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Full text of "Geschichten;"

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Gefcbicbten 
ber  Bettina 
von  Arnim 


O]  ßerausgegeben  (O 

von 

f^arl  ßans  5trobl 

unö 

l^arl  Wilb.  f  ritfcb 


ßerlin 

f.  f ontane  D  Co. 
1908 


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\m/i  Bettina  von  Rrnim 


Die  §reunöin  Bettinas  von  Rrnim,  bie 
Dichterin  f^oroline  von  Günberobe,  er- 
wähnt in  einem  öer  Briefe,  öie  von 
Bettina  fpäter  3U  bem  Buch  „Die  Günberobe" 
vereinigt  würben,  ein  gan3  höftliches  Gefchichtchen. 
€ines  Tages  würbe  Bettina  auf  einer  öpasierfahrt 
mit  ihrer  Gefellfchaft  vom  Gewitter  überrascht, 
piö^lich  jprang  einer  ihrer  Begleiter  unter  Donner 
unb  Bli^  währenb  bes  ftärkften  Regenguffes  aus 
bem  Wagen  unb  lief,  feiner  leichten  f^leibung  un- 
geachtet, über  Stoch  unb  Stein  nach  ßaus.  Die 
Gewitterangft  hatte  ihn  feiner  Befinnung  beraubt. 
Der  Hame  bes  f5elben  war  €bel.  Cbel  war 
Haturphilofoph,  unb  als  man  ihn  wegen  feiner 
Rngft  verfpottete,  verteibigte  er  fich  bamit,  ha^ 
er  blofe  wegen  Bettinas  aus  bem  Wagen  ge^ 
fprungen  fei;  benn,  fagte  er:  „fie  ift  ein  gan3 
apartes  Wefen,  bas  von  ber  Hatur  3U  viel  eleh^ 
trifchen  Stoff  mitbekommen;  fie  ift  wie  ein  Bli^^ 
ableiter;  wer  ihr  nahe  ift  beim  Gewitter,  ber 
kann's  empfinben."  Unb  er  behauptete  fteif  unb 
feft,  bas  Gewitter  fei  burch  ihre  elektrifche  Hatur 
ange3ogen  worben  unb  ber  eine  Bli^fchlag  fei  fo 
bicbt  vor  ben  pferben  niebergefahren,  weil  Bettina 
in  ihrer  Begeifterung  3U  viel  €lektri3ität  aus^ 
ftrömte. 


VI 


Diefes  ßefcbicbtcben  \\i  für  3weierlei  cbarak» 
teriftijcb.  €b  beleuchtet  öie  3eit  unö  eines  ihrer 
fonberbarften ,  anmutigsten  unö  launenhafteften 
Rinöer.  €in  Strahl  gebt  von  ihm  auf  bie  ver* 
worrene  Haturphilofophie  Öer  Romantik,  öie  bas 
winenfcbaftliche  Denken  fo  mit  phantafterei  3U 
burchfet3en,  öer  exakten  §orfcbung  foviel  Spehu» 
lation  beisumengen  verftanb,  bis  enMicb  ein  6e* 
biet  gefcbaffen  war,  auf  öem  |icb  alle  ODonbkälber 
öer  €inbilbung  tummeln  konnten.  €in  anöerer 
Strahl  trifft  öie  paffive  ßelöin  bes  kleinen  Rben= 
teuers  unb  3eigt,  wie  bie  Umgebung  Bettinas  von 
ihr  bacbte.  Das  junge,  ein  wenig  3U  übermütige 
(Däbcben  kam  ^en  braven  Ceuten  von  Frankfurt 
unb  Umgebung  immer  geloben  vor,  gefpannt  von 
unbekannten  unb  aufeergewöhnlicben  F^räften,  bie 
infofern  mit  ber  eiektri3ität  eine  Verwanbtfcbaft 
3U  haben  Schienen,  als  man  bas  Wefen  beiber 
nicht  recht  3U  ergrünben  vermochte. 

€s  mag  ein  eigentümliches  prickeln  von  ben 
Worten  unb  ben  ßanblungen  Bettinas  ausgegangen 
fein,  ein  ameifenhaftes  (Grabbeln  unb  f^ribbeln, 
bas  enblich  in  allen,  bie  mit  ihr  3U  tun  hatten, 
eine  fich  fteigernbe  Hervofität  hervorrief,  ^a  man 
niemals  wufete,  was  ber  nächfte  Rugenblick  bringen 
würbe.  Unb  ba  Bettina  ein  rechtes  Vergnügen 
baran  hatte,  bie  Ceute,  insbefonbere  aber  bie  Be* 
bacbtfamen  unb  Befonnenen,  3U  ärgern,  mag  fie, 
fobalb  fie  fich  einmal  barüber  klar  war,  wie  bies 
am  heften  gefchehen  könnte,  ihre  aller  Spiefe» 
bürgerei  abholben  Heigungen  noch  mit  Bewufet* 
fein  gefteigert  unb  bis  3ur  Virtuofität  entwickelt 


VII 


haben.  Dafür  räcbten  ficb  Öie  Ceute  wieöer,  inbem 
jie  hinter  ihrem  Rüchen  allerlei  HacbreÖen  auf« 
brachten.  Dafe  fie  an  gänslichem  (Dangel  an 
hiftorifchem  Sinn  unb  an  Cogih  leibe,  war  noch 
bas  geringfte.  Anbere  propheseiten,  bafe  fie  am 
€nbe  noch  gan3  verrucht  werben  würbe,  wenn 
es  fo  weitergehe.  Unb  bas  lange  Regifter  ihrer 
Sünben  würbe  aufgesählt,  biefe  tollen  Streiche, 
wie  fie  einem  armen  jubenmäbel  bie  Gaffe  aus« 
kehren  geholfen,  wie  fie  im  Stift,  in  bem  fie  er« 
3ogen  worben,  auf  bas  Dach  geklettert  fei  ober 
vom  Gartenhaus  ober  einem  Baum  herab  ge* 
prebigt  habe. 

Die  3eit,  in  ber  Bettina  jung  war,  war  bie 
Blüteseit  ber  beutfchen  Romantik.  (Dan  hatte  in 
Deutfcblanb  bie  Doktrinen  ber  Rufklärung,  bie 
rytannei  bes  (Daterialismus  fatt  bekommen  unb 
verlangte  nach  einer  Weltanfchauung,  in  ber  bas 
Gefühl  über  bie  J^räfte  bes  Verftanbes  bie  f5err» 
fchaft  gewinnen  follte.  €ine  Reihe  von  genialen 
(Denfchen  war  an  ber  Rrbeit,  biefe  Weltanfchauung 
3U  verkünben,  fofern  man  es  Brbeit  nennen  kann, 
in  bunten  Träumen  3u  fchwelgen  unb  phantaftifche 
Dekorationen  für  ein  Busftattungsftück  ber  l^unft 
unb  bes  Cebens  3U  entwerfen.  Diefer  (Dangel 
an  Sormungskraft ,  an  €nergie  bes  Geftaltens, 
ber  ficb  ebenfofehr  in  ben  Büchern  ber  roman» 
tifcben  (Denfchen  als  in  ben  Tatfachen  ihrer 
Lebensläufe  3eigt,  trug  ben  Verfall  in  ficb,  fo 
ftol3  bie  Romantiker  gerabe  auf  ihre  formale 
Ungebunbenheit  waren.  Darum  haben  bie  eigent« 
liehen  Romantiker  keine  ber  Dichtungsgattungen 


VHI  ■  m 

beberrfcbt,  öie  grofee  Rnfor^erungen  an  bie  Runft 
bes  Formens  ftellen.  Rus  jenen  Greifen  ift  weber 
ein  grofees  epifcbes,  noch  ein  grofees  bramatifcbes 
Runftwerk  hervorgegangen.  Die  Cyrih,  bie  Runft 
bes  Gefühls,  ber  Wortmelobik  hat  aber  unter 
ihnen  gan3  wunberfam  geblüht.  Darin  war  Bettina 
ein  getreues  Rinb  ihrer  3eit,  t>a^  fie  nichts  von 
ber  Runft  bes  Öeftaltens  wufete.  Rber  fie  '\\i  ben 
gesamten  Romantihem  barin  an  folgericbtigkeit 
überlegen,  ^q\s  fie  burcbaus  nichts  von  ihr  wiffen 
wollte.  Sie  lehnt  es  mit  einer  Rrt  von  Rb^cbeu 
ab,  wenn  man  ihr  3umutet,  bichten  3U  follen. 
Wenn  fie  ihr  Bruber  Clemens  Brentano  immer 
wieber  ermuntert,  bie  bunten  Einfälle  3U  ver* 
bichten,  ihre  öebanhen  in  Worte  ein3ufangen,  fo 
verfucbt  fie  es  wohl  ihm  3uliebe,  aber  fie  weife, 
ba^  es  nicht  gelingen  kann.  Sie  läfet  bie  Blätter 
ihrer  Blüten  lieber  in  alle  Winbe  flattern,  als  fie 
in  ben  f5erbarien  ber  Orbnung  3U  preffen.  Denn 
fie  kennt  bie  Un3ulänglichkeit  ber  Worte:  „-  ich 
fage  Dir,  wenn  ich  gefchwiegen  hab,  fo  ift  bas, 
weil  mir  bie  Worte  nicht  wohltönenb  genug  vor^ 
Namen;  ich  feh  mich  im  Geift  um  nach  Rlang, 
wenn  ich  etwas  fagen  will,  ba  finb  ich  keinen 
Con,  ber  ftimmt;  unb  Du  kannft  mir's  glauben, 
manches  lafe  ich  ungefagt,  weil  ich's  nicht  ebel  ge* 
nug  aus3ufprecben  vermag  . . ."  („Die  Günberobe"). 
Unb  barum  ift  es  wirklich  ihr  €rnft,  nicht  anmutige 
Cüge,  wie  vieles  bei  ihr,  wenn  fie  fagt:  „Rm 
Dichten  hinbert  mich  mein  Ge^iffen;  wenn  ich 
benk,  wie  viel  reiner,  tiefer  Sinn  ba3u  gehört, 
um  fo  weniger  kann  ich  mir's  3utrauen ;"  unb  fie 


IX 


bat,  wenn  fie  manchmal  faft  beöauern  möcbte,  bafe 
es  ihr  vertagt  fei,  einen  Croft  bereit,  vor  öem 
alle  Verfucbe  öec  Dicbter  f^lein  erfcbeinen  wollen. 
„Ich  bab  wobl  einen  öunklen  Begriff,  warum  icb 
nicbt  5icbte;  weil  eben  Öas  tliefe,  was  micb  ge= 
waltig  ergreift  .  .  .  etwas  ift,  was  ficb  in  Öer 
€mpfinöungswelt  nicht  legitimiert,  oöer,  um 
fcbneller  unb  ohne  Umweg  mich  aus3ubrüchen, 
weil's  Unf  inn  ift,  was  mir  in  ber  Seele  wogt  . . . 
weil's  Unfinn  ift,  ber  mich  abnenö  als  böchftes 
6efe^  ber  Weisheit  ergreift." 

Unfinn  alfo  ift  bie  böchfte  Weisheit.  Vom 
beute  gebräuchlichen  Begriff,  ber  ficb  mit  bem 
Worte  Unfinn  verbinbet,  mufe  babei  abgefeben 
werben.  Unfinn  bebeutet  Bettina  bas,  was  mit 
ben  Sinnen  nicht  fafebar  ift.  Rlfo  bas  Gefühl. 
Unb  bamit  fpricht  Bettina  bie  wefentUche  Rn^ 
fchauung  ber  Romantiher  aus.  Sie  will  heine 
Dichterin  fein.  Cro^ibem,  ober  eben  besbalb  aber 
ift  in  ihren  Büchern  ber  Geift  ber  Romantil^  unb 
bamit  einer  ber  wichtigften  3üge  in  ber  Seele  ber 
(Denfchheit  beffer  erfafet,  als  in  ben  Rbbanblungen 
ober  ben  Werhen  ihrer  bichtenben  3eitgenoffen. 
Wir  verbanden  ihr  ohne  3weifel  nicht  nur  -  wie 
man  fagt  -  bas  fchönfte  Buch  ber  Romantik, 
fonbern  gan3  gewife  eines  ber  fchönften  Bücher 
ber  Deutfchen:  ihr  Buch  „Goethes  Briefwechfel 
mit  einem  f^inbe". 

Bettina  Brentano  würbe  am  4.  Rpril  1785  in 
franhfurt  am  (Dain  geboren.  Ihr  Vater  war  ber 
aus  Italien  ftammenbe  Raufmann  Peter  Rnton 
Brentano,  fpäter  hurtrierfcber  Rat  unb  Refibent. 


Ihre  (Dufter  hatte  in  Goethes  Ceben  eine  Rolle 
gespielt.  Sie  war  öie  Tochter  Öer  öcbriftftellerin 
Sophie  Carocbe,  jener  (Daximiliane  Carocbe,  bie 
Im  „Werther"  als  fräulein  B.  eingeführt  wirb. 
Die  Che  öer  eitern  Bettinas  war  nicht  geraöe 
glücNUcb,  benn  (Daximiliane  hatte  ben  Witwer 
Brentano  gegen  ihre  Heigung,  auf  Wunfcb  ihrer 
Samilie  geheiratet.  Als  bas  (Däbcben  acht  Jahre 
alt  war,  ftarb  bie  (Dutter,  vier  Jahre  fpäter  ber 
Vater.  Die  verwaifte  Bettina  würbe  nun  im  f^lofter 
Sri^lar  er3ogen.  ßier  entwickelte  ficb  jene  innige 
Sreunbfchaft  mit  ber  Hatur,  bie  bem  Wefen  bes 
f^inbes  einen  ber  liebenswürbigften  3üge  ein* 
prägte.  „So  hob  ich  allmählich  3uverficbt  ge- 
wonnen unb  war  vertraulich  mit  ber  Hatur  unb 
hab  3um  Sehers  manche  Prüfung  beftanben.  Sturm 
unb  Gewitter  30g  mich  hinaus,  unb  bas  machte 
mich  freubig;  bie  heifee  Sonne  fcheue  ich  nicht, 
ich  legte  mich  ins  Gras  unter  bie  fcbwärmenben 
Bienen  mit  Blüten3weigen  im  (Dunb,  unb  glaubte 
feft,  fie  würben  meine  Cippen  nicht  ftecben,  weil 
ich  \o  befreunbet  war  mit  ber  Hatur;  unb  fo  bot 
ich  allem  Trot5,  was  anbere  fürchteten,  unb  in  ber 
Dacht  in  fchauerlicben  Wegen  im  finfteren  Ge- 
büfch,  "öa  lochte  es  mich  hin,  ba  war's  überall  fo 
heimlich  unb  nichts  war  3U  fürchten."  Vom  Jahre 
1801  an  lebte  fie  teils  bei  ber  Grofemutter  in 
Offenbach  bei  Frankfurt,  teils  bei  Verwanbten,  fo 
längere  3eit  bei  ber  mit  bem  grofeen  Juriften 
Savigny  verheirateten  Scbwefter  in  (Darburg. 
€in  Wanberleben  begann,  beffen  €inbrüche  unb 
€rlebniffe  in  bem  „Briefwecbfel"  niebergelegt  finb. 


XI 


In  Canbsbut,  (Düneben  unb  Wien  kam  fie  überall 
mit  bervorragenben  (Dännern  in  Berübrung.  für 
ben  Rufftanb  in  Drol  begeistert,  verfucbte  fie  ben 
l^ronprinsen  von  Bayern  für  ibre  öacbe  ein= 
3unebmen.  Das  war  bie  erfte  ber  kübnen  unb 
naiven  Unternebmungen  Bettinas,  ber  erfte  jener 
von  ber  Begeisterung  eingegebenen  Vorftöfee  in 
bas  Öebiet  ber  Politik,  bie  fie  fpäter  3U  bem 
I^önig  von  Preufeen  in  Be3iebungen  bringen  follte. 
Von  Wien  aus  vermittelte  fie  bie  Bekanntfcbaft 
Beetbovens  mit  Ooetbe,  ben  fie  felbft  im  Jabre 
1807  wäbrenb  eines  Rufentbaltes  in  Weimar 
kennen  gelernt  batte.  3u  ben  bebeutenben 
(Dännern  aus  bem  l^reife  ber  Romantiker,  3U 
benen  fie  burcb  ibre  Familie  in  Be5iebung  trat, 
geborte  aucb  ber  freunb  ibres  Brubers  Clemens 
Brentano,  ber  (Ditberausgeber  ber  wunberbaren 
Sammlung  „Des  Rnaben  Wunberborn",  Rcbim 
von  Rrnim.  (Dit  ibm  vermäblte  fie  ficb  in  aller 
ßeimlicbkeit  am  20.  (Där3  1811.  Seltfamerweife 
fcbweigt  Bettina  gerabe  über  bie  öefcbicbte  biefer 
Ciebe,  obgleicb  fie  bocb  fonft  allen  ibren  wicb* 
tigeren  €rlebniffen  literarifcbe  Denkmäler  er^ 
ricbtete.  €s  ift,  als  wollte  fie  bas  Scbönfte  unb 
Innigfte,  was  ibr  bas  Ceben  bracbte,  in  aller  Stille 
für  ficb  bewabren.  6cbon  bie  Rrt,  wie  biefer 
€bebunb  gefcbloffen  würbe,  3eigt  von  ber  Sart- 
beit  bes  €mpfinbens  biefer  Srau.  Das  Wenige, 
was  wir  bavon  wiffen,  erfabren  wir  nicbt  von 
Bettina,  fonbern  aus  einem  Briefe  Rebims  an 
feinen  5reunb  Görres.  In  (Denfcben,  bie  fo  fein= 
füblig  finb  wie  Rrnim  unb  feine  Braut,  ift  eine 


XII 


ungemeine  Rngft  vor  öen  lauten  feierlicbheiten 
einer  ßocbseit.  Die  unvermeiMicben  Scber3e,  öie 
bebeutfamen  ßliche  ber  öäfte,  bas  gan-^e  Um  unb 
Ruf  ber  3eremonie  im  Rngeficbt  einer  gaffenben 
(Denge  verlet5t  unb  ftört  bas  [cböne  Geheimnis. 
Den  Rbficbten  ber  beiben  erlefenen  (Denfcben 
ftanben  viele  ßinberni^fe  im  Wege.  Rrnim  wohnte 
3immer  an  3immer  mit  Clemens  Brentano  unb 
Bettina  in  einem  3immercben  bei  Savignys.  Zroi^^ 
bem  gelang  ber  Plan  -  „wie  in  taufenb  f^omöbien," 
fagt  Rrnim  -  mit  ßilfe  einer  Rammerjungfer. 
Hacbbem  bie  beiben  morgens  heimlich  auf  bem 
3immer  eines  acbtsigjährigen  Prebigers  getraut 
worben  waren,  ham  Rrnim  abenbs  wie  immer 
3u  öavignys,  nahm  bann  Rbfchieb  unb  ging  unter 
Cärm  bie  treppe  hinab,  um  an  ber  f5austür  um- 
3uKehren  unb  leife  3U  Bettina  3U  fcbleichen.  Ihr 
3immercben  war  mit  Rofen  unb  Jasmin  gefchmücht, 
unb  Bettina  wartete  bes  Geliebten.  Hiemanb  von 
allen  Bekannten  ahnte  etwas  von  biefer  heim= 
lieben  Vermählung,  bis  es  bie  Gatten  felbft  nacb 
fünf  Tagen  ihrer  Che  an  Clemens  unb  öavignys 
ausplauberten. 

Rlle  auf  ihr  Verhältnis  3U  Rrnim  unb  auf 
ihre  Vermählung  be3üglicben  Stellen  hat  Bettina 
aus  ihrem  Briefwecbfel  mit  Goethe  ausgefcbieben. 
Von  bem  inneren  Grunb  bafür  würbe  fcbon  ge= 
fprocben;  bie  äufeeren  Crwägungen,  bie  3U  ihm 
hin3uKamen,  werben  noch  3U  erwähnen  fein. 

In  bem  Jahre  ihrer  Vermählung  erfolgte  ber 
Bruch  ihrer  innigen  Be3iehungen  3U  Goethe. 
Bettina  trug   bie  öcbulb  an  biefer  Rataftropbe. 


XIII 


Sie  hatte  ficb,  von  Coetbe  nacbficbtig  urib  Hebens* 
würöig  aufgenommen  unb  ermutigt,  mit  ber  3eit 
einen  öi^i  an  jeiner  Seite  erträumt,  fühlte  ficb  \o 
fehr  als  feine  erkorene  Gefährtin,  ^a^  fie  es  nicbt 
ertragen  konnte,  Goethe  mit  einer  Srau  verbunben 
3U  feben,  ber  fie  ficb  in  jebem  Belang  überlegen 
fühlte.  Chriftiane  Vulpius,  mit  ber  Goethe  fcbon 
vermählt  war,  als  ihn  Bettina  kennen  lernte,  unb 
bie  fcbon  bamals  von  eiferfücbtigen  Rnwanblungen 
gegen  bas  fcbwärmerifcbe  (Däbcben  geplagt  war, 
3eigte  ficb  aber  nicht  gefonnen,  vor  Bettina  3urüch= 
3utreten.  €s  kam  3U  einem  [Konflikt  3wifcben  ben 
frauen.  Spärlich  floffen  von  l>a  an  bie  Briefe 
Bettinas,  unb  bie  antworten  Goethes  hören 
gan3  auf. 

So  würbe  ein  Verhältnis  beenbet,  bas  3U  ben 
wunberbarften  5rauenerlebniffen  unb  3U  ben 
fcbönften  Kapiteln  ber  beutfcben  Geiftesgefcbicbte 
gehört.  €s  begann  für  Bettina  tief  unten  in 
l>en  Tagen  ber  l^inbbeit  unb  beberrfcbte  ihre  €r= 
innerung  bis  an  ihr  Cebensenbe.  In  einem  Briefe 
an  ben  Rönig  §riebricb  Wilhelm  IV.  vom  29.  Juli 
1849  fpricbt  fie  von  biefer  Ciebe.  „(Deine  Ciebe 
3U  Goethe  war  nicht,  weil  icb  mir  ihn  als  grofeen 
(Dann  bacbte,  fie  entfprang  baher,  weil  er  vor 
mir  verleumbet  warb  ...  Ich  war  bamals  brei3ehn 
Jahre  alt  .  .  .  bis  man  .  .  .  weiter  er3ählte,  er 
habe  ein  böfes  I5er3,  er  fei  gan3  bäfelicb  geworben 
unb  habe  ein  gemeines  Rusfehen  ...  Da  fagte 
icb  3u  mir  felber :  es  ift  nicbt  wahr,  was  bie  bort 
fagen!  -  Von  ber  3eit  an  war  er  ber  Gegen* 
ftanb   meiner    heimlichen   Betrachtungen."      Rls 


XIV  -  m 

Bettina  3wan3ig  jabre  alt  war,  erlebte  fie  öie 
erfte  fcbwere  Crfcbütterung  ibrer  Seele.  Seit 
Jabren  verbanö  fie  eine  innige  freunöfcbaft  mit 
öer  fecbs  jabre  älteren  Caroline  von  Günberoöe. 
Beiber  Haturen  ergänsten  ficb  vortrefflicb,  inöem 
bie  ßünöerobe  mit  ibrem  beroifcben  €rnft  ber 
beiteren  Cebbaftigl^eit  Bettinas  bas  öleicbgewicbt 
hielt,  ßeroifcb  war  aucb  ber  ^ob  ber  freunbin. 
Sie  erbolcbte  ficb  aus  unglüchlicber  Ciebe  3U 
Winl^el  im  Rbeingau.  Diefe  entfe^licbe  ^at 
brachte  Bettina  in  Verwirrung  unb  Versweiflung. 
Ihr  Glüch  führte  [le  gerabe  3U  biefer  3eit  mit 
Goethes  (Dutter  3ufammen.  (Dan  weife,  welchen 
glücklichen  €influfe  bie  unvergleichliche  $rau  Rat 
auf  ihre  Umgebung  hatte.  (Dilbernb  unb  be^ 
fänftigenb  wirhte  fie  auch  auf  Bettinas  Schmers. 
Unb  inbem  bas  (Däbcben  3U  ihren  Jüfeen  fafe 
unb  ben  €r3ählungen  ber  frau  Rat,  ben  kleinen 
Gefchichtchen  aus  ber  jugenb  Wolfgangs  laufchte, 
wuchs  bie  frühe  Ciebe  3U  Goethe  immer  voller 
ins  Cicbt.  Sie  hat  alle  biefe  Gefchichten  treu  be= 
wahrt,  unb  als  Goethe  fpäter  währenb  ber  Rrbeit 
an  „Wahrheit  unb  Dichtung"  um  (Ditteilungen 
aus  feiner  f^inbheit  bat,  bie  ihm  feine  in3wifchen 
verftorbene  (Dutter  nicht  mehr  machen  konnte, 
wufete  Bettina  eine  (Denge  aus  ibrem  Gebächtnis 
3U  berichten.  Ihren  Dank  für  biefe  freunbfchaft^ 
liebe  3uneigung  beseugte  Bettina  ber  Srau  Rat 
burch  Briefe  über  ihr  3ufammentreffen  mit  Goethe. 
(Dit  Savigny  unb  ber  Schwefter  kam  fie  3um 
erften  (Dale  nach  Weimar.  €s  war  gerabe 
(Dittags3eit ,   bie   anberen  afeen  unb  legten  fich 


XV 


auf  5as  6ofa,  öenn  man  hatte  örei  Häcbte  nicht 
gefcblafen.  Bettina  aber  l^onnte  weöer  effen, 
noch  ruhen.  Sie  ftanö  am  Senfter  unö  fah  nach 
ber  turmuhr,  in  grofeer  Bangigkeit,  ob  Goethe 
ihr  nicht  ftol3  begegnen  werbe.  Als  es  brei  Uhr 
fchlug,  war  es  ihr,  als  riefe  er  fie.  5ie  lief  auf 
bie  etrafee  unb  besuchte  3uerft  Wielanb,  ber  ihr 
ein  3ettelcben  an  Goethe  als  Calisman  mitgab. 
ODit  biefem  3ettelcben  ging  fie  hin.  „Ich  ham  bie 
einfache  treppe  hinauf,  in  ber  (Dauer  ftehen 
Statuen  von  Gips,  fie  gebieten  Stille.  3um 
wenigsten  ich  l^önnte  nicht  laut  werben  auf  biefem 
heiligen  ßausflur.  Blies  ift  freunblich  unb  boch 
feierlich.  In  ben  3immern  ift  bie  höcbfte  einfach^ 
heit  3U  ßaufe,  ach  fo  einlabenb!  fürchte  Dich 
nicht:  fagten  bie  befcheibenen  Wänbe,  er  wirb 
hommen  unb  wirb  fein  unb  nicht  mehr  fein 
wollen  wie  Du  -".  Da  ging  bie  Züx  auf,  unb 
Goethe  ftanb  ha  unb  fah  Bettina  ernft  unb  un= 
verwanbt  an,  bafe  fie  erfchrah  unb  3U  wanhen 
begann.  Goethe  fing  fie  auf  unb  führte  fie  3um 
Sofa.  „Rrmes  l^inb,  hob  ich  Sie  erfchrecht," 
waren  feine  erften  Worte.  Blies,  was  bamals 
gefchah,  fteht  in  befonberer  l^larheit  vor  ihrer 
Crinnerung.  Blle  biefe  hleinen  Bufmerkfamkeiten 
unb  3örtlichkeiten,  mit  benen  Goethe  bie  ßulbi^ 
gungen  bes  jungen  Gefchöpfes  entgegennahm. 
Wie  er  ein  Blatt  von  ben  Reben  brach,  bie  an 
feinem  fenfter  hinaufwucbfen ,  unb  es  an  ihre 
Wange  legte  unb  ba3u  fprach:  „Das  Blatt  unb 
Deine  Wange  finb  beibe  wollig."  Unb  jebes 
onbere  Wort,  bas  er  gefprochen,  jeber  Blich  unb 


XVI 


jebe  Bewegung.  Der  erjte  Brief  Bettinas  an 
öoetbe  ift  aus  Caffel  vom  15.  (Dai  1807.  Cr  ift 
noch  bas  Stammeln  eines  beglüchten  l^inöes. 
Rber  von  ba  an  fteigert  ficb  bie  Glut  ber  Briefe, 
fie  werben  immer  brängenber,  begebrenber,  leiben» 
fcbaftUcber.  Rber  es  ift  heine  Ceibenfcbaft  bes 
Ceibes,  Jonbern  bes  öeiftes.  „Gebirnfinnlicbheit" 
bat  ber  Graf  püchler  ^  (Duskau  biefe  Crfcbeinung 
mit  einem  borten,  aber  treffenben  Wort  be3eicbnet. 
Cs  ift  eine  vergeiftigte  Ciebe,  bie  3ur  €hftafe  unb 
3ur  Religion  wirb.  €ine  Rnbetung,  bie  friebricb 
Wilbelm  IV.  einmal  ftreng  unb  abweifenb  „Goetbo* 
latrie"  genannt  bat.  (Dänabenbaft  raft  ibre  Be» 
geifterung  babin  unb  siebt  alles  in  ibren  Bereicb. 
Haturftimmungen ,  €rlebniffe,  Gebanken  unb 
Gefüble  webt  Bettina  in  ibren  Briefen  3ufammen. 
Sie  will  Goetbe  nicbts  verbeimlicben ,  wie  man 
vor  Gott  nicbts  verbeimlicben  kann.  Sie  bringt 
ficb  felbft,  ibr  ganses  Sein  3um  Opfer.  Unb  ein 
betäubenber  Duft  fteigt  aus  biefem  Opfer  auf, 
ein  Woblgerucb  ebelfter  Rrt,  ber  trunken  macbt 
unb  verwirrt.  (Dancbmal  klingt  es  wie  Ge* 
3witfcber  eines  kleinen  Vogels,  wie  Geftammel 
eines  l^inbes.  Dann  wieber,  bymnifcb  gefteigert, 
eine  Sympbonie  von  granbiofem  Scbwung,  in  ber 
ficb  alle  Stimmen  ber  Crbe  unb  bes  ßimmels 
offenbaren.  Dann  fcblagen  bie  Wogen  ber  Be* 
geifterung  über  ber  Scbreiberin  3ufammen.  Sie 
verliert  ficb  felbft,  verirrt  ficb  in  ben  Cabyrintben 
ibrer  eigenen  pbantafie.  Baccbantifcber  Taumel, 
eine  Orgie  ber  Ver3ückung  beginnt.  Wie  in  einem 
3aubergarten  wacbfen  abenteuerliche  Blüten  auf 


OB  -   XVII 

fcbwanhen  Stielen,  ihre  ÜberfcbwengUcbheiten 
arten  ins  Inbifcbe,  fabelhafte,  Öroteshe  aus,  an 
mancben  Stellen  bricbt  Me  öötteröämmerung  öer 
vollkommenen  I^onfufion  ein. 

(Dan  mufe  ficb  vorftellen  können,  wie  Coetbe 
öiefem  oft  ins  Spukhafte  verftiegenen  Treiben 
gegenüberftanb.  €r,  Öer  feine  Weltanfcbauung 
unb  feinen  formenfinn  an  Öer  klaren,  ruhigen 
fDeiterkeit  ber  Antike  gebildet  hatte,  mufete  ficb 
oft  genug  von  ben  Buswücbfen  biefer  wilben 
Begeifterung  abgeftofeen  fühlen.  (Dit  aller  väter^ 
lieben  (Dilbe,  wie  von  Bergesböhen  herab  ricbtet 
er  feinen  läuternben  Strahl  auf  biefes  Chaos. 
Immer  wieber  verfucbt  er  Bettina  absulenken  unb 
auf  jenes  Oebiet  3U  befcbränken,  wo  fie  ihm  fo 
gut  gefiel:  3ur  kinblicb  einfachen  Vertraulichkeit. 
€r  wollte  nicbts  von  ihr,  als  ihr  Oeplauber  hören. 
Um  bas  Verhältnis  swifcben  bem  Dichter  unb 
Bettina  richtig  3U  beurteilen,  barf  man  nicht  ver^ 
geffen,  ^a^  Goethe  3ur  3eit,  als  bie  erfte  Be= 
gegnung  ftattfanb,  acbtunbfünf3ig  Jahre  unb  Bet» 
tina  3weiunb3wan3ig  Jahre  alt  war.  (Dit  bem 
Blick  bes  Ricbters  über  bie  (Denfcben  fieht  er 
ihr  bis  in  bas  ßer3.  Wie  über  alle  €rlebniffe 
feines  Weges  fucbt  er  ficb  aucb  über  Bettina  klar 
3U  werben,  inbem  er  fie  in  eine  Dichtung  proji3iert. 
Wir  bürfen  annehmen,  ^q^  bie  Charakter3eicbnung 
ber  Cuciane  in  ben  „Wahlverwanbtfcbaften"  nach 
bem  Vorbilb  Bettinas  gemacht  fei.  €r  vergleicht 
fie  mit  einem  brennenben  l^ometkern,  ber  einen 
langen  Scbweif  nach  ficb  3ieht.  Diefes  mutwillige, 
tänbelnbe  unb  geiftvoUe  (Döbcben  fcbeint  ben 
Sritfcb-Strobl.  II 


XVIII  -^- 0 

plan  3U  haben,  „(Dänner,  5ie  etwas  vorftellen, 
Rang,  Rn^eben,  Rubm  oöer  fonft  etwas  Be^ 
öeutenbes  vor  ficb  hatten,  für  ficb  3U  gewinnen, 
Weisheit  unö  Befonnenheit  3ufcbanöen  3U  macben 
unö  ihrem  wilben,  wunöerlicben  Wefen  felbft  bei 
öer  Bebäcbtlicbkeit  Öunft  3U  erwerben". 

„Goethes  Briefwecbfel  mit  einem  Rinöe"  ift 
Nein  geschriebenes,  fonöern  ein  erlebtes  Buch. 
Der  ßauptteil  enthält  öen  Briefwechsel  mit  Goethe. 
Voran  gehen  Briefe  an  unb  von  Goethes  (Dutter, 
unb  ben  6cblufe  bilben  ein  ergän3enbes  Tage* 
buch  unb  einige  gan3  wunberfame  Rnrufungen 
bes  €in3igen,  bie  wie  Gebete  klingen,  reiner  unb 
weniger  verworren  als  bie  feurigen  €hftaSen  vom 
Gipfel  ber  Begeifterung.  €in  leifes  (Doli  fcbleicbt 
fich  ein,  unb  wie  ein  wehmütiges  Trauerlieb  ift 
ber  Rushlang,  bie  I^lage  über  Goethes  Tob.  (Dan 
hat  Bettina  einen  Vorwurf  baraus  gemacht,  ba^ 
fie  bie  hiftorifche  Wahrheit  in  bem  Briefwecbfel 
vergewaltigt  habe,  bafe  fie  Goethes  Briefe  unb 
ihre  eigenen  veränbert  habe,  um  ben  3wechen 
ihres  Buches  beffer  3U  bienen.  Befonbers  beutet 
man  barauf  bin,  t>a^  Bettina  eine  Sälfcbung  ver= 
fucht  habe,  inbem  fie  Sonette  Goethes  in  Profa 
auflöfte  unb  in  ben  Cext  ihrer  Briefe  verwob,  um 
fo  ben  Rnfchein  5u  erwechen,  als  habe  umgehehrt 
Goethe  jene  Sonette  aus  ihren  Briefen  ge3ogen. 
es  ift  klar,  Bettina  verftanb,  wie  feiten  jemanb, 
bie  Runft  3U  lügen,  unb  Oscar  Wilbe,  ber  Cob^ 
rebner  bes  Cügens,  hätte  feine  freube  an  ihr 
haben  bürfen.  Rber  Bettina  ift  eine  naive  Cüg= 
nerin.    Sie  lügt  nur,  um  bie  Dinge  hübfcher  3U 


XIX 


macben.  Unö  fie  fagt  es  öen  Ceuten  in  ihrem 
allerliebften  frankfurter  Dialekt  ja  auch  immer 
felbft:  „Sie  muffe  mir  nicbt  alles  glaube,  icb  bin 
fo  verlege."  3uöem  verfährt  fie  bei  ber  ßeraus^ 
gäbe  5es  Briefwecbfels  -  tro^  ihrer  früheren 
Rbwehr  -  gan3  als  Dichterin,  inbem  fie  wegläfet, 
was  ben  künftlerifcben  CinÖruck  fcbwäcben  könnte, 
unb  hervorhebt,  was  ihn  unterftü^t.  Sie  will  ja 
keine  Sammlung  literarbiftorifcber  Dokumente, 
fonbern  ein  Werk  geben,  in  bem  etwas  von  ben 
Seelen  eines  gans  grofeen  (Dannes  unb  eines 
gan3  feltenen  Weibes  3u  erfahren  ift.  So  naiv 
fie  fcbeinen  möchte,  fo  mangelt  ihr  boch  nicht  eine 
tecbnifche  Begabung,  bie  fie  benutst.  Cro^bem 
fie  nirgenbs  bie  Flüchtigkeit  bes  erften  Gefühls, 
ben  Rei3  ber  Cingebung  verwifcht,  fo  komponiert 
fie  boch.  Sie  geftaltet  nicht  um,  aber  fie  orbnet. 
Unb  aus  Orünben  ber  Rompofition  würben  vieU 
leicht  auch  bie  Crwähnungen  ihres  Verhöltniffes 
3u  Rrnim  ausgefchieben.  Der  Cinbruck  ber  völligen 
Eingabe  an  ben  €inen  follte  nicht  geftört  werben. 
Der  ßriefwechfel  hatte  einen  ungeheuren  Cr* 
folg.  6an3  Deutfcblanb  war  voll  bavon,  unb  ihr 
Hame  war  an  ben  Goethes  hinangewacbfen ,  fo 
wie  fie  es  immer  in  poetifchen  Bilbern  ausgemalt 
hatte,  wie  eine  3arte  Scblingpflan3e  an  ben  mäcb= 
tigen  Baum.  3ur  3eit  biefes  Crfolges  (1835)  war 
Bettina  fünf3ig  Jahre  alt,  lebte  fcbon  lange  in 
Berlin  unb  hatte  nach  glücklicher  €he  ben  Gatten 
verloren.  Rufeer  geliebten  l^inbern  hatte  er  ihr 
bie  Pflicht  hinterlaffen,  für  bie  ßerausgabe  feiner 
Werke  3u  forgen.  Hachbem  fie  fo  lange  ge- 
il* 


XX 


fcbwiegen  hatte,  folgten  nun  bintereinanber  eine 
Rn3Qbl  von  Bücbern,  in  benen  fie  in  Briefen  an 
freunde  öie  fcböne  Sülle  unb  Sreuöigkeit  ihrer 
]ugenb  3eigt.  Dem  Rnbenhen  ber  Günöerobe 
gilt  bas  unter  öeren  Hamen  erfcbienene  Buch 
(1840),  öann  bem  Bruöer  „Clemens  Brentanos 
Srühlingsh?ran3"  (1844).  Bettina  von  Rrnim  ge» 
hörte  3u  ben  Srauen,  bie  nicht  altern.  Sie  war 
noch  immer  öiefelbe,  voie  in  tollfter  (Däbcben3eit. 
Unb  bas  fonberbare  Verhältnis,  in  bas  fie  3um 
f^önig  von  preufeen  trat,  erinnert  in  allen  Stüchen 
an  ben  Beginn  unb  Verlauf  ihrer  Besiehungen 
3U  Goethe.  Bettina,  bie  niemals  3eitungen  las 
unb  fich  im  allgemeinen  um  ben  Cauf  ber  Welt= 
begebenheiten  wenig  kümmerte,  greift  nun  in  bie 
Politik  ein.  Sie  wirb  Politiherin  aus  Gefühl. 
Um  ihr  Intereffe  3U  erwecken,  war  immer  eine 
perfönlicbkeit  notwenbig,  ein  lebenbiger  (Denfcb, 
womöglich  ein  (Denfcb,  bem  fie  glaubte  in  irgenb- 
einer  Besiebung  helfen  3U  können.  Diefe  Perfön= 
liebkeit,  3U  ber  fich  Bettina  unwiberftehlich  hin= 
gesogen  fühlte,  war  ber  f^önig  von  preufeen,  bem 
fie  fcbon  innerlich  näher  trat,  als  er  noch  Rron^ 
prin3  war.  Sriebricb  Wilhelm  IV.  war  eine  reiche 
Hatur,  voll  ber  mannigfacfaften  Intereffen  unb 
ohne  3weifel  ein  bebeutenber  Geift,  freilich  in 
feinem  Wollen  wenig  klar  unb  ohne  Sinn  für 
Realitäten.  Sein  Unglück  war,  ^a^  er  nicht  in 
feine  3eit  pafete.  Diefe  ftürmifche  Cpoche,  in  bie 
er  bineingeftellt  war,  erforberte  (Dänner  von 
klarem  Willen  unb  fefter  f5anb.  (Dan  hat  Sriebricb 
Wilhelm   ben  Romantiker  auf  bem  Chrone  ge= 


XXI 


nannt.  Von  Öem  Gottesgnabentum  Öer  f^önige 
überseugt,  folgte  er  bem  3uge  aller  Romantiher 
in  öie  Vergangenheit  3urüch  unb  wollte  bas 
(Dünbigwerben  bes  Volt?es  verbinbern.  €s  ift 
nun  fayt  rübrenb  an3ufeben,  wie  ßettina,  bie  bem 
f^önig  fo  wefensverwanbt  ift,  ibm  3U  belfen  ver^ 
fucbt.  Bis  es  immer  beutUcber  würbe,  ba^  ber 
f^önig  bie  von  ben  Ciberalen  gebegten  Hoffnungen 
nicht  erfüllen  werbe,  unb  als  er  fich  immer  mehr 
ber  feubalen  ßofpartei  3uneigte,  fagte  Bettina  3U 
ihren  freunben;  „Wir  muffen  ben  [^önig  retten." 
Das  ift  bie  gan3e  Bettina:  hinbliches  Vertrauen 
in  bie  (Dacht  bes  Gefühls  unb  bes  Wortes.  Unb 
bas  in  einer  3eit,  bie  nach  nichts  anberem  als 
Taten  verlangte.  Die  Bemühungen  Bettinas,  ben 
f^önig  auf  ben  richtigen  Weg  3U  bringen,  finb 
wie  bie  ßilfe,  bie  ein  Blinber  bem  anberen  leiften 
will.  €s  ift  verwunberlich,  ba^  in  bem  Buch,  bas 
fie  bem  f^önig  wibmete,  fo  viel  richtige  unb  ge^ 
funbe  Öebanl^en  3U  finben  finb,  wenn  man  fich 
bie  (Dübe  nimmt,  in  bem  grofeen  Rubbelmubbel 
3U  ftöbern.  Aber  auch  bas  ift  wie  bei  Blinben: 
biefe  Öebanhen  finb  nicht  aus  einer  klaren  Rn^ 
fchauung  gel^ommen,  fonbern  aus  bem  ßefübl. 
es  ift  wirklich  viel  Richtunggebenbes  in  biefem 
Buch.  Abolf  9tabr  nennt  es  mit  einer  freunb^ 
fchaftlichen  Übertreibung:  „öeiftesbibel  ber  3u^ 
kunft".  Unb  ODori^  Carriere  ftellt  fie  3U  allen 
übrigen  Romantikern  in  Gegenfa^,  als  Vertreterin 
einer  „Romantik  ber  3ukunft"  gegenüber  ben 
Vertretern  ber  „Romantik  ber  Vergangenheit". 
Sie    „erbaut    aus   ben    Rhnungen    bes   eigenen 


XXII  -  m 

Ber3ens  ...  als  heiteren  Cempelöienft  öes  leben^ 
öigen  öcbönen"  eine  „Scbwebereligion",  bei  ber 
es  ber  (Denfcbbeit  wieöer  wohl  werben  foll. 

Bettinas  Buch  hatte  öen  Citel:  „Dies  Buch 
gehört  bem  f^önige."  Der  f^önig  nahm  es  aucb 
anfangs  wohlwollenö  auf  unö  rettete  es  burcb 
allerlei  3enfurfährlicbheiten ,  foll  ficb  aber  fpäter 
fehr  abfällig  geäufeert  haben,  namentlich  als 
ötahr  bie  revolutionären  öeöanhen  aus  bem  6e= 
ranh  ber  Worte  Bettinas  loslöfte  unb  als  eigene 
Broschüre  erfcbeinen  liefe.  Crotsbem  ent3og  ihr 
Sriebrich  Wilhelm,  in  bem  eine  tiefe  Chrfurcbt 
vor  allem  geiftig  Bebeutenben  eingewurselt  war, 
feine  ßunft  nicht.  Hoch  einmal  hält  er  feine  ßanb 
über  fie,  als  bie  3enfur  auch  bei  ber  f5eraus= 
gäbe  bes  nächjten  Buches  („Clemens  Brentanos 
Srühlingsl^rans"  1844)  Schwierigheiten  machte. 
Die  wichtigften  Rngelegenheiten ,  bie  Bettina 
immer  von  neuem  3um  Rönig  führten,  waren 
für  bitten  für  Verfolgte,  ihr  erster  Bri^f  an  ben 
f^ronprin3en  vom  Rpril  1840  enthält  bie  Bitte  um 
Intereffe  für  bie  Brüber  Grimm,  bie  in  ber  be* 
kannten  Angelegenheit  ber  „Göttinger  Sieben" 
ihrer  Profeffur  entfe^t  worben  waren.  Der 
nächfte,  für  ben  fich  bie  Bettina  verwenbet,  ift 
ber  fchlefifche  5abriNbefit3er  Schlöffel,  ber  in  gan3 
lächerlicher  Weife  von  ber  poli3ei  3U  einer  wich:= 
tigen  unb  gefährlichen  Perfon  gemacht  worben 
wer.  Ruhige  Bebachtfamkeit ,  Überlegung,  Rh* 
fchä^ung  ber  Realitäten,  kaltblütige  €rwägung, 
ob  ber  in  Schut3  Genommene  auch  beffen  wert 
fei,  waren  Bettina  fremb.  €s  genügte,  ^q^  jemanb 


es  —  XXIII 

in  Hot  war,  bie  frage  nacb  feiner  Scbulö  wuröe 
niemals  aufgeworfen,  niemals  l^am  Bettina  bas 
Bedenken,  Öafe  fie  ficb  Öurcb  ihre  für  bitte  Öie 
Öunft  öes  Königs  verfcbersen  könnte.  60  fe^te 
fie  f icb  im  ]abre  1 847  für  Öen  polnif eben  Revolutionär 
(Dieroslawski  ein,  weil  feine  öcbwefter  fie  Öarum 
anflehte.  Der  l^önig,  Öer  ibre  Beweggründe  gan3 
gut  burcbfcbaute,  fcbreibt  ibr:  „bafe  ein  intrigantes 
Weib  Sie  besaubert,  weil  fie  febr  unglüchlicb 
ift,  begreife  icb."  Docb  einmal  wirb  fie  Öurcb 
eine  unglückliebe  frau  bewogen,  ben  f^önig  um 
eine  önabe  ansufleben.  'Johanna  l^inkel  wanbte 
ficb,  als  ibr  Gatte  6ottfrieb  f^inkel  im  Jahre  1849 
auf  bie  fcbwerften  Bnfcbulbigungen  bin  gefangen 
genommen  worben  war,  an  Bettina.  Der  f^önig, 
burcb  bie  Vorgänge  ber  Revolution  gereist,  be* 
barrte  nocb  ftrenger  als  bisher  auf  feiner  Bn* 
fcbauung  vom  Wefen  bes  f^önigtums.  l^inkel  war 
ba3U  nicht  blofe  ein  politifcber  Verbrecher,  fonbern 
aucb  ein  ßottlofer.  3wifchen  bem  Rönig  unb 
Bettina  entfpinnt  ficb  nun  über  Kinkel  eine  lang* 
wierige  l^orrefponbens.  Der  I^önig  ftellt  entebrenbe 
Bebingungen  für  bie  Begnabigung  unb  behauptet, 
ficb  felbft  bei  beren  Erfüllung  nicht  für  bie  Rettung 
[Kinkels  verbürgen  3U  können.  Ruf  feiner  Seite 
wirb  ber  ^on  bes  Briefwecbfels  immer  fchärfer, 
unmutiger,  auf  Seite  Bettinas  immer  kühner  unb 
freier.  Diefe  let3ten  Briefe  ber  Vierunbfech3ig= 
jährigen  an  ben  l^önig  gehören  3U  "ben  gröfeten 
Stücken  in  ihrem  Cebenswerk.  Hie  ift  einem 
F5errfcber  mit  größerer  Offenheit  entgegnet  worben, 
nie  bat  ein  Untertan  feine  (Deinung  mit  folcbem 


XXIV  —  a 

f  reimut  3U  verteibigen  gewagt.  (Dan  weife  nicbt, 
ob  Bettinas  Da3wifcbentreten  öas  öcbichfal  Rinhels 
beeinflußt  bat.  €r  würbe  vom  Rriegsgericbt  in 
Raftatt  3U  lebenslänglicber  feftungsftrafe  ver= 
urteilt;  ^riebricb  Wilhelm  wandelte  öas  Urteil  in 
Gefängnis  um.  Docb  würbe  f^inhel  fcbon  im 
Rovember  1850  burcb  f^arl  5cbur3  befreit. 

Wenn  öas  Ceben  Bettinas  mit  bie^em  legten 
großen  Buftritt,  bei  bem  fie  einen  Rönig  als 
partner  hatte,  gefcbloffen  hätte,  fo  wäre  man  ver^ 
[ucbt,  von  einem  vollenbeten  Scbauf piel  3U  fprecben. 
Rber  ber  ftarhe  Crieb  3um  Ceben  erhielt  fie  nocb 
3ehn  Jahre  länger,  bis  3U  jener  bunkeln  unb 
fcbwermütigen  Hacbt  vom  19.  auf  ben  20.  Januar 
1859,  ba  fie  in  Berlin  ftarb. 

Bettina  war  eine  ber  merkwürbigften  f rauen 
ber  Romantik,  fcbeinbar  losgelöft  von  allen  Be= 
benhlicbkeiten  ihres  Öefcblecbtes  unb  bocb  auch 
wieber  fo  vollkommen  §rau,  ^a^  fie  alle  Dinge 
biefer  Welt  nach  ben  €ingebungen  ihres  Gefühls 
beurteilte,  ein  Rinb,  bas  verlangenb  nach  bem 
(Donbe  greift,  unb  eine  Prophetin,  ber  ficb  bie 
3uhunft  in  Rhnungen  ankünbigte.  Unb  bas  war 
bas  Größte  an  ihr,  ba\s  fie  ihre  fehler  -  unb  beren 
waren  viele  -  mit  ber  gleichen  Selbftverftänblicb^ 
keit  bekannte,  wie  fie  ihre  Vor3Üge  ohne  falfcbe 
Befcbeibenheit  an  bas  Cicbt  ftellte. 

I^arl  föans  Strobl. 


ai^ni^Di^Di^ni^D 


Jn  ben  Briefbücbern  Öer  Bettina  von  Rrnim 
finb  öie  im  Ranhenwerh  ihres  tropifcben 
Stils  wie  fruchte  fi^enöen  Oefchicbtchen 
nicht  3U  überfeben. 

Wir  wiffen,  was  wir  von  ben  Büchern  Öer 
Bettina  3U  halten  haben,  wie  fich  in  ihnen  Wahr* 
heit  un5  Dichtung  feltfam  begegnen  unb  mifcben. 
Was  von  öen  Briefen  im  allgemeinen  gilt,  gilt 
befonöers  von  öen  Öefchichten. 

Von  bebeutenben  Perfönlichheiten  treten  in  bie= 
f en  kleinen  6ef chichten  auf :  Goethe,  öie  f  rau  Rat, 
f5erber,  Jacobi,  ber  alte  Stabion,  Beethoven.  Dürfen 
wir  bie  Geschichten,  bie  Bettina  von  ihnen  3U  ersählen 
weife,  als  Beiträge  3U  ihrer  PJvchologie  anfehen  ? 

Die  Bettina  war  in  ihrer  elektrischen  unb  elek^ 
trifierenben  Cigenart,  mit  ihrer  Rnlage  3U  phanta* 
ftifchen  Spielen  nicht  geschaffen,  um  ber  hiftori^ 
fcben  Cbrlichkeit  willen  auf  eine  ihr  beffer  paffen^ 
be,  Schalkhaftere  ober  liebenswürbigere  Wenbung 
ihrer  eigenen  Crfinbung  3U  ver3ichten. 

Aber  eben  bie  Rnmut  ihrer  €rfinbungsgabe 
wirb  nirgenbs  beutlicber  unb  ftrahlenber  als  in 
biefen  kleinen  Geschichten,  Ski33en  unb  Hovellen- 
fragmenten.  f5ier  hat  ihre  Phantasie  bie  höcbfte 
Brillan3,  ihr  fSumor  bie  luftigsten  Rügen. 

Dem  CeSer  nun  eine  Reihe  ber  Schönsten  Ge^ 
Schiebten  aus  bem  gansen  umfangreichen  ODaterial 


XXVI 

au53UWQblen  unb  in  abgefcfoloffener  §orm  öem 
inneren  3ufammenbange  nacb  georbnet  3u  bieten, 
war  unfere  Bbficbt.  Diefes  Bucb  wenbet  ficb  an 
ben  Öeniefeenben,  ber  ficb  an  bem  feinfübligen 
Ceben  ber  Romantih  unb  an  ben  Reisen  anmutiger 
Crsäblungshunft  3U  erfreuen  verftebt. 

(Dag  bie  ber  Romantik  nacbfolgenbe  3eit  bes 
CDaterialismus  in  ibrem  nücbternen  Beftreben, 
unter  allen  Umftänben  nur  nachte  Wabrbeit  wiffen 
3U  wollen ,  bie  bilberreicben  Briefe  ber  Bettina 
von  vornberein  als  nur  erbicbtet  gewertet  baben, 
fo  liegt  bocb  gerabe  barin,  wie  bier  Tatfäcblicbes 
unb  €rbacbtes  burcbeinanbergeflocbten  ift,  ibr 
Rei3.  Die  ungestüme  (Dunterl^eit  unb  Ceicbtigkeit, 
mit  ber  fie  ersäblt;  bie  Virtuofität,  mit  ber  fie, 
obne  vorbringlicb  3U  werben,  ibre  Pointen  an* 
bringt;  bie  Sicberbeit,  mit  ber  ein  Öefcbicbtcben 
oft  bramatifcb  aufgebaut  ift:  alles  bies  gibt  eine 
ent3Üchenbe  (Difcbung  von  Haivität  unb  l^oketterie, 
von  Unbefangenbeit  unb  Bewufetbeit,  cbarahte- 
rifiert  aber  aucb  bie  Bettina  felbft. 

€s  gibt  gan3  ibyllifcbe  6timmung5fhi33en  in 
biefer  Buswabl ;  fatirifcbe  5cber3e,  barmlofe  5cbä* 
kereien  unb  aucb  feltfam  bewegte  63enen.  Der 
f5auptrei3  aber  ftrablt  immer  von  ber  öcbreiberin 
felbft  aus.  €s  ift  ber  Sauber  einer  poetifcben  Inbivi» 
bualität.  Die  Bettina  verftebt  3U  ersäblen,  poetifcb 
3U  er3äblen.  Im  I^omponieren,  f^onbenfieren,  Buf= 
bauen  ift  fie  gleicb  ftark ;  fie  verftebt  es  3ufammen* 
3U3ieben  unb  aus3ufpinnen,  Haturvorgänge  färben* 
fatt  3U  fcbilbern,  perfonen  3U  cbaraMerifieren 
unb  ^Q3   (Dilieu   fcbarf  3U  hontflrieren  unb  ab* 


BS  -  XXVII 

3ufcbattieren.  Deshalb  bilben  biefe  Gefcbicbtcben, 
wo  immer  wir  fie  in  öen  Briefen  vorfinden,  einen 
ßöbepunkt  (Dag  es  fonft  mancbmal  fcbwer 
werben,  ficb  in  bem  Irrgarten  pbilofopbifcber, 
Uterarifcber,  l^unjthritifcber  Ibeen  ber  Bettina  3Us 
recbt3uf inben ,  in  ihrer  romantifcb  verworrenen 
Gefühls^  unb  Vorftellungswelt  feften  Sufe  3U  faffen, 
in  ben  er3ählungen  haben  wir  Plattformen  bes 
Rusruhens,  von  wo  bem  Blich  fcböne  Höhen  unb 
klare  fernen  eins  werben.  (Dit  Behagen  halten 
wir  Rusfchau  über  ein  Canb',  bas  uns  heute  oft 
fo  weit  entrücht  erfcbeint,  unb  nach  bem  uns  f^inber 
einer  aufgeregteren,  nervöfen  3eit  3arte  Säbcn  ber 
Sehnfucbt  immer  wieber  hin3iehen,  als  juchten  wir 
Ruhe  bort  in  jenem  Canbe,  bas  eine  milbere  öonne 
überftrahlt,  ^e\\en  Höcbte  ein  traulicher  (Donb* 
fcbein  überriefelt,  unb  unter  beffen  (Denfchen  wir 
unfere  jagenben  Pulfe  ruhiger  werben  fühlen. 

Unfer  Buch  ift  für  ^en  öeniefeenben  beftimmt. 
Wir  haben  baher  bie  ausgewählten  Gefcbicbtcben 
nach  Gruppen  3ufammengeftellt.  Selbftverftänb« 
lieb  «rgab  ficb  bie  Hotwenbigheit  einer  3ufammen= 
3iehung  ein3elner  €r3ählungen,  fowie  bie  not= 
wenbigkeit,  ihnen  eigene  t:itel  3U  geben.  Unb  ^a 
ficb  bas  Bucb  an  bie  Geniefeenben  wenbet,  untere 
liefeen  wir  es  auch,  eine  Rrt  erhlärenben  Regifters, 
etwa  burcb  nähere  Be3eichnung  ber  in  ben  €r* 
3ählungen  vorhommenben  perfonen  unb  €reigs 
niffe,  an3ufügen.  Soweit  perfönlicbheiten  wie 
Goethe,  ßerber  u.  a.  in  Betracht  kommen,  waren 
ja  wohl  bergleicben  Hoten  überhaupt  nicht  nötig, 
unb  follte  ber  Cefer  Zia  unb  bort  ihm  unbekannte 


XXVin  —  ea 

Perfonen  finöen,  fo  wirb  ihm  bies  ben  Öenufe 
an  ben  in  Stimmungegebalt  unb  Scbreibweife 
gleicbrei3enben  €r3äblungen  bocb  haum  verberben. 
Das  fprubelnbe  er3äblertalent  ber  Bettina,  ibre 
frifcbe  muntere  Rrt  wirb  wobl  über  berartige  Be* 
benhen,  benen  ab3ubelfen  binreicbenb  anbere 
Werl^e  3ur  Verfügung  fteben,  leicht  binwegbelfen. 
Unfere  Sammlung  will  ja  kein  literarifcbes  ßanb* 
buch  fein. 

Wir  wollen  in  einer  neuen  form  ber  Bettina 
Briefe,  in  benen  Öoetbe  „ein  gan3es  Bilberbucb 
berrlicber,  allerliebfter  Vorftellungen"  fanb,  Deut* 
fcbe  lefen  laffen.  ßatte  Wilbelm  Scberer  mit  ber 
Behauptung  recht,  ba^  ber  Germane  einen  eigenen 
Rei3  an  bem  Charakteriftifchen  finbe,  bann  bürfte 
bie  Bettina  ben  beutfchen  Cejerinnen  ein  wilU 
l^ommener  Öaft  fein. 

Heben  ben  öefchichtchen,  bie  ficb  in  ben  bem 
beutfchen  publil^um  leichter  3ugänglichen  Büchern 
ber  Bettina  („Briefwechfel  Ooetbes  mit  einem 
Rinbe"  bei  Reclam  unb  neueftens  bei  Cugen 
Dieberichs,  3  Bänbe,  unb  „Die  Oünberobe", .eine 
neue  Busgabe  von  Paul  Crnft  im  Infel  =  Verlag, 
2  Bänbe)  finben,  ift  auch  eine  grofee  Rn3abl  von 
folchen  aus  ben  nicht  wieber  aufgelegten  Werl^en 
aufgenommen  worben.  Vor  allen  bat  „Clemens 
Brentanos  f  rüblingshran3"  eine  Rn3abl  en^üchen- 
ber  poetifcher  Rleinobe  geliefert,  fluch  aus  „)lins 
Pampbilius  unb  bie  flmbrofia"  unb  bem  „f^önigs* 
buch"  finb  öefchichten  in  bie  Sammlung  ein-- 
gegangen. 

föatten  wir  bei  ben  3ugänglicheren  Büchern 


sa  ==============^======  XXIX 

ber  Bettina  blofe  bie  Cefcbicbtcben  aus  bem 
Ranhenwerk  los3ulöfen,  fo  wirö  mit  Öen  anbern 
bem  Cefer  3ugleicfo  aucb  Öae  Scbönfte  aus  Bücbern 
geboten,  bie  nocb  im  Staube  ber  Bibliotheken 
auf  ihre  Ruferftebung  warten. 

(Deine  einbegleitenben  Worte  fcbliefeenb,  füge 
icb  nocb  bei,  bafe  wir  uns  binficbtlicb  ber  Rechte 
fcbreibung  an  bie  je^t  geltenben  Regeln  hielten, 
was  uns,  um  bem  Bucbe  €inbeitlicbkeit  3U  geben, 
notwenbig  erfcbien.  Die  Recbtfcbreibungen  ber 
verfcbiebenen  Werke,  bie  wir  benu^ten,  weicben 
von  einanber  bebeutenb  ab,  fo  lia^  ein  f  eftbalten 
an  ben  Originalen  vielleicht  ftörenb  gewirkt  hätte. 
Hur  in  ber  €r3ählung  „Die  €hrenkette"  blieb  bie 
urfprünglicbe  Schreibart  unveränbert,  ^a  bort 
bialektifche  formen  auftreten,  bie  bem  Öefchicht* 
eben  eine  eigenartige  Präge  geben  unb  bie  burcb 
(Dobernifierung  ber  Rechtfcbreibung  verwifcht 
worben  wären. 

Brunn,  Jänner  i907. 

I^arl  Wilhelm  f ritfcb. 


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Perfönlicbheiten 


Reife  3U  Goethe  unb  Befucb  in  Weimar  (aus  „Ooetbes 
Driefwecbfeb) 

Befucb  im  ßotel  (aus  ^öoetbes  Driefwecbfel")    . 

(Dit  Goetbe  im  Part^  (aus  „Ooetbes  Briefwecbfel")  . 

]n  öer  Hacbt  (aus  „Goetbes  Briefwecbfel")    . 

Von  einer  berübmten  5rau  (a.  „Goetbes Briefwecbfel") 

erfte  Begegnung  mit  ber  Günberobe  (aus  ber 
„Günberobe") 

]n  ber  flacbt  auf  bem  Rbein  (aus  ber  „Günberobe") 

Die  Günberobe  (aus  „Goetbes  Briefwecbfel'') 

Jacobi  (aus  „Goetbes  Briefwecbfel")  .... 

Befucb  bei  Beethoven  (aus  „Goetbes  Briefwecbfel") 

Die  ebrenJ^ette  (aus  bem  „f^önigsbucb") . 

Goetbes  ODutter  unb  Rarl  VII.  (aus  „Goetbes  Brief 
wecbfel") 

Vom  alten  Stabion  (aus  ber  „Günberobe")  . 

Ran3ler  unb  Rurfürft  (aus  ber  „Günberobe")     . 

Rus  höheren  Schichten 

fäofluft  (aus  ber  „Günberobe") 

CDr.  fjaife   aus  ber  „Günberobe") 

f5ocb3eit  m  föaufe  (aus  „Brentanos  Srühlingshrans") 
Seft   am  Heujahrstag   (aus  „Brentanos   Srüblings» 

hran3") 

Die  emigranten  (aus  ber  „Günberobe")  .... 


Seite 

3 

10 
12 
14 
17 

20 
22 
24 
36 
40 
42 

67 
74 
77 


83 
89 
93 

% 
101 


Romantik  bes  föersens  unb  ber  Welt 

Blumen  im  Rlofter  (aus  „Goethes  Briefwecbfel")      .  105 

Rus  bem  Rlofter  (aus  „Goetbes  Briefwecbfel")   .  108 
€ine     Geiftergefcbicbte     in    Goetbes    Samilie    (aus 

„Goetbes  Briefwecbfel") 112 


ea  -  XXXI 

Seite 
Gute  Oeifter  (aus  „Goethes  ßriefwecbfel")     .      .  114 

Der  Scbäfer  von  Bingen  (aus  „Goethes  Driefwecbfel" 
Stau  öe  Gacbet  (aus  „Brentanos  Srühlingskrans" 
Die  arme  Srau  (aus  ber  „Günberoöe")    . 
Der  ]ube  (aus  ber  „Günberobe")        .... 
Das  Jubenmäbcben  (a.  „Brentanos  ffrühlingsl^rans" 
ein  Ausflug  in  bie  Wilbnis  (aus  „Goethes  Brief 

wecbfel") 

Sonntagsmorgen  (aus  ber  „Günberobe") 

Eisgang  (aus  „Goethes  Briefwecbjel") 

Auf  ber  (Dainterraffe  (aus  ber  „Günberobe") 

Gebanhen  auf  ber  Pappel  (aus  ber  „Günberobe 

Die  Hacbtigall  (aus  „Goethes  Briefwechsel")  . 

Baumfrevel  (aus  ber  „Günberobe")    . 

€in  Ball  (aus  „Brentanos  5rühlingst?ran3")  . 

Tonkünjte  (aus  „Brentanos  Srühlingskrans") 

phantaftifcbe  Spiele  (aus  ber  „Günberobe") 


149 
153 
159 
162 
164 
167 
171 
175 
179 
132 


Ciebesgefcbicbten 


Die  brei  f^üjfe  (aus  „Goethes  Briefwedifel") .            .  187 

Die  Silberbirhe  (aus  ber  „Günberobe")    ....  201 

Rbf<±)ieb  (aus  ber  „Günberobe") 207 

Der  Gärtner  (aus  ber  „Günberobe") 211 

Die  ODarburger  Stubenten  (aus   ber   „Günberobe")  222 

Der  €nglänber  (aus  „Goethes  Briefwecbfel")       .      .  225 

Unter  Sreunbinnen  (a.  „Brentanos  Jrüblingskrans")  229 

Der  tiroler  (aus  ber  „Günberobe") 234 

Reifeabenteuer 

Rbenteuer  am  Rhein  (aus  „Goethes  Briefwecbfel")  237 
Das  eicbhörncben  unb  bie  Scbwimmtour  im  fOain 

(aus  „Goethes  Briefwecbfel") 240 

Die  wunberlicbe  Kofehur  (aus  „Jlius  pampbilius")  .  245 

Die  Wunbernacbt  (aus  ber  „Günberobe")     ...  254 

öonberbare  [^QU3e 

Raritäten  (aus  „Brentanos  Srühlingskranj")      .      .  263 


XXXII  ===============================^^  0 

Seite 
Ceonbaröi  (aus  „Brentanos  SrübUngskrans")     .  267 

Der  (Dann  mit  ber  Slugmafcbine  (aus  „Brentanos 

Srüblingshrans") 270 


6treicbe  unb  6cbwänke 

Scbabernack  (aus  „Goetbes  Briefwecbfel") 

Auf  ?cbmaler  Brüche  (aus  „Ooetbes  Briefwectofel") 

€in  Bab  (aus  öer  „öünberobe")   .      .      .      .       • 

Die  ejelspartie  (aus  öer  ^Günberoöe")    . 

Vom  Rberlaffen  (aus  ber  „Günberobe") . 

Srau  ßocbs  Hacbtgebet  (aus  ber  „Günberobe")  . 

Das    Wetterbacb    unb    fäerr   flrenswalb    (aus  ber 

„Günberobe") 

Beim  Primas  (aus  ber  „Günberobe") 
Stubentenl^omöbie  (aus  ber  „Günberobe")    , 
Der  3auberring  (aus  „Brentanos  Jrüblingshrans") 
Seuer  in  ber  Blaufärberei  (aus  „Brentanos  Srüb 

lingshrans") 

(Dännewei  (aus  „Brentanos  Srüblingshrans")    . 


275 
278 
280 
283 
288 
290 

293 
298 
300 
303 

307 
310 


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eife  3U  Goethe  unb  ßefucb 
in  Weimar      o     o     o     o 

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Icb  lieg  fcbon  eine  Weile  im  Bett,  unb  ba  treibt 
micb's  heraus,  bafe  ich  Ibr  alles  fcbreib  von 
unferer  Reife.  —  leb  bab  Ibr  ja  gefcbrieben,  öafe 
wir  in  männlicber  l^leiöung  Öurcb  bie  Rrmeen 
paffierten.  Gleicb  vorm  Zox  liefe  uns  ber  öcbwager 
aussteigen ;  er  wollte  feben  wie  bie  f^leibung  uns 
ftebe.  Die  Cullu*)  \ab  febr  gut  aus,  benn  fie  ift 
prächtig  gewachfen,  unb  bie  f^leibung  war  febr 
paffenb  gemacht;  mir  war  aber  alles  3U  weit  unb 
3U  lang,  als  ob  icb's  auf  bem  6rempelmarht  er« 
l^auft  hätte.  Der  Schwager  lachte  über  mich  unb 
fagte,  ich  fäbe  aus  wie  ein  Savovarbenbube,  ich 
l^önnte  gute  Dienfte  leiften.  Der  l^utfcher  hatte 
uns  vom  Wege  abgefahren  burch  einen  Walb,  unb 
wie  ein  f^reu3weg  kam,  ^a  wufet  er  nicht  wo 
hinaus ;  obfchon  es  nur  ber  Rnfang  war  von  ber 
gan3en  vier  Wochen  langen  Reife,  fo  batt  ich 
boch  Bngft,  wir  könnten  uns  verirren  unb  kämen 
bann  3U  fpät  nach  Weimar;  ich  klettert  auf 
bie  höchste  tianne,  unb  ha  fah  ich  halb,  wo  bie 
Cbaufjee  lag.  Die  gan3e  Reife  bab  ich  auf  bem 
Bock  gemacht;  ich  hatte  eine  (Düt5e  auf  von 
§uchspel3.  Der  f  uchsfchwan3  hing  hinten  herunter. 
Wenn  wir  auf  bie  Station  kamen,  fchirrte  ich  bie 


•DDD- 


')  Bettinas  Scbwefter,  bie  Gattin  Savignys. 

1* 


pferbe  ab  unb  half  auch  wieber  anspannen.  (Dit 
öen  Poftillions  fpracb  icb  gebrochen  Deutfcb,  als 
wenn  icb  ^ronsofe  war.  Im  Bnfang  war  fcbön 
Wetter,  als  wollt  es  Frühling  werben,  balb  wurb 
es  gan3  halter  Winter;  wir  harnen  burcb  einen 
Walb  von  ungeheuren  Siebten  unb  Tannen,  alles 
bereift,  untabelbaft;  nicht  eine  (Denfchenfeele  war 
bes  Weges  gefahren,  ber  gan3  weife  war ;  noch  oben:= 
brein  fehlen  ber  (Donb  in  biefes  veröbete  6ilber= 
parabies,  eine  TTotenftille  -  nur  bie  Räber  pfiffen 
von  ber  Rälte.  Ich  fafe  auf  bem  Rutfcherfit5  unb 
hatte  gar  nicht  halt ;  bie  Winterhält  fchlägt  f  unhen 
aus  mir;  -  wie's  nah  an  bie  (Ditternacht  rüchte, 
i>CL  hörten  wir  pfeifen  im  Walbe ;  mein  Schwager 
reichte  mir  ein  piftol  aus  bem  Wagen  unb  fragte, 
ob  icb  (Dut  habe  los3ufchiefeen ,  wenn  bie  5pit3= 
buben  hommen;  ich  fagte  ja;  er  fagte:  „öchiefeen 
Sie  nur  nicht  3U  früh."  Die  Cullu  hatte  grofee 
Rngft  im  Wagen;  ich  aber  unter  freiem  ßimmel, 
mit  ber  gespannten  piftole,  ben  Säbel  umgeschnallt, 
un3ählige  funhelnbe  Sterne  über  mir,  bie  blit5enben 
Bäume,  bie  ihren  Riejenfchatten  auf  ben  breiten 
monbbefchienenen  Weg  warfen  -  bas  alles  machte 
mich  hühn  auf  meinem  erhabenen  Si^e.  -  Da 
bacht  ich  an  ihn,  wenn  ber  mich  in  feinen  3ugenb= 
jähren  fo  begegnet  hätte ,  ob  bas  nicht  einen 
poetifchen  €inbruch  auf  ihn  gemacht  haben  würbe, 
^a^  er  Cieber  auf  mich  gemacht  hätte  unb  mich 
nimmermehr  vergeffen.  Je^t  mag  er  anbers  benhen 
-  er  wirb  erhaben  fein  über  einen  magifchen 
Cinbruch;  höhere  €igenfchaften  (wie  foll  ich  bie 
erwerben?)  werben  ein  Recht  über  ihn  behaupten. 


tZi 


Wenn  nicbt  treue  -  ewige,  an  feine  Schwelle 
gebannt,  mir  enölicb  ihn  erwirbt!  So  war  ich  in 
jener  halten,  bellen  Winternacbt  geftimm^,  in  öer 
icb  keine  Öelegenbeit  fanö,  mein  Gewehr  los3U:= 
fcbiefeen;  erft  wie  ber  Zag  anbradD,  erhielt  ich 
€rlaubnis  los3Uörüchen.  Der  Wagen  hielt,  unb 
ich  lief  in  ben  WMlö  unb  fchofe  in  bie  bichte  €in= 
famheit  Ihrem  Sohn  3U  €hren  mutig  los ;  inbeffen 
war  bie  Rchfe  gebrochen ;  wir  fällten  einen  Baum 
mit  bem  Beil,  bas  wir  bei  uns  hatten,  unb  hnebeU 
ten  ihn  mit  Strichen  fest;  ha  fanb  benn  ber 
Schwager,  ha^  ich  fehr  anftellig  war,  unb  lobte 
mich.  So  ging's  fort  bis  (Dagbeburg;  prä3is 
7  Uhr  abenbs  wirb  bie  feftung  gefperrt;  wir  hamen 
eine  (Dinute  nachher  unb  mufeten  bis  ben  anbern 
(Dorgen  um  fieben  halten ;  es  war  nicht  fehr  halt, 
bie  beiben  im  Wagen  fchliefen.  In  ber  Hacht 
fing's  an  3U  fchneien;  ich  hatte  ben  (Dantel  über 
ben  f^opf  genommen  unb  blieb  ruhig  fit3en  auf 
meinem  freien  Sit3e;  am  (Dorgen  guchten  fie  aus 
bem  Wagen,  ha  hatte  ich  mich  in  einen  Schnee* 
mann  verwanbelt;  aber  noch  eh  fie  recht  er= 
fchrechen  honnten,  warf  ich  ben  (Dantel  ab,  unter 
bem  ich  recht  warm  gefeffen  hatte.  In  Berlin  war 
ich  wie  ein  Blinber  unter  vielen  (Denfchen,  unb 
auch  geiftesabwefenb  war  ich,  an  nichts  honnt 
ich  teilnehmen;  ich  fehnte  mich  nur  immer  nach 
bem  Dunhel,  um  von  nichts  3erftreut  3U  fein,  um 
an  bie  3uhunft  benhen  3U  hönnen,  bie  fo  nah 
gerücht  war.  Reh,  wie  oft  fchlug  es  ba  Rlarm!  - 
plöt5lich,  unverfehens,  mitten  in  bie  ftille  Ruhe, 
icb  wufete  nicht  von  was.     Schneller,  als   ich's 


benhen  konnte,  hatte  mich  ein  füfeer  Scbrechen 
erfafet.  O  (Dutter,  (Dutter!  Denk  Sie  an  Ihren 
öohn !  Wenn  5ie  wüfete,  Sie  follte  ihn  in  hur3er 
3eit  fehen,  Sie  war  auch  wie  ein  Bli^ableiter,  in 
ben  alle  Gewitter  einfchlügen.  Wie  wir  nur  noch 
wenige  (Deilen  von  Weimar  waren,  ba  jagte  mein 
Schwager,  er  wünjche  nicht  ben  Umweg  über 
Weimar  3U  machen  unb  lieber  eine  anöere  Strafee 
3U  fahren.  Ich  fchwieg  ftille,  aber  bie  Cullu  litt 
es  nicht;  fie  jagte,  einmal  war  mir's  versprochen, 
unb  er  müfete  mir  Wort  halten.  Fid:)  (Dutter!  - 
Das  Schwert  hing  an  einem  ßaar  über  meinem 
ßaupte,  aber  ich  ham  glücklich  brunter  weg. 

In  Weimar  kamen  wir  um  3wölf  Uhr  an ;  wir 
afeen  3U  (Dittag,  ich  aber  nicht.  Die  beiben  legten 
jich  aufs  Sofa  unb  jchliefen;  brei  Dächte  hatten 
wir  burchwacht.  „Ich  rate  Ihnen",  jagte  mein 
Schwager,  „auch  aus3uruhen;  ber  Goethe  wirb 
jich  nicht  viel  braus  machen,  ob  Sie  3U  ihm  kommen 
ober  nicht,  unb  was  Bejonberes  wirb  auch  nicht 
an  ihm  3U  jehen  jein."  f^ann  Sie  benken,  "öa^  mir 
bieje  Rebe  allen  (Dut  benahm?  -  Reh,  ich  wufete 
nicht,  was  ich  tun  jollte,  ich  war  gans  allein  in 
ber  fremben  Stabt;  idD  hatte  mich  anbers  an= 
gekleibet,  ich  jtanb  am  fenjter  unb  jah  nach  ber 
Turmuhr;  eben  jchlug  es  halb  brei.  -  6s  war 
mir  jo,  als  ob  jich  Goethe  nichts  braus  machen 
werbe,  mich  3U  jehen;  es  fiel  mir  ein,  ^a^  ihn 
bie  Ceute  jtol3  nennen;  ich  brückte  mein  ßer3  fejt 
3ujammen,  ba^  es  nicht  begehren  Jolle,  -  auf 
einmal  jchlug  es  brei  Uhr.  Unb  ^a  war's  boch 
auch  gerab,  als  hätte  er  mich  gerufen;   ich  lief 


hinunter  nacb  Öem  Cobnbeöienten ,  Nein  Wagen 
war  öa.  eine  Portecbaife?  Hein,  fagt  icb,  bas 
ift  eine  Cquipage  fürs  Casarett.  Wir  gingen  3U 
Sufe.  €s  war  ein  wahrer  Scbol^olaÖenbrei  auf 
öer  Strafe;  über  öen  öichften  (Doraft  mufete  icb 
mich  tragen  lajfen,  unö  fo  harn  icb  3U  Wielanb, 
nicht  3U  Ihrem  6obne.  Den  Wielanb  hatte  icb  nie 
gef eben ;  icb  tat,  als  fei  icb  eine  alte  Bekanntfchaft 
von  ihm,  er  bejann  fich  hin  unö  her  unb  fagte: 
„Ja,  ein  lieber  bekannter  €ngel  finö  6ie  gewife, 
aber  ich  hann  mich  nur  nicht  beginnen,  wann  unb 
wo  ich  5ie  gefehen  habe."  Ich  fcber3te  mit  ihm 
unö  fagte:  ,Je^t  hab  ich 's  herausgekriegt,  bafe 
Sie  von  mir  träumen,  benn  anberswo  können  Sie 
mich  unmöglich  gegeben  haben."  Von  ihm  liefe 
icb  mir  ein  Billett  an  Ihren  6ohn  geben,  icb 
hab  es  mir  nachher  mitgenommen  unb  3um  Rn= 
benhen  aufbewahrt;  unb  hier  fchreib  ich's  Ihr  ab. 

„Bettina  Brentano,  öophiens 
öcbwefter,  (Daximilianens  Tochter, 
Sophie  Ca  Rochens  €nkelin  wünfcht 
Dich  3U  fehen,  l.  Br.,  unb  gibt  vor,  fie  fürchte 
ficb  vor  bir,  unb  ein  3ettelcben,  bas  icb  ihr 
mitgebe,  würbe  ein  Talisman  feyn,  ber  ihr 
(Dut  gäbe.  Wiewohl  icb  3iemlicb  gewife 
bin,  ^a^  fie  nur  ihren  5pafe  mit  mir  treibt, 
fo  mufe  icb  boch  thun,  was  fie  haben  will, 
unb  es  foll  mich  wunbern,  wenn  Dir's  nicht 
ebenfo  wie  mir  geht. 

Den  23.  Rpril  1807.  W." 


8 


(Dit  öiefem  Billett  ging  ich  bin,  bas  ßaus  liegt 
bem  Brunnen  gegenüber;  wie  raufd^te  mir  öas 
Waffer  fo  betäubend  ich  kam  bie  einfache  treppe 
hinauf,  in  öer  (Dauer  ftehen  Statuen  von  Gips; 
fie  gebieten  Stille.  -  3um  wenigften  ich  hönnte 
nicht  laut  weröen  auf  öiefem  heiligen  föausflur. 
Rlles  ift  freundlich  unb  boch  feierlich.  In  öen 
3immern  ift  bie  höchfte  Cinfachheit  3U  ßaufe,  ach 
fo  einlabenb!  fürchte  bich  nicht,  fagten  mir  bie 
befcheibenen  Wänbe,  er  wirb  l^ommen  unb  wirb 
fein  unb  nicht  mehr  fein  wollen  wie  bu  -  unb 
^a  ging  bie  Züv  auf,  unb  ^a  ftanb  er  feierlich 
ernft  unb  fah  mich  unverwanbten  Bliches  an ;  ich 
ftrechte  bie  ßänbe  nach  ihm,  glaub  ich  -  halb 
wufet  ich  nichts  mehr,  Öoetbe  fing  mich  rafch  auf 
an  fein  ßer3.  „Rrmes  f^inb,  bab  ichSie  er- 
f  ehr  eckt,"  bas  waren  bie  erften  Worte,  mit  benen 
feine  Stimme  mir  ins  f5er3  brang;  er  führte  mich 
in  fein  3immer  unb  fet3te  mich  auf  bas  Sofa  fich 
gegenüber.  Da  waren  wir  beibe  ftumm;  enblich 
unterbrach  er  bas  Schweigen:  „Sie  haben  wohl 
in  ber  3eitung  gelefen,  ^a^  wir  einen  grofeen  Ver= 
luft  vor  wenig  Tagen  erlitten  haben  burch  ben 
tob  ber  f5er3ogin  Bmalie."  „Reh!"  fagt  ich,  „ich  lefe 
bie  3eitung  nicht."  —  „So!  -  ich  habe  geglaubt, 
alles  intereffiere  Sie,  was  in  Weimar  vorgehe."  - 
„Hein,  nichts  intereffiert  mich,  als  nur  Sie,  unb  ^a 
bin  ich  viel  3U  ungebulbig,  in  ber  3eitung  3U 
blättern."  —  „Sie  finb  ein  freunbliches  f^inb."  - 
Cange  paufe  -  ich  auf  bas  fatale  Sofa  gebannt, 
fo  ängftlich.  Sie  weife,  ha^  es  mir  unmöglich  ift, 
fo  wobler3ogen  ba3ufi^en.  -  Reh  (Dutter!    f^ann 


man  ficb  felbfi  fo  überspringen  ?  -  leb  fagte  plö^l^ 
lieb:  „löier  auf  5em  5ofa  l^ann  icb  nicbt  bleiben," 
unö  Sprang  auf.  -  „Hun!"  fagte  er,  „macben  Sie 
ficb's  bequem;"  nun  flog  icb  ibm  an  ben  ßals,  er 
30g  micb  aufs  f^nie  unb  fcblofe  micb  ans  ßer3.  - 
6tiU,  gan3  füll  war's,  alles  verging.  Icb  batte  fo 
lange  nicbt  gefcblafen;  Jabre  waren  vergangen 
in  öebnfucbt  nacb  ibm  —  icb  fcblief  an  feiner 
Bruft  ein ;  unb  öa  icb  auf gewacbt  war,  begann  ein 
neues  Ceben.  Unö  mebr  will  icb  Ibr  öiesmal 
nicbt  fcbreiben. 


0  0  0 


efucb  im  föotel  o     o     o     o  j 

0O=OD  DO=OD  GO=O0  Ool 


rzannft  Du  Dir  keinen  Begriff  machen,  mit 
■  'S  welchem  ]ubel  Me  (Dutter  mich  aufnahm? 
So  wie  ich  hereinkam,  jagte  fie  alle  fort,  öie  bei 
ihr  waren.  „Hun  ihr  ßerren,"  fagte  fie,  „hier 
kommt  jemanö,  öer  mit  mir  3U  fprechen  hat,"  unb 
\o  mufeten  alle  3um  tiempel  hinaus.  Wie  wir 
allein  waren,  follte  ich  er3ählen,  -  öa  wufet  ich 
nichts.  Rber  wie  war's,  wie  Du  ankamft?  — 
6an3  mijerabel  Wetter.  -  Vom  Wetter  will  ich 
nidDts  wiffen;  -  vom  Wolfgang;  wie  war's,  wie 
Du  hereinkamst  ?  1  ch  kam  nicht ;  e  r  kam ;  -  nun 
wohin  ?  -  in  öen  Clefanten,  um  (Ditternacht,  örei 
Treppen  hoch ;  alles  fchlief  jchon  feft,  öie  Campen 
auf  öem  flur  ausgelöscht,  öas  Tor  verfchloffen, 
unb  öer  Wirt  hatte  Öen  Schlüffel  fchon  unterm 
Ropfkiffen  unb  fchnarchte  tüchtig.  -  Dun,  wie  kam 
er  benn  öa  herein?  -  Cr  klingelte  3weimal,  unb 
wie  er  3um  drittenmal  recht  lang  an  ber  Rlingel 
30g,  ba  machten  fie  ihm  auf.  -  Unb  Du?  -  Ich 
in  meiner  Dachftube  merkte  nichts  bavon ;  (Deline 
lag  fchon  lange  unb  fchlief  im  Blkoven  mit  vor= 
gesogenen  Vorhängen;  ich  lag  auf  bem  5ofa  unb 
hatte  bie  ßänbe  überm  f^opf  gefaltet  unb  fah, 
wie  ber  Schein  ber  Hachtlampe  wie  ein  großer 
runber  (Donb  an  ber  Decke  fpielte;  1>Q  hört  ich's 
rafcheln   an  ber  tür,  unb  mein  Iöer3  war  gleich 


S29    =: =    11 

auf  bem  flech;  es  hlopfte  wäbrenb  ich  laufcbie, 
aber  weil  ee  bocb  90113  unmöglicb  war  in  öiefer 
jpäten  5tunöe,  unÖ  weil  es  gan3  ftiU  war,  fo  bort 
icb  nicbt  auf  mein  abnenöes  ßers;  -  unb  batrat 
er  berein,  verbüllt  bis  ans  Rinn  im  (Dantel,  unb 
macbte  leife  Öie  tlür  binter  ficb  3U  unö  fab  jicb 
um,  wo  er  micb  finben  follte ;  icb  lag  in  ber  Gehe 
bes  Sofas  gan3  in  finfternis  eingebaut  unb 
fcbwieg;  "bo,  nabm  er  feinen  ßut  ab,  unb  wie  icb 
bie  Stirne  leucbten  fab  unb  ben  fucbenben  Blich, 
unb  wie  ber  (Dunb  fragte :  Hun,  wo  bi jt  Du  benn  ? 
"bOi  tat  icb  einen  leifen  Scbrei  bes  entyet3ens  über 
meine  öeligheit,  unb  "bOi  bat  er  micb  aucb  gleicb 
gefunben. 

Die  (Dutter  meinte,  bas  würbe  eine  fcböne 
Gefcbicbte  gewoi'ben  fein  in  Weimar.  Der  ßerr 
COinifter  um  (Ditternacbt  im  €lefanten  brei  Treppen 
bocb  eine  Vijite  gemacbt!  -  3a,  wobl  ift  bie  6e= 
jcbicbte  fcbön;  je^t,  wo  icb  fie  bier  überlefe,  bin 
icb  ent3Ücht,  überrafcbt,  bingeriffen,  "bo!^  mir  bies 
all'  begegnet  ift,  unb  icb  frag  Dieb :  Welcbe  ötunbe 
wii*b  fo  fpät  fein  in  Deinem  Ceben,  "bo!^  es  nicbt 
Dein  ßer3  nocb  rubren  follte?  -  Wie  Du  in  ber 
Wiege  lagft,  Xid  l^onnte  hein  (Denfcb  abnen,  was 
aus  Dir  werben  würbe,  unb  wie  i  cb  in  ber  Wiege 
lag,  "ho.  bat  mir's  l^einer  gefungen,  "bo!^  icb  Dieb 
einft  küffen  würbe. 


lEl  □  El  D  ^ 


it  Goethe  im  Park  o    o 


Das,  woran  ein  freunö  teilgenommen,  bafe 
man  ficb  auf  feinen  Rrm  geftütst,  auf  feiner 
ödDulter  geruht  bat,  bies  einsige  ät5t  tief  jeöe 
Cinie  ber  Gegenftönbe  ins  f5er3;  fo  weife  ich  jeben 
Baum  öes  Parhes  noch,  an  öem  wir  vorüber^: 
gegangen,  unb  wie  Du  bie  Afte  ber  3ucherplatane 
nieberbogft  unb  3eigteft  mir  bie  rötliche  Wolle 
unter  ben  jungen  Blättern  unb  fagteft,  bie  Jugenb 
fei  wollig ;  unb  bann  bie  runbe,  grüne  Quelle,  an 
ber  wir  ftanben,  bie  fo  ewig  über  fich  fprubelt, 
bul,  bul,  unb  Du  fagteft,  ich  rufe  ber  Hacbtigall, 
unb  bie  Caube  mit  ber  fteinernen  Bank,  wo  eine 
f^ugel  an  ber  Wanb  liegt,  ^a  haben  wir  eine 
(Dinute  gefeffen,  unb  Du  fagteft:  „6et3e  Didj  näher, 
bamit  bie  f^ugel  nicht  in  Schatten  homme,  benn 
fie  ift  eine  Sonnenuhr,"  unb  ich  war  einen  Rugen:= 
blich  fo  bumm,  3U  glauben,  bie  Sonnenuhr  hönne 
aus  bem  Gange  hommen,  wenn  bie  Sonne  nicht 
auf  fie  fcheine,  unb  ha  hab  ich  gewünfcht,  nur 
einen  frühling  mit  Dir  3U  fein;  haft  Du  mich  aus= 
gelacht.  Da  fragt  ich,  ob  Dir  bies  3U  lange  fei. 
„€i  nein",  fagteft  Du,  „aber  bort  hömmt  einer  ge^ 
gangen,  ber  wirb  gleich  bem  Spafee  ein  €nbe 
machen."  Das  war  ber  ßer3og,  ber  gerabe  auf 
uns  3ul^am ;  ich  wollte  mich  verftechen.  Du  warfft 
beinen  Überrock  auf  mich,  ich  fah  burch  ben  langen 


13 


Ärmel,  wie  ber  ßer3og  immer  naher  ham,  ich  fab 
auf  feinem  Öeficbt,  öafe  er  was  merkte.  €r  blieb 
an  ber  Caube  fteben;  was  er  fagte,  verftanb  icb 
nicht,  \o  grofee  Rngft  hatte  ich  unter  Deinem  Über* 
roch,  fo  hlopfte  mir  öas  f5er3.  Du  winhteft  mit 
ber  ßanö,  Öas  fah  ich  Öurch  meinen  Rochärmel; 
ber  ßer3og  lachte  unb  blieb  fteben ;  er  nahm  kleine 
öanbfteinchen  unb  warf  nach  mir,  unb  bann  ging 
er  weiter.  Da  haben  wir  nachher  noch  lange  ge- 
plaubert  miteinanber,  was  war's  boch?  -  nicht 
viel  Weisheit,  benn  Du  verglichft  mich  bamals 
mit  ber  weisheitsvollen  Göttin,  bie  ben  6ohrates 
über  bie  Ciebe  belehrte,  unb  fagteft:  „f^ein  ge= 
fcheites  Wort  bringft  Du  vor,  aber  Deine  Harrheit 
belehrt  beffer  wie  ihre  Weisheit."  -  Unb  warum 
waren  wir  ba  beibe  fo  tief  bewegt?  -  Dafe  Du 
von  mir  verlangteft  mit  ben  einfachen  Worten: 
„Cieb  mich  immer,"  unb  ich  fagte:  „Ja."  —  Unb 
eine  gan3e  Weile  brauf,  ^a  nahmft  Du  eine  Spinn* 
webe  von  bem  Gitter  ber  Caube  unb  hingft  mir's 
aufs  Geficht  unb  fagteft:  „Bleib  verfchleiert  vor 
jebermann  unb  3eige  niemanb,  was  Du  mir  bift."  — 
Reh!  Goethe,  ich  hab  Dir  keinen  €ib  ber  I^reue 
getan  mit  ben  Cippen,  bie  ^a  3uchten  vor  heftiger 
Bewegung  unb  heine  Worte  hannten ;  icb  erinnere 
mich  gar  nicht,  ba^  ich  mit  Selbftbewufetfein  Dir 
bie  treue  3ugefagt  hätte;  es  ift  alles  mächtiger 
in  mir  wie  ich,  ich  hann  nicht  regieren,  ich  hann 
nicht  wollen,  ich  mufe  alles  gefchehen  laffen. 

