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GESUNDE JUGEND
ZEITSCHRIFT FÜR GESUNDHEITSPFLEGE
m SCHULE UND HAUS
ORGAN DES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN VEREINS
FÜR SCHÜLGESUNDHEITSPFLEGE
IM AUFTRAG DES VOBSTANDES ITND UNTER MITWIRKUNG VON
D. FISKLE& r. A. SCHMIDT A. WINGXN
0. PBOF. DB. XBD. SAjriTlTBBAT PBOTUIOR DB. »D. KÖBKILtCHaB BADBAT
DIRBKTOB DBS KSIt. HTOI». IKtTITCTS Hl BOBB l> BOXB
DBB UBITBBSITXt BOBB
HEEAÜSGEGEBEN VON
H. SELTER K. ROLLER
DR. MKD., PRIVATDOZBNT FÜR HTaiENE GR08SHRRZ0GL. HESS. OBERLEHRER
IN BON» IN DARMSTADT
V. JAHRGANG
LEIPZIG UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEÜBNER
1906
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<ToN Ni^oT;
MAY 2,') 10?
ALLE RKCHTE, EINSCHLölSSLICH DES ÜBERSETZüNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
Inhalt des Y. Jahrganges.
Seite
Nekrolog für Hofrat Dr. med. Paul Schubert. Von Griesbach . 49
An unsere Mitglieder * 97
Originalaufsätse.
Die Überbürdung der Oberlehrer. Von Oberlehrer Karl Roller 1
Des Lehrers hygienisches Wirken in der Aufnahmeklasse. Von
Oberlehrer Karl Roller 3
Einiges über die Stuttgarter Jahresversammlung. Von Privatdozent
Dr. Seiter 51
Die Schulbank. Von Konrad Stetter 55 104
Bemerkungen zu der Erwiderung und Abwehr des. Herrn Abel in
Heft 9 der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege den Deutschen
Verein für Schulgesundheitspflege betreffend. Von dem Vor-
sitzenden 97
Schulhygienische Mitteilungen vom internationalen Tuberkulose-
kongreß in Paris vom 2. bis zum 7. Oktober 1905. Von
Dr. med. Ernst Feltgen 149
Schule und Armee. Von Oberstabsarzt Dr. Neumann . . . . 169
Schülerwanderungen. Von Prof. R. Kissinger, Oberlehrer ... 177
Wann soll das Schuljahr beginnen? Von Prof. Dr. J. Miller. . 245
Schulhygienische Randbemerkungen zur Dresdner Schulausstellung
1905. Von Hermann Graupner 254
Mitteilungen aus dem Zentralyerein.
Einladung zur 6. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins
für Scbulgesundheitspflege im Landesgewerbemuseum in Stuttgart am
14. und 16. Juni 1905 6
Leitsätze 8
Neue Mitglieder 13 62 115 271
Zusammensetzung des Vorstandes HS
II, Internationaler Kongreß für Schulhygiene, London 6. bis 10. Aug. 1907 112
Deutsches Hauptkomitee für den IL Internationalen Schulhygienekongreß
in London 5. bis 10. August 1907 113 191198
Schulhygrienische Bibliothek 114
Vorläufige Tagesordnung der VII. Jahresversammlung des Allgemeinen
DeutBchen Vereins für Schulgesundheitspflege am 6. und 7. Juni 1906
in Dresden 188
a*
rV Inhalt des V. Jahrganges.
Seite
Landesorganisationäkomitees für den IL Internationalen Schulhvgieue-
kongreß in London 1907:
— Großherzogtum Hessen 193
— Herzogtum Braunschweig 268
— Provinz Brandenburg 269
— Provinz Sachsen 269
— Provinz Hessen-Nassau 269
— Unterfranken (Bayern) 270
— Großherzogtum Sachsen- Weimar 270
Programm und Tagesordnung der VII. Jahresversammlung des Deutschen
Vereins für Schulgesundheitspflege am 6. und 7. Juni 1906 in Dresden 263
Leitsätze 266
Schulhjgienische Ausstellung 271
Aus den Zweigvereinen und den Sohwestervereinen des Auslandes.
Einladung zum U. Congr^s fran^ais d*Hygi^ne scolaire et de Pddagogie
physiologique durch die „Ligue des Mddecins et des familles pour
l'Hygi^ne scolaire'* und Programm 14
Gruß des Vorsitzenden des Deutschen Vereins für Schulgesimdheitspflege
zu der Jahresversammlung der Ligue des M^decins et des familles . C3
Gründung einer schulhygieni&chen Bibliothek des Berliner Vereins für
Schulgesundheitspflege 115
Aus Kongressen und Vereinen.
Inwieweit bedarf die schulärztliche Einrichtung noch der Erweiterung?
Aus einem Vortrag von Schularzt Dr. med. Schulte auf der General-
versammlung des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesund-
heitspflege in München-Gladbach (24. Oktober 1904) 15
Gesuch des Deutschen Vereins abstinenter Lehrerinnen an die Magistrate
zur Bekämpfung des Alkoholgeuusses in den Schulen durch Verbreitung
eines Alkoholmerkblattes 16
IV. Jahresversammlung des V. E. 0., Vereins für Vereinfachung und Ver-
besserung des Examens und des Unterrichts am 22. April 1905 im
Hotel de witte Brug zwischen dem Haag und Scheveningen .... 64
Die Frage der Hausaufgaben der Gymnasiasten. Aus einem Vortrag von
Rektor May er -Eßlingen auf der 16. Landesversammlung des württem-
berg^schen Gymnasiallehrervereins am 20. Mai 1905 in Stuttgart . . 69
Die Schwerhörigkeit in der Schule. Aus Vorträgen von Professor Arthur
Hartmann und Professor P a s s o w - Berlin auf der Versammlung der
Deutschen Otologischen Gesellschaft am 9. und 11. Juni in Homburg 71
VU. Deutscher Kongreß für Volks- und Jugendspiele in Frankfurt a/M.,
15. bis 17. September 1906 116
Wieweit hat sich das humanistische Gymnasium gegenüber den neuer-
lichen schulhygienischen Aufstellungen und Ansprüchen zu verhalten?
Aus einem Vortrag von Physikus Dr. Pfeiffer auf der 14. General-
versammlung des deutschen Gymnasial Vereins am 3. Oktober in Hamburg 121
Von dem Bericht der Unterrichtskonmiission der Gesellschaft deutscher
Naturforscher und Ärzte auf der 77. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte in Meran vom 24. bis 30. September 1906 . . . 124
Inhalt des Y. Jahrganges. Y
Seite
Die Bedeutung öffentlicher Spiel- und Sportplätze. Aus Yorträgen von
Sanitätsrat Dr. Schmidt und Oberbaurat Klette auf der 30. Jahres-
versammlung des Deutschen Yereins für öffentliche Gesundheitspflege
in Mannheim vom 13. bis 16. September 1905 125
Yon der 77. Yersammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Meran
vom 24. bis 30. September 1905. Aus den Yorti^gen:
— Ergebnisse und Leistungen des Schularztsjstems. Yon Dr. med. Seit er VH
— Über Art und Ziele derTätigkeit des Schulkinderarztes. YonDr.Göppert 195
— Tuberkulose im schulpflichtigen Alter. Yon Dr. Röder 195
— Über Schule und Haus. Yon Dr. Flachs 195
— Alkohol und Schulkind. Yon Dr. Heck er 195
Die Unterrichtszeit im Lichte der modernen Schulhygiene. Aus einem
Yortrag von Bürgerschullehrer Herrn. Graupner im Yerein für Yolks-
hygiene in Dresden 196
Gesundheitspflege und Schulwesen. Aus einem Yortrag von Seminar-
direktor Dr. Pabst im Bealschulmännerverein in Frankfurt .... 198
Der Erlaß des Rheinischen Provinzialschulkollegiums über den Schul-
anfang an den höheren Lehranstalten. Aus einem Referat von Pro-
fessor Schnitze im Liberalen Bürgerverein in Bonn 199
Über die Einrichtung von Schülerreisen, eine Aufgabe des Alpenvereins.
Aus einem Yortrag von Oberlehrer Fritz Eckardt in der Sektion
Dresden des Deutsch-Östreichischen Alpenvereins 200
Die Aufgabe des höheren Lehrers — eine Kunst auf gelehrter Grundlage.
Aus einem Yortrag von Direktor Dr. Keller auf dem deutschen Ober-
lehrertag in Eisenach am 18. April 1906 271
Tuberkulose und Jugendspiele. Aus einem Yortrag von Dr. Pauli im
Posener Yerein für Schulgesundheitspflege am 14. März 1906. . . . 272
Schule und Kurzsichtigkeit. Aus einem Yortrag von Hofrat Professor
Dr. Schnabel in einer Yersammlung des Wiener medizinischen
Doktorenkollegiums am 2. April 1906 273
Leitsätze für die körperliche Ausbildung der Mittelschüler, aufgestellt von
der Schulkommission des ärztlichen Yereins in München 274
Amtliches.
Einführung von Körperübungen an den städtischen Yolksmädchenschulen.
Erlaß des preufi. Min. der geistlichen usw. Angelegenheiten vom
20. März 1905 73
Abhaltung von Fortbildungstumkursen bezw. Wanderkursen für Yolks-
schullehrer und Lehrerinnen in der Leitung von Yolks- und Jugend-
spielen. Erlaß des preuß. Min. der geistl. usw. Angelegenheiten vom
10. Mai 1905 77
Die Größe der Fenster in den Klassenräumen bei Schulneubauten. Erlaß
des preuß. Min. der geistl. usw. Angelegenheiten vom 17. Mai 1905 . 80
Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben. Erlaß des preuß. Min. der geist-
lichen usw. Angelegenheiten vom 4. Februar 1904 81
Führung von Listen der gewerblich beschäftigten Schulkinder. Rund ver-
fugung des Regierungspräsidenten von Arnsberg vom 26. April 1906 81
Anweisung über die Gesundheitspflege in den Schulen. Verfügung der
königl. Regierung in Minden i/W 201
VI Inhalt des V. Jahrganges.
SchulärstlioheB.
Tageegeschichtliche Nachrichten. ^
Ablehnung von Schulärzten in MeMenbnrg 19
Schulärzte und Schnlärztin in Hannover 19
Schulzahnklinik in Wiesbaden 19
Schulärzte für die höheren Lehranstalten in Breslau 84
Schulzahnklinik in Straßburg 84
Anstellung eines Arztes als besoldeter Beigeordneter in Köln 85
Schulzahnklinik in Mülhausen i. Eis 86
Schularzt in Heilbronn 128
Vermehrung der Schulärzte in Berlin 128 276
Anstellung von Schulärzten in Elberfeld 128
in Spandau 128
in Köpenik 128 275
in Ludwigshafen 202
Anstellung des Assistenten des Stadtarztes als Schularzt in Dortmund 202
Anstellung von 18 Schulärzten, einem Spezialaugcnarzt und einem Spezial-
ohrenarzt in München 202
Schulärzte in Budapest 203
Anstellung eines Schulzahnarztes in Ulm 276
Anstellung von Schulärzten in Hildesheim 275
Dienstordnungen und Berichte.
Dienstordnung für die Schulärzte der Königl. Haupt- und Residenzstadt
Hannover 19
Bericht über die Resultate der schulärztlichen Tätigkeit an den Bürger-
schulen in Weimar, sowie die Erfolge des in Weimar an den Bürger-
schulen eingeführten orthopädischen Turnunterrichts und des be-
sonderen Sprechunterrichts an stotternde, stammelnde und lispelnde
Kinder för das Schuljahr 1903/1904. Von Oberbürgermeister Pabst 23
Aus dem Jahresbericht über die schulärztliche Tätigkeit in den Mittel-
schulen und Stadtschulen der Stadt Darmstadt im Schuljahr 1904/05.
Von Sanitätsrat Dr. Buchhold 129
Au8 dem Jahresbericht des Schularztes Dr. Langsdorf über seine Tätig-
keit in der Hilfsschule in Darmstadt im Schuljahr 1904/05 130
111. Jahresbericht der städtischen Schulzahnklinik in Straßburg i. Eis.
1904/05. Von Professor Dr. Jessen 204
Aus dem Bericht über die Tätigkeit der Berliner Schulärzte im Jahre
1904/05. Von Prof. Arthur Hartmann 211
Aus dem IV. Jahresbericht über den schulärztlichen Überwachungsdienst
an den Volksschulen zu Breslau für das Schuljahr 1904,05 nebst Be-
richt des Hilfsschularztes Privatdozent Dr . T h i e m i c h . Herausgegeben
von Stadtarzt Dr. öbbeke 216
Besprechungen.
Berninger, Pädagogik und Hygiene (Roller) 36
Laser, Zur Verhütung der Übertragung der Infektionskrankheiten durch
Trinkbecher in den Schulen (Seiter) 37
Inhalt des Vt Jahrganges. YII
Seite
Moses, Die Gliederung der Schuljugend nach ihrer Veranlagung und das
Mannheimer System (Seiter) 87
Schleich, Die Augen der Schüler und Schülerinnen der Tübinger Schulen
(Seiter) 37
Schmid-Monnard, Soziale Fürsorge für Kinder im schulpflichtigen
Alter (Seiter) 38
Suck, Fürsorge für die schulentlassene Jugend (Seiter) 39
Speidel, Die Augen der Theologie Studierenden in Tübingen (Seiter) . 39
Sakaki, Ermüdungsmessungen in vier japanischen Schulen (Seiter) . . 40
Ingerslev, Skolelaegevaesenet i Danmark (Seiter) 41
Schneider, Zur Schulbankfrage (Seiter) 42
Mathien, P^dagogie physiologique (Boller) 86
Wichmann, Über die Lage und Höchstzahl der täglichen Unterrichts-
stunden an Mädchenschulen (Roller) 86
Heller, Oberbürdungspsychosen bei minderwertigen Kindern (Seiter). . 132
Burmeister, Ober die Verwendung von staubbindenden Fußbodenölen
in Schulen (Seiter) 132
von Ziegler, Die Kurzsichtigkeit der Schüler höherer Lehranstalten, eine
Gefahr für die Landesverteidigung, und ihre Bekämpfung (Seiter). . 133
Schröer, Die Dispensationen vom Turnunterricht (Seiter) 133
Domitrovich, Der Hygieniker und die Schulbank (Seiter) 134
Burgerstein,!. Gesundheitsregeln für Schüler und Schülerinnen aller Lehr-
anstalten. 2. Zur häuslichen Gesundheitspflege der Schuljugend (Roller) 135
Hartmann, Die höhere Schule und die Gesundheitspflege (Roller) ... 136
Maren se. Die geschlechtliche Aufklärung der Jugend (Seiter) 219
Lischnewska, Die geschlechtliche Belehrung der Kinder (Seiter) ... 219
Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele (Seiter) 220
Hueppe, Unterricht und Erziehxmg vom sozialhygienischen Standpunkt
(Seiter) 220
Neuendorf f. Die Turnlehrer an den höheren Lehranstalten Preußens und
der Geist des Tumlehramt« (Baiser) 22*2
Heimann, Über einige neue Apparate zur Bestimmung der Helligkeit auf
Arbeitsplätzen (Seiter) 279
Maennel, Vom Hüfsschulwesen (Seiter) 276
Günther, Zur Zahnpflege in der Schule (Seiter) 276
Lange, Schule und Korsett (Seiter) 278
Fischer, Zur Schulbankfrage (Seiter) 277
Moses, Zur Hygiene der Schulbank in den Hilfsschulen für Schwach-
befähigte (Seiter) 277
Kleinere Mitteilungen.
Die schulhygienische Ausstellung des Leipziger Lehrervereins 43
Jugendspiele 43
Die zahnärztliche Poliklinik für Volksschulkinder in Darmstadt .... 44
Vierteljahrsschrift für körperliche Erziehung 45
Sonderschulen für hervorragend Befähigte 87
Der Abstinentenbund an deutschen Schulen „Germania" 87
Reform des Abiturienten examens 88
Gesundheitszustand des Jenaer Kindes 88
Vm Inhalt des V. Jahrganges.
Seite
Erhebungen über den Alkoholgennß der Schulkinder 89
Schulhygiene auf neuer Grundlage in Nizza 89
Erlaß des österreichischen Ministeriums über Schulhygiene 90
22 Yersammlung des Hannoverschen Provinzial-Lehrervereins 90
Gemeinschaftlicher Unterricht von Knaben und Mädchen in höheren Schulen 91
Jugendspiele 91
Der Schularzt für höhere Lehranstalten, eine notwendige Ergänzung
unserer Schulorganisation , 138
Gewährung von warmem Frühstück für Schulkinder von Landgemeinden 139
Anleitung der Jugend zum Schneeschuhlauf 140
Eine Epidemie von Tremor hystericus 141
Ausstellung für Schulhygiene in Hannover 141
Orthopädischer Unterricht in den Schulen 142
Untersuchung der Zähne der Schulkinder in Saarburg und Niederweiler 142
Ferienwanderungen der Volksschüler 142
Ansteckung von Krankheiten durch Schulbücher, 227
Eingabe an den Rat der Stadt Leipzig wegen Einführung eines obligato-
rischen Spielnachmittages 227
Errichtung einer Waldschule in München-Gladbach 227
Stiftung des Berliner Vereins für Schulgesundheitspflege 227
Organisation für Kinderausflüge in Charlottenburg. . > 228
Kurzsichtigkeit und Schule 228
Schülerreisen 229
Versammlung des internationalen Alkohoigegnerbundcs in Lüneburg . . 230
Klagen über Überbürdung der Schüler 230
Mahnungen an das Elternhaus seitens der Schule 231
Waschgelegenheit in den Schulen 232
Das Frauenmerkblatt der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten 232
Reform der Abiturientenprüfung 236
Messung der Sehleistung der hannoverschen Volksschüler 279
Schulsanatorium im Ostseebad Kolberg 281
Eingabe des Ausschusses zur Schaffung dauernder öffentlicher Spielplätze
in Leipzig 281
Ermittlungen des Gesundheitsausschusses in Braunschweig über den Alko-
holgenuß der Kinder 282
Unterbringung schwächlicher Kinder von Schöneberg in Ferienkolonien . 282
Verabreichung von Mahlzeiten an die Schulkinder in London 282
Kurs für Kinderfürsorge in Frankfurt a. M 283
ZeitfloliTiftenraiidBohau 46 91 143 288
Bibliographie 17 94 144 240
Berichtigung 50 284
MAY 25 192
I. Originalanfsätze.
Die Überbürdung der Oberlehrer.
Von Karl Boller, Oberlehrer.
In dem Anhang zu seiner kürzlich erschienenen Ausgabe Ton
Maria Ton Manaceine: Die geistige Überbürdung in der
modernen Kultur (Leipzig 1905, Verlag von Johann Ambrosius
Barth [Natur- und Kulturphilosophische Bibliothek Bd. II]) be-
spricht Dr. med. L. Wagner die Überbürdungsfrage des Ober-
lehrerstandes. Den Ausführungen Ws. entnehmen wir hierüber
folgendes: ,,In manchen Beziehungen entsprechen die Lebensyerhält-
nisse der Oberlehrer denen der Beamten mit sitzender Lebensweise;
sie weichen aber yielfach zuungunsten der Oberlehrer ab. Der
Bureaubeamte kann im einzelnen nach jeweiliger Disposition arbeiten,
z. B. etwas langsamer, wenn er weniger gut disponiert ist. Der
Lehrer dagegen, der Tor der Klasse steht und yon ihr scharf kon-
trolliert wird, muß immer tätig sein, da jedes Nachlassen Ton den
Schülern sofort empfunden und zu ünaufinerksamkeit benutzt würde.
Außerdem ist der Lehrer durch seinen Beruf vielen Gemütserregungen
ausgesetzt. Hierdurch erfolgt ein großer Verbrauch an Energie.
Besonders aufreibend wirkt die erforderliche stete Anspannung der
Aufmerksamkeit nach zwei Richtungen, nämlich in bezug auf die
Schüler und in bezug auf die Behandlung des Stoffes. Dazu kommt
die Notwendigkeit, laut und yemehmlich zu sprechen, imd die auch
bei guter Ventilation bald hochgradig verdorbene Luft des Schul-
zimmers, wenn die Klassen stark besetzt sind.
Eine Schulstunde zwei Arbeitsstunden gleichzusetzen, die auf
dem Bureau in ruhiger Umgebung und in guter Luft, ohne Auf-
regungen und ohne lautes Sprechen, verbracht werden, ist daher ge-
wiß eine bescheidene Anrechnung dieser umstände. Da ein Ober-
lehrer im Durchschnitt vier Stunden täglich zu erteilen hat, ergibt
sich schon hiernach ein geistiger Arbeitstag von acht Stunden. Hier-
zu kommen aber die oft sehr zahlreichen und durch ihre Eintönig-
Gesunde Jugend. V. 1/2. 1
S Karl Roller i
keit höchst nervenaufreibenden Korrekturen von schriftlichen Arbeiten,
ferner die Vorbereitung fiir den Unterricht, der bei der neuen Lehr-
methode unumgänglich ist, dann amtliche Nebengeschäfte, sowie
die wissenschaftliche Weiterbildung durch Lesen von Zeitschriften,
Büchern usw. Rechnet man für dies alles im täglichen Durchschnitt
nur vier Stunden, so kommt man auf eine geistige Arbeitszeit von
zwölf Stunden. In Wirklichkeit sind aber viel längere Arbeitszeiten
die Regel, meistens veranlaßt durch massenhafte Korrekturen. In
manchen Fällen muß außerdem noch Privatunterricht gegeben werden.
Die neue Lehrmethode, der fragende Unterricht, wirkt zudem viel
aufreibender als ein einfacher Vortrag, denn unaufhörlich muß der
Lehrer nach dem Gange des Unterrichtes passende Fragen zu bilden
suchen, eine sehr anstrengende Arbeit, welche die vollste Konzen-
tration erfordert. Die Pensen sind ferner fast durchweg so reich-
lich bemessen, daß Unruhe und Hast in den Unterricht kommt, was
bekanntlich für die Nerven ganz besonders nachteilig ist. Die An-
strengung des Unterrichtes wächst gewaltig mit der Schülerzahl der
IQasse. Sogar die freie Verfügung über den Sonntag wird hier und
da den Oberlehrern beschränkt, indem sie bei dem Kirchgang der
Schüler die Aufsicht zu führen haben. Bei Berücksichtigung aller
angegebenen Momente ist eine Verpflichtung der Oberlehrer zu täg-
lich drei Unterrichtsstunden eine vollauf genügende Belastung.
Abgesehen von Nervosität, wie allgemein bekannt, leiden die
Lehrer häufig an Erkrankungen des Kehlkopfes, der Luftröhre und
der Lungen, offenbar infolge des vielen Sprechens, des Schulstaubes
und der schlechten Schulluft. Tuberkulose ist bei Oberlehrern eine
auffallend häufig vorkommende Todesursache.
Der Beruf der Oberlehrer ist also nicht leicht und Entlastung
dringend erforderlich, aber nicht nur nach der äußeren Seite der
Stundenzahl, sondern auch in innerer Beziehung. Die deutsche Regle-
mentiersucht hat auch die Bewegungsfreiheit des Lehrers im Unter-
richt immer mehi- eingeschränkt. Und doch beruht der wahre Wert
des Untenichtes ganz auf der Macht der Persönlichkeit. Im Zeit-
alter der Technik liegt es nahe, von einem technischen Mittel, von
der Methodik des Unterrichts sich viel zu versprechen. Aber diese
Methode, der fragende Unterricht, ist nur ein äußerliches mecha-
nisches Verfahren, die Schüler zur Aufmerksamkeit zu zwingen. Den
Unterricht interessant zu machen und die Schüler zu nicht nur
äußerlich erzwungener, sondern von innen kommender, freiwilliger
und hingebender Anteilnahme zu bringen, das vermag der Lehrer
nur, wenn er selbst mit innerer Anteilnahme und Begeisterung unter-
Die Überbürdung de? Oberlebrer. Des Lehrers bygieniscbes Wirken etc. 3
richtet. Die erste Bedingung für einen anregenden Unterricht ist
nicht die Methode^ sondern Frische des Geistes. — Natürlich soll
der Unterricht auch nicht unmethodisch sein^ und für die Ausbildung
der Lehrer sind die Seminare eine sehr nützliche Einrichtung. —
Wer überbürd^et ist, kann auf die Dauer aber geistige Frische sich
nicht bewahren. Das wesentliche Mittel also, um einen anregenden
Unterricht möglich zu machen, ist nicht das Herumsteigen auf Formal-
stufen, sondern gründliche Entlastung der Oberlehrer. Dann erst
kommt der Oberlehrer in die Lage, sich wissenschaftlich fortzubilden
und dadurch sich zu erhalten und zu vermehren, was die wahre
Grundlage seiner Tätigkeit bilden mag: Reichtum an Wissen und
an Bildung. Bei der jetzigen Überlastung besteht Gefahr, daB der
Lehrer sich in einen Unterrichtshandwerker und Einpauker ver-
wandelt, der den Schülern kritiklos beibringt, was in diesem oder
jenem Lehrbuch zufallig gedruckt steht. Was der Oberlehrerstand
jetzt bedarf, ist also nicht in erster Linie mehr Methodik, sondern
Entlastung durch Herabsetzung der viel zu hohen Pflichtstundenzahl
und dadurch die Möglichkeit, sich geistige Frische zu bewahren und
in beständiger Fühlung zu bleiben mit der Kultur unserer Zeit und
mit den Quellen geistigen Lebens.'^
Des Lehrers hygienisches Wirken in der Anfnahmeklasse.
Von Karl Roller, Oberlehrer.
Über diesen für die Lehrerschaft und Schule so äußerst wich-
tigen Gegenstand handelt Johannes Berninger in seiner bei
Leopold Voß in Hamburg erschienenen Schrift „Pädagogik und
Hygiene". Nach seiner Ansicht hat der Lehrer in seinem eigenen,
sowie im Interesse des Schülers sich sobald als möglich darüber zu
informieren, ob und woran die neuaufzunehmeuden Kleinen schon
erkrankt waren, welche Fol^^en einer Krankheit etwa zurückgeblieben
sind, ob vielleicht der eine oder andere fehlende Eiternteil der Tuber-
kulose oder einer sonstigen vererbbaren Erkrankung erlegen ist usw.
Kann der Aufnahmelehrer wegen der großen Zahl der Eintretenden
nicht schon bei der Schüleranmeldung oder am ersten Schul tag die
hierzu wünschenswerte Information erhalten, dann lasse er möglichst
bald die Mütter zu dieabetreffenden Unterredungen noch einmal in
die Schule bitten. Weil nun die mit den Eltern resp. mit den
4 Karl Roller:
Müttern zu führenden Unterredungen von großem Werte sein können^
ist im Interesse der Schule und des Elternhauses der Wunsch am
Platze y es möchten bei den Anmeldui^en der Schulneulinge stets
auch die Lehrer zugegen sein^ denen jene nunmehr zugewiesen wer-
den^ die bloße Anwesenheit des Lokalschulinspektors ^ Hauptlehrers
oder Rektors dürfte nach Meinung Bemingers nicht genügen.
Wir können der Ansicht Bemingers ^ daß die Schule über den
Gesundheitszustand der Schulneulinge informiert sein müsse^ in jeder
Hinsicht nur beipflichten. Sollte indessen seine soeben ausgesprochene
Forderung; betreffs Zuziehung der die Neulinge unterrichtenden Lehrer
bei deren Aufiiahme zum Zwecke hygienischer Informationen^ nicht
neben einem beträchtlichen Zeitaufwand mit gewissen Schwierigkeiten
vermischt sein, die sich eventuell aus der Menge der aufzunehmen-
den Schüler und der in den ersten Schultagen unvermeidlichen
Häufung, von Ordinariatsgeschäften und außer dem eigentlichen Unter-
richte liegenden anderen Verpflichtungen des Lehrers ergeben , und
die vielleicht sogar ein gewissenhaftes Herantreten an das von Ber-
ninger so wünschenswert Erachtete kaum möglich machen dürften?
Wir halten es sogar für fraglich, daß die Mütter immer imstande
sind und, wenn dies der Fall ist, tatsächlich immer willens sind,
gesundheitliche Defekte ihrer Kinder oder ihrer Familie dem Lehrer
mitzuteilen. Wir möchten uns lieber dem schon so oft gemachten
Vorschlage namhafter Arzte und Pädagogen anschließen, daß man
es für die Eltern obligatorisch mache, bei den Anmeldungen ein
nach allen Richtungen hin ausführliches und nach einem bestimmten
Formular anzufertigendes Gesundheitsattest der Schulneulinge
vorzulegen. Dr. Friedrich Falk, der schon vor nahezu 40 Jahren
für diesen Vorschlag eintritt, fügt in seiner Schrift: Die sanitäts-
polizeiliche Überwachung höherer und niederer Schulen
und ihre Aufgaben (Leipzig 1868, pag. 101) zu seinen diesbezüg-
lichen Ausführungen noch folgendes hinzu: ,ßfan mag nicht diesem
Verschilfe die Frage entgegenhalten: wer soll die Ärzte bezahlen,
da diese doch nicht verpflichtet werden können, jene Zeugnisse ohne
Entgelt anzufertigen? Ich sehe nicht ein, warum dies nicht für
Unbemittelte zu der Verpflichtung der Armen- oder anderer Korpo-
rationsärzte hinzutreten soll, bei den Wohlhabenden wird es ent-
weder sich den Leistungen der Hausärzte anreihen, oder die Ange-
hörigen werden das dazu notwendige Honorar als eine kleine Zulage
zum ersten Schulgelde ansehen müssen.'^ — Da wo schulärztliche
Einrichtungen bestehen, ist ja der Schularzt die berufenste Person,
um mit Hilfe der bei den Untersuchungen beizuziehenden Eltern
Des Lehrers hygienisches Wirken in der Aufnahmeklasse. 5
einen solchen Gesundheitsschein auszustellen. Diese Scheine müßten
selbstTerständlich der jederzeitigen Einsicht der beteiligten Lehrer
zugänglich sein; und dann wäre es immer noch Zeit für die letzteren^
auf Grund dieser Zeugnisse mit den Eltern des einen oder anderen
Schülers besondere Rücksprache zu nehmen.
Doch fahren wir mit Beminger fort: ,^ der Aufnahmeklasse
findet der Lehrer reichlich Gelegenheit^ sein hygienisches Wissen und
auch sein Können zu verwerten. Schon die Art und Weise^ wie er
seine Neulinge zum erstenmal empföngt, wie er den Übergang vom
Elternhaus zur Schule^ vom freien Spielplatze auf die ihnen ganz
bestimmt angewiesenen Sitzplätze in den Schulbänken ^ vom unge-
zwungenen^ gemütTollen Spiel zur immer ernster werdenden Schul-
arbeit zu gestalten weiß^ legt Zeugnis ab Ton seinem hygienischen
Können oder Nichtkönnen. Leider wird es durch allerlei Anord-
nungen und durch die immer noch wachsende Masse des zu be-
handelnden Lehrstoffes nur zu oft dem Lehrer mehr*und mehr un-
möglich gemacht^ sich dauernd bewußt zu bleiben^ welche große
Anforderungen an Körper und Geist des seither meistens frei handeln-
den Schulneulings der Schuleintritt stellt; und wie schwer, es den
Kleinen oft werden mag; sich selbst und all ihr Tun und Treiben
auf Stunden dem Willen und den Anordnungen einer Person unter-
zuordnen; die ihnen bis dahin meist völlig fremd geblieben war.
Wie auf allen Stufen^ so sollte insbesondere in der Aufiiahmeklasse
es niemals übersehen werden^ daß nicht nur die Erledigung der Forde-
rung; betreffend die Durchnahme des vorgeschriebenen; häufig über-
reichen Lehr- und Lernstoffes; sondern auch die Schonung und Weiter-
forderung des gesundheitlichen Befindens der Schüler eine recht
wesentliche Aufgabe der Schule ist und bleiben muß/' Beminger
warnt nachdrücklich vor einem allzuraschen Eingewöhnenwollen in
die neuen Verhältnisse: ;;Der Schulneuling''; so sagt er, ,;Soll sich
schon in den ersten Schultagen absolut an eine ihm bis dahin viel-
leicht gänzlich fremd gebliebene Sprache und Ausdrucksweise ge-
wöhnen; er soll sich über Gegenstände aussprechen; die ihm viel-
leicht seither gänzlich gleichgültig waren. Vielleicht schon am ersten
oder zweiten Schultag werden die A-B-C-Schützen schon mit Schreib-
und Rechenübungen oder mit ihrem kindlichen Gemüte durchaus
nicht entsprechenden Sprechübungen geplagt." Eine wichtige Auf-
gabe des Lehrers ist eS; die kleinen Schüler durch liebevolles und
vertrauliches Entgegenkommen von der Schulfurcht zu heilen, die
dank unbesonneren Redensarten seitens der Eltern oder der älteren
Geschwister schon wochenlang vor dem Eintritt in die Schule die
6 Mitteilungen aus dem Zentralverein.
IQeinen befangen hält. „Wenn der Schulhygieniker beobachtet," so
sagt Berninger an einer anderen Stelle, „wie die Aufnahmeschüler
schon in den ersten Schultagen eine volle Stunde, von der zweiten
Schulwoche an schon bis zu zwei, und nach Ablauf von vier bis
fünf Wochen gar schon bis zu drei Stunden hintereinander in den
Schulbänken festgehalten werden, kann er die körperlich und geistig
noch schwachen Kleinen und — auch deren Lehrer — nur bemit-
leiden. Ist irgendwo, so ist ganz besonders beim Beginn der Schul-
arbeit in den Aufnahmeklassen die alte Mahnung: >Eile mit Weüe^^
zu beherzigen. Jede körperliche und geistige Überanstrengung rächt
sich hier mitunter recht bitter. Das scheinbar Versäumte ist bald
nachgeholt, und weder den Kleinen noch deren Lehrer wird es etwas
schaden, wenn in der ersten Zeit nur 7^ bis y^ Stunde den unter-
richtlichen Unterweisungen dient, der verbleibende Rest der Schul-
stunde aber dem Spiel und dem Ergehen auf dem Schulhofe ge-
widmet wird.''
Der Klage vieler Lehrer gegenüber, daß namentlich in den
ersten Schulwochen manche Kinder zum Unterricht zu spät kommen,
mahnt .Berninger zur Nachsicht. Desgleichen wendet er sich gegen
jegliche körperliche Züchtigung der Kleinen, außerdem verwirft er
die Unsitte, dieselben mit aufgeschnallten Schulranzen zur Strafe
längere Zeit stehen zu lassen. Was die Lehrkräfte anlangt, die den
Anfangsunterricht zu erteilen haben, so dürfte es sich nach Berninger
empfehlen, nur ältere erprobte Lehrer und Lehrerinnen heranzuziehen,
nicht aber solche, die im Schuldienste noch Neulinge sind und sich
noch wenig Erfahrungen und praktisches Lehrgeschick aneignen
konnten.
IL Mitteilungen aus dem Zentralverein,
a) Einladung
zur sechsten Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins
für Schulgesundheitspflege im Landesgewerbemuseum in Stutt-
gart am 14. und 15. Juni 1U05.
Tagesordnung:
Dienstag, den 13. Juni abends von 8 Uhr ab: Empfang im Stadt-
garten (Terrasse und Terrassensaal).
§0^ Die Mitgliedskarte muß am Eingang vorgezeigt werden. ^Ml
Mitteilungen aus dem Zentralverein. ^
Mittwoch, den 14. Juni, morgens 9 Uhr präzis: EröflFnung der
Versammlung im Landesgewerbemuseum (Vortragssaal).
I. Offizielle Begrüßungsansprachen.
II. Morgens 9% Uhr Vortrag: Anfang und Anordnung des fremd-
sprachlichen Unterrichts.
Pädagogischer Referent: Dr. phil. Victor, Professor an der
Uniyersität Marburg.
Medizinischer Referent: Dr. med. Jäger, Arzt in Schwäbisch-
HaU.
TU. Nachmittags: Ausflug oder Festlichkeit, näheres im Spezial-
programm, welches am Morgen des Verhandluugstages aus-
gegeben wird.
Donnerstag, den 15. Juni
I. Geschäftssitzung, Morgens 8 Uhr im Landesgewerbemuseum
(Vortragssaal).
a) Satzungen; b) Neuwahl des Vorstandes; c) Antrag der
Ortsgruppe Stuttgart die Schulbankfrage betreffend; d) Un-
vorhergesehenes.
IL Vorträge, Morgens 9 Uhr.
1. Über Schüleruntersuchungen. Arztliches Referat: Dr. med.
Gastpar, Stadtarzt in Stuttgart.
2. Der ungeteilte Unterricht (Kürzung der einzelnen Unterrichts-
stunden und Verlegung des wissenschaftlichen Unterrichts
auf den Vormittag).
Pädagogische Referenten.: a) für höhere Schulen Oberreal-
schuldirektor Dr. Hintzmann-Elberfeld; b) für Volks-
schulen Lehrer J. Baß -Stuttgart.
Medizinischer Referent: Dr. med. et phil. Willy Hell-
pach, Nerveuarzt in Karlsruhe.
III. Nachmittags von 4 Uhr ab: Besichtigungen unter sachver-
ständiger Führung.
IV. Abends 7 Uhr: Festessen auf der Silberburg; das trockene
Couvert 3 Mk.
Am Freitag, den 16. Juni werden bei genügender Beteiligung
Ausflüge in die Umgebung von Stuttgart (Lichtenstein, Nebelhöhle,
Olgahöhle) gemacht. Am Dienstag, den 13. Juni von morgens
10 Uhr ab ist das Empfangsbureau im Wartesaal I. Klasse des Bahn-
hofes geöfi&iet. Am Mittwoch, den 14. Juni von morgens 8 Uhr
ab befindet sich das Empfangsbureau im Landesgewerbemuseum,
8 Mitteilangen aus dem Zeniiralverein.
Ecke ScUoB- and EanzleistraSe (Eingang: Kanzleistraße 19). Für
die Führung der Damen auswärtiger Teilnehmer wird ein Damen-
auBSchuß Sorge tragen. Behufs rechtzeitiger Vermitthing von Hotel-
zimmern wende man sich an das Bureau der wissenschaftlichen ärzt-
lichen Vereine in Stuttgart.
Um zahlreiche Beteiligung an der Versammlung bitten:
Der AuBBchuß des Der OrtsausBchuß.
Allgemeinen Dentschen Vereins
für Schulgesundheitspflege.
Zusammensetzung des Ortsausschusses:
Baudirektor Dr. von Bach. Gemeinderat Dr. Bauer. Ministerialrat
Dr. Balz. Rektor Bonhöffer. Landtagsabgeordneter Gieß. Hof-
rat Dr. Deahna. Hofrat Dr. Distler. Professor Dr. Eibern.
Medizinalrat Dr. Engelhorn-Göppingen. Sanitätsrat Dr. Fauser.
Fräulein Fetzer. Frau Bankier Frank. Stadtarzt Dr. Gastpar.
Oberbürgermeister Gauß. Professor Dr. Hacker. Dr. med. Hauler.
Rektor Hils. Professor Dr. Hoffmann. Ministerialrat Jehle.
Rektor Dr. Kap ff. Professor Keßler. Landtagsabgeordneter Kloß.
Professor Königshöfer. Medizinalrat Dr. Köstlin. Bürgeraus-
schußobmann Lehrer Löchner. Professor Lüpke. Oberbaurat
Mayer. Professor J. Miller. Schulrat Dr. Mosapp. Präsident
von Mosthaf. Stadtdirektor Reg.-Rat Nickel. Geh. Hofrat Dr.
von Pfeiffer. Gemeinderat Reif. Dr. Reihlen. Schulrat Dr. Salz-
mann. Ober-Medizinalrat Dr. Scheurlen. Professor Dr. Schleich-
Tübingen. Professor Dr. Schwend. Dr. Stähle. Gemeinderat
Stockmayer. Privatier Ulrich. Geh. Hofrat Leo Vetter. Rektor
Vogel. Dr. L. Weil. Sanitätsrat Dr. Wildermuth. Gemeinde-
rat Würz.
Leitsätze.
A. Zu dem Vortrag: Anfang und Anordnung des fremdsprachlichen Unterrichts.
1. Pädagogischer Referent: Dr. phil. Viötor, Professor.
1. Es ist wünschenswert, daß dem fremdsprachlichen Unterricht eine län-
' gere Beschäftigung mit der Muttersprache vorausgeht, wobei nicht auf den
grammatischen Betrieb, sondern auf die Erweckung und Festigung des Sprach-
I gefahls — in Verbindung hiermit auch auf die lautliche Schulung an der Hand
\ der Mundart — das Hauptgewicht zu legen ist.
( 2. Die gewonnene Zeit ist nur zum Teil auf den Unterricht im Deutschen,
, zum anderen Teil auf Erholung, Spiel und freie BeUltigung, sowie auf die An-
leitung zum Beobachten und auch zeichnerischen Darstellen des Beobachteten
zu verwenden.
Mitteilungen aus dem Zentralverein. 9
3. Das Hinaufschieben des firemdsprachlichen Unterrichte darf' der über-
haupt zu fordernden Verkürzung der täglichen Unterrichtszeit keinen Eintrag
tun, also keine spätere Vermehrung der fremdsprachlichen Stunden herbei-
führen.
2. Medizinischer Referent: Dr. med. Jäger:
Mit der Frage des Themas ist die Grundfrage xmseres gesamten heute
bestehenden höheren Schulwesens angeschnitten. In dieser Beziehung ist in
erster Linie zweierlei zu wünschen.
1. Der Unterricht ist im ganzen und seinen Teilen zeitgemäßer zu ge-
stalten. Die Schule muß die, vornehmlich mit dem alten klassischen Unter-
richt beschrittenen Bahnen weltfremder Ideologie verlassen und sich mit ihren
Zielen auf den Boden der Bedürfnisse des Lebens und der Forderungen der
Zeit stellen.
2. Der Unterricht ist im ganzen und seinen Teilen naturgemäßer zu
gestalten. Er muß den Gesetzen der Biologie und Physiologie des jugendlichen
Organismus, insonderheit des Gehirns angepaßt werden. Die Schule muß die,
namentlich mit dem grammatikalisch - fremdsprachlichen Unterricht beschritte-
nen Bahnen des einseitigen Intellektualismus und Formalismus verlassen und
eine naturgemäße, auf der Grundlage der Sinne und ihrer Tätigkeit aufgebaute
möglichst gleichmäßige und harmonische Ausbildung aller Geistes- und Körper-
kräfte ins Auge fassen. Unter Berücksichtigung dieser Punkte ergibt sich für
den Sprachunterricht im besonderen:
1. Die Muttersprache ist in den Mittelpunkt dieses Unterrichts zu stellen:
2. Die Frage nach dem Beginn des fremdsprachlichen Unterrichts ist in
zwei zu zerlegen, da es zwei Wege der Erlernung gibt:
a) den Weg, wie das Eind die Muttersprache erlernt.
b) den Weg der Grammatik.
Der erstere ist der natürliche, physiologisch -biologische Weg. Er ent-
spricht dem erwerbenden, stoifsammelnden Denken der Jugend und der all-
mählichen Entwicklung des Gehirns an der Hand der Sinne und der Anschauung.
Diese Art kann einsetzen , so früh sie will. Der andere Weg, der der Gramma-
tik, entspricht dem ordnenden Denken des Erwachsenen, dem fertig-entwickelten,
für den verwickelten Prozeß abstrakt- philosophischer Denkoperaüonen aus-
gereiften Gehirn. Für diese Art gilt deshalb: so spät als möglich.
Der fremdsprachliche Unterricht ist jedenfalls auf der Unterstufe, soweit
es irgend die Eigenart des Massenbetriebs der Schule ermöglicht, der ersten
Art zuzuweisen.
Hieraus ergibt sich für die Reihenfolge der Fremdsprachen:
1. Zunächst lebende Sprachen, da sie allein der Forderung der natürlichen
Erlernung genügen können.
2. Ihre Folge müßte sein : erst Englisch, dann Französisch, weil der Gang
vom Näherstehenden und damit Leichteren zum Femstehenden und Schwieri-
geren der natürlichen Entwicklung der jugendlichen Kräfte mehr entspricht.
3. Der ausschließlich grammatikalische Betrieb der toten Sprachen (Latein,
Griechisch und Hebräisch) ist den höheren und höchsten Altersstufen zuzu-
10 Mitteilungen aus dem Zentral verein.
B. Zu dem Vortrag: Über Schüleruntersuchungen.
Referent: Dr. med. Gastpar:
1. Unser modernes Leben mit dem raschen Verbrauch der Kräfte^ wie er
namentlich in unsem großen Städten nachweisbar ist, zwingt uns, unsere Sorge
der heranwachsenden Jugend mehr als seither zuzuwenden.
2. Es ist insbesondere notwendig, daß wir sowohl die körperlichen Ver-
hältnisse unserer Jugend in der Stadt und auf dem Lande kennen lernen, als
auch die hereditären, häuslichen und sozialen Verhältnisse, in denen sie auf-
wächst, erfassen. Alle die normale Entwicklung hemmenden Einflüsse, mögen
sie ausgehen, Ton welcher Seite sie wollen, sind dabei besonders zu berück-
sichtigen.
3. Alle die Untersuchungen wären sinnlos, wenn ihnen nicht der Gedanke
der energischen Abhilfe der gefundenen Schäden zugrunde liegen wiirde, möge
der Schwerpunkt im einzelnen Fall nun mehr auf allgemein hygienischem, rein
ärztlichem oder pädagogischem Gebiet liegen.
C. Zu dem Vortrag: Der ungeteilte Unterricht.
1. Pädagogischer Referent für höhere Schulen: Dr. Hintzmann, Oberreal-
schuldirektor:
1. Die Unterrichtszeit, welche die preußischen Lehrpläne von 1901 für die
mittleren und oberen Klassen fordern, ist zu groß. Die Zahl der UnterrichtR-
stunden steigt unter Einschluß von 3 Tum-, 2 Chorgesang-, 1 Schreib-, 2 wahl-
freien Zeichen- und 2 wahlfreien englischen oder hebräischen Stimden bis auf
39 ; die Schüler müssen also durchschnittlich bis zu 6 y. Stunde täglich, d. h. an
mehreren Tagen bis zu 7, ja an einzelnen Tagen sogar 8 Stunden in der Schule
zubringen.
2. Daraus folgt, daß die Schüler zum Anfertigen der häuslichen Schul-
arbeiten weder die notwendige oder geeignete Zeit noch die erforderliche
geistige Kraft und Frische haben.
3. Den Schülern fehlt weiter erst recht die Zeit und darum auch die
Möglichkeit, für ihre körperliche Ertüchtigung zu sorgen, ihrer Individualität
entsprechenden wissenschaftlichen oder künstlerischen Neigungen nachzugehen
oder größere selbständige Arbeiten anzufertigen.
4. Die Erziehung zu selbständiger geistiger Tätigkeit ist aber die vor-
nehmste Aufgabe der höheren Schulen.
5. Um jene U beistände zu beseitigen und diese Aufgabe sicherer lösen
zu können, erscheint es geboten, abgesehen vom Turnen, den gesamten in den
Lehrplänen genannten Unterricht auf den Vormittag, als die für geistige Arbeit
geeignetste Zeit, zu verlegen, die Nachmittage also tür Turnen und andere
körperliche Übungen (Spielen, Schwimmen, Rudern) und für die häusliche Arbeit
und selbstgewählte Beschäftigungen freizuhalten.
6. Das ist nur möglich, wenn jede Unterrichtsstunde auf 46 Minuten be-
schränkt wird. Es können dann an den 6 Wochentagen bis zu 36 Unterrichts-
stunden vormittags erteilt werden, etwa nach folgendem Plan:
1. Stunde 7—7" (45 Min.)
1. Pause 7"— 7*^® (5 Min.)
2. Stunde 7»«— 8" (46 Min.).
2. Pause 8"— 8^* (15 Min.).
Mitteilungen aus dem Zentral verein. H
3. Stunde 8*»— 9»^^ (45 Min.).
3. Pause e"'»— 9*« (6 Min.).
4. Stunde g*«»— 10" (45 Min.).
4. Pause 10"— 10*^ (20 Min.).
6. Stunde lO^'^— 11»° (45 Min.).
6. Pause 11»«— 11" (15 Min.).
6. Stunde 11"— IS»« (45 Min.).
7. Derartige Pläne sind jahrelang erprobt und haben sich nicht nur als
durchführbar, sondern als anderen Plänen überlegen erwiesen. Die Schüler
sind im Unterricht frischer und lebendiger, im Hause arbeitsfreudiger.
8. Die Schulverwaltungen sind zu bitten, zunächst wenigstens Versuche
mit derartigen Lehrplänen machen zu lassen.
2. Pädagogischer Referent für Volksschulen: Lehrer J. Baß:
1. Die für die ungeteilte Unterrichtszeit im allgemeinen geltend gemachten
sanitären und sozialen Gründe treffen für die Schüler der Volksschule eben-
falls^ teilweise sogar in verstärktem Maße zu.
2. Wenn auch die t^berbürdung der Schüler durch die Anforderungen
dos Lehrplans und die Zahl der Unterrichtsstunden hier nicht so bedeutend
ist wie in den höheren Schulen, so ist doch auch für die Volksschülcr ein
Gegengewicht gegen die geistige Anstrengung und eine zusammenhängende
schulfreie Zeit im Interesse einer günstigen körperlichen und somit auch
geistigen Entwicklung wünschenswert.
3. Eine pädagogisch und psychologisch begründete Notwendigkeit für
die ungeteilte Unterrichtszeit besteht nicht. Doch ist die Minderwertig-
keit des Nachmittagsunterrichts nicht nur experimentell nachgewiesen,
sondern auch erfahrungsgemäß anerkannt. Die Gründe gegen den reinen Vor-
mittagsunterricht bieten manches Beachtenswerte, bilden aber bei einer rich-
tigen Regelung dieser Einrichtung kein absolutes Hindernis für dieselbe.
Persönliche Interessen der Lehrer kommen bei dieser Frage nur in geringem
Maße in Betracht.
4. Die praktische Durch fi\hrung der ungeteilten Unterrichtszeit ist
wegen der geringen wöchentlichen Stundenzahl und der größeren Mannigfaltig-
keit der Unterrichtsfächer in der Volksschule leichter möglich als in den
höheren Schulen.
5. Eine Verringerung der wöchentlichen Stundenzahl müßte nur
in Oberklassen städtischer Volksschulen, sowie in mittleren und oberen Klassen
der Bürger- und Mildchenmittelschulen eintreten; durch die Verlegung der
technischen Fächer auf den Nachmittag könnte eine solche ganz umgangen
werden. Eine Verminderung auf 30 Stunden wöchentlich dürfte keinerlei
Schädigung der allgemeinen Volksbildung mit sich bringen, falls durch eine
richtige Verteilung der Stunden auf die einzelnen Fächer, durch eine psycho-
logisch begründete Methode und durch Vermeidung der nur äußeres Wort-
wissen Termittelnden Stoffe eine Vertiefung der Schularbeit eintritt.
6. Einer durch einen höchstens 5 stündigen Vormittagsunterricht be-
fürchteten Ermüdung der Schüler soll durch zweckmäßige Aufeinanderfolge
der Fächer, besonders aber auch durch genügende Pausen nach jeder Stunde
begegnet werden.
12 Mitteilungen aus dem Zentralverein.
7. £b empfiehlt sich, zunächst im Sommer, einen Versuch mit der un-
geteilten Unterrichtszeit in deigenigen Orten zu machen, in denen die Eltern
nach vorausgegangener Belehrung dieser Einrichtung zustimmen. In vielen
Städten hat der Versuch zur dauernden Einrichtung geführt und den Beweis
erbracht, dafi, wenn das Problem der durchgehenden Arbeitszeit einmal im
breiten Volksleben durchgeführt wird, es fiir die Volksschule nur wünschens-
wert und förderlich sein kann.
3. Medizinischer Referent: Dr. med. et phil. Hellpach.
1. Die Aufgabe der geistigen Gesundheitspflege gegenüber dem Problem
der Unterrichtsverteilung kann nicht in der Einmischung in materielle Unter- \
richtsreformfragen gesucht werden, wofern nicht gerade Zustände vorliegen, ^
die mit dem Postulat der Gesunderhaltung der Jugend absolut unvereinbar
sind. Vielmehr ist es unsere Sache, mit dem bestehenden Unterricht nach
Umfang und Inhalt, ja selbst mit einer weiteren Verschiebung in der Richtung
wachsender Vielgestaltigkeit (z. B. durch Einfuhrung neuer Disziplinen, etwa
der Biologie) zu rechnen und auf dieser Basis eine hygienisch möglichst
einwandfreie Unterrichtsverteilung anzustreben.
2. Die Unterrichts Verteilung darf nicht eine für das gesamte Schulwesen
schematiBche sein. Sie hat sich zu orientieren nach dem wichtigsten Mark-
steine im jugendlichen Leben: der Pubertät.
3. Für die Schulstufen bis zur Pubertät, also Volksschule und Unter- und
Mittelstufe der höheren Schule, ist es hygienisch und psychologisch in gleichem
Maße zweckmäßig, die einzelne Unterrichtsstunde auf 45 Minuten zu nor-
mieren und unter Einfügung einer 15 minutigen und mehrerer 10 minutigen
Pausen den gesamten wissenschaftlichen Unterricht auf den Vormittag
zu konzentrieren.
4. a) Für die Oberstufe ist weitgehende fakultative Unterrichtsge-
staltung anzustreben.
b) Die Ausdehnung der Unterrichtsstunde auf 80 Minuten
ist für solche Fächer, welche keine unausgesetzte einseitige oder
maximale AufmerksamkeitsBpannung fordern'), als psychologisch
vorteilhaft und hygienisch unbedenklich ins Auge zu fassen.
c) Der Unterricht soll an 8 Wochentagen nur vormittags und zwar in
vier Zeitstunden (= fünf Unterrichtsstunden), an den 3 anderen Tagen
vor- und nachmittags in je 3 Zeitstunden (s= 2 Unterrichts -Doppel-
stunden) erteilt werden.
d) Dabei ist der Nachmittagsunterricht aus hygienischen wie psycho-
logischen Gründen auf den Spätnachmittag (4 — 7 Uhr) zu
verlegen.
e) Während der Zeit vom 1. Juni bis 31. August ist, soweit nicht Ferien
sind, der Stundenplan dahin abzuändern, daß unter Kürzung des-
selben um mindestens 3 Stunden der wöchentliche Unterricht in 6
Vormittagen zu je 4 Zeitstunden und 2 Nachmittagen zu je ly,
Zeitstunden erledigt werden kann.
1) Z. B. Deutsch, Geschichte, experimentierende und beschreibende Natur-
wissenschaften. Ungeeignet sind Mathematik, mathemat. Physik und gramma-
tische Fächer.
Mitteilungen ans dem Zentralverein.
13
6. Die gymnaBtisohe Betätigung ist auf der Oberstufe fakul-
tativ, und die Teilnahme aller an ihr durch möglichst vorzügliche Organisa-
tion seitens der Schule ohne Zwang zu sichern.
6. Für Springstunden, wie sie bei einer hinreichend fakultativen Un-
terrichtsgestaltung unvermeidlich werden, sind Arbeitsräume (nach dem Muster
der seminaristischen und ähnlichen Räume an Hochschulen) bereitzustellen.
Oberprima einer OberreaLsohule.
Montag
Dienstag
8 —9" Mathematik
9«o_ii Deutsch
4 _5«o Französisch
ö*®— 7 Geschichte
8 —8" Mathematik
9»_io»» Physik
i46 19 SO Zeichnen
11«— 12»
Nachmittag
frei!
Mittwoch
8 —9" Mathematik
9*«— 11 Physik
4 —5" Chemie
4"— 7 Englisch
Donnerstag
8 —8« Mathematik
g6o__986 Physik
9fto_io" Französisch
10"— 11»« Englisch
11"— 12»« Deutsch
Nachmittag
frei!
Freitag
8 —9*« Englisch
9"_ii Französisch
4 _6W Deutsch
5**^—7 Geschichte
Sonnabend
göo_98ö) Religion
900 10»* 1
11"— 21'« Gesang
Nachmittag
frei!
Es entfallen auf je ein Fach wöchentlich:
Religion
Deutsch
Geschichte
Französisch
Englisch
Mathematik
Physik
Chemie
Zeichnen
Gesang
Summa
nach dem
(z. B. I
alten Plan:
Karlsruhe)
nach vorstehendem Plan:
100 Minuten
90 Minuten
200
206
160
160
200
806
200
206
260
260
200
216
100
80
200
180
60
46
1650
1635
b) Neue Mitglieder.
lö^d „K. K. Iiandes-Sanitäts-Bat«, Czernowitz.
Sohnlfonds der JaoobsohulB; a. H. des Herrn Schulrat Mosoff,
Stuttgart.
14 Aus den Schwestervereinen des Auslandes.
Sohulfonds der JohaimesBohiile, z. H. des Herrn Schulrat Mosoff,
Stuttgrart.
M&dchenmittelschule I. b. H. des Herrn Rektor Salzmann ^ Stattg^art.
Beißwanger, Dr., Zahnarzt, Stuttgart, Büchsenstr. 22.
Bockholdt, Paul, Zahnarzt, Stuttgart, Liudenstr. 12.
Hirtz, Oberrealschullehrer, Devant-les-Ponts bei Metz.
Marmignat, Henri, Zahnarzt, Stuttgart, Olgastr.
zur Nedden, Dr., Privatdozent für Augenheilkunde, Bonn.
Reif, Dr., Zahnarzt, Stuttgart, Königstr.
Hechel, Zahnarzt, Stuttgart, Paulinenstr. 50.
1640 Kos 1er, Zahnarzt, Ludwigsburg bei Stuttgart.
Seit er, Dr., Hugo, Privatdozent für Hygiene, Bonn. j
c) Bericlitigimg des Mitgliederverzeiclmisses.
Finkler, Professor, Bonn.
Prinz von li atibor ist nicht mehr in Wiesbaden, sondern Regierungspräsi-
dent in Aurich.
Wolmangsweclisel.
Weil, Dr., Ludwig, jetzt Paulinenstr. 19.
III. Aus den Schwestervereinen des Auslandes.
Der zweite Congrds fran^ais d'Hygldne soolaire et de Fedagogie
physiologique
(z. vergl. Heft 5/6 des letzten Jahrg.) findet am 11., 12. u. 13. Juni d. J. in
Paris statt. Die „Ligue des Medecins et des Familles pour THygii^ne
scolaire ladet die Mitglieder des Allgem. Deutsch. Vereins f. Seh. zur Teil-
nahme freundlichst ein.
Programm.
I. a) Inspection medicale des dcolcs.
b) Education speciale des medecins des ecolcK.
Kaijporteur: M. le D. H. Mery, professeur agrege, medecin des höpitaux
de Paris.
IL La tuberculose des membres de Tenseignement.
liapporteur: M. le Dr. Weill-Mantou, Secretaire gen<^ral de la „Ligue de
preservation antituberculeuse^^
Corapporteur: M. le Dr. Brocard.
III. L'education des familles en hygiene scolaire.
Rapporteur: M. Chabot, professeur a la Facultt* des lettres de Lyon.
IV. llepartition des vacances et des cong^e.
Rapporteur: MM. Engäraud, deput«^ et Bougier, professeur au coUt'j^e
Kollin.
Mitteilnngen aus Kongreasen und Veieinett. 15
V. Eevision de Thoraire du travail, du repos et de T^ducation physique dans
renseignement secondaire.
Rapporteura: MM. les D" Alb. Mathieu et Mosny.
IV. Mitteilnngen aus Kongressen und Vereinen.
— Auf der am 24. Oktober 1904 in München - Gladbach abge-
haltenen GtoneralverBammlung des Niederrheinischen Vereins f(ir
öffentliche Gesundheitspflege hielt Schularzt Dr. med. Schulte-Cöln
einen Vortrag mit dem Titel: Inwieweit bedarf die schulärztliche Ein-
richtung noch der Erweiterung? Der Vortrag ist abgedruckt im Zentral-
blatt für allgemeine Gesimdheitspflege, 24. Jahrg. 1. u. 2. Heft.
Im ersten Teil des Vortrages bespricht Beferent, inwieweit eine staatliche
Regelung der Schularztfrnge in Betracht kommt. Auf dem Lande ist eine
solche unbedingt erforderlich, während in den Städten die kommunale Ein-
richtung des Schularztsystems genügen wird. Bei einem Vergleich des Wies-
badener Systems (kommunale Regelung) mit den Prinzipien der Schulärzte
in Bulgarien (staatliche Regelung) lasseh sich folgende unterschiedliche Merk-
male aufstellen:
,4- Bulgarien hat Schulärzte für alle, auch die mittleren und höheren
Schulen.
2. Die Ärzte sind vorgebildete Spezialschulärzte bezw. -ärztinnen und mit
dieser Funktion unter dem Titel Professeurs mddecins bezw. Professeurs docto-
resses eingeordnet dem Lehrkörper, teilnehmend an dessen Beratungen und
avancierend, wie die Professoren der sogenannten Mittelschulen (Gymnasien,
Realgymnasien usw.).
3. Die Schulärzte haben Sitz und Stimme in den Kommissionen zur Aus-
wahl des Ortes der Gebäude; sie haben ihre Ratschläge zu erteilen bezuglich
Einrichtung der Schulgebäude, z. B. der Wasserversorgung, Heizung, Ventila-
tion, Schulhofanlage usw.
4. Die Schülerkontrolle wird ausgeführt:
a) durch Führung von Personalbogen, ähnlich wie bei uns;
b) durch Belehrung und Unterricht. Es stehen dem Arzt allgemeine
Prüfungen zu über Hygiene, welche zu verschärfen sind im Falle
von Epidemien. Im einzelnen erstreckt sich der sanitäre Unterricht
auf: 1. allgemeine und Schulhygiene, Anthropologie und Physiologie;
2. die Lehre von den Symptomen ansteckender Krankheiten; 3. Rat-
schläge bezüglich Reinlichkeit und guter Führung an die einzelnen
Schüler;
c) durch Abhaltung von Sprechstunden. Dieselben finden in einem
besonders eingerichteten Saale statt, welcher ausgerüstet ist mit den
nötigen Instrumenten, Medikamenten für dringende Fälle, unter an-
deren mit Dynamometer, Desinfektionsmitteln, Verbandstoifen, einem
16 Mitteilungen aus Kongtössen und Veieineli.
Apparat zur Bestimmung des Eohlensäuregehaltes der Luft, Hygro
meter, Thermometer usw.;
d) bei ansteckenden Krankheiten hat der Schularzt für Isolierung und
Desinfektion zu sorgen. Letztere kann sich erstrecken auf die Gebäude-
teile, die Schüler selbst und deren Unterrichtsmaterialien;
e) dem Schularzt liegt die Überwachung der Entwicklimg der Schul-
jugend in physischer, intellektueller und moralischer Beziehung ob.
Der Schularzt nimmt teil an den gemeinsamen Ausflügen und wohnt
den Kommissionen zur Ausarbeitung der Schulprogramme bei. Er
gibt seine Ratschläge bezüglich Schülerbestrafungen;
f) der Schularzt behandelt die armen Schüler in der Schulsprechstunde
ohne Entgelt, ebenso in deren Hause, wo dies erforderlich. Nahrung
und Medikamente werden durch die Schulkasse (caisse scolaire) zur
Verfügung gestellt.
Der Schularzt hat die Impfung nicht geimpfter Schüler vor-
zunehmen.
5. Dort, wo mehrere Schulärzte sich befinden, müssen dieselben einmal
im Monat zu einer Besprechung zusammentreten unter Beteiligung der Stadt-,
Kreis- oder Bezirksärzte. Die Beschlüsse dieser Versammlungen werden an die
Direktoren unter der Bezeichnung: »Desiderata« eingereicht. Die Brechte
und Pflichten dieser Beratungen werden durch eine spezielle Instruktion ge-
regelt."
Im weiteren Teil des Vortrages geht Redner auf die Frage ein: „Wer
wird Schularzt?" Er fordert die Schaffung einer spezial-schulärztlichen
Stellung, deren Ausbildung durch entsprechende Kurse in der Schulhygiene
während des Universitätsstudiums oder auf dem Wege ärztlicher Fortbildung
oder auf beide Arten erfolgen könnte. In größeren Städten müfite ein Spezial-
hygieniker an der Spitze der Schulärzte stehen, der sein Amt nicht als Neben-
amt bekleidet, sondern das Grebiet der Schulhygiene beherrscht, in direktem
Verkehr mit der leitenden Behörde steht, Sitz und Stimme in den Schuldepu-
tationen hat, und dem daneben die Aus- und Fortbildung neuer Schulärzte zu-
fallen würde. Betreffs der Zahl der aufzustellenden Schulärzte muß man
fordern, daß auf einen praktizierenden Schularzt nicht mehr als 1600 Kinder
entfallen.
Noch heute gilt bei den meisten Schulhygienikem der Grundsatz, daß
dem Schularzt keine Form der Behandlung zusteht. Da aber nachweislich die
armen und verwahrlosten Kinder infolge ihrer Wohnungs- und Familienver-
hältnisse die größten „Infektionsträger^^ darstellen, so fordert Redner, „daß dem
Schularzt die Möglichkeit geschaffen wird, für arme Kinder überall da behan-
delnd tätig zu sein, wo auf anderem Wege eine Behandlung nicht durchzu-
setzen ist". Für etwa erforderliche Verordnungen müßten die Mittel auf irgend
einem Wege unentgeltlich bereit gestellt werden. Eine hieraus sich entwickelnde
Forderung wäre die Anstellung besonderer Spezialisten, vor allem von Schul-
augenärzten, die überall da, wo es nötige Verordnungen treffen können. In
jedem Schulhaus müßte ein Raum zu einem Sprech- und Untersuchungs-
zimmer hergerichtet werden.
— Der Deutsche Verein abstinenter Lehrerinnen hat folgendes An-
schreiben an die Magistrate von 300 deutschen Städten geschickt:
Mitteilungen ans Kongressen und Vereinen. l7
An den Wohllöblichen Magistrat
Der unterzeichnete Vorstand des Deutschen Vereins abstinenter Lehre-
rinnen erlaubt sich, dem WohllObL Magistrat nachfolgende Vorstellung und Bitte
zu unterbreiten.
Angesichts der großen Gefahr, die der Alkoholismus mit seinen er-
schreckenden Folgen unserm deutschen Volke bringt, hat es der ^^Deutsche
Verein abstinenter Lehrerinnen'* versucht, ein Mittel zu seiner Bekämpfung in
der Abfassung seines Alkoholmerkblattes vorzubereiten.
Die Erlasse des Preußischen Kultusministers vom 31. Januar 1902 und
1903 an die Kgl. Prov. SchulkoUegien weisen nachdrücklich auf eine Aufkl&xung
der heranwachsenden Jugend über die Folgen des Alkoholismus hin.
Nun sind an manchen Orten, besonders im Auslande, vor allem in Öster-
reich, Holland und in der Schweiz^ zuletzt auch in Deutschland, namentlich
in folgenden St&dten: Bonn, Braunschweig, Gera, Köln, Münster i. W., Nord-
hausen, Posen, Schöneberg, Ulm Statistiken über den Alkoholgenuß der Kinder
in einzelnen Schulen und Schulbezirken aufgenommen worden, von denen wir
nur einige im folgenden erwähnen.
Gera: 515 Knaben, 554 Mädchen, aus 2 oberen, 2 mittleren, 2 unteren
Klassen. Von diesen hatten nur 4 Knaben und 8 Mädchen überhaupt noch
keinen Alkohol getrunken. Schnaps hatten 250 Knaben, 270 Mädchen; Wein
236 Knaben und 267 Mädchen; Bier tranken täglich 109 Knaben, 130 Mädchen.
— Die KörperkonstitutioD war bei 65 Knaben, 87 Mädchen gut, bei 325 Knaben,
406 Mädchen mittel, bei 127 Knaben, 61 Mädchen schlecht.
Nordhausen: Dort hatten in der 7. Klasse (siebenjährige Kinder) einer
Volksschule von 49 Kindern 38 schon Wein, 40 schon Schnaps und alle schon,
zum Teil regelmäßig, Bier getrunken. In einer 4. Klasse hatten von 28 Mädchen
27 schon Wein, 24 schon Schnaps und alle schon Bier getrunken.
Schöneberg: In einer Knabenschule tranken 66,2%, in einer Mädchen-
schule 48,7 7<, regelmäßig Bier, 30% der Knaben gegen 32,2 7^ der Mädchen
tranken zeitweise sonstige Spirituosen.
Kein besseres Resultat wurde auch an höheren Schulen festgestellt. Wir
geben kurz die Zahlen an, die Dr. Keesebiter in einer Realschule im Osten
Berlins ermittelt hat (veröffentlicht in: Gesunde Jugend 1904). Danach tranken
durchschnittlich mittags 43 y^ der Schüler regelmäßig Bier, abends 64%. Die
krassesten Fälle sind folgende: abends erhielten 84 7o d^' Sextaner, mittags
64«/^ der Quintaner Bier. Diese Schüler sind durchschnittlich 10—11 Jahre alt.
Um nun auch ein Bild zu geben, wie der mehr oder weniger regelmäßige
Alkoholgenuß die Leistungen der Kinder beeinflußt, erlauben wir uns folgende
Statistik zu geben, die Schuldirektor Br. Bayer in einer Wiener Volksschule
mit 691 Knaben und Mädchen feststellte:
Es hatten von den Schülern die Zensur
gut
die nie alkoholische Getränke genossen . . 41,8 7o
die nur gelegentlich tranken ^^^l %
die täglich einmal Bier usw. bekamen . . 27,8 7o
die täglich zweimal Bier usw. bekamen. . 24,9%
die täglich dreimal Bier usw. bekamen . . —
G«8Uiide Jagead. Y. 1/2.
genügend
ungenügend
49,2 7.
9 %
66,6»/,
9,5%
58,4«/.
13,7"/«
67,7%
18,3"/,
33,37,
66,6%
18 Mitteilungen aus Kongressen und Vereinen.
Nicht minder unheilbringend sind die Wirkungen des Alkohols auf den
jugendlichen Organismus, besonders auf das Nervensystem.
So wächst durch den regelmäßigen Alkoholgenuß während der Schulzeit
ein alkoholisiertes Geschlecht heran, dem in der gefährlichen Übergangszeit
vom 14. — 18. Jahre die physische und moralische Widerstandskraft fehlt, und
das oftmals in der späteren Lebenszeit seinem körperlichen und sittlichen Unter-
gänge entgegengeht.
An dieser Tatsache wird nichts geändert werden, solange die Mütter,
welche das heranwachsende Geschlecht in körperlicher, sittlicher und hygieni-
scher Beziehung überwachen, von der Gefährlichkeit dieses Giftes nicht unter-
richtet sind.
Darum möchten wir in die Hand jeder Mutter ein Alkohol merkblatt
gelegt wissen.
Wir sprechen daher die ergebene Bitte aus:
Ein wohllöblicher Magistrat wolle bei allen Neu-
einschulungen in höhere, mittlere und Volksschulen zu
Ostern, bezw. Michaeli den Müttern ein Alkoholmerk-
blatt für das Haus mitgeben.
Wif erlauben uns beizulegen
das von dem Deutschen Verein abstinenter Lehrerinnen entworfene Alkohol -
merkblatt,
eine Broschüre: „Sollen Kinder geistige Getränke als Gonußmittel erhalten?**,
ein Gutachten von 65 Baseler Ärzten, die sich gegen den Alkoholgenuß in
den Kindheitsjahren aussprechen.
Alle Bestellungen auf das Alkoholmerkblatt bitten wir zu richten an
E. Höhn, Berlin N. ö4, Lothringers tr. 112.
I. A.: G. Streichhau.
Pankow, Wollankstraße IG 1.
1. Vorsitzende.
Ein Mahnwort an die Mütter!
Alkoholmerkblatt.
1. Alkohol ist in geistigen Getränken ^Bier — Weiß- und Braunbier
— Wein, Branntwein usw.) enthalten.
2. Der Alkohol ist ein Z eil gif t.
3. Er schädigt leicht alle Organe und verui'sacht daher viele Krankheiten:
Leber-, Nieren-, Lungen- und Herzkrankheiten, Gicht, Katarrhe und Geistes-
krankheiten. Er raubt dem Körper meistens seine Widerstandsfähigkeit
gegen ansteckende Krankheiten, z. B. Tuberkulose.
4. Alle Gelehrte sind sich darin einig, daß für die heranwachsende Jugend
der Alkoholgenuß stets und in jeder Menge schädlich ist.
5. Durch Alkoholgenuß leiden die Kinder in ihrem Wachstum; ihr Appetit
wird von der ihnen zuträglichen Nahrung — Milch, Fleisch, Gemüse, Obst,
süße Speisen «^ abgelenkt. Kinder, die Alkohol trinken, verschmähen er-
fahrungsgemäß die Milch.
6. Der Alkohol hat keinen Nährwert» Er stärkt und wärmt deshalb
auch nicht. Im Gegenteil, er orschlafi't die Muskeltätigkeit und setzt die
Scliülärzttichefl. 19
Arbeitskraft herab, dem ersten tauschenden Gefühl der Wärme folgt oald
eine Verringerung der Körperwarme.
7. In erster Linie vermindert der Alkohol die Nervenarbeit. Er macht
denkfaul und dumm. Die Kinder, die Alkohol genießen, lernen schwerer
und langsamer.
8. Der Alkohol beeinflußt auch das Gemüt und den Willen. Die Kinder
werden durch Alkoholgenuß reizbar, 8treit;iüchtig, leichtsinnig und nach-
lässig. Sie verlieren die Herrschaft über sich selbst. Auch ihre Sittlich-
keit erleidet Gefahr.
U. Kinder, die von Jugend auf an Alkoholgenuß gewöhnt worden sind, ver-
fallen oft der Trunksucht, die wiederholt zu Verbrechen führt.
10. Der Genuß von Alkohol macht den einzelnen und das ganze Volk arm.
11. Prof. Dr. Kraepelin- München sagt: Am verheerendsten aber verwüstet der
Alkohol das Nervensystem des Kindes. Wissen wir doch heute, daß es
kein sichereres Mittel gibt, Idioten zu erzengen, als die dauernde Dar-
reichung des Alkohols. Tausende von Müttern vergiften in regel-
rechter Weise ihre Lieblinge durch ein Mittel, welches sie verdummt,
schlaff und energielos und nach Umständen zu körperlichen und geistigen
Krüppeln macht.
12. Darum, ihr Frauen und Mütter^ schützt eure Kinder vor dem Alkohol-
gift! Wendet das Geld für eine dem Kindesalter angemessene Nahrung
an! Dann werdet ihr ein nüchternes und sittliches Geschlecht heranziehen,
das ihr beruhigt in das Leben entlassen könnt.
Y. Schulärztliches.
a) SclLulärztliclie Nachrichten.
— Der Meoklenbnrgisohe Lajidtag hat einen Antrag bebreffend An-
stellung von Schulärzten abgelehnt.
— - HannoTer. Neben dem seit 1902 an den Hilfsschulen für schwach-
befähigte Schulkinder angestellten Nervenarzte sind seit Beginn des Schul-
jahres 1905/6 noch 11 Schulärzte und 1 Schulärztin an den hiesigen Volks-
schulen tätig. Die Vergütung für die Schulärzte, deren Tätigkeit sich in erster
Linie auf die sogenannten Lemanfänger erstrecken soll, beträgt jährlich
500 Mark.
— In Wiesbaden haben auf Anregung der Zahnärzte die Schulärzte die
Errichtung einer Zahnklinik für Schulkinder bei Magistrat und Stadtverordneten
beantragt.
b) Schulärztliche Dienstordnungen und Berichte.
— XHenstordnung für die Schulftrate der KönigUohen Haupt- und
Besidensustadt Hannover. § 1. Die Schulärzte haben in den ihnen über-
wiesenen Scjiulen den Gesundheitszustand der Schüler zu überwachen. Sie
sollei^ ferner der Schulverwaltung und den Lehrpersonen in Fragen der Schul-
gesundheitspflege ^Auskunft erteilen.
20 SchulärztlicheB.
Insbesondere liegt den Schulärzten folgendes ob:
§ 2. Die Schulärzte haben in der ersten Woche des Schuljahres festzu-
stellen, ob unter den Lemanfängem sich solche befinden, die wegen mangel-
hafter körperlicher oder geistiger Entwicklung oder wegen Krankheiten und
Gebrechen noch ein Jahr vom Schulbesuch befreit werden müssen. Über jedes
zurückgestellte Kind hat der Schularzt dem Eektor einen Zurückstellungsschein
einzuhändigen, der die Gründe der Zurückstellung enthält. Die Mitteilung an
die Kltam geschieht durch den Rektor.
§ 3. Die gründliche Untersuchung der Lernanfänger hat innerhalb sechs
Wochen nach Beginn des Schuljahres zu erfolgen. Die Untersuchung geschieht
in der Weise, daß jedesmal in der letzten Unterrichtsstunde zwei Drittel der
Kinder einer Klasde nach Hanse entlassen w^erden, und ein Drittel in Gegen-
wart des Lehrers — bei Mädchen in Gegenwart einer Lehrerin — untersucht
wird. Durch die Untersuchung soll festgestellt werden:
1. der Gesundheitszustand eines jeden Schülers,
2. ob das Kind einer dauernden ärztlichen Überwachung bedarf,
3. ob ihm besondere Berücksichtigung beim Unterrichte (z. B. Anweisung
eines besonderen Platzes wegen Gesichts- und Gehörfehler, Befreiung
von einzelnen UnterrichtsiUchem, wie Schreiben, Zeichnen, Handarbeit,
Turnen und Singen oder Beschränkung in der Teilnahme am Unter-
richte) zuteil werden muß.
Kinder mit auffallenden körperlichen Gebrechen sind nicht in Gegenwart
von anderen Kinder zu untersuchen.
Den Eltern ist durch die Rektoren die Zeit der Untersuchung früh genug
bekannt zu machen und mitzuteilen, daß sie dabei anwesend sein dürfen. Sie
sind auch aufzufordern, daß sie, wenn bie die Untersuchung durch den Schul-
arzt nicht wünschen, den erforderlichen ärztlichen Nachweis durch einen ärzt-
lichen approbierten Arzt nach dem vorgeschriebenen Formular, welches von
den Schulärzten unentgeltlich verabfolgt wird, erbringen.
Die Untersuchungen werden im 3., 5. und 8. Schu^ahr wiederholt. Den
im letzten Schuljahre stehenden Kindern ist aui' ihren Wunsch ärztlicher Rat
in bezug auf die Wahl ihi'es Berufes zu erteilen.
Jedem Lernanfanger wird ein „Fragebogen an die Eltern'* mit nach
Hause gegeben.
§ 4. Über jeden Lernanfanger wird ein Gesundheitsschein vom Schul-
arzt angelegt und während der Schulzeit weitergeführt. Bei Umschulungen
werden die Gesundheitsseheine vom Rektor in geschlossenen Umschlägen an
den Rektor der künftigen Schule des Kindes geschickt. Die Gesundheitsscheine
sämtlicher Schüler einer Klasse werden in einer besonderen Mappe im Klassen-
schranke auibewahrt.
§ 6. Die zu Anfang eines jeden Halbjahrs vorzunehmenden Körper-
wägungen und -messuugen werden vom Schulvogt unter Aufsicht des Klassen-
lehrers ausgeführt; die Ergebnisse sind auf 1 cm und y^ kg abzurunden. Der
Klassenlehrer fuhrt die in der besonderen Mappe aufzubewahrande Wägungs-
und Messungstabelle und trägt die Ergebnisse in die Gesundheitsscheine
ein. Die Messung des Brustumfanges geschieht nur bei Kindern, die
einer Lungenerkrankung verdächtig sind, und wird stets durch den Schularzt
vorgenommen.
Schulärztliches. 21
§ 6. Über jedes Kind, das dauernd der tirztlichen Üherwachnng unter-
stellt wird, ist während der ganzen Schulzeit ein t^erwachungsschein
zu fi'ihren. Sämtliche ÜberwachungsBcheine befinden sich in den Händen des
Schularztes, während der Klassenlehrer ein vom Schularzt aufgestelltes Ver-
zeichnis der in seiner Klasse vorhandenen Überwachungsschüler besitzt, um
darnach die Überwachungsschüler dem Schularzte in seinen dienstlichen
Sprechstunden vorzustellen.
Wird ein Kind aus der ärztlichen tlTberwachung entlassen, so ist dicR in
der Liste der tTberwachungsschüler vom Schularzt zu vermerken und der Über-
wachungsschein dem Klassenlehrer zur Aufbewahrung einzuhändigen.
Der Rektor hat dem Schularzt am Ende eines jeden Monats die Namen
der abgegangenen tTberwachungsschüler mitzuteilen.
§ 7. Der Schularzt hat alle zwei Monate in jeder ihm überwiesenen
Schule an einem mit dem Rektor verabredeten Tage während der Unterrichts-
zeit eine Sprechstunde abzuhalten, soweit es angängig ist, in Gegenwart des
Rektors, falls Mädcheii in Frage kommen, in Anwesenheit einer Lehrerin.
Der erste Teil der Sprechstunde dient zu einem Besuche mehrerer Klassen
während des Unterrichts und zwar in Begleitung des Rektors. Der Unterricht
wird während des Besuches unterbrochen. Jede Klasse soll einmal in jedem
Halbjahr besucht werden. Bei diesen Besuchen ist auf den allgemeinen Ge-
sundheitszustand der Klasse zu achten, besondere Beobachtungen des Klassen-
lehrers sind zu besprechen und solche Schüler auszuwählen, die einer genaueren
Untersuchung bedürftig erscheinen und vielleicht in die Liste der Über-
wachungsschüler aufzunehmen sind.
In dem zweiten Teile der Sprechstunde sind dem Schularzte die Über-
wachungsschüler, die in den besuchten Klassen zu genauerer Untersuchung
ausgewählten Kinder und in dringlichen Fällen auch kranke Kinder aus an-
dern, an dem Tage nicht besuchten Klassen vorzustellen.
Die ärztliche Behandlung erkrankter Schulkinder ist, abgesehen von der
ersten Hilfeleistung in Notföllen, nicht Sache des Schularztes. Wird die ärzt-
liche Behandlung eines Kindes für notwendig oder wünschenswert gehalten, so
sind die Eltern durch den Rektor mittels eines vorgedmckten Formulars, das
vom Schularzt und Rektor zu unterschreiben ist, zu benachrichtigen. Die
Wahl des Arztes bleibt den Eltern überlassen. Erforderlichenfalls ist die Be-
handlung durch einen Spezialarzt anzuraten.
§ 8. In der Sprechstunde hat der Schularzt auf Antrag des Rektors zu
begutachten:
1. ob eine nachgesuchte Befreiung von einzelnen Unterrichtsfächern vom
ärztlichen Standpunkte zu empfehlen ist,
2. ob ein Kind wegen Schwächlichkeit oder aus andern gesundheitlichen
Gründen von der Benutzung des Schulbesuches auszuschließen ist,
3. ob für ein Kind wegen Schwachsinns die Aufnahme in eine Hilfsschule
oder wegen Stottems die Zulassung zu einem Sprachheilkurse in Aus-
sicht zu nehmen ist, oder ob ein schwächliches Kind dem Verein für
Ferienkolonien zur Berücksichtigung empfohlen werden soll,
4. ob ein Kind wegen Ungeziefer und ansteckender Hautkrankheiten zeit-
weise vom Unterrichte auszuschließen ist, oder wegen Fallsucht
dauernd,
22 Scbnlärztliches.
5. ob eine vorzeitige Entlassung eines Kindes ans Gesundheitsrücksichten
geboten erscheint.
§ 9. Die ministeriellen Anordnungen über die Yerhütnng der Aus-
breitung ansteckender Krankheiten werden selbstverständlich durch diese
Dienstordnung nicht berührt. Es darf jedoch erwartet werden, daß der Schul-
arzt die Schul- und Medizinalbehörden bei der Ausführung dieser Anordnungen
in zweckdienlicher Weise unterstützt.
§ 10. Der Magistrat bestellt für die Dauer von drei Jahren einen Obmann
der Schulärzte, der sie vierteljährlich mindestens einmal zu einer Konferenz
zusammenberufb und dort den Vorsitz führt. Die Konferenz ist beschlußfähig,
wenn zwei Drittel der Schulärzte anwesend sind; sie faßt ihre Beschlüsse mit
einfacher Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als ab-
gelehnt.
§ 11. Ein Becht unmittelbarer Anordnung oder Anweisung an Rektoren,
Lehrer, Lehrerinnen oder Schul vögte steht dem Schularzt nicht zu. Er hat
vielmehr, sofern er Mißstände wahrnimmt, die nicht ohne weiteres vom Rektor
abgestellt werden können, oder wenn er sonst in Beziehung auf die Behand-
lung der Kinder Maßnahmen für erforderlich erachtet, diese in der schulärzt-
lichen Konferenz zur Sprache zu bringen.
Auf Beschluß der Konferenz hat der Obmann hierüber schriftlichen Bericht
an den Magistrat zu erstatten. In dringlichen Fällen ist es dem Schularzt
gestattet, sich durch den Rektor an die Stadtschulinspektion zu wenden. Er
hat jedoch gleichzeitig dem Obmann eine entsprechende Mitteilung zu machen.
§ 12. Der Schularzt hat für jede ihm überwiesene Schule folgende
Listen, Formulare usw. zu führen und aufzubewahren:
1. Ein Tagebuch, in das sämtliche Ein- und Ausgänge unter fortlaufender
Numerierung einzutragen sind.
2. Ein Revisionsbuch, in welches kurze Niederschriften über die bei den
Schulbesuchen gemachten Beobachtungen einzutragen sind.
3. Zurückstellungsscheine.
4. Gesundheitsscheine.
5. Fragebogen an die Eltern
6. Überwachungsscheine.
7. Überwachungslisten.
8. Mitteilungen an die Eltern.
9. Wägungs- und Messungstabellen.
Diese und sonstige amtlichen Niederschriffcen sind Eigentum der Stadt
und müssen bei etwaiger Amtsniederlegung des Schularztes zurückgegeben
werden.
§ VS, Der Schularzt darf die in dieser Eigenschaft gemachten Beobach-
tungen nur mit Genehmigung des Magistrats veröffentlichen.
§ 14. Der Schularzt hat alljährlich bis zum 16. Mai über seine Tätig-
keit im vergangenen Schuljahr einen Bericht an den Obmann einzureichen,
dieser versieht die Einzelberichte mit einem übersichtlichen kurzen Gesamt-
bericht und reicht sie bis Ende Mai der Stadtschulinspektion ein, die sie an
den Magistrat weitergabt. Die Einzelberichte sollen enthalten:
1. Die tabellarisch zusammengestellten Ergebnisse der Aufhahmeunter-
suchungen.
Schulärztliches. ^3
2. Zahl der abgehaltenen Sprechstunden bezw. ärztlichen Besuche der
Klassen.
3. Anzahl und Art der Erkrankungsf&lle , die in den Sprechstunden zur
Untersuchung gekommen sind.
4. Anzahl der an die Eltern gesandten schriftlichen Mitteilungen.
6. Anzahl der Überwachungsschuler.
§ 16. Verla Bt ein Schularzt außerhalb der Schulferien auf länger als
eine Woche die Stadt, oder ist er durch Krankheit oder andere zwingende
Gründe an der Wahrnehmung seiner Obliegenheiten verhindert, so hat er den
Obmann und die Rektoren der ihm überwiesenen Schulen rechtzeitig hiervon
zu benachrichtigen und fax kostenlose Vertretung zu sorgen.
Hannover, den 18. April 1905.
Der Magistrat der Königlichen Haupt- und Residenzstadt.
Eist.
— Die Besultate der Bchulärztlichen Tätigkeit an den Bürger-
Bchulen in Weimar, sowie die Brfol^re des In Weimar an den Bürger-
schulen eingefOhrten orthopädischen Turnunterrichts und des beson-
dem Bprechunterriohts ah stotternde, stammelnde und lispelnde
Kinder für das Schuljahr Ostern 1908/1904. L Für die seit mehreren
Jahren, insbesondere durch den Verein für Schulgesundheitspflege im Deutschen
Reiche und dessen Versammlungen und die von demselben herausgegebene
Zeitschrift in das Leben gerufenen und energisch betriebenen Bestrebungen, alle
Gesundheitsschädlichkeiten, die mit dem Schulbesuch der Kinder zusammen-
hängen und bzw. durch letztere hervorgerufen werden, zu beseitigen und die
Kinder vor Schädigungen ihrer Gesundheit durch die Schule möglichst zu be-
wahren, dürfte es von Interesse und Bedeutung sein, die Berichte der Schul-
ärzte an den Bürgerschulen in Weimar über ihre Beobachtungen an den Kin-
dern und ihre Wirksamkeit kennen zu lernen. Ich lasse daher zunächst den
Bericht der beiden Schulärzte, welcher auch einen genauen Einblick in die
Gesundheitsverhältnisse unserer Jugend bei ihrer ersten Aufnahme in die
Schule gewährt, selbst folgen, welcher also lautet:
Bericht der Schulärzte in Weimar,
umfassend den Zeitraum des Schuljahres 1908/04.
1. Tabellarische ziffernmäßige Zusammenstellung der Resultate
bei den Aufnahmeuntersuchungen.
Aufgenommen wurden 281 Mädchen und 234 Knaben, davon waren guter
Konstitution 144 Mädchen und 116 Knaben, mittlerer Konstitution 132 Mäd-
cheh und 115 Knaben, schwächlicher Konstitution 5 Mädchen und 3 Knaben.
Zurückgestellt wurden auf 1 Jahr 10 Mädchen, davon 3 vor der Auf-
nahme; von diesen eine zum zweitenmal wegen hochgradigen Veitstanzes,
die beiden andern wegen Rachitis. Von den übrigen wurde eine zum zweiten-
mal wegen Schwachsinns, von den 6 anderen 4 wegen Bachitis, eine wegen
allgemeiner Körperschwäche und eine wegen mangelhafter geistiger Entwick-
lung zurückgestellt.
Von den Knaben wurden 5 auf 1 Jahr zurückgestellt, davon 3 wegen
mangelhafter körperlicher und geistiger Entwicklung, einer wegen Knochen-
tuberkulose und einer wegen Rachiti«, Schwerhörigkeit und mangelhafter gci-
24 Schulärztliches.
stiger und körperlicher Entwickluiig. Bei den Untersuchungen der übrigen
Inzipienten zeigten sich folgende Mängel:
Mädchen Knaben
DrüBcnan Schwellungen leichten Grades l'^i* Vo ^^^^Vo
Kurzsichtigkeit 13,6 „ 8,0 „
flache Brust 4,6 „ 6,0 „
Rachitis (rachitische Brust etc.) 5,3 „ 5,5 „
Lidrandentzüudung 2,8 „ 1,3 „
Augenbindehautkatarrh ^,7 „ 0,8 „
hypertrophische Mandeln und adenoide Wucherungen . 6,7 „ 8,1 „
chronischer Schnupfen 3,6 „ 6,1 „
verengter Nasenrachenraum i Kind 3,0 „
Schielen 1,0 7^ 0,8 „
Sattelnase 1 Kind — „
Ohrkatarrhe und Schwerhörigkeit 13 7o 2,1 „
Hängebauch 1 Kind — „
Rückgratsyerkrfimmungen 4,6 7© 1 J „
Gesichtsgrind * 1 Kind 0,8 „
Leistenbruch 1 „ 1 Kind
Hornhauttrübungen 0,7 ° '„ 1 „
Herpes labialis 1 Kind 2,6 7^
Warze auf der Zungenspitze 1 „ —
hochgradig blutarm 1 „ 1,3 7o
hochgradig nervös 1 „ —
geistig schwerfällig — 2,1 7©
stark schuppende Haut — 1 Kind
Stottern — 0,8 7o
Ekzem — 1 Kind
schlechte Aussprache und schwerfällige Sprache .... 1 Kind 2,6 7o
1 Auge blind — 1 Kind
heisere Sprache — 0,8 7o
asymmetrischer Schädel — 1 Kind
abnorm großer Schädel — 2 Kinder
Homhautgeschwüre — 1 Kind
Herzfehler — 1 „
An die Eltern wurden Mitteilungen gesandt mit dem Anraten,
ihre Kinder in ärztliche Behandlung zu geben bei den neuauf-
genommenen und zwar 20 Mädchen und 16 Knaben
Mädchen Knaben
wegen Lidrandentzündung 7 2
wegen hypertrophischer Mandeln und adenoider Wucherungen 5 6
wegen Mittelohrkatarrhs 2 2
wegen Bindehautkatarrhs und Hornhauterkrankungen ... 2 2
wegen Blutarmut 1 2
wegen Rachitis 1 —
wegen schlechter Ernährung 1 —
wegen einer Warze auf der Zungenspitze 1 —
wegen Drüsenanschwellung und chronischen Schnupfens . . — 1
Schulärztliches. 25
2. Zahl der abgehaltenen Sprechstunden bezw. ärztlichen Besuche
der Klasaen:
Sprechstunden: 29.
Ärztliche Besuche: 33.
3. Anzahl und Art der wichtigeren Erkrankungsfälle, die zur
Untersuchung in den Sprechstunden gekommen sind:
Bei den Mädchen:
nervöse Kopfschmerzen mit Blutarmut verbunden. . . 6
Kopfschmerzen mit Übelkeit 6
Kopfschmerzen 18
Bindehautkatarrhe 9
Lidrandentzündungen 2
Tränenträufeln und Flimmern vor den Augen .... 5
Skoliose . 1
Kropfanlage 6
häufiges Nasenbluten 6
chronische Heiserkeit 3
chronischer Schnupfen 3
hypertrophische Mandeln 2
Krätze 1
Läuse (Kopf) 8
Kopfgrind 1
Homhautgeschwüre 2
Herzfehler 5
Krämpfe, leichte 1
Krämpfe, schwere 1
Schwerhörigkeit 7
Mittelohrkatarrhe 6
Magenkatarrhe 2
Rachenkatarrhe 1
nervöses Herzklopfen 4
zu starke Menstruation 4
chronischer Rheumatismus 2
chronische Blinddarmentzündung 1
Nervositöt 1
Kurzsichtigkeit 8
Bronchialkatarrhe 4
Übersichtig 1
Geienksteifigkeit 1
Blutarmut 14
Bei den Knaben:
eitrige Mittelohrkatarrhe 13
Schielen 6
blind auf einem Auge 8
geistig schwach 3
undeutliche Sprache 2
Stottern 5
Kurzsichtig 27
26 Schul&Eztliches.
Veitstanz (leichte Form) 3
Kopfweh 3
Herzschwäche 1
Unterleibsent Zündung '. 1
Augenzwinkern 2
Bindehautentzündung 10
Blutarmut 2
Schwerhörig *. 6
eingesunkene Brust 1
Nasenpolyp 8
Hühnerbrust 1
häufiges Nasenbluten 5
Leberleidend 1
geschwollene Mandeln 4
adenoide Wucherungen 2
Epilepsie 6
Leistenbruch 6
Krämpfe 1
Übersichtig 1
skrofulöse Lidrandentzündung 4
Herzhypertrophie 1
Ecthyma-Pusteln 1
X-Beine 1
Homhautgeschwüre 3
chronischer Schnupfen 2
geschwollene Drüsen 1
Hautausschlag 1
Skoliose 1
Herzfehler 2
Geschwüre im Ohr 1
Schuppenflechte 1
Ekzem 1
Knochentuberkulose 2
Schiefwuchs 3
4. Etwa erfolgte besondere ärztliche Anordnungen
Bei den Mädchen:
Dauernd wurden vom gesamten Schulunterricht und im Interesse der
anderen Schulkinder 3 Mädchen ausgeschlossen, das eine wegen einer eiternden
übelriechenden Fistel einer tuberkulösen Hüftgelenkentzündung. Die Woh-
nung dieses Mädchens wurde im August 1903 daraufhin revidiert, ob in der-
selben ein Privatunterricht möglich sei. Die Revision ergab die Unmöglich-
keit eines häuslichen Unterrichts. Da das Kind zu schwach war, wurde bis
auf weiteres vom Sonderunterricht abgesehen. Das zweite Mädchen wurde
wegen einer Lungentuberkulose von der Schule entfernt. Auch die Wohnung
dieses Kindes erwies sich zur Unterrichtserteilung als unbrauchbar, das Kind
selbst aber als kräftig genug zur mäßigen Unterrichtsaufnahme.
Das dritte Mädchen mußte wegen häufiger schwerer hystero-epileptischer
Krämpfe mit intermittierenden Lähmungen von der Schule ausgeschlossen
Hchnlftrztiiches. 27
werden. Bis heute ist ein Unterrichten dieses Mädchens noch nicht empfeh-
lenswert.
4 Mädchen mit Kopfläusen mußten, da die Mütter die Entfernung des
Ungeziefers trotz wiederholten Mahnens nicht vollständig fertig hrachten, zur
Reinigung ihrer Köpfe dem Krankenhaus überwiesen werden.
2 Mädchen, des Schulschwänzens verdächtig , wurden auf Wunsch der
Schulleitung vom Schularzte in ihrer Wohnung aufgesucht, um die angebliche
Krankheit derselben festzustellen.
Wenn den Kindern auch nicht direkt Simulation nachgewiesen war, hatte
der Besuch doch zur Folge, daß die Mädchen schnellstens wieder zur Schule
kamen.
Im Oktober 1903 war ein Mädchen in der Karl August- Schule auf dem
Abort ausgeglitten und hatte sich eine Fnßverletzung zugezogen, die es hin-
derte, den Heimweg anzutreten. Der in die Schule gerufene Schularzt stellte
eine Fußverstauchung fest und ordnete die Überführung des Kindes in die
elterliche Wohnung an.
Es machten sich im Laufe des Jahres mehrere Dispensationen notwendig.
Vom gesamten Schulunterricht wurden auf längere Zeit 6 Mädchen dispen-
siert, das eine wegen zu starker Menstruation und Blutarmut, das andere
wegen Nervosität und Blutarmut, das dritte wegen hochgradiger Blutarmut,
das vierte wegen Schwindelanfdilen und Appetitlosigkeit und das fünfte wegen
unregelmäßiger zu starker Menstruation und eitriger Ohxkatarrhe.
Von einzelnen Fächern, wie Turnen, Handarbeit, Singen, Zeichnen, Nach-
mittagsunterricht und häuslichen Schularbeiten, wurden eine größere Anzahl
zeitweise dispensiert aus folgenden Ursachen: häufige Kopfschmerzen, Blut-
armut, Nervosität, Kropf anläge, Herzfehler^ nervöses Herzklopfen, zu starke
Menstruation, Übelkeit und Erbrechen nach dem Turnen und Blinddarment-
zündung.
Bei den Knaben:
Ein Epileptiker wurde unter besondere Aufsicht des Schularztes gestellt
nach Beschluß des Schul Vorstandes und bekam vom Oktober 1908 bis Ostern
1904 Sonderunterricht in die Schule. Da der Knabe stotterte, bekam er auch
Unterricht bei Herrn KnÖfler. Der Erfolg dieser Maßregel war sowohl in bezug
auf die Epilepsie, als auch auf das Stottern ganz vorzüglich, und da infolge
davon vom 8. September 1903 bis Ende April 1904 kein Krampfanfall mehr
vorkam, auch das Stottern ganz gering war, wurde er wieder zum allgemeinen
Unterricht zugelassen.
1 Knabe wurde wegen fortwährender Versäumnis der Schule in der
Wohnung besucht und, da er entgegen der Angabe nicht krank war, zur
Schule geholt.
1 Knabe wurde wegen langdauemder Epilepsie in der Wohnung kontrol-
liert und dabei festgestellt, daß er geistig völlig unterrichtsunfahig war.
1 anderer Knabe, der sehr lang^ in der Schule fehlte, wurde in seiner
Wohnung untersucht und es wurde festgestellt, daß er an Knochentuberkulose
verschiedener Extremitätengelenke mit starker, übelriechender, profuser Eiter-
absonderung litt, welche ihn dauernd unfähig macht, die Schule zu besuchen.
Auch der häusliche Unterricht ist aus diesen Gründen und wegen eventueller
Ansteckungsgefahr für den Lehrer nicht geboten.
28 Scbulärztliches.
5. Anzahl der an die Eltern gesandten schriftlichen Mitteilungen:
Bei den Mädchen: 56, bei den Knaben: 27, ausschließlich der bereits
oben erwähnten Mitteilungen an die Eltern über die Inzipienten.
6. Anzahl der unter „ärztlicher Eontrolle" stehenden Schulkinder:
Bei den Mädchen: 3, bei den Knaben: 4.
Zum Schlüsse möchten wir die Erfüllung des öfters geäußerten Wunsches,
den ärmeren Kindern der 11. Bürgerschule, die vielfach ohne Frühstück in die
Schule kommen und mit nüchternem Magen den ganzen Vormittag darin zu-
bringen, unentgeltlich in der Schulpause ein Glas Milch verabfolgen zu lassen,
dem hochwohllöbl. Schulvorstand auch unsererseits als durchaus zweckmäßig
und gewinnbringend empfehlen.
gez. Dr. E. Münzel. gez. Dr. Kreiß.
Dieser Bericht ergibt im allgemeinen einen zufriedenstellenden Gesund-
heitszustand der in die Bürgerschulen mit dem schulpflichtigen Alter aufzu-
nehmenden Kinder und wird aber auch allen denen, die den Nutzen der An-
stellung von Schulärzten etwa heute noch bezweifeln sollten, diese Zweifel
nehmen; welcher Nutzen liegt schon darin, daß die Eltern, die oft von Krank-
heitsanlagen, körperlichen Fehlem usw. ihrer Kinder gar nichts wissen, durch
die Schulärzte hierüber in Kenntnis gesetzt und in die Lage gesetzt werden,
ihre Kinder ärztlich behandeln zu lassen und selbst entsprechend zu pflegen
und zu beobachten, welcher Segen liegt aber auch f&r die Lehrer darin, daß
sie nicht nur bei der ersten Aufnahme der Kinder, sondern auch während der
ganzen Schulzeit fortwährend über den Gesundheitszustand, bezw. über die
Krankheitsanlagen der ihnen anvertrauten Kinder bestimmte Mitteilung er-
halten und dadurch in die Lage versetzt werden, die Kinder im Unterricht
demgemäß behandeln und richtig beurteilen zu können. Ebenso ist es für die
Gesundheit der Schulkinder und damit unserer ganzen Jugend von der größten
Bedeutung^ daß die Eonder alljährlich und öfters im Jahre von den Schul-
ärzten wieder untersucht und beobachtet werden und so festgestellt werden
kann, ob spezielle ärztliche Behandlung usw. notwendig wird. Auch ist es
von größter Bedeutung, daß als zu schwächlich erkannte Kinder bei der ersten
Aufnahme nach vollendetem 6. Lebensjahre überhaupt vom Schulbesuch noch
für längere Zeit zurückgestellt werden, was fQr eine spätere günstige Entwick-
lung von der allergrößten Bedeutung ist, wie ich überhaupt immer mehr in
meiner Ansicht befestigt werde, daß es im Interesse der gesundheitlichen und
geistigen Entwicklung des Kindes von größtem Vorteil sein würde, wenn das
schulpflichtige Alter vom vollendeten 6. auf das vollendete 7. Lebensjahr er-
höht vnirde.
Der Anregung der Schulärzte hier ist es auch zu danken, daß von jetzt
ab die armen Kinder, die vor Beginn der Schule zu Hause kein warmes Ge-
tränk bekommen, in der Schule auf Kosten der Stadt warme Milch erhalten.
n.
Der orthopädische Turnunterricht^ der unter Leitung des einen ortho-
pädisch sehr ausgebildeten Schularztes in Gemeinschaft mit einem Turnlehrer
Beit einigen Jahren an die Schulkinder, die zu Difformitäten neigen, oder deren
Körper, insbesondere deren Brustkasten sehr mangelhaft entwickelt sind, ge-
Schulftrztliehefl. 29
geben wird, hat auch den besten Erfolg, so daB dieser orthopädische Tom-
Unterricht jetzt obligatorisch für solche Kinder an Stelle des gewöhnlichen
Turnunterrichts vom Schulvorstande hier eingeführt worden ist. Der Bericht
des betreffenden Herrn Schularztes lautet darüber so:
Die bisher mit dem orthopädischen Unterricht erzielten Erfolge sind als
recht gute zu bezeichnen, besonders seit Bestehen der neuen Turnhalle und
seit Beschaffung der orthopädischen Übungsgeräte im Oktober 1902.
Im Laufe dieses Sonuners war die Anzahl der Mädchen auf 46, die der
Knaben auf 31 angestiegen.
Am 21. Oktober d. Js. konnten von den Mädchen 20, Ton den Knaben 9
aus dem orthopädischen Unterricht entlassen und dem gewöhnlichen Turn-
unterricht wieder überwiesen werden. — Die Mehrzahl hatte von Anfang an
am Unterricht teilgenommen, mehrere 1—1 Vi Jahr.
Zu der weiteren normalen Körpereatwicklung dieser Kinder reicht nun
der gewöhnliche Turnunterricht aus. — Auch bei den schweren und schwereren
Difformitäten ist durchweg Besserung erzielt, sei es in bezug auf die Schwere
der Verkrümmungen, sei es in bezug auf die systematische Entwicklung der
Brustorgane oder der allgemeinen Körperentwicklung. Für diese Kinder ist die
weitere Teilnahme am orthopädischen Unterricht unbedingt nötig.
Im Laufe der Zeit seit Unterrichtsbeginn schieden verschiedene Kinder
aas dem Unterrichte aus, der orthopädische Unterricht war nur fakultativ, ein
Unterrichtszwang unmöglich.
Durch Einführung des orthopädischen Unterricht als Teil des allgemeinen
Turnunterrichts ist diesem Übelstand gesteuert.
Jedenfalls läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen sagen, daß die Ein-
führung des orthopädischen Turnunterrichts als eine durchaus segensreiche
Einrichtung anzusehen ist.
Von der größten Bedeutung für die körperlich mangelhaft entwickelten
Kinder ist es, daß auf diese Weise ihre Leiden frühzeitig erkannt und früh
behandelt werden.
Weimar, den 22. Oktober 1904.
gez. Dr. med. Ed. Münzel,
fr. Direktor der orthopädischen Heilanstalt
Wüdbach- Schreber- Leipzig/.
m.
Endlich haben wir ja hier an unseren Volksschulen, worüber auf dem
hier vor drei Jahren gehaltenen Schulbygienekongreß unter Abhaltung einer
Probelektion mit stotternden Kindern berichtet worden ist, nun schon seit
mehreren Jahren für stotternde, stammelnde und lispelnde Kinder, überhaupt
für sprachgebrechliche lünder einen besonderen Sprachunterricht durch einen
an der hiesigen Taubstummenanstalt angestellten Lehrer eingeführt und damit
recht gute Resultate erzielt, die nicht nur für das spätere Fortkommen der
Kinder, sondern auch für die Entwicklung deren Lungen von recht großer
Bedeutung sind; ein stotternder Mensch hat infolge dieses Fehlers nicht
nur von seinen Mitmenschen und geseUig oft infolge Spottens und Hänseliis
schwer zu leiden, sondern es bleiben ja einem stotternden Menschen, selbst
wenn er sonst recht befähigt ist, eine Anzahl von Berufen verschlossen, so daß
ihm sein Fortkommen recht erschwert und sein Leben oft zur Qual gemacht
3 SckuläEzÜickefl.
wird. Also ein großer Segen ist mit der Beseitigung solcher Sprachgebrechen
in der frühen Jugend, in welcher die Beseiiigung auch am leichtesten ist, für
die damit behafteten Kinder jedenfalls verbunden.
Wir erachten daher die Einführung des orthopädischen Turmmterrichtes
und dieses besonderen Sprachunterrichts an unseren Volksschulen für einen
recht segensreichen Fortdchritt Der betreffende Herr Lehrer hat sich über
seine Tätigkeit und Erfolge im Schuljahre 1908/4 in folgender Weise geäußert:
Die Heilkurse für sprachgebrechliche Schulkinder in Weimar.
Ein genaues Zahlenbild über die hier eingerichteten Sprachheilkurde gibt das
Schuljahr IQOii/i^ da in demselben die Teilnahme mit steter Regelmäßigkeit
und allseitigem Interesse erfolgte.
Von der H. Bürgerschule nahmen am Kursus von 2139 Schulkindern 28
sprachgebrechliche Kinder teil «s i,32 %•
Von diesen 28 Kindern waren 17 Stotterer, 4 Lispler, 2 Stammler und
4 Stotterei* und Lispler zugleich. Hiervon wurden 10 Stotterer geheilt, 4 ge-
bessert, 1 nicht geheilt. Von den Lisplem wurden 2 geheilt, 2 gebessert. Von
den Stotterer und Lisplem wurden 1 geheilt und 4 gebessert. Bei den beiden
Stammlern wurde das Übel gehoben.
Insgesamt waren von den 28 sprachgebrechlichen Kindern, die am Kursus
teilgenommen, 18 geheilt, 9 gebessert und 1 nicht geheilt.
Wie anderwärts, so war auch hier das männliche Geschlecht bei den
Sprachgebxechlichen das überwiegende. Es befanden sich im Kursus 22 Knaben
imd 6 Mädchen. Von den 22 Knaben konnten 13 als geheilt, 8 als gebessert
imd 1 als nicht geheilt, und von den G Mädchen konnten 3 als geheilt und 8
als gebessert entlassen werden.
NB. Der Knabe, der als erfolglos aus dem Kursus hervorgegangen ist,
hat nur sehr wenig teilgenommen, da die sehr weite Entfernung seiner Wohnung
von der Schule, in welcher der Kursus abgehalten wurde, ihm oft das Kommen
bei schlechtem Wetter an den Tagen, an denen der Unterricht stattfand, un-
möglich machte.
Aus der I. Bürgerschule nahmen am Kursus teil 11 Kinder und zwar 7
stotternde, 3 lispelnde und 1 mit beiden Sprachgebrechen behaftetes Kind.
Diese 11 Kinder bestanden aus 6 Knaben und 5 Mädchen. Von den Knaben
waren 5 Stotterer und 1 Lispler, von den Mädchen stotterte und lispelte 1,
2 stotterten und 2 lispelten.
Die Gesamtzahl der die L Bürgerschule im Jahre 1903/4 besuchenden
Kinder belief sich auf 1288 (662 Kuaben, 626 Mädchen). Der Prozentsatz der
sprachgebrechlichen Kinder betrug also auf diese Gesamtzahl 0,85 7o- ^o^ den
den Heilkursus besucht habenden stotternden Kindern wurden bei der Prüfung
3 als geheilt, 4 als gebessert, von den liäpelnden 1 als geheilt, 2 als gebessert
und das eine Kind, welches beide Gebrechen hatte, als geheilt entlassen.
Auch hier erhielten die Gebesserten bis gegen Ende des Jahres hin in
größeren Zwischenräumen wieder Übungsstunden. In dem gegenwärtigen Schul-
jahre 1904/6, in dem der Heilkursus noch im Gange und noch keine Abschluß-
prüfung erfolgt ist, sind die Zahlenverhältnisse folgende.
Die U. Bürgerschule besuchen gegenwärtig 2129 Kinder (989 Knaben und
1140 Mädchen), unter denen sich 33 sprachgebrechliche Kinder be6nden und
zwar sind 18 Lispler (10 Knaben, 8 Mädchen), 15 Stotterer (^13 Knaben, 2
SchamrzÜichea. 31
Madeben). Unter den IS Lisplem sind 8 Inzipienten und nnter den Stotterern 2,
also bald der dritte Teil der ans dieser Schule am Kursns teilnehmen*
den Kinder. Die Prozentzahl der sprachgebrechlicben Kinder betnlgt hier
über l7o (1,6%).
Die L B.-Schnle umfaßt gegenwärtig 1288 Kindern (676 Knaben, 612
Mädchen). Von diesen sind 2ü Hprachgebrechlich, nämlich 11 Lispler (6 Knaben,
5 Mädchen), 2 Stammler (2 Knaben), davon 10 Inzipienten — und femer
7 stotternde Knaben. Die Prozentzahl beträgt hier ebenfalls über l^o (l>&Vo)*
Bei Betrachtung der Gesamtaahlen der die beiden Bürgerschulen besuchen-
den sprachgebrechlichen Kinder, welche den Torjährigen und diesjährigen Heil-
kursus besuchten, ergibt sich, daß die Anzahl der Teilnehmer aus der IL Bürger-
schule im ganzen etwas größer ist, als die aus der erst^i. (Im Voi^jahre nahmen
aus der II. Bürgerschule 28, aus der ersten nur 11 Kinder teil, also aus jener
ly, mal mehr als aus dieder. In diesem Jahre waren, wie angegeben, 33
Kinder aus der IL, 20 aus der I. Bürgerschule, also über y, mehr.)
£s tritt auch hier die Tatsache in Erscheinung, daß sich der größere Teil
der sprachgebrechlichen Schulkinder aus den breiteren Schichten der Bevölke-
rung zusammensetzt. Tatsächlich war meistens der Grund zu dem Vorhanden-
sein des Stottems und Lispelns in einer Vernachlässigung während der Sprach-
entwicklung und in Ermangelung eines sprachlichen Vorbildes festzustellen.
Vielen Eltern ist es ganz gleich, ob ihre Kinder lautrein oder schlecht sprechen,
finden sogar noch Gefallen daran, wenn die heranwachsenden schulpflichtig
werdenden Kinder ihre tätschelnde und stammelnde Kindersprache fortsetzen.
Im Vorjahre waren bei 6 Stotterfällen allgemeine Nervosität, bei einem
erbliche Belastung die Ursache, 2 waren die Folge von Diphtheritis, bei 3 Lispel-
fdllen war mangelhafte Zahnbildung, bei 1 schwere Zunge als Ursache fest-
zustellen. Die übrigen Fälle waren aber insgesamt auf Sichgehenlassen, An-
gewöhnung, Nachahmung und mangelhafte Überwachung zurückzufuhren. Wenn
nun auch der erste Lautier- und Leseunterricht selbstverständlich auf laut-
reines Sprechen Bücksicht nimmt und auf unbedingt klare und deutliche Aus-
sprac^he dringt, so ist er aber doch nicht imstande, bei lispelnden Inzipienten
die von Jugend auf festgewurzelte fehlerhafte Aussprache der Zungenspitzlaute
zu beseitigen.
Diese Schwachen bedürfen eben einer besonderen Hilfe, die ihnen im
Klassenunterricht bei großer Schülerzahl nicht noch gewährt werden kann.
Bei vielen Kindern war der Lispelfehler so tief eingewurzelt, daß sie sich gar
nicht bewußt waren, die S Laute falsch ausgesprochen zu haben, und bei ihnen
muß zuerst das Gehör für ein rein artikuliertes „S'' durch laatreines Vor-
sprechen des Lehrers geschärft werden. Hieran reihten sich die Übungen vor
dem Spiegel. Der Lehrer zeigt dem Kinde an seinem Munde die zum Aus-
sprechen des „S'* erforderliche Stellung. Die Lippen haben die Stellung wie
beim Aussprechen des „i^^ einzunehmen, die Zahnreihen sind einander genähert,
die Zunge ist nach unten gewölbt, die Zungenspitze liegt am unteren Rand
der unteren Schneidezähne, so daß sich zwischen denselben und dem untersten
Teile der Zunge eine Enge bildet, durch die der hervorbrechende schallbildende
Luftetrom genau hinter der Mitte der Schneidezähne sich bricht und das
Beibegeräusch verursacht, das wir mit dem Laut ^,S" bezeichnen Gewöhnlich
machen die Kinder den Fehler, daß sie die Zunge zwischen den Zähnen her-
ausstecken, so daß ein Laut wie das englische „th" hörbar wird, oder sie legen
32 Schnlfiiztliohes.
die Zunge im Innenraum des Mundes an falscher Stelle an, und es entsteht
das sog. innere Lispeln, und anstatt des „S"-Lautes erklingt ein „Ich'^ Hier-
auf bringt der Lehrer die Zunge des Sprechenlemenden in richtige Lage und
läfit ihn vor dem zur Eontrolle dienenden Spiegel Spreehyersuche machen.
Sie gelingen bei dem einen Kinde früher, bei dem anderen später, je nachdem
die nötige Energie angewandt wird und sich sonst nicht mangelhafte Zahn-
bildungen vorfinden. Nach gewonnener Fertigkeit reihen sich Silbenübungen
mit dem „S'* als An-, Aus- und Innenlaut an, denen Wörter und Sätze folgen,
die viele „S^^ enthalten. Es wird femer das „s^^ in Eonsonantenhäufungen,
wie z. B. Igst, rkst, sehst usw. geübt, ans einem Lesestück werden alle Wörter,
in denen der „S*^-Laut vorkommt, einzeln und dann das Lesestück im Zu-
sammenhang gelesen und daran Besprechungen geknüpft. Wortspiele, in denen
viele ^,S*'-Laute gehäuft sind, werden geübt.
Dia Unterweisung der Stotterer gründet sich auf das von A. Gutzmann
für die Hand der Yolksschüler bearbeitete Lehrbuch , in dem an einer großen
Auswahl von Übungen Beispiele für Atmung, Yokalisation und Artikulation
gegeben sind, und an denen die Schüler in anschaulicher Weise zu dem Be-
folgen der angegebenen unbedingten Sprachregeln angehalten werden.
Der Erfolg des Unterrichts hängt lediglich davon ab, daß der zu Unter-
weisende zur klaren Erkenntnis der Fehler, die er beim Aussprechen der Silben
begeht, aufmerksam gemacht wird. Willenseinfluß, Nervenreiz und Muskel-
tätigkeit mit ihrem gleichzeitigen Neben- und Nacheinander müssen durch sy-
stematische Übungen der Atmungs-, Stimmbildungs- und Artikulationsorgane
zu einem regelrechten Auslösen gebracht werden. Durch die in seinem Übungs-
buche hierüber ganz sach- imd erfahrungsgemäß aufgestellten Forderungen
leitet A. Gutzmann den sprachkranken Schüler zum genauen Beobachten und
bewußten Innenwerden aller beim Sprechen tätigen Organe hin, wobei er zum
richtigen Erkennen und zur Kontrolle den Gebrauch des Spiegels der fehlenden
Hand am ' Kehlkopf, vor dem Mund, an der Brust hinweist.
Er zeigt anschaulich in den Übungen, wie die Atmungsübungen zu be-
treiben sind, wie man zum Stimmton kommt, welche Klangfarbe er durch die
verschiedenen Gestaltungen des Ansetzrohres erhält und wie der Ausatmungs-
strom in den Artikulationsgebieten seine naturgemäßen Hemmungen erhält.
Durch kurze Belehrung hierüber und Vorsprechen des Lehrers soll der Schüler
gleich von vornherein zum Aussprechen eines kleinen Satzes, einer Sprach-
einheit, gebracht werden, damit sein gesunkenes Selbstvertrauen wieder ge-
hoben wird. Das fehlerfreie Gängen eines solchen gesprochenen Redesatzes
erhöht seinen Mut, stärkt seinen Willen und fördert seinen Fleiß.
Die Prüfung der im Heilkursus gestandenen Stotterer findet gesondert
von der der Lispler statt. Zur weiteren Überwachimg derselben finden bis
gegen Ende des Schuljahres einzelne, in bestimmten Zeiträumen angesetzte
Kevisionsstunden statt.
Mögen diese als zweckmäßig erwiesenen Heilkurse auch fernerhin sich
segensreich erweisen. gez. E. Knöfler.
Ich hoffe und wünsche, daß die vorstehenden Mitteilungen für die Schulen
tmd Schulmänner anderer Städte, sowie für alle Eltern schulpflichtiger Kinder
von Interesse sein und manchen Eltern und Lehrern Anregung geben werden,
die Kinder genau nach den verschiedenen Richtungen zu beobachten und in
AmtliclieB* 33
geeigneter Weise in der Schule und sonst zu behandeln und für Heilung der
ühei besorgt zu sein.
Weimar, 7. II. 05. Der Oberbürgermeister
Pabst,
Geheimer Regierungsrat.
VI. Amtliches.
Die im yeigangenen Jahr wieder in größerem Maße in Deutschland auf-
getretenen Pockenerkrankungen zeigen auf das deutlichste, wie nötig der Impf-
zwang ist und was wir der Einführung desselben zu verdanken haben, da vor-
wiegend solche Personen erkrankten, die nicht oder zu lange Zeit nicht mehr
geimpft waren. Um so mehr muß es verwundem, daß es immer noch Leute
gibt, ja selbst in Ärztekreisen ^ die sich gegen den Impfzwang sträuben und
denselben als einen unberechtigten Eingriff in die persönliche Freiheit be-
trachten. Im Interesse dieser Zeitschrift dürfte es daher sein, folgendes Gut-
achten der Königlichen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal wesen
in Preußen zur allgemeinen Kenntnis zu bringen (aus den „Veröffentlichungen
des Kaiserlichen Gesundheitsamtes'', XXIX. Jhrg., Nr. 9, S. 202 und 203).
Gutachtliche Äußerung der Königlichen Wissenschaftlichen Depu-
tation für das Medizinalwesen, betr. die Aufnahme ungeimpfter
Kinder in Lehranstalten, deren Besuch nicht obligatorisch ist.
Vom 28. November 1904. (Min.-Bl. f. Mediz. usw. Angel. 1905, S. 17.)
Der praktische Arzt N. in hat unter dem 26. November 1908 eine
Eingabe an den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-
Angelegenheiten gerichtet, in welcher er eine grundsätzliche Entscheidung da-
hin erbittet, daß nicht geimpfte Kinder von der Aufnahme in eine höhere Lehr-
anstalt nicht auszuschließen seien, daß sie vieiraehr aufgenommen und an der
Anstalt geduldet würden. Anlaß zu der Eingabe hat der Umstand gegeben,
daß der Gymnasialdirektor X. in ... . dem Gesuchsteller, als dieser Ostern 1903
seinen zweiten Sohn für das Gymnasium anmeldete, die Aufnahme desselben
wegen fehlenden Impfungsnachweises abgelehnt hat. Der Gesuchsteller hält
dieses Verfahren für ungerechtfertigt und auch mit den Vorschriften des Reichs-
impfgesetzes vom 8. April 1874 nicht vereinbar, was er durch längere Aus-
fuhrungen sowie durch Hinweis auf eine von ihm verfaßte — der Eingabe
beigefügte — Abhandlung aus der Zeitschrift „Der Impfgegner ^^ des näheren
zu begründen versucht.
Der Herr Minister hat Veranlassung genommen, die diese Angelegenheit
behandelnden Vorgänge der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal-
wesen zur Kenntnisnahme und mit dem Auftrage zugehen zu lassen; sich gut-
achtlich dar&ber zu äußern,
ob die Aufnahme von Kindern in höhere Lehranstalten — also in solche,
deren Besuch nicht obligatorisch ist — von dem Nachweis der erfolgten
^■nnde Jagend. V. 1/S 8
34 Amtliches.
Impfung bezw. Wiederimpfung, wie dies bisher durch die diesseitigen
Erlasse vom 31. Oktober 1871, 7. Januar 1874 und 18. März 1885 —
ZentralbL für die gesamte Unternchtsverwaltung in Preußen 1871 S. 706,
1874 S. 201 und 1885 S. 387 — geschehen ist, auch fernerhin abhängig
zu machen sein wird.
Der Herr Minister hat seinem Ersuchen nachstehende Bemerkxmg bei-
gefügt:
„Nach § 13 des Irapfgesetzes vom 8. April 1874 — R.-G.-Bl. S. 31 u. fg. —
sind die Leiter der Lehranstalten bei der Aufnahme von Zöglingen nur
zu der Feststellung verpflichtet, ob dieselben geimpft sind. Ist dies
nicht der Fall, so haben die Anstaltsleiter auf die nachträgliche Impfung
zu dringen und etwaige Nichtimpfung der Polizeibehörde anzuzeigen/'
Was zunächst die Persönlichkeit des Beschwerdeführers betrifft, so ist
hervorzuheben, daß derselbe nach dem Berichte des Königlichen Provinzial-
Schulkollegiums in . . . seit dem Jahre 1891 als homöopathischer Arzt in . . .
praktiziert, daß er bei wiederholten Gelegenheiten in Wort und Schrift seine
Gegnerschaft gegen die Pockenimpfung zum Ausdruck gebracht und wegen
Nichtimpfenlassens seiner Kinder eine viermalige Bestrafung erlitten hat.
In der Sache selbst sind, was zunächst die rechtliche Seite der Angelegen-
heit betrifft, die für die Beurteilung maßgebenden Vorschriften in den Mini-
sterialerlassen vom 31. Oktober 1871, 7. Januar 1874 und 8. März 1886 sowie
in dem Reichsimpfgesetze vom 8. April 1874 enthalten.
In dem Erlasse vom 31. Oktober 1871 bemerkte der Herr Minister, daß
die große Ausdehnung der Pockenepidemie dazu nötige, auf schützende Maß-
regeln für die die öffentlichen Schulen besuchende Jugend Bedacht zu nehmen,
und ordnet zu diesem Zwecke an,
daß von seiten der Provinzial -Aufsichtsbehörden die Direktoren resp
Rektoren derjenigen öffentlichen Schulen, deren Besuch nicht obliga-
torisch ist, angewiesen werden, hinfort die Aufnahme der Knaben resp.
Mädchen u. a. auch von der I^eibringung eines Attestes über die statt-
gehabte Impfung resp. Revaccination abhängig zu mechen.
In dem Erlasse vom 7. Januar 1874 präzisiert der Herr Minister die Ver-
fügung vom 31. Oktober 1871 näher dahin:
daß bei der Aufnahme von Kindern, welche das zwölft« Lebensjahr bereits
überschritten haben, nicht bloß der Nachweis der ersten Impfung, son-
dern auch der stattgehabten Revaccination zu fordern ist.
Das Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874 beschäftigt sich im § 13
mit der uns hier interessierenden Angelegenheit des Impfwesens. Derselbe
schreibt vor:
„Die Vorsteher deijenigen Schulanstalten, deren Zöglinge dem Impfzwange
unterliegen (^§ 1 Ziffer 2), haben bei Auj&ahme von Schülern durch Einfordern
der vorgeschriebenen Bescheinigungen festzustellen, ob die gesetzliche Impfung
erfolgt ist.
Sie haben dafür zu sorgen, daß Zöglinge, welche während des Besuches
der Anstalt nach § 1 Ziffer 2 impfpflichtig werden, dieser Verpflichtung ge-
nügen.
Amtliches. 35
Ist eine Impfung ohne gesetzlichen Grund unterblieben, so haben sie auf
deren Nachholung zu dringen.
Sie sind verpflichtet, vier Wochen yor Schluß des Schuljahres der zu-
ständigen Behörde ein Verzeichnis derjenigen Schüler vorzulegen, fiir welche
der Nachweis der Impfung nicht erbracht ist.^'
Der Erlaß vom 18. MBxz 1885 endlich, an die Königliche Regierung zu
.... gerichtet, beschäftigt sich mit der von dieser Regierung angeregten
Frage, ob nicht das Reichsimpfgesetz als erschöpfende Kodifikation alle über
die §§ 1 und 13 des Gesetzes hinausgehenden weiteren Kontroll- und Zwangs-
maßregeln, insbesondere auch die genannten Ministerialerlasse vom 31. Oktober
1871 und 7. Januar 1874 aufgehoben habe. Der Minister verneint die Frage
und bemerkt:
daß die Zirkularerlasse vom 31. Oktober 1871 und 7. Januar 1874 als
durch das Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874 aufgehoben nicht an-
gesehen werden können, daß ich mich auch nicht veranlaßt finden kann,
die im Interesse der Gesundheitspflege in der Schule durch jene Erlasse
getroffenen Anordnungen . . . außer Kraft zu setzen.
Der Auffassung, daß das Reichsimpfgesetz in bezug auf schulpflichtige
Kinder als vollständige Kodifikation alle weiteren Kontroll- und Zwangsmaß-
regeln, als in den §§ 1 und 13 daselbst angegeben, als unzulässig erscheinen
lasse, kann nicht beigetreten werden. Die Anordnung, daß ungeimpfte Kinder
in Schulanstalten nicht aufgenommen werden sollen, fällt nicht in den Bereich
der durch das Reichsimpfgesetz geregelten Materie, sondern ist ein davon un-
abhängiger, im Interesse der Gesundheit der Schüler gegebener Schulauf-
sichtsakt. Weder der Wortlaut des § 13 des Reichimpfgesetzes noch auch
die parlamentarischen Verhandlungen über dieses Gesetz bieten Anhaltnpunkte
für die Annahme, daß durch das Gesetz in die Befugnißse der Schul- und
Unterrichtsanstalten, hinsichtlich der Gesundheitsverhältnisse in der Schule die
für zweckmäßig erachteten Maßregeln zu treffen, habe eingegriffen werden
sollen. Der gleichen Auffassung hat auch das Kammergericht in dem Urteile
vom 7 Juni 1886 Ausdruck gegeben, und ausgesprochen, daß die Nichtaufnahme
eines Kindes in eine zur Auüiahme von Schülern gesetzlich nicht verpflichtete
Lehranstalt wegen fehlenden Nachweises der Impfung nicht gegen die Be-
stimmungen des Reichsimpfgesetzes, insbesondere nicht gegen den § 13 des-
selben, verstoße (vgl. Jahrb. d. Kammergerichts Bd. 6 S. 287).
Sind hiemach die Erlasse des Herrn Ministers vom 31. Oktober 1871 und
7. Januar 1874 auch heute noch für rechtsbeständig zu erachten, so fragt es
sich weiter, ob Gründe vorliegen, welche ohne Verletzung sonstiger gesundheit-
licher Interessen es als zulässig und angezeigt erscheinen lassen, von der Be-
fugnis der Anstaltsleiter, nicht geimpfte Kinder von der Aufnahme in eine
höhere Lehranstalt auszuschließen, in Zukunft abzusehen und die Nachhol ung
der Impfung des aufzunehmenden Kindes lediglich der Sorge und Kontrolle der
Polizeibehörde zu überlassen. Wir müssen uns auch hiergegen aussprechen. Die
Schutzpockenirapfung ist die wichtigste Schutzmaßregel gegen die Pocken, und
Wissenschaft und Praxis sind, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, einig
in der Anerkennung ihres heilsamen Einflusses auf die öffentliciie Gesundheits-
pflege. Aus der Erkenntnis dieser Tatsache ist das Reichsimpfgesetz hervor-
gegangen. Vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege muß jedes
3*
S6 Besprecbungen.
Mittel, welches die Dorchführang der Impfang mittelbar oder unmittelbar
fördert, willkommen geheißen und begrüßt werden, gleichviel, ob es dem
Polizei- oder dem Aufsichts- und Disziplinargebiete der Schule angehört. Der
Verzicht auf das Recht, ungeimpfte Kinder von der Aufnahme in eine höhere
Lehranstalt zurückzuweisen, würde auf dem Gebiete der Schntzpockenimpfnng
die Verwaltung eines der wirksamsten Zwangsmittel berauben und auch inso-
fern nicht unbedenklich sein, als er seitens der Impfgegner als ein behörd-
liches Entgegenkommen aufgefaßt und nur geeignet sein würde, die zur Zeit
schon ohnehin sehr lebhaften Agitationen gegen die Schutzpockenimpfung in
unerfreulicher Weise noch mehr zu steigern.
. Wir geben hiemach unser Gutachten dahin ab:
daß die Aufnahme von Kindern in höheren Lehranstalten, deren Besuch
nicht obligatorisch ist, von dem Nachweise der erfolgten Impfung bezw.
Wiederimpfung auch fernerhin abhängig zu machen sein wird.
Berlin den 23. November 1904.
(Unterschriften.)
VIL Besprechungen.
Berninger, Johannes: Pädagogik und Hygiene (Schul- und Volksgesund-
heitspflege in der praktischen Berufstätigkeit des Lehrers). Verlag von
Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1904. 8^ VIII u. 80 S. Preis
M. 1,20.
Verfasser wendet sich in warmen Worten an die Lehrerschaft mit der
Bitte, neben dem wissenschaftlichen Unterrichte auch dem körperlichen Wohl-
befinden der Schulzöglinge gebührende Beachtung zuteil werden zu lassen.
Er gliedert die hygienische Tätigkeit des Lehrers nach zwei Richtungen:
1) innerhalb der Schule und 2) außerhalb derselben. In dem ersten Teile be-
schäftigt er sich mit dem Unterricht in den Aufnahmeklassen, den höheren
Klassen, mit der Subsellienfrage , mit der Hygiene der einzelnen Lehrfächer
der Volksschule und kritisiert im weiteren Mißstände allgemeiner Art, wie sie
vielfach in den Einrichtungen der Schulen zu finden sind. Pädagog und
Mediziner müssen in hygienischen Fragen Hand in Hand gehen. Auch die
Freiluftschule findet Erörterung. Der zweite Abschnitt ist eine Aufforderung
an die Lehrerschaft, sich den schulhygienischen und volkshygienischen Be-
strebungen unserer Zeit anzuschließen und dieselben tatkräftig zu unterstützen.
Aus allen Zeilen der Schrift tritt neben der Begeisterung für die Sache die
wärmste Liebe zu unserer Schuljugend hervor. Wir wollen nicht unterlassen,
die Lektüre derselben jedem Schulmanne auf das Dringendste zu empfehlen.
Besprechungen. 37
Lafler^ HngOy Dr. med., Schularzt in Königsberg: Zur Verhütung der Über-
tragmxg der Infektionskrankheiten durch Trinkbecher in den
Schulen. Zentralbl. f. allgemeine Gesundheitspflege. 24. Jahrg, S. und
i. Heft.
Daß Infektionskrankheiten durch Benutzung eines Trinkbechers seitens
vieler Schüler übertragen werden können, kann wohl nicht geleugnet werden,
zumal die Becher in den wenigsten Fällen beim Wechseln ordentlich gereinigt
werden. Deshalb will der Verfasser, daß jedes Schulkind seinen eigenen
Trinkbecher haben soll. Er schlägt flache, zusammenklappbare Becher von
Papier vor, die von der Fabrik Schmidt & Ko. in Elberfeld zum Preise von
3—5 Pf. pro Stflck geliefert werden und bei guter Behandlung 2—8 Monate
haltbar sind. Für das Geeignetste hftlt er, daß jeder Becher in einem Kuvert,
mit dem Namen des Kindes versehen, aufbewahrt wird. Diese Kuverts sollen
in einer Klasse alphabetisch geordnet und auf Wunsch den Kindern, die
Wasser trinken wollen, von dem Lehrer oder einem Schulkind, das die Becher
in Verwahrung hat, ausgeliefert werden.
Moses 9 JalluSy Dr. med., Mannheim: Die Gliederung der Schuljugend
nach ihrer Veranlagung und das Mannheimer System. Inter-
nationales Archiv für Schulhygiene. 1. Bd., Heft 1, S. 7.
Verfasser tritt den Bedenken und Mißverständnissen entgegen, die viel-
fach in pädagogischen Kreisen noch gegen das Mannheimer System geltend
gemacht werden, während medizinerseits einmütige Zustimmung besteht.
Unter Veranlagung will er die Befähigung der Schülerindividuen, die An-
forderungen des Unterrichts zu erfüllen, verstehen. Eine Reduktion des Lehr-
stoffes wird aUgemein als nötig anerkannt, doch wird man mit einer quanti-
tativen Einschränkung desselben nicht alle Mißstände beseitigen. Wie man
für die Schwachsinnigen Hilfsklassen errichtet hat, so muß man auch ftir die
Schwachbefähigten besondere Klassen errichten. Dies wird erreicht in dem
von Dr. Sickinger in Mannheim eingeführten Klassensystem der Förder-
klassen, die den Hauptklassen parallel laufen und durch die Einrichtung der
Abschlußklassen einen individuell abgestuften kompletten Lehrgang bieten.
Das Bedenken, daß die Kinder sich zurückgesetzt fühlen, dadurch, daß sie
aus der Gemeinschaft der Volksklassen herausgerissen werden, wird durch die
mehljährigen Erfahrungen in Mannheim hinfällig. Die Sonderung der Schule
kann außerdem auch nicht auffallen, da die Förderklassen als Parallelklassen
der Hauptklassen geführt werden. Wir können uns nur auf Seite des Ver-
fassers stallen und der Einführung des Mannheimer Systems eine baldige
weite Verbreitung wünschen.
Sehleleta) Professor Dr., Tübingen: Die Augen der Schüler und Schülerinnen
der Tübinger Schulen, Internationales Archiv für Schulhygiene. I. Bd.,
Heft 1, S. 19.
Verfasser untersuchte von 2126 Schülern 2098. Er fand von 1163 männ-
lichen Schülern normale Augen 729 = G3,2 %, anormale 414 = 36,8 %.
38 Besprechungen.
Von 945 weiblichen Schülern normale Angen 639 ^=^ 67,6 %^ anormale
306 = 32,4 %.
Nach den einzelnen Schulen zusammengestellt fand er
Schuler I normal anormal
238 Gymnasium 117 = 49,2 % 121 = 50,8 %
278 Realschule : 1 78 = 64,0 „ 100 = 36,0 „
86 Elementarschule 65 = 75,6 „ 21 = 24,4 „
294 höhere Mädchenschule . . ' 205 = 69,7 „ 89 = 80,3 „
1202 Volksschule 803 = 66,8 „ i 399 « 38,2 „
Eine Zusammenstellung der einzelnen Gruppen der verschiedenen Schulen
nach Jahrgängen geordnet ergab die günstigsten Verhältnisse bei den jüngsten
Jahrgängen IV. Gruppe (2. und 1 Schuljahr) der höheren Mädchenschule mit
87.5 7o normalen Augen; ihnen folgen IV. Gruppe der Elementarschule mit
75.6 %; weiter die III. Gruppe (7.-3. Schuljahr) der höheren Mädchenschule
mit 71,1 %, dann IV. Gruppe der Volksschule mit 71 7oi m« Gruppe der
Realschule mit 69,3 %, III. Gruppe der Volksschule mit 64,6 %, III. Gruppe
des Gymnasiums mit 59,1 °'oi ^' Gruppe (10. — 8. Schuljahr) der Realschule
mit 52,3 %, II. Gruppe der höheren Mädchenschule mit 45,6 7'^, II. Gruppe
des Gymnasiums mit 40,3 %. Am schlechtesten stellen sich die höchsten
Schuljahre (12. und 11) des Gymnasiums mit 28,2 7o-
Aus einer Zusammenstellung betreffs der Häufigkeit der kurzsichtigen
Augen fand Verfasser, daß die Kurzsichtigkeit sowohl zunimmt mit den Schul-
jahren, als auch mit der Zunahme der Ansprüche, die in den verschiedenen
Schulen an die Schüler gemacht werden. Am geringsten war die Zahl der
kurzsichtigen Augen in den 2 jüngsten Schulklassen der höheren Mädchen-
schule; dann folgten die jüngsten Schulklassen der höheren Mädchenschulen
und die Elementarklassen. Für die höheren Schuljahre ergab sich im all-
gemeinen eine höhere Zahl der kurzsichtigen Augen. Ein Vergleich mit
anderwäi-ts gewonnenen Ergebnissen zeigte, daß die Verhältnisse in den Tübinger
Schulen keine ungünstigen sind.
Schmid-Monuard, Dr. med.: Soziale Fürsorge für Kinder im schulpflich-
tigen Alter. Mit einem Beitrag von Prof. Dr. A. Hartmann. Hand-
buch der Hygiene, IV. Supplementband 1905.
In 26 Kapiteln behandelt der um die Schulhygiene hochverdiente, leider
schon gestorbene Verfasser die Fürsorge innerhalb des Schulbetriebes, welche
durch Einführung des Handarbeits- und Haushaltungsuntemchts Auge und
Hand zu bilden sucht und den Mädchen Gelegenheit gibt, die Kenntnisse zur
Führung eines bürgerlichen Haushalts zu erwerben. Die Arbeit gibt eine zu-
sammenfassende Übersicht über die Maßnahmen, die in den verschiedenen
Ländern, vor allem Deutschland, zur Förderung der Knabenhandarbeit, des
Haushaltungsunterricht« in den Mädchenschulen, in der Fürsorge für Stotterer
und schwachbefäbigte Kinder usw. getroffen sind. Außerhalb der Schule
Besprechongen. 39
weiden als Maßnahmen zur erziehlichen Weiterbildung der Schulkinder Schüler-
bibliotheken und Schülervorstellungen behandelt. Eine Reihe von Kapiteln
Bind den Schulbädem, dem unentgeltlichen Schwimmunterricht in Volks- und
Bürgerschulen, dem Eislauf, Jugendspielen und Schüleransflügen gewidmet.
Was zur Fürsorge für arme und sozial schlecht gestellte Kinder bisher ge-
schehen ist, findet man in 'den Kapiteln über Speisung, Kleidung, wohltatige
Vereine, Kinderhorte, Waisen- und Krüppclpflege. Die einzelnen Kapitel
können hier nicht alle einzeln aufgeführt werden. Jedem, der sich über den
heutigen Stand der sozialen Fürsorge für Schulkinder orientieren will, yird die
Arbeit willkommen sein.
Snek, Hans: Fürsorge für die schulentlassene Jugend. Handbuch der
Hygiene, hrsg. von Th. Weyl, IV. Supplementband 1905.
Verfasser gibt eine zusammenfassende Übersicht über die Einrichtungen,
die von Privaten und amtlichen Organen im In- und Auslande zur Förderung
der sozialen Wohlfahrt der schulentlassenen Jugend getroffen sind.
Nach Festsetzung des Begriffes „schulentlassene Jugend^^, der in den
verschiedenen Ländern zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr beginnt und mit
dem 18. Lebenjahr abschließt (Suck möchte als obere Grenze das 20. Lebens-
jahr festgesetzt haben), und nachdem er mit Hilfe der Statistik den für die
Wohlfahrtstätigkeit in Betracht kommenden Teil der Bevölkerung bestimmt
hat, begründet Verfasser die Notwendigkeit der Jugendfürsorge. Diese ergibt
sich durch Schädigung der Jugendlichen an der Gesundheit durch den Beruf
und die Lebensführung, weiterhin durch Verschlechterung der wirtschaftlichen
Verhältnisse durch Wahl eines ungeeigneten Berufs und Lockerung des
Familienlebens, endlich durch Vernachlässigung der geistigen Fortbildung und
Gefährdung der Sittlichkeit.
