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Full text of "Geschlecht und Gesellschaft 14.1926-27, H. 10"

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Geschlecht und 


Seca 


Illustrierte Monatsschrift für 
Sexual wissenschaft, Hygiene, 
Biologie und Menschenliunde 


XIV. Jahrgang Heft 10 
Aus dem Inhalt: 


Prof. Dr. Friedrich S. Krauß: 


Frauenseelenweihungen (Fortsetzung) 


Hofrat Pachinger: 
Humor in alter Rechtspflege 
(Mit Abbildungen) 
P. Ambros Mayer O. S. B.: 
Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 
(Schluß) 
Dr. rer. pol. Felix Solterer: 
Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der 
toten Materie 
Richard Linsert: 
Internationaler Kongreß für Sexualforschung 
Theodor von Sosnosky: 
Hinter dem Vorhang 
Betrachtungen und kleine Mitteilungen. 


RICH. A. GIESECKE, DRESDEN-A. 24 
(Verlag für Menschenkunde und Sexualwissenschaft) 


Preis des Einzelheftes Mk. 1.— 


In neuer Auflage ist soeben erschienen das seit Jahren vergriffene Werk: 


Ploss-Bartels 


Das IDeib 


in der 


Nafur- und Dölkerkunde 


Oänzlich neu bearbeitet und herausgegeben von 


Ferdinand Freiherrn von Reitzenstein 


Elfte stark vermehrte Auflage mit über 1000 Abbildungen 
im Text und ganzseitigen Tafeln, 8 farbigen Spezialtafeln. 


Insgesamt über 2000 Seiten Text. 


Drei starke Bände, Lexikon-Format. 


Eleganter Ganzleinenband mit Goldprägung 
Preis 125.— Mark. 


Der langjährige Herausgeber und Mitarbeiter unserer Monatsschrift 
Freiherr von Reitzenstein hat es in vieljähriger, mühseliger Arbeit ver- 
standen, den Text dieser bedeutendsten Monographie über das Weib 
in wirksamer Weise zu vervollständigen und ihn den Anschauungen der 
modernen Forschung anzugleichen. Ebenso ist das Bildermaterial durch 
zahlreiche Neuaufnahmen ergänzt worden. So liegt denn das Werk in 
einer Form vor, die seinem Ruf als unentbehrliches Handbuch für 
den Anthropologen, Naturforscher und Arzt, ebenso aber auch für den 
wissenschaftlich interessierten Laien von Neuem bestätigen wird. 


Die Neuauflage ist in drei Bände eingeteilt, deren erster zunächst 
den Organismus des Weibes behandelt und seine soziale Stellung. Der 
zweite Teil zeigt uns das Weib im Geschlechtsverkehr und bei der Geburt, 
während der dritte das Weib als Mutter, in ihrem Leben außerhalb des 
Geschlechtsverkehrs, nach Aufhören der Fortpflanzungstätigkeit und 
schließlich in und nach dem Tode schildert. 


In dieser glänzend ausgestatteten Neubearbeitung bildet das Werk 
eine grundlegende Quellensammlung, die von dauernder größter Bedeu- 
tung in der wissenschaftlichen Literatur bleiben wird. 


Richard A. Giesecke, Buchhandlung, 
Dresden-A. 24. 


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Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 33 


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Auspeitschung von ledigen Mädchen und Dirnen am Pranger. 
Nach einem Stich von Chodowicki 1782 


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Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 34 


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Sehr ähnliches nach der Stockholmer Originalzeichnung gestochenes Profil 
des Königsmörders Ankarström, Stockholm, wie er vor seiner Hinrichtung 
gestanden hat 


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Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 35 


Streckung einer schwangeren Hexe zur Erpressung eines Geständnisses. 
Stich um 1750 


Tafel 36 


Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 


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Frauenseelenweihungen. 


Von Prof. Dr. FRIEDRICH S. KRAUSS, Wien. 
(Fortsetzung.) 
IV. Frauenseelenweihungen für Verstorbene. 

Die Frage ist vielleicht nicht so zu stellen, wo man überall in 
der weiten Welt schöne oder minder holde Frauen dem Geister- oder 
Seelendienste zuliebe hingemordet, vielmehr wo und warum man dies 
da und dort bei den Völkern zu tun unterlassen habe. Die Voraus- 
setzung für diese Art Frauenhinopferungen ist jedenfalls eine stark 
ausgestaltete, bei einem Volke bereits fest eingewurzelte Geisterfurcht 
und eine Ahnenverehrung, die sich hauptsächlich die Volkshäuptlinge 
zu leisten vermochten. Die miserrima plebecula war schon um ihrer 
Selbsterhaltung willen genötigt, ihre Frauen mehr zu schonen als die 
Reichen, die Machthaber, welche deren oft im Überflusse besaßen. 
Zudem kleben auch die Frauen zäh am Leben. Daß sich junge, 
schöne Frauen aus Harm und Gram nach ihrem Liebsten selber töten, 
kommt ausnahmsweise überall vor, daß sie sich jedoch aus lauterer 
Begeisterung für einen Verstorbenen abmurksen, ersäufen oder ver- 
brennen lassen, das mögen geschäftskundige Pfaffen — das Wort 
Priester vermeide ich in diesem Zusammenhange anzuwenden — 
immerzu beteuern und ihre Leichtgläubigen ihnen nacherzählen. Auch 
die nächsten Angehörigen der auserlesenen Opfer sind nicht immer 
oder richtiger niemals damit einverstanden, ihre ihnen lieben, anmutigen 
und teueren Blutsverwandten gesunderheit zu verlieren, mag man es 
ihnen noch so eindringlich weis zu machen versuchen, es lasse sich 
die Rückkehr des Toten nur dadurch vereiteln, daß man ihm seine 
Frauen nachschicke, auf daß er auch im Geisterreich seinem Ge- 
schlechtstrieb weiter obliege und sich nicht langweile. 

Frauen schätzen das Leben so hoch ein, daß sie nun und nimmer 
in den Schützengräben und im Schnellfeuer der Schlachten ausgeharrt 
haben würden. Nach dem äußerlichen Abschluß des Männer- 
ausrottungsweltkrieges hatte ich als Armenvater deutscher Frauen 
und Kinder, deren Ernährer im Kriege gefallen oder verschollen und 
die auf einmal zu S.H.S.-Staatsbürgerinnen geworden und in bitterste 
Notlage geraten waren, in mehr als 700 Fällen Gelegenheit, die 
Frauenseele zu erkennen. Sobald ich ihnen von der Regierung in Bel- 
grad die ihnen gebührenden Ruhegehalte und den Kindern die Er- 
ziehungsbeiträge erwirkte, was, zu Ehren der Serben sei es gesagt, 


jedesmal bestens gelang, ertrugen sie in ihren des meisten Hausrates 
G. u. G. XIV d 28 


434 Krauß: Frauenseelenweihungen 


entblößten öden Behausungen in unfaßbarer Ergebung Leid und Elend, 
weil Hoffnung auf bessere Zeit ihren Mut aufrecht erhielt. Männer 
an ihrer Stelle wären Verbrecher geworden oder hätten sich selbst 
gemordet, Frauen jedoch kleben am Leben. 

Die Todarten, wie welchen man die schönen Frauen ihren ver- 
ewigten Ehegemahlen nachsandte oder nachsendet, unterliegen der 
Mode, ländlich sittlich. Segnete ein großer Häuptling auf den Salomo- 
eilanden das Zeitliche, so schlug man seinen Ehefrauen mit Schlacht- 
kolben die Schädel ein. Auf den Fidschieilanden erwürgte man bei 
Bestattung eines hervorragend bedeutenden Mannes seine Frauen, 
Freunde und Knechte. Die Basuto schlugen nach dem Begräbnis 
auf dem Grabe des Mannes seine Witwen tot. Will die chinesische 
Witib „auf dem Rücken des Storches in den Himmel aufsteigen, 
das heißt, sich erhängen, so begleitet man sie in feierlichem Umzug 
und errichtet ihr einen Triumphbogen für ihren ehrenvollen Selbst- 
mord“. Wie uns Homeros verbürgt, opferten die Hellenen Poly- 
xenen am Grabe des Achilles. Bei den Herulern erhängte sich 
die Frau am Grabe ihres Ehegatten mit einer Schlinge. Wie Hero- 
dotos berichtet, war es bei den Skythen Brauch, beim Ableben des 
Königs eine der Beischläferinnen, den Mundschenk, den Koch und 
den Roßknecht zu erdrosseln. Bei den Polen, Wenden und Russen 
ist die Witwentötung meist durch Feuertod gut bezeugt. Bei den 
Südslaven verherrlicht die Guslarendichtung den Selbstmord aus 
Liebesgram und Weltekel durch Dolch, Gift oder Wassersprung. 
Bei den skandinavischen Germanen bestand noch lange genug der 
Brauch, daß man die Witwe samt dem Leichnam des Gatten auf 
ein Schiff setzte und beide gemeinsam verbrannte. 

Am bekanntesten ist bei uns die indische Witwenverbrennung 
geworden, die ja noch immer allen englischen Gesetzen zum Trotze 
nicht ganz abgekommen zu sein scheint. Sie ist nur selten und war 
es auch in früheren Zeiten, weil doch nicht täglich namhafte be- 
deutende Männer dahinsterben, von dem gewöhnlichen toten Männer- 
gesindel aber nicht viel zu befürchten und zu besorgen war, weshalb 
man die Witwen der zeitraubenden und kostspieligen Verbrennung 
auf Scheiterhaufen nicht unterzog. Die Begleitumstände der Witwen- 
verbrennungen bespricht übersichtlich und am besten M. Winternitz 
so: „Von dem Augenblicke an, wo die Witwe ihren Entschluß zum 
Mitsterben geäußert hatte, galt sie als eine Art Heilige und genoß 
während der Vorbereitungen zum Leichenbegängnis, die oft mehrere 
Tage oder noch länger dauerten, große Bewunderung und Verehrung. 


Krauß: Frauenseelenweihungen 435 


Immer war sie festlich geschmückt, wie zu einer Hochzeit. Der Fest- 
zug, der sie zum Scheiterhaufen begleitet, wird oft wie ein Hochzeitszug 
geschildert. Nie fehlte lärmende Musik und die Begleitung einer 
begeisterten und bewundernden Volksmenge, an deren Spitze die 

Priester und die Verwandten einherzogen. Die Witwe hatte gewöhn- 
lich eine Zitrone in der einen und einen Spiegel in der anderen 
Hand. In feierlicher Weise umschritt sie dreimal oder siebenmal 
den Scheiterhaufen, der gewöhnlich in der Nähe eines Flusses er- 
richtet wurde. Endlich besteigt sie den Scheiterhaufen. Manchmal 
wird die Leiche quer über sie hingelegt oder sie sitzt auf einem Stuhl 
mit dem Kopf der Leiche auf ihrem Schoß. In manchen Gegenden 
sitzt die Frau mit dem Leichnam in einer Hütte. Anderswo wird ein 
Gerüste auf Pfosten errichtet, die man leicht wegnehmen kann, so 
daß die flammenden Balken nach dem Anzünden sofort über die 
Leichen zusammenstürzen. Brahmanen mit Fackeln stehen um den 
Scheiterhaufen herum, den sie auf ein vom leitenden Priester gegebenes 
. Zeichen entzünden. Nach anderen Berichten ist es die Witwe selbst, 
die den Scheiterhaufen in Brand setzt oder wenigstens das Zeichen 
dazu gibt. Nach der Verbrennung sammelte man die Asche und 
. warf sie in den Fluß. Der Sati zu Ehren errichtete man ein Denkmal 
aus Stein, begoß es mit Öl und bestrich es mit roter Farbe; sie 
selber aber galt von da an als eine Ortheilige und genoß geradezu 
göttliche Verehrung. 

In Orissa und an der Koromandelküste geschah die Verbrennung 
in der Weise, daß man eine tiefe Grube machte, sie mit Holz und 
Spezereien füllte und die Leiche hineinlegte. Dann entzündete man 
das Feuer und die Witwe stürzte sich in die brennende Glut hinein. 
Auch kam es vor, daß man die Witwe mit dem Leichnam lebendig. 
begrub.“ | | 
| Daß öfter religiöser an Geistkrankheit grenzender Wahn die 
Frauen dazu trieb, wie Winternitz annimmt, ist richtig, nur bezweifle 
ich gar sehr, daß er öfter bei den Frauen als bei den indoarischen 

Pfaffen auftrat. In einem wertvollen Aufsatze über religiöse An- 
schauungen und Menschenopfer in Togo sagt H. Klose nach eigenen 
Ermittlungen: „Nach dem Glauben der Dahomeer, der Nachbarn des 
Evhevolkes, die sich durch die enge Berührung verwandtschaftlich 
nahe stehen, waren noch zu Beginn der 90 er Jahre, vor der fran- 
zösischen Okkupation, öffentliche Menschenopfer bei dem Tode eines 
Herrschers allgemein im Gebrauch. Vor allem wurden die Lieblings- 
frauen und hunderte von Sklaven getötet, die oft freiwillig und freudig 

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436 Krauß: Frauenseelenweihungen 


in den Tod gingen, um ihrem Herrn ins Jenseits zu folgen. Nach 
den Berichten der Reisenden soll es kein eigentliches Trauerfest, 
sondern ein Freudenfest mit Gesang und Tanz gewesen sein. Nach 
dieser Auffassung leben die Geister der Verstorbenen ganz wie auf Erden 
im Reiche der Toten weiter fort. Daher muß der König seine Bedienungs- 
und Lieblingsfrauen zu seinem Hofstaat um sich versammelt haben, 
damit er auch dort als Herrscher dementsprechend auftreten kann. 
Bei ärmeren Leuten opferte man daher auch nur gewöhnlich die 
Lieblingsfrauen. So richteten sich diese Opfer der Anzahl nach ganz 
nach dem Ansehen und Vermögen des Verstorbenen. Auch die 
Aschanti hatten ähnliche Opfer beim Tode eines Großen, wo man 
die sogenannten Totenbegleiter mit gebrochenem Genick zu Füßen 
des verstorbenen Herrn ins Grab legte.“ 

Klose vermutet, daß auch bei den Evhe früher ein derartiger 
Kult stattgefunden habe. Wichtig sind aber auch seine Angaben 
über die üblichen Hinopferungen eines der Zwillingskinder: 

„Die Furcht vor den bösen Dämonen geht sogar so weit, daß 
selbst die Mutter ihr Liebstes opfert. In der Landschaft Kratyi tötet 
man unbarmherzig die Zwillinge, weil die Leute glauben, daß ein 
böser Geist seine Hand mit im Spiel gehabt hat. Hat eine Frau 
das Unglück, zum zweitenmal Zwillinge zu gebären, so sollen sogar 
die Leute nicht zurückschrecken, die unschuldigen Kinder einem 
Ameisenhaufen zu übergeben, wie Clerk angibt. Auf diese Weise 
nämlich sind sie der Ansicht, einer weiteren Zwillingsgeburt vor- 
zubeugen. Auch bei den Bassarileuten, wie bei den meisten Natur- 
‚völkern gelten Zwillinge als ein böses Omen. Bei den Bassaris 
jedoch behält man von neugeborenen Zwillingen, wenigstens ein Kind, 
während man das andere in einen großen Topf tut und lebendig 
begräbt. Besteht das Zwillingspaar aus einem Mädchen und einem 
Knaben, so bleibt nur der Knabe am Leben, bei gleichem Geschlechte 
aber schont man das stärkere Kind. Um gewissermaßen die Zu- 
gehörigkeit von Zwillingen zu einander anzudeuten, opfert man ein 
Huhn und teilt es in zwei Hälften. Die eine gibt man dem zu 
begrabenden Kinde mit, die andere bestattet man dagegen in einem 
Topf neben der Grabstätte des Kindes. Dies Opfer soll gleichsam 
den Fetisch versöhnen und den Geist des verstorbenen Kindes an die 
nahen Beziehungen des lebenden SES erinnern, damit er sich 
nicht an ihm räche. 

Nachgeborene Zwillinge begräbt man ebenfalls lebend. Der Vater 
geht dann zum Fetischpriester, um dem Fetisch zu opfern und ihn 


Krauß: Frauenseelenweihungen o 437 


zu bitten, daß er ihn vor einer Wiederholung des Unglücks behüten 
möchte. Solche Frauen, Mütter von Zwillingen, dürfen nicht mehr 
zur Einsaat und Ernte der Früchte auf das Feld gehen, da sie auch 
die Frucht des Feldes verderben könnten. Erst nach der Wieder- 
geburt eines Kindes erlaubt ihnen das Fetischgesetz, wieder an der 
Feldarbeit teilzunehmen.“ | | 

Statt erwachsener Frauen legte man bei den Wabena in Deutsch- 
ostafrika, wie der Missionar Martin Priebusch berichtet, dem ver- 
storbenen Häuptling. zu beiden Seiten Kinder im Säuglingsalter mit 
ins Grab. Man begrub die Säuglinge lebend mit der Leiche des 
Häuptlings. Waren zufällig keine vorhanden, so benutzte man größere 
Kinder dazu. Ehe man sie bestattete, erstickte man sie vorher. Man 
hielt ihnen so lange Mund und Nase zu, bis sie tot waren. Huben die 
kleinen Kinder, die man lebend ins Grab zum toten Häuptling legte, 
zu weinen an, ehe sie mit Erde bedeckt waren, so nahm man sie wieder 
heraus und begrub an ihrer Stelle andere mit, die sich ruhiger ver- 
hielten. Wollte sich gar kein Kind finden, das beim Begrabenwerden 

Stille war, so machte man ein Kind, das gerade zur Hand war, auf 

oben geschilderte Weise erst stille und legte es dann der Leiche 
des Häuptlings zur Seite. Oben auf die Leiche lagerte man auch 
erwachsene Männer, die man auf gleiche Weise getötet hatte. 

Selten ist die Hinopferung von Jungfrauen zu Ehren verstorbener 
Frauen, doch kommt auch sie vor. So berichtet z. B. Dr. M. Kranz, 
der sich viele Jahre lang bei den Zulus aufgehalten: „Wie sehr 
bisweilen Mütter oder Frauen scheinbar verehrt worden sind, beweist, 
daß der Zuludespot Tschaka beim Tode seiner Mutter Mnante, 
einer ränkeschmiedenden, ehrgeizigen alten Frau, über tausend Rinder 
opfern ließ, und nachher seine Krieger, die beim Grabe Wache 
hielten, damit festlich bewirtete. Dabei ließ er zehn auserlesene 
Jungfrauen lebendig mit der Verstorbenen begraben und die Krieger 
mußten ein allgemeines Niedermetzeln von mehreren Tausenden 
Menschen zurEhre der Toten, zu ihrem Hofstaate im Jenseits, ausführen.“ 

An der Küste von Peru begrub man die Witwen lebend mit dem 
Leib ihres verschiedenen Ehemannes und bei den Natchez schlug 
man ihnen vorerst das Schädeldach ein und bestattete sie im selben 
Hügelgrabe mit dem Manne. Die Belege dazu geben Navarrete, 
Dumont und Gumilla an. | 


438 Krauß: Frauenseelenweihungen 


V. Frauenseelenweihungen zur Erlangung von Frauenblut 
und Frauenfleisch. 

Weibliche Schönheitssucht war mitunter die Quelle bösester 
Grausamkeiten gegen andere schöne Frauen. Solche Fälle kennen 
wir aus vielen Sagen vom Wettbewerb schöner Frauen, wo es bloß 
Rachehandlungen oder Beseitigung unliebsamer Nebenbuhlerinnen 
galt, doch gibt es einen Zauberwahn, daß man sich die Schönheit 
anderer aneignen könne, indem man sich in deren Blut bade. Das 
ist nur eine Spielart des bekannteren Glaubens, wonach man in den 
Besitz des Heldenmutes und sonstiger Tugenden eines Ermordeten 
gelangen werde, esse man von seinem Herzen oder Fleische und 
trinke man sein Blut. Die Sucht, ein Stückchen vom Strick eines 
Gehängten als ein Amulet oder als einen Talisman zu erwerben, 
gehört demselben Gedankenkreis an. Michael Wagner erzählt (1796) 
die grauenhafte Geschichte der im Jahre 1614 verstorbenen Elisabetha 
Bathori, der Ehefrau des Grafen Nadasdy, welche zur Erhöhung 
ihrer eigenen Schönheit hübsche Landmädchen töten ließ, um in 
deren Blute zu baden. Es ist zwar eine eigene Reinwaschungsschrift 
zugunsten besagten Scheusals erschienen, aber sie überzeugt nicht 
mehr und nicht weniger als der abgrundtief überschnappte Denker der 
christkatholischklerikal-juden-protestanten-türkenfresserischen Zeitung 
„Das Vaterland“ in Wien, welcher es unternahm, den sanften Feuer- 
tod der von der Inquisition verbrannten Hexen und Ketzer höchlich lob- 
zupreisen. Die Geschichte der Bathori entspricht dem Charakter jener 
magyarischen Hochadeligen, die sich während des Weltkrieges und 
nachher im Blute der Völker wälzten, um Schönkind zu werden 
und nach dem Kriege in staatlichen Anstalten Banknoten auswärtiger 
Staaten fälschten und in Umlauf zu setzen versuchten. Es gibt im 
Ungarlande eine gar nicht geringe Anzahl Mißvergnügter, ebenso 
in der Tschechoslowakei, im S. H. S.-Staate und in Österreich, welche 
in ihren Zeitungen dafür Stimmung machen, man solle alle diese Ver- 
brechersippen aufgreifen und sie entweder mit Stumpf und Stiel ausrotten: 

od zla roda nek nije poroda 
(von böser Zucht soll keine Aufzucht bleiben) 
oder sie auf wüsten Atollen der Südsee aussetzen, damit Europa 
und die Welt überhaupt zu Ruhe und Frieden gelangen möge. 