Dczia 


dHd  d  dHd  d  dMd 


n  ber  Hacbt     o     o     o 


CT  eute  cr3äble  icb  Dir,  wie  Du  micb  in  bunkler 
I J  Hacbt  unbehannte  Wege  fübrteft,  öas  war  in 
Weimar  auf  bem  (Darkte,  als  wir  an  eine  Creppe 
harnen  unb  Du  3uerft  nieberftiegft  unb,  als  icb 
unpcber  3U  folgen  verfucbte,  micb  in  Deinen  (Daniel 
gebullt  babin  trugst;  ßerr!  ift  es  wabr?  -  baft 
micb  in  beiben  Rrmen  fcbwebenb  getragen;  wie 
fcbön  warft  Du  ^a,  wie  grofe  unb  ebel,  wie  leucb= 
tete  Dein  burcbbringenber  Blich  bunhel  im  6lan3 
ber  Sterne  micb  an.  Da  oben  mit  beiben  Rrmen 
Dieb  umfcblingenb,  wie  war  icb  feiig!  Wie 
läcbelteft  Du,  t>Q^  icb  fo  feiig  war,  wie  freute  es 
Dieb,  1>Q^  Du  micb  batteft,  über  Dir  fcbwebenb 
micb  trugft,  wie  freute  icb  micb;  unb  bann  fcbwang 
icb  micb  binüber  auf  bie  recbte  Scbulter,  um  bie 
linhe  nicbt  3U  ermüben.  Du  liefeeft  micb  burcb 
bie  erleucbteten  fenfter  feben,  eine  Reibe  frieb= 
lieber  Rbenbe  von  alt  unb  jung,  bei  Campenfcbein 
ober  bei  bellem  l^ücbenfeuer ;  aucb  ber  kleine  f5unb 
unb  bas  f^ät5cben  waren  babei.  Du  fagteft:  „Ist 
bas  nicbt  eine  allerliebfte  Bilbergallerie?"  -  60 
hamen  wir  von  einer  Wobnung  3ur  anbern,  aus 
ben  finfteren  6trafeen  bervor  unter  bie  boben 
Bäume;  icb  reicbte  an  bie  Afte,  ^a  raufcbten  bie 
Vögel  auf,  ^a  freuten  wir  uns,  wir  beibe!  - 
ßinber  icb  unb  Du.    Unb  nun?  -  Du  ein  Oeift, 


15 


aufgefahren  3U  ben  ßimmeln,  unb  ich?  -  Un= 
erleucbtet,  unerfüllt,  unerwartet,  unverftanöen, 
ungeliebt;  ja,  fie  hönnten  micb  fragen:  wer  bift 
Du  unö  was  willft  Du?  Unö  wenn  ich  Antwort 
gäbe,  würben  fie  fagen :  wir  verstehen  bicb  nid^t. 
Du  aber  erkanntest  micb  unb  öffnetest  mir  bie 
Brme  unb  bas  f5er3,  unb  jebe  S^rage  war  gelöft 
unb  jeber  6cbmer3  befcbwicbtigt.  -  Dort  im  Park 
3U  Weimar  gingen  wir  föanb  in  ßanb  unter  ben 
bicbtbelaubten  ßäumen,  bas  (Donblicbt  fiel  ein. 
Du  gabjt  mir  viele  füfee  Hamen;  es  klingt  noch 
in  meinen  Obren:  „Cieb  f5er3!  (Dein  artig 
f^inb!"  Wie  war  idD  erfreut,  3U  wiffen,  wie  \dy 
Dir  beifee;  bann  führtest  Du  midD  an  bie  Quelle; 
fie  kam  mitten  aus  bem  Rafen  bervor,  wie  eine 
grüne,  kriftallene  f^ugel;  ^a  ftanben  wir  eine  Weile 
unb  borten  ibrem  Getön  3U.  „Sie  ruft  ber  TladD^ 
tigall,"  fagteft  Du,  „benn  fie  beifet  auf  perfifd3 
Bulbul;  fie  ruft  DidD,  Du  bift  meine  HaäDtigall, 
ber  id3  gern  3uböre."  Dann  gingen  wir  nado 
ßaufe,  id)  fafe  an  Deiner  Seite,  ^a  war's  fo  ftille, 
nabe  an  Deinem  ßer3en;  'idb  borte  es  klopfen, 
idD  borte  Dido  atmen,  ^a  laufd)te  idD  unb  batte 
keine  öebanken,  als  blofe  Deinem  Ceben  3U3U= 
boren.  -  O  Du!  -  ßier  lange  nadb  (Ditternad)t, 
allein  mit  Dir  im  Rngebenken  jener  Stunbe  vor 
vielen  }abren,  burdDbrungen  von  Deiner  Ciebe, 
ha^  meine  Tränen  fliefeen;  unb  Du!  nid>t  auf 
€rben,  jenfeits!  -  wo  id)  Did)  nid)t  mebr  er* 
reid)e.  -  Ja,  Tränen!  -  alles  umfonft.  -  So  ver= 
ging  bie  3eit  an  Deiner  Bruft,  keine  Bbnung,  ba^ 
fie  verging,  es  war  alles  für  bie  €wigkeit  ein* 


16 


gericbtet.  Dämmerung  -  bie  Campe  warf  einen 
ungewiffen  Schein  an  h\e  Deche,  bie  flamme 
hnijterte  unö  leuchtete  auf,  bae  wechte  Dich  aus 
Deinem  tiefen  Sinnen.  -  Du  wenöetejt  Dich  nach 
mir  unb  fahft  mich  lange  an,  öann  lehnteft  Du 
mich  fanft  aus  Deinen  Rrmen  unb  fagteft:  „Ich 
will  gehen ;  fieh,  wie  unficher  bas  Hachtlicht  brennt, 
wie  beweglich  bie  flamme  an  ber  Deche  fpielt; 
grabe  fo  unficher  brennt  eine  Stamme  in  meiner 
Bruft,  ich  bin  ihrer  nicht  gewife,  ob  jie  nicht  auf» 
lobere  unb  Dich  unb  mich  ver3ehre."  Du  brüchteft 
meine  föänbe,  Du  gingjt,  ohne  mich  3U  hü^en. 
Ich  blieb  allein;  erft,  wie  es  fonberbar  mit  Cieben* 
ben  ift,  war  ich  ruhig;  ich  fühlte  mich  von  6lan3 
umgeben  unb  von  6lan3  erfüllt,  aber  plöt3lich 
burchbrang  mich  ber  5chmer3,  ha^  Du  gegangen 
warft.  Wem  follte  ich's  hlagen,  ^a^  ich  Dich  nicht 
mehr  hatte?  IdD  trat  vor  ben  Spiegel,  ^a  fab 
mein  blaffes  Rntli^  heraus;  fo  fchmer3lich  fah  bas 
Rüge  mich  an,  ^a^  ich  vor  (Ditleib  gegen  mich 
felbft  in  Tränen  ausbrach. 


1^ 


^a  H  ^s 


V 


on  einer  berübmten  frau 

o  O  o^OPi 


Diesmal  bat  Sie  mir's  nicbt  recbt  gemacht,  frau 
Rat.  Warum  fcbicht  9ie  mir  Goethes  Brief 
nicht?  —  Ich  hab  feit  öem  13.  fiuguft  nichts  von 
ihm,  unb  je^t  haben  wir  fchon  Busgang  öeptember. 
Die  Stael  mag  ihm  bie  3eit  verhürst  haben,  Öa 
hat  er  nicht  an  mich  gebacht.  eine  berühmte  frau 
ift  was  f^uriofes,  heine  anbre  kann  fich  mit  ihr 
meffen ;  fie  ift  wie  t3ranntwein,  mit  bem  hann  fich 
bas  f^orn  auch  nicht  vergleichen,  aus  bem  er  ge= 
macht  ift.  So  Branntwein  hi^elt  auf  ber  3ung 
unb  fteigt  in  ben  f^opf,  bas  tut  eine  berühmte 
frau  auch,  aber  ber  reine  Wei3en  ift  mir  boch 
lieber ;  ben  fäet  ber  öäemann  in  bie  gelöcherte  €rb, 
bie  liebe  6onne  unb  ber  fruchtbare  Gewitterregen 
lochen  ihn  wieber  heraus,  unb  bann  übergrünt  er 
bie  Völher,  unb  trägt  golbene  Ähren,  ^a  gibt's 
3ule^t  noch  ein  luftig  Crntefeft ;  ich  will  boch  lieber 
ein  einfaches  Weisenhorn  fein  als  eine  berühmte 
frau,  unb  ich  will  auch  lieber,  ^a^  er  mich  als 
tägliches  Brot  breche,  als  ba^  ich  ihm  wie  ein 
Schnaps  burch  ben  Ropf  fahre.  -  je^t  will  ich 
Ihr  nur  fagen,  öa^  ich  geftern  mit  ber  Stael  3U 
Dacht  gegeffen  hab  in  (T)ain3;  heine  frau  wollt 
neben  ihr  fit3en  bei  ^ifch,  ba  hab  ich  mich  neben 
fie  gefet3t;  es  war  unbequem  genug,  bie  ßerren 
ftanben  um  ben  Tifch  unb  hatten  fich  alle  hinter 
Sriticb^Strobl.  2 


18 


uns  9epflan3t,  unö  einer  örüchte  auf  öen  anbern, 
um  mit  ihr  3U  jprecben  unb  ihr  ins  Geficbt  3U 
feben;  jie  bogen  ficb  weit  über  micb;  icb  fagte: 
„Vos  adorateurs  me  suffoquent";  [xe  lacbte.  - 
Sie  fagte,  Goetbe  babe  mit  ibr  von  mir  gefprocben ; 
icb  blieb  gern  jit3en,  benn  icb  hätte  gern  gewußt, 
was  er  gefagt  bat,  unb  bocb  war  mir's  unrecht, 
benn  ich  wollt  lieber,  er  fpräch  mit  niemanb  von 
mir ;  unb  ich  glaub's  auch  nicht  -  fie  mag  nur  fo 
gejagt  haben;  es  hamen  3ule^t  fo  viele,  bie  alle 
über  mich  hinaus  mit  ihr  Sprechen  wollten,  ^a^ 
ich's  gar  nicht  länger  honnte  aushalten:  ich  fagt 
ihr:  „Vos  lauriers  me  pesent  trop  fort  sur  les 
epaules."  Unb  ich  ftanb  auf  unb  brängt  micb 
3wijcben  ^en  Ciebhabern  burch;  ^a  ham  ber 
öismonbi,  ibr  Begleiter,  unb  hüfet  mir  bie  föanb 
unb  fagte,  icb  hätte  viel  Geift,  unb  fagt's  ben 
anbern,  unb  [\e  repetierten  es  wohl  3wan3igmal, 
als  wenn  ich  ein  Prin3  war;  von  benen  finbet 
man  auch  immer  alles  fo  gescheit,  wenn  es  auch 
bas  Gewöhnlichste  war.  -  nachher  hört  ich  ibr 
3U,  wie  fie  von  Goetbe  jprach;  jie  fagte,  fie  habe 
erwartet,  einen  3weiten  Werther  3U  finben,  allein 
fie  habe  fich  geirrt,  fowobl  fein  Benehmen  wie 
auch  feine  f  igur  paffe  nicht  ba3u,  unb  fie  bebauerte 
febr,  ^a\s  er  ihn  gan3  verfehle.  S^rau  \^ai,  icb 
wurb  3ornig  über  biefe  Reben  („Das  war  über= 
flüffig,"  wirb  Sie  fagen),  ich  wenb'  micb  an  Schlegel 
unb  fagt  ihm  auf  beutfcb:  „Die  Srau  Stael  hat 
fich  boppelt  geirrt,  einmal  in  ber  Erwartung  unb 
bann  in  ber  (Deinung;  wir  Deutfchen  erwarten, 
^a^   Goetbe   3wan3ig    föelben   aus   bem   Ärmel 


19 


fcbütteln  Nann,  öie  öen  fran3ofen  fo  imponieren; 
wir  meinen,  bafe  er  felbft  aber  nocb  ein  gan3 
anörer  ßelö  ijt."  -  Der  Schlegel  bat  unrecht, 
bafe  er  ihr  heinen  heueren  Verftanö  hierüber  bei= 
gebracht  hat.  Sie  warf  ein  Corbeerblatt ,  womit 
fie  gefpielt  hatte,  auf  öie  €rbe ;  ich  trat  Öarauf  unö 
fchubfte  es  mit  bem  f ufee  auf  öie  Seite  unb  ging 
fort.  -  Das  war  bie  ßefchichte  mit  ber  berühmten 
Svau;  hab  Sie  l^eine  Hot  mit  Ihrem  fran3Öfifch, 
fprech  Sie  bie  Fingersprache  mit  ihr  unb  mache 
Sie  ben  l^ommentar  ba3u  mit  Ihren  grofeen  Rügen, 
bas  wirb  imponieren;  bie  Stael  hat  ja  einen  gan3en 
Rmeifenhaufen  Gebanl^en  im  l^opf,  was  foll  man 
ihr  noch  3U  fagen  haben?  Balb  homm  id?  nach 
franl^furt,  ^q  hönnen  wir's  be|fer  befprechen. 


2* 


rfte    Begegnung    mit    ber 
Oünberobe      o     o     o     o 

O  D 


Das  Oeifeblatt,  öqs  öa  berobfcbwanht  über  bie 
Catten,  blüht  bies  jabr  viel  üppiger.  Weifet 
Du,  ÖQS  war  un[er  erft  Worl;  ich  fagte  3U  Dir: 
„€s  war  ein  recht  halter  Winter  bies  ]ahr,  ber 
ßahnenfufe  hat  feine  meiften  3weige  erfroren,  bie 
Caube  gibt  wenig  Schatten";  ba  fagteft  Du:  „Die 
6onne  gibt  unb  bie  Caube  nimmt;  was  [\e  nicht 
faffen  hann  vom  Cicht,  bas  mufe  fie  burchlajfen 
3U  uns,"  unb  bann  fagtejt  Du,  biefe  pflanse  fei 
fchöner  benannt  Oeifeblatt  als  ßabnenfufe,  weil 
man  babei  eine  fchöne  3iege  fich  benhe,  bie  mit 
Rnmut  gewür3ige  Blumen  freffe,  unb  bafe  bie 
Datur  für  jebes  ßefchöpf  ein  ibealifch  Ceben  bar* 
biete.  —  Unb  wie  bie  Elemente  in  ungeftörter 
Wirl^ung  bas  Ceben  erseugen,  tragen,  nähren  unb 
voUenben,  fo  bereite  fich  im  Genufe  einer  un= 
geftörten  €ntwichlung  abermals  ein  Clement,  in 
bem  bas  Ibeal  bes  Geiftes  blühen,  gebeihen  unb 
fich  voUenben  könne.  -  Unb  bann  fagteft  Du,  ich 
folle  mich  boch  weife  hleiben  ber  Hatur  3uliebe,  bie 
runb  um  uns  her  fo  herrliche  Blumen  auffpriefee; 
babei  ein  l^leib  tragen  3U  wollen  mit  gebrückten 
Blumen,  bas  fei  gefchmachlos,  unb  man  muffe  im 
€inhlang  leben  wollen  mit  ber  Datur,  fonft  hönne 
bie  l^nofpe  bes  (Denfchengeiftes  nicht  aufblühen.  - 
Ich  bachte  ein  Weilchen  über  Deine  Reben,  fo 


aa 


21 


waren  wir  beiöe  ftill  -  bie  Antwort  war  an  mir  - 
ich  getraute  micb  gar  nicht,  Du  l^amft  mir  fo  weis* 
beitsvoll  vor,  es  fcbien  mir  Dein  Denken  wirhlicb 
mit  öer  Hatur  übereinsuftimmen ,  unö  Dein  Geift 
rage  über  bie  (Denfcben  hinaus,  wie  öie  Wipfel 
voll  buftiger  Blüten  im  öonnenfchein,  im  Regen 
unö  WinÖ,  Hacht  unÖ  Zag  immer  fortstreben  in 
bie  Cüfte.  Ja,  Du  Uamft  mir  vor  wie  ein  hoher 
Baum,  von  ben  naturgeijtern  bewohnt  unb  ge= 
nährt.  Unb  wie  ich  meine  ötimme  hörte,  bie  Dir 
antworten  wollte,  ^a  fcbämte  ich  mich,  als  fei  ihr 
Zon  nicht  ebel  genug  für  Dich.  -  ich  l^onnt's  nicht 
heraussagen.  Du  wolltft  mir  helfen  unb  fagteft 
„Der  öeift  ftrömt  in  bie  €mpfinbung,  unb  bie  geht 
aus  allem  hervor,  was  bie  Hatur  erseugt,  ber 
(Denfch  habe  Ehrfurcht  vor  ber  Hatur,  weil  fie  bie 
(Dutter  ift,  bie  ben  Geift  nährt  mit  bem,  was  fie 
ihm  3U  empfinben  gibt."  -  Wie  fehr  hab  ich  an 
Dich  gebacbt  unb  Deine  Worte  unb  an  Deine 
fchwarsen  Rugenwimpern ,  bie  Dein  blau  Rüg 
becUen,  wie  ich  Dich  gefehen  hatt  3um  allererften== 
mal,  unb  Dein  freunblicb  (Dienenfpiel  unb  Deine 
ßanb,  bie  mein  ßaar  ftreichelte.  Ich  fchrieb  auf: 
ßeut  hab  ich  bie  Günöerobe  gefehen,  es  war  ein 
Gefehen k  von  Gott.  - 


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] 


n  öer  Hacbt  auf  bem  Rhein     [ 

D        ■  D=  Di! 


Du  bafi  mich  verwöhnt  mit  Deinen  l^leinen 
Briefen  aus  öem  Rbeingau,  ich  henne  ja 
öocb  Deine  grofee  Rübe,  in  Öie  Du  manchmal  fo 
fchweigfam  verfunhen  warft,  bafe  ich  oft  ftunöen= 
lang  mit  Dir  war,  unö  Du  jprachjt  nicht;  fo  wirb's 
je^t  auch  fein  -  ber  Hachball  Deiner  ftillen  ße^ 
geifterung  ijt's,  ober  es  wieberbolen  ficb  tiefe 
(Delobien  Deiner  Seele  in  Dir,  benen  borcbft  Du 
3U.  3a!  wie's  in  jener  bimmlifchen  3auberbaften 
nacht  war,  auf  öem  Rhein,  wo  wir  3ufammen 
unter  ber  blübenöen  Orangerie  auf  öem  Verbech 
fafeen.  -  Wie  fchön  war's  boch,  bafe  bie  gerabe 
von  f^öln  nach  (T)ain3  fuhr,  unb  ha^  wir  beibe 
auf  bem  Schiff  bie  ein3igen  waren,  bie  in  ber 
nacht  ^a  oben  blieben ,  bie  anbern  fürchteten  bie 
halte  nachtluft,  bas  war  ein  rechtes  Ölüch.  Wir 
freuten  uns,  als  ber  let5te  hinabgeflücbtet  war, 
unb  wir  waren  gan3  allein,  unb  blofe  ber  Steuer* 
mann  unb  bie  Ruber  unb  bie  grofee  Stille,  -  unb 
meinen  Pel3  warf  ich  um  Dich  unb  fafe  3U  Deinen 
S^üfeen,  unb  ber  bechte  mich  auch  noch,  unb  wie 
fchön  war  bie  CDonbnacbt,  es  follte  nicht  ein 
Wölkchen  am  ßimmel  fein,  ber  unermeßliche  Cuft* 
03ean,  in  bem  allein  ber  (Donb  fchwamm.  -  Da 
warft  Du  auch  fo  ftille,  unb  wenn  ich  ein  Wort 
fagte,  fo  verlor  fich's  gleich  im  tiefen  Schweigen  - 


ez9 


23 


öafe  icb  auch  nicbt  mehr  reben  mochte  aus  €br* 
furcbt  vor  öer  ftillen  Verfunl^enbeit  bev  gansen 
Hafur !  -  Unb  wer  h?ann'9  je  vergeffen,  Öer  in  fo 
beller  tlacbt  auf  bem  Rbein  fcbifft,  wenn  beibe 
Ufer  ficb  im  0Donbglan3  baben;  -  unb  bann  l^am 
ber  Winb  unb  raujcbte  erft  leife  in  ben  [fronen, 
unb  bann  ftärl^er,  unb  es  fielen  Blüten  auf  Dieb 
unb  mich,  unb  ^a  fab  icb  micb  um  nacb  Dir,  binauf 
3u  Dir,  ba  läcbelteft  Du,  weil  es  3U  fcbön  war, 
vwas  uns  ba  wiberfubr,  aber  wir  beibe  jcbwiegen 
ftill,  um  nicbt  3U  ftören  alles,  was  ficb  an  6cbön^ 
beit  runb  um  uns  ausbreitete,  unb  wir  fubren  um 
bie  ftillen  Infein  unb  hamen  näber  ans  Ufer,  "öa^ 
bie  Weiben  berüberbingen,  unb  verwichelten  ibre 
3weige  in  unfere  Bäume,  unb  fcbüttelten  über  Dir 
bie  l^rone,  ^a\s  fie  all  ibre  Blüten  Dir  in  ben 
6cbofe  warf;  ba  warft  Du  erfcbrochen  aufgewacht, 
benn  Du  warft  eingefcblafen  gerabe  -  einen  Rugen= 
blich.  -  Ja,  icb  aucb  fcblaf  gern,  wo  es  gerab 
mir  am  feligften  ift;  Z>a  ift  immer  bie  Rübe  über 
mir,  als  wäre  Seligkeit  nur  eine  Wiege  unb 
fcbauhelte  bie  öeele  unb  wiegte  fie  aus  einem 
ZIraum  in  ben  anbern  bin  unb  ber,  wo  es  fcbön 
unb  fcböner  war.  -  leb  baebte  ba,  es  war  ein 
köftlieb  Woblgefübl  in  mir  unb  betete  es  vor  Gott, 
icb  wollte  nicbt  glüchlicber  fein  in  ber  gan3en  fülle 
ber  Welt,  als  fo,  wie  es  uns  beiben  ba  befebert 
war,  unb  ich  füblte  micb  fo  geftärht  unb  knüpfte 
micb  getreuer  an  Dieb. 

DCZDD 


oQo      O0O     oQo     oQo      oQo 


D"^ 


Günberobe  o     o     o     o 


9ie  er3äblte  mir  wenig  von  ihren  fonjtigen  Rn» 
gelegenbeiten ,  icb  wufete  nicht,  in  welchen 
Verbindungen  fie  noch  aufeer  mir  war;  fie  hatte 
mir  3WQr  von  Daub  in  föeiöelberg  gesprochen  unö 
auch  von  l^reuser,  aber  ich  wufete  von  l^einem, 
ob  er  ihr  lieber  fei  als  öer  anöere;  einmal  hatte 
ich  von  andern  öavon  gehört,  ich  glaubte  es  nicht, 
einmal  harn  fie  mir  freubig  entgegen  unö  fagte: 
„Öeftern  hob  ich  einen  Chirurg  gesprochen,  öer 
hat  mir  gejagt,  t>afe  es  fehr  leicht  ift,  fich  um3U= 
bringen,"  fie  öffnete  haftig  ihr  l^leiö  unb  seigte 
mir  unter  t>er  fchönen  Bruft  öen  Siech ;  ihre  Bugen 
funkelten  freubig ;  ich  ftarrte  fie  an ;  es  warö  mir 
3um  erftenmal  unheimlich;  ich  fragte:  „Tlun!  -  unö 
was  foll  ich  Öenn  tun,  wenn  Du  tot  bift?"  - 
„O,"  fagte  fie,  „bann  ift  Dir  nichts  mehr  an  mir 
gelegen,  bis  bahin  finö  wir  nicht  mehr  fo  eng  ver= 
bunben,  ich  werb  mich  erft  mit  Dir  ent3weien." 
Ich  wenbete  mich  nach  bem  Senfter,  um  meine 
Tränen,  mein  vor  3orn  hlopfenbes  I5er3  3U  ver* 
bergen;  fie  hatte  fich  nach  bem  anbern  Senfter 
gewenbet  unb  fchwieg ;  -  ich  fah  fie  von  ber  Seite 
an,  ihr  Bug  war  gen  ßimmel  gewenbet,  aber  ber 
Strahl  war  gebrochen,  als  ob  fich  fein  gan3es 
Seuer  nach  innen  gewenbet  habe;  -  nachbem  ich  fie 
eine  Weile  beobachtet  hatte,  Könnt  ich  mich  nicht 


25 


mehr  faffen  -  icb  bracb  in  lautes  Scbreien  aus; 
icb  fiel  ihr  um  öen  ßals  unö  rife  fie  nieber  auf 
Öen  6i^  unö  fe^te  mich  auf  ihre  f^nie  unb  weinte 
viel  tränen  unö  hüfete  fie  3um  erstenmal  an 
ihren  (Dunb  unö  rife  ihr  bas  l^leib  auf  unö  l^üfete 
fie  an  bie  Stelle,  wo  fie  gelernt  hatte  bas  ßer3 
treffen ;  unb  ich  bat  mit  fcbmer3licben  tränen,  t>Q^ 
fie  ficb  meiner  erbarme,  unb  fiel  ihr  wieber  um 
^en  ßals  unb  l^üfete  ihre  ßänbe;  fie  waren  halt 
unb  3itterten;  unb  ihre  Cippen  3uchten,  unb  fie 
war  gan3  halt  unb  ftarr  unb  totenblafe  unb  honnte 
bie  Stimme  nicht  erheben;  fie  fagte  gan3  leife: 
„Bettine,  brich  mir  bas  [5er3  nicht."  -  Reh,  ^a 
wollte  ich  mich  aufreihen  unb  wollte  ihr  nicht 
weh  tun;  ich  lächelte  unb  weinte  unb  fchlucbste 
laut,  ihr  fehlen  immer  banger  3U  werben ;  fie  legte 
fich  aufs  Sofa;  ba  wollt  ich  fcher3en  unb  wollt 
ihr  beweifen,  ba^  ich  alles  für  Scher3  nehme; 
ha  fprachen  wir  von  ihrem  teftament;  fie  ver= 
machte  einem  jeben  etwas;  mir  vermachte  fie  einen 
hleinen  Rpoll  unter  einer  Glasglocke,  bem  fie  einen 
Corbeerhran3  umgehängt  hatte.  Ich  fchrieb  alles 
auf.  Im  Hachhaufegehen  machte  ich  mir  Vorwürfe, 
ba^  ich  fo  aufgeregt  gewefen  war;  ich  fühlte,  ^q^ 
es  boch  nur  Sehers  war  ober  auch  phantafie, 
bie  in  ein  Reich  gehört,  welches  nicht  in 
ber  Wirhlichheit  feine  Wahrheit  be  = 
hauptet;  ich  fühlte,  ha^  ich  unrecht  gehabt 
hatte  unb  nicht  fie,  bie  ja  oft  auf  biefe  Weife 
mit  mir  gefprochen  hatte.  Rm  anbern  tage  führte 
ich  ihr  einen  jungen  fran3Öfifchen  ßufarenoffisier 
3U  mit  hoher  Bärenmüt3e;  es  war  ber  Wilhelm 


26 


von  üürkbeim,  ber  fcbönfte  aller  }ünglinge,  bas 
wahre  Rinö  voll  Rnmut  unb  6cber3;  er  war  un* 
vermutet  angekommen;  ich  fagte:  „Da  bab  icb 
Dir  einen  Ciebbaber  gebracht,  öer  foU  Dir  öas 
Ceben  wieber  lieb  machen."  Cr  vertrieb  uns  allen 
bie  COelancholie ;  wir  fcher3ten  unb  machten  Verfe, 
unb  ba  ber  jchöne  Wilhelm  bie  fchönften  gemacht 
3U  haben  behauptete,  fo  wollte  bie  Günberobe, 
ich  folle  ihm  ben  Corbeerhran3  fchenhen ;  ich  wollte 
mein  Erbteil  nicht  gefchmälert  wiffen.  Doch  mufet 
ich  ihm  enblicb  bie  ßälfte  bes  Rran3es  laffen;  fo 
hob  ich  benn  nur  bie  eine  ßälfte.  einmal  l^am 
ich  3U  ihr,  ba  3eigte  jie  mir  einen  Dolch  mit 
filbernem  Griff,  ben  fie  auf  ber  (Dejfe  gehäuft 
hatte ;  fie  freute  fich  über  ben  jchönen  Stahl  unb 
über  feine  Schärfe;  ich  nahm  bas  ODeffer  in  bie 
ßanb  unb  probte  es  am  finger,  ba  flofe  gleich 
Blut;  jie  erfchrah.  Ich  fagte:  „O  Günberobe,  Du 
bift  fo  3aghaft  unb  hannft  kern  Blut  fehen  unb 
geheft  immer  mit  einer  Ibee  um,  bie  ben  höchften 
(Dut  vorausfe^t;  ich  hob  boch  noch  bas  Bewufet* 
fein,  ba^  icb  eher  vermögenb  war,  etwas  3U 
wagen,  obfchon  ich  mich  nie  umbringen  würbe; 
aber  mich  unb  Dich  in  einer  Gefahr  3U  verteibigen, 
ba3u  hob  ich  (Dut;  unb  wenn  ich  jet3t  mit  bem 
(Deffer  auf  Dich  einbringe  -  fiehft  Du,  wie  Du 
Dich  fürchteft?"  -  Sie  30g  fich  ängftlich  3urüch; 
ber  alte  3orn  regte  fich  wieber  in  mir,  unter  ber 
Deche  bes  glühenbften  ODutwillens ;  ich  ging  immer 
ernftlicher  auf  fie  ein,  fie  lief  in  ihr  Schlaf3immer 
hinter  einen  lebernen  Seffel,  um  fich  3U  fiebern; 
ich   ftach   in   ben  Seffel,   ich   rife  ihn  mit  vielen 


B2S  27 

öficben  in  5tüd?e,  bas  Rofebaar  flog  hier*  urib 
öabin  in  öer  Stube;  fie  ftanb  flebenb  binter  öem 
5effel  unb  bat,  ibr  nicbts  3U  tun;  -  icb  jagte: 
„€b  icb  bulbe,  bafe  Du  Dieb  umbringet,  tu  icb's 
lieber  felbft."  „(Dein  armer  Stubl!"  rief  fie;  ,Ja 
was,  Dein  6tubl,  ber  foll  ben  Dolcb  ftumpf 
macben;"  icb  gab  ibm  obne  13armber3igheit  öticb 
auf  Stieb,  bas  ganse  3immer  würbe  eine  Staube 
wölke;  fo  warf  icb  ^en  Dolcb  weit  in  bie  Stube, 
öafe  er  prajfelnb  unter  bas  Sofa  fubr;  icb  riabm 
fie  bei  ber  F5anb  unb  führte  jie  in  ben  Garten,  in 
bie  Weinlaube;  icb  i'ife  bie  jungen  Weinreben  ab 
unb  warf  fie  ibr  vor  bie  füfee;  icb  trat  barauf  unb 
fagte:  „So  mifebanbelft  Du  unfere  f reunbfebaft." - 
leb  3eigte  ibr  bie  Vögel  auf  ben  3weigen,  unb 
"ba^  wir  wie  jene  fpielenb,  aber  treu  gegeneinanber 
bisber  3ufammen  gelebt  bätten;  icb  fagte:  „Du 
l^annft  fieber  auf  mieb  bauen;  es  ift  heine  Sünbe 
in  ber  Hacbt,  bie,  wenn  Du  mir  Deinen  Willen 
hunb  tujt,  mieb  nur  einen  flugenblieh  bejinnen 
machte;  -  homm  vor  mein  §enfter  unb  pfeif  um 
(Ditternaebt ,  unb  ich  geh  ohne  Vorbereitung  mit 
Dir  um  bie  Weit.  Unb  was  ich  für  mich  nicht 
wagte,  bas  wag  ich  für  Dieb;  -  aber  Du!  - 
was  berechtigt  Dich,  mich  auf3ugeben?  -  wie 
hannft  Du  folche  Treue  verraten;  unb  versprich 
mir,  ^Q^  Du  nicht  mehr  Deine  3agbafte  Hatur 
binter  fo  graufenbafte  prablerifehe  Ibeen  ver= 
fdDan3en  willft."  -  leb  fab  fie  an,  fie  war  be^ 
fehämt  unb  fenhte  ben  l^opf  unb  jah  auf  bie  Seite 
unb  war  blafe;  wir  waren  beibe  ftill,  lange  3eit. 
„öünberobe,"  fagte  ich,  „wenn  es  ernft  ift,  bann 


28 


gib  mir  ein  3eicben;"  -  jie  nichte.  -  Sie  reifte 
ins  Rbeingau;  von  öort  aus  fcforieb  fie  mir  ein 
paarmal,  wenige  Seilen;  -  icb  bab  fie  verloren, 
fonft  würbe  icb  fie  bier  einfcbalten.  einmal  fcbrieb 
fie:  „Ift  man  allein  am  Rbein,  fo  wirb  man  gan3 
traurig,  aber  mit  mebreren  3ufammen,  ba  finb 
gerabe  bie  fcbauerlicbften  piät3e  am  luftaufreisenb^ 
ften;  mir  aber  ift  bocb  lieb,  ben  weiten,  gebebnten 
Purpurbimmel  am  Rbenb  allein  3U  begrüben;  ba 
bicbte  icb  im  Wanbeln  an  einem  (Därcben,  bas 
will  icb  Dir  vorlefen;  icb  bin  jeben  Bbenb  begierig, 
wie  es  weitergebt;  es  wirb  mancbmal  recbt  fcbaurig, 
unb  bann  taud^t  es  wieber  auf."  Da  fie  wieber 
3urüchham  unb  icb  bas  (Därcben  lefen  wollte,  fagte 
fie:  „Cs  ift  fo  traurig  geworben,  ^a^^  icb's  nicbt 
lefen  hann ;  icb  barf  nicbts  mebr  bavon  boren,  icb 
hann  es  nicbt  mebr  weiter  fcbreiben;  icb  werbe 
Krank  bavon.  Unb  fie  legte  ficb  3U  Bett  unb  blieb 
liegen  mebrere  ^age;  ber  Dolcb  lag  an  ibrem 
Bett;  icb  acbtete  nicbt  barauf,  bie  Hacbtlampe 
ftanb  babei;  icb  kam  berein.  „Bettina,  mir  ift  vor 
brei  Wocben  eine  öcbwefter  geftorben;  fie  war 
jünger  als  icb.  Du  baft  fie  nie  gefeben;  fie  ftarb 
an  ber  fcbnellen  Rus3ebrung."  -  „Warum  fagft 
Du  mir  bies  beute  erft?"  fragte  icb.  -  „Hun,  was 
könnte  Dieb  bies  intereffieren  ?  Du  baft  fie  nicbt 
gekannt;  icb  mufe  fo  was  allein  tragen,"  fagte  fie 
mit  trockenen  Bugen.  (Dir  war  bies  bocb  etwas 
fonberbar;  mir  jungen  Hatur  waren  alle  6e= 
fcbwifter  fo  lieb,  ba^  icb  glaubte,  icb  würbe  ver» 
3weifeln  muffen,  wenn  einer  ftürbe,  unb  t>Q^  icb 
mein  Ceben  für  jeben  gelaffen  bätte.    6ie  fubr 


29 


fort:  „nun  öenk:  Vor  bxe'i  Häcbten  ift  mir  biefe 
6cbwefter  erfcbienen;  ich  lag  im  Bett,  unb  Öie 
Hacbtlampe  brannte  auf  jenem  Z\\db;  [\e  kam  lang* 
fam  berein  in  weifeem  Öewanb  unb  blieb  an  öem 
Z\\db  yteben;  fie  wendete  ben  f^opf  nacb  mir  unb 
fenhte  ihn  unö  fab  micb  an ;  erft  war  icb  erfcbrocKen, 
aber  balö  war  icb  gans  rubig,  icb  fe^te  micb  im 
ßett  auf,  um  micb  3U  überseugen,  öafe  icb  nicbt 
fcblafe.  Icb  fab  fie  aucb  an,  unb  es  war,  als  ob 
fie  etwas  bejabenb  nichte;  unb  fie  nabm  bort  ben 
Dolcb  unb  bob  ibn  gen  ßimmel  mit  ber  recbten 
ßanb,  als  ob  fie  ibn  mir  3eigen  wolle,  unb  legte 
ibn  wieber  fanft  unb  hlanglos  bin,  unb  bann  nabm 
fie  bie  Hacbtlampe  unb  bob  fie  aucb  in  bie  ßöbe 
unb  3eigte  fie  mir,  unb  als  ob  fie  mir  beseigen 
wolle,  ba\^  icb  fie  verftebe,  nichte  fie  fanft,  fübrte 
bie  Campe  3U  ibren  Cippen  unb  baucbte  fie  aus. 
Denh?  nur,"  fagte  fie  voll  Scbauber,  „ausgeblafen. 
-  Unb  im  Dunl^el  batte  mein  Rüg  nocb  bas  Ge* 
fübl  von  ibrer  Geftalt;  unb  ba  bat  micb  plö^licb 
eine  Rngft  befallen,  bie  ärger  fein  mufe,  als  wenn 
man  mit  bem  Tobe  ringt;  ja,  benn  icb  war  lieber 
geftorben,  als  nocb  länger  biefe  Rngft  3U  tragen." 
€s  vergingen  vier3ebn  Tage,  ^a  ham  fri^ 
Scbloffer;  er  bat  micb  um  ein  paar  3eilen  an  bie 
Öünberobe,  weil  er  ins  Rbeingau  reifen  werbe, 
unb  wolle  gern  ibre  Bel^anntfcbaft  macben.  Icb 
fagte,  ^q\s  icb  mit  ibr  brouilliert  fei,  icb  bäte  ibn 
aber,  von  mir  3U  fprecben  unb  acbt3ugeben,  was 
es  für  einen  Cinbruch  auf  fie  macbe.  „Wann 
geben  Sie  bin,"  fagte  icb;  „morgen?"  -  „Hein,  in 
acbt   Tagen."  -    „O,   geben   6ie   morgen,   fonft 


30 =  ea 

treffen  Sie  fie  nicht  mehr;  -  am  Rhein  ift's  fo 

melancholisch,"  fagte  ich  fcher3enö,  „öa  könnte  fie 
[ich  ein  Ceiös  antun."  -  öchloffer  fah  mich  ängft- 
lieh  an.  „ja,  ja,"  fagt'  ich  mutwillig,  „fie  ftür3t  fich 
ine  Wajfer  oöer  erfticht  fich  aus  blofeer  Caune."  - 
„freveln  5ie  nicht,"  fagte  öchloffer;  unb  nun 
frevelte  ich  erft  recht:  „Geben  6ie  acht,  öchloffer, 
5ie  finden  fie  nicht  mehr,  wenn  Sie  nach  alter 
Gewohnheit  3Ögern,  unÖ  ich  fage  Ihnen,  geben 
Sie  beute  lieber  wie  morgen,  unö  retten  Sie  fie 
vor  un3eitiger  melancbolifcher  Caune."  -  Unö  im 
Scher3  befchrieb  idD  fie,  wie  fie  fich  umbringen 
weröe  im  roten  F^leibe,  mit  aufgelöftem  Schnür* 
banö,  Öicht  unter  ber  Bruft  bie  Wunöe;  öas  nannte 
man  tollen  Übermut  von  mir;  es  war  aber  bewufet» 
lofer  Überrei3,  in  öem  ich  bie  Wahrheit  volU 
Kommen  genau  befchrieb.  -  Bm  anbern  ^age  l^am 
§ran3  unb  fagte:  „(Däbchen,  wir  wollen  ins  Rhein= 
gau  gehen,  ^a  hannft  Du  bie  Günberobe  be= 
fuchen.  -  „Wann?"  fragte  ich.  -  „(Dorgen,"  fagte 
er.  -  Reh,  ich  pachte  mit  Übereile  ein,  ich  konnte 
kaum  erwarten,  ^a^  wir  gingen;  alles,  was  mir 
begegnete,  fchob  ich  baftig  aus  bem  Wege,  aber 
es  vergingen  mehrere  üage,  unb  es  warb  bie 
Reife  immer  verfchoben;  enblich,  ba  war  meine 
Cuft  3ur  Reife  in  tiefe  I^rauer  verwanbelt,  unb 
ich  war  lieber  3urückgeblieben.  -  Da  wir  in 
Geifenbeim  ankamen,  wo  wir  übernachteten,  lag 
ich  im  fenfter  unb  fah  ins  monbbefpiegelte  Waffer; 
meine  Schwägerin  Toni  fafe  am  fenfter;  bie  (Dagb, 
bie  ben  tifch  beckte,  fagte:  „Geftern  hat  fich  auch 
eine  junge,  fchöne  Dame,  bie  fchon  fecbs  Wochen 


Ba  -  =  31 

ficb  hier  aufhielt,  bei  Winchel  umgebracht;  fie 
ging  am  Rhein  fpasieren  gan3  lange,  öann  lief  fie 
nach  ßaufe,  holte  ein  ßanbtuch;  am  flbenö  fuchte 
man  fie  vergebens ;  am  anöern  (Dorgen  fanb  man 
fie  am  Ufer  unter  Weibenbüfchen ;  fie  hatte  öas 
ßanbtuch  voll  Steine  gefammelt  unÖ  ficb  um  öen 
ßals  gebunden,  wahrfcbeinlicb,  weil  fie  ficb  in  ben 
Rhein  verfenh?en  wollte;  aber  öa  fie  ficb  ins  ßers 
ftach,  fiel  fie  rückwärts,  unb  fo  fanb  fie  ein  Bauer 
am  Rhein  liegen,  unter  öen  Weiöen  (xn  einem  Orte, 
wo  er  am  tiefften  ift.  €r  rife  ihr  ben  Dolch  aus 
öem  f5er3en  unö  fcbleuöerte  ihn  voll  Rbfcbeu  weit 
in  ben  Rhein;  öie  Schiffer  fahen  ihn  fliegen  -  öa 
l^amen  fie  herbei  unÖ  trugen  fie  in  bie  6taöt."  - 
Ich  hatte  im  Anfang  nicht  3ugehört,  aber  3ulet5t 
hört  icb's  mit  an  unÖ  rief :  „Das  ift  bie  öünberobe!" 
(Dan  rebete  mir's  aus  unb  fagte,  es  fei  wohl  eine 
anbere,  'bo,  fo  viel  frankfurter  im  Rheingau  waren. 
Ich  liefe  mir's  gefallen  unb  bachte,  gerabe  was  man 
prophe3eie,  fei  gewöhnlich  nicht  wahr.  -  In  ber 
nacht  träumte  mir,  fie  käme  mir  auf  einem  mit 
f^rän3en  gefcbmückten  Hacben  entgegen,  um  ficb 
mit  mir  3U  verföbnen;  ich  f prang  aus  bem  Bett 
in  bes  Brubers  3immer  unb  rief;  „€s  ift  alles  nicht 
wahr,  eben  hat  mir's  lebhaft  geträumt!"  „Reh," 
fagte  ber  Bruber,  „baue  nicht  auf  Träume!"  - 
Ich  träumte  noch  einmal,  ich  fei  eilig  in  einem 
f^abn  über  ben  Rhein  gefahren,  um  fie  3U  fuchen; 
"^Oi  war  bas  Waffer  trüb  unb  fchilfig,  unb  bie 
Cuft  war  bunkel,  unb  es  war  fehr  halt;  —  ich 
lanbete  an  einem  fumpfigen  Ufer,  'i^a  war  ein 
ßaus  mit  feucbten  (Dauern ;  aus  bem  fcbwebte  fie 


32 


hervor  unö  fab  micb  ängfilicb  an  unö  beutete  mir, 
bafe  fie  nicht  fprechen  könne.  -  Ich  lief  wieber 
3um  6chlaf3immer  öer  Gefchwifter  unb  rief: 
„Hein,  es  ift  gewife  wahr,  benn  mir  hat  geträumt, 
ba^  ich  fie  gefehen  habe,  unb  ich  hab  gefragt: 
„Günberobe,  warum  haft  Du  mir  bies  getan  ?"  Unb 
ba  bat  fie  gefchwiegen  unb  bat  ben  Ropf  gefenht 
unb  bat  fich  traurig  nicht  verantworten  hönnen."  - 
nun  überlegte  ich  im  Bett  alles  unb  begann  mich, 
t>Q^  fie  mir  früher  gefagt  hatte,  fie  wolle  fich  erft 
mit  mir  ent3weien,  eh  fie  biefen  €ntfcblufe  aus* 
führen  werbe;  nun  war  mir  unfere  Trennung  er* 
klärt,  auch  ^a^  fie  mir  ein  3eichen  geben  werbe, 
wenn  ihr  €ntfchlufe  reif  fei.  -  Das  war  alfo  bie 
Gefchichte  von  ihrer  toten  öcbwefter,  bie  fie  mir 
ein  halb  ]ahr  früher  mitteilte,  ^a  war  ber  €nt:= 
fcblufe  fchon  gefafet.  -  O,  ihr  grofeen  Seelen,  biefes 
Camm  in  feiner  Unfcbulb,  biefes  junge,  3aghafte 
I5er3,  welche  ungeheure  Gewalt  hat  es  bewogen, 
fo  3U  banbeln?  -  Rm  anbern  (Dorgen  fuhren 
wir  bei  früher  3eit  auf  bem  Rhein  weiter.  - 
§ran3  hatte  befohlen,  "öa^  bas  Schiff  jenfeits  fich 
halten  folle,  um  3U  vermeiben,  ha^  wir  bem  pia^ 
3U  nahe  kämen ;  aber  bort  ftanb  ber  §ri^  Schloffer 
am  Ufer,  unb  ber  Bauer,  ber  fie  gefunben,  3eigte 
ihm,  wo  ber  l^opf  gelegen  hatte  unb  bie  §üfee, 
unb  ba^  bas  Gras  noch  nieberliege  -  unb  ber 
Schiffer  lenkte  unwillkürlich  borthin,  unb  fran3, 
bewustlos,  fprach  im  Schiff  alles  bem  Bauer  nach, 
was  er  in  ber  ferne  verftehen  konnte,  unb  "öa 
mufet  ich  benn  bie  fchauberhaften  Bruchftücke  ber 
€r3ählung   vom   roten    f^leib   mit  anhören,  bas 


33 


aufgefcbnürt  war,  unö  ber  Dolcb,  öen  icb  fo  gut 
kannte,  unö  öas  Cucb  mit  Steinen  um  ihren  föals 
unb  bie  breite  Wunbe;  -  aber  icb  weinte  nicht, 
ich  jchwieg.  -  Da  l^am  ber  Bruber  3U  mir  unb 
fagte:  „5ei  ftarl^,  COäbchen."  -  Wir  lanbeten  in 
Rübesbeim;  überall  er3ählte  man  fich  bie  6e» 
fchichte;  ich  lief  in  Winbesfchnelle  an  allen  vor= 
über,  ben  Oftein  hinauf  eine  halbe  ötunbe  bergan, 
ohne  aus3uruhen;  -  oben  war  mir  ber  Rtem 
vergangen,  mein  l^opf  brannte,  ich  war  ben  anbern 
weit  vorausgeeilt.  -  Da  lag  ber  herrliche  Rhein 
mit  feinem  fmaragbenen  SchmucK  ber  Infein;  ha 
fah  ich  bie  Ströme  von  allen  Seiten  bem  Rhein 
3ufliefeen,  unb  bie  reichen,  frieblichen  Stäbte  an 
beiben  Ufern  unb  bie  gefegneten  Gelönbe  an 
beiben  Seiten;  ^a  fragte  ich  mich,  ob  mich  bie 
3eit  über  biefen  Verluft  befchwichtigen  werbe, 
unb  ^a  war  auch  ber  Cntfchlufe  gefafet,  hühn  mich 
über  ^en  Jammer  hinaus3ufchwingen ,  benn  es 
fehlen  mir  unwürbig,  Jammer  3U  äufeern,  ben  ich 
einftens  beherrfchen  l^önne. 

Öeftern  waren  wir  in  laubbeKrän3tem  Hachen 
ben  Rhein  hinabgefahren,  um  bie  hunbertföltige 
Sexev  bes  Weinfeftes  an  beiben  Bergufern  mit 
an3ufehen ;  auf  unferem  Schiff  waren  luftige  Ceute, 
fie  fchrieben  weinbegeifterte  Cieber  unb  Sprüche, 
ftechten  fie  in  bie  geleerten  f lafchen  unb  liefen 
biefe  unter  währenbem  Schieben  ben  Rhein  herab= 
fchwimmen;  auf  allen  Ruinen  waren  grofee  Tannen 
aufgepflan3t,  bie  bei  einbrechenber  Dämmerung 
ange3ünbet  würben.  Auf  bem  (Däufeturm,  mitten 
im  ftol3en  Rhein,  ragten  3wei  mächtige  Tannen 
Srittcb  =  9trobl.  3 


34 


empor;  ihre  flammenben,  burcbbrannten  Afte 
fielen  berab  in  öie  3ifcbenbe  5lut;  von  allen  Seiten 
donnerten  fie  unb  warfen  Raketen,  unb  fcböne 
Btröufeer  von  Ceucbthugeln  ftiegen  jungfräuUcb  in 
öie  Cüfte;  unb  auf  öem  Hacben  jang  man  Cieöer, 
unö  im  Vorbeifabren  warf  man  ficb  f^rän3e  3U 
unö  Crauben.  Da  wir  nacb  föaufe  kamen,  fo 
war's  jpät,  aber  öer  GDonö  leuchtete  bell ;  icb  fab 
3um  §enfter  binaus  unö  borte  noch  jenseits  Öas 
Zloben  unb  j^^cbS^"  ^^^  f5eimkebrenben ,  unb 
biesfeits  nacb  ber  Seite,  wo  fie  tot  am  Ufer  ge= 
legen  batte,  war  alles  ftill.  leb  bacbt,  ba  ift  keiner 
mebr,  ber  nacb  ibr  fragt,  unb  icb  ging  bin,  nicht  obne 
Graufen;  nein,  mir  war  bang,  wie  icb  von  weitem 
bie  Hebel  über  ben  Weibenbüfcben  wogen  fab,  ba 
war  icb  balb  umgekehrt.  Cs  war  mir,  als  jei  fie 
es  felbft,  bie  ba  fcbwebte  unb  wogte  unb  ficb 
ausbehnte;  icb  ging  bin,  aber  ich  betete  unter» 
wegs,  "ba^  mich  6ott  boch  fchüt3en  möge;  - 
fcbüt5en?  -  vor  was?  Vor  einem  Geift,  beffen 
I5er3  voll  liebenbem  Willen  gewesen  war  gegen 
mich  im  Ceben;  unb  nun  er  bes  irbifchen  Ceibs 
entlebigt  ift,  foll  icb  ihn  fürchtenb  fliehen  ?  -  Reh, 
fie  bat  vielleicht  einen  befferen  Ze'ü  ihres  geistigen 
Vermögens  auf  mich  vererbt  feit  ihrem  Tob.  Ver- 
erben boch  bie  Voreltern  auf  ihre  nachkommen, 
warum  nicht  bie  freunbe?  -  ich  weife  nicht,  wie 
web  mir  ift!  -  Sie,  bie  freunblicb  klare,  bat 
meinen  Geift  vielleicht  befchenkt.  Wie  icb  von 
ihrem  Grab  3urückkam,  ba  fanb  ich  Ceute,  bie 
nacb  ihrer  f^uh  fuchten,  bie  ficb  verlaufen  hatte, 
icb  9ing  mit  ihnen;  fie  ahnten  9leicb,  ba^  ich  von 


35 


bort  berham.  Sie  wufeten  viel  von  ber  Günberobe 
3U  ersäblen,  bie  oft  freunbUcb  bei  ibnen  ein« 
gefprocben  unb  ibnen  fllmofen  gegeben  batte;  fie 
fagten,  fo  oft  fie  bort  vorbeigeben,  beten  fie  ein 
Vaterunfer;  icb  bab  aucb  bort  gebetet  3U  unb 
um  ibre  Seele,  unb  bab  micb  vom  (Donblicbt 
reinwafcben  laufen  unb  bab  es  ibr  laut  gejagt, 
^a\s  icb  micb  nacb  ibr  febne,  nacb  jenen  Stunben, 
in  benen  wir  Gefübl  unb  Gebanhen  barmlos  gegen* 
einanber  austaufcbten. 


J 


acobi  'o     o     o     o 


Diefe  gan3e  3eit  hob  icb  mit  Jacobi  beinah 
alle  Rbenöe  3ugebracbt;  icb  fcbät3e  es  immer 
als  ein  Glüch,  Öafe  icb  ihn  feben  unb  fprecben 
konnte;  aber  ba3U  bin  ich  nicbt  gekommen,  - 
aufrichtig  gegen  ibn  3U  fein,  unÖ  bie  Ciebe,  bie 
man  feinem  Wohlwollen  fchulbig  ift,  ihm  3U  be^ 
3eigen.  Seine  beiben  Scbweftern  verpalifabieren 
ihn;  es  ift  empfinblicb,  burcb  leere  Cinwenbungen 
von  ihm  abgehalten  3U  werben.  Cr  ift  bulbenb 
bis  3ur  Schwäche  unb  hat  gar  keinen  Willen  gegen 
ein  paar  Wefen,  bie  €igenfinn  unb  ßerrfchfucbt 
haben,  wie  bie  Semiramis.  Die  f5errfchaft  ber 
brauen  verfolgt  ihn  bis  3ur  präfibentenftelle  an 
berRkabemie;  fie  wecken  ihn,  fie  bekleiben  ihn, 
knöpfen  ihm  bie  Unterwefte  3U,  fie  reichen  ihm 
(Debi3in;  will  er  ausgehen,  fo  ift's  3U  rauh,  will 
er  3u  ßaufe  bleiben,  fo  mufe  er  ficb  Bewegung 
machen.  Geht  er  auf  bie  Rkabemie,  fo  wirb  ber 
nimbus  gefchneu3t,  bamit  er  recht  hell  leuchte. 
Da  3iehen  fie  ihm  ein  ßemb  von  Batift  an  mit 
frifcbem  Jabot  unb  (Danfcbetten  unb  einen  Pel3= 
rock,  mit  prächtigem  3obel  gefüttert,  ber  Wärm= 
korb  wirb  vorangetragen;  kommt  er  aus  ber 
Si^ung  3urück,  fo  mufe  er  ein  bifecben  fchlafen, 
nicbt  ob  er  will;  fo  geht's  bis  3um  Bbenb  in  fort* 
währenbem  Wiberfprucb,  wo  fie  ihm  bie  TiadbU 


37 


müt5e  über  bie  Obren  sieben  unb  ihn  3U  Bette 
fübren. 

HeuUcb  fubr  ich  mit  ibm,  ben  beiben  öcbweftern 
unb  bem  Grafen  Wefterbolb  nacb  bem  9tarem= 
berger  5ee.  Wir  afeen  3U  (Dittag  in  einem  Garten, 
alles  war  mit  Blumen  unb  blübenben  5träucbern 
überfät,  unb  ha  icb  3ur  Unterhaltung  ber  gelehrten 
öefellfcbaft  nichts  beitragen  honnte,  fo  gammelte 
icb  beren  fo  viel,  als  mein  Strohhut  fafete.  Im 
Schiff,  auf  bem  wir  bei  herannahenbem  Bbenb 
wohl  anberthalb  Stunben  fahren  mufeten,  um  bas 
jenfeitige  Ufer  wieber  3U  erreichen,  machte  icb 
einen  f^ran3.  Die  untergehenbe  Sonne  rötete  bie 
weifeen  Spielen  ber  Blpenl^ette,  unb  Jacobi  hatte 
feine  f  reube  bran,  er  beployierte  alle  6ra3ie  feiner 
Jugenb ;  Du  felbft  haft  mir  einmal  ersählt,  ha^  er 
als  Stubent  nicht  wenig  eitel  auf  fein  fchönes  Bein 
gewefen,  unb  bafe  er  in  Ceip3ig  mit  Dir  in  einen 
€ucblaben  gegangen,  bas  Bein  auf  ben  Cabentifcb 
gelegt  unb  bort  bie  neuen  Beinl^leibermufter  brauf 
probiert,  blofe  um  bas  Bein  ber  fehr  artigen  frau 
im  Caben  3U  3eigen;  -  in  biefer  Caune  fehlen  er 
mir  3u  fein;  nachläffig  hatte  er  fein  Bein  aus* 
geftrecht,  betrachtete  es  wohlgefällig,  ftrich  mit  ber 
f^anb  brüber;  bann,  wenige  Worte  über  ben 
herrlichen  flbenb  flüfternb,  beugte  er  fich  3U  mir 
herab,  1>q  ich  am  Boben  fafe  unb  ben  Schofe  voll 
Blumen  hatte,  wo  ich  bie  heften  auslas  3um  I^ran3, 
unb  fo  befprachen  wir  uns  einfilbig,  aber  3ierlich 
unb  mit  Genufe  in  Gebärben  unb  Worten,  unb  ich 
wufete  es  ihm  begreiflich  3U  machen,  ha^  ich  ihn 
liebenswürbig  finbe,  als  auf  einmal  Ilante  Cenens 


38 


vorforgenbe  Bosbeitspflege  ber  feinen  Oefübls» 
kohetterie  einen  bö[en  ötreicb  fpielte;  icb  fcbäme 
micb  nocb,  wenn  icb  bran  öenke;  fie  bolle  eine 
weifee,  langgeftrickte  wollene  3ipfelmüt5e  aus  ibrer 
Scbür3entafcbe ,  jcbob  fie  ineinander  unb  30g  fie 
bem  jacobi  weit  über  bie  Obren,  weil  bie  Bbenb« 
luft  beginne  raub  3U  werben,  gerabe  in  bem 
Rugenblich,  als  icb  ibm  fagte:  „ßeute  verfteb 
icb '6  recbt,  ^q^  6ie  jcbön  finb,"  unb  er  mir  3um 
Danh  bie  Hofe  in  bie  Bruft  ftechte,  bie  icb  ibm 
gegeben  batte.  jacobi  webrte  ficb  gegen  bie 
nacbtmüt3e,  Zcxnie  Cene  bebauptete  ben  Sieg ;  icb 
mocbte  nicbt  wieber  aufwärts  feben,  fo  befcbämt 
war  icb.  -  „5ie  finb  recbt  kokett,"  fagte  ber  Graf 
Wefterbolb;  icb  flocbt  ftill  an  meinem  f^ran3,  "öa 
aber  "Cante  Cene  unb  Cotte  einftimmenb  mir  gute 
Cebren  gaben,  fprang  icb  plöt5licb  auf  unb  trappelte 
fo,  ^Q^  ber  f^abn  beftig  fcbwankte.  „Um  Gottes 
willen,  wir  fallen!"  fcbrie  alles.  „Ja,  ja!"  rief  icb, 
„wenn  Sie  nocb  ein  Wort  weiter  fagen  über  Dinge, 
bie  Sie  nicbt  verfteben."  Icb  fcbwankte  weiter, 
„ßaben  Sie  Rub,  es  wirb  mir  fcbwinblig."  - 
Wefterbolb  wollte  micb  anrübren,  aber  "öa 
fcbwankte  icb  fo,  "öa^s  er  ficb  nicbt  vom  piat5  ge= 
traute,  ber  Scbiffer  lacbte  unb  balf  fcbwanken;  icb 
batte  micb  vor  Jacobi  geftellt,  um  ibn  nicbt  in  ber 
fatalen  (Düt5e  3U  feben;  jet3t,  wo  icb  fie  alle  in 
ber  Gewalt  batte,  wenbete  icb  micb  nacb  ibm, 
nabm  bie  (T)üt5e  beim  3ipfel  unb  fcbwenhte  fie 
weit  binaus  in  bie  Wellen.  „Da  bat  ber  Winb 
bie  (Dü^e  weggewebt,"  fagte  icb ;  icb  brückte  ibm 
meinen   Rran3   auf  ben   f^opf,  ber  ibm  wirklieb 


39 


fcbön  ftanb;  Cene  wollte  es  nicbt  leiöen,  bie 
frifcben  Blätter  hönnten  ihm  fcbaöen.  „Cajfe  ihn 
mir  bocb,"  fagte  Jacobi  fanft;  icb  legte  Me  ßanb 
über  ben  l^rQn3.  .Jacobi,"  fagte  icb,  „Ihre  feinen 
3üge  leuchten  im  gebrocbnen  Cicbt  öiefer  fcbönen 
Blätter  wie  öie  bes  verklärten  piato.  Sie  finb 
fcbön,  unö  es  bebarf  nur  eines  f^ran3es,  ben  6ie 
fo  wohl  verdienen,  um  6ie  würbig  ber  Unfterb« 
liebkeit  bar3uftellen ;"  icb  war  vor  3orn  begeistert, 
unb  jacobi  freute  ficb;  icb  fe^te  mich  neben  ihn 
an  bie  Crbe  unb  hielt  feine  ßanb,  bie  er  mir  aucb 
liefe,  f^einer  fagte  etwas,  fie  wenbeten  ficb  alle 
ab ,  um  bie  Rusficbt  3U  betrachten,  unb  fprachen 
unter  fich,  ^a  lachte  ich  ihn  heimlich  an.  Da  wir 
ans  Ufer  kamen,  nahm  ich  ihm  ben  f^ran3  ab  unb 
reichte  ihm  ben  f5ut.  -  Das  war  meine  kleine 
Ciebesgefchichte  jenes  fchönen  ^ages,  ohne  welche 
ber  Zag  nicbt  fcbön  gewefen  fein  würbe;  nun 
hängt  ber  (^ran3  verwelkt  an  meinem  Spiegel, 
ich  bin  feitbem  nicht  wieber  hingegangen,  benn 
ich  fürchte  mich  vor  ßelenen,  bie  aus  beleibigter 
Würbe  gan3  ftumm  war  unb  mir  nicht  Bbieu 
fagte;  fo  mag  benn  ]acobi  freunblich  meiner  ge= 
genken,  wenn  ich  ihn  nicht  wieberfeben  follte, 
biefer  Bbfchieb  kann  ihm  keinen  unangenehmen 
€inbruck  in  ber  Crinnerung  laffen. 

0C30 


DDD    ÖGD    DDD    ODD    DGD    DGD 


efucb  bei  Beethoven    o     o  l« 

Oc=D(=X=DC=iC=>t 1 i=:z  0=3i 


/"Y^an  hatte  mir  gefagt,  er  fei  gan3  menfcben» 
VI/   fcbeu   unö  laffe  ficb  mit  niemand   in  ein 
Gejpräcb  ein.    (Dan  fürchtete  fich,  mich  3U  ihm 
3U  führen,  ich  mufete  ihn  allein  aufsuchen;  er  hat 
brei  Wohnungen,  in  öenen  er  abwechfelnb  jich 
verftecht,  eine  auf  bem  CanÖe,  eine  in  öer  5taöt 
unb  bie  öritte  auf  öer  Baftei,  öa  fanb  ich  ihn  im 
britten  6toch.    Unangemelbet  trat  ich  ein,  er  fafe 
am  f^lavier;  ich  nannte  meinen  Hamen,  er  war 
fehr  freundlich  unb  fragte,  ob  ich  ein  Cieb  hören 
wolle,  was  er  eben  homponiert  habe?  -  Dann 
fagte  er  jcharf  unb  fchneibenb,  ^a^  bie  Wehmut 
auf    ben    ßörer   3urüchwirMe:    „f^ennft   Du   bas 
Canb  -  nicht  wahr,  es  ift  fchön?"  fragte  er  be= 
geiftert,  „wunberfchön !     Ich   will's   noch   einmal 
fingen."    Cr  freute  fich  über  meinen  reichen  Bei» 
fall.    „Die  meiften  (Denfchen  finb  gerührt  über 
etwas  Gutes,  bas  finb  aber  keine  f^ünftler» 
naturen,    f^ünftler   finb   feurig,    bie   weinen 
nicht,"  fagte  er.   Dann  fang  er  noch  ein  Cieb  von 
Dir,  bas   er  auch   in  biefen  Tagen  h?omponiert 
hatte:   „Trochnet  nicht  Cränen  ber  ewigen 
Ciebe."  -  Cr  begleitete  mich  nach  F5aufe,  unb 
unterwegs  fprach  er  eben  bas  viele  Schöne  über 
bie  f^unft;  babei  fprach  er  fo  laut  unb  blieb  auf 
ber  Strafee  ftehen,  "öq^  (Dut  ba3u  gehörte,  3U3U» 


41 


boren ;  er  fpracb  mit  grofeer  Ceiöenfcbaft  unb  viel 
3U  überrafcbenb,  als  bafe  icb  nicbt  aucb  bie  Strafe 
vergeffen  hätte;  man  war  febr  verwunbert,  ibn 
mit  mir  in  eine  grofee  Gefellfcbaft ,  bie  bei  uns 
3um  Diner  war,  eintreten  3U  feben.  Hacb  Ofcb 
fe^te  er  ficb  unaufgeforbert  ans  Instrument  unb 
f pielte  lange  unb  wunberbar,  fein  6tol3  fermentierte 
3ugleicb  mit  feinem  Genie;  in  folcber  Rufregung 
er3eugt  fein  Geift  bas  Unbegreif liebe ,  unb  feine 
finger  leiften  bas  Unmöglicbe.  —  Seitbem  l^ommt 
er  alle  üage,  ober  icb  gebe  3U  ibm.  Darüber  ver= 
fäume  icb  Gefellfcbaften ,  Galerien,  tbeater  unb 
fogar  ben  Stefansturm.  Beetboven  fagt:  „Rcb, 
was  wollen  6ie  ba  feben!  Icb  werbe  6ie  ab= 
bolen,  wir  geben  gegen  flbenb  burcb  bie  Rllee 
von  öcbönbrunn." 


DDD  DDD  DDD 


ie  Cbrenkette  o     o     o     o  /^p\; 

m 

Die  §rau  Rat  er3äblt: 

es  war  an  einem  recbt  fommerlicben  Tag;  icb 
benb?  nacb,  was  aus  öem  lieben  öonnenfcbein 
all  werben  foll,  ben  icb  ba  fo  mutterfeelenallein 
in  micb  treffen  mufe ;  -  es  wirb  (Dittag,  bie  Türmer 
blafen  berweil  ben  flblafe  meiner  öünben  vom 
f^atbarinenturm  berunter.  -  In  biefer  Welt,  wo 
Böfes  unb  6utes  oft  in  fo  ber3licber  Umarmung 
einanber  am  Bufen  liegen,  ha  baben  irbifcbe  unb 
bimmlifcbe  Rngelegenbeiten  gar  einen  l^ünftlicben 
Verhebr;  an  fo  einem  melancbolifcben  f  eiertag,  ha 
verfcbmäbt  ber  Teufel  aucb  eine  falfcbe  Trompete 
nicbt,  um  ben  (Denfcben  aus  feinem  gebulbigen 
öeelenbeil  beraus3ublafen.  Opfere  ben  Verbrufe, 
hQW  Du  bavon  fpürft,  Gott  auf,  unb  bie  l^reibe 
von  ber  Recbnungstafel  Deiner  5ünben  ift  berunter» 
gewifcbt,  benn  lieber  als  bas  öünbegeftöbn,  was 
falfcber  klingt  als  bie  Sünbe  felber,  will  6ott  ben 
Teufel  falfcb  blafen  boren.  Die  Cangeweile  ift 
nun  gan3  apart  an  einem  Sonntag  in  ber  Stabt 
S'ranhfurt,  aber  gar  an  fo  einem  langen  ftaubigen 
öommertag,  wo  man  ficb  in  bie  Sonne  ftellt  unb 
benW  wie  ein  ange3ünb't  Cicbt  am  bellen  Tag: 
„Vor  was  bift  Du  ba?  -  Blies  l^ann  befteben 
ebne  Dieb!"  ober:  „Alles  gebt  ja  bocb  honfus," 


tzä 


43 


unö  mit  bem  3weifel,  ob  ber  blaue  Dunft  ba  oben 
wohl  bocb  öer  ßimmel  fein  hönnt,  jtrecht  man  ficb 
am  €nö  feiner  Crbentage  aus  öen  Crbenforgen 
heraus  mit  ben  ßimmelsforgen  auf  bem  f5er3en 
unb  bebenkt  nicbt,  ba^  alle  Sorge  Irrtum  ift. 

Rn  fo  einem  langweiligen  Zag  alfo,  wie  ber 
Ormer  wirl^licb  in  einer  ber  (Dufih  febr  mife= 
günftigen  Stimmung  in  bie  Stabt  berunterblies  - 
ich  meint,  als  wenn  mir  ber  jung  Wein  nur  nicbt 
auf  bem  f  afe  jäuerlicb  wirb  -  eine  raube  löalsarie 
wie  beut,  unb  bie  Sonn  fcbien  mir  auf  bie  Haf, 
^Ci\5  icb  niefeen  mußt,  unb  bas  Ciescben  be= 
komplimentiert  micb  barüber,  "ba  fcbellts.  Icb 
ruf:  „6ucK  einmal,  wers  ijt."  „€i,  es  ift  ber  frau 
Betbmann  ihr  Bebienter;  ob  Sie  wollte  beunt 
Hacbmittag  mit  ins  f^irfcbenwälbcben  fabren?"  - 
Ci  was?  -  €i  freilieb!  Was  werb  icb  nicbt 
wollen  fabren  an  biefen  ein3igen  piäfierort,  vor 
allen  fcbönen  Orten  in  gan3  Deutfcblanb,  wo  bie 
l^irfcben  wie  bie  fcbönften  Rubinen  im  fmaragbnen 
Blätterfcbmuch  an  ben  Bäumen  bangen,  wo  bie 
frankfurter  Sonnenftrablen  ein  Golbne^  burcb= 
wirken  unb  ber  föimmel  fein  blaues  3elt  mit 
filbernen  Wolken  brüber  fpannt. 

Je^t  fag  icb:  „Wir  wollen  prä3is  3wölf  Ubr 
effen,  bann  wirb  alles  3urecbtgemacbt  3um  Rbenb, 
wann  icb  beimkomm ;  ba  wirb  meine  Wafferflafcbe 
bingeftellt,  bas  Bett  3urecbtgemacbt ,  bamit  mir 
bie  3eit  vergebt  bis  bie  fücbfercben  angetrabt 
komme;  bann  fet3  icb  meine  ßaub  auf,  blofe  bie 
mit  ben  Spit5en."  „£i,  wollen  Sie  net  bie  mit  ben 
Sternblume  auffegen,  bie  ftebt  fcböner!"  - 


44 


„Hein,  5ie  will  ich  nicht  aufje^en;  man  mufe 
befdDeiöen  fein  in  öer  fcbönen  Hatur  unb  fie  nicbt 
überftrablen  wollen;  es  gelingt  einem  öocb  nicbt. 
Was  meint  6ie  benn,  bafe  fo  ein  fkvan-^  von 
papierne  Blume  3U  fagen  bätt  ba  braufeen  auf 
ber  grünen  Wief  ?  ei,  ich  fet5  ben  5all,  icb  könnt 
ber  ötabtberb  begegnen,  fo  hönnt  micb  ja  ber 
ßrummelocbs  mit  einem  ein3ige  (Daul  voll  Dotter:= 
blume,  bie  er  vom  Weibanger  mit  feiner  langen 
3ung  in  einem  ßui  3ufammenrafft  unb  weg= 
fcbnappt,  in  bie  gröfet  Befcbämung  verfeme,  ^>a^ 
er  frifet  unb  verbaut,  was  bie  Srau  Rat  in  Papier 
nacbgemacbt  3um  put5  auf  bem  f^opfe  tragt.  - 
3e^t  ohne  weiter  ^eberlefen  bie  öpi^e'baub  eweil 
auf  ber  grünen  Bouteille  aufgepf lan3t ,  bann  bie 
filetbanbfcbub  ohne  Daumen,  ba^  icb  fie  nicbt 
braucb  aus3U3ieben  beim  l^irfcbeneffen.  Das 
f^örbcben  nehm  icb  mit,  ^a^  icb  l^ann  f^irfcben 
mitbringen  -  bie  kleine  fcbwar3e  Salopp  unb 
ben  Sonneparaplü,  benn  um  bie  jet3ig  Sommer^ 
3eit  kommt  häufig  fo  ein  klein  erquicklich  Regen* 
fchauerchen  mitten  burch  ben  Sonnenfchein.  Da 
lachts  unb  flennts  3U  gleicher  3eit  am  ßimmel.  - 
nun  ift  alles  in  Orbnung;  fo  wirb  ber  Ofch  ge= 
beckt  unb  aufgetragen,  benn  3wölf  Uhr  ift  fchon 
vorbei.  Was  gibts  beut?"  „Brübfupp."  „fort 
mit,  ich  mag  keine."  -  „Aber  5rau  Rat,  Ihne  Ihr 
COagen!"  -  „Rber  ich  will  keine  5upp,  fag  ich; 
komm  6ie  mir  nicht  an  fo  einem  fchöne  Sommer* 
tag  mit  ihren  (Dagenforgen  an,  -  was  gibts 
noch?"  „ötockfifch,  aufgewärmt  von  geftern,  unb 
Rartoffel."   „Den  ötockfifch  lafe  mir  vor  ber  Hofe 


«8^ -=  45 

weg,  öer  pafet  nit  3U  meiner  Stimmung;  ich  lafe 
mir  heinen  Stochfifcbgerucb  in  öen  Vorgefcbmach 
Quföampfen,  öen  icb  von  bem  Blumenöuft  öraufe 
auf  ber  Wief  fcbon  in  ßeöanhen  geniefe;  aber 
bie  Rartoffel  bring  Sie,  an  öenen  verunreinigt 
man  bie  erhabenen  Geöanhen  nicht;  bie  l^önnt  fo 
ein  inbifcber  Priefter  in  feiner  Ver3Üchung  un= 
geftört  geniefee.  -  leb  glaub  gewife,  Me  finb  aus 
bem  (Danna  gewacbje,  bas  vom  F5immel  fiel,  wie 
bie  3uben  in  ber  Wüft  in  ber  ßungersnot  waren ; 
bas  war  fo  ein  ver3ettelter  (Dannafame,  aus  bem 
finb  bann  bie  Rartoffeln  gewacbfen,  bie  vor  aller 
ßungersnot  bewahren.  ]a,  bamals  hatten  bie 
}uben  noch  eine  Wüft,  wo  fie  fich  nieberlaffen 
honnten;  jet3t  ift  l^eine  Wüft  mehr  l>ay  unb  wann 
bie  närrifche  föänf  nicht  fliegen  lerne  wie  bie 
Raubvögel,  ^a^  fie  als  manchmal  auf  eine  vorüber^ 
fahrenbe  Segelftang  fich  könne  fe^en  wie  bie 
3ugvögel,  fo  weife  ich  nicht,  wo  fie  werben  bleiben. 
In  ber  Wüfte  waren  fie  nit  fo  gierig;  hätten  fie 
bamals  alles  Verfehlungen,  fo  war  l^ein  himmlifcher 
(Dannafamen  übrig  geblieben,  unb  ich  wüfet  nicht, 
was  ich  heut  effen  follt,  unb  je^t  geh  ich  nur 
hünftig  ohne  Wiberreb  allemal  bem  Betteljub 
3wei  Rreu3er,  fo  oft  er  kommt.  Denn  wir  könne 
^en  Juben  bas  nicht  genug  Dank  wiffen,  ba^  wir 
Rartoffeln  effen."  -  Hun  war  bas  €ffen  noch  nicht 
all,  es  kam  noch  eine  gebratne  Zaub.  — 

Ich  hatte  Appetit,  fliegt  mir  grab  eine  lebenbige 
Zaub  vors  f enfter  unb  ruckfert  mir  lauter  Vor= 
würf  ins  I5er3.  Ich  fahr  ins  Rirfchenwölbchen, 
unb  bas  arme  Z\ev  mit  verfchrönkte  flügel,  mit 


46 


benen  es  ficb  hätte  hönnen  in  alle  Weltfreube 
fcbwingen,  liegt  in  öer  ßratpfann.  Der  Cbrift 
jagt  bie  halb  Hatur  öurcb  öen  öcblunö,  bamit  er 
auf  öer  Crb  hann  bleibe,  um  fein  Seelenbeil  3U 
beföröern,  unb  öann  macht  ers  grab  verkehrt.  — 
nun  Kur3,  öer  Vorwurf  von  ber  Zaub  am  f  enfter 
laftet  mir  auf  bem  ßersen ;  ich  Kann  Keinen  Bif fen 
effen. 

Die  Taub  wirb  unberührt  wieber  in  bie  Speif^ 
Kammer  geftellt;  ich  siehe  mich  berweil  an,  um 
ber  Ungebulb  etwas  weife  3U  machen.  Die  Spit5e* 
haub  wirb  von  ber  Bouteille  heruntergenommen, 
aufgefetjt  unb  bie  Hachtmü^  wirb  braufgeftülpt, 
bamit  ich  \'ie  heut  abenb,  wenn  ich  nach  ßauf 
Komm,  gleich  auswechsle  Kann,  noch  eh  Cicht 
Kommt;  bas  ift  \o  meine  alte  Gewohnheit.  Hun 
fi^  ich  ha  mit  meinem  öonnenfchirm  in  ber  ßanb, 
im  heften  ßumor,  unb  lach  bie  Cieschen  aus  mit 
ihrer  Bngft  wegen  meinem  leeren  (Dagen.  -  Ich 
gucK  auf  bie  Uhr  -  ber  Wagen  Kommt  gerappelt ; 
ben  alten  Johann,  ein  gan3  gefcheiter  f^erl,  hör 
ich  fchon  an  feinem  gewohnten  Gange  bie  trepp 
herauf  Kommen.  -  „Cieschen,  gefchwinb  lauf  Sie 
hinaus  auf  ^en  Vorplat3  an  bie  Or,  ehs  fcbellt." 
Da  fchellts  fchon,  bie  Cieschen  macht  bie  Cur 
auf;  ba  fteht  ein  golbborbierter  ßerr  mit  einem 
breiecKigen  But  unb  gucKt  mir  ins  Geficht,  unb 
mein  alter  Johann  Kommt  hinten  nach.  -  Ich  fag 
3U  bem  frembe  Wunbertier :  „Sie  finb  wohl  einen 
unrechten  Weg  gegangen!"  -  unb  will  midD  an 
ihm  vorbeimachen;  aber  weil  er  fagt:'  „Ich  bin 
gefchici^t  von  Ihro  (Dajeftäl  ber  Sraxi  Königin  von 


47 


Preufeen  an  bie  fr  au  Rätin  Goethe,"  fo  guch  icb 
ihn  an,  ob  er  wobl  nicbt  recht  gefcbeit  wäre.  - 
„Unb,"  fährt  er  fort,  „bie  königlich  €quipage 
werben  um  3wei  Uhr  kommen,  um  bie  S^rau  Rätin 
nach  Darmftabt  ab3uholen;  mit  Ihrer  GDajejtät 
follen  Sie  ben  Zee  trinken  im  öchlofegarten !"  — 
Ich  fag:  „Johann!  ]e^t  hör  er  einmal,  was  bas 
vor  Sachen  finb!  Wenn  einem  eine  pomeran3 
aus  bem  blauen  ßimmel  grab  auf  bie  Haf  fällt, 
ba  foll  man  gleich  fein  Verftanb  bei  ber  ßanb 
haben  unb  fie  auffangen ;  bas  will  viel  heifeen !  — 
€i,  wem  hatt  icb  benn  bie  f^ontenance  3U  ver= 
banken  als  blofe  bem  Johann  ?  Der  ftellt  fich  an 
bie  Seite  vor  lauter  Refpekt  vor  bem  unvorher= 
gesehenen  Creignis  unb  guckt  mich  fo  feierlich  an, 
t>a^  ich  mich  gleich  befinn,  was  ich  mir  unb  ber 
€inlabung  fchulbig  bin;  ich  guck  ihn  mit  einem 
feuerblick  an,  ^a^  ber  f^erl  in  fich  geht,  benn  er 
war  nahe  baran,  3U  lachen.  Ich  fag:  „(Dein  föerr 
Rammerherr,  ober  was  Sie  vor  ein  höflicher 
Beamter  fein  mögen,  rennen  Sie  nur  wieber 
fpornftreichs  3ur  frau  f^önigin  unb  melben,  bie 
frau  Rat  werben  ihrerfeits  bie  £hre  haben,  bie 
von  ber  f  rau  Königin  ihr  3ugebachte  Bus3eichnung 
an3unehmen.  Unb  machen  Sie  nur,  ^q\^  bie  l^utfch 
hübfch  akkurat  kommt,  bamit  ich  auch  nicht  3U 
fpät  komme,  ha  bas  Warten  unb  Wartenlaffen 
meine  Sach  nicht  ift."  -  Dabei  macht  ich  fo  grofee 
Rügen,  ha^^  ber  preufeifch  ßoflakei  gewife  feine 
Verwunbrung  wirb  gehabt  haben  über  ben  be= 
fonberen  Schlag  (Dabamen  aus  ber  freien  Reichs= 
ftabt  Frankfurt.   (Dan  mufe  feine  3uflucht  nehmen 


48 


3U  allerlei  f^ünften,  um  feine  WürÖe  3U  behaupten. 
Wer  \^ann  fonft  Religion  in  bie  (Denfcben  bringen? 
Dafe  fo  ein  ßofjcbran3  Refpeht  hätte  vor  einem 
Bürger,  öasu  ift  er  einmal  verdorben;  ba  mufe 
man  auf  (Dittel  benhe,  wie  er  ben  Ropf  gan3 
verliert  unö  nicht  weife,  was  er  ba3u  fagen  foll. 
Da  fiel  mir  öer  türhlopper  ein  von  unferm  flber= 
lafemänncben,  bem  ßerrn  Unfer;  bas  ift  fo  ein 
Cöwenfra^,  wie  fie  an  Salomon  feinem  Chron» 
feffel  3ur  Ver3ierung  angebracht  finb.  Den  mach 
ich  nach  -  bamit  jag  ich  meinen  föerolb  in  bie 
flucht;  er  nimmt  bie  Bein  an  ben  ßals  unb  rennt 
bie  "Crepp  herunter.  Ich  blieb  jtochftill  ftehen, 
bie  Cieschen  bleibt  ftehen,  ber  Johann  rührt  fich 
nicht  vom  flech,  bis  wir  bie  ßaustür  3umachen 
hören.  „?rau  Rat,"  fagt  ber  Johann,  „Sie  werben 
alfo  jet3t  unmöglich  ins  f^irfchenwölbchen  fahren, 
unb  ba  werb  ich  bann  bestelle,  warum  Sie  nicht 
mit  könne  fahren?"  „]a,  lieber  Johann,  unb 
beftell  ers  boch  gleich  im  Vorbeigehen  beim 
Perüchenmacher  ßeibenblut,ber  foll  gleich  kommen 
unb  er3ähl  ers  unterwegs  alle  Ceut;  fo  was  mufe 
ftabtbekannt  werben."  -  „Ja,  bas  ift  gewife," 
fagt  ber  Johann,  „unb  wenn  mir  nur  bas  f5er3 
nit  berften  wirb,  bis  ich  herausgepla^t  bin  bermit"  - 
fort  ift  ber  Johann.  —  Hun  guch  ich  mein  Cieschen 
an ;  bie  fteht  vor  mir  wie  nicht  recht  gefcheit  unb 
3ittert  an  alle  Glieber.  „Ci  Cieschen,"  fprech  ich 
voll  Verwunberung,  „wie  hommt  es,  t>a^  ihr  bie 
f5aub  hinberft  ber  vörberft  fi^t,  bas  war  boch 
vorher  nicht."  -  Unb  ich  weife  nicht,  wie  bas 
möglich  war!     €s  ift  boch  wunberlich,   wie  bei 


49 


überrafcbenbe  öelegenbeiten  öie  Spuhgeifter  ficb 
allerlei  öcbabernach  erlauben  mit  folcben  Ceut, 
Öie  öer  Sacb  nicbt  gewacbfen  finÖ.  Das  war  nun 
mein  CiesdDen  wirl^Ucb  nicht.  6ie  Nonnts  nicbt 
finden,  weöer  3wichelftrümpf  noch  Schub  noch 
fonft  ein  Rleibungsftüch;  Kein  Roch  könnt  fie 
mir  orbentlicb  über  ben  f^opf  werfen.  Wenn  ich 
nun  auch  Öen  Ropf  verloren  bätt,  ich  war  nicht 
fertig  geworben.  Je^t  fag  ich:  „Bring  fie  mir  ein= 
mal  bie  gebratne  Caub  wieber  berein,  benn  ich 
verspür  über  bie  königlich  Gefchicht  ein  fchreienbe 
fDunger.  Unb  nun  fchmeife  [xe  bie  Hachtbaub  von 
ber  Bouteille  herunter  -  ich  werb  auch  noch 
meiner  5eel  ben  gan3en  Stochfifch  b erunter f reffen, 
nun  fchenh  fie  mir  ein  6las  Wein  ein;  ich  mufe 
§euer  in  ben  Rbern  haben."  Der  Perüchenmacher 
war  gleich  herbei;  über  bie  unbegreifliche  Hach* 
rieht  bat  er  in  feinem  ftumme  €rftaune  mich 
aufgebonnert,  unb  nun  mufet  er  mir  bie  ßaub 
auffege  mit  t>en  Sternblumen.  €s  war  ein  Reiben* 
pläfier;  fingerbiche  Schmink  bat  er  mir  aufgelegt. 
„Die  frau  Rat  feben  fuperb  aus,"  fagt  ber  ßerr 
ßeibenblut.  Unb  bie  Cieschen  ftanb  wie  eine  Gans 
vor  mir,  als  ob  fie  mich  nicht  mehr  kennte.  - 
Hu,  wir  verbringe  noch  fo  ein  3eitchen  vor  bem 
Spiegel,  links  bie  Cieschen  mit  ber  verkehrte 
ßaub ,  benn  bie  bat  fie  noch  nicht  3eit  gehabt 
berum3ukriegen ,  rechts  ber  ßerr  ßeibenblut  mit 
bem  f^amm  hinterm  Ohr,  gan3  ver3Ückt  in  mein 
Cockenbau;  ich  in  ber  §ront  mit  einem  feuerfarbne 
Scblepprock  mit  boppelte  Slorfpi^en,  Diamant* 
bracelett,  echte  Perlen  um  ben  ßals,  ein  Schlupp 
Sritjcb.Strobl.  4 


50 


von  Diamante  vorgeftecht.  Dun,  es  war  3um 
GDalen,  bie  brei  perfonagen  ba  aus  öem  Spiegel 
berauslacben  3u  feben.  Wir  wuröen  gans  luftig 
unb  bacbten  nicht,  wie  bie  3uhunft  mir  auf  ben 
ßals  gerücht  hommt.  Wenn  ich  bocb  an  all  bie 
cbarmante  Wi^e  vom  ßeibenblut  micb  noch  er= 
innern  hönnt;  er  mufet  ficb  binftellen,  unb  icb 
macht  mein  Probekompliment  vor  ihm;  er  ver* 
ftebts.  €r  frifiert  ja  bie  allerböchfte  Tbeater* 
prin3ejje.  -  Da  hommt's  aber  wie  ein  Sturm 
angerennt  unb  hält  ftill  vor  ber  ßaustür.  Rutfcb 
-  vier  pferb  unb  3wei  Cahaie  hinten  brauf  noch 
ohne  ben  f^utfcher.  -  Je^it  l^ommen  fie  herbei= 
geftolpert,  fafet  mich  ein  jeber  unterm  Brm  unb 
tragen  mich  fchwebenb  in  bie  f^utfcb.  Schab, 
^Q^  bie  5ahrt  nicht  mit  meine  vier  pferb  burch 
bie  Bochheimergajf  geht,  am  ßaus  vom  ßerrn 
Bürgermeister  vorbei.  -  Rber  bas  Glüch  befcherte 
mir  unfer  ßerrgott  noch,  benn  kaum  biege  wir 
im  volle  tirab  um  bie  €ch,  jtofeen  wir  auf  bie 
Bürgermeijtershutfch  mitfamt  bem  f5errn  Bürger* 
meifter  von  l5ol3haujen  brin,  mit  feine  3wei 
Cal^aien  hinten  brauf  mit  ihre  alte  abgelebte  ßaar* 
beutel  —  ich  auch  -  aber  meine  ßaarbeutel  waren 
gan3  neu.  In  vollem  Ranb  fahren  wir  vorbei  am 
föerrn  Bürgermeifter.  Ich  grüfe  feierlich  mit  bem 
fäcJDer  unb  hab  bas  piäfier,  3U  fehn,  ba^  mein 
F5err  von  f5ol3haufen  im  Wagen  fi^en,  verfteinert, 
unb  fehn  mich  nicht  mit  ihre  6lot3augen ;  er  ftrecht 
ben  I^opf  heraus,  aber  umfonft,  wir  flogen  wie 
ber  Winb  vorbei. 