Die Fürsorgetätigkeit teilt er ein in 1. Unterstützung bei der Berufswahl,
2. Sorge für gute berufliche Ausbildung, 3. allgemeine Fortbildung der Jugend-
lichen, 4. Schutz und Beaufsichtigung der schulentlassenen Jugend durch be-
sondere Schutzbestimmungen für jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen
und Fürsorge für wirtschaftliche Kräftigung, 5. Wohnungsf ursorge , 6. Be-
strebungen für Belehrung und Unterhaltung der Schulentlassenen, 7. Verhütung
sittlicher Gefährdung. In besonderen Kapiteln werden die Fürsorge für be-
sondere Gruppen der Jugendlichen — Waisen, Jugendliche mit körperlichen
und geistigen Defekten, umherwanderndc Schulentlassene — und die Behand-
lung der verwahrlosten Jugendlichen — Gefährdete und Verbrecher — erörtert.
Die Arbeit stellt einen wertvollen Beitrag für die Entwicklung und Kennt-
nis des heutigen Standes der sozialen Hygiene dar.
Speidely Dr. med., Tübingen: Die Augen der Theologie Studierenden
in Tübingen. Internationales Archiv für Schulhygiene, 1. Bd. Heft 1
S. 28.
Speidel untersuchte 566 Studierende mit 1132 Augen, davon 310 Zöglinge
des katholischen Seminars mit 620 Augen und 256 Zöglinge des evangelischen
40
Besprechungen.
Seminars mit 512 Augen. Die bei der Refraktionsbesiimmung gefundenen Re-
sultate stellt er in eine Tabelle zusammen, die wir seiner Arbeit entnehmen.
I Zusammen
'Anzahl j %
Katholische
Anzahl j %
Evangelische
Anzahl' %
Sämtliche untersuchten Augen m 1182
Augen der beiders. Emmetropischen || 210
„ „ „ Myopischen.. .| 638
„ ;, „ Hyperopisohen . il 116
„ ,, einseitig Emmetropischen l| 65
„ „ „ Myopischen 'i 64
,, „ „ Hyperopischen . 'i 39
100.0
620
18,6
128
66,4
340
10,3
60
6,7
37
6,7
32
3,4
23
24,8
165
62,1
872
13,7
83
54,8
20,6
64,8
612
82
298
9,7
66 1
6,0
28
6,2
32
3,7
16
26,6
110
60,0
330
13,4
72
45,2
16,0
68,2
11,0
5,5
6,2
3,1
Summe aller emmetropischen Augen i 275
„ „ myopischen Augen . . . || 702
„ „ hyperopischen Augen .. | 156
21,5
64,4
14,1
In dem weiteren Teil der Arbeit geht Verfasser auf die verschiedenen
Refraktions- und Akkommodationsanomalien sehr eingehend ein, wobei auch die
Erblichkeits Verhältnisse berücksichtigt werden. Für ein kurzes Referat nicht
geeignet, dürfte dieser Teil auch wohl nur Spezialisten interessieren.
SakakI) Yasadabaro, Dr. med., Professor der Universität Fukuoka: Ermü-
dungsmesBimg^en in vier japaniBohen Sohulen. Internationales Archiv
für Schulhygiene. 1. Bd. Heft 1 S. 58.
Verfasser stellte in vier Schulen mit 206 Schülern mit dem Ästhesiometer
von Griesbach am obem Rand des lateralen Jochbogens die physiologische
Normale fest. Seine gewonnenen Resultate stellt er im wesentlichen in den
Sätzen zusammen:
„Die physiologische Normale beträgt durchschnittlich in der Mädchen-
elementarschule 11,8 mm, in der Knabenelementarschule 12,3 mm^ in der
höheren Töchterschule 12,1 mm, im Gymnasium 13,2 mm.
Die Untersuchungen über den Einfluß des väterlichen Berufes hatten kein
bestimmtes Ergebnis. Kinder von Bankiers haben eine höhere physiologische
Normale, Kinder von mittleren Kaufleuten und Beamten eine geringere.
Kinder, welche zur Schule fahren, also ziemlich lange in frischer Luft
gewesen sind, hatten eine geringe physiologische Normale. Bei diesen war
durch die Erfrischung die morgendliche Stumpfheit der Geistestätigkeit be-
seitigt. Zu Fuß wirkt eine Wegstrecke von 1500 m erholend auf die Kinder
ein. Die näher wohnenden zeigen oft noch Schläfrigkeit. Eine Wegstrecke
von mehr als 1600 m wirkt ermüdend.
Alle Schüler müssen möglichst lange schlafen. Mädchen im Alter von
9 Jahren 6 Monat bis 11 Jahren 6 Monat müssen wenigstens neun Stunden
15 Minuten schlafen, Mädchen im Alter von 8 Jahren 6 Monat und je ein Jahr
jüngere müssen um so viel halbe Stunden länger schlafen, als sie an Jahren
jünger sind. Knaben müssen überhaupt eine halbe Stunde länger schlafen als
Besprechungen. 41
Mädchen; auch darf ihnen keine fo große Anstrengung zugemutet werden, als
e» in der Regel geschieht.
Wenn in der UnterrichtsBtunde ein schwerer Lehrstoff behandelt wird, so
steigt die Kurve hoher als bei leichterem Lehrstoff. Bis zur vierten Stunde
steigt sie mehr oder weniger steil.
Die einstfindige Mittagspause wirkt mehr oder weniger erholend.
Die Nachmittagsstunde beider Elementarschulen ermüdet beinahe ebenso
sehr wie zwei Vormittagsstunden. Bei jüngeren Kindern beträgt der Ermü-
dungswert einer Nachmittagsstunde beinahe y^ der Ermüdungsdifferenz von
vier Yormittagsstunden.
In den Elementarschulen bringen Bechnen, Lesen und Diktat die gröfite
Ermüdung hervor, Zeichnen wirkt gleich 0, Physik erholend, und Naturkunde,
wenn sie im Yormittagslehrplane liegt, gleichfalls erholend. Die größten Er-
müdungswerte in den Elementarschulen betragen nur die Hälfte von denen im
Gymnasium und in der höheren Töchterschule.
In der höheren Töchterschule ermüdet die Prüfung in Geographie doppelt
so stark als jede andere Lehrstunde, im übrigen sind Rechnen und japanische
Literatur als stark ermüdende Lehrfächer zu bezeichnen; Singen und Zeichnen,
Nähen und Schreiben wirken im Vergleich zu ihnen erholend.
Im Gymnasium wirkt die Geschichte als Nachmittagsstunde stark er-
müdend; sie wurde weniger ermüdend wirken, wenn man sie in den Vormittags-
unterricht Terlegte. Physik wirkt am meisten ermüdend (Unterschied zwischen
Elementarschule und Gymnasium). Daran reihen sich Rechnen, Geometrie,
Algebra und Tarnen. Naturkunde und japanische Literatur zeigen keine er-
müdende Wirkung. Singen und Alljapanisch wirken erholend.'*
Ingersler, Dr. med., Schularzt in Randers, Dänemark: BkolelaegeTaesenet
i Danmark. Internationales Archiv für Schulhygiene. 1. Bd. Hfb. 1, S. 123.
Dieser Arbeit über das Schularztwesen in Dänemark können wir im wesent-
lichen folgendes entnehmen: „Der Schularzt ist ausschließlich als der Ratgeber
der Schulbehörden, sowie der Lehrerschaft in allen die Schule und Schüler in
hygienischer Hinsicht betreffenden Fragen zu betrachten. Gewöhnlich erstreckt
sich die schulärztliche Aufsicht über 2 — 8000 Schüler^ in den kleineren Städten
sinkt diese Zahl jedoch auf etwa 600.
Die jährliche Besoldung beträgt 260— uOO Kronen (in Kopenhagen 400
Kronen). Der Schularzt wacht darüber, daß die Regeln und Vorschriften, die
mit Rücksicht auf die hygienischen Verhältnisse in der Schule gegeben worden
sind, eingehalten werden. Er soll sich öfters, wenigstens jede zweite Woche,
bei Epidemien auch häufiger, in jeder der ihm zugeteilten Schulen Tormittags
und nachmittags einfinden. Er untersucht in der Regel nur diejenigen Kinder,
die ihm von der Schule aus zugewiesen werden. Die ärztliche Behandlung
der kranken Kinder ist nicht Sache des Schularztes. Alle in die jüngste Klasse
neu eingetretenen Kinder sollen vom Schularzte auf ihren Gesundheitszustand
untersucht werden Das Ergebnis dieser Untersuchung wird in gedruckte Karten
42 Besprechungen.
eingetragen, die in der Schule aufbewahrt werden nnd jedem Lehrer zugang-
lich sind. Wenigstens einmal jährlich ruft der Schuldirektor alle Schulärzte
zu einer Sitzung zusanmien, wozu auch die Vizeschuldirektoren oder ein Aus-
schuß dieser eingeladen werden. In dieser Sitzung wählen die Schulärzte aus
ihrer Mitte drei Mitglieder, welche einen permanenten Ausschuß bilden, mit
welchem der Schuldirektor sich beraten kann. Die Kopenhagener Schulärzte
werden von der Schuldirektion ernannt mit gegenseitiger Kündigungsfrist Ton
8 Monaten. In den Provinzialst&dten ist das Schularztwesen im großen und
ganzen nach Kopenhagener Muster geordnet. Doch gehört in einigen Orten
die Behandlung kranker Schüler zu den Pflichten des Schularztes, in anderen
Orten wird ausdrücklich die Untersuchung der Schüler in regelmäßigen zeit-
lichen Zwischenräumen gefordert. In mehreren Städten sind auch die Klein-
kinderschulen den Schulärzten unterstellt. Schulzahnärzte sind seit Dezember
1896 in einigen Städten angestellt. Der im Oktober 1908 gebildete dänische
Verein zur Förderung der Schulhygiene ist die einzige Institution^ durch welche
auf schulbjgienische Verhältnisse ein Einfluß ausgeübt werden kann.
Schneider 9 Dr., Kreisarzt in Arnsberg: Zur Bohulbankfrage. Zeitschrift
für Medizinalbeamte 1904, S. 22.
Die Schulbankfrage kann trotz der großen Fortschritte der Technik auf
diesem Oebiete noch lange nicht als gelöst betrachtet werden. Die erste For-
derung bei dieser Frage ist, daß die Bankgrößen den Körpergrößen der Kinder
entsprechen. Es sollen deshalb in jedem Schulhalbjahr die Schulkinder ge-
messen und danach auf die Bänke verteilt werden. Für abnorm große und
abnorm kleine Kinder müßten Beservebänke vorhanden sein, ebenso müßten
für abnorm gestaltete Kinder, z. B. rachitische, Bänke mit verstellbaren Teilen
angeschafft werden. Bei einer Vergleichung der verschiedenen in letzter Zeit
konstruierten Schulbänke findet Verfasser, daß es keine einzige gibt, die man
als die beste zur Anschaffung empfehlen könnte. Jedoch bei dem Hochstand
unserer Technik glaubt er, wenn auch nicht auf eine endgültige Lösung, so
doch auf weitere Fortschritte in der Schulbankfrage rechnen zu können.
Kleinere Mitteilungen. 43
VIII. Kleinere Mitteilungen.
— Die Bohulhygienische AuBStellung des Leipaiser Lehrervereins.
Eine höchst bedeutungsvolle Ausstellung plant der Leipziger Lefarerverein durch
seine Abteilung für Schulgesundheitspflege. Sie erstreckt sich auf die Lehr-
mittel aus dem Gebiete der Menschenkunde und Gesundheitslehre. Der Kat
der Stadt Leipzig unterstutzt die Ausstellung durch Bereitstellung des Saales
im städtischen Meßpalaste und durch finanzielle Beihilfe. Die Ausstellung soll
vom 5. — 18. Juli stattfinden und eine möglichst lückenlose Vorführung aller
auf diesem Gebiete vorhandenen Lehrmittel darbieten. Verleger, Fabrikanten
und Lehrmittelhändler mögen in ihrem eigenen Interesse sich rechtzeitig melden,
zumal da eine Ausstellungsgebühr nicht erhoben wird. Aber auch Erfinder
und Lehrer, welche im Besitze derartiger Lehrmittel sind, die noch gar nicht
in die Öffentlichkeit gelangten, werden auf diese Ausstellung aufmerksam ge-
macht. Über sämtliche AusHtellungsgegenstände wird ein mustergültiger Katalog
mit Angabe aller Bezugsquellen geschaffen. Alle Anmeldungen und Anfragen
wolle man an die Geschäftsstelle Dr. Scheffer, Leipzig, Nostitzstraße 9,
richten. Die Schulbehörden aller Bundesstaaten und Städte werden zur Abord-
nung von Vertretern zum Besuche ersucht werden.
— Jugendspiele. Die neuen Hessischen Volksblätter vom 6. Mai 1905 ent-
halten folgende auf Darmstadt bezügliche Mitteilung: Im Interesse einer regeren
Teilnahme an den seit 1901 an den städtischen Schulen (Mittel und Stadt-
schulen) eingeführten Jugendspielen hat die Schule durch ein zur Verteilung
gekommenes Flugblatt beherzigenswerte Worte an die Eltern der Schüler ge-
richtet, damit diese mehr als seither die Kinder zur Teilnahme an den Jugend-
spielen anhalten. Denn, so wird darin ausgeführt, gerade die meisten älteren
Schüler, für welche die Beteiligung besonders wichtig wäre, werden durch die
Eltern zurückgehalten, entweder um in den schulfreien Stunden einen kleinen
Verdienst zu suchen oder zu Hause im elterlichen Haushalte oder Geschäfts-
betrieb sich nützlich zu machen. Um nun die Eltern über die hohe Bedeutung
des Jugendspieis für die Erziehung ihrer Kinder aufzuklären, wird auf die
Wichtigkeit der Jugendspiele mit folgenden Sätzen hingewiesen: 1. Es ist ein
seit alters anerkannter Satz, daß in einem gesunden Körper ein gesunder Geist
wohnt. 2. Das richtig geleitete Spiel stärkt Herz und Lungen, macht den
Körper gewandt und geschmeidig und kräftigt ihn für die Kämpfe des Lebens»
3. Durch Abhärtung des Körpers wird Krankheiten am besten vorgebeugt.
4. Das Spiel gewährt reine Freuden, erfrischt den Geist und erzieht zu rascher
Auffassung, Mut und Entschlossenheit. 5. Die Liebe zum Spiel wirkt schäd-
lichen Einflüssen entgegen und ist in diesem Sinn ein Schutzmittel gegen die
Verführung der Großstadt.
1
44 Kleinere Mitteilungen.
— Die Bahnftntliche Foliklinik fOr Volkssohulkinder in Darmetadt.
In dem n. JahreBberichte des Leiters der Klinik (Zahnarzt Köhler -Darmstadt)
lesen wir folgendes:
Im Jahre 1904 wurden in der zahn&rztlichen Poliklinik im ganzen 1106
Kinder behandelt mit 2868 Konsultationen, und zwar 649 M&dchen und 467
Knaben (im Yoijahr 1876 Kinder mit 2688 Konsultationen).
Durch Füllungen wurden erhalten: 1806 Zähne (gegen 1661 Zähne im
Voijahr), während 1660 (im Yoijahr 1871) Zähne ausgezogen werden mußten.
Von diesen 1660 ausgezogenen Zähnen waren 1236 Wechselzähne (Milchzähne)
und 326 bleibende Zähne. Eine grofie Zahl Zahnfleisch- und Kiefererkran-
kungen kamen auch in diesem Jahre zur Behandlung und Heilung.
Im ganzen wurden an 286 Tagen Sprechstunden abgehalten (gegen 271
im Voijahr).
Wie aus obigen Zahlen hervorgeht, ist die Zahl der Patienten imd der
ausgezogenen Zähne etwas gesunken, während die Zahl der durch Füllungen
erhaltenen Zähne beträchtlich gewachsen ist. Es läßt sich das hauptsächlich
dadurch erklären, daß durch die Tätigkeit der zahnärztlichen Poliklinik für
Volksschulkinder die Zahnpflege eine bessere geworden ist. Die Zahl der
schweren Kiefererkrankungen etc. ist merklich geringer geworden.
Daß durch die Einrichtung der zahnärztlichen Poliklinik die Zahnpflege
eine bessere geworden ist, beweist auch die Gegenüberstellung der Besuchsziffer
der vier Quartale der beiden Jahre:
Zahl der Besucher im 1. Quartal 663 in 1903, 476 in 1904,
„ „ „ „ 2. „ 247 „ 1903. 217 „ 1904,
„ „ „ „ 3. „ 283 „ 1903, 226 „ 1904,
„ „ „ „ 4. „ 183 „ 1903, 188 „ 1904.
Während namentlich das 1. Quartal 1903 die fast ly, fache Patientenzahl
aufweist wie der gleiche Zeitabschnitt 1904, bleiben die übrigen Zahlen sich
ziemlich gleich. Es wäre dieser Umstand femer auch noch als ein Beweis für
das dringende Bedürfnis der Einrichtung zu betrachten. Denn naehdem das
Allemotwendigste behandelt worden war, konnte etwas mehr Gleichmäßigkeit
in der Frequenz eintreten.
Bei der Errichtung der zahnärztlichen Poliklinik war auf Grund gegebe-
ner Verhältnisse (Straßburg) als Besuchsziffer fünf bis sechs Prozent der
Gesamtzahl aller Volksschulkinder angenommen, die sich jedoch als viel zu
niedrig ergab.
Durch diesen Umstand kam es, daß bei der Durchführung der wechsel-
weisen Behandlung durch die Darmstädter Mitglieder des Vereins Hessischer
Zahnärzte sich eine Bieihe von Übelständen ergab. Vor allen Dingen wurde
die Übersicht über den Betrieb und die Möglichkeit einer zweckmäßigen, ein-
heitlichen Durchführung außerordentlich erschwert. Die Kinder und Angehüri-
gen sahen allabendlich andere Gesichter als Behandelnde auftauchen, und so
drohte durch diesen Wechsel das Wichtigste geschädigt, wenn nicht gar ge-
stört zu werden, ohne das die Tätigkeit der Anstalt außerordentlich erschwert
— wenn nicht wirkungslos werden mußte — das Vertrauen der zu behandeln-
den Kinder und ihrer Angehörigen. Solche und noch viele andere Nachteile
drängen auf eine rasche Änderung des Systems.
Zeitechrifbenrahdschau. 45
Da sich aus diesen Gründen die abwechselnde Behandlung der Kinder
durch di& einseinen hiesigen Mitglieder des Vereins Hessischer Zahnilrzte im
Interesse der Einrichtung selbst auf die Dauer nicht durchfuhrbar herausstellte,
übernahm Zahnarzt Köhler Ende April 1^3 dieselbe und ließ sie durch seinen
Assistenten einheitlich durchführen. Es wurde außer der offiziell um 6 Uhr
abends beginnenden Sprechzeit meist schon um dV« bis 6y, Uhr abends mit
der Behandlung bestellter Kinder begonnen und nach 7 Uhr ebenfalls (nach
Bedürfnis oft bis 8 Uhr) fortgesetzt. Denn während der allgemeinen Sprechzeit
war es nicht angängig, länger dauernde Behandlungen (z. B. Füllen von Zähnen)
durchzuführen.
Außerdem konnte die Zahl der Tage, an denen Sprechstunden abgehalten
wurden, von 271 auf 286 erhöht werden. Diese Anordnungen ermöglichten es,
die recht beträchtliche Zahl von 1806 Zähnen zu füllen.
— Vierteljahrssohnit für körperliche Eraiehung. Unter der Leitung
der Herren Professor Dr. Leo Burgerstein und Bürgerschullehrer Dr. Viktor
Primmer in Wien erscheint seit März eine neue Zeitschrift: die Viertel-
jahrschrift für körperliche Erziehung, als Organ des Vereines zur
Pflege des Jugendspieles in Wien (Verlag des Vereines zur Pflege des
Jugendspieles, Wien; im Buchhandel durch F. Deuticke, Wien). Die Zeitschrift
hat die Behandlung folgender Gegenstände in ihr Programm aufgenommen:
Jugendspiel, leichte Athletik, Turnen im Freien, Baden, Schwimmen,
Eislaufen, Fechten, Budern, Schülerausflüge, Schülerreiaen, Hy-
giene des Schulhauses, des Elternhauses und des Unterrichtes,
Schularztfrage, Landerziehungsheime, Tageserholungsstätten,
Waldschulen, Handfertigkeitsunterricht, KoSdukationssjstem,
Unterricht in Hygiene, Ferienfürsorge. Die Vierteljahrschrift erscheint
je im März, Mai, Oktober und Dezember in der Stärke von 3—4 Bogen und
kostet im Buchhandel 3,60 Mark jährlich.
IX. Zeitschriftenrnndschan.
Zeitaohrift fOr BehulgeaundlieitBpflege (Leopold Voß- Hamburg)
Nr. 3 und 4 1906 Doppelheft: Dr. med. Eduard Quirsfeld: Zur physischen
und geistigen Entwicklung des Kindes während der ersten Schuljahre; K. Ba-
sedow: Die Schulbank in den Hilfsklassen für Schwachbefähigte.
Der Schularzt (Leopold Voß- Hamburg): Dr. med. Koppe: Wie be-
stimmen wir die Konstitution der Schüler?
Internationales ArehlT für Schulhygiene (Engelmann -Leipzig): 1905
Bd. I, 1. Heft: Albert Mathieu: Pedagogie physiologique ; Julius Moses:
Gliederung der Schuljugend nach ihrer Veranlagung und das Mannheimer
46 Zeitschriftenrundschaü.
System; Schleich: Die Augen der Schüler und Schülerinnen der Tübinger
Schulen; Speidel: Die Augen der Theologiestudierenden in Tübingen; Sakaki:
£rmüdungBme88ungen in vier japanischen Schulen; PatricioBorobioyDiaz:
Les colonies scolairee ou colonies de yacances k Saragosse; A. v. Domitrovich:
Der Hygieniker und die Schulbank; Grancher: Pr^servation soolaire conire
latnberculose; ßoBquillon, Hygiene deT^ducation et de lap^dagogie. — 2.Hft.
Bridou: Le r61e de la gaiet^ dans IMducation; Thomas: Some forms of con-
genital Aphasia in their educational aspects; Burmeister: Über die Ver-
wendung von staubbindenden FußbodenOlen in Schalen; Bndnik: Zur Fra^^e
der Verbreitung des Kropfes unter den Schulkindern; Haunstrup: Scbulbauten
in Dänemark; Hellpach: Die Hysterie und die moderne Schule; Mathieu:
Neurasthenie et Dyspepsie chez les jeunes gens; Jean Philippe et Paul
Boncour: A propos de TExamen mädico-p(§dagogique des ^coliers ^pilepti-
ques; Baraf: Funcion de la Alegria en la Higiene escolar; Magelssen: Über
das Kopfweh — hauptsächlich Migräne — an der Mittelschule; Ralf Wich-
mann: Über die Lage und Höchstzahl der täglichen Unten-ichtsstunden an
Mädchenschulen.
Das Sohulsimmer (Verlag Jobs. Müller -Berlin) 3. Jahrgang Nr. 1, 1905:
Lindemann: Das Schulzimmerfenster; Lehmann: Künstlerischer Wand-
schmuck; Otto Hack-Berlin: Über Zeichenmaterial für die neue Methode;
Albis-Zeichentisch mit Sitzbank.
Gfresiindheits warte der Schule (Verlag Otto Sem nich- Leipzig) III. Jahr-
gang, 1905, Nr. 5. Baldrian: Angewandte Theoretik im Volksschulunterricht;
Delius: Über die Behandlung der Wandflächen in den ünterrichtsträumen
unserer Schulen; Baur: Die künstliche Atmung.
Sohweiaerisohe Blätter für Schulgesundheitspflegre und Kinder-
schuts (III. Jahrgang, No. 5, 1905. Einladung zur VI. Jahresversammlung der
Schweiz. Gesellschaft für Schulgesundheitspflege — Thesen der Referenten —
Zur Frage der Orientierung der Schulzimmer.
Vierteljalinselt Schrift f(ür körperliche Eraiehung (Organ des Vereins
zur Pflege des Jugendspieles in Wien (im Selbstverlag des Vereins): Hergel:
Ideal, Wirklichkeit und der goldene Mittelweg, die Möglichkeit; Hinträger:
Kritische Betrachtungen über österreichische Schulbauten; Stratz: Das Kind
als Erzieher; Tluchof; Eltemkonferenzen imd Elternabende; Pimmer: Das
Eislaufen der Wiener Volks- und Bürgerschüler.
Das Sohulsimmer (Verlag Karl Vanslow, Berlin-Tempelhof) 1905, T.Jahr-
gang, Heft 3: Engelbrecht: Zur Beleuchtung der Schulklassen; Rein icke:
Die neue Weißfrauenschule in Frankfurt a. M.; Boden stein: Wandfriese;
Staiger; Schulhaus für LaufPen a. N.; Heizung und Lüftung von Klassen-
zimmern in dem Neubau der Schule am Lietzensee in Charlottenburg;
Dr. Köttgen: Über Reinigung von Schulzimmem mit besonderer Berücksichti-
gung staubbindender Fußbodeuöle.
Bibliographie. 47
X. Bibliographie.
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IN MEMüBIAM.
Ein hervorragendes Mitglied des Deutschen Vereins
fär Schnlgesuiidheitspflege, ein um die schulhygienische
Wissenschaft und Praxis hochverdienter Gelehrter, der
Generalsekretär des I. Internationalen Kon^esses für Schul-
hygiene in Nürnberg
HOFRAT DR. MED. PAUL SCHUBERT
weilt nicht mehr unter den Lebenden.
Paul Schubert wurde im Jahre 1849 als Sohn eines
Landmannes in Neiße geboren. Nach Absolvierung des
Gymnasiums seiner Vaterstadt studierte er in Berlin,
Breslau und Würzburg Medizin und widmete sich nament-
lich der Augen- und Ohrenheilkunde. Nach längerem
Aufenthalt in Rom ließ er sich 1879 als Augen- und
Ohrenarzt in Nürnberg nieder. Neben seiner Praxis be-
schäftigte er sich eingehend mit der hygienischen Wissen-
schaft, und insbesondere die Schulhygiene verdankt ihm
bahnbrechende Arbeiten. Als Schulhygieniker, als Mit-
glied des Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten in
Nürnberg und als Mann von starker Initiative, von prak-
tischem Sinn und Blick gelang es ihm der Stadt Nürnberg zu schul-
hygienisehen Einrichtungen zu verhelfen, die in vieler Hinsicht muster-
gültig sind. Speziell das Nürnberger Schularztwesen ist durch ihn
ins Leben gerufen worden und unter seiner Führung erstarkt. Die
stadtische Kommission für Schulgesundheitspflege stand bis zu seinem
Tode unter seiner Leitung. Als Arzt war Schubert bei seinen Kollegen
und Patienten hoch geschätzt, als Mensch war er von seltener Herzens-
gute und bestrickender Liebenswürdigkeit. — Inmitten einer rast-
losen Tätigkeit, Arbeitsfreudigkeit und erfolgreichen Schaffenskraft
befiel ihn im Januar dieses Jahres eine tückische Krankheit, der er
am 21. August erlag. Der Deutsche Verein für Schulgesundheits-
pflege hat in Schubert eines seiner tätigsten Mitglieder, die schul-
hygienische Wissenschaft hat in ihm einen ihrer bedeutendsten
Führer verloren.
Griesbach.
<^0^ l^iEO/o"
MAY 25 l'^2I
liB^:^^^
Berichügung.
Durch ein Versehen wurden in der letzten Nummer dieser Zeitschrift die
Aufsätze: „Die überbürdungsfrage der Oberlehrer" und „Des Lehrers
hygienisches Wirken in der Aufnahmeklasse" unter die Rubrik Ori-
ginalabhandlungen gesetzt und als von Oberlehrer Roll er- Darmstadt her-
rührend bezeichnet. Die Sache ist dahin richtig zu stellen, daß beide Auf-
sätze, wie ja bei der Lektüre derselben ersichtlich wird, Referate sind; der
erste ein solches über ein Kapitel aus dem Anhang von Manac^ine: Die
geistige Überbürdung in der modernen Kultur. Übersetzung, Bear-
beitung und Anhang besorgt von Dr. med. Wagner (Natur- und kulturphilo-
sophische Bibliothek, Bd. II, Leipzig 1905, Johann Ambrosius Barth) ; der zweite
Aufsatz schließt sich an einen Abschnitt aus Johannes Berninger: Päda-
gogik und Hygiene (Leopold Voß, Hamburg) an.
Die Redaktion.
I. Originalanfsätze.
Einiges tlber die Stuttgarter Jahresversammlung.
Von Privatdozent Dr. Seit er, Bonn.
Der Allgemeine Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege
kann mit Stolz und Befriedigung auf die diesjährige 6. Versammlung
in Stuttgart zurückblicken. Schon die Zahl der Teilnehmer zeigte
von dem wachsenden Interesse, welches die beteiligten Kreise, Ver-
waltung, Arzte und Lehrer der Schulhygiene entgegenbringen. Er-
freulich war die überaus zahlreiche Beteiligung seitens der Lehrer;
waren doch auch gerade für sie die behandelten Fragen von Wichtig-
keit. Insofern war es günstig, daß kurz vor der Versammlung der
Württembergische Volksschullehrerverein in Stuttgart tagte, dessen
Mitglieder gi'ößtenteils den Sitzungen unseres Vereins beiwohnten.
Weit über die württembergischen Lande hinaus, ja in ganz
Deutschland haben die Verhandlungen in Stuttgart in der Presse
I Widerhall gefunden. Viele Zeitungen und Zeitschriften, vornehm-
52 Dr. Seiter:
lieh die wissenschaftlichen, brachten eingehende, auch meist sehr
wohlwollende Besprechungen. Der Bericht der Zeitschrift für Schid-
gesundheitspflege (1905 Heft 7) hat wegen seines Gehaltes au per-
sönlichen Angriffen uud gehässigen Entstellungen einen üblen Bei-
geschmack. Eine vornehme Zeitschrift kämpft nicht mit solchen
Waffen. Durch seine Unkenntnis über die Arbeiten des Vereins
richtet sich der Artikel selbst.
Was das Ergebnis der Versammlung in Stuttgart anbetrifft,
so empfehlen wir dem Berichterstatter der eben genannten Zeit-
schrift neben dem weitern Studium der älteren Jahrgänge der
„Fliegenden Blätter" einen Artikel der Neckarzeitung vom 29. Juni
1905. Unter anderem findet er dort: „Was will der ganze Kongreß
und was hat er bis jetzt erreicht? Antwort: Erreicht ist bis jetzt
ein gewaltiges Pronunciamento zugunsten einer dreifachen Forderung,
die zusammenhängend mit dem ganzen Zuge der Zeit auch auf dem
Gebiet der Schule sich nicht mehr zurückhalten läßt: mehr Libe-
ralismus, mehr Nationalismus, mehr Naturalismus.''
Einen großen Anklang in der Tagespresse, für und wider, fand
das Referat von Dr. Gastpar, besonders die Forderung „Schularzt
auch für die höheren Schulen". So bringen die „Post", die „Südwest-
deutsche Korrespondenz" und der „Rheinische Kurier" übereinstimmend
einen Artikel, der in viele andere Zeitungen übergegangen ist und
auch für unsere Leser von Literesse sein wird.
„In einer Sitzung des »Deutschen Vereins für Schulgesundheits-
pflege« zu Stuttgart wurde mit großer Mehrheit der Antrag eines
Arztes angenommen, daß den Regierungen nahegelegt werden solle,
die ärztliche Überwachung auf sämtliche Schulen, auch auf die
höheren Knaben- und Mädchenschulen, auszudehnen. Dieser Be-
schluß ist zweifellos nur von Ärzten und Schulmännern gefaßt wor-
den, ohne Zuziehung eines Faktors, der hierbei in erster Linie hätte
mitwirken müssen, nämlich der Eltern, deren Kinder man ärztlich
überwachen will. Es soll hier durchaus nicht bestritten werden, daß
die Schulgesundheitspflege unter Umständen sehr nützlich sein kann,
sie aber ohne weiteres auf alle Schulen auszudehnen, scheint uns
unnötig und viel zu kostspielig zu sein. In der hessischen Zweiten
Kammer zum Beispiel ist vor mehreren Jahren geltend gemacht
worden, daß man für Landgemeinden keine Schulärzte brauche. In
früheren Jahrzehnten ist unsere Jugend auch ohne Schulgesundheits-
pflege gesund und kräftig gewesen. Vor allen Dingen ist zu be-
streiten, daß die Regierungen, ohne die Schüler und deren Eltern zu
fragen^ ärztliche Untersuchungen der ersteren anordnen dürfen: recht-
Einiges über die Stuttgarter Jahresversammlung. 53
lieh kann das unmöglich begründet werden. Solche Untersuchungen
kennzeichnen sich als Zwangsuntersuchungen und bedeuten einen
schweren EingriflF in die persönliche Freiheit. Alle ärztlichen Zwangs-
untersuchungen^ wie sie z. B. von den Eü-ankenkassen und beim Militär
Torgenommen werden, sind für den, der davon betroflPen wird, eine
peinliche Sache. Sie dürften eigentlich nur von Männern vorgenommen
werden, deren humane Gesinnung und deren Taktgefühl über allen
Zweifel erhaben ist, und nur da in Anwendung kommen, wo es un-
bedingt nötig ist. Das Erziehungsrecht und die Pflege der leiblichen
und geistigen Gesundheit des Kindes steht nur den Eitern zu, und
wenn man Kinder ohne die Einwilligang der Eltern ärztlich über-
wachen läßt, so liegt das nicht im Sinne einer freiheitlichen Ent-
wicklung, sondern fühlt zum Polizeistaate mit seiner die Rechte des
Individuums nicht achtenden Willkür. Man versetze sich nur in die
Lage eines heranwachsenden jungen Menschen, der mit einem körper-
lichen Defekte behaftet ist. Er wird ängstlich darauf bedacht sein,
diesen Defekt vor seinen Mitschülern zu verbergen, und wird, wenn
er durch eine rücksichtslose öffentliche Untersuchung gezwungen
wird, seinen Fehler zu offenbaren, seelisch hart gequält werden.
Überhaupt droht die Agitation, die in der Gegenwart von manchen
Ärzten betrieben wird, eine Gefahr für die Allgemeinheit zu werden.
Beispielsweise hat ein Arzt vor zwei Jahren auf dem Kongreß der
Arzte und Naturforscher zu Kassel den allerdings von ihm selbst
als utopistisch bezeichneten Antrag gestellt, darauf hinzuwirken, daß
regelmäßig alle erwachsenen Individuen staatlich angeordneten ärzt-
lichen Untersuchungen unterworfen würden, um dadurch die Mittel
an die Hand zu bekommen, die Yolksgesundheit zu heben. Nötige
man niemandem Wohltaten auf, die er nicht wünscht und nicht als
solche ansieht! Der ärztliche Beruf ist ein freier, wissenschaftlicher
Beruf und genießt deshalb großes Ansehen, weil weitaus die meisten
seiner Vertreter in echt humaner Gesinnung ihren schweren Pflichten
nachkommen. Wenn aber die Arzte heute nach der Staatsgewalt
rufen, um unter Mißachtung der persönlichen Freiheit auf den Staats-
bürger und seine Familienangehörigen einzuwirken, so schaden sie
dem eigenen Stande am allermeisten. In unserer Zeit, da die meisten
Krankenkassen freie Arztwahl zulassen, können Eltern es nicht dulden,
daß ihre Kinder anstatt von dem Hausarzte, der infolge jahrelanger
Tätigkeit der Familie lieb und wert ist, von irgend einem anderen
untersucht werden. Es ist wirklieh dringend zu wünschen, daß sich
die Öffentlichkeit mit der Schulgesundheitspflege beschäftigt, ehe
diese ausartet.^^
54 I^r* Seiter: Einiges über die Stuttgarter Jahresyersammlung.
Man muß sich eigentlich wundem^ wenn heute noch gesa^
wird: Warum Schulärzte? In früheren Jahrzehnten ist unsere
Jugend auch ohne Schulgesondheitspflege gesund und kräftig ge-
wesen.
Jedoch wir wollen hier nicht auf die Frage eingehen, ob und
warum Schulärzte nötig sind, dies ist von berufener Seite schon oft
erörtert worden und darf för uns als im positivem Sinne entschieden
gelten. Schreiber obiger Zeilen scheint es nh einen besonders
schweren Eingriff in die persönliche Freiheit aufzufassen, daß die
ärztlichen Überwachungen auch auf die höheren Knaben- und Mädchen-
schulen ausgedehnt werden sollen. Sind denn die höheren Knaben
und Mädchen andere Menschen wie die Volksschüler, und sind in
den höheren Schulen keine Mißstände vorhanden? Wo Schnlärzte
eingeführt sind, ist von einsichtsvollen Leuten längst anerkannt, daß
die Schulärzte schon viel Gutes gestiftet haben, und daß noch ein
großes Feld zur Bearbeitung auf sie wartet.
Daß die Schüler- Untersuchungen mit allem Takt auszuführen
sind, ist selbstverständlich; auch wird es jedem Schularzt nur lieb
sein, wenn die Eltern möglichst zahlreich bei den Untersuchungen
zugegen sind. Haben die Regierungen einmal das Recht, die Eitern
zu zwingen, ihre Kinder zur Schule zu schicken (und dies wird ihnen
doch wohl keiner mehr streitig machen, wenngleich nicht geleugnet
werden kann, daß es ein schwerer Eingriff in die persönliche Frei-
heit der Eltern ist, denen dadurch nicht mehr allein das Erziehungs-
recht und die Pflege der geistigen Gesundheit der Kinder zugestanden
wird), so wird man wohl nur noch von einer Pflicht der Regierung
reden können, auch für die leibliche Gesundheit zu sorgen. Und
hierfür ist der Schularzt dringend nötig.
Mit Freuden ist es daher zu begi-üßen, daß die württembergische
Regierung als erste den Entschluß gefaßt hat, das Schularztwesen
staatlich zu organisieren und Schulärzte auch für die höheren Schulen
anzustellen.
Konrad Stetter: Die Schulbank. 55
Die Schulbank.
(Nach einem Vortrag, gehalten in der Ortsgruppe Stuttgart des
Allgemeinen Deutschen Vereins fQr Schulgesundheitspflege.)
Von Eonrad Stetter, Stuttgart.
Die Tatsache, daß ich heute vor einer so ansehnlichen Ver-
sammlung über die Schulbankfrage sprechen kann, ist ein erfreu-
liches Zeichen dafür, daß diesem Teil der Schulhygiene neuerdings
ein größeres, seiner Bedeutung entsprechendes Interesse entgegen-
gebracht wird, als es bis vor kurzem der Fall war. Nicht daß ich
etwa sagen und behaupten wollte, es sei bislang nichts oder nicht
viel geschehen auf diesem Gebiete; die mehr als 200 Schulbank-
konstruktionen, die zurzeit existieren, und die diese Zahl noch weit
übersteigenden einschlägigen literarischen Veröffentlichungen könnten
eher das Gegenteil beweisen. Allein es ist doch unverkennbar, daß
durch die beiden schulhygienischen Kongresse des Jahres 1904 das
allgemeine Interesse für die Schulbankangelegenheit mehr rege ge-
macht und — was besonders wertvoll ist — auch in Kreise hinein-
getragen worden ist, die ihr eigentümlicherweise immer noch fremd
gegenüber standen. Ich meine den Kreis der gebildeten Eltern, die
sich bisher fast ausschließlich nur für das Zensurheft ihrer Kinder
interessierten und dabei vergaßen, sich auch um deren, durch schlechte
Schulbänke und ungeeignete Lokale gefährdete Gesundheit zu
kümmern. Ist es doch eine ebenso traurige, als jederzeit nachweis-
bare Tatsache, daß gerade die Kinder der sogenannten besseren
Kreise in dieser Beziehung am schlechtesten daran sind, weil sie des
guten Tones wegen in Privatschulen geschickt werden, die in bezug
auf die hygienischen Bedürfnisse in 90 von 100 Fällen der ärmsten
Dorfschule noch nachstehen. Das wäre natürlich sofort anders, wenn
die Herren Väter für das teure Schulgeld, das ihr Liebling kostet,
nicht nur guten Unterricht, sondern auch gute Luft, gutes Licht
und gute, d. h. nach hygienischen Grundsätzen gebaute Schulbänke
beanspruchen, bzw. die Beschickung einer solchen Anstalt abhängig
machen würden von der Anschaffung einer, der naturgemäßen Körper-
entwicklung des Kindes forderlichen Schuleinrichtung. Wenn dies
bisher nicht oder nur in Ausnahmefällen geschehen ist, so liegt die
Schuld lediglich an der Unkenntnis der Gefahren, die ein schlechtes
Gestühl für Leben und Gesundheit der Schüler im Gefolge hat, und
gerade hier kann unser Verein segensreich wirken, indem er nicht
56 Konrad Stetter:
nur die Leute vom Fache, sondern auch die Eltemkreise för die
Schulhygiene, speziell für die Hygiene der Schulbank interessiert.
Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen die schädlichen
Folgen einer schlecht gebauten Schulbank nach Ursache und Wirkung
vorführte, ich möchte vielmehr bitten, daß sich einer der Herren
Ärzte der interessanten und dankbaren Aufgabe unterzieht, später
einmal in einem besonderen Vortrage über die durch schlechte
Schulbänke hervorgerufenen oder geforderten Schulkrankheiten zu
sprechen. Ganz kurz nur sei daher heute auf die im direkten und
teilweise ursächlichen Zusammenhange mit dem Schulgestühl stehende
Kurzsichtigkeit, auf die Rückgratverkrümmung, auf die imheilvoUe
Beeinflussung der Lungen- und Herztätigkeit und auf die vielfachen
Störungen der Verdauung und des Allgemeinbefindens hingewiesen.
Durch die verdienstvollen Untersuchungen Hermann Gohns
wurde die rapide Zunahme der Myopie in den Schulen erstmals
nachgewiesen und zwar zeigten diese Untersuchungen, daß die Zahl
der emmetropischen Schulkinder von Klasse zu Klasse kleiner wird.
Myopische Schüler fanden sich nach Desing in der
I. II. HI. IV. V. VI. Klasse:
in den Volksschulen 1,4 1,5 2,6 — — — Prozent.
„ „ Elementarschulen 3,5 9,8 9,8 — — — „
„ „ Realschulen 9,0 16,7 19,2 25,1 26,6 44,0 „
„ „ Gymnasien 12,5 18,2 23,7 31,1 41,3 55,8 „
Ebenso schädlich ist der Einfluß eines schlechten Schulgestühls
auf die Entwicklung der Wirbelsäule. Wenn die Rückgratsver-
krümmung neuerdings auch nicht mehr ganz auf Rechnung der
schlechten Schulbank gesetzt, sondern auf eine vorhandene Anlage
zurückgeführt wird, so steht es doch außer Frage, daß die Ent-
wicklung der Skoliose durch ein nach hygienischen Grundsätzen
gebautes Subsell ebenso wirksam hintangehalten, wie durch ein
schlechtes gefördert werden kann.
Sicher ist auch, daß eine ganze Reihe von Gesundheitsstörungen,
die man gemeinhin als „Schulkrankheiten'' bezeichnet, auf das Sitzen
in unhygienischen Schulbänken zurückzuführen ist. Hat man eine
Einrichtung aber einmal als schädlich erkannt, so heißt es, sie
raschmöglichst zu entfernen und durch eine bessere zu ersetzen.
Es gilt somit in erster Linie sich darüber zu informieren, wie
eine gute Schulbank beschaffen sein soll. Demzufolge ist zu unter-
suchen, welche Anforderungen gestellt werden müssen an ein nach
hygienischen Gesichtspunkten konstruiertes Subsellium, nebenbei ist
Die Schulbank. 57
aber darauf zu achten^ daß die vom Theoretiker aufgestellten
Forderungen auch praktisch durchführbar sind. Wir haben uns
also Klarheit darüber zu verschaflFen, ob es sich empfiehlt, eine den
hygienischen Anforderungen vollkommen entsprechende Schulbank
zu suchen und demgemäß dahin zu streben, die technischen, finan-
ziellen und persönlichen Hindernisse, welche bislang als unüber-
windbar galten, mit Aufwendung erhöhter Kräfte zu bemeistem,
oder aber, ob es nicht zweckmäßiger wäre, eine relatiy toII-
kommene Schulbank zu ermitteln, das heißt eine Bank, deren all-
gemeinere Anwendung in allen Neubauten möglich erscheint. Von
den meisten Hjgienikern ist im Verlaufe des letzten Vierteljahr-
hunderts der erstere Weg beschritten worden, nach den erzielten
Erfolgen muß er aber entschieden als „Holzweg" bezeichnet werden.
Komplizierte Schulbankeinrichtungeu, wie sie z. B. Burgerstein
empfiehlt, kosten nicht nur dreimal mehr Geld, als bislang für diese
Zwecke verfügbar war und ist, sondern es kostet auch die Instand-
haltung dreimal mehr; ferner muß der geeignete Gebrauch durch
sachverständige Personen überwacht werden.
Es gilt daher meines Erachtens, mit den verfügbaren, bezw.
erreichbaren Mitteln das relativ Vollkommene in ganz vor-
züglicher Ausführung zu beschaffen, nicht aber etwa das denkbar
Idealste und Vollkommenste mit unzureichenden Mitteln in mangel-
hafter Ausführung! Demzufolge wird in erster Linie festzustellen
sein, was unter allen Umständen von einer Schulbank zu verlangen
ist und wieweit diese Anforderungen mit den heute zu Gebote
stehenden Mitteln zu erreichen sind. Am ehesten wird man hierbei
zum Ziele kommen, wenn man sich den Zweck der Schulbank vor
Augen hält. Nach Domitrovich ist die Schulbank
„ein gemeinnützigen Zwecken dienendes Möbelstück, das einer
nach Körpergröße und Körperproportion heterogenen Vielheit zu
dienen und außerdem noch hygienischen, pädagogischen, techni-
schen und ökonomischen Anforderungen, die im Wesen des Schul-
instituts, bezw. des sozial-wirtschaftlichen Lebens liegen, zu ge-
nügen hat. Die Schulbank ist nicht als Einzelding zu bewerten,
sondern als das Glied einer Kette, das zu den andern Gliedern,
zu der ganzen Kette, zur Bestimmung derselben in enger Wechsel-
beziehung steht, indem es einesteils von diesen Faktoren abhängt,
anderenteils aber diese auch wieder beeinflußt. Der Begriff
„Schxdbank" umfaßt sonach eine Einheit, die nur in der Vielheit
und im Bereiche der Anforderungen des Schulzimmers zur Geltung
kommt. Man kann deshalb nicht endgültig über den Wert eines
58 Konrad Stetter:
Gestühls als Schulgestühl entscheiden, wenn dieses einzeln und
an einem beliebigen Ort aufgestellt worden ist; das Resultat einer
solchen Prüfung ist absolut wertlos, weil hierbei eine Anzahl von
Momenten außer Betracht blieb, die erst in Wirksamkeit treten,
wenn ein Klassenraum mit der entsprechenden Anzahl von Ge-
stühlen ordnungsgemäß ausgestattet wird und hierbei auch noch
die gesundheitlichen, technischen und schulwirtschaftlichen Mo-
mente in Erwägung gezogen werden, die nun Tag für Tag ihre
Anforderungen an das Gestühl stellen."
Bei einem Hausschülerpult handelt es sich um die Beschaffung
eines, einem einzelnen Kinde angepaßten Gestühls, es kommt also
nur die Anpassung an die Körpergröße dieses einen Schülers
in Betracht, wogegen es sich bei einer Schulbank nicht darum
handelt,
„wie ein einzelnes Kind, sondern wie die Gesamtheit der Kinder,
auf die auch noch andere Schädlichkeiten als jene einer schlechten
Anpassung der Bestuhlung einwirken, am relativ vollkommensten
hygienisch beschützt werden kann. Es handelt sich hier darum,
jenen Kompromiß der verschiedenen Anforderungen zu finden,
bei dem sich die Gesamtheit der Kinder noch am relativ wohlsten
fühlt. Das Wohlbefinden des einzelnen soll zwar auf das höchste
gesteigert werden, muß sich aber dem Wohlbefinden der Gesamt-
heit unterordnen, und der Schutz des einzelnen darf sich nur
90 weit erstrecken, als dadurch der Schutz der Gesamtheit noch
am relativ vollkommensten erreichbar ist — ähnlich wie sich in
der Gesellschaft der Schutz der subjektiven Freiheit dem Schutz
der allgemeinen Freiheit unterorduen muß. Denn die Schulbank
steht nicht im Dienste des Individuums, sondern im Dienste der
Allgemeinheit.^^
Diese Sätze führen zwanglos zu dem Schlüsse, daß die gene-
rellen Eigenschaften eines Schulsubsells vor den speziellen
festzustellen und zu berücksichtigen sind. Die generellen An-
forderungen schließen das Wohlbefinden der Allgemeinheit ein; sie
bilden die Summe der hygienischen, pädagogischen, wirtschaftlichen
und technischen Anforderungen, welche im Bereiche des Klassen-
raumes auftreten, sie stehen demnach in unmittelbarem Zusammen-
hang mit dem System. Die speziellen Anforderungen beziehen
sich auf die Körpergröße, Körperproportion und Körperform des
Individuums, also auf die Abmessung der Bank. Schulbank-
system und Schulbankabmessung sind sonach als zwei verschie-
dene Begriffe auseinanderzuhalten, und wenn in manchen hygie-
Die Schulbank. 59
nischen Handbüchern immer noch nicht zwischen System und
Abmessung unterschieden, sondern das System nach den Abmessungen
bewertet wird, so beweist das eben nur die Rückständigkeit und
Oberflächlichkeit dieser Publikationen.
Bezüglich der generellen Anforderungen an das Schulgestühl
läßt sich nun erfreulicherweise konstatieren, daß sich in den letzten
zwei Jahrzehnten die Ansichten der Fachmänner immer mehr ge-
nähert haben, eine Tatsache, die durch die Ergebnisse des inter-
nationalen Kongresses für Schulgesundheitspflege Nürnberg April
1904 und der XII. Jahresversammlung der schweizerischen Gesell-
schaft für Schulgesundheitspflege Bern Juni 1904 auf das beweis-
kräftigste dokumentiert worden ist. Auf beiden Veranstaltungen
zeigte sich hinsichtlich der generellen Anforderungen an ein Schul-
gestühl die größte Meinungsgleichheit und wurde fast von allen
Referenten verlangt:
„Die Bauart der Bank soll: 1) nicht mehr als zweisitzig sein;
2) keine beweglichen Teile haben; 3) ein geschlitztes oder gerilltes
Fußbrett haben, mindestens von der Breite der Fußlänge; 4) einen
für das Schreibsitzen bemessenen Lehnenabstand haben; 5) so be-
schaffen sein, daß das Aufstehen durch Heraustreten aus dem
Gestühl erfolgt (als Folge von Leitsatz 2 und 4); 6) das Auf
stehen ohne hygienische Beanstandung leicht und bequem ermög-
lichen; 7) eine möglichst vollkommene Freilegung des Fußbodens
gestatten', 8) eine Auswechslung der Bankgrößen leicht ermög-
lichen; 9) eine willkürliche Änderung der Aufstellungsordnung
der Bestuhlung unmöglich machen; 10) die sogenannte „deutsche*'
sein (Pult mit zugehörigem Sitz fest verbunden); 11) Einzellehnen
für jeden Sitz haben; 12) ein sich der Sitzfläche des Körpers
anpassendes Sitzbrett haben; 13) eine an das Sitzbrett voll an-
schließende Lehne haben, deren unterster Teil für das Gesäß aus-
gerundet, deren mittlerer Teil für den Kreuzwirbel nach vorn
gebauscht und deren oberer, über dem Lehnenbausch gelegener
Teil etwas nach hinten geneigt ist; 14) eine geneigte Pultplatte
haben und 15) darf die Möglichkeit der Herstellung und Ein-
ftihrung der Bauart nicht durch geldliche oder andere Hindernisse
erschwert oder gar hinfällig gemacht werden."
Diese Forderungen befinden sich in Übereinstimmung mit den
ministeriellen Bestimmungen verschiedener Länder und Staaten, so
daß sich jetzt also in dieser Richtung bereits ein festes Programm
für ein relativ vollkommenes Schulbanksystem aufstellen läßt.
Die speziellen Forderungen hingegen sind noch nicht in der
60 Eonrad Stetter:
wünschenswerten Weise festgestellt, sondern stehen als oflFene Frage
noch zur Erörterung. Es handelt sich hier zunächst um die An-
passung des Gestühls an die Körpergröße, Körperproportion und
Körperform des Schulkindes.
„In dem Bestreben, diese Anpassung möglichst vollkommen vor-
zunehmen, sind zwei verschiedene Prinzipien zu unterscheiden,
nämlich das Prinzip der Individualisierung des Gestühls
(Universalbank) und jenes der Generalisierung des Gestühls
(feste Gxuppenbank). Das erstere Prinzip trachtet ein und das-
selbe Gestühl für jede Körpergröße anpaßbar zu bauen, während
bei letzterem die Anpassung dadurch bewerkstelligt wird, daß man
den Unterschied zwischen der Körpergröße des kleinsten und des
größten Schulkindes des schulpflichtigen Alters in eine ent-
sprechende Anzahl von Größengruppen teilt und dann für jede
Größengruppe je ein Gestühl nach der mittleren Körpergröße
dieser Gruppe herrichtet."
Da von mancher Seite immer wieder die Individualisierung
der Schulbank (Prinzip der universalbank) gegen die Generali-
sierung (Prinzip der Gruppenbank) empfohlen wird, so dürfte es
am Platze sein, zur Herbeiführung einer endgültigen Entscheidung
hierüber eingehendere Betrachtungen anzustellen. Dabei gelangt
man nach A. v. Domitrovich zu folgenden Fragen:
I. Wodurch wurde die Bestrebung zu individualisieren
eigentlich hervorgerufen?
Die alte vielsitzige Schulbank wurde kaum in zwei Größen fÖr
eine Schule hergestellt und es saßen in ihr 8 und auch mehr Kinder.
Dies hatte die Notwendigkeit eines sehr großen Lehnenabstandes
zur Folge, der sich nicht bloß für das Aufstehen in der Bank,
sondern auch für das aneinander Vorbeipassieren der Kinder beim
Ein- und Austreten eignen mußte. Diese alte Schulbank war der
Körpergröße und Proportion der Kinder nicht besser angepaßt, als
es die Kinderkleider der Biedermeier-Zeit waren, die mit Rücksicht
auf das Wachstum für längere Zeit voraus bemessen wurden. Nicht
allein die Vielsitzigkeit, sondern auch noch der Umstand, daß neben
dem Siebenjährigen auch noch der Zehn- oder gar Fünfzehnjährige
sitzen mußte, hatten zur Folge, daß die Schulbank auf einige
Jahre voraus, d. h. daß sie mit Rücksicht auf die größeren Bank-
iiisassen bemessen werden mußte. Mit der praktischen Durchführung
der allgemeinen Schulpflicht wurden dann immer mehr Kinder
Die Schulbank. 61
gleichen Alters in den einzelnen Klassen zusammengeführt^ infolge-
dessen bewegten sich dann auch die Größenunterschiede der Kinder
in engeren Grenzen. Als dann bei dem auch länger andauernden
Unterricht Schädlichkeiten an dem kindlichen Körper zutage
traten^ da wurde man auf die höchst unvollkommene Anpaßbarkeit
der allzu reichlich bemessenen alten Schulbänke aufmerksam, und
die Theorie glaubte nunmehr einzig nur in der dem Individuum
entsprechenden absolut vollkommenen Anpassung das Heil erblicken
zu müssen. Damit ist aber die Theorie ins Extreme verfallen, die
Praxis hingegen schlug mit Rücksicht auf die beiden hier vorwalten-
den Umstände folgenden, zweifellos richtigeren Weg ein:
1) Da infolge der allgemeinen Schulpflicht in den Klassen die
Größenunterschiede der Kinder sich jetzt in engeren Grenzen be-
wegten als ehedem, so wurden die Abmessungen des Gestühls ent-
sprechend reduziert, und da
2) der Unterricht andauernder und die Schreibtätigkeit der
Kinder langwieriger geworden war als vordem, so wurde der
Lehnenabstand jetzt demgemäß bemessen.
Beides ist mit der Gruppenbank erfüllt worden, die einerseits
für je um 10 cm diflferierende Größengruppen eine nach der mitt-
leren Körpergröße der Gruppe bemessene Bankgröße bietet, wobei es
sich also im ungünstigsten Falle nur um einen Größenimterschied
der Kinder von 5 cm handelt, dessen Wirkung in den Abmessungen
des Gestühls, da diese nur Prozentsätze der Körpergröße betragen,
noch herabgemindert wird; andererseits hat die Gruppenbank den
unveränderlichen für das Schreibsitzen bemessenen Lehnen-
abstand eingeführt. Die Argumente, die in den schulhygienischen
Handbüchern und vereinzelten Schulbankschriften vorgebracht werden,
wo man Kinder schreibend abgebildet sieht, die an der Kante eines
ihnen fast unter das Kinn reichenden Tisches hängen, hat mit den
Abmessungen der Gruppenbank absolut nichts zu schaflFen; solche
Abbildungen beziehen sich nur auf die unvollkommenen Abmessungen
der alten Schulbänke längst vergangener Zeit und es ist ganz un-
berechtigt, auf Grund von Darstellungen, die mit den Abmessungen
der Gmppenbank in gar keinem Zusammenhange stehen, heute auf
die Notwendigkeit des Individualisierens hinzuweisen. Wer aber
vermag nachzuweisen, daß die nach den Angaben von Dr. Spieß -
Frankfurt bemessene Gruppenbank Schädlichkeiten fiir die Ent-
wicklung des kindlichen Körpers im Gefolge hat? Mit der Gruppen-
bank ist die hygienische Anpaßbarkeit der Schulbank erfüllt, ja sie
ist vollkommener erreicht, als sie mit der sogenannten Individuali-
62 Mitteilungen aus dem Zentralverein.
sienmg erreicht werden kann, wie dies die nachfolgenden Betrach-
tungen erweisen werden.
II. Ermöglicht die Individualisierung (Universalbank)
eine genauere Anpassung als die Generalisierung
(Gruppenbank)?
Es sind z\^'ei Arten der Individualisierung zu unterscheiden:
1) Die vollkommene Individualisierung, welche ermöglichen
würde, daß alle Abmessungen und zwar unabhängig voneinander
angepaßt werden können, also vor allem: Sitzhöhe, Differenz,
Lehnenabstand, Dimension und Form des Sitzbrettes, sowie
auch der Lehne. Ein derartiges Gestühl würde aber eine so kom-
plizierte Konstruktion, so große Herstellungs- und Unterhaltungs-
kosten erfordern, daß es nach menschlichem Ermessen niemals als
Schulbank Verwendung finden könnte, selbst wenn es schon erfunden
wäre, was aber noch gar nicht der Fall ist.
2) Die teilweise Individualisierung, bei der voneinander nach
einer gewissen Gesetzmäßigkeit abhängig nur Sitzhöhe, Differenz
und Lehnenabstand geändert werden können, während Sitzbrett und
Lehne ihrer Form und Abmessung nach stets gleich bleiben.
(Schluß folgt.)
IL Mitteilungen aus dem Zentralverein.
Verstorben.
Schuldirektor Dr. Beyer-Leipzig, früher erster Schriftführer der Vereine.
Hofrat Dr. med. Paul Schubert, Augenarzt, Nürnberg, Generalsekretär des
ersten Internationalen Kongresses für Schulgesundheitspflegc.
Neue Mitglieder.
1642 Königin Olgastift, Stuttgart, Johannesstraße 18.
Magistrat Kattowitz, Oberschlesien.
Rektorat der I« Bürger-Knabenschule z. H. des Herrn Dr. H. Greiner,
Magdeburg.
Breul, Dr. med., städt. Schularzt, Hannover.
Deutsch mann, Dr., Meiderich, Niederrhein.
Freund, Dr., G., Stettin, Königs tor 8.
Gallewski, Dr., M., prakt. Arzt und Nervenarzt, Kempen (Posen).
Jäger, Profe&sor Dr. med., Generaloberarzt, Straßburg i. Eis.
1550 Langhorst, Dr., Delmenhorst.
Maurer, Dr., Tb., Mülhausen i. Eis.
Pt*e, Dr. med., Ad., Frauenarzt, Altenburg, S.-A., Lindenau-Straße 19.
Nachrichten aus den Schwestervereinen des Auslandes. 63
Raydt, Studiendirektor und Professor, Leipzig.
Schiller, Dr., Karlsruhe, Baden.
Schmidt, Dr., Bastian, Zwickau i. S.
Sikinger, Dr., Stadtschulrat, Mannheim.
Silber Schmidt, Priv.-Doz. an der Universität Zürich.
Staats, Dr., Friedrich, Oberlehrer am Gymnasium zu St. Maria Magdalena,
Breslau XYI, Piastenstraße 8.
Ullrich, Dr., Aug., Rektor der städt. höheren Mädchenschule in Nürnberg.
1560 Vetter, G., Medizinalrat, Waldkirch, Breisgau Baden.
Weiskorn, Dr. med., prakt. Arzt, Bonn-Poppelsdorf, Friedrichstraße.
Wernicke, Dr., Alex, Direktor der Oberrealschule und Professor an der
techn. Hochschule, Braunschweig.
Wortmann, Dr., prakt. Ar/t, Hagen i. W.
Ehrenmitglieder.
Kalle, Prof. Stadtrat Dr., Wiesbaden.
Obertüschen, Dr. med., G., Sanitätsrat, Wiesbaden.
Zusammensetzung des Vorstandes.
Vorsitzender: Prof. Dr. med. et phil. H. üriesbach, Mülhausen i. E.
Beisitzer: Dr. med. Ludwig Bauer, Arzt und Dozent für Hygiene a. d.
techn. Hochschule in Stuttgart; Geh. Oberbaurat Delius, Vortragender Rat
im Egl. Preuß. Ministerium der öffentlichen Arbeiten Berlin, erster stellver-
tretender Vorsitzender ; Prof. Dr. Arthur Hart mann -Berlin; Dr. med. M. Kor-
man, Arzt, Leipzig (übernimmt die Schriftfühmng in den JahresTersammlungen
und den Vorstandssitzungen); Oberbürgermeister Müller, Mitglied des preuß.
Herrenhauses, Kassel; Sanitätsrat Dr. F. A. Schmidt- Bonn; Gemeinderat
Stockmeyer-Stuttgart; Stadtschulrat Dr. Wehr h ahn -Hannover, zweiter
stellvertretender Vorsitzender.
Schatzmeister: R. Quelle, Prokurist der Verlagsbuchh. B. G. Teubner,
Leipzig.
Geschäftsführer: A. Diemunsch- Mülhausen i. E.
IIL Nachricliten aus den Schwestervereinen des
Auslandes.
Zu der Jahresversammlung der Ligue des medecins et des familles, zu
der ein Delegierter seitens des deutschens Vereins leider nicht gesandt werden
konnte, schickte der Vorsitzende des deutschen VereiuH für Schulgesundheits-
pflege folgenden Gruß: L'association generale allemande de Thygiene scolaire
envoie ä la sociäte affilit^e, Ligue des medecins et des familles pour Thygiene
scolaire, les meilleures salutations ä roccasion de son deuxieme Congres et
lui exprime ses vceux pour que son travail soit couronne de succes.
64 Mitteilungen auB KongreBsen und Vereinen.
IV. Mitteilungen aus Kongressen und Vereinen.
— Aus Holland. V. E. O. Verein für Vereinfachung und Ver-
besserung der Examen und des Unterrichts. Am 22. April fand die
vierte Jahresversammlung des V. £. 0. statt. Auf schönes warmes Wetter
hoffend, hatte man das herrlich gelegene Hotel de witte Brug, zwischen
dem Haag und Scheveningen, zur Zusammenkunft gewählt.
Dem Jahresberichte entnehmen wir folgendes : Die Hauptarbeit des Vereins-
vor8tan<les sollte sein, die ünterrichtsprogrammo der Elementarschulen zu
sammeln, zu untersuchen und zu beurteilen. Nicht so wie in Deutschland ist
der Lelirstoff gesetzlich vorgeschrieben; bei uns wird den verschiedenen Ge-
meinden darin eine große Freiheit gelassen, und diese setzen den Lehrstoff fest,
indem sie sich nach den Bedürfnissen der Bevölkerung richten. £ine Kom-
mission wurde damit beauftragt, das dazu erforderliche Material zu sammeln.
Es gelang ihr jedoch nicht, sich der benötigten Lehrprogramme zu bemäch-
tigen. Die Kommission wird einen erneuten Versuch anstellen, ihre Aufgabe
in diesem Jahre zu lösen.
Die Abteilungen des V. E. 0. sandten ausführliche Berichte ein über den
Zustand des Elementarunterrichts und fügten ihre motivierten Wünsche und
VorscbUige zur Verbesserung hinzu. Der Hauptvorstand hatte ihnen sieben
Fragen zur Beantwortung vorgelegt. Sie lauteten:
L Aus wieviel Schülern dürfen höchstens die Klassen der Elementar-
schule, der Vorbereitungsschule und der Schule für fortgesetzten
Unterricht bestehen, wenn der Untericht und die Erziehung das ver-
langte Ziel erreichen sollen?
n. Welche Anforderungen dürfen an die Lage der Schule gestellt werden
hinsichtlich der erwünschten Huhe und Spielgelegenheit? Wie sollen
die Spielplätze eingerichtet werden?
Iir. Was ist Ihre Meinung über Schulwanderungen und Schulausflüge?
Sollen erstere einen integrierenden Teil des Unterrichts bilden und
gesetzlich eingeführt werden? Gilt dasselbe für die Ausflüge:
IV. Wieviel Stunden sollen die Kinder während jeder Schulzeit tatsäch-
lich Unterricht empfangen? Soll man dabei einen Unterschied
machen zwischen den oberen und den unteren Klassen? Wie lange
soll jede Unterrichtsstunde dauern? Sollen die verschiedenen Fächer
und Klassen dabei in Betracht gezogen werden? Halten Sie Ihre
Vorschläge zur Verbesserung für ausführbar ohne Beschränkung der
Quantität des Lehrstoffes und der Schülerzahl per Klasse?
V. Werden bei der jetzigen Einrichtung der Schulen die Körperübungen
genügend berücksichtigt? Welche Änderungen wünschen Sie?
VI. Ist Einschränkung des Lehrstoffes erwünscht hinsichtlich des Umfangs
und der Anzahl der Lehrfächer?
VII. Können die Elementarschulen die Hausarbeit ganz entbehren, oder
soll sie in einigen Fächern beibehalten werden? Was für Aufgaben
sollen alsdann zu Hause gemacht werden?
MitteiluDgen aus Kongressen und Vereinen. 05
Die Antworten machten den Hanptvorstand mit den Wünschen der Mit-
glieder bekannt und zeigten ihm, wo Abhilfe zu allererst nötig ist. Der Haupt-
vorstand zog aus den Abteilungsberichten folgende Konklusionen, welche dem-
nach das Ziel seines Strebens für die nächsten Jahre enthalten:
1. Herabsetzung der Schülerzahl in jeder Klasse. (Diese Zahl beträgt in
den öffentlichen Schulen jetzt 45 — 66 ungefähr für die Elementar-
schulen, 26 oder weniger für Gymnasium und Realschule.)
2. Eine bessere Einrichtung der Spielplätze, so daß das Freiluftspiel
häufiger geübt werden kann.
3. Eine zweckmäßige Einrichtung der Schulgebäude, so daß Licht und
Luft freien Zutritt haben und ruhestörende Einflüsse beseitigt werden
können.
4. Einführung von Schulwanderungen.
6. Eine Einschränkung der Unterrichtszeit, ohne Verkürzung der Schul-
zeit überhaupt; erstere schafft Zeit für längere Pausen und Spielzeiten.
Der Unterrichtsstoff braucht dabei nicht eingeschränkt zu werden.
Besonders in den unteren Klassen sollen die Unterrichtsstunden kürzer
sein (20 — 40 Minuten).
6. Bewegungsspiele in freier Luft für alle Schüler.
7. Abschaffung der Hausaufgaben für die unteren Klassen, bedeutende
Herabsetzung für die höheren Klassen der Vorbereitungsschule.
Zunächst wird der Verein danach streben, 6. und 7. zu erreichen; dieses
wird seine Aufgabe im Winter 1906—1906 bilden.
Über folgende Gegensfönde wurden im Winter in den Abteilungen Vor-
träge und Vorlesungen gehalten:
1. In welcher Weise und wo soll der Unterricht vereinfacht und ver-
bessert werden?
2. Das Französisch bei den Aufnahmeprüfungen für das Gymnasium und
die Höhere Bürgerschule.
3. Schule und Familie: Verbündete oder Feinde?
4. Der Einfluß der Eltern auf den Erfolg des Unterrichts in den fremden
Sprachen und ihre Mitwirkung.
6. Schulideale!
C. Schulhygiene.
7. Schulärzte.
8. Körperübungen.
9. Der Elementarunterricht und der fortgesetzte Unterricht.
10. Die Ventilation der Klassenzimmer. >
11. Die Hausaufgaben.
Als Erfolg seiner Bemühungen im vergangenen Jahre kann der Verein
folgende Resultate aufweisen: In zwei Städten wurden die Aufnahmeprüfungen
abgeschafft, so daß die Schüler, welche die Elementarschule absolviert haben,
in die Realschulen und das Gymnasium eintreten, nachdem der Direktor der
Elementarschule schriftlich die genügende Vorbereitung der betreffenden Schüler
bestätigte. Der Rat der Stadt Zaandam fügte eine Klasse zu den sechs be-
stehenden Klassen der Elementarschule, so daß die Berufswahl um ein Jahr
hinaufgerückt wird.
In der Stadt ZwoUe bekam das Gymnasium neue Bänke, und Schulpausen
wurden eingeführt.
Otttnnde Jugend. V. 8/4 6
66 Mitteilungen aus Kongressen und Vereinen.
Die Diskussionen waren dieses Jahr weder interessant noch umfangreich,
weil die Versammlung einstimmig auf der Ausführung der yorgeschlagenen
Anträge bestand.
Nach einer Pause fand eine öffentliche Sitzung statt; als Redneriu trat
Fräulein Ida Heyermans auf, die einen fesselnden freien Vortrag hielt über:
Über das Zuviel und Zuwenig in unserem Unterricht. Nur ganz
gedrängt will Rednerin dieses Thema behandeln und ausschließlich ihre
eigene Meinung vertreten.
Keine Idee steht ganz vereinzelt da; obgleich vieles unerklärlich ist, be*
steht augenscheinlich ein gewisser Zusammenhang zwischen Ideen und gesell-
schaftlichen Verhältnissen, infolgedessen ebenfalls zwischen der Schule und
der Gesellschaft, zwischen Unterricht und ökonomischen Zuständen. Redneriu
beleuchtete diesen Satz mit einigen Beispielen: Der Unterricht in Sparta, oder
vielmehr die Erziehung in diesem agrarischen, kriegerischen Staate zielte
einzig und allein auf Kraftentwicklung; in Athen, wo der Handel mehr in den
Vordergrund trat, im Mittelalter, wo das Christentum zur Gewalt gelangte,
wurden dem Unterrichte andere Ziele gesetzt. Nach der französischen Revo-
lution trat wieder eine bedeutende Änderung ein: die feudale Gesellschaft
stürzte und eine neue, auf den Besitz, auf die Konkurrenz gegründete, ent-
stand. Die Wissenschaft nahm einen hohen Schwung und glaubte alles er-
klären zu können. Diese Gesellschaft prägte ihr Siegel auf die Schule: in der
Klasse herrscht die Konkurrenz zwischen den Schülern ebenso wie außerhalb
der Schule zwischen den Erwachsenen. Der Unterricht bereitet vor auf den
Kampf und nicht auf gegenseitige Hilfe. Ein Beispiel: In einer neu ein-
getretenen Klasse sieht Rednerin junge Mädchen schreiben mit vorgehaltener
Hand: sie beschützen ihre Arbeit gegen andere; andere schreiben heimlich ab
und finden dies natürlich; nach ihrer Meinung gehört das zum Unterricht.
Beide müssen einsehen lernen, daß die Arbeit einzig und allein bezweckt, sie
tüchtiger und kräftiger zu machen. Der Geist der Konkurrenz herrscht natür-
licherweise in der Schule, weil er außerhalb der Schule vorherrscht; die
Prüfungen dienen ja dazu, die Schwächeren zu eliminieren, und die Lehrer
und Erzieher sollen dazu mitwirken. Wer lehren will, verrichtet eine soziale
Arbeit, denn die Schüler von heute werden morgen die Führer sein, welche
dem Strom des Lebens eine neue Richtung geben werden.
Das Zuviel bezieht sich nicht bloß auf die Examen und die Konkurrenz,
die Überschätzung der Wissenschaft führte zur geistigen Überladung. Zuviel
Kenntnisse und Wissenschaft brachten wir in die Schule und versäumten, die
im Menschen schlummernden Kräfte zu entwickeln. Durch unsere einseitige
Verstand esbildung konnte sich das Originelle, das Geniale auf den Schul-
bänken nicht äußern. Unser System eignete sich nur für diejenigen, die
hineinpaßten, eine Minderzahl, weil der Unterricht positives Wissen bezweckte
und seine Hauptaufgabe übersah: das Wecken der schlafenden Kräfte des
Kindes.
Das Ziel des Sprachunterrichtes in der Elementarschule soll sein, das
Kind zu lehren, seine Gedanken auszudrücken, die von andern zu verstehen,
seinen Wortvorrat zu erweitem; aber die Kinder lernen jetzt noch viele ver-
altete Wortformen; bei der Aufnahmeprüfung für die Fachschule (13 Jahre)
schreiben sie schlechte Aufsätze, mit schlechter Interpunktion, in altmodischer
Sprache; im Rechnen können sie Fässer sich entleeren lassen und besitzen
Mitteilungen aus Kongressen und Vereinen. 67
wenig praktische Kenntnisse; in der Geographie kennen sie die Karte des
Landes auswendig, geben sich jedoch nicht über die sie umgebenden Sachen
Rechenschaft; in der Geschichte wissen sie einige Begebenheiten, kennen das
Leben von ein paar hervorragenden Personen und wissen nichts von den
Sachen, die ihnen zunächst liegen.
Wäre die Vorbereitung der Lehrer auf ihren künftigen Beruf nur anders!
Sie ist ganz verfehlt. In der Aufnahmeprüfung für Seminarschüler (14 Jahre)
wurde gefragt: „Was geschah unter den Regierungen dei; Könige Wilhelm L
und Wilhelm IIL, um den Handel von Amsterdam und Rotterdam zu fördern?
In welchem Familienverhältnisse stand Karl V. zu Philipp 11., Philipp dem
Schönen, dem Kaiser Maximilian, Ferdinand von Arragonien?" Rednerin führte
eine Menge Proben an, um zu zeigen, wie auf dem Gebiete der Pädagogik
jungen Lehrern (18 Jahre) in den Examen eine Weisheit abgefragt wird, als
hätten sie schon Jahre vor der Klasse gestanden.
Glücklicherweise verschwindet der größte Teil des Unterrichtsstoffes aus
unserem Gedächtnis, sonst bliebe kein Raum übrig für die Vernunft, ohne
welche wir den Unterricht nicht vereinfachen und verbessern könnten.
Obiges ist etwas über das Zuviel, nun folgt das Zuwenig im Unterricht.
Zuerst weist Rednerin auf die Vernachlässigung des Unterrichts seitens der Obrig-
keit hin. Manchmal wird für Schwachsinnige besser gesorgt als für normale
Kinder, man betrachtet nur den künftigen Beruf als das zu erreichende Ziel,
nicht die Ausbildung zum Menschen; arme Kinder werden mit minimalen
Kenntnissen ins Leben hin ausgeschickt, andere lernen alles, was sie möglicher-
weise zum künftigen Berufe brauchen könnten. Es wäre richtig, wenn der
Mensch bloß ein Arbeiter im engeren Sinne wäre. Von der Schule wird jetzt
ein politisches Ballspiel gemacht: wer das Kind hat, hat die Zukunft; man
beachtet mehr das zukünftige Parteimitglied, als den Menschen in verschiedenen
Lebensstellungen. Das Interesse der Autoritäten äußert sich in einer über-
mäßigen Beaufsichtigung: 6 oder 9 Lehrer in einer Schule, darüber das Haupt,
darüber die Inspektion der Gemeinde, des Reiches usw. Zuwenig Geld steht
zur Verfügung für den eigentlichen Unterricht. „Die Verbesserung des Unter-
richts fordert Millionen,'* sagt man. Freilich, und die Millionen müssen dazu
gefunden werden !
Den Eltern fehlt es ebenfalls an Interesse; den technischen Teil des
Unterrichts haben sie aus den Händen gegeben und lassen nun ruhig ge-
schehen, daß die Kinder sich überarbeiten. Der im vorigen Jahre vom Haupt-
vorstand dieses Vereins verfaßte Bericht bestätigt dieses genügend.
Dieselbe Gleichgültigkeit zeigen z. B. Medici und andere Personen, wenn
man sie zur Teilnahme an der Erziehungsarbeit auffordert. Man wollte z. B. in
Rotterdam ein Komitee bilden, um den Kunstsinn beim Unterricht zur Geltung
zu bringen. Daraus wurde nichts. Es zeigte sich, daß auch die Künstler
nichts mit der Schule zu schaffen haben wollten; bloß eine Aufführung geben
zur Förderung des genannten Zwecks, dazu verstanden sie sich. Was tun wir
für die körperliche Erziehung, was für die Tausende von Kindern, die nicht
gehörig ernährt und gekleidet werden? Wie ist es möglich, die Kinder zu
erziehen „zu christlichen und gesellschaftlichen Tugenden", solange wir sie
frieren und hungern lassen! Wir vernachlässigen die körperliche Erziehung;
sie besteht aus etwas Gymnastik in staubigen Sälen. Dem Spielbedürfnis des
Kindes genügen wir noch nicht; wir gehen mit ihnen spazieren, hübsch ordent-
68 Mitteilungen ans Kongressen nnd Vereinen.
lieh, Hand in Hand, denn Spielpl&tze gibt es noch nicht. Unser Unterricht ist
nicht allseitig, harmonisch. Zwar können wir die Talente, die nicht vorhanden
sind, nicht hervorrufen, aber was schläft, können wir wecken. Zuviel löschen
wir aus durch die von uns darauf geworfene Asche. Nicht die echte, den
Geist bildende Handarbeit ist in die Schule eingeführt worden; Gehimi&üg'
keit ist Hauptsache in den meisten Schulen und diese wird in den Fachschulen
vernachlässigt, wo nur die Hände geübt werden. Das Handwerk ist für die-
jenigen, die sonst nicht begabt sind, die nicht lernen können, denn es wird
als etwas Minderwertiges betrachtet. Was die Sonne und die Erde für die
Pflanzen sind, ist unser Unterricht noch nicht für die Kinder
Was tun wir für die Charakterbildung der Schüler? Kleine Klassen sind
dazu unerläßlich. Die Schule fördert sie auf zwei Weisen: durch die Tat und
durch das Wort. Solange aber die Individualität der Lehrer, durch ihre
mangelhafte Ausbildung z. B., unterdrückt wird, werden keine Menschen von
Charakter vor der Klasse stehen, und Charaktere bilden sich nur, indem sie
mit Charakteren in Berührung kommen. Auch die Arbeit, die mit Liebe aus-
geführt wird, wirkt charakterbildend; leider vergessen die Lehrer dieses häufig
und geben den Kindern zu schwere oder zu ausführliche Aufgaben auf, so daß
sie zur Unehrlichkeit oder Nachlässigkeit getrieben werden. Jedes Kind soll
nur die für dasselbe geeignete Arbeit verrichten.
Das Wort wirkt charakterbildend; Förster weist in seiner Jugendlehre
darauf hin, wie die Kinder zur Einsicht gelangen sollen, warum sie arbeiten
sollen, warum sie gewisse Sachen tun oder lassen sollen, daß die Kinder an-
gehalten werden sollen, mit ihren Lehrern zu arbeiten an der Heranbildung
aller ihrer geistigen und körperlichen Kräfte.
Der einfachsten, primitivsten Sachen lassen wir die Kinder unkundig.
Was tun wir für die Ausbildung der künftigen Mütter? Bednerin betrachtet
es als ein Glück, daß es jetzt weibliche Ärzte und Advokaten gibt; segens-
reicher wäre es jedenfalls, wenn wir alle Mädchen lehrten, Kinder zu pflegen.
Keinem Mädchen, keiner Schülerin des Gymnasiums, der Realschule, keiner
Studentin beweisen wir einen schlechten Dienst, wenn wir sie lehren mit
Kindern umzugehen. Eine ganz andere Mütterlichkeit als jetzt wird in der
werdenden Gesellschaft von der Frau verlangt.
Der Unterricht soll innerlich ergreifen, nur dann wird das Seelenleben
wachsen.
Bednerin erinnerte zuletzt an Helen Keller, das blinde, taubstumme
Mädchen, dessen Seelenleben so reichhaltig ist, dank der Erziehung, welche
ihr zuteil wurde. Was machen wir aus den Tausenden von Kindern, die
Augen haben zum Sehen, Ohren zum Hören?
Die Versammlung brachte der Bednerin ihren Dank für die suggestive
Bede, welche jedoch in manchem Punkte Bedenken bei den Hörern erregte.
In der daraujßfolgenden Diskussion wurde z. B. gesagt, daß Bednerin, wie das
gewöhnlich der Fall ist, zuviel die Übelstände und nicht die Mittel zur Ver-
besserung betont habe. Sie sehe zu schwarz, denn niemals sei für die Kinder
der Armen so viel geschehen wie heute, in der kapitalistischen Gesellschaft.
Wenn immer nur die Fehler hervorgehoben würden, raube man den Lehrern
den Mut. Lehrer und Lehrerinnen arbeiten ja mit großer Hingabe an der
Charakterbildung der Schüler; neue Methoden werden eingeführt. Was die
Examenfrage betrifft, diese sei noch nicht erledigt. Ein Lehrer, der 30 Jahre
MitieiluDgen aus Kongressen und Vereinen. 69
examiniert hat, sagte, er habe immer yersucht, die Examen zu verbessern; die
Schwierigkeit liege nicht darin, individuell die Fähigkeiten der Kandidaten zu
beurteilen, sondern darin, ihnen gegenüber objektiv das urteil zu begründen.
Was soll zur Richtschnur bei der Beurteilung genommen werden? Man dürfe
denen gegenüber, die sich jahrelang um die Verbesserung der Examen be-
müht haben, nicht über dem Examen den Stab brechen, ohne die Mittel zur
Verbesserung anzugeben. Eine der anwesenden Lehrerinnen gab an, wie die
Kandidaten im Staatsexamen für Lehrer der Elementarschulen in Geschichte
und Geographie geprüft werden sollten.
Rednerin erwiderte: der Hauptfehler der Examen sei, daß von den Kan-
didaten an einem bestimmten Tage Kenntnisse gefordert werden, die sie jeden
Augenblick, außer an jenem Tage, in Büchern nachschlagen können. Die zu-
künftigen Lehrer sollen angeregt werden, aus eigener Kraft das Beste zu
lernen, was zu finden ist, ihnen soll der Weg zu den besten Büchern ge-
wiesen werden.
Bevor der Vorsitzende, Herr Prof. H. P. Bense, die Versammlimg
schloß, wurde ihm von einem der Mitglieder, Herrn van Nieuwenbarg,
herzlichster Dank gebracht für alles, was er seit 4 oder 5 Jahren für den
Verein wirkte. Er erinnerte daran, wie der Vorsitzende eine gediegene Schrift
über die Überbürdungsfrage verfaßte, und wie seiner Initiative die Gründung
des Vereins zu verdanken ist, dessen treibende Kraft er seitdem war. Von
Schwestervereinen im Auslande hatten wir damals noch keine Ahnung. Herr
Prof. Bense tritt nun ab als Mitglied des Vorstandes; Redner wünscht, daß
die Trennung nicht von langer Dauer sein möge.
Die Versammlung zeigte ihre herzliche Znstinmiung durch laute Beifalls-
bezeugungen.
Mit einem Dankeswort schloß der Vorsitzende die 4. Jahresversammlung.
Arnheim, im Mai 1905. S. M. Maronier.
Sekr. V. E. 0.
— Die Frage der Hausaufgaben der Gymnasiasten wurde auf der
16. Landesversammlung des württembergischen Gymnasiallehrer-
vereins am 20. Mai 1. J. in Stuttgart in einem Vortrage von Rektor Mayer-
Eßlingen erörtert. Die Thesen des Referenten gipfelten in folgenden Sätzen:
1. In den Überbürdungsklagen der Gegenwart ist ein berechtigter Kern.
2. Die Organisation unserer Schulen hat große Schwierigkeiten, aus
denen nur zu leicht Überbürdungen der Schüler im Unterricht und
mit Hausaufgaben erwachsen.
3. Diese Schwierigkeiten können zum Teil durch Verbesserung der Me-
thode überwunden werden.
4. Zum Teil erfordern sie Änderungen in der Organisation:
a) Die griechische Komposition möge als Prüfungsfach in Klasse VII
(Obersekunda) und als Hausaufgabenfach in Klasse VII— IX (Ober-
sekunda bis Oberprima) wegfallen.
b) Geboten erscheint die Wiederentfernung der Mathematik aus IV
und V (Unter- und Obertertia).
c) Wünschenswert wäre eine Ermäßigung der Ansprüche im obligato-
rischen Mathematikunterricht unter Einrichtung eines weitergehenden
fakultativen Unterrichts in der Mathematik.
70 Mitteilungen aus Kongressen und Vereinen.
0. Prinzipiell festzuhalten sind Hausaufgaben.
6. Prinzipiell festzuhalten sind Hausaufgaben in den bisher üblichen
Formen, insbesondere auch schriftliche Hausaufgaben.
7. Zn beschränken ist die Hausaufgaben zeit in Klasse IV — V (Unter- und
Obertertia).
8. Von besonderer Wichtigkeit ist die Kontrolle der Zeit, welche der
Schüler tatsächlich auf seine Hausaufgaben verwendet.
Das gleiche Thema war schon im vorigen Jahre auf der Jahresversamm-
lung des württembergischen Gymnasiallehrervereins in Stuttgart
von Prof. Dr. Eiben behandelt worden, dabei hatte Redner folgende Leit-
sätze aufgestellt:
1. Eine Überschreitung der Bestimmnngen des Erlasses vom 19. März 1896
über die auf den einzelnen Alterstufen zulässige Arbeitszeit kann nur
dadurch dauernd verhütet werden, daß das zu diesem Zwecke vor-
geschriebene Schema bei jeder Änderung des Stundenplanes, also zu
Beginn jedes Halbjahres neu angefertigt wird.
Aus diesem Schema muß deutlich zu ersehen sein, auf welche
Weise in den für jeden Tag vorgeschriebenen zeitlichen Rahmen die
regelmäßigen Hausaufgaben von Tag zu Tag sich zu teilen haben,
bezw. an welchem Wochentag die über mehrere Tage aufgegebenen
Arbeiten am zweckmäßigsten untergebracht werden.
2. Die im Erlaß vom 19. März 1896 für die frühere VII. Klasse (Ober-
sekunda) angeordnete Rücksichtnahme auf die fakultativen SchulfUcher
bei Bemessung der täglichen Hausaufgabenzeit sollte auf alle £[la8sen
ausgedehnt werden und durch folgende Fassung des betreffenden Ab-
satzes deutlicher zum Ausdruck kommen:
Für die übrigen Klassen (d. h. von Klasse V [fr. Bez. Obertertia]
an aufwärts) wird als Höchstmaß der auf die Hansaufgaben zu ver-
wendenden Zeit festgesetzt: nach 4 stündigem Unterricht 3 Stunden,
nach 5 stündigem 2y2, nach 6 stüudigem 2, nach 7 stündigem 1, nach
8 stündigem y, Stimde. In die Unterrichtszeit sind die fakultativen
Schulfäclier einzurechnen, doch ist eine außerordentliche Belastung
einzelner Wochentage durch Unterrichtsstunden bei Anlegung des
Stundenplanes tunlichst zu vermeiden.
3. Die Anforderungen der einzelnen Fächer an die häusliche Arbeit
können in dem vorgeschriebenen zeitlichen Rahmen nur dann unter-
gebracht werden, wenn sie gemäß dem Erlaß vom 26. April 1883
durch einheitliche Regelung mehrerer Punkte möglichst beschränkt
werden. Zu diesem Zweck empfiehlt sich:
a) die grundsätzliche Abschaffung der Prüfung und Bezeugnissung in
griechischer Komposition, behufs Entlastung des griechischen Unter-
richts von der fortgesetzten, hemmenden Rücksichtnahme auf den
Zweck, den Schülern die Fähigkeit eines korrekten schriftlichen
Gebrauchs des attischen Dialekts beizubringen bezw. zu erhalten;
b) das Verbot des Vorheransagens von Explorationen zur Ermittlung
des in einzelnen Fächern erreichten Kenntnisstandes ;
c) die Anordnung, daß alle nicht regelmäßig jede Woche sich wieder-
holenden Hausaufgaben, wie z. B. Hausaufsätze, nur über solche
Mitteilungen aus Kongressen und Vereinen. 71
Tage gegeben werden, an denen eine regelmäßige schriftliche Haus-
arbeit etwa infolge einer Elassenarbeit ausfällt.
In bezng auf die interessante Debatte, die die Vorschläge der beiden
Thesensteller nach sich zog, verweisen wir auf Prof. Wund er- Heilbronn: „Die
16. JahresTersammlnng des württembergischen Oymnasiallehrervereins 1*J06^*
(Sildwestdeutsche Schulblätter 1905, Nr. 6, Karlsruhe, Friedrich Gutsch).
— Die Versammlung der deutschen otologisohen Gtosellsohaft
fand am 9. und 11. Juni in Homburg statt. Als Referat stand auf der
Tagesordnung: Die Schwerhörigkeit in der Schule. Referenten hierfür
waren Professor Arthur Hartmann, Berlin, und Professor Passow,
Berlin. Die Frankfurter Zeitung schreibt hierüber:
Ausgehend von der Tatsache, daß wirklich Taubstumme in verhältnis-
mäßig geringer Anzahl vorhanden sind und daß nach der Münchener Erfahrung
hochgradig Schwerhörige durchaus nicht, wie bisher, als total taubstumm zu
behandeln seien, erörterte der Vortragende an der Hand seiner reichen Er-
fahrungen die Erfolge seiner wissenschaftlichen Beobachtungen in den letzten
26 Jahren. Das Resultat — die im Jahre 1880 in einem Beruf tätigen 43,6 %
aller sogenannten Taubstummen haben sich 1900 auf 70,2 ^/^ gesteigert — ist
gewiß überzeugend. Aus der Münchener Schule für Schwerhörige werden jetzt
sogar 86 **'^ berufstauglich entlassen. War es doch auch Professor Bezold da-
selbst, welcher an der Jahrhundertneige die epochale Entdeckung gemacht,
daß die meisten in Taubstummenanstalten untergebrachten Zöglinge in der
Skala der Töne sogenannte „Gehörin sein' ^ also auch eine gewisse Höriähigkeit,
besitzen. Mit Ausnutzung dieser mehr oder weniger vorhandenen Gehörreste
ist es gelungen, eine ganz neue erfolgreiche Taubstummen-Unterrichtsmethode
auszubilden, mit anderen Worten, durch „Sprechübung vom Ohr aus" kann
man mit der geringen Hörfähigkeit eine große Hörfähigkeit entwickeln. Der
moderne Staat hat sich die iJ'ürsorge für die Schwachen und Gebrechlichen zu
einer seiner Aufgaben gemacht. Es ist sehr lobenswert, daß von den Augen-
ärzten und auf deren Drängen von den Behörden heutzutage für die Augen-
kranken so viel geschieht. In manchen Städten, wie Straßburg und Daniistadt,
wird sogar für die zahnkranken Kinder in ausreichender Weise gesorgt.
Während aber die augenkranken Kinder an sich geistig reger und fort-
bildungsfähigcr sind, als die ohrenkranken, geschieht leider für die letzteren
immer 'noch nichts. Und doch sind sie gerade die hilfsbedürftigsten. Vom
Ohr aus lernt das Kind die Sprache, lernt es Begriffe, lernt es denken. Das
Gehör vermittelt den Umgang mit seinesgleichen, die Hörfähigkeit ist die Vor-
bedingung zu einem Beruf. Um einer seiner idealsten und praktischsten Auf-
gaben gerecht zu werden, ist der Staat nach Ansicht des Vortragenden ver-
pflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß
1. alle heilbaren Ohren kranken zu heilen sind,
2. für die unheilbaren Ohrenkranken die zweckmäßigste Ausbildung zu
ennöglichen ist.
Nach übereinstimmender Statistik verschiedener Kliniker an mehreren
100 000 Schulkindern ist ein Viertel dieser ohrenkrank. Davon ist die Hälfte
schwachhörig infolge einfach heilbarer Kachenalfektionen; Ohreiterungen können
und sollten gleichfalls zur Ausheilung gebracht werden. Wenn man sich ver-
gegenwärtigt, welcher ungerechten ja oft falschen Behandlung die ohrenkranken
Kinder durch die Lehrer ausgesetzt sind, erscheint diese Forderung gewiß bc-
72 Mitteilungen ans EongreAsen und Vereinen.
gründet. YerhängnisvoU aber geradezu ist das Los eines geistig normal bean-
lagten, schwachhörigen Kindes, welches in der Schule für Schwachsinnige aus-
gebildet wurde; der Makel haftet ihm fürs Leben an. Nur angedeutet soll
hier werden, daß sogar schon in Idiotenanstalten gehörkranke Kinder auf-
genommen worden sind — infolge mangelhafter Untersuchung. Der Vortragende
exemplifizierte auf einen Fall in seiner jüngsten Praxis: ein lij&hriges Kind
galt als taub; er exstirpierte ihm die adenoiden Vegetationen, und das Kind
hörte bald darauf. Aber es fehlten ihm in seinem Wortschatz die allerein-
fachsten Begriffe, und es machte den hilflosen Eindruck eines zweijährigen
Kindes. Es war also trotz normaler Veranlagung in seiner geistigen Entwick-
lung um mehr als zehn Jahre zurückgeblieben.
Daß diese Momente der Volksentwicklung und Volkserziehung auch bei
der Wehrkraft eines Staates mitsprechen, wurde durch ein reiches statistisches
Material aus den Akten des Kriegsministeriums erhärtet.
Mit ungeteiltem Beifall aller Praktiker wurden die Forderungen auf-
genommen, daß von den Schulärzten dahin zu wirken sei, daß alle Kinder
mit Ohrenfluß und Trommelfelldefekten von den jetzt vielfach in Gebrauch
gekommenen Brausebädern auszuschließen sind; auch baden dürfen sie nur in
Gegenwart von Lehrern, die das Schwimmen zu beaufsichtigen vermögen und
das Untertauchen verhindern. Das Eindringen von Wasser in das innere Ohr
gefährdet das Leben.
Auch in der Frage, was für die unheilbaren Ohrenkranken geschehen
soll, hat der in der Reichshauptstadt in verantwortlicher Stellung befindliche
Vortragende reiche Erfahrung gesammelt und folgende Fürsorgemaßregeln zur
allgemeinen Einführung empfohlen:
1. Kinder unter zwei Meter Hörweite müssen einen dem Lehrer besonders
nahen Platz angewiesen erhalten.
2. Sie bedürfen einer öfteren Kontrolle, ob das Gesagte gehört bezw. ver-
standen worden ist.
3. Vor allem dürften Hörfehler im Diktat nicht mehr ungünstig zensiert
werden.
4. Empfehlenswert ist es, wenn ihnen fortgeschrittene, intelligente Mit-
schüler als Sitznachbam und Spielkameraden beigegeben werden, und
6. wenn sich nicht nur die Lehrer, sondern auch die Angehörigen sprach-
lich recht viel mit ihnen beschäftigen. Einzelunterricht wäre natür-
lich das Ideal, aber eine Geldfrage und für die Allgemeinheit nicht
diskutabel.
Wie groß muß nun eine Stadt bezw. ein Bezirk sein, um an die Aufgabe
heranzutreten, Sonderschulen für die bisher als taubstumm gegoltenen Schwer-
hörigen zu errichten? Nach der Münchener und Berliner Erfahrung kommen
auf je 10 000 Schulkinder 10 speziell Unterrichtsbedürftige. Für Frankfurt
würde das eine Anstalt von ca. 30 — 36 Schülern erfordern, je 10 in einer Klasse
mit einem Lehrer. Um die Ausgaben kommt eine Gemeinde nicht herum; denn
wer nicht in solchen Erziehungsheimen untergebracht ist, fällt später den Ver-
sorgungsanstalten anheim. Bei richtiger Auswahl durch den Schul- und Ohren-
arzt und zweckmäßigere Ausbildung durch den Lehrer befinden sich die bisher
als taubstumm betrachteten Schwerhörigen im späteren Leben sehr wohl.
Sie üben den Beruf als Schreiber, Buchhalter, Architekt, Maler usw. sehr
gut aus.
Amtliches. 73
Von ähnlicher Bedenbuig für die Staatswirtschaft und Yolkserziehnng
war der Vortrag des Geheimrats Dr. Pas so w- Berlin. In anschaulicher Weise
suchte er aus seinem jahrzehntelangen Verkehr mit Taubstummen heraus den
Beweis zu erbringen, daß die heutige Methode der Taubstummenausbildung
eine total verkehrte sei, und in dieser Auffassung stimmten ihm die hervor-
ragendsten Kliniker und Ohrenärzte bei. Die heutige Methode zeitige Resultate,
die „zum Erbarmen'* wären. Kaum seien unsere bedauernswertesten Mitbürger
ein Jahr lang aus der Anstalt entlassen, so hätten sie die so unendlich mühsam
erlernte Lautiersprache wieder vergessen. Neben den „Sprechübungen vom
Ohr aus'' nach Bezold und den sprachgjmnastischen Übungen müsse auch die
Gebärdensprache geübt werden, und zwar von den weniger talentierten Taub-
stummen allgemein und nach einheitlichen Grundsätzen. Wie der Arzt die
Aufgabe habe, für den bestmöglichen Ersatz eines verloren gegangenen Gliedes
zu sorgen, so sei er auch berufen, die sprachlichen Mängel nach Möglichkeit
zu ersetzen. Die Taubstummen selbst forderten inständig den Gebärden-
unterricht, haben aber bisher nur bei den Ärzten Verständnis für ihre hilflose
Lage gefunden und rechneten auf deren tätige Unterstützung. — Diese Aus-
fuhrungen blieben indes nicht ohne Widerspruch, und auch ein als Gast
anwesender Taubstummenlehrer plädierte für die reine Lautiermethode.
Da diese Frage über kurz oder lang die Öffentlichkeit beschäftigen wird,
motivierte Passow in seinem Schlußwort seine Forderungen noch einmal durch
Beispiele und Belege in ausführlichster Weise. Er präzisierte sie, um nicht
mißverstanden zu werden, wiederholt als eine größere Individualisierung des
Unterrichts. Nach dem vorhandenen Intellekt und Gehörrest des einzelnen
müsse sich die Methode richten: die Gebärdensprache sei allen leicht zugäng-
lich; den Forderungen des Lautierunterrichts würden nur die Bestbegabten
gerecht.
V. Amtliches.
Einffilirnng von Eörperfibnngen an den städtischen
Volksmädchenschnlen.
DaQ eine geregelte körperliche Erziehung im Rahmen der Schule den
Mädchen mindestens so nottut, wie den Knaben, steht außer Zweifel. Durch
Erlaß vom 31. Mai 1894 ist denn auch an den höheren Mädchenschulen Preußens
das Turnen allgemein verbindlich eingeführt. Es sind dort wöchentlich zwei
volle Turnstunden für die Mittel- und Oberstufe, zwei halbe Stunden für die
Unterstufe vorgeschrieben. Ein neuer Erlaß (vom 20. März 1905) verfügt nun
auch die Einführimg des Turnens an den Volksmädchenschulen wenigstens in
Städten und stadtähnlichen Ortschaften.
Wie wir den ganzen Erlaß als beachtungswerten Fortschritt auf einem
wichtigen Gebiete der Schulhygiene begrüßen, so heben wir als Verbesserung
gegenüber früheren Vorschriften hervor, daß die beiden Turnstunden nun auch
auf vier Tumzeiten von je einer halben Stunde an vier verschiedenen Wochen-
tagen verteilt werden können. Täglich eine kurze Zeit für die Leibesübungen
74 Amtliches.
anKUsetzen, wenn es auch nur 20 Minuten wären, hielten wir allerdings für
noch ersprießlicher. £beuso erfreulich ist die Betonung der Spiele und Übungen
im Freien, sowie das Verbot einschnürender Beeidung und besonders des Kor-
setts beim Turnen.
Der Erlaß lautet:
Aus den Berichten der Königlichen Regierungen über den Stand des
Mädchentumens in den Städten habe ich mit Befriedigung ersehen, wie die
gesundheitliche und erziehliche Bedeutung des Turnunterrichtes für die weib-
liche Jugend in immer weiteren Kreisen die gebührende Würdigung findet.
Insonderheit habe ich gern auch Kenntnis genommen, daß in einer Anzahl von
Städten dieser Unterricht nicht nur für die höheren Mädchenschulen, sondern
für alle Schülerinnen, auch für diejenigen der Volksschule eingerichtet worden
ist. Die hierbei gewonnenen günstigen Erfahrungen, die augenfölligen segens-
reichen Wirkungen, welche eine sachgemäß geleitete, der Eigenart des Mädchens
angepaßte turnerische Betätigung für die betreffenden Schülerinnen gehabt hat,
lassen es angezeigt erscheinen, dem Mädchentumen tunlichste Verbreitung
zu geben.
Zu diesem Zwecke ist anzustreben, daß in den Städten und stiidtähn-
lichen Ortschaften — von letzteren kommen namentlich solche mit vorwiegend
industrieller Beschäftigung der Bewohner in Frage — auch in den Volks- und,
soweit dies nicht bereits geschieht, den Mittelschulen, und zwar auf der Mittel-
und der Oberstufe, in wöchentlich zwei Stunden verbindlicher Turnunterricht
erteilt wird. Wo es ohne Schwierigkeiten und Zeitverlust möglich ist, kann
derselbe statt in zwei ganzen auch in vier halben Stunden gegeben werden.
Wünschenswert ist, daß auch auf der Unterstufe Turnspiele und Vorübungen
stattfinden. Daneben ist tunlichst auch außerhalb der Schulstunden Anregung
und Gelegenheit zur Teilnahme an Jugendspielen im Freien zu geben.
Da zur sofortigen Durchführung einer bezüglichen allgemeinen Anord-
nung in vielen Städten die notwendigen Vorbedingungen mehr oder weniger
noch fehlen so ist zur Erreichung des bezeichneten Zieles nach Maßgabe der
örtlichen Verhältnisse allmählich vorzugehen und hierbei folgendes zu
beachten:
1. Wo bereits neben Turnplätzen auch Turnhallen zur Mitbenutzung ver-
fügbar und geeignete Lehrkräfte vorhanden oder unschwer zu beschaffen sind,
hat die Einführung des verbindlichen Mädchentumens für das ganze Jahr als-
bald zu erfolgen.
2. Wo zwar noch keine Turnhallen, aber geeignete Turnplätze oder als
solche brauchbare Schulhöfe und die erforderlichen Lehrkräfte vorhanden sind,
ist das Mädchentumen für das Sommerhalbjahr verbindlich zu machen. Dem-
nächst ist behufs Ausdehnung dieses Unterrichtes auch auf das Winterhalbjahr
für allmähliche Beschaffung von Turnhallen Sorge zu tragen.
3. Soweit der Mangel brauchbarer Turnplätze oder einer ausreichenden
Zahl geeigneter Lehrkräfte das Mädchenturnen zur Zeit überhaupt noch nicht
gestattet, sind die einleitenden Schritte zu tun, um möglichst bald die er-
forderlichen Voraussetzungen für die verbindliche Einführung desselben zu-
nächst für das Sommerhalbjahr zu schaffen. Hierbei wird es sich in einigen
Bezirken besonders auch darum handeln, in größerem Umfange als bisher an
den städtischen Mädchenvolksschulen Lehrerinnenstellen einzurichten und ihit
solchen Lehrerinnen zu besetzen, welche auch für den Turnunterricht befähigt
AmtlicheB. 75
sind. Ob und wie weit dieser Unterriclit in der Übergangszeit auch geeigneten
Lehrern übertragen werden kann, bleibt dem pflichtmäßigen Ermessen der
Schulaufsichtsbehörde überlassen.
4. Sofern die Befreiung von der Teilnahme an dem verbindlich einge-
führten Turnunterrichte aus Gesundheitsrücksichten nötig erscheint, ist ein ärzt-
liches Zeugnis beizubringen.
5. Bezüglich des Stundenplanes ist daran festzuhalten, daß über die in
den Allgemeinen Bestimmungen vom 16. Oktober 1872 — B 2311 — festgesetzte
Gesamtzahl wöchentlicher Unterrichtsstunden für die Oberstufe nicht hinaus-
zugehen ist. Um die für den Turnunterricht erforderlichen Stunden zu ge-
winnen, kommt in erster Linie der Wegfall der für mehrklassige Volksschulen
angesetzten zwei Raumlehrestunden oder, wo die letzteren auf Grund des Er-
lasses vom 6. März 1873 (Z.-Bl. 1873 S. 294) bisher durch vermehrten Hand-
arbeitsunterricht ersetzt w^erden, der Wegfall dieser beiden Handarbeitsstunden
in Frage. Sollten hiergegen Bedenken bestehen, so sind anderweite Vorschläge
zu machen und vorzulegen.
6. Die Grundsätze und methodischen Bemerkungen über das Turnen in
höheren Mädchenschulen, welche in den Lehrplänen vom 31. Mai 1894 sich
finden, sind unbeschadet der vorstehend im Schlußsatze von Ziffer 3 einstweilen
zugelassenen Ausnahme bis auf weiteres auch für das Turnen in den übrigen
Mädchenschulen maßgebend. Ein Obermaß von Ordnung- und Reigenübungen
ist ebenso zu vermeiden wie die übertriebene Inanspruchnahme der Aufmerk-
samkeit und des Gedächtnisses bei Gestaltung der Freiübungen. Auf Be-
wegungs-, namentlich Laufspiele im Freien ist besonderer Wert zu legen.
Tumsprache und Befehlsformen richten sich nach dem amtlichen Leitfaden
für den Tumuuterrieht in den preußischen Volksschulen von 1895. Die Heraus-
gabe eines besonderen Leitfadens für das Mädchentumen bleibt vorbehalten.
7. Unter Bezugnahme auf die in den Lehrplänen vom 31. Mai 1894 über
den Anzug der Schülerinnen gegebene Anordnung weise ich wiederholt nach-
drücklich auf die schwere gesundheitliche Schädigung hin, welche dem sich
entwickelnden weiblichen Körper durch einschnürende Kleidung zugefügt wird.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Zweck des Turnunterrichts bei
solchen Schülerinnen, welche im Korsett turnen, nicht erreicht werden kann, da
es die ausgiebige und wirkungsvolle Ausführung der wichtigsten Übungen, in-
sonderheit auch derjenigen Rumpfübungen hindert, welche der Gesundheit be-
sonders dienlich sind und eine freie, aufrechte, schöne Körperhaltung fördern.
Das Tragen einschnürender Kleidung beim Turnen ist daher nicht zu dulden.
Ich vertraue, daß die Königlichen Regierungen der Pflege und Förderung
dieses Unterrichtsgegenstandes , welcher zur Erhaltung und Kräftigung der
Volksgesundheit beizutragen in hervorragendem Maße geeignet ist, besondere
Fürsorge zuwenden werden.
Über das binnnn drei Jahren in dieser Beziehung Erreichte ist ein näherer
Bericht in Gestalt einer Nachweisung über den Stand des Mädchenturnens am
1. Mai 1908 nach dem beifolgenden Formulare vorzulegen.
Berlin, den 20. März 1905.
Der Minister der geistlichen usw. Angelegenheiten,
gez. Studt.
An sämtliche Königliche Regierungen und das Königl. Provinzial-Schul-
koUegium in Berlin.
76
AmilicheB.
Nachweiflung über den Stand des Mädchenturnens in den Städten und stadt-
ähnlichen Oitechaften des Regierungsbezirks
am 1. Mai 1908.
I.
IL
III.
IV.
V.
VI.
vn.
Zahl
Zahl derjenigen
Zahl derjenigen
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der in den
unter den nach
unter den nach
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Spalte ni Tor-
Spalte in Tor-
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handenen
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Midchenschnlen,
Mädchenschulen,
Be-
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Regierungs-
Zahl
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Winter ver-
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bindlicher Turn-
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Preußen. Erlaß, betr. die Besiohtigungen der den ProvinBial-Soliul-
kollegien unterstellten höheren Lehranstalten durch die Kreisärzte.
Vom 16. März 1906. (Min.-Bl. f. Med.- usw. Angel. S. 167.)
Die Dienstanweisung für die Kreisärzte vom 23. März 1901 ^) (Zentral-
blatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung von 1902 S. 217 ff.) bestimmt im
§ 94 Abs. 7, daß die den Provinzial-SchulkoUegien unterstellten höheren Lehr-
anstalten nur auf Grund besonderen Auftrags einer Besichtigung zu unterziehen
sind. In Ausführung dieser Bestimmung wird folgendes angeordnet:
1. Der Auftrag zu solchen Besichtigungen ist den Kreisärzten auf Ersuchen
des Königlichen Provinzial- Schulkollegiums durch den Regierungspräsidenten
zu erteilen. In dringenden Fällen ist der Anstaltsleiter, bei nichtstaatlichen
Anstalten auch der Patron befugt, den Kreisarzt um eine gutachtliche Äußerung
über hygienische Angelegenheiten der Schule zu ersuchen. Trägt dieser Be-
denken, dem Ersuchen zu entsprechen, so hat er dem Regierungspräsidenten
Bericht zu erstatten, welcher erforderlichen Falles nach Benehmen mit dem
Königlichen Provinzial- Schulkollegium das weitere veranlaßt.
1) Veröff, 1902 S. 974.
Amtliches. 77
2. Bei der Ausarbeitung von Neubau- und Umbauplänen ist dem Kreisarzt
in der Regel Gelegenheit zur Äußerung zu geben, am zweckmäßigsten in der
Weise, daß der Anstaltsleiter, mit welchem der Baubeamte in jedem Falle in
Verbindung tritt, eine gemeinsame Besprechung unter Zuziehung des Kreis-
arztes veranlaßt.
3. Im übrigen ist es mir erwünscht, daß mit der hygienischen Unter-
suchung der Verhältnisse der höheren Lehranstalten durch die Kreisärzte an-
gefangen und diese in einem Zeitraum von 5 Jahren allmählich durchgeführt,
wird. Die Berichte über das Ergebnis dieser Untersuchungen sollen die in
hygienischer Hinsicht sich ergebenden Beanstandungen enthalten und sind durch
den Regierungspräsidenten dem Königlichen Provinzial-Schulkollegium zu über-
mitteln.
Bis zum 1. April 1910 sehe ich einer Anzeige über die Ausführung dieses
Erlasses und die dabei gemachten Erfahrungen entgegen.
(Unterschrift.)
An die Königlichen Provinzial-SchulkoUegien.
Preußen. Erlaß ^ betr. die Abhaltung von Fortbüdungstumkursen,
bezw. Wanderkursen für YolksBchullehrer und Lehrerinnen in der
Leitung von Volks- und Jugendspielen.
Vom 10. Mai 1906.
(Minist.-Bl. f. Mediz.- usw. Angel. S. 271.)
In den letzten Jahren sind von einigen Regierungen mit diesseitiger
Unterstützung Fortbildungstumkurse für Volksschullehrer und Lehrerinnen
bezw. Wanderkurse zur Ausbildung von Lehrern in der Leitung von Volks-
und Jugendspielen veranstaltet worden. Der günstige Ausfall dieser Versuche,
über welche sich aus zwei im Auszuge zur Kenntnisnahme beigefügten Be-
richten das Nähere ergibt, läßt es angezeigt erscheinen, ähnliche Veranstal-
tungen, dem vorhandenen Bedürfnisse entsprechend, auch in anderen Bezirken
ins Leben zu rufen.
Hierbei wird es einerseits darauf ankommen, durch geeignete Kursus-
leiter praktisch zeigen zu lassen, daß und wie sich auch bei einfachen Tum-
einrichtungen ein anregender und wirksamer Turnunterricht erteilen läßt.
Andererseits ist im Hinblick auf den von der Unterrichtsverwaltung wiederholt
hervorgehobenen hohen gesundheitlichen und erziehlichen Wert der Jugend-
und Volksspiele, namentlich der Bewegungsspiele im Freien, Wert darauf zu
legen, zu einer anregenden Pflege dieser Spiele gemäß der Vorschrift des
Leitfadens für den Turnunterricht in den preußischen Volksschulen anzuleiten.
Ich veranlasse die Königliche Regierung, zunächst im laufenden Schul-
jahre einen entsprechenden Fortbildungskursus durch eine hierzu geeignete
Persönlichkeit abhalten zu lassen. Für den Fall, daß die besonderen Bedürf-
nisse des dortigen Bezirkes die Beschränkung auf nur einen der vorbezeich-
neten Zwecke erwünscht machen sollten, weise ich bezüglich der Anleitung
zur Pflege der Jugendspiele darauf hin, daß sich in Wanderkursen mit etwa
gleichem Kosten aufwände eine erheblich größere Zahl von Lehrern ausbilden
läßt als durch solche, welche an demselben Orte wiederkehren.
78 Amtliches.
Ich bin geneigt, die Kurse durch mäßige Beihilfen unter der Voraus-
Betznng zu unterstützen, daß auch die in Frage kommenden Gemeinden sich
nach Möglichkeit finanziell beteiligen.
Den bezüglichen Antragen sehe ich baldigst, spUtestena binnen S Wochen
entgegen.
Berlin, den 10. Mai 1906.
Der Minister der geistl. usw. Angel.
I. A.: gez. von Bremen.
An die Königlichen Regierungen, mit Ausnahme von Minden, Münster,
Wiesbaden und Oppeln.
Infolge der von der Königlichen Regierung gegebenen Anregung ist von
mir in der Zeit vom 4. Mai bis 21. Juli d. J. für die meiner Aufsicht unter-
stellten Lehrpersonen der Gemeiden N. N. ein Fortbildungskursus im Turnen
hier am Orte veranstaltet worden.
Was die Kosten des von mir veranstalteten Turnkursus anbetrifft, so
haben dieselben rund 180 Mk. betragen, davon an Honorar für den Turnlehrer
150 Mk.; der Rest war demselben als Entschädigung für Reisekosten von N.
nach N. zu zahlen. Die Kosten sind von den Vertretungen der drei beteiligten
Gemeinden in entgegenkommender Weise bewilligt und mit je einem Drittel
gezahlt worden.
Als Lehrer wurde für den Kursus der Turnlehrer N. aus N. gewonnen,
welcher sich seiner Aufgabe mit großem Geschick und lebhaftem Eifer ent-
ledigt hat.
Die Zahl der teilnehmenden Lehrpersonen betrug insgesamt 53, und zwar
45 Lehrer und 8 Lehrerinnen; von denselben entfielen auf die Stadt N.
20 Lehrer, auf die Landgemeinde N. 15 Lehrer, 5 Lehrerinnen und auf die
Gemeinde N. 10 Lehrer und 3 Lehrerinnen. Die Lehrerinnen nahmen nur an
denjenigen Kursusstunden teil, in welchen das Mädchenturnen zur Behandlung
kam. Allen Lehrpersonen kann bezeugt werden, daß sie mit freudigem Eifer
an dem Kursus teilgenommen und insbesondere auch an den turnerischen
Übungen sich in reger und straffer Weise beteiligt haben.
Die Übimgen selbst fanden in der Zeit von Anfang Mai bis Ende Juli
an 12 Tagen und zwar jeden Mittwoch Nachmittag von 4 Uhr ab auf dem
Tum- und Spielplatze der evangelischen Schule statt; nach Beendigung der
zweistündigen praktischen Übungen, zu welchen wiederholt auch Schüler-
abteilungen hinzugezogen wurden, fanden sich die Kursusteilnehmer regel-
mäßig zu theoretischer Unterweisung in dem Saale des nahegelegen Gasthofes
zusammen.
Mit Rücksicht darauf, daß bei den sämtlichen Schulen, an welchen die
Kursusteilnehmer tätig sind, Turnhallen nicht vorhanden sind, wurde auch fiir
den Kursus selbst die Verwendung einer Turnhalle grundsätzlich ausgeschlossen;
ebenso wurden nur diejenigen Geräte benutzt, auf deren Vorhandensein für
einen ordnungsmäßigen Tumbetrieb auch unter einfachen Verhältnissen ge-
rechnet werden muß. Es sollte gezeigt werden, daß auch unter solchen Ver-
hältnissen günstige Ergebnisse im Turnunterricht erreicht werden können.
Ein Aussetzen des Kursus wegen widrigen Wetters ist nicht vorgekommen.
Im Laufe des Kursus wurden bei der theoretischen Unterweisung der
Teilnehmer behandelt: Die wichtigst<in Erscheinungen aus der Geschichte des
Amtliches. 79
Turnens, namentlich der letzten Zeit, die zweckmäßige Beschaffenheit von
Turn- und Spielplätzen nebst Gerätekunde, die Aufgaben und das Lehrver-
fahren des Knaben- und Mädchentumens, mit besonderer Berücksichtigung der
Jugend- und Volksspiele, und die Verteilung des Tumstoffes auf die verschie-
denen Altersstufen und Geschlechter.
Der während des Kursus erledigte praktische Lehrstoff umfaßte folgende
Qbungsarten:
1. Frei-, Ordnungs-, Stab- und Langstabübungen.
2. Volkstümliche Übungen: Laufen, Springen und Werfen.
3. Übungen am Reck, Barren, am langen Schwingseil und an Schwebe-
stangen.
4. Tum- bezw. Jugend- und Volksspiele.
Vor jeder Übungsgruppe wurden die nötigen Belehrungen über die Art
und Weise und deren Ausführung und Mannigfaltigkeit gegeben. Die einzelnen
Frei- Stab- und Langstabübungen wurden zunächst von allen Kursisten gleich-
zeitig und dann nacheinander, oder erst gleichzeitig und dann widergleich
oder sie wurden in Verbindung und Wechsel mit Ordnungsübungen gebracht,
Letztere Übungen wurden mit Rücksicht auf ihren geringen körperlichen
übungswert auf das notwendigste beschränkt, dagegen die Gerätübungen be-
sonders bevorzugt. In jeder Stunde wurde sowohl der Ober- wie der Unter-
körper durch ausreichende Übungen gleichmäßig ausgebildet.
Jede Übung wurde zunächst möglichst musterhaft vorgeturnt und hierauf
auf Befehl oder nach dem Takte von 4 bezw. 8 Kursisten, je nachdem die
erforderliche Anzahl gleichartiger Geräte vorhanden war, in guter Ausführung
nachgetumt. Auch das Hintreten zum Gerät und das Wegtreten von dem-
selben war besonders geregelt. Ebenso wurde den Kursisten Anweisung über
Hilfssteliung bei solchen Übungen erteilt, bei deren Ausführung Unglücksfälle
vorkommen können.
Mit einigen Knaben- und Mädchenklassen wurde vom Turnlehrer wieder-
holt gezeigt, wie bei den meisten Übungen dafür zu sorgen ist, daß durch Ver-
bindungen derselben miteinander das Interesse der Kinder stets rege erhalten,
der Unterricht selbst belebt und die Lust am Turnen geweckt und gewahrt
werde.
Auf die Ausbildung der Kursisten für das Turnspiel wurde besonderer
Wert gelegt, damit ein jeder derselben befähigt werde, auf den von den Ge-
meinden bereits eingerichteten oder noch einzurichtenden größeren Spielplätzen
als Spielleiter der Jugend- und Volksspiele zu fungieren. Zum Schlüsse einer
jeden Kursusstunde wurden deshalb regelmäßig Spiele eingeübt und zwar in
erster Linie solche, welche unsere Jugend nachhaltig zu fesseln vermögen.
Um auch einem weiteren Kreise von Lehrpersonen eine Förderung durch
den stattgehabten Fortbildungskursus zuteil werden zu lassen, wurde der A)»-
schluß des Tumkursus in N. mit der diesjährigen Kreislehrerkonferenz ver-
bunden. Bei demselben waren außer den Kursisten 127 Lehrer und Lehrerinnen
und 8 Ortsschulinspektoren zugegen. Außerdem wohnten den Vorführungen bei
als Vertreter der Königlichen Regierung die Herren Oberregierungsrat N. und
Regierungdrat N., ferner die Herren Landrat N., Bürgermeister N. usw.
Auch bei dem Abschluß des Kursus wurde zunächst ein theoretischer Vor-
trag von dem Kursuslniter vorausgeschickt. Sein Thema lautete: „Zur Methodik
des Turnunterrichts**.
80 Amtliches.
Nach diesem Vortrage folgten praktische TamvorführaDgen, durch welche
die gegebenen theoretischen Ausführungen zur Darstellung kamen.
An den sechs Spieikursen fär Lehrer zur Unterweisung in Tum- und
Jugendspielen, die in der Zeit Tom 11. April bis 20. Mai d. J. abgehalten wor-
den sind, haben teilgenommen:
und
in N.
37 Lehrer,
n N.
22
11
„ N.
80
11
n N.
38
it
„ N.
83
11
„ N.
26
11
zusammen 186 Lehrer,
die sich sämtlich mit großem Interesse der Sache hingegeben haben. In N. N.
und in N. N. haben die Kurse dazu geführt, daß sich die Lehrer zu Spielver-
einigungen zusammengeschlossen haben, die ihre Aufgabe darin erkennen, die
Spiele in der Lehrerschaft regelmäßig zu pflegen und im Herbste Spielfeste mit
den Schülern zu veranstalten. Nach unserer Ansicht ist die Veranstaltung von
Wanderspielkursen der geeignetste Weg, die Lehrerschaft und damit auch die
Jugend far das Spiel zu gewinnen.
Die für den Kursus zur Verfugung gestellten 300 und 200 Mk. sind yer-
braucht; dem Turnlehrer N. sind wie verfügt 300 Mk. ausgezahlt und von den
verbleibenden 200 Mk. haben 40 Teilnehmer je nach der Höhe der gehabten
Ausgaben Beihilfen erhalten.
' An den Herrn Minister der geistl. usw. Angel, zu Berlin.
Preußen. Erlaß, betr. die Größe der Fenster in den ElaAsenräumen
bei Sohulneubauten. Vom 17. Mai 1905.
(Minist. Bl. f. Mediz.- usw. AngeL S. 274.)
Bei den Verhandlungen des Herrenhauses ist neuerdingn wiederum darüber
Klage geführt worden, daß bei Schulneubauten die Fenster in den Klassen-
räumen vielfach zu groß angelegt würden und infolgedessen die g^ehörige
Heizung der Schulzimmer erschwert oder gar unmöglich gemacht werde.
Ich nehme deshalb Veranlassung, die Vorschriften des Runderlasses vom
20. Dezember 1902 *) (Zentralblatt für die ges. ünterrichtsverwaltung 1903
S. 224 ff. und von Bremen, Die Preußische Volksschule, Berlin 1905 S. 494) ins-
besondere im Absatz 4 in Erinnerung zu bringen und deren genaue Beachtung
den Königlichen Regierungen zur Pflicht zu machen.
Berlin, den 17. Mai 1905.
Der Minister der geistl. usw. Angel.
J. A.: gei. von Bremen.
An die Königlichen Regierungen.
1) Veröff. 1903 S. 104.
Amtliches. g 1
Preußen. Erlaß des Ministers der g^eistlichen usw. Angelegenheiten,
betr. Kinderarbeit in gewerbliohen Betrieben.
Vom 4. Februar 1904.
Das Reichflgesetz vom 30. März v. J.*), betr. Kinderarbeit in gewerblichen
Betrieben, R.-Ges.-Bl. S. 113, ist am 1. Januar d. J. in Kraft getreten. Die zu
diesem Gesetze erlassene Ausführungsanweisung vom 30. November v. J.*) —
J.-Nr. Illa 8659. I. 8585 M. f. H. u. G./ü. HI D 3215. M. d. g. A./IIb 4405. M.
d. J. — wird inzwischen in dem Amtsblatte des dortigen Verwaltungsbezirkes
zur Veröffentlichung gekommen sein.
Im Hinblicke auf die wesentlichen Befugnisse, die bei der Ausführung des Ge-
setzes den Schulanf Sichtsbehörden eingeräumt sind, veranlasse ich -y- ,_- ,r^ -
^ das Königliche
H — : — . , -, , — ~\z — : - die Schulinspektoren und Lehrer auf das Inkraft-
Provinzial - SchulkoUegium ,
treten des Gesetzes und auf die zu seiner Ausführung ergangenen näheren Be-
stimmungen noch besonders aufmerksam zu machen. Die Lehrer sind dabei
namentlich darauf hinzuweisen, daß sie sich derjenigen Kinder, die in gewerb-
lichen Betrieben beschäftigt werden und denen zu diesem Zwecke eine Arbeits-
karte ausgestellt worden ist, mit besonderer Sorgfalt anzunehmen und unge-
säumt dem vorgesetzten Schulinspektor Anzeige zu erstatten haben, sobald bei
einer derartigen Beschäftigung eines Kindes erhebliche Mißstände zu Tage
die Königliche Regierung
das Königliche Provinzial- Schulkollegium ^ *
ob es sich nicht empfiehlt, für jede Schulklasse hinsichtlich derjenigen Kinder,
fiir die eine Arbeitskarte ausgestellt worden ist, die Anlegung und regelmäßige
Fortführung eines Verzeichnisses anzuordnen, das gelegentlich der Schulrevi-
sionen den Inspektoren zur Einsichtnahme vorzulegen sein würde.
gez. Studt.
An die Königlichen Regierungen und an das Königliche Provinzial-Schul-
kollegium in Berlin.
Preußen. Begr.-Bez. Arnsberg. Bundverfügung:, betr. Führung von
Listen der gewerblich beschäftigten Schulkinder.
Vom 26. April 1906.
In Ergänzung unserer Rundverfügung vom 20. Februar v. J. — B. II. 1054 '^)
— bestimmen wir hierdurch noch ausdrücklich, daß über die gewerblich be-
schäftigten Schulkinder in jeder Klasse eine genaue Kontrolle ausgeübt wird.
Zu diesem Zwecke ist eine besondere Liste zu führen, welche zum
wenigsten die Angaben der Anlage enthalten muß.
1) Veröff. 1903 S, 412. 2) Desgl. 1904 S. 3. 3) Diese Bundverfügung
teilt den Kreisschulinspektoren den Erlaß des Ministers der geistlichen usw.
Angelegenheiten, betr. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom 4. Febiniar
1904 mit und ersucht sie, sich über die Anlegung von Verzeichnissen der aus-
gestellten Arbeitskarten zu äußern.
Oesttstle Jnf^end. V. 3 4.
82 Amtliches.
Die KreiBschulinspektoren haben bei ihren Schulre Visionen diese Listen
regelmäßig zu prüfen, die vorliegenden Fälle von Mißständen in der Beschäfti-
gung von Schulkindern mit den Lehrern und Schulleitern zu erörtern und
wegen ihrer Abstellung sich mit den Gewerbeinspektoren in Verbindung zu
setzen oder gebotenen! alls der Polizeibehörde Anzeige zu erstatten.
Anderseits erwarten wir von den Lehrern, daß sie jede Gelegenheit ws.lrr-
nehmen werden, die Eltern über die Notwendigkeit und die Segnungen der
Kinderschutzgesetzgebung zu belehren und so das Mißtrauen zu beseitigen,
welches noch an manchen Orten die Eltern abhält, die vorgeschriebenen Arbeits-
karten nachzusuchen und dadurch die gewerbliche Arbeit ihrer Kinder unter
die Kontrolle der Schule zu stellen.
Die Durchführung des Gesetzes verlangt vom Lehrer auch ein näheres
Studium des Gesetzes. Dieserhalb bestimmen wir, daß die Listen der gewerb-
lich beschäftigten Kinder zum wenigten die auf der Anlage unter „Bemer-
kungen'' zusammengestellten wesentlichen Bestimmungen des Gesetzes vom
30. März 1903 ^) enthalten müssen.
Dergleichen Listen können von der F. W. Beckerschen Hofbuchdruckerei
hier bezogen werden.
Bei Umschulungen ist auf den Abmeldescheinen künftig für die gewerb-
lich beschäftigten Kinder ein Vermerk entsprechend den Angaben der Liste eu
machen.
Nebenexemplare für die Ortsschulinspektoren liegen bei.
gez. Freiherr von Goels.
gez. Gisevius.
An die sämtlichen Herren Kreisschulinspektoren des Bezirks.
Liste der gewerblich beschäftigten Schulkinder.
Schule
Klasse
Bemerkungen.
Das Gesetz unterscheidet eigene und fremde Kinder. Als eigene
Kinder, die keiner Arbeitskarte bedürfen, gelten:
1. die mit dem Arbeitgeber oder dessen Ehegatten bis zum dritten Grade
verwandten,
2. die von dem Arbeitgeber oder dessen Ehegatten an Kindesstatt ange-
nommenen oder bevormundeten,
3. die dem Arbeitgeber oder dessen Ehegatten zur gesetzlichen Zwangs-
erziehung (Fürsorgeerziehung) überwiesenen Kinder, die mit den unter Ziflfer 1
oder 2 bezeichneten gleichzeitig beschäftigt werden.
Die Kinder unter 1 bis 3 müssen zum Hausstand dessen gehören, der sie
beschäftigt.
Als fremde Kinder gelten alle übrigen; für sie ist eine Arbeitskarte
zu lösen.
1) Veröif. 1903 S. 412.
Amtlicheg. 83
Für Kinder, welche in der Wohnnng oder Werkstätte der Eltern, Ver-
wandten, Pflegeeltern usw., zu deren Hansstande sie gehören, für Dritte be-
schäftigt werden, gelten die Vorschriften über die Beschäftigung eigener Kinder;
eine Arbeitskarte ist also nicht erforderlich.
Fremde Kinder.
1. Sie dürfen nur beschäftigt werden, wenn sie 12 Jahre alt und mit einer
Arbeitskarte yersehen sind. Von jeder Ausstellung einer Arbeitskarte hat die
Ortspolizeibehörde dem Vorsteher der Schule, die' das Kind besucht, Mitteilung
zu machen.
2. Der Arbeitgeber darf die Kinder nicht beschäftigen zwischen 8 Uhr
abends und 8 Uhr morgens und nicht länger als drei Stunden in der Ferien-
zeit vier Stunden — täglich. Den Kindern muß eine Mittagspause von zwei
Stunden gegeben werden, und nachmittags darf die Arbeit erst eine Stunde
nach beendetem Schulunterricht beginnen. An Sonn- und Festtagen dürfen
Kinder nur mit Austragen von Waren und sonstigen Botengängen zwei Stunden
lang vor 1 Uhr mittags, doch nicht y. Stunde vor dem Hauptgottesdienst und
nicht während desselben beschäftigt werden.
3. Mädchen dürfen in Gast- und Schankwirtschaften keine Gäste bedienen.
Eigene Kinder.
1. Sie dürfen überhaupt nicht beschäftigt werden, wenn sie unter 10 Jahre
alt sind, und wenn sie noch nicht 12 Jahre zählen — in der Wohnung oder
Werkstätte der Eltern, Verwandten, Pflegeeltern usw. — , nicht für Dritte,
2. nicht von 8 Uhr abends bis 8 Uhr morgens, nicht vor dem Vormittags-
unteiricht, nicht in der 2 stündigen Mittagspause, nicht in der ersten Stunde
nach dem Nachmittagsunterricht und nicht an Sonn- und Festtagen.
3. nicht in Gast- und Schankwirtschaften, bevor die Kinder 12 Jahre alt;
Mädchen nicht beim Bedienen der Gäste. Ausnahmen kann die zuständige
Verwaltungsbehörde gestatten für Betriebe, in denen ausschließlich zur Familie
des Arbeitgebers gehörige Personen zur Bedienung beschäftigt werden.
Die Beschäftigung eigener Kinder beim Austragen von Waren und son-
stigen Botengängen ist ohne Einschränkung gestattet. — Wenn die Beschäfti-
gung aber für Dritte geschieht, gelten bezüglich der Arbeitszeit die obigen
Vorschriften für fremde Kinder.
Bei theatralischen Vorstellungen und sonstigen öfiPentlichen Schaustellungen
dürfen weder eigene noch fremde Kinder beschäftigt werden; Ausnahmen
können von der zuständigen Behörde zugelassen werden, wenn ein höheres
Interesse der Kunst und Wissenschaft obwaltet.
Verbotene Beschäftigungsarten sind für fremde und eigene Kinder die
Beschäftigungen in Fabriken (Gewerbeordnung!) und Motorwerkstätten, bei
Bauten, beim Ziegeln, beim Steineklopfen, im Schornsteinfeger- und Speditions-
fuhrgewerbe, beim Mischen und Mahlen von Farben, in Kellereien und in den
vom Gesetze genau bezeichneten Werkstätten (vgl. Schulblatt 1004 S. 12 und 13).
Die Einziehung oder Einschränkung einer Arbeitskarte hat der Lehrer
unter näherer Begründung im Instanzenwege beim Kreisschulinspektor zu be-
antragen (§ 20 des Gesetzen).
84
Schulärztliches.
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Des Vaters
Des
Arbeitgebers
Des
Kindes
(Vormundes, gesetz-
lichen Vertreters)
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Beschäftigung des
Kindes
Art, Dauer, Sonntags-
arbeit, Pausen
— Arbeitskarte
Schädigungen
für den regelmäßigen
Schulbesuch, die unterricht-
liche Förderung, die häus-
lichen Schularbeiten, für
Erziehung und Gesundheit.
VI. Schulärztliches.
Tagesgesohichtliohe Naohrichten.
— In Breslau hat die Stadtverordnetenversammlung die Anstellung zweier
Schulärzte mit je 500 ^H Honorar für die höheren Lehranstalteii genehmigt.
— Die Straßburger Post schreibt unter dem 23. Juli 1906:
Straßburg: hat — dank dem unermüdlichen Wirken des Zahnanstes Prof.
Dr. Jessen im Dienste der Aufklärung über die Bedeutung einer rationellen
Zahnpflege für die Volksgesundheit, und dank der Förderung durch die Ge-
meindeverwaltung — als erste Stadt in Deutschland eine städtische Schulzahn-
klinik erhalten, die unter Leitung des Professors Dr. Jessen steht. Um die
Kenntnis der schweren Schädigungen der allgemeinen Gesundheit durch kranke
Zähne namentlich in den Kreisen der Erzieher der Jugend zu verbreiten imd
zu zeigen, wie Schule und Gemeindeverwaltung Hand in Hand gehen müssen,
um den Gefahren zu steuern, die aus einer kranken Mundhöhle für den ein-
zelnen wie die Allgemeinheit durch Ansteckung hervorgehen, haben Professor
Dr. Jessen, Kreisschuiinspektor Motz und Beigeordneter Eegierungsassessor
Dominicas eine verdienstvolle Schrift herausgegeben: „Die Zahnpflege in
der Schule vom Standpunkt des Arztes, des Schulmannes und des
Verwaltungsbeamten.'^ (Straßburg, L. Beust.) Professor Jessen gibt darin
eine Einführung in die Zahnpflege, in der er die Forderung der Unterweisung
der Kinder in der Bedeutung der Zähne, über die Krankheiten und Erhaltung
durch den Lehrer aufstellt. Er gibt ferner eine ausführliche Anleitung Eur
Schulärztliches. 85
praktischen DDrchiuhrung der Zahnpflege in der Schale und schlugt in Dber-
einstimmung mit Kreisschulinspektor Motz vor, diese Zahnpflege zunächst obli-
gatorisch in den Kleinkinderschulen einzuführen. Daran reiht sich die Not-
wendigkeit der kostenlosen zahnärztlichen Behandlung der Volksschulkinder iu
einer städtischen Schulzahnklinik, wie sie Straßburg besitzt. Kreisschulinspektor
Motz gibt im zweiten Teile der Schrift den Lehrern eine Anleitung, wie die
Zahnpflege im Unterricht zu behandeln ist. Der dritte Teil schildert die Ge-
schichte der Errichtung der städtischen SchuUahnklinik , deren Verhältnis zur
Schule Kreisschulinspektor Motz im folgenden Teile behandelt. Auf Grund der
Erfahrungen kommt er zu dem Schlüsse, daß die Summe der durch die Unter-
suchungen und den Besuch der Klinik versäumten Schulstunden geringer als
die Summe ist, die der Ausfall von Schulstunden infolge der Zahnschmerzen
und der Begleiterscheinungen erkrankter Zähne beträgt. Der erfahrene Schul-
mann folgert, daß die Untersuchungen der Zähne der Schulkinder, sowie die
Errichtung von Schulzahnkliniken im Interesse der Schule, der Kinder und der
Lehrer sowohl als des Unterrichtserfolges liegen und die Bestrebungen auf
dem Gebiete der Zahnhygiene seitens der Schulbehörde weitestgehende und
nachdrücklichste Unterstützung erfahren sollten. Nachdem durch Professor
Jessen in dem Kapitel „Die Errichtung städtischer Schulzahnkliniken, eine
internationale volkshygieuische Forderung unserer Zeit'* vom Standpunkt des
Arztes der Beweis der Notwendigkeit einer besseren Fürsorge für die Zahn-
pflege des Volkes geliefert worden ist, schildert Beigeordneter Dominicas die
Einrichtung der hiesigen städtischen Schulzahnklinik, ihre Bedeutung und ihren
praktischen Nutzen. Dem hübsch ausgestatteten Buche sind fünf Tafeln mit
Text beigegeben: Grundriß und Plan der neuen Schulzahnklinik, kranke Zähne
und ihre Behandlung, Krankheiten der Zähne und des Mundes.
— Die Stadt Köln hat auf Betreiben des ärztlichen Vereins in Köln die
Stelle eines Beigeordneten beim Magistrat an einen Arzt vergeben, dem folgende
Aufgaben vom Oberbürgermeister übertragen wurden:
1. Hygienische Anregungen auf allen Gebieten der städtischen Verwaltung;
2. Wohnungs- und Gesundheitspoiizei, Abgabe der nötigen ärztlichen Gut-
achten mit Vorsitz in der Gesundheitskommission und stellvertretendem
Vorsitz in der Kommission für Polizei- und Wohnungsaufsicht;
3. Impfsachen;
4. Schulgesundheitspflege, ansteckende Krankheiten unter den
Schulkindern und bei den Lehrpersonen, Schulärzte;
5. Nahrungsmittel- Untersuchungsanstalt;
6. Begutachtung von Schul-, Krankenhaus- und sonstigen geeigneten Bauten
in hygienischer Beziehung;
7. Beisitz in der Armendeputation, im Waisenamt, in der Deputation für
die städtischen Krankenanstalten, in der Deputation für das Kinder-
hospital, Armenärzte, Armenapotheke, Desinfektionsanstalt, bakterio-
logisches Laboratorium ;
8. Beisitz in der Schuldeputation;
9. Beisitz in der Kommission für Schlacht- und Viehhofsachen und in der
Marktkommission, Trichinen- und Fleischbeschau, Lebensmittelpolizei auf
den Märkten;
10. Städtische Bäder mit Vorsitz in der Deputation;
11. Beisitz in der Kommission für Statistik, Mediziualstatistik;
gg Besprechungen.
12. Ärztliche Untersuchung von Beamten, Angestellten, Kopisten und Ar-
beitern bei der Annahme, bei Beurlaubungen und bei der Versetzung in
den Ruhestand.
— In Mülhausen i. Eis. soll fOr etwa 10000 Volksschüler und 4000 Kinder
aus den Kleinkinderschulen eine Schulzahnklinik eingerichtet werden. Als
Lokal ist eine freiwerdende Schule ausersehen. Als Jahresgehalt für den Zahn-
arzt sollen für das erste Jahr 3000 JL bewilligt werden, dieses Gehalt soll in
den nächsten Jahren erhöht werden. Die Kosten der Einrichtung der Klinik
einschließlich der baulichen Veränderungen werden auf 1000 M. geschätzt.
Für einen Diener ist ein Monatsgehalt Ton 50 Jt ausgesetzt.'
VII. Besprecliungen.
Mathieii, Albert, Dr., Fädagogie physiologique. Internationales Archiv für
Schulhygiene, Bd. I. Heft 1. pag. 1. Leipzig, Engelmann 1905.
Unter physiologischer Pädagogik versteht Verfasser ein auf wissenschaft-
licher, experimenteller Basis beruhendes Handinhandgehen der physischen
und intellektuellen Erziehung. Wichtig für die letztere ist die Bestimmung
der Grenzen der geistigen Ermüdung, die nicht überschritten werden dürfen;
ebenso wichtig ist das Studium derjenigen Erziehungsmethoden, die bei einem
Minimum geistiger Anstrengung die größten Lehrerfolge zu erzielen imstande
sind. Die Lehrpläne müssen sich der geistigen Fassungskraft der Schüler an-
passen, müssen aber auch Schritt halten mit den Anforderungen, die das prak-
tische Leben für den Schüler im Gefolge hat.
Die Ausführungen des Verfassers bilden einen wertvollen Beitrag zur
Ünterrichtshygiene.
Wichmaniiy Ralf, Dr. med., Über die La;ge und Höohstzahl der täglichen
Unterrichtsstunden an MädchenschiQen. Internationales Archiv für
Schulhygiene. Bd. I. Heft 2 pag. 301. Leipzig, Engelmann 1905.
Auf Grund eines reichhaltigen statistischen Materials behandelt Verfasser
eines der wichtigsten Kapitel der Schulorganisation. Zurzeit ist noch nicht an
allen Volks- und höheren Mädchenschulen die Unterrichtszeit den Anforde-
rungen der Hygiene entsprechend geregelt. Auf Volks- und höheren Mädchen-
schulen wird nach Ansicht vieler Lehrerinnen viel überflüssiger wissenschaft-
licher Ballast gelehrt, was eine Einschränkung des Lehrstoffes in manchen
Fällen erforderlich erscheinen läßt. Im gesundheitlichen Interesse der Lehren-
den und der Schulkinder sollte nachmittags kein wissenschaftlicher Unterricht
erteilt werden. Die Nachmittage dienen ausschließlich den technischen Fächern,
besonders dem Turnen und den Tumspielen. Fünf wissenschaftliche Lehr-
stunden am Vormittage hintereinander sind für Lehrende und Schulkinder zu
viel. Die fünfte wissenschaftliche Stunde ist unnütz und schädlich. Es ist
empfehlenswert, die Schulzeit für die Mädchen der Volksschule bis zum fünf-
zehnten Jahre zu verlängern. Für die Gesundheit und die Moral der Mädchen
Kleinere Mitteilungen. 87
wäre es Tiel besser, sie blieben noch ein Jahr, ja noch zwei weiter in der
Schulzucht. Sie würden körperlich und geistig den größten Nutzen dayon
haben können. Dies sind die Schlußsätze, in die Verfasser seine in jeder Hin-
sicht klaren und sachlichen Ausführungen zusammengefaßt hat.