Elisabetha Bathori putzte sich ihrem Gemahl zu Gefallen in 
ungemeinem Grade und brachte halbe Tage bei ihrer Toilette zu. 
Einstmals versah eines ihrer Kammermädchen, wie der magyarische 
Geschichtschreiber Thurotz Laslö und Istvanfy berichten und es 


Krauß: Frauenseelenweihungen 439 


gerichtliche Urkunden auch bezeugen, etwas am Kopfputz und bekam 
für das Versehen eine so derbe Ohrfeige, daß das Blut auf das 
Gesicht der Gebieterin spritzte. Als diese die Blutstropfen von ihrem 
Gesichte abwischte, schien ihr die Haut auf dieser Stelle viel schöner, 
weißer und feiner zu sein. Sie faßte sogleich den Entschluß, ihr 
Gesicht, ja, ihren ganzen Leib im menschlichen Blute zu baden, 
um dadurch ihre Schönheit und ihre Reize zu erhöhen. 

Bei diesem grausamen Vorsatz zog sie zwei alte Weiber zu Rate, 
welche ihr den gänzlichen Beifall gaben und ihr bei dem Vorhaben 
an die Hand zu gehen versprachen. In die blutdurstige Gesellschaft 
ward auch ein gewisser Fitzko, Zögling der Elisabetha, auf- 
genommen. Dieser Wüterich tötete gewöhnlich die unglücklichen 
Schlachtopfer und die alten Weiber faßten das Blut auf, in 
welchem sich dann dieses Ungeheuer um 4 Uhr morgens in einem 
Troge zu baden pflegte. Nach dem Bade kam sie sich immer 
schöner vor. Sie setzte daher dieses Handwerk auch nach dem 
Tode ihres Gemahls fort (welcher im Jahre 1604 verstarb), um neue 
Anbeter und Liebhaber zu gewinnen. 

Die unglücklichen Mädchen, welche von den alten Weibern unter 
dem Vorwande des Dienstes ins Haus der Elisabetha gelockt wurden, 
brachte man unter verschiedenem Vorwand in den Keller. Hier 
ergriff man sie und schlug sie so lange, bis ihr Leib anschwoll. 
Elisabetha peinigte die Unglücklichen nicht selten selber, und sehr 
oft wechselte sie ihre vom Blute triefenden Kleider um und fing 
dann ihre Grausamkeiten aufs Neue an. Den aufgequollenen Leib 
der Mädchen schnitt sie dann mit dem Schermesser auf. Nicht selten 
ließ diese Unholdin die Mädchen brennen und dann schinden. Die 
meisten schlug man so lange, bis sie tot blieben. Die Vertrauten, 
welche ihr beim Prügeln nicht behilflich sein wollten, schlug sie 
selber; im Gegenteil belohnte sie die Frauen reichlich, welche ihr 
die Mädchen zuführten und sich bei der Ausführung der Missetaten 
zu Werkzeugen gebrauchen ließen. Sie war auch der vermeinten 
Zauberei ergeben, hatte einen eigenen Zauberspiegel in Gestalt einer 
Bretz, bei dem sie stundenlang betete. Gegen das Ende ging ihre 
Grausamkeit soweit, daß sie ihre Leute, zumal Mädchen, die mit ihr 
im Wagen fuhren, zwickte und mit Nadeln stach. Eines ihrer 
Dienstmädchen ließ sie nackend ausziehen und mit Honig beschmieren, 
damit es von den Fliegen aufgefressen werden sollte. Als sie er- 
krankte und ihre gewöhnlichen Schandtaten nicht ausüben konnte, 
ließ sie eine Person zu ihrem Krankenbett kommen und biß sie wie 


40 „ Krauß: Frauenseelenweihungen 


ein wildes Tier. Sie brachte auf die beschriebene Art gegen 650 
Mädchen ums Leben, teils in Cseita (in der Neutraer Gespanschaft), 
wo sie einen eigens hierzu eingerichteten Keller hatte, teils an 
anderen Orten, denn das Morden und Blutvergießen war ihr zum 
Bedürfnis geworden. 

Als so viele Mädchen aus der benachbarten Gegend, die man 
unter dem Vorwand des Dienstes oder der ferneren Ausbildung in 
das Schloß gelockt, verloren gingen und die Eltern auf ihre Nach- 
frage hin nie befriedigende und meistens zweideutige Antworten 
erhielten, so wurde die Sache verdächtig... Zuletzt hat man durch 
die Bestechung des Gesindes so viel herausgebracht, daß die ver- 
mißten Mädchen gesund in den Keller gegangen und nie wieder 
zum Vorschein gekommen seien. Die Sache wurde nun sowohl bei 
Hofe als bei dem damaligen Palatin Thurzo angegeben. Der Palatin 
ließ das Schloß Cseita überfallen, stellte die strengsten Untersuchungen 
an und entdeckte die schauderhaften Mordtaten. Die Gräfin Bathory- 
Nadasdy ward für die begangenen Greueltaten zu lebenslänglicher 
Haft verurteilt, ihre Mitschuldigen aber richtete man hin, weil sie 
dem gemeinen, unedelbürtigen Pack angehörten. 

Die hochgeborene Frauenmörderin war eine Vorläuferin des 
Marquis de Sade und jenes Pariser Biedermannes, der in Puffen 
Mädchen fesseln ließ, um ihnen die Brüste mit Nadeln vollzuspicken. 
Alle drei Gestalten waren von Wahnvorstellungen befangen, unter 
deren Druck sie die Missetaten zur Befriedigung ihrer krankhaft 
gesteigerten Sinneslust verübten. Andere Fälle ähnlicher Art teilt 
Hermann L. Strack in seinem berühmten Werke vom Blut im 
Glauben und Aberglauben der Menschheit (München 1900) mit. 
Im Weltkrieg konnten sich die Bathoristinnen und Sadisten 
weidlich- austoben. Man nannte dies schönfärberisch ein Stahlbad 
der Völker. 

Nach Wilhelm Mannhardts Praktischen Folgen des Aberglaubens 
führt Strack unter anderen Beispielen für den verbrecherischen Blut- 
glauben auch noch einen Fall an, den man als einen besonderen Beweis 
für den kulturellen Tiefstand unseres deutschen Volkes auch sonst noch 
öfters vorgesetzt bekommt. Aus jedem Lande kann man aus den 
Schriften der Strafgerichte dem nachfolgenden gleiche oder sehr ähnliche 
Fälle von Vernichtungen junger Frauenleben heraussuchen. Ob es sich in 
den einzelnen Fällen um die Verübung eines Verbrechens unter dem 
Einfluß überkommener Glaubenslehren oder um die Handlung eines 
schwer belasteten hemmungslosen Neurotikers dreht, das pflegen die 


Krauß: Frauenseelenweihungen 441 


Sachverständigen und die Richter nicht zu ermitteln, keineswegs jedoch 
sind wir irgendwie genötigt, derlei Vorkommnisse zu den Sitten und 
Bräuchen europäischer Völker zu rechnen. Man muß auch sehr, aber 
schon gar sehr mißtrauisch derlei Angaben aus dem Gebiete fremder 
Völker aufnehmen, wenn wir sie einer gewissen Art von reisenden 
Schnellreitern und Kilometerfressern verdanken. Solche Leute lügen 
wie manche Helden in Dickens Pickwickiern, führen zuweilen sogar 
in anthropologischen Gesellschaften das große Wort und begeifern 
giftig denjenigen, der ihren Umgang scheut, als einen Pornographen. 

Am Sylvesterabend 1864 wurde in Ellerwalde bei Elbing an der 
23 jährigen Elisabeth Zernickel ein gräßlicher Raubmord verübt. Aus 
ihrem Bauche war ein Stück Fleisch 9 Zoll lang und ebenso breit 
herausgeschnitten. Längere Zeit hatte man von dem Täter keine Spur, 
bis am Abend des 16. Februars 1865 bei Ausführung eines Diebstahls 
der Arbeiter Gottfried Dallian aus Neukirch in der Niederung 
ergriffen und bei ihm ein eigentümliches Licht, bestehend aus einer 
in einer Blechrolle befindlichen, ziemlich festen Fettmasse, die um 
einen Docht gegossen war, gefunden wurde. Bei der gerichtlichen 
Vernehmung legte der Raubmörder ein offenes Geständnis ab. Er 
habe am 31. Dezember nur einen Diebstahl beabsichtigt, erst das 
laute Hilfegeschrei der Zernickel habe ihn dazu veranlaßt, sie durch 
Schläge mit seinem Knotenstock auf den Kopf besinnungslos zu 
machen. Nachdem er alles zusammengepackt, schnitt er aus dem 
Leichnam ein Stück Bauchfleisch heraus, das er zu Hause ausbriet. 
Aus dem ausgebratenen Menschenfette habe er sich durch Zusatz 
von Rindertalg das Dieblicht verfertigt, die zurückgebliebenen Grieben 
aber aufgegessen. Das Schwurgericht Elbing verurteilte ihn am 
23. Juni 1865 zum Tode. Der Beweggrund der Tat war der dem 
Dallian durch Hörensagen mitgeteilte Wahn, ein aus dem Fett eines 
Ermordeten verfertigtes Licht oder Lämpchen werde durch keinen 
Zugwind ausgelöscht, nur durch Milch sei die Flamme zu töten, 
wer es trage, werde unsichtbar, während alle Lebenden umher in 
tiefem Schlafe festgehalten würden. Auf diese Weise sichere es den 
Dieb vor jeder Störung in seinem Geschäfte. Und wenn der Mörder 
ein Stück aus dem Leibe seines Opfers ausschneide, brate und 
verzehre, so finde er Ruhe in seinem Gewissen, er gedenke der 
Untat nie wieder. Eine Umfrage in meiner Monatsschrift für Volks- 
kunde „Am Urquell“ ergab eine Menge ähnlicher Berichte aus vielen 
Völkergebieten. Dem Glaubenwahne fallen durchweg Frauen und 
Kinder zum Opfer. 


442 Krauß: Frauenseelenweihungen 


VI. Frauenseelenweihungen zur Abwehr von Krankheit- 
geistern und um Genesung zu erlangen. 

Auch zur Abwehr von Krankheitsgeistern opferte man schöne 
Frauen hin, so bei den Nordslaven noch in halbvergangenen Tagen. 
A. Löwenstimm meint, von der Darbringung eines Tieres als Opfer 
bis zur Opferung eines Menschen sei nur ein Schritt. Diese Auf- 
stellung bedarf einer Berichtigung, denn die geschichtliche Entwicklung 
lehrt uns, daß man Tiere als Ersatz für Menschenopfer darbringt. 
Beim Umpflügen zur Bannung der Pest vergräbt man im Bezirke von 
Jaroslav auch noch schwarze Vögel und sonst welche Tiere und im 
Bezirke von Vologda einen Hund und eine Katze. 

Das sind zweifellos Ersatzopfer. Wie J. P. Sachärov angibt, 
besteht die Überlieferung, daß man in alten Zeiten in großrussischen 
und ukrainischen Niederlassungen gewöhnlich ein bei der ganzen 
Gemeinde böser Anschläge verdächtiges Weib zur Beseitigung der 
Viehseuche dem Tode weihte. Die so dem Tode verfallenen Frauen 
band man in großrussischen Dörfern mit einer Katze und einem 
Hunde in einen Sack ein und verscharrte sie lebendig in die Erde. 
Die Ukrainer dagegen ertränkten solche Frauen in Seen und Flüssen. 
Es ist wohl ein uraltslavischer Glaubensbrauch, denn auch die Süd- 
slaven pflegten ihn noch bis ins XVIII. Jahrhundert hinein und zwar 
nachweislich für Ehebrecherinnen. 

Tereščenko versichert, daß beim Umpflügen auch Fälle von 
Selbstaufopferungen vorgekommen seien: man habe das Los geworfen 
und wen es getroffen, den habe man in einer Grube lebendig mit 
einem Hahn und einer schwarzen Katze begraben. ]. J. JakuSkin 
erkannte richtig, daß ein derartiges Begraben eines lebendigen 
Frauenzimmers augenscheinlich die Bedeutung eines versöhnenden 
Opfers gehabt habe. Auf die Auslegung und das Wort kommt es 
uns hierbei wohl nicht an, sondern bloß auf die Tatsache, daß von 
den Wallerinnen höchstwahrscheinlich die schmuckste unter allen ihr 
Leben lassen mußte; denn mit Frauenschönheit glaubte man auch 
die schlimmsten Geister günstig stimmen zu können. 

Desgleichen war bei den durch Schulmeisterweisheit zu aus- 
erkorensten Edelvölkern emporgeschwefelten Hellenen und Römern die 
schönste Frau als Opfertier gebräuchlich. Die Pfaffen, Dichterlinge 
und hofschwänzelnden Historiker faseln zwar von freiwilligen Selbst- 
aufopferungen, so z.B. B. Antonius Liberalis, den Geiger in seiner 
Schrift vom Selbstmord im klassischen Altertum und später Lasch 
anführen, aber die Priester und Richter können einem ein Loch in 


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Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 443 


den Bauch einreden, also auch Jungfrauen in den Tod hineinhetzen, 
boten Seuchen und Kriegsnöten dazu äußerlichen Anlaß. 
Als sich einst eine Pest über ganz Äonien verbreitete, verkündete der 


Metiocheund Menippe einen prachtvollen Tempel in Orchomenos, 
wo ihnen alljährlich Knaben und Mädchen Opfer darbrachten. Die 
Athener ehrten den freiwilligen Opfertod der Töchter des Erechtheus 
mit Öffentlichen Trankopfern. Fortsetzung folgt.) 


Humor in alter Rechtspflege. 
Kulturgeschichtliche Plauderei vom Hofrat PACHINGER, Linz a. D. 
(Mit Abbildungen.) 


Vie unglaublich barbarisch die Rechtspflege früherer Zeit und zwar 
bis zum Anfange des 19, Jahrhunderts in Kriminalfällen schon 


hatte sie bei sogenannten „Vergehen“ eine Neigung zum Humor, 
um dabei, allerdings in grimmiger Form, die Zügel schießen zu lassen. 


gleichviel ob Mörder, Brandstifter, Meineidigen, Räuber, Dieb und 
dergleichen mit den qualvollsten Körperstrafen zu Leibe, ehe sie ihn 
dem Scharfrichter überlieferte, der ihn vom Leben zum Tode brachte, 


444 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 


so war sie nicht weniger erfinderisch, den ob eines Vergehens wegen 
in ihre Hände geratenen, dem öffentlichen Spott, der gesellschaftlichen 
Ächtung zu überliefern. 

Es ist geradezu drastisch zu nennen, wie diese alten Rechts- 
pfleger sich darauf verstanden, selbst einer körperlich nicht schmerz- 
haften Strafe den Beigeschmack einer moralischen Tortur zu geben, 
oder, wo nur immer es anging, jene auch mit einer leiblichen zu 
verbinden. Die gelindeste Form der sogenannten „Schandstrafen“, 
also der polizeilichen, somit nicht kriminellen, war das Pranger- 
stehen. Es gab wohl kein Städtchen, keinen Marktflecken im ganzen 
Römisch-deutschen Reiche, der nicht bis zu Anfang des vorigen 
Jahrhunderts einen „Schandpfahl“ gehabt hätte. Er stand meist am 
Rathause oder an einer übersichtlichen Stelle des Marktplatzes. Je 
nachdem war es einfach ein behauener, übermannshoher Holzpflock 
oder ein Steinpfeiler, aber stets ragte er aus dem Unterbau empor, 
damit der an ihn Gefesselte allseits gut gesehen werden konnte. 

Die Prangerstrafe war sehr leicht erreichbar! Ein in fideler 
Stimmung veranstalteter Radau, ein lustiger Schelmenstreich genügte 
hierzu vollauf. War dieser am Ende gar noch der hohen Obrigkeit 
gespielt, dann bekam der „Schwerverbrecher“ zur Verschärfung der 
Strafe auch noch den schweren „Lasterstein“ um den Hals gehangen. An 
diesem Schandpfosten wurden auch liederliche Weibspersonen, 
„fahrende Dirnen“ bis zum Gürtel entkleidet, festgebunden und aus- 
gepeitscht, wie auch Verbrecher vor ihrer Justifizierung zur Schau 
gestellt. Dabei erhielt jeder Malefikant eine Tafel umgehängt, auf 
der die Ursache seiner Strafe geschrieben stand, mitunter auch noch 
die ihn weiter erwartende, wie zum Beispiel Kettenstrafe. Derlei 
Prangertafeln sind noch vielfach erhalten, so eine mit der Inschrift: 
„Strafe eines nachlässigen Kaminkehrers“, eine andere mit: „Schand- 
tafel der öffentlichen Übertretung allerhöchster Verordnung“, eine 
dritte mit: „Strafe des Frevels gegen die Sittlichkeit“, usw. Auch 
ein Stein aus dem fürstäbtlichen Gericht von Berchtesgaden in 
Bayern aus rotem Marmor, 25X31 cm groß und der eingemeißelten 
Bezeichnung: „Lasterstein Anno 1710“, befindet sich im National- 
museum zu München. 

Nach Versicherung mancher Historiographen waren die Leute 
in der „guten alten Zeit“ viel sittlicher als jetzt, was indeß anderen 
Forschern keineswegs einleuchten will, am wenigsten nach der Lektüre 
von Gesetzbüchern und noch vorhandenen Gesetzverordnungen 
und Prozeßakten. Liefern jene doch den Beweis, daß die sittlichen 


Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 445 


Übelstände bereits in reichlichem Maße vorhanden sein mußten, als 
die Gesetze dagegen erlassen wurden, denn sonst hätte man dieser 
doch nicht bedurft; so aber bezeugen die Akten, wie tief die Un- 
moral bei Hoch und Nieder, bei Mann und Weib bereits eingegriffen 
hatte. Wie schlimm mußten die Dinge stehen, wenn dem Ehebrecher 
gegenüber von amtswegen mit der drakonischen Strafe der Ent- 
mannung vorgegangen werden konnte und diese Operation an dem 
Sünder nicht etwa in der abgeschlossenen Kerkerzelle vom Bader 
oder Feldscher, sondern am Pranger coram publico durch den 
Henker oder einem seiner Knechte vorgenommen wurde! Wie 
minderwertig in sittlicher Beziehung mußte die weibliche Bevölkerung 
sein, wenn sogar in dem niederbayrischen Landstädtchen Osterhofen 
von obrichkeitshalber öffentlich ein Strafmittel dagegen angewendet 
werden mußte? Auf dem Dachboden des alten Rathauses oben- 
genannten Städtchens fand man nämlich im Jahre 1872 ein aus 
Roßhaaren gewebtes Weiberhemd, das man denen, die außerehelich 
Mutter geworden waren, bei der vorgeschriebenen Kirchenbuße 
ebenso über den bloßen Körper zog, wie eingefangenen Dirnen, die 
nach der Stäupung mit der Ruthe noch zum Prangerstehen verurteilt 
wurden. Und dieses Bußhemd — heute im bayrischen National- 
museum — zeigt deutliche Spuren sehr reichlicher Verwendung. 

