheit 
genug fand, feine Vorräthe zu ergänzen. Endlich kam es zu 
einem Bergleiche. Ali-Pharmaki huldigte dem Paſcha von Morea 
unter anftändigen Formen, und Kolofotronis durfte ruhig mad 
Zante zurüdfehren ?). 

Damit geben für bie ganze Zeit bis zur Einleitung dei 
Vernichtungskrieges zwilchen der Pforte und Alt von Yanin 


) Bol. Brandis a. a. O. ©. 18. Finlay, History of the 
greek revolution, vol. I, p. 191 sg. Sathas, p. 606. 








Sultan Mahmud II. (1808). 847 


die mehr oder minder felbftändigen bewaffneten Unter- 
nehmungen griechifcher Häuptlinge zu Ende. Die noch übrigen 
Ereignifje der griechiſchen Geichichte bis zum Ablaufe des 
Napoleoniichen Zeitalter8 und bis zur Stiftung der großen 
politifchen Hetärie, wenig zahlreich wie fie find, knüpfen fich 
lediglich an die Politik der Großmächte, die damals über das 
Schickſal der Levante entihieven. Die Pforte ihrerjeits 
wurde befanntlich in jener Zeit noch mehrmals durch dynaſtiſche 
Nevolutionen erichüttert. Der Paſcha von Ruftihud, Mur 
ftafa»- Bairaltar, ein treuer Anhänger Selims II. und 
der Reform, marjchirte im Sommer 1808 mit jeinem Heere 
nach Stambul, ftürzte bajelbit das Prätorianer- Regiment, 
wurde am 26. Yuli von Muftafa IV. zum Generalilfimus 
der osmantjchen Armee ernannt. Als er dann am 28. Yult 
den regierenden Sultan zur Abdankung zwingen und Selim II. 
wieder auf den Thron führen wollte, benutzte Muftafa IV. 
den legten Augenblid, um feinen enttbronten Vorgänger fofort 
ermorben zu lafien. Da griff Bairaktar mit Gewalt ein. 
Muftafa IV. wurde verhaftet, und jofort fein jüngerer, hoch⸗ 
begabter Bruder (geboren 25. Juli 1785) ald Mahmud II. 
um Sultan erhoben. Num wurde Bairaktar zum Großweifir 
ernannt und eilte, erfüllt von osmaniſchem Batriotismus, 
ein Dann von großer Energie und reblichftem Willen, Se 
Ims III. Reformen wieder aufzunehmen. Die Reform des 
Janitſcharencorps und die umfafjende Erneuerung der nad) 
‚europäiichem Mufter ausgebildeten Truppen wurde aljo mit 
neuem Nachdruck in Angriff genommen. Aber auch dieſer 
fühne Neformer erlag nad furzer Zeit ben alttürfiichen Eles 
menten. Als er zur Dämpfung eines alttürkiichen Aufjtandes 
in Rumelien bebeutende Truppenmafjen aus Stambul hatte 
entjenden müſſen, erhoben fih am 14. November 1808 
Vanitiharen, Ulemas und Pöbel der Hauptitabt wider ihn. 
In der folgenden Nacht fand er durch eine von den Infurgenten 
beranlaßte Feuersbrunft in einem Thurme feines Palaſtes 
durch die Gluth und Hite der Flammen den Tod der Er- 
ftifung. Der Straßenfampf, ven die Neformpartei noch 








3485 Bub II Kap. I. 4. NRuffifchetürkifcher Krieg feit 1809. 


mehrere Tage lang tapfer fortjegte — der entthronte Mu⸗ 
ftafa IV. wurde auf ihren Betrieb am 16. November er 
droſſelt —, endigte am 18. November mit bem Siege 
ber Rebellen, und dem Sultan Mahmud II. blieb nur 
übrig, fih mit Sanitfcharen und Ulemas zu vergleichen. 
Die Vertilgung der Ianiticharen und bie Fortſetzung ber 
Reform mußte auf beinahe zwanzig Jahre hinaus vertagt 
werden. 

Die Pforte mußte alſo ſeit Ablauf des blutigen Jahres 
1808 wieder mit ihren alten Mitteln den Kampf ums Daſein 
gegen ihre zahlreichen Gegner fortſetzen. Dabei iſt ſie nun 
allerdings gerade während der nächſten Jahre immerhin er- 
träglich vurchgefommen. ‘Der Friede mit England wurde am 
5. Sanuar .1809 in aller Form wieberhergeftellt. Als aber 
ber Krieg mit Rußland, dem die Pforte die von Napoleonl 
feinem Petersburger Freunde bereits zugebilligten Provine 
Walachei und Moldau natürlich nicht überlaffen wollte, am 
1. April 1809 von Neuem ausbradh: da war freilich das 
Kriegsglük den osmaniſchen Waffen weder in Serbien noch 
an der Donau fonderlich hold, ſahen fich die Türken vielmehr 
allmählich in eine ziemlich fchwierige Defenfive gedrängt. Aber 
num gereichte es zu ihrem Heile, daß feit dem Ende de 
Jahres 1810 die auch für die Pforte jo gefährliche Freund⸗ 


ſchaft zwilchen Frankreih und Rußland ſich allmählich wieder 


auflöfte. ALS endlich der welthiftoriiche Krieg zwiſchen dieſen 
beiden viefigen Mächten feinem Ausbruche immer näher rückte, 
zeigte ſich Rußland, um feine Donau-Armee gegen Frankreich 





frei zu befommen, bei ven Verhandlungen mit der Pforte 


höchſt nachgiebig.. So unangenehm überrafjcht natürlich Napos 
leon I. war; fo jehr die Sache auch ſonſt vielfadh in Europ 
frappirte: die türkifchen Unterbändler waren doch wohl im 
Nechte, als fie — der ehemalige Reis⸗Efendi Galib und ber 


griechifche Fürſt Demetrios Murufis, Großbragoman ber 


Pforte, an ver Spite — am 28. Mat 1812 zu YBuchareft 
mit dem ruffiihen Admiral Tſchitſchagoff den Frieden unter 
zeichneten, welcher der Pforte die bereitd als verloren geltenden 


Friedensſchluß zu Buchareſt 1812. 849 


Provinzen Walachei und Moldau zurüdgab, und nur das 
Gebiet öftlich des Pruth bei Rußland beließ. Das Schickſal 
freilich der bet dieſen Unterhandlungen betbeiligt gewejenen 
Griechen war ſehr verjchieden. In Rußland gewannen 
darauf Bin Hohe Gunſt zwei ber diplomatiſchen Gehilfen 
Tſchitſchagoffs, jener Ignatios von Arta (S. 321), der fi 
nach dem Falle von Sult von Ali⸗Paſcha getrennt, feit 1807 
in Pifa vefidirt, dann fih zu den Ruſſen begeben Hatte, und 
Metropolit von Buchareft geworden war, und weiter (S. 339 f.) 
Graf Giovanni Kapodiſtrias. Demetrios Murufis aber, 
ein Mann, der feiner Zeit zu ven eifrigften Törberern von 
Selims III. Reformplänen gehört hatte, mußte es ſchwer 
büßen, daß unter der Wucht der franzöftichen Schläge, bie 
1812 auf Rußland fielen, in Stambul der Mißmuth groß 
wurde über den raſchen Abichluß des Buchareſter Vertrages, 
der nun für die Pforte viel zu ungünftig erichien. Er galt 
Kt als beſtochen durch ruffiihe und engliſche Gefchente 
md Zufagen; auh von Galib-Efenbi ſofort preisgegeben, 
wurde er bei feiner Rückkehr nach Schumna (im September 
1812) jammt feinem in Stambul verhafteten Bruder 
Panajotis, dem ftellvertretenden Dragoman, enthauptet 1). 
Die aufftändifhen Serben aber, denen biefer Friebensichluß 
erhebliche echte, etwa nach Art der am beiten geftellten 
griechiſchen Inſeln des ägätfchen Mleeres', gewährte, ſahen fich 
durch den neuen Weltkrieg des Jahres 1813 jedes ſchützenden 
ruſſiſchen Aückhaltes beraubt. Es war. dann die Schuld, bie 
Zwietracht und die fehlerhafte Leitung ihrer Führer, was ben 
Osmanen es erlaubte, in biefem denkwürdigen Jahre biefes 
füdffawifche Land vollftändig zurüdzuerobern. Erſt die unver⸗ 
änderliche Thorbeit, wilde Graufamfeit und Wortlofigfeit ber 
neuen türkischen Machthaber erzeugte wieder jene tiefe Er» 
bitterung der Serben, aus welcher heraus am Palmfonntage 
1815 Milofch Obrenowitfch die neue jerbifche Erhebung wagen 
konnte. 


l) Zinteifen, ©. 745f. 





350 Buch II. Kap. L 4. Konftantin Hypfilanti. 


Ehe wir noch die legten Ereigniſſe griechiſcher Gejchichte 
in diejer Periode, die fih auf Ali- Palha und die tomijchen 
Inſeln beziehen, zuſammenfaſſen, gevenfen wir noch eines 
anderen vielgenannten griechtichen Politikers, der ebenfalls ein 
Opfer ber rujfiih-türkiichen Kämpfe geworden war, und ber 
Nachwelt nur noch als Bater des erften unglüdjeligen Führers 
ber Revolution von 1821 befannt geblieben iſt. Wir meinen 
den Fürften Konjtantin Hypfilanti. Diefer fchlaue 
Politifer Hatte feit feiner Entweichung (S. 330) aus der 
Walachei im Sabre 1806 fi alle Mühe gegeben, Rußland 
bei dem damals fich einleitenden Kriege gegen die Pforte zu 
einer möglichit ausgreifenden, kühnen Politik zu beftinnmen. Ob 
wohl in St. Petersburg gut aufgenommen und von Alexander J 
mit viel Wohlmwollen angejeben, war e8 doch fchon damals zu 
Mißverjtändniffen gefommen. Als dann der Krieg wirklih 
ausgebrochen war, erichien Hhpfilanti zu Anfang des Jahre 
1807 in Jaſſy. Hier und in der Walachei wählten bie 
Bojaren nun zwar den populären Sanarioten zu ihrem Fürften; 
aber das half ihm nur wenig. Seine Pläne waren dem 
Kaiſer Napoleon I. nicht unbekannt geblieben, und dieſer ihm 
bitter feindlih gefinnt. Bei den Xilfiter Unterhanplungen 
hatte der franzöfifche Kaifer fich in diefem Sinne, zugleich 
bitterbdje und geringichägig, über Hhpfilanti gegen Alexander 
von Rußland geäußert, der fonjt wirkliche Theilnahme für den 
fanariotiichen Odyſſeus empfand. ebenfalls ging die öffentliche 
Thätigfeit des Iekteren damals zu Ende. Denn Hypfilanti 
fand, daß in dem Pertrage von Slobofia (S. 338) am 
24. Augujt 1807 wider jein Erwarten zu jeinen Gunſten 
nicht8 beſtimmt wurde. Vielmehr waren dort die Unterhändler 
dahin übereingelommen, baß nach dem jtipulirten Abmaride 
der Ruſſen aus Rumänien die Regierung der beiden YFürften 
thümer bis zum befinitiven Frieden von einem aus Bojaren 
gebildeten Diwan geführt werben follte. Die von ver Pforte 
ernannten neuen Hospodare und Hypſilanti ſollten ihrer 
Würde gänzlich entfagen, alles Weitere in Sachen bes legteren 
vorbehalten bleiben. Tief erbittert verließ Hypſilanti ſchon am 








Konftantin und Alerander Hypfilanti. 351 


28. Auguſt die walachiſche Hauptſtadt. Seine politiſche Rolle 
war zu Ende. Er bat nachher zu Kiew gelebt; ſeine griechiſchen 
Pläne gingen auf jeine Söhne über. Bon biefen ift ver 
jugendlich feurige Alexander (geboven 1792) dann 1809 in 
ven ruſſiſchen Gardedienſt getreten, in welchem er tüchtige 
joldatiiche Fähigkeiten entfaltete und für jeine Perfon eine 
glänzende Laufbahn machte. ALS ein tüchtiger Neiteroffizier 
in dem Kriege mit Frankreich 1812 erprobt, machte er ven 
großen Krieg in Deutjichland 1813 mit, und verlor in der 
Schlacht bei Dresden (27. Auguft 1813) durch einen Kar» 
tätichenfchuß Die rechte Hand. Getragen von der perjänlichen 
Gunſt des ruſſiſchen Kaiſers iſt Fürſt Alerander dann ſchnell 
avancirt. Oberſt und Adjutant des Kaiſers, erhielt er 1817 
den Rang als Generalmajor und das Commando einer 
Qujarenbrigade. Wie jein Freund, der glänzende Korfiote 
Kapodiſtrias, jo galt damals auch diejer fanariotiiche Offizier 
ald ein Stolz und eine Hoffnung der Griechen. Wir zeigen 
ſpäter, in welche politiiche Enticheivung ihn dieſe Stellung 
Ihlieglich gedrängt hat. Vorläufig war er nur erft auf das 
politiiche Zeftament ſeines Vaters Konjtantin hingewieſen, 
der ihm bei feinem Tode in Kiew (1816) auf Grund jener 
berben Erfahrungen mit Rußland die Abſchiedsworte hinterließ: 
„Vergiß e8 niemals, daß die Griechen, um frei zu werben, 
ich nur auf fich jelber ftügen müfjen!‘‘ 1) 

Während verjelben Zeit, wo auf jehr verſchiedenen Wegen 
die beider Griechen, deren wir jo eben gedachten, ihre Laufbahn 
in ruſſiſchen Dienften begannen, unterlagen die ioniſchen 
Inſeln noch einmal einem merkwürdigen Schickſalswechſel. 
Unangenehm genug, wie die Zeitiegung ber Franzoſen gerade 
auf diejem Punkte auch der Pforte war und blieb: die 
heftigften Gegner diejer neuen Situation waren natürlich auf 
der einen Seite Ali-Paſcha, auf der anderen die Engländer, 


1) Bel. Zinteifen, ©. 484 u. 529. Gervinus, ©. 71f. 142. 
Nendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechen!., TH. I, ©. 143f. 
Finlay l. c. p. 185 9q. 


352 Bud II. Kap. I. 4. Allianz zwiſchen Alt-Bafıha und Englant. 


die auch nicht abließen, den Kampf auf dieſem Buntte 
fortzufegen. Beide Theile verfolgten babet natürlich ihre 
ipeziellen Intereffen, indem es für England Hauptiächlid 
darauf ankam, durch bleibende Gewinnung des Hephtaneſos, 
mit dem e8 damals am liebjten auch noch Kreta verbunden 
Hätte, feine Herrfchaft im öſtlichen Mittelmeer zu fichern, 
während Alt, da er auf ven Injeln nun einmal doc nicht 
feiten Fuß faflen durfte, in feiner Allianz mit England auf 
die enbliche Gewinnung von Parga und die Vernichtung feiner 
legten albanefifchen Rivalen dachte. Die Folge dieſer Ver- 
hältniffe war nun, daß fchon während des Jahres 1808 
engliſche Kriegsichiffe (vgl. S. 339) wiederholt ioniſche Häfen 
Blofirten. Als dann zu Anfang des Jahres 1809 der Trier 
zwifchen England und der Pforte wieder (S. 348) vollitändig 
hergeftellt war, nahm die Freundſchaft zwiſchen Alt und de 
Engländern den innigften Charakter an. Angriffe auf Paryı 
wurden ihm freilich ernftlich unterfagt; dafür aber mußte ihm 
der als brittiicher Reſident beglaubigte Kapitän Leake einen 
vollftändigen Artilleriepart mit einigen Hunderten der bamald 
neu erfundenen furdtbaren Congreve » Raketen im Februar 
1809 als Gefchen? zuführen. Alt dagegen öffnete jeine Häfen 
den engliichen Schiffen, unterjtüßte die englifche Flotte im der 
Levante, und trat entjchteven feindlich gegen Ruſſen um 
Sranzofen auf. Im Sommer verabrebete er wit ben 
Engländern, er wollte, während fie nunmehr vom Süden her 
gegen den Hephtanejos operirten, ven Paſcha Ibrahim von 
Berat angreifen, dadurch die epirotifchen Küften völlig veden 
und dann bei der Belagerung von Korfu mitwirken. Unbe 
fümmert um die Tangjährigen Familienbeziehungen zu dem 
alten braven Ibrahim, wollte er endlich außer feiner Länder 
gier auch feine (S. 263) feit vierzig Iahren verhaltene Rachgier 
an biefem Paſcha befriedigen. Mit diabolifcher Lift wußte er 
Ibrahim als an Frankreih verkauft in Stambul darzuftelien. 
Und troß der Abmahnungen feiner Söhne und des Unwillens 
der Pforte eröffnete er wirklich den Krieg gegen Berat. De 
einft durch Ibrahim aus dem Lande vertriebene albanefilde 








Ali ſtürzt 1809 den Ibrahim von Berat. 858 


Glüdsfoldat Omer-Bei-Brionts oder Vriontes aus Ver⸗ 
gtondi bei Berat (zur Zeit des griechtichen Befreiungsfrieges in 
Europa gewöhnlich Omer-Vrione genannt) war damals als reicher 
Mann und berühmter Krieger aus Agppten zurückgekehrt. Bon Alt 
böchit Freundlich aufgenommen, wurde er jet als Werkzeug gegen 
Ibrahim gebraucht. Anicheinend nur um jeine alten Befigungen 
zurüdzuerobern, marjchirte er mit 8000 Mann gegen Berat, und 
bald zwang das furdhtbare Feuer der Congreve-Rafeten den alten 
Paſcha zur Ergebung. Ali feinerjeits ‚vermittelte‘ nun; das 
will fagen, er machte Omer zu Ibrahims Nachfolger, während 
Ihrahim mit jeiner Familie fih nah Aulona zurüdziehen 
mußte. Die Pforte in ihrer damaligen jchwierigen Xage 
zwiſchen den jerbiichen und rufjiihen Feinden an der Donau 
und den kaum befchwichtigten Janitſcharen der Hauptitadt 
mußte fich dem fait accompli gegenüber bei den lügenhaften 
Darftelungen beruhigen, die über dieſe Gewaltthat nad 
Stumbul berichtet wurden; das übrige that Ali's Gold. 
Dafielbe Gold bejichwichtigte auch den Zorn des Divans, als 
At nicht lange nachher ſich auch der Perjon Ibrahims be- 
mächtigte und den alten Herrn zu dauernder Haft nach Janina 
abführen ließ. 

Diefer Gewaltftreich war die Revanche wegen der Pläne, 
die inzwilchen die Franzoſen wider ihn gefponnen hatten. Es 
war die Abficht, Alt gleichzeitig von Dalmatien durch Marmont, 
und von Korfu aus durch franzöfiiche. und griechifche Truppen 
angreifen zu laſſen. Der Plan kam nicht zur Ausführung, 
weil die fchwierige Lage der Franzoſen auf der Phrenätichen 
Halbinjel die Abführung der dalmatinifchen Garnilonen nach 
Spanien nöthig machte. Dazu Fam, daß die Engländer 
unter Admiral Eollingwood und den Generalen Sir John 
Stuart und Oswald nun aud den Franzofen auf ven 
tonifhen Infeln fehr ernfthaft zu Leibe gingen. Die Pforte 
freilich hatte 1809 auf alle ihre Rechte an dieſen Injeln zu 
Gunſten Frankreichs verzichtet. England aber, jeine Pläne 
zäh verfolgend, griff — indem es die Befreiung ber Inſeln 
von dem franzöſiſchen Joch und Herftellung ber ioniſchen Re» 

Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. II. 23 





BA B. I. K. J. 4. Die Engländer befehden feit 1809 die ionifchen Infeln. 


publif, Sicherftellung der griechiichen Religion und der Rechte 
der Einwohner proflamirte — die Infeln jeit Anfang Oktober 
1809 mit Macht an. Schon zu Ende dieſes Monats waren 
ohne befondere Schwierigkeiten die Inſeln Cerigo, Zante, 
Kepbalenia und Ithaka den Franzojen entriffen worben. 
Santa Maura leijtete ſtärkeren Widerftand. Zwar bie 
Inſelbewohner, Bauern und Armatolen, ber Klerus, und ein 
Theil ttalienticher Truppen fielen dem General Oswald ſchnell zu. 
Aber die Tapferkeit der franzöfiichen Truppen in der Haupt 
feftung nöthigte Oswald, die Übergabe erſt durch ein furchtbares 
Bombardement (Ianuar 1810) zu erzwingen. 

Alt Hatte inzwiichen jeine perfide Natur und Habſucht 
boch nicht ganz verleugnen können. Zum größten Unwillen 
des brittiichen Reſidenten Leake, ver deßhalb auch zu Ende 
1809 feinen Poſten bei Alt aufgab, hörte er nicht auf, nad 
Santa Maura und Korfu Proviant abgehen zu laſſen, ven 
Eintritt albanefiiher Krieger in franzöfiiche Dienfte zu dulden; 
er fuchte fogar den franzöfiichen Generalconful Pouquenile 
(freilich vergeblich) zu beftimmen, ihm gegen Übertritt zu 
Frankreich den Belig von Santa Maura zu verichaffen. Und 
nach dem Falle diejer Feftung, deren Belagerung er in nächſter 
Nähe mit jtarfer Macht beobachtet hatte, forderte er fie von 
Oswald für jih, und legte bei deſſen Ablehnung an dem 
Kanal zwiſchen der Inſel und Akarnanien zwei bominirende 
Koftelle an. Es gelang endlich der überlegenen Schlauheit 
des neuen brittiihen Refidenten, des Griechen Georg Torefti, 
Ali zu beichwichtigen und für längere Zeit das Übergewicht 
bes brittiichen Einfluffes in Janina feftzuftelen. Korfu ver 
mochten die Engländer darum aber doch nicht zu erobern. 
Die franzöfiichen Ingenieurs hatten vieje Feſtung feit drei 
Jahren zu unüberwinblicher Stärfe ausgebaut, und Donzelot 
hielt ſich mit der bier gefammelten franzöfiichen Kriegsmacht 
in größter Zähigkeit gegen alle Angriffe '). 

1) Bgl. Zinteifen, ©. 614—616 u. 692—698. Bulgari, Im 
sept-iles ioniennes, p. 14—21. Mendel sſohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, 
S. 135 ff.; „Sei. Griechenl.“, Thl. JI, S. 100 ff. Lenormant, p. 39sgg- 





Kolofotronis und bie griechiſchen Truppen in Englands Sold. 355 


Die Eroberung der ionifchen Injeln dich die Engländer 
ft nicht bloß für die Griechen dieſer Republik, ſondern auch 
fir die milttäriiche Ausbildung zahlreicher, in dem fpäteren 
griechtichen Tretheitsfampfe auftretender, griechiicher Krieger ber 
benahbarten Landſchaften von Bedeutung geworden. Auf 
Zante nemlih, wo fte auch eine provtioriiche Regierung er- 
richteten, formirten fie bald nach der Gewinnung dieſer Inſel 
en geworbenes, hochbeſoldetes, griechiſches Regiment 
(6000 Mann, Schützen und Jäger) unter dem Commando 
deſſelben Sir Richard Church, der nachmals als Philhellene 
in der Geſchichte des griechiſchen Nationalkrieges gegen die 
Osmanen eine ſo wichtige Rolle geſpielt hat. Oberſtlieutenant 
Church wurde damals der militäriſche Chef des Theodor 
Lolokotronis, der zuerſt als Kapitän bei dieſen Truppen 
antrat, und jpäter den Rang eines Majors erlangte. Die 
Öriehen wurden bereits bei der Belagerung von Santa Maura 
mt verwendet, wo Church ernitlich verwundet worden ift. 
KolototrontS blieb nach dem Abichlujfe des allgemeinen 
europäiſchen Friedens und Aufldjung des (auch in Malta ımd 
Steilien verwendeten) Regimentes jeit 1815 brittiicher Benfionär. 
Der alte Klephte ging vorläufig zu der friedlichen Beichäftigung 
eines Viehhändlers und Proviantfahrers über, ein Geichäft, 
welches er endlich 1821 wieder mit dem eines der eriten Chefs 
der peloponnefilchen Erhebung gegen die Pforte vertaufchte )). 

Der Zujammenjturz der Napoleontihen Weltherrichaft 
machte jchlieglich auch der Stellung der Franzoſen auf Korfu 
und in Parga ein Ende. Auf die Nachricht von dem Sturze 
Napoleons I. und dem Abfchluffe der Convention vom 23. April 
und (30. Mai 1814) des erften Pariſer Friedens übergab 
der tapfere Donzelot im Juli 1814 die jo lange behauptete 
Feſtung an die engliichen Truppen unter Generallieutenant 
Sir James Campbell, der furz zuvor noch Paxos gewonnen 


1) ®gl. Finlay, History of the greek revolution, vol.I, p. 192 q, 
und vol. II, p. 135. Menpelsfohn-Bartholdy, Gejch. Griechenl., 
Bd. 1, ©. 184f. 

23* 





556 Buch I. Kay. I. 4. Parga. 


hatte. Alt» Paicha dagegen, der auf der Lauer lag, um jetzt 
endlich in den Beſitz des jo lange von ihm begehrten Parga 
zu gelangen, ſah fich auch bet dieſer Gelegenheit noch einmal 
in jeinen Erwartungen getäufcht. Denn ein Handitreih, ven 
ver Paſcha noch vor Napoleons Tal im März 1814 
gegen die Stadt verfucht Hatte, war von Griechen und 
Franzoſen blutig abgewiejen worden. Und al® nun Alt die 
Hilfe des brittiichen Nefidenten Foreſti in Anſpruch nahm, that 
biefer Huge Dann, veffen ehrenhafte Sinnesweiſe vor ber 
Auslieferung feiner 4000 griechiichen Landsleute in Parga an 
den blutigen Albanejen zurüdichauderte, Alles, um die tapfere 
Stadt zu retten. Foreſti und General Campbell auf Zante, 
mit denen fich die Parganioten bereitd in Verbindung geiekt 
batten, entwarfen ven Plan, bie Stadf durch rafchen Überfal 
zu erobern. Funfzehn Tage nach der Nieberlage der Truppe 
des Paichas, in der Nacht zum 22. März 1814, aljo nd 
mebrere Wochen vor dem alle von Korfu, erichien eime 
engliiche Abtheilung unter Sir Charles Gordon mit zwei 
Tregatten vor Parga. Die Bürger öffneten die Tchore ihrer 
Stadt und eine Pforte der Citadelle, und fo konnten vie 


Sranzojen bier fat ohne Kampf zum Abzuge nach Korfu 


genöthigt werden. Barga ftand fett dieſer Zeit mehrere 
Sabre unter engliſchem Schuge ?). 

Leider ift dieſer Schug nicht vertragsmäßig fichergeftellt, 
bie epirotiſche Griechenſtadt, wie wir fpäter jehen werben, nidt 
folivariich mit der demnächſt in neuer Geftalt wieder auf 
lebenden tonifchen Republit verbunden worben. Die ioniſchen 


Injeln waren num allerdings fett dem Frühling 1814 in 


brittiicher Hand; aber über ihre künftige Lage follte erft auf 
dem Wiener Congreß entjchieden werden. War doch Korfu 
nad dem Wortlaute des Parifer Vertrages von Donzelet 
„den alliirten Mächten gemeinfam übergeben worden“. Di 


1) Zgl. Pouqueville a. a. O., 3b. I, ©. 298— 307. Mer 
delsfohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, ©. 144; „Geſchichte Griechen!‘ 
Thl. J, ©. 110f. 





Die ionifchen Inſeln. 357 


Sonier jelbjt hegten den lebhaften Wunſch, als freie Republik 
fortzubefteben , jedenfalls das Protektorat der eventuellen 
Schutzmacht Tediglich in ein nominelle8 verwandelt, jeden Ein. 
griff der Schugmacht in ihre Selbjtregierung ausgeſchloſſen zu 
iehen. In diefem Sinne hatte ver Senat von Korfu 
bereit8 unter bem 21. Mat 1814 eine Denticrift an 
Giovanni Kapodiſtrias gerichtet, in welcher die Erhaltung ver 
Berfajlung von 1803, vorbehaltlich weiterer Modifikationen 
buch die Griechen felbjt, und bie Einverleibung der Pläße 
Parga, Butrinto , Preveſa und Vonitza erbeten wurde. 
Alerander I. von Rußland erlaubte auch dem Grafen, die 
Intereſſen jeiner Landsleute theils perſönlich zu vertreten, theils 
durch andere vertreten zu lafien. Die Eiferjucht der Großmächte 
bätte ver brittifchen Regierung jehr gern die hochwichtige Stellung 
von Korfu aus den Händen gewunden. Es war wohl davon 
bie Rede, die ioniſchen Inſeln als Nachlaß Venedigs unter 
Oſterreichs Protektorat zu ſtellen, ober fie ſogar dem neu zu 
belebenden Orden ber Johanniter zu überlajjen. Indeſſen, die 
engliſche Interejjenpolitif drang doch durch. Graf Kapodiſtrias 
aber ſeinerſeits trat ſelbſt als eifriger Vertheidiger des eng⸗ 
liſchen Protektorates auf, welches er für die Jonier als das 
vortheilhafteſte hielt. Nur davon wollte auch er nichts wiſſen, 
daß England die Inſeln bedingungslos erhalten ſollte, und daß 
die frühere republikaniſche Negierungsform über den Haufen 
geworfen würde. In Wien kam man nicht zum Abjchluß; 
das Übergewicht aber, welches 1815 die Schlacht bei Waterloo 
bei den Parifer Verhandlungen den Engländern verlieh, wurde 
für die Rechte der Ionier verhängnißvoll. Denn nun forderte 
England (4. Auguft 1815) die Infeln zu erblichem Beſitze 
für Die brittijche Krone, die daſelbſt alle Souveränetätsrechte 
ausüben ſolle. Rußland und Kapopiftrias widerſtrebten eifrig. 
Endlich einigte man fich zu dem von den damals entſcheidenden 
Mächten England, Rußland, Öjterreich und Preußen genehmigten 
Parijer Vertrage vom 5. November 1815, ver freilich den 
Griechen nur wenig zufagen konnte. Unter Ausſchluß der 
früheren epirotiichen Depenbenzen (auch Parga blieb ausge- 





3585 3.11. 8.1 4. Die ioniſchen Iufeln fallen 1815 an England. 


ichloffen) follten die fieben Inſeln „einen einzigen, freien und 
unabhängigen Staat unter dem Namen der Vereinigten 
Staaten der fieben Infeln‘ bilden, und fortan unter 
dem „unmittelbaren und ausichlieglichen ‚Schuße‘ des Könige 
von England und feiner Nachfolger ſtehen“. Die Jonier 
follten fortan ihre inneren Angelegenheiten mit Zufttmmung 
ver Schugmacht oronen. Der König von England ernannte 
einen „Lord⸗Obercommiſſär“. Dieſer jollte die Formen 
der Berufung einer gejeßgebenden Verfammlung regel, jollte 
deren Arbeiten zu dem Zwede leiten, daß „eine auf bie bie 
berige Berfaffung gegründete neue conftitutionelle Charte ent 
worfen würde, die der König dann erfucht ward zu ratificiren“. 
England erhielt das Recht, die feiten Plätze der Inſeln zu 
bejegen; ihre bewaffnete Macht wurde unter den Befehl ii 
brittifchen Obercommandanten geftellt. Über die Stärke ir 
engliihen Bejagung in Triebenszeiten und deren Bezahlım 
jollte zwifchen der Krone von England und dem itomilden 
Souvernement ein befonderer Vertrag abgejchloffen werben. 
Die tonifche Flagge wurde als die eines ‚freien und una 
hängigen“ Staates anerlannt; aber das Wappen jtellte ver 
König von England feit, die ionifchen Häfen wurden unter 
engliiche Jurisdiction geftellt, und ftatt der Anftellung von 
Geſandten im Ausland nur die Zulaffung von Hanvelsconiuln 
gewährt. In Folge dieſes Vertrages wurde zuerft der General 
Tieutenant Sir Thomas Maitland, ein talentooller und 
gejchäftsgewandter, aber auch harter und herriſcher Mann mit 
rauhen und abftoßenden Manieren, als brittijcher Lord 
Obercommiſſär nad) Korfu geichiett (Anfang Februar 1816), 
ber fich mit dem Baron Theotofis (kein Verwandter des alten 
Principe), dem damaligen Präfiventen des Senates, in Ber 
bindung fegte und nun jene den Griechen jo unltebfame Thätigfeit 
eröffnete, die uns jpäter noch näher beichäftigen wird 2). 


1) Bgl. Mendeilsfogn- Bartholdy, Kapodiſtrias, ©. 27— 3. 
Neigebaur, ©. 125. Bulgari, p. 21—68. Lenormant, 
p. 42-60. 





Ali vernichtet 1812 die Gardhikioten. 869 


Wir beichließen die Geichichte dieſer Zeit mit einem Blicke 
auf die Machtftelung des Ali von Janina, bie ſich damals 
im Zenith befand. Alt Hatte feit der Feſtſetzung der Engländer 
in Santa Maura und feit dem Sturze Ibrahims von Berat 
feine Herrichaft in Epirus jenjeitS der Marten von Parga 
raſch vollendet. Es handelte fich dabei weſentlich um die 
Unterwerfung ber letzten von ihm noch unabhängigen alba» 
neſiſchen Drtichaften und Machthaber im weitlichen Epirus 
zwiſchen Arghyrokaſtron und Margariti. Mit allen wiefen hat 
U nah Ibrahims (S. 353) Sturze raſch aufgeräumt. 
Zuerft eroberte er das Paſchalik Delvino und vertrieb den 
Muſtapha⸗Paſcha aus feinem Sige, der nun nad Gardhiki 
flüchtete. Dann griff er (1812) die bisher unabhängige 
Gebirgsſtadt Arghyrokaſtron an, die mit Liit gewonnen und 
ſofort aufs Stärkfte befeftigt wurde. Und nun gelang e8 ihm 
auch, die Rache für feine Mutter und Schweiter an Gardhiki zu 
vollziehen, nach welcher fich jein Herz (S. 258 u. 263) jeit den 
Tagen feiner Jugend fo lange gejehnt hatte. Erft nach längerer 
Belagerung Tapitulirten die Gardhikioten (Ende Februar oder 
Anfang März 1812) Nun vollzog Alt mit kaltem Blute 
feine furchtbare Nache, indem er zuerft die männlichen Ein- 
wohner unter Proflamirung einer Ammeftie mit boniglüßen 
Worten aus ihrer Stadt heraus nach dem Schloffe Chenpria, 
dann nach dem Hofe des benachbarten Khan von Wuwali 
oder Baltara Iodte. Hier aber wurden 666 biefer Männer 
plöglich eingeiperrt. Nun follten die Truppen dieſe Unglüd- 
lichen einfach nievermegeln. Aber die moslemitiichen Garde— 
fruppen des Paſchas weigerten fich jchroff, ihre wehrloſen 
Ölaubensgenoffen für den eibbrücigen Frevler wie Schafe 
Abzuichlachten. Die moslemitiſchen Gegen, die Rothmäntel 
ſeines Heeres, folgten ihrem Beiſpiele. Die römiſch⸗katholiſchen 
Mirditen aber, das „ſchwarze“ Bataillon, wollten die Gar⸗ 
dhifioten nur dann angreifen, wenn ihnen Waffen zu ehrlichen 
Kampfe in bie Hand gegeben würden. Da war e8 ein Grieche, 
der gefürchtete Athanaſios Vaja, übrigens einer der tüchtigften 
Offiziere Ali's (Sohn der Amme feiner Kinder), der ſich erbot, 





860 Buch II. Kap. I. 4. Ali vernichtet 1812 die Garbhilioten. 


mit feinen griechtiihen Soldaten das Henkerwerk zu vollziehen, 
und nun wirklih mit 150 Mann ven blutigen Mord voll 
endete, der in den Augen der Zeitgenoſſen Alt’8 Ruf als den 
eines Ungeheuers ohne Gleichen jicherjtellte. Die Griechen 
baben dem Baja feine Henkerthat niemals verziehen. Die eigene 
Frau verweigerte ihm ſeitdem ihr Bett; und noch nach feinem 
Tode brandmarkte eines der griechtihen Volkslieder jeinen 
Namen in büfter » jchauerlicher Weile für alle Zeiten. Die 
weiblidhe Bevölkerung von Gardhiki wurde inzwilchen von 
den Soldaten Ali's gejchändet. Chainitza ließ den Frauen 
dann bie Haare abichneiden, um damit ihre Matraken aus 
ftopfen zu laſſen: die Unglüdlichen find nachher in die Sklaverei 
verkauft worden, während Alı noch nachträglich alle männlichen 
Gardhikioten ausrotten ließ, die ihm irgend erreichbar waren. 
Dieſe jchändliche Epiiode vor Allem wurde Urjache, daß ibm 
nachher 1814 die Engländer die Einnahme von Parga um 
möglich gemacht haben. 

Nichtsdeftoweniger jtand Ali jegt auf der Höhe jeiner 
Macht. Mochten immerhin felbjt feine Soldaten und Ber 
trauten zuweilen, wie eben bei Gardhiki, vor ihm zurüd- 
ihaubern, im Ganzen imponirte feinem Volke, welches nur die 
‚‚ Offenbarung der Kraft‘ reſpektirt, die Xigernatur feines 
Weſens, die beinahe niemals ihr Ziel verfehlende Takenartige 
Schlauheit Ali's, die jchauerliche Energie feiner Grauſamkeit, 
und zugleich jeine durchichlagende Kraft. Im der That war 
dieſer Mann doch beveutend mehr, als nur ein gemeiner 
Bluthund. Es erſchien nicht bloß den Schkypetaren, fondern 
auch den Europäern, deren Politifer in London, in Paris, in. 
Petersburg mit dieſem mächtigen Faktor levantiniſcher Politik 
zu rechnen genöthigt waren, doch als etwas Gewaltiges, daß 
Ali e8 vermocht hatte, aus der Lage eines verzweifelten Aben- 
teurers heraus fich bis zu einer Höhe emporzufchwingen, wo 
er nun theils unmittelbar, theils mittelbar die gefammte 
ſüdliche Hälfte der Balkanhalbinſel beherricte. 
Außer Parga ganz Epirus, Albanien bis zum Bereiche ber 
Paſchas von Stutari, das ſüdweſtliche Makedonien, Theffalien, 


Ali⸗Paſcha auf ber Höhe feiner Macht. 361 


Mittelgriechenland bis nach Böotien, endlich Morea Bingen 
von jeinem Willen ab. Geld und Streitkräfte ftanben ihm 
veihlicher zu Gebote als dem Sultan, und jein GeleitSbrief 
bedeutete damals mehr, als jelbit ver Ferman des Padiſchah. 
Für Albanien und den albaneſiſchen Theil von Epirus 
hat die Herrſchaft dieſes Mannes eine ganz eigenthümliche 
Bedeutung gehabt. „Ali⸗Paſcha“, jo drückt fich jein neueiter 
beuticher Biograph aus, „hat für Albanien ven Bruch mit 
dem Mittelalter und dem Feudalismns vollzogen, bat bier ber 
Civiliſation in Geſtalt de8 modernen Abfolutismus Bahn 
gebrochen.‘ 2) Unſere bisherige Darjtellung bat freilich gezeigt, 
in welch furchtbar blutiger Geftalt Ali's Herrſchaft, Ali's 
„intelligenter Despotismus‘ wiederholt auftrat. Aber dieſer 
albanefiiche Nachfolger der regierenden Reformer des acht» 
zehnten Jahrhunderts war nicht nur kraftvoller, fondern auch 
gücklicher als Selim II. Die Bernichtung der jelbjtändigen 
albaneſiſchen Beys, Kapitanis, Städte, Dijtrikte, die Nivellirung 
aller Paſchaliks von Lepanto bis zu den Grenzen des Skodra—⸗ 
Palhas hinauf, die DBefeitigung ver feudalen Häuptlinge, des . 
feubalen, auf Koften des Volkes durch Erpreffung, Raub und 
Viehdiebſtahl lebenden Waffenaveld der Schkupetaren jchuf 
weithin Sicherheit in dieſen Ländern. Da unter Ali's 
Ölutregiment die Henker zu feiner Zeit feierten, jo erzielte er 
endlich eine ſeit Jahrhunderten in dieſem Lande nicht mehr 
gekannte Ruhe, Ordnung, öffentliche Sicherheit für Handel 
und Verkehr. Zugleich öffnete Ali dem Handel die Küſten, 
und gab dadurch dem Verkehr der Bewohner der Kantone 
nördlich vom Othrys und Makrynoro die Richtung nach den 
ioniſchen Inſeln, die namentlich ſeit 1815 lebhaft verfolgt 
wurde. Mehr noch, zuerit unter ihm fand auch die Rajah 
eine parteilofe Gerechtigfeit, „wenn man bon ber einen 
Ausnahme zu Gunften des Selbſtherrſchers abſah, herrichte 
Öfeihheit vor dem Geſetz“. Nur daß daneben Seitens des 
geldgierigen und geldmachenden Paſchas arge wirthichaftliche 


1) Bgl. Mendelsſohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 153 fl. 








32 Buch II. Kap. I 4. Mi unb bie Griechen. 


und finanzielle Willkürmaßregeln berliefen, die fich doc mic 
Damit entichuldigen laffen, daß bei den milden Zuftänden 
namentlich der albanefiichen Kantone „ein eiferner Arm de 
Herrſchers immerhin als eine Wohlthat, die Tyrannis bis zu 
einem gewiſſen Grade al8 ein Segen‘ gelten Tonnte. 

Für unjere Darftellung bat nun noch ein Haupt 
intereffe das Verhältnig dieſes merkwürdigen Mannes zu ven 
Griechen, und zwar auch noch vor feiner Kataftropke, 


Hinter welcher wir jchlieplih den großen neugriechiihen Be 








freiungstrieg auflovern fehen werben. Schon vor Wii 


Machtaufihwung hatten die Albaneſen (von ihrer früheren 
Einwanderung in Griechenland ganz abgelehen) den Griechen 
mehr umd mehr zu imponiren begonnen. Man bat die Br 
merfung gemacht !), daß bei dem Derfalle der eigentlid 
osmaniſchen Kraft feit der Mitte des achtzehnten Yfr 
hunderts die Schkypetaren als fchlagfräftige Krieger der Pit 
immer entichievener an die Stelle der Osmanen, namentih 
auch der faulen Saniticharen, getreten find. In ver That 
haben fich gerade feit dieſer Zeit die Schkypetaren in immer 
größeren Maſſen als Söldner über das geſammte, von dem 
Padiſchah in Stambul direkt und indireft beberrichte Redk 
gebiet verbreitet. Jeder Paſcha hielt fich feine „Arnauten“: 
und diefer Name, wie auch ‚Bewaffnung und Koftüm de 
Albanefen, wurde oft auch von folchen Kriegern angenommen, 
bie keineswegs aus den Kantonen der Schkypetaren ftammten. 
Speziell die Griechen fürdhteten feit ven Schreckenszeiten, die 
für fie mit 1770 begonnen hatten, die islamitiſchen Albaneſer 


viel mehr, als die eigentlichen Osmanen. ALS. dann wiee | 


frienlichere Zeiten eingetreten waren, als nun Ali's Herricaft 
in imponivrender Weife über alles Land zwiſchen dem Varda 
und Leondari ſich ausbreitete, wird eine eigenthlimliche Aus 


1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 47 sg 
Bol. dann auch Menpdelsfohn - Bartholdy, Gedichte Grieder 
lands, Th. I, ©. 80. Leake, Travels in the Morea, vol. 1 
P. 209. 