VIII. Kleinere Mitteilimgen.
— Sondersohulen für hervorrag^iid Beffthigte. Oberlehrer Dr. J.
Petzol dt- Spandau hat über dieses Thema eine Broschüre bei B. G. Teubner-
Leipzig erscheinen lassen und in der Februarsitzung des Berliner Gymnasial-
lehrervereins folgende darauf bezügliche Thesen zur Diskussion gestellt:
1. Wir fördern die Schüler von mittlerer Begabung namentlich die
untersten dieses Mittelgutes auf Kosten der geistigen Entwicklung und der
Charakterbildung der hervorragend Befähigten und zum Schaden des Gemein-
wesens.
2. Der gesonderten Erziehung der hervorragend Beföhigten stehen för
diese selbst keine unüberwindlichen psychologischen und pädagogischen Be-
denken entgegen.
8. Das beste Mittel, jene Schäden zu mildern, ist daher die Gründung
von Sonderschulen für hervorragend Befähigte. Die Entnahme solcher Schüler
aus den gegenwärtigen Mittelschulen hat für den richtigen Unt^rrichtsbetrieb
in diesen keine nachteiligen Folgen. (Mitteilungen des Vereinsverbandes aka^
demisch gebildeter Lehrer Deutschlands, Eisenach 1906 S. 2.)
— Der Abstinentenbund an deutschen Sohulen ,,Germania<^. Der
Abstinenten-Bund an deutschen Schulen „Germania" setzt sich nach seinem
im Juni 1. J. herausgegebenen Mitgliederverzeichnis aus 21 Ortsgruppen mit
im ganzen 452 Mitgliedern zusammen. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder
beträgt 298. Ordentliches Mitglied des Bundes kann jeder Besucher einer
deutschen Schule werden, die ordentliche Mitgliedschaft von Mädchen ist an
das Alter von 14 — 19 Jahren geknüpft. Die ordentlichen Mitglieder werden
beim Verlassen der Schule Altmitglieder. Jedes Mitglied verpflichtet sich zur
völligen Enthaltsamkeit von allen berauschenden Getränken. Eine Ausnahme
ist nur statthaft auf Grund ärztlicher oder kirchlicher Vorschriften. Die Mit-
gliedschaft erlischt von selbst mit dem Aufgeben der Abstinenz. Zur Grün-
dung einer Gruppe sind mindestens 5 ordentliche Mitglieder nötig, dm den
Bundesvorstand zu entlasten, können sich drei und mehr benachbarte Gruppen
zu einem Gauverband vereinigen, der dem Bund gegenüber die Vertretung der
einzelnen Gruppen übernimmt. Alljährlich findet eine Bundesversammlung
statt, auf der die Bundesangelegenheiten erledigt werden und der Ort und die
Zeit der Tagung im folgenden Jahre festgesetzt wird. Offizielles Organ des
Bundes ist die Zeitschrift „Germania'' (Druck von Dr. L. Nonnes Erben
[Druckerei der Dorfzeitung] in Hildburghausen). Gruppen befinden sich an
folgenden Plätzen: Nürnberg (gegründet 1901), Haubinda (1902), Stutt-
88 Kleinere Mitteilungen.
gart I (1903), Altona I (1003), Hamburg I (1903), Ulm I (1903), Lübeck
(1903), Eßlingen (1908), Hildburghausen (1903), Göppingen (1904),
Bieberstein (1903), Altona E (1904), Husum (1904), Stuttgart H (1904),
Ulm II (1906), Darmstadt (1904), Höxter a. d. Weser (1904), Frankfurt a. M.
(1904), Hamburg II (1903), Lübeck 11 (1905), Ellwangen (1905). Diese
Gruppen sind in drei Gaue zusammengefaßt, die Gaue „Norddeutsehlaud",
„Schwaben" und „Mitteldeutschland". Besondere Mädchengruppen befinden
sich in Stuttgart, Ulm und Hamburg.
— Beform des Abiturientenexamens. Die deutsche Warte (am 7. IV.
1905) bezeichnet als die Krone unzeitgemäßer Einrichtungen die Abiturient^n-
prüfung. Durch den Regierungskommissar werde nicht nur der Abiturient,
sondern zugleich der den Unterricht ert-eilende Lehrer geprüft, deshalb werde
vor dem Examen ungebührlich „gepaukt und gedrillt". Die Anforderangen an
den Schüler seien zu vielseitig und würden ohne Rücksicht auf seine Indivi-
dualität geltend gemacht, die Prüfungen würden zu lang ausgedehnt. In Rück-
sicht darauf stellt der ungenannte Verfasser des Artikels folgende Forderungen
auf: Schärfere Begrenzung der Zielforderungen der Schule, Befreiung aller
zweifellos reifen Schüler von der mündlichen Prüfung, Vorsitz des Anstalts-
direktors bei der Prüfung. Die Abschaffung der Abiturientenprüfung wurde
in der Aprilversammlung des Vereins für Schulreform vom Reichs- und Land-
tagsabgeordneten Eickhof angeregt. (Mitteilungen des Vereinsverbandes
akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands, Eisenach 1906, Nr. 2.)
— In der Jenaer Gesellschaft für Urg^soMohte hielt Oberstabsarzt
a. D. Dr. Fi e big einen Vortrag über den Gesundheitszustand des Jenaer
Kindes. Wir entnehmen darüber der Jenaer Zeitung vom 15. Juli 1905:
Dr. Fiebig stellte u. a. fest, daß in den unteren 4 Klassen der ihm als Schul-
arzt unterstellten Westschule 20% etwa 1 — 6 Jahre gegen das Normale zu-
rückgeblieben waren, und als Ursache dafür bei 75 % ungenügende geistige
Leistungsfähigkeit, während z. B. 8,4 % offenbar zu früh in die Schule ge-
kommen waren. Mit der intellektuellen war häufig auch eine ethische Schwäche
verbunden; als Ursache ermittelte Vortragender unter 112 Kindern bei 20 ®'^,
Belastung der Eltern durch Nervenkrankheiten, bei 17 % durch Herzfehler,
Fettsucht, Zuckerkrankheit usw., bei 8 % durch Alkoholismus. In Wirklichkeit
kommen auf letzteren aber viel mehr Fälle, da auch die erstgenannten Krank-
heiten vielfach erst auf diesen zurückzuführen sind. Die Kinder selbst litten
zu 28 ®/^ noch an englischer Krankheit (Rachitis), zu 15 *'o an Skrofulöse usw.
Die Konstitution im Alter von 7 — 11 Jahren war nur bei 22 % gut, bei 54 7©
mittel, dabei waren die Mädchen durchweg — zum Teil sogar erheblich —
schlechter gestellt als die Knaben, was Dr. F. auf größeren Lerneifer, mehr
Stunden und Hausarbeit schiebt. Sein Ideal wäre ausschließlich Vormittags-
unterricht mit V4 stündigen Pausen, nachmittags höchstens Gartenarbeit mit
naturkundlichem Unterricht und Spielen; das erhalte auch den Lehrer frischer
und komme damit ebenfalls den Kindern zugute. Auch wünschte er den Be-
ginn der Schulzeit für alle Kinder mit nicht guter Konstitution auf ein Jahr
später verlegt zu sehen, da heute etwa 44 ^/^ durch zu frühen Eintritt nach
den verschiedensten Seiten hin geschädigt würden. Redner ging dann näher
auf die englische Krankheit ein, deren Symptome — darunter u. a. auch die
meisten Krampfarten — sich auch in Thüringen bei 80 — 90% der Säuglinge
steigen dürften. Alle bisherigen Hypothesen für die Entstehung dieser Krank-
Kleinere Mitteilungen. 89
heit hielten Tor der Kritik nicht stand, nur die Alkoholisation habe man bis-
her nicht beachtet und doch treten beide nur gleichzeitig auf; bei Völkern,
wo diese fehlt, kennt man auch die Rachitis nicht. Und andrerseits läßt sie
sich, dank der enormen natürlichen Regenerationskrafb, die unserm Körper
innewohnt, durch Mäßigkeit wieder zurückdämmen. Ein Beispiel dafür bietet
Norwegen, wo die englische Krankheit immer mehr verschwindet und zugleich
mit der zunehmenden Enthaltsamkeit auch das verlorene Stillungsvermögen
wiederkehrt. Mit ihr weicht aber auch die Disposition zu vielen anderen
Krankheitsformen. Redner schloß mit dem warmen Aufruf angesichts der
schweren Aufgaben, die unsres Volkes harren, an der praktischen Gesundheits-
förderung, zumal der Kinder, eifrig mitzuarbeiten. An der Aussprache betei-
ligt« sich besonders Schulrat Stier- Apolda der die große Bedeutung der ge-
wissenhaften Untersuchungen würdigte und der Hofibung Ausdruck gab, daß
die Ergebnisse weiteren Kreisen, besonders den maßgebenden Schulbehörden,
zuf^glich gemacht würden. Doch machte er gegen den 5 stündigen Vormit-
tagsunterricht einige Bedenken geltend, so vor allem, ob er nicht zu große
Anforderungen an die geistige Leistungsföhigkeit stelle; auch wies er darauf
hin, daß das gemeinsame Mittagsmahl der Familie oft darunter leiden werde
und daß das Ideal der Landleute die „ Halbtagsschule ** sei, bei der die
größeren Kinder allerdings nur vormittags, die kleineren nachmittags unter-
richtet wurden. Dr. Fiebig führte demgegenüber u. a. die guten Erfolge in
Elberfeld an. Bürgerschullehrer Schmid gab noch dem Wunsch Ausdruck,
die Schulärzte möchten öfter dem Unterricht beiwohnen, so noch mehr mit
dem Lehrer in Verbindung treten und ihn auf diese oder jene Krankheits-
erscheinung aufmerksam machen. Dann würde es auch immer seltener vor-
kommen, daß der Lehrer Kinder, die nach den Ausführungen des Vortragenden
vielleicht krank seien, nur filr faul halten könne. — Im Einklang mit dem
hier Gesagten hatte Dr. Fiebig schon im vorigen Sommer beantragt, den
Schulkindern solle, um ihnen eine praktische Lehre für das Leben zu geben,
am Sedanfest gelegentlich der Spiele im Paradies nicht mehr Wurst und
Bier, sondern Gebäck und Limonade gegeben werden. Der Antrag wurde
aber leider noch in der letzten Schulvorstandssitzung wieder abgelehnt, da die
Mehrheit der Anwesenden an dem alten Thüringer Kirmesfest halten zu sollen
glaubte. Der Vortragende hoffte aber, daß hier wie in den anderen Fragen
der heute noch bestehende Widerstand allmählich besiegt werden wird.
— Erhebungen über den Alkoholgenuß der Sohullunder wurden
auf eine Verfügung der Regierung zu Königsberg i. Pr. hin in allen
Schulen der Stadt- und Landgemeinden angestellt. Die Regierung hat infolge
der Berichte die Schulaufsichtsbeamten und Lehrer veranlaßt, der Alkohol-
frage ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden und besonders dem Branntweingenuß
unter den Schulkindern zu steuern. Der Hüteschein ist überall zu entziehen,
wenn feststeht, daß die Arbeitgeber den Hütekindern Schnaps verabfolgen.
In Fällen gewohnheitsmäßiger Verabreichung von Schnaps oder Bier seitens
der Eltern an Schulkinder ist der Antrag auf Fürsorgeerziehung zu stellen.
Fälle von Trunkenheit bei einem Schulkinde sind sofort an die Regierung zu
berichten. (Germania Berlin, 3. Juli 1905.)
— Sohulhygiene auf neuer Grundlage wird am 1. Oktober von der
Munizipalität in Nizza zur Einführung gelangen. Der Erfinder der neuen
Methode^ ein Doktor Roux, glaubt, daß man nur dann zu einem sicheren Re-
90 Kleinere Mitteilungen.
sultate über den Gesundheitszustand der Schüler kommen kann, wenn man die
Schüler selbst an der Statistik teilnehmen läßt. Zu diesem Behufe werden
am 1. Oktober an 6000 Kinder Tabellen verteilt werden, in die sie Ein-
tragfungen über ihr Alter, über Eintritt in die Schule, über Krankheiten und
Dauer derselben, über Eltern, Wohnung, Impfung, Gewicht und Leibesübungen
machen müssen. Diese Statistik der Kinder kann natürlich jeden Augenblick
von den Lehrern auf ihre Richtigkeit hin geprüft werden. Eine zweite Kon-
trolle übt der Schularzt, der ein nur ihm zugängliches Journal führt, in dem
die Hauptsache genaue Eintragungen bilden über das Resultat der eingehend-
sten Körperuntersuchungen der Schüler, die zweimal in jedem Jahre stattfinden.
Endlich müssen auch Lehrer und Lehrerinnen an der Statistik mitarbeiten.
Sie haben Fragen zu beantworten über Luft, Licht und Größe der Klassen-
zimmer sowie über die Anzahl der Schüler in den einzelnen Klassen. Femer
ist das Lehrpersonal angewiesen, darauf zu achten, daß die Schüler stets rein-
gewaschen sind, namentlich die Ohren, daß die Haare der Knaben kurz ge-
schnitten sind, und daß die Kinder weder auf die Erde speien, noch auch
Stahl- und Bleifedem in den Mund nehmen. Die Erdböden der Klassenzimmer
müssen stets feucht aufgewischt sein. Auch das dichte Haar der Schülerinnen
soll von Zeit zu Zeit untersucht werden, ob es nicht Krankheitskeime in sich
birgt. (Berliner Lokalanzeiger, 7. Juli 1905.)
— Bemerkenswert ist ein Erlaß des österreichischen Ministeriums
über Schulhygiene^ den wir der Bozener Zeitung (26. September 1905) ent-
nehmen. Das „Verordnungsblatt fiir den Dienstbereich des Ministeriums für
Kultus und Unterricht** veröffentlicht einen Erlaß des Herrn Ministers for
Kultus und Unterricht an die Direktionen der wissenschaftlichen Prüfungs-
kommissionen für das Lehramt an Gymnasien und Realschulen betreffend die
Unterweisung der Lehramtskandidaten für Mittelschulen in der Schulhygiene,
in dem auf die großen Fortschritte der Schulhygiene als Wissenschaft hinge-
wiesen und die Direktionen der Prüfungskommissionen gehalten werden,
diesem Gegenstande erhöhte Aufmerksamkeit zuzumessen. Der Erlaß enthält
eine Reihe von Bestimmungen über den Besuch der Vorlesungen über Schul-
hygiene und bezeichnet die Einführung von Kursen über dieses Thema im
Rahmen der Perialfortbildungskurse als sehr wünschenswert. Schließlich er-
klärt sich das Unterrichtsministerium bereit, einzelnen Lehrpersonen zum
Zwecke des Besuches von hygienischen Kongressen Unterstützungen nach Maß-
gabe der vorhandenen Mittel zu gewähren.
— In Hannover fand vom 3. bis 5. Oktober die 22. Versammlung^
des Hannoverschen Provinsial-Lehrervereins statt. Mit diesen Versamm-
lungen waren bisher stets Ausstellungen verbunden, die das gesamte Schul-
wesen umfaßten, aber neben dem Neuen auch schon oft Gesehenes boten.
Statt dessen veranstaltete der Lehrerverein Hannover-Linden in diesem Jahre
für die Versammlung eine umfangreiche Ausstellung für Schulgesundheitspflege,
die für Hannover völlig neu war. Es sollte auf diesem Sondergebiete ein mög-
lichst vollständiges und treues Bild der modernen Bestrebungen gegeben
werden. Die Ausstellung umfaßte das gesamte weite Gebiet der Schulhygiene
mit Ausschluß des Blinden-, Taubsturamen- und Idiotenwesens; das gesunde
und das kranke Kind, das nicht normale Kind; die Schularztfrage; den Unter-
richt (Turnen, Spiel und Sport, Handfertigkeitsunterricht, Alkoholfrage u. a.)
und die Lehrmittel; das Schulgebäude — unter anderem Pläne und Binrich-
Zeitschriftenrundschau. 91
tungen Ton mustergültigen Schulen in Hannover — , ein Muster-Klassenzimmer,
Heizung, Lüftung, Beleuchtung, Inventar; Fachliteratur. Die Ausstellung war
nicht nur den Teilnehmern an der Versammlung, sondern auch dem größeren
Publikum geöffnet.
— Qemeinsohaftlioher Unterricht Yon Knaben und Mftdohen in
höheren Schulen. Der Stadtrat in Delmenhorst (Oldenburg; hat den Be-
schluß gefaßt, in die dortige Realschule auch Mädchen aufzunehmen. Das
Ministerium will den gemeinschaftlichen Unterricht bis Untertertia genehmigen,
hält aber daran fest, daß in den höheren Klassen der Unterricht getrennt er-
teilt werden muß. (Mitteilungen des Vereinsverbandes akademisch gebildeter
Lehrer Deutschlands 1905, Nr. 2.)
— Jugendspiele: Zu der in Heft 1 und 2, 1905 V. Jahrgang, S. 43,
gegebenen Notiz über Jugendspiele fügt Herr Lehrer H. Sames-Darmstadt
noch folgendes hinzu: Auch in diesem Frühjahr fanden in Darmstadt unter
Leitung eines spielkundigen Lehrers wieder 2 Spielkurse statt, um die Teil-
nehmenden mit den wichtigsten Jugendspielen vertraut zu machen. Der
1. Kursus war von 30 Lehrern, der 2. von 15 Lehrerinnen besucht. Jeder
Kursus umfaßte 12 Spielstunden. Gespielt wurden u. a. Reifspiele, Tag und
Nacht, Fahnendieb, Diebsehlagen, Schlaglaufen, Barlaufen, Haschen in Gassen
und mit Ruhemal und Ballspiele wie Jagd-, Netz-, Burg-, Steh-, Neck-, Kreia-
wurf-, Kreisfuß-, Fuß-, Schlag-, Tamburin-, Hohl-, Roll-, Grenz-, Faust-, Feld-,
Ratfball. Die Teilnehmer der Spielknrse leiten während des Sommers die an
den hiesigen Stadt- und Mittelschulen eingerichteten Jugendspiele. Die Be-
teiligung der Schuljugend ist freiwillig, aber im ganzen eine recht gute.
Gespielt wird 2 Stunden pro Woche. Anzuerkennen ist, daß die Stadt Darm-
stadt die Spielleiter angemessen bezahlt. Doch wäre zu wünschen, daß in der
Nähe jedes Schulhauses ein geeigneter Spielplatz angelegt würde. Bis jetzt
haben nur einige Schulhäuser eigene Spielplätze.
IX. Zeitschriftenrundscliau.
Die mit * bezeichneten wurden der Redaktion zugesandt.
*" Zeitschrift fQr Sohulgesundheitspflege (Leopold Yoß- Hamburg)
Nr. 6 1905: Originalabhandlungen: Dr. Gr. Rostowzeff- Moskau: Die prak-
tischen Schwierigkeiten bei der Befriedigung der hygienischen Forderungen
an die Subsellien; Direktor Emanuel Bayr-Wien: Vierter Kechenschafts-
bericht des Vereins „Kinderschutzstationen** Vereinsjahr 1904. Aus Versamm-
lungen und Vereinen: Über Krampfkrankheiten im schulpflichtigen Alter (nach
einem Vortrag von Prof. Dr. Ziehen); die Hygiene des Schulkindes «nach
einem Vortrag von Med.-Rat Dr. Hirsch); die Behandlung der sexuellen Frage
im naturwissenschaftlichen Unterricht (nach einem Vortrag von Prof. Dr. v.
Sigmund). — Nr. 6 1906: Originalabhandlungen: Dr. Alexander Koch-
Hesse: Ein Beitrag zur Wachstumphysiologie des Menschen; Dr. med. Moritz
Fürst und Lehrer Gerken: Zur Schularztfrage in Hamburg. Aus Versamm-
92 ZeitscliriftenruniUchau.
luugen und Vereinen: Die Schweizerische Konferenz für das Idiotenwesen (in
St. Gallen); der Schwimmunterricht in den Schulen (nach einem Vortrag
Ton Schulinspektor Fr icke). — Nr. 7 1906: Originalabhandlungen: Die
sechste Jahresversammlung des Allgemeinen deutschen Vereins für Schul-
gesundheitspflege am 14. und 16. Juni 1906 in Stuttgart. Bericht von Dr.
Rudolf Abel, Regierungs- und Medizinalrat in Oppeln. Hermann Cohn,
Erinnerung an gemeinsam mit Prof. t. Mikulicz gemachte schulhygienische
Beobachtungen. Dr. Alexander Koch-Hesse: Fortsetzung. Aus Versamm-
lungen und Vereinen: Dr. Friedrich Stocker-Luzem: Die Schularztfrage
auf Grund bisheriger Erfahrungen. Vortrag an der sechsten Jahresversammlung
der schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, 14. u. 15. Mai in
Luzem. — Nr. 8 1906: Originalabhandlungen: Dr. Alexander Koch- Hesse:
Fortsetzung. Aus Versammlungen und Vereinen: Joh. Spüh 1er- Zürich: Die
Pflege der körperlichen Übungen im nachschulpflichtigen Alter. Vortrag an
der sechsten Jahresversammlung der schweizerischen Gesellschaft für Schul-
gesundheitspflege, 14. u. 15. Mai in Luzern. Di. Weill-Menton: Über die
Verbreitung der Tuberkulose in der Schule. Vortrag auf dem diesjährigen
Kongresse für Schulhygiene in Paris.
•Der SohiQarzt (Leopold Voß-Hamburg): Nr. 5 1905: Dr. Altschul-
Prag: Zur Schularztfrage in Österreich. — Nr. 6: Dr. S am o seh -Breslau: Be-
trachtungen über schulärztliche Statistik und Vorschlage zur Herbeifühnmg
einer Einheitlichkeit in derselben. — Nr. 7: Dr. Samosch: Fortsetzung. —
Nr. 8: Dr. Samosch: Fortsetzung und Schluß.
*Monatssohrlft fQr das Tumwesen (Weidmann sehe Buchhandlung,
Berlin): Nr. 6 1906: Originalabhandlungen: H. David: E. v. SchenckendorfFs
Antrag zur Tuminspektion. Oberturnlehrer Kloß: Die Entwicklung des Tum-
wesens in den städtischen Schulen Posens in den letzten '26 Jahren. — Nr. 7
1906: Originalabhandlungen: Fritz Eckhardt -Dresden: Worauf ist beim Be-
trieb der „Volkstümlichen Übungen" im Turnunterricht zu achten? Die
Jugend- und Volksspiele in Oberschlesien. Dr. Neuendor ff -Haspe: Gedanken
über Erziehung u. Unterricht. — Nr. 8 1905: Originalabhandlungen: H. Schröer
Die Dispensationen vom Unterricht. Hauptmann a. D. v. Ziegler-Rummels-
burg-Berlin: Die Kurzsichtigkeit der Schüler höherer Lehranstalten, eine Ge-
fahr für die Landesverteidigung, und ihre Bekämpfung.
♦Körper und Qeist. Zeitschrift für Turnen, Bewegungsapiel und ver-
wandte Leibesübungen. \B. G. Teubner, Leipzig und Berlin) 14. Jahrg. 1905.
Nr. 1. Minna Radczwill-Hamburg: Kunst u. Leibeserziehung; Dr. Siebert-
Steglitz: Das Turnen an den höheren Schulen; Dr. F. A. Schmidt- Bonn:
Die Spielbewegung in Schweden. — Nr. 2. J. Sparbier-Hamburg-Eimsbüttel:
Turnspiel und Methodik; Dr. Meisner, Generalarzt a. D.: Schulturnen und
Jugendspiel; Minna Radczwill-Hamburg: Fortsetzung. — Nr. 3. Rud. Hart-
stein-Leipzig: Ein Rückblick auf unsere Sommertumfahrten. — Nr. 4. Dr. F.
A. Schmidt-Bonn: Spiel- u. Leibesübung auf der Weltausstellung in St. Louis
1904; F. Misselwitz-Bautzen: Zur Tumlehrerfrage an den höheren Schulen.
— Nr. 5 u. 6. W. Reese -Hamburg: Hygienische und ästhetische Prinzipien
als Grundlagen der Leibeserziehung; H. Wickenhagen -Schöneberg -Berlin:
Wassersport und Schule; J. Sparbier- Hamburg: Spielbetrieb und Spielfertig-
keit: Dr. F. A. Schmidt: Amtliche Spiel kurse; Dr. F. A. Schmidt: Spiel-
und Leibesübung . . . Fortsetzung; Prof. Pawel 1: Der internationale Kongreß
ZeitschriftenmndBchaa. 93
für Sport und körperliche Erziehung in Brüssel. — Nr. 7. Prof. Dr. M artin -
Erlangen: Leibesübungen an der Universität Erlangen vor lüO Jahren; Dr. F.
A. Schmidt- Bonn: Die Tagung der American Phjsical Education Association
in New-York vom 17.— 19. April lüOo; Dr. H. Wehlitz- Greifs wald: Dritte
Jahresversammlung des Pommerschen Tumlehrervereins in Greifswald am 8.,
9., 10. Juni; Ernst Fischer-Hamburg: Dritter Spielkurs für Lehrerinnen in
Hamburg; Dr. F. A. Schmidt- Bonn: Der zwölfte Spielkursus für Lehrerinnen
in Bonn; Dr. F. A. Schmidt- Bonn: Der fünfzehnte Spielkursus für Lehrer. —
Nr. 8. H. Wickenhagen: Schluß; Dr. F. A. Schmidt-Bonn: Zur Pflege des
Tanzes in der amerikanischen Schulgymuastik. — Nr. 9 u. 10. Prof. Baum-
garten-Kiel: Physische Kraft; Dr. Alice Prof^-Charlottenburg: Die körper-
liche Erziehung unserer Mädchen; E. Weber- Hamburg: Die Rekruten; W.
Lott ig- Hamburg: Wie ich in der Schule mit den Kleinsten turne; Minna
Radczwill- Hamburg: Was die kleinen Mädchen in der Turnstunde treiben
können.
Internationales Archiv für Sohulhygiene (Engel mann -Leipzig) 1905
Bd. I 8. Heft: Prof. H. Griesbach: Weitere Untersuchungen über Beziehungen
zwischen geistiger Ermüdung und Hautsensibilität.
Bas Sohulhaus (Karl Yanselow, Schulhausverlag, Berlin-Tempelhof)
1905. 7. Jahrgang Heft 4: F. Lindemann: Die Farbe im Schulzimmer; K. W.
Diefenbach: Aus dem Kinderfries Per aspera ad astra; Baurat Herrnring:
Neubau der Viktoria Luisenschule in Wilmersdorf; das neuzeitliche Schulhaus.
— Heft 5. Hans Suck: Brunnen in Schulhäusem; Architekt Otto Schulz;
Fachschule für Glasindustrie in Zwiesel; Architekt S. Langenberger: Land-
wirtschaftliche Winterschule in Wolfratshausen; Samskola: Schulen für blinde
und taube Kinder. — Heft 6. Hans Suck: Sinnsprüche in Schulräumen:
Architekt Franz Thyriot: Neubau des Gymnasiums mit Direktorwohnhaus
in Zehlendorf bei Berlin.
^'Bas 8ohul2Ünmer (Verlag Jobs. Müller-Berlin) 1905. Heft 2. Dr.
Spanier: Moderne Anschauungsbilder; A. Bennstein: Die Aufbewahrung
der Lehrmittel.
Ble Gtosiindheitswarte der Schule (Otto Nemnich- Leipzig) 1905
Nr. 6. Sanitätsrat Dr. Altschul -Prag: Die Mitwirkung der Lehrer bei Ge-
winnung einer brauchbaren Morbiditätsstatistik in Schulen ; Lehrer K. Schwarz:
Unsere Schulluft; Ein altes Mittel gegen frischen Schnupfen.
YierteljahrsBohrift für körperliche Ersiehung (Organ des Vereins
zur Pflege des Jugendspiels in Wien, im Selbstverlag des Vereins). L. Burger-
stein: Vorbeugendes gegen sexuelle Verirrungen der Kinder im Schulalter;
Lotz: Der Schwimmunterricht in der Elberf eider Volksschule; Myron: Spar-
tanische Erziehung; Prof. Glas: Über die Anlage der Schulturnräume; Prof.
Dr. Stanger: Winter- und Frühjahrsausflüge; Siegel: Wesen und Wirken
der Leipziger Schreber -Vereine; Dr. Pimmer: Merksätze aus den Verhand-
lungen des ersten internationalen Kongresses für Schulhygiene 1904.
94 Bibliographie.
X. Bibliographie.
Die mit * bezeichneten Bücher usw. wurden der Redaktion zur Besprechung'
eingesandt.
Abhandlungen, pÄdagog. 8^ 1905. Bielefeld, A. Helmich. Heft 94. Schenk:
Die Fürsorge für die aus der Hilfsschule entlassenen Kinder in unterricht-
licher und praktischer Beziehung. Vortrag. M. 0,40.
Appell an die Lehrerschaft zur Mitarbeit an einer der wichtigsten Kulturauf-
gaben durch Aufklärung der Jugend über die Gefahren des Alkohol-
genusses 4*. (4: S. m. 2 Fig.) 1905. Wien, Brüder Suschitzky.
Arzt, der — als Erzieher: Sammlung gemeinverständlicher Abhandlungen-
München, Otto Gmelin 1906. Heft 19. Dr. Baur: Gesundheitspflege.
Baur, Gesundheitsregeln für Eltern bei Erziehung der Schulkinder. 8^ (42 S.
mit Abbild.) 1905. München, Seitz u. Schauer.
Bibliothek, pädagogische. 8^ 19U6. Hannover, C.Meyer. 23. Bd. Lehr: Die
Psychologie, als Fundamentalwissenschaft der Pädagogik, in ihren Grund-
zügen dargestellt. Mit einem Begleitwort von Sem.-Dir. Bauckmann. (XII,
252 S.) M. 3,—, geb. M. 3,60.
Bibliothek für Sport u. Spiel. 8». 29. Bd. Robl: Der Radrennsport. (VII,
144 S.) 1906. Leipzig, Grethlein & Co. M. 1,80, geb. M. 2,20.
Burgerstein, L. Prof. Dr.: Vorbeugende sexuelle Belehrung zehnjähriger
Knaben. Sonderabdruck a. d. Monatsschrift für höhere Schulen. IV. 1906.
Berlin, Weidmann.
*BusBe, L.: Die Weltanschauung der großen Philosophen der Neuzeit. 2. Aufl.
(194 S.) 1906. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner. M. 1,—, geb. M. 1,26.
Combe, Dr. A., Prof.: Die Nervosität des Kindes. Vier Vorträge. Obers, v.
Dr. H. Faltin. 2. Aufl. (191 S.) 1904. Berlin und Leipzig, Hermann
Seemann Nachf. M. 2,60.
Domitrovich, A. v., Architekt: Der Techniker und die Schulbank. Sonder-
druck aus dem „Technischen Gemeindeblatt^^ Nr. 20. 1905. Berlin.
•Elsaesser, Dr.: Über die sogenannten Bergmannskrankheiten. (28 S.) 1905.
Arnsberg, F. W. Becker. M. 0,60.
Eisenreich, L., Schuldirektor: Der Verein für Ferienkolonien in Leipzig in
seiner fünfundzwanzigj ährigen Tätigkeit. (70 S.) 1905. Selbstverlag des
Vereins für Ferienkolonien.
Eyerich, G., Oberstabsarzt, und L. Loewenfeld: Über die Beziehungen des
Kopfiimfangs zur Körijerlänge und zur geistigen Entwicklung. Unter-
suchungen. 8°. (56 S.) 1905. Wiesbaden, J. F. Bergmann.
tFeltgen, E., Dr.: Zur Schulbankfrage.
*Ders. : Die auffälligsten Vorboten der am häufigsten vorkommenden Infek-
tionskrankheiten. Auszug aus dem Luxemburger Schulboten. (8 S.) 1906.
Luxemburg, Viktor Buch.
*Fischer, Marie: Merksteine für ein christliches Eheleben. (27 S.) Dresden.
Justus Naumann.
Fischer, Theodor: Das Schwimmen und seine Erlernuug. Mitteilungen des
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„Deutsche Mittelschule in Mähren". IV. Jahrgang, Nr. 1. (8 S.)
Frenzel, Frz.: Der Sach- und Sprachunterricht bei Geistesschwachen. (Aus:
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1905. Stolp, H. Hildebrandt. M. 1,—.
Galle, Lehrerin Helene, und Heilanstaltsdir. Dr. Liebe: Die Arbeit in den
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Erlangen, Th. Krische. M. —,25.
Hancock, H. Irving: Dschiu-Dschitsu, die Quelle japanischer Kraft. Metho-
dische Körperstä-hlung in athlet. Kunstgriffen der Japaner. 8**. (XV, 235 S.
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*Hartmann, Martin, Dr.: Die höhere Schule und die Gesundheitspflege.
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"^Heßling, Klara: Das Madchentumen. 4. verbesserte Aufl. (426 S.) 1905.
* Berlin, Weidmannsche Buchhhandlung.
Hinterberger, AI., Dr. med.: Ist unser Gymnasium eine zweckmäßige Insti-
tution zu nennen? 8^ (116 S.) Wien und Leipzig, W. Braumüller.
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Hirt, Max, Turnlehrer: Reigen und Festübungen. 8^ (III, 71 S. m. Abb.)
1906. Linz, Oberöstr. Buchdruckerei- und Verlagsgesellschaft. M. 2, — .
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Keßler, Prof.: Übungsbeispiele für den Turnunterricht in den Schulen der
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schluß an Prof. Dr. Jägers „Neue Tumschule". 8. Aufl. 1906. Stuttgart,
A. Bong & Co. M. 3,60.
Lay, W. A., Dr.: unser Schulunterricht im Lichte der Hygiene. Ein Mahn-
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Ders.: Menschenkunde. Leben, Bau und Pflege des menschlichen Körpers
auf Grund einer vergleichenden Tierkunde für Lehrer- und Lehrerinnen-
seminare und andere höhere Schulen. 8^ 2. Aufl. (VII, 99 S.) 1905.
Leipzig, Otto Nemnich. M. 2,60.
Leitz, H., Das fünfte Jahr in deutschen Landerziehungsheimen. 8^ (137 S.)
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*Maennel. Rekt. Dr.: Vom Hilfsschulwesen. 6 Vorträge. [Aus Natur und
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Manac^ine, Maria von: Die geistige Überbürdung in der modernen Kultur.
Übersetzung, Bearbeitung und Anhang: Die Überbürdung in der Schule
von Dr. med. Ludw. Wagner. [Natur- und kulturphilosoph. Bibliothek
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*Marzinowsky, J., Dr.: Im Kampf um gesunde Nerven. 2. Aufl. (14H S.^
1906. Berlin, 0. Salle. M. 2,—.
*Ders.: Nervosität und Weltanschauung. (132 S.j 1905. Berlin, 0. Salle.
M. 3,-.
Meißner, P., Dr.: Die Genickstarre (auch Kopfgenickkrampf; Meningitis
QQ Bibliogiaphie.
ceiebrospinalis epidemica. Auftreten und Verlauf der Krankheit neb^t
Verhaltungsmaßregeln. 8®. (15 S.) 1905. Leipzig, Jacobi und Zocher.
Müller, J. P. : Mein System, lö Minuten täglicher Arbeit für die Gesund-
heit. Mit 42 Illustrationen. Aus dem Dänischen TOn M. und H. Tillge.
8«. (89 S.) 1904. Kopenhagen, Tillge. M. 2,—.
Oppenheim, konsult. Arzt, Nathan: Die Entwicklung des Kindes. Vererbung
und Umwelt. Nach dem engl. Original des Verf. übers, v. Berta Gaßner.
Mit Vorbemerk, v. Dr. W. Ament. 8^ (V, 199 S. m. Abbild.) 1905.
Leipzig, E. Wunderlich. M. 3,—, geb. M. 3,80.
*Reichenbach, H., Prof.: Zur Frage der Tageslichtmessung. (12 S.) 1905.
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♦Schiner, Hans, u. Hans Bösbauer: Fibel für abnorme Kinder. (64 S.)
1906. Leipzig u. Berlin, B. G. Teubner. M —,90.
♦Schmidt, F. A., Dr.: Anleitung zu Wettkftmpfen, Spielen und turnerischen
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Sielz, Ludwig, Prof.: Ober die Beleuchtung von Schulräumen. Elektrotech-
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Silberstein, R., Dr.: Das Schulkind. 6. Heft der Arbeiter -Gesundheits-Bi-
bliothek, herausgeg. v. Dr. Zadek. 1905. Berlin, Buchhandlung Vorwärts.
M. —,20.
Thom, S., Rekt. u. Walde, Th., Oberturnlehrer: Turnspiele, Aufmarsch und
Reigen für Mädchen der Volksschulen. 8^ (IV, 240 S.) I'jOö. Leipzig,
Rauh und Pohle. M. 1,80.
Tobold, Stabsarzt Dr.: Erste Hilfe bei Unglücksfallen in Fragen und Ant-
worten. 8^ (33 S.) 1905. Berlin, H. Paetel. M. —,50.
Weigl, Franz: Heilpädagogische Jugendfüi-sorge in Bayern. Heft I der Pä-
dagog. Zeitfragen. (42 S.) 1905. München, J. J. Leutnersche Buchhand>
lung. M. -,60.
Werkenthin, Zahnarzt Alb.: Die Zähne in hygienischer und ästhetischer
Beziehung. Gemeinverständliehe Aufsätze. 8<'. 3. Aufl. (VIU, 131 S.) 1905.
Berlin, Berliner Verlagsanstalt. M. 2,—.
Wortmann, H.: Das Keulenschwingen in Wort und Bild. 4. Aufl. Voll-
ständig neubearbeitet von Paul Hentschel. 8«. (286 S. mit 100 Abbild.)
1906. Hof, Lion. M. 2,80.
♦Zahn, Th., Dr.: Bemerkungen über die Prognose und Behandlung des
Stottems. Separatabdruck aus Württemb. Mediz. Correspondenz-Blatt 1905.
♦Ziegler, Th.: Allgemeine Pädagogik. (147 S.) 1905. Leipzig und Berlin,
B. G. Teubner. M. 1,—, geb. M. 1,25.
♦Zwiedineck-Südenhorst, 0. v.: Arbeiterschutz und Arbeiterversicherung.
(147 S.) 1905. Leipzig u. Berlin, B. G. Teubner. M. 1,—, geb. M. J,25.
NB. Die für die Leser der „Gesunde Jugend" interessanten Bücher werden
seitens der Redaktion an die Herren Mitarbeiter zur Besprechung versandt.
Referate hierüber werden in dieser Zeitschrift abgedruckt. Eine Verpßichtung
zur Besprechung oder Rücksendung der nicht besprochenen Werke wird in
keinem Falle übernommen. Es muß in Fällen, wo keine Besprechung erfolgt,
die Aufnahme des ausführlichen Titels, Umfangs, Verlegers und Preises den
Herren Einsendern genügen. Die Redaktion.
An unsere Mitglieder.
Trotz des beständigen erftrenliehen Zuwachses^ den der Deutselie
Verein für Sehnigesnndheitspflege in den wenigen Jahren seines Bestehens
aufzuweisen hat, mttssen wir doeh bestrebt sein, diJBsen Mitgliederkreis
immer grdßer zu gestalten. Jedes unserer Mitglieder sollte es sich
znr Pflicht machen, in den Kreisen, die mit unseren Bestrebungen in
irgendwelcher Beziehung stehen, also die Schulbehörden und Lehrer
aller Anstalten, die Sanitätsbehörden, Hygieniker und Irzte,
die Baubehörden, Architekten und Ingenieure, die Täter und
Mütter unserer Schuljugend und alle diejenigen, welche sich
für Jugenderziehung und Kinderschutz interessieren, eifk*igst
zu werben und dem Yerein neue Mitglieder zuzufahren. Erst, wenn
unser Yerein über einen größeren alle Gebiete Deutschlands umfassen-
den Mitgliederkreis yerfttgt, kann es uns gelingen, unsere Aufgaben in
ausgiebiger Weise zu erfttllen und unseren Zielen in absehbarer Zeit näher
zu kommen.
L Originalaufsätze.
Bemerkungen
zu der Erwiderung und Abwehr des Herrn Abel in
Heft 9 der Zeitschrift für Schnlgesnndheitspflege den
Deutschen Verein für Schnlgesnndeitspflege betreffend.
Von dem Vorsitzenden.
Der Bericht des Herrn Abel über die Stuttgarter Jahresver-
sammlung des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege in
Heft 8 der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege gab dem Vereins-
Yorstand zu einer Entgegnung in Heft 9 Anlaß. In demselben
Heft hat Herr Abel in der Angelegenheit sein Schlußwort ge-
sprochen. Man könnte über dieses Schlußwort mit Schweigen hin-
weggehen, wenn dadurch nicht der Schein erweckt würde, daß Herr
Abel im Rechte sei. Um dem vorzubeugen, kann ich nicht umhin,
Gesunde Jugend. Y. 5/6. 7
98 Von dem Vorsitzenden:
unser Schlußwort dem des Herrn Abel hinzuzufügen. Da die Zeit-
schrift f&r Schulgesundheitspflege uns^ den Angegriffenen^ ein Schluß-
wort verweigert hat, so benutzen wir dafür das Vereinsoi^an.
Herr Abel teilt seine Erwiderung in acht Abschnitte, auf die ich
einzugehen für nötig erachte.
1. Der Verein hätte sich bemühen sollen, diejenigen Personen
als Mitglieder zu gewinnen, in deren Berufsarbeit die Schulhygiene
einen wesentlichen Bestandteil ausmacht. „Das sind", nach Herrn
Abel, «„neben den Schulärzten die Lehrer der Hygiene an den
Hochschulen, die beamteten Arzte (Kreisärzte), denen die Förderung
der Schulhygiene z. B. in Preußen als besondere Aufgabe amtlich
übertragen ist, die Schulmänner femer, denen der Staat diis Beauf-
sichtigung des Schulwesens anvertraut hat."
Aus diesen Kreisen haben die Schulärzte infolge ihrer Berufs-
tätigkeit unstreitig die innigste Fühlung mit der Schulhygiene.
Von ihnen gehören denn auch über hundert zurzeit dem Vereine an.
Obwohl die gesundheitliche Beaufsichtigung der Schulen zu
den besonderen Aufgaben der beamteten Ärzte z. B. in Preußen
gehört, kann von einer Förderung der Schulhygiene seitens der-
selben nur in beschränktem Sinne die Rede sein. Die periodischen
Revisionen einer Schule werden in der Regel nur innerhalb eines
fün^ährigen Zeitraumes ausgeführt und erstrecken sich überdies nur
auf Volks-, Mittel-, höhere Mädchenschulen, Fortbildungs- und
Fachschulen.
Die den ProvinzialschulkoUegien unterstellten höheren Lehr-
anstalten sind nur auf Grund besonderen Auftrages einer Besich-
tigung zu unterziehen. Von solchen Schulen, ja sogar von Volks-
schulen, gab es, wie durch eine Umfrage meinerseits festgestellt
worden ist, noch im Jahre 1903 in Preußen viele, die vom be-
amteten Arzte innerhalb einer Zeit von fünf und mehr Jahren nie
betreten waren. Überdies beziehen sich diese kreisärztlichen Re-
visionen fast ausschließlich auf die Schulgebäude und deren Ein-
richtung, wozu ein bestimmtes Schema ausgefüllt wird. Der Medi-
zinalbeamte nimmt das „zu den Akten'^ Inwieweit seine Bemänge-
lungen den Erfolg einer Abhilfe haben, kümmert ihn zumeist
wenig. Sein Einfluß auf die Exekutive ist ein recht geringer in
diesen Dingen. Das Unzulängliche der kreisärztlichen Beaufsichti-
gung scheint übrigens in Preußen, insbesondere auch an leitender
Stelle, empfunden zu werden, sonst wäre man dort wohl nicht so
warm für die Einsetzung städtischer Schulärzte an den niederen
und neuerdings — Vorschläge aus Breslau — auch an den höheren
Bemerkungen zu der Erwiderung und Abwebr des Herrn Abel usw. dd
Schulen eingetreten. Es ist auffallend^ daß in der schulhjgienisclien
Literatur von den Fachhygienikem an deutschen UniYersitäten ein
Drittel ungenannt bleibt. Studiert man die Schriften der übrigen
zwei Drittel, so ergibt sich, daß diese Schriften nur in lockerem
Zusammenhange mit der Schulhygiene stehen, so daß die Schul-
hygiene nicht als ein wesentlicher Bestandteil der Berufsarbeit der
Genannten betrachtet werden kann. Es handelt sich bei letzterer
vielmehr um allgemeine hygienische Gesichtspunkte und Fragen
der öffentlichen Gesundheitspflege. Wo die Erörterungen auf die
Schule übergreifen, betreffen sie hauptsächlich Heizung, Ventilation
und Beleuchtung, Wärmestrahlung, Wasserversorgung, Wasser-, Luft-
und Bodeninfektion, Übertragung von Infektionskrankheiten, Schutz-
impfung, Abfuhrwesen und Desinfektion. Arbeiten auf unterrichts-
hygienischem Gebiete, welches eines der wichtigsten der ganzen
Schulhygiene bildet, fehlen fast vollständig. Ebenso sind solche
Arbeiten aus den Kreisen der Medizinalbeamten recht selten. Diese
auffallende Tatsache erklärt sich ohne Zweifel aus dem Umstände,
daß die Bearbeitung dieses Gebietes eine große Vertrautheit mit
allen den Unterrichtsbetrieb berührenden Fragen erheischt, die bei
den Medizinalbeamten und Fachhygienikem aus Mangel an Fühlung
mit den internen Verhältnissen der Schule nicht vorausgesetzt
werden kann.
Auch unter den von Herrn Abel genannten Aufsichtsbeamten
im Schulwesen gibt es bis jetzt verhältnismäßig wenige, denen man
einen fordernden Einfluß auf schulhygienische Fragen zuerkennen
kann. Daß die Schulhygiene lq den leitenden Kreisen der Schul-
männer vorläufig nicht zur Berufsarbeit zu rechnen ist, daß sie in
denselben überhaupt nur wenig Berücksichtigung findet, lassen die
im Jahre 1900 in Berlin gepflogenen Verhandlungen über Fragen des
höheren Unterrichts, sowie die Toleranz mancher Aufsichtsorgane
gegen hygienisch unzulängliche Eiurichtungen im Schulbetriebe zur
Genüge erkennen. In diesen Kreisen fehlt es zweifelsohne an
einer physiologischen und hygienischen Durchbildung. — In
welchem Umfange Aufforderungen zum Eintritt in den Verein an
die genannten Kreise ergangen sind, läßt sich augenblicklich nicht
übersehen. Tatsache ist aber, daß von solchen Personen, die durch
ihre Arbeiten in der Schulhygiene bahnbrechend gewirkt haben, be-
ziehungsweise in derselben eiue führende Stellung einnehmen, viele
dem Vereine angehören, was Herr Abel ja nicht bestreitet. Alle
Interessenten aufzufordern dürfte schwer sein, auch ist zu
wünschen, daß solche sich unaufgefordert dem Vereine anschließen.
100 Von dem Vowiteenden:
Ist es übrigens wirklich nur Mangel an Abkömmlicli-
keit, wenn aus Preußen, trote weitgehender Aufforderung, von
den von Herrn Abel genannten 580 Medizinalbeamten nur fünf,
von den Fachhygienikem nur drei und von den Provinzialschul-
räten nur einer — falls ich recht gezählt habe — auf dem rund
1600 Mitglieder und Teilnehmer der ganzen Welt umfassenden,
wohlgelungenen und höchst lehrreichen Nürnberger Kongreß für
Schulhygiene vertreten waren? Nach der Mitgliederliste fehlte so-
gar Herr Abel dort.
Am Schlüsse des ersten Abschnittes, bemißt Herr Abel die
schulhygienische Bedeutung der Vereinsmitglieder nach der Ein-
wohnerzahl der Provinzen. Ein merkwürdiger Maßstab! Daß
übrigens die Gesamtmitgliederzahl des Vereins bei der Größe des
Deutschen Reiches noch eine verhältnismäßig geringe ist, mag ge-
wiß damit zusammenhängen, daß der Verein bei seinem kurzen Be-
stehen noch nicht überall mit seinen Werbungen und seinen Jahres-
versammlungen hingekommen ist. —
2. Herr Abel bemißt die tätige Mitarbeit unserer „hervor-
ragenden Kräfte" lediglich nach ihrer Beteiligung an den Jahres-
versammlungen. Ganz mit Unrecht. Der Verein ist in der glück-
lichen Lage, sich der dankenswerten tatkräftigen Mitwirkung zahl-
reicher solcher Mitglieder zu erfreuen, die noch keine der Jahres-
versammlungen besucht haben.
Das Fembleiben der Mitglieder von den Versammlungen kann
also durchaus nicht als Mangel an tätiger Mitarbeit an den Inter-
essen und Bestrebungen des Vereins betrachtet werden.
3. Für diejenigen Leser, welche unsere Zeitschrift nicht voll-
ständig zur Hand haben, setzen wir die* Themata hierher, über
welche in den bisherigen Versammlungen referiert wurde.
Aachen.
1. Psychologie in bezug auf Pädagogik und Schulhygiene.
2. Samaritereinrichtungen im Dienste der Schule.
3. Die Ursachen der Minderbegabung von Schulkindern.
Wiesbaden.
4. Die neue preußische Schulreform in Beziehtmg zur Schul-
hygiene.
6. Über Einführung einer einheitlichen Schreib- und Druckschrift,
6. Die schulhygienischen Einrichtungen der Stadt Wiesbaden,
Bemerkungen zu der Erwiderong und Abwehr des Herrn Abel nsw.' 101
Weimar.
7. Schulhygiene und Schwindsuchtbekämpfung.
8. Was können die Volksschulseminare tun, um die zukünftigen
Lehrer hygienisch auszubilden?
9. Stellungnahme der Stadtverwaltungen zur Schulgesundheits-
pflege.
10. Die schulärztliche Tätigkeit in Städten und auf dem Lande.
11. Behandlung beginnender Skoliose in der Schule.
12. Messung der Helligkeit von Tischplätzen in der Schule.
13. Moderne Strömungen auf dem Gebiete der Schule im Lichte
der Gesundheitspflege.
14. Die Beseitigung des Stotterns bei schulpflichtigen Kindern
mit Demonstrationen an stotternden Knaben.
Bonn.
15. Der Lehrplan der höheren Schulen in Beziehung zur ünter-
richtshygiene.
16. Der Schulunterricht und die Bewegungsspiele.
17. Zweck, Arten, Ausführung und Mittel zur Verbreitung der
Jugend- und Volksspiele.
18. Skoliose und Schule.
19. Der hygienische Unterricht in der Schule.
20. Deutsche und englische Schulerziehung.
21. Schule und Kleidung.
Stuttgart.
22. Anfang und Anordnung des fremdsprachlichen Unterrichts.
23. Über Schüleruntersuchungen.
24. Der ungeteilte Unterricht.
Mit Ausnahme der Skoliosebekämpfung (11 und 18) — ein
Gebiet, für welches seinerzeit besonderes Interesse erweckt werden
sollte — bringen die Referate nach Form und Inhalt neue Gesichts-
punkte, wenn sie auch in der Mehrzahl die Unterrichtshygi.ne be-
treffen. Es entspricht also nicht den Tatsachen, wenn Herr Abel
angibt, die einzelnen Gegenstände kämen in kaum Yeränderter Ge-
stalt fast alle Jahre wieder auf die Tagung.
4. Für die in Stuttgart behandelten Fragen war die starke Be-
teiligung seitens erfahrener Pädagogen ganz besonders erwünscht.
Gerade einsichtsvolle und vorurteilsfreie Schulmänner sind in
der Lage, die hygienischen Mängel im Unterrichtsbetrieb am
102 Voß dem Vorsitzenden:
besten zu beurteilen. Auch trat in Stuttgart die gemeinsame Ar-
beit der Pädagogen imd Arzte recht deutlich hervor, und der Vor-
stand schritt daher zur Abstimmung über die eingebrachten An-
träge. —
Herr Abel befindet sich sehr im Irrtum, wenn er glaubt, daß
die Antiqua- sowie die Pausen- und Ferienfrage ad acta gelegt
worden seien. Bei der schon in Weimar betonten, in dieser An-
gelegenheit erforderlichen Vorsicht heißt es: das Abwarten günstiger
Zeiten vermindert die Schwierigkeiten. Aus seinem Irrtum heraus
konstruiert Herr Abel dann den Mangel an Stetigkeit des Vereins.
Herr Abel negiert die Erfolge des Vereins. Wenn derselbe
bei seinem kurzen Bestehen wirklich weiter nichts fertiggebracht
hätte als die von ihm ausgegangene Organisation des Ersten Inter-
nationalen Kongresses für Schulhygiene in Nürnberg innerhalb einer
Zeit von dreiviertel Jahren, so dürfte hierin wohl mit Recht eine
„bemerkenswerte Tat" erblickt werden.
In 5 greift Herr Abel auf frühere Verhandlungen des Vereins
zurück. Wir haben es absichtlich vermieden, die Angriffe aus
früheren Jahren zurückzuweisen, und es soU auch jetzt nur bemerkt
werden, daß die verschiedenen Vereinsbeschlüsse keine Widersprüche
sondern Einschränkungen oder Erweiterungen, kurz Ergänzungen,
enthalten.
Im übrigen stimmen die Angaben des Herrn Abel mit denen
des Sitzungsprotokolls nicht überein. Auch fühlt der unbefangene
Leser leicht heraus, wie allerhand Dinge an den Haaren herbei-
gezogen werden, um den Verein in Mißkredit zu bringen.
6. Wer den Wunsch hegt, daß seine Kritik ernst genommen
werden soU, muß subjektive Eindrücke beiseite lassen.
Wenn es der Wunsch und die Absicht des Vereins ist, durch
seine Jahresversammlungen die Lösung schulygienischer Fragen zu
fördern, so erblickt er die Möglichkeit hierzu in der Meinungs-
äußerung und dem Gedankenaustausch der Beteiligten. Hierdurch
werden schulhygienische Kenntnisse verbreitet, gepflegt und ge-
festigt, hierdurch wird zu wissenschaftlichen Arbeiten innerhalb und
außerhalb des Vereins angeregt, auf solche Weise werden aus Inter-
essenten — Abels „Amateuren" — Fachmänner, ähnlich wie Studierende
durch Unterweisung und selbständige Arbeit zu. solchen werden.
Man kann die Jahresversammlungen des Vereins eine Wander-
schule nennen, in welcher durch Vorträge und Diskussionen das
gelehrt wird, was die deutschen Hochschulen bis jetzt in ihren Lehr-
plan nicht aufgenommen haben. Daß dabei die Lehrer häufig wechseln.
Bemerkungen zu der Erwiderung und Abiwehr des Herrn Abel usw. 103
und der Lehrstoff in der verschiedensten Art und unter den ver-
schiedensten Gesichtspunkten angefaßt und behandelt wird, während
die Lehrziele an Stetgkeit nichts zu wünschen übrig lassen,
kann bei dieser Art von Lehrmethode gewiß nicht als unvorteil-
haft bezeichnet werden. Die Bemessung der wissenschaftlichen und
praktischen Bedeutung schulhygienischer Fragen, die Ausarbeitung
und Verwendung von Anträgen und die Bewertung ihrer Tragweite
bleibt dem Yereinsvorstande und solchen Kommissionen vorbehalten,
deren Mitglieder sich auf dem zu behandelnden Gebiete als erfahrene
Fachmänner bewährt haben. Wünschenswert wäre es, wenn durch
die Verhandlungen und Veröffentlichungen des Vereins das Inter-
esse an der Schulhygiene auch in den eingangs dieser Mitteilimgen
genannten Kreisen gefordert würde.
Wenn Herr Abel als hierher gehöriges Beispiel auch die Lehrer
der höheren Lehranstalten zitiert, so muß ich hierzu bemerken, daß
in diesen Kreisen — wenn das Interesse in ihnen sich auch noch
reger gestalten könnte — neuerdings bereits Fortschritte zu ver-
zeichnen sind.
Hat doch die 14. Hauptversammlung des sächsischen Gymna-
siallehrervereins auf ihre Tagesordnung ein schulhygienisches Thema
gesetzt, wurde doch in Leipzig vor kurzem die Schularztfrage für
höhere Schulen unter lebhafter Beteiligung ihrer Vertreter von
einem sächsischen Gymnasialprofessor behandelt.
In 7 hat Herr Abel die Freundlichkeit gehabt, seine irrtüm-
lichen Angaben zu korrigieren. Korrekter wäre es gewesen, wenn
er sich vorher genau informiert hätte.
8. Das Recht, frei und offen zu reden, muß jeder ehrlichen
und wohlmeinenden Kritik unbedingt zugestanden werden. Eine
solche hat sich aber mit dem Gegebenen innerhalb der durch
Wollen und zeitliches Können des Gebers gesteckten
Grenzen abzufinden.
Solche Kritik hat Herr Abel, trotz aller gegenseitigen
Versicherungen seinerseits, weder jetzt noch früher geübt,
und er hat daher auch den Interessen des Deutschen Vereins
für Schulgesundheitspflege nicht gedient. Die möglichen
Gründe, die Herrn Abel seit Jahren zur Bekämpfung des Vereins
veranlaßt haben, sollen hier nicht erörtert werden, für denjenigen,
der mit der Entwicklung des Vereins und seiner Zeitschrift be-
kannt ist, liegen sie offen zutage.
Und nun noch ein Wort:
Nur dadurch, daß sich Pädagogen und Mediziner die Hand
104 Konrad Stetter:
reichen und gemeinsam schulhygienische Bestrebungen verfolgen,
ohne daß der eine dem anderen gegenüber auf einen Vor-
sprung seines Bildungsganges bedacht ist, laßt sich auf dem
Gebiete der Schulhygiene etwas erreichen. Dazu möchte der Verein
beitragen. Daß diese Harmonie, wie die Verhaltnisse liegen, nicht
Yon heute auf morgen, nicht in fünf Jahren, ja vielleicht nicht ein-
mal in zehn und mehr Jahren erreicht wird, kann dem Verein nicht
zum Vorwurf gamacht werden. Aber jeder, der es mit den hygi-
enischen Einrichtungen im Schulbetrieb und mit der Förderung der
Gesundheit der Nation ernst meint, sollte sine ira et studio zur
Erreichung dieses Zieles beitragen.
Die Schulbank.
(Nach einem Vortrag, gehalten in der Ortsgruppe Stuttgart des
Allgemeinen Deutschen Vereins für Schulgesundheit^pflege.)
Von Eonrad Stetter, Stuttgart.
(Schluß.)
Nach dem gegenwärtigen Stand unserer sozial -wirtschaftlichen
Verhältnisse ist auch die Anwendung dieses Systems — es handelt
sich um die eine teilweise Individualisierung ermöglichende üni-
versalbank — , dessen Kosten doppelt so hoch als jene der zwei-
sitzigen Gruppenbank kommen, ausgeschlossen. Gegenwärtig glaubt
man noch nicht einmal die Mittel für die zweisitzige Gruppenbank
an allen Orten erschwingen zu können.
Sieht man trotzdem von dem Kostenpunkt ab und erwägt nur,
wie sich die Anpaßbarkeit der teilweise individualisierten Universal-
bank zu jener der Gruppenbank verhält, dann gelangt man zu fol-
genden Ergebnissen:
Als Grundlage für die Gesetzmäßigkeit, nach welcher die Ab-
und Zunahme der Dimensionen der Universalbank erfolgt, können
natürlich nur die Körper Verhältnisse des normal gewachsenen
Kindes dienen. Erwägt man nun, daß von den 5 Millionen Kindern
der deutschen Volksschule alles in allem etwa 100000 Kinder ge-
messen wurden, also erst nur 2 Prozent, die Messungen sich aber
erst auf die Körpergröße, nicht aber auf die Proportion beziehen,
die in den einzelnen Reichsgebieten sehr verschieden sein werden,
so ergibt sich, daß zur Zeit eine Grundlage für die Individualisierung
noch gar nicht gegeben ist.
Die Schulbank. 105
Aber selbst wenn eine fehlerfreie Grundlage bereits vorhanden;
d. h. die genaue Eörperproportion des normal gewachsenen Kindes
für die verschiedenen Orte und die verschiedenen Lebensalter bekannt
wäre, dann würden die danach bestimmten Abmessungen allen anor-
mal gewachsenen Kindern (worunter nicht etwa Krüppel zu verstehen
sind) — also der weitaus überwiegenden Mehrzahl — gar nicht
passen. Während bei der Generalisierung durch die Gruppenbank^
da letztere nach dem mittleren Maß der Größengruppe bemessen
wird, ein Spielraum für den Ausgleich der durch die Anormalität
des Körperwuchses bestehenden Fehler gegeben ist; ist bei der
Individualisierung ein Ausgleich der Fehler ausgeschlossen. Nun ist
aber der Fehlerausgleich ein Grundprinzip .aller Genauigkeits-
bestrebungen und deshalb ist mit der Generalisierung eine größere
Genauigkeit der Anpassung verbürgt als mit der Individualisierung;
die im besten FaUe eigentlich nur eine Individualisierung für die
nach dem Kanon Gewachsenen sein kann, für alle außerhalb des
Kanons Stehenden dagegen ein Zwang ist. Allein nicht einmal die
nach dem Kanon Gewachsenen kommen ganz auf ihre Rechnung;
weil ja der Kanon in den verschiedenen Lebensaltem des Ent-
wicklungsstadiums ein verschiedener ist, und weil bei der Universal-
bank Sitzbrett und Lehne der Form und Abmessung nach nicht
geändert werden können oder doch nur mit einem so komplizierten
Mechanismus; daß er sich für die Praxis von selbst verbietet. In der
Tatsache aber, daß man die Universalbank in mehreren Größen
herstellt (Schenk sehe Bank in 4 Größen), daß man also zu dem
Prinzip der Gruppenbank greift; liegt zugleich das Eingeständnis
der Unvüllkommenheit der Anpassung.
III. Ist es überhaupt möglich, stets gleichwertig einzu-
stellen?
Wollte man aber trotzdem der Individualisierung das Wort
reden und läßt man alle daran hängenden anderen Fragen außer
acht, so bleibt doch noch eine Frage übrig, ob es überhaupt mög-
lich ist, stets gleichwertig einzustellen? Wird dieser Lehrer,
Schularzt oder wer sonst die Einstellung besorgen soll, für ein und
dasselbe Kind ebenso einstellen, wie jener? Ja, wird denn selbst
ein und dieselbe Person morgen ebenso einstellen, wie sie heute
oder gestern einstellte? Es kann wohl mit Bestimmtheit ange-
nommen werden, daß bei den Einstellungen Abweichungen vor-
kommen werden; allein da es für die Schulbank- Angelegenheit sehr
wichtig ist, diese Annahme mit voller Bestimmtheit zu konstatieren.
106 Konrad Stetter:
sowie auch nachzuweisen, wie groß jene Abweichungen sein werden, so
wird der Vorschlag kaum auf Gegner stoßen^ bei der nächsten Oeneral-
Versammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für Schul-
gesundheitspflege anzuregen, daß im Plenum von mehreren
Personen der Versammlung an einem bis dahin zur Verfügung
stehenden Apparate Einstellungen vorgenommen uud die dabei ge-
wonnenen Resultate untereinander verglichen werden. Es ist ja
uns allen darum zu tun, die Wahrheit zu finden, um die Schulbank-
angelegenheit so vollkommen, als es nur möglich ist, zu fordern,
deshalb erwirbt sich jeder ein Verdienst, wenn er dazu beiträgt,,
eine Sache zu klären, die immer wieder aufs Tapet gebracht wird
und bei vielen fortdauernd Verwirrung anstiftet. Was könnte aber
selbst die vollkommenste üniversalbank nützen, wenn wir nicht im-
stande sind, sie stets gleichwertig einzustellen?
Die üntauglichkeit des Systems der Individualisierung für den
Schulgebrauch, das die Verwendung verstellbarer Schulbänke zur
Voraussetzung hat, ist übrigens auch durch 15jährige, namentlich
in der Schweiz betätigte Experimente zur Evidenz nachgewiesen,
und es hat sich auch die über die Schulbankfrage verhandelnde
XIT. Jahresversammlung der schweizerischen Gesellschaft für Schul-
gesundheitspflege zugleich unter Verneinung der Bedürfnisfrage mit
Entschiedenheit gegen verstellbar eingerichtete SubseUien ausge-
sprochen.
Für den Praktiker kann vorläufig also nicht die üniversal-
bank, sondern nur die feste Gruppenbank in Betracht kommen und
auf diese beziehen sich auch die bereits abgehandelten generellen
Schulbankforderungen.
Wie schon erwähnt, handelt es sich bei Feststellung der spe-
ziellen Anforderungen an eine Schulbank darum, die Dimensionierung
und Form des Schulgestühls mit der Körpergröße, Körperproportion
und Körperform des Schülers in Einklang zu bringen. Die Lösung
dieser Frage hängt daher von der Durchführung allgemeiner Messun-
gen der Schüler ab. Es wäre also in erster Linie anzustreben, daß
zwecks Erreichung eines zuverlässigen Zahlenmaterials möglichst
sämtliche Schüler Deutschlands gemessen werden und zwar jeder
einzelne während seiner ganzen Schulzeit mindestens einmal im Jahr.
Zweckmäßigerweise müßten diese Messungen stets im zweiten Drittel
des Schuljahrs ausgeführt werden, denn zu Anfang desselben ergäben
sich zu kleine Maße für die zu wählende Bankgröße. Nach Verfluß
von 8 Jahren wäre man dann im Besitze von Tabellen, die eine
hinreichend sichere Unterlage bieten würden sowohl für die Fest-
Die Schnlbank. 107
stellang der Abmessungen selbst, als aacli für die Bestimmang der er-
forderlichen Schalbank-Größennummem, wobei selbstredend die aus
den MaBlisten sich ergebenden, darch verschiedeDe Einflüsse bedingten
Unterschiede — Gebirgsbewohner und Flachländer, Land- und Stadt-
bewohner — berücksichtigt werden müßten und könnten. Diese all-
gemeinen, sich auf sämtliche Schulkinder über die ganze Dauer
ihres Schulbesuchs erstreckenden Messungen sind zur Erlangung
verläßlicher Durchschnittszahlen unbedingtes Erfordernis, denn nur
dann kann mit Sicherheit ermittelt werden, mit welchem niedrigsten
und höchsten Körpermaße die Gesamtgrößengruppen nach unten,
bezw. nach oben abzugrenzen und wieviel Bankgrößen hiernach
erforderlich sind, nur dann kann festgestellt werden, welche Ab-
messungen jede einzelne Bankgröße aufweisen muß, um den ver-
schieden großen Schülern jeder Größengruppe eine gesundheits-
gemäße Sitz- und Schreibhaltung zu gewährleisten.
Für die Feststellung der speziellen Anforderungen kommen fol-
gende Hauptmomente in Betracht (siehe hierfür die Figur):
a) Die Sitzhöhe, d. i. der vertikale Abstand zwischen der hori-
zontalen Fläche, auf der die Füße des Sitzenden aufstehen, und der
vorderen, oberen Kante des Sitzbrettes;
b) die Sitzraumtiefe oder der Lehnenabstand, ^ JJ7 "TZr. f. 777711
d. i. der horizontale Abstand zwischen der j i ; | w^^^^^
inneren, oberen Pultkante und der vertikalen ^ ■ y ^ *^^^i|*^^
Tangente an den Lehnenbausch; c) die Sitz- 1 f ^ " | ^
raumhöhe oder Differenz, d. i. der verti- If'^*^''^ t
kale Abstand zwischen der inneren, oberen n ^ *
Pultkante und der vorderen, oberen Sitz- U ö
brettkante; d) die Länge der Pultplatte;
e) die Breite der Pultplatte in der hori- iMiMAfl'
zontalen Projektion gemessen; f) der Nei-
gungswinkel der Pultplatte mit der Horizontalen; g) die Sitzbretttiefe,
d, i. der horizontale Abstand zwischen der vorderen, oberen und
hinteren, oberen Sitzbrettkante; h) die Länge des Sitzbrettes für den
Doppelsitz bemessen: i) der vertikale Abstand zwischen der vorderen,
oberen und hinteren, oberen Sitzbrettkante; k) der Vorsprung des
Lehnenbausches, d. i. der horizontale Abstand zwischen der vertikalen
Tangente an die Ausrundung der Lehne für das Gesäß und der ver-
tikalen Tangente an den Lehnenbausch; 1) die Höhe des Lehnen-
bausches, d. i. der vertikale Abstand zwischen der vorderen, oberen
Sitz brettkante und jenem Punkte des Lehrenbausches, an dem die
Vertikale tangiert; m) der Neigungswinkel der Rückenlehne mit der
108 Eoniad Stetter:
Vertikalen; n) die Höhe der Lehne, d. i. der vertikale Abstand
zwischen der vorderen, oberen Sitzbrettkante und der obersten
Lehnenkante; o) die Breite der Lehne, in der Richtung von der
rechten zur linken Schulter des Sitzenden gemessen; p) der vertikale
Abstand zwischen der unteren Fläche des Bücherbrettes und der
vorderen oberen Sitzbrettkante; q) der horizontale Abstand zwisdien
der inneren, oberen Pultplattenkante und der dem Sitzenden zu-
gekehrten Kante des darunter liegenden Bücherbrettes; r) die Breite
des Fußbrettes; s) die Länge des Fußbrettes.
Die Abmessung der Sitztiefe durch die „Distanz'' (d. i. der hori-
zontale Abstand der inneren Sitzbrettkante vom Lote der inneren
Pultkante) zu normieren, ist unrichtig, weil für ein hygienisch
richtiges Schreibsitzen nur der Lehnenabstand maßgebend ist, von
dem die „Distanz'' nur als eine, für Folgerungen sehr unzuverlässige
Begleiterscheinung abhängt. Es läßt sich nämlich sehr wohl ein
Gestühl mit Plus-Distanz konstruieren, in dem der Schreibende noch
hygienisch richtig sitzt, während man hing^en ein solches mit
Minus -Distanz herstellen kann, in welchem er (trotz „Minus") um
10 cm von der Lehne abgerückt sitzt. Wenn also für die Subsellien
„Null- oder besser Minus -Distanz" gefordert wird, so heißt das nichts
anderes als: die Subsellien sollen einen für das Schreibsitzen be-
messenen Lehnenabstand haben. Die „Distanz" aber ist ein terminus
technicus, dem in seiner jetzigen Deutung kein bestimmendes Moment
für die Schulbank anhaftet und der deshalb als wertloser Begriff
aus der Schulbank -Terminologie gestrichen werden muß.
Verehrte Anwesende! Wie ich Ihnen dargetan zu haben glaube,
und zwar, wie ich nicht unerwähnt lassen kann, wiederholt gestützt
auf die vortrefflichen Abhandlungen von Domitrovichs, handelt es
sich bei der Schulbankangelegenheit um eine gemeinnützige Frage
von höchstcF Wichtigkeit, denn die gesamte Nation ist Jahre hin-
durch den Einflüssen der Schulbestuhlung preisgegeben, zur Zeit des
Wachstums und der körperlichen Entwicklung, wo Schädigungen
doppelt schwer wiegen.
Die vitalen Interessen der Nation verlangen daher gebieterisch
die Lösung der Schulbankfrage und wenn eine Organisation dazu
berufen und geeigenschafket ist, hier fördernd einzugreifen, so sind
es die Vereine für Schulgesundheitspflege. Daß in denselben die
Wichtigkeit der Frage anerkannt und der gute Wille zur Mitarbeit
vorhanden ist, das haben die beiden Kongresse des vergangenen
Jahres gezeigt. Sowohl auf dem Internationalen Kongreß in Nürn-
berg, als auf der Berner Jahresversammlung der schweizerischen Ge-
Die Schulbank. 109
Seilschaft für Schalgesnndlieitspflege wurde die Schnlbankfrage ein-
gehend erörtert, letzterenfalls sogar mit einem positiyen Ergebnis:
Der von dem Referenten Wipf eingebrachte Antrag:
„Der Vorstand der schweizerischen Gesellschaft für Schulgesund-
heitspflege richtet sich an die Konferenz der Erziehungsdirektoren
mit dem Gesuch; es möchten in allen Kantonen den unteren
Schulbehörden genaue Instruktionen erteilt werden über die Her-
stellung rationeller Schulbänke''
wurde in dem Sinne angenommen, daß der Vereinsvorstand den Auf-
trag erhielt, Normalien für die Erstellung von Schulbänken auszu-
arbeiten. (Ist inzwischen geschehen.)
Der Nürnberger Kongreß war insofern von unleugbarem Nutzen
für unsere Sache, als er für die nächste Veranstaltung wertvolle
Fingerzeige gegeben hat. Man weiß jetzt, wie man es nicht machen
soll, und das ist schon ein großer Gewinn. Es soll dem Organisa-
tions-Komitee kein Vorwurf gemacht werden, es fehlte eben jeder
Vorgang und somit jede Erfahrung, aber das muß ausgesprochen
werden: eine direkte Förderung hat die Schulbankfrage in Nürnberg
nicht erfahren, viel eher das Gegenteil, denn durch die hier betätigte
Behandlungsweise wurde nur eine heillose Verwirrung angerichtet,
das war der allgemeine Eindruck, den die Veranstaltung zurückließ.
Dessenimgeachtet darf und muß diesem Kongreß eine große Bedeu-
tung zugemessen werden, denn er bezeichnet einen Markstein auf
unserem Gebiet und wenn auch weiter nichts erreicht worden ist,
als daß die breiteren Volksschichten auf die Bedeutung der Schul-
bankfrage für das Nationalwohl hingewiesen worden sind, so ist das
ein nicht hoch genug zu schätzender Erfolg. Und wie wertvoll
sind die hier gemachten Erfahrungen erst für die nächsten Jahres-
versammlungen und Kongresse, deren Programm nach diesem Vor-
gange ja leicht so zusammengesetzt werden kann, daß etwas Posi-
tives herauskommt.
Und wie soll nun weiter gearbeitet werden? Meiner Ansicht
nach dürfte es für die Zukunft das Richtige sein, wenn zunächst in
kleineren Vereinigungen, in Lehrer- und Ärztevereinen, ganz besonders
aber in den Ortsgruppen des Allgemeinen Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege, diese Frage ventiliert würde. Die hierbei
gewonnenen Gesichtspunkte müßten dann zu Anträgen verdichtet
und diese selbst in gi'ößeren Verbänden, den Jahresversammlungen
der sohulhygienischen Land es vereine, und zuletzt in den internatio-
nalen Kongressen weiter behandelt werden. Dadurch würde die zur
Lösung der Frage unumgänglich nötige Klärung und Ausscheidung
110 Konrad Stetter:
des UnweBentlichen und Nebensächlichen vom Wesentlichen und
Hauptsächlichen bewirkt und es ließe sich zweifellos ein in die
Praxis umsetzbares Resultat erzielen^ d. h. die Schulbankfrage end-
gültig lösen. Um diese Verhandlungen aber möglichst fruchtbar zu
gestalten, muß zur Anschauung gegriffen, müssen Schulausstellungen
damit verbunden werden, Schulausstellungen, nicht Jahrmärkte, auf
denen neben Schulbänken und physikalischen Apparaten auch die
in keiner Küche fehlen dürfende Rübenschnitzmaschine ange-
priesen wird.
Bei Aufstellung des Programms für die nächste Schulausstellung
wird man nun, falls diese, wie zu erhoffen, in den Dienst der Schul-
bankfrage gestellt werden soll, sich vor allem daran erinnern, daß
die Schulbank nicht im Dienste des Individuums, sondern im Dienste
der Allgemeinheit, dabei aber zugleich im innigen, untrennbaren Zu-
sammenhange mit allen im Klassenraum auftretenden Anforderungen
steht; daß denmach die Schulbank nicht einzeln, außerhalb des
Klassenraumes, sondern nur in der entsprechenden Mehrheit im
Klassenraum aufgestellt , also einer nach Körpermaß und -pro-
portion heterogenen Vielheit dienend richtig beurteilt werden kann.
Demgemäß kann der Sache nur durch Vorführung ganzer Schulklassen
gedient werden, man wird daher den seitherigen Brauch, einzelne
Schulbänke verschiedener Bauart in einem Raum nebeneinader zu
stellen, verlassen müssen und nur ganze Schulklassen zur Ausstellung
zulassen dürfen, die außerdem zu gewissen Zeiten voll mit Schülern
zu besetzen wären. Dadurch, und nur dadurch könnte die Schul-
bankfrage ihrer Lösung zugeführt werden, weil hier die Möglichkeit
sowohl zur Prüfung einzelner Systeme auf ihre Brauchbarkeit im
Klassenbetriebe, als auch zum Vergleich der verschiedenen Systeme
unter sich geboten wäre. Ich habe diesen Vorschlag schon anläß-
lich der Nürnberger Ausstellung gemacht, wurde aber abgewiesen
unter der Begründung, die verschiedenen anderen Schulbankfabrikanten
würden dagegen sein. Nun handelt es sich doch hier nicht um
einen Wohltätigkeitsbazar für Schulbankfabrikanten, sondern um die
Klärung und Förderung der Schulbankangelegenheit, es kann daher
auch die Rücksicht auf die geschäftlichen Interessen der ausstellen-
den Fabriken nicht maßgebend sein. Ich halte es daher auch für
eine Notwendigkeit, daß bei künftigen Schulausstellungen nur ganze
Klassenzimmer vorgeführt w^erden. Nebenbei könnte ja für neue
Erfindungen, die aber nicht älter als zwei Jahre sein dürften, eine
besondere Abteilung eingerichtet werden, so daß dem Erfinder
Gelegenheit geboten wäre, seine Idee vorzuführen, und dem interes-
Die Schulbank. 111
sierien Publikum, sie kennen zu lernen und über ihren Wert zu
urteilen.
Meine Damen und Herren, es wäre unbescheiden, woUte ich
Ihre Aufmerksamkeit noch länger in Anspruch nehmen, daher schließe
ich, erlaube mir aber noch in kurzer Zusammenfassung des Vor-
getragenen der hochgeehrten Versammlung nahezulegen, daß sie dem
Deutschen Verein für Schulgesundheitspflege nachstehende
Resolution unterbreite:
Die Ortsgruppe Stuttgart des Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege hält es für wünschenswert,
1) daß der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege
reichsgesetzlich angeordnete allgemeine, jährlich vorzunehmende
Schülermessungen für die Volks- und höheren Schulen des Deutschen
Reiches veranlaßt,
2) daß auf der nächsten Jahresversammlung die Schulbank-
angelegenheit zur eingehenden Behandlung kommt und daß hiezu
8) eine ständige Kommission gewählt wird, bestehend aus
Ärzten, Pädagogen, Technikern und Verwaltungsbeamten, die mit den
Vorarbeiten zu der zu erstrebenden Festlegung der an die Schul-
bank zu stellenden generellen und speziellen Anforderungen zu be-
trauen wäre.
Literatur.
Dr. L. fiurgeistein und Dr. A. Netolitzky ,;Handbuch der Schulhygiene'^
Dr. De sing: „Die Schulbankfrage".
A. V. Domitrovich: „Festlegung der generellen Anforderungen an ein relativ
vollkommenes SchulbaDksj^stem^' (Vortrag auf dem I. internationalen Kon-
greß fOr Schulhygiene, Nürnberg 1904).
— „Der Hygieniker und die Schulbank".
— „Der Techniker und die Schulbank".
— „Systematisierung der Schulbank". „Über die Prinzipien, mit welchen man
zurzeit die Lösung der Schulbankfrage anstrebt".
P. Jobs. Müller: „Moderne Schulbänke". „Untersuchungen über die Einrich-
tung ländlicher Volksschulen".
K. Stetter: „Quer durch die Schulbankfrage".
112 Mitteilnngen ans dem ZentralTßxein.
n. Mitteilnngen ans dem Zentralverein.
IL Internationaler Kongreß Ar Sclinlliygiene.
London 6. bis 10. August 1907.
Bureau: Parkes Museum, Margaret Street, W.
Präsident: Sir Länder Brunton, L. L. D., M. D., D. Sc, F. R. C. P., F. R. S.
Obmann des Organisations-Komitees: Sir Edward Brabrook, C.B.
M. A., F. S. A.
Schatzmeister: Sir Richard Biddulph Martin, Bart., M. P.
Generalsekretäre: James Kerr, M. A., M. D., D.P.H., Medical Ofticer,
Education London County Council. E. White Wallis, F. S. S., Director, The
Royal Sanitary Institute.
Der bemerkenswerte Erfolg des ersten Litemationalen Kongresses in Nürn-
berg 1904, Mitarbeiter aller Länder zusammengeführt und das gemeinsame
Interesse für ein derartiges Unternehmen geweckt zu haben, hat sich schon
durch die zunehmende literarische Tätigkeit in fast allen Landen zu erkennen
gegeben. Diese Tatsache erleichtert es, sowohl die Wichtigkeit des Gegen-
standes allen denjenigen klarzulegen, welche sich durch andauernde Tätigkeit
bemühen, die körperliche und geistige Erziehung zu fördern, als auch zu zeigen,
daß darin eine der wichtigsten Quellen der nationalen Macht, der Wohlfahrt
und des Glückes enthalten ist. Zu den glücklichsten Erfolgen des Nürnberger
Kongresses gehört deijenige, daß Angehörige der Terschiedensten Berufsarten,
Lehrer, Ärzte, Architekten, Ingenieure, Yerwaltungs- und andere Beamte, sowie
Großindustrielle sich bewußt wurden, wie innig ihre Arbeit und Pflichten ver-
wandt sind, und daß sie erkannten, wie sehr einer dem andern verbunden, und
wie den Interessen aller durch Förderung solcher Kongresse gedient wird.
Eines der Ziele des Kongresses war, die Bemühungen der verschiedenen Mit-
arbeiter gleich zu stellen und es jedem einzelnen Forscher zu ermöglichen, die
Resultate und Erfahrungen kennen zu lernen, welche von verschiedenen Völkern
unter den mannigfaltigsten Bedingungen von Rasse, Wohnsitz, Land, Klima
und sozialer Stellung gesammelt wurden.
Ortskomitees. Vor allem ist die Bildung eines Ortsausschusses f^
jede einzelne Stadt oder jeden Bezirk anzustreben, um in Verbindung zu treten
mit den Behörden des Unterrichtswesens, den Finanz-Ministerien, mit den
führenden Elementen der Schulfragen in Stadt und Land, den Vorsitzenden
der Erziehungs-Kommissionen und solchen erfahrenen Lehrern und Erziehern,
welche imstande sind, die Schulhygiene zu fördern, sowie mit Menschen-
freunden, welche sich für die Erziehungs-Bewegung interessieren, und Kinder-
ärzten, Ingenieuren und Architekten und allen andern Bürgern, deren Mithilfe
wünschenswert erscheinen könnte.
Sobald sich ein Ortskomitee gebildet hat, möge es sogleich Namen und
Adressen seines Vorsitzenden, seiner Schriftführer und seiner Mitglieder dem
Bureau in London mitteilen. Diese Ortsausschüsse werden von London aus
National-Komitees beigeordnet; ihr Ziel muß sein, alles Mögliche zu tun, um
den Erfolg des Kongresses herbeizuführen durch Vorbereitungen, Korrespon-
Mitteilungen ans dem Zentralverein. 113
denzen, BundBchreibsn , Ankündigungen in wissenschaftlichen und technischen
Zeitschriften und in der Tagespresse. Gleichzeitig mögen sie sich bemühen,
die Mitwirkung und Unterstützung der Regierungen, Stadtverwaltungen oder
Schul behörden, sowie der Vorstände von Instituten und gelehrten Gesellschaften
zu gewinnen und diese zu veranlassen, sich an dem Kongresse zu beteiligen,
sei es durch Entsendimg von Delegierten, sei es durch Einreichung von Aus-
stellungsgegenständen lokalen Interesses oder lokaler Industrie oder durch Bei-
bringung wissenschaftlicher Apparate oder Erfindungen für die schulhygienische
Ausstellung, welche mit dem Kongresse verbimden sein wird.
Femer erbitten wir sowohl von den Vertretungen der Regierungen, Be-
hörden, Gesellschaften oder Akademien als auch von den Einzelmitgliedem eine
Mitwirkung bei den wissenschaftlichen Arbeiten und Verhandlungen des Kon-
gresses durch Übernahme von Vorträgen, Referaten oder Besprechungen ver-
schiedener in den Sektions - Sitzungen angeworfener Fragen. Es besteht die
Absicht au£er den Abteilungs-Verhandlungen und Vorträgen wenigstens drei
gemeinsame Hauptsitzungen über Gegenstände allgemeineren Interesses abzu-
halten. Die Themata hierfür werden so früh bekannt gegeben, daß hin-
reichend Zeit übrig bleibt für kollektive Investigation und Observation, für
gemeinsame Forschung und Beobachtung. Das englische Komitee erbittet Vor-
schläge hierfür bis Ende des Jahres 1905.
Das erste Programm des Kongresses mit einer Liste der verschiedenen
Landeskomitees und der Verhandlungsgegenstände für die allgemeinen Sitzungen,
sowie der Einzelanordnungen des Kongresses wird zu Beginn des Jahres 1906
erscheinen. Spezial-Komitees werden die nötigen Vorbereitungen für die wissen-
schaftlichen Veröffentlichungen, sowie für Wohnung, Beköstigung und Ver-
gnügungen treffen. Der Mitgliedsbeitrag für den Kongreß (1 Guinee für das
Britische Reich, 6 Dollars für Amerika, 20 Mark oder 26 Franken für den
europäischen Kontinent) ist an den englischen Schatzmeister einzusenden. Für
Mitglieder außerhalb Englands geschieht die Beitrags-Entrichtung am besten
bei dem Landesschatzmeister, welcher die eingegangenen Summen an den
Generalschatzmeister überfährt. Ortsausschüsse bedürfen eines Garantiefonds
für Lokalkosten, der unabhängig von den geleisteten Mitglieder -Beiträgen ist,
welche ganz und voll nach London zur Deckung der Zentralkosten geschickt
werden müssen. Die Lokalkosten, wenn solche vorhanden sind, erfordern es,
einen besonderen Garantiefonds anzulegen. — Die Namen der verschiedenen
Landeskomitees und ihrer Mitglieder sind bis zum 31. Januar 1906 bekannt
zu geben, desgleichen alle Vorschläge in betreff der Referate für die drei
Uauptsitzungen, und zwar an die Generalsekretäre, Parkes Museum London W,
ebenfalls Ankündigungen aller Vorträge und wissenschaftlichen Beiträge zu
den Verhandlungen des Kongresses.
Alle Anfragen über die Ausstellung für Schulhygiene, für welche im Ein-
klang mit dem Royal-Sanitary-Institute Vorkehrungen getroffen werden, sind
zu richten an den Sekretär des Instituts, Margaret Street.
Deutsclies Hauptkomitee für den II. Internationalen Schulliygiene-
kongreß in London 5. bis 10. August 1907.
Der Deutsche Verein für Schulgesundheitspfiege hat die Organisation des
Kongresses in Deutschland übernommen, welche bis Ende Januar 1906 fertig-
Gesunde Jugend. Y. 5/6. 8
114 Mitteilungen atts denDZentralverein.
gestellt werden mufi. Für das Hanptkomitee sind folgende Persönlichkeiten
ansersehen:
Vorsitzender: Prof. Dr. med. et phil. H. Griesbach, YorsitKender des
Deutschen Yereins für Scholgesundheitspflege in Mülhausen i. Eis.
Stellvertretende Vorsitzende: Geh. Oberbaurat Delins, Vortragen-
der Bat im Egl. Preuß. Ministerium für öffentliche Arbeiten in Berlin, erster
stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege.
Dr. med D. Finkler, o. ö. Prof. der Hygiene und Direktor des hjg. Universitäta-
Instituts in Bonn. Geh. Med. -Rat Dr. med. C. Flügge, o. ö. Prof. der Hygiene
und Direktor des hyg. Universitäts-Instituts in Breslau. Stadtschulrat Dr. Wehr-
hahn, zweiter stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Vereins für Schul-
gesundheitspflege.
Schatzmeister: R. Quelle von der Firma B. G. Teubner, Verlagsbuch-
handlung in Leipzig.
Sekretär: August Diemunsch, Lehrer, Mülhausen, Geschäftsführer des
Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege.
Mitglieder: Prof. Dr. med. A. Baginsky, Direktor des Kaiser- und Kaiserin-
Friedrich Kinder-Krankenhauses und Vorsitzender des Berliner Vereins far
Schulgesundheitspflege in Berlin. Dr. med. Ludw. Bauer, Dozent für Hygiene
an der technischen Hochschule in Stuttgart, Vorsitzender des Stuttgarter Vereins
für Schulgesundheitspflege. Hofrat Dr. med. Friedr. Bezold, Prof. der Ohren-
heilkunde an der Universität München. Dr. med. E. Blasius, Prof. der Hygiene
und Mitglied des Landesmedizinalkollegiums in Braunschweig. Dr. med. E,
von Esmarch, o. ö. Prof. der Hygiene und Direktor des hyg. Universitäts-Instituts
in Göttingen. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. med. A. Eulenburg in Berlin. Dr. med.
Arthur Hartmann, Prof. an der Universität zu Berlin. Dr. med. M. Korman,
Vorsitzender der schulhygienischen Abteilimg des Vereines für Volkshygiene
in Leipzig. Geh. Beg.- und Med.-Rat Prof. Dr. Leubuscher, Med.-Referent im
herzogl. Ministerium Meiningen. Oberbürgermeister Müller, Mitglied des preuß.
Herrenhauses Kassel. Geh. Ober-Med.-Rat Dr. med. Neidhardt, Vortragender
Rat im Großherzogl. Hessischen Ministerium in Darmstadt. Dr. med. G. Schleich,
o. ö. Prof. der Augenheilkunde und Direktor der königlichen Augenklinik an
der Universität Tübingen. Sanitätsrat Dr. med. R. A. Schmidt in Bonn. Stadt-
schulrat Dr. Sickinger in Mannheim. Gemeinderat Stockmeyer in Stuttgart.
Geh. Reg. -Rat Dr. med. Wutzdorfi, Direktor im Kaiserl. Gesimdheitsamt in
Berlin. Dr. phil. M. Hartmann, Professor am König Albert-Gymnasium in Leipzig.
Sohnlliygieiüsclie Bibliothek.
Der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege partizipiert an
der gleichzeitig mit dem Internationalen Archiv für Schulhygiene gegründeten
Bibliothek.
Werke dieser Bibliothek, die von Zeitschriften, Separatabdrücken, Einzel-
werken (Broschüren und Büchern), schulärztlichen Berichten xmd Dienstord-
nungen z. Z. gegen tausend Bände besitzt, stehen jedem Mitgliede des Vereins
leihweise zur Verfügung gegen Übernahme der Versendungskosten seitens der
Entleiher. — Der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege richtet an
alle Autoren schulhygienischer Arbeiten, sowie an alle Verleger und Heraus-
geber von Zeitschriften und Einzelwerken medizinischen, pädagogischen, psycho-
Mitteilungen ans den Zweigvereinen. 115
logischen, bautechnischen, TerwaltongsbehOrdlichen und historischen Inhalts die
Bitte, ein bis zwei Freiexemplare der Veröffentlichungen, sofern darin irgend-
welche die gesundheitlichen Verhältnisse der Schulgebäude und ihrer Einrich-
tungen, der Schüler und Schülerinnen, des Unterrichts und der Lehrmittel,
sowie der Lehrerschaft berührt werden, der Bibliothek zu übermitteln. Über
die eingesandten Werke wird in dem „Internationalen Archiv for Schulhygiene'^
und der „Gesunden Jugend^' Bericht erstattet.
Literarische Zusendungen für die Bibliothek, Anfragen und Ent-
leihungswünsche werden erbeten an den derzeitigen Vorsitzenden des Deutschen
Vereins for Schu]ge8undheitspflt.ge und geschäftsfübrenden Redakteur des Inter-
nationalen Archivs. Adresse: Prof. Dr. med. et phil. Griesbach, Mülhausen,
Eis., Ludwigstr. 3.
Nene Mitglieder.
1564 Liberaler Verein für NeumtUüen, Dietrichsdorf, Wellin^^dorf und Um-
gegend, WeUingdorf.
Deutzer, Prof. Dr., Vorstand der Ohrenkliniken, Erlangen.
Flachs, Dr., A.. Moinesti Rumänien.
Flatt, Dr., Rob., Rektor der Oberen Realschule und Universitätsdozent, Basel.
Flügge, Prof Dr. med., C, Geh. Med.- Rat, Direktor des Egl. hygien. Univer-
sitäts-Institutee, Breslau.
Grofie-Brauckmann, Ewald, Teklenburg.
1570 Wehmer, Dr., R., Reg.- u. Geh. Med.-Rat, Berlin W. 50, TauenzienstraÖe 8, III.
An die Mitglieder des Vereins gelangte auch in diesem Jahre das (Stutt-
garter) Verhandlungsheft zur Versendung. Die Mitglieder erhalten dasselbe
far den Vorzugspreis von 1 JL^ welcher Betrag an den Schatzmeister einzu-
senden ist, falls nicht vorgezogen wird, denselben mit dem nächsten Mitglieds-
beitrag einzuschicken.
III. Mitteilungen ans den Zweigvereinen.
Der Berliner Verein für Schulgesundheitspflege beabsichtigt die
Begründung einer schulhjgienischen Bibliothek in Berlin. Derselbe bittet
daher alle Autoren, die über schulhygienische und verwandte (pädagogische,
psychologische, hygienische usw.) Fragen Arbeiten veröffentlicht haben, diese
dem Verein einzusenden, resp. ein Verzeichnis ihrer Arbeiten zu geben zur
eTentuellen Anschaffung.
Auch werden die Herren Verleger gebeten, ein Verzeichnis der in ihrem
Verlage erschienen einschlägigen Werke einzusenden.
Sendungen sind zu richten an R. Schulz, Bibliothekskustos des Vereins
für innere Medizin, Schöneberger Ufer 11.
116 Aus Kongressen und Vereinen.
IV, Ans Kongressen nnd Vereinen.
VIL Dentsclier KongreB für Volks- und Jugendspiele.
L
Frankfurt a. M., den 15. September 1905.
Unter dem Leitwort der Einladung „Gesund und Msch sein ist besser
denn Geld, und ein gesunder Leib ist besser denn groß GxiV\ trat der 7. Deutsche
Kongreß für Volks- und Jugendspiele in Frankfurt a. M. am Freitag den
15. September zusammen. Am Nachmittag und Abend fanden Sitzungen des
Vorstandes und des Zentralausschusses und eine gemeinsame Sitzxmg des Orts-
ausschusses mit dem Zentralausschuß statt. Sitzungen des technischen Aus-
schusses gingen nebenher.
Am Samstag, den 16. Sept., nahm dann der Öffentliche Kongreß im großen
Saale des Zoologischen Gartens seinen Anfsuig. Aus allen Teilen Deutschlands
waren sehr zahlreiche Vertreter von Ministerien, Begiemngen, vielen Städten
und Vereinen erschienen. Auch viele Einzelpersonen, besonders Lehrer aus
Frankfdrt, waren gekommen, da ihnen dies durch die Schließung der Schulen
an diesem Tag ermöglicht war, so daß der große Saal des Zoologischen Gartens
voll besetzt war.
Der Vorsitzende, Abgeordneter von Schenckendorff -Görlitz, begrüßte
die Versammlung mit herzlichen Worten. Er beantwortete sodann die Frage,
was der Zentralausschuß will, und erläuterte näher dessen umfassende Tätig-
keit nach der werbenden und aufbauenden Richtung und nach der ganzen
Aufstellung größerer anzustrebender positiver Ziele, wie der Förderung
der Erhöhung der Wehrkraft durch die Erziehung und der Einführung des
allgemein verbindlichen Spielnachmittags, und schloß mit den Worten: Was
wir also wollen, das ist, daß die Jugend künftig in wirklich harmonischer
Entwicklung erblühe und daß das Volk sich mehr und mehr in allen seinen
Teilen aufraffe, um den gesundheitschädlichen Einflüssen der einseitig ange-
spannten Erwerbstätigkeit, des engen Zusammenlebens in großen Städten und
der übermäßig verhandenen Genußsüchtigkeit durch planmäßige und geordnete
Leibesübungen, besonders in freier Luft ei-f olgreich entgegenzuarbeiten, zum
Heil des Einzelnen und des Vaterlandes. (Lebhafter Beifall.)
•' Es fanden dann zahlreiche Begrüßungen statt, die das lebhafte Interesse
weiter Kreise bekundeten. Seitens des preußischen Kultusministeriums sprach
Geh. Begierungsrat Dr. Hinze, als Vertreter des Oberpräsidenten der Provinz
Geh. Oberregierungsrat Dr. Paehler, für die Regierung in Wiesbaden Regie-
rungs und Schulrat Flebbe, für die Regierung in Kassel Regierungs- und
Schulrat Mühlmann. Im Namen der Stadt Frankfurt a. M. begrüßte Ober-
bürgermeister Dr. A dickes mit herzlichen Worten den Kongreß. Für die
deutsche Turnerschatt sprach der Großherzoglich Hessische Landestuminspektor
Schmuck, für den Deutschen Turnlehrerverein der Tuminspektor Böttcher,
für den Deutschen Verein für Volkshygiene Dr. med. Dornblüth, für den
Deutschen Verein für Schulgesundheitspflege Direktor Dörr und für den
Deutschen Zentral verein für Jugendfürsorge Gewerbeschuldirektor Back.
Aus Kongressen und Vereinen. 117
Vor Eintaitt in die Tagesordnung wurden unter allgemeinster Zustimmnng
folgende Depeschen einstimmig beschlossen:
An den Deutschen Kaiser, Berlin.
Eurer Majestät sendet der 7. Deutsche Kongreß fSr Volks- und Jugend-
spiele ehrerbietigen Gruß, unsere Arbeit gilt der Erhaltung und Mehrung der
deutschen Volks- und Wehrkraft durch Volks- und Jugendspiele und verwandte
Leibesübungen in freier Luft. In diesem Ziele Terehren wir dankerfüllt Eure
Miy'estät als unseren tüchtigsten Förderer.
An den Deutschen Kronprinzen, Berlin.
Eurer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit senden die beim Kongreß für
Volks- und Jugendspiele aus allen deutschen Ländern Versammelten ehrer-
bietigsten Gruß als dem ersten mannhaften Vertreter des jungen Deutschlands.
Sodann spricht Generalarzt a. D. Dr. Meisn er- Berlin über die Be-
ziehungen zwischen Schule und Heer.
Er gibt an der Hand Ton statistischen Unterlagen zunächst eine Ober-
sicht über den Ausfall an Tauglichen in den einzelnen Berufsschichten, an dem
die Schüler der höheren Schulen in großem Maße beteiligt sind. Als Abhilfe
empfiehlt er u. a. für die Bekämpfung der Fehler der Augen, besonders der
Kurzsichtigkeit, die Entfernung der Kleindrücke und Herrichtung günstiger
Beleuchtung bei den Arbeiten außerhalb der Schule und Üben des Auges im
Femsehen; für die der Lungen und des Herzens Entlastung aller äußerlich
angebrachten Hindernisse. Die beste Vorbereitung für den Heeresdienst aber
ist die Verlegung der körperlichen Übungen ins Freie und Spiel und Wande-
rung, bei denen das im eigentlichen Turnen Erlernte im freien Gelände zur
praktischen Verwertung kommt. Dieser Art von Übungen sollte darum wöchent-
lich ein Nachmittag gehören, an dem die Schüler pflichtmäßig teilzunehmen
haben. (Lebhafter Beifall,)
Sodann sprachen Professor Dr. Koch -Braunschweig als Hauptreferent und
Studiendirektor Rajdt- Leipzig als Korreferent unter mehrfacher Zustimmung
der Versammlung über die Erziehung zur Selbständigkeit. Der erste
Bredner führte etwa folgendes aus:
Das Verlangen nach Erziehung zur Selbständigkeit, das jetzt von vielen
Seiten geäußert wird, erscheint voll berechtigt im Hinblick auf die großen Auf-
gaben, denen sich das deutsche Volk gegenüber sieht. Die Leibesübungen er-
scheinen besonders geeignet, die Erziehung zur Selbständigkeit zu fördern;
wenn die Schule sie in ihren Erziehungsplan aufnimmt, so wird sie nicht mehr
die Verstandskräfte allein ausbilden, sondern auch die sittlichen Kräfte ent-
wickeln. Von den Leibesübungen sind vor allem diejenigen zu betreiben, die
Selbständigkeit entwickeln, so die Kriegsspicle und längere Übungsmärsche.
Freie Schülervereine, besonders die Rudervereine, haben sich schon trefflich
bewährt. Auch die Spielnachmittage, die der Zentralausschuß an allen Schulen
einrichten will, fördern die Selbständigkeit in hohem Grade, wenn sie zweck-
entsprechend eingerichtet werden.
Studiendirektor Professor Raydt-Leipzig besprach im einzelnen die folgen-
den von den beiden Referenten gemeinsam aufgestellten und von der Versamm-
lung angenommenen Leitsätze und belegte sie mit vielen Beispielen aus seiner
Erfahrung.
118 Aus Kongressen und Vereinen.
1. Leibesübungen sind besonders geeignet, die Jugend zur Selbstän-
digkeit zu erziehen.
2. Der Betrieb der Leibesübungen ist so zu gestalten, daß der Jugend
mögliebst viel Selbstiindigkeit gelassen wird.
3. Di^enigen Übungen sind besonders zu berücksichtigen, die möglichst
selbsUlndige Leistungen erfordern.
4. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Jugend gelegentlich in
solche Lagen versetzt wird, wo sie Selbständigkeit und Initiative be-
währen kann.
5. Von der Schule sind längere Übungsmärsche und Kriegsspiele regel-
mäßig und möglichst oft zu veranstalten.
6. Spielnachmittage sind an allen Schulen allgemein verbindlich einzu-
richten.
7. Selbständige Vereine von Schülern einer Anstalt, die sich gemeinsamen
Leibesübungen widmen, sind unter Oberaufsicht der Schule zu ge-
statten und tunlichst zu fördern.
Sodann sprach Tuminspektor Weidenbusch -Frankfurt a. M. über die
frühere und jetzige Schwimmethode in Frankfurt a. M. In kurzen
Zügen wies er auf die Entwicklungsgeschichte des Schwimmens in Frank-
furt a. M. hin und zeigte, daß die Stadt schon seit dem Jahre 1842 diese
überaus wichtige Körperübung in ihren Schulen eingeführt hat. Heute werden
von 45 Schulen die vier obersten Jahrgänge unterrichtet. Die Schülerzahl ist
auf 8100, Knaben und Mädchen, gestiegen. Die verursachten Kosten betragen
37000 Mark. Mit der Zunahme der Schülerzahl hat sich gleichmäßig die
Methode weiterentwickelt. Der Einzelunterricht räuipte dem Massenunterricht
das Feld. Das Schwimmen selbst wird durch das Trockenschwimmen vor-
bereitet und so das gesteckte Ziel schneller und leichter erreichbar gemacht.
(Beifall.)
Zum Schluß stellte der Redner als Leitsatz unter dem zustimmenden Bei-
fall der Versammlung folgendes hin:
Das Schwimmen ist nicht nur wegen seiner gesundheitfördemden Ein-
wirkungen auf den Körper, sondern auch wegen der Herrschaft über das Wasser
in Lebensgefahr von allergrößter Wichtigkeit fürs Leben und sollte deshalb
überall da, wo die Möglichkeit vorhanden ist, in den Knaben- und Mädchen-
schulen gefördert werden.
An die Vorträge schloß sich eine lebhafte Debatte, an der sich die Herren
Oberbürgermeister Cunow-Hagen, der Vorsitzende v. Schenckendorff, Geh.
Begierungsrat Hinze, Landes-Turninspektor Schmuck -Darmstadt, Oberlehrer
Heinrich -Charlottenburg, Professor Wickenhagen -Berlin und Sanitätsrat
Dr. Schmidt- Bonn beteiligten.
Der Nachmittag war ganz den Jugendspielen selbst gewidmet. Auf dem
großen Exerzierplatz bei Griesheim a. M. fanden bei prächtigstem Wetter die
verschiedenartigsten körperlichen Spiele von Schülern und Schülerinnen aller
Schulen Frankfurts statt. Es war ein herzerfreuender Anblick, die mehr als
4000 Knaben und Mädchen betragende frische Jugend sich unter den milden
Strahlen der herbstlichen Sonne in kräftigen Jugendspielen tummeln zu sehen.
Der Vorsitzende des Zentral ausschusses nabm die Preisverteilung vor und
sprach dabei sehr anerkennende Worte über die Vorführungen und die Schul-
verwaltung.
Aus Kongressen und Vereinen. 119
Am Abend fand im Hippodrom zu Ehren des Zentralausschusses ein
Kommers der Frankfurter Tum-, Spiel- und Sportvereine statt, der von mehr
als tausend Personen besucht war, der eine stattliche Teilnehmerschar in Be-
geisterung und Frohsinn viele Stunden zusammenhielt. Den Vorsitz führte der
Stadtechuirat Dr. L flu gen- Frankfurt a. M. Ausgezeichnete Turnübungen der
Frankfurter Turnvereine und des Fechtklubs „H^'i^niannia'* wechselten mit ge-
meinsamen Liedern und Vorträgen der Gksangsriegen der Frankfurter Turner-
Schaft in anregendster Weise ab.
n.
Frankfurt a. M., Sonntag den 17. September.
Nach der Eröffnung der Verhandlungen durch den Vorsitzenden
von Schenckendorf hielt der dniversitätsprofessor Dr. Finkler -Bonn,
Direktor des dortigen hygienischen Instituts, einen mit größtem Beifall auf-
genommenen Vortrag über „Die körperlichen Anlagen, ihre Entwick-
lung und Ausbildung'^
Der Redner nimmt Gelegenheit, die Prinzipien hervorzuheben, welche an
den Funktionen der Organe des Körpers gelegen sind; wie diese Tätigkeiten
untereinander in Systemen bestehen, wie sie mit der Zeugung und dem Wachs-
tum der Organe sich ausbilden. Das ganze komplizierte Getriebe der Körper-
teile folgt gewissen Gesetzen, welche insbesondere alle dem Prinzip der höchsten
Zweckmäßigkeit dienen. Diese Zweckmäßigkeit erstreckt sich auf die Erhal-
tung der Art und die des Individuums.
Eine Ausbildung aller Tätigkeiten und der dafür vorhandenen Organe
ist gewährleistet durch die Gesetze der Vererbung und der Zähigkeit des Art-
charakters sowie das Bestreben des Körpers zur naturgemäßen Vervollkomm-
nung. Sie ist zu fördern durch Übung und Anforderungen an den Körper und
seine Teile. Die Zellen des menschlichen Körpers arbeiten und verbrauchen
Kraft und Stoffe, auf Grund der ihnen innewohnenden Eigenschaften des
lebendigen Eiweißes. Die verbrauchten Stoffe werden wieder ersetzt und
zwar mit der Neigung, mehr zu ersetzen, als verloren ging: Verbrauch —
Wiederersatz — Stärkung resp. Vergrößerung und Wachstum. Speziell das
Muskelsystem erreicht in der Übung hier viele Erfolge, nicht nur in der Ver-
stärkung der Muskeln und der morphologischen Grundlage, sondern auch in
der Erhöhung des Nutzeffektes, Verminderung der Mitbewegungen, Ersparung
von Kraft.
Die Übung erhöht die Spannung der Muskeln, verbessert damit die
Haltung, die Schlagfertigkeit, die Selbständigkeit, sie wirkt auch auf die
Zentralorgane des Nervensystems, erhöht deren Gebrauchsfähigkeit und geht
deshalb auch mit einer kräftigenden Einwirkung auf Gehirn imd Psyche
einher.
Grefahren der Übung auf das Herz sind vermeidbar durch richtige Be-
urteilung der Ermüdung und individualisierende Beobachtung der Kinder.
Der IHimlehrer muß deshalb der Beobachter des gesamten Befindens der
Kinder sein.
Eine Übertragung der durch Übung erreichten Vorteile durch Vererbung
ist nicht so einfach zu erwarten; aber die Erziehung gesunder und kraftvoller
Individuen muß in günstigem Sinne auf spätere Generationen einwirken, schon
120 Aus Kongressen und Yereinen.
durch Vermeidung der Krankheiten, Erhöhung der Widerstandskraft. Die neue
Generation muß selbst arbeiten und sich erwerben, was sie als gut und der
Vervollkommnung fähig ererbt hat. (Lebhafter Beifall.)
Der Vorsitzende des Zentralausschusses, Abgeordneter von Schenckendorff.
sprach dann über den gegenwärtigen Stand der Frage des allgemeinen
obligatorischen Spielnachmittags.
Er bezeichnete seinen Vortrag ausdrücklich als ein Referat, indem er Ton
dem Beschluß der im vorigen Jahre in Quedlinburg stattgehabten, vom Zentral-
ausschuß und dem Verein deutscher Turnlehrer einberufenen öffentlichen Ver-
sammlung ausging, durch welchen der Zentralausschuß für Volks- und Jugend-
spiele beauftragt wurde, für die Durchfahrung eines allgemein verbindlichen
Spielnachmittags in allen deutschen Schulen einzutreten. Dennoch sei
heute das Ziel der verbindlichen Spielanstalten, daß 1. jedem Schulkinde, ob
Knabe, ob Mädchen, ob sechsjährig oder zwanzigjährig, in jeder Woche, neben
dem Turnunterricht, ein Nachmittag für schulseitig eingerichtete Leibesübungen
freigemacht werde; daß 2. dieser Nachmittag völlig &ei auch von häuslichen
Schularbeiten sei, und daß 8. die an diesen Nachmittagen ausfallenden Unter-
richts- und Arbeitsstunden nicht an anderen Stellen wieder eingesetzt würden.
Er machte auf die Beschlüsse der vom Kaiser nach Berlin im Jahre 1890 ein-
berufenen Schulkonferenz aufmerksam, die in Sachen der besseren leiblichen
Erziehung der Jagend Beschlüsse faßte, die bislang nur in der dritten Turn-
stunde in Preußen Verwirklichung gefunden haben.
Diese und die ganze Frage seien in der kürzlich von dem Geschäfts-
führer des Zentralausschusses, Studiendirektor Professor Ray dt, Leipzig, her-
ausgegebenen trefflichen Broschüre „Spielnachmittage'' so klar dargelegt, daß
er hier nicht weiter darüber zu sprechen brauche. Wenn aber einmal der
allgemein verbindliche Spielnachmittag sich durchgerungen hat, so wird er
eine segensvolle Einrichtung für das deutsche Volk bleiben für alle Zeiten
(Lebhafter Beifall.)
An das Referat des Redners schloß sich eine eingehende, die Forderung
befürwortende Debatte, an der sich der Geh. Oberregierungsrat Dr. Paehler-
Kassel, Sanitätsrat Dr. Schmidt -Bonn, Professor Dr. Kohlrausch -Hannover,
Professor Dr. Koch- Braunschweig, Rektor Dickerhoff-Dortmund, Regierungs-
rat Mühl mann- Kassel, Dr. med. Dornblüth -Frankfurt a. M., Turn-Inspektor
Möller- AI tona, Spielinspektor Münzer-Bismarckhütte und Lehrer Edelhoff-
Barmen beteiligten.
In seinem Schlußworte gibt der Vorsitzende bekannt, daß ein Danktele-
gramm des Kronprinzen für die gestrige Begrüßung schon eingegangen ist, und
spricht sodann seine Befriedigung über den Verlauf der Verhandlungen aus
und dankt insbesondere den Rednern und allen denen, die zum Gelingen des
Kongresses beigetragen haben. Gegen den Grundgedanken des allgemein ver-
bindlichen Spielnachmittags sei kein Widerspruch erfolgt und der Gedanke
würde siegreich weiter gehen.
Nach Schluß durch den Vorsitzenden spricht Herr Geh. Oberregierungsrat
Dr. Paehler unter allgemeinster Zustimmung der Versammlung den herz-
lichsten Dank für die vortreffliche Leitung des Kongresses aus.
Um 4 Uhr nachmittags begannen dann wieder, vom schönsten sonnigen
Herbstwetter begünstigt, die Spielvorführungen auf dem Exerzierplatze bei
Griesheim« Der Hauptsache nach waren die Veranstalter die Frankfurter Tum-
Aus Kongressen und Yereinen. 121
vereine, die Spielvereine und der Verband für Tumsport (Diskus- und Sctleuder-
ballwerfen, Springen, Laufen, Seilziehen usw.). Außerdem fanden ein Wett-
rudern am Obermain und Tennisjipiele an der Forsthausstraße statt. Die körper>
liehen Übungen fanden dann ihren Abschluß durch höchst interessante Vor-
führungen des I. Frankfurter Schwimmklubs und der Schwimmerriege des
Frankfurter Turnvereins im städtischen Schwinmibad. Am Abend traf das
folgende Kaiserliche Telegramm ein: ,,Seine Majestät der Kaiser und König
lassen dem VII. Deutschen Kongreß für Volks- und Jugendspiele für den treuen
Gruß vielmals danken. Auf Allerhöchsten Befehl der Geheime Kabinetsrat
von Lucanus.*^
Am folgenden Tage fand der Kongreß seinen Abschluß durch eine Turn-
fahrt nach Homburcr, der Saalburg und dem Feldberg.
Wohl alle Kongreßteilnehmer werden den Eindruck haben, daß der
7. Deutsche Kongreß für Volks- und Jugendspiele nach allen Eichtungen gut
gelungen ist und die Bestrebungen des Zentralausschusses wieder um ein gut
Teil gefördert hat.
— Auf der 14. General versammluDg des deutsohen Gymnasial-
vereins am 3. Oktober in Hamburg sprach Physikus Dr. Pfeiffer- Hamburg
über die Frage: Wie hat sich das humanistische Gymnasium gegen-
über den neuerlichen schulhygienischen Aufstellungen und An-
sprüchen zu verhalten? Den ,,Hamburger Nachrichten" entnehmen wir
hierüber folgendes:
Dr. Pfeiffer steht auf dem Boden der gemeinschaftlichen Arbeit zwischen
Ärzten und Pädagogen, sobald und soweit gesundheitliche Fragen in Betracht
kommen, aber nur in der Form, daß der Arzt der Berater der Schule ist ohne
Befugnis zu selbständigen Anordnungen und ohne Recht zu Eingriffen in den
inneren Betrieb der Schule. Die Hygieneüberwachung habe sich auf Schüler
und Lehrer gemeinsam zu erstrecken. Für erstere insofern, als der Schule oder
den Eltern durch die Schule Mitteilungen zu machen seien, sobald körperliche
und geistige Besonderheiten des Schülers beim Unterricht in Erscheinung treten.
Die Sorgfalt der Schule habe sich in der Hauptsache zu erstrecken auf
eine durchdachte gesundheitliche Beobachtung durch die Lehrer, welche aber
nur zu erreichen sei, wenn die Lehrer anders als bisher in Jem Erkennen imd
Beobachten der hauptsächlich in der Schule vorkommenden oder sich ent-
wickelnden Erscheinungen vorgebildet sind.
Um das zu erreichen, könne ein Schularzt oder Vertrauensarzt der Schule,
wie man ihn nennen möge, durch Unterweisung der Lehrer und Beraten der-
selben in schulgesundheitlichen Fragen viel Gutes stiften. Eine Prüfung der
Lehramtskandidaten in Hygiene oder die Einführung des Hygieneunterrichts
in der Schule sei nicht unbedingt nötig, vielleicht sogar schädlich, auch sei
eine organische Einreihung des Arztes in die Schule nicht als erstrebenswertes
Ideal zu betrachten.*) Bei gegenseitigem guten Willen und Respektierung der
Stellung und Rechte des einzelnen sei mehr ersprießliche Arbeit zu erwarten,
1) Dom gegenüber verweisen wir auf die vortrefflich bewährte Einrich-
tung in Ungarn, wo der Schularzt zugleich Prof. der Hygiene an der Schule
ist. [Die Red.]
122 Aus Kongressen und Vereinen.
vor allem können auch die Ärzte wiederum von den Pädagogen lernen. Die
Ermüdungsmessungen haben bisher fClr die Schule brauchbare Resultate nicht
gezeitigt *) ; ob von der geplanten internationalen Zahlensammlung mehr zu er-
warten sei, sei höchst zweifelhaft. Man habe sich überhaupt bisher immer mit
der Schule beschäftigt; es dürfte wohl an der Zeit sein, einmal die Hygiene
der Häuslichkeit des Schülers unter die Lupe zu nehmen. Wie stehe es denn
da mit der Bankfrage, mit der Erziehung zum Geradesitzen, mit den Ab-
lenkungen durch Vergnügungen, mit der genauen Abmessung für Schlaf, Licht,
Luft, Bad, Lektüre u. dergl. mehr? Die Überbürdungsfrage werde von ein-
zelnen Eltern schneller betont als die Erkenntnis komme, daß das Kind eben
nicht besonders begabt sei. In vielen Fällen läge auch zu schnelles Wachstum
der Kinder vor, die Kräfte des Körpers reichen nicht aus, um gleichen Schritt
mit den anderen Kindern halten zu können.
Das vielfach vorgehaltene Beispiel der englischen Schulbildung möchte er
nicht eingeführt sehen, da sei ihm die gediegene deutsche Arbeit doch lieber;*
wohl aber sei von den Engländern die Protektion von Jugendspiel zu über-
nehmen. Das Jugendspiel müsse von besonders honorierten Lehrern geleitet
werden, aber im Rahmen der Schule; dadurch werde gleichzeitig ein Auswaohsen
desselben zum wilden Sport verhindert und der Betätigungsdrang der Jugend
nach bestimmten, ihr zuträglichen Bahnen gelenkt.
Über die Verschiebung des Beginns des fremdsprachlichen Unterrichts,
geteilte oder ungeteilte Schulzeit, beste Auswahl der Ferien seien die Meinungen
im pädagogischen Lager selbst noch nicht zur vollen Klarheit gelangt, den
Arat interessieren diese Fragen erst in zweiter Linie.*)
Für das Gymnasium speziell würde es ihm persönlich höchst bedauerlich
sein, wenn als Kompensation für Hinzunahme einiger anderer Fächer der grie-
chische Unterricht in Wegfall kommen sollte. Die schönste Erinnerung für das
Kind wären die Kinderstube und die Stunden der Märchenerzählung auf dem
Schoß der Mutter, far den Jüngling wäre das Aufgehen des Verständnisses für
die Wunder der griechischen Poesie und Prosa ein ähnlicher Schatz für die
reiferen Jahre. Wenn man die Leistungen des deutschen Volkes betrachte,
speziell die der Abiturienten höherer Schulen, so könne man doch gar nicht
von einer Schwächung der Nation durch Überbürdung in der Schule reden,
wenigstens nicht in der Form, wie es vielfach heute beliebt sei. Man solle
sich auch sehr in acht nehmen und nicht zur Belebung der Kongresse und
Vereinigungen eine degenerierte, neurasthenische Schuljugend beschreiben,
welche gar nicht vorhanden sei.*)
1) Dem Vortragenden scheinen die Untersuchungen in den Pariser Schulen
(z. V. A. Binet in „Ann^e psychologique Tom. XI") und die Beobachtungen
Schlesingers (Archiv für Kinderheilkunde 1905 H. 8), die durchaus brauch-
bare Resultate erzielt haben, nicht bekannt zu sein. [Die Ked.]
2) Gerade in dieser Angelegenheit ist die Mitarbeit der Ärzte besonders
wünschenswert. [Die Red.]
3) Wir efinnern daran, daß die Abnahme der Brauchbarkeit von Schülern
höherer Lehranstalten für den Militärdienst Tatsache ist. Daß die viel-
besprochene Überbürdung in allen höheren Lehranstalten wirklich vorhanden
ist, geht aus den Schriften namentlich von Schulmännern in überzeugender
Weise hervor. [Die Red.]
AuB EongresBen und Vereinen. 123
An der lebhaften DiskusBion beteiligten Bich neun Anwesende, die aber
durchweg in dem Dank übereinstimmten für das mehrfach durch Beifalls-
äußerungen begleitete Referat, das in glücklicher Weise den Extravaganzen
gewisser Schulhygieniker entgegentrat. Wir heben hervor, daß Geheimer
Medizinalrat Waldeyer aus Berlin, der dem Vereine seit Jahren angehört, zu
den Beistimmenden gehörte und nur einige wesentliche Zusätze im Interesse
der vom Gymnasium gleicherweise zu pflegenden körperlichen Ausbildung seiner
Zöglinge machte. Speziell wies er auf die Notwendigkeit hin, die Maximal-
zahl der Schüler einer Gymnasialklasse ebenso zu beschränken wie das an
Eadettenhäusem geschähe, und hob hervor, wie erwünscht die Einführung von
Badeeinrichtungen, ja Badeverpflichtungeu auch in den höheren Schulen sei.
Von Medizinern sprach nocn der Hamburger Spezialist für Nervenkrank-
heiten Dr. Saenger und führte in lolehrenden Beispielen aus, welche speziellen
Kenntnisse ein mit der Beobachtung und Behandlung von Schülern betrauter
Arzt haben müsse, um in den einzelnen Fällen ein richtiges Urteil abzugeben,
und daß nicht jeder Arzt dazu befähigt sein würde. Gymnasialdirektor Aly
von Marburg meinte, daß ein besonderer Schularzt doch wohl nicht nötig sei,
sondern dem Kreisarzt die betreffenden Funktionen übertragen werden könnten,
und sprach außerdem für Unterweisung der künftigen Lehrer durch Vorträge
an den Universitäten und in Ferienkursen. Der Hinweis auf die, welche, wie
der Eedner und unzählige andere, sich bei ungleich weniger hygienischen Maß-
regeln zu widerstandsfähigen Männern entwickelt hätten, fand ein Echo auch
in dem Votum des Universitätsprofessors Hildebrand von Breslau. Weiter be-
teiligten sich an der Diskussion auch Prof. Wotke von Wien, der die letzten
bezüglichen Anordnungen des soeben zurückgetretenen Ministers^ von Hartl
mitteilte, Direktor Kuthe aus Parchim, der sich nähere Belehrung über das Wie
der hygienischen Überwachung erbat, Direktor Lück aus Steglitz, der das Segens-
reiche einer ärztlichen Untersuchung der Schüler bei ihrer Aufnahme betonte
und als hygienisches ceterum censeo ebenfalls die Forderung kleinerer Klassen
und zugleich der Herabsetzung der Pflichtstundenzahl für die Lehrer aussprach.
Sehr interessant waren endlich die Mitteilungen des Stadtschulrats Michaelis
in bezug auf das Wirken von Schulärzten bei Berliner Gemeindeschulen, ins-
besondere die Sonderung der normalen und der Schwachbegabten Schüler, und
was Prof. Martens von Elberfeld über die sexuellen Belehrungen und Ermah-
nungen berichtete, welche ein Arzt an die Abiturienten des dortigen Gymnasiums
gerichtet hat. Von einer Abstimmung über die Thesen oder einer Resolution
wurde bei der erfreulich zutage getretenen Übereinstimmung der Anwesenden
abgesehen.
Dr. Pfeiffer hatte zu seinem Thema folgende Leitsätze aufgestellt:
I. Es ist anzustreben, daß geplante Neuanlagen sowie Umbauten von
Schulhäusem gemeinsam von Schulmännern, von Baumeistern und ärztlichen
Sachverständigen beraten werden. Diese Kommission muß fernerhin Einfluß
erhalten auf die Wahl des Klassen- und Lehrerzimmer- Inventars, des Anstrichs
der Räume, der Heizungs- und Lüftungsanlagen, des Fußbodenbelages und
dessen Behandlung, der Abortanlagen, sowie der Spiel- und Turnplätze.
IL Die hygienische Überwachung der Schüler ist von Lehrern und Ärzfcen
gemeinsam auszuführen. Hierbei hat der Arzt der Schule als Berater zu dienen
ohne Befugnis zu selbständigen Anordnungen. Diese Beratung hat sich zu er-
strecken: 1. a) auf das Erkennen von körperlichen Besonderheiten der Schüler,
124 Aus Kongressen und Vereinen.
wie Blutarmut, Kurzaichtigkeit, Schwerhörigkeit, Haar- und Hauterkrankungen,
Lungenschwäche, Schiefwuchs u. dergl., b) auf Erkennen von geistigen Be-
sonderheiten der Schüler, wie leichter Ermüdung z. B. durch schnelles Wachs-
tum, zerstreutes Wesen durch krankhafte Veranlagung oder Masturbation oder
häusliche oder überhaupt außerhalb der Schule erworbene schädliche Momente,
femer auf die Feststellung ?on Simulation sowie von angeborener geistiger
Minderwertigkeit; 2. a) auf die hygienische Beratung der Lehrer in bezug auf
Benutzung und Schonung der eigenen Stimmmittel sowie der der Schüler,
b) auf die Frage, wie die Unterrichtsstunden am besten auf die verschiedenen
Tageszeiten verteilt werden, c) auf die Lage der Ferien, d) auf die Maximal-
und Minimalforderungen von Arbeit, Ruhe und körperlichen Übungen für die
verschiedenen ünterrichtsstufen , sowie auf die empfehlenswerten Arten von
Leibesübung, e) auf die Stellungnahme zu den von Zeit zu Zeit auftretenden
Forderungen nach Beschränkung oder Erweiterung des Lehrplaues des Gym-
nasiums, soweit hygienische Gesichtspunkte angeblich oder in Wahrheit in
Frage kommen; 3. auf Unterweisung der Lehter in hygienischen und speziell
schulhygienischen Fragen und auf Anleitung derselben zu selbständiger gesund-
heitlicher Beobachtung der Schüler.*)
— Von der 77. Versammlung deutscher Ärzte und Naturforscher
in Meran vom 24. bis 30. September 1905 sind für unsere Leser folgende
Vorträge von Interesse.
Erster Gegenstand der Verhandlungen der gemeinsamen Sitzung am
27. September war der Bericht der Unterrichtskommission der Gesell-
schaft deutscher Naturforscher und Ärzte. Die „Vossische Zeitung**
schreibt hierüber:
Dieser Unterrichtskommission kommt eine große Bedeutung zu. Sie soll
eine Reform des Schulunterrichtes nach der Richtung hin vorbereiten, daß mehr
als bisher im Unterricht die mathematisch -physikalischen Wissenschaften und
die Biologie berücksichtigt werden sollen. Die Kommission ist aus der glück-
lichen Vereinigung der Vorkämpfer zweierlei Richtungen hervorgegangen. Die
eine hatte sich die Hebiing der naturwissenschaftlich -mathematischen Fächer
im Schulunterricht zum Ziele gesetzt, ausgehend von der Erkenntnis, daß ge-
mäß der großen Bedeutung der Naturwissenschaften im modernen Leben die
Mathematik und Naturwissenschaften ein kräftigeres Element in der Allgemein-
bildung sein müssen. Die andere Richtung, welche die Förderung der Biologie
betrieb, wurde bei ihren Bestrebungen von der Anschauung geleitet, daß ohne
biologisches Wissen das Verständnis von Natur und Kultur unmöglich ist.
Prof Gutzmer, der Vorsitzende der Kommission, hob in seinem Berichte
zunächst hervor, daß die Kommission die Bedeutung der sprachlich-geschicht-
lichen Bildung voll anerkennt. Darüber darf aber nicht zweierlei außer acht
gelassen werden. Einmal, daß die Eignung für geschichtlich -sprachliche
Schulung nicht ganz allgemein ist. Zweitens, daß ein Mißstand zuungunsten
der Mathematik, Naturwissenschaften und Biologie dadurch zustande kommt,
daß das humanistische Gymnasium diejenige Stätte ist, auf welcher die meisten
Studierten ihre Ausbildung erhalten. Die Kommission hat sich zunächst auf
die Erörterung derjenigen Beformen beschränkt, welche far die Gymnasien, Real-
1) Ein Teil dieser Leitsätze widerspricht geradezu den Ausführungen des
Redners, wie sie von den „Hamburger Nachrichten" gebracht werden.
Aus EongresBen und Vereinen. 125
gymnasien und Oberrealschulen anzustreben sind. Ihre allgemeinen leitenden
Sätze faßt die Kommission dahin zusammen: 1) Auf den höheren Lehranstalten
sollen weder die Naturwissenschaften und die Mathematik noch die Sprachen
und die Geschichte einseitig gepflegt werden. 2) Aber die Naturwissenschaften
und die Mathematik sind an bildendem Werte gleichwertig dem Sprach- und
Geschichtsunterricht 3) Die drei preußischen Schularten, Gymnasium, Real-
gymnasium, Oberrealschule, müssen in Hinsicht auf den mathematisch-natur-
wissenschaftlichen Unterricht gleichgestellt werden. Die Kommission hat sich
über die Hauptforderungen geeinigt, zunächst was den Unterricht in der Mathe-
matik angeht. Die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden braucht nicht
vermehrt zu werden. Der Mathematikunterricht muß aber von manchem Ballast
befreit werden. Er muß vor allem darauf gerichtet sein, beim Schüler das
Verständnis für räumliche Anschauung zu stärken und ihm die Befähigung
zum funktionalen Denken zu verschaffen. Das Mathematikpensum der Gym-
nasien und der Realgynmasien soll gleich groß sein. Es soll bis an die Schwelle
der Infinitesimalrechnung hinanreichen. In der Oberrealschule soll der Unter-
richt weiter gehen. Neben gründlicher Behandlung der Elementarmathematik
sollen in der Oberrealschule noch analytische Geometrie und die Grundzüge der
Infinitesimalrechnung gelehrt werden. Die biologischen Fächer sind bei der
Ordnung des Unterrichts in Preußen schlecht weggekommen. In den oberen
Klassen wird Biologie überhaupt nicht vorgetragen, in den anderen unzureichend.
Nach der Anschauung der Kommission ist bei der Reform des Biologieunter-
richtes zuerst bei den Realgymnasien Hand anzulegen, und zwar weil Zeit für
seine Vermehrung auf den Gymnasien schwerlich zu gewinnen sein wird.
Sicher wird von den Sprachstunden keine abgegeben werden. Das humanistische
Gymnasium in seiner heutigen Verfassung braucht sie eben unerläßlich. Aber
unsere Schulbehörden müssen laut anf die klaffende Lücke in der biologischen
und naturwissenschaftlichen Ausbildung aufmerksam gemacht werden. Aber
auch der biologisch -naturwissenschaftliche Unterricht auf den Realgymnasien
entspricht nicht den billigen Anforderungen. Unsere Realgymnasien sind leider
allzusehr Sprachanstalten geworden. Eine Änderung wird darin erst eintreten,
wenn auch die Mathematiker und Naturwissenschaftler zu leitenden Stellen be-
rufen werden, und zwar nicht nur an den Realgymnasien, sondern auch in der
Schulverwaltung. Bei den Erörterungen über die Reform des biologischen
Unterrichtes wurde auch die Frage erörtert, ob in den biologischen Schulunter-
richt die Unterweisung über die sexuelle Frage eingeschlossen werden soll.
Die Kommission hat dies abgelehnt, weil oft ein Arzt oder der Direktor der
Anstalt die geeignetere Persönlichkeit für diesen Unterricht sind. Zum Schlüsse
dankte Gutzmer der preußischen Unterrichtsverwaltung für die Unterstützung
der Kommissionsarbeiten, dadurch, daß sie Versuche in der Richtung der Kom-
missionsvorschläge veranlaßte und unterstützte.
— Auf der 30. Ja^iresversammlung des Deutsohen Vereins für
öffentUohe Gesundheitspflege in Mannheim vom 13. bis 16. September
1905 sprachen Sanitätsrat Dr. Schmidt- Bonn und Oberbaurat Klette -Dresden
über das Thema: Die Bedeutung öffentlicher Spiel- und Sportplätze
für die Volksgesundheit. Der Münchener Mediz. Wochenschrift 1905 Nr. 40
entnehmen wir hierüber folgendes: Schmidt hebt einleitend die Bedeutung
der Schulärzte für die Gesundheitspflege in der Schule hervor. Sachsen-
Meiningen dehnte die Anstellung der Schulärzte bis auf die letzten Landschulen
126 Au» Kongressen und Vereinen.
aus und ist dadurch yorbildlich für die ganze Institution geworden. Der Grund
für die Anstellung ist, daß die heranwachsende Jugend körperlich minder-
wertig ist. Referent teilt im genaueren die diesbezüglichen Prozentverhältnisso
von verschiedenen Ländern mit. Der Grund für diese schlechten Verhältnisse
ist auf verschiedenen Gebieten zu suchen, es gehören hierher einerseits soziale
Mißstände, unzweckmäßige Ernährung^ schlechte Wohnungen, andrerseits das
unzweckmäßige Schulsystem, das mit seinem vielen Stillsitzen zu wenig Körper-
bewegung gewährt. Die hauptsächlichsten Erkrankungen der Schulkinder sind
Blutarmut, Bleichsucht, Kopfschmerzen, mangelnder Appetit; auch die Kinder
mit Rückgratsverkrümmungen nehmen erschreckend zu. Schmidt bringt seine
Erfahrungen über den sogen. Gesundheitsbogen, welcher das Kind durch die
ganze Schule begleitet, und teilt die auf demselben gemachten geforderten
Notizen mit.
Unsere Aufgabe ist, die vorhandenen Schäden zu mildern und soweit als
möglich ihnen vorzubeugen; hierher gehört der Gebrauch von Seebädern, die
Einführung der Schulspaziergänge, Übungsmärsche und der Ferienkolonien,
Der Trieb nach reichlicher Bewegung ist den Kindern ebenso eingepflanzt wie
der nach Speise und Trank. Reichliche und regelmäßige Bewegung in frischer
Luft ist für die Jugend ein unersetzliches Lebensbedürfnis zum vollen Wachs-
tum des Körpers.
Neben der Ausbildung der Bewegungsorgane selbst ist vor allem die Ent-
wicklung eines kräftigen Herzens, einer atemtüchtigen und widerstandsfähigen
Lunge, sowie einer gesunden Blutfälle, entsprechende Ernährung vorausgesetzt,
gebunden an ein reichliches Maß von Bewegung im Freien.
Die Pflege geeigneter Leibesbewegung und Leibesübung ist grundlegend
für die gesamte spätere Lebensfülle und Arbeitskraft des Individuums und
anderswie nicht ersetzbar.
Eine Jugend, der das Austummeln im Freien, in frischer Luft und Sonnen-
schein verwehrt oder verkümmert wird, wird blaß, welk, blutarm und sucht
ihrem Erholungstrieb auf unhygienischen und meist bedenklichen Wegen Ge-
nüge zu tun.
Es ist im Sinne der Volksgesundheitspflege eine unabweisbare Pflicht der
Gemeinden, in allen Stadtgebieten und ganz besonders in den dichter be-
wohnten Arbeiter- und Geschäftsvierteln Plätze frei zu halten, welche der be-
wegungsbedürtigen Jugend ungehindert zur Benutzung stehen. Nach dieser
Richtung hin muß namentlich auch der Sucht mancher städtischen Bauver-
waltungen Einhalt geschehen, alle und jede freien Plätze mit umgitterten
Schmuckanlagen zu bedecken; die Rasenflächen müssen teilweise benutzbar
bleiben.
Neben diesen bescheidenen Plätzen für die Kleinsten und Kleineren sind
weiterhin, möglichst auf die Haupt-Stadtgebiete verteilt, größere Spiel- und
Sportplätze anzulegen für die gesamte Schuljugend, sowie für die Leibesübungen
und Spiele der mehr herangewachsenen jungen Leute; bei der heranwachsen-
den Jugend wandelt sich das Spiel in die Kampfspiele um, es ist dies wichtig
für die spätere Arbeitsfreudigkeit des Mannes. Wie ein Kind spielt, wird es
einst arbeiten. Die Einrichtung besonderer Spielnachmittage ist zu empfehlen,
die Jugend muß jedoch zwangsweise zu deren Besuch veranlaßt werden; ein
ungeordnetes Treiben darf herbei nicht stattfinden, eine Einteilung und eine
Beaufsichtigung muß vorhanden sein. Der richtige Spielleiter wird mitspielen.
Aus Kongressen und Vereinen. 127
Am zweckmäßigsten ist es, wenn die Spielplätze sich inmitten größerer
städtischer Anlagen oder Parks befinden.
Da, wo eine Stadtgemeinde ein größeres Waldgebiet als ,,Stadtwald^' a. dergl.
eingerichtet hat, ist eine mit Wald umgebene Fläche mit besonders weiten
Abmessungen empfehlenswert, um größere Schal-, Jngend- oder Volksfeste im
Freien abzuhalten.
Es sollten in solchen größeren öffentlichen Anlagen aber alle Haupt-
Rasenplätze so gehalten sein, daß sie unbedenklich einem jeden aus dem Volke
zur Erholung zugänglich sind.
Der 2. Referent, Klette- Dresden, beschreibt die zweckmäßige Einrichtung
der Spiel- und Sportplätze. Das Liegen der Plätze muß sich danach richten,
ob der Besuch zwangsweise gefordert wird oder nicht. Je näher der Spielplatz,
desto lieber wird er besucht.
Alle Spielplätze in Städten sollen so liegen, so angelegt, ausgestattet und
unterhalten sein, daß sie viel und gern aufgesucht und benutzt werden; sie
müssen daher den Wohnungen der Spielbedürftigen nahe in freier und ge-
sunder Gregend liegen und bequem zugängig sein.
Der Sicherheit für die Kinder halber seien die Spielplätze, besonders auch
ihr Zugang, abseits vom Verkehr, runde Spielplätze sind zu empfehlen. In
der Mitte der Plätze ist Sand anzufahren, außen umgeben von einer niedrigen
Bretterplanke. Der Sand ist rein zu halten und eventuell zu erneuern. Wege
dürfen diese Spielplätze nicht durchschneiden. Das Mitbringen von Hunden
ist strengstens zu untersagen.
Auch für noch nicht schulpflichtige Kinder sollen Spielplätze in reich-
licher und jedenfalls ausreichender Zahl tunlichst in allen öffentlichen An-
lagen vorgesehen und eingerichtet werden. Die Wohnungen müssen den
Spielplätzen möglichst nahe liegen, damit sie bei Regenwetter leicht erreich-
bar sind.
Für die schulpflichtige Jngend sollen die Schulhöfe für geleitete und be-
aufsichtigte Bewegungsspiele zu bestimmten Zeiten geöffnet werden. Es ent-
wickelt sich dann leicht ein gutes Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler,
der Ort der Schule ist gleichzeitig ein Ort der Erholung und der Freude ; aller-
dings haben viele Schulhöfe den Nachteil, daß sie nicht genügend Raum für
Jugendspiele haben. Fuß- und Schlagball dürften nicht gespielt werden. Auf
den Schulhöfen müssen die Schüler entsprechend eingeteilt werden, und zwar
am besten in tumpflichtige und nicht turnpflichtige; vor allem ist den Kleinen
der Schulhof zu überlassen. Die Großen sind auf entferntere Spielplätze zu
verweisen. Die Schulhöfe sind for die Spiele entsprechend einzurichten. Die
Bäume gehören an die Seite, nach der Mitte zu ist zu entwässern. Der Platz
sei eben. Die Oberfläche ist richtig zu befestigen, so daß die Decke kehrbar
ist. Nur die Kinder dürfen zugelassen werden, welche die betreffende Schale
besuchen.
Für die tumpflichtige Jugend sollen möglichst große Rasenflächen, wenn
nicht in, so doch nahe der Stadt angelegt bezw. eingerichtet werden. Diese
sollen an der Oberfläche frei, eben und möglichst horizontal liegen und so ge-
halten sein, daß jede Staubentwicklung, sowie alle Schlamm- und Pfützen-
bildung ausgeschlossen bleibt; sie müssen für die Spielenden in anmitbelbarer
Nähe ünterkunftsräume mit Gelegenheit zur Kleiderablage, Verrichtung der Not-
durft, Aufbewahrung der Spielgeräte, sowie zum Waschen und Trinken, und für
128 Schulärztliches.
die Zuschauer freie Übersicht, Schatten und Sitzgelegenheit bieten. Fluß-
niederungen sind besonders zur Einrichtung von Spielplätzen zu empfehlen.
Letztgenannte Spielplätze mögen Sonnabend und Sonntag für Erwachsene
reserviert werden. Die Fußballspieler dürfen den Rasen nicht benutzen. Alle
Spielplätze bedürfen einer fortwährenden Pflege, bei trockenem Wetter des Be-
sprengens. Gespielt soll das ganze Jahr hindurch werden. Im Winter einmal
in der Woche. Grundsätzlich sind die Spielplätze für den Sommerbetrieb ein-
zurichten und haben dann für die Winterspiele mit zu genügen.
Plätze für Lawntennis, Radfahren, Rudern und Schwimmen usw. brauchen
nicht mit den Spielplätzen in unmittelbarer Verbindung zu stehen.
V. Schulärztliches.
A. TagesgescUclitliclie Nachricilten.
Heilbronn hat eine Schularztstelle eingerichtet, welche dem jeweiligen
Oberarzt der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses übertragen wird.
Berlin. Die Schuldeputation hat beschlossen, die Zahl der Schulärzte
um 8 zu erhöhen.
BlberfelcL Die Stadtverordnetenversammlung hat die Anstellung von
Schulärzten vom 1. April 1U06 ab genehmigt. Bemerkenswert ist das System
der Anstellung. Zu den neun Armenärzten sollen noch aus der Zahl der an-
deren praktischen Ärzte neun und von den Augen- und Halsspezialisten je drei
genommen werden. Die ersteren 18 Ärzte untersuchen zweimal jährlich die
Kinder der 54 Volksschulen, so daß auf jeden Arzt drei Schulen kommen. Die
Spezialisten werden in besondeien Fällen zugezogen. Daneben hat noch jeder
Arzt die Kinder zu untersuchen, die alljährlich neu in seine drei Schulen auf-
genommen werden. Gleichzeitig wird den Eltern ein Fragebogen zugestellt,
auf dem sie über den Gesundheitszustand des Kindes in den sechs ersten
Lebensjahren Aufschluß geben sollen. Dieser Gesundheitsbericht wird dann
ständig durchgeführt, bis das Kind aus der Schule entlassen wird. Wenn sich
bei der halbjährlichen Untersuchung Krankheitserscheinungen zeigen, wird es
den Eltern mitgeteilt. Der Schularzt kann keine Kinder behandeln, er hat nur
die Krankheit festzustellen. Die Stadt wendet für die Schularzteinrichtung
jährlich 6 — 6000 M. auf. Für jedes neu eintretende Kind werden dem Arzt
0,50 M., für jede Klasse jährlich 7,50 M. vergütet. Der Spezialarzt bekommt
fär jeden Fall 1 M.
