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Geschlecht und
Seca
Illustrierte Monatsschrift für
Sexual wissenschaft, Hygiene,
Biologie und Menschenliunde
XIV. Jahrgang Heft 10
Aus dem Inhalt:
Prof. Dr. Friedrich S. Krauß:
Frauenseelenweihungen (Fortsetzung)
Hofrat Pachinger:
Humor in alter Rechtspflege
(Mit Abbildungen)
P. Ambros Mayer O. S. B.:
Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu
(Schluß)
Dr. rer. pol. Felix Solterer:
Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der
toten Materie
Richard Linsert:
Internationaler Kongreß für Sexualforschung
Theodor von Sosnosky:
Hinter dem Vorhang
Betrachtungen und kleine Mitteilungen.
RICH. A. GIESECKE, DRESDEN-A. 24
(Verlag für Menschenkunde und Sexualwissenschaft)
Preis des Einzelheftes Mk. 1.—
In neuer Auflage ist soeben erschienen das seit Jahren vergriffene Werk:
Ploss-Bartels
Das IDeib
in der
Nafur- und Dölkerkunde
Oänzlich neu bearbeitet und herausgegeben von
Ferdinand Freiherrn von Reitzenstein
Elfte stark vermehrte Auflage mit über 1000 Abbildungen
im Text und ganzseitigen Tafeln, 8 farbigen Spezialtafeln.
Insgesamt über 2000 Seiten Text.
Drei starke Bände, Lexikon-Format.
Eleganter Ganzleinenband mit Goldprägung
Preis 125.— Mark.
Der langjährige Herausgeber und Mitarbeiter unserer Monatsschrift
Freiherr von Reitzenstein hat es in vieljähriger, mühseliger Arbeit ver-
standen, den Text dieser bedeutendsten Monographie über das Weib
in wirksamer Weise zu vervollständigen und ihn den Anschauungen der
modernen Forschung anzugleichen. Ebenso ist das Bildermaterial durch
zahlreiche Neuaufnahmen ergänzt worden. So liegt denn das Werk in
einer Form vor, die seinem Ruf als unentbehrliches Handbuch für
den Anthropologen, Naturforscher und Arzt, ebenso aber auch für den
wissenschaftlich interessierten Laien von Neuem bestätigen wird.
Die Neuauflage ist in drei Bände eingeteilt, deren erster zunächst
den Organismus des Weibes behandelt und seine soziale Stellung. Der
zweite Teil zeigt uns das Weib im Geschlechtsverkehr und bei der Geburt,
während der dritte das Weib als Mutter, in ihrem Leben außerhalb des
Geschlechtsverkehrs, nach Aufhören der Fortpflanzungstätigkeit und
schließlich in und nach dem Tode schildert.
In dieser glänzend ausgestatteten Neubearbeitung bildet das Werk
eine grundlegende Quellensammlung, die von dauernder größter Bedeu-
tung in der wissenschaftlichen Literatur bleiben wird.
Richard A. Giesecke, Buchhandlung,
Dresden-A. 24.
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Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 33
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Auspeitschung von ledigen Mädchen und Dirnen am Pranger.
Nach einem Stich von Chodowicki 1782
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Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 34
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Sehr ähnliches nach der Stockholmer Originalzeichnung gestochenes Profil
des Königsmörders Ankarström, Stockholm, wie er vor seiner Hinrichtung
gestanden hat
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Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10 Tafel 35
Streckung einer schwangeren Hexe zur Erpressung eines Geständnisses.
Stich um 1750
Tafel 36
Geschlecht und Gesellschaft XIV, 10
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Frauenseelenweihungen.
Von Prof. Dr. FRIEDRICH S. KRAUSS, Wien.
(Fortsetzung.)
IV. Frauenseelenweihungen für Verstorbene.
Die Frage ist vielleicht nicht so zu stellen, wo man überall in
der weiten Welt schöne oder minder holde Frauen dem Geister- oder
Seelendienste zuliebe hingemordet, vielmehr wo und warum man dies
da und dort bei den Völkern zu tun unterlassen habe. Die Voraus-
setzung für diese Art Frauenhinopferungen ist jedenfalls eine stark
ausgestaltete, bei einem Volke bereits fest eingewurzelte Geisterfurcht
und eine Ahnenverehrung, die sich hauptsächlich die Volkshäuptlinge
zu leisten vermochten. Die miserrima plebecula war schon um ihrer
Selbsterhaltung willen genötigt, ihre Frauen mehr zu schonen als die
Reichen, die Machthaber, welche deren oft im Überflusse besaßen.
Zudem kleben auch die Frauen zäh am Leben. Daß sich junge,
schöne Frauen aus Harm und Gram nach ihrem Liebsten selber töten,
kommt ausnahmsweise überall vor, daß sie sich jedoch aus lauterer
Begeisterung für einen Verstorbenen abmurksen, ersäufen oder ver-
brennen lassen, das mögen geschäftskundige Pfaffen — das Wort
Priester vermeide ich in diesem Zusammenhange anzuwenden —
immerzu beteuern und ihre Leichtgläubigen ihnen nacherzählen. Auch
die nächsten Angehörigen der auserlesenen Opfer sind nicht immer
oder richtiger niemals damit einverstanden, ihre ihnen lieben, anmutigen
und teueren Blutsverwandten gesunderheit zu verlieren, mag man es
ihnen noch so eindringlich weis zu machen versuchen, es lasse sich
die Rückkehr des Toten nur dadurch vereiteln, daß man ihm seine
Frauen nachschicke, auf daß er auch im Geisterreich seinem Ge-
schlechtstrieb weiter obliege und sich nicht langweile.
Frauen schätzen das Leben so hoch ein, daß sie nun und nimmer
in den Schützengräben und im Schnellfeuer der Schlachten ausgeharrt
haben würden. Nach dem äußerlichen Abschluß des Männer-
ausrottungsweltkrieges hatte ich als Armenvater deutscher Frauen
und Kinder, deren Ernährer im Kriege gefallen oder verschollen und
die auf einmal zu S.H.S.-Staatsbürgerinnen geworden und in bitterste
Notlage geraten waren, in mehr als 700 Fällen Gelegenheit, die
Frauenseele zu erkennen. Sobald ich ihnen von der Regierung in Bel-
grad die ihnen gebührenden Ruhegehalte und den Kindern die Er-
ziehungsbeiträge erwirkte, was, zu Ehren der Serben sei es gesagt,
jedesmal bestens gelang, ertrugen sie in ihren des meisten Hausrates
G. u. G. XIV d 28
434 Krauß: Frauenseelenweihungen
entblößten öden Behausungen in unfaßbarer Ergebung Leid und Elend,
weil Hoffnung auf bessere Zeit ihren Mut aufrecht erhielt. Männer
an ihrer Stelle wären Verbrecher geworden oder hätten sich selbst
gemordet, Frauen jedoch kleben am Leben.
Die Todarten, wie welchen man die schönen Frauen ihren ver-
ewigten Ehegemahlen nachsandte oder nachsendet, unterliegen der
Mode, ländlich sittlich. Segnete ein großer Häuptling auf den Salomo-
eilanden das Zeitliche, so schlug man seinen Ehefrauen mit Schlacht-
kolben die Schädel ein. Auf den Fidschieilanden erwürgte man bei
Bestattung eines hervorragend bedeutenden Mannes seine Frauen,
Freunde und Knechte. Die Basuto schlugen nach dem Begräbnis
auf dem Grabe des Mannes seine Witwen tot. Will die chinesische
Witib „auf dem Rücken des Storches in den Himmel aufsteigen,
das heißt, sich erhängen, so begleitet man sie in feierlichem Umzug
und errichtet ihr einen Triumphbogen für ihren ehrenvollen Selbst-
mord“. Wie uns Homeros verbürgt, opferten die Hellenen Poly-
xenen am Grabe des Achilles. Bei den Herulern erhängte sich
die Frau am Grabe ihres Ehegatten mit einer Schlinge. Wie Hero-
dotos berichtet, war es bei den Skythen Brauch, beim Ableben des
Königs eine der Beischläferinnen, den Mundschenk, den Koch und
den Roßknecht zu erdrosseln. Bei den Polen, Wenden und Russen
ist die Witwentötung meist durch Feuertod gut bezeugt. Bei den
Südslaven verherrlicht die Guslarendichtung den Selbstmord aus
Liebesgram und Weltekel durch Dolch, Gift oder Wassersprung.
Bei den skandinavischen Germanen bestand noch lange genug der
Brauch, daß man die Witwe samt dem Leichnam des Gatten auf
ein Schiff setzte und beide gemeinsam verbrannte.
Am bekanntesten ist bei uns die indische Witwenverbrennung
geworden, die ja noch immer allen englischen Gesetzen zum Trotze
nicht ganz abgekommen zu sein scheint. Sie ist nur selten und war
es auch in früheren Zeiten, weil doch nicht täglich namhafte be-
deutende Männer dahinsterben, von dem gewöhnlichen toten Männer-
gesindel aber nicht viel zu befürchten und zu besorgen war, weshalb
man die Witwen der zeitraubenden und kostspieligen Verbrennung
auf Scheiterhaufen nicht unterzog. Die Begleitumstände der Witwen-
verbrennungen bespricht übersichtlich und am besten M. Winternitz
so: „Von dem Augenblicke an, wo die Witwe ihren Entschluß zum
Mitsterben geäußert hatte, galt sie als eine Art Heilige und genoß
während der Vorbereitungen zum Leichenbegängnis, die oft mehrere
Tage oder noch länger dauerten, große Bewunderung und Verehrung.
Krauß: Frauenseelenweihungen 435
Immer war sie festlich geschmückt, wie zu einer Hochzeit. Der Fest-
zug, der sie zum Scheiterhaufen begleitet, wird oft wie ein Hochzeitszug
geschildert. Nie fehlte lärmende Musik und die Begleitung einer
begeisterten und bewundernden Volksmenge, an deren Spitze die
Priester und die Verwandten einherzogen. Die Witwe hatte gewöhn-
lich eine Zitrone in der einen und einen Spiegel in der anderen
Hand. In feierlicher Weise umschritt sie dreimal oder siebenmal
den Scheiterhaufen, der gewöhnlich in der Nähe eines Flusses er-
richtet wurde. Endlich besteigt sie den Scheiterhaufen. Manchmal
wird die Leiche quer über sie hingelegt oder sie sitzt auf einem Stuhl
mit dem Kopf der Leiche auf ihrem Schoß. In manchen Gegenden
sitzt die Frau mit dem Leichnam in einer Hütte. Anderswo wird ein
Gerüste auf Pfosten errichtet, die man leicht wegnehmen kann, so
daß die flammenden Balken nach dem Anzünden sofort über die
Leichen zusammenstürzen. Brahmanen mit Fackeln stehen um den
Scheiterhaufen herum, den sie auf ein vom leitenden Priester gegebenes
. Zeichen entzünden. Nach anderen Berichten ist es die Witwe selbst,
die den Scheiterhaufen in Brand setzt oder wenigstens das Zeichen
dazu gibt. Nach der Verbrennung sammelte man die Asche und
. warf sie in den Fluß. Der Sati zu Ehren errichtete man ein Denkmal
aus Stein, begoß es mit Öl und bestrich es mit roter Farbe; sie
selber aber galt von da an als eine Ortheilige und genoß geradezu
göttliche Verehrung.
In Orissa und an der Koromandelküste geschah die Verbrennung
in der Weise, daß man eine tiefe Grube machte, sie mit Holz und
Spezereien füllte und die Leiche hineinlegte. Dann entzündete man
das Feuer und die Witwe stürzte sich in die brennende Glut hinein.
Auch kam es vor, daß man die Witwe mit dem Leichnam lebendig.
begrub.“ | |
| Daß öfter religiöser an Geistkrankheit grenzender Wahn die
Frauen dazu trieb, wie Winternitz annimmt, ist richtig, nur bezweifle
ich gar sehr, daß er öfter bei den Frauen als bei den indoarischen
Pfaffen auftrat. In einem wertvollen Aufsatze über religiöse An-
schauungen und Menschenopfer in Togo sagt H. Klose nach eigenen
Ermittlungen: „Nach dem Glauben der Dahomeer, der Nachbarn des
Evhevolkes, die sich durch die enge Berührung verwandtschaftlich
nahe stehen, waren noch zu Beginn der 90 er Jahre, vor der fran-
zösischen Okkupation, öffentliche Menschenopfer bei dem Tode eines
Herrschers allgemein im Gebrauch. Vor allem wurden die Lieblings-
frauen und hunderte von Sklaven getötet, die oft freiwillig und freudig
e
436 Krauß: Frauenseelenweihungen
in den Tod gingen, um ihrem Herrn ins Jenseits zu folgen. Nach
den Berichten der Reisenden soll es kein eigentliches Trauerfest,
sondern ein Freudenfest mit Gesang und Tanz gewesen sein. Nach
dieser Auffassung leben die Geister der Verstorbenen ganz wie auf Erden
im Reiche der Toten weiter fort. Daher muß der König seine Bedienungs-
und Lieblingsfrauen zu seinem Hofstaat um sich versammelt haben,
damit er auch dort als Herrscher dementsprechend auftreten kann.
Bei ärmeren Leuten opferte man daher auch nur gewöhnlich die
Lieblingsfrauen. So richteten sich diese Opfer der Anzahl nach ganz
nach dem Ansehen und Vermögen des Verstorbenen. Auch die
Aschanti hatten ähnliche Opfer beim Tode eines Großen, wo man
die sogenannten Totenbegleiter mit gebrochenem Genick zu Füßen
des verstorbenen Herrn ins Grab legte.“
Klose vermutet, daß auch bei den Evhe früher ein derartiger
Kult stattgefunden habe. Wichtig sind aber auch seine Angaben
über die üblichen Hinopferungen eines der Zwillingskinder:
„Die Furcht vor den bösen Dämonen geht sogar so weit, daß
selbst die Mutter ihr Liebstes opfert. In der Landschaft Kratyi tötet
man unbarmherzig die Zwillinge, weil die Leute glauben, daß ein
böser Geist seine Hand mit im Spiel gehabt hat. Hat eine Frau
das Unglück, zum zweitenmal Zwillinge zu gebären, so sollen sogar
die Leute nicht zurückschrecken, die unschuldigen Kinder einem
Ameisenhaufen zu übergeben, wie Clerk angibt. Auf diese Weise
nämlich sind sie der Ansicht, einer weiteren Zwillingsgeburt vor-
zubeugen. Auch bei den Bassarileuten, wie bei den meisten Natur-
‚völkern gelten Zwillinge als ein böses Omen. Bei den Bassaris
jedoch behält man von neugeborenen Zwillingen, wenigstens ein Kind,
während man das andere in einen großen Topf tut und lebendig
begräbt. Besteht das Zwillingspaar aus einem Mädchen und einem
Knaben, so bleibt nur der Knabe am Leben, bei gleichem Geschlechte
aber schont man das stärkere Kind. Um gewissermaßen die Zu-
gehörigkeit von Zwillingen zu einander anzudeuten, opfert man ein
Huhn und teilt es in zwei Hälften. Die eine gibt man dem zu
begrabenden Kinde mit, die andere bestattet man dagegen in einem
Topf neben der Grabstätte des Kindes. Dies Opfer soll gleichsam
den Fetisch versöhnen und den Geist des verstorbenen Kindes an die
nahen Beziehungen des lebenden SES erinnern, damit er sich
nicht an ihm räche.
Nachgeborene Zwillinge begräbt man ebenfalls lebend. Der Vater
geht dann zum Fetischpriester, um dem Fetisch zu opfern und ihn
Krauß: Frauenseelenweihungen o 437
zu bitten, daß er ihn vor einer Wiederholung des Unglücks behüten
möchte. Solche Frauen, Mütter von Zwillingen, dürfen nicht mehr
zur Einsaat und Ernte der Früchte auf das Feld gehen, da sie auch
die Frucht des Feldes verderben könnten. Erst nach der Wieder-
geburt eines Kindes erlaubt ihnen das Fetischgesetz, wieder an der
Feldarbeit teilzunehmen.“ | |
Statt erwachsener Frauen legte man bei den Wabena in Deutsch-
ostafrika, wie der Missionar Martin Priebusch berichtet, dem ver-
storbenen Häuptling. zu beiden Seiten Kinder im Säuglingsalter mit
ins Grab. Man begrub die Säuglinge lebend mit der Leiche des
Häuptlings. Waren zufällig keine vorhanden, so benutzte man größere
Kinder dazu. Ehe man sie bestattete, erstickte man sie vorher. Man
hielt ihnen so lange Mund und Nase zu, bis sie tot waren. Huben die
kleinen Kinder, die man lebend ins Grab zum toten Häuptling legte,
zu weinen an, ehe sie mit Erde bedeckt waren, so nahm man sie wieder
heraus und begrub an ihrer Stelle andere mit, die sich ruhiger ver-
hielten. Wollte sich gar kein Kind finden, das beim Begrabenwerden
Stille war, so machte man ein Kind, das gerade zur Hand war, auf
oben geschilderte Weise erst stille und legte es dann der Leiche
des Häuptlings zur Seite. Oben auf die Leiche lagerte man auch
erwachsene Männer, die man auf gleiche Weise getötet hatte.
Selten ist die Hinopferung von Jungfrauen zu Ehren verstorbener
Frauen, doch kommt auch sie vor. So berichtet z. B. Dr. M. Kranz,
der sich viele Jahre lang bei den Zulus aufgehalten: „Wie sehr
bisweilen Mütter oder Frauen scheinbar verehrt worden sind, beweist,
daß der Zuludespot Tschaka beim Tode seiner Mutter Mnante,
einer ränkeschmiedenden, ehrgeizigen alten Frau, über tausend Rinder
opfern ließ, und nachher seine Krieger, die beim Grabe Wache
hielten, damit festlich bewirtete. Dabei ließ er zehn auserlesene
Jungfrauen lebendig mit der Verstorbenen begraben und die Krieger
mußten ein allgemeines Niedermetzeln von mehreren Tausenden
Menschen zurEhre der Toten, zu ihrem Hofstaate im Jenseits, ausführen.“
An der Küste von Peru begrub man die Witwen lebend mit dem
Leib ihres verschiedenen Ehemannes und bei den Natchez schlug
man ihnen vorerst das Schädeldach ein und bestattete sie im selben
Hügelgrabe mit dem Manne. Die Belege dazu geben Navarrete,
Dumont und Gumilla an. |
438 Krauß: Frauenseelenweihungen
V. Frauenseelenweihungen zur Erlangung von Frauenblut
und Frauenfleisch.