A und bie Griechen. 36H 


gleihung ziviichen Griechen und Albanefen bemerkbar. Auf 
der einen Seite wird auch bei den Griechen des Feſtlandes 
albanefiiches Koftüm gewiffermaßen Mode; die albanefiiche 
Suftanella erobert weithin, wie bie osmaniſche, fo auch Die 
griechische Welt. Beſonders die Armatolen und Iofalen 
Milizen trugen fie gern. In Morea, wo doch auch fchon 
jeit Alters jo viele Albanefen wohnten, war biefe Tracht 
jit 1770 namentlih bei ver griechtichen und türkiſchen 
Jugend verbreitet, und namentlih unter Veli⸗Paſcha wurde 
(S. 345) die weiße tosfiiche Fuſtanella immer allgemeiner 
üblih. Auf der anderen Seite unterliegen die Albanejen 
mehr und mehr den Einflüffen ver höher civilifirten Griechen. 
Eine wirkliche Miſchung zwiſchen beiden Völkern, eine wirk- 
liche Gräcifirung der Albaneſen bat fich bis zur Zeit ver letzten 
gemeinfchaftlichen Erhebung der Chriften beider Völker gegen 
bie Pforte allerdings nur in Arkadien kenntlich gezeigt !). 
Mer auch Die Albanefen der nautiſchen Injeln, wie Hydra, 
ohnehin mit griechiichen Elementen gemiſcht, folgen immer 
mehr der Nichtung des Griechenthbums. Chriftliche Klephten 
und Armatolen griecktichen Glaubens treten einander immer 
näher, namentlih in Epirus; derart daß zum Beiſpiel bie 
Sulioten ſchon jest fo gut wie Griechen angejehen werben. 
Un griechiſche Sprache, das dominirende Idiom in dem 
Verkehr der Levante, berricht auch an dem Hofe Ali's von 
Janina. 

Ali feinerfeits, in feiner fühl verjtändigen Art, war viel 
zu frei von nationalen und religidjen Vorurtheilen, um nicht 
mit Vorliebe fich der Dienfte ver Griechen überall zu ber 
dienen, wo er die Intelligenz, die Geſchmeidigkeit, die Bildung, 
die foldatiiche Brauchbarfeit der Männer dieſes Volles ge⸗ 
brauchen konnte. Die Griechen ihrerjeit8 ſtanden fich beffer 
unter feinem Regiment, als unter dem ver gewöhnlichen 
türfiichen Paſchas. Gerade die vorher gejchilderten Züge feines 


1) Bgl. auch v. Hahn, Albanefiihe Studien, Thl. I, ©. 223 u. 
258. 


864 Buch IL Rap. I. 4. Mi und die Griechen. 


Weſens und jeiner Herrichaft, namentlich auch die thatjächlice 


Gleichftellung der Griechen mit den Mufelmanen, war für das 
rührige und ermwerbsluftige Volk von erheblichem Werthe; nur 
daß auch fie natürlich berfelben jchauerlichen Grauſamkeit 
unterlagen, wie alle anderen, auf welche Ali's fchwerer Arm 
fiel. Alt Hat e8 doch dahin gebracht, daß zur Zeit feiner 
Regierung feine Reſidenz Janina eine der denkbar glänzenoften 
griechiſchen Städte in jener Zeit allgemeinen friſchen Ge 
deihens der griechiichen Welt geworben iſt. Die Zabl ver 
Einwohner ift bis auf 40,000 geftiegen; eine Weihe anſehn⸗ 
liher Bauten fchmücdte jie, und neben neunzehn Moſcheen und 
fünf türkifchen Klöftern gab es bier auch ſechs ſtattliche 
griechiiche Kirchen. Der von Alters ber lebendige Handel 
verfehr dieſer Stadt und das auf die beiden höheren griechiicen 
Schulen von Janina ſich ſtützende friſche wiſſenſchaftliche be 
in Janina verliehen der Hauptſtadt von Ali's Reiche em 
beſonders feifelnden Charakter ). Freilich hatte dieſer Glanz 
auch einen fatalen Beigeſchmack. Wie unter den gebildeten 
europätichen Reiſenden, die feinen Hof bejuchten, fehlte es noch 
weniger unter den Griechen an ſchlimmen Schmeichlern, die 
duch ihr Benehmen die chnijche Menjchenverachtung des Paſcha 
nur fteigern konnten. Alt jelbft, der fich ſehr gern mit dem 
alten braven Pyrrhos der antiken Welt vergleichen ließ, fprad 
wohl ſchmunzelnd von feinem berühmten Vorfahren ‚, Burrhus, 
aber der alte brutale Cyniker betrachtete die Wiffenfchaft und 
gar erjt die Gelehrten nur als eine Art von feinerem Luxus 
und als Werkzeuge jeiner Macht und freute fich, ihrer unter 
Umftänden als erfahrener Mann der Praris jpotten zu können. 
Nichtödeftoweniger war ihm die Rührigkeit, die Geſchäfts⸗ 
gewanbtbeit, die Intelligenz der Griechen bei feiner Politi 
und bei feinen civilifatorifchen Arbeiten unentbehrlich, wie die 
Griechen wiederum ihren Vortheil unter feiner Herrichaft Hug 
genug wahrzunehmen wußten. 


1) Bgl. Zinteifen, S. 269. Mendelsfohbn-Bartholby, Ak 
Paſcha, S. 147 ff. 





Odyſſeus von Ithaka. 365 


Für die folgende Zeit beſonders bedeutſam iſt jedoch die 
Beziehung Ali's zu der militäriſchen Kraft der Griechen 
geworden. Auch abgeſehen von ſolchen Griechen, die vollſtändig 
in ſeinem Heeresdienſte ſtanden, übte er auf die Armatolen 
den ſtärkſten Einfluß aus. Eine Menge der Helden des neu⸗ 
griechiſchen Freiheitskampfes Hat unter ihm ihre Kriegsſchule 
durchgemacht; bis zu der Nieverwerfung des Euthymios Bla⸗ 
chavas wiederholt als feine Gegner, nach dieſer Kataftrophe in 
der Regel unter feiner Leitung. Die Armatolifs jener Zeit 
(man nannte damals als folhe: für Makedonien Werria 
oder Karapheria, Servia, Alaſſona, Greveno und Milias; für 
<hefjalten Olhmpos, Maurovuni, Chaſſia, Malakaſſis, 
Patradſchik, Agrapha; für Aetolien und Akarnanien 
Zeromeros, Venetiko, Lidhoriki, zu denen aber noch Milizen 
in Vonitza, Arta, Wrachori, die Armatoliks Livadia und 
Talandi, wie auch die Miliz von Megaris kamen), die 1814 
mehr als 10,000 Dann aufftellen konnten ), waren damals 
ſo gut wie ganz von ihm abhängig, und das freie Klephten⸗ 
thum trat erheblich zurück. Unter den Griechen, die ſchon zu 
US Zeit namhaft waren, aber erſt nach feinem Sturze eine 
dominivende Stellung unter ihrem Volle gewannen , find 
namentlich drei zu nennen. Der erjte ift der berühmte 
Odyſſeus von Ithaka. Odyſſeus war der Sohn des 
alten braven Armatolen Andrutfog, den wir früher als 
einen der wenigen wirklichen Helden des Jahres 1770 
fennen lernten, und einer Albanefin aus Prevefa. Auf der 
Inſel Ithaka (oder, wie fie damals genannt wurde, Theafi) 
im Jahre 1788 geboren, ift Odyſſeus nach dem Tode feines 
Vaters an dem Hofe des Ali-Paſcha aufgezogen worden, ber 
mit Andrutfos in freundfchaftlichen Beziehungen geftanvden hatte. 
Seiner Abkunft nach Halb Grieche und halb Schkypetare, fo 
michten fi) auch in feinem Weſen die charakteriftifchen Züge 


1) Bol. Pouqueville a. a. O., Bd. I, ©. 40, und Gorbon, 
— der griechiſchen Revolution, bearbeitet von Zinkeiſen, Thl. J, 
‚831. 


366 Bub II. Kap. L 4. Odyffeus von Ithaka. 


beider Stämme, deren tüchtige wie fchlimme Eigenſchaften. 
ALS gereifter Mann erichien Odyſſeus als ein jchöner Krieger, 
von mittlerem Wuchle, kräftiger Geftalt, blondhaarig, mit 
breiter Stirne und dichten bujchigen Augenbrauen. Ein flinfer, 
elaitticher Läufer, ein Menjch von jeltener phyſiſcher Kraft, zum 
Soldaten und zum Gebieter geboren, zeichnete ihn als echten 
Griechen die reiche Antchlägigfeit feiner Natur, fein fcharfer 
Berftand, feine glühbende Wißbegierve aus. Aber er beſaß 
leider auch die ganze Neigung der Schlupetaren zur Der 
rätherei uud zur Rachſucht, und die Taljchheit und Der 
ſtellungskunſt der Griechen. Odyſſeus gehört zu jenen Führern 
der Neugriechen, die nachmal® am wenigiten den jchlinmten 
Einflüffen fich zu entziehen vermocht haben, welche die corrum- 
pirende Herrichaft Alt’8 auf das Griechenthum ausgeübt hat 
Der unrubige, beftige, unbändige Süngling hatte in ber 
ihlimmen Schule an dem Hofe zu Janina viel Böſes gelernt: 
Wolluſt und Graufamkeit, Habjucht, unergründliche Verlogen⸗ 
beit, — endlih auch eine ganz. ungriechiſche Freigeiſterei. 
Längere Zeit Bage in Ali's unmittelbarer Nähe, war Odhſſeus 
fogar in den türkischen Orden der freigeifteriichen Bektaſchi⸗ 
Derwiſche eingetreten, um fich perſönlich möglichit ficher zu 
jtellen. Seine Begabung, feine Kühnheit und Geiſtesgegenwart 
batten ihm allmählich das ausgemachte Wohlwollen des Paſchas 
gewonnen, der ihn dann auf alle Weile förderte. Schon 
1814 erjcheint er als Befehlshaber von Ali's Leibgarde; 
nachber bat ihn der Paſcha mit einer reich ausgejtatteten 
Dame aus Kalavryta verbeirathbet und ihn an die Spike ber 
Armatolen von Livadia und Talandi gejtellt ). Wir finden 
ihn nachher noch zur Zeit von Ali's Kataſtrophe als Heer 
führer für den Paſcha in eriter Neihe beichäftigt. 

Ganz anderer Art ift ein zweiter griechticher Dffizier, ber 
im Gegenjage zu Odyſſeus aus der wüften Art des um Al 


1) Bgl. jet Pouqueville a. a. ©., 2b. I, ©. 197 u. 308. 
Gervinus, Bd. V, Thl. 1, ©. 3225. Mendelsſohn-Bartholdy, 
Geſchichte Griechenlands, Bd. I, ©. 209. Finlay, History of the 
greek revolution, vol. I, p. 94 u. 305. 








Georg Karalskakis. 367 


gruppirten Treibens zu einer ber frilcheiten Geſtalten Des 
griechiichen Freiheitskrieges fich Herausarbeiten jollte. Dieſer 
Mann war Georg Karaistafis, ein Epirote aus Slyli⸗ 
faria, einige Meilen djtlih von Arta auf der Grenze der 
andihaften Agrapha, Alarnanien und Arta belegen. Er tit 
1782 geboren; den Vater fennt man nicht, die Mutter war 
eine Nonne aus vornehmer Familie, des Kapitäns Gogos 
Bakolas Couſine. Karaistafis ift abwechjelnd in Ali's Kriege- 
dienit und als wilder Klephte emporgefommen. Wieperholt 
old Klephte in Ali's Hände gefallen, rettete ihm bet dem 
Baiha die Rückſicht auf jeine Verwandtichaft das Leben. 
Aulegt noch einer der angejebeniten Krieger in der Schnar 
des Katſantonis (wie deſſen tapferer Protopallifare, der nach⸗ 
mals ebenfall8 vielgenannte Tſongos oder Tſongas !), mußte 
er nach dem jümmerlichen Ausgange feines Chefs (S. 341) 
abermal8 mit Alt jeinen Frieden machen und in die ®arbe 
des paſchas eintreten, der dem Heinen, lebhaften, feurigen, 
geijtig und ſoldatiſch hochbegabten Manne feine bejondere Gunſt 
zugewandt hatte. Daß auch diefer Kriegsmann die Neigung 
zu loderen Sitten und Verrätheret lange Zeit nicht los werben 
fonnte, zeigt das feinere ‘Detail jeiner Biographie; aber er 
bar doch aus echtem Metall, wie uns feine jpätere &efchichte 
kigen wird ?). 

Weitaus der bedeutendfte Charakter jedoch, der aus Ali's 
Hofe Hervorging, war ein gräcifirter Pinposwlache, der nicht 
nur als Solvat und Bolitifer unter den Griechen des Frei⸗ 
heitskrieges eine bedeutfame Stelle einnahm, ſondern auch 
Jahre lang mit ftarfer Hand das junge griechiiche Königreich 
tegiert bat. Es iſt Dr. Johann Kolettis, der aus der 
Pindosgemeinde Syrako (bei Kalarites), fündftlih von dem 
Janina- See, im oberen Gebiete des Arachthos oder „Fluſſes 
von Arta“ ſtammte. Kolettis (geboren 1788) war, mie jo 


1) Bgl. „Mittheilungen”, 3b. I, ©. 155. 
2) Bol. jett Lediglich Mendelsfohn- Bartholdy, Gefdichte 
Griechenl, Thl. L, ©. 430f. 


368 Bud II. Kap. I. 4. Dr. Johann Kolettis. 


viele junge, gebildete Griechen dieſer Zeit, wie der früheren 
Jahrhunderte, urfprünglich Arzt (er hatte in Italien ftubirt, 
1810 in Bologna die Doftorwürde erworben), und als folcer 
an Ali's Hofe thätig, wo er bejonvderd für den Dienit 
Muchtars in Anspruch genommen wurde. Im ber europäijchen 
Welt ift diefer Epirote erft ſeit ben erjten Jahren des neu- 
griechiichen Befreiungsfrieges allgemeiner belannt gemorben. 
Eine mächtige Natur von außerordentlich nachhaltigen Kräften, 
war Rolettis nach zwei Seiten bin durch feinen Aufenthalt in 
Janina für jeine fpätere Rolle mehrfach beifer vorbereitet, 
als die im Tanar oder in Europa geichulten riechen. Er 
verftand es vortrefflich, mit der Sinnesweile, den Xiebhabereien, 
den Vorurtheilen der griechifchen und albaneſiſchen Kapitäne, 
namentlich der Rumelioten, zu rechnen und fich zu verftändigen. 
Dazu aber hatte der Aufenthalt in der Höhle des Löwen ihn 
als Politiker ausgiebig gejchult, die angeborene Verſchlagenheit 
des Stammes noch mehr ausgebildet. Dem ftattlichen Manne 
vol Menfchenkenntnig waren feterlihe Würde, abwartende 
Klugheit und unerjchütterliches Phlegma ‚zur anderen Natur‘ 
geworden: Cigenfchaften, denen er fpäter ſehr erheblide Er⸗ 
folge verdankt bat, freilich auch dann, wenn es fich um. fühle 
Durchführung eigenthümlich „bohrender Rache“ Hanbelte‘). 
Unfere Darftellung, die zunächſt bier abbricht, wird bald 
Beranlaffung finden, das Zufammenwirken der unter A 
gefehulten, wie ber moreotifchen Elemente in allgemein grie 
chiſchem Intereſſe zu jchilvern. Noch aber müſſen wir einen 
Dli werfen auf die feit 1789 entfaltete Blüthe griechiichen 
Handels und griechiicher Bildung, die uns zugleich die neue 
Bedeutung der ,‚,nautifhen Inſeln“ für Griechenland ver 
jteben lehrt. 


1) Vgl. Pougqueville a. a. ©, 3b. U, ©. 436. Finlayı, 
Greek revolution, vol.I, p. 244 u. 345. Mendelsfohn-Bartholtr 
(a. a. O. ©. 329), der aber irriger Weife gegen die übrigen Angaben 
auh 2. Roß Hat mir perfänfich die wlachiſche Abkunft des Kolettis be 
ftätigt) dem Kolettiß die Abkunft von Zigeunern zufchreibt. Sathas, 
p. 640 saqgq. 





Neuer Aufſchwung des griechiſchen Seehandels. 869 


V. 


Es iſt ſchon früher dargelegt worden, wie ſehr bie Offnung 
des ſchwarzen Meeres, des Bosporus und der Dardanellen 
für die ruſſiſche Flagge, und weiter bie Berechtigung ver 
Griechen (S. 254 f.), mit ruffiichen Berats und ruſſiſcher 
Flagge ausgerüftes zu fahren, ſich geeignet erwielen haben, 
den Aufichwung des griehifhen Seehandels zu fördern. 
Die großen politiichen Ereigniffe num, welche von 1789 bis 
1815 die geſammte europäiſche Welt von Liſſabon und Cadir 
bis nah Moskau Kin unabläffig in Erichütterung brachten, 
find gerade den Griechen materiell in hohem Grave zu 


Gute gekommen, während zugleich der reformfreudige Sultan - 


Selim III. und der ſchlaue, felbftfüchtige Alt von Janina alle 
mente förderten, welche die Hebung der Induſtrie, bes 
Handels und der geiftigen Bildung der griechifchen Unter. 
thanen der Pforte zu begünftigen nur irgend geeignet waren. 
Die furchtbare Selbitzerfleiihung Frankreichs durch Die 
Revolution, nachher die unaufhörlichen Kriege der Franzofen 
der Republif wie des erften Napoleonifchen Kaiſerthums, und 
die dauernde Feindſchaft Englands gegen Frankreich und bie 
von diefem. Stante beberrichten Vajallenftaaten, wurden Ver⸗ 
anlaffung, daß vor Allem der Getreidebandel auf dem 
mittelländifchen Deere in die Hände der griehifchen See— 
fahrer für eine lange Reihe van Jahren gefallen tft. Die 
heiter Ebenen bes fünlichen Rußlands Hatten begonnen, eine ber 
großen Kornlammern von Europa zu werden, und griechiiche 
Schiffe waren es, welche ſehr ſchnell felbft der brittiſchen 
Handelsflagge erhebliche Concurrenz machten und die Ausfuhr 
de8 ruſſiſchen Getreives faft ausichließlih an fich zogen. 
Odeffa, die jeit 1794 neu entftanbene junge ruffiiche Grün- 
dung, das große führuffifche Weizenemporium des fchwarzen 
Meeres, blühte zunächft vor Allem durch griechifche Anſiedler 
und griechiiche Nührigfeit empor. “Die griechiichen Schiffe 
iegelten bald bi8 zu der Meerenge von Gibraltar, allmäplich 
Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. III. 24 


370 Bud II. Kap. I. 5. Hybre. 


jelbft über den atlantifhen Ocean hinaus. Als erſter 
hydriotiſcher Kapitän, ver fich bis nach Amerika wagte, wird 
Demetrios Chriftophilos genannt. Griechiſche Kauflente be- 
ftimmten in Italien und Spanien die Kornpreife, gewannen 
auf franzdfiichen und engliichen Börſen eine wichtige Stimme, 
bilveten in zahlreichen Handelsplätzen von Europa, aufer 
Trieft nun auch in Livorno, Marfeille, London, Linerpool 
einflußreiche Handelskolonien. Mehr aber, mit ver Eröffnung 
neuer zahlreicher Kanäle zur Einſtrömung europätfcher Ideen 


und fränkiſcher Civiliſation nad den griechiichen Häfen; mit 
dem ftarfen Aufſchwunge griechifcher feemännifcher Übung und 


ZTüchtigfeit; mit der Zunahme des Wohlftandes, ja jelbft des 
Reichthums, wuchs auh die Waffentüchtigkeit der 
griechiſchen Marine Denn die in dieſen unruhigen 
Zeiten ewig drobende Gefahr Seitens der Piraten, namatlıh 
auch Seitens der Barbaresken und der Algerier, nöthigte dr 
Griechen, allmählih auch größere und vor Allem je nad 
ihrer Größe durch act bis zwanzig Kanonen armirte, gut 
bewaffnete Schiffe zur bauen. Im Jahre 1816 rechnete man 


auf die griechiihe Hanbelsmarine über 600 Schiffe mit | 


17,000 Matrojen und 6000 Kanonen ?). 

Der Löwenantheil an dieſem Gewinn fiel aber auf bie brei 
fogenannten nautifchen Infeln der Neugriehen, nemlich auf 
Hydra, Spetzä und Pſara. Es war namentlidh die 
bisher jchon wiederholt genannte Injel Hydra, die jeit ber 
Kataftrophe von 1770 an Einwohnern, fett dem Friedens⸗ 
ichluffe von Kutſchuk⸗Kainardſche an merkantiler Bedeutung ie 
gewaltig zugenommen hatte. Die Hhbrioten waren als bie 
fühnften und gewandteften Seeleute des griechifchen Archipels 
berühmt geworben ; trefflihe Seefahrer und Handelsleute, 
verwegene Blofadebrecher, hatten fie je nach Umſtänden bie 


1) gl. Gervinus, ©. 34 84 fe. Finlay, Greece unde 
othoman and venetian domination, p. 843 sg. Gordon be 
Zinteifen, TH. I, S. 37ff. Mendelsſohn-Bartholdy, Geld 
Griechenl. Thl. I, S. 67ff. 71ff. Miaulis, Die Infel Hybra, über. 
son Bender, ©. 18ff. 





Hydra. 51 


tuffihe Flagge und bie Neutralität der Pforte glücklich zu 
verwertben verftanden, und waren auf diefem Wege zu aufer- 
ordentlichen Weichtbümern gelangt. Das gab fich jedem 
Fremden jchon äußerlih zu erfennen. “Die Heine Inſel 
(90 DRilometer groß), die aus einem von Südweſt nach 
Nordoſt ziehenden fchmalen Bergrüden befteht, welcher faft 
überall nur den nadten Fels zeigt oder mit unfruchtbarem, 
alles Anbaues ſpottendem Geröll bevedt, daher (jet) größten. 
theils baumlos und ohne Quellwaſſer ift und lediglich im 
weitlichen Theile eine etwas fruchtbarere Strede befitt, ſah auf 
ihrer allein zugänglichen Nordküſte an dem Haupthafen während 
diejer Periode eine überaus blühende Stadt emporwachien. 
Während die Nebenhäfen Porto Mandri und Porto Molo 
(weitlich) und Porto Panagia (öſtlich) minder bedeutend blieben, 
erhlühte aljo bei dem Haupthafen, ziemlich in der Mitte der 
etwa fünf Stunden langen Noroküfte die Stadt Hydra, auf 
drei ſchroff auffteigenden Hügeln belegen und in den zwiſchen 
denielben nach dem Meere fich Binabziehenden Thaljchluchten. 
An 3000 meiſt große und jchöne Steinhäuſer ftiegen bier 
terrafienartig über einander auf und gewährten mit ihren 
platten Dächern und weißen Mauern einen eigenthünlich 
maleriichen Charakter. In den joliven Fels eingegraben, im. 
Inneren oft mit Marmorplatten aus Livorno gepflajtert, mit 
Smyrnaer Teppichen und Bolftern aus Marjeille bebedt, 
Ihmiegen fich die Häuſer dieſer Stadt völlig dem Terrain an. 
Die Straßen find außer dem unmittelbar am Meere ge 
legenen Marftplage durchaus uneben, durch fahlen Felsboden 
oder trockene Betten früherer Gießbäche gebildet. Selbſt die 
kürzeſte Straße gleicht mehr einer Treppe als einem Wege. 
Dabei beſaß die Stadt 26 Kirchen und Kapellen, alle reich an 
Weihgeſchenken der Schiffer. Der Stolz der Hydrioten war 
ihre Ratheprale aus weißem Marmor; noch heute imponirt 
ihr don der Kirche getrennt ftehender Glockenthurm, deſſen 
Kuppel aus zehn Bogen von weißem Marmor befteht, durch 
welhe der Himmel hindurchſcheint. Hoc über ber Stadt 


endlich thront ein Klofter des Hag. Elia. 
24* 


872 Buch II. Kap. L 5. Hydra. 


Während ver Blüthezeit, die allerdings das Jahr 1815 
nicht jehr lange überbauert hat, war die Bevölkerung bis 
anf nahezu 40,000 Seelen geftiegen, von denen nur eine Heine 
Minderzahl der Landwirthfchaft ſich widmete. Die Seeleute 
verdankten das ſchnelle Wachſen ihres Wohlſtandes, mit dem 
auch europäilche Civiliſation bei ihnen eindrang, ihren nationalen 
Eigenthümlichfeiten. Die Matroſen ver einzelnen Schiffe, 
verhältnigmäßig fehr zahlreich, waren, wie auch bei ben Griechen 
oft der Fall, gemöhnlih bis zum Sciffsiungen herab Ber 
wandte des Kapitäns, oder auch feine Gevattern, ftanden nit 
in Sold, fondern erbielten alle, ohne Unterichten des Alters, 
gewiffe Procente von dem Netto» Ertrage der Fahrt, hatten 
alfo immer ihr Intereffe daran, ihre Reiſe möglichit fahnel 
zurüdzulegen. Andererſeits war bei dieſen bybriotifchen Abe 
neſen die nationale Tugend der Sparjamtleit und Niüchternit 
ftart ausgebildet; die Wohlfeilheit der erjten Lebensmittel trat 


in erfreulicher Weife dazu. Hhdra verfügte ſchließlich ük 


mehr denn 110 eigene Schiffe. Daneben hatte der Einfluß 
des Griechenthums fich bei ihnen ſehr bebeutend geltend 


gemacht. Schon vor der Erhebung des Jahres 1821 vertan | 


und fprach bier jedermann griechiſch, obwohl Damals dad 
Albanefiihe in Hydra und Spekä noch immer bie Sprache 
des täglichen Lebens blieb. Auch in ver Tracht Hatten fi 
fih den übrigen Infulanern des Archipels ftarf genähert. Aus 
bier alfo die ungeheuer weiten, fadartigen Pludderhoſen, dit 
bis auf die Mitte der Waden reichen; um bie Mitte be} 
Leibes der buntfarbige Gürtel, der als Taſche für Meilen, 
Tabakspofe und Uhr dient; dazu Weſte und Jacke ohne 
Kragen, mit Ligen und Schnüren vielfach beſetzt. Auf dem 
Haupte endlich der rothe Fey, die Nationalmüge von Tuch, in 
Form eines fiumpfen Kegels, oben mit einer Troddel ven 
blauer Seide. Nur daß diefe — anders als bei ben übrige 
Inſelbewohnern — nicht frei herunterhing, fondern in Form 
eines Kreiſes auf der oberen Fläche des Fez ausgebreitet 14 
Der größere Reichthum an Falten der Beinkleider bezeichnelt 
bie größere oder geringere Wohlhabenheit des Beſitzers; ebeni‘ 





— —— 


Hybra. 373 


durften damals nur die Beſitzer eigener Schiffe, Häufer, 
Güter, und deren Söhne — Strümpfe tragen !). 

Die leidenichaftliche Natur des Volles und der alte Partei 
geift, ven dieſe Abkömmlinge der Schlupetaren mit den Griechen 
vollkommen theilten, verleugneten fi aber zur Zeit ihres 
kräftigen Aufichwunges durchaus nicht. Das kam namentlich 
bei ven inneren Bewegungen der Hydrioten zu Zage, in 
denen die Parteilämpfe der alten Helleniichen Städterepubliken 
wiederholt ein intereffantes Nachipiel fanden. Mit einer in 
Griechenland jeltenen Wahrheitsliebe, mit großer Zuverläffig- 
kit, Ehrlichkeit und Solivität verbanden fie auch einige 
Eigenichaften, welche jebr geeignet waren, das communale 
chen unruhig genug zu geitalten. Das Voll war gemalt 
thätig und ungeftim, die Primaten eiferfüchtig und Bart, Alle 
aber zu Barteiungen fehr geneigt, wie nur irgend ein griechiicher 
Stamm. Stolz, Anmaßung, unruhiges Naturell und Habjucht 
blieben ihr albanefiiches Erbtheil. Es wurde ihren einheimijchen 
jelbſtgewählten Behörden jchwer genug, bei dem mächtigen 
Aufſchwunge der Infel überall die unruhige Art ihrer Lands⸗ 
leute zu zähmen und die Strafen über Mord und Todtichlag 
zu verbängen, die bier nur allzubäufig waren. Schließlich 
hatten fich die Hydrioten ſogar genöthigt gejehen, bei ber 
Pforte, beziebentlich bei ihrem großen Gönner, dem Kapudan⸗ 
Paſcha Kutſchuk⸗Huſſein, die Ernennung eines eigenen Gouver⸗ 
neurs mit dem Rechte über Leben und Tod (S. 113) zu beantragen, 
and Huffein hatte zuerit am 27. December 1802 auf Vor⸗ 
ihlag der Primaten jenen Georg Bulgaris, den wir 
bereits kennen gelernt haben, zu diefer Stellung als Bey 


1) Bgl. L. Roß, Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenland, 
S. 121 fe. Henri Belle, Eine Reiſe in Griechenland (in dem 
„Globus“ 1877, Nr. 3), S. 36 f£E Burſian, Geographie von 
Griehen!., Bd. II, S. 99f. Finlay, History of the greek revolution, 
vol. I, p. 37 sq. u. 207. v. Maurer, Das griechifche Bolt, Bd. I, 
8.53. Gervinus, Br. V, Th. 1, ©. 86 fi. Mendelsſohn— 
Bartholdy, Gefhichte Griechenl, Bd. I, ©. 200f. Miaulis, Die 
Infel Hydra, ©. 20ff. 25 ff. 


874 Bud II. Kap. I. 5. Hydra. 


ernannt, einen energiichen, vielbewährten Seemann (geftorben 
23. Auguft 1812), der auch von der barbariichen Prügelftrafe 
feines Volkes einen höchſt ausgiebigen Gebrauch machte. Die 
Ihwerften Verbrecher fandte er nach Stambul zur Todes⸗ oder 
Galeerenſtrafe. ‘Die Gemeinveverfaffung (S. 210) hatte fih 
ichließlich unter Yulgaris’ Einfluß dahin ausgebilpet, daß die 
reihen Primaten jährlich zwölf Proöftote8 oder Demogeronten 
ernannten, die zur Seite des Beys einen regierenden Municipalrath 
bildeten. Derfelbe zerfiel in drei Gruppen zu je vier Mitgliedern, 
die umichichtig von vier zu vier Monaten die Gejchäfte führten. 
Die Zuftände hatten alfo bier einen wefentlich oligarchiichen 
Charakter angenommen, indem einerjeitd die zahlreichen neuen 
Anfiedler keineswegs alle Rechte der älteren Einwohner erlangt, 
andererfeit8 das Wahlrecht fich wejentlih zu einen Belt 
ber am meiften begüterten Bevölkerung geftaltet batt‘). 
Man unterſchied nemlich die drei Klaſſen ver Matrofen; m 
Schiffskapitäne, welche für irgend einen der Primaten, bie Ihnen 
das Kapital für die Schiffsladungen vorjchoffen und dann von 
dem Gewinne ber Handelsfahrt erhebliche Zinfen erhielten, 
arbeiteten; und die Primaten over „Oekokyräer“, vie herr 
chende Kaffe. Die Stellung eines folchen Primaten war hier 
nicht erblich; fie mußte mühſam erarbeitet werben und fiel 
nur denen zu, bie durch glüdliche Seefahrten und Handels⸗ 
jpefulationen reich geworben, zum Beſitze eigener Häuſer ge 
langt waren, und ein oder mehrere Schiffe durch andere 
Kapitäne führen ließen. So war ihre Zahl wiederholt vem 
Wechſel unterworfen. Bulgaris Hatte dann die Zahl ver 
Primaten auf 24 normirt und zugleih das Finanzweſen ber 
Infel dahin geordnet, daß von dem Gewinne jedes Yahrzeuges 
die Abgabe von fünf Procent dem Gemeinweſen zufallen follte 
Nun aber tobte innerhalb der Kreife der Primaten zu allen 
Zeiten ein überaus heftiger Gegenſatz der Yaltionen, neben 
dem auch demokratiſche Aufwallungen keineswegs ausblieben. 


1) Zgl. Finlay 1. c. p. 88 qq. v. Maurer, ©. 5Lf. 


Servinus, ©. 195 fi. Mendelsfohn-Bartholdy, ©. Al. 
Miaulis, ©. 24f. 


Spetzã. 875 


Unter den Primaten der Inſel waren Familien wie die 
Tſamados, die Kriezis, die Buturis, Miaulis, Sachturis, 
Bulgaris, Tombaſis und namentlich die Konduriotis 
bedeutend, welche letztere kurz nach der Austreibung der 
Venetianer aus Morea (S. 210) von dem Dorfe Kundura 
oder Kondura am Gebirge Karydhi in Megaris nach Hydra 
übergeſiedelt waren, und jetzt bei wahrhaft enormen, nach 
Millionen zählenden Reichthümern das höchſte Anſehen genoſſen. 
Zur Zeit des neuen Aufſchwunges von Hydra und nachher der 
Erhebung Griechenlands gegen die Pforte ſind die Brüder 
Georg und Lazaros Konduriotis beſonders einflußreich ge⸗ 
weſen. 

Auf der kleineren Inſel Spetzä, die nur acht⸗ bis neun⸗ 
tauſend Einwohner zählte, waren analoge Verhältniſſe; nur 
daß bier die Verfaffung fih etwas mehr demokratiſch geitaltet 
datte. Auch bier wurde feit 1802 durd den Kapudan⸗Paſcha 
ein griechiicher Beh an die Spitze geftellt, den die Primaten 
borjchlugen. Aber die Zahl der Primaten war bier erheblich 
größer, als auf Hydra; das will jagen, die Oekokyräer jchloffen 
fi hier minder Haffenartig ab, al8 auf Hydra, jeder neu zu 
Reichthum gelangte Bürger konnte fich ihnen fofort zugejellen, 
und namentlich die Zahl der Heineren Kapitalijten war hier 
nicht gering. Außerdem batte ihre Klaſſe die Sorge für die - 
wichtigften Angelegenheiten der &emeinde in ihrer Hand, jo 
daß den vier ober fünf von ihmen ernannten Demogeronten 
eigentlich nur Die exekutive Gewalt blieb. Endlich wurde bier 
unter Umftänden auch die Verfammlung des gejammten Volkes 
berufen. Spetzä batte fich etwas langſamer entwidelt, als die 
größere Schwefterinjel; erjt mit dem Jahre 1810 war man 
bier zur Erbauung größerer Schiffe von nambaften Umfange 
porgefchritten. Unter den Primaten » Gejchlechtern dieſer 
Inſel treten in diefer und ber folgenden Zeit namentlich 
Die Meris, die Botafis, die Anargyros, die Bukuris, die 
Andrutios, die Tſupas auf. Bis zur Zeit der neugriechiichen 
Erhebung dominirten bier umſchichtig die mächtigen Tamilien 
Mexis und Botafie. 


316 Buch II. Kap. I. 5. Pſara. 


Die Hydrioten, bie eine direlte Steuer nach Stambul 
nicht zahlten, mußten feit Kutſchuk⸗Huſſeins Zeit jährlich em 
Contingent von 250 tüchtigen Seeleuten fir die osmaniſche 
Flotte ftellen (vorher, feit 1779, nur erſt 50), bie aus ben 
Mitteln der Gemeinde mit etwa 16,000 Dollars jährlich 
unterhalten wurben. Die Spetzioten hatten in derſelben 
Weiſe jährlich bi8 zu SO Matroſen zu ftellen und zu unter 
halten. Die Koften für dieſe Mannſchaften brachte vie Ge⸗ 
meinde Spetzä theils durch Eingangszölle auf, wie fie auch zu 
Hydra beitanden, theils Durch eine geringe auf jede Familie 
vertbeilte Kopfſteuer. Dazu kamen für beide Inſeln noch 
werthvolle Gefchenfe, die man dem Kapudan⸗Paſcha, bem 
Dragoman der Flotte, und anderen böberen Beamten ber 
Admiralität in Stambul jährlih zu bringen gehalten war). 

Neben dieſen kühnen albanefifchen, nur erſt in dem Über 
gange zur Gräcifirung begriffenen Seeleuten nahm bamals we 
nachher zur Zeit des Befreiungsfrieges gleihen Rang ein in 
nautijcher, bereit8 in vielen Kämpfen, Corfaren- und Handels⸗ 
zügen erprobter, Tüchtigkeit und in kaufmänniſchem Aufſchwunge 
bie weſentlich griechifche 2) Benölferung der Heinen Yniel 
Pſara. Auf diefer hohen Yeljenklippe in der Nähe von 
Chios lebten in dieſer Zeit ſechs⸗ bis fiebentaufenn Menſchen, 
deren Intelligenz, Ruͤhrigkeit und Bildung unter den Griechen 
berühmt war. In ihrer Art des gemeinjchaftlichen nautiſchen 
Geichäftsbetriebes in derſelben Weiſe organifirt, wie bie Hr 
brioten und Spegioten, ftellten im Gegenſatze zu Hydra bie 
Piarioten eine reine Demolratie dar. Geber Bewohner vieler 


1) Speziell Über Spetsä, aber mit vielen Seitenbliden auf Hydra und 
Pfara, ſiehe Hier noch überhaupt Orlandos, Naurıxd, tom. I, p. 17— 0. 
Miaulis, Die Juſel Hydra, ©. 13 f. u. 17 f. Bol. dann neh 
Finlay le p. 4. v Maurer, © 51. Mendelsſohn— 
Bartholdy, ©. 201. 

2) Gegen den mehrfach (vgl. oben), auch von Hopf (fiehe noch 
„Griechenl. im Mittelalter”, Bd. 86, &.185) angenommenen albanefljcen 
Grundcharakter ber Pfarioten ſprechen unter ben Neueren namentlid 
Finlay (l. c. p. 205. 206), Menbelsfohn-Bartholdy (&. 329) 
und v. Hahn (Albaneſiſche Studien, Bd. I, S. 223). 





Andere griechifhe Handelsplätze. 877 


Inſel, ſobald er ein eigenes Haus hatte, oder Theilhaber einer 
Handelsfahrt, oder auch nur einfacher Matroſe aber zugleich 
Familienvater war, durfte an der jährlich zuſammentretenden 
Gemeindeverſammlung mit vollgiltigem Stimmrechte ſich be⸗ 
theiligen. Dieſe Verſammlung wählte daun, ohne daß das 
paſſive Wahlrecht an ein größeres Vermögen geknüpft war, 
alljährlich vierzig Rathmänner, denen wieder die Ernennung 
der ebenfali8 von Jahr zu Sahr wechlelnden Demogeronten 
witand. Die leßteren führten nach griechiicher Weiſe die lokale 
Regierung und waren bei allen wichtigen Angelegenheiten an 
bie Zuftimmung ber Vierzig gewielen '). Unter ihnen ift 
damals Nikolaos Apoſtolis beſonders nambaft. 

Die Marine und der Flor der zahlreichen übrigen grie⸗ 
bien Inſeln, der alten und neuen griechiſchen Hafenplätze 
konnten mit dem der bisher geſchilderten drein, nautiſchen 
Inſeln“ nicht verglichen werben. Indeſſen gab es doch noch 
une Punkte, die in diefee Periode zu höherer nautiicher Be 
beutung fich hinaufgenvbeitet Hatten. Nur den SKüftenhandel 
und den Verkehr zwiſchen den Inſeln des ägätfchen Meeres 
betrieben auf Tleineren Schiffen die Albanejen von Poros, Kaſtri 
und Kranidhi. Die nachher in dem Befreiungskriege zeitweile 
ſehr wichtige Inſel Kaſos zwiſchen Kreta und Karpathos zählte 
1821 bei einer Bevölkerung von 1500 Familien 15 Schiffe 
bon mehr als 100 Zonnen Gehalt. Und auf dem griechifchen 
Feſtlande beſaß ber theſſaliſche Handelsplatz ZTrichert an dem 
Eingange in den Golf von Volo damals bei 400 Familien 
30, die rührige lokriſche, den korinthiſchen Golf belebende 
Handelsſtadt Galaxidhi endlich bei 600 Familien 60 Schiffe 
verſchiedener Größe ). Das Hauptgewicht fiel aber immer 
auf die drei Inſeln Hydra, Spegä und Pjara Als 
diefelben nachmal® 1821 ſich der Erhebung gegen die Pforte 
anſchloſſen, Ichlug man die griechiſch⸗albaneſiſche Handelsmarine 
des griechiichen Landes ſüdlich von ven Thermophlen mit 


1) Finlay 1. ce, vol. I, p. 206; vol. U, p. 49. 
2) Ibid., vol. I, p. 40 u. 208. 


378 Bud IL Kap. I. 5. Kybonia. 


Einſchluß von Para, Kafos und Tricheri auf zuſammen 
350 Schiffe (Schooner und Briggs) von 60 bis 400 Tonnen 
Gehalt mit mehr als 12,000 Matroſen an, zu denen noch 
ſehr viele Fleinere Fahrzeuge famen. Darunter bejaß Para 
40, Spetzä etwa 60, Hydra 115 Schiffe von mehr als 100 
Tonnen Gehalt. Das Durchdringen endlich bes jungen 
Hellenismus auch auf Spegä und Hydra bezeugen die vielen 
antiten Namen, die man fchon damals dieſen Schiffen zu 
geben pflegte )). 