In Hildesheim wurde der Antrag der Schuldeputation auf Anstellung
von Schulärzten für die Volksschule durch die Stadtverordnetenversammlung
angenommen.
In Spandau werden an den Gemeindedchulen Schulärzte angestellt. Diese
erhalten für ihre Mühewaltung 0,3ü M. pro Kopf und Jahr.
In Köpenick werden vom 1. April 1906 ab sechs Schulärzte für die
Volksschulen angestellt.
Scilul&iztliches.
129
B. SclmlUrztliclie Berichte.
Der Jahresberioht über die sohulärztliohe T&tigkeit in den Mittel-
und Stadtschulen der Stadt Darmstadt im Sohuljahr 1904/05, verfaßt
Yon Sanitätsrat Dr. med. Buchhold- Darmstadt, gibt das folgende Gesamt-
resnltat der Untersuchungen im ersten, dritten, fünften und achten Schuljahre
aus elf Mittel- und Volksschulen Darmstadts.
Erg:ebnis der XJntersuoliune^en der
a) Anf-
Bahme-
klassen
Kl. VIII
b) übrigen Klassen
Kl. VI T^Kl. IV I Kl. I
u
s
S
fflrnt
392
387
295
249
1323
37,54
Allgememe Konstitution { mittel
679
580
556
290
2104
69,71
[ schlecht
40
26
19
12
97
2,75
3524
Blutarmut
116
111
116
67
409
11,60
CS
Skrofulöse
25
14
3
7
49
189
e
Rachitis
43
22
18
10
93
2,64
Wirbelsäule u. Extremitäten
24
16
23
6
68
1,92
^
Mund — Nase — Hals
72
60
48
42
222
6,29
^
Bronchien — Lungen — Pleura
20
6
12
6
43
121
5
Herz und Herzbeutel
6
7
13
11
37
1,05
•^
1
Baucheingeweide
—
—
5
1
{'6
0,16
ünterleibsbrflche
3
8
7
4
22
0,62
Ü
Hauterkrankungen
20
19
12
6
67
1,61
w
Parasiten
70
65
54
7
196
5,56
£
Augen
58
74
64
64
260
7,87
&
Ohren
18
25
27
7
77
2,18
:s
Sprachfehler
14
15
8
5
42
i;i9
.1
Geistige Schwäche
13
3
2
—
18
0,50
^
Epilepsie
—
1
—
—
1
0,08
Sonstige Erkrankungen
6
3
9
421
9
27
0,76
Summe
507 1
252
1627
1 46,08
Anzahl der abgehaltenen Sprechstunden bezw. Schulbesuche in
sämtlichen Klassen
Anzahl der unter dauernder ärztlicher Überwachung stehenden
Kinder in sämtlichen Klassen
Anzahl der beim Unterricht besonders zu berücksichtigenden
Kinder in sämtlichen Klassen
Anzahl der an die Eltern gesandten schriftlichen Mitteilungen
in sämtlichen Klassen
264
548
279
441
Die Gesamtsumme der Blutarmen betrug danach 409 = 11,60 7^ (im
Voijahre 12,46) und setzt sich zusammen aus 178 Knaben = 5,05 % (im Vor-
jahre 5,38) und 231 Mädchen = 6,65 % (7,13).
Die zweithöchste Ziffer der aufgezählten Gesundheitsstörungen finden wir
diesmal unter den Augenerkrankungen, wovon im ganzen 260 = 7,37 7o (7,66),
und zwar 148 = 4,20 7^ (4,67) bei Knaben und 112 = 3,17 7^ (3,08) bei Mädchen
bemerkt worden sind.
Gesunde Jugend. V. 6/6. 9
130 Schulärztliches.
In dritter Linie hinsichtlich der Häufigkeit des Vorkommens stehen die
Erkrankungen von Mund, Nase, Hals, welche mit 222 Fällen oder 6,29%
(im Yoijahre 7,22) aufgezählt sind. Hierzu stellen die Mädchen 125 ^ S,54 %
(4,26), die Knaben 97 = 2,76 V^ (2,96).
In der Reihe 11 sind die mit Parasiten behafteten Kinder aus den
untersuchten Klassen aufgeführt, und zwar 101 Mädchen == 6,42 % (6,63) und
6 Knaben = 0,14 7o (0,88), im ganzen 196 = 6,66% (6,06). Mehrmals wurde
zwangsweise Reinigung im städtischen Hospital beantragt und durchgeführt.
Von ansteckenden Krankheiten traten in der zweiten Hälfte des Schul-
jahres Masern und Keuchhusten in verschiedenen Stadtteilen auf und gaben
öfter Veranlassung zu Schulversäumnissen. Im allgemeinen kann der Gresund-
heitszustand im Berichtsjahr als gut bezeichnet werden. Die Benutzung der
Schulbrausebäder war insbesondere in den Knabenschulen einerecht rege;
dagegen läßt sie in den Mädchenschulen noch zu wünschen übrig.
Durch Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 19. Januar 1905
wurde der älteste Schularzt zum Mitglied des Schulvo'rstandes für
die Volksschulen gewählt, wodurch die Betrebungen der Schulärzte in ehren-
voller Weise anerkannt wurden. Im Laufe des Schuljahres Ixat das Schularzt-
kollegium zu 12 Sitzungen zusammen.
Von der segensreichen Einrichtung der zahnärztlichen Poliklinik
wurde auch im letzten Schuljahr von vielen Kindern Grebrauch gemacht und
bei jedem Schulbesuch von den Schulärzten auf die Wichtigkeit einer rationellen
Zahnpflege hingewiesen.
Der Austausch der Jahresberichte gegen diejenigen anderer Städte gab
auch im abgelaufenen Schuljahr den Schulärzten manche Anregnug und Ge-
legenheit zum Vergleich verschiedener Methoden des schulärztlichen Dienstes.
Der auf dem Nürnberger Internationalen Kongreß für Schulhygiene 1904 be-
gründeten Kommission zwecks Feststellung gewisser Fragen des schulärztlichen
Dienstes ist auf besondere Aufforderung hin auch der Vorsitzende des Darm-
städter SchularztkoUegiums beigetreten.
Aus dem Jahresbericht des Schularztes Dr. Langsdorf über seine
Tätigkeit im Schuljahr 1904A)o in der Hilfsschule für schwach bean-
lagte, körperlich oder geistig zurückgebliebene Kinder zu Darm-
stadt entnehmen vm* folgendes:
Die städtische Hilfsschule mußte im sechsten Jahre ihres Bestehens
wiederum um eine Klasse vergrößert werden, so daß sie nunmehr fünf Klassen
zählt. Aus der stetig steigenden Zahl der Schüler geht wohl mit Sicherheit
hervor, daß das Verständnis für diese segensreiche Einrichtung in den Eltern-
kreisen zugenommen hat, und daß die Vorurteile gegen eine Aufnahme in die
Hilfsschule im Schwinden begriffen sind. Auch durch eigene Beobachtung
sowie Mitteilung aus Lehrerkreisen wird dies bestätigt. Von den am Anfange
des Schuljahrs neueintretenden Schülern hatte die Mehrzahl bereits mindestens
zwei Jahre die unteren Klassen einer Schule besucht ohne entsprechende Fort-
schritte zu zeigen. Die Aufnahme dieser Kinder in die Hilfsschule erfolgte
dann auf Vorschlag des seitherigen Klassenlehrers gemeinschaftlich mit dem
betreffenden Schulleiter und dem Schularzt. Ausdrücklich wird zu jeder Auf-
nahme die Zustimmung der Eltern gefordert, die in fast allen Fällen nach einer
entsprechenden Aufklärung ohne besondere Schwierigkeiten zu erlangen war.
Die Zuteilung der Kinder zu den einzelnen Klassen erfolgte, wie seither üb-
Schulärztliches.
131
lieh, aus praktischen Bücksichten auf den Unterricht in erster Linie nach der
Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, während das Alter und der verschieden
lange Schulbesuch dabei weniger in Betracht kamen. Knaben und Mädchen
wurden gemeinsam unterrichtet.
Die Untersuchungen der Kinder führten zu folgendem Ergebnis:
Ergebniü der UnterBuchongen der
'S
5
I Blutarmut
1 Skrofulöse
Rachitis
Wirbelsäule u. Extremitäten
Mund — Nase — Hals
Bronchien — Lungen — Pleura
Herz und Herzbeutel
Baucheingeweide
Unterleibsbrüche
Hauterkrankungen
Parasiten
Augen
Ohren
Sprachfehler
Geistige Schwäche
Epilepsie
Sonstige Erkrankungen
Summe
3 I 6
- 1
- I 3
8 3
- ! 1
- ! 3
4 6
2 3
5 I 6
12
4
1
4
20
3
12,24
4,08
1,02
4,08
19,40
8,0«
2,04
9,18
9
18
10 ! 10,20
19 i 18,38
17,86
bei allen in verschiedenen Graden
23 16
27
27 I 10
1,02
103
Anzahl der abgehaltenen Sprechstunden bezw. Schulbesuche in
sämtlichen Klassen
Anzahl der unter dauernder ärztlicher Überwachung stehenden
Kinder in sämtlichen Klassen
Anzahl der beim Unterricht besonders zu berücksichtigenden Ejnder
in sämtlichen Klassen
Anzahl der an die Eltern gesandten schriftlichen Mitteilungen in
sämtlichen Klassen
11
aUe
16
Zwei Schüler wurden zu einem von der Stadt veranstalteten Stotterer-
kursus für den Sommer 1905 ausgewählt.
Besucht wurde die Schule während der Unternchtsmonate einmal monat-
lich, im ganzen 11 mal. Im Schulbad wurde wöchentlich einmal, im ganzen
44 mal gebadet, und zwar war die Frequenz des Bades eine günstige, wenn
man berücksichtigt, daß bei dem schlechten Gesundheitszustand viele der Kinder
(infolge von Ohren-, Nasen- und Augenleiden usw.) ärztlich vom Baden be-
freit waren und einige wegen Lähmung nicht teilnehmen konnten.
Am Milch frühstück nahmen während der Wintermonate 32 Schüler
unentgeltlich und weitere 9 gegen Bezahlung teil. Mehrere Schüler wurden
9*
1 32 BeBprechungen .
zur Teilnahme an einem Badeaufenthalt in Bad Nauheim sowie einem
Landaufenthalt im Odenwald vorgeschlagen.
Die bis jetzt erzielten £rfolge der Hilfsschule sind nach Angaben der
Lehrer und nach eigenen Beobachtungen bei den meisten Kindern als befriedi-
gende zu bezeichnen. Allerdings muB hervorgehoben werden, daß sich bei
mehreren Kindern, selbst bei den geringen Anforderungen der Hilfsschule,
irgendwelche Resultate nicht erzielen ließen, so daß ihre Aufnahme in eine
Idiotenanstalt beantragt werden mußte.
VI. Bespreclnmgeii.
Heller: Überbürdungspsyehosen bei minderwerti£:en Kindern. Zeit-
schrift für Schulgesundheitspflege. 1906. No. 10.
Immer stärker wird die Forderung, daß die Schwachbegabten einer be-
sonderen individuellen Behandlung beim Untenicht bedürfen und daß gerade
hier geistige Überbürdung leicht zu Psychose führen kann. Verfasser teilt
einige solcher Fälle (aus seiner Praxis) mit, welche er durch eine geeignete
Beschäftigungs- und Arbeitstherapie unter sachverständiger Aufsicht zur Hei-
lung bringen konnte.
Burmeister: Über die Verwendung: von staubbindenden Fußbodendien
in Schulen. Internationales Archiv für Schulhygiene I, 2. 1905.
Schon seit einer Reihe von Jahren haben sich die Fußbodenöle zur Be-
seitigung der Staubplage in den Schulen bewährt, indem der Keimgehalt der
Luft um das Drei- bis Vierfache herabgesetzt wurde. Am meisten Verwen-
dung hatte bisher das Dubtleßöl (Dustleßgesellschaft in Mainz) gefunden.
Verfasser untersuchte die staubbindende Kraft eines neuen Fußbodenöles von
der Firma J. A. Wilke in Burg bei Magdeburg, dessen Preis bedeutend nie-
driger ist als der des Dustleßöles. Die experimentellen Untersuchungen er-
gaben, daß ein Unterschied in der Wirkung der beiden öle nicht bestand.
Im Vergleich zu nicht geölten Zimmern zeigte sich eine Herabsetzung der
Keimzahl um das Drei- bis Vierfache. Nach sieben Wochen hatte die Wir-
kung der Fußbodenöle erheblich nachgelassen. Verfasser untersuchte auch,
ob in dem Schulstaub sich Tuberkelbazillen nachweisen ließen, indem er
mit kleinen sterilisierten Schwämmchen den Staub von verschiedenen Stellen
aufwischte, und zwar vom Katheder, von einer Schulbank, vom Schrank, vom
Kleiderständer und vom Fußboden.
Eine Verimpfung des in Bouillon aufgeschwemmten Staubes in Meer-
schweinchen ergab stets ein negatives Besultut. Tuberkelbazillen ließen sich
also nicht nachweisen. Die Ergebnisse seiner Versuche faßt der Verfasser in
folgendem zusammen:
„Die Pußbodenöle sind vorzügliche Mittel zur Verminderung der Staub-
plage in den Schulen, in denen wegen mangelnder Mittel eine tägliche feuchte
Reinigung nicht möglich ist. Die Dauer der staubbindendeu Kraft der Fuß-
bodenöle ist verschieden, sie hängt von der Beschaffenheit der Fußböden, der
Bespreclraiigen. 133
Häufigkeit der Benutzung der Zimmer und der Anzahl der Schüler ab; bei
Volksschulen mit Elassenzimmem von 40 — 60 Schülern und schlechtem Fuß-
boden muß eine Impr&gnierung mit dem Fußbodenöl alle sechs Wochen er-
folgen. Das Wilkesche Fußbodenöl ist dem Dustleßöl vollkommen gleich-
wertig; es ist daher dem beinahe um die Hälfte billigeren Fußbodenöl der
Firma Joh. Arnold Wilke in Burg der Vorzug zu geben."
Ton Ziegler: Die Kumslohtigkelt der Schüler höherer Lehranstalten,
eine Gefahr fQr die Landesverteidigung, und ihre Bekämpfung.
Monatsschrift fSr das Tumwesen. 1906. Heft 8.
Sich stützend auf die Untersuchungen von Cohn-Breslau über die Kurz-
sichtigkeit der Studenten rechnet Verfasser aus, daß der Landesverteidigung
lediglich wegen Kurzsichtigkeit ca. 3000 Einjährig-Freiwillige jährlich ent-
gehen. Um die gerade unter den Schülern der höheren Schulen so sehr ver-
breitete Kurzsichtigkeit zu mindern, müßten die Schulen eine regelmäßige
Gjnmastik des Auges, Übung im Erkennen kleiner Gegenstände in der Ferne
und Einprägen bestinmiter Entfernungen einfiihren, wie sie im Forstfach und
beim Militär schon lange mit Erfolg betrieben werden. Auf dem Turnplatz,
während der Schülerwanderungen und vor allem an den Spielnachmittagen
ließen sich derartige Übungen mit Leichtigkeit einschieben. Sehr wertvoll für
die Augen sind Schätzen größerer Distanzen, Geradeausgehen auf weite
Strecken und die militärischen Rieht- und Deckübungen. Die Einführung von
Schießübungen, wie sie Korman auf der zweiten Jahresversanunlung des
Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege in Wiesbaden 1901 vorschlug,
um die Augen der Kinder wieder für weite Entfernungen einzustellen, hält
Verfasser von seinem Standpunkt aus nicht füi angebracht. Er glaubt, daß
diese Schießübungen einmal wegen der damit verbundenen Gefahr und Ver-
antwortung bedenklich seien und vom militärischen Standpunkt nicht empfeh-
lenswert, da leicht Fehler angezogen werden, die später schwer beseitigt
werden können.
Soliröer: Die Dispensationen vom Turnunterricht. Monatsschrift für das
Tumwesen. 1906. Heft 8.
Der obligatorische Charakter des Turnunterrichts ist besonders an den
höheren Schulen doch sehr illusorisch, da an einzelnen Gymnasien nach des
Verfassers Angaben im Sommer bis zu 27,1, im Winter bis zu 28,7 ^^^ der
Schüler vom Turnen dispensiert waren. An der Hand des Jahresberichts des
Friedrich Wilhelm -Realgymnasiums in Stettin 1903/4 zeigt Verfasser, daß von
der Obertertia an aufwärts nicht die Hälfte, von Prima und Obersekunda nicht
einmal ein Drittel aller Schüler am Turnunterricht voll teilnimmt. Um diesem
Übelstand abzuhelfen, sind folgende Vorschläge ins Auge zu fassen:
1. An den Tagen, an denen die Schüler nachmittags turnen, erhalten die
betreifenden Klassen keine neuen Schulaufgaben;
2. der Schuldirektor wird ermächtigt, bei beantragten Dispensationen
nach seinem Ermessen ein Physikatsattest zu verlangen;
3. die deutsche Wehrordnung wird dahin ergänzt, daß die Berechtigung
zum einjährigen Heeresdienste in Zukunft nicht allein von wissenschaftlichen,
134 Besprechungen.
sondern auch von genügenden körperlichen Leistungen in der Schule ab-
hängig ist.
Funkt 1 und 2 halten auch wir für angebracht, nur wäre bei 2 zu setzen
ffPhysikatsattest oder Schularztattest*'. Punkt 3 scheint doch zu weit zu
gehen, denn erstens kann man doch denen, die wegen körperlicher Gebrechen
oder Schwächen dem Turnunterricht beim besten Willen nicht beizuwohnen ver-
mögen, denBerechtigungsschein nicht verweigern, und zweitens können sich die
Schüler, die während der Schulzeit vom Tumunteiricht dispensiert werden
mußten, nach derselben so entwickeln, daß sie zum Heeresdienst tauglich sind.
Allerdings sind auch wir der Ansicht, daß die Ärzte bei vielen Dispensationen
zu leichtgläubig sind und sich nicht nur von dem positiven Befund leiten
lassen. Leider gilt ja heute noch vielfach die Meinung, eine Dispensation
vom Turnunterricht kann dem Schüler weder schaden noch nützen, und
nehmen es die Ärzte mit einer solchen deshalb nicht so genau.
BomitroTlcli: Der Hygieniker und die Schulbank. Internationales Archiv
fOr Schulhygiene. Bd. I. Heft 1.
Die Anforderungen, welche die Hygiene an die Schulbank stellen muß,
teilt Verfasser in zwei Gruppen ein:
1. In Anforderungen, die in direkter Beziehung zum Körper der Schul-
kinder stehen;
2. in solche, durch die indirekt auf die Gesundheit der Kinder ein-
gewirkt wird.
In der ersten Gruppe ist das Prinzip der Individualisierung des Gestühls
(Qniversalbank) von dem der Generalisierung (Feste Gruppenbank) zu unter-
scheiden. Eine vollkommene Anpassung in allen Teilen ist nur mit der
Gruppenbank zu erzielen, um hiermit den Anforderungen der Hygiene gerecht
zu werden, ist aber zuerst der Unterschied in den Körpergrößen des größten
und kleinsten Kindes dabei festzustellen. Um ein hinreichend genaues Ver-
hältnis der Extremitäten zur Körpergröße zu erhalten, sind an möglichst
vielen Orten Messungen vorzunehmen. Für die Höhe des Sitzes der Schulbank
ist allein die Länge des Unterschenkels maßgebend; der Fuß des Sitzenden
soll bei vertikaler Lage des Unterschenkels auf der Unterlage voll aufruhen.
Für die Tiefe des Sitzes ist die noch mögliche maximale Sitzfläche des Kör-
pers zu ermitteln^ wobei man außer der genügenden Flächentiefe auch die
genügende Flächenbreite berücksichtigen muß. Die Tiefe soll niemals gleich
der ganzen Länge des Oberschenkels sein^ sondern nur mit '/s ^^s höchstens
^4 desselben angenommen werden. Für die Form des Sitzbrettes ist es am
besten, wenn dasselbe sich der Sitzfläche des Körpers anpaßt und dement-
sprechend ausgehöhlt ist. Die Höhe des Sitzraumes (Differenz) soll gleich dem
vertikalen Abstand der Ellenbogenspitze, bei lotrecht herabhängendem Arm,
von der vorderen Kante des Sitzbrettes -f- ^ ^^^ 3 cm für die zum Schreiben not-
wendige Drehung des Armes nach vom sein. Der Lehnenabstand (große Differenz
nach Schenk) muß so bemessen sein, daß es dem Schreiber möglich ist, zu
schreiben, ohne die Kreuzstütze zu verlassen. Die Lehne soll sich unterhalb
des Kreuzstützpunktes mit einer dem oberen G^säßteil angepaßten Höhlung
fest an das Sitzbrett anschließen. Für jeden Schüler ist eine besondere Lehne
anzubringen. Der Sitzraum soll für jeden Schüler so breit bemessen sein, daß
Besprechmigen. 135
beim Auflegen der Unterarme auf die Tischplatte, parallel zur Tischkante, die
Spitzen der ausgestreckten Finger einer Hand die Handwurzeln der anderen
berühren. Die Tischplatte ist in der Neigung von y^ anzubringen.
Die zweite Gruppe der hygienischen Anforderungen bezieht sich auf
die sonstigen Momente, welche auf die Gesundheit des Kindes einwirken
können. Hier sind folgende Punkte in den Yorderg^rund zu stellen:
1. Die Möglichkeit zur gründlichen Reinigung des Fußbodens muß ge-
geben sein. Ein gleichzeitiges Hochheben der gesamten Subsellien wäre das
Ideale, läßt sich aber wegen der technischen Schwierigkeiten nicht möglich
machen. Es genügt jedoch auch das Umlegen der einzelnen Bank ;
2. das Schulgestühl soll mit einem geschlitzten oder gerillten Fußrost
versehen sein, um den Schmutz von dem Schuhwerk der Kinder entfernen zu
können, und um im Winter ein Naß- und Kaltwerden der Füße zu verhüten;
3. das Schulgestühl soll nicht mehr als zweisitzig sein, um eine gleich-
mäßige Verteilung der Kinder zu bewirken und dadurch einer Stagnation der
schlechten Luft vorzubeugen;
4. die für die Tagesbeleuchtung ungünstig gelegenen Arbeitsplätze, d. h.
die der innersten Sitzreihen, müssen an die Fenster herangerückt werden
können. Erforderlich für diesen Zweck sind zweisitzige Bänke mit verkürztem
Sitz, wodurch der Zwischenraum zwischen den Bänken eingeengt werden kann ;
5. zum Aufstehen soll das Kind ganz aus der Bank heraustreten. Hier-
bei tritt der Fuß des Aufstehenden auf den tiefer als das Fußbrett liegenden
Boden, wozu ein geringerer Kräfkeaufwand nötig ist, als wenn das Kind sich
auf dem Fußbrett aufrecht erheben muß. Ein den hygienischen Anforderungen
entsprechendes Gestühl soll in allen Teilen fest sein, mit einem für das
Schreibsitzen bemessenen Lehnenabstand. Gestühle mit beweglichem Lehnen-
abstand sind zu verwerfen, einmal wegen des unvermeidlichen Geräusches,
dann wegen der den Kindern gegebenen Gelegenheit zum Unfug und zuletzt
wegen der Möglichkeit einer körperlichen Verletzung der Kinder.
Br. Leo Bargerstein: 1. Gesundheitsregeln für Schüler und Schülerinnen
aller Lehranstalten. Zehnte, durchgesehene Auflage. Leipzig. Für das
Deutsche Reich in Kommission bei B. G. Teubner, 1905. 16 Seiten. 8*^.
Preis 10 Pfennige. 2. Zur h&uslichen Gesundheitspflege der Schul-
jugend. Bemerkungen für die Eltern und die Pfleger von Kostzöglingen.
Zehnte, durchgesehene Auflage. Leipzig. Für das Deutsche Reich in
Kommission bei B. G. Teubner, 1905. 16 Seiten. 8^ Preis 10 Pfennige.
Zwei ausgezeichnete Schriftchen sind es, die der Verfasser, der als Schul-
hygieniker in seiner Heimat und im ganzen gebildeten Ausland durch bahn-
brechende literarische Tätigkeit sich einen wohlverdienten Namen erworben
hat, hier der Öffentlichkeit übergibt. Beide Broschüren sind im amtlichen
Auftrage zum erstenmal in Wien herausgegeben und haben innerhalb Jahres-
frist nicht weniger als zehn Auflagen erlebt (die zehnte in Kommission bei
B. G. Teubner, Leipzig). In derselben Zeit sind sie in neun Sprachen übersetzt
worden, und von zwei solchen Ausgaben ist schon die zweite Auflage vorhanden.
In maßgebenden wissenschaftlichen Kreisen haben die beiden Werkchen eine
glänzende Beurteilung und Würdigung gefunden, die dem Verfasser zu aller
Ehre gereichen.
136 Besprechniigen.
Die erste der kleinen Broschüren richtet sich an die Schüler nnd Schule
rinnen und behandelt folgende Gegenstände : Tagesordnung, Bett, Klei-
dung, Essen und Trinken, Genußmittel, Zahnpflege, Atmung,
körperliche Bewegung, Hautpflege, Gesicht und Gehör, Körper-
haltung bei derLernarbeit und Vorsichten in bezug auf ansteckende
Krankheiten.
Die zweite Broschüre enthält beherzigenswerte Winke für das Elternhaus
in bezug auf die körperliche Förderung seiner Pflegebefohlenen und bietet eine
wertvolle Ergänzung des ersten Werkchens.
Verfasser hat es in geschickter Weise verstanden, nach Darstellungsweise
und Inhalt sich den Kreisen anzupassen, für die in erster Linie seine Rat-
schläge bestimmt sind. Schulleiter und Lehrerschaft sollten nicht versäumen,
ihre Zöglinge und das Elternhaus auf die beiden Broschüren aufmerksam zu
machen.
Dr. Martin Hartmanu: Die höhere Schule und die Gtosundheitspfleg^e.
Leipzig, B. G. Teubner, 1905. IV + 66. 8". Preis 1 Mk.
Verfasser gehört erfreulicherweise zu denjenigen Vertretern des akademisch
gebildeten Lehrerstandes, die, bei aller Inanspruchnahme durch die Fachwissen-
schaft und bei einer außerordentlich vielseitigen Wirksamkeit in derselben
auch nach außen hin, dennoch Zeit gefunden haben, den modernen Be-
strebungen auf dem Gebiete der Schulhygiene sich zuzuwenden. Seine kleine
Broschüre (als Vortrag gehalten am 6. April 1904 auf der 14. Hauptversamm-
lung des Sächsischen Gymnasiallehrervereins) ist ein Programm zu einer Schul-
reform im hygienischen Sinne, das so maßvoll gehalten ist, daß wir ihm im
Prinzip unsere Zustimmung ohne Bedenken erteilen können. Nach Ansicht
des Verfassers muß es als eine dringende Aufgabe bezeichnet werden, bald-
möglichst Veranstaltungen dafür zu treffen, daß die Lehrerschaft mit dem
Rüstzeuge der modernen Schulhygiene versehen werde, damit der Geist dieser
Wissenschaft den ganzen ünterrichtsbetrieb durchziehe und bei Schülern wie
Lehrern zur Erhöhung der Arbeitsfähigkeit, wie der Arbeitsfreudigkeit beitrage.
Vor allem ist es am Platze, schon den das Lehrfach Studierenden nachdrück-
lich nach dieser Seite hin zu lenken, und darum muß er im letzten Teile
seines Studium^ eine schulhygienische Vorlesimg hören, damit er wenigstens
die Elemente dieser so ungemein wichtigen Disziplin kennen lernt. Ernsthafte
Ergebnisse dieses Studiums werden allerdings nur erzielt werden, wenn auch
in der Staatsprüfung ein Ausweis über die Beschäftigung mit Schulhygiene
verlangt wird, denn was nicht geprüft wird, das scheint vielen Studierenden
nur zu leicht als quantit^ nägligeable. Femer würde es gut sein, auch die
im Amte befindlichen Lehrer in Kursen durch Wort und Scbrift für die Sache
zu interessieren. Neben solchen Kursen ist aber auch das Privatstudium von
Wichtigkeit, und dazu ist vor allem durch die Lehrerbibliotheken Gelegenheit
zu geben.
So dringend notwendig es auch sein mag, die Lehrerschaft durch die
Schulhygiene zu interessieren, darüber darf man sich nicht täuschen, daß das
Wirken auch des hygienisch gebildeten Lehrers allein noch nicht ausreicht,
darum muß diesem der Arzt (Schularzt) zur Seite treten als der berufsmäßige
Hüter und Wächter der Gesundheit. Die höhere Schule hat alle Ursache, die
Besprechnngen. 137
Einrichtung des Schularztes herbeizuwünschen und dafür einzutreten. In erster
Linie hätte es dieser mit der Revision der Schulbaulichkeiten und ihrer
neueren Einrichtung zu tun, einschließlich der Turnhallen, und hier könnte er
für uns ein äußerst wertvoller Bundesgenosse werden. Abgesehen davon hat
es der Schularzt auch mit der sanitären Überwachung der Schüler zu tun.
Von ganz besonderer Wichtigkeit erscheint Verfasser die hygienische Belehrung,
die der Schularzt in gewissen Dingen besonders den Schülern der oberen
Klassen wirksam erteilen könnte. Verf. denkt hier namentlich an hygienishe
Belehrung über die verhängnisvollen Gefahren, die der Jugend durch sexuelle
Ausschreitungen irgendwelcher Art drohen. Femer könnte dem Schularzt die
Ausbildung älterer Schüler im Samariterdienste übertragen werden.
Auch seitens der Lehrerschaft müßte den Schülern hygienische Unter-
weisung zuteil werden und zwar auf allen Klassenstufen von unten angefangen.
Verfasser will nicht der Einfügung eines neuen Faches in den Lehrplan der
höheren Schulen das Wort reden, er verlangt nur eine gelegentliche Belehrung
im Anschluß an besondere Vorkommnisse oder an besonders geeignete Unter-
richtsstoffe. Die Ordinarien, namentlich die der unteren Klassen könnten hier
eine sebr fruchtbare Tätigkeit entfalten. Daß die Lehrer selbst in ihrem
ganzen Handeln und Verhalten hygienisch möglichst vorbildlich auf die Schüler
einwirken sollen, braucht nicht erst bewiesen zu werden.
Besonders dringend nötig ist es, daß die Jugend der höheren Schulen
über die Gefahren des Alkoholismus aufgeklärt werde.
Daß bei der hygienischen Erziehungsfrage nicht bloß die Schule in Betracht
kommt, sondern daß hier auch das Haus ein schwerwiegender Faktor ist, ist
selbstverstän dlich.
Ein weiteres Glied in der Kette der so dringend benötigten Reformen
würde die Anstellung eines vortragenden schulhygienischen Rates am Sitze der
Zentralbehörde sein. Er wäre gleichsam ein Zentralorgan der Gesundsheits-
pflege, von dem bedeutsame Anregungen nach allen Seiten ausgehen würden.
Jede Lehr- und Prüfungsordnung hätte er vor ihrer Veröffentlichung vom
schulhygienischen Standpunkte aus zu begutachten und die im Texte dieser
Ordnungen von ihm gegebenen Hinweise würden für die gesamte Lehrerschaft
eine gewichtige Mahnung zu sorgsamer Beachtung der gesundheitlichen Ge-
sichtspunkte sein. Auch die Stundenpläne der einzelnen Schulen würde er
vom hygienischen Standpunkte aus zu prüfen und Änderungen da zu verlangen
haben, wo es angezeigt wäre. Ein anderer wichtiger Teil der Funktionen
dieses Rates würde ferner die periodisch vorzunehmende hygienische Inspektion
der Schulen sein. Auch zu den Plänen neuer Schulbauten würde er gutacht-
lich sich zu äußern haben. Dem hygienischen Rate würden natürlich auch
die Schulärzte unterstellt sein. Endlich würde der Rat auch die berufene
Persönlichkeit sein, der man die Leitung schulhygienischer Fortbildungskurse
für die Lehrer unserer höheren Schulen anvertrauen könnte.
So weit die Vorschläge des Verfassers.
Wir wollen nicht versäumen, der akademisch gebildeten Lehrerschaft die
Lektüre der Hartmannschen Arbeit aufs wärmste zu empfehlen.
138 Kleinere Mitteilungen.
YII. Kleinere Mitteilnngen.
— Der Sohularst tdr höhere Lehranstalten, eine notwendige ISr-
gänzung unserer Sohulorganisation. Auf Einladung des Vorstandes des
Leipziger Vereins fiir Schulgesundheitspflege wird Prof. M. Hartmann dem-
nächst einen Vortrag über obiges Thema halten. Im Hinblick darauf ver-
öffentlicht er schon jetzt im Pädagog. Wochenblatt, 1906, Nr. 47 die dazu ge-
hörigen Leitsätze, und wurde es im Interesse der Sache sehr begrüßen, wenn
man sie der öffentlichen Erörterung für wert halten wollte. Der Vortrag selbst
erscheint in Qerths Neuen Jahrbüchern für Pädagogik (B. G. Teubner).
Leitsätze:
I.
Die Schularzteinrichtung, die sich für Volksschulen als heilsam er-
wiesen hat, so sehr sie auch noch weiter vervollkommnet werden muß, ist
auch für höhere Lehranstalten als ein Bedürfnis anzuerkennen.
U.
Die Schüler der höheren Lehranstalten, die länger und stärker in
Anspruch genommen werden müssen als die Volksschüler, überdies aber
zum großen Teile in dem so kritischen Lebensalter der Pubertätsentwick-
lung stehen, sind nicht minder schwerwiegenden, wenn auch oft anders ge-
arteten Störungen der Gesundheit ausgesetzt als die Volksschüler, und
genießen durchaus nicht regelmäßig vorbeugende ärztliche Überwachung.
m.
Eltern sowohl als Lehrer haben ein großes Interesse an der Eingliede-
rung des Schularztes in den Organismus der höheren Lehranstalt, als an einer
Beform, die nicht nur dazu dient, die Gesundheit unserer Jugend zu
bewahren und zu fördern, sondern die auch die Arbeit der Lehrer
überaus wirksam unterstützen würde und schließlich nicht ohne Einfluß auf
die Hebung der allgemeinen Lage des höheren Lehrerstandes
bleiben könnte.
IV.
Die Stellung des Schularztes an der höheren Lehranstalt ist aufzufassen
als die eines unter der Autorität der Schulleitung wirkenden sachver-
ständigen Beraters in allen mit der Hygiene zusammenhängenden Fragen des
Schullebens.
V.
Die allgemeine Aufgabe des Schularztes an der höheren Lehranstalt be-
steht nicht in der ärztlichen Behandlung der Schüler, die nach wie vor Sache
des Haus- oder Sache des Spezialarztes bleibt, sondern in der hygienischen
Förderung der gesamten Schulgemeinschaft.
Seine Tätigkeit erstreckt sich besonders auf folgende Pxmkte:
Kleinere Mitteilungen. 139
a) die hygienische Überwachung des Schulgebäudes und seiner Ein-
richtungen,
b) die Überwachung des Gesundheitsstandes der Schüler, unbeschadet der
dem Bezirks- oder Kreisarzte zustehenden Befugnisse,
c) die Begutachtung Ton Gesuchen um Dispens von einzelnen Unterrichts-
fUchem und yon Gesuchen um Ferienverlängerung, sowie in zweifelhaften
Fällen die Begutachtung von Gesuchen um Zulassung zum fakultativen
Unterricht.
Als wünschenswert und überall da berücksichtigenswert, wo die Aus-
führung möglich ist, erscheint eine Tätigkeit des Schularztes auch nach folgen-
den Seiten:
d) die hygienische Belehrung der Schüler, namentlich der älteren, in
allen für ihre Entwicklung bedeutsamen Fragen,
e) die hygienische Anregung und Aufklärung der Erziehungspfiichtigen,
auf deren tätige Mitwirkung und Unterstützung nicht verzichtet werden kann.
Über seine Amtsführung erstattet der Schularzt alljährlich einen Bericht.
VI.
So wie die Verhältnisse zur Zeit liegen, ist nicht zu wünschen, daß die
Schularzteinrichtung mit einem Male für alle höheren Lehranstalten eines
Bezirkes ins Leben tritt, vielmehr sollten zunächst einzelne Anstalten,
bei denen günstige Bedingungen für den Erfolg gegeben sind, gleichsam als
Pioniere vorangehen, und erst auf Grund ihrer Eifahrungen würde später eine
allgemeine Organisation zu schaffen sein. Für den Anfang ist es vor allem
wichtig, daß einerseits die Einrichtung zuerst an solchen Schulen zur Einfüh-
rung kommt, wo das Lehrerkollegium sich freundlich dazu stellt und
geneigt ist, sie nach Kräften zu fördern, und daß andererseits die Persön-
lichkeit des Schularztes alle wünschenswerten Bürgschaften für ein ge-
deihliches Zusammenwirken mit der Lehrerschaft bietet. Je harmonischer
Schularzt und Lehrer zum Wohle der Jugend zusammenarbeiten, um so wert-
vollere Dienste wird die Einrichtung leisten.
VII.
Die Einfuhrung des Schularztes an höheren Lehranstalten bedeutet nicht
nur für diese selbst, sondern für das Volkswohl überhaupt einen wich-
tigen Fortschritt, insofern sie ein Mittel ist, die auf diesen Schulen vor-
gebildeten Kreise von vornherein für die Sache der Gesundheitspflege zu
interessieren und durch sie wiederum auf weitere Volksschichten hygienisch
einzuwirken.
— Gl^w&hrang von warmem Frühstüok für Sohulkinder von Land-
gemeinden. Die Neuen Hess. Volksblätter erhalten aus Gießen (Oberhessen)
folgende Mitteilung (vom 28. Sept. 1905). Die in der Stadt Gießen seit
mehreren Jahren erfolgte Gewährung von warmem Frühstück — je V* Liter
Milch und 1 Brödchen — an bedürftige Schulkinder scheint auch auf das
Land ausgedehnt werden zu sollen. Die Kreisschulkommission des Kreises
Gießen hat die Schulvorstände der Landgemeinden zum Bericht mittels Frage-
bogen aufgefordert, das etwa nötige Material einzusenden, um danach prüfen
zu können, ob für die Landgemeinden ein Bedürfnis für diese Einrichtung
140 Kleinere Mitteilnngen.
Yorlie^. In Gießen wnrden die Mittel bisher dnrch private Wohltätigkeit
aufgebracht.
— Anleitung der Jugend zum Schneesohuhlauf. Der Thüringer
Wintersport -Verband zu Oberhof hat folgende Leitsätze, betreffend ' die Ein-
führung des Schneeschuhlaufens bei der Jugend, beschlossen:
I. Zur körperlichen Erziehung und gesundheitlichen Erfrischung unserer
Jugend bedarf es in Hinblick auf die hohen Anforderungen, welche die Neu-
zeit an die Gesundheit und zumal an die Nerventätigkeit stellt, einer immer
weiteren Ausbildung auch der winterlichen Leibesübungen und bei uns im
Gebirge insbesondere der Pflege des Schneeschuhlaufens. Es genügt
nicht, daß in den Sommermonaten geturnt, gespielt, gerudert und ge-
schwommen wird, der jugendliche Körper muß auch im Winter durch
Leibesübungen im Freien gestärkt und gestählt werden. Hierzu eignet sich
in hervorragender Weise das Schneeschuhlaufen. Es bietet Gelegenheit zu
weiten Wanderungen in die winterliche Pracht unserer herrlichen Wälder, er-
hebt das Gemüt, schult die leiblichen und geistigen Kräfte und läßt den Körper
den gesundheitlichen Wert der frischen, Haut- und Nerventätigkeit anregenden
Winterluft wohltuend empfinden. Das Schneeschuhlaufen ist bei verständiger
Anleitung und richtiger Übung mit keinen Gefahren für die Gesundheit ver-
bunden.
n. Es ist daher dringend erwünscht, daß seitens des Thüringer
Winter- Sport-Verbandes die thüringische und die Thüringen benachbarte Jugend
und zwar sowohl die Schuljugend als die schulentlassene Jugend zum
Schneeschuhlaufen angeregt wird.
Hierzu sind geeignet:
1. Die Aufforderung in den Tagesblättem und Zeitschriften und speziell
an die Schulbehörden, die Schulleiter, sowie an die Turn-, Sport- und Spiel-
vereinigungen, die Vorstände der Vereine zur Pflege der Jugendfürsorgebestre-
bungen usw., das Schneeschuhlaufen, soweit irgend tunlich, in die Reihe der
im Literesse der körperlichen Erziehung der Jugend und bei der schulent-
lassenen Jugend auch im Interesse einer rechten imd echten Ausfüllung ihrer
Mußestunden zu pflegenden Leibesübungen aufzunehmen bezw. zu empfehlen.
2. Die Bezeichnung der Stellen, welche Auskunft erteilen über alle Fragen
des Schneeschuhlaufens, insbesondere über die Bezugsquellen fSr billige und
zweckmäßige Schneeschuhe.
3. Die Ausarbeitung einer kurzen Anleitung, betreffend die Anforderungen,
welche an einen guten Schneeschuh je nach Zweck und Gelände zu stellen
sind, sowie die Erlernung des Schneeschuhlaufens, und eine Massenverteilung
dieser Anleitung.
4. Die Entsendung geeigneter Mitglieder des Verbandes oder der von
diesem angenommenen Lehrmeister nach Bedarf behufs Belebung des Schnee-
schuhlaufens durch persönliche Einwirkung.
5. Die Angliederung von beitragsfreien Jugendabteilungen an die
Ortsgruppen des Verbandes.
6. Die Veranstaltung kleinerer lokaler Winterfeste mit Schneeschuhlaufen
für die Jugend.
7. Die Zulassung der Jugend zu Preislaufen bei dem Wintersportfeste des
Verbandes unter sachgemäßer Erleichterung der Anforderungen.
Kleinere Mitieiliuigen. 141
8. Die Wahl von dauerhaften und zweckmäßigen Schneeschuhen bei Aus-
Betzung von Prämien bezw. Preisen bei Schulfeiern und Tum- und Spielfesten
der Jugend.
— Über eine Epidemie von Tremor hystericus unter Mädchen einer
Töchterschule schreibt der Basler Schularzt Professor Dr. Burkhardt: ,,Die
Epidemie entstand im Februar 1904 in der Töchterschule und erlosch erst
nach verschiedenen Schwankungen gegen Ende des Jahres. Es wurden im
ganzen etwa 200 Mädchen befallen, die Mehrzahl davon sehr leicht. In der
Mädchensekundarschule zeigten sich die ersten Fälle im Juni, aber schon am
16. Juli war die Epidemie ganz und für immer zu Ende. Es waren im ganzen
27 Fälle. Die Yenchiedenheit der Intensität und die Dauer der Epidemie in
den beiden Schnlanstalten mag zum Teil darin ihren Grund haben, daß die
Mädchen der Töchterschule mehr zu Nervosität und Verzärtelung geneigt sind
als die etwas robusteren und einfacheren Sekundarschülerinnen. Vielleicht
werden an die Mädchen der Töchterschule auch etwas höhere Anforderungen
gestellt. Wichtiger ist es, daß in der Sekundärschule von Anfang entschiedener
und ohne alle Nebenrücksichten eingeschritten werden konnte als in der
Töchterschule. Vor allem war es in der Sekundärschule von durchschlagendem
Erfolge, daß diejenigen Mädchen, welche über die Zeit ihrer Eürankheit zu
Hause geblieben waren, bei ihrer Rückkehr in die Schule nicht in die gewöhn-
liche Klasse unter die gesunden Kinder aufgenommen vnirden, sondern zu be-
sonderen Sammelklassen vereinigt wurden, woselbst die häufig vorkommenden
Rückfälle durch eine zweckdienliche Beeinflussung im Keime erstickt und
die intakt gebliebenen Mädchen nicht durch physische Kontagion gefährdet
wurden. Der Schularzt hat auch in der Töchterschule von Anfang an ge-
wünscht, daß die Rekonvaleszenten in derartigen Isolierklassen vereinigt würden.
Allein es standen keine Lokalitäten zur Verfügung. Erst später (im Juni) trans-
ferierte man die am schwersten betroffenen Klassen in toto in das Schwarzsehe
Schulhaus, was einen entschieden günstigen Erfolg hatte. Man wird sich die
Erfahrung zunutze machen müssen, wenn sich je vrieder ähnliche Erkrankungs-
fälle zeigen sollten.*^ (Basler Zeitung.)
— Die Ausstellung für Sohulhygiene in Hannover, welche durch
den Ausschuß für Schulhygiene in Hannover fertig gestellt und am 3. Oktober
eröffnet wurde, umfaßt das gesamte Gebiet der Schulhygiene. Sie ist in
folgende Gruppen eingeteilt: A. Das Schulgebäude und seine Nebenanlagen.
1. Schulbauten der Stadt Hannover (Schulbezirke, Ansichten und Grundrisse,
Schulhof, Vorgarten, Treppen, Gänge, Aborte, Heizung, Brausebad, Bewässerung
und Entwässerung). IL Schulpavillons und Schulbaracken. 111. Heizung
(1. Lokalheizung, 2. Zentralheizung, 3. Allgemeines). IV. Verschiedenes (Matten,
Trinkbecher, Spucknäpfe usw.). B. Das Schulzimmer. I. Das Musterschul-
zimmer. IT. Lüftung (1. Beschaffenheit der atmosphärischen Luft. 2. Luftkubus.
3. Luftprüfer. 4. Untersuchungen. 5. Messungen). 3. Beleuchtung (1. Orien-
tierung Hannoverscher Schulen und Klassen. 2. Boden- und Fensterfläche.
3. Öfinungswinkel. 4. Beleuchtungsmesser. 6. Messungen). IV. Bänke und
Zeichentische. V. Bakteriologische Untersuchungen. VI. Infektionskrankheiten.
C. Der Unterricht. I. Hygiene des Unterrichts. 1. Das normale Kind (Größe,
Gewicht, körperliche und geistige Entwicklung, Krankheit und Sterblichkeit).
2. Kind und Unterricht (Einfluß des Unterrichts, Ermüdungsmessungen, unge-
142 Kleinere Mitteilongem.
teilte Schulzeit, Stundenplan, Schädigung durch Sitzarbeit, Sehleistungen).
3. Leibesübungen (Turnen und Spiel, Ferienspiele, Schwimmen). 4. Erste Hilfe-
leistung. 5. Heilpädagogik. 6. Das anormale Kind. 7. Schularzt. H. Unter-
richt in der Gesundheitslehre. 1. Modelle und Wandtafeln für den Unterricht
in der Menschenkunde. 2. Tafel für die erste Hilfeleistung. 8. Nahrungs-
mittel- und Haushaltskunde. 4. Frauenbekleidung. 6. Alkoholfrage. 6. Ver-
suche zur Menschenkunde und Gesundheitslehre (dargestellt in Apparaten und
Ergebnissen YOn Oskar Prasse, Lehrer in Leipzig).
— Orthop&disoher Tumunterriolit in den Schulen. Eine wichtige
sozialhjgienische Einrichtung wird an den Schöneberger Gemeinde-
schulen getroffen werden. Auf Anregung der Schulärzte ist von der Schul-
deputation sowie vom Magistrat die Einführung des orthopädischen Turnunter-
richts für solche Kinder beschlossen worden, die namentlich Bückgratsver-
krmnmungen aufweisen, deren Leiden sich aber noch im Anfangsstadium be-
findet, so daß eine Heilung zu erwarten steht. Der Koltusminister hat der
Einführung des orthopädischen Turnunterrichts im Prinzip zugestimmt und ge-
nehmigt, dafi dafür nach Bedarf einige andere technische Unterrichtsfächer
gekürzt werden dürfen. Um den Unterricht, der bereits mit dem 1. April n. J.
aufgenommen werden soll, erteilen zu können, werden zwei Lehrer und eine
Lehrerin bei Prof. Dr. Joachimsthal, dem Dozenten far orthopädische Chirurgie
an der Universität, ausgebildet werden. (Berliner Morgenpost.)
— Bei einer vom Kaiserl. Bezirkspräsidenten angeordneten UnterBUohiing
der Zähne der Sohulkinder in den Gemeinden Saarburg und Nieder-
weiler stellte der untersuchende Arzt fest, daß 96 Proz. der Schulkinder in
Saarburg und 90 Proz. derjenigen in Niederweiler kranke Gebisse hatten. In-
folge dieses Ergebnisses wird nun in Saarburg eine Zahnklinik errichtet, die
die Zähne der Schulkinder auf Gemeindekosten regelmäßig untersuchen soU.
(Saarbrückener Zeitung.)
— Ferienwanderungen der VolksBohüler, die in diesem Sommer zum
erstenmal versuchsweise der Deutsche Verein für Volkshygiene, Orts-
gruppe Berlin (e. V.), durchgeführt hat, haben in jeder Beziehung einen aus-
gezeichneten Erfolg gehabt. Es wanderten 100 Schüler im Alter von 12 bis
14 Jahren in Gruppen von 20 unter Führung je eines Lehrers, und in sechs-
tägiger Wanderfahrt besuchten die Knaben die Sächsische Schweiz, die Meck-
lenburgischen Seen, Hamburg und seine Umgebung (wo durch die Güte des
Norddeutschen Lloyd eine Seefahrt gemacht wurde) und die heimische Mark
bis hinauf zur Seeküste. Mit Ausnahme von Mecklenburg fanden die Knaben
bei der Bevölkerung freundliche Aufnahme und mancherlei Unterstützung, und
sie sind trotz fast täglichen Marsches körperlich und geistig gekräftigt und
erfüllt mit neuen Eindrücken nach Berlin zurückgekommen. Sie haben unter-
wegs durch ihr bescheidenes und kameradschaftliches Verhalten, aber auch
durch ihre offene Heiterkeit und durch ihre Berliner Schlagfertigkeit überall
den besten Eindruck zurückgelassen und ihren führenden Lehrern für deren
aufopferungsvolle Mühe den aufrichtigsten Dank gezeigt.
(Berliner Börsenkurier.)
ZeitschrifbeDrundschau. ^ j^^S
Vin. Zeitschriftenrnndschan.
Die mit * bexeichneten Zeitschriften wurden der Bedaktion mgeeandt.
* Internationales Arohiv für Schulhygiene (Engel mann -Leipzig):
1905, Bd. I, 4. Heft: Dr. Carlo Ferrai: Ricerche comparative di Psicologica
sperimentale sni Sordomuti; Domitrovich: Le banc dMcole en Allemagnev
et 8on ätat actuel; Dr. med. Lann: Soll man die SteilBchrift aus der Praxis
verbannen? ZoUinger: Sechste Jahresversammlong' der schweizerischen Ge-
sellschaft für Schulgesundheitspflege in Luzem, 14. und 16. Mai 1905. Zol-
linger: Fünfte Schweizerische Konferenz für das Idiotenwesen in St. Gallen.
Das SohulhauB (Karl Vanselow, Schulhausverlag, Berlin -Tempelhof)
1906. 7. Jahrgang. Heft 7/8: Beermann, Sicherung der Bremischen Schulen
gegen Feuersgefahr; Neubau einer Volksschule für Lockwitz (Bez. Dresden);
Lindemann: Die Lehrwerkstätte an den gewerblichen Bildungsanstalten;
De lins: Über die Behandlung der Wandflächen in den Unterrichtsräumen
unserer höheren Schulen; Über die Anlage der Schultumräume (nach einem
Vortrage von Prof. Glas -Wien); Sechste Jahresversammlung der Schweizerischen
Gesellschaft für Schulgesundheitspflege. Heft 9: Fintelmann: Über den Wert
imd die Entwicklung von Schulgärten; Neubau eines Zentralschulhauses zu
Weißenburg i. B.; Bernhard i: Herzogliches Lehrerseminar zu Altenburg.
Heft 10: Lux: Über das Schulhaus in Österreich; Handwerker- und Eunst-
gewerbeschule in Bromberg; Ein neues Schulgebäude in Büdingen (Oberhessen);
Entwürfe eines neuen Schulgebäude« für Friedrichshafen am Bodensee; Schul-
bäder in Basel.
*Da8 Sohulzimmer (Verlag Jobs, Müller-Berlin) 1905, Heft 3: Ab-
handlungen von Otto Hack: Der Zeichensaal in neuzeitlicher Ausstattung;
Nohl: Phjsikklasse mit ansteigendem Fußboden; Zollinger: Sechste Jahres-
versammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege in
Stuttgart; Ausstellung moderner Schulzimmereinrichtungen; Eine Schulbank-
geschichte von 1781.
Schweizerisohe Blätter für Schulgesundheitspflege und Kinder-
schutz (UI. Jahrgang. 1905). Heft 6: Jugendfürsorge in Dänemark; Enseigne-
ment antialcoolique ; Amtliche Erlasse. Heft 7: Siebente Jahresversammlung
der SchweizeriBchen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege ; Amtliche Erlasse.
Heft 8: Sechste Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege in Stuttgart; zwei schweizerische Versanmilungen zur
Behandlung von Fragen der Blinden- und Taubstummenfürsorge; Zur Kritik
meines Referates „Die Schul arztfrage auf Grund bisheriger Erfahrungen" von
Dr. Fr. Stocker. Heft 9: Conclusions et Voeux vot^s par le deuxi^me Con-
grha d'Hygi^ne scolaire et de Pedagogie physiologique ä Paris 11 — 13 Juin
1905; Sechste Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege in Stuttgart (Schluß). Erwiderung (von Dr. Kraft).
Die Qesundheits warte der Schule (Otto Nemnich- Leipzig). No. 7:
Stadtschulinspektor Müll er- Wiesbaden: Was können Lehrer und Lehrerinnen
tun, um die Entwicklung und das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei ihren
144 Bibliographie.
Kindern zu verhüten und die Augen derselben au echäifen?; Oberbürger-
meister Geheimrat P ab et- Weimar: Fiirsorge der Städte für kränkliche bezw.
mit fehlerhaften Anlagen behaftete Schulkinder; Die Sophienhöhe bei Jena
vom Schriftleiter. No. 8: Stadtachulinspektor Müller- Wiesbaden (Fort-
setzung und Schluß); Große Männer, kleine Rekniten, vom Redakteur; Der
Sechste Kongreß des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege in Stutt-
gart, vom Schriftleiter; Karl Schwarz-Chemnitz: Waldschulen. No. 9:
Baur: Der Handfertigkeitsunterricht an Schulen im Dienste der Samariter-
hilfe; Krumholz -Wien: Die Infektion durch Tuberkulose in den Lehrsälen
der Normalschulen. Otto Majer-Mannheim: Die Stellung des Handarbeita-
Unterrichts in der Hilfsschule. No. 10: Thierak- Nordhausen: Sprack-
gebrechen. Karl Schwarz- Chemnitz: Die Bestrebungen des Lebensheimer
Erziehungs Vereins; Georg Büttner -Worms: Beobachtungen über körperliche
Rückständigkeit bei geistiger Schwäche; Ed. Schulze-Halle a. S.: Eine Aus-
stellung von Lehrmitteln für Menschenkunde und Gesundheitslehre. No. 11:
Medizinalrat Dr. Hensgen- Siegen: Wie kann die Schule mitwirken zum
Schutze gegen die Verbreitung der Tuberkulose? Dr. Kali scher- Schlachten-
see-Berlin: Über tik-artige Bewegungen bei Kindern; Ohnmacht, Hitzschlag,
Fallsucht und elementare Schläge, vom Redakteur.
Vierteljahrsschrift für körperliohe Erziehung (Organ des Vereins
zur Pflege des Jugendspiels in Wien, im Selbstverlag des Vereins). 1906.
Heft 3. Dr. L. Burgerstein: Ho&at Dr. med. Paul Schubert; Hans Wehr:
Tumpädagogik und wissenschaftliche Pädagogik; Dr. V. Pimmer: Die Ferien;
J. Hausmann: Über das Bedürfnis einer fachmännischen Tuminspektion;
Rickmers: Der Skilauf; Theodor Fischer: Rundball; Dr. V. Pimmer: Die
Verwendung von Armeezelten bei Schülerausflügen und Reisen.
IX. Bibliograpliie.
Die mit * bezeichneten Bücher usw. wurden der Redaktion zur Besprechung
eingesandt.
Ammon, D.: Geheime Sünden unter der Jugend beiderlei Geschlechts.
1905. Ascona, C. v. Schmidtz. M. 0,60.
Axenfeld, Prof.: Blindsein und Blindenfürsorge. Prorektorats-Rede. 1906.
Freiburg i. B., Universitätsbuch dr. ü. Hochreuter. M. 1, — .
Baldrian, K., Hauptl.: Entwurf eines Planes für Spaziergange, Ausflüge usw.
mit taubstummen Zöglingen. Jahresbericht der niederösterr. Landes-Taub-
stunmienanstalt Wien-Döbling. 1905. 20 S.
Baur, A. , Dr. u. E. Fischer: Anatomisch-hygienisches ünterrichtswerk. 1906.
Leipzig, Leipziger Schulbilderverlag u. F. E. Wachsmuth. M. 1,40.
Baur, A., Dr.: Gesundheitspflege fürs Haus. 13.— 18. Lfg. 1905. Eßlingen,
Schreiber. Je M. 0,60.
*Ders.: Schulgesundheitsregeln für Lehrer. 1906. München, Seitz & Schauer.
M, 0,60.
*Ders.: Schulgesundheitsregeln für Eltern bei Erziehung der Schulkinder.
1905. München, Seitz & Schauer. M. 0,60.
Bibliographie. 145
^Ders.: GresuDdheitsregeln für Schnlkinder. 1906. München, Seitz & Schauer.
M. 0,60.
Bausteine, pädagogische. Flugschriften zur Kenntnis d. pädag. Bestrebungen
d. Gegenwart. 26. Heft. Köhler, Dr.: Zur Einführung in die experi-
mentelle Psychologie. 2 Vorträge. 1906. Berlin, Gerdes & Hödel. M. 0,60.
Beiträge zur Einderforschnng und Heilersiehung. Beihefte zur Zeitschrift für
Einderforschung. 12. Heft. Polligkeit: Strafrechtsform und Jugend-
fürsorge. 1906. Langensalza, H. Beyer u. Söhne. M. 0,60.
Bericht üb. d. 6. Yerbandstag der Hilfsschulen Deutschlands zu Bremen am
26.-27. April 1906; erstattet von Stadtschulrat Dr. Wehrhahn und Rektor
Henze. 1906. M. 2,—
Bondi, Dr., Augenarzt: Schule und Auge [Wiener Klinik XXXI; 1. Heft],
1906. Berlin u. Wien, Urban & Schwarzenberg. M. 1,
Borchardt, Julian: Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen? 1906.
Berlin, Buchh. Vorwärts. M. 0,30.
^Buchhold, Otto, Dr. Sanitätsrat: Jahresbericht über die schulärztliche
Tätigkeit in den Mittel- und Stadtschulen dei* Haupt- und Residenzstadt
Darmstadt im Schuljahr 1904/06.
Canon, Dr.: Die Bakteriologie des Blutes bei Infektionskrankheiten. 1905.
Jena, G. Fischer. M. 6,—, geb. M. 6,—.
•Chemnitz. Vierter Bericht der Schulärzte der Stadt Chemnitz. Sonder-
abdruok ans dem Verwaltungsbericht der Stadt Chemnitz vom Jahre 1904.
Cohn, Hermann: Erinnerungen an gemeinsam mit Prof. y. Mikulicz gemachte
schulhygienische Beobachtungen. Sonderabdruck aus „Allg. Med. Central-
zeitung*' 1906, Nr. 26.
Deuxi^me Congr^s international de T^ducation physique de la
jennesse. Liäge, du 28 aoüt au 1 ' Sept. 1906. Reglement et Rapports
pr^eminaires. Liäge 1906.
Diokmann, Agnes, u. Helene Löhr, Tumlehrerinnen: Der Turnunterricht für
Mädchen der ersten beiden Schuljahre. S6 Sing- und Bewegungsspiele er-
probt und zusammengestellt. 1906. Hannover, C. Meyer. M. 0,60..
Dietz, Ludw., Ingen.: Über Heizung und Lüftung der Schulräume. [Aus „Das
Schuhsimmer.] 1906. Charlottenburg, P. J. Miller & Co. M. 0,60.
Domitrovich, Armin ▼., Dr. Rieh. Greef: Augenärztliche und hygienische
Schuluntersnchungen. Sonderabdruck aus dem techn. Gemeindebl. 1906.
Nr. 9 u. 10.
♦Dreyfuß, J., Dr.: Das Wesentliche der Schularztfrage. 1906. Frankenthal,
L. Göhring & Co. M. 0,60.
Dubois, Paul, Dr. Prof.: Über den Einfluß des Geistes auf den Körper. 1905.
Bern, A. Franke.
Eckardt, Fritz: ünterrichtsformen für das Turnen, insbesondere für den Be-
trieb der Yolkstümlichen Übungen. Monatsschrift für das Tumwesen.
XXIV Jahrg., Heft 7—9.
Engelsperger, Alf., u. Ziegler, Dr.: Beiträge zur Kenntnis der physischen
und psychischen Natur des sechsjährigen in die Schule eintretenden Kindes.
I. Anthropometr. Teil. Die experimentelle Pädagogik, herausgeg. von Lay
u. Meumann. 1906. I. Bd., Heft S/4.
Fricker, Turnlehrer: Reigen für Knaben und Mädchen. 1906. Aarau, E. Wirz.
M. 1,60.
*Gaadig., Prof. Dr.: Ein Fortbildungsjahr für die Schülerinnen der höheren
Mädchenschule. Bemerkungen zu der diesjährigen in Leipzig abgehaltenen
Versammlung des Vereins für das höhere Mädchenschulwesen im König-
reich Sachsen. [Aus: „Frauenbildung**.] 1906. Leipzig, B. G. Teubner.
M. 1,60.
Gesunde Jngend. Y. 5/6. 10
146 Bibliographie.
Gesandheitsbücfalein. Gemeinfafiliche Anleitung snr Gesondheitflpflege.
Bearb. im Eaiserl. Gesundheitsamt. Mit Abbild, im Text u. 3 färb. Taf.
11. Ausg. 1906. Berlin, Springer. Kart. M. 1, — , geb. in Leinw. M. 1,25.
Gesundheitsregeln f. d. Schuljugend. Plakat. Berlin, K. Schoetz. M. 0,10.
Graf, W., Dr.: Die Hustenkrankheiten. Bachen-, Kehlkopf-, Bronchialkatarrh,
Lungenentzündung, Keuchhusten, nervöser Husten, Influenza. Ihre Ursachen,
Wesen und Behandlung. Allgemeinverständlich dargestellt. 1906. Berlin,
H. Steinitz. M. 1,50.
Greef, Bich., Dr.: Augenärztliche und hygienische Schulnntersuchungen.
Sonderabdruck aus dem Klein. Jahrb, 1904, Bd. 13.
Grittner, H. u. F. Schmale: Praxis des Turnunterrichts. AusgefcLhrter Lehr-
plan mit zahlreichen Übungsgruppen u. Abbildungen. Für Volksschulen,
sowie für untere und mittlere Klassen höherer Lehranstalten auf Grund der
neuesten amtlichen Bestimmungen in Preußen. 2. Aufl. 1905. Biele-
feld, Yelhagen & Klasing. Geb. M. 2,40.
Grub er, Ob.-Med.-R. Prof. Dr.: Schulärzte. Sammelreferat, hervorgeg. aus d.
Tätigkeit der Schularztkomm. d. ärztl. Bezirksvereins München. 1905.
München, Seitz & Schauer. M. 1, — .
Gurlitt^ Ludw : Der Deutsche und seine Schule. Erinnerungen, Beobach-
tungen und Wünsche eines Lehrers. 1905. Berlin, Wiegandt & Grieben.
M. 2,—, geb. M. 3,-.
Hagmann, J. G.: Zur Reform eines Lehrplanes der Volksschule. 2. Aufl.
1904. St. Gallen, Fehr. M. 1,—.
Hamm, Dr.: Zur Staubbeseitigung in Schulen u. and. öffentlichen Gebäuden.
1905. Monatsbl. f. öff. Gesundheitspfl. Nr. 7 u. 8.
Hermann, A.: Handbuch der Bewegungsspiele für Mädchen. Kleine Schriften
des Zentralausschusses zur Förderung der Volks- und Jugendspiele in
Deutschland. Bd. 3. 1905. Leipzig, B. G. Teubner. M. 1,80.
^Hofmann, Otto, Oberlehrer Dr.: Schu^ugend und Elternhaus. Programm-
abhandlung des Katherineums in Lübeck. 1904.
.Hübner, Dr.: Die Aufgaben des Schularztes in augenhjgienischer Hinsicht.
1906. Reichs-Mediz.-Anz. Nr. 5.
Hughes, Henry, Dr.: Lehrbuch der Atmungsgymnastik. 1905. Wiesbaden,
J. F. Bergmann. M. 4,—.
Igl, Dr. med.: Vierter Bericht über die Tätigkeit der städtischen Bezirksärzte
in Brunn als Schulärzte für das Jahr 1904. 1905. Brunn.
* Jessen, Dir. Prof. Dr., Kreisschulinsp. Th. Motz u. Beigeordn. Reg.- Ass.
Dominions: Die Zahnpflege in der Schule vom Standpunkt des Arztes,
des Schulmannes und des Verwaltungsbeamten. Strafiburg, L. Beust.
M. 2,—.
Kerr, James, Dr.: Mentally Defective Ghildren. Ingleby Lectures. 1906.
Birmingham.
Kleidungsheft: 5. Heft d. Volksbibliothek für Körperkultur. 1905. Berlin,
Verlag von Kraft und Schönheit. M. 0,50.
Kraft, Dr. med.: Die gesundheitlichen Erfolge der Ferienkolonien. 1905.
Zeitschr. f. Schweiz. Statistik, I. Bd., 3. Liefg.
*Kraft und Schönheit. 4. Sonderheft. Das Sportlichtbad. Ij905. Berlin,
Verlag von Kraft und Schönheit. M. 0,50.
Legel, L. Otto, Hilfssch.: Die Sprache und ihre Störungen mit besonderer
Berücksichtigung der geistig Zurückgebliebenen. 1905. Potsdam, A. Stein.
M. 3,50, geb. M. 4,—.
Lensch, Prof. Dr.: Der Bau des menschlichen Körpers mit Rücksicht auf die
Gesundheitepflege. 3. Aufl. 1906. Groß-Lichterfelde, B. W. Gebel. M. 1,20.
*Leubu8cher, Prof. Dr.: Schulhygienische Erwägungen. Verhandlungen der
Bibliographie. 147
Breslauer Naturforscher-Yenaininlung über den naturwissenschaftliclien und
mathematischen (Jnteiricht an den höheren Schulen. Herausgeg. yon
A. Wangerin. 1906. Leipzig, Vogel.
"^LeuBchner^B., Rektor: Der Schulstuhl und die Gruppenbank. 1905. Breslau,
Ferd. Hirt. M. 0,40.
Liebe, Georg, Dr. med.: Körperliche Erziehung [„Werde gesund'', Nr. 8/9].
Liebing, B. H.: Hygiene des Schulkindes im Eltemhause. Nr. 661 u. 6ü2
der Miniatur-Bibliothek. 1906. Leipzig, A. 0. Paul. Preis jeder Nr. M. 0,10.
Liebmann. Alb., Dr.: Vorlesungen über Sprachstörungen, 6. Heft: Kinder,
die schwer lesen, schreiben und rechnen lernen. 1906. Berlin, 0. Coblentz.
M. 2,40.
*Lischnewska, Maria: Die geschlechtliche Belehrung der Kinder. Zur Ge-
schichte und Methode des Gedankens. Vortrag [aus: „Mutterschutz"].
1906. Frankfurt a. M., J. D. Sauerländer. M. 0,60.
Lobedank, Stabsarzt Dr.: Der physiologische Schwachsinn des Menschen.
Eine medizinisch-philosoph. -soziale Studie f. Ärzte, Juristen, Pädagogen u.
alle Gebildeten. 1906. München, Seitz & Schauer. M. 1,60.
^Marcuse, Max, Dr.: Die geschlechtliche Aufklärung der Jugend. 1906.
Leipzig, Felix Dietrich. M. 0,30.
Munk, Maximilian, Dr.: Die Hygiene des Schulgebäudes. 1906. Brunn,
Karafiat & Sohn. M. 2,60.
Ders.: Die Schulkrankheiten; I. Heft. Die Schulkurzsichtigkeit; Verkrümmung
der Wirbelsäule. 1906. Bi*ünn, Karafiat & Sohn. M. 1,60.
Ders.: Die Zahnpflege in Schule und Haus. 1906. Brunn, Karafiat & Sohn.
M. 0,80.
•Neuendorf f, Edm., Realsch.-Dirig. : Die Turnlehrer an den höheren Lehr-
anstalten Preußens und der Geist des Tumlehramts. 1906. Berlin, Weid-
mann. M. 2,40.
Nie den, J., Dir. Dr.: Allgemeine Pädagogik auf psychologischer Grundlage
und in systematischer Darstellung, n^st einem Anhang Gesundheitsregeln
und Figuren-Tafeln. 6. Aufl. 1906. Straßburg, Straßburger Druckerei und
Verlagsanstalt. M. 2,60.
Quensel, Heinrich: Der Alkohol und seine Gefahren. Gemeinverständlich
dargestellt. 28. Aufl. Berlin W. 16. Mäßigkeitsverlag. M. 0,20.
Ray dt, H., Prof.: Spielnachmittage. 1906. Leipzig, B. G. Teubner. M. 1,60.
Rösler, Hugo, Lehr.: Der menschliche Körper, sein organischer Aufbau
und seine zweckentsprechende Pflege. Dresden, Holze & Pahl.
M. 1,—, geb. 1,40.
Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen
Psychologie und Physiologie. Herausgeg. von Prof. Ziegler u. Prof.
Ziehen. VIE. Bd. Beriin, Reuther & Reichard. 3. Heft: Fauth: Der
fremdsprachl. Unterricht auf unsern höheren Schulen vom Standpunkt der
Physiologie und Psychologie beleuchtet. — 4. Heft: Kluge: Über das
Wesen und die Behandlung der geistig abnormen Fürsorgezöglinge. —
6. Heft: Binswanger: über den moralischen Schwachsinn m. besond.
Berücksichtigung der kindlichen Altersstufe.
Schilling, Hofr. Dr.: Die Zahnpflege in der Schule, Armee, Strafanstalt und
Krankenkasse. 1906. München, Verlag der ärztl. Rundschau. M. 0,60.
Schlesinger, Eug., Dr.: Ästhesiometrische Untersuchungen und Ermüdungs-
messungen an Schwachbegabten Schulkindern. Archiv für Kinderheilkunde,
Bd. XLI, Heft 3/4. 1905. Stuttgart, Ferdinand Enke.
Schmidt, Alf., Sem.-Lehr. Dr.: Aufbau und Entwicklung des menschlichen
Geisteslebens, ein Grundproblem der pädagogischen Psychologie. Zugleich
eine Darstellung der Psychologie Strümpells nach ihrer historischen Stellung
10*
148 Bibliographie.
und ihrem wissenschaftlichen und pädagogischen Werte. 1906. Langen-
salza, H. Beyer u. Söhne. M. 3,—.
Schröer, H.: Die Dispensationen vom Turnunterricht. Monatschr. f. d. Tum-
wesen 1905, Heft 8.
Schuh, Ad., Prof.: Für Schule und Haus. (Hygienische Abhandlung.) Sonder-
abdruck aus dem XXXY. Jahresbericht der k. k. Staats-Oberrealschule in
Marburg a. d. Drau 1904/05.
Schulte, Max, Dr. med.: Inwieweit bedarf die schulärztliche Einrichtung
noch der Erweiterung? Gentralblatt f. allg. Gesundheitspfl. XXI 7 Jahrg.,
1. u. 2. Heft. 1905.
Schwarz, Rektor: Zur Verminderung des Schreibwerks in der Schule. Die
Jugendfürsorge 1905.
♦Siebzehnter Jahresbericht des Vereins Ferienhort für bedürftige
Gymnasial- und Realschüler für das Jahr 1904. 1905. Wien,
Selbstverlag des Vereins.
Trüper, J.: Ein Kongreß für Einderforschung und Jugendfürsorge. Eine
Sammlung brieflicher Äußerungen. 1905. Langensalza, Hermann Beyer
& Söhne.
Unser Kind. Halbmonatsschrift für Kinderpflege und Erziehung. IH. Jahrg.
Heft 4—11. Wien 1905.
Volks tu rnbücher, deutsch herausgeg. von Dr. Rud. Gasch. Heft 27 — 34.
Leipzig, M. Hesse.
Wehrkraft durch Erziehung. Herausgeg. von E. v. Schenckendorff und
Dr. Lorenz. 1905. Leipzig, B. G. Teubner. M. 3,—.
*Weigl, Franz: Zur Orientierung über die Grundfragen der Schulbank-
konstruktion. Mit 4 Abbild, u. 3 Tabellen üb. d. Messung von 3167 Kindern
an Münchener Volksschulen. Pädagog. Zeitfragen, Heft 2. 1905. München,
J. J. Leutnersche Buchhandlung.
Wentzel, C. A., Rekt.: Repetitorium der Psychologie. Als Anhang; Des
Volksschullehrers Aufgabe hinsichtlich der körperlichen Erziehung der
Jugend. 5. Aufl. 1905. Langensalza, Schulbuchhandlung. M. 1,50.
Wohlrat h, Turnlehrer: Spielbuch für Turnvereine und Schulen. I. Teil, 1905;
n. Teil 1905/06; HI. Teil 1905/06. Je M. 0,65.
Zschommler, Lehr.: So sollst du leben, um gesund und glücklich zu werden.
Goldene Lebensregeln für die heranwachsende Jugend. 1905. Leipzig,
Borggold. M. 0,80.
NB. Die fCir die Leser der „Gesunde Jugend^^ interessanten Bücher werden
seitens der Redaktion an die Herren Mitarbeiter zur Besprechung versandt.
Referate hierüber werden in dieser Zeitschrift abgedruckt. Eine Verpflichtung
zur Besprechung oder Rücksendung der nicht besprochenen Werke wird in
keinem Falle übernommen. Es muß in Fällen, wo keine Besprechung erfolgt,
die Aufnahme des ausführlichen Titels, Umfangs, Verlegers und Preises den
Herren Einsendern genügen. Die Redaktion.
Internationales Archiv für Schulhygiene
Archives internationales d'hygiene scolaire
International Magazine of School Hygiene
[Willielm Engelinann, Verlag, Leipzig, Hittelstraße 2]
unter Mitwirkung von zahlreichen Gelehrten herausgegeben Ton
Le Doctenr Alb. Mathieu Sir Lander Brnnton
M«decin de« höpitanx de Paris L. L. D.; MD.; D. S. So.; F. B.C. P. ; F. B. S. Consul-
ting physician to St. Bartholomew's Hospital
and College in London
Dr. med. Axel Johannessen
Uniyersitfttsprofessor in ChrisÜania
Dr. med. et phil. Herm. Griesbach
Professor nnd üniTersit&tsdozent Mtllhansen-Basel
Oescbftftsfflhrendem Bedaktenr
Einladung zum Abonnement auf das Internationale Archiv
für Schulhygiene.
Der erste Band des Internationalen Archivs fnr Schulhygiene ist abge-
schlossen. Mit jedem der herausgegebenen Hefte stellte sich immer mehr
heraus, daß das Erscheinen der Zeitschrift bei der Entwicklung der schulhy-
gienischen Wissenschaft einem dringenden Bedürfnis auf dem Gebiete der
Hygiene entspricht. Viele Regierungen, Schulverwaltungen und städtische Be-
hörden Deutschlands und des Auslands, insbesondere diejenigen mit schulärzt-
lichem Dienst, sowie zahlreiche Bibliotheken, Institute und gelehrte Gesell-
schaften erachten das Archiv als ein willkommenes und unentbehrliches Fachorgan
und sind darauf abonniert. Ganz besonderer Beachtung erfreuen sich die im
Archiv veröffentlichten schulhygienischen Jahresberichte, welche, von hervor-
ragenden Fachmännern verfaßt, ein übersichtliches Bild der schulhygienischen
Literatur aller Nationen darbieten. Aus allen Ländern Europas und vielen
außereuropäischen Staaten, insbesondere Nord- und Südamerikas, sind bei der
Redaktion Zuschriften eingegangen, welche das Archiv als eine der dankens-
wertesten und bedeutendsten literarischen Unternehmungen auf dem Gebiete
der medizinischen und pädagogischen Wissenschaft betrachten. Die Verlags-
buchhandlung von Wilhelm Engelmann in Leipzig beehrt sich zum Abonne-
ment auf das Archiv einzuladen.
Das Archiv erscheint in Heften von etwa 10 Bogen Umfang; die zeitliche
Aufeinanderfolge der Hefte ist von der Menge des zu verarbeitenden Manuskript-
materials abhängig. Der Preis eines 40 Bogen starken Bandes des Archivs
beträgt 30 Mark; einzelne Hefte sind zu erhöhten Preisen käuflich. Einzelne
Hefte werden auf Wunsch franko zur Einsicht versandt, müssen aber, wenn
sie nicht behalten werden, innerhalb acht Tagen nach Empfang franko an die
Verlagsbuchhandlung zurückgesandt werden. Den Mitgliedern des „Deut-
schen Vereins für Schulgesundheitspflege" und seiner Kartellvereine
außerhalb Deutschlands wird das Archiv für 25 Mark für den Band geliefert.
Alle Anfragen sind an den geschäftsführenden Redakteur des Archivs zu richten.
Adresse: Dr. med. et phil. H. Griesbach, Professor und Universitätsdozent,
Mülhausen-Basel. Wohnsitz: Mülhausen (Elsaß), Ludwigstraße H.
Inhalt des ersten Bandes des „Archivs".
No. I. (18. I. 1906.)
H. Griesbach, Einführung und Ausblicke.
Albert Mathieu, Pedagogie physiologique.
Julius Moses, Gliederung der Schuljugend nach ihrer Veranlagung und das
Mannheimer System. Mit 1 Figur im Text. •
G. Schleich, Die Augen der Schüler und Schülerinnen der Tübinger Schulen.
K. Speidel, Die Augen der Theologiestudierenden in Tübingen. Untersuchungen
aus der Tübinger üniversitätsaugenklinik.
Y. Sakaki, Ermüdungsmessungen in yier japanischen Schulen. Mit 25 Figuren
im Text.
Patricio Borobio y Diaz, Les colonies scolaires ou colonies de yacances ä
Saragosse (Espag^ne).
Armin von Domitrovich, Der Hygieniker und die Schulbank.
F. Ingersley, Skolelsegevsesenet i Danmark. Mit deutschem R^sume.
Grancher, Pr^seryation scolaire contre la tuberculose.
Emile Bocquillon, Hygiene de T^ducation et de la pädagogie.
No. n. (14. IV. 1906.)
Victor Bridou, Le röle de la gaietd dans l'^ducation.
C. J. Thomas, Some forms of congenital Aphasia in their educational aspects.
(With 3 figures in text.)
Euno Burraeister, Über die Verwendung von staubbindenden Fußbodenöleu
in Schulen. Aus dem königl. hygienischen Institut zu Posen.
M. A. Budnik, Zur Frage der Verbreitung des Kropfes unter den Schulkindern.
A. Haunstrup, Schulbauten in Dänemark. (Mit 4 Figuren im Text.)
Willy Hellpach, Die Hysterie und die moderne Schule.
Albert Mathieu, Neurasthenie et Dyspepsie chez des jeunes gens.
Jean Philippe et G. Paul Boncour, A propos de TExamen mädico-peda-
gogique des Ecoliers epileptiques.
Cervera Barat, Funcion de la Alegria en laHigiene escolar. Avec un Resum<^
francais.
A. Magelssen, Über das Kopfweh — hauptsächlich Migräne — an der Mittelschule.
Ralf Wichmann, Über <üe Lage und Höehstzahl der taglichen Unterrichts-
stunden an Mädchenschulen.
F. Ingersley, Jahresbericht f. 1904 über die schulhy^enische Literatur Dänemarks.
Ernst Feltgen, Bericht über die zur Schulhygiene in Beziehung stehenden
Veröffentlichungen in Luxemburg yom Jahre 1904.
Ley, La litt^rature d'hygi^ne scolaire eu Belgique en Tannöe 1904.
John A. Bergström, The American School Hygiene Literature for the year 1904.
Bibliographie.
No. m. (16. VI. 1906.)
H. Griesbach, Weitere Untersuchungen über Beziehungen zwischen geistiger
Ermüdung und Hautsensibilität. (Mit 7 Figuren im Text.)
Bibliographie,
No. IV. (8. IX. 1906.)
Carlo Ferrari, Ricerche comparatiye diPsicologia sperimentale sui Sordomuti.
(Con 12 figure nel teste.) Conclusione italiana e tedesca.
Armin de Domitrovich, Le banc d'äcole en Allemagne et son ^tat actuel.
L. J. Lans, Soll man die Steilschrift aus der Praxis verbannen?
F. Zollinger, VI. Jahresversammlung der schweizerischen Gesellschaft für
Schulgesundheitspflege in Luzern, 14. und 16. Mai 1906.
F. Zollinger, V. Schweizerische Konferenz für das Idiotenwesen in St. Gallen,
6. und 6. Juni 1905.
Berichtigung von Dr. Gustav Hergel.
Giuseppe Badaloni, Rivista annuale della letteratura italiana sulla igieue
scolastica per V anno 1904.
C. J. Thomas, The Literature of School Hygiene in Great Britain during 1904.
Bibliographie.
Errata.
L Originalaufsätze.
Schulhygienische Hitteilnngen vom internationalen
Tnberknlosekongrefi,
Abgehalten in Paris vom 2. bis zum 7. Oktober 1905.
Von Dr. med. Ernst Feit gen, Luxemburg.
(Nach peiBÖnlichen Notizen und mit einigen Bemerkungen.)
Auf dem vom 2. bis zum 7. Oktober 1905 in Paris statt-
gefundenen internationalen Taberkulosekongreß befaßte man sich mit
verschiedenen Fragen aus dem Gebiete der medizinischen and chi-
rurgischen Pathologie, mit Tuberkuloseabwehr dem Kinde, sowie dem
Erwachsenen gegenüber und mit sozialer Hygiene.
Die Arbeiten der Sektion , welche sich ausschließlich mit der
Hygiene des Kindes, besonders in bezug auf Tuberkuloseabwehr
des Schulkindes, beschäftigte, wurden durch eine bemerkenswerte
Ansprache an die zu gemeinsamem Tun versammelten Fachgenossen
eingeleitet, in welcher der Redner, Professor Grancher-Paris, kurz
und bündig, mit wahrhaft hei*zlicher, warm fühlender Ausdrucks-
weise unsere Aufgaben dem Kinde gegenüber definierte und zwar
in betreff des Familienlebens und bezüglich des Schulwesens.
Was letzteren Punkt angeht, der uns an dieser Stelle speziell
interessiert, so wurde mit Nachdruck hervorgehoben, daß das Kind,
wenn es glücklich einer tuberkulösen Ansteckung in der Familie
entgangen ist, in der Schule nun in dieser Beziehung in der Regel
mehr oder weniger sicher sich weiter entwickeln darf, denn die An-
steckung von Kind zu Kind in der Schule ist nicht gerade häufig.
Ist das Kind einmal bis zum schulpflichtigen Alter herange-
wachsen, ohne als Säugling oder später, in der Zeit vom Säuglings-
alter bis zum Schuleintritt, von der Tuberkulose befallen worden zu
sein, so erlaubt ihm sein, unter günstigen Verhältnissen, schon etwas
widerstandsfähiger gewordener Organismus eventuell jetzt, drohende
Tuberkel bazilleninvasionen erfolgreich abzuwehren; führt dasselbe je-
Gestmde Jug«nd. V. 7—10 11
150 Ernst Feltgen:
doch eine latente Tuberkulose mit sich, die, wie dies gewöhnlich zu-
triöt, vor der Schulperiode in den Bronchialdrüsen, seltener auch
in den Lungen selbst sich eingenistet hat, so kommt ihm im Kampf
mit dem Übel die natürliche Wachstumsenergie zugute, die nun
den Körper in seiner Gesamtheit streitbarer und resistenter macht.
Diese Wachstumsenergie, diese jugendliche, frische Kraft, die
den Organismus während dieser Lebensperiode beseelt, dieses natür-
liche, physiologische Wirkungsvermögen, diese körperliche Tatkraft
ist es, die wir unter allen Umständen zu fordern haben, soviel wir
dies zu tun imstande sind und indem wir uns leiten lassen von den
festen Gesetzen einer vernünftigen Gesundheitslehre.
Nach den Untersuchungen Granchers und anderer Forscher be-
trägt in Paris der Prozentsatz solcher mit latenter, also nicht an-
steckender Tuberkulose behafteten Schulkinder 14 bis 15. Erfahrungs-
gemäß ist, wie eben hervorgehoben wurde, die Einwirkung der
jugendlichen Körperkräfte auf den gefährlichen Gast, der sich in den
Organismus eingeschlichen hat, für den Wirt eine sehr günstige.
Alle Statistiken aus den verschiedenen Ländern bekunden dies auf
überzeugende Weise: die Sterblichkeit an Tuberkulose ist verhältnis-
mäßig selten zwischen dem 6. und dem 15. Lebensjahr. Selten ist
sie allerdings; doch, und dies ist von kapitaler Wichtigkeit, sie be-
steht, was ja genügt, um unsere volle Aufmerksamkeit auch während
dieser Lebensperiode auf das Übel zu lenken, wollen wir als Schul-
hygieniker eine ganze Arbeit leisten, wollen wir unseren Schul-
kindern einen zuverlässigen Schutz bieten, wollen wir unserer Liebe
und Anhänglichkeit zur Jugend, der Zukunft der Rasse, einen prak-
tischen Anstrich gewähren, wollen wir aus unseren Bemühungen um
die Schuljugend einen greifbaren Nutzen ziehen.
Man erkennt das Auftreten des Übels an seinen Frühsymptomen,
doch diese treten meist sehr undeutlich hervor, eben wegen der,
unter normalen Verhältnissen, immer fortschreitenden Körperent-
wicklung des Kindes und dokumentieren sich erst auf unzweideutige
Weise und mit gewisser Schärfe „nach'' der Schulperiode, wenn un-
günstige Lebensbedingungen sich geltend machen, so beispielsweise
in den Werkstätten, in den Kasernen, in unhygienischen Wohnungen,
beim Mißbrauch von Genußmitteln, besonders des Alkohols, bei
geistiger Uberbürdung, bei anhaltend einwirkenden moralischen
Affekten, oft bloß nach Erkältungen, nach überstandenen Erkran-
kungen, als Influenza, Lungenentzündung usw.
Ist die während der Schulperiode latent gebliebene Tuberkulose
nun nach der Schulzeit zum Ausbruch gelangt, d. h. eine offene ge-
Schnlhygienische Miiteüimgen vom intern ationalen TnberknloBekoDgreß. 151
worden^ dann kann durch die in verschiedenen Ländern , besonders
in Deutschland, so zahlreich vorzufindenden und gut funktionieren-
den Yolkssanatorien, Unterstützungskassen u. dergl. Einrichtungen
mehr des Guten ungemein viel gestiftet werden, doch vorteilhafter
wäre es jedenfalls und ohne allen Zweifel vernünftiger, das Kind, als
Trager einer latenten Tuberkulose während der Schulzeit oder in
diesem Alter als der Tuberkulose verdächtig, näher ins Auge zu
fassen und zweckentsprechend zu behandeln, zu einer Zeit, wo in
vielen Fällen noch mit Erfolg eingesprungen werden kann.
Auf welche Weise wäre in diesem Moment therapeutisch und,
was wichtiger ist, prophylaktisch Hand anzulegen, um wenigstens
einen guten Teil der tuberkulös Infizierten und der vom Übel Be-
drohten zu retten? Vor allem dadurch, daß man dem Schulkinde
in reichlichstem Mafie gesunde, frische Luft zukommen läßt, draußen
im Freien, in Flur und Wald, auf den Bergen, am Meere und daß
man demselben eine genügende, physiologisch richtig zusammen^
gestellte Nahrung biete. Grancher zitiert das Wort Michelets: La fleur
humaine est de toutes les fleurs celle qui a le plus besoin
de soleil, von allen Blüten ist es das Kind, die junge menschliche
Blüte, welche zu ihrer Entfaltung und Entwicklung am meisten der
Sonne, des ungetrübten, hellen Lichtes, der unverdorbenen, frischen
Luft bedarf. Gewähren wir deshalb unseren Kindern etwas Sonne,
wir werden somit diejenigen, welche von der Tuberkulose bedroht
sind, gegen das heimtückische Übel in Schutz nehmen, wir werden
manche auch heilen können, die der Seuche bereits zum Opfer ge-
fallen sind, wir werden der Menschenrasse eine bessere und glück-
lichere Zukunft bereiten.
Ganghofher-Prag betont, daß bei dem Kampf gegen die Tuber-
kulose in der Schule es in erster Linie darauf ankomme, die Krank-
heitsanlage nach Möglichkeit zu verhüten oder sich derselben ent-
gegenzustellen, d. h. das Augenmerk auf die Disposition des Orga-
nismus zur Annahme des Tuberkulosegiftes zu richten und die
erforderlichen Mittel gegen dieselbe ins Feld zu führen. In zweiter
Linie erst seien die nötigen Maßregeln gegen die Infektionsgefahr
anzuwenden, d. h. sei der Kampf gegen den Krankheitserreger, den
Tuberkelbazillus, aufeunehmen. Auch er hebt hervor, daß er-
fahrungsgemäß die Zahl der an offener Lungentuberkulose erkrankten
Schulkinder eine kleine sei, im Verhältnis zu der Tuberkulosemorbididät
im allgemeinen und zu der großen Zahl der an Skrofulöse leiden-
den Kinder, jener Form von Tuberkulose, die bekanntlich eine häufige
Erscheinung auf dem Gebiete der Kinderkrankheitslehre ist.
11*
152 Ernst Feltgen:
Mit Recht wird auf die wichtige Tatsache hingewiesen^ daB bei
vielen Kindern im schulpflichtigen Alter latente Tuberkulose be-
steht und daß die natürliche Widerstandsfähigkeit des kindlichen
Organismus durch gewisse schädliche Einflüsse sehr an Intensität
einbüßt. Diese schädlichen Faktoren entspringen zum großen Teil
aus einem unzweckmäßig gestalteten ünterrichtswesen. Leider mangelt
es noch allenthalben sehr an nach gesundheitlichen Prinzipien ge-
troffenen Schuleinrichtungen. Die in Frage kommenden Schädlich-
keiten sind dazu angetan^ entweder die Anlage zur Tuberkulose zu
schaffen oder, bei bereits bestehender Disposition, diese zu steigern
und mehr zur Geltung zu bringen. Allen Schulhygienikern sind diese
schlimmen Faktoren wohl bekannt, es kommen vor allem in Betracht
der hygienisch mangelhafte Unterhalt der Schulräumlichkeiten, die
unzweckmäßigen Lehrmethoden, die unvernünftige Unterrichts-
einteilung. Was den ersten Punkt betrifft, so sei besonders hinge-
wiesen auf die Luftverschlechterung in den Klassenzimmern als Folge
der Überfüllung mit Schülern, auf die meist ungenügenden oder gar
total fehlenden Yentilationseinrichtungen, auf die mangelhafte oder
ganz vernachlässigte Reinigung der Schulzimmer, des Schulmobiliars,
der Schulhausdependenzien, auf die schlecht konstruierten und daher
schlecht funktionierenden Heizungsanlagen und die Heizungssysteme,
die aus vorhygienischer Zeit datieren. In bezug auf die unzweck-
mäßigen Lehrmethoden und unvernünftige Unterrichtseinteilung sei
hervorgehoben, daß beim Feststellen des Lehrzweckes und des Lehr-
planes fast allgemein noch, mit Ausnahme weniger Länder, die
körperliche Erziehung neben der geistigen Bildung allzusehr
vernachlässigt wird.
Um die Schädlichkeiten für die Gesundheit der Schulkinder und
die aus denselben resultierende Verminderung der Widerstandskraft
so viel wie tunlich zu umgehen, ist es unbedingt erforderlich, die
Prinzipien der Hygiene streng zu beachten, vor allem was die zweck-
mäßige Einrichtung und die Reinhaltung der Schulräumlichkeiten
angeht und speziell auch in betreff der Unterrichtseinteilung, so daß
Zeit genug übrig bleibe für die körperliche Erziehung und für die
nötigen Erholungs- und Ruhepausen. Von nicht gering zu schätzen-
der Bedeutung ist es femer, unter den Schulkindern eine Auslese
vorzunehmen, zu individualisieren, so zwar, daß diejenigen von über-
mäßiger geistiger und körperlicher Arbeit entlastet werden, welche
den betreffenden Anforderungen nicht gewachsen sind. Zu diesem
Zweck ist es notwendig, daß die Jugenderzieher und alle diejenigen,
die sich auf diese oder auf jene Weise mit der Schuljugend zu be-
Schulhygienische Mitteilungen vom internationalen Tuberkulosekongreß. 153
fassen haben^ pädalogisch vorgehen, d. h. die ihnen anvertrauten
Kinder zuvor durch und durch in geistiger und in körperlicher Eün-
sicht durchmustern, damit sie wissen, wie es mit dem Individuum
bestellt ist, das sie erzieherisch zu behandeln haben. Es hat sich
durch die Erfahrung herausgestellt, was übrigens nicht befremden
kann, daß die gleichmäßig, streng durchgeführte, nach einem be-
stimmten Schema vorgenommene Behandlung aller Schulkinder un-
erwünschte Resultate zur Folge hat.
So lange es keine eigenen Anstalten gibt, die sich speziell der
Tuberkuloseverdächtigen oder im Anfangsstadium der Tuberkulose
sich befindenden Schulkinder annehmen, kann die theoretisch wich-
tige Forderung der Einzelbehandlung von Schülergruppen nicht ge-
setzlich bestimmt werden. Die Gründung solcher Anstalten drängt
sich also auf.
Diejenigen Kinder, welche an offener Lungentuberkulose oder
an äußeren, sekretierenden tuberkulösen Affektionen, beispielsweise
der Haut, der Knochen, der Ohren leiden, dürfen mit den gesunden
Kindern die Schule nicht besuchen, bevor der krankhafte Zustand
durch geeignete Behandlung so weit rückgängig gemacht wurde,
daß derselbe den öffentlichen Verkehr wieder erlaubt. Am
besten ist es jedenfalls, den mit offener Lungentuberkulose behafteten
Schulkindern von dem Besuch der Schule reinweg abzuraten. Solches
wird den Schulärzten schon gelingen, wenn sie wissen, mit dem
nötigen Takt und mit der nötigen Schonung der empfindsamsten
Seiten der Kinder und Eltern vorzugehen.
Können aus irgend welchen triftigen Gründen tuberkulös in-
fizierte Schulkinder oder solche, die tuberkuloseverdachtig sind, nicht
aus der Schule entfernt werden, so soi^e man dafür, daß mit einer
geeigneten desinfizierenden Flüssigkeit gefüllte Spucknäpfe ^) im
Schulzimmer aufgestellt und zweckmäßige diesbezügliche Mahnungen
und Belehrungen an die Kinder gerichtet werden. Diese Mahnungen
und Unterweisungen sollen sich nicht nur auf die Übertragbarkeit
der Tuberkulose erstrecken, sondern sollen auch auf die Entwicklung
des Reinlichkeitssinnes bei den Kindern überhaupt, auf Hygiene im
allgemeinen, hinzielen.
Tuberkulöse Lehrer sind ohne weiteres aus dem Schuldienst
1) Nach A. B. Marfan sollen die Spucknäpfe nie Substanzen in Palverform
enthalten, wie Sand, Kleie, Asche, sondern stets eine antiseptische Flüssigkeit,
beispielsweise eine 5 ^/^ gefärbte Karbolsäurelösung, zum mindesten etwas
Wasser. Vergl. Marfan, Pr^servation de Tenfant contre la tuberculose dans sa
famille, 8. 19. Paris, 6. Steinheil.
154 Ernst Feltgen:
ZU entfernen^ zumal^ wenn es sich bei denselben nachgewiesenermaßen
um o£fene Tuberkulose der Luftwege handelt. Man kann sehr
zweckmäßig in dieser Beziehung vorbeugend eintreten, wenn bei der
Anmeldung der Lehramtskandidaten für die Normalschulen auf das
gewissenhafteste nach vorhandener latenter oder offener Tuberkulose
von Seiten des betreffenden Arztes, der das Gesundheitszeugnis aus-
zustellen hat, gefahndet wird. Den tuberkulösen Lehrern soll man
zu Hilfe kommen, und zwar vor allem durch das freigebige Erteilen
eines genügend langen Urlaubes, durch die Aufnahme in ein Sana-
torium, wenn nötig, und bei voller Auszahlung des durch den Be-
amten bis dahin bezogenen Gehaltes.
Damit eine fruchtbringende Prophylaxe in den Schulen durch-
geführt werden könne, ist es notwendig, daß die Schulärzte unter
sich und diese mit dem Lehrerpersonal und den Pädagogen zusammen-
gehen. Wo noch kein Schularztdienst besteht, dies bezieht sich so-
wohl auf die Volksschule als auf die höheren Unterrichtsanstalten,
da soll man in Hinsicht auf die Bekämpfung der Tuberkulose speziell
und aller anderen ansteckenden und sogenannten Schulkrankheiten
ohne Verzug eine genügende Anzahl von Schulärzten, die zweck-
mäßig ausgebildet sind, anstellen.
Die detaillierte Mitteilung Merys (Paris) über die Tuberkulose-
abwehr und -bekämpfung in den Schulen hat, dem Sinne nach und
summarisch dargestellt, folgenden Inhalt: Die Bestrebung, die Schul-
jugend gegen die Seuche in Schutz zu nehmen, datiert nicht von
sehr lange her, seit acht bis neun Jahren erst ist man der hoch-
wichtigen Frage näher getreten. Vor allem heißt es, festzustellen,
ob die Fälle von Tuberkulose, welchen man in der Schule begegnet,
wirklich hier, in der Lehranstalt, ihren Anfang genommen haben,
oder ob dieselben von draußen stammen, d. h. außerhalb der Schule
von den Kindern kontraktiert wurden, in der Familie oder sonstwo.
Mery fragt sich, welche Bedeutung der Übertragung in der
Schule beizumessen sei und wie dieselbe zustande komme. Drei
verschiedene Hauptquellen der Übertragung der Seuche sind:
1) die an offener, also ansteckender Tuberkulose leidenden Lehrer,
2) die an offener Tuberkulose erkrankten Schüler, 3) die tuberkulösen
Schuldiener und die der Schule fremden Personen , deren ärzt-
lich-hygienische Durchmusterung schwer durchzufahren oder ganz
unmöglich ist. Ferner kommen als Ausgangspunkte des Leidens die
unhygienischen Zustände in Betracht, die man in den Schullokalen
und in deren nächsten Umgebung, leider muß es gesagt sein, nicht
gar selten und mühelos aufzudecken vermag.
Schulhygienische Mitteilungen vom internationalen Tnberknlosekongrefi. 15Ö
Allenthalben werden die Schulräumlichkeiten hin und wieder
zu ganz anderen Zwecken benutzt, als zu solchen, welchen sie
prinzipiell dienen sollen: es wird beispielsweise nicht selten in den-
selben nach Sehulschluß oder während der Ferienzeit Unterricht für
Erwachsene abgehalten, deren Gesundheitszustand schwer zu kon-
trollieren ist, es finden in den Schulen allzu häufig öffentliche Zu-
sammenkünfte statt, so bei Volksversammlungen, bei Wahlen usw.,
und es dienen dieselben wohl auch während der schulfreien Zeit zu
Einquartierungen von Truppen, zu Sammelplätzen, ja zu improvi-
sierten Schlafstätten für Teilnehmer an Festlichkeiten u. dergl. Be-
sonders die größeren Volksversammlungen sind es, welche zur In-
fizienmg der Schulräume mit dem Tuberkulosegift sehr viel beitragen
können. Werden die Lokale hinterher nicht gehörig desinfiziert,
was leider die Regel ist, oder betraut man die Schulkinder selbst
mit dem Reinigen der Lokale, wie solches bekanntlich häufig der
Fall, so kann die Ansteckungsgefahr sehr groß werden, zumal wenn
das Reinigen auf trockenem Wege vor sich geht.
Mery ist der Meinung, die Verbreitung der Tuberkulose in
der Schule durch die Lehrer sei nicht nur verhältnismäßig häufig,
sondern wohl auch recht gefährlich, was nicht in dem Maße in be-
treff der Verbreitung der Seuche durch die Schulkinder zutrifft.
Die meisten Lehrer kommen bereits infiziert in die Schule, die große
Mehrzahl der tuberkulösen Lehrer hat den Keim der Krankheit
draußen, meist in der Familie, in sich aufgenommen. Es steht je-
doch außer Zweifel, daß auch manche erst in der Schule selbst der
Tuberkulose anheimfallen und zwar in vielen Fällen durch einen
tuberkulösen Vorgänger im Amt, nach dessen Entfernung an eine
Desinfektion der Räume, in denen er sich aufhielt, einfach nicht ge-
dacht würde. Nicht zu leugnen ist es femer, daß schwächliche
Lehrer, solche, die in ungünstigen Lebensbedingungen sich befinden,
durch die geistige Überbürdung für das Leiden sehr empfänglich ge-
macht werden. Zu dieser geistigen Überbürdung gesellt sich oft,
besonders auf dem Lande, eine körperliche Überbürdung wegen der
Notwendigkeit, in die sich der Landlehrer nicht selten, durch
knappes Gehalt, versetzt sieht, Nebenbeschäftigung aller Art zu über-
nehmen, imi sich und die Seinen halbwegs anständig durch das
Leben zu bringen.
Was die Sterblichkeit der Angehörigen des Lehrerstandes
angeht, so weichen die Angaben in dieser Beziehung bei den ver-
schiedenen Autoren nicht wenig voneinander ab. So wird beispiels-
weise angegeben, in Frankreich sei 7^ bis y^ der Lehrer tuberkulös.
156 Ernst Feligen:
bei anderen beträgt der Prozentsatz mehr. Auf dem letzten Kongreß
für Schulhygiene in Paris haben die ärztlichen Schulinspektoren
gegen die im allgemeinen zu hoch gegriffenen Prozentsätze protestiert.
Gourichon hat in 16 Jahren in seinem Amtskreis nur zwei Lehrer
vorgefunden^ welche an Tuberkulose litten, andere konnten im Zeit-
raum Yon sechs Jahren bei zwei Lehrern das Leiden konstatieren.
Delobel und Roblot haben im Seine-Departement von 2862 Lehrern
50 als tuberkulös bezeichnen können, das macht zirka 27o-
Dieser Unterschied in den Zahlen hängt von verschiedenen
Ursachen ab. Li erster Linie ist hervorzuheben, daß die Schulärzte
nicht alle Lehrer zu Gesicht bekommen, um dieselben auf Tuber-
kulose zu untersuchen, da bis jetzt eine solche Untersuchung nicht
obligatorisch ist; sodann herrscht wahrscheinlich eine gewisse Ver-
wirrung in betreff Feststellung offener und latenter Tuberkulose.
Zuverlässige Statistiken werden erst dann zur Verfügung stehen,
wenn die Lehreruntersuchung einmal obligatorisch geworden
sein wird. Sicherlich auch ändert der Prozentsatz sich mit den ver-
schiedenen Länderstrichen und den einzelnen Städten.
Wie schon verschiedentlich betont wurde, ist die offene Lungen-
tuberkulose bei Schulkindern nur ganz ausnahmsweise zu kon-
statieren. Grancher hat eine offene tuberkulöse Lungenaffektion nur
zwei- bis dreimal bei zirka 3000 Kindern vorgeftinden. Offene
Knochen- und Gelenktuberkulose, Tuberkulose der Drüsen mit Fisteln,
Ohrentuberkulose mit Ausfluß werden viel häufiger diagnostiziert, als
die Lungenschwindsucht oder die offene tuberkulöse Erkrankung
anderer Abschnitte der Respirationswege.
Die Kinder, welche an tuberkulösen Affektionen leiden, die
einige Bedeutung haben, kommen gewöhnlich nicht zur Schule, ist
dies jedoch der Fall, so drängt sich die Isolierung, die Entfernui^
derselben auf.
Auch M^ry hebt die wichtige Tatsache hervor, daß durch die
klinischen Erfahrungen und durch die Leichenbefunde bei sehr vielen
Kindern, welche an anderen Krankheiten leiden oder gestorben sind,
latente Tuberkulose nachgewiesen wird. Gewöhnlich handelt es
sich um tuberkulöse Lymphdrüsen im Mediastinum. Wie bereits an-
gegeben wurde, hat Grancher eingehend über diesen Punkt an anderer
Stelle referiert und in einer Mitteilung an die Academie de m^decine
sich folgendermaßen ausgedrückt: Die Mehrzahl der Kinder, welche
ins Spital kommen und dort an irgend einer Krankheit zugrunde
gehen, zeigen neben den pathologisch -anatomischen Befunden, auf
die man von vornherein gefaßt war, tuberkulös entartete Lymph-
SoholhjgieniBche Mitteilungen vom internationalen Tuberkulosekongreß. 157
drüsen, besonders Tracheobronchialdrüsen. Diese latente Tuberkulose
kann bis zum Jünglingsalter und noch darüber hinaus fortbestehen^
ohne Anlaß zur tuberkulösen Erkrankung irgend eines anderen Or-
ganes zu geben. Bei einer günstigen Gelegenheit bricht das Leiden
aus und setzt sich an einer Stelle des Organismus, die einen locus
minoris resistentiae bietet, fest. Alle diese tuberkulösen Affektionen
bestehen meist schon, ehe das Kind in das schulpflichtige Alter ein-
getreten ist, und die Ursache dazu muß dieserhalb außerhalb der
Schule gesucht werden, in der Familie vor allem. Diese ätiologischen
Erfahrungen beweisen einerseits, daß eine Tuberkuloseinfektion in
der Schule selbst zu den Ausnahmen gehört, andererseits, wie häufig
latente Tuberkulose bei den Kindern auftritt, ohne daß auffallende
Symptome auf das Bestehen derselben hinweisen.
Eine jede Form von Tuberkulose erheischt eigene Bekämpfungs-
maßregeln: gegen die offene Tuberkulose kann man nur durch
Isolierung der Erkrankten und durch Desinfektion einer Ver-
breitung vorbeugen, während solche Maßregeln einer latenten Affektion
gegenüber keinen Wert besitzen. Hier muß individuell vorgegangen
werden, eine kollektive Prophylaxe ist in diesen Fällen weder nötig
noch irgendwie angezeigt.
Wie der ministerielle Erlaß vom Jahre 1901 lehrt, hat man
sich bis dahin meist nur mit kollektiver Prophylaxe befaßt, um
sich der Tuberkulose Verbreitung in der Schule entgegenzustellen;
sicherlich sind diese Bestrebungen nicht von der Hand zu weisen, doch
sie sind nicht der wichtigste und der einzige Faktor bei der Be-
kämpfung der Seuche, da im allgemeinen von 100 mit Tuberkulose
behafteten Kindern kaum ein oder zwei ansteckende Affektionen
aufweisen. Die an latenter Tuberkulose Leidenden sind keine Gefahr
für die anderen, sondern nur für sich selbst.
Der Arzt soll seine ganze Aufinerksamkeit auf diese Tatsache
richten, um die Keime des Übels, die in den Lungen und auch in
anderen Organen des Körpers schlummern, an ihrer Entfaltung zu
verhindern; glücklicherweise ist ein solches Entgegentreten gerade
bei der Tuberkulose in diesem Stadium und in dieser Form ganz
gut möglich und es geschieht meist mit positivem Resultat, es gibt
wohl keine chronische Krankheit, welche in dieser Periode so leicht
und so sicher einer Heilung fähig ist, später trotzt sie allerdings
allen unseren Bemühungen.
Mery hebt hervor, daß es vor allen Forschem Grancher ist,
welcher diesen hochwichtigen Teil des Kampfes gegen die Tuberku-
lose in den Schulen zur vollen Geltung brachte, indem er auf die
158 Ernst Feltgen:
individuelle Behandlung derjenigen Kinder, die mit latenter Tu-
berkulose behaftet sind, energisch hinwies. Um eine solche Behand-
lung einschlagen zu können, muß das Frühstadium dieser latenten
Formen der Tuberkulose mit der größten Präzision aufgedeckt
werden. Das methodisch ausgeführte Ausspüren der tuberkulösen
Affektioneh und hauptsächlichst der Erkrankungen der Respirations-
organe ist die erste Bedingung, um mit Erfolg eine Abwehr in den
Schulen ins Werk zu setzen. Diese minutiöse Untersuchung wird
es ermöglichen, einen großen Teil der Schulkinder vor dem Übel zu
bewahren, das in ihnen sich verborgen hält und auf eine günstige
Gelegenheit wartet, um seine Fesseln zu sprengen.
Die Untersuchung der Schulkinder soll im Schulhause in
einem eigens dazu bestimmten Baum vorgenommen werden. Vor
allem ist das Gewicht der Kinder und ihre Körpergröße zu notieren.
Um richtig vorzugehen, darf dies nur geschehen, nachdem dieselben
das Schuhwerk und die Überkleider abgelegt haben: die Knaben
sollen bloß die Beinkleider und das Hemd, die Mädchen den Unter-
rock und das Hemd als einzige Bekleidung beibehalten. Für die
Messungen am Thorax müssen Brust und Rücken vollkommen un-
bedeckt sein. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in ein
sogenanntes Gesundheitsbuch einzutragen, damit zu jeder Zeit die
anthropometrischen Kennzeichen des betreffenden Kindes, näm-
lich Gewicht, Größe, Thoraxumfang, nachgesehen werden können. Der
Schularzt muß sein Augenmerk sodann auf die Wachstumsanomalien,
auf ein dem Alter und der Körpergröße nicht entsprechendes Körper^
gewicht, auf das Ausbleiben von Gewichtszunahme beim Wachsen
richten, denn dies sind Zeichen, die bekanntlich von nicht geringer Wich-
tigkeit sind, wenn es heißt, frühzeitig die Tuberkulose auszuspüren.
Besonders haben die Messungen am Thorax großen Wert, denn
die Arzte waren schon lange in der Lage, ein gewisses Verhältnis,
das zwischen der Enge des Thorax und der Entwicklung der Tuber-
kulose hesteht, zu konstatieren. Bei dem Kinde, welches später der
Tuberkulose zum Opfer fallen soll, welches die Anlage zu dem Übel
besitzt, behält die Brust auch beim Wachsen meist den Typus einer
Kinderbrust bei, der Thorax bleibt eng nach oben und schließt
rasch nach unten ab, er bleibt schmal und in transversaler Richtung
wenig ausgedehnt.
Bekanntlich hat man diese Thoraxmessungen als ungenügend
qualifiziert, indem der äußere Umfang nur über „eine" Dimension
Aufschluß gebe, nicht aber beispielsweise auch über das Volumen
der Brusthöhle und der Lungen. Gewiß sind diese Messungen nicht
Schulhygienische Mitteilangen vom internationalen Tuberkulosekongreß. 159
ganz befriedigend und auch wohl etwas schwierig auszuführen^ doch
sie geben jedenfalls annähernd richtige Aufschlüsse, was immerhin
nicht gering zu schätzen ist.
Wie sind die Messungen yorzunehmen? Immer muß eine und
dieselbe Methode des Messens beibehalten werden^ denn sonst erhält
man ganz voneinander abweichende^ unrichtige Resultate.
Wann sind die Messungen vorzunehmen? Am vorteilhaftesten
während der Atmungsruhe. Zum Vergleich sind die Messungsresultate
während des Einatmens sodann eigens zu notieren. Bei den Mädchen
ist das Messen des Thoraxumfanges etwas mißlich. Bei den Knaben
ist es leicht, den Mammillarumfang zu nehmen, bei den Mädchen
wird man wohl etwas tiefer, im Niveau des Schwertfortsatzes, das
Zentimetermaß anlegen. Man nehme stets die Messungen mit herab-
hängenden Armen vor.
Sehr zweckmäßig ist es, das sogenannte ^,symmetrische
Zentimetermaß^' anzuwenden, d. h. ein biegsames Maß, welches
statt von 1 bis 100 graduiert zu sein, aus zwei symmetrischen
Hälften besteht, die beide von 1 bis 75 graduiert sind, so zwar, daß
die Separationsstelle der beiden Ziffern 1 genau in der Mitte des
ganzen Zentimetermaßes sich befindet. Diese Stelle wird bei den
Brustmessungen auf den Kamm der Domfortsätze der Wirbelsäule
gebracht und nun die beiden bis auf 75 graduierten Enden beider-
seits nach vom über die Brust geführt. Auf diese Weise ist es
möglich, die anatomische Entwicklung beider Brusthälften mitein-
ander zu vergleichen und zwar bei einer einzigen Messung, während
einer und derselben Operation. Läßt man das Kind atmen, so ist
leicht zu konstatieren, ob die Zunahme des Umfanges auf beiden
Seiten dieselbe ist, oder ob die eine Seite während der Inspiration
sich mehr ausdehnt, als die andere, die dann als anormal angesehen
werden muß. Bei Individuen, die eine Prädisposition zu Lungen-
tnberkulose besitzen, oder bereits in diesem Sinne erkrankt sind,
kommt es vor, daß der Umfang auf der einen oder auf der anderen
Seite, d. h. auf der kranken Seite, bei der Einatmung gar nicht, oder
nur unbedeutend zunimmt. Mery hatte Gelegenheit, in den von
6rancher gesammelten Dokumenten bezüglich der Untersuchung auf
Tuberkulose in den Schulen den Wert des Verhältnisses zwischen
Thoraxumfang und Körpergröße näher zu prüfen. Es hat sich dabei
herausgestellt, daß diejenigen Kinder, die als der Tuberkulose ver-
dächtig galten, einen sogenannten „indice de vitalite''^) besaßen, der
1) Verhältnis zwischen Thoraxnmfang und Körpergröße.
160 Emßt Feltgen:
bedeutend niedriger war, als dies normalerweise der Fall ist. Die
Untersuchungen erstreckten sich auf 2300 Kinder. Mery will aus
diesen seinen Erfahrungen einstweilen noch keine festen Schlüsse
ziehen, sondern vorher noch mehr statistische Angaben abwarten.
Er begnügt sich für jetzt, zu zeigen, daß es einen gewissen Paral-
lelismus zwischen dem Thoraxumfang und der Körpergröße gibt,
dessen Prüfung von hervorragender Bedeutung für die frühzeitige
Diagnose der Lungentuberkulose ist.
Ist das Spirometer, der Atemmesser, eher imstande, genaue
Angaben über die Funktionsfähigkeit der Lungen zu geben, als die
besprochenen Messungen am Thorax?
Vom theoretischen Standpunkt aus, so behauptet Mery, muß mit
ja geantwortet werden, da mit dieser Untersuchungsmethode die ver-
schiedenen Grade der Vitalkapazität der Lungen am sichersten nach-
gewiesen werden können, ob aber die Methode in der Praxis ihren
Wert behält, das dürfte zweifelhaft sein, wenn man bedenkt, daß
man es, in unseren speziellen Fällen, mit Kindern zu tun hat, die
entweder absichtlich, aus Leichtsinn, oder aus Furcht oder aus sonst
einem Grunde das Ein- und Ausatmen meist nicht nach Wunsch aus-
führen. Die Spirometrie sowohl als die anthropometrischen Messungen
können also bei der Feststellung der Diagnose auf Lungentuberkulose
nur als Hilfsmittel angesehen werden, die allerdings oft sehr kostbar
sind; die genaue Untersuchung der Luftwege auf klinischem Wege
bleibt, im Grunde genommen, die Hauptsache bei der Ausspürung
des Leidens.
Man beginne mit dem Untersuchen auf Lymphdrüsen in der
Unterkiefergegend, in der Zervikalgegend, in der Carotisgegend, in
der subklavikularen Region, in der Achselhöhle. Bekanntlich setzen
sich in der Regel die Bazillen in diesen Drüsen fest, ehe sie in die
Tracheobronchialdrüsen und in die Lungen weiterwandem. Hierauf
inspiziere man den Thorax und sehe zu, ob die Entwicklung des
subkutanen Venengeflechtes in den subklavikularen Regionen eine
abnorme ist. Nach Derecq ist die abnorme Entwicklung und An-
füllung dieser Venen ein sicheres Zeichen für das Vorhandensein
von Drüsenschwellungen im Mediastinum und für die ersten Keimungs-
vorgänge der Tuberkel in den Lungen.
Schließlich kommt als der wichtigste, aber auch der schwierigste
diagnostische Faktor die Untersuchung der Lungen selbst in Be-
tracht. Mery möchte die diesbezügliche Methode Granchers befolgt
sehen, über welche dieser in seiner Abhandlung „Preservation scolaire
contre la tuberculose" des Näheren berichtet. Die Abhandlung schließt
SchnlhygieniBche Mitteilnngen vom internationaleii TnberkulogekoDgreß. 161
mit dem Resnm^: Diese üntersnchungsmetfaode, welche sich einzig
und allein auf das Studium der Anomalien bei der Inspiration
stützt, hat für die Kranken den unschätzbaren Vorteil, die Diagnose
der tuberkulösen Affektion der Lungen monate- und selbst jahrelang
früher feststellen zu können, als es möglich ist, den sogenannten
ersten „klassischen^^ Orad der Krankheit zu erkennen. Der Arzt
kann demgemäß der Entfaltung des Krankheitskeimes in den Lungen-
bläschen beiwohnen. Die Behandlung der Tuberkulose wird auf
diese Weise sich viel wirksamer gestalten.*)
Die chemischen Untersuchungen im Laboratorium lohnen sich
zum Nachweis der Tuberkulose in der Schule kaum, desgleichen
wird man hier auch keinen Gebrauch yon den Tuberkulininjektionen
machen können. Komplementarisch kann die Radioskopie von Nutzen
sein, besonders weil durch sie das Vorhandensein von Tracheo-
bronchialdrüsen mehr oder weniger leicht nachzuweisen ist. Nicht
zu unterschäzen ist das Hilfsmoment zur Feststellung einer Diagnose,
welches dem Arzte dadurch in die Hand gegeben wird, daß er sich
über den Gesundheitszustand der Familienangehörigen, besonders des
Vaters und der Mutter des zu untersuchenden Schulkindes, genau
informieren und persönlich überzeugen kann. Die Familienangehörigen
werden sich wohl nicht weigern, dem Arzt auf diese Weise behilf-
lich zu sein, falls sie durch zweckentsprechende und taktvoll bei-
gebrachte Aufklärung von der Bedeutung einer solchen Maßnahme
durchdnmgen wurden.
Wem soll die individuelle Untersuchung der Schulkinder an-
vertraut werden? Amtlich angestellten Schulärzten, nachdem
eine ärztliche Schulinspektion gesetzlich geregelt und eine individu-
elle Schüleruntersuchung obligatorisch gemacht wurden. Um
regelrecht vorzugehen und um gewünschte Resultate aufweisen zu
können, ist es unbedingt notwendig, daß alle Schulärzte auf eine
und dieselbe Weise bei diesen Untersuchungen vorgehen, denn nur
unter dieser Bedingung wird es möglich sein, zur allgemeinen Zu-
friedenheit das Werk Granchers weiter auszudehnen und zu vul-
garisieren.
Mery glaubt, die Wiederholung der Untersuchung könne
wohl alle zwölf Monate geschehen, andere sprechen sich für eine
Untersuchung aller Schulkinder alle drei oder sechs Monate aus.
Würde man sich diesbezüglich für einen Zeitraum von einem Jahr
1) Vergleiche: Internationales Archiv für Schulhygiene, 1. Band, 190ö,
8. 181—144.
162 EniBt Feltgen:
einigen, so dürfte eine supplementäre Untersuchung jedesmal
dann eingeschoben werden können, wenn die Kinder eine ansteckende
Krankheit, wie Masern, Scharlach, Keuchhusten, Influenza, Lungen*
entzündung, durchgemacht haben, oder wenn bei denselben eine Ge-
wichtsabnahme oder ein krankhaftes Aussehen konstatiert wird,
ohne daß man eine streng definierbare Krankheit für diese Yor^nge
anzuschuldigen in der Lage ist.
Die prophylaktischen Maßregeln, die in der Schule ange-
wandt werden sollen, sind zweierlei Art, kollektive zur Verhütung
der Verbreitung der offenen Tuberkulose, individuelle zur Ver-
hinderung der Entwicklung der latenten Tuberkulose. Die kollek-
tiven prophylaktischen Maßregeln, von welchen schon weiter oben
die Bede ging, umfassen vor allem diejenigen, durch welche be-
zweckt wird, die Hygiene der Schulräumlichkeiten zu reali-
sieren. Li erster Linie muß dafür gesorgt werden, daß soviel Licht
wie möglich in die Klassenzimmer und in die Schulhöfe hinein-
dringe, daß die Lüftung der Räume eine gehörige sei, daß jedes
Schulkind über wenigstens 1,25 Quadratmeter Fläche im Schulraum
verfügen könne, daß ein Maximum von Reinlichkeit in betreff der
Lokale und des Mobiliars angestrebt werde, daß der Maueranstrich
wasserdicht und die Mauerbekleidung waschbar sei, daß die Fuß-
böden fugenlos und nötigenfalls mit Paraffin oder dergleichen Stoffen
bestrichen seien, daß das Kehren und Abwischen auf feuchtem Wege
geschehe, daß das Spucken auf den Boden streng verboten werde,
und Spucknäpfe zur Verfügung seien, daß eine allgemeine Des-
infektion der Räumlichkeiten der Schule selbst und der Dependenzien
wenigstens einmal im Jahre stattfinde, daß eine ausgiebige Reini-
gung, ja eine regelrechte Desinfektion, wenn es sein muß, jedesmal
dann vorgenommen werde, wenn in den Schulen Volksversammlungen
und dergleichen abgehalten wurden.
Die Frage, ob die Schulkinder angehalten werden sollen, sich
an der Reinigung der Räume zu beteiligen, wird von Mery ver-
neinend beantwortet. Die meisten antituberkulösen Vereine, unter
diesen auch die bekannte Ligue des medecins et des familles pour
l'hygiene scolaire, haben sich energisch dagegen ausgesprochen.
Die ständige Tuberknlosekommission hat sich jedoch nicht in diesem
Sinne geäußert und will in der Beteiligung der Schulkinder am
Reinhalten der Schulräume einen Reinlichkeitsunterricht, eine Er-
ziehung zur Reinlichkeit sehen. Doch es müßte in diesem
Falle das Kehren und Staubabwischen wirklich nach hygienischen
Prinzipien vor sich gehen, also nie anders, als auf feuchtem Wege.
Schulhygienische Mitteilungen vom internationalen Tnberkulosekongreß. 163
Was die Bücher imd anderen Gegenstände betrifffc, die an an-
steckender Tuberkulose leidenden Schulkindern gehörten^ so ist es
klar, daß dieselben am vorteilhaffcesten durch das Feuer zu zer-
stören sind. Wenn in den Schulen selbst Angestellte, also Schul-
diener, oder Lehrer und Lehrerinnen wohnten, die an offener
Tuberkulose erkrankt waren, so muß die Desinfektion der be-
treffenden Wohnräume durch Neuanstrich der Wände und Tapeten-
wechsel kompletiert werden.
Welches sind die Maßregeln, die zu treffen sind, wenn in einer
Schule Lehrer, Schüler oder Schuldiener an offener Tuberkulose
leidend angetroffen werden? Die Frage wurde bereits teilweise an
anderer Stelle beantwortet. Es sei nochmals darauf hingewiesen,
daß vor allem der Betreffende, ob Lehrer oder Schüler oder Diener,
gleich zu entfernen ist, um in seiner Familie oder in einer Anstalt
einer gehörigen Pflege teilhaftig zu werden, mit fortlaufendem Ge-
haltsbezug, insofern es sich um Beamte handelt. Was die Schul-
kinder betrifft, so wäre es zu wünschen, daß dieselben in Sanatorien
am Meere, auf dem Lande, auf den Bergen, je nach den Ortsver-
hältnissen, verbracht würden, wenn man es mit offener Knochen-
pder Drüsentuberkulose usw. zu tun hat. Kommen mit an offener
Lungentuberkulose leidende Kinder in Betracht, die Fälle sind
bekanntlich in der Schule selten, so sind dieselben, wenn möglich,
in ihren Familien oder in Spitälern zu behandeln. Grancher tritt
dafür ein, daß Kinder mit geschlossener Tuberkulose am besten in
Sanatorien am Meere oder in Privathäusem, in Familien, unter-
zubringen sind, falls sie ein lymphatisches, ruhiges Temperament
haben, den leicht reizbaren Kindern, den nervösen Naturen, soll
man einen Aufenthalt auf dem Lande, wenigstens 15 bis 20 Kilo-
meter weit vom Meere entfernt, anweisen, da der direkte Kontakt
mit der Meerluft diesen nicht förderlich ist. Grancher teilt die an
Tuberkulose leidenden Kinder ein in solche, die eine leichte Affek-
tion aufweisen und in der Schule selbst behandelt werden können,
und in solche, deren Krankheitszustand den Landaufenthalt erheischt.
Für die ersteren schlägt Grancher eine Überernährung vor, sowie
methodisch ausgeführte Atemgymnastik und das regelmäßige Ver-
abreichen von Fleischpulver und Lebertran im Winter, von Jod-
präparaten im Sommer und zwar zu Lasten der Schulkassen, wenn
es sich um unbemittelte Kinder handelt. Daß daneben auch für
genügend langen Aufenthalt in frischer Luft gesorgt werden muß,
ist wohl selbstverständlich.
Von großer prophylaktischer Wichtigkeit ist auch die indirekte
164 Einst Feltgen:
Maßregel, die darin besteht, die Lehrer und Schüler durch einen
zweckmäßigen Unterricht in der Hygiene besonders auf die
Gefahr der Tuberkuloseübertragbarkeit aufmerksam zu machen.
In Frankreich ist, nach M^ry, eine solche hygienische Erziehung in
den Lehramtskandidatenschulen und in den Volksschulen bereits
ins Werk gesetzt worden, und zwar dank der Initiative einiger
opferwilliger Leute. Der Inspektor der Primärschulen, Baudrillard,
hat ein Handbuch veröflFentlicht, welches über die Verbreitung der
Tuberkulose eingehend handelt und den Schulkindern Stoff bietet
zur Unterrichtung in den Schulen und zu Aufgaben. Die anti-
tuberkulösen Lehren müssen in den Schulen gleichzeitig mit den
antialkoholischen Lehren verbreitet werden, zumal Tuberkulose
und Alkoholismus Hand in Hand gehen und erstere nur allzu oft
durch den Alkoholmißbrauch eingeleitet wird.
Unter die indirekten Maßregeln zur Bekämpfung der Tuber-
kulose in der Schule und zur Abwehr des Übels ist noch die
Gründung von Vereinen zu zahlen, die sich den edlen Zweck des
Kämpfens gegen den Erbfeind der Menschheit auf die Fahne
schreiben.
Mery wünscht die Weiterentwicklung der „Mutualite scolaire",
auch redet er den Schulkantinen das Wort, weil diese ein wirk-
sames Hilfsmittel zur Bekämpfung der Tuberkulose in den Schulen
darbieten. Zu diesen Kantinen können nur solche Kinder zugelassen
werden, welche ärztlich untersucht wurden. Der Hauptzweck dieser
Einrichtungen besteht darin, den Hilfsbedürftigen in der Schule
eine kräftige Nahrung zu reichen, ja, bei denselben eine Über-
ernährung zustande zu bringen, was beispielsweise durch das Ver-
abreichen von Milch und von rohen Eiern erzielt werden könnte.
Nach Grancher wäre es sehr angezeigt, Land- oder Wald-
schulen (nach dem Muster der Charlottenburger Anstalt) zu
gründen, wie eine solche bei St. Etienne ins Leben gerufen wurde.
Durch das Leben in gesunder, frischer Luft, bei zweckmäßig ge-
regelter Ernährung und methodisch geleitetem Schulunterricht,
würden sicherlich die meisten kranken Kinder geheilt werden, die
man in den Städten und größeren Ansiedlungen vergebens ärzt-
lich behandelt. Alle Bestrebungen, die auf ein solches Leben draußen
hinzielen, um tuberkulöse oder der Tuberkulose verdächtige Kinder
in Schutz zu nehmen, sind als äußerst nützlich und empfehlenswert
anzusehen. Diese Anstalten sollen jedoch den betreffenden Kindern
nicht einen kurzen, vorübergehenden Aufenthalt gewähren, sondern
sie müssen denselben während der ganzen Schulperiode ihre
SchnlhygieniBche Mitteilnngen vom iniemationalen TuberkulosekongreB. 165
yorteilhaften Einwirkungen auf die Gesundheit zugute kommen
lassen.
Auch die Ferienkolonien sind segensreiche Einrichtungen.
Leider behält man auch hier die Kinder nicht lange genug in
Pflege. Gewöhnlich bleiben dieselben nicht über einen Monat und
deshalb können die meisten nicht in genügendem Maße Vorteile
für ihr Wohlbefinden gewinnen. In die Pariser Schul- uud Ferien-
kolonien werden im Durchschnitt höchstens 10 von 500 Kindern
geschickt, auch nimmt man keine Kinder unter zehn Jahren an.
Anfangs ging man gar so weit, nur gesunde Schüler und solche,
die sich durch Fleiß und Betragen auszeichneten, in diesen An-
stalten aufzunehmen, was natürlich als ein recht verkehrtes Handeln
angesehen werden mußte.
Die Ansichten, ob die Schulkinder in Privatfamilien oder in
Anstalten verbracht werden sollen, wenn es heißt, denselben die
Vorteile des Landaufenthaltes zu bieten, gehen bei den verschiedenen
Fachleuten weit auseinander: Übereinstimmung herrscht jedoch in
betreflF des Punktes, daß in allen Fällen ein Arzt die Kinder über-
wache, damit sie ausgiebigen Nutzen aus der Behandlung, die in
den Ferienkolonien angestrebt wird, ziehen dürfen.
Als wichtigste Punkte der auf diese Auseinandersetzungen fol-
genden Diskussion seien nachstehende herausgegriffen:
Bezüglich der Kreierung von Landschulen wurde bemerkt,
daß bereits in einigen Departementen solche bestehen, und zwar
für Kinder mit offener und mit geschlossener Tuberkulose.
Es wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, den antituber-
kulösen Unterricht för Lehrer und Schüler sobald wie möglich
und überall obligatorisch zu machen. Der Unterricht in der
Hygiene soll durch Schulärzte erteilt werden.
Die Atemgymnastik sei imumgänglich notwendig, um den
Kämpfern um die gute Sache zum Siege zu verhelfen. Eine erste
Bedingung zur fruchtbringenden Atemgymnastik sei natürlich die
Untersuchung und die eventuell erforderliche Behandlung der oberen
Luftwege, speziell der Nase, des Rachens, der Nasenrachenräume.
Die Atemgymnastik habe ihre Gefahren, zumal bei fortgeschrittener
Lungenaffektion, und deshalb, weil sie ein zweischneidiges Schwert
sei, dürften nur Ärzte, Schulärzte, mit den Übungen betraut werden,
wie dies auch für die orthopädische Gymnastik der Fall ist.
Die besprochene antituberkulöse Prophylaxe in den Schulen
sei allenthalben in Frankreich noch sehr mangelhaft organisiert,
man habe es nur mit fragmentarischer Arbeit zu tun, eine Grup-
Gesunde Jugend. V. 7—10. 12
166 Ernst Feltgen:
pierung derjenigen, die dasselbe Ziel verfolgen , sei höchst er-
wünscht.
Eine recht bedeutsame Bemerkung wurde bezüglich des Yer-
häl&isses zwischen geistiger und körperlicher Erziehung gemacht:
Die Schule im Vormittag für das Gehirn, im Nachmittag
für die Lungen! Der mit den modernen Reformbestrebimgen ganz
und gar in Einklang stehende Vorschlag fand ungeteilten Beifall.
In Südwestfrankreich wurde die Gymnastik im richtigen Ver-
hältnis zu den geistigen Arbeiten, besonders die schwedische
Gymnastik mit gutem Erfolg in verschiedenen Schulen eingeführt.
Vergleicht man dort, so heißt es, das Notizbuch des Arztes mit
dem des Ökonomen (in den Internaten), so findet man beispiels-
weise für die Mädchenschule in Pau, daß seither die Aufiiahmen in
das Krankenhaus von Jahr zu Jahr an Zahl heruntergegangen sind,
von 36 auf 16 und schließlich auf 8, während die Ausgaben für
Beschaffung von Nahrungsmitteln in dem Haushaltungsbuch be-
deutend gestiegen sind. Dieselben erfreulichen Resultate sind an
der Knabenschule von Sarlat zu konstatieren.
In betreff der Tuberkulosemorbidität bei Lehrern wird her-
vorgehoben, daß die besprochenen hohen Prozentsätze der Wirklich-
keit keineswegs entprechen, sowohl was Paris, als auch die anderen
großen Städte angeht. Den Schulärzten sind solche hohe Zahlen
nicht bekannt. Die Gesellschaft der wechselseitigen Unterstützimg
der Lehrer des Seine-Departements, welche im Verlauf der letzten
zehn Jahre von 185 bis 265 Mitglieder zählte, hatte nur
12 Fälle von Tuberkulose zu verzeichuen. In Paris und im Seine-
Departement sind nur 60 Fälle von Tuberkulose unter 7163 Mit-
gliedern des Lehrerstandes der Primärschulen nachgewiesen worden.
Alle Statistiken zeigen übrigens, daß die Mortalität an Tuberku-
lose unter den Pariser Lehrern um die Hälfte niedriger ist, als
die Gesamtmortalität.
Daß durch die Bücher ansteckende Krankheiten, unter diesen
auch die Tuberkulose, verschleppt werden können, beweist fol-
gender Fall: Ein gesimdes Kind brachte ein Buch mit nach Hause,
welches von dem tuberkulösen Vater während längerer Zeit zur
Lektüre benutzt wurde. Der Mann bediente sich regelmäßig beim
Wenden der Blätter seiner mit Speichel augefeuchteten Finger. Die
am meisten auf diese Weise beschmutzten Blätter wurden während
genügend langer Dauer in Wasser getaucht, und mit diesem voll-
führte man bei Meerschweinchen Injektionen in die Peritonealhöhle:
alle auf diese Weise inokulierten Tiere erwarben Tuberkulose.
Schnlhygienische Mitteilungen vom internationalen Tnberknlosekongreß. 167
Es wnrde bemerkt, der Unterricht in der Hygiene, speziell
für die Lehrer, sei aus dem Gh-unde allein schon höchst wichtig,
weil der Schnlarzt mit dem Lehrer Hand in Hand gehen maß und
dieser also über hygienische Prinzipien genügend aufgeklärt sein
müsse, nm die ärztlichen Anordnungen und Vorschläge richtig be~
urteilen zu können.
Es wurde beschlossen, einen solchen Unterricht überall in den
Normalschulen einzuführen, wo derselbe gewünscht wird. (Viel-
leicht wäre es besser, denselben einfach obligatorisch zu machen,
ohne einen diesbezüglichen Wunsch von Seiten der betreffenden Be-
hörden abzuwarten.)
Hinsichtlich der Schulkantinen wird deren Notwendigkeit
von allen Seiten streng betont. Es genüge, sich einmal die Nah-
rung anzusehen, welche die ärmeren Kinder mit zur Schule bringen,
um sich Yon der Bedeutung der Installierung von Kantinen zu
überzeugen. Es sei sehr zu wünschen, daß Staat und Gemeinden
hier eingreifen und ihre MithiKe an diesem Werk in yoUem
Maße denjenigen zugute kommen lassen, welche die Frage angeregt
und zur Lösung derselben schon einiges beitragen dürften.
Springer-Paris vertritt die Ansicht, die Wachstumsvorgänge
beim Kinde würden beim Kinde im größten Maße von lebhaften
Reizungen der in den Gelenken sich gegenüberstehenden Knorpel
eingeleitet und diese Entwicklungsvor^nge könnten bei den zu
Tuberkulose prädisponierten Kindern bestimmend in bezug auf das
Aufblühen der Krankheit einwirken.
Die natürliche Entwicklung des Knochensystems ziehe eine
Menge von mineralischen Stoffen an und fixiere dieselben an be-
stimmten Punkten. Wenn die Ernährung der Kinder aus irgend-
welchem Grunde nicht hinreichend sei, um dieses Bedür&is an
mineralischen Stoffen zu decken, so bilde sich zugunsten der
Knochen eine Demineralisation derjenigen anatomischen Elemente,
die am meisten Mineralsalze, insbesondere Phosphate, bergen. Aus
diesem Ausgleich von Emährungssubstanzen folge eine Dystrophie,
die sich über den ganzen Organismus geltend machen könne, und
so würde die Entwicklung des TuberkelbaziUus bei den Prädisponierten
sehr begünstigt werden.
Um gegen diese Wirkung zu kämpfen, schlägt Referent vor,
das Wachstum im richtigen Maße, soviel es angeht, zurückzuhalten,
sowie dem Organismus diejenigen Stoffe, die er assimilieren kann,
zuzuführen. Wie kann solches bewerkstelligt werden? Durch das
Vermeiden aller Ursachen, welche die Aktivität des Knorpels zu
12*
168 SniBt Feltgen:
reizen imstande sind, das heißt also^ in erster Linie^ durch das Ver-
meiden der gymnastischen Übungen bei den Prädisponierten^ durch
das Umgehen jeder größeren Muskelarbeit^ sodann durch Enthaltung
Ton allen reizenden Wasserbehandlungen, besonders von kalten
Übergießungen; femer durch das Meiden aller reizenden Genußmittel,
als da sind Kaffee^ Bier, Wein und Alkohol unter einer anderen
Form. Angezeigt sind Buhe, beruhigende innere und äußere Mittel,
die statische Elektrizität, lokale Applikationen von Kompressen auf
die Gelenke mit Stoffen, denen man eine beruhigende und blut-
ableitende Wirkung mit Recht zuschreibt, sodann die Darreichimg
Yon organischen Phosphaten, die nicht chemisch behandelt wurden,
von Eiern, von Milch und Fleisch, von letzterefti jedoch nur sehr
kleine Quantitäten, schließlich von Arsen- und Jodpräparaten, von
kakodjlsaurem Natron.
Es würde uns zu weit führen, wollten wir über die Behandlung
tuberkulöser Schulkinder und solcher, welche der Tuberkulose ver-
dächtig sind, in „Luftkuranstalten'', in den sogenannten „Dis-
pensaires antituberculeux" usw., des Näheren an dieser Stelle
mitteilen, welche prophylaktischen und therapeutischen Einrichtungen
auf dem Pariser Kongreß eingehend zur Sprache kamen, denken jedoch,
zum Schluß die wichtigsten Wünsche hier wiedergeben zu sollen,
welche in betreff Tuberkuloseabwehr dem Schulkinde gegenüber so-
wie hinsichtlich des Beistandes des Kindes formuliert wurden:
1. Die Hygiene der Schullokale und des Schulmobiliars muß
gesichert werden.
2. Die Schulkantinen sind an Zahl zu vermehren, zu verall-
gemeinem, nach dem Muster der bereits bestehenden und tadellos
funktionierenden Anstalten dieser Art, so auch
3. die Ferienkolonien.
4. Dem Kinde sind die Prinzipien der Hygiene beizubrigen, es
soll verstehen lernen, daß der Aufenthalt in frischer, reiner Luft vor
allem notwendig ist, es soll die Körperübungen liebgewinnen, sowie
insbesondere die Atemgymnastik, es soll auf Körperreinlichkeit
bedacht sein.
5. Hinsichtlich der Internate muß dahin gewirkt werden, daß
neben der geistigen Beschäftigung eine genügend lange Zeit für das
Leben in freier Luft übrig bleibe, sowie für in vernünftigen Grenzen
gehaltene körperliche Übungen.'
6. In den Schulen soU das Ausspüren der Tuberkulose durch
gründliche ärztliche Untersuchung vorgenommen werden und zwar
nach der Methode Granchers und seiner Schüler.
Schulhygienische Mitteilungen vom internationalen Tuberkulosekongreß. 169
7. Man mnß dafür sorgen; daß diejenigen Kinder^ welche der
Tuberkulose verdächtig sind; oder solche^ die bereits au dem Übel
leiden, so lange wie möglich in bessere Lebensbedingungen; be-
sonders was Ernährung angeht; gesetzt und daß für sie Landschulen
gegründet werden.
Diese Abwehrmaßregeln sind durch die verschiedensten Werke
der Unterstützung des kranken KindeS; vor allem durch HöhekureU;
zu ergänzen. Es ist in erster Linie angezeigt; in reichlichem
Maße die Meersanatorien zu benutzen, deren Einwirkung bei ;;Prä-
tuberkulose**; bei äußeren Tuberkulosen und bei der tuberkulösen
Erkrankung der Lymphdrüsen ungemein günstig ist.
Schnle und Armee.
Von Oberstabflarzt Dr. Nenmann in Bromberg.