Weibliche Schönheitssucht war mitunter die Quelle bösester
Grausamkeiten gegen andere schöne Frauen. Solche Fälle kennen
wir aus vielen Sagen vom Wettbewerb schöner Frauen, wo es bloß
Rachehandlungen oder Beseitigung unliebsamer Nebenbuhlerinnen
galt, doch gibt es einen Zauberwahn, daß man sich die Schönheit
anderer aneignen könne, indem man sich in deren Blut bade. Das
ist nur eine Spielart des bekannteren Glaubens, wonach man in den
Besitz des Heldenmutes und sonstiger Tugenden eines Ermordeten
gelangen werde, esse man von seinem Herzen oder Fleische und
trinke man sein Blut. Die Sucht, ein Stückchen vom Strick eines
Gehängten als ein Amulet oder als einen Talisman zu erwerben,
gehört demselben Gedankenkreis an. Michael Wagner erzählt (1796)
die grauenhafte Geschichte der im Jahre 1614 verstorbenen Elisabetha
Bathori, der Ehefrau des Grafen Nadasdy, welche zur Erhöhung
ihrer eigenen Schönheit hübsche Landmädchen töten ließ, um in
deren Blute zu baden. Es ist zwar eine eigene Reinwaschungsschrift
zugunsten besagten Scheusals erschienen, aber sie überzeugt nicht
mehr und nicht weniger als der abgrundtief überschnappte Denker der
christkatholischklerikal-juden-protestanten-türkenfresserischen Zeitung
„Das Vaterland“ in Wien, welcher es unternahm, den sanften Feuer-
tod der von der Inquisition verbrannten Hexen und Ketzer höchlich lob-
zupreisen. Die Geschichte der Bathori entspricht dem Charakter jener
magyarischen Hochadeligen, die sich während des Weltkrieges und
nachher im Blute der Völker wälzten, um Schönkind zu werden
und nach dem Kriege in staatlichen Anstalten Banknoten auswärtiger
Staaten fälschten und in Umlauf zu setzen versuchten. Es gibt im
Ungarlande eine gar nicht geringe Anzahl Mißvergnügter, ebenso
in der Tschechoslowakei, im S. H. S.-Staate und in Österreich, welche
in ihren Zeitungen dafür Stimmung machen, man solle alle diese Ver-
brechersippen aufgreifen und sie entweder mit Stumpf und Stiel ausrotten:
od zla roda nek nije poroda
(von böser Zucht soll keine Aufzucht bleiben)
oder sie auf wüsten Atollen der Südsee aussetzen, damit Europa
und die Welt überhaupt zu Ruhe und Frieden gelangen möge.
Elisabetha Bathori putzte sich ihrem Gemahl zu Gefallen in
ungemeinem Grade und brachte halbe Tage bei ihrer Toilette zu.
Einstmals versah eines ihrer Kammermädchen, wie der magyarische
Geschichtschreiber Thurotz Laslö und Istvanfy berichten und es
Krauß: Frauenseelenweihungen 439
gerichtliche Urkunden auch bezeugen, etwas am Kopfputz und bekam
für das Versehen eine so derbe Ohrfeige, daß das Blut auf das
Gesicht der Gebieterin spritzte. Als diese die Blutstropfen von ihrem
Gesichte abwischte, schien ihr die Haut auf dieser Stelle viel schöner,
weißer und feiner zu sein. Sie faßte sogleich den Entschluß, ihr
Gesicht, ja, ihren ganzen Leib im menschlichen Blute zu baden,
um dadurch ihre Schönheit und ihre Reize zu erhöhen.
Bei diesem grausamen Vorsatz zog sie zwei alte Weiber zu Rate,
welche ihr den gänzlichen Beifall gaben und ihr bei dem Vorhaben
an die Hand zu gehen versprachen. In die blutdurstige Gesellschaft
ward auch ein gewisser Fitzko, Zögling der Elisabetha, auf-
genommen. Dieser Wüterich tötete gewöhnlich die unglücklichen
Schlachtopfer und die alten Weiber faßten das Blut auf, in
welchem sich dann dieses Ungeheuer um 4 Uhr morgens in einem
Troge zu baden pflegte. Nach dem Bade kam sie sich immer
schöner vor. Sie setzte daher dieses Handwerk auch nach dem
Tode ihres Gemahls fort (welcher im Jahre 1604 verstarb), um neue
Anbeter und Liebhaber zu gewinnen.
Die unglücklichen Mädchen, welche von den alten Weibern unter
dem Vorwande des Dienstes ins Haus der Elisabetha gelockt wurden,
brachte man unter verschiedenem Vorwand in den Keller. Hier
ergriff man sie und schlug sie so lange, bis ihr Leib anschwoll.
Elisabetha peinigte die Unglücklichen nicht selten selber, und sehr
oft wechselte sie ihre vom Blute triefenden Kleider um und fing
dann ihre Grausamkeiten aufs Neue an. Den aufgequollenen Leib
der Mädchen schnitt sie dann mit dem Schermesser auf. Nicht selten
ließ diese Unholdin die Mädchen brennen und dann schinden. Die
meisten schlug man so lange, bis sie tot blieben. Die Vertrauten,
welche ihr beim Prügeln nicht behilflich sein wollten, schlug sie
selber; im Gegenteil belohnte sie die Frauen reichlich, welche ihr
die Mädchen zuführten und sich bei der Ausführung der Missetaten
zu Werkzeugen gebrauchen ließen. Sie war auch der vermeinten
Zauberei ergeben, hatte einen eigenen Zauberspiegel in Gestalt einer
Bretz, bei dem sie stundenlang betete. Gegen das Ende ging ihre
Grausamkeit soweit, daß sie ihre Leute, zumal Mädchen, die mit ihr
im Wagen fuhren, zwickte und mit Nadeln stach. Eines ihrer
Dienstmädchen ließ sie nackend ausziehen und mit Honig beschmieren,
damit es von den Fliegen aufgefressen werden sollte. Als sie er-
krankte und ihre gewöhnlichen Schandtaten nicht ausüben konnte,
ließ sie eine Person zu ihrem Krankenbett kommen und biß sie wie
40 „ Krauß: Frauenseelenweihungen
ein wildes Tier. Sie brachte auf die beschriebene Art gegen 650
Mädchen ums Leben, teils in Cseita (in der Neutraer Gespanschaft),
wo sie einen eigens hierzu eingerichteten Keller hatte, teils an
anderen Orten, denn das Morden und Blutvergießen war ihr zum
Bedürfnis geworden.
Als so viele Mädchen aus der benachbarten Gegend, die man
unter dem Vorwand des Dienstes oder der ferneren Ausbildung in
das Schloß gelockt, verloren gingen und die Eltern auf ihre Nach-
frage hin nie befriedigende und meistens zweideutige Antworten
erhielten, so wurde die Sache verdächtig... Zuletzt hat man durch
die Bestechung des Gesindes so viel herausgebracht, daß die ver-
mißten Mädchen gesund in den Keller gegangen und nie wieder
zum Vorschein gekommen seien. Die Sache wurde nun sowohl bei
Hofe als bei dem damaligen Palatin Thurzo angegeben. Der Palatin
ließ das Schloß Cseita überfallen, stellte die strengsten Untersuchungen
an und entdeckte die schauderhaften Mordtaten. Die Gräfin Bathory-
Nadasdy ward für die begangenen Greueltaten zu lebenslänglicher
Haft verurteilt, ihre Mitschuldigen aber richtete man hin, weil sie
dem gemeinen, unedelbürtigen Pack angehörten.
Die hochgeborene Frauenmörderin war eine Vorläuferin des
Marquis de Sade und jenes Pariser Biedermannes, der in Puffen
Mädchen fesseln ließ, um ihnen die Brüste mit Nadeln vollzuspicken.
Alle drei Gestalten waren von Wahnvorstellungen befangen, unter
deren Druck sie die Missetaten zur Befriedigung ihrer krankhaft
gesteigerten Sinneslust verübten. Andere Fälle ähnlicher Art teilt
Hermann L. Strack in seinem berühmten Werke vom Blut im
Glauben und Aberglauben der Menschheit (München 1900) mit.
Im Weltkrieg konnten sich die Bathoristinnen und Sadisten
weidlich- austoben. Man nannte dies schönfärberisch ein Stahlbad
der Völker.
Nach Wilhelm Mannhardts Praktischen Folgen des Aberglaubens
führt Strack unter anderen Beispielen für den verbrecherischen Blut-
glauben auch noch einen Fall an, den man als einen besonderen Beweis
für den kulturellen Tiefstand unseres deutschen Volkes auch sonst noch
öfters vorgesetzt bekommt. Aus jedem Lande kann man aus den
Schriften der Strafgerichte dem nachfolgenden gleiche oder sehr ähnliche
Fälle von Vernichtungen junger Frauenleben heraussuchen. Ob es sich in
den einzelnen Fällen um die Verübung eines Verbrechens unter dem
Einfluß überkommener Glaubenslehren oder um die Handlung eines
schwer belasteten hemmungslosen Neurotikers dreht, das pflegen die
Krauß: Frauenseelenweihungen 441
Sachverständigen und die Richter nicht zu ermitteln, keineswegs jedoch
sind wir irgendwie genötigt, derlei Vorkommnisse zu den Sitten und
Bräuchen europäischer Völker zu rechnen. Man muß auch sehr, aber
schon gar sehr mißtrauisch derlei Angaben aus dem Gebiete fremder
Völker aufnehmen, wenn wir sie einer gewissen Art von reisenden
Schnellreitern und Kilometerfressern verdanken. Solche Leute lügen
wie manche Helden in Dickens Pickwickiern, führen zuweilen sogar
in anthropologischen Gesellschaften das große Wort und begeifern
giftig denjenigen, der ihren Umgang scheut, als einen Pornographen.
Am Sylvesterabend 1864 wurde in Ellerwalde bei Elbing an der
23 jährigen Elisabeth Zernickel ein gräßlicher Raubmord verübt. Aus
ihrem Bauche war ein Stück Fleisch 9 Zoll lang und ebenso breit
herausgeschnitten. Längere Zeit hatte man von dem Täter keine Spur,
bis am Abend des 16. Februars 1865 bei Ausführung eines Diebstahls
der Arbeiter Gottfried Dallian aus Neukirch in der Niederung
ergriffen und bei ihm ein eigentümliches Licht, bestehend aus einer
in einer Blechrolle befindlichen, ziemlich festen Fettmasse, die um
einen Docht gegossen war, gefunden wurde. Bei der gerichtlichen
Vernehmung legte der Raubmörder ein offenes Geständnis ab. Er
habe am 31. Dezember nur einen Diebstahl beabsichtigt, erst das
laute Hilfegeschrei der Zernickel habe ihn dazu veranlaßt, sie durch
Schläge mit seinem Knotenstock auf den Kopf besinnungslos zu
machen. Nachdem er alles zusammengepackt, schnitt er aus dem
Leichnam ein Stück Bauchfleisch heraus, das er zu Hause ausbriet.
Aus dem ausgebratenen Menschenfette habe er sich durch Zusatz
von Rindertalg das Dieblicht verfertigt, die zurückgebliebenen Grieben
aber aufgegessen. Das Schwurgericht Elbing verurteilte ihn am
23. Juni 1865 zum Tode. Der Beweggrund der Tat war der dem
Dallian durch Hörensagen mitgeteilte Wahn, ein aus dem Fett eines
Ermordeten verfertigtes Licht oder Lämpchen werde durch keinen
Zugwind ausgelöscht, nur durch Milch sei die Flamme zu töten,
wer es trage, werde unsichtbar, während alle Lebenden umher in
tiefem Schlafe festgehalten würden. Auf diese Weise sichere es den
Dieb vor jeder Störung in seinem Geschäfte. Und wenn der Mörder
ein Stück aus dem Leibe seines Opfers ausschneide, brate und
verzehre, so finde er Ruhe in seinem Gewissen, er gedenke der
Untat nie wieder. Eine Umfrage in meiner Monatsschrift für Volks-
kunde „Am Urquell“ ergab eine Menge ähnlicher Berichte aus vielen
Völkergebieten. Dem Glaubenwahne fallen durchweg Frauen und
Kinder zum Opfer.
442 Krauß: Frauenseelenweihungen
VI. Frauenseelenweihungen zur Abwehr von Krankheit-
geistern und um Genesung zu erlangen.
Auch zur Abwehr von Krankheitsgeistern opferte man schöne
Frauen hin, so bei den Nordslaven noch in halbvergangenen Tagen.
A. Löwenstimm meint, von der Darbringung eines Tieres als Opfer
bis zur Opferung eines Menschen sei nur ein Schritt. Diese Auf-
stellung bedarf einer Berichtigung, denn die geschichtliche Entwicklung
lehrt uns, daß man Tiere als Ersatz für Menschenopfer darbringt.
Beim Umpflügen zur Bannung der Pest vergräbt man im Bezirke von
Jaroslav auch noch schwarze Vögel und sonst welche Tiere und im
Bezirke von Vologda einen Hund und eine Katze.
Das sind zweifellos Ersatzopfer. Wie J. P. Sachärov angibt,
besteht die Überlieferung, daß man in alten Zeiten in großrussischen
und ukrainischen Niederlassungen gewöhnlich ein bei der ganzen
Gemeinde böser Anschläge verdächtiges Weib zur Beseitigung der
Viehseuche dem Tode weihte. Die so dem Tode verfallenen Frauen
band man in großrussischen Dörfern mit einer Katze und einem
Hunde in einen Sack ein und verscharrte sie lebendig in die Erde.
Die Ukrainer dagegen ertränkten solche Frauen in Seen und Flüssen.
Es ist wohl ein uraltslavischer Glaubensbrauch, denn auch die Süd-
slaven pflegten ihn noch bis ins XVIII. Jahrhundert hinein und zwar
nachweislich für Ehebrecherinnen.
Tereščenko versichert, daß beim Umpflügen auch Fälle von
Selbstaufopferungen vorgekommen seien: man habe das Los geworfen
und wen es getroffen, den habe man in einer Grube lebendig mit
einem Hahn und einer schwarzen Katze begraben. ]. J. JakuSkin
erkannte richtig, daß ein derartiges Begraben eines lebendigen
Frauenzimmers augenscheinlich die Bedeutung eines versöhnenden
Opfers gehabt habe. Auf die Auslegung und das Wort kommt es
uns hierbei wohl nicht an, sondern bloß auf die Tatsache, daß von
den Wallerinnen höchstwahrscheinlich die schmuckste unter allen ihr
Leben lassen mußte; denn mit Frauenschönheit glaubte man auch
die schlimmsten Geister günstig stimmen zu können.
Desgleichen war bei den durch Schulmeisterweisheit zu aus-
erkorensten Edelvölkern emporgeschwefelten Hellenen und Römern die
schönste Frau als Opfertier gebräuchlich. Die Pfaffen, Dichterlinge
und hofschwänzelnden Historiker faseln zwar von freiwilligen Selbst-
aufopferungen, so z.B. B. Antonius Liberalis, den Geiger in seiner
Schrift vom Selbstmord im klassischen Altertum und später Lasch
anführen, aber die Priester und Richter können einem ein Loch in
"pd "reg: no *
*
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— — eee
Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 443
den Bauch einreden, also auch Jungfrauen in den Tod hineinhetzen,
boten Seuchen und Kriegsnöten dazu äußerlichen Anlaß.
Als sich einst eine Pest über ganz Äonien verbreitete, verkündete der
Metiocheund Menippe einen prachtvollen Tempel in Orchomenos,
wo ihnen alljährlich Knaben und Mädchen Opfer darbrachten. Die
Athener ehrten den freiwilligen Opfertod der Töchter des Erechtheus
mit Öffentlichen Trankopfern. Fortsetzung folgt.)
Humor in alter Rechtspflege.
Kulturgeschichtliche Plauderei vom Hofrat PACHINGER, Linz a. D.
(Mit Abbildungen.)
Vie unglaublich barbarisch die Rechtspflege früherer Zeit und zwar
bis zum Anfange des 19, Jahrhunderts in Kriminalfällen schon
hatte sie bei sogenannten „Vergehen“ eine Neigung zum Humor,
um dabei, allerdings in grimmiger Form, die Zügel schießen zu lassen.
gleichviel ob Mörder, Brandstifter, Meineidigen, Räuber, Dieb und
dergleichen mit den qualvollsten Körperstrafen zu Leibe, ehe sie ihn
dem Scharfrichter überlieferte, der ihn vom Leben zum Tode brachte,
444 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege
so war sie nicht weniger erfinderisch, den ob eines Vergehens wegen
in ihre Hände geratenen, dem öffentlichen Spott, der gesellschaftlichen
Ächtung zu überliefern.
Es ist geradezu drastisch zu nennen, wie diese alten Rechts-
pfleger sich darauf verstanden, selbst einer körperlich nicht schmerz-
haften Strafe den Beigeschmack einer moralischen Tortur zu geben,
oder, wo nur immer es anging, jene auch mit einer leiblichen zu
verbinden. Die gelindeste Form der sogenannten „Schandstrafen“,
also der polizeilichen, somit nicht kriminellen, war das Pranger-
stehen. Es gab wohl kein Städtchen, keinen Marktflecken im ganzen
Römisch-deutschen Reiche, der nicht bis zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts einen „Schandpfahl“ gehabt hätte. Er stand meist am
Rathause oder an einer übersichtlichen Stelle des Marktplatzes. Je
nachdem war es einfach ein behauener, übermannshoher Holzpflock
oder ein Steinpfeiler, aber stets ragte er aus dem Unterbau empor,
damit der an ihn Gefesselte allseits gut gesehen werden konnte.
Die Prangerstrafe war sehr leicht erreichbar! Ein in fideler
Stimmung veranstalteter Radau, ein lustiger Schelmenstreich genügte
hierzu vollauf. War dieser am Ende gar noch der hohen Obrigkeit
gespielt, dann bekam der „Schwerverbrecher“ zur Verschärfung der
Strafe auch noch den schweren „Lasterstein“ um den Hals gehangen. An
diesem Schandpfosten wurden auch liederliche Weibspersonen,
„fahrende Dirnen“ bis zum Gürtel entkleidet, festgebunden und aus-
gepeitscht, wie auch Verbrecher vor ihrer Justifizierung zur Schau
gestellt. Dabei erhielt jeder Malefikant eine Tafel umgehängt, auf
der die Ursache seiner Strafe geschrieben stand, mitunter auch noch
die ihn weiter erwartende, wie zum Beispiel Kettenstrafe. Derlei
Prangertafeln sind noch vielfach erhalten, so eine mit der Inschrift:
„Strafe eines nachlässigen Kaminkehrers“, eine andere mit: „Schand-
tafel der öffentlichen Übertretung allerhöchster Verordnung“, eine
dritte mit: „Strafe des Frevels gegen die Sittlichkeit“, usw. Auch
ein Stein aus dem fürstäbtlichen Gericht von Berchtesgaden in
Bayern aus rotem Marmor, 25X31 cm groß und der eingemeißelten
Bezeichnung: „Lasterstein Anno 1710“, befindet sich im National-
museum zu München.