Es gab aber auch noch viele andere Punkte der griechiicen 
Welt rings um das ägäiſche Meer, wo fich ver jelbftänbige 
neue materielle Aufichwung dieſes Zeitalters energiich bemerk 
bar gemadt bat. Um nicht wieder oder noch nicht wieder 
von Chios und anderen befjer fituirten Inſeln zu veben, Io 
war damals der Stolz der Eleinafiatiichen Griechen di 
herrliche Stadt Kydonia. An der Oftlüfte nemlich de 
Golfes von Adramyttion, der Inſel Muskoniſia und dem 
nördlichen Lesbos gegenüber, hatte ſchon lange eine ärmliche 
Anſiedlung, von den Türken Aiwaly, von den Griechen 
Kydonia, das Quittendorf, genannt, beſtanden, die nun jet 
der Mitte der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts 
rafch zu einer blühenden griechiichen Stadt emporwuchs. Ein 
Bürger diefer Heinen Anſiedlung, der hochbegabte, energiſche 
und gewandte Bafilianerpriefter Johannes Oekonomos, 
ein glühender Patriot, erlangte bei der Pforte die Regierung 
ſeines Geburtsortes und zugleich jehr erhebliche Privilegien für 
feine Heimath. Türken follten bier nicht wohnen, die Leitung 
der Geichäfte nur in ben Händen der alljährlich neu an bie 
Spite geftellten Primaten liegen. Dem Paſchalik von Bruſſa 
zugetbeilt, wurde Kydonia mit überrafchender Geſchwindigkeit 


1) Finlay l. c., vol. I, p. 206. Mendelsfohn- Bartbolby, 
S. 200. Orlandos (l. c. p. 55 sg.) rechnet 1821 für Spegä ned 
genauer die Zahl von etwa 50 großen, auch für ben Seekrieg zu 
braucenden Schiffen; für Hydra dagegen (neben einer größeren Zahl 
Älterer, daher zum Seefriege nicht gut zu verwendender) 60, für Bfare 
40 folder Schiffe. 








Die theſſaliſche Inbuftrie. 879 


eine prächtige Stadt, die 1820 in 3000 jteinernen Häuſern 
eine rein griechtiche Bevölkerung von 30+ bis 40,000 Seelen 
zählte und zu den lebhafteften griechtichen Handelsplätzen biejes 
Beitalters gehörte. Vierzig Olmühen, dreißig Seifenfabriten, 
verſchiedene andere Manufalturen zeugten für ben regen Ges 
werbfleiß. Zwei wohlverſehene, auf Koften der Gemeinte 
erbaute Hospitäler, und namentlich das 1813 gefchaffene, 
wegen feiner trefflichen Lehrer von mehr als 300 Schülern 
beiuchte helleniſche Gymnaſium waren der Stolz dieſer jungen, 
damals fo glücklichen Gemeinde *). 

Auf dem griechiihen Feſtlande in Europa war unter 
Selims III. den Griechen wohlwollendem Regime, und von 
Ali-Paſcha in Sanina gern geſehen, neben dem Flor ver 
epirotifchen Hauptſtadt bie theſſaliſche Induſtrie zu 
merfwürbiger Blüthe gediehen. Bier ſtand namentlich das 
Sehiet des unteren Peneios in Flor. Turnovo, nicht viel 
über drei Stunden nördlich von Lariffa an dem zum Peneios 
frömenden Xeragi belegen, der Sit überaus zahlreicher 
Türkiſch⸗ Roth⸗Garn⸗Fabriken, von einer faft ganz griechiichen 
Devölferung bewohnt, hatte auch in feinem Ausfehen einen 
weientlich europäifchen Charakter angenommen. Die einft 
duch Turachan eifrig geförberte, ſchon im fiebzehnten Jahr⸗ 
hundert bebeutende Stadt war zu neuem Aufſchwunge gevieben. 
Der Reichtum Theſſaliens an Baumwolle, wovon dieſes Ge- 
biet jährlich 3000 Ballen erzeugte, dazu die Kunft, ben im 
funfzehnten Jahrhundert durch die Türken in das Land ges 
braten Krapp mit Ginfter und der Kalipflanze (für Pottafche) 
zur Färbung zu verwenden, bildeten die Unterlage dieſer 
Induſtrie, welcher in dem bulgarifchen, nördlich von Turnovo 
belegenen, Tiharitihena, unterjtügt durch die prächtigen 
theſſaliſchen Maulbeerbäume, eine lebhafte Seivenweberei zur 
Seite ging. Die reichte Blüthe gedieh aber unter analogen 


1) Bgl. v. Maurer, Bd. I, ©. 19. Gordon hei Zintetjen, 
I, S. 247 f. Gervinus, ©. 86. Finlay 1. c., vol. ], 
p. 221. 


880 Bud II. Kap. J. 5. Die thefialifche Induſtrie. 


Umftänden, wie zu Turnovo, in dem Städtchen Ambelakia, 
mit 4000 Seelen, norböftlic von Lariſſa auf einer hoben 
Dffa-Halde an einem zum Peneios ftrömenven Bache belegen. 
Die als Hausinbuftrie betriebene Garnfärberei, bie hier ſehr 
geſchickt organifirt war, verbreitete zu Ende des achtzehnten 
Jahrhunderts und während der Zeit der Continentaliperre 
Arbeit und Wohljtand ringsum. Denn nicht mır die Türke, 
fondern auch Öfterreich und Deutichland, ja felbft England, 
wurden von Hier aus verjorgt. Peſth, Wien und Leipzig 
wurden Hauptniederlagen unb Mittelpunfte des ,,türkiichen‘ 
Garnhandels, und große Summen floffen aus dem Abenblande 
nad Theffalien. Nur dag nachmals das theſſaliſche Han 
geſpinuſt dem Fortichritte der brittiihen und dem Aufſchwunge 
ber deutſchen Induſtrie, und die Färbekunft der europäijchen 
Ehemie nicht hat Schritt halten Tünnen, und ſchon gegen Fit 
des neunzehnten Jahrhunderts jelbft auf der Balkanhalbüd 
burch bie brittiiche Concurrenz arg geichädigt worden it‘). 
Das allgemeine Gebeihen erſtreckte fich auch auf Das früher 
fo hart mitgenommene Morea. Diejes an Hilfsquellen to 
reihe Land zählte doch ſchon zu Ende des achtzehnten Jahr⸗ 
hunderts wieder eine hrijtliche Bevölkerung von nahezu 
340,000 Seelen, die fi dann bi8 1820 auf die Höhe von 
iiber 458,000 vermehrt bat ?). Selbit die harten Maniaten 
entzogen fich unter der Leitung intelligenter und wohlmeinenver 
Beis diejer Richtung innerhalb der griechiichen Welt keineswegs. 
Allerdings berrichte vorzugsweile bei dieſem Zweige des nen 
griechiichen Volkes noch der unruhige Geift vor, der fih in 
Fehden ver Familien, der Parteien, ver auf die höchſte Gewalt 
in ihrem Lande eiferfüchtigen Häuptlinge, und in gelegentlicen 


1) Vgl. Fallmerayer, Fragmente aus dem Orient, Thl. I. 
©. 218—234, Gervinus, ©.86. Finlay, Greece under othoman 
and venetian domination, p. 844. 

2) Hopf, Griedhenland im Mittelalter, Bd. 86, S. 190, nad 
Gordon Bei Zinteifen, ®b. I, ©. 83. Bol. auh Graffet St 
Sauveur, Beidreibung ber venetianifhen Befigungen in Griechenl, 
überf. von Sprengel, S. 240 ff. 





Moratbonift. 881 


Naubfahrten andauernd Luft machte. Dabei aber fühlten fie 
fich jett gänzlich ala „Hellenen“; fie wollten als Abkömmlinge 
ber alten Spartiaten gelten (obwohl ſelbſt das helleniſche 
Element in ihrer Miſchung nur auf die alten Elentherolakonen 
zurückgeführt werben kann), und hörten es gern, wenn in dem 
legten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts der Dichter 
Niphakis Nikitas fie als die Kinder des alten Sparta 
pries. Ganz im Sinne der neuen Zeit aber war es, daß 
ſeit Hhdra's neuem Aufblühen etwa 400 Maniaten regelmäßig 
auf buoriotifchen Schiffen dienten, daß auch die Maniaten fich 
auf den Küſtenhandel zu legen anfingen, nech mehr, daß 
ver berühmte Tzanetbei oder Tzannettis Gregoralis 
(S. 292), einer der tapferften, populärjten und hoch— 
itrebendften Pürften der Maina, während feiner Berrichaft 
in der Maina eine neue Stadt gründete. Tzanetbei bat 
uemlich in ver Nähe der Ruinen des alten GEytheion, gegen- 
über der Heinen Inſel Marathoniſi, ber „Fenchelinſel“, 
die im Alterthum Kranad bieß, eine neue ftädtiiche Anlage ins 
ben gerufen, auf welche feitvem der Name Marathonifi 
überging, und welche al$ der natürliche Ausfuhrhafen für die 
Produkte Des Eurotasgebiete® und der ſüdöſtlichen Maina 
— des Ols und der Seide non Mifithra, des Ols, bes 
Honigs und der Gerbereicheln (Valanidia) der Mainı — 
ſchnell zu einem lebhaften Hanvelsplage emporwuchs, wo ſich 
zugleich für längere Zeit der Sitz des maniatiihen Beis 
befand ?). Nicht weniger lebhaft für das materielle Gedeihen 


1) Über jenen Dichter und fein berühmtes Gebicht, welches bie 
damaligen Zuftände der Maina ausführlich fchildert, namentlich den 
Zzanetbei, feine Kriegstbaten und die Gründung der Stadt Maratbonift 
feiert, flehe namentlid Leake, Travels in the Morea, vol. I, p. 332 qg., 
über die maniatifchen Seeleute p. 248. v. Maurer, Das griechifche 
Bolt, Bd. 1, ©. 190ff. (u. Bd. UI, S. Iff.). Hopf, Griechenland im 
Mittelalter, Bd. 86, S.185 und Nicolai, Geſchichte der neugriechiſchen 
titteratur, ©. 208. Über Marathonifi vgl. Leake 1. c. p. 234. 
240 agg. 245 sag. 249 8q. 8. Roß, Griechiſche Königsreijen, Bo. IL, 
©. 231ff. u. 237. v. Maurer, Bd. I, ©. 19. 


882 Bud IL Kap. I. 5. Petros Mauromichalis, Bey der Maine. 


jeiner Maniaten war der wackere und intelligente Dann 
beforgt, welcher bereit während der lesten Jahre vor dem 
Ausbruche des neugriechiichen Unabhängigkeitskrieges als letzter 
Den der Maina regiert bat. Es war biejes der nachmals jo 
berühmt gewordene Petrobei (gejtorben 1848) von Limeni 
bei Zjimova, der feit 1811 an der Spike der: Maina 
ftand 2). Diefer Fürft, der Liebling der Maniaten, der unter 
dem unbändigen Volke fich eines außerordentlichen Anſehens 
erfreute, war jeiner Zeit den Griechen nur „vwie durch ein 
Wunder’ erbalten geblieben. Bei den mörberifchen Kämpfen 
des Jahres 1770 mit den fiegreich nach dem tiefften Süden 
bes Peloponnes vorbringenden Albanefen ?) war (S. 231) ver 
alte tapfere Sohbann Mauromichalis in einem feiten 
Plate belagert geweien und aus dem Feuer des durch eim 
moslemitiiche Bombe in Flammen gefetten Pyrgos und km 
Flintenfeuer der Schkypetaren allein mit dem Knaben Bette? 
entlommen. Diejer Petros Mauromichalis regierte ſchließlih 
die Maina mit faft monarchifhem Anjehen. Die große Aus 
dehnung und die weit verzweigten Familienverbindungen, wie 
auch der Neichthum des Hauſes Mauromichalis; ver alt 
fürftliche Ahnenſtolz des Petrobei; die Schönheit und bie 
Würde jeiner perjönlichen Ericheinung; feine Leutjeligfeit und 
jeine milden Sitten, imponirten nicht lediglich feinen Maniaten, 
jondern auch europätichen Beobachtern. Hat auch die jpätere 
Zeit gezeigt, daß ihm die Gaben fehlten, ver eigentlice 
Führer der neugriehiihen Bewegung zu werben, fo ift bob 
immer das lebendigſte Intereffe für das Wohl feiner Ma 
niaten ibm nachgerühmt worden, deren Armuth zu tilgen, denen 
neue Erwerbsquellen zu eröffnen, die regelloje Räubernatur 


1) Hopf, Griechenl. im Mittelalter, Bd. 86, ©. 185. 


2) Als Schaupfaß diefer Scene nennt Mendelsfohn-Bartholdr 
(Geſch. Griechenl, Bd. I, S. 182f.) den Pla „Mylipyrgos“. Sathas 
(l. c. p. 601 sqq.) gibt an, daß dieſer Vorfall ſtattfand (S. 231) bei 
dem wilden Kampfe zu Niſi, durch melden Johannes Mauromichalis 
damals den Rückzug der Ruſſen nach Navarinon decken wollte. 





Die reichen Griechen im Auslande. 8883 


abzugewöhnen, Bildung zuzuführen, fein eifriges Bemühen ges 
weſen ift *). 

Die bedeutendften Erfolge hatten damals aber doch immer 
im Großen jene Griechen, die fich entweder in den großen 
Handelsplägen des fünlichen Europa nieverließen und bier 
gewaltige, dann wieder mit höchiter Treigebigfeit und Wohl⸗ 
thätigfeit verwendete, Reichthümer erwarben, wie namentlich 
die gefeierten, opferfreudigen griechiſchen Batrioten, die eptrotifchen 
Brüder Zofimas in Livorno, Moskau und Niſhnew⸗Nowgorod, 
und der berühmte Pfarier Johannes Varvakis, der in 
Atrahan und Taganrog ein enormes Vermögen erwarb, und 
deſſen jährliche Einkünfte die Höhe von einer Million 
Rubel erreicht haben follen 2), — oder aber in Stambul 
unter denn Augen der Pfortenregierung große Handelsgeſchäfte 
betrieben. Der Wunfh Selims III, durch Conceffionen an 
die griechifchen Untertbanen ver gefährlichen Ausdehnung des 
Beratſyſtems der fremden Mächte (S. 329) zu begegnen, gab- 


1) Über Betrobey fiche fhon hier Leakel.c.p. 312. 314sq. 316 ; 
minder günftig Finlay, Greek revolution, vol. I, p. 183. Günſtiger 
Brandis, Mittheilungen über Griehenland, Thl. III, ©. 254 fi. 
Gervinus, ©.183. — Die Unterabtheilungen der Maina waren nicht 
immer biefelben. Abgeſehen von der (S. 59. u. 221) natürlichen Gliederung 
de8 Landes und der anſcheinend barauf ſich ſtützenden Theilung in vier 
Eyardien, fo unterſchied man eine Anzahl von Kapitaneien, die nicht 
immer dieſelbe blieb. Es ſcheint, daß unter dem Bei direkt eine Anzahl 
von Stadt- und Dorflapitänen fand, daß aber neben ihm mehrere. 
größere Kapitäne fich hielten, die nicht immer geneigt waren, insgeſammt 
dem jeweiligen Bey zu huldigen; aus folden Familien gingen dann bie 
Nachfolger des jedesmal regierenden Bey’s, aber auch bie wüthenden Gegner 
defielben bervor. Graffet St. Sauveur („Die venetianifchen Be— 
ſitzungen“, überf. von Sprengel) wußte (S. 265 ff.) nur von vier 
Kapitänfchaften. Reale (l. c. p. 315 sq.) kannte während der Napo- 
leoniſchen Periode fieben größere Kapitäne bei Namen, während wieber 
Gordon bet Zinteifen (Bd. I, ©. 180) die Maina mit 100 Städten 
und Dörfern 1820 in neun Kapitänfchaften und brei unabhängige 
oz einmejen getbeilt nennt. Bol. endlih v. Maurer, ©. 72. 

fl. 


2) Bgl. Gervinus, ©. 87 u. 89. v. Maurer, ©. 439. 


384 Bud II. Kap. I. 5. Die Infelgriechen. 


unter eifriger Mitwirkung des damals in höchſter Gunſt 
jtehenden Großdragomans Demetrios Murufis, der dem Sultan 
bei allen zur Ausſöhnung der Rajah verfuchten Maßnahmen 
bie Hand bot, die Möglichkeit zur Bereinigung der Griechen 
der Hauptſtadt und der großen levantiniichen &mporien zu 
einer großen Handelsgeſellſchaft, weiche die Vorrechte aller in 
ber Türkei anfälfigen Unterthanen fremder Staaten geneh'). 
Daneben fanden’ aber andauernd auch ſolche Injelgrieden, 
die nicht als große Kaufleute nach Stambul und anderen 
türfifchen Gentralplägen überfievelten, an dieſen Orten 
in Mafje ihren reichen Gewinn. Nach einer intereffanten 
Skizze eines der beften Kenner des heutigen türkiſch⸗griechiſchen 
Drientes ?) liebten es die Infulaner, in allen nur möglicen 
Erwerbszweigen fich nach diefen Orten zu begeben. Ging anf 
der Injelgrieche gern nach Jaſſy und Buchareft im die Gurk 
der Hospodare, jo lieferten die weniger als Pſara, Kaſoß. 
Kalymnos, Patnos nautiih belebten Eilande Vertreter aller 
möglichen bürgerlichen Gewerbe. Tinos uud Syra ftellten 
jpeziell Die beiten Köche; die Kykladen und Sporaden lieferten 
und liefern noch Heute die brauchbariten Dienſtmädchen in ver 
Levante, Tinos, Stra und Nikaria endlich die meiſten Bonnen 
und Ammen. 

Parallel aber mit dem neuen materiellen Aufſchwunge ber 
griechischen Welt und zum großen Theile auf dieſen geftükt, 
ging nun unter dem gewaltigen Eindrucke ber ftürmiſchen 
Dewegungen in ganz Europa feit dem Ausbruche ber fran- 
zöfiichen Revolution bis zum vollftändigen Nievergange bes 
ersten franzöfiichen Kaiſerthums der kraftvolle geiftige Auf- 
ſchwung des Griechenthums, durch welchen die fich verjüngende 
und zugleich zu dem antiken Hellenismus zurüdgreifende Nation 
in diefer Zeit ganz vorzugsweife die Sympathie der gebildeten 
Welt des Abendlandes zu gewinnen begann. 8 gab in bieler 
Richtung namentlih Drei Momente, durch welche die geijtige 


1) Bgl. Gervinus, ©. 8. v. Maurer, ©. 20. 
2) ®gl. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 3. 








[1 
Studien junger Griechen in Europa. 385 


Wiedergeburt der griechiichen Nation in ber bier vom ung 
geihilderten Periode wejentlich gefördert worden tft. Im 
erjter Reihe fommt bier das Studium der jungen Griechen 
in Europa in Betradt. War bis zu dem Zeitalter ber 
franzöfiichen Revplution Italien Das Land geivefen, wo feit 
Alters die beffer fituirte Jugend ihre Höheren Studien gemacht 
hatte: jeßt zogen junge Griechen in immer wachſender Zahl 
auch nach den Studienjigen Frankreichs, Englands und Deutich 
lands, um port höhere Bildung zu gewinnen. Damit wuchs 
von Jahr zu Jahr die Maſſe der gebildeten Griechen, welche 
theils als Ärzte, theils als Lehrer ihres Volles den Beruf 
und den Willen in fih fühlten, an der Erneuerung ihrer 
Nation mitzuarbeiten und den Gedanken der zurüdzugewinnenben 
Unabhängigkeit von der Herrichaft ver Pforte in immer weitere 
Kreife zu tragen. Eine Thätigfeit, die um fo folgenreicher 
werden mußte, weil der private wie der öffentliche Lehrftand 
in vollkommener Unabhängigkeit fich bewegte. 

Einen ftarten Rückhalt erhielten aber dieſe Beſtrebungen 
an der Entjtehung von mehreren großen bellenifchen Bildungs⸗ 
anftalten auf der Peripherie der griechtichen Welt. Sehen 
wir bier ab von den beflenifchen Schulen in Livorno, Zrieft 
und Venedig, von der helleniſchen Schule und Druderei in 
Dien, von der ſlawo⸗gräco⸗lateiniſchen Akademie zu St. Peters- 
burg, und von dem 1814 bis 1816 durch ben griechiichen 
Handelsftand zu Odeſſa organifirten Hanbelsgymnafium, fo 
fam bier in erjter Reihe das fanariotiihe Rumänien in 
Betracht, wo unter der Regierung des Hauſes Hypfilanti 
(©. 296 u. 322 ff.) das Griechenthum eine Zeit lang eine neue 
Eroberung machen zu follen fchien, parallel mit der damals 
(©. 206) in vollem Zuge begriffenen Gräcifirung der Bul- 
garen. Die helleniſche Hochſchule zu Buchareſt hatte ſchon 
1698 den Charakter einer Akademie angenommen. Aber 
ihre volle moderne Blüthe gewann fie erft feit 1795 unter 
der trefflichen Leitung des Lampros Photiadid aus Yanina. 
Nach feinem Tode veranlaßte der ruffiich-türfifche Krieg eine 

Hersberg, Geſchichte Griechenlands. II. 25 


836 B. II. Q. J. 5. Helleniſche Akademien zu Bucharefi, Stambul u. Korfu. 


Schließung des Imftitute® (1806— 1810), weldes nachher 
durch den Erzbiihof Ignatios (S. 349), den Präfidenten ber 
damals (1810) unter ruſſiſchem Schute neu geftifteten gräco- 
dakiſchen Titterariichen Gejellfchaft, mit Einkünften aus ben 
Kircheniprengeln der Walachet nusgeftattet, 1815 aber umter 
dem Einfluffe des berühmten Schriftteller8 (geboren 1788 in 
Stambul) Jakovakis Rhiſos Nerulos, der in der fanariotijchen 
Verwaltung Rumäniens eine fehr bedeutjame Stellung einnahm 
und an der Spite des Schulwejens ftand, der Leitung eines 
ausgezeichneten epirotiſchen Hellenijten, des Neophyto8 Dufas 
aus Zagori (geboren 1760), eines feurigen griechiichen Patrioten, 
unterjtellt wurde !). Parallel mit den Arbeiten der griechiichen 
gelehrten Patrioten an der Dimbowita, neben welchen auch bie 
Centralichule zu Jaſſy ihre hohe Bedeutung hatte, ging da 
Aufblühen einer neuen großartigen helleniſchen Bildungsazfalt 
zu Stambul felbft, welche unter Zuftimmung des Sultun 
Selim IH. durch deſſen damaligen griechtichen Günftling, ven 
ihon mehrfach erwähnten Demetrios Murufis und deſſen 
Tamilie 1804 ind Leben gerufen wurde. Dieſe Hohe Lehr⸗ 
anftalt zu Kuru⸗Tſchesme am Bosporus, unter Sanction des 
Patriarchen und der Synode von den angejeheniten Fanarioten 
unterhalten, und zunächit duch den Mathematiker Theodor 
Proios aus Chios geleitet, die auch den Realwiſſenſchaften 
einen bedeutenden Raum gewährte, wurde die Schule, der 
nicht wenige der namhaften Griechen bes Unabhängigkeits⸗ 
frieges ihre Bildung verdankt haben ?). Ferner ft die kurze 
Zeit jchattenhafter Selbftändigfeit ver Republik der tonijchen 
Injeln auch durch die Stiftung einer böberen Lebranitalt 
bezeichnet worden. Im Jahre 1808, „in der 647. Olymptabe”, 
bereit8 wieder unter franzöfifher Hoheit (S. 338), wurde 
nemlih in Korfu die neue jogenannte ioniſche Alademie 
gegründet ; e8 war ein wiſſenſchaftliches Inſtitut mit drei 


1) Bgl. Nicolai, Geſchichte der neugriechifchen Kitteratur, S. 117f. 
176. 
2) Ebend. ©. 110f. 





Entftehung neuer helleniſcher Gymnaſien. 887 


Lehrkurſen, für Phyſik und Mathematik, für Ethik und Politik, 
für Philologie und Kunſt ?). 

Noch fühlbarer aber wurde die Wirkung der während 
bieier Periode, und zwar unter fpezieller Begünſtigung des 
Sultand Selim IL., allenthalben in dem Bereiche ber 
inneren griechiichen Welt neu entjtehenden over zu neuer 
Kraft belebten und verjüngten Schulen und helleniſchen 
Oymnajien, bei deren Stiftung und Dotirung ſich nament- 
fh die Privatwoplthätigkeit reicher patriotifcher Griechen in 
großartiger Weije geltend machte. Der griedhiihe Handels. 
tand, in erjter Reihe die griechiihen Häufer im Ausland, 
wie in Odeſſa und anderen ruffiichen Emporien, bier wieder 
die Zofimaden und Varvakis an der Spike, in Wien, in Trieft, 
in Livorno, aber auch in Stambul und in den griechiichen 
Provinzen der Pforte, ijt es ſehr weſentlich gewefen, ver fein 
Intereſſe an Volksbildung und Wiſſenſchaft in außerordentlich 
reihen Schenkungen und Stiftungen praftiih an ven Tag 
Igte. Bon Alters ber behaupteten hier unter dem Einfluffe 
dev opferfreudigen Freigebigfeit der Zofimaben, wie auch des 
Hauſes Marutfis, die blühenden Lehranftalten in Janina 
ihren Ruf bis zu der traurigen Kataftrophe viefer glänzenden 
griechiichen Stadt im Jahre 1820. Auf Samos begegnen 
bir in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts einem 
„Pythagoreum“; auf Chio 8, deſſen Hauptſtadt ſich im Beſitze 
eines Gymnaſiums und Muſeums befand, ſtiftete Varvakis 
eine reiche Bibliothek und eine Druckerei. Kydonia (S. 378) 
mit ſeinem ſeit 1813 beſtehenden, namentlich durch die reiche 
Familie der Saltellis geſchaffenen, Gymnaſium wurde eine 
beſonders blühende Bildungsanſtalt. Hier herrſchte der Ein⸗ 
fluß eines ſehr merkwürdigen Griechen, des Theophilos 
Kalris von Andros, der als Mönch in einem Kloſter feiner 
Inſel mit, unſäglicher Anſtrengung ſich weiter gebildet, dann 
ſeine Studien in Frankreich fortgeſetzt hatte, und nun an der 
Seite ſeiner dichteriſch begabten Schweſter Euanthia in der 


1) Bl. Nicolai, ©. 121. 
25 * 


888 Buch II. Kap. L 5. Entſtehung neuer helleniſcher Gymnaſien. 


Stabt des Oekonomos hellentfche Kultur pflegte. In Smyrna 
beitand fchon jeit älterer Zeit die „Evangeliſche Schule‘, bie 
auch in der zweiten Hälfte des achtzehuten Jahrhunderts jehr 
bedeutende Schüler heranbildete. Eimer berielben, Agapios 
mit Namen, ſchuf die ältere Klofterfdule (S. 201) zu 
Dimitzana im Peloponnes (um 1764) erit zu einem Gym- 
nafium neuerer Art um, welches dann wieder die Dlutteranftalt 
mebrerer anderer Inftitite wurde. In Smiyvna jelbit entftand 
1809—1818 das neue ‚Bhilologiiche Gymnaſium“ unter ver 
Leitung des in Wien gebildeten Konſtautin Kumas von Lariſſa 
(geboren 1777) und der Brüber Stefanos und Konftantin 
Oekonomos (geboren 1780) aus dem theifalifchen Tſcharitſchena. 
Diefe Anftalt, die fchon 1812 mehr denn 300 Schüler zählte, 
ftügte fich mit befonberer Euergie auf das Studium dr 
Antife und gewährte auch den Realwiſſenſchaften einen ber 
tenben Raum. Allenthalben wurden aus dem gebildeten Curom 
neue befjere Lehrmethoden, Lehrmittel aller Art, neue um 
praktiſche Lehrbücher für Die verfchiedenen Disciplinen eingeführt, 
Bibliotbefen und Buchdruckereien gebildet, Hin und wieder 
fogar die Ausbilbung der Schüler in körperlichen Übungen 
wicht vergefien. Mit der Wiederbelebung der Antile im ven 
gebildeten Kreiien, mit dem Kinbringen moderner Bildung 


ta immer weitere Kreife und in immer größere Ziefen ber | 


Nation, erwachte nun weit und. breit in der geographiſch 
fo viel getbeilten Nation immer ftärfer das Bewußtſein ber 
Bufammengebörigfeit und zugleich die beige, durch die geſammte 
Temperatur dieſes Zeitalters gefteigerte und gemäbrte, 
Sehnſucht nach ihrer endlichen Befreiung von ber Herricaft 
der Osmanen, denen fich der Grieche geiftig und wirtbfchaftlic 
auf vielen Stellen des Reiches der Pforte immer bejtimmter 
überlegen zu fühlen begann). Daneben aber trugen Griechen 
mit dem wieder erwachten Wanbertriebe ihrer Nation nicht nur 


1) Bgl. v. Maurer, ©. 434 fi. Nicolai, S. 112 fi. 119 f 
Mendelsfohn-Bartholdy, Gefchichte Griechenlands, Thl. J, &.29. 
Gervinus, ©. 88 ff. 





Die Bühne der Neugriechen. 580 


den griechiichen Hanbelsgeift, ſondern auch griechiiche Schule 
und Wiſſenſchaft jelbft bis nach Hindoſtan, wie Demetrios 
Galanos aus Athen, um 1800 Lehrer in Kalkutta und als 
Indologe neben Gregor von Siphnos (1815 in Dalfa) 
genannt. 

Hand in Hand mit dieſer Neubelebung des griechiichen 
Nattonalgeifte® durch Schule und Erziehung ging ein neuer 
Aufihwung der Litteratur. Nur daß für die nächte 
polttiiche Zukunft Griechenlands und der griechtichen Nation 
bie gelebrten Patrioten,, die gelehrien Vorkämpfer ves 
Hellenismus unvergleichlich beveutungsvoller geworben find, als 
— jenen gewaltigen Rhigas von Beleftino ausgenommen — 
bie Vertreter der redenden Künſte. Griechiiche Dramatiker, 
wie der treffliche Johannes Zampelios aus Leukas, zur Zett 
der jungen tonilchen Republik „Erzrichter“ des Keinen Injel- 
taates, umd der bochbegabte Staatsmann (S. 386) Jakovakis 
Rhiſos Nerulos in Buchareft, waren allerbings bebeutenbe 
‚poettiche Erjcheinungen in diefer Zeit. Aber ihre Wirkſamkeit 
nah dieſer Richtung Hin konnte Doch nur eine fehr beichräntte 
bleiben. Bei ver damaligen Lage der griechtiihen Welt fanb 
allerbings der geiftige Wiederaufichtvung der griechiſchen Nation 
auch auf ver Bühne feinen Ausdruck, natürlich nur auf ver 
Peripherie. Die griechtihen Theater in Korfu, in Buchareſt 
und Jaſſy, in Odeſſa dienten in ihrer Weiſe ebenfall® den 
patriottichen Beftrebungen. Aber lange bat man fich bier mit 
ber Überfegung und Nachbildung italienifcher und franzöſiſcher 
Stüde (namentlich Voltaire's) beholfen. Zampelios wanbte 
fh der herben, patriotiichen Muſe Alfieri's zu; fein „Qimo- 
leon“ wurde allerdings in Buchareft mit demſelben Enthuſias⸗ 
mus aufgenommen, wie bes Nerulos den franzöftichen Klaffitern 
nachgebilvete patriotifche Dramen ‚‚Aspafia” und „Polyrena“, 
deren erſtes 1811 in der walachiſchen Hanptftadt, und nachher 
mit dem zweiten Stüd in Odeſſa, Jaſſy und Korfu wiederholt 
mit bedeutendem Erfolge aufgeführt worben ift. Nur daß dieſe 
Art der Kumftdichtung und litterarifcher Agitation, die nur 
wenig mit der ungeftümen Naturfraft des Volksliedes der 


30 Buch II. Kap. J. 5. Konftantin Oekonomos. 


Gebirgskrieger gemein hatte, doch nur auf eine fehr bünne 
Schicht gebildeter Griechen einzuwirken vermochte ?). 
Unvergleichlich wirkungsvoller, auch nach Seiten des Abend» 
landes bin, zeigte fich dagegen die Arbeit der gelebrten 
Patrivten. Die Sympathie des gebildeten Europa bat fi 
gerade während der jtürmiichen Zeit von 1789 bis zum Aus 
gange des Napoleoniihen Kaiſerthums immer entſchiedener 
vem aus langer Nacht wieder eriwachenden Griechenthum 
zugewenbet, deſſen jugenpliche Repräfentanten an den Bildungs⸗ 
ftätten des Abendlandes fich wiſſensdurſtig jammelten, beijen 
tüchtigite Gelehrte in ernjten Studien fih an der Antike 
wieder aufzurichten bemüht waren. Und parallel mit ber 
neuen geiftigen Erhebung der Griechen Tief der gejteigerte Zug 
europäilcher Forſcher nah dem alten klaſſiſchen Boden de 
Landes der Hellenen; jener zahlreichen Reiſenden aus alen 
Kulturländern des Weftens, bie — in eriter Reihe den ix 
länder Leake zu nennen — mit immer neuen antiquarticden 
Entdeckungen auch eine immer lebhaftere Theilnahme für bie 
Intereifen des lebenden Gejchlechtes der Griechen nach ihrer 
Heimath zurücdbrachten 2). Deehrere jener griechiichen Gelehrten, 
beren Blüthe bereits in dieſes Zeitalter fällt, Haben auch 
nachmals zur Zeit des Freiheitsfampfes und unter König Orte 
eine bebeutfjame Rolle geipielt. Unter den höchſt zahlreichen 
Griechen diefer Art erinnern wir bier nur an Männer wie 
jener (S. 388) theffaliihe Konftantin Defonomos?), 
ber feine Laufbahn als Priefter in der Heimath begonnen, fid 
bei der Erhebung (S. 343) des Euthymios Blachavas bedenklich 
compromittirt hatte, mit Mühe nur der Nache Ali's von 
Janina entronnen war, und nachher (feit 1809) in Smyrna 
feinen glänzenden Ruf als hinreißender Kanzelredner, theologiſcher 
Forſcher, tüchtiger Philologe und ausgezeichneter Erzieher be 


1) gl. Nicolai, S. 150ff. 177 ff. 179. und Mendelsſohn— 
Bartholdy, Thl. L ©. 27f. 

2) Bgl. Hier auh Gervinus a. a. O., Bb. V, Thl. 1, ©. I6fl. 

3, Nicolai, ©. 126. 








N. Vamwas und N. Dulas. Korais. 391 


gründete. Ferner Neophytos Vamwas (1770 zu Chios 
geboren), ein namhafter Lehrer, Theologe und Sprachfenner, 
der einige Zeit zu Conftantinopel als Lehrer thätig war, feit 
1807 in Paris philofophiiche und naturwilienfchaftliche Studien 
trieb, und zulett längere Sabre die gelehrte Schule in feiner 
ſchönen Heimath leitete, bis ihn der Ausbruch des Freiheits⸗ 
fampfed 1821 an die Seite bes Fürjten Demetrios Hhpfilanti 
führte 1). Weiter jener (S. 386) Neophytos Dukas im 
Buchareſt, ven namentlich feine reine Liebe zu Schule, Bildung 
und Altertbum, jein Fleiß und fee Opferfreubigfeit den 
Öriechen theuer, gemacht haben ?). „Alle dieſe Männer und 
zahlreiche zeitgenöſſiſche Geſinnungsverwandte und Mitftrebende‘‘, 
jagt ein neuerer Geſchichtsſchreiber,, gingen nicht ſowohl darauf 
aus, Formenſchönheit und Reiz der Darſtellung, als vielmehr 
Ernſt und Tiefe der alten Klaſſiker zu erkennen und ſich 
anzueignen. Es galt, die politiſchen Principien, Charaktere und 
Sitten der Alten dem aufſtrebenden Geſchlecht als einen 
Spiegel vorzuhalten, ſtatt des Anakreon den Thukydides, den 
Demoſthenes, als ewig leuchtende Muſter helleniſcher Geſinnung 
hinzuſtellen.“ 3) 

Weitaus der hervorragendſte Vertreter dieſer Richtung, 
und neben dem Grafen Giovanni Kapodiſtrias der in Europa 
wie unter den Griechen einflußreichſte helleniſche Mann dieſes 
Zeitalters des „Sturmes und Dranges“ der neu erwachten 
Nation aber, war Adamantios (Diamantis) Korais (Coray). 
Der Sohn eines auf der Infel Chios anfäffigen wohlhabenden 
Kaufmanns, am 27. April 1748 zu Smyrna geboren, wurbe 
Korais zuerft in feiner Geburtsftabt an ver „Evangeliſchen 
Hochſchule“ (5.388) in die theologifche und philologiiche Wiſſen⸗ 
Ihaft eingeführt. eich begabt und voll zäheſter Arbeitskraft, 
berjucchte er fich zuerst als Kaufmann, dann aber nach ber 


1) Bgl. Nicolai a. a. O. ©. 128 ff. Finlay, History of the 
greek revolution, vol. I, p. 213. 

2) Nicolai, ©. 132. 

3) Mendelsfohn-Bartholdy a. a. ©. ©. 28. 


BHR Bud IL. Rap. I. 5. Korals. 


damaligen Art fo vieler Griechen als Student der Medicin. 
Nah Vollendung feiner Studien in Medicin (1782 — 1788 
zu Montpeliier), Theologie und Philologie an ber Haupt 
plätzen wilfenfchaftlicher Bildung in Frankreich und Stalien, 
wurde er ein Hanptvertreter der modernen griechifchen Wiſſen⸗ 
ſchaft. Ein glühender griechiiher Patriot, voll Begierde zu 
lernen, um ſodann fein Volk zu belehren, hatte er fich fchen 
vor Ausbruch der franzöfiichen Revolution in Paris nieder 
gelafjen und übte von dieſem Mittelpunkte der damaligen 
Welt mehr: denn funfzig Sabre hindurch bis zu feinen Tode 
in Paris (6. April 1833) auf fein Volk ven ftärkiten 
Einfluß aus. Ein durchaus lauterer Charakter, em anf 
gezeichneter Gelehrter, lebte er im ftolzer Einfachheit und 
bei feiner &leichgültigfeit gegen Reichthümer in ,, anftänbiger 
Armuth“, nur für Die großen Imtereffen feiner Nation 
thätig. 

Die Thätigleit und der Einfluß dieſes außerordemtlichen 
Mannes machten fich nach ſehr verſchiedenen Richtungen bin 
geltend. Überwiegend nach ber wiffenfchaftlichen Seite hin 
bedeutſam wurben feine philologijchen Arbeiten. Die von ihm 
bejorgte Herausgabe der proſaiſchen Autoren des Alterthums 
(feit 1794, beziehentlich 1805, bi8 1827), „ein Unternehmen von 
nationaler Tendenz und großartiger Anlage‘, das ihm auch in 
den philologifchen Kreijen von Europa hohes Anſehen erwarb, 
das eine Hauptwerk feines Lebens, nunmehr ein Tojtbarer Beſitz 
feiner Nation, Tann feiner Natur nad bier eben nur genannt 
werden !). Auf das Xiefite und Folgenreichſte aber griff 
Korais durch eine ganz beitimmte Art Iinguiftiicher Arbeit em 
in das griechiiche Volfsleben, nemlich durch fein ‚, legislatoriſches 
Verdienſt“ auf dem Gebiete der neugriehifhen Volks— 
fprade. 

Seit der Vertreibung der DVenetianer aus Morea Batten, 
bie ioniſchen Inſeln ausgenommen, die fremdländtichen Miſchungen 
und Überfchichtungen der griechiichen Nation enblich aufgehört. 


1) Bgl. hier nur die Überfigt bei Nicolai a. a. O. ©. 104ff. 





Die Abanefen in Griechenland. 893 


* 


Abgeſehen namentlich von dem einmal in die Sprache auf⸗ 
genommenen Beitand an italientihen Wörtern und vielen 
durch den romanifchen Einfluß beitunmten Laut» und Wort 
bilbungen unterlag das Griechiiche nur noch dem boppelten 
Einfluffe des Türkiſchen und des Albanefifhen. Auch Die 
Wanderungen der Albaneſen in alter Art waren endlich zum 
Stehen gelommen, und als wejentlih albanefifch galten 
jetzt auf altbellenifchen Boben !) der größere Theil von 
Böotien, ein Theil des öſtlichen Lokris bei Talanti, Attila 
(mit Ausichluß des größeren Theiles der Stadt Athen), 
Megaris (mit Ausnahme des Haupttheiles ver Stadt Megara), 
ganz Salamis, Angiftri, ein Theil von Aegina, das füdliche 
Eubda und das nördliche Andros. Im Peloponnes waren 
ganz Korinthia mit Ausnahme der Stabt Korinth, das öſtliche 
Achaja, Das nördliche Arkadien, auf der Weftfeite Die Gebirge- 
genden von Lala bis über die meſſeniſche Neda hinaus von 
Abaneſen befett. Kleinere Maſſen fievelten in Meſſenien zwifchen 
der Bucht von Navarinon und Koren, in Arkadien bei 
Karitena. Im Lalonien fievelten fie bauptfächlich in ver Land» 
haft Bardunia, wie auch in der Gegend von Monembafia 
üblich von Tſchakonien und nörbfih von den Griechen von 
Vatika. Auch Argolis gehörte ihnen ganz; bier Hatte fich nur 
Nauplion ganz und Argos der Hauptſache nach griechiich 
erhalten. Daß Boros, Hydra und Spetä albanefiihe Inſeln 
waren, wiſſen mir bereits. Zerſtreute Trupps ver Albanejen 
auf anderen Inſeln waren (wie namentlich auf Jos) mehr 
Sder minder gräcifirt worden. So zählte man auf dem 


1) Finlay, History of the’ greek revolution, vol. I, p. 34 sq.; 
„Greece under othoman and venetian domination“, p. 147, und 
„Griechenland und Trapezunt im Mittelalter”, S. 36. v. Hahn, 
Abaneſiſche Studien, Th. IL, S. 223. Mendelsfohn-Bartholdy, 
Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 79. Mikloſich, Sitzungsberichte 
der Wiener k. k. Alademie der Wiſſenſchaften, phil.⸗ hiſt. Klafſe, Bd. 63, 
Heft DIL (1869), ©. 5332 ff. und „Denktſchriften ber Akad. d. Wiſſenſch.“, 
Bd. 19 (1870), ©. 338. L. Diefenbach, Die Vollsſtämme ber 
europäifchen Türkei, ©. 35. 





894 Buch II. Kap. I. 5. Die neugriechifche Volksſprache. 


Terrain, welches heute zum Königreich Griechenland gehört, 
etwa 200,000 Einwohner des ſchkypetariſchen Stammes, jett 
nur ein Fünftel der gefammten Bevölkerung. 