Li früheren Arbeiten habe ich dem Bedauern Ausdruck gegeben;
daß die Ergebnisse der Bekrutierungsstatistiken nicht überall in einer
dem allgemeinen Wohle zuträglichen Weise veroflFentlicht; ausgenutzt,
und zur Warnung und Belehrung benutzt werden können. Aus den
Ergebnissen derselben würde sich auf mannigfachen Gebieten der
allgemeinen und personlichen Hygiene ein Schluß ziehen lassen, so
halte ich nach meinen Erfahrungen vor allem die Beziehungen der
Berufe zur Militärtauglichkeit für wichtig und man ist neuerdings
darangegangen, wenigstens für die Klasse der Einjährig-Freiwilligen
sichere statistische Unterlagen zu gewinnen, die sich meines Er-
achtens auch auszudehnen hätten auf alle Wehrpflichtigen. Neben
der Berufsstatistik ließen sich meines Erachtens wichtige Schlüsse
ziehen, wenn die Art der Schule, ihr Einfluß; Art des Unter-
richts; Pflege der körperlichen Tätigkeit in der Schule untersucht
werden könnte in bezug auf die Militärtauglichkeit. Auch hierin
ist insofern jetzt ein Anfang gemacht; als wenigstens bei uns
in Deutschland bei allen sich freiwillig Meldenden, also auch bei den
Mehrjährig- Freiwilligen in den Untersuchungsmustern ein Vermerk
über die Schulbildung gemacht werden muß. Einer Anregung
des Herrn Professor Dr: Griesbach folgend, möchte ich in den folgen-
den Zeilen die Beziehungen zwischen Schule und Armee aus-
einanderzusetzen versuchen. Ich habe in früheren Arbeiten den Zu-
sammenhang betont zwischen Yolkshygiene und Militärhygiene und
habe gesagt; daß die Errungenschaften der Militärhygiene der Volks-
170 Nemnaim:
hygiene zugute kommen. Einmal ist die Militärhygiene vorbildlich
gewesen^ weil sie den statistisch-sichem Nachweis erbracht hat, daß
ein zielbewußtes hygienisches Arbeiten imstande ist, die Kranken-
Ziffer herabzusetzen. Nach der einwandfreien Statistik von Hiller
(Die Gesundheitspflege des Heeres) ist in dem 21jährigen Zeitraum
von 1881 — 1902 die jährliche Krankenzahl bei der deutschen Armee
um rund 3007© und die Sterblichkeit um 2,1 7qq oder um die Hafte
zurückgegangen. Das sind Errungenschaften, die noch von keiner
anderen Armee erreicht sind Zweitens habe ich gesagt, daß der
Soldat das, was er als Soldat hygienisch lernt, mit hinaus nimmt in
srein bürgerliches Leben. Der Soldat erhält bei uns hygienischen
Unterricht und es wird ihm gezeigt und gelehrt, wie eine rationelle
Gesundheitspflege imstande ist, Krankheiten zu verhüten; er ist also
^in der Lage, jene Lehren später im Zivilleben zu betätigen. Die Armee
ist mithin, bei uns wenigstens, eine Schule der Erziehung auch in
hygienischer Beziehung. Diese hygienische Erziehung des Volkes,
wie sie die Armee bietet als Schule, sollte nur früher einsetzen,
nämlich in der Schule selbst. Ich bin der Ansicht und habe ihr an
anderer Stelle Ausdruck gegeben, daß die Schulen verpflichtet
sind, einen systematischen hygienischen Unterricht zu erteilen.
Also ein Unterricht nicht bloß in der Schulhygiene, sondern Unter-
richt in der Hygiene als obligatorischem Unterrichtsgegenstand.
Meines - Erachtens gehören die GrundzQge der Gesundheits- und
Krankhei^slehre zur allgemeinen Bildung; da die Schule diese
Grundlagen geben muß, so gehört dieser Unterricht in die Schule.
Geschieht dies aber, so würde es besser stehen mit der Yolksgesund-
heit. Vor allem liegt das Gebiet der persönlichen Gesundheitspflege
im argen. Will man mm im speziellen Schule und Armee in Be-
ziehungen setzen, die sich zwischen ihnen spinnen lassen, so kann
man zunächst sagen, daß die Schulzeit gerade das Alter umfaßt,
welches der Militärzeit vorangeht, bei den höheren Schulen pflegt
sich die Dienstzeit fast unmittelber anzuschließen, bei den Volks-
schulen ist zwischen Schulzeit und Militärzeit eine Pause von fünf
bis sechs Jahren. Die Militärtauglichkeit ist bei den Armeen der
meisten Kulturstaaten ein feststehender Begriff, wenigstens hat er
sich zu einem solchen im Lauf der Zeit bei den Nationen, die auf
dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht fußen, verdichtet. Ich kann
mich auf das Geschichtliche der Heeresergänzung hier nicht ein-
lassen. In Betracht kommt ja auch nur das System der allgemeinen
Wehrpflicht, da nur diese eine gerechte Auswahl des Ersatzes, eine
Beteiligung des ganzen wehrfähigen Volkes verbürgt. Auf die
Schule und Armee. 171
Verschiedenheit der Altersgrenze für den Beginn der aktiven Dienst-
zeit und auf die Dauer derselben kann ich nicht eingehen, bei den
meisten Armeen ist der Beginn der Dienstzeit auf das 20. Jahr fest-
gesetzt Alle Versuche , die Militärtauglichkeit in Ziffern auszu-
drückeU; sind als gescheitert anzusehen. Militartauglich ist bei ims
derjenige^ wie ich dies seiner Zeit in Reißigs Arztlichem Hausbuch
naher auseinander gesetzt habe, der eine feste, elastische Haut,
starken Nacken, breite Schultern, eine regelrecht gebaute Brust, gut
gebauten Kücken, wohl angesetzte Schulterblätter, starke Ejiochen,
kräftig entwickelte Muskulatur, gelenkige Arme und Hände, gesunde
Beine und Füße und ein entsprechendes Körpergewicht besitzt. Ein
langer schmaler Brustkorb, herabhängende Schülern, stark vor-
springende Schlüsselbeine versprechen einen kräftigen zum Dienst
geeigneten Körper nicht; auf die Einzelheiten gehe ich nicht ein.
Die Bedingungen, die an die Militärtauglichkeit gestellt werden,
hängen aber nicht bloß vom rein körperlichen Befinden ab, sie wer-
den gemodelt durch die Bedarfsziffer, sie hängen ab von der Frucht-
barkeit usw., so daß in denjenigen Ländern, in denen das Zwei-
kindersystem obligat ist, auch auf Minderwertige zurückgegriffen
werden muß, um den Bedarf zu decken. Die Frage, ob die städtische
oder ländliche Bevölkerung die militärtauglichsten Rekruten liefert,
ist ungelöst, weil der Begriff Stadt und Land infolge der Freizügig-
keit gar nicht feststeht. Kruse hat bekanntlich gesagt: „Wenn wir
auch keinen Grund gefunden haben, der uns zwänge, an die fort-
schreitende physische Degeneration unserer und der übrigen euro-
päischen Völker zu glauben, so ist damit natürlich noch nicht ge-
sagt, daß die körperliche Beschaffenheit der heutigen Bevölkerung
überall und in jeder Beziehung eine vortreffliche sei.'' Das wäre
ein verhängnisvolles Mißverständnis. Wenn es auch an einzelnen
statistischen Erhebungen von Bindewald, Eiben, Dade, Vogl u. a.
nicht gefehlt hat, so fehlt es bei uns noch an der Ausnutzung des
Materials, welches bei den Aushebungen gewonnen wird, wie dies
u. a. (Jrotjahn in Weyls Handbuch der Hygiene (soziale Hygiene
und Entartungsproblem) fordert. Die Volkshygiene muß aber ein
ausgiebiges Interesse an der Kenntnis von der allgemeinen Körper-
beschaffenheit haben. Die Ergebnisse der Aushebung sind, wie ich
das in meiner Prophylaxe des Militärsanitätswesens naher aus-
einandergesetzt habe, eine Kritik der Volksgesundheit. Ohne mit
Zahlen zu ermüden, die deshalb unsicher in ihrer Wertung sind, weil
ihre Grundlagen zu verschieden sind, gilt die Annahme als fest-
stehend, daß die Hälfte der Wehrpflichtigen dienstuntauglich ist.
172 Nemnann:
Was die Wertung der Zahlen anbetrifft^ die natürlich in der Haupt-
frage gipfelt: Hat die körperliche Brauchbarkeit des Volkes zu-
genommen, oder nicht, so stimme ich Frölich in seiner „Militar-
medizin^' bei, der sagt, daß man, um sich dieser Frage zu nahern,
ganze Menschenalter gebrauche, daß aber in dieser Zeit die militä-
rischen Bedürfnisse und die Wehrpflichtsbestimmungen der Völker
sich derart geändert haben, daß eine zeitliche Vergleichung gar nichts
verspricht. Ich will nur einige ganz kurze Zahlen bringen: In Nor-
wegen wurden 1890 68 7o für tauglich erachtet, in Frankreich 1892
51%, in Schweden 1893 747^, in England 1898 407o, in Japan
1902 45 7o- Alle diese Zahlen besitzen nur einen relativen Wert.
In Italien erhält jeder Wehrpflichtige ein Sanitätsblatt, auf welchem
die für die Statistik wichtigen Zahlen, Beruf, Rasse, Geburtsort usw.
verzeichnet sind, für Freiwillige sind auch bei uns solche Zählkarten
neuerdings eingeführt; das ist aber nur ein Anfang.
Ich möchte nun ganz kurz einen Blick auf die Erkrankungen
werfen, welche hauptsächlich die üntauglichkeit bedingen. Ich
schließe mich der Kürze halber, da ein weiteres Eingehen nicht
nötig ist, der schon vorhandenen Darstellung von Generalarzt Meißner
in Schenckendorff und Lorenz: Wehrkraft durch Erziehung an, im
übrigen hatte ich in Beißigs Ärztlichem Handbuch die Erkrankungen
schon kurz charakterisiert gehabt. Ergänzend füge ich hinzu, daß
die Herzkrankheiten und Geisteskrankheiten von der preußischen
Militärmedizinabteilung in ihren Wirkimgen auf die Militärtauglich-
keit neuerdings gewürdigt worden sind. Beide Erkrankungen haben
zugenommen, beim Volk imd bei der Armee. Von den Dienst-
unbrauchbarkeit bedingenden Fehlem sind nach der Heerordnimg be-
sonders hervorzuheben Kurzsichtigkeit und Schwachsichtigkeit. Ihre
Beziehungen zur Schulhygiene sind zu bekannt, als daß ich sie hier
noch weiter erörtern müßte. Wir sind durch unzweckmäßige Schul-
hygiene zum Teil entartet und was die mangelnde Hygiene der
Schule und des Elternhauses verabsäumt hat, kann der Militärdienst
nur zum Teil wieder gut machen. Ich habe die Erfahrung gemacht,
daß ein großer Teil der Rekruten erst wieder sehen lernen muß,
sei es mit, sei es ohne Augenglas. Wir erziehen unsere Rekruten
erst wieder zur Sehleistung, denn viele haben durch Beruf und
Mangel persönlicher Augenhygiene das Sehen verlernt. Weiterhin
sind es die Fehler der Zähne, die Dienstunbrauchbarkeit bedingen,
die Ohrenleiden, meistens chronische Prozesse, deren Entstehung auf
mannigfache Ursachen in der Entwicklungszeit zu schieben ist. Von
ganz besonderer Bedeutung ist die Tuberkulose. Sie von der Armee
Schule und Armee. 173
schon bei der Aushebung fem zu halten, ist unser eifrigstes Be-
streben und es ist durchaus charakteristisch, daß in Preußen die
Abwehr der ja längst als ansteckend bekannten Tuberkulose von der
Armee durch Bestimmungen geregelt war, ehe Robert Koch den
Tuberkelbazillus als Träger der Infektion proklamierte! Schule und
Tuberkulose sind nicht ohne Zusammenhang, ich kann aber darauf
hier nicht näher eingehen, ebensowenig auf den Zusammenhang der
Tuberkulose mit dem Alkoholismus. Die Disposition zu Erkältungs-
krankheiten, %\x denen hauptsächlich die des Rachens und der Atmungs-
organe rechnen, beruht meines Erachtens lediglich auf der Ver-
weichlichung und mangelhaften Abhäiining. Dasselbe gilt auch zum
Teil Yon den rheumatischen Erkrankungen. Die ganz im argen
liegende Fußhygiene führt zu den Fußfehlem, die die Dienstunbrauch-
barkeit bedingen. Zu den Fehlem allgemeiner Art rechnen wir die
Nervenschwäche unserer entarteten Jugend, die männliche Hysterie,
die in der Steigerung begriffen ist, die allgemeine Körperschwäche,
ein Ausdruck der allgemeinen Degeneration.
Wenn auch ein Teil der Ursachen der Dienstunbrauchbarkeit
im Beruf, in Unfällen usw. liegt, so liegt doch zweifellos die tiefere
Ursache in den mangelnden gesundheitlichen Verhältnissen, in den
Mängeln der Schulhygiene, auf die ich als Nichtfachmann nicht näher
eingehen will, soweit sie die Überbürdungsfrage, die Art des Unter-
richts usw. betreffen; eine weitere Ursache liegt in der Vernach-
lässigung der Körperpflege, in der Vorherrschaft des Alkoholismus,
der Ausschweifungen, des zum Fanatismus getriebenen Sports, im
Tabakmißbrauch (Zigaretten rauchen) usw. Die Zunahme der Herz-
krankheiten, sagt Generalarzt Stricker, ist aus der ^zunehmenden
Degeneration und Nervosität der Jugend zu erklären. Daher auch
die Steigerung der Nervenkrankheiten und Geisteskrankheiten. Daß
eine unzweckmäßige Schulhygiene ihre Mitschuld trägt, steht außer
Zweifel. Will man also eine leistungsfähige, wehrkräftige Jugend
erziehen, so ist es notwendig, auf dem Gebiet der Schulhygiene noch
mehr zu tun als bisher, auch hier leiden wir noch an einem Zu-
wenig an Hygiene, wie Grober von der allgemeinen Hygiene sagt.
Schule und Armee haben also das gemeinsame Ziel, die Wehrkraft
zu erhöhen. Wir brauchen eine kräftige Generation, hat unser Kaiser
gesagt, und diese Erziehung zur Kraft muß schon in der Schule be-
trieben werden. Die Schule soll die natürliche Bundesgenossin der
Armee sein auch auf dem Gebiete der gesundheitlichen Erziehung.
Die Schule kann unendlich viel tun zur Hebung der Wehrkraft.
Einmal kann sie das erfüllen, was der Zentralausschuß zur Förde-
174 Nei
rung der Volks- und Jugeudspiele in Deutschland will, auf dessen
Leitsätze ich hier verweise. Hebung der Widerstandskraft körper-
lich und geistig; Hebung der Freude der Jugend an körperlicher
Betätigung der Leibesübungen durch TumeU; Schwimmen^ Spiele,
Bergsteigen, Rudern, Eislauf usw. — kurzum das notwendige körper-
liche Gegengewicht gegen die geistige Ermüdung und Überbürdung.
Für die Mädchen gilt das gleiche, denn nur eine gesunde Mutter
bringt wehrkräftjge Sprößlinge zur Welt. Die Schule sollte vor
allem eins pflegen, ein Einfaches, das eine Binsenwahrheit darzubieten
scheint: die Reinlichkeit. Sie ist die Grundtugend jeder Hygiene.
Ein großer Teil unserer Rekruten muß erst zur Reinlichkeit erzogen
werden. Es muß einer schon ein sehr schmieriger Mensch sein,
wenn er es nötig hat, sich jeden Tag zu waschen, sagte ein Rekrut,
wie Sonderegger in seinem trefflichen Buche: Vorposten der Gesund-
heitspflege berichtet. Gerade diese körperliche Reinlichkeit als
Quelle der Gesundheit sollte die Schule pflegen. Mit der Unrein-
lichkeit hängen die Infektionskrankheiten aller Art eng zusammen,
in der Schule, wie in der Kaserne, wie im Hause! Wenn ich es
als eine notwendige Forderung hinstelle, daß die Schule ihren
Schülern einen systematischen hygienischen Unterricht durch
Arzte, durch die als Forderung gebotenen Schulärzte oder durch
vorgebildete hygienische Lehrer erteilen läßt, wie ich solchen Unter-
richt bei Truppenteilen und bei Schulen als einer der ersten durch-
gesetzt habe, so muß sich ein solcher Unterricht auch auf die über-
aus wichtige, von Exzellenz von Haeseler, von Suck, von Eerschen-
steiner ganz besonders gewürdigte, wichtige Zeit zwischen Schule und
Waffendienst erstrecken. Ja ich möchte gerade diese Zeit als die
wichtigste und gefahrvollste hinstellen. Wichtig, weil in ihr
— bei beiden Geschlechtem — das Wachstum vom Kind zum Er-
wachsenen sich vollzieht, gefahrvoll, weil hier besondere Gefahren
lauem. In dieser Zeit wird oft genug der Grund gelegt zu späterem
Siechtum durch Ausschweifungen usw. Zu dem notwendigen Unter-
richt, der der schulentlassenen Jugend vom 15. bis 19. Jahre zu-
teil werden muß in Fortbildungsschulen, Haushaltungsschulen usw.,
rechne ich ganz besonders einen systematischen hygienischen Unter-
richt. Zu jener Zeit ist das Gemüt noch bildungsfähig, der Ge-
sichtskreis hat sich schon etwas erweitert, so daß ich die EinfÜhmng
der hygienischen Unterweisung in Gestalt systematischer Uuterrichts-
kurse an diesen Schulen für Halberwachsene für absolut not-
wendig halte. Ich habe an einer solchen Schule Erfolge erzielt und
das Gebotene wurde dankbar aufgenommen. Zu dem hygienischen
Schule und Annee. 176
Unterricht gehört hierher die volle Aufklärung über die Nachteile
der sexuellen Krankheiten, über die erste Hilfe, über die Grundzüge
der Krankenpflege, die in den weiblichen Schulen ganz besonders
gelehrt werden muß. Es fehlt nicht an Unterweisungsbüchern, ich
nenne die Bücher von Baur, Siebert im Verlag von Seitz und Schare
in München, die Bibliothek der Gesundheitspflege von Buchner-
ßubner im Verlag von Ernst Heinrich Moritz in Stuttgart. Zu
diesem Unterricht gehört auch die Warnung vor der Kurpfuscherei,
vor der sogenannten, dieser nahestehenden Naturheilmethode, vor der
Selbstbehandlung, vor dem Geheimmittel- und Heilmittelschwindel!
Ich habe den mir besonders sympathischen Gedanken der Verbindung
von Volkshygieue und Miliiarhygiene, dem ich u. a. in Breslau auf
der Ärzte- und Naturforscherversammlung Ausdruck geben durfte,
der auf Zustimmung stieß, bestätigt gefunden in einem äußerst
lesenswerten Buche von Beminger : Pädagogik und Hygiene. Beminger
stellt es als eine Pflicht der Pädagogen hin, für Nahrung und Förde-
rung der geistigen und körperlichen Gesundheit der Schüler und
Schülerinnen zu sorgen. Er weist nach, weshalb unsere heutige
Jugend sich keines günstigen Gesundheitszustandes erfreut, und seine
Behauptungen decken sich mit den Ergebnissen der Aushebung. In
beredten Worten schildert Beminger Art und Wesens des hygie-
nischen Wirkens des Lehrers. Er tritt für eine Erweiterung des
naturkimdlichen Unterrichts ein, den ich einen systematischen hygie-
nischen Unterricht genannt wissen will. Der große Wert einer
durchaus zeitgemäßen Schulgesundheitspflege wird aber noch trotz
aller Hygiene unterschätzt und Hueppe hat recht, wenn er sagt,
der Staat, der den Schulzwang schuf, ist auch verpflichtet, die ge-
simdheitlichen Folgen dieses Zwangs zu tragen und aufzuheben.
Schularzt und Pädagoge gehören m. A. als Freunde organisch zu-
sammen, den Segen dieser Freundschaft trägt Haus, Volk und Heer;
dann wird der Zweck jeder Erziehung erreicht: Menschen zu bilden;
gesunde Menschen als nützliche Mitglieder menschlicher Gemein-
schaft. Griesbach sagt: Je größer die Erfolge sind, die Hygiene
und Pädagogik gemeinsam erzielen, desto lebhafter der Fortschritt!
Auch die Schule und gerade die Schule muß zum hygienischen
Denken erziehen; diese Erziehung wird in der Armee fortgesetzt.
Der Jahresbericht über die Fortschritte und Leistungen auf dem Ge-
biet der sozialen Hygiene und Demographie von Grotjahn imd Kriegel
empflehlt die Bemingersche Schrift ganz besonders seinen Berufs-
genossen, den Pädagogen, mit der Begründung, daß ein Teil von ihnen
bis jetzt für Schulhygiene noch nicht das erforderliche Verständnis
176 Neumium: ScHule und Aimee.
besitze. Wenn nach dem Urteil von Lay die Unnatur des Schul-
unterrichts in der Vernachlässigung der körperlichen Betätigung
liegt, wenn nach Griesbachs Worten (Der Stand der Schulhygiene
in Deutschland) die Vernachlässigung der Hygiene der Schule vor-
zuwerfen ist, so ist es im Interesse der Wehrkraft notwendig, diese
Schäden zu beseitigen, denn nur im gesunden Körper kann ein ge-
sunder Geist wohnen! Gerade in den höheren Schulen liegt die
Hygiene im argen, gerade die Einjährig-Freiwilligen sind es, die
ceteris paribus einen hohen Anteil an der Dienstuntauglichkeit haben,
wie nachgewiesen von Werner u. a. Die körperliche Pflege, die
persönliche Gesundheitspflege sind daher in erster Linie zu beachten
und gerade dort, wo eben die geistige Anstrengung, wie in den
höheren Schulen, größer ist, als in den Volksschulen, muß ein Gegen-
gewicht stattfinden. Dann arbeitet die Schule mit an der Erziehung
zur Wehrkraft.
Schule und Armee gehen gleichartigen Aufgaben nach, sie sind
organisch verbündet. Ihre Berührungspunkte finden sich hauptsäch-
lich auf gesundheitlichem Gebiete. Die Gesundheit fällt den Menschen
nicht als ein Almosen des Allerhalters in den Schoß, sie will er-
kämpft und errungen sein. Der Satz: Was du ererbt von deinen
Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen, muß auch in hygienischem
Sinne gelten. Wir haben auf Erden nichts umsonst — am aller-
wenigsten Leben und Gesundheit. Nur wer an sich gesundheitlich
arbeitet, kommt zum Ziel.
Die Erziehung zur Gesundheit muß frühzeitig beginnen; sie be-
ginnt mit der Erziehung des Menschen im Elternhause, vorausgesetzt,
daß die Erziehung — ein schweres bedeutsames Wort — richtig
ist. Die Erziehung zur Gesundheit soll sich in Zukunft fortsetzen
in der Schule, sie soll anhalten in der Zeit zwischen Schule und
Waffendienst, sie soll auch nach dieser Zeit weiter gepflegt werden
in der Armee, die nach vollendeter Dienstzeit den Soldaten leistungs-
fähiger und widerstandsfähiger abgeben soll an das Volk, aus dem
er entsprossen. So lassen sich Beziehungen mancherlei Art knüpfen
zwischen Volkshygiene und Militärhygiene, zwischen Schule und
Armee, beides Bildungsstätten erster Ordnung für Erziehung und fär
Gesundheit; beides Grundpfeiler, auf denen die Größe und der Glanz
der Nation beruhen.
R. Eisflinger: Schülerwftndenmgen. 177
ScMlerwandernngen.
Von Prof. R. Kissinger, Oberlehrer am Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt.
Ein lebhafter Wandertrieb lockt mich zeitweilig aus dem Schul-
staub hinaus in Berg und Wald, die Lust am Verkehr mit der
Jugend veranlaßt mich, bei solchen Märschen auch wanderfrohe
Schüler mitzunehmen. Seit einer Reihe von Jahren unternehme
ich regelmäßig derartige Wanderungen mit Schülern des Ludwig-
Georgs-Grymnasiums in Darmstadt, und die Erfahrungen, die ich
seither dabei gemacht habe, bestärken mich in der Hoffnung, noch
recht oft solch fröhliche Wanderfahrten mit marschfreudiger Jugend
ausführen zu können. Sie sind ein Gewinn für Lehrer und Schüler,
und die verhältnismäßig geringe Mühe, die ihre Veranstaltung be-
reitet, wird reichlich durch die Freude mancherlei Art aufgewogen, die
aus diesen gemeinschaftlichen Wanderungen erwächst.
unsere Ausflüge sind freiwillig. Sie haben mit den Klassen-
ausflügen nichts zu tun; an ihnen beteiligen sich Schüler der ver-
schiedensten Klassen, wenn auch gewöhnlich ein Kreis guter Kame-
raden einer Klasse die Kemtruppe bildet. Die Schule unterstützt
unser Unternehmen dadurch, daß eine stets gern gewährte amtliche
Bescheinigung unserer Zugehörigkeit zur Anstalt durch den Direktor
der Schule uns nötigenfalls Fahrpreisermäßigung bei Benutzung der
Bahn erwirkt Im übrigen herrscht der Grundsatz, daß die Ver-
pflichtimgen gegen die Schule unter unseren Fahrten nicht leiden
dürfen. Es gilt als selbstverständlich, daß kein Schüler unter Hin-
weis auf seine Beteiligung an der geplanten Tour vorher um Er-
lassen der Aufgaben für den nächsten Schultag bitten oder nachher
sich damit entschuldigen soll. Ebenso muß jeder dafür sorgen,
daß er nicht etwa an dem der Wanderfahrt folgenden Tage in der
Schule fehlt. Hierüber wird nicht viel geredet, aber die Jungen
fühlen selbst, daß ein Verfehlen gegen diesen Grundsatz mich als
den Unternehmer der Tour in eine nicht gerade angenehme Lage
den Herren Kollegen gegenüber bringen könnte. Die Ausflüge finden
an den schulfreien Tagen statt; meist sind es also Sonntage, die
dazu zur Verfügung stehen. Etwa alle 4—6 Wochen wandern wir.
Bei größeren Fahrten rücken wir bereits am Samstagnachmittag
ans. Doch hat dies seine Schwierigkeiten, da nicht in allen Klassen
die Stunden so verteilt sein können, daß der Schüler in der Lage
ist, sich am Tage vorher schon für den Montagsunterricht vorzu-
bereiten. Manchmal bleibt allerdings bei anderthalbtägigen Touren
178 R- Kissinger:
den Jungen nichts anderes übrig, als — so gut es geht — ein
Stück voraus zu präparieren. Doch wissen wir Lehrer gar wohl,
daß doch auch an anderen Tagen nicht immer jeder Schüler muster-
haft vorbereitet ist. G^eme benutzen wir zu solchen Ausflügen die
ersten Ferientage; zu größeren Wanderungen natürlich auch unter
Umständen den größeren Teil der Ferien. So bin ich im ver-
gangenen Herbst mit einer Anzahl Jungen zehn Tage lang im
Pfalzer Wald marschiert; im allgemeinen aber sollen die Wanderungen
uns Erholung während der eigentlichen Schulzeit bieten. Für die
Beteiligung der Schüler ist die Jahreszeit gleichgültig; einerlei ob
Sommer oder Winter, stets ist eine Schar zur Wanderschaft bereit.
Hitze und Kälte wird ruhig ertragen, und mit besonderer Freude
gedenken die Teilnehmer eines Ausflugs, den wir am 22. und 23. De-
zember bei klarem Frostwetter in den Hochspessart unternommen
haben. Gerne ist die Jugend auch dann dabei, wenn einige Stunden
in der Dämmerung marschiert werden muß. Einige besondere
Schwierigkeiten erhöhen die Spannkraft und befriedigen durch die
Freude am Gelingen, wie mir u. a. ein strammer Marsch im ver-
gangenen August bewies. Wir hatten den seit Tagen vorbereiteten
Ausflug wegen eines am Samstagvormittag stundenlang nieder-
gehenden Regens wieder aufgegeben; als aber mittags plötzlich die
Sonne durchdrang, erschienen kurz vor Abgang eines späteren Zuges
mehrere Schüler in meiner Wohnung mit der Bitte, doch noch mit
ihnen auszurücken. Ich war bereit; innerhalb einer ganz knappen
Zeit mußten freilich die Kameraden erst benachrichtigt werden.
Die Räder sausten durch die Stadt. Ein Teilnehmer wurde gar
aus dem Wasser geholt, nur ein einziger erhielt die Nachricht zu
spät, die zwanzig anderen standen rechtzeitig am Bahnhof marsch-
bereit. Um 5 Uhr waren wir in AschaflFenburg, von wo wir telegra-
phisch Abendessen und Nachtquartier in Rohrbrunn bestellten. Dann
ging es den Bergen zu. Unser Marsch führte uns über die Hohe
Warte und an dem Schlößchen Mespelbrunn vorbei 25 Kilometer
weit; aber gerade die letzte Strecke wurde zwischen 9 und 10 Uhr
unter dem Gesang fröhlicher Wanderlieder oder dem Pfeifen eines
Marsches flott zurückgelegt.
An unseren Ausflügen beteiligen sich Schüler der verschieden-
sten Klassen unserer Anstalt, von Tertia bis Prima; hie und da
wagt sich auch ein kräftiger Quartaner mit Erfolg hinzu. Jeder
ist willkommen, der tüchtig laufen kann. Ich teile gewöhnlich zwei
Tage vor dem Marsche einem Schüler, der schon früher an ähn-
lichen Gängen teilgenommen hat, mit, daß ich beabsichtige
Schlilerwftndeningen. 179
wieder eine Wanderung zu unternehmen. Er kennt nun schon seine
Leute und weiß, wem er die Aufforderung weiter zu geben hat.
Rasch hat sich die Nachricht im, Schülerkreis verbreitet, und bald
laufen die Meldungen ein. Wird eine mehrtägige Tour in Aussicht
genommen, dann arbeite ich den Plan vorher aus und stelle eine
Kostenberechnung auf, die vervielfältigt und den Jungen eingehändigt
wird. Grundsatz ist, daß die Wanderung nicht viel Geld kosten
darf. Daran wird festgehalten, um einer großen Anzahl von Schülern
die Teilnahme an solchen Wanderfahrten zu ermöglichen und um
den Jungen zugleich zu zeigen, daß man sich auch mit geringen
Ausgaben edle Freuden bereiten kann. Wenn sich eine den bahn-
gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Anzahl Teilnehmer findet,
erhalten wir für eine notwendig werdende Fahrt die übliche Preis-
ermäßigung. Sehr günstig sind in unserer Gegend für Wanderungen
von der Bergstraße quer durch den Odenwald zum Maintal die so-
genannten Touristenkarten. Sie ermöglichen die Benutzung der
Schnellzüge, haben dreitägige Gültigkeit und sind recht billig.
Können wir von diesen beiden Vergünstigungen keinen Gebrauch
machen, so benutzen wir eben die vierte Wagenklasse. Wir haben
dann die' Annehmlichkeit, daß alle Teilnehmer zusammenfahren und
nicht auf verschiedene Abteilungen verteilt sind; außerdem ist zumal
in der Sommerzeit die Fahrt in den luftigen Wagen weit ange-
nehmer als in den engen Abteilungen der höheren Klassen. Wir
wurden gelegentlich einer Tour bei heißem Wetter mit Karten
vierter IQasse an einer Übergangsstation, da der Zug vollständig
besetzt war, plötzlich in die erste Klasse gesetzt. Anfangs gefiel
das den Jungen. „Hurrah, vierte Klasse bezahlen, erste Klasse
fahrenl Das ist feinl'^ Aber es dauerte gar nicht lange, da machten
die bequemen Polster doch zu warm, und bald waren die Jungen
darüber einig: „in vierter IQasse war es schöner."
Die Ausrüstung zu unseren Märschen ist sehr einfach; die
Jungen ziehen sich so bequem als möglich an. Der bei der heutigen
Jugend sonst so beliebte hohe Kragen ist dabei hinderlich, entweder
haben die Jungen ungestärkte Umlegkragen, die den Hals offen
lassen, oder der Kragen wird sofort vor der Stadt abgeknöpft. Natür-
lich wird nicht der beste Anzug von den Wanderern getragen,
sondern nur solche Kleidungsstücke werden angelegt, die auch etwas
auszuhalten vermögen, und die es dem Träger u. a. gestatten, sich
ohne Rücksicht auf etwaige Staubflecken bei einer Rast auf dem
Boden auszustrecken. Die meisten Jungen bevorzugen wollene
Wäsche, die auch am geeignetsten für Märsche sein dürfte. Auf
180 R- KiBsinger:
dem Marsche wird oft auch der Rock noch ausgezogen und im
Rucksack verpackt. Bequeme, ausgetretene Schuhe sind ein Haupt-
erfordemis, um die Leistungsfähigkeit der jungen Wanderer zu er-
höhen. Neulinge werden daher regelmäßig vorher hierüber belehrt,
da ein Fußkranker natürlich die ganze Gesellschaft auflialten kann.
Die eleganten, spitzen Stiefel oder Halbschuhe taugen zu unseren
Wanderungen nicht, am besten sind Schnürschuhe, die den Knöchel
fest umschließen und so breit angelegt sind, daß sie den Füßen ge-
nügend Spielraum geben. Nötigenfalls werden Sohlen aus Bast,
Stroh oder Filz eingelegt. Da unsere Ausflüge uns auch oft über
steinige Wege führen, haben viele Jungen sich bequem ausgetretene
Schuhe mit Nägeln beschlagen lassen, weil sich bei zu dünnen Sohlen
leicht die Steinchen fühlbar machen, was bei den Nagelschuhen
nicht der Fall ist. Über die Fußpflege, Beschneiden der Nägel in
richtigem Maße vor Antritt des Marsches, Behandlung der Füße
nach dem Tagemarsch muß natürlich gelegentlich eine geeignete
Belehrung gegeben werden. Baumwollene Strümpfe sind bei weiten
Märschen nicht besonders geeignet; hier ist der Wolle entschieden
der Vorzug zu geben, da die wollenen Strümpfe nicht so leicht
hart werden und den Fuß wund reiben. Die meisten Jungen laufen
in Kniehosen; ist dies nicht der Fall, so werden die Beinkleider
umgekrempelt oder in Gamaschen geschnürt. Diese sind aus Segel-
tuch zu billigem Preis zu haben. Besser aber empfehlen sich die
zwar teueren, aber bei schlechtem Wetter durchaus vorteilhaften
Ledergamaschen, die eingefettet werden und so dem Eindringen der
Feuchtigkeit wehren. Sehr angenehm ist auch schon bei einfachen
Tagemärschen die Mitnahme eines weiteren Paares Strümpfe, um
nötigenfalls nach einem Regenguß oder am Ende der Tour wechseln
zu können. Da wir meist die Tagesausflüge so einrichten, daß wir
am Abend an einer Bahnstation eintreffen, nehmen erfahrene Jungen
meist noch ein Paar leichte Schuhe mit, die sie dort gegen die
schwereren Schnürstiefel vertauschen. Gibt sich gar noch die gern
benutzte Gelegenheit, dort ein Bad zu nehmen, so wird zugleich
auch ein Wechsel der Leibwäsche vorgenommen, was die Behaglich-
keit wesentlich erhöht. Bei jeder mehrtägigen Tour müssen leichte
Hausschuhe mitgenommen werden, damit sofort nach dem Eintreffen
im Quartier die Füße ausruhen können. Auf die Fußpflege muß
eben hinreichend geachtet werden, soU der Reiseplan ausgeführt
werden. Für alle Fälle ist es gut, wenn wenigstens ein Rucksack
mit Leinwand, Vaselin oder Hirschtalg ausgestattet ist. Außerdem
ist bei längeren Touren dafür zu sorgen, daß ein Schuhlöffel zur
Schülerwandemogen. Igl
Yerfagung steht^ da nach eiDigen Tagen die feuchtgewordenen
Schuhe manchmal schwieriger anzuziehen sind; ebenso muß Nadel und
Zwirn vorhanden sein, nach denen bald verlangt wird. Seife^ Bürste
und Kamm gehören natürlich in jeden Bucksack Jeder Schüler
nimmt einen leichten Mantel mit. Hier empfiehlt sich zum Schutz
gegen Regen wasserdichter Loden; doch darf dies Kleidungsstück
nicht so lang sein^ dafi es beim Gehen hindert. Die meiste Zeit
freilich wird der Mantel oder Umhang über oder im Rucksack ge-
tragen, aus dem er hervorgeholt wird^ wenn Rast gehalten werden
solL Dann dient er als willkommene Unterlage und verhindert jene
bekannte Erkältung, die als „Wolf' leicht dem Unvorsichtigen die
Freude am Marsche verdirbt.
Mehrfach wurde bereits der Rucksack erwähnt. Er ist allen
übrigen Taschen und Täschchen vorzuziehen, da er viel in sich auf-
nehmen kann und infolge seiner Bauart die Last so verteilt, daß
sie nicht drückt. Selten wird er unangenehm empfunden, dagegen
bietet er so viel Annehmlichkeiten, daß auch bei eintägigen Aus-
flügen die Wanderer selten ohne ihn erscheinen. Bei größeren
Touren aber zeigt sich erst sein Vorzug recht deutlich, haben wir
doch auch bei einer zehntägigen Tour alles, was wir brauchten, bis
auf die Reservestiefel bequem in ihm unterbringen können. Natür-
lich will auch das Packen gelernt seiiL Der Mantel, Kleidungs-
stücke und ähnliche nachgiebige Gegenstande werden auf die Rück-
seite gelegt, was öfters gebraucht wird, kommt oben hin, das Essen
wird meist in den Außentaschen untergebracht Ein leichtes Hüt-
chen wird meist draußen im Walde an Rock oder Hosenträger an-
geknöpft, so daß es leicht zur Hand ist, wenn es gegen Regen oder
allzuheftige Sonnenstrahlen schützen soll. Ein derber, gewöhnlich'
eisenbeschlagener Eichenstock vollendet die Ausrüstimg.
Seit einiger Zeit bringt mancher Schüler auch eine Flasche mit
auf die Wanderung. Die bei dem deutschen Heere eingeführten
großen Aluminiumflaschen verdienen den Vorzug. Sie sind mit
dichtem Filz bedeckt und erhalten die Flüssigkeit außerordentlich
kühl. Grundsätzlich wird während der Wanderung nicht eingekehrt;
Alkohol wird auf dem Marsche nicht genossen. Es bedurfte hier
keines Verbotes. Die Jungen verstehen, daß jeder Genuß von
Alkohol die Leistungsfähigkeit mindert. Da die meisten Radfahrer
sind, wissen sie dies schon oder lassen sich leicht belehren. Wir
kühlen gerne an den Quellen unseres Odenwaldes oder Spessarts, wo
sich so viele laufende Brunnen befinden, unsere Hände und das Ge-
sicht und trinken einige Schluck Wasser. Darum halten wir mit
Genmde Jagend. V. 7—10. 13
182 R. Eiflsinger:
Vorliebe an solchen Platzen unsere Rast. Wer Getränke aus dem
Elternhaus mitnimmt^ wählt hierzu kalten Ea£Fee, Tee oder Zitronen-
limonade. Müssen wir im Winter einmal in einem Wirtshaus rasten,
dann werden nur solche zur Einkehr gewählt, in denen Apfelwein
zu haben ist. Sind wir am Abend am Ziele angelangt, dann habe
ich nichts dagegen einzuwenden, daß die Jungen zu ihrem Essen
Bier trinken. Doch habe ich die Beobachtung gemacht, daß viele
Yon ihnen auch dabei Selterswasser bevorzugen. Jedenfalls habe
ich schon gar manchmal festgestellt, daß bei recht strammen
Leistungen Primaner abgesehen von dem Fahrgeld sage und schreibe
zehn Pfennige ausgegeben haben. Eine unserer letzten Touren
führte uns an einem recht heißen Tage über zum Teil schattenlose
Strecken von AschafiPenburg nördlich nach dem „Hahnenkamm^.
Brunnenwasser war dort nicht zu haben; in der Bergwirtschaft
tranken wir Selterswasser. Auf dem noch 22 Kilometer weiten Heim-
wege faßte uns die Sonne tüchtig. Die letzte Strecke war außer-
ordentlich staubig. Da war der Durst groß. Die Primaner wußten,
daß das Bayerische Bier in Aschaffenburg berühmt ist. Sie sprachen
auf dem heißen Marsche von den bevorstehenden Genüssen, und als
wir nun nach einem Schwimmbade im Main zuletzt einen Brauerei-
ausschank aufsuchten und dort nahezu zwei Stunden rasteten, da
hatte derjenige, der am meisten getrunken hatte, für 24 Pfennige
Bier verzehrt.
Unser Essen wird im Rucksack aus dem elterlichen Hause mit-
genommen, ist doch unser Grundsatz, die Touren möglichst billig zu
gestalten. Die Jungen sollen eben lernen, daß man mit wenigem
Geld auskommen kann. Femer kommt dabei noch der Gesichts-
punkt in Betracht, daß der Vater natürlich viel lieber seinem Sohn
die Erlaubnis zur wiederholten Beteiligung gibt, wenn die Kosten
gering sind. Auch für zweitägige Touren* nehmen wir die Lebens-
mittel von daheim mit. Am Abend wird natürlich im Quartier ein
warmes Essen eingenommen. Bei größeren Ausflügen muß morgens
vor dem Abmarsch eingekauft werden. Auch hierbei haben die
Jungen im Laufe der Zeit manches gelernt. Zuerst hat jeder ftlr
sich eingekauft, allmählich kamen wir jedoch zu genossenschaftlichem
Betrieb. Der Einkauf geschah im ganzen und wurde dadurch etwas
billiger. Natürlich wurden dann vor den Toren sofort die Portionen
in die verschiedenen Rucksäcke verteilt. Sehr viel Abwechslung bietet
eine so erworbene Mittagsmahlzeit zwar nicht, aber nach einem
mehrstündigen Marsche schmeckt es ganz vorzüglich, auch wenn es
mehrere Tage hintereinander nur Wurst gibt. Wenn aber nun gar
Schfilerwanderongeii. 183
nocli — wie wir dies auf dem Drachenfels hatten — ein Feuer ange-
zündet werden kann und Kartoffeln gebraten werden, dann herrscht
eitel Freude. Bei solch einfacher Lebensweise sind die Kosten selbst
mehrtatiger Ausflüge nicht groß. Auch das Nachtquartier verursacht
nicht allzu große Ausgaben. Wo es möglich ist, bestelle ich die
Betten voraus und verabrede zugleich den Preis für ein ausreichendes,
kräftiges Abendessen, für Quartier und Frühstück. Bei einer größe-
ren Anzahl von Gästen gewahrt man wohl überall Preisermäßigung.
Läßt sich die Frage des Übernachtens nicht vorher regehi, so machen
wir gewöhnlich vor dem Orte, an dem wir zu bleiben gedenken,
eine Zeit lang Halt. Zwei dazu geeignete Schüler werden nun als
Quartiermacher vorausgeschickt. Sie besichtigen die Zimmer und
Betten, unterhandeln mit dem Wirt über den Preis, wobei sie rasch
forderliche Gewandtheit entwickeln, und bestellen einstweilen das
Abendessen zu einer bestimmten Zeit Wenn alles Nötige von ihnen
geordnet ist, rückt auf ihre Benachrichtigung die ganze Reisegesell-
schaft ein. Gewöhnlich richten wir uns so ein, daß wir kurz vor
dem Zeitpunkte des Abendessens erst eintreffen, damit die Jungen
nicht der Aufforderung ausgesetzt sind, vorher etwas zu trinken.
Ln Quartier ist natürlich die gründliche Reinigung vom Staub
der Wanderung das erste Geschäft. Wie ich schon früher erwähnte,
benutzen wir am liebsten am Schlüsse der Tagesfahrt eine Bade-
anstalt. Ist diese nicht da, aber doch hinreichend Wasser vorhanden,
so scheuen wir selbstverständlich auch ein Bad unter freiem Himmel
nicht; für solche FäUe haben wir stets eine Badehose im Rucksack.
Leibwäsche, Strümpfe und Schuhe werden gewechselt, die Kleider
in Ordnung gebracht, und so einigermaßen erfrischt erscheinen die
Jungen mit beachtenswertem Himger am Abendtisch. Falls der Ort
etwas Sehenswertes bietet, so haben wir uns meist schon vorher
damit bekannt gemacht. Zuweilen auch schlendern wir nach Tisch
noch in der Dämmerung durch die Straßen hinaus vor die Tore,
wo wir mit Scherz und Gesang die Zeit behaglich vertreiben. Recht-
zeitig ist ein Schüler auf der Post gewesen, um die Briefe und
Karten aus dem Eltemhause abzuholen. Gewöhnlich werden dann
nach dem Essen die meist gemeinschaftlich gekauften Ansichtskarten
geschrieben. Die Jungen finden gar bald heraus, daß sie auch hier
bei gemeinsamen Einkäufen wesentlich sparen können. Nachdem
die Karten geschrieben sind, ziehen bald die jüngeren Wanderer ab;
der Körper verlangt seine Ruhe. Wir andern bleiben noch eine
Weile beisammen, meist mit den übrigen Gästen und untereinander
in regem Gespräch über den zurückgelegten oder noch geplanten
13*
184 ^' Kissinger:
Weg. Dabei dürfen die Jungen auch rauchen. Bei solchen Ausflügen,
die ja durchaus freiwillig yon mir unternommen werden, und die
mit den pflichtmäßigen Schulausflügen nichts zu tun haben, betrachte
ich mich den jugendlichen Wanderern gegenüber als Stellvertreter
ihres Vaters. Dies bestimmt den Ton des freundschaftlichen Ver-
kehrs während der Wanderfahrt, und von diesem Gesichtspunkt aus
behandle ich unter anderem auch die Frage des Rauchens. Ich bin
freilich selbst leidenschaftlicher Raucher und rücke nie ohne kurze
Pfeife aus; ich gestatte den größeren Jungen das Rauchen, wenn es
ihnen vom Vater erlaubt wird. Dabei habe ich durchaus keine üblen
Erfahrungen gemacht. Mancher ist überhaupt schon in dem Selbst-
bewußtsein des Primaners 'dadurch befriedigt, daß er rauchen darf.
Ist eine Renommierzigarette erledigt, stellt er das Rauchen wieder
ein. Daß man beim Bergsteigen nicht rauchen soll, sehen die Jungen
selbst alle ein, und daß es ihrem Führer nicht angenehm sein kann,
beim Einzug in einen durch größeren Verkehr belebten Ort durch
eine Schar von 20—25 rauchenden jungen Leuten aufeufallen, sagt
ihnen das Taktgefühl. Auch hierbei habe ich die Beobachtung ge-
macht, daß es meist das Verbot ist, das mehr lockt als der wirk-
liche Genuß. Eine kurze Pfeife, die so männlich aus der Joppe des
Primaners hervorragt, oder der in bunten Farben gehaltene Tabaks-
beutel mit dicken Quasten dient mehr dem Renommisten als dem
Raucher. Kurzum, ich bin der Ansicht, daß man älteren Schülern
— einem jüngeren habe ich kurzerhand die Zigarette aus dem
Munde genommen und mit einem kräftigen Scherzworte beseitigt —
das Rauchen draußen freigeben kann. Überschreitungen sind mir
hier nicht bekannt geworden. Auch beim Trinken nach dem Abend-
essen habe ich die Jungen durchaus bescheiden gefunden; sie haben
bei unseren Märschen gelernt, daß Mäßigkeit die Leistungsfähigkeit
erhöht. Um VjB Uhr früh wecke ich die Gesellschaft, um 6 Uhr
sind die Rucksäcke fertig gepackt beim Frühstückstisch. Die Rech-
nung wird gemeinsam beglichen, und der Betrag bei der nächsten
Rast ausgeschlagen. Auf diese Weise kommt auch der Anteil an
den Trinkgeldern für den einzelnen nicht zu hoch; die Stiefel haben
wir natürlich den Abend vorher schmieren, nicht wichsen lassen.
Daß bei solchen Wanderungen die Ausgaben nicht die Grenzen über-
steigen, zeigte unser letzter Herbstausflug durch den Pfälzer Wald.
Wir fuhren von Darmstadt über Mannheim nach Neustadt a. d. Haardt,
wanderten über Annweiler nach Weißenburg, dann westlich nach der
Wegeinburg, nördlich bis Dürkheim a. d. Haardt, von wo wir am
10. Tage mit der Bahn heimkehrten, und die ganze Tour kostete
Schülerwanderungen. 185
insgesamt zwischen 40—45 Mk., dabei hatten wir uns noch einige
Stunden auf dem in der Pfalz berühmten ^^Derkemer Worschtmarkt'^
aufgehalten. Das Reisegeld tragen die Jungen, wie wir es von den
Soldaten lernen, gewöhnlich im ledernen Brustbeutel; nur der Tages-
betrag befindet sich in der Tasche.
Auf den Wanderungen wird manches frische Marschlied an-
gestimmt; leider hapert es meist mit dem Text. Den ersten Vers
können die Jungen wohl alle singen^ bei dem zweiten fallen schon
einzelne Stimmen aus. Um diesem Übelstande abzuhelfen, führt jeder
ein kleines Liederbuch mit sich, das auf ebenen Wegen herausgeholt
wird. Auch vor der gelegentlichen Einübung neuer Weisen hufen
wir nicht zurück; wenn ein strammer Gesang die Schritte beflügelt,
geht es munter Torwarts. An die Spitze der Marschabteilung sende
ich gewöhnlich zwei mit der Richtung, der Wegmarkierung und dem
Kartenlesen vertraute Schüler; doch muß man darauf achten, daß
sie nicht zu sehr ausreißen. Damit keiu Wanderer zurückbleibt,
marschiere ich als letzter. Die anderen Teilnehmer gruppieren sich
nach Belieben, je nachdem sie der ünterhaltungsstoff, das Sammeln
von Gestein, Pflanzen oder Tieren zusammenführt. Will ich die
Schar auf etwas aufinerksam machen, so ertönt ein Pfiff, und der
erhobene Stock gibt das Zeichen zum Halten. Es ist für den Führer
unbedingt nötig, daß er vor Antritt des Ausfluges einen genauen
Reiseplan entworfen und sich mit den Sehenswürdigkeiten, mit der
Geschichte der Landschaft bekannt gemacht hat. Femer wird es
ratsam sein, dafür zu sorgen, daß auch die Schüler schon eiuiger-
maßen damit vertraut sind; die meisten sind wohl im Besitze der
zum verhältnismäßig billigen Preis zu erstehenden Karten. Natürlich
wird an bemerkenswerten Orten ein kurzer Vortrag das Interesse
der Jungen fesseln. Viele Schüler führen Tagebücher, in die ge-
wöhnlich am Abend die Erlebnisse eingetragen werden. Einzelne
haben dann daheim in Muße die Wanderungen regelmäßig schriftlich
ausgearbeitet und in ihren Text die von den Eltern aufbewahrten
Ansichtskarten eiugeklebt. Auf diese Weise haben sie sich ein
Büchlein geschaffen, das ihnen zeitlebens eine schöne Erinnerung
bieten kann. Eine größere Reise habe ich selbst für eines unserer
Tagesblätter beschrieben. Als Vei^tung ließ ich mir dafür eine
entsprechende Anzahl von Abzügen geben, die ich den Teilnehmern
zum Andenken an unsere Wanderschaft zuwies. Wie ich weiß,
haben diese sich das Heft binden lassen und zum Teil mit ihren
Aufzeichnungen, Bildern und Karten ergänzt. Daß die Jungen durch
solche Märsche Freude am Wandern bekommen, beweist die Tatsache,
186 R. KiBflinger:
daß ein kleiner Kreis von Schülern unserer Anstalt^ die den Kern
bei unseren Ausflügen bilden ^ seit etwa zwei Jahren fast jeden
Samstag hinauswandert. Einen Kameraden betrauen sie dabei ab-
wechselnd mit der Führung; er hat dann auch die Aufgabe, vorher
sich mit Geschichte und Eigenart ihres Reisezieles vertraut zu
machen und darüber auf dem Wege einen Vortrag zu halten. Ebenso
benutzen diese Jungen die Ferien zu größeren selbständigen Wander-
fahrten, wie denn auch jetzt wieder, während ich dies niederschreibe,
eine Karte vor mir liegt, durch die sie ihrem diesmal während der
Ferien an die Heimat gefesselten Lehrer einen Gruß von fröhlicher
Ausfahrt senden.
Unsere Ausflüge geben dem Schüler natürlich auch reiche Ge-
legenheit, für seine Sammlungen zn sorgen. Wir entdecken dabei
in manchem Jungen ein Interesse, das wir nicht bei ihm vermutet
haben, wie denn überhaupt solch gemeinsame Wanderungen uns
Einblicke in die Welt des Schülers gestatten, wie wir sie sonst im
Unterricht wohl kaum tun, kommen doch Lehrer und Jungen ein-
ander hier menschlich viel näher, als dies der Schulbetrieb er-
möglicht. Daß viele Schüler eine Zähigkeit entwickeln, die wir
ihnen nicht immer von vornherein zutrauen^ zeigte u. a. ein Quarta-
ner, der 9 Tage eine Anzahl in unserer Gegend unbekannter Mauer-
eidechsen in einem unterwegs erstandenen Kistchen mit sich trug,
die er im elterlichen Garten aussetzen wollte. Er hat sie auch trotz
mancherlei Fährlichkeiten wohlbehalten heimgebracht. Daß der Ge-
sichtskreis der jungen Wanderer wesentlich erweitert wird auf solchen
Märschen, die sie mit Land und Leuten in unmittelbare Beziehungen
bringen, ist einleuchtend und — notwendig. Es ist überraschend,
wie arm oft die Stadtjungen an Kenntnissen aus dem Anschauungs-
kreis der Landleute sind, wie schwer es ihnen ofb fällt, sich mit
diesen auch nur in eine längere Unterhaltung einzulassen. Was in
Feld und Wald geschieht, die Beschäftigungen des Landwirts und
Waldarbeiters, die Arten der Bäume und Früchte, Aussaat oder
Emtearbeit, Mühlenbetrieb, Sägewerk usw., dies alles bringt vielen
Jungen etwas Neues und regt sie an. Ebenso ist es schon mit der
Sprache der Landbevölkerung; auch die Bauart der Häuser, die Reste
alter Volkstrachten, Volksgebräuche und viele ähnliche Dinge fesseln
ihr Interesse und locken zu Vergleichen mit den Sitten ihres Hauses
oder ihrer Gesellschaft. Dabei gehen die Jungen auf solchen Wande-
rungen aus sich heraus; mancher weiß recht lebhaft zu schildern,
wenn er etwas gefunden hat, was bei ihm verwandte Saiten anklingen
läßt. Erinnerungen von früheren Reisen oder Reisebeschreibungen,
Schülerwandenmgen. 187
Erzählungen aus dem persönlichen Leben^ aus der Familiengeschichte
werden vorgetragen^ so daß es selten an ünterhaltungsstoff fehlt.
Sehen wir dazu noch^ wie die Freude an der Schönheit der Natur
wach wird^ dann wächst der Lohn für die übernommene Mühe aus
dem Verkehr mit der Jugend reichlich hervor. Die Aufrechterhaltung
der Disziplin hat mir bis jetzt keine Schwierigkeiten gemacht. Dar-
über habe ich nicht zu klagen. Natürlich finden sich auch einmal
Jungen ein, die solche Ausflüge sich mehr als bequeme Märsche
mit Eneipstationen vorstellen. Sie kommen nur ein Mal und bleiben,
durch die Erfahrung enttäuscht^ für die Zukunft fem. Muß eine
größere Anyjihl in einem Saale schlafen, was leicht zu jugendlichen
Neckereien verlockt^ so schlafe auch ich regelmäßig in diesem Baum^
und die Sache rqrelt sich von selbst. Im übrigen kommen gewöhn-
lich Altersgenossen oder Freunde bei Verteilung auf die zur Ver-
fügung stehenden Zimmer zusammen.
Unternehmen wir nur einen Tagesmarsch^ dann muten wir uns
dabei etwas Anstrengung zu. Die Marschleistung betragt in aoldiem
FaU bei einem Gting in die Bei^e 9 — 10 Stunden; dies scheint
manchem zu viel, aber ich habe noch nicht erlebt^ daß ein Schüler
zurückgeblieben ist. Da meine Wandergefahrten ja auch schon ein
bis zwei Tage vorher unser Ziel und die Anforderungen kennen^ die
es stellt^ sind sie selbst in d«r L^ge zu entscheiden, ob sie eine
derartige Leistung übernehmen können. Bei diesen Ausflügen wird
in Zvrischenräumen yon 3 Stunden gerastet. Ziehen wir aber auf
mehrere Tage hinaus, dann wird natürlich die Marschzeit wesentlich
kfiner bemessen, etwa auf 6 — 7 Stunden täglich. Eonmien wir am
4. oder 5. Tag an einen Ort, der reich an Sehenswürdigkeiten ist,
wie z. B. die Städtchen Wertheim, Miltenberg am Main oder Rothen-
burg an der Tauber, so werden Rasttage eingeschoben. Mit tüchtigen
Läufern lasse ich mich gelegentlich auch auf längere Märsche ein,
doch müssen es Jungen sein, die bereits ihre Ausdauer bewiesen
haben. So sind wir in einer Julinacht um 1 Uhr morgens auf-
gebrochen, um den etwa 14 Stunden weiten Weg von Darmstadt
bis EUrschhom am Neckar zu bewältigen. Um 6 Uhr saßen wir in
der Nähe von Lindenfels an der Landstraße, das erste Frühstück
einzunehmen, zu dem wir uns von einer Bauersfrau süße Milch er-
worben hatten. Von 11 — 1 Uhr mittags lagen wir nach dem Genuß
kühler Sauermilch auf der Höhe von Waldmichelbach und schliefen,
vom treuen Spitz bewacht Um 6 Uhr trafen wir in Hirschhorn
ein. Es war eine anstrengende Tour, zu der ich die Schüler nicht
auffordere, aber es war eine Leistung, die uns besser bekam, als
188 Mitteilungen ans dem Zentralyerein.
einer Gesellschaft junger Leute^ die am selben Tage mit der Bahn
und auf dem Leiterwagen den Odenwald yon Darmstadt zum gleichen
Ziele durchquerte^ und yon der ich noch ein junges Mitglied unter-
wegs aufgriff^ dem das wiederholte Einkehren iu den am Wege ge-
legenen Wirtshäusern bei dem heißen Wetter nicht gut bekommen
war. Bei all seinem üblen Zustand hatte ihn sein ^^Yergnügen'^ über
zehn Mark gekostet^ wir hatten für Getränke^ die Milch^ noch nicht
50 Pfg. ausgegeben. Wohl waren wir rechtschaffen müde, aber im
übrigen nicht eiumal fußkrank. Solche Gewaltmärsche sind natür-
lich nicht anzuraten, aber gesunde Jungen fürchten sich davor nicht,
wie meine auch in dieser Art von Wanderungen nicht arme Er-
fahrung zeigt. Natürlich können sie nur in den Ferien unternommen
werden, doch übt der Wunsch, auch einmal die Nacht hindurch zu
marschieren, auf kräftige Burschen im Alter von 16—19 Jahren
große Anziehungskraft aus, zumal ihre Ausführung an die Umsicht,
Gewandtheit und Zähigkeit besondere Anforderungen stellt.
Die gemeinsamen Ausflüge mit Schülern bereiten ohne Zweifel
dem Lehrer mancherlei Mühe schon mit der Vorbereitung, sie legen
ihm unter Umständen auch Unbequemlichkeiten und gewisse Ver-
antwortung auf, aber sie tragen für den Freund froher Wander-
fahrten und Freund fröhlicher Jugend reichen Lohn in sich; und
wenn die Jungen auch mit dem Danke nur unbeholfen zuwege
kommen, sie sind dem Lehrer, der sie auf solchen Ausflügen mit-
nimmt, doch auch dankbar dafür, sie und ihre Eltern; ich weiß es.
Mitteilungen aus dem Zentralverein.
Vorläufige TageBordnnng
der Vn. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege am 6. und 7. Juni 1906 in Dresden.
Dienstage den 5. Juni: Von morgens 8 Uhr an ist das
Empfangsbureau in der Technischen Hochschule geöffiiet. Dort
werden Anmeldungen entgegengenommen und Mitgliederkarten aus-
gefertigt. Für den Besuch der Versammlung wird eine Teilnehmer-
karte im Betn^e yon 3 Mk. ausgefertigt; dieselbe berechtigt auch
zum freien Eintritt in die Kunstgewerbe-Ausstellung. Das Personal
Mitteilungen ans dem Zentral verein. Igg
des Empfangsbureans ist ebenso wie das Komitee durch grünweiße
Rosetten kenntlich gemacht.
Abends von 8 Uhr ab Empfang im Weißen Saale des Restau-
rants „Drei Raben^. Mitgliederkarten müssen am Eingang Tor-
gewiesen werden.
Mittwoch, den 6. Juni, vormittags 8 — 9 Uhr: Besichtigungen,
vormittags 9 Uhr: Eröffnung der Versammlung in der Aula der
Technischen Hochschule.
a) Offizielle Begrüßungsansprachen.
b) Vorträge.
1. Die Waldschulen. Ref.: Stadtschulrat Dr. Neufert-Char-
lottenburg.
2. Der Stand der akademisch gebildeten Lehrer und die Hygiene.
Medizinischer Ref.: Nervenarzt Dr. med. R. Wichmann-
Bad Harzburg. Pädagogischer Ref.: Realgymnasial-Ober-
lehrer Dr. Le Mang in Dresden.
4 Uhr: Festessen im Egl. Belvedere auf der Brühischen Terrasse.
(Das trockene Kuvert 4 Mk.)
Des Abends: Theatervorstellung oder etwas Ähnliches.
Donnerstag, den 7. Juni, vormittags 8 — 9 Uhr: Besichti-
gungen. Vormittags 8 Uhr: Geschäftssitzung in der Aula der Tech-
nischen Hochschule. Vormittags 9 Uhr: Vorträge daselbst.
1. Hausaufgaben. Medizinischer Ref.: Medizinalrat Dr. Berger-
• Hannover. Pädagogischer Ref. für höhere Schulen: Ober-
lehrer Karl Roller-Darmstadt, pädagogischer Ref. für
Volksschulen: Lehrer Schanze-Dresden.
2. Waschgelegenheiten in den Schulen, eine Forderung der Schul-
und Volksgesundheitspflege. Referent: Stadtverordneter Dr. med.
Hopf- Dresden.
Nachmittags: Besichtigungen und Ausflüge. Abends 8 Uhr:
Abschiedsfestlichkeit, dargeboten von d^r Stadt Dresden.
Vorschriften für die Herren Diskussionsredner.
Jeder der Herren, welche sich an der Diskussion beteiligen
wollen, ist gehalten, zugleich mit der Meldung zum Worte seine
Karte dem Herrn Vorsitzenden zu überreichen. Er wird dringend
aufgefordert, sofort nach Beendigung seiner Rede seine Worte auf
einem ihm überreichten Blatt Papier aufzuzeichnen und dem Schrift-
führer zu übergeben.
190 Mitteilungen aus dem Zentralverein.
Ein Redner, der sich ftir die Diskussion zum ersten Male
meldet y soll nicht mehr als 10 Minuten, ein solcher, der sich zum
zweiten Male meldet, nicht mehr als 5 Minuten sprechen.
Mit der Jahresversammlung ist eine schulhygienische Aus-
stellung verbunden.
Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege.
Vorsitzender: Prof. Dr. med. et phil. HL Griesbach, Mülhausen i. Eis.
Beisitzer: Dr. med. Ludwig Bauer, Arzt und Dozent für Hygiene
a. d. techn. Hochschule in Stuttgart; Geh. Oberbaurat Delius, Vor-
tragender Bat im Kgl. Preuß. Ministerium der öffentlichen Arbeiten,
Berlin, erster stellvertretender Vorsitzender; Prof. Dr. Arthur Hart-
mann-Berlin; Dr. med. M. Eorman, Arzt, Leipzig (übernimmt die
Schriftführung in den Jahresversammlungen und den Vorstands-
sitzungen); Oberbürgermeister Müller, Mitglied des preuß. Herren-
hauses, E^sel; Sanitatsrat Prof. Dr. F. A. Schmidt-Bonn; Gemeinderat
Stockmeyer- Stuttgart; Stadtschulrat Dr. Wehrhahn-Hannover,
zweiter stellvertretender Vorsitzender. Schatzmeister: B. Quelle,
Prokurist der Verlagsbuchh. B. G. Teubner, Leipzig. Geschäftsführer:
A. Diemunsch-Mülhausen i. Eis.
Der Ortsausschuß.
Oberbürgermeister Geh. Finanzrat a. D. Beutler als Ehrenvorsitzen-
der; Stadtrat Fischer als Vorsitzender; Stadtrat Dr. May, als steUv.
Vorsitzender; Ministerialdirektor Geh. Rat Dr. Dr. ing. Waentig im
Kgl. Kultusministerium; Ministerialdirektor Geh. Bat Merz im KgL
Ministerium des Innern; Geh. Schulrat Dr. Kühn im Kgl. Kultus-
ministerium; Geh. Schulrat Dr. Müller im KgL Kultusministerium;
Geh. Schulrat Dr. Seeliger im KgL Kultusministerium; Generalarzt
Dr. Müller, Chef der Medizinalabteilung im KgL Kriegsministerium;
Oberbaurat Karl Schmidt im KgL Finanzministerium; Geh. Medi-
zinalrat Prof. Dr. Renk; Regierungsrat Dr. Fischer, KgL Polizei-
direktion; Oberschulrat Dr. Preil, Direktor des KgL Lehrerseminars
in Dresden-Fr.; Geh. Medizinalrat Dr. Niedner, Stadtbezirksarzt;
Obermedizinalrat Dr. Hesse, Bezirksarzt; Schulrat Fink, KgL Be-
zirksschulinspektor; Schulrat Dr.Prietzel, KgLBezirksschulinspektor;
Schulrat Dr. Lange, KgL Bezirksschulinspektor; Stadtrat Friedrich;
Stadtrat Plötner; Stadtbaurat Erlwein; Stadtverordneten-Vizevor-
steher Hofrat Dr. med. Battmann; Stadtverordneter Dr. med. Opitz,
Stadtverordneter Dr. med. Hopf; Stadtverordneter Dr. med Graupner;
Mitteiltingen auB dem Zentral verein. 191
Stadtrerordneter Dr. phil. Vogel; Stadtverardneter Hofrat Dr. Haenel;
Geh. Eommerzienrat Lingner; Oberstadienrat Prof. Dr. Örtel, Rek-
tor an der Annenschule; Stadtschulrat Prof. Dr. Lyon; Direktor Prof.
Dr. Schöpke; Direktor Prof. Dr. Döhler; Direktor Dr. Friedrich,
Freimaurer-Institut; Gymnasial -Oberlehrer Prof. Dr. Weidenbach;
Prof. Dr. Nowack, Wohlfahrtspolizeiarzt; Hofrat Dr. med. Behrens;
Oberarzt Dr. Fritz Förster; Oberarzt Dr. Flachs; Professor Dr.
med. Schloßmann; Dr. med. Otto Kaiser; Dr. med. 0. Eretsch-
mar, Vorsitzender des ärztlichen Bezirksvereins; Direktor Knöfel,
I. Bürgerschule; Direktor Eberth, H. Bürgerschule; Direktor Berg-
mann, 4. kathol. Bezirk^schule; Oberlehrer Lohmann; Lehrer
Sattler, Vorsitzender des Dresdner Lehrervereins; Lehrer ZüUchner,
Vorsitzender des Dresdner TumlehrerTereins; Lehrer Theodor
Fischer; Lehrer Hermann Graupner; Lehrer Oskar Lehmann;
Lehrer Gustav Schanze; Redakteur Irrgang; Oberlehrer Laube;
Lehrer Dr. Richard Laube; Lehrer Arthur Ulrich; Kgl. Baurat
Trautmann; Stadtbauinspektor Schmidt; Realgymnasial-Oberlehrer
Fleischer.
Deutsches Hauptkomitee zur Vorbereitung des zweiten Internationalen
Sohulhygienekongresses, London 1907
organisiert vom Deutschen Verein für Schnlgestindheitspflege.
Yoraitzender:
Professor Dr. med. et phil. H. Griesbach, Vorsitzender des Deutschen
Vereins für Schnlgesnndheitspflege — Mülhausen-Els.
Stellvertretende Vorsitzende:
Geheimer Oberbaorat De lins, Vortragender Rat im Kgl. preuß. Ministerium
der öffentlichen Arbeiten, erster stellTertretender Vorsitzender des Deutschen
Vereins für Schulgesundheitspflege — Berlin.
Geheimer Medizinalrat Dr. med. D. Finkler, o. ö. .Professor der Hygiene
und Direktor des Kgl. hygienischen üniversitätsinstitutes — Bonn.
Geheimer Medizinalrat Professor Dr. med. Biedert, Medizinalreferent im
Elsaß-Lothringenschen Ministerium — Straßburg-Els.
Stadtschulrat Dr. phil. Wehrhahn, zweiter stellvertretender Vorsitzender
des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege — Hannover.
Mitglieder:
Prof. Dr. med. A. Baginsky, Direktor des Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-
Kinder-Krankenhauses und Vorsitzender des Berliner Vereins fürSchulgesundheits-
pflege — Berlin.
192 Mitteilungen aus dem Zentral?erein.
Di. med. Ludwig Bauer, Dozent für Hygiene an der technischen Hoch-
schule — Stuttgart, Vorsitzender des Stuttgarter Vereins für Schulgesundheite-
pflege.
Dr. med. B. Blasius, o. ö. Professor der Hygiene und Mitglied des
Landesmedizinalkollegiums — Braimschweig.
Geheimer Medizinalrat Dr. med. et phiL Herm. Gohn, Professor der
Augenheilkonde — Breslau.
Geheimer Medizinalrat Dr. med. £. von Esmarch, o. ö. Professor der
Hygiene und Direktor des Kgl. hygienischen Universitätsinstitutes — GCt-
tingen.
Geheimer Medizinalrat Dr. med. A. Eulenburg, Professor der Neurologie —
Berlin.
Geheimer Medizinalrat Dr. med. G. Flügge, o. 0. Professor der Hygiene
und Direktor des Egl. hygienischen Universitätsinstitutes — Breslau.
Obermedizinalrat Professor Dr. med. von Grashey, Medizinalreferent im
Kgl. bayr. Ministerium des Innern und erster Vorsitzender im Obeimedizinal-
ausschuß für Bayern — München.
Professor Dr. med. Arthur Hartmann, Ohrenarzt — Berlin.
Dr. phil. Martin Hartmann, Professor am König Albert-Gymnasiom —
Leipzig.
Dr. med. et phil. Willy Hellpach, Nervenarzt — Karlsruhe.
Dr. med. M. Kor man, Vorsitzender der schulhygienischen Abteilung
des Vereins für Volkshygiene — Leipzig.
Geheimer Medizinalrat Professor Dr. med. Leubusoher, Medizinalreferent
im Herzoglichen Ministerium — Meiningen.
Oberbürgermeister Müller, Mitglied des preuß. Herrenhauses — Kassel.
Geheimer Obermedizinalrat Dr. med. Neidhart, Vortragender Rat im
Großherzogl. hessischen Ministerium — Darmstadt.
Dr. med. G. Schleich, o. 0. Professor der Augenheilkunde und Direktor
der Kgl. Üniversit&ts-Augenklinik — Tübingen.
Sanit&tsrat Professor Dr. med. F. A. Schmidt — Bonn.
Dr. med. K Seggel, Generalarzt z. D. -- München.
Stadtechulrat Dr. phil. Sickinger — Mannheim.
Regienmgs- und Geheimer Medizinalrat Dr. med. R. Wehmer, stell-
vertretender Vorsitzender des Berliner Vereins für Schulgesundheitspflege und
Vorsitzender des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege — Berlin.
Geheimer Hofrat Dr. phil. Weygoldt, Großherzogl badischer Ober-
schulrat — Karlsruhe.
Geheimer Regierungsrat Dr. med. Wutzdorff, Direktor im Kaiserl.
Gesundheitsamte — Berlin.
Schatzmeister:
R. Quelle von der Verlagsfirma B. G. Teubner — Leipzig.
Sekretärt
A. Diemunsch, Lehrer und Geschäftsführer des Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege — Mülhausen-Els.
Mitteilungen aus dem Zentnlverein. 193
Landesorganisatioiiskomitee des ßroßherzogtums Hessen fftr den zweiten
Internationalen Schnlliygienekongreß in London 1907.
Vorsitzender:
Dr. med. Neidhart, Geheimer Obermedizinalrat, Vortragender Bat
im Ministerium des Innern. Abteilang für öflfentliche Gesundheitspflege —
Darmstadt.
Geschäftsführer:
Karl Roller, Großherzogl. Oberlehrer — Darmstadt.
Mitglieder:
Backes, Rektor, Oberlehrer, Obmann des hess. Landes-Lehrervereins —
Darmstadt.
Block, Realschuldirektor, Vorsitzender des hess. Oberlehrervereins —
Wimpfen.
BOtticher, Dr. med., Gr. Ereisassistenzarzt und Schalarzt in Gießen.
Buchhold, Dr. med., Sanitätsrat, Schularzt — Darmstadt.
Forbach, Dr. phil., Direktor des neuen Gymnasiums — Darmstadt.
Fresenius, Dr. med., Gr. Kreisassistenzarzt, Schularzt — Worms.
Haus er, Dr. med.. Geh. Obermedizinalrat. Vortragender Rat im Ministerium
des Innern, Abteilung für öff. Gesundheitspflege — Darmstadt.
Hoff mann. Geh. Oberbaurat, Vortragender Rat im Ministerium der
Finanzen, Ord. Professor der Baukunst a. d. Gr. Technischen Hochschule —
Dannstadt.
Huff, Hauptlehrer — Darmstadt.
Köhler, Gr. Oberbürgermeister — Worms.
Lösch, Hauptlehrer — Darmstadt.
Lucius, Dr. Professor, Gr. Ereisschulinspektor — Dannstadt.
Morneweg, Gr. Oberbürgermeister — Darmstadt.
Münch, Geh. Schulrat, Direktor des Realgymnasiums — Darmstadt.
Nodnagel, Geh. Oberschulrat, Vortragender Rat im Ministerium des
Innern, Abteilung ftlr Schulangelegenheiten — Darmstadt.
Schmuck, Gr. Tuminspektor — Darmstadt.
Zinsser, Dr. med., Gr. Ereisassistenzarzt und Schularzt — Offenbach.
Neue Hitglieder.
1571 Königl. Freuß. Auskiinftsstelle für höheres TJnterriohts'wesen.
Stadtgemeinde Ansbach, Bayern.
Band au, Dr., prakt. Arzt, Wilhelmshöhe bei Kassel.
Buchhold, Dr. med., Sanitätsrat, Schularzt, Darmstadt, Victoriastr. 66.
Epstein, Dr. med., Schidarzt, Mülhausen i. Eis., Kolmarstraße 42.
Eyles, Dr. med., Medizinalrat, Mülhausen-Eis., Sinnenstr.
von Grashey, Dr., Professor, Egl. bajr. Obermedizinalrat, München, Medizinal-
referent im Kgl. bayr. Ministerium des Innern und erster Vorsitzender im
ObermedizinalausBchuß für Bayern.
194 Ans Kongressen und Vereinen.
Hopf, Dr. med., Spezialarzt für Hautkrankheiten, Kgl. Stabsarzt d. Res., Stadt-
verordneter, Dresden, Striesener Platz 16.
Hösch, Paul, Dr. med., Arzt, München, Landwehrstr. 72ÜIr.
1680 Lange, Prof. Dr. med., Augenarzt, Braunschweig, Adolfstr. 7.
Massen, Dr. med., Arzt, Bonn.
Schröder, Fr. Obertumlehrer, Bonn.
Seggel, Dr. med., Egl. bayr. Generalarzt z. D., München.
St^envall, G., Dr. med., Stadtarzt, Schweden.
Ullmann, Karl, Dr., Doz. für Hygiene a. d. Exportakademie Wien I, Juden-
platz 5.
WolmnngsweGliBel.
Bleymüller, Bürgermeister, Ilmenau, von Februar ab Bürgermeister der
Stadt Eettwig a. d. Ruhr.
Unserem Mitglied Sanitätsrat Dr. F. A. Schmidt, Bonn, wurde in An-
betracht seiner Verdienste um die Schulgesundheitspflege der Professortitel
verliehen.
in. Aus Kongressen und Vereinen.
— Auf der 77. Yersammluxig deutsoher Naturforaoher und Ante
in Meran vom 24. bis 30. September 1906 war in der Abteilung für Kinder-
heilkunde als eins der Referatthemata „Die Stellung der Einderheil-
kunde zur Schulhygiene" aufgegeben. Der von beiden Referenten gemein-
sam aufgestellte Leitsatz lautete: Die neuere Entwicklung der Schulgesundheits-
pflege gipfelt in der allgemeinen Einrichtung der ärztlichen Überwachung der
Schüler.
Herr Seit er- Solingen besprach zunächst „Ergebnisse und Leistungen
des Schularztsystems *V Es ergab sich, daß sowohl bei der Einschulung der
Kinder, wie bei ihrer Überwachung während der ganzen Schulzeit dem Schul-
arzt zu wenig Zeit und Gelegenheit gegeben ist, um gründlich untersuchen zu
können. Die wertvollen wissenschaftlichen Resultate der Schularzttätigkeit sind
in erster Linie freiwilliger Arbeit, nicht dem schulärztlichen Dienste zu
danken. Seit er f afite die hauptsächlichen Ergebnisse seines Referates in
6 Leitsätze zusammen:
1. Die Einstellung der SchulneuUnge nach Maßgabe der ärztlicherseits
festzustellenden körperlichen und geistigen Schulreife und unter Be-
rücksichtigung der ärztlicherseits zu konstatierenden Gebrechen ist in
allen ärztlich beaufsichtigten Schulsystemen zwar eingeführt, aber
nicht vollkommen genug gehandhabt und ausgebildet.
2. Die schulärztlichen Sprechstunden imd Revisionen bisherigen Musters
ermöglichen nur einen oberflächlichen Überblick über die gesundheit-
' liehen Verhältnisse der Schule und Schüler, und sind als Mittel zur
Bekämpfung der Infektionskrankheiten nicht geeignet.
AoB Kongressen und Vereinen. 195
8. Die direkte hygienische Einwirkung des Scholarztes auf die Schüler
nnd die direkte Teilnahme an der hygienischen Gestaltung des CTnter-
richtes nnd der ünterrichtsgegenstöjide ist durch das bisherige Schul-
arztsystem nicht erreicht.
4. Die jeteige schulärztliche Eontrolle kann die notwendige Vermehrung
und Verbesserung der wissenschaftlichen Grundlage für die Schüler-
beurteilong in ausreichendem Maße nicht erzielen.
5. Die schulärztliche Beaufsichtigung (Wiesbadener Muster) bedeutet je-
doch eine wesentliche Verbesserung gegenüber der früher gänzlich
fehlenden Kontrolle.
„Über Art und Ziele der Tätigkeit des Schulkinderarztes^^ ver-
breitete sich danach Herr GOppert-Kattowitz in sehr eingehender Weise. Es
ist an dieser Stelle nur möglich, seine Leitsätze zu referieren:
1. Die Aufgabe des Schularztes erstreckt sich der Schule gegenüber
auf Feststellung der körperlichen und geistigen Schulfähigkeit und
auf eine sanitätspolizeiliche Überwachung der Schüler.
2. Dem Schüler gegenüber muß sich seine Tätigkeit im wesentlichen
auf Feststellung des Krankseins, nicht der Krankheit beschränken.
3. Zur Aufklärung der zahlreichen Fälle chronischen Nichtgedeihens
und der Frühformen der Tuberkulose ist er nicht imstande.
4. Wissenschaftlich kann er nur grob statistisches Material liefern, von
dem jedoch namentlich die Angaben über Gewicht und Körpermaße
Ton Bedeutung sind.
6. Da die Schule das einzige Gegengewicht gegen die zunehmende ner-
vöse Haltlosigkeit bietet, soll der Schuliozt jede Bestrebung unter-
stützen, die erziehliche Wirkung der Schule durch Verkleinerung der
Klassen und Individualisierung des Unterrichtes zu vertiefen.
6. Es muß versucht werden, die Institutionen des Schularztes zu be-
nutzen, um auf die allgemeine Volksemähmng einzuwirken.
Herr R öd er- Berlin (Tuberkulose im schulpflichtigen Alter) betonte,
daß sich bei den schulärztlichen Untersuchungen neben wenigen Fällen von
offener Tuberkulose eine große Zahl latenter Tuberkulosen finde, und wünscht
frühzeitige Entfernung solcher Kinder aus der Schule und Familie, Überweisung
in eine Kindererholungsstätte oder in ein Seehospiz, erst nach erfolgter Genesung
Wiederauftiahme in den Unterricht oder in eine Waldschule.
Herr Flachs -Dresden (Über Schule und Haus) schilderte die Wechsel-
beziehungen zwischen der Häuslichkeit und der Schule und betonte vor allem
die Fragen der Abhärtung, der Kleidung der weiblichen Jugend und der Be-
rücksichtigung der sexuellen Sphäre.
Herr Hecker-München (Alkohol und Schulkind) stellte durch Frage-
bogen, die an etwa 4000 Schüler hinausgegeben wurden, den Einfluß des Al-
kohols auf die geistigen Qualitäten und das Längenwachstum der Schüler fest.
Merkwürdigerweise zeigt sich bezüglich der geistigen Qualitäten (Fortgang,
Fleiß) kein wesentlicher Unterschied zwischen Abstinenten und Alkoholtrinkenden,
soweit die I. und ü. Note in Betracht kommt. Nur die wirklichen Trinker sind
weniger an ihnen beteiligt. Bei der m. und IV. Note dagegen erweisen die
Zahlen einen Einfluß des Alkohols. Bezüglich des Längenwachstums ergibt sich
bei den Alkoholtrinkenden erst ein Zurückbleiben, das aber mit liy, Jahren
sich wieder ausgleicht.
196 Aus EongresBen and Vereinen.
An diese 6 Schulvorträge schloß sich eine sehr ausgedehnte Diskussion
an, deren Einzelheiten unmöglich berichtet werden können.
Herr Biedert- Straßburg warnte vor zu exzessiven Forderungen der Schul-
ärzte und wünschte eine Präzision dessen, was dringend gewünscht wird und
womit man durchdringen kann.
Herr Ganghofner-Prag verlangte pädiatrisch geschulte Ärzte zur Über-
wachung der Schüler und ein gutes Einvernehmen zwischen Schularzt und
Lehrer; ein solches werde durch den Besuch der schulhygienischen Kongresse
und den hierbei ermöglichten Gedankenaustausch gefördert. Lungenschwind-
sucht sei selten in der Schule; nur von ihr gingen Weiterinfektionen aus. Die
Aufgabe der Schule in der Prophylaxe der Tuberkulose bestehe nicht im Ver-
hüten der Infektion in der Schule, sondern in der Berücksichtigung der latent
tuberkulösen Kinder durch Herbeischaffung für sie möglichst günstiger Be-
dingungen, welche verhüten, daß die Krankheitsanlage durch die Schule ge-
steigert wird.
Herr Lugenbühl, einer der 8 Wiesbadener Schulärzte, erklärte einen
einzigen beamteten Schularzt für besser als eine größere Anzahl von solchen
im Nebenamt; Therapie sei aber keineswegs Sache des Schularztes; in Wies-
baden würden nur Sprachstörungen, Augen- und Ohrenkrankheiten durch die
Schule behandelt.
Herr Gutzmann- Berlin wünschte auch Behandlung der Lnbezillen vom
Schularzt. Gehörprüfungen können nach seiner Ansicht durch die instruierten
Lehrer vorgenommen werden. Ein Verderben der Stimmen durch Singen wäh-
rend der Mutation lasse sich durch Verständigung mit dem Lehrer verhüten.
Herr Trumpp- Berlin verlang^, daß man die Eltern dazu anhalte, die
Kinder wenigstens einmal in der Woche nackt zu inspizieren.
(Münch. med. Wochenschrift. 1906, Nr. 41.)
— Im Verein für Volkshygiene in Dresden sprach Bürgerschullehrer
Herrn. Graupner über „Die Unterrichtszeit im Lichte der modernen
Schulhygiene *\ Der Bedner führte nach der Dresdener Zeitung etwa fol-
gendes aus:
Die Frage nach dem Alter, in dem die Kinder in die Schule aufgenommen
werden sollen, wird aus pädagogischen und hygienischen Gründen vielfach da-
hin beantwortet, daß das Kind erst mit dem 7. Jahre aufgenommen werden
solle, vereinzelt wird sogar aufgefordert, daß die Schulpflicht erst mit dem
8. Leben^ahre beginnen möge. Die Entwicklung der Sinne und des Gehirns
gibt uns keinen Anlaß, den Beginn des Unterrichts für ein späteres Lebens-
alter zu fordern, mit Bücksicht auf die gesamte körperliche Entwicklung
der Kinder ist also gegen den Eintritt der Schulpflicht mit dem 6. Lebensjahre
nichts einzuwenden. Selbst bei körperlich zurückgebliebenen Kindern sträuben
sich die Eltern meist dagegen, ihr Kind ein Jahr länger zu Hause zu behalten,
und doch sollte man die Anforderungen, die der Elementarunterricht an die
Kinder stellt, nicht unterschätzen, bleiben doch solche Kinder, die die Schule
mit 6 Jahren besuchen, um ein halbes Jahr in der Entwicklung gegenüber
jenen Kindern zurück, die später zur Schule geschickt werden, was um so auf-
fallender ist, als die Kindheit die Zeit des Wachstums ist Die außerordent-
liche Wichtigkeit der körperlichen Entwicklung erhellt daraus, daß die körper-
lich g^t entwickelten Kinder besser veranlagt sind, ein besseres Gedächtnis und
eine größere Aufnahmefähigkeit besitzen, schwachsinnige Kinder aber meist
Aus EongreBsen und Vereinen. 197
auch in der körperlichen Entwicklang snr&ckgeblieben sind. In Dresden hat
die ünterBuchiing der neneintretenden Kinder dnreh die Schnl&nste zn dem
Resultate geführt, daß 60 Prozent der in die Bezirksacholen aufgenommenen
Kinder schwächlich sind. Auch haben weitere Untersuchungen gelehrt, daß
die Kinder um so öfter sitzen bleiben, je kleiner sie sind.
Infolge der bedeutenden Anforderungen, die die Schale an die Kinder
stellen muß, wird das Nervensystem vieler Kinder geschwächt, während die
Schule doch gerade die Pflicht hat, das Nervensystem der Kinder zu stärken,
wobei durchaus nicht gefordert werden soll, daß von den schwächlichen Kindern
jede Anstrengung fem gehalten werden möchte. Eltern und Lehrer müßten
die Grenze der Leistungsfähigkeit der Kinder zu beurteilen vermögen, die
Kinder dann aber auch bis zu dieser Grenze belasten. Das würde für den
Lehrer aber nur dann möglich sein, wenn in einer Klasse nicht mehr als
40 Schüler sitzen. Um die Sehweite beim Lesen und Schreiben einhalten zu
können, dürften Kinder unter 110 cm Größe nicht in die Schule aufgenommen
werden, da infolge ihrer Kleinheit bei ihnen das Auge nicht 85 cm vom Lese-
buch oder Schreibheft entfernt sein kann.
Bei der Feststellung der Unterrichtsf&higkeit ist neben der körperlichen
Entwicklung des Kindes auch eine gewisse geistige Fähigkeit zu fordern;
denn auch in geistiger Beziehung sind die Kinder sehr verschieden entwickelt.
Die Natur und die sozialen Verhältnisse lassen große Verschiedenheiten auf-
kommen, und es fragt sich, ob man von diesen verschiedenartig entwickelten
Kindern dasselbe fordern soU, oder ob es geraten erscheint, die weniger ent-
wickelten Kinder besonders zu behandeln. Ein späteres Eintreten der Schul-
pflicht ist nicht zu befürworten. Die minderwertigen Kinder sollten vielmehr
in besonderen Klassen mit höchstens 26 Schülern unterrichtet werden. Die
Dresdner Lehrer hoffen, daß die zwei Stunden geistiger Unterricht, die seit
Ostern vorigen Jahres für die Elementarklassen in Wegfall gekommen sind,
wieder in den Lehrplan angenommen werden, um diese beiden Wochenstunden
mit Körperübungen auszufOllen.
Recht wenig Verständnis herrscht bezüglich der Arbeitspausen und der
Arbeitsdauer. Die Arbeitsdauer soll nicht zu kurz sein, sollte aber nicht
mehr als ununterbrochen 74 Stunde betragen, worauf eine Pause einzutreten
hätte. Die Arbeitszeit von 46 Minuten sollte auch von den Eltern bei Anfer-
tigung der Hausaufgaben als Norm eingeführt werden. Die Ökonomie des Ler-
nens fordert die Einfahrung von Pausen nach obiger Arbeitszeit. Bei 6 Stunden
Schulunterricht sollten zwei Pausen zu je 10 Minuten imd zwei Pausen von je
20 Minuten eintreten, bei jüngeren Kindern müssen dagegen die Pausen ein
Viertel der Arbeitszeit betragen. In den Pausen sollten keine Körperübungen
vorgenommen werden, die Kinder sollten aber auch nicht toben. Am besten
ist es, die Kinder sich selbst eine ruhige Bewegung verschaffen zu lassen. Der
fünfstündige Vormittagsunterricht mit insgesamt einer Stunde Pause ist nicht
ideal, aber doch besser als der Nachmittagsunterricht, der hygienisch und
pädagogisch wertlos und deshalb zu beseitigen ist. Dresden hat den Wegfall
des Nachmittagsunterricht mit zuerst und in ausgedehnter Weise durchgefShrt.
Hygienisch bedenklich ist der Nachmittagsunterricht vor allem, wenn er bald
nach der Hauptmahlzeit beginnt. Nach dieser Mahlzeit driUigt das Blut nach
dem Magen und fördert dessen Tätigkeit. Wenn gleichzeitig das Gehirn ar-
beiten soll und deshalb große Blutmengen beansprucht, dann müssen sich Magen
Oeiunde Jugend. Y. 7^10. 14
19^^ Ans Kongpressen und Vereinen.
nnd Gehirn in ihrer T&tigkeit gegenseitig hemmen. Man sollte deshalh die
Kinder nicht zn geistiger T&tigkeit zwingen, wenn sie verdauen müssen, da
dies eine Schädigong des Nervensystems im Grefolge haben mnß. Kinder, die
Nachmittagsunterricht haben, zeigten tatsächlich eine gprößere Kränklichkeits-
ziffer, als Kinder, die freie Nachmittage haben. Die freien Nachmittage sind
von hohem hygienischem Vorteile. Weim Kinder nach dem Nachmittagsunter- 1
rieht gar noch Hausaufgaben anfertigen sollen, dann wird das überangestrengte i
Gehirn die Kinder auch nachts nicht zum gesunden Schlafe kommen lassen.
Der Nachmittag ist so viel als mOglich vom wissenschaftlichen Unterrichte frei
zu halten. Wo der Nachmittagsunterricht nicht ganz zu beseitigen ist, sollte
er nicht vor 8 Uhr beginnen und sich nur auf technische Fächer erstrecken.
— Im BealBchnlmännerverein in Frankfurt sprach Seminardirektor
Dr. Pabst-Leipzig über „Gesundheitspflege und Schulwesen'*. Den |
Frankfurter Neuesten Nachrichten entnehmen wir hierüber folgendes: Redner I
wünscht zuerst die völlig irrige Anschauung zu entkräften, als ob wir auf dem
Gebiet des Schulwesens noch immer auf der unnahbaren Höhe marschierten,
auf der einstens die deutsche Pädagogik die übrige Welt blendete. Heute seien j
wir von dem aufstrebenden Amerika und auch von England in vielem über-
flügelt. Namentlich aber in bezug auf Schulhygiene, wo wir direkt von diesen I
Nationen lernen müßten. Die äußere Ausstattung der Schulräume sei nicht 1
palastartig, Spiel- tmd Erholungsplätze seien in voller Zahl vorhanden. Doch
wo bleibe der praktische Erfolg? Man sehe sich nur die Schulklassen
der höheren und Volksschulen an. Eine nicht fröhliche, kümmerliche, bleich-
süchtige, nervöse, sehschwache Jugend finde man dort. Statistisch nachgewiesen
seien 60—70 Prozent der höheren Schüler untauglich für den Militärdienst. In
der Volksschule sei das Verhältnis allerdings geringer, aber auch hoch genug,
etwa 25 Prozent. Die Hauptfrage müsse stets die sein: was muß der Unter-
richt tun, um die Gesundheit zu fördern? Und da sei es die erschreckende
Tatsache, daß unsere Schulkrankheiten so ungemein verbreitet sind. Diese
zeigten sich auch bei den kraftigsten Individuen, im 18. Lebensjahre bei den
höheren Schülern bis auf 70 Prozent anwachsend. Im ersten und zweiten Schul-
jahr steige Nervosität und Kopfweh aufs siebenfache. Die Kurzsichtigkeit sei
bei 48 Prozent der Primaner zu konstatieren. Es gäbe sogar Seminarien mit
86 — 90 Prozent. Die Zahl der Stotterer verdoppelte sich infolge des vielen
Sprachunterrichtes und der Grammatik aufs doppelte. Worin liege nun dies
alles? Bei uns. in Deutschland hänge der Unterricht zu viel vom Wissen, vom
Gedächtnis ab, eine Methode, die im ersten Schuljahre völlig falsch sei. Hier
müsse die hygienische Reformation einsetzen. Eedner empfiehlt in den ersten
Schuljahren mehr Ausbildung der Bewegung, Bewegung der Hand und des
Körpers; keine Lemschule sondern Arbeitsschule, keine Sitzschule, eine Be-
wegungsschule sei von nöten. Diese erreicht man durch bessere Schulverhält-
nisse, kürzere Dauer der Unterrichtsstunden, etwa von 45^86 Minuten. Es
stelle direkt eine Unmöglichkeit dar, die Kinderseele volle 60 Minuten auf
einen Lehrpunkt zu konzentrieren. Größere Pausen mit Spielen tmd Umher-
tumme^ würden die nötige Elastizität des Körpers beleben und so zur Be-
wegung führen. Die Abschaffung des Nachmittagsunterrichts müsse
gebieterisch gefordert werden, vor allem aber eine Herabsetzung der Lehrziele
nnd Verminderung des Unterrichtsstoffes, unbeschadet des tatsächlichen Wissens
und Könnens.
Aufl Kongressen und Vereinen. 199
» Im Liberalen Bürgerver^in in Bonn besprach Geh. Med. -Bat
Prof. Dr. Schnitze den Erlaß des FroTinsialkolleginms über den
Schnlanfang an den höheren Lehranstalten. Der Erlaß lautet:
„Yom n&chsten Schu^ahre ab ist an allen höheren Lehranstalten der
fünfstündige Yormittagsanteiricht, falk er auch im Winterhalbjahre durch-
geführt werden soll, in dieser Jahreszeit um 8 Uhr (statfc wie bisher S'/^ Uhr)
zu beginnen und um 1 Ohr zu schließen. An denjenigen Tagen, an welchen die
evangelischen Schüler an einer Morgenandaoht teilzimehmen haben, die katho-
lischen Schüler einer Schulmesse beizuwohnen gehalten sind, wird der Unter-
richt um sy, Uhr begonnen und entfallen auf den Vormittag vier, auf den
Nachmittag in der Regel zwei Unterrichtsstonden. Voraussetzung dafür,
daß der Vormittagsunterricht während des Winterhalbjahrs um 8 Uhr be-
gonnen werde, ist die Möglichkeit, die Klassenzimmer künstlich zu be-
leuchten. Wo diese Möglichkeit nicht gegeben ist, hat, wenn nicht für
das ganze Winterhalbjahr, so doch für die Zeit vom 16. November bis
16. Februar an Stelle des fOnfstündigen Vormittagsunterrichts durchweg
der vierstündige Vormittagsunterricht in Verbindung mit dem in
der Regel zweistündigen Nachmittagsunterricht zu treten.^*
Gleheimrat Schnitze sprach den Erlaß im einzelnen durch. Zun&chst sei
es bedenklich, daß nach dem Erlaß fortan der Unterricht das ganze Jahr hin-
durch um 8 Uhr morgens beginnen solle. Das habe seine großen Nachteile,
besonders für Bonn. Die Schwer seien dadurch gezwungen, in den dunkelsten
Wintermonaten bei völliger Dunkelheit einen oft halb- und mehrstündigen Weg
zu machen, was nicht nur vom sanitären Standpunkt, sondern auch für die
Sicherheit de^enigen Kinder, die aus den Vororten zum Unterricht nach Bonn
müssen, höchst bedenklich sei. Ein weiterer Nachteil des Erlasses bestehe in
dem Beginn des Unterrichts vor Tagesanbruch während der Wintermonate. Die
Kinder seien genötigt, bei künstlicher Beleuchtung zu sitzen und zu arbeiten.
Wenn auch für ausreichendes Licht gesorgt werden könne — sofern die Gelder
dafür zur Verfügung stehen — , so ^erde die ungesunde Lichtarbeit selbst doch
nicht beseitigt. Dann aber kommt dazu, daß nun auch — wenigstens für be-
stimmte Tage in der Woche — der Nachmittagsunterricht wieder eingeführt
werden soll. Am städtischen Gymnasium wurden an den Nachmittagen bisher
nur einige Stunden, wie Chorgesang, Turnen usw. gegeben. Wenn dieser Nach-
mittagsunterricht, ^ie anfangs von uns angenommen wurde, für das ganze Jahr
eingeführt würde, so müßte dagegen auf das schärfste Front gemacht werden.
Aber auch für die Wintermonate allein bedeutet der Nachmittagsunterricht eine
Beeinträchtigung der Gesundheit. Die Schüler müssen morgens in der Dunkel-
heit fort und bei künstlichem Licht die Unterrichtsstunden beginnen, dann
haben sie zwischen Vor- und Nachmittagsunterricht meistern nur eben Zeit
zum Essen, dann heißt es wieder zum Unterricht. Wir Älteren unter uns haben
das ja nicht anders gekannt, wir wissen aber auch, wie schwer es uns und
unseren Eltern oftmals angekommen ist. In richtiger Erkenntnis der gesundheit-
lichen Nachteile ist von den Ärzten auch immer gegen den Nachmittagsunter-
richt angetömpft worden. Es steht heute statistisch fest, daß in Schulen mit
Nachmittagsunterricht der Gtesundheitszustand der Schüler um 12 v. H. schlechter
war, als in solchen ohne Nachmittagsunterricht. (Bewegung. Hört, hört!) Im
ganzen ist doch nur das eine Prinzip richtig: An den Vormittagen die volle
geistige Arbeit, an den Nachmittagen neben den notwendigen Hausarbeiten vor
14*
200 AuB Kongressen und Vereinen.
allem Erholung, AufenÜhalt im Freien, Spielen u. dgl. Es iragt sich nun: Aus
welchem Grunde soll die Neuordnung des Scbuluntenichts — wenigstens für
gewisse Monate — beginnen? Zweifellos doch aus Rücksicht auf gewisse kirch-
liche Interessen. Ich gehöre nicht zu denen, die der Kirche das Recht auf ge-
wisse Forderungen abstreiten, in unserem Falle aber handelt es sich um einen
Widerstreit der Interessen von Schule und Kirche, um die Interessen Ton Eltern
und Kindern, die geschützt werden müssen. Auch dem Staate kann es nicht
gleichgültig sein, in welcher Weise der Schulunterricht' gehandhabt wird. Er
braucht für seine Wehrkraft die körperliche Tüchtigkeit der jungen Leute und
muß darauf sehen, dafi diese Tüchtigkeit nicht beeinträchtigt wird.
Nach längerer Diskussion, in deren Verlauf eine Kommission gewählt
wurde, um eine Eingabe an das ProvinzialschulkoUegium vorzubereiten, wurde
auf Vorschlag des Referenten folgende Erklärung von der Versammlung ein-
stimmig angenommen:
Der liberale Bürgerverein spricht sein lebhafbes Bedauern darüber aus,
daß durch den Erlaß des Königl. ProvinzialkoUegiums in Koblenz die
Schüler in den hiesigen höheren Lehranstalten infolge allzufrühen An-
fangs des Unterrichts im Winter und infolge der Wiedereinführung eines
häufigen' Nachmittagsunterrichts in ihrer Gesundheit geschädigt
werden, und wünscht die Beibehaltung des jetzigen Zustandes
der Unterrichtserteilung.
— Über die Einriohtung von Schülerreisen, eine Aufgabe des
Alpenvereins, sprach am 21. Februar in der Sektion Dresden des Deutsch-
Österreich ischen Alpenvereins Oberlehrer Fritz Eckardt vom Dresdner Annen-
realgynmasium. Ausgehend von der gesundheitlichen Bedeutung einer zweck-
mäßigen Ausnutzung der Ferienzeit und unter Hinweis auf die auch in Deutschland
sich mehr und mehr regende Bewegung für Schülerwanderungen stellte der Vor-
tragende, welcher auch die vorbildlichen seit Jahrzehnten bestehenden Schüler-
reisen des Club alpin firan9ai8 in den Bereich seiner Betrachtungen zog, folgende
Leitsätze auf:
1. Der Wert der Schülerausflüge und -reisen wird sicherlich von nie-
mandem bestritten. Vor allen modernen Bestrebungen für körperliche und
geistige Ertüchtigung unserer Jugend haben sie den Vorzug, daß sie sich im
wesentlichen auf die Ferien beschränken.
2. Wenngleich bei Schülerreisen (von Dresden aus) zunächst nur unser
Mittelgebirge und nicht die Alpen in Frage kommen können, so sind diese
Reisen, richtig angelegt, dennoch eine Schule des Wandems und damit eine
Vorschule des Alpinismus.
8. Die Sektion Dresden des D. 0. A.V. ist daher bereit, einem Beschlüsse
der Gt.Y. Bamberg entsprechend, die Einrichtung von Dresdner Schülerreisen
(Dr. S. R.) zu fördern.
4. Die Teilnehmer an den Dr. S. R. haben im allgemeinen für die Kosten
ihrer Reisen selbst aufzukommen, unser Unternehmen hat den Zweck, die
Reisen auf mannigfaltige Art zu erleichtem, zweckmäßiger und genußreicher
zu machen. Reisestipendien oder Freistellen können, wenigstens vorläufig, nicht
gewährt werden.
5. Zu den Dr. S. R. werden Schüler zumeist Dresdner Schulen vom voll-
endeten 16. Lebensjahre ab zugelassen, zu Ostern auch die Abiturienten. Stu-
denten können sich nur dann beteiligen, wenn sie befähigt und gewillt sind,
Amiliches. 201
eine FtOuong zn übernehmen. Die Teilnehmer wandern in kleinen Gmppen
von etwa 4 Mann. Die Führong hat zumeiet ein älterer, wandererÜBkhrener
Genosse.
6. Die Dr. S. B. sind zn fördern dnrch AufsteUnng von Beisen für alle
Ferien (mit vorläufiger Ausnahme der Weihnachtsferien) ^ durch Bearbeitong
praktischer Beisepläne, durch Einrichtung von Gesellschaftsfahrten, durch an-
dere Ermäßigungen, durch AuÜBtellung einer Wanderordnung mit entsprechender
Tageseinteilung (antialkoholische Tendenz! Ausrüstung!), durch Verwertung der
Erfahrungen vorhergegangener Beisen auf den späteren.
7. Die Dr. 8. B. sind femer zu fördern durch Ausleihung von BeisefShrem,
Karten, Ausrüstungsgegenständen, durch Zuschüsse zur Yerproviantierung, durch
Anleitung der Führer und Vergünstigungen für dieselben.
8. Die Sektion stellt dem hierorts begründeten Freien Ausschuß für Dr.
S. B. jährlich 800 Mk. für die genannten Zwecke zur Verfügung. Die Summe
kann erhöht, vermindert oder in Wegfall gestellt werden. Weitere Verpflich-
tungen und Verbindlichkeiten, insbesondere etwaige Haftung bei Schäden oder
Unfällen übernimmt die Sektion nicht.
Solange eine Unterstützung gezahlt wird, hat der Freie Ausschuß gegen-
über der Sektion die Pflicht der Berichterstattung, der Bechnungslegung , der
Zuziehung des Sektionsvorsitzenden zu den Beratungen.
IV. Amtliches.
Die königliche Begierung in Minden i./Westf. hat eine ausführ-
liche Anweisung über die Gesundheitspflege in den Schulen bekannt gegeben,
in welcher Maßnahmen zur Verhütung der mit dem eigentlichen Schulbetrieb
verbundenen gesundheitlichen Gefahren für die Schulkinder sowohl als auch
für die Lehrer getroffen werden. Als zur Erhaltung und Förderung der Gesund-
heit der Schulkinder erforderliche Maßnahmen werden in einer Anlage solche,
die sich auf die den Schulzwecken dienenden Bäumlichkeiten und Einrichtungen,
solche, die sich auf die Lehr- und Lernmittel, und solche, die sich auf den
körperlichen und geistigen Zustand der Schulkinder selbst erstrecken, im ein-
zelnen aufgeführt. Auf der nächsten Ereislehrerkonferenz hat die Anweisimg
den einzigen Beratungsgegenstand zu bilden. Zu dieser Konferenz ist der zu-
ständige Ej-eisarzt einzuladen, damit er die zu einzelnen Punkten der Anweisung
etwa noch erforderlichen Erläuterungen geben oder sonstige gesundheitliche in
der Konferenz angeregte Fragen beantworten kann. Um die Schulkinder mit
den für sie hauptsächlich in Betracht kommenden Grundsätzen bekannt zu
machen, sind diese in einer Anlage von 16 knapp gefaßten Geboten, bezw. Ver-
boten aufgestellt. Diese Belehrung soll den Lesebüchern aller über 10 Jahre
alten Schulkinder angefügt werden. Da die leider in sehr vielen Fällen noch
immer mangelhafte Beinigung der Schulzimmer, Aborte usw. mit Becht
darauf zurückgeführt wird, daß diese Arbeit sehr häufig ungeeigneten und über
202 SchuUbztliciies.
ihre Obliegenheiten sohlecht nnterrichteten Personen fibertragen sei, so werden
die Landräte ersucht, for möglichste Abhilfe dieses Mißstandes zn sorgen. In
einer Anlage wird ein Entwarf zn einer Dienstanweisung fdr die mit der Rei-
nigung und Heizung der Schulr&ume usw. beauftragten Personen ge-
geben. Lehrern soll die Besorgung der Reinigungsarbeiten und der Heizung
gegen Entschädigung nicht übertragen werden, da ihnen die Aufsicht dieser
Arbeiten obliegt. Ebenso sollen Schulkinder nicht dazu herangezogen werden.
Eine weitere Anlage enthält Vorschriften über die Beschaffenheit der
Schulbänke nebst Zeichnungen. Schließlich ist noch eine Zusammenstellung
von Ministerial- bezw. Regierungsrerordnungen bezüglich Bedienung der sog.
Füllreguliermantelöfen, Verhütung der Übertragung tmd Verbreitung anstecken-
^der Krankheiten, besonders Augenkrankheiten durch die Schulen usw. beigefSgt.
Die Ereisschulinspektoren, Landräte bezw. Oberbürgermeister der Stadtkreise
sowie Kreisärzte sollen bis zum 1. Oktober 1908 über die Durchfuhrung der
getroffenen Anordnungen sowie darüber, ob und inwieweit sie sich bewährt
haben, an die Regierung berichten. Sonderabdrücke der Verfügung nebst
Anweisung und von den Gbsundheitsregeln für die Schulkinder sind durch die
Hofbuchdruckerei J. G. C. Bruns in Minden zu beziehen.
V, Schulärztliches.
A. TagesgescMclitliclie Nachricliten.
— In Lndwigshafen wurden ab 1. März dieses Jahres neun Schulärzte
angestellt. Das Honorar wurde auf 40 Pfg. pro Kopf und Jahr festgesetzt.
Demnach würden die Ausgaben bei den vorhandenen 11000 Schülern 4400 Mk.
betragen. Für die Einrichtung der Institution wurden 1600 Mk. festgesetzt.
— In Dortmund ist, wie die Rheinisch -Westfälische Zeitung mitteilt,
das frühere System der Schulärzte bei den Volksschulen seit dem 1. Dezember
vorigen Jahres in Wegfall gekommen. Die ärztlichen Untersuchungen bei den
Volksschulen werden von dem Assistenten des Stadtarztes ausgeführt, bei dem
alle von den Lehrern und Lehrerinnen als krank bezeichneten Kinder sehr
eingehend untersucht werden. Auch erstreckt sich die Untersuchung auf die
Zahnbildung und hierbei hat sich ergeben, daß etwa 80 Proz. der hiesigen
Kinder krankhafte Zähne haben. Um diesem Übel abzuhelfen, will die Stadt-
verwaltung einen Zahnarzt anstellen, der die Behandlung der Schulkinder un-
entgeltlich vorzunehmen hat
— Münohen. Die Münchener Medizinische Wochenschrift schreibt
unter dem 18. Februar: Die Anstellung von Schulärzten für die
städtischen Schulen Münchens darf jetzt als unmittelbar bevorstehend
bezeichnet und der prinzipiell entscheidende Beschluß bereits in den nächsten
Tagen erwartet werden. Über die geplante Organisation des schulärztlichen
Dienstes im einzelnen liegt jetzt ein eingehendes Referat des städtischen Schul-
rates Dr. Kerschensteiner vor. Hiemach sollen nach dem Vorbilde der
SchulftrztlJcheB. 203
Berliner Dienstanweisimg für Schulärzte den künftigen Münchener Schalärzten
folgende Angaben zugewiesen werden: Die üntersnchnng des körperlichen
Zufitandes aller in die Schale eintretenden Kinder, eine Wiederholang dieser
Untersnchang am Ende des 3., 7. and 8. Schuljahres, Überwachung der aus
der Untersuchung als überwachungsbedürftig hervorgehenden Kinder, Abgabe
eines Gutachtens über Kinder, die einer besonderen Berüchsichtigung im
Unterricht bedürfen, auf dem Gesundheitsbogen des Kindes, Prüfung der für
die Hilfsschule vorgeschlagenen Kinder, (Jntersuchung der Kinder während des
Schuljahres, die vom Oberlehrer als besonders krankheitsverdächtig bezeichnet
werden, und mindestens, viermalige Visitation der dem Schularzt zugewiesenen
SchulM.user für öffentliche und private Unterrichts- und Erriehungseinrichtungen.
Dr. Kerschensteiner berechnet, daß hiemach rund 18600 Kinder zur Unter-
suchung durch die Schulärzte übrig bleiben. Er beantragt, vorerst 18 Schul-
ärzte, einen Spezialaugenarzt und einen Spezialohrenarzt im Nebenamte an-
zustellen, die einem aus ihrer Mitte zu wählenden Obmanne zn unterstellen
wären. Jeder Schularzt soll ein Honorar von 1000 Mk. erhalten, der Obmann
eine Zulage von 600 Mk., die Spezialärzte je 260 Mk. Die erforderlichen
Mittel sollen in den Etat für 1907 eingestellt werden und die amtliche Tätig-
keit der Schulärzte mit der Einschreibung 1907 beginnen. Außer den Schul-
ärzten ist die Aufstellung eines städtischen Amtsarztes in Aussicht genommen,
der als Berater dem Magistrat zur Seite stehen soll in bezug auf Gresundheits-
pflege, Abgabe von Gutachten für Bauwesen, Aufnahme in den Gemeindedienst.
Er soll Sitz und eventuell Stimme im Kollegium haben, seine Gehalts- und
Pensionsverhältnisse sollen entsprechend der Stellung der BrechtsiUte geregelt
werden. Im übrigen wird die Organisation des schulärztlichen Dienstes im
Einvernehmen mit der Ärzteschaft zu regeln sein, an welche ohne Zweifel die
Gemeinde bald herantreten wird. Abgesehen von wichtigen Standesinteressen
werden es die Ärzte Münchens jedenfalls als eine Ehrensache ansehen müssen,
an der gedeihlichen Entwicklung dieser zum guten Teil auf ihre Anregung
ins Leben gerufenen Einrichtung von Anfang an mitzuwirken; hierzu wird
unseres Erachtens neben den beiden Standesvereinen auch der ärztliche Verein
berufen sein. — Wie wir hören, hat der Magistrat am 18. Februar sich mit
den Anträgen des Schulreferenten Dr. Kerschensteiner, vom 1. Januar 1907 ab
18 Schulärzte, einen Spezialaugenarzt und einen Spezialohrenarzt anzustellen«
einverstanden erklärt.
— In Budapest hat Unterrichtsminister Georg Lukäos im Interesse
der Erhaltung der Gesundheit der Elementarschulkinder die Institution der
Schulärzte auch auf die Volksschulen ausgedehnt. Für jede über mindestens
zehn Unterrichtssäle verfügende und von mindestens 600 Schülern besuchte
Schule sind bis zum 1. Juli dieses Jahres Ärzte in Vorschlag zu bringen,
welche zur Annahme von Schulärztestellen geneigt sind. Der Unterrichts-
minister hat den Entwarf der einschlägigen Verordnung dem Minister des
Innern und dem Landessanitätsrate zugeschickt und wird im Einvernehmen
mit diesen beiden Foren das Nötige veranlassen. Im Sinne der Verordnung
wird es Pflicht der Schulärzte sein, über die Gesundheit der Elementarschüler
zu wachen und sie vor den mit dem Lernen und dem Schulbesuch verbundenen
Gefahren zu bewahren, die körperliche Entwicklung der Schulkinder mit Auf-
merksamkeit zu verfolgen, öfter ärztliche Visiten vorzunehmen und eventuelle
Verfügungen vorzuschlagen. Laut der Verordnung sind alle Schulkinder vor
204 SolnilftnEtiiohee.
Beginn de« Unterrichts eu untersuchen und bezüglich etwaiger Befreiungen
vom Turnen, Singen, Handarbeit Vorschl&ge zu erstatten. Die Schulärzte
werden yerpflichtet sein, die einzelnen Erlassen öfter zu besuchen und im Not-
falle auch erste Hilfe zu leisten. Das Honorar der SchulAxzte beträgt pro
Elasse 40 Kronen jährlich. Diese Verordnung des Unterrichtuninisters ist der
Ausgangspunkt einer hochbedeutsamen Beform, welche berufen sein wird,
einem in Fachkreisen seit langem schon gefühlten Bedürfiiisse in radikaler
Weise abzuhelfen.
B. SohnlärztUolie Berichte.
— m. Jahresberioht der städtischen Sohulaahnklmik in Straß -
bürg i. E. 100^/^5. „Könnte man alle üblen Folgen, welche die Vernach-
lässigung des G-ebisses bei einem Individuum nach sich zieht, in ein
akutes Leiden zusammendrängen, die schläfrigsten Eltern und Lehrer, die für
solche Dinge nur ein Lächeln der Geistesabwesenheit haben, müßten erwachen.*'
Das ist ein Ausspruch des bekannten Pädagogen Prof. Dr. Leo Burgerstein in
Wien, den wir an die Spitze unseres Berichtes stellen wollen.
Die Richtigkeit dieses Satzes zeigt z. B. die folgende Statistik der Darm-
städter Schulärzte:
Die Darm Städter Schulärzte untersuchten 1901/02 2968 Schüler der
Volks- und Mittelschulen und zwar 148d £jiaben und 1476 Mädchen. Es
wurden 1293 Gesundheitsstörungen bemerkt, darunter 676 so ernstliche, daß
eine dauernde Überwachung für geboten erachtet wurde. Die häufigsten Er-
krankungen waren Blutarmut (176 Knaben und 212 Mädchen), Skrofulöse,
Rachitis. Etwa 80 Proz. aller Kinder hatten schlechte Zähne.
Li Darmstadt werden somit unter 1293 Gesundheitsstörungen 387 Fälle
von Blutarmut nachgewiesen, und das ist kein Wunder, da 80 Proz. aller
Kinder kranke Zähne haben. Wer die kranken Zahnverhältnisse unserer Volks-
schulkinder kennt, kann sich höchstens wundem, daß die Zahl der Blutarmen
nicht noch viel größer ist. Aus dieser Erkenntnis heraus erwächst denn auch
an immer weiteren Orten das Bestreben der Errichtung besonderer Schul-
zahnkliniken. In Wiesbaden haben die Schulärzte beantragt, eine städtische
Schulzahnklinik zu errichten; in Mül hausen i. E. hat der Gemeinderat 'be-
schlossen, am 1. Oktober 1906 eine städtische Schulzahnklinik zu eröffnen; die
Kosten belaufen sich für das erste Jahr auf 18000 Mk. Der Etat der Straß-
burger Schulzahnklinik betrug für das Rechnungsjahr 1906 6400 Mk.
Dio Leistungen der hiesigen Schulzahnklinik sind seit ihrem Bestehen
folgende:
Im ersten Jahre wurden vom 16. Oktober 1902 bis zum 1. August 1908
untersucht 6848 Kinder,
behandelt 2666 „
mit 699 Füllungen
und 2912 Extraktionen.
Im zweiten Jahre vom 1. Oktober 1908 bis zum 30. September 1904
wurden
untersucht 6900 Kinder,
behandelt 4967 „
mit 4822 Füllungen
und 6680 Extraktionen.
Schnl&rsiliohes.
205
Im dritten Jahre vom 1. Oktober 1904 bis zum 80. September 1905
wurden
untersucht 4872 Kinder,
behandelt 6828 ,,
mit 7066 Füllungen
und 7986 Extraktionen.
Die Arbeit des leisten Jahres verteilt sich auf die einsselnen Monate,
wie folgt:
Tabelle I.
Übersicht der Arbeiten in der Schulzahnklinik 190^05.
Monat
I
Behandelt
&
g
1
Oktober 1904
November „
Dezember „
Januar 1906
Februar ,,
März „
April „
Mai
Juni „
Juli
August „
September „
Summa:
166
480
891
1884
1126
148
188
694
636
641
603
776
764
483
489
616
611
367
899
4872
6828
606
638
464
449
612
603
878
819
428
498
249
316
1148
1162
1160
873
1889
1495
947
920
982
1160
668
897
686
742
676
561
899
1065
664
691
604
684
379
434
6368
12691
7986
443
898
706
782
690
662
616
600
667
747
469
666
7065
. Im letzten Jahre wurde ganz besonders Wert darauf gelegt, den Unter-
richt möglichst wenig zu stören, und das Lehrpersonal so wenig wie möglich
zu belästigen. Deshalb wurden besondere Schemata gedruckt, damit der
Lehrisr nur Name und Alter der Kinder einzutragen hatte. Die Listen wurden
dann der Schulzahnklinik zugestellt, und hier wurden die Karten ausgefüllt.
Der Diener besorgte die nötigen Instrumente und Desinfektionsmittel in die
Schule, der Zahnarzt nahm die Karten mit und hatte nur das Resultat der
Untersuchung, die Zahl der kranken Zähne doppelt einzutragen. Jedes der
Elinder erhält sofort seine Karte. Die Duplikate werden in der Klinik ge-
sammelt, um die Statistik aufzustellen, die Kinder zur Behandlung zu bestellen,
diese zu kontrollieren usw. Es soll den Eltern der Kinder, die mehr als zehn
kranke Zähne im Munde haben, eine Aufforderung aus der Schule, vom Lehrer
unterzeichnet, zugehen, dafi sie ihr Kind zu bestimmter Stunde in die Schul-
zahnklinik zur Behandlung schicken. Nur durch ein Zusammenarbeiten der
Klinik mit der Lehrerschaft ist es möglich, eine rationelle zahnärztliche Be-
handlung durchzuführen, zunächst die schlimmsten Schäden zu heilen und
allmählig die Mundverhältnisse der Kinder zu sanieren.
206 Schnl&TzÜiohes.
Durch die Vereinfachung der ünteraachung war es möglich,
durchschnittlich in einer Stunde 80 Kinder zu untersuchen, und auf diese Weise
die Störung im Unterricht auf ein Minimum zu beschriUiken. An 44 ünter-
suchimgstagen wurden im ganzen 4372 Kinder untersucht. 2108 Kinder waren
im Alter von 6—8 Jahren, und 2269 besuchten die Kleinkinderschule.
Die Ausdehnung der Tätigkeit der Schulzahnklinik auf die Kleinkinder-
schulen war ein wesentlicher Fortschritt gegenüber den Yorjahren.
Vor der Untersuchung wurden die Kinder aufgefordert, ihre Zähne täglich
dreimal zu bürsten und besonders sorgfältig abends vor dem Schlafengehen.
Der Zahnarzt zeigte die Handhabung der Bürste an sich selbst und an Kindern
mit Bürsten, die von der Schul Verwaltung zur Verfügung gestellt und noch
nicht zur Verteilung gekommen waren. Selbstverständlich erhielt jedes Kind
die von ihm benutzte Bürste zu fernerem Gebrauch mit nach Hause. Gleich-
zeitig wurde gezeigt, wie man hartes Roggenbrot kauen muß, um die Zähne
zu kräftigen und gesund zu erhalten. Zwei Boggenbrote werden jede Woche
von der Armenverwaltung in die Schulzahnklinik zur Verteilung an die Kinder
geschickt und von diesen mit gutem Appetit verzehrt.
Wie vdchtig in diesem Punkt eine bessere Belehrung der Bevölkerung
ist, um so dem schädlichen Genuß des Weißbrotes entgegenzuarbeiten« war
bereits in dem vorjährigen Jahresbericht ausgeführt.
Von 2269 untersuchten Kindern im Alter von 8—6 Jahren hatten nur 362,
also 16,96 Proz., ein gesundes Gebiß.
Von 2103 Eändem im Alter von 6—8 Jahren dagegen hatten nur 160,
also 7,02 Proz., ein gesundes Gebiß.
Die Zunahme der Karies bei den älteren Kindern ist ganz
natürlich.
Das genaue Resultat der Untersuchung in den Kleinkindersohulen
zeigt Tabelle H.
Die Kinder der Vororte zeigen durchschnittlich etwas bessere Zähne als
die der inneren Stadt. Die Zahl derjenigen Kinder, deren Zähne schon früher
behandelt waren, ist einstweilen noch sehr gering, wie ja ohne weiteres daraus
verständlich wird, daß erst in diesem Jahr mit der systematischen Behandlung
in den Kleinkinderschulen begonnen wurde. 9427 kranke Zähne, wovon 1666
schon gangränös zerfallen, also vollkommene Jaucheherde sind, bei 2269 Kindern
ist wohl ein Beweis, daß eine Behandlung dringend notwendig ist. Sie ist bei
den kleinen Kindern natürlich besonders schwierig durchzuführen, erfordert
sehr viel Zeit und Geduld und wird noch erschwert durch die notwendige
Führung der Kleinen. Sie muß aber mit allen Mitteln erstrebt werden, denn
178 Kinder haben schon mehr als 10 kranke Zähne und bei 88 Kindern sind
schon 63 bleibende Molaren, die sich erst wenige Monate im Munde befinden,
krank, 86 Kinder haben eiternde Fisteln. Das ist neben der Behandlung
der Ferienkolonisten zunächst die wichtigste Aufgabe der Schul-
zahnklinik, in den Kleinkindersohulen die Mundverhältnisse zu
sanieren. Es muß ein Modus gefunden werden, die kleinen Kinder klassen-
weise in Begleitung ihrer Lehrerin zur Behandlung in die Klinik zu schicken.
Die Erlaubnis der Eltern muß vorher eingeholt sein und die ganze Sache
amtlich geregelt werden, da sich ein durchschlagender Erfolg sonst nicht er-
zielen läßt. Um in den Vororten überhaupt die schlimmsten Schäden zu
heilen, soll im nächsten Jahre der Zahnarzt mit Zustimmung der Behörde
Sclialftrztliches.
207
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208
SohuiaiztUches.
an bestimmten Tagen sich zur Behandlung in die Schulen begeben, weil bei
dem weiten Weg die Kindei, besonders im Winter, gar nicht in die Klinik
kommen. Es handelt sich um' die Vororte Neuhof, Buprechtsau, Niederau,
Gliesberg, Elsau, Eönigshofen, Ejronenburg, welche der Reihe nach je
einmal im Monat besucht werden sollen, damit die Kinder wenigstens von
Schmerzen befreit werden können. Wie notwendig das ist, ersehen wir aus
Tabelle HI.
Tabelle IIL
Resultate der Untersuchung Ton 6 — 8jährigen Kindern in den
Vororten.
^1
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Bfthandolt
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SoUatlifeld.
Neadozf . .
Muaa . . .
Neahof. . .
Kronenbarg
KOnigshofen
aUMbexg. .
BlMa . . .
Bapreohlsaa
Niedwaa. .
168
536
164
149
416
984
119
67
182
36
Sosnina
6i
»103 160
4,17
8,66
10,39
7,38
8,19
7,04
10,6i
5,97
i,8g
7,60 17
70
187
1830
9966
i>69
|889
9110
1491
691
391
1133
185
97
78
99
30
41
33
16
S
80
6
11701
36 494
984
Aus den Vororten Neuhof und Niederau ist noch kein Kind zur Be-
handlung gekommen, weil der Weg eu weit ist, die Kinder nicht allein gehen
können und die Eltern, meistens Arbeiter, keine Zeit haben, mit ihnen in die
Klinik zu gehen. In Gliesberg fanden wir im vorigen Jahre bei der Unter-
suchung aller Kinder 9,7 Proz. mit gesundem Gebiß, in diesem Jahr bei
6 — 8j&hrigen £[indern 10,6 Proz. Warum in Niederau nur 2,8 Proz. gesunde
Gebisse sind, entzieht sich unserer Beurteilimg. Im Übrigen ist das Bild natur-
gen^ß noch trostloser als bei den Kleinkinderschulen. 210S Kinder haben
11701 kranke Z&hne und darunter 8892 Jaucheherde, gangränöse Zähne und
Wurzeln, 284 Kinder haben mehr als 10 kranke Zähne. Behandelt waren bei
70 Kindern 187 Zähne.
Die eigentliche Behandlung lernen wir aus der Tabelle I ge>
nauer kennen:
Im ganzen wurden behandelt 6828 Kinder in 12 691 Sitzungen.
1476 Kinder waren im vergangenen Jahre schon in der Klinik gewesen
und 6363 wurden neu eingetragen. Von diesen waren 769 aus den Klein-
kinderschulen und 4684 schulpflichtig.
7066 Füllungen wurden gemacht gegen 4822 im Voijahr.
Am 1. Dezember 1904 wurde ein zweiter approbierter Zahnarzt angestellt,
und seine Tätigkeit äußert sich besonders in der Zunahme der Füllungen,
welche von 398 im November auf 706 im Dezember und 732 im Januar stiegen.
Im August wurden nur 469 Füllungen gelegt, weil der erste Assistent drei
Wochen beurlaubt war. Im September stieg die Zahl dann wieder auf 666.
Schulärztliches.
209
— Es kommen zu wenig Eänder im Alter von zwölf Jahren in die Klinik. Es
dürfte sich empfehlen, dafi die Lehrer ihre Kinder rechtzeitig vor der Ent-
lassung aus der Schule darauf auftnerksam machen, wie wichtig gesunde Zähne
far ihre künftige Lebensstellung sind. Es wird ebenfalls vermißt, daß die
Kinder rechtzeitig und regelmäßig zur Revision wiederkommen. Das ist aber
unbedingt nötig, damit sie ihren gesunden Mund behalten.
Um noch bessere Resultate bei der Behandlung zu erzielen, wird sich
die Klinik mit Hilfe von neu eingeführten Formularen für Anfragen und
Mitteilungen in Zukunft mit Eltern und Schule in engerer Verbindung halten.
Extrahiert wurden im ganzen 7985 Zähne, meistens wegen einer Ent-
zündung der Wurzelhaut. Die große Zahl der Extraktionen im Monat März,
1065, ist hervorgerufen durch die Behandlung der Ferienkolonisten ^ deren
Mund vor ihrer Abreise vollständig zu sanieren war. Sonst sehen wir in
manchen Monaten die Zahl der Füllungen die der Extraktionen überragen,
und das ist selbstverständlich das zu erstrebende ZieL
Tabelle IV zeigt uns die Zahl der Kinder, welche in den einzelnen
Monaten wegen Zahnschmerzen die Klinik aufgesucht haben. Es sind im ganzen
2377, d. h. ungeföhr ein Drittel der Behandelten überhaupt.
Tabelle IV.
Kinder, welche wegen Zahnschmerz die Klinik aufsuchen mußten.
Summa
Aus
Kleinkinderschulen
Monat
der
Schulpflichtige
Kinder
Knaben 1 Mädchen
Knaben | Mädchen
1904
57
Oktober
8
49
November
11
196
15
181
Dezember
11
249
42
807
Januar
1905
188
12 15
87
74
Februar
11
289
20
5
111
153
März
11
190
11
7
92
80
April
n
126
2
—
67
67
Mai
11
155
5 1 7
84
69
Juni
11
253
21 ' 23
103
106
Juli
11
223
7 , 2
93
121
August
»1
201
24 23
60
94
September
11
237
31 1 30
96
80
2364
8]
LO
20
54
NB. Diese Statistik datiert erst vom 24. Oktober 1904 inkl.
Interessant ist auch die Tabelle V. Sie zeigt uns den Besuch der Klinik
an den schulfreien Donnerstagen. Die höchste Ziffer beträgt 159, die niedrigste
in den Ferien 21.
Im übrigen sind die gleichen Grundsätze wie früher befolgt worden.
Untersuchung der Kinder in den Schulen, um sie, die Lehrer und Eltern auf
die Schäden aufmerksam zu machen und einen Besuch in der Klinik zu ver-
anlassen, freundliche, möglichst schonende Behandlung der Kinder, um ihr
Vertrauen zu gewinnen, vollständige Sanierung des kranken Mundes durch
210
Sohulärztliches.
Tabelle V.
Patienten
an den einz
einen
Donnerata
gen.
Oktober
1904
61
89
112
167
November
11
50
90
140
84
Dezember
11
62
169
103
38
Januar
1906
33
106
70
60
Februar
11
98
146
168
117
März
11
74
131
127
92
April
Mai
11
87
91
24
49
11
89
43
84
78
Juni
11
goBetiUchex
Feiertftg
76
84
88
Juli
11
84
78
102
67
August
11
68
30
20
28
September
11
88
36
62
71
44
104
127
21
möglichst konservative Behandlung, um die Gesundheit zu fördern, das All-
gemeinbefinden zu heben und dadurch die Leistungen in der Schule grfinstig
zu beeinflussen. Die Unterstützung von Seiten der Lehrer, der Schul-
behOrde und der Stadtverwaltung 'bei Verfolgung dieser Ziele ist dankbar
anzuerkennen.
Am 80. Oktober 1904 wurde unter dem Vorsitz des Ereisschulinspektors
eine Lehrerversammlung mit etwa 400 Lehrpersonen im großen Saal der
Aubette abgehalten. Mit einer Klasse von elf- bis zwölQ&hrigen Knaben wurde
eine Probelektion über Zahnpflege mit praktischen Demonstrationen vorgefahrt,
wobei sich zeigte, daß die Knaben ganz ausgezeichnete Kenntnisse über den
Bau der Mundhöhle, der Zähne, deren Krankheiten, Pflege und Behandlung
besaßen. Daran schloß sich ein Vortrag über die Zahnpflege in der Schule
mit einer sehr interessanten Diskussion, was im ganzen etwa zwei Stunden in
Anspruch nahm. Es würde die Zahnpflege im Volk sich mächtig heben, wenn
solche Versammlungen der Volksschullehrer in allen Städten abgehalten
würden und wenn — als ceterum censeo — überall Schulzahnkliniken er-
richtet würden.
Sehen wir nun, ob und welche Erfolge unsere Schulzahnklinik erzielt
hat: Herr Kreisschulinspektor Motz behauptet, „daß die Summe der durch die
Untersuchungen und den Besuch der Klinik versäumten Schulstunden geringer
als die Summe war, welche der Ausfall von Schulstunden infolge der Zahn-
schmerzen und der Begleiterscheinungen erkrankter Zähne früher betrug**.
Er zieht daraus die Schlußfolgerung, „daß die Untersuchungen der Zähne der
Schulkinder, sowie die Errichtung von Schulzahnkliniken im Interesse der
Schulen liegen und die Bestrebungen auf dem Gebiete der Zahnhygiene
seitens der Schulbehörde weitestgehende und nachdrückliche Unterstützung
erfahren sollten^\
Wir können unzählige Fälle anführen, in denen übler Mundgeruch ver-
gangen ist, der Appetit sich gehoben hat, Kopfweh, Ohrenweh, Magenweh,
Müdigkeit und Fieber nach der Behandlung verschwunden sind. Nr. 2606
unseres Behandlungsjournals, 17. Vm. 04 sagt: Johanna F., 8 Jahre alt, blut-
arm, übler Mundgeruch, Kopfweh^ Appetitmangel, schmales Gesicht mit blasser
Farbe, hat vier gangränöse Milchmolaren und drei an Pulpitis erkrankte bleibende
Molaren. Die vier gangränösen Milchzähne wurden entfernt, die übrigen ge-
fallt. Vier Wochen nach der Behandlung erschien das Kind mit einem Briefe
Schulärztliches. 211
von der Mntter wieder, in dem diese behauptet, Kopfweh und Fänlnisgeruch
ans dem Munde seien verschwunden, der Appetit habe sich bedeutend ge-
hoben. Das Kind sieht viel besser und gesünder aus. Nr. 4369: 21. XII. 04,
Johanna M, 11 Jahre alt, sehr nervös, hatte stets Kopfweh, beiderseitig starke
Drüsenanschwellung, schwächlicher KOrperzustand, ein kariöser Milchmolar,
drei gangränöse und vier schmerzhafte bleibende Zähne. Die drei eiternden
Zähne wurden entfernt, die anderen gefüllt. Am 21. April 1906 erschien das
Kind mit einem Briefe der Mutter, daß es sich wohler befinde. Es sah auch
in der Tat viel besser aus, Kopfweh und Drüsenanschwellung verschwunden,
Gewichtszunahme 1,2 kg.
Von den Schulärzten waren 964 Kinder für die Ferienkolonien zur Aus-
wahl vorgeschlagen und die Listen der Schulzahnklinik zugestellt worden.
673 von diesen Kindern kamen zur Behandlung, 17 hatten ein gesundes Gebiß,
265 wurde die Mundhöhle vollkommen saniert, 176 wurden soweit abgefertigt,
daß nur chronisch kariöse, der Gesundheit unschädliche Zähne unbehandelt
blieben, 68 Kinder mußten, ohne daß die Behandlung zu Ende geführt werden
konnte, in die Kolonie entlassen werden. Bei 111 Kindern, welche zur Be-
handlung wiederkommen sollten, aber nicht wiederkamen, wäre eine Be-
handlung wünschenswert, bei 47 unbedingt nötig gewesen. 291 Kinder sind
überhaupt nicht zur Behandlung gekommen. Zu berücksichtigen ist dabei,
daß die Ferienkolonisten im letzen Jahr zum erstenmal in rationelle zahn-
ärztliche Behandlung genommen wurden. Ohne die Unterstützung der Vor-
sitzenden der Ferienkolonievereine und ohne amtliche Unterstützung wäre selbst
dieses Resultat nicht zu erzielen gewesen. Es wurde angeordnet, daß jedes
Kind vor seiner Abreise ein Zeugnis aus der Schulzahnklinik vorzuweisen habe,
daß sein Mund gesund sei, aber in voller Strenge ließ diese dankenswerte
Maßregel sich doch nicht durchführen. Ob aus der zahnärztlichen Behandlung
ein bestimmter Erfolg für die Ferienkolonisten nächzuweisen ist, läßt sich in
diesem Jahre noch nicht feststellen, da die ärztlichen Karten zur Einsicht noch
nicht vorliegen.
Wir schließen unseren Bericht mit einem Wort, welches Wal de y er im
Deutschen Verein für Volkshygiene gesprochen hat:
„Eines der wichtigsten Besitztümer des Menschen zu seiner Gesundheit
sind die Zähne und zum Heil der Menschheit hat die Zahnheilkunde die
größten Fortschritte gemacht. Es ist Aufgabe aller hygienischen Vereine, ja
sogar des Staates, dafar zu sorgen, auch den ärmeren Klassen die zahnärztliche
Pflege möglich zu machen, wie dies ja in Universitätsstädten heute schon der
FaU ist."
Der Direktor der städtischen Schulzahnklinik,
Prof. Dr. Jessen.
— Aus dem Bericht über die Tätigkeit der Berliner Bohulärste im
Jahre 1904/05, von Prof. Arthur Hartmann erstattet, sei folgendes hier
angeführt: Im Jahre 1900 wurden zuerst versuchsweise 10 Schulärzte in Berlin
angestellt, jedem Schularzte wurden zwei Schulen für seine Tätigkeit zuge-
wiesen. Da sich die versuchsweise Einrichtung bewährte, wurde im Jahre 1903
die Zahl der Schulärzte um 26 vermehrt und dabei jedem Schularzte 7—8 Schulen
überwiesen. Bei einer Gesamtzahl von 223 297 Kindern waren jedem Schularzt
6200 Kinder unterstellt. Berlin nimmt bezüglich der Anzahl von Schulen, welche
einem Arzte unterstehen, eine Ausnahmestellung gegenüber allen anderen GroC-
212 SeholäntlicheB.
Städten des Reiches ein. Nach einer Zasammenstellnng dea kfiizlioh verstorbenen
Dr. Schubert in seinem Buche ,,Das Schularztwesen des Deutschen Reiches'^
steht Berlin mit der Zahl der Klassen, welche einem Schularzte zugeteilt sind,
mit 127 an der Spitze. In Aachen sind 30, in Breslau 40, Kassel 44, Charlotten-
burg 36, Frankfurt a. M. 32, Hannover 12, Königsberg 50, Magdeburg 18, Nürn-
berg 40, Schöneberg 37, Wiesbaden 26 Klassen einem Schularzte zugewiesen.
In Berlin fuhren wir nur Scheine über gesundheitlich minderwertige Kinder.
In manchen Städten müssen sämtliche Kinder jährlich untersucht werden, vräh-
rend wir uns in Berlin darauf beschränken, daß die mit krankhaften Zuständen
behafteten Kinder, welche bei den Schulbesuchen vorgefunden werden oder auf
Krankheitsmeldung des Lehrers untersucht werden, einen Überwachungsschein
erhalten und dauernd beobachtet werden.
Am meisten werden die Schulärzte in Anspruch genommen durch die
Untersuchung der Schulrekruten. Diese Untersuchungen fanden während der
versuchsweisen Einrichtung in der Weise statt, dafi die Kinder vor der Ein-
schulung zum Arzte gebracht wurden. Es wurde Wert darauf gelegt^ daß diese
Untersuchungen in Gegenwart der Mutter oder des Vaters stattfinden, damit
der Schularzt von diesen Auskunft über den Zustand des Kindes erhalten kann
und nötigenfalls in der Lage ist, den Eltern Ratschläge zu erteilen.
Da es sowohl für die Schule als für die Eltern mit Unannehmlichkeiten
verbunden ist, wenn Kinder, die bereits eingeschult sind und bereits die Schule
besucht haben, als untauglich zurückgestellt werden, hat sich die Mehrzahl der
Schulärzte trotz der Mehrbelastung bereit erklärt, die Untersuchungen vor dem
Eintritt in die Schule vorzunehmen. Mit 7 Schulen, die anfänglich jedem Schul-
arzte zufielen, ließ sich die Arbeit noch bewältigen, als aber mit der Neueröff-
nung von Schulen den einzelnen 8 und sogar 9 Schulen zugeteilt wurden, ließen
sich diese Untersuchungen nur mit großen Unzuträglichkeiten ausfahren.
Um die Untersuchungen wieder in zweckmäßigster Weise vor der Ein-
schulung ausführen zu können, ist eine Vermehrung der Schulärzte nicht zu
umgehen.
Bei der Einschulung wurden untersucht:
17 236 Knaben, 17 826 Mädchen, zusammen 34662 Schüler, so daß auf
jeden Schularzt 960 Untersuchungen kamen.
Von den Untersuchten wurden zurückgestellt:
1306 Knaben, 1622 Mldohen, zusammen 2927 Kinder, 8,6 %.
Über die bei der Einschulung in Überwachung genommenen Kinder und
über diejenigen, bei welchen sich bei späteren Untersuchungen krankhafte Zu-
stände herausstellen, werden Überwachungsscheine ausgestellt. Die Über-
wachungsscheine werden in der Klasse aufbewahrt, und werden die mit Über-
wachungsscheinen versehenen Kinder vom Schularzte fortlaufend beobachtet.
Ist die Überwachung nicht mehr erforderlich, so werden die Scheine zurück-
gezogen. Es werden nur solche Kinder in Überwachung genommen, bei welchen
der krankhafte Zustand Fürsorge erfordert und von selten der Eltern diese Für-
sorge nicht geleistet wird, oder wenn eine besondere Berücksichtigung von selten
der Schule notwendig erscheint.
Von den bei der Einschulung untersuchten Kindern wurden in Überwachung
genommen 3696 Knaben und 3446 Mädchen, zusammen 7041 = 20,4 7« der Unter-
suchten.
Schnläiziliches.
213
Im ganzen standen wählend des BezichtsjahreB 24 226 Kinder in Über-
wachung der Schulärzte, so daß jeder Schalarzt durchschnittlich .678 Kinder
zu überwachen hatte.
Grund der Überwachung war:
1. Ungenügender fiLr&ftezustand
2. Rachitis
3. Skrofulöse
4. Knochentuberkulose
6. Lungentuberkulose
6. Sonstige Lungenleiden '
7. Herzleiden
8. Nierenleiden •
9. Nervenleiden
10. Epilepsie •.-...•.....
11. Mangelhafte geistige Entwicklung * . . . .
12. Sprachstörungen . . . . .
13. Nasen — Bachenleiden
14. Augenleiden (inkl. Befraktionsstörungen) .
15. Ohienleiden
16. Hautkrankheiten
17. Verkrümmungen der Wirbelsäule
18. Bruchschäden
19. Bildungsfehler
20. Sonstige Krankheiten
Summe
3117 oder 13,0%
627 ,
, 2,6 „
1023 ,
, 4,« ,,
235 ,
, 1,0 „
890 ,
, 3,7 „
462 ,
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1588 ,
, «,* ,1
152 ,
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1113 ,
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, 82,4,,
2686 ,
, IM,.
499 ,
, 2,1 „
1872 ,
, 6,7 „
1078 ,
, M „
209 ,
, 0,8 „
349 ,
, 1,8 ,.
24 225
Es ist anzunehmen, daß sich die Zahl der Überwachten, je mehr sich die
Schulärzte eingearbeitet haben, noch steigern wird.
Zahl der Untersuchungen auf Veranlassung:
in der Schule
in der
Sprechstunde
in der Wohnung
der Kinder
A. der Schuldeputation
B. der Rektoren
C der Schulkommission ....
12
3078
468
14 690
2923
40
119
40
zusammen
8090
18 076
199
21 865
Für jeden Schularzt 593 Untersuchungen.
Für die Nebenklassen wurden 423 Knaben und 279 Mädchen, zusammod
702 £[inder untersucht.
Für die Stottererkurse wurden untersucht 235 Knaben und 85 Mädchen,
zusammen 820 Kinder.
Von jedem Schularzte wurden somit durchschnittlich 28 Sander für Neben-
klassen und Stotteierkurse untersucht
Für jeden Schularzt läßt sich demnach berechnen, daß von ihm unter-
sucht resp. beobachtet werden
Oesundtt Jugend. Y. 7 — 10. 15
214 Schul&nstUohes.
• 1. bei der Emsclmliuig 960
2. für NebenUassen imd BtotftererkuxBe 88
8. auf besondere VersnlaBsnng der Schnldeputation,
der Bektoren and SchnlkommisBionen in Schule,
Sprechetunde oder Wohnung 593
4. dauernd in Überwachung stehend 673
2264 .