Nach Versicherung mancher Historiographen waren die Leute
in der „guten alten Zeit“ viel sittlicher als jetzt, was indeß anderen
Forschern keineswegs einleuchten will, am wenigsten nach der Lektüre
von Gesetzbüchern und noch vorhandenen Gesetzverordnungen
und Prozeßakten. Liefern jene doch den Beweis, daß die sittlichen
Pachinger: Humor in alter Rechtspflege 445
Übelstände bereits in reichlichem Maße vorhanden sein mußten, als
die Gesetze dagegen erlassen wurden, denn sonst hätte man dieser
doch nicht bedurft; so aber bezeugen die Akten, wie tief die Un-
moral bei Hoch und Nieder, bei Mann und Weib bereits eingegriffen
hatte. Wie schlimm mußten die Dinge stehen, wenn dem Ehebrecher
gegenüber von amtswegen mit der drakonischen Strafe der Ent-
mannung vorgegangen werden konnte und diese Operation an dem
Sünder nicht etwa in der abgeschlossenen Kerkerzelle vom Bader
oder Feldscher, sondern am Pranger coram publico durch den
Henker oder einem seiner Knechte vorgenommen wurde! Wie
minderwertig in sittlicher Beziehung mußte die weibliche Bevölkerung
sein, wenn sogar in dem niederbayrischen Landstädtchen Osterhofen
von obrichkeitshalber öffentlich ein Strafmittel dagegen angewendet
werden mußte? Auf dem Dachboden des alten Rathauses oben-
genannten Städtchens fand man nämlich im Jahre 1872 ein aus
Roßhaaren gewebtes Weiberhemd, das man denen, die außerehelich
Mutter geworden waren, bei der vorgeschriebenen Kirchenbuße
ebenso über den bloßen Körper zog, wie eingefangenen Dirnen, die
nach der Stäupung mit der Ruthe noch zum Prangerstehen verurteilt
wurden. Und dieses Bußhemd — heute im bayrischen National-
museum — zeigt deutliche Spuren sehr reichlicher Verwendung.
Ein ebenso groteskes, wie boshaft ersonnenes altes Strafmittel
war die „Schandmaske“ und besonders der originelle hölzerne
„Schandesel“. Von letzterem gibt es sehr hübsche Abbildungen
und auch viele, gut geschnitzte und naturgetreu bemalte wie auch
primitiv gezimmerte Originale. Beiden war aber eigen, daß sie
einen sehr scharfkantigen Rücken hatten und auf einem Untersatze
mit Rädern standen, damit sie leicht durch die Straßen gezogen
werden konnten. Die Stadt Krems in Niederösterreich besaß vor
zirka 60 Jahren noch solch einen Schandesel und München zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts deren sogar zwei. Der eine stand
vor der Hauptwache am Marienplatz; mit ihm mußten faule und
nachlässige Soldaten Bekanntschaft machen. Der andere war Stadt-
eigentum, wurde im Rathause aufbewahrt und auf den Markt-
(Marien-)Platz gefahren, wo seiner beim Frischbrunnen der Stadt-
büttel mit dem jeweiligen Reiter männlichen oder weiblichen Ge-
schlechtes harrte.
Die zivilistischen Eselreiter rekrutierten sich meist aus dem
Kleingewerbe und dieses wurde dann immer durch die Beigabe
eines entsprechenden Emblemes versinnbildlicht. Auch Frauen und
446 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege
Dirnen, deren moralischer Ruf Einbuße erlitten hatte, mußten des
öfteren das hölzerne Grautierchen besteigen.
Einem Krämer 2. B., der beim Wiegen betrogen hatte, hing man
außer der für jeden Inkulpaten üblfchen Tafel mit der Bezeichnung
seines Vergehens, eine große eiserne Wage um den Hals.
Sein Kollege, der mit der Elle bemogelt hatte, bekam eine
schwarze schmale Latte zwischen die auf den Rücken gebundenen
Hände gesteckt. Ganz besonders schlecht kamen die Brauer weg;
diesen hing man vorne und auf dem Rücken eine Tafel mit der
Inschrift: „Wegen prewen von schlechten pier“. Dazu baumelte
ihnen vorne ein riesiger, eiserner Schöpflöffel. Jene aber, die „wegen
schlechten Einschänkeris“ verdonnert waren, erhielten ebenso wie
die gleicher Schuld bezichtigten Wirte, eine mächtig schwere Kanne
um den Hals gehängt.
Eine Verschärfung der Schandeselstrafe war das Verkehrtsetzen,
das heißt, mit dem Gesicht gegen das Hinterteil des Reittieres;
weiter das „Umbfahren“, wobei der Holzesel samt seinem Reiter
von den Stockknechten durch die Hauptstraßen der Stadt mit ihrem
holprigen Pflaster gefahren wurde und als sehr empfindliche Straf-
mehrung das Anhängen schwerer Gewichte an der Knöchelpartie.
Recht brutal verfuhr die heilige Hermandad mit den Bäckern
wegen schlechten oder zu geringwertigen Brotes. Da besaß z. B.
die Stadt Sulzbach einen aus starken, mit Eisen beschlagenen Latten
bestehenden Käfig, gut mannshoch, sechskantig, oben an Ketten
zum Aufhängen und innen mit einem schmalen Sitzbrett. Dieses
famose Vehikel ward an einem genügend tiefen Bach oder See an
einem auf- und niedergehenden Balken aufgehangen. War nun der
„Verbrecher“ in den Käfig gesperrt, so ließen die Büttelknechte
diesen samt seinem Insassen „in die Gumpen plumpsen“, zogen
dann beide wieder hoch und wiederholten dies unterhaltliche Spiel
„etzlichemale“. Auch München nannte solch eine „Bäckerschnelle“
mit beweglichen Galgen sein eigen. Das Instrument befand sich
am Toratzbachl, über dem bei der „Roßschwemme“ am Viktualien-
markt, wo heute das Kustermannhaus steht, extra hierfür gebauten
Steg. Eine alte Verordnung für die Prozedur besagt: „Der zu
strafende Pekchen ist so oft zu schnellen und unters Wasser zu
lassen, bis er etzlichens wird plau im Gesicht“. |
Ein ebenso origineller wie für den jeweiligen Träger sicher un-
behagliches Kleidungsstück war der „Schandmantel“. Es war dies
ein meist aus derben Hartholzdauben gefügtes, von Eisenreifen
Pachinger: Humor in alter Rechtspflege , 447
zusammengehaltenes, glockenförmiges Faß von etwas mehr als
einem Meter Höhe. Es wurde dem Deliquenten über den Kopf
gestülpt, worauf jener es an den innenseitig angebrachten Hand-
haben so hoch heben mußte, daß der Büttel ihm den zugehörigen,
spottweise sternförmig ausgezackten Ringkragen, der gleichfalls aus
Holz war, um den Hals legen und an den Faßwänden einhacken
konnte. Ander Außenseite des Faßmantels waren Hacken angebracht,
an die, zur Verschärfung der Strafe, Gewichte gehängt wurden.
Diese Schandmäntel, in die Trinker, Spieler, Radaumacher, beim
Kammerfensterln erwischte Liebesritter und dergleichen gesteckt,
vom Büttel durch die Straßen geführt und dann an den Pranger
gestellt wurden, erfreuten sich bei Stadt- und Landrichtern offenbar
großer Beliebtheit als Strafmittel, denn es sind uns deren noch viele
erhalten. So besitzt auch das Bayrische Nationalmuseum ein paar
von diesen Kulturdokumenten, die zum Teil sehr einfach, wie der
aus Berchtesgaden und Dättelbach. Dagegen ist der aus Ottobeuren
mit weißblau und roten Rokokoornamenten auf braunem Grunde be-
malt; ein anderer aus Wertingen aber, datiert vom jahre 1775, wurde
von dem dortigen Malermeister Leonhard Mittenmaier drastisch mit
Genreszenen dekoriert. Da sehen wir einen Mann mit dem Straf-
mantel am Pranger stehen, einen anderen, der ein Stück rotes Tuch
stiehlt, weiteres Obst- und Holzdiebe, ein paar andere, die aus einem
Haus Säcke fortschleppen. Des weiteren vier raufende Männer,
von denen einer mit einem Knüppel draufschlägt, einen Mann, der
eine Frau und zwei Kinder aus dem Haus treibt, ferner zechende
Kartenspieler in Gesellschaft eines Schenkmädchens; ein heimliches
Liebespaar auf der Gasse und einen Liebhaber auf der Leiter am
Kammerfenster seiner Dulzinea. — Der gezackte hölzerne Halskragen
ist weiß und blau bemalt. Ahnlich, nur nicht so reich ist ein Schand-
mantel aus Nürnberg malerisch behandelt. Hier sind nur drei Szenen
mit den erklärenden Überschriften dargestellt und zwar: „Straff der
Säuffer“, in Streit geratene Spieler; „Fraß und Völlerey“, eine Zecher-
gruppe; „Straff der Unzucht“, ein Bauernknecht am Kammerfenster.
Dafür ist der Kragen eines aus Eichstätt stammenden Schandmantels
mit weißen, gelben und schwarzen Spitzen besetzt.
Originell ist eine „Schandkette“ aus dem Örtchen Erding. Durch
eiserne Kettenglieder miteinander verbunden, baumeln an ihr, aus
Holz geschnitzt und sauber bemalt, fünf Spielkartenblätter, fünf
Würfel und zwei sogenannte „holländische“ Tonpfeifen. Diese
Anti-Ehrenkette war für Spieler und Raucher bestimmt.
448 Pachinger: Humor in alter Rechtspflege
Eine Art ausgleichende Gerechtigkeit war es, daß die gestrenge
Themis das „zarte“ Geschlecht keineswegs glimpflicher behandelte.
Ein ingenieuser Kopf war auf die Erfindung der „Strafgeige“ ver-
verfallen, das ist ein im Grunde genommen höchst harmlos aus-
sehendes Instrument. Sie war stets zweiteilig, aus Eichen-, Buchen-,
Ahorn- oder Kirschbaumholz gefertigt. Auch Ulmen- und Birnbaum-
holz wurde dazu verwendet; sie bestand aus einem Brett von etwa
50—70 cm Länge und 2—3 cm Dicke, in der Längsrichtung durch-
schnitten und am dünneren Ende mittels eines Charnieres in zwei
Hälften zum Auseinanderklappen. In diesen schmäleren. Teil des
geigenförmigen Instrumentes waren nebeneinander zwei Löcher für
die Arme geschnitten, die gerade dem Handgelenk Raum boten.
Am entgegengesetzten, breiten Ende war ein größerer, runder Aus-
schnitt für den Hals, häufig umgeben von einem breiten Rande,
der zur Erhöhung des Spaßes gleich einer Halskrause zackenförmig
ausgeschnitten war. Sogar aus Flacheisenstäben wurden solche
Strafgeigen geschmiedet. Sie waren für böse, randel- und streit-
süchtige Weiber bestimmt, deren Arme an den Handgelenken
in die beiden kleineren Ausschnitte, der Hals in den größeren ge-
steckt wurde. Man klappte dann die beiden Teile zu und
schloß sie mit einem Vorhängeschloß ab, worauf der Büttel die
also kampfunfähig gemachten Amazonen durch die Straßen führte
und dann am Pranger zur Schau ausstellte. Auch Doppelstrafgeigen,
in welche die Weiber, mit dem Gesicht zueinandergekehrt, gespannt
wurden, hat es mehrfach gegeben. Diese Strafinstrumente waren
in fast jeder Pfleggerichtsstätte mehrfach vorrätig. So wurden in
Bayern seinerzeit von Erding allein sechs, von Eichstätt drei, von
Ottobeuren zwei nach München eingeliefert. |
Von Schongau, Berchtesgaden und Dättelbach je eine. In der
Sammlung des Schreibers dieser Plauderei befinden sich unter den
Kulturkuriosa auch zwei verschiedenartig geschnitzte Strafgeigen
aus dem Pflegamtsgericht Wildberg in Oberösterreich stammend.
Den Vogel des grotesken justiziellen Humors schossen indessen
zweifellos die Verfertiger der „Schandlarven“ ab. Nur wer die
lustigen Zeichnungen der Höllengeister in der „Versuchung des
heiligen Antonius“ von Martin Schongauer, in den „Qualen und
Gräueln der Hölle“ von Martin de Voß, den „Lastern der Wollust“
von Pieter Brueghel, dem Jüngeren, dem sogenannten „Höllenbreu-
ghel“ kennt, kann sich eine Vorstellung machen, welch eine geradezu
infernalische Erfindungsgabe auf diese Strafmasken verwendet wurde.
—
Pachinger: Humor in alter Rechtspflege . 449
Die „Schandhauben“, wie man sie auch nannte, waren aus
Eisenblech geschmiedet oder mehr oder minder kunstvoll getrieben
und mit schmalen Eisenbändern so konstruiert, daß man ihren
Träger darunter noch erkennen konnte. Sie wurden wie ein Turnier-
oder Taucherhelm über den Kopf gestülpt und dann am Halse
geschlossen. Mitunter waren sie sogar bemalt; fast nie aber fehlten
die ungeheuer langen Ohren oder Hörner. Wo nicht an Stelle des
Mundes eine rüsselartige Verlängerung angebracht war, hing aus
jenem eine bewegliche Zunge. Diese sowie der Rüssel stand mit
einer „Würgbirne“ in Verbindung, die der Delinquentin in den Mund
geschoben wurde. Waren dann die Flügel dieser „Birne“ aus-
einandergeschraubt, so hinderten sie den Inkulpaten nicht nur am
Schimpfen und Schreien bei der nachfolgenden Stäupung des
bloßen Rückens und Gesäßes, sondern jeder Lautversuch bewegte
jene Blechzunge und löste nur einen pfeifenden Ton aus, der beim
Vorhandensein eines Rüssels an der Maske sich je nachdem in
einen trompetenden oder grunzenden verwandelte. Daß die durch
die kräftigen Rutenhiebe verursachten natürlichen Schmerzäußerungen
sich in solch merkwürdigen Tönen äußerten, erregte naheliegend
die besondere Lachlust des ringsum versammelten Volkes.
Die Verurteilung zum Tragen solcher Masken war eine Zusatz-
strafe zur „öffentlichen Schändung“ und sie wurde nicht nur beim
Strafvollzug am Pranger, sondern auch beim Führen durch die Gassen
in Anwendung gebracht und zwar zumeist bei Vergehen der Be-
leidigung und Verleumdung. Solche Schandmasken, die sich fast
in der Fachabteilung eines jeden Museums befinden und auch in
manchen Privatsammlungen anzutreffen sind, wurden in den sieb-
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus zahlreichen Patrimonial-
gerichten an die großen Staatsmuseen eingeliefert. |
Für Mädchen, die sich eher nach einer Wiege als nach dem
Ehebett umgesehen hatten oder solche, die sich bei einem heim-
lichen Liebeshandel ertappen ließen, lag der Strohkranz mit zwei
Zöpfen oder die „Schandkrone“ bereit. Wieder können wir hier
auf das Bayrische Nationalmuseum verweisen, welches deren zwei
besitzt. Die eine aus vier mit Stroh umflochtenen Bügeln bestehend,
stammt aus Berchtesgaden, eine andere, hohe, gleichfalls aus vier
strohumwundenen Bügeln, kuppelförmig nach oben zusammen-
laufend, stammt aus Trostberg; diese hat noch ein kleines Dach
aus Eisenblech, von dem kleine Quasten herabhängen; unter jenem
aber baumelt eine Kuhglocke und zwei mächtig lange und dicke
G. u. G. XIV | 29
450 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassangu
Strohzöpfe hängen rückwärts herunter. An dem Stirnstreifen ist
innen eine runde, schwarze Tuchkappe befestigt, außen zu beiden
Seiten lange Eselsohren, in der Mitte ein einer Narrenkappe ähn-
liches Blechschild mit Spielkartenblättern. Nach abwärts hängen
zwei Ohrenschutzklappen, die mit einer Schnur unterhalb des Kinn
gebunden, den grotesken Aufputz auf dem Kopfe festhielten.
Wenn sich aus dem Vorstehenden schon zur Genüge ergibt,
daß die Justizverwaltung der so oft gelobten „guten, alten Zeit“
selbst für Vergehen, die heute im polizeilichen, geschweige denn
im kriminellen Sinne überhaupt keine mehr sind, solche Strafen von
wahrhaft infernalischem Humor erfand, der die davon Betroffenen
der gesellschaftlichen Ächtung preisgab, so ist es nicht zu wundern,
daß sich das Volk dazu verstand, zu diesem bürgerlichen Todschlag
auch noch das seinige beizutragen und in der Tat berichten alte
Chronisten, wie übel von der Menge stets den also zur Schau ge-
stellten „armen Sündern“ und schönen Sünderinnen mitgespielt
wurde. Natürlich — die breite Masse betrachtete die Sache am
Ende doch nur als einen zuerst für sie inszenierten Spektakel, um
so mehr als zu seiner Veranstaltung meist ein Markttag gewählt
wurde, an dem es an Zuzug aus der weiteren Umgebung so wenig
fehlte, wie an geeigneten Wurfgeschossen aus Viktualien und
sonstigen Abfällen, mit denen die anzüglichen und verhöhnenden
Zurufe ergänzt wurden. |
Dieser justitielle Humor, der an die Schadenfreude der Menge
appellierte, ist charakteristisch für die derbe Psyche jener breiten
Volksschichten, die zweifellos heute noch in: gleicher Weise mit
allen ihrer urteilslosen Misdervergeltungssucht Preisgegebenen ver-
fahren würde. |
Das Sexualleben bei den Wahehe und
Wassangu.
Von P. AMBROS MAYER O. S. B.
(Schluß.)
Für die Periode des Zahnens habe ich keine besonderen
Spezialitäten der mütterlichen Pflege, von Zaubermitteln, kennen
gelernt. Hier werden auch die Vorderzähne nicht spitz zugefeilt
oder ausgebrochen, wie bei anderen Stämmen; ebensowenig konnte
ich von Kindesmord erfahren, wenn der Durchbruch der Zähne
Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 451
nicht normal erfolgt. Auch sonst scheint man nicht den verbrecherischen
Abèrglauben von Unglückskindern zu hegen, da ich vielfach blinde und
ganz verkrüppelte Kinder vorgefunden habe. Aus der gegebenen
Säuglingspflege läßt sich ohne weiteres auf die kolossale Kinder-
sterblichkeit im Säuglingsalter schließen. Wenn ich Weiber bei
Anmeldung zum Taufunterricht nach ihrem Kindersegen befrage,
hört man fast durchweg: „Zwei bis drei mal geboren, aber alle
gestorben“. — Warum gestorben? Amri ya Mungu“ — „Gottes
Wille“ und damit ist alle Philosophie erschöpft. Die Hälfte Weiber
abortiert oder kommt zu früh nieder; was zur normalen Zeit geboren
wird, davon stirbt mindestens die Hälfte im ersten Lebensjahre!
Erstaunlich aber ist trotz alledem, was wir noch vom frühesten
Geschlechtsgenuß hören werden, die riesige Konzeptionsfähigkeit.
Nicht an der Befruchtungsfähigkeit fehlt es dem Weibe, sondern die
unsagbar darniederliegenden hygienischen und sozialen Verhältnisse
des schwarzen Weibes verschulden die unheimliche Sterblichkeit.
Nicht minder schuld ist die Stupidität und Indolenz des nur mit
Sklavensinn ausgestatteten auch freien Weibes.
Leicht ersichtlich fällt ein großer Teil der Todesfälle auf die un-
bewußt geradezu verbrecherische Fütterung des Kindes neben der
Muttermilch. Fast alle Kinder gehen an Verdauungsstörungen zu
Grunde. Diese Störungen werden gefördert durch die Nacktheit
der Kleinen, die vom warmen Mutterrücken herab der in den Tropen
so riesig schwankenden Temperatur ausgesetzt werden. Wahrlich
die Säuglinge werden, die Kinder sind abgehärtet! Die Feldarbeit
fällt in die Regenzeit und nun ist das Kind allen Unbilden der
Witterung, vorerst der Nässe, ausgesetzt! Es trocknet ja wieder
am Mutterleib! l
Eine bisher völlig unbeachtete Schädigung schreibe ich dem
Umstande zu, daß das auf den Rücken gebundene Kind während
der den ganzen Rumpf erschütternden Arbeit des Mahlens, Stampfens,
Hackens usw. eigentlich gar nie in Ruhe verdauen kann; es muß
alles halbverdaut und gewaltsam abgehen.