Sollte  ich  nun  alle  Oebanhen  er3ählen,  bie 


ea 


51 


mir  auf  meiner  Reif  bis  Darmftabt  eingefallen 
finö,  fo  müfet  icb  lügen,  benn  icb  war  fo3ufagen 
auf  einer  Scbaul^el,  bie  fcblecbt  in  Scbwung  ge« 
bracht  war.  Balö  flog  icb  bort  hinaus,  balb  wieöer 
nach  ber  anbern  Seite,  halb  brebt  fich  alles  mit 
mir  im  Durmel  herum;  bann  bacbt  icb  wieber, 
wie  ichs  alles  meinem  Sohne  wollt  Schreiben, 
unb  ba  fing  mir  bas  ßers  an  3U  klopfen.  Icb 
konnts  vor  Ungebulb  nicht  behaglich  finben  in 
ber  l^utfcb  -  ich  fing  an  bie  f^aftanienbäum  3U 
3äblen  in  ber  RUee.  Ich  wollt  probieren,  ob  ichs 
hönnt  bis  hunbert  bringe,  aber  icb  bracht  keine 
3ehn  Bäum  3ufammen,  ba  waren  meine  Gebanken 
wieber  wo  anbers.  einmal  kam  mir  ein  gescheiter 
Öebanken.  Ich  bacbt,  was  hab  ich  bavon?  Ift 
mir  bie  Gefchicht  angenehm?  -  Sollt  fie  mir 
nur  noch  ein  ein3ig  (Dal  wieber  begegnen,  ba 
würb  ich  mich  fchon  befinne,  ^cx^  fie  mir  lang- 
weilig war.  Was  war  bas  beunt  morgen  vor 
eine  Romöbie,  was  ift  mir  vor  eine  I5it5  in  ben 
I^opf  gejtiegen;  unb  nun  fteck  ich  in  einer  3weifeU 
haften  Unbequemlichkeit  -  wo  ich  Z>a  hingeh  3U 
frembe  Ceut,  bie  gar  nicht  bran  benke,  wer  ba 
angerumpelt  kommt.  -  -  „Ohne  Rurage  kein 
Genie,"  hat  mein  Sohn  immer  gesagt,  unb  will 
ich  ober  nicht,  fo  mufe  ich  boch  einmal  bie  höf* 
liehe  Schmach  auf  mich  nehmen,  mit  gefunbem 
(Dutterwi^i  bort  in  bem  f  ürftenfaal  vor  einer  ein= 
gebilbeten  Welt  3U  parabieren  unb  blofe  für  eine 
§abelerfcheinung  mich  betrachten  3U  laffen.  3°» 
bie  Welt  jteht  auf  einem  5ufe,  wo  keiner  an  bie 

Wirklichkeit   vom   anbern   glaubt   unb  fich  boch 

4* 


52 


felber  vergnügt  fühlt,  wenn  er  nur  von  fo  einem 
Scbeinbeiligen  befcbeinigt  ift.  Hun,  alleweil  harnen 
wir  wie  ein  öturmwinö  angeraffelt,  gan3  er= 
fcbrochen  darüber,  bafe  ich  fcbon  ba  bin,  wie  icb 
eben  vor  Ungeöulb  mein,  es  wirb  nie  ba3u 
hommen.  icb  fteig  au3,  bie  Bebiente  renne  wie 
ein  Cauffeuer  vor  mir  weg.  Ci,  icb  hann  ba  nicht 
wie  eine  Cercb  mich  ihnen  nachfchwingen.  Icb 
feh  t>en  RugenblicK  kommen,  wo  ich  weber  Be^ 
biente  noch  Weg  mehr  finben  kann.  Ich  hatt 
mich  ein  bifechen  verfäumt  gehabt,  bie  f^rumplen 
aus  meinem  ötaatskleib  heraus3ufchütteln ,  ^a 
waren  fie  unterbeffen  in  einer  Rllee  verfchwunben 
wie  ein  paar  Irrlichter;  wir  waren  auseinanber* 
gekommen.  Ich  geh  fo  bem  Gehör  nach,  immer 
im  Rreis  ums  ßofgeswitfcber  herum,  immer  näher, 
bis  ich  enblich  aus  meinem  Schattenreich  heraus 
unter  ben  aufgepolfterte  föoftrofe  trete.  Ich  hielt 
mich  im  ßintergrunb  mit  meinen  Beobachtungs^ 
gaben,  grab  wie  ein  General  bei  einer  pofition, 
bie  er  bem  feinbe  abluchfen  will.  Denn  über» 
rafchen  lafe  ich  mich  nicht;  (Dut  hab  ich,  womit 
ich  ben  Ceuten,  wenn  fie  ben  Ropf  verlieren,  ihn 
oft  wieber  3urecht  gefegt  hab.  }a,  bei  Gelegen» 
heiten,  von  benen  eine  Svau  keinen  Verftanb  3U 
haben  behauptet  wirb,  ^a  fteht  als  bem  (Dann 
berfelbig  ihm  allein  3ugemeffene  Verftanb  ftill, 
^Q^  er  wehklagt:  „Reh,  was  fangen  wir  an?"  - 
Da  antwortet  bie  Svau  unb  fchlägt  ^en  Hagel  auf 
ben  I^opf.  -  Die  Welt  wirb  immer  hinkenb  bleiben, 
wenn  ber  Verftanb  auf  bem  (Dann  feiner  Seit 
hinüberhinkt,   mit   bem    er   bie   verrückte  Welt* 


53 


angelegenbeiten  fo  fcbwermütig  hinter  ficb  brein* 
fcbleppt.  Was  batets  öem  grofee  Weltgeift,  bafe 
er  bas  ebepnn3ip  in  ficb  trägt,  wenn  Öer  männ= 
liebe  Verftanb  ein  ßageftol3  bleibt.  -  Rlfo  bie 
erft  Bemerkung ,  bie  icb  macb  in  bem  micb  um= 
gebenben  ßofsirl^el,  ift  bie,  ba^  meine  amarant« 
farbne  Scbleppe  nicbt  grab  ein  guter  Paffepartout 
ift,  benn  nicbt  icb  mit  meinem  Vierunb3vvan3ig= 
pfünberblich ,  nicbt  meine  perfon  wirb  mit  neu- 
gierigen Flügen  betracbt,  nein,  bie  wirb  über* 
gefebn,  aber  meine  ^albelas,  meine  üaille,  meine 
drangen.  Von  unten  berauf,  immer  böber  unb 
böber  werb  icb  fcbarf  examiniert,  bis  fie  enblicb 
3ur  §lorfontange  hommen,  wo  bie  Sternblumen 
brauf  gepflan3t  waren.  Da  balten  fie  an  unb 
entbechen,  ba^  aucb  ein  Geficbt  mitkommen  war ; 
^a  prallen  fie  wie  ber  Blit5  auseinanber  unb  melben 
meine  €rfcbeinung  ber  Srau  [Königin.  Die  hommt 
mit  einem  ebrfurcbtsvoll  gebaltnen  öcJDritt  auf  micb 
los,  icb  gleicb  falutiere  mit  einem  feuerblich  vom 
erfte  Kaliber,  unb  nun  macbe  alle  Ceute  pia^. 
Unb  bie  Srau  f^önigin,  wie  eine  fcböne  Götter* 
nympb,  führt  micb  an  ihrer  ßanb,  unb  ber  Winb 
fpielt  in  bem  fcbneebagelweifee  f altengewanb,  unb 
ein  Cochenpaar,  bas  fpielt  an  auf  jeben  Tritt,  l>en 
fie  tut,  unb  bie  blenbenbe  ötirn  unb  bie  wunber* 
fcbön  blaferote  S'arb  von  ihrem  öeficbt,  unb  ber 
freunblicbe  (Dunb,  ber  gan3  voll  allerlei  Geflüfter 
micb  anfpricbt.  Verftanben  hob  icbs  nicbt,  icb  war 
burmlicb  von  Vergnügen  unb  honnt  oucId  nichts 
weiter  hervorbringen  als:  „föocbgefcbät5ter  Rügen« 
blich  unb  liebwertefte  Gegenwart  unb  wunberns« 


54 


wert  vor  Götter  unb  vor  (Denjcben  -  unö  wie 
fie  er^t  bie  f^ett  vom  ßals  ficb  losmacbt  unö  bangt 
fie  mir  um,  unö  ber  ganse  ßofkreis  trippelt  unö 
guckt.  leb  bab  innerlicb  ben  Rpoll  unb  ben  Jupiter 
angerufen;  biefe  menfcbenbegreifenbe  Götter  follen 
mir  beiftebn,  bofe  icb  vernünftig  bleib  unb  nicbt 
alles  um  micb  ber  für  wunberlicbe  Tiere  balt, 
benn  alle  biefe  vornebmen  ßofcbargen  hamen  mir 
vor  wie  ein  beralbifcber  Tierhreis.  Cöwen,  Büffel, 
Paviane,  Greife;  aber  auf  ein  Geficbt,  bas  menjcb» 
lieb  fcbön  3U  nennen  war,  befinn  icb  micb  nicbt. 
Das  mag  bavon  bert?ommen,  weil  biefe  (Denfcbem 
gattung  mehr  eine  Rrt  politifcber  Scbrauben  ober 
Habwerh?  an  ber  ötaatsmafcbine  unb  heine  recbte 
(Denfcben  finb.  f5artbörig,  bartbersig,  hursficbtig, 
ftol3  unb  eigenfinnig  Voll^,  unb  es  gebort  immer 
ber  3ufall  unb  ein  Verbienft  um  fie,  abfonberlicb 
aber  ibre  eigene  Caune  basu,  unb  nocb  viel  anbre 
fünfte,  um  von  ibnen  bemerkt  unb  gebort  3U 
werben.  Scbreien  unb  Poltern  ober  gar  recbt 
baben  bilft  gar  nicbts  bei  ibnen ;  ja,  befonbers  bas 
Recbt  baben,  bas  kommt  ber  politifcbe  Staats* 
mafcbine  ibrer  bocbtragenben  Haf  immer  in  bie 
Quer.  „Was  foll  bas  beifeen,  ^a^  man 
mit  feinm  Hecbt  an  bie  wiberrenn  tut?" 
Sollte  bas  Scbickfal  biefe  Haf  auserfeben  baben, 
^a^  fie  bai'ouf  falle,  bas  war  kein  Scbaben; 
barum  mufe  man  ibr  piat3  macben.  Ja,  von 
folcben  ift  kein  cbriftlicb  Gefinnung  3U  erwarten, 
bas  ift  übrig.  (Dan  foll  feines  Beftallungsbriefes 
an  bie  Hatur  ficb  erinnern,  wenn  man  was  mit 
ibne  3U  verbanbeln  bat,  bamit  man  an  ber  boppeU 


55 


fcbneibig  =  weltbürgerlicbe  Politur  nicbt  aucb  mit 
feinen  eöleren  Gesinnungen  als  ausglitfcbt.  Das 
fehlte  nocb,  öafe  man  wie  ein  Causl^erl  vor  ficb 
jelber  baftebt  unö  öarf  nicbt  in  ben  Spiegel  guchen 
vom  eignen  Gewiffen.  - 

Solcbe  Gebanke  hatte  ich  in  bem  Tierhreis, 
wo  bie  Orbensbänber  unb  Stern  unb  golbbli^enbe 
Staatsröch  runb  um  mich  herum  blinherten  wie 
im  I^raum.  Unb  wie  im  "Craum  bacbt  ich:  wenn 
ich  Rönig  war,  hielt  ich  mir  eine  aparte  Infel  vor 
bas  heralbifcbe  Hiervolk,  ^a  könnten  fie  fo  fort* 
leben  bis  fie  fterben  wollten;  aber  mir  jeber3eit 
unter  ben  füfeen  herum  3U  krabbeln,  "öa^  man 
alle  Augenblicke  über  fie  ftolpern  müfet,  bas  litt 
icb  nicbt. 

nun,  währenb  icb  über  ben  Darmftäbter  Tier- 
kreis meine  Gloffen  mach,  wovon  ein  nicht  un= 
bebeutenber  Zeü  mit  befterntem  Bauch,  mit  über* 
einanberfchielenben  Blicken  unb  Überlegenben 
(Dienen  bes  (Denfchenwohls  ^a  unter  ber  ßerb 
herumftolpern,  fpür  icb  beutlich,  ^a^  ich  in  bem 
Verwunberungsftrubel  bagefeffen  hatte  wie  ein 
Schaf.  Ich  fchäme  mich,  ba^  ich  follte  mit  fo 
einem  unfcheinbare  Rntli^  bie  freie  Reichsftabt 
vertreten ;  ich  fuch  mir  eine  anbere  phyfiognomie 
aus,  ben  frankfurter  Rbler.  Ho!  -  wie  ber 
Rbler,  wenn  er  Donner  unb  Bliti  bewacht,  fo  fi^ 
ich  ba,  unb  bie  lieb  Sonn,  ohne  Urlaub  3U  nemme, 
fe^t  fich  auf  ben  Reifefufe  unb  ging  hinter  benen 
fchöne  Cinbe  bergab  fpa3ieren;  unb  ber  (Donb 
kam  herauf,  auf  ben  mit  allerlei  poetifche  Spe- 
kulatione    angefpielt    würbe,      ich    mufet    lachen 


56 


über  öie  empfinbungsvolle  Tonart,  in  welche  bie 
Gefellfcbaft  ba  überging.  Run,  icb  hann  nicht  alles 
aus  bem  Öebäcbtnis  bervorhrame.  Icb  fcbvvieg 
in  meiner  ftol3e  Pofition  ftill,  benn  kein  (Denjcb 
hatte  mir  ein  Wort  3U  fagen,  feit  bie  parabe  53en 
vorbei  war.  IcId  macfjte  baber  meine  olympifche 
Rblersmiene  ohne  Unterbrechung  fort,  unb  ^a 
war  auch  nicht  ein  Rugenblich,  wo  ich  mir  nach- 
gegeben bätt  unb  bätt  meinem  FllletagsgefidDt 
auch  nur  erlaubt,  burch3ublin3eln.  -  Ruf  emal !  - 
fcblögt  mir  ein  tirompetegefchmetter  burchs  Ohr, 
ich  fahr  aus  einem  tiefen  Schlaf,  in  bem  ich  aller 
föerrlicbheiten ,  bie  um  mich  her  vorgingen,  ver= 
geffen,  träume  bem  f5errn  ßeibenblut  unb  ber 
Jungfer  Cieschen  meine  erlebte  Rbenteuer  3U  er^ 
3äble,  unb  gan3  vergnügt  bin,  ^a^  alles  über= 
jtanbe  ift.  -  Ja,  ber  vermeint  Rbler  bat  ben 
l^opf  in  feine  öpitsehragen  geftecht  unb  war 
unbewußt  feiner  entfcblummert  über  bem  viele 
Gefchwärm  von  alle  bebeutungsvolle  (Domente, 
bie  mir  ^a  in  einm  föui  ins  Bütagsleben  herein« 
geftoben  hamen,  unb  ich,  als  in  ber  (Deinung, 
meinen  olympifcben  6ötterglan3  fort3ubebaupten, 
fall  aus  ber  Roll  heraus  unb  in  Schlaf.  (Dit 
natürliche  Dinge  wars  3ugegangen;  benl^  fich 
einer  bie  verfchiebenen  (Dotionen,  bene  ich  vom 
frühen  (Dorgen  an  ausgefeilt  gewefen  war;  es 
war  ja  alles  wie  ein  Traum.  Wars  ba  ein 
Wunber,  ba^  ichs  am  €nb  für  ein  Traum  hielt 
unb  ruhig  weiter  fchlief?  -  Unb  bie  Hacht» 
bämmerung  -  unb  ich  fafe  ja  ^a  für  gar  keine 
weitere  Öefchäfte,  als  blofe  Betrachtung  an3ufteUe, 


ta 


57 


was  bocb  öie  Parse  vor  eigenfinnige  Begeben» 
beiten  einem  in  öen  Cebensfaben  einspinne.  Ho! 
Rls  icb  mit  einem  öcbreche  öurcb  alle  Cingeweiöe 
aufwacb,  bat  ficb  öie  Ssen  veränbert;  öas  6e= 
büfcb  wirft  keinen  öcbatten  mebr  auf  öen  leeren 
pia^,  weil  alles  ^ageslicbt  gewieben  war.  Der 
TIrompetenftofe,  ber  micb  von  meinem  tiefe  Scblaf 
auferwecht  batte,  war  aus  öem  Tansfaal  erfcballt, 
wo  belle  kacheln  brenne,  wo  bie  ganse  ßof= 
nympbefcbar  in  einem  fcbwebenöe  ^an3  mit  bene 
beralöifdDe  Cavaliere  berumbüppe ;  aus  Öen  unter» 
irbifcbe  Rellerbälf  dampft  ein  höftlicber  öpeife» 
gerucb;  in  Öenen  fiebt  man  bie  ßerrn  l^öcbe  mit 
weifeen  3ipfelmü^en  munter  unb  allert  fett  in  bas 
feuer  werfe,  bafe  es  bell  aufflackert;  bie  Cbam» 
pagnerflafcbe  bort  man  im  piotonfeuer  losknalle 
unb  bie  Srau  Hat,  bie  3U  biefem  Göttermabl 
feierlicbft  eingebolt  waren  mit  vier  weifee  Scbimmel, 
bie  fi^en  unter  einem  Vogelkirfcbbäumcbe,  welcbe 
frucbt  man  bekanntlicb  nicbt  effe  kann,  unb 
fpüren  ßunger. 

Die  Hacbt  war  eingebrochen,  unb  icb,  un= 
bekannt  mit  ber  ßofetikett,  unb  bocb  mit  einem 
öcbicklicbkeitsgefübl,  was  vielleicbt  grab  aus 
graber,  berslicber  flufricbtigkeit  ben  entgegen» 
gefet5te  Weg  bätt  eingejcblagen  von  bem,  was 
ftatuiert  war,  icb  ftanb  in  ber  l^lemm,  wie  icb 
micb  3u  verbalten  bätt,  aber  icb  würbe  jebr  halb 
berausgeriffen.  Die  gute  frau  f^önigin  bat  mido 
in  all  bem  Trubel  nicbt  vergeffen.  Wie  fie  ibren 
erften  ran3  ausgemacht  bat,  ^a  jiebt  fie  ficb  um 
nach  mir;  unb  wie  fie  micb  nicbt  finben  kann,  ba 


58 


gibt  fie  gleich  Oröer.  Das  honnt  icb  burcb  bie 
§enyterfcbeiben  bemerl^en;  -  haum  hatte  fie  nach 
mir  gefragt,  öa  laufen  Me  l^ammerherren ,  öie 
Cal^aien  burch  öen  gan3en  6aal  im  [Kringel  herum, 
um  mich  3U  finben.  Rber,  bacht  ich,  fucht  ihr 
nur.  -  Wie  fie  mich  nicht  finben  können,  l>a  fällt 
ihnen  boch  ein,  M\s  ich  vielleicht  hönnt  im  Garten 
geblieben  fein.  Hun  kommen  fie  heraus  unb  ver* 
teilen  fich  in  alle  Regionen;  ich  brück  mich  bicbt 
bei  ber  Cur  an  bie  Wanb,  benn  im  Garten  wollt 
ich  mich  nicht  finben  laffen,  ^a  hätt  ich  mich  3U 
fehr  gejchämt.  Hun  bacht  ich,  je^t  ift  ber  wichtige 
(Doment,  ^a  mufe  ich  einen  energischen  Streich 
machen  unb  mich  auf  gut  Glück  wieber  ins  (Deer 
ftür3en,  unter  bie  ßofwogen,  unb  mich  ba  um  bie 
Wett  mit  benen  aufbauschen.  Wie  alfo  ein  ßof* 
lakai  wie  ein  Schüfe  Pulver  von  ber  Züv  abbli^t 
in  ben  Garten  hinaus,  um  mich  im  Gebüfch  3U 
fuchen,  \o  fahr  ich  an  bem  blinbe  ßans  vorbei, 
grab  in  ben  Saal  herein,  wo  mir  glücklicherweif 
alle  Ceut  ben  Rücken  brehten.  -  Rchü  -  Gott 
fei  Dank!!  -  Denn  bas  ßer3klopfen,  was  ich 
nach  überftanbner  Rataftropbe  empfanb  -  nun, 
wer  fich  bas  benken  kann?  -  bis  ich  mich  fo 
allmählich  wieber  beruhigte.  -  Denk  fich  einer, 
wenn  bie  Winbbeutel,  bie  Rammerherren  unb 
J^ammerbiener,  ba  bie  S'rau  Rat  unter  bem  VogeU 
kirfchbäumchen  gefunben  hätten  unb  hätten  mit 
ihre  Winblichter  mir  unter  mein  fchlafenb  Bn= 
geficht  geleucht.  Hein,  ich  frag  alle  gute  f reunb, 
ob  einer  fich  bas  gewünfcht  hätt?  -  Rntwort: 
Hein!  -  Rber  was  man  fich  nicht  wünfcht,  bas 


59 


foll  man  anbern  nicbt  gönnen.  leb  auch  bab  mirs 
nicbt  gewünfcbt  unö  bätts  meinem  feinö  nicbt 
gegönnt. 

Wie  icb  micb  etwas  erleicbtert  füblte,  fo  rüchte 
icb  allmäblicb  binter  ben  vielen  Ceuten  bervor, 
bie  an  ber  Or  ftanben,  unb  h?am  fo  gan3  nab 
an  bie  Sxau  F^önigin  heran;  bie  winhte  mir.  Unb 
nun  i^ommen  bie  l^ammerjöger  von  ibrer  jagb 
burcbs  Bufcbv^erb?  3urück  unb  wollen  eben  mein 
Verfcbwinben  melben,  ba  febn  jie  3U  ibrer  Ver= 
v^unbrung,  wie  icb  eben  mit  benen  Prin3en  von 
6otba,  nocb  ein  paar  gan3  jungen  Bürfcbercber, 
Bel^anntfcbaft  macb.  Die  er3äblen  von  meinem 
6obn,  weil  fie  ibn  febr  gut  l^enne  vom  Weimarer 
ßof,  unb  icb  er3äbl  aucb  mein  Beftes,  unb  bas 
war  eine  gan3  vergnügte  balbe  Stunb,  wo  icb 
micb  gan3  mit  meinem  Scbichfal  wieber  ausföbnte. 
Rucb  batte  [xdb  meine  Verlegenheit  nacb  unb  nacb 
befcbwicJDtigt  über  meine  Toilette,  benn  icb  batte 
mir  gleich  vorgenommen  gehabt,  nur  in  keinen 
von  benen  großen  bell  erleuchtete  Wanbfpiegel 
3U  guchen;  bas  war  gar  nicbt  jo  leicht.  -  Dafe, 
wenn  allenfalls  was  an  mir  in  Unorbnung  ge= 
raten  war,  ^a^  ich  nicht  auch  nocb  ben  Schrech 
auf  mein  geprefet  ßer3  laben  müfet,  weil  aber 
bie  Cent  all  gan3  vernünftig  mich  anfehn  unb 
heiner  eine  3um  Cachen  gestimmte  (Diene  macht, 
ba  wag  ich's  unb  tu  einen  öeitenblich  unb  finbe 
mich  nicht  nur  gan3  menfdDlicb,  fonbern  ich  gefalle 
mir  auch  febr  wohl  mit  meinem  Uurafchierten  Bug, 
bas  ba  thront  über  alle  verkehrte  €ingebilbbeiten, 
mit   bem   fie   mich   runb   umher   3U   überfchauen 


60 


meinten.  leb  jcbaute  auf  fie  wieber  berab,  wie 
ein  Wetterbacb,  bas  fie  in  6cbut3  genommen  bat 
gegen  öen  erfrifcbenöen  Regen  unö  öen  hüblenöen 
Winb,  bem  fie  ficb  aus3ufet5en  Bebenden  tragen. 
Un5  jo  liefe  icb  fie  micb  umirren  mit  ihren  nichts^ 
fagenöe  Bliche,  als  blofe  wie  öürres  Caub,  was 
im  Winö  öabinfliegt. 

Die  gute  Srau  l^önigin  \ab  mirs  an,  bafe  es 
3eit  war,  micb  3U  entlaffen;  fie  nabm  ba  mein 
Dank  recbt  freunblicb  auf  unb  erinnert  micb  an 
bie  3eiten,  wo  fie  in  meinem  f5aus  unter  meinem 
9cbut3  gewobnt  batte  unb  taufenb  luftige  SpieU 
ftunben  in  meinem  l5of  ficb  gemacbt.  - 

Da  icb  nun  entlaffen  war,  fo  ham  gleicb  wieber 
fo  ein  bienenber  öeift  von  morgens  früb  unb 
fragt  micb,  ob  icb  vielleicht  ben  Wagen  beftellen 
wollt  laffen?  -  „Hicbts  lieber  wie  bas,"  fag  icb, 
„befter  S'reunb,  verbienen  Sie  ficb  einen  Cobn  im 
ßimmel,  unb  helfen  6ie  mir  über  bie  höniglicb 
Schwell  hinüber  in  mein  bürgerlich  Dafein."  Wie 
ich  nun  wieber  im  Wagen  fafe,  wer  war  froher 
wie  ich?  -  Ich  hatte  vor  allen  überrafchenben 
Verlegenheiten  unb  Sorgen  gar  nicht  können  an 
meine  golbne  f^ett  benhen;  jet3t  beguch  ich  fie 
mir  im  (Donbfchein ,  unb  fie  machte  mir  boch 
grofees  piöfier. 

Denn  alle  Bus3eicbnungen ,  bie  mir  werben, 
bas  weife  ich,  bie  bab  ich  boch  meinem  Sohn  3U 
banhen,  unb  wie  foll  bas  eine  (Dutter  nicht 
freuen?  - 


61 


frankfurter  Bürgertum  ift  ber  beft 
R  b  e  l ,  öer  ficb  bis  jet5t  noch  in  alle  3eiten  Refpeht 
erworben  bat.  Welcber  Staat  kann  ficb  öes 
rübmen?  Hun,  icb  kann  Cucb  fagen,  als  icb  in 
öer  Hacbt  vors  Cor  harn,  fo  freut  icb  micb  über 
bie  (Dafeen:  „5ie  müfjen  öie  Sperr  be3ablen!" 
„I^öniglicb  Cquipage!"  ruft  ber  Cahai  vom  Boch 
herunter;  Scbilöwacb  ruft:  „ßeraus!"  -  „€iwas!" 
fag  icb,  „freilieb  will  icb  bie  Sperr  be3ablen. 
Stechen  Sie  Ibnen  Ibr  Seitengewehr  ein,  föerr 
Ceutnant,  icb  bins  nur  unö  fonft  niemand!"  - 
„ei,  um  fo  beffer,  vor  Ibnen  präventiere  mer  bas 
Gewehr  mit  Vergnüge."  -  Hun,  als  wir  öurcb 
ben  Orl^us  burcbgerumpelt  waren  unb  enölicb  vor 
meinem  ßaus  ftillhalten,  fo  h?ommt  mir  ein  gan3er 
Trupp  von  Bafen  unb  Vettern  entgegengeftür3t.  - 
leb  fag:  „€i,  was  wollt  ihr  bann?  -  €s  ift  nacht» 
fcblafenbe  3eit!"  -  „Reh,  Gott  feis  gebanht,  ^>a^ 
wir  Sie  wieber  vor  unfern  Bugen  fehen,  lieb 
f  rau  Rat ;  wir  hatten  gebacht,  Sie  wären  arretiert ! 
Die  Jungfer  Ciescben  bat  uns  in  grofee  Rngfte 
3ujammengetrummelt.  €s  war  eine  Orber  hommen 
von  Ihre  {königliche  (Dajejtät  von  Preufeen,  grab 
wie  Sie  hätten  wollen  ins  f^irfcbenwälbcben  fahren 
mit  ber  frau  Bethmann;  unb  l^aum  ^a\^  Sie  ficb 
hätten  was  an3iehen  können,  fo  wären  Sie  mit 
€shorte  von  brei  (Dann  in  einem  3uenen  Wagen 
mit  vier  pferb  forttransportiert  worben.  Unb  fo 
fit3en  wir  hier  fchon  brei  Stunb  unb  wiffen  nicht, 
was  wir  follen  anfangen,  unb  eben  wollten  wirs 
bem  ßerrn  Bürgermeifter  melben,  unb  wir  wären 
Ibnen   nachgeeilt.     Rber   bie  Jungfer   hatte  ben 


62 


Ort  vergeffen,  wo  6ie  waren  bintransportiert 
worden." 

„nun,  um  Gottes  willen!  Was  finb  bas  vor 
Sacben!  -  Das  Rät|el  will  ich  Cucb  morgen  löfen; 
beunt  will  icb  Cucb  nur  eins  jagen,  Öafe  bie  Jungfer 
Ciescben  eine  ßablgans  ift.  Unö  icb  feb  wobl  ein 
jet3t,  bafe  ibr  bie  ßaub  beunt  morgen  nicbt  ver* 
hebrt  auf  Öem  Ropf  gefeffen  bat,  bafe  ibr  aber 
ber  Ropf  verkebrt  unter  öer  P5aub  fi^t,  bavor 
will  icb  Cucb  ftebn.  Icb  bebanl^  micb  übrigens 
vor  öie  Teilnabme;  unb  wenn  6ie  einmal  arretiert 
werbe  follten ,  fo  werb  icb  aucb  mein  Bestes  tun, 
6ie  wieber  ein3ubolen.  Übrigens,  wer  meine 
grofee  Rbenteuer  genauer  will  erfabren,  ber 
mufe  morgen  hommen;  beunt  finb  bie  Tore  ge= 
fperrt."  - 

nun,  wie  icb  bie  gute  nacbbarn  los  war  - 
fo  macb  icb  ber  Ciescben  erft  Vorwurf,  wie  fie 
fo  bumm  hönnt  fein  unb  mir  bie  Ceut  über  ben 
P5als  trummelt. 

nun  nebm  icb  meine  öternblumenbaub  vom 
f^opf  berunter  unb  ftülp  fie  über  bie  Bouteille. 
Die  bat  beunt  was  mit  mir  erlebt!  leb  eröffne 
meine  €nveloppe;  bie  Ciescben  erftarrt  von  ber 
golbnen  Rett!  -  Sie  macbt  mir  Vorwurf,  ba^ 
icb  nicbt  gleicb  bab  vor  ben  nacbbarn,  bie  um 
meine  Rbwefenbeit  waren  in  Sorgen  gewejen, 
meinen  (Dantel  aufgemacbt.  „Unb,"  fagt  fie,  „bas 
war  einmal  nicbts,  ^a^  bie  Svau  V<a\  nicbt  gleicb 
es  gefagt  baben,  unb  morgen  bei  Zag  wirb  bas 
lang  fo  kein  Cffekt  macben."  -  „nun!"  fag  icb, 
„es  ift  nun  emal  gefcbeben,  nun  wollen  wir  uns 


ez9 


63 


ins  Tleglige  werfen  unb  ins  Bett  legen  unö  von 
öenen  viele  Strapa3en  uns  ausruhen!"  - 

nun  hommts  enÖUcb  fo  weit,  bafe  icb  im  Bett 
liege.  Die  frau  Betbmann  haben  einen  Rorb 
mit  ben  fcbönften  f^irfcbe  mitgebracht  aus  t)em 
Rirfchenwälbchen ,  unb  wenn  mirs  recht  war,  fo 
wollte  fie  mir  3ulieb  morgen  noch  einmal  mit 
mir  hinfahren.  €i,  freilich  ijt  mir  öas  recht! 
]et5t  ftell  5ie  mir  öie  treffliche  ßersNirfchen  an 
mein  Bett  unb  bie  Wafferflafche  babei,  fo  werb 
ich  wie  eine  Prinsefe  mirs  wohl  fein  laffen  unb 
bie  gan3e  Hacht  f^irfchen  freffen.  - 

Rber  bie  Cieschen  bat  heine  Ruh,  fie  perfua- 
biert  mir  noch  über  bie  weife  tlachtjach  bie  golbne 
f^ett  um  ben  ßals  -  unb  nun  bewunbert  fie  unb 
bebauert,  "öa^  es  bie  tlachbarn  von  rechts  unb 
linl^s  unb  gegenüber  nicht  gefebn  haben!  „Hun!" 
fag  ich,  „fchweig  6ie  mit  ihrem  Camento,  es  ift 
emal  vorbei;  hätt  ich  ehnber  bran  gebacht,  fo 
hätt  ichs  freilich  ihne  3eigen  l^önnen;  es  würbe 
fie  im  erften  Rugenblich,  wo  fie  noch  ben  öchrech 
in  alle  ßlieber  hatten  über  meine  bewufete 
Rrretierung,  noch  mehr  gefreut  unb  überrafcht 
haben!"  -  „Reh!"  ruft  bie  Cieschen,  „bie  hob  ich 
gleich  wieber  beifammen,  es  ift  ja  nit  weit  hin!" 
Unb  eh  ich  ihr  auf  ihre  Dummheit  f^ontraorber 
geben  hann,  Klappt  fie  mit  ihre  Pantoffel  bie 
trepp  hinunter.  Ich  hör  bie  ßaustür  gehen,  ich 
lieg  i>a  in  ber  Hachtjach  im  Bett  mit  meiner 
golbne  f^ett,  mit  meine  f^irfchen.  Ich  benh?,  was 
foU  bas  werben;  alle  Cent  liegen  um  ein  Uhr  in 
ber  Dacht    im  tiefften  Schlaf;   feit  wieviel  Jahr 


64 


bat  ein  gefunber  frankfurter  bie  Stern  am  löimmel 
um  bie[e  3eit  nicht  gefebn:  unb  nun  poltert  mir 
bie  Ciescben  bie  COenfcben  3ufammen!  -  ]a, 
richtig,  ba  kommen  fie  fcbon  mit  angepoltert!  - 
nun,  morgen  wirb  bie  gan3e  ötabt  fagen,  ich  war 
nicht  recht  gescheit.  -  ]et3t,  ber  erjte  Gefeil,  ber 
bie  Tür  aufmacht,  fein  ber  ßerr  Dr.  Cebr.  „€i, 
um  öottes  Wille,  wie  kommen  Sie  baber?"  - 
„ei,  wie  ich  eben  in  Wagen  fteigen  will  bei  ber 
§rau  Schahet,  bie  eben  mit  einem  kleinen  Sohn 
niebergekommen  finb,  ba  kommt  Ihr  ßausjungfer 
Ciescben  ßals  über  Ropf  baber  gerennt,  unb  im 
Vorbeirenne  fragt  fie,  ob  ich  nicht  wollt  bie  fchöne 
Rett  feben,  bie  Ibne  ber  f^önig  von  preufeen  mit 
eigne  ßänbe  bat  um  ben  ßals  gehängt!"  -  Ci, 
bie  Ciescben  ijt  ja  imftanb  unb  rebet  bie  gan3e 
Stabt  auf,  um  bie  Rett  3U  jehn;  unb  morgen 
werben  bie  Ceut  fagen,  ich  war  nicht  recht  ge= 
fcheit !  -  nun,  weil  ber  Doktor  Cebr  in  Bewunbrung 
über  meine  f^ette  baftebn,  fo  kommen  bie  anbern 
nachgepoltert,  bie  all  von  ber  Ciescben  unb  ihrer 
Deugierb  wieber  aus  bene  Betten  getrummelt 
waren,  unb  ich  batt  nicht  weniger  wie  3ebn 
Perfonen  im  3immer  unb  ein  fürchterlich  6e= 
fchnatter !  Ich  fagt  aber  nichts  unb  liefe  fie  gucken 
unb  ßloffen  machen  unb  afe  ruhig  meine  l^irfchen 
auf;  unb  mit  ber  le^ite  Rirfch  ha  fagt  ber  Doktor 
Cebr:  „Dun  werb  ich  meine  Rinbbetterin,  noch 
eh  ich  nach  ßaus  fahr,  befuchen,  unb  werb  von 
ber  golberne  Rett  noch  er3äblen!"  -  „O,"  fag 
ich,  „fchicke  Sie  mir  nicht  auch  noch  bie  Stabt= 
bebamm   übern   ßals!"   -  Jetjt,  kaum  war  ber 


65 


Dohtor  Cebr  fort,  fo  empfehle  ficb  auch  bie 
Dacbbarsleut  unb  bebanKe  ficb,  unb  ich  macb 
meine  entfcbulbigungen ,  Z>a^  bie  Cieecben  ohne 
mein  Wille  fie  bat  wieber  aus  ben  Betten  gebolt. 
6ie  gaben  aber  bem  Ciescben  gan3  recht!  -  Hun, 
wie  fie  ber  Tür  braufe  waren  unb  ich  hör  bie 
ßaustür  gehn,  war  ich  froh,  t>a^  ich  enblich  bei 
mir  allein  war.  Rber  ^a  l^niftert  was  an  ber 
Zuxl  -  (Dein  öcbrechen!  Ich  benl^,  bas  ift  am 
Cnb  heimlich  ein  öpi^bub  bereingefchlichen ;  ich 
fchrei  um  ßilf.  Ich  will  eben  ans  f enfter  fpringen 
unb  bie  Hachbarsleut  wieber  herbeirufen,  bie 
noch  nicht  weit  fein  hönne,  ba  ich  bie  Bbfä^  von 
ihre  Schuh  beutlich  in  ber  fern  wiberhallen  hör 
auf  bem  6trafeenpflafter.  Rber  ba  hommt  ja  wahr^^ 
haftig  bie  frau  Rhleber  herein,  bie  ötabthebamm, 
unb  fagt,  ber  ßerr  DoWor  Cebr  hätts  ihr  gefagt, 
ich  hätts  erlaubt,  ba\s  fie  noch  bürft  komme  unb 
bie  golbern  f^ett  fehn!  - 

„Ja,"  fag  ich,  „frau  Rhleber,  fehe  Sie  nach 
Gefallen,  aber  ich  bitt  Sie  um  Gottes  willen,  fagen 
Sies  beut  niemanb  wieber,  bamit  ich  boch  noch 
einen  Teil  von  ber  Harbtrub  geniefeen  kann!  - 
nun,  bie  war  auch  bie  let3t  Dachtvifit,  aber  acht 
Zag  hintereinanber  ftrömte  alle  Ceut  3U  mir, 
unb  ich  mufete  viele  alte  Behanntfchafte  erneuern 
unb  viel  neue  machen  wegen  ber  l^ett  unb  mufet 
meine  Gefchicht  von  alle  Seite  ersäble,  wo  ich 
bann  unenblich  viel  Variation  babei  angebracht 
hab  unb  hob  benen  befuchenbe  neugierigen 
einem  jeben  noch  apart  mit  eingeflochten,  was 
ich  meint,  ha^  ihm  not  war  3U  bebenden.  Den 
SritJcb'Strobl.  5 


66 


erften  Zag  war  ich  öurcbgewijcbt  ins  f^ir^cben* 
wälbcben,  öq  finb  fie  mir  ja  oll  nacbhommen  3u 
fufe  unb  3U  Wagen,  unb  Öas  ganse  f^irfcben= 
wälöcben  war  gestopft  voll  3ubörer;  unb  öie 
Gaffenbuben  baben  Spalier  gemacbt  um  micb 
herum,  unö  icb  mufet  eine  Pracbter3äblung  macben, 
unb  icb  wärs  beinab  fatt  geworben ;  icb  war  frob, 
wie  ficb  Öer  erft  Sturm  gelegt  batte.  Hun,  beunt 
bab  icb  wieber  einmal  bie  alt  öefcbicbte  mit  be» 
jonberm  piöfier  aufgewärmt,  unb  ich  boffe,  bofe 
jie  Cucb  wirb  eingeleuchtet  baben. 


o!     lo  O  oCHo  O  Ol     lo 


oetbes  (Dutter  unb  l^arl  VII.  ^^ 


Jbr  Öeöäcbtnis*)  war  nicbt  allein  merl^würöig, 
es  war  febr  berrlicb.  Der  €inbruch  mächtiger 
Gefüble  entwickelte  ficb  in  feiner  vollen  Oewalt 
bei  ibren  €rinnerungen,  unb  bier  will  ich  Dir  bie 
Gefcbicbte,  bie  icb  Dir  fcbon  in  (Düneben  mitteilen 
wollte,  unb  bie  fo  wunberbar  mit  ibrem  ^obe  3U= 
fammenbing,  als  Beispiel  ibres  grofeen  f5er3ens 
binfcbreiben ,  fo  einfacb,  wie  fie  mir  es  felbft  er:= 
3äblt  bat.  €b  icb  ins  Rbeingau  reifte,  Kam  icb, 
um  Rbfcbieb  3U  nebmen.  6ie  fagte,  inbem  ficb 
ein  Poftborn  auf  ber  Strafee  boren  liefe,  ba^  ibr 
biefer  Zon  immer  noch  bas  f5er3  burcbfcbneibe, 
wie  in  ibrem  fiebsebnten  Jabre.  Damals  war 
f^arl  VII.,  mit  bem  3unamen  ber  Unglüchlicbe,  in 
Frankfurt;  alles  war  voll  Begeifterung  über  feine 
grofee  öcbönbeit.  Rm  Rarfreitag  fab  fie  ibn  im 
langen,  fcbwar3en  OT/ontel  3U  fufe  mit  vielen 
ßerren  unb  fcbwar3gekleibeten  Pagen  bie  l^ircben 
befucben.  ßimmel,  was  batte  ber  (Dann  für 
Rügen!  Wie  melancbolifcb  blichte  er  unter  ben 
gefenUten  Rugenwimpern  bervor!  -  leb  verliefe 
ibn  nicbt,  folgte  ihm  in  alle  f^ircben.  Überall 
hniete  er  auf  ber  legten  Bank  unter  ben  Bettlern 


-□□□ : □ 


•)  Von  Goethes  ODutter. 


68 


unb  legte  fein  ßaupt  eine  Weile  in  bie  ßänöe. 
Wenn  er  wieber  empor  fab,  war  mir's  allemal 
wie  ein  Donnerschlag  in  öer  Bruft.  Da  icb  nach 
ßaufe  ham,  fanö  icb  micb  nicbt  mebr  in  öie  alte 
Cebensweife;  es  war,  als  ob  Bett,  6tubl  unb 
Ofcb  nicht  mebr  an  öem  gewohnten  Orte  ftänöen. 
€s  war  Dacht  geworben,  man  brachte  Cicht  berein ; 
ich  ging  ans  f  enfter  unb  fab  hinaus  auf  bie  bunl^eln 
Strafen.  Unb  wie  ich  bie  in  ber  6tube  von  bem 
l^aifer  fprecben  hörte,  l>a  3itterte  ich  wie  Cfpen* 
laub;  am  Rbenb,  in  meiner  l^ammer,  legt  ich  mich 
vor  meinem  Bett  auf  bie  f^nie  unb  hielt  meinen 
f^opf  in  ben  ßänben  wie  er.  Unb  es  war  nicht 
anbers,  wie  wenn  ein  grofees  Tor  in  meiner  Bruft 
geöffnet  war.  (Deine  öchwefter,  bie  ihn  en= 
thufiaftifcb  pries,  fuchte  jebe  Gelegenheit,  ihn  3U 
fehen;  ich  ging  mit,  ohne  ^q\s  einer  ahnte,  wie 
tief  es  mir  3U  ßer3en  gebe.  €inmal,  ^a  ber  l^aifer 
vorüberfuhr,  fprang  fie  auf  einen  prellftein  am 
Wege  unb  rief  ihm  ein  lautes  Vivat  3U ;  er  fab  heraus 
unb  winkte  freunblich  mit  bem  Schnupftuch.  Sie 
prahlte  fich  febr,  ^a^  ber  f^aifer  ihr  fo  freunblich 
gewinkt  habe;  ich  war  aber  heimlich  über3eugt, 
^a^  ber  Grufe  mir  gegolten  habe,  benn  im  Vorüber^ 
fahren  fab  er  noch  einmal  rückwärts  nach  mir. 
ja,  beinah  jeben  Cag,  wo  ich  Gelegenheit  hatte, 
ihn  3U  fehen,  ereignete  fich  etwas,  was  ich  mir 
als  ein  3eichen  feiner  Gunft  auslegen  konnte. 
Unb  am  Rbenb  in  meiner  Schlaf kammer  kniete 
ich  allemal  vor  meinem  Bett  unb  hielt  ben  f^opf 
in  meinen  ßänben,  wie  ich  von  ihm  am  f^arfreitag 
in  ber  F^ircbe  gefeben  hatte;  unb  bann  überlegte 


69 


ich,  was  mir  alles  mit  ihm  begegnet  war.  Unb 
\o  baute  ficb  ein  geheimes  Ciebeseinverftänönis 
in  meinem  föersen  auf,  von  bem  mir  unmöglich 
war  3U  glauben,  bafe  er  nichts  bavon  ahnte;  ich 
glaubte  gewife,  er  habe  meine  Wohnung  erforfcht, 
ba  er  je^t  öfter  burch  unjre  (5Q]\e  fuhr  wie  fonft 
unb  allemal  heraufjah  nach  ^en  §enftern  unb 
mich  grüfete.  O,  wie  war  ich  ben  vollen  Zag  fo 
feiig,  wo  er  mir  am  (Dorgen  einen  Grufe  gefpenbet 
hatte;  ba  hann  ich  wohl  fagen,  ^a^  ich  weinte 
vor  Cuft.  -  Wie  er  einmal  offene  "Cafel  hielt, 
brängte  ich  mich  burch  bie  Wachen  unb  kam  in 
ben  6aal,  ftatt  auf  bie  Gallerie.  £s  würbe  in  bie 
Trompeten  geftofeen;  bei  bem  britten  5tofee  er* 
fehlen  er  in  einem  roten  Samtmantel,  ben  ihm 
3wei  f^ammerherren  abnahmen;  er  ging  langfam 
mit  etwas  gebeugtem  ßaupt.  Ich  war  ihm  gan3 
nahe  unb  bachte  an  nichts,  ^a^  ich  auf  bem  un= 
rechten  pia^  wäre.  Ruf  feine  Gefunbheit  würbe 
von  allen  anwefenben  grofeen  f5errn  getrunken, 
unb  bie  Trompeten  fchmetterten  barein ;  ba  jauch3te 
ich  laut  mit.  Der  l^aifer  fah  mich  an;  er  nahm 
ben  Becher,  um  Befcheib  3U  tun  unb  nichte  mir. 
]a,  ba  l^am  mir's  vor,  als  hätte  er  ben  Becher 
mir  bringen  wollen;  unb  ich  mufe  noch  heute  baran 
glauben.  €s  würbe  mir  3U  viel  l^often,  wenn  ich 
biefen  Gebanhen,  bem  ich  fo  viel  Glüchstränen 
geweint  habe,  aufgeben  müfete;  warum  follte  er 
auch  nicht;  er  mufete  jawohlbiegrofeeBegeifterung 
in  meinen  Rügen  lefen.  Damals  im  5aal  bei 
bem  Gefchmetter  ber  Pauken  unb  Trompeten,  bie 
ben  Trunk,  womit  er  ben  fürften  Befcheib  tat, 


70 


begleiteten,  warö  icb  gan3  elenb  unb  betäubt,  fo 
febr  nabm  icb  mir  öiefe  eingebilöete  ebre  3U 
ßer3en.  (Deine  öcbwefter  batte  (Dübe,  micb 
binaus3ubringen  an  öie  frifcbe  Cuft;  [\e  fcbmälte 
mit  mir,  öafe  fie  wegen  meiner  bes  Vergnügens 
verluftig  war,  öen  f^aifer  fpeifen  3U  feben.  5ie 
wollte  aucb,  nacböem  id)  am  Röbrbrunnen  Waffer 
getrunken,  verfucben,  wieöer  binein3ul^ommen, 
aber  eine  gebeime  Stimme  fagte  mir,  öafe  icb  an 
bem,  was  mir  beute  befcbert  geworben,  mir  folle 
genügen  laffen,  unb  ging  nicbt  wieber  mit.  Hein, 
icb  fucbte  meine  einfame  6cblafl^ammer  auf  unb 
fet3te  micb  auf  ben  Stubl  am  Bett  unb  weinte 
bem  l^aifer  fcbmer3licb4üfee  Tränen  ber  beifeeften 
Ciebe;  am  anbern  Hage  reifte  er  ab.  Icb  lag  früb* 
morgens  um  vier  Ubr  in  meinem  Bett.  Der  Zag 
fing  eben  an  3U  grauen;  es  war  am  17.  flpril. 
Da  borte  icb  fünf  poftbörner  blafen,  bas  war  er ; 
icb  fprang  aus  bem  Bett.  Vor  übergroßer  Cile 
fiel  icb  in  ber  (Ditte  ber  Stube  unb  tat  mir  web ; 
icb  acbtete  es  nicbt  unb  fprang  ans  §enfter.  In 
bem  Rugenblich  fubr  ber  f^aifer  vorbei;  er  fab 
fcbon  nacb  meinem  fenfter,  nocb  eb  icb  es  auf= 
geriffen  batte;  er  warf  mir  Rufebänbe  3U  unb 
winkte  mir  mit  bem  Scbnupftucb,  bis  er  bie  Gaffe 
binaus  war.  Von  ber  3eit  an  bab  icb  kein 
Poftborn  blafen  boren,  obne  biefes  Rbfcbiebes  3U 
gebenden,  unb  bis  auf  ben  beutigen  Zag,  wo  icb 
ben  Cebensftrom  feiner  gan3en  Cänge  nacb  burcb* 
fcbifft  babe  unb  eben  im  Begriff  3U  lanben,  greift 
micb  fein  weitfcballenber  Ton  nocb  fcbmer3licb  an, 
unb   wo  fo  vieles,   worauf  bie  (Denfcben  Wert 


71 


legen,  runö  um  micb  versunken  ift,  ohne  öafe  icb 
Rummer  barum  habe.  Soll  man  5a  nicbt  wunber» 
liebe  Ölojfen  macben,  wenn  man  erleben  mufe,  bafe 
eine  Ceibenfcbaft ,  bie  gleicb  im  €ntfteben  eine 
Cbimäre  war,  alles  Wirhlicbe  überöauert  unb  ficb 
in  einem  ßersen  behauptet,  bem  längft  folcbe  Rn* 
fprücbe  als  Harrbeit  verpönt  finb.  Icb  bab  auch 
nie  Cuft  gehabt,  bavon  3U  Sprechen;  es  ift  heute 
bas  erftemal.  Bei  bem  §all,  ^en  icb  bamals  vor 
übergroßer  €ile  tat,  hatte  icb  mir  bas  Rnie  ver= 
wunbet;  an  einem  grofeen  Brettnagel,  ber  etwas 
hoch  aus  ben  Dielen  hervorftanb,  hatte  icb  mir 
eine  tiefe  Wunbe  über  bem  rechten  l^nie  ge* 
fcblagen.  Der  fcbarfgefcblagene  f^opf  bes  Hagels 
bilbete  bie  Harbe  als  einen  fehr  feinen,  regeU 
mäßigen  6tern,  ^en  icb  oft  barauf  anfah  währenb 
ben  vier  Wochen,  in  benen  halb  barauf  ber  tlob 
bes  l^aifers  mit  allen  Glochen  jeben  nachmittag 
eine  gan3e  9tunbe  eingeläutet  würbe.  Reh,  was 
bab  ich  ba  für  fcbmerslicbe  ötunben  gehabt,  wenn 
ber  Dom  anfing  3U  läuten  mit  ber  großen  ßloche, 
unb  es  l^amen  erft  fo  einselne  mächtige  Schläge, 
als  wanke  er  trostlos  hin  unb  her,  nach  unb  nach 
hlang  bas  Geläut  ber  kleineren  Glochen  unb  ber 
ferneren  l^ircben  mit.  Cs  war,  als  ob  alle  über 
ben  Crauerfall  feufsten  unb  weinten,  unb  bie  Cuft 
war  fo  fcbauerlich,  unb  es  war  gleich  bei  5onnen= 
Untergang,  ba  hörte  es  wieber  auf  3U  läuten; 
eine  Gloche  nach  ber  anbern  jchwieg,  bis  ber 
Dom,  fo  wie  er  angefangen  hatte  3U  klagen,  auch 
bie  onerierten  Cöne  in  bie  Dachtbämmerung 
feuf3te.     Damals   war   bie  Harbe  über   meinem 


72 


ea 


Rnie  noch  gan3  frifcb;  icb   beiracbtete  jie  jeöen 
Zag  unö  erinnerte  mich  babei  an  alles. 

Deine  (Dutter  3eigte  mir  ihr  f^nie,  über  öem 
bas  (Dal  in  §orm  eines  febr  öeutlicben,  regeU 
mäßigen  Sternes  ausgebildet  war.  6ie  reicbte 
mir  öie  f5anö  3um  Rbfcbieö  unb  jagte  mir  nocb 
in  ber  üür,  [\e  babe  niemals  hiervon  mit  jemanö 
gefprocben  als  nur  mit  mir.  Wie  icb  haum  im 
Bbeingau  war,  fcbrieb  icb  mir  aus  öer  Crinnerung 
\o  viel  wie  möglieb  mit  ihren  eigenen  Worten  alles 
auf,  benn  icb  öacbte  gleich,  bafe  Dich  bies  gewife 
einmal  intereffieren  müfje.  Tlun  hat  aber  ber 
(Dutter  ^ob  biefer  l^inblicben  Ciebesgefcbichte, 
von  ber  ich  mir  benhen  Uann,  t>a^  fie  kein  ebles 
männliches  f5er3,  viel  weniger  ben  l^aijer  un= 
gerührt  gelaufen  haben  würbe,  eine  herrliche  f^rone 
aufgefet5t  unb  fie  3U  etwas  vollenbet  Schönem 
gestempelt.  -  Im  September  würbe  mir  ins  Rhein» 
gau  geschrieben,  bie  (Dutter  fei  nicht  wohl;  icb 
beeilte  meine  Rüchkehr;  mein  erfter  Gang  war  3U 
ihr.  Der  Rr3t  war  gerabe  bei  ihr;  fie  fah  fehr 
ernft  aus;  als  er  weg  war,  reicbte  fie  mir  löchelnb 
bas  Be3ept  hin  unb  fagte:  „Da  lies,  welche  Vor= 
bebeutung  mag  bas  haben,  ein  Umfchlag  von 
Wein,  (Dyrrhen,  Öl  unb  Corbeerblöttern,  um  mein 
l^nie  3U  ftärl^en,  bas  micjj  feit  biefem  Sommer 
anfing  3u  fchmer3en;  unb  enblich  hat  fich  Waffer 
unter  ber  Darbe  gefammelt.  Du  wirft  aber  fehen, 
es  wirb  nichts  helfen  mit  biefen  haiferlidDen 
Spe3ialien  von  Corbeer,  Wein  unb  Öl,  womit  bie 
f^aifer  bei  ber  i^rönung  gefalbt  werben.  Ich  feh 
bas   fchon   l^ommen,  ba\s  bas  Waffer  ficb  nach 


73 


bem  f5er3en  sieben  wirb,  unb  ba  wirb  es  gleicb 
aus  fein."  5ie  fagte  mir  Cebewobl,  unb  fie  wolle 
mir  fagen  laffen,  wenn  icb  wieberl^ommen  folle. 
ein  paar  Zage  barauf  liefe  fie  micb  rufen;  fie 
lag  3U  Bett;  fie  fagte:  „ßeute  lieg  icb  wieber  3U 
Bett  wie  bamals,  als  icb  haum  fecb3ebn  Jabre 
alt  war,  an  berfelben  Wunbe."  Icb  lacbte  mit  ibr 
bierüber  unb  fagte  ibr  fcbersweife  viel,  was  fie 
rübrte  unb  erfreute.  Da  fab  fie  micb  nocb  einmal 
recbt  feurig  an;  fie  brüchte  mir  bie  ßanb  unb 
fagte:  „Du  bift  fo  recbt  geeignet,  um  micb  in  biefer 
Ceibens3eit  aufrecbt  3U  balten;  benn  icb  weife 
wobl,  t>Q\^  es  mit  mir  3U  Cnbe  gebt."  5ie  fpracb 
nocb  ein  paar  Worte  von  Dir,  unb  ^a^  icb  nicbt 
aufboren  folle,  Dieb  3U  lieben;  unb  ibrem  €nl^el 
folle  icb  3U  Weibnacbten  nocb  einmal  biegewobnten 
3ucherwerhe  in  ibrem  Hamen  fenben.  3wei  Hage 
barauf,  am  flbenb,  wo  ein  f^onsert  in  ibrer  Habe 
gegeben  würbe,  fagte  fie:  „Hun  will  icb  im  €in= 
fcblafen  an  bie  (Dufih  benhen,  bie  micb  balb  im 
ßimmel  empfangen  wirb."  5ie  liefe  ficb  aucb  nocb 
ßaare  abfcbneiben  unb  fagte,  man  folle  fie  mir 
nacb  ibrem  Tobe  geben,  nebft  einem  familienbilb 
von  9eeha^,  worauf  fie  mit  Deinem  Vater,  Deiner 
9cbwefter  unb  Dir,  als  Scbäfer  gehleibet,  in  an= 
mutiger  Gegenb  abgemalt  finb.  Rm  anbern 
(Dorgen  war  fie  nicbt  mebr;  fie  war  binüber= 
gefcblummert. 


I     lol     I  dloCIIl  CZDoIZII 


u 


om  alten  Stabion      o     o 

=o  —  /i 


rreute  Qbenb  mufet  ich  mit  ber  Grofemama 
U  fpa3ieren  geben,  am  fkanal  im  (Donöfcbein. 
Sie  er3äblte  mir  aus  ibrer  ]ugenb3eit,  wie  fie 
nocb  mit  bem  Grofepapa  in  Wartbaufen  beim 
alten  ötaöion  wobnte,  unö  wie  ber  Öen  Grofepapa 
weit  lieber  gebabt  als  öie  anöern  5öbne;  unö 
wie  ber  ibn  er3ogen  bat,  gar  wunöerlicb  mit  grofeer 
Sorgfalt.  Cr  liefe  ibn  als  Jüngling  von  nicbt  acbt* 
3ebn  Jol'Jren  fcbon  eine  grofee  unÖ  ausgebreitete 
politifcbe  f^orrefponben3  fübren;  er  gab  ibm  Briefe 
von  f^aifer  unö  f^önig,  von  allen  Reicbsverwefern 
unö  Staatsbeamten  aller  Rrt  3U  beantworten. 
Cs  hamen  Verbanölungen  über  alle  möglieben 
Staatsangelegenbeiten  vor,  ßanöel,  Scbiffabrt, 
alte  Bnrecbte,  neue  foröerungen,  Cänöerteilung, 
Verrätereien,  Umtriebe,  Gefangennebmung  grofeer 
Perfonen,  (Döncbsfacben ,  l^löfterlicbe  Stiftungen, 
Gelbangelegenbeiten,  hur3  alles,  was  einem 
grofeen  Staatsminifter  obliegt  3U  unterjucben  unÖ 
3U  orbnen;  öies  alles  bejpracb  öer  Stabion  mit 
ibm,  liefe  ibm  feine  (Deinung  barüber  barftellen  - 
Ruffä^e  barüber  machen.  Dann  mit  eigenem  Bei» 
fügen  von  Bemerkungen  liefe  er  biefe  von  ibm 
ins  Reine  Schreiben,  Briefe  an  verfcbiebene 
Potentaten  jcbreiben.  Hamentlicb  fübrte  er  bie 
f^orrefponben3   von   (Dario  Tberefia,  3uvörberft 


75 


über  tbronbefteigung,  über  (Ditregentfcbaft  ibres 
ßemabls,  bann  über  bie  leere  Scba^hammer,  bann 
über  bie  ßeeresl^raft  Öes  Cannes,  über  (T)ife= 
vergnügen  bes  Volles,  über  öie  Rnfprücbe  von 
Bayern  an  öie  öfterreicbifcben  CrblanÖe,  unö  wie 
bie  f^urfürften  wollten  bie  Erbfolge  ber  Tberefia 
nicbt  anerkennen,  über  ben  f^rieg  mit  friebricb  II., 
mit  €nglanb,  Bnträge  um  ßilfsgelber,  Briefe  an 
einen  fransöjifcben  General  Belle4sle,  bann  ein 
Briefwecbfel  mit  f^arl  von  Cotbringen,  mit  bem 
l^arbinal  f  leuri,  mit  bem  öfterreicbifcben  f  elbberrn 
f  ürften  Cobhowi^,  bann  enblicb  einen  Briefwecbfel 
mit  ber  (Darquife  be  Pompabour,  immer  im 
Interejfe  ber  Raiferin.  Diefe  let3te  f^orrefponbens 
war  erft  ins  Galante  unb  enblido  gan3  ins  3ärt» 
liebe  übergegangen ;  es  hamen  Briefe  mit  (T)abri= 
galen  als  Rntwort,  worauf  ber  Grofepapa  im 
Hamen  Stabions  wieber  in  fran3Öfifcber  Poefie 
antworten  mufete.  Da  babe  ber  Grofepapa  mancbe 
feber  5erkaut,  unb  ber  ötabion  babe  ibm  gelebrt, 
bie  Politil^  mit  einfließen  3U  lajfen,  unb  bat  Rn= 
fpielungen  macben  muffen  auf  Reise,  auf  blonbe 
unb  braune  Cochen,  -  unb  bem  6tabion  iffs 
bäufig  nicbt  3ärtlicb  genug  gewefen.  Die  Rnt= 
Worten  finb  bann  mit  großer  ?reube  vom  ötabion 
ibm  mitgeteilt  worben,  befonbers  wenn  fie 
€mpfinblicbheit  für  bes  Großpapas  Galanterien 
batten  fpüren  laffen ;  ^a  bat  ber  ötabion  fo  gelacbt 
unb  ibn  angewiefen,  wie  bie  feinfte  Delihateffe 
3u  beobachten  fei.  -  Unb  enblicb  einmal,  als  nacb 
ber  rbronbefteigung  ber  (Dario  ^berefia  unb  ihrer 
f^rönung  als  f^aiferin  bie  Gratulationen  abgefertigt 


76 


waren,  an  feinem  einunbswansigften  Geburtstage, 
öa  fcbenhte  Stabion  bem  Carocbe  einen  Schreib^ 
tifcb,  worin  er  alle  feine  Briefe,  in  örei  Jahren 
gefcbrieben,  bie  er  über  Canb  unb  COeer  gegangen 
wäbnte,  noch  versiegelt  wiebergefunben,  unb  bie 
Antworten,  welche  von  Stabion  jelbft  erfunben 
waren  unb  von  verfchiebenen  Sehretären  ab* 
gefcbrieben,  ba3u;  unb  er  fagte  ihm,  ^a^  er  ihn 
fo  habe  3um  Staatsmann  bilben  wollen.  Dies 
hat  ben  örofepapa  erft  fehr  beftür3t  gemacht 
bann  aber  ihn  tief  gerührt,  unb  hat  biefe  Briefe 
als  ein  heilig  (Derhmal  von  Stabions  großem, 
liebevollem  Geifte  ficb  aufbewahrt.  Die  Qvo^^ 
mama  hat  biefe  Briefe  noch  alle  unb  will  fie  mir 
fcbenhen.  — 


DioiD  Ds:ziD  at§:ziD 


i^- 


analer  unb  f^urfürft     o     o   | 

,      \ii    I    II    II    II    II    II    II    II    II    II    il 


Die  Grofemama  war  mir  febr  freunbUcb;  fie 
3eigte  mir  ein  Wappen  in  Glas  gemalt  in 
einem  präcbtigen,  filbernen  Rahmen  mit  golöenem 
€icbelhran3,  worum  in  griecbifcber  Scbrift  ge^ 
fcbrieben  ftebt:  Alles  aus  Ciebe,  fonft  gebt 
bie  Welt  unter.  Cs  ift  Öem  Grofepapa  von 
ber  6taM  Trier  gefcbenht  worben,  weil  er  als 
I^an3ler  in  trierifcben  Dienften  ficb  gegen  ben 
f^urfürften  weigerte,  eine  Abgabe,  bie  er  3U 
brüchenb  fanb,  bem  Bauernftanb  auf3ulegen.  Als 
er  hein  Gebor  fanb,  nabm  er  lieber  feinen  Rb= 
fcbieb,  als  feinen  Hamen  unter  eine  unbillige 
f  orberung  3U  fcbreiben.  9o  l^amen  ibm  bie  Bauern 
mit  Bürgerkronen  entgegen  in  allen  Orten,  wo 
er  burcbl^am,  unb  in  öpeier  batten  fie  ein  ßaus 
von  innen  unb  aufeen  gefcbmücht  unb  illuminiert 
3u  feinem  €mpfang.  Die  Grofemama  er3äblte 
noch  fo  viel  vom  Stabionfcben  föaus,  worin  fie 
fo  lange  mit  bem  Grofepapa  lebte;  wenn  icb's  nur 
alles  bebalten  bätt.  Doch  vergefe  ich  bie  Be= 
fcbreibung  ibrer  Wafferfabrten  nicbt  auf  bem  See 
von  Cilien,  wo  immer  ein  Hacben  vorausfubr,  um 
in  bem  Walbe  von  Wafferpflan3en  eine  Waffer= 
ftrafee  mit  ber  Senfe  3U  mäben,  wie  l>a  von  beiben 
Seiten  bie  Schilfe  unb  Blumen  über  ben  Rabn 
herfielen  unb  bie  Schmetterlinge  -  unb  alles  weife 


78 


fie  noch,  als  wenn  es  beut  gefcbeben  wäre.  - 
Der  Pappeln  wollt*  icb  nicht  gebenhen ;  Me  Jammer^ 
volle  Perfon  bes  Rrenswalö,  öer  fo  munter  unö 
grün  über  jein  €lenb  binausfteigt  ins  freie,  batte 
mich  aus  ben  Rngeln  ber  Cmpfinöfaml^eit  ge= 
hoben.  Ich  will  wetten,  jet5t,  wo  er  Walöfcbnechen 
treffen  kann,  öafe  er  noch  viel  mehr  wagt;  unb 
wenn  er  nur  fo  viel  bat,  bafe  er  feine  Beine  reife- 
fertig l^riegt,  fo  mufe  bas  anbere  mit  unb  mufe 
allerlei  anbere  Dinge  noch  ba3u  treffen  lernen. 
Die  örofemama  fing  aber  von  felbft  von  ben 
Bäumen  an,  bei  Gelegenheit  bes  Wappens;  fie 
er3äblte,  ber  Spruch  fei  bem  ßrofevater  wirklich 
€rfat3  geworben,  unb  er  habe  oft  bei  ber  ein= 
fchränkung,  in  ber  er  fpäter  leben  mufete,  gefagt: 
„Beffer  könnt  ich  mir's  nicht  wünfchen."  -  Das 
Wappen  hing  über  feinem  Scbreibtifch ,  unb  ^a 
er  bei  Bauer  unb  Bürger  in  grofeem  Rnfehen 
ftanb,  fo  kamen  fie  oft  3U  ihm  in  fchwierigen 
Rngelegenheiten ;  t>a  hat  er  benn  burch  ben  Spruch 
vom  Wappen  manchen  3ur  Gerechtigkeit  ober  3ur 
nachficht  bewogen.  Cr  fei  baburch  fo  im  Rnfehen 
geftiegen,  ^a^  fein  Urteil  mehr  wirkte  wie  alles 
Rechtsverfahren;  unb  mancher,  ber  bem  Buch= 
ftaben  bes  6efet3es  nach  fich  burchfechten  konnte, 
bat,  um  nicht  bas  Urteil  bes  örofevaters  gegen 
fich  3U  haben,  fich  verglichen.  Unb  ber  Rurfürft 
bat  fich  auch  wieber  mit  ihm  verföhnt  unb  ihm 
vollkommen  recht  gegeben,  aber  ber  örofevater 
fchlug  feine  Rnftellung  aus,  bie  ber  F^urfürft  ihm 
wieber  anbot;  er  fagte:  „f5at  mir  Gott  bas  löemb 
ausge3ogen   unb   gefällt's   ihm,   mich   fchon   auf 


eas 


79 


€röen  nacht  unb  blofe  herumlaufen  3u  feben,  fo 
will  icb  mir  keine  ötaatslivree  als  Feigenblatt  für 
ben  menfcblicben  €brgei3  vorhalten.  Dem  föerrn 
f^urfürften  ftehe  icb  3U  Dienjten  in  allen  gerechten 
Dingen,  fo  wie  mich  Gott  geschaffen  hat,  unÖ  öer 
fich  nicht  vor  ihm  3U  fchämen  braucht;  ich  mag 
nicht  au9  meinem  paraöies  heraus,  benn  ich  mag 
mich  mit  keinem  Feigenblatt  inkommodieren.  Ich 
bin  Öer  unverfchämtefte  Rerl  von  ber  Welt,  unb 
ber  Rurfürft  ift  bie  fittjamfte  Jungfer,  bie  unter 
ben  geiftUchen  Würben  3U  treffen  ift;  er  will 
keinen  feiner  f reunbe  nackt  unb  blofe  herumlaufen 
ober  vor  fein  Rngeficht  kommen  laffen;  aber  mir 
gefällt  es  beffer,  gan3  nackenb  mit  feinen  (Dummen= 
fchan3ern  herum3ufpringen,  benn  ba  bah  ich  ben 
Vorteil,  ^a^  fie  fich  felbft  nicht  mehr  kennen,  benn 
fie  wiffen  fo  wenig,  was  bas  ift,  ein  (Denfch  fein, 
ba^  einer,  ber  ohne  Bemäntelung  ihnen  bie  Hatur 
eines  (Denfchen,  wie  fie  vor  Gott  beftehen  kann, 
barftellt,  ihnen  natürlich  3eigen  mufe,  ba^  fie  felber 
(Difegeburten  finb." 

In  biefer  Rrt  hat  ber  Örofepapa  auf  bes  Rur- 
fürften  Anträge  geantwortet.  - 


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Den  erften  Tag,  als  wir  anl^amen,  war's  fo 
beife,  öafe  es  mehr  wie  unerträglicb  war; 
wir  warfen  unfere  nanhing^Reifejachen  aus  unö 
legten  uns  in  öen  Unterhleibern,  in  ßemösärmeln 
auf  öem  6ang  vor  unferer  3immertür  ins  f  enjter. 
Von  ba  hann  man,  verftecht  hinter  Bäumen,  auf 
eine  Cerraffe  feben,  wo  ficb  Öie  ßefellfcbaft  3um 
^ee  bei  ber  f^urprin3effin  von  ßeffen  versammelt, 
bie  geraöe  unter  uns  wohnt.  Das  machte  mir 
Spafe;  man  konnte  manches  verstehen,  unb  ein 
Wort  aus  ber  ferne,  wenn's  auch  an  fich  un* 
bebeutenb  ift,  ift  immer  anregenb  wie  eine 
f^omöbie.  Doch  bat  bas  Vergnügen  baran  nicht 
lange  gebauert;  ein  krebsroter  f^ammerberr,  ber 
mir  im  Anfang  Vergnügen  machte  3U  feben,  wie  er 
hin  unb  wieber  lief  unb  ben  frauen  allerlei  in  bie 
Obren  3ifchelte,  unb  bann  ein  ßer3og  von  Gotha 
mit  langen  Beinen,  rotem  f5aar  unb  febr  melan* 
cholifchen  6efichts3ügen  unb  ein  grofees,  weifees 
Winbfpiel  3wifchen  ben  l^nien;  ber  trägt  einen 
leberfarbenen  Roch.  Dann  viele  Damen  mit  über= 
flüjfigem  Pu^,  bie  ßauben  auf  hatten,  als  wär's 
bie  flotte  von  Helfon  mit  aufgefchwellten  Segeln. 
Unb  bann  fran3Öfifche  Schiffe;  wenn  fo  3wei  mit» 
einanber  parlierten,  bas  war  gerabe,  als  ob 
ein3elne  Schiffe  hanbgemein  würben.  Balb  brüftete 

6* 


84 


ficb  bas  Schiff,  öann  thronte  es  wieber,  bann 
ftrechte  es  jeinen  Schnabel  in  bie  ßöbe,  unb  föerren 
unb  Damen  von  befonberer  Flffektion  gegen:= 
einanber ;  halb  3erftreuten  [xe  fich  auf  ber  Prome^ 
nabe,  unb  plö^Ucb  ftanb  ber  rote  l^ammerberr 
hinter  uns  auf  bem  Gange.  Die  Toni  entfetste  ficb 
unb  ging  ins3immer;  ich  aber  war  gor  nicht  er= 
fchrochen  unb  fragte,  was  er  wünfche.  Cr  war 
verlegen  unb  fagte,  er  wünsche  ber  Damen  Be* 
kanntfchaft  3U  machen.  Ich  fragte:  „Warum  werben 
Sie  benn  fo  rot?"  Cr  warb  noch  roter  unb  wollte 
mich  bei  ber  ßanb  nehmen;  ich  jagte:  „Hein!" 
unb  ging  ins  3immer.  Cr  brängte  fich  mir  nach; 
ich  rief:  „^oni,  hilf  mir  i>en  (Dann  beswingen." 
Sie  war  aber  fo  voll  Rngft,  bafe  fie  fich  nicht  vom 
pia^  regte,  benh  Dir  nur,  unb  ich  lehnte  mich 
mit  aller  Gewalt  wiber  bie  Hür  unb  ber  rote 
(Dann  ba3wifchen,  ber  burcb  wollte.  Ich  rief 
„roni,  3ieh  an  ber  Schelle,"  benn  unfere  Be 
bienten  waren  alle  noch  am  pachwagen  befchäftigt 
aber  bie  Zoni  fanb  ben  Schellen3ug  nicht.  -  Der 
unartige  (Dann;  immer  wollte  er  boch  noch  herein, 
wo  er  boch  fah,  t>Q^  man  ihn  nicht  wollte;  ich 
l^onnt  gar  nicht  begreifen,  was  er  wollte,  ich 
bachte  einen  flugenblich,  er  wolle  uns  umbringen; 
ich  erwifchte  einen  Sonnenfchirm,  ber  an  ber  Tür 
ftanb,  unb  ftach  mit  bem  nach  feiner  Cunge  ober 
Ceber,  ich  weife  nicht  -  er  30g  fich  3urüch  unb 
bie  Zur  fiel  ins  Schlofe.  Da  ftanb  ich  wie  einer, 
ber  über  Berg  unb  Tal  gejagt  war  vor  einem 
Gefpenft;  ich  l^onnte  eine  Viertelftunbe  deinen 
Rtem   hriegen;   ich   bachte  wirklich,   er   fei   ein 


85 


(Dörfer.  leb  hatte  fcbon  allerlei  Bnfcbläge  im 
l^opfe,  wie  icb  ihn  erwürgen  wollte.  Die  Zonx 
lacbte  unb  fagte :  „6eb  bocb,  ein  l^ammerberr  unö 
ein  (Dörber."  Sie  meinte,  er  fei  nur  ein  bosbafter 
unb  gemeiner  öcbelm,  wie's  beren  am  F5of  bie 
meisten  feien.  -  Wir  baben  aber  ben  Bebienten 
bie  Hacbt  vor  ber  5cblaf3immertür  fcblafen  laffen 
unb  bie  Cifette  3U  uns  ins  3immer  genommen; 
icb  konnte  aber  bie  ganse  Hacbt  nicbt  fcblafen; 
micb  ftörte  es,  ba^s  ber  Diener  vor  ber  Cur  lag. 
€s  ift  bocb  3um  erftenmal  in  meinem  Ceben,  ha^ 
icb  Bngft  batte,  aber  benh?  bocb  nur,  am  anbern 
Zage  melbet  uns  ber  Bebiente  ben  roten  ßerrn; 
er  homme  von  ber  frau  I^urprin3effin  mit  einem 
Ruftrag  unb  liefee  febr  bitten,  ibn  an3unebmen. 
Icb  rufe:  „Hein!  Wir  wollen  von  keiner  f^ur= 
prin3effin  was  wiffen."  Die  tloni  aber  fagt,  bas 
gebt  nicbt  an,  wir  muffen  ibn  annehmen.  Icb 
bewaffnete  micb  mit  bem  9onnenfcbirm ,  als  er 
eintrat  unb  uns  3ur  frau  I^urprin3effin  3um  Zee 
auf  bie  ^erraffe  einlub.  3ugleicb  machte  er  viele 
Cntfcbulbigungen;  er  habe  gar  nicbt  geahnt,  wer 
wir  feien,  weil  wir  in  löembsärmeln  im  5enfter 
gelegen  haben.  Icb  war  ftill,  aber  icb  war  febr 
ergrimmt  über  ben  roten  (Dann.  Als  wir  bei 
ber  I^urprin3effin  vorgeftellt  waren,  bie  micb  bei 
ber  ßanb  nahm  unb  ins  Geficbt  hüfete,  ba  fafeen 
wir  alle  in  einem  Rreis,  unb  ber  Rote  ftellte  ficb 
hinter  micb,  ^a^  icb  feinen  Rtem  fühlte.  Das 
hränkte  micb  febr.  Icb  fagte:  „Gehen  Sie  fort 
hinter  mir,  Sie  garftiger  (Dann."  Da  lief  er  weg, 
aber  bie  Zonx  fab  micb  febr  ernfthaft  an,  unb 


86 


wie  wir  wieber  oben  waren,  ba  fcbmälte  fie,  öafe 
ich  fo  laut  ge[procben  habe.  Das  ijt  mir  aber 
einerlei,  ich  hann  ihn  nicht  in  meiner  Höbe  leiben. 
Was  liegt  mir  baran,  ob's  bie  Rurprin3effin  merht. 
Wenn  fie  fragt,  fo  fag  ich,  er  bat  uns  wollen  er* 
morben  in  unferm  3immer.  Unb  bann  kann  er 
ficb  nacbber  verteibigen,  wenn's  nicbt  wabr  ift, 
unb  kann  fagen,  warum  er  uns  fo  mörberifcber^ 
weife  angefallen  bat.  Die  Toni  will  auch  nicbt, 
1>CL^  ich  abenbs  allein  fpasieren  gebe;  fie  fagt,  ber 
l^ammerberr  konnte  mir  begegnen.  60  mufe  icb 
immer  einen  binter  mir  brein  laufen  baben. 

Rlle  Zage  finb  wir  auf  ber  ^erraffe ;  ba  gibt 
balb  bie  eine  Dame,  balb  bie  anbere  ein  Gout^e,  unb 
bann  wieber  bie  Prin3efe,  aber  ber  f^rebs  ift 
immer  wieber  binter  micb  gekommen.  Da  bab 
icb  mir  eine  öcbawell  aus  unferm  3immer  gebolt 
unb  bicbt  neben  bie  f^urprin3efe  geftellt  unb  micb 
brauf  gefegt;  unb  nun  ift  bas  alle  Zage  mein  piat5, 
unb  ^a  barf  er  nicbt  mebr  an  micb  ftreifen.  Unb 
wenn  wir  nacb  bem  Zee  fpa3ieren  geben  über 
bie  Bergrücken,  Z>a  nimmt  mich  bie  I^urprin3efe 
immer  bei  ber  ßanb;  fie  bat  ein  klein  Blonbcben, 
weife  unb  rot,  bem  fliegen  bie  öonnenbaare  fo 
flammig  um  ben  l^opf,  bem  lieben  föeffenkinb. 
leb  könnt  recht  gut  mit  ihm  fpielen;  fie  halten 
micb  ja  boch  für  ein  l^inb,  weil  ich  keine  6efellfcbafts= 
manieren  hob;  Ball  werfen,  um  bie  Wett  laufen  - 
aber  fo  einem  prin3efecben  ift  nicht  bei3ukommen. 
Da  ift  eine  frau  von  Ounblach,  bie  führt  bas 
Regiment,  unb  bie  f^ammerfrauen ,  bie  begleiten 
es.    Dann  ift  mir's  auch  nicbt  möglich,  mit  einem 


87 


f^inö  Romööie  3U  fpielen;  ich  mufe  mit  ihm  fein 
Können  unter  öottes  6cbu^,  nicbt  unter  ODenfcben» 
Qufficbt.  -  Prin3efecben  in  6olö  unö  Silber  arx' 
getan,  -  3U  ihrer  Geburt  kommen  gute  feen, 
bie  fie  befcbenhen  -  bae  erfährt  man  in  feen= 
märchen.  Was  mögen  fie  öem  feinen  f^inb  alles 
gejcbenkt  haben?  —  Gaben,  bie  es  noch  nicbt  3U 
braueben  weife;  wer  wirö's  ihm  lehren?  - 
Scheu!  -  aber  heine  fcbeinheilige,  -  ich  hab 
'ie  vor  allem  f^inöerfcbichfal ,  unentfaltet  noch  in 
fo  füfeer  f^nofpe  verfcbloffen ;  man  hat  auch  Scheu, 
eine  junge  f^nofpe  3U  berühren,  öie  ber  frühling 
fchwellt.  €in  Wiegenhinbcben  lallt  \o  berührfam 
wie  kein  Gefpröch  mit  (Denfcben. 

Weifet  Du  was,  -  heute  hat  ficb  bas  3arte 
f^inb  in  ber  Hür  ben  finger  fehr  arg  geklemmt, 
unb  bie  l^urprinsefe  war  fehr  erfchrochen  unb 
gan3  hinfällig  geworben;  benn  es  hat  ihm  fehr 
arg  weh  getan.  (Dich  hat's  auch  geängftigt;  es 
hatte  lieber.  3et5t  liegt's  im  Bett  unb  fchläft.  Rls 
es  beruhigt  war,  ging  bie  f^urprin3efe  3ur  Cr^ 
holung  fpa3ieren ;  fie  nahm  mich  mit.  Ich  lief  von 
ihrer  Seite,  um  ihr  Blumen  3U  holen,  bie  ich  in 
ber  ferne  fah;  bie  nimmt  fie  mir  immer  freunblich 
ab  unb  3eigt  mir  wohl  felbft,  welche  ich  pflücken 
foll;  ich  brach  aber  fo  viele  unb  kletterte  jebe 
f  teile  Seite  hinan.  Die  Damen  wunberten  ficb  über 
meine  grofeen,  weiten  Sprünge  unb  fagten,  ich 
befcbwere  bie  löoheit  mit  ben  vielen  Blumen.  Ich 
banb  einen  Straufe  mit  meinem  ßutbanb  unb  gab 
ihn  ihr  3U  tragen.  Ich  fagte,  er  fei  für's  kranke 
l^inb  3um  Spielen,  nicht  ins  Waffer  3U  ftellen. 


88 


Sie  trug  ben  grofeen  Straufe  unb  wollte  nicbt, 
öafe  man  ihr  ihn  abnahm.  Die  Öefellfcbaft 
wunberte  ficb  über  meine  naive  Rrt,  bamit 
meinen  fie  Unart;  ich  merkte  es.  5ie  halten  mich 
für  einen  halben  Wilben,  weil  ich  wenig  ober  nie 
mit  ihnen  Spreche,  weil  ich  mich  burchbränge,  wo= 
hin  ich  will,  weil  ich  mich  ohne  Crlaubnis  an  ber 
Prin3efe  Seite  fetse,  als  ob  ich  ben  piat;  gepachtet 
habe,  fagt  5rau  von  B.  R.,  weil  ich  fo  leife  ge= 
Schlichen  Nomme,  t>a^  mich  heiner  merkt,  weil  ich 
bavon  laufe  unb  nur  bas  Winbfpiel  vom  ßersog 
von  Gotha  fich  mit  mir  3U  fchaffen  macht,  bas 
mir  nachfe^t  unb  bellt,  wenn  ich  ins  Oebüfch 
fpringe.  Der  C.  ß.  fagte  mir,  l>a^  man  fich  über 
meine  Unart  aufgehalten,  ben  ßunb  fo  laut  bellen 
3U  machen;  er  er3ählte  mir  aber  nicht,  was  ich 
von  ber  Toni  hernach  hörte,  ba^  bie  l^urprin3efe 
fagte:  „Sie  ift  ein  liebes  l^inb,"  unb  ba\i  ber 
[5er3og  von  Gotha  fagte:  „€in  allerliebstes  l^inb."  - 
nun,  ich  gefalle  mir  felbft  gut. 


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Die  €nglänber  finb  recht  nörrifcbe  paffagiere; 
fie  brachten  mir  einen  Brief  vom  C'ange 
mit,  öer  mich  warnt,  mich  nicht  in  fie  3U  ver^ 
lieben.  -  Der  mit  Öem  gepuderten  Raupte,  (Dr. 
ßaife,  liefe  fich  geftern  in  einem  Hanhing^ 
(Dorgenroch  unb  gelben  Pantoffeln  auf  öer 
Terraffe  feben.  Die  ^oni  fab  3um  fenfter  hinaus; 
fie  wollte  nicht  hinunter,  fie  fchämte  fich  vor  ben 
Ceuten,  wenn  er  mit  ihr  fpreche,  weil  er  fo  ab* 
fonöerlich  ausfieht.  -  Ich  fah  aber,  wie  er  herauf* 
lugte  nach  unfern  fenftern;  unb  wie  er  bie  Zonx 
erblichte,  ba  rief  er  fie  an,  bei  bem  herrlichen 
Wetter  herunter3uhommen.  Ich  mufete  mit;  er 
fpannte  einen  grünen  parapluie  über  ihr  auf,  um 
fie  vor  ber  6onne  3U  fchü^en.  60  mufete  fie  mit 
ihm  bie  ^erraffe  auf  unb  ab  wanbeln;  ich  lief 
herauf  unb  machte  eine  3eichnung  bavon,  bie  ich 
ber  tloni  ins  Rrbeitskäftchen  legte,  was  fie 
immer  mitnimmt  auf  bie  ^erraffe  3um  tiee,  unb 
freute  mich  fchon  auf  bie  Bewunberung,  wenn  es 
erblicht  würbe.  Rber  fie  legte  bas  Papier  fchnell 
3ufammen  unb  wickelte  6eibe  barauf;  fie  wollte 
nachher  fcbmälen,   ich   hatte   ihr  aber  einen  fo 


90 


fcbönen  RrQn3  gemacbt  von  farnhraut,  ber  ihr 
fo  gut  ftanb  unö  ihre  Wunöerfcbönbeit  nocb  er* 
böbte,  Öafe  wir  gan3  l^ontent  auf  öcn  Ball  harnen, 
ber  beinahe  aus  fo  viel  l^arihaturen  beftanb,  als 
(Denfcben  ba  waren.  Der  Clemens  bat  mir  aus 
Weimar  gefcbrieben  unb  mich  gewarnt  vor  bem 
Verlieben,  -  überf lüffig !  Wäre  er  öocb  auf 
bem  ßalle  gewesen  -  böcbjtens  ^a\^  man  einem 
Hippenjtofe  ausgefegt  ift,  fonft  ift  heine  Gefahr.  - 
C.  fö.  war  auch  i>a  mit  feinen  öcbweftern;  wirb 
alle  Zage  blaufcbwärser  von  feinen  Stablbäbern. 
Sein  extra  weifeer  Jabot  unb  ßalsbinbe  machten 
bies  in  bie  Rügen  fallenb.  Cr  war  febr  fein  unb 
elegant  gehleibet;  benn  Öa  er  eine  biplomatifcbe 
Bmbition  bat,  fo  verfäumt  er  heine  Gelegenheit, 
ficb  ftanbesmäfeig  aus3U3eicbnen.  Solange  wir  am 
Eingang  fafeen,  wo  viele  ODenfcben  ficb  brängten, 
merhte  heiner  was;  als  C.  F5.  aber  vortrat,  um 
irgenbwem  fein  [Kompliment  3U  machen,  entbechte 
man  nun  §ran3,  ber  an  meiner  Geite  fafe,  3uerft, 
ha\s  er  ftatt  eines  Urachs  einen  Joppel  an  hatte 
ohne  Schöfeen,  runb  wie  ein  f  leifcherwams.  Dies 
fah  gar  3U  närrifcb  aus;  mit  fchwar3feibenen  13ein= 
hleibern,  weifefeibenen  Strümpfen  unb  8cbnallen:= 
fcbuben,  hur3  vollhommene  föofetihette  unb  f eber= 
claque  unterm  Rrm.  -  €r  hatte,  währenb  bie 
familie  ficb  3um  Ball  fertig  machte,  ben  Überroch 
ange3ogen;  bann  lief  er  in  fein  3immer,  wo  ihm 
ber  Winb  bas  Cicht  auslöfchte,  um  ^en  f räch  an= 
3U3iehen,  unb  ergriff  ftatt  beffen  einen  englifcben 
ßalbroch,  ben  bie  ßerren  nach  neuefter  (Dobe 
bei  hübler  Witterung  über  ben  frach  anjieben,  - 


91 


Cr  hatte  ficb  bis  jet3t  nocb  nicht  von  hinten  öem 
grofeen  Publikum  präfentiert  unb  noch  mit  bem 
Rüchen  gegen  uns  gewendet;  es  würbe  in  Cile 
f^on3ilium  gehalten  unö  befchloffen ;  3wei  Damen, 
Cotti  unö  öie  B.,  foUten  ihn  gefprächsweife  janft 
rückwärts  fchreiten  machen,  ohne  ihm  bas  ver= 
fängliche  Dilemma,  in  welchem  er  fich  befinbe,  3U 
entbechen ,  bis  er  gerettet  fei ;  babei  follten  "Coni, 
§ran3  unb  Voigt  eine  kleine  ßintertruppe  bilben, 
um  feinen  Rüch3ug  3U  bechen;  ich  würbe  aus= 
gemer3t  von  biefer  Cxpebition,  weil  ich  vor  Cachen 
über  bie  unerfchöpflichen  Wi^e  von  fran3  un= 
tauglich  ba3U  war.  Der  3ug  rückte  aus  unb 
brängte  fich  fchon  3wifchen  manchen  verwunberten 
Blick,  ber  auf  bem  fchöfelofen  Rücken  haftete; 
fie  fchlichen  immer  behutfamer  heran,  je  näher 
fie  kamen;  fo  fchleicht  man  facht  hinter  einem 
Vogel  her,  bem  man  Sal3  auf  ben  Schwan3 
ftreuen  will,  um  ihn  fangen  3U  können;  aber  er 
fliegt  weg,  ehe  man  nahe  genug  kommt;  fo  kam 
es  auch  hier;  als  fie  fchon  gan3  nahe  waren  unb 
ihn  eben  3U  erhafcben  meinten,  wenbete  er  fich 
plöt3lich  um.  Bch !  ich  fprang  hinter  ben  Vorhang 
am  §enfter  unb  wickelte  mich  hinein  unb  bife  in 
ben  Vorhang  vor  Cachvergnügen  unb  ging  nach= 
her  auch  fort;  benn  mir  war's  3U  übermütig  für 
ben  Gefellfchaftsfaal ;  ber  Voigt  begleitete  mich  unb 
er3ählte  mir,  ^a^^  bie  Rrrieregarbe  ihn  habe  burch= 
paffieren  laffen,  fich  bann  bicht  angefchloffen  unb 
ihn  wie  einen  vornehmen  Staatsgefangenen  trans» 
portiert  bis  3um  Cingang,  bort  habe  er  fich 
niebergelaffen ,    wo    man    ihm   feine   äftbetifche 


92 


Fatalität  mitteilte  unö  er  ^icb,  umgeben  von  feinen 
Getreuen,  3urüch3og;  jet5t  würben  fie  wobl  bie 
gan3e  Hacbt  hein  Rüge  3utun;  öenn  ba  er  bei 
bem  beffifcben  ßof  angeftellt  fein  möcbte,  fo  ift 
ibm  gewife  bange,  fein  öcbichfal  untergraben  3U 
haben  burcb  Öen  3ipfellofen  Buf3ug. 