Ein ebenso groteskes, wie boshaft ersonnenes altes Strafmittel 
war die „Schandmaske“ und besonders der originelle hölzerne 
„Schandesel“. Von letzterem gibt es sehr hübsche Abbildungen 
und auch viele, gut geschnitzte und naturgetreu bemalte wie auch 
primitiv gezimmerte Originale. Beiden war aber eigen, daß sie 
einen sehr scharfkantigen Rücken hatten und auf einem Untersatze 
mit Rädern standen, damit sie leicht durch die Straßen gezogen 
werden konnten. Die Stadt Krems in Niederösterreich besaß vor 
zirka 60 Jahren noch solch einen Schandesel und München zu 
Anfang des vorigen Jahrhunderts deren sogar zwei. Der eine stand 
vor der Hauptwache am Marienplatz; mit ihm mußten faule und 
nachlässige Soldaten Bekanntschaft machen. Der andere war Stadt- 
eigentum, wurde im Rathause aufbewahrt und auf den Markt- 
(Marien-)Platz gefahren, wo seiner beim Frischbrunnen der Stadt- 
büttel mit dem jeweiligen Reiter männlichen oder weiblichen Ge- 
schlechtes harrte. 

Die zivilistischen Eselreiter rekrutierten sich meist aus dem 
Kleingewerbe und dieses wurde dann immer durch die Beigabe 
eines entsprechenden Emblemes versinnbildlicht. Auch Frauen und 


446 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 


Dirnen, deren moralischer Ruf Einbuße erlitten hatte, mußten des 
öfteren das hölzerne Grautierchen besteigen. 

Einem Krämer 2. B., der beim Wiegen betrogen hatte, hing man 
außer der für jeden Inkulpaten üblfchen Tafel mit der Bezeichnung 
seines Vergehens, eine große eiserne Wage um den Hals. 

Sein Kollege, der mit der Elle bemogelt hatte, bekam eine 
schwarze schmale Latte zwischen die auf den Rücken gebundenen 
Hände gesteckt. Ganz besonders schlecht kamen die Brauer weg; 
diesen hing man vorne und auf dem Rücken eine Tafel mit der 
Inschrift: „Wegen prewen von schlechten pier“. Dazu baumelte 
ihnen vorne ein riesiger, eiserner Schöpflöffel. Jene aber, die „wegen 
schlechten Einschänkeris“ verdonnert waren, erhielten ebenso wie 
die gleicher Schuld bezichtigten Wirte, eine mächtig schwere Kanne 
um den Hals gehängt. 

Eine Verschärfung der Schandeselstrafe war das Verkehrtsetzen, 
das heißt, mit dem Gesicht gegen das Hinterteil des Reittieres; 
weiter das „Umbfahren“, wobei der Holzesel samt seinem Reiter 
von den Stockknechten durch die Hauptstraßen der Stadt mit ihrem 
holprigen Pflaster gefahren wurde und als sehr empfindliche Straf- 
mehrung das Anhängen schwerer Gewichte an der Knöchelpartie. 

Recht brutal verfuhr die heilige Hermandad mit den Bäckern 
wegen schlechten oder zu geringwertigen Brotes. Da besaß z. B. 
die Stadt Sulzbach einen aus starken, mit Eisen beschlagenen Latten 
bestehenden Käfig, gut mannshoch, sechskantig, oben an Ketten 
zum Aufhängen und innen mit einem schmalen Sitzbrett. Dieses 
famose Vehikel ward an einem genügend tiefen Bach oder See an 
einem auf- und niedergehenden Balken aufgehangen. War nun der 
„Verbrecher“ in den Käfig gesperrt, so ließen die Büttelknechte 
diesen samt seinem Insassen „in die Gumpen plumpsen“, zogen 
dann beide wieder hoch und wiederholten dies unterhaltliche Spiel 
„etzlichemale“. Auch München nannte solch eine „Bäckerschnelle“ 
mit beweglichen Galgen sein eigen. Das Instrument befand sich 
am Toratzbachl, über dem bei der „Roßschwemme“ am Viktualien- 
markt, wo heute das Kustermannhaus steht, extra hierfür gebauten 
Steg. Eine alte Verordnung für die Prozedur besagt: „Der zu 
strafende Pekchen ist so oft zu schnellen und unters Wasser zu 
lassen, bis er etzlichens wird plau im Gesicht“. | 

Ein ebenso origineller wie für den jeweiligen Träger sicher un- 
behagliches Kleidungsstück war der „Schandmantel“. Es war dies 
ein meist aus derben Hartholzdauben gefügtes, von Eisenreifen 


Pachinger: Humor in alter Rechtspflege , 447 


zusammengehaltenes, glockenförmiges Faß von etwas mehr als 
einem Meter Höhe. Es wurde dem Deliquenten über den Kopf 
gestülpt, worauf jener es an den innenseitig angebrachten Hand- 
haben so hoch heben mußte, daß der Büttel ihm den zugehörigen, 
spottweise sternförmig ausgezackten Ringkragen, der gleichfalls aus 
Holz war, um den Hals legen und an den Faßwänden einhacken 
konnte. Ander Außenseite des Faßmantels waren Hacken angebracht, 
an die, zur Verschärfung der Strafe, Gewichte gehängt wurden. 

Diese Schandmäntel, in die Trinker, Spieler, Radaumacher, beim 
Kammerfensterln erwischte Liebesritter und dergleichen gesteckt, 
vom Büttel durch die Straßen geführt und dann an den Pranger 
gestellt wurden, erfreuten sich bei Stadt- und Landrichtern offenbar 
großer Beliebtheit als Strafmittel, denn es sind uns deren noch viele 
erhalten. So besitzt auch das Bayrische Nationalmuseum ein paar 
von diesen Kulturdokumenten, die zum Teil sehr einfach, wie der 
aus Berchtesgaden und Dättelbach. Dagegen ist der aus Ottobeuren 
mit weißblau und roten Rokokoornamenten auf braunem Grunde be- 
malt; ein anderer aus Wertingen aber, datiert vom jahre 1775, wurde 
von dem dortigen Malermeister Leonhard Mittenmaier drastisch mit 
Genreszenen dekoriert. Da sehen wir einen Mann mit dem Straf- 
mantel am Pranger stehen, einen anderen, der ein Stück rotes Tuch 
stiehlt, weiteres Obst- und Holzdiebe, ein paar andere, die aus einem 
Haus Säcke fortschleppen. Des weiteren vier raufende Männer, 
von denen einer mit einem Knüppel draufschlägt, einen Mann, der 
eine Frau und zwei Kinder aus dem Haus treibt, ferner zechende 
Kartenspieler in Gesellschaft eines Schenkmädchens; ein heimliches 
Liebespaar auf der Gasse und einen Liebhaber auf der Leiter am 
Kammerfenster seiner Dulzinea. — Der gezackte hölzerne Halskragen 
ist weiß und blau bemalt. Ahnlich, nur nicht so reich ist ein Schand- 
mantel aus Nürnberg malerisch behandelt. Hier sind nur drei Szenen 
mit den erklärenden Überschriften dargestellt und zwar: „Straff der 
Säuffer“, in Streit geratene Spieler; „Fraß und Völlerey“, eine Zecher- 
gruppe; „Straff der Unzucht“, ein Bauernknecht am Kammerfenster. 
Dafür ist der Kragen eines aus Eichstätt stammenden Schandmantels 
mit weißen, gelben und schwarzen Spitzen besetzt. 

Originell ist eine „Schandkette“ aus dem Örtchen Erding. Durch 
eiserne Kettenglieder miteinander verbunden, baumeln an ihr, aus 
Holz geschnitzt und sauber bemalt, fünf Spielkartenblätter, fünf 
Würfel und zwei sogenannte „holländische“ Tonpfeifen. Diese 
Anti-Ehrenkette war für Spieler und Raucher bestimmt. 


448 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 


Eine Art ausgleichende Gerechtigkeit war es, daß die gestrenge 
Themis das „zarte“ Geschlecht keineswegs glimpflicher behandelte. 
Ein ingenieuser Kopf war auf die Erfindung der „Strafgeige“ ver- 
verfallen, das ist ein im Grunde genommen höchst harmlos aus- 
sehendes Instrument. Sie war stets zweiteilig, aus Eichen-, Buchen-, 
Ahorn- oder Kirschbaumholz gefertigt. Auch Ulmen- und Birnbaum- 
holz wurde dazu verwendet; sie bestand aus einem Brett von etwa 
50—70 cm Länge und 2—3 cm Dicke, in der Längsrichtung durch- 
schnitten und am dünneren Ende mittels eines Charnieres in zwei 
Hälften zum Auseinanderklappen. In diesen schmäleren. Teil des 
geigenförmigen Instrumentes waren nebeneinander zwei Löcher für 
die Arme geschnitten, die gerade dem Handgelenk Raum boten. 
Am entgegengesetzten, breiten Ende war ein größerer, runder Aus- 
schnitt für den Hals, häufig umgeben von einem breiten Rande, 
der zur Erhöhung des Spaßes gleich einer Halskrause zackenförmig 
ausgeschnitten war. Sogar aus Flacheisenstäben wurden solche 
Strafgeigen geschmiedet. Sie waren für böse, randel- und streit- 
süchtige Weiber bestimmt, deren Arme an den Handgelenken 
in die beiden kleineren Ausschnitte, der Hals in den größeren ge- 
steckt wurde. Man klappte dann die beiden Teile zu und 
schloß sie mit einem Vorhängeschloß ab, worauf der Büttel die 
also kampfunfähig gemachten Amazonen durch die Straßen führte 
und dann am Pranger zur Schau ausstellte. Auch Doppelstrafgeigen, 
in welche die Weiber, mit dem Gesicht zueinandergekehrt, gespannt 
wurden, hat es mehrfach gegeben. Diese Strafinstrumente waren 
in fast jeder Pfleggerichtsstätte mehrfach vorrätig. So wurden in 
Bayern seinerzeit von Erding allein sechs, von Eichstätt drei, von 
Ottobeuren zwei nach München eingeliefert. | 

Von Schongau, Berchtesgaden und Dättelbach je eine. In der 
Sammlung des Schreibers dieser Plauderei befinden sich unter den 
Kulturkuriosa auch zwei verschiedenartig geschnitzte Strafgeigen 
aus dem Pflegamtsgericht Wildberg in Oberösterreich stammend. 

Den Vogel des grotesken justiziellen Humors schossen indessen 
zweifellos die Verfertiger der „Schandlarven“ ab. Nur wer die 
lustigen Zeichnungen der Höllengeister in der „Versuchung des 
heiligen Antonius“ von Martin Schongauer, in den „Qualen und 
Gräueln der Hölle“ von Martin de Voß, den „Lastern der Wollust“ 
von Pieter Brueghel, dem Jüngeren, dem sogenannten „Höllenbreu- 
ghel“ kennt, kann sich eine Vorstellung machen, welch eine geradezu 
infernalische Erfindungsgabe auf diese Strafmasken verwendet wurde. 


— 


Pachinger: Humor in alter Rechtspflege . 449 


Die „Schandhauben“, wie man sie auch nannte, waren aus 

Eisenblech geschmiedet oder mehr oder minder kunstvoll getrieben 
und mit schmalen Eisenbändern so konstruiert, daß man ihren 
Träger darunter noch erkennen konnte. Sie wurden wie ein Turnier- 
oder Taucherhelm über den Kopf gestülpt und dann am Halse 
geschlossen. Mitunter waren sie sogar bemalt; fast nie aber fehlten 
die ungeheuer langen Ohren oder Hörner. Wo nicht an Stelle des 
Mundes eine rüsselartige Verlängerung angebracht war, hing aus 
jenem eine bewegliche Zunge. Diese sowie der Rüssel stand mit 
einer „Würgbirne“ in Verbindung, die der Delinquentin in den Mund 
geschoben wurde. Waren dann die Flügel dieser „Birne“ aus- 
einandergeschraubt, so hinderten sie den Inkulpaten nicht nur am 
Schimpfen und Schreien bei der nachfolgenden Stäupung des 
bloßen Rückens und Gesäßes, sondern jeder Lautversuch bewegte 
jene Blechzunge und löste nur einen pfeifenden Ton aus, der beim 
Vorhandensein eines Rüssels an der Maske sich je nachdem in 
einen trompetenden oder grunzenden verwandelte. Daß die durch 
die kräftigen Rutenhiebe verursachten natürlichen Schmerzäußerungen 
sich in solch merkwürdigen Tönen äußerten, erregte naheliegend 
die besondere Lachlust des ringsum versammelten Volkes. 
Die Verurteilung zum Tragen solcher Masken war eine Zusatz- 
strafe zur „öffentlichen Schändung“ und sie wurde nicht nur beim 
Strafvollzug am Pranger, sondern auch beim Führen durch die Gassen 
in Anwendung gebracht und zwar zumeist bei Vergehen der Be- 
leidigung und Verleumdung. Solche Schandmasken, die sich fast 
in der Fachabteilung eines jeden Museums befinden und auch in 
manchen Privatsammlungen anzutreffen sind, wurden in den sieb- 
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus zahlreichen Patrimonial- 
gerichten an die großen Staatsmuseen eingeliefert. | 

Für Mädchen, die sich eher nach einer Wiege als nach dem 
Ehebett umgesehen hatten oder solche, die sich bei einem heim- 
lichen Liebeshandel ertappen ließen, lag der Strohkranz mit zwei 
Zöpfen oder die „Schandkrone“ bereit. Wieder können wir hier 
auf das Bayrische Nationalmuseum verweisen, welches deren zwei 
besitzt. Die eine aus vier mit Stroh umflochtenen Bügeln bestehend, 
stammt aus Berchtesgaden, eine andere, hohe, gleichfalls aus vier 
strohumwundenen Bügeln, kuppelförmig nach oben zusammen- 
laufend, stammt aus Trostberg; diese hat noch ein kleines Dach 
aus Eisenblech, von dem kleine Quasten herabhängen; unter jenem 


aber baumelt eine Kuhglocke und zwei mächtig lange und dicke 
G. u. G. XIV | 29 


450 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassangu 


Strohzöpfe hängen rückwärts herunter. An dem Stirnstreifen ist 
innen eine runde, schwarze Tuchkappe befestigt, außen zu beiden 
Seiten lange Eselsohren, in der Mitte ein einer Narrenkappe ähn- 
liches Blechschild mit Spielkartenblättern. Nach abwärts hängen 
zwei Ohrenschutzklappen, die mit einer Schnur unterhalb des Kinn 
gebunden, den grotesken Aufputz auf dem Kopfe festhielten. 

Wenn sich aus dem Vorstehenden schon zur Genüge ergibt, 
daß die Justizverwaltung der so oft gelobten „guten, alten Zeit“ 
selbst für Vergehen, die heute im polizeilichen, geschweige denn 
im kriminellen Sinne überhaupt keine mehr sind, solche Strafen von 
wahrhaft infernalischem Humor erfand, der die davon Betroffenen 
der gesellschaftlichen Ächtung preisgab, so ist es nicht zu wundern, 
daß sich das Volk dazu verstand, zu diesem bürgerlichen Todschlag 
auch noch das seinige beizutragen und in der Tat berichten alte 
Chronisten, wie übel von der Menge stets den also zur Schau ge- 
stellten „armen Sündern“ und schönen Sünderinnen mitgespielt 
wurde. Natürlich — die breite Masse betrachtete die Sache am 
Ende doch nur als einen zuerst für sie inszenierten Spektakel, um 
so mehr als zu seiner Veranstaltung meist ein Markttag gewählt 
wurde, an dem es an Zuzug aus der weiteren Umgebung so wenig 
fehlte, wie an geeigneten Wurfgeschossen aus Viktualien und 
sonstigen Abfällen, mit denen die anzüglichen und verhöhnenden 
Zurufe ergänzt wurden. | 

Dieser justitielle Humor, der an die Schadenfreude der Menge 
appellierte, ist charakteristisch für die derbe Psyche jener breiten 
Volksschichten, die zweifellos heute noch in: gleicher Weise mit 
allen ihrer urteilslosen Misdervergeltungssucht Preisgegebenen ver- 
fahren würde. | 


Das Sexualleben bei den Wahehe und 


Wassangu. 
Von P. AMBROS MAYER O. S. B. 
(Schluß.) 


Für die Periode des Zahnens habe ich keine besonderen 
Spezialitäten der mütterlichen Pflege, von Zaubermitteln, kennen 
gelernt. Hier werden auch die Vorderzähne nicht spitz zugefeilt 
oder ausgebrochen, wie bei anderen Stämmen; ebensowenig konnte 
ich von Kindesmord erfahren, wenn der Durchbruch der Zähne 


Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 451 


nicht normal erfolgt. Auch sonst scheint man nicht den verbrecherischen 
Abèrglauben von Unglückskindern zu hegen, da ich vielfach blinde und 
ganz verkrüppelte Kinder vorgefunden habe. Aus der gegebenen 
Säuglingspflege läßt sich ohne weiteres auf die kolossale Kinder- 
sterblichkeit im Säuglingsalter schließen. Wenn ich Weiber bei 
Anmeldung zum Taufunterricht nach ihrem Kindersegen befrage, 
hört man fast durchweg: „Zwei bis drei mal geboren, aber alle 
gestorben“. — Warum gestorben? Amri ya Mungu“ — „Gottes 
Wille“ und damit ist alle Philosophie erschöpft. Die Hälfte Weiber 
abortiert oder kommt zu früh nieder; was zur normalen Zeit geboren 
wird, davon stirbt mindestens die Hälfte im ersten Lebensjahre! 
Erstaunlich aber ist trotz alledem, was wir noch vom frühesten 
Geschlechtsgenuß hören werden, die riesige Konzeptionsfähigkeit. 
Nicht an der Befruchtungsfähigkeit fehlt es dem Weibe, sondern die 
unsagbar darniederliegenden hygienischen und sozialen Verhältnisse 
des schwarzen Weibes verschulden die unheimliche Sterblichkeit. 
Nicht minder schuld ist die Stupidität und Indolenz des nur mit 
Sklavensinn ausgestatteten auch freien Weibes. 

Leicht ersichtlich fällt ein großer Teil der Todesfälle auf die un- 
bewußt geradezu verbrecherische Fütterung des Kindes neben der 
Muttermilch. Fast alle Kinder gehen an Verdauungsstörungen zu 
Grunde. Diese Störungen werden gefördert durch die Nacktheit 
der Kleinen, die vom warmen Mutterrücken herab der in den Tropen 
so riesig schwankenden Temperatur ausgesetzt werden. Wahrlich 
die Säuglinge werden, die Kinder sind abgehärtet! Die Feldarbeit 
fällt in die Regenzeit und nun ist das Kind allen Unbilden der 
Witterung, vorerst der Nässe, ausgesetzt! Es trocknet ja wieder 
am Mutterleib! l 

Eine bisher völlig unbeachtete Schädigung schreibe ich dem 
Umstande zu, daß das auf den Rücken gebundene Kind während 
der den ganzen Rumpf erschütternden Arbeit des Mahlens, Stampfens, 
Hackens usw. eigentlich gar nie in Ruhe verdauen kann; es muß 
alles halbverdaut und gewaltsam abgehen. 

Tatsächlich sind fast alle Säuglinge schlecht genährt, abgemagert, 
bei uns würde man sie rachitisch heißen. Selbst Knaben und 
Mädchen von fünf bis sechs Jahren zeigen hier nicht die Körperfülle 
der weißen Kinder dieses Alters, dafür aber oft gewaltig prominierende 
Bäuche, an denen die Beine wie Stelzen sich ausnehmen. 