Tatsächlich sind fast alle Säuglinge schlecht genährt, abgemagert,
bei uns würde man sie rachitisch heißen. Selbst Knaben und
Mädchen von fünf bis sechs Jahren zeigen hier nicht die Körperfülle
der weißen Kinder dieses Alters, dafür aber oft gewaltig prominierende
Bäuche, an denen die Beine wie Stelzen sich ausnehmen.
Jedem Beobachter, er braucht kein medizinisches Verständnis zu
haben, wird die Häufigkeit der Augenkrankheiten auffallen. In
29*
452 Mayer: Das Sexualleben bei den Wanene und Wassungu
erster Linie trägt die Mutter respektiv die unvermeidliche Großmutter
daran die Schuld durch unqualifizierbare Unreinlichkeit in der Aufzücht
des Kindes. Fließt das kranke Auge über von rahmartiger Absonderung,
sind die Augenwinkel des Morgens voll der ekelhaften Sekrete, nur
kein Wasser! Die Mutter oder die momentan funktionierende alte
Tante wischt mit ihren schmutzigen Fingern einfach das Auge aus;
damit ist Platz geschaffen für weiteren Nachschub und das genügt.
Damit erklärt sich auch die häufige Infektion der Mutter und anderer
Erwachsenen. Man sieht Knaben und Mädchen herumlaufen, deren
Augen überentzündet sind, blutend, die Wimperhärchen alle verkrustet
oder inkrustiert, so daß die Inhaber kaum die Lider öffnen
können; aber Reinigung mit Wasser gibt es nicht! Daher die vielen
Blinden, als ob die intensive Sonnenstrahlung daran Schuld wäre, was
man oft hören kann von — Europäern. Ich kenne einen einzigen
Blinden nur, von dem die Märe geht, er sei blind geboren; dafür
aber viele, die erst unter der sorgsamen Pflege der Eltern blind
geworden. Nun, als Unglück wird der Blinde den Verlust des
Augenlichtes nicht beklagen, solange er Tabak und Nahrung zur
Genüge hat; bewundernden Genuß der Natur kennt der Neger nicht.
Blindheit kann somit erwünschter Dispens von dem Kampf ums
Dasein sein. Meines Erachtens dürfte der fast allgemeine fluor albus
der Damenwelt hiesiger Landschaft nicht schuldlos sein an besagter
Häufigkeit der Augenkrankheiten. Vielleicht empfängt das Kind
schon den Krankheitsstoff beim Passieren des Geburtskanales;
zweifelsohne aber überträgt die Mutter diesen Stoff nach Berührung
der Genitalien auf das Auge des Säuglings, was sie übrigens selbst
zugestehen und einsehen.
Weitere Schädigung und zwar der Atmungsorgane ersteht
dem Kinde aus dem die ganze Negerhütte erfüllenden Rauch und
Qualm. Den ganzen Tag brennt das offene Feuer am Boden; nachts
wird dieses unterhalten wegen der empfindlichen Kälte und den
Moskitos. Es ist undenkbar, daß sowohl für das zarte Auge, wie
für die Lunge der beständige Qualm nicht von größter Schädigung
sein muß. Daß gleichwohl Krankheiten der Atmungsorgane bei
weitem nicht so zahlreich sind, wie die des Verdauungs-Traktus,
kommt eben daher, daß das Kind den Tag über doch größtenteils
auf dem Rücken der Mutter im Freien zubringt und der inhalierte
Schaden wieder parallelisiert wird.
Wahrhaft zum Würgengel werden ansteckende Krankheiten,
denen der Neger nichts entgegen zu stellen vermag, als die Flucht
Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 453
auf. der er aber oftmals den Tod nur noch in die Ferne trägt. Ist eine
Krankheit einmal als infizierende, ansteckende erkannt, so hält schon
die Selbstliebe und mehr noch der Aberglaube die Leute und somit
auch die Säuglinge vom Verkehr mit den bekannten Ausbruchstellen,
den dort seßhaften Leuten fern. Allein Mangels jeglichen Ver-
ständnisses, jeglicher Hygiene, beim gemeinsamen Gebrauch der
Geschirre usw. ist Weiterverbreitung unaufhaltsam. Säuglinge und
Kinder sind dann zuerst dem Untergang preisgegeben, wie wir 1900
und 1904/05 bei der Pest, dann 1905 bei einer eigentlichen epide-
mischen Kinderkrankheit gesehen haben (meines Erachtens Krupp).
Obwohl Lepra hierorts endemisch ist, ist mir ein damit behaftetes
Kind nie vorgekommen, wohl aber Säuglinge mit Syphilis geschlagen,
die dann ohnedies keine Aussicht auf längere Lebensdauer haben;
dafür sorgt schon die Negerdawa (Medizin).
Hat sich der Säugling aus allen Gefährlichkeiten mütterlicher und
großmütterlicher Fürsorge bis zum Kinde emporgearbeitet, so ist
es in jenes ideale Zeitalter, für ihn das wahrhaft goldene, eingetreten,
wo sich niemand um es kümmert. Die Mutter nicht mehr, weil
es selbst sich bewegen und am Herde der Erwachsenen seine Nahrung
zuführen kann, sie hingegen sich wieder ganz den gewohnten
Arbeiten hingibt, meist auch sich wieder mit neuen Hoffnungen
trägt; der Vater nicht, weil er mit seinem Kinde noch nichts an-
zufangen weiß.
Das Erwachen des Verstandes bringt auch, außer erhöhter
Nahrungszufuhr, für den Knaben nicht viel Mühsal mit sich. Schule
und allen anderen Kulturunfug gibt es nicht, für Feldarbeiten sind
seine Kräfte noch zu wenig versprechend. Somit verbleibt ihm nur,
wenn sein Vater überhaupt dergleichen besitzt, das Hüten von Ziegen,
Schafen und Rindern, eine Beschäftigung, die ihn bei der allgemeinen
Weidefreiheit nicht mehr bedrückt, als wenn er überhaupt zu Schlaf
und Spiel mit seinen Genossen im Sande läge. Hiesige Völker-
stämme kennen auch die Beschneidung nicht im Gegensatze zu
anderen Negerstämmen, wo sie an den heranwachsenden Knaben
vorgenommen wird. Manche Reisende führen die Beschneidung bei
heidnischen Stämmen einzig und allein auf hygienische Volksweisheit
zurück, um so die gesundheitsschädlichen Folgen prophylaktisch zu
meiden, wie sie die lange Vorhaut des Negers bedinge. Allein mir
scheint so tief gründende Weisheit doch etwas zu vorurteilslose
Voraussetzung zu sein. Die Völkerstämme nördlich des Äquator
sind hamitisch-semitischen Ursprunges und dürfte die Beschneidung
454 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu
in der Urzeit religiöse Unterlage gehabt haben. Diese Unterlage hat
sich mit der Zeit verflüchtigt und so ist traditionell die Beschneidung
geblieben, obgleich kein Mensch weiß, warum und wozu. So ist
es mit dem ganzen Aberglauben und der Zauberei, verstümmelte
Tradition, die eben nur noch den Glauben an eine segnende und
strafende Gottheit durchblicken läßt. Aber Rechenschaft über sein
Glauben, Hoffen, Fürchten, Handeln vermag keiner zu geben.
Übrigens breitet sich die Beschneidungszeremonie immer mehr
durch den vorrückenden und bei den Negerheiden sehr einflußreichen
Islam auch bei unseren Stämmen aus, nicht zum mindesten dürften
die Regierungsschulen daran schuld sein, ohne es zu wollen. Mir
wurde neulich von einem Neger erzählt, daß die dortigen Schüler
sich fast alle beim Wali beschneiden ließen. Die Beschneidung
benimmt dem Wilden den entehrenden Ruf: „chenzi“ = Wilder, reiht
ihn ebenbürtig den Waiglamu ein, stellt dogmatisch und moralisch
absolut keine e dae; an seinem bisherigen und überlieferten
Tun und Treiben etwas zu bessern, im Gegenteil! Ich kenne auch
mitten in Usangu eine Ortschaft, wohin von dem Hauptsitz des
Sultans mehrere Knaben zur Beschneidung geschickt worden. Dieser
Akt ist aber kein traditioneller, sondern ist nur ein Symptom für den
Einfluß des Islam unter den Naturvölkern.
Schlimm sind die Mädchen daran, welche ausnahmslos der
Exstirpation der Klitoris unterworfen werden und zwar in
einem Alter von sechs bis sieben Jahren. Grund hieran ist ebenfalls
nicht ein hygienischer, wie schon Reisende berichtet haben, als ob
die Klitoris zu einer übermäßigen Größe sich entwickeln und der
Begattung hinderlich sei, sondern beruht in dem Aberglauben, daß
ein Weib mit der Klitoris nicht empfangen könne. Die Exstirpation
erfolgt durch ein altes Weib, mitten auf einer Flußinsel oder Sandbank.
Über die dabei gehandhabten Werkzeuge konnte ich leider nichts
erfahren und noch weniger eines bekommen. Die Operation ist ein
großes Fest und geschieht öffentlich inmitten der versammelten
Weiber und Mädchen, während die Männer abseits im Busche sitzen.
Das mißhandelte Mädchen darf dabei nicht schreien, sonst müßten
Vater und Mutter sterben. Anschließend an diesen ersten Akt der
geschlechtlichen Mißhandlung ist ein mächtiges Saufgelage der
Männer und allgemeiner Tanz der Weiber. Der Tanz bewegt sich
um aus steifem Mehlbrei geformte und im Sande aufgestellte kleine
Kinderfiguren. Augen, Ohren usw. sind durch schwarze Beeren,
Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 455
Hölzchen usw. angedeutet. (Klitoris=Cysongo oder Kizongo;
Exstirpatio Klitoris = Kiungo.)
Nun ist das Mädchen heiratsfähig, wenn auch noch nicht
konzeptionsfähig, was aber für den angehenden Ehemann und das
Mädchen bedeutungslos ist. Ist das Mädchen einmal gesiegelt und
gestempelt durch die Exstirpation und manneswürdig, so wird der
Freier alsbald sich einstellen. Wir haben nur zu unterscheiden, ob
das Mädchen einem Mann vor oder nach der Pubertätsperiode zu-
fallen soll. i
Hat der Vater einen Knaben von sechs bis sieben Jahren, so ist
es seine heilige Vaterpflicht, seinem Bengel ein Mädchen zu kaufen.
Der Vater hält sich stets auf dem Läufenden, wo ein verfügbares
Mädchen aufzutreiben ist, begibt sich zum Vater desselben, verabreicht
der Mutter ein Geschenk in Kleidungsstoff oder Glasperlen und
vereinbart mit dem Vater des Mädchens den Kaufpreis, der kaum
zwei Rupien, gleich zwei Mark sechzig, übersteigen dürfte. Sind
Vater und Mutter einverstanden, ist der Kaufpreis erlegt, so ist das
Geschäft abgeschlossen, das Mädchen ist Braut, der Knabe Bräutigam.
Ob Beide sich wollen oder nicht, darüber wird überhaupt nicht
gesprochen, keines von beiden befragt und hat auch keines etwas
einzuwenden, es ist so desturi, Brauch, fertig. Da der Knabe noch
nicht zeugungsfähig ist, so verbleibt das Mädchen bei seiner Mutter,
wird von befreundeten Weibern, die schon geboren haben, in alle
Geheimnisse des Geschlechtsleben eingeweiht, was übrigens nicht ein-
mal offiziell notwendig sein dürfte; dafür sorgt schon der freie Verkehr
zwischen den Kindern beiderlei Geschlechtes und die Exstirpatio Klitoris.
Meines Erachtens gibt es vom sechsten Lebensjahre an hier kein
Kind mehr im Stande der Unschuld; wissen, erfahren theoretisch
und üben praktisch fällt hier in Eines zusammen. Wohnen Braut
und Bräutigam auch nicht zusammen bis zum Eintritt der Pubertät,
so finden sie doch stets Gelegenheit zusammenzukommen und
pflegen auch den geschlechtlichen Umgang. Das findet Groß und
Klein ganz in der natürlichen Ordnung. Das Verlangen nach dem
Koitus, die Erektio membri, berechtigt zum Beilager des Weibes;
dies wurde mir schon oft entgegen gehalten.
Der Knabe ist geschlechtsreif, sobald er die Wahrnehmung der
Effusio seminis (ntoko) macht, das Mädchen mit der ersten Men-
struation.
Hat aber der Knabe keinen Vater, so muß er sich selbst
auf die Brautschau begeben, wartet also seine „Größe“ von zehn
456 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und W assungu
bis 14 Jahren ab, was ihn selbstverständlich nicht hindert, mit jedem
Mädchen, das sich ihm hingibt, Umgang zu haben. Entweder sucht
er sich den Kaufpreis erst zu verdienen, um ihn so in bar oder in
natura zu erlegen, oder was einfacher ist, er begibt sich in die
Dienstbarkeit seines kommenden Schwiegervaters, arbeitet auf dem
Felde; hütet das Vieh und hat dabei die stete Nähe seiner Liebe als
angenehme Beigabe. Hat er so ein paar Regenzeiten mitgearbeitet,
so steht der Hochzeit nichts entgegen, d. h. wenn das Mädchen
bereits reif geworden.
Die erste Menstruation ist ein allgemeines Volksfest, zu dem
von Nah und Fern die Männer zum Suff, Mädchen und Weiber
zum Tanze herbeiströmen. Der Tanz ist in diesem Falle ein geradezu
obszöner, da die Bewegungen des Koitus seitens der Weiber dar-
gestellt werden; zum erstenmale menstruieren heißt: Kufunya ungo.
Geradezu unglücklich muß das Mädchen genannt werden, wenn
ein erwachsener Mann sich als Freier einstellt und es ihm zu-
gesprochen wird. Eine Weigerung seitens des Mädchens hat über-
haupt keine Geltung. Jetzt hat das Mädchen nicht erst seine und
des Bräutigams Pubertät abzuwarten, sondern es wird sofort ge-
heiratet. Ich weiß Fälle, daß vierzigjährige, alte Schweinehunde,
wenn ihre bisherigen Weiber nicht mehr genügend Sinnenkitzel bieten,
sich kurzweg unreife Mädchen von sieben bis zehn Jahren kaufen.
Für die Eltern des Kindes ist ein solcher Verkauf nichts als Geschäft.
Andererseits ist mir bekannt geworden, daß der Ehemann seinem
Freunde, der in seiner Hütte schläft, einfach so ein Mädchen zum
Beilager gibt. Recht der Weigerung steht dem armen Wesen nicht zu.
Die Hochzeit besteht in jedem Fall, mag der puber gewordene
Knabe oder ein alter Wüstling heiraten, in einem großen Suff für
die Männer, in einem festlichen Tanze für die Weiber. Das ist der
erste Teil.
Der zweite Teil folgt nachts in der Hütte des Mannes, wo dem
ersten Koitus ein alter Mann und ein altes Weib assistieren; ob als
Zeugen oder Gehilfen, wurde mir nicht klar.
Auf Integrität des Mädchens wird ja ohnedies nicht geachtet.
Daß ein Mann eine virgo heiratet oder heiraten will, ist undenkbar;
ja es wurde mir erzählt, daß ein Vater sein Mädchen durch einen
Knaben für den Koitus mit einem Erwachsenen präparieren ließ.
Der Zeuge davon war mir absolut glaubwürdig. Der Heide ist in
punkto sexus einfach mehr als viehisch, bestialisch.
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IW
Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 457
Das Lager der hiesigen Neger besteht in einer großen Binsen-
matte auf dem bloßen Boden. |
Solange der Mann nur ein Weib hat, muß dieses eben dauernd,
jede Nacht dem Manne beiliegen. Eine Unterbrechung veranlaßt
die Menstruation. Während dieser Tage darf das Weib nicht ein-
mal das gleiche Lager und die gleiche Matte mit dem Manne teilen,
sondern muß abseits lagern; darf auch keine Nahrung dem Manne
kochen. Die Menstrualsekretion wird als dem Manne Krankheit
erregend angesehen; das Weib ist also unrein. Erst nach einem
Bade post menses darf es wieder dem Manne beiliegen, d. h. wenn
dieser will und darnach verlangt. Das Weib darf nicht das Ver-
langen nach dem Koitus äußern, sondern hat zu warten, bis der
Gemahl befiehlt; eine Weigerung würde eine Tracht Prügel und
Gewaltanwendung zur Folge haben. Der Koitus wird in Seitenlage
vollzogen. Das Weib hat nach demselben dem Manne die Vorhaut
wieder über die Eichel zu streifen. Beide Teile nehmen sofort
hernach eine Waschung der Genitalien vor.
Längere Unterbrechung veranlaßt der Beginn der Schwanger-
schaft, die letzten Monate derselben und die ganze Laktationsperiode
von ein bis eineinhalb jahren; ferner die ein- bis zweimonatliche
Trauerzeit nach dem Tode eines Kindes.
Da das Weib völlig passiv sich zu verhalten hat, sowohl in der
Forderung des debitum conjugale wie in der Ausübung desselben
sich nur als Objekt der Wollust ihres Mannes zu betrachten hat,
so dürfte mancher Fall steriler Ehe oder Konkubinats auf dieses
passive Verhalten zu schreiben sein.
Diese häufige und langdauernde Außerdienststellung des Weibes,
wie die Menstruation, die Schwangerschaft usw. es bedingen, die
Anschauung des Heiden über den notwendigen Geschlechts-.
verkehr zwingen eigentlich zur Polygamie (gleiche Anschauung
äußerte Napoleon LL Die Werbung des zweiten und aller weiteren
Weiber, Kauf und Heirat, erfolgt unter dem gleichen Modus wie
bei der Heimführung des ersten Weibes. Verfügt der Mann nur
über eine Hütte, so hat jedes Weib seinen eigenen Raum und
wirtschaftet für sich; nur die Dienstleistung für den Mann ist eine
gemeinsame, wie die Nahrung, bereiten, Feldbau u. dgl. Welches
Weib des Nachts beim Manne zu liegen hat, bestimmt dieser.
Verfügt derselbe über eine größere Anzahl von Ehehälften, so hat
das gebrauchte Weib für drei Nächte Ruhezeit. Sobald der Ehe-
mann eines seiner Weiber für den Koitus nicht mehr für geeignet
458 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu
erachtet, bekommt dieses eine eigene Hütte im Felde, hat dieses zu
bebauen, die Erträgnisse im Großen dem Herrn und Gebieter ab-
zuliefern, demselben für Festlichkeiten Bier zu sieden, bei seinem
Besuche Lebensmittel zu kochen u. dgl. So findet man oft ganze
Hüttenkomplexe, die keine anderen Insassen bieten, als ausrangierte
Weiber von Häuptlingen mit ihren Kindern, bis diese letzteren ver-
kauft oder in Arbeit gestellt werden können. Das Kommando über
diese pensionierten Amazonen führt kein Eunuch, sondern ein alter
Mann, ob Sklave oder Freier, weiß ich nicht. Aus der Anzahl und
Häufigkeit der Hütten kann man also noch nicht auf starke Be-
völkerung schließen. Der Inhaber mehrerer Weiber verteilt diese
oft auch in mehrere Ortschaften, so daß er nach Belieben spazieren
gehen kann und überall seinen eigenen Herd, sein Essen und sein
Weib hat.