Nicht gezählt sind die bei den Schulbesuchen angestellten zahlreichen
Untersuchungen.
Neue Schulen sind eingerichtet worden:
im Etatjahre 1908 7 mit 187 Klassen
1904 8 „ 136 „
1906 8 „ 147 „
Gegenwärtig sind 2 Schulärzten 9 Schulen zugewiesen
23 „ 8 „ „
Als wtbischenswert erscheint es, daß einem Schularzte nicht mehr als
6 Schulen flbertragen werden, damit er seine Tätigkeit mit Befriedigung und
mit vollem Erfolge ausüben kann.
Das Verhältnis der Schulärzte zu den Rektoren und Lehrern war fast
ausnahmslos ein recht günstiges. Von Seiten des Lehrpersonals wird die für
den Gesundheitszustand der Schüler günstige Einwirkung der Schulärzte immer
mehr anerkannt.
Während das Publikum bei Einführung der Schularzteinrichtung dem
Schularzte nicht selten mit Mißtrauen entgegenkam, sind solche Fälle schon
jetzt nur sehr vereinzelt vorgekommen. Allerdings stößt der Schularzt bei der
Beratung häufig auf die Anschauung, als ob die schulärztliche Einrichtung da-
zu geschafiPen sei, den Eltern auch die pekuniäre Sorge für das leibliche Wohl-
ergehen der Kinder abzunehmen.
Ein Teil der Berliner Ärzteschaft stand der Schularzteinrichtnng besonders
im Anfänge sehr argwöhnisch gegenüber. Es wurden in einem ärztlichen Standes-
organe mehrere Beschwerden gegen die Schulärzte verö£fentlicht. Die Nach-
forschung ergab in allen Fällen, daß es sich um irrtümliche Auffassung oder
auch um unwahre Darstellung handelte. Da bei der Anstellung der Schulärzte
von den sich meldenden Ärzten nur der kleinste Teil berücksichtigt werden
konnte, ist es begreiflich, daß die Zahl der Unzufriedenen eine sehr große ist,
und daß Stimmen laut wurden, als ob bei der Anstellung Protektion und Ne-
potismus eine Bolle gespielt habe. Wer sich die Mühe nimmt, kennen zu
lernen, wie bei diesen Anstellungen vorgegangen wird, kann erfahren, daß von
dem zu diesem Zwecke gebildeten Ausschuß die Auswahl auf das gewissenhaf-
teste getroffen wird, um geeignete Kräfte zu finden.
Aus dem Kapitel über allgemeine hygienische Einrichtungen sei
folgendes hervorgehoben.
Von mehreren Seiten werden die Barackenschulen besonders günstig be-
urteilt. Sie liegen sehr frei, sind gut yentiliert und lassen sich gut heizen;
durch ihre freie Lage besitzen sie manche Vorteile der sog. Waldschulen.
In den alten Berliner Schulen besteht bezüglich der Schulbänke noch
die Einrichtung, daß in jeder Klasse sich nur eine Bankgröße befindet, daß
Schal&rztlioheB. 215
8- und iflitsige B&nke mit großer Plusdistanz benutzt werden. Es kamen £rüher
überhaupt nur 3 verschiedene Bänke zur Aufstellung, solche mit 84 cm Sitz-
höhe für die Unterstufe, mit 88 cm Sitzhöhe fOr die Mittelstufe und mit
48 cm Sitzhohe für die Oberstufe. Seit dem Jahre 1901 kommen nur noch
2 sitzige Bänke mit Null- oder Minusdistanz zur Aufstellung (Lehnenabstand
28 — 34 cm). Den früheren Größen wurde noch eine kleinere mit 81,6 cm Sitz-
höhe und eine größere mit 46 cm Sitzhöhe hinzugefügt, so daß jetzt fünferlei
Bänke zur Aufstellung kommen. Das Verhältnis der Sitzhöhe zur Tischkante,
das bei der alten Berliner Schulbank 100:174, 171, 167 betrug, wurde auf
100 : 165—163 herabgesetzt. Die angestellten Versuche und Berechnungen er-
gaben, daß es genügt, um allen Eindem einen bequemen, der Größe entspre-
chenden Sitz zu geben, wenn in jeder Klasse zwei rerschiedene Größen auf-
gestellt werden und außerdem noch einzelne Bänke dazu kommen, welche leicht
ausgewechselt werden können für besonders große oder besonders kleine Kinder.
Bei allen Neuanschaffungen koiomt jetzt die Zahn' sehe Bank neuer Konstruk-
tion zur Anwendung.
Interessant sind die Erhebungen über den Alkoholmißbrauch der
Schulkinder.
Nach den in einer Knabenschule und in einer Mädchenschule angestellten
Erhebungen nahmen alkoholische (JetiAnke zu sich
1. Nie oder nur selten 16,6 7o Mädchen, 18,67« ^aben
2. Wöchentlich mindestens einmal Bier . . . 38,s „ „ 39,9 „ „
„ „ „ Schnaps . 10,»,, „ 11,© „ „
8. Täglich Bier 81,» „ „ 34,4 „ „
Schnaps 1,8 „ „ 4,a „ „
Mehr als *l^ sowohl der Ejuaben als der Mädchen nehmen somit gewohn-
heitsmäßig alkoholische Getränke zu sich, so daß der gewohnheitsmäßige Genuß
alkoholischer Getränke als Volkssitte zu betrachten ist. Gegen diese Volkssitte
anzukämpfen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Volksgesundheitspflege.
Aufgabe der Schulärzte und der Lehrer ist es, in diesen Kampf einzutreten.
Schon in der Schule ist die ungünstige Einwirkung alkoholischer Getränke
besonders bezüglich des Schnapses nachweisbar.
Von 100 Kindern, die nie oder nur selten alkoholische Gettftnke zu sich
nehmen, haben
die Zensur weniger als genügend 8,3 Mädchen, 24,» £[naben
die wöchentlich mindestens einmal Schnaps trinken. 16,5 „ 36,6 „
die täglich Schnaps trinken 66,5 „ 60,5 „
Was die Bekämpfung der Infektionskrankheiten betrifft, so ist
folgendes bemerkenswert.
Von schwereren Infektionskrankheiten wie Diphtherie und Scharlach waren
die Berliner Schulen im Berichtq'ahre im allgemeinen yerschont, die Zahl der
Klassenschlüsse war eine wesentlich geringere als im Bericht^ahre 1902/03.
Wegen Masern wurden 11 Klassen, wegen Scharlach 3, wegen Diphtherie keine,
wegen Stickhusten 2 und wegen Ziegenpeter 1 Klasse geschlossen.
Bezüglich des Klassenschlusses bei Scharlach und Diphtherie wird Yon
selten der Schulärzte ein 14tägiger Schluß beantragt: 1. wenn . leichtere
Erkrankungsfälle in größerer Anzahl Torkommen, 2. wenn schwere vereinzelte
16*
216 Schal&rztlicheB.
Fälle vorkommen, S. wenn einzelne Fälle immer wieder von neuem in derselben
Klasse zeitlich getrennt auftreten.
Von mehreren Schulärzten wird in den Berichten besonders betont die
vorteilhafte Wirkung der Desinfektion der Klassen, daß nach der Desinfektion
entweder gar keine oder nur sehr wenige Erkrankungen aiifgetreten seien«
Nach der Zusammenstellung der unter Überwachung stehenden Kinder
litten in den Berliner Gemeindeschulen 886 an Knochentuberkulose, 890 an
Lungentuberkulose.
Die meisten der im Anfangsstadium der Tuberkulose befindlichen Kinder
besuchen die Schule, ohne daß die Eltern oder der Lehrer Verdacht hegen,
daß es sich um ein krankes Kind handelt. Bei der Untersuchung findet man
Lungenspitzen- oder Lufiröhrenkatarrh, Drfisenschwellungen.
Die Bekämpfung der Tuberkulose, der wichtigsten Krankheit der Schüler,
wurde in der Vereinigung der Schulärzte eingehend beraten und wurde der-
selben von Seiten der Schulärzte volle Aufinerksamkeit geschenkt. Bei der Ein-
schulung sowohl als bei den späteren Untersuchungen wurde auf die Verände-
rungen in den Lungen besonders geachtet und wurden die verdächtigen oder
erkrankten Kinder zurückgestellt oder in Überwachung genommen und fElr
Besserung der hygienischen Verhältnisse Sorge getragen.
Für die Verbringung der Kinder in günstige hygienische Verhältnisse und
für die Anbahnung der Heilung, welche im Kindesalter viel günstigere Aus-
sichten hat als bei Erwachsenen, hat sich die Fürsorgestelle für Lungenkranke
in der Charit^ als sehr wertvoll erwiesen. Von der Fürsorgestelle werden 'die
Wohnungsverhältnisse untersucht und nötigenfalls durch Geldunterstützung
bessere Verhältnisse geschaffen. Besonders konnte durch die Vermittlung der
Fürsörgestelle eine recht große Anzahl von Kindern in Erholungsstätten, in
die Kinderheilstätte in Ljchen und in die Seehospize gebracht werden. Von
einem Schularzt wird besonders hervorgehoben, daß es stets gelingt, die Kinder
zweckmäßig unterzubringren.
Die Erholungsstätten vom roten Kreuz für Kinder wurden im Sommer 1904
von gegen 1500 Kindern besucht. Die Kosten werden für arme Kinder von der
Armendirektion übernommen. Von der Schuldeputation wurden fär den Sommer
1905 zwei Lehrkräfte für diese Erholungsstätten zur Verfügung gestellt
Von mehreren Schulärzten wird über außerordentlich günstige nachhaltige
Erfolge bei den verschickten Kindern berichtet. Von einem Schularzte wurden
24 Kinder an die See geschickt, immer „mit glänzendem Erfolge^S Li einer
Schule, in welcher sich eine größere Anzahl von Lungentuberkulösen vorfand,
war ein Lehrer tätig, der längere Zeit in einer Lungenheilstätte gewesen war.
Dem Schularzt erscheint ein^ Zusammenhang zwischen der auffallend hohen Zahl
der tuberkulösen Schülerinnen und der Erkrankung des Lehrers nicht unmöglich.
Die Zahl der tuberkulösen Kinder kann ungefähr mit SOOO angenommen wer-
den. Es muß als wünschenswert bezeichnet werden, daß far diese Kinder be-
sondere Maßregeln getroffen werden durch Errichtung einer Kinderheilstätte
und durch Weiterentwicklung und Neubegründung von Erholungsstätten fOr
die einzelnen Stadtviertel.
Durch die Schuldeputation wurden die mit Tuberkulose behafteten Lehrer
beurlaubt.
— Vierter Jahresberioht über den sohul&rstliohen XTberwaohungs-
dienst an den Volkssohulen au Breslau für das Bchuljahr 1904/06 nebst
Schnlärztliches. 217
Bericht des HilfBSchalarztes Priyatdozent Dr. Thiemich. Herausgegeben von
Stadtazzt Dr. Oebbecke. Wir entnehmen demselben folgendes: Die Zahl der
Schniante erhöhte sich von 26 auf 27 entsprechend der Zxmahme der Schnl-
kinderzahl in hiesiger Stadt. Unter den Nengei^hlten befindet sich anch eine
Bchnl&rztin, die ansschliedlich Mädchenschulen erhielt, während alle anderen
Schnlarztbeurke gemischt Knaben nnd Mädchen umfassen.
Der Anto&g der Schnldeputation, das Gehalt der Schulärzte in der Weise
zu erhöhen, daß zweimal nach je drei Jahren eine Alterszulage von 160 Mk.
eintritt, so daß der Anfangsgehalt von 500 Mk. bis auf 800 Mk. nach 6 Jahren
steigt, fand die Zustimmang der städtischen Behörden. Die bisherigre Dienst-
zeit wird hierbei in Anrechnung gebracht. Beginn dieser Gehaltsordnung vom
1. IV. 06.
Was das VerhftltnjjB zur Lehrerschaft betrifft, so wurde in diesem Jahre
eine Kommission gebildet, welche aus Mitgliedern der Schuldeputation nebst
Stadtarzt nnd aus Rektoren und Lehrern zusammengesetzt war. Es sollte zu-
nächst die Frage untersucht werden, ob der schulärztliche Dienst Bektoren und
Lehrer mit überflüssigem und übermäßigem Schreibwerk belastet. Es ließ sich
feststellen, daß die Schreibarbeit eine sehr geringe ist, wenn man das Sehreib-
werk, welches durch sanitätspolizeiliohe Yorschriften verlang^ wird, in Abzug
bringt. Letzteres hat aber mit dem schulärztlichen Dienst gar nichts zu tun
und bildet eine selbständige Forderung der staatlichen Aufsichtsbehörde. Diese
Kommission wurde zugleich zu einer permanenten erklärt nnd soll bei beson-
deren Gelegenheiten über etwaige Schwierigkeiten im schulhygienischen Betriebe
sich gutachtlich änßem.
Hinsichtlich des eigentlichen Schuldienstes kam zunächst die ungeteilte
Unterrichtszeit, d. h. 6 stündiger maximaler Vormittagsunterricht in diesem Jahre
voll zur Durchführung. Wenn auch manche Lehrer bei den Kindern in der
6. Unterrichtsstunde Ermüdungserscheinungen beobachten, so waren diese Fälle
doch sehr vereinzelt und beruhen wohl meist auf einem zu späten Schlafen-
gehen. Die Vorteile des freien Nachmittags, des einmaligen Wegs zur Schule,
welcher namentlich auch den Lehrern gestattet, an der gesünderen Peripherie
der Stadt Wohnung zu nehmen, überwiegen diesen Nachteil bedeutend.
Bezüglich der Schulbankhyg^ene erging eine VerfÜgrung der Schuldepu-
tation, daß sämtliche alten Schulbänke, welche keine Größennummer besitzen,
gemessen werden sollten und zwar einheitlich so, daß die Höhe der vorderen,
d. h. der Brust anliegenden Tischkante bestimmt wurde. Jeder Klassenlehrer
erhielt, um die in seiner Klasse vorhandenen Bankgrößen feststellen zu können,
einen Maßstab geliefert, femer eine Tabelle, welche die für die verschiedenen
Tischhöhen passenden Längenmaße der Schüler in Gruppen von 10 cm Differenz
angabt. Nach und nach soll passender Austausch von Bänken zwischen den
Klassen stattfinden, weshalb es sich empfiehlt, wenn über die verschiedenen
Bankgrößen der Klassen dauernd Liste geführt wird.
Für Neuanschaffungen von Schulbänken wurde von einer besonders ge-
wählten Schulbankkomission ein neues ModeU festg^etzt. Es ist im wesent-
lichen der alte Breslauer Zweisitzer mit Nulldistanz ohne bewegliche Teile.
Die Sitztiefe wurde größer gemacht, um den Druck des Körpergewichts auf
das Gesäß durch eine größere Sitzfläche mehr zu verteilen und zu vermindern.
Die Lehne wird zweisitzig in der Höhe der gegenüberliegenden Tischkante an-
grelegt, mit einem in der Höhlung der Wirbelsäule sich anlegenden Lehnen-
218 Sohnlftrztliches.
wxilst, doch so, daß der Oberkörper bei Sitz nach hinten (Ruhesitz) Reklination
hat, d. h. mit seiner Richtongslinie hinter der Senkrechten liegt. Nur so ist
eine wirkliche RnhesteUtmg mit Entspannung der antagonistischen Mnskel-
gruppen möglich. Die Sitzfläche ist femer leicht ausgehöhlt, so daß der Körper
sowohl bei Sitz nach rorn (Schreibsitz) wie bei Sitz nach hinten (Ruhesitz)
Gegenhalt hat. Dmnit der Körper sich bei Ruhesitz noch fiber die Lehne hin-
ausstrecken kann und die Schulterblätter Stütze an der Hinterbank finden, ist
die entsprechende Vordeirfläche der Hihterbank abgeschrägt.
Es wurde femer ein Versuch gemacht mit einem Schulbankmodell, welches
Rektor Leüschner hierselbst konstruiert hat Dasselbe bezweckt durchgehende
Pultplatten mit Einzelsitzen (Stuhl sitzen) zu verbinden. Zwei- und dreisitzige
Pulte werden mit ihren glatten seitlichen Fußflächen aneinandergeechraubt,
wodurch jede beliebige gerade und ungerade Plätzezahl möglich ist Die Zwischen-
gänge der ZweisitNT^ welche die Bänke in ungünstiger Weise von der Licht-
quelle, dem Fenster entfernen, fallen hier also weg. Die Einzelsitze sind so
konstruiert, daß sie mit dem Fußbrett der Bank, welches dem Fußboden fest
aufsitzt, derart gelenkige Verbindung haben, daß die Sitze unter den Tisch
geschoben werden können. Dadurch bildet sich ein Gang hinter den Sitzen
zum Austreten der Schulkinder. Zwischen den nebeneinanderstehenden Sitzen
ist genügend Platz, daß der Schüler während des Unterrichts dazwischen stehen
kann. Bei untergeschobenem Sitz, dessen Lehne die Tischkante nicht Überragen
darf, wird es auch durch den frei werdenden Gang dem Schüler ermöglicht, stehend
zu zeichnen, wie auch Raum geschafPen wird, um ein drehbares Grestell für
Zeichenobjekte an dem Hintertisch anzubringen. Die Vorteile des Stuhlsystems
für größere Schüler namentlich auch an höheren Mädchenschulen sind unbe-
streitbar, weshalb Erfindungen in dieser Richtung unterstützt werden sollen.
Die Mängel der Leuchnerschen Bank, welche sich bis jetzt herausgestellt haben,
sind folgende: Die (Gelenkverbindung des Stuhls mit dem Fußbrett des Tisches
ist zu schwach. Der Staub, welcher sich unter dem am Fußboden festauf-
sitzenden Fußbrett ansammelt, läßt sich nicht entfernen. Beim HintenÜbemeigen
der Schüler über die Lehne rutscht der Stuhl nach unten. Der Erfinder hofft
aber diese nicht prinzipiellen Fehler beseitigen zu közmen. Die Bank ist pa-
tentiert.
Auf Grund von Untersuchungen der stiUltischen Abteilung des hiesigen
hygienischen Universitätsinstituts wurde festgestellt, daß die zugfreie Venti-
lation durch die Wandkanäle nicht ausreicht zur Auffrischung der Luft wäh-
rend des Unterrichts und daß deshalb in den Pausen noch Zuglüftung durch
öffnen von Tür und Fenster hinzutreten muß. Es wurden deshalb diesbezüg-
liche Verfügungen an die Schulen erlassen.
In alten Klassen, wo Ventilationsklappfenster nur mit übermäßigen Kosten
anzubringen sind, sollen Statt dessen äußere Jalousiescheiben im oberen Fenster
angebracht werden.
Für die Desinfektion der Klassen wurde im Interesse der Beschleunigung
die Bestimmung getroffen, daß die Rektoren bei Diphtheriefällen selbst sofort
den Antrag an das städtische Desinfektionsamt stellen können. Der Schularzt
erhält hiervon aber möglichst bald nachher Mitteilung.
Besprechungen. 219
VI. Besprechungen.
MaroiiBey Max; Die gesohleohtliohe Aufklärung; der Ju^nd. Leipzig,
Felix Dietrich.
Lisehnewska) Maria: Pie gesohleohtliche Belehrung der Kinder. Frank-
furt a./M., J. D. Sauerl&nders Verlag.
Beide vorliegende Aufsätze^) haben dasselbe Ziel im Auge, nämlich eine
geschlechtliche Belehrung und Aufklärung der Schulkinder. Vor allem die
Jugend bedarf der Aufklärung, da sie am meisten durch geschlechtliche Ver-
irrungen gefährdet ist, gegen deren Gefahren sie bei ihrer Unkenntnis nichts
schützen kann. Bisher herrscht bei der Erziehung in Schule und Haus nur
das Prinzip, „alle das (Geschlechtsleben betreffenden Fragen zu ignorieren und
alles, was daran erinnern könnte, daß Mann und Weib sich nicht völlig gleichen,
mit einem aus Heuchelei und Prüderie gewobenen Schamtüchlein zu bedecken'^
Es ist höchste Zeit, daß mit diesem Prinzip gebrochen wird, welches dazu fShxt,
dem Kind allerdings auch eine Auf klärang über geschlechtliche Dinge zu geben,
aber nur auf die schmutzigste Weise, im dunklen Winkel und verschwiegenen
Versteck, von klügeren Schulkameraden u. a. Eltern und Erzieher müssen die
Pflicht anerkennen, die geschlechtliche Belehrung der Kinder in die Hand zu
nehmen. Marcuse schildert in überzeugender Weise des Näheren die Grefahren,
denen die Kinder auf der Schule, in sonstigen Erziehungsinstituten und später
im Leben ausgesetzt sind, und mit wie großem Elend sich die ünwahrhaftig-
keit in der Erziehung rächt. Das Vertuschungssystem und die Geheimnis-
krämerei, welche den Kindern die Unbefangenheit rauben und die Neugier reizen,
müssen aus der Erziehung verschwinden. Das Kind muß zu „gesunder Freude
an allem Schönen, mag es Kunst oder Natur, nackt oder angezogen sein, und
zum gesunden Abscheu vor allem, was wirklich unschön ist^\ erzogen werden.
Die Mittel und Wege hierzu gibt uns Lischnewska an. Sie weist auf die
Tatsache hin, daß Schulknaben mit Prostituierten und in Bordellen verkehren,
und daß nach Äußerungen von Ärzten und Lehrern auf dem Internationalen
Schulhyg^enekongreß in Nürnberg 90 7^ aller Schuld der höheren Lehranstalten
geschlechtlichen Verirrungen ergeben sind. Um ein gesundes, reines Geschlechts-
leben wieder in unserem Volk zu schaffen, muß der Kampf gegen Schmutz und
Entartung des Geschlechtslebens aufgenommen werden. Der Kulturmensch muß
lernen, die Natur mit reinen Augen anzuschauen. Schon in der Schule muß
das Kind an der Hand des naturwissenschaftlichen Unterrichts mit der Kenntnis
seines Leibes, seiner Organe und deren Funktionen vertraut gemacht werden.
Die Verfasserin gibt uns einen methodisch aufgebauten Lehrplan, der, vom
dritten Schuljahr beginnend, das Kind vor der Schulentlassung zur vollen natur-
wissenschaftlichen Klarheit, aber auch zur ehrfurchtsvollen Auffassimg der Quelle
des Lebens fuhren soll. Betreffs der interessanten Einzelheiten verweisen wir
auf die Originalarbeit. Jedem, der sich der Gefahren, welche der bisherige
Erziehungsmodus in bezug auf das G^chlecfatsleben hat, bewußt ist, und der
^ Vorträge, welche am 6. April 1906 zu Berlin im Bund für Mutterschutz
gehalten wurden.
220 Besprecliangen.
ernstlich bestrebt ist, »n einer Besserong mitzuarbeiten, werden die vorliegenden
Aufsätze willkommen sein.
Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. 14. Jahrgang 1906. Im Verein mit
£. von Schenckendorff und Dr. med. F. A. Schmidt, Vorsitzenden des
ZentralausschuBses, herausgegeben von Professor H. Wickenhagen, kart.
3 Mk. Leipzig, B. G. Teubner.
Der 14. Band des Jahrbuches leg^ in einer Yortrefflichen Ausstattung und
in seinem reichen und mannigfaltigen Programm Zeugnis davon ab, daß die
Arbeiter nicht müde geworden sind, zu sinnen und zu schaffen. Schon seit
geraumer Zeit geht der rührige Verband über die engeu Grenzen des Spiels
hinaus und setzt sich die allgemeine Volksgesundung durch einfach-natürliche
Lebensführung zum Ziele. Daß er damit das Rechte trifft, zeigt die Zuneigung,
die ihm von Jahr zu Jahr in erhöhtem Maße zuteil wird. — In dem Inhalts-
verzeichnis finden wir eine Reihe gediegener Abhandlungen von Mftnnem
wie Dr. Prof Vollert (Volkslied), Prof Dr. Koch (Wohnungsgesetz und Spielplatz-
frage), Dr. G^rstenberg (Leibesübungen im Dienste der sozialen Arbeit), Rossow
(Leibesübungen an den preußischen Seminaren), Dr. Neubert (Die Charlotten-
burger Waldschule), Dr. P. A. Schmidt (Weltausstellung von St. Louis) usw. —
Der praktische Teü behandelt in einzelnen Abschnitten das Spiel, Wandern,
Schwimmen und Rudern und zwar immer zu dem Zwecke, aus der Vergangenheit
für die Zukunft anregend zu wirken. Es sei hingewiesen auf Arbeiten wie „Der
Spielplatz in Insterburg^^ (Dir. Dr. Hoffmann), „Wie unser Spielplatz entstand^*
(Prof Dr. Deipser); „Der Wandervogel" (Dir. Dr. Siebert); „Der militärische
Gang" (Generalarzt Dr. Meisner). Über die Entwicklung des Schwimmbetriebs
liegen eine ganze Reihe von Einzelberichten aus deutschen Großstädten vor;
das Rudern ist durch zwei vortreffliche Aufsätze von Dir. Dr. Wagner (Das
Schüler-Ruderheim iu Königsberg) und Dr. Euhse (Meine letzte Schülerfahrt im
Boot durch ostdeutsche Gewässer) vertreten.
Im Interesse einer guten Sache wünschen wir dem Buche die weiteste
Verbreitung!
Haeppe, Ferd«, Prof Dr.: Unterrioht und Ersiehung vom sosial-hygie-
nischen und soBial-ajithropologIsohen Standpunkt. Zeitschrift für
Sozialwissenschaft. Herausgegeben von Professor Dr. Julius Wolf in Bres-
lau. 1905, August. Verlag Georg Reimer, Berlin.
In diesem sehr lesenswerten Aufsatze geht der Verfasser scharf den Ge-
brechen unser heutigen Unterrichtsmethode in Volks-, Mittel- und Hochschule
zu Leibe und bricht mit ebenso viel kluger Besonnenheit wie edlem Feuer eine
Lanze für die Erziehung der deutschen Jugend zu Gesundheit, Arbeit und
Wissen. Wenn man auch nicht in allen einzelnen Punkten den in der Arbeit
zum Ausdrucke kommenden Anschauungen vollkommen beizutreten vermag,
sondern sich hier und da zu kritischen Einwendungen gedrungen fühlt, so muß
doch jeder Mensch, der sich seinen gesunden Menschenverstand und so viel
freien Blick bewahrt hat, daß er nicht in einem Wust von einseitigen Vor-
urteilen, hilflos in einen engen Kreis gebannt, stecken bleibt, der ganzen Grund-
tendenz der Arbeit von Herzen beistimmen. An Unterricht fehlt es uns wahr-
lich nicht, wohl aber an Erziehung und an der rechten Methode an allen Ecken
Besprechungen. 221
nnd Kanten. Nicht mechanische geistige Dressuranstalten für Mnsterzensuren
nnd einen beschränkten Kreis von Fertig- und Fixigkeiten, Schulen fOür das
Leben, Schulen, die Qeist und Körper zur möglichst vollen Entfaltung ent-
wickeln, sind uns nötig. Das Fehlen des Erziehungsmomentes im Unterrichte
als Mittel zur höheren Bildung macht einen recht trostlosen Eindruck, hebt
Professor Hueppe sehr treffend hervor. Mit Klagen darüber allein ist es nicht
getan, die geistigen Führer des Volkes, das ganze Volk selbst mit seinem jetst
so erfreulichen' Bingen nach besserer Bildnng müssen hierin zu den einsichts-
vollen Erziehern stehen, die fühlen, wo uns der Schuh drückt, und den Finger
auf die Wunde legen. Die einseitige) Pflege des bloß Intellektuellen tut es
nicht, sie ist ein Krebsschaden, der an der wahren Natur unseres Yolkstnmes
frißt. Die bloße Wertun>^ des rein äußerlichen Wissensballastes ist den arischen
Völkern von Natur fremdartig. Kraft, Entschlossenheit, Mut, Umsicht, Taten-
lust und Selbstzucht waren unserem Volke in seinen besten Zeiten eigen, vor
dem bloßen Wissen hatte das zielbewußte Wollen und Ejßnnen bei den arischen
Kulturvölkern immer den Vorzug. Unsere Helden und Staatsmänner, die Bahn-
brecher auf dem Gebiete des Geistes in Wissenschaft und Kunst waren keine
Intellektuellen, keine wandelnden Konversationslexika, wie Treitschke zu sagen
pflegte, sondern freie, in jeder Hinsicht entwickelte Persönlichkeiten und schöp-
ferische Naturen. In dieser Beziehung scheiden sich scharf die Arier von den
semito-hamitischen Völkern, bei denen der Priesterstand die Quelle alles Wissens
war, sowie von den Chinesen, bei denen die bloß voU toten Wissens gestopften
Gelehrten durch eine Reihe mechanischer Prüfungen in braver Anecho-Arbeit
sich bis zu den höchsten Stellen und Würden emporarbeiten. Die Engländer
spotten, wie Treitschke zu sagen pflegte, über uns und unser schon viel zu
sehr auf ein rein form^es Prüfnngswesen aufgebautes Schul- und Bildungs-
sjstem, indem sie sagen, bei den Deutschen sei immer die eine Hafte damit
beschäftigt, die andere Hälfte zu prüfen. Wir sind damit schon auf dem besten
Wege, uns dem Chinesentume noch mehr zu nähern. Eine gewisse Ähnlichkeit
zwischen Deutschen und Chinesen ist schon früher in Deutschland empfunden,
denn Goethe erzählt, daß er auf einem alten Globus aus der Zeit Karls V. bei
China zur Erläuterung eingetragen fand: „Die Chinesen sind ein Volk, das sehr
viel Ähnlichkeit mit den Deutschen hat.^' Und doch ist das ganze Wesen des
Ariers dem des Chinesen von Natur entgegengesetzt, denn der Chinese mit
seinem reinen Nützlichkeitsstandpunkte steht unserer Auffassung in Art und
Mehrung des Wissens und Könnens vollständig verständnislos gegenüber.
Nur durch die arischen Charaktereigenschaften kann, so hebt Professor
Hueppe sehr richtig und eindringlich hervor, unser Volk in Zukunft zu einer
führenden Rolle kommen, nachdem in unserer Vergangenheit die schönsten Ge-
legenheiten dazu wiederholt versäumt waren, so daß selbst das lebendige ge-
sprochene Hochdeutsch trotz seiner Kulturhöhe nicht einmal in Mitteleuropa
die unbedingte Führung der Vermittlungssprache besitzt, welche den West-
slawen ebenso nötig ist, wie den deutschen Dialekten. Um zum Ziele zu kom-
men, muß der Unterricht vom Gesichtspunkte der aufbauenden Hygiene aus-
gehen. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, stellt sich die Schule heute
vom ersten Tage an dem Körper des Kindes geradezu feindlich gegenüber.
Dabei ist die Mehrzahl mit der Einbuße an Nervenkraft bedroht und der ner-
vige Mensch ist heute schon vielfach von dem nervösen abgelöst.
Der Verfasser setzt in dem umfangreichen Aufsatze eingehend auseinander,
222 BesprechungQiL
wie eine Abhilfe der gegenwärtigen Gebrechen seiner Ansieht nach am besten
zu erreichen ist. Im wesentlichen muß man ihm auch hier nur durchaus bei-
pflichten, wenn man auch in einzelnen Punkten, wie z. B. Ersatz des Lateins
als Anfangssprache durch eine moderne Sprache, z. B. das FnmzßsiMlie, anderer
Meinung sein kann. Jedenfieblis hat die sehr flexionsreiche lateinnche yor der
flezionsarmen französischen Sprache doch die Erziehung zur sdiarfen Exaktheit
und Logik voraus. Doch aufs einzelne kann hier nicht weiter eingegangen
werden auf begrenztem Baume. Wir möchten hier nur die Aufmerksamkeit
auf die im ganzen höchst verdienstiichen Ausführungen hinlenken.
I (Die Post Berlin.)
Neuendorff: Die Turnlehrer an den höheren I«ehnuuitalten PreaBens
und der Geist des Tumlehramts. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung.
1906. 8 ^ 181 S. Mk. 2,40 geh.
Die Yorliegende Schrift bespricht nach kurzer geschichtlicher Einleitung
die Aufbahme des Spiels und der sogenannten yolkstümlichen Übungen
in den Lebrplan der höheren Schulen und schildert in fesselnder Weise die
Spielbewegung als Ausfluß der Reformbestrebungen auf dem gesamten Gebiet
des Unterrichts und der Erziehung. Die Erkenntnis von der veredelnden
Wirkung des Spiels, von seiner wohltätigen Anregung von Lungen- und Herz-
tätigkeit hat ihm einen Platz in der Schule gesichert. In Preußen wurde
eine dritte Turnstunde eingesetzt, aber trotzdem genügt die Zeit nicht, um
den der leiblichen Erziehung gesteckten Aufgaben auch nur einigermaßen
gerecht zu werden, zumal auch Wassersport jeder Art und Tum&Lhrten vor-
gesehen waren. Kein Wunder, daß vielfach die Gerätübungen über Ge-
bühr eingeschränkt wurden. Die Tum^higkeit nahm ab und mit ihr die
Tumlust bei Schülern wie bei Lehrern. Dazu kam, daß bie preußischen
Lehrpläne keine Klassenziele angeben und es dem Turnlehrer überlassen,
selbst die Wahl der Übungen zu treffen. Wie schwer mußte das sein för
jemanden, der das Tumlehramt nicht zum Lebensberuf gewählt hat, wenn
selbst die Fachleute in ihren Ansichten über Stoffverteilung und Me-
thode nicht unerheblich auseinandergehen? Nach und nach scheint aber die
allgemeine Unsicherheit der Erkenntnis zu weichen, daß das systematische
Turnen, vor allem das Geräteturnen den Kern bilden muß, während die reinen
„Freilichtübungen^^ ihre notwendige Ergänzung bilden. Das Geräteturnen,
dessen Betrieb der Turnunterricht seine Erfolge verdankt, hat nur dann
Sinn und Zweck, wenn es dem Schüler ein gewisses Turnkönnen ver-
mittelt, wenn es ihn befähigt, eine Anzahl von Übungen sicher, gewandt und
in tadelloser Körperhaltung auszufahren. Hierzu aber muß der Unter-
richt nach bestimmtem Lehrplan und nach methodischen Grund-
sätzen erteilt werden, und e» muß ihm hinreichende Zeit zur Verfügung
stehen.
Aber auch das Spiel läßt sich ohne erheblichen Zeitaufwand nicht
betreiben, und es müssen neue Mittel, neue Zeiten zur Verfügung gestellt
werden. Dies ist von der preußischen Regierung anerkannt, und Verhand-
lungen sind im Gang. Aber — so sagt der Yer&sser — sind die Lehrer ge-
rüstet für die neuen Aufgaben, ist die Vorbildung unserer Turnlehrer gründ-
lich und einheitlich genug?
Besprechnng^n. 223
Man kann in Preußen auf drei yenchiedene Arten in den Besitz eines
Tnrnlehrerzeug nisBes gelangen:
1. Dnrcli den erfolgreichen Besa^di eines halbjährigen Kursus an der
Turnlehr er- Bildungsanstalt in Berlin. Die Bewerber müssen die wissen-
schaftliche Präfong f&r das höhere Lehramt oder die zweite Lehrerprüfung
bestanden haben.
2. Durch den erfolgreichen Besuch eines der etwa halbjährigen Kurse,
die jedoch nur in einzelnen Universitätsstädten abgehalten werden. (In
Berlin z. B. wird kein solcher Kursus abgehalten.) Hier werden auch Stu-
denten nach Yollendetem vierten Sementer zugdaesen.
8. Durch Bestehen der Turnlehrerprüfung vor einer staatlichen Kom-
mission; solche Prüfungen werden alljährlich in Berlin an der Tnmlehrer-
bildungsanstalt sowie an den mit Tnmkurs ausgestatteten Universitäten ab-
gehalten.
Zur Prüfung werden zugelassen:
a) Bewerber, welche bereits die Befähigung zur Erteilung von Schul-
unterricht vorschriftsmäßig nachgewiesen haben;
b) Studierende, jedoch nicht vor vollendetem fünften Semester (nur in
Berlin zugelassen).
c) Ausnahmsweise auch andere Bewerber, die das 23. Lebensjahr über-
schritten haben und das Einjährigenzeugnis beibringen (nur in Berlin zu-
gelassen). Die Prüfung ist eine theoretisch -schriftliche und mündliche und
eine praktische (Tumfertigkeit und Lehrgeschick).
Diese hier nur auszugsweise wiedeigegebenen Bestimmungen werden von
dem Verfasser einer scharfen, aber keineswegs ungerechtfertigten oder über-
triebenen Kritik unterzogen und wohl oder übel wird man sich vor der logisch
einwandfreien Beweisführung und besonders vor der Wucht der Tatsachen
beugen müssen, die mit großem Fleiß zusammengetragen und, soweit es mög-
lich war, in Zahlen ausgedrückt sind. Den vom Staat getroffenen
Maßnahmen fehlt jede Einheitlichkeit. Dies gilt schon von den
Bedingungen für die Teilnahme an den verschiedenen Kursen und für die Zu-
lassung zur Tumlehrerprüfting. An manchen Universitäten fehlen die Tum-
kurse ganz, so z. B. in Berlin; gleichwohl bleibt die Tumlehrerbildungsanstalt
daselbst den Studenten verschlossen. Auch steht die Besoldung der Lehr-
kräfte an den Universitäten in keinem Verhältnis zu den Aufwendungen für die
Berliner Anstalt, während doch beide Einrichtungen demselben Zweck dienen.
Sollte man nicht an allen Universitäten Kurse halten und in Berlin eine Zen-
trale schaffen, durch die die Kurse in organische Verbindung träten, die all-
gemeine Richtlinien für ihren Lehrgang und für die Prüfungsanforderungen
aufstellte? Wie grundsätzlich verschieden man heute an verschiedenen
Orten verfährt, wird durch zahlreiche Beispiele nachgewiesen; diese Ver-
schiedenheit muß sich auf die Schule übertragen, da der Turnlehrer wenig-
stens im Anfang das im Kurs geübte Lehrverfahren als vorbildlich ansehen
wird und muß, solange nicht eigene Erfahrung ihn zu Abweichungen veran-
laßt. Übrigens wird auch die Tumfertigkeit von den verschiedenen Kom-
missionen mit ganz verschiedenem Maße gemessen.
Am bedenklichsten erscheint die Prüfung der Ex träne er, der so-
genannten „Wilden^^ Mit Fug und Recht fordert der Verfasser, daß man es
nur Lehrern und Studenten als künftigen Lehrern ermöglichen sollte,
224 Besprechungen.
sich der Tnmlelirerprüfang zu unterziehen (nicht aber allen denen, die im
Besitze eines Eiigäbrigenzeugnisses sind) und zwar nur nach Durchlaufen
eines staatlichen Kursus. Die Anstellungsf&higkeit sollte schließlich
erst nach Ableistung eines Probejahrs zuerkannt werden. Nur wenn
der Staat die Ausbildung seiner Lehrer überwacht, kann er die Verantwortung
für deren späteren Unterricht übernehmen. Dies gilt für die Turnlehrer so
gut wie fär jeden anderen Lehrer. Kenntnisse in der turnerischen Literatur
kann man sich durch Studium, turnerische Fertigkeiten in jedem guten Turn-
verein privatim erwerben; zum Lehrer wird man erst durch gute Vorbilder
und durch eigene Erfahrung. Die Abneigung der Lehrer gegen den Turn-
unterricht, und die Arbeitsverdrossenheit unserer Turnlehrer hat ihren Haupt-
grund in der Zerfahrenheit des Schultumwesens; und doch, Liebe und Be-
geisterung für seine Sache braucht vor allem der Turnlehrer, wenn sein
turnerischer Geist auf die Jugend überströmen soll. Deshalb ist von ihm ein
tieferes Eindringen in seine Berufspflichten zu fordern. Er muß ein
Lehrverfahren kennen lernen, das ihm vorbildlich sein kann, und muß all-
gemeine Richtlinien für seinen CTnterricht erhalten, um festen Boden unter
die Füße zu bekommen. Alles das leistet das jetzt bestehende Prü-
fungssystem nicht, ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, auf Grund
desselben ein sicheres Urteil über die Kenntnisse, die turnerischen Fähig-
keiten und über das Lehrgeschick der Bewerber zu erhalten. Die Prüfungen
sind auch seinerzeit nur als Notbehelf eingeführt worden in der Hoffiiung,
den Tumlehrermangel zu beseitigen, und jetzt nach 89 Jahren besteht dieser
Notbehelf noch und der Tumlehrermangel auch. Kann man dem Verfasser unrecht«
geben, wenn er fordert, daß man Wandel schaffe und andere Wege einschlage?
Wer soll nun den Turnunterricht an höheren Schulen
erteilen?
Fielen in Zukunft die Prüfungen der Extraneer weg, so hätte man nur
noch Volksschullehrer und Oberlehrer mit Tumlehrerzeugnis. Der Ober-
lehrer, der seiner wissenschaftlichen Fakultas entsprechend beschäftigt ist,
wird stets nur wenige Turnstunden übernehmen können; soll man ihm die
leibliche Erziehung anvertrauen, oder dem Volksschullehrer, der das
Turnen zu seinem Hauptfach erwählt hat und dabei noch einige Ele-
mentarf&cher unterrichtet? Seitdem man im Prinzip zum Klassenlehrer-
system übergegangen war, mußte man auch das Turnen diesem zuweisen.
A. Spieß hat diesen Standpunkt mit aller Entschiedenheit vertreten^ und das
preußische Ministerium hat seit Einführung der Leibesübungen alles ge-
tan, um die ideale Forderung zu verwirklichen, daß jeder Klassen-
lehrer auch Turnlehrer sei. Man suchte Studenten, Kandidaten und
Oberlehrer zur Erwerbung der Turnfakultas zu bewegen, und sparte auch
nicht an staatlichen Unterstützungen; die Errichtung von Universitätskursen
ist ein Glied in der Kette dieser zielbewußten Bestrebungen. Und doch war,
das muß man zugeben, alles umsonst. Während der zwölf Jahre von 1892
bis 1904 sind in Berlin jährlich durchschnittlich 10, in den Universitätskursen
jährlich 28 akademisch gebildete Lehrer ausgebildet worden und auch unter
den „Wilden" ist die Zahl der seminaristischen Lehrer um y, größer als die
der Akademiker.
Was nun die Verteilung des Turnunterrichts unter die Lehrer anlangt,
so wurde nach Berechnungen des Verfassers im Winterhalbjahr 1908/04 nur
Bespzechungen. 225
wenig mehr als ein Drittel des Tnrnnnterrichts von akademisch ge-
bildeten Lehrern erteilt und es kamen anf jeden solchen Lehrer durch-
schnittlich 4,47 Stunden wöchentlich. Von den Tarnfaknltas besitzenden
Akademikern — nnd nur etwa ein Achtel aller Akademiker besitzt sie —
erteilte die fiälfte keinen Turnunterricht und von den Akade-
mikern, die ihn erteilten, können etwa 407o keine Lehrbefähigung
für Turnen besessen haben.
Die häufige Kombination der verschiedensten Klassen und die
Tatsache, dafi durchschnittlich rund 60 Schüler zu einer Turnabtei-
lung vereinigt werden, ist wohl in erster Linie aus dem Lehrermangel
zu erklären. Entweder «rar es also ein unerreichbares Ideal, dem man zu-
strebte, oder die Wege, die man einschlug, waren falsch. Nun haben andere
Staaten ganz die gleichen Erfahrungen gemacht, insbesondere auch die,
daß die Oberlehrer mit Lehrbefähigung im Turnen dieses Fach im prak-
tischen Dienst abzuschütteln wissen. Daher ist vielleicht der Schluß erlaubt,
daß der Turnunterricht seiner Natur nach wenig Anziehungskraft ausübt auf
die wissenschaftlichen Lehrer, daß er der Mehrzahl der Oberlehrer nicht liegt.
Es wird daher nötig sein, Volksschullehrer in größerem Maße heranzu-
ziehen, und man wird sie für die Sache gewinnen können, wenn man den
seminaristisch gebildeten Turnlehrer in Bang und Besoldung dem
Zeichenlehrer gleichstellt. Dazm wird es sogar möglich werden, eine
etwa einjährige Ausbildungszeit von ihm zu fordern. Man hätte dann Fach-
tumlehrer neben Oberlehrern, die im allgemeinen Turnstunden in geringer
Zahl erteilen. Über die gegen den Fachtumlehrer erhobenen Bedenken und
ihre Widerlegung möge man die Schrift selbst lesen. Ein gutes Teil ihres
eigenartigen Reizes liegt gerade hier, wo der Verfasser ein Ideal, dem er
selbst mit ganzem Herzen zustrebt, als unerreichbar erkennt und nun mit
wahrer Selbstverleugnung zur Abkehr von dem betretenen Wege mahnt
Trotz alledem will der Verfasser mit Recht nicht auf die Mitwirkung
der Oberlehrer verzichten und schlägt vor, an die Universitätsknrse die
bessernde Hand anzulegen. Die Stundenzahl f^r einen solchen Kurs ist auf
„etwa 18*^ festgesetzt; das ist gewiß nicht viel, wenn man theoretische
Kenntnisse, turnerische Fertigkeit und ünterrichtspraxis übermitteln will.
Aber trotzdem müssen die Studenten während des Kursus erfahrungsgemäß
ihre Studien mehr oder weniger unterbrechen. Zudem wird auf die Kursisten
ein Zwang ausgeübt, der sich mit der studentischen Freiheit schwer ver-
trägt, und dieser Zwang wird so lange fortbestehen müssen, als man fertige
Turnlehrer auf der Universität ausbilden will. Man verlege deshalb die
„Turnpädagogik'* auf den Vorbereitungsdienst, auf allen Univer-
sitäten aber richte man geeignete Vorlesungen, Turnkurse und eine
Prüfung für Tumlehrer ein. Die Anerkennung als Tumlehrer mache man
abhängig von dem erfolgreichen Besuche eines etwa vierwÖchentlichenTurn-
kursus ander Turnlehrerbildungsanstalt, der an den Schluß des zweiten
Probejahresgelegt werden kann. (Näheres lese man in der Schrift selbst nach.)
Die Erörterungen über die Turnlehrerbildungsanstalt sind vor-
wiegen«L technischer Natur; nur das Prinzipielle möchte ich hier berühren.
Die Aufnahmebedingungen sollen verschärft, und der Hauptnach-
druck auf die methodische Seite der Ausbildung gelegt werden. Der
ganze Tumplan einer Knabenschule wäre in Umrissen durchzutumen und alle
226 Bespreohimgen.
Seiten tnnieiiiiidier Tätigkeit dabei gleiclunftßig zur Geltung tä bringen. In
diesem Zasämmenhang wird nochmak die Aufstellung eines allgemeinen
Lefaiplans gefordert. Endlich schlägt der Verfasser neben den • seither allein
ablieben halbjährigen Kursen, die fortan die Ausbildung der T ach turn -
lehrer zu übernehmen litten, die Einrichtung ^on Monatskursen für
Akademiker ror, deren Aufgabe oben skizziert ist
Je unvollständiger die Ausbildung der Turnlehrer ist, desto nötiger wäre
ihre Weiterbildung im Beruf. Dafi diese durch Beteiligung an tur-
nerischen Obnngoi am nachhaltigsten gefördert wird, ist klar, und wo sollte
man besser Qelegenheit finden, unter sachkundiger Leitung zu turnen, immer
neue Obungen in tadelloser Ausfahrung zu sehen, als innerhalb der Deut-
schen Turnerschaft? In der Tat ein „Tumkränzchen^* ist demgegenfiber
nur ein Notbehelf; wer das am eignen Leibe erfahren hat, wird es mit dem
Verfasser tief bedauern, daß nur so sehr wenige Lehrer sich an der nationalen
Kulturarbeit beteiligen, die die Deutsche Tumerschalt mit ihrer gewaltigen
Organisation leistet. Nur wer in dem frisch pulsierenden Leben des Tum-
bodens steht, wird auch in der Jugend echten turnerischen Qeist erwecken
können. Doch die Zugehörigkeit zu einem Tumverein ist Priyatsache, und ea
ist Pflicht des Staates, fär die Weiterbildung seiner Turnlehrer zu sorgen,
die Einrichtung Ton Wiederholungskursen ist unabweislich. Turn-
inspektoren hätten den Tumunterticht zu besichtigen und dem Lehrer mit
Rat und Tat zur Hand zu gehen ; sie könnten am sichersten auf eine Ver-
einheitlichung des Turnunterrichts hinwirken, und so schliefilich eine preu-
ßische Tumschule begründen helfen.
In einem Schlußwort wird noch einmal die Notwendigkeit bal-
digen und energischen Eingreifens betont. Man gebe dem Turnlehrer
feste Ziele und eine gründliche Ausbildung. Der Verfasser empfiehlt da-
bei Anlehnung an das Ton A. Maul eingeschlagene Verfahren, das
sich ja ganz zweifeUos bewährt hat und mit dem Neuendorff durch Teilnahme
an zwei Kursen yeitraut wurde« Dem Mauischen Turnen gelingt es, bei
gleichmäßiger körperlicher Durchbildung der Klassen herrorragende Leistungen,
bewundernswerte Begeisterung der Lehrer und aufrichtige Tumfreudigkeii
aller Schüler bis in die obersten Stufen zu erzielen. Da durch das Geräte-
turnen wie durch kein anderes eine harmonische .Körperausbil-
dung des Einzelnen und der großen Masse unserer Schüler zu erreichen
ist, so stellen wir das Geräteturnen in den Mittelpunkt des Turn-
unterrichts, betrachten daneben aber Spiele und volkstümliche-
Übungen, und auf den Unter- und Mittelstufen Frei- und Ordnungs-
übungen als seine unentbehrlichsten Bestandteile. Was hier über
die Stellung der turnerischen Tätigkeiten gesagt wird, erscheint dem Iteferenten
als äußerst beachtenswert.
Überhaupt ist die Schrift reich an allgemein interessanten Ausföhrungen,
getragen von glühender Begeisterung für die Tumsache und die Jugenderzie-
hung. Die Kritik, die der Verfasser an den bestehenden Verhältnissen übt,
ist überall streng sachlich, rerliert sich niemals in nutzlose Klagen oder in
undurchführbare Forderungen, sondern sie kommt zu positiyen Verbessiirungs-
vorschlägen, die zum allermindesten eine wohlwollende und genaue Prüfung
verdienen und sie, so hoffen wir, in Fachkreisen und seitens der Behörde
wohl auch erfahren wird. Professor L. Baiser-Dannstadt.
Kleinere Mitteilungen, 227
Vn. Kleinere Mitteilungen.
— AüBteolraiis Ton Kftoikheiten daroh Bohiübüoher. In Frankmch
scheint man zu der Annclit gekommen zu sein, daß Schulbflcher, welche nach
Ablauf eines Schuljahres dazu bestimmt sind, auf andere Schfller überzugehen,
in bezug auf ansteckende Krankheiten yerdächtig erscheinen. Bei seinem Be-
richt in der firans(toischen Akademie der Medizin stellt Josias im Anschluß
an eine Arbeit von Lop die Forderung auf, daß solche Bücher einer allgemeinen
Desinfektion am Schluß des Jahres unterworfen werden soUten, die Bücher,
welche von einer ansteckenden Krankheit be&Uenen SchfQem gehörten, einer
sofortigen. — Man kann dieses Verlangen nur gerechtfertigt finden, wenn die
Bücher dabei nicht geschädigt werden. Deshalb schlftgt Josias die Methode
von Miquel vor, nach welcher J*ormaldehyddULmpfe zu dieeem Zwecke zur An-
wendung kommen. (Leipziger Tageblatt)
— An den Rat der Stadt Leipsdg war vom ärztlichen Bezirksverein und von
der Ortsgruppe Leipzig des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege eine Ein-
gabe wegen Einführung eines obligatorischen Spielnachmittags an
den städtischen Schulen gerichtet worden. Der Rat hat sich darauf in ab-
lehnendem Sinne entschieden. Er betont die Schwierigkeit der Beschaffung
der für 40000 Kinder erforderlichen Spielplätze und bemerkt, daß zwei Spiel-
stunden in der Woche und zwar nur im Sommer von keinem großen Erfolg
sein kOnnen, wenn das Kind sonst unter schlechter Nahrung und schlechter
Wohnung leidet. Sollte die Stadt einmal so große Summen (etwa 200 000 Mk.)
ausgeben, so würde es richtiger sein, sie für eine Speisung armer Volks-
schüler zu verwenden. (Magdeburgische Zeitung.)
— Li Münohen- Gladbach ist aus Anlaß der silbernen Hochzeit des
Kaiserpaares eine Waldschule im Walde bei Hardt nach Charlottenburger
Muster auf Beschluß des Verwaltuugsrates der Gueury Stiftung errichtet worden.
Die genannte Stiftung besitzt in dem Hardter Fichtenwald schoo eine Lungen-
heilstätte. Die Baukosten der Waldschule sind auf 17 000 Mk. veranschlagt.
Li der besseren Jahreszeit sollen in derselben jedesmal 50 Kinder auf zwei Mo-
nate untergebracht werden. Die Beköstigung erfolgt seitens der Küche der
Lungenheilstätte zum Preise von 60 Pf. pro Kind und Tag. Unterricht findet
nur für 2 bis, 3 Stunden statt, im übrigen werden Spaziergänge unternommen
und Spiele veranstaltet, um die angegriffene Gesundheit der Kinder zu stärken.
Die Straßenbahn befördert die Bänder jeden Tag hin und zurück. 200 Kinder
können im Jahre der Wohltat der Einrichtung teilhaftig werden.
— Der Berliner Verein für Sohulgesundheitspflege hat zur silbernen
Hochzeit des Kaiserpaares eine Stiftung für die Berliner Schulen ge-
macht und dabei das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden. Die Stiftung
besteht in künstlerisch ausgestatteten Plakaten, auf denen die Hauptlehren
der Gesundheitspflege in kurzen Sätzen verzeichnet sind. Die Schuldeputation
hat hierzu ihre Genehmigung erteilt und besUmmi, daß die Plakate an ge-
eigneten Stellen in den Schulen anzubringen sind.
228 Kleinere Mitteilungen.
— In Charlottenburg, das mit manchen gemeinnützigen Einrichtongen,
z. B. den Waldschulen, Torangegangen ist, besteht auch eine Organisation für
fijnderansfiüge, die in weiteren Kreisen Nachahmung verdient. Dr. M. Cohn
macht darfiher in der Medizinischen Beform interessante Mitteilungen. Es han-
delte sich um einen Verein für fionderausflüge, der allwöchentlich einmal nach-
mittags Yolksschulkinder von 8 bis 14 Jahren auf einige Stunden in die Um-
gebung fiShzt. Die Kinder werden für die Ausflüge von den Rektoren und
Schulärzten ausgewfiMt; zum Vorschlag kommen solche Kinder, ffir deren
körperliches Befinden ein öfterer Aufenthalt im Freien wohltuend erscheint,
oder solche, deren Eltern es durch ihre wirtschaftliche Lage oder ihre Berufs-
arbeit unmöglich ist, ihre Kinder hinauszuführen. Für die Ausflüge werden
die Kinder in Gruppen von 12 bis 15, Knaben und Mädchen, gemeinsam ge-
sondert. Jede Gruppe wird von zwei sogenannten Helferinnen geführt. Meist
ist der Grunewald das Ziel, das mit der Stadtbahn erreicht wird. Es folgt ein
Spaziergang, dann wird im Freien gelagert und der Proviant — belegte Brote^
Obst, Milch (wozu jedes Kind eine eigene Flasche hat) — verzehrt; gemeinsame
Spiele folgen; manch Lied wird gesungen, Pflanzen werden gesucht und erklärt,
zuweilen wird auch aus einem Buche vorgelesen, und so vergehen die Stunden
bis zur Heimkehr sehr schnell. Jede Abteilung hat in den Monaten April bis
Oktober etwa 80 Ausflüge unternommen; im ganzen waren bisher 180 Kinder
daran beteiligt. Der Verein, den die städtischen Behörden durch einen nam-
haften Jahresbeitrag unterstützen, will nach Maßgabe der vorhandenen Mittel
die Zahl seiner Schutzbefohlenen al^ ährlich vermehren, so dafi schließlich aus
jeder der 24 Charlottenburger Gemeindeschulen etwa 30 Kinder berücksichtigt
werden können. Die bisherigen Ergebnisse sind durchaus zufriedenstellend.
Auch im Winter werden alle 14 Tage Spaziergänge unternommen und bei An-
bruch der Dunkelheit in privaten Schulräumen, nach eingenommener Erfrischung,
allerhand nützliche Beschäftigungen gepflegt. (Dresdener Anzeiger.)
— Kursaiolitlgkelt und Schule. Professor Schmidt-Bimpler (Halle)
legt im Februarhefb der Deutschen Bundschau dar, welchen Anteil die Schule
an der Kurzsichtigkeit hat. Der genannte Autor untersuchte im Jahre 1886
auf Veranlassung des damaligen Kultusministers v. Goßler die Augen der Schüler
mehrerer Gymnasien und Realgymnasien, wiederholte seine Untersuchung im
Jahre 1888 und kann sich auf die Ergebnisse von Hunderttausenden metho-
discher Befiraktionsbestimmungen beziehen. Es ergab sich, daß die Prozent-
zahl der Kurzsichtigen in den Schulen mit der Höhe der Klassen, dem Schul-
und dem Lebensalter zunimmt. Ebenso steigert sich der Grad der Kurz-
sichtigkeit mit den Schuljahren; die Zahl der sehr hochgradig Kurzsichtigen
ist in den Schulen allerdings gering. Keinem Zweifel, meint Schmidt-Bimpler,
dürfte es jetzt mehr unterliegen, daß diese Form der Kurzsichtigkeit (Schul-
myopie) die Folge der übertriebenen Anstrengung der Augen durch Nahe-
arbeit ist. Diese Nahearbeit, wie das Lesen und Schreiben sie erfordert, be-
dingt eine stärkere fortgesetzte einheitliche Bewegung der Augen, die sich,
etwas nach unten gerichtet, dabei schnell von einer Seite zur anderen be-
wegen. Besonders die den Augapfel nach innen ziehenden Muskeln treten bei
dieser Bewegung in Tätigkeit und bewirken, daß die äußeren Muskeln gezerrt
werden und dem Augapfel fest anliegen. Dadurch wird zugleich der Druck
im Auginnem gesteigert; die Folge hiervon ist ein Nachgeben der Augenhüllen:
Aus einem runden Augapfel wird ein mehr eiförmig gestalteter. Die Form-
Kleinere Mitteilongen. 229
Ter&adenug tritt um so leichter ein, je nachgiebiger das Gewebe ist, also am
ehesten im jugendlichen Lebensalter. Dafi auch die ursprüngliche Beschaffenheit
der Lederhaut in Betracht kommt, daß die Erblichkeit bei den Kurzsichtigen
eine Bolle spielt^ daß innere Augenerkrankungen mit Kurzeichtigkeit verknüpft
sind, kann an dieser Stelle nur beiläufig erwähnt werden. Nachdrücklich aber
sei mit Schmidt-Bimpler auf die Notwendigkeit hingewiesen, jene Nahearbeit
soweit irgend möglich einzuschränken und sie unter möglichst günstigen Be-
dingungen ausführen zu lassen. Manches ist durch gesundheitliehe Maßnahmen
nach dieser Seite hin schon erreicht. Dahin gehören Neuerungen in bezug auf
die Beleuchtung der Klassenzimmer und der Plätze, die Art der Tbche und
Bänke, die Schreibmaterialien, Schriftfozmen und Bücherdruck. Außerdem aber
bedarf es Maßnahmen pädagogischer Natur: keine übermäßige Ausdehnung
der Schulzeit, Einengung des G-edächtnisstoffes auch für die unteren Klassen
und Elementarschulen. Was endlich die Therapie der Kurzsichtigkeit betrifft,
die freilich von individueller Beurteilung der Verhältnisse ausgehen muß, so
empfiehlt Schmidt-Bimpler, auch schwächere Formen der Kurzsichtigkeit durch
Konkavgläser zu verbessern und diese Gläser beständig tragen zu lassen«
(Frankfurter Zeitung.)
— SohtQerreisexi. Ein- und mehrtägige Ausfiüge erwachsener Schüler
unter Aufsicht und Leitung von Lehrern an schulfreien Tagen, hauptsächlich
in den größeren Ferien sind nichts Neues; und doch ist ihre Einrichtung nicht
allgemein bekannt. Verschiedene größere Wandervereine (der Erzgebirgsverein,
der Vogtländische Touristenverein, der Eifelverein u. a.) haben regelmäßige
Ferienwanderungen für Schüler aus den Oberklassen höherer Lehranstalten ins
ins Leben gerufen. Das gleiche haben besondere Vereinigungen (in unserer
Nachbarstadt Mainz der Verein für Volkshygiene) untemonmien, die sich aus-
schließlich diesem Zwecke widmen und das Wandern allerdings auf eine breitere
Basis stellen. Endlich haben sich vielfach auf Veranlassung von Natur- und
Wanderfreunden aus dem Lehrerstande frische, gesunde junge Leute aus den
Oberklassen höherer Lehranstalten zusammengefunden, um unter Führung jener
Lehrer, so oft es angeht und namentlich in den Ferien, gemeinsam fröhlich
hinauszuwandem. Bei allen diesen Veranstaltungen gilt es, den Körper zu
stählen, in leiblichen Genüssen bescheiden Maß zu halten, die unverg^Uiglichen,
wechselnden Schönheiten der Natur immer erneut auf sich wirken zu lassen,
die Pflanzen- und Tierwelt näher kennen zn lernen, den Sinn für historische
Überlieferungen, für Volkskunde, Volkstrachten und Volkssitten zu wecken u. a.m.
G^wiß ein schöner Zweck, eine dankbare Aufgabe und der Beachtung weiter
Kreise der Bevölkerung werti In Darmstadt sind die vorstehenden Bestrebungen
bisher nur privatim gepflegt worden. An einigen höheren Schulanstalten, vor-
nehmlich an dem Ludwigs-Georgs-Gynmasium, werden schon seit einigen Jahren
ein- und mehrtägige Schülerwanderungen (nicht zu verwechseln mit den vor-
geschriebenen Klassenausflfigen der Schulen) unternommen. Die jugendlichen
Teilnehmer an diesen Wanderungen sind voll Begeisterung für die Sache; sie
sind voll des Lobes über die schönen und genußreichen Wanderfahrten, und
sie sind ihren Führern dankbar für die mitunter recht große Mühe, der sich
diese Herren zu unterziehen hatten.
Nunmehr möchte auch der Odenwaldklub die Veranstaltung solcher Schüler-
reisen in sein Arbeitsprogramm aufnehmen. In dankenswerter Weise haben sich
die Herren Lehrer, die bisher schon solche Wanderungen mit Schülern untcr-
Oeionde Jagend. Y. 7—10. 16
230 Kleinere Mitteüungen.
nommen haben, dem Klub mit Bat und Tat zur YerfÜgui^ gestellt, tmd bo
wird es bei dem zunächst anzustellenden Versuch an dem Erfolg wohl nicht
fehlen, zumal für die Verabstaltung von Wanderfahrten in und durch den Oden-
wald dem Klub in seinen nahezu 70 Sektionen weitere sehr beachtenswerte Hilfs-
kräfte zur YerfOgung stehen. Selbstrerständlich wird der Odenwaldklub f9r
solche Schülerwandemngen nicht ausschliefilich den Odenwald in Berücksich-
tigung ziehen, wenn er auch mit diesen Einrichtungen den Zweck yerfolgt, in
den jungen Wanderern dem Odenwald neue Freunde und — für künftige Jahre —
sich selbst treue Förderer der Yereinssache zu gewinnen. Die erste Wanderung
geht in den Odenwald; sie ist vorläufig auf 8 Tage bemessen und für den An-
fang der diesjährigen Osterferien vorgesehen. Wegen der Beteiligung an der
Wanderung wird der Klub demnächst mit den Direktionen der Darmstädter
höheren Enabenlehranstalten in Verbindung treten und dabei auch ein Ausfiugs-
programm zur Veröffentlichung bringen.
(Neue Hessische Volksblätter vom 8. Febr. 1906.)
— Lüneburg. (Vom Alkoholgegnerbund.) Hier hielt der internationale
Alkoholgeguerbund eine öffentliche Versammlung ab, deren Mittelpunkt ein
ebenso interessanter, wie lehrreicherVortrag des Herrn Rechtsanwalt Dr. Egg er s
aus Bremen über das aktuelle Thema „Trinksitten und Alkoholverbrauch*' bil-
dete. An der Hand zuverULssigsten historischen Materials wies der Vortragende
klar und deutlich nach^ daß zu keiner Zeit der Weltgeschichte der Alkohol-
verbrauch sowohl absolut als auch relativ solche ungeheuere Dimensionen
angenommen, wie in der Gegenwart, und daß selbst unsere, wegen ihrer
Trinkleidenschafb verschrieenen germanischen Altvordern weniger Alkohol zu
sich nahmen, als das heutige Geschlecht. Der fesselnde Vortrag machte eine
tiefe und eindringliche Wirkung auf alle Zuhörer und hat wohl dem oder jenem,
der noch nicht ganz belehrt war, die Augen geö£Enet über die große und ernste
Gefahr, die der immer mehr überhand nehmende Alkoholmißbrauch für uns
Lebende, wie für unsere Nachkommen bedeutet.
— Die Klagen über die Überbürdung der Sohüler sind noch immer
nicht verstummt; so schreibt ein Vater: „Wie viele Männer haben es im
späteren Leben zu hohen und sehr hohen Stellungen gebracht und waren in
der Jugend von langsamem Begreifen! Wie mancher Knabe ist reich begabt,
hat aber für ein oder das andere Fach eben gar kein Talent und kommt in-
folgedessen nur mühsam mit. Da muß eben der Erzieher und der Menschen-
kenner einsetzen. Wirklich unfähige Kinder gehören freilich nicht auf die
höhere Schule. Ich bleibe aber bei meiner Behauptung stehen, die Tausende
von Vätern mir bestätigen können: Die Jungens sind im Gymnasium und ins-
besondere zu Haus mit Aufgaben überbürdet und werden zum großen Teil
systematisch nervös gemacht. Man frage doch z. B. die Ärzte, welche junge
Leute vor ihrem Eintritt in die Armee als Fahnenjunker oder als Einjährig-
Freiwillige zu untersuchen haben. Ich kann mit Zahlen dienen. Von 100 Pro-
zent sind knapp 20 Prozent tauglich, und wie viele davon tragen Augengläser,
wie viele von diesen 20 Prozent können nur genommen werden, wenn man ein
Auge zudrückt. Wie viel daran Schuld nicht der Lehrer, sondern das Pensum
trägt, weiß ich auch.^*
Zur Abhilfe dieser Überbürdung wurde auf dem ersten internationalen
Kongreß für Schulhygiene in Nürnberg Abschaffung des Nachmittagsunterrichtes,
Kleinere ICtteilungeii. 231
Yerkfirzung der Unterrichtsstunden auf 45 Minuten, BeschriUikung der häus-
Hellen Arbeiten und endlich Beseitigung aller Prüfungen yorgeschlagen.
Auch von anderer Seite wird die Einfährung des ungeteilten Unterrichtes
empfohlen. Fest steht jedenfalls durch viele Beobachtungen, daß auch die
unter den ungunstigsten Bedingungen erteilte fünfte Yormittagsstunde immer
noch besser ist als jede Nachmittagsstunde, die außerdem den Schüler seelisch
bedrückt und das Gefühl der Freiheit nicht aufkommen läßt. Der ungeteilte
Yormittagsunterricht in Yerbindung mit der Befreiung der Nachmittage von
jedem Unterricht wird auch schon deshalb kommen, weil die ganze soziale
und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zur Einföhrung der englischen
Arbeitszeit zwingt.
Eine Anzahl anderer Yorschl&ge, um der Überbürdung abzuhelfen, möchten
wir gleichfalls mitteilen, ohne ihre Durchführbarkeit zu untersuchen, es sind:
Herabsetzung der Wochenstundenzahl auf höchstens dreißig, Beschränkung auf
zwei fremde Sprachen, Hinausschiebung des Anfangsunterrichtes in der ersten
fremden Sprache, größere Freiheit im Unterrichtsbetrieb der Oberstufe, Ab-
schaffung der Abiturientenprüfong.
(Mitteilungen des Yereinsrerbandes akademisch gebildeter Lehrer
Deutschlands 1905, Nr. 3, pag. 5.)
— Mahnungen an das Elternhaus seitens der Soliiile. Eeoht
beherzigenswerte Mahnungen läßt der Direktor der Bingener Real-
schule Dr. Helm in seinem Jahresbericht über das Schuljahr 1904/6 an die
Eltern seiner Schüler ergehen. In dem Berichte heißt es: Es sind auffallend
viele blutarme und nervöse Kinder in unserer Schule; dann wieder
starke Gruppen von solchen, die zwar an sich gesund sind, aber doch nur
ganz tmgleichmäßig mitarbeiten können, weil sie zeitweise von einer hoch-
gradigen Abgespanntheit, Zerstreutheit und Unlust befallen sind. Es muß
deswegen zunächst im Familienleben nach Kräften alles hintenangehalten
werden, was erfahrungsgemäß gesundheitsschädliche Folgen nach sich zieht.
Und dies um so mehr im Elternhaus^ weil unsere Schule nur in beschränktem
Maße dazu in den Stand gesetzt ist. Die Eltern wissen so gut wie ich, daß
viele unserer Schulräume ungesund, eng, unfreundlich sind, ja
einzelne für jedes bessere Empfinden widerwärtig, und daß den
Forderungen der Gesundheitspflege in diesen Bäumen leider nicht
hinreichend entsprochen zu werden vermag, geschweige denn, daß
Lust und Antrieb den richtigen Nährboden finden können. Es wäre seltsam,
wenn die ungesunden und unfreundlichen Bäume nicht eine ebensolche Bück-
wirkung äußerten. Das erklärt aber nur manches, nicht alles. Es unterliegt
für mich nicht dem geringsten Zweifel, daß sehr viele Schüler durch allzu
frühzeitigen oder übermäßigen Weingenuß ihrer Gesundheit und der
für die Lernarbeit nötigen Frische des Geistes ganz erheblich schaden. Auch
daher rühren die erwähnten Störungen und Erschlaffungszustände der Kinder.
Der Lehrer tut sein möglichstes, aber der Schüler versagt und muß versagen,
weil Gehirn und Geist durch allzu frühzeitigen Weingenuß, der irrtümlicher-
weise oft gar als Kräftigungsmittel betrachtet wird, geschwächt und unfähig
sind zu längerem Anschauen und Denken. Meine inständige Bitte geht also
dahin, daß die Eltern in der Yerabreichung von alkoholhaltigen Getränken an
ihre Kinder recht vorsichtig und sparsam sein und wenigstens diejenige Grenze
einhalten möchten, deren Beachtung man selbst in einem gesegneten Weinland
16*
232 Kleinere Mitteilmigen.
vom Standpunkt der Schulgesundheitslehre auB mit gutem Becht yerlangen
kann und muß.
— Wa^ohgelegenheit in den Solmlen. Die im Mai und Juli 1906 in
München abgehaltenen Hauptversammlungen der „Deutschen Gesellschaft für
Yolksbader** wie des „Deutschen Vereins für Yolkshygiene*^ beschäftigten sich
u. a. auch mit einer Anregung des Arztes Dr. Hopf-Dresden: Wie steht es
mit der Gelegenheit, sich die Hände zu waschen, in Deutschland? Dr. Hopf
stellte folgende Thesen auf, welche sich zum Teil auch mit der Waschgelegenheit
in den Schulen beschäftigen:
1. Ein häufiges Waschen der Hände ist nicht allein aus ästhetischen GMnden
zu befürworten, sondern auch hauptsächlich aus gesundheitlichen Rück-
sichten, da gerade die Hand den Hauptüberträger der ansteckenden
Krankheiten des Menschen bildet. Durch Verbreitung der Gelegen-
heit zum Händewaschen wird das große Publikum unmerklich,
aber sicher hygienisch erzogen, zumal, wenn entsprechende
Aufklärung in Schule und Presse mitwirkend einsetzt. Eine
günstige Bückwirkung auf das allgemeine Badebedürfiiis wird die un-
mittelbare Folge sein.
- 2. Die Behörden sind zu ersuchen, in allen behördlichen Neu-
bauten für ausreichende Waschgelegenheit besorgt zu bleiben
und jedenfalls keine Abortanlage einzurichten ohne die ent-
sprechende Gelegenheit zum Händewaschen unter fließendem
Wasser (mit Seife und Handtuch). Auch werden die Behörden ge-
beten, auf dem Wege baupolizeilicher Handhabung im obigen Sinne bei
der Baugenehmigung für Privathäuser zu verfahren. Das gilt besonders
für Lokale, in denen viele Menschen verkehren, wie Gasthäuser,
Hotels usw.
8. In der Schule ist seitens der Lehrer oder Schulärzte die
Wichtigkeit des Badens sowohl wie häufiger Händereinigung
systematisch zu betonen.
(Pädagogisches Wochenblatt v. 17. Januar 1906.)
— Deutsohe GtosellBohaft Bur Bekftmpfimg der Gtoaohleohts-
krankheiten. Dem Merkblatt der Deutschen Gesellschaft zur Be-
kämpfung der Geschlechtskrankheiten, das, vor zwei Jahren heraus-
gegeben, jetzt in zirka einer Million Exemplaren durch Behörden, Ärzte,
Krankenkassen, Vereine und fast sämtliche Truppenteile des deutschen Heeres
unter jungen Leuten aller Gesellschaftsschichten über ganz Deutschland ver-
breitet ist, hat diese Gesellschaft soeben ein zweites, ähnliches, aber speziell
für Frauen und Mädchen bestimmtes, ein „Frauenmerkblatt*^ an die Seite
gestellt. Dieses neue Merkblatt „wendet sich besonders an Mädchen, welche
noch jung in das Erwerbsleben eintreten und keine geeigneten Berater haben*'.
Es ist deshalb, seinem Publikum entsprechend, in einem ganz persönlichen,
eindringlichen und volkstümlichen Tone abgefaßt; durch Aufklärung und
Warnung will das „Frauenmerkblatt*' den jungen Mädchen — Arbeiterinnen,
VerlAuferinnen, Dienstmädchen usw. — , die ganz unerfahren und ohne Obhut
allzu früh in den harten Lebenskampf hinaustreten müssen, die mangelnde
Erfahrung und den mangelnden Schutz naoh Möglichkeit ersetaen.
Interessenten erhalten das Blatt auf Wunsch von der G^ohäftsstelle der
Kleinere Mitteilungen. 233
DentBchen Gesellschaft znr fiek&mpfong der GFeschlechtskrankheiten, Berlin W. 86,
PotsdBmerstr. 106 a, nnentgelÜlöh zugesandt. Vereine, Krankenkassen nsw.
können von ebendaher größere Posten beziehen.
Merkblatt fOr Franen und MädobeB.
Dieses Blatt wendet sich besonders an Mädchen, welche noch jung in
das Erwerbsleben eintreten nnd keine geeigneten Berater haben.
Zu den schwersten Gefahren, die diesen Mädchen drohen, gehört der
auBereheliche Geschlechtsverkehr, dem sie oft durch scheinbar harmlose Freuden,
z. B. auf dem Tanzboden, zugeführt werden.
Der Verkehr mit jungen Männern, deren leichtsinnigen, oft sogar un-
redlichen Versprechungen die unerfahrenen Mädchen zu viel Glauben schenken,
die VeifOhrung durch leichtfertige Freundinnen, sowie der Genuß berauschender
Getränke, das sind die Verlockungen, denen tausende von Mädchen zum Opfer
fallen.
Für die Mädchen enthält der Geschlechtsverkehr vor der Ehe eine
doppelte Gefahr, die Gefahr der Schwangerschaft und die der Ge-
schlechtskrankheit.
Schwangerschaft.
Das schwangere Mädchen ist in der Arbeit behindert. Es verliert viel-
fach seine Stelle. Es gerät in Schande und Not. Die Not steigert sich, wenn
ein Kind zur Welt gekommen ist. Das Mädchen sinkt dann oft genug bis zur
Dirne und Verbrecherin.
Obgleich der Vater verpflichtet ist, für den Unterhalt seines außerehelichen
Kindes bis zu dem vollendeten 16. Lebensjahr zu sorgen, so entzieht er sich
doch oft durch Schliche aller Art dieser Pflicht oder ist wirtschaftlich an der
ErfOllung derselben verhindert.
Außer allen anderen Lasten fallen dann auch die Unterhaltungskosten
für das Kind der jungen Mutter zu, deren geschwächte Gesundheit eine ge-
steigerte Arbeitsleistung meistens unmöglich macht.
Geschlechtskrankheiten.
Männer, die außerehelichen Gesclilechtsverkehr suchen, verkehren der
Regel nach mit mehreren Mädchen, insbesondere auch mit Prostituierten. Dies
hat zur Folge, daß der größte Teil dieser Männer an einer Geschlechtskrankheit
leidet oder gelitten hat. Der einmal geschlechtlich Erkrankte steckt aber oft
noch an, wenn er auch äußerlich gesund erscheint, in vielen Fällen sogar dann,
wenn er selbst sich fOr bereits geheilt hält.
Bei der großen Verbreitung der Geschlechtskrankheiten unter den Männern
ist jedes Mädchen, das auch nur einmal mit einem Manne geschlechtlich ver-
kehrt, der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt: Mädchen, die den Liebhaber
öfter wechseln, erkranken fast ausnahmslos.
Die beiden hauptsächlich in Betracht kommenden Geschlechtskrankheiten
sind die Syphilis und der Tripper (Gonorrhöe). Letzterer schädigt den Körper
der Frau weit mehr als den des Mannes.
234 Kleinere Mitteilungen.
Der Tripper dringt bei der Frau in die inneren Teile des Unterleibs bis
zum Bauchfell und erzeugt dort schwere Entzündungen und Yereitemngen.
Der Tripper schafft bei der Frau oft dauerndes Siechtum, dauernde Arbeite-
unfähigkeit. Das Erankheitsgift kann auch bei der Gebuzt in die Augen des
Neugeborenen eindringen und kann zur Erblindung des Kindes f&hren.
Die Syphilis ist eine meist jahrelang währende Krankheit, welche den
ganzen Körper durchseucht und nicht selten zu den schwersten Verunstaltungen
und Nachkrankheiten führt. Auch Totgeburten sind eine häufige Folge der
Syphilis.
Selbst wenn die Kranke nichts mehr von ihrem Leiden gewahr wird,
kann dasselbe noch auf die Nachkommenschaft; übertragen werden und erzeugt
da schwere £j»nkheitsformen.
Daher sind die folgenden Ratschläge in höchstem Maße beherzigenswert:
L
Seid stete auf Eurer Hut, daß nicht eine einzige Stunde des Bausches
Euch um Ehre, (Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Lebensglück bringt 1
Verschließt Euer Ohr dem Zureden kupplerischer Frauen. Diese Frauen
finden ihren Vorteil in Eurem Verderben I
Seid mäßig beim Qenuß von Bier und anderen berauschenden (Getrilnken,
oder vermeidet sie besser ganz, insbesondere bei jedem Zusammensein mit
Männern, vor allem beim Tanzl
n.
Solltet Ihr Euch doch einmal einem Manne hingegeben haben, so müßt
Ihr auf nachteilige Folgen, die daraus erwachsen können, stets gefaßt sein.
Beobachtet alsdann Euren Körper lange Zeit auf das Sorgfältigste.
Stellen sich Zeichen der Schwangerschaft ein, so offenbart Euch so-
fort einer wohlgesinnten Frau. In allen größeren Städten gibt es auch
Vereine, die einem Mädchen in dieser Lage helfend zur Seite stehen, die
auch zwischen ihr und ihren Eltern, sowie dem Verführer vermitteln.
Ein Brennen und Jucken in den Geschlechtsteilen, vor allem ein vordem
nicht beobachteter Ausfluß lassen auf eine Erkrankung an Tripper (Gonor-
rhöe) schließen. Bei jeder Hautabschlürfung und jedem Knötchen oder Ge-
schwür an den Geschlechtsteilen, bei allen Hautausschlägen und Halsent-
zündungen ist an Ansteckung mit Syphilis zu denken.
Bei diesen Anzeichen, die oft erst nach 3 — 4 Wochen auftreten, geht
sofort zum Arzt (und zwar zu einem staatlich approbierten Arzt, oder einer
Ärztin, zu keinem Naturheilkundigen oder Kurpfuschern).
Kommen diese Leiden sofort in die richtige Behandlung, so ist
ihr Verlauf gewöhnlich ein günstiger. Es tritt dann, aber nur dann, meist
sogar vollständige Genesung ein.
Es genügt selbstverständlich nicht, daß Ihr den Arzt aufsucht. Ihr müßt
auch seine Verordnungen, insbesondere seine Anweisungen über die peinlichste
Sauberkeit in allen Punkten streng befolgen.
Kleinere MitteilungeD. 235
Mitglieder von KxankeiikasBen haben übrigens anöh bei Geschlechts-
krankheiten Ansprach auf anentgeltliche Behandlong daich den Kassenarzt,
and, solange sie am Arbeiten yerhindert sind, anch aof Krankengeld.
m.
Seid Ihr von einer Geschlechtskrankheit befallen, so habt Ihr weiter
folgendes za beachten:
1. Bis Euch der Arzt fELr ToUständig genesen erklärt hat, ist jeder weitere
Geschlechtsverkehr streng verboten. Yerstofit Ihr hiergegen, so verliert Ihr
jeden Ansprach aaf Teilnahme, so handelt Ihr verbrecherisch and verfallt anter
ümst&nden hohen Strafen.
2. Ihr dürft dann anch erst heiraten, wenn es Euch der Arzt erlaubt hat.
Andernfalls kann Euer Mann durch Euch erkranken, könnt Dur kranke Sünder
in die Welt setzen.
Jedes Mädchen sollte aber auch sich davon zu vergewissern sachen, daß
ihr künftiger Gatte an keiner Geschlechtskrankheit leidet.
3. Bei jeder späteren Erkrankung, bei jeder Schwangerschaft, bei jeder
Erkrankung eines Eondes mußt Ihr in Eurem eigenen oder des Kindes Interesse
dem behandelnden Arzt Mitteilung von der früheren Geschlechtskrankheit
machen. Der Arzt ist gesetzlich zur strengsten Yerschwiegenheit ver-
pflichtet; Ihr könnt Euch rückhaltlos ihm au vertrauen. Die Mitteilung wird
aber dem Arzt in vielen Fällen erst die richtigen Wege zur Erkennung des
neuen Leidens, zur Behandlung der Schwangerschaft zeigen.
IV.
Ist ein Geschlechtsverkehr für Euch ohne Schwangerschaft und ohne
Krankheit verlaufen, so laßt Euch dadurch nicht in Sicherheit wiegen. Die
Warnung dieses Merkblattes bleibt trotzdem begründet.
Syphilitische Ansteckung kann auch ohne Geschlechtsverkehr
zustande 'kommen. Z. B. kann eine gesunde Amme durch eine syphilitisches
Kind, ein gesundes Kind durch eine syphilitische Ammo angesteckt werden;
darum müssen vor Annahme einer solchen Stellung Amme und Kind zu beider-
seitigem Schutz ärztlich untersucht werden.
Syphilis kann auch durch einen Kuß, durch den gemeinschaftlichen
Gebrauch von Efl- und Trinkgefäflen, der Tripper durch Handtücher, Leib-
binden, Bettwäsche, Schwämme, Irrigatoren und dergl. Übertragen werden.
Deshalb seid auch hier auf Eurer Hut. Übt immer die peinlichste
Sauberkeit,
Beherzigt die Ratschläge, die Euch dies Merkblatt gibt. Euer Glück
und Eure Gesundheit ruht in Eurer eigenen Hand!
Mitglied der Gesellschaft wird mau durch Einzahlung eines Jahresbeitrages
von 3 Mark an die Geschäftsstelle.
286 Kleinere Mitteiltmgen.
— Beforin der AbitarientanpTfifang. a) Über das Alter nnd die
Entstehung des Abitnrientenexamens berichtet eine Berliner Tageeseitang :
Yqt 1788 hatten die Mnli leichtes Spiel, da branchten sie nach über-
standenem Pennälertoxn nur eine Anfhahmeprflfdng an der Universität zu
machen, und die war eigentlich eine ungeffthrliche Plauderei, bei der das
Durchfallen eine fast unbekannte Sache war. Die Universitäten waren damals
sehr eifersüchtig, und die Professoren nahmen, um ihren Hochschulen zu einer
möglichst großen Frequenz zu verhelfen, jeden auch nur halbwegs beschlagenen
Jüngling gern auf. Da kam aber der Direktor G^dicke vom Berliner Grauen
Elostergynmasium auf den Gedanken, den Gymnasiasten das Leben etwas
schwieriger zu gestalten; er machte der Regierung den Vorschlag, ein großes
Schlußexamen abzuhalten, und als sich die Regierung damit einverstanden er-
klärte, arbeitete er im Verein mit dem Direktor des Joachimsthalschen Gym-
nasiums Meierolto den Entwurf zu einer Verordnung aus, durch die im Jahre
1788 eine allgemeine Prüfung aUer zur Universität Abgehenden durch das
Lehrerkollegium des Gymnasiums unter Aufsicht eines Regierungskommissars
festgesetzt wurde; aber erst im Jahre 1834 wurde das Abiturientenexamen an
allen Gymnasien obligatorisch, und seitdem bleibt jedem, der die Annehmlich-
keit des akademischen Lebens genießen will, nichts anderes Übrig, als in den
sauren Apfel zu beißen, den man Abiturientenexamen nennt.
b) Zahlreiche Gründe zur Abschaffung oder doch Umgestaltung des
Abiturientenexamens werden angefOhrt, von denen wir nur folgende hervor-
heben:
I. Die Reifeprüfung trägt den Stempel des Mißtrauens dem Lehrerkollegium
gegenüber. Den Lehrern wird unbestritten das Recht zuerkannt, die
Schüler bis in die höchste Klasse zu versetzen. Dort indessen hOren die
Befugnisse auf. Es erscheint ein Mann, der manchmal die Schule, die
Lehrer und die Schüler zum allererstenmal in seinem Leben sieht, ar-
beitet mit einem Materiale, das mehr als jedes andere das Eingehen
auf die Individualität erfordert, und trifft die Entscheidung über das
Wohl und Wehe unserer Jugend. Kann diese nicht dem Direktor und
den Lehrern der Oberprima überlassen bleiben?
n. Das letzte Schu^'ahr sollte eigentlich zu einer Zusammenfassung des auf
dem langen zurückgelegten Wege Gebotenen, zu einer vertiefenden Rück-
schau auf die bedeutsamsten der gewonnenen Begriffe und wissenschaft-
lichen Vorstellungen ausgearbeitet werden, es müßte in ihm die Grund-
lage einer einheitlichen Welt- und Lebensanschauung aufgebaut werden,
aber das am Ende drohende Examengespenst, gegen dessen Schrecken
man die jungen Leute doch nach Kräften ausrüsten, widerstandsfähig
machen mOchte, verhindert solche politisch, sozial und sittlich gleich
wichtige Aufgabe.
m. Das Abiturientenexamen schließt eine Ungerechtigkeit gegen den Schüler
in sich. Ln Schulleben wird ein junger Mensch nach seinen Fähigkeiten,
nach seinem Fleiße und seinen Leistungen beurteilt, im Examen fast
ausschließlich nach diesen. Er hat vielleicht Jahre hindurch treu ge-
arbeitet, berechtigt nach seinem Charakter zu den besten Hoffnungen,
hat aber in den betreffenden Tagen Pech oder ist überhaupt kein
Examensmensch, so fällt er bei allem Wohlwollen seiner Lehrer durch.
Kleinere Mitteilungen. 237
während sein träger, nnznyerlässiger, aber geistesgewandterer nnd dreisterer
Nachbar mit Eleganz durchs Ziel geht,
c) BeformTorschläge.
1) Der bisherige Wissensstoff der Lehrpläne ist zn beschränken.
2) Die Unterrichtsmethode muß verbessert werden, um das Interesse der
Schüler zn heben.
3) Der Primannterricht mnB zu einer genaueren Kenntnis der Verhält-
nisse des praktischen Lebens führen (Grundzüge des Staatsrechtes,
der nationalen Wirtschaftslehre, Besuch yon Museen, Fabriken, Kauf-
häusern, Parlamenten, der Börse, eines Hafens).
4) Den Abiturienten muß eine gewisse Wahlfreiheit der Fächer ge-
stattet sein.
Die letzte Forderung scheint auch regierungsseits gebilligt zu werden,
denn Herr Geh. Oberregierungsrat Matthias hat bei der schlesischen Direktoren-
konferenz geäußert: Unsere Schüler leiden darunter, daß in allen Fächern
volle Forderungen gestellt werden; darum kann es unter Umständen zulässig
scheinen, daß die Prima in eine mathematische und eine sprachliche Gruppe
geteilt wird. An jene würden nicht so hohe grammatische Forderungen ge-
stellt, und dafür würde sie mit Mathematik mehr beschäftigt werden. Bei
der sprachlichen Gtoppe dürfte nur das mathematische Pensum der Ober-
sekunda präsent gehalten werden, und etwas Stereometrie hinzukommen. Dem-
entsprechend könnte auch bei der Reifeprüfung verfahren werden. Für die
mathematische Gruppe würden schwierigere Aufgaben in der Mathematik ge-
stellt; dafür könnte an die Stelle der Übersetzung in das Latein eine solche
aus dem Latein ins Deutsche treten. Die philologische Gruppe hätte höheren
Anforderungen in den alten Sprachen zu genügen, während bei ihr die mathe-
matischen Aufgaben nicht über die Ansprüche der mittleren Klassen hinaus-
gehen würden.
Auch einzelne Wünsche werden noch betreffs des Abituriums laut, so ein
Seufzer darüber, daß für die württembergischen Schulen die Prüfung in die Zeit
der größten Sonnenhitze föUt, so eine Klage über das unglückliche Listitut
der Extraneer, die mit den Worten schließt: Ihr Eltern tut alles, damit
Eure Söhne nicht auf die Extraneusbrücke zu treten brauchen. Die wenigsten
kommen glücklich hinüber. Ich habe nicht davon gesprochen, und ich will es
auch lieber nicht, welche unfruchtbare Arbeit der Schulverwaltung, welche
kein Mittel der Abwehr hat, erwächst, welche Last den prüfenden Lehrern
aufgebürdet werden muß, eine Last, welche um so drückender ist, weil in so
vielen Fällen Persönliches und Sachliches den Mißerfolg auch für solche vor-
auserkennen lassen, welche keine Propheten sein wollen.
(Mitteilungen des Vereinsverbandes akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands.
Nr. 8, 1906, pag. 3/4.)
238 Zeitschriftennrndschau.
Vni. Zeitscliriftenrundscliau.
*Intematioziales AtoMt fOr Schulhygiene (£ n g e Im an n- Leipzig)
1906. Bd. n. Heft 1 n. 2: Andres Martinez Yargas: Nntzlosigkeit und (Ge-
fahren der Züchtigang in der Schule; Ang. Ley etF. Chrstiaens, G.Demenle-
meester, B. Dezuttere, J. Jaecks, H. van Denn: La collaboration du m^-
decin et du p^dagogue d. T^cole; Alfred Denker: Über die Verwendung von
Lehrern bei der Untersuchung dbs Gehörorgans von Schulkindern; Robert
Dinet: Compte-rendu r^sumd du Deuxi^me Congr^s Franfais d*Hygi&ne Sco-
laire et de P^dagogie physiologique; L. Eufestel: Les Bäsultats de la Nou-
velle Methode de Gjmnastique dans les Ecoles de la YiUe de Paris; Georges
Rouma: Enquete scolaire sur les troubles de la parole chez les ^coHers beiges;
Ernst Feltgen: Mitteilungen über den 2. internationalen Kongreß fSr kOiper-
liche Erziehung der Jugend, abgehalten in Lüttich, Ende August 1906, mit be-
sonderer Berücksichtigung schulhygienischer Fragen; Armin von Domitro-
vich: Ist bei der Gruppenbank die Bereithaltung von Reservebänken notwendig?
L. J. Lans: Jahresbericht über die schulhygienische Literatur in Holland;
R. Blasius und Alex. Wer nicke: Jahresbericht ftlr 1904 über die schul-
hygienische Literatur Deutschlands.
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Portrat von Paul Schubert; Nachruf für Hofrat Dr. Paul Schubert, den
Nürnberger Schulhygieniker von Hermann Gohn; Aufsätze und Schriften von
Hofrat Dr. Schubert, zusammengestellt von H. Cohn, ergänzt von F. Eris-
mann. Yon der Redaktion: Zum Andenken Schuberts. Originalabhand-
lungen: TheodorHeller: Überbürdungspsychosen bei minderwertigen Kindern;
Emanuel Bayr-Wien: Ergebnisse der im Schu^ahre 1904/6 an den Schülerinnen
der 1. Klasse vorgenommenen ärztlichen Augenuntersuchungen. Aus Yersamm-
lungen und Yereinen: Die Bedeutung öffentlicher Spiel- und Sportplätze fOr
die Yolksgesundheit (SO. Yersammlung des Deutschen Yereins für öffentliche
Gesundheitspflege (Mannheim 12.~ 16. Sept.). Der Schularzt. Nr. 10. Origi-
nalabhandlungen: Bericht über die Leistungen der in Königsberg i. Pr.
tätigen zehn Schulärzte in den Jahren 1900 — 1904. Yon Dr. Hugo Laser.
Nr. 11. Dr. Otto Ranke- München: Anthropometrische Untersuchungen an
gesunden imd kranken Kindern mit besonderer Berücksichtigung des schul-
pflichtigen Alters; Dr. E. Pfeiffer -Hamburg: tJljer Yersuche mit indirekter
Gasbeleuchtung in einigen Hamburger Yolksschulen ; Dr. Mos es- Mannheim:
Zur Hygiene der Schulbank in den Hilfsschulen für Schwachbefähigte.
Nr. 12. Dr. A. Juba: Die sog. „Eisenbahn-Schüler**; Schulinspektor A. Opper-
mann- Braunschweig: Erste Untersuchimg der Sehkraft der Augen bei den
neueingeschulten Kindern; Dr. Otto Ranke -München: Fortsetzung und Schluß.
1906 Nr. 1: Oberlehrer K. Roll er -Darmstadt: Erhebungen über das Maß
der häuslichen Arbeitszeit. Der Schularzt: Dr. Genersich-Budapest:
Über die Tätigkeit der Sektion des „Hygienischen Landesvereins** für Schul-
ärzte und Lehrer der Hygiene im Jahre 1908—1904. Nr. 2. Dr. Rietz- Berlin:
Körperentwicklung und geistige Begabung. Der Schularzt: Dr. Samosch-
Breslau: Schulärztliche Statistik.
Zeitschriftenrandschau. 239
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von Gebrüder Eießling, Architekten. Heft 12: Stettiner Stadtgymnasien seit
400 Jahren; Die Schiller-Schule in Karlsruhe; Über Maßnahmen zur Verhütung
der Tuberkulose in der Schule von Prof. Ganghofner. 1906. Heft 1: Hygie-
nisches Idealsohulhaus Ton Dr. med. Paul Frank; Städtisches Realgymnasium
zu Naumburg a. S. von Architekt W. Wagner; Schulhaus in Binsdorf von Prof.
Theodor Fischer.
Die Gtosundheltswarte der Sohule (Otto Nemn ich -Leipzig) 1905,
Nr. 12. Prof. K alle -Wiesbaden: Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
durch die Schule; Georg Büttner-Worms: Schwere Sorgenkinder fQr Schule
und Haus; Das Museum für Schulgesundheitepflege am SchuUehrerseminar
Schwab. Gmünd vom Redakteur.
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1906 Nr. 1. J. Eehrer: Das neue Zentralschulhaus in Reinach, Aargau;
Henchoz: Les ad^noldiens; Sitzung des Vorstandes der Schweiz. Gesellschaft
für Schulgesundheitspflege. Nr. 2: Rückblick auf die zwanzigjährige Tätigkeit
der zürcherischen Heilstatte für skrofulöse und rachitische Kinder in Ägeri;
Un äloquent appel en faveur de l'institution de m^decins scolaires.
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Dr. Siebert: Das Turnen an den höheren Schulen; Oberlehrer Binting: Der
akademische Tumerbund und sein 4. Turnfest in Dessau; Minna Radczwill:
Vom Spielkurs in Nääs (Schweden). Nr. 12. Lottig: Wie ich in der Schule
mit den Kleinsten turne. Nr. 13—15: Siebenter Deutscher Kongreß für Yolks-
und Jugendspiele vom 15.—18. September 1905 zu Frankfurt a.M. Nr. 16: Fort-
setzung und Schluß. Nr. 17/18. Eckardt: Sport und Deutschtum ; Strohmeyer:
Der Turnunterricht auf dem Lande; Mathilde Möller: Die Bedeutung der
We^^spieleför die Spielübung der Mädchen. 1906 Nr. 19/20. Dr. F. A. Schmidt-
Bonn: Schönheit und Gymnastik; AugustWitt: Sport und Schönheit in der
Entwicklung des Schvirimmens; Zum 3. deutschen Kunsterziehungstag in Ham-
burg; Otto Plaumann: Für die Praxis (Weitere Bemerkungen zu den neu be-
arbeiteten Schlagballregeln); Max Fricke: Der Zählapparat beim Schlagball-
spiel. Nr. 21. Zander: Schwimmunterricht durch Turnlehrer und Tumlehre-
rinnen ;Weideut8ch: Hockey ; G o ep e 1 : Das zehnte Barlaufwettspiel der höheren
Schulen Berlins; Fischer: Schwimmvorführungen beim Kongreß des Zentral-
ausschusses in Frankfurt a. M. Nr. 22. Hüppe-Schmldt: Über Unterricht und
Erziehung vom sozial -hygienischen und sozial-anthropologischen Standpunkte;
Möller: Vom 3. deutschen Kunsterziehxmgstag in Hamburg, H.; Ray dt: Fuß-
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zur Pflege des Jugendspiels in Wien, im Selbstverlag des Vereins) 1905 Nr. 4.
Dr. Pi mm er: Dr. Bamado, der Pflegevater von „niemandes Kindern"; Dr.
Jessen: Die zahnärztliche Behandlung der Volksschulkinder; Hauptvogel:
Die höhere Schule und die Körperpflege; Dr. v. Filek Egyd: Sport und Cha-
rakter; Kem^ny: Das körperliche Erziehungswesen in den Vereinigten Staaten;
Dr. Th um 8 er: Elternabend am Mariahilf er Gymnasium; Dr. P immer; Kri-
tische Betrachtungen.
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Ingenieur Dietz-Charlottenbnrg: Über Heiisung und Lüftong der SohuLAome;
Dr. Zollinger-Züricb: Heizung und Ventilation Ton SchulhäuBem und Turn-
hallen; Dr. Kocb-HeBse-Ghroßlicbterfelde: Übertriebene Schwierigkeiten fOr die
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für die Kinder in der Schule; Eonrad Agahd: Über nordische Schuleinrich-
tungen; H. Th. Math. Meyer: Aus Nürnberg der Stadt der Schulen; Dr. Leh-
mann-Dresden: Vom künstlerischen Wandschmuck und seiner Betrachtung.
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Berlin). Nr. 9. Eckhardt-Dresden: Unterrichtsformen fOr das Turnen, ins-
besondere für den Betrieb der volkstümlichen Übungen; Oberlehrer Binting-
Grofilichterfelde: Das Jubüäum der Berliner Schülerwettk&mpfe um den Bismark-
schild; Nr. 10. Dr. Kur th -Lissa : Gtebhard Eckler. Ein Lebensbild; Böttcher-
Hanno ver : Tumbefreiungen ; Nr. 11. Dr. Stürenburg- Dresden : Tumbefreiungen.
U.: Aus dem Königreich Sachsen; Schink- Breslau: Deutsches oder schwedisches
MSdchentumen . 25. J ahrgang, Nr. 1. Schröer- Berlin : Persönlichkeit oder Me-
thode. Tumbe&eiungen. HI. Äußerungen der Presse. Nr. 2. Dr. Zander-
Königsberg: Wie sollen schwächliche Knaben und Mädchen im Turnunterricht
behandelt werden ? Bosse w-Berlin : Tumbefreiungen. IV. Professor Woldemar
Bier f.
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Dr. Hermann Keller in Rheinfelden. 160 S. Aarau, H. B. Sauerländer & Co.
Beiträge zur Kinderforschung und Heilerziehung. Beihilfe zur „Zeitschrift für
Kinderforschung*\ Langensalza; Beyer u. Söhne. 18. Heft. Tögel: 16 Monate
Kindersprache. 86 S. M.0,50. 14. Heft. Neter: Die Bedeutung d. chronischen
Stuhlverstopfung im Kindesalter. 27 S. M. 0,45. 1906/6.
Benda, Th. Dr. med.: Besonderheiten in Anlage und Erziehung der modernen
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Schul- und Zeichensälen mit Gas- und elektrischem Bogenlicht. 1906.
München und Berlin, B. Oldenbourg.
Bruns, Oberarzt Prof. Dr.: Die Hysterie im Kindesalter. 2. Aufl. 85 S. 8^
Halle, G. Marhold. 1906.
*Burgerstein, Leo, Dr. Prof.: Schulhygiene. Leipzig, B. G. Teubner. 1906.
V, 186 S.
Glu0, Prof. Dr.: Die Alkoholfrage vom physiologischen, sozialen und wirtschafb-
lichen Standpunkte. VI, 206 S. 8^ Berlin, Parey. 1906. M. 2,60.
Bibliographie. 241
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J. Müller & Co. 8^ 28 S. M. 0,60.
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«Fischer, Albert, Dr. Direktor: Zur Schulbank&age. 26 S. Großlichterfelde,
B. W. Gebeis Verlag. M. 0,40.
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29 Farbendnicktafeln mit 67 Abbildungen und ein zerlegbares Phantom
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gleich Bericht Über die informatorische Untersuchung der Schulkinder im
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Gündel, Idiotenanst.-Dir. Dr. A.: Zur Organisierung der Geistesichwachen-
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Ha ab, D., Prof. Dr.: Krankheitsursachen und Krankheitsverhütung. 19 S. 8®.
Zürich, Orell Füßli. 1906. M. 0,60.
Hagmann, Prof. Dr.: Zur Schulreform HI. Das Sonderklassensystem in neuer
Beleuchtung. 60 S. %\ St. Gallen, Fehr. 1906. M. 0,80.
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Gasglühlicht oder elektrisches Licht? Monatsbl. f. öffenÜ. Gesundheitspflege.
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I. Originalanfsätze.
Wann soll das Schuljahr beginnen?
Von Professor Dr. J. Miller- Stuttgart,
Vorbemerkung des Verfassers. Der hier abgedruckte Vortrag
wurde in einer Ausschußsitzung des Stuttgarter Zweigvereins für
Schulgesundheitspflege gehalten. Der Ausschuß hat den Wunsch
ausgesprochen, daß der Vortrag in dieser Zeitschrift veröflFentlicht
werden sollte, trotz dem von mir erhobenen Bedenken, daß meine
Ausführungen die besonderen württembergischen Schulverhältnisse
betreffen. Vielleicht werfen doch auch nichtwürttembergische Leser
gern einmal einen Blick auf unser SchuJwesen. Für diese muß ich
vorausschicken, daß in Württemberg für die Versetzung eines Schü-
lers neben dem Halbjahrszeugnis auch die Zeugnisse einer schrift-
lichen Prüfung in Betracht kommen, die in mehreren Hauptfächern
vorgenommen wird, in der Regel nicht von dem an der Klasse
unterrichtenden Lehrer. Sollten auswärtige Kollegen geneigt sein,
mir Erfahrungen mitzuteilen, die sie in Sachen des Schuljahranfangs
gemacht haben, so würden sie mich zu großem Dank verpflichten.
Geehrte Anwesende!
In den heißen Sommern der beiden letzten Jahre ist lebhaft,
auch in der Presse, darüber geklagt worden, daß unsere Versetzungs-
prüfungen gerade in die heißeste Zeit des Jahres fallen; man hat
Abhilfe verlangt und die Verlegung des Schuljahranfangs auf Ostern
als das geeignetste Hilfsmittel angegeben. Unser Verein ist auf-
gefordert worden, die Sache in die Hand zu nehmen.
Was ist zunächst der Tatbestand? Beeinträchtigt die Hitze
wesentlich die Leistungen der Schüler? macht sie die Vorbereitung
schwerer, aufregender?
Wir werden hier zwischen der Reifeprüfung und den Versetzungs-
prüfnngen zu unterscheiden haben. Die schriftliche Reifeprüfung
fällt in die Mitte des Juni, eine Zeit, in der nur selten die Hitze
Gesunde Jugend. V. 11/12. 17
246 J. Müler:
lästig wird. Die mündliche Reifeprüfung allerdings fällt leicht
in die heiße Zeit von Anfang oder Mitte Juli. Indessen hat die
mündliche Prüfung viel von ihren Schrecken verloren, seitdem die
Dispensation von allen oder einem Teil der Fächer erleichtert wor-
den ist. Außerdem liegt die Sache so^ daß ein Schüler höchstens
dreimal auf 8 — 10 Minuten mit kürzerer oder längerer Unterbrechung
zur Prüfung kommt; daß alle drei Prüfungsfächer auf den Nach-
mittag fallen^ wird eine seltene Ausnahme sein. Ein 18 — 19jähriger
Schüler wird die 24 Minuten mit zweimaliger Unterbrechung ohne
Schaden für Gesundheit und Erfolg durchmachen können; in der
Tat habe ich auch bei Mißerfolgen nie den Eindruck gehabt, daß
die Schuld der Hitze zuzuschreiben war.
Anders liegt die Sache bei den Versetzungsprüfungen. Zwar
die Monate der Vorbereitung, Mai und Juni, sind selten, man möchte
sagen zu selten reich an heißen Tagen; die Prüfungen selbst aber
fallen auf Anfang Juli, wo die Hitze mit Macht einsetzt. Noch
schlimmer daran sind die Konkursprüfungen für die Aufnahme in
die niederen und höheren theologischen Seminare, die auf Mitte und
Ende Juli anberaumt werden. Wie schwierig es ist, an einem
schwülen Nachmittag z. B. ganz einfache Rechenaufgaben zu er-
ledigen, hat mir einmal die Schlußsitzung einer Reifeprüfung gezeigt,
wo bei dem Zusammenrechnen der Noten fortwährend sich verschie-
dene Resultate ergaben und ein wiederholtes Nachprüfen nötig war.
Ein beim evangelischen „Landexamen" (Konkursprüfung 14jähriger
Schüler für die Aufnahme in ein theologisches Seminar) beteiligter
Kollege erzählte mir einen Fall, wo ein tüchtiger Schüler von aus-
wärts offenbar unter dem Einfluß der Stuttgarter Hitze im Münd-
lichen ganz versagt habe. Es ist endlich Tatsache, daß am Ende
des Sommersemesters nicht selten Gesuche um frühere Entlassung
der Schüler einlaufen, die mit Nervosität der Schüler begründet wer-
den. Ich möchte auf diesen letzten Punkt jedoch kein zu starkes
Gewicht legen; solche Gesuche würden auch kommen, wenn das
Schuljahr Ostern abschlösse, sie kommen ja, soviel ich weiß, auch
bei den Mädchenschulen im Sommer vor, und zuweilen soll die
eigentliche Ursache für sie nicht die Nervosität des Schülers sein,
sondern die der Eltern, die sich ärgern, wenn sie nicht zu der ihnen
passenden Zeit in die Sommerfrische gehen können. Was aber den
Erfolg der Versetzungsprüfung betrifft, so kann ich nach langjäh-
riger Erfahrung sagen: es ist mir kein Fall vorgekommen, wo ein
Schüler, der sich im Lauf des Jahres, insbesondere im Winter gut
gehalten, wegen der Sommerhitze in der Versetzungsprüfung durch-
Wann soll das Schuljahr beginnen? 347
gefallen ist; nicht selten der entgegengesetzte^ daß ein Schüler, der
den Durchfall nach seinen Gesamtleistungen redlich verdient hatte,
durch die Versetzungsprtifung gerettet wurde (nicht immer zu sei-
nem wirklichen Vorteil). Es ist endlich durch die neue Bestimmung
noch besonders eingeschärft, daß die Semester- oder Jahreszeugnisse
neben der Prüfung für die Versetzung wesentlich ins Gewicht fallen
sollen. Trotzdem bleibt bei der jetzigen Ordnung der Dinge ein
Ubelstand, und wir haben zu fragen
1) sind Umstände anderer Art vorhanden, die diesen Grund für
eine Verlegung des Schuljahrs unterstützen?
2) sind Gründe gegenteiliger Art da, nach denen die bisherige
Ordnung doch als das geringere Übel erscheint?
Als ein Grrund für die Verlegung des Schuljahranfangs auf Früh-
jahr wird die wünschenswerte Übereinstimmung mit der Volksschule
angeführt. Die Volksschule ist durch die Verhältnisse der Land-
wirtschaft an den^ Frühjahrsanfang gebunden. Da Übergänge von
der Volksschule zur Elementarschule vorkommeij, auch von der
Volks- oder Bürgerschule zu den höheren Schulen, so kann der Fall
eintreten, daß ein Schüler statt 2 bzw. 3 Jahre 2% oder Sy, Jahre den
vorbereitenden Unterricht genießt. Da aber die Elementarschule gegen-
über der Volksschule ein etwas rascheres Tempo befolgt, so kann dieses
Mehr von einem halben Jahr nicht als ein eigentlicher Nachteil an-
gesehen werden. Ahnlich liegt die Sache bei dem Übergang von unsern
kleineren Latein- und Realschulen in den Landstädten, wo meist im
Frühjahr begonnen wird, an die Oberklassen einer größeren Anstalt.
Wenn hier größere Schwierigkeiten nicht entstehen, so ist dagegen
bedauerlich, daß das Schuljahr der Vollanstalten in den verschiedenen
deutschen Staaten nicht übereinstimn^t. Li Preußen und ganz Nord-
deutschland überwiegt weit der Anfang zu Ostern, ebenso beginnt
Sachsen zu Ostern; die süddeutschen Staaten dagegen, einschließlich
Hessen^), im Herbste. Schüler, die aus einer norddeutschen Anstalt
in eine süddeutsche übergehen oder umgekehrt, verlieren daher in
der Regel ein halbes Jahr. Die Wahrscheinlichkeit, daß Preußen
dem Beispiel von Süddeutschland folgt, ist nicht sehr groß; ebenso
gering indessen die, daß unsere Nachbarstaaten sich unserem Vor-
gange anschließen würden, wenn wir in Württemberg unseren Schul-
anfang verlegten. Die von dem württembergischen Kultusminister
1) Ist insofern nicht ganz richtig, als in Hessen allgemein zu Ostern an-
gefangen wird, und nur ganz wenige Anstalten das Schuljahr erst im Herbst
beginnen. Anm. d. Red.
17*
248 J. MiUer:
in dieser Beziehung angestellte Umfrage hat ein verneinendes Er-
gebnis gehabt. Ein weiterer Vorteil des Osterbeginns wäre endlich
der, daß man in bezug auf die Zeit der Sommerferien unabhängiger,
würde. Die jetzige Ordnung hat den Nachteil, daß fQr jüngere
Schüler die Sommerferien von Cy^ Wochen zu lang werden, ebenso
aber die Zeit vom 7. (bzw. 15.) September bis Weihnachten eine zu
länge Arbeitszeit ist. Auf der anderen Seite ist gerade von den
Ärzten der Wunsch nach einer langen zusammenhängenden Erholimgs-
zeit aufs entschiedenste geäußert worden. Es ist endlich bei den
Klagen im letzten Sommer gesagt worden, das Winterhalbjahr gebe
für die Beurteilung der Schüler einen besseren Anhalt als das Sommer-
semester. Ein Dr. E. sagt in einer Einsendung des Tageblattes:
^,Ausgedehnte Untersuchungen an Kraftmessern haben gezeigt, daß
die Kraft der Aufmerksamkeit beständig von Oktober an zunimmt,
im März ihren Höhepunkt erreicht und dann wieder abfällt. Den
Tiefstand in der geistigen Tätigkeit muß man auf den Juli verlegen.
Hieraus geht klar hervor, wie man es bei wissenschaftlichen Arbeiten
mit dem Studium halten soll, und wir verstehen es, daß es viele
Gelehrte gibt, die behaupten, daß sie im Winter bei dem traulichen
Lampenschein, jetzt bei Gaslicht oder der elektrischen Glühlampe,
besser arbeiten können als im Sommer. Wir verstehen es dann aber
auch, daß man besser tut, die verschiedenen Schulprüfimgen auf
den Monat März und vielleicht noch auf den Monat April zu ver-
legen, weil in dieser Zeit die Leistungsfähigkeit noch auf ihrem
Höhepunkte steht." Ich kann nicht beurteilen, ob die Ergebnisse
dieser Untersuchungen einwandfrei sind. Bei den Prüfungen handelt
es sich aber gar nicht darum, ein Höchstmaß der Leistungen fest-
zustellen, sondern einen brauchbaren, unparteiischen Wertmesser zu
erhalten. Es würde also gar nichts schaden, wenn das Durchschnitts-
maß im Sommer etwas niederer ausfiele als im Frühjahr. Das ist
aber gar nicht der Fall. Im Gegenteil werden Sie finden, daß die
Zeugnisse im Sommer meist etwas höher sind als im Frühjahr.
Der Grund ist einfach: der Hauptteil des Pensums ist bis Ostern
erledigt, im Sommer wird mehr das bisher Erlernte wiederholt; so
fiind die Kenntnisse am Ende des zweiten Halbjahrs besser befestigt
als am Ende des ersten, und der Fall, daß ein Zeugnis, das zu Ostern
ein „genügend" im Durchschnitt aufweist, im Sommer auf „imge-
nügend" lautet, wird kaum vorkommen.
Überblicken wir noch einmal die Gründe, die für die Verlegung
des Schuljuhrbeginns angeführt werden, so bleibt außer der Zeit der
Yersetzungs- und Konkursprüfungen nicht viel übrig, und dies Er-
Wann soll das Schuljahr beginnen? 249
gebnis stiramt diuiiit zusammen, daß im übrigen Süddeutschland, wo
diese Prüftmgen nicht stattfinden, auch der Ruf nach Verlegung des
Schuljahrs nicht oder kaum gehört wird. Im Gegenteil, es scheint,
daß in Norddeutschland vielfach unsere Einteilung als die gesün-
dere angesehen wird und daß sich die dortigen Sachverständigen
hüten, in diesem Fall ihre Einrichtung als vorbildlich zu empfehlen
Sie sehen daraus jedenfalls, daß es nicht die tlbergangsschwierig-
keiten allein sind, die unsere Unterrichtsverwaltung bisher abgehalten
haben und voraussichtlich auch künftig abhalten werden, diesen
Schritt zu tun, wenngleich man diese Schwierigkeiten auch nicht zu
leicht zu nehmen hat. Man dürfte nicht erwarten, daß für unsere
Schüler der Übergangszeit in der Regel eine Verkürzung der Schul-
zeit um Vg Jahr erfolgen würde. Die Erteilung des Einjährigen-
Zeugnisses z. B. ist an den einjährigen Besuch der Untersekunda ge-
bunden, ähnlich liegt die Sache bei der Reife für Prima und bei
dem Reifezeugnis für die Universität. Indessen, hier ließe sich schließ-
lich ein Weg finden oder es müßte eben im allgemeinen Interesse
die gegenwärtige Schülergeneration ein Übel auf sich nehmen, wie
wir dies z. B. jetzt unsem Schülerinnen im Mädchengymnasium nicht
ersparen können.
Ein Bedenken äußerer Ali gegen den Osterbeginn liegt in dem
schwankenden Ostertermin selbst. Da wir an Ostern vier kirchliche
Feiertage haben, müssen wir uns, schon mit Rücksicht auf die aus-
wärtigen Schüler, mit den Ferien nach dem Ostertermin richten.
Daraus ergibt sich, daß das an Ostern beginnende Schuljahr ver-
schiedene Länge hat, ein Umstand, der für die Verteilung der Pensen
nachteilig ist. Die Aussichten auf eine Festlegung des Ostertermins
sind wohl gering, so sehr man auch diese höchst einfache Änderung
wünschen möchte, die niemand schaden, vielen nützen würde. —
Die Tübinger Universität hat sich in einem Gutachten für den Fort-
bestand der gegenwärtigen Ordnung ausgesprochen. Das Gutachten
ist nirgends veröflFentlicht worden, aber, wie man hört, wünschen die
Mediziner, daß der Student mit der Anatomie beginne — die Übun-
gen auf der Anatomie können nur im Winter vorgenommen werden;
die Vertreter der Naturwissenschaften halten es für angemessen, daß
der Student im Winter den theoretischen Unterricht genieße, um im
Sommer von den Exkursionen Nutzen zu haben. Ich halte dieses
Gutachten nicht für entscheidend. Es ist doch nur ein kleiner
Bruchteil der Schüler unserer höheren Lehranstalten, die sich jenen
Studien zuwenden. Der Student der Medizin kann im Sommer dem
Dienst mit der Waffe genügen oder sich theoretisch für das Studium
250 J- Miller:
der Anatomie vorbereiten. Auch für die Studenten der Naturwissen-
schaften ist mit einigem Organisationstalent gewiß ein Weg zu fin-
den, der ihnen den Beginn im Sommersemester nutzbringend werden
läßt. So hat sich auch der gegenwärtige Vertreter der Zoologie an
der hiesigen technischen Hochschide mir gegenüber dahin ausgespro-
chen, daß seiner Ansicht nach seine Fakultät eine ernstliche Ein-
wendung gegen den Osterbeginn nicht mehr erheben würde. Indessen
ist zu beachten, daß bis jetzt die technischen Hochschulen in allen
Zweigen den Anfang im Herbst voraussetzen.
Berechtigt ist das Widerstreben des Militärs gegen den Früh-
jahrsabschluß. Der Gang der militärischen Ausbildung des Einjäh-
rigen ist durch das Manöver bestimmt, das naturgemäß der Abschluß
der militärischen Ausbildung, nicht ein Intermezzo sein soll. Der
Eintritt im Frühjahr führt daher leicht zu überhastetem und über-
angestrengtem Dienst im Sommer, zur Bummelei im Winter. Es
nehmen eben deswegen nur wenige Truppenteile und nur solche der
Infanterie Einjährige im Sommer an. Wir in Württemberg könnten
nur das eine dagegenhalten, daß, was Preußen für erträglich hält, auch
uns erträglich sein kann, daß wir nicht preußischer zu sein brauchen als
die Preußen. Und ich glaube, das Entscheidende muß in der Tat
nicht durch solche äußere Umstände, sondern durch den Gang des
Unterrichts selbst gegeben sein. Was ist das Gesündere — im
weiteren Sinne des Wortes — der Beginn im Frühjahr oder im
Herbst?
Ein Einsender im Schwab. Merkur (17. Juli 1905) meint, im
größten Teil Deutschlands beginne das Schuljahr „naturgemäß^' im
Frühjahr. Er hat vergessen zu sagen, warum das gerade natur-
gemäß ist. Das Sommerhalbjahr, das öfter ziemlich spät beginnt,
durch Himmelfahrtsfest, Pfingsten, den größeren Schulausflug unter-
brochen wird, das an seinem Ende die 6 — 7 wöchentliche Ferienzeit
hat, eignet sich, könnte man sagen, naturgemäß weniger zur Ein-
führung in einen neuen Unterrichtsgegenstand als das Winterhalb-
jahr nach den großen Ferien, wo die Kräfte frisch, die Gefahren
der Ablenkung weniger groß sind als im Sommer. Das ist nicht
bloß theoretische Erwägung. Hören Sie hier eine Stimme aus
Preußen. Graf von Kospoth, Kurator der Liegnitzer Ritterakademie,
äußerte sich im preußischen Herrenhaus am 31. März 1905: „ . . . Das
jetzige Schulsemester fängt zu Ostern an. Der Junge kommt von
den Ferien zurück. In den ersten Tagen sieht er sich die neue
Klasse, die neuen Bücher und die neuen Lehrer an, aber er lernt
nichts. Zwischen Pfingsten und den großen Ferien lernt er etwas,
Wann soll das Schuljahr beginnen? 251
aber das verlernt er wieder in den großen Ferien. Er kommt so
nach Hause, wie er zu Ostern gegangen ist. . . . Nun kommt die
schwierige Zeit bis Ostern, die Angst vor der Versetzung. Der Junge
kommt nicht zum Spazierengehen, er sitzt den geschlagenen Tag in
einer überheizten Stube bei einer schlecht brennenden Petroleum-
lampe. Ich wünsche nun, daß bei dem Gymnasium mit Jahresver-
setzung der Schulschluß vor den großen Ferien und der Schulanfang
nach diesen eintritt. . . . Körper und Geist der Kinder werden bei
dieser Einteilung frischer sein als bei dem jetzigen Zustand. . . .
Ich wünschte, ich hätte tausend Zungen und die Beredsamkeit eines
Demosthenes, um den Minister für meine Wünsche gefügig zu machen.
Eines hoffe ich wenigstens, daß ich eine Fackel angezündet habe,
die weithin einen großen Brand entflammen wird, und daß die Fach-
presse sich dieser Sache bemächtigen wird.''
Unter diesen Umständen verstehen Sie, daß unsere Schulverwal-
tung keine große Eile hat, den Schuljahranfang zu verlegen. Wer
bürgt dafür, daß diese Worte des Grafen K. nicht an hoher Stelle
Eindinick machen und Preußen zum Herbstanfang zurückkehrt?
Preußen ist in Schulsachen weniger schwerfällig als unsere kleinen
Staaten, und wir könnten erleben, daß nach kurzer Zeit Württem-
berg ebenfalls wieder zum alten System sich bekehren müßte, wollte
es jetzt den Übergang wagen ; und ich glaube, nach dem Angeführten
hat auch dieser Verein keinen Anlaß, für eine Veränderung des
Schulanfangs sich ins Mittel zu legen.
Es bliebe ein Ausweg, um dem anerkannten Mißstand abzuhelfen,
die Abschaffung der Versetzungsprüfung. Diese Abhilfe scheint um
so einfacher, als eine derartige Einrichtung in den andern Staaten
Deutschlands nicht besteht. Unser Kultusminister hat ^sich am
13. Mai V. J. für die Beibehaltung der Versetzungsprüfung ausgesprochen,
mit dem Hinweis darauf, daß die Prüfung mehr die Überzeugung
von einem objektiven Verfahren geben und in der Mehrzahl der
Fälle zugunsten, nicht zuungunsten des gefährdeten Schülers ent-
scheide, daß endlich die Zahl der nicht vorrückenden Schüler in
Norddeutschland im Durchschnitt größer sei als bei uns. Wenn
man nun weiß, wie verschieden die Aufsicht gehandhabt wird bei
den Prüfungen (manche Lehrer sind zu unpraktisch, um Betrügereien
der Schüler zu verhindern), wie, namentlich da, wo Parallelklassen
vorhanden sind, die Schüler einer Klasse oft dadurch gegenüber
denen der anderen im Vorteil oder Nachteil sind, daß sie auf diese
oder jene Regel gedrillt oder nicht gedrült worden sind, so ist man
versucht, die Objektivität der Prüfung für leeren Schein zu erklären.
252 J. MiUer:
Die andern Gründe aber verdienen Beachtung. Es ist nicht zu
wünschen, daß das Durchschnittsalter für den Übertritt zur Univer-
sität sich erhöht. Und das scheint doch die Folge, wenn auch viel-
leicht nicht die notwendige Folge des preußischen Systems zu sein.
Gerade der gewissenhafte Lehrer wird oft Bedenken tragen, einen
zweifelhaften Schüler vorrücken zu lassen, dem mit Hilfe der Prüfung
der Sprung noch gelingt. Und nun liegt bei uns die Sache noch
heikler als in Preußen. Dort ist es üblich, daß ein Lehrer in einem
oder mehreren Hauptfächern dieselben Schüler mehrere Jahre hinter-
einander behält; bei uns ist es sehr häufig, an einzelnen Klassen
die Regel, daß der Lehrer seine Schüler nach einem Jahr an den
Lehrer der nächst höheren Klasse übergibt. Bei dem preußischen
System ergibt sich eine natürliche Regulierung insofern, als ein
Lehrer weder einen entschiedenen Nichtskenner weiterschleppen,
noch sich selbst ein Armutszeugnis ausstellen will, indem er zu viele
als nicht genügend bezeichnet. Bei unserem System könnte, ohne
das Regulativ der Prüfung, leicht der gewissenhafte Lehrer, bzw.
seine Schüler, in Nachteil kommen gegenüber dem, dessen Ehrgeiz
der äußere Erfolg ist, der Ruhm, daß „ihm'' keiner sitzen ge-
blieben ist, und gerade bei Parallelklassen könnte dies zu wider-
wärtigen Verhältnissen führen. Ich halte nun das preußische System
für das bessere — man mag es Fachlehrersystem nennen, doch erweckt
der Name leicht falsche Vorstellungen — insbesondere unter der
Voraussetzung, daß dem Direktor für die Verteilung der Lehrauf-
träge freie Hand gelassen ist und er mehr nach der Befähigung des
Lehrers als der Ancieiüiität zu 8<Bhen hat. Ich glaube aber nicht,
daß unsere Unterrichtsverwaltung sehr geneigt ist, das preußische
System anzunehmen. Und solange dies nicht geschieht, werden
wir wohl auch die Versetzungsprüfungen behalten, vielleicht mit
Beschränkung auf wenige Fächer. — Man könnte noch die Möglich-
keit erwägen, das Schuljahr etwas früher abzuschließen — Mitte,
statt Ende Juli — , dann vierwöchentliche Ferien eintreten zu lassen,
und im Herbst noch 14tägige Ferien einzuschalten. Das hätte
manchen Vorteil, aber den großen Mißstand, daß dann für die Abi-
turienten die ohnehin schon zu lange Pause zwischen Abgang vom
Gymnasium und Eintritt beim Militär noch vergrößert würde.
Darüber, daß wir zu unserer alten Einrichtung — Prüfung nach
den Sommerferien — nicht zurückkehren dürfen, brauche ich kein
Wort zu verlieren.
So bleibt glaube ich, uns nichts übrig, als den Wunsch zu
äußern, daß, falls die Versetzungsprüfungen auf heiße Tage fallen.
Wann soll das Schuljahr beginnen? 253
die Nachmittage unbedingt frei gegeben werden, auch wenn dadurch
der schönste Prüfungsplan über den Haufen geworfen würde, ein
WuDsch, der indes in der Mehrzahl der Fälle auch bisher schon er-
füllt worden ist.
Im Zusammenhang mit unserem Gegenstand ist auch schon die
Frage aufgeworfen worden, ob es sich nicht für die Anstalten mit Pa-
rallelklassen empfehle, einen doppelten Schuljahranfang einzuführen.
Preußen hat an einigen seiner großen Anstalten diese Einrichtung
der sogenannten Wechselcöten. Man sieht es als einen Vorteil dieser
Einrichtung an, daß ein für das Vorrücken nicht geeigneter Schüler
nicht gleich um ein ganzes Jahr, sondern nur um ein halbes zurück-
versetzt werden muß. Aber auch hier widerspricht die Praxis die
Theorie. Als ganz unpraktisch hat es sich erwiesen, die Klassen
alle Halbjahre neu zu verteilen, was eine fortwährende Beunruhigung
der Schüler und Störung des Unterrichtsgangs zur Folge hatte.
Aber auch bei Festhaltung der Jahreskurse sind die Ergebnisse
offenbar nicht günstig gewesen. Noch in einem Bericht des Jahres
1897 lese ich, daß die Versetzimg namentlich in Anstalten mit
Wechselcöten zu wünschen übrig lasse. Die Versuchung, die Zu-
rückversetzung um Vj Jahr leicht zu nehmen, scheint für Lehrer
und Schüler zu groß zu sein. Interessant waren mir hierüber
auch die Mitteilungen eines Kollegen von Kassel, wo gegenwärtig
der Wechselcötus erlischt: es habe sich die eigentümliche Erschei-
nung ergeben, daß der eine der beiden Cöten die geringeren Ele-
mente auf die Dauer angezogen habe; für Schüler, die wegen
mangelnder Kenntnisse — nicht wegen zufälliger Unterbrechung
des Unterrichts durch Krankheit — zurückversetzt werden mußten,
habe in der Regel das halbe Jahr zur Befestigung der Kenntnisse
nicht genügt.
So ergeben sich also bei dieser Einrichtung Vorteile nur für
Ausnahmsfälle, und sie erscheint nicht als nachahmungswert. Man
beachte auch, daß die Wechselcöten die Geschäftslast der Direktoren
nicht wenig vermehren; es ist gar nicht von Vorteil für die Schule,
wenn die Vorstände ihrer eigentlichen Aufgabe, der Überwachung
des Unterrichts, durch Bureaugeschäfte noch mehr entzogen werden.
254 Hermann Granpner:
SchnlliygieiLisclie Randbemerkungen zur Dresdner
Sclinlansstellnng 1905.
Von Hermann Graupner in Dresden.
Gelegentlich der Hauptversammlung des Sächsischen Lehrer-
vereius Michaelis 1905 in Dresden veranstaltete das Schulmuseum
in Dresden in den Räumen der prächtigen städtischen Ausstellungs-
halle eine Schulausstellung unter der Leitung des Lehrers 0. Leh-
mann. Es ist bei einer solchen Veranstaltung selbstverständlich,
daß eine Reihe beachtenswerter Erscheinungen auf unserm Gebiete
zutage treten müssen, wenn sie modern genannt werden soll. Die
Abteilung Schulhaus und Schulausstattung war bearbeitet von Ober-
lehrer B. Lohmann und Lehrer H. Graupner. Das Dresdner Hochbauamt
hatte in freundlichster Weise die Pläne für die neu zu errichtende
24. Bezirksschule an der Haydnstraße zur Verfügung gestellt, um die
Anforderungen an eine moderne Großstadtschule zu veranschaulichen.
Waren nach den Plänen auf der L Deutschen Städteausstellung 11)03
in den allermeisten Volksschulen unseres Reiches die Enabenhand-
arbeitsräume, die Kochlehrküche und die Heizer wohnung im Keller-
geschoß untergebracht, so hat man diese Räume und dazu den
Zeichensaal bei der 24. Bezirksschule in das Dachgeschoß verlegt.
Dadurch soll verhindert werden, daß die unvermeidlichen Dünste
aus den genannten Räumen sich der Atemluft in den Schulzimmern
beimengen. Infolge des reichlichen Platzes im Dachgeschoß können
die Räume groß und bequem angelegt werden, zumal man Licht in
Hülle und Fülle zur Verfügung hat, ein wesentlicher Vorteil für den
Zeichensaal. Dieser kann nun zweckmäßig mit Oberlicht erhellt
werden. Wie jedes andere Stockwerk hat auch das Dachgeschoß
seine Abortanlagen, ebenso wenig fehlen selbstverständlich die erforder
liehen anderen Nebenräume, Auf Waschküche, Vorratskammern usw.
Durch den Ausbau erhält das Dach eine herrliche Gliederung, aber
Erker und Giebel sind nicht nur äußerlich als Renommierflächen an-
geklebt, nein, sie sind aus innerer Notwendigkeit hervorgewachsen.
Solche Wahrheit ist gewiß bei einem Schulhaus auch ein erzieh-
liches Moment! — Der Vorteil des ausgebauten Daches kommt den
Anlagen im Keller zugute. Da dort jetzt nur die Lüftungs- und
Heizungseinrichtungen und das Brausebad eingebaut werden, kann
man diese groß und hell anlegen. In den düsteren Heiz- und Luft-
räumen, wie wir sie noch bei den meisten Schulneubauten im Keller
finden, ist die Reinigung sehr erschwert, so daß die Staubmengen mit
Schulhygieniscbe liandbemerkangcn zur Dresdner Schulansstellung 1905. 255
in die Luftschächte und Lehrzimmer gerissen werden. Ein anderer
Teil des Staubes liefert auf den überhitzten Heizflächen ätzende
Destillationsprodukte, welche dem Lehrer die Schleimhäute derart
reizen, daß das Sprechen außerordentlich erschwert wird. Für Lehr-
zimmer sind im Keller nicht die erforderlichen 10 Meterkerzen Licht
zu schaflFen, da zwar der Einfallswinkel weit über 27® beträgt, da-
für aber der Ofl&iungswinkel der sichtbaren Himmelsfläche tief unter
das Minimum von 4® sinkt. Und Handfertigkeitsräume sind keine
Werkstätten, sondern eben Lehrzimmer. — Die Turnhalle muß als
Doppelhalle aus äußeren Gründen zum Teil ins Haus eingebaut
werden. Durch eine Korkschicht wird sie schallsicher isoliert. Da
alle Decken aus Eisenbeton hergestellt werden, wird das ganze Ge-
bäude feuersicher. Die Schalleitung wird auch hier durch Kork-
platten verhindert. Auf diese wird eine Zementschicht als fugen-
lose Unterlage für das Linoleum aufgetragen.
Um den Schülern den Sinn für das Schöne zu schärfen, erhält
das Innere eine farbenfreudige Ausgestaltung. Kindlich naive Wand-
friese sollen dem Schüler die Räume heimisch machen. Welch ein
Gegensatz zu den Schulzimmem der früheren Zeit, wo man sich
kaum getraute, einen Kantenstrich um die Wände zu ziehen, weil
man glaubte, die Kinder zu zerstreuen. Heute aber ist unsere Lehr-
weise so ausgebaut, daß jeder Lehrer gern mit seiner kleinen Schar
in ein mit bunten Bildern geschmücktes Zimmer zieht. Je mehr
man den düsteren Geist aus der Schularbeit verbannte, um so mehr
gewann man den Mut, das lebensfrohe Element auch äußerlich in
den Schulräumen zum Ausdruck zu bringen. Als Beleuchtimg ist
gemischtes indirektes Gasglühlicht gewählt.
Der ausgestellte Schulplan ist der erste, der unter der Leitung
des Herrn Stadtbaurates Erlwein entworfen worden ist. Dieser
Name ist der Öffentlichkeit durch die Bamberger Bauten schon hin-
reichend bekannt geworden. Es ist hochinteressant, wie die bei
früheren Dresdner Schulbauten gesammelten guten Erfahrungen ver-
schmolzen und durchgeistigt sind mit den Ideen des neuen Künstlers.
Den Vorteil dieser glücklichen Verknüpfung hat die Schule, wir
freuen uns des von ganzem Herzen!
Eine Anzahl preisgekrönter Baupläne von Landschulen zeigte
uns, daß auch diesen unsere modernsten Erfolge in Bautechnik,
Hygiene und Ästhetik zugute kommen können, ohne daß die Kosten
wesentlich höhere werden, wenn die Erbauer wirkliche Meister auf
ihrem Gebiete sind. Dazu gehört aber erstens ein gründliches
Studium und zweitens umfangreiche, praktische Erfahrung. Bei
256 Hermann Graupner:
einem großen Teil der neuen Dorfschulhäuser treten alte Mängel
immer wieder auf^ weil man aus Sonderinteressen ^ denen eine ge-
wisse Berechtigimg oft gar nicht abzusprechen ist^ Bauleute mit
dem Schulbau betraut, die der Aufgabe nicht gewachsen sind. Es
fehlt an der Routine. Ein paar Generationen des gesamten Ortes
haben dann im zarten Alter die hygienischen Mängel und imprak-
tischer Einrichtungen auszukosten. Und nicht selten wird durch
das unschöne Äußere auch noch das ästhetische Empfinden der Be-
wohner abgestumpft. Um so freudiger ist es darum zu begrüßen,
wenn gewisse Baufirmen den Schulbau zu ihrer Spezialität wählen,
wie die Architekten Gebr. Kießling in Kötzschenbroda. Sie hatten
die Pläne der Schulen von Kötzschenbroda, Naundorf, Lockwitz und
Neugersdorf ausgestellt. Diese verrieten deutlich die Meisterschaft,
mit der die genannte Firma die hygienischen, pädagogischen und
ästhetischen Probleme gelöst und verschmolzen hatte. Beifall fand
auch der Schulplan der Stadtgemeinde Hartha, wegen der reich-
lichen Zumessung von Land zum Turnplatz, Spielplatz, Schulgarten
mit Teich und Reliefnachbildung des heimatlichen Bodens.
In den Kießlingschen Schulen sind die Aborte außerhalb des
Gebäudes angelegt und mit überdecktem Gang verbunden. Die
Dresdner Schulaborte sind dagegen ins Innere eingebaut. Darum
erheischen sie eine ganz besondere Pflege. Die Wasserspülung
ist häufig unzureichend, denn Wasser fließt in einzelnen Strähnen
von oben herab und läßt zwischen denselbeo Felder, wo der Harn
auf der großen Oberfläche schnell verdunstet und zerföUt, also
stinkende Zwischenprodukte liefert. Dazu ist das Wasser kostspielig.
Auch wenn für 1 cbm nur 12 Pfennige gezahlt werden, steigen doch
die Unterhaltungskosten auf 80 —100 Mark im Jahre für ein Pissoir,
denn auf 1 m Spülrohr muß man pro Stunde durchschnittlich 50 1
Wasser rechnen. In Dresden hat man sehr gute Erfahrungen ge-
macht mit den Pissoirölen. Gebrüder Beck, Dresden, hatten ein
solches ausgestellt, eine Postsendung zu vier Mark. Nach umfang-
reichen Versuchen mit Urinol hat sich gezeigt, daß die Pissoiröle
nicht nur den Geruch besser beseitigen als Wasser, sondern auch
nicht einmal 50% der Kosten verursachen. In einer Dresdner Schule
sind in einem Jahre 740 Mk. durch Ol- statt Wasserverbrauch ge-
spart worden. Je 1 qm Fläche kostet durchschnittlich drei Mark
im Jahre im Anstrich zu unterhalten. Wo man keine Wasser-
spülung hat, sind Pissoiröle natürlich erst recht am Platze. Einen
anderen modernen Anstrich bieten die Fußbodenöle mit ihren
verschiedenen Namen. Den Besuchern veranschaulichte ich ihre
SchulhygieniBche Handbemerkungen zur Dresdner SchulauBstellung 1905. 257
Wirkung an einem Reißbrett aus Lindenholz^ das zur Hälfte geölt,
zur Hälfte trocken war. Jede Seite wurde mit 4 gr Schulstaub be-
streut, imd nun konnte jedermann den trocknen Staub bei der Be-
rührung mit einem Pinsel in Wolken aufsteigen sehen, während die
Staubteile von der geölten Fläche unter sich verbunden schwer auf
dem Boden lagen. Wie lange diese Bindung anhält, zeigten zwei
Petrischalen mit Kehrichtproben aus zwei Zimmern, welche vor
6 und 12 Wochen geölt waren. Zum Vergleiche stand eine Schale
mit Kehricht aus einem Zimmer, das man vor 6 Wochen mit Firnis
gestrichen hatte. Dieser Staub zeigte vollständig mehlige Struktur,
ganz wie der aus Zimmern ohne jeden Anstrich. Dazu kommt,
daß der Preis für viermaliges Bestreichen mit Öl im Jahre pro qm
nur 12 Pfennige beträgt, gerade soviel wie einmal Streichen mit
Firnis. Wir verwenden das Fußbodenöl von Kohl, Dresden-A. Ich
beschreibe etwas ausführlich die Art, wie man die Wirkung ver-
anschaulichen kann, da ich nach langen methodischen Beobach-
tungen und bakteriologischen Versuchen zu der Meinung kommen
mußte, daß der tatsächliche Wert des Staub -Öles nicht genau am
Bakteriengehalt der Luft gemessen werden kann. Letzterer ist zu
einem großen Teil abhängig von den sehr keimreichen Staubmassen
aus den Kleidern der Kinder und aus den toten Winkeln und Ritzen
der Bänke usw. Das Öl aber übt seine Wirksamkeit nur an dem
bakterienärmeren Fußbodenstaub aus. Dieser ist aber durch seine
scharfkantigen und spitzen mineralischen Bestandteile der ftlr die
Schleimhäute gefährlichere.
Die Wichtigkeit des Schulbades wurde durch einen bakte-
riologischen Versuch des Herrn Schularztes Prof. Dr. Nowack illu-
striert. Je nachdem das Kind täglich, wöchentlich oder nur selten
einmal geduscht wurde, fanden sich im Badewasser 1,4 — 8,2 — 32,0
Millionen Keime. Diese müssen wir doch mindestens als Luftver-
derber bezeichnen, da sie Fäulnisprozesse auf der Haut und so den
„Menschengeruch", „Armeleutegeruch" verursacheu.
Neben einer Zahl bekannter Apparate zur Bestimmung der
Kohlensäure und Feuchtigkeit der Schulluft hatte A. Rodenstock,
Dresden (Schloßstr.), ein Humidometer ausgestellt, ein Haarhygro-
meter, welches direkt ablesen läßt, wieviel Gramm Wasser in 1 cbm
Luft enthalten sind, also die absolute Feuchtigkeit. Der „Taupunkt-
messer" zeigt direkt den Taupunkt an, also den Temperaturgrad, von
welchem an die vorhandene Feuchtigkeit ausfallen würde. Außer-
dem baut die Firma Hygrometer auch zur Feststellung der relativen
Feuchtigkeit nach Laniprechts Prinzip. Die.se Apparate werden in
258 Hermann Graupner:
den näcbsten Jahren um so mehr Bedeutung erlangen, als Flügge und
Nußbaum imd ihre Anhänger recht behalten, daß die Schädlichkeit
der Zimmerluft weniger von den ausgeatmeten Gasen, als von der
hohen Temperatur und dem großen Feuchtigkeitsgehalt der Luft ab-
hängig ist. Die neue Ansicht ist zwar fiir die Beurteilung der Luft
von hoher Bedeutung, aber ventiliert muß nach wie vor reichlich
werden. Georg Rosenmüller, Dresden (Hauptstr.), hatte sehr empfind-
liche Anemometer ausgestellt, von denen manche eine Luftströmung
von 7 m Geschwindigkeit in der Minute schon anzeigten. Andere
sind so konstruiert, daß man die Luftbewegung innerhalb des Schachtes
messen kann, die Ablesung aber außen erfolgt.