Wo die Albanefen in compalten Maſſen bei einander jaßen, 
batten fie fich bisher ziemlich unvermifcht erhalten, nur in 
Arkadien (S. 363) war die Gräcifirung ſchon jett bebeutend 
vorgeichritten. Aber die Religion und die feit Sahrhunderten 
gemeinjchaftlichen Schiefjale hatten beide Völker einander jehr 
nahe gebracht, und Griechen und Tosken hatten (namentlich 
auch in Epirus) ſehr bebeutend auf einander eingewirkt. Auch 
bie Albanejen (die Frauen überall ausgenommen) bedienten fi 
im öffentlichen Verkehr in weitem Umfange ver neugriechiichen 
Sprade. Aber fie batten dabei ſehr ftarf auf die Bildung 
oder Verbildung der neugriechiſchen Sprache eingewirkt. Hatten 
Romanen und Dsmanen wejentlih nur zahlreiche Wörter in 
biejelbe eingeführt, jo bat das Schfupetarifche — beim 
Einfluß auf das Neugriechifche noch heute an erfter Stel 
genannt wird — im Wortihag, in der Syntax, in der 
Berbalbildung jehr deutlich erfennbare Spuren zurücdgelaflen, 
unter Anderem allem Anjcheine nach „die Anwendung einer 
finiten Verbalform mit einer Conjunction anjtatt des antiken 
Infinitios im Neugriechiichen veranlaßt ‘ ). 

Der neue Aufichwung des griechifchen Geifteslebens aber 
nötbigte zu rationeller Behandlung der Volksſprache, 
die doch noch immer neben ver Weligion das weitzer⸗ 
ftreute und vielgetheilte Volt der Griechen zufammenhielt. 
Seit der Zeit des Eugenios Bulgaris (©. 203) ent 
widelten ſich in dieſer Beziehung drei verſchiedene Schulen. 
Die eine Gruppe griechiicher Schriftfteller , Männer mie 


1) Bgl. Heilmaier, Über die Entflefung der Romaiſchen Sprache 
unter dem Einfluffe fremder Zungen, ©. 34 fi. 39 fi. Mikloſich, 
Sitnngsberichte a. a. D. ©. 583—535. v. Hahn a. a. O., TELL, 
p. vi. Diefenbad a. a. O. ©. 41. 45. Mullad, Grammatif ber 
griehifhen Vulgärſprache in hiftorifcher Entwidlung, S. 83—107, und 
(Allgemeine Enchklopädie, Sekt. 1, Bd. 81) „Die griechifche Sprache“, 
©. 14 fi. 





Korais und die neugriechifde Volksſprache. 595 


Athanaſios Chriftopulos aus Kaftoria, Daniel Philippines 
aus Miliäs und andere, neigten dahin, die Volksſprache, das 
geiprochene Neugriechifch, unverändert jo wie e8 eben gejprochen 
wurde, als Schriftſprache zur Herrichaft zu bringen. Im 
ſtärkſten Gegenfage zu ihnen brängten vie rüdfichtslofen Ber 
hunderer des Althelleniichen, an ihrer Spike der Athener 
Kodrikas (in Iaffy und Paris) und Neophytos Dulas, dahin, 
in der Schriftfprache möglichft zu ver alten Spracde zurück⸗ 
zukehren; dieſe und andere Vertreter des fogenannten 
Maccaroniftils wollten weſentlich das moderne Idiom durch 
alte, außer Gebrauch gelommene Worte und Wendungen wieder 
bereveln. Korais nun fchlug einen Mittelweg ein. Er 
rieth dahin, „ein ebenſo correftes, wie allgemein verftänbliches 
Neugriechiich zu fchreiben, welches ben Bedürfniſſen der Ge- 
kehrten und des Volkes gleichermaßen entipräche. Er befolgte 
das Syſtem, unter Zulaffung einer freien Bewegung, bie 
Voksiprache ſchrittweiſe zu reinigen, ohne deßhalb alterthünliche 
dormen einzuführen, die dem Munde des gemeinen Mannes 
femd geworben waren, bie zabllojen Fremdwörter dagegen zu 
verbannen und durch Ausdrücke zu erjegen, die aus dem 
Shake der alten Schriftiprache gefchöpft waren.“ Unter 
lebhaften Kampfe mit feinen Gegnern auf beiden Seiten hat 
er ſchließlich dieſes Syſtem zur Herrichaft gebracht. Namentlich) 
duch die Fülle feiner eigenen Schriften, welde die 
Griechen entzüdten und hinriſſen, welche als thatfächliches 
Mufter der neugriechifchen profaiichen Schriftiprache der Gegen⸗ 
wart durch ausdrucksvollen Stil, glüdliche und maßvolle Ver- 
bindung des antiken und bes volfsthümlichen Clementes in 
Grammatik und Wortſchatz ſich auszeichneten. ?) 

Denn Korais war keineswegs nur gelehrter Philologe. 
Zahlreiche andere Schriften, die namentlich dahin wirkten, bie 
Opferfreudigkeit der reichen und gebildeten Griechen für bie 
Sache der Volksbildung zu entflammen, dienten der nationalen 


I) Nicolai, ©. 14 f. 103. 107. 127. 129. 182 f. 164. 177 f. 
Denderisfohn- Bartholdy, S. 29. 


596 Buch II. Kap. I. 5. Korais als Politiker. 


Erziehung des griechtiichen Volkes, auf die er das höchſte Ge- 
wicht legte. Mehr aber, dieſer fenrige Patriot, genährt an 
dem Teuer ber Ideen der franzöfiichen Revolution, war zu 
gleich ein glühender Borlämpfer des Gedankens der fünftigen 
Befreiung der griechiichen Nation von der türkiſchen Herr- 
ichaft. In den .erften Stabien feines Auftretens als politifcher 
Schriftiteller dachte auch er ſchon zu feiner Zeit an eine baldige 
gewaltiame Erhebung. Die energiiche Ablehnung (S. 303) 
des von dem Patriarchen Anthimos von Jeruſalem gegen die 
neubellenifche Bewegung gerichteten Hirtenbriefe8 (1798) war 
feine erjte litterariſche That in dieſer Nichtung. Iſt bie 
Antorjchaft des Koraid an dem ſchwungvollen poetifchen Anf- 
ruf an die Griechen zum Kampfe gegen vie Türken, der unter 
dem Titel der , Kriegstrompete‘ des „Atrametos von Mr 
rathon“ 1801 in Paris erichien, nicht ganz zweifellos, fo zeigte 
bagegen jeine Bearbeitung des berühmten Wertes von Heu 
„Dei delitti e delle pene“ (Parts 1802) jein politiſches 
Programm, dab die politiiche Wiebergeburt Griechenlanbs 
durch die geiftige erft vorbereitet werden müſſe, aber zugleich 
auch, daß die geiftige nicht Statt haben könne, ohne die 
politifche nach fich zu ziehen. Und um die Augen ber Zeit 
genoffen auf die Erneuerung feiner Nation zu lenken, las er 
1803 zu Paris in der „Geſellſchaft der Menichenbeobachter “ 
jene Denkichrift über „den gegenwärtigen Zuftand ber Cinilifation 
von Griechenland”, welche die vorherrſchende Meimung von ver 
Geſunkenheit der Griechen befämpfte, unb ben intellettuelien 
und materiellen ortjchritt der Nation während ber lebten 
Jahrzehnte darlegte. | 

War es nun von auferordentlicher DBedentung, einen 
panhbellenifhen Patriotismus bet dieſer Nation zu ent 
flommen, wo noch jo oft altvererbter Heinlicher Haß um 
Neid Dorf von Dorf, Thal von Thal trennte, fo drohte 
einige Zeit lang eine für bie Zukunft ver griechiichen Bewegung 
gefährliche Spaltung zwiichen ven enthufiaftifchen Freunden ber 
Sreiheit und den jtarken alten Mächten des Griechenthums 
eintreten zu follen. Jener Hirtenbrief des Anthimos blieb 





Der Patriarch Gregor IV. von Eonftantinopel. 897 


nicht allein ftehen. Es entwidelte ſich in ber That eine tiefe 
Abneigung des Höheren anatoliichen Klerus gegen die an 
Boltaire geuährte Neigung ber Junghellenen zur modernen 
Aufflärung und Freidenkerei, balb auch gegen ben über. 
iprudelnden nationalen Freiheitsgeift der europäiſch geichulten 
Jugend. Es fam zu ſehr gehälfigen Entgegnungen Seitens 
der repolutionär angebauchten Elemente gegen bie Schattenjeiten 
des orthodoxen Kirchenregimente® und zugleich gegen bie 
Sanarioten, deren Charakter, und deren Thätigkeit im Dienfte 
der Pforte. Den Höhepunkt vieler Gereiztheit bezeichnet das 
befannte fatiriihe Dramolet ‚ver Ruß-Engländer-Franzofe ‘, 
welches ben glühendſten Haß gegen Griechenlands innere und 
äußere Feinde athmet und namentlich auf die Träger bes 
Episkopats die jchwärzeften Schatten häuft !). 

Inzwiſchen blieb diefe Spaltung zwiſchen bem Klerus und 
ven griechifchen Patrioten zum Glück für die Griechen nur 
vorübergehender Art. Die Macht der Verhältniſſe war jtarf 
genug, um beibe Theile wieder zufammenzuführen. Mit dem 
Verrauſchen der wild revolutionären Bewegung in Frankreich, 
und nachher in ben Kreifen der Griechenwelt, mit der immer 
farer und maßvoller heraustretenden Darlegung ver Politik 
des Korais und des vor Allem auf nationale Befreiung 
gerichteten Zuges der neuen wifjenfchaftlichen Bewegung näherte 
fih der patriotiich gefinnte Klerus den neuen Beitrebungen 
immer mehr. Bald zählten einzelne Häupter der Kirche und 
viele gebildete Geiftliche zu den eifrigften Förderern der poli- 
tichen Ideen. Der Patriarch von Eonftantinopel, Gregor IV. 
(Georg Angelopulos aus Dimigana in Arkadien), ein Mann 
von höchſt achtungswerthen Eigenichaften in feinem Brivatleben, 
eine moralifch höchſt achtungswerthe, perjönlich Tiebenswürbige, 
ſchöne und anziehende Erſcheinung, der ſich durch Ernſt, 
Sittenſtrenge und Fleiß hervorthat und durch eigene Kraft zu 
den höchſten geiſtlichen Würden emporgeſchwungen hatte (er 
war 1784 zum Metropoliten von Smyrna, 1798 zum 


1) Bgl. Nicolai, ©. 175. 


898 Buch II. Kap. I. 5. Die Kirche und die nationale Bewegung. 


Patriarchen der Hauptſtadt gewählt worden, hatte aber zivei- 
mal, 1800 und 1808, in die Verbannung nach dem Athos 
Wandern müfjen, um nachher 1819 zum legten Mal auf ven 
Batriarchenjtuhl berufen zu werben 9), war ber neuen geiftigen 
Bewegung eifrig zugethban und jumpathifirte notorijch mit den 
patriotiihen Tendenzen jeiner Landsleute: mochte er auch bei 
feiner jchwierigen Stellung und feiner weichen und nachgiebigen 
Natur fich bemühen, die Gunft der Pforte nicht zu verlieren, 
wie er denn 1807 bei der Vertheidigung von Stambul gegen 
die Engländer mit Wort und That eifrig mitgewirkt hat. 
Aber der gefeierte Theologe und Kanzelredner Miniatis und 
ber feurige Dichter Sophronios Athenäos, ein patriotiſcher 
Mönch von dem Athosklofter Vatopädion, deſſen ,, Gebet für 
Hellas “ (1817) und „Ode an Griechenland‘ (1818) 
nachmals alles Volk Hinrifjen ®), gingen ganz offen mit ber 
Sprache heraus, Anderer bier nicht näher zu gedenken. % 
weniger damals die anatolijche Kirche durch innere Streitige 
feiten zerriffen war; je näher in der Griechenwelt Klerus 
und Volk einander ftanden; je mächtiger ber Einfluß ber 
Geijtlichleit auf das Volk war; je mehr auch materiell bei ber 
damaligen (S. 234 ff.) vergleichsweilen Armut der Kirche die 
Schulden der patriarchalen Hofhaltung das griechiiche Volt 
in Mitleidenihaft gezogen hatten, und bie Hofichulpicheine, 
deren auf das fpätere Königreich Griechenland fallende Lajt 
1821 über eine Million Piaſter betrug, als beliebtes Papier- 
geld bei den Griechen in Umlauf waren ®): um fo bebeutungs«- 
voller mußte es auf bie Dauer werben, wenn es gelang, auch 
ben Klerus in weitem Umfange für die nationale Sache zu 
erwärmen ®). 


1) ®gt. Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 281. 
Mendelsfohn-Bartholdy, Th. I, ©. 218. 
2) Nicolai, ©. 109 u. 155. 


3) v. Maurer, Das griedifhe Voll, Bd. I, ©. 3% f. Men- 
delsſohn-Bartholdy, ©. 14. 


4) Nicolai, ©. 108f. Gervinus, Bd. V, Th. I, S. ff. 





Der „Gelehrte Merkur“. 599 


Daneben blieb ed immer förbernd und wichtig, daß 
Korais, das „Drafel der Nation‘, der ſich auch als 
tbeologiicher Schriftfteller mit Erfolg verfucht bat, bis an das 
Ende feiner Thätigkeit feine Stimme gegen die anatolijche 
Bigotterie, gegen den Stolz und bie Übergriffe des Klerus 
erhob, wie auch die Schattenfeiten des Fanars belämpfte ?). 

Das beveutendfte Litterarijche Organ endlich, welches 
fih die Griechen dieſes intereffanten Übergangs» und Vor⸗ 
bereitungszeitalters geichaffen,, erichten in Wien, wo fi 
ein Hauptmittelpunft für die griechiichen Intereſſen gebilvet 
hatte, und welches jeit dem Untergange ver Republik Venedig 
der Hauptdruckort für griechiiche Werfe geworben war. Hier 
nun wurde auf Rath des Korais 1811 von Seiten ber 
Buchareſter Griechen unter ber Leitung des Archimanbriten 
Anthimos Gazis (aus Miliäs im theffaliichen Magneſia) der 
„Gelehrte Merkur“ („Aöyıos "Eppins“) gegründet, deſſen 
Führung jeit 1816 Konftantin Koflinafis aus Chios und 
(i8 1819) der Archimandrit Theoklitos Pharmakidis (geboren 
1784) aus Lariffa übernahmen. Ein Archiv neugriechiicher 
Üteratur, mit Vorliebe den Intereffen der Volfsbildung und 
des Schulwejens zugewandt, follte diefe Zeitichrift ‚, gleichlam 
den geiftigen Mittelpunkt der noch immer politiicher Unab⸗ 
hängigfeit beraubten Griechen darſtellen“ 2). 


1) Über Korais überhaupt vgl. v. Maurer, ©. 43lff. Finlay, 
Greece under othoman and venetian domination, p. 349sq. Ger- 
vinus, S. 90 ff. Hfl. Menvelsfohn- Bartholdy, ©. 28 fi. 
Nicolai, ©. 103—107. Sathas, p. 633800q. 636 gg. 

2) v. Maurer, ©. 433. Gervinus, ©. 75. 91. Mendels- 
ſohn-Bartholdy, ©. 30. Nicolai, S. 18. 130. 158. 





400 Buch I. Kap. IL. 1. Rage der Griechen feit 1815. 


weites Rapitel. 
Geſchichte Griechenlands von 1814 bis 1821. 


— — 


J. 


Der Gedanke iſt nicht ſelten ausgeſprochen worden, daß 
den Griechen nichts Beſſeres zu wünſchen geweſen ſein würde, 
als die Möglichkeit, noch ein volles Menſchenalter hindurch 
ungeftört an der foliden Zundirung ihres bürgerlichen 
Wohlſtandes und an der Erziehung und immer tiefer 
Durchſetzung ihrer ungebildeten und in alter Barbara be— 
fangenen Maſſen mit tüchtigen Bildungselementen arbeiten p 
innen, Daran aber war bei dem Abſchluſſe Der Napeleonilden 
Epoche gar nicht mehr zu denken. Die von bundert Stel 
ber mit immer wachiender Energie aufgeregte Nation mar 
allmählich in eine ſolche Gährung gerathen, ihre Sehnſucht nad 
Abiehlittelung der osmaniſchen Herrichaft jo mächtig geworben, 
daß es früher ober fpäter zu einer gewaltiamen Erhebung 
gegen die Pforte kommen mußte. Die Trage war eigentlid 
(don 1814 nur noch die, wer bei ſolcher Bewegung bie 
Führung übernehmen, auf welche der Pforte feindliche Madt 
die Griechen fich ftügen, unter welchen Auſpicien ber Kampf 
begonnen werben jolkte. 

Der Verlauf des Wiener Congrefies wirkte auf Die grie 
chiſche Nation noch verftimmender ein, als auf die Italiener. 
Tür die politifche Stellung der Griechen war bei der Lage 
der Dinge gar nichts gefcheben. Die Pforte blieb nach wie 
vor in dem ftaatsrechtlich unbefchränkten Beſitz ihrer griechtichen 
Provinzen, nad) diefer Seite Hin nur durch die verfchiebenen 
feit 1774 mit Rußland gejchloffenen Verträge und thatjächlid 
Durch die ganze neuere innere Entwicklung ihres Reiches 





Lage ber Griechen feit 1815. Athen. 1 


mehrfach geichwächt und beeinträchtigt. Der allgemeine Frie- 
denszuftand in dem gänzlich ermüdeten Europa nach Napoleons I. 
Sturze bot den Griechen, die natürlich damals noch nicht 
allein losſchlagen Tonnten, und deren ungejtüme Jugend Doch 
bereit8 von jtürmifcher Freiheitsgluth erfüllt war, nur bie 
Ehance, vorläufig noch auf unbeftimmte Zeit ruhig auszubarren. 
Ali-Paſcha von Ianina fonnte feinem ganzen Charakter nach 
niemal8 ber Vorkämpfer ber neubellenifchen Freiheit werben. 
Frankreich, nievergeworfen wie es war, fam zur Zeit nicht 
mehr in Betracht. England, dem jonit die Infelgriechen 
vielfach geneigt waren, gewann gerade damals (f. unten) 
durch fein Auftreten auf den tonijchen Imjeln nur wenig 
Sympathie in der griechiihen Welt. Unter dieien Umftänden 
richteten fich, durch Feine Erfahrung ſeit 1770 ernftlich belehrt 
und gewarnt, bie Hoffnungen der Meiften immer wieder auf 
das alaubensverwandte Rußland , deſſen Kaiſer in ven 
Angen der Griechen aus den furchtbaren Kämpfen mit Napo⸗ 
kon I. als der neue Schiedsrichter der europäiſchen Welt 
herausgetreten zu fein fchien, und in deſſen nächfter Umgebung 
die Griechen Kapodiſtrias und Alerander Hhpfilanti ven ber 
deutendſten Einfluß befaßen. Rußland daher war die Macht, 
auf welche feit 1814 jene merkwürdige Genoffenjchaft zur 
Befreiung der Griechen ihre Hoffnung richtete, die jeit Ende 
dieſes Jahres — lange masfirt und binter einer zu anderen 
Zweden geftifteten Gejellfchaft fich bergend — unter dem 
Namen ber Hetärie ſich allmählich über die gefammte griechifche 
Welt auszubreiten begann. | 
Die Stadt Athen war feit Anfang des neunzehnten 
Jahrhunderts unter dem Aufſchwunge der Reiſeluſt gelehrter, 
nad Griechenland pilgernder Europäer ein Sammelplag ge- 
bilveter Fremder, eine Art „wiſſenſchaftlicher Colonie‘ des 
Abendlandes geworden. Dadurch und durch die Anmwefenbeit 
der fremden Confuln gewann das Leben in Athen wieder eine 
veichere Färbung. Denn die Meine Stabt, mit ihren feines- 
wegs wohlhabenden albaneſiſchen, "griechiichen und türfifchen 
Gutsbefigern und Heinen Kaufleuten — unter denen bie 
Hergberg, Geſchichte Griechenlands. IH. 26 


402 Bud II. Kap. II. 1. Elgins Raub am Parthenon. 


Zürfen nur etwa ben fünften Theil der Einwohner aus—⸗ 
machten —, war arm. Gehütet durch den Woiwoden mit 
60 Albanejen, bot fie damals nur durch ihren alten Ruhm 
und "ihre ehrwürbigen Ruinen höheres Intereſſe ). Diele 
Denkmäler batten 1801 bi8 1803 eine ſchlimme Einbuße 
erlitten, als der engliiche Gejandte Lord Elgin mit Erlaubnif 
der Pforte einen Theil der jchönften Skulpturen und jonftigen 
Bildbauerarbeiten vom Partbenon und der Burg abnehmen 
ließ, und diefelben nach England entführte 2). Der Lärm, ber 
darüber in Europa entjtand, veranlaßte dann die Osmanen, 
weitere DVerichleppungen aus Athen zu verhindern; fatjerlice 
Termane und Hirtenbriefe des Batriarchen follten nunmehr 
die Ultertbümer in Griechenland jchügen, ſelbſt Veli⸗Paſcha in 
Morea (S. 345) nahm ein eigenthümliches Interefje am den 
Reiten der antiken Vorwelt. In Athen aber, wo neben 
dem durch feine feine Umgänglichleit geichägten Archomen 
Logothetis Lange Zeit drei nambafte PHilhellenen, der brittüik 
Lord Guilford, der öfterreichtiche Conjul Gropius und der 
franzöfiiche Yauvel die Seele ver fränkiihen Colonie waren?), 
entftand endlich im Jahre 1812 unter dem Einfluffe der 
Fremden, namentlich Guilfords und feiner Landsleute *), eine 


1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 199g. 

2) Zinteifen, Geſchichte des osmanischen Reiches, Bd. VII, ©. 1471. 
Michaelis, Der Partberon, S. 74-87. Wachs muth, Die Stadt 
Athen, Bd. I, S. 20f. Gervinus, ©. 100. 

3) Gervinus, ©. 9. 

4) Das Jahr 1812 geben ganz beſtimmt an Finlay (History of the 
greek revolution, vol. I, p. 120) und Menpveisfohn- Bartholdy 
(Geſchichte Griechenlands, Thl. I, ©. 130f.). Die Übrigen Schriftfieller 
pflegen gewöhnlih minder genau erft das Jahr 1814, wo allo 
Kapodiſtrias die nominelle Leitung übernahm, al8 das Jahr der Stiftung 
der Philomufen anzugeben. Vgl. aus der ziemlich reichen Litteratur über 
Die Vorgefhichte der griehifchen Revolution: Pouqueville, überſ. von 
v. Hornthal, Thl. J. S.311. Gordon bei Zinteifen, Bd. J, ©. 4, 
der noch (wie Pouqueville) die Philomufen und bie politifche Hetärie 
identifteirtt. Mendelsfohbn- Bartholdy felhft hielt noch in feiner 
„Biographie des Grafen Johann Kapodiſtrias“ (S. 35) an dem Jahre 
1814 feſt. Vgl. ferner v. Prokeſch⸗Oſten, Geſchichte bes Abfalls ber 








Die Philomufen und die Philifer. 403 


gelehrte Geſellſchaft, die Hetärie der Philomufen, zum 
Zwede der Erhaltung der Alterthümer, der Anlage einer 
Bibliothek und eines Muſeums, und der Gründung neuer 
Schulen in Griechenland. Bei der politiichen Bedeutung, 
welche die Pflege der Schulbildung und der Litteratur damals 
für die Griechen gewonnen hatte, hoffte man damit auch zu 
allmählicher Beſſerung der allgemeinen Lage der Griechen bei- 
zutragen. In diefem Sinne geſchah es, daß man zur Zeit 
des Wiener Congreſſes den damals mächtigften griechiichen 
Staatsmann in Europa, den Grafen Kapodiſtrias, zum 
Borjtand der Gejellichaft ernannte. Diejer fand auch feine 
Schwierigkeit, dieſer philhelleniihen Genoſſenſchaft die Gunit 
und die Theilnahme der in Wien verfammelten Fürften und 
Staatsmänner zuzumwenden. „Miniſter, Fürften und Prinzen 
waren gern bereit, den goldenen und ebernen Ring, das 
äußere Erfennungszeichen des Philomujenbundes, anzulegen. 
Kaiſer Alexander I. von Rußland, die Kronpringen von 
Bayern und Würtemberg, traten bei und jpendeten Geld- 
beiträge. Die Kaffe fam dann nah München. 

Es Tiegt auf der Hand, daß ein Bund Diejer Art weder 
Die Abjicht noch die Kraft haben fonnte, eine gewaltiame Er- 
bebung Griechenlands einzuleiten. Es war vielmehr eine 
Hetärie ganz anderer Art, welche — oft mit dem Bunde 
ver Philomufen vermwecjelt, längere Zeit Hinter demſelben 
verborgen und durch denſelben fich dedend — in den nächſten 
Jahren aus ſehr unjcheinbaren Anfängen bervorging, die auf 
diefesg andere Ziel binarbeiteten. Der Ort, wo die neue, 
ausſchließlich politiihe, „Hetärie der Philiker“ gegen. 
Ende des Jahres 1814 gegründet wurde, war die große 
ruſſiſche Handelsſtadt Odeſſa, damals der Sig einer zahl- 
reichen griechifchen Colonie. Die Stifter des neuen Bundes, 
der allmählich die griechiiche Lawine ind Rollen zu bringen 


Griechen vom türkiſchen Reiche im Sabre 1821, ©. 7. Gervinus, 
©. 91. 123. Hopf, Griechenland im Mittelalter, Bb. 86, ©. 183 


Nicolai, ©. 99. 137. 
26* 





44 Bud IL Kap. IL. 1. Entſtehung der Hetärie der Philiker. 


berufen war, find drei bisher ziemlich unbedeutende Männer 
gewejen. Der eine war Nilolaos Stuffas aus Arte, 
ein achtbarer, aber wenig bedeutender und ungebildeter grie 
hilcher Kaufmann. Der andere nannte fih Athanafios 
Zfataloff aus Janina. Diefer Epirote war bereit8 mit 
ähnlichen Gedanken tief vertraut. Er hatte nemlich früher in 
Paris fih an einem zu Anfang des Yahres 1814 dafelbft 
unter den Aujpicien des Grafen Chotjeul-Gouffier, früheren 
frangöftihen Gefandten in Stambul, formirten griechiſchen 
Bunde betheiligt, der äußerlich der Aufflärung und Bildung 
der bellenijchen Jugend galt, der aber ſehr beſtimmte politiſche 
Pläne verfolgte und fich den Namen „Helleniſches Gaſthaus“ 
gegeben hatte. Die franzöftiihe Kataftrophe entzog jedoch ſehr 
bald diefer griechiichen Verbindung in Paris den Boden md 
Rückhalt ). Der dritte Gründer endlich war der Freimaurer 
Emanuel Xanthos aus Patmos, neben dem dann ihn 
früh unter weiteren nambaften Gliedern des neuen Bundes 
Panagiotis Anagnoftopulos aus dem peloponnefijchen 
Andrigeng genannt wird ?). 

Der Verdruß über die Sleichgültigfeit des Wiener Cons 
greſſes gegen das politiiche Schickſal der Griechen führte dieje 
Männer in Odeſſa zufammen. Sie vereinigten fich im ver 
Abfiht, eine neue Hetärie ind Leben zu rufen, welche im 
kraftvoller Weife für die baldige Befreiung des griechiichen 


1) 2gl. Sathas 1. c. p. 608g. Mendelsfohn- Bartholdy, 
Geſchichte Griechenlands, Thl. I, S. 131. 

2) Abgefehen von Finlay (History of the greek revolution, vol.I, 
p. 120 sgq.), bieten jett für bie Gefchichte der „Hetärie ber Philifer “ 
da8 am meiften gefichtete Material unter beutfchen Bearbeitern ber 
neugriehifhen Duellen bar: v. Brotefh- Often a. a. O., Thl. L 
©. 7ff. (bee ©. 8 den Anagnoftopulos zuerft als britten Gründer ber 
Hetärie nennt), und Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Sriechen- 
lands, Thl. I, S. 131 ff. (der ©. 131 als dritten Gründer den Xanthos 
angibt). Sehr erhebliches Material hatten zufammengeftellt Brandis, 
Mittheilungen Aber Griehenland, TH. UI, ©. 20 ff. und (mebrfad 


durch Mendelsfohn - Bartholdy verbefiert) Gervinus, Bd. V, Thl. 1, 
©. 123 ff. 





Entftehung der Hetärie ber Pbilifer. 405 


Volkes wirken ſollte. Dieſe Hetärie tft e8 zugleich, welche 
(S. 298 ff.) bis zu einem gewiffen Umfange auf die alten 
phantajtiichen politiſchen Ideen des umvergefjenen Rhigas vor 
Beleftino zurüdging. Wir meinen, bie neue Hetärie der 
Philiker wurde die Trägerin der jogenannten ‚, großen Idee‘. 
Nicht das vergleichöweile engere Projeft der Losreißung ber 
Griechen von der Pforte war ihr Ziel. Ihr Plan wurde 
e8 vielmehr, unter ftarler Betonung des religiöfen Momentes 
das griehifche Reich mit der Hauptftadt Byzantion 
wieder zu erneuern. 

Die Mittel aber, mit denen die neue Hetärie arbeitete, 
entſprachen vollitändig dem Geiſte dieſes Seitalterd, Der 
damaligen Art der meiften Griechen, und der Lage der Ver⸗ 
hältniffe. Wer heute in Deutihland lebt und die Bor- 
geichichte der neugriechiſchen Revolution ſtudirt, hat vor 
anderen Zeitgenojjen Mühe, , jene Verhältniſſe zu begreifen. 
Wir meinen, wer das in ver Gefchichte aller Zeiten geradezu 
beijpiellofe Schaujpiel beobachtet, wie auf deutichem Boden jeit 
einer Reihe von Jahren die nach Hunderttauſenden zählende 
Partei der rothen Nepublif und ver ſocialiſtiſchen Revolution 
mit großartiger Unumwundenheit und ungehindert vor den 
Augen der Deitwelt die Zerjtörung des heutigen jtaatlichen und 
gefellichaftlichen ‘Dajeins ſyſtematiſch vorbereitet, — wer alſo 
das beobachtet, Hat viele Mühe, ein Zeitalter noch zu verftehen, 
wo ein großer Theil des füdlichen Europa in umfafjendfter Weile 
von geheimen Gejellihaften überzogen war. Es war 
num der Geift und die Praris dieſer geheimen Gejellichaften, 
der in der Hetärie der Philiker lebte. Die alte Übung in 
Lift und in verdedtem Spiele, wie fie jett dem lateinijchen 
Kreuzzuge den Rhomäern zur anderen Natur geworben war, 
tritt in der Art der Arbeit der Hetäriften recht kenntlich zu 
Tage. Aber im jchlimmften Sinne „byzantiniſch“ war Doch 
die arge Lift, mit welcher die Führer des neuen Geheimbundes 
von Anfang an dahin wirkten, ihre Anhänger über das Ders 
hältniß zu den Philomufen und zu Rußland zu täujchen. 
Da es jehr zwedmäßig erſchien, die Arbeit zur Befreiung 





406 Buch II. Rap. II. 1. Entſtehung der Hetärie ver Philiker. 


Griechenlands gleihlam unter dem Schuge der großen Namen 
des Abendlandes zu betreiben, welche den Bund der Philo- 
mufen patronifirten, jo wurde mit byzantiniſcher Lift ver 
Unterjchied zwifchen beiden Hetärien verdedt. Die Chefs ver 
„ Philiker  beichloffen, „in der Meinung der Griechen ihren 
geheimen Bund an die Stelle des offenfundigen zu fchieben, 
jenem mit Hilfe des Iegteren Anhänger und Genoſſen zu 
werben‘. Dan verbreitete, daß biefelben Mitglieder in 
beiden SHetärien wirkten, daß die Philomufen in Wahrheit 
baffelbe erftrebten, wie die Philifer. „So tft denn‘, nah 
einer Äußerung von Trifupis, „vie neue Hetärie unter dem 
Schute des Philomufenbundes gleihjam als Schmarogerpflanze 
emporgewachlen. “ Noch bevenflicher aber, obwohl höchſt 
erfolgreich, mußte e8 wirken, daß die Führer biejer Hetäri,, 
bie bei der gegenwärtigen Lage der Dinge, bei dem ſeit 1806 
immer Harer auögeiprochenen Gegenſatze zwiſchen der Pforte 
und Rußland, auf welches trog aller Erfahrungen feit 1770 
bie Maffe ver Griechen doch immer ihre befte Hoffnung fette, 
auch ihrerſeits in letter Inftanz auf Rußland zählten, — von 
Anfang an über die angeblich höchſte leitende Behörde ein 
Geheimniß ausbreiteten, den Schein einer höchſten Regierung 
des neuen Bundes eriwedten, in welcher die Neophyten ver 
Hetärte natürlich die Majeftät des ruſſiſchen Kaiſers ahnen zu 
Dürfen meinten. 

Die drei Gründer der Hetärie der Philifer ftellten aljo 
zu Ende des Yahres 1814 in Odeſſa den Plan feit, die 
bewaffnete Gemeinſchaft aller griechiichen Chriften des osma⸗ 
niihen Reiches zur Erhöhung des Kreuzes über den Halbmond 
herbeizuführen. Die Erfahrungen, welche die thatenluftigen 
griechtiichen Patrioten fett dem Dichter Rhigas gemacht hatten, 
nötbigten zur Bewahrung eines tiefen Geheimniſſes. Die 
Formen eines folchen Geheimbundes aber entlehnte Zjafaloff 
feiner Parifer Praxis, Xanthos der damaligen Geftalt der 
Freimaurerei. Die drei Männer arbeiteten alfo Schwur und 
Zeichen und bie übrigen Riten einer geheimen Gejellihaft aus. 
Nachher gingen Sfuffas und Ziafaloff wegen zerrütteter 





Organiſation der Hetärie. 407 


Gelvverhältniffe nah Moskau, und mwarben dort im Herbfte 
1815 mehrere Anhänger. Erſt im Jahre 1816, als fie 
wieder nach Odeſſa zurüdgefehrt waren, erhielt ver Bund feine 
vollftändige Ausbildung. Die neue Hetärie zerficl in fieben 
Grade. Die jorgfältig zu prüfenden Neophyten jollten erſt in 
den unteren Graben ver Verbrüberten und Verbundenen (oder 
Smpfohlenen) ſich bewähren, bis ſie dann die Weiben ber 
höheren fünf Grade der Priefter, Hirten, Erzhirten, Geweihten 
und Führer der Geweihten erlangen könnten. ‘Die Einweihung 
und Vorbereitung zu allen dieſen Stufen zielte conjequent auf 
Ermahnung zu der befreienden That. Die Neuaufzunehmenden 
mußten zu nächtlicher Stunde in einem Betzimmer nieber- 
knieen; dann wurde ihnen unter gebeimnißvollen Cerimonien 
von einem Priejter vor dem Bilde der Auferftehung auf das 
Evangelium der Eid auf Treue, Beharrlichkeit, Schweigen 
und unbedingten Gehorſam abgenommen. Die Brüder der 
erſten Klaſſe jollten ihre Waffen in Bereitichaft und funfzig 
Patronen halten, um fie zu gebrauchen, wenn fie Befehl von 
Oben erhielten. Die Mitgliever de8 zweiten Grades er- 
hielten die Inſtruktion: „für Glauben und DBaterland zu 
fehten, die Feinde des Glaubens, des Vaterlandes und des 
Volkes zu Haffen, zu verfolgen und zu vernichten”. Den 
Priejtergrad und damit Kunde von den eigentlichen Zielen 
der Verbrüberung, die die Freiheit der Griechen beziwedte, 
und beren wirkliches Mitglied man erjt durch dieſen Grad 
wurde, erlangte nur, wer für jeelenjtarf genug galt, Gut und 
Blut, jede andere Verpflichtung , jedes andere Band den 
Verpflichtungen des Bundes zum Opfer zu bringen. Die 
„Prieſter“ wurden durch einen furchtbaren Eid gefejfelt. Sie 
durften Brüder einführen, den Neophhten einen Geldbeitrag 
abnehmen, und verpflichteten, wie wir ſahen, die neuen Brüder 
(in ſeltſamer Miſchung des Antiken und Kirchlichen) zugleich 
durch den Eid auf das Evangelium, und „vermöge ver Macht, 
die ihnen der Großpriefter der Eleufinien verliehen!” Nach 
unbedingteren Gehorſam und Hingebung gelobten die beiden 
oberften Rlaffen der Geweihten und der Führer der Ges 


408 Bud I. Kap. II. 1. Organiſation ber Hetärie. 


weihten. Diefe hatten militäriichen Charakter und waren 
unmittelbar für den Krieg beſtimmt. Wer in die höchſte 
Klaffe aufgenommen wurbe, erhielt von dem Satecheten ein 
Schwert, mit den Worten: ‚Dein Vaterland gibt es Dir, 
gebrauche es in jeinem Dienſte!“ Dabei wurben Beiträge 
gezeichnet unter dem Vorwande der Hilfeleiftung für eine nen 
zu errichtende Schule, eines Muſeums, oder für die Heraus 
gabe und den Anlauf von Büchern u. dgl. Der geheime 
DBriefwechfel wurde durch eine aus Buchſtaben und Zahlen 
zufammengejegte Chiffer oder durch Mittheilung über erionnene, 
dem Uneingeweihten gleichgültig ericheinende, dem Eingeweihten 
verjtändliche Verhältniffe geführt. Der Phönir und die fchmerze 
Fahne find dann die Symbole der Hetäriften geworden. 

Die Gründer behielten die Leitung des Bundes in ifrer 
Hand, gaben fich aber den Neuaufgenommenen immer nur ald 
Werkzeuge einer ungenannten höheren, leitenden Mast 1 
erfennen. Ihre Zahl vermehrten fie nur mit Vorficht; bis 
1819 wurden nur Galatis, Komizopulos, A. Seferis, A. Gais, 
jpäter Lewentis, Dikäos, Ignatios und Maurofordatos, endlich 
Patfimadis und Hhpfilanti aufgenommen. 

Vorläufig Hatte die Hetärie in dem eigentlichen 
Griechenland noch gar nicht Boden gefaßt. Einſtweilen nod 
an dem Norbrande der Türkei, auf ruſſiſchem Boden unter 
den Griechen ſich ausbreitend, gerieth fie fogar ſchon 1816 
in die Gefahr vorzeitiger Entdedung. Es war fein glücklicher 
Griff, den Skuffas that, als er in Obeffa dem jumgen 
Nilolaos Salatis aus Ithafa in das Direktorium der 
Hetärie aufnahm. Eitel und anmaßend, hochmüthig, ungejtüm 
und unbelonnen, wie er war, verlor Galatis über feiner neuen 
Stellung alle Haltung und Vorſicht. Er warb überall für 
die Hetärie mit Ungeftüm neue Anhänger, trat bei einer Reile 
nah Moskau und St. Petersburg als Graf und als 
„Abgeſandter des hellenischen Volkes’ auf, pocte in ver 
ruffiſchen Reſidenz jo unbejonnen auf feine Lanpsmannichaft 
mit Kapodiftrias, benahm fich überhaupt fo auffallend, daß 
ihn schließlich die vuffiiche Polizei fammt den durch feine 








Die Anfänge ber Hetärie. 409 


Thorheit compromittirten Hetäriften Perrhäwos (S. 302) 
und Arghhropulos verbaften ließ. Der Polizeichef Gorgolis 
fand in jeinen Papieren das ganze Geheimniß ber neuen 
Hetärte enthüllt und berichtete darüber jofort an den Raifer. 
Werander II. conferivte über die heikle Frage mit Kapodiſtrias, 
und diejer wußte jeinen Souverän dahin zu bejtimmen, daß 
der Sache vorläufig weiter feine Folge gegeben wurde. 
Perrhäwos und Argbyropulos wurden fofort freigelafien und 
entichädigt, Galatis aber nach der Moldau ausgewiejen, wo 
ihm in Jaſſy der ruſſiſche Generalconful Pint unter wohl- 
wollenden Worten eine namhafte Summe auszahlte. Dieſes 
nahm Galatis natürlih als einen Sporn zu erneuter 
propaganbiftiicher Arbeit auf. . Hatte ibm doch Pini gejagt, 
„man nehme fich jeiner an, bamit er nicht als Mitglied eines 
Bundes, der das Joch der Türken abichütteln wolle, von dieſen 
zu leiden habe!“ 

Während nun Anagnoſtopulos damals mehrere einflußreiche 
griechiſche Offiziere gewann, die über Odeſſa nach St. Peters⸗ 
burg reiſten, um daſelbſt Soldanſprüche geltend zu machen, 
dazu die Maniaten Elias Chryſoſpathis und Panagiotis 
Dimitrakopulos und andere namhafte Männer für die Hetärie 
warb, dieſelbe überhaupt in Rumänien und in dem füdlichen 
Rußland immer mehr Anhänger an ſich zog, trat auf des 
Galatis Antrieb eine ſehr bedeutende Kraft in den Bund ein. 
Es war dieſes der junge feurige Peloponneſier Georg 
Lewentis, des Generalconſuls Pini Dolmetſcher, ein ſehr 
thätiger und intelligenter Mann, der ſofort einen der beſten 
griechiſchen Offiziere in der Garde des Hospodars der Walachei, 
ven tapferen olympifchen Armatolen Georg (oder Geor- 
gafis) Nikolaos' Sohn — einen bochpatriotifchen, braven 
und erfahrenen Soldaten, welcher in Rumänien bei allen 
griechiichen und albanefiihen Sölonern das höchſte Anjehen 
genoß ) —, für die Sache des Freiheitsfampfes in- 
tereifirte. 


1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 1503q. 





40 Buch II. Kap. I. 1. Erfolglofe Verfuche der Hetärie auf Serbien. 


LewentiS und Georgakis waren aber nicht die Männer 
langwieriger Verſchwörung, fondern zu rvafcher, kühner That 
geftimmt, und auf der Stelle gewillt, die Erhebung fofort zu 
beginnen, und zwar mit Hilfe ver Serben® deren Chancen 
(S. 349) damals fich wieder bedeutend gehoben hatten. Dem 
ſchlauen, tapferen und thatkräftigen Miloſch Obrenomitih 
war es nemlich gelungen, den neuen Aufitand, den er am 
Balmfonntag 1815 begonnen hatte, mit glüdlichem Erfolge 
durchzuführen. ‘Die volle Unabhängigkeit vermochte er freilich 
jenem Volke nicht zu erkämpfen; wohl aber brachte er es 
dahin, daß die Türken, die feit 1815 fehr ernfthafte Rüchſicht 
auf Rußland nehmen mußten, mit ihm ausſichtsvolle Unter: 
banblungen führten. Die Lage Serbiens tft fchließlich dahin 
geordnet worden, daß die Osmanen im Beſitze der ferbilden 
Feſtungen blieben, daß das Land in einer Art Halbe Ahr 
bängigfeit von der Pforte blieb, daß dagegen Milofch fett 
am 6. November 1817 von allen Kneſen und Prülaten 
Serbiend zum erblichen Oberbaupte (oder „oberſten nes‘) 
des Landes erwählt wurde, — eine Stellung, in welcher bie 
Pforte ihn dann auch vorläufig anerkannt bat. 