Eheliche Treue nach dem Moralprinzip ist so ziemlich un-
bekannt. Sieht der Mann im Weibe nicht seine Lebensgenossin,
sondern nur die notwendige Ergänzung zur Befriedigung seiner
Lust, so muß ihm eben jedes Weib gleichwertig sein, das sich ihm
hingibt. Das Weib aber kann jedenfalls nicht derart von ehelicher
Liebe begeistert sein, daß es dem Manne, den es nicht frei gewählt
hat, dem es durch Verkauf, unter dem Drucke der Gewohnheit,
Furcht oder des Zwanges zugeführt worden ist, die Treue bewahrt.
Ihm wird jeder Mann willkommen sein, der seine Sinne reizt, der
ihm Genuß bietet und sie wird den Genuß genießen, soweit eben
nicht Furcht vor Entdeckung und Prügel resp. Tötung es davon
abhalten. Man kann es ihm auch nicht verdenken; da nimmt ein
Wüstling jedes Jahr ein neues Weib, wenn nicht gleich zwei; setzt
seine bisherige Leibmaschine noch im besten Alter ins Feld hinaus,
und da soll das Weib zwischen zwanzig bis dreißig Jahren un-
verrostete Liebe bewahren?
Meines Erachtens ist Ehebruch an der Tagesordnung, wird
auch gegenseitig vorausgesetzt und vom Weibe meist auch stumpf-
sinnig als unabänderliche Tatsache hingenommen. Dieser außer-
eheliche Verkehr findet statt, wo immer zwei sich treffen, aber doch
sich für unbemerkt erachten. Ein Weib arbeitet allein im Felde,
ein Weib schläft oder arbeitet allein in der Hütte, der Mann ist
abwesend, nirgends ist es sicher, ob es nicht mit Gewalt ergriffen
und niedergeworfen wird. Selten wird ein Mann im Rausche sich
intakt erhalten; meistens ist es Vergewaltigung des Weibes; doch
hat auch das Weib seine illegitime Freundschaft und sucht dieselbe
Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 459
auf. So offenkundig die gegenseitige Untreue im Prinzip ist. so
sucht doch jeder Eheteil seine Fehltritte sehr geheim zu l. en.
Ertappt der Mann sein Weib in flagranti oder hört er nur von `
einem Dritten, wehe dem Weibe. Im Zorne überlegt der Mann
nicht, das Weib mit dem Speere zu durchbohren, es krumm und
lahm zu prügeln. Die beiden Kampfhähne, wenn sie aufeinander-
stoßen, verhauen sich derart die Schädel, daß keiner ohne Wunde
vom Platze streicht und das ist noch das Beste an der Sache, denn
jeder hat es gleichwertig verdient. Auch das Weib ist nicht ohne
Rache. Meisterhaft versteht es die Eifersucht, der Rivalin Gift in
das Essen zu verbergen und diese so aus dem Wege zu schaffen.
Das ist des Weibes diabolische Rache: „Giftmischerei!“
Der betrogene Ehemann hält sich außer einer gediegenen Prügelei
auch insofern schadlos, daß er die „Liebe“, d. h. den illegitimen
Mann seines Weibes zum Kadi, zum Häuptling schleppt, dieser
dann zur Buße von etwa 1,30 Mark verurteilt wird. Wegen Ehe-
bruch jedoch wird kein Mann sein Weib verstoßen, kein Weib den
untreuen Mann verlassen. Das Geheimnis besteht in $ 11, sich nicht
erwischen lassen.
Das Verhältnis der Knaben und Mädchen, der Männer und
Weiber untereinander, wie es der freieste Geschlechtsverkehr kund-
gibt, wird meinen ersten Satz bestätigen, daß das ganze Leben und
Streben des heidnischen Negers sich um die Geschlechteslust
bewegt, sein ganzes Sinnen und Trachten erfüllt. Daß dasselbe
auch beim mohammedanischen Neger der Fall ist, ist klar. Wie
weit dies beim christlichen Neger zutrifft, verdient eigene Beobach-
tung und Darstellung.
Intra naturam also gibt es kaum ein Bedenken, seine Lust zu
stillen, zum Koitus erachtet sich jedermann berechtigt, ja von der
Natur getrieben; sittliche Bedenken dagegen erheben sich nicht.
Fornicatio der Alleinstehenden, adulterium der Verheirateten, das
sind die Kennzeichen, ja die Brandmale des Heidentums. Ent-
haltsamkeit von. diesem Triebe wird nur widerwillig geübt, wo
Furcht vor Strafe, Krankheit, Alter u. dgl. abschrecken. Incest hin-
gegen soll nie verübt werden.
Bej der Ungebundenheit der Geschlechter, bei der Zügellosigkeit
der Sitten, bei Ermangelung aller pudicitia, vor und untereinander,
bei der stets sich bietenden Gelegenheit, seine Gelüste zu befriedigen,
ob mit oder ohne Gewalt (mir ist letzthin ein Fall bekannt geworden,
daß ein Eheweib kurzweg einen andern Mann aus der Hütte holte,
460 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu
mit ihm ins Feld ging, (Um das Kleid vom Leibe riß; nun, der
Widerstand des Herrn der Schöpfung wird nicht so ernst gewesen
sein), ist wenig Anlaß geboten zu peccata contra naturam.
Daß aber Masturbation bei Knaben und Mädchen nicht un-
bekannt ist, weiß ich bestimmt; sogar Onanie ist nicht bloß theoretisch
bekannt, sondern wird auch in praxi betätigt, wenn auch nicht aus
Furcht vor zu vielen Kindern (solche Sorgen kennt kein Vater),
sondern aus reiner Wollust. Wo der Islam und der Küstenneger
hinkommt, bürgert sich in Ermangelung des Weibes oder aus anderen
Gründen auch Päderastie ein; ja ein Militärarzt sagte: Fälle, wo
Knaben an Mastdarmvorfällen leiden, seien fast stets auf Päderastie
zurückzuführen. Ein casus von bestialitas ist mir nie zu Ohren
gekommen.
Prostitution, wie sie Kulturländern oder den Städten mit euro-
päischen Einwanderern innerhalb der Kolonien oder fluktuierender
Bevölkerung, wie Militärstationen, Karawanenstraßen, eigen ist, ist
bei den Land- und Buschbewohnern unbekannt.
Quoad peccata contra naturam scheint mir der unkultivierte
Naturneger oder „Wilde“ über den ins moderne Heidentum zurück-
sinkenden Kulturmenschen zu stehen. Ersterer genießt zwar oder
sucht zu genießen. schrankenlos die Fleischeslust, aber fast aus-
nahmslos intra naturam.
Der Mangel der Religion, der Kultur, bringt ihn weder mit dem
Gewissen, noch mit der Staatsgewalt in Widerspruch; so sieht er,
ungereizt, keinen Anlaß zu peccata contra naturam; er bewegt sich
als animal vivens einfach in Anschauungen, die besonders weit über
die Tiere nicht. hinausgehen; das ist ihm auch in das Gesicht ge-
schrieben; darum auch sein frühes Altern.
So weitgehend auch die ehelichen Freiheiten sind, so kann es
doch über Nacht nicht bloß zu einer Prügelei, sondern auch zur
Scheidung kommen.
Anlaß dazu gibt für den Mann Krankheit, Unfruchtbarkeit des
Weibes, für das Weib mutmaßliche oder sichere Impotenz, Krankheit,
übernormale Roheit des Mannes. Hat der Mann sich so weit
erschwungen, daß er sein Weib verstoßen will, so wird er die Eltern
des Kindes respektive des Weibes zum Häuptling zitieren, und dieser
wird dann mit großer Würde die Untersuchung leiten und vor allem
die Eltern veranlassen, das Mahengo, das empfangene Heiratsgut,
den Kaufpreis für ihre Tochter, dem betrübten Ehemann zurück-
zuerstatten, und das ist nicht so einfach. Welcher Vater wird sagen?
— en — —
*
Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu 461°
„Da, nimm deine Sachen und gib mir meine Tochter wieder!?“ Er
wird sich weigern und wird lügen, daß die Bäume wackeln, daß er
schon längst die Ziege gefressen, den Stoff verbraucht habe. Hilft
alles nichts, der Mann will sein Eigentum wieder, wenn er das
Weib nicht brauchen kann. Das ficht den Ehemann nichts an, daß
das verstoßene Weib ihm vielleicht jahrelang die eheliche Pflicht
geleistet, das Feld gebaut, die Nahrung gekocht hat. Sieht er sich
von seinem Weibe in seinen Erwartungen getäuscht, so ist er bereit,
das Weib zu wechseln, wie der Europäer das Hemd. Wie aber,
wenn die Eltern gestorben, wenn der Kaufpreis den Erben zugefallen?
Her muß der Kerl und wenn er auf dem Monde wohnte. Also so
ein Ehescheidungsprozeß geht nicht so glatt ab und dauert oft länger
als bei einem approbierten Juristen in Deutschland.
Gedenkt aber das Weib das Bett und Tischtuch (ideal gesprochen,
in Wirklichkeit gibt es weder das eine noch das andere) zu zer-
schneiden, so leitet es das Verfahren höchst einfach ein: läuft kurzweg
davon, zu den Eltern, zu Verwandten oder, um als Eheweib nicht
aus der Übung zu kommen, gleich zu einem anderen Manne. Der ver-
lassene Ehemann läßt sich das selbstverständlich nicht bieten. Zuerst
setzt es meist Prügel ab, er wird seine erblassende Flamme mit
Gewalt zurückholen, einsperren; die Hausfrau wird aber bei der
nächsten Gelegenheit wieder die Flucht ergreifen. Sieht der Mann,
daß er trotz aller Liebenswürdigkeit seine Alte nicht mehr bezaubern
und festhalten kann, so wird er ihr den Laufpaß nolens volens geben,
aber nicht, ohne seinen Kaufpreis, den er ehedem bezahlt, wieder
zurückzuerhalten. Der Prozeß und Verlauf ist dann derselbe wie im
obigen Falle, nur in verstärkter Auflage. Denn diesesmal hat der
Mann das Weib als Feindin vor sich und diese wird assistiert von
allen Freundinnen und was das heißt, ein eigensinniges, ja böswilliges
Weib mit einem Maul wie ein Krokodil sich vom Hals zu schaffen,
das muß man mitangesehen und gehört haben.
Bei dem frühzeitigen und ununterbrochenen Geschlechtsverkehr
ist es erklärlich, warum der Neger frühzeitig zu altern beginnt.
Ein Mann oder Weib in den zwanziger jahren dürfte so ziemlich
seinen europäischen Leidensgenossen im vierzigsten bis fünfzigsten
Lebensjahre gleichzustellen sein; doch hält die Zeugungskraft des
Mannes viel länger als die Konzeptionsfähigkeit des Weibes an.
Stirbt der Ehemann, so bedeutet das zwar Witwenschaft des
Weibes, aber es ist nicht identisch mit Freiheit; im Gegenteil, das
Weib gehört zum Rücklaß, Mobiliar, das an die trauernden Erben
— —
-a A —
e, E A. ET —
462 Mayer: Das Sexualleben bei den Wahehe und Wassungu
übergeht. Die Weiber kommen aber nicht an die Söhne, wie das
übrige Mobiliar, sondern an den Bruder oder andere Anverwandte
gen. masc. Deshalb wird nicht der Sohn des Häuptlings Nachfolger
in Amt und Würde, sondern stets ein Bruder oder anderer männlicher
Anverwandter; zur Häuptlingswürde gehören viele Weiber, der Sohn
aber kann nicht die Weiber des Vaters erben.
Freiheit des Weibes gäbe es nur dann, wenn kein Erbe da wäre.
Wo aber findet sich kein Erbe für ein Weib?
Die alten Tage der Leute sind wahrhaft Sonnenuntergang,
Abend des Lebens, freud- und trostlos. So lange die Alten arbeiten
können, müssen sie sich selbst versorgen, in Krankheitsfällen wird
von den Kindern oder Angehörigen kaum das Dürftigste gereicht.
Ist die Krankheit übelriechend, ekelerregend, so wird im Felde eine
kleine Grashütte errichtet, der Patient dorthin verbracht, das Essen
ihm hingestellt. Je eher das Ende kommt, desto barmherziger erweist
sich das Schicksal für den Ausgestoßenen, desto erwünschter den
Angehörigen.
Das hindert aber diese keineswegs, im Todesfalle eine fürchter-
liche Trauerklage anzustimmen. Alle Nachbarn und Nachbarinnen
von nah und ferne strömen zusammen, miteinzustimmen, d. h. die
Männer hocken hin, stemmen das Kinn auf die Knie und brüten
stumpfsinnig vor sich hin. Die Weiber aber verführen ein Geheul,
das „Stein erweichen, Menschen rasend machen kann“. Daß es
dabei für die Trauergäste einen tüchtigen Trunk absetzt, das ge-
hört zum Totenzeremoniell, sonst kämen die Trauergäste überhaupt
nicht und man könnte nicht von Herzen lamentieren.
Ist der Kadaver einem Kinde gehörig, so wird er im Hause oder
vor demselben begraben. Liegt die Grabstätte vor dem Hause, so
wird sie mit einer kleinen Hecke eingefriedigt, Lebensmittel werden
daraufgestellt für den kleinen Geist und so oft die Mutter Bier siedet,
schüttet sie einige Tropfen auf das Grab des Lieblings. Beim
Begräbnis selbst — das Grab wird nur ein paar Fuß tief aus-
gegraben — drückt sie noch vor dem Zuschütten das letzte Mal
die Brust voll Milch auf das Kind aus.
Handelt es sich um einen Erwachsenen, so wird der Leichnam
ebenfalls in der Nähe der Hütte eingescharrt. Drei bis vier Tage
dauert die Totenklage, dann aber folgt der Generalsuff, der selbst-
verständlich alle Trauer fesselt und die alte Heiterkeit wieder löst.
Der Geist des Toten muß gut gehalten werden, sonst fährt er in
4
Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 463
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einen Löwen oder . und holt sich beliebig seine Opfer
zum Frage.
Hat der Tote aber gar keine Angehörigen, ist er Fremdling nur,
so wird er einfach in den Busch geworfen, wo er der Auferstehung
entgegenharren mag, d.h. zuerst verfällt er den Hyänen und Aasgeiern
zum Fraße. Dauert aber der Todeskampf oder die Krankheit zu
lange, so hat die Barmherzigkeit schon vorher ein Ende. Das unnütze,
überlästige Glied der Menschheit wird noch bei Lebzeiten in einen
Sumpf oder in den Wald getragen und dort seinem weiteren Schicksale
überlassen.
Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der
toten Materie.
Eine staatswissenschaftliche Betrachtung.
Dr. rer. pol. FELIX SOLTERER.
In der Staatslehre hat der Gedanke der Darwinisten sein Ende
gefunden. Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß das Selbst-
bewußtsein des Menschen durch den Analogieschluß mit der Materie
verletzt wurde. Das universalistische Lehrgebäude, das nun wieder
den Vorrang errungen hat, triumphiert über das individualistische
Denken. Doch nur aus dem Grunde, weil der Universalist bloß
die Fehler der Individualisten aufzeigt, ohne zu bedenken, daß gerade
die stärksten universalistischen Gebilde, wie die Gewerkschaften,
Religionsverbände usw. aus dem individualistischen Denken ent-
standen sind.
Der Individualismus beschränkt sich nicht allein auf Kaspar
Hauser, der Individualist sieht die Notwendigkeit des gesellschaft-
lichen Zusammenlebens ein, auch weiß er, daß der einzelne Mensch
Mitmenschen benötigt, um ein Mensch des 20. Jahrhunderts sein
zu können. Was er aber leugnet, ist, daß der Mensch von An-
beginn schon so war, wie er jetzt ist, daß er vom Uranfange der
Welt in geschlossenen Verbänden gelebt hat, daß Tier und Stein
bloß erschaffen sind, damit sie der Mensch als eine Sache betrachten
und gebrauchen kann.
Um nun die Entstehung eines Staates überhaupt erklären zu
können, hat man zu verschiedenen Theorien gegriffen, um nur ja
der Deszendenzlehre aus dem Wege gehen zu können.
464 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie
So erklärt die Machttheorie, die durch Gumplowicz und Oppen-
heimer vertreten ist, daß der Staat durch physische Gewalt ent-
standen ist. Sie nimmt einen friedlichen ackerbauenden und einen
kriegerischen Volksstamm an. Durch einen Vertrag verbinden sich
diese zwei Volksstämme und wir haben einen Staat. Abgesehen
von der energetischen und organischen Staatstheorie, wollen die
anderen Theorien die Staatsentstehung auf dem Umweg der Ge-
schlechtsliebe erklären. So haben Aristoteles, Cicero, Althusius,
Filmer, Hobbes und Haller den Staat durch eine Familie gegründet
wissen wollen.
Die neueren Theorien haben die Geschlechtsliebe, die zur Staaten-
gründung führen soll, in verfeinerter Form ausgearbeitet, so meint
Heinrich Schurtz in seinem Werke „Altersklassen und Männerbünde“,
daß eine Art Päderastie — der Autor meint dies aber nicht in seinen
Ausführungen — zu einer Staatengründung geführt hat. Er weist
darauf hin, daß die Bedingung für den menschlichen Fortschritt
die Verdrängung des Geschlechtstriebes sei,. der antisozial wirken
soll und führt alle sozialen Verbände auf Männerverbände zurück.
Vorherrschend sind auch die verschiedenen Totemtheorien. So
meint man, daß eine Gemeinschaft schon vor Zeiten menschlicher
Vernunft bestand, jedoch erst mit der Menschwerdung hätte sich
die Vernunftbegründung des Staates ergeben. Auf diese Weise
wäre der Totemstaat entstanden. Totem nennt man im eigentlichen
Sinne des Wortes das Handzeichen eines Häuptlings, das die Stelle
einer Namensunterschrift vertrat. Dieses Handzeichen bestand meist
aus dem Bilde des Tieres, von dem er den Namen trug. Das Totem
mußte aber nicht immer ein Tier, es konnte auch eine Pflanze sein,
von dem sich die Gemeinschaft abstammend glaubte. Darin liegt
ja die Begründung des Totemismus, daß z. B. die Indianer sinnlich
wahrnehmbare Wesen anbeteten. Die Schule Freud meint nun, daß
der Totemstaat bloß zur Vermeidung des Inzestes diente. Die streng
durch ein Tabu Totem abgeschlossenen Kasten sollten auf alle
Weise die Blutschande verhindern. An die Stelle des Totemstaates
trat der Ahnen-, resp. der Geschlechterstaat, der in den Gelände-
staat überging, wo die Gemeinsamkeit der Abstammung keine Rolle
mehr spielte und auch Fremde aufgenommen werden konnten.