Zur Beurteilung der Platzhelligkeit auf den Schultischen
haben wir heute ein prächtiges Hilfsmittel im Wingenschen „Hellig-
keitsprüfer'^, der sich in den Dresdner Schulen infolge seiner ein-
fachen Handhabung viele Freunde erworben hat und auch auf der
Ausstellung allenthalben imponierte. Er ermöglicht, daß man in
wenig Minuten feststellen kann, welche Kinder mit unzureichendem
Licht unter 10 Meterkerzen (in Rot) arbeiten müssen, und welche
die wünschenswerte LichtstiLrke von 50 Meterkerzen auf ihrer Schreib-
unterlage haben. Durch Verbesserung der Fenster, Umstellung der
Bänke, Nichtbesetzung der gefährlichen Plätze, durch häufigeren
Wechsel der Kinder von den hellen und dunklen Reihen usw. könnte
viel Unheil auch in alten Schulen vermieden werden, wenn man sich
auf exakte Weise einmal von der Minderwertigkeit der Beleuchtung
überzeugt hätte. Darum kein Schularzt und keine hygienische Schul-
revision ohne Helligkeitsprüfer! Das optische Institut von A. Krüß,
Hamburg, liefert den Apparat für 31 Mk. Von gleicher Dauerhaftig-
keit und Handlichkeit ist auch der nach Wingen gebaute „Be-
leuchtungsmesser" derselben Firma (60 Mk.). Durch Einschiebung
von Rauchgläsern kann die Helligkeit der Arbeitsplätze von 10 — 500
Met^rkerzen festgestellt werden, und zwar in der roten und grünen
Quote. Eine einfache Berechnung läßt dann die Gesamthelligkeit
auffinden.
Die Benzinmaßlampe ist mit einem optischen Flammenmesser
versehen. Die Arbeit mit dem Apparat ist äußerst bequem und
einfach, und das ist notwendig, wenn das praktische Leben wirk-
liche Vorteile ziehen soll aus den wissenschaftlichen Errungenschaften
auf dem Gebiete der Photometrie.
Die Schulbänke waren geliefert von P. Jobs. Müller & Co. in
Charlottenburg und Lickroth & Co., Niedersedlitz. Lickroth hat eine
neue Mittelholmbank mit Holz und Eisengestell konstruiert, die
Schulhygienische Randbemerkungen zur Dresdner Schul ausstellung 1905. 259
„seh wellenlose Kombinationsschulbank". Es ist interessant, wie
schnell das Prinzip^ welches Zahn in Deutschland vor einigen Jahren
eingeführt hat, praktisch und ästhetisch ausgebaut wurde. Der ge-
schweifte eiserne Mittelholm ist ganz unauffällig und läßt eine Aus-
wechslung der Banknummem nach Bedarf zu. Obgleich ganz auf
die Seitenstollen verzichtet ist, hat die Bank einen durchaus festen
Stand. Der Boden wird durch möglichste Weglassung aller ver-
deckenden Teile dem Auge und dem Besen zugänglich. Auch das
Pußbrett, das nach Wunsch angebracht wird, ist aufklappbar. Die
kleinsten Banknummem machen die Benutzung des Fußbrettes
wünschenswert, da gerade der Lehrer sich zu den kleinsten Kindern
am häufigsten hinabbeugen muß, was sehr beschwerlich bei Nr. I,
für Kinder unter 110 cm, ist. Die Tischfläche ist dort nur 46 cm
über dem Fußboden. Die Kinder haben dann unter mittlen Ver-
hältnissen den Blick zum Auge des Lehrers nach meinen Fest-
stellungen ca. 32^^) zu heben, bei Verwendung eines Fußbrettes von
20 cm Höhe aber nur ca. 26®. Voraussetzung ist ein Lehrer von
168 cm Größe, dessen Auge 175 cm horizontal vom Auge des Schülers
entfernt ist, und der auf einem Tritt von 25 cm steht. Der Blick
steil nach oben ist aber als Dauerhaltung sehr lästig. Lickroth hat
nach Patent Christa eine andere Bank zum Umlegen eingerichtet,
so daß die Bänke durch ein Chamier nicht am Boden, sondern unter
sich befestigt sind. Das System Rettich (P. Jobs. Müller & Co.)
hatte als Neuheit die Wechselschiene, welche ebenfalls die Bänke
nur unter sich verbindet, also nicht mehr an den Boden angeschraubt
wird. Die Bänke sind leicht auswechselbar, und die Kolonnen können
beliebig verlängert und verschoben werden. Auch eine schweUen-
lose Bank „Albis" hatte diese Firma ausgestellt, bei der Sitz und
Tisch durch einen Holm, nicht aber die Bänke untereinander ver-
bunden sind.
In vielen Schulen muß der Zeichensaal auch zu Schulfeiern,
Chorsingen, Lichtbildervorführungen usw. verwendet werden, für diese
Verhältnisse hat P. Jobs. Müller die Zeichentische so gebaut, daß
sie in Sitzgelegenheiten umgewandelt werden können. Statt 60 Kinder
würden z. B. dann 160 einen Sitzplatz finden. Großer Zustimmung
konnte sich sein Stuhl mit Armlehne erfreuen, der auf der rechten
Seite eine Schreibstütze für den Arm bietet und einen überaus be-
quemen Sitz gewährt; für Zuhörer im Unterricht wichtig.
Wie in den Dresdner Schulen die Bankgrößen auf die einzelnen
1) Also % der Maxiuialleistung deB Auges von ca. öO**.
260
Hermann Giaupner:
Schuljahre zu verteilen sind, zeigten graphische Darstellungen^ die
wir auf Grund einer Messung von 57000 Schulkindern entworfen
hatten. In den Bürgerschulen sitzt das vornehmere Fünftel der
Kinder ; in Bezirksschulen die minderbemittelten vier Fünftel, und
diese sind im Durchschnitt ein Jahreswachstum hinter den ersteren
zurück. Darum brauchen beide Schularten verschiedene Zusammen-
setzung, wenn jedem Kinde ein geeigneter Sitz gewährt werden soll.
Die nachstehenden Tabellen sind nicht die reinen Durchschnitte, sondern
sie sind auch aus praktischen Rücksichten mit aufgestellt. Es ist
nicht zu umgehen, daß dann und wann eine Bankgröße je nach dem
Bedürfnis ausgetauscht werden muß. Warnen möchte ich aber vor
direkter Annahme unserer Zusammensetzung in anderen Städten,
die Verhältnisse sind nach Ilasse, sozialer Schicht usf. immerhin
recht verschieden und können nur lokal durch eine besondere Messung
klar gelegt werden. Bank Nr. I, für Kinder unter 110 cm, existiert
in den meisten Schulen nicht, und doch sind über 307o ^^^ Kinder
in der Mitte des ersten Schuljahres noch unter 110 cm groß.
Verteilung der Bänke auf die einzelnen Sohuljahre (in om)
a) in Bürgerschulen (ä Klasse 40 Kinder).
Schul-
I
n
m
IV
jähr '; —109 jllO— 119 j 120— 129 130— 139
1. 2 9
3.
4.
5.
6.
7.
8.
6
' 9
9
6
I 2
VI
140- 149
VII
150—169, 160-
b) in Bezirksschalcn (ä Klasse 50 Kinder).
3.
4.
5.
6.
7.
8.
4
15
6
1 2
12
10
1
4
15
6
2
10
11
2
4
15
6
2
10
11
2
6
12
7
2
9
11
Als wichtige Neuheit ist die „Schulbank für gebrechliche Kinder'*
zu bezeichnen, die von Lickroth & Co. in Niedersedlitz nach An-
gaben der Dresdner Abt. für Schulgesundheitspflege ausgeführt worden
ist. Jene unglücklichen Kinder sind jetzt meist auf Bänken unter-
gel)racht, die ihren Kiirperproportiouen gar nicht entsprechen. Diese
Schulhygienische Randbemerkungen zur Dresdner Schulausstellung 1905. 261
einsitzige Schulbank bemüht sich, dem Übelstand zu begegnen, in-
dem sie eine Verstellbarkeit in all ihren Abmessungen zuläßt. Die
Distanz wird durch horizontale Verschiebung der Seitenstollen und
des Sitzes, sowie durch Aufklappen der Tischplatte verändert. Die
senkrechten Änderungen vollziehen sich am Tisch, am Sitz, am Fuß-
brett und an der Lehne. Durch Radmuttem können die Teile dann
bequem festgestellt werden. Ist kein gebrechliches Kind in der be-
treffenden Schule, so wird die Bank von einem gesunden Kinde be-
nutzt, denn sie bietet Sitzgelegenheit für Kinder von 100 — 170 cm
Größe. Der Preis betragt 45 Mk. Da die Bank nur in wenigen
Exemplaren für eine Schule anzuschaffen ist, also nicht als einträg-
licher Massenartikel angesehen werden kann, hat sich die Firma
Lickroth ein Verdienst um die praktische Schulhygiene durch ihre
Herstellung erworben.
Um den ersten Leseunterricht möglichst zu erleichtern, hat
E. Klemm in Chemnitz eine kleine Handlesemaschine (3 Mk.) und
ein Schullesekästchen (65 Pfg.) gebaut. Die Buchstaben haben eine
Orundstrichhöhe von 28 mm. Jeder von ihnen ist für das Kind
nicht ein bloßes Zeichen, sondern ein Gegenstand, mit dem es han-
tieren kann. Das Zusammensetzen und Auseinandernehmen der Buch-
staben braucht es nun nicht bloß im Kopfe vorzunehmen, sondern
die Analysen und Synthesen werden mit den eignen Fingern aus-
geführt. Diese Betonung des motorischen, manuellen Elementes ist
ganz besonders für schwache Schüler von Wichtigkeit. Sie müssen
erst mit den Händen „begreifen^', ehe sie im Geiste einen „Begriff**
von der Tätigkeit bekommen. Dabei wird das starre Fixieren mit
den Augen auf ein Minimum reduziert. Eine wesentliche Verminde-
rung der Naharbeit gewähren auch die zahlreichen Anschauungs-
mittel filr die weiblichen Handarbeiten, ich greife nur die Drever-
hoffschen heraus. Den Schülerinnen werden die Gewebe aus Fäden
von 14 mm Dicke vorgeführt; an ihnen lernen sie das gegenseitige
Lagenverhältnis der Fäden kennen, wie es sich darstellt beim Stricken,
Flicken, Stopfen, Wächezeichnen, Nähen usw. In den meisten Schulen
werden die Mädchen heute veranlaßt, ihre ersten oft zu wiederholen-
den Übungen an Stoffen vorzunehmen von 0,28 mm Fadendicke. Was
ist da das Lesen, gegen eine derartige, stundenlang fortgesetzte Tätigkeit.
Auch alle übrigen Abteilungen zwangen dem Beschauer die
Überzeugung auf, daß trotz der Steigerung, die unser Kulturleben
täglich erfährt, die Schule auch in Zukunft in der Lage sein wird,
den Schüler zu befähigen, daß er sich auch an diese verwickelten
Verhältnisse anzupassen versteht, ohne körperlich und geistig zu-
Gesunde Jagend. V. 11/12. 18
262 Herrn. Graupner: Schnlhyg. Randbem. z. Dresdner SchnlauBstellnng 1906.
sammenbrechen zu müssen. Erhielt der Schüler früher fast nur Ge-
hörseindrücke im Unterrichte; so erfahren diese heute eine sehr wichtige
Er^nzung durch das Auge. Methodik und Technik haben billige
Bilder von hohem künstlerischen Wert geschaffen und Apparate von
oft verblüffender Einfachheit. Wie spielend heute auch dem unter-
mittelmäßigen Kinde die physikalischen Gesetze nahe gebracht wer-
den können, zeigte die Apparatensammlung von Oberlehrer Frey er.
Der größte Teil der Versuche kann zu Hause nachgemacht werden.
Die Apparate reizen dazu, denn Kinderspielzeuge, Glasstücken, Kon-
servenbüchse, Fahrradpumpe und ähnliches bilden einen wesentlichen
Bestandteil. — Bei der Entwicklung der Kreisformeln hat man z. B.
heute für die Schwächlinge keine großen Beweise und Konstruktionen
mehr nötig, sondern das Kind kann spielend die Fläche eines hölzernen
Kreises in die eines Rechteckes verwandeln, mit dem halben Umfang
als Grundlinie und dem Radius als Höhe (Brauns, Kreisberechner).
An die herrlichen Lehrmittel für den natur- und menschen-
kundlichen Unterricht sei nur kurz erinnert. Bei dem Thema
„Frosch" z. B. wird das Tier nicht nur lebendig und in verschiedenen
Entwicklungsstadien prächtig präpariert zur Yeranschaulichung heran-
gezogen, sondern auch die Tiere und Pflanzen, die für sein Leben
von Wichtigkeit sind. Der Unterricht selbst zeigt nun, wie Form
imd Lebensäußerungen des Tieres vollkommen abhängig sind von
der umgebenden Natur. Diese Wechselbeziehung bringen auch die
vielen billigen, zum größten Teil künstlerisch wertvollen Abbildungen
zum Ausdruck. Auf den früheren Bildern sind meist eine große
Anzahl Objekte nebeneinander gestellt, die in der Natur nichts mit-
einander zu tun haben. Wenn beim heutigen Verfahren aber die
Anschauungsmittel selbst energische Anstöße zu psychischen Ver-
bindungen geben, so ist das wichtig für die Hygiene des Seelen-
lebens, denn je fester und verzweigter das Gewebe der einzelnen Vor-
stellungsmassen gewirkt ist, um so schwerer kann es von den Stürmen
des Lebens zerrissen werden.
Mitteilungen ans dem Zentralverein. 263
IL Mitteilungen aus dem Zentralverein.
Programm und Tagesordnung
der VII. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Schulgesund-
heitspflege am 6. und 7. Juni 1906 in Dresden.
Für den Besuch der Versammlung wird eine Teilnehmerkarte im
Betrage von 3 Mk. ausgefertigt, die auch zum einmaligen freien Ein-
tritt in die Kunstgewerbe-Ausstellung berechtigt.
Dienstag, den 5. Juni: Von morgens 8 Uhr an ist das
Empfangsbureau in der Realschule Seevorstadt (Vitzthumstraße 4)
geöfiiiet. Dort werden Anmeldungen entgegengenommen und Mit-
gliederkarten ausgefertigt. Das Personal des Empfangsbureaus ist,
ebenso wie das Komitee, durch grünweiße Rosetten kenntlich gemacht.
Abends von 8 Uhr ab Empfang im Weißen Saale des Restau-
rants „Drei Raben", Marienstraße 20. Mitgliederkarten müssen am
Eingang vorgewiesen werden.
Mittwoch, den 6. Juni, vormittags 8 — 9 Uhr: Besichti-
gungen der neuesten Schulgebäude, der I. Bürgerschule und der be-
nachbarten 9. Bezirksschule. Treffpunkt am Gebäude der L Bürger-
schule, Georgplatz 5.
Vormittags 97^ Uhr: Eröffnung der Versammlung in der Aula
der Realschule Seevorstadt, Vitzthumstraße 4.
. a) Begrüßungsansprachen,
b) Vorträge.
1. Die Waldschulen. Ref.: Stadtschulrat Dr. Neuf er t- Char-
lottenburg.
2. Der Stand der akademisch gebildeten Lehrer und die Hygiene.
Medizinischer Ref.: Nervenarzt Dr. med. R. Wichmann-
Bad Harzburg. Pädagogischer lief: Realgymnasial-Ober-
lehrer Dr. Le Mang -Dresden.
Abend 77^ Uhr: Festessen im Kgl. Belvedere auf der Brühischen
Terrasse. (Das trockene Kuvert 4 Mk.)
Donnerstag, den 7. Juni, vormittags 8 — 9 Uhr: Besichti-
gung des Güntzbades, Eibberg 3.
Vormittags 8 Uhr: Geschäftssitzung in der Aula der Realschule
Seevorstadt, Vitzthumstraße 4.
a) Jahresbericht.
b) Rechnungsablage.
18*
264 Mitteilnngen aus dem Zentralverein.
c) Arbeiten der Kommissionen.
d) Unvorhergesehenes.
Vormitt^s 9^4 Uhr: Vortrage daselbst.
1. Hausaufgaben. Medizinischer Ref.: Medizinalrat Dr. Berger, in
Remscheid. Pädagogischer Ref. für höhere Schulen: Ober-
lehrer Karl Roller-Darmstadt, pädagogischer Ref. ffir
Volksschulen: Lehrer Schanze-Dresden.
2. Waschgelegenheiten in den Schulen. Eine Forderung der Schul-
und Volksgesundheitspflege. Referent: Stadtverordneter Dr. med.
Hopf- Dresden.
Nachmittags 3 Uhr: Besichtigung des staatlichen Fernheiz-
werkes; des Haideparkes und des Volkswohls.
Nachmittags 5 Uhr: Führung durch die Kunstgewerbe -Aus-
stellung. Auf Wunsch kann auch unter Führung des Herrn Oberarztes
Dr. med. Flachs eine Besichtigung des Säuglingsheims stattfinden.
Abends 8 Uhr: Abschiedsfestlichkeit, dargeboten von der
Stadt Dresden im Restaurant des Ausstellungsgebäudes.
Vorschriften für die Herren Diskussionsredner.
Jeder der Herren, die sich an der Diskussion beteiligen wollen,
wird gebeten zugleich mit der Meldung zum Worte seine Karte
dem Vorsitzenden zu überreichen. Er wird dringend aufgefordert,
sofort nach Beendigung seiner Rede den Inhalt derselben aufzu-
zeichnen und dem Schriftführer zu übergeben.
Ein Redner, der sich für die Diskussion zum ersten Male
meldet, soll nicht mehr als 10 Minuten, ein solcher der sich zum
zweiten Male meldet, nicht mehr als 5 Minuten sprechen.
Während der Versammlung findet in dem Gebäude der 9. Be-
zirksschule (Georgplatz 4) eine Ausstellung von schulhjgienischen
Gegenständen statt.
Die Generaldirektion der Königlichen Sammlungen für Kunst
und Wissenschaft gewährt den Teibiehmern an der VII. Jahres-
versammlung des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege für
die Tage vom 5. bis mit 7. Juni gegen Vor weis der Teilnehmerkarte
freien Zutritt in die Königlichen Sammlungen, mit Ausnahme des
Grünen Gewölbes, wo ein um die Hälfte ermäßigter Eintrittspreis
von 50 Pfg. zu erlegen ist, und jedesmal zwei Personen eine Karte
zu 1 Mk. zu lösen haben.
Vorausbestellung von Wohnungen für die Teilnehmer der Ver-
sammlung wird, bei dem starken Fremdenverkehr in Dresden, dringend
Mitteilungen aus deiu Zentral verein. 265
angeraten. Der Vorstand des Dresdener Ortsausschusses (zu adres-
sieren: Herrn Stadtschulrat Professor Dr. Lyon, Dresden-A., Breiten-
straße 7, 11) wird hierauf bezügliche Anfragen und BesteUungen er-
ledigen. Anmeldungen werden bis zum 26. Mai erbeten.
Hotelzimmer sind für den Preis von 2 Mk. 50 Pfg. an zu haben.
Der Vorstand des Deutschen Vereins fär Schulgesund-
heitspflege.
Vorsitzender: Prof. Dr. med. et phil. H. Griesbach, Mülhausen i. Eis.
Beisitzer: Dr. med. Ludwig Bauer, Arzt und Dozent für Hygiene
a. d. techn. Hochschule in Stuttgart; Geh. Oberbaurat Delius, Vor-
tragender Rat im Kgl. Preuß. Ministerium der öffentlichen Arbeiten,
Berlin, L stellvertretender Vorsitzender; Prof. Dr. med. Arthur Hart-
raann-Berlin; Dr. med. M. Eorman, Arzt, Leipzig, Schriftführer in den
Jahresversammlungen; Oberbürgermeister Müller, Mitglied des preuß.
Herrenhauses, Kassel; Sanitätsrat Prof. Dr. F. A. Schmidt-Bonn; Ge-
meinderat Stockmeyer- Stuttgart; Kgl. Schulrat und Stadtschulrat
Dr. Wehrhahn-Hannover, IL stellvertretender Vorsitzender. Schatz-
meister: R. Quelle, Prokurist der Verlagsbuchh. B. G. Teubner,
Leipzig. Geschäftsführer: A. Diemunsch- Mülhausen im Elsaß.
Der Ortsausschuß.
Oberbürgermeister Geh. Finanzrat a. D. Beutler als Ehrenvorsitzen-
der; Stadtrat Fischer als Vorsitzender; Stadtrat Dr. May als steUv.
Vorsitzender; Stadtschulrat Professor Dr. Lyon, Vorsitzender des ge-
schäftsführenden Ausschusses; Ministerialdirektor Geh. Rat Dr. Dr.
ing. Waentig im Kgl. Kultusministerium; Ministerialdirektor Geh. Rat
Merz im Kgl. Ministerium des Innern; Geh. Schulrat Dr. Kühn im
Kgl. Kultusministerium; Geh. Schulrat Dr. Müller im Kgl. Kultus-
ministerium; Geh. Schulrat Dr. Seeliger im Kgl. Kultusministerium;
Generalarzt Dr. Müller, Chef der Medizinalabteilung im Kgl. Kriegs-
ministerium; Oberbaurat Karl Schmidt im Kgl. Finanzministerium;
Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Renk; Regierungsrat Dr. Fischer, Kgl.
Polizeidirektion; Kgl. Baurat Trautmann; Oberschulrat Dr. Preil,
Direktor des Kgl. Lehrerseminars in Dresden -Fr.; Geh. Medizinalrat
Dr. Niedner, Stadtbezirksarzt; Obermedizinalrat Dr. Hesse, Bezirks-
arzt; Schulrat Fink, Kgl. Bezirksschulinspektor; Schulrat Dr. Prietzel.
Kgl. Bezirksschulinspektor; Schulrat Dr. Lange, K^l. Bezirksschul-
inspektor; Stadtrat PI ö tue r; Stadtbaurat Erl wein; Stadtverordneten-
Vize Vorsteher Hofrat Dr. med. Battmann; Stadtverordneter Dr. med.
Opitz, Stadtverordneter Dr. med. Hopf; Stadtverordneter Dr. med.
266 Mitteilungen ans dem Zentralverein.
Graupner; Stadtverordneter Dr. phil. Vogel; Stadtverordneter Hof-
rat Dr. Haenel; Geh. Kommerzienrat Lingner; Oberstudienrat Prof.
Dr. Örtel, Rektor an der Annenschule; Direktor Prof. Dr. Schöpke;
Direktor Prof. Dr. Döhler; Direktor Dr.Friedrich, Freimaurer-Institut;
Gymnasial- Oberlehrer Prof. Dr. Weidenbach; Prof. Dr. Nowack,
Wohlfahrtspolizeiarzt; Hofrat Dr. med. Behrens; Oberarzt Dr. Fritz
Förster; Oberarzt Dr. Flachs; Professor Dr. med. Schloßmann;
Dr. med. Otto Kaiser; Dr. med. 0. Kretschmar, Vorsitzender des
ärztlichen Bezirks Vereins; Realgymnasial - Oberlehrer Fleischer;
Direktor Knöfel, I. Bürgerschule; Direktor Eberth, H. Bürgerschule;
Direktor Bergmann, 4. kathol. Bezirksschule; Oberlehrer Lohmann;
Lehrer Sattler, Vorsitzender des Dresdner Lehrervereins; Lehrer
Züllchner, Vorsitzender des Dresdner Tumlehrervereins; Lehrer
Theodor Fischer; Lehrer Hermann Graupner; Lehrer Oskar
Lehmann; Lehrer Gustav Schanze; Redakteur Irrgang; Ober-
lehrer Laube; Lehrer Dr. Richard Laube; Lehrer Arthur Ulrich.
Leitsätze
zu den Vortrag: Die Waldschulen*)
Referent: Stadtechulrat Dr. Neufeit-Charlottenburg.
Zu dem Vortrag: „Der Stand der akademisch gebildeten Lehrer und
die Hygiene".
1. Medizinischer Referent: Dr. med. Wichmann-Harzburg.
,,Die Schulhygiene muß für alle Kandidaten des höheren Schulamtes ein
Fach des akademischen Studiums bilden.''
"2. Pädagogischer Referent: Dr. Le Mang-Dresden.
1. Durch die neue Welt«tellung Deutschlands und den Gang seiner kultu-
rellen Entwicklung, die bedeutende Veränderungen in unserer höheren Schule
hervorgerufen haben, sind auch ihre erzieherischen Aufgaben und damit die
pädagogischen Pflichten der akademisch gebildeten Lehrer gewachsen.
2. Die Erfüllung dieser Aufgaben und Pflichten ist dem Lehrer ohne
Kenntnis der Sehniges undheitslehre nicht möglich, die ihn in doppelter Weise
auf seine Beruf vorbereitet.
3. Die Schulgesundheitslehre befähigt den Lehrer, die geistige und körper-
liche Entwicklung der Jugend wirksam zu fördern, Schäden ihr fernzuhalten,
krankhafbe seelische und körperliche Zustände zu erkennen und richtig zu be-
handeln.
4. Ihre Kenntnis ermöglicht es dem Lehrer, sich selbst vor Schädigungen
zu schützen, die Berufskrankheiten zu meiden und zu bekämpfen und wichtige
Standesforderungen zu begründen.
1) Die Leitsätze waren der Redaktion bis zur Fertigstellung des Heftes
zuireffanKen. Red.
nicht zugegangen. Red.
MitteiluDgen aas dem Zentralyerein. 267
5. Ans allen diesen Gründen muß die Schalgesundheitslehre als not-
wendiger Bestandteil der Berufsbildung für den akademisch gebildeten Lehrer
in das Universitätsstadium aufgenommen werden.
Es müssen besondere Lehrstühle für dieses Fach errichtet werden, deren
Inhaber medizinisch und pädagogisch geschult sind und in der Schulpraxis
stehen.
Zu dem Vortrag: ,,Hau8aufgaben^^
1. Medizinischer Referent: Medizinalrat Dr. Berger- Remscheid.')
2. pädagogischer Referent für die höheren Schulen: Karl Roller, Ober-
lehrer in Darmstadt.
1. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß die Hausaufgaben ge-
eignet sind, gesundheitliche Schädigungen der Schuljugend herbeizuführen.
2. Desgleichen ist nicht zu lengnen, daß sie auch den Charakter der
Kinder ungünstig zu beeinflussen vermögen.
3. Trotz dieser Tatsachen darf die höhere Schule nicht auf Hausaufgaben
verzichten.
4. Pädagogik and Hygiene müssen deshalb in geeigneterer Weise, als dies
gegenwärtig vielfach der Fall ist, darauf bedacht sein, den durch die Haus-
aufgaben möglichen Schädigungen vorzubeugen.
5. Zur Erreichung dieses Zieles vermögen Pädagogik und Hygiene Mittel
zu bieten, die als Grundlage für eine Regulierung der Hausaufgabenfirage im
Sinne von These 3 dienen können.
3. pädagogischer Referent für Volksschulen: Lehrer Schanze- Dresden.
1. Hausaufgaben in Volksschulen sind vom onterrichtlichen Standpunkte
aus als entbehrlich anzusehen.
2. Vom erziehlichen Standpunkt aus betrachtet, können sie ebenso sehr
schaden als nützen.
8. Ihre Beseitigung ist daher aus hygienischen Gründen zunächst für die
vier ersten Schuljahre zu erstreben.
4. Für die vier oberen Schulstufen ist die Beschränkung der Aufgaben
auf ein sehr geringes Maß (täglich nicht über */, Stunde") wünschenswert.
5. Dringend zu fordern ist die gänzliche Beseitigung sämtlicher Ferien-
aufgaben.
Zu dem Vortrag: „Waschgelegenheiten in den Schulen".
Referent: Stadtverordneter Dr. med. Hopf- Dresden.
1. Die Hygiene hat die Aufgabe, neben der Gelegenheit zum Baden auch
für weitestgehende Einfflhrung von Gelegenheit zum Reinigen der Hände ein-
zutreten.
2. Ein häufiges Waschen der Hände ist eine Forderung der Ästhetik.
Außerdem aber ist es eine grundlegende, gebieterische Forderung der Gesund-
heitspflege, da die Hand des Menschen eines der hauptsächlichsten Dber-
tragungsmittel ansteckender Ejrankheiten darstellt.
8. Die Schaffung reichlicher Gelegenheit zum Händewaschen wird das
Volk allmählich und unmerklich, aber um so sicherer hygienisch denken und
1) Die Leitsätze waren der Redaktion bis zur Fertigstellung des Heftes
nicht zugegangen. Red.
268 Mitteilungen aus dem Zentralverein.
empfinden lehren, vor allem, wenn Schule und Presse aufklärend, mithelfend
einspringen.
4. Die Behörden sind zu ersuchen, in allen behördlichen Neubauten
^Schulen u. a.) f&r ausreichende Waschgelegenheit besorgt zu bleiben und jeden-
falls keine Abortanlage ohne die entsprechende Gelegenheit zum Händewaschen
unter fließendem Wasser (mit Seife und Handtuch) einzurichten. Auch werden
die Behörden gebeten, auf dem Wege baupolizeilicher Handhabung in obigem
Sinne, wenn angängig, auch bei der Baugenehmigung für PriTathäuser zu ver-
fahren. Dies gilt besonders für Lokale, in denen viele Menschen verkehren,
wie Gasthäuser, Hotels, Herbergen usw.
5. In der Schule ist seitens der Lehrkräfte und der Schulärzte die Wich-
tigkeit sowolil des Badens wie auch der häufigen Reinigung der Hände den
Kindern eindringlich und systematisch vor Augen zu führen.
Landesorganisationskomitees
tur den IL Internationalen Schulhygienekougreß in London 1907.
Herzogtum Braunschweig.
I. Vorsitzender: Dr. Blasius, R., Professor, Braunschweig.
U. Vorsitzender : Dr. W e r n i c k e , Professor, Oberrealschul direktor, Braunschweig.
Mitglieder,
von Aschen, Professor, Braunschweig.
Dr. Beckhaus, Sanitätsrat, Physikus, Königslutter.
Dr. Berkhan, Sanitiltsrat, Braunschweig.
Dr. Clemens, Sanitätsrat, Schöppenstedt.
Dr. Creite, Sanitätsrat, Physikus, Schöningen.
Dr. Dahl, Professor, Gymnasialdirektor, BraunHchweig.
Dr. Dahn, Professor, Braunschweig.
Dr. Drewes, Schulrat, Gymnasialdirektor, Helmstedt.
Dr. Ehrlich, Stadtoldendorf.
Dr. Henking, Sanitätsrat, Braunschweig,
von Horsten, Professor, Schuldirektor, Wolfenbüttel.
Dr. von Holwede, Sanitätsrat, Braunschweig.
Dr. Kaselitz, Schuldirektor, Gandersheim.
Kielhorn, Hauptlehrer, Braunschweig.
Dr. Klöppel^ Sanitätsrat, Physikus, Blankenburg a. H.
Dr. Köhler, Sanitätsrat, Physikus, Hasselfelde i. H.
Dr. Koch, K., Professor, Braunschweig.
Dr. Koldewey, Oberschulrat, Gymnasialdirektor, Braunschweig.
Dr. Koldewey, Lizentiat, Progymnasialdirektor, Bad Harzburg.
Kremp, Direktor der berechtigten landwirtschaftlichen Schule mit Real-
abteilung, Helmstedt.
Krüger, Professor, Schuldirektor, Braunschweig.
Dr. Lentz, Professor, Gymnasialdirektor, Holzminden.
Oster loh, Stadtbaumeister, Braunschweig.
Peters, Professor, Schuldirektor, Braunschweig.
Mitteilungen aus dem Zentral verein. 269
Pfeifer, Regierungs- und Banrat, Braunschweig.
Philippson, Professor, Schuldirektor, Seesen a. K.
Schaarschmidt, Professor, Schuldirektor, Braunschweig.
Dr. Schütte, Abt, Konsistorialrat, Wolfenbuttel.
Dr. Seulcke, Sanitätsrat, Physikus, Eschershauscn.
Dr. T ach au, Professor, Schuldirektor, Wolfenbuttel.
Dr. Viereck, Professor, Braunschweig.
Dr. Wahnschaffe, Professor, Wolfenbüttel.
Dr. Wichmann, Nervenarzt, Bad Harzburg.
Wicke, Seminardirektor, Wolfenbüttel.
Provinz Brandenburg.
Vorsitzender; Prof. Dr. A. Baginsky, Direktor des Kaiser- und Kaiserin
Friedrich-Kinderkrankenhauses, Berlin.
Mitglieder.
Prof. Dr. Eulenburg, A., Geheimer Medizinalrat, Berlin.
Dr. med. Benda, Th., Nervenarzt, Berlin.
Delius, Geheimer Baurat, vortragender Hat im Kgl. Preuß. Ministerium der
öffentlichen Arbeiten Berlins.
Dr. Ewald, Geheimer Medizinalrat, Berlin.
Prof. Dr. Hartmann, Arthur, Berlin.
Herzberg, Baurat, Berlin.
Dr. Kemsies, Direktor, Berlin.
Dr. Neufert, Stadtschulrat, Charlottenburg.
Prof. Dr. med. Pagel, Berlin.
Dr. Wehmer, Geheimer Medizinalrat, Berlin.
Prof. Dr. Wychgram, Berlin.
Provinz Sachsen.
Vorsitzender: Pietzker, Gymnasialprofessor, Nordhausen.
Mitglieder.
Dr. Forstmann, Schularzt, Nordhausen.
Dr. med. Kremser, Chef- Arzt des Sanatoriums für Lungenkranke, Sülzhagen.
Neumann, Rektor, Teuchem.
Provinz Hessen-Nassau.
Vorsitzender: Dr. Heinemann, Medizinalrat, Kassel.
Schriftfühler: Dr. med. Aisberg, Adolf.
Mitglieder.
Dr. Ahlborn, Schularzt, Kassel.
Berninger, Lehrer, Wiesbaden.
Bornmann, Stadtschulrat, Kassel.
Dr. Cuntz, Fr., Wiesbaden.
Dr. Dornblüth, Otto, Prankfurt a. M.
Prof. Dr. Edinger, Frankfurt a. M.
Dr. Hagen, Landrat, Schmalkalden.
Prof. Dr. Kalle, Wiesbaden.
270 Mitteilungen auB dem Zentralverein.
Y. Kästner, Fräulein Julie, Eassel.
Dr. Knabe, Oberrealschuldirektor, Marburg.
Dr. Kölschtzky, Schularzt, Kassel.
Dr. La quer, B., Wiesbaden.
Dr. La quer, Leopold, Frankfurt a. M.
Dr. med. Lieb ig, Hünfeld.
Dr. Med er, Schularzt, Kassel.
Prof. Dr. Müller, C. H., Frankfurt a. M.
Müller, Oberbürgermeister, Kassel.
Oberstadt, Medizinalrat, Langenschwalbach.
Dr. Reuffurth, Schularzt, Kassel.
Rosenzweig, Frau Adele, Kassel.
Rotfeld, Frau Justizrat, Kassel.
Dr. Rockwitz, Regierungs- und Medizinalrat, Kassel.
Dr. Schwartzkopf, Sanitätsrat und Schularzt, Kassel.
Prof. Dr. Victor, Marburg.
Prof. Vo eller, KasseL
Waesche, Frau Johanna, Kassel.
Unterfranken (Bayern).
Vorsitzender: von Gumppenberg, Freiherr, k. Kämmerer und Hegierungsrat,
Würzburg.
Schriilführer: Griebl, kgl. Kreisschulinspektor, Kreissoholarch.
Mitglieder.
Dr Dehlee, k. Hofrat, prakt. Arzt, Würzburg.
Hammer, k. Gymnasialrektor, Würzburg.
Dr. Hofmann, kgl. Bezirksarzt und Oberstabsarzt der Landwehr, Würzburg.
Königsbauer, kgl. Seminardirektor, Würzburg.
Krück, k. Oberstudienrat und Rektor des k. Realgymnasiums, Würzburg.
Dr. Lehmann, ö. o. Professor der Hygiene an der Universität Würzburg und
Vorstand des hygien. Instituts.
Ringelmann, rechtsk. Bürgermeister der Stadt Würzburg.
Dr. Schmitt, k. Kreismedizinalrat, Würzburg.
Ullrich, städt. Schul rat, k. Gymnasialrektor, Würzburg.
Dr. Zipperer, Wilh., k. Gymnasialrektor, Würzburg.
Großherzogtum Sachsen-Weimar.
Vorsitzender: Dr. med. Kreiß, Schularzt, Weimar.
Mitglieder.
Dr. med. Drossel, Saalfeld.
KnÖfler, Taubstummenlehrer, Weimar.
Langlotz, Direktor der Blinden- und Taubstummenanstalt, Weimar.
Leder er, Bürgermeister, Ruhla.
Dr. med. Michael, Schularzt, Ilmenau.
Dr. med. Münzel, Schularzt, Weimar.
Pabst, Geh. Reg.-Rat, Oberbürgermeister, Weimar.
Steinmetz, Rektor, Weimar.
Trüper, Direktor der Sophienhöhe, Jena.
Aus Kongresflen und Vereinen. 271
Nene Mitglieder.
1586 Darmstädter Pädagogium, Direktion M. Elias, Darmstadt, Hochstraße.
Fahrenbach, Dr. med., Arzt, Rixheim, Oberelsaß.
Kaupe, Dr. med., Kinderarzt, Bonn.
Kraft, Dr., A., Zürich, Zeltweg 64.
1590 Hietz, Dr., Schularzt, Berlin W., Dennewitzstraße 10.
RoBenbauer, Prof. Dr., Essen, Gustavstraße 2.
Schrattenholz, Joseph, Schriftsteller, Reinickendorf-Berlin, Raschdorfstr. 108.
Werner, Dr. med., Schularzt, Blase witz-Dresden, Schillerplatz 5.
von Westphalen, Dr. med., Arzt, Vemy bei Metz.
Wich mann, Dr., Bad Harzburg.
ScliTilliygieiiisclie Ausstellung.
Bei Gelegenheit der 7. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen
Vereins für Schulgesundheitspflege in der Pfingstwoche in Dresden am 6. und
7. Juni soll eine Ausstellung schulhygienischer Neuheiten stattfinden. Pro-
spekte und Kataloge sind umgehend an die Geschäftsstelle: Schulmuseum in
Dresden (Sedanstraße) einzusenden.
III. Aus Kongressen und Vereinen.
— Auf dem deutschen Oberlehrertag in Eisenaoh am 18. April
sprach Direktor Dr. Keller- Frankfurt a. M. über: Die Aufgabe des höheren
Lehrers — eine Kunst auf gelehrter Grundlage.
Das höhere Schulwesen, so führte der Redner nach der Post-Berlin aus,
sei in eine neue Phase getreten. Die Reform des höheren Schulwesens^ wo-
nach Leib und Seele gleichmäßig ausgebildet werden sollen, wird nicht nur
die Verantwortung, sondern auch die Berufs&eudigkeit steigern. Man hält ja
vielfach das Unterrichten für das Leichteste. Jeder Mann, der eine Frau hei-
ratet, die ihm Kinder schenkt, glaubt die vollste Befähigung als Erzieher zu
haben. Nein, der Unterricht und die Erziehung ist die größte Kunst. Wir
sind nicht in der Lage, das, was wir geschaffen haben, öffentlich vorzuführen.
In jedem Menschen ruht ein reicher Schatz geistiger Ejräfte. Das Beste, das
wir haben, dem Kinde mitzuteilen, und das Beste aus dem Kinde heraus-
zulocken, ist unsere Kunst.
Wir müssen dem Jugendübermut seinen Lauf lassen. Wenn wir letzteren
einzwängen, dann bricht er eben in ungesetzlicher Weise durch. Wenn Goethe
noch lebte und weimarischer Minister wäre, dann wäre er ja zweifellos unter
uns. Gerade Goethe hat aber die Notwendigkeit der vollsten Freiheit der
Jugend betont. Wir müssen nicht bloß die geistige, sondern auch die phy-
sische Kraft des Schülers zu stärken suchen. Dem Zeichnen und Turnunter-
richt muß ein weites Feld eingeräumt werden. Der Lehrer erfüllt erst dann
seine Pflicht, wenn er der Schulhygiene volle Aufmerksamkeit zuwendet. So-
lange der größte Teil der Primaner noch Brillen tragenfmuß, steht die Lehrer-
272 Ans Kongressen und Vereinen.
Bchaft noch nicht auf dem H()hepnnkt ihrer Aufgabe. Der Schüler muß zum
Selbfltschaffen erzogen werden, entsprechend dem Dichterwort: ,,Wa8 du ererbt
von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.*^ Der Schüler muß zur
vollen Selbständigkeit und vollsten Freiheit im Handeln und Denken erzogen
werden. Möge das Dichterwort beherzigt worden : „Wenn Knechte die Erzieher
sind, verdirbet manches edle Kind/^ Der Redner rügte im weiteren die in
England noch bestehende Prügelstrafe in der Schule und die Zeitvergeudung,
die durch das Präparieren usw. geschehe. Auch der zum Studium bestimmte
Schüler muß im Handfertigkeitsunterricht ausgebildet werden, damit er nicht
ein bloßer Bücherwurm werde und sich im praktischen Leben betätigen könne.
Mögen die akademisch gebildeten Lehrer stets im Auge haben, daß sie die
Bildner des zukünftigen Geschlechts und daß sie berufen sind, in vorderster
Reihe an der Zukunft des deutschen Volkes mitzuarbeiten.
Professor Dr. Hartmann-Leipzig sprach über: Die Hygiene und die
höhere Schule.*)
Direktor Dr. Block-Wimpfen betonte in längerem Vortrage die Not-
wendigkeit, den höheren Lehrerstand mit anderen akademisch gebildeten Be-
rufast änden nach Rang und Gehalt in staatlicher Beziehung gleich zu bewerten.
— Der Fosener Verein f&r SohulgeBundheitspflege befaßte sich in
einer Versammlung am 14. März mit dem Thema Tuberkulose und Jugend-
spiele.
Herr Dr. Pauli hatte für die Besprechung das grundlegende Referat
übernommen, in dem er in ausgiebiger Weise die Schädigungen der Tuber-
kulose kennzeichnete und durch ein übersichtliches Zahlenmaterial belegte.
Heute weiß man, daß die Tuberkulose durch Ansteckung erworben wird, und
danach haben sich auch die Maßnahmen, welche zur Bekämpfung der Tuber-
kulose führen sollen, zu richten. Die Tuberkulose erfordert am meisten Opfer
von allen Krankheiten, besonders jenseits des 15. Lebensjahres, am meisten
in Rußland (40 auf 10000 Lebende), am wenigsten in England (18,6). In
Lübeck ist die Tuberkulosesterblichkeit keine sehr große (es wurden nach den
Angaben des hiesigen statistischen Amtes vom Verfasser berechnete graphische
Tafeln vorgelegt), sie beträgt im Durchschnitte der Jahre 1900—1904 nur 13,.S3
auf 10000 Lebende, 7,78 Prozent der Todesfälle überhaupt; Stadt und Land
liaben gleiche Sterblichkeit (sonst ist die der Städte größer), das männliche
Geschlecht ist nur um 1 Proz. mehr betroffen. Ebenso wie überall aber zeigt
sich auch hier, daß die Tuberkulose der Lungen jenseits des 16. Lebei\jahres
dreimal so häufig auftritt, als vor dem 1. — 14. Lebensjahr. Die Tatsache, daß
Menschen mit gutem Brustbau und großer Ausdehnungsfähigkeit der Lungen
fast gar nicht befallen werden von der Erkrankung, weist darauf hin, alles zu
tun, was diese und damit auch Kräftigung des Herzens sowie Besserung der
Beschaffenheit des Blutes zustande bringt. Singen, Schwimmen, Radfahren,
Rudern, Turnen können alle dazu dienen, aber nur bis zu einem gewissen
(irade (beim Turnen muß gesehen werden auf Besserung der stauberfallten
Luft durch unbedingte allgemeine Verwendung von Turnschuhen), denn es ge-
hört dazu Bewegung in frischer Lufl. Tum- und Schülerwanderungen, Zu-
bringen der Ferien auf dem Lande wirken günstig; ebenso die Ferienkolonien.
Leider hat das Rundschreiben des Vereins für Ferienkolonien ein sehr un-
1) Der Vortrag wird im nächsten Heft dieser Zeitschrift erscheinen. Red.
AuB EongreBsen und Vereinen. 273
günstiges Resnltat ergeben, nur 3000 Mk. wurden gezeichnet, d. h. ein Drittel
der zur Erweiterung des Hauses auf dem Priwall nötigen Bausumme. Allein
dies alles kommt nur wenigen zugute. Nur Jugendspiele im Freien werden
das Gute erreichen, wenn als Spielplätze BaBenflächen, die gegen scharfe Winde
geschützt, der Jugend zur Verfügung stehen. Jedoch um Übertreibungen,
welche eine Gesundheitsschädigung nach sich ziehen, vorzubeugen, muß eine
sachverständige Aufsicht vorhanden sein. Seine Forderungen faßte der Vor-
tragende in die nachfolgenden Leitsätze zusammen; 1. Die Lungentuberkulose
ist eine Volkskrankbeit , welche von allen Krankheiten die meisten Opfer
fordert. 2. Hauptkampfmittel gegen die Tuberkulose der Lungen ist Erhöhung
der Ausdehnungsfähigkeit der Lungen, besonders im jugendlichen Alter. 3. Die
Ausdehnungsfähigkeit der Lungen kann bei der Schuljugend am besten erreicht
werden durch Jugendspiele im Freien. 4. AUen Schulen einer Stadt sind ge-
eignete Plätze anzuweisen, auf deneb sie unter sachverständiger Leitung wöchent-
lich mindestens einmal nachmittags im Freien spielen können. An den Vor-
trag schloß sich eine rege Aussprache, in der die Notwendigkeit der Haft-
pflichtversicherung der Lehrkräfte besonders noch hervorgehoben wurde. Nach
der Aussprache beschloß die Versammlung einstimmig, daß an die Bürger-
schaft eine Eingabe gerichtet werden soll, mit der Bitte, den Platz zwischen
Eisenbahndanmi und Wallanlagen als Spielplatz zu reservieren. Eine Eingabe
an die Oberschulbehörde soll dem Wunsche Ausdruck geben, in sämtlichen
Volks- und Mittelschulen Spielnachmittage einzufuhren, dazu die die Aufsicht
führenden Lehrkräfte zu honorieren und gegen Haftpflicht zu versichern.
(Posener Neueste Nachrichten.)
— Li einer wissenschaftlichen Versammlung des Wiener medizini-
schen DoktorenkollegiuniB am 2. April hielt, wie wir dem Wiener
Extrablatt entnehmen, der Vorstand der ersten Wiener Augenklinik Hof-
rat Professor Dr. Schnabel einen Vortrag über Schule und Kurzsichtig-
keit. Redner vertrat die Ansicht, daß die Schule in erster Linie und fast
ausschließlich für die Produktion von Kurzsichtigen verantwortlich zu machen
sei. Dem Vortragenden stand für seine Untersuchung das wertvolle stati-
stische Material von mehr als löOOO Fällen zur Verfügung, die ambula-
torisch in der Klinik untersucht wurden. Dies ist zwar keine bedeutende Zahl,
doch kam der Vortragende, dank seiner klassischen Untersuchungsmethode, zu
überaus interessanten, ja überraschenden Resultaten. Danach ist die hoch-
gradige Kurzsichtigkeit in den seltensten Fällen auf eine Veränderung in der
Refraktionsfähigkeit des Auges zurückzuführen, wie bei der mittleren und bei
der geringen Kurzsichtigkeit. Die hochgradige Kurzsichtigkeit ist vielmehr
hauptsächlich eine Folge einer krankhaften Veränderung im Linem des Aug-
apfels, die als Staphyloma posticum bekannt ist. Für diese Art der Kurz-
sichtigkeit kann weder der Beruf, noch die dem Auge aufgebürdete Arbeit ver-
antwortlich gemacht werden und sie stellt wohl das Hauptkontingent zu den
kurzsichtigen Kindern, Arbeitern und anderen Personen, bei denen die Kurz-
sichtigkeit kaum auf Überanstrengung der Augen zurückgeführt werden kann.
Tatsache ist jedoch, daß die Schule viel mehr Kurzsichtige verlassen, als darin
aufgenommen wurden. Das gilt hauptsächlich von den Mittelschulen. Es ist
jedoch fraglich, ob diese erworbene Kurzsichtigkeit als ein Fehler, als unbe-
dingt nachteilig zu bezeichnen sei und ob darin namentlich in den Fällen von
geringer und in den leichteren Fällen von mittlerer Kurzsichtigkeit nicht bloß
274 Aus Kongressen nnd Vereinen.
eine Anpassungsfähigkeit des Auges zu erblicken sei. Wenn man — dies gilt
namentlich von den Anten — bei der nach dem 60. Lebensjahre gewöhnlich
eintretenden Weitsichtigkeit die Wahl hätte, ob man nicht der Weitsichtigkeit,
ja sogar der Normalsichtigkeit, eine geringe Kurzsichtigkeit vorziehen wolle,
würden sich gewiß viele, die anstrengende Augenarbeit zu leisten haben, für
die Kurzsichtigkeit entscheiden. Diese sei, abgesehen von der durch das
Staphyloma posticum hervorgerufenen, keine Krankheit des Auges, wie das auch
der Befund an der Leiche ergebe. Das Auge eines Kurzsichtigen unterscheidet
sich anatomisch nicht von dem eines normalsichtigen Menschen. Wenn daher
die Schulhygiene helle Beleuchtung der Schulzimmer, Bänke, welche den
Schülern nicht gestatten, das Auge allzusehr an ihre Arbeit heranzurücken,
femer mattes Papier und deutlichen, tiefschwarzen Druck vorschreibe oder
anstrebe, so seien zwar alle diese hygienischen Maßregeln sehr anerkennens-
wert, beruhen jedoch auf einer unrichtigen' Grundlage. Wäre die Schule, be-
sonders aber die Mittelschule und nicht die mehrfach erwähnte Erkrankung
der Augapfel wand für die hochgradige Kurzsichtigkeit verantwortlich zu
machen, dann müßte man sie als eine kulturfeindliche, weil augenmörderische
Institution bekämpfen. Dies sei aber nach dem Ausgeführten durchaus un-
richtig. Die Mehrzahl der hochgradig Kurzsichtigen erklärte, „von Geburt aus"
kurzsichtig zu sein, oder wenigstens soweit sie sich erinnern können.
— Die SchulkommisBion des ärztliohen Vereins in München hat
folgende Leitsätze für die körperliche Ausbildung der Mittel-
schüler aufgestellt:
Durch den Ministerialerlaß, der die Förderung der Jugend- und Turn-
spiele empfiehlt, ist eine neue Ära in der körperlichen Ausbildung der Mittel-
schüler eingeleitet. Damit dieser Erlaß aber tatsächlich die wünchenswerte
Wirkung erziehlt, sind folgende Forderungen (für beide Geschlechter) zu er-
füllen:
1. Die körperliche Ausbildung unserer Mittelschüler soll erfolgen durch
Turnen, Tumspiele, Wanderungen, Eislauf, Schwimmen usw.
2. Der körperlichen Ausbildung ist als Mindestmaß täglich eine Stunde,
wenn irgend angängig im Freien, zu widmen. Und auch im Winter soll keine
Unterbrechung stattfinden. Für ausreichende Tum- und Spielplätze muß bal-
digst von Seiten des Ministeriums gesorgt werden.
8. Die körperliche Betätigung stellt nur unter gewissen Bedingungen eine
Erholung und Kräftigung dar. Auch sie nimmt Körper und Geist in Anspruch.
Die Stunden für die körperliche Ausbildung dürfen daher nicht einfach in den
bisherigen Stundenplan eingefügt werden. Das würde eine Neubelastung der
Schüler bedeuten, die absolut unzulässig ist. Die nötige Zeit muß vielmehr
durch Einschränkung anderweitiger Anforderungen gewonnen werden. Nach
dem Turnen und den Tumspielen dürfen geistige Anstrengungen durch Unter-
richt oder Hausaufgaben nicht ohne genügende Pause verlangt werden.
4. Am besten wird der gesamte Unterricht auf den Vormittag verlegt.
Jedenfalls müssen die anstrengenden Lehrgegenstände vormittags erledigt wer-
den, den leichteren Fächern und der körperlichen Ausbildungen soll der Nach-
mittag gewidmet sein. Hausaufgaben sollen nach Möglichkeit eingeschränkt
werden.
ö. Die Beteiligung an den Turnspielen usw. ist obligatorisch zu machen.
Die Wahl der Spiele soll den Schülern freigestellt sein.
Schnlärztiiches. 275
6. Beanfsichtigang dnrch Fachlehrer ist nur zur Yerhütnng gesundheit-
licher Schäden bezw. zur Einfuhrung in die Spiele wünschenswert.
7. Der von obligatorischen Stunden freizuhaltende Sonntag soll ausschließ-
lich der körperlichen und geistigen Erholung gewidmet werden.
In einer ausführlichen Begründung der Leitsätze sollen alle Leitmotive,
die zu der endgültigen Fassung der Leitsätze geführt haben, auseinander ge-
setzt werden und diese nebst den Leitsätzen in einer Broschüre zusammen-
gefaßt den interessierten Kreisen zugeschickt werden.
Die Schulkommission hatte am 13. März eine gemeinschaftliche
Sitzung mit verschiedenen Professoren von Miftelschulen und ein-
zelnen Landtagsabgeordneten veranstaltet, um gemeinsam über die hygie-
nischen Forderungen in der Schule zu beraten und vor allem über die von der
Schulkommission aufgestellten Leitsätze zu diskutieren. Dem ausführlichen Be-
rieht hierüber in der Münchener Medizinischen Wochenschrift (1906 Nr. 13)
entnehmen wir folgendes: Im allgemeinen war man einig, daß vom Stunden-
plan der humanistischen Gymnasien manches gestrichen werden könnte. In
den oberen Klassen könnte der lateinische und griechische Stil eingeschränkt
und in den unteren Klassen die lateinische und griechische Grammatik ver-
einfacht werden. Die Hausaufgaben seien zwar notwendig, könnten jedoch
reduziert werden, wenn ein Lehrer auf den andern Bücksicht nähme ; dreiviertel
derselben könnten wegfallen. Das Absolutorium müsse abgeschafft werden, da
man gut darauf verzichten könne; es würde dadurch viel Zeit gewonnen wer-
den. Größere Hausaufgaben sollten nie am Montag eingesammelt werden,
sondern stets Ende der Woche, um nicht den Begriff der für die Schüler ge-
botenen Sonntagsruhe illusorisch zu machen. Bezüglich des Vormittagsunter-
richts wurde hervorgehoben, daß der gesamte Yormittagsunterrichts sich nicht
für die Praxis festlegen lasse, der wissenschafbliche Unterricht müsse aber ganz
auf den Vormittag gelegt werden. Von seiten der Schulmänner erklärte man
sich bereit, über folgende zwei Punkte einen Entwurf auszuarbeiten:
1. Was kann man im Schulbetriebe ausschalten, ohne das Ziel der Schule
zu schädigen?
2. Was wird durch diese Ausschaltung gewonnen? Wie würde sich ein
neuer Stundenplan gestalten?
IV. Schalärztliches.
TagesgeschlclitliclLe Nachricliten.
— In Köpenick wurden mit Beginn des neuen Schuljahres für die Ge-
meinde- und höheren Schulen der Stadt sechs Schulärzte mit einem Houorar
von 35 Pfennig pro Jahr und Kind angestellt.
— In HlldeBheim wurden zum 1. April vier Schulärzte für die Volks-
schulen angestellt.
— In Berlin ist die Vermehrung der Schulärzte jetzt beim Schluß des
Schuljahres erfolgt. Die Zahl dieser Ärzte ist von bisher 36 auf nun 44 er-
höht worden. Während im letzten Jahre die Zahl der Schulen, die den ein-
zelnen Ärzten zugewiesen waren, zwischen sieben und neun geschwankt hatte.
276 Besprechungen.
weiden fortan 24 Ärzte je sechs Schulen nnd 20 Ärzte je sieben Schulen zu
versorgen haben, um diese annähernd gleiche Verteilung der Schulen zu er-
reichen, sind sämtliche Schularztbezirke neu abgegrenzt worden, so daß von den
jetzigen Bezirken keiner mehr sich völlig mit einem der früheren deckt. Da-
bei hat der bisher beobachtete Grundsatz, daß jeder Schularztbezirk immer nur
innerhalb eines der zwölf Schulkreise Berlins liegen soll, zum ersten Male
preisgegeben werden müssen. Mehrere der neuen Schularztbezirke bestehen
aus Teilen zweier einander benachbarter Schulkreise.
— Ulm will zum Zwecke der Zahnpflege in den Schulen einen Schul-
zahnarzt mit AusschlielSung der Frivatpraxis anstellen.
V. Besprechungen.
Vom HilfBBchiüwesen. Sechs Vorträge. Von Dr. B. Maennel. („Aus Natur
und Geisteswelt." Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Dar-
stellungen aus allen Gebieten des Wissens. 73. Bändchen.) Verlag von
B.G.Teubner in Leipzig. [VIII u. 140 S] Preis geh. Mk. 1.-, geb. Mk. 1.25.
Eine der schwierigsten, zugleich aber auch dankbarsten Aufgaben, vor die
sich die moderne Volksschul-Pädagogik gestellt sieht, ist die Ausbildung der
körperlich und geistig zurückgebliebenen Kinder. Immer stärker bricht sich
die Überzeugung Bahn, daß die unter der Durchschnittszahl zurückbleibenden
Kiemente einer besonderen nach eigenen Grundsätzen verfahrenden Erziehung
bedürfen. Diese soll ihnen die Hilfsschule vermitteln. Wer sich in Kürze über
alle hierfür in Betracht kommenden Fragen orientieren will, dem sei ein soeben
in Teubners Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" erschienenes Bändchen
„Vom Hilfsschulwesen" wärmstens empfohlen. Der Verfasser, Dr. Maennel,
schildert auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen und unter Benutzung der
gesamten Literatur in knapper aber erschöpfender Weise alle das Hilfsschul-
wesen betreffenden Probleme. Er behandelt u. a. das Aufnahmeverfahren, die
Eltern und die Lebensverhältnisse der Hilfsschüler vor und während der Schul-
zeit, die Gesundheitsverhältnisse der Hilfsschüler, das Hilfsschulhaus, den Lehr-
plan, das Lehrverfahren usw. Das Bändchen dürfte nicht nur das Interesse
aller der Kreise erwecken, die im Dienste der öffentlichen und privaten Volks-
wohlfahrt stehen, sondern auch die Auftnerksamkeit der Geistlichen, Ärzte,
Juristen, Offiziere und Verwaltungsbeamten erregen, die bisher dem Hilfsschul-
wesen mehr oder weniger fremd gegenüberstanden.
Günther: Zur Zahnpflege in der Schule. Zentralblatt für allgemeine Ge-
sundheitspflege. 25 Pfg. 1 u. 2.
Um der Zahnfäulnis und dem geradezu seucheartig verbreiteten Zahn-
veriall der Kinder wirksam entgegen zu treten, bedarf es nicht allein der Unter-
suchungen und Statistiken über die Erkrankungen der Zähne, und dann der
Zahnkliniken, obwohl letztere außerordentlich viel Gut^s schaffen können,
sondern allgemeinerer Maßregeln. Verfasser schlägt vor, die Kinder die Mund-
und Zahnreinigung in der Schule gemeinsam vornehmen zu lassen, und zwar
nach dem Frühstück etwa in der zweiten Pause, und nachmittags vor dem
Beeprechnngen. 277
Unterricht. Hierzu müßte wanueB Wasser beschafft werden, was ja in den
neueren mit Badeeinrichtongen versehenen Schulen keine Schwierigkeit be-
reiten wurde; wo dieee nicht vorhanden, müßte auf andere Weise för warmes
Wasser gesorgt werden. Für jedes Kind sei eine Bürste, ein Becher, etwas
Kreide und für die Allgemeinheit eine Karboliösung in Alkohol unter der
nötigen Aufsicht erforderlich. Für die Kosten der Anschaffung dieser Uten-
silien müßten Staat und Gemeinde aufkommen. Die Reinigung der Zähne
könnte in den Baderäumen oder andern mit Blechrinnen versehenen R&umen
vorgenommen werden. Wir schließen uns dem Verfasser an, daß diese Ein-
richtung, wenn sie auch anfangs auf Schwierigkeiten stoßen sollte, sich doch
ihre Berechtigung und Anerkennung erringen würde.
Fischer, Albert: Zur Schulbankfrage. B. W. Geh eis Verlag, Großlichter-
felde. 40 Pfg.
Bei Vergleich ung der Kettig-, Zahn- und ü h Im an n sehen Bank kommt
Verfasser nach Abwägen der Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme zu
dem Schluß, daß die Uhlmannsche Bank den Vorzug verdient. Obwohl mit
Pendelsitz ausgerüstet lauten doch alle Auskünfte von Schulmännern über diese
Bank giinstig. Um die Reinigung der Klasse noch zu erleichtern, veranlaßte
Verfasser, daß die Bänke auf halbrunde Eisenschienen von 6 mm Höhe gestellt
wurden, auf welchen die Bänke vermittels der unter den Schwellen angebrachten
Rollen leicht hin und her geschoben werden können. Vom werden die Bänke
durch einen Hebel, der nur durch den Schuldiener zu lösen ist, festgehalten.
Beim Reinigen löst der Schuldiener den Hebel, zieht die Bank durch leichtes
Heben nach vom und setzt sie nieder. Die hinteren Bänke kann er dann nach
Belieben nach vom schieben.
Moses: Zur Hygiene der Schulbank in den Hilfssohulen für Schwach-
befähig^te. Zeitschrift für Schulgesuudheitspflege 1905, Nr. 11.
Bei der Schulbankfragc in den Hilfsklassen müssen gewisse hygienische
Grundforderungen festgehalten werden. Eine dieser ist die Freilegung des
Fußbodens behufs gründlicher Reinigung. Keine Methode erfüllt diese Forde-
rung besser als das Umkippen der Schulbank, was bei der Rettigbank geschieht.
Verfasser hält deshalb entgegen den Ansichten von Otto Schmidt, F. Weigl
und K. Basedow die Rettigbank als die für Hilfsschulen geeignetste. Eine
weitere Forderung ist das Fußbrett, welches neben den gesundheitlichen Vor-
teilen auch für den Lehrer dadurch wertvoll ist, daß den Schülern ein höheres
Sitzen ermöglicht wird. In den Hilfsklassen variieren die Größenunterschiede
allerdings mehr als in andem Klassen, so daß man, wenn man an dem Prinzip
der individuellen Gruppierung unbedingt felthalten will, mit den für eine
Klasse vorgesehenen drei Bankgrößen der Rettigbank nicht auskommt. In
einer Hilfsklasse in Mannheim würde man fünf ßankgrößen notwendig haben.
Abgesehen nun davon, daß man ohne Schädigung des Kindes ruhig 4 cm über
das exakte Gruppenmaß nach oben und unten hinausgehen kann, würde doch
die Verschiedenheit der notwendigen Bankgrößen in den Hilfsklassen nicht ein
Verlassen eines Systems der Schulbank mit fixen Teilen, das sonst hygienische
Vorteile bietet, bedingen zugunsten einer verstellbaren Bank, selbst wenn man au
der Forderung, daß jedes "Kind genau die seiner Größe entsprechende Bank be-
kommt, festhält. Denn, wo Hilfsklassen sind, hat man es in der Regel mit
Gesunde Jugend. Y. 11/13. 19
278 Besprechungen .
einem größeren yolksBchnlorganismus zu tun, and hier ist es leicht, aus dem
Bestand an Bettigbänken die notwendigen BankgrOßen zusammenzustellen.
Lange, Fritz: Sohiüe und Korsett.') Münchener Mediz. Wochenschrift,
1906, Nr. 13.
Darin stimmen die Ansichten aller Ärzte überein, daß jedes starke
Schnüren in hohem Maße gesundheitsschädlich und unter allen Umständen zu
verwerfen ist. Es gibt aber viele Frauen und Mädchen, die ihr Korsett nicht
im eigentlichen Sinne schnüren, sondern dasselbe nur benutzen, um eine Stütze
für den Rücken zu finden und den Druck der Rockbänder zu verteilen. Doch
auch hiergegen muß man einwenden, daß ein Korsett nie so lose angelegt wer-
den kann, wie z. B. die Weste des Mannes, daß es nicht die Ein- und Aus-
atmung behindert. Nach Beobachtungen, die Verfasser in seiner Praxis als
orthopädischer Chirurg auch bei ganz lose sitzenden, von ihm selbst aus-
gesuchten Korsetten machen konnte, ergab sich, daß im Korsett die Bewegung
der unteren Brustkorbhälfte fast ganz unmöglich war. Aus dem Tragen des
Korsetts erklärt sich daher nach Oberzeugung des Verfassers und anderer
Autoren die kostale Atmungsweise der Frauen. Denn während im ersten Jahr-
zehnt die Mädchen nicht anders atmen wie die Knaben, tritt alsbald nach An-
legen des Korsetts und Binden der Rockbänder in der Taille der kostale At-
muxigstypus auf. Diese Ruhigstellung der unteren Brustkorbhälfle hat aber
gesundheitsschädliche Folgen für den weiblichen Körper. Zunächst ist eine
Wachstumshemmung der unteren Thoraxpartie zu konstatieren, die, abgesehen
davon daß sie ein Schönheitsfehler ist, aber auch noch weitere Schädigungen
zur Folge hat. Die Atmung wird oberflächlicher, der Gasaustausch in den
Lungen nicht mehr genügend. Dadurch entstehen Störungen in der Blutbildimg,
vor allem die Chlorose. Völker, die kein Korsett tragen, kennen nach den
Beobachtungen vieler Forscher keine Chlorose.
Durch den kostalen Atmungstypus ist die Einschränkung der Zwerchfell-
bewegung bedingt, auf deren Ausbleiben die Häufigkeit der Magen- und Darm-
störungen bei Frauen und Mädchen zurückzuführen ist. Auch ftir die bei
Frauen öfter als bei Männern auftretenden Leberleiden, Bildung von Qallen-
steinen und Wanderniere ist das Korsett verantwortlich zu machen. Eine
Folge der durch das Korsett hervorgerufenen Schwächung der Rückcnmuskeln
sind die vielen Haltungsanomalien, vor allem die Skoliose, bei jungen Mädchen.
Bevor man nun dazu übergeht bei den Mädchen das Korsett zu beseitigen,
muß man die durch Tragen desselben geschwächten Rückenmuskeln wieder
stärken. Hierzu dienen gymnastische Übungen, die zu Hause an einfachen
Apparaten durchgeführt werden können. Sodann muß man für einen richtigen
Ersatz des Korsetts Sorge tragen. Gut bewährt hat sich das Münchener
Leibchen. Die Unterkleider werden an vier Laschen angeknöpft, welche der-
artig befestigt sind, daß der Zug der Unterkleider nicht über die Brust, son-
dern hinter derselben zu den Achselträgern führt. Die Strumpfbänder sollen
nicht an dem Leibchen, sondern, an der Innenseite der Oberschenkel vorlaufend,
au einem ringförmigen Gurt, der wie ein Bruchband oberhall» des Trochanter,
1) Referat, erstattet auf eine Anfrage des Lehrerinnenvereins in München
im Ärztlichen Verein daselbst.
Kleinere Mitteilungen. 279
hinten etwa in der Höhe der Spina posterior superior und vorne auf der Sym-
phyBe aufliegt, befestigt werden. Verfasser ist der Meinung, daß auch in
Deutschland die Bewegung gegen das Korsetttragen nicht aussichtslos sein
würde, wenn sie von den Ärzten nach Kräften unterstützt und von verständigen
Frauen praktisch durchgeführt würde. In Norwegen sei, dank der eifrigen Be-
teiligung der Mädchenwelt am Sport, das Korsett unter der weiblichen Jugend
fast verschwunden.
Heimann: Über einige neue Apparate aur Bestimmung der Helligkeit
auf ArbeitsplAtaen. ' Dissertation, Kiel 1906.
Verfasser vergleicht Webers Photometer, Webers Baumwinkelmesser,
Cohns Lichtprüfer, den Zinkschen Apparat und Wingens Helligkeitsprüfer be-
züglich ihrer Brauchbarkeit zu Helligkeitsbestimmungen auf Arbeitsplätzen.
Soweit es Billigkeit, Einfachheit und Handlichkeit anbetrifft, ist dem
Wingenschen Helligkeitsprüfer der Vorzug zu geben. Aber auch bezüglich der
Zeitdauer ist der Wingensche Apparat über die von Cohn und Zink zu stellen.
Eine Untersuchung nach Zink beansprucht 15 Sekunden, nach Cohn 95 Sekunden
mehr Zeit. Eine Vergleichung der Resultate nach Zink und Wingen ver-
glichen mit dem Weberschen Photometer ergab für Wingen eine etwa doppelt
größere Genauigkeit. Verfasser sthlägt deshalb vor, bei Lichtmessungen in
Schulen den Wingenschen Helligkeitsprüfer anzuwenden.*)
VI. Kleinere Mitteilungen.
— Der AuBBchuß für Sohulgesundheitspflege des Lehrervereins
Hannover-Linden hat eine Messung der Sehleistung der hannoverschen
Volksschüler mit Hilfe der vom Geheimrat Cohn konstruierten Prüfungstafel
veranlaßt, auch Fragen nach der Zahl und Sehleistung der Brillenträger, nach
der Farbe der Augen usw. in die den einzelnen Schulen vorgelegten Frage-
bogen aufgenommen. Im ganzen ist, wie wir der „Hannov. Schulztg." ent-
nehmen, die Sehleistung (Sl.) von 18324 Schülern festgestellt. Bei einer so
hohen Zahl Untersuchter ist das Ergebnis wohl unanfechtbar. Sollten hie und
da sich kleine Fehler eingeschlichen haben, so dürften sie das Endergebnis
doch kaum merklich beeinflussen. Die 18324 Schüler lesen 230839 Meter weit;
die Durchschnittsleistung ist also 12,698 Meter. Unter den Untersuchten sind
9145 Knaben und 9181 Mädchen. Die ICnaben haben eine Gesamt-Sl. von
121969 Meter, also eine Durchschnitts-Sl. von 13,340 Meter. Die Mädchen
weisen eine Gesamt-Sl. von 108870 Meter, also eine Durchschnitts-Sl. von
11,858 Meter auf. Es ist danach unleugbare Tatsache, daß jeder Knabe der
Stadt Hannover im Durchschnitt um 1,482 Meter weiter sieht, als jedes Mädchen.
1) Wingen hat nach dem Prinzip seines Helligkeitsprüfers einen neuen
Apparat konstruiert, der in seiner Handhabung noch bequemer für Licht-
messungen in Schulen ist und als „Beleuchtungsmesser^* von der Firma Krüß-
Hamburg hergestellt wird. Red.
19»
280 Kleinere Mitteilungen.
Die Knaben der 2. Klassen haben sogar ein Plus von 1,91 Meter. In einzelnen
Schalen ist der Unterschied noch erheblich größer. Zum Beispiel sehen die
Knaben der Bflrgerschnle 45 um 2,30 Meter, die Knaben der Bürgerschule 1-2
um 2,60 Meter, die der Kestnerstraße um 2,71 Meter und die Knaben der
Schule am Kleinen Felde gar um 3,04 Meter weiter als die Mädchen derselben
Schule. Woran liegt das auffallende Ergebnis? Schwankungen im Tageslicht
können den Unterschied nicht hervorgerufen haben ; denn die Beleuchtung war
bei Untersuchung der Mädchen sogar etwas günstiger als bei der der Knaben.
Die Knaben und Mädchen hatten 102 mal bedeckten Himmel, 47 mal Sonne und
Wolken wechselnd, die Knaben 33 mal bellen Sonnenschein, die Mädchen jedoch
38 mal. Daß femer die Mädchen von Natur geringere Sl. hätten, ist wohl nicht
auszunehmen, ist auch noch von keiner Seite behauptet worden. Also muß der
Grund in der verschiedenen Erziehung der Gesohlechter liegen. Und in der
Tat müssen die Mädchen weit mehr Naharbeit als die Knaben leisten. Während
die Mädchen schon früh und anhaltend zu weiblichen Handarbeiten und anderen
häuslichen Verrichtungen herangezogen werden, tummeln sich die gleichaltrigen
Knaben im Freien und erhalten unbewußt dadurch ihr Auge akkommodations-
f ähig. Nach der Statistik sind in den hannoverschen Yolhsschuleu 073 Knaben
gleich 7,3 Prozent, und 1066 Mädchen gleich 11,6 Prozent, die die Hakentafel
nicht bis auf 6 Meter erkennen konnten. Ihre Sl. blieb also unter der Norm,
die von den Ärzten fürs Zimmer gefordert wird. Auch in dieser Gruppe sind
es wieder die Mädchen, die eine weit höhere Zahl von schlechten Sehleistungen
aufweisen, als die Knaben. Ihre Zahl übertrifft die der Knaben um 392. Die
Mehrzahl der 1738 Kinder mit mangelhafter Sl. ist kurzsichtig, einzelne sind
übersichtig, andere augenkrank. Alle diese Kinider aber werden, auch wenn
man sie in die Nähe der Schultafel setzt, den Anforderungen des Unterrichts
nicht immer gerecht werden können. Die Sehleistung der allermeisten kann
aber zweifellos durch geeignete Brillen gebessert werden. Das haben jedoch
nur 112 Knaben oder 1,2 Prozent aller Knaben, und 201 Mädchen, das sind
2,2 Prozent aller Mädchen, die schon jetzt eine Brille tragen, erkannt. Den
OVj Prozent Schülern mit ungenügender Sl. stehen mithin nur 1,7 Prozent
Brillenträger gegenüber. Nach der von Geheimrat Dr. Cohn in Breslau, der be-
kannten Autorität in Augenhygiene, vorgenommenen Prüfung war die Zahl der
Brillenträger unter den Breslauer Yolksschülem nur halb so groß, nämlich
0,9 Prozent. Das scheint zugunsten der Breslauer Jugend zu sprechen. In
Wirklichkeit ist es aber gerade umgekehrt. Die Zahl der Abnormen beträgt
nämlich in Breslau 9,3 Prozent, in Hannover 9,6 Prozent; beide Zahlen sind
also annähernd gleich. Mithin haben die hannoverschen Volksschüler nicht
schlechtere Augen, sondern die hannoverschen Eltern und Lehrer haben weit
mehr als die Breslauer den Wert der Brille erkannt. Das wird sicherlich
günstig auf die Augen der Jugend wirken. Es muß aber auch hier in Hannover
noch mehr in dieser Beziehung geschehen. Soll die Messung der Sl. auch
nach dieser Seite einen praktischen Erfolg haben, so müßten die übrigen
1425 Anormalen von den Lehrern veranlaßt werden, sich in der Poliklinik von
einem Augenarzte oder vom Schularzte untersuchen zu lassen. Das Tragen von
geeigneten Brillen würde nicht nur ihren Augen, sondern auch dem Unterrichte
zugute kommen. Die Brillenträger vert<jilen sich, wie folgt, auf die einzelnen
Klassen: Alle 7. Klassen haben 8 Brillen = 0,28 Prozent. Alle 6 Klassen haben
29 Brillen » 1,06 Prozent. Alle 5. Klassen haben 80 Brillen ^ 1,32 Prozent.
Kleinere Mitteilungen. 281
Alle 4. Klassen haben 60 Brillen = 2,19 Prozent. Alle 3. Klasnen haben
62 Brillen = 2,38 Prozent. Alle 2. KlaBsen haben 68 Brillen = 268 Prozent.
Alle 1. Klassen haben 65 Brillen = 2,42 Prozent.
Hannover hat 5 Schulen, unter deren Schülern nicht ein einziger Brillen-
träger sich findet. Das wäre gewiß sehr erfreulich, wenn nicht dieser Tat-
sache die andere gegenüberstände, daß dieselben 5 Schulen 72 Schüler mit
einer 81. von 6 Metern und weniger haben. Eine dieser Schule ohne Brillen-
träger hat sogar allein 44 Schüler mit mangelhafter Sl. Unter den 1738 Kin-
dern mit mangelhafter Sl. wurden noch 38 ICnaben und 88 Mädchen gezählt,
die eine SL von nur 1 Meter und darunter haben. Daß die Augen dieser 121
Kinder einer besonders eingehenden Untersnohimg von seiten eines Arztes be-
dürfen, ist wohl selbstredend.
— In dem Ostseebad Kolberg soll Mitte April ein Schulsanatorium er-
öffnet werden, in welchem Kindern, far die aus irgend welchen Gründen längerer
Aufenthalt an der See äi-ztlicherseits erwünscht ist, Abhärtung, ärztliche Be-
handlung und gleichzeitig individuell angepaßter Schulunterricht geboten wird.
Das Schulsanatorium „Kinderheil" ist das ganze Jahr geöffnet. An der Spitze
des Unternehmens steht der bekannte Berliner Orthopäde Dr. Georg Müller.
— Der AuBBchuß Bur 8oha£fang dauernder öffentlloher Spielpl&tEe
in LeipBig, bestehend aus den Herren Oberlehrer Erbes, Justizrat Dr. Gensei,
Dr. med. Korman, Oberlehrer Dr. Tesmer, Privatmann Ulbricht und Lehrer
Zschommler, hat eine Angabe an den Rat der Stadt Leipzig veranlaßt, in der
unter Beruiung auf eine im Jahre 1903 vom hiesigen Tumlehrerverein einge-
reichte Petition der Rat darum gebeten wird, sich grundsätzlich für Her-
stellung und lDstandhQ.ltung dauernder öffentlicher Spielplätze von genügender
Größe und entsprechender Zahl zu entscheiden und diese Angelegenheit mit
den übrigen städtischen Verwaltungszweigen organisch zu verbinden. Diese
Eingabe trägt die Unterschriften folgender Vereine: Allgemeiner Deutscher
Verein für Schulgesundheitspflege, vertreten durch die Ortsgruppe Leipzig;
Ärztlicher Bezirksverein Leipzig- Stadt; Ärztlicher Bezirks verein Leipzig-Land;
Deutscher Verein für Volkshygiene, Ortsgruppe Leipzig; Gemeinnützige Gesell-
schaft; Verein für Volkswohl; Hygienische Gesellschaft; Abteilung für Schul-
gesundheitspflege des Leipziger Lehrervereins; Allgemeiner Turnverein zu
Leipzig; Turnverein der Südvorstadt; Tumgau des Leipziger Schlachtfeldes;
Tumlehrerverein zu Leipzig und Verband Mitteldeutscher Ballspielvereine, Orts-
gruppe Leipzig. Außerdem hat sich dieser Petition der Verband Leipziger
Schrebervereine angeschlossen und zwar in dem Sinne, daß er vor allem um
Erhaltung seiner Schreberanlagen bittet, weil diese die ersten und jahrzehnte-
lang die einzigen Spielplätze Leipzigs waren, weil sie auch heute noch für
manche Stadtteile die einzigen brauchbaren Spielplätze sind und bleiben wer-
den, da in diesen Gegenden keine anderen zu beschaffen sind, und weil end-
lich nach langjähriger Erfahrung die Seh reberspielpl ätze infolge ihres fami-
liären und ländlichen Charakters am besten geeignet sind, Kinder und Er-
wachsene anzuziehen und zur Erholung im Freien zu veranlassen. Gleiche
oder ähnlich lautende Eingaben sind von sämtlichen hier angeführten Ver«
bänden und Vereinen gerichtet worden: an das Leipziger Stadtverordneten-
kollegium, die Königliche Amtshanptmannschaft zu Leipzig, die Königliche
Kreishauptmannscbafk zu Leipzig, die Ständeversammlung des Königreichs
Sachsen und eui die Königlich Sächsische Staatsregierung.
282 Kleinere Mitteilnngen.
— Auf Ersuchen des GteBundheitsaussoliusses in Braunsohweig hat
der Magistrat durch Yermittlung der Lehrer Ermittelungen üher den Alkohol-
genuß der die städtischen Bürgerschulen besuchenden Kinder anstellen lassen,
deren Ergebnis jetzt vorliegt.
Damach trinken yon den die Bürgerschulen besuchenden 17858 Kindern
gelegentlich Wein 6771 oder 88,2 Prozent, Bier 11497 (66,2 Prozent), Brannt-
wein 2019 (11,6 Prozent); Arak, Rum, Kognak u.dgl. 4707 (27,1 Prozent); täg-
lich trinken Wein 140 (0,8 Prozent), Bier 1617 (8,7 Prozent), Branntwein 70
(0,4 Prozent), Arak, Rum, Kognak o. dgl. 191 (1,1 Prozent). Die Zahlen sind
verhältnismäßig am höchsten in den unteren Bürgerschulen (Volksschulen).
Dort trinken gelegentlich oder täglich Wein 28,9 bzw. 0,5 Prozent, Bier G7,8
und 8,8 Prozent, Branntwein 14,1 und 0,5 Prozent, Arak, Rum, Kognak u. dgl.
25,7 und 1,2 Prozent. Von den sämtlichen Kindern trinken 78 (0,4 Prozent)
schon vor Beginn des Unterrichts alkoholische Getränke. Zum Mittag- oder
Abendessen trinken alkoholische Getränke 4826 (24,9 Prozent). Die Frage, ob
sie gern alkoholische Getränke möchten, bejahten 6294 Kinder oder 36,8 Prozent.
In vielen Fällen haben Kinder mit den Eltern bis nach Mittemacht, hier und
da bis 4, 5, ja 6 Uhr morgens an Lustbarkeiten in Gasthäusern teilgenommen,
so daß sie beim Unterrichte dann schlaff, müde und unaufmerksam waren.
Vielfach wird über Nachlässigkeit und geringe Fortschritte derjenigen
Kinder geklagt, die häufig Alkohol trinken. Eine Lehrerin berichtet, daß diese
Kinder mit wenigen Ausnahmen zu den dümmsten, nervösesten, zerstreutesten
der Klasse gehören. Ähnlich lauten die Mitteilungen aus einer großen Reihe
von Mädchen- und Knabenklassen in den mittleren wie in den unteren Bürger-
schulen. Die betreffenden Kinder werden als geistig nicht rege, zerstreut, matt,
zerfahren, wenig leistungsfähig geschildert; sie nehmen überwiegend die unteren
Plätze der Klasse ein. Auch zeigt sich nicht selten moralische Minderwertig-
keit. Die geistige Spannkraft läßt gegen Ende der Unterrichtsstunden oder
des Schuljahres bei ihnen erheblich nach; ihr Auffassungsvermögen und ihr
Gedächtnis sind mangelhaft, was sich beim Rechnen besonders unangenehm
bemerkbar macht. Die besser befähigten Kinder zeigen beim Alkoholgenuß
oft ungleichmäßige Leistungen. (Magdeburgische Zeitung.)
— Der Magistrat in Sohöneberg hat in seinen diesjährigen Etat außer
den für die Unterbringung schwächlicher Kinder in Ferienkolonien bewilligten
17560 Mark zum ersten Male noch far Schülerausflüge 6200 Mark besonders
eingesetzt. Dieses Geld soll dazu dienen, den Volksschülem jeden Sonnabend
in den Ferien die Mittel zu einem Ausfluge zu gewähren. Auch die Schüler
und Schülerinnen der Hilfsklassen für Schwachsinnige sollen daran teilnehmen.
— Der Londoner Qrafschaftsrat beschäftigt sich sehr eingehend mit
der Frage der Verabreichung von Mahlzeiten an die Schulkinder in den
öffentlichen Volksschulen, und es ist eine diesbezügliche Gesetzes vorläge
in Vorbereitung. Um die Grundlage für die Vorlage zu finden, wurden in fünf
dieser Schulen, mit denen eine Kochschule verbunden ist. Versuche angestellt,
die sehr befriedigend verlaufen sind. An jeder Schule wurden täglich 50 Mit-
tagsmahlzeiten verabreicht, und die Kosten von Wohltätigkeitsanstalten und
freiwilligen Beiträgen, sowie auch Zahlung seitens der Eltern bestritten. Die
Kosten der Mahlzeit von drei Unzen Fleisch nebst Beilage von Pudding und
Gemüse, und einem nachfolgenden Pudding mit Pflaumenmus oder Marmelade
stellten sich auf 12 Pfennige pro Kopf. Das Kochen und die Bedienung hinzu
Kleinere Mitteilungen. 283
gerechnet, erhöht diesen Betrag um B Pfennige, so daß sich die Gesamtkosten
pro Kopf und Tag auf 20 Pfennige stellen. Die Mahlzeiten wurden in einer
der Vorhallen auf Tischen aufgetragen, die mit Tischtüchern hedeckt waren,
auf denen auch Blumen standen, und viele Kinder, sagt der Bericht, haben
wohl zum ersten Male in ihrem Leben da in einer anständigen Weise ihr Mahl
eingenommen. Für etwa 80 Prozent der Kinder trugen die Eltern die Kosten und
nur für 20 Kinder mußten die Mahlzeiten unentgeltlich beigestellt werden.
Dieses System auf alle Kinder in den Londoner öffentlichen Volksschulen an-
gewendet, würde jährlich für die Anschaffung der Nahrungsmittel einen Betrag
von 18 752Ö20 Mark und für das Kochen 12 541700 Mark, zusammen 31294220
Mark, erfordern. Die zur Prüfung der Frage eingesetzte Kommission glaubt
jedoch, daß nur etwa 100000 Kinder mit Mahlzeiten versehen werden müßten,
was täglich einen Kostenaufwand von 20820 Mark verursachen würde. Da
aber für 80 Prozent die Eltern die Zahlung übernehmen, so würden sich die
von der Gemeinde zu tragenden Kosten nur auf 4180 Mark täglich stellen. Die
Gesamtkosten für die 48 wöchige Schulzeit kämen daher auf etwa 900000 Mark;
da Wohltätigkeitsanstalten einen Beitrag von 200000 M. zugesichert haben, so
würde zur Deckung des Fehlbetrages nur eine Erhöhung der Umlagen pro
Pfund Sterling (20 Mark) um 2 Pfennige erforderlich sein. Die Wahrschein-
lichkeit liegt vor, daß der Antrag der Kommission, diese Verabreichung
von Mahlzeiten an den öffentlichen Volksschulen einzufuhren, angenommen und
das diesbezügliche Gesetz noch in der diesjährigen Tagung eingebracht wer-
den wird.
— Kurs für Kinderfürsorge in Frankfurt a. M. Die Zentrale für
private Fürsorge in Frankfurt a. M. veranstaltet vom 28. April bis 6. Mai d. J.
einen Kurs, deren Zweck sachgemäße Schulung freiwilliger wie besoldeter
Hilfskräfte in der Fürsorge ist; Organisation und Technik unserer modernen
Fürsorgebestrebungen bilden deshalb den Hauptgegenstand des Kurses. Dabei
werden die wichtigsten Anstalten, wie sie in Frankfurt und dessen Umgebung
die vielseitig entwickelte gemeinnützige Tätigkeit bietet, besucht und von den
Leitern eingehend erläutert. Im speziellen beschäftigt sich der diesjährige
Kurs mit folgenden Fragen:
1. Säuglings fürsorge: Säuglingssterblichkeit, Wöchnerinnenfürsorge,
Ammenwesen, Milchbeschaffung, Säuglingsheime und Säuglingsberatungsstelien,
Küstkinderwesen , Pflegestellenvermittlung, ärztliche und polizeiliche Aufsicht.
2. Vormundschaftswesen: Uneheliche Kinder: Ihre Rechtsverhältnisse,
Einzel- und Bemfsvormundschaft, Gemeindewaisenrat, Fürsorge und Aufsicht
des Vormundschaftsgerichts, Berufsausbildung nnd Kriminalität.
Elterliche Gewalt: Recht des Kindes auf Erziehung, Einschränkung der
Sorge für die Person, Erziehungs verfahren nach dem B. G.-B. und der Armen-
gesetzgebung, Vormundschaft und Zwangserziehung nach Reichs- und Landes-
recht.
3. Fürsorge für gefährdete, verwahrloste und schwachbe-
fähigte Kinder. Berufs Vormundschaft im Kampfe gegen Verwahrlosung und
Verbrechen, Zusammenarbeit des Vormundschafts- und Strafrichters, Mitwirkung
von Gemeindewaisenrat und Schule. Beobachtungsstationen für Zwangszöglinge.
Kinderherbergen, Anstalts- und Familienpflege, Rechte und Pflichten des Für-
sorgers. Berufsbildung der Zwangszöglinge, Lebrlingsheime. Erziehbarkeit
sichtlich verderbter Jugendlicher, Magdalenenasyle , Fürsorge für jugendliche
284 Kleinere IGtieüungen.
Gefangene. Kindergärten und Hüfdschulen ftix Schwachbefähigte. Unter-
bringung und Beaufsichtigung von Schwachbefähigten in Arbeitskolonien und
Familien. Geistige Minderwertigkeit und Zwangserziehung.
Zur Teilnahme an dem Kursus sind berechtigt Damen und Herren,
1. die praktisch in der Fürsorgearbeit, üreiwillig oder besoldet, tätig sind,
2) andere, soweit sie eine höhere Schule besucht haben.
Die Einschreibegebühr für den Kursus beträgt 10 Mk. Außer den
Kosten für den Aufenthalt in Frankfurt a. M. und die Ausflüge erwachsen den
Teilnehmern keine Ausgaben. Bei größerer Teilnehmerzahl werden Gruppen
unter besonderer Führung gebildet, damit Gelegenheit zu persönlicher Aus-
sprache stets geboten bleibt. Die Kursleitung legt besonders Gewicht darauf, daß
die Teilnehmer mit den Leitern und Mitarbeitern der besuchten Anstalten und
Vereine in nähere Berührung kommen und immittelbar dort alle Auskunft er-
halten. (Schweizerische Blätter für Schulgesundheitspflege 1904, Nr. 4.)
Berichtigimg.
S. 170, 7. Zeile von oben muß es heißen 800 7oo; S. 178, 8. Zeile von unten
Graber statt Grober; S. 175, 5. Zeile von oben statt Schare Schauer.
►
I. Allgemeine Sitzung.
Mittwoch, den 14. Juni morgens 9 Uhr im Vortragssaal
des Landesgewerbemaseums.
Der Vorsitzende Professor Dr. med. et phil. Griesbach eröffnet
die Versammlmig.
Staatsminister des Kirchen- und Schulwesens Dr. von Weiz-
säcker, Exzellenz:
Seine Majestät der König, mein allergnädigster Herr, hat mir den
ehrenvollen Auftrag erteilt, den Verein bei seiner 6. Jahresversammlung
in Seinem Namen zu begrüßen und Ihren Verhandlungen besten Erfolg
zu wünschen. Wenn so in wohlwollender Weise an höchster SteDe
I Interesse Ihren Bestrebungen entgegengebracht wird, so hat dies seinen
I Grund darin, daß das Ziel gerichtet ist auf die Hebung und Förderung
der Kraft unserer Jugend, des größten Schatzes der Nation. Im Besitz
dieses Schatzes können wir der Zukunft ruhig entgegensehen. Nicht
ein Hemmnis, sondern eine Förderung der Entwicklung zu tatkräftigen
Menschen soll die Schule unserer Jugend bieten. Man sagt bei diesem
allem so oft: mens sana in corpore sano. Gestatten Sie mir, auf die
umgekehrte Wechselwirkung hinzuweisen, auf die Stählung des Körpers,
welche durch einen allseitig gebildeten, in strengster Pflichterfüllung ge-
wöhnten Geist bewirkt wird. In Württemberg hat man den schulhygie-
nischen Fragen stets Interesse entgegengebracht. Wir sind entschlossen,
' auf dieser Bahn weiterzugehen. Die beteiligten Ministerien verfolgen
I mit voller Würdigung die Bewegung der modernen Schulhygiene, und
I so kann ich Sie auch im Namen der Regierung herzlich wiUkonmien
1 heißen. Mögen Ihre Verhandlungen stets das Richtige treffen und so
zum Wohl des Ganzen dienen!
Geh. Oberbaurat Delius, Berlin, vortragender Rat im kgl.
preuß. Ministerium der öffentlichen Arbeiten:
Meine Damen und Herren!
Ich habe den ehrenvollen Auftrag, den Teilnehmern an der sechsten
j Jahres versanunlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für Schulgesund-
I heitspflege die herzlichsten Grüße aus Berlin zu überbringen. — Im ver-
gangenen Jahre, auf dem I. Internationalen Kongreß für Schulgesundheits-
I pflege in Nürnberg, hatte ein besonderer Vertreter aus dem Kgl. Preuß.
! Kultusministerium die Ehre, der hohen Versanmilung die Grüße des
Herrn Ministers und aufrichtigen Wünsche für ein reiches Erträgnis
Ihrer Arbeiten und Verhandlungen zu übermitteln. Wenn Sie in diesem
Verhandlungen 1905. 1
2 Verhandl. d. VI. JaLresversammlung d. Allgem. Dentscb. Vereins etc.
Jahre einen Vertreter dieses Ministeriums hier nicht sehen, so hat dies
seinen Grund nicht etwa in einem Nachlassen des Interesses an Ihren
Bestrebungen, sondern lediglich in rein äußerlichen, hier nicht näher zu
erörternden dienstlichen Behinderungen der betreffenden Beamten. Ich
darf yersichem, daß das Interesse der preußischen ünterrichtsverwaltung
an den jetzt wieder beginnenden Arbeiten dieser kenntnis- und erfahrungs-
reichen Versammlung ein ungeschmälertes ist, und wenn ich auch als
Bautechniker nur in beschränktem Maße und in ganz bestimmter Rich-
tung hier . mitraten und -taten kann, so werde ich doch nicht verfehlen,
Ihren Vorträgen auch auf das schul- und medizinisch-technische Gebiet
möglichst zu folgen und über das jedenfalls wieder reiche Ergebnis ge-
hörigen Orts zu berichten.
Mögen Ihre Arbeiten und Beratungen gesegnet sein; mögen sie wert-
volle Güter für unsere Schuljugend zeitigen!
Präsident von Nestlen vom Medizinalkollegium:
Hochansehnliche Versammlung!
Namens des K. MedizinalkoUegiiuns habe ich die Ehre, für die unserm
Kollegium (seitens der Herren Vorsitzenden Ihres Vereins und des Stutt-
garter Ortsausschusses) zugekommene freundliche Einladung zur Teilnahme
an Ihrer Versammlung verbindlichst zu danken, Ihnen die Grüße des
Medizinalkollegiums und Wünsche für Ihre Tagimg auszusprechen und
das Interesse zu bekunden, welches wir den Bestrebungen Ihres Vereins
entgegenbringen.
In Württemberg wird schon lange von seiten der Medizinalverwal-
tung im Zusammenwirken mit der Schulbehörde den hygienischen Ver-
hältnissen der Schule besondere Beachtung geschenkt; ich begnüge mich,
auf die seit Jahrzehnten bestehenden und wohlbewährten Gemeinde- und
Bezirksmedizinal Visitationen hinzuweisen, bei welchen von jeher den
Schulen nach verschiedener Richtung alle Aufmerksamkeit zugewendet
wird. Auch zurzeit sind die Schulverwaltungen und die Medizinal-
verwaltungen in gemeinsamer Arbeit bemüht, den anerkannten Hygiene-
anfordenmgen durch weiteren Ausbau der Fürsorge für die Schule und
die Schüler gerecht zu werden.
Aber wie es unrecht wäre, der Schule alle Schuld oder auch nur
die hauptsächliche Schuld zuzumessen an den Mängeln und Schäden,
welche bei der heranwachsenden Jugend wahrgenommen werden, so töricht
wäre es, von der Durchführung einzelner Besserungsvorschläge allzuviel
zu erhoffen, wenn nicht gleichzeitig denjenigen Faktoren außerhalb der
Schule Beachtung geschenkt wird, von welchen der Jugend meines Er-
achtens zweifellos größere Gefahr droht und mehr Schaden zugefügt
wird, so insbesondere — um nur das eine zu erwähnen — durch vorzeitige
Heranziehung der Jugend zur Teilnahme an leiblichen und geistigen Ge-
nüssen und Vergnügungen in der Familie und im gesellschaftlichen Leben.
Fast ist zu befürchten, daß, je mehr die Inanspruchnahme der Jugend
in der Schule und für die Schule in bester Absicht beschränkt wird,
um so mehr Gefahr von Seiten jener anderen Faktoren erwächst, indem
die hier freiwerdende Zeit für jene anderen Dinge in Anspruch zu nehmen
versucht werden wird.
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc. 3
Weit entfernt, die Berechtigung und den Wert der Bemühungen zur
Besserung auf dem Gebiet der Schule bestreiten zu wollen, möchte ich
nur darauf hinweisen, wie auch hier das eine zu tun und das andere
nicht aus dem Auge zu lassen ist; ich wünsche aufrichtig, daß Ihre be-
vorstehenden Verhandlungen, daß der Austausch Ihrer aus dem Leben
geschöpften reichen Erfahrung und die Mitteilung der Ergebnisse ernster
gründlicher Forschung berufener Fachmänner dazu beitragen möchte,
Mittel und Wege zu finden, damit das heranwachsende Geschlecht, dank
der der Jugend zugewendeten Fürsorge, körperlich erstarkt und geistig
wohlausgerüstet, beim Eintritt in das Mannesalter seiner Pflichten sich
bewußt das, was die Zeit von ihm fordert, zu leisten vermöge, zum
Wohl unseres deutschen Volkes und Vaterlandes.
Professor Dr. von Weyrauch, Prorektor der techn. Hoch-
schule, Stuttgart:
Auch die techn. Hochschule zu Stuttgart freut sich, Ihren Verein
bei seiner Tagung in unserer Stadt herzlich begrüßen zu können. Wie
der Zweck der gesamten Technik dahin geht, di« Gesundheits- und Lebens-
verhältnisse und damit die geistige Befreiung der Menschen zu fördern,
so haben wir stets auch der Hygiene besondere Aufmerksamkeit zuge-
wandt. Sie bildet nicht nur einen Lehrgegenstand imserer mathematisch-
naturwissenschaftlichen Abteilung, an der mehrere Mitglieder dieser Ver-
sammlung und Ihres Vereines über die verschiedenen Zweige der Hygiene
vortragen; ihre Ergebnisse werden auch sofort in die Tat umgesetzt, in-
dem sie bei den Bauten unserer Architekten wie bei den industriellen
und Verkehrsanlagen der Ingenieure eine immer weitergehende Berück-
sichtigung finden. Der Entwurf neuer Bestimmungen für die Staats-
prüfungen auf diesen Gebieten setzt ausdrücklich fest: In allen ein-
schlägigen Fächern wird Wert auf die Kenntnis der Anfordenmgen der
Gesundheitspflege gelegt. Wir haben also ein sehr greifbares Interesse
an Ihren Bestrebungen und wünschen Ihnen um so mehr besten Erfolg
der bevorstehenden Verhandlungen und fröhliche Tage in Stuttgart.
Medizinalrat Dr. Engelhorn-Göppingen, namens des Württemb.
ärztlichen Landesvereins:
Es gereicht mir zu ganz besonderer Freude die Teilnehmer an der
6. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für Schul-
gesundheitspflege im Namen der wüi^tembergischen Ärzte in unserer
schönen Landeshauptstadt begrüßen zu dürfen. Kommen Sie doch nicht
als Fremde zu Fremden, sondern als Freunde zu Freunden, die das
Band der gemeinsamen Arbeit an der gleichen Aufgabe verknüpft. Denn
die württerabergischen Ärzte sind hinter den übrigen Kollegen des Reiches
nicht zurückgeblieben, wenn es sich um die Förderung der Schulgesund-
heitspfleg« handelte. Dies haben sie jederzeit bewiesen, in letzter Zeit
durch ihre offizielle Vertretung auf dem ersten Internationalen Schul-
hygienekongreß in Nürnberg, durch ihre Verhandlungen über die Schul-
arztfrage auf ihrer vorjährigen Landes Versammlung und insbesondere durch
die große Zahl von Männern, welche in Wort, Schrift und Tat für die
Entwicklung unserer Lehre eingetreten sind. So können wir uns heute
der freudigen Zuversicht hingeben, daß auch Ihre diesjährigen Verhand-
1*
4 Verhandl. d. VI. Jahresvenammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc.
lungen auf einen wohlvorbereiteten Boden fallen und auf alle unsere
scbulhygienischen Bestrebungen ebenso eine befruchtende Wirkung aus-
üben als auf die Pflege freundschaftlicher und kollegialer Beziehungen,
denen wir so manche nutzbringende Anregung verdanken. Mit dem
Wunsche für einen gedeihlichen Verlauf Ihrer Tagung rufe ich Ihnen
im Namen der württembergischen Ärzte ein herzliches „Willkommen in
Schwaben" zu.
Dr. Bauer, namens des Stuttgarter Vereins für Schulgesundheits-
pflege:
Gestatten Sie auch dem hiesigen Zweigrerein des Allgemeinen
Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege einige Worte der Be-
grüßung.
Und da lassen Sie mich mit einem Geständnis beginnen. Als in
Nürnberg die Frage erörtert wurde, ob die nächstjährige Tagung nach
Stuttgart verlegt werden solle, da habe ich mit ziemlich gemischten Ge-
fühlen einige einladende Worte gestammelt. Nicht als ob wir uns nicht
gefreut hätten, Sie hier zu begrüßen, nicht als ob wir Ihr Kommen
nicht als hohe Ehre fär unsern Verein empfunden hätten. Wir waren
uns auch wohl bewußt, daß aus Ihrer Tagung unser Verein und unsere
Bestrebungen großen Nutzen ziehen würden. Aber wir fürchteten, der
Aufgabe, die uns gestellt wurde, nicht gewachsen zu sein. War doch
unser Verein, einer Anregung Ihres Herrn Vorsitzenden folgend, erst
wenige Monate zuvor ins Leben getreten, allerdings mit der für eine
Vereinsgründung nicht gerade kleinen Zahl von etwas über 40 Mit-
gliedern. Denn wir hatten einen günstigen Zeitpunkt gewählt. Durch
mancherlei Preßäußerungen, nicht in letzter Linie durch eine breit an-
gelegte Agitation für Verminderung der Hausaufgaben war das Interesse
für die Schule wieder reger geworden. Man hatte sich darauf besonnen,
daß die Erziehung, eine geistige und körperliche Ausbildung unserer
Jugend, nicht ausschließlich Sache der Behörden und der Schule, daß die
Schulhygiene nicht nur ein Gegenstand rein akademischer Erörterung
auf Kongressen sei, sondern daß hier Fragen erörtert werden, an deren
endgültiger Lösung das Elternhaus in ei^ster Linie interessiert ist, daß
dem Elternhaus die Pflicht und damit auch das Recht erwächst, an der
Lösung dieser Frage aktiv mitzuwirken. Wo aber bietet sich diese
Gelegenheit, wenn nicht in den Vereinen für Schulgesundheitspflege?
Es haben die Lokal vereine die großen Fragen, welche im Haupt-
vereine zur Erörterung stehen, zu verfolgen und das Verständnis für sie
zu wecken, sie haben vor allem an der Hauptaufgabe unseres Erziehungs-
wesens mitzuarbeiten, in der Groß betrieb- Schule der Individualität des
Schülers zu ihrem Rechte zu verhelfen. Sie haben aber auch noch die
zwar kleinere, aber doch dankenswerte Spezialaufgabe, der Individualität
des Ortes Geltung zu verschaffen. Schien uns so auch unsere Existenz-
berechtigung erwiesen, so bezweifelten wir; doch, ob wir nicht zum
Empfang einer so großen Versammlung eines mehrjährigen Trainings in
Vereinstätigkeit bedurft hätten. Und wenn Ihnen bei unseren Vorberei-
tungen manches unvollkommen dünkt, so vergessen Sie nicht eines, das
Kind, das zu konfirmieren Sie sich in Ihrer übergroßen Güte heute an-
Verhandl. d VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 5
schicken wollen, ist erst 1% Jahre alt. Es ruft aber, so laut es ihm sein
Alter und seine Krftfte gestatten, ein „herzlich willkommen in Stuttgart^S
Oberlehrer Krieg-Stuttgart, namens des Deutschen Lehrer-
vereins :
Sehr geehrte Versammlung!
Es ist mir eine besondere Ehre, Sie im Namen des Deutschen Lehrer-
vereins zu Ihrer heutigen Tagung begrüßen zu dürfen. Der Verein, in
dessen Auftrag ich das tue, umfaßt Lehrer aus allen deutschen Staaten
und zählt gegenwärtig weit über 100 000 Mitglieder. Es ist ja ganz
begreiflich, wenn die Aufmerksamkeit der Lehrer mit in erster Linie
auf die hier abzuhaltenden Verhandlungen gerichtet ist; sind sie es doch,
welche vor allen anderen interessiert sind an den Fragen, deren Lösung
der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege als seine Aufgabe be-
trachtet. Wer sollte mehr Interesse haben an Schulbauten, Schuleinrich-
tungen, Schulreinigung^ Schulferien und allem, was mit der Gesundheits-
pflege der Schüler zusammenhängt, als eben die Lehrer? Der Deutsche
Lehrerverein sieht darum in den Bestrebungen des Vereins für Schul-
gesundheitspflege nichts anderes als eine Förderung seiner eigenen Ziele,
und er hofft auf Ihre kräftige Unterstützung in seinen Bemühungen um
immer bessere Gestaltung des Schulwesens und der Schuleinrichtungen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihren Verhandlungen in unserer schönen
schwäbischen Hauptstadt den besten Erfolg.
Studiendirektor Professor Dr. Raydt, Leipzig, namens des
Zentralausschusses zur Förderung der Volks- und Jugendspiele in
Deutschland:
Der Zentralausschuß zur Förderung der Volks- und Jugendspiele in
Deutschland und insbesondere dessen Vorsitzender, der in gemeinnütziger
Tätigkeit unermüdliche Abgeordnete von Schenckendorff-Görlitz haben
mich beauftragt, Ihnen zu Ihrer heutigen Tagung die herzlichsten Grüße
zu überbringen und Ihren Arbeiten besten Erfolg zu wünschen. Wir
betrachten uns als einen Ihrer engsten Verbündeten. Was unsere Tätig-
keit in der Schule anlangt, so bildet sie freilich nur einen kleinen Teil
Ihrer umfassenderen Tätigkeit; es ist aber ein besonders wichtiger, denn
wenn wir die Leibesübungen in freier Luft immer mehr in unser Schul-
leben einführen, so machen wir unsere Jugend widerstandsfähig gegen
die Schädigungen, die mit dem Schulbesuch trotz aller hygienischen
Sfihutzmaßregeln immer verbunden sein werden.
Der Zentralausschuß bittet Sie, meine Herren vom Deutschen Verein
für Schulgesundheitspflege, dieses Sondergebiet der Leibesübungen in
freier Luft, insbesondere der Jugendspiele ebenfalls mit fördern zu helfen.
Wir sind ja in dem Bestreben einig, in allen deutschen Schulen ein
körperlich und geistig gesundes Geschlecht zu erziehen, zum Glück jedes
einzelnen im Volke und zum Segen für unser geliebtes Vaterland.
Professor Dr. Hartmann-Leipzig, namens des Verbands akad.
gebildeter Lehrer:
Der geschäftsfiührende Ausschuß des Verbands der Vereine akad.
gebildeter Lehrer Deutschlands hat mich beauftragt, dieser Versammlung
seine aufrichtigsten Grüße und Wünsche zu überbringen.
6 Verhandl. d. VI. JahresverBaminluiig d. Allgem. Deutsch. VereioB etc.
Indem ich mich dieses ehrenvollen Auftrags entledige, möchte ich
xngleich meiner Freude darüher Ausdruck gehen, daß unser Verband,
dem bereits über 30 Landes- und Provinzialvereine mit mehr als
12 000 Mitgliedern angehören, bereits im Anfang seines Bestehens der
Schulhygiene sein Interesse zugewandt hat, nicht nur durch seine Dele-
gierten, sondern, was noch mehr sagen will, dadurch, daß er für seine
nächste große Tagung 1905/1906 in Eisenach die Schulhygiene als einen
Hauptverhandlungsgegenstand in Aussicht genommen hat. Wenn es ein
Gebiet gibt, das allen Lehrern, allen Ärzten, allen Schulorten gleich-
mäßig angehört, so ist es zweifellos die Schulhygiene, denn sie hat es
mit den grundlegenden Voraussetzungen jeder gedeihlichen geistigen
Arbeit zu tun. Freilich wird das noch nicht allgemein erkannt und an-
erkannt, namentlich noch nicht allgemein in dem Stande, der dabei meist
vor allem interessiert ist, dem Lehrerstande, aber die Zeichen deuten
doch in verheißungsvoller Weise darauf hin, daß ein Wandel zum Bessern
sich vorbereitet, und im besonderen steht zu hoffen, daß der Verband
akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands, der die Forderungen der ge-
meinsamen Angelegenheiten des höheren Lehrerstandes auf seine Fahne
gezeichnet hat, mehr und mehr dazu kommen wird, in der Schulgesund-
heitspflege eine im eminenten Sinne gemeinsame Angelegenheit des ge-
samten höheren Lehrerstandes zu erkennen, daß er ein Werkzeug werden
wird, um die Erkenntnis der Schulgesundheitspflege in alle seine Landes-
und Provinz] alvereine hineinzutragen. Darin wird er sich auf das engste
mit den Bestrebungen dieses Vereins berühren und so sieht unser ge-
schäftsfELhrender Ausschuß dieser Versammlung mit dem regsten Interesse
entgegen und wünscht ihr den besten Erfolg.
Dr. phil. F. Zollinger, Sekretär des Unterrichts- und Er-
ziehungswesens des Kantons Zürich, namens der Schweizerischen
Gesellschaft für Schulgesundheitspfiege:
Grüße bringe ich Ihnen aus dem Schweizerland, herzliche Grüße
von der Schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege. Als bei
Anlaß unserer 6. Jahresversammlung, die am 14. imd 15. Mai dieses
Jahres in Luzern stattgefunden, die Einladung zu Ihrer Jahresversanmi-
lung uns kundgegeben wurde, da waren wir sofort entschlossen, dem
Kufe zu folgen und eine Delegation nach Stuttgart abzuordnen. So sind
wir denn unser zwei über die Marken unseres Landes gezogen, um an
Ihrer Tagung teilzunehmen.
Zwei Gründe sind es, warum wir gerne der Einladung Folge ge-
geben haben. Einmal weil wir wissen, daß wir bei Ihnen lernen können.
Ihre Verhandlungsgegen stände interessieren auch uns; da Ihnen ein
größeres Wirkungsfeld zu Gebote steht, verfügen Sie auch über reichere
Erfahrungen; diese nehmen wir gerne auf, um sie ffir unser kleines
Land nutzbar zu machen. Wenn es auch wahr ist, daß die Großen von
den Kleinen lernen können, so wird es doch Regel bleiben, daß die
Kleinen zu den Großen in die Schule gehen müssen.
Dann sind wir besonders gern hierher nach Württembergs Haupt-
stadt gekommen. Denn diesem Lande verdanken wir eine Reihe hervor-
ragender Männer, Pädagogen, die den Pestalozzischen Geist, der einst
Yerhandl. d. VI. Jahresverflammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc. 7
von Yverdon ausgegangen ist, in praktischen Formen in die Heimat
Pestalozzis zurückgetragen haben. Ich erinnere an Dr. Thomas Scherr,
der in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nach Zürich ge-
kommen, erst der Lehrer der Taubstummen war, dann als erster Seminar-
direktor das zürcherische Lehrerseminar und die Lehrerbildung in geist-
voller Weise organisierte, und an der Schaffung des neuen Yolksschul-
gesetzes in den dreißiger Jahren hervorragenden Anteil nahm, eines
Gesetzes, das im wesentlichen nahezu während 70 Jahren in Kraft war
und in seinen Grundzügen noch jetzt in Kraft besteht.
Dann nenne ich drei Männer unserer Tage, die in ausgezeichneter
Weise sich der Anormalen annehmen, bezw. angenommen haben: die
beiden Brüder KöUe, von denen der eine der Erziehungsanstalt ftti*
schwachsinnige Kinder auf Schloß Regensberg seit deren Gründung über
22 Jahre vorsteht, und der andere, der vor wenig Monden dahingegangen,
mit eben demselben Erfolg die schweizerische Anstalt fßr Epileptische
bei Zürich während nahezu 20 Jahren geleitet hat. Der dritte im Bunde
ist der derzeitige Leiter der Blinden- und Taubstummenanstalt in Zürich,
Direktor Kuli, der Nachfolger Schiebeis, eines andern Württembergers,
der ein ganzes Menschenalter dieser Anstalt vorgestanden hat.
und wie könnten wir eines Mannes vergessen , der zwar nie den
Boden des Schweizerlandes betret-eu, der aber das Schweizertum in seinem
Geiste erfaßt und ihm ein unvergänglich Denkmal gesetzt hat: Friedrich
Schiller! Es darf wohl behauptet werden, daß Schiller in keinem
Lande von einem ganzen Volke im Mai dieses Jahres so treu und wahr
und begeistert gefeiert worden ist, als wie bei uns. Schiller hat sich
das Ehrenbürgerrecht erworben im Schweizerland, das nicht auf Papier
noch Pergament geschrieben steht, das vielmehr eingegraben ist in jedem
Schweizerherzen und das bestehen wird, solange es Schweizer gibt!
Der Vorsitzende verliest folgende Adresse:
Le deuxieme Congres fran9ai8 d'hygiene scolaire salue cor-
dialement la Societe allemande pour Thygiene scolaire, et lui
envoie a Toccasion de sa sixieme assemblee generale annuelle,
ses voeux les plus sinceres.
Le President de la L. M. F.
11. VI 05 Dr. Albert Mathieu.
Professor Dr. med. et phil. Griesbach:
Exzellenz, meine Damen und Herren!
Im Namen des Vereins und seines Vorstandes danke ich den Herren
Vorrednern für die freundlichen Begrüßungsworte, sowie für das Inter-
esse und die Anerkennung, welche die von ihnen vertretenen hohen Be-
hörden, insbesondere das kgl. württembergische Staatsministerium und
das kgl. preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten und des Kultus,
unseren Bestrebungen zuteil werden lassen. Die Anwesenheit der Dele-
gierten zahlreicher Vereine, namentlich auch von Lehrervereinen, zeigt
uns, daß man dem Deutschen Verein für Schulgesundheitspflege überall
wohlwollend entgegenkommt. Ich glaube die Versammlung schon einmal
8 Verhandl. d. VI. Jahres verBammlting d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
voller gesehen zu haben, sie war auch schon leerer, aber so voller Lehrer
war sie noch niel (Große Heiterkeit.)
Hoffen wir, daß die Teilnehmerzahl von Jahr zu Jahr wftchst, und
daß uns neben den Ärzten die Lehrer auch künftighin nicht fem bleiben.
Gestatten Sie, daß ich, auch im Hinblick auf die Ausführungen einiger der
Herren Vorredner, hier in kurzen Worten einzelne Gebiete der Schul-
hygieae streife und darauf hinweise, wo am meisten zu tun übrig bleibt.
£s gibt sehr viele Schulmänner und auch noch Mediziner, die glauben,
daß das Schulgebäude und seine Einrichtungen den Hauptgegenstand der
Schulhygiene bilden.
Zweifellos ist die bauhygienische und bautechnische Seite unserer
Wissenschaft ein wichtiges Gebiet, und wir sind dankbar dafür, daß Staat
und Stadt demselben überall die größte Aufmerksamkeit zuwenden. Ja,
verehrte Anwesende, überall entstehen heute herrliche Schulpaläste
mit allem modernen Komfort ausgestattet, und wo es immer die Geld-
mittel zulassen, wird an den Gebäuden und ihren Einrichtungen nicht
gespart. Aber die Gebäudefrage ist doch noch nicht die Hauptsache,
und mir klang es fast wie Hohn, als ich in der gestrigen Nummer des
„Schwäbischen Merkur" einen Artikel las, der sich anderen Zweigen der
Schulhygiene gegenüber sehr kühl, um nicht zu sagen abweisend,
verhielt.
Unser heutiges Programm zeigt, daß noch andere Dinge Berück-
sichtigung verlangen.
Ich meine den schulärztlichen Dienst und die Unterrichtshygiene,
d. h. Dauer der Schulzeit, dienstliche Beanspruchung der Lehrer, Aufbau
und Methode des Unterrichts, Art und Anordnung der geistigen Arbeit
und Bemessung der Lehrpensa und Lebi'ziele nach physiologischen, psy-
chologischen und hygienischen Grundsätzen.
Es wird wirklich Zeit, daß wir nach dieser Richtung hin uns
einigen, daß Ärzte und Lehrer sich fragen: in welcher Weise ist hier
vorzugehen zum Heil und zum Segen der Jugend? Auch die Eltern
müssen wir für unterrichtshygienisclie Bestrebungen gewinnen. Sie dürfen
nicht die Hände in den Schoß legen und alles vom grünen Tisch der
Scbulverwaltung her über sich und ihre Kinder ergehen lassen. Unser
französischer Schwesternverein nennt sich Ligue des medecins et des
„familles", damit soll gesagt sein, daß er bestrebt ist, auch die Ansicht
der Eltern in unterrichtshygienischen Dingen zu hören. Die meisten
Eltern sagen zu alle dem, was die Schule von ihren Kindern verlangt.
Ja und Amen. Selbst di^ oberen Zehntausend sehen schweigend zu, wie
man ihre Kinder überbürdet.
Zwar ballen viele Väter die Faust in der Tasche, aber sie hüten
sich, ungesunde Systeme zur Sprache zu bringen, weil sie fürchten,
daß durch eine freimütige Äußerung ihren Kindern in der Schule Un-
gunst und Zurücksetzung zuteil werden könnte.
So zweifellos es auch ist, daß, wie Herr von Nestlen, der Präsi-
dent und Vertreter des württembergischen Medizinalkollegiums, bemerkte,
Gefährdung der jugendlichen Gesundheit im Hause, in der Familie, im
gesellschaftlichen Leben zu suchen ist, so muß ich mich bei meiner guten
Bekanntschaft mit dem Schulorganismus doch dahin aussprechen, daß der
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 9
ünterrichtsbetiieb ganz wesentlich an den Mängeln und Schäden der Ge-
sundheit unserer Jugend Schuld trägt. Wenn wir bei dem älteren
Schüler der höheren Lehranstalten eine Neigung zu Ausartungen, ein
Haschen nach Vergnügungen und gesellschaftlichen Genüssen wahrnehmen,
so beruht dies nicht selten auf der sehr begreiflichen physiologischen
Erscheinung, daß sich Körper und Geist aus dem Zustande chronischer
Ermüdung zu befreien trachten, in welchen der Schulbetrieb beide
öfters versetzt. Und wenn das Streben nach einer derartigen Befreiung
auf der Schule nicht gelingt, so wird dazu später eine falsche Ausnützung
der akademischen Freiheit verwendet, eine falsche Ausnützung, die ebenso
schädlich ist als die engherzige Beschränkung, wie wir sie vor kurzem
im Deutschen Beich erleben mußten.
Am Himmel der Unterrichtshygiene hängen manche dunkle Wolken.
Zum Ausgleich der geistigen Beanspruchung und der täglichen vielstün-
digen Sitzzeit, welche der Schulbetrieb mit sich bringt, fehlt es der
Jugend an genügender geistiger Erholung und ausreichender körperlicher
Betätigung. Wenn die Überbürdung schon gelegentlich in der Volks-
schule zu finden ist und dort. zum Teil durch allerhand ermüdende Be-
schäftigungen der Kinder vor und nach dem Unterricht hervorgerufen
wird, so erreicht sie in den höheren Lehranstalten einen viel höheren
Grad. Hierzu trägt wohl die weitgehende Arbeitsteilung, wie sie die
höhere Schule heute darbietet, nicht unbedeutend bei. Ich verkenne
nicht, daß durch die Arbeitsteilung eine Vermehrung und Vertiefung
insbesondere in denjenigen Fächern erreicht wird, welche den einzelnen
Schulgattungen ihr charakteristisches Gepräge verleihen, leider aber auf
Kosten der Gesundheit des Arbeitenden. Die Konzentrationsbestrebungen
in den alten Sprachen einerseits, in den neueren Sprachen, in der Mathe-
matik und den Naturwissenschaften andererseits sind vom Übel. Die
Schule soll ihre Zöglinge doch mit allgemeiner Bildung ausrüsten, aber
nicht mit Spezial wissen, wie es der Fachmann benötigt. Sie soll den
Geist schulen, aber ohne ihn mit zu umfangreichem und detailliertem
Wissen zu überladen. Statt die Lehrziele und Lehrpensa herabzusetzen
und sie zu vereinfachen, schraubt man sie immer höher und baut das
Lehrgebäude immer weiter aus ohne von überflüssigem Ballast abzulassen.
Ich erinnere an die Bestrebungen mathematischer und Naturforscher, für
ihre Gebiete im Schulbetrieb mehr Raum zu gewinnen, ich erinnere aber
auch daran, daß die Philologen von- ihren grammatischen Methoden nicht
abweichen und von ihren Pensen nicht ablassen wollen, ja letztere neuer-
dings noch wieder zu verstärken suchen. So kommt denn in unseren
höheren Lehranstalten inklusive der häuslichen Schularbeit in den mitt-
leren und oberen Klassen eine Arbeitssumme . von 9 — 12 Stunden täglich
heraus. Das hält kaum ein arbeitsgeübter Erwachsener aus, geschweige
denn ein Schüler zwischen 15 und 20 Jahren. Für Lieblingsbeschäfti-
gungen, für Teilnahme am Familienleben, für Erholimg, Spiel und Sport
im Freien läßt die höhere Schule keine Zeit. Unsere heutige Tages-
ordnung wird hoffentlich dazu beitragen, daß hierfür Zeit erübrigt wird.
Die Sitzzeit und die Belastung des jugendlichen Gehirns ist in Deutsch-
land erheblich größer als in irgend einem anderen zivilisierten Lande
und das gereicht der Gesundheit der deutschen Jugend sicher nicht zum
10 Verhandl. d. VI. Jahreaversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
Vorteil. Wir dürfen nicht nur mit der jetragen und der nächsten Gene-
ration rechnen, nein, die Schäden, die diesen zugefügt werden, unter-
liegen der gehäuften Vererhung und tragen dazu hei, die Nation immer
mehr zu schwächen. Es handelt sich also um den Lehensnerv der
Nation; wollen wir noch länger mit ansehen, daß die Schule fortfährt,
nekrotisierend auf ihn zu wirken, statt ihn zu kräftigen? Man erhoffte
von der letzten Berliner Schulkonferenz eine erhehliche Reduktion des
Unterrichtsstoffes, allein diese Hoffnung ist durch das Erscheinen der
neuen preußischen Lehrpläne gründlich getäuscht worden. Die Konferenz
hat eine Befriedigung in unterrichtshygienischer Beziehung nicht gehracht,
ja sie konnte sie gar nicht bringen, da keine Vertreter der modernen
Medizin und der Schulhygiene zugezogen wurden. Das Vertrauen eines
großen Teiles des deutschen Volkes zu solchen Konferenzen wird durch
den vorwiegend altphilologischen Charakter derselben erschüttert. Die
Sympathien für die leitenden Organe im Schulwesen gehen immer
mehr zurück.
Wenn die Lehrziele herabgesetzt und der Unterrichtsstoff richtig be-
schnitten wird — das kann natürlich geschehen ohne die Zahl der
Fächer zu reduzieren — , dann läßt sich, wie wii' es heute hören werden,
auch der Unterricht der Hauptsache nach auf den Vormittag beschränken.
Dann wird Zeit gewonnen teils zur Erholung, teils zur häuslichen Arbeit.
Ich habe zahlreiche Fälle gesammelt, in denen Schüler der mittleren und
oberen Klassen, um nachmittags nach der Schule einige Stunden freie
Zeit zu gewinnen, morgens um 5 oder 6 Uhr aufstanden, um ihre
Schularbeiten vor dem Beginn des Unterrichts zu erledigen. Wie ver-
kehrt dies Verfahren ist, braucht wohl kaum erwähnt zu werden, ver-
kehrt, weil die Schüler oft in Ungewißheit schweben, ob die Zeit zur
Anfertigung noch ausreichen wird, verkehrt auch, weil die Schüler nach
der häuslichen Früharbeit bereits ermüdet in die Schule kommen. —
Einen recht wunden Punkt im Schulbetrieb bilden das Abiturium und
andere Prüfungen. Ich gestatte mir bei dieser Gelegenheit auf das be-
berüchtigte württembergische Landezamen hinzuweisen, dessen Wesen hier
ja genügend bekannt ist.
Durch die über Wochen und Monate sich erstreckenden Vorberei-
tungen zum Abiturientenexamen, die gelegentlich durch tägliche Repeti-
tionen in der Wohnung der Lehrer noch kompliziert werden, tritt nicht
selten eine geistige und körperliche Erschöpfung ein, die schwere Folgen
nach sich ziehen kann. Die Anforderungen in der Prüfung werden seit
der wenigstens nominellen Gleichberechtigung der höheren Lehranstalten
noch erhöht, damit die neu bedachten auch zeigen, daß sie der erweiterten
Berechtigungen würdig sind. Besonders schwer haben es die Abiturienten
der Oberrealschulen und Realgymnasien, weil sich ihre schriftliche Prü-
fung über fünf beziehungsweise sechs Fächer erstreckt, während die
G3nDinasiasten nur in drei Fächern schriftliche Arbeiten anfertigen.
Manches Mitglied der Prüfungskommission würde nicht imstande sein,
den an die Abiturienten gestellten Anforderungen Genüge zu leisten.
Behufs einheitlicher Regelung und Durchführung unterrichtshygieni-
scher Prinzipien wäre es wünschenswert, das Schulwesen zur Reichssache
zu machen. Die engherzige Scheidung in den Reglements der Einzel-
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc. H
Staaten ist für den Schulbetrieb gewiß kein Vorteil. Vom pädagogischen,
hygienischen und sozialen Standpunkte aus betrachtet, wäre eine einheit-
liche Volksschule ohne konfessionelle Abbröckelung und eine einzige
höhere Schulgattung, eine Einheitsschule, in welcher jeder, der höherer
Bildung zustrebt, Befriedigung fände, der Verzettelung und Zersplitterung
des höheren Unterrichtswesens vorzuziehen. Möge sich im deutschen
Volke die Überzeugung bahnbrechen, daß nicht philologische Einseitigkeit,
Engherzigkeit und Tradition die Schule zu regieren haben, SQndem daß
das innere Wesen und die Aufgabe der Schule darin bestehen, die
Zeichen der Zeit richtig zu erfassen und ihre Aiisprüche zu befriedigen.
Hoffen vnr, daß unsere Jahresversammlungen helfen, an solchen Aufgaben
vom hygienischen Standpunkte aus mitzuarbeiten; hoffen wir, daß unsere
Jahresversammlungen dazu dienen, die unterrichtshygienischen Anforde-
rungen an das Schulwesen zu klären und die Einführung hygienischer
Maßregeln zu erleichtern.
Bevor wir in die Verhandlungen eintreten, möchte ich darauf hin-
weisen, daß den Herren Vortragenden eine Zeit von ca. 30 Minuten
zur Verfügung steht, und daß die Herren Diskussionsredner beim ersten-
mal 10 Minuten, beim zweitenmal 5 Minuten sprechen dürfen. Die
druckfertigen Manuskripte bitte ich die Herren Referenten auf den Tisch
des Hauses zu legen. An jeden der Herren Diskussionsredner werden
Zettel verteilt, auf welche wir den Inhalt seiner Diskussionsbeiträge so-
fort niederzuschreiben bitten.
Ich erteile jetzt das Wort Herrn Dr. Victor, Professor an der
Universität Marburg, zu seinem Vortrage.
Anfang nnd Anordnung des fremdspracUlclien Unterriclits.
LeitBätae.
1. Es ist wünschenswert, daß dem fremdsprachlichen Unterricht eine
längere Beschäftigung mit der Muttersprache vorausgeht, wobei nicht auf
den grammatischen Betrieb, sondern auf die Erweckung und Festigung
des Sprachgefühls und in Verbindung damit auf die lautliche Schulung
das Hauptgewicht zu legen ist.
2. Die gewonnene Zeit ist nur zum Teil auf den Unterricht in der
Muttersprache, zum andern Teil auf Erholung, Spiel und freie Betätigung,
auf die Anleitung zum Beobachten und zu zeichnerischen Darstellungen
des Beobachteten zu verwenden.
3. Das Hinaufschieben des fremdsprachlichen Unterrichts darf der
überhaupt zu verlangenden Verkürzung der täglichen Unterrichtszeit keinen
Eintrag tun, auch keine spätere Vermehrung der fremdsprachlichen Stunden
herbeiführen.
Hochansehnliche Versammlung!
Zu einer kurzen erklärenden Bemerkung erbitte ich vor allem Ihre
freundliche Erlaubnis. Vielleicht hat es Sie befremdet, daß zwischen
dem vorgeschriebenen Thema der heutigen Vorträge und den von mir
aufgestellten Thesen kein rechter Zusammenhang besteht. Durch ein ja
nicht gerade schwerwiegendes Mißverständnis bei der brieflichen Ver-
12 VerhancU. d. YI. JahresverBammliiDg d. Allgem. Dentech. Vereins etc.
abreduog habe ich bis vor wenigen Tagen des Glaubens gelebt, daß nicht
allgemein der Anfang und die Anordnung des fremdsprachlichen Unter-
richts, sondern sogleich positiv das Hinanfsehieben des fremdsprachlichen
Unterrichts um ein Schuljahr zu behandeln sei. Damit ist denn auch
meine Stellung zu der Frage ohne weiteres bezeichnet.
So dankbar ich nun die Bedeutung des mir gewordenen Auftrags
empfinde, so fühle ich andererseits eine gewisse Beschämung — nicht
allein, weil ich Ihrem ehrenden Vertrauen nur unvollkommen zu ent-
sprechen imstande bin^ sondern auch, weil ich mich, wo es so viel zu
verlangen gibt, in meinem Vortrag mit so geringem begnüge. In diesem
Dilemma zwischen Unbescheidenheit und Bescheidenheit tröstet mich der
Gedanke, daß die m. E. ungleich wichtigere Frage des ungeteilten Unter-
richts auch pädagogisch morgen von berufenster Seite beleuchtet werden
und, wie ich hoffe, zu einer befriedigenden Lösung kommen wird. Jede
der beiden Sonderfragen föUt unter die große, allgemeine, die uns alle
bewegt: Wie begegnen wir der in unseren Schulen trotz alledem herr-
schenden Überbürdung?
Trotz alledem — trotz den von Jahrzehnt zu Jahrzehnt in Preußen
erneuerten Lehrplänen, trotz dem Fortschritt in der Vorbildung und in
der Methode — besteht sie auch auf den höheren Schulen noch fort, ja
sie ist von 1891 zu 1901 schon durch die Vermehrung der Stunden
gewachsen. Die neue Regelung der Pläne bedeutet im preußischen
Gymnasium 7, im Eealgymnasium 3, in der Oberrealschule 4 wöchent-
liche Stunden mehr, so daß wieder die Zahlen 259, 262, 262 erreicht
sind. Für die einzelnen Klassen von Sexta bis Prima ergeben sich 25
bis 31, mit Turnen und Singen 30 bis 36, die wahlfreien Fächer ein-
gerechnet, bis 38 Stunden die Woche, also täglich mehr als 6; alles
ohne die zur häuslichen Arbeit erforderte, nochmals Stunden währende Zeit.
Freilich: die Menge der Fächer scheint die hohe Stundenzahl zu be-
dingen. Der verbindlichen Fächer gibt es 13, der wahlfreien 3; somit
kommen im Durchschnitt nur zwei Wochenstunden auf ein Fach. Schon
in Sexta — der untersten Klasse — 9 verbindliche Fächer, und fast
alles von Fachlehrern mehr oder weniger fachmäßig gelehrt! In diesem
Fächer- und Fachwesen ist die Überbürdung zu Hause.
Gleich der Ausdruck „Fach^^ ist mir zuwider. Er hat etwas
Schablonenhaftes, Äußerliches, Hölzernes, Starres, Hohles und Leeres.
Andere Nationen haben ihi*e „Gegenstände", wir unsere „Fächer", als
käme bei jenen der Inhalt, bei uns nur die Form in Betracht, als wäre
es dort auf die innere, hier in der Tat allein auf die so gepriesene
„formale Bildung" abgesehen.
Aber — „was ist ein Name?" Sagten wir aoders, es wären der
Gegenstände und der Spezialisten dennoch zuviel. Wohin kommen wir?
Die Bühne, die zum Spezialitätentheater wird, ist keine „moralische
Anstalt".
Sie wundem sich, hochverehi-te Anwesende, daß ich als Akademiker
gegen das Fachlehrertum, vielleicht gar die fachmännische Vorbildung
zu reden scheine. — Auch meine eigene „Spezialität" soll mir den Blick
für das Allgemeine nicht trüben. Mit dem Straßburger Philosophen
Theobald Ziegler bedauere ich, daß der Philologe meist nur durch
Verhandl. d. Vf. Jahresyersaxumlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc. 13
das Studium selbst, das Wissen und die Wissenscliaft gelockt wird, da-
gegen itir den künftigen Beruf eines Lehrers nur selten allzu große
Neigung hat. „Und daher schließt auch die philosophische Fakultät" —
um mit Zieglers eignen Worten zu reden — „von allen allein die
direkte Rücksicht auf den künftigen Beruf, die Einführung in die Praxis
fast grundsätzlich von sich aus . . . Und der preußische Staat" — heißt
es weiterhin — „hat sich dieser Auffassung neuerdings ausdrücklich an-
geschlossen, indem er das Seminarjahr als Vorbereitungszeit auf den
Beruf zwischen Universität und Probejahr eingeschoben und von der
Universität weg an die Gymnasien verlegt hat."
Was sollten wir zu einer medizinischen Vorbildung sagen, die zwar
Geschichte der Medizin, Hygiene, Pharmakologie, Stoffwechsel und Er-
nährung, auch Physiologie, systematische und pathologische Anatomie,
Histologie, Osteologie, Syndesmologie usw. in rein theoretischer Behand-
lung umfaßte, dem künftigen Arzt aber niemals ein Seziermesser in die
Hand gäbe, niemals einen Kranken vor Augen führte, bis dieser künftige
Arzt etwa nach vollendetem Studium an eine Klinik zum Übungsjahr
überwiesen wird?
Von dem künftigen Lehrer der Sprachen oder der Mathematik und
Naturwissenschaft ist im allgemeinen Teil der preußischen Staatsprüfung
neben Religion und Deutsch nur zu fordern, daß er von der Philosophie
die wichtigsten Tatsachen ihrer Geschichte sowie die Hauptlehren der
Logik und Psychologie, auch eine der bedeutenderen philosophischen
Schriften, von der Pädagogik ihre philosophischen Grundlagen sowie die
wichtigsten Erscheinungen seit dem 16. Jahrhundert kennt, und daß er
„bereits einiges Verständnis für die Aufgaben seines künftigen Berufes
gewonnen hat". Wie dieses letztere geschehen soll, darüber wird er
weder in der Prüfungsordnung, noch während des regulären Studienganges
belehrt.
Ist da der einzelne zu tadeln, wenn er die Aufgaben seines künf-
tigen Berufes wesentlich dahin versteht, daß er die auf der Universität
erworbene Wissenschaft in ihrem elementareren Teil auf der Schule in
vorschriftsmäßigen Portionen wieder auszugeben habe? Wenn er sich
vor der Wahl des äußeren Berufes nicht fragt, ob auch der innere vor-
handen ist? Wenn er als Lehrer nicht merkt, wie der jugendliche Or-
ganismus unter dem Druck körperlicher und geistiger Anstrengung trotz
Zorn und Strafe erlahmt und zusammensinkt, längst vielleicht ehe das
Ende der fünften Vormittagsstunde oder der vorgeschriebenen Arbeitszeit
zu Hause erreicht ist? Wenn er, bis ihm der Himmel etwa eigene
Söhne und Töchter beschert, keine Ahnung hat, was in einer Kindes-
seele, den „Hauptlehren" seiner gedruckten Psychologie entrückt, schüch-
tern sich regt, sich sehnt oder aufschreit, verkümmert und stirbt?
Sie erwidern mir, daß ich zu schwarz male, daß dergleichen nicht
die Regel, sondern die Ausnahme sei. Wie viele Schüler aber gibt es,
die tagtäglich mit Freuden zur Schule ziehen, denen der Unterricht nicht
als leidige Quälerei erscheint? Und woran liegt es, wenn nicht daran,
daß wir unsere Jugend mit äußeren und inneren Anforderungen, durch
Stoff und auch Methode über ihre Kräfte belasten?
Die Lehrpläne im engern Sinn schließen das gleichwohl verbindliche
14 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Dentach. Vereins etc.
Tarnen und Singen sowie die wahlfreien Fächer aus. Die Zahl der
Wochenstunden schwankt sodann von Sexta bis Prima zwischen 25 und
30 im Gymnasium oder 31 im Realgymnasium und in der Oberreal-
schule. Von den 25 bis 30 Stunden des Gymnasiums fallen 11 bis 19,
in den Mittel- und Oberklassen 60 bis 63 7o) ^^^ Sprachunterricht zu.
Im Realgymnasium und in der Oberrealschule sind die höchsten Ziffern
15 und 14, das sind im Maximum 51 und 46%. Den Löwenant«il
an den Sprachstunden erhält schon in der Anfängerklasse der fremd-
sprachliche Unterricht, der in der Sexta des Gymnasiums und des Real-
gymnasiums den Unterricht in der Muttersprache um das Doppelte, in
der folgenden Klasse um mehr als das übertrifft, während in den mitt-
leren Klassen des Gymnasiums gar nur 2 oder 3 von 18 oder 11) Sprach-
stunden auf das Deutsche entfallen. In der Oberrealschule bewegt sich
das Verhältnis von fremden Sprachen zu Deutsch zwischen 6 zu 5 und
11 zu 3, immer mit dem Schwerpunkt auf der fremdsprachlichen Seite.
Diese Begünstigung des Sprachunterrichts könnte man noch ver-
stehen, käme der Vorteil der Muttersprache zu gute. Weshalb aber
nimmt der fremdsprachliche Unterricht im Gymnasium schon auf der
untersten Stufe diese erstaunliche Menge von Stunden in Anbruch? Es
ist, wir wissen es alle, das Erbteil der Vergangenheit, dessen innere
Berechtigung man übrigens noch immer zu begründen versucht. Das
allgemeine Lehrziel im Lateinischen ist für das preußische Gymnasium:
Verständnis der bedeutenderen klassischen Schriftsteller Roms und da-
durch Einführung in das Geistes- und Kulturleben des Altertums. Aber
dieses Verständnis wird nach den Lehrplänen nur auf sicherer Grundlage
grammatischer Schulung gewonnen. Damit ist die Grammatik als erste
Etappe gerettet. In den „Methodischen Bemerkungen" heißt es bei der
unteren Stufe: „Hauptsache ist die systematische Sprachunterweisung zur
sicheren Einprägung und Handhabung der Vokabeln und Formen^' —
man merke wohl: Handhabung, obgleich der lateinische Aufsatz als Ziel-
leistung gefallen ist — „und zur klaren Erkenntnis der Satzteile".
Freilich wird das induktive Verfahren nicht ausgeschlossen, soweit es
geeignet sei, das Verständnis zu fördern und die Schüler ziur Selbsttätig-
keit anzuregen. Auch ist auszugehen vom Satz; und der Wortschatz,
den die Schüler sich anzueignen haben, ergibt sich aus dem Gelesenen.
Allein das Gelesene und Grelemte ist fort und fort durch umfassende
Übersetzungen teils in das Deutsche, teUs aus dem Deutschen mündlich
oder schriftlich zu verarbeiten, und — Hauptsache ist und bleibt die
„systematische Sprachunterweisung zur sicheren Einprägung und Hand-
habung" usw. — wie vorher.
In den neueren Sprachen ist zwar das allgemeine Lehrziel von der
Grammatik abgerückt, und die Grammatik der Lektüre untergeordnet.
Jedoch fällt an den lateinlosen Schulen dem Französischen bezüglich
der grammatischen Schulung dieselbe Aufgabe zu wie an den latein-
lehrenden dem Latein, womit das entscheidende Wort dann wieder ge-
sagt ist.
Grammatik und Übersetzungen, das ist trotz aller dankenswerten
Reform in den Lehrplänen auch heute noch die Losung des fremdsprach-
lichen Unterrichts, zumal in der untersten Klasse. Noch ist zu ver-
Verhandl. d. VI. Jahresvenammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 15
spüren, daß die Zeit kein Vierteljahrhundert zurückliegt, da der Sextaner
— ich zitiere mich selbst — um des nächsten Extemporales willen zu
wissen hatte, „daß der Fluß Elaver Neutrum und %o, die Hacke, Mas-
kulinum ist, daß der Plural zu re», die Niere, gewöhnlich rems heißt,
ob der Dativ und Ablativ der Mehrzahl von veru, der Bratspieß, -ubus
oder -ibus hat u. dgl. m.". Was sage ich? Die allemeueste Auflage
von 1905 eines vielgebrauchten Übungsbuches enthält nach wie vor —
gereimte Geschlechtsregeln wie diese:
Als Neutra man sich merken muß
Die Wörter auf ar, ur und us,
Die Wörter mit der Endung e
Und die auf a, c, J, n, /,
bringt dazu vor dem Inhaltsverzeichnis als Variante, die an einigen
höheren Lehranstalten gelernt wird:
Die a, e, c,
die ly n, t,
die ar^ ur^ us
sind neuirlus (!),
und im Vorwort eine dritte Fassung, gleichfalls aus praktischem Ge-
brauch:
Als Neutra man sich merken muß
Die Wörter auf e, /, mew, ws.
Auch Caput, ccUcar, lac zum Schluß.
Nach wie vor muß ich meinerseits glauben, daß unsere lateinische
Schulgrammatik mit dergleichen Mitteln die erziehliche Wirkung aus-
schließt.
Der Herausgeber dieses Übungsbuches ist der Ansicht, auf der An-
fangsstufe sei das Einüben, auch „Einpauken" dürfe man es nennen,
die Hauptsache. Daß der Schüler von vornherein in den Geist der
Sprache eingeführt werden müsse, hält er fCb* wenig mehr als ein schön
klingendes Wort. Es kommt ihm vor, als wenn man zurzeit Gefahr
laufe, in pädagogischem Übereifer den Zweck des Lateinlemens aus dem
Auge zu verlieren. Und der wäre denn eben auf dieser Stufe, die
Schüler in der Formenlehre und im Konstruieren sicher zu machen.