Che es jedoch fo weit fam, Hatten jene energiichen 
Hetäriften (1817) den Verſuch gemacht, die neue ſerbiſche 
Erhebung zum Hebel und Ausgangspunkt für die allgemeine 
hriftlich » griechifche Bewegung auf der Balfanhalbinfel zu be— 
nugen. Der Olympier Georgalis ging nach Bellarabien, 
intereffirte ben berühmten ferbifchen Flüchtling (S. 323 f.) 
Kara-Georg, der zur Zeit fich Hier aufhielt, für die Sache. 
Kara: Georg, der an Rußlands Billigung dieſer Pläne nicht 
zweifelte, der in Serbien noch viele Anhänger Hatte, auch auf 
Miloſch eiferjüchtig war, Tieß fich leicht gewinnen. In Galata 
bei Jaſſy fanden nächtliche Beiprechungen jtatt, bei denen auch 
Galatis zugegen war. Lewentis, der zur Zeit das Eon 
ſulat in Jaſſy proviforifch verwaltete, weihte den jerbiichen 


Häuptling in die Hetärie ein, gab ihm alle nöthigen Rath | 


ſchläge über die in der jerbiichen Sache zu verjuchenden Schritte 
und verſah ihn mit den nöthigen Gelomitteln, wie auch mit 


! 


Stambul feit 1818 Centralfit der Hetärie. 411 


einem vuffiichen Paſſe. Kara-Georg ging durch die Bukowina, 
Siebenbürgen und das Banat nach der jerbiichen Donaugrenze, 
und begab fi nach Adzagna bei Smeberewo (Smendria) 
zunächft zu feinem alten Freunde Wuiza (oder Vätſa). Seine 
Anweſenheit war aber dem türkiſchen Paſcha in Belgrad, 
Darajchli- Alt, verratben worden, der nunmehr von Miloſch 
die Auslieferung dieſes gefährlichen Mannes forverte. Miloſch 
ſeinerſeits, deſſen Intereſſe e8 zumider war, fich durch Kara- 
Georg verdrängen und das ferbiihe Land zu griechiichen 
Zweden neu aufwiegeln zu laffen, ver aber auch ven alten 
Helden nicht an die Osmanen ausliefern Tonnte, kam endlich 
dahin, von Wuiza unter Drobungen den Kopf des Kara-Georg 
zu fordern. Und wirklich ließ Wuiza nach einiger Zeit durch 
einen feiner Bewaffneten den Gaftfreund im Schlafe er- 
morden 1). 

Auch als Miloſch nachher anerkannter Fürft von Serbien 
geworden war und nun der Olympier Georgafis fich mit ihm 
unmittelbar in Beziehung fegte, erhielt die Hetärie (24. März 
1818) von jenem nur allgemeine und verflaufulicte Außerungen 
jeiner Zuftimmung zu den griechiichen Unternehmungen. Über 
Serbien aufgeklärt und auf griechiiche Mittel allein hingewieſen, 
faßte endlich das Direktorium der Hetärte zu Anfang April 
1818 den verwegenen Entihlug, Stambul jelbft zum 
Mittelpunkt der gefammten weiteren Agitation und Minirungs- 
arbeit zu machen. Und als der überaus rührige Stuffas im 
Juli deffelben Jahres ftarb, wurde das Haus des Xanthos 
der Sit des Direftoriums und der Ausgangspunkt der Fühnen 
Propaganda in allen griechiichen Provinzen des Reiches der 
Pforte. Zugleich begann man dieſe griechifehen, beziehentlich 
die ftarf von Griechen bewohnten, Landichaften ſyſtematiſch mit 
einem Netze von Agitationscentren und jelundären Ver⸗ 
ſchwörungsminen zu überziehen. Man errichtete alfo in allen 
paſſenden Landichaften Epborten oder commiljariiche Be⸗ 

1) Vielfach mwiberfprechend find im Detail die Angaben bei Ranke, 


Die ferbifche Revolution, S. 290ff., bei Gerpinus, ©. 126f. und bei 
Mendelsfohn-Bartholdy, Th. I, ©. 135. 





412 Buch II. Kap. II. 1. Ausbreitung ber Hetärie 1818 und 1819. 


börben, deren Mitglieder von ven Hetäriften ihres Bezirkes 
mit einfacher Majorität gewählt werben jollten. Jede Ephorie 
führte eine bejonvdere Kaſſe und hatte volle Macht, in ihrem 
Kreife zu handeln und alle Mittel zu ergreifen, welche ber 
Zwed des Bundes erforderte. Die Verbindung mit dem 
leitenden Direktorium — welches fich nach des Skuffas Tode 
durch mehrere angefehene Männer, wie namentlich ver reiche, 
intelligente Kaufmann PBanagiotis Athanaſios Seferis (aus 
Zripolita) in Stambul, Anthimos Gazis in Milines, 
Nikolaos Patfimadis und Antonios Komizopulos in Moslan, 
bis auf acht Köpfe verftärkte, und die Entſcheidung der wid» 
tigiten Fragen vorbebielt — wurde durch Sendboten 
bergeftellt, die zugleich als ‚fliegende‘ Agitatoren zu wirken 
hatten. Die legteren arbeiteten jegt mit vajch wachſendem 

Erfolge. Im ſüdlichen Rußland traten unter Anderen 

bie Prinzen Nikolaos, Georg und Demetrios Hhpfilanti 1818 

dem Bunde bei. In Rumänien, wo außer Anagnoftopule 
namentlich auch ber ungeftüme, großiprecheriiche, verſchwenderiſche, 
aber trotzdem patriotilch-energiiche ‚und höchſt thätige Ardr 
mandrit Gregor Dikäos (auhb Papa Tleffas genannt) 
ftand, bewirkte Nikolaos Hopfilantt 1819 die Aufnahme ve 
J. Rhiſos Nerulos, 1820 die des ©. Manos und des Prinzen 
Gregor Sutjos. Auf dem griechiſchen Feſtlande arbeiteten 
mit Erfolg Anthimos Gazis, diefer von feiner theffaliichen 
Heimath aus, wie auch Johannes Pharmalis. Tſakaloff begab 
fich nach Italien, um in Piſa den (S. 386) alten Metrope 
Yiten Ignatios und den Fürften Alerander Maurofordatos 
(ein Abkömmling der altberühmten Tanariotenfamilie dieſes 
Namens, geboren 1791, Neffe des 1818 nach Italien ent 
wichenen Fürften Johann Raradja, bisherigen Hospodars ber 
Walachei) zu gewinnen. Nah Hydra und Morea imurben 
griechiiche Offiztere (©. 334.338 1.409), die aus Rußland zurüd: 
gefehrt, geichieft, unter denen namentlich Perrhäwos und ber alt 
Klephte (S. 334) Anagnoftaras T) bedeutend waren. Jener 


1) Für Morea vgl. noh Gordon, Geld. der griech. Rewolution, 
überf. von Zinkeiſen, Thl. I, ©. 212f. 








Ausbreitung der Hetärie 1818 und 1819. 418 


zog namentlich ven Maniatenbet Petros Mauromihalis 
(S. 382) in den Bund. Nur daß dieſer jchlaue Realpolitifer 
jofort von dem Direktorium für feine Maina Die unmögliche 
Summe von einer halben Million Biafter forderte, und erft 
duch die Bermahnungen des kurz zuvor (S. 398) reaktivirten, 
in das Geheimniß des Bundes eingeweihten Patriarchen Gregor 
(unter dem 30. Juli 1819) — der ihn wegen feines Eifers 
für Errichtung eines „griechiſchen Muſeums“ lobte und ihm 
den Schuß der Kirche zufiherte — in Die rechte Richtung 
gebracht wurde. Perrhäwos bewirkte auch die Ausjöhnung der 
Mauromihalts mit den großen rivalifirenden Familien ver 
Zrupafiden und Gregorianer, fo daß nun bis zum Herbſt 
1819 die ganze Maina einmüthig für das neue „Helleno⸗ 
muſeum“ fich verband. 

Rückſichtslos entichloffen, wie die Führer der Hetäriften 
waren — und zwar fo fehr, daß fie den läftig, zweibeutig, 
endlich Togar verdächtig gewordenen Galatis zu Ende November 
de8 Jahres 1818 in der Gegend des alten Hermione einfach 
erihießen ließen —, fahen fie nun 1818 und 1819 ihre Saat 
in der griechiichen Welt üppig hberanreifen. Cine Menge 
Mönche und Erzbiichöfe, viele Klephten und Armatolenführer, 
die Seeleute und Primaten auf den Infeln des ägätfchen 
Meeres, die Führer der Sulioten auf den ionifchen Inſeln 
und namhafte griechiiche Offiziere, wie Theodor Kolofotronig, 
die griechifchen Umgebungen der türfifchen Behörden, namentlich 
ver Paſchas, von Morea und SIanina bis nach Makedonien, 
zahlreiche Moreoten aller Klaffen, Biichöfe und Primaten in 
eriter Reihe, die griechiichen Kaufleute in Alexandrien, Chpern, 
Jeruſalem, Syrien, auf der Heinafiatifchen Küfte, bie be- 
deutendſten griechiichen Familien in Stambul jelbjt, wurden 
nach und nach für die Hetärie gewonnen, die allerdings auf 
dem Feſtlande Rumeliens feineswegs jo jchnelle Fortichritte 
machte, wie in Morea oder gar auf den Infeln. Sehr 
zahlreich waren überall in der Hetärie die Baratare vertreten; 
jene Griechen, die (S. 329) durch Gewinnung eines Patentes 
einer mit der Pforte befreundeten Macht, obwohl auf türkiichen 


414 Bud II. Kap. II. 1. Sendung bes Zanthos nach Petersburg. 


Boden bleibend, völlig zu Unterthanen eines fremden, chriſt⸗ 
lihen Staates geworden waren !). 

Allmählich aber wurde der Bund viel zu mächtig, viel zu 
ausgebehnt, die Aufregung vieler hetäriftiichen Elemente ſchwoll 
viel zu ftarf an, die Abneigung gegen die Osmanen und bie 
Luft zu baldigem Losichlagen wuchs zu jehr, als daß die mir: 
lichen Führer der Hetärie, von denen nur Seferis regelmäßig 
in Stambul verweilte, auf die Dauer im Stande geweſen 
wären, bie colofjale Aufgabe noch länger mit ihren eigenen 
Kräften allein zu leiten. Noch hatte nicht die Pforte felbit 
jenen Krieg gegen Alt» Bafcha von Janina erklärt, durch ben 
allein es nachher möglich geworden ift, daß nicht Die ganze 
Agitation der Hetärie ſchließlich in Nebel ſich auflöfte. Vor⸗ 
läufig aber fonnten die Führer des Bundes gar nicht daran 
denken, offen einzugefteben, daß die geheimnißvollen Hindeuntungen 
auf die verborgene höchſte ruſſiſche Leitung eitel Humbug warn: 
ſie hätten ſich der Lächerlichkeit und der allgemeinen Erbitterung 
ihrer Landsleute preisgeben müſſen. Unter dieſen Umſtänden 
beſchloſſen ſie, und zwar gegen Ende des Jahres 1818, mit 
der ruſſiſchen Spitze Ernſt zu machen, und entweder den 
Grafen Giovanni Kapodiſtrias oder den Fürſten Alexander 
Hypſilanti für die Übernahme der oberſten Leitung des Bundes 
zu gewinnen. Auf Grund einer Abkunft vom 22. September 
1818 begab ih Emanuel Xanthos von Stambul aus 
auf die Reife nach St. Peteröburg, um mit den beiden vor: 
nehmen Griechen in der Umgebung des Katjers Alerander I. 
zu verhandeln. Xanthos trat feine Fahrt im Februar 1819 
an. Da er jedoch in Buchareft, in Kiew und namentlich in 
Moskau — wo ihn die Errichtung einer Nationalbant be 
ichäftigte, die mit einem Kapital von einer Million Rubel zu 
ſechs Procent verzinslich den Kriegszweden der Hetärte Dienen 
ſollte — fich jehr lange aufbielt, fo traf er erft im Februart 
1820 bei dem Grafen Kapodiſtrias ein. 


1) Finlay l. c. p. 131g. 











Kapodiftriad und die Hetärie. 415 


Wir ſehen fpüter, welchen Erfolg dieje Sendung berbei- 
geführt bat. Graf Kapodiſtrias war inziwilchen jchon feit 
geraumer Zeit von dem Sturme unterrichtet, der fich unter 
jeinen Landsleuten vorbereitete. Er batte nach Beendigung 
des Aachener Congreſſes (21. November 1818) eine Urlaub$- 
reife nach feiner ioniſchen Heimath angetreten und bier bie 
Zuſtände Griechenlands genau erfannt. Die Huldigungen ber 
Sulioten, des Kolokotronis und der rumeliotiſchen Armatolen; 
deren energiſche Darlegung ihrer Wünjche und Hoffnungen; 
die Art, wie die ihn bejuchenden Griechen feine Anweſenheit 
als für die Sache der Hetärie und Rußlands Leitung derſelben 
günjtig aufnahmen, hatte ihm die Gährung der Gemüther jehr 
deutlich verrathen. Seine VBerfuche, die Griechen zu bejchwich- 
tigen, halfen nichts mehr. Auch die Schrift, die er (unter 
dem 18. April 1819) verbreiten ließ — fie mahnte zur 
Bedachtſamkeit, empfahl die Pflege der natürlichen Reife des 
Boltes, rieth zu feſtem Anſchluß an die Kirche, wies auf den 
Haubensverwandten Norden bin ) — Tonnte nicht aufhalten 
wirken. Kapodiſtrias erhielt aber allmählich ganz direkte An⸗ 
fragen, weil der Wahn allgemein fich verbreitet hatte, daß er 
der geheime Chef des Bundes jei. Der alte Metropolit 
Ignatios fehrieb in dieſem Sinne an ihn, ebenjo der kluge 
danariot Theodor Negaris aus Buchareſt, wie auch der reiche 
Schiffsherr Lazaros Konduriotis aus Hydra. Bedeutungsvoll 
wurde es endlih, daß der Mainottenbey Betros Mauro- 
mihalis feinerfeitS den Kamarinos Kyriakos nah St. Pe- 
teröburg ſchickte, der bei Kapodiſtrias genaue Erkundigung 
einziehen umd zugleih von dem Grafen Gelomittel fordern 
jolte. Vardalachos in Odeſſa, einer der angefehenften 
Öriechen dieſer Stadt, ein Schulfreund des Grafen, ſchrieb an 
benfelben, um ibn zu fragen, welche Ideen er bezüglich der 
Hetärie habe, und welche Anfichten und Gedanken Kaiſer 
Aerander über den Aufftand in Griechenland hege? Mehr 


1) Bgl. Hier au Mendelsfohn- Bartholdy, Graf Johann 
Kapodiſtrias, S. 43—49. 


416 2.0. 8.0. 2. Die ioniſchen Infeln unter Englands Herrſchaft. 


aber, die in die Hetärie eingeweihten Klerifer und Primaten 
von Morea hielten zu Anfang des Jahres 1820 in Tripoliga 
eine Berfammlung und beichloffen, einen Vertrauensmann nad 
St. Petersburg zu ſchicken, der die leitende Regierung, deren 
Pläne und Mittel entveden, und weiter berjelben beftimmte 
Vorſchläge in Sachen des Peloponnefos machen ſollte. Zu 
ihrem Agenten aber ernannten fie den Johannes Papar— 
rigopulog, den Dragoman des ruſſiſchen Conſuls Vlaſſo⸗ 
pulos in Patrik. Da war es num höchſt merkwürdig, daß 
berielbe Paparrigopulos damals auch von dem Ali-Paſcha 
von Janina auserſehen wurde, als fein Botichafter nad 
St. Petersburg zu gehen, um in Rußland Hilfe zu erbitten 
bei dem zwilchen ihm und Sultan Mahmud II. fich eben jest 
einleitenden Kriege). Wir fehen fchließlich, welche Antworten 
Kapodiſtrias dieſen Botjchaftern ertbeilt hat. Auf dieiem 
Punkte aber, wo in eigenthümlichiter Weile die politiihe 
Arbeit der Hetärie mit jener des Paſcha von Epirus ſich 
verichlingt, muß fich unſere Darjtellung binüberwenven zu ber 
weiteren Entwillung der epirotiſchen Dinge bis zu Alte 
für das Griechenthum enticheidender Kataftro pbe. 


D. 


Seit dem Ausgange der Napoleoniſchen Zeit hatte fich das 
Intereffe der Griechen mit befonderer Energie auf die Zuſtände 
der toniihen Inſeln und auf Ali-Paſcha gerichtet. 
Das neue englifche Proteltorat war bei den Ioniern nic 
populär geworden. Noch zwar gab es Fein aufitänbifce 
Griechenland, noch fein Königreich der Hellenen, mit welchem 
verbunden zu werden die Jonier hätten trachten können. 
Dagegen empfanden es die Griechen des Sitebeninfelftaate 
ſehr unangenehm, daß unter den Händen bes brittifchen Lord 
Obercommiſſärs Maitland (©. 358), deſſen Perjönlicte: 
ihnen an ſich nur wenig ſympathiſch war, deſſen Walten ihne 


1) gl. auch Gordon, ©. 213f. 





Die ionifche Berfaffung vom 3. 1817. 417 


jebr bald als eine „Tyrannis“ erfchien, aus dem englifchen 
Proteftorate binnen kurzer Zeit eine ſehr kräftig gehandhabte 
Herrſchaft wurde. Der Beginn der langwierigen Conflikte 
zwilchen England und den Joniern war die Art der Ent. 
jtehung der neuen Verfaſſung, melde Maitland dem 
Inſelſtaate gewiffermaßen oftreyirte. Maitland verbrängte von 
Anfang an aus dem Fforfiotiichen Senate, den er nur als 
Lokalbehörde anerkannte, die federen oppofitionellen Elemente, 
wie den Grafen Flambuvianis aus Zante und den Ritter 
Dietaras aus Kephalenia. Endlich jchaffte er (22. Mai 1816) 
diejen Senat ab. Dann berief er am 19. November 1816 
eine Landesdeputation, die er felbft ernannte. Es waren eilf 
notable Männer, an deren Spige der Baron Emanuel 
Theotokis (S. 358) jtand, ein Neffe des Nikephoros 
Theotokis, jedenfalls ein fehr beveutender Dann. Diefe 
Commiſſion trat am 10. Januar 1817 zufammen und 
entwarf unter Maitlande Aufpizien die neue Verfaſſung. 
Im März wählten dann die Injeln 29 Repräjentanten, die 
mis jenen Eilf am 23. April 1817 zu einer „geſetzgebenden 
Berfammlung  zufammehtraten. ‘Der Verfaſſungsentwurf 
wurde in nur vier Sigungen burchberatben und fchließlich mit 
großer Einmüthigfeit angenommen. Von der brittijchen Krone 
(26. Auguft 1817) genehmigt, trat die neue Verfaffung und 
Drganilation des Yandes mit dem 1. Sanuar 1818 in 
Wirkſamkeit. 

Korfu wurde Sitz der Regierung. Die Verfaſſung kannte 
drei geſonderte Gewalten: den Lord-Obercommiſſär, den Senat 
als vollziehende Gewalt, und Die gejeßgebende Verſammlung. 
Der Senat beitand aus einem Präfidenten, welchen der König 
von England, d. h. der Lord» Obercommiffär, aus den ger 
borenen Soniern auswählte (der erfte war jener Baron 
Theotofis) und aus fünf Mitgliedern, welche von der Legis—⸗ 
Yativen gewählt wurden; nur daß der Lord - Obercommiffär für 
jeve Wahl eines Senators, wie auch des Präfidenten ber 
Legislativen, ein Veto hatte, welches er zweimal ausüben 
durfte, — jchließlich Tonnte er dann je zwei Candidaten vor⸗ 

Hertberg, Geſchichte Griechenlands. TIL j 27 





418 Bud OD. Kap. U. 2. Die ioniſche Verfaffung vom I. 1817. 


ſchlagen, aus denen einer gewählt werben mußte. ‘Die Amts- 
dauer bes neuformirten Senates follte immer auf je fünf 
Sabre fih eritreden. Der Senat zerftel in drei Geichäfts- 
abtbeilungen: 1) das &eneraldepartement, beftehend aus dem 
Bräfiventen und einem Senator, 2) die Sinanzabtheilung, und 
3) die des Inneren, jede aus zwei Senatoren bejtehend mit 
den zugehörigen Sefretären. Durch die ihm zuitehende Er- 
nennung des Sefretärd des Generalvepartements ficherte ſich 
der Lord-Obercommiſſär vie Initiative im allen wichtigeren 
Fragen. Der Senat befegte alle öffentlichen Amter, und 
machte die Geſetzesvorſchläge, welche die Legislative zu berathen 
hatte. Die Bejchlüffe der Mehrheit unterlagen dann noch ver 
Sanftion des Lord-Obercommiſſärs. Die auf je fünf Jahre 
gewählte geſetzgebende Verjammlung (die alle zwei Jahre 
am 1. Mat auf drei Donate zujammentreten follte, von dem 
Lord⸗Obercommiſſär auf jech8 Monate vertagt, von der Krone 
aufgelöft werben fonnte) beftand aus 40 Mitgliedern. Bon 
denſelben wurden nur 29 Mitglieder (in Korfu, in Kephalenia 
md in Zante je fieben, in Santa Maura vier, in Ithäfe, 
Gerigo und Paxos je eined, und das neunundzwanzigſte 
umjchichtig von einer dieſer drei Heimen Injeln) durch indirekte 
Wahl ernannt. Die anderen Mitglieder beftanden aus abs 
gehenden Senatsmännern und aus den jevesmal abgehenten 
finf Hyparchen ober „Regenten“ der verjchtevenen Inſeln. 
Wähler war jeder, der 800 Gulden Einkünfte hatte, oder eine 
„freie Kunſt“ betrieb, Arzt, Advokat oder etwas Ähnliches 
war. — Außer ven älteren Bistyümern Korfu, Kephalenia, 
Cerigo und Santa Maura wurden noch das Erzbisthum 
Zante, wie auch die Suffraganbistbümer Ithafa (von Kepha— 
lenia) und Paxos (von Korfu abhängig) formirt. Die Bilchöfe 
wurden von dem Staate, beziehentlih von dem Klerus ihrer 
Didcefen, ernannt, von dem Patriardhen in Conftantinopel 
nur kanoniſch beftätigt. Zur Vertretung des Patriarchen 
wurde feftgeftelt, daß von Parlament zu Parlament vie 
Bifchöfe von Korfu, Kephalenia, Zante und Santa Maura in 
der Stellung als Exarchen over Metropolitanen abmechiefn 








- Die ionifche Berfaffung vom 3. 1817. 419 


jollten. — Für die Civil verwaltung wurte bejtimmt, daß 
jede Inſel einen eigenen Verwaltungsrath bejiken follte; als 
Vertreter des Lord-⸗Obercommiſſärs fungirten jpezielle Reſi— 
denten. Lie Wahl des Hhparchen und des Staatsanmwaltes 
unterlag der Entſcheidung des Lord⸗Obercommiſſärs. Auch die 
Ernennung der Richter hatte der Lord- Obercommilfär zu 
genehmigen. Bei Entjcheidungen des höchiten Iuftizcoflegiums 
zu Korfu batte- für ven Fall der Stimmengleichheit ver Lord⸗ 
Obercommiffür den Stichenticheid. Die griechiſche Sprache 
follte Landes- und Gerichtsiprache fein; vorläufig behielt aber 
bei den oberen Gerichten das Italieniſche noch jeine Giltigfeit. 
Neben ver regelmäßigen brittiichen Befakung von 3000 Dann 
jollten griechiihe Milizcorp8 gebildet werden. Die englijchen 
Conſuln ſollten zugleich die Jonier mit vertreten. Die 
Handelsflagge führte den venettanijchen Löwen im blauem 
Felde, in der Ede aber das engliihe Wappen. Als Wappen 
des Staates wurde das großbritanniiche angenommen, ringe 
umgeben von ven Wappen ver einzelnen Inſeln. Höchſt 
harakteriftiih entlih war es, Daß die bis dahin einzige 
Buchoruderei des Staates unter die Verwaltung des Senates 
und des Lord⸗Obercommiſſärs gejtellt wurde, ohne deren Ge⸗ 
nehmigung feine andere errichtet werden jollte ). 

Jonien war in der That eine brittiiche Eroberungstolonie ' 
geworden, und bie Klagen der Oppofition über die Abweichungen 
von dent Detail des Pariſer Bertrages (S. 358) und die 
Dftropirung blieben nicht aus, wurden freilih von Maitland 


1) Bol. Neigebaur, Die Berfaffung der ionifchen Infeln, S. 13—20. 
Bulgari, Les sept-iles Joniennes, p. 31. Mendelsſohn-Bar— 
tboldy, Graf Johann Kapodiftrias, S. 44}. Lenormant, p. 59—70. 
Die ionifhen Münzen zeigten feit 1821 auf der einen Seite das alte 
ionifhe Wappen, ben venetianifchen Löwen, mit fieben Pfeilen und ber 
Umſchrift: „Iovixov Kparos“, und auf der anderen Seite bie brittifche 
Jungfrau mit der Umjchrift „Britannia“ in lateinifchen Yettern. Die 
fpanifchen Piafter, Colonnati, wurden als Landesmünze erflärt, und in 
Kupfer Obolen zu 100 auf einen Biafter, zu halben Obolen, ganze, 
boppelte und fünf Obolen gusgeprägt. Neigebaur, ©. 27f. 

27* 








40) Bud II. Kap. II. 2. Jonien unter englifher Herrſchaft. 


brutal genug zum Schweigen gebracht. Auch des Grafen 
Giovanni Kapodiſtrias Bemühungen, bei feinem Aufenthalt 
in Rorfu 1819, wie nachher bei einem Beſuche in London, zu 
Gunften feiner Landsleute zu interveniren, hatten durchaus 
feinen Erfolg, Dagegen ift nicht zu leugnen, daß die 
brittiihe Verwaltung und Maitlands eijerne Fauſt 
(immerhin ohne Sammethandſchuh) für die Injeln vieljeitig 
überaus wohlthätig gewejen if. Maitland ftelltg die öffentliche 
Sicherheit mit rücjichtslojer Energie her. ‘Diebe, Mörder und 
Straßenräuber wurden ohne fentimentale Bedenken in Menge 
ausgerottet; namentlich aber wurde für Handel und Schiff- 
fahrt, für den jo jehr wichtigen Straßenbau, für Häfen, 
Aderbau, Volksunterricht Erhebliches geleiftet, dazu auch der 
alte jchlimme Mißbrauch der Verpachtung der Staatseinkünfte 
an einzelne vornehme Jonier mit fräftiger Hand abgeſtellt. 
Beſonders wertbuoll wurde endlich die Stiftung der Uni- 
verfität in Korfu, welche — aus ber älteren (1808) 
ioniſchen Akademie heraus entwidelt — 1824/5 mit vier 
Fakultäten ins Leben trat, als ihren erjten Kanzler den 
glübenden Philhellenen Lord Guilford, der ihr bedeutende 
Mittel zumandte, an ihrer Spike ſah, und für mehrere 
Sahrzehnte ein neuer Mittelpunkt griechiicher Wiſſenſchaft, 
ein Sammelplag namhafter griechiicher Gelehrter geworben 
tt). 

Nichtöpeftoweniger vermochte fich zwilchen der herben Art 
der Engländer und den SIoniern niemals ein näheres Ver—⸗ 
hältniß zu entwideln. Die Spannung tit eine unlösbare 
geworden, als (ſ. unten) Maitland jich eifrig bemühte, vie 
wirkſame Theilnahme ver Ionier an dem endlich ausbrechenden 
neugriechifchen Befreiungsfampfe zu hindern. Uber fchon 
1818 und 1819 hatte fich bei ihnen und ben Griechen 
überhaupt England höchſt unbeliebt gemacht durch die Aus- 


1) Bgl. Neigebaur, ©. 23—28. 31. Mendelsfohn - Bar- 


tholdya. a. O. ©. 4—55. Nicolai, Geſchichte der neugriechifchen 
Litteratur, S. 121. 








Parga. 471 


lieferung der Stadt Parga an Ali- Pafcha von 9a 
nina. 

Die tapfere Stadt Barga war (©. 357 f.) unglüdlicherweife 
in dem abjchließenden DVertrage, welcher die Engländer zu 
Schutherren der tonifchen Injeln machte, nicht mit erwähnt 
worden. Aber die Stadt ftand doch thatfächlich unter brit- 
tiihem Schutze, fie galt allgemein als ein Zubehör des 
toniichen Inſelſtaates, fie war feit mehr denn vier Jahr⸗ 
hunderten venetianiih, ntemals aber türfiich geweſen. 
Man feste in der griechiihen Welt einfach voraus, daß 
England als chriftlihe Macht fih zu Parga ebenjo ftellen 
würde, wie früher die Republik der Lagunen, nament- 
lich auf Grund der Zuſagen, welde (S. 356) bei dem 
Übertritt der Barganioten zu England General Campbell 
gegeben hatte. Aber die Sache nahm jchmählicherweiie einen 
völlig anderen Gang. Ali-Paſcha von Iantna rubte nicht, 
bis fein glübender Wunſch, auch diefe wichtige eptrotifche 
Stadt mit ihrem Hafen, ihrer Citadelle, ihren blühenden 
Drangen » und Limonienhainen zu befiten, in Erfüllung 
gegangen war. Ali hatte fich früher, wie wir jahen, in ben 
legten Jahren der Napoleoniichen Kriege wiederholt ven 
Danf der Engländer verdient. Ali wußte auf der anderen 
Seite !) durch fein Gold in Stambul es durchzufegen, daß 
bie Pforte auf Grund (S. 309) des Vertrages von 1800 
in das engliihe Proteftorat über die ioniſche Republik nur 
unter der Bedingung einwilligte, daß Parga ihr überlafjen 
würde. Ein geheimer Vertrag aber bejtimmte, daß bie 
Pforte die Stadt ihrem getreuen Vaſallen Ali übergeben 
ſollte. 

Die Parganioten erfuhren bereits durch ein Schreiben, 
welches Maitland am 24. März 1817 an den Oberſtlieutenant 
von Boſſet richtete, daß England ſie binnen einiger Zeit der 


1) So ſtellt jetzt die Couliſſengeſchichte dieſes Handels dar: Men- 
delsſohn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 145, und „Geſch. Griechenl.“, 
Bd. J, S. 111. 


42? Bud II. Kap. II. 2. Barga 1819 an Ali-PBafcha übergeben. 


vollen Souveränetät der Pforte überlaffen würde. Noch aber 
unterhandelte England durch jeinen Conſul in Paträ, 
Der. Cartwright, in Janina mit Alt umd einem Agenten ber 
Pforte, um den etwa vor der Übergabe an Ali zur Aus 
wanderung entichlofjenen Pargantoten eine Entſchädigung für 
ihre Häufer und ihr Eigenthum zu erwirfen. Nach längeren 
Unterbandlungen und verjchtedenen Verfuchen, in der Höhe der 
den Parganioten zu gewährenden Entſchädigung eine mittlere 
Linie zwiichen Ali's Vorichlägen und benen der Engländer 
und der Parganioten zu finden, einigten fich Alt und Maitland 
im Frühling 1818 zu Butrinto auf die Summe von 
150,000 Pfund Sterling. As Tag der Übergabe von 
Parga an Ali wurde der 10. Mat 1819 anberaumt. 
ALS diejer Zeitpunkt fich näherte, als Ali's Truppen allmählich 
gegen Parga vorrüdten, geriethen die Parganioten in Ver—⸗ 
zweiflung und raſende Wuth. Sie kamen auf ven wilden 
Gedanken, die Scenen von Sagunt vor den Augen ber modernen 
Welt zu erneuern. Sie errichteten auf dem Markte ihrer Stadt 
einen Scheiterhaufen aus Olivenholz, auf welchem die wieder 
ausgegrabenen Gebeine ihrer Vorfahren verbrannt werben 
jollten. Dann aber beichlojfen fie, in dem Augenblide des 
Einrüdens der Mohammedaner ihre Weiber und Kinder zu 
ermorden und felber unter ben Bajonetten der Schkypetaren 
und Engländer den Tod zu fuchen. Da eilte ein englijcher 
Offizier nach Korfu und fehilderte dem Lord- Obereommiffär 
die Lage. Sofort ſchickte Maitland den in Korfu comman- 
direnden General Trederic Adams, einen humanen unb 
als Gemahl einer korfiotiſchen Dame den Griechen wertben 
Dann, nah Parga. Diejem gelang e8, die vorzeitige An- 
näherung der Schkypetaren zu verhindern und die Barganioten 
vom Außerften abzuhalten. Sie begnügten fich damit, bie 
Gebeine ihrer Vorfahren zu verbrennen. Dann fchifften fie 
fih am Morgen des 10. Mai 1819 nah Korfu ein, wo 
die tonijche Legislative am 22. Mai beichlog, alle dieſe Aus 
wanderer als ioniſche Staatsbürger aufzunehmen. Binnen 
vier Monaten Tollten fie ihre Namen von den Hyparchen 








Ali⸗Paſcha und Sultan Mahmud LU. 428 


der verfchiedenen Inſeln in das Bürgerverzeihnig aufnehmen 
laſſen ?). 

Unmittelbar nad der Abfahrt der Parganioten hatten 
Ali's Truppen die verdvete Stadt in Bejig genommen. Die 
Entichädigungsfumme brachte er rajch Durch eine außerordentliche 
Steuer auf, die er über alle Bewohner feines Reiches, Telbft 
die Soldaten und feine Dienerfchaft nicht ausgenommen, vers 
hängte. Der Ruf Englands in der Levante litt fchwer unter 
diejen Vorgängen. ‘Der Stern Ali's aber begann unmittelbar 
nach Ddiejer graufamen Erfüllung feines legten Wunfches zu 
erbleichen. Der übermädtige Paſcha von Janina war dem 
energiihen Sultan Mahmud I. ſchon lange in böchftem 
Grade widerwärtig. Diefer Padiſchah verfolgte jeit feiner 
TIhronbefteigung (S. 347) mit böchiter Zähigkeit und Aus- 
dauer den Plan, das osmaniſche Reich zu reformiren. Che 
das aber möglich wurde, mußten, ſollte nicht die Kataſtrophe 
Selims III. fi wiederholen, bie zügellojen Milizen und die 
übermächtig gewordenen Vajallen des Reiches niebergeworfen, 
der innere Zuſammenhang des Neiches erft wieder bergejtellt 
werden. Erſt jeit dem Frieden mit Rußland 1812 fonnte 
die Belämpfung der rebelliichen Unterthanen und jelbftberrlichen 
Satrapen der Pforte mit Nahdrud und Erfolg tn Angriff 
genommen werden. Das Schiejal Serbiens und die Her- 
ftelung der Verhältniſſe zu Miloſch Obrenowitich lernten wir 
bereit® fernen. Auch Bulgarien war feit Paswan-Oglu's 
Ende bald wieder feit an das Reich gefejlelt worden, Und 
in den afiatifchen Provinzen trug die Schlauheit und Energie 
des jungen Sultans gegen die bier aufgeichojfenen Machthaber 
and unbändigen Machtelemente nach einander ſehr bedeutende 
Erfolge davon. Endlich blieben nur noch Die beiden großen 
Paſchas Mehemed⸗Ali von Ägypten und Ali-Paſcha von Ianina 


1) gl. Bougqueville, überſ. durch v. Hornthal, Bd. 1], 
©. 319 — 334. Neigebaur a. a. O. S. 26 f. Finlay, Greece 
under othoman and venetian domination, py 338 sqy. Mendeld- 
fohbn-Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 143ff.; „Geſchichte Griechenlands“, 
Bd. J, ©. 110ff. 


424 Buch I. Kap. II. 2. Veli⸗Paſcha 1812 aus Morea entfernt. 


zu vernichten übrig, deren immerhin mögliche Verbindung 
abzuwarten der Sultan nicht gewillt war. Am geboteniten 
erichien es, zuerjt die Macht des Alt- Balcha zu brechen, ver 
ichon jeit Jahren der Pforte verhaßt und verdächtig war. 

Den erften Streih hatte die Pforte bereits im 
Auguft des Jahres 1812, nicht lange nah dem Gemetzel 
von Gardhiki (S. 360), gegen Alt geführt, gerade als der 
gewaltige Albaneje die Sonnenhöhe feiner Macht erreicht zu 
haben fchten. Damals nemlich ſah fich der Diwan veranlaft, 
den Klagen der Moreoten über die Verwaltung von Alt’ 
Sohne Veli nachzugeben und den jungen Paſcha aus Tripolitza 
abzuberufen. Um zugleich Unfrieden in das fürftlihe Haus 
von Janina zu werfen, wurde das Paſchalik Theſſalien dem 
Ali entzogen, und Veli angewiejen, fich als Paſcha nach Trikkala 
zu begeben. Alt war indejjen von den Klagen der Moreoten 
in Stambul bei Zeiten unterrichtet worden. Er wies Daher 
feinen Sohn an, den Befehlen aus der türfiichen Hauptftadt 
nicht zu folgen und den Abzug aus Morea zu verichleppen, es 
werde leicht fein, den Widerruf des großberrlichen Fermans zu 
bewirten, — für alle Fälle jtänden 10,000 Schkupetaren zu 
feiner Hilfe bereit. In demſelben Sinne jchrieb Alt an feinen 
Better Ismael-Pacho⸗-Bei, Veli's Seliktar, verbot ihm 
unter Drohungen jede Nachgiebigkeit. Jetzt aber zeigte es 
fih, daß dieſer als fanatifcher Alttürfe und Sunnit dem 
Sultan mehr gehorchte, als dem ſchiitiſchen freigeiiterijchen 
Paſcha von Janina. Veli gab in der That den Vorftellungen 
feines Seliktars nach, geborchte den Wetjungen bes Vaters 
nicht, und: begab fih, als jein befignirter Nachfolger für 
Morea bereits in Nauplion angefommen war, wirklich nach 
Theſſalien, wo er jeinen Sig in Lariſſa nahm. 

As Alt erfuhr, wer feinen Sohn beitimmt hatte, 
Morea doch zu räumen, ſchwur er dem Pacho⸗-Bei blutige 
Rache. E8 wurde fein Verhängniß. Im feiner blinden Wuth 
jhidte er einige Banditen nad Yarijja, welche den Pacho-Bei 
ermorden follten. Nur mit äußerfter Mühe entging der 
Seliktar den Kugeln dev Mörder. Aber er mußte doch die 





Feindſchaft zwiſchen Ali-⸗Paſcha und Ismael⸗Pacho-Bei. 425 


Flucht ergreifen und wurde nun von Ali andauernd wie ein 
gehetztes Wild verfolgt. Pacho-Bei fand auch in Karyſtos bei 
Dmer-Bei feine Sicherheit. AS er ſich dann auf der Inſel 
Skiathos barg, wußte Alt ihn auch bier zu entdeden und zu 
vericheuchen. Nach langer Wanderung durch Ägypten und 
Kleinafien juchte er endlich jeine Zuflucht in Makedonien bei 
dem mächtigen „Dramali“, bet Mahmud, dem Paſcha von 
Drama Auch hier aber war feines Bleibens vor Alt’s 
Nachftellungen nicht, und nach einigen Monaten mußte Pacho- 
Dei abermals flüchten. Endlich wandte er fih nad Stambul, 
wo ihm feine imponirende Periönlichkeit, feine Talente und 
feine Sprachkenntniſſe großes Anfehen verihafften. Jetzt machte 
er fih zum Organ Aller, welche bei dem Diwan über bie 
Verwaltung Alt’8 und feiner Söhne klagten. Er mußte die 
Sympathie der Derwilhe und Ulemas zu gewinnen; den 
Sultan felbft veizte er auf, indem er ihn auf Ali's koloſſale 
Schäte aufmerfiam machte, der zu Zepeleni 150 Millionen, 
zu Arghyrokaſtro und Janina noch mehr liegen babe, ver 
außerdem fammt feinen Söhnen aus jeinem Reiche wahrhaft 
enorme Einkünfte beziehe. Bacho-Bei wurde endlich jogar zum 
Kämmerer des Diwans ernannt. Seine Vorichläge, gegen 
Alt den Krieg zu beginnen, den er als durchaus nicht 
Ichwierig bezeichnete, wurben inzwiſchen noch längere Zeit durch 
die großen Geſchenke paralbfirt, welche Ali den Minijtern der 
Pforte regelmäßig zu fpenden pflegte. Endlich aber gewann 
Bacho- Bei, unterjtügt durch einen von Ali aus Lariſſa ver- 
triebenen türkiſchen Großen, Abdi-Efendi, den mächtigen 
Sünftling des Sultans, Chalet-Efendi, der neuerdings mit 
Ali zerfallen war, weil der Paſcha ihn nicht mehr entiprechend 
befchenfte. Der erfte Schlag, den er gegen Alt richtete, beſtand 
barin, daß er den Sultan beftimmte, dem verſchwenderiſchen 
Regime des Veli ein Ende zu machen, der Theſſalien durch 
feine Erpreffungen erichöpfte. Welt mußte Thefjalien räumen 
und wurde nach dem minder angejebenen Pafchalif Yepanto 
verjeßt (1819). Auf diefen Zug antwortete Ali mit dem 
Verſuche, jeinen Todfeind mitten in Stambul durch zwei 





46 BI.8IL 2. Offener Bruch (1820) zwiſchen Ali u. ber Pforte. 


albanefiihe Banditen erichießen zu laſſen. Der Verjuch miß- 
Yang (Anfang Februar 1820), und auf der Flucht wurde 
ber eine Schurke zu Adrianopel gefangen genommen, der num 
geftand, daß Ali ihm zu dieſem Morde gedungen babe. Nun 
endlich wurde, zunächſt in geheimer Berathung, von der Pforte 
der Beichluß gefaßt, Alt zu vernichten und das Pajchalif 
Janina auf den Pacho⸗-Bei zu übertragen. Es dauerte aud 
nicht mehr lange, jo jchritt die Pforte zur Ausführung Diefes 
auch für jie ſelbſt geradezu verhängnißvollen Beichlujjes ?). 
Alt, der den. drohenden Sturm vorausjah, ſuchte fich im 
diejer Nothlage durch einen fühnen Zug zu retten. Er mußte 
ſehr wohl, daß die griehifhe Welt in voller Gährung 
war. Die Erijtenz der Hetärte, welcher die namhafteſten 
Primaten und Kapitanis angehörten, war ihm nicht unbekannt, 
fonnte ihm bei ber weiten Ausdehnung des Bundes und bei der 
ſtürmiſchen, Teichtfinnigen Art vieler Griechen auch nicht fein. 
Nun fuchte er die Details zu erfahren, Tieß daher mehrere 
griechiiche Häuptlinge, die in feine Hände fielen, foltern (und 
hernach tödten), um von ihnen Geſtändniſſe über das Geheimniß 
"zu erprejfen. Dann aber gab er ji den Anichein eines 
treuen und eifrigen Gläubigen und berichtete nah Stambul 
über die Gefahr, melde dem Islam von Dielen „ tollen 
Kapitanis“ probe, bot auch feine Hilfe an gegen den Ausbruch 
biefes Aufftandes. Auf dieſe Anzeige bin wurde in Stambul 
ein Minifterrath gehalten, welchem der Großweſſir und andere 
Großwürdenträger der Pforte beiwohnten. Aber jet übere 
wogen im Diwan zum Heil für die Griechen Alt’8 Gegner. 
Die Stimmen der Hügeren Nathgeber des Sultans, wie Des 
Miniſters des Inneren Saiva -Efendi, kamen nicht auf gegen 
die Anficht der "Mehrheit, welche Ali's Anzeige für erfunden, 
in feinen Angaben über die Hetärie nur eine tüdiiche Intrigue 
gegen treue Untertbanen des Sultans erkennen wollte. In⸗ 


1) Menpdelsfohbn- Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 156 fi. umb 
„Sei. Griechenl.“, Bd. I, S. 118ff. Finlay, History of the greek 
‚revolution, vol. I, p. 8ösgg. 