Alle diese Theorien, die den Staat auf der Geschlechtstheorie auf-
bauen, leiden an einem Mangel. Wohl ist der Geschlechtstrieb
des Menschen das wichtigste Moment des menschlichen Lebens,
so daß der Mensch, der keinen Geschlechtstrieb zeigt, als abnormal
Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 465
bezeichnet werden; muß. Dennoch kann man mit dem menschlichen
Geschlechtstriebe allein niemals die Entstehung des Staatsgedankens
erklären, denn der Geschlechtstrieb führt praktisch nur zur Ver-
mehrung der Menschen, zu einer Familiengründung, niemals aber
zu einer Staatentstehung. Nein, die Ursache der Kohäsion eines
Staates liegt in der Materie selbst und diese Ursache soll nun bei
der toten Materie untersucht werden. Richtig aufgefaßt: Wir wollen
hier nicht beweisen, daß man im Mineralreiche Spuren von Staat-
bildungen im menschlichen Sinne finden kann, denn dazu fehlt die
Erscheinung des Denkens nach innen, wir wollen hier nur das
Prinzip der Kohäsion in der Materie erforschen. Der Dualismus
setzt die Begriffe Staat und Mensch ebenso voneinander als Welt,
Mensch und Gott.
Wie die Welt sich selbst schuf und nicht erschaffen wurde, so
existiert im vorhinein ein Ding Staat nicht, sondern er wurde erst
durch den Menschen gebildet.
Der Staat ist kein sinnliches, noch ein übersinnliches Wesen.
Er existiert nicht, wenn man ihn als geistiges Prinzip erklärt, weil
auf der ganzen Erde dies nicht vorhanden ist. Es ist ein Irrtum,
wenn man behauptet, daß außer der toten Materie noch das geistige
Prinzip, die Vernunft, Gott oder das Gedächtnis, wie man es nennen
mag, leben muß. Die ganze tote und lebendige Welt ist auf dem
Monismus aufgebaut, das heißt, es ist nur die Materie und sonst
nichts, sowohl in uns als auch außer uns. Wie die Welt von einem
leitenden Prinzip erschaffen sein soll, so wird dasselbe auch vom
Staate behauptet. Die Welt an und für sich besteht nur im Vor-
handensein der Materie, ebenso wie der Staat nur durch das
Zusammenwohnen und -leben von Wesen hervorgerufen ist. Es
gibt daher keine Welt und keinen Staat im subjektiven Sinne, da
die beiden Begriffe nur Bezeichnungen von Materienansammlungen
sind, wobei unter dem Begriffe Welt die ganze Materie verstanden
wird und unter Staat nur ein Teil derselben. Wie die Welt, besteht
der Staat aus zwei Teilen: aus einer toten und aus einer lebendigen
Materie, aus Sachen und Menschen. Es ist schon öfters hingewiesen
worden, daß ohne den Dualismus der Übergang der sogenannten
toten Materie zu der lebendigen nicht erklärt werden könnte, mit
anderen Worten gesagt, daß ein zweites Ding vorhanden sein mußte,
um neben dem Steine noch das Tier zu erschaffen. Es kann nur
in kurzen Umrissen erläutert werden, in welcher Weise dieser Über-
gang sich vollzog. Im Anfange mußte etwas vorhanden sein und
G.u.G.XIV 30
466 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie
zwar eine Materie. Das Prinzip jeder Materie ist, eine Zeit lang zu
existieren und dann zu zerfallen, um aus ihren Bestandteilen neue
Materien aufzubauen. Wenn nun in der Laienwelt die Mineralien
als unveränderliche Naturprodukte aufgefaßt werden, so übt dies
in der Gelehrtenwelt die Wirkung aus, daß sie diese Meinung zwar
als falsch erklärt, aber das Gegenteil in der Wissenschaft der Philo-
sophie behauptet. Wie die Pflanze und das Tier, entsteht und
vergeht das Mineral, nur daß die Zeiträume dieser Umwandlung
unendlich größer als bei organischen Wesen sind. Wie das Tier
sich weiterentwickelte, so entwickelte sich auch der Stein, da wir
primäre und sekundäre Mineralien kennen. Primär sind alle jene
Mineralien, die sich (analog der Weltentstehungstheorie von Kant)
aus den heißen Dämpfen absetzten oder beim Abkühlen der ge-
schmolzenen Massen des Erdinnern aus denselben abschieden. Aus
den primären Mineralien haben sich dann unter dem chemischen
Einflusse verschiedener Agentien, vor allem des Wassers, zahlreiche
sekundäre Mineralien gebildet. Diese Zersetzungsvorgänge beruhen
auf einem Austausch chemischer Bestandteile und stellen die Fort-
pflanzungsmöglichkeiten der Steine vor. Wir sehen, der Stein hat
die größte Ähnlichkeit mit der lebenden Materie, da er wie diese
entsteht, sich fortpflanzt und zerfällt. Die Fortpflanzung der Gesteine
findet ihre Gegenüberstellung in der künstlichen Befruchtung und
in der Parthenogenese. Hans Driesch erzählt in seinem Buche
„Philosophie des Organischen“ über Versuche, die Eier des See-
igels durch gewisse chemische und physikalische Agentien künstlich
zu befruchten. Es ist kein Zweifel, daß der Befruchtungsvorgang
in der organischen Welt auf chemischen Vorgängen beruht, wie es
in der anorganischen Welt deutlich hervorgeht. Der Übergang von
der unorganischen Materie in die niedersten Lebewesen zeigt sich
bei mehreren Gelegenheiten, so führt O. Lehmann in seinem Buche
„Flüssige Kristalle“ überraschende Ähnlichkeiten zwischen diesen
Kristallen und den Organismen an:
1. Fähigkeit zu wachsen.
2. Ähnlichkeit von Kristallisationskern und -Keim.
3. Aufzehren labiler Kristalle durch stabile.
4. Regelmäßige Form.
5. Regenerationsfähigkeit.
6. Fähigkeit der selbständigen Wiederherstellung der gestörten
Struktur.
7. Kopulation.
— —
=- s
— — — in —
—
—— — nn nn,
Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 467
8. Selbstteilung.
9. Innenaufnahme.
10. Bewegungserscheinungen.
11. Vergiftungserscheinungen durch Beimengung fremder Stoffe.
12. Beschränkung der Größe der Individuen.
13. Kreuzung, Entstehung von Mischkristallen durch mechanische
Mischung, Eindiffundieren der einen Substanz in die andere.
Das sind wahrlich überraschende Ubereinstimmungen, besonders
wenn man außerdem auf die merkwürdigen Kristallhäufungen hin-
weist, wie z. B. die Eisblumen den Pflanzen ähneln. Überlegung
besitzt freilich die tote Materie nicht, aber das ist der beste Beweis
von dem Fehlen einer geistigen Macht im Leben, da die Welt
jahrhundertelang nur aus vernunftloser Materie bestand. Die Ver-
nunft hat sich daher ebenso aus der Materie entwickelt, wie die
äußeren Formen der Materie sich verändert haben. Die Vernunft
des Menschen stirbt mit seinem Körper, ein Zeichen, daß das
geistige Prinzip mit dem Körper verbunden ist. Die Vernunft
befähigt die lebende Materie nur insoweit, daß sie die Lebens-
vorgänge der Materienwelt begreifen kann. Weitere Überein-
stimmungen der toten und der lebendigen Materie zählt W. Hirt
in seinem Buche „Das Leben der anorganischen Welt“ auf. Die
Absorption gasförmiger Substanzen durch feste und flüssige Körper
entspricht der Atmung und ist von der Temperatur und von der
Wärmebildung abhängig. Wasser ist der Hauptbestandteil der an-
organischen und der organischen Welt. Die wässrige Durchtränkung
ist für die Kohärenz besonders der festen Körper, z. B. für die Kristalle
von wesentlicher Bedeutung. Den Stoffwechsel bei Tier und Pflanze
kann man vergleichen mit der in der Natur häufigen Umwandlung
von Verbindungen, z. B. der Gesteine durch Aufnahme von Sauer-
stoff und Kohlensäure. So wird Spateisenstein in Brauneisenstein,
Bleiglanz in Bleivitriol, Erdöl in Erdpech und Asphalt, die Silikate
von Kalk, Kali, Natron werden in die entsprechenden Karbonate
verwandelt. Als einen Anpassungsvorgang kann man die Erwärmung
und Abkühlung der Körper nach Maßgabe der Temperatur der
Umgebung bezeichnen. Als ein Abbild der Sinnesempfindungen
kann die Reaktion der anorganischen Welt auf die Reize der ver-
schiedenen Energiearten, wie Licht, Wärme usw. erklärt werden.
Die tote Materie hat keine Überlegungskraft, keine Denkmöglichkeit
und dennoch bewirkt sie Vorgänge und Handlungen als Beweis
dafür, daß nur die Materie Handlungen ausführt. So wehrt sich
30°
468 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie
das Holz, das Sonnenlicht durchzulassen und läßt es nur als Wärme
wirken, während das Glas ihm kein Hindernis entgegensetzt. Das
Eisen wehrt sich gegen die Aufnahme von Wärme und statt sich:
zu erwärmen, vergrößert es sein Volumen. Der Stacheldraht merkt
sich jede Drehung, die er erfahren hat. Wenn ein Eisenstück unter
der Wirkung von magnetischen Kräften ein vorübergehendes
magnetisches Moment angenommen hat, nimmt er das gleiche
Moment bei wiederholter Magnetisierung schon unter dem Einflusse
von jedesmal schwächeren Kräften an. Diese Eigenschaft kommt
fast einer menschlichen Erinnerung nahe. Auch Krankheiten kommen
im unorganischen Reiche vor, so kann man die Metalle als „erkrankt“
ansehen, wenn sie verrosten oder durch die Oxydation angegriffen
werden. Den Kampf mit dem Tode versinnbildlicht das Schmelzen
eines Metalles, das ihm so lange Hindernis entgegensetzt, als es
noch nicht auf den Schmelzpunkt gebracht wurde. Die Mineralien
sind den äußeren Einflüssen sehr ausgesetzt und bilden keineswegs
ein geschlossenes Ganzes. Wird Gips, welcher 21% Kristallwasser
enthält, über 190 Grad erhitzt, so verliert er sein ganzes Wasser
und kehrt durch Befeuchtung nicht in seinen früheren Zustand
zurück. Diamant geht durch Glühen in niedere Modifikationen über
und kann dann nicht mehr in dieselbe Form zurückgebracht werden.
Das leichte Metall scheint eine gewisse Entartungsform des schweren
Metalles zu sein, also gewissermaßen eine entartete Abstammungs-
form, eine Rückentwicklung. Die Alkalimetalle (Kalium und Natrium)
haben nämlich eine geringe Härte, keinen individuellen Bestand und
eine starke Neigung zu oxydieren. Wasser zersetzen sie lebhaft
und bilden mit der Gruppe (OH) Hydroxyde, die den stärksten
basischen Charakter zeigen, während je edler ein Metall ist, desto
weniger Fähigkeiten besitzt es, Basen zu bilden. Wenn wir nun
auch den Steinen das Prinzip der Fähigkeit zur Staatenbildung zu-
schreiben, so kann dies nur behauptet werden, weil wir schon bei
dem Menschenstaat behaupteten, daß ein Staat an und für sich
nicht existiert, sondern bloß durch das Zusammenbleiben von
Individuen ein solcher gebildet wird.
Die darwinistischen Staatstheorien behaupten, daß der Mensch
und das Tier hauptsächlich aus Sicherheitsrücksichten und durch
die äußere Natur gezwungen, einen Staatsverband bilden. Dieselben
Veranlassungen liegen nun auch im Mineralreiche vor, eine Ver-
bindung der einzelnen Minerale durchzuführen. In der Natur treten
die Minerale zu häufig vorkommenden Assoziationen zusammen,
Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 469
die am Aufbau der festen Erdrinde einen wesentlichen Anteil nehmen
und Gesteine genannt werden. Diese Assoziation bietet dem einzelnen
Mineral die Gewähr, vor Wasser und anderen Gefahren geschützter
zu sein als im Alleinzustande Wie man primäre und sekundäre
Mineralien unterscheidet, so gibt es auch primäre und sekundäre
Gesteine. Die primären Gesteine sind aus Schmelzflüssen, die aus
dem Erdinnern stammen, gebildet worden. Diese Schmelzflüsse
stellen gemischte Lösungen dar, aus denen sich die gelösten Sub-
stanzen beim Abkühlen nach dem Grade ihrer Konzentration ab-
scheiden. Die sekundären Gesteine sind wieder aus den primären
durch chemische Umwandlung oder mechanische Zerstörung ent-
standen. Für den einzelnen Stein ist es oft eine Lebensnotwendigkeit,
daß er in Gesteinen vorkommt, da er sonst von anderen und
größeren Steinen „aufgefressen“ werden könnte. In der Materie
liegt eben schon das Prinzip des Verbindens, sowohl in der Fort-
pflanzungsmöglichkeit als auch in der größten Assoziationsverbindung.
Die Ausdehnung des Gesteines ist nicht von untergeordneter
Bedeutung, da die Gesteine oft das gegenseitige „Auffressen“ lieben.
Auch im Mineralreiche kommt das Prinzip des Kampfes um das
Dasein zur Anwendung. Dabei kann man erkennen, daß die Ver-
einigung der wesentlichen Gemengteile zu Gesteinen keine will-
kürliche ist. Auch hier finden wir gewissermaßen das Prinzip der
freien Vereinigung zweier Körper aus Naturnotwendigkeit, da der
Verband von chemischen und physikalischen Gesetzen beherrscht
ist. Gewisse Mineralien vereinigen sich häufiger, einzelne bedingen
sich wechselseitig und andere schließen sich wieder aus, so fordert
z. B. das Vorkommen von Quarz das Mitvorkommen eines kiesel-
säurereichen Feldspates, während der Olivin (ein Silikat aus der
Erstarrung des Magmas) den Quarz geradezu ausschließt. Obgleich
dem Gesteine die Vernunft abgesprochen wird, ist es imstande,
ganz bestimmte Gruppen zu bilden. Wieder müssen wir bei dieser
Gelegenheit hinweisen, daß damit der Beweis erbracht ist, daß in
der Materie selbst die Vernunft liegt. Es gibt zwar eine Denkarbeit,
man muß aber die Meinung zurückweisen, daß sich ein geistiges
Prinzip außerhalb der Materie befindet, da aus der Materie allein
die ganze Welt besteht. Der Mensch hat vor dem Stein nur das
Denkvermögen, die Denkarbeit, die Überlegungsfähigkeit voraus.
Vernunft hat aber auch die tote Materie, die aber nur in der Außen-
welt und nicht im Individuum selbst zutage tritt. Das Denkvermögen
ist dem Menschen von keiner der Natur außenstehenden Macht
470 Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie
verliehen worden, da die Denkfähigkeit nur einen verwickelten
chemischen Prozeß vorstellt. Das Denkvermögen hat sich ebenso
aus der Materie entwickelt, wie die verschiedenen äußeren Formen
der Materie. | |
Die primären Gesteinsassoziationen sind ebenso wie die sekundären
dem Untergange ausgesetzt, wenn sie zu geringe Festigkeit haben,
der mechanischen Zerstörung und der chemischen Umwandlung
Widerstand zu leisten. Der Untergang einer Gesteinsvereinigung
vollzieht sich oft aus dem Grunde, weil ein wichtiges Metall oder
ein anderer Faktor zu fehlen beginnt, beziehungsweise in zu geringem
Ausmaße vorhanden ist. So verdankt das sekundäre Gestein, der
Serpentin, der chemischen Umwandlung anstehender feldspatarmer,
dafür aber olivinreicher Gesteine, wie dem Olivinfels, seine Ent-
stehung. Es findet dabei: ein langandauernder Kampf statt, da Reste
der ursprünglichen Gemengteile noch im sekundären Gesteine auf-
zufinden sind.
Das Prinzip der Materie: etwas aufzubauen und es dann nieder-
zureißen, damit etwas Neues entsteht, finden wir in der Zersetzung
der primären Gesteine, da ein Teil des Gesteines zersetzt wird und
aus der Verwitterungskruste ein neues Gestein entsteht. Bei der
Zerstörung der Gesteine bleiben nur die widerstandsfähigsten Mine-
ralien über, z. B. der Quarz. Um nun weiter existieren zu können,
verbinden sich die von der Zersetzung übrig gebliebenen Quarz-
fragmente durch verschiedene Bindemittel (Gips, Kieselsäure) zu
den Sandsteinen. Hier erkennt man nun das Vereinigungsstreben
der Materie, das sowohl in der toten als auch in der lebendigen
zu finden ist. Die einzelnen Minerale verbinden sich aus Natur-
notwendigkeit, um im Gesteine, in der Vereinigung weiterleben zu
können. Es ist vielleicht nicht uninteressant, bei dieser Gelegen-
heit die neueste Kontinententstehungstheorie zu berühren, die das
Prinzip der Verbindung und der Losreißung der toten Materie zum
Inhalte hat. |
Nach dem Buche A. Wegener. „Die Entstehung der Kontinente
und Ozeane“ wird die durch vertikale Bewegungen (Absinken der
Schollen) erklärte Entstehung der Kontinente und Ozeane durch
eine horizontale Bewegung einer Kontinentalscholle ersetzt. Nach
A. Wegener bestand die Erde im Uranfange aus einer geschlossenen
Scholle (analog der Kant-Laplace-Theorie, auf die wir schon öfters
hingewiesen haben), die später zerriß (Gedanke der Auseinander-
reißung der Materie) und deren Teile sich horizontal verschoben
Solterer: Das Prinzip der Gesellschaftsbildung in der toten Materie 471
und sich vermutlich heute noch verschieben. (Gedanke der Materien-
verbindung.) |
Wenn wir, nun auf Einzelheiten eingehen, so müssen wir einige
wenige Worte vorausschicken. Man könnte diesem Teile der Arbeit
einen großen Phantasiereichtum zusprechen und danach auch die
Beispiele bewerten.
Es muß jedoch mit allem Nachdruck hingewiesen werden, daß
nur die Naturwissenschaften und die Gesetzeslehre ohne Phantasie
arbeiten müssen, während die Philosophie und die Staatswissenschaft
nur auf sie aufgebaut ist, denn bloß sichtbare Dinge kann man
beschreiben, während man unsichtbare nur zu erforschen und zu
erklären vermag. In unserer Abhandlung spielt die Phantasie noch
lange nicht die Rolle, die sie bei der Philosophie zugewiesen bekommt,
da wir Naturereignisse, sichtbare Vorfälle und Handlungen, für unsere
Arbeit erklären und auslegen. Schließlich könnte man streiten, ob
unter Geistesarbeit nicht die Phantasie gemeint ist. Die Phantasie
ist nur dort ausgeschaltet, wo man etwas Gesehenes, etwas Gehörtes
wiedergibt, bei Erforschungen von Lebensvorfällen muß der Mensch
mit Vermutungen arbeiten, da er sonst mit diesen Gegenständen
überhaupt sich nicht befassen dürfte.