Jedem Beobachter, er braucht kein medizinisches Verständnis zu 


haben, wird die Häufigkeit der Augenkrankheiten auffallen. In 
29* 


452 Mayer: Das Sexualleben bei den Wanene und Wassungu 


erster Linie trägt die Mutter respektiv die unvermeidliche Großmutter 
daran die Schuld durch unqualifizierbare Unreinlichkeit in der Aufzücht 
des Kindes. Fließt das kranke Auge über von rahmartiger Absonderung, 
sind die Augenwinkel des Morgens voll der ekelhaften Sekrete, nur 
kein Wasser! Die Mutter oder die momentan funktionierende alte 
Tante wischt mit ihren schmutzigen Fingern einfach das Auge aus; 
damit ist Platz geschaffen für weiteren Nachschub und das genügt. 
Damit erklärt sich auch die häufige Infektion der Mutter und anderer 
Erwachsenen. Man sieht Knaben und Mädchen herumlaufen, deren 
Augen überentzündet sind, blutend, die Wimperhärchen alle verkrustet 
oder inkrustiert, so daß die Inhaber kaum die Lider öffnen 
können; aber Reinigung mit Wasser gibt es nicht! Daher die vielen 
Blinden, als ob die intensive Sonnenstrahlung daran Schuld wäre, was 
man oft hören kann von — Europäern. Ich kenne einen einzigen 
Blinden nur, von dem die Märe geht, er sei blind geboren; dafür 
aber viele, die erst unter der sorgsamen Pflege der Eltern blind 
geworden. Nun, als Unglück wird der Blinde den Verlust des 
Augenlichtes nicht beklagen, solange er Tabak und Nahrung zur 
Genüge hat; bewundernden Genuß der Natur kennt der Neger nicht. 
Blindheit kann somit erwünschter Dispens von dem Kampf ums 
Dasein sein. Meines Erachtens dürfte der fast allgemeine fluor albus 
der Damenwelt hiesiger Landschaft nicht schuldlos sein an besagter 
Häufigkeit der Augenkrankheiten. Vielleicht empfängt das Kind 
schon den Krankheitsstoff beim Passieren des Geburtskanales; 
zweifelsohne aber überträgt die Mutter diesen Stoff nach Berührung 
der Genitalien auf das Auge des Säuglings, was sie übrigens selbst 
zugestehen und einsehen. 

Weitere Schädigung und zwar der Atmungsorgane ersteht 
dem Kinde aus dem die ganze Negerhütte erfüllenden Rauch und 
Qualm. Den ganzen Tag brennt das offene Feuer am Boden; nachts 
wird dieses unterhalten wegen der empfindlichen Kälte und den 
Moskitos. Es ist undenkbar, daß sowohl für das zarte Auge, wie 
für die Lunge der beständige Qualm nicht von größter Schädigung 
sein muß. Daß gleichwohl Krankheiten der Atmungsorgane bei 
weitem nicht so zahlreich sind, wie die des Verdauungs-Traktus, 
kommt eben daher, daß das Kind den Tag über doch größtenteils 
auf dem Rücken der Mutter im Freien zubringt und der inhalierte 
Schaden wieder parallelisiert wird. 

Wahrhaft zum Würgengel werden ansteckende Krankheiten, 
denen der Neger nichts entgegen zu stellen vermag, als die Flucht 


Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 453 


auf. der er aber oftmals den Tod nur noch in die Ferne trägt. Ist eine 
Krankheit einmal als infizierende, ansteckende erkannt, so hält schon 
die Selbstliebe und mehr noch der Aberglaube die Leute und somit 
auch die Säuglinge vom Verkehr mit den bekannten Ausbruchstellen, 
den dort seßhaften Leuten fern. Allein Mangels jeglichen Ver- 
ständnisses, jeglicher Hygiene, beim gemeinsamen Gebrauch der 
Geschirre usw. ist Weiterverbreitung unaufhaltsam. Säuglinge und 
Kinder sind dann zuerst dem Untergang preisgegeben, wie wir 1900 
und 1904/05 bei der Pest, dann 1905 bei einer eigentlichen epide- 
mischen Kinderkrankheit gesehen haben (meines Erachtens Krupp). 

Obwohl Lepra hierorts endemisch ist, ist mir ein damit behaftetes 
Kind nie vorgekommen, wohl aber Säuglinge mit Syphilis geschlagen, 
die dann ohnedies keine Aussicht auf längere Lebensdauer haben; 
dafür sorgt schon die Negerdawa (Medizin). 

Hat sich der Säugling aus allen Gefährlichkeiten mütterlicher und 
großmütterlicher Fürsorge bis zum Kinde emporgearbeitet, so ist 
es in jenes ideale Zeitalter, für ihn das wahrhaft goldene, eingetreten, 
wo sich niemand um es kümmert. Die Mutter nicht mehr, weil 
es selbst sich bewegen und am Herde der Erwachsenen seine Nahrung 
zuführen kann, sie hingegen sich wieder ganz den gewohnten 
Arbeiten hingibt, meist auch sich wieder mit neuen Hoffnungen 
trägt; der Vater nicht, weil er mit seinem Kinde noch nichts an- 
zufangen weiß. 

Das Erwachen des Verstandes bringt auch, außer erhöhter 
Nahrungszufuhr, für den Knaben nicht viel Mühsal mit sich. Schule 
und allen anderen Kulturunfug gibt es nicht, für Feldarbeiten sind 
seine Kräfte noch zu wenig versprechend. Somit verbleibt ihm nur, 
wenn sein Vater überhaupt dergleichen besitzt, das Hüten von Ziegen, 
Schafen und Rindern, eine Beschäftigung, die ihn bei der allgemeinen 
Weidefreiheit nicht mehr bedrückt, als wenn er überhaupt zu Schlaf 
und Spiel mit seinen Genossen im Sande läge. Hiesige Völker- 
stämme kennen auch die Beschneidung nicht im Gegensatze zu 
anderen Negerstämmen, wo sie an den heranwachsenden Knaben 
vorgenommen wird. Manche Reisende führen die Beschneidung bei 
heidnischen Stämmen einzig und allein auf hygienische Volksweisheit 
zurück, um so die gesundheitsschädlichen Folgen prophylaktisch zu 
meiden, wie sie die lange Vorhaut des Negers bedinge. Allein mir 
scheint so tief gründende Weisheit doch etwas zu vorurteilslose 
Voraussetzung zu sein. Die Völkerstämme nördlich des Äquator 
sind hamitisch-semitischen Ursprunges und dürfte die Beschneidung 


454 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 


in der Urzeit religiöse Unterlage gehabt haben. Diese Unterlage hat 
sich mit der Zeit verflüchtigt und so ist traditionell die Beschneidung 
geblieben, obgleich kein Mensch weiß, warum und wozu. So ist 
es mit dem ganzen Aberglauben und der Zauberei, verstümmelte 
Tradition, die eben nur noch den Glauben an eine segnende und 
strafende Gottheit durchblicken läßt. Aber Rechenschaft über sein 
Glauben, Hoffen, Fürchten, Handeln vermag keiner zu geben. 


Übrigens breitet sich die Beschneidungszeremonie immer mehr 
durch den vorrückenden und bei den Negerheiden sehr einflußreichen 
Islam auch bei unseren Stämmen aus, nicht zum mindesten dürften 
die Regierungsschulen daran schuld sein, ohne es zu wollen. Mir 
wurde neulich von einem Neger erzählt, daß die dortigen Schüler 
sich fast alle beim Wali beschneiden ließen. Die Beschneidung 
benimmt dem Wilden den entehrenden Ruf: „chenzi“ = Wilder, reiht 
ihn ebenbürtig den Waiglamu ein, stellt dogmatisch und moralisch 
absolut keine e dae; an seinem bisherigen und überlieferten 
Tun und Treiben etwas zu bessern, im Gegenteil! Ich kenne auch 
mitten in Usangu eine Ortschaft, wohin von dem Hauptsitz des 
Sultans mehrere Knaben zur Beschneidung geschickt worden. Dieser 
Akt ist aber kein traditioneller, sondern ist nur ein Symptom für den 
Einfluß des Islam unter den Naturvölkern. 


Schlimm sind die Mädchen daran, welche ausnahmslos der 
Exstirpation der Klitoris unterworfen werden und zwar in 
einem Alter von sechs bis sieben Jahren. Grund hieran ist ebenfalls 
nicht ein hygienischer, wie schon Reisende berichtet haben, als ob 
die Klitoris zu einer übermäßigen Größe sich entwickeln und der 
Begattung hinderlich sei, sondern beruht in dem Aberglauben, daß 
ein Weib mit der Klitoris nicht empfangen könne. Die Exstirpation 
erfolgt durch ein altes Weib, mitten auf einer Flußinsel oder Sandbank. 
Über die dabei gehandhabten Werkzeuge konnte ich leider nichts 
erfahren und noch weniger eines bekommen. Die Operation ist ein 
großes Fest und geschieht öffentlich inmitten der versammelten 
Weiber und Mädchen, während die Männer abseits im Busche sitzen. 
Das mißhandelte Mädchen darf dabei nicht schreien, sonst müßten 
Vater und Mutter sterben. Anschließend an diesen ersten Akt der 
geschlechtlichen Mißhandlung ist ein mächtiges Saufgelage der 
Männer und allgemeiner Tanz der Weiber. Der Tanz bewegt sich 
um aus steifem Mehlbrei geformte und im Sande aufgestellte kleine 
Kinderfiguren. Augen, Ohren usw. sind durch schwarze Beeren, 


Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 455 


Hölzchen usw. angedeutet. (Klitoris=Cysongo oder Kizongo; 
Exstirpatio Klitoris = Kiungo.) 

Nun ist das Mädchen heiratsfähig, wenn auch noch nicht 
konzeptionsfähig, was aber für den angehenden Ehemann und das 
Mädchen bedeutungslos ist. Ist das Mädchen einmal gesiegelt und 
gestempelt durch die Exstirpation und manneswürdig, so wird der 
Freier alsbald sich einstellen. Wir haben nur zu unterscheiden, ob 
das Mädchen einem Mann vor oder nach der Pubertätsperiode zu- 
fallen soll. i 

Hat der Vater einen Knaben von sechs bis sieben Jahren, so ist 
es seine heilige Vaterpflicht, seinem Bengel ein Mädchen zu kaufen. 
Der Vater hält sich stets auf dem Läufenden, wo ein verfügbares 
Mädchen aufzutreiben ist, begibt sich zum Vater desselben, verabreicht 
der Mutter ein Geschenk in Kleidungsstoff oder Glasperlen und 
vereinbart mit dem Vater des Mädchens den Kaufpreis, der kaum 
zwei Rupien, gleich zwei Mark sechzig, übersteigen dürfte. Sind 
Vater und Mutter einverstanden, ist der Kaufpreis erlegt, so ist das 
Geschäft abgeschlossen, das Mädchen ist Braut, der Knabe Bräutigam. 
Ob Beide sich wollen oder nicht, darüber wird überhaupt nicht 
gesprochen, keines von beiden befragt und hat auch keines etwas 
einzuwenden, es ist so desturi, Brauch, fertig. Da der Knabe noch 
nicht zeugungsfähig ist, so verbleibt das Mädchen bei seiner Mutter, 
wird von befreundeten Weibern, die schon geboren haben, in alle 
Geheimnisse des Geschlechtsleben eingeweiht, was übrigens nicht ein- 
mal offiziell notwendig sein dürfte; dafür sorgt schon der freie Verkehr 
zwischen den Kindern beiderlei Geschlechtes und die Exstirpatio Klitoris. 
Meines Erachtens gibt es vom sechsten Lebensjahre an hier kein 
Kind mehr im Stande der Unschuld; wissen, erfahren theoretisch 
und üben praktisch fällt hier in Eines zusammen. Wohnen Braut 
und Bräutigam auch nicht zusammen bis zum Eintritt der Pubertät, 
so finden sie doch stets Gelegenheit zusammenzukommen und 
pflegen auch den geschlechtlichen Umgang. Das findet Groß und 
Klein ganz in der natürlichen Ordnung. Das Verlangen nach dem 
Koitus, die Erektio membri, berechtigt zum Beilager des Weibes; 
dies wurde mir schon oft entgegen gehalten. 

Der Knabe ist geschlechtsreif, sobald er die Wahrnehmung der 
Effusio seminis (ntoko) macht, das Mädchen mit der ersten Men- 
struation. 

Hat aber der Knabe keinen Vater, so muß er sich selbst 
auf die Brautschau begeben, wartet also seine „Größe“ von zehn 


456 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und W assungu 


bis 14 Jahren ab, was ihn selbstverständlich nicht hindert, mit jedem 
Mädchen, das sich ihm hingibt, Umgang zu haben. Entweder sucht 
er sich den Kaufpreis erst zu verdienen, um ihn so in bar oder in 
natura zu erlegen, oder was einfacher ist, er begibt sich in die 
Dienstbarkeit seines kommenden Schwiegervaters, arbeitet auf dem 
Felde; hütet das Vieh und hat dabei die stete Nähe seiner Liebe als 
angenehme Beigabe. Hat er so ein paar Regenzeiten mitgearbeitet, 
so steht der Hochzeit nichts entgegen, d. h. wenn das Mädchen 
bereits reif geworden. 


Die erste Menstruation ist ein allgemeines Volksfest, zu dem 
von Nah und Fern die Männer zum Suff, Mädchen und Weiber 
zum Tanze herbeiströmen. Der Tanz ist in diesem Falle ein geradezu 
obszöner, da die Bewegungen des Koitus seitens der Weiber dar- 
gestellt werden; zum erstenmale menstruieren heißt: Kufunya ungo. 


Geradezu unglücklich muß das Mädchen genannt werden, wenn 
ein erwachsener Mann sich als Freier einstellt und es ihm zu- 
gesprochen wird. Eine Weigerung seitens des Mädchens hat über- 
haupt keine Geltung. Jetzt hat das Mädchen nicht erst seine und 
des Bräutigams Pubertät abzuwarten, sondern es wird sofort ge- 
heiratet. Ich weiß Fälle, daß vierzigjährige, alte Schweinehunde, 
wenn ihre bisherigen Weiber nicht mehr genügend Sinnenkitzel bieten, 
sich kurzweg unreife Mädchen von sieben bis zehn Jahren kaufen. 
Für die Eltern des Kindes ist ein solcher Verkauf nichts als Geschäft. 
Andererseits ist mir bekannt geworden, daß der Ehemann seinem 
Freunde, der in seiner Hütte schläft, einfach so ein Mädchen zum 
Beilager gibt. Recht der Weigerung steht dem armen Wesen nicht zu. 


Die Hochzeit besteht in jedem Fall, mag der puber gewordene 
Knabe oder ein alter Wüstling heiraten, in einem großen Suff für 
die Männer, in einem festlichen Tanze für die Weiber. Das ist der 
erste Teil. 


Der zweite Teil folgt nachts in der Hütte des Mannes, wo dem 
ersten Koitus ein alter Mann und ein altes Weib assistieren; ob als 
Zeugen oder Gehilfen, wurde mir nicht klar. 


Auf Integrität des Mädchens wird ja ohnedies nicht geachtet. 
Daß ein Mann eine virgo heiratet oder heiraten will, ist undenkbar; 
ja es wurde mir erzählt, daß ein Vater sein Mädchen durch einen 
Knaben für den Koitus mit einem Erwachsenen präparieren ließ. 
Der Zeuge davon war mir absolut glaubwürdig. Der Heide ist in 
punkto sexus einfach mehr als viehisch, bestialisch. 


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Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 457 


Das Lager der hiesigen Neger besteht in einer großen Binsen- 
matte auf dem bloßen Boden. | 

Solange der Mann nur ein Weib hat, muß dieses eben dauernd, 
jede Nacht dem Manne beiliegen. Eine Unterbrechung veranlaßt 
die Menstruation. Während dieser Tage darf das Weib nicht ein- 
mal das gleiche Lager und die gleiche Matte mit dem Manne teilen, 
sondern muß abseits lagern; darf auch keine Nahrung dem Manne 
kochen. Die Menstrualsekretion wird als dem Manne Krankheit 
erregend angesehen; das Weib ist also unrein. Erst nach einem 
Bade post menses darf es wieder dem Manne beiliegen, d. h. wenn 
dieser will und darnach verlangt. Das Weib darf nicht das Ver- 
langen nach dem Koitus äußern, sondern hat zu warten, bis der 
Gemahl befiehlt; eine Weigerung würde eine Tracht Prügel und 
Gewaltanwendung zur Folge haben. Der Koitus wird in Seitenlage 
vollzogen. Das Weib hat nach demselben dem Manne die Vorhaut 
wieder über die Eichel zu streifen. Beide Teile nehmen sofort 
hernach eine Waschung der Genitalien vor. 

Längere Unterbrechung veranlaßt der Beginn der Schwanger- 
schaft, die letzten Monate derselben und die ganze Laktationsperiode 
von ein bis eineinhalb jahren; ferner die ein- bis zweimonatliche 
Trauerzeit nach dem Tode eines Kindes. 

Da das Weib völlig passiv sich zu verhalten hat, sowohl in der 
Forderung des debitum conjugale wie in der Ausübung desselben 
sich nur als Objekt der Wollust ihres Mannes zu betrachten hat, 
so dürfte mancher Fall steriler Ehe oder Konkubinats auf dieses 
passive Verhalten zu schreiben sein. 

Diese häufige und langdauernde Außerdienststellung des Weibes, 
wie die Menstruation, die Schwangerschaft usw. es bedingen, die 
Anschauung des Heiden über den notwendigen Geschlechts-. 
verkehr zwingen eigentlich zur Polygamie (gleiche Anschauung 
äußerte Napoleon LL Die Werbung des zweiten und aller weiteren 
Weiber, Kauf und Heirat, erfolgt unter dem gleichen Modus wie 
bei der Heimführung des ersten Weibes. Verfügt der Mann nur 
über eine Hütte, so hat jedes Weib seinen eigenen Raum und 
wirtschaftet für sich; nur die Dienstleistung für den Mann ist eine 
gemeinsame, wie die Nahrung, bereiten, Feldbau u. dgl. Welches 
Weib des Nachts beim Manne zu liegen hat, bestimmt dieser. 
Verfügt derselbe über eine größere Anzahl von Ehehälften, so hat 
das gebrauchte Weib für drei Nächte Ruhezeit. Sobald der Ehe- 
mann eines seiner Weiber für den Koitus nicht mehr für geeignet 


458 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 


erachtet, bekommt dieses eine eigene Hütte im Felde, hat dieses zu 
bebauen, die Erträgnisse im Großen dem Herrn und Gebieter ab- 
zuliefern, demselben für Festlichkeiten Bier zu sieden, bei seinem 
Besuche Lebensmittel zu kochen u. dgl. So findet man oft ganze 
Hüttenkomplexe, die keine anderen Insassen bieten, als ausrangierte 
Weiber von Häuptlingen mit ihren Kindern, bis diese letzteren ver- 
kauft oder in Arbeit gestellt werden können. Das Kommando über 
diese pensionierten Amazonen führt kein Eunuch, sondern ein alter 
Mann, ob Sklave oder Freier, weiß ich nicht. Aus der Anzahl und 
Häufigkeit der Hütten kann man also noch nicht auf starke Be- 
völkerung schließen. Der Inhaber mehrerer Weiber verteilt diese 
oft auch in mehrere Ortschaften, so daß er nach Belieben spazieren 
gehen kann und überall seinen eigenen Herd, sein Essen und sein 
Weib hat. 

Eheliche Treue nach dem Moralprinzip ist so ziemlich un- 
bekannt. Sieht der Mann im Weibe nicht seine Lebensgenossin, 
sondern nur die notwendige Ergänzung zur Befriedigung seiner 
Lust, so muß ihm eben jedes Weib gleichwertig sein, das sich ihm 
hingibt. Das Weib aber kann jedenfalls nicht derart von ehelicher 
Liebe begeistert sein, daß es dem Manne, den es nicht frei gewählt 
hat, dem es durch Verkauf, unter dem Drucke der Gewohnheit, 
Furcht oder des Zwanges zugeführt worden ist, die Treue bewahrt. 
Ihm wird jeder Mann willkommen sein, der seine Sinne reizt, der 
ihm Genuß bietet und sie wird den Genuß genießen, soweit eben 
nicht Furcht vor Entdeckung und Prügel resp. Tötung es davon 
abhalten. Man kann es ihm auch nicht verdenken; da nimmt ein 
Wüstling jedes Jahr ein neues Weib, wenn nicht gleich zwei; setzt 
seine bisherige Leibmaschine noch im besten Alter ins Feld hinaus, 
und da soll das Weib zwischen zwanzig bis dreißig Jahren un- 
verrostete Liebe bewahren? 