''^'^ocb3eit  im  F5aufe  o     < 

i[    ^CJ^       f nHf  >»rV  1^^ 


es  ift  aus  mit  ben  Blumen;  öie  legten  Ojter= 
fträufee  waren  bie,  womit  wir  in  voriger 
Wocbe  bie  Blumenurnen  fcbmüchten,  unb  bie 
wegen  ber  Batterie  vor  bie  Züv  gefegt  würben. 
Geftern  haben  wir  ben  let3ten  ßerbft  gemacbt; 
nur  nocb  bie  Winterbirnen  hängen,  von  benen 
meint  bie  Örofemama,  wir  wollten  fie  hängen 
laffen,  bis  erft  Heif  hommt,  ber  war  heute  nacht, 
unb  nun  frag  ich:  „Wollen  wir  heute  bie  Birnen 
ab  machen;  es  war  heute  nacht  Reif."  Örofeer 
öchrechen  ber  Grofemama;  fie  hatte  fo  in  ben 
Zag  hinein  gelebt  unb  gemeint,  es  fei  noch  lange 
nicht  Winter.  Unb  wie  fehen  bie  Blumen  aus? 
Wir  muffen  heute  noch  l^ränse  haben ;  es  ift  eine 
f5och3eit  hier  im  f5aufe.  Um  brei  Uhr  v;irb  ber 
Pfarrer  hier  fein  unb  ein  ebles  Paar  3ufammen* 
geben.  Cieber  demente!  Was  boch  alles  hier 
im  närrifchen,  einfamen  ßaufe  paffiert!  Rber  wir 
brei  Gefchwifter  ahnten  gleich  bie  Gefchichte.  Ich 
fprang  mit  Slügeln  bie  Treppe  hinauf;  wir  kriegten 
uns  alle  brei  um  ben  f5als  unb  tan3ten  eine  Ronbe, 
ba^  bie  Wänbe  3itterten.  Ruf  einmal  erfcheint 
bie  Tante  im  Heglige,  halb  frifiert.  Was  bas  für 
ein  unanftänbiger  Spektakel  fei?  —  Unb  was 
bie  ßofbame  benken  folle,  bie  feit  acht  Tagen  im 
Saale  unter  uns  wohnt,  t>Q^  wir  ihr  fo  auf  bem 


94 


f^opfe  berumtan3en.  ünb  öer  Cansmeifter  wartet 
fcbon  eine  Viertelftunbe.  Wir  lernen  nämlicb 
fcbon  feit  viersebn  Tagen  bei  einem  fransöfifcben 
Ballettmeifter  einen  figurierten  Zcxn-^y  an  öem  follen 
wir  fortexer3ieren  bis  3um  Heujabrstag ;  öa  joUen 
alle  Hationen  hommen,  bem  fürft  Yfenburg 
gratulieren.  Die  5ran3ofen  baben  Öa3u  (Dabri» 
gale  gemacbt.  „Avec  la  pointe  cachee,"  fagt 
Cbateaubour,  ber  ßauptbicbter.  leb  ftelle  eine 
Spanierin  vor,  blau  unb  jilbern.  Unb  ebenso  mein 
Tän3er,  ber  Prin3  neun3ebner,  ber  gar  nicbt  vom 
pia^e  3U  bringen  ift,  allemal  recbts  umbrebt,  es 
fei  linhs  ober  recbts.  5o  bat  ber  ran3meifter 
beswegen  bie  figur  umgeänbert,  bamit  er  nun 
recbts  aucb  auf  ben  recbten  piat5  homme;  unb 
nun  läuft  er  wieber  allemal  links.  Wir  lacbten 
fo  toll  in  ber  probe;  wir  waren  fo  ausgeladen. 
Wir  wufeten,  ba\5  bie  Tante  nicbt  hommen  konnte, 
weil  fie  Toilette  macbte;  wir  fprangen  auf  Tifcbe 
unb  ötüble;  ßerr  Baleri  mit  feiner  poebette  in 
einer  Staubwolke.  Die  alte  Coufine,  bie  berein* 
kam  mit  einem  Befebl  von  ber  Großmutter,  fet3ten 
wir  auf  ibren  lebernen  Seffel  unb  trugen  fie  auf 
ben  [köpfen;  fie  fcbrie,  bie  anbern  fangen,  unb 
Baleri  fpielte  einen  (Darfcb.  -  Die  ßrofemama 
liefe  uns  in  ben  Garten  beorbern.  Rlle  Blumen 
vom  Reif  verborben!  -  Wir  mußten  uns  an  bie 
F5agebutten  unb  bie  berbftlicb^rote  Jungfrauenrebe 
balten.  Da3U  Tannen  unb  Cfeu.  Wir  waren  febr 
luftig  bei  biefem  Dekorationsfeft;  wir  macbten's 
wie  bie  Braut  unb  gaben  ben  balb  verblübten 
Bftern  mit  farbigem  Papier  ein  Bnfeben.    Diefe 


95 


ßeirat  ift  ein  Werk  öer  Grofemama.  Vor  !^ur3er 
3eit  lernte  biefe  ßoföame  von  (Deiningen  bei  ihr 
ben  föerrn  von  Drais  kennen,  wie  er  gerade  vor 
unferm  ßaufe  eine  Draifine  probierte,  eine  Bank 
mit  Häbern,  Öie  ßerr  von  Drais  öarauf  fi^enö  mit 
ßänöen  unb  füfeen  fortbewegt.  Die  ßofbame 
fab  ihn  baber  gerollt  kommen;  binter  ibm  brein, 
alles  was  Beine  batte.  -  Hacbbem  [xe  getraut 
waren,  bielt  bie  Orofemama  eine  beweglicbe  Rebe. 
Wir  fpielten  abenbs  ein  öpricbwort,  worin  bie 
Draifine  eine  ßauptrolle  batte.  -  ßeute  werben 
nun  bie  Birnen  abgemacbt.  Da  freue  icb  micb 
barauf.  Das  ßocbseitspaar  ift  nämlicb  gestern 
fpät  nocb  fortgereift  unb  alles  wieber  im  ftillen 
öeleife. 


cm 


V 

ejt  am  Reujahrstag 


Cieber  Clemens!  Rm  Heujahrstag  hoben  wir 
unjer  Ballett  aufgeführt;  es  ift  holöer  bie 
polter  öurcbeinanöer  gegangen,  es  ift  alles  verkehrt 
gegangen.  (Dein  Deunsehner  war  ein  Bitter,  bem 
nichts  haften  wollte;  wir  mußten  mehrere  Proben 
halten  im  i^ojtüm,  balö  fiel  ihm  öer  Pan3er, 
balö  öie  Schienen  ab.  Unb  enblich  am  Tage  ber 
Bufführung  war  eine  grofee  Hot;  alles  rannte 
burcheinanber,  einer  rief  nach  Schminke,  ber 
anbere  nach  Strumpfbänbern,  ber  britte  hatte  ben 
3wichelbart  verloren.  Wir  (Däbchen  3ogen  uns 
aus  bem  Gebränge  3urüch  auf  bie  Cifcbe  unb 
f^anapees.  Unb  "bo.  warteten  wir  ruhig  bis  bie 
flut  ficb  gelegt  hatte  unb  bie  €bbe  eintrat,  wo 
wir  alle,  an  Blumenguirlanben  gefcbnürt,  von 
unferm  Ballettmeifter  hinübergeleitet  würben,  bem 
ber  Schweife  von  ber  Stirne  rann,  bis  er  uns  in 
Orbnung  hatte.  Der  Vorhang  würbe  hinweg* 
gesogen;  unb  wir  tansten  vor  alten  föofmasken 
unb  Perücken  einen  trefflichen  mimifchen  Hans, 
ber  allerlei  bebeuten  follte.  Cs  ging  paf^abel, 
bis  wo  wir  einen  Ringeltans  um  bas  Yfenburgifcbe 
Wappen  tansten,  an  bas  wir  unfere  f^ränse  auf* 
hängen  Rollten.  (Dein  neun3ehner  fiel  unb  rife  mit 
feinem  f^rans  bas  Wappen  herunter;  bas  fiel 
auf  ihn,  unb  alle  l^ränse  flogen  im  Saale  herum. 


k 


97 


leb  ricbtete  gefcbwinb  öas  Wappen  vvieber  auf, 
öamit  es  nicht  follte  für  ein  bös  Omen  ausgelegt 
werben.  Dann  tan3ten  wir  nacb  ben  Rränsen, 
als  bätt  es  nur  fo  fein  muffen,  unö  teilten  öiefe 
ben  ßerrfcbaften  aus;  bies  Impromptu  ging  beffer 
als  bas  eingeübte.  Die  Damen  traten  vor  ben 
Spiegel  unb  probierten  fie  auf,  unb  mancher  ftanb 
ber  f^ran3  recht  fchön.  -  Unterbeffen  verwanbelten 
wir  uns  in  Bauern,  bas  ging  auch  febr  gefcbwinb; 
wir  (Dä?^chen  fchürsten  bie  Röche  hoch,  sogen 
bie  föembörmel  hervor  unb  einen  Bruftla^  vor; 
ebenfo  fchnell  hatten  bie  Bitter  fich  verwanbelt, 
bie  als  Bauern  fchon  im  Pappenbechelpanser 
ftahen.  Blumen,  Bänber,  S'rüchte,  Obft  in  Körbchen 
ftanben  fchon  bereit.  €h  man  brei  3ählen  honnte, 
waren  wir  in  Orbnung  auf marfchiert ,  ein  €rnte^ 
3ug,  vorauf  bie  (Dufihanten  unb  Bahnen  ber 
Canbleute,  alles  mit  Silber*  unb  Golbpapier 
behoriert.  €in  junger  (Denfch,  Bühes,  führte  bie 
Dorfmufihanten ;  er  fpielte  auf  bem  ßaberrohr, 
er  hatte  fchon  fo  viel  Wii^e  gemacht,  er  fchnitt  fo 
närrifche  6efichter,  ba^  ich  haum  konnte  meine 
Verfe  beklamieren.  Da  ftolperte  ber  Heunsehner 
hinter  mir  unb  läfet  feinen  l^orb  mit  Äpfeln  über 
mich  hinaus  rollen ;  es  erfchallte  ein  grofe  Cachen, 
hein  (Denfch  benht  mehr  an  bie  Verfe  von 
Chateaubour.  Der  Dichter,  ber  fich  fo  viel  l5off= 
nung  gemacht  hatte,  quel  effet  que  cela  fera.  — 
Die  fchönen,  sirUelrunben  Borsborfer  waren  be= 
ftimmt  gewefen,  in  einem  Rkt  in  unferm  Bauer* 
tan3,  nach  ber  Bebe,  in  ber  ich  unterbrochen 
warb,  3u  figurieren.  Wir  follten  im  Zan-^  einanber 
SritJcb.Strobl.  7 


98 


gegenüber  3u  fteben  hommen  unb  nocb  ber  (Dufik 
mit  öiefen  Äpfeln  ein  Ballfpiel  aufführen.  Unb 
bies  hatten  wir  nun  wochenlang  eingeübt  fo  ficher 
wie  bie  heften  Bombardiere.  ~  Sollte  nun  öies 
befte  f^unftftüch  burchfallen  ?  -  Wir  rafften  fchnell 
bie  Apfel  auf  unb  ftellten  uns  in  Orbnung  auf. 
Die  Rohrpfeife  wollte  nun  bie  3wifchenmufiN 
überspringen  unb  bie  (Dufih  3um  ßallfpiel  ein* 
leiten  ober  aufpfeifen.  Rber  bie  Geigen  verftanben 
bas  nicht  unb  l^amen  ihm  nicht  nach,  fie  blieben 
auf  bem  alten  Sa^;  es  gab  ein  Charivari.  Die 
jungen  prin3lichen  unb  gräflichen  ßerrfchaften, 
bie  bies  Spiel  nicht  3um  Ballett  gehörig  glaubten, 
hatten  fich  breingemifcht  unb  warfen  mit  Äpfeln 
um  fich  her;  mancher  mag  ba  getroffen  worben 
fein,  ber  nicht  gemeint  war.  Doch  es  fing  an, 
menfchlich  3u  werben  unter  ihnen;  fie  probierten 
ihre  i^rän3e  auf,  wie  fie  nach  ihrer  (Deinung 
ihnen  recht  gut  ftanben.  60  ging  man  behrän3t 
herum,  unb  als  ob  baburch  bie  f^laufur  ber  €tihette 
aufgehoben  fei,  lief  alles  untereinanber,  ftiefe  fich 
mit  ben  €llenbogen  unb  ftolperte  ohne  weitere 
€ntfchulbigungen.  Bül^es  mit  feiner  Pansflöte 
führte  einen  5atYrtan3  auf  aus  eignem  Ingenium 
unb  fpielte  felbft  ba3U  auf;  er  enbigte  bies 
Impromptu  mit  einer  Ohe  von  Ovib,  bie  er  lang* 
fam  unb  beutlich  mit  allen  möglichen  (Dobulationen, 
halb  mit  Donnerftimme,  halb  mit  fanftem  f  lüftern 
behlamierte  unb  ba3wifchen  mit  ber  pansflöte 
Interme330S  fpielte.  -  €r  würbe  bewunbert. 
(Dehrere,  bie  fich  als  Cateiner  wollten  3eigen, 
gaben  ihm  bas  befte  Cob,  was  er  mit  grofeem 


99 


piäfier  anhörte,  weil  er  allerlei  lateinifcbes,  finn= 
lojes  3eug  3ujammengewürfelt  baue,  was  gan3 
ohne  allen  3ufammenbang  gewesen  war. 

Geftern,  lieber  Clemens,  bab  icb  bis  bierber 
gefcbrieben.  Vielleicht  langweilt  Dicb's,  es  ift  aber 
gleich  aus.  -  Die  behränsten  ßerrfcbaften  festen 
ficb  3ur  Tafel;  fogar  bie  alte  Prinsefe  Rotbenburg 
hatte  einen  f^ran3  von  Wachbolber,  mit  perlen 
burchf lochten,  auf  ihre  altmoöifcbe  BlonÖencoiffure 
gefegt,  bie  öaburch  febr  verfchönert  warb.  Tannen,, 
(Dyrte,  Orangen,  Oleanöer  unÖ  Corbeer  l^rän3te 
manchen  alten  Ropf,  beffen  grofee  ßaNennafe 
unter  Öem  Rran3[chatten  fich  fehr  vorteilhaft  aus- 
nahm. Die  ODufih  bauerte  währenb  bem  Cffen 
fort,  bas  t3allett  auffübrenbe  Personal  tan3te  ba3u 
auf  eigne  fauft  allerlei  groteske  Sprünge.  Blle 
Rugenbliche  würbe  Tufcb  geblafen,  W03U  wir  im 
föintergrunb  bas  Vivat  verjtärhten.  Um  (Ditter- 
nacht  war  gegenseitiges  Umarmen,  ba3u  tan3ten 
wir  bie  Bonbe,  alle  an  einem  blaufeibenen  Banb 
uns  baltenb,  auf  bem  Verje  gebrückt  waren  auf 
alle  hoben  Perjonen.  Im  Zan^  machten  wir  ßalt 
unb  fchür3ten  bas  Banb  mit  bem  Vers  über  ben, 
an  ben  es  gerichtet  war;  fo  beham  jeber  feinen 
Vers  3u  lefen.  Dun  kam  eine  grofee  Pajtete; 
ber  Dechel  würbe  abgehoben,  ^a  fprang  ein  Weines 
ßünbchen  heraus,  aber  gan3  hlein.  Der  föersog 
hatte  es,  ich  weife  nicht  woher,  aus  bem  füblicben 
Frankreich  verfchreiben  laffen  3um  tleujabrs^ 
gefchenk  für  bie  fürftin  von  Vfenburg.  Dies 
piäfier  war  gan3  apart ;  kaum  befann  es  fich  ein 
wenig,   fo   bellte   es   bie   gan3e   öefellfcbaft   an. 

7* 


100 


Hocb  3wei  anbre  hleine  ßunbe  würben  herbei» 
geholt,  um  Behanntjcbaft  3U  machen,  bie  waren 
aber  nicht  fo  hlein.  Das  Gebell  ber  brei  Kleinen 
ßünbchen  übertönte  alles  unb  vermittelte  bie 
gegenseitigen  Lebensarten  unb  ölüchwünfchungen. 
Das  Cob  bie^es  f  eftes  läutet  wie  ein  wohltönenb 
Glochenfpiel  hier  in  ber  gansen  Umgegenb  unfern 
Buhm  aus;  man  will  es  noch  einmal  wieberholt 
haben.  €inmal  ijt  heinmal,  aber  noch  einmal, 
bas  ift  3U  viel. 


00     —    00    —     0© 


ie  Cmigranten     o     o     o 

DIZI1DCZDDIZDDCZ3DCZD 


Bei  öer  Grofemama  w?irÖ  je^t  abends  allerlei 
Politifcbes  unter  ben  Cmigranten  verbanöelt, 
öa  wirö  öie  Umwäl3ung  öes  großen  Welthürbis 
von  allen  Seiten  verfucbt,  er  beucbt  ibnen  an= 
gefault.  Bufeer  Cboifeil,  Ducailas,  D'flllaris,  öie 
immer  öas  Wort  führen,  hamen  geftern  nocb  ein 
ßerr  von  (Darcelange  unö  Varicourt,  biefer 
le^tere  befonöers  jcbön,  von  eöler  f5altung,  ritter= 
lieb;  icb  hönnt  l^einen  flugenblich  glauben,  bafe 
ihm  je  etwas  Unebenes  in  Öen  Sinn  homme.  €r 
wenbete  jicb  immer  3U  mir,  als  ob  er  um  meinen 
Beifall  werbe  -  ai-je  raison?  Seine  Reben 
macbten  mir  Cinbruch.  €r  war  in  Begleitung 
einer  l5er3ogin  von  Bouillon  (föeffen^Rotenburg) 
unb  einer  Prinsefe  Biron,  bie  mittags  auch  bie 
Örofemama  befucbt  hatten,  burcb  franhfurt  ge* 
l^ommen.  €in  6raf  Catälan  bat  ihn  3ur  6rofe= 
mama  geführt,  bie  litt  nicht,  ba^  bie  €migranten 
wie  gewöhnlich  Politil^  fpracben,  weil  fie  meiftens 
geteilter  Gefinnung  finb.  Später  er3ählte  fie,  iia^ 
fein  Bruber  jener  Varicourt  fei,  ber  als  garde 
du  roi  am  6.  Oktober  1790  in  Verfailles  an  ber 
üür  ber  f^önigin  ermorbet  würbe,  als  er  ihr  3U» 
rief:  „f^önigin,  retten  6ie  ficb,  es  ift  ber  leiste 
Dienft,  ^en  icb  ihnen  leifte."  Die  Örofemama  er= 
3ählte  mir  von  feiner  (Dutter,  bie  fie  l^ur3  nachher 


102 


in  öer  6cbwei3  auf  einem  verfallenen  Canbfi^  bei 
Hyon  getroffen  hatte  in  einer  öüftern,  grofeen 
Vorballe,  öie  3ugleicb  J^ücbe  war,  mit  alten, 
wollenen  Capeten  fo  faltig  bebangen,  ein  altes 
Rubebett,  auf  bem  ber  f5ut  ibres  öobnes  mit 
weifeer  f^oharbe  lag,  ein  paar  ötrobftüblcben,  ein 
ungeheuer  grofeer  l^amin  mit  einem  kleinen  f  euer 
von  einigen  Hebenreifern ,  wo  ein  f^efjelcben  mit 
reewajjer  für  bie  kranhe,  alte  §rau  hocbte,  eine 
fcblafenöe  f^at3e  3U  ibren  §üfeen,  ein  ein3iges 
tcbmales,  bobes  fenfter  in  öiefem  3erfallenen 
■Wobnfit5  einer  ausgeftorbenen  familie.  Da  babe 
bie  §rau  ibr  ben  ßut  ge3eigt  unb  gefagt,  es  war 
eine  3eit,  wo  bas  weifee  ßanb  gan3  Frankreich 
3um  Öeborfam  für  feinen  f^önig  aufrief  ufw.  - 
Ich  hörte  ber  Großmutter  gern  3U,  \o  lange  fie 
bies  er3ählte,  babei  brachte  fie  aber  noch  fo 
manches  anbere  vor,  was  keinen  3ufammenbang 
bamit  hatte.  60  fprach  fie  von  einer  ßerbe 
mehrerer  bunbert  f^übe,  bie  man  bamals  an 
einem  Ort  3ufammengetrieben,  wo  fie  wegen  einer 
Seuche  alle  totgefchoffen  würben;  -  fie  jammerten 
unb  tobten  bei  ben  erften  öchüffen,  als  aber  ber 
Bulle  niebergefchoffen  war,  hat  keine  Ruh  ficb 
mehr  gewehrt,  alle  haben  ruhig  ben  Tob  er* 
wartet;  vergleiche:  Emigranten  unb  ihren  l^önig. 

DCZia 


^    ijf    ^    f    ^ß^    ^'    llf    f    >](    llf 


Romantik  bes 

ßersens  unb  ber 

Welt 


ii 


Ikl 


"9 


[oroQ  O^O^O  D^D^[ 


le  Blumen  im  f^lofter      o 

aaD==DDD=DDD==DDDI 


Rlle  Blumen  bab  icb  geliebt,  eine  jebe  in  ihrer 
Rrt,  wie  icb  fie  nacbeinanber  kennen  lernte, 
unb  heiner  bin  icb  untreu  geworben,  unb  wie  icb 
ihre  (Duskelkraft  entbechte:  Das  Cöwenmäulcben, 
wie  es  mir  3um  erstenmal  bie  3unge  aus  feinem 
famtnen  Racben  entgegenftreckte,  als  icb  es  3U 
kräftig  anfafete.  -  leb  will  jie  nicbt  alle  nennen, 
mit  benen  icb  \o  innig  vertraut  würbe,  wie  fie  mir 
jet3t  im  Gebäcbtnis  erwacben;  nur  eines  ein3igen 
gebenk  icb,  eines  (Dyrtenbaums,  t>en  eine  junge 
Honne  bort  pflegte.  6ie  batte  ibn  Winters  unb 
Sommers  in  ibrer  3elle,  fie  richtete  ficb  in  allem 
nacb  ihm,  fie  gab  ibm  nacbts  wie  tags  bie  Cuft, 
unb  nur  fo  viel  Wärme  erhielt  er  im  Winter,  als 
ibm  not  tat.  Wie  fühlte  fie  fich  belohnt,  lia  er 
mit  f^nofpen  bebeckt  war!  6ie  3eigte  mir  fie, 
fcbon,  wie  fie  kaum  angefet3t  hatten;  icb  half  ihn 
pflegen;  alle  (Dorgen  füllte  icb  ben  f^rug  mit 
Waffer  am  (Dablenenbrünncben.  Die  Rnofpen 
wucbfen  unb  röteten  ficb,  enblicb  brachen  fie  auf; 
am  vierten  Tage  ftanb  er  in  voller  Blüte,  eine 
weifee  Seile  jebe  Blüte,  mit  taufenb  ötrablenpfeilen 
in  ihrer  (Ditte,  beren  jeber  auf  feiner  6pit5e  eine 
Perle  barreicht.  €r  ftanb  im  offenen  f enfter,  bie 
Bienen  begrüßten  ihn.  -  ]et5t  erft  weife  icb,  ba\s 
biefer  Baum  ber  Ciebe  geweiht  ift;  bamals  wufet 


106 


icb's  nicht,  unö  jet5t  verftebe  ich  ihn.  -  Sag, 
Kann  öie  Ciebe  füfeer  gepflegt  weröen  als  biefer 
Baum?  -  Unö  kann  eine  3ärtlicbe  pflege  füfeer 
belohnt  werben  als  öurch  eine  fo  volle  Blüte?  - 
Reh,  bie  liebe  Donne  mit  halb  verblühten  Rofen 
auf  öen  Wangen,  in  Weife  verhüllt,  unb  ber 
jchvvar3e  f  lorfchleier,  ber  ihren  raschen,  3ierlichen 
Gang  umfchwebte;  wie  aus  bem  weiten  Ärmel 
bes  fchwarsen,  wollenen  öewanbes  bie  fchöne 
föan^  hervorreichte,  um  bie  Blumen  3U  begießen! 
einmal  ftechtejie  ein  hleines,  jchwar3es  Böhnchen 
in  bie  €rbe;  fie  fchenWe  mir's  unb  fagte,  ich  folle 
es  pflegen ;  ich  werbe  ein  fchönes  Wunber  baran 
erleben.  Balb  heimte  es  unb  3eigte  Blätter  wie 
ber  f^lee;  es  30g  fich  an  einem  ötöchchen  in  bie 
f5öh  wie  bie  Wiche  mit  kleinen,  geringelten  ßahen; 
bann  bracht  es  fparfame,  gelbe  Blüten  hervor, 
aus  benen  wuchs  jo  grofe  wie  eine  ßafelnufe  ein 
grünes  eichen,  bas  fich  in  Reifen  bräunte.  Die 
Honne  brach  es  ab  unb  30g  es  am  Stiel  aus^ 
einanber  in  eine  Rette  von  3ierlich  georbneten 
Stacheln,  3wifchen  benen  ber  Same  von  kleinen 
Bohnen  gereift  war.  Sie  flocht  baraus  eine 
F^rone,  fet3te  fie  ihrem  elfenbeinernen  Chriftus  am 
J^ru3ifix  3U  f  üfeen  unb  fagte  mir,  man  nennt  biefe 
Pflan3e  Corona  Christi. 

Wir  glauben  an  Gott  unb  an  Chriftus,  ba^ 
er  Gott  war,  ber  fich  ans  Rreu3  fchlagen  liefe; 
wir  fingen  ihm  Citaneien  unb  fchwenhen  ihm  ben 
Weihrauch;  wir  versprechen,  heilig  3U  werben,  unb 
beten  unb  empfinben's  nicht.  Wenn  wir  aber 
fehen,  wie  bie  Hatur  fpielt,  unb  in  biefem  Spiel 


107 


eine  Sprache  ber  Weisheit  hinMicb  ausörücht, 
wenn  fie  auf  Blumenblätter  5euf3er  malt,  ein  O 
unb  Reh,  wenn  bie  {kleinen  Räfer  öas  Rreu3  auf 
ihren  §lügelbechen  gemalt  haben,  unb  biefe  kleine 
Pflanse  eben,  fo  unfcheinbar,  eine  mit  Sorgfalt 
gehegte,  künftlicbe  Dornenl^rone  trägt,  wenn  wir 
Raupen  unb  Schmetterlinge  mit  bem  Geheimnis 
ber  Dreifaltigl^eit  beseicbnet  fehen:  bann  fchaubert 
uns,  unb  wir  fühlen,  bie  Gottheit  felber  nimmt 
ewigen  Rnteil  an  biefen  Geheimniffen;  bann  glaub 
ich  immer,  ba^  Religion  alles  er3eugt  hat,  ja  ba\s 
fie  felber  ber  finnliche  ^rieb  3um  Ceben  in  jebem 
Gewächs  unb  jebem  Tier  ift.  -  Die  Schönheit 
erl^ennen  in  allem  Gefchaffenen ,  unb  fich  ihrer 
freuen,  bas  ift  Weisheit  unb  fromm;  wir  beibe 
"Waren  fromm,  ich  unb  bie  Honne;  es  werben 
wohl  3ehn  Jahre  fein,  ^a^  ich  im  f^lofter  war. 
Voriges  Jahr  hob  ich's  im  Vorüberreifen  wieber 
befucht.  (Deine  Honne  war  pdorin  geworben, 
fie  führte  mich  in  ihren  Garten,  -  fie  mufete  an 
einer  Rrüche  gehen,  fie  war  lahm  geworben,  — 
ihr  CHyrtenbaum  ftanb  in  voller  Blüte.  Sie  fragte 
mich,  ob  ich  ihn  noch  henne;  er  war  fehr  ge= 
wachfen;  umher  ftanben  Feigenbäume  mit  reifen 
fruchten  unb  grofee  Hellten.  Sie  brach  ab,  was 
blühte  un^  was  reif  war,  unb  fchenhte  mir  alles, 
nur  bie  (Dyrte  fchonte  fie;  bas  wufete  ich  auch 
fchon  im  voraus.  Den  Straufe  befeftigte  ich  im 
Reifewagen;  ich  war  wieber  einmal  fo  glüchlicb, 
ich  betete,  wie  ich  im  Rlofter  gebetet  hatte;  ja, 
feiig  fein  macht  beten! 


0  DDG  Q  DDG  Q 


Hus  be 


US  bem  f^lofter     o     o     o    DOs 
o==o==o  o^  oJ 


ein  nönncben  würbe  eingel^leiöet,  eine  anöere 
haben  wir  begraben  wäbrenb  öen  brei  Jahren, 
als  icb  im  f^lofter  war;  ber  einen  hob  icb  Öen 
3Ypreffenl^ran3  auf  ben  Sarg  gelegt,  fie  war  bie 
Gärtnerin  unb  hatte  lange  Jahre  ben  Hosmarin 
gepflegt,  ben  man  ihr  aufs  Grab  pflan3te.  Sie 
war  acbtsig  Jahre  alt  unb  ber  Tob  berührte  fie 
fanft,  währenb  fie  Rbjenker  von  ihren  Cieblings= 
nelhen  machte ;  "^Oi  hochte  fie  am  Boben  unb  hielt 
bie  pflansen  in  ber  ßanb,  bie  fie  eben  einfet3en 
wollte,  leb  war  ber  Vollftrecher  ihres  Teftaments, 
benn  icb  nahm  bie  pflansen  aus  ber  erftarrten 
ßanb  unb  fe^te  jie  in  bie  frifch  aufgewühlte  €rbe, 
icb  begofe  fie  mit  bem  let3ten  l^rüglein  Waffer,  was 
fie  am  (Dablenenbrünnchen  geholt  hatte,  bie  gute 
öcbwefter  ODonil^a!  Wie  fcbön  wucbfen  biefe 
Helhen!  Dunkelrot  waren  fie  unb  grofe.  -  Da 
mich  fpäter  ber,  ber  mich  liebt  unb  kennt, 
mit  einer  bunklen  Heike  verglicb,  "ba  bacbte  icb 
an  bie  Blumen,  bie  icb  junges  f^inb  aus  ber  er^ 
ftorbenen  f5anb  bes  hohen  Biters  entnommen  unb 
eingepflan3t  hatte,  unb  ob  es  wohl  fo  kommen 
werbe,  'bo!'^  auch  mich  ber  Tob  beim  pflansen  ber 
Blumen  überrafcbe,  ber  Tob,  ber  triumphierenbe 
ßerolb  bes  Cebens,  ber  Befreier  von  irbifcber 
Scbwere. 


» 


109 


Rber  jene  anöere  Honne,  jung  unb  fcbön, 
öeren  lange,  golbne  flecbten  ich  auf  golönem 
Opferteller  3um  Rltar  trug;  —  icb  bab  nicbt  ge* 
weint,  ba  man  bie  alte  Gärtnerin  3U  Grabe  trug, 
obfcbon  fie  meine  f  reunbin  gewefen  war  unb  mir 
manche  Gartenhunft  gelehrt  hatte.  €s  kam  mir  fo 
natürlich  vor  unb  fo  behaglich,  ^a^  ich  nicht  einmal 
barüber  verwunbert  war;  aber  bamals,  als  ich  im 
Chorhembchen  mit  einem  I^ran3  von  Rofen  auf  bem 
F^opf,  mit  brennenber  Rerse  als  Geleitengel  unter 
bem  Geläute  aller  Glochen  vor  ber  in  alle  üppige 
Pracht  gel^leibeten  jugenblichen  Braut  Chrifti  ein* 
berfchritt;  ba  wir  an  bas  Gitter  hamen,  vor  welchem 
ber  ßifchof  ftanb,  ber  ihr  bie  Gelübbe  abnahm, 
unb  er  fragte,  ob  fie  fich  Chrifto  vermählen  wolle, 
unb  man  ihr  auf  ihr  Bejahen  bie  mit  perlen  unb 
Bänbern  burchflochtenen  ßaare  abschnitt,  welche 
ich  auf  einem  golbenen  tieller  empfing,  l>a  fielen 
meine  Tränen  auf  biefe  föaare,  unb  ba  ich  bin 
3um  Bltar  trat,  um  fie  bem  Bifchof  3U  überreichen, 
ba  fchluch3te  ich  laut,  unb  bas  Voll^  weinte  mit. 

Die  junge  Braut  legte  fich  an  bie  Crbe,  es 
würbe  ein  Ceichentuch  über  fie  gebreitet,  bie 
Donnen  wallten  von  allen  Seiten  herbei,  je  3U 
3wei  Blumenkörbe  tragenb.  ich  ftreute  bie  Blumen 
auf  bas  Ceichentuch,  währenb  ein  Requiem  ge= 
fungen  würbe.  Sie  würbe  als  Tote  eingefegnet 
unb  Gebete  über  fie  gefprochen;  bas  irbifche 
Ceben  war  beenbet,  ich  hob  als  Ruferftehungs* 
engel  bie  üotenbeche  auf.  Das  himmlifche  Ceben 
beginnt,  bie  Honnen  umringen  fie ;  in  ihrer  (Ditte 
wirb  fie  vom  weltlichen  Staat  enthleibet,  Orbens* 


110 


ea 


k\e\b,  (Daniel  unb  öcbleier  vveröen  ihr  angelegt, 
worauf  fie  in  öie  ßänbe  bes  Bifcbofs  bie  Öelübbe 
bes  Öeborfams,  ber  f^eufcbbeit  unb  ber  Rrmut 
ablegt.  Rcb,  wie  war  icb  behlommen,  ba  ber 
Bifcbof  ibr  bas  Rru3ifix  reicbte,  um  es  als  ibren 
Bräutigam  3U  küfjen.  Icb  wicb  nicbt  von  ibrer 
Seite;  am  Rbenb,  ba  bie  Honne  allein  in  ibrer 
3elle  fafe,  hniete  icb  nocb  vor  ibr,  mit  meinem 
verweihten  Rofenhran3  auf  bem  f^opf;  fie  war 
eine  §ran3Öfin,  eine  Gräfin  b'flntelot.  „Mon 
enfant,"  fragte  fie,  „mon  eher  ange  gardien,  pour- 
quoi  as  tu  pleure  ce  matin  lorsqu'on  ma  coupe 
les  cheveux?"  Icb  fcbwieg  eine  Weile  ftill,  aber 
bann  fragte  icb  leife:  „Madame,  est-ce  que  Jesus 
Christ  a  aussi  une  barbe  noire?" 

Die  jcböne  Svau  war  mit  vielen  anbern  boben 
Damen  unb  Rittern,  bie  Orbensbänber  unb  Sterne 
batten  unb  aus  franhreicb  vertrieben  waren,  in 
unfer  l^lofter  gekommen;  biefe  3ogen  alle  weiter, 
fie  allein  blieb  3urüch.  Sie  wanbelte  viel  im 
Garten ;  fie  batte  einen  bli^enben  Ring  am  f  inger, 
ben  fie  hüfete,  wenn  fie  in  ber  bunhlen  Rllee 
allein  war.  Da  las  fie  ibre  Briefe  mit  leifer 
Stimme,  unb  mit  einem  feinen,  weifeen  Zudbe 
trochnete  fie  bie  weinenben  Rügen.  Icb  belaufcbte 
fie,  icb  liebte  fie  unb  weinte  beimlicb  mit.  einmal 
trat  ein  fcböner  (Dann  in  glän3enber  Uniform  mit 
ibr  in  ben  Garten.  Sie  fpracben  3ärtlicb  mit^ 
einanber.  Der  (Dann  batte  einen  fcbwar3en  Bart, 
er  war  gröfeer  als  fie,  er  bielt  fie  in  feinen  Rrmen 
unb  fab  auf  fie  berab,  unb  feine  glän3enben 
tränen  blieben  in  feinem  fcbwar3en  Bart  bangen; 


I 


111 


öas  fab  icb,  benn  ich  fafe  in  Öer  bunheln  Caube, 
an  beren  €ingang  fie  ftanben.  €r  feufste  tief 
unö  laut,  er  brückte  fie  ans  ßer3,  unö  fie  hüfete 
öie  glänsenben  Tränen  im  fcbwar3en  Bart  auf. 
Hocb  oft  wandelte  bie  fcböne  frau  in  biefen 
einfamen  Rlleen,  nocb  oft  fab  icb  fie  weinenb 
unter  bem  Baum,  wo  er  Rbfcbieb  genommen 
batte,  unb  enblicb  nabm  fie  ben  öcbleier. 


g       czD        g        1=1        g 


eine  Geiftergefcbicbte  in     o    p^^ 
o     o      Goethes  S'amilie    r^ll^ 
no  =00  QO  OD  ^IS 

Deine  Grofemutter  ham  einft  nacb  (Ditternacbt 
in  öie  Scblafftube  ber  Töchter  unb  blieb  ba 
bis  am  (Dorgen,  weil  ihr  etwas  begegnet  war, 
was  fie  vor  Rngft  ficb  nicbt  3U  fagen  getraute; 
am  anöern  (Dorgen  er3äblte  fie,  öafe  etwas  im 
3immer  gerafcbelt  habe  wie  Papier;  in  öer 
(Deinung,  bas  Senfter  fei  offen  unb  öer  Winö 
jage  bie  Papiere  von  bes  Vaters  Scbreibpult  im 
anftofeenben  6cblaf3immer  umber,  fei  fie  auf* 
geftanben;  aber  bie  Senfter  feien  gefcbloffen  ge* 
wefen.  Da  fie  wieber  im  Bett  lag,  raufcbte  es 
immer  näher  unb  näher  heran  mit  ängftlichem 
3ufammenhnittern  von  Papier;  enblich  feuf3te  es 
tief  auf  unb  noch  einmal  bicht  an  ihrem  Rngeficht, 
Z>a\s  es  fie  kalt  anwehte.  Darauf  ift  fie  vor  flngft 
3U  ben  l^inbern  gelaufen.  f^ur3  hiernach  liefe  fich 
ein  frember  melben ;  t)cx  biefer  nun  auf  bie  f5aus= 
frau  3uging  unb  ein  gan3  3erhnittertes  Papier 
ihr  barreichte,  wanbelte  fie  eine  Ohnmacht  an. 
€in  freunb  von  ihr,  ber  in  jener  Dacht  feinen 
herannahenben  Tob  verfpürte,  hatte  nach  Papier 
verlangt,  um  ber  f  reunbin  in  einer  wichtigen  Rn* 
gelegenheit  3U  fchreiben;  aber  noch  ehe  er  fertig 
war,  hatte  er,  vom  Tobest^rampf  ergriffen,  bas 
Papier  gepocht,  3erknittert  unb  bamit  auf  ber 
Bettbeche  hin  unb  her  gefahren,  enblich  3weimal 


113 


tief  Qufgefeuf3t,  unb  bann  war  er  verfcbieöen. 
Obfcbon  nun  öas,  was  auf  bem  Papier  gejcbrieben 
war,  nicbts  €ntfcbeiben5es  besagte,  fo  konnte  ficb 
bie  §reunöin  bocb  vorstellen,  was  feine  le^te  Bitte 
gewesen.  Dein  eMer  Örofevater  nahm  ficb  einer 
kleinen  Waife  jenes  freunbes,  bie  keine  recbt= 
lieben  Rnfprücbe  an  fein  Crbe  hatte,  an,  warb  ihr 
Vormunö,  legte  eine  Summe  aus  eignen  (Ditteln 
für  fie  an,  öie  Deine  6rofemut1er  mit  mancbem 
kleinen  €rfparnis  mehrte. 


Sritfcb'Strobl. 


DMD  O  DMD  O  DHU 


Ute  Geifter 


iD 


einmal  fcbon  im  l^lofter  hatten  micb  bie  Öeifter 
bewogen,  mich  ihnen  3u  gesellen;  in  ben 
hellen  (Donönäcbten  lochten  fie  micb.  Ich  öurcb- 
wanberte  wunberlicbe,  öunhle  Gänge,  in  benen 
ich  bie  Waffer  raufeben  hörte ;  icb  folgte  behlemmt. 
Bis  3um  Springbrunnen  ham  icb;  ber  (Donb 
fehlen  in  fein  bewegtes  Waffer  unb  gewanbete 
bie  Geifter,  bie  auf  feinem  wogenben  Spiegel  ficb 
mir  3eigten,  in  Silberglan3.  -  Sie  kamen,  fie  be* 
beuteten  mein  fragenbes  f5er3  unb  verfehwanben 
wieber;  es  kamen  anbere,  fie  legten  Geheimniffe 
auf  meine  3unge,  berührten  alle  Cebenskeime  in 
meiner  Bruft,  be3eiebneten  micb  mit  ihrem  Siegel; 
fie  verhüllten  meinen  Willen,  meine  Heigungen 
unb  bie  I^raft,  bie  von  ihnen  auf  mieb  aus* 
gegangen  war. 

Wie  war  bas?  -  Wie  berieten  fie  mieb?  - 
Durch  welche  Sprache  gab  ficb  ihre  Cehre  kunb  ? 
-  Unb  wie  foll  icb  Dir  barlegen,  t>a^  es  fo 
war?  -  unb  was  fie  mir  lehrten? 

Die  (Donbnacht  bechte  mich  im  füfeen,  tiefen 
f^inbesfcblaf ;  bann  trat  fie  aus  ficb  felbft  hervor 
unb  berührte  mich  an  meinen  Rügen,  ba^  fie 
ihrem  Ciebt  erwachten,  unb  fenhte  ficb  mit  mag* 
netifcber  Gewalt  in  meine  Bruft,  "öa^  icb  alle 
furcht  be3wang,  auf  Wegen,  bie  nicht  geheuer 


115 


waren,  forteilte  in  tiefer,  regungslofer  Hacbt,  bis 
icb  3um  Springbrunnen  ham  3wifcben  Blumen» 
beeten,  wo  jebe  Blume,  jebes  f^raut  in  taufcbenber 
Dämmerung  ein  Traumgeficbt  ausbrüchte,  wo  fie 
buhlten  unÖ  ftritten  mit  öer  pbantafie.  Dort  ftanö 
icb  urib  fab,  wie  ber  von  öen  Cüften  bewegte 
Wajferftrabl  binüber=  unb  berüberfcbwanWe  un5 
wie  bie  (Donbesftrablen  Öas  bewegte  Waffer 
burcbwebten  unb  wie  ber  Bli^  mit  3üngelnber 
eile  filberne  ßieroglypben  in  bie  wogenben  Greife 
fcbrieb.  Da  i^niete  icb  in  ben  feucbten  5anb  unb 
beugte  micb  über  bies  fcbwinbelnbe  Cicbtweben 
unb  laufcbte  mit  allen  Sinnen,  unb  mein  ßers 
hielt  ftill,  unb  icb  nahm  es  an,  als  ob  mir  biefe 
fcbwinbelnben  Strahlensüge  etwas  hinfcbrieben, 
unb  mein  ßer3  war  freubig,  als  ob  icb  fie  ver= 
ftanben  hätte,  M^  ihr  Inhalt  mir  Glüch  anbeute. 
Ich  ging  3urüch  burcb  bie  langen,  bunhlen  laby* 
rintbifcben  Gänge,  vorüber  an  Bilbern  von  wunber* 
lieben  f5eiligen  in  gelaffener  Ruhe,  bis  3U  meinem 
Betteben,  bas  im  Crher  am  fenfter  eingeklemmt 
war.  Da  öffnete  icb  leife  bas  f  enfter  bem  (Donb= 
liebt  unb  liefe  es  meine  Bruft  anftrablen;  -  ja, 
micb  umarmte  in  jenen  glüchlicben,  glüchbringenben 
(Domenten  ein  freubegeiftiges  Gefühl,  grofe,  a\U 
umfaffenb;  es  umarmte  von  aufeen  mein  I5er3. 
(Dein  ßer3  fühlte  ficb  umfafet  von  einer  liebenben 
Gewalt,  ber  es  ficb  anfcbmiegte  im  Scblummer, 
ber  von  biefer  Gewalt  aus  über  micb  Uam.  Wie 
foll  icb  biefe  Gewalt  nennen?  -  Cebensgeift? 
Icb  weife  es  nicht,  icb  weife  nicht,  was  ich  erfahren 
hatte,  aber  ein  Begegnis  war  es  mir,  ein  wichtiges 

8* 


116  =  ea 

Creignis,  unb  icb  war  im  ßersen  als  wie  öer 
l^eim,  öer  aus  erfter  Verhüllung  ans  Cicbt  hervor* 
bricht;  ich  faugte  Cicht  mit  bem  öeift  unb  fah  mit 
biefem,  was  ich  vorher  mit  leiblichem  fluge  nicht 
gefehen  haben  würbe.  Blies,  was  bie  Datur  mir 
fpielenb  barbot,  gab  mir  eine  Erinnerung  an  ein 
Verborgenes  in  mir;  in  Farben  unb  formen  ber 
Pflansenwelt  jah  ich  mit  tiefem,  geniefeenbem, 
versehrenbem  ßlich,  burch  t>en  bie  Hahrung  in 
meinen  Öeift  übergehe. 

Reh,  wir  wollen  fchweigen,  wir  wollen  leifen 
Hebelflor  über  bies  Geheimnis  sieben,  burch  ben 
uns  fein  Inhalt  ahnungsweife  burchfchimmert ;  ja, 
wir  wollen  fchweigen,  freunb!  Wir  Uönnen's  ja 
boch  nicht  in  Worten  enthüllen. 


^ 


^      D      □      D      ^m 


er  Scbäfer  von  Bingen   o 


/*v^^^"  erfter  Gang  war  hier  berauf*),  wo  icb 
\  i  /  Dir  ben  legten  Brief  fcbrieb,  eb  wir  reiften. 
Icb  wollte  feben,  ob  mein  Tintenfafe  nocb  öa  jei 
unb  meine  kleine  COappe  mit  Papier.  Blies  nocb 
an  Ort  unb  Stelle;  acb  Goetbe,  icb  babe  Deine 
Briefe  fo  lieb,  icb  babe  fie  eingebüllt  in  ein  feiönes 
Zudby  mit  bunten  Blumen  unö  golbnem  3ierat 
gefticht.  Rm  legten  Zqq  vor  unserer  Rbeinreife, 
ba  wufete  icb  nicbt  wobin  mit;  mitnebmen  wollte 
icb  fie  nicbt,  öa  wir  allefamt  nur  einen  (Dantel* 
fach  batten.  In  meinem  3immercben,  öas  icb  nicbt 
verfcbliefeen  konnte,  weil  es  gebraucbt  wuröe, 
mocbte  icb  fie  aucb  nicbt  laffen;  icb  bacbte,  öer 
Hacben  könnte  verfinken  unÖ  icb  erfaufen,  unÖ 
öann  würben  bie  Briefe,  beren  einer  um  ben 
anbern  an  meinem  ßer3en  gelegen  bat,  in  frembe 
löanb  kommen.  €rft  wollte  icb  fie  ben  Donnen 
in  Vollratbs  aufsubeben  geben;  -  es  finb  Bern« 
barbinerinnen ,  bie,  aus  bem  I^lofter  vertrieben, 
jet3t  bort  wobnen,  -  nacbber  bab  icb's  anbers 
überlegt.  Das  le^temal  babe  icb  bier  auf  bem 
Berg  einen  Ort  gefunben:  unter  bem  Beicbtftubl 
ber  Rocbuskapelle ,  ber  nocb  ftebt,  in  bem  icb 
aucb  immer  meine  öcbreibereien  verwabre,  bab 
□ □□□ ^— D 


•)   Ruf  ben  Rocbusberg. 


118 


icb  eine  hleine  ßöble  gegraben  unö  hob  fie  in« 
wenöig  mit  (Dufcbeln  vom  Rhein  unb  wunöer^ 
fcbönen  kleinen  Riefeljteincben  ausgemauert,  bie 
icb  auf  öem  ßerge  fanb.  Da  bab  icb  fie  in  ibrer 
jeiönen  Umbüllung  hineingelegt  unb  eine  Diftel 
vor  bie  Stelle  gepflanst,  beren  Wursel  icb  forg* 
fältig  mitsamt  ber  €rbe  ausgeftocben.  Unterwegs 
war  mir  oft  bange;  welcher  Schlag  hätte  mich 
getroffen,  hätte  ich  fie  nicht  wiebergefunben;  mir 
fteht  bas  I5er3  ftill.  -  Sieben  Tag  war  fcblecbt 
Wetter  nach  unferer  ßeimkebr;  es  war  nicht  mög* 
lieb  hinüber3ukommen ;  ber  Rhein  ift  um  brei 
fufe  geftiegen  unb  gan3  veröbet  von  Hacben; 
ach,  wie  bab  icb's  verwünfcht,  ^a^  ich  fie  ^a  oben 
hingebracht  hatte,  f^einem  mocht  icb's  fagen,  aber 
bie  Ungebulb,  hinüber3ukommen ;  ich  hatte 
Sieber  aus  flngft  um  meine  Briefe,  ich  konnte 
mir  ja  erwarten,  ber  Regen  würbe  irgenbwo 
burcbgebrungen  fein  unb  fie  verberben.  Reh,  fie 
haben  auch  ein  bifechen  Waffernot  gelitten,  aber 
nur  gan3  wenig;  icb  war  fo  froh,  wie  ich  von 
weitem  bie  Diftel  blühen  fah,  l>a  bab  icb  benn 
fie  ausgegraben  unb  in  bie  Sonne  gelegt;  fie  finb 
gleich  trocken  unb  ich  nehm  fie  mit.  Die  Diftel 
bab  ich  3um  ewigen  Rnbenken  wieber  feft* 
gepflan3t.  -  Dun  mufe  ich  Dir  auch  er3äblen, 
was  ich  hier  oben  für  eine  neue  €inricbtung  ge* 
funben,  nämlich  oben  im  Beicbtftuhl  ein  Brett 
befeftigt  unb  barauf  einen  kleinen,  viereckigen 
Bienenkorb.  Die  Bienen  waren  gan3  matt  unb 
fafeen  auf  bem  Bretteben  unb  an  bem  f^orb.  Hun 
mufe  icb  Dir  aus  bem  Rlofter  er3ählen.    Da  war 


119 


eine  Honne,  bie  biefe  man  Mere  celatriee,  Öie 
hatte  micb  an  ficb  gewöhnt,  öafe  ich  ihr  alle  6e« 
fcbäfte  besorgen  half,  hatten  wir  öen  Wein  im 
Reller  gepflegt,  fo  faben  wir  nach  ben  Bienen; 
benn  fie  war  Bienenmutter,  unb  bas  war  ein  gan3 
bebeutenbes  Rmt.  Im  Winter  würben  fie  von  ihr 
gefüttert,  bie  Bienen  faugten  aus  ihrer  ßanb  füfees 
Bier;  im  Sommer  hingen  fie  ficb  an  ihren  Schleier, 
wenn  fie  im  Garten  ging,  unb  fie  behauptete,  von 
ihnen  gekannt  unb  geliebt  3U  fein.  Damals  hatte 
ich  grofee  Heigung  3U  biefen  Tierchen.  Die  Mere 
celatriee  fagte,  vor  allem  muffe  man  bie  furcht 
überwinben,  unb  wenn  eine  ftechen  wolle,  fo  muffe 
man  nicht  suchen,  bann  würben  fie  nie  ftark 
ftechen.  Das  hat  mich  grofee  Überwinbung  ge* 
hoftet;  nachbem  ich  ben  feften  Vorfa^  gefafet 
hatte,  mitten  unter  ben  fchwärmenben  Bienen 
ruhig  3U  fein>  befiel  mich  bie  S^urcht;  ich  lief  unb 
ber  gan3e  Schwärm  mir  nach.  €nblich  hob  icb's 
bocb  gelernt,  es  hat  mir  taufenb  freub  gemacht; 
oft  hob  ich  ihnen  einen  Befuch  gemacht  unb  einen 
buftenben  Strauß  hingehalten,  auf  ben  fie  ficb 
fe^iten.  Den  kleinen  Bienengarten  hab  ich  ge* 
pflegt,  unb  bie  gewürsigen  bunklen  Tlelhen  be* 
fonbers  hob  ich  hineingepflanst.  Die  alte  Honne 
tat  mir  auch  ^en  Gefallen,  3U  behaupten,  bafe 
man  alle  Blumen,  bie  ich  gepflanst  hatte,  aus 
bem  ßonig  herausfchmeche.  So  lehrte  fie  micb 
auch,  ^a^j  wenn  bie  Bienen  erftarrt  waren, 
fie  wieber  beleben.  Sie  rieb  fich  bie  ßanb  mit 
Heffeln  unb  mit  einem  buftenben  f^räutcben, 
welches  man  f^a^enftieg  nennt,  machte  ben  großen 


120 


Scbieber  bes  Bienenbaufes  auf  unb  ftechte  bie 
ßanb  hinein.  Da  jetsten  fie  ficb  alle  auf  bie  ßanb 
unö  wärmten  ficb,  öas  bab  ich  oft  auch  mit* 
gemacbt;  ba  ftechte  bie  kleine  ßanb  unb  bie 
grofee  ßanb  im  Bienenkorb,  je^t  wollt  icb's  aucb 
probieren ,  aber  ich  batte  nicht  mehr  bas  f5er3 ; 
fiehft  Du,  fo  verliert  man  feine  Unfchulb  unb  bie 
hoben  Gaben,  bie  man  burcb  fie  hat. 

Balb  bab  icb  aucb  ben  Cigentümer  bes  l^orbs 
kennen  gelernt;  inbem  icb  am  mitten  Berg  lag, 
um  im  Schatten  ein  wenig  3U  faulensen,  hört  icb 
ein  Getrappel  im  Traumfcblummer;  bas  war  bie 
Binger  öcbafberbe  nebft  ßunb  unb  öchäfer.  €r 
fah  auch,  gleich  nach  feinem  Bienenkorb;  er  fagte 
mir,  Z>Q^  er  noch  eine  Weile  hier  weibe,  l>a  bab 
ihm  ber  volle  blühenbe  Thymian  unb  bas  warme, 
fonnige  piät5cben  fo  Wohlgefallen,  1>q^  er  ^en 
Schwärm  junger  Bienen  hier  herauf  gepflanst 
habe,  bamit  fie  fich  recht  wohl  befinben,  unb 
wenn  fie  fich  bann  mehren  follten  unb  ben  gan3en 
gegitterten  Beichtftuhl  einnehmen,  wenn  er  übers 
3ahr  wieberkäme,  fo  folle  es  ihm  recht  lieb  fein. 

Der  Schäfer  ift  ein  alter  (Dann ;  er  hat  einen 
langen,  grauen  Schnurrbart,  er  war  Solbat  unb 
er3ählte  mir  allerlei  von  ben  I^riegsf3enen  unb 
von  ber  früheren  3eit;  babei  pfiff  er  feinem  ßunb, 
ber  ihm  bie  ßerbe  regierte.  Von  verfchiebenen 
Burggeiftern  er3ählte  er  auch,  bas  glaube  er  alles 
nicht;  aber  auf  ber  Ingelheimer  ßöhe,  wo  nocb 
Ruinen  von  bem  grofeen  l^aiferfaal  ftehen,  ba  fei 
es  nicht  geheuer.  €r  fei  felbft  auf  ber  ßeibe  im 
(Donbfcbein  einem  (Dann  begegnet,  gan3  in  Stahl 


121 


gehleibet,  bem  fei  ein  Cöwe  gefolgt;  unb  ba  ber 
Cöwe  (Denfcben  gewittert,  fo  habe  er  fürcbterlicb 
gebeult.  Da  habe  ber  Ritter  ficb  umgehebrt,  mit 
bem  Finger  gebrobt  unb  gerufen:  „Bis  ftille, 
freveliger  ßunb!"  -  Da  jei  ber  Cöwe  verftummt 
unb  habe  bem  (Dann  bie  §üfee  gelecht.  Der 
Scbäfer  ersäblte  mir  bies  mit  befonberem  Schauer, 
unb  icb  jcbauberte  3um  piäfier  ein  bifecben  mit; 
icb  fagte:  „leb  glaube  wobl,  ^a^  ein  frommer 
Scbäfer  ficb  vor  bem  löüter  eines  Cöwen  fürcbten 
mufe."  „Was?"  fagte  er,  „icb  war  bamals  hein 
Scbäfer,  fonbern  öolbat  unb  aucb  gar  nicbt  be= 
fonbers  fromm;  icb  freite  um  ein  Scbä^cben  unb 
war  berübergegangen  nacb  Ingelheim  um  (Ditter= 
nacbt,  um  Tür  unb  Riegel  3U  3wingen;  aber  in 
ber  Hacbt  ging  icb  nicbt  weiter,  icb  hebrte  um."  — 
„nun,"  fragt  icb,  „€uer  Scbä^cben,  bas  bat  wobl 
umfonft  auf  Cucb  gewartet?"  -  „la,"  fagte  er, 
„wo  Geifter  ficb  einmifcben,  l>a  mufe  ber  (Denfcb 
babinten  bleiben."  -  leb  meinte,  wenn  man  liebe, 
brauche  man  ficb  vor  Geiftern  nicht  3U  fürchten, 
unb  könne  ficb  gerabe  bann  für  ihresgleichen 
achten;  benn  bie  Hacbt  ift  3 war  keines  (Denfcben 
Sreunb,  aber  bes  Ciebenben  Sreunb  ift  fie. 

Icb  fragte  ben  Schäfer,  wie  er  ficb  bei  feinem 
einfamen  öefchäft  bie  3eit  vertreibe  in  ben  langen 
Cagen;  -  er  ging  ben  Berg  hinauf,  bie  gan3e 
ßerbe  nahm  wieber  keinen  Umweg.  Cr  3eigte 
mir  eine  fchöne  Schalmei  -  fo  nannte  er  ein 
fDoutbois  mit  filbernen  f^lappen  unb  €lfenbein 
3ierlicb  eingelegt;  er  fagte:  „Die  hat  mir  ein 
§ran3ofe  gefchenkt,  barauf  kann  ich  blafen,  ba^ 


122 


ezB 


man  es  eine  ötunöe  weit  bort ;  wenn  icb  hier  auf 
öer  fDöbe  weiöe  unö  feb  ein  öcbiffcben  mit  luftigen 
Ceuten  brüben,  ba  blas  icb.  In  öer  Seme  nimmt 
ficb  öie  öcbalmei  wunberfcbön  aus,  befonbers 
wenn  bas  Waffer  fo  ftill  unb  fonnig  ift  wie  beute ; 
bas  Blafen  ift  mir  lieber  wie  €ffen  unb  Trinhen." 
Cr  fet5te  an  unb  wenbete  ficb  nacb  bem  Tal,  um 
bas  Ccbo  boren  3U  laffen;  nun  blies  er  bas  Cieb 
bes  weisfagenben  Tempell^naben  aus  Rxur  von 
Ormus  mit  Variationen  eigner  Eingebung.  Die 
feierlicbe  Stille,  bie  aus  biefen  Tönen  bervor» 
bricbt  unb  ficb  mitten  im  leeren  Raum  ausbebnt, 
beweift  wobl,  ba^  bie  ßeifter  aucb  in  ber  finn» 
lieben  Welt  einen  piat3  einnebmen ;  3um  wenigften 
warb  alles  anbers:  Cuft  unb  Oebirge,  Walb  unb 
Seme,  unb  ber  siebenbe  Strom  mit  ben  gleitenben 
Hacben  waren  von  ber  n7elobie  beberrfcbt  unb 
atmeten  ibren  weisfagenben  Geift.  —  Die  ßerbe 
batte  ficb  3um  Buben  gelagert;  ber  ßunb  lag  3U 
bes  Scbäfers  Süfeen,  ber  von  mir  entfernt  auf  ber 
ßöbe  ftanb  unb  bie  Begeiftrung  eines  Virtuofen 
empfanb,  ber  ficb  felbft  überbietet,  weil  er  füblt, 
er  werbe  gan3  genoffen  unb  verftanben.  €r  liefe 
bas  €cbo  eine  febr  feine  Rolle  barin  fpielen;  bier 
unb  l>a  liefe  er  es  in  eine  Cüche  einfcbmel3en;  bann 
wieberbolte  er  bie  let5te  figur  3ärtlicber,  ein* 
bringenber;  -  bas  €cbo  wieber!  -  er  warb  nocb 
feuriger  unb  fcbmacbtenber.  Unb  fo  lebrte  er  ben 
Wiberball,  wie  bocb  er's  treiben  könne,  unb  bann 
enbigte  er  in  einer  brillanten  Sermate,  bie  alle 
Oler  unb  Scblucbten  bes  Donnersberges  unb 
f5unsrüchs  wiberballen  macbte.    Cr  30g  blafenb 


123 


mit  öer  ßerbe  um  ben  ßerg.  -  leb  pachte  meine 
5cbreibereien  auf,  ba  öie  €infamheit  bocb  hier 
oben  aufgehoben  ift,  un5  fcblenöerte  noch  eine 
Weile  bei  gewaltigem  Rbenörot,  mit  öem  Schäfer 
in  weifen  Reben  begriffen,  hinter  ber  weifeen 
ßerbe  brein ;  er  entliefe  mich  mit  bem  f^ompliment, 
ich  fei  gescheiter  ale  alle  COenfchen,  bie  er  kenne. 
Dies  war  mir  was  gan3  Heues,  benn  bisher  hob 
ich  von  gescheiten  Ceuten  gehört,  ich  fei  gän3lich 
unklug;  ich  kann  aber  boch  bem  Schäfer  nicht 
unrecht  geben;  ich  bin  auch  gefcheit  unb  habe 
fcharfe  Sinne. 


SS        SS        m       la 


y 


rau  be  Gacbet  o 

DDD==D==D= 


E 


Geliebter  Clemens!  Was  ift  öocb  alles  wiöer* 
fahren  in  öiefen  Tagen,  öer,  bie  Du  Bettina 
nennft!  -  Gin  Süöwinö  auf  brennenden  Sohlen 
in  einer  Wirbelwolhe  von  Staub  wehte  mir  ins 
Geficbt.  Von  einem  Zag  3um  anbern  hat  bie 
Welt  hier  in  Offenbacb  einen  Pur3elbaum  ge» 
fcblagen.  Denn  erftens  las  ich  im  grünen  3immer 
auf  ber  fenfterbanl^  vor  bem  f5er3og  von 
Bremberg  über  bie  Volhsmajeftät  ein  fran» 
3Öfijcbes  RWenftüch,  v^7orüber  ich  Unenbliches 
hätte  ben  ßer3og  3U  fragen  gehabt,  ber  fcblief 
aber;  ich  wollte  nur  allmählich  aufhören  3U  lejen, 
bamit  er  nicht  wach  werbe;  ich  fing  jchon  an, 
gan3  ftille  3U  werben,  ich  hatte  ausprobiert,  l>a^ 
er  feft  fcblief.  Siebe,  Z>a  kam  im  Sturm  baher* 
gebrauft  ein  Kabriolett  wie  ein  abgefchofener  Pfeil 
vor  bie  ßaustür;  herab  fpringt  ber  Wagenlenher, 
ein  jugenblicb  voller,  fchöner  CDannjüngling  mit 
hlirrenben  Sporen;  3wei  Reiter,  bie  ihn  be= 
gleiten,  treten  mit  ihm  ein.  Ich  war,  ich  weife  nicht 
wie,  nicht  warum,  von  Schrecken  burcbgriffen,  ^a^ 
ich  vergafe  3U  reben,  unb  begann  mich  nicht,  bie 
Grofemama  3U  rufen,  bie  im  Garten  war.  Der 
f5er3og  fragte,  wer  ba  fei ;  ich  beutete  ben  f  remben 
an,  er  fei  blinb,  unb  fagte:  „C'est  une  jeune 
Cavalier  Monseigneur  avec  deux  Messieurs."   „Au 


125 


contraire,  c'est  une  femme,"  ^agte  öer  Jüngling  unö 
näherte  jicb.  Der  ßersog  wufete  gleich,  wer  jie 
war,  benn  er  ergriff  ihre  ßanö  unö  äufeerte  ein 
fehr  warmes  Intere^e.  Ich  lief  in  Öen  Garten,  öie 
Crofemama  3U  holen.  Die  jagte  gleich  von  (Daöame 
b  e  6  a  ch  e  t ,  einer  Prin3efe  aus  öer  Venöee,  unb 
bis  wir  ins  iöaus  eintraten,  fchwinbelte  ihr  ber 
f^opf  vor  Begeiftrung.  Ich  befann  mich  unterbef  Jen 
unb  wollte  gern  unbefangner  3ufcbauer  fein. 
f5inter  ber  Or  vor  ber  ßrofemama  ihrem  Schreib* 
3immer  blieb  ich  ftehen,  wo  ich  einftens  fchon 
f5erber,  Boonftebten,  frieberihe  Brunn, 
bie  J^  r  ü  b  n  e  r  unb  anbre  närrifche  Crfcheinungen 
berühmter  Ceute  angeftaunt  hatte.  €s  war  ein 
Verbeugen  unb  Helgen  ber  beiben  brauen  unb 
ein  Beteuern,  unb  ich  hätt  gern  alles  behalten, 
um  bies  3U  er3ählen;  es  war  ein  3u  grofe  Öe* 
fchwirr  von  lauten  Stimmen.  Ich  konnte  nur  ben 
f5er3og  verftehen,  ber  3U  ihr  jagte:  „Vous  etes 
la  plus  respectable  des  enemies  de  la  france;"  fie 
nannte  bie  assemblee  nationale  le  depot  de  la 
confience  de  tout  un  peuple,  unb  rebete,  als  ob 
fie  bie  Welt  erneuere.  „Le  peuple  n'est  plus  livre 
aux  intrigues  de  cour  ni  aux  incertitudes  mini- 
sterielles," unb  meinte,  bamit  fei  ihr  gan3es 
tragifches  Schichfal  ausgewe^it;  unb  bann  fprachen 
fie  über  Rrieg  3U  Waffer  unb  3U  Canb,  von 
Vaisseaux  de  guerre  unb  f^avallerie  unb  Infanterie, 
unb  fie  rebete  bavon,  als  war  fie  bei  allen 
Schlachten  mit  gewefen. 

—  3e^t  fchreib  ich  gleich  weiter  von  allem,  was 
ich  über  Deine  Warnungsforgen  vergeffen  hatte. 


126 


Diefe  Svau  bat  mich  in  einem  fortwabrenben 
öcbauerriefel  erbalten,  unb  öenhe  Dir,  wäbrenö 
icb  an  öie  Cure  gelebnt  fie  anfab,  verftummte  jie 
oft  mitten  in  ibrer  Reöe  unt>  fab  ficb  nacb  mir 
um;  keine  ßolbfrucbt  winht  lochenöer  aus  Öem 
öunhlen  Grün  als  ibr  läcbelnöer  Blich  nacb  mir; 
icb  füblte  micb  befcbämt.  Bei  ber  f5eimfabrt  nabm 
ber  eine  ibrer  Begleiter  ben  piat3  im  Wbishi  ein , 
fie  jcbwang  ficb  mit  felbftgefälliger  Rnmut  aufs 
Pferb.  Sie  grüfete  micb,  als  wolle  jie  mir  jagen : 
fcbwing  bicb  aucb  aufs  Rofe,  aus  allem  beraus, 
was  Dieb  beengt;  komm,  vertrau  mir,  icb  will 
Dir  bie  ßanb  reicben.  -  Unb  fort  war  fie,  unb 
icb  lief  in  ben  Garten  unb  ftieg  auf  bie  Pappel; 
wo  bätt  icb  bingefoUt,  fo  febnfücbtig  in  bie 
Weite?  -  Auf  bem  Gaul  bie  Rbenblüfte  burcb= 
faufen  im  Galopp!  -  Unb  bätt  icb  bas  gekonnt, 
mein  gans  Glüch  würb  icb  barin  finben  unb  mufe 
Dir  alles  fagen,  was  icb  bierbei  benke. 

(Dan  mufe  bocb  wobl  wijfen,  was  bas  Gegen* 
teil  ift  von  aller  Verkebrtbeit,  benn  nur  in  biefes 
binüber  kann  man  ficb  von  ibr  f lücbten ;  unb  bocb, 
wenn  fie  micb  wie  Cüge  unb  Gefpenfterwefen 
anfcbauberte ,  unb  icb  glaubte  ibr  Gegenteil,  bie 
Wabrbeit  3U  empfinben,  fo  war  keine  Gewalt  in 
mir  ba3u.  Die  erfte  (Delancbolie,  bie  erfte  Cräne, 
bie  wie  eine  frage  mir  ins  Gewiffen  fiel,  war 
berart.  leb  ging  einmal  in  fo  unklarer  Stimmung 
über  ben  ßübnermarkt  in  Frankfurt;  auf  einmal 
befanb  icb  micb  wie  im  Craum,  aus  einem  Welten* 
räum  in  ^en  anbern  bineingeriffen,  aus  ber  kalten, 
mit  fpa3ierengebenben  pbiliftern  befetsten  Strafee 


127 


unter  bie  befieberten,  alfo  3ur  Freiheit  gefcbaffnen 
Tiere.  Die  tauben,  bie  man  im  Rbenbfcbein  in 
föeröen  öie  Sonne  vergoldeten  Wetterfahnen  ber 
f^ircbtürme  umfcbwingen  fiebt,  waren  hier  in 
fcbmu^ige  f^örbe  eingefperrt,  wo  fie  ihr  reines 
Gefieber  befubelten  bei  hargem  futter.  Unb 
morgen  follten  fie  von  ber  f5anb  unb  für  ^en 
(Dagen  eben  biefer  Philister  gefcblacbtet  werben, 
in  ^enen  nie  ein  Haturgefübl  ^en  Cebensrei3  er» 
höbt  batte.  -  €s  machte  micb  traurig,  ich  fühlte 
micb  hier  bejfer  unb  weniger  befcbämt  als  unter 
ben  (Denfchen.  Diefe  Hiere  finb  ein  Ciebreis  ber 
Hatur;  jie  haben  (Dut,  fie  fcbwingen  ben  wollen* 
bringenben  Winben  ficb  nacb  in  bie  Cüfte,  unb 
alle  Cebensgeifter  in  ihnen  finb  angefacht.  5o 
wie  ich  mich  fehnte  bamals,  mit  ben  Tauben  unter 
Gewittern  bie  Türme  3U  umgreifen,  fo  hätte  ich 
geftern  auf  bem  Gaul  im  Galopp  bem  gewohnten 
öchlenbrian  mich  entreißen  mögen.  Ich  hab  es 
fehr  beutlich  gefühlt,  was  biefe  Brau  voraus  hat 
baburch,  ^a\5  fie  fo  einem  Rei3  l^ann  genügen. 
Freiheit  fühlt  fie  in  allen  Gliebern  auf  bem  pferb, 
bas  fie  3U  lenhen  verfteht,  unb  wenn  es  ficb 
bäumt  unb  fteigt,  unb  fie  läfet  fo  ruhig  es  ge= 
währen ;  benn  fie  weife,  es  wirb  ficb  gleich  fügen, 
unb  je^t  ift  fie  aufgeregt  burch  einen  Gebanhen, 
fo  fet3t  fie  bem  Gaul  bie  öporen  in  bie  öeite, 
unb  er  fliegt  wie  ihr  Geift  mit  ihr  3ugleich  bem 
entgegen,  was  fie  erringen  möchte.  Beb,  wie  mufe 
bas  bie  f^raft  förbern  bes  Ceibes  unb  ber  Seele, 
wie  mufe  bas  ^en  Getränken  treiben,  ^a^  er  ge^ 
pan3ert  bervorfpringt  gleich  unb  brein  fchlägt  in 


128 


ben  Begriff,  unb  wie  mufe  es  Öas  föer3  beben, 
öas  Reiten?  -  Hur  eölen  Haturen  gebort  öqs 
pferö;  kein  Vorfat5  konnte  micb  bewegen,  aucb 
keine  Vorftellung,  keine  Belebrung,  keine  cbrift^ 
liebe  (Doral  irgend  micb  felber  im  3aum  3U  balten, 
bas  Gute  3U  tun,  öas  Böfe  3U  laffen.  Rber  auf 
einem  pferb,  5q  würöe  icb  3U  jeber  kübnen  Zq\ 
aucb  nocb  im  let5ten  Rugenblick  berangefprengt 
kommen,  benn  öas  würöe  genievolle  Begeiftrung 
in  mir  anregen. 

-  demente,  fie  ift  öa  gewesen;  wie  ift  öocb 
alles  burcbeinanöergegangen.  -  Hacb  bem  gan3en 
Abenteuer  baben  öie  §ran3ofen  im  Garten  einen 
fürcbterlicben  Apfelkrieg  gefübrt;  icb  kann  Dir's 
beute  nicbt  mebr  fcbreiben,  icb  mufe  erft  nocb  eine 
Hacbt  brauf  fcblafen.  Rber  morgen  kommt  jie 
wieöer,  fie  bat  mir's  im  Vorübergeben  ins  Obr 
geflüftert;  fie  ift  bes  Ileufels.  Icb  will  keine 
Jreunbfcbaft  mit  ibr,  icb  bin  3U  jung.  War  icb 
fcbon  fo,  wie  es  in  mir  werben  will,  bann  ritt  icb 
ftebenb  auf  3wei  Gäulen  unb  fpränge  ba3U  burcb 
ben  Reif.  (Dit  f^unftftreicben  unb  Übermut  wollt 
icb  ibren  kübnen  Ritt  ausparieren. 

Cieber  Clemens!  föeut  am  (Dontag  er3äbl 
icb  fort  vom  Samstag  unb  Sonntag;  biesmal 
gingen  bexenmäfeige,  bie  Grofemama  in  böcbfter 
Spannung  baltenbe  Dinge  vor,  eine  galvanifcbe!  - 
Der  kleine  rotwangige  Bpotbeker  Bucb  trug 
Blumenkörbe  unb  Urnen  binaus  auf  ben  ßausflur. 

(Dit  Sal3waffer  in  einer  grofeen  irbnen 
Scbüffel  würbe  ein  grofe  Geplätfcber  gemacbt, 
runbe  fil3lappen    unb  ^aler   unb   f^upferplatten 


129 


aufeinanöer  gelegt;  viele  Stimmen  unö  föänbe 
gingen  öurcbeinanber  bei  bem  Aufbau  öer  Säule. 
Der  ßer3og  im  föintergrunÖ  hielt  micb  bei  öer 
f5anb,  icb  mufete  ihm  ersäblen,  was  vorgebe. 
Hacbbem  bie  Säule  unter  Öen  P5änben  ber  6e= 
lehrten  mehr  wie  einmal  umgeftürst  war,  baute 
bie  Venbeerin  fie  felbft  auf,  unb  fie  blieb  ftehen ; 
es  würben  negative  unb  positive  Verbuche  ge= 
macht;  bavon  hann  icb  nichts  fagen,  als  ba^  es 
nicht  gan3  fo  ausfiel,  wie  man  wollte.  Die  be 
6  ach  et  verlangte  feingefponnene  Glasfäben;  bie 
Srau  Wrebe  uns  gegenüber  hat  eine  Sultans^ 
feber  von  gefponnenem  Glas.  Sie  jagte  mir,  ba^ 
[le  ben  Sultan  bem  CDagnetifeur  gefcbenl^t  habe, 
ber  ihn  auch  3U  feinen  Verbuchen  braucht.  Icb 
hlingelte  an  feiner  ßaustür;  wie  ich  ben  Schall 
ber  Gloche  hörte,  mufete  ich  mich  fürchten,  aber 
ich  war  fchon  im  ßaus  bie  Treppe  hinauf  unb 
ftanb  fchon  vor  ihm  unb  wufete  nicht,  wie  ich's 
ihm  fagen  folle.  Cr  ham  mir  aber  3UVor,  wie  ich 
von  gefponnenem  Glas  anfing,  unb  gab  mir  ben 
Sultan  in  bie  ßanb ;  ba  f ah  er  an  meinem  f  inger 
ben  Ring  aus  bem  lebernen  Schuh,  ben  Stein 
nach  inwenbig  mit  roter  Seibe  umwichelt  unb  mit 
ßar3  verklebt.  Ich  fchämte  mich,  ich  wickelte  ben 
Saben  los  unb  reichte  ihm  ben  Ring;  er  befah 
ihn  unb  fagte:  „€in  Talisman!"  -  unb  fteckt 
ihn  mir  wieber  an  ben  Finger.  Das  war  alles, 
was  er  mit  mir  fprach,  mit  bem  ich  boch  manches 
fchon  gefprochen  hatte  über  bie  Gartenwanb.  Ich 
nahm  mir  auch  vor,  gleich  ben  Rbenb  noch  auf 
bie  Gartenbanh  3U  fteigen  unb  mit  ihm  3U  fprechen ; 
Jritfcb.Strobl.  9 


130 


icb  vveröe  Dir  gleicb  er3äblen,  wie  bas  aber  nicbt 
gegangen   ift.     Crft   wuröen   mit  Öen  Glasfäöen 
Scbmel3verfucbe  gemacht,  bie  nicht  gelungen  finb, 
brum  follte  bie  Säule  ein  paar  Tage  unberührt 
fteben  unb   fich  verftärhen;  öie  örofemama  war 
in  grofeer  Rngft,  es  hönne  öaran  geftofeen  werben, 
unb    liefe,    nachbem    bie    be   6  ach  et   fort   war, 
niemanb  ins  3immer.    Die  fran3Öfifchen  ßerren 
hatten  fich  im  Garten  versammelt.    Cs  war  fchon 
bämmerig,  ich   kam  ba3u;  fie  fprangen  wie  toll 
herum,  machten  grofee  5ät3e  über  bie  Blumen* 
beete,  riffen  bie  Stäbe  von  ben  Pflan3en  los  unb 
fchlugen  aufeinanber  unb  riefen  vom  Spalier  bie 
ge3ählten,  noch  unreifen  Apfel  3um  Bombarbieren. 
—  Ich  war  ja  wie  verfteinert.    Denh,  fie  hatten 
ihre  Röche   ausge3ogen   unb   auf  bie  Sträucher 
gehängt,  bie  waren  hrumm  gebogen  von  ber  Caft; 
ber  gan3e  Garten  war  verwanbelt.     Ich  konnte 
heinen  erwifchen,  fo  war  er  gleich  hinter  einem 
anbern  brein,  unb  wollt  ich  ben  wieber  um  Gottes* 
willen  bitten,  fo  hatte  er  eins,  3wei,  brei  Apfel 
abgeriffen  unb  fetste  über  bie  Rabatten  hinaus, 
um  einen  3U  treffen.  Sie  waren  wie  toll  geworbne 
Geijter,   fie   flüfterten  unb  kicherten  unb  gaben 
keinen  Caut  von  fich;  in  ber  Ver3weiflung  rief 
ich:   „Grand -Mama   vient,"   ba    warfen    fie   ihre 
(Dunition  auf  gut  Glück  bem  nächften  an  ben  Ropf, 
unb  waren  mit  ihren  Röcken  wie  ber  Winb  3ur 
Gartentür  hinaus.    Verwunbert,  ba^  biefe  alten 
ßerren  mit  ihrem  Pobagra*Bfthma  fo  ungeheure 
Bockfprünge    machen    konnten,    nahm    ich    ben 
Rechen  unb  harkte  bie  Wege ;  ich  fteckte  bie  weg* 


131 


geworfenen  Blumenftäbe  wieöer  in  bie  Sträucber. 
es  war  fcbon  Öunkel,  öa  fucbte  icb  nocb  öie  ab- 
geriffenen  Apfel  sufammen  unb  legte  fie  an  bie 
€rÖe,  als  wären  fie  von  felbft  abgefallen,  vielleicbt 
vom  Winb.  im  föof  bes  COagnetifeurs  fab  icb  bie 
Ceute  bei  einem  Packwagen  befcbäftigt,  unb  benk 
Dir,  er  ift  fort  beute  morgen,  nocb  ebe  bie  5onne 
aufging.  Das  ganse  f5aus  öbe!  -  es  fiebt  fo 
traurig  aus ;  ber  Winb  fpielt  mit  ben  Dacbluken.  — 
leb  bab  ibn  alfo  3um  le^tenmal  gefeben,  wie  er 
mir  bie  ölasfäben  gab.  -  Wie  leib  tut  mir  bas !  - 
Die  be  Gacbet  war  aucb  nocb  am  Sonntag 
nacbmittag  bier;  hein  (Denfcb  batte  fie  erwartet 
unb  icb  aucb  nicbt,  obfcbon  fie  mir  es  3ugeflüftert 
batte;  fo  war  icb  ein  Weilcben  allein  mit  ibr. 
Wie  ängftlicb  war  mir  bas!  -  Rcb  Clemens, 
lafe  uns  lieber  allein  alles  vertrauen,  alles  mit= 
einanber  erleben  unb  nicbt  mit  anbern.  Diefer 
grofee  planet,  bie  be  öacbet,  erfcbüttert  micb 
3u  febr,  wenn  er  mir  fo  nab  rücht.  -  6ie  rebete 
von  ben  f5immelsl^örpern ,  ibrem  fubtilen  Rus= 
ftrömen  unb  von  wecbfelfeitiger  Bnsiebung  ber 
Planeten  in  ibre  Greife  unb  vom  innerlicben  Sinrt 
im  Osean  ber  öefüble,  unb  icb  war  gan3  betäubt. 
Wie  homme  icb  ibr  vor,  ba^  fie  mir  fo  was 
fagt!  -  6ie  bielt  micb  feft  in  ibren  Rrmen,  icb 
hätte  bes  Teufels  werben  mögen;  icb  fcbämte 
micb,  ba^  icb  ibr  3ubören  mufete,  gefangen  in 
ibren  Brmen,  unb  nicbts  verftanb.  6ie  liefe  micb 
los,  wie  bie  Grofemama  bereinham;  icb,  wie  ein 
entwifcbter  Vogel,  fprang  in  ben  Garten  auf  bie 
Bank  unb  fab  recbt  febnfücbtig  in  ben  verlaffenen 

9* 


132 


Garten  vom  (Dognetifeur.  Da  war  er  aber  bocfo 
nicht  fort,  er  wanöelte  noch  gan3  allein  unö  kam 
gleich  an  bie  Oartenwanö;  er  fagte  mir,  feine 
Ceute  feien  fchon  feit  geftern  fort,  er  reife  in  öer 
nacht  mit  ihnen  nach.  Ich  habe  ihm  rechte  Vor- 
würfe gemacht,  öafe  er  fo  fortgehe,  ohne  mir  öavon 
3U  fagen.  Da  fing  er  an  3U  lachen  unb  fagte, 
ich  hätte  ihm  ja  Reifegelb  gefchicht;  ich  lachte 
auch,  weil  ich  mich  fchämte  3U  weinen.  Reh,  biefer 
(Dann  war  mein  befter  freunb.  €r  hat  mir  nie 
gute  Cehren  gegeben,  aber  er  hat  mich  belehrt. 
Bch  Clemens,  leb  wohl;  jet5t  ift's  aus  mit  ber 
6  ach  et,  benn  fie  fagte  ber  Örofemama,  bafe  fie 
an  ben  Rhein  wieber  geht. 


ddg    D°n    ddd    d°d    gdd 


ie  arme  5rau 

Oc=Oc 


Je^t  will  icb  Dir  auch  nocb  auf  Deine  le^te  Srage 
antworten  von  öer  gemeinen  Srau.  Das  war 
hur3  ehe  icb  von  Frankfurt  hier  berausham,  öa 
war  icb  allein  von  Öem  Bochenbeimer  Cor  aus 
öem  Garten,  wo  bie  Zloni  wobnt,  bineingegangen 
in  bie  9tabt.  Da  begegnete  mir  eine  frau,  öer 
war  öas  Banö  aufgegangen  am  Scbub,  unö  fie 
l^onnte  jicb  nicbt  buchen,  benn  fie  ging  mit  einem 
RinÖe  unb  feufste  febr  unter  ibrer  Caft.  Icb  liefe 
fie  ibren  fufe  auf  meine  J^nie  ftellen,  um  bas 
Scbubbanb  ibr  3U3ubinben,  bann  aber  fübrte  icb 
fie  nacb  ibrer  Wobnung,  weil  fie  fo  febr  jammerte 
über  Scbmer3en.  €s  war  fcbon  bämmerig,  als 
wir  in  ble  ötabt  kamen;  lia  begegnete  mir  eben 
aucb  bie  5rau  €uler,  welcbe  unfer  beiber  böfer 
Dämon  3U  fein  fcbeint;  icb  macbte  ibr  eine  tiefe 
Verbeugung  3U  meinem  piäfier  unb  fcbleppte  bie 
frau  weiter.  Die  fing  aber  an,  mir  bang  3U 
macben,  benn  fie  feuf3te  fo  fcbwer  unb  warb  fo 
blafe,  unb  ber  Scbweife  trat  ibr  auf  bie  Stirn ;  ^a 
kam  ber  gute  Doktor  Deville,  bem  übergab  icb 
bie  Sxau.  Unb  als  icb  auf  ben  Rofemarkt  kam, 
^Q  begegnete  mir  ber  (Dori^;  ber  fagte:   „Rcb, 


134 


wie  blafe  feben  6ie  aus,  es  fehlt  Ihnen  was." 
„leb  habe  fo  großen  ßunger,"  fagte  ich  -  unö 
es  war  auch  wahr;  bie  Rngft  mit  ber  Svau  hatte 
mir  ßunger  gemacht.  Der  COor'xi^  griff  in  bie 
^afcbe,  bie  hatte  er  voll  getrod^neter  Oliven,  bie 
ejfe  ich  gern;  er  leerte  feine  Cafcbe  in  meinen 
ßanbfcbuh  aus,  öen  ich  ausgesogen  hatte,  um 
fie  hinein3ufüllen.  Da  führt  ber  f^uchuch  bie  Cotte 
vorbei;  ber  (Dori^  ging,  bie  Cotte  l^am  an  mich 
heran  unb  fragte:  „Wie  kannft  Du  nur  auf  offener 
6trafee  mit  bem  (Dori^  ßanb  in  ßanb  ftehen." 
Das  ärgerte  mich,  ich  ging  ins  6tift  3U  Dir  herein, 
■wo  ich  meine  Oliven  fpeifte  unb  bie  Rerne  alle 
in  eine  Reihe  legte  aufs  Jenfterbrett ;  Du  ftanbft 
neben  mir  unb  warft  gan3  ftill  verfunhen  in  bie 
Dämmerung  .... 

flm  Bbenb  hatte  mir  ber  §ran3  noch  ein  paar 
freunbliche,  aber  bocb  mahnenbe  Worte  barüber 
gefagt,  ^a\s  ich  mit  bem  (Dori^  auf  ber  Strafe  ge^ 
ftanben  hatte  unb  geplaubert;  -  bie  Cotte  hatte 
es  ber  Schwägerin  gefagt.  -  Ich  antwortete  ihm 
nicht  barauf,  benn  verteibigen  fehlen  mir  nicht 
paffenb,  wie  benn  bas  meiner  Seele  ohnebem 
nicht  einverleibt  ift,  ^a^  ich  folche  Irrtümer  auf* 
klären  möchte,  unb  am  €nbe  fehlen  mir  ber  (Dori^ 
bocb  wert,  bafs  nian  freunblich  mit  ihm  ßanb  in 
f5anb  ftehe,  obfcbon  er  mir  bei  jener  Vermahnung 
fehr  fchwar3  gemacht  würbe.  €r  begegnete  mir 
am  anbern  (Dorgen  auf  bem  Vorplat5,  unb  ich 
fah  mich  um,  ob  niemanb  mich  erfpähen  hönne, 
unb  30g  ihn  in  bie  Cche,  wo  bie  Wenbeltreppe 
hinaufführt   3U   meinem  3immer.     Da  küfete  ich 


135 


ihn  auf  feinen  (DunÖ  3wei»,  öreimal,  nur  Öafe  er 
meine  Tränen  auf  feinem  Geficbt  fühlte,  öenn  er 
vvifcbte  fie  mit  öer  ßanö  ab  unb  fagte:  „Was  ift 
bas?  -  Was  fehlt  Dir,  f^inö,  was  ift  Dir?"  Ich 
rife  mich  los  unö  fprang  hinauf  auf  öen  Rltan 
hinter  bie  Bohnen  —  unö  war  fehr  fcbnell  oben, 
öafe  er's  nicht  fah;  er  glaubte  mich  in  feinem 
3immer  unb  kam  herauf  unb  Klopfte  an,  unb 
weil  er  keine  Bntwort  bekam,  fo  machte  er  leife 
auf  unb  weilte  einen  Rugenblick  im  3immer.  Rls 
er  herauskam,  fah  er  nach  bem  Rltan;  mir  war 
recht  bang,  er  würbe  mein  weife  ßleib  erblicken, 
benn  bas  fchimmerte  burch  bas  bünne  Bohnen* 
laub.  Ich  weife  nicht,  ob  er  mich  fah,  mein  Ver= 
bergen  achtete,  aber  ich  glaub's,  unb  bas  gefiel 
mir  fo  wohl  von  ihm;  als  ich  ins  3immer  kam, 
fanb  ich  auf  meinem  t^ifch  im  f^abinett  am  Bett 
ein  fläfchchen  in  3ierlichem  Brafilienhol3  mit 
Rofenöl.  -  Rm  Rbenb  auf  bem  Ball  bei  feiner 
(Dutter  fprach  er  nichts  3U  mir  —  wie  fonft  - 
aber  er  kam  in  meine  Höhe,  unb  weil  bas 
Släfchchen  fo  füfe  buftete  hinter  bem  ötraufe  von 
Rfchenkraut  unb  Höfen,  ^a  lächelte  er  mich  an, 
unb  ich  lächelte  mit;  aber  ich  fühlte,  ^a\s  gleich 
mir  bie  Cränen  kommen  wollten.  Ich  mufete  mich 
abwenben;  er  merkte  es  unb  ging  3urück  unb 
ftellte  ficb  unter  bie  anbern.  Cr  mufete  auch 
tan3en  mit  ben  prin3effinnen  unb  hatte  viel  6e* 
fchäfte  unb  mufete  eine  Weile  mit  bem  F^önig 
von  Preufeen  fprechen;  aber  ich  fah  boch,  ba^ 
er  mich  im  Rüg  behielt  ben  gan3en  Rbenb,  unb 
felbft,  währenb  er  mit  bem  I^önig  fprach,  fah  er 


136 


herüber,  febr  ernftbaft  immer,  leb  war  beimlicb 
vergnügt,  aber  öocb  bätt  icb  jeöen  Rugenblich 
weinen  mögen;  als  wir  weggingen,  flüfterte  er 
mir  ins  Obr:  „Du  gleichet  öer  öopbie."  Was  war 
bas  alles,  was  mir  burcb  öie  6eele  ging?  -  leb 
weife  es  niebt.  Rm  anbern  tiag,  wo  ieb  niebt  wie 
gewöbnlieb  3U  Dir  ham,  öa  batte  (Doritj  am 
(Dorgen  feinen  Gärtner  gefcbicht  mit  einem  Wagen 
voll  feböner,  feltner  Blumen.  Die  ftellte  er  obne 
mein  Wiffen  binter  öer  Bobnenwanö  auf  -  unö 
als  icb  fie  fab,  war  icb  erft  gar  erfebrochen  unö 
verftanö  niebt,  wie  öie  Blumen  baber  gekommen 
waren.  Rber  balb  verftanö  icb,  er  müfete  mich 
boeb  wobl  gefeben  baben  binter  öer  Bobnen» 
wanb  am  vorigen  Zag.  -  Reb,  icb  war  wäbrenb 
öiefen  ötunöen  fo  wunöerlicb  bewegt  gewesen: 
von  Dir,  von  f^ränhungen,  von  (Ditleib,  bafe  er 
verleumdet  war;  von  feinem  feinen  Wefen  3U 
mir,  unö  bann,  bafe  er  mir  gefagt  batte  fo  leife: 
„Du  gleicbft  ber  öopbie,"  bie  ibm  bocb  geftorben 
war,  -  bafe  ieb  niebt  mebr  wufete,  was  ieb  wollte. 
Rm  Hacbmittag  ham  Cbriftian  öebloffer,  vom 
Heville  gefcbieht,  ber  ber  Svau  beigeftanben  batte 
bei  ber  Geburt  von  einem  kleinen  (Däbcben, 
benn  bas  war  gleieb  in  ber  Stunbe  auf  bie  Welt 
gekommen.  Der  liefe  mieb  fragen,  ob  icb  nicht 
wolle  3ur  armen  frau  kommen,  bie  fei  fehr 
krank  unb  auch  bas  f^inbehen;  unb  ieb  folle  es 
aus  ber  tauf  beben,  ber  Cbriftian  öebloffer  wolle 
mit  Taufseuge  fein.  Ich  ging  mit;  "öa  war  ber 
Pfarrer,  ber  taufte  bas  f^inb,  unb  bie  frau  war 
fehr  krank.   Wie  ber  Pfarrer  weg  war,  fo  nahm 


l 


137 


öie  Wartfrau  öas  f^inbcben  auf  öen  Rrm  unb 
fagte:  „€6  wirö  gleich  fterben;"  ba  war  mir  fo 
bang.  leb  hatte  niemals  jemand  fterben  fehen, 
unb  bie  hranhe  f  rau  im  Bett  weinte  fo  jehr  ums 
f^inb.  Die  föebamme  fagte:  „6ben  ftirbt's,"  unb 
fcbüttelte  es;  ^a  war's  plö^licb  tot. 


ana  üDd  gDü 


D 


er  Jube      o     o     o 


Weifet  Du  benn,  wer  meine  erfte  ßehannt^ 
fcbaft  i[t,  öie  ich  hier  gemacbt  bab?  - 
Gin  "jubl  Rber  was  für  einer?  -  Der  fcbönfte 
(Dann!  -  €in  weifeer  Bart  von  einer  balben  €lle, 
grofee,  braune  Rügen,  fo  fcböne  einfache  Öeftalt, 
öie  rubigfte  5tirn,  prächtige,  majeftätifcbe  Ha^e, 
Rebnerlippen,  aber  von  benen  bie  Weisheit  füfe 
hervortönen  mufe.  Unfer  ßauswirt,  ber  profeffor 
Weife,  rief  mich  unb  fagte:  „Wollen  Sie  einen 
fchönen  Juben  fehen,  fo  kommen  Sie  in  meiner 
frau  ihr  3immer,  fie  verhanbelt  ihm  eben  ihr 
föochseitskleib."  -  Die  (Deline  wollte  nicht  mit^ 
gehen  unb  war  verwunbert,  ^a^  Weife  uns  ein* 
lub,  einem  ßanbelsjub  bie  Bufwartung  3u  machen ; 
ich  hab's  aber  nicht  bereut,  es  war  ein  Bilb  3um 
(Dalen.  Cr  fafe  in  einem  fehr  reinen  Rabbiner* 
ober  Öelehrtengewanb  am  ^ifch,  feine  ßanb  guchte 
aus  bem  fchwarsen,  weiten  Ärmel,  unb  bas 
flbenbrot  leuchtete  burch  bie  Scheiben;  bie  frau 
Profefforin  ftanb  vor  ihm  unb  hielt  ihren  ßochseits* 
hontufch,  ober  war's  ber  von  ihrer  (Dutter,  benn 
es  fchien  fehr  altertümlicher  Stoff,  an  beiben 
Armein  ausgebreitet.  Ihre  f^inber  ftanben  3U 
beiben  Seiten  unb  hielten  bie  Schleppe  aus* 
einanber;  es  war  ein  orangenfarbener  Stoff  mit 
filbernen  Sträufeen  unb  granatfarbenen  ßlumen 


139 


burcbwirht,  was  febr  fcbön  mit  bem  ftarl^en  Bbenö^ 
rot  kontraftierte ;  es  war  öas  fcbönfte  Bilb,  unb 
gern  bätt  icb  bie  (Deline  gerufen,  es  mit  an3ufeben, 
wenn  nicbt  eine  Scbeu,  um  nicbt  3u  fagen  €br= 
furcbt,  micb  auf  bem  pia^  gebalten  bätt,  icb  bätte 
biefen  (Dann  nicbt  mögen  als  Gegenftanb  ber 
Heugierbe  bebanbeln.  -  Cs  batte  mir  aucb  was 
gan3  Rätfelbaftes ,  bie  Ceute  mit  fo  großer  Cbr* 
furcbt  vor  ibm  fteben  3U  feben  unb  rubig  feinen 
Rusfprucb  mit  einem  f5anbel  ab3uwarten.  -  9ie 
fpracben  über  eine  Summe,  W03U  nocb  mebrere 
anbre  altertümlicbe  Stoffe  geborten,  bie  auf  bem 
üifcb  lagen.  -  leb  tat,  als  fei  icb  begierig,  fie  3U 
f eben,  blofe  um  mit  Rnftanb  nocb  bleiben  3U  können ; 
benn  je  länger  icb  ibn  anfab,  je  mebr  füblte  icb  micb 
ange3ogen  unb  bocb  fcbücbtern,  unb  ber  Weife  bätt 
micb  gewife  nicbt  ber  Zm  binaus  gebracbt,  fo 
lang  er  ba  war.  Der  Jube  liefe  mir  von  feinem 
Cnhelfobn,  ber  binter  ibm  ftanb,  bie  Stoffe  aus* 
breiten ;  icb  tat,  als  war  icb  böcblicb  erfreut  über 
bas  Vert  de  pomme-f^leib  mit  Bpfelblüte,  unb 
mein  Riter  fab  micb  unterbes  von  ber  Seite  an, 
bas  merWe  icb,  bas  macbte  mir  beimlicb  f reub.  - 
Der  Profeffor  Weife  fagte:  „Hun,  Cpbraim,  muffen 
wir  erft  ein  Glas  Wein  3ufammen  trinken;  unb 
Sie  trinken  aucb  mit,"  fagte  er  3U  mir.  Cr  fcbenkte 
bem  ]uben  3uerft  ein,  ber  aber  reicbte  mir  fein 
Glas;  icb  fagte,  ba^  icb  keinen  Wein  trinke. 
„Rber  nippen  können  Sie  bocb  wobl,"  fagte  er; 
icb  nabm's  ibm  ab  unb  fcbluckte  ein  wenig  bavon. 
€r  bankte  mir  unb  trank  es  auf  ber  Stelle  aus, 
bann  fab  er  micb  läcbelnb  an,  als  wollt  er  fagen: 


140 


Sreut's  Dieb,  öafe  icb  Dir  fo  viel  Rcbtung  be= 
3eige?  -  leb  läcbelte  mit  ihm,  unb  icb  war  gQn3 
rot  geworben  vor  Vergnügen.  Weife  fpracb  nocb 
allerlei  mit  ibm,  was  bewies,  bafe  er  ihn  febr  in 
flcbtung  bält.  -  Weife  fagte  von  mir:  „Was 
meint  ibr,  €pbraim,  öafe  wir  je^t  \o  allerliebste 
ötubenten  baben;  bier  wirb  bas  erfte  öemefter 
gebalten,  unb  icb  werb  €ucb  bei  fo  feinen 
Stubenten  empfeblen.  Das  war  Cucb  wobl  ein 
grofe  Vergnügen,  biefem  kleinen  6tubenten  Unter» 
riebt  3u  geben?"  Cs  war  ein  fo  liebenswürbiger 
Abel  in  allem,  was  er  jagte,  unb  wie  er  ben  gut* 
bersigen  6eber3en  bes  Weife  eine  feine  Wenbung 
gab,  t>a^  fie  micb  nicbt  verleben  follten,  ba^  ieb 
gan3  eingenommen  von  ibm  war  unb  mieb  wirk= 
lieb  febr  in  aebt  nabm,  ibm  folebe  Antworten  3U 
geben,  bie  ibm  Intereffe  jollten  für  micb  geben. 
3wei  Stunb  bab  ieb  fo  mit  ibm  geplaubert,  unb 
icb  bacbt  fcbon  brauf,  wie  icb's  maeben  wollt,  ba^ 
icb  ibn  öfter  feben  hönnt;  fo  fagt  ieb,  wie  er  weg- 
ging an  unferer  Tür  vorbei,  ba^  ieb  ba  eine 
Scbwefter  nocb  babe,  unb  ieb  wünfcbte  gar  febr, 
ba^  fie  aueb  feine  Behanntfebaft  maeben  möcbte. 
€r  verfpracb  mir,  ba^y  wenn  er  wieber  häme,  fo 
wolle  er  bei  mir  anl^lopfen.  leb  freu  micb  recbt 
brauf. 