Wenn wir nun dem Mineralreiche das Prinzip der Fähigkeit zu
Gesellschaftsbildungen zuschreiben, so geschieht dies mit der Ein-
schränkung, daß die Naturereignisse dies vermuten lassen. Aus
diesem Grunde führen wir die zahlreichen Beispiele an und haben
mehrmals schon bemerkt, daß die Minerale sich ihrer Gesellschafts-
bildung nicht bewußt werden. Jedoch werden auch Tiere sich nicht
dessen bewußt und wir lassen die Frage offen, wie viele Menschen,
hauptsächlich auf dem Lande, wo die staatliche Gewalt meistens
nur durch einen versoffenen Gemeindediener verkörpert wird, ohne
Staatsbewußtsein im Verbande leben. Wieder ist dies ein Zeichen,
daß es nur im Willen der Materie gelegen ist, gemeinsame Individuen-
verbände zu schließen.
Die Naturwissenschaft ist heute auf dem Standpunkt, daß alles
Tote und Lebendige auf enen Zusammenschluß aufgebaut ist, so
setzt sich jedes Mineral aus vielen Molekülen zusammen, die ent-
weder regelmäßig oder regellos angeordnet sind und demnach auch
die Gestalt des festen Körpers eine bestimmte oder eine zufällige
Form geben. Amorph ist z. B. das Glas, alle Flüssigkeiten und alle
Gase, während das bestimmte Mineral einen ursächlichen Zusammen-
hang zwischen seiner Gestalt und seinen physikalischen Eigen-
472 i Linsert: Inkose
schaften erkennen läßt. Es ist dies eine Erscheinung, die für den
Monismus äußerst wichtig ist. Die physikalischen Eigenschaften
eines Minerales (Härte, Löslichkeit, Lichtbrechung usw.) stellen
Analogien zu den Lebensvorgängen der lebenden Wesen vor und
hängen mit der äußeren Gestalt des Minerales im Zusammenhange,
da ein größeres Mineral schon andere Eigenschaften zeigt. Wieder
muß auf die Einheit der Materie hingewiesen werden, aus der alles
entsteht und in der alles enthalten ist — Gestalt und Vernunft.
Freilich ist für das Wesen des Kristalles weniger die Größe als die
Neigung der einzelnen Flächen zueinander von Bedeutung.
(Schluß folgt.)
Internationaler Kongreß
für Sexualforschung (Inkose).
n der Zeit vom 10. bis 16. Oktober tagte in Berlin im Langenbeck-Virchow- Haus
der „Internationale Kongreß für Sexualforschung“ (Inkose) unter Vorsitz seines
Einberufers, des Geh. Sanitätsrates Dr. Albert Moll. Es war allerdings nicht die
„erste“ Veranstaltung dieser Art, wie das Büro des Kongresses. mit seltsamer
Hartnäckigkeit verbreitete, da bereits im September 1921 Magnus Hirschfeld eine
große Anzahl in- und ausländischer Sexualforscher zusammengerufen hatte, die
in demselben Saale, teilweise sogar über dieselben Themen referierten. Die
Verhandlungen dieser Tagung sind später im Druck erschienen.* Ihrer offen-
sichtlichen Tendenz wurde in einer Resolution Ausdruck gegeben, in der es u. a.
hieß: „Die Sexualstrafgesetzgebung hat dem Stande der wissenschaftlichen Er-
kenntnis gerecht zu werden. Sie darf Affekten und primitiven Kontra-Instinkten
nicht Raum gewähren, schädlicher Neigung zu träger Beharrung nicht nachgeben.
Die Straftatbestände und die Strafmaßnahmen sind auf dasjenige Maß zurück-
zuführen, das erforderlich und fruchtbar ist. Die staatliche Fürsorge für das
Sexualleben hat in erster Reihe durch wohltätigere Maßnahmen zu erfolgen, als
es Strafen sind.“
Der Moll’sche Kongreß lehnte eine solche Stellungnahme von vornherein ab.
Dies unter heutigen Verhältnissen reichlich grotesk anmutende Bestreben, nur
ja nicht „tendenziös“ zu wirken, erlitt denn auch während der Verhandlungen
verschiedentlich Schiffbruch und hat schließlich das Gesamtbild der Verhand-
lungen in seiner Wirkung wesentlich beeinträchtigt. Auch die Sexualwissenschaft
ist schließlich nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Menschheit willen da.
Peinlich mußte es auch wirken, daß gerade die hervorragendsten Fachwissen-
schaftler auf der Referentenliste nicht vertreten waren. Ich nenne hier nur Forel,
Carpenter, Havelock Ellis, Magnus Hirschfeld, Sergius Voronoff, Rohleder, Freud
und viele andere mehr. William Stern, der hervorragende Hamburger Psychologe,
e „Sexualreform und Sexualwissenschaft‘‘. Herausgegeben von Dr. A. Weil. Stuttgart 1922
bei Julius Puttmann. Vergl. auch „Sexualreform“ X. (Geschlecht und Gesellschaft X, Heft 2—7.)
Linsert: Inkose 473
hat nicht unrecht, wenn er in der „Vossischen Zeitung“ schrieb: „Daß übrigens
trotz der Fülle der vertretenen Gebiete, einige entscheidende Forschungsrichtungen
fehlten, wurde mit Befremden und Bedauern festgestellt. Man mag zur Psycho-
analyse stehen wie man wolle, unzweifelhaft ist, daß man für ihre würdige
Vertretung — eventuell würdige Bekämpfung — auf dem Kongreß hätte sorgen
sollen: ebenso wie gerade in Berlin die Teilnahme des bedeutendsten Berliner
Forschungsinstitutes für Sexualforschung, des Instituts von Magnus Hirschfeld,
hätte gesichert werden müssen.“
So kann man sich nicht wundern, wenn eine gewisse Einseitigkeit der Ver-
handlungen hie und da doch allzu kraß in Erscheinung trat, ein Umstand, dem
trotz angestrebter „Tendenzlosigkeit“ auch nicht durch die Fülle der Referate
abgeholfen wurde. Der — sicher gutgemeinte — Versuch, möglichst alle Gebiete
der Sexualforschung zu behandeln, mußte natürlich fehlschlagen. Man hat in
sechs Tagen 130 Referate verhandelt und diskutiert! Das Ergebnis war, daß die
ohnehin kleine Zuhörerzahl von Tag zu Tag mehr zusammenschmolz und im
Wust der Vorträge eine einheitliche Linie nicht mehr festgestellt werden konnte.
Allgemein klagte man über den ungeordneten Aufbau des Programms und das
sicher mit Recht. Auch wurde zu viel Mittelmäßiges gesagt, indem Wesentliches
unterging. Immerhin sei versucht, über einige wertvolle Mitteilungen, die An-
spruch auf allgemeines Interesse haben, zu referieren.
Sellheim (Leipzig) berichtete über die von Lüttge und von Merz entdeckte
Blutuntersuchung, die er als „Serum Extrakt Reaktion“ bezeichnete. Auf Grund
dieser leicht auszuführenden Methode kann in kürzester Zeit festgestellt werden,
ob Schwangerschaft vorliegt oder nicht, ob ein Mädchen oder Knabe getragen
wird. Auch das Vorhandensein von Krebs kann auf Grund dieser Methode mit
Sicherheit ermittelt werden. — Eigenartig war das Referat van Bemmelens(Groningen)
über den „Kriegsdrang als Sexualerscheinung“. Danach beruht die erste Veranlassung
zum Kriege bei dem Menschen auf einem Instinkt, der die Männer dazu treibt,
sich durch Kampf mit Nebenbuhlern in den Augen des weiblichen Geschlechts
hervorzutun, um dadurch in den Besitz weiblicher Gefährten zu gelangen. Noch
andere Triebe kämen als mögliche (!) Ursache des Hanges zum Kriege hinzu:
die Jagdlust, der allgemeine Selbsterhaltungstrieb, Machtbegierde und Habsucht.
Doch wich der Vortragende, der sich, wie diese kurzen Andeutungen zeigen, in
den Sphären höherer Psychoanalytik bewegte, einer in die Tiefe gehenden
Erörterung gerade der letzten und doch wohl wichtigsten Ursachen vorsichtig
aus. — Finkenrath (Berlin) berichtete über „die Grenzen der Aufklärung im
Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten“. Außer bekannten Tatsachen, daß
z. B. die Geschlechtskrankheiten in akademischen Kreisen weiter verbreitet sind,
als in anderen Volksschichten, sagte er nichts Originelles. Er forderte, daß an
Stelle sexueller Aufklärung, sexuelle Erziehung treten müsse. Das Wichtigste
— nämlich: wie, wo und wann eine solche „Erziehung“ vor sich gehen müsse,
blieb das Geheimnis der Referenten. Er wird es vielleicht auf einem nächsten
Kongreß verraten. — Albert Moll setzte sich in seinem Referat „Homosexualität
und sogenannter Eros“ vor allem mit Spranger und Wyneken auseinander, denen
er — übrigens mit vollem Recht — vorwirft, in das Wort „Eros“ einen Sinn
gelegt zu haben, der heillose Begriffsverwirrung schaffen muß. Leider wurde der
* Siehe „Geschlecht und Gesellschaft“ XIII, Heft 304.
474 Linsert: Inkose
wissenschaftliche Wert und Charakter seiner Ausführungen, die eine bemerkens-
werte Übereinstimmung mit Hirschfelds Arbeiten über Sexualbegriffe in dem vor
etwa 1½ Jahren erschienenen Teile der „Geschlechtskunde“ aufweisen, durch
peinliche Ausfälle gegen die homosexuelle Bewegung völlig verwischt. Moll
meinte, daß die Homosexuellen sich dieser Begriffsanwendung bedienten, um
ihre Neigungen zu idealisieren. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß
sich nicht nur die Moll’sche Schule, sondern gerade auch die Kreise, gegen die
von Wyneken u. a. geschaffene Begriffsverwirrung wenden, denen Moll ein
Interesse an derartigen Neuprägungen unterschieben möchte. — Alfred Adlers
Vortrag über „Erotisches Training und erotischer Rückzug“ enttäuschte. Die
Störungen, die Adler in der fehlgeleiteten und darum fehlleitenden Erziehung
der Kinder sucht, erscheinen durch Beispiele allzu ferne dem Leben der Masse
illustriert. Die Individualpsychologie hat ihre Schattenseiten. Adlers Mystik
mahnte vielleicht mehr daran, als ihm lieb sein dürfte. — Einen gewissen Höhe-
punkt erreichte der Kongreß mit den Ausführungen Steinachs. Er sprach über
„Demonstration der antagonistischen Wirkung der Sexualhormone“. Steinachs
experimentelle Arbeiten haben bewiesen, daß von den männlichen und weiblichen
Keimdrüsen eine innerliche Absonderung von geschlechtsspezifischen Stoffen
erfolgt. In der Wirkung dieser Stoffe besteht insofern ein gewisser Gegensatz,
als die gleichsinnigen Geschlechtsmerkmale gefördert, die gegensätzlichen gehemmt
werden. Steinach konnte nun an Ratten die fundamentale Tatsache nachweisen,
daß eine antagonistische Wirkung der Keimdrüseninkrete vorhanden ist, die die
homologen Geschlechtsmerkmale fördert, die heterologen in ihrer Entwieklung
hemmt. Neuerdings braucht man die Transplantations- Methode nicht mehr
anzuwenden, da Steinach aus Rinderovarien oder Rinderplacenta ein weibliches
Sexualhormon herstellen kann. Dieses ist standarisiert und gestattet somit eine
genaue Dosierung. Die experimentelle und biochemische Prüfung dieses Stoffes
berechtigt zu der Annahme, daß dieses Hormon einen vollen physiologischen
Ersatz der normalen innersekretorischen Tätigkeit des Eierstockes bietet. —
Steinachs bekanntester Schüler, Peter Schmidt (Berlin), der als Erster nach
Erscheinen der Steinach’schen Publikation über Verjüngung des Menschen (1920)
Steinachs Methode nachprüfte, sprach über „Klinische Altersbekämpfung“. Seine
ungemein fesselnde Darstellung wirkte geradezu sensationell. Er demonstrierte
zuerst Kontrollbilder (Ratten und große Hunde) vor und nach der operativen
Behandlung. Dann zeigte er Fälle von Menschen, die er ebenfalls nach dem
Steinach’schen Prinzip behandelt hat. Sein Material stützt sich bis jetzt auf
nahezu 400 Personen, die er sechs Jahre beobachten konnte. Es kann darnach
keinem Zweifel mehr unterliegen, daß eine Verjüngung des Menschen möglich
ist. Das stellen denn auch selbst die Gegner Steinachs z. B. Benda — nicht
mehr in Abrede. — Justizrat Löwenstein (Berlin) wandte sich — leider als
Einziger — in seinem Referat „die Sexualverbrechen nach künftigem Strafrecht“
gegen den Amtlichen deutschen Strafgesetzentwurf, den er als eine ziel- und
planlose „Pfuscharbeit“ bezeichnete, die der modernen sexualwissenschaftlichen
Erkenntnis nicht im geringsten Rechnung trage. — Außerordentlich informativ
waren die Ausführungen des klugen Londoner Frauenarztes Norman Haire über
Empfängnis verhütende Mittel (The comparative Value of Current Contraceptive
Methods). Haire konnte in den letzten sechs Jahren an 4000 Fällen die ver-
schiedensten antikonzeptionellen Methoden in ihrer Wirksamkeit kontrollieren.
Ka
Linsert: Inkose 475
Er kommt zu dem Ergebnis, daß alle chemischen Mittel (Tabletten, Gallerte,
Salben, Spülungen u. dgl.) trotz größter Vorsicht bei der Anwendung unsicher
sind und eine Empfängnis keineswegs ausschließen. Von den mechanischen
Mitteln haben die Kondome den Nachteil, daß, sind sie zu dick, die geschlechtliche
Befriedigung ausbleibt, sind sie zu dünn, durch Platzen des Kondoms, eine
Empfängnis trotz alledem stattfinden kann. Apparate, wie intrauterine Pessare,
die man in die Gebärmutter einlagert, Cervikalkappen aus Celluloid, Metall oder
Kautschuk sind durch den ständigen Druck auf die Genitalorgane nicht selten
sehr gesundheitsschädlich. Haire berichtet dann über das von ihm erfundene
„Dutch-Haire-Pessar“ das er in England und Amerika einführte und das alle
gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen ausschließt, weil es nicht in den Uterus,
sondern in die Vagina eingesetzt wird. — William Stern (Hamburg) sprach über
„Psychologische Gutachten jugendlicher Zeugen in Sexualprozessen“. Er führte
aus, daß die endlosen Vernehmungen Jugendlicher in gewissen Fällen viel
schädlicher seien, als die vielleicht an ihnen begangene strafbare Handlung. Die
Verhöre vom Lehrer, Rektor, Schulinspektor, Gendarm, Untersuchungsrichter,
die ausführlichen Erörterungen in der Hauptverhandlung und in der Berufungs-
instanz schaden dem jugendlichen Gemüt ungeheuer. Er empfiehlt vor allem,
das Verhörverfahren in die Hand eines geschulten Psychologen zu legen, damit
Schädigungen des Kindes auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Die Tätigkeit
des „Gerichts-Psychologen“, wenn man so sagen darf, hat der Vortragende in
seinem Werke „Jugendliche Zeugen in Sittlichkeitsprozessen“ (Leipzig 1926, Verlag
Quelle und Meyer) in einzigartiger Weise erörtert. Moll sagt in seinem Kor-
referate einige Belanglosigkeiten, um widersprochen zu haben. — Fein durch-
dacht waren die Mitteilungen von Müller-Freienfelds über „Sexualwissenschaft
und Aesthetik“. Er führte neben anderem aus, daß die Rolle des sexuellen
Erlebens im Kunstschaffen an Hand der biographischen Tatsachen festzustellen
ist, die uns die Erforschung des Lebens und Schaffens der Künstler gibt. Es
zeigt sich dabei, daß geschlechtliche Erlebnisse zwar oft Material für das Kunst-
schaffen geliefert haben, auch oft positive Antriebe, dies jedoch nur nach mannig-
facher Transformierung der Libido. Ebenso ist die Rolle des sexuellen Faktors
im Kunstgenießen festzustellen. Von ästhetischem Verhalten ist dabei nur zu
reden, wenn die Libido als solche zum mindesten stark in den Hintergrund
gedrängt ist. Daß Tatbestände der sexuellen Beziehungen einen besonders
beliebten Stoff auch für rein ästhetische Kunst geliefert haben, ist psychologisch
zu erklären, ebenso wie die im Laufe der Geschichte stark wechselnde Betonung
oder Zurückdrängung sexueller Motive einer psychologischen und soziologischen
Erklärung bedarf. — Ministerialdirektor Dr. Wulffen, Deutschlands bester Krimi-
nologe, sprach über „die Sexualnot der Straf- und Untersuchungsgefangenen“.
In seinen Ausführungen beleuchtet er die verschiedenen Probleme der durch die
Freiheitsberaubung der Gefangenen entstehenden gesundheitlichen Schädigungen.
Durch Verhinderung des Geschlechtsverkehrs werden diese ohnehin komplizierten
Erscheinungen noch wesentlich verschlimmert. Wenn Wulffen allerdings meint,
daß an einer gewissen Sexualnot im Gefängnis nur solche Individuen leiden,
die auch in der Freiheit mit ihrem Geschlechtsleben nicht fertig werden, so
möchte ich das bezweifeln. Es sind doch genug Fälle bekannt geworden, wo
geschlechtlich gesunde Menschen in der Haft an Psychosen erkrankten, die
wesentlich von der geschlechtlichen Zwangsabstinenz des Betreffenden beeinflußt
476 von Sosnosky: Hinter dem Vorhang
worden waren. In Rußland bewilligt man Gefangenen mit längerer Freiheitsstrafe
oft genug eine kürzere Strafunterbrechung, wobei gerade die sexuelle Frage
berücksichtigt wird. In Deutschland kann man sich zu einer so humanen Auf-
fassung des Strafvollzugs nur schwer entschließen und scheint es, wie die Aus-
führungen Wulffens zeigten, bei „der Anregung“ bewenden zu lassen. — Schließlich
seien noch einige Postulate des Paters Dr. Johannes Ude aus Innsbruck wieder-
gegeben, die er in seinem Vortrage „die Beziehungen der christkatholischen
Ethik zur sexuellen Frage“ aufstellte: Ich zitiere nach den von ihm verteilten
„Leitsätzen“: „Der Zweck des Sexualtriebes ist die Erhaltung der Art. Der
Sexualtrieb ist demnach ein sozialer Trieb, verbunden mit größter Verantwort-
lichkeit. Die mit seiner Betätigung verbundene individuelle Lustbetonung ist
ebenfalls nur in Hinsicht auf die Kindererzeugung gegeben. Die Betätigung
des Sexualtriebes ist nur in der unauflöslichen Einehe mit lebenslänglicher
Treuverpflichtung erlaubt. Vor dem Ehestand ist daher Jungfräulichkeit für den
Jüngling wie für das Mädchen die standesgemäße Keuschheit... Die Sanierung
der Völker und Staaten muß von der Sanierung des Sexus im Sinne der katholischen
Ethik seinen Ausgang nehmen“. Ob der „Tendenzlosigkeit“ dieser Ausführungen
schüttelte mancher fassungslos den Kopf. Auch Udes Auffassung: „Neben den
natürlichen Mitteln spielen für die Aufrichtung der Herrschaft des Willens über
die Sexualität die übernatürlichen Mittel (Gebet und Sakramentsempfang) eine
große, „ausschlaggebende Rolle“ dürfte schwerlich die einmütige Billigung
der modernen Sexualwissenschaft finden. —
Es ist bei der Fülle der Referate selbstverständlich nicht möglich, auf alles
einzugehen, was an Wissenswertem gesagt wurde. Ich habe mich hier auf die
Vorträge beschränken müssen, die, abgesehen von dem allgemeinen Interesse,
das sie beanspruchen dürfen, vor allem auch die Beziehungen zwischen Geschlechts-
leben und Gesellschaft erörtert haben. |
Ihren Wert und Nutzen für eine moderne Auffassung des Geschlechtslebens
und seiner Erscheinungen treffen die Worte
Mene mene tekel upharsin!