Meines Erachtens ist Ehebruch an der Tagesordnung, wird 
auch gegenseitig vorausgesetzt und vom Weibe meist auch stumpf- 
sinnig als unabänderliche Tatsache hingenommen. Dieser außer- 
eheliche Verkehr findet statt, wo immer zwei sich treffen, aber doch 
sich für unbemerkt erachten. Ein Weib arbeitet allein im Felde, 
ein Weib schläft oder arbeitet allein in der Hütte, der Mann ist 
abwesend, nirgends ist es sicher, ob es nicht mit Gewalt ergriffen 
und niedergeworfen wird. Selten wird ein Mann im Rausche sich 
intakt erhalten; meistens ist es Vergewaltigung des Weibes; doch 
hat auch das Weib seine illegitime Freundschaft und sucht dieselbe 


Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 459 


auf. So offenkundig die gegenseitige Untreue im Prinzip ist. so 
sucht doch jeder Eheteil seine Fehltritte sehr geheim zu l. en. 
Ertappt der Mann sein Weib in flagranti oder hört er nur von ` 
einem Dritten, wehe dem Weibe. Im Zorne überlegt der Mann 
nicht, das Weib mit dem Speere zu durchbohren, es krumm und 
lahm zu prügeln. Die beiden Kampfhähne, wenn sie aufeinander- 
stoßen, verhauen sich derart die Schädel, daß keiner ohne Wunde 
vom Platze streicht und das ist noch das Beste an der Sache, denn 
jeder hat es gleichwertig verdient. Auch das Weib ist nicht ohne 
Rache. Meisterhaft versteht es die Eifersucht, der Rivalin Gift in 
das Essen zu verbergen und diese so aus dem Wege zu schaffen. 
Das ist des Weibes diabolische Rache: „Giftmischerei!“ 

Der betrogene Ehemann hält sich außer einer gediegenen Prügelei 
auch insofern schadlos, daß er die „Liebe“, d. h. den illegitimen 
Mann seines Weibes zum Kadi, zum Häuptling schleppt, dieser 
dann zur Buße von etwa 1,30 Mark verurteilt wird. Wegen Ehe- 
bruch jedoch wird kein Mann sein Weib verstoßen, kein Weib den 
untreuen Mann verlassen. Das Geheimnis besteht in $ 11, sich nicht 
erwischen lassen. 

Das Verhältnis der Knaben und Mädchen, der Männer und 
Weiber untereinander, wie es der freieste Geschlechtsverkehr kund- 
gibt, wird meinen ersten Satz bestätigen, daß das ganze Leben und 
Streben des heidnischen Negers sich um die Geschlechteslust 
bewegt, sein ganzes Sinnen und Trachten erfüllt. Daß dasselbe 
auch beim mohammedanischen Neger der Fall ist, ist klar. Wie 
weit dies beim christlichen Neger zutrifft, verdient eigene Beobach- 
tung und Darstellung. 

Intra naturam also gibt es kaum ein Bedenken, seine Lust zu 
stillen, zum Koitus erachtet sich jedermann berechtigt, ja von der 
Natur getrieben; sittliche Bedenken dagegen erheben sich nicht. 
Fornicatio der Alleinstehenden, adulterium der Verheirateten, das 
sind die Kennzeichen, ja die Brandmale des Heidentums. Ent- 
haltsamkeit von. diesem Triebe wird nur widerwillig geübt, wo 
Furcht vor Strafe, Krankheit, Alter u. dgl. abschrecken. Incest hin- 
gegen soll nie verübt werden. 

Bej der Ungebundenheit der Geschlechter, bei der Zügellosigkeit 
der Sitten, bei Ermangelung aller pudicitia, vor und untereinander, 
bei der stets sich bietenden Gelegenheit, seine Gelüste zu befriedigen, 
ob mit oder ohne Gewalt (mir ist letzthin ein Fall bekannt geworden, 
daß ein Eheweib kurzweg einen andern Mann aus der Hütte holte, 


460 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 


mit ihm ins Feld ging, (Um das Kleid vom Leibe riß; nun, der 


Widerstand des Herrn der Schöpfung wird nicht so ernst gewesen 
sein), ist wenig Anlaß geboten zu peccata contra naturam. 

Daß aber Masturbation bei Knaben und Mädchen nicht un- 
bekannt ist, weiß ich bestimmt; sogar Onanie ist nicht bloß theoretisch 
bekannt, sondern wird auch in praxi betätigt, wenn auch nicht aus 
Furcht vor zu vielen Kindern (solche Sorgen kennt kein Vater), 
sondern aus reiner Wollust. Wo der Islam und der Küstenneger 
hinkommt, bürgert sich in Ermangelung des Weibes oder aus anderen 
Gründen auch Päderastie ein; ja ein Militärarzt sagte: Fälle, wo 


Knaben an Mastdarmvorfällen leiden, seien fast stets auf Päderastie 


zurückzuführen. Ein casus von bestialitas ist mir nie zu Ohren 
gekommen. 

Prostitution, wie sie Kulturländern oder den Städten mit euro- 
päischen Einwanderern innerhalb der Kolonien oder fluktuierender 
Bevölkerung, wie Militärstationen, Karawanenstraßen, eigen ist, ist 
bei den Land- und Buschbewohnern unbekannt. 

Quoad peccata contra naturam scheint mir der unkultivierte 
Naturneger oder „Wilde“ über den ins moderne Heidentum zurück- 
sinkenden Kulturmenschen zu stehen. Ersterer genießt zwar oder 
sucht zu genießen. schrankenlos die Fleischeslust, aber fast aus- 
nahmslos intra naturam. 

Der Mangel der Religion, der Kultur, bringt ihn weder mit dem 
Gewissen, noch mit der Staatsgewalt in Widerspruch; so sieht er, 
ungereizt, keinen Anlaß zu peccata contra naturam; er bewegt sich 
als animal vivens einfach in Anschauungen, die besonders weit über 
die Tiere nicht. hinausgehen; das ist ihm auch in das Gesicht ge- 
schrieben; darum auch sein frühes Altern. 

So weitgehend auch die ehelichen Freiheiten sind, so kann es 
doch über Nacht nicht bloß zu einer Prügelei, sondern auch zur 
Scheidung kommen. 

Anlaß dazu gibt für den Mann Krankheit, Unfruchtbarkeit des 
Weibes, für das Weib mutmaßliche oder sichere Impotenz, Krankheit, 
übernormale Roheit des Mannes. Hat der Mann sich so weit 
erschwungen, daß er sein Weib verstoßen will, so wird er die Eltern 
des Kindes respektive des Weibes zum Häuptling zitieren, und dieser 
wird dann mit großer Würde die Untersuchung leiten und vor allem 
die Eltern veranlassen, das Mahengo, das empfangene Heiratsgut, 
den Kaufpreis für ihre Tochter, dem betrübten Ehemann zurück- 
zuerstatten, und das ist nicht so einfach. Welcher Vater wird sagen? 


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* 


Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 461° 


„Da, nimm deine Sachen und gib mir meine Tochter wieder!?“ Er 
wird sich weigern und wird lügen, daß die Bäume wackeln, daß er 
schon längst die Ziege gefressen, den Stoff verbraucht habe. Hilft 
alles nichts, der Mann will sein Eigentum wieder, wenn er das 
Weib nicht brauchen kann. Das ficht den Ehemann nichts an, daß 
das verstoßene Weib ihm vielleicht jahrelang die eheliche Pflicht 
geleistet, das Feld gebaut, die Nahrung gekocht hat. Sieht er sich 
von seinem Weibe in seinen Erwartungen getäuscht, so ist er bereit, 
das Weib zu wechseln, wie der Europäer das Hemd. Wie aber, 
wenn die Eltern gestorben, wenn der Kaufpreis den Erben zugefallen? 
Her muß der Kerl und wenn er auf dem Monde wohnte. Also so 
ein Ehescheidungsprozeß geht nicht so glatt ab und dauert oft länger 
als bei einem approbierten Juristen in Deutschland. 

Gedenkt aber das Weib das Bett und Tischtuch (ideal gesprochen, 
in Wirklichkeit gibt es weder das eine noch das andere) zu zer- 
schneiden, so leitet es das Verfahren höchst einfach ein: läuft kurzweg 
davon, zu den Eltern, zu Verwandten oder, um als Eheweib nicht 
aus der Übung zu kommen, gleich zu einem anderen Manne. Der ver- 
lassene Ehemann läßt sich das selbstverständlich nicht bieten. Zuerst 
setzt es meist Prügel ab, er wird seine erblassende Flamme mit 
Gewalt zurückholen, einsperren; die Hausfrau wird aber bei der 
nächsten Gelegenheit wieder die Flucht ergreifen. Sieht der Mann, 
daß er trotz aller Liebenswürdigkeit seine Alte nicht mehr bezaubern 
und festhalten kann, so wird er ihr den Laufpaß nolens volens geben, 
aber nicht, ohne seinen Kaufpreis, den er ehedem bezahlt, wieder 
zurückzuerhalten. Der Prozeß und Verlauf ist dann derselbe wie im 


obigen Falle, nur in verstärkter Auflage. Denn diesesmal hat der 


Mann das Weib als Feindin vor sich und diese wird assistiert von 
allen Freundinnen und was das heißt, ein eigensinniges, ja böswilliges 
Weib mit einem Maul wie ein Krokodil sich vom Hals zu schaffen, 
das muß man mitangesehen und gehört haben. 

Bei dem frühzeitigen und ununterbrochenen Geschlechtsverkehr 
ist es erklärlich, warum der Neger frühzeitig zu altern beginnt. 
Ein Mann oder Weib in den zwanziger jahren dürfte so ziemlich 
seinen europäischen Leidensgenossen im vierzigsten bis fünfzigsten 
Lebensjahre gleichzustellen sein; doch hält die Zeugungskraft des 
Mannes viel länger als die Konzeptionsfähigkeit des Weibes an. 

Stirbt der Ehemann, so bedeutet das zwar Witwenschaft des 
Weibes, aber es ist nicht identisch mit Freiheit; im Gegenteil, das 
Weib gehört zum Rücklaß, Mobiliar, das an die trauernden Erben 


— — 


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462 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 


übergeht. Die Weiber kommen aber nicht an die Söhne, wie das 
übrige Mobiliar, sondern an den Bruder oder andere Anverwandte 
gen. masc. Deshalb wird nicht der Sohn des Häuptlings Nachfolger 
in Amt und Würde, sondern stets ein Bruder oder anderer männlicher 
Anverwandter; zur Häuptlingswürde gehören viele Weiber, der Sohn 
aber kann nicht die Weiber des Vaters erben. 


Freiheit des Weibes gäbe es nur dann, wenn kein Erbe da wäre. 
Wo aber findet sich kein Erbe für ein Weib? 


Die alten Tage der Leute sind wahrhaft Sonnenuntergang, 
Abend des Lebens, freud- und trostlos. So lange die Alten arbeiten 
können, müssen sie sich selbst versorgen, in Krankheitsfällen wird 
von den Kindern oder Angehörigen kaum das Dürftigste gereicht. 
Ist die Krankheit übelriechend, ekelerregend, so wird im Felde eine 
kleine Grashütte errichtet, der Patient dorthin verbracht, das Essen 
ihm hingestellt. Je eher das Ende kommt, desto barmherziger erweist 
sich das Schicksal für den Ausgestoßenen, desto erwünschter den 
Angehörigen. 

Das hindert aber diese keineswegs, im Todesfalle eine fürchter- 
liche Trauerklage anzustimmen. Alle Nachbarn und Nachbarinnen 
von nah und ferne strömen zusammen, miteinzustimmen, d. h. die 
Männer hocken hin, stemmen das Kinn auf die Knie und brüten 
stumpfsinnig vor sich hin. Die Weiber aber verführen ein Geheul, 
das „Stein erweichen, Menschen rasend machen kann“. Daß es 
dabei für die Trauergäste einen tüchtigen Trunk absetzt, das ge- 
hört zum Totenzeremoniell, sonst kämen die Trauergäste überhaupt 
nicht und man könnte nicht von Herzen lamentieren. 


Ist der Kadaver einem Kinde gehörig, so wird er im Hause oder 
vor demselben begraben. Liegt die Grabstätte vor dem Hause, so 
wird sie mit einer kleinen Hecke eingefriedigt, Lebensmittel werden 
daraufgestellt für den kleinen Geist und so oft die Mutter Bier siedet, 
schüttet sie einige Tropfen auf das Grab des Lieblings. Beim 
Begräbnis selbst — das Grab wird nur ein paar Fuß tief aus- 
gegraben — drückt sie noch vor dem Zuschütten das letzte Mal 
die Brust voll Milch auf das Kind aus. 


Handelt es sich um einen Erwachsenen, so wird der Leichnam 
ebenfalls in der Nähe der Hütte eingescharrt. Drei bis vier Tage 
dauert die Totenklage, dann aber folgt der Generalsuff, der selbst- 
verständlich alle Trauer fesselt und die alte Heiterkeit wieder löst. 
Der Geist des Toten muß gut gehalten werden, sonst fährt er in 


4 


Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 463 
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einen Löwen oder . und holt sich beliebig seine Opfer 
zum Frage. 

Hat der Tote aber gar keine Angehörigen, ist er Fremdling nur, 
so wird er einfach in den Busch geworfen, wo er der Auferstehung 
entgegenharren mag, d.h. zuerst verfällt er den Hyänen und Aasgeiern 
zum Fraße. Dauert aber der Todeskampf oder die Krankheit zu 
lange, so hat die Barmherzigkeit schon vorher ein Ende. Das unnütze, 
überlästige Glied der Menschheit wird noch bei Lebzeiten in einen 
Sumpf oder in den Wald getragen und dort seinem weiteren Schicksale 
überlassen. 


Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der 


toten Materie. 


Eine staatswissenschaftliche Betrachtung. 
Dr. rer. pol. FELIX SOLTERER. 


In der Staatslehre hat der Gedanke der Darwinisten sein Ende 
gefunden. Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß das Selbst- 
bewußtsein des Menschen durch den Analogieschluß mit der Materie 
verletzt wurde. Das universalistische Lehrgebäude, das nun wieder 
den Vorrang errungen hat, triumphiert über das individualistische 
Denken. Doch nur aus dem Grunde, weil der Universalist bloß 
die Fehler der Individualisten aufzeigt, ohne zu bedenken, daß gerade 
die stärksten universalistischen Gebilde, wie die Gewerkschaften, 
Religionsverbände usw. aus dem individualistischen Denken ent- 
standen sind. 

Der Individualismus beschränkt sich nicht allein auf Kaspar 
Hauser, der Individualist sieht die Notwendigkeit des gesellschaft- 
lichen Zusammenlebens ein, auch weiß er, daß der einzelne Mensch 
Mitmenschen benötigt, um ein Mensch des 20. Jahrhunderts sein 
zu können. Was er aber leugnet, ist, daß der Mensch von An- 
beginn schon so war, wie er jetzt ist, daß er vom Uranfange der 
Welt in geschlossenen Verbänden gelebt hat, daß Tier und Stein 
bloß erschaffen sind, damit sie der Mensch als eine Sache betrachten 
und gebrauchen kann. 

Um nun die Entstehung eines Staates überhaupt erklären zu 
können, hat man zu verschiedenen Theorien gegriffen, um nur ja 
der Deszendenzlehre aus dem Wege gehen zu können. 


464 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 


So erklärt die Machttheorie, die durch Gumplowicz und Oppen- 
heimer vertreten ist, daß der Staat durch physische Gewalt ent- 
standen ist. Sie nimmt einen friedlichen ackerbauenden und einen 
kriegerischen Volksstamm an. Durch einen Vertrag verbinden sich 
diese zwei Volksstämme und wir haben einen Staat. Abgesehen 
von der energetischen und organischen Staatstheorie, wollen die 
anderen Theorien die Staatsentstehung auf dem Umweg der Ge- 
schlechtsliebe erklären. So haben Aristoteles, Cicero, Althusius, 
Filmer, Hobbes und Haller den Staat durch eine Familie gegründet 
wissen wollen. 

Die neueren Theorien haben die Geschlechtsliebe, die zur Staaten- 
gründung führen soll, in verfeinerter Form ausgearbeitet, so meint 
Heinrich Schurtz in seinem Werke „Altersklassen und Männerbünde“, 
daß eine Art Päderastie — der Autor meint dies aber nicht in seinen 
Ausführungen — zu einer Staatengründung geführt hat. Er weist 
darauf hin, daß die Bedingung für den menschlichen Fortschritt 
die Verdrängung des Geschlechtstriebes sei,. der antisozial wirken 
soll und führt alle sozialen Verbände auf Männerverbände zurück. 

Vorherrschend sind auch die verschiedenen Totemtheorien. So 
meint man, daß eine Gemeinschaft schon vor Zeiten menschlicher 
Vernunft bestand, jedoch erst mit der Menschwerdung hätte sich 
die Vernunftbegründung des Staates ergeben. Auf diese Weise 
wäre der Totemstaat entstanden. Totem nennt man im eigentlichen 
Sinne des Wortes das Handzeichen eines Häuptlings, das die Stelle 
einer Namensunterschrift vertrat. Dieses Handzeichen bestand meist 
aus dem Bilde des Tieres, von dem er den Namen trug. Das Totem 
mußte aber nicht immer ein Tier, es konnte auch eine Pflanze sein, 
von dem sich die Gemeinschaft abstammend glaubte. Darin liegt 
ja die Begründung des Totemismus, daß z. B. die Indianer sinnlich 
wahrnehmbare Wesen anbeteten. Die Schule Freud meint nun, daß 
der Totemstaat bloß zur Vermeidung des Inzestes diente. Die streng 
durch ein Tabu Totem abgeschlossenen Kasten sollten auf alle 
Weise die Blutschande verhindern. An die Stelle des Totemstaates 
trat der Ahnen-, resp. der Geschlechterstaat, der in den Gelände- 
staat überging, wo die Gemeinsamkeit der Abstammung keine Rolle 
mehr spielte und auch Fremde aufgenommen werden konnten. 
Alle diese Theorien, die den Staat auf der Geschlechtstheorie auf- 
bauen, leiden an einem Mangel. Wohl ist der Geschlechtstrieb 
des Menschen das wichtigste Moment des menschlichen Lebens, 
so daß der Mensch, der keinen Geschlechtstrieb zeigt, als abnormal 


Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 465 


bezeichnet werden; muß. Dennoch kann man mit dem menschlichen 
Geschlechtstriebe allein niemals die Entstehung des Staatsgedankens 
erklären, denn der Geschlechtstrieb führt praktisch nur zur Ver- 
mehrung der Menschen, zu einer Familiengründung, niemals aber 
zu einer Staatentstehung. Nein, die Ursache der Kohäsion eines 
Staates liegt in der Materie selbst und diese Ursache soll nun bei 


der toten Materie untersucht werden. Richtig aufgefaßt: Wir wollen 


hier nicht beweisen, daß man im Mineralreiche Spuren von Staat- 
bildungen im menschlichen Sinne finden kann, denn dazu fehlt die 
Erscheinung des Denkens nach innen, wir wollen hier nur das 
Prinzip der Kohäsion in der Materie erforschen. Der Dualismus 
setzt die Begriffe Staat und Mensch ebenso voneinander als Welt, 
Mensch und Gott. 
Wie die Welt sich selbst schuf und nicht erschaffen wurde, so 


existiert im vorhinein ein Ding Staat nicht, sondern er wurde erst 


durch den Menschen gebildet. 