-  ßababa!  -  Das  beifet:  ieb  lacb!^  -  über 
was?  -  bQ\^  ber  Savigny  niebts  weife  von  meiner 
3ärtlicben  Ileigung  für  ben  3ub',  -  unb  wie  icb 
alle  vornebme  Ceut  nicbt  leiben  hann,  weil  fie 
mir  3U  gemein  finb,  unb  weil  kein  CDenfcb  im 
ßaus  weife,  warum  icb  als  übermütig  bin;  unb 


141 


öas  ift  beut  einmal  wieber,  weil  ich  ein  befonöers 
angenehm  Rbenteuer  hatte.  leb  war  im  Garten, 
öer  am  Berg  liegt,  un5  guchte  über  öie  (Dauer 
unö  fah  öen  €pbraim  öen  Weg  heraufhommen. 
Ich  lehnt  mich  über  Öie  (Dauer  unö  liefe  mein 
Sachtucb  im  Winb  fliegen,  öafe  er  mich  febn  follt; 
unb  wie  er  herauf l^am,  fpracb  ich  mit  ihm  ein 
gan3  Weilchen,  -  aber  nicht  wie  gewöhnlich  bie 
(Denfchen  Sprechen.  Ich  fagte  ihm,  bafe  es  mir 
freube  mache,  ihn  wieber  3U  fehen,  unb  auch 
^arum,  weil  mir  fein  Wefen  einen  Haturmoment 
vergegenwärtige,  mit  bem  fich  mein  Oeficht  unb 
mein  Gemüt  näher  verwanbt  fühle  als  mit  jebem 
anbern ;  ich  fagt  ihm,  bas  fei  bie  Dämmerung  am 
Bbenb,  fo  komme  mir  fein  Blich  unb  fein  gan3 
Wefen  vor  —  wie  Dämmerung,  bie  über  einer 
erhabnen  Datur  ausgebreitet  fei;  in  folcher  ötunbe 
ift  mein  Geficbt  fchärfer  unb  mein  Gefühl  fehr 
3um  Vertrauen  geneigt.  -  Du  hannft  wohl  benhen, 
^Q^  es  ber  (Dühe  wert  ift,  mit  ihm  3U  reben,  benn 
fonft  war  ich  barauf  nicht  gekommen,  ihm  fowas 
3U  fagen.  Cr  fagte:  „Die  fichtbare  Welt  ift  trüb, 
aber  mit  hellem  Blick  braucht  einer  nicht  lang  3U 
forfchen,  in  wenig  3ügen  erkennt  er,  was  ihm 
verwanbt  ift."  Ich  fagte:  „Rber  wie  erlangt  man 
einen  fo  hellen  Blick?"  -  „(Dan  mufe  allein  bie 
Hatur  anfcbauen  unb  kein  Vorurteil  3ulaffen,  bas 
gibt  einen  hellen  Blick."  -  Ich  frag:  „Uraut  Ihr 
mir  bas  3U,  ZiQ^  ich  bie  Hatur  mit  hellem  Blick 
anfchau  unb  ohne  Vorurteil?"  „la!"  fagt  er,  „unb 
ich  weife,  ba^  ich  nicht  irre  -  unb  ba^  6ie  fcharf- 
fichtig  finb."  -  „60  hab  ich  alfo  recht,  wenn  ich 


142 


in  €ucb  einen  begeifteden  (Dann  erkenne?"  - 
„3um  wenigften  finö  6ie  öem  Wabren  näber  als 
anbre,  bie  ben  ]uben  für  einen  geörüchten  (Dann 
balten;  innerlicb  quillt  bie  Jreibeit,  unö  ein  tropfen 
ift  genug  über  alle  Verachtung  uns  3U  beben."  - 
leb  borte  Ceute  ben  einfamen  Weg  beraufl^ommen 
unb  brach  ab,  weil  mir  bas  Gebeimnis  fcbon  3U 
lieb  war  mit  ibm.  leb  fagte:  „Ceb  wobl,  }ube, 
benh  an  unfer  (3efpräcb,  unb  wenn  Du  von  Deiner 
Reife  beimkebrft,  homm  3U  mir." 

(Dein  Cebrer  in  ber  (Datbematik  ift  mein 
alter  ßerbft^jub.  (Dorgens,  in  einem  fcbwarsen 
f^leib,  weifeem  Rragen  unb  ber  Bart  fpiegelglatt, 
ftanb  er  an  meiner  Tür  unb  fragte  um  Crlaubnis, 
micb  3U  befucben;  icb  freute  micb  über  ibn,  er 
fiebt  fo  viel  ebler  aus  als  bie  anbern  (Denfcben, 
mit  benen  man  täglich  verkehrt,  bie  man  in  grofeen 
Verfammlungen  fiebt.  Ich  bab  im  öcbaufpielbaus 
mich  oft  vergeblich  nach  einem  erhabnen  Geficht 
umgefeben.  €r  fe^te  fich  auch  gleich  in  anftänbiger 
Bequemlichkeit  an  ben  Tifch,  ben  Brm  brauf 
legenb,  merkte  meine  Verwunberung  über  feine 
Angenehmbeit,  lächelte  mich  an  unb  fab  aus  wie 
ein  Surft.  -  Ich  fragte:  „Wo  finb  5ie  benn  fo 
lange  gewefen?"  -  „Hun!"  fagte  er,  „was  reben 
Sie  boch  fo  fremb,  bin  ich  nicht  noch  ber  fllte?  - 
föeife  ich  nicht  mehr:  lieber  Jub?"  -  Ich  mufet  ibm 
bie  ßanb  reichen,  ich  fagte:  „3a!"  -  f5ätteft  Du 
nur  bie  ironifche  (Diene  gefeben  in  bem  erhabnen 
Geficht  unb  bas  milbe,  berablaffenbe  Cächeln  3U 
mir;  -  er  fagte:  „Dicht  aus  jebem  (Dunb  gefällt 
einem  bas  Ihr  ober  Du,  mit  bem  ber  Jube  fich 


143 


mufe  anreöen  laffen,  aber  Ihrem  laffe  icb's  nicbt 
gern  abgewöhnen."  -  Dir  hätte  öer  (Dann  fo  viel 
freub  gemacht,  öünöerob;  er  ersählte  nur  6e= 
wohnliches  aus  feinem  Ceben,  von  feinen  fiebsehn 
€nheln,  wie  bie  fich  gefreut  haben,  ihn  wieber 
3U  fehen.  Ich  frug  nach  allen,  wie  alt  fie  finö, 
wie  fie  ausgehen;  öa  finÖ  ihm  bocb  Me  fünf,  bie 
Vater  unb  ODutter  verloren  haben,  bie  liebften; 
von  benen  fagt  er:  „Der  ältefte,  ber  gleicht  mir, 
man  erhennt  ihn  fchon  von  weitem  für  meinen 
enhel."  -  „Unb  ber  3weite?"  -  „Der  fchlägt 
gan3  nach  mir,  ber  hat  für  nichts  Sinn  wie  für 
bie  (Dathematih?  unb  hält  fich  fo  apart."  -  „Wie 
ift  benn  ber  Dritte,  gleicht  ber  €ucb  auch?"  - 
„Der  ift  noch  ein  hlein  Jüngelchen,  aber  er  ver= 
leugnet  ben  Grofevater  nicht,  unb  bie  Cöcbter  finb 
fchon  fo  hilfreich;  bie  eine  ift  brei3ehn  unb  bie 
anbre  elf  Jahr,  aber  fie  forgen  fürs  iöaus  unb 
für  bie  f^leibung."  -  Das  waren  alles  gewöhn* 
liehe  Beben,  aber  wie  erfüllt  von  f5er3licbkeit  - 
gan3  wie  bie  Hatur,  mit  €nthufiasmus  Sorg  unb 
piage  tragenb.  -  €r  war  früher  blofe  Cehrer  ber 
(Dathematil^  unb  lehrte  in  Giefeen,  in  ODarburg 
bie  5tubenten,  unb  in  ber  5erien3eit  ging  er  nach 
ßaus  3U  ben  Seinen.  —  3wei  Söhne  unb  eine 
Tochter  verheiratet;  feine  Tochter  ftarb,  nachbem 
fie  ihren  (Dann  begraben  hatte,  ben  fie  fehr  liebte, 
unb  liefe  bie  fünf  l^inber  3urüch.  -  Der  alte 
€phraim  honnt  keinen  anbern  €rwerbs3weig  er* 
greifen,  fie  3U  ernähren,  als  an  ben  er  von  Jugenb 
gewohnt  war,  ber  feine  Ceibenfcbaft  ift  -  worüber 
er  fo  manches  Schmer3liche  hat  vergeffen,  fagte 


144 


er  -  fo  i^t  er  benn  auf  bem  ßeimweg  in  ben 
ferien  in  öen  nächsten  Orten  berumgefcblenöert 
unö  bat  alte  f^leiber  eingebanöelt,  um  öie  feinen 
€nheln  mit3ubringen ,  öenn  fie  neu  3U  bleiben, 
ba3u  wollte  fein  Crwerb  nicbt  binreicben.  Dacb 
unb  nacb  bat  ficb  ber  ßanbel  erweitert;  alte 
ßocb3eitBhleiber  aus  bem  vorigen  jabrbunbert, 
verlegne,  altmobifcbe  Spit3en,  bie  bie  Raufleute 
nicbt  mebr  abfet5en,  verbanbelte  er  jet5t  nacb 
Polen,  -  fo  war  er  biesmal  in  Ceip3ig  -  unb  bat 
ein  febr  gut  Öefcbäft  gemacbt.  -  Du  börft,  icb 
bab  einen  gan3  haufmännifcben  Stil  -  icb  möcbt 
mit  bem  Riten  f^ompanie  macben  unb  bie  Cnkel 
ernäbren  belfen.  Weil  aber  bas  bocb  6cbwierig= 
heit  bat,  fo  bab  icb  einftweilen  matbematifcbe 
Stunbe  bei  ibm;  bas  macbt  icb  gan3  kur3,  icb 
fagt  ibm:  „Da  komm  nur  bie  Wocb  aucb  3weimal 
3U  mir,  benn  icb  mufe  (Datbematih  lernen."  €r 
lacbte  unb  wollt's  nicbt  glauben,  icb  bolte  ibm 
ober  meine  matbematifcben  Bücber  bervor,  bie 
Cbriftian  mir  bier  gelaffen,  unb  mein  föeft,  was 
icb  bei  bem  Cbriftian  gefcbrieben.  Das  gefiel  ibm 
febr,  benn  es  war  meift  alles  vom  Cbriftian 
biktiert,  ber  wobl  ber  fcbarffinnigfte  (Denfcb  von 
ber  Welt  ift.  -  3et3t  bab  icb  fcbon  brei  ötunben 
ausgebalten  unb  aucb  allemal  feine  Rufgaben 
richtig  gemacbt,  benn  icb  bab  RefpeM  vor  bem 
Riten,  icb  möcbt  um  alles  nicbt  bie  Ibee  geben, 
als  fei  icb  ein  flatterbafter  öcbufebartel,  wie  micb 
bie  anbern  nennen,  woran  mir  gar  nicbts  liegt. 
Rber  an  ibm  liegt  mir,  weil  er  fo  gan3  obne 
Überfpannung  bocb  nicbt  an  meinem  Crnft  3weifelt, 


ezs  ===========================^^  145 

er  öie  für  gering  acbten  mufe,  öie  öas  nicbt  mit» 
fühlen.  Unb  meine  Du  was  Du  willft;  aber  Du 
wirft  mir  recbt  geben,  öafe  unter  folcbem  Druch, 
unter  fo  ernieörigenöen  Bedingungen  öer  Röel 
bes  Cebens  \o  frei  unb  untabelbaft  bewahrt,  bafe 
fie  nicbt  einmal  burcb  bas  niebrigfte  Gefcbäft  ficb 
gebeugt  fühlt,  für  eine  hohe  6eele  fpricbt;  ba^ 
fie  um  fo  mehr  recbt  hat  auf  unfere  feierliche 
Rcbtung,  als  fie  vielleicht  bem  Aufeeren  nach  ber 
(Difebeutung,  ber  Verachtung  ausgefegt  ift. 


Sritfcb.Strobl.  10 


00        oo        00        oo        (30 


as  Jubenmäbcben      o     o 

'         M        " 'D' —   II         1        »□!        II       -r— 


Das  junge  (Daneben,  was  uns  fliehen  lehrt,  ift 
eine  ]übin,  fie  beifet  Veilchen;  es  ift  ein 
recht  liebhofenber  Home,  unb  ich  fanb  let3t  bas 
erfte  öträufechen  ihrer  Hamensvettern  sufammen. 
Da  ging  ich  gan3  früh  3U  ihr,  um  fie  öamit  3U 
überrafchen;  ich  fanb  fie  auf  ber  tireppe  mit  öem 
Befen  in  ber  ßanb,  fie  war  befchämt,  ich  aber 
gleich  nahm  ihr  öen  aus  ber  ßanb  unö  fagte: 
„Reh,  laffen  6ie  mich  auch  ein  bifechen  hehren." 
Da  harn  fo  früh  fchon,  benn  es  war  noch  nicht 
fieben  Uhr,  Öer  föofrneifter  vom  Cöuarb  Beth* 
mann  vorbei,  ber  mufete  es  ber  Cante  gefagt 
haben,  Öafe  er  mich  vor  ber  ßaustür  eines  ]uöen 
auf  offener  Strafee  hehrenb  fanö.  -  ich  mufe  jet5t 
lachen,  benn  es  ift  auch  recht  lächerlich  -  ich 
will  Dir  Öie  berbften  Ausbrüche  von  ber  Tante 
ihrer  (Dercuriale  erfparen ;  fie  meinte  nur,  ich  fei 
verloren,  für  ein  befferes  Dafein  verloren,  ich 
habe  mich  gänslich  weggeworfen!  Vous  n'avez 
point  de  pudeur,  point  de  respect  humain,  on  vous 
trouve  balayer  la  rue  main  en  main  avec  une  juive ! 
Ich  mufete  lachen!  Hein,  ich  honnte  nicht  anbers. 
Du  weifet,  ich  fürchte  bie  Tante  unb  mag  fie  nicht 
gerne  beleibigen  ober  reisen!  Cachez  vous  devant 
le  monde,  qu'on  ne  Ilse  point  sur  votre  front  les 
des  honorants  signes  de  votre  effronterie.     Reh, 


ea 


147 


ich  mufete  noch  einmal  lachen,  öie  Tante  ging 
hinaus;  ich  hätte  fie  gern  wieöer  gut  gemacht, 
l^eine  (Döglichheit ,  ich  fühlte,  öafe  ich  mich  nicht 
ernfthaft  ftimmen  konnte.  Die  ßahn  war  plötjUch 
gebrochen,  ich  glaube,  ich  weröe  nie  wieber  ba3u 
kommen,  ihre  flnftanbsregeln  3U  respektieren.  - 
Reh,  unb  wenn  Du  wüfetejt,  wie  hübfch  es  bei 
bem  lieben  Veilchen  war!  -  Da  war  alles  fchon 
jo  fauber  im  ötübchen;  ein  kleiner  f^aminberö, 
auf  bem  brannte  ein  feuerchen,  babei  kochte  öas 
frühftüd^  für  ben  Grofevater,  her  fafe  öabei  unb 
ftrich  feinen  langen,  weifeen  Bart  öurch  bie 
f  inger.  V  e  i  l  ch  e  n  ftickt  ein  Golbmufter  fehr  fchön 
in  einen  rofiw^Qrbenen  Sammet,  fo  nennt  fie 
ein  fanftes  Braunrot  in  ihrer  Jubenfprache.  Die 
Rrbeit  \\i  bestellt  unb  fie  bekommt  bann  viel  6elb, 
wenn  es  fertig  fein  wirb.  Sie  ernährt  ihren  Crofe* 
vater  unb  3wei  feiner  Urenkel,  bie  Waifen  von 
bem  geftorbnen  Bruber,  benen  ift  bie  Veilchen 
gan3  wie  eine  (Dutter;  ich  half  ihr  fticken,  es 
warb  recht  gut,  benn  ich  hob  Bugenmafe  unb 
mache  bie  ötiche  fehr  egal.  Blies  was  mit  bem 
Öelb  angefangen  werben  foll!  -  20  Couisbor!  - 
Da  ift  fo  viel  3U  beftreiten  in  ber  iöausbaltung, 
vom  ßemb  bis  auf  bie  Schuhe  unb  Schüffelchen 
unb  Zlöpfchen,  unb  ber  ßerb,  ber  eingefallen  ift, 
unb  bie  Ofenplatte  geplagt;  bas  mufe  geflickt 
werben  unb  bas  Wobn3immerchen  frifch  geweifet, 
wo  bie  Ceute  eintreten,  um  bie  Rrbeit  3U  beftellen. 
V  e  i  l  ch  e  n  ift  von  ber  Gattung  (Däbchen,  bie  einen 
Helkentopf  vor  ihrem  Senfter  pflegen  unb  Rh* 
fenker   machen    unb   enblich   einen   gan3en   flor 

10* 


148 


daraus  sieben,  bie  auch  wobl  ein  (DYrten= 
bäumeben  3ur  ßlüte  bringen,  aber  hein  l^ränscben 
öaraus  winöen.  „Cs  wäre  aucb  fcbabe," 
meinte  fie  beut  morgen  unb  läcbelte.  -  Wir 
waren  fo  vergnügt  3ujammen  beim  Stichen,  icb 
fabelte  bie  Slittern  unb  Oolbbouillon  auf  einen 
langen  faben,  ba  ging  bie  Rrbeit  viel  gefcbwinber; 
wenn  fie  jolcbe  föilfe  bätte,  meinte  fie,  bann 
würben  bie  Sorgen  ibr  nicbt  fo  leicbt  über  ben 
J^opf  wacbfen.  Icb  bat  fie,  ^)a^  [\e  micb  alle  f  rüb« 
morgen  mit  foll  ftichen  laffen,  bann  wirb's  gewife 
acbt  Zage  früber  fertig.  Svüb  um  vier  Ubr  gebt 
fcbon  bie  Sonne  auf,  ^a  Uann  icb  ftichen  bis  acbt 
Ubr,  bann  mufe  icb  3ur  Örofemama  3um  früb= 
ftüch  -  je^t  wirb's  aber  bie  Tante  nicbt  erlauben, 
benn  weil  icb  bie  Qa^  gehebrt  bab  -  unb  follt 
icb's  beimlicb  tun,  bas  wirft  Du  mir  nicbt  erlauben, 
unb  follt  icb's  gar  unterlaffen  ?  Das  will  icb  nicbt. 
(Dein  Wort  brecben,  einem  (Däbcben,  was  feinen 
Orofevater  ernäbrt  unb  feine  Gefcbwifterl^inber  ?  - 
Sie  weife  nicbts  bavon,  3um  Zan-^e  3U  geben  ober 
fcbön  gepult  in  Kleibern  auf  l>en  dreier  3U  warten. 
Unb  icb  wollte  ba  ein  kleines,  unfcbulbiges  Sab- 
eben  anfpinnen  ins  Gewebe  ber  Welt,  ein  ein3ig 
klein  fäbcben,  unb  -  nein,  icb  foU's  abreißen, 
weil  ficb's  nicbt  fcbicht.  Rcb!  wo  foll  icb  in  ber 
ereignisvollen  Welt  meinen  faben  anknüpfen, 
wenn  bas  Cinfacbfte  gegen  ben  Rnftanb  ift!  - 
Wer  bat  biefe  Cügen  gemacbt?  -  Denn  bas  finb 
wirkliebe  Cügen,  nacb  benen  icb  micb  niemals 
richten  werbe! 


]=D      °      D=D      °      D=[ 


in  Rusflug  in  bie  Wilbnis 


Den  gestrigen  Zag  wollen  wir  3um  Scblufe  nocb 
hierher  malen,  öenn  er  war  fcbön.  Wir 
gingen  mit  einem  irreführenden  Wegweifer  öurch 
eine  Talfchlucbt  einem  f  lufe  entlang,  ben  man  öie 
Wifper  nennt,  wahrfcheinlich  wegen  öem  Raufeben 
öes  Waffers,  bas  über  lauter  platte  felsfteine 
ficb  winbet  unb  in  ben  Cüchen  fcbäumt  unö  flüftert. 
Auf  beiben  Seiten  gehen  hohe  helfen  her,  auf 
benen  3erfallene  Burgen  ftehen,  mit  alten  €icben 
umwacbfen.  Das  ^al  wirb  enblicb  fo  enge,  bafe 
man  genötigt  ift,  im  flufe  3U  gehen.  Da  hann 
man  nicht  beffer  tun,  als  barfufe  unb  etwas  hoch* 
gefcbür3t  von  Stein  3U  Stein  3U  fpringen,  halb 
hüben,  halb  brühen  am  Ufer  ficb  fort  3U  helfen, 
es  wirb  immer  enger  unb  enger  hoch  über  uns; 
bie  felfen  unb  Berge  umklammern  ficb  enblicb; 
bie  Sonne  kann  nur  noch  bie  löölfte  ber  Berge 
beleuchten,  bie  fcbwar3en  Scblagfchatten  ber  über= 
gebogenen  f  elsftüche  burchfcbneiben  ihre  Strahlen ; 
aus  ber  Wifper,  bie  l^ein  gan3  unbebeutenber 
Slufe  ift  -  fie  raufcbt  mit  3iemlicber  Gewalt  - 
ftehen  erhöhte  felsplatten  wie  harte,  halte,  heilige 
Betten  hervor,    leb  legte  micb  auf  eins,  um  ein 


150 


wenig  QUS3uruben;  ich  lag  mit  bem  glübenben 
Öeficbt  auf  bem  feudDten  Stein;  öas  ftürsenbe 
Waffer  beregnete  mich  fein,  bie  Sonnen jtrablen 
harnen  sans  rime  et  raison  quer  burcb  bie  5els* 
fcbicbten,  um  micb  unb  mein  Bett  3U  vergolben; 
über  mir  war  finfternis;  meinen  ötrobbut,  ben 
icb  fcbon  längft  mit  Raturmerhwürbigheiten  an« 
gefüllt  batte,  liefe  icb  fcbwimmen,  um  bie  Wur3eln 
ber  pflan3en  3U  tränken.  -  Wie  wir  weiter 
kamen ,  brängten  bie  Berge  ficb  nefterweife  an= 
einanber,  bie  nur  bann  unb  wann  von  jcbroffen 
helfen  gefcbieben  würben.  Icb  war  gar  3U  gern 
binauf geklettert,  um  3U  feben,  wo  man  war;  es 
war  3U  fcbroff,  bie  3eit  erlaubte  es  nicbt;  bem 
gefcbeiten  Wegweifer  waren  alle  Sorgen  auf  bem 
öeficbte  gemalt,  er  verfieberte  jebocb,  ba^  er  keine 
am  f5er3en  bege.  €s  würbe  kübl  in  unferer 
engen  Scblucbt,  fo  kübl  war's  mir  aucb  innerlicb; 
wir  trippelten  immer  vorwärts. 

Das  3iel  unferer  Reife  war  ein  Sauerbrunnen 
binter  Weifeentburn,  ber  in  einer  wüften  Wilbnis 
liegt.  Wir  batten  alle  Umwege  ber  Wifper  ge= 
macbt;  ber  kluge  Wegweifer  bacbte,  wenn  wir 
uns  von  ber  nicbt  entfernen,  müfeten  wir  enblicb 
bas  3iel  erreicben,  ^a  bie  Wifper  an  bem  Brunnen 
vorüberfübrt,  unb  fo  batte  er  uns  einen  Weg  ge- 
fübrt,  ber  wobl  feiten  von  (Denfcben  betreten 
wirb.  Da  wir  bort  ankamen,  erleicbterte  er  feine 
Bruft  burcb  ein  ßeer  von  Seuf3ern.  Icb  glaub, 
ber  fürcbtete  ficb  nicbt  allein  vor  bem  Teufel, 
fonbern  vor  Gott  unb  allen  ßeiligen,  baf^  fie  ibn 
würben  3ur  Recbenfcbaft  3ieben,  weil  er  uns  ins 


BZS  ==   151 

Veröerben  geftürst  habe;  -  haum  waren  wir 
angehommen ,  fo  fcblug  Me  l^uchuchsubr  in  ber 
einfamen  ßütte  bei  bem  Brunnen  unb  mahnte  an 
ben  RücNweg.  Cs  war  acht  Ubr!  3u  effen  war 
nichts,  auch  hein  Brot,  nur  Salat  mit  Sal3  ohne 
€ffig  unb  Öl.  €ine  Sxau  mit  3wei  f^inbern  wohnte 
t>a;  ich  frug,  von  was  fie  lebe,  fie  beutete  mir 
in  bie  §erne  auf  l>en  Bachofen,  ber  3wifcben  vier 
majeftätifchen  €icben  auf  einem  freien  pia^  in 
voller  6lut  ftanb.  Ihr  hleines  ööhncben  fchleppte 
eben  ein  Reiferbünbel  hinter  ficb  heran;  fein 
ßembcben  hatte  noch  Ärmel,  bie  ßinterwanb  unb 
ben  f^nopf  am  f^ragenbunb,  mit  bem  es  befestigt 
war,  vorne  war  es  weggeriffen ;  feine  6chwefter= 
pfyche  wiegte  fich  quer  über  einem  Bloch  auf 
einem  langen  Bachfchieber,  auf  bem  als  6egen= 
gewicht  bie  3U  bachenben  Brote  lagen.  Ihr  6e= 
wanb  beftanb  auch  aus  einem  ßemb  unb  aus 
einer  Schür3e,  bie  fie  um  ben  I^opf  befeftigt 
hatte,  um  bie  ßaare  vor  bem  Verbrennen  3U  be= 
wahren,  wenn  fie  in  ben  Ofen  guchte  unb  frug, 
wieviel  es  war.  Da  fahen  wir,  ba^  es  nicht  in 
unferer  (Dacht  war,  fie  3U  befchenhen,  benn  fie 
war  3ufrieben  unb  wufete  nicht,  ba^  man  mehr 
brauchen  hönne,  als  man  bebürfe. 

Ich  marfchierte  alfo  wieber  linhs  um,  ohne 
aus3uruhen,  unb  ham  nachts  um  1  Uhr  3U  ßaufe 
an;  in  allem  war  ich  3wölf  ötunben  unterwegs 
gewefen  unb  burchaus  nicht  ermübet.  Ich  ftieg 
in  ein  Bab,  bas  mir  bereitet  war,  unb  fe^te  eine 
Slafche  Rheinwein  an,  unb  liefe  es  fo  lange 
heruntergluchen,   bis  ich   ben   Boben   fah.     Die 


152 


3ofe  fcbrie  unb  bacbte,  es  könne  mir  fcbaben  im 
beifeen  Bab,  allein  ich  liefe  mir  nicbt  wehren;  fie 
mufete  micb  ins  Bett  tragen,  icb  fcblief  fanft,  bis 
icb  am  GDorgen  burcb  ein  wohlbekanntes  f^räben 
unö  Dacbabmen  eines  gansen  ßübnerbofs  vor 
meiner  Züv  gewecht  würbe. 


mm 


onntagsmorgen 

D 


rr  ier  ift  aucb  eine  Rapelle  unb  eine  hleine  Orgel, 
R  bie  bangt  an  ber  WanÖ;  bie  l^apelle  ijt 
runb,  ein  mäcbtiger  flltar  nimmt  faft  ben  gansen 
pia^  ein,  ein  grofeer  golbener  Pelil^an  Krönt  ihn, 
ber  einem  Du^enb  Jungen  fein  Blut  3U  trinken 
gibt.  Das  €nbe  ber  prebigt  borte  icb  aue,  als 
icb  bineinkam;  icb  weife  nicbt,  war's  ber  golbne 
Pelihan,  bie  mit  vielen  Spinnweben  überflorten 
3ieraten  unb  f^ränse  von  Öolbbrabt,  bie  frifcben 
öträufeer  baneben  von  Rofen  unb  gelben  Cilien 
unb  bie  büfteren  öcbeiben,  wo  oben  grab  über 
bem  Pelil^an  bie  bunl^elroten  unb  gelben  öcbeiben 
bie  öonnenftrablen  färben.  Der  Öeiftlicbe  war 
ein  f  ransiskaner  aus  bem  f^lofter  bei  Rauental. 
„Wenn  icb  je^t  von  Unglück  fprecben  bore,  fo 
fallen  mir  immer  bie  Worte  Jefu  ein,  ber  3U 
einem  Jüngling  jagte,  ber  unter  feine  Jünger 
wollte  aufgenommen  werben:  ,Die  fücbfe  haben 
Gruben,  bie  Vögel  bes  ßimmels  baben  ihre  Hefter, 
aber  bes  (Denfcben  öobn  bat  keinen  Stein,  ^a 
er  fein  ßaupt  binlege.*  -  leb  frage  eucb,  ob  burcb 
biefe  Worte  allein  nicht  fchon  alles  Unglück  ge» 
bannt   ift?   -   €r  hatte  keinen  Stein,   um  aus» 


154 


3uruben,  viel  weniger  einen  Gefährten,  ^er  ihm 
fein  iröifcb  Ceben  beimatlicb  gemacbt  hätte,  unb 
bocb  wollen  wir  Klagen,  wenn  uns  ein  geliebter 
freunö  verloren  gebt,  wollen  uns  nicht  wieber 
Qufricbten,  finben  es  nicht  öer  (Dübe  wert,  ins 
Ceben  uns  3U  wagen,  werben  matt  wie  ein  Schlafe 
trunkener.  Sollten  wir  nicht  gern  öie  Gefährten 
Jefu  fein  wollen,  wenn  bie  Hot  uns  trifft  ?  Sollten 
wir  nicht  ßelben  fein  wollen  neben  biefem  grofeen 
Überwinber,  ber  ein  fo  weiches  f5er3  hatte,  bafe 
er  aus  liebenbem  ßersen  bie  l^inber  3U  fich  be^ 
rief,  l>a\^  er  ben  Johannes  an  feiner  Bruft  liegen 
hiefe?  €r  war  menfchlich,  wie  wir  menfchlich  finb; 
was  uns  3U  höheren  Wefen  bilbet,  nämlich  bas 
Bebürfnis  ber  Ciebe,  unb  3U  felbftverleugnenben 
Opfern  befähigt,  bas  war  bie  Grunblage  feiner 
göttlichen  Hatur ;  er  liebte  unb  wollte  geliebt  fein, 
beburfte  ber  Ciebe.  Weil  nun  bie  Ciebe  auf  Crben 
nicht  3U  föaufe  war,  fo  fanb  er  heinen  Stein,  ^a 
er  fein  ßaupt  ruhen  konnte;  ba  verwanbelte  fich 
biefes  reine  Bebürfnis  ber  Ciebe  in  bas  göttliche 
f  euer  ber  Selbftverleugnung.  Cr  brachte  fich  bar, 
ein  Opfer  für  bie  geliebte  (Denfchheit;  fein  Geift 
ftrahlte  wieber  himmelwärts,  von  wo  er  in  feine 
Seele  eingeboren  war,  wie  bie  Opferflamme 
hinauffteigt  ein  Gebet  für  ben  Geliebten,  unb  bies 
Gebet  ift  erhört  worben;  benn  wir  fühlen  uns 
all3umal  burch  biefe  Ciebe  geläutert.  Unb  wenn 
wir  uns  ihrer  Betrachtungen  weihen,  fo  werben 
wir  göttlich  burch  ihr  feuer,  unb  biefes  ift  wie 
ber  Obem  Gottes,  ber  alles  ins  Ceben  ruft,  jeben 
J^eim  bes  Frühlings;  fo  auch  ruft  nun  bie  Ciebe 


155 


Jefu,  bie  auf  €rben  nicht  begnügt  unö  beglücht 
konnte  weröen,  3U  ficb  alle,  öie  mübfelig  unö  be* 
laöen  finb.  6ie  finb  verfcbloffene,  tränenfcbwere 
f^nofpen ;  öie  mächtige  Sonne  ber  göttlichen  Ciebe 
wirb  fie  3um  ewigen  Ceben  öer  Ciebe  wechen, 
benn  Öies  ift  alles  Cebens,  alles  ötrebens  3iel 
auf  erben.  Bmen."  Diefe  fchönen  Worte  waren 
bie  einsigen,  welche  ich  von  ber  prebigt  hörte, 
aber  fie  waren  mir  genügenb,  um  mich  ben  gansen 
Zqq  3U  begleiten;  fie  klangen  wie  ein  bimmlifch 
Geläut  in  mein  Ohr,  wie  ein  fchöner  9onntag= 
morgen.  Rls  alles  3um  Tempel  hinaus  war,  ging 
ich  von  ber  €mporkirche  herab  in  bie  runbe 
l^apelle;  ein  anbrer  Priefter  hatte  eben  bie  (Deffe 
gelefen.  Cs  ham  ein  alt  (Dütterchen,  bie  löfchte 
bie  f^ersen  unb  räumte  auf;  ich  frug,  ob  fie 
Sakriftan  fei;  fie  fagte,  ihr  Sohn  fei  l^üfter,  aber 
ber  fei  heut  über  Canb.  Ich  frug,  wo  fie  bie 
vielen  Blumen  hernehme,  ^a  ich  boch  nirgenb 
einen  Blumengarten  gefehen;  fie  fagte:  „Die 
Blumen  finb  aus  unferem  Garten,  mein  Sohn 
pflegt  fie  alle."  Ich  hatte  eine  rechte  Cuft,  mit  in 
ben  Garten  3U  gehen,  bas  war  fie  3ufrieben;  bas 
ift  ein  Garten,  fo  grofe  wie  ber  ßof  von  unferm 
baus;  an  ber  weifeen  Wanb  bes  ßaufes  wachfen 
Trauben,  unb  ein  paar  hohe  Bofenbüfche  finb 
ba3wifchen  verflochten.  Rofen  unb  Trauben,  ich 
hann  mir  keine  fchönere  Vermählung  benken, 
Rriabne  unb  Bacchus.  Gin  hölsern  Bänkchen 
war  ha  an  ber  CDauer,  ich  fe^te  mich  gan3  ans 
Cnb  unb  bie  Svau  neben  mich;  es  war  kaum 
grofe  genug,  ba^  wir  piat3  hatten,  ich  mufete  recht 


156 


bicbt  an  bie  §rau  beranrüchen.    Ich   legte  meine 
ßanö   in  ihre  auf  ihren  Scbofe,  fie  hatte  eine  fo 
harte   ßanö;  [ie  fagt,  bas  finb  Schwielen   vom 
Graben  im  Canb,  öenn  hier  ift  ein  felfiger  ßoben. 
Du  glaubft  nicht,  wie  fchön  ber  Garten   in  ber 
Sonne  lag,  benn  jet5t  ift  grabe  bie  reichste  Blumen* 
3eit,  alles  ift  boch  fo  jcbön;  wenn  bie  Hatur  mit 
Orbnung   bebient  wirb,   gleich  iffs  ein  Cempel, 
wo  ihre  Öefchöpfe  als  Gebete  auffteigen,  gleich 
ift's  ein  Rltar,  ber  voll  hinblicher  Opfergefchenl^e 
belaben   ift.    -    So  ijt  bas  Gärtchen  mit  feinen 
reinlichen  Rieswegen  unb  buchsbaumnen  felber= 
teilchen ;  ber  Buchsbaum  ift  fo  ein  rechter  Cebens* 
freunb,  von  Jahr  3U  Jahr  umfafet  unb  fchüt5t  er, 
was  ber  frühling  bringt;  es  keimt  unb  welkt  in 
feiner  Umsäunung,  unb  er  bleibt  immer  ber  grüne 
Treue,  auch  unterm  Schnee;  bas  fagt  ich  ber  alten 
§rau.    Die  fagte:  „Ja,  bas  ift  wohl  wahr,  ber 
Buchsbaum   mufe   alles  Schickfal  mitmachen."  - 
Aber  ftell  Dir  boch  bas  hübfche  Gärtchen  vor, 
links  vom  traubenbewachfenen  ßaus  bie  (Dauer 
mit  Jasmin;   gegenüber   im  Schatten   eine  recht 
bichte   Caube   von   Geifeblatt,   ber  Cingang  3um 
ßaus  von  beiben  Seiten  mit  hohen  Cilien  befetst. 
So  viel    Cevkojen,   fo  viel  Ranunkeln,  fo  viel 
ehrenpreis   unb   Ritterfporn   unb  Cavenbel,   ein 
Beet  mit  Heiken,  ein  (Daulbeerbaum  in  ber  einen 
ecke  unb  in  ber  anbern,  gefchütst  gegen  bie  kalten 
Winbe,  3wei  Feigenbäume  mit  ihren  lieben,  rein 
gefalteten  Blättern.   Ich  war  gan3  erfreut,  f^ame* 
raben  von  meinem  Baum  3U  finben ;  unter  benen 
fpringt  ein  Quellchen  hervor  in  einen  Steintrog, 


157 


ba  hann  öie  §rau  gleich  ihre  Blumen  begiefeen, 
unö  in  öen  offnen  fenftern  hing  ein  f^äfig  mit 
f^anarienvögeln ,  bie  fcbmetierten  fo  laut.  Beb, 
es  war  recbt  Sonntagswetter  unb  öonntagslaune 
in  öer  Cuft  unö  öonntagsgefübl  in  meinem  ßersen. 
leb  bitte  Dieb,  forg  öafe  mein  Baum  von  ber 
Cisbetb  niebt  verfäumt  weröe,  er  mufe  balb  reife 
frucbt  haben,  wenn  er  fo  weit  ift  wie  öie  im 
l^üftergärteben,  bie  breeh  ieh  Dir  ab.  -  Die  frau 
febüttelte  mir  (Daulbeeren  ab,  öie  fammelte  ieb 
auf  einem  Blatt,  unb  einen  Straufe  von  Heiken 
unb  €hrenpreis  unb  Rittersporn  hatte  ieb  mir 
aueb  gepflüeht;  unb  wie  ieb  fo  bafteh  gan3  ftill 
in  ber  Sonn,  ^a  hommt  ber  geiftliebe  I5err  aus 
ber  Or,  er  hatte  ba  fein  S'rühftüeh  genoffen,  was 
bie  f^üfterfrau  immer  naeb  ber  f^irehe  bereit  hält.  - 
Der  Geiftliebe  ift  ein  fcböner,  gan3  ftiller  f^opf, 
bat  fanfte  Rügen  unb  ift  noeb  jung.  (Dieb  ftrahlten 
bie  febönen  Worte,  bie  ieb  von  ihm  gehört  hatte, 
noeb  einmal  aus  feinem  Öefiebt  an;  ieb  konnte 
aueb  aus  Chrfurebt  ihm  niebts  fagen,  er  fah  mieb 
aber  freunblieb  an  unb  fagte:  „Ci  wie!  Sebon 
reife  (Daulbeeren."  leb  reichte  ihm  bie  (DauU 
beeren,  er  nahm  auch  welche  bavon,  unb  ben 
Straufe  nahm  er  mir  auch  ab  unb  fteehte  ihn  in 
feinen  Ärmel,  benn  ieb  war  fo  überrafcht,  als  ich 
ihn  kommen  fah,  ^a^  ieb  nid^t  wufete,  was  ieb 
tat,  unb  ihm  beibe  ßänbe  entgegenftreehte.  \db 
wufete  gar  nicht,  ^a^  ieb  ihm  ben  Straufe  ge= 
boten  hatte,  unb  erft  als  er  mir  ihn  mit  einem 
Dank  abnahm,  merkte  ieb's.  Run  ging  er  weg, 
unb  ich  blieb  betäubt  ftehen,  ber  Spi^hunb  aber 


158 


begleitete  ihn  febr  böflicb  vor  bie  Gartentür; 
icb  borte  ibn  nocb  vor  ber  Tür  freunölicb  mit 
öem  ßunb  fprecben.  „6eb  nocb  F3aus,  Celaps," 
fagte  er.  -  leb  war  recbt  vergnügt,  unb  mehr 
als  all  bie  Zqq  über  auf  ber  ^erraffe,  mit  meinem 
öonntagmorgen. 


DCIDG  DIZHD  DCZia 


f 5^. 

^     isgang   o     o     o     o     o     o 


/-v^Veine  veröbete  ßircbe  ftanb  öiesfeits  an  ber 
VI/  ßöbe  einer  (Dauer,  bie  tief  hinabging, 
einen  Bleicbpla^  umfcblofe,  öer  jenfeits  vom  (Dain* 
flufe  begren3t  war.  Während  mir  vor  Öer  Böbe 
biefer  (Dauer  fcbwinbelte  unb  ich  furcbtfam  aus* 
weichen  wollte,  hatte  ich  mich  unwillhürlich  hinüber* 
gefcbwungen,  unb  \o  fanb  ich  im  nächtlichen  Dunl^el 
hleine  Spalten  in  ber  (Dauer,  in  bie  ich  ßänbe 
unb  f  üfee  einklemmte,  unb  hervorragenbe  Steine, 
auf  benen  ich  mir  hinabhalf.  Ohne  3u  bebenden, 
ob  unb  wie  ich  wieber  hinaufkommen  werbe,  hatte 
ich  ben  Boben  erreicht;  eine  Wanne,  bie  wohl 
im  6ommer  3um  Bleichen  gebient  hatte  unb  im 
ßerbft  war  vergeben  worben,  rollte  ich  bis  3um 
Ufer,  ftellte  fie  "bo.  auf  unb  fetste  mich  hinein  unö 
fah  bem  €isgang  3U.  €3  war  mir  eine  behagliche, 
befriebigenbe  £mpfinbung,  \o  als  eingerahmtes 
Bilb  ber  erhabenen  Winternatur  ins  Bntlit5  3U 
fchauen.  Cs  war,  als  habe  ich  einer  geheimen 
Rnforberung  Genüge  geleistet.  -  im  ßinaufhlettern 
fanb  ich  ebenfo  hleine  Cüchen  unb  Steine  unter 
PDönben  unb  f üfeen,  wie  ich  fie  brauchte.  -  Von 
nun  an  konnte  kein  Wetter,  kein  3ufall  mich  ab* 
halten,  ich  überwanb  alle  Schwierigkeiten;  ohne 
3U  wiffen  wie,  fanb  ich  mich  an  meiner  Öeifter* 
mauer,  an  ber  ich  jeben  Rbenb  hinabkletterte  unb 


160 


in  meiner  Wanne  fit3enö  öem  treiben  ber  €is- 
fcbollen  3ufQb.  Cine  ftiefe  ans  Ufer,  ich  fträubte 
micb  nicbt  mebr  gegen  bie  bämonifcben  Cin^ 
gebungen,  3uverficbtlicb  fprang  icb  örauf  unb  liefe 
micb  eine  Weile  forttreiben.  Dann  fprang  icb 
auf  bie  näcbfte,  bis  icb  enblicb  in  ber  (Ditte  bes 
Stromes  babinjegelte.  -  6s  war  eine  wunber= 
bare  Hacbt!  Warum?  -  Jeber  Haturmoment  ift 
wunberbar,  ift  ungeheuer,  wo  er  in  feiner  f  reibeit 
waltet  über  ben  (Denfcbengeift ;  icb  babe  micb  ibm 
preisgegeben,  unb  fo  wirkte  es  als  böcbftes  Cr* 
eignis.  -  Rm  fernen  f5ori3ont  fcbimmerte  ein 
bunl^les  Rot,  ein  trübes  Gelb,  unb  milberte  bie 
f infternis  3ur  Dämmerung,  bas  Cicbt,  gefeffelt  in 
ben  Umarmungen  ber  Hacbt;  babin  fcbaute  icb, 
babin  trug  micb  mein  eifiger  Seelenverkäufer,  unb 
ber  Winb,  ber  ficb  haum  über  bie  fSöbe  bes 
Sluffes  hob,  fpielte  unb  klatfcbte  3U  meinen  f üfeen 
mit  ben  falten  meiner  f^leiber.  Hoch  beute  bebt 
micb  bie  Erinnerung  ber  fcbmeicbelnben  Winbe 
3U  meinen  füfeen,  nocb  beute  burcbglübt  micb 
bie  Begeifterung  jener  hübnen  näcbtlicben  fahrt, 
als  wenn  es  nicbt  vor  fecbs  Jahren,  fonbern  in 
biefer  kalten  Winternacbt  war,  in  ber  ich  hier 
fi^e,  um  Dir  3U  lieb  unb  3um  Gebäcbtnis  meiner 
Ciebe  alles  auf3ufclDreiben.  eine  gute  Strecke  hatte 
icb  micb  babin  treiben  laffen,  ba  war  icb  ebenfo 
willenlos,  als  icb  ben  flufe  hinabgefcbwommen 
war,  wieber  umgekehrt;  ich  fcbritt  ruhig  von  einer 
nacbkommenben  Cisfcbolle  3ur  anbern,  bis  icb 
mich  glücklieb  am  Ufer  befanb.  3u  föaus  im  Bett 
überlegte   icb,   wo  mich  wohl  nocb  biefe  Wege 


G25 


161 


binfübren  möcbten;  es  abnete  mir  wie  ein  Weg, 
ber  immer  weiter*,  aber  nicbt  3urüchfübren  weröe, 
unb  icb  war  neugierig  auf  öas  Abenteuer  öer 
näcbften  Hacbt.  Arn  anbern  Zag  unterbracb  eine 
3ufällige  Reife  in  bie  ötabt  meine  näcbtlicben 
Geifterwanberungen.  Da  icb  nacb  örei  Wocben 
3urüchhebrte ,  war  biefer  mäcbtige  Reis  auf» 
geboben,  unb  nicbts  bätte  micb  bewegen  können, 
fie  aus  eigner  Willkür  3U  wagen.  -  6ie  lenkten 
freilieb  einen  Weg,  Öiefe  freunblicben  Hacbtgeifter, 
ber  nicbt  wieöer  umlenkt;  jie  belebrten  micb, 
wollten  micb  lebren  ber  Oefe,  bem  €rnft,  ber 
Weisbeit  meines  Glückes  nacb3ugeben  unb  feine 
Befeligung  nur  als  feinen  Rbglan3  3U  betracbten. 
60  macben  es  bie  COenfcben;  wöbrenb  ibr  Ge= 
fcbick  ibnen  einen  vorübergebenben  Genufe  bar= 
bietet,  wollen  fie  ewig  babei  verweilen  unb  ver- 
fäumen  fo,  ficb  ibrem  Glück,  bas  vorwärtsfcbreitet, 
3U  vertrauen,  unb  abnen  nicbt,  ^q\5  fie  ^en  Genufe 
verlaffen  muffen,  um  bem  Glück  nacb3ugeben  unb 
es  nicbt  aus  ben  Rügen  3U  laffen. 


DD 


Sritfdj.Strobl.  11 


D  DOOD  D  D  GOOD  D  D  DOOD  D 


R 


uf  ber  GDainterra{fe    o     o 

o  =o=o=oIq]' 


Drei  Ubr  morgens!  -  ßier  bin  icb  -  auf  ber 
terraf fe  am  (Dain ;  icb  wollt  als  immer  ein» 
mal  bergebn  in  ber  Srüb,  wenn  ber  Zag  nocb 
nicbt  auf  ben  Beinen  \\i  unb  Cärm  macht.  Rm 
Zag  bin  icb  3erftreut,  was  mir  immer  wie  öünbe 
beucbt,  ^a^  icb  Anteil  nehm  an  was  mich  nicbts 
angebt.  -  Rber  in  ber  §rüb,  ^a  bab  icb  ein  gan3 
lauter  ßer3  unb  fcbäm  micb  nicbt,  bie  Hatur  3U 
fragen,  unb  icb  verfteb  fie  auch,  ßeftern  abenb 
war  mir  ]o  wobl  hier,  wie  Bernbarbs  Schiff  mit 
ber  ßarmonie  bin  unb  ber  fuhr  auf  bem  (Dain; 
bie  meiften  Ceut  waren  nachgefahren  auf  bem 
flachen,  wir  blieben  am  Ufer.  Ich  batt  micb  gan3 
in  bie  €che  gefegt,  ^a  ftebt  ein  grofeer  3itronen= 
bäum;  es  war  Wetterleuchten,  aber  bie  ßit3  war 
boch  nicht  abgehühlt,  unb  bie  Blüten  vom  Baum 
wetterleuchteten  auch,  ober  follt  ich  mich  getäufcht 
haben?  -  Denn  ich  war  eingeschlafen  über  ber 
(Dufih,  unb  wie  ich  aufwachte,  ba  fah  ich  gan3 
verwunbert,  wie  ber  3itronenbaum  flammen 
bauchte  aus  ben  Blüten.  -  Ich  hann's  boch  nicht 
geträumt  haben?  -  Denn  icb  guchte  eine  gan3e 
Weile  3U,  bis  ein  leifer  Regen  ham,  ba  gingen 
wir  nach  löaus.  Wer  weife,  was  boch  alles  vor* 
geht  in  ber  Hatur,  was  fie  uns  verbirgt.  Der 
(Denfch  bat  ja  auch  als  Oefüble,  bie  er  nimmer 


aa  —  =  163 

wollt  belaufcbt  haben.  Dafe  aber  öer  Baum  über 
mir  fortleucbtete ,  wie  ich  mich  befann  unb  ihm 
3ufcbaute,  bas  ift  mir  fo  lieb,  -  icb  honnt  nicht 
fchlafen  im  Bett,  es  war  mir  3U  wohl  bort  geftern, 
wo  ich  ben  ßersfchlag  ber  Hatur  fühlte  unb  wo 
fie  mit  ihren  Blumen  mich  anflammte.  Im  Dunhel 
haucht  man  bie  Cieb  aus  unb  jchämt  fich  nicht 
vor  bem  5chat3,  weil's  bunkel  ift.  -  Hun  bin  ich 
mit  3agen  hergejchlichen ,  heimlich,  ha^  es  nicht 
gewufet  fei,  wie  auch  jenes  Ceuchten  nicht  gewußt 
ift.  -  €rft  greinte  bie  ßoftür,  aber  heut  abenb 
will  ich  fie  falben,  wie  ber  proper3,  wenn  er 
einen  Ciebesweg  vor  hat;  bann  i^rachte  bie  Garten* 
tür,  bann  fchurrte  ber  l^ies  unter  ben  5üfeen.  (Dan 
fcheut  bas  Gebüfch  3U  wecken,  fo  ftill  ift  alles  mit 
Ruh  gebecht.  Die  verfchlafnen  febernelhen 
fchuchern  3ufammen  im  frühen  Tau,  unb  mich 
fchauert  auch  bas  ftille  Wirken  ber  Hatur,  hier 
über  ber  fchlafenben  Welt,  obfchon  ber  Winb  nicht 
fo  fcharf  ift,  ber  ben  Zag  heraufweht,  ßeut  ift 
boch  gan3  milbe,  geftern  abenb  war  ber  ßimmel 
grün  unb  mifchte  fich  mit  bem  Hot,  bas  vom  Untere 
gang  herauf 30g ;  unten  waren  Purpurftreifen  unb 
violett  mit  Seuev  umräumt,  bann  kam  bie  Dacht 
herauf.  -  ßeut  früh  fchlagen  bie  (Dorgenwolken 
ihre  feuerflügel  um  €uern  fchwar3en  Dom;  man 
benkt  als,  fie  wollten  ihn  in  ber  Glut  ver3ehren; 
ba3u  fchmettern  bie  Hachtigallen ,  unb  bas  blaue 
Gebirg  brühen,  fo  ftol3  unb  kühl!  -  Das  alles 
freut  mich  beffer  als  Weisheit,  hier  unter  bem 
3itronenbaum,  ber  geftern  flammen  unb  heut 
Tränen  über  mich  fchüttelt. 

11* 


tO)  D  (§321  toi  D  tO)  ^:Z1  D  t§32) 


G 


ebanhen  auf  ber  Pappel 
oc=o 


Der  Clemens  meint,  icb  foll  alles  fcbreiben,  was 
mir  öurcb  ben  f^opf  gebt,  er  öenht,  es  war 
COavUi  öa.  Cr  fcbreibt,  icb  foll  aus  bem  f^lofter 
alles  auf^cbreiben ;  aber  nun  les  nur  erft  bie 
bummen  Gebanken,  bie  in  meinem  Bucb  fteben, 
ob  man  ha  was  Vernünftiges  bran  fcbreiben  hann, 
unb  bab's  nocb  ba3u  auf  ben  Dechel  inwenbig 
geschrieben,  weil  icb  meint,  icb  wollt's  recht  voll 
fcbreiben.  Ja,  bat  ficb  was,  icb  bin  fcbon  über 
vier  Wochen  noch  immer  am  Dechel.  Da  ftebt 
erftens  obenan: 

„Ob   tugenb   nicht   auch    Genialität   fein 

möchte,  unb  ob  wir  vielleicht  nur  beswegen 

fo  mübfelig  binanhlettern  3um  Erhabenen, 

weil  wir  Kein  Genie  haben." 

Das  war  auf  ber  Pappel,  an  ber  ich  fo  bequem 

hinaufklettern   kann.    Ich  fab  bie  Vögel  geflogen 

kommen  unb  bacht  in   mir,  bu  baft  kein  Genie, 

bu    mufet  mübfelig  3U  allem   binanklettern ,   unb 

bann   kannft  bu  bich  nicht  oben  erbalten,  mufet 

immer  wieber  hinunter.  -  Unb  ha  fühlt  ich  recht 

in  mir,  wie  alles  in  mir  fchwankt,  nichts  erreichen 

kann,  wie  ein  Steuer  in  mir  brauft,  jebe  l^unft 

Hegt  in  mir  fo  nah;  ich  mein,  ich  hätte  fie  fchon 

in  mir;  bie  Wangen  glübn  mir  gleich  fo  hoch,  fie 

brennen  mir,  wenn  ich  nur  in  bie  ferne  benk,  ha 


I 


165 


liegen  mir  golbne  Berge.  leb  fteb  ba,  als  bätt 
icb  nur  ben  3auberftab  in  öer  ßanb,  alles  in* 
wenbig  im  Öeift;  aber  wenn's  beraus  foll,  ba 
bleib  icb  beim  Bucbbechel  unb  mufe  mübfelig 
5anbl^örncben  für  Sanbl^örncben  3ufammentragen. 
Wie  icb  von  ber  Pappel  herunter,  ber  Trepp  berauf 
war  unb  bat!  meinen  erften  papiernen  Öebanhen 
aufgefcbrieben ,  ber  micb  nocb  immer  anlacbte  — 
fo  wollt  icb  bocb  nocb  ein  bifecben  im  Rbenbfcbein 
micb  wiegen,  benn  beim  Wiegen  kommen  mir 
GebanUen.  Raum  war  icb  ber  balben  Pappel 
binaufgeklettert,  fo  fiel  mir  fcbon  wieber  was  ein, 
icb  klettert  alfo  gleich  wieber  herunter  unb  wieber 
bie  Trepp  hinauf  unb  fcbrieb  auf: 

„Der  gan3e  (Denfcb  mufe  in  ficb  einver= 

ftanben  fein,  nämlich  ßer3   unb  Ropf  unb 

ßanb  unb  COunb." 
Da  ftanb  icb  nocb  fo  eine  Weile  vor  bem 
6ebanhen  ftill  unb  bacht,  vor  bem  bätt  icb  immer 
auf  ber  Pappel  können  fi^en  bleiben,  unb  es  tat 
mir  fcbon  leib,  ba^  ich  bas  Buch  mit  beklechft 
hatte,  aber  weil  ber  Clemens  gefagt  hatte,  icb  foll 
alles  fchreiben,  was  mir  burch  ben  f^opf  geht,  fo 
wollt  icb's  burcbfet3en.  ]et5t  gefällt  mir  aber  bocb 
etwas  in  bem  Gebanhen,  icb  kann  ihn  ja  3U  was 
Grofeem  machen,  wenn  ich  einen  großen  Sinn 
hineinlege,  unb  wenn  icb  alles,  was  icb  fo  fchreib, 
ohne  3U  wiffen  warum,  mit  Gewalt  wahr  mache.  - 
]a,  icb  fühl,  es  hängt  mit  bem  erften  Gebanken 
3ufammen ;  es  ift  bie  Genialität  ber  Hugenb,  wenn 
ber  gan3e  (Denfcb  in  fich  einverftanben  ift,  unb 
es  ift  gewife,  was  bie  meiften  nicht  tun.   fleh,  nun 


166 


kommt  mir  gar  bie  (Doral  in  Weg,  lafe  mich  nur 
lieber  bie  Gebanhen  weiter  abfcbreiben,  bann 
hieb  icb  ben  Dechel  3U  vom  Bucb,  bafe  ich  fie 
nicbt  mehr  feb.  -  Dann  fallen  mir  vielleicbt  beffere 
Soeben  ein,  bie  nicbt  fo  fteifftellig  finb.  Icb  bin 
olfo  wieber  auf  meine  Pappel  geklettert,  benn  es 
i^t  mir  gerab,  als  hämen  mir  nur  l>a  oben  6e* 
banden;  aber  kaum  war  icb  broben,  fo  mufet  icb 
aucb  fcbon  wieber  herunter,  unb  ber  kam  mir 
gan3  begei jternb  vor,  fo  ba^  icb  mit  großen  §reuben 
meine  brei  Treppen  beraufgefprungen  kam: 
„Den  Geift  nähren,  bas  ift  Religion." 
Ja,  wenn  icb  bas  könnt,  bacbt  icb,  wie  icb 
wieber  auf  meiner  Pappel  fafe  unb  jet5t  nicht  mehr 
herunter  wollt;  benn  es  war  fo  fchön  geworben, 
ber  gan3e  föimmel,  Rbenbrot  unb  ber  Cuftkriftalle 
unenblicb  viele,  bie  fcbnell  im  Purpur  anfchoffen; 
was  hob  ich  alles  gefehen  von  färben  unb  von 
wogenben  Wipfeln,  bie  ficb  einfcbmel3enben  färben 
unb  Cicbtglan3  in  ber  ferne.  Unb  wie  war  bie 
Datur  fo  gütig  gegen  mich,  gerab  als  ob  ich  fie 
nicbt  verleugnet  hätt  gehabt  mit  meinem  Rberwit5 
auf  bem  Papier. 


^3 


0O0O0O0O0 


ie  Hacbtigall    o 

D 


Die  Hacbtigall  war  anders  gegen  mich  gefinnt 
wie  Du;  fie  ftieg  berab  von  Rft  3U  Rft  unb 
kam  immer  nöber,  fie  bing  ficb  an  öen  äufeerften 
3weig,  um  micb  3U  feben;  icb  wendete  leife  micb 
3U  ibr,  um  fie  nicbt  3U  jcbeucben,  unö  fiebe  öa! 
flug  in  nacbügallenaug,  wir  blichten  uns  an  unb 
bielten's  aus.  Da  trugen  bie  Winbe  bie  Töne 
einer  fernen  (Dufil^  herüber,  beren  allumfaffenbe 
ßarmonie  wie  ein  in  ficb  abgefcbloffenes  6eifter= 
univerfum  erl^lang,  wo  jeber  Geijt  alle  öeifter 
burcbbringt,  unb  alle  jebem  ficb  fügen;  volll^ommen 
fcbön  war  bies  Ereignis ,  bies  erfte  Rnnäbern 
3weier  gleicb  unbewußten,  unfcbulbigen  Haturen, 
bie  nocb  nicbt  erfahren  hatten,  t>Q^  aus  Ciebes- 
burft,  aus  Ciebesluft  bas  ßer3  im  Bufen  ftärl^er 
unb  ftärher  hlopft.  Gewife,  icb  war  freunblicb  unb 
gerührt  burcb  bies  Rnnäbern  ber  HachtigaU,  wie 
icb  mir  benKe,  ba^  Du  allenfalls  freunblicb  bewegt 
werben  hönnteft  burcb  meine  Ciebe;  aber  was 
bat  bie  Hacbtigall  bewogen,  mir  nacb3ugehen, 
warum  ham  fie  herab  vom  hoben  ßaum  unb  fe^te 
ficb  mir  fo  nah,  t>Q\5  icb  fie  mit  ber  f5anb  hätte 
hafcben  hönnen,  warum  fab  fie  mich  an  unb  3war 
mir  ins  Buge?  -  Das  Rüg  fpricht  mit  uns,  es 
antwortet  auf  ^en  Blich ;  bie  Hacbtigall  wollte  mit 
mir  fprecben,  fie  hatte  ein  Gefühl,  einen  Gebanhen 


168 


mit  mir  aus3utaufcben.  (Gefühl  ift  ber  Reim  bes 
öeöankens),  unö  wenn  ee  \o  ift,  welchen  tiefen, 
gewaltigen  Blich  läfet  uns  hier  bie  Ratur  in  ihre 
WerUftatt  tun,  wie  bereitet  fie  ihre  Steigerungen 
vor,  wie  tief  legt  fie  ihre  l^eime,  wie  weit  ift  es 
noch  von  ber  Hachtigall  bis  3U  bem  Bewufetfein 
3wifcben  3wei  Ciebenben,  bie  ihre  Inbrunft  fo 
beutlicb  im  Cieb  ber  Hachtigall  gefteigertempfinben, 
ba\^  fie  glauben  muffen,  ihre  (Delobien  feien  ber 
wahre  Rusbruch  ihrer  Cmpfinbungen. 

Rm  anbern  Zag  kam  fie  wieber,  bie  Hachtigall, 
ich  auch ;  mir  ahnte,  fie  würbe  kommen,  ich  hatte 
bie  öuitarre  mitgenommen,  ich  wollte  ihr  was 
vorfpielen;  an  ber  pappelwanb  war's,  ber  wilben 
Hofenheche  gegenüber,  bie  ihre  langen,  fchwanhen= 
ben  3weige  über  bie  (Dauer  bes  Hachbargartens 
hereinftrechte  unb  mit  ihren  Blüten  beinah  bis 
wieber  an  ben  Boben  reichte.  Da  fafe  fie  unb 
ftrechte  ihr  ßälschen,  fah  mir  3U,  wie  ich  mit  bem 
6anb  fpielte.  Hachtigallen  finb  neugierig,  fagen 
bie  Ceute,  bei  uns  ift's  ein  Sprichwort:  Du  bift 
fo  neugierig  wie  eine  Hachtigall;  aber  warum  ift 
fie  benn  neugierig  auf  ben  CDenfcben,  ber  fchein* 
bar  gar  keine  Be3iehung  auf  fie  hat?  -  Was 
wirb  einftens  aus  biefer  Heugierbe  fich  er= 
3eugen?  -  O,  nichts  umfonft,  alles  braucht  bie 
Hatur  3U  ihrem  raftlofen  Wirken,  es  will  unb 
mufe  weiter  gehen  in  ihren  Crlöfungen.  Ich  ftieg 
auf  eine  hohe  Pappel,  beren  Rfte  von  unten  auf 
3U  einer  bequemen  treppe  runb  um  ben  Stamm 
gebilbet  waren;  ^a  oben  in  bem  fchlanhen  Wipfel 
banb  ich  mich  feft  an  bie  3weige  mit  ber  Schnur, 


CZl 


169 


an  ber  ich  bie  Guitarre  mir  nacbge3ogen  hatte; 
es  war  fcbwül,  nun  regten  ficb  öie  Cüfte  ftärher 
unb  trieben  ein  ßeer  von  Wollten  über  uns  3U= 
fammen.  -  Die  Rofenbeche  würbe  bodDgeboben 
vom  Winb  unb  wieber  niebergebeugt ,  aber  ber 
Vogel  fafe  feft;  je  braufenber  ber  6turm,  je 
fcbmetternber  ihr  Gefang,  bie  l^leine  Reble  ftrömte 
jubelnb  ihr  ganses  Ceben  in  bie  aufgeregte  Hatur, 
ber  fallenbe  Regen  bebinberte  fie  nicbt,  bie 
braufenben  Bäume,  ber  Donner  übertäubte  unb 
fdDrechte  fie  nicbt,  unb  icb  auch  auf  meiner  fcblanl^en 
Pappel  wogte  im  Sturmwinb  nieber  auf  bie  Rofen^ 
beche,  wenn  fie  ficb  hob,  unb  ftreifte  über  bie 
Saiten,  um  ben  ]ubel  ber  l^leinen  Sängerin  burcb 
ben  ZaU\  3U  möfeigen.  Wie  ftill  war's  nacb  bem 
Gewitter!  Welche  beilige  Rübe  folgte  biefer  Be* 
geiftrung  im  Sturm!  (Dit  ihr  breitete  bie 
Dämmerung  ficb  über  bie  weiten  Gefilbe,  meine 
kleine  Sängerin  fcbwieg,  fie  war  mübe  geworben. 
Beb,  wenn  ber  Genius  aufleuchtet  in  uns  unb 
unfere  gefamten  l^räfte  aufregt,  ha^  fie  ihm  bienen, 
wenn  ber  ganse  (Denfch  nichts  mehr  ift,  als  nur 
bienenb  bem  Gewaltigen,  bem  ßöheren  als  er 
felbft,  unb  bie  Ruhe  folgt  auf  folche  Rnftrengung, 
wie  milb  ift  es  ^Qy  wie  finb  ba  alle  Rnfprüche, 
felbft  etwas  3U  fein,  aufgelöft  in  ßingebung  an 
ben  Genius!  So  ift  Hatur,  wenn  fie  ruht  vom 
^agewerh:  fie  fchläft,  unb  im  Schlaf  gibt  es  Gott 
ben  Seinen.  So  ift  ber  (Denfch,  ber  unterworfen 
ift  bem  Genius  ber  f^unft,  bem  bas  eleWrifche 
feuer  ber  Poefie  bie  flbern  burchftrömt,  ben 
prophetifche   Gabe  burchleuchtet ,  ober  ber  wie 


170 


Beethoven  eine  Spracbe  führt,  bie  nicht  auf  Crben, 
fonöern  im  Äther  (Dutterfprache  ift.  Wenn  folche 
ruhen  von  begeisterter  Rnftrengung,  bann  ift  es 
fo  milb,  fo  hühl,  wie  es  heute  nach  bem  Oewitter 
war  in  öer  gQn3en  Hatur,  unb  mehr  noch  in  ber 
Bruft  ber  kleinen  Dacbtigall,  benn  bie  fcblief 
WQhrfcbeinlicb  heute  noch  tiefer  als  alle  anbern 
Vögel,  unb  um  fo  Kräftiger  unb  um  fo  inniger 
wirb  ihr  ber  Genius,  ber  es  ben  Seinen  im  Schlaf 
gibt,  vergolten  haben.  Ich  aber  ftieg  nach  ein» 
geatmeter  Rbenbftille  von  meinem  Baum  herab, 
unb,  burchbrungen  von  ben  hohen  €reigniffen  bes 
eben  erlebten,  fah  ich  unwillkürlich  bie  (Denfchen 
über  bie  Rchfel  an. 


mm      mm      mm 


aumfrevel  o     o     o     o     o 

n  n— n^n 


H 


Jcb  war  beut  braus  be!  öer  ßrofemama,  fie  war 
allein,  ben  gan3en  Hacbmittag,  unb  wir  fpracben 
erft  von  Dir;  öie  Grofemama  war  einen  Bugen^ 
blich  befcbäftigt,  fo  lief  icb  in  ben  Garten,  um  ibn 
nacb  langer  3eit  wieber  3U  feben,  aber  wie  war 
icb  ba  erfcbrochen,  wie  icb  auf  bie  ßoftreppe  harn, 
icb  erhannte  ben  Garten  nicbt  wieber.  Denhe!  — 
bie  bobe,  fcbwanhenbe  pappelwanb,  bie  bimmeU 
anfteigenben  "Treppen,  bie  icb  alle  wie  oft  binan» 
gestiegen  bin,  um  ber  Sonne  nacbsufeben,  um  bie 
Gewitter  3U  begrüfeen,  burcbgefcbnitten !  -  3wei 
Drittel  bavon  In  geraber  Cinie  abgefägt!  -  leb 
wufete  nicbt,  wie  mir  gefcbab,  unb  alles  will  icb  gern 
begreifen  unb  lernen,  was  foll  mir  bas  fcbaben; 
aber  biefe  Pappeln,  biefe  3eugen  meiner  frübften 
6pielftunben ,  bie  micb  als  f^inb  von  brei  ^abren 
mit  ibren  Blüten  beregneten,  in  bie  icb  binauf* 
ftaunte,  als  ob  ibre  ßöbe  in  ben  ßimmel  reicbe. 
Beb,  was  foll  icb  ba3u  fagen,  ba^  bie  als 
Stumpfe,  mit  wenig  Aften  nocb  vergeben,  neben» 
einanber  jteben,  gemeinfamen  Scbimpf  unb  Ceib 
tragenb.  -  Rcb,  ibr  Baumfeelen,  wer  honnte  eucb 
bas  tun?  -  nun  3ieben  alle  früben  Rinbbeitss 
morgen  an  mir  vorüber,  wo  icb  ibre  Wipfel  von 
weitem  im  Golb  glän3en  jab,  unb  ^a^  fie  mir 
winhten,  icb  foU  micb  eilen  unb  hommen,  unb  wie 


172 


bab  icb  oft  ibre  jungen  Blätteben  betrachtet  unb 
heine  abgebrocben  je!  -  Beb,  es  fcbneiöet  mir 
ins  f5er3  -  es  war,  als  könnten  fie  nicbt  mebr 
fprecben,  als  fei  ibnen  öie  3unge  genommen,  benn 
fie  Können  ja  nicbt  mebr  raufeben.  So  war  ibr 
Stummfein  eine  bittere  l^lage  3U  mir,  bie  icb  ewig 
mit  mir  berumtragen  werbe  unb  Keinem  fagen 
als  nur  Dir.  Du  weifet,  wie  Du  oft  fagteft,  wenn 
wir  ^Q  gingen,  ^a^  ibr  Raufeben  mitfpreebe  unb 
wie  fie  uns  abfonberten  von  ber  gan3en  Welt, 
unb  wie  fie  einen  Dom  über  uns  bauten;  unb 
gegenüber  bie  bobe  Rofenbeche,  bie  über  bie 
Wanb  vom  BosKett  bereinfebwanKte,  bie  ftebt 
jet5t  aucb  obne  Sebu^,  unb  bie  Haebtigallen ,  bie 
bas  beilige  DunKel  gewobnt  waren,  wie  wirb's 
l>a  fein,  wenn  bie  im  f  rübjabr  wieberhommen.  - 
Reb,  icb  bin  betrübt  barüber.  -  Die  f^inbertage, 
wo  icb  bort  mit  bem  reinlicben  f^ies  fpielte  unb 
mit  rofenfarbnen  Steineben  unb  fcbwarsen  unb 
gelben  bunte  Heiben  um  ibre  Stämme  legte.  - 
Unb  konnte  fo  verfteeht  binüberklettern  ins  Bos» 
kett;  wie  kann  einem  bocb  bas  parabies,  wo  bie 
Seele  all  ibren  3auber  einpflanst,  fo  jämmerlicb 
3erftört  werben?  -  Rber  bebaure  Du  mich  nur 
nicbt,  benn  bör  nur:  als  icb  3urückkam  3ur 
Grofemuiter,  fab  icb  blafe  unb  3erftört  aus,  unb 
fie  fab  wobl  bie  Spuren  von  meinen  Tränen.  - 
Sie  fab  micb  ein  Weilcben  unb  fagte:  „Du  warft 
im  Garten?"  -  Da  reiebte  fie  mir  bie  ßanb.  - 
Was  follt  icb  fagen  ?  Icb  febwieg  unb  fie  aucb.  - 
Sie  fagte:  „leb  werb  wobl  nicbt  mebr  lang 
leben!"  -  leb  wagte  niebts  3U  fagen  -  aber  balb 


173 


barauf  macbte  fie  öas  neben3immer  auf,  von  wo 
man  nacb  öem  Garten  fiebt,  unb  fagte:  „Das 
Haufeben  im  Rbenbwinö  war  meine  5reube;  icb 
werb's  nicbt  mebr  wieber  boren.  Icb  bätt  mir's 
laffen  gefallen,  wenn  icb  unter  ibrem  Raufeben 
am  legten  Bbenb  war  eingefcblafen !  5ie  bätten 
mir  biefen  feierlicben  Dienft  geleistet,  bie  lieben 
freunbe,  bie  icb  jeben  t^ag  befucbte,  bie  icb  mit 
grofeer  5reube  bocb  über  mir  fab;  -  Du  baft  fie 
aucb  geliebt,  es  war  Dein  liebfter  Rufentbalt.  — 
leb  bab  Dieb  oft  vom  §enfter  feben  in  ibren  Wipfel 
abenbs  fteigen  unb  glaubteft,  es  feb  es  niemanb  - 
nimm  meinen  Segen,  liebes  Rinb,  icb  bab  an  Dieb 
gebaebt,  wie  man  fie  tro^  ber  fcbmerslicben  Ver= 
let3ung  meiner  öefüble  verftümmelte."  -  leb  wagte 
nicbt  3U  fragen,  wer  bie  Scbulb  trüge,  benn  bas 
war  3U  kränkenb  für  bie  Örofemama  gewefen, 
unb  icb  wufete  aucb  gleicb,  ^a^  nur  aus  graufen* 
baftem  pbilifterfinn  folebe  Untat  gefebeben  l^onnt; 
benn  ber  abnt  nicbt  bie  tiefften  Wunben,  ber  bält 
alles  für  Cmpfinbelei,  was  mit  ben  gebeimften 
geiftigen  Bebürfniffen  3ufammenbängt.  —  Wie 
l^önnte  ber  eine  wabrbafte  Ciebe  benhen  3U 
einem  leblofen  Ding ;  benn  jo  nennt  ber  pbilifter 
bie  pflan3en,  bie  Bäume,  bie  gan3e  Hatur.  - 
Wie  hönnte  ber  abnen,  ^a^  ein  böcbft  geiftiger 
Umgang  mit  ibren  febönen,  untabeligen  er3eug* 
niffen  ftattfinben  l^önne?  -  €in  Wecbfeltaufcb 
von  €mpfinbungen ,  ber  eine  reine  Ceibenfebaft 
3U  ibr  näbrt  unb  beglückt  -  wie  könnte  benn 
je  begreiflieb  werben,  M^  ein  innerlidDes  Dafein 
ficb  in  fie  überträgt,  unb  ba^y  wäbrenb  bie  gan3e 


174 


Welt  vergeblicb  unter  (Ditge^cböpfen  berum= 
fcbwärmt,  von  Ciebe,  von  freunbfcbaft  fafelt,  öer 
beglüchte  Befit3er  eines  Baumes,  ber  vor  feiner 
Züv  ftebt,  in  ibm  öen  Sreunb  gefunden  bat.  - 

Die  alte,  bunöertjäbrige  Bas  kam  mir  vor 
ber  Züv  aucb  bamit  entgegen:  „Ift's  nicbt  bar= 
barijcb  -  unb  bafe  öie  örofemama  ftillfcbweigt 
ba3u,  -  warft  Du  nur  bier  gevvefen,  es  v^är  nicbt 
gefcbeben."  - 


0      0      s      s      s 


Rls  wir  eintraten  in  öen  Saal,  ba  jtanb  ein 
gan3er  trupp  langer,  öünner,  kurser,  öicher, 
breiter,  alle  fcbwarsgehleibeter  ^ansberrn  in  öer 
niitte,  öie  fo  viel  Raum  3um  tan3  liefeen  3wijcben 
ficb  unb  ben  Wänben,  an  benen  bie  jungen 
ODäbcben  3wifcben  (Damas  aufgereibt  waren  wie 
allerlei  COarhtfrücbte ,  worunter  öcboten,  Hüben 
unb  3wiebeln  nicbt  bie  wenigsten  waren,  bier  unb 
"öa  ein  angenehmer  BlumenKobl,  nur  feiten  ein 
Borsborfer  Rpfel,  worunter  icb  3U  3äblen;  je^t 
bolten  bie  ßerrn  biefe  Rübeben,  3wiebelcben  unb 
5cboten*Bukettcben  3um  Tons.  Rlle  batten  Ubr= 
hetten  mit  allerlei  ßerlochen,  manche  3wei  aus 
ber  Tafcbe  bangen;  biefe  Berlochen  machten  ein 
Ölochenfpiel  wie  eine  ßerbe.  Ich  fafe  ^a  bicht  am 
(Dufil^antenbalhon  unb  vertrieb  mir  bie  3eit,  mit 
beiben  ßänben  meine  Obren  3U3ubalten,  um  nichts 
von  ber  (Dufik  3U  hören.  Dabei  fab  ich  mir  bie 
(Denfchen  an,  bie  ba  berumhüpften ,  unb  hatte 
bie  €mpfinbung,  als  ob  fie  alle  toll  feien,  unb 
enblich  mufete  ich  lachen;  ich  liefe  bie  ßänbe  los, 
ha  braufte  mir  ber  Walser  feinen  vollen  Strom 
ins  Gehör!  -  Dann  machte  ich  ein  sweites  Cx' 
periment;  ich  hlappte  bie  Obren  auf  unb  bann 
wieber  3U,  fo  h^am  ich  ftüchweis  3U  einer  gan3 
aparten  GDufil^,  bie  ich  mir  aneinanberf lichte  wie 


176 


eine  löarlehinjache !  -  \o  vertrieb  ich  mir  öie  Seit 
€nMicb  kam  Öruneiius,  ber  Cange,  unö  tan3te 
einen  Walser  mit  mir,  ich  aber  nicht  mit  ihm; 
benn  er  hielt  mich  fchwebenb,  unb  ich  harn  nicht 
ba3u,  eine  §ufefpit3e  auf  bie  Crbe  3U  fet3en.  3u 
biefem  J^unftftüch  mit  mir,  wie  mit  einer  Porsellan* 
urne  herum3utan3en,  brauchte  er  alle  f^neifgewalt 
feiner  langen  Finger,  bie  er  wie  l^rallen  in  mich 
einfchlug;  benn  war  ich  heruntergefallen,  fo  konnte 
ich  ben  F5als  brechen;  l>a  hätte  man  ihm  vielleicht 
Vorwürfe  machen  können.  Wer  war  froher  als 
ich,  ^Q  ich  wieber  an  meinem  piat5  war;  nun 
fchob  ich  mich  gan3  unter  ben  Balkon,  hinter 
einen  löaufen  5chals  unb  flore;  ich  lehnte  mich 
in  ein  €chchen  unb  hatte  ein  heimatliches  Gefühl. 
Hoch  ein  Weilchen  konnte  ich  mit  (Dühe  mich 
wach  erhalten,  aber  wie  es  kam,  ^a^  ich  bem 
Drang  3U  fchlafen  nachgab,  weife  ich  nicht  3U 
fagen;  genug,  ber  f^ampf  war  kur3,  ber  Schlaf 
fiegte,  aber  als  ebler  §einb;  benn  nie  hab  ich 
füfeer  gefchlafen.  Die  (Dufik  war  wie  Golbfrüchte, 
bie  ein  buftenber  Winb  von  ben  3weigen  löfte 
^a  oben  auf  bem  ßerg  unb  mir  alle  in  ben  Scbofe 
rollte;  alle  bie  Cichter  waren  Sterne  am  F5immel. 
Ruf  einmal  erwache  ich  3U  meinem  €rftaunen  Z>a 
3u  fein,  wo  ich  bin;  ftatt  bem  Berg,  mit  Orangen* 
bäumen  befet3t,  lauter  närrifche  öefichter,  bie  im 
Schweife  ihres  Rngefichts  Bafegeige  unb  fiebel 
streichen  ober  mit  aufgeblafenen  Backen  trom-- 
peten!  -  Statt  bem  klaren  Hachthimmel  mit 
Sternen,  Staubwolken,  bie  fich  mit  ber  Crleuchtung 
um   ben    erften    pia^    ftreiten.    -    €ine    Paufe 


177 


tritt  ein,  toute  la  masse  des  mächoires  en  mouve- 
ment,  mehrere  €rfrifcbungen  3U  verhauen.  €s 
machte  öiefe  Bewegung,  bie  immer  3wifchen  ben 
f^innlaöen  unb  öen  öd^läfen  horrefponbierte,  einen 
fo  fatalen  Cinbrud^  auf  midD,  ba^  mir  fd^winbelte, 
unb  xdb  fühlte,  ^a^  xcb  eine  Art  mal  au  coeur  be= 
ham!  -  Rcb  Clemens,  hann  man  fo  phylifd?  un= 
glüd^lidD  werben,  wie  id?  in  biefem  Rugenblid^ 
war?  -  Rd3,  hätte  idD  bod?  in  jenem  flugenblid? 
in  OffenbadD  in  unferm  ßof  können  meinen  Ropf 
unter  bie  Pumpe  halten,  wo  xdb  mir  fdoon  mandD* 
mal  ähnlid)es  Weh  vertrieb,  wenn  midD  ein  €kel 
überham  über  irgenb  etwas,  bas  mir  unerträglidD 
war.  -  Rd)  Gott!  -  Rd)  lieber  Gott,  bu  haft 
fo  viele  geflügelte  Boten,  fdDid^  mir  bodD  einen, 
ber  midD  hier  wegträgt  auf  mein  Ropfhiffen  in 
bie  öanbgaffe.  -  Das  war  mein  inneres  6tofe= 
gebet;  id)  wagte  nidDt  ben  l^opf  umsubrehen  unb 
nad)  bem  €ngel  um3ufd)auen  aus  f  urd)t  vor  bem 
ödDwinbel.  Da  fteht  plö^lid?  ber  fran3  Chameau 
vor  mir,  ob  id)  ben  f^ehraus  wolle  tan3en?  — 
Da  id)  als  vierjähriges  l^inb  oft  mit  ihm  gefpielt 
hatte,  wo  wir  uns  oft  einanber  ben  Wall  herunter 
geftofeen  hatten,  fo  mad)te  \db  biesmal  heine 
(Komplimente  mit  ihm  unb  fagte:  „Ad?,  gehen  6ie, 
€fel,  unb  mad)en  6ie  mir  nid>t  fd)winblig  mit 
Ihren  Uhrketten."  Diefe  Worte  können  höd)ftens 
bas  gewefen  fein,  was  idD  in  bem  Zag  hinein 
gerebet  foll  haben;  mehr  ift  mir  nid)t  bewufet, 
ben  gan3en  Ball  hinburdD  gefprod)en  3U  haben, 
ben  idD  nodD  verwünfd^e!  -  Ich  mufe  fort,  idD  mufe 
wieber  nad)  Offenbad),  in  bie  bunkle,  reine  HadDt^ 
Sritfcb-Strobl.  12 


178 


luft  öort  meine  Seufser  verbaueben.  Die  weifeen 
Wänöe  meines  ötübcbens  mit  ben  gelben  Streifen, 
bie  Diele  von  ßol3,  öer  grau  ongeftricbene  Cifcb 
unö  öcbranl^!  -  acb,  icb  jebne  micb  babin!  - 
Qcb,  icb  kann  bie  Ceppicbe  nicbt  leiben!  Die 
rotfeibenen  Vorhänge  raufeben  micb  nocb  gan3 
krank  -  unb  icb  kann  jetjt  nicbt  fortfcbreiben,  weil 
icb  gan3  übel  bin,  blofe  von  ber  Crinnerung.  — 


rir? 


onl^ünfte    o     o     o     o     o 
o  o — ■ 


nocb  eine  vergnüglicbe  Stunbe  mufe  icb  vor 
Bbgang  bes  Briefes  Dir  melöen.  föeute 
(Dorgen,  als  icb  ben  ßrief  fcbon  3ugemacbt  hatte 
unö  wollte  ihn  eben  bem  Juben  ßirfcb  in  feinen 
öcbnappfach  werfen  in  ber  (Deinung,  er  fei  es, 
ber  an  ber  Tür  l^lingelt,  fo  war  es  ber  freunb^ 
liebe  Pfarrer  Scb  . . .  3 ,  ber  bie  ßrofemutter  unb 
aucb  micb  befucben  wollte,  fo  fagte  er  mir 
wenigftens;  icb  bab's  geglaubt,  obfcbon  es  mir 
was  Heues  war,  ba^  micb  jemanb  befucben  wollte, 
unb  nun  nocb  ba3U  aus  ber  ferne.  Will  ein  fo 
gelehrter  (Dann  bis  nach  Offenbacb  gekommen 
fein,  um  mir  weife  3U  machen,  ba^  er  vor3üglicb 
gekommen  fei,  mich  3U  fehen!  So  ein  Pfarrer 
kann  lügen!  -  er  hat  micb  geküfet  auf  bie  linke 
Wange  unb  bat  mir  verfiebert,  es  fei  wahr.  - 
Unb  Du  habeft  ihm  fcbon  lange  meine  Bekannt^ 
fcbaft  machen  laffen  burch  Deine  Öefpräche  über 
micb!  -  leb  wufete  nicht,  was  ich  ba3U  fagen 
foUte.  -  demente!  Der  Pfarrer  ift  ein  guter  f^erl, 
aber  er  ift,  glaub  ich  gewife,  ein  Ruffebneiber.  - 
€r  kann  wohl  nichts  bavor,  er  mufe  ja  Sonntags 
immer  bimmeln.  -  Unb  er  hielt  mir  auch  eine 
allerliebfte  3auberrebe,  bie  etwas  Hachweben 
von  Rirchenbuft  hatte.  Hein,  demente,  bie  Rebe 
war  wirklieb  fcbön.  -  Reh,  er  war  ja  gar  3U  gut, 

12* 


180 


Öer  (Dann;  wie  Kann  ich  öocb  bumm  von  ihm 
reben;  er  bat  mich  fpäter  aucb  auf  bie  rechte 
Wange  gehüfet  unb  bat  mir  gesagt,  wie  fcbön 
unö  ebel  -  icb  weife  es  gar  nicbt  mebr,  was  er 
gefagt  bat,  öenn  ich  war  3erftreut ,  benn  icb  mufete 
an  einen  alten  Töpfer  benKen,  ber  gleicht  ihm. 
Von  öem  Töpfer  will  ich  Dir  was  er3äblen,  was 
febr  ßübfches;  icb  bab  feine  Behanntfchaft  auf 
bem  let3ten  Weihnachtsmarkt  gemacht.  Cr  hatte 
einen  gan3en  f^orb  voll  Tiere  gebachen  unb  bunt 
glafiert,  bie  bot  er  3um  Verkauf  fürs  l^inbervolk, 
bas  feinen  f^orb  umringte  unb  mebr  banach  ver« 
langte  als  nach  allen  anberen  öpielfachen.  -  €s 
war  auch  nicht  von  ohne.  3um  Beifpiel  einen 
Schlitten  bat  er  gemacht,  ber  einen  Schwan  vor= 
ftellt,  weife  glafiert,  mit  fchwar3em  Schnabel,  ein 
(Dohr  ftebt  hinten  brauf,  fcbwar3braun  glafiert, 
mit  einem  grünen  Rittel.  Diefes  l^unftwerh  be- 
fi^e  ich  felbft,  es  ftebt  in  meiner  l^unftkammer, 
bas  helfet  unter  meinem  Bett.  -  Dem  Töpfer 
hatte  ich  bamals  feinen  gan3en  Tonkunftvorrat 
abgekauft  für  bie  Rinber;  jebes  ging  mit  einem 
Camm  ober  §uchs  ober  Wolf,  Bär,  Cöwe  ufw. 
ab,  ich  behielt  bas  ßauptftüch,  ben  Schlitten;  er 
wollte  nun  eiligft  wieber  neues  anfertigen,  unb 
ich  wollte  gern  mit  anfeben,  wie  er  bamit  fertig 
werbe.  Unb,  liebfter  demente,  ich  bab  brei 
flbenbe  bei  bem  (Dann  3ugebracht;  frau  unb 
Rinber  fafeen  bei  ber  Campe  unb  machten  Tiere, 
bie  6ott  nachträglich  noch  fchaffen  mufe,  wenn  er 
gerecht  fein  will,  ober  feine  Unenblichkeit  bleibt 
unerwiefen ;  benn  was  bie  pbantafie  ber  Töpfers- 


181 


hinöer  erfunden  bat,  ift  nocb  nicbt  im  naturreicb 
gefcbaffen.  Dem  Vater  war  alles  recbt,  er  gab 
öiefen  Oefcböpfen  einen  öcbneller  unö  einen 
Drucher  unb  fe^te  jie  auf  Poftamente;  fie  wuröen 
angemalt  von  einem  (Mittel  mit  einem  breiten 
6cblappbut  als  Ropf,  er  fafe  in  ber  €che  beim 
§euer  am  ßerb  unö  warf  einen  mächtigen  Schatten. 
Wie  icb  nun  fab,  bafe  alles  fo  fix  ging,  bafe  l^einer 
3agte,  jeine  f^unftwerKe  3U  föröern,  wie  Neiner 
eine  l^ritik  übte,  wie  alles  recbt  war,  was  ba 
entftanb,  ^a  fcbämte  icb  micb  meiner  6cbücbtern= 
beit.  Icb  fafe  nun  auch  am  Tifcb  unb  machte  ^on* 
hünfte;  ins  "Cierreich  wollte  icb  mich  nicht  wagen, 
ich  machte  einen  Baum,  auf  feinen  3weigen  fi^en 
Vögel ,  jo  recht  antih  mit  wenig  Blättern ,  hannft 
Du  benhen.  -  Raum  fing  er  an  3U  werben,  fo 
hatte  ber  5chlappbut  eine  Schlange  brumgeringelt 
unb  ber  Töpfer  Rbam  unb  €va  brunter  geftellt.  - 


1^ 


00      o      EjlS      o      23^3 


bantajtijcbe  5piele      o     o 

Oc=.Oc=30t='0«=>0«==30 


Befinn  Dieb  bocb  auf  unfere  Reifeabenteuer,  bie 
wir  ben  Winter  miteinander  öurcbmacbten ; 
keiner  von  uns  batte  eine  trübe  (Dinute,  ben 
gansen  Winter  nicbt,  Deine  Sebnfucbt  ins  Innere 
von  Rfien  binein  bracbte  uns  immer  unter  bie 
wilben  Tiere.  Tiger  unb  Cöwen  unb  Clefanten 
baben  uns  5cbabernach  gespielt.  Was  baben 
wir  für  6onnenbit5  ausgeftanben  mitten  im  Cis; 
erft  fpäter  merkte  icb,  wie  febr  wir  uns  in  bies 
Ceben  vertieft  batten,  i>Q  alle  Ceute  biefen  Winter 
als  einen  ber  hälteften  burcbgebuftet  baben.  Weifet 
Du,  am  Heujabrstag  kam  icb  5U  Dir!  Blle  Räber 
pfiffen  an  ben  vielen  Staatswagen;  bie  gepuberten 
f^utfcber  mit  ben  rotgefrorenen  Geficbtern!  -  Da 
ham  icb  3U  Dir  in  bie  Stube  berein  unb  fagte: 
„Gott,  es  ift  fo  beife  bier  in  Rfien,  bafe  wir  nur 
fo  binfcbmacbten,  unb  braufe  vor  ber  Tür  in  f  ranh» 
fürt,  ^a  bangen  bem  l^utfcber  bie  Cissapfen  am 
f^nebelbart."  -  Was  baben  wir  gelacbt,6ünberobe; 
-  unb  baben  unter  3immetbäumcben  eine  Taffe 
Scbokolabe  getrunl^en,  bie  wir  in  Deinem  Öfcben 
l^ocbten  mit  woblriecbenbem  Sanbelbol3;  unb  ba 
kam  ein  Salamanber  ins  §euer  unb  färbte  ficb 
ba  in  allerlei  färben  unb  warf  bie  Schoholaben* 
hanne  um.  Unb  wir  melkten  bie  weifee  Elefantin, 
bie  ibr  Junges  in  unferer  Höbe  fäugte,  unb  macbten 


183 


eiefantenbutter;  ich  wollt  als  immer  Cöwenbutter 
macben,  bas  littest  Du  nicht,  benn  Du  warft  febr 
vorficbtig ;  Du  meinteft,  es  fei  3U  viel  Öefabr  ba» 
bei,  öie  Cöwin  hönne  mir  einmal  wilb  werben 
über  bem  (Delhen.  -  Unb  bie  €rlebniffe  am 
Öanges  unb  Inbus,  bie  fcbönen  l^naben,  bie  uns 
t>a  begegneten,  wo  wir  uns  verftechten  unb  faben 
fie  vorübergeben  unb  ficb  wafcben  in  ben  beiligen 
fluten  unb  Gebete  tun ;  ba  fagteft  Du,  es  muffen 
wobl  Tempelhnaben  fein,  wir  muffen  nacb  bem 
tempel  bier  in  ber  öegenb  fucben.  Da  fübre 
eine  Rllee  von  grofeen  Tulipanen  bin,  bie  bab  icb 
entbecht;  wir  brachten  ftunbenlang  bin  mit  ber 
Bewunbrung  ber  Blumen,  unb  ^a  waren  ßolb* 
frucbtbäume  unb  t^rauben  unb  (Delonen;  alles 
bas  wuchs  in  fchönfter  fülle  runb  um  bie  Säulen 
ber  Tempel,  3U  benen  wir  frembe  Völherftämme 
binwallen  faben.  Da  fagteft  Du  einen  ßymnus 
ber,  ben  hätten  fie  gefungen  beim  Sonnenaufgang : 
Atberwüfte!  -  fo  fing  Dein  ßymnus  an,  unb  ich 
machte  eine  (Delobie  brauf;  bie  liefeeft  Du  bir 
vorfingen  3ur  3itber  von  mir,  unb  Du  börteft  3U, 
fo  ftill,  als  war  es  inbifcber  Tempelgefang.  Rbenbs 
im  (Donbfchein,  bas  war  unfre  hefte  3eit,  wo  wir 
pbantafierten,  unb  hielten  uns  einanber  bei  ben 
löänben,  wenn  wir  bie  Berge  hinanftiegen ,  unb 
ruhten  unter  Dattelbäumen  aus.  Du  machteft 
immer  bie  Reiferoute,  weil  Du  bie  l^enntniffe  bes 
Canbes  hatteft,  unb  t>a  ftiegen  wir  auf  einen 
Berg,  ber  biefe  Bogbo;  von  ba  aus,  fagteft  Du, 
hönne  man  alle  Öebirgsketten  überfehen.  Da 
eilte  ich  mich,  voran  3U  hommen,  um  3uerft  oben 


184 


3U  fein,  unb  bo  fcbrie  ich  Dir  entgegen,  icb  fäbe 
bas  rote  f^orallenmeer  mit  ber  Tobespforte.  Da 
hatte  icb  mich  aber  geirrt,  benn  Du  bewiefeft  mir, 
^a^  man  es  von  ^a  aus  nicbt  feben  könne,  ba 
es  an  ber  6ren3e  von  Rfril^a  liege,  unb  ber  Bogbo 
liege  in  ber  (Ditte  von  ßocbafien.  -  Wir  waren 
bocb  fo  glüchlicb;  wie  fcbwärmte  mein  f^opf  von 
brennenben  Sarben  ber  Blütenwelt,  wie  waren 
wir  ent3Ücht  vom  Duft,  ber  uns  umwallte!  -  Das 
bauerte  ben  gan3en  Winter,  unb  hein  (Denfcb 
wufete,  ^Q^  wir  in  einer  füblicben  Welt  lebten; 
wir  gingen  gerabe  in  ben  Gärten  von  Damaskus 
fpa3ieren,  gan3  ent3Ücht  von  bem  Blumenparabies 
unb  trunken  von  ihrem  Duft,  ^a  kam  ber  alte 
föerr  von  ßohenfelb  unb  brachte  Dir  bas  erfte 
Veilchen,  was  er  auf  feinem  Spa3iergang  im  Stabt* 
graben  gefunben  hatte.  Reh,  ba  verliefeen  wir 
Damaskus  unb  liefeen  uns  von  f5ohenfelb  hinaus^ 
führen,  wo  er  bas  Veilchen  gefunben  hatte,  unb 
fuchten  noch  mehrere;  unb  von  ba  an  war  ber 
3auber  aufgehoben,  unb  wir  lachten  recht,  ba^^ 
uns  bas  Veilchen  fo  fchnell  aus  Rfien  herüber* 
ge3aubert  hatte  nach  Frankfurt  auf  bie  alten 
Seftungswälle ,  benn  wir  gingen  von  nun  an  in 
ben  fchönen  Frühlingstagen  jeben  (Dittag  hinaus 
unb  machten  uns  l^rän3e,  bie  ftanben  Dir  fo  fchön. 
60  war  bie  geringfte  Wirklichkeit  fchon  wieber 
ein  parabies  für  uns. 