Die Pforte erflärt Ali den Krieg. 427 


ziviichen wollte man ihn noch nicht unmittelbar angreifen, 
jondern verfuchte zunächit, ihn diplomatiſch zu überflügeln, die 
Grundlage feiner Macht zu untergraben. Alt Dagegen, der 
Die Zeichen der Zeit erkannte, fpielte jet neue und ſtarke 
Trümpfe zu ſeiner Rettung aus. Die Agenten des Sultans, 
welche die griechiſchen Häuptlinge gegen ihn aufwiegeln ſollten, 
ließ er einfach fejtnehmen und tödten. Dazu aber ſetzte er 
fih mit allen Elementen der Unzufriedenheit in Verbindung. 
Er unterhandelte mit den Serben und Montenegrinern; er 
gab einerſeits den Schiiten und moslemitiichen Freivenfern 
die beften Worte, andererſeits verijprah er den Griechen 
nationale Unabhängigkeit, und jöhnte ſich mit den Klephten 
und Armatolen aus, die er jo oft verfolgt und befämpft hatte. 
Mehr aber, er berief im Mat 1820 die einflußreichiten 
moslemitiichen und chriftlichen Häuptlinge von Albanien zu 
einem Diwan nad Janina, wo er durch glänzende Beredt⸗ 
ſamkeit, lockende Verſprechungen, und Austheilung von Ge⸗ 
ſchenken es wirklich erreichte, daß (23. Mai) Alle ſich für Alt 
erflärten. Ja, er verkündete jogar laut, daß er den Epiroten 
eine „Charte“ gewähren wollel Inzwiſchen hatte die Pforte 
aber ihre Rüftungen eingeleitet. Cine Flotte wurde armirt; 
der milde Paſcha Behlewan- Baba von Ruftihud, ein Gegner 
von Ali's Söhnen, jollte in Bulgarien, Mahmud Dramali 
(jet Schwiegervater des Pacho-Bei) in jeinem Gebiete, Muſtai, 
Paſcha von Skutari, im nördlichen Albanien gegen Alt rüften, 
das Obercommando aber dem für Janina neu defignirten 
Pacho⸗Bei zugetheilt werden ). 

Im Juli 1820?) wurde endlih in Stambul der Hatti- 
Scherif des Sultans - veröffentlicht, welcher den Paſcha von 
Janina des Majejtätsverbrehens als ſchuldig und ald „Fer⸗ 
manli“, d. h. als geächteten Reichsfeind, erklärte, falls er 


1) gl. Mendelsfohn- -Bartholdy, Ali-Paſcha, S. 159ff. und 
„Geſch. Griechenl.“, Bd. I, ©. 120ff. 

2) Diefe Chronologie gibt beftimmt an Mendelsfohn - Bar- 
tholdy, Ali-Paſcha, ©. 162, und „Geſchichte Griechenlands”, Bd. I, 
S. 122. 





428 Bud II. Kap. II. 2. Tie Pforte und die griechifche Hetärie. 


nicht binnen vierzig Tagen in Stambul erjcheinen und fi 
dort rechtfertigen würde. Damit famen die Ereignijie 
überall in Fluß, und bald zeigte es fich, daß die beiden 
moslemitiihen Gegner, der Sultan und Ali, durch ihren 
Kampf nur für die Griechen arbeiteten. 

Die Pforte ihrerfeits bat fi) neun Monate jpäter dur 
den Ausbruch der griechiichen Revolution vollſtändig überrajchen 
laffen. An Warnungen bat es freilih dem Diwan nidt 
gefehlt. Seit jener großen Denunciatton der Hetärie dur 
Ali find noch mehrfache andere Anzeigen über das Zreiben 
der griechtihen Verſchwörung in Stambul eingelaufen. Der 
Kapudans Paicha und verfchiedene andere osmaniſche Befehls- 
haber berichteten in ähnlichem Sinne; e8 war eben nit 
ſchwer, die Eriftenz einer jo großen Verbrüderung, die doch auch 
ab und zur treulofe Männer in ihren Reihen zählte, zu erratben. 
Mehemed⸗Ali in Ägypten gab ähnliche Mittheilungen. Ebenſo 
warnten, namentlih im Hinblide auf die in demjelben Jahre 
1820 in Italien ausgebrochene Revolution, mehrere europütiche 
Mächte, Rußland nicht ausgenommen, vor den Umtrieben ver 
geheimen Gejellichaften. Aber die Pforte achtete nicht auf 
jolhe Mahnungen. E8 war nicht bloß Leichtfinn und apatbifche 
Sorglofigfeit, die fie zu folcher Indolenz bejtimmte. Seit 
Alters gewohnt, die Rajah zu verachten, hatten die Osmanen 
feinen Begriff von der neuen geiſtigen Bewegung unter den 
Hellenen, von dem Aufichwunge bedeutender Theile dieſes 
Volkes. Es kam dazu, daß gerade jekt die äußere Lage ber 
Griechen viel bejfer war, als in ben früheren Zeiten ver 
osmaniichen Herrſchaft; das Sinken (f. unten) der hydriotiſchen 
Rhederei jeit 1815 war nicht die Schuld der Pforte. Von irgend 
welchem neuen Drude, der gerade jekt auf ven Griechen 
gelaftet oder fie friich erbittert hätte, war auch nichts befamnt. 
Mehr aber, die Pforte ftand zur Zeit mit Rußland in vollem 
Frieden, — daß aber die Griechen ohne ruffiiche Hilfe etwas 
gegen die Osmanen verjuchen würden, war nad allen Er- 
fahrungen jeit 1770 ven Osmanen höchſt unwahrſcheinlich. 
Daß aber Motive wie der italieniiche Carbonarismus dem 








Die Pforte und die griechifche Hetärte. 429 


Reiche des Großherrn hei feiner merkwürdigen Eigenart follten 
gefährlich werden fönnen, glaubte doch auch Niemand in 
Stambul ). Sultan Mahmud II. Hatte daher unbedenklich 
zu dem VBernichtungsfriege gegen den verhaßten Satrapen von 
Janina fich entichloffen. Er ahnte nicht, dag er damit in 
einer Zeit, wo bereit8 auf der Phrenätjchen Halbiniel und in 
Italien die Revolution in der damals gefährlichiten Gejtalt, 
nemlich in der großer militärischer Empörungen, wieder auf der 
Bühne der Weltgejchichte erfchtenen war, jelbjt den Brand 
entzündete, der längjt von anderen Händen vorbereitet worden 
war. Ohne Bild: der Krieg des Sultans gegen Ali, der die 
Kräfte der Pforte in ausgevehntem Umfange in Anjpruch 
nahm, und zugleich die ſtarke albanefiihe Macht im Süpen 
der Balkanhalbinſel, die der Schreden der Griechen gewefen 
war, zertrümmerte, wurde der notbwendige Anftoß zum 
Ausbruche der griechiichen Erhebung. Mehr aber, — fo 
feltjam e8 der Pforte zuerit erſchien, daß gerade die chrijtlichen 
Krieger des Südens als Vertheidiger ihres langjährigen Fein- 
des in Janina auftraten, fo bat fie nachher nur allzulange 
die griechiihe Bewegung lediglich für einen Ausläufer der 
epirotiichen Kataſtrophe gehalten, und jchlieglich gab der lange 
Zodesfampf Ali's der Injurreftion des griechiichen Südens 
ausreichend Zeit fich in umfafjender Weile zu organifiren. 
Che nod die osmaniſche Armee gegen Janina aufbrach, 
hatte ein Mißgriff ver Türken bereits einen Theil der Griechen 
zu den Waffen gerufen. Der Nachfolger des Veli⸗Paſcha in 
Theſſalien und in der durch Alt zunächſt ohne Widerftand 
aufgegebenen Stellung des Derwendſchi-Baſchi, Suleiman- 
Paſcha, ließ fich durch feinen griechiichen Sekretär Anagnoſtes, 
einen erbitterten Feind Ali's, zugleih aber auch fchlauen 
Hetäriften, beftimmen, den für alle Kadis bejtimmten Ferman, 
welcher den Alt als geächteten Neichsfeind erklärte, auch den 
Griechen mitzutheilen. Er ſelbſt mußte das Aftenftüd ins 


1) gl. namentih Brandis aa. O., Th. II, ©. 31 fi. und 
v. Prokeſch⸗-Oſten a. a. O. 8. 1, ©. 11 u 19ff. 


4 Bud II. Kap. I. 2. Ali⸗Paſcha eröffnet den Krieg. 


Griechiſche überlegen, und machte daraus liſtig einen bfut- 
triefenden Aufruf des Padiihah an die griechtiiche Rajah, fich 
gegen Ali's Schkypetaren zu bewaffnen. In Tolge dieſes 
tückiſchen Streiches griffen die Griechen in Nordgriechen- 
land vom Pindos bis zu den Thermopylen in der That zu 
den Waffen, zunächit ohne Teindjeligfeiten gegen die Moslims 
zu verüben !). Ali jeinerjeitd3 bot nun den Hetäriiten immer 
rücfichtSlofer die Hand. In jener Hoffnung auf brittiiche 
Hilfe getäujht, wollte er jegt mit Rußland in Verbindung 
treten. Er wählte taber (S. 416) jenen PBaparrigopulog in 
Paträ aus, um für ihn mit den rujjiihen Mäniftern Kapo⸗ 
diftrias und Nejfelrode zu unterbandeln. Er veriprach, feiner- 
feit8 40,000 Mann zu den Waffen zu rufen, wenn Rußland 
der Pforte den Krieg erklären würde. Nach einigem Schwanten 
nahm Paparrigopulos auf Rath des hetäriſtiſchen Erzbifchofs 
Germanos von Paträ wirflid den Auftrag an, und ging 
zugleich als Bote des Paichn’8 und der peloponnefijchen 
Hetäriften nach St. Petersburg. Erfolge hat dieſe Sendung 
dem Satrapen freilich nicht gebracht ?). 

Inzwilchen jtellte Ali eine erhebliche Macht auf und beſchloß, 
den Krieg durch) fühnes Vorbrechen gegen das Centrum der Balkan⸗ 
halbinſel zu eröffnen. Sein Aufruf an die Klephten und Armatolen 
batte jeine Wirkung gethan. Nicht nur daß jchon jet bie 
Klephturie auf den Grenzen gegen die Provinzen der Pforte 
einen bedeutenden Aufihwung nahm, jo fand Alt maſſenhafte 
griechiiche Krieger jest bereit, jeine Schlachten auszufechten. 
Sein Liebling (S. 366) Odyſſeus, dieſer jelbit jeit 1818 
Mitglied der Hetärie ?), wurbe mit dem Commando über Die 
Armatolen in Livadien betraut. Andere namhafte Kapitäne, 
die nachher großentheild als Helden des griechiichen Freiheits⸗ 


1) Vgl. Pouqueville a. a. ©. 3b. II, S. 25ff. v. Prokeſch⸗ 
Oſten, ©. 6. 


2) Mendelsfohn- Bartholdy, Ali-Paſcha, ©. 163 f., und 
„Geld. Griechenl.“, Bo. I, S. 122, 


3) Brandis, Thl. II, S. 27. 





Ali's Kriegsplan. 451 


fampfes ihre Rolle fpielten, büteten Salona, Lokris, Agrapha, 
Ätolien und die Achelooslandichaften. Hier galt e8, die Ver—⸗ 
bindungen mit den Provinzen des Sultans zu jperren. Für 
feine Offenſive dagegen beging Ali ven Zehler, mit uns. 
zureichenden Streitkräften einen Kriegsplan durchführen zu 
wollen, den ihm einjt einige brittiiche Offiziere entworfen 
hatten, die mit dem wirklichen Beſtande feiner Kriegsmittel 
feineswegs genau befannt waren. Der Zielpunkt jeiner 
Armee jolite — Worianopel fein. ‘Daher tbeilte er feine 
mobilen Streitfräfte in drei ftarfe Colonnen. Omer Vrionis 
marſchirte auf dem rechten Flügel mit 15,000 Mann über 
ven Pindos auf Lariſſa, beziehentlich durd) das Thal Tempe 
nach der Gegend von Saraferia (Berda). Ebendahin follte 
ber direkt aus Albanien nach Mafedonien dirigirte Selichtaris 
(Seliktar Poda) aufbrechen. Vaſiaris (Hago Beſſiaris Mus. 
hurdar) endlich ſollte zunächſt nach Berat geben, dort refrutiren, 
eine ſtarke Garnifon dort laſſen, endlich jelbjt ebenfall® nach 
Makedonien abichwenfen }). 

Ali's Plan ift binnen furzer Zeit gänzlich mißlungen. 
Jetzt rächte fih an ihm die dämoniſche Selbitiucht, die den 
Grundzug jeines Weſens ausmachte. Der furchtbare Satrape, 
der durch ein Meer von Blut gewatet war und niemalg 
Liebe gewedt, niemals Treue und Hochherzigfeit gezeigt, mußte 
bald erfennen, daß es in der Zeit der Krifis feine geiftige 
Gewalt, feine Idee gab, durdy die er feine Völker zu aus» 
dauernder Energie in dieſer Rebellion hätte entflammen fünnen. 
Bei feinen moslemitiihen Truppen übermog ſehr bald die 
Scheu, gegen den Pabiihah, den geijtlichen Chef des Islam, 
fich zu jchlagen, die Pflicht gegen ihren Brobheren. Die 
Griechen aber, die doch unmöglich in Alt den Vorkämpfer 
für die befleniiche Freiheit zu erfennen vermochten, nahmen jehr 
bald die Gelegenheit wahr, Ali's ſchwierige Lage liftig im ihrem 
eigenen Interefje auszunugen. 


1) Vgl. Pouqueville, Thl. II, S. 19-24. Mendelsfohn- 
Bartholdy, Geſch. Griechenl. S. 1227. 





432 8.11. K. II. 2. Siegreiches Tordringen der Osmanen gegen Ali. 


Anfangs allerdings hatte Ali noch einige Erfolge, nament- 
lich in Theſſalien. Er hatte ven Anagnoftes bei Suleiman- 
Paſcha zu verbächtigen gewußt; der Grieche war nad Stambul 
entwichen. Und während Suleiman noch glaubte, jeinerjeits 
durch Unterbandlungen den Paſcha von Janina täuſchen zu 
fönnen, wurde er nad der Hauptſtadt abberufen, als Ber- 
räther zu Salonicht enthauptet, jein Paſchalik dem Mah—⸗ 
mud Dramali übertragen. Dann aber begannen enblic 
die Operationen der osmaniſchen Arme. Den linken 
Flügel derjelben bildeten die wahrhaft ſcheußlichen, raub⸗ und 
blutgierigen Schwärme bewaffneten Geſindels, welche jener 
Paſcha von Ruftihuf, Pehlewan- Baba, aus dem wilden 
Kirdichalen (S. 286) gebildet hatte, die wir früher als die viel⸗ 
jährige Geißel Bulgariend und Rumeliens fennen gelernt 
haben. Diefe Schaaren rüdten zuerit in Theſſalien ein, für 
Griechen und Mohammedaner dieſes Landes in gleicher Weije 
widerwärtig und läſtig. Erſt a8 Mahmud Dramali 
ebenfalls in Lariſſa eintraf, 308 Pehlewan nach den Thermo- 
pulen ab, um den Odyſſeus anzugreifen. Yangjamer rückte 
das Heer des ISsmael-Pacho⸗Bei ihnen nad. 

Und nun brach fchnell genug Ali's Macht zufammen. Der 
Gewandtheit des Dramali gelang es, zunächſt die Armatolen 
und die albanefiichen Truppen des Pajcha’8 von Janina zu 
gewinnen, bie bereits zwiſchen den nordtheſſaliſchen Gebirgen 
und der makedoniſchen Weftgrenze fich ausgebreitet Hatten. 
Selihtaris fiel offen von Alt ab und erließ ſelbſt einen 
Aufruf zur Empörung wider ihn. Omer Vrionis, ber 
ebenfalls jchlimme Beweiſe von der Tücke des Satrapen er« 
fahren Hatte, wich aus Theſſalien zurüd und trat feinerjeits 
mit Dramali und Pacho⸗Bei in vnerrätheriiche Beziehungen. 
Dramali ging zunäcit nur bis zu dem Pindospafle von 
Gomphi vor und erwartete die Ankunft des Pacho - Bei. 
Inzwilchen überfluthete die Armee des Pehlewan-Baba 
mit wilder Energie Mittelgriehenland. Die Thermopylen 
waren nicht zu halten. Und als die wilden Schaaren in 
Böotien einbrachen, welches fie in fchlimmer Weiſe ausjogen, 





Ali verliert ganz Mittelgriechenlano. 433 


durch Brandſchatzungen erjchöpften, und mit jehänblichen Aus- 
fchweifungen bejubelten, erhoben fich die Griechen ber Stadt 
Livadia (Lebadeia) gegen ven General Odyſſeus und 
zwangen ihn mit Gewalt, ven Plag zu räumen, und nach dem 
Weiten zu vetiriven. Bon Behlewan- Baba energiich verfolgt, 
sich Odyſſeus über Salona; einige Gefechte bei Lidhoriki 
vermochten die Osmanen nicht ernſthaft aufzuhalten. Um fo 
‚weniger, als Veli⸗Paſcha darauf verzichtete, fich in Lepanto 
zu behaupten und mit Dinterlafjung einer fchwachen Beſatzung 
fich nach Prevefa zu werfen bejchloffen Hatte. ‘Den Befehlen 
des inzwilchen mit 20,000 Dann in Larijfa eingetroffenen 
Seraskiers Ismael⸗Pacho-Bei folgend, griff Behlewan 
dann Lepanto an, welches ohne Schuß fiel, und gewann eben- 
falls ohne Kampf, aber ftetS unter Erhebung gewaltiger Con⸗ 
tributionen, die Städte Mefolongion, Anatoliton und Vrachori 
in Ütolien, und rückte endlich ohne Schwertitreich in Vonitza 
ein. Das jcheußliche Treiben dieſes Heerführers und feiner 
Banden hatte inzwilchen überall bahin gewirkt, daß bie 
Hellenen Mittelgriehenlands von der tiefiten Crbitterung 
gegen die Osmanen erfüllt wurden. Derjelbe Anagnojtes, 
der ſchon vor Ausbruch des Kampfes die Bewaffnung der 
Theſſaler veranlaßt hatte, und jet feine perfive Doppelrolfe 
als Agent des Behlewan fortjette, ftachelte die allenthalben 
in die Gebirge zurückweichenden Griechen zur Bewaffnung an. 
Anscheinend noch immer gegen Alt, in Wahrheit zum Schute 
gegen Pehlewans Truppen, und fünftig zum Kampfe gegen bie 
Dsmanen, gegen welche, wie er auöbreitete, auch Rußland 
bereit8 am Pruth ein Heer ſammele. Bereits hatte auch 
Dramali in Theſſalien durch fein unbejonnenes Auftreten 
gegen die zu ibm übergetretenen Armatolen und durch feinen 
fehr zur Unzeit berausgefehrten Abſcheu vor dem Chriftenthum 
und dem unter Ali's toleranter Herrfchaft gefchügten griechiichen 
Kierus, weit und breit dva8 Bedauern über Ali's Niedergang 
erwedt und eine für die Entwidlung der Dinge im Sinne ver 
griechiſchen Erhebung höchſt günftige Temperatur in allen 
Klaffen der chriftlichen Bewohner diefer Gegenden erzeugt. 
Hertberg, Geſchichte Griechenlands. III. 28 


484 Buch II. Kap. IL 2. Ali verliert Epirus. 


Inzwilchen ſchnellte Ali's Schale einige Zeit lang no 
immer höher empor. Im nördlichen Albanien hatte 
Muftai, der junge Paſcha von Skutari, feinerjeits den Angriff 
begonnen, ver ihm jchnell alles Land bis nach Durazzo mit 
biejer Stabt in die Hände warf. Vaſiaris und Ali's Sohn 
Muchtar, damals für feinen Vater Gouverneur im Sand 
ihat Berat, wurden baburch bier feftgehalten. Indeſſen 
wurde Muftai, der ſelbſt Albaneje, felbitherrlich wie Alt, und 
fein perjönlicher Feind des Satrapen war, nicht jehr gefährlich. 
In Elbaſſan angelangt, nahm er einen Angriff der Monte⸗ 
negriner auf fein Pafchalit wohl nicht ungern zur Veranlafjung, 
den Krieg nicht fortzufegen und den Rüdzug anzutreten. Aber 
auch Muctar benuste diefen Bortheil nicht zum Vorſtoß 
gegen Makedonien, und deckte nur jein Gebiet gegen eventuelle 
Angriffe des Rumili⸗Valeſſi Selim von Salonichi, dem Pacho- 
Bei den Auftrag ertbeilte, aus Makedonien direkt gegen Berat 
vorzubringen. Biel verberblicher wurde für Ali Dagegen bie 
osmaniſche Flotte, die unter dem Kapudan⸗Bei, mit ben 
gegen Alt erbitterten Hydrioten bemannt und durch geworbene 
Krieger aus der Maina verftärkt, ohne jedes Hinderniß gegen 
bie epirotifche Küfte operiren konnte. Won dem Hafen 
Banormos aus wurden jet die Chimarioten gegen Alt auf 
gewiegelt, und Muchtar ſah fich bald genöthigt, von Berat 
nach der ftarten Seftung Arghyrokaſtron zurückzuweichen, 
wojelbft er — als die Flotte auch Butrinto und Parga 
erobert batte — bald genug erfuhr, daß auch fein Bruder 
Belt durch Behlewan zu Lande und durch die Flotte von ber 
Seefeite ber in der Citadelle von Preveja blofirt wurde. Bald 
genug hatte der Kapudan⸗Bei fo viele chriftlide Gegner 
Ali's ans Epirus zur Seite, daß Pehlewan abziehen, durch 
Alarnanien und die Päſſe des Makrynoro geben, und Arta 
den Truppen des Odyſſeus entreißen konnte, der baun nach 
Janina zurückwich. 

In Arta erhielt Pehlewan den Befehl, nunmehr dem Is mael⸗ 
Pacho⸗Bei die Hand zu bieten, welcher jet im Begriffe 
ftand, aus Theffalien durch die Väffe des Pindos gegen Janina 





Ali auf Janina befchräntt. 435 


vorzudringen. Pehlewan rüdte daher auf der großen Straße 
nah Janina bis nach der ftrategiich höchft wichtigen Stellung 
von Pendepigadhia nor. Alt feinerjeits ſuchte gegen Ismael⸗ 
Bacho- Bei den großen Pindospaß von Metzowo durch des 
Omer Brionid 15,000 Mann zu jchügen, während ber jübliche 
Paß von Portaes, der nach den Ruinen von Gomphi und 
nah Trikkala führte, durch verſchiedene griechiiche Armatolen 
und albanefiihe Häuptlinge gebütet wurde. Pacho⸗Bei war 
ihlau genug, den Angriff auf Metzowo zu vermeiden. Das 
Shſtem der Päſſe von Trilkala nach Epirus wurde Dagegen 
fräftig angegriffen, und nach dem eriten Erfolge der großherr- 
lichen Truppen gingen Ali's Hier aufgeftellte Schaaren, zuerſt 
der Armatole Sturnaris, ohne Weiteres zu Pacho⸗Bei über, 
der nun bie Verbindung mit Pehlewan berftellen konnte. 
Omer Brionis aber, amjtatt ſich raſch nah Janina zu 
ziehen, ließ fich durch das Beriprechen des Paichalils von 
Berat beitimmen, jest Alt unmittelbar zu verrathen. Kaum 
daß Alt felbit, den man mit Liſt in Omers Lager gelodt 
batte, noch nach Janina entfliehen konnte. Omers Armee lief 
theils aus einander, theild trat fie in die Dienjte des Pacho- 
Dei über, der jest nahe daran war, jeine Rache vollitändig 
zu jättigen ?). 

Ali⸗Paſcha gab ſich indejfen noch keineswegs ganz ver» 
(oren. Geftüßt auf feine ſtarken und wohlverjehenen Saftelle 
m und bei Janina, auf eine jehr zahlreiche und vortreffliche 
‚Artillerie, auf eine Garnifon von noch immer 6000 Dann, 
auf die den See von Sanina beberrichende bewaffnete, mit 
Korfioten bemannte Flottille, glaubte Alt eine Belagerung 
ohne Gefahr aushalten zu können. Überzeugt, daß ein einziger 
glücklicher Schlag das bunt und locker zufammengejeßte Heer 
des Ismael⸗Pacho⸗Bei zerreißen müffe, war er um jo weniger 
ängftlich, als der Serasfier zur Zeit noch Fein ſchweres Des 


1) gl. Bougqueville, Thl. U, ©. 37—81. Finlay, History 
of the greek revolution, vol. I, p. 87’ — 9. Mendelsjohn - Bar 
Holdy, Geſch. Griechenl, Thl. I, ©. 122—124. 

28* 











436 Buch II. Kap. II. 2. Ismael⸗Paſcha blofirt Janina. 


lagerungsgeſchütz zur Hand Hatte. Der Tiger von Epirus 
begann feine Gegenwehr gegen bie Osmanen mit einer furcht- 
baren Barbarei; er ließ, während bie Einwohner von Janina 
die blühende Stadt zu räumen genöthigt wurben, dieſelbe durch 
feine ſchlypetariſche Garde plündern und bann durch das 
Bombenfener der beiden Citadellen (Seeſchloß und Litharizza) 
zerftören. Die flüchtigen Einwohner wurben großentheil von 
den Vortruppen der osmanifchen Armee geplündert, — ein 
Theil der Fräftigften rächte fich nachher durch wilde Klephturie. 
Als endlich die osmaniſche Armee (Ende Auguft 1820) 
die Ruinen von Janina erreichte, wurde Pacho⸗Bei, jekt 
„Ismael⸗Paſcha“, in aller Form an Ali's Stelle zum Paſcha 
von Epirus proflamirt, und die Blokade von Ali's Schlöffern 
im September eröffnet. Damit fam man aber nur [ehr 
langſam vorwärts. Während man Alt gar nicht Kindern 
fonnte, fich über den See andauernd friich zu verpropiantiren; 
während ber durch Theſſalien ben osmaniſchen Truppen vor Ianina 
zuziehende Nachſchub durch feine Erprejjungen die Griechen 
diefer Gegenden immer mehr erbitterte, ftand Alt in ver 
lebbafteften Correipondenz mit den Führern der griechiichen 
Hetäriften in Buchareft und Jaſſh, die im November mit 
Plänen zu baldiger Inſurgirung der Walachet, der Inſeln 
und des Peloponnes fih trugen. Odyſſeus aber mußte 
etwa 1500 ätolische Armatolen, die in der Einichliegung 
ſich unbehaglich fühlten, bei einem Ausfalle den Osmanen als 
Überläufer zuführen. Dann zog fich der fchlaue Parteigänger 
nah Ithaka zurüd; feine Leute aber wurden durch die plumpe 
Ungefchicklichleit, mit welcher der Serastier in feinem bornirten 
islamitiſchen Fanatismus mehr und mehr alle Chriften vor 
den Kopf ftieß und zugleich mit alttürfiihem Mißtrauen vie 
Schkypetaren reiste und erbitterte, dermaßen verlegt, daß fie 
das türkische Lager verließen und bie Osmanen nunmehr 
als Klephten zu befehden anfingen. Überhaupt entfaltete 
Ismael-Paſcha allmählih ein höchſt achtungswerthes 
Talent, das Volk, welches er regieren ſollte, zu erbittern und 
wichtige Machtelemente ſich feindlich zu ſtimmen, ohne dabei 





Die Sulioten. 437 


mit militäriſcher Einfiht und Kraft trog feiner fchlieplich 
60,000 Mann die Belagerung von Janina wirklich vorwärts 
bringen zu können. Nur darin war er endlich glücklich, daß 
es ihm gelang, Ali's Söhne, zuerft Veli in Prevefa, dann 
ah Muchtar in Argbyrolaitron, zu beitimmen, baß fie 
gegen bie Zuſage der Amneſtie und ber Ausftattung mit 
afiattichen Paſchaliks Fapitulirten, ihres Vaters Sache aufgaben, 
ihre Feftungen den Osmanen übergaben und ſich, jener an 
Bord einer türkiſchen Fregatte, dieſer zunächſt nach Salonicht 
begaben. Beide find nachher unter ficherer Bedeckung nad 
Anatolien gebracht worden. 

Die Übergabe von Preveſa fette endlich den Ismael-Paſcha 
in den Stand, im Oktober Ali's Citadellen mit jchweren Ger 
ſchützen angreifen zu fünnen. Des Pehlewan- Baba, der mit 
ihm zerfiel und endlich mit Alt zu tranfigiven begann, ent- 
ledigte er fih durch Gift, Tieß fich aber gleich nachher durch 
Alt in einem gewaltigen Ausfall aufs Haupt fchlagen, und fah 
bei jeiner militärtich » politifchen Ungeſchicklichkeit und bei dem 
einreißenden Proviantmangel fein Heer gegen den Spütherbft 
bin ſich theilweiſe auflöjen. Unter dieſen Umftänden kamen 
die Osmanen auf den Gedanken, Alt’s alte erbitterte Gegner, 
die Sultioten, gegen den Satrapen von Janina aufzubieten. 
Ismael⸗-Paſcha wurde burch den Sultan autorifirt, mit ihren 
zu unterbandeln und ihnen eventuell als Lohn für ihre Hilfe 
ihr Gebirgsland Suli zurüdzugeben. Die Sulioten auf den 
ioniſchen Injeln — jeßt geführt von dem jugendlichen Mar⸗ 
kos Botzaris (geboren um 1788), des Kitzos Bokaris 
(S. 319) herrlichem Sohne, der durch ftattliche Erſchei⸗ 
nung, dur glänzende Tapferkeit, kriegeriſche Gewandt⸗ 
beit und mufifaliihe Begabung jeinem Volke werth, durch 
feinen waderen Charakter nachmals auch der Gegenſtand ber 
Hochachtung Seitens der Europäer wurde — gingen fehr 
bereitwillig auf die Vorſchläge der Osmanen ein und ers 
jchienen, gegen 800 rüſtige Krieger, in dem Lager vor Ianina. 
Aber die Freundichaft mit Ismael-Paſcha dauerte nicht lange. 
Diefer bornirte Mohammedaner, der nur zu gern der Abneigung- 


438 Buß II. Kap. IL. 2. Allianz der Sulioten mit Ali. 


der früheren moslemitiichen Nachbarn der Sulioten entgegen- 
kam (S. 219), der die Chriften am Tiebften doch nur als 
rechtsloſe, gefnechtete Rajah dulden mochte, machte durchaus 
feine Anstalt, die Sulioten in den Befit des ſtarken, von 
Ali's Truppen bejegten Kiapha (S. 319) zu fegen. Deſto 
geneigter war er, ihnen ſtets die gefährlichitien Poſten vor 
Sanina anzumeiien. Als endlich das türkiſche Lager immer 
mehr durch die Rückenanfälle von Ali's Parteigängern und 
von den durch Ismael⸗Paſcha beraubten und in ihren religiöſen 
Gefühlen verlegten Chriſten des Landes geplagt wurde, zeigte 
er fehr zur Unzeit gegen’ bie fchlecht bezahlten und ſchlecht 
verproviantirten Sulioten ein beleivigendes Mißtrauen und 
verwies fie aus feinem Lager nach einem anderen Plage. Der 
Huge Ali-Paſcha wurde nicht fo bald dieſes ſchweren Miß—⸗ 
griffes feines Todfeindes gewahr, als er auch mit feiner 
gewohnten Gefchidlichfeit geheime Unterhandlungen mit den 
Sulioten anzufnüpfen verftand. Die Sulioten gingen jofort 
darauf ein, Botzaris jelbjt fuhr eines Nachts über den See 
zu At und jchloß mit ihm einen förmlichen Vertrag. 
Schon längſt in das Geheimniß der Hetärie eingeweiht, theilten 
ibm die Sulioten die legten Pläne der Griechen natürlich) 
nicht mit. Aber fie befchlofien, Alt zunächit gegen die D&- 
manen zu unterjtügen, ſoweit fich) das mit ihren und mit den 
Sntereffen der Griechen vertrug. Beide Parteien ftellten 
einander Geijeln, die Sulioten follten 500,000 Piaſter und 
Ali's Schlöjfer in Suli, Kiapha ausgenommen, erhalten. 

Am 6. December 1820 (alten Styles) verließen Die 
Sulioten mit fliegenden Fahnen die türkiſchen Stellungen und 
marichirten auf dem Wege über Variadhes nah Suli. 
Ehe die Osmanen vor Janina von ihrem Erjtaunen, die 
Schkypetaren im Lager von ihrem Schreden über ben Abfall 
ber gefürchteten Sulioten fich erholten, bejegten dieſe fchnell 
ihr altes Gebiet außer Kiapha, organifirten fich wieder nad 
alter Weije als jelbftändigen Stamm (S. 220) und fuchten 
das Landvolk ihres früheren unterländiichen Gebiete wieder 
als „Para⸗Sulioten“ ficy anzuglievern, wie auch die benach⸗ 








Allianz ber Sulioten mit Alt. 439 


barten Stämme zum Kampfe gegen Ismael⸗Paſcha zu ent- 
flammen. Des Markos Bokaris Oheim (S. 319) Nothi, 
der neu erwählte Polemarch und Chef der (aus acht Männern 
beftebenden) Regierung von Suli, hatte bald 3500 Krieger 
um fich verfammelt. Die Vertreibung der türkiichen Poſten 
aus den wichtigen Stellungen von Dervidziana und Variadhes 
auf der Straße zwilchen Janina, Suli und Prevefa war die 
erfte auffallende That der Sulioten in dem neuen Kampfe, 
und der jugendliche Held Markos, das Schwert von Sul, 
eroberte mit 240 Mann den einft von Alt verichanzten Boften 
von Penbepigabhia auf der Mitte des Weges zwiſchen Ianina 
und Arta, ehe noch das Jahr 1820 zu Ende ging Der 
Bannftraßl, weldden auf osmantichen Befehl der Erzbiichof 
Porphyrios von Arta gegen Suli fchleudern mußte, blieb 
natürlih ohne alle Wirkung. Aber die Sulioten verzagten 
auch nicht, als die erbitterten Osmanen nun mit Macht fich 
gegen fie wandten, und wußten, durch Schaaren aus Agrapba, 
durch Refte der Truppen des Odyſſeus und frühere albanefijche 
Krieger Ali's unterftüßt, deren Angriffen erfolgreich die Spike 
zu bieten. Unter ſolchen Umftänden kam Ali-Paſcha endlich 
auf den Gedanken, einen allgemeinen Ausfall zu wagen, ven 
Die durch Ismaels Tehler fchwer verlegten Albanefen im 
osmaniichen Lager und bie Sulioten unterftügen follten. 
Gelang dieſe vortrefflich vorbereitete Unternehmung, fo konnte 
der ganze Krieg mit Einem Schlage zu Gunſten Ali's ent- 
fchieden werden. Da die Osmanen zur Zeit nur noch 
13,000 Dann wirflih zuverläffiger Truppen vor Janina 
ftehen Batten, fo fam Alles auf ven Entſchluß der Sulioten 
an, bie Alt jet Durch einen beweglichen Brief (21. Januar 1821) 
zur Theilnahme an dieſer fühnen Unternehmung einlub, wofür 
er ihnen dann Kiapha veriprad. „Der Kriegsrath der 
Sulioten aber’, fe gibt es die neuefte griechiiche Hiftortograpbie 
an?), ‚„beichloß, in dieſem kritiſchen Moment Alt’8 Wüniche 


1) Die frühere Angabe war befanntlich die, daß Ismael- Baia den 
Brief Ali's an die Sulioten aufgefangen und baburd des Satrapen 


440 Buch II. Kap. II. 2. Allianz der Sulisten mit AR. 


nicht zu erfüllen. Sie glaubten ihn genau genug zu kennen, 
um vorausfehen zu müſſen, daß er nach feiner Entjegung bie 
Gnade bed Sultans durch Preisgebung von Suli und eifrige 
Dienfte gegen die Griechen würde erfaufen wollen. Mit 
entfprechender Liſt baten die Sulioten daher ven Ali um 
Aufichub, Tießen aber den Boten, der den Brief überbrachte, 
erit dann nah Janina gelangen, als der für ben Ausfall 
beftimmte Termin vorüber war.‘ Unter dieſen Umſtänden 
mußte ber gewaltige Ausfall der Beſatzung von Janina am 
26. Sanuar (alten Styles) 1821) trog aller Tapferkeit 
ber Krieger Ali's und trog der Gewandtheit der Oberleitung bet 
bem Ausbleiben der Sultoten fchließlich jcheitern, und Ali fa 
fih allmählich auf eine hoffnungsloſe Defenfive zurückgeworfen, 
bie num nur noch ber keimenden griechiſchen Revolution zu 
Gute kam ?). 

In letzterer Beziehung haben wir namentlich zu bemerken, 
daß gerade jetzt der gewaltige osmaniſche Feldherr, der neuer⸗ 
dings (November 1820) das Paſchalik Morea erhalten Hatte, 
ber vielbewährte Veteran Khurichid- Balcha, in einen höchſt 
fritiichen Augenblide Tripolitza verlaffen und das Ober 
commando übernehmen mußte. Sultan Mahmud II. wollte 
unter allen Umftänden mit dem verbaßten Alt zu Ende 
fommen. Da Ismael » Pajcha, der ohnehin nicht mehr 
die volle Gunft des Khalet⸗Efendi beſaß, nicht fertig zu 
werben vermochte, jo befahl ver Padiſchah, daß Khuricht ven 
Plag als Serasfier auf dem epirotiichen Sriegsfchauplate 


Pläne vereitelt habe. Die jett vorgetragene Darlegung ſtützt fich auf 
Mendelsfohn- Bartholdy (Gefchichte Griehen!., Bd. I, ©. 1267.), 
der dern neuen Angaben des Kutſonikas über Suli, Ali Pafdha und bie 
Geneſis der griechiſchen Erhebung folgt. 

1) Diefes Datum geben Pouqueville (a.a.O., Th. LU, S. 186 ff.) 
und Mendelsjohn- Bartholdy (a. a O. ©. 127), während 
Finlay (History of the greek revolution, vol. I, p. 101) dafür nod 
genauer den 7. Februar (mn. St.) berechnet. 

2) Ponqueville, ©. 82—202. Finlay ]. c. p. 96—101. 
Mendelsfohn- Bartholdy, ©. 124 fi. 


Khurſchid⸗Paſcha v. Moren geht (Ian. 1821) als Seraskier nach Janina. 441 


einnehmen jolltel Dieſer Befehl tft für die Osmanen ver«- 
hängnißvoll geworden. Nicht nur Nord» und Mittelgriechen- 
land waren burd ben epirotiichen Krieg auf das Xiefite 
aufgeregt worden. Auch in Morea, wo von Ausichweifungen, 
wie fie die türkiichen. Truppen un Generale auf dem Marfche 
nad Janina andauernd verübt hatten, gar feine Rede war, 
gährte es überall. Die (f. unten) erhöhte Arbeit der Hetärie 
und der Wieverhall der Kämpfe in Epirus regten auch bier 
alle Gemüther auf. Ungewöhnliche Phänomene und ein großes 
Erobeben im December 1820 trugen dazu bei, bei Moslims 
und Chriften der Halbinfel die Ahnung einer nahen und 
gewaltigen Erichütterung zu ftärlen. Zu großem Vortheile 
aber für die Griechen glaubte auch der Huge und energifche 
Khurſchid in der allgemeinen Aufregung doch nur bie 
Folgen der Imtriguen Ali's zu erkennen; mit Ali's Unter- 
gange, jo glaubten überall bie türkfiichen Befehlshaber, werde 
auch Griechenland jofort wieder zur Ruhe kommen. Anſtatt 
aljo Alles zu kraftvoller Abwehr einer griechiihen Empörung 
zu rüften, überließ Khurſchid — der jchon vor drei Monaten 
eine Milfion Piafter für den Krieg und bie Defignation zum 
Seraskier erhalten hatte — nunmehr jeinem Kaimakam ober 
Stellvertreter Mebemet-Salif-Aga, einem anmaßenven, 
unfähigen, jungen Manne, da8 Commando in XTripolika, 
brach Ende Januar 1821 nad Larifja auf, um Die dort neu 
fi) jammelnden Truppen zu übernehmen, und marſchirte 
(während er etwa 1000 Mann zur Verſtärkung der Bejagungen 
nach Morea dirigirte) mit 22,000 Mann über Triffale 
nach ben Nuinen von Sanina, die er endlich in der erjten 
Hälfte des März 1821 erreichte. Noch einmal wurden 
Unterhandlungen mit Alt angelnüpft. Die Forderungen aber, 
welche Ali im Hinblid auf die eben damals (ſ. unten) ſich 
einleitende griechiiche Erhebung in Rumänien und Moren 
ftellte, — Amneftie, Hinrichtung des Ismael⸗-Paſcha, Über- 
laſſung des Paſchaliks Janina mit der Küjte und Akarnanien 
an At auf Lebenszeit, wogegen Ali alle Kriegskoſten und 
rücjtändigen Tribute auszahlen wollte — , Wurden bon 


442 B. II. . V. 2u.8. At überläßt (März 1821) Kiapha den Sulisten. 


Stambul aus rund und nett abgelehnt, Ergebung auf Dis 
fretion an Khurſchid gefordert. Auf dieſe Abwetiung antwortete 
Ali mit einem enticheidenden Zuge; er ließ nemlich nunmehr 
gegen Ende März 1821 die Feltung Kiapha mit allen ihren 
Vorräthen und Kriegsmitteln rüdfichtslos den Sulioten 
überliefern. Khurſchid-⸗Paſcha, der nicht wie der nunmehr 
nah Arta abeommandirte Ismael⸗Paſcha durch perfönlice 
Nachgier und Sehnſucht nach Ali's Schägen getrieben wurde, 
fondern lediglich für die Intereffen des Sultans Tämpfte, 
mochte nun immerhin mit befjerem militärifchen Verſtändniß 
und größerer politiicher Einficht den Kampf gegen Ali energiih 
wieder aufnehmen. Aber als der März des verhängnißvollen 
Jahres 1821 zu Ende ging, handelte es fich ſchon nicht mehr 
darum, Alt und Die wieder aufgeloderte Inſurrektion ber 
epirotiichen Schkupetaren niederzumerfen, noch auch einen neuen 
Vertilgungstrieg gegen die Hand voll Sulioten zu eröffnen. 
Bereits war in Rumänien die Revolution der Hetärie au 
gebrochen, und nur wenige Tage noch trennten die Aufpflanzung 
des Krenzes auf den Thürmen Kiapha's von dent Auflodern 
der biutigen Volkserhebung in Morea }). 