Der Staat ist kein sinnliches, noch ein übersinnliches Wesen. 
Er existiert nicht, wenn man ihn als geistiges Prinzip erklärt, weil 
auf der ganzen Erde dies nicht vorhanden ist. Es ist ein Irrtum, 
wenn man behauptet, daß außer der toten Materie noch das geistige 
Prinzip, die Vernunft, Gott oder das Gedächtnis, wie man es nennen 
mag, leben muß. Die ganze tote und lebendige Welt ist auf dem 
Monismus aufgebaut, das heißt, es ist nur die Materie und sonst 
nichts, sowohl in uns als auch außer uns. Wie die Welt von einem 
leitenden Prinzip erschaffen sein soll, so wird dasselbe auch vom 
Staate behauptet. Die Welt an und für sich besteht nur im Vor- 
handensein der Materie, ebenso wie der Staat nur durch das 
Zusammenwohnen und -leben von Wesen hervorgerufen ist. Es 
gibt daher keine Welt und keinen Staat im subjektiven Sinne, da 
die beiden Begriffe nur Bezeichnungen von Materienansammlungen 
sind, wobei unter dem Begriffe Welt die ganze Materie verstanden 
wird und unter Staat nur ein Teil derselben. Wie die Welt, besteht 
der Staat aus zwei Teilen: aus einer toten und aus einer lebendigen 
Materie, aus Sachen und Menschen. Es ist schon öfters hingewiesen 
worden, daß ohne den Dualismus der Übergang der sogenannten 
toten Materie zu der lebendigen nicht erklärt werden könnte, mit 
anderen Worten gesagt, daß ein zweites Ding vorhanden sein mußte, 
um neben dem Steine noch das Tier zu erschaffen. Es kann nur 
in kurzen Umrissen erläutert werden, in welcher Weise dieser Über- 


gang sich vollzog. Im Anfange mußte etwas vorhanden sein und 


G.u.G.XIV 30 


466 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 


zwar eine Materie. Das Prinzip jeder Materie ist, eine Zeit lang zu 
existieren und dann zu zerfallen, um aus ihren Bestandteilen neue 
Materien aufzubauen. Wenn nun in der Laienwelt die Mineralien 
als unveränderliche Naturprodukte aufgefaßt werden, so übt dies 
in der Gelehrtenwelt die Wirkung aus, daß sie diese Meinung zwar 
als falsch erklärt, aber das Gegenteil in der Wissenschaft der Philo- 
sophie behauptet. Wie die Pflanze und das Tier, entsteht und 
vergeht das Mineral, nur daß die Zeiträume dieser Umwandlung 
unendlich größer als bei organischen Wesen sind. Wie das Tier 
sich weiterentwickelte, so entwickelte sich auch der Stein, da wir 
primäre und sekundäre Mineralien kennen. Primär sind alle jene 
Mineralien, die sich (analog der Weltentstehungstheorie von Kant) 
aus den heißen Dämpfen absetzten oder beim Abkühlen der ge- 
schmolzenen Massen des Erdinnern aus denselben abschieden. Aus 
den primären Mineralien haben sich dann unter dem chemischen 
Einflusse verschiedener Agentien, vor allem des Wassers, zahlreiche 
sekundäre Mineralien gebildet. Diese Zersetzungsvorgänge beruhen 
auf einem Austausch chemischer Bestandteile und stellen die Fort- 
pflanzungsmöglichkeiten der Steine vor. Wir sehen, der Stein hat 
die größte Ähnlichkeit mit der lebenden Materie, da er wie diese 
entsteht, sich fortpflanzt und zerfällt. Die Fortpflanzung der Gesteine 
findet ihre Gegenüberstellung in der künstlichen Befruchtung und 
in der Parthenogenese. Hans Driesch erzählt in seinem Buche 
„Philosophie des Organischen“ über Versuche, die Eier des See- 


igels durch gewisse chemische und physikalische Agentien künstlich 


zu befruchten. Es ist kein Zweifel, daß der Befruchtungsvorgang 
in der organischen Welt auf chemischen Vorgängen beruht, wie es 
in der anorganischen Welt deutlich hervorgeht. Der Übergang von 
der unorganischen Materie in die niedersten Lebewesen zeigt sich 
bei mehreren Gelegenheiten, so führt O. Lehmann in seinem Buche 
„Flüssige Kristalle“ überraschende Ähnlichkeiten zwischen diesen 
Kristallen und den Organismen an: 

1. Fähigkeit zu wachsen. 

2. Ähnlichkeit von Kristallisationskern und -Keim. 

3. Aufzehren labiler Kristalle durch stabile. 

4. Regelmäßige Form. 

5. Regenerationsfähigkeit. 

6. Fähigkeit der selbständigen Wiederherstellung der gestörten 

Struktur. 
7. Kopulation. 


— — 


=- s 


— — — in — 


— 


—— — nn nn, 


Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 467 


8. Selbstteilung. 
9. Innenaufnahme. 
10. Bewegungserscheinungen. 
11. Vergiftungserscheinungen durch Beimengung fremder Stoffe. 
12. Beschränkung der Größe der Individuen. 
13. Kreuzung, Entstehung von Mischkristallen durch mechanische 
Mischung, Eindiffundieren der einen Substanz in die andere. 
Das sind wahrlich überraschende Ubereinstimmungen, besonders 
wenn man außerdem auf die merkwürdigen Kristallhäufungen hin- 
weist, wie z. B. die Eisblumen den Pflanzen ähneln. Überlegung 
besitzt freilich die tote Materie nicht, aber das ist der beste Beweis 
von dem Fehlen einer geistigen Macht im Leben, da die Welt 
jahrhundertelang nur aus vernunftloser Materie bestand. Die Ver- 
nunft hat sich daher ebenso aus der Materie entwickelt, wie die 
äußeren Formen der Materie sich verändert haben. Die Vernunft 
des Menschen stirbt mit seinem Körper, ein Zeichen, daß das 
geistige Prinzip mit dem Körper verbunden ist. Die Vernunft 
befähigt die lebende Materie nur insoweit, daß sie die Lebens- 
vorgänge der Materienwelt begreifen kann. Weitere Überein- 
stimmungen der toten und der lebendigen Materie zählt W. Hirt 
in seinem Buche „Das Leben der anorganischen Welt“ auf. Die 
Absorption gasförmiger Substanzen durch feste und flüssige Körper 
entspricht der Atmung und ist von der Temperatur und von der 
Wärmebildung abhängig. Wasser ist der Hauptbestandteil der an- 
organischen und der organischen Welt. Die wässrige Durchtränkung 
ist für die Kohärenz besonders der festen Körper, z. B. für die Kristalle 
von wesentlicher Bedeutung. Den Stoffwechsel bei Tier und Pflanze 
kann man vergleichen mit der in der Natur häufigen Umwandlung 
von Verbindungen, z. B. der Gesteine durch Aufnahme von Sauer- 
stoff und Kohlensäure. So wird Spateisenstein in Brauneisenstein, 
Bleiglanz in Bleivitriol, Erdöl in Erdpech und Asphalt, die Silikate 
von Kalk, Kali, Natron werden in die entsprechenden Karbonate 
verwandelt. Als einen Anpassungsvorgang kann man die Erwärmung 
und Abkühlung der Körper nach Maßgabe der Temperatur der 
Umgebung bezeichnen. Als ein Abbild der Sinnesempfindungen 
kann die Reaktion der anorganischen Welt auf die Reize der ver- 
schiedenen Energiearten, wie Licht, Wärme usw. erklärt werden. 
Die tote Materie hat keine Überlegungskraft, keine Denkmöglichkeit 
und dennoch bewirkt sie Vorgänge und Handlungen als Beweis 
dafür, daß nur die Materie Handlungen ausführt. So wehrt sich 
30° 


468 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 


das Holz, das Sonnenlicht durchzulassen und läßt es nur als Wärme 
wirken, während das Glas ihm kein Hindernis entgegensetzt. Das 
Eisen wehrt sich gegen die Aufnahme von Wärme und statt sich: 
zu erwärmen, vergrößert es sein Volumen. Der Stacheldraht merkt 
sich jede Drehung, die er erfahren hat. Wenn ein Eisenstück unter 
der Wirkung von magnetischen Kräften ein vorübergehendes 
magnetisches Moment angenommen hat, nimmt er das gleiche 
Moment bei wiederholter Magnetisierung schon unter dem Einflusse 
von jedesmal schwächeren Kräften an. Diese Eigenschaft kommt 
fast einer menschlichen Erinnerung nahe. Auch Krankheiten kommen 
im unorganischen Reiche vor, so kann man die Metalle als „erkrankt“ 
ansehen, wenn sie verrosten oder durch die Oxydation angegriffen 
werden. Den Kampf mit dem Tode versinnbildlicht das Schmelzen 
eines Metalles, das ihm so lange Hindernis entgegensetzt, als es 
noch nicht auf den Schmelzpunkt gebracht wurde. Die Mineralien 
sind den äußeren Einflüssen sehr ausgesetzt und bilden keineswegs 
ein geschlossenes Ganzes. Wird Gips, welcher 21% Kristallwasser 
enthält, über 190 Grad erhitzt, so verliert er sein ganzes Wasser 
und kehrt durch Befeuchtung nicht in seinen früheren Zustand 
zurück. Diamant geht durch Glühen in niedere Modifikationen über 
und kann dann nicht mehr in dieselbe Form zurückgebracht werden. 
Das leichte Metall scheint eine gewisse Entartungsform des schweren 
Metalles zu sein, also gewissermaßen eine entartete Abstammungs- 
form, eine Rückentwicklung. Die Alkalimetalle (Kalium und Natrium) 
haben nämlich eine geringe Härte, keinen individuellen Bestand und 
eine starke Neigung zu oxydieren. Wasser zersetzen sie lebhaft 
und bilden mit der Gruppe (OH) Hydroxyde, die den stärksten 
basischen Charakter zeigen, während je edler ein Metall ist, desto 
weniger Fähigkeiten besitzt es, Basen zu bilden. Wenn wir nun 
auch den Steinen das Prinzip der Fähigkeit zur Staatenbildung zu- 
schreiben, so kann dies nur behauptet werden, weil wir schon bei 
dem Menschenstaat behaupteten, daß ein Staat an und für sich 
nicht existiert, sondern bloß durch das Zusammenbleiben von 
Individuen ein solcher gebildet wird. 

Die darwinistischen Staatstheorien behaupten, daß der Mensch 
und das Tier hauptsächlich aus Sicherheitsrücksichten und durch 
die äußere Natur gezwungen, einen Staatsverband bilden. Dieselben 
Veranlassungen liegen nun auch im Mineralreiche vor, eine Ver- 
bindung der einzelnen Minerale durchzuführen. In der Natur treten 
die Minerale zu häufig vorkommenden Assoziationen zusammen, 


Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 469 


die am Aufbau der festen Erdrinde einen wesentlichen Anteil nehmen 
und Gesteine genannt werden. Diese Assoziation bietet dem einzelnen 
Mineral die Gewähr, vor Wasser und anderen Gefahren geschützter 
zu sein als im Alleinzustande Wie man primäre und sekundäre 
Mineralien unterscheidet, so gibt es auch primäre und sekundäre 
Gesteine. Die primären Gesteine sind aus Schmelzflüssen, die aus 
dem Erdinnern stammen, gebildet worden. Diese Schmelzflüsse 
stellen gemischte Lösungen dar, aus denen sich die gelösten Sub- 
stanzen beim Abkühlen nach dem Grade ihrer Konzentration ab- 
scheiden. Die sekundären Gesteine sind wieder aus den primären 
durch chemische Umwandlung oder mechanische Zerstörung ent- 
standen. Für den einzelnen Stein ist es oft eine Lebensnotwendigkeit, 
daß er in Gesteinen vorkommt, da er sonst von anderen und 
größeren Steinen „aufgefressen“ werden könnte. In der Materie 
liegt eben schon das Prinzip des Verbindens, sowohl in der Fort- 
pflanzungsmöglichkeit als auch in der größten Assoziationsverbindung. 

Die Ausdehnung des Gesteines ist nicht von untergeordneter 
Bedeutung, da die Gesteine oft das gegenseitige „Auffressen“ lieben. 
Auch im Mineralreiche kommt das Prinzip des Kampfes um das 
Dasein zur Anwendung. Dabei kann man erkennen, daß die Ver- 
einigung der wesentlichen Gemengteile zu Gesteinen keine will- 
kürliche ist. Auch hier finden wir gewissermaßen das Prinzip der 
freien Vereinigung zweier Körper aus Naturnotwendigkeit, da der 
Verband von chemischen und physikalischen Gesetzen beherrscht 
ist. Gewisse Mineralien vereinigen sich häufiger, einzelne bedingen 
sich wechselseitig und andere schließen sich wieder aus, so fordert 
z. B. das Vorkommen von Quarz das Mitvorkommen eines kiesel- 
säurereichen Feldspates, während der Olivin (ein Silikat aus der 
Erstarrung des Magmas) den Quarz geradezu ausschließt. Obgleich 
dem Gesteine die Vernunft abgesprochen wird, ist es imstande, 
ganz bestimmte Gruppen zu bilden. Wieder müssen wir bei dieser 
Gelegenheit hinweisen, daß damit der Beweis erbracht ist, daß in 
der Materie selbst die Vernunft liegt. Es gibt zwar eine Denkarbeit, 
man muß aber die Meinung zurückweisen, daß sich ein geistiges 
Prinzip außerhalb der Materie befindet, da aus der Materie allein 
die ganze Welt besteht. Der Mensch hat vor dem Stein nur das 
Denkvermögen, die Denkarbeit, die Überlegungsfähigkeit voraus. 
Vernunft hat aber auch die tote Materie, die aber nur in der Außen- 
welt und nicht im Individuum selbst zutage tritt. Das Denkvermögen 
ist dem Menschen von keiner der Natur außenstehenden Macht 


470 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 


verliehen worden, da die Denkfähigkeit nur einen verwickelten 
chemischen Prozeß vorstellt. Das Denkvermögen hat sich ebenso 
aus der Materie entwickelt, wie die verschiedenen äußeren Formen 

der Materie. | | 

Die primären Gesteinsassoziationen sind ebenso wie die sekundären 
dem Untergange ausgesetzt, wenn sie zu geringe Festigkeit haben, 
der mechanischen Zerstörung und der chemischen Umwandlung 
Widerstand zu leisten. Der Untergang einer Gesteinsvereinigung 
vollzieht sich oft aus dem Grunde, weil ein wichtiges Metall oder 
ein anderer Faktor zu fehlen beginnt, beziehungsweise in zu geringem 
Ausmaße vorhanden ist. So verdankt das sekundäre Gestein, der 
Serpentin, der chemischen Umwandlung anstehender feldspatarmer, 
dafür aber olivinreicher Gesteine, wie dem Olivinfels, seine Ent- 
stehung. Es findet dabei: ein langandauernder Kampf statt, da Reste 
der ursprünglichen Gemengteile noch im sekundären Gesteine auf- 
zufinden sind. 

Das Prinzip der Materie: etwas aufzubauen und es dann nieder- 
zureißen, damit etwas Neues entsteht, finden wir in der Zersetzung 
der primären Gesteine, da ein Teil des Gesteines zersetzt wird und 
aus der Verwitterungskruste ein neues Gestein entsteht. Bei der 
Zerstörung der Gesteine bleiben nur die widerstandsfähigsten Mine- 
ralien über, z. B. der Quarz. Um nun weiter existieren zu können, 
verbinden sich die von der Zersetzung übrig gebliebenen Quarz- 
fragmente durch verschiedene Bindemittel (Gips, Kieselsäure) zu 
den Sandsteinen. Hier erkennt man nun das Vereinigungsstreben 
der Materie, das sowohl in der toten als auch in der lebendigen 
zu finden ist. Die einzelnen Minerale verbinden sich aus Natur- 
notwendigkeit, um im Gesteine, in der Vereinigung weiterleben zu 
können. Es ist vielleicht nicht uninteressant, bei dieser Gelegen- 
heit die neueste Kontinententstehungstheorie zu berühren, die das 
Prinzip der Verbindung und der Losreißung der toten Materie zum 
Inhalte hat. | 

Nach dem Buche A. Wegener. „Die Entstehung der Kontinente 
und Ozeane“ wird die durch vertikale Bewegungen (Absinken der 
Schollen) erklärte Entstehung der Kontinente und Ozeane durch 
eine horizontale Bewegung einer Kontinentalscholle ersetzt. Nach 
A. Wegener bestand die Erde im Uranfange aus einer geschlossenen 
Scholle (analog der Kant-Laplace-Theorie, auf die wir schon öfters 
hingewiesen haben), die später zerriß (Gedanke der Auseinander- 
reißung der Materie) und deren Teile sich horizontal verschoben 


Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 471 


und sich vermutlich heute noch verschieben. (Gedanke der Materien- 
verbindung.) | 

Wenn wir, nun auf Einzelheiten eingehen, so müssen wir einige 
wenige Worte vorausschicken. Man könnte diesem Teile der Arbeit 
einen großen Phantasiereichtum zusprechen und danach auch die 
Beispiele bewerten. 

Es muß jedoch mit allem Nachdruck hingewiesen werden, daß 
nur die Naturwissenschaften und die Gesetzeslehre ohne Phantasie 
arbeiten müssen, während die Philosophie und die Staatswissenschaft 
nur auf sie aufgebaut ist, denn bloß sichtbare Dinge kann man 
beschreiben, während man unsichtbare nur zu erforschen und zu 
erklären vermag. In unserer Abhandlung spielt die Phantasie noch 
lange nicht die Rolle, die sie bei der Philosophie zugewiesen bekommt, 
da wir Naturereignisse, sichtbare Vorfälle und Handlungen, für unsere 
Arbeit erklären und auslegen. Schließlich könnte man streiten, ob 
unter Geistesarbeit nicht die Phantasie gemeint ist. Die Phantasie 
ist nur dort ausgeschaltet, wo man etwas Gesehenes, etwas Gehörtes 
wiedergibt, bei Erforschungen von Lebensvorfällen muß der Mensch 
mit Vermutungen arbeiten, da er sonst mit diesen Gegenständen 
überhaupt sich nicht befassen dürfte. 

Wenn wir nun dem Mineralreiche das Prinzip der Fähigkeit zu 
Gesellschaftsbildungen zuschreiben, so geschieht dies mit der Ein- 
schränkung, daß die Naturereignisse dies vermuten lassen. Aus 
diesem Grunde führen wir die zahlreichen Beispiele an und haben 
mehrmals schon bemerkt, daß die Minerale sich ihrer Gesellschafts- 
bildung nicht bewußt werden. Jedoch werden auch Tiere sich nicht 
dessen bewußt und wir lassen die Frage offen, wie viele Menschen, 
hauptsächlich auf dem Lande, wo die staatliche Gewalt meistens 
nur durch einen versoffenen Gemeindediener verkörpert wird, ohne 
Staatsbewußtsein im Verbande leben. Wieder ist dies ein Zeichen, 
daß es nur im Willen der Materie gelegen ist, gemeinsame Individuen- 
verbände zu schließen. 

Die Naturwissenschaft ist heute auf dem Standpunkt, daß alles 
Tote und Lebendige auf enen Zusammenschluß aufgebaut ist, so 
setzt sich jedes Mineral aus vielen Molekülen zusammen, die ent- 
weder regelmäßig oder regellos angeordnet sind und demnach auch 
die Gestalt des festen Körpers eine bestimmte oder eine zufällige 
Form geben. Amorph ist z. B. das Glas, alle Flüssigkeiten und alle 
Gase, während das bestimmte Mineral einen ursächlichen Zusammen- 
hang zwischen seiner Gestalt und seinen physikalischen Eigen- 


472 i Linsert: Inkose 


schaften erkennen läßt. Es ist dies eine Erscheinung, die für den 
Monismus äußerst wichtig ist. Die physikalischen Eigenschaften 
eines Minerales (Härte, Löslichkeit, Lichtbrechung usw.) stellen 
Analogien zu den Lebensvorgängen der lebenden Wesen vor und 
hängen mit der äußeren Gestalt des Minerales im Zusammenhange, 
da ein größeres Mineral schon andere Eigenschaften zeigt. Wieder 
muß auf die Einheit der Materie hingewiesen werden, aus der alles 
entsteht und in der alles enthalten ist — Gestalt und Vernunft. 
Freilich ist für das Wesen des Kristalles weniger die Größe als die 
Neigung der einzelnen Flächen zueinander von Bedeutung. 
(Schluß folgt.) 