DCZDD 


-^    -^    -f    -f 

-f      -^      -^ 
DDP  DDP 

CiebesgejdDicbten 


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3\ 


ie  brei  f^üffe   o     o     o     o  ^^ 


I. 

60  war  bas  öommerleben ,  bas  plö^licb  burcb 
bie  rüchl^ebrenöen  ßriegsf3enen  unterbrochen 
warb.  Da  war  an  l^ein  flüchten  3U  benhen;  am 
(Dorgen,  ^q  wir  erwachten,  biefe  es:  „ßinab  in 
"öen  f^eller!  Die  Stabt  wirb  befcboffen,  bie  f  ran= 
3ofen  haben  jich  bereingeworfen ,  bie  Rotmäntel 
unb  bie  Totenhöpfe  fprengen  von  allen  Seiten 
heran,  um  fie  beraus3u jagen!"  Da  war  ein  3u= 
fammenlaufen  auf  ^en  Strafeen,  l>a  er3ählte  man 
jich  von  ben  Rotmänteln,  ba^  bie  keinen  parbon 
geben,  alles  3ufammenbauen,  ^a^  fie  fürchterliche 
Schnurrbarte  haben,  roUenbe  Rügen,  blutrote 
(Daniel,  bamit  bas  vergojfene  Blut  nicht  fo  leicht 
3U  bemerken  fei.  Bllmäblich  würben  bie  f  enfter= 
laben  gefchloffen,  bie  Strafen  leer ;  bei  ber  erften 
l^ugel,  bie  burch  bie  Strafen  flog,  eilte  alles  in 
bie  Heller,  auch  wir,  örofemutter,  Tante,  eine  alte 
Coufine  von  acht3ig  "jähren  y  bie  f^öchin,  bie 
f^ammerjungfer,  ein  männlicher  f5ausgenoffe.  Da 
fafeen  wir,  bie  3eit  würbe  uns  lang,  wir  laufchten,  - 
eine  Bombe  flog  in  unfern  löof,  fie  plat5te.  Das 
war  boch  eine  Diverfion;  aber  nun  ftanb  3U  er^ 
warten,  ^a^  Seuev  ausbrechen  könne.  Rllerlei, 
was   meiner  Örofemutter   unenblich   wichtig   war 


188 


von  Bücbern,  von  Bilöern,  fiel  ihr  ein,  fie  hätte 
es  gern  in  Öen  f^eller  gerettet.  Der  männliche 
fOQUsgenoffe  öemonftrierte,  wie  es  eine  Unmöglich* 
kexi  fei,  öen  heiligen  Johannes,  ein  Bil5,  was  öie 
wunderbare  Cigenfchaft  hatte,  öie  Säbel  geltenÖ 
3U  machen,  er  fei  ein  Raphael,  jet5t  aus  öem  oberen 
Saal  berunter3ufchaffen,  inöem  es  viel  3U  fchwer 
fei;  ich  entfernte  mich  leife,  ftieg  3um  Saal,  hob 
bas  fchwere  Bilb  ab,  nahm  es  an  ber  Schnur 
über  ben  Rüchen,  unö  fo  ham  ich,  noch  eh  bie 
Verhandlung  beendigt  war,  3um  Crftaunen  aller 
unb  3ur  grofeen  Sreube  ber  Großmutter  3ur  f^eller* 
treppe  herabgepoltert,  ich  melbete  noch,  wie  ich 
aus  bem  Saalfenfter  gefehen  unb  alles  ftill  fei; 
ich  beham  bie  Crlaubnis,  noch  mehr  3U  retten,  ich 
beham  bie  Schlüffel  3ur  Bibliothek,  um  f^upfer* 
werhe  3U  holen.  (Dit  freubiger  Cile  fprang  ich 
bie  Creppe  hinauf;  in  bie  Bibliothek  hätt  ich 
längft  gern  mich  eingeftohlen,  ^a  war  eine  Samm= 
lung  prachtvoller  (Dufcheln,  wunberbarer  Steine, 
getrockneter  pflan3en,  ba  hingen  Straufeeneier  an 
ben  Wänben,  f^okosnüffe,  ba  lagen  alte  Waffen, 
ein  (Dagnetftein,  an  bem  alle  näh=  unb  Strick* 
nabeln  hängen  blieben,  ba  ftanben  Schachteln 
voll  Brieffchaften ,  Toiletten  mit  wunberlichem 
altem  Gefchirr  unb  Gefchmeib,  3itternabeln  mit 
Sternen  von  bunten  Steinen.  O,  ich  freute  mich, 
ben  Schlüffel  3U  haben,  ich  holte  herunter,  was 
man  verlangte,  30g  ben  Schlüffel  ab,  ohne  ab* 
3ufchliefeen,  unb  bachte  mir  eine  ftille,  einfame 
nacht,  in  ber  ich,  alles  burchfuchenb  unb  be* 
trachtenb,  fchwelgen  wolle.    Das  Schiefeen  hatte 


189 


wieöer  angefangen,  ein3elne  Heiter  borte  man  in 
geftrechtem  Galopp  öie  furchtbare  Stille  öer  Strafee 
unterbrechen;  öie  furcht  im  f^eller  ftieg,  man 
bachte  jeboch  nicht  Öaran,  öafe  i  ch  verletst  werben 
hönne,  unb  ich  auch  nicht;  ich  fprach  nicht  aus, 
bafe  ich  mich  nicht  fürchte,  unb  fühlte  auch  nicht, 
^a\S  ich  Gefahr  lief,  unb  fo  überkam  mich  bas 
fchöne  Rmt,  alle  3u  bebienen,  für  alle  Bebürfniffe 
3U  forgen.  Ich  hörte  verfchiebentlich  bie  Reiter 
vorüberfpringen.  „Das  mag  ein  Rotmantel  fein!" 
bachte  ich,  lief  eilig  ans  fenfter  bes  unteren  Ge= 
fchoffes,  rife  ben  Caben  auf,  -  fiehe,  ha  hielt  er 
in  ber  (Ditte  ber  ötrafee  mit  ge3ogenem  Säbel, 
langem,  fliegenbem  Schnurrbart,  bichen,  fchwar3en, 
geflochtenen  ßaar3Öpfen,  bie  unter  ber  roten 
Pel3mü^e  hervorbingen;  ber  rote  (Dantel  fchwebte 
in  ben  Cüften,  wie  er  bie  Strafe  hinabflog,  - 
alles  wieber  totenftill!  -  Gin  junger  (Denfch  in 
ßembärmeln,  blofeem  f^opf,  totenblafe,  blutbefpri^t, 
rennt  ver3weiflungsvoll  hin  unb  wieber,  raffelt  an 
ben  ßaustüren,  klopft  an  ben  Cäben.  f^einer  tut 
fich  auf,  mir  klopft  bas  ßer3,  ich  winke  -  er 
fiebt  es  nicht.  Je^t  eilt  er  auf  mich  3U,  bittenb,  - 
ba  ertönt  ber  Schall  eines  pferbes;  er  fchmiegt 
fich  in  bie  Vertiefung  bes  ßoftors;  ber  Reiter, 
ber  ihn  fuchenb  verfolgt,  fprengt  an  ihm  vorbei, 
hält  einen  Rugenblick,  fpöbt  in  bie  ferne,  wenbet 
um  unb  -  fort.  O,  jeber  Blick,  jebe  Bewegung 
bes  Reiters  unb  bes  pferbes  haben  fich  tief  in 
mein  Gehirn  geprägt,  unb  ber  arme  RngfterfüUte 
eilte  hervor  unb  fchwingt  fich  am  fchwachen  l^inber* 
arm  berein  in  bie  rettenben  Wänbe.  Rber  kaum  - 


190 


ba  ijt  ber  Heiter  fcbon  wieber,  er  fprengt  an 
mich  heran,  ich  rühr  mich  nicht  vom  Senfter,  er 
verlangt  Waffer,  -  ich  eile  in  öie  fauche,  es  ihm 
3U  holen;  nachöem  er  getrunhen  unb  nachbem  ich 
ihn  bie  ötrafee  hinabreiten  gefehen  erft,  mache 
ich  meinen  Caben  3U,  unb  nun  fehe  ich  mich  nach 
meiner  geretteten  Beute  um.  ßötte  ficb  ber  Rot» 
mantel  auf  feinem  pferbe  in  bie  Steigbügel  ge* 
ftellt,  fo  hätte  er  meinen  Geretteten  entbecht. 
Diefer  hüfete  mir  sitternb  bie  ßänbe  unb  fagte 
mit  leifer  Stimme :  „O  mon  dieu,  mon  dieu !"  Ich 
lachte  vor  freuben,  aber  bann  brach  ich  in  Tränen 
aus,  benn  es  rührte  mich,  ber  Retter  eines 
(Denfchen  geworben  3U  fein,  fo  ohne  mich  3U  be= 
f innen,  fo  ohne  3U  wiffen  wie.  -  Unb  Du  auch!  - 
Rührt  es  Dich  nicht?  -  freut  es  Dich  nicht,  ba^ 
es  mir  gelungen  ift?  -  mehr  als  alle  SchmeicheU 
reben,  bie  ich  Dir  fagen  könnte?  -  „Sauvez-moi! 
cachez  moi!"  fagte  er,  „mon  pere  et  ma  mere 
prieront  pour  vous!"  Ich  fafete  ihn  bei  ber  ßanb 
unb  führte  ihn  fchweigenb  leife  über  ben  ßof  nach 
bem  f5ol3ftall.  Dort  unterfuchte  ich  feine  Wunbe, 
bas  Blut  abwafchen  konnte  ich  nicht,  ich  hatte 
kein  Waffer,  holen  mochte  ich  auch  keins;  ber 
Hachbar  Bnbree,  beffen  Du  Dich  auch  erinnern 
mufet,  war  mit  mehreren  freunben  auf  fein 
Obfervatorium  geftiegen,  um  bas  I^riegswefen  3U 
beobachten,  er  konnte  mich  bemerken.  €in  ein3ig 
(Dittel  hatte  ich  erfunben :  ich  leckte  ihm  bas  Blut 
ab,  -  benn  es  ihm  fo  mit  Speichel  ab3uwafchen, 
fehlen  mir  3U  unbefcheiben.  Cr  liefe  mich  ge» 
währen,  ich  30g  leife  unb  fanft  bie  anklebenben 


191 


löaare  3urüch,  -  ba  flog  ein  ßubn  mit  grofeem 
öefcbrei  vom  oberen  f5ol3  herunter;  wir  hatten 
es  verfcbeucht  von  öem  Ort,  wo  es  feine  €ier  3U 
legen  pflegte.  Ich  kletterte  hinauf,  um  bas  €i  3U 
holen;  bie  innere  weifee  ßaut  legte  ich  über  bie 
Wunöe  -  es  mag  wohl  geheilt  haben,  ich  will's 
hoffen!  -  Hun  eilte  ich  wieöer  in  öen  f^eller;  bie 
eine  öcbwefter  fcblief,  bie  anöere  betete  vor  Rngft, 
öie  Großmutter  fcbrieb  an  einem  kleinen  Xüifcb 
bei  Cicbt  ihr  Cejtament,  bie  Tante  hatte  öen  Zee 
bereitet;  icb  bekam  öie  öcblüffel  3ur  Speife* 
kammer,  um  Wein  unb  kalte  öpeifen  3u  holen. 
Da  bachte  ich  auch  an  ben  (Dagen  meines  armen 
Gefangenen,  icb  bracbte  ihm  Wein  unb  Brot.  9o 
ging  ber  Zag  vorüber  unb  bie  Gefahr ;  ber  f^eller 
würbe  verlaufen,  mein  Geheimnis  fing  an,  mich 
3U  beklemmen;  icb  beobachtete  jeben  Schritt  ber 
ßausgenoffen ,  ber  Röcbin  half  icb  in  ber  Rüche, 
icb  holte  ihr  Waffer  unb  ßol3  unter  bem  Vor* 
wanb,  ha^  es  bocb  noch  gefährlich  fein  könne 
unter  freiem  ßimmel;  fie  liefe  fich's  gefallen.  - 
€nblich  unb  enblicb  kam  bie  Hacbt;  ber  Hacbbar 
hatte  Rapport  gebracht,  M^  nichts  3U  fürcbten 
fei  vor  ber  ßanb,  unb  fo  legte  man  ficb  3ur  Ruhe, 
beren  man  fo  fehr  beburfte.  Icb  hatte  meine 
Schlafftätte  im  Hebensimmer  ber  Grofemutter,  von 
^Q  konnte  icb  ben  ßol3ftall,  ber  vom  (Donb  be= 
fcbienen  war,  beobachten ;  icb  orbnete  nun  meinen 
plan :  fürs  erfte  mußten  Rleiber  gefcbafft  werben, 
bie  ben  öolbaten  verleugneten.  Wie  gut,  l>a[i  ich 
bie  Bibliothek  offen  gelaffen!  Da  oben  hing  ein 
]agbkleib  unb  (Dü^e  -  von  welcbem  Schnitt,  ob 


192 


0 


alt»  ober  neumobifcb  -  wufet  icb  nicbt.  Wie  ein 
Ceift  fcblicb  icb  auf  blofeen  Strümpfen  an  öer 
^ante  3immer  vorbei,  fcbwebenb  trug  icb's  her* 
unter,  Mmit  bie  metallnen  f^nöpfe  nicbt  raffelten ; 
er  30g  es  an,  es  fafe  wie  angegoffen  -  öott 
bat  es  ibm  angepafet!  unb  bie  jagbmütje  ba3u! 
Icb  batte  bas  Gelb,  was  man  mir  fcbenMe,  immer 
in  bas  f^iffen  eines  lebernen  Seffels  geftecht,  weil 
icb  heine  ßelegenbeit  batte,  es  3U  braueben,  "jei^i 
burcbfucbte  icb  ^en  Seffel,  unb  es  fanb  ficb  eine 
3iemlicbe  Barfcbaft  3ufammen,  bie  icb  meinem 
Geretteten  als  3ebrpfennig  einbänbigte.  Hun 
fübrte  icb  ibn  burcb  "öen  monbbefcbienenen,  blüte= 
buftenben  Garten.  Wir  gingen  langfamen  öcbrittes 
ßanb  in  föanb  bis  binter  bie  pappelwanb  an  bie 
(Dauer,  wo  alle  ]abr  bie  Hacbtigall  in  ber  Rofen= 
beche  ibr  Heft  baute;  es  war  grabe  bie  3eit,  was 
balf  s  -  bies  Jabr  mufete  fie  geftört  werben.  Da 
wollte  er  mir  banhen,  ^a  nahm  er  micb  auf  feine 
Rrme  unb  bob  micb  bocb;  er  warf  bie  (Dütse  ab 
unb  legte  ben  verbunbenen  f^opf  auf  meine  Bruft, 
was  batte  icb  3U  tun?  Icb  batte  bie  Rrme  frei, 
icb  faltete  fie  über  feinem  I^opf  3um  Gebet;  er 
l^üfete  micb,  ftieg  über  bie  Bofenbechenmauer  in 
einen  Garten,  ber  3um  (Dain  fübrte,  ^>a  konnte  er 
ficb  überfe^en,  benn  es  waren  Tlacben  am  Ufer. 


II. 

nun  will  icb  Dir  aucb  gleicb  bie  Gefcbicbte 
meines  3weiten  l^uffes  er3äblen ;  er  folgte  beinab 
unmittelbar  auf  ben  erften,  unb  was  benhft  Du 


193 


von  Deinem  (Daneben,  öafe  es  fo  leicbtfertig  ge= 
werben!  ^Q,  diesmal  würbe  ich  leicht  fertig,  unb 
3war  mit  einem  ?reunb  von  Dir.  -  €5  t^Ungelt; 
bärtig  Springe  icb  an  bie  ßauetür,  um  3U  öffnen; 
ein  (Dann  in  fcbwarser  Rleibung,  ernften  Rn= 
febens,  etwas  erbieten  Bugen,  tritt  ein,  -  nocb 
ebe  er  feinen  Hamen  genannt  ober  gefagt,  was 
fein  Verlangen  ift,  hüfet  er  micb;  nocb  ebe  id) 
micb  befinnen  konnte,  geb  icb  ibm  eine  Obrfeige, 
unb  bann  erft  feb  icb  ibm  ergrimmt  ins  Rntli^ 
unb  erkenne  ein  freunblicbes  Geficbt,  bas  gar  nicht 
erfchreckt  unb  nicht  erbittert  über  mein  Verfahren 
3U  fein  fcheint.  Um  meiner  Verlegenheit  3U  ent= 
geben  -  benn  icb  wufete  nicht,  ob  ich  recht  ober 
unrecht  getan  hatte  -  öffne  ich  ibm  rafch  bie 
Zm  3U  l>en  3immern  ber  Großmutter.  Da  war 
nun  meine  Überrafchung  halb  in  öchrechen  um= 
gewanbelt,  t>a  biefe  mit  ber  böchften  Begeiftrung 
ausrief,  einmal  über  bas  anbre:  „Ift  es  möglich? 
föerber,  mein  föerber!  Dafe  Cuer  Weg  Cuch  3U 
biefer  Grillenbütte  führt?  -  6eib  taufenbmal 
umarmt!"  Unb  hier  folgten  biefe  taufenb  Um* 
armungen,  wöbrenb  benen  ich  mich  leife  bavon= 
fchlich  unb  wünfchte,  es  möge  in  biefem  Schwall 
von  Ciebhofungen  bie  eine  untergeben,  bie  ibm 
mit  einer  Obrfeige  war  beantwortet  worben. 
Rllein,  bem  war  nicht  fo;  er  vergafe  weber  f^ufe  noch 
Obrfeige,  er  fchielte  an  bas  f5er3  ber  Großmutter, 
von  ihren  umfaffenben  Rrmen  gefeffelt,  über  ihre 
Rchfel  hinaus  nach  ber  Cnkelin  unb  machte  ihr 
einen  bittenben  Vorwurf.  Ich  verftanb  ihn  fogleich 
unb  machte  mich  ibm  auch  verftönblicb ;  er  folle 
Sritfcb'Strobl.  13 


194 


micb  nicht  verklagen,  fonft  wolle  ich  micb  rächen, 
unb  jchlich  hinter  öie  Vorsimmer.  Rllein  ßeröer 
hatte  keine  Rnöacht  mehr  für  bie  Örofemutter, 
für  ihre  fchönen  Erinnerungen  aus  ber  6chwei3, 
für  ihre  (Ditteilungen  aus  Öen  Briefen  von  ]ulie 
Bonbeli,  für  ihre  Schmeichelreben  unb  begeisterten 
Cobfprüche,  für  ihre  Beben  von  gelehrten  Dingen. 
€r  fragte,  ob  fie  ihm  nicht  ihre  €nkelhinber  wolle 
3eigen.  60  würben  wir  ihm  benn  alle  brei  feier» 
lieh  vorgeführt  unb  von  ber  Großmutter  3ugleich 
belehrt,  wie  glücklich  wir  feien,  ihn  3U  jehen  unb 
von  ihm  gesegnet  3U  fein.  Cr  war  auch  gar  nicht 
faul,  ging  rafch  auf  mich  3U,  legte  mir  bie  föanb 
auf  ben  f^opf,  unter  welcher  ich  ihn  brohenb  an* 
fah,  unb  fagte  langfam  unb  feierlich:  „Diefe  ba 
fcheint  fehr  felbftänbig;  wenn  6ott  ihr  biefe  Gabe 
als  eine  Waffe  für  ihr  Glück  3ugeteilt  hat,  jo 
möge  fie  fich  ihrer  ungefährbet  bebienen,  ba^  alle 
fich  ihrem  kühnen  Willen  fügen  unb  niemanb  ihren 
Sinn  3U  brechen  gebenke."  3iemlich  verwunbert 
war  bie  Großmutter  über  biefen  wunberlichen 
Segen,  noch  mehr  aber,  Z)a^  er  bie  Schweftern 
nicht  fegnete,  bie  boch  ihre  Cieblinge  waren.  Wir 
würben  entlaffen  unb  gingen  in  ben  Garten;  - 
wir  trugen  bamals  breite  Schärpen  von  blau  unb 
weife  geflammter  Selbe;  auf  bem  Rücken  waren 
fie  in  Schleifen  gebunben,  bie  in  ber  vollen  Breite, 
welche  wohl  eine  eile  betrug,  ausgebreitet  waren, 
fo  Z>a^  fie  gleichfam  Schmetterlingsflügel  bilbeten. 
Währenb  ich  in  meinem  Blumenbeet  arbeitete, 
hafchte  mich  einer  an  biefen  f lügein;  es  war 
ßerber.     „Siehft  Du,   kleine  Pfyche,"  fagte   er, 


ea 


195 


„mii  öen  flügeln  geniefet  man  wobl  öie  Freiheit, 
wenn  man  fie  3U  rechter  3eii  3U  braueben  weife, 
aber  an  ben  klügeln  wirö  man  auch  gefangen, 
unb  was  gibjt  Du,  bafe  icb  Dieb  wieber  los= 
laffe?"  -  €r  verlangte  einen  f^ufe,  icb  verneigte 
micb  unb  l^üfete  ihn,  ohne  bas  Öeringfte  ein= 
3uwenben. 

Der  l^ufe  bes  geretteten  f ransofen  war  gan3 
im  €inverftänbnis  meiner  €mpfinbung;  icb  l^am 
ihm  auf  balbem  Weg  entgegen,  unb  bocb  war  er 
unmittelbar  barauf  vergeffen,  unb  je^t  erft,  naeb 
fecbs  jabren,  tauebte  er  aus  meiner  Erinnerung 
auf  als  eine  neue  Crfebeinung.  ßerbers  l^ufe  war 
von  meiner  Seite  gan3  willenlos  ober  eher  un^ 
willig  angenommen,  unb  boeb  bab  icb  ibn  nicbt 
vergeffen;  icb  honnte  in  erfter  3eit  ben  Einbruch 
nicbt  verwinben;  er  verfolgte  micb  im  träum. 
Balb  war  mir's,  als  babe  icb  wiber  meinen  Willen 
etwas  weggefcbenht ,  balb  überrafcbte  es  micb, 
ha^  biefer  grofee,  bebeutenbe  (Dann  micb  fo 
bringenb  aufgeforbert  batte,  ibn  3U  hüj^en;  bies 
war  mir  eine  rätfelbafte  Erfabrung.  ßerber  fab 
micb  fo  feierlicb  an,  nacbbem  er  micb  gehüfet  batte, 
ba^  micb  ein  öcbauer  befiel;  ber  rätfelbafte  Dame 
Pfycbe,  beffen  Bebeutung  icb  nicbt  verftanb,  ver= 
föbnte  micb  einigermaßen  mit  ibm,  unb  wie  benn 
mancbes3ufällige,  was  vielen  unfcbeinbar  vorüber- 
fcbweift,  einen  tief  rübrt  unb  eine  wäbrenbe  13e= 
beutung  für  ibn  gewinnt,  fo  war  mir  bies  un^ 
begriffene  Wort  Pfycbe  ein  Talisman,  ber  micb 
einer  unficbtbaren  Welt  3ufübrte,  in  ber  icb  micb 
unter  biefem  Hamen  begriffen  bacbte. 

13* 


196  =^-^.==-. 


III. 

Der  blinöe  f5er3og  von  Rremberg,  ber  fcböne, 
beffen  3ügen  bie  geheiligte  Würbe  ber  Cegitimität 
aufgeprägt  war,  wollte  gegen  meinen  Willen  mir 
biefen  f^ufe  geben;  ich  aber  war  bie  fcbwankenbe 
Blume  im  Winbe,  bie  ber  Schmetterling  vergeblich 
umtanst.  Cafe  Dir's  ersäblen  unb  ausmalen  mit 
biefen  bunten  färben  aus  bem  (Dufchell^aften  bes 
f^inbes,  mit  benen  ich  bamals  noch  meine  Welt 
ausmalte  unb  fie  verftanb,  unb  Du  wirft  fie  auch 
verjtehen  unb  Dich  freuen,  bafe  Du  mit  mir  in  ^en 
Spiegel  fiebft,  in  bem  ich  mich  erkenne  unb  ben 
Genius,  ber  mich  3U  Dir  lenkt. 

£r  war  fchön,  ber  löer3og!  -  fchön  für  bas 
grofegewölbte  f^inberauge,bas  noch  kein  (Denfchen* 
antlit3  erblickt  hatte,  beffen  3üge  Geift  ausströmten. 
Wenn  er  ftunbenlang  bei  ber  Grofemutter  fafe  unb 
fich  von  ihr  ersäblen  liefe,  ftanb  ich  neben  ihm 
unb  ftarrte  ihn  an ;  ich  war  in  Betrachtung  biefer 
reinen,  erhabenen  3üge  versunken,  bie  bem  ge^ 
wohnlichen  (Denfchen  nie  gefchenkt  werben. 

Die  reine,  ftarke  Stirn,  beren  (Ditte  eine 
Seuerftelle  hatte  für  ben  göttlichen  Branb  bes 
3orns,  biefe  Hafe,  höber,  kühner,  trot3bietenber 
als  fein  fchauerliches  Schickfal,  biefe  feinen, 
feuchten  Cippen,  bie  mehr  als  alles  anbre  Befehl 
unb  f5errfcherwürbe  ausfprachen,  bie  Cuft  tranken 
unb  au6feuf3ten  bie  tieffte  (Delancholie,  biefe  feinen 
Schläfen,  fich  an  ben  Wangen  nieberfchmiegenb 
3um  aufgeworfenen  f^inn,  wie  ber  metallne  ßelm 
ber  (Dinerva!  -  Ca\i  mich  malen,  Goethe,  aus 


197 


meinem  l^leinen  (Du jcbelhaften ;  es  wirb  fo  fcbön  I 
Sieb  [\e  an,  öie  grellen,  abftecbenben  Starben,  öie 
ber  pbilofopbifcbe  (Daler  vermeiöet,  aber  icb,  bas 
Rinb,  icb  male  f o ;  unb  Du,  ber  bem  l^inbe  läcbelt 
wie  ben  Sternen,  unb  in  beffen  Begeijtrung  [^inber= 
einfalt  ficb  mifcbt  mit  bem  Seberblich  bes  Weifen, 
freue  Dieb  ber  grellen  bunten  Farben  meiner 
pbantafie. 

So  war  er,  ber  fcböne,  blinbe  ßersog,  fo  ift 
er  nocb  jet3t  in  bem  3auberfpiegel  ber  Crinnerung, 
ber  alle  Bilber  meiner  l^inbbeit  gefeffelt  bält,  ber 
fie  in  perlen  reibt  unb  Dir  als  Opfer  3U  füfeen 
legt;  fo  war  feine  Geftalt  oft  niebergebeugt  im 
Scbmer3  um  bie  erblinbete  Jugenb,  bann  ftol3  er- 
ftrecht,  ficb  aufricbtenb,  beiter  ironifcb  läcbelnb, 
wenn  er  bie  tief  verfunhnen  Rugenfterne  gegen 
bas  Cicbt  wenbete.  Da  ftanb  icb  unb  ftarrte  ibn 
an,  wie  ber  Scbäferknabe ,  tief  vergeffen  feiner 
f5erbe  unb  feines  ßunbes,  ben  an  ben  einfamen 
Seifen  gefcbmiebeten,  von  ber  abgewenbeten  Welt 
unbehlagten  prometbeus  anftarrt;  ba  ftanb  icb 
unb  faugte  ben  reinen  Zau,  ben  bie  tragifcbe 
(Dufe  aus  ibrer  Urne  fprengt,  um  ben  Staub  ber 
Öemeinbeit  3U  bämpfen,  inbem  icb  in  tiefer,  be= 
wufetlofer  Betracbtung  über  ibn  verfunhen  war.  - 
Cs  war  in  feinem  3wan3igften  Jabr,  im  tollen, 
glübenben  Übermut  ber  Jugenb,  im  öefübl  feiner 
Überwiegenben  Scbönbeit  unb  im  gebeimen  Be= 
wufetfein  alles  beffen,  was  biefer  3U  Gebote  ftanb, 
ba^  er  am  Zage  ber  Jagb  über  bie  gebechte  Tafel 
fprang,  mit  feinem  Sporn  bas  Cifcb3eug  mit 
Service  unb  Pracbtauffat3  auf  bie  Crbe  rife  unb 


198 


am  Boöen  3erfcbmetterte ,  um  feinem  Uebften 
Sreunö  an  ben  föals  3U  fpringen,  3U  umarmen, 
mit  ihm  taufenö  Rbenteuer  3U  befprecben.  Sie 
teilten  ficb  auf  ber  ]agö,  unö  öer  erfte  öcbufe, 
ben  ber  freunb  tat,  war  in  beibe  Rugenfterne 
bes  ßer3ogs. 

leb  habe  ben  ßer3og  nie  bebauert,  icb  bin 
nie  3um  Bewufetfein  über  fein  Unglüd^  gel^ommen; 
fowie  icb  ihn  fab,  erfcbien  er  mir  gan3  3U  ficb 
unb  feinem  Scbichfal  ficb  verbaltenb,  ohne  (Dangel. 
Wenn  icb  anbere  borte  fagen:  „Wie  fcbabe,  wie 
traurig,  ba^  ber  löer3og  blinb  ift!"  fo  füblte  icb's 
nicbt  mit;  im  Gegenteil  bacbte  icb:  wie  fcbabe, 
ba^  ibr  nicbt  alle  blinb  feib,  um  bie  Öemeinbeit 
eurer  3üge  nicbt  mit  biefen  vergleicben  3U  bürfen. 
3a,  Öoetbe!  5cbönbeit  ift  ja  bas  febenbe  Rüg 
Gottes;  Gottes  Rüge,  auf  welcbem  Gegenftanb 
es  mit  Woblgefallen  rubt,  er3iebt  bie  öcbönbeit, 
unb  ob  ber  f5er3og  aucb  nicbt  gefeben  babe,  - 
er  war  bem  göttlicben  Cicbt  vermäblt  burcb  bie 
öcbönbeit,  unb  bies  war  allemal  nicbt  bas  bitterfte 
öcbickfal. 

Wenn  icb  fo  neben  ibm  ftanb  unb  in  Gebanhen 
verfunl^en  mit  ibm  feuf3te,  t>Q  fragte  er:  „Qui  est 
lä?  Bettine!  Amie  viens  que  je  touche  tes  traits, 
pour  les  apprendre  par  coeur!"  Unb  fo  nabm  er 
micb  auf  ben  öcbofe  unb  fubr  mit  bem  3eigefinger 
über  meine  Stirn,  Hafe  unb  Cippen  unb  fagte 
mir  Scbönes  über  meine  3üge,  über  bas  feuer 
meiner  Rügen,  als  ob  er  fie  feben  könne.  €inmal 
fubr  icb  mit  ibm  von  franl^furt  nacb  Offenbacb 
3ur  Großmutter;  icb  faß  neben  ibm.   Cr  fragte,  ob 


ea 


199 


wir  noch  in  öer  StaM  feien,  ob  ßäufer  ba  feien 
unb  (Denfcben?  -  leb  verneinte  es;  wir  waren 
auf  bem  Canb.  Da  verwandelte  ficb  plö^licb  fein 
Geficbt,  er  griff  nacb  mir,  er  wollte  micb  ans 
Ber3  sieben,  icb  erfcbrah?;  fcbnell  wie  ber  BU^, 
batte  icb  micb  ben  Scblingen  feiner  Brme  ent= 
3ogen  unb  buchte  nieber  in  ber  Gehe  bes  Wagens. 
€r  fucbte  micb,  icb  lacbte  beimlicb,  ^cx^  er  micb 
nicbt  fanb;  ^a  fagte  er:  „Ton  coeur  est-il  si  mechant 
pour  mepriser,  pour  se  jouerd'un  pauvre  aveugle?" 
Da  fürcbtete  icb  micb  ber  öünbe  meines  (Dut= 
willens ;  icb  fe^te  micb  wieber  an  feine  öeite  unb 
liefe  ibn  gewäbren,  micb  an  ficb  3U  3ieben,  micb 
beftig  an  fein  f5er3  brücken ;  nur  mit  bem  Geficbt 
beugte  idD  aus  unb  gab  ihm  bie  Wange,  wenn 
er  nacb  bem  (Dunbe  fucbte.  Cr  fragte,  ob  icb 
einen  Beicbtvater  babe  ?  —  ob  icb  biefem  ersäblen 
werbe,  ^q^  er  micb  gehüfet  habe.  Icb  fagt  naiv* 
fcbalhbaft,  wenn  er  glaube,  'öa^  bies  bem  Beicbt* 
vater  Vergnügen  macben  werbe,  fo  wolle  icb's 
ibm  er3äblen.  „Non,  mon  amie,  cela  ne  lui  plaira 
pas,  il  n'en  faut  rien  dire,  cela  ne  lui  plaira  absolu- 
ment  pas,  n'en  dites  rien  ä  personne."  In  Offen» 
bacb  er3äblte  icb's  ber  Großmutter,  bie  fab  micb 
an  unb  fagte:  „(Dein  f^inb!  €in  blinber  (Dann, 
ein  armer  (Dann!"  -  Im  Hacbbaufef obren  fragte 
er,  ob  icb  ber  Großmutter  gefagt  babe,  ba\5  er 
micb  gehüfet  babe;  icb  fagte:  „Ja."  -  „Hun,  war 
bie  Grofemutter  bös?"  -  „Hein."  -  „Eh  bien? 
est-ce  qu'elle  n'a  rien  dit?"  —  „Oui!"  —  „Et 
quoi?"  -  „€in  blinber  (Dann,  ein  armer  (Dann!" 
„O  oui,"  rief  er,  „eile  a  bien  raison!   €in  blinber 


200 


(Dann,  ein  armer  (Dann!"  Unö  fo  rief  er  einmal 
ums  anöre :  „Gin  blinöer  (Dann,  ein  armer  (Dann!", 
bis  er  enblicb  in  einen  Schrei  Öer  f^lage  ausbrach, 
ber  mir  wie  ein  Schwert  öurchs  ßer3  örang;  aber 
meine  Rügen  blieben  trochen,  wäbrenö  feinen 
erftorbenen  tränen  entfielen.  Dem  ßersog  ift  feit» 
bem  ein  feierliches  (Donument  in  meinem  löersen 
errichtet. 


lEi        o        13        o        la 


ie  5ilberbirhe      o 

D  D 


3wei=,  öreimal  3wifcben  €icben  unö  Bucben  unb 
jungem,  licbtem  Öebüfcb,  bergauf,  bergab  - 
ba  hommt  man  an  einen  §el5,  glatte  glänsenöe 
ßafaltfläcbe,  bie  bie  Sonnenftrablen  wie  ein  bunl^ler 
3auberfpiegel  auffängt,  ba3wifcben  grüne  ODoos» 
ji^ie.  f5eute  morgen  war  icb  hierher  gegangen; 
es  ift  mein  gewöhnlicher  Spasiergang,  wenn  ich 
allein  bin,  nicht  3U  weit  unb  boch  verftecht.  —  Da 
fah  ich  noch  ben  Hebel  wie  jungen  f  laum  3wifchen 
^en  S^elsfpalten  hin  unb  her  fchwimmen,  unb  über 
mir  warb's  immer  golbner.  Die  (Dorgenfchatten 
3ogen  ab,  bie  6onne  hrönte  mich ;  fie  prallte  fcharf 
vom  fchwar3en  Stein  3urüch,  fie  brannte  fehr  ftarh, 
\\e  brüchte  boch  nicht  meine  6tirn ;  ich  wollte  eine 
Rrone  fchon  tragen,  wenn  fie  nicht  fchärfer  brücht 
als  bie  heifee  Ruguftfonne.  So  fafe  ich  unb  fang 
gegen  bie  5elfen  hin  unb  hörte  aufs  €cho,  unb 
bie  Regierungsgebanken  ftiegen  mir  in  ben  ßopf. 
So  nach  Grunbfä^en  bie  Welt  regieren,  bie  in 
innerfter  Werkftötte  meiner  Cmpfinbung  er3eugt 
wären,  unb  alles  philiftertum  um  unb  um  ftofeen, 
bas  finb  folche  Wünfche,  bie  an  einem  fo  heifeen 
Sommermorgen  mir  in  ben  f^opf  fteigen,  unb 
W03U  Voigts  Sternengefpräche  einen  ftarhen  Rei3 
geben.  €r  fagte,  alles  Gefühl,  aller  Begriff  werbe 
3U  einem  Vermögen;  es  3iehe  fich  wohl  3urüch, 


202 


aber  3ur  unerwarteten  ötunbe  trete  es  wieber 
hervor  -  unö  ha  fe^;e  ich  mich  an  einfame  Orte 
unb  fimuliere  fo  ins  Blaue  hinein  unb  komme  3U 
nichts,  3U  keinem  hellen  Rugenblich ;  nur  öafe  mir 
oft  öas  ßer3  unbänöig  klopft,  wenn  ich  bran 
benke,  öafe  ich  bas  Gefchrei  ber  Philister,  bie  bes 
Öeiftes  Stimme  mit  6runbjät3en  bebrängen,  burcb 
bas  blofee  Regiment  meiner  €mpfinbung  ersticken 
wolle;  ja,  es  war  eine  himmlifche  Satisfaktion 
für  bie  Rutenftreiche ,  womit  fie  blinb  alle  Be* 
geiftrung  verfolgen.  Günberobe,  ich  wollt,  Du 
warft  ein  regierenber  ßerr  unb  ich  Dein  Robolb, 
bas  war  meine  Sach,  ha  weife  ich  gewife,  ha^  ich 
gefcheut  würbe  vor  lauter  Cebensflamme.  Rber 
fo!  -  Ift  es  ein  Wunber,  ha^  man  bumm  ift?  - 
Unb  fo  war  ich  halb  im  Sonnenbranb  gan3 
träumerijch  verfunken  unb  jagte  im  Traum  auf 
einem  Renner  wie  ber  Winb  nach  allen  Welt« 
gegenben  unb  richtete  mit  hober,  übertragner  Be= 
geiftrung  von  Dir  bie  Welt  ein  unb  kommanbierte 
wohl  auch  hier  unb  ba  mit  einem  ^ufetritt,  mit 
einem  fluch  ba3wifchen,  bamit  es  gefchwinb 
gehe;  -  aber  Dein  Dramolett  3U  lefen,  was  ich 
mitgenommen  hatte,  mich  recht  binein3uftubieren, 
bas  hob  ich  verfäumt  burch  bie  vielen  heftigen 
Bewegungen  meiner  Seele.  Ich  mufete  mich  be* 
fchwichtigen  mit  Schlafen,  was  mich  befällt,  wenn 
mir  bie  Schläfe  fo  brennen  vor  beifeem  €ifer  in 
bie  3ukunft.  O  Seelenbecher,  wie  kunftreich  unb 
göttlich  begabt  ift  Dein  Ranb  geformt,  ha^^  er  bie 
braufenben  Cebensfluten  fafet,  wie  unrettbar  war 
ich  fonft  über  Dich  hinausgebrauft.  -  (Dein  f  reunb, 


203 


öas  Winbfpiel,  hatte  micb  aufgespürt;  es  wechte 
micb  mit  feinem  Bellen  unb  Nvollte  mit  mir  fpielen ; 
es  bellte,  bafe  alle  helfen  bröbnten  unb  ecboten, 
es  war,  als  wenn  eine  ganse  ]agö  los  war.  leb 
mufete  jaucb3en  vor  Vergnügen  unb  Cuft  mit  bem 
Cier;  es  batte  mir  meinen  ötrobbut  apportiert, 
ben  icb  l>en  jteilen  f  eis  binabgeworfen  batte,  mit 
fo  3ierlicben,  langbalfigen  Sprüngen  -  fo  ijt's, 
wenn  man  einem  gut  ift,  ^a  mifet  man  nicbt  bie 
Öefabr  bes  flbgrunbs ;  man  vertraut  in  bie  eignen 
(Gräfte  unb  es  gelingt.  -  Rcb,  Öünberobe,  es  war 
viel,  wenn  ber  (Denfcb  nur  erft  fo  weit  war,  feinem 
eignen  Genie  3U  trauen  wie  fo  ein  Winbfpiel. 
6s  legte  mir  feine  Pfoten  um  t>en  ßals,  wie  es 
mir  meinen  löut  gebracht  hatte,  ohne  ihn  3U  ver* 
berben;  ich  nannte  es  3um  Scher3  €robion  unb 
bacbte,  fo  muffe  ber  an  ber  Göttin  Immortalita 
hinaufgefehen  haben;  benn  es  ift  fo  ebel  unb 
fchön  unb  hühn,  unb  (Denfchen  fehen  nicht  leicht 
fo  einfach  grofe  unb  ungeftört  aus  in  ihrer  Weife, 
wie  nere  es  oft  finb.  Der  ßer3og  war  bem 
Bellen  feines  f5unbes  nachgegangen  unb  ham 
hinter  ben  Bäumen  hervor;  er  fragte,  warum  icb 
ben  f5unb  fo  nenne,  ben  er  Cales  ruft,  unb  fagte, 
es  fei  ber  Dame  eines  Wagenführers  vor  "Croja, 
ben  ber  Diomebes  erfchlagen.  Ich  3eigte  ihm  Dein 
Gebicht,  um  3U  erklären,  wo  mir  ber  Dame  Crobion 
herkomme;  er  fet3te  fich  auf  ben  fels  unb  las  es 
teilweis  laut  unb  machte  mit  bem  Bleiftift  Be= 
merhungen,  bie  fenb  ich  Dir.  Du  fiehft,  er  hat 
es  mit  Sammlung  gelefen  unb  bann  fogar  mit 
Ciebe.     Ich  weife  nicht,  wie  oft  Dich  ber  3ufall 


204 


begünftigen  wirö  bie  feineren  Saiten  ber  Seele 
3U  rubren,  \o  wirb's  Dieb  freuen.  -  Cr  fragte  micb, 
ob  icb  benn  bas  öejcbäft  verftebe?  -  leb  fagte: 
Hein!  aber  icb  lefe  es  gern,  weil  Du  meine  freunbin 
feieft  unb  micb  er3iebft.  €v  fagte,  eine  f^nofpe 
ift  biejes  kleine,  forgfam  vor  jeber  fremben  Cin^ 
Wirkung  geycbüt3te  €r3eugnis,  bie  bie  grofee  Seele 
ber  freunbin  umjcbliefet,  unb  in  biefen  fanft  ge» 
falteten  l^eimen  einer  nocb  unentwickelten  Spracbe 
fcblummern  Hiefenkräfte.  Die  Infpiration  ber 
Wiebergeburt  bebe  abnungsvoll  bie  Scbwingen 
in  Dir;  unb  weil  bie  Welt  3U  fcbmut5ig  fei  für  fo 
kinblicb  reine  Verfucbe,  Deine  Rbnungen  aus» 
3ufprecben,  fo  werbe  fie  biegen  anfprucbslofen 
Scbleier,  ber  Deine  weit  ausgreifenbe  pbantafie 
unb  Deinen  boben,  pbilofopbifcben  ßeift  um= 
fcblinge,  nicbt  entfalten.  -  leb  liefe  mir  biefes  Cob 
verwunbert  gefallen;  er  begleitete  micb;  icb  mufete 
ibm  auf  bem  Weg  von  Dir  er3äblen,  von  unferm 
Umgang,  von  Deinem  Wefen,  von  Deiner  Geftalt; 
i>a  bab  icb  micb  3um  erftenmal  begonnen,  wie 
febön  Du  bift.  Wir  faben  eine  vollfaftige,  weifee 
Silberbirke  in  ber  ferne  mit  bängenben  3weigen, 
bie  mitten  am  f  eis  aus  einer  Spalte  aufgewacbfen 
ift  unb,  vom  Winb  fanft  bewegt,  gegen  bas  Tal 
ficb  neigt.  Unwillkürlicb  beutete  icb  bin,  wie  icb 
von  Deinem  Öeift  fpracb  unb  aucb  von  Deiner 
Geftalt.  Der  f5er3og  fragte,  bie  freunbin  werbe 
wobl  jener  Birke  gleicb  fein,  auf  bie  icb  bin* 
weife?  -  leb  fagte:  „Ja."  So  wollte  er  mit  mir 
3ufammen  bin  unb  Dieb  von  nabem  befebauen; 
aber  es  war  fo  glatt  unb  fteil  ba  binan ;  icb  meinte 


205 


nicbt,  bafe  wir  binkommen  würben,  -  er  vertraute 
auf  ben  Cales,  ber  werbe  uns  fcbon  einen  Weg 
ausfinben.  „Was  bat  fie  benn  für  löaar?"  - 
„öcbwärslicb  glänsenb  braunes  föaar,  bas  in 
freien,  weicben  CocKen,  wie  fie  wollen,  ficb  um 
ibre  öcbultern  legt."  -  „Was  für  Rügen?"  - 
„Pallasaugen,  blau  von  färbe,  gan3  voll  feuer, 
aber  fcbwimmenb  auch  unb  rubig."  —  „Unb  bie 
Stirn?"  -  „Sanft  unb  weife  wie  €lfenbein,  ftarh 
gewölbt  unb  frei,  bocb  klein,  aber  breit  wie 
piatons  Stirn;  Wimpern,  bie  jicb  läcbelnb  l^räufeln. 
Brauen  wie  3wei  fcbwarse  Dracben,  bie  mit 
fcbarfem  Blich  ficb  meffenb,  nicbt  jicb  fajfenb  unb 
nicbt  laffenb,  ibre  (Däbnen  tro^ig  fträuben,  bocb 
aus  furcbt  fie  wieber  glätten.  So  bewacbet  jebe 
Braue,  aufgeregt  in  Tro^  unb  3agbeit,  ibres 
Ruges  fanfte  Bliche."  -  „Unb  bie  Hafe,  unb  bie 
Wange?"  -  „Stols  ein  wenig  unb  veräcbtlicb 
wirft  man  ibrer  Hofe  vor;  bocb  bas  ift,  weil  alle 
Regung  gleicb  in  ibren  Hüftern  bebet,  weil  ben 
Rtem  fie  haum  bänbigt,  wenn  Gebanhen  aufwärts 
fteigen  von  ber  Cippe,  bie  ficb  wölbet  frifcb  unb 
hräftig,  überbacbt  unb  fanft  gebänbigt  von  ber 
feinen  Oberlippe."  -  Rucb  bas  f^inn  mufet  icb 
befcbreiben,  wabrlicb,  icb  bab  nicbt  vergeffen,  ba^ 
€robion  bort  gefeffen  unb  ein  Dellcben  brin  ge= 
laffen,  bas  ber  5 inger  eingebrücht,  wäbrenb  weis= 
beitsvolle  Dicbtung  füllet  ibres  Öeiftes  Räume; 
unb  bie  Birhe  ftanb  fo  präcbtig,  fo  burcbgolbet, 
fo  burcblifpelt  von  ber  Sonne,  von  ben  Cüftcben, 
war  fo  willig,  ficb  3U  beugen  bolb  bem  Strom  ber 
ODorgenwinbe,  wogte  ibre  grünen  Wellen  freubig 


206 


in  ben  blauen  foimmel,  bafe  icb  nicht  entfcbeiben 
konnte,  was  noch  3wifcben  beiden  liege,  jenem 
3ukömmt  unb  bem  anbern  nicbt.  -  Cales  fanb 
mit  manchen  Sprüngen  erft  ben  Weg  3ur  BirUe, 
bann  ber  föer3og.  Ich  blieb  3urüch;  ich  hätte  leicht 
nachkommen  können,  aber  ich  wollte  nicht  in  feiner 
Gegenwart.  €r  fchnitt  bort  Buchstaben  in  bie 
Rinbe  gan3  unten  am  fufe  unb  fagte,  er  wolle, 
[xe  folle  bie  freunbfdDaftebirke  heifeen,  unb  er 
wolle  auch  unfer  f reunb  fein.  Ich  war  bereitwillig 
ba3u.  Reh,  lafe  ihn,  er  kommt  ben  Winter  nach 
Frankfurt.  €rftlich  vergibt  ein  Prin3  leicht  fo  was 
über  vielen  anbern  3erftreuungen,  benn  ber  glaubt 
gar  nicht,  bafs  es  möglich  war,  ba^y  wenn  man 
fich  gan3  an  etwas  hingäbe,  ^a^  baburch  gerabe 
allein  ber  Scharfblick  bie  Wägungskraft  ber  RIU 
feitigkeit  entfpringe,  nach  ber  fie  alle  jagen  unb 
fich  brin  verflattern,  unb  bann  ift  er  auch  krank 
unb  hat  wenig  gefunbe  "Cage;  einem  folchen  mufe 
man  alle  beilenben  Quellen  3uftrömen. 


CD 
CD 


CD 
CD 


CD 
CD 


CD 
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Lr — ^   bfcbieb  o 


Die  I^urpinn3efe  verlangte  beut  morgen,  icb 
jollte  ihr  noch  ein  Cieb  fingen  3ur  Gitarre, 
bas  fie  als  3uweilen  vom  ?enfter  gebort  babe. 
Das  erfcbrechte  micb  febr,  öenn  ber  ßer3og  ftanb 
babei  unb  30g  öen  (Dunb  fo  hurios  3ufammen 
unb  fagte,  er  bab  aucb  meine  Stimme  gebort, 
fie  fei  febr  fcbön.  Icb  bätt  gern  ausgewicben, 
aber  icb  füblte,  bafe  es  unfcbichlicb  war,  icb  bolte 
alfo  meine  Gitarre,  unb  unterwegs  be3wang  icb 
meine  Rngft  vor  bem  f5er3og,  vor  ber  Prin3efe 
bätt  icb  micb  aucb  nicbt  gefürcbt,  benn  icb  batte 
fcbon  oft  bie  Rbenbe  in  bem  Caubgang  vor  ibrem 
fenfter  allerlei  (Delobien  improvifiert ,  weil  micb 
einmal  eine  gebeime  Deigung  3U  ibr  anregte, 
"bo^Q  icb  als  recbt  3ärtlicbe  (Delobien  erfanb.  Vor 
bem  f5er3og  bätt  icb  micb  aucb  nicbt  gefürcbt, 
aber  weil  icb  ben  (Dorgen  im  Bab  gefungen  batte, 
fo  bacbt  icb,  er  bätt's  gebort  unb  möcbt  wobl  gar 
bavon  anfangen,  unb  an  ben  3ettel  bacbt  icb 
aucb.  -  Rber  "inoi  Kam  mir  mit  einmal  ein  Ge* 
banhe,  ber  balf  mir  brüber  binaus,  icb  nabm 
Dein  Dartbulagebicbt  aus  meiner  Brieftafcbe  mit 
unb  fang  braus,  was  icb  "bo,  oben  Dir  bingefcbrieben 
aus  bem  f^opf  in  eine  (Delobie  binein.  im  Rnfang 
war's  ein  wenig  fteif,  aber  balb  ging's  recbt,  wie 
icb  mancbmal   felbft  überrafcbt   bin  unb  tief  er» 


208 


fcbüttert,  wie  bie  (DeloÖie  fo  viel  gewaltiger  aus» 

brücht  unb  erft  bas  f5er3  empfinben  lehrt;  unb 

ich  wieberbolte  es,  ba  war's  fo  fcbön.   Rcb,  wenn 

icb's  bocb  noch  einmal  fo  fingen  Uönnt  vor  Dir!  - 

Der  ßersog  verlangte,  ich  follte  noch  fortfingen; 

ba  war  icb  nicht  mehr  bang,  ich  fang  gleich: 

«Cah  sehntaujenö  Schwerter  ti*  empören, 
Usnotb  follt  von  meiner  Slucbt  nicht  hören, 
flrban!  fag  ihm,  rühmlich  war  mein  Sali. 
Winbe!  warum  brausen  eure  Slügel? 
Wogen!  warum  raufcht  ihr  fo  bahin?  - 
Wellen!    Stürme!  6enht  ihr  mich  3U  halten? 
Hein,  ihr  hönnt's  nicht,  ftürmijche  Gewalten! 
(Deine  Seele  läfjt  mich  nicht  entfliehn. 
Wenn  bes  ßerbftes  Schatten  wieberhehren, 
(Döbchen,  unb  Du  bift  in  Sicherheit, 
Dann  versammle  um  Dich  ethas  Schönen. 
Ca^  für  Hathos  Deine  ßarfe  tönen, 
(Deinem  Ruhme  ?ei  Dein  Cieb  geweiht."   - 

Unb  bies  3weitemal  fang  ich  noch  beffer,  mit 
tieferer  Stimme,  unb  war  felbftfühliger;  es  finb 
bie  3wei  Stellen,  bie  ich  aus  Deinem  Cieb  aus^ 
wenbig  weife,  weil  Du  fie  in  meiner  Gegenwart 
gemacht  haft,  im  Dunhel,  unb  fagteft  3U  mir; 
„Bebalt  es  auswenbig,  bis  Cicht  Kommt,  ich  will 
unterbefe  weiter  bichten."  Unb  ich  wieberbolte 
immer  vier  Verfe,  bis  noch  vier  ba3U  fertig  waren, 
bie  Du  auch  meinem  öebächtnis  vertrauteft  unb 
immer  weiter  fchiffteft  im  03ean,  Öünberobe.  Wie 
fchön  war  bocb  bas?  -  Wie  werb  icb  je  Schönres 
erleben  als  mit  Dir?  -  Dem  ßer3og  hob  ich 
Dein  ßebicht  gegeben  unb  gefagt,  es  fei  von  Dir, 
unb  auch  ben  Don  ]uan  bab  ich  ihm  gefchenht; 
er  lag  babei;  ich  bacht.  Du  gibft  mir's  wieber. 
Ich  wollt  ihm  es  fo  gern  geben,  weil  ich  fab,  ba^ 


209 


er  grofee  freube  bran  hatte;  Du  gibft  mir's 
wieöer.  -  Die  Rurprin3efe  verlangte,  ich  foU  ihr 
bie  (Delobie  abfcforeiben  laffen  von  bem  Cieb,  icb 
fagte  ja,  aber  wo  ift  bie  bin?  Icb  weife  nicht 
mehr.  6ie  hat  mich  auch  noch  herslich  gehüfet 
auf  beibe  Wangen,  unb  ber  Conie  fagte  fie  fehr 
freunblich,  wenn  fie  es  erlaube,  fo  wolle  fie  ben 
Straufe  aus  ber  Bnanas  mitnehmen  unb  3um 
Rnbenhen  in  ihrem  Treibhaus  pflan3en  laffen.  - 
Gelt,  bas  war  \o  freunblich,  unb  ich  will  Dir*s 
nur  geftehen,  ^a^  mir  heimlich  recht  leib  getan 
hat,  wie  fie  fort  war,  unb  alles  ham  mir  fo  leer 
vor,  ba\5  ich  boch  brüber  weinen  mufete,  obfchon 
ich  nicht  wollt;  ich  hielt  mich  auch  gar  nicht  babei 
auf,  eben  weil  ich  an  Dich  bachte  unb  Dir  I^eine 
Untreue  wollte  begehen.  -  Wir  begleiteten  fie 
bis  3um  Wagen,  unb  fie  fagte  mir  noch,  wo  ich 
fie  begegnete,  ba  follte  ich  immer  3U  ihr  kommen; 
ich  hüfete  ihre  ßanb  unb  ging  3urüct?,  benn  ber 
f5er3og  fprach  noch  mit  ihr.  —  5ein  Wagen  war 
auch  vorgefahren;  er  legte  mir  bie  f5an^  auf  ben 
Ropf  unb  fagte:  „Ruf  Wieberfehen!"  -  unb  lachte 
mich  an,  unb  ich  bachte:  Reh  Gott,  am  Cnb  hat 
er  ben  3ettel  bem  Cipps  gegeben.  Cr  ftieg  in 
ben  Wagen  im  leberfarbnen  Roch,  unb  wie  bas 
Winbfpiel  nachfprang  unb  fich  3U  feinen  füfeen 
legte,  ^a  fah  ich  wohl  fo  etwas  auf  bem  Rüchfi^ 
liegen  wie  einen  weifeen  (Dantel,  ber  hellblau 
gefüttert  war,  aber  er  fah  boch  nicht  gan3  weife 
aus,  fonbern  mehr  hellgrau;  aber  bie  graue  (Dü^e 
fah  ich,  wie  mich  beucht,  auch.  -  3°»  ich  fah  fie 
gewife,  ich  wollt  fie  nur  nicht  erkennen,  weil  ich 
Srltfdj.Strobl.  14 


210 


micb  fcbämte;  ober  bas  öauerte  nocb  eine  Weile, 
bafe  icb  micb  gar  nicbt  tröffen  konnte,  uriö  \o  oft 
mir's  einfällt,  werö  icb  auf's  neue  rot  vor  mir 
felber.  -  Rber  icb  öenk  nur  immer,  ein  Prins 
bat  hein  lang  ßebäcbtnis,  er  wirb's  balö  ver* 
geffen. 

Rcb,  wenn  er's  nur  recbt  balb  vergäfee!  - 

Gute  nocbt! 


oXo 


D 


oxo 


oxo 


D 


er  Gärtner 


Der  t3ernbarbs  Gärtner  ift  ein  junger,  fcblanher 
(Dann;  er  bat  eine  feingebogene  Hafe,  blaue 
Rügen,  fcb\x7ar3e  Wimpern,  fcbwar3e  föaare  unÖ 
bat  eine  fanfte  Stimme  -  3um  wenigsten  gegen 
micb;  benn  wie  er  le^t  Öen  ßunb  wollt  3urüch= 
balten,  öer  micb  anbellte,  öa  batte  er  eine  febr 
kräftige  Stimme.  -  Dem  (Dorit;  wirb  öas  wunber= 
lieb  vorkommen,  aber  mir  ift  es  keine  Scbeiöe* 
wanb,  weil  er  von  ber  gebildeten  l^laffe  überfeben 
wirb.  €in  (Denfcb  von  Bajfe  müfete  feine  Raffe 
aucb  unter  ber  6klaventracbt  wittern,  aber  bas 
ift  bie  Unecbtbeit  bee  Rbele;  benn  gewife  ift,  ^a^ 
bas  ecbte  Blut  3erftreut  ift  in  ber  Welt  unb  viel 
ungeftempelt  berumläuft,  unb  bocb  will  man  nur 
bas  gelten  laffen,  was  geftempelt  ift.  Rber  bas 
fag  icb  Dir,  icb  balte  alle  (Denfcben  für  unabelig, 
bie  ibre  Raffe  nicbt  erkennen,  aucb  im  f^ittel.  - 
Der  Oärtner  alfo,  ber  mir  immer  Rrbeit  gibt 
morgens  früb.  Du  weifet,  -  icb  bab  ibm  bie  ab= 
geblübten  febernelken  von  Rabatten  gefcbnitten, 
icb  bab  bie  €rbbeeren  umgefe^t,  icb  bab  bie 
Reben  ausgelaubt,  icb  bab  bas  Öeifeblatt  binben 
belfen,  icb  bab  bie  pfirficb  fpaliert,  icb  bab  bie 
Heiken  geftengelt,  icb  bab  bie  (Delonenräuber 
ausgebrocben,  unb  nocb  mancberlei  anbers  bab 
icb  immer  morgens  früb  tun  belfen,  wenn  icb  in 

14* 


212 


ber  Srüb  3um  (Dainufer  lief,  weil  icb  fcbreiben 
wollt  oöer  bicbten  für  öen  Clemens,  unb  es  wollt 
nicbt  gebn,  weil  mir  nichts  einfiel,  weil  bie  Hatur 
311  grofe  ift,  als  bafe  man  in  ihrer  Gegenwart  ficb 
erlaubte  3U  öenUen;  ba  bab  ich  benn  mit  bem 
Oärtner  lieber  €rbfen  gepflücht,  als  auf  Öer  Cauer 
nach  grofeen  Geöanhen  -  ba  bat  mir  ber  Gärtner 
als  immer  einen  Straufe  verehrt,  erft  recht  fchön 
voll  unb  feltne  Blumen,  bann  weniger  unb  ein* 
facher.  ich  benk,  weil  ich  alle  tag  ham,  es  war 
ihm  3U  viel,  aber  3ulet3t  -  es  war  gerab  am  Tag, 
wo  ich  3uchererbfen  brach,  ^a  gab  er  mir  blofe 

eine  Rofe  unb Da  bab  ich  fo  nachgebacht 

unb  bin  brüber  eingefchlafen.  -  Die  Rofe  bab 
icb  mit  ins  Bett  genommen.  ~  Was  joll  fie  im 
Glas  langsam  welken  -  überall  follt  man  ein 
ßeiligtum  ber  Hatur  mit  herumtragen,  bas  frei 
macht  vom  Böfen.  Wer  hann  in  Gegenwart  einer 
Rofe  nicht  mit  eblen  Gebanhen  erfüllt  fein?  Ich 
hab's  lieb,  bas  Röschen,  mit  bem  ich  gefchlafen 
bab,  -  es  war  matt,  nun  bab  ich's  ins  Wafjer 
geftellt;  es  erholt  fich.  -  Ich  bin  fo  bumm,  ich 
fchreib  fo  einfältig  3eug  -  ber  arme  Gärtner.  - 
Ich  war  beut  morgen  braus  unb  hob  mir  ben 
Bfchenhran3  3um  Ball  beftellt  -  wie  Du's  gefagt 
baft.  -  Bber  gelt,  ber  (Dori^  bat  Dir's  gefagt, 
ich  foll  ^>en  Rran3  auffegen?  -  Ich  kam  bin  3um 
Gärtner ;  er  ftanb  3wifchen  ber  tür  vom  Boskett 
unb  bem  Blumengarten  gelehnt;  gewife,  er  hat 
auf  mich  gewartet,  benn  ich  war  fchon  3wei  tage 
nicht  ^a  gewefen.  Rber  geftern  abenb,  wie  ich 
fchlafen  ging,  Z>a  hatt  ich  mir  feft  vorgenommen, 


213 


icb    wollt    gewife    heinen    (Denfcben    unglüchlicb 
macben,  oöer  beffer,  icb  wollt  gewife  jeöem  geben 
an  Glüch,  was  icb   l^ann.  -  Unb  mir  joll  nicbts 
3U  gering  fein,  unb  was  ift  ebrenber,  als  wenn 
Du  mit  einem  Blich  ober  Wort  wobltun  l^annjt.  - 
nun  bör  nur  mein  lieb  Gefpräcb  mit  bem  Oärtner 
an.  -  Weil  icb  kam,  fo  fagt  icb:  „leb  bätt  wobl 
eine  Bitte  an  ben   Rnton."    (Denn  icb  rebe  ibn 
nicbt  anbers  an,  benn  icb  mag  ibn  nicbt  ,er'  nennen.) 
„Icb  geb  auf  l>en  Ball  beut,  unb  t>a  möcbt  icb  einen 
f^ran3,  unb  weil  icb  gar  nicbt  vergnügt  bin,  ^a^ 
icb    3um   Zan-^    foll    geben,    fo    wollt   icb   einen 
traurigen    f^rans    gern    baben   von    Rfcbenhraut, 
unb  heine  Blumen  wollt  icb  gar  nicbt.    Ift  wobl 
fo  viel   Bfcbenhraut  ^a^  ba^   wir   einen   Rran3 
hönnen  macben,  obne  bie  Büfcbe  3U  verberben  ?  - 
Da  ging  er  voran  unb  bracb  mir  eins  nacb  bem 
anbern,  unb  icb  banb's  am  Drabt  feft.    €r  batte 
mir  bocb  nocb   kern  Wort  gefagt  unb  legte  mir 
bie  Sproffen   nacbeinanber   auf  ben  öcbofe;   icb 
fafe  auf  ber  Blumenbanl^  am  üreibbaus.  €r  rüchte 
bie  Blumen  über  mir  unb  um  micb  ber  3ufammen, 
wäbrenb  icb  meinen  [^ran3  flocbt,  unb  bolte  nocb 
mebrere  aus  bem  treibbaus,  "öa^s  icb  wobl  merh?t, 
icb  war  gan3  eingerabmt,  unb  ba  war  eine  grofee 
purpurrote   Paffionsblume,   bie    bing   berab   an 
meiner   Seite.     €v    fcbnitt   fie   ab   unb   legte   fie 
fcbweigenb  an  bas  Öeflecbt;   icb  banb  fie  aucb 
fcbweigenb  mit  ein,  icb  probierte  ibn  auf,  er  war 
weit  genug;  er  nabm  ibn  mir  aus  ber  ßanb,  ftreifte 
ficb  ben  Ärmel  auf,  mafe  am  Rrm  bie  Cänge  vom 
Rran3  unb  banb  ibn  felber  feft,  fcbnitt  bie  über« 


214 


flüffigen  Stiele  unö  Blätter  ab  unb  gab  ihn  mir. 
Das  alles  war  fcbweigenb  gefcbeben.  „Cs  i^t  beut 
fo  fcbönes  Wetter,"  fagte  icb;  „finb  icb  Cucb  morgen 
im  Garten  -  wenn  icb  früb  homme?"  -  „O,  bas 
werben  5ie  wobl  verfcblafen,  weil  6ie  bie  Hacbt 
burcbtansen."  „O  nein,  um  balber  3wölf  fabr  icb 
fcbon  wieber  3urüch,  unb  Ibr  könnt  micb  beim* 
fabren  boren  an  Curer  Wobnung  vorbei;  -  icb 
fabr  im  f^abriolett,  nur  mit  einem  pferb  bier 
vorbei,  ha  könnt  Ibr  boren,  ob  icb  Cucb  nicbt 
Wort  balt.  Da!  icb  geb  Cucb  meine  ßanb  brauf."  - 
Cr  warb  rot,  ber  Gärtner,  als  icb  ibm  bie  f5anb 
reicbte  unb's  Scbnupftucb  fallen  liefe,  bas  er  mit 
ber  anbern  fianb  auffing  unb  mir  reicbte;  icb  fab 
es  an,  nabm's  ibm  aber  nicbt  ab.  —  leb  jagte: 
„Der  ßran3  ift  unbe3ablbar,  Ibr  babt  ibn  aus 
ber  (Ditte  von  jebem  Bufcb  gefcbnitten;  -  wie 
werb  icb's  €ucb  lobnen?  leb  werb  ibn  €ucb 
wiebergeben  muffen!"  -  „]a,"  fagt  er  plö^licb,  - 
„ber  I^ran3  gebort  mein."  „Hun,"  fagt  icb,  „ver= 
lafet  €ucb  brauf,  icb  bring  ibn  wieber." 

Geftern  um  balb  acbt  Ubr  fubr  icb  mit  ber 
Tonie  auf  ben  Ball;  auf  bem  Weg  nacb  bem 
f  orftbaus  waren  bie  Ceute  vom  (Doritj  mit  fachein 
3U  pferb  unb  begleiteten  bie  Wagen.  Von  weitem 
war's  ergö^licb,  all  bie  fachein  galoppierenb 
burcb  ben  bocbftämmigen  Weg  im  Walb.  Das 
Wälbcben  war  mit  bunten  Campen  erleucbtet. 
Rcb,  wie  fcbön  war's!  -  Unb  ba3u  läcbelten  bie 
unenblicben  öterne.  -  Der  (Dorit3  empfing  uns; 
icb  fagte:  „Rcb,  wie  fcbön  ift's  bier!"  -  „ja?  - 
gefällt  Dir's?  -  Du  bift  aucb  fcbön!"  -  Unb  fo 


GS 


215 


ging  er  wieber.  —  Beb,  ich  war  fo  vergnügt  — 
icb  mufete  läcbeln  mit  mir,  -  es  wed^te  micb  aus 
öem  Traum,  als  icb  tan3en  mufete,  unb  ber  Traum 
war  fo  fcbmeicbelig  felbjtvergejfen  -  mitten  im 
Getümmel  ein  Wonnegrab.  Da  Kamen  öie  Grabes* 
fcbauer  mir  nacbgeflogen  unÖ  wechten  Gebanhen» 
feelen,  in  ber  Bruft  begraben,  bie  gaul^elten  über 
mir  im  Blauen,  unb  ber  Zag  beut  Spiegelt  bie 
Hacbt  unb  bie  Hacbt  wieber  ben  Tag;  bie  ift  fo 
bellglänsenb ,  "ba^  bie  Sterne  erblaffen,  unb  ber 
Tag  fo  fcbattig,  fo  hübl,  t>a^  bie  Sonne  nicbts 
vermag.  -  Beim  Hacbteffen  l^am  ber  (TDori^;  wir 
fafeen  an  kleinen  Tifcben,  icb  am  onerierten  mit 
ber  pauline  Cbameau  unb  Willig.  Der  (Dori^ 
fe^te  ficb  neben  micb;  er  fragte:  „Wer  bat  beut 
Ibre  Toilette  beforgt,  fo  einfacb,  fo  originell!  - 
bie  blaue  Scbärpe!  was  bebeuten  bie  blauen 
Bänber?  -  unb  ber  graue  Rransl  -  wer  bat 
ben  afcbgrauen  [^ran3  beforgt?"  -  leb  fagte: 
„Der  Wiberball."  -  „Gris  de  cendre,  joyeux  et 
tendre,  fo  mufe  benn  ber  Wiberball  freubiger 
3ärtlicbl^eit  an  Ibr  Obr  gefcblagen  baben?"  - 
Cr  ging.  -  So  ein  Ciebesgefpräcb ,  mitten  an 
offener  Tafel,  von  keinem  verftanben,  nur  von 
mir,  fo  leicbt,  fo  luftig  -  wie  nimmft  Du's?  - 
Ift's  nicbt  Blütenftaub,  vom  lauen  Weftwinb  Dir 
ins  Geficbt  gewebt!  -  ]a,  alles  muffen  wir  ber 
Hatur  vergleicben,  was  voll  heiteren  €nt3üchens 
uns  burcbbringt,  nicbts  anbers  hann's  ausfprecben 
noch  wiebergeben  im  Bilb.  Will  icb  mir  von  jenen 
Worten  bie  Regung  im  ßer3en  lebbaft  wieber  in 
bie  Sinne  rufen,  fo  mufe  icb  bocb  an  Blütenbäume 


216 


öenhen,  öie  ihre  Öejcbenhe  öem  (Dorgenwinb  auf 
bie  flügel  laben  für  micb,  unb  bann  fcbauert's 
mich  jo  früblingsmöfeig,  wenn  ich  bas  benke.  - 
Bis  wir  alle  wegführen,  bie  öcbwägerinnen  im 
Stabtwagen  3uerft,  unb  ich  ins  bobe,  luftige  Gig 
vom  Oeorge,  l>a  liefe  ber  (T)orit5  feinen  (Dantel 
bolen,  mir  auf  bie  Süfee  3U  werfen,  weil's  Nübl 
fei;  er  fragte,  ob  ich  frob  gewefen  fei?  -  ,Ja!" 
fagte  icb,  „alles  war  fcbön  unb  ftimmte  ineinanber, 
ber  Rafenteppicb  unb  bie  bunten  Cicbter  unb  bie 
Sterne  am  ßimmel,  raufcbenbe  Bäume  unb  bie 
(DufiK  ber  Geigen  unb  flöten,  unb  auch  bie  ber 
füfeen  Reben."  -  €r  brüchte  mich  an  ficb  unb 
fagte:  „Du  warft  bie  Königin  vom  S^eft,  Dir  bab 
icb  bie  Cicbter  ange3Ünbet  unb  bie  flöten  rufen 
laffen;  es  fcbmeicbelt  mir  unenblicb,  l>a^  Du  6e= 
fallen  batteft  bran,  unb  fcbenh  mir  was  3um  Cobn 
unb  3ur  Erinnerung  ber  fcbönen  Hacbt."  -  „leb 
bab  nicbts.  Was  foll  icb  Ibnen  geben?"  -  „Der 
I^ran3  ftebt  Dir  3U  gut,  ben  will  icb  nicbt;  gib 
mir  bie  blaue  Schärpe,  ich  will  fie  beut  nacht 
um  ben  ßals  fcblingen."  Ich  gab  fie  ihm;  -  er 
hob  micb  ins  6ig,  warf  mir  feinen  (Dantel  über, 
vier  Reiter  jagten  mit  fachein  burch  ben  Walb. 
Wie  war  mir's  boch?  €in  3auber  -  fo  fcbnell 
bie  Schatten  ber  Bäume  -  im  flammenfchein 
verfchwinbenb,  -  unb  wieber  ^a  gleich  im  ftillen 
Hachtbimmel;  ich  freute  mich  -  es  bauerte  fo 
eine  Weile,  liQ\s  bie  Sterne  mit  ben  fachein  um 
bie  Wette  mich  auffingen,  unb  als  wir  vor  ben 
Walb  hamen,  l>a  war  ber  (Donb  aufgegangen. 
Da  waren  bie  Reiter  ebenfo  fcbnell  wieber  in  ben 


217 


Walb  3urüch  unb  jagten  \X7ie  bie  Pfeile;  icb  fab 
ihnen  nach,  mein  Blich  war  gan3  trunken  vom 
f  lammenwinö,  ber  Öa  öurcbbraufte.  Schreib  bies 
ins  f5er3,  fagt  icb  mir  beimlicb,  bas  ift  bein  Ceben. 
Wie  ein  fliegenber  §euerbracbe  ift  Dein  Geift ;  er 
leuchtet  bie  beilige  Hatur  an,  ihre  bunhlen  Räume ; 
mit  beifeer,  burftiger  3unge  lecht  er  an  ihr  hinauf, 
aber  vermehrt  fie  nicht.  —  Der  Drache  ift  nicht 
wilb  unb  giftig,  nein!  3abm  unb  fanft  auch;  er 
fchwingt  fich  in  3ärtlicber  Unruh  im  l^reis  unb 
jtrömt  feine  f  euer  in  fanften  Caven  in  bie  Bäche 
am  Weg,  unb  fein  glübenber  Rtem  erlifcbt  in  ben 
nachtnebeln,  ^a,  ber  Drache  ift  3ärtlich  unb 
liebenb  auch,  nicht  giftig  unb  tötenb;  nur  will  ihn 
heiner  verftebn,  unb  alle  fürchten  fich  vor  ihm, 
aber  nicht  Du,  meine  öünberobe.  Du  fcheuft  ^en 
Drachen  nicht,  Du  hofeft  ihm  unb  legft  feinen 
§lammenrachen  3ärtlich  in  Deinen  öchofe.  -  ]e^t 
war  idj  aufgewacht  aus  meinen  träumen;  ich 
nahm  bem  Reitknecht  an  meiner  Seite  bie  3ügel 
unb  jagte  burch  bie  breite  €bene,  gan3  im  (Donbs 
licht  fchwimmenb.  -  Ach,  wie  luftig!  -  allerlei 
Ölüchsempfinbung!  -  (Dit  Dir  bab  ich  ben  pinbar 
gelefen.  Du  baft  auf  Deinen  Cippen  bie  Begeiftrung 
aufgefangen  unb  mir  auf  bie  Seele  geträufelt. 
Wenn  ber  Sänger  mit  faufenben  Schwingen  babin= 
flog,  an  uns  vorüber!  -  Weifet  Du's  noch?  — 
„Dabin  rafte  ber  beifebraufenbe  ßymnenfturm 
Catonens  Sohn  3um  preis!"  -  Weifet  Du's, 
Günberobe,  noch  ?  -  Das  Cicht  war  ausgebrannt, 
Du  lagft  auf  bem  Bett,  bie  Seele  voll  Rlang, 
unb  wieberbolteft  bie  Verfe   in  fefterprägenben 


218 


RbYtbmen,  wo  ich  bas  Versmafe  finken  Hefe,  unb 
bei  öer  Dacbtlampe  las  icb  weiter: 

ßört  mich,  ihr  Söhne  ftolser  Beiben  unb  ber  Oötter!  - 
Denn  icb  verhünbe  biefem  meergepeiticbten  Canb, 
einft  werbe  Cpapbus  Tochter  eine  Stäbtewursel  pflansen 
Ruf  bes  Bammoniers  Boben,  ben  Sterblicben  3ur  Wonne, 
Die  hursbefieberten  Delpbine  vertaufcben  alsbann 
(Dit  ^cbnellen  Rojfen  >werben  fie,  bie  Ruber  mit  3ügeln,  - 
Unb  jagen  auf  fturmfüfeigen  Wagen  babin. 

leb  nabm  biefe  let5ten  3eilen  3wifcben  bie 
Cippen  von  3eit  3U  3eit  unö  ftiefe  fie  im  Gefang 
binausrufenb  in  öie  weit  fcblafenbe,  einfame  Weite, 
unö  öer  (Donb  eilte  mit  binter  leicbtem  Oewöll^ 
bervor.  „ßörft  Du  aucb  wieber  bie  alten  ßymnen, 
Catone,  Deinen  ööbnen  gelungen,"  rief  icb.  - 
Unb  fo  füllten  ficb  allmäblicb  meine  Sinne  unb 
raufcbten  auf,  als  feien  fie  von  einem  Warfen* 
rubrer  er  jcbüttert  mit  golbnem  piehtron  unb  jugenb* 
braufenbem  (Dut.  -  Glüchlicbe  Hacbt,  wo  bie 
Gebanl^en  wie  ßlüten  im  öübwinb  ficb  auftun, 
fröblicber  ßoffnung  voll,  -  unb  ein  Gefübl  beitern 
Gefcbiches  wie  glän3enbe  Strahlen  aus  ben 
feurigen  13lit3en  ficb  ergiefet,  bie  ber  Dracbe  in 
bie  l^üblen  ODonblüfte  fpie! 

So  kamen  wir  nach  Offenbacb;  icb  wenbete 
linhs  ab,  ftatt  in  bie  Domftrafee  3U  fabren;  ber 
Reithnecbt  wollt  mir  in  bie  3ügel  greifen,  weil 
icb  ben  Weg  verfeble;  icb  webrte  ibm,  unb  fo 
fuhr  icb  rafcb  am  Boskett  vorüber,  wo  bie  Pappeln 
fo  anmutig  ficb  neigten,  fo  fcbücbtern  raufcbten, 
als  wollten  fie  micb  grüfeen.  Icb  lenhte  in  ben 
engen  Weg  nacb  bes  Gärtners  ßaus,  icb  batte 
gefagt  um  balb  3wölf  Ubr,  es  war  brei  Ubr  in 


S29  ==^--  219 

Öer  Hacbt,  öer  Zag  war  im  Rufwacben ;  ber  Gärtner 
ftanb  vor  feiner  Züv  unb  nahm  bie  (Dü^e  ab,  als 
er  micb  kommen  borte.  „Guten  (Dorgen,"  fagte 
icb,  „beut  werb  icb  nicbt  in  öen  Garten  kommen, 
icb  will  ausfcblafen;  öa  ift  €uer  f^ran3,"  unb  lenkte 
wieöer  um,  voll  Vergnügen,  öafe  icb's  burcbgefübrt 
batt  mit  Öem  Rran3,  öenn  icb  war  unterwegs  voll 
3weifel,  ob  icb's  tun  folle  ober  nicbt.  -  Dem 
(T)orit3  ben  Gürtel,  bem  Gärtner  ben  ßranj,  fagte 
icb  mir  immer;  aber  eine  innere  Stimme  fagte 
mir,  warum  foll  ber  Gärtner  ben  f^ran3  entbebren; 
er  gebort  bocb  fein,  unb  er  war  ibm  früber  ver» 
fprocben.  Unb  bann  füblt  icb,  wie  web  es  ibm 
tun  werbe,  wenn  xdb  mein  Verfprecben  nicbt 
balten  würbe,  unb  wie  bas  obne  Cüge  nicbt  ab= 
geben  könne;  icb  muffe  ibm  fagen,  ber  fkran^ 
fei  verloren  ober  3erriffen,  unb  bas  war  eine 
boppelte  Unacbtfamkeit  unb  muffe  ibn  boppelt 
verletsen;  nein,  icb  mufet  ibn  ibm  geben.  (Deine 
Seele  war  orbentUcb  leicbt,  als  er  bingeworfen 
war  unb  er  ibn  mit  ber  ßanb  auffing ;  er  errötete 
fo  freunblicb,  grab  mit  ber  (Dorgenröte,  bie  auf= 
ftieg.  -  Dem  ODori^  ^en  Gürtel,  ibm  ben  f^rans! 
3a,  beiben  gebört's.  -  Denn  beibe  finb  freunblicb 
gefanbt  vom  Dicbtergenius ,  ber  in  ber  lautlofen 
Stille,  wenn's  von  (Denfcben  nicbt  gewufet  ober 
nicbt  bebad^t,  mir  burcbs  Cabyrintb  ber  Bruft 
fcbweifet  in  bie  Hacbt.  - 

So  bab  icb  gefcblafen  bis  (Dittag ;  ba  bracbten 
fie  mir  einen  Straufe,  ber  war  mir  aus  bem 
Boskett  gefcbickt  worben.  -  ßör  nur,  was  bas 
für  ein  Straufe  war  unb  wie  wi^ig  ber  Gärtner 


220 


ift;  unb  wie  gebunben,  unö  was  bas  bebeuten 
mag.  -  In  ber  (Ditte  eine  (Doosrofenhnofpe,  ^a 
herum  Vergifemeinnicbt  unb  ßeibehraut,  bie  einen 
Rran3  bilben;  bann  runb  herum  höher  herauf 
Wacbbolber3weige  unb  Tleffeln;  bie  fcbirmt  wieber 
allerlei  Dornwerk  unb  Caub,  was  höber  fteigt, 
fo  3ierlicb  gebunben  wie  ein  Reich,  in  beffen  tiefster 
(Ditte  bie  (Doosrofe  glüht.  Das  lefe  ich  fo:  Die 
(Doosrofe  ift  mein  Gejcbenh,  ber  f^rans;  bas  ßeibe* 
kraut,  was  bie  Roje  fchirmt,  bas  ift  ber  befcheibne 
Gärtner,  eine  Blume,  wie  fie  unsählig  fich  auf 
bem  Selb  ausbreitet,  bie  Vergifemeinnicbt,  bas  ift 
bas  ewige  Rnbenhen.  €r  wirb's  nimmer  ver* 
geffen,  ba^  ich  ihm  ben  Rran3  gefchenht  hab; 
ber  Wacbholber  ift  ber  fchlichte  Weihrauch,  ben 
er  meiner  Gabe  als  Opferrauch  buftet;  bie  Heffeln 
bebeuten,  ba\5  es  ihm  im  ßersen  brennt  unb 
fchmerst;  bas  Dornwerk  unb  bas  Caub,  was  runb^ 
um  in  l^elchform  auffteigt,  bie  Rofe  3u  verbergen, 
bie  fagen,  ba^  es  in  feinem  f5er3en  foll  geheim 
bleiben,  unb  ba^s  er  es  im  ßer3enskelcb  vor  aller 
Rügen  ftill  bewahren  wolle. 