IM. 


Die Augen der Osmanen wie der Griechen waren jeit 
dem Aufmarfche des Behlewan- Baba gegen Odyſſens feft auf 
den grimmigen Kampf bei Janina gerichtet geweſen. Darüber 
batte die Maffe der Bevölkerung ver Ballanhalbinſel nicht 
darauf geachtet, wie während bes Jahres 1820 die Hetärie 
endlich ihre einheitliche Leitung zu erzielen vermocht hatte. 
Als die verfchtevenen Anfragen, deren wir früher (S. 415) 


1) Vgl. Pougueville, 3b. IL, S. 206ff. 214 — 219. 220 — 226. 
230 ff. 260 fe. Finlay l. c. p. 101 sqg. v. Protefh - Ofen, 
Bd. I, ©. 41f. Mendelsfohn- Bartholdy, Bd. I, ©. 127. 
178f. 187. 





Zantho8 (Februar 1820) und Kapodiſtrias. 443 


gebachten, zu Anfang des Jahres 1820 an den Grafen 
Kapopdijtrias gelangten, befand fich berfelbe Feineswegs in 
bejonders bequemer Lage. Die Nachrichten aus dem romas - 
niſchen Südeuropa, zunächſt die Kunde von bem zu Cabir 
unter den jpanischen Truppen zu’ Anfang des Jahres 1820 
ausgebrochenen großen Aufitande Riego's und deſſen immer 
weiter brennenden Folgen, batten den Kaiſer Alerander I. 
auf das Ziefite verftimmt. Bei diefer Temperatur war alfo 
zur Zeit von dem fonjt griechenfreundlichen Kaiſer nichts zu 
hoffen, am wenigjten für einen griechiichen Geheimbund und 
für eine revolutionäre Bewegung bes belleniichen Stammes. 
Es fam dazu, daß ber toniiche Staatsmann von einer auf 
fih allein beſchränkten griechiichen Erhebung nur Unheil für 
fein Boll, für Griechenland nur von dem ruſſiſchen 
Schwerte eine durchſchlagende Hilfe erwartete, auf die bei dem 
gegenwärtigen Stande der allgemeinen Politik noch nicht 
gerechnet werden fonnte. Unter diejen Umftänden verhielt 
fih Kapodiſtrias gegen die erjten Anfragen und Boten aus 
griechiichen Kreijen, gegen Negris, Vardalachos und Kamarinos, 
fhroff und rund ablefnend. Als aber im Webruar 1820 
jener Lanthos mit einem Empfehlungsichreiben des Anthimos 
Gazis bei dem Grafen eintrat, bemfelben die ganze Ver⸗ 
ſchwörung, ihre Mittel, ihre Lage entdeckte und vollitändig in 
feine Hände gab, den Aufitand als unvermeidlich erklärte und 
die Anficht ausſprach, Daß Kapopiftrias feinem Wolfe jeine 
Führerfchaft nicht entziehen dürfe: da mußte der iomijche 
Staatsmann eine bejtimmtere Erklärung abgeben. Er lehnte 
die ihm zugedachte Leitung entſchieden ab, befannte fich aber 
mit dem Grundgedanken des Bundes einverftanden, indem er 
dem Xanthos fchließlich ſagte: „Kann ich jett nicht, jo können 
die Vorſteher, jobald fie dieſes erfahren, andere Mittel er- 
greifen, und ich flehe, daß ihnen Gott zur Erreichung ihres 
Zieles behilflich jei! 

In diejer Weiſe von dem Staatsmanne zurücdgewieien, 
befchloß Lanthos fih nunmehr an den Fürften Alexander 
Hypſilanti zu wenden, ber in feiner Stellung doch auch 


44 Bud II. Kap. IL 3. Xauthos und Alexander Hyypſilanti. 


wohl geeignet war, ben Schein jener hoben ruffüchen Be⸗ 
ziebungen zu erhalten, deſſen die Hetärie nicht entbehren konnte. 
Xanthos ließ daher den jungen Offizier zunächſt durch 
einen Vertrauten ausforichen, und als er ven kecken, ehr⸗ 
geizigen unb patriotiich glübenden Fürſten nur allzu bereit 
fand, trat er mit ibm perjönlich in Verbindung und machte 
ibm Namens der Hetärie die nöthigen Anträge. Hypſilanti 
ab fich vor eine ſchwere Entſcheidung geftellt. Die Annahme 
ber führenden Stelle in ver Hetärie und in dem erwarteten 
Kampfe gegen die Pforte mußte ibm zunächſt einen ficheren 
ichweren Verluſt zuzieben. Seine Yamilie Hatte neuerdings 
ihre in Rumänien eingezogenen Güter von ber Pforte zurüd- 
verlangt und dazu eine Entiehäbigung von mehreren Miillionen 
Trance in Anſpruch genommen. Für Aleranver felbit ftanven 
zwei Millionen Francs auf dem Spiele. Er wußte, daß bie 
ruffiihe Regierung bei den feit einigen Sahren in Stambul 
über die rumäniſchen Verhältniſſe ftattfindenden Conferenzen 
auch für jeine Angelegenheiten mit bebeutender Ausficht auf 
Erfolg thätig war. Das Alles ging verloren, wenn er ſich 
jet auf ein von Rußland nicht gebilligtes Wageſtück einliek. 
Da trug e8 denn der Ehrgeiz, die Erinnerung an bie alten 
Pläne feines Vaters, und der griechiiche Patriotismus bei 
Hypiilanti davon. Hoffte er auf der einen ‚Seite, daß für 
alle Fälle die griechenfreunbliche Gefinnung des Kaiſers ihm 
den Rüden decken werde, jo überjchägte er auf der auberen 
Geite ohne jeine Schuld die Bedeutung der Hetärie und 
glaubte annehmen zu bürfen, daß ihr in Wahrheit nur noch 
die Traftvolle einheitliche Leitung fehle. So erklärte er 
jihb gegen XZantho8 bereit, die Führung Der 
Hetärie zu übernehmen. Über feine nächſten Schritte 
gibt der neuefte deutſche Hiftoriograph des griechischen Aufs 
ftandes !) Folgendes an: „Da er wegen Unpäßlichleit das 
Zimmer hüten mußte, lud er feinen Freund Kapodiſtrias ein 


1) Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, TEL J. 
©. 145. 








Kapodiſtrias und Alerander Hypfilanti. 445 


und erzählte ihm das Vorgefallene. Als nun der Diplomat, 
weit entfernt davon, Einſprache zu erheben, ihn in feinem 
Vorhaben beftärkte, da wuchs Hypſilanti's Vertrauen auf 
einen glüdlichen Ausgang, und er fragte nun gerade heraus, 
ob man auf materielle Unterftügung von ruſſiſcher Seite 
zählen dürfe?  ,Das Krfcheinen weniger Tauſend Aufs 
Ttändifcher in Griechenland genügt, damit Rußland nad 
Kräften zu Hilfe kommt. — ‚Mehr wünjchte ich nicht‘, 
erwiberte Hhpfilanti, ‚als ih die Oberleitung übernahm‘, 
wollte nun aber perſönlich mit dem Katjer über fein Vorhaben 
reden. Davon rieth ihm nun Kapodiſtrias entſchieden ab, 
beftimmte ihn endlich dahin, eine Denkſchrift über die Lage zu 
fchreiben, die er dem Kaiſer bei günftiger Gelegenheit vorzue 
Yegen verſprach. Hhpfilantt überfandte dieſe Schrift feinen 
Sreunde ſchon am folgenden Tage. Nun bat Kapodiſtrias 
um einen achttägigen Aufſchub. Als die Friſt herum war, 
erflärte er, es fet völlig unmöglich, dem Kaiſer derartige 
Borfchläge zu machen, da Alerander einem Kriege Rußlands 
mit der Türkei und einer Verwicklung mit England entfchieden 
abgeneigt ſei. Trotz alledem nahm ber Miniſter weder feine 
früheren Verficherungen zurück, noch mißbilfigte er ben Plan 
Hypfilanti's, fi an die Spige der Hetärie zu ftellen, und es 
war nur zur begreiflih, daß fih in dem betbörten Soldaten 
der feſte Glaube bildete, der Katfer beblirfe einer vollendeten 
Thatfache und ermutbige bloß offizieller Rückſichten halber ein 
Unternehmen nicht, dem er insgeheim Hold fe. Zugleich 
redete KRapodiftrias ihm zu, den ruſſiſchen Dienft nicht zu 
verlajfen, während Öhpfilantt mit richtigem Takte anfänglich 
den Austritt beabfichtigt Batte. Alles war dahin angelegt, den 
- Gedanken ruſſiſcher Connivenz rege zu erhalten.‘ 

Leichtgläubig und bethört, wie er war, ging Alerander 
Hypfilantt dann ruhig feinen verhängnißvollen Weg weiter, 
einigte fih volfftändig mit Kanthos, und zeigte zunächit ben 
Dberhäuptern des Bundes an, „daß er die Oberleitung übers 
nommen babe und für feine Handlungen nach dem Kriege dem 
Volke Rechenſchaft ablegen werde”. Xanthos, ber ihm auf 


446 B8.ILR.IL 3. Aler. Hhpſilanti übernimmt b. Führung d. Hetärie. 


eigene Berantwortung Alles gewährt Hatte, was Hyyſilanti 
forderte, verjandte das aufgenommene einfache Protokoll an 
die Vorſteher (12/24. April 1820), und übergab bem 
Zürften, der nun zum „General-Ephoren der „Apyn“ 
ernannt wurde, alle Rechnungen, Papiere und Briefichaften 
ber Hetärie. Nun wurde die Ernennung des Hypſilanti zum 
General⸗Ephoren nach allen Richtungen bin angezeigt, Beiträge 
in Geld und Waffen begehrt, Kampfbereitfchaft empfohlen. 
Am 15. Junt war er, ohne dab der lebte geheimnißvolle 
Schleier gelöft wurde, als oberfter Vorſtand der Hetärie von 
ven bisherigen Führern anerfannt und allen Ephorien als ber 
Veloherr für den „heiligen“ Krieg gegen die Osmanen be= 
zeichnet 9). 

Die Griechen konnten feinen größeren Mißgriff begeben, 
al8 gerade diefen Zürften Alerander Hypſilanti an die 
Spitze ihres unter allen Umftänden furchtbar gewagten Unter 
nehmens zu ftellen. Nicht viel über Ein Jahr iſt verſtrichen, 
als in der gefammten belleniichen Welt darüber kein Zweifel 
mehr beitand. Dieſer Abkömmling einer Familie bedeutender 
Staatsmänner , wohlgeihulter Diplomaten, bejaß feinen 
einzigen Zug, wie er für den Chef einer großen nationalen 
Erhebung geradezu unerläßlih if. Es ift wahr, Alerander 
Hypfilanti beſaß als Privatmann fehr achtungswertbe Eigen⸗ 
ſchaften. Er war ein tapferer und unerjchrodener Solbat, 
und fein Herz ſchlug warm für fein griechiiche® Vaterland, 
bem er gern beveutende materielle Vortheile geopfert hatte. 
Zu feinem Unheil aber fehlte ihm jede ſtaatsmänniſche Ber 
gabung. Leicht erregbar, hatte er fich ohne alle Kenntniß der 
wirklichen Lage Griechenlands, ohne Kenntniß der europäiichen 


1) 2gl. Brandis a. a. O. Bd. DU, S. 29. Gervinus a. a. O., 
Bd. V, Thl. 1, S. 138fl. Pinlay, History of the greek revolution, 
vol. I, p. 134s840. Hopf, Griechen. im Mittelalter, Bd. 86, S. 188. 
v. Protefh - Often, ©. 13. Mendelsfohn - Bartholdy, Graf 
Johann Kapodiſtrias, S. 86 u. 58 ff.; „Gefchichte Griechenlands *, 
©. 142-—146. 





Charakter des Alerander Hypfilanti. 447 


Politit, ja ohne Erkenntniß feiner eigenen Mittel in einer 
Weiſe in die Sache der Hetärte eingelajfen, die man nur 
einen ‚Sprung in das Dunkle‘ nennen kann. Boll blinder 
Bertrauengjeligkeit in Sachen feiner ruffiichen Beziehungen, wo 
ihn weder das Schidjal noch die Abfchievsworte feines fter- 
benden Vaters warnten; erfüllt von unklaren Träumen einer 
fünftigen Herrſchaft über ein neues byzantiniſches Neich, ent- 
behrte er wirklider Menſchenkenntniß in fchlimmer Wetfe. 
Mehr aber, ohne Klarheit und Sicherheit in feinen Plänen, 
leider auch ohne rechte Wahrbeitsliebe, war er außer Stande, 
der politijhe Führer unter Berbältnilfen zu jein, wo das 
Meifte auf den Zauber einer Alle zufammenhbaltenden und 
fortreißenden Berjönlichkeit anlam. Noch weniger war ihm 
ſchöpferiſcher Geiſt, Reichtum an Hilfsmitteln, fchnelle Ent- 
ichlofjengeit , frijche Geifteögegenwart, oder auch nur zäbe 
Ausdauer und fichere Haltung in Widermwärtigfeiten zu Theil 
geworden. Zu allem Unheil - waren endlich ſelbſt feine 
militärijchen Fähigkeiten nur die des braven Soldaten, 
nicht die des guten Feldherrn. An zweiter oder britter Stelle 
ſehr wohl zu brauchen, fehlte es ihm auch nach dieſer Richtung 
durchaus an den Fähigkeiten, wie fie nicht lange nach feiner 
Ratajtrophe die hydriotiſchen, peloponnefischen und rumeliotiſchen 
Chefs in jo glücklicher Weile entfalteten. 

Nichtsdeſtoweniger wirkte fein erftes Auftreten in den 
der Hetärie zugewandten Kreiſen längere Zeit ſehr nützlich. Die 
neue einheitliche Leitung, die nun jogar von St. Petersburg 
ber fich fühlbar machte, wurde mohlthätig empfunden. ‘Die 
erften Aufrufe des General. Ephoren wurden überall, im 
Konak des Hospodaren der Moldau (Michael Sukos), im 
Fanar, wie bet dem berben Major Theodor Kolofotronis, 
mit wahrer DBegeijterung aufgenommen. Auch das erwies 
fih als nüglih, daß Hypſilanti ſofort dazu ſchritt, ben 
Organismus der Hetärie zu vereinfachen und auf mehreren 
Punkten fejter und militärischer zu gejtalten. Nicht fchön 
dagegen hört es fich an, daß die Hetärie — der Antheil des 
General-Ephoren an vieler Blutthat ift nicht ganz ficher feſt⸗ 


448 Bud II. Kap. II. 3. Die Stimmungen in der Hetärie. 


zuftelfen ) — jenen Kamarinos (©. 415), der mit fehr 
unbequemen Enthüllungen über die durchaus problematiſche 
Natur der ruffiihen Hilfe nach Griechenland zurückkehrte, bei 
ber Überfahrt über die Donau bei Galacz erfchießen ober 
ertränfen Tief. 

Hypſilanti ftand noch nicht Yange an der Spike ber 
Hetärie, als die Frage, was in Sachen der griechiichen 
Erhebung nun wirklich geichehen follte, immer dringlicher ar 
ihn heran trat. Auch jet fehlte es innerhalb des Bundes 
keineswegs an gewichtigen Stimmen, die noch immer zum 
Abwarten mabıten. Die kühlen Gejchäftsleute an der Spike 
der Hetärte wären noch immer zu balten geweien; andere 
Männer hätten am liebſten direkt auf bie europäiichen 
Kabinette gewirkt, wie namentlih Alexander Maurokordatos, 
deſſen Denkſchrift über die Lage des osmaniſchen Reiches Fürft 
Johannes Karadja noch im September 1820 mehreren Höfen 
zujandte ?).. Nur daß auch dieſer fonft befonnene Bolitiker 
nicht nur auf einen nahen Krieg Rußlands mit der Pforte 
rechnete, Sondern ebenfall$ die Idee von der Wiederherftelfung 
des byzantiniſchen Reiches feithielt. 

Alle Beſonnenheit aber ſchwand, die Schwärmer und 
Enthuſiaſten in der Hetärie gewannen das Übergewicht, 
Hppfilanti felbft wurde durch den von ihm gegebenen Anſtoß 
mit fortgeriffen, al8 die Temperatur in Südeuropa durch das 
mächtige Fortichreiten der ſpaniſchen Ntevolution, durch deren 
Weiterbrennen hinüber nach Portugal, noch mehr durch das 
an Spaniens Beiſpiel im Juli 1820 ſich entzündende Feuer 
der Revolution in Neapel, das fpäter auch nach Piemont 
weiter loderte, — fo Heiß fich geftaltete, daß auch Griechenland 
davon ergriffen wurde. Noch kräftiger wirkte enplich ver 
Ausbruch des epirotifchen Srieges. 


1) v. Prokeſch⸗Oſten (Bd. J, S. 13.) fehreibt ganz unverblümt 
diefen Mord dem Alerander Hypfllanti zur Schuld, während Finlad 
(I. c. p. 137) die Sache, foweit der Fürft dabei betbeiligt, wieder als 
zweifelhaft erjcheinen Yäßt. 

2) Bgl. in diefer Richtung v. Prokeſch-Oſten, ©. 15ff. 





Hypfilanti geht nach Odeſſa. 449 


Unter diefen Umftänden glaubte Hypſilanti nicht länger in 
dem fernen St. Petersburg verweilen zu dürfen. „Kapodiſtrias 
ſelbſt“, jo Heißt es ), „half ihm über alle Zweifel hinweg, 
indem er die Pläne ver Hetäriſten volllommen billigte und zu 
raſchem Losjchlagen rieth.“ Hypſilanti nahm daher auf 
unbeſtimmte Zeit zu einer Badereiſe Urlaub und begab ſich 
Ende Juli 1820 mit Xanthos und zwei anderen Hetäriſten 
zuerſt nach Moskau, dann nach Kiew, wo er ſich von feiner 
Mutter Eliſabeth verabſchiedete, endlich nach Odeſſa, wo er 
im Hauſe des Kantakuzenos die freundlichſte Aufnahme 
fand ?). 

As man jet der ungebeuren Unternehmung praftifch 
näher trat, enthüllte fich fofort ein Doppeltes: einerjeits 
die troß aller Agitationen der Hetärie noch immer höchſt un⸗ 
genügende Vorbereitung der griechiichen Welt zu dem Tolojjalen 
Kampfe mit der Pforte, andererjeits die volljtändige 
politiiche Unzulänglichleit des Fürften Alerander Hhpfilantt. 
Daß die politische Lage des osmaniſchen Neiches troß ver 
Kraft, ver Einfiht und der zähen Ausdauer des Sultans 
Mahmud I. den Plänen der griechiichen Batrioten damals 
günftig genug war, fol nicht geleugnet werden. Der epirotifche 
Krieg verzehrte die beiten moslemitischen Kräfte der Balkan⸗ 
balbinjel, jchwächte die militäriiche Bemwegungsfreibeit ber 
Pforte, verftimmte die Triegeriichen Schkypetaren, trieb die 
griechifehen ARumelioten zur Wuth. Es Fam dazu, daß die 
Gährung in Serbien, wo das harte Regime des Milojch viele 
Gegner hatte, nicht erlojchen war, daß die Donaufürftenthümer 
tief aufgeregt waren, daß endlich während des Jahres 
1820 die politiichen Beziehungen zwiſchen St. Petersburg 
und Stambul mehrfach einen gereizten Charakter annahmen. 
Rußlands Conſuln im osmanischen Weiche, faft ſämmtlich 
Griechen von Geburt, arbeiteten daher ſowohl im Intereſſe 
der ruſſiſchen Macht, wie aus landsmannſchaftlicher Sym⸗ 


1) So gibt es jetzt rund und nett an Mendelsſohn-Bartholdy, 
Geſch. Griechenl. Bd. I, S. 147. 

2) Ebend. S. 147f. 

Hertzberg, Geſchichte Griechenlands. IH. 29 


450 Bud II. Kap. II. 3. Die Ehancen ber griechifchen Erhebung. 


pathie, mit wachſender Energie den Beftrebungen der Hesäriften 
in die Hände. 

Weiter aber kann nicht beftritten werben, baß für einen 
Aufftand der Griechen gegen bie Osmanen jenen allerbinge 
fehr bedeutende Machtmittel zu Gebote ftanden. Diefelben 
berubten einerjeits in der (S. 378) vortrefflihen Marine, 
namentlich der griechifchen und albanefiichen Inſeln bes ägäiſchen 
Meeres, weiter in der geiftigen Überlegenheit des griechijchen 
Stammes über Osmanen und Schfupetaren, eublich in ber 
derben Naturfraft der Sphafioten, der Maniaten, und ber 
rumeliotiichen Klephten und Armatolen, wie auch in den in 
europäifchen Dienften geichulten griechiichen Offizieren und 
anderen Veteranen. Der große Nachtheil aber für bie 
Griechen war und blieb, daß mit Ausnahme der Stämme, 
die zwilchen dem ionijchen Meere und der Inſel Samos, 
zwilhen Cap Matapan und SKaraferia, und zwar auf bem 
Teitlande und auf Kreta noch immer jehr ftarf mit Moham⸗ 
medanern burchfegt wohnten, die damals etwa 34 Millionen 
Seelen zählende griechiiche Nation !) auf Hunderten von Meilen 
nur in bünnen Schichten zerftreut gelagert war. Das Bes 
benfen war gar nicht zu unterbrüden, baß die Griechen, 
mochten fie immerhin im beften Falle zu Anfang erhebliche 
Vortheile durch die Überraihung gewinnen können, auf ihre 
eigenen Kräfte allein geftützt jchließlich Doch unterliegen müßten, 
wenn bie Pforte nur erft dazu Tam, ihre große materielle 
Übermacht ausgiebig zu verwenden und ihre Kräfte in Fluß 
zu bringen. Es kam nun darauf an, daß die Hetärie ımb 
Hypſilanti wenigftend für den Anfang alles Nöthige vor 
bereitet hatten, daß die Erhebung auf dem richtigen Punkte 
begonnen wurde, daß fie endlich politifches Geſchickk und aus 
giebige Kraft genug entiwidelten, um eine fremde Inter⸗ 
vention zu ihren Gunften auch nur möglich zu machen. 

Damit ſah es aber überall ſehr bedenklich aus. Es ift 
wahr, Das alte Land der Hellenen, jene Landichaften, 


1) Finlay, History of the greek revolution, vol. I, p. 2. 


Materielle Kräfte Griechenlands. 451 


bie nachher die Laſt des Krieges hauptjächlich getragen baben, 
waren reich an Mitteln aller Art. Ein ſehr ſcharfblickender 
engliicher Beobachter und Theilnehmer bes griechischen Krieges 
ihlug die Einwohnerzahl dieſes Gebietes in runder Summe 
auf etwa Eine Million an. ‘Dabei berechnete er für 
Morea im Jahre 1820 etwa 458,000 Griechen, zu benen 
bann 40> bis 50,000 Mohammebaner kamen; von dem zur 
Zeit wirklich angebauten Fünftel des Bodens befanden fich 
etwa vier Fünftel in moslemitiichen Hänben. Der Reichthum 
des Landes beitand mwejentlich in Heerden von Kleinvieh; man 
mochte mehr denn zwei bis drei Millionen Schafe und drei 
bis vier Millionen Ziegen rechnen. Der Werth der jährlich 
in Morea erzeugten Produkte konnte vielleicht auf 45 Millionen 
türfifcher Piafter (damals gleich ebenjovielen France), bie 
Ausfuhr der Maina dazu noch auf 14 Millionen Francs 
gejchägt werden. Nur daß von dem Einkommen der Halbinjel 
etwa 14 Millionen Piaſter durch die Abgaben (Morea bradite 
von den Zöllen abgejehen an Kopfiteuer 463,000, an Zehnten 
2,500,000, an Rofaljteuern 10 Millionen Piafter auf) und durch 
die Koften der Erhaltung der osmaniſchen Truppen und Feftungen, 
wie auch der Geiftlichfeit aufgebraucht wurden; nur daß zwei 
Drittheile des Reſtes in die Hände der türfiichen Grundbefiger 
gingen. Mittelgriehenland (mit Euböa, mit den livadiſchen 
Diftriften oder Provinzen Attila, Böotien oder Theben, 
Livadia, Talanti, Turkochorion, Bodoniga, Salona, Lidhoriki, 
Lepanto, Malandrino, Patradſchik, Zeitun, Agrapha, Karpentfi, 
Kravvari, Apofuron, Vlochos, Mejolongion, Venetiko, bazu 
pie afarnaniihen Kantone Xeromero , Vonitza, Valtos, 
Aspropotamos) mochte zujammen von etwas über 291,350 
Ehriften und mehr ald 20,000 Mohammedanern bewohnt 
werden. Don diefer dünnen Bevölkerung kamen beiläufig auf 
Euböa 36,000 Chriften und 7000 Moslims, auf Attifa 
nicht viel über 20,000 Griechen und etwa 1700 Osmanen, 
auf Akarnanien, Metolien, Phokis und Lokris zufammen 
ungefähr 80,000 Ehriften. Diejes Gebiet brachte an Kharadſch 
251,605, an Zehnten 994,292, an anderweitigen Steuern 
29 * 


452 Bud I. Kap. I. 3. Materielle Kräfte Griechenlands. 


1,629,900, an Lokalſteuern zwei Millionen Piafter auf. 
Epirus, Thefjalien, das ſüdliche Makedonien, an Produkten 
bes Aderbaues, an Süpfrüchten, theilweife auch an Erzeug- 
niſſen ber Induſtrie veich, beſaßen etwa 6 Millionen Schafe 
und 8 Millionen Ziegen. ‘Die fonftigen ftatiftiichen Verhält- 
niffe find bier nicht jo genau bekannt. ‘Die jchlagfertige 
ftreitbare Kraft des griechiichen Landes zwiſchen Cap Ma- 
tapan und Karaferia, Maniaten, Gebirgsmilizen von Dtegaris, 
(10,000) Armatolen und die Sulioten, zu denen noch die Mann⸗ 
ichaften der nautiihen Inſeln (und eventuell die Sphafioten 
auf Kreta) zu zählen waren, Tonnte auf etwa 30,000 Mann 
angejchlagen werben, bie vielleicht (Kreta eventuell mit ein- 
gerechnet) durch griechiiche Milizen noch um 20,000 Mann 
verftärkt werben mochten ?). 

Das waren immerbin fchägbare Kräfte; nur zeigte es fich 
bald, daß die Hetärie mehr und mehr in den gefährlichen 
Fehler gerathen war, viel mehr das Ungeftüm, die Unrube, 
den Enthuſiasmus zu nähren, al8 gerade die praftiiche Unter» 
lage für ein erfolgreiches Losichlagen zu ſtärken. Dan war 
nicht dazu gefommen, beveutende Kaffen berzuftellen, größere 
Borräthe von Waffen und Proviant aufzuipeichern. Nur in 
Morea, wo es aber doch jehr an Geld fehlte, und mehr noch 
auf den nautiichen Infeln Hatte man die Sache ſchon ernfter 
ind Auge gefaßt ). Trogdem und trog ver türfifchen 
Feſtungen und Milizen im Lande (10- bis 12,000 Dann) 
hätte es fich fehr wohl empfohlen, den Aufftand in dem 
eigentlihen Griechenland zu beginnen, wo die Maffen 
der Hellenen dicht bei einander wohnten. Bon ven ſechs 
großen Paſchaliks, in welche die eigentlich griechiiche Welt, vie 
Inſeln des ägätfchen Meeres bier abgerechnet, damals 
eingejpannt war, — nemlich Morea (wo jevoh [S. 245] vie 
Maina unter der Yurispiktion des Kapudan-Paſcha ftand), 
Lepanto, Negroponte mit dem bis nad Aetolien fich aus⸗ 

1) Vgl. Hier namentlich Gordon, Geſchichte der griechifchen Re- 
solution, bearbeitet von Zinteifen, Thl. I, S. 55—92. 

2) Brandis a. a. O., Th. U, ©. 34ff. 





Materielle Kräfte Griechenlands. 453 


dehnenden „livadiſchen“ Rumelien, Ianina mit Alarnanien, 
Selanik (wo beiläufig die Nachkommen des alten Ewrenosbeg 
noch immer bie alten Zehen inne hatten) und Kreta mit feinen 
drei Militärgonvernements zu Kandia, Canea und Retimo ?) —, 
empfablen fich unter den damaligen Zeitverhältniffen bei ber 
ungebeuren vefenfiven natürlichen Stärle des Landes 
Moren und Negroponte weitaus am meiften für diefen Zweck. 
Da war e8 aber die Unklarbeit über die legten Ztele, bie 
für den Anfang der griechiichen Erhebung jo fehr zum Nadı- 
theile gereicht Bat. Es war noch nicht das Schlimmite, daß 
man überall viel zu jehr auf die Wunder der Begelfterung 
und in letzter Inftanz auf Rußland fich verließ: Das Übelfte 
war, baß ber fehr praftiiche Gedanke einer Befreiung der 
wejentlih griechiichen Provinzen jeden Augenblid verbunfelt 
wurde durch die völlig phantaftifche Idee der Wiederberftellung 
des byzantiniſchen Neiches, die doch nicht nur an dem Padi- 
ſchah, jondern auch an der rufftichen Politik ſehr bejtimmmte 
Gegner finden mußte. 

Hypſilanti felbit zeigte nun von Anfang an, daß er 
gar feinen beftimmten Plan hatte, daß ihm ver Blid für 
das wirklich Erreichbare durchaus verjagt war, daß er aus 
einem gefährliden Schwanken nicht berausiommen konnte. 
Anfangs bejtochen durch Tede, glänzende Pläne veriwegener 
junger Abenteurer, kam er doch endlich auf ben verjtändigen 
Gedanken, über Zrieft nah der Maina zu geben, um bajelbit 
am 25. März 1821 ven Befreiungsfampf zu eröffnen. reis 
lich Hatte er fich dabei über die wahre Nage des Peloponnes 
in ſchlimmer Weife täuschen laſſen. Nun erreichte ihn aber 
jener (©. 416) Baparrigopulos im Auguft und September 
1820 zu Odeſſa, erwirkfte von ihm die Zuftimmung zu ber 
Bildung einer wohlgeoroneten, jelbjtändigen Ephorie für ben 
Peloponnes, ftellte ihm aber auch die milttärifchen Kräfte im 
Süden als zu gering vor. Und nun fam man mehr und 
mehr auf den Gedanken, die Bewegung auf der Nordſeite 


1) gl. Finlay 1. c. p. 3sgg. 


454 Bud II. Kap. II. 3. Die Pläne Hypfilanti’s. 


des „‚illyriichen Dreieds‘ zu beginnen, — im Sinne der 
Nathgeber, die dieſen Plan empfahlen, freilih nur, um 
durch eine folche ‘Diverfion Die nicht gegen Alt verwendeten 
Streitfräfte der Pforte im Donaugebiete feftzubalten und 
dadurch für Griehenland freie Bewegung möglich zu 
machen ). 

Zur Entichetvung über die wichtige Grundfrage, wo nım 
endlich zu erſt Losgeichlagen werben jollte, hielt Hypfilanti am 
13. Dftober auf dem Kirchbofe zu Ismail eine Verſammlung 
der bebeutendften Männer ber Hetärie ab. Gegen die Idee, 
das Hauptgewicht auf die Bewegung im Norden zu legen, 
wie das namentlich der erſt feit 1819 durch Theodor Negris 
für die Hetärie gewonnene Sawwas Kaminaris aus Pathmos 
in Buchareſt, ein alter Soldat, zulegt Offizier in ver 
bospodariihen Garde, that, der das Beſte nur von einem 
ruſſiſchen Kriege erhoffte, — erhoben fich namentlich 
Männer wie Lewentis, Dikäos und andere, bie nur eine 
Diverfion in Rumänien zulaffen, in vollem Ernte aber 
nur im Peloponnes fechten wollten. Freilich ftunmten 
die nüchternen Angaben des Perrhäwos nicht zu ben viel« 
verheißenden Meittheilungen, welche ver in ſolchen Dingen 
wenig zuverläffige Dikäos über die Sriegsbereitichaft des 
Peloponnes im Gegenjage zu Paparrigopulos vorlegte. Aber 
bie Mehrheit der Anweſenden und Hyyſilanti jelbft ftimmten 
jest für ven peloponnefifhen Plan, mit welchen: zugleich 
der Gedanke ſich verband, die türkiſche Flotte in Stambul zu 
verbrennen, wie auch die vielen in Ägypten, in Neapel, in ber 
Krim zerftreuten griechiichen Veteranen auf jede mögliche 
Weile beranziziehen. Der Plan empfahl ſich für Hhpfilanti 
auch dadurch, daß er bei folcher Erhebung in Morea feine 
ruſſiſchen Beziehungen viel weniger bedenklich compromtittirte, 
al8 bei dem Vorgehen am Pruth. Die Vortheile, vie bei 
dem Aufitand in Morea durch die Nähe der nautiſchen Inſeln 


1) Vgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Geſchichte Griechenlands, 
Thl. J, ©. 147 ff. 





Hypſilanti (Herbſt 1820) in Kifchenem. 455 


auf der einen, des Alt- Bafcha und der albanefifchen Wirren 
auf der anderen Seite jofort zu gewinnen waren, mußten ihm 
ohnehin jogleich einleuchten. So wurde denn wirklich 
bier das Richtige beichloffen. Hyypſilanti wollte fich 
über Zrieft nach Morea begeben. Sofort wurden nun 
Rundichreiben und Boten nach allen Richtungen ausgeſendet, 
darunter ein Pelopidas nad Ägypten, Themelis aus Pathmos 
nach den Inſeln, Dikäos nah Morea, Perrhäwos nad 
Lakonien und zu den Sulioten, um les zu dem Empfange 
des General» Ephoren vorzubereiten. Überall ſollte ver Krieg 
energiich eingeleitet, namentlich auch die Flotte der nautifchen 
Inſeln ansgerüftet, wie auch die Armatolen bes Olympos 
mobil gemacht werden. Hypſilanti jelbft theilte das Be⸗ 
ichloffene in Skulent dem Rhiſos Nerulos (S. 386) mit, 
einem ber thätigjten Hetäriften der Moldau, dem Miniſter 
des Hospodaren Michael Sutos in Jaſſy. Gera ftimmte 
Nerulos zu und verſprach, jchließlich auch jeinen Chef zu 
gewinnen. Dann begab fih der General.» Ephore nad) 
Kiſchenew in Beſſarabien, wo er zunäcit im Haufe bes 
Gouverneurs, feines Schwagers, des Generals Katafazy, feinen 
Sitz nahm. 

Da ift es ihm nun verberblich geworden, daß er bei 
feinem Wanfelmuthe jofort wieder von dem zu Ismail 
wohlerwogenen Blane abjprang und auf andere Borftellungen 
anderer Umgebungen bin wieder auf Die Idee zurüdfam, ven 
Krieg num doch in allem Ernfte, und zwar fofort, in Rumüs 
nien zu beginnen. Mochte ihn auf der einen Seite bie 
Erinnerung an Rhigas von DVeleftino und die Beſorgniß ein- 
ſchüchtern, in Trieſt von der öfterreichiichen Behörde verhaftet 
zu werden, fo bejtimmten ihn auf der anderen Seite in feiner 
naiven Unkenntniß der wirklichen Welt wahricheinlich auch [ehr 
thörichte Erwartungen. Hyypſilanti, fo ſcheint es, konnte 
ſchließlich den Gedanken nicht faſſen, ſich von ſeinem geträumten 
ruſſiſchen Rückhalt zu entfernen. Wahrſcheinlich ſpekulirte 
er jetzt darauf, daß Rußland auf Grund der Verträge ſich in 
die Sache miſchen ſollte, ſobald die Pforte auf Grund einer 


456 B. II. 8.11. 3. Hypſilanti befchließt den Angriff auf Rumänien. 


griechiichen Empörung am Pruth und an der Dimbowita ihre 
Truppen etwa obne vorgängige Zuftimmung Rußlands über 
bie Donau vorgeben laſſen würde. Unter allen Umftänden 
aber konnte man duch foldhes Vorgehen Rußland in ben 
Handel verwideln. Weiter aber fcheint er fich ſchon jest als 
Nachfolger der Paläologen gefühlt und an Gewinnung aud 
ber Donaufürftenthümer für das neue griechiiche Neich gedacht 
zu baben. Nach diejer Richtung war freilich eine Selbft- 
täufchung gerade für einen Hhpfilanti wohl möglich. Gehörte 
doch gerade fein Gefchlecht zu den wenigen griechifchen großen 
Familien, die bei den Rumänen wirklich beliebt gewejen waren. 
Treilih Eonnte jeder wirflih Sachkundige von dem Plane, 
diefe Landſchaften zur Hauptbafis für den grie- 
hifhen Krieg zu machen, doch nur abmahnen. Obwohl 
Rumänien als ein gräcifirtes Land äußerlich erichten, jo war 
doch gerade Bier das Griechentbum nur oberflächlich ein- 
gewurzelt, in Wahrheit zu jagen, bei den Eingeborenen bes 
Landes tief verhaßt. Die fanariotifhen Hospodare 
namentlich der Ießten Zeiten hatten durch ihre finanziellen 
Erpreflungen fich einen böjen Namen erworben. Die Bojaren 
bes Landes waren den Griechen tief abgeneigt, ber in primi- 
tiven Zuftänden verharrende Bauer folgte nur dem Antriebe 
des mit dem Adel gleichgefinnten Klerus. ‘Die meitverbreitete 
Unzufrievenheit tim Lande war viel weniger gegen die Pforte, 
als gegen deren griechiiche Paſchas gerichtet. Die Griechen 
aber in Rumänien, obwohl immerhin zahlreich, waren nur 
theilmeife zu brauchen. Unter den griechiichen Offizieren des 
Landes gab es freilich mehrere ausgezeichnete Männer; viele 
aber waren Leute von ſehr zweifelhaften Charakter, bie Zahl 
ber Truppen überhaupt nicht jehr groß, nur etwa 4000 Mann, 
fobald e8 nicht gelang, auch die einheimiſchen Landmilizen, 
die tributfreien Bergbewohner (Pleyafchen) an der öfterreichifchen 
Grenze und die bafelbft nationalen Potofefchen oder Lands 
gensdarmen (,, die walachiſchen Klephten und Armatolen ‘‘) 
zu gewinnen. Die niebere griechifche Civilbenölferung aber galt 
als corrumpirt, ohne rechten Zufammenhang mit den nationalen 


Hypfilanti befchließt den Angriff auf Rumänien. 457 


Ideen ihrer Stammesgenofjen. Die Hoffnungen endlich auf 
Serbiens Hilfe mußten bei irgend näherer Kenntniß von 
dem jchlauen, jelbitjüchtigen Charakter des Fürften Miloſch, 
wie auch der Lage der Serben, die thatjählich fich frei 
von der türkifchen Hoheit befanden, zur Zeit in Stambul 
Unterbandlungen führten, und fchwerlich Luft batten, ven 
Griechen zu Liebe ihre Eriftenz wieder aufs Spiel zu feben, 
Doch geradezu als illuſoriſch ericheinen. Aber alle dieſe ſchwer⸗ 
wiegenden Bedenken waren für den thörichten modernen Ari» 
ftagoras in Kifchenew nicht vorhanden ?). 

Hypſilanti jeßte wirklich den 14/26. November 1820 
als den Moment zur Eröffnung des Aufftandes feit. Die 
von ihm mit großen Commandos betrauten hetäriſtiſchen 
Offiziere, ber Olympier Georg und Sawwas, ſollten in ber 
Nacht zum 26. November (neuen Stile) in Buchareft eine 
proviſoriſche Regierung bilden und fich zugleich mit Miloſch in 
Verbindung fegen. Ein anderer griechifcher Offizier, Baſilios 
Karamias aus Ithafa, in Galacz follte mit möglichit zahl- 
reihen Mannſchaften vor Jaſſy eintreffen. Ganz unfinnige 
und unausführbare Befehle zur Ausführung eines großen 
Schlages gingen nah Stambul ab. Nicht minder bochfahrenve 
und zuverfichtliche Senpfchreiben wurden nach den nautijchen 
Inſeln und (Anfang November) auch an Miloſch beförbert. 
Diefe ſouveräne Zuverficht beftimmte dann. auch den erit im 
piefem Jahre 1820 nah Jaſſy geichidten Hospodar der 
Moldau, Michael Sugo, ver Hetärie und Hypſilanti's 
Plänen jest fih anzuſchließen. Es war diefer Schritt ein 
noch größeres Stück patrioticher Hingebung, als früher jene 
des Hypſilanti ſelbſt. Der Hospodar opferte in Wahrbeit 
damit. Alles auf. Er war bisher ein Günftling des Sultans 
Mahmud II. geweſen; er hatte die Gunft des Großherrn 
jelbit dann noch behauptet, als er, ber griechiiche Chrift, es 


1) Bgl. Finlay 1. c. p. 140 5qq. Gordon, ©. 117fj. Bran- 
dis, ©. 31. Gervinus, S. 144—149. v. Prokeſch-Oſten, 
S. 22f. Mendelsſohn-Bartholdy, Geſchichte Griechenl., Thl. I, 
©. 149 ff. 