Internationaler Kongreß 
für Sexualforschung (Inkose). 


n der Zeit vom 10. bis 16. Oktober tagte in Berlin im Langenbeck-Virchow- Haus 

der „Internationale Kongreß für Sexualforschung“ (Inkose) unter Vorsitz seines 
Einberufers, des Geh. Sanitätsrates Dr. Albert Moll. Es war allerdings nicht die 
„erste“ Veranstaltung dieser Art, wie das Büro des Kongresses. mit seltsamer 
Hartnäckigkeit verbreitete, da bereits im September 1921 Magnus Hirschfeld eine 
große Anzahl in- und ausländischer Sexualforscher zusammengerufen hatte, die 
in demselben Saale, teilweise sogar über dieselben Themen referierten. Die 
Verhandlungen dieser Tagung sind später im Druck erschienen.* Ihrer offen- 
sichtlichen Tendenz wurde in einer Resolution Ausdruck gegeben, in der es u. a. 
hieß: „Die Sexualstrafgesetzgebung hat dem Stande der wissenschaftlichen Er- 
kenntnis gerecht zu werden. Sie darf Affekten und primitiven Kontra-Instinkten 
nicht Raum gewähren, schädlicher Neigung zu träger Beharrung nicht nachgeben. 
Die Straftatbestände und die Strafmaßnahmen sind auf dasjenige Maß zurück- 
zuführen, das erforderlich und fruchtbar ist. Die staatliche Fürsorge für das 
Sexualleben hat in erster Reihe durch wohltätigere Maßnahmen zu erfolgen, als 
es Strafen sind.“ 

Der Moll’sche Kongreß lehnte eine solche Stellungnahme von vornherein ab. 
Dies unter heutigen Verhältnissen reichlich grotesk anmutende Bestreben, nur 
ja nicht „tendenziös“ zu wirken, erlitt denn auch während der Verhandlungen 
verschiedentlich Schiffbruch und hat schließlich das Gesamtbild der Verhand- 
lungen in seiner Wirkung wesentlich beeinträchtigt. Auch die Sexualwissenschaft 
ist schließlich nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Menschheit willen da. 

Peinlich mußte es auch wirken, daß gerade die hervorragendsten Fachwissen- 
schaftler auf der Referentenliste nicht vertreten waren. Ich nenne hier nur Forel, 
Carpenter, Havelock Ellis, Magnus Hirschfeld, Sergius Voronoff, Rohleder, Freud 
und viele andere mehr. William Stern, der hervorragende Hamburger Psychologe, 


e „Sexualreform und Sexualwissenschaft‘‘. Herausgegeben von Dr. A. Weil. Stuttgart 1922 
bei Julius Puttmann. Vergl. auch „Sexualreform“ X. (Geschlecht und Gesellschaft X, Heft 2—7.) 


Linsert: Inkose 473 


hat nicht unrecht, wenn er in der „Vossischen Zeitung“ schrieb: „Daß übrigens 
trotz der Fülle der vertretenen Gebiete, einige entscheidende Forschungsrichtungen 
fehlten, wurde mit Befremden und Bedauern festgestellt. Man mag zur Psycho- 
analyse stehen wie man wolle, unzweifelhaft ist, daß man für ihre würdige 
Vertretung — eventuell würdige Bekämpfung — auf dem Kongreß hätte sorgen 
sollen: ebenso wie gerade in Berlin die Teilnahme des bedeutendsten Berliner 
Forschungsinstitutes für Sexualforschung, des Instituts von Magnus Hirschfeld, 
hätte gesichert werden müssen.“ 

So kann man sich nicht wundern, wenn eine gewisse Einseitigkeit der Ver- 
handlungen hie und da doch allzu kraß in Erscheinung trat, ein Umstand, dem 
trotz angestrebter „Tendenzlosigkeit“ auch nicht durch die Fülle der Referate 
abgeholfen wurde. Der — sicher gutgemeinte — Versuch, möglichst alle Gebiete 
der Sexualforschung zu behandeln, mußte natürlich fehlschlagen. Man hat in 
sechs Tagen 130 Referate verhandelt und diskutiert! Das Ergebnis war, daß die 
ohnehin kleine Zuhörerzahl von Tag zu Tag mehr zusammenschmolz und im 
Wust der Vorträge eine einheitliche Linie nicht mehr festgestellt werden konnte. 
Allgemein klagte man über den ungeordneten Aufbau des Programms und das 
sicher mit Recht. Auch wurde zu viel Mittelmäßiges gesagt, indem Wesentliches 
unterging. Immerhin sei versucht, über einige wertvolle Mitteilungen, die An- 
spruch auf allgemeines Interesse haben, zu referieren. 

Sellheim (Leipzig) berichtete über die von Lüttge und von Merz entdeckte 
Blutuntersuchung, die er als „Serum Extrakt Reaktion“ bezeichnete. Auf Grund 
dieser leicht auszuführenden Methode kann in kürzester Zeit festgestellt werden, 
ob Schwangerschaft vorliegt oder nicht, ob ein Mädchen oder Knabe getragen 
wird. Auch das Vorhandensein von Krebs kann auf Grund dieser Methode mit 
Sicherheit ermittelt werden. — Eigenartig war das Referat van Bemmelens(Groningen) 
über den „Kriegsdrang als Sexualerscheinung“. Danach beruht die erste Veranlassung 
zum Kriege bei dem Menschen auf einem Instinkt, der die Männer dazu treibt, 
sich durch Kampf mit Nebenbuhlern in den Augen des weiblichen Geschlechts 
hervorzutun, um dadurch in den Besitz weiblicher Gefährten zu gelangen. Noch 
andere Triebe kämen als mögliche (!) Ursache des Hanges zum Kriege hinzu: 
die Jagdlust, der allgemeine Selbsterhaltungstrieb, Machtbegierde und Habsucht. 
Doch wich der Vortragende, der sich, wie diese kurzen Andeutungen zeigen, in 
den Sphären höherer Psychoanalytik bewegte, einer in die Tiefe gehenden 
Erörterung gerade der letzten und doch wohl wichtigsten Ursachen vorsichtig 
aus. — Finkenrath (Berlin) berichtete über „die Grenzen der Aufklärung im 
Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten“. Außer bekannten Tatsachen, daß 
z. B. die Geschlechtskrankheiten in akademischen Kreisen weiter verbreitet sind, 
als in anderen Volksschichten, sagte er nichts Originelles. Er forderte, daß an 
Stelle sexueller Aufklärung, sexuelle Erziehung treten müsse. Das Wichtigste 
— nämlich: wie, wo und wann eine solche „Erziehung“ vor sich gehen müsse, 
blieb das Geheimnis der Referenten. Er wird es vielleicht auf einem nächsten 
Kongreß verraten. — Albert Moll setzte sich in seinem Referat „Homosexualität 
und sogenannter Eros“ vor allem mit Spranger und Wyneken auseinander, denen 
er — übrigens mit vollem Recht — vorwirft, in das Wort „Eros“ einen Sinn 
gelegt zu haben, der heillose Begriffsverwirrung schaffen muß. Leider wurde der 


* Siehe „Geschlecht und Gesellschaft“ XIII, Heft 304. 


474 Linsert: Inkose 


wissenschaftliche Wert und Charakter seiner Ausführungen, die eine bemerkens- 
werte Übereinstimmung mit Hirschfelds Arbeiten über Sexualbegriffe in dem vor 
etwa 1½ Jahren erschienenen Teile der „Geschlechtskunde“ aufweisen, durch 
peinliche Ausfälle gegen die homosexuelle Bewegung völlig verwischt. Moll 
meinte, daß die Homosexuellen sich dieser Begriffsanwendung bedienten, um 
ihre Neigungen zu idealisieren. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß 
sich nicht nur die Moll’sche Schule, sondern gerade auch die Kreise, gegen die 
von Wyneken u. a. geschaffene Begriffsverwirrung wenden, denen Moll ein 
Interesse an derartigen Neuprägungen unterschieben möchte. — Alfred Adlers 
Vortrag über „Erotisches Training und erotischer Rückzug“ enttäuschte. Die 
Störungen, die Adler in der fehlgeleiteten und darum fehlleitenden Erziehung 
der Kinder sucht, erscheinen durch Beispiele allzu ferne dem Leben der Masse 
illustriert. Die Individualpsychologie hat ihre Schattenseiten. Adlers Mystik 
mahnte vielleicht mehr daran, als ihm lieb sein dürfte. — Einen gewissen Höhe- 
punkt erreichte der Kongreß mit den Ausführungen Steinachs. Er sprach über 
„Demonstration der antagonistischen Wirkung der Sexualhormone“. Steinachs 
experimentelle Arbeiten haben bewiesen, daß von den männlichen und weiblichen 
Keimdrüsen eine innerliche Absonderung von geschlechtsspezifischen Stoffen 
erfolgt. In der Wirkung dieser Stoffe besteht insofern ein gewisser Gegensatz, 
als die gleichsinnigen Geschlechtsmerkmale gefördert, die gegensätzlichen gehemmt 
werden. Steinach konnte nun an Ratten die fundamentale Tatsache nachweisen, 
daß eine antagonistische Wirkung der Keimdrüseninkrete vorhanden ist, die die 
homologen Geschlechtsmerkmale fördert, die heterologen in ihrer Entwieklung 
hemmt. Neuerdings braucht man die Transplantations- Methode nicht mehr 
anzuwenden, da Steinach aus Rinderovarien oder Rinderplacenta ein weibliches 
Sexualhormon herstellen kann. Dieses ist standarisiert und gestattet somit eine 
genaue Dosierung. Die experimentelle und biochemische Prüfung dieses Stoffes 
berechtigt zu der Annahme, daß dieses Hormon einen vollen physiologischen 
Ersatz der normalen innersekretorischen Tätigkeit des Eierstockes bietet. — 
Steinachs bekanntester Schüler, Peter Schmidt (Berlin), der als Erster nach 
Erscheinen der Steinach’schen Publikation über Verjüngung des Menschen (1920) 
Steinachs Methode nachprüfte, sprach über „Klinische Altersbekämpfung“. Seine 
ungemein fesselnde Darstellung wirkte geradezu sensationell. Er demonstrierte 
zuerst Kontrollbilder (Ratten und große Hunde) vor und nach der operativen 
Behandlung. Dann zeigte er Fälle von Menschen, die er ebenfalls nach dem 
Steinach’schen Prinzip behandelt hat. Sein Material stützt sich bis jetzt auf 
nahezu 400 Personen, die er sechs Jahre beobachten konnte. Es kann darnach 
keinem Zweifel mehr unterliegen, daß eine Verjüngung des Menschen möglich 
ist. Das stellen denn auch selbst die Gegner Steinachs z. B. Benda — nicht 
mehr in Abrede. — Justizrat Löwenstein (Berlin) wandte sich — leider als 
Einziger — in seinem Referat „die Sexualverbrechen nach künftigem Strafrecht“ 
gegen den Amtlichen deutschen Strafgesetzentwurf, den er als eine ziel- und 
planlose „Pfuscharbeit“ bezeichnete, die der modernen sexualwissenschaftlichen 
Erkenntnis nicht im geringsten Rechnung trage. — Außerordentlich informativ 
waren die Ausführungen des klugen Londoner Frauenarztes Norman Haire über 
Empfängnis verhütende Mittel (The comparative Value of Current Contraceptive 
Methods). Haire konnte in den letzten sechs Jahren an 4000 Fällen die ver- 
schiedensten antikonzeptionellen Methoden in ihrer Wirksamkeit kontrollieren. 


Ka 


Linsert: Inkose 475 


Er kommt zu dem Ergebnis, daß alle chemischen Mittel (Tabletten, Gallerte, 


Salben, Spülungen u. dgl.) trotz größter Vorsicht bei der Anwendung unsicher 
sind und eine Empfängnis keineswegs ausschließen. Von den mechanischen 
Mitteln haben die Kondome den Nachteil, daß, sind sie zu dick, die geschlechtliche 
Befriedigung ausbleibt, sind sie zu dünn, durch Platzen des Kondoms, eine 
Empfängnis trotz alledem stattfinden kann. Apparate, wie intrauterine Pessare, 
die man in die Gebärmutter einlagert, Cervikalkappen aus Celluloid, Metall oder 
Kautschuk sind durch den ständigen Druck auf die Genitalorgane nicht selten 
sehr gesundheitsschädlich. Haire berichtet dann über das von ihm erfundene 


„Dutch-Haire-Pessar“ das er in England und Amerika einführte und das alle 


gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen ausschließt, weil es nicht in den Uterus, 
sondern in die Vagina eingesetzt wird. — William Stern (Hamburg) sprach über 
„Psychologische Gutachten jugendlicher Zeugen in Sexualprozessen“. Er führte 
aus, daß die endlosen Vernehmungen Jugendlicher in gewissen Fällen viel 
schädlicher seien, als die vielleicht an ihnen begangene strafbare Handlung. Die 
Verhöre vom Lehrer, Rektor, Schulinspektor, Gendarm, Untersuchungsrichter, 
die ausführlichen Erörterungen in der Hauptverhandlung und in der Berufungs- 
instanz schaden dem jugendlichen Gemüt ungeheuer. Er empfiehlt vor allem, 
das Verhörverfahren in die Hand eines geschulten Psychologen zu legen, damit 
Schädigungen des Kindes auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Die Tätigkeit 
des „Gerichts-Psychologen“, wenn man so sagen darf, hat der Vortragende in 
seinem Werke „Jugendliche Zeugen in Sittlichkeitsprozessen“ (Leipzig 1926, Verlag 
Quelle und Meyer) in einzigartiger Weise erörtert. Moll sagt in seinem Kor- 
referate einige Belanglosigkeiten, um widersprochen zu haben. — Fein durch- 
dacht waren die Mitteilungen von Müller-Freienfelds über „Sexualwissenschaft 
und Aesthetik“. Er führte neben anderem aus, daß die Rolle des sexuellen 
Erlebens im Kunstschaffen an Hand der biographischen Tatsachen festzustellen 
ist, die uns die Erforschung des Lebens und Schaffens der Künstler gibt. Es 
zeigt sich dabei, daß geschlechtliche Erlebnisse zwar oft Material für das Kunst- 
schaffen geliefert haben, auch oft positive Antriebe, dies jedoch nur nach mannig- 
facher Transformierung der Libido. Ebenso ist die Rolle des sexuellen Faktors 
im Kunstgenießen festzustellen. Von ästhetischem Verhalten ist dabei nur zu 
reden, wenn die Libido als solche zum mindesten stark in den Hintergrund 
gedrängt ist. Daß Tatbestände der sexuellen Beziehungen einen besonders 
beliebten Stoff auch für rein ästhetische Kunst geliefert haben, ist psychologisch 
zu erklären, ebenso wie die im Laufe der Geschichte stark wechselnde Betonung 
oder Zurückdrängung sexueller Motive einer psychologischen und soziologischen 
Erklärung bedarf. — Ministerialdirektor Dr. Wulffen, Deutschlands bester Krimi- 
nologe, sprach über „die Sexualnot der Straf- und Untersuchungsgefangenen“. 
In seinen Ausführungen beleuchtet er die verschiedenen Probleme der durch die 
Freiheitsberaubung der Gefangenen entstehenden gesundheitlichen Schädigungen. 
Durch Verhinderung des Geschlechtsverkehrs werden diese ohnehin komplizierten 
Erscheinungen noch wesentlich verschlimmert. Wenn Wulffen allerdings meint, 
daß an einer gewissen Sexualnot im Gefängnis nur solche Individuen leiden, 
die auch in der Freiheit mit ihrem Geschlechtsleben nicht fertig werden, so 
möchte ich das bezweifeln. Es sind doch genug Fälle bekannt geworden, wo 
geschlechtlich gesunde Menschen in der Haft an Psychosen erkrankten, die 
wesentlich von der geschlechtlichen Zwangsabstinenz des Betreffenden beeinflußt 


476 von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 


worden waren. In Rußland bewilligt man Gefangenen mit längerer Freiheitsstrafe 
oft genug eine kürzere Strafunterbrechung, wobei gerade die sexuelle Frage 
berücksichtigt wird. In Deutschland kann man sich zu einer so humanen Auf- 
fassung des Strafvollzugs nur schwer entschließen und scheint es, wie die Aus- 
führungen Wulffens zeigten, bei „der Anregung“ bewenden zu lassen. — Schließlich 
seien noch einige Postulate des Paters Dr. Johannes Ude aus Innsbruck wieder- 
gegeben, die er in seinem Vortrage „die Beziehungen der christkatholischen 
Ethik zur sexuellen Frage“ aufstellte: Ich zitiere nach den von ihm verteilten 
„Leitsätzen“: „Der Zweck des Sexualtriebes ist die Erhaltung der Art. Der 
Sexualtrieb ist demnach ein sozialer Trieb, verbunden mit größter Verantwort- 
lichkeit. Die mit seiner Betätigung verbundene individuelle Lustbetonung ist 
ebenfalls nur in Hinsicht auf die Kindererzeugung gegeben. Die Betätigung 
des Sexualtriebes ist nur in der unauflöslichen Einehe mit lebenslänglicher 
Treuverpflichtung erlaubt. Vor dem Ehestand ist daher Jungfräulichkeit für den 
Jüngling wie für das Mädchen die standesgemäße Keuschheit... Die Sanierung 
der Völker und Staaten muß von der Sanierung des Sexus im Sinne der katholischen 
Ethik seinen Ausgang nehmen“. Ob der „Tendenzlosigkeit“ dieser Ausführungen 
schüttelte mancher fassungslos den Kopf. Auch Udes Auffassung: „Neben den 
natürlichen Mitteln spielen für die Aufrichtung der Herrschaft des Willens über 
die Sexualität die übernatürlichen Mittel (Gebet und Sakramentsempfang) eine 
große, „ausschlaggebende Rolle“ dürfte schwerlich die einmütige Billigung 
der modernen Sexualwissenschaft finden. — 

Es ist bei der Fülle der Referate selbstverständlich nicht möglich, auf alles 
einzugehen, was an Wissenswertem gesagt wurde. Ich habe mich hier auf die 
Vorträge beschränken müssen, die, abgesehen von dem allgemeinen Interesse, 
das sie beanspruchen dürfen, vor allem auch die Beziehungen zwischen Geschlechts- 
leben und Gesellschaft erörtert haben. | 

Ihren Wert und Nutzen für eine moderne Auffassung des Geschlechtslebens 
und seiner Erscheinungen treffen die Worte 

Mene mene tekel upharsin! 
Richard Linsert. 


Hinter dem Vorhang. 
Von THEODOR VON SOSNOSKY. 


o viel auch schon über die sexuelle Frage geschrieben worden ist — oft genug 

bloß aus Spekulation, weil das ein Gebiet ist, das fast alle Menschen zu 
interessieren pflegt — so ist noch lange nicht alles gesagt worden, was darüber 
zu sagen wäre. Es ist darum auch ganz und gar kein überflüssiges Tun, wenn 
ein Fachmann, ein Psychologe und Neurologe, einmal den Versuch unternimmt, 
das gesamte Geschlechtsleben in seiner sozialen Auswirkung zu behandeln, Vor- 
urteile zu zerstören, schiefe Ansichten gerade zu biegen, dunkle Partien aufzuhellen 
und die ungeheuere Bedeutung hervorzuheben, die ihm zukommt. Der Züricher 
Nervenarzt Dr. Ludwig Frank hat sich in seinem zweibändigen Werke „Vom 
Liebes- und Sexualleben“* dieser ebenso verdienstvollen als schwierigen 


* Frank, Dr. L., Vom Liebes- und Sexualleben. Erfahrungen aus der Praxis für Ärzte 
Juristen und Erzieher. 2 Bde. 1926 (Leipzig, G. Thieme). 


von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 477 


Aufgabe unterzogen. Er hat dafür die Form von Briefen an seine Patienten, 
deren Angehörige und deren behandelnde Ärzte gewählt, weil er auf diese Weise 
der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Anomalien im Liebes- und Geschlechts- 
leben noch am ehesten gerecht werden zu können glaubte; eine didaktische Dar- 
stellung, meint er, könne nie zu einem befriedigenden Ziele führen. Wir wollen 
hier mit dem Verfasser wegen der von ihm gewählten Form nicht rechten, 
möchten hierzu nur bemerken, daß es uns immerhin gewagt erscheint, das gesamte 
geistige Material von mehr als 800 Seiten in Briefform zu fassen, da die Ein- 
förmigkeit dieser Darstellungsweise ermüdend wirkt, von andern Bedenken 
dagegen gar nicht zu sprechen. Indes: der Autor hat diese Form nun einmal 
gewählt, und wir finden uns damit ab. 