Richard Linsert.
Hinter dem Vorhang.
Von THEODOR VON SOSNOSKY.
o viel auch schon über die sexuelle Frage geschrieben worden ist — oft genug
bloß aus Spekulation, weil das ein Gebiet ist, das fast alle Menschen zu
interessieren pflegt — so ist noch lange nicht alles gesagt worden, was darüber
zu sagen wäre. Es ist darum auch ganz und gar kein überflüssiges Tun, wenn
ein Fachmann, ein Psychologe und Neurologe, einmal den Versuch unternimmt,
das gesamte Geschlechtsleben in seiner sozialen Auswirkung zu behandeln, Vor-
urteile zu zerstören, schiefe Ansichten gerade zu biegen, dunkle Partien aufzuhellen
und die ungeheuere Bedeutung hervorzuheben, die ihm zukommt. Der Züricher
Nervenarzt Dr. Ludwig Frank hat sich in seinem zweibändigen Werke „Vom
Liebes- und Sexualleben“* dieser ebenso verdienstvollen als schwierigen
* Frank, Dr. L., Vom Liebes- und Sexualleben. Erfahrungen aus der Praxis für Ärzte
Juristen und Erzieher. 2 Bde. 1926 (Leipzig, G. Thieme).
von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 477
Aufgabe unterzogen. Er hat dafür die Form von Briefen an seine Patienten,
deren Angehörige und deren behandelnde Ärzte gewählt, weil er auf diese Weise
der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Anomalien im Liebes- und Geschlechts-
leben noch am ehesten gerecht werden zu können glaubte; eine didaktische Dar-
stellung, meint er, könne nie zu einem befriedigenden Ziele führen. Wir wollen
hier mit dem Verfasser wegen der von ihm gewählten Form nicht rechten,
möchten hierzu nur bemerken, daß es uns immerhin gewagt erscheint, das gesamte
geistige Material von mehr als 800 Seiten in Briefform zu fassen, da die Ein-
förmigkeit dieser Darstellungsweise ermüdend wirkt, von andern Bedenken
dagegen gar nicht zu sprechen. Indes: der Autor hat diese Form nun einmal
gewählt, und wir finden uns damit ab.
Dr. Frank ist ein Anhänger der Freud’schen Lehre von der „Verdrängung“
der Sexualgefühle und der hierdurch entstehenden Unlustgefühle. So sehr wir
ihm aber auch hinsichtlich der außerordentlichen und meist viel zu wenig er-
kannten Bedeutung des sexuellen Moments im menschlichen Seelenleben bei-
pflichten müssen, so glauben wir doch, daß er darin zu weit geht, wenn er sogar
Erscheinungen wie die Kleptomanie als Folgen solcher Verdrängungen hinstellt;
es mag ja sein, daß sich in einzelnen wenigen Fällen ein Zusammenhang zwischen
dem Stehl-Drange und dem sexuellen Moment herstellen läßt; doch im all-
gemeinen will uns diese Methode etwas zu sehr an die des Prokrustes erinnern;
ein Vorwurf, der der Freud’schen Theorie überhaupt nicht erspart bleiben kann.
Viel glaubwürdiger erscheint es uns, wenn der Verfasser feindselige und wider-
spenstige Empfindungen von Kindern gegenüber ihren Eltern auf „verdrängte“
Sexualgefühle zurückzuführen sucht; aber auch in diesem Falle wird man sich
vor Verallgemeinerung hüten müssen. Daß in der Kindererziehung das sexuelle
Moment meist ganz verkannt wird und daß Eltern und Erzieher gewöhnlich des
naiven Glaubens sind, der Sexualtrieb lasse sich durch Strenge unterdrücken wie
irgendeine kindliche Unart oder Bosheit, darin müssen wir dem Verfasser durch-
aus zustimmen. Es ist in der Tat oft heillos, wie töricht in dieser Hinsicht
Menschen handeln, die sich für große Pädagogen halten, und welch schweren
Schaden sie den von ihnen erzogenen Kindern zufügen. Mit vollem Rechte weist
der Verfasser darauf hin, daß sich dieser, nach Hunger und Durst mächtigste
aller Naturtriebe auch durch die strengsten erzieherischen Maßnahmen nicht aus-
rotten läßt — „chassez le naturel, il revient au galop“ —, wohl aber durch
äußerliche Unterdrückung unberechenbaren Schaden in Körper und Seele des
Kindes anzurichten vermag. Der Verfasser hat dabei den anerkennenswerten
Mut, gegen ein tiefeingewurzeltes Vorurteil Front zu machen, das im Laufe der
Zeiten nachgerade zu einem erzieherischen Dogma erstarrt ist und als ein
Nolimetangere gilt: er sieht nämlich, und mit vollem Rechte, in der Selbst-
befriedigung nur ein wohltätiges Ventil, das gefährliche Explosionen verhüten
und dem Knaben oder Jüngling wieder die Ruhe zurückgeben soll, deren er für
sein Studium und seine Nerven bedarf. Der „wandelnde Leichnam“, den der
alte Hufeland als Schreckgespenst an die Wand gemalt hat und in dem er der
heranreifenden Jugend ihr unausweichliches Schicksal vorhalten wollte, wenn sie
diesem „abscheulichen Laster“ fröhnte: dieses Schreckgespenst, das bald zum
Eisernen Bestande aller Pädagogen und — unbegreiflicherweise — auch so vieler
Ärzte werden sollte, ist in Wahrheit bloß ein hohles Phantom, das, seines bom-
bastischen Phrasenflitters entkleidet, sich nur aus albernen Vorurteilen und törichten
478 von Sosnosky: Hinter dem Vorhang
Unwahrheiten zusammengeflickt erweist. Nichtsdestoweniger hat es in den Seelen
junger Leute schon unberechenbares Unheil angerichtet, sie zu Hypochondern
gemacht, ja wahrscheinlich manchen sogar zum Selbstmord getrieben. Daß
Dr. Frank diesem gemeingefährlichen Popanz so unerschrocken an den morschen
Leib rückt, muß ihm als besonderes Verdienst angerechnet werden. Nicht zu
folgen aber vermögen wir ihm in dieser Sache, wenn er die Selbstbefriedigung
dem vorehelichen Geschlechtsverkehre vorzieht. Daß sie unvergleichlich weniger
sozialen Schaden stiftet als dieser, daran ist freilich nicht zu zweifeln: Kindes-
mord, Fruchtabtreibung, Selbstmord, soziale Vernichtung junger Mädchen und
andere soziale Katastrophen sind nur zu oft die verhängnisvollen Folgen des
vorehelichen Geschlechtsverkehr, wozu, und wahrlich nicht an letzter Stelle, die
Gefahren venerischer Erkrankungen kommen, diese nicht bloß für den weiblichen,
sondern auch für den männlichen Teil. Alle diese schwerwiegenden Folge-
erscheinungen bleiben dem Individuum, gleichviel ob männlichen oder weiblichen
Geschlechts, erspart, wenn es sich mit sich selbst begnügt. Darin hat der Ver-
fasser fraglos recht; anderseits aber übersieht er — oder beachtet doch zu wenig —,
daß es einem Manne denn doch ein wenig viel zumuten heißt, wenn man von
ihm verlangt, er solle sich bis zu seiner Verheiratung des Weibes völlig enthalten.
Wie nun, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse oder sonstige Umstände ihn
hindern, sich noch als junger Mann zu verheiraten? Soll er auch als Mann von
dreißig, vierzig Jahren noch auf sich selbst angewiesen sein? Läuft er da nicht
Gefahr, durch diese jahrzehrtelange fortgesetzte einseitige Betätigung seines
natürlichen Sexualdranges für die Ehe ganz untauglich zu werden? Es ist un-
begreiflich, daß der Verfasser in seiner Eigenschaft als Nervenarzt diese Gefahr
so ganz übersehen oder doch zumindest so gering einschätzen konnte. Selbst-
befriedigung als Notbehelf — „faute de mieux“ würde Krafft-Ebing sagen —
muß man gelten lassen; aber sie darf nicht zur Gewohnheit werden, denn dann
kann sie zum Laster ausarten und, wenigstens den Mann, zum normalen Ge-
schlechtsgenusse unfähig machen; beim Weibe liegen die Dinge in diesem Punkte
günstiger... Einer argen Täuschung gibt sich der Autor ferner darin hin, daß
er seine Gegnerschaft gegen den vorehelichen Geschlechtsverkehr beim Manne
auch mit der Behauptung zu begründen sucht, daß „kein wirklich feines Mädchen“
sich entschließen könne, einen Mann zum Gatten zu nehmen, der schon mit
andern Frauen sexuell verkehrt hat. „Gerade für Frauen, die das Gefühlsleben
des Mannes instinktiv verstehen und befähigt sind, einen Mann voll und ganz
glücklich zu machen, sind solche Vorstellungen unerträglich; sie werden durch
einen sexual-moralisch unreinen Mann unglücklich“. Mit nichten, verehrter Herr
Doktor! Weitaus die Mehrzahl aller Mädchen, die im Begriffe sind, zu heiraten,
setzt es als ganz selbstverständlich voraus, daß der Mann ihrer Wahl vorher
schon andere Frauen besessen hat, und nimmt es ihm meist nicht nur nicht übel,
sondern sieht es nicht einmal gern, wenn ein Mann ganz unerfahren in die Ehe
tritt; ganz im Gegenteil: je mehr Liebschaften ein Mann hinter sich hat, desto
höher pflegt sein Anwert in den Augen der Frauen zu steigen. Auf dieser Eigen-
tümlichkeit des weiblichen Empfindens beruht ja die magische, für viele Frauen
geradezu unwiderstehliche Anziehungkraft des Don-Juan-Typs, ja die ganze Don-
Juan-Sage. Wie kann der Verfasser angesichts dieser unleugbaren Tatsache also
behaupten, das normale Weib verlange die sexuelle Unberührtheit des Mannes,
den sie als Gatten erwählt? Oder sollten die Mädchen und Frauen in der
von Sosnosky: Hinter dem Vorhang 479
Schweizer Heimat des Verfassers so ganz anders geartet sein als die in anderen
Ländern?... Uns will vielmehr scheinen, als wäre es um die Menschen- und
Lebenskenntnis des Autors, die man bei ihm doch voraussetzen sollte und die
zu besitzen er sichtlich sehr überzeugt ist, nicht immer aufs beste bestellt. So,
wenn er gegen die widernatürliche Absonderung der Geschlechter wettert, die
infolgedessen keine Gelegenheiten hätten, einander kennen zu lernen: „Wie sollen
manche unserer jungen Männer imstande sein, das Wesen, die Fühl- und Denk-
weise eines jungen Mädchens kennen zu lernen, wenn ihnen der freie, harmlose,
ungezwungene, veredelnde gesellschaftliche Verkehr vorenthalten ist bis auf
offizielle Diners und Bälle, wo man sich als Kulturmensch in steifleinenster Tracht,
in Frack und Lackschuhen möglichst so gibt, wie man im gewöhnlichen Leben
nicht ist, und wo die ganze Hohlheit des Menschen durch seine Geschicklichkeit
in der äußeren Bewegung und abgedroschenen Phrasen verdeckt wird.... Von
Jugend auf hat Männlein wie Weiblein es gelernt, sich abzusperren, ja nicht aus
sich herauszugehen, sein besseres Ich, seine heiligsten und intimsten Gefühle zu
verleugnen. Denn zu erkennen geben, daß man Gefühle hat, daß man zu lieben
vermag, ja eine bestimmte Zuneigung hat, das ist schon ein Stück Selbst-
prostitution“ ... So der Verfasser. Wenn man diese Ausführungen liest, fragt
man sich, ob er sie wohl vor etwa zwanzig Jahren, zumindest vor dem Kriege,
geschrieben hat oder jetzt? Wenn damals, so wollen wir sie gelten lassen, ob-
schon sie selbst für jene Zeit nur bedingt zutreffen. Wenn er sie aber jetzt
geschrieben hat, und allem Anscheine nach ist dies der Fall, dann nimmt sich
sein Eifer und seine Entrüstung geradezu grotesk aus, und man fragt sich: ja
um Himmels willen, in welcher Welt lebt denn der Verfasser? Weiß er denn
nichts davon, daß dem Verkehr zwischen jungen Männern und jungen Mädchen
heutzutage so gut wie gar keine Schranken gesetzt sind, daß sie ganz und gar
nicht auf einen „steifleinenen“ Verkehr in „Frack und Lack“ angewiesen sind,
sondern vielmehr, nur mit den allernotdürftigsten Kleidungsstücken versehen, fast
völlig nackt, Stunden, ja Tage lang, von keiner Gardedame bewacht, in den
Strand- und Sonnenbädern herumlungern, in diesem Kostüme Tänze aufführen,
allerlei verfängliche Spiele treiben und sich dabei mit Vorliebe photographieren
lassen. Der Verfasser brauchte nur eines unserer illustrierten Blätter zur Hand
zu nehmen, um sich von der Tatsächlichkeit dieser Behauptung mit eigenen Augen
zu überzeugen. Zumal in der Badezeit wimmelt es darin ja nur so von photo-
graphischen Darstellungen paradiesisch gekleideter Männlein und Weiblein. Sollte
das dem Verfasser denn wirklich unbekannt sein? Dann müßte er ja auf dem
Monde leben. Da er aber in Zürich lebt, das doch kein weltabgeschiedenes
Dörfchen ist, so sollte man meinen, daß ihm dieser gründliche Wandel im Ver-
kehre der Geschlechter nicht unbekannt geblieben sei. Oder sollte die Schweiz
auch hierin eine Ausnahme machen?... Selbst wenn dem wirklich so wäre,
woran wir aber nicht glauben können, dürfte der Verfasser diese Ausnahme
dann nicht zur Regel machen
Ähnliches ließe sich auch gegen die Ausführungen Dr. Franks über die sexuelle
Aufklärung der Kinder einwenden. Auch da geht er von dem heutzutage nur
mehr bedingt geltenden Standpunkt aus, die heranreifende Jugend befinde sich
über die wichtigsten sexuellen Vorgänge zumeist in gefährlicher Unwissenheit,
weil Prüderie und Unaufrichtigkeit der Aufklärung im Wege stünden. Nun, wir
denken: Heutzutage wird wahrlich genug getan in diesem Punkte, und es mutet
480 Betrachtungen und kleine Mitteilungen
etwas antediluvianisch an, wenn man diese Polemik in einer Zeit liest, da ein
populäres Film-Institut den Bau der menschlichen Sexual-Organe als Film-Nummer
öffentlich ankündigt, natürlich nur der Aufklärung wegen... So rennt der Ver-
fasser auch hier wieder nur offene Türen ein.
Seltsam weltfremd mutet es uns auch an, daß der Verfasser den Sexual-Akt
immer wieder als das „Schönste“, „Höchste“ und „Heiligste“ preist und von den
Menschen verlangt, daß sie in ihrem Geschlechtsdrange stets dessen eingedenk
sein sollen, daß sie nur dem Gesetze der Erhaltung der Art dienen sollen...
Er eifert zwar immer wieder gegen die weltfremden. Gelehrten, zeigt aber auf
Schritt und Tritt, daß er, trotz seiner fraglos großen Erfahrung auf dem sexual-
pathologischen Gebiete, doch selber nicht allzu weltkundig ist.
Es ließe sich noch so Manches gegen die Ansichten des Verfassers einwenden,
auch gegen die Auswahl der Kasuistik; aber dann müßte man selber ein kleines
Buch über sein großes schreiben. Darin liegt übrigens — so paradox es auch
klingen mag — die bezeichnendste Anerkennung für das Werk, denn ein Buch,
über das man, wenn auch zum Teil in oppositionellem Sinne, so viel zu sagen
hat, kann selber nicht nichtssagend sein, sondern muß etwas bedeuten. Eltern,
Pädagogen, Juristen und nicht zuletzt auch Ärzten kann die Lektüre des Werkes
denn auch entschieden empfohlen werden; nur dürften sie es nicht unkritisch lesen.
Betrachtungen und kleine Mitteilungen.
Klinische Studie über 372 Syphilisfälle in einer Periode von 6 Jahren.
Unter diesem Titel findet sich eine Abhandlung von H. S. Applebaum, B. Levine
und J. E. Fischer in „The American Journal of Syphilis“. Die Verfasser kommen
darin zu folgenden Ergebnissen: 1. Syphilis ist eine heilbare Krankheit bei sofortiger
und intensiver Behandlung, besonders in Frühfällen. 2. Viele Patienten über-
sehen die Erscheinungen in den Genitalien, bis ihnen mitgeteilt wird, daß sie
Syphilis haben. In diesem Zusammenhang soll gesagt werden, daß mit unserer
wachsenden Erkenntnis mit bezug auf die Syphilis, ein großer Prozentsatz der
Fälle sich mit Erscheinungen an den Genitalien entweder sich selbst behandelt
oder von Inkompetenten behandelt wird. 3. Allgemeine Aufklärung über Ge-
schlechtskrankheiten nach bestimmter Hinsicht wird die Vorherrschaft dieser
Krankheiten brechen. 4. Das Virus wird frühzeitig im ganzen Körper verbreitet,
dies erhellt die Tatsache, daß 50% der Fälle mit Primäraffekten eine positive
WaR. haben. 5. Bei positiver Anamnese und sorgfältiger klinischer Untersuchung
wird man unzweifelhaft noch andere Erscheinungen von Syphilis finden, die mit
der WaR übereinstimmen. 6. Das Dunkelfeld ist das früheste diagnostische
Hilfsmittel, und es sollte bei allen zweifelhaften Erscheinungen angewandt und
wiederholt werden, wenn es negativ ausgefallen ist. 7. Es besteht ein bemerkens-
werter Unterschied in unseren Serien zwischen Männern und Frauen. Wahr-
scheinlich kommt dies daher, daß a) die Frauen seltener wissen wie die Männer,
daß sie Lues haben, b) die Frauen eine größere Abneigung haben, sich in einem
Krankenhaus behandeln zu lassen, c) Frauen wahrscheinlich weniger Gelegenheit
haben, Syphilis zu erwerben, als "Männer. 8. Die klinische Feststellung erfolgt
früher als die serologische. 9. Quecksilber kann lange ohne Schaden für die
Nieren vertragen werden. Diese Form der Therapie sollte systematisch durch
Harnuntersuchung kontrolliert werden.
Herausgeber Rich. A. Giesecke. Verantwortlich für den Inhalt des Originalteils E. Schür-
mann, für den Referaten- und Anzeigenteil G. Zeuner, Dresden-A., Hettnerstr. 4. — Alle Zu-
schriften an den Verlag R. A. Giesecke, Dresden-A. 24. Druck von G. Reichardt, Groitzsch,
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