458 B. II. 8.11. 3. Hypfilanti befehlieft den Angriff auf Rumänien. 


wagte, gegen Chalet-Efendi in Mahmuds Kabtnetsrathe wider 
den Krieg mit Ali⸗Paſcha von Ianina zu ſprechen. Er hatte 
eine liebenswürbige Familie, große Neichtfümer, Jugend und 
eine glänzende Stellung. Wenn er fich jet entjchloß, um 
Hypfilanti Die nöthige ftrategifche Baſis zu fchaffen, Alles 
Binzugeben und fich jelbjt den jchwerften Vorwürfen des Uns 
dankes und bes DVerrathes gegen ben Sultan auszujegen, fo 
beftimmte ihn bier neben der Zwangslage, in die ihn jeine 
hetäriftifche Umgebung bereits gebracht, wirklich ein kräftiger 
Durchbruch griechiſchen Nationalgefühlee. Der wahrhaft 
tragtiche Zug, der durch nicht wenige diefer griechiich-türkifchen 
Beziehungen Dank ihrer grauenhaften Vorgeſchichte hindurch⸗ 
gebt, fehlte auch bier nicht. Michael Sutzo erinnerte fi, 
daß vor ihm vierzehn feiner Familie als Opfer der Willkür 
ver Sultane gefallen waren. Er wollte jest für fich und 
feine hoffnungsvollen Söhne „ein Vaterland und Sicherheit 
gewinnen; er hoffte auf die Herftellung des griechiichen Reiches; 
er glaubte an den ruſſiſchen Krieg, und an die Billigung des 
Aufitandes von Seiten det großen Nachbarmadit; er burfte 
endlich glauben, daß an feinem Entſchluſſe bie Geſchicke feines 
Volles hingen”. Noch aber mußte fihb Hypſilanti 
entfchließen, ven Termin der Erhebung wieder zu vertagen. 
Die Vorbereitungen in Rumänien, foweit davon überhaupt 
die Rede fein konnte, waren nicht jo ſchnell wie er boffte 
berzuftellen. ‘Die beiden wichtigen militärifchen Führer in ber 
Walachei, Georgafis und Sawwas, Tonnten fih nicht ver- 
ftändigen, weil diejer als vorfichtiger Soldat erjt mit Miloſch 
abſchließen und die nöthigen Rüftungen auch in Rumelien’ 
gefichert wilfen, jener aber die Serben auch wider Miloſch's 
Willen aufwiegeln wollte Miloſch feinerfeitS Dachte höchſtens 
Daran, die Hetärte zu feinen Zwecken auszımugen. Hyypfilanti 
mußte daher fich noch gedulben: nur an dem thörichten Plane, 
in Rumänien zur beginnen, hielt er jegt feit. Und dieſes Land 
wurde jett durch die Hetäriiten immer energiicher durchwüßlt; 


1) v. Prokeſch-Oſten, ©. 23. 


Zuftände in den Donaufürftenthimern. 459 


nur daß die rumäniichen Bojaren, für welche Alles auf die 
Entſcheidung Rußlands anzulommen ſchien, ihrerſeits fich 
dauernd in ihrer Reſerve hielten. | 

Über diejem Zaubern kam Alles wieder ins Stoden. 
Michael Sutzo kam auf die Bahn des Petros Mauromichalis 
(S. 415) und fuchte fich zu überzeugen, wie weit Rußland 
wirflih mit Hypſilanti's Vorgehen einverjtanvden jet. Es half 
wenig, daß der General-Ephore (7/19. Januar 1821) dem 
ſerbiſchen Miloſch den Titel eines rechtmäßigen Fürften 
zugeftand und für das jpätere Verhältniß zwiichen Serbien 
und dem griechiichen Reiche eine füderative Form vorfchlug. 
Das Eingehen der griechischen Hetäriften auf die Beſchwerden 
der Rumänen gegen die dermalige Verwaltung führte endlich 
fogar zu einer Spannung zwilchen Hypfilanti und Michael 
Sutzo, der das Bertranen auf die Hetärte verlor und bei dem 
Ableben des Fürften Alexander Sugo in Buchareft (1. Februar 
1821) jchon lieber daran dachte, fih um die Stellung als 
Hospodar der Walachei zur bewerben. 

Da war es eben dieſer Todesfclil, der die Ereigniffe ins 
Rollen brachte. Abmahnungen, an denen es auch jebt nicht 
fehlte, wurden nicht weiter beachtet. Die hetäriftiiche Ephorie 
in Buchareſt glanbte, die Zeit bis zur Ernennung eined neuen 
Hospodars durch die Pforte jofort benuten zu müfjen. Kapitän 
Georgakis mochte nicht Yänger zögern und bewog einen 
Heinen rumäniſchen Bojaren Sludſchiar Todor oder Theodor 
aus Sulza in der Heinen Walachei, der als Oberftlieutenant 
in ruffiihen Dienften das Wladimirkreuz gewonnen hatte und 
deßhalb Wladimiresko genannt wurde, den Aufftand zu 
begimen. Theodor, der damals in ber Buchareſter Garde 
ftand, ein mißtrauifcher, verichlagener und graufamer Mann, 
ver aber bei allem Mangel an Bildung viel foldatiiches 
Geſchick und rohen Ehrgeiz beiaß, war zwar in die Entwürfe 
Der Hetärie „halb eingeweiht”, aber den Griechen nicht 
minder gram, als den Osmanen. Trotzdem jchien es dem 
Georgakis möglih, den zur Zeit durch Procejje nahezu 
zuinirten Mann mit ft dahin zu bringen, daß er in. der 


460 B. II . II. 3. Auffland d. Wladimiresko (Febr. 1821) in d. kl. Walachei. 


kleinen Walachei eine Erhebung begann, welche — toll genug — 
im Sinne des Wladimiresko gegen die Fanarioten gerichtet 
ſein ſollte, die aber die Hetäriſten hernach für ihre Zwecke 
ausnutzen zu können hofften. Wladimiresko ging wirklich 
auf die Vorſchläge des Olympiers ein, ging Anfang Februar 
1821 mit 50 ihm von Georgafis zugewiejen ‚ Arnauten 
nach der Heinen Walachei, fammelte mehrere Hunderte 
rumäniſcher Bauern und Landmilizen (Panduren), die fih auf 
ſocialdemokratiſche Plünderung der befjer fituirten Einwohner 
Rechnung machten, und verfündigte von Xicherneg aus Ab⸗ 
ftellung der Frohnden, Minderung der Abgaben und Bejeitigung 
ber hospodariſchen Mißbräuche. Dabei erbat er in Stambul 
die Vermittlung eines osmaniſchen Commiſſars. Die von dem 
interimiftiich regierenden Diwan (Metropolit und Bojaren) in 
Buchareft wider ihn ausgeſchickten 800 Mann wurden von 
drei Hetäriften geführt, von Georgakis felbit, von feinem 
Freunde Farmakis aus Epirus, und von Konftantin Samur- 
kaſis. Diefe Offiziere leijteten natürlih der Bewegung nur 
Vorſchub, Tießen ihre Soldaten großentheil® zu Theodor deſertiren. 
ALS die drei griechiſchen Kaimakams, welche der Seitens ver 
Pforte zum Hospodaren der Waladhei neu ernannte Fürft 
Karl Kallimachi, ein Gimftling des Chalet-Efendi, zur Her- 
jtellung der Ordnung nah Buchareft ſchickte, daſelbſt am 
10. März ankamen, batte der Wladimiresko mit Ausnahme 
ber Stadt Krajowa bereit8 die gefammte ‚Meine‘ Walachei 
bis zur Aluta injurgirt und dachte auf ben Marſch nad 
Buchareſt ?). 

Wenige Tage zuvor aber war Hypſilanti in Jaſſy 
eingezogen. Der General-Ephore hatte während des Monats 
Februar 1821 nicht gefeiert. Fürſt Michael Sugo in 
Jaſſy Hatte fich jeßt feinen kategoriſchen Forderungen fügen 
müffen. „Er jegte die von Hhpfilanti gewünfchten Militär- 
commandanten in Pakoſi, Kiatra und Suftawa ein, jorgte 

1) Bgl. Gordon, ©. 119 ff. Finlay, p. 1518q. Gervinns, 


©. 149. v. Prokeſch-Oſten, ©.25. Mendelsſohn-Bartholdy, 
©. 150ff. 


Spannung in ber allgemeinen Lage. 461 


für Proviant und Lebensmittel, Tieferte 135,000 Grofien 
(Biafter) und verfprah dem General-Ephoren noch weitere 
150,000 zu liefern.) Selbft wenn Hhpfilanti gewollt 
hätte, er konnte ſchon nicht mehr zurüd. Denn man wußte 
jett, daß der Pforte das Geheimniß der Hetärie enthüllt, daß 
ihr jet von allen Seiten die zweifellojeften Mittheilungen 
über die ihr drohende griechtiche Gefahr zugelommen waren. 
Salt e8 in Jaſſy als ftabtbefannt, daß der Hospodar mit 
offenem Verrath gegen die Pforte fich trage, fo Hatten in 
Stambul Euftathios Galatis, der Bluträcher feines (S. 413) 
ermordeten Bruders, und Aſimakis den osmanischen Behörden 
umfafjende Denunciationen gemacht. Ein Adjutant Hyypſilanti's, 
Demetrivs Hhpatrog mit Namen, der mit Briefen des 
General» Ephoren aus Beffarabien an Ali⸗-Paſcha und bie 
griechiſchen Kapitäne in Epirus abgeichidt worden, war im 
Spätherbite 1820 zu Nauffa oder Wiaufta im füblichen 
Makedonien (zwilchen Vardar und Haliakmon) durch feinen 
Gaftfreund, den Primaten Zaphirafis, Ali's Todfeind, er⸗ 
polht , feine Papiere an Mahmud Dramali abgeliefert 
worden. Endlich war auh des Fürſten letter Bote an 
Miloſch, der Pope Ariftives, im Januar 1821, aufgefangen 
und nah Widdin dirigiert worden. ‘Dieler fand jedoch Ges 
legenheit, auf dem Wege feine Papiere zu vernichten und fich 
bei Fetislam von einer Klippe zu ftürzen ?). 

Unter dieſen Umjtänden glaubte Hypſilanti nicht Länger 
zögern zu Dürfen. Obwohl ihm noch am 22. Februar Kon⸗ 
ftantin Dufas und Geraſimos Orphanos von Jaſſy aus 
mittheilten, daß noch nicht Alles genügend vorbereitet fei, Tieß 
er doch zu Anfang März den Hetäriften in der Moldau durch 
jenen Dukas erklären, daß er am 7. März von Kiſchenew 
aus den Pruth überjchreiten werde. Während man nun in 
Jaſſy zu feinem Empfange rüftete, eröffnete bereits ein 


1) Mendelsfohn- Bartholdy, ©. 182. 

2) Bol. Pouqueville, Thl. U, ©. 226 fl. Finlay, p. 254. 
Gervinus, S. 151. v. Prokeſch⸗Oſten, S. 18. Mendelsfohn- 
Bartholdy, S. 152f. 


— — 
— — — — 


462 Bud II. Kap. II. 3. Blutthat des Karawias zu Galacz. 


anderer Hetärift die griechijche Revolution durch eine ebenfo 
feige ald dumme Schandthat der jcheußlichhten Art. Der 
Kapitän Karawias nemlihd (S. 457), zuerſt in ruifiichen 
Dienften gejhult, dann in den Dienjten des Hospodars 
Karadja ergraut, Chef ver fürftlichen Truppen in dem großen 
Donaubafen Galacz, fammelte in der Naht vom 5. zum 
6. März 1821 jeine Krieger und die Bundesbrüder ber 
Stadt, verlündigte ihnen ven Ausbruch des Aufftandes und 
warf fich plößli auf die Schwache türfiihe Beſatzung, die nun 
binnen furzer Zeit nicht bloß, wie dem Karawias befohlen war, 
entwaffnet, jondern in Stüde gehauen war. Dann ließ der 
rohe Bluthund etwa dreißig türkiiche Kaufleute in Galacz, wie 
auch die Matrofen einiger türkiicher Schiffe im Hafen falt- 
hlütig ermorden, und krönte dieſe Großthat durch die um- 
faffende Plünderung des Eigenthums der Ermordeten, durch 
Schändung der Mojcheen, Zöbtung des Imams, und anbere 
Berbrechen, wie fie revolutionärer Pöbel zur Teier jolcher 
Saturnalien zu begeben zu allen Zeiten und in allen Ländern 
liebt ). Erreicht Hatte Held Karawias nur, daß dem neuen 
Kriege ſchon in feiner erjten Stunde der Charakter der 
gräßlichiten Unmenfchlichkeit aufgeprägt wurde, und daß er fehr 
zur Unzeit die Zürfen in dem benachbarten Braila warnte, 
auf ihrer Hut zu jein. 

Am Abend nun des folgenden Tages (6. März) verließ 
Alerander Hypjilanti Kifchenew in Begleitung feiner 
Brüder Nikolaos und Georg, des früheren Uhlanenoberſten 
in rufſiſchen Dienften Georg Kantakuzenos, des Sekretärs 
Manos,, des polnischen Offiziers Garnoffsky, und einiger 
Diener. Am 7. März 1821 überfchritt er dann ven 
gefrorenen Pruth bei Skuleni, zog auf dem Wege mach ber 
nahen moldauiſchen Hauptſtadt Jaſſy die verichievenen Weiter: 
trupps an fich, 200. Mann ftark, welche vie hetäriſtiſchen 
Offiziere in Jaſſy ihm entgegengefchidt Hatten, und rüdte 


1) Gordon, ©. 123. Finlay, p. 146g. Gervinus, &.157. 
Mendelsfohn-Bartboldy, ©. 168. 








Hypſilanti zieht (7. März 1821) in Jaſſy ein. 463 


nun wit dieſer Eskorte eine Halbe Stunde nah Sonuen⸗ 
untergang in diejer Stadt ein, wo fich fofort Die ganze Garde 
des Hospedars für ihn erklärte. Hypſilanti nahm fein 
Hauptquartier in dem Balafte der Fürftin Kantaluzena, der 
Mutter der Brüder Georg und Gregor Kantafuzenos '). 
Der Würfel war geworfen, bad Unheil durfte feinen Lauf 
nehmen. 

Ehe wir die Darftellung dieſes Zeitraumes abjchließen, 
müjjen wir nun noch die Vorgänge in Morea Ichildern, 
welche — im Gegenjage zu der unglüdjeligen Schilverhebung 
in Rumänten — die große volfstbümliche griechiiche Erhebung 
des Südens einleiteten. Obwohl Hyypfilanti, wie wir jahen, 
den verjtändigen Plan, jeinen Krieg vom Peloponmnes aus zu 
eröffnen, zu jeinem Schaden wieder hatte fallen laſſen, jo 
waren doch die (S. 455) im Dftober 1820 nach dem Süden 
abgeordneten Boten nicht zurüdberufen worden. Namentlich 
ber energiiche Archimandrit Dikäos konnte daher mit rüd- 
ſichtsloſer Heftigfeit das Geſchäft der Agitation in Griechenland 
betreiben. Er hatte fi über Stambul und Kydonia nad) 
Hydra und Moren begeben und agitirte bei den Primaten 
und bei bem Volke mit jehr bebdeutendem Erfolge. Sehr 
bedenklich ift er bei der Wahl feiner Mittel freilich nicht 
gewejen; namentlich der Schwindel von der zu erivartenden 
rujfiihen Hilfe?) wurde von ihm nur zu jchr vermertbet. 
Allmählich gerieth der Beloponnes, ohnehin jchon von Jauina 
und Suli ber mit Pulvergeruh erfüllt, in ficberhafte Be—⸗ 
wegung. Schon erflehten die Biichöfe und Mletropoliten auf 
den Ranzeln bie göttliche Hilfe bei dem nahen Befreiungs- 
fampfe. Anthimos von Helos jchlog den General- Ephoren 
Hypſilanti in die fonntägliche Fürbitte ein. Wer für jolde 
- Buftände ein feines Gefühl Hatte, mußte bereit den Blut- 


1) Bol. Jakovakis Rhiſos Nerulos (über. von Eiſenbach), 
Geſchichte des neueren Griechenlands feit ber Zeit bes Befreiungsfrieges, 
©. 28. Gordon, ©. 122. v. Prokeſch-Oſten, ©. 18. 26. 
Mendelsfohn-Bartholdy, S. 158. 

2) Gordon, ©. 216. 


- 





464 Buch U. Kap. II. 3. Die Zuftände in Morea. 


geruch jpüren, ver über Griechenland fich wieder einmal weithin 
ausbreitete. 

In Morea wurde dann auch in weiten Umfange an ber 
heimlichen Bewaffnung des Volles gearbeitet. Dabei fuchten 
bie Hetäriften dieſes Landes mit großer Sorgfalt ihr Geheimniß 
zu bewahren. Auffallende Zhatfachen wurden den Osmanen 
gegenüber auf Die Schuld der Intriguen Ali's von Epirus 
geichoben ; die bemerkbare Neigung des Volkes, fich mit 
Pulver zu verfehen, deſſen Vertrich die Osmanen auffallender⸗ 
weile in der Hand der Rajah gelajjen hatten, wurde durch 
das Überbandnehmen der Raubthiere in dem gegenwärtigen 
jehr ftrengen Winter als gerechtfertigt, als politiih harmlos 
bingeftellt ?). 

Die Elemente nun, auf welche neben der Flotte der 
nautifchen Inſeln und den Armatolen in Rumelien für den 
Krieg bauptjächlich gezählt werden mußte, begannen in Morea 
bereit8 ſehr Tenntlich Hervorzutreten. Sehr bald bat es fü 
nachher gezeigt, daß das ſpezifiſch militäriſche Element in 
Morea fo wenig wie in Rumelien mit dem fpezifiih bürger- 
lichen außer Zeiten der böchften Noth fich feſt zu verbinden 
vermochte. Zur Zeit aber waren beive Machtgruppen doch 
noch gar ſehr auf einander angewielen. Das militäriiche 
Element hatte jelbftverftändlich feinen Kern in den Maniaten, 
denen fich zuerjt die alten Eepbtiichen Führer des Landes 
wieder anſchloſſen. Bei dem bürgerlichen Elemente da⸗ 
gegen kommen in erſter Reihe die großen Brimaten und 
Khodſchabaſchis der Halbinjel in Betracht, die bis zu der 
jüngften Zeit in der Lage geweſen waren, je nach dem 
Anichluffe an den einen oder den anderen ber großen 
osmanifchen ©runpberren im Lande für fich eine nicht 
unerbebliche Machtitellung zu gewinnen. So hatten nod 
zulegt der reiche, glänzende Kiamil⸗Bei zu Korinth und ber 
Scheik Nejib-Efendt auch unter den großen Primaten je eine 


1) Bgl. Mendelsfohn- Bartholdy, Geich. Griechenl. TH. I, 
S. 179f. 


Die Zuftände in Morea. 465 


anfehnliche Partei). Bei der Vorbereitung zum Aufſtande 
trug e8 auch bei den Primaten des Peloponnes in erter 
Reihe die nen angefachte Gluth des heflenifchen Patriotismus 
Davon. Das fehloß aber ganz und gar nicht aus, daß nicht 
die großen Klerifer und Khodſchabaſchis fehr entichieven von 
dem nahbeliegenden Gedanken beherricht wurden, nach Aus» 
treibung der Osmanen die Herrichaft über das Volk nun 
einfach in ihre Hand zu nehmen. Auch fehlte es keineswegs 
an folchen Primaten, die nur jehr zögernd fich der griechiichen 
Sache anichloffen, weil die Erinnerung an das Sahr 1770 
und feine Folgen ihnen die Gefahr zeigte, Alles zu verlieren, 
oder auch weil fie vorausſetzten, daß eine gelungene Revolution 
fünftig ihre Nechte und Privilegien erheblich ſchmälern müßte. 
Auch das iſt nicht zu bezweifeln, daß ſchwere finanzielle Ver- 
ſchuldung gegenüber der türkiichen Regierung, Hinrichtungen 
und Eonftsfationen, wie fie neuerdings ?) mehrere Khodſcha⸗ 
baſchis, namentlich Sotiri und Georg, die Häupter der großen 
Familien Londos zu Voſtizza und Delijannis zu Karitena 
betroffen hatten, zur Theilnahme an dem Aufitand mitgewirkt 
baben. 

Der Hauptfit aber ber bebeutendften Griechen bürger- 
lichen Standes, welche die natürlichen Führer des Auf- 
jtande8 wurden, war das weſtliche Adhaja. Hier galt 
al8 der bedeutendſte dieſer Männer zunächſt der Erzbilchof 
Germanos von Paträ, — diefer zu Dimikana in Arkadien 
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geboren, auf ber 
Schule diefer Stadt gebildet, fpäter Grammatift des Metro⸗ 
politen von Argos, nach der Kataſtrophe von 1770 andauernd 
in der Umgebung feines Landsmannes Gregor, des Erzbiſchofs 
von Smyrna und (S. 397) fpäteren Patriarchen der Haupt- 
ftadt. Nachher Archiviafonus des Erzbiihofs Joachim von 
Kyzikos, wurde Germanos 1806 zum Erzbifchof von Paträ 
gewählt. Ein Hochgebildeter Mann, ein tiefer Menfchentenner, 


1) Gordon, ©. 173. 
2) Gordon, ©. 173, 
Hergberg, Gefhichte Griechenlands. IL. 30 


466 Buch II. Kap. II. 3. Germanos. Af. Zaimis. Anbr. Londos. 


war Germanos mit der Gabe einer hinreißenden volksthüm⸗ 
lichen Beredtſamkeit ausgeftattet, und bei ſcharfem politischen 
Blide, bei energiihem Ehrgeiz und bei feinen Verbindungen 
mit dem ruſſiſchen Conſul Vlaſſopulos in Paträ ſehr geſchickt, 
auf das Volk, deſſen Kraft ihm als das weſentliche Moment 
für den Aufſtand galt, einzuwirken ). Unter ven Primaten 
jener Gegend aber galt als weitaus der wackerſte Aſimakis 
Zaimis in Kalavryta, ein allezeit als hoch ehrenbaft 
befundener Mann. „Mit ven blauen Augen, ber gelben 
Geſichtsfarbe, dem frühzeitig weißen Haare, der ausdrucksvollen, 
aber immer gleichen ruhigen Phyſiognomie, ber geraben 
jtrammen Haltung‘, erichien Zaimis, der wider alfe Natur 
der raſchen und rebeluftigen Griechen als ſyſtematiſcher 
„Schweiger“ galt, die „Pythia von Kalavryta“, ver Mann 
ſeltener Thatkraft und Willensftärte, als eine Perfönlichkett, 
welcher Freund und Feind die Achtung niemals verfagt haben. 
Ganz anderer Natur war fein Freund Andreas Londos 
in Boftita, der Sohn eines feiner Zeit bei Veli⸗-Paſcha Hoch) 
angefeßenen Primaten ?); wie Germanos durch feine Wußer- 
Tichfeit Teineswegs imponirend, feinerfeits als junger Manm zu 
Ausichweifungen geneigt, jet ein eifriger Politiker und warmer 
Patriot von tüchtiger Begabung. Alle drei waren, obwohl 
an ſich zu vorfchnelfem Losichlagen nicht geneigt, demnächſt 
berufen, die Sahne des Aufitandes zu entfalten. 

Die wachſende Aufregung der Griechen in Morea fchon 
im Verlauf des Jahres 1820 Hatte den Osmanen doch nicht 
ganz entgehen können. Der Divan batte daher (S. 440) im 
Herbft jenen kraftvollen Khurſchid⸗Paſcha als Paſcha nad 
Tripolitza geſchickt, deſſen impofante Perſoͤnlichkeit, deſſen 
Klugheit und Thatkraft als ſehr geeignet ſchien, Unruhen hier 
im Keime zu unterdrücken. Aber auch dieſer Statthalter hatte 
ſich ſchließlich täuſchen laſſen. Ali's Intriguen und das 


1) Pouqueville, Bd. I, ©. 244ff. Gervinus, ©. 184f. 
2) Gervinus a. a DO. und Mendelsſohn-Bartholdy, 
S. 181 u. 189. 





Khurſchid⸗Paſcha geht nach Janina, Kolofotronis (Ian. 1821) n. Morea. 467 


Unbehagen des Volkes über die außerordentlichen Auflagen zum 
Zwecke des epirotiichen Krieges galten als bie einzige Urjache 
ber Aufregung. Schließlich) wurde Seitend der Osmanen es 
doch unterlaffen, jich überall Trüftig zu rüften, und Khurſchid 
(S. 441) hatte wirklich, obwohl nicht ohne alle Beſorgniß, 
Ende Januar 1821 Tripolita verlaffen, um als Serasfier 
nach Sanina zu gehen. Sein Abzug aus Morea bat nun den 
Beloponnefiern ihr Werft in hohem Grade erleichtert. 

Um diefelbe Zeit, wo Khurſchid fein Paſchalik verlieh, 
erſchienen Die eriten Boten des nahen Sturmes in Morea. 
Der Major Theodor Kolokotronis (S. 355) Batte feit 
einiger Zeit die Inſel Zante verlaffen; er war in Hhbra 
gewejen, dann in Spetzä, nun landete er, nicht ohne Antrieb 
Seitens des Fürſten Hhypfilanti, mit dem er in Correjpondenz 
ſtand, zu Ende Januar in dem mantatiichen Sfarbamula, 
während fein Bruder Johann an ber Bewegung in Rumänien 
fich betheiligte. Theodor begab fich zunächſt zu der mit den 
Mauromichalis rivalifirenden Familie der Maina, den Tru⸗ 
pakiden oder Murtzinos )). Dadurch wirkte er mächtig auf 
Petros Mauromichalis, den Bey der Maina, deſſen bei allem 
patriotifchen Iutereffe etwas bequeme und relativ weniger 
thatfräftige Natur an Kolofotronis jegt die nöthige Stüße 
und den fräftigen Antrieb empfing. Außer dem alten Klephten 
und nunmehrigen brittiichen Major fehrten noch andere 
befannte militäriiche Häuptlinge nach dem Peloponnes zurüd, 
ſo namentli die Petinezaden aus dem Gebirge bes weftlichen 
Achaija, des Kolokotronis Neffe Nikita, und der alte 
Anagnoftaras, der fich nach) Mefjenien begab. Die Kunde von 
der Ankunft des Theodor Kolofotronis in ver Maina 
wurde von den Griechen überall mit Freude und Hoffnung 
begrüßt; aber auch die Osmanen erkannten recht wohl, was 
fie zu bedeuten hatte, und ſchickten fih an, ihre abwehrenden 
Maßregeln zu ergreifen. 


1) So jegt nad) Mendelsfohn-Bartboldy, Geſch. Griechenl., 
8b. I, ©. 186. 
30 * 


468 Bub II. Kap. UI. 3. Borfihtsmaßregeln der Türen in Morea. 


Seitens der griechifchen Bevdlferung machten fich die 
Symptome der Gährung, des Übermuthes, der Widerfpenftig- 
keit in ben verfchtevenen Theilen des Landes auch blöden Augen 
bemerkbar. Da juchte nun Khurſchids Kaimalım in Tripolitza, 
Salit-Aga, durch Maßregeln, die ibm theils bie in folchen 
Fällen herkömmliche türfiiche Praxis, theils Khurſchid ſelbſt 
auf ſeine Anfrage im Lager des Seraskiers vorſchrieb, der 
drohenden Bewegung entgegenzuarbeiten. Dahin gehört es, 
daß er um die Mitte Februar 1821 die Pulvermühlen bei 
Dimitzana abbrechen ließ ). Mehr aber, die Osmanen, die 
bisher Teinen Grund batten, der Treue des Petrobet, deſſen 
einer Sohn zur Zeit fich al8 Getfel in Stambul befand, zu 
mißtrauen, forderten ihn auf, den alten Kolofotronis und 
beffen Freunde zu verhaften und anszuliefern: ein Anfinnen, 
dem nachzulommen der Bei der Maina weder gewillt noch im 
Stande war. Nun gedachte Salik⸗Aga auf Khurſchids 
Befehl die feit Alters wie noch heute bräuchlide Maßregel 
türkiſcher Gewaltpraxis in Scene zu fegen. &r wollte nemlich 
bie chriftliche Bevölkerung entwaffnen, eine doppelte Kopfſteuer 
erheben , und vor Allem durch Verhaftung ber höheren 
Kleriler und großen Primaten, ber Führer des Volkes, die 
nöthigen Geijeln für die Ruhe des Landes fich verichaffen. 
Der Kaimalam berief daher (25. Februar) die bei 
brobenden Kriegen oder Empörungen üblihe Zuſammenkunft 
der Biſchöfe und Kodſchabaſchis nah Tripoliga, angeblich 
zu einer Berathung über Beichwichtigung der durch Alve 
Intriguen erzeugten Unruhe, — um bernach durch ihre Feſt⸗ 
haltung die Abfichten der Griechen zu vereiteln. 

Diefe Schritte, zulegt biefe Aufforderung, die von mehreren 
vornehmen Moslims in Moren, wie Kiamil⸗Bei von Korinth, 
entſchieden gemißbiligt wurden, wirkten enticheibend ein auf bie 
Haltung der Griechen. Es hatten während ver legten Zeit 
mehrfache Berathungen unter den angejehenjten Hetäriften im 
Lande ftatigefunden. Bejonders wichtig war eine Verfammlung 


1) v. Brotefh-Öften, Bd. I, ©, 42. 








Maßregeln der Griechen und der Türken in Morea. 469 


ber nambafteften Bifchöfe und Primaten von Morea geworben, 
bie Anfang Februar ın dem Klofter St. Georg bei Voſtitza 
itattfand. Die aus den ungejtümeren, ärmeren und un⸗ 
wilfenderen Elementen beſtehende radikale Gruppe, Kolokotronis 
und Dikäos an ihrer Spite, wollte von Aufichub nichts wiffen. 
Dikäos Hielt feſt an feinen Schwindeleien wegen der ruffiichen 
Hilfe, und erflärte den 6. April 1821 als den äußerten 
Termin, wo man losichlagen müſſe. Schließlich drang er 
jeboch nicht durch und zog ſich unwillig nach dem Klofter 
Retfila zurüd. Die Verſammlung aber beichloß, am 6. April 
noch nicht Toszwichlagen, vielmehr die Entſcheidung zu vertagen 
bis zur Rückkehr der Boten, die nach Hydra und Spekä, wie 
auch nach Pifa an den Erzbifchof Ignatios, und an Hypſilanti 
zu genauer Erkundigung über den militäriichen und politifchen 
Rückhalt der Bewegung geichidt werben follten. Als nun 
Ende Februar die Vorladung des Kaimakam in der ganzen 
Provinz bekannt gemacht wurde, entftand unter den Hetäriften 
eine allgemeine Unficherheit. Mehrere ver eingeladenen Männer 
entſchuldigten ihr Nichtlommen durch Krankheit oder andere 
Gründe. Dagegen leifteten neun Biſchöfe (darunter die von 
Korinth, Arkadhia und Monembafia) und zwölf Brimaten 
(darumter Theodor Delijannis von Karitena, Sotirtos Notaras 
bon Korinth, Johannes Perrukas von Argos) der Einladung 
wirflich Folge. Der Bet der Maina ſchickte wenigftens feinen 
Sohn Anajtaftos nach Tripolitza. Alle diefe Hatten in ihrer . 
Unentfchloffenheit doch noch gehofft, womöglich das Mißtrauen 
der Osmanen durch gejchmeidiges momentanes Nachgeben ein⸗ 
ſchläfern zu können. 

Selbſt Germanos und Londos ſchickten ſich endlich an 
(18/19. März), nach Tripolitza zu reiſen. Als ſie aber nach 
Kalavryta kamen, wurden ſie wieder unſchlüſſig und durch 
Zaimis und Andere ernſtlich vor der Reiſe nach der Haupt⸗ 
ſtadt gewarnt. Sie trafen hier noch andere Primaten und 
Kleriker, die ebenſo wenig geneigt waren, ſich in die Gewalt 
des Kaimakam zu geben. Man kam endlich auf einen pfiffigen 
Einfall. Man beſchloß, zum Scheine in Geſellſchaft anderer 


470 Buch IL Kap. II. 3. Die Primaten in Kalaoryta. 


Griechen und Türken die Reiſe nach Tripolitza fortzufeßen, 
unterwegs aber ſich von dort aus einen jelbitfabricirten 
anonymen warnenden Brief übergeben zu laſſen. Als fie 
bemnächit zu Satjanaes im Ladonthal anlamen, erhielten fie 
wirklih einen Brief, in welchem angeblihb ein anonhimer 
türkiſcher Freund fie vor der Reiſe nach Zripolika warnte, 
wo ihnen Seitens des Kaimalam ber Tod geichworen fei. 
Mit geheuchelter Entrüftung und Beſtürzung lafen die Em- 
pfänger auf offener Straße dieſes Schreiben in Gegenwart 
der anweſenden Türken, Diener und Maulthiertreiber. Dann 
ſchickte man bittere Beichwerben nach Tripolitza und begab fi 
nach dem Klofter St. Laura. Die Türken in der PBrovinzial- 
bauptitabt zerbrachen fich vergeblich ben Kopf wegen des 
Schreibers dieſes Briefes ; aber ihre Einladungen an jene 
borzugsweile wichtigen Führer der Griechen blieben vergeb- 
ih, — vielmehr zerftreuten ich diefe nunmehr nach ihren 
Wohnſitzen, um überall Bewaffnete zu nachbrüdlicher Gegenwehr 
zu ſammeln !). 

Darüber kam nun die Volksbewegung in Morea zu 
ihrem blutigen Ausbruche. Hatte es ſchon früher einmal in 
ber eriten Hälfte des Februar zu Paträ (damals eine Stadt 
von 18,000 Einwohnern, von denen zwei Drittel Griechen 
waren) nicht unerhebliche Unruhen gegeben ?), jo war troß 
des Beichlufjes ver Berfammlung von St. Georg von Seiten 
der ungeftümeren Setärijten immer wüthender gehetzt worben. 
Die erjten dunklen und übertriebenen Nachrichten von dem Ein⸗ 
fall des Fürſten Hypſilanti in die Moldau wirkten anfregend 
genug auf die Mohammebaner, wie auf alle Klaſſen ver 
Griechen. Die gewaltige Gährung, die jet Alles mit ſich 
fortrig, äußerte fich bereits griechiicherfeits in mehrfachen 
Gewaltthaten. Und bald fam die Revbolution in vollen Fluß. 
In der vorzugsweile aufgeregten Stadt Paträ fchien bei 


1) Bgl. Finlay L. c. p. 176—179. v. Brotefd-Often, ©. 42. 
Mendelsjfohn-Bartholby, S. 186ff. 
2) Ponqueville, Bb. U, ©. 206ff. und Gordon, S. 176. 


Ä 





Die erften Scenen bes Auffianbes in Moren. 4711 


einem blinden Lärm die Erhebung ſchon am 20. März aus- 
brechen zu follen. Hier fanden die Osmanen noch die Zeit, 
ihre Familien und Schätze in bie Citabelfe zu bringen und 
biefelbe mit ſchweren Gejchügen zu armiren !), während bie 
Griechen fich jet ganz offen mit Munition verjahen, und bie 
fremben Eonfjuln ihre Wohnungen verjchanzten. Den legten 
Stoß aber gab der Lawine nun doch jener wilde Archimandrit 
Dikäos, welcher die Partei der großen Primaten unter 
allen Umftänden in den Kampf Hineinreißen wollte. Schon 
am 25. März Hatten die Hetärtften in dem Thale des Krathis 
bei dem Dorfe Agridhi drei Couriere des Kaimakam mit 
Depeichen an Khurſchid⸗Paſcha aufgefangen. Am 26. März 
aber Bat nun — angeregt von Diläos, der mit einem folchen 
Schachzuge den ganzen Diftrikt von Kalavryta compromittiren 
wollte — deſſen Freund Nikolaos Soliotis, ein einfluß- 
reicher Hetärift aus Solos am oberen Krathis, in verjelben 
Gegend, nicht weit von dem See von Phonia, mit feinen 
Lenten acht moslemitiiche Schkupetaren nievergehauen, welche . 
zur Eintreibung des Kharadſch ausgeſchickt waren. Das 
erfte türkiſche Blut in Morea war jett vergoffen worden, 
und bald jchwoll die Bande des Soliotis auf 300 Mann an. 
Mit denen griff er fammt den Petmezaden drei Tage nachher 
60 wohlbewaffnete Abanefen, die bei Afrata (Agä) gelandet 
waren und die Garniſon von Tripolitza veritärfen follten, bei 
Berfowa in Achaja an, töbtete Davon 20, nöthigte die anderen 
zur Ergebung. Gleichzeitig hatte Aſimakis Zaimts Träftig 
in die Bewegung eingegriffen, um endlich auch feinerfeits bie 
befremnbeten Brimaten fortzureißen. Auf feinem Gute zu 
Kerpint bei Kalavryta veranlaßte er am 27. März mehrere 
in feinem Dienfte ftehende frühere Klephten, namentlich einen 
gewiſſen Chondrogiannis, den Seid-Aga von Lala zu über- 
fallen, der mit einer tärfiichen Eskorte erhebliche Geldſummen 
von Kalavryta nah Tripolitza bringen follte. Nun entging 
zwar ber bei Zeiten gewarnte Aga mit dem Gelde glücklich 


1) Pouqueville, Bd. II, ©. 246ff. Gordon, ©. 175f. 


472 Bub II. Kap. II. 3. Aufftand zu Kalavryta. 


dem Binterbalte, den ihm am 30. März dieſe Klephten bei 
Ratfanges legten; nur ein Diener mit Gepäd: war ben Griechen 
in die Hände gefallen. Die gewaltig übertriebene Kunde von 
dieſem Borfall galt in Tripolitza als das Signal Des 
nunmehr ausgebrochenen Aufftandes der Griechen, unb ber 
Kaimakam Hatte Mühe, die Biichöfe und Primaten vor ber 
Wuth des türfifchen Pöbeld zu fchügen. ‘Der Woiwode von 
Kalavryta dagegen, Arnaut-Oglu, ein wenig fcharffinniger 
Mann, Mitglied einer der reichften moslemitiſchen Familien 
in Moren, der bisher mit verfchtevenen Primaten auf be- 
freundetem Fuße gelebt und alle Beſorgniß vor einem Aufftande 
ber Griechen für eitel Thorheit gehalten hatte, kehrte auf bie 
Nachricht von diefer und einigen anderen Gewalttbaten von 
einer Reife, die er über das arkadiſche Dara nach Tripolitza 
unternommen, jofort um und verfchanzte ſich mit allen 
türfifchen Familien von Kalavryta in den brei Kaftellen dieſes 
Platzes. Und nun erhoben fich fofort die Griechen ber Um⸗ 
gegend, 600 an der Zahl, und belagerten die Osmanen. 
Am 2. April brad der Aufftand des griechiſchen 
Volkes weithin im Peloponnes aus. Die Verbindungen 
zwiſchen ven größeren Plätzen waren fofort überall abgefchnitten, 
und die entſetzliche Wuth der Griechen und Albaneſen, welche 
bie Rache für die Unbill von mehr denn drei Jahrhunderten 
„in Einen Moment zufammenfafen‘ wollten, begann fid 
fofort in zahlreichen Niedermetzelungen zerftreuter, wehrlofer 
Mohammedaner ohne Rückſicht auf Alter und Gejchlecht ‚zu 
vollziehen. 

Schon am 3. April kapitulirten die Türken in Kalavryta. 
Aber die Kapitulation ift nicht oder doch nur fchlecht gehalten 
worden, denn von ben 300 Leuten, bie fich Hier den Griechen 
ergaben, ift nur Arnaut-Oglu.1825 aus Mäglicher Gefangen 
ſchaft endlich durch Auswechſelung befreit worden. Die meiften 
Männer wurden ermorvet, Weiber und Kinder fielen in 
Dienftbarkeit bei griechiichen Familien. Unmittelbar darauf 
erfolgten aber die entfcheivenden erjten Schläge im Süden wie 
im Norben der Halbiniel. Die Führer ber Maina, bie 











Die Mainotten (4. April 1821) erobern Kalamata. 418 


ohne Mühe 8000 Krieger aufftellen Tonnten, und ihre Hepb- 
tiichen Genoſſen waren bereit8 in voller Eriegeriicher Arbeit. 
Mit dem Wahlipruhe „Sieg oder Tod“, mit der alt 
jpartiatiichen Schilddeviſe „Mit ihm oder auf ihm‘ auf ihren 
Velbzeichen, waren die Maniaten bes alten Betrobei, deſſen 
Sohn (S. 468) glüdlihd aus Stambul entfommen war, nad 
Meſſenien binabgeftiegen und hatte fich mit den Schnaren des 
Murkinos, Theodor Kolofotronis, Dikäos und Anagnoftaras 
bereinigt. Die Ermordung des vornehmen Türken Murad, 
ber mit feiner Familie aus Kalamata nad Zripoliga flüchten 
wollte, durch die Schaaren des Nikitas am 2. April eröffnete 
das Gemegel in Mefjenien. Gegen Mittag des 3. April war 
KRalamata von 2000 Griechen blofirt. Am 4. April 
fapitulirte die Stadt; auch bier ift die Zuficherung des Lebens 
den Zürfen nicht gehalten, find die Männer nach ver Maina 
abgeführt, dajelbft nach und nach ermordet worden. Dem 
friegerifchen und dem revoluttonärsrachlüchtig-treulofen Moment 
der Erhebung fchloß fich fofort das Firchliche an. Am 5. April 
nemlich feierte die griechiiche Nevolutionsarmee, 5000 Krieger, 
am Ufer des Kalamata bejpülenden Fluſſes Nedon, in den 
feierlichen Bormen der anatolichen Kirche ein durch fünfund- 
zwanzig Priefter geleitetes großartiges Hochamt; in berfelben 
Zeit, wo bereits die türkiſchen Kanonen der Citabelle von 
Paträ gegen die Griechen bonnerten, die ebenfalld am 
4. April, „dem Geburtstage der griechiichen Freiheit”, in 
biefer großen Handelsſtadt die Fahne des Aufitandes erhoben 
hatten 9. 


1) Finlay, p. 179 — 186. v. Prokeſch-Oſten, ©. 42. 
Menpelsfohn-Bartholdy, ©. 189—191. 


Drud von Friebe. Andr. Perthes in Gotha.