Dr. Frank ist ein Anhänger der Freud’schen Lehre von der „Verdrängung“ 
der Sexualgefühle und der hierdurch entstehenden Unlustgefühle. So sehr wir 
ihm aber auch hinsichtlich der außerordentlichen und meist viel zu wenig er- 
kannten Bedeutung des sexuellen Moments im menschlichen Seelenleben bei- 
pflichten müssen, so glauben wir doch, daß er darin zu weit geht, wenn er sogar 
Erscheinungen wie die Kleptomanie als Folgen solcher Verdrängungen hinstellt; 
es mag ja sein, daß sich in einzelnen wenigen Fällen ein Zusammenhang zwischen 
dem Stehl-Drange und dem sexuellen Moment herstellen läßt; doch im all- 
gemeinen will uns diese Methode etwas zu sehr an die des Prokrustes erinnern; 
ein Vorwurf, der der Freud’schen Theorie überhaupt nicht erspart bleiben kann. 
Viel glaubwürdiger erscheint es uns, wenn der Verfasser feindselige und wider- 
spenstige Empfindungen von Kindern gegenüber ihren Eltern auf „verdrängte“ 
Sexualgefühle zurückzuführen sucht; aber auch in diesem Falle wird man sich 
vor Verallgemeinerung hüten müssen. Daß in der Kindererziehung das sexuelle 
Moment meist ganz verkannt wird und daß Eltern und Erzieher gewöhnlich des 
naiven Glaubens sind, der Sexualtrieb lasse sich durch Strenge unterdrücken wie 
irgendeine kindliche Unart oder Bosheit, darin müssen wir dem Verfasser durch- 
aus zustimmen. Es ist in der Tat oft heillos, wie töricht in dieser Hinsicht 
Menschen handeln, die sich für große Pädagogen halten, und welch schweren 
Schaden sie den von ihnen erzogenen Kindern zufügen. Mit vollem Rechte weist 
der Verfasser darauf hin, daß sich dieser, nach Hunger und Durst mächtigste 
aller Naturtriebe auch durch die strengsten erzieherischen Maßnahmen nicht aus- 
rotten läßt — „chassez le naturel, il revient au galop“ —, wohl aber durch 
äußerliche Unterdrückung unberechenbaren Schaden in Körper und Seele des 
Kindes anzurichten vermag. Der Verfasser hat dabei den anerkennenswerten 
Mut, gegen ein tiefeingewurzeltes Vorurteil Front zu machen, das im Laufe der 
Zeiten nachgerade zu einem erzieherischen Dogma erstarrt ist und als ein 
Nolimetangere gilt: er sieht nämlich, und mit vollem Rechte, in der Selbst- 
befriedigung nur ein wohltätiges Ventil, das gefährliche Explosionen verhüten 
und dem Knaben oder Jüngling wieder die Ruhe zurückgeben soll, deren er für 
sein Studium und seine Nerven bedarf. Der „wandelnde Leichnam“, den der 
alte Hufeland als Schreckgespenst an die Wand gemalt hat und in dem er der 
heranreifenden Jugend ihr unausweichliches Schicksal vorhalten wollte, wenn sie 
diesem „abscheulichen Laster“ fröhnte: dieses Schreckgespenst, das bald zum 
Eisernen Bestande aller Pädagogen und — unbegreiflicherweise — auch so vieler 
Ärzte werden sollte, ist in Wahrheit bloß ein hohles Phantom, das, seines bom- 
bastischen Phrasenflitters entkleidet, sich nur aus albernen Vorurteilen und törichten 


478 von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 


Unwahrheiten zusammengeflickt erweist. Nichtsdestoweniger hat es in den Seelen 
junger Leute schon unberechenbares Unheil angerichtet, sie zu Hypochondern 
gemacht, ja wahrscheinlich manchen sogar zum Selbstmord getrieben. Daß 
Dr. Frank diesem gemeingefährlichen Popanz so unerschrocken an den morschen 
Leib rückt, muß ihm als besonderes Verdienst angerechnet werden. Nicht zu 
folgen aber vermögen wir ihm in dieser Sache, wenn er die Selbstbefriedigung 
dem vorehelichen Geschlechtsverkehre vorzieht. Daß sie unvergleichlich weniger 
sozialen Schaden stiftet als dieser, daran ist freilich nicht zu zweifeln: Kindes- 
mord, Fruchtabtreibung, Selbstmord, soziale Vernichtung junger Mädchen und 
andere soziale Katastrophen sind nur zu oft die verhängnisvollen Folgen des 
vorehelichen Geschlechtsverkehr, wozu, und wahrlich nicht an letzter Stelle, die 
Gefahren venerischer Erkrankungen kommen, diese nicht bloß für den weiblichen, 
sondern auch für den männlichen Teil. Alle diese schwerwiegenden Folge- 
erscheinungen bleiben dem Individuum, gleichviel ob männlichen oder weiblichen 
Geschlechts, erspart, wenn es sich mit sich selbst begnügt. Darin hat der Ver- 
fasser fraglos recht; anderseits aber übersieht er — oder beachtet doch zu wenig —, 
daß es einem Manne denn doch ein wenig viel zumuten heißt, wenn man von 
ihm verlangt, er solle sich bis zu seiner Verheiratung des Weibes völlig enthalten. 
Wie nun, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse oder sonstige Umstände ihn 
hindern, sich noch als junger Mann zu verheiraten? Soll er auch als Mann von 
dreißig, vierzig Jahren noch auf sich selbst angewiesen sein? Läuft er da nicht 
Gefahr, durch diese jahrzehrtelange fortgesetzte einseitige Betätigung seines 
natürlichen Sexualdranges für die Ehe ganz untauglich zu werden? Es ist un- 
begreiflich, daß der Verfasser in seiner Eigenschaft als Nervenarzt diese Gefahr 
so ganz übersehen oder doch zumindest so gering einschätzen konnte. Selbst- 
befriedigung als Notbehelf — „faute de mieux“ würde Krafft-Ebing sagen — 
muß man gelten lassen; aber sie darf nicht zur Gewohnheit werden, denn dann 
kann sie zum Laster ausarten und, wenigstens den Mann, zum normalen Ge- 
schlechtsgenusse unfähig machen; beim Weibe liegen die Dinge in diesem Punkte 
günstiger... Einer argen Täuschung gibt sich der Autor ferner darin hin, daß 
er seine Gegnerschaft gegen den vorehelichen Geschlechtsverkehr beim Manne 
auch mit der Behauptung zu begründen sucht, daß „kein wirklich feines Mädchen“ 
sich entschließen könne, einen Mann zum Gatten zu nehmen, der schon mit 
andern Frauen sexuell verkehrt hat. „Gerade für Frauen, die das Gefühlsleben 
des Mannes instinktiv verstehen und befähigt sind, einen Mann voll und ganz 
glücklich zu machen, sind solche Vorstellungen unerträglich; sie werden durch 
einen sexual-moralisch unreinen Mann unglücklich“. Mit nichten, verehrter Herr 
Doktor! Weitaus die Mehrzahl aller Mädchen, die im Begriffe sind, zu heiraten, 
setzt es als ganz selbstverständlich voraus, daß der Mann ihrer Wahl vorher 
schon andere Frauen besessen hat, und nimmt es ihm meist nicht nur nicht übel, 
sondern sieht es nicht einmal gern, wenn ein Mann ganz unerfahren in die Ehe 
tritt; ganz im Gegenteil: je mehr Liebschaften ein Mann hinter sich hat, desto 
höher pflegt sein Anwert in den Augen der Frauen zu steigen. Auf dieser Eigen- 
tümlichkeit des weiblichen Empfindens beruht ja die magische, für viele Frauen 
geradezu unwiderstehliche Anziehungkraft des Don-Juan-Typs, ja die ganze Don- 
Juan-Sage. Wie kann der Verfasser angesichts dieser unleugbaren Tatsache also 
behaupten, das normale Weib verlange die sexuelle Unberührtheit des Mannes, 
den sie als Gatten erwählt? Oder sollten die Mädchen und Frauen in der 


von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 479 


Schweizer Heimat des Verfassers so ganz anders geartet sein als die in anderen 
Ländern?... Uns will vielmehr scheinen, als wäre es um die Menschen- und 
Lebenskenntnis des Autors, die man bei ihm doch voraussetzen sollte und die 
zu besitzen er sichtlich sehr überzeugt ist, nicht immer aufs beste bestellt. So, 
wenn er gegen die widernatürliche Absonderung der Geschlechter wettert, die 
infolgedessen keine Gelegenheiten hätten, einander kennen zu lernen: „Wie sollen 
manche unserer jungen Männer imstande sein, das Wesen, die Fühl- und Denk- 
weise eines jungen Mädchens kennen zu lernen, wenn ihnen der freie, harmlose, 
ungezwungene, veredelnde gesellschaftliche Verkehr vorenthalten ist bis auf 
offizielle Diners und Bälle, wo man sich als Kulturmensch in steifleinenster Tracht, 
in Frack und Lackschuhen möglichst so gibt, wie man im gewöhnlichen Leben 
nicht ist, und wo die ganze Hohlheit des Menschen durch seine Geschicklichkeit 
in der äußeren Bewegung und abgedroschenen Phrasen verdeckt wird.... Von 
Jugend auf hat Männlein wie Weiblein es gelernt, sich abzusperren, ja nicht aus 
sich herauszugehen, sein besseres Ich, seine heiligsten und intimsten Gefühle zu 
verleugnen. Denn zu erkennen geben, daß man Gefühle hat, daß man zu lieben 
vermag, ja eine bestimmte Zuneigung hat, das ist schon ein Stück Selbst- 
prostitution“ ... So der Verfasser. Wenn man diese Ausführungen liest, fragt 
man sich, ob er sie wohl vor etwa zwanzig Jahren, zumindest vor dem Kriege, 
geschrieben hat oder jetzt? Wenn damals, so wollen wir sie gelten lassen, ob- 
schon sie selbst für jene Zeit nur bedingt zutreffen. Wenn er sie aber jetzt 
geschrieben hat, und allem Anscheine nach ist dies der Fall, dann nimmt sich 
sein Eifer und seine Entrüstung geradezu grotesk aus, und man fragt sich: ja 
um Himmels willen, in welcher Welt lebt denn der Verfasser? Weiß er denn 
nichts davon, daß dem Verkehr zwischen jungen Männern und jungen Mädchen 
heutzutage so gut wie gar keine Schranken gesetzt sind, daß sie ganz und gar 
nicht auf einen „steifleinenen“ Verkehr in „Frack und Lack“ angewiesen sind, 
sondern vielmehr, nur mit den allernotdürftigsten Kleidungsstücken versehen, fast 
völlig nackt, Stunden, ja Tage lang, von keiner Gardedame bewacht, in den 
Strand- und Sonnenbädern herumlungern, in diesem Kostüme Tänze aufführen, 
allerlei verfängliche Spiele treiben und sich dabei mit Vorliebe photographieren 
lassen. Der Verfasser brauchte nur eines unserer illustrierten Blätter zur Hand 
zu nehmen, um sich von der Tatsächlichkeit dieser Behauptung mit eigenen Augen 
zu überzeugen. Zumal in der Badezeit wimmelt es darin ja nur so von photo- 
graphischen Darstellungen paradiesisch gekleideter Männlein und Weiblein. Sollte 
das dem Verfasser denn wirklich unbekannt sein? Dann müßte er ja auf dem 
Monde leben. Da er aber in Zürich lebt, das doch kein weltabgeschiedenes 
Dörfchen ist, so sollte man meinen, daß ihm dieser gründliche Wandel im Ver- 
kehre der Geschlechter nicht unbekannt geblieben sei. Oder sollte die Schweiz 
auch hierin eine Ausnahme machen?... Selbst wenn dem wirklich so wäre, 
woran wir aber nicht glauben können, dürfte der Verfasser diese Ausnahme 
dann nicht zur Regel machen 

Ähnliches ließe sich auch gegen die Ausführungen Dr. Franks über die sexuelle 
Aufklärung der Kinder einwenden. Auch da geht er von dem heutzutage nur 
mehr bedingt geltenden Standpunkt aus, die heranreifende Jugend befinde sich 
über die wichtigsten sexuellen Vorgänge zumeist in gefährlicher Unwissenheit, 
weil Prüderie und Unaufrichtigkeit der Aufklärung im Wege stünden. Nun, wir 
denken: Heutzutage wird wahrlich genug getan in diesem Punkte, und es mutet 


480 Betrachtungen und kleine Mitteilungen 


etwas antediluvianisch an, wenn man diese Polemik in einer Zeit liest, da ein 
populäres Film-Institut den Bau der menschlichen Sexual-Organe als Film-Nummer 
öffentlich ankündigt, natürlich nur der Aufklärung wegen... So rennt der Ver- 
fasser auch hier wieder nur offene Türen ein. 

Seltsam weltfremd mutet es uns auch an, daß der Verfasser den Sexual-Akt 
immer wieder als das „Schönste“, „Höchste“ und „Heiligste“ preist und von den 
Menschen verlangt, daß sie in ihrem Geschlechtsdrange stets dessen eingedenk 
sein sollen, daß sie nur dem Gesetze der Erhaltung der Art dienen sollen... 
Er eifert zwar immer wieder gegen die weltfremden. Gelehrten, zeigt aber auf 
Schritt und Tritt, daß er, trotz seiner fraglos großen Erfahrung auf dem sexual- 
pathologischen Gebiete, doch selber nicht allzu weltkundig ist. 

Es ließe sich noch so Manches gegen die Ansichten des Verfassers einwenden, 
auch gegen die Auswahl der Kasuistik; aber dann müßte man selber ein kleines 
Buch über sein großes schreiben. Darin liegt übrigens — so paradox es auch 
klingen mag — die bezeichnendste Anerkennung für das Werk, denn ein Buch, 
über das man, wenn auch zum Teil in oppositionellem Sinne, so viel zu sagen 
hat, kann selber nicht nichtssagend sein, sondern muß etwas bedeuten. Eltern, 
Pädagogen, Juristen und nicht zuletzt auch Ärzten kann die Lektüre des Werkes 
denn auch entschieden empfohlen werden; nur dürften sie es nicht unkritisch lesen. 


Betrachtungen und kleine Mitteilungen. 


Klinische Studie über 372 Syphilisfälle in einer Periode von 6 Jahren. 
Unter diesem Titel findet sich eine Abhandlung von H. S. Applebaum, B. Levine 
und J. E. Fischer in „The American Journal of Syphilis“. Die Verfasser kommen 
darin zu folgenden Ergebnissen: 1. Syphilis ist eine heilbare Krankheit bei sofortiger 
und intensiver Behandlung, besonders in Frühfällen. 2. Viele Patienten über- 
sehen die Erscheinungen in den Genitalien, bis ihnen mitgeteilt wird, daß sie 
Syphilis haben. In diesem Zusammenhang soll gesagt werden, daß mit unserer 
wachsenden Erkenntnis mit bezug auf die Syphilis, ein großer Prozentsatz der 
Fälle sich mit Erscheinungen an den Genitalien entweder sich selbst behandelt 
oder von Inkompetenten behandelt wird. 3. Allgemeine Aufklärung über Ge- 
schlechtskrankheiten nach bestimmter Hinsicht wird die Vorherrschaft dieser 
Krankheiten brechen. 4. Das Virus wird frühzeitig im ganzen Körper verbreitet, 
dies erhellt die Tatsache, daß 50% der Fälle mit Primäraffekten eine positive 
WaR. haben. 5. Bei positiver Anamnese und sorgfältiger klinischer Untersuchung 
wird man unzweifelhaft noch andere Erscheinungen von Syphilis finden, die mit 
der WaR übereinstimmen. 6. Das Dunkelfeld ist das früheste diagnostische 
Hilfsmittel, und es sollte bei allen zweifelhaften Erscheinungen angewandt und 
wiederholt werden, wenn es negativ ausgefallen ist. 7. Es besteht ein bemerkens- 
werter Unterschied in unseren Serien zwischen Männern und Frauen. Wahr- 
scheinlich kommt dies daher, daß a) die Frauen seltener wissen wie die Männer, 
daß sie Lues haben, b) die Frauen eine größere Abneigung haben, sich in einem 
Krankenhaus behandeln zu lassen, c) Frauen wahrscheinlich weniger Gelegenheit 
haben, Syphilis zu erwerben, als "Männer. 8. Die klinische Feststellung erfolgt 
früher als die serologische. 9. Quecksilber kann lange ohne Schaden für die 
Nieren vertragen werden. Diese Form der Therapie sollte systematisch durch 
Harnuntersuchung kontrolliert werden. 


Herausgeber Rich. A. Giesecke. Verantwortlich für den Inhalt des Originalteils E. Schür- 

mann, für den Referaten- und Anzeigenteil G. Zeuner, Dresden-A., Hettnerstr. 4. — Alle Zu- 

schriften an den Verlag R. A. Giesecke, Dresden-A. 24. Druck von G. Reichardt, Groitzsch, 
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In Halbleinen 24 Mark, in Ganzleinen 27 Mark, 
in Halbfranz (Voll-Leder) 32 Mark. 


Der sechste Band des Handbuches der Politik, mit welchem die dritte 
Auflage des Werkes beschlossen wird, ist der wichtigste, interessanteste 
und unentbehrlichste des Gesamtwerkes. Er will unseren Lesern, die wir in 
allen Schichten des deutschen Volkes gesucht und gefunden haben, den Weg 
bahnen zu den bedeutenden Staatsurkunden unserer Zeit als den origi- 
nalen Zeugnissen der Politik. In Sammelwerken und amtlichen Publi- 
kationen vergraben, waren sie selbst dem Fachmann oft nur schwer zu- 
gänglich. ſeizi erst erhalten wir die lebendige Vorstellung von jenen 
Dokumenten, von denen wir immer hören oder in der Zeilung lesen, und 
gewinnen dadurch Einblick in die Werkstatt der Geschichte. Jedem Ab- 
schnitt ist eine Auswahl aus dem polilischen Schrifttum der Zeit, jedem 
Dokument eine kurze Einführung zusammen mit einer Angabe der Quellen 
und der wichtigsten Literatur vorangestellt. In unermüdetem Zusammen- 
arbeiten der Herausgeber und des Schriftleiters mit dem besonders be- 
auftragten Direktor des Instituts für auswärtige Politik in Hamburg und 
den zahlreichen Einzelarbeitern ist die Sammlung der Urkunden zustande 
gekommen. Mit diesem Bande ist das Handbuch der Politik abgeschlossen: 
„Ein Werk nach solcher Umsicht kaum je bereitet, in so würdigem Glanz 
noch nie erstanden.“ 


Ausführlicher Prospekt steht unberechnet zu Diensten. 


Belek sei Dr. Walther Rothschild, Berlin- men 


HILL 


Völkerplychologie und Soziologie 


find zwei Gebiete, die heute 
jeden Gebildeten intereſſieren. 


Das beweiſt der von einer großen Zahl 
beſuchte Kongreß der Deutſchen Gefell- 
ſchaft für Soziologie in Wien. 


Zeitſchrift für Völkerpfychologie 


und Soziologie 


herausgegeben von 


Dr.R. Thurnwald, a. o. Prof. an der Univ. Berlin. 


Jährlich erſcheinen 4 Hefte im Umfange von je 6 Bogen zum 
Preife von M. 7.50 pro Semeſter. Einzelne Hefte M. 4.—. 


Bei der fändig wachfenden Erkenntnis geſellſchaftlicher Zulammenhänge und 
ihrer Bedeutung für die Löfung der wichtigften Zeitfragen it eine unbedingte 
Notwendigkeit, fich mit der obigen Zeitſchriſt bekanntzumachen. 


Verlangen Sie heute noch Probeheft mit ausführlichem Profpekt. 


Rembrandt als Erzieher 


Von einem Deutlchen. 
Einzige vom Verfaller autorifierte Neuausgabe. 
Mit einer Einleitung: 
Der Verfaſſer und fein Werk. 
67. bis 71. Tauſend. 


In Ganzleinen gebunden und auf holzfreiem Papier gedruckt M. 5.—. 
Illuſtrierte Geſchenkausgabe in Halbleder gebunden M. 12.—. 


Aus einigen Beſprechungen: 
Hat doch Bismarck geſagt: „Man kann es nicht vor dem Einfchlafen lefen, 
es gibt einem zuviel zu denken.“ 


„Zuſammenfaſſend kann man fagen, ‚Rembrandt als Erzieher‘ it eine Schaß- 
ammer voller origineller Gedanken und gibt Anregungen in Hülle und Fülle 
für Leben und Denken, Schaffen und Geſtalten.“ 

„ . . Es iſt ein politiſches Lehrbuch erften Ranges, und kein Deutſcher wird 
es ohne Gewinn und ohne ſtarke innere Bereicherung aus der Hand legen. 
Diefes Werk follte Datt der Weimarer Verfallung der zur Entlalung kommenden 
Jugend in die Hand gedrückt werden als Wegführer und MWegeeiler" r 

(Cöthenfche Zeitung.) 


C. L. HIRSCHFELD, VERLAG, LEIPZIG 


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