Von  Frankfurt  hob  ich  Rbfchieb  genommen, 
wie  ein  ßas  übers  befchneite  Se\b  jagt ;  man  fieht 
kaum  feine  pfötchen  im  Schnee,  unb  es  war  auch 
kein  yogev  bQy  ber  mich  gern  gefchoffen  hött. 
Beim  Primas  war  ich  fehr  luftig  auf  ber  f aften» 
mahl3eit;  wie  ich  Rbfchieb  nahm,  fagte  er:  „Ich 
freu  mich  auf  Ihre  Wieberkunft,"  unb  nahm  mich 
bei  ber  ßanb  unb  begleitete  mich  burcbs  Vor» 
3immer.  In  Offenbach  hob  ich  alles  mit  ber  Grofe» 
mutter  befprochen,  aber  in  ben  Garten,  ber  nicht 


C2I 


221 


mehr  raufcbt,  honnt  icb  nicbt  geben,  um  RbfcbieÖ 
3U  nehmen,  fo  gern  icb  gewollt  bätt,  unb  lieber, 
als  von  allen  anbern,  öenn  icb  war  vertrauter 
mit  ibm;  bann  war  icb  aucb  beim  Gärtner  unb 
fragte,  ob  er  meine  Bäume  ins  Winterquartier 
wollt  nebmen,  unb  wenn  Du  aus  bem  Rbeingau 
kämft,  fo  würbeft  Du  ben  (Kanarienvogel  abbolen. 
er  fragte,  ob  icb  ben  nicbt  bei  ibm  wollt  laffen; 
icb  verfpracb  ibm,  ^>Q^y  wenn  Du  einwilUgft,  fo 
barf  er  ibn  bebalten.  Unb  einer  kleinen  IKoketterie 
macbte  icb  micb  aufs  pläjierlicbfte  fcbulbig:  icb 
nabm  ^en  Vogel  aus  bem  f^äfig,  hüfet  ibn  auf 
fein  hlein  Scbnäbelcben  unb  fagt:  „Rbieu,  lieber 
Gärtner."  Bis  icb  3ur  Örofemutter  3urüchkam, 
war's  fcbon  balb  Hacbt,  bie  (Deline  unb  tonie 
wollten  3urüchfabren;  icb  bat  fie,  nocb  eine  Viertel 
ftunb  3U  bleiben,  unb  wie  es  fcbon  gan3  Hacbt 
war,  ^a  bab  icb  micb  bocb  in  ^en  Garten  ge= 
fcblicben  unb  bab  bie  Rügen  3ugemacbt,  bis  icb 
an  ben  Pappeln  war,  unb  bab  fie  alle  getröft  mit 
Worten ;  benn  icb  bacbt,  wer  weife,  wie  mir's  gebt, 
ob  icb  nicbt  aucb  einmal  fo  troftlos  bafteb.  Sollt 
ficb  ba  mein  Sreunb  vor  mir  fcbeuen,  weil's  ibm 
3U  traurig  ift?  - 


[^ 


o=o  _  OgO  „  OgO 


ie  GDarburger  6tubenten 

O  O O' 


pz  eut  morgen  bin  icb  aus  bem  Bett  gefprungen, 
U  um  Öas  eis  mit  meinem  ßaucb  3U  fcbmelsen. 
Um  halb  ocbt  hamen  ötubenten  ben  Berg  beraub 
gejubelt;  es  war  nocb  öämmerig  unö  öer  Hebel 
fo  öicbt,  bafe  fie  wie  öcbatten  blofe  burcb» 
fcbimmerten.  Die  (Deline  unö  icb  feben  jeöen 
(Dorgen  mit  grofeem  Gaubium,  wie  fie  3U  unferm 
Profeffor  Weife  ins  Rolleg  marfcbieren;  -  fie 
können  uns  nicbt  feben,  öenn  unfre  fenfter  finb 
bart  gefroren;  wir  fteigen  auf  öen  Ofcb  unb 
baueben  an  öer  oberften  Scbeibe  ein  Cöcbelcben 
ins  €is,  wo  geraö  ein  Rüg  burcbfeben  kann.  €in 
jeber  bat  ein  verfcbiebnes  Rbseicben,  treiben  ficb 
immer  eine  Viertelftunbe  berum,  bis  fie  im  Gang 
nacb  bem  l^olleg  verfcbwinben,  ben  ber  profeffor 
Weife  prä3is  acbt  Ubr  auffcbliefet ;  inbeffen  treiben 
fie  lauter  Übermut.  Wir  bacbten  fcbon,  ba^  fie 
vielleicbt  uns  3U  €bren  bie  grofeen  5ät3e  macben 
von  einer  Trepp  3ur  anbern,  einer  über  bes  anbern 
Ropf  weg ;  fie  können  uns  3war  nicbt  feben,  weil 


223 


bie  f  enfter  verhängt  finb  unb  je^t  aucb  gefroren, 
fo  leuchten  ihnen  Öoch  unfre  grünen  Vorhänge 
gan3  myftifch  in  bie  Rügen.  Uns  macht's  taufenb 
Spafe;  bie  Ciebfchoft  mit  bem  gan3en  l^olleg  ift 
im  heften  Gang ;  wir  haben  fie  geteilt.  Die  (Deline 
fagt:  „Der  ift  mein,"  unb  ich:  „Der  ift  mein."  60 
haben  wir  3wei  Regimenter,  unb  ihre  Balgereien 
werben  mit  grofeer  freube  unb  Triumph  belacht. 
]ebe  Partei  hat  einen  löauptmann;  ber  eine  mit 
ber  roten  (Dü^e,  bie  er  nie  auf  bem  l^opf  hat, 
fonbern  immer  auf  einem  bichen  6toch  (ber  ötubent 
nennt  ihn  „3iegenhainer")  herumfchwenht ,  ift 
meiner,  er  ift  immer  ber  erfte  auf  bem  pia^. 
Die  anbern  verfammeln  ficb  um  ihn  unb  hören 
3U,  was  er  fagt;  er  mag  wohl  bas  ßaupt  einer 
Burfchenfchaft  fein.  €r  ift  fo  jung  unb  fchön,  er 
ift  ber  gröfete  von  allen;  wenn  er  ben  (Dunb  auf= 
tut,  l^ommt  eine  grofee  Dunftwolhe  heraus,  bie 
fe^t  fich  gleich  als  Reif  an  feinen  l^leinen  Bart, 
mit  bem  er  fehr  grofe  tut,  benn  er  3ieht  ihn  alle 
Rugenblich  burch  bie  Finger.  Wir  nennen  ihn 
ben  Blonben,  er  hat  braunes  ßaar,  er  hat  aber 
ein  fo  blonb^fonnig  Öeficht,  bas  mit  feinen  roten 
Bachen  fo  freunblich  burch  ben  (Dorgennebel 
lacht,  unb  bann  hat  er  auch  einen  hellen  Roch. 
Der  (Deline  ihrer  helfet  ber  Braune,  ber  ift  gan3 
blonb,  aber  er  hat  einen  braunen  Roch;  biefer 
trägt  eine  blaue  ODütse  mit  einer  Quafte,  bie  ihm 
auf  ber  Hafe  herumfpielt.  Cr  fitst  gelaffen  auf 
ber  (Dauer  unb  fieht  3U,  wenn  bie  anbern  ficb 
mit  Schneebällen  werfen,  ringen,  übereinanber 
wegfpringen,  ba3u  ringelt  er  fich  feine  blonbe. 


224 


ftrablenbe  pböbuslochen  über  öie  Singer.  leb 
beneib  ibn  oft  ber  COeline  unb  wollt  ibn  mit 
einem  Rnfebnlicben  aus  meinem  Regiment  um= 
taufcben,  aber  jie  will  ibn  nur  gegen  meinen 
General,  ben  Blonben,  herausgeben;  bas  will 
ich  nicbt. 


ofloQo  oö^D^  o[]o|Jo 


Vorgefiern  waren  wir  im  „£gmont";  fie  riefen 
alle:  „ßerrlicb!"  Wir  gingen  noch  nacb  bem 
Scbaufpiel  unter  öen  monbbefcbienenen  Cinben 
auf  unö  ab,  wie  es  frankfurter  Sitte  ift,  öa  hört 
icb  taufenbfacfoen  Wiberball.  —  Der  kleine  DaU 
berg  war  mit  uns;  er  hatte  Deine  (Dutter  im 
Scbaufpiel  gefeben  unb  verlangte,  icb  folle  ihn 
3U  ibr  bringen.  Sie  war  eben  im  Begriff,  Dacbt* 
toilette  3u  machen,  öa  fie  aber  borte,  er  komme 
vom  Primas,  jo  liefe  fie  ibn  ein;  fie  war  fcbon 
in  Öer  weifeen  Hegligejacke ,  aber  fie  batte  ibren 
l^opfput3  nocb  auf.  Der  liebenswürbige ,  feine 
Dalberg  fagte  ibr,  fein  Onkel  babe  von  oben 
herüber  ihre  freuöeglänsenöen  Rügen  gefehen 
währenb  ber  Vorftellung,  unb  er  wünfcbe  fie  vor 
feiner  flbreife  noch  3U  fprechen,  unb  möchte  fie 
boch  am  anbern  Zag  bei  ihm  3U  (Dittag  effen. 
Die  (Dutter  war  fehr  gepult  bei  biefem  Diner, 
bas  mit  allerlei  fürftlichkeiten  unb  fonft  merk= 
würbigen  perfonen  befe^t  war,  benen  3ulieb  bie 
(Dutter  wabrfcheinlich  invitiert  war;  benn  alle 
brängten  ficb  an  fie  heran,  um  fie  3U  feben  unb 
mit  ibr  3U  fprechen.  Sie  war  fehr  heiter  unb 
berebfam,  unb  nur  von  mir  fucbte  fie  fich  3U  ent= 
fernen.  Sie  fagte  mir  nachher,  fie  habe  Bngft 
gehabt,  ich  möge  fie  in  Verlegenheit  bringen ;  ich 
Sriticb-Strobl.  15 


226 


glaube  aber,  fie  bat  mir  einen  Streich  gefpielt, 
benn  öer  Primas  fagte  mir  febr  wunöerlicbe 
Sachen  über  Dich,  unb  öafe  Deine  (Dutter  ihm 
gefagt  habe,  ich  habe  einen  erhabenen  öftbetifchen 
Sinn.  Da  nahm  er  einen  fchÖnen  €nglänöer  bei 
ber  ßanb,  einen  Schwager  öes  Coro  Helfen,  unö 
fagte:  „Diefer  feine  (Dann  mit  öer  ßabichtsnafe, 
öer  joU  Sie  3U  Z\\cb  führen;  er  ift  ber  fchönfte 
von  öer  gansen  Gefellfchaft ;  nehmen  Sie  vorlieb." 
Der  englänber  lächelte;  er  verftanb  aber  nichts 
bavon.  Bei  Tifch  wechselte  er  mein  Glas,  aus 
öem  ich  getrunl^en  hatte,  unö  bat  mich  um  €r* 
laubnis,  öaraus  3U  trinl^en,  öer  Wein  würbe  ihm 
fonft  nicht  fchmechen ;  öas  liefe  ich  geschehen,  unb 
alle  Weine,  öie  ihm  vorgefe^t  würben,  bie  gofe 
er  in  bies  6las  unb  trank  fie  mit  begeisterten 
Blichen  aus.  €s  war  eine  wunberliche  Tifcb* 
Unterhaltung;  halb  rüchte  er  feinen  Sufe  bicht  an 
ben  meinigen  unb  fragte  mich,  was  meine  liebfte 
Unterhaltung  fei;  ich  fagte:  „Ich  tanse  lieber  als 
ich  gehe  unb  fliege  lieber  als  ich  tanse,"  unb 
babei  30g  ich  meinen  fufe  3urüch.  Ich  hatte 
meinen  kleinen  Straufe,  ben  ich  vorgeftecht  hatte, 
ins  Wafferglas  geftellt,  bamit  er  nicht  fo  halb 
weihen  folle,  um  ihn  nach  tifch  wieber  vor* 
3uftechen.  Cr  frug:  „Will  you  give  me  this?" 
Ich  nichte  ihm,  er  nahm  ihn,  baran  3U  riechen, 
unb  hüfete  ihn;  er  ftechte  ihn  in  ben  Bufen  unb 
hnöpfte  bie  Wefte  brüber  3U  unb  feuf3te,  unb 
^>a  fab  er,  1>q^  ich  rot  warb.  -  Sein  Geficht  über« 
gofe  fich  mit  einem  Schmel3  von  Sreunblichheit ; 
er  wenbete    es   3U  mir,   ohne   bie   Flügen  auf» 


227 


3ufcblagen,  als  wolle  er  micb  aufforöern,  feine 
wohlgefällige  Bilbung  3U  beacbten;  fein  fufe 
fucbte  wieöer  öen  meinen,  unb  mit  leifer  Stimme 
jagte  er:  „Be  good,  fine  girl."  -  leb  honnte  ihm 
nicbt  unfreunblicb  fein,  unb  öocb  wollte  icb  gern 
meine  Cbre  retten.  Da  30g  icb  Öas  eine  €nö 
meines  langen  Gürtels  um  fein  Bein  unö  banb 
es  gefcbicht  an  bem  tifcbbein  feft,  gan3  beimlicb, 
bafe  es  niemanö  fab;  er  liefe  es  gefcbeben.  Icb 
fagte:  „Be  good,  fine  boy."  —  Unb  nun  waren 
wir  voll  5cber3  unb  Wi^  bis  3um  €nb  ber  Tafel, 
unb  es  war  wirhlicb  eine  3ärtlicbe  Cuft  3wifcben 
uns,  unb  icb  liefe  ihn  febr  gern  meine  iöanb  an 
fein  f5er3  3ieben,  wie  er  fie  l^üfete. 

Der  Primas  bat  micb  aucb  einlaben  laffen, 
wie  er  borte,  "öa^  icb  von  Weimar  homme;  icb 
follte  ihm  von  Dir  er3äblen.  Da  bab  icb  ibm 
allerlei  gefagt,  was  ibm  freube  macben  l?onnte. 
Dein  (Däbcben  batte  ficb  geput5t;  es  wollte  Dir 
€bre  macben.  Ja,  icb  wollte  fcbön  fein,  weil  icb 
Dieb  liebe,  unb  weil  es  bie  Ceute  wiffen,  bafe  Du 
mir  gut  bift.  Cin  rofa  Rtlasl?leib  mit  fcbwar3en 
öamtärmeln  unb  fcbwar3em  Bruftftüch,  unb  ein 
fcböner  ötraufe  buftete  an  meinem  ßersen,  unb 
golbne  Spangen  bielten  meine  fcbwar3en  Cochen 
3urüch.  Du  baft  micb  nocb  nie  geputst  gefeben; 
icb  hann  Dir  fagen,  mein  Spiegel  ift  freunblicb 
bei  folcber  Öelegenbeit,  unb  bas  macbt  micb  febr 
vergnügt,  fo  M\s  icb  gepult  immer  febr  luftig 
bin.  Der  Primas  fanb  micb  aucb  bübfcb  unb 
nannte  bie  färben  meines  l^leibes  prejuge  vaincu. 
^Hein,"  fagte  icb,  „Marlborough  s'en  va-t-en  guerre, 

15* 


228 


qui  sait  quand  il  reviendra."  -  „Le  voila  de 
retour,"  fagte  er  unb  30g  meinen  €nglänber  her* 
vor,  öer  vor  brei  Wod^en  mit  mir  bei  ihm  3U 
(Dittag  gegeffen  hatte.  Hun  mufete  \db  wieber 
neben  ihm  [xi^en  beim  Souper,  unb  er  fagte  mir 
aud^  englijdD  allerlei  Särtlidoheiten ,  bie  xdb  nid^t 
verfteben  wollte,  unb  worauf  \db  ihm  verkehrte 
antworten  gab.  60  war  idD  fehr  luftig.  Wie  id> 
fpöt  nacb  f5aufe  Kam,  ^a  buftete  mein  SdDlaf* 
3tmmer  von  Woblgerud?,  unb  ba  war  eine  hohe 
Blume,  bie  biefen  Duft  ausftrömte,  bie  '\db  nodj 
nie  gefehen  hatte,  eine  l^önigin  ber  Had^t;  ein 
frember  Bebienter,  ber  nidDt  beutfdD  fpredjen 
konnte,  hatte  fie  für  midD  gebradDt.  Das  war 
alfo  ein  freunblid^es  Öefd^enk  vom  €nglänber, 
ber  in  biefer  HadDt  nodD  abgereift  war.  \db  ftanb 
vor  meiner  Blume  allein  unb  beleudDtete  fie,  unb 
ihr  Duft  fdDien  mir  wie  ein  ^empelbuft.  -  Der 
Cnglänber  hat's  verftanben,  mir  3U  gefallen. 


SDä      °      sua      °      SOS 


Unter  freunbinnen  o     o     c    ^^^^ 
=  DOOO  =  DOOD  ==  OOOO  ^§5 

Der  Rrnim  harn  3U  uns  ins  Stift  unö  fragte, 
ob  man  bei  öem  berrlicben  Rbenb  nicbt  wolle 
hinaus  nacb  öer  grünen  Burg ;  fo  wanberten  wir 
bei  Bbenbfcbein  bie  ftillen  SelÖwege.  leb  lief 
immer  voraus,  wenbete  um  unb  fab  bie  beiben, 
vom  Untergebenben  Zag  mit  einem  Hymbus  um= 
fangen,  fcbreiten,  mebr  fcbweben  -  optifcbe 
Wirkung  bes  Cicbtes,  bas  feinen  öonnenbarnifcb 
abgelegt  batte!  -  Das  Cicbt,  wenn  es  nicbt  tbront, 
\\i  milb,  einfach,  befcbeiben,  kinblicb  unb  wohl 
gar  wie  ein  f^inb  3um  Spielen  geneigt.  -  So 
auch  ber  Weltberrfcher ;  im  Sonnenfeuer  feiner 
(Dacht  burchglübt  er  alles  mit  Geiftesfeuer ,  ihm 
mufe  werben,  was  feines  Willens  ift;  aber  wenn 
er  ficb  enthleibet  biefer  Gewalt,  ift  er  wie  ein 
f^inb!  -  Der  Arnim  fiebt  boch  königlich  aus! 
Die  Günberobe  auch.  Der  Brnim  ift  nicht  in  ber 
Welt  3um  3weitenmal,  bie  Günberobe  auch  nicht. 
Die  beiben  geben  ^a  nebeneinanber  an  biefem 
fchönen,  heitern  Rbenb.  Bber  bort  kommt  ein 
Gewitter!  Die  Winbe  hehren  vor  uns  ben  Weg; 
wir  muffen  eilen!  Wir  fangen  an  3U  traben,  wir 
wollen  eben  in  Galopp  uns  fe^en,  ergiefet  bas 
fchwar3e  Gewölk  ficb  über  uns;  unten  bli^t  es, 
bie  Donner  fchlagen  ihre  Wirbel.  Wir  erreichen 
einen  bichtlaubigen   l^aftanienbaum ;  bie  Regen= 


230 


flut  läuft  an  feinen  breiten,  bängenben  Aften 
binab;  öicbt  am  Stamm  ift's  trochen.  Der  Rrnim 
breitet  feinen  grünen  (Dantel  um  uns;  bie 
Günberobe  bat  mit  bem  fragen  ben  Ropf  ge« 
fcbüt5t;  icb  konnte  es  aber  nicbt  brunter  ausbauen, 
icb  mufete  feben,  was  am  ßimmel  paffiert.  Da 
3ogen  bie  Regenfcbicbten  nacbeinanber  vorüber, 
es  war  ein  Öewübl.  6an3  fo  ftell  icb  mir  bas 
Wetter  vor  unter  ber  Crbe,  wenn  ^a  ein  Poftament 
von  Wolhen  war,  auf  bem  fie  tbronte.  -  I^ur3, 
es  war  entweber  bas  unterste  Raturgeftell ,  was 
mit  bem  Öewanb  ibrer  färben  unb  öcbönbeits« 
fcbmel3  verbecht  ift,  unb  fie  batte  bies  ein  bifecben 
3U  bocb  gefcbür3t,  ober  es  war  bie  f^ebrfeite  ber 
RuUffen,  binter  bie  man  wirft,  was  nicbt  foU  an  ^en 
Zag  kommen.  Rber  Hacbt  unb  Dunkel  kommt 
ja  aucb  an  ben  Zag;  um  fo  beller  ber  leucbtet, 
um  fo  bunkler  fie  uns  brobt.  -  €in  Weilcben 
gefiel  mir  bies  böfe  R  benteuer.  Arnims  wunber* 
f cböne  Jugenbnäbe  elektrifierte  micb ;  icb  opponierte 
bem  Gewitter  mit  allerlei  vom  3aun  gebrocbner 
pbilofopbie,  bie  nicbt  ßanb  unb  füfee  batte  unb 
naffe  Slügel,  bie  liefe  fie  bangen.  -  Wir  gingen 
weiter ;  jet3t,  wo  ber  Winb  bie  Wolken  ins  Gebet 
nabm,  riffen  fie  aus.  Die  Günberobe  würbe  ins 
Bett  gefteckt;  wir  follten  bie  Hacbt  bableiben.  Wer 
war  frober  wie  icb.  €ine  fcböne  6ommernacbt 
unter  einem  Dacb  mit  bem  Rrnim,  mit  Günberöb* 
eben  burcbplaubert;  -  bocb  baben  wir  uns  ge* 
3ankt.  Wir  ftiegen  bie  Ceiter  ber  Begeiftrung 
binan  in  unferm  Hacbtgefpräcb ,  eins  überbüpfte 
bas  anbere,  oben  3ankten  wir  einanber,  ba^  wir 


231 


nicbt  in  ihn  verliebt  feien;  bann  sanhfen  wir 
einander,  bafe  wir  hein  Vertrauen  hätten,  uriö 
wollten's  nicht  geftehen,  bafe  wir  ihn  boch  liebten. 
Dann  rechtfertigten  wir  uns,  bafe  wir  es  nicht 
täten,  weil  jebe  geglaubt  hatte,  ^a^  bie  anbre 
ihn  liebe;  bann  verföhnten  wir  uns,  bann  wollten 
wir  grofemütig  einanber  ihn  abtreten,  bann  sanMen 
wir  wieber,  ba^  jebe  aus  Örofemut  fo  eigenfinnig 
war,  ihn  nicht  haben  3U  wollen.  €s  fehlen  €rnft 
3U  werben,  benn  ich  fprang  auf  unb  wollte  mein 
Bett  von  bem  ihrigen  wegrüchen  aus  lauter  3orn, 
ba^  fie  ben  Rrnim  nicht  wollte.  Ruf  einmal  hörten 
wir  huften  unb  fich  tief  räufpern.  fleh,  ber  Brnim 
war  burch  eine  bünne  Wanb  nur  von  uns  ge- 
fchieben;  er  l^onnte  beutlich  alles  vernehmen.  €r 
mufete  es  gehört  haben;  ich  fprang  ins  Bett  unb 
bechte  mich  bis  über  bie  Ohren  3U.  Uns  klopfte 
bas  Iöer3  wohl  eine  halbe  Stunbe,  keins  muckfte 
mehr  bie  gan3e  flacht.  -  Rrti  anbern  (Dorgen 
früh  um  fechs  Uhr  fah  ich  3um  fenfter  hinaus 
ben  Rrnim  fchon  unter  ben  Cinben  fpa3ieren 
geben.  Je^t  wollten  wir  boch  probieren,  ob  er 
uns  gehört  könne  haben.  Ich  ging  ins  Heben* 
3immer,  bie  öünberobe  fprach  ungefähr  basfelbe 
unb  ebenfo  laut  wie  am  Rbenb.  Ich  legte  mein 
Ohr  an  bie  Wanb  unb  hörte  teilweis,  aber  nicht 
alles;  als  ich  aber  fah,  ba^  fein  Bett  grabe  an 
ber  Züv  ftanb  unb  bas  öchlüffelloch  mit  bem 
t^opfkiffen  auf  gleicher  ßöhe  ftanb,  unb  ba^  man 
ba  alles  beutlich  hören  konnte  -  wie  3wei  marobe 
Schiffer,  bie  eben  gefcheitert  finb  an  ber  5anb* 
bank,  bie  fie  fo  lange  ängftlich  umfchifft  hatten 


232 


guchten  wir  uns  an.  Wir  mufeten  3um  5rübs 
fiüch!  —  Wir  festen  uns  mit  bem  Buchen  gegen 
öie  ZüTy  um  ihn  nicht  gleicb  feben  3U  muffen. 
Was  half  öer  eine  flugenblid^;  wir  mufeten  ihm 
ja  bocb  bie  Sträufecben  abnehmen,  öie  er  eben 
aus  öem  Selb  mitbrachte:  Vergißmeinnicht!  - 
Reh,  nun  war's  gewife,  bafe  er's  gehört  hatte. 
Reh,  demente,  es  war  recht  wunöerlich!  -  Das 
war  gewiß  fo  ein  Gefühl,  was  man  Verlegenheit 
nennt!  —  Ich  nahm  bie  Gitarre  von  Gunöa  unö 
fang:  „Das  fchmerst  mich  fehr,  bas  hränhet  mich, 
bafe  ich  nicht  genug  hann  lieben  Dich."  Der 
Rrnim  gab  mir  feinen  ßanöfchuh  unö  bat,  ben 
3erriffenen  Daumen  3U  fliehen.  —  Ich  hab's  getan, 
demente!  Reh,  aller  Rnfang  ift  fehwer;  ber 
ßanbfehuh  buftete  fo  fein,  fo  vornehm.  -  Cin 
grauer  ßanbfchuh  von  Gemsleber,  ich  habe  ihn 
mit  ßexenftichen  benäht;  er  30g  ihn  gleich  an, 
ben  linhen  ßanbfchuh  aber  liefe  er  liegen  unb 
promenierte  mit  feinem  5toch  neben  uns.  Ich 
warf  feinen  vergeffnen  f5anbfehuh  unter  ben  täfch. 
Ich  baehte:  ba  mag  er  liegen;  wenn  er  ihn  3urüeh* 
läßt,  bann  heb  ich  ihn  3um  Rnbenhen  auf,  benn 
er  geht  ja  morgen  fort.  „Wirb  nicht  wieber  hommen, 
wirb  nicht  wieberhommen ,  bas  tut  mir  web."  - 
Ich  hab  ihm  biefes  alte  Volhslieb  vorgefungen; 
es  hat  ihm  fehr  gefallen.  - 

Der  Rrnim  ift  fort!  -  £r  hat  ben  f5anbfehub 
3urüchgelaffen.  Geftern  nahm  er  Rbfehieb  unb 
geftern  leuchteten  noch  bie  Sterne  uns  beim  ßeim= 
geben;  er  fuchte  einen  Stern  aus,  ben  wir  alle 
brei  wollten  fehen,  wenn  wir  aus  ber  ferne  an- 


233 


einanber  bäcbten.  Rcb  Gott,  icb  bab  öen  Stern 
vergeffen;  er  bat's  fo  beutlicb  expH3iert,  un5  nun 
haum  war  er  fort,  wufet  icb's  nicbt  mebr.  IdD 
fragte  Öie  GünÖerobe,  Öenn  öie  ift  fternhunbig, 
aber  bie  necht  micb  unb  nimmt  öies  als  einen 
Beweis,  öafe  icb  gewife  in  ibn  verliebt  fei!  €s 
ift  aber  bocb  nur,  weil  mir's  fo  leib  tut,  bafe  er 
vielleicbt  treu  unb  reblicb  feinen  mit  uns  aus^ 
gemachten  Stern  anfiebt,  in  Öer  (Deinung,  wir 
guchen  aucb,  unb  nun  guchen  wir  beibe  wie  bie 
ßablgänfe  baneben!  — 


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er  tiroler  o 

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Rm  anbern  (Dorgen  ging  öie  Toni  3um  tliroler, 
unö  icb  ging  mit,  um  mir  fein  Rntli^  ein» 
3uprägen.  Icb  dachte,  wenn  man  ficb  was  tief  in 
bie  9eel  fcbreibt,  fo  blüht's  am  €nb  mit  einem 
auf,  unb  weil  bie  ^oni  ßanbjcbub  ausfucbte,  fe^te 
ficb  ein  öcbmetterling ,  ber  vom  (Dain  berüber» 
geflogen  harn,  auf  ben  Straufe  an  feinem  ßut. 
„Beb,  guch  t>en  Scbmetterling,  ben  baben  bie 
Blumen  an  Deinem  ßut  berbeigelocht!"  —  Der 
Tiroler  fragte:  „Was  ift  bas  für  ein  Ding,  ein 
Schmetterling?"  unb  fieht  ihn  fliegen  unb  ruft: 
„ei  was,  bas  ift  ja  ein  pfeilmuter  unb  hein 
Schmetterling;  bu  bift  ein  Schmetterling!"  unb 
kriegt  mich  um  ben  f5als  unb  hüfet  mich  auf  ^en 
(Dunb.  Die  Zonx  macht  ein  bös  Geficht  unb  häuft 
gleich  keine  ßanbfchuh  mehr  bei  ihm  unb  gebt 
fort.  „Ha,"  ruft  er  ihr  nach,  „nehm  Sie's  nit 
übel,  bas  (Dabei  nimmt's  ja  auch  nit  übel  auf," 
unb  bie  Toni  mufet  lachen  unb  bie  f5anbfchub 
kaufen.  Die  Cefchicht  wollt  ich  als  immer  auf* 
fchreiben,  weil  fie  mir  gefällt,  aber  3U  einem  ßuch 
pafet  fie  nicht,  benn  fie  ift  ja  gleich  aus,  unb  was 
foll  bann  weiter  paffieren?  - 

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Reifeabenteuer 

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benteuer  am  Rhein    o     o 


Öeftern  Abenb  ging  icb  nocb  fpät  an  öen  Rhein; 
icb  wagte  micb  auf  einen  fcbmalen  Damm, 
Öer  mitten  in  öen  §lufe  führt,  an  beffen  Spi^e 
von  Wellen  umbraufte  felsklippen  hervorragen, 
leb  erreichte  mit  einigen  gewagten  Sprüngen  öen 
allervoröerften ,  ber  geraöe  \o  viel  Raum  bietet, 
um  trochnen  ^ufees  örauf  3U  ftehen.  Die  Hebel 
umtan3ten  mich;  ßeere  von  Raben  flogen  über 
mir ;  jie  örehten  ficb  im  f^reis,  als  wollten  fie  fich 
aus  öer  Cuft  herablaffen ;  ich  wehrte  mich  bagegen 
mit  einem  Tuche,  bas  ich  über  meinem  Ropf 
fchwenkte,  aber  icb  wagte  nicht  über  mich  3U 
fehen,  aus  furcht,  ins  Waffer  3U  fallen.  Wie  ich 
umkehren  wollte,  Öa  war  guter  Rat  teuer;  ich 
Konnte  Kaum  begreifen,  wie  ich  hingekommen 
war.  €s  fuhr  ein  Kleiner  SeelenverKäufer  vor« 
über,  Öem  winKte  ich,  mich  mit3unehmen.  Der 
Schiffer  wollte  3U  ber  weifeen  öeftalt,  bie  er 
trocKnen  f  ufees  mitten  auf  bem  f  luffe  ftehen  fah, 
unb  bie  bie  Raben  für  ihre  Beute  erKlärten,  Kein 
3utrauen  faffen.  €nblich  lernte  er  begreifen,  wie 
ich  bahin  geKommen  war,  unb  nahm  mich  an 
Borb  feines  Dreiborbs.  Da  lag  ich  auf  fchmalem 
Brett,  ßimmel  unb  Sterne  über  mir;  wir  fuhren 
noch  eine  halbe  Stunbe  abwärts  bis  wo  feine 
He^e  am  Ufer  hingen.   Wir  Konnten  von  weitem 


238 


jeben,  wie  bie  Ceute  bei  bellem  f  euer  Zeex  hocbten 
unb  ibr  fQbr3eug  anftricben. 

Wie  leibenfcbaftslos  wirb  man,  wenn  man  ^o 
frei  unö  einfam  ficb  befindet,  wie  icb  im  l^abn; 
wie  ergiefet  ficb  Rub  burcb  olle  Ölieöer,  fie  er* 
tränhi  einen  mit  ficb  felbften,  fie  trägt  öie  Seele 
fo  ftill  unb  fanft  wie  ber  Rbein  mein  hleines 
fabr3eug,  unter  bem  man  aucb  nicbt  eine  Welle 
plätfcbern  borte.  Da  febnte  icb  micb  nicbt  wie  fonft, 
meine  Öebanhen  vor  Dir  aus3ufprecben,  ^Q\i  fie 
gleicb  ben  Wellen  an  ber  T3ranbung  anfcblagen 
unb  belebter  weiter  ftrömen.  Icb  feufste  nicbt 
nacb  jenen  Hegungen  im  Innern,  von  benen  icb 
wobl  weife,  ba^  fie  Öebeimniffe  wechen  unb  bem 
glübenben  Jugenbgeift  Werhftätte  unb  üempel 
öffnen.  (Dein  öcbiffer  mit  ber  roten  ODütse,  in 
ßembsärmeln,  batte  fein  pfeifeben  ange3Ünbt; 
icb  fagte:  „ßerr  öcbiffshapitän ,  Ibr  febt  ja  aus, 
als  bätt  bie  Sonn  €ucb  3um  ßarnifcb  ausglüben 
wollen."  -  „Ja,"  fagte  er,  „je^t  fit3  icb  im  f^üblen; 
aber  icb  fabre  nun  fcbon  vier  Jabre  alle  Reifenben 
bei  Bingen  über  ben  Rbein,  unb  ba  ift  keiner  fo 
weit  bergehommen  wie  icb.  Icb  war  in  Inbien; 
ba  fab  icb  gan3  anbers  aus,  t>a  wucbfen  mir  bie 
ßaare  fo  lang  —  unb  war  in  Spanien,  ba  ift  bie 
fb'xt^e  nicbt  fo  bequem,  unb  icb  bab  Strapa3en 
ausgeftanben.  Da  fielen  mir  bie  ßaare  aus,  unb 
icb  hriegte  einen  fcbwar3en  l^rauskopf.  -  Unb 
bier  am  Rbein  wirb's  wieber  anbers:  ba  wirb 
mein  I^opf  gar  weife.  In  ber  f  rembe  batt  icb  Hot 
unb  Brbeit,  wie  es  ein  (Denfcb  kaum  erträgt,  unb 
wenn  icb  3eit  batte,  honnte  icb  vierunb3wan3ig 


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239 


Stunöen  bintereinanber  fcblafen  -  ba  mocbt  es 
regnen  unö  bli^en  -  unter  freiem  ßimmel.  f5ier 
fcblaf  icb  nacbts  keine  Stunbe;  wer's  einmal  ge= 
fcbmecht  bat  auf  offener  See,  bem  hann's  nicbt 
gefallen,  bier  alle  polen  unt>  rotbaarige  ßollänöer 
über  öie  Öoffe  3U  fabren,  -  unb  follt  icb  ben 
gan3en  Rbein  binunterfcbwimmen  auf  meinen 
bünnen  Rippen,  fo  mufe  icb  fort  aus  einem  Ort, 
wo's  nicbts  3U  lacben  gibt  unb  nicbts  3U  feuf3en."  - 
„€i,  wo  möcbtet  Ibr  benn  bin?"  -  „Da,  wo  icb 
am  meiften  ausgeftanben  babe,  bas  war  in 
Spanien;  -  ha  möcbt  icb  wieber  fein,  unb  wenn's 
nocb  einmal  fo  bart  berging!"  -  „Was  bat  Cucb 
benn  "ba  \o  glüchlicb  gemacbt?"  —  €r  lacbte  unb 
fcbwieg,  -  wir  lanbeten.  Icb  beftellte  ibn  3U  mir, 
"ÖQ^  er  ficb  ein  ^rinkgelb  bei  mir  bole,  weil  icb 
nicbts  bei  mir  batte;  er  wollte  aber  nicbts  nebmen. 
Im  Hacbbaufegeben  überlegte  icb,  wie  mein  Ölüch 
gan3  von  Dir  ausgebt;  wenn  Du  nicbt  warft  im 
langweiligften  Deutfcblanb,  fo  möcbt  icb  wabr* 
baftig  aucb  auf  meinen  bünnen  Rippen  ben  un* 
enblicben  Rbein  binabfcbwimmen. 


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QS  Cicbbörncben  unö  bie 
5dDwimmtour  im  GDain 

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Jcb  habe  bas  £icbbörncben ,  was  Sie  mir  mit* 
gab,  im  grofeen  €icbenwalö  ins  freie  gefetst, 
es  war  3eit.  -  Die  fünf  (Deilen,  öie  es  im  Wagen 
fuhr,  bat  es  grofeen  Scbaöen  gemacbt,  unb  im 
Widsbaus  bat  es  über  Hacbt  bem  Bürgermeister 
öie  Pantoffel  3erfreffen.  leb  weife  gar  nicbt,  wie 
6ie  es  gemacbt  bat,  bafe  es  Ibr  nicbt  alle  Gläfer 
umgeworfen,  alle  (Döbel  angenagt  unb  alle  f5auben 
unb  lochen  befcbmu^t  bat.  (Dieb  bat's  gebiffen, 
aber  im  Rnbenhen  an  ben  fcbönen,  ftolsen  f  ran* 
3ofen,  ber  es  auf  feinem  ßelm  vom  füblicben 
SranKreicb  bis  Frankfurt  in  Ibr  ßaus  gebracbt 
bat,  bab  icb  ibm  versieben.  Im  Walb  fe^ite  icb's 
auf  bie  €rbe;  wie  icb  wegging,  f prang  es  wieber 
auf  meine  Scbulter  unb  wollte  von  ber  freibeit 
nicbts  profitieren,  unb  icb  bätt's  gern  wieber  mit* 
genommen,  weil  micb's  lieber  batte  als  bie  fcbönen 
grünen  €icbbäume.  Wie  icb  aber  in  ben  Wagen 
l^am,  macbten  bie  anbern  fo  großen  Cärm  unb 
fcbimpften  fo  febr  auf  unfern  lieben  Stuben- 
hameraben,  ^a\s  icb's  in  ben  Walb  tragen  mufete. 
Icb  liefe  bafür  aucb  lange  warten;  icb  fucbte  mir 
ben  fcbönften  Cicbbaum  im  gansen  Walbe  unb 
kletterte  binauf.  Da  oben  liefe  icb's  aus  feinem 
Beutel  -  es  fprang  gleicb  luftig  von  Rft  3U  Flft 
unb  macbte  ficb  an  bie  Cicbeln ;  unterbeffen  hletterte 


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241 


ich  herunter.  Wie  icb  unten  anham,  hatte  ich  bie 
Richtung  nach  öem  Wagen  verloren,  unb  obfchon 
ich  nach  mir  rufen  hörte,  konnte  ich  gar  nicht 
unter jcheiben ,  wo  bie  Stimmen  herkamen.  Ich 
blieb  ftehen,  bis  fie  herbeikamen,  um  mich  3U 
holen;  fie  3ankten  alle  auf  mich;  ich  fchvvieg  ftill, 
legte  mich  im  Wagen  auf  brei  öelterskrüge  unten 
am  Boöen  unb  fchlief  einen  herrlichen  Schlaf  bis 
bei  (Donbfchein,  wo  ber  Wagen  umfiel,  ganj 
fanft,  Öafe  niemand  befchäbigt  warb.  €ine  nufe* 
braune  l^ammerjungfer  flog  vom  Boch  unb  legte 
fich  am  flachen  (Dainufer  in  romantischer  Un= 
orbnung  grabe  vor  bas  (Donbantli^  in  Ohnmacht. 
3wei  Schachteln  mit  Blonben  unb  Bänbern  flogen 
etwas  weiter  unb  fchwammen  gan3  anftänbig  l>en 
ODain  hinab.  Ich  lief  nach,  immer  im  Waffer,  bas 
je^t  bei  ber  grofeen  ßi^e  fehr  flach  ift.  Blies 
rief  mir  nach,  ob  ich  toll  fei  -  ich  hörte  nicht  unb 
ich  glaub,  ich  war  in  Frankfurt  wieber  mitfamt 
ben  Schachteln  angefchwommen ,  wenn  nicht  ein 
flachen  hervorgeragt  hätte,  an  bem  fie  f5alt 
machten.  Ich  packte  fie  unter  beibe  Brme  unb 
fpasierte  in  ben  klaren  Wellen  wieber  3urück. 
Der  Bruber  fran3  fagte:  „Du  bift  unfinnig, 
COöbchen,"  unb  wollte  mit  feiner  fanften  Stimme 
immer  3anken;  ich  30g  bie  naffen  Rleiber  aus, 
würbe  in  einen  weichen  (Dantel  gewickelt  unb  in 
ben  3ugemachten  Wagen  gepackt. 

In  Rfchaffenburg  legte  man  mich  mit  Gewalt 

ins  Bett  unb  kochte  mir   f^amillentee.     Um  ihn 

nicht  3u  trinken,  tat  ich,  als  ob  ich  feft  fchlafe. 

Da  würbe  von   meinen  Verbienften   verhanbelt, 

Sritfd3  =  Strobl.  16 


242 


wie  ich  bocb  gar  ein  3U  gutes  f5er3  habe,  bafe  ich 
voll  Öefälligheit  fei  unö  mich  felber  nie  bedenke, 
wie  ich  gleich  ben  Scbacbteln  nacbgefcbwommen, 
unö  wenn  ich  bie  nicht  wiebergefifcht  hätte,  fo 
würbe  man  morgen  nicht  haben  mit  ber  Toilette 
fertig  werben  Können,  um  beim  Surft  Primas  3U 
(Dittag  3U  effen.  Reh!  fie  wufeten  nid^t,  was  ich 
wufete  -  ^a^  nämlich  unter  bem  Wuft  von  faljchen 
Cochen,  von  golbnen  flammen,  Blonben,  in  rot^ 
famtner  Tafche  ein  6cha^  verborgen  war,  um 
ben  ich  beibe  Schachteln  ins  Waffer  geworfen 
haben  würbe  mit  allem,  was  mein  unb  nicht  mein 
gehörte,  unb  ba^,  wenn  biefe  nicht  brin  gewefen 
war,  fo  würbe  ich  mich  über  bie  Rüchfahrt  ber 
Schachteln  gefreut  haben.  In  biefer  Cafche  liegt 
verborgen  ein  Veilchenftraufe,  ben  Ihr  ßerr  Sohn 
in  Weimar  in  Gefellfchaft  bei  Wielanb  mir  heim- 
lich im  Vorübergeben  3uwarf.  -  Sxau  (Dutter, 
bamals  war  ich  eiferfüchtig  auf  ben  Wolfgang  unb 
glaubte,  bie  Veilchen  feien  ihm  von  Srauenhanb 
gefchenht;  er  aber  fagte:  „I^annft  Du  nicht  3U« 
frieben  fein,  bafe  ich  fie  Dir  gebe?"  -  Ich  nahm 
heimlich  feine  ßanb  unb  30g  fie  an  mein  I5er3; 
er  tranh  aus  feinem  Glas  unb  ftellte  es  vor  mich, 
l>a^  ich  auch  braus  trinken  folle.  Ich  nahm  es 
mit  ber  linhen  föanb  unb  trank  unb  lachte  ihn 
aus,  benn  ich  wufete,  ba^  er  es  hier  hingeftellt 
hatte,  bamit  ich  feine  ßanb  loslaffen  follte.  €r 
fagte:  „löaft  Du  folche  Cift,  fo  wirft  Du  auch  wohl 
mich  3U  feffeln  wiffen  mein  Ceben  lang."  Ich  fag 
Ihr,  mach  Sie  fich  nicht  breit,  ha^  ich  Ihr  mein 
beimlichftes    f5er3   vertraue;    -    ich    mufe    wohl 


243 


jemanb  haben,  bem  icb's  mitteile.  Wer  ein  fcbön 
ßeficbt  bat,  Öer  will  es  im  Spiegel  feben.  Sie 
ift  ber  Spiegel  meines  ölüchs,  unb  ö  a  s  ift  grabe 
je^t  in  feiner  fcbönften  Blüte,  unö  öa  mufe  es 
benn  ber  Spiegel  oft  in  ficb  aufnehmen.  leb  bitt 
Sie,  hlatfcb  Sie  Ibrem  föerrn  Sobn  im  näcbften 
Brief,  ben  Sie  gleich  morgen  fchreiben  hann  unb 
nicht  erft  eine  Gelegenheit  ab3uwarten  braucht, 
Z>Q^  ich  bem  Veilcbenftraufe  in  ber  Schachtel  in 
hübler  (Donbnacht  nachgeschwommen  bin,  wohl 
eine  Viertelftunbe  lang  —  fo  lang  war  es  aber 
nicht  - ,  unb  ba^  bie  Wellen  mich  wie  eine  Waffer^ 
göttin  babingetragen  haben;  -  es  waren  aber 
heine  Wellen,  es  war  nur  feichtes  Waffer,  bas 
kaum  bie  Schachteln  hob,  unb  ba^  mein  Öewanb 
aufgebaufcht  war  um  mich  ber  wie  ein  Ballon. 
Was  finb  benn  bie  Reifröche  feiner  Jugenb* 
liebfcbaften  alle  gegen  mein  baherfcbwimmenbes 
Gewanb;  fag  Sie  boch  nicht,  Ihr  ßerr  Sobn  fei 
3U  gut  für  mich,  um  einen  Veilchenftraufe  folcbe 
Cebensgefabr  3U  laufen!  Ich  fchliefe  mich  an  bie 
€pocbe  ber  empfinbfamen  Romane  unb  homme 
glüchlich  im  Wertber  an,  wo  ich  benn  gleich  bie 
Cotte  3ur  Tür  hinauswerfen  möchte.  Ihr  ßerr 
Sobn  bat  einen  fcblechten  Öefchmach  an  bem 
weisen  l^leibe  mit  Rofafchleifen.  Ich  will  gewife 
in  meinem  Ceben  hein  weifees  Öewanb  ansieben; 
grün,  grün  finb  alle  meine  Rleiber. 

Rpropos!  Guch  Sie  boch  einmal  hinter  Ihren 
Ofenfchirm,  wo  Sie  immer  bie  fcbön  bemalte  Seite 
gegen  bie  Wanb  ftellt,  bamit  bie  Sonne  ihn  nicht 
ausbleicht;  "öa  wirb  Sie  entbechen,  ba^  bas  Cich» 

16* 


244 


börncfoen  ber  Ofengöttin  grofeen  Scbaben  getan 
bat,  unö  öafe  es  ihr  bas  gan3e  Rngeficbt  blafe 
gemacbt  bat.  leb  wollt  Ibr  nicbts  fagen,  weil  icb 
öocb  öas  Cicbbörncben  gegen  Ibren  Befebl  an  öen 
Ofenfcbirm  gebunden  batte,  unö  ba  fürcbtete  icb, 
Sie  könnte  bös  werben.  Drum  beb  icb's  Ibr 
fcbreiben  wollen,  öamit  6ie  in  meiner  Rbwefenbeit 
Ibren  3orn  kann  austoben  laffen. 


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ie  wunberlicbe  Rofehur   o 

0=0=0=  '  o 


Wie  lang  ift's  her?  —  vielleicbt  fieben,  viel« 
leicbt  acbt  "jähre  —  öa  reifte  icb  von 
franhfurt  ab.  €s  war  am  €nöe  tlovember;  halt 
geworben,  fr.  warf  mir  beim  Rbfcbieb  feine 
Pel3banbfcbub  in  Öen  Wagen,  in  bem  icb  gan3 
allein  fafe  mit  ber  versagten  f^ammerjungfer.  Die 
Hacbt  batte  ficb  uns  vorgebrängt.  Bis  icb  Öurcb 
bie  erleuchteten  Strafen  ßanaus  fubr,  borte  icb 
in  ber  Vorballe  eines  großen  Öaftbaufes  eine 
Stimme,  von  einer  Orgel  begleitet,  fingen,  fo 
mäcbtig,  fo  rein,  fo  treu,  fo  obne  Beigabe  von 
gelerntem  Beigefübl,  fo  auftönenb,  fo  bewustlos 
in  riefe  unb  ßöbe  fteigenb,  als  war  fie  ber  €icb« 
bäum,  in  beffen  3weigen  ber  Sturmwinb  feine 
gewaltigen  fitticbe  fpielenb  verfängt  unb  fo  auf* 
unb  nieberbraufenb  all  feine  Inftrumente  von  ber 
Pauhe  bis  3ur  Pfeife  in  bes  Baumes  Wogen  in 
ßefang  ficb  auflöft.  -  Scbon  inbem  wir  in  f5anau 
einfuhren,  batte  icb's  ertönen  boren.  Icb  liefe 
langfam  fahren,  halb  fchien  bie  Stimme  ferner, 
halb  näher  unb  enblicb  immer  näher;  ich  liefe  vor 
bem  Öaftbaus  halten.  Der  Rellner  berichtete  mir, 
es  fei  ein  (Däbchen,  bie  ihr  Brot  bamit  verbiene, 
in  ben  öaftbäufern  3U  fingen;  icb  fagte:  „Die  füllt 
aber  gan3  F5anau  aus."  .Ja,"  meinte  er,  „ßanau 
ift  gan3  leer,  brum  ift's  fo  ftill."    „Ift's  benn  nicbt 


246 


\o  füll,  weil  alles  laufcbt  auf  öie  Sängerin?"  „O 
Gott  bewahre,  man  ift's  gewohnt  unö  gibt  gern 
einen  Grofcben,  bamit  bie  WänÖe  nicht  bröhnen 
unb  man  fein  eigen  Wort  hören  kann."  -  Das  war 
meine  Unterhaltung  mit  bem  f^ellner;  ich  liefe 
langfam  weiter  fahren  unb  hörte,  wie  biefer  6e» 
fang  mit  mir  fpracb.  O,  was  fagte  er  mir!  leb, 
bie  nie  eine  Ciebeserl^lörung  empfangen  hatte, 
wie  fehnenb  bat  er  micb,  3u  lieben,  ihn  3U  lieben, 
ber  aus  biefem  öefang  3U  mir  fpracb:  „60  möcbtig, 
fo  ftol3  wie  ich  bin,  lieg  ich  3U  Deinen  Jüfeen, 
unb  Du  l^annft  ja  nicht  anbers!  -  Du  mufet  - 
fo  gewaltig,  fo  weit  ausbehnenb,  fo  tonumfaffenb 
icb  bin,  -  Du  mufet  burcb  micb  burch,  wohin  Du 
auch  willft,  meine  6ren3e  3ieht  fich  um  Dich,  unb 
weil  ich  liebenb  bin,  umbräng  ich  Dich,  fo  weit 
ich  mich  auch  behne.  Ich  fcbmel3e  vor  Dir  3U* 
fammen,  befchömt,  weil  Du  mich  begreifft,  unb  icb 
erhebe  mich  vor  Dir,  fo  gewaltig,  weil  bie  Ciebe 
3U  biefem  Deinem  Begreifen  mich  boppelt  auf* 
regt;  glaub  an  mich,  ^>a^  ich  ton  alles  bin,  was 
bie  Weisheit  ber  Ciebe,  ihre  f^unft,  ihr  Genie, 
ihr  Glüch  Dir  lehren  kann.  -  Sieh  bie  Welt,  bie 
mich  unbegriffen  vertonen  löfet,  was  ift  fie?  Ift 
fie  nicht  tot?  Wenbe  Dich  nicht  an  fie,  in  ber 
Du  Dich  felbft  mifeverftehft  unb  fünbigft.  -  O, 
Du  hörft  mich!  -  unb  bift  gefchaffen  für  mich, 
mich  3U  begreifen;  weil  Du  mich  forttragen  follft 
in  Deinem  Bufen,  forttragen  3wifchen  bem  Ge» 
braus  aller  unbegriffenen  lionwellen,  foll  ich  allein 
in  Dir  hinübergetragen  werben  in  ben  Geift,  in 
ben  Begriff,  ber  Deine  Umarmung  ift.    Das  ift 


247 


bie  Ciebe,  bie  icb  fucbe  unb  öie  im  Vorüber* 
fcbreiten  Du  mir  fcbenhft.  -  Hein!  im  Verballen 
an  Deinem  Obr  -  icb  fübl's  -  birgfi  Du  micb  - 
im  Oeift  -  Dein  Öeift  leitet  lieblicb  öie  l5ocb3eits 
feier  ein  —  icb  verberge  micb  —  icb  vertone  — 
benn  icb  füble  micb  geborgen  -  in  Deinem 
Bufen  -." 

Unb  fo  hatte  er  micb  gefangen,  ber  ^on  bes 
Cefangs  in  bem  ftillen  ßanau,  bas  nicbt  ftill  war, 
weil  es  laufcbte  -  fonbern  weil  es  leer  war,  wie 
ber  f^ellner  mir  verfieberte.  -  leb  aber  war  tief 
bewegt,  von  bem  ßöttlicben  fo  in  Rnfprucb  ge* 
nommen  worben  3U  fein,  ^a^  es  um  micb  geflebt 
batte  bemütig,  wie  ber  Bettler  am  Wege ;  unb  fo 
war's  als  wir  ins  §reie  l^amen,  immer  nocb  Tränen 
weibenb,  Gelübbe  ausfeufsenb  biefem  öenius,  ber 
im  €on  micb  erringen  wollte.  - 

Ruf  bolperigem  Weg  erreichten  wir  6 .  Inb . .  f .  n, 
bie  f^aiferburg,  bie  im  gefprengten  fels  einer 
wunberbaren  pflanse  Habrung  gibt,  -  bem  Rot= 
bart  bes  l^aifers,  ber  burcb  ben  fteinernen  Ofcb 
wäcbft.  -  Die  Spi^buben  baben  bort  alle  eine 
lange  Gaffe  gebilbet  von  lauter  Wirtsbäufern ;  eb 
man  3um  engen  i:or  berein  hömmt,  bätte  man 
fcbon  vor  Rngft,  ^>en  ßals  3U  brechen,  lien  Öeift 
aufgeben  können,  wenn  man  nicbt,  wie  icb,  im  Rrm 
bes  Bräutigams  gefangen  lag  unb  fo  ber  Crbe 
vergeffen,  wenn  fie  auch  unter  uns  bröhnte,  lieber 
alles  Gefcbich  ertragen,  als  es  mit  erleben.  - 
Diefe  fangnefter  von  Wirtsbäufern  finb  fo,  ^>a^ 
bie  näcbften  am  Tor  ben  Vorteil  ballen,  benen 
vom  Schrechen  ber  Bbgrunbswege  gan3  3abm  ge- 


248 


wordenen  Reifenden  als  Crlöfungs«  unö  Rettungs* 
an^talten  böcbft  willkommen  3u  fein,  unb  fcbwer* 
lieb    wirö    einer,    ber  mit  öen    Rettungshrachen 
enblicb  in  ben  Port  hommt,  bei  vorgerüchter  Hacbt 
baran  öenhen,  nocb  weiter  3U  wollen,  wenn  nicbt 
bas  fufpi3iofe  Gejicbt  bes  Wirts  ihm  fcbnell  eine 
Räuberfsene   vormalt,   unö   ber   ficb   fträubenöe 
Poftillion,  weiter3ufQbren,  ibm  Öie  Gefcbicbte  feines 
Untergangs    nocb    wabrfcbeinlicber    macbte.     €s 
3wingt  ibn  bie  Ver3weiflung ,  weiter3ufabren ,  - 
öa    bleibt   öas    Rab    im   Cocb   ftechen   vor   bem 
3weiten  f5aus,  ber  Wirt  bat  ibn  gefangen;  bie 
Scbmiebe,  bie  ibm  auf  ber  Hafe  bod^t  unb  ewig 
ibr  feuer  auf  bie  ötrafee  fpeit,  fpeit  aucb   ibre 
föämmer,  3angen,  Bobrer,  Hagel  beraus,  womit 
fie  Dir  ben  Wagen  malabe  macben,  eb  Du  Dicb's 
verfiebft,   unb   bann   mufet   Du   auf  ber   Strafee 
liegen  bleiben  ober  ins  Wirtsbaus.  -  (Dir  aber 
nicbt  fo!  -  „ßerr  Wirt!"  fage  icb,  „icb  macbe  Sie 
verantwortlicb  bafür,  ^a^  mir  ber  öcbmieb  vom 
Wagen  bleibe  unb  aucb  ber  ötellmacber  baneben, 
ber  wie  eine  Spinne  fein  net5  auffpannt,  bis  ber 
Scbmieb   beim   Hacbfeben   aucb   für   ibn    etwas 
3erbrocben  bat."    Der  Wirt  fagt:   „So,  fo,  aber 
obnvorgreiflicb  mufe  icb  bemerken,  ^q\s  mir  ber 
Poftknecbt  fagt,  alle  Reife  geben  von  ben  Räbern, 
unb  fie  werben  bis  nacbts  um  ein  Ubr  nicbt  mit 
ber  Rrbeit  fertig  "  -  leb  leibe  es  nicbt  tro^  bem 
angftvollen  Stöbnen  ber  f^ammerjungfer ;  ber  Zee 
wirb  gemacbt;  auf  bem  Cifcb  liegt  bie  3eitung. 
Der  Wirt   bemerkt   uns  eine  fcbauerlicbe  Spi^* 
bubengefcbicbte ,  bie  brin   befcbrieben  ift;  fie  ift 


62S  249 

vor  Örei  Wocben  in  biefiger  Gegenb  3wifcben 
(Dünfter  unö  Scblücbtern  arriviert  —  gerabe  wo 
wir  hinwollen.  Cs  ift  3ebn,  in  einer  halben  ötunbe 
geht  ber  (Donb  auf.  -  Der  Wirt  gebt  hinaus, 
weil  er  uns  am  Teetifcb  weife;  ich  traue  ihm  nicht, 
gehe  ans  ?enfter,  nach  Öem  Wagen  3U  fehen. 
er  öffnet  ihn,  holt  eine  kleine  Blendlaterne  unter 
bem  Roch  hervor.  -  „  ßerr  Wirt !  -  Was  machen 
Sie  ba;  ich  glaub,  Sie  wollen  ben  öpi^buben 
3wifcben  (Dünfter  unb  6chiüchtern  3uvorhommen!" 
Gleich  fe^  ich  mich  in  ben  Wagen,  laffe  ^en  Zee 
unberührt  -  bis  bie  pferbe  hommen.  Die 
Rammerjungfer  mufe  mit  in  bie  öchrechensnad^t, 
fo  will  es  ihr  Geschieh.  -  €s  geht  bergauf,  berg= 
ab  -  es  ftuchert,  es  kracht,  es  feuf3t,  es  pfeift 
alles  am  Wagen ;  halb  liegt  bie  Jungfer  mit  bem 
f^opf  auf  ber  Crbe,  halb  3um  Schlag  heraus.  Wir 
finb  enblich  in  ber  €bene;  ber  (Donb  gebt  auf. 
nun  fe^t  er  fich  in  Crott,  -  es  pfeift  -  noch 
einmal  -  es  läuft  ein  (Denjch  neben  bem  Wagen, 
ber  hat  gepfiffen.  Der  Pofthnecht  gibt  ihm  einen 
ßieb ;  ich  fchlafe  ein  unb  erwache  auf  ber  Station. 
Der  (Donb  hat  ßimmel  unb  Crbe  eingenommen  - 
freier  Weg,  herrliche  Gauen.  -  Der  Walb  kommt 
uns  gemächlich  entgegen,  benn  bie  pferbe  gehen 
unter  häufigem  Rntreiben  einen  fehr  faulen 
Pafe.  -  -  leb  erwache,  weil  ber  Wagen  ftill 
jtebt.  -  „Was  gibt's,  Schwager?"  -  „Dafe  alle 
Teufel  breingefabren  finb  -  mein  f5anbgaul  \\i 
gefallen!"  -  Die  f^ammerjungfer :  „Caffen  Sie 
ihn  boch  wieber  auffteben!"  -  „Der  bat's  Auf» 
fteben  vergeffen  für  immer."  -  Ich:   „Schwager, 


250 


fe^e  Dieb  auf  öas  anbre  pferb  unb  reite  auf  bie 
näcbfte  Station,  um  pferbe  3U  beftellen!"  -  „Das 
hält  ber  anbre  nicht  aus,  ber  ift  auch  marobe."  - 
„Wie  weit  ift  es  nocb?"  -  „Hocb  anbertbalb 
(Deilen;  wir  finb  gerabe  auf  ber  mitten  Station."  - 
Der  Poftknecbt  pacht  bas  öefcbirr  ber  pferbe  auf 
t>en  Rüchen,  läfet  bas  eine  liegen,  bas  anbre  frei 
laufen,  unb  fo  marjcbiert  er  ab.  €s  ift  gerabe 
3wei  Ubr  in  ber  Dacht;  wir  finb  in  bem  allmächtig 
grofeen  Walb  auf  einem  grofeen  freien  piat3,  ber 
wohl  eine  Stunbe  im  Umfang  bat,  gan3  mit  Walb 
umgeben.  Cange  noch  boren  wir  bie  f^urierftiefel 
bes  Pofthnecbts  hlirren  mit  bem  Gefchirr,  was 
ihm  nachfchleppt;  enblicb  ift's  gan3  ftill.  -  3wei 
brauen  im  Winter  nachts  3wei  Ubr  mitten  auf 
ber  Cbauffee  baltenb  mit  abgefpanntem  Wagen.  - 
Ich  lachte  fo,  ^a\s  ^^e  f^ammerjungfer  nicht  weinen 
konnte;  fie  laufcbte  3um  fenfter  hinaus.  -  Da 
hör  ich  was  -  aib  -  Paufe  -  abb  -  iah  - 
Paufe.  -  „Reh,  ^a  bringt  man  jemanb  um  im 
Walb!"  -  Sie  laufcbt.  „f5aa  -  eben  bat's  ben 
Geift  aufgegeben."  -  leb  fteige  aus  bem  Wagen, 
unterfuche  bas  pferb,  hole  eine  5lafche  (Dabeira 
aus  bem  Wagen.  Die  ^""9^^^  fo^l  *^"^  ^^" 
Rachen  aufhalten  -  fie  will  nicht;  nun,  fo  foll 
fie  ben  Wein  ihm  eingießen.  Ich  halte  ihm  bas 
(Daul  auf,  fie  giefet  alles  baneben;  ich  nehme  ein 
(Dilchbrot  aus  bem  Wagen,  höhle  es  aus,  ftech's 
ihm  in  ben  Rachen.  €s  fchlucht ;  ich  giefee  nach  - 
bis  bie  gan3e  Jlafcbe  brin  ift.  -  Wir  fe^en  uns 
in  ben  Wagen  -  bas  pferb  ift  gan3  ftill.  -  Ich 
fteige  aus,  befühle  es;  es  febwi^t.  Ich  nehme  mein 


251 


grünfeiönes  piumeau  aus  bem  Wagen,  beche  ihm 
ben  Ceib  mit  3U,  mit  einem  f^opfkiffen  öeche  icb 
ihm  bas  ßinterteil,  mit  bem  3weiten  bie  Bruft 
3U.  -  Die  Jungfer  wunbert  ficb,  l>a\s  icb  bem 
Gaul  3ulieb  frieren  will ;  icb  friere  aber  gar  nicbt  - 
icb  lacbe  micb  warm  vor  Vergnügen  über  bie 
bübfcbe  Gefcbicbte.  -  Jreilicb  benk  icb  barüber 
nacb,  was  auf  biefer  berücbtigten  Canb^trafee  mir 
alles  wiberfabren  kann ;  aber  weil  alles  bocb  von 
Stimmung  abhängt  unb  bie  Gewalt  bes  "Cons  aus 
ßanau  micb  nicbt  verlaffen  hatte,  fo  bin  icb  auf 
alles  gefafet,  ober  vielmehr:  es  ift  mir  alles 
einerlei.  —  Die  f^ammerjungfer  erlaufcbt  einen 
fernen  Ton;  fie  benht  ficb  bas  Scblimmfte.  „Ge« 
wife,  gnäbige  Srau,  je^t  l^ommen  fie."  -  „Wer?"  - 
„Die  5pit5buben !'*  -  leb  höre  es  auch;  nun,  fo 
wollen  wir  unfer  Ceben  teuer  verkaufen,  einen 
braunen  Reifemantel  (bem  ähnlich  am  Rhein), 
worin  man  micb  für  einen  f^naben  hält,  eine  eben» 
folcbe  (Dü^ie  fetse  icb  auf.  Ich  ftelle  micb  auf  ben 
Chauffeeftein,  um  recht  grofe  3U  fcbeinen,  brapiere 
micb  im  (Dantel;  bie  grofeen  Pel3hanbfcbuh 
machen  mir  eine  grofee  5auft,  in  bie  nehme  icb 
bie  leere  (Dabeiraflafcbe  als  piftole.  -  „Wie  feb 
ich  aus?"  -  „Recht  fraiferlicb,"  fagt  bie  Jungfer. 
„Jetit  feben  Sie  mal,  was  ber  Gaul  macht."  - 
„€r  fcbwi^t."  -  „Decken  Sie  ihn  recht  3U,  ftopfen 
Sie  ihm  bas  Seberbett  unter  ben  Bauch  ein.  Hun 
fet3en  Sie  ficb  in  ben  Wagen;  ich  will  Sie  ver« 
teibigen."  -  Die  f^ammerjungfer  hatte  kein  gut 
3utrauen;  fie  fagte  nur:  „Reh,  wären  wir  bei  ben 
Spit3buben  in  G... häufen  geblieben,  bie  hätten 


252 


bocb  vielleicbt  nur  unfer  Gelö  genommen,  unö 
hier  werben  wir  unfer  Ceben  laffen  muffen."  - 
Die  Jungfer  im  Wagen,  ich  auf  öem  Cbauffeeftein 
borten  öen  Cärm  immer  näber  hommen ;  es  waren 
beinah  3ebn  (Dinuten  vergangen;  wir  konnten 
nicht  unterf cbeiben ,  was  es  war.  -  Bber  wobl 
öer  tote  Gaul,  benn  er  fprang  plöt5licb  3U  meinem 
viel  größeren  Scbrechen,  als  wenn  eine  ganse 
6pitibubenbanöe  auf  mich  eingedrungen  war 
(öenn  auf  bie  war  ich  gefafet),  in  öie  f5öbe,  warf 
feöerbett  unö  f^opfl^iffen  in  ben  Graben  unö 
fprang  hinüber,  gan3  langfam  unb  frieöUcb  öie 
Kleinen  Gräfer  unter  öem  ftarken  Reif  hervor* 
fuchenb.  -  Cr  hatte  gemerht,  bafe  biefer  Cärm 
bie  öcbnellpoft  fei,  unb  ba^  er  ihr  im  Weg  ge^» 
legen  haben  würbe,  was  von  einem  poftgaul 
poftwibrig  fein  würbe,  ba  er  wohl  weife,  wenn 
er  in  ihr  eingefpannt  ift,  bafe  er  ficb  nicht  im 
Graben  legen  barf.  -  Die  öcbnellpoft  l^am  auch 
halb  angefahren  unb  hielt  wiber  alle  Gewohnheit 
vor  Crftaunen  über  biefe  troftlofe  €quipagenf3ene 
fo  lang  ftill,  bis  ich  von  meinem  prellftein  herab 
mit  ber  Bouteille  in  ber  bepel3ten  ßanb  bas 
Rbenteuer  berichtet  hatte,  worauf  fie  mit  Cile 
abfuhr,  eine  6tunbe  barauf  ben  Pofthnecbt  über= 
holt  hatte  unb  mir  pferbe  fchichte. 

Der  Poftmeifter  n..l.r,  bem  bie  Gefchichte 
berichtet  würbe,  banMe  mir,  "öa^  ich  ihm  ben 
Gaul  mit  meinem  Reifewein  gerettet  hatte,  frau 
von  n..l.r  frug  mich,  was  ich  mit  bem  grün- 
f eibnen  f  eberbette  angefangen  habe  ?  -  leb  fagte, 
ich  fcblafe  täglich  einen  gefunben  Sdjlaf  brunter. 


253 


Im  Rnfang  rocb  fie  ein  bifecben  nacb  pferbefcbweife, 
ba  träumte  ich  nacbts  febr  angenehm,  als  fei  icb 
ein  Braber  mit  meinem  eölen  pferb  in  ber  Wüfte, 
bas  micb  glüchlicb  burcb  alle  Gefahren  bringt, 
bas  micb  liebt  unb  versteht;  aber  feit  bie  Deche 
nicbt  mehr  riecht  nach  bem  Poftgaul,  ba  hab  icb 
niemanb  mehr,  ber  mich  verfteht.  -  „Ol  leb  ver= 
fteh  Sie,  Sie  finb  ein  Oenie,  Sie  hönnen  alles 
vertragen." 


mm       ßjia       m^: 


D 


ie  Wunbernacbt    o 

I         »         Ol         K        iQl         M         Qc 


Wir  waren  am  nachmittag  3um  weiten  Spa3ier» 
gang  fortgewanbert  unb  wufeten  wobl 
nicbt  genau  bie  3eit,  bie  fpäter  war,  als  wir 
glaubten,  unb  weil  überall  ber  pfab  an  etwas 
neugierigem  ficb  binsog,  balb  ein  braufenb  I3äcb= 
lein  3wifcben  f^lippen,  balb  fonnenbelles  Grün 
unb  ßügel  unb  Gemäuer  unb  bann  ein  Walb  mit 
mäcbtigen  f^ronen,  ba  kamen  nocb  Scharen  von 
Vögeln  über  uns  bingesogen,  benen  wir  nach* 
faben.  Da  war's  balb  gar  aus;  wir  wufeten 
nicht,  wo  wir  hergekommen  waren,  unb  wo  wir 
bin  wollten.  Gern  wären  wir  wieber  umgewenbet, 
wenn  wir  nur  ahnen  konnten,  wo  ber  ßeimweg 
war.  Wir  machten  einanber  (Dut,  burch  ben 
Walb  auf  einem  breitern  Weg,  ber  quer  lief,  her» 
3uwanbern;  weil  frifche  Spuren  ^a  waren,  fo 
mufete  er  bort  3U  COenfchen  führen,  noch  hielten 
wir  ben  Winb,  bie  allmählich  finkenbe  ßelle  für 
vorüber3iehenbe  Wolken,  aber  es  war  ber  Rbenb= 
winb,  ber  bas  Caub  vor  uns  herwehte.  Wir 
jagten  es  einanber  nicht,  aber  merkten  es  halb, 
Schritten  immer  fort  unb  faben  halb  3wifchen  ben 
hohen  Wipfeln  burch  ben  roten  ßimmel  glän3en, 
unb  wie  ber  fich  ver3og  in  ein  bämmernbes 
Golb,  aber  ohne  Scbein ,  unb  enblich  ein  Blau; 
fcbweigenbe  Sternchen  gli^erten,  unb  ber  pfab 


255 


lief  immerfort  im  Walb,  unb  öie  Sterne  faben 
bocb  berab,  unö  l^eins  wagte  öie  Stille  3u  unter» 
brecben;  fcbweigenö,  ein  I^ritt  nacb  öem  anöern 
rafcbelte  öurcbs  Caub.  -  „Beb,"  fagt  icb,  „lafe 
uns  einen  Rugenblich  ausruben,  Du  wirft  feben, 
bann  wirö  ber  Walb  auf  einmal  ficb  auftun." 
„Rcb,"  fagte  bie  Zonx  leife,  „was  wirb  bas 
werben,  wo  kommen  wir  bin  ?"  -  Statt  3U  klagen, 
mufete  icb  laut  lacben.  -  „Um  Gotteswillen,  wie 
hannft  Du  fo  fcbaurig  lacben,  fcbweig  ftill,  es 
können  Ceute  in  ber  Höbe  fein,  bie  uns  boren." 
Icb  meint  aber,  wenn  wir  fo  facbt  rebeten  unb 
wanberten,  bas  könnt  nocb  viel  geföbrlicber  fein, 
unb  bie  Toni  liefe  ficb  Überreben,  bafe  icb  ein 
Cieb  fang.  -  Das  fcballte!  -  Das  macbte  micb 
fo  glücklieb,  unb  ber  fcbweigenbe  Walb,  —  unb 
bann  icb  wieber  unb  bann  er  wieber.  Die  Toni 
batte  ficb  auf  bem  pfab  fo  gefegt,  um  bie  Ricbtung 
nicbt  3U  verlieren,  ber  wir  fcbon  bie  gan3e  3eit 
gefolgt  waren,  icb  aber  lag  rückwärts  unb  fab  in 
bie  ßöb ;  auf  einmal  entbeckte  icb,  ba^s  ber  Walb 
links  licbter  warb  unb  t>a^  ber  ßimmel  gan3  frei 
war.  Icb  fagte:  „Dort  muffen  wir  bin,  ^a  finb 
wir  gleicb  aus  bem  Walb."  „Um  Gottes  willen, 
verlafe  ben  pfab  nicbt,  benn  fo  im  Dickicbt  berum* 
3uftolpern  in  ber  Hacbt,  Z>q  können  wir  in  Gruben 
fallen;  lafe  uns  rubig  auf  bem  Weg  fortgeben." 
Icb  war  aber  fcbon  vorwärts  gefcbritten  unb 
ftolperte  wirklieb  unb  raffte  micb  auf  unb  fiel 
wieber  unb  kletterte  über  Stock  unb  Stein,  unb 
bie  Toni  rief  von  3eit  3u  3eit.  Icb  antwortete, 
unb  ^a  war  icb  plö^licb  im  freien  auf  ber  fööbe, 


256 


b'ie  ficb  abflQcbte  in  eine  weite  ebene,  bie  ich  nicbt 
ermef [en  honnt ;  aber  gan3  in  ber  5erne  fab  icb's 
glän3en.  Ich  rief:  „f5ier  fteb  ich  unb  feb  öen 
Rbein,  Du  mufet  aus  Öem  Walö  beraus,  benn 
auf  bem  Walbpfab  l^annft  Du  nocb  ftunbenlang 
unnü^  fortwanbern."  Wir  kamen  uns  entgegen 
mit  Rufen  burcb  bie  Hacbt;  bocb  rücht  ich  nicht 
weit  berein,  aus  Furcht,  ben  Weg  3U  verlieren. 
€nblich  reichten  wir  einanber  bie  f5anb,  unb  nun 
30g  ich  fie  hinter  mir  her.  €s  ift  ein  bumm  hlein 
Rbenteuercben,  aber  es  machte  mich  bocb  fo  froh, 
fo  aus  bem  finftern  Walb  berausgefunben  3U 
haben.  Da  ftanben  wir  unb  guchten  uns  um  - 
ob  bas  bort  ein  Dorf  ift,  ober  bort,  ob  bas  ein 
Cicht  ift?  -  Wir  fehlten  uns  am  Walbranb  bin 
unb  lugten;  es  liefe  fich  nichts  hören,  l^ein  Vögel» 
eben;  es  war  gewife  fchon  fpöt,  vielleicht  halb 
elf  Uhr,  unb  ^a  brannte  auch  l^ein  Cicht  mehr  in 
ben  Örtern,  brum  konnten  wir  jie  in  ber  ferne 
nicht  feben.  Wir  ruhten  gelaufen  ein  Weilchen, 
unb  t>a  war  es  fo  grofe  um  uns  ber,  unb  bas  tat 
fo  wohl,  unb  bann  warb  es  beller.  Der  (Donb 
mufete  halb  kommen ;  ^a  wufeten  wir,  ^a^  es  um 
elf  Uhr  war.  -  3et5t  fab  bie  Toni  einen  Ort 
für  gan3  gewife,  fie  fab  bas  l^irchbach  beutlich 
glän3en ;  wir  fchlenberten,  rutfchten,  kletterten  unb 
kamen  in  bie  ebene.  Die  Toni  behielt  bas  f^irch- 
bach  im  Bug ;  ich  war  3U  kur3fichtig,  aber  ich  lief 
voran,  benn  einen  Weg  3U  bahnen,  bas  kann  ich 
beffer.  -  „Cinks!  -  rechts!  -"  rief  fie,  unb  fo 
ging's  über  abgemähte  Selber  enblich  an  einen 
Graben  mit  Waffer,  ben  wir  glücklich  überfprangen. 


I 


257 


^ann  über  3äune,  Öann  Wiefen,  bann  Gärten, 
unb  ber  (DonÖ  war  auf,  beleucbtet  einen  breiten 
Weg,  ber  nacb  bem  Ort  führt.  Aber  ein  grofees 
feftes  "Cor  fcbliefet  biefe  verwünfcbte  Stobt,  bie  in 
ihrem  (Donbfcbein  in  Totenftille  verjüngen  liegt, 
"ÖQ^  nicht  ein  ßunb  bellt,  nicht  eine  f^a^  maust. 
Da  ftehen  wir  mit  unfern  Stechen  in  ber  iöanb 
unb  gucken  bas  Zor  an,  bas  war  mir  fchon  fehr 
lächerlich;  ich  fag:  „Ob  ich  verfuch,  hinüber» 
3uhlettern?"  -  Denn  es  war  oben  offen,  aber 
unmöglich,  benn  es  war  fehr  hoch,  von  eichnen 
Bohlen  in  ein  paar  glatte,  biche  pfähle  bie  Rngeln 
eingefügt.  „Da  feh  mal,"  fagt  bie  ^onie,  y,t>a  ift 
3wifchen  bem  pfähl  unb  ber  Stabtmauer  ein 
Ri^  -  hanbbreit."  -  „Wenn  ich  bie  Oberh?leiber 
abwerf  unb  ^en  Rtem  anhält,  fo  hann  ich  burch," 
unb  nun  gefchwinb  alles,  was  mich  hinberte,  an 
bie  Crb  geworfen,  unb  burch  war  ich.  Da  fetjte 
ich  mich  aber  erft  auf  ^en  Cchftein  am  "Cor  unb 
lachte,  unb  bas  fchallte  bie  Strafe  hinab  unb  fanb 
ein  €cho  unb  fchallte  wieber  herauf.  -  „Reh,  ich 
bitte  bich,  lach  nicht,  öu  wechft  alle  Ceute  auf, 
unb  bie  können  uns  wer  weife  was  tun,"  flehte 
fie  burch  ben  Rit5.  -  Ich  nahm  mich  3ufammen, 
befichtigte  bas  Tor,  fanb,  "öa^  es  mit  3wei  ftarken 
eifernen  Riegeln  3ugebummft  war,  nahm  einen 
Stein  unb  klopfte  bie  Riegel  3urück.  „(Dach  keinen 
Cärm,  poltere  nicht  fo,"  -  aber  bas  half  nicht,  ich 
war  im  heifeen  €ifer,  bas  Zox  mufete  weichen. 
Ruf  einmal  gingen  beibe  f  lügel  auseinanber,  unb 
ha  ftanb  fie  vor  mir  unb  hielt  ihren  Cinsug.  Je^t 
wanberten  wir  fchweigenb  burch  bie  Strafeen  unb 
Sriticb-Strobl.  17 


258 


musterten  bie  ßäufer;  wir  klopften  an  ben  Oren, 
an  öen  Caben,  hein  Caut  gab  Rntwort,  enblicb 
öffnete  jicb  ein  Giebelfenftercben.  Gin  (Dänncben 
gucht  heraus,  mit  einem  brennenben  Rienfpan  in 
bie  Cuft  leucbtenb,  bei  beffen  S^lamme  wir  ein  be- 
bartetes  f^inn  entbechen  unb  alfo  auf  ein  un= 
getauftes  (Ditglieb  ber  (Denfcbbeit  fcbliefeen, 
welcbes  feine  Stimme  aucb  nicht  leugnet.  „Wir 
jinb  Rurgäfte  aus  öchlangenbab,  bie  fich  verirrt 
haben,  unb  hätten  gern  einen  Führer."  -  Cr  be= 
beutet,  ^a^  gegenüber  ber  Torwächter  wohnt. 
Wir  hlopfen  an,  -  eine  Weile  bauert  es,  auf 
einmal  tut  jich  ein  Coch  am  Boben  auf,  unb  unter 
ber  erbe  hommt  herauf  ein  in  braunen  Pel3  ein* 
gehüllter  Riefe  mit  einem  Baum  in  ber  ßanb;  ein 
6toch  war's  nicht,  ba3u  war's  3U  grofe.  Cr  fe^t 
fich  in  Zrab  unb  treibt  uns  vor  fich  her  3um  Tor 
hinaus,  immer  3U,  ben  pfab  am  Berg  hinauf,  - 
halb  aber  fagte  mir  bie  "Conie  ins  Ohr:  „Wenn 
ber  gewaltige  (Dann  bahinten  uns  mit  feinem 
f^olben  einen  Schlag  gäbe,  es  ift  mir  recht  bang."  - 
nun,  wir  laffen  ben  (Dann  vor  uns  gehen,  t>Q 
fehen  wir  boch,  wenn  er  uns  was  tun  will.  60 
marfchierte  benn  ber  Goliath  vor  uns  her;  ach, 
wie  raufchten  bie  Birken  neben  uns  her  unb 
malten  ihren  Schatten  uns  unter  bie  §üfee,  wie 
quoll  bas  Dunhel  aus  bem  Walb  bem  (Donblicht 
entgegen,  unb  bie  kleinen  Wäffer  raufchten  von 
ben  Bergen  nieber  unb  wallten  3wifchen  Weiben 
fort.  Unb  an  manchem  fchlafenben  Dorf  ging's 
vorüber,  unb  bann  auf  ber  ßöh;  noch  einmal 
mufet  ich  mich  noch  umfehen  nach  bem   Silber* 


259 


ftreifen  bes  Rheins  im  (Donbglan3,  unb  Berge 
in  ber  5erne  fanden  unb  ftiegen,  aber  am  meijten 
war  bocb  bas  Regen  in  ber  Cuft,  was  umber- 
fcbwirrte  unb  flüfterte  in  ben  3weigen,  unb  Hräume, 
hinbifcbe,  bie  mir  bas  föers  beben  machten,  unb 
bunkle  Bilber,  bie  aus  bem  Walb  nebenan  bervor= 
■traten.  Das  hielt  mir  bie  Seele  wach,  unb  boch 
war's,  als  fchlummre  ich  forglos  unb  wanble  nur 
im  Traum,  unb  bie  ßimmelsfterne  erblafeten  alU 
mählich  -  unb  bie  ein3elnen  ßütten  im  Za\  waren 
noch  unbewußt  bes  tags,  ber  fich  ahnen  liefe, 
ober  bie  Wachteln  fchlugen  im  Selb  unb  t^ünbeten 
ihn  an;  ba  fahen  wir  öchlangenbab.  Wer  war 
froher  wie  wir,  ich  aber  über  alles;  mich  freut 
bie  herrliche  Hacht.  Die  Schatten  am  Weg,  bie 
unfern  beleuchteten  Weg  ftill  umjtanben,  unb  ber 
Bbfchieb  ber  Hacht,  wie  fie  noch  einmal  bie  Wipfel 
Schüttelte,  bas  alles  ift  mir  lieb ;  es  i jt  ein  Gejchenk 
von  ben  Göttern,  wie  fo  manche  anbre  Stunben, 
wo's  war,  als  wollten  fie  mich  befchenl^en  mit 
füfeem,  fchwärmerifchem  Gefühl  von  innerlicher 
f^raft  bes  Cntsüchens.  -  Das  war's,  was  ich  Dir 
er3ählen  wollt  unb  was  viel  fchöner  ift  wie  alles 
Denken  unb  Urteilen:  fich  bem  Ceben  ber  Hatur 
nahen  unb  ftill  unb  ftumm  ihre  Vorbereitungen 
mit  anfehen  unb  wie  fie  weiht  unb  reinigt  in 
feierlicher  nachtftille. 


17 


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QiBaa 


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aritäten      o     o     o     o     o 

D  K7A  DDG  EJA  DDG  K/A  DDG 


ebel  \\\  ein  naturforjcbenber  (Diftfinl^e ;  aber 
Deine  Grofemama  gebt  gan3  Öarüber  hinweg, 
bafe  er  immer  ein  fcbmu^iges  ßemb  an  bat  unö 
fcbvvarse  Hagel,  unb  tat  folgenden  merh?würbigen 
Busfprucb:  „(Dein  f^inb!  -  Die  Reinlicbl^eit  ift 
3war  bie  ebelfte  Tugenb  unb  ift  ver^cbwiftert  mit 
ber  fittlicben  Reinbeit.  Selbft  ein  lafterbafter 
(Denfcb  erbebt  ficb  aus  feinem  6ünbenpfubl,  wenn 
er  ficb  wäfcbt  unb  ein  reines  föemb  anlegt,  bie 
Würbe  bes  (DenfdDen  füblt  ficb  baburcb  neu  be= 
lebt.  -  Aber  -"  fagte  fie  unb  bielt  ein,  benn 
ber  (Diftfinhe,  ber  einen  Bugenblich  abwefenb 
gewefen  war,  trat  berein  unb  brachte  ber  Örofe* 
mama  allerlei  Bbfall  von  ber  Hatur,  ben  fie 
follte  in  ihr  Haturalienhabinett  aufnehmen.  Unter 
anbern  ein  Stück  Ceinwanb  von  flsbeft,  was  un* 
verbrennlicb  fei.  —  (Doofe,  welche  auf  ber  böchften 
5pit3e  ber  Spi^berge  wachfen,  unb  purpurrot!  — 
5t.  pierre  unb  Büffon  würbe  geholt,  um  über 
öchnechen  unb  (Dufcbelfamen,  wovon  €bel  eine 
gan3e  Bonbonbüte  voll  mitgebracht  hatte,  3U  be* 
fragen;  fie  blieben  bie  Bntwort  fchulbig!  -  €bel 
er3äblte  alfo,  "i^oS^  biefer  aus  bem  Grunb  bes 
5cbwar3en  (Deeres  ihm  von  einem  Jreunb  3ur 
Unterfuchung  mit  vielen  (Düben  unb  Unhoften 
gefenbete  (Dufcbelfamen   bie  wunberbarften  €r* 


264 


fcbeinungen  enthalte;  mit  einem  Vergröfeerungs* 
glas  betrachtet  weröe  man  öie  ausgebilöetften 
formen  Irinnen  finben,  bie  fo  hlein  feien,  bafe 
man  fie  für  SanbUörncben  halte.  -  Die  6rofe= 
mama  war  begeistert  für  biefe  (Derhwürbigkeits^ 
trechelchen,  aus  benen  bie  Welt  3ufammengebachen 
ift,  unb  bie  €bel  mit  Cebensgefahr  unter  einer 
Tauchergloche  von  einem  hühnen  Taucher  wollte 
erhalten  haben,  ein  paketchen  braus  gemacht  unb 
mit  Hoten  vergehen  in  ein  f^äftchen  gepocht,  worin 
noch  anbre  Seltenheiten  ber  Rrt  liegen.  -  Das 
war  nun,  was  er  in  ber  rechten  Rochtafche  mit= 
gebracht  hatte.  Hun  griff  er  in  bie  linke  Roch* 
tafche.  Das  erfte  pächchen  enthielt  ein  Stüch 
Spinnweb  von  ber  Riefenfpinne  -  er  konnte  es 
orbentlich  auseinanberfalten ,  ohne  es  3U  3er* 
reifeen,  es  fiel  babei  fehr  viel  Staub  heraus.  Die 
Grofemama  hätte  bies  Chemifett  ber  Arachne 
gewife  gern  unter  ihren  taufenb  Wunbern  ber 
Welt  befeffen,  allein  Cbel  wickelte  es  jorgfältig 
wieber  ein  unb  fteckte  es  in  bie  Weftentafche !  - 
leb  glaub,  er  hat's  irgenb  im  Winkel  auf  bem 
Boben  entbeckt  unb  hat  ihm  bie  Reife  aus  Inbien 
erfpart!  -  Dafür  entfchäbigte  er  fie  mit  einem 
Stück  Brot  von  ber  Brotbaumfrucbt  in  Otaiti.  — 
Dies  war  eine  grofee  Galanterie,  benn  bekannt* 
lieh  ift  ihr  Ciebling  unter  allen  ihren  Werken 
biefer  Roman,  ber  auf  Otaiti  vorgeht;  fie  war 
alfo  burch  bies  Brot  fo  ent3ückt,  ^0^5  ihr  bie 
Tränen  herabrannen!  -  „O  f^inber,"  fagte  fie, 
„wieviel  Schönes  harret  noch  eurer,  wenn  ihr 
euer   Intereffe   an   ber   Hatur  aushübet,   glaubt 


ea 


265 


mir,  nicht  allein  bas,  W03U  bie  Hatur  etwas  ge= 
fcbaffen  3U  haben  fcbeint,  hängt  mit  öiefem  €twas 
3ufammen  unö  ift  barauf  angewiesen.  Hein,  es 
führt  alles  eine  Sprache  mit  öem  Ceift.  Diefer 
aber  ift  wie  ein  Rinö ;  öie  grofee  Rebnerin  Hatur 
Spricht  nur  liebhofenöe  Worte  3U  ihm,  ja  jie  ahmt 
fein  Callen  nach,  nur  um  ihm  fich  verftänblich  3U 
machen.  Bber  es  mufe  einftens  öahin  kommen, 
bafe  fie  bie  höchfte  Begeiftrung  3U  ihm  ausjpreche, 
unb  bafe  er  ihr  Rntwort  darauf  geben  hönne." 
„Ja,"  fagt  ich,  „liebe  Grofemama.  Wenn  bie  Hatur 
erft  mit  bem  (Denfchen  fpricht  wie  ODirabeau  3U 
ber  Hation,  bann  werben  lauter  freiheitshelben 
geboren  werben!  -  €bel!  -  Nreu3igt  fich  immer 
vor  mir,  er  ijt  mehr  noch  als  ßafe!  -  Jebe  Ibee, 
bie  ich  ausfpreche,  beucht  ihm  ein  piftolenfcbufe ; 
bas  Geringste,  was  ich  fage,  hält  er  für  eine  Crbfe, 
bie  ich  ihm  mit  einem  Blaferohr  in  bie  Perüche 
3iele.  —  Cs  hommt  ihm  immer  vor,  als  erfchüttre 
ich  bas  Weltall  mit  meinen  Behauptungen.  -  6r 
laufcbt  manchmal,  ob  er's  nicht  brachen  hört.  - 
Cr  gucht  nach  bem  Wetter  unb  behauptet,  bie 
Wolhen,  bie  l>a  herankommen,  feien  gewitterhaft 
von  meiner  elehtrifchen  Hatur  3ufammenge3ogen, 
unb  er  mag  burchaus  nicht  in  meiner  Höhe  ver- 
weilen bei  fchwüler  Cuft;  er  fürchtet  für  fein 
gefchätstes  Dafein,  bas  Gewitter  hönne  in  ihn 
einfchlagen  unb  feine  Seele  ungewafchen  unb  un= 
gehämmt  vor  ben  Richterftuhl  Gottes  bringen !  - 
Der  ßer3og  von  Gotha  war  babei,  als  er  bies 
einmal  fagte,  unb  hatie  feine  Verwunbrung  über 
ben  gelehrten  Haturforf eher ;  er  fragte  ihn,  ob  er 


266 


öenn  an  ein  let5fes  Geriebt  glaube,  ob  er  an  bie 
ßöUe  glaube?  -  Da  kam  es  heraus,  öafe  er  an 
noch  mehr  glaubt,  nämlicb  an  einen  großen  RMen= 
fcbranh,  worin  alle  Cebenspro3effe  aller  (Denfcben 
örinnen  in  böcbjter  Orönung  aufgestapelt  finb. 
Diefer  Rhtenfcbranh  ift  jebr  leicbt  beweglich,  auf 
einen  Winh  fliegt  er  auf  unb  präfentiert  grabe 
bie  Rkten,  bie  3um  Pro3efe  bes  Cebensverflofenen 
bie  nötigen,  Überweifenben  finb,  benn  hein  (Denfch 
wirb  verurteilt,  er  werbe  benn  von  ber  Gerechtig* 
heit  bes  Richterfpruchs  überseugt,  -  bamit  er 
fich  bie  ßöllenpein  nicht  burch  ben  Crojt  erleichtere, 
er  fei  ungerecht  verbammt,  -  benn  Gott  hann 
nicht  ungerecht  fein,"  fetst  ebel  hin3U.  „O  f5irn= 
gefpinft,  o  Scheufal,  o  Gefpenft,  o  Cmpufa,"  fagte 
ber  ßer3og,  unb  feitbem  trägt  Cbel  ben  Hamen 
„Cmpufa".  Cr  wirb  auch  nicht  mehr  masl^uliniert, 
fonbern  mufe  weiblich  paffieren,  was  ihn  ärgert, 
mich  aber  auch.  Genug  von  ber  Cmpufa;  als  fie 
geflohen  war,  fo  wollte  bie  Grofemama  bas  Wort 
für  ihn  nehmen  unb  meinte,  es  fei  boch  gut  von 
ihm,  biefe  §reube  ihr  3U  machen.  Ich  holte  Cicht 
unb  bat  bie  Grofemama  fo  febr,  fie  möge  boch 
bie  Rsbeftleinwanb  ins  Cicht  halten.  Rber  ach, 
fie  brannte  ab.  -  Bbieu  Ceinwanb!  Rbieu  Cbel, 
Du  bift  l^ein  fcbarmanter  Cbel  mehr!  - 


Dcma 


OOÜ  DOO  O  OOD  DOO 


eonbarbi     o     o     o     o     o    |S][Ü] 


6eftern  am  Sonntag  fuhren  wir  nacb  Öem 
Träges.  -  öcbon  um  fteben  Ubr  waren  bie 
Wagen  vorgefabren ;  alles  was  mitfubr  batte  ficb 
im  Saal  verfammelt,  alles  war  eingestiegen,  unb 
als  alles  eingestiegen  war,  ba  war  hein  piat5 
mebr  für  micb!  -  Da  biefe  es,  ber  Ceonbarbi 
Kommt  gleich  vorgefabren  mit  f  rau  von  Barhbaufen, 
mit  benen  fährt  bie  Bettina.  —  Der  Ceonharbi 
kam  erft  gegen  sehn  Ubr !  -  Reine  §rau  von  Bark« 
häufen  mit!  (Dan  war  unficber,  ob  ich  allein  mit 
ihm  über  felb  fahren  könne;  unterbeffen  ftieg  icb 
ein  unb  fagte:  „Sabr  3U,  f^utfcber!"  unb  halb  war 
icb  mit  meinem  Ceonharbi  in  bie  Sommerlichen 
Selber  entflohen.  -  Je^t  lafe  Dir  er3äblen  unb 
glaub  es  nicht;  bas  kann  mich  nur  überseugen, 
^a^  es  Dir  3U  toll  vorkommt.  Cr  klappte  einen 
Z\\db  auf,  barauf  legte  er  einen  Folianten,  ben  er 
mitgenommen  hatte;  einen  Rrug  Geilsbeimer 
Waffer,  ben  er  mit  einer  Schlinge  ans  §enfter 
befeftigte,  pla3ierte  er  auch  barauf,  -  unb  nun 
legte  er  fich  mit  beiben  €llbogen  auf  feinen  Ufch 
unb  fing  an,  in  ber  Chronik  3U  ftubieren  unb 
€x3erpte  3U  machen.  -  Hachbem  ich  eine  Weile 
eine  grofee  War3e  unb  eine  kleinere  War3e  auf 
feinem  Backen  betrachtet  hatte,  fo  fing  ich  an  3U 
pfeifen.  —  Das  war  ihm  verbriefelich ;  er  bat  micb, 


268 


ytille  3U  fein,  benn  er  habe  öa  was  febr  €rn|te3 
vor  unö  ficb  es  3um  6efet3  gemacbt,  nie  3eii  3U 
verlieren!  -  leb  fcbwieg  recbt  gern,  aber  icb  fang 
in   Öebanhen   unö   vergafe   bas   öcbweigen   unb 
fang  wieöer  laut.  -  Das  ftörte  ibn  febr;  er  macbte 
mir  Vorwürfe,  öafe  icb  keinen  Rugenblich  Rübe 
baben  hönne!  -  Rls  wir  an  einer  Scbenhe  bielten, 
um  öie  Pferde  3U  füttern,  fet3te  icb  micb  auf  ben 
Bock   unb   liefe   ben  Ceonbarbi   mit  feiner  alten 
Cbronih  im  Wagen!  -  Hur  einmal  liefe  icb  balten, 
weil   eine  wunberfcböne  Blume  am  Weg  ftanb, 
bie  wollt  icb  pflüchen;  ba  macbte  ber  Ceonbarbi 
einen  fürcbterlicben  Cärm,  icb  batte  aber  meine 
Blume.  O  blübte  fie  bocb  ewig!  -  €s  ift  mir  lieb, 
^Q^  bis  jet5t  mir  nocb  niemanb  gefagt  bat,  wer 
fie  ift,  benn  bann  fet3t  man  gewöbnlicb  aucb  bin3u, 
fie  ift  gan3  gewöbnlicb  unb  wäcbft  ^a  unb  ba  febr 
bäufig!  -  Dun  lafe  Dir  nur  er3äblen,  wie  fcbrech?* 
lieb  bös  icb  ben  Ceonbarbi  gemacbt  bab.  Icb  wollte 
nämlicb  ein  bifecben  fabren,  unb  icb  l^ann  es  aucb 
recbt  gut;  ba  bat  mir  ber  f^utfcber  bie  3ügel  ge* 
geben.    Der  Ceonbarbi,  ber  alle  Rugenblich  aus 
feiner  Cbronik  berausgucht,  fiebt  bas,  ruft,  icb 
foll's  fein  laffen,  bie  pferbe  fcbeuen  leicbt.    Der 
l^utfcber  fagt,  icb  hönnte  getroft  fabren;   -  icb 
fcbnal3te  mit  ber  3unge  unb  werfe  ben  pferben 
bie  3ügel  ein  bifecben  auf  ben  ßals.   Sie  werben 
fcbarmant   mutig,   unb   es   gebt   nocb  einmal  fo 
rafcb!  -  Der  Ceonbarbi  hriegt  Rngft,  fcbrechlicb, 
bie    pferbe    feien    ausgeriffen,    ftecht    eilig    ben 
Ropf  burcbs  offne  fenfter,   wirft  ben  l^rug  um. 
Der  pfropfen  gebt  beraus,  unb  bas  Geilsbeimer 


269 


Waffer  fUefet  über  b'xe  Cbronil^.  -  Cs  mufete  ge^ 
wifcbt  unb  getupft  weröen  öen  gan3en  Weg!  - 
Bber  je^t  hommt  was  febr  Cäcberlicbes.  €r  bolte 
einen  gansen  pach  alter  3eitungen  aus  öer  ZTafcbe, 
„obne  öie  er  nie  reift,"  fagte  er,  -  unb  nun  würben 
bie  naffen  ötellen  bepflaftert.  Das  ging  fo  fort, 
bis  wir  in  öen  Walb  l^amen,  wo  Öer  Weg  3u 
fcblecbt  ift,  um  3U  lefen  oöer  3U  pflaftern.  -  Wir 
harnen  an,  wie  eben  bie  Rrebfe  auf  ben  Ofcb 
getragen  würben,  -  ungebeuer  grofee  l^erle  aus 
bem  öolbweiber.  Der  Ceonbarbi  3anhte  nocb 
nacbträglicb  auf  micb,  ^a^  icb  allein  am  fpäten 
frommen  fcbulb  fei.  -  leb  bätte  alle  Bugenblich 
eine  Blume  abbrecben  wollen,  icb  bätte  bas  6e* 
fcbirr  an  ben  pferben  in  Unorbnung  gebracbt, 
icb  bätte  bie  pferbe  wilb  gemacbt.  -  Cs  waren 
mebrere  f5ahennafen  aus  öavignys  f amilie  ^a.  — 
€s  war  ein  3iemlicb  beifeer  Hacbmittag,  mit  ver* 
brannten  Hafen  hamen  wir  vom  f5abnenhamm 
3urüch.  Savignv  war  über  bie  (Dafeen  freunbUcb 
unb  fcblofe  alle  Scbleufen  feines  parabiefes  auf 
unb  fcbien  bennocb  fo  einfam  unter  uns  allen,  als 
wären  wir  wie  eine  ßorbe  Räuber  bei  ibm  ein* 
gefallen.  Die  3eit  kam  3um  Bufbrucb;  auf  ber 
ßeimfabrt  war  icb  nicbt  in  Ceonbarbis  f^utfcben^ 
verliefe  eingefperrt;  er  batte  bagegen  appelliert. 

D  DD 


er  GDann  mit  ber  ?lug=    , 
majcbine      o     o     o     o 

o  =o! 


es  ift  vor  ein  paar  Zagen  ein  (Dann  hier  burcb= 
gel^ommen  mit  einer  f  lugmafcbine.  €r  wollte 
yicb  bamit  jeben  laffen,  aber  Ceonbaröi,  ber  nocb 
3wei  ötablbäber  3U  nebmen  bat,  wovon  er  gan3 
ftablblau  wirb,  wollte  burcbaus  nicht,  bafe  ber 
(Dann  fliegen  folle;  ber  (Dann  wollte  uns  auf 
ber  üerrajfe  ein  flugftüchcben  machen,  für  einen 
t:aler  wollt  er's  tun.  Ceonbarbi  jagte:  „Der 
(Denfcb  fällt  gewife  unb  bricht  ßals  unb  Bein; 
bann  haben  wir  bie  ßeilhoften,  ben  DoMor,  ben 
Rpotbeher,  ben  Chirurg,  ben  Rufwärter,  bas  Cffen, 
bie  Hachtwache,  bie  Wartfrau  unb  3ulet3t  vielleicht 
gar  bie  13egräbnish?often  famt  Pfarrer  unb  Rüfter 
auf  bem  ßals;  3U  fo  wenig  ßabegäften,  als  wir 
noch  finb,  l^ann  fich  bas  jehr  hoch  belaufen." 
Alles  war  von  Ceonbarbis  Weltweisbeit  ein» 
genommen,  ber  noch  vorbrachte,  er  fäh  es  bem 
f^erl  an,  ber  fei  exprefe  gekommen,  ein  Unglüd^ 
an3urichten.  Vom  (Danne  hatte  ich  erfahren,  ^afs 
er  heine  brei  Ba^en  habe,  benn  er  hatte  auch 
fchon  gestern  heine  mehr  gehabt  unb  fich  burch^ 
betteln  muffen.  Ceonbarbi  behauptete,  bes  (Dannes 
Rügen  feien  auf  feine  Tafche  gerichtet  gewefen, 
er  fei  ein  Dieb.  -  Ich  brachte  bie  Hachricht,  ber 
(Dann  wolle  mit  Gewalt  fliegen.  „Da  feht  ihr," 
fagte  Ceonbarbi,  „er  will  uns  einen  Streich  fpielen." 


271 


leb  würbe  alfo  wieder  3U  bem  (Dann  gefcbicht, 
ob  er  nicbt  gutwillig  geben  weröe,  wenn  man  ibm 
ein  Douceur  gebe.   leb  bracbte  bie  Hacbricbt,  ber 
(Dann  wolle  abjolut  fliegen  unö  labe  bie  GefelU 
fcbaft  bei   (Donbfcbein  auf  bie  ^erraffe.    „Beb," 
fagte  Ceonbarbi,  „in  bem  (Denfcben  fi^t  bie  Ver= 
3weiflung;  bas  ift  eine  bumme  Gefcbicbte  in  ber 
einfamen  ßegenb,  wo  keine  orbentUebe  Poli3ei 
ift.  —  „Dem  (Dann  verbieten  3U  fliegen,  babe  er 
keinen  Befebl,  meint  ber  poli3eimann,  fagt  ber 
Babepeter,"  er3äblte  icb.   -   Der  gute,  invalibe 
Poli3eifolbat  mufete  kommen;  ber  fagte:  „Caffen 
6ie  ibn,  ber  wirb  niebt  weit  fliegen.   Der  ift  aueb 
Invalibe;    es   kann   niebt   jeber   nacbtwäcbter   in 
Seblangenbab  fein,  um  fein  Brot  3U  verbienen."  - 
Da  baben  wir's!  -  €in  3erfebofener  Rerl  will  ^a 
noeb  ungeheure  l^unftftücke  maeben!  -  Rlles  war 
aufgeregt,  jeber  laebte  barüber,  aber  man  wollte 
ibn  lo5  fein.  -  „(Dit  3ebn  Gulben  gebt  er  ab," 
rief  icb.   Die  3ebn  Gulben  waren  gleicb  beifammen 
unb  noeb  mehr,  jeber  fteuerte  unge3äblt  bei.  - 
leb  lief  mit  bem  Gelb  3um  (Dann,  ber  gar  niebts 
bavon  wufete,  aueb  fo  viel  Gelb  feit  lange  nicbt 
gefeben  batte.    Icb  konnte  ibm  fcbwer  begreiflieb 
maeben,  ha^  es  fein  gebore,  wenn  er  niebt  fliegen 
wolle.    Dies  let3te  begriff  er  vollenbs  gar  nicbt, 
benn  er  liefe  fieb  burd^aus  niebt  vom  fliegen  ab= 
halten;  was  er  vorher  eigentlich  nicbt  im  Sinne 
hatte,  es  mufete  jetst  gefcheben!    Ich  lief  auf  bie 
^erraffe  unb  rief:    „Der  (Dann   kommt,  er  will 
boch   mit   aller   Gewalt   fliegen!"    -   Cin  grofeer 
Spektakel  war  ba  los,  ber  (Dann  30g  aus  einem 


272 


Papphaften  3wei  öcbläucbe,  blies  Cuft  hinein ;  es 
wuröen  3wei  pferöcben  braus,  ein  weifees  unö 
eirr  f  cbwarses,  \o  grofe  wie  Winbbunöe,  angefpannt 
an  einen  Cuftballon,  in  Öem  öer  Rmor  fafe.  Das 
ging  in  öie  f5öbe  an  einem  langen  ßinbfaöen 
unö  fcbwebte  3ebn  5ufe  über  uns.  Cr  hielt  babei 
eine  Rebe  über  bas  fchwar3e  unb  weifee  pferb 
am  Ciebeswagen.  Voigt  fagt,  biefe  Rebe  fei  aus 
bem  piato.  Bis  ber  pbaeton  vom  Rbenbwinb 
eine  Weile  herumgetrieben  war,  wickelte  ber  (Dann 
ben  Binbfaben  wieber  auf,  entliefe  bie  Cuft  aus 
ben  Gäulen  unb  nahm  mit  taufenb  Danhfagungen 
Bbfcbieb.  -  Wir  alle  waren  fehr  luftig  über  bie 
Gefcbicbte  unb  gönnten  es  bem  guten  (Dann,  ber 
burcb  feine  Gutmütigheit  ben  heften  Einbruch  ge= 
macht  hatte. 


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Sritfcb.Strobl. 


18 


CDEDCDnD 


D(g)D  uQn  a(g)D 


cbabernack       o     o     o     o 

OO' — w — ^ — '« — "      «      ■' — «      *— 


Wir  führen  f^rieg,  icb  unÖ  bie  ODutter,  unb 
nun  ift's  fo  weit  gehommen,  Öafe  icb  hapi» 
tulieren  mufe;  bie  harte  Bedingung  ift,  bofe  ich 
felbft  Ihnen  alles  erschien  foll,  womit  icb's  ver* 
fcbulöet  habe,  unb  ben  bie  gute  (Dutter  fo  heiter 
unb  launig  ertragen  hat.  Sie  hat  eine  Gefcbicbte 
baraus  3ufammengefponnen ,  bie  fie  mit  taufenb 
piäfier  ersäblt.  Sie  könnte  es  alfo  felbft  viel 
beffer  fcbreiben,  bas  will  fie  nicht;  icb  foU's  3U 
meiner  Strafe  ersählen,  unb  ^a  fühl  ich  mich 
gan3  befchämt. 

Ich  follte  ihr  ^en  Gall  bringen  unb  führte  ihr 
unter  feinem  Hamen  ben  Tiech  3U.  Sie  warf 
gleich  ihre  f^opfbebechung  ab,  fe^te  ficb  unb  ver* 
langte,  Gall  folle  ihren  Schäbel  unterfuchen,  ob 
bie  großen  €igenfchaften  ihres  Sohnes  nicht  burch 
fie  auf  ihn  übergegangen  fein  möchten.  Zxeck 
war  in  grofeer  Verlegenheit,  benn  ich  liefe  ihm 
l^einen  (Doment,  um  ber  ODutter  ^en  Irrtum  3U 
benehmen.  6ie  war  gleich  in  heftigem  Streit  mit 
mir  unb  verlangte,  ich  folle  gan3  ftill  fchweigen 
unb  bem  Call  nicht  auf  bie  Sprünge  helfen;  ba 

18* 


276 


kam  Gall  felbft  unö  nannte  ficb.  Die  ODutter 
vvufete  nicht,  3U  welchem  fie  ficb  bekehren  folle, 
befonbers  öa  ich  ftarh  gegen  Öen  rechten  pro^ 
teftierte.  jeboch  hat  er  endlich  öen  Sieg  bavon^ 
getragen,  inbem  er  ihr  eine  \ebv  fchöne  Rbhanö* 
lung  über  bie  grofeen  €igenfchaften  ihres  f^opfes 
hielt,  unö  ich  hab  Ver3eihung  erhalten  unb  mufete 
verfprechen,  fie  nicht  wieber  3U  betrügen.  €in 
paar  Tage  jpäter  ham  eine  gar  3U  fchöne  6e* 
legenheit,  mich  3U  rächen.  Ich  führte  ihr  einen 
jungen  (Dann  aus  Strafeburg  3U,  ber  l^ur3  vor- 
her bei  Ihnen  gewesen  war;  fie  fragte  höflich 
nach  feinem  Hamen.  Hoch  eh  er  fich  nennen 
konnte,  fagte  ich :  „Der  ßerr  helfet  Schneegans, 
hat  Ihren  ßerrn  Sohn  in  Weimar  befucht  unb 
bringt  Ihr  viele  Grüfee  von  ihm."  Sie  fah  mich 
verächtlich  an  unb  fragte:  „Darf  ich  um  Ihren 
werten  Hamen  bitten?"  Bber  noch  ehe  er  fich 
legitimieren  konnte,  hatte  ich  fchon  wieber  ben 
famöfen  Hamen  Schneegans  ausgefprochen. 
6an3  ergrimmt  über  mein  grobes  Verfahren,  ben 
fremben  löerrn  eine  Schneegans  3U  fchimpfen, 
bat  fie  ihn  um  Ver3eihung,  unb  ba^  mein  (T)ut= 
Wille  keine  6ren3en  habe  unb  manchmal  fogar 
ins  Rlberne  fpiele.  Ich  fagte:  „Der  ßerr  helfet 
aber  boch  Schneegans."  „O  fchweig,"  rief  fie, 
„wo  kann  ein  vernünftiger  (Denfdj  Schneegans 
heifeen!"  Wie  nun  ber  ßerr  enblich  3U  Wort 
kam  unb  bekannte,  ba\s  er  wirklich  bie  fatalität 
habe,  fo  3U  heifeen,  ^a  war  es  febr  ergö^lich, 
bie  Cntfchulbigungen  unb  Beteuerungen  von  ßoch^ 
achtung  gegenfeitig  an3uhören.     Sie  amüfierten 


277 


ficb  vortrefflicb  miteinander,  als  hätten  fie  ficb 
jahrelang  gel^annt,  unÖ  beim  flbfcbieb  fagte  Me 
(Dutter  mit  einem  heroifcben  finlauf:  „Ceben  Sie 
recht  wohl,  ßerr  von  Scbneegans.  ßätte  ich's 
boch  nimmermehr  geglaubt,  Öafe  ich's  über  bie 
3unge  bringen  könne!" 


00 00 00 

Ruf  fcbmaler  ßrücke     o     o 


Or  ,Of ,Of ^U-^ 


Die  Ifar  ift  ein  wunöerlicber  flufe.  pfeilfcbnell 
ftürsen  öie  jungen  Quellen  von  ben  Berg- 
hlippen  berab,  fammeln  ficb  unten  im  felfigen 
Bett  in  einen  reifeenöen  Strom.  Wie  ein  fcbäumen* 
ber  Dracbe  mit  aufgefperrtem  Racben  brauft  er 
büben  unt>  brüben  über  bervorragenbe  Selsftüche 
verfcblingenb  ber;  feine  grauen,  Öunl^len  Wellen 
brecben  ficb  taufenöfacb  am  Geftein,  unö  fcbäumenb 
jagen  fie  binab.  6ie  feuf3en,  fie  lallen,  fie  ftöbnen, 
fie  braufen  gewaltig.  Die  ODöwen  fliegen  3U 
Zlaufenben  über  öen  Wafferftur3  unb  netsen  bie 
Spieen  ibrer  fcbarfen  Flügel;  -  unb  in  fo  l^arger 
Gegenb,  fcbauberbaft  an3ufeben,  ein  fcbmaler  Steg 
von  3wei  Brettern,  eine  Viertelftunbe  lang,  fcbräg 
in  bie  Cänge  bes  fluffes.  -  Hun,  wir  gingen, 
heine  Öefabr  abnenb,  brüber  bin;  bie  Wellen 
brachen  ficb  in  fcbwinbelnber  eile  auf  bem  Webr 
unter  bem  3itternben  Steg.  Rufeer  ba^  bie  Bretter 
mit  meiner  Ceicbtigheit  bin  unb  ber  fcbwanhten 
unb  Rumobrs  fufe  3weimal  burcbbracb,  waren 
wir  fcbon  3iemlicb  weit  gekommen.  Gin  bicher 
Bürger,  mit  ber  Verbienftmebaille  auf  ber  Bruft, 
Nam  von  ber  anbern  Seite;  keiner  batte  ben 
anbern  bemerkt.  Rneinanber  vorbei3uhommen 
war  nicht,  einer  mufete  umbreben.  Rumobr  fagte : 
„Wir  muffen  erft  erfahren,  für  was  er  bie  (Debaille 


279 


bat,  borauf  foU's  ankommen,  wer  umkehrt." 
Wahrhaftig,  ich  fürchtete  mich,  mir  war  fcbon 
fcbwinöUg.  ßätten  wir  umhehren  muffen,  fo  war 
ich  voran,  währenb  bie  lofen  Bretter  unter  meinen 
füfeen  fcbwanhten.  Wir  erkundigten  uns  ehr» 
erbietigft  nach  ber  Urfacbe  feines  VerÖienftes :  — 
er  hatte  einen  Dieb  gefangen.  Rumohr  fagte: 
„Dies  Verbienft  weife  ich  nicht  3U  fchä^en,  benn 
ich  bin  kein  Dieb,  alfo  bitt  ich  umsukehren."  Der 
verwunderte  bicke  (Dann  liefe  ficb  mit  Rumohrs 
Beihilfe  umkehren  unb  machte  ben  Weg  3urück. 


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\^ü     o     l^i^     o     km 


mit  ber  einen  ßanb  bab  icb  meinen  ßrief 
bem  Bot  gereicht,  mit  öer  anbern  Deinen 
genommen.  Wir  f^amen  eben  von  unferm  Sonnen* 
Qufgang  3urüch,  \o  fab  icb  ben  Bot  überm  Za\ 
am  Berg  berfteigen ;  icb  wollt  mit  ibm  3ufammen 
anl^ommen,  icb  lief,  öie  anbern  wufeten  nicbt 
warum.  Sie  riefen  mir  nacb,  icb  galoppierte  als 
an  ber  Bergwanb  bin  unb  fcblug  mit  bem  Stechen 
an  bie  Aft,  bas  regnete  im  beifeen  Cauf  hüblen 
Zau  auf  micb.  Dann  fcbofe  icb  bergab  ins  Zal 
unb  honnt  nicbt  einbalten;  ber  gut  Bot  jtellte  ficb 
gegenüber  unb  fing  micb  auf.  Oben  ftanb  bie 
gan3  Gefellfcbaft,  ein  Ropf  über  bem  anbern,  ber 
(Dftr.  ßaife  in  ber  (Ditt  unb  gucht  burcbs  Perfpehtiv ; 
icb  legt  micb  ins  Gras  unb  fcbnaufte  aus.  -  Po^= 
taufenb,  wieviel  ßämmercben  pocbten  in  meinem 
l^opf,  lauter  Öolbfcbmieb,  unb  ber  grofee  ßammer 
in  meiner  Bruft,  bas  war  ein  Örobfcbmieb.  Die 
anbern  hamen  berbei;  wie  icb  im  hoben  Gras 
verfcbwanb,  glaubten  fie,  icb  fei  ohnmächtig  ober 
fonft  was.  Der  Voigt  fchrie:  „Solche  Cinbilbungen 
hat  jie  nicht;"  ich  guchte  aus  bem  Gras  hervor 
unb  lachte  fie  aus,  aber  "öa  fchrie  alles,  ich  hätt 
können  ben  ßals  abftürsen,  ich  hätt  können  Firm 
unb  Bein  brechen,  micb  hätt  können  ber  Schlag 
rühren;    unvorfichtig ,   tollkühn,    finnlos    fchrien 


281 


fie.  -  Was  l^uchuch,  icb  wollt's  nicbt  mehr  boren, 
icb  fe^t  micb  wieöer  in  Galopp.  Der  Babepeter 
hatte  gerab  bie  Bäber  angelaffen;  icb  rief  ibm 
3u:  „öagt  nicbt,  wo  icb  geblieben  bin,"  unb  Sprang 
ins  Waffer  mit  öcbub  unb  Strumpf  unb  allen 
f^leibern.  Da  unterm  Waffer  warf  icb  bie  f^leiber 
ab  unb  bacbt  nicbt  gleicb,  ^q^  icb  Deinen  Brief 
im  Bufen  ftechen  batt,  bis  er  auf  bem  Waffer 
fcbwamm.  Icb  bab  ibn  gleicb  auseinanber  gelegt 
unb  an  bem  Strich  feftgemacbt  in  ber  (Ditte  vom 
Babegewölb,  womit  man  bie  Rlapp  aufsiebt, 
wenn's  3U  beife  ift.  Cr  flatterte  im  Cuft3ug  über 
mir  unb  brebte  ficb  bin  unb  ber.  Icb  bin  ibm 
immer  nacbgefcbwommen ,  Unhs  unb  recbts,  unb 
bab  ibn  bucbftabiert,  bier  ein  Teil  unb  bort  wieber, 
wie  ber  Winb  bas  Blatt  brebte.  Das  bat  micb 
ergoßt,  unb  aucb  bab  icb  micb  gefreut,  wenn  icb 
aus  bem  Bab  ham,  ibn  3U  lefen,  unb  bann  ftimmt 
icb  an:  „O,  Du  ber  Götter  ßöcbfter,  ber  über 
Olympia  möcbtiglicb  waltet,  lafe  beim  Caufe  ber 
flur  günftige  Winbe  in  ben  Scbläfe  befcbattenben 
Rränsen  mir  weben."  -  Da  wußten  fie  auf  ein= 
mal,  wo  icb  geblieben  war,  benn  alles  war  in 
ben  Bäbern,  unb  meine  Stimme  fcballte  laut  am 
Gewölb,  unb  ^a  bort  icb  fie  rufen :  „La  voilä !"  — 
unb:  „Wieber  eine  Tollbeit,  fo  erbit3t  ins  Waffer 
3U  fpringen."  -  Wollt  icb  nicbt  von  allen  Seiten 
fcbreien  boren,  fo  mufet  icb  wieber  fingen:  „C^^ 
o  Jupiter,  mit  leicbten  S'üfeen  micb  bingleiten,  bem 
fcbnellfüfeigen  Zage  3uvor,  ber  micb  fieggehrönt 
am  Rbenb  begrübe  mit  ber  Unfterblicbheit  füfe 
ballenbem  Ruf."  -   Da  ham  bie  Cifett  als  Ge* 


282 


fonötfcbaft  von  öen  anöern.  Was  war  Me  ver« 
wunbert,  als  fie  bie  l^leiöer  unter  Waffer  fab  unb 
bie  Schub  auf  ber  unterften  treppe,  3wei  volle 
Becber.  -  leb  fab  ihr  bie  Beftürsung  an,  fie 
glaubte,  icb  fei  toll  geworben.  Sie  reicbte  mir 
verftummt  ein  3ettelcben,  barauf  ftanb:  „Woblan, 
Süllenbänbiger,  opfere  einen  feften  Stier  ber  Roffe» 
besäbmerin  Pallas  Rtbene,  unb  ibren  golb* 
gewirWen  3ügel  wirf  fcbnell  um  ben  jungfräulichen 
ßals."  -  Ich  frag,  wer  ihr  ben  3ettel  gab,  fie  fagt, 
ber  Babpeter ;  icb  frag  l>en  Babpeter,  ber  fagt,  fein 
Sobn  Cipps;  ich  frag  ben  Cipps,  ber  fagt,  am 
Röbrbrünncben  ein  ßerr  in  Scblappfcbuben,  eine 
3igarre  im  (Dunb.  -  Was  hatte  er  an,  wie  fab 
er  aus  ?  —  Weifeer  (Dantel,  graue  Sammetmütse.  - 
Ich  hielt  fürs  befte,  3U  fchweigen  unb  niemanb 
was  vom  3ettel  3U  fagen;  t>en  3ettel  legt  ich  3U 
meiner  merkwürbigen  Haturalienfammlung. 


00         a        E2l§3 


D: 


Cfelspartie 


Von  öer  €felspQrtie  geftern  nacb  Haubental, 
fie  ift  3U  Waffer  geworden,  aber  erft  am 
€nb.  €s  harn  ein  ungebeurer  pia^regen,  wie  wir 
nocb  eine  balbe  Stunbe  von  öer  f5eimkebr  ent^ 
fernt  waren;  bas  3ufammenlaufenbe  Waffer  von 
öen  Bergen  berab  ins  Za\  gab  oröentUcb  Seen, 
bie  ber  Winb  wellig  hräufelte.  —  Unb  wie  bie 
€fel  mitten  burcbs  Waffer  patfcbten  mit  uns,  kam 
ein  ungebeurer  Donnerfcblag.  Die  meiften  fcbrien 
auf,  bie  €fel  fcbrien  nicbt,  aber  fie  warfen  uns 
alle  mit  einemmal  berunter  in  bie  pfütsen  unb 
^a  honnt  keiner  ficb  balten;  nur  ber  Cnglänber 
wollte  es  3wingen  mit  feinen  langen  Beinen,  ber 
€fel  warf  ficb  nieber  unb  bäumte  ficb.  Unb  fo 
galoppierten  alle  €fel  fort,  ^a^  fie  im  Hu  aus 
ben  Bugen  waren,  bie  €feltreiber  binterbrein, 
benen  nacbgerufen  würbe,  uns  Caternen  3U  fcbicKen. 
Der  gan3e  ßaufe  honfultierte  in  ber  pfüt3e,  fe^te 
ficb  nacb  wieber  erlangter  Befinnung  in  Bewegung, 
auf  bas  verwirrte  Untereinanberfcbreien  folgte 
balb  Stille.  Der  Weg  war  3U  befcbwerlicb ,  als 
^a^  man  auf  etwas  anbers  benhen  konnte,  als 
nur,  wie  man  ben  Sufe  mitfamt  bem  öcbub  wieber 


284  ~8a 

aus  bem  (Dorajt  beben  wolle,  Öies  aber  war 
nicbt  möglidD.  Die  meisten  Bcbube  blieben  ftechen, 
Me  Caternen  harnen  uns  balb  entgegen,  bie  be- 
jcbwicbtigten  Cfel  würben  wieber  herangeführt, 
unb  \o  harnen  wir  3war  beritten  an,  aber  in 
welchem  3uftanb?  -  Rlle  Strohhüte  hatten  in 
COoraft  gelegen.  Die  Schuhe  fehlten,  bie  Damen= 
gewänber  fo  nafe,  als  follten  fie  3U  Statuen  (Dobell 
ftehen,  unb  bie  ßerren  nicht  minber;  man  ver^ 
fügte  fich  in  bie  Bäber  unb  kam  neugeboren  unb 
neugeftrählt  heraus.  €in  Oejamtabenbtee  in 
Pantoffel  unb  Schlafröchen  unb  pubermäntel  ein* 
genommen,  machte  ben  Bejchlufe;  alles  befehde 
bes  Unfalls  Jammer  unb  lachte  fich  halb  tot 
brüber.  (Dftr.  ßaife,  beffen  natürliche  f5aarfarbe 
jetit  3U  Zag  kam ,  war  nicht  mehr  3U  erhennen, 
aber  feine  Schönheit  würbe  allgemein  bewunbert. 
Sein  braunrotes  F5aar  ftanb  ihm  fo  viel  fchöner  als 
ber  puber,  womit  er's  hatte  verbergen  wollen, 
^a^  man  fchrie,  jetst  hönne  er  erft  intereffieren, 
was  man  vorher  für  unmöglich  hielt.  Wer  war 
vergnügter  wie  er,  ber  feierlich  ben  puber  ab* 
fchwor  unb  mit  himmlifcher  Selbft3ufriebenheit 
bei  ben  brauen  herumfpa3ierte,  fich  bewunbern 
3U  laffen.  —  Ich  unb  bie  Cifett  haben  noch  bis 
(Ditternacht  bie  Strohhüte  renoviert.  Ich  fchlug 
fie  alle  auf  ber  einen  Seite  mit  einer  I^oharbe 
auf;  wenn  man  nun  im  Schatten  fein  will,  fo  fet3t 
man  bie  Schippe  nach  vornen ;  wo  bie  Sonn  nicht 
fcheint,  breht  man  fie  herum.  Die  Verwanblung 
fanb  allgemeinen  Beifall  unb  fieht  nach  Voigt 
malerifch  aus. 


285 


f5eut  morgen  harnen  bie  Cfeltreiber  mit  ben 
verlorenen  Schüben  auf  ihren  Stechen  in  Pro3effion 
angerücht;  fie  hofften  ein  Unnhgelö,  es  mufete 
auch  besahlt  werben,  obfchon  bie  Schuhe  bef^er 
wären  geblieben,  wo  fie  begraben  waren.  (Dan 
war  ärgerlich,  ba^  fie  bie  befchmu^iten  Schuhe 
fo  öffentlich  3ur  Schau  trugen.  Das  war  bie 
geftrige  Gefchichte.  Voigt  hatte  fchon  lange  brum 
gebeten,  bie  ganse  Gefellfchaft  3U  €fel  in  fein 
Shi33enbuch  3eichnen  3U  bürfen.  ßeut  morgen 
war  ein  fchöner  heller  föimmel  unb  boch  war's 
abgehühlt  vom  Gewitter.  Wir  machten  uns  fo 
malerifch  wie  möglich,  liefen  Bänber  flattern, 
Schleier  wehen;  bie  ßerren  ftechten  Sträucher 
auf  ben  f5ut,  gaben  fich  nachläffige  Pofituren, 
fchauhelten  mit  ben  Beinen.  So  ging's  langfam 
vorwärts;  Voigt  war  voran  mit  feinem  (Dalhaften, 
hatte  bie  Palette  aufgefegt,  fafe  auf  einem  3elt= 
ftuhl  vor  ber  ßöhe,  wo  wir  herabhamen,  unb 
beobachtete  ben  3ug  mit  bem  Fernglas.  Ruf  ein^ 
mal  rief  er;  „ßalt!"  Ich  war  voran  mit  einer 
grünfeibenen  fahne,  bie  ich  mir  gemacht  hatte; 
bie  ftemmt  ich  in  bie  Seite  unb  hielt  recht  feier* 
lieh  ftill,  bie  Gitarre  hing  auch  am  Sattel.  Voigt 
malte  eifrig  auf  ein  Stüch  Wachsleinwanb ,  bas 
auf  ein  Brett  genagelt  war.  €s  bauerte  ein 
Weilchen,  bie  €fel  hingen  bie  Ohren  unb  waren 
eingefchlafen ,  bie  Sonne  brannte,  bie  (Düchen 
ftachen,  bie  Schleier  unb  Bänber  hingen  fchlaff; 
fie  glaubten  alle,  fie  hönnten's  nicht  länger  aus* 
halten.  Ich  hätte  boch  bem  guten  Voigt  fo  gern 
bas   piäfier   gegönnt,    ^a^    feine   Shi33e    fertig 


286 


würbe;  icb  nahm  meine  Gitarre  unö  ftimmte  ben 
Rofiusho  an.  Crotbwitb  begleitete  micb  auf  öem 
Flageolett,  mebrere  (Daultrommeln  ber  Cjeltreiber^ 
jungen  fielen  ein,  es  erbob  bie  Stimme  Bafe  unb 
Dishant,  anbere  pfiffen,  ßaife  neben  mir  an  gab 
einen  Hon  von  ficb,  mit  bem  er  eine  paul^e  nach- 
macbte,  bie  mit  einer  Rute  unb  einem  f^löppel 
gefcblagen  wirb,  pfitfcb  pfitfcb,  bum  bum.  Die  Cfel 
wacbten  auf  unb  fpit3ten  bie  Obren  wieber,  bie 
Cüftcben  regten  ficb  wieber  in  ben  flatternben 
Bänbern,  alles  war  begeiftert,  unb  Voigt  malte 
fcbneller  als  eine  Winbmüble,  in  bie  ber  Sturm* 
winb  bläft.  Die  €feljungen  batten  ficb  aucb  in 
nacbläffigen  Stellungen  poftiert,  balb  war's  fo 
weit,  ta^  wir  umwenben  konnten;  Voigt  bejtieg 
feinen  Cfel,  unb  wir  sogen  vergnügt  unb  fingenb 
3urücN.  Die  Sl^i33e  ift  allerliebft  kräftig,  er  will 
fie  3U  Frankfurt  fertig  malen ;  warft  Du  bocb  aucb 
babei  gewefen.  —  Im  Hacbbaufegeben  fab  icb  bie 
Birke  von  fern,  bie  fo  leife  webte,  in  ber  icb  obne 
baran  3U  benken  wie  eine  Vifion  Dein  Bilb  ge= 
feben  batte.  Icb  bacbte  baran,  ob  icb's  bocb  ver= 
fucben  wollte,  Dieb  bier  3U  befucben.  Wenn  man 
allein  ift,  l>a  kann  man  viel  beffer  klettern,  unb 
wie  beut  nacbmittag  alles  Siefta  bielt,  bin  icb 
bierber  gekommen  unb  bab  gefeben,  was  ber 
f5er3og  für  Bucbftaben  in  ben  Baum  gefcbnitten 
bat :  Z  D  F  unb  feinen  Hamen  brunter.  Icb  weife 
was  es  beifet,  gerabe  was  er  unter  Dein  (Danuf  kript 
von  ber  Immortalita  gefcbrieben  bat.  -  Der  Voigt 
fagt  mir,  fein  Bucb  fei  febr  wicbtig,  unb  bat  mir 
nocb  mancbes  Scböne  ersäblt  von  ibm  unb  aucb 


287 


öonberbares.  —  Das  Bucb  muffen  wir  3ufammen 
lefen  öen  Winter,  ßeut  nacbmittag  war  alles 
verfammelt  beim  Zee  auf  ber  Herraffe.  Die  Cuft 
auf  weite  Partien  ift  gebämpft.  Wir  fpielten 
§eberball  unb  machten  Seifenblafen ,  b\e  flogen 
3wifcben  öie  Bäum  unb  balb  hier  ober  bort  bin, 
aucb  eine  auf  bem  ßaife  feine  Has,  glaub  icb. 


Uom  Rberlaffen     o     o     o     ^^| 


Rcb,  laffe  bocb  ja  nicbt  3ur  Aber,  aus  taujenö 
Örünben,  öenn  (vielleicbt):  wenn  einer  nur 
einmal  3ur  flöer  geladen  bat,  fo  hann  er  hein 
5olbat  mehr  fein,  Kein  föelM  (Dan  Kann  gar 
nicbt  wiffen,  was  fo  ein  eingriff  in  bie  Hatur 
für  Veränbrung  im  menfcblicben  Öeift  macbt  unb 
W03U  er  als  bie  fäbigkeit  verlieren  hann.  leb 
bitte  Dieb,  laffe  niebt  3ur  Rber.  Im  f^lofter,  ba, 
wenn  ber  Zag  ham,  wo  bas  Rberlafemänneben 
im  l^alenber  ftebt,  icb  glaub,  es  war  gerab  in  ber 
beifeen  3eit  wie  jet3t,  ba  liefeen  bie  Honnen  alle 
am  linhen  fufe  3ur  Rber.  Da  ham  ein  Cbirurg, 
ieb  war  immer  im  Rnftaunen  feiner  ßäfelicbheit 
verloren,  er  biefe  föerr  föas.  -  Cine  alte  Honne 
fagte  einmal,  man  Könne  in  feine  Pochengruben, 
in  benen  febr  viel  erbiger  Sebmut5  war,  f^reffe 
fäen,  fo  würbe  er  einen  grünen  Bart  behommen. 
leb  bielt  alfo  immer  [treffe  bereit  unb  pafete  auf 
bie  Gelegenbeit,  ibm  ben  Samen  ein3uftreuen, 
unb  babe  aueb  einen  Rugenblich,  wo  er  über  bem 
Warten  auf  bie  Donnen  eingefcblafen  war,  be= 
nu^t,  unb  Du  magft  glauben  ober  nicbt,  bie  f^reffe 
batte  einen  febr  günftigen  Boben,  fie  begann  mit 
(Daebt  empor3ufcbiefeen.  (Dan  braucbte  ibn  nur 
mit  effig  unb  Öl  ein3ufeifen,  fo  batte  man  ben 
trefflicbften  Salat  von  feinem  Bartfcbabfel.   Rber 


289 


gelt,  Du  gläubeft  nicbt?  -  Rber  bör,  öa  fällt 
mir  ein:  effe  bocb  eine  recbt  tücbtige  öcbüffel  voll 
Salat,  hcL5  l^üblt  Öas  Blut  ab.  Rber  wenn  Du 
bei  einer  €nt3ünÖung  nocb  Blut  verlierft,  fo  wirb 
natürlicb  öiefe  verftärht;  öenn  wenn  Du  ein  Dippen 
mit  Waffer  hocbenb  baft  unö  fcbüttft  einen  Cell 
bavon  weg,  fo  hocbt's  viel  ftärher. 


Sritfdj'Strobl.  19 


□nf=J  f=='nc='  1=^11^=1 

[zdUczi  cdUczi  (zziUczi 


^^    rau  föocbs  Hachtgebet 


Jcb  fragte:  Was  ift  öas,  ein  Rntli^?  -  Du  be* 
lebrteft  mich,  öas  fei  noch  aus  öer  5orm 
Gottes,  nach  feinem  €benbilö  gefcbaffen;  aber 
Geficbter,  öie  feien  nur  fo  nacbgepoltert ,  wo  bie 
Hatur  nicbt  bat  wollen  mit  öabei  fein  un5  öie 
Pbilifter  allein  ficb  erseugen  laffen.  Unö  ba  bab 
icb  Dieb  gefragt:  „f5ab  ich  ein  Bntlit3?"  -  Da 
baft  Du  gelacbt  unö  gefagt:  „€s  ftecht  nocb  3U 
tief  in  ber  f^nofpe;  icb  hann's  nicbt  erkennen." 
Hocb  an  jenem  Rbenb  bab  icb  micb  vor  ben 
Spiegel  gefteUt  unb  gebetet,  Gott  foll  micb  öocb 
aus  öer  f^nofpe  berauslaffen  mit  einem  Rntlit5 
unb  nicbt  mit  einem  Geficbt;  benn  wenn  icb  Kein 
Rntlit5  bab,  wie  kann  icb  öa  einem  Rntlit5  ge- 
fallen ?  Hocb  an  jenem  RbenÖ  fragte  icb  bie  §rau 
ßocb,  weil  Wartefrauen  von  Sd^önbeitsmitteln 
mancbes  wiffen;  fie  meinte,  wenn  man  keine 
Sünbe  tue,  fo  könne  man  nicbt  unfcbön  werben, 
unb  wenn  es  barauf  ankomme,  fo  werbe  icb  ge^ 
wife  micb  vor  allen  Sünben  büten.  Wie  aber  bie 
§rau  f5ocb  braus  war,  um  bem  f^inbcben  bie  Suppe 
3u  kocben,  ^a  kletterte  icb  vors  fenfter  auf  bas 
Blumenbrett  unb  bockte  micb  gan3  klein  3U- 
fammen.   Wie  fie  wieber  bereinkam,  war's  gan3 


291 


ftill;  es  war  bunl^el  unö  noch  hein  Cicbt  an^ 
ge3ünöet,  öa  meinte  bie  föocb,  fie  war  allein  unö 
wollte  ihr  Rbenögebet  hersagen,  weil  öas  Rinb= 
eben  nocb  fcblief.  -  „Je^t  geh  icb  ins  ewige 
Ceben,  fpracb  er  mit  freudiger  Seele,  neigte  öas 
f5Qupt  unö  erbleicbte."  Das  borte  icb  auf  öem 
Blumenbrett  vom  Gebet  öer  frau  ßocb.  Icb 
öacbte,  ob  es  wobl  unrecbt  ^ein  möge,  fie  3U  be= 
laufeben,  unö  öa  fiel  mir  meine  RntU^hnofpe  ein, 
ob  öie  vom  (Deltau  ber  Sünbe  bierburcb  hönne 
angegriffen  werben;  benn  fo  gefcbeit  war  icb  wobl, 
Z>a^  bies  heine  f^apitalfünbe  fei.  Rber  weil  icb 
abfolut  wollt  wunberfcbön  fein  unb  obne  ben  ge* 
ringften  Tabel,  fo  bielt  icb  mir  bie  Obren  mit 
beiben  ßönben  3U,  um  nicbts  3U  boren,  ba  liefe 
icb  bie  Stange  los  vom  Brett  unb  war  fcbier  in 
ben  ßof  gefallen.  Icb  honnt  mir  bie  Obren  nicbt 
verfperren,  wenn  icb  nicbt  fallen  wollt,  unb  ba 
bort  icb  fie  nocb  fingen: 

Wenn  5er  gülöne  CDorgen  blinht, 
Der  3U  biefer  ßocbseit  wlnl^t, 
Wo  bie  reinen  Serapbinen 
Bei  ber  hoben  Tafel  bienen.  - 

Da  fang  icb  bie  3weite  Stimme.  Die  ßocb 
fiebt  ficb  in  allen  Gehen  um,  bolt  Cicbt,  fucbt  oben 
auf  bem  Ofen,  auf  bem  Vorbanggeftell  unb  überall 
unb  kann  micb  nicbt  finben.  Icb  pflüchte  eine 
Helhe  vom  Stock  unb  ftellte  micb  in  ben  fenfter^ 
rabmen;  ben  ftiefe  icb  auf  unb  reicbte  ibr  bie 
Heike.  Da  ftanb  fie  mit  ibrem  kleinen  Wacbs* 
ftock  unb  beleucbtet  micb  unb  meint,  icb  war 
eine  Crfcbeinung.    Icb  bin  ibr  aber  um  ben  ßals 

19* 


292 


gefallen,  benn  icb  bab  bie  Srau  febr  lieb.  leb 
fragte,  ob's  eine  Sünbe  fei,  ba^  icb  ibr  3ugebört 
bab;  fie  fagte:  „Das  ift  gerab  heine  Sünbe,  aber 
Sie  bätten  können  in  ben  ßof  fallen,  unb  t>a 
wollen  wir  lieber  ein  Danhlieb  fingen,  ha^  Sie 
nicbt  gefallen  finb". 


^     =-     i;^    =-■     1^ 


D 


as  VVetterbacb  unb  foerr 
Rrenswalbo     o     o     o 


=Q  =Q  0=' 


rreut  morgen  vvacb  icb  auf  vom  Rufen  öer 
I J  Italiener,  öie  Parapluies  feiltragen,  bie  wahre 
Cochftimme  für  mich,  -  unwiberfteblicb ;  icb  öenl^ 
gleich,  öer  Italiener  mag  Regen  wittern,  öenn 
fonft  gehn  fie  nicht  fo  früh  herum.  Ich  lafe  öie 
Cisbeth  öen  (Dann  heraufholen  unö  lauf  3ur 
(Deline  -  bie  liegt  noch  im  Bett  -,  ob  wir  nicht 
einen  parapluie  wollen  häufen  mit3unebmen  nach 
CDarburg  ?  Die  (Deline  kriegt  einen  öchrechen  - 
fie  glaubt,  icb  habs  lieber,  bafe  icb  nach  einem 
parapluie  frag.  Unterbeffen  war  il  signor  Paglia^ 
ruggi  vor  ber  Tür  unb  ein  grünfeibner  Regen* 
fcbirm  gekauft,  ben  ich  auch  gleich  probieren 
wollt.  So  ging  ich  vors  Zor  in  bie  (Defe  am  (Dain, 
unb  fo  blieb  ich  bei  ben  l^licherfäffern  fteben  unb 
kauft  cxn  breifeig  Rlicker,  einer  fchöner  wie  ber 
anbre,  von  Rchat  unb  (Darmor  unb  I^rijtall.  Damit 
ging  ich  hinunter  am  (Dain,  wo  bie  Steiner* 
gefchirrleut  halten,  unb  befuchte  bie  in  ihren 
ftrohernen  ßütten  unb  bie  efel,  bie  mit  herslichem 
Gefcbrei  mich  begrüßten,  unb  bie  kleinen  f5emb* 
lofen,  bie  ba  herumlaufen  unb  klettern,  -  unb 
teilt  ihnen  meine  f^licker  aus.  Sie  hatten  keine 
Tafchen,  weil  fie  nackenb  laufen;  fo  mufet  ich 
ihnen  meine  ßanbfchub  geben,  i>a^  fie  bie  l^licker 
konnten  aufheben;  bie  banben  fie  fich  mit  Binb* 


294 


faben  um  ben  Ceib  feft.  Dos  war  Kaum  gefcbeben, 
fo  rief  micb  ein  öcbiffer  an,  ob  icb  nicbt  wollt 
überfahren;  -  icb  frag:  „€s  wirö  wobl  regnen?" 
„nun,  was  fcbab's,  Sie  haben  ja  ein  Wetterbacb 
bei  ficb."  Wie  icb  brüben  war,  fo  benh  icb,  icb 
will  nacb  Oberraib  geben  3ur  Örofemama  ihrer 
(Dilcbfrau  unb  1>q  (Dilcb  trinken.  Wie  ich  an  ber 
(Dilcbfrau  ihr  f5aus  komm,  fo  fagen  bie  Ceut: 
„Rlleweil  ift  bie  Annemarie  fort  mit  ber  (Dilcb 
nacb  ber  Öerbermübl."  Wie  icb  auf  bie  6erber= 
mübl  l^omm,  fo  läuft  mir  bie  Rnnemarie  fcbon 
fort  nacb  Offenbacb  mit  ber  (Dilcb;  ich  fag,  ich 
will  mit  ihr  geben.  Sie  bat  ihre  3wan3ig  Öemüs» 
körb  auf  bem  l^opf  unb  ihre  (Dilcbhann  am  Rrm, 
unb  fo  fcblenbert  ber  grofe  ßemüsturm  unb  ich 
als  bintereinanber  burcb  bie  ßechen.  Sagt  bie 
Rnnemarie:  „Cs  fängt  fcbon  an  3U  trepele,  es 
werb  gleich  e  bichtiger  Scbitel  komme;  warte  Se, 
ich  will  Ihne  ans  von  bene  klene  f^örbercben 
gebe,  bes  könne  Se  uf  ben  F^op  fe^e,  bo  kommt 
Ihne  ken  Rege  an."  -  Hun  fällt  mir  ein,  ^a^  ich 
boch  bas  Wetterbacb,  bas  parapluie  mitgenommen 
hob,  wo  ift  ber  geblieben?  Cntweber  ich  mufe 
ihn  haben  bei  ben  nackigen  Bübercben  laffen 
ftehn,  ober  ich  hob  ihn  im  Schiff  liegen  laffen; 
beibes  ift  gleich  möglich,  ich  könnt  ihn  alfo  bie 
Wafferprob  nicht  halten  laffen,  fo  fet3t  ich  ber 
(Dilcbfrau  ihr  runbes,  flaches  Gemüskörbchen  mit 
Blumenkohl  auf  ben  f^opf.  Sie  fagt:  „Sie  fehen 
fo  fchön  brunter  aus  wie  bie  fchönft  parifer 
(Dabam."  -  €s  war  recht  luftig;  es  begegneten 
mir  allerlei  Ceut,  bie  bachten,  ich  wollt  balancieren 


295 


lernen.  Der  Regen  batie  halb  wieber  aufgebort, 
fo  war  ich  ohne  Öran  3U  benhen  bis  Offenbacb 
gelaufen;  an  Öer  Raftanienallee  nabm  icb  ben 
Rorb  ab.  In  öer  6taM  war  recbt  öonntagswetter, 
alles  voll  Sonnenfcbein,  unb  in  ber  Domftrafe  lag 
auf  jeber  f5austrepp  vor  ber  Cur  ein  ^olie  mit 
bem  blaufeibnen  ßalsbanb.  Alle  ]olies  brennen 
micb;  fie  harnen  an  micb  berangebellt,  unb  ba 
harnen  bie  6pi^e  aucb,  bie  Bommer,  unb  enblicb 
aucb  bem  Bnion  Rnbree  feine  englifcbe  Dogge 
mit  fiebsebn  Jungen,  bie  fcbon  3iemlicb  ber3baft 
bellen.  Die  (Dilcbfrau  blieb  ein  paarmal  fteben, 
um  bas  öpringen  unb  Toben  ber  ßunbe  3U  feben, 
unb  aucb  aus  f  urcbt,  jie  möcbten  ibr  ben  6emüs= 
türm  aus  ber  Balance  bringen.  „€i,"  fagte  fie, 
„ber  türhifcb  f^aifer  hann  nicbt  fcböner  begrüfet 
werben,  bie  bleiben  ja  in  einem  Vivatrufen."  — 
60  klingelten  wir  an  ber  ßaustür;  bie  Coujine 
melbete,  ba^  bie  Grofemama  nocb  fcblief.  In  ben 
Garten  wollt  icb  nicbt  geben;  icb  blieb  vor  ber 
Tür  jteben  bei  ben  ßunben;  ba  kam  mein  guter 
ßerr  Rrenswalb  vorbei.  Cr  nabm  ben  f5ut  ab; 
icb  fagte  ibm  nicbt,  ba^s  er  ibn  wieber  auffegen 
folle,  benn  icb  baite  gefebn,  ba^  ein  Cocb  brin 
war  unb  wollte  biefe  Wiffenfcbaft  gern  vor  ibm 
verbergen.  Cr  er3äblte  mir,  er  habe  biefen 
Sommer  eine  Reife  nacb  ber  6cbwei3  gemacbt, 
weil  er  feinem  Drang,  bie  Hatur  bort  3U  be» 
tracbten,  nicbt  habe  wiberfteben  Können;  er 
bereue  es  aucb  gar  nicbt,  obfcbon  es  ibm  viel 
gehoftet,  ja,  er  glaube,  es  fei  fein  le^ter  ßeller 
braufgegangen.     Icb   war   etwas    befcbämt   unb 


296 


wollte  ihm  bei  bieder  vertrauten  (Ditteilung  nicht 
geraö  ins  Öeficbt  feben.  (Deine  Rügen  fielen  auf 
feine  Stiefel;  ba  präventierte  ficb  gan3  ungerufen 
öer  kleine  Scbelm,  feine  grofee  3ebe,  welchen 
Rrenswalö  burcbaus  nicht  bei  ber  Ruöiens  öulben 
wollte,  benn  er  brüchte  ihn  unter  ben  Rbfat5 
vom  anöern  Stiefel,  öer  leiber  wie  ein  fchlecht 
gefchlofener  Caben  vom  Winb  auffuhr.  Wo  foUt 
ich  meine  Rügen  hinrichten?  -  Ich  fab  auf  feinen 
Bauch,  ba  fehlten  alle  l^nöpfe,  unb  bie  Wefte  war 
mit  ßaarnabeln  3ugeklemmt;  wo  er  bie  mag  her 
erwifcht  haben,  benn  er  trägt  einen  Caligula, 
welches  bel^anntlich  bie  höcbft  geniale  Verwirrung 
im  ßaarfvftem  ift,  W03U  man  weber  pomabe  noch 
f^amm  noch  ßaarnabel  braucht,  fonbern  nur  Staub 
unb  Stroh,  bamit  bie  Schwalben  unb  Sperlinge 
immer  (Daterial  für  ihre  Bauten  ha  finben.  Unter* 
bes  ersäblte  er  mir,  es  fei  ihm  in  ber  Schwei3 
was  Sonberbares  gefchehen.  (Dan  habe  ihm 
nämlich  er3ählt,  t>a^  es  in  walbigen  Berggegenben 
eine  Rrt  Schnechen  gab,  bie  fehr  fchmechen,  unb 
ba^  auf  bem  Weg  von  Cu3ern  irgenbwohin  auf 
einem  Berg  fehr  viel  folcher  fchmechenben 
Schnechen  gibt.  €r  habe  folche  auch  in  (Daffe 
im  Walbe  angetroffen  unb  einen  fo  ftarken  Rppetit 
banach  bekommen,  ba^  er  ihrer  mehrere  gegeffen 
unb  gan3  fatt  bavon  geworben  fei.  Rls  er  ins 
Wirtshaus  3urüchkam,  verbat  er  fich  fein  (Dittag^ 
effen,  weil  er  3U  viel  von  ben  fo  gut  fchmechenben 
Schnechen  gefunben  unb  habe  fie  mit  fo  grofeem 
Rppetit  ver3ehrt,  l>a^  er  unmöglich  noch  was 
genießen  Könne.     „Wie?"  fagte  ber  Wirt,  „Sie 


297 


haben  öie  fcbmechenben  öcbnechen  gegeffen?"  — 
„nun  ja,  warum  nicht?  Sagten  Sie  nicht  felbft, 
bafe  öie  Schnecken  fehr  wohl  fchmechen  unb  öafe  bie 
Ceute  gewaltig  banach  her  finb,  fie  3U  fammeln?"  - 
„Ja!  ,Sehr  fchmechen*  hab  ich  gejagt,  aber 
nicht  jWohU'  -  Schmecken  heifet  bei  uns 
ftinken,  unb  bie  Ceute  fammeln  fie  für  bie 
Gerber,  um  bas  Ceber  einsufchmieren."  -  „So 
hab  ich  alfo  biefes  Oerbermittel  gefpeift  unb  mich 
fehr  wohl  babei  befunben,"  ersählte  ßerr  Rrens- 
walb,  währenb  ich  fehr  errötet  in  bie  Cuft  gud^te; 
benn  es  war  kein  anbrer  pia^  bOy  ohne  auf  eine 
grobe  Sünbe  bes  gän3lichen  (Dangels  3u  ftofeen. 


ISI  KI  Kl  !E1  Kl 


eim  Primas 


a 


Beim  Primas  gestern  grofee  parabe;  alle  alt* 
abeligen  flaggen  webten.  -  Über  bie  fünf 
eilen  lange  öcbleppe  mufeten  bie  ßerren  mit 
bocberbobnen  Beinen  binausfteigen.  Der  Primas 
fübrte  micb  ins  F^abinett,  wo  bie  Blumen  fteben, 
unb  liefe  3wei  Sträufee  binben  für  mich  unb  bie 
(Deline.  Dies  war  als  eine  bobe  Russeicbnung 
bemerk  worben ;  man  batte  grofeen  Hefpekt,  ber 
ficb  nocb  febr  steigerte,  als  mir  ber  Primas  beim 
Rbfcbieb  ein  Pahet  gab,  febr  fauber  in  Papier  ein* 
gefiegelt.  Rlle  glaubten,  es  fei  ein  fürftlicb  Präfent, 
vielleicht  ein  6cbnupftabaksbofen»f^abinettftüch. 
I^ein  (Denfcb  bebacbte,  ^a^  ber  Primas  3u  wit3ig 
ift,  um  mir  eine  folcbe  Rlbernbeit  an3utun.  Dur 
wunberte  man  ficb,  tia^s  icb  mein  Gefcbenk  fo 
obne  Umftänbe,  obne  micb  3U  bebanh?en,  unter 
ben  Rrm  gehlemmt  babe;  icb  batte  taufenb  öpafe, 
bie  vielen  Gloffen  3U  boren,  unb  honnte  am  €nb 
vor  Vergnügen  über  bie  Heugierbe  nicht  umbin, 
im  Vor3immer  3U  tan3en,  wäbrenb  micb  alles 
umringte  mit  Bitten,  es  3U  öffnen,  W03U  icb  micb 
nicht  bewegen  liefe,  fonft  war  ber  öpafe  aus 
gewefen.  Befonbers  quälte  bie  Heugierbe  ben 
(Dori^  im  grünen  Sammetroch,  ber  ben  gan3en 
Rbenb  alle  Spiegel  mit  ber  eignen  Bewunberung 
feiner  Perfon   befe^t  hielt.    Sowie  er  bie  Über* 


299 


reicbung  biefes  mYftifcben  Pakets  gewahr  warb, 
lief  er  mir  nacb;  Öem  bätt  icb's  aber  geraö  nicht 
gefagt.  Im  Paket  war  nichts,  als  was  Du  wobl 
fchon  öenken  hannft :  ein  paar  alte  JuÖenjournale 
unb  bie  Drufenfamilie  für  bie  Crofemama;  ich 
foirs  lefen,  was  mir  eine  harte  Hufe  ift.  -  Sagt 
ich's,  fo  würbe  man  ben  Primas  wobl  eher  für 
einen  Harren  halten,  i>a^  er  auf  mein  Urteil  einen 
Wert  legt,  als  mich  für  gescheit  genug,  biefer  Bus= 
3eichnung  €bre  3U  machen;  fo  mag*s  benn  bie 
Ceut  mir  im  Refpekt  halten;  wüfeten  fie,  es  jei 
nur  Papier  unb  heine  Dofe,  hielten  fie  mich  3um 
Harren  gehalten  vom  Primas. 

Geftern  war  fchon  wieber  Cour  beim  Primas, 
ich  war's  fo  fatt,  ^a\s  ich  mich  verfteckte  beim 
Wegfabren;  fie  fuchten  mich  überall.  Ich  war  in 
meinem  Bett  verftecht,  unb  ber  Sran-^  war  bös, 
aber  um  ihn  wieber  gut  3U  machen,  hab  ich  mir 
eine  befonbere  Cift  erfonnen.  Ich  fanb  in  ber 
Zorn  ihrem  f^üchenrevier  einen  grofeen  I^orb  mit 
weifeen  Rüben,  ben  bab  ich  vorgenommen  mit  ben 
Ceuten,  fie  gan3  bünn  abgefchält  unb  ausgehöhlt 
inwenbig,  in  jebe  ein  Wachslicht  gefteckt  unb  fo 
bie  gan3e  treppe  illuminiert  unb  ben  Vorplat5.  - 
Ich  hob  bis  nach  (Ditternacht  mit  3U  tun  gehabt, 
es  war  recht  bumm;  es  war  beffer  gewefen,  ich 
war  mitgegangen,  benn  ber  Primas  liefe  mir  fagen, 
weil  ich  nicht  mitgekommen  war,  fo  foll  ich  f  reitag 
mit  ihm  unb  bem  Weihbifchof  3U  (Dittag  fpeifen 
unb  Safttag  halten. 

DEIIID 


§§0         °  o2o         °         o2o 


tubentenkomööie  o     o     o 


a 


rzeut   bab  icb   Dir  was   Cuftiges  3U  ersäblen. 

U  €s  war  ötuöentenl^omöbie,  unö  wir  waren 
örin  unter  öem  Scbu^  von  einer  grofeen  Be^ 
gleitung.  Das  5tüch  war  eine  öelbfterfinbung 
bev  Stubenten,  worin  örei  Duelle  vorl^amen  von 
öcbufe,  6ticb  unb  ßieb.  Wie  öer  6cbufe  vorl^am, 
war  öer  (Deline  fcbon  nicbt  wobl  3umut,  wie  ber 
6ticb  vorl^am,  warö  uns  grün  unö  blau  vor  öen 
Rügen,  wie  aber  öer  ßieb  ham,  gab's  ein  Cärm 
unö  Gepolter,  unb  man  fprang  übers  Orcbefter 
hinüber,  über  bie  Öllampen  weg  hinauf  aufs 
Theater.  Die  Öllampen  gingen  3um  Teil  aus, 
unb  aus  ber  bisherigen  Dämmerung  entwickelte 
ficb  f infternis.  Unfre  Begleitung  umstellte  uns  auf 
ben  Bänken  unb  hielt  uns  in  ihrer  (Ditte,  um 
uns  vor  jebem  Unfall  3U  fcbü^en,  bis  wir  wagen 
konnten,  aus  biefer  J^onfu^ion  unb  ben  Ölqualen 
heraus3uhommen  unb  auf  freier  Strafe  wieber 
Cuft  fcböpften.  Die  Verwirrung  war  baher  ent> 
ftanben,  bafe  ber  pebell  bem  Rektor,  ber  inmitten 
bes  Saals  auf  einem  €hrenfeffel  3ufah,  fted^te, 
bas  Duell  mit  bem  ßieber  fei  ein  wirkliches;  er 
wollte  es  erlaufcht  haben;  auch  fab  es  fehr  ge-- 
fährlich  aus  in  ihrer  Stubentenarmatur.  Der 
Rektor  hielt  es  für  feine  Pflicht,  in  geraber  Cinie 
auf  bies  Wagnis   los3ufchreiten ;  er  bahnte  ficb 


301 


einen  Weg  öurcb  Öie  (Ditte  Öes  Orcbefters,  wo 
öie  Bafegeige  angelehnt  war,  vor  bem  Rektor 
umfiel  unÖ  einen  fcbauerlicben  Zon  von  ficb  gab. 
Die  Öefellfcbaft  fcbrechte  auf;  Öer  Dehan  unb  wie 
bie  Univerfitätscbargen  alle  beifeen,  brängten  ficb 
über  alle  f5inÖerniffe  weg  ihrem  Rektor  nach, 
wo  öenn  öen  Pauken  unb  Bafe  noch  mancber 
unwillkürliche  Ton  entlockt  würbe.  -  Viel  lautes 
ßin*  unb  ßerreben  unter  ^en  Damen,  bie  halb 
bas  Unglück  verhüten,  halb  es  nicbt  mit  anfehen 
wollten,  viel  6elächter  unter  ben  Stubenten,  bie 
ihre  freube  an  ber  Verwirrung  hatten;  am 
intereffanteften  war  bie  ösene  auf  bem  Theater. 
Der  Rektor  mit  Beiftanb  uns  en  face  gan3  feier^ 
lieh;  ein  Stubent,  ber  eine  Dame  vorgejtellt  mit 
langer  Schleppe  unb  fchon  früher  beim  Sticbbuell 
bie  ßälfte  bavon  verloren  hatte,  wenbete  jetst, 
wahrfcbeinlich  aus  (Dutwill,  bem  Publikum  ^>en 
Rücken.  (Dan  fah  grofee  f^anonenftiefel ,  einen 
lieber  an  ber  Seite,  ber  bie  halbe  Schleppe 
trug,  unb  einen  grofeen  Slorfcbleier,  ber  ben  Rücken 
hinabwallte  unb  mit  jeber  Bewegung  halb  bie 
paar  Campen  3U  erlöfcben,  halb  jicb  3u  ent3ünben 
brohte,  fo  ^a^  mehrere  Stimmen  riefen:  „Der 
Schleier  brennt."  -  €r  war  halb  ausgemacht, 
alles  fei  nur  blinber  Cärm  gewefen,  inbeffen 
konnte  bas  Stück  nicht  weiterfpielen.  Die  Campen 
waren  aus  unb  bie  ßonorationen  fort ;  eine  ODaffe 
Strafeengefinbel  hatte  ficb  ber  Bänke  bemächtigt, 
um  3u  fehen,  was  es  gab.  Rm  anbern  Zag 
hörten  wir  von  unferm  Profeffor  Weife  ben  Bus* 
gang  ber  Tragikomöbie ;  es  fei  in  Dubio  geblieben, 


302 


ob  wirhlicb  ein  ernftlicb  Duell  habe  fein  follen. 
Die  Stuöenten  haben  es  geleugnet,  ber  peöell 
aber  befcbworen,  öafe  er  ihre  Unterredung  auf 
öem  Gang  mit  angehört  habe,  unö  bafe  ber  eine, 
öer  Me  Dame  vorstellte,  öer  eine  öel^unbant  unb 
mein  getreuer  Hauptmann  ber  anbre  fein  follte, 
unb  ba^  fie  vor  ber  Or  ihre  f^lingen  gemeffen, 
unb  ^Q^  er  gehört  habe,  auf  wieviel  Gänge,  unb 
wie  fie  ihre  ßalsbinben,  ihre  Stürmer  unb  ihre 
fauftbinben  befichtigt  hätten.  Die  ötubenten 
blieben  babei,  fie  hätten  nur  ihre  Rollen  repetiert, 
unb  bas  habe  alles  follen  auf  bem  Theater  vor« 
geftellt  werben.  Cs  war  nichts  3U  machen,  man 
mufete  fie  laufen  laffen;  fie  gaben  bem  ReWor 
ihr  €hrenwort,  keine  ßänbel  an3ufangen,  hielten 
noch  einen  l^ommers  unb  jubelten  bis  fpät  in  bie 
nacht.  -  Der  Gang  bes  Stüchs  hatte  noch  hein 
Cicbt  auf  feinen  Inhalt  geworfen.  Die  eigentliche 
Pointe  bes  Creigniffes  war,  bafe  fie  bie  mangelnbe 
Rataftrophe  besfelben  erfetjen  wollten  unb  baber 
in  Gegenwart  bes  Pebells,  ben  fie  nicht  3U  be^^ 
merhen  fcbienen,  unb  ber  fich  hinter  einen  Schrank 
verftecht  hatte,  bie  ganse  Gefcbichte  ihm  weife 
machten.  Sie  hatten  ihm  fchon  früher  Rrgwohn 
beigebracht  unb  liefeen  fo  bie  ganse  Verfammlung 
mitfpielen,  bie  fich  babei  auch  höchlich  amüfiert 
hatte,  unb  gewife  hat  fich  jung  unb  alt  noch  eine 
Weile  von  allem  f^omifchen  3U  er3ählen,  was 
babei  vorfiel. 

DDDa 


D©ö Q©0 fl©0 


Du  frägft  mich  fo  viel  in  Deinem  Rbfcbieös^ 
fcbreiben,  Du  belebrft  micb,  Du  3anNft  micb 
verborgen  unter  beimlicber  Deche,  unö  nocb  fo 
viel  fragen  wechft  Du  mir  im  ßewiffen;  -  unö 
voll  ift  bie  Bruft  von  öer  fülle,  bie  Du  mir  all 
in  Deinem  Brief  fpenöeft,  öafe  icb  auch  wie  öie 
Rofenhnofpen  angefcbwellt  bin  unb  möcbte  auf= 
brechen  bem  Cicbt  unb  gar  keine  anbre  Rechen^ 
fcbaft  mehr  geben  als  ben  Duft,  hen  gleich  ber 
Rofe  meine  6eele  ausbaucht,  weil  Du  fie  wie  bie 
Sonne  wärmft  unb  reiseft.  -  Rber  boch  wenb 
ich  3ur  einfachften  frage  mich,  „was  ich  mit 
meinem  Gelb  anfange,"  unb  gebe  Dir  bie  bümmfte 
Antwort,  wo  Du  gleich  meinen  wir[t,  ich  war 
närrifch.  Ich  habe  bas  Gelb  verfcha^^ 
gräbert!  -  }a,  demente,  ich  bab's  in  ein 
hlein  leinenes  Beutelchen  geftecht,  worauf  ich  mit 
Golbfaben  unb  roter  öeibe  meinen  Hamen  ge- 
fticht  hob  unb  noch  allerlei  habaliftifche  3eichen. 
Ich  bab's  3ugeyiegelt  mit  einem  fchwar3en  Siegel, 
einem  grünen  unb  einem  roten,  bann  hab  ich  ein 
Coch  gegraben  3wifchen  ben  3wei  ftarken  Wur3eln 
ber  Pappel  an  ber  Bojenwanb.   Da  hab  ich's  in 


304 


einen  leöernen  öcbub  bineingefcboben  unö  einen 
Zopf  mit  einem  Bajilil^umftraucb  Örauf  geftelU, 
unb  allemal,  wenn  icb  Gelb  hriegte,  wecbfelte  icb 
Öavon  in  öolö  um,  unb  allemal,  wenn  ber  (Donb 
fcbien,  ging  icb  mit  öem  Spi^  bin  unb  legte  es 
basu,  unb  öabei  bab  icb  Öas  ÖelübÖe  getan,  icb 
wollte  es  verfcbweigen ,  unb  weil  Du  mir  bas 
öcbweigen  fo  febr  anempfieblft,  fo  ersäble  icb 
Dir  bas  einsige  Gebeimnis,  was  icb  bätte  ver* 
fcbweigen  l^önnen,  unb  nun  \\i  alles  leer  an  Ce- 
beimnis,  unb  icb  hann  alfo  nicbts  mebr  ver* 
fcbweigen!  -  Denn  fonft,  -  mit  bem  Or)unb  blofe 
nicbt  reben,  bas  ift*s  bocb  nicbt,  was  Du  meinft,  ha 
bie  Tante  ficb  alle  (Dübe  gibt,  mir  absugewöbnen, 
ha^  icb  nicbt  wie  ein  ftummer  Ölgötse  ben  Ceuten 
in  ben  (Dunb  guche,  bie  micb  etwas  fragen.  - 
3a,  mit  meiner  Scba^vergrabung,  bavon  will  icb 
Dir  nocb  fortersäblen ,  weil  icb's  nun  bocb  fcbon 
gefagt  bab.  Icb  babe  bies  Gelb  ber  Selene 
gewibmet,  ber  ßimmelsfcbwefter  bes  ßefperus; 
biefe  beiben  finb  unfre  Scbu^patrone;  ber  Stern 
ift  ber  meinige  als  ßruber,  ber  micb  abenbs 
immer  befucbte,  ber  (Donb  ift  ber  Deine,  ber  Dein 
Rnbenken  oft  mit  feinem  6cbein  in  mir  erbellt. 
nun  bab  icb  aber  biefes  Opfer  bocb  ber  Selene 
wieber  geraubt,  mit  3agen  3war  -  icb  babe  bas 
Gelb  eilig  am  Rbenb  ausgegraben  unb  bab's 
über  bie  Gartenmauer  geworfen  in  ben  Garten 
vom  (Dagnetifeur  nebenan.  Icb  borte  es  hlingeln, 
wie's  binabfiel,  unb  icb  rief  basu  fo  laut  als  icb 
konnte,  obne  tia^  man's  im  ßaus  bätte  boren 
hönnen:  „Da  ift  Reifegelb!"    Unb  bann  war 


829 =  305 

mir  auch,  als  hörte  icb  Öas  Gelb  rappeln  beim 
Aufbeben,  aber  icb  lief  fort  -  Denn  bie  ^ante 
hatte  am  Zag  vorher  bei  tlifcb  ersählt,  öer 
COagnetifeur  möcbte  gern  abreifen,  aber  es  fehle 
ihm  am  Reifegelb.  Bber  er  ift  bocb  noch  ba, 
benn  icb  feb  ihn  alle  Bbenb  noch  im  Garten 
geben  unb  beobachte  ihn  vom  ßoffenfter.  Icb 
fcbäme  micb  fo  fehr  unb  traue  mich  gar  nicht  mehr 
in  ben  Garten,  wo  wir  fonft  als  über  bie  Wanb 
allerlei  (Derkwürbiges  verhanbelten.  Rber  nun 
kommt  was  Schrechlicbes ,  was  ^a  paffiert  ift, 
mir  iff s  paffiert  -  Denk  Dir,  ber  alte  Schub,  in 
ben  ich  mein  Gelb  hineingefteckt  hatte,  um  ^en 
fchönen  Beutel  3U  fchü^en,  war  eigentlich  ein 
neuer  Schuh;  fein  l^ompagnon  ftanb  gans  ver* 
gnügt  in  bem  kleinen  f^aften  bei  l>en  anbern 
Schuhen.  Ich  foll  abgeholt  werben  nach  franko 
fürt  morgen  früh.  Die  ^ante  fragt:  „Wo  ift  benn 
ber  anbre  neue  Schuh  ?  Das  ift  grofee  Schlamperei 
von  bir,  einen  Schuh  3U  verlieren;  icb  mufe  bicb 
fehr  bitten,  ftrenge  bicb  an,  ihn  3U  finben."  Ich 
lief  in  t)en  Garten,  ich  holte  meinen  Schub  unter 
ber  Pappel  hervor;  icb  wollt  ihn  ein  bifecben 
reinigen  an  ber  Pumpe  unb  verfuchte  ihm  ein 
finfehen  3U  geben,  ha  fällt  was  heraus,  bas 
glän3t  in  ber  Dämmerung :  ein  Ring.  Icb  lafe  ben 
Schuh  ftehen,  ein  bunkler  Stein,  ber  funkelt  fo 
näcbtlich  fchwar3  wie  ber  Bli^  bes  Räubers  ober 
wie  (Dirabeaus  Auge  vielleicht,  unb  inwenbig 
im  Schilb  ftanb  ein  fchwar3es  M. 

Wir  geben  morgen  auf  bie  grüne  Burg  3U 
ben  Gefchwiftern,  acht  Zage  bleiben  wir  bort;  bie 
Srit^cb  =  Strobl.  20 


306 


Oötterlebre  nehm  ich  mit  unö  öen  Ring.  Wo 
foll  ich  ihn  laufen?  leb  glaub,  er  ift  ein  Talisman; 
icb  bab  fcbon  allerlei  fragen  unÖ  Befeble  um 
(Ditternacbt  an  ibn  ergeben  laffen,  aber  5er  Geift 
ift  nicbt  erfcbienen,  Öer  mir  vielleicbt  beifteben 
wollte,  bumme  Streiche  3U  machen. 


Dr-,D  n  ^rP  n  ^rP 


Y 


euer  in  öer  ßlaufärberei 


Den  wollt  icb  Dir  wobl  fcbreiben,  ben  fcbönen, 
langen,  biftorifcben  Brief,  wenn  nur  was 
vorgeben  wollte!  -  leb  babe  3war  gar  keine 
Heigung,  öafe  etwas  vorgeben  foll,  aber  öocb, 
wie  le^t  in  öer  Blaufärberei  am  i^anal  feuer 
ausbracb,  macbte  mir  öas  ein  unenölicbes  Ver- 
gnügen; Öamit  ftimmte  Öas  Volh  mit  feinem 
Scbaufpielertalent  überein.  -  €ine  Versweiflungs* 
unb  3Q"i"^ergefcbreihomööie,  gewürst  mit  ben 
ausgelaffenften  öcbersen;  bas  gan3e  war  un* 
wiöerfteblicb;  icb  bebauerte,  bafe  es  nicbt  fcbich= 
lieb  war,  mit3ufpielen,  fonbern  nur  3U3ubören.  - 
Gegenüber  vom  f  euersbrunfttbeater  im  freien  §elb 
ftebt  bas  grofee  f5aus,  worin  Bernarbs  blafenbe 
inftrumentiften  alle  wobnen,  bie  mancbmal  fieb 
bas  piäfier  macben,  aus  allen  §enftern  beraus 
naeb  ben  vier  Weltgegenben  bin  ibre  Paffagen  3U 
exer3ieren ;  biefe  waren  bureb  bie  ausfeblagenben 
flammen  in  Begeiftrung  verfemt.  -  Sie  bliefen 
Cufcb,  wenn  ein  6tüeh  Daeb  einfiel  ober  (Dauer!  - 
Was  einem  boeb  gleieb  Cebensübermut  bureb» 
ftrömt,  wenn  bie  (Denfcbbeit  niebt  fo  ängftlieb  am 
Befi^tum  klebt!  —  Wenn  man  bort  ODitleibs» 
quellen  riefeln  über  bas  ein3ige  bifeeben  ßabe, 
was  ben  Rrmen  nun  verloren  ift,  -  bas  maebt 
fo  malabe;  es  ftebt  einem  ber  Verftanb  ftill,  ba 

20* 


300 


öocb  gewife  jeber  genug  hätte,  wenn  jeöer  wüfete, 
was  er  mit  bem  feinen  anfangen  foU.  -  Der 
Blaufärber  hatte  öie  grofemütigfte  Gleichgültigkeit 
bei  biefem  Verafchen  feiner  Cinbläuung.  Unb  es 
harnen  öie  närrifcbften  Wit5e  vor  bei  ber  Juben^ 
fpri^e,  bei  welcher  ber  t3laufärber  felber  ftanb 
unb  fie  fortwährenb  birigierte  gegen  bie  3wei 
uralten  Cinben  in  feinem  f5of,  bie  fein  Ururgrofe- 
vater,  ber  auch  Blaufärber  war,  gepflanst  hatte, 
unter  benen  ber  Färber  feine  l5och3eit  gehalten.  - 
„Wenn  ihr  mir  bie  erhaltet,"  fagte  er  3U  ben 
3uben,  Jo  fcbenh  ich  euch  3wan3ig  Caler."  - 
nun  würben  bie  Juben  fo  feurig,  lauter  arme 
Cumpen!  -  Cs  gab  ein  6e3änh  mit  ber  poli3ei; 
fie  wollte  auf  bie  unnü^ien  Cinben  Nein  Waffer 
verwenbet  haben.  Die  }uben  fchrien  mörberlich, 
als  man  ihnen  ^en  Schlauch  entrife,  nach  bem 
Blaufärber;  ber  ham  herbei  unb  mufete  ihn  wieber 
erobern.  „Was  folle  bie  alte  Bääm,"  fagt  ber 
ßerr  poli3ei.  -  „Wie,  ßerr  Poli3ei!  Sie  fchmähen 
bie  alten  Cinben,  bas  Wahr3eichen  von  Offen* 
hoch?  -  €i,  bo  hönnt  gan3  Offenbach  abbrenne 
unb  bie  Wahr3eiche  bliebe  alleen  ftehn.  Die 
könnten  boch  bas  (Daul  nicht  uftun  unb  er3ähle, 
ba^  Offen bach  ba  geftann  hat."  -  Die  Cinben 
würben  übrigens  gerettet,  benn  bie  juben  liefeen 
f ich  nicht  3U  nah  kommen !  -  Die  ßorniften,  ßaut- 
boiften,  Rlarinettiften  unb  Jagottiften  fchmetterten 
ihre  Paffagen  ba3wifchen  wie  freie  Oötterföhne 
in  bes  (Donbes  blauem  Cicht,  ber  über  ihrer 
Wohnung  thronte  unb  nichts  von  feinem  Ölan3 
verlor  burch  bie  gegenüber  aufqualmenbe  feuer* 


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faule,  5ie  ficb  oft  vom  Raucb  nieber  mufete  örüchen 
laffen.  -  Der  (Donö  bat  Cbarahter,  Öie  Geftirne 
haben  Cbarakter;  ber  ßimmel,  öer  fie  trägt  wie 
ein  Baum  Öie  Apfel,  Öer  ift  5er  Cbarakterbaum.  - 
Die  (Denfcbenfeele  ift  ein  hleiner,  fUegenber 
öamenftaub,  öer  einen  guten  BoÖen  fucbt,  um 
Qucb  CbaraNter  3u  weröen.  Das  WerÖen  -  öas 
grofee  Weröen  -  ift  unb  foll  fein  ber  ein3ige 
Genufe,  fagt  bie  Günberoöe ;  ber  wirb  aber  nicht, 
ber  nicht  göttlich  wirb,  fagt  bie  Günberobe  auch 
noch.  -  für  beut  bab  ich  genug  gefchrieben;  nun 
wünfch  ich,  ^a^  morgen  wieber  was  vorfallen 
möge,  einsig,  um  meinen  biftorifchen  Brief  fort^ 
fe^en  3U  können.  - 


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männewei      o     o     o     o 
tZDDCIDDIIZlDCIIlDilDDEZDD 


nein,  beute  ift  nicbts  weiter  vorgefallen,  was 
icb  biftorifcb  nennen  könnte;  ber  Zqq  ift 
total  vorbei !  unb  nicbts,  was  nur  ben  ßunb  bätte 
3um  Bellen  gebracht.  -  Dur  eine  hleine  elegifcbe 
63ene.  Die  Grofemama  bat  mancbmal  einen  Ver* 
brufe  an  fo  einem  Sebervieb;  wenn  es  in  ibre 
ßausorbnung  ficb  nicbt  fügt,  fo  mufe  es  gefcblacbtet 
werben.  Diesmal  traf  bas  traurige  Cos  ber  ßin* 
ricbtung  ein  impertinentes  f5ubn,  was  immer  mit 
grofeer  öefcbwinbigNeit  bie  Weisenhörner,  welcbe 
fie  für  alle  ftreut  als  Deffert  3um  ßaber,  für  ficb 
allein  erfcbnappte.  Das  ßubn  war  von  (Deline 
in  Rffehtion  genommen,  gleicb  als  es  aushrocb, 
beifet  (Dännewei,  von  ODannweibcben ,  weil  es 
lang  unentfcbieben  blieb,  ob  bas  Z\ev  ein  ßabn 
ober  f3ubn  fei,  ^a  es  einen  fo  roten,  ftol3en, 
boppelten  f^amm  unb  einen  fcbönen  roten  Bart 
bat.  f^ur3,  icb  homme  grabe  an  ber  f^ücbe  vor» 
bei,  wie  bie  taube  Rgnes  auf  bem  5cbemel  fi^t, 
bas  ßubn  3wifcben  ben  l^nien,  bas  (Deffer 
we^t.  -  leb  fpringe  bin3U,  3ieb  Z>en  öcbemel 
unter  ibr  weg,  fie  fällt  auf  bie  Hafe,  bas  f5ubn 
unter  bem  (Deffer  weg  flattert  mit  grofeem  Oe* 
fcbrei  burcbs  f^ücbenfenfter.  €s  war  bie  3eit, 
wo  bie  anbern  f5übner  fcbon  alle  im  ßübnerftall 
mit    ibrem   ßabn   ber   golbnen   Rübe    geniefeen. 


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f^aum  borten  \\e  aber  öas  Hotgefcbrei  Öer  ßenne, 
als  alle  loslegten  mit  Gachern!  leb  war  voll 
Scbrech  über  meine  Rübnbeit,  Öie  ßinricbtung  3U 
verbinöern.  leb  jagte  bas  ßubn  öureb  öen  Garten ; 
gan3  am  Cnb  Öer  Pappelallee  fing  icb's  erft  ein. 
Wo  follte  ieb  mit  bin?  Bracbt  ieb's  3urüeh,  fo 
würbe  es  Öennoeb  abgetan;  aber  mir  fcbauöerte/ 
eine  Suppe  von  öiefem  ßubn  3U  effen.  -  leb 
marfcbierte  3um  Gärtner  im  Bosl^ett.  -  Der 
nimmt  es  unter  feine  Obbut,  bis  beffere  Seiten 
hommen.  -  Wie  hann  man  aueb  'Ciere,  öie  täg= 
lieb  unter  uns  berumlaufen,  uns  trauen,  einem 
niebt  aus  öem  Weg  geben,  plö^licb,  was  fie  gar 
nicbt  gewärtig  finb,  überfallen  unö  freffen.  Die 
taube  Rgnes  ift  febr  erfebroehen,  Öafe  5er  Polter* 
geift  öie  Scbawell  unter  ibr  wegge3ogen  bat. 
Sie  er3äblt  nocb  mebrere  Sälle  von  biefem  Spuhe= 
Öing;  -  einmal  war  es  mit  ibrer  ßaube  aus* 
geriffen,  -  fie  war  aber  am  Senfterriegel  bangen 
geblieben.  -  Diesmal  mit  Öer  föenne;  Neiner 
glaubt  ibr  öas,  aber  jeber  wunöert  fieb,  bafe  es 
verfcbwunben  ift  unb  niebt  wieöer  erfcbeint.  - 
„Unb  enblieb,"  meint  bie  Agnes,  „werben  wir's 
bocb  einfeben,  bafe  es  fpuht."  Die  alte  Rorbel 
fe^te  fieb  mit  bem  Räbeben  berbei,  bie  Rgnes 
er3äblte  lauter  Gefcbicbten  vom  Rüebenteufel,  eine 
gan3  aparte  f^laffe;  wollt  ieb  aueb  je^t  fagen, 
ba\i  ieb  bas  ßubn  weggefcbleppt  babe,  heiner 
würbe  es  glauben.  -  Rbenbs  beim  Sternen* 
fcbimmer,  wo  ieb  ben  l^opf  weit  aus  unferm 
(Danfarbfenfter  ftrechte,  um  reebt  viele  Sterne  3U 
3eugen  meines  feierlicben  Sebwures  an3urufen, 


312 


tat  icb  ÖQS  Gelübbe,  alles  l>xQn  3U  wagen,  wenn 
icb  einen  (Denfcben  in  Gefahr  jebe,  unö  wenn 
aucb  felbft  öas  ODefjer  fcbon  über  feinem  ßaupie 
fcbwebi  —  €in  rafcber  Cntfcblufe  vermag  viel, 
aber  3agen  ifi  bas  Veröerben  aller  Örofetaten! 
f5ätt  icb  nur  einen  Rugenblich  micb  begonnen,  fo 
lebte  je^t  l^ein  (Dännewei  mehr!  —  Unb  mit  fo 
einem  Hier  ift's  eine  befonöere  öacbe ;  man  weife 
nicbt,  ob  es  ein  ^enfeits  bat,  bocb  lebt  es  gern, 
bocb  bat  es  mebr  mit  ber  Hatur  3U  fcbaffen  wie 
wir,  bocb  gebort  ibm  bie  Welt,  jeben  Bugenbli<*? 
es  örauf  verweilt.  Ja,  es  ift  ber  (Dübe  wert,  ein 
Ceben  3U  retten,  fei,  es  welcbes  es  wolle.  Rcb, 
bie  öcbwäne  fallen  mir  bier  ein,  bie  ibr  fcbnee» 
weife  Cefieber  im  eignen  Blute  mufeten  baben, 
bie  ßelben  ber  Oironbe!  - 


flltenburg 

Piererfcbe  f5(Jfbucböru*erei 

Stephan  öeibel  &  Co.