Nach meiner festen Überzeugung ist auf keiner Stufe des Sprach-
unterrichts das mechanische, auf das Gedächtnis spekulierende „Ein-
pauken" ein möglicher Zweck. „Was man nicht versteht, besitzt man
nicht", meint Goethe. Das Verständnis der bedeutenderen klassischen
Schriftsteller Roms, das zur Einführung in das Geistes- und Kulturleben
des Altertums dienen soll, kann nur auf dem Verständnis der Sprache
beruhen, und der Unterricht muß vom ersten Anfang eine Einführung
in den Geist der Sprache sein, eine Anleitung, diese aus sich heraus zu
verstehen. Auch im Sprachunterricht hat das induktive Verfahren nicht
als Ausnahme, sondern als Begel zu gelten.
Selbstzweck ist die Sprache in der Schule so wenig wie im Leben.
Gleich einer Eisenbahn, sagt in einem realistischen Bilde Jespersen,
der dänische Sprachgelehrte, dient sie zur Verbindung, als Mittel des
Verkehrs.
16 Verhandl. d. VI. Jahresversammlnng d. Allgem. Deutsch. Yereins etc.
Konkret, fast als lebendiges Wesen, wird sie dem Kinde begreiflich
in Frage und Antwort, in Scherzen und Rätseln, in Gedichten und Ge-
schichten, auch mit ihren typischen Formen durch die Übung vertraut.
Was wir Grammatik nennen, ist Reflektieren, ist Abstraktion. Unsere
pseudo-logische und oft pseudo-philologische Art des Grammatisierens
entspricht dem kindlichen Bedürfnis nicht. Wieder denke ich an Aus-
sprüche Goethes. „Wer sich mit reiner Erfahrung begnügt und darnach
handelt, der hat Wahres genug. Das heranwachsende Kind ist weise in
diesem Sinne." — „Alles Abstrakte wird durch Anwendung dem Menschen-
verstand genähert, und so gelangt der Menschenverstand durch Handeln
und Beobachten zur Abstraktion." — «Wer viel mit Kindern lebt, wird
finden, daß keine äußere Einwirkung auf sie ohne Gegenwirkung bleibt . . .
Deshalb leben Kinder in Schnellurteilen, um nicht zu sagen, in Vorur-
teilen; denn bis das schnell, aber einseitig Gefaßte sich auslöscht, um
einem Allgemeinem Platz zu machen, erfordert es Zeit. Hierauf zu
achten, ist eine der größten Pflichten des Erziehers.^
Wollten wir uns doch diese Mahnimg des größten unserer deutschen
Erzieher auch im Punkte der Grammatik gegenwärtig halten, deren bloßer
Name bei den meisten die bitterste Erinnerung an die Schule erweckt!
Keine Form oder Vokabel, keine Regel oder Ausnahme um ihrer selbst
willen! Alles nicht wirklich Bedeutsame aus dem Unterricht jeder Stufe,
alles nicht Einleuchtende,* Greifbare aus dem Anfangsunterricht weg!
Dann verbürge ich mich — und ich rede auch aus eigener Erfahrung
als Lehrer — , „daß das Erregen des Interesses, das Suchen- und Finden-
wollen und das Selbstsuchen und Selbstfinden (unter verständiger Leitung)
auch dieses als öde verrufene Gebiet in ein ergötzliches und fruchtbares
Gefilde verwandelt"; kurz, mir steht es sicher, „daß erst die wesentlich
induktiv behandelte Grammatik sachlich und erziehlich wertvoll ist".
Mit Ruhe können wir dann auf einen Teil unserer sprachlichen
Stunden verzichten, uns damit zufrieden geben, daß der fremdsprachliche
Unterricht erst in der zweiten Klasse beginnt. Meine Wünsche ftlr die
Anordnung der fremdsprachlichen Fächer will ich, als fürs Erste zu weit
gehend, sozusagen nur in Parenthese erwähnen. Im höchsten Grade un-
natürlich ist es für jede Art höherer Schulen, daß eine tote, einer fernen
Zeit angehörige Sprache als Kulturvermittlerin an die vorderste Stelle
tritt. Aus äußeren und inneren Gründen gehört das Englische dahin;
dem Französischen gebührt der zweite Platz; wo der dritte und vierte
vorhanden sind, rücken Lateinisch und Griechisch hinzu: alles nach dem
Grad der Schwierigkeit imd Bedeutung.
Hiermit ist der Anschluß an meine Thesen cireicht. Ihre Begrün-
dung im ganzen sehe ich in dem Gesagten. Alles Einzelne sei der
Erörterung anheimgestellt. Wert hat es nur so weit, als seine Verwirk-
lichung dazu beitragen kann, die körperliche und geistige Erziehung
unserer Jugend zu fördern. Nicht die Schule gilt es, sondern das Leben!
Der Vorsitzende, Prof. Griesbach:
Ich danke Herrn Prof. Vietor für seinen hochinteressanten und für
die Frage nach dem Anfang des fremdsprachlichen Unterrichts wichtigen
Voi-trag und möchte jetzt die Diskussion eröffnen.
Verhandl. d. VI. JahreBversaimnluDg d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 17
Ein Herr zur Greschäftsordnung:
Ist es nicht angebrachter, zunächst den Vortrag des medizinischen
Referenten zu hören?
Die Versammlung erklärt sich damit einverstanden, und der Vor-
sitzende erteilt Herrn Dr. med. Jäger- Seh wäbisch-Hall das Wort:
Leitsätze.
Mit der Frage des Themas ist die Grundfrage unseres gesamten heute
bestehenden höheren Schulwesens angeschnitten. In dieser Beziehung ist
in erster Linie zweierlei zu wünschen.
1. Der Unterricht ist im ganzen und seinen Teilen zeitgemäßer
zu gestalten. Die Schule muß die, vornehmlich mit dem alten klassischen
Unterricht beschrittenen Bahnen weltfremder Ideologie verlassen und sich
mit ihren Zielen auf den Boden der Bedürfnisse des Lebens und der
Forderungen der Zeit stellen.
2. Der Unterricht ist im ganzen und seinen Teilen naturgemäßer
zu gestalten. Er muß den Gesetzen der Biologie und Physiologie des
jugendlichen Organismus, insonderheit des Gehirns angepaßt werden.
Die Schule muß die, namentlich mit dem grammatikalisch-fremdsprach-
lichen Unterricht beschrittenen Bahnen des einseitigen Intellektualismus
und Formalismus verlassen und eine naturgemäße, auf der Grundlage der
Sinne und ihrer Tätigkeit aufgebaute möglichst gleichmäßige und har-
monische Ausbildung aller Geistes- und Körperkräfte ins Auge fassen.
Unter Berücksichtigung dieser Punkte ergibt sich für den Sprach-
unterricht im besonderen:
1. Die Muttei-sprache ist in den Mittelpunkt dieses Unterrichts zu
stellen;
2. Die Frage nach dem Beginn des fremdsprachlichen Unterrichts
ist in zwei zu zerlegen, da es zwei Wege der Erlernung gibt:
a) den Weg, wie das Kind die Muttersprache erlernt,
b) den Weg der Grammatik.
Der erstere ist der natürliche, physiologisch -biologische Weg. Er
entspricht dem erwerbenden, stoffsammelnden Denken der Jugend und
der allmählichen Entwicklung des Gehirns an der Hand der Sinne und
der Anschauung. Diese Art kann eintreten, so früh sie will. Der andere
Weg, der der Grammatik, entspricht dem ordnenden Denken der Er-
wachsenen, dem fertig-entwickelten, für den verwickelten Prozeß abstrakt-
philosophischer Denkoperationen ausgereiften Gehirn. Für diese Art gilt
deshalb: so spät als möglich.
Der fremdsprachliche Unterricht ist jedenfalls auf der Unterstufe,
soweit es irgend die Eigenart des Massenbetriebs der Schule ermöglicht,
der ersten Art zuzuweisen.
Hierau.s ergibt sich für die Reihenfolge der Fremdsprachen:
1. Zunächst lebende Sprachen, da sie allein der Forderung der na-
türlichen Erlernung genügen können.
2. Ihre Folge müßte sein: erst Englisch, dann Französisch, weil
der Gang vom Näherstehenden und damit Leichteren zum Femstehenden
YerhandlunRen 1906. 2
18 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutach. Vereins etc.
und Schwierigeren der natürlichen Entwicklung der jugendlichen Kräfte
mehr entspricht.
3. Der ausschließlich grammatikalische Betrieb der toten Sprachen
(Latein, Griechisch und Hebräisch) ist den höheren und höchsten Alters-
stufen zuzuweisen.
Als mir seinerzeit die ehrende Aufforderung zuging, heute über
das Thema „Anfang und Anordnung des fremdsprachlichen Unterrichts"
zu Ihnen zu reden, da bin ich erst ernstlich in mich gegangen und habe
mich gefragt, was ich als Mediziner mit dieser Frage eigentlich zu
schaffen habe. Ich war mir der ungeheuren Schwierigkeit des Stoffes
wohl bewußt und bin es heute, nachdem ich mich in der Fülle der dies-
bezüglichen Literatur umgesehen, vielleicht noch mehr und das Sprich-
wort vom Schuster, der bei seinem Leisten bleiben soll, hat mir viel-
leicht mehr als sonst vorgeschwebt. Wenn ich es trotzdem wage, heute
mit meinen Ausführungen vor Sie zu treten, so bin ich weit entfernt
zu glauben, der Größe meiner Aufgabe auch nur halbwegs erschöpfend
gerecht werden zu können. Ich habe vielmehr nur die Hoffnung, in
meinem bescheidenen Teil doch den einen oder anderen vielleicht brauch-
baren Gedanken zur Lösung dieses Problems beitragen zu dürfen.
Die Frage des Themas stellt uns in den Kernpunkt unseres ganzen
höheren Unterrichts. Sie ist die Grundfrage für unser gesamtes höheres
Bildungswesen überhaupt. So müssen Sie mir gestatten, dieselbe ei*st
auf diese etwas breitere Grundlage zu stellen und zunächst mit einem
kurzen geschichtlichen Exkurs etwas weiter auszuholen. Derselbe lehnt
sich im wesentlichen an die Ausführungen des Prof. Dr. Hugo Müller,
Oberlehrer am Ludwigs-Georgs-Gjmnasium in Darmstadt, an, wie er sie
in seinem Buch „Das höhere Schulwesen Deutschlands am Anfang des
20. Jahrhunderts" niedergelegt hat, sowie an eine Jahresberichtbeilage der
Realschule mit Bealprogjmnasium zu Mannheim von Dr. Friedrich
Blum: ,,Der gemeinsame Unterbau der höheren Schulen in seiner ge-
schichtlichen Entwicklung."
Für die Zwecke der höheren Bildung und als alleinige Vorberei-
tungsanstalt für die Universitätsstudien hatten wir bis zum Anfang der
70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, da dem 1859 aufgetauchten Real-
gymnasium „für gewisse Fächer der Zutritt zur philosophischen Fakultät
der Universität gestattet wurde", nur eine Schulgattung: das huma-
nistische Gymnasium — die direkte Fortsetzung der zur Zeit der
Reformation von Philipp Melanchthon gegründeten protestantischen huma-
nistischen Gelehrten schulen, der „Fürsten- und Landesschulen". Müller
schreibt darüber: „Sie bereiteten in 5 — 6 jährigem Kursus zur Universität
vor. Ihr Fremdsprachenbetrieb erstreckte sich auf Lateinisch, Griechisch
und Hebräisch, daneben Mathematik und Physik, die man aber in der
Hauptsache durch die Lektüre der alten Schriftsteller nebenher erlernte.
Der ganze Betrieb drehte sich um die Aneignung der lateinischen Be-
redsamkeit, worüber alles andere verkümmerte. Der Grund war klar
genug: Sichere Beherrschung der lateinischen Sprache, der Weltsprache
des Abendlandes, der Sprache des diplomatischen Verkehrs und der Ge-
setze, der ausschließlichen Sprache der Wissenschaft und des üniversi-
Verhandl. d. VF. Jabreflversammlang d. Allgem. Deutsch. Yereins etc. 19
tätsunterriebts war für jeden, der eine höhere Stelle bekleiden wollte,
unerläßlich. Aus demselben Grunde ging es auch in den Jesuitenschulen,
die in den katholischen Ländern zwei Jahrhunderte lang die Jugend der
höheren Stände erzogen haben, gerade so her, um so mehr, als das Latein
die Sprache der Kirche blieb/^
Trotz der verschiedensten Anstürme, wie sie sich, vom 17. Jahrhundert
an, an die Namen eines Job. Amos Comenius, eines Job. Peter
Müller, Job. Gottfried Herder, Ernst Christ. Trapp und anderer
knüpfen, .ist dank der Bestrebungen eines Mattb. Geßner, eines Aug.
Friedr. Wolff und eines Johannes Schulze eine wesentliche Ände-
rung in dieser Ordnung der Dinge nicht erzielt worden. „Noch heute
gibt es in allen deutschen Landen eine nicht geringe Zahl von Gym-
nasien, die seit 3 — 4 Jahrhunderten ohne jeden Wandel Pfiegestätten
jener humanistischen Studien geblieben sind, wie die sächsischen Fürsten-
schulen und die niederen Seminarien in Württemberg. In Sachsen,
Württemberg und Bayern ist bis weit ins .19. Jahrhundert hinein der
althumanistische Betrieb der Beformationszeit wirksam und maßgebend
gewesen^^ (Müller). Die Gymnasien Preußens hatten durch den 1734
aufgekommenen Neuhumanismus unter Wilhelm von Humboldt eine
geringe Modifikation erfahren.
So hat sich unser gesamtes zurzeit bestehendes höheres Schulwesen
auf dem fremd- und zwar zunächst altsprachlichen Unterricht aufgebaut,
und so ist der Fremdsprachenbetrieb der Angelpunkt geworden für den
gesamten höheren Unterricht.
Nachdem das stürmische Jahr 1848 mit Ladenbergs Vorschlag
der Einführung von Realgymnasien abermals einen vorübergehenden Ver-
such gemacht hatte, an dem Bestehenden zu rütteln^ begann der eigent-
liche Sturm auf das Gymnasialmonopol in den 70 er Jahren. Seine Mark-
steine sind die Schulkonferenzen von 1873, 1890 und 1900. Ihre Re-
sultate das, was wir heute haben:
l) das altsprachliche Gymnasium, aus der Beformationszeit, mit
geringen Änderungen in Beziehung auf das Griechische aus der Zeit des
Neuhumanismus und einem zum Teil auch a,us früherer Zeit datierenden,
im wesentlichen von der Dezemberkonferenz 1890 herstammenden Ein-
bau von modernen Bildungsstoffen, 2) die lateinlose, ausschließlich neu-
sprachliche Oberrealschule, 3) die Mischung dieser beiden im latein-
neusprachlichen Realgymnasium und 4) eine Anzahl — jetzt etwa
73 — Reformgymnasien und Reformrealgymnasien, die neben
anderem besonders auch in der Anordnung der Fremdsprachen den
modernen Anforderungen sich anzupassen suchen.
Steht so unser gesamtes Schulwesen, wie oben gezeigt, unter dem
Zeichen des fremdsprachlichen Unterrichts, so mußten auch alle Bestre-
bungen nach Umgestaltung und Änderung, alle Vorwürfe und Anklagen
gegen dasselbe in ihrem innersten Kern immer wieder auf diesen Punkt
sich richten.
Diese Vorwürfe sind trotz der Änderungen in der jüngsten Zeit
noch nicht erledigt und stehen mit dem vorliegenden Thema auch heute
wieder zur Erörterung. Sie lassen sich im wesentlichen unter zwei Ge-
sichtspunkten zusammenfassen.
20 Verhandl. d. VI. JabresverBammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
Den einen hat Kaiser Wilhelm 11. in seiner Bede auf der Dezember-
konferenz 1890 in die Worte gefaßt: Die Schule hat den Zusammen-
hang mit dem Leben verloren.
Dem zweiten Gesichtspimkt möchte ich die Fassung geben: Der
Schule fehlt der Zusammenbang mit der Natur, der Natui
ihres Objekts.
Der erste Gesichtspunkt föllt streng genommen aus meinem medi*
zinischen Referat als solchem heraus, berührt aber den andern so nahe,
daß Sie mir auch hierauf einige Streiflichter gestatten müssen.
War die Schule als Gymnasium von Anfang an mit dem Leben und der
Wirklichkeit in einem sehr losen Zusammenhange infolge ihres dem weitabge-
wandten, mittelalterlichen Kloster wesen entnommenen altklassiscfaen Fremd-
sprachenbetriebes, so wurde dieser Zusammenhang später noch lockerer. Es
geschah dies einmal, als das Lateinische als Weltsprache des Abendlandes
und als Sprache der Wissenschaft und des üniversitätsunterrichts immer
mehr zurücktrat und schließlich ganz aufhörte. Hiermit hatte für die
Mehrzahl der Studierenden die Erlernung des Lateinischen seinen prak-
tischen Zweck verloren. Als Ersatz dafür kam das Dogma von dem
unersetzlichen Wert der lateinischen Grammatik als geistiger Dressur-
anstalt auf und von der ünentbehrlichkeit des Studiums seines sprach-
lichen und philosophischen Baues für die Schulung des Denkens. Zum
anderen lockerte sich der Zusammenhang der gelehrten Bildung mit dem
Leben, als man zur Zeit der Erniedrigung unseres Vaterlandes aus der
traurigen Zerrissenheit der Gegenwart ins Griechentum, als die verkör-
perte Idee des Menschentums, sich flüchtete und die Erhaltung und
Pflege des „An-sich-Schönen" und „An-sich-Wertvollen'* als das Endziel
aller höheren Büdung aufstellte (Priedr. Aug. Wolff 1806, Wilhelm
V. Humboldt 1809): An Stelle praktischer, auf das Leben oder den
Beruf abhebender Ziele und Zwecke waren zwei abstrakt-philosophische
Begriffe gesetzt, die Schule war mit ihrer Gruppierung um die beiden
alten Sprachen Selbstzweck geworden. Damit war hier di*eierlei fest-
gelegt: 1. in ihren Haupt- und Endzielen kein lebendiger Zusammen-
hang mit dem Leben, fürs 2. eine absolute Wert- und Überschätzung
fremdsprachlichen, insbesondere altsprachlich-grammatikalischen Unterrichts
und Studiums für Geistes- und Verstandesbildung und 3) als Folge da-
von eine Aschenbrödelstellung unserer Muttersprache, die schließlich nur
noch dazu da zu sein schien, um Latein und Griechisch zu lernen. Die
gesamte höhere Bildung war beschlossen darin, daß man wie Hoff mann
von Fallersieben singt:
„fest den Knaben hält.
Wie in einem Zauberbanne,
In der fremden toten Welt!
Seinen deutschen Geist zu bilden
Und zu schärfen den Verstand
Muß er seine Jugend teilen
Zwischen Born und Griechenland!
Und so mußte schon Herder vor mehr als 100 Jahren klagen,
daß „man in der lateinischen Schule für die ganze Welt zu wenig
Verhandl. d. AHl. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 21
Sachen lernt" und die Frage stellen: „Ist die lateinische Sprache Haupt-
werk der Schule?" und antworten: „Nein, die wenigsten haben sie nötig,
die meisten lernen sie nur, um sie wieder zu vergessen. Die Welt
braucht hundert tüchtige Mftnner und einen Philologen; hundert Stellen,
wo Bealwissenschaften unentbehrlich sind, eine, wo eine gelehrte und
grammatische Kenntnis des alten Roms gefordert wird."
Ein Goethe seufzt: „Könnte man nur den Deutschen etwas weniger
Philosophie und mehr Tatkraft, etwas weniger Theorie und mehr Praxis
beibringen. Was sie am meisten bedürfen, haben sie in der Erziehung
eingebüßt." und herb und scharf fiaßt es im oben angezogenen Gedicht
Hoffmann von Fallersleben mit den Worten:
„Und er tritt ins deutsche Leben
Als ein fremder Ignorant!"
So haben die Großen und Größten unserer Nation damals schon
ihre Stimmen gegen diese Art erhoben. 1890 auf der Dezemberkonferenz
hat Kaiser Wilhelm gesagt: „Wir müssen von der Basis abgehen, die
jahrhundertelang bestanden hat, von der klösterlichen Erziehung des
Mittelalters, wo das Lateinische maßgebend war und ein bißchen Grie-
chisch dazu." Aber es hat noch lange gebraucht, bis diesen Worten
auch aus dem Lager der Altphilologen ein Zugeständnis folgte, wie ich
es im folgenden der oben bereits angefiihrten Schrift Müllers entnehme,
in der es heißt: „Vor allen Dingen müssen wir uns klar machen, daß
aller Unterricht, vom elementarsten bis zum höchsten, in erster Linie
praktische Zwecke verfolgt; seine unmittelbarste Aufgabe kann keine
andere sein, als den Zöglingen die Fertigkeiten und Kenntnisse zu ver-
leihen, die sie brauchen, um ihren irdischen Beruf auszuüben und sich
im Leben zu behaupten . . . Wir wollen doch so gerecht sein, einzu-
gestehen, daß der Jurist, der Geistliche, der Gelehrte des 16. und 17.
Jahrhunderts sein Lateinisch lernte, wie heutzutage der Techniker und
Kaufmann neuere Sprachen, nämlich, weil er es zur Ausübung seines
Berufes brauchte . . . Die Schule hat nicht die Macht, den Kultur-
strömungen den Weg zu weisen, die vielmehr aus viel tieferen und stär-
keren Quellen fließen, sondern ihre Sache ist es nur, das heranwachsende
Geschlecht zu befähigen, den durch die Kulturentwicklung der Zeit ge-
stellten Anforderungen gerecht zu werden. Heute verlangt die Teilnahme
am wirtschaftlichen Leben der Zeit eine gründliche Beherrschung der
Naturwissenschaften, die Teilnahme am Weltverkehr eine tüchtige Kennt-
nis der modernen Fremdsprachen und eine größere Vertrautheit mit der
Art und den Einrichtungen der anderen Völker. Und ganz abgesehen
davon bedarf ein Geschlecht, das mehr zum praktischen Handeln, als zu
abstrakter Betrachtung zu erziehen eine Pflicht der nationalen Selbst-
erhaltung ist, einer mehr harmonischen Entwicklung von Leib und Seele,
einer tüchtigeren körperlichen Erziehung, einer sorgfältigeren Ausbildung
der Sinne, einer gesteigerten Handfertigkeit, einer größeren Fähigkeit
das wirkliche Leben zu beobachten und entschlossen zu handeln."
Mit diesem Zeugnis, denke ich, können wir diesen Teil unserer Er-
örterung schließen und in folgender Forderung zusammenfassen:
Der Unterricht ist im Ganzen und in seinen Teilen zeitgemäßer zu
22 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
gestalten, die Schale muß die, vornehmlich mit dem altklassischen Unterricht
eingeschlagenen Bahnen wirklichkeitsfremder Ideologie verlassen imd sich
mit ihren Zielen auf den Boden der Bedürfnisse des Lebens und der
Forderungeu der Zeit stellen.
Zum Schlüsse möchte ich noch anfügen, daß ich natürlich überzeugt
bin, daß zu ihrer Zeit wohl auch diese Art des Unterrichts ihre Be-
rechtigung und ihren guten Zweck hatte, ja vielleicht ebenso eine ge-
schichtliche Notwendigkeit war, wie fast alles, was in der Welt und
ihrer Geschichte einmal geworden ist und bestanden hat. Auch das
Mönchstum und das Klosterwesen hatte seine geschichtlichen und kul-
turellen Aufgabe.
Wir kommen zum zweiten Punkt. Ist ihr Ursprung aus dem
Klosterwesen unserer höheren Schule in Beziehung auf ihren Zusammen-
hang mit dem Leben und auf das Verständnis für die Forderungen der
Zeit verhängnisvoll geworden, so wird er es zum zweitenmal in Be-
ziehung auf die Forderungen derNatur, wiederum insbesondere dureh
seinen Fremdsprachenbetrieb und zwar so:
Es gibt zwei Arten der Erlernung fremder Sprachen. Die eine ist
die natürliche, lebendige Art, in der wir unsere Muttersprache erlernt
haben. Es ist die Art, wie sie in der Geschichte der Sprachentwick-
lung der jugendlichen Phase derselben entspricht, der Zeit der Sprach-
schöpfung und Spracherschaffung an der Hand der Sinne und auf der
Grundlage des Bedürfnisses der Verständigung. Es ist der Weg durch
die Sinne, insonderheit durchs Ohr, Hand in Hand mit der Erkenntnis
der Dinge der Außenwelt, — wie sich das aus folgenden Ausfahrungen
noch klarer ergeben wird: Sachvorstellung und Lautbild in engster
Verschmelzung.
Man hat die Sinne schon die Torwege genannt, die in die Stadt
des Geistes fuhren (Hemprich). Durch die Tätigkeit der Sinne er-
wirbt sich das Kind die Kenntnis der Dinge. Die Sinne verschaffen das
Material für den Geist und damit den Vorstellungsinhalt für das Denken.
So steht das ganze Geistesleben des Kindes und der Jugend unter dem
Zeichen der Sinnestätigkeit und der Anschauung, sein ganzes Wesen ist
darauf gerichtet und angelegt. So ist auch der Weg durch die Sinne für
die Spracherlernung die natürliche Art, wie sie dem so vermittels der
Sinne Stoffe sammelnden, erwerbenden Denken der Jugend, wie
er dem an der Hand der Sinne allmählich sich entwickelnden und sich auf-
bauenden jugendlichen Gehirn entspricht. Und so sehen wir denn auch
in den sprachlichen Grenzbezirken, oder in Ehen zwischen verschieden-
sprachlichen Eltern schon kleine Kinder ohne jede geistige Anstrengung
oder gar Schädigung neben ihrer Muttersprache noch 1 — 2 Fremdsprachen
mit erstaunlicher Gewandtheit handhaben. Die diesbezüglichen Erlebnisse
während eines mehrmonatlichen AufenÜialts in Budapest, meine Erfah-
rungen in diese]* Richtung auf einer Orientreise in Kairo haben mir
einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Dabei ist ganz erstaunlich,
wie rasch und leicht das geht, wie besonders befähigt also das Kind
ist für die Erlernung fremder Sprachen, falls hiedurch nur der ent-
sprechende lebendig-natürliche Weg eingeschlagen wird. Wie das auch
schon Herder sagt: „Die Jugend der menschlichen Seele ist Neugierde,
yerbandl d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 23
unersättliche Begierde, Dinge zu sehen, insonderheit Wunderdinge, die
Gabe Sprachen zu lernen, sofern sie nur an Begriffen und Dingen
hängen" (Reisejournal).
Die Schule betritt in ihrem gesamten fremdsprachlichen Unterricht
— denn der neusprachliche wurde bis vielleicht in die allerjüngste Zeit
genau nach dem Muster des altsprachlichen betrieben — den künst-
lichen Weg der Grammatik.
In der historischen Entwicklung der Sprache — um bei dieser
Parallele zu bleiben — würde diese Art der Phase derselben entsprechen,
die wir etwa als die senile bezeichnen könnten. Sie entspringt dem Be-
dürfnis des Alters, wenn die Periode des Erwerbens vorüber ist, rück-
schauend seinen Besitzstand zu ordnen. So ist sie der Weg, wie er dem
stoffgesättigten, ordnenden Denken des Erwachsenen, wie er
dem Interesse des Sprachforschers, des im weltabgeschiedenen Kloster
Pergamente und Handschriften studierenden Mönches entspricht. Es ist
der Weg des Studiums des abstrakt-logischen, des philosophischen Auf-
baues einer Sprache. Diese Art, dem fremdsprachlichen Unterricht
von 8 — 9 Jährigen zugrunde gelegt, ist wider alle Natur derselben.
Scharf in seiner temperamentvollen Art föllt hierüber sein Urteil eben
wieder Job. Gottfr. Herder in seinem „Reisejoumal" mit den Worten:
„Man lobt das Kunststück, eine Grammatik als Grammatik, als Logik
und Charakteristik des menschlichen Geistes zu lernen. Schön 1 sie
isfs und die lateinische, so sehr ausgebildete Granmiatik ist dazu die
beste I Aber für Kinder? Die Frage wird stupide I Welcher Qum-
taner kann ein Kunststück aus Casibus, Deklinationen, Konjugationen,
Syntaxis philosophisch überschauen? Er sieht nichts als ein totes Ge-
bäude, das ihm Qual macht, ohne einen materiellen Nutzen, ohne eine
Sprache zu lernen. So quält er sich hinauf und hat nichts gelernt.
Man sage nicht, die toten Gedächtniseindrücke, die er hier von der phi-
losophischen Form einer Sprache bekommt, bleiben in ihm und werden
sich zeitig genug einmal entwickeln. Nicht wahr! Kein Mensch hat mehr
Anlage zur Philosophie der Sprache als ich, und was hat sich aus mei-
nem Donat je in mir entwickelt?" «Der erste unverstandene abstrakte
Begi-iff ist ihnen (den Kindern) Gift, ist wie eine Speise, die durchaus
nicht verdaut werden kann und also, wenn die Natur sich ihrer nicht
entledigt, schwächt und verdirbt. Was würden wir, wenn die Natur
nicht die Güte hätte, uns dessen durch Vergessenheit zu entledigen?'
„0, gebt mir eine unverdorbene, mit Abstraktionen und Worten
unerstickte Jugendseele her, so lebendig, wie sie ist, und setzet mich
dann in eine Welt, wo ich ihr alle Eindrücke geben kann, die ich will,
wie soll sie leben." So weit Herder.
Man braucht nicht gerade auf dem Standpunkt Häckel sehen Mo-
nismus zu stehen, auch als Dualist wird man nicht über die Tatsache
hinwegkommen, die ich oben schon gestreift, daß auch unser Geist und
unser Geistesleben eben an den Stoff gebunden ist, und daB alle seine
Fähigkeiten und Tätigkeiten auf den Punktionen eines köiperlichen Or-
gans, des Gehirns mit seinen Hilfsorganen des Bückenmarks, des Ner-
vensystems und der Sinne beruhen und mit ihm stehen und fallen. Das
beweist uns täglich die Geschichte der Gehimverletzungen und Gehirn-
24 Verhandl. d. VL JahresYersammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
erkrankungen, der SchlaganfäUe und Geisteskrankheiten. Bei Verletzungen
oder Erkrankungen hestimmter Gehimteile fallen ganz bestimmte geisüge
Funktionen aus. Aus demselben Grunde ist dieses Gehirn auch den Ent-
wicklungsgesetzen alles Stofflichen unterworfen und so hat mit ihm
auch der Geist seine Entwicklungsphasen.
Es ist nicht möglich, in dem mir zur Verfügung stehenden Rahmen
ausführlich auf die Anatomie und Physiologie dieser Organe einzugehen.
Ich muB mich begnügen, hier auf die diesbezüglichen Ausführungen Dr.
Th. Ziehens in seinem „Leitfaden für die physiologische Psychologie",
Dr. H. Schillers in seiner „Praktischen Pädagogik^^, Dr. Gerhardis in
seiner „Physiologie in Beziehung auf Pädagogik und Schulgesundheits-
pflege" und Rektor Hemprichs in seiner „Kinderpsychologie" zu ver-
weisen. Hier soll nur kurz in Anlehnung an diese Arbeiten folgendes
ausgeführt werden:
Das Organ des Geistes im engeren Sinne sind die beiden Halb-
kugeln des Großhirns mit ihren durch Fältelungen hervorgebrachten
V^indungen. Auf dem Durchschnitt unterscheidet man eine graue und
eine weiße Substanz. Die erstere überzieht als Rinde die Halbkugeln
des Großhirns mit allen seinen Windungen und Vertiefungen und bildet
innerhalb derselben eine Anzahl mächtiger zentraler Kerne. Die übrige
Masse bildet die weiße Substanz. Mikroskopisch erweist sich die graue
Substanz als aus einer Menge miteinander durch Verästelung verknüpfter
Nerven-, sogenannter Ganglienzellen, die weiße Substanz als aus
vorzugsweise unverzweigten Nervenfasern bestehend. Die Lücken
dieser Grundelemente werden durch den Nervenkitt, die sogenannte Neu-
roglia ausgefüllt. Jede Ganglienzelle ist xiußer mit ihren Nachbarn noch
mit einer Nervenfaser verbunden. Ganglienzellen mit zugehöriger Nerven-
faser bilden zusammen ein sogenanntes Neuron. Was die physiologische
Bedeutung dieser drei Gewebsarten angeht, so stellen die Fasern die
leitenden und verknüpfenden Elemente dar, während die Ganglienzellen
die empfangenden und umwandelnden Organe des Empfindens, Denkens,
WoUens und des Bewußtseins sind.
Von besonderer Wichtigkeit ist im weiteren die Faserung in der
weißen Substaiz, die die Verknüpfung der einzelnen Ganglienzellenherde
untereinander und mit den Außenorganen der Sinne, des Rückenmarks
und des Nervensystems darstellt.
Nach den Forschungen Meinerts laufen sämtliche von der Rinde
der Großhirnhalbkugeln radiär ausgehenden, die weiße Substanz bildenden
Fasern zunächst nach den großen zentralen Gehimganglien der betreffen-
den Halbkugel und bilden so die Stabkranzfaserung oder das Projek-
tionssystem erster Ordnung. Von dieser zu dem Ganglienherd des
Höhlengraus der dritten Himkammer und des Rückenmarkskanals ziehen
die Fasern des Projektionssystems zweiter Ordnung, wo sie
in verschiedener Höhe zum Teil schon im verlängerten Mark — ^ oberes
Ende des Rückenmarks — endigen. Im zentralen Höhlengrau schließlich
selbst entspringen die nach der Peripherie des Körpers laufenden Bahnen
des, für die Kopfsinne nicht in Betracht kommenden Projektions-
systems dritter Ordnung. Sämtliche Bahnen enthalten einesteils
empfindende (zentripetale), andernteils erregende (zentrifugale J Nerven-
Verhandl. d. VI. JahreBversammlung d. AUgem. Deutsch. Yereins etc. 25
fasern. Neben diesen haben wir noch zu unterscheiden Kommissuren-
fasern, die Halbkugel und Halbkugel verbinden, und Assoziations-
fasern, die die verschiedenen Gebiete ein und derselben Großhirnhalb-
kugel verbinden. Dieses anatomische Gehimbild ist durch folgendes
physiologische zu erg&nzen.
Wenn der aus der Außenwelt kommende Reiz in unseren Sinnes-
organen auf die Endigungen der sensiblen und sensorischen Nerven trifft,
wird aus dem äußeren Beiz eine Nervenerregung, ein physiologischer,
d. h. ein physikalischer oder genauer ein chemischer Vorgang, der sich
nun zentripetal der Nervenbahn entlang fortpflanzt und schließlich in
der Hirnrinde eine Erregung auslöst. Parallel mit dieser materiellen
Erregung zeigt sich dann auch ein psychisches Element, die Empfin-
dung, welche bewußt ist. Der dem Gehirn mitgeteilte Eindruck einer
Beizung durch Sinnes- und Empfindungsnerven schwindet aber in dem-
selben nicht so schnell wieder, wie seine erregende Ursache, sondern es
bleibt ein unbewußtes Nachempfinden, ein Erinnerungsbild zurück,
eine materielle Spur der stattgehabten Himrindenerregung in der Gehim-
substanz, die wir als eine bestimmte Anordnung in bestimmter Weise
zusanmiengesetzter Moleküle der betreff'enden in Erregung befundenen
Ganglienzellen des Gehirns uns denken können. Wenn wir denselben
Gegenstand zum zweitenmal z. B. sehen, so wird die bisher lediglich
materielle Spur nun auch psychisch als Erinnerungsbild oder vielmehr
als Vorstellung wieder lebendig (Ziehen).
Schon oben wurde die graue Großhirnrinde als das Organ des be-
wußten Denkens im allgemeinen angeführt. Sie ist das Projektionsorgan
für alles, was über die Schwelle des Bewußtseins gelangen soll. Hier
werden die Erinnerungsbilder niedergelegt. Deren Verknüpfungen und
Verbindungen auf den Bahnen der Kommissuren- und Assoziationsfasern
sind die wesentlichsten Grundlagen unserer Denkprozesse. Und hier
haben insbesondere die Forschungen Flechsigs ergeben, daß den ver-
schiedenen geistigen Funktionen verschiedene bestinmit umgrenzte Gehirn-
abschnitte, Großhimrindenbezirke entsprechen. So wurden neben manchem
noch Strittigen in durchaus einwandfreier Weise folgende erregende oder
motorische und empfindende oder sensible Zentren oder Bezirke festge-
stellt. Das Zentrum für die bewußte und gewollte Bewegung der Arme
und Beine in der zentralen und der oberen Schläfen windung; das moto-
rische Zentrum für die Sprache in der dritten linken Schläfen windung;
das sensible Zentrum für das bewußte Sehen im Hinterhauptslappen; das
sensible Zentrum für das bewußte Hören im Schläfenlappen; das sen-
sible Zentrum für den Geruch an der Himbasis usw. — So ungefähr stellt
sich in großen Zügen anatomisch und physiologisch das fertig entwickelte
Gehirn der Erwachsenen uns dar.
Als ein noch wenig ausgebildetes Organ bringt das Kind sein
Gehirn mit auf die Welt. Seine Masse im ganzen ist noch gering, seine
Konsistenz weich imd wasserreich, die einzelnen Abschnitte sind noch
mehr oder weniger unentwickelt. Alles ist mehr oder weniger erst in
seinen Anlagen vorhanden und muß erst allmählich und zwar von
außen her entwickelt werden. So sind z. B. die Stimlappen, die im
besonderen die Organe des bewußten Denkens darsteUen, während der
26 Verhandl. d. VI. JahresYersammlung d. Allgem. Deutsch. Vereinfl eic.
Kindheit nur sehr unvollkommen entwickelt. Die Nervenleitongen , die
faserigen Verbindungen zwischen den höchsten Zentren im Großhirn
sind noch nicht fertig gestellt. Die Nervenzellen der Sinneszentren und
insbesondere der Großhirnrinde sind nodi unentwickelt (He mp rieh,
Kinderpsjchologie). Die Sinne selbst müssen sich erst allmählich ent-
wickeln. So ist z. B. das Farbenunterscheidungsvermögen vor dem
4. Jahre selten vorhanden und klar entwickelt. Langsam und all-
mählich werden in der frühesten Kindheit zwischen den Sinnesorganen
und den entsprechenden Gehirnzentren die Bahnen wegsam gemacht. Lang-
sam und allmählich werden dann auf diesem Wege die Außenwelt und
ihre Eindrücke in Gehirn aufgenommen, als Vorstellungen aufgespeichert
und in Erinnerungsbildern den entsprechenden Gehimteilen einverleibt;
schließlich dieselben unter sich (Assoziation) zu Begriffen verknüpft und
so die ersten Denkakte vermittelt. Verhältnismäßig spät und jedenfalls
erst wenn, oder wahrscheinlich erst nachdem das übrige Wachstum
des Körpers zu einem gewissen Abschluß gekommen ist — wie das im
Durchschnitt mit dem Eintritt der Pubertät stattfindet — hat sich so
allmählich das kindliche Gehirn zu jenem hochentwickelten Organ des
Erwachsenen ausgebaut, das zu den verwickelten und höchsten Geistes-
funktionen, dem abstrakt-logischen Denken beHlhigt. — In diesem Alter
hat eine Gymnasiast bereit« drei, ein Bealgymnasiast und Oberrealschüler
(neben ebenso abstrakt betriebener Mathematik) bereits zwei Fremdsprachen
seit Jahren schon in grammatikalischer Bearbeitung. — So hängt die Entr
Wicklung und der Werdeprozeß der geistigen Fähigkeiten auf engste zu-
sammen mit dem Wachstum und der gleichmäßigen und naturgemäßen
Ausbildung des Gehirns.
Auf diese natürliche Basis der Gehirnphysiologie und -bio-
logie wird sich jede brauchbare Pädagogik stellen müssen. Man kann
die Geistes- und Verstandestätigkeit nicht aus diesem Zusammenhang
reißen und für sich behandeln, ohne in falsche und naturwidrige Bahnen zu
kommen. Eine diesen Zusammenhang vergessende philosophische Pädagogik
einer Zeit, da man im Hexenprozeß den Leib verbrannte, um „die Seele'^
— alias Geist — zu retten, und da man im Kloster ihn zum selben Zweck
durch Martern und Kasteiungen abtötete, mutet mit dem gi*anunatikali-
schen Unterricht dem Kinde etwas zu, was dem Erwachsenen gehört.
Das fühi-t, sobald diese Methode das Übergewicht hat, zu einer einseitigen
Inanspruchnahme einzelner diesen Funktionen dienenden Gehirnpartien.
Dies bedingt bei der Jugendlichkeit und Unreife des Gehirns einerseits
die Gefahr der Überlastung und dauernden Schädigung dieser Teile,
andererseits geschieht es auf Kosten der übrigen noch unentwickelten
Gehimpartien , deren Verkümmerung infolge Vernachlässigung um so
größer wird, je jugendlicher und unentwickelter sie noch sind. Ein
Punkt, auf den besonders auch Prof. Griesbach in seiner Broschüre
„Gesundheit und Schule" hinweist.
Das ist das eine. Das andere habe ich oben in anderem Zusammenhang
schon gestreift und ist folgendes. In seinem Handbuch der praktischen
Pädagogik schreibt Dr. Hermann Schiller: „Unser geistiger Reichtum
wird, außer dem Kapital, das jeder einzelne von seinen Vorfahren ererbt
hat, durch das Empfinden, d. h. durch das Aufnehmen von Sinnesein-
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereine etc 27
drücken bedingt; denn dieses liefert das Material, aus welchem die Vor-
stellungen hervorgehen. Darum beruht auch die richtige Geistesbildung
auf Übung und zweckmäßigem Gebrauch der Sinne. Erst mit dem Er-
wachen derselben kann sich beim Kind der Geist ausbilden und zwar
um so besser, je vollkommener die Sinnesorgane eingerichtet sind und je
sorgfältiger Sinnesübungen vorgenommen wurden; um so schwächer, je
geringer die Sinnesorgane entwickelt sind und je weniger die Sinnes-
tätigkeit geübt wird." Von dem Gebrauch der Sinne hängt jede rich-
tige Kenntnis der Gegenstände ab. Die ganze Entwicklung des
Verstandeslebens wird durch die Tätigkeit der Sinne bedingt.
Diesem Naturgesetz entsprechend ist das ganze Wesen des Kindes auf
Anschauung, sein ganzes Geistesleben dahin veranlagt, vermittels seiner
Sinne die Außenwelt, die Dinge zu erkennen und so seinen Geist mit
konkretem Wissen, sein Gehirn mit S ach Vorstellungen zu fallen,
und bei so allmählich fortschreitender Erkenntnis mit seinen stereotypen
Fragen: „Warum und wozu ist das?" und „Wie kommt das?" in dieser
realen Welt der Sachen und Dinge den Zusammenhang zu finden und
ihren Zweck zu ergründen.
Was bietet diesem natürlichen Trieb und Weg der Geistesbildimg und
Verstandesentwicklung der grammatikalische Fremdsprachenunterricht? In
„Kritische Untersuchungen über Denken, Sprechen und Sprachunterricht"
von Dr. Aug. Messer, Oberlehrer und Privatdozent der Philosophie in
Gießen (Sammlung von Abhandlungen aus der pädagogischen Psychologie
und Physiologie) lesen wir: „Mit dem Studium der fremden Sprache an
und für sich, d. h. mit der Aneignung ihrer Grammatik und ihres Wort-
schatzes ist eine Erwerbung neuen geistigen Inhalts und Besitzes noch
gar nicht gegeben. Das fremdsprachliche Wort ist zunächst ein bloßer
Lautkomplex, mit dem sich etwa noch die optische Vorstellung
des geschriebenen oder gedruckten Wortes verbindet. Auch damit, daß
die fremdsprachlichen Worte mit Hilfe unserer Muttersprache oder durch
Anschauungen, welche unsere Kulturwelt liefert, verdeutlicht werden, ist
noch gar keine inhaltliche Bereicherung unseres Geistes ge-
geben. Erst das Studium der fremdsprachlichen Literatur, die uns in
die fremde Kulturwelt einführt, gewährt uns eine solche, besonders, wenn
eine reichliche, sachliche Belehrung sich damit verbindet (die aber, wie
nachher gesagt wird, streng genommen aus dem Bereich des fremdsprach-
lichen Unterrichts als solchem hinausfällt). Einen Zuwachs an Vor-
stellungen liefert uns das bloße Übersetzen so wenig, als das einfache
Erlernen solcher Vokabeln." Ein weiterer begeisterter Verfechter alt-
sprachlichen grammatikalischen Unterrichts, Oberlehrer Keller, „Denken
und Sprechen und Sprachunterricht", betont, „daß das Wort mehr und
mehr die Vorstellimg vertritt (d. h. auf Physiologisch: daß das Wortbild
an die Stelle der Sachvorstellung tritt), imd muß zugeben, daß
beim Studium der alten Sprachen nur das Objektivste an der Sprache,
das Gedankenmäßige, der reine Denkinhdlt bleibt: „Alles Seelische,
Gefühlsmäßige, was dem Römer und Griechen im Klang seiner lebendi-
gen Sprache lebte, fällt uns so gut wie aus." Also auch nach den Zeug-
nissen von dieser Seite: Rein gedankenmäßiges, vom Stofflichen, Seelischen,
Gefühlsmäßigen losgelöstes, abstraktes Denken; Worte, Namen und
28 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. DentsQh. Vereins etc.
Zeichen an SteUe von Dingen und Sachen für die hungrigen Sinne,
Wortvorstellnng statt Sachvorstellung, tote Wortformen statt lebendigen
Denkinhalts. So wird es zur Unnatur, so werden die Sinne yernach-
lässigt, und das in einer Zeit, da sie die Grundlagen aller Erkenntnis
und alles Denkens sind, da sie ganz besonderer Rücksicht und Pflege
bedürfen. So verkümmern sie auf Kosten einer einseitigen Verstandes-
bildung. Und diese selbst verfehlt ihren Zweck, weil auf falscher Bahn
und zu früh einsetzend.
Und schließlich: Wie stellt sich der Schüler zu dieser Art? Der
grammatische Unterricht widerstrebt der ganzen Natur der lernbegierigen
Jugend, deshalb verhält sie sich widerwillig dagegen, er wird zur
Plage. Das ertötet das Interesse, die Grundbedingung jeder ersprießlichen
Arbeit und wirkt verstimmend und verbitternd. So führt er zum Schul-
ekel; so führt er zum Arbeitsekel überhaupt.
Auf diesen Linien im ersten und letzten Punkt sind all die Anklagen
und Vorwürfe zu suchen, die unserm heutigen Schulsystem gemacht
werden. Auf der Linie der einseitigen und übermäßigen Inan-
spruchnahme von Gehirnpartien zu einer Zeit, da dieselben
dazu noch nicht stark und entwickelt genug sind, liegen die
Klagen über Überbürdung mit ihren Folgen der körperlichen und geistig^i
Schädigungen und der trotz aller gegenteiligen Versicherungen steigenden
Nerven- und Konstitutionsschwäche unserer Jugend. Auf der Linie der
Vernachlässigung und Verkümmerung der Sinne liegt der Voi>
wurf des Mangels an Beobachtungsgabe, an praktischem Blick und an
praktischer Brauchbarkeit unserer Jugend fürs Lebens. Auf der Linie
des Zurücktretens des Inhalts endlich gegenüber der Form,
dem Formellen und Formalen liegt die Überschätzung des Buch- und
Wortwissens und der Mangel an Verständnis für den Wert des Könnens,
bewegen sich die Vorwürfe der Blasiertheit, des mangelnden Idealismus,
der Erziehung zu früher Greisenhaftigkeit, der Züchtung von Schablonen-
menschen und Bureaukraten, usf , wie wir das in den verschiedensten Er-
örterungen über diese Fragen lesen können (Gerhardi, Fahrenbruch,
Parrow, Pabst usw.). So kommt es, daß — wie H. Schiller in der Ein-
leitung zu seiner Abhandlung „Zur Schularztfrage^' (Abhandlungen aus den
Gebieten der physiol, Pädagogik) anführt — schon Luther klagt: „Daß
die Knaben von dem vielen Sitzen in der Schule dumm würden^^ und
daß schon vor 150 Jahren Ernesti von der eigentümlichen Krankheit
des „Stupor scholasticus^* redet. So muß wieder Herder in seinem „Reise-
joumal" wettern: „Man verliert seine Jugend, wenn man seine Sinne
nicht gebraucht. Man quält die Seele eines Kindes, wenn man sie in
eine Lage von Abstraktionen ohne lebendige Welt, von Lernen ohne
Sachen, von Worten ohne Gedanken gleichsam hineinquält. Für die Seele
eines Kindes ist keine größere Quäl als diese; denn Begriffe zu erweitem
wird nie eine Qual sein, aber etwas als Begriff einzubilden, was kein
Begriff ist, ein Schatten von Gedanken ohne Sachen ... ein abstrakter
Satz ohne Datum, Sprache ohne Sinne — das ist Qual, das altert die Seele."
Auf dasselbe Konto wird es zu setzen sein, wenn das Gutachten
der medizinischen Sachverständigenkommission zu Straßburg in den 80 er
Jahren des vorigen Jahrhunderts sich dahin ausspricht: „Wir können auf
Verhandl. d. VL Jahresyersammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 29
Grund unserer Erfahrungen versichern, daß nicht wenige der Medizin-
studierenden trotz 10 jähriger Vorbereitung auf gelehrten Schulen un-
fähig sind, einfache Erscheinungen schnell und genau aufzufassen, das
Beobachtete sprachlich richtig wiederzugeben und mit der nötigen
Sicherheit und Gewandtheit Urteile und Schlüsse zu bilden. Man erlebt
es nur zu häufig, daß 20jährige Jünglinge, deren Gehirne 10 Jahre lang
mit humanistischem Wissen vollgepfropft wurden, nicht imstande sind,
auf kurze und nicht mißzuverstehende Fragen, die jeder Mensch mit ge-
sundem Verstand und guter Elementarbildung sofort begreift, eine
treflFende, kurze und bündige Antwort zu geben" (Fahrenbruch, „Auf
dem Holzweg^^). Es wird kein Zufall sein, daß eine ganze Anzahl Uni-
versitätslehrer, auch aus anderen Fakultäten, dieselben Klagen führen,
deren gemeinsamer Grundton die Klage über Mangel an sinnlicher
Auffassung ist und — Hand in Hand damit — die geringe Fähigkeit
der klaren sprachlichen Wiedergabe des Beobachteten (Fah-
renbruch, ebendort).
Mit diesem Punkt kommen wir zu der Wertung und den Wirkungen
dieser Methode für unsere Muttersprache. Hierbei möchte ich noch
einen Augenblibk verweilen und Sie da zuerst wieder mit einem per-
sönlichen Erlebnis behelligen. Nachdem ich als Student die ersten
Briefe nach Hause geschrieben, kam bald von dort ein Brief, der lautete:
„Lieber Sohn, wenn Du des weiteren fortfährst. Deine Briefe in lateini-
schem Periodenstil abzufassen, so muß ich meinerseits darauf verzichten,
sie zu lesen. Dein Vater.^^ Dabei hatte mir die Abfassung dieser Briefe
meist keine kleine Mühe gemacht, und dabei war ich nie ein hervor-
ragender Lateiner und Grieche gewesen, und ein Jahr vorher hatte ich
im Abiturientenexamen im deutschen Aufsatz eine Sieben erhalten.
Leider bin ich mit dieser ünbeholfenheit im Gebrauch meiner Mutter-
sprache keine Ausnahme. Dieser schlimme Einfluß der durch ihre Länge
und ihre Ineinanderschachtelung gekennzeichneten lateinischen Perioden
auf unseren deutschen Stil ist geradezu die Regel und des grammatika-
lischen Studiums eigenstes Werk. Dafür bringt Fahrenbruch in seiner
oben schon angezogenen Broschüre „Auf dem Holzwege" interessante und
unwiderlegliche Beweise, die er dort S. 25 ff. folgendermaßen belegt:
„Daß der sprachliche Ausdruck durch den lateinischen Stil und Satz-
bau einerseits, den granmiatokratischen Unterricht andererseits Schaden er-
leidet, steht für jeden vorurteilslosen Philologen außer Zweifel. Bau-
meister z. B. schreibt: 4:Daß die Übertreibung des grammatischen Unter-
richts in jüngeren Jahren die Sprechfähigkeit schwächt und abmindert,
ist keine Frage; die Flüssigkeit und Geläufigkeit des Gedankenausdrucks
leidet unter dem fortwährenden Eiertanz zwischen Hemmnissen und Fuß-
angeln.» Und von der Lektüre sagt er: «Es kann gar keine Frage sein,
daß das tägliche Badebrechen aus den alten Schriftstellern die höchste
Schädigung der Ausdrucksfähigkeit in der Muttersprache herbeiführen
und gerade die besten Schüler zu Stümpern verkrüppeln mußj»
„Was hier direkt von den Wirkungen des Lateinischen auf den
Schüler gesagt wird, das bestätigt gewissermaßen ein Ausspruch Wies es,
des früheren Leiters des preußischen Unterrichtswesens, also eines gewiß
einwandfreien Zeugen — für die Lehrer: «Es ist mir oft auffallend gewesen,
30 Verhandl. d. VI. Jahresvenammlang d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
wie wenig bei manchen ausgezeichneten Philologen die fortdanemde Be-
schäftigung mit den alten Sprachen auf ihren eigenen Stil und ihr
Sprachgefühl bildend einwirkt.» Ein Wort, das sich durch ein anderes
von Paulsen ergänzen Iftßt: <^Daß auch die vollkommenste Herr-
schaft über die lateinische Sprache nicht vor arger Mißhandlung der
deutschen Sprache bewahrt, sondern vielleicht eine gewisse Neigung hat,
ein eigentümliches Verderbnis des deutschen Stils hervorzubringen,
dürfte aus deutschen Schriften der Philologen wahrscheinlich gemacht
werden können»" Dasselbe beklagt ein Gutachten der medizinischen
Fakultät zu Celle: „Es ist auffallend, wie wenig die Studenten der Jetzt-
zeit ihre Muttersprache beherrschen und wie oft das, was sie in deut-
scher Sprache schreiben, stilistisch und logisch einen schülerhaften Ein-
druck raacht.^ Dazu klingt wie ein Hohn, was Müller S. 74 sagt:
„Unter formaler Bildung versteht man eine durch fortgesetzte Übung
erzielte Fähigkeit, scharf und folgerichtig zu denken und das Gedachte
klar auszusprechen!^^ Dabei haben wir noch ganz geschwiegen von den
Greueltaten, die dem Stil unserer Muttersprache in den Texten der Ar-
gumente und Übersetzungsstücke angetan w^erden, um grammatische
Regeln und Fußangeln aller Art darin unterzubringen. Diese Tatsachen
bestätigt ims weiter Tag für Tag unser Juristendeutsch. Diese Klagen
erklingen, wie Fahrenbruch mitteilt, viceversa aus der romanischen
Schweiz und aus Italien.
Betreffend die Resultate bezüglich der auf diese Art erzielten Be-
herrschung der fraglichen Fremdsprachen, so. hat ein Franzose einmal
über den französischen Unterricht bei uns gesagt, „es sei uns Deutschen
gelungen, aus der französischen Grammatik ein unübersteigliches Hindernis
zu machen" und in seiner kleinen Broschüre „Der Sprachunterricht muB
umkehren" von Quousque Tandem weiß ein Neuphilologe zu berichten:
„Unsere Realschulabiturienten können so wenig einen französischen oder
englischen Brief schreiben, als sie sich in London oder Paris in ihrem
Jargon ohne Stocken imd Hacken um die nächste Straßenecke fragen
können." Und, wenn ich abermals mit Persönlichem konunen darf, so
bin ich wohl nie sonst im Leben so unwissend und kläglich, so gründ-
lich ungebildet mir vorgekonmien, als wenn ich, auf meinen Reisen,
draußen stand in fremden Landen mit meinem 6jährigen Französisch
und meinem 2jährigen Englisch: hilflos wie ein verlorengegangenes
Kind. Fassen wir diesen Punkt bezüglich der alten Sprachen, so. weiß
wohl ein jeder von uns, der eine gymnasiale Laufbahn hinter sich hat,
wie es am Schlüsse derselben mit der Beherrschung dieser Sprachen und
der Geläufigkeit im Lesen und Verstehen der alten Klassiker bestellt ist.
So spinnt sich die große, lateinisch-grammatikalische Sünde
wider die Natur mittelalterlichen Angedenkens, wie ich sie
nennen möchte, durch den ganzen Sprachunterricht, ja durch unser ganzes
Schulwesen hindurch: denn die realistischen Schulen schlagen neben
ihrem abstrakt-grammatikalischen Neusprachenunterricht mit ihrem ebenso
abstrakt und einseitig betriebenen Mathematikunterricht so ziemlich
dieselben Bahnen ein.
Aus alldem ergibt sich für uns bezüglich dieser zweiten Seite unserer
Frage folgendes:
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 31
Der Unterricht ist im Ganzen und in seinen Teilen naturge-
mäßer zu gestalten und den Gesetzen der Bioligie und Physiologie des
jugendlichen Organismus, insonderheit des Gehirns und seiner Organe
anzupassen. Die Schule muß die vornehmlich mit dem grammatikalisch-
fremdsprachlichen Unterricht betretenen Bahnen des einseitigen Intellek-
tualismus und Formalismus verlassen und eine naturgemäße, auf der
Grundlage der Sinne imd ihrer Tätigkeit aufgebaute, möglichst gleich-
mäßige und harn[H>nische Ausbildung der Geistes- und Körperkräfte ins
Auge fassen, nach dem Ausspruch des Altmeisters Pestalozzi: „Aller
Unterricht des Menschen ist nichts als die Kunst, dem Haschen der
Natur nach ihrer eigenen Entwicklung Handbietung zu leisten. ^^
Für den Sprachunterricht im besonderen ergibt sich aus diesen
Ge.sichtspunkten :
1. Die Muttersprache muß als die natürliche in den Mittelpunkt
dieses Unterrichts gestellt werden.
2. Die Frage nach dem Beginn des fremdsprachlichen Unterrichts
ist in zwei Fragen zu zerlegen, weil es zweierlei Wege der Erlernung
fremder Sprachen gibt:
a. den, wie das Kind die Muttersprache lernt, b. den Weg der
Grammatik.
Der erstere ist der natürliche, physiologisch-biologische Weg. Er
entspricht dem jugendlichen, erwerbenden, Stoff sammelnden Denken und
der allmählichen Entwicklung des Gehirns an der Hand der Sinne und
der Anschauung. Diese Art kann ohne Schädigung einsetzen so früh
sie will.
Der andere Weg, der der Grammatik, entspricht dem ordnenden
rückschauenden Denken des Erwachsenen, dem fertig entwickelten, für
den schwierigen Prozeß abstrakt logischer Denkoperationen ausgereiften
Gehirn. Er schädigt das jugendliche Gehirn und Denken. Für diese
Art gilt deshalb: So spät als möglich.
3. Der Unterricht in den Fremdsprachen ist auf der Unterstufe
jedenfalls der ersten Art zuzuweisen. Sie dürfen nicht gelehrt und ge-
lernt werden nach Art der lateinischen und griechischen Grammatiken
von heute; nicht Sprache aus der Grammatik, sondern Grammatik
aus der Sprache, vornehmlich durchs Ohr an der Hand der Sinne,
nicht durchs Auge allein und aus Büchern, nicht unter dem Gesichts-
punkt der Grammatik als geistiger Tumanstalt, sondern mit dem aus-
gesprochenen Zweck des praktischen Gebrauchs und als Schlüssel für
die Einführung in die Literatur des betreffenden Volkes. Inwieweit die
Art der einzelnen Sprache und die Eigenart des Massenbetriebs der
Schule diese Forderung zu erfüllen imstande ist, ist eine schultechnische
Frage und außerhalb des Bereichs meiner Zuständigkeit. Ich habe hier
nur zu sagen: je weniger dies im einzelnen Fall möglich ist, um so
weiter muß die betreffende Fremdsprache im Lehrplan hinansgecückt
werden. Im übrigen kann ich mich auch hier wieder auf die pädago-
gische Autorität Herders berufen, der in seinem „Reisejoumal" sagt:
„Weg Grammatiken und Grammatiker. Mein Kind soll jede tote Sprache
lebendig und jede lebendige so lernen, als ob es sie sich selbst er-
finde. Das erste Gesetz also, die Sprache soll nicht aus Grammatik,
32 Verhandl d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
sondern lebendig gelehrt werden, nicht fürs Auge und durchs Auge
gelesen, sondern fürs Ohr und durchs Ohr gesprochen, ein Gesetz, das
nicht zu übertreten ist. Ich weiß, was ich mir für Schwierigkeiten
in den Weg gelegt, aus Büchern mit dem Auge ohne Schall und Festig-
keit sie zu verstehen und zu verstehen glauben: da bin ich mehr als
ein Unwissender. Die erste Sprache ist also eine Plapperstunde."
4. Betreffend die Anordnung, so stehen in erster Reihe natürlich
die lebenden Sprachen, da sie allein die Forderung der natürlichen
Erlernung erfüllen können. Ihre Folge unter den f^ uns in Betracht
kommenden müßte sein: erst Englisch, dann Französisch, weil der
Gang vom Näherstehenden und damit Leichteren zum Fernerstehenden
und Schwierigeren der natürlichen Entwicklung der kindlichen Krftfte
mehr entspricht.
5. Der ausschließlich grammatikalische Betrieb der toten Sprachen
ist jedenfalls auf die höheren und höchsten Altersstufen zu verlegen.
Es dürfte das umsoweniger auf ernstliche Schwierigkeiten stoßen, als,
wie oben gezeigt, diese alten Sprachen als ein unentbehrlicher Bestand-
teil allgemeiner Bildung heutzutage kaum mehr . anzusehen sind, und
sie deshalb am besten dem Studium der«r vorbehalten bleiben, wie Theo-
logen, Spi achforscher usw., die sie für die Zwecke ihres Berufs brauchen.
Es sind doch wohl vergangene Zeiten, da „Bildung" und „gelehrtes
Wissen" gleichbedeutend waren? Unsere Zeit muß das Können über
das Wissen stellen.
So kommen wir auch vom biologisch-phjsic^ogischen Standpunkt
aus fär unsere Frage zu dem allgemeinen Endergebnis, wie es Hidebrand
in seinem „Vom deutschen Sprachunterricht" in die Worte faßt:
„Es ist für eine frische Zukunft unserer Jugend eine große
Umkehr nötig, ein durchgreifender Bruch mit der noch herr-
schenden Gedankenrichtung."
LitteratorverBeiolmiB.
1. Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagog. Psy-
chologie und Physiologie von H. Schiller und Th. Ziehen.
a. „Über Sach- und Sprech Vorstellungen" von Ganzmann. Bd. IV.
Heft 6.
b. „Die Schularztfrage, ein Wort z. Verständigung" von H. Schiller.
Bd. m. Heft I.
c. „Die Ideenassoziation des Kindes" von Dr. Th. Ziehen. Bd. I.
Heft 6.
d. „Kritische Untersuchungen über Denken, Sprechen und Sprach-
unterricht" von H. Aug. Messer. Bd. III. Heft 6.
2. „Leitfaden für die phjsiolog. Psychologie" von Dr. Th. Ziehen.
2. Aufl. Jena 1893.
3. „Die Kinderpsychologie und ihre Bedeutung fttr Unterricht und Er-
ziehung" von K. Hemprich, Rektor der Bürgerschule in Freiburg.
Dessau, Anhaltische Verlagsanstalt.
4. „Gesundheit und Schule" von Prof Dr. Griesbach, B. G. Teubner 1902.
5. „Hyg. Schulreform, ein Wort an die Gebildeten aller Stande" von
Prof. Dr. Griesbach, Verlag von Leopold Voß, Hamburg-Leipzig.
Yerhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 33
6. „Bas höhere Schulwesen Deutschlands am Anfang des 20. Jahr-
hunderts" von Prof. Dr. Hugo Müller, Oberlehrer am Ludwigs-
Georg-Gymnasium in Darmstadt. Verlag Christ. Beiner, Stuttgart
1904.
7. Handbuch der prakt. Pädagogik von Dr. H. Schiller. Verl. Reis-
land, Leipzig 1894.
8. „Res, non verba" von Th. Walther Parrow, Prof. an der Friedrich-
Werderschen Oberrealschule in Berlin. Verlag Rieh. Sattler, Braun-
schweig-Leipzig 1904.
9. Zeitschrift fOr lateinlose höhere Schulen:
a „Das Genie und seine Beziehungen zum altsprachlichen Unter-
richt'* von Dr. med. Gerhardi Jahrg. 1898/99.
b. „Psychologie in bezug auf Pädagogik und Schulgesundheitspflege**
von Dr. med. Gerhardi. XII. Jahrgang 1900/01.
10. ,J)er Sprachunterricht muß umkehren", ein Beitrag zur Überbüi'dungs-
frage von Quousque Tandem. Heilbronn, Gebr. Henninger 1882.
11. „Die Notwendigkeit der Einheitsschule", ein Mahn wort an alle Freunde
erziehlicher Jngendbildung von Dr. W. Parrow. Verlag von R. Sattler,
Braunschweig-Leipzig 1 904.
12. „Auf dem Holzwege", ein kritischer Beitrag zur Frage des höheren
Unterrichts, von Prof. A. Fahrenbruch. Straßburg i/E., Verlag
von Ed. V. Hauten 1899.
13. „Kind und Kunst", Monatsschrift für die Pflege der Kunst im Leben
des Kindes. Verlag von Alex. Koch, Darmstadt, Jahrg. I, Heft I
1904.
a. „Kunst und Spiel in ihrer erzieherischen Bedeutung" von Dr.
R. Lange in Tübingen.
b. „Einige Grundfragen der Erziehung" von Direktor A. Pabst,
Leipzig.
14. „Unsere Schätze — unsere Kinder*' von Dr. med. Krisowski,
Kinderarzt in Berlin. Berlin: Emil Streisand 1899.
15. „Jugenderziehung im Jugendstil*' v. F. Schmidt, Hanau.
16. „Der gemeinsame Unterbau der höheren Schulen in seiner geschicht-
lichen Ent Wickelung** von Dr. Fr. Blum. Beilage zu dem Jahres-
bericht der Realschule mit Realprogymnasium zu Mannheim fCLr das
Schuljahr 1903/04.
Vorsitzender, Prof. Griesbach:
Ich danke dem Herrn Vortragenden für sein hübsches und sehr
eingehendes Referat. Wenn auch die in Betracht gezogene Neuronen-
lehre manchen Nichtmediziner etwas überrannt haben mag, so war sie
doch erforderlich, und der Herr Vortragende hat es geschickt verstanden,
ihre Bedeutung für den behandelten Stoff in das rechte Licht zu setzen.
Ich eröffne jetzt die Diskussion zu den Referaten Victor und
Jäger.
Diskussion vom I. Tage.
Oberrealschuldirektor Hintzmann-Elberfeld: Bei der Beantwortung
dieser äußerst wichtigen pädagogischen Doppelfrage stehe ich auf dem-
selben Standpunkt wie die Herren Referenten, insofern ich den fremd-
Verhandlungen 1905. 3
34 Verhandl. d. VI. Jahresyersammlung d. Alldem. Deutsch. YeieinB etc.
sprachlichen Unterricht auch um ein Jahr hinausgeschoben sehen möchte.
Das aber nicht aus den allgemeinen theoretischen Erwägungen der beiden
Herren, weleher Wissenschaft man sie auch entnehmen mag (ich stehe
natürlich durchaus auf dem Standpunkt, daß bei der Beantwortung der
Frage der anatomisch-physiologische Bau der Gehirne auf das eingehendste
berücksichtigt werden muß), sondern aus praktischen Bedenken. Das
Kind, welches in die unterste Klasse der höheren Schule eintritt, wird
vor eine außerordentlich große Aufgabe gestellt, insofern es sich plötz-
lich mehreren Lehrern gegenüber sieht (bis dahin hatte es nur mit
einem zu tun) und sich in einen ihm völlig neuen Organismus mit den
jedem Organismus eigenen Besonderheiten einleben muß. Sodann möchte
ich aber warnen, daß man nicht wieder in den alten Fehler des Unifor-
mierens verfalle. Es gibt auch hier verschiedene Wege. Man werde
auch darin der Individualität des Schülers gerecht imd lasse die ver-
schiedensten Schularten zu, also auch das Gymnasium. Die beiden
HeiTen Referenten scheinen nur auch darin geirrt zu haben, daß sie wohl
wesentlich an fi-ühere Verhältnisse am Gymnasium gedacht haben. Der
Ünterrichtsbetrieb ist heute auch an den Gymnasien ein anderer ge-
worden. Man sehe sich z. B. auch hier nur die physikalisch-naturwissen-
schaftliche Abteilung des Eberhard-Ludwigs-Gyranasiums an. — Was so-
dann die Anordnung des fremdsprachlichen Unterrichts betrifft und die
Methode dieses Unterrichts, so meine ich, bei dieser Frage gelte noch
das „non liquet". Hier gilt es auch weitere Versuche zu machen, die
den Beweis erbringen, ob das, was hier und da gilt, auch allgemein
gültig ist.
Prof. Mi 11 er -Stuttgart: Die württembergischen Klosterschulen (Semi-
narien) haben denselben Lehrplan wie die Obergymnasien. Die induk-
tive Einführung in die Grammatik ist im Grundsatz entschieden zu emp-
fehlen; diese Methode nimmt aber nicht weniger Zeit in Anspruch als
die alte Methode. Was den Gang des Unterrichts betrifft, so lasse man
sich durch Ausdrücke wie „natürliche Methode" nicht täuschen. Den
Kindern erscheint der grammatische Unterricht nicht unbedingt als un-
natürlich: manchem geht die Aneignung der fremden Laute gegen die
Natur. Hier gilt es, die Erfahrung sprechen zu lassen, die Ergebnisse
der Beformschulen auf das genaueste zu untersuchen. Die Ergebnisse
des Stuttgarter Mädchengymnasiums scheinen für die Beformgymnasien
zu sprechen, indessen handelt es sich hier um eine Auswahl von Schü-
lerinnen.
Prof. Vietor-Marburg verwahrt sich dagegen, daß er veraltete Zu-
stände am Gymnasium zugrunde gelegt habe. Er gibt zu, daß die in-
duktive Grammatik keine Zeitersparais bedeute, falls das jetzige viel
zu weit gehende Pensum erledigt werden soll. Der Wert des induktiven
Verfahrens liegt auf einer anderen Seite. Er gibt femer zu, daß eine
6-emde Sprache bald verlernt werde, wenn die fremde Umgebung fehle.
Der Unterricht soll so erteilt werden, daß das Interesse für die Sprache
(zunächst die Lektüre) nicht erstirbt. Bei der Frage der Anordnung der
Sprachen setzt er gleichfalls voraus, daß die Anforderungen (z. B. im
Latein am Reformgymnasium) abgeändert werden.
Direktor Treutlein- Karlsruhe: Spricht als Mitglied und Beauf-
Verhandl. d. VI. JahresversammluDg d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 35
tragter des Allgemeinen Deutschen Schulreformvereins und begrüßt zu-
nächst die jetzige Tagung und wünscht besten Erfolg der Beratungen.
Ich begrüße theoretisch und auf Grund der Erfahrung den Leitsatz, daß
mit einer lebenden Sprache zu beginnen sei und zwar bei uns im Süden
mit Französisch. Jedenfalls, ob Französisch oder Englisch, soll auch die
Erfahrung entscheiden. Auch dem stimme ich bei, daß das erste Jahr
der höheren Schule noch nicht der fremden Sprache gewidmet werde,
sondern der Muttersprache. Jedenfalls sollte man überall in deutschen
Landen, auch in Württemberg, mit Versuchen vorgehen; denn diese müssen
mitentscheiden.
Zum Schluß Hinweis darauf, daß künftighin wird damit gerechnet
werden müssen, daß unsere höheren Schulen überhaupt nur zwei ver-
pflichtende Fremdsprachen betreiben können.
Prof. Feucht- Stuttgart weist daraufhin, daß gerade der pädago-
gische Referent sich mit seiner Hauptsache auf den Gedanken beschränkt
habe: „Hinausschiebung des fremdsprachlichen Unterrichts überhaupt
um ein Jahr^\ daß derselbe Beferent aber den Bangstreit der Sprachen
von der Verhandlung ausgeschlossen wünschte. Den „Kampf um das
Gymnasium", der sich schon wieder rege, könnten also die anwesenden
Pädagogen demnach heute ruhen lassen.
Da aber durch den ärztlichen Referenten der Kampf um die
Methode eröffnet sei, so möge an die Methode Gouin als die durch-
dachteste aller „induktiven" oder Reformmethoden erinnert sein, die
im Ausland neuerdings großes Aufsehen und Erfolg erzielt habe, in
Deutschland wohl deshalb weniger bekannt sei, weil wir die stärkste
Rüstung älterer Methode tragen und uns darum gegen Hieb und
Stich neuer Methoden fester fühlen. Gouins Gedanke sei im
wesentlichen: „Wie wir in der Naturwissenschaft durchs eigene Experi-
ment das vollkommenste Verständnis gewinnen, so gedeiht der Sprach-
unterricht am besten, wenn wir vermöge einer konzentrierenden Methode
das Leben des fremden Volkes in Sprache, Gebärde und Bewegung nach-
leben." — Redner verweist auf seine näheren Darlegungen im Korre-
spondenzblatte für die höheren Schulen Württembergs (1902) und auf
die Verwirklichung des obigen Gedankens in seiner neuesten Arbeit
„Griechische Monodramen" (ganz in griechischer Sprache), wovon
eine Probe und erste Lieferung im neuesten Heft der Halleschen „Lehr-
proben und Lehrgänge" vorliegt. — Ein Unterrichtskurs nach diesem
Lehrmittel — so schließt der Redner im Hinblick auf vorgängige ab-
fällige Urteile über den griechischen Unterricht — werde an seinem
Teil zeigen, daß das Griechische als die anerkannte Königin der
Sprachen und Literaturen auch heute noch mit königlichen Gnaden einem
jeden lohne, der sich mit Freuden und Geduld diesem königlichen Dienst
widme.
Direktor Dr. Hörn -Frankfurt a. M. hat den Eindruck, daß der
Verein noch zu wenig praktische Erfolge erzielt hat. Er begrüßt des-
halb mit Freuden die maßvollen Thesen des Prof. Vietor aus Marburg,
deren Annahme sicherlich bewirken wird, daß die deutschen Regierungen
Versuche gestatten. Die höheren Mädchenschulen beschäftigen sich schon
seit Jahren mit diesem Gedanken, und von Fräulein Pöhlmann- Tilsit
8*
36 Verhandl. d. VI. JahreBversammlung d. Allgem. Deutsch. Yereins etc.
ist bereits ein derartiger Versuch mit dem besten Erfolg gemacht worden.
Notwendig ist die Beschränkung auf zwei fremde Sprachen und größere
Pflege der Muttersprache. Nur auf nationalem Wege können wir
weiter kommen.
Antrag Viötor:
1. Die 6. Jahresversanmilung des Deutschen Vereins ftlr Schulge-
sundheitspflege spricht den Wunsch aus, es möge den Schulen, die sich
dazu bereit erklären, versuchsweise erlaubt werden, den fremdsprachlichen
Unterricht erst in der zweiten ünternchtsklasse zu beginnen.
2. Sie bittet den Vorstand, diesen Beschluß den deutschen Regie-
rungen vorzulegen.
Lehrer Reichert- Stuttgart: Geehrte Versammlung! Sie werden
ein Gefühl der Verwunderung nicht unterdrücken können, wenn ich sage,
daß an dem Beginn des fremdsprachlichen Unterrichts die Volksschule
ein lebhaftes Interesse hat Und doch ist dem so, wie ich sogleich dar-
legen will. Die Volksschule ist die Lieferantin der Schulen mit fremd-
sprachlichem Unterricht. Jedem Lieferanten muß daran gelegen sein,
daß er durch eine gute Ware den Abnehmer befriedigt. Je mehr Zeit
der Volksschule für die Vorbereitung der Kinder zum Eintritt in die
höheren Schulen zur Verfügung gestellt wird, desto besser können die
Kinder in den Fächern, welche für die Aufnahme in die Realschulen
oder das Gymnasium ausschlaggebend sind, gefördert werden. Bei der
gegenwärtigen Einrichtung — Übertritt der Knaben schon nach zwei-
jähriger Schulung in der Volks- oder der besonderen Vorbereitungsschule
(Elementarschule oder Vorschule) — kann der Unterricht in den Prü-
fungsfächern (Rechtschreiben, Sprachlehre, Rechnen) nicht nach psycho-
logisch-pädagogischen Grundsätzen eingerichtet werden. Die Kinder
müssen, wenn sie am fremdsprachlichen Unterricht erfolgreich teilnehmen
sollen, im Deutschen hinlänglich vorgebildet sein; hierzu ist aber ein
mindestens 4jähriger Unterricht nötig. Wenn der Unterricht in den
fremden Sprachen erst mit dem 5. Schuljahr einsetzt, können die kleinen
Leute auf dem Lande, die Beamten und andere Angestellte, ihre Kinder
länger bei sich behalten, wodurch die Ausbildungskosten ermäßigt werden.
Die Klassen ohne fremde Sprachen sollen aber nicht an die höheren
Schulen angegliedert bleiben; die Kinder sollen vielmehr 4 Jahre lang
die deutsche Schule oder, wie man sie auch heißt, die allgemeine Volks-
schule besuchen. Die Schulorganisation, wie ich sie wünsche, ist durch-
führbar; Dänemark hat die Einheitsschule mit der Grundschule, der all-
gemeinen Volksschule und Sie werden es verstehen, wenn ich als Volks -
schuUehrer besonders stolz darauf bin, daß ein früherer Volksschullehrer,
der dänische Kultminister, diese Schuleinrichtung geschaffen hat. Die
Versammlung hat sich nur über den fremdsprachlichen Unterricht in
Knabenschulen ausgesprochen. Was für diese Schulen gilt, muß auch auf die
Mädchenschulen Anwendung finden. Auch hier ist gegen einen verfrühten
Unterricht in einer Fremdsprache anzukämpfen. Bei Knabenschulen könnte
man es noch verstehen, wenn wegen der größeren Zahl von fremden
Sprachen und der vielen anderen Fächer der fremdsprachliche Unterricht
früher angesetzt wurde, bei Mädchenschulen fehlt jeder Grund für den
Betrieb der fremden Sprache schon im 4. Schuljahr. Da ist es häufig
Verhandl. d. VI. JahresverBammlung d. AUgem. Deutsch. Yereins etc. 37
nur die Eitelkeit, welche die Fremdsprache vor dem 5. Schuljahr fordert.
Ich würde es gerne sehen, wenn die verehrten Damen und Herren dem
Antrag, den ich jetzt stelle, zustimmen würden. Der Antrag lautet:
Der fremdsprachliche Unterricht beginnt frühestens im 5. Schuljahr oder
mit anderen Worten: Der Eintritt in die Schulen mit fremdsprachlichen
Unterricht erfolgt nach 4 jährigem erfolgreichen Besuch der deutschen
Schule.
Lehrer Beutt er- Ehingen: Zur Reihenfolge der Fächer bitte ich er-
wägen zu wollen, ob in späterer Zeit nicht an die Stelle der englischen
oder französischen die italienische Sprache gesetzt werde.
Gründe:
a) Leichtere Aussprache gegenüber der englischen, einfacherer Satz-
bau gegenüber der französischen Sprache.
' b) Die italienische leistet der lateinischen als klassische Sprache
die besten Dienste.
c) Der gesteigerte Verkehr mit Italien.
Antrag Yi6tor wird gegen 3 Stimmen angenommen.
Vorsitzender, Prof. Griesbach:
Es liegt liegt für die heutige Sitzung nichts mehr vor, ich schließe
daher dieselbe.
Geschäftssitznng
Donnerstag den 25. Juni 1905, morgens 8 Uhr im Vortragssaal des
Landesgewerbemuseums.
Vorsitzender, Prof. Dr. Griesbach:
Meine Herren!
Zunächst habe ich Ihnen die Mitteilung zu machen, daß ein lang-
jähriges Mitglied unseres Vereins und zugleich dessen 1. Schriftführer
Herr Schuldirektor Dr. Beyer gestorben ist, ich bitte Sie, sich zum
ehrenden Andenken an den Verstorbenen von Ihren Plätzen zu erheben.
(Geschieht.)
Wir kommen dann zu dem 1. Punkt unserer Geschäftsordnung, wel-
cher die Vereinssatzungen betrifiFt.
Sie wissen vielleicht, daß die Satzungen ausgearbeitet worden sind
von juristischer Seite und zwar von dem Herrn Oberbürgermeister
Müller in Kassel. Der Satzungsentwurf wurde in der letzten Vorstands-
sitzung durchberaten, nachträglich hat sich herausgestellt, daß in § 4
ein Zusatz erforderlich sei. Es heißt in § 4: Der Vorsitzende und die
Beisitzer werden von der Mitgliederversammlung auf die Dauer von
2 Jahnen gewählt. Wiederwahl ist zulässig.
Es ist vorgeschlagen worden, daß nach dem Ablauf von 2 Jahren
die Hälfte der Beisitzer ausscheiden muß. Das erstemal soll Über die
Ausscheidenden das Los entscheiden. In dieser Fassung sollte also der
betreffende Passus lauten: „Der Vorsitzende und die Beisitzer werden
von der Mitgliederversammlung auf die Dauer von 2 Jahren gewählt.
Wiederwahl ist mit der Einschränkung zulässig, daß die Hälfte der Bei-
sitzer alle 2 Jahre neu gewählt werden muß. Bei der erstmaligen Neu-
wahl erfolgt Auslosung."
38 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Yereins etc.
Ich frage die Versammlung^ ob sie gewillt ist, die Satzungen, so
wie der Vorstand sie vorschlägt, anzanehmen. (Die Satzungen werden
einstimmig angenommen.)
2. Neuwahl des Vorstandes:
a) Wahl der 8 Beisitzer.
Dr. Weil-Stuttgart:
Im Auftrag des Ortskomitees erlaube ich mir, Ihnen folgende Liste
von Namen für die Beisitzer, deren Zahl statutengemäß acht betragen
soll, vorzuschlagen:
Dr. Korman, Arzt, Leipzig.
Dr. Bauer, Arzt und Privatdozent an der technischen Hochschule
Stuttgart.
Prof. Dr. Hartmann, Ohrenarzt, Berlin.
Stadtschulrat Dr. Wehrhahn, Hannover.
Geheimer Oberbaurat Delius, Berlin, vortragender Bat im kgl.
preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten.
Oberbürgermeister Müller, Kassel, Mitglied des preußischen Herren-
hauses.
Sanitätsrat Dr. Schmidt, Bonn.
Gemeinderat S tockma je r- Stuttgart.
Wir hatten die Absicht, Herrn Begierungsrat Jehre vom kgl.
Kultministerium in Stuttgart in Vorschlag zu bringen, leider hat uns
Herr Begierungsrat abgesagt, und so schlagen wir Ihnen Herrn Ge-
meinderat Stockmay er- Stuttgart vor. Derselbe ist Schulreferent in
der größten Gemeinde unseres engeren Vaterlandes, er bringt seit langem
der Schulgesundheitsfrage das regste Interesse entgegen und hat sie in
seinem Machtbereich tatkräftig gefördert. Neben Herrn Stockmay er
sind noch genannt nachfolgende um die Schulgesundheitspflege hochver-
diente Männer:
Schuldirektor Friedrich Dörr- Frankfurt-Bockenheim.
Gymnasialprofessor Dr. Hartmann- Leipzig.
Oberrealschuldirektor Dr. Hintzmann* Elberfeld.
SanitÄtsrat Prof. Dr. Königshöf er- Stuttgart
Professor Dr. Leubuscher, Geheimer Begierungsrat und Medizinal-
referent im herzoglichen Staatsministerium Meiningen.
Wenn wir aus der Beihe dieser Herren Herrn Stockmayer vor-
geschlagen, so hat uns der Umstand geleitet, daß wir Württemberger
— egoistisch, wie wir sind — vom Verein zunächst einen Vorteil für
unsere eigenen Schulen haben wollen. Und schließlich kommt auch der
Statutenparagraph in Betracht, nach welchem die Hälfte des Vorstandes
nach 2 Jahren erneuert werden muß, so daß alle diese und auch eine
Anzahl nicht genannter Herren, die sich um den Verein besonders ver-
dient gemacht haben, dem Verein zum Wohl, sich zur Ehre, baldigst
dem Vorstand werden angehören können.
Die vorgeschlagenen Herren werden einstimmig gewählt.
b) Wahl des Vorsitzenden.
Der seitherige Vorsitzende, Herr Professor Dr. Griesbach, wird
durch Akklamation wiedergewählt.
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 39
3. Antrag Stuttgart, die Schnlbanktrage betreffend:
Direktor Stetter:
Die beiden schulhygienischen Kongresse des Jahres 1904 — der
„Internationale" in Nürnberg und die V. Jahresversammlung der Schweizer
Gesellschaft für Schulgesundheitspflege in Bern — haben der Schulbank-
frage eine wesentliche Förderung gebracht. Eigentlich kann von einer
Frage erfreulicherweise heute kaum mehr gesprochen werden, insofern
die Ansichten autoritativer Fachmänner über die generellen Anforderungen,
die an ein Schulgestühl zu stellen sind, kaum mehr auseinandergehen,
das beweisen die Ergebnisse der erwähnten Veranstaltungen, die sich in
der großen Hauptsache fast vollständig decken. Man darf daher hofllBn,
daß durch eine nochmalige eingehende Verhandlung die Schulbankange-
legenheit zu ei Dem Abschluß geführt werden könnte, soweit eben von
einem Abschluß auf diesem Gebiet die Rede sein kann, denn ganz „lösen"
läßt sich die Frage ja nie. Es ist aber schon genug erreicht, wenn nur
einmal Klarheit geschaffen wird über die generellen und die speziellen
Anforderungen an die Schulbank. Die generellen Anforderungen schließen
das Wohlbefinden der Allgemeinheit ein; sie bilden die Summe der
hygienischen, pädagogischen, wirtschaftlichen und technischen Anforde-
rungen, welche im Bereiche des Klassenraumes auftreten, und stehen dem-
nach in unmittelbarem Zusammenhang mit dem System. Die speziellen
Anforderungen beziehen sich auf die Körpergröße, Körperproportion und
Körperform des Individuums, also auf die Abmessung der Bank.
Die Anforderungen endgültig festzustellen und festzulegen, ist nach
dem heutigen Stand der Sache möglich, aber auch notwendig, denn wenn
man in den großen Städten heutzutage auch weiß, was man fttr Schul-
bänke braucht und will, so sind die Verwaltungen kleinerer Plätze, die
vor die Notwendigkeit gestellt sind, solche zu beschaffen, doch häufig
noch in der Qual der Wahl, und es würde als eine Wohltat empfunden
werden, wenn allgemein gültige Grundsätze aufgestellt und durchgeführt
würden. Dahin zu wirken ist eine schöne Aufgabe unseres Vereins. Die
Stuttgarter Ortsgruppe stellt daher durch mich den Antrag:
Die 6. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflege wolle beschließen, daß auf der nächsten Jahres-
versammlung die Schulbankfrage zur Behandlung komme.
In Ausführung dieses Beschlusses wäre
1. für die hygienische, pädagogische und technisch-wirtschaftliche
Seite der Frage je ein Referat zu bestellen und
2. die klassenweise Vorführung verschiedener Schulbanksysteme in
die Wege zu leiten.
Zu Punkt 2 sei mir eine kurze Erklärung gestattet:
Die Schulbank steht nicht im Dienste des Individuums, sondern im
Dienste der Allgemeinheit, dabei aber zugleich im innigen untrennbaren
Zusammenhange mit allen im Klassenraum auftretenden Anforderungen;
demnach kann die Schulbank nicht einzeln, außerhalb des Klassenraumes
und im Dienste des Individuums stehend, wie das Haussubseil, sondern
nur in der entsprechenden Mehrheit im Klassenraum aufgestellt und im
Dienste einer nach Körpermaß und Proportion heterogenen Vielheit stehend
richtig beurteilt werden.
40 Verhandl. d. VI. Jahresversaminlung d. Allgem. Deutsch. YereisB etc.
Demgemäß kann der Sache nur durch Vorführung ganzer Schal-
klassen gedient werden, man wird daher den auf Schulausstellungen seit-
her geübten Brauch, einzelne Schulbänke verschiedener Bauart in einem
Baum nebeneinander zustellen, verlassen müssen und nur ganze Schul-
klassen zur Ausstellung zulassen dürfen, die außerdem zu gewissen Zeiten
voll mit Schülern zu besetzen wären.
Dadurch, und nur dadurch könnte die Schulbankfrage ihrer Lösung
zugeführt werden, weil hier die Möglichkeit sowohl zur Prüfung einzelner
Systeme auf ihre Brauchbarkeit im Klassenbetriebe, als auch zum Ver-
gleich der verschiedenen Systeme unter sich geboten wäre. Ich habe
diesen Vorschlag schon anläßlich der Nürnberger Ausstellung gemacht,
wurde aber abgewiesen unter der Begründung, die verschiedenen SchiQ-
bankfabrikanten würden dagegen sein. Aber^ meine Herren, es handelt
sich doch hier nicht um einen Wohltätigkeitsbasar für Schulbankfabri-
kanten, sondern um die Klärung und Förderung der Schulbankangelegen-
heit, und daher bitte ich um Ihre Zustimmung zu diesem Punkt 2 des
Antrages.
Da sich niemand zur Diskussion meldet, wird der Antrag Stetter
angenommen, in der nächsten Jahresversammlung die Schulbankfrage . auf
die Tagesordnung zu setzen.
Dr. St einer -Karlsruhe:
Überbringt eine Einladung von Karlsruhe, die nächste oder über-
nächste Jahresversammlung dort abzuhalten.
Geh. Regierungsrat Professor Dr. Leubus eher -Meiningen:
Meint, ob es nicht zweckmäßiger wäre, wenn für nächstes Jahr ein
Ort in Norddeutschland vorgeschlagen würde. Vielleicht Leipzig oder
Dresden. Es läge dies im Interesse der Mitgliedergewinnung. Er gibt
anheim, die Einladung Karlsruhe bis 1907 zu verschieben.
Professor Dr. Königshöfer- Stuttgart:
Fragt, ob nicht noch eine andere Einladung vorliege. Wenn dies
nicht der Fall wäre, so wäre es ein Akt der Höflichkeit, die Einladung
Karlsruhe anzunehmen.
Professor Hartmann -Leipzig:
Ist für die Einladung, wenn nicht für das nächste, so ^och für das
übernächste Jahr. Im übrigen sei es nach den Satzungen Sache des
Vorstandes, den Oi-t des Kongresses zu wählen.
Professor Dr. Griesbach:
Es ist ein Akt der Höflichkeit, der Sache hier näher zu treten.
Vom Standpunkte des Vorsitzenden aus betrachtet muß allerdings zu-
gegeben werden, daß eine Verlegung der Versammlung aus dem Süden
heraus praktisch wäre, schon um neue Mitglieder zu werben. Nach den
neuen Satzungen ist richtig, daß der Vorstand den Kongreßort bestimmt,
aber es ist immerhin wertvoll, die Stimmung der Versammlung über
eine vorliegende Einladung zu erfahren. Zu berücksichtigen ist Karls-
ruhe jedenfalls entweder für das nächste oder übernächste Jahr. Ich
möchte vorschlagen, keine Entscheidung zu treffen, die Verhandlungen
über die Wahl des Ortes dem Vorstand zu überlassen.
Dr. Steiner- Karlsruhe:
Konstatiert, daß Karlsruhe sich nicht verletzt fühlt, wenn fCLr
Yerhandl. d. YI. Jahresyenammlung d. Allgem. Deutech. Vereins etc. 41
nächstes Jahr ein anderer Ort in Betracht kommt, wenn er nur die Ge-
wißheit mitnehmen dürfe, daß der Kongreß ühemächstes Jahr dort tagt.
Professor Dr. Griesbach:
Dankt für die Einladung aus Karlsruhe.
4. unvorhergesehenes:
Schulrat Dr. Salzmann:
Bringt noch die körperliche Züchtigung zur Sprache. Er ist der
Meinung, daß bei uns in Deutschland viel zu viel gezüchtigt wird.
Da es sich hier um eine wichtige hygienische Sache handle, so sei es
nötig, daß die Frage einmal verhandelt werde. Es sei ja natürlich,
daß yiel Widerspruch da sei, da das natürliche Empfinden dabei zur
Sprache komme; er möchte aber anfragen, wie die Herren darüber
denken.
Professor Dr. Griesbach:
r Der Vorstand wird der Sache nfther treten.
^ Herr Dr. Kor man bittet 2 Revisoren für den Rechnungsbericht
zu bestimmen.
Es werden vorgeschlagen Professor Dr. Hartmann-Leipzig und
Geheimrat Professor Dr. Leubuscher-Meiningen.
Der Vorschlag wird angenommen.
Schluß der Sitzung »/a^ U^-
n. AUgemeine Sitznng.
Donnerstag, den 15. Juni morgens 9 Uhr.
Vorsitzender Professor Griesbach: Ich eröffne die zweite Sitzung
der Versammlung und erteile das Wort Fr&ulein Planck.
Mathilde Planck, Delegierte des Bundes deutscher Frauenvereine:
Hochgeehrte Versammlung!
Da ich die gütige Erlaubnis erhalte, Vers&umtes nachzuholen, so
habe ich die Ehre, Ihnen das lebhafteste Interesse und die warme Sym-
pathie des Bundes deutscher Frauenvereine für Ihre Tagung auszusprechen.
Die Bundesversammlung in Danzig hat uns alle, besonders unsere Vor-
sitzende, Frau Marie Stritt, in den letzten Tagen vollständig in An-
spruch genommen, und Sie werden es begreiflich finden, wenn der Auf-
trag, den Bund deutscher Frauenvereine hier zu vertreten, etwas verspätet,
erst gestern nachmittag in meine Hände kam.
Wer die Frauenbewegung einigermaßen kennt, der weiß, daß es
unser eifriges Bemühen ist, die Frauen fCLr die Aufgaben unserer Zeit
zu interessieren und sie zur Mitarbeit heranzuziehen. Denn ohne ihre
Hilfe können diese Aufgaben nicht gelöst werden. Um so weniger, je
mehr sie sich mit dem häuslichen Wirken der Frau berühren. Es braucht
in dieser Versammlung nicht erst betont zu werden, wie notwendig ein
bewußtes Zusammenarbeiten von Haus und Schule ist, und Sie werden
42 Verhandl. d. VI, Jahresversammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc.
gerne meiner Versicherung glauben, daß wir Ihren Verhandlungen das
beste Gelingen wünschen und daß wir durch unsere Arbeit die Ihrige
zu ergänzen hoffen.
Vorsitzender Professor Griesbach: Ich erteile nunmehr Herrn
Stadtarzt Dr. Gastpar das Wort zu seinem Vortrag.
Ober Sohülenmtersuoliimgen.
Leitsätze.
1. Unser modernes Leben mit dem raschen Verbrauch der Kräfte,
wie er namentlich in unseren großen Städten nachweisbar ist, zwingt
uns, unsere Sorge der heranwachsenden Jugend mehr als seither zu-
zuwenden.
2. Es ist insbesondere notwendig, daß wir sowohl die körperlichen
Verhältnisse unserer Jugend in der Stadt und auf dem Lande kennen
lernen, als auch die hereditären, häuslichen und sozialen Verhältnisse, in
denen sie aufwächst, erfassen. Alle die normale Entwicklung hemmenden
Einflüsse, mögen sie ausgehen, von welcher Seite sie wollen, sind dabei
besonders zu berücksichtigen.
3. Alle die Untersuchungen wären sinnlos, wenn ihnen nicht der
Gedanke der energischen Abhilfe der gefundenen Schäden zugrunde liegen
würde, möge der Schwerpunkt im einzelnen Fall nun mehr auf allgemein
hygienischem, rein ärztlichem oder pädagogischem Gebiet liegen.
Hochansehnliche Versammlung! Werte Damen und Herren!
Das Thema, das ich die Ehre habe, vor Ihnen zu behandeln, ist
einem großen Teil von Ihnen aus der Praxis heraus bereits wohlbekannt.
Ich muß mich eigentlich entschuldigen, Ihre Aufmerksamkeit volle
45 Minuten für einen Gegenstand in Anspruch zu nehmen, den wir
eigentlich nur draußen in der Praxis in seiner ganzen Mannigfaltigkeit
erfassen können und der bei einer theoretischen Besprechung immer Ge-
fahr läuft, etwas ermüdend auf die Zuhörer zu wirken. Ich habe aus
diesem Grunde auch davon abgesehen, Ihnen eine mit allen möglichen
Literaturangaben gespickte Entwicklungsgeschichte unseres Themas zu
geben. Sie werden mir auch ohne solche Literaturangaben glauben, daß ich
mich in der betr. Literatur umgesehen habe. Ich möchte Ihnen lieber
den Voischlag machen, mich zu einer Schüleruntersuchung begleiten zu
wollen. Den Weg dorthin können wir uns ja mit einer Besprechung der
notwendigsten Voraussetzungen verkürzen.
Meine Damen und Herren! Sie befinden sich bei uns in Stuttgart
resp. Württemberg auf einem Boden, auf dem der Schularzt in der Ihnen
bekannten Form noch nicht gewachsen ist, wenngleich Eingeweihte be-
haupten, daß es schon da und dort zu keimen beginnt und daß die
Triebe sogar recht frisch und kräftig aussehen. Der Boden ist auch
keine unfreundliche Rodung, sondern ein Feld, das gründlich durch-
gearbeitet ist. Namen wie Knauß und Blezinger sind Ihnen ja nicht
unbekannt. Eine Reihe von Ministerialerlassen, die zum Teil weit zurück-
datieren, haben von jeher das württembergische Schulwesen in Hinsicht
Verhandl. d. VI. JahresverBammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 43
auf Bau und Betrieb der SchiQen davor geschützt, daß sich grobe
hygienische MiBstftnde einschleichen konnten. Mit der letzten bedeut-
samsten Verfügung, welche den obligatorischen Spielnachmittag für die
Schulen einführt, sind wir sogar den anderen Bundesstaaten erheblich
voraus. Die Schulhygiene aber, die auf systematischen Schüleruntei>
suchungen sich aufbaut, kennen wir bei uns in Württemberg allerdings
mit einigen wenigen Ausnahmen noch nicht. Lehrer und Ärzte haben
bei uns noch kaum Gelegenheit gehabt, sich in praxi mit den Unter-
suchungen zu befassen. Die umfassende Arbeit von Hofrat Dr. Schubert-
Nürnberg, die uns einen Überblick über die Entwicklung des Schularzt-
wesens gibt, weist neben einer überwältigenden Zahl außerwürttember-
gischer Städte nur wenige württembergische auf.
Manche haben das fEb* ein grobes Versäumnis unserer Heimat ge-
halten und unsere Rückständigkeit scharf getadelt. Sie haben nicht ge-
sehen, daß die Verhältnisse bei uns wesentlich anders liegen als sonstwo.
Sie haben geglaubt, unser Abwarten sei ein Ablehnen. Und doch war
es nichts anderes, als ein freundliches Zuwarten, dem vergleichbar, das
den Gärtner, den Landmann ziert, wenn er davon absieht, auswärts ge-
zogene Pflanzen imd Blumen in den heimatlichen Boden zu versetzen,
sondern im Gegenteil seinen Stolz darin setzt, seine Blumen und Pflanzen
aus dem Samen selbst zu ziehen, in der Erkenntnis, daß nur so ein
Organisches Anwachsen, eine gedeihliche Entwicklung und gesunde kräf-
tige Früchte zu erzielen sind.
Wenn nun bei uns Lehrer und Ärzte, Schüler und Eltern die Unter-
suchungen aus eigener Anschauung noch wenig kennen, so ist gerade
die heutige Jahresversammlung die geeignete Gelegenheit, sie mit dem
Zweck und dem Gang solcher Untersuchungen bekannt zu machen. Gilt
es doch manches Vorurteil zu zerstreuen, manchen Gleichgültigen zur
Mitarbeit zu gewinnen. Unsem auswärtigen Gästen aber wollen wir
zeigen, daß wir, wenn uns bisher auch Schulärzte in ihrem Sinn fehlen,
doch mit ihren Bestrebungen sympathisieren und bereit sind, mit ihnen
praktische Arbeit zu leisten.
Sehen wir uns das Terrain an, auf dem wir arbeiten sollen, so
finden wir uns vor einem Kapitel der allgemeinen Gesundheits- und
Wohlfahrtspflege. Nach allen Seiten sind wir umgeben von verwandten
Bestrebungen, die alle das gleiche Ziel verfolgen. Säuglingsheime, Kinder-
krippen, Ferienkolonien, Knaben- und Mädchenhorte, £[inderküchen und
andere Eini;ichtungen mehr sehen wir in eifriger Tätigkeit, unsere Jugend
zu schützen und widerstandsfähig zu machen. Auch alle rein hygienischen
Maßnahmen, insbesondere die Wohnungsinspektion, verfolgen dieses Ziel,
ebenso wie alle Bestrebungen, welche die Hebung unseres sozialen Lebens
herbeiführen wollen. Der Schutz unserer Jugend ist eine Pflicht, der
wir aus ethischen wie wirtschaftlichen Motiven heraus nachzukonmien
haben. Wir haben kein Recht dazu, Kräfte verkommen zn lassen.
Die gegebenen natürlichen Beschützer der Kinder sind die Eltern.
Diesen Satz, dessen Bestätigung wir in der ganzen belebten Natur um
uns sehen, dürfen wir bei unsem Überlegungen nicht außer acht lassen.
Der Staat, die Gemeinde kommen erst in zweiter Linie, lediglich im so-
genannten übertragenen Wirkungskreis in Betracht. Wenn wir daher
44 Yerhandl. d. VI. JahresversammluDg d. Allgein. Deutsch. Yereins etc.
der heranwachsenden Jugend unsere Arbeit widmen wollen, so dürfen
wir nicht nur den Weg über die Schule, sondern wir müssen den Weg
auch übers Elternhaus benutzen. Zu dieser Auffassung werden wir auch
noch gedrftngt durch eine andere Tatsache. Aach das Schulkind selbst
steht mit dem einen Fuß auf dem Boden des Elternhauses, mit dem
andern auf dem der Schule. Schule und Elternhaus bilden den Boden,
auf dem das Schulkind heranwächst Es ist undenkbar, daß wir in praxi
nur die eine Komponente berücksichtigen. Nur zu leicht kommt es unter
diesen Umständen zur Anwendung rein symptomatischer Mittel, da das
Grundübel vielleicht gerade auf der andern weiter nicht berücksichtigten
Komponente liegt.
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Gefahren, denen die Kinder
in Stadt und Land ausgesetzt sind, so zeigt sich zunächst bei den Eltern
der Kinder in der Stadt eine gewisse körperliche Inferiorität gegenüber
der Landbevölkerung. Was durch die Rekrutierungsstatistik für die
Männer bewiesen ist, ist für die Frauen als wahrscheinlich anzunehmen.
Sind nun die Stadtkinder im allgemeinen von schwächlicheren Eltern
gezeugt als die Landkinder, so finden wir in der späteren Zeit, daß es
insbesondere die unzweckmäßige Ernährung ist, welche beide Kategorien
in gleicher Weise schwächt. Nur ein geringer Prozentsatz von Müttern
stillt die Kinder, sowohl in der Stadt als auch auf dem Lande. Auch
auf dem Lande beginnt es allmählich an geeigneter Nahrung für die
Kinder zu fehlen, seitdem unsere Bauern so viel Milch als nur möglich
in die Genossenschaftsmolkereien bringen und ihre Kinder mit Magermilch
aufziehen. Die Wohnungen sind in der Stadt und auf dem Lande gleich
schlecht. Eines aber haben die Landkinder voraus, den Aufenthalt und
die Beschäftigung in der freien Luft, die sie auch unt-er sonst ärmlichen
Verhältnissen gedeihen läßt. Zu all dem zeigt sich bei einer großen
Anzahl von Eltern in Stadt und Land ein geflüirlicher Mangel an dem
Gefähl der Verantwortlichkeit für die Kinder. Und dieses Gefühl der
Verantwortlichkeit zu wecken und wach zu halten, ist eine der wichtigsten
Aufgaben der Wohlfahrtspflege, die oft leider eher das Gegenteil herbei-
führt, indem sie den Eltern auch die kleinste Sorge um ihre Kinder
abninunt.
Gegenüber diesen Einflüssen des Elternhauses erscheinen die Ein-
flüsse der Schule nur gering. Überfüllung der Klassen, schlechte Ven-
tilation und Heizung, Uberbürdung und Überanstrengung sowohl einzelner
Organe als auch der Schüler selbst, das sind in der Hauptsache die Ge-
fahren, die dem Schüler in der Schule drohen. Die Schule hat allen
Anlaß, diese üblen Einflüsse auf die Schüler zu beseitigen.
Schule und Elternhaus haben deshalb die Pflicht, sich mit den
einschlägigen Verhältnissen vertraut zu machen, alle die Momente zu er-
fassen, welche fördernd oder hemmend auf die Kinder einwirken.
Die einfachste Art, diese Kenntnisse zu vermitteln, ist die Unter-
suchung der Schulkinder und die Feststellung ihres Gesundheitszustandes.
Wenn wir die Untersuchung überhaupt an den Schulkindern vornehmen,
so geschieht dies, weil wir die Kinder in der Schule alle beieinander
haben, so daß dadurch überhaupt erst die Untersuchung möglich wird;
hier wird zugleich durch die Masse der Zahlen der Eindruck gesichert.
Yerhandl. d. VI. Jahresversammlmig d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 45
der nötig ist, um das Gewissen der Allgemeinheit in Beziehung auf die
heranwachsende Jugend zu wecken und wach zu halten, hier ist endlich
auch der Ausgangspunkt fiir die Anwendung von Ah wehrmaßregeln,
mögen sie nun auf die Schule oder auf das Elternhaus resp die Stadt
seihst sich erstrecken. Reiche Anregung endlich empfängt die Wissen-
schaft aus solchen Untersuchungen auf allen Gebieten, die sich mit
dem körperlichen und geistigen Wachstum des Menschen beschäftigen,
und sie wird ihrerseits wieder anregend und befruchtend auf alle kom-
munalhygienischen Fragen einwirken können.
Es ist deshalb nicht etwa der Arzt, der ein neues Gebiet für die
Betätigung seiner Praxis sucht, welcher die Schüleruntersuchungen fordert,
sondern sie werden gefordert von den Eltern und Lehrern, von Staat
und Gemeinde eben in der Erkenntnis, daß unsere Jugend ein kostbares
Gut ist, das wir nicht aus Gleichgültigkeit neben draußen liegen lassen
dürfen.
Wenn so über die Notwendigkeit der Schüleruntersuchungen kaum
ein Zweifel mehr möglich sein dürfte, so betreten wir nun mit der
Frage nach dem Umfang der Untersuchung ein Gebiet, auf dem die
Ansichten schon häufig aufeinander geplatzt sind und noch platzen
werden.
Soll der Lehrer die zu untersuchenden Kinder aussuchen oder soll
der Arzt dies tun? Wie oft sollen die Untersuchungen vorgenommen
werden? Alle diese Fragen lassen sich generaliter überhaupt nicht be-
antworten, ohne mit den gegebenen Verhältnissen in Kollision zu kommen.
Wenn ich für meine Person auch auf dem Standpunkt stehe, daß es
stets der Arzt sein soll, der die Kinder untersucht, daß die Unter-
suchungen ferner so oft als möglich vorgenommen werden soUen und so
eingehend als möglich auszuführen sind, so lassen sich doch Verhältnisse
denken, wo unbeschadet des Erfolgs die eine oder andere Forderung aus
praktischen Gründen ermäßigt werden muß. Freilich kann es sich hier-
bei nur um eine gewisse Übergangszeit handeln, bis überall die not-
wendigen Schulärzte angestellt sind. Stets aber werden auch diese auf
die Mitwirkung der Lehrer angewiesen sein, sei es daß sie ihnen die
einzelnen besonders zu berücksichtigenden Schüler namhaft machen, sei
es, daß sie während der Klassenuntersuchungen anwesend sind, um dem
Arzt die oder jene Auskunft zu erteilen. Die Abtretung einzelner Unter-
suchungsgebiete, z. B. Augen und Ohren, an die Lehrer halte ich nicht
für statthaft. Es hindert nichts, daß der Lehrer sich aus freiem Antrieb
die Zeit hierzu nimmt, um selbst sich über die Funktion dieser Organe
bei den Schülern zu imterrichten, nie darf aber dieses Resultat die ärzt-
liche Untersuchung überflüssig machen.
Wie femer das zahlenmäßige Verhältnis der Häufigkeit von genauen
Untersuchungen des einzelnen Kindes zu den ärztlichen Besuchen in der
Klasse, zu den ärztlichen Besichtigungen der Klasse sich gestalten soll,
das festzulegen ist unmöglich. Hier kann sich nur aus der Praxis heraus
allmählich das für die einzelne Gemeinde notwendige Maß entwickeln.
Es liegen hierüber noch wenig Erfahrungen vor, die gleicherweise in
allen Verhältnissen sich bewähren würden. Die natürliche Entwicklung
der Dinge, wie sie sich infolge der tatsächlichen Bedürftiisse in jeder
46 Verhandl. d. VI. Jahresyersammlung d. Allgem. Deutsch. Yereins etc.
Gemeinde vollzieht, verbürgt viel eher das organische Wachstum und
Gedeihen dieser Einrichtungen, als wenn man schablonenmftßig die Ein-
richtungen anderer Städte nachmacht, die dort vielleicht sich halten und
gedeihen können, in einem andern Boden dagegen als etwas Fremdartiges
dastehen und sich nie zu dem Leben entwickeln können, das sie ander-
wärts entfalten.
Und nun kommen wir zum Kernpunkt der Frage: wie soll sich die
Untersuchung der Schüler vollziehen? Die beteiligten Personen: Kinder,
Eltern, Lehrer, Ärzte nehmen nicht ohne weiteres den gleichen Stand-
punkt ein. So verlangt das Kind, daß die Untersuchung möglichst rasch
und schonend vorgenommen werde. Die Eltern fordern mit Recht eine
Benachrichtigung vor der Untersuchung, damit sie ihrerseits Stellung zu
derselben nehmen können, daß ihnen femer keine Kosten aus der Unter-
suchung erwachsen. Lehrer und Schulbehörde verlangen, daß die Unter-
suchung keine Störung des Schulbetriebs mit sich bringe und daß ihnen
ebenfalls wie den Eltern Mitteilung vom Resultat gemacht werde. Der
Arzt endlich fordert, daß alle Bedingungen erfüllt werden, welche eine
möglichst genaue Untersuchung gewährleisten, so daß sich ein Urteil
über den Zustand des einzelnen Kindes abgaben läßt.
Gehen wir nun diese verschiedenen Forderungen im einzelnen
durch.
Rasche und schonende Untersuchung verlangt das Kind. Und das
mit Recht. Es handelt sich wohl meist um Klassenuntersuchnngen, bei
denen zwar fUr das einzelne Kind jeweils nur ein geringer Zeitaufwand
gemacht wird, ft&r die ganze Klasse aber je nach der Größe derselben
oft eine erhebliche Zeit in Anspruch genonmien wird. Länger als
2 Stunden sollten die Kinder im Untersuchungslokal, wo sie sich ja der
größten Ruhe und Stille befleißigen müssen, nicht festgehalten werden.
Bei uns in Stuttgart war es möglich, die Kinder, die in 4 einzelnen Ab-
teilungen untersucht wurden, zwischen den einzelnen Untersuchungen auf
den geräumigen Korridor zu schicken. Auch sorgte die Abwechslung
der die Kinder stets selbst interessierenden Manipulationen bei der Unter-
suchung, Wägung und Messung dafür, daß eine Abspannung der Kinder,
auch der schwächlicheren nicht eintrat.
Was die Schonung der Kinder be trifft, so kommen hier mehrere
Momente in Betracht. Die körporliche Schonung, die ja zum Teil eben
schon behandelt wurde, wird ergänzt dadurch, daß man den Kindern
größere Wege in der Hitze erspart. Dies ist besonders hier in unserem
subtropischen Klima nötig. Im Sommer sollten die Vormittagsunter-
suchuugen bis etwa 11 Uhr beendet sein und nachmittags überhaupt
nur dann untersucht werden, wenn es sich eben nicht vermeiden läßt.
Selbstverständlich trifft dies nur zu in solchen Fällen, wo die Schule
nicht zugleich auch Untersuchungslokal ist.
Notwendig ist femer die Schonung vor Ansteckung von Seiten etwa
bei der vorhergehenden Untersuchung als ansteckungsfähig befundener
Kinder. Die Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten durch
den Untersucher und seine Instrumente machte bei uns eine Reihe von
Vorkehrungen notwendig. Nach jeder Konstatierung einer ansteckenden
Krankheit erfolgte eine gründliche Desinfektion der Räume durch Formalin-
Verhandl. d. VL Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 47
Verdampfung nach der Methode Flügge -Breslau. Von einer Benützung
von Spateln wurde, nachdem sich schon an den ersten 2 Tagen die Un-
möglichkeit herausgestellt hatte, sie zwischen 2 Untersuchungen gründlich
zu desinfizieren, überhaupt abgesehen. Wir wandten zur Inspektion der
Mund- und Rachenhöhle, falls dies ohne weiteres nicht möglich war, die
Methode an, die auch beim Kehlkopfspiegeln treffliche Dienste leistete,
nämlich die Zunge mittels des Taschentuches des zu Untersuchenden
von diesem fassen und vorziehen zu lassen. Es hat dies den weiteren
großen Vorzug, daß die Kinder nicht durch irgend ein Instrument stutzig
gemacht wurden.
Täglich vor jeder Untersuchung wurde das Untersuchungslokal gründ-
lich gereinigt. Die Ärzte trugen täglich fiische weiße Mäntel.
Eine große Sorge bereitete uns femer die Schonung des Scham-
gefühls der Kinder. Wir waren stutzig geworden durch Erlasse der
Verwaltungsbehörden in anderen Staaten. Trotzdem wagten wir es, die
Knaben vollständig, die Mädchen bis aufs Hemd zu entkleiden. Wir
sagten uns, daß den Kindern der nackte Körper nichts Anstößiges sein
kann, da sie aus der Kinderstube und vom Baden her diesen Anblick
gewöhnt sind. Während dies für die Knaben während ihrer ganzen
Schulzeit gilt, sind die Mädchen empfindlicher, wenigstens von einem
gewissen Alter an, das sich übrigens nicht klassenweise festlegen läßt
Gewogen und gemessen wurden die Kinder von Personen ihres Geschlechts.
Bei der Auskultation und Perkussion war stets, mochten es nun Knaben
oder Mädchen sein, die untersuchte Stelle unbekleidet. Je natürlicher
der Untersucher sich in solchen Situationen geben kann, je weniger Auf*
fallendes er selbst dahinter sucht, um so weniger werden die Kinder, die
ein feines Gefühl haben, dazu kommen, selbst etwas hinter dieser Unter-
suchung zu suchen. Unsere Erfahrungen mit den Eltern in dieser Hin-
sicht sind außerordentlich gute. Keine der stets zahlreich anwesenden
Mütter sah sich veranlaßt, gegen die leichte Kleidung ihres Töchterleins
zu protestieren. Im Gegenteil machten uns die Mutter häufig noch auf
dies oder jenes aufmerksam, zu dessen Beurteilung auch eine Entkleidung
vom Hemde notwendig war.
Wenn so die Forderungen der Kinder sich erfüllen lassen, so wenden
wir uns zu denen der Eltern. Die Eltern müssen die Entscheidung
darüber haben, ob sie ihr Kind untersuchen lassen wollen oder nicht.
Es ist das ein Hecht der Eltern, das stets respektiert werden muß.
8 \ der Kinder durften bei uns nicht untersucht werden, gewiß eine
kleine Zahl, die sich hoffentlich mit der Zeit noch weiter herabdrücken
läßt. Sie stellt der Einsicht der Eltern, die ja durch den Lehrer von
der bevorstehenden Untersuchung benachrichtigt wurden, gewiß ein sehr
günstiges Zeugnis aus. Je mehr die Untersuchung vorwärts schritt, um
so mehr machten die Kitern von der Einladung Gebrauch, der Unter-
suchung anzuwohnen. Die Teilnahme der Eltern an der Untersuchung
halte ich für außerordentlich wünschenswert Die Kinder werden durch
die Anwesenheit von bekannten Personen beruhigt. Die Untersuchung
kann sich ohne Störung durch Widerspenstige vollziehen. Die Eltern
selbst sehen, daß die Untersuchung nichts Schlimmes für die Kinder in
sich birgt. Ihr Interesse an der Gesundheit ihrer Kleinen wird
48 Verhandl. d. VI. Jahresveraammlung d. Allgem. Deutach. Vereins etc.
geweckt durch Vergleiche, die sie bei solchen Untersuchungen
machen können. Endlich hat der Arzt Gelegenheit, diese oder jene
wünschenswerte Auskunft zu erhalten. Es gereicht mir zur größten
Freude, es vor dieser Versammlung öffentlich aussprechen zu dürfen, daß
es sich hier bei all dem nicht etwa um Ausnahmen handelte, sondern
daß dies verständige Benehmen der Eltern, das dem üntersucher seine
Aufgabe so sehr erleichterte, die Regel bildete. Ich habe in der letzten
Zeit noch die Probe aufs Ezempel gemacht und alle die Kinder, die für
irgend eine Bade- oder Erholungskur in Betracht kamen, nochmals be-
stellt. Nur in etwa 3 — 4% blieben bei dieser Nachuntersuchung die
Eltern aus. So fährt sich die schulärztliche In.stitution bei uns in
Stuttgart, ohne daß wir einen Schularzt haben, von selbst bei den Eltern
ein und ich hoffe von dieser erfreulichen Entwicklung das Beste für die
spätere Einführung und Wirksamkeit eines Schularztes.
Schule und Lehrer verlangen möglichste Schonung des Schulbetriebs.
Sie verlangen femer die Mitteilung des ärztlichen üntersuchungsergeb-
nisses. Beiden Forderungen kann meines Erachtens ohne weiteres Rech-
nung getragen werden. Der Aufwand fOr die Untersuchung einer Klasse
betrug bei uns ca. 2 Stunden. Rechnet man den Weg dazu mit durch-
schnittlich einer Stunde, so geht für die gründliche Untersuchung der
Klasse ein halber Tag verloren. Dieser Verlust an Zeit steht aber in
keinem Verhältnis zu dem großen Vorteil, den der Schalbetrieb dadurch
erfährt, daß dem Lehrer sowohl seine körperlich schonungsbedürftigen
Kinder bezeichnet werden, als auch geeignete Vorschläge bez. der weiteren
Fürsorge für diesen oder jenen Schüler gemacht werden. Die Störung
des Schulbetriebs durch die Untersuchungen ist nicht groß und erscheint
reichlich kompensiert durch die mancherlei Vorteile, die die Untersuchung
im Glefolge hat. — Endlich verlangt der Lehrer, daß ihm durch die
Schüleruntersuchungen keine Mehrarbeit erwachse. Ich muß hier zuge-
stehen, daß ich hier mit meiner Bitte um Ausfüllung meiner Fragebogen
dieser Forderung der Lehrer nicht entsprochen habe und sie mit teils
nicht unerheblicher Mühe belastet habe. Sie dürfen aber nicht vergessen,
daß diese Fragebogenausfüllung nur ein einmaliges Geschäft war, dessen
Übertragung an die Lehrer in Zukunft sich wird vermeiden lassen. Nicht
vergessen darf aber auch werden, daß die Lehrerschaft meiner Bitte um
AusfElllung der Fragebogen in einer außerordentlich pünktlichen und
präzisen Weise entsprach, welche allein es ermöglichte, über die häus-
lichen und gesundheitlichen Verhältnisse der Schuljugend so genaue
Daten zu bekommen. — Wenn aber der Lehrerschaft die Führung von
Gesundheitsscheinen und die Unterstützung des Arztes durch Schreibhilfe
zugewiesen wird, so wird auf der andern Seite auch ohne weiteres eine
entsprechende Entschädigung fUr die aufgewandte Zeit zu gewähren sein.
Wenden wir uns nun zu den Forderungen des Arztes. Seine erste
Forderung ist, daß die Untersuchung so vorgenommen werden kann, daß
sich die Aufnahme eines Status, die Stellung einer Diagnose ermöglichen
läßt. Diese Forderung sieht auf den ersten Blick als selbstverständlich
und daher überflüssig aus, ist es aber in der Praxis keineswegs. Alle
Vorschriften z. B., welche dem Arzt bez. der Bekleidung des Kindes ge-
macht worden sind, sind überflüssige Einschränkungen seines in ärztlicher
Verhandl. d. YL Jahresyersammlimg d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 49
Hinsicht stets freien Ermessens. Solche Vorschriften müssen den Zweck
der Untersuchung direkt durchkreuzen. Man sollte so viel Zutrauen zu
dem Takt des Arztes haben, daß es im einzelnen Fall nicht noch be-
sonderer Vorschriften bedarf.
Ebenso wichtig ist die Frage, was unter Aufstellung eines Status,
unter Stellung einer Diagnose verstanden werden muß. Genügt hier die
Diagnose, der Status des praktischen Arztes, oder sind nur genaue spe-
zialistische Status und Diagnosen zuzulassen. So wenig dies im übrigen
Leben der Fall ist, so wenig ist dies bei der Schüleruntersuchung not-
wendig. In erster Linie kommt für die Untersuchung der praktische
Arzt in Betracht, dem es ebenso wie im übrigen Leben überlassen
werden muß, ob er in diesem oder jenem Fall noch einen SpezialkoUegen
zuziehen will. Jedenfalls muß ihm aber die Möglichkeit geboten sein,
dies zu tun.
Die für die Vornahme der Untersuchung notwendigen Lokale,
Apparate, Instrumente usw. müssen natürlich in der Anzahl und Be-
schaffenheit vorhanden sein, daß sie die Stellimg der Diagnose ebenfalls
ermöglichen.
Mit der Aufnahme eines Status wird sich ein Arzt, dem es mit
seinen Untersuchungen ernst ist, nicht begnügen. Er wird sich ein Bild
zu machen versuchen, wie das alles entstanden ist, was er da gefunden
hat, er -wird sich ein Urteil zu bilden suchen über die inneren und
äußeren Ursachen des Befundes, er wird ihn zu erklären suchen aus den
Verhältnissen des Untersuchten heraus.
Der Arzt, der ohne Anamnese arbeitet, begibt sich eines außer-
ordentlich wertvollen Hilfsmittels. Gerade bei den Schüleruntersuchungen
ist dieser Punkt von ganz besonderer Wichtigkeit. Das Schulkind ist
zunächst ein Mensch mit allen Anlagen und {ligenschaften, die ihm als
Einzelindividuum zukommen. Es ist ein Kind mit all den Vorzügen
und Schwächen seines Alters. Es ist ein Kind seiner Eltern, es ist
ein Kind seiner Zeit, der äußeren Verhältnisse, unter denen es auf-
wächst. Und zu letzteren gehört die Schule. Wollen wir daher ein
Schulkind untersuchen und auf seinen Gesundheitszustand beurteilen, so
ist die Erhebung einer möglichst genauen Anamnese einfach eine Not-
wendigkeit. Leider habe ich in der einschlägigen Literatur nur wenig
Ansätze zu diesem Vorgehen finden können; meist bezogen sich diese
Umfragen auf vereinzelte Gebiete und standen häufig ohne Zusammen-
hang mit einer Untersuchung. Das Hauptaugenmerk fand ich stets auf
Konstatienmg der oder jener Zustände gerichtet, höchstens noch auf
die Konstatierung des eingetretenen Erfolgs unter der oder jener Be-
handlung. All das Material, das in den schulärztlichen Fragebogen der
verschiedenen Städte in anamnestischer Hinsicht enthalten ist, findet sich
nur wenig bearbeitet in unseren Zeitschriften.
Hier sollte Wandel geschaffen werden. Die Schulhygiene sollte ihre Zu«*
gehörigkeit zur allgemeinen Hygiene hauptsächlich auch dadurch dokumen-
tieren, daß sie, die bei den Untersuchungen gegebene Gelegenheit zur Er-
gründung der verschiedensten Momente, welche für das heranwachsende Kind
von Bedeutung sind — hereditäre, häusliche, soziale Verhältnisse z. B. — ,
daß sie diese ihre Erfahrungen den anderen zugänglich macht. Wenn wir
VerhAndlongen 1905. 4
50 Verhandl. d. VI. JahresTenammlang d. Allgem. DeuiBch. Vereins etc.
sehen, dafi bei uns in Stuttgart z. B. die Hälfte aller Kinder kein eigenes
Bett hat, daß ein weiterer erheblicher Prozentsatz nicht einmal ein
Bett hat, sondern auf dem Sofa, der Bank, dem Boden nächtigen muB,
^enn wir nachsehen, wie das Kind in seiner schulfreien Zeit beschäftigt
wird, ob es etwa diese an einer Strickmaschine zubringt, oder zum Aus-
tragen von Paketen oder zu einer anderen nicht adäquaten Tätigkeit
verurteilt ist, so beurteilen wir eine Reihe von allgemeinen Störungen,
sowie Schädigungen bestimmter Organe wesentlich anders, als wenn wir
von alledem nichts wissen.
Ich erlaube mir, femer Ihre Aufinerksamkeit auf einige dieser Ta-
bellen zu lenken. Sie sehen hier das Bild der Wohnbezirke Stuttgarts,
wie es sich bei einer Projektion in einen Kreis darstellt. Sie sehen hier
z. B. bei den Augenkrankheiten die Tatsache, daß die innere Stadt mit
ihren engen lichtarmen Wohnungen die übrigen Stadtteile an Häufigkeit
der Erkrankung, jeweils berechnet auf hundert lebende Kinder dieses Be-
zirks, weit übertrifft. Es läßt sich dies an der Hand der Fragebogen
noch weiter verfolgen und die Beteiligung der einzelnen Stockwerke er-
mitteln. Diese Tatsache gibt für die allgemeine Hygiene ebenso wert-
volle Fingerzeige wie der Umstand, daß die Tuberkulose, deren Tabelle
ebenfalls hier zu sehen ist, vorzugsweise die Stadtteile der armen Leute
befallen hat, und daß die auf diese Krankheit Verdächtigen sich vorzugs-
weise in den kleineu Dachstockwohnungen finden. Ursache und Wirkung
darf dabei natürlich nicht verwechselt werden. Jedenfalls aber sind
schon diese beiden Tatsachen von einer großen Bedeutung tmd wert^
weiter im Auge behalten zu werden.
Desgleichen erhalten wir bemerkenswerte Resultate, wenn wir die
sozialen Verhältnisse tmd den Gesundheitszustand vergleichen. Bei uns
in Stuttgart fanden sich • Augenleiden, Tuberkulose, Skrofulöse, Unge-
ziefer ganz besonders bei den Kindern der Unbemittelten. Ich erinnere
femer an die Berliner Resultate, die einen auffallenden Wachstums- und
Gewichtsunterschied bei den Kindern der gehobenen und der Volksschulen
feststellten.
Diese verschiedenen Stichproben mögen genügen, um die Bedeutung
einer genauen Anamnese ins rechte Licht zu stellen. Ob das Kind ge-
stillt wurde, wann es seine Zähne bekam, wann es laufen lernte und
viele andere Punkte, die einzeln aufzufuhren mir die Zeit mangelt, sind
von wesentlicher Bedeutung für das spätere Gedeihen der Kinder, ebenso
wie die Abstammung und die Gesundheitsverhältnisse der Eltern.
Gehen wir über zur Untersuchung selbst, so darf ich mir nähere
Details wohl schenken. Es versteht sich von selbst, daß dieselbe mit
der Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit durchgeführt wird, die von
jeher dem deutschen Arztestand eigen war. Nur auf einen Punkt
möchte ich noch hinweisen: die Untersuchung des Urins. Bei den
Massenuntersuchungen ist dies ja keine ganz einfache Sache, aber die
Schwierigkeiten sind nicht so, daß sie sich nicht überwinden ließen. Wir
waren hier in Stuttgart in der Lage, wenigstens bei sämtlichen Knaben,
etwa 5000 an der Zahl, den Urin durch Kochprobe mit event. nachfol-
gender Bestimmung nach Esbach und in der größeren Hälfte der Fälle
Zentrifuge und Mikroskop untersuchen zu können. Das Resultat war
Verbandl. d. ¥[. JahresTersammlnng d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 51
ein verblüffendes, wie Sie aus der hier aufgestellten Tabelle ersehen.
3 7o ^^^^ Knaben hatten Eiweiß über Yqq Esbach und mit dena [Alter
naiun diese Albuminurie zu von rund 1 % ^^^ Schüler in der 1. Klasse
bis auf 6 7o ^ ^^^ '^' Klasse. In mehr als einem Dutzend dieser Fälle
konnten milaroskopisch Nierenelemente und in zwei Fällen Blut nachge-
wiesen werden bei Knaben, deren äußerer Habitus auf keine wesentliche
Erkrankung schließen ließ. Ich sehe ab von einer weiteren kritischen
Besprechung unserer Resultate« Es liegt mir daran, sie noch während
einer Reihe von Jahren nachzuprüfen, wobei wir sie auch auf die Mäd-
chen ausdehnen werden. Insbesondere erscheint mir die fortgesetzte Be-
obachtung einmal konstatierter Albuminurien von Wert.
Endlich die Temperaturmessungen. Wir haben in allen geeigneten
Fällen solche vorgenommen. Ob eine Ausdehnung der Messung auf alle
Kinder möglich wird ohne ein zu großes Zeitversäumnis und ohne zu
große Belästigung der Kinder, wird sich erst in der Praxis weiterer Unter-
suchungen zeigen. Auch hier scheinen mir die Schwierigkeiten nicht
unüberwindlich. Wir fanden Steigerungen der Temperatur ohne nach-
weisbare andere Symptome. Die spätere Erkundigung gab dann in ver-
einzelten Fällen noch 'Aufklärung über die Ursache.
Meine Damen und Herren 1 Noch ein Wort über die Konstatierung
der geistigen Fähigkeiten bei den Schüleruntersuchungen. Dies ist nur
in ganz einfachen Fällen, über die auch der Laie sich ein mehr oder
weniger zutreffendes Urteil bilden kann, bei den Schuluntersuchimgen
möglich. Wir haben deshalb hier ganz davon abgesehen, nachdem sich
schon in den ersten Untersuchungsstunden herausstellte, daß dadurch die
Untersuchung des einzelnen Kindes und damit der Klasse einen Aufwand
an Zeit erforderte, den wir uns nicht leisten konnten. Nur eine länger
dauernde Beobachtung ermöglicht es, über den geistigen Status eines
Kindes ins Beine zu kommen. Gerade bei diesem Kapitel wird der Arzt
der Beihilfe der Lehrer nicht entraten können, darüber dürfen wir uns
keinen Illusionen hingeben. Daß bei einem fortlaufenden ärztlichen
Überwachungsdienst der Schulkinder diese Frage anders zu beurteilen
sein wird, als bei einer einmaligen informatorischen Untersuchung der
Schulkinder, liegt auf der Hand. Alle die Untersuchungen endlich, welche
in das Gebiet der experimentellen Psychologie gehören, wie z. B. Er-
müdung während des Unterrichts, Einfluß der Pausen, Wahl des Stoffes,
Verteilung der Stunden, alles das wird gewöhnlich nicht zum Kapitel
„Schüleruntersuchungen'* gezählt. Der Vollständigkeit wegen waren diese
Punkte aber zu erwähnen.
Damit wäre der Standpunkt des Arztes gegenüber den Sehulunter-
suchungen kurz skizziert. Die Frage, in wdcher Weise seine Honorierung
für den Aufwand an Zeit und Mühe zu erfolgen hat, die Frage endlich,
ob die Anstellung von besonderen Ärzten för diesen Zweck notwendig
ist, darf wohl heute aus unserer Besprechung ausscheiden, da ich an-
nehmen daif, daß hierin eine einheitliche Beurteilung Platz ge-
griffen hat.
Der große Gedanke, der allen Untersuchungen von Schülern zu-
grunde liegt, ist der, auf dem Gebiet der Volksgesundheitspflege prak-
tische Arbeit zu leisten. Das hindert nicht, daß jede Untersuchung noch
4*
52 Verhandl. d. VI. Jahresversainmlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
ihren besonderen Zweck hat, der auf die Art der Untersuchung bestim-
mend einwirkt.
Wenn wir ausgehen von der rein informatorischen Untersuchung
der Schulkinder, die keinen anderen Zweck hat, als die Gesundheitsver-
hältnisse der Schuljugend festzustellen, so sehen wir in ihr ein Beispiel
für jene Untersuchungen, wie sie von schulärztlicher Seite verlangt wer-
den beim Eintritt der Schulrekruten, und wie sie sich in größeren Zeit-
räumen während der ganzen Schulzeit wiederholen sollen. Hier steht
gewissermaßen das Einzelindividuum im Vordergrund des Interesses. —
Eine zweite Art der Schüleruntersuchung sehen wir vor uns in den so-
genannten Elassenbesuchen des Schularztes, bei denen die Gesamtheit der
zu einer Klasse gehörenden Schüler, sowie die Verhältnisse, in denen
sich dieses Klassenindividuum aufhält, zur Untersuchung kommen. Dieses
Gebiet, nicht weniger wichtig als das erste, eben skizzierte, umfaßt alle
die Fragen der Besetzung, Belichtung, der Ventilation und Heizung der
Schulzimmer, der Reinlichkeit bei den Kindern und im Zimmer. Hier
kommen wir zusammen mit dem Lehrer zur Besprechung und Unter-
suchung der Grenzgebiete von Medizin und Pädagogik. — Endlich wäre
noch der dritten Art von Untersuchungen der Schüler Erwähnung zu tun,
wie wir sie vornehmen, wenn besondere Verhältnisse eine Untersuchung
für erwünscht scheinen lassen, z. B. Untersuchungen von Klassen bei an-
steckenden Krankheiten, Untersuchungen von einzelnen Schülern vde sie
ab und zu notwendig werden können. Je nach der Organisation der
Schularzteinrichtungen finden wir hier eine große Mannigfaltigkeit der
äußeren Form von der gründlichen Durchuntersuchung einer Klasse beim
Auftreten einer ansteckenden Krankheit bis zur bloßen Benachrichtigung
des Arztes.
Meine verehrten Damen und Herren 1 Wie es vor dem Arzt keinen
Unterschied von arm und reich, hoch oder niedrig gibt, wie der Axzt
in jedem Kranken eben nur den leidenden Menschen sieht, so gibt es
auch vor dem Schularzt keinen Unterschied von Volksschule und Gym-
nasium. Aber wie der Arzt in die Lage kommen wird, die Lebens-
stellung und -haltung seines Patienten mit zu berücksichtigen bei den
Vorschlägen, die er zur Bekämpfung dieses oder jenes Leidens macht,
so wird auch der Schularzt die Lebenshaltung seiner Schutzbefohlenen
in Betracht ziehen müssen, sowie es sich um Vorschläge zur Abstellung
dieser oder jener Mißstände handelt. Bleiben wir hierbei auf dem Ge-
biet der Schule, so werden diese Mißstände in Gymnasium und Volks-
schule zum Teil die gleichen sein, zum Teil aber auch eben infolge der
Verschiedenheit im Lehrplan, in der täglichen Arbeit, die das Kind je-
weils zu leisten hat, ebenfalls wesentliche Verschiedenheiten aufweisen.
Aus dieser Überlegung heraus müssen wir zwar prinzipiell die Forderung
stellen, daß die Kinder in sämtlichen Schulen untersucht werden, und
daß nicht etwa nur die Kinder der Volksschule berücksichtigt werden.
Ob man aber zuerst mit den Volksschülem oder den Gymnasiasten be-
ginnt, oder ob beide zugleich untersucht werden, ist lediglich eine Zweck-
mäßigkeitsfrage, die nur an der Hand der jeweiligen örtHchen Verhält-
nisse sich beantworten läßt.
Wenn ich nun mit meinen Ausführungen auch keineswegs alle
YerhandL d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 53
Fragen, welche bei dem Kapitel „Schülerontersuchungen^' zu berQcksichtigen
sind, erschöpft habe, so glaube ich doch, Ihnen in großen Umrissen ein
Bild davon gezeigt zu haben. Nur der Hintergrund des Bildes ist viel-
leicht noch einer Aufhellung bedürftig, wenn auch die Einzelheiten bei
einer so weiten Entfernung trotzdem nicht ganz erkennbar werden.
Wir haben gesehen, daß die Schüleruntersuchungen notwendig sind,
wir sind von ihrer technischen Durchführbarkeit überzeugt, wir sind aber
auch davon überzeugt, daß auf diesem Boden eine Reihe von Maßnahmen
getroffen werden müssen, wenn die Untersuchungen überhaupt einen Wei*t
haben sollen.
Wo findet sich der Arzt, der nicht sofort bei der Konstatierung*
eines Leidens den heißen Wunsch in sich aufsteigen fühlt, abzuhelfen.
Ist es nicht gerade die Erkenntnis von der Unzulftnglichkeit menschlicher
Hilfe, die dem Arzt oft genug das Leben schwer macht. Und nun sieht
er sich mit einem Schlag einer Masse von Elend und Leiden gegenüber
und soll am Schluß sagen: „Wirklich, es war eine interessante Studie,
aber ihr könnt jetzt gehen, ich habe anderes zu tun!*'? Wird er nicht
vielmehr von dem Moment an gefangen sein von tausend Kinderaugen,
die ihn vertrauensvoll angeblickt haben, wird er sich nicht zum Anwalt
der Jugend machen, deren Interesse er mit all seiner Kraft wahrzunehmen
hat? Er hat gesehen, in welch trauriger Verfassung bereits die Lem-
anfänger zur Schule kommen. Er muß den Weg ins Elternhaus zu
finden wissen, nicht etwa in Form einer gedruckten Mitteilung von zwei-
felhaftem Wert, sondern in Person. Wir haben es mit Eltern zu tun,
die müde sind von der täglichen Arbeit, die stumpf geworden sind, selbst
wenn es sich um ihr eigenes und um das Wohl ihrer Kinder handelt.
Nur die eigenste persönliche Arbeit, nur das persönliche Aufsuchen der
Eltern kann hier etwas nützen. Die erste Pflicht des Schularztes ist es,
das Verantwortlichkeitsgefühl der Eltern zu wecken und zu kräftigen.
Erst dann ist auch die Unterstützung, die er vermittelt, imstande, wirk-
lich Gutes zu schaffen. Er wird in der Lage sein, auf Grund seiner
persönlichen Kenntnis der Eltern auch alles, was das Schulkind betrifft,
richtig zu beurteilen. Und so wird seine T&tigkeit die Grundlage bilden
zu weiteren Maßnahmen, die bald einzelne Kinder, bald ganze Klassen
und Schulbestände zum Gegenstand haben.
Sein zweiter Weg wird den Arzt iu die Schule führen. Er wird
auch hier in persönlichen Verkehr treten mit Lehrer und Schüler und
wird unmittelbar dadurch zum Vermittler der Gedanken und Ziele der
öffentlichen Gesundheitspflege in der Schule werden, sei es auf dem Ge-
biete des Unterrichts, sei es auf dem des Schulbetriebs. Viel Mühe und
Arbeit wartetet hier auf ihn und nur langsam. Schritt für Schritt wird
sein Weg ihn vorwärts führen.
Sein dritter Weg endlich führt den Arzt in die Öffentlichkeit. Es
gilt, das allgemeine Interesse an seinen Bestrebungen zu erregen. Freunde
zu sammeln, Gleichgültige aufzurütteln, Femerstehende herbeizuführen.
Groß ist die Mühe und erfordert ein gehäuftes Maß von Selbstlosig-
keit, Ausdauer und Vertrauen auf die gute Sache, für die er kämpft.
Aber auch die Befriedigung ist dem Untersucher, auch wenn er sich
an der Behandlung selbst nicht direkt beteiligen darf, nicht versagt. Ist
54 Verhandl. d. VI. Jahresversamjulang d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
seine Arbeit doch dazu nütze, unsere Jugend tüchtig zu erhalten im Wett-
kampf der Völker und Staaten. Und wenn auch seine Arbeit zum Teil
eine mühselige Kleinarbeit am einzelnen Menschen ist, so darf er sich
doch sagen, daß es nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität
ankommt, daß nur der Staat sich an der Spitze halten kann, der die
tüchtigsten Einzelindividuen aufzuweisen hat.
Diskussion.
Vorsitzender, Prof. Griesbach:
Ich danke Herrn Dr. Gastpar für seine mühevollen und interes-
santen Untersuchungen; dieselben haben uns wichtige Anhaltspunkte für
den schulärztlichen Dienst gegeben. Ich eröffne die Diskussion.
Prof. Le üb US eher -Meiningen:
Der Schulunterricht kann nur segensreich wirken, wenn die Eltern
ein Interesse an der Institution gewinnen. Dazu dienen sogenannte
Elternabende, in denen die Bedeutung der Schulartzeinrichtung, als auch
andere hygienische Fragen besprochen werden können.
ViTas die Frage des Ausschlusses gewisser Jahrgänge von der schul-
ärztlichen Untersuchung betrifft, so hat sich in Sachsen-Meiningen der
Ausschluß der 4 obersten Mädchenjahrgänge nicht als nötig gezeigt.
Dringend erforderlich ist, daß die Lehrer befähigt werden, die An-
ordnungen des Arztes zu befolgen und den Arzt zu unterstützen. Ein
hygienischer Unterricht auf den Seminaren imd hygienische Vorlesungen
auf den Universitäten sind überall einzurichten.
Nur die beamteten Ärzte mit der schulärztlichen Untersuchung zu
betrauen oder Schulärzte als solche im Hauptamt anzustellen, ist, wenig-
stens für das Land, nicht zweckmäßig. Um den Zusammenhang der Er-
krankungen der Kinder mit den häuslichen Verhältnissen beurteilen zu
können, ist es gut, wenn derjenige Schularzt wird, der auch im übrigen
die Praxis in dem Bezirke besitzt, und der das Vertrauen der Bevölke-
rung in höherem Grade besitzt als ein beamteter Arzt, der nur ab und
zu den betreffenden Ort besucht.
Lehrer Reichert- Stuttgart:
In dem Bericht des Beferenten über die Ergebnisse der ärztlichen
Untersuchung der Stuttgarter Volksschüler ist die auffallende Tatsache
verzeichnet, daß die Zahl der Schüler mit Unteremähnug in Klasse I
(unterste Klasse) wesentlich größer ist als in der VII. (obersten) Klasse.
In Klasse I sitzen 14 7^ mehr unteremährte Kinder als in Klasse VII.
Die Ursache für die große Zahl der schlecht ernährten Kinder im
untersten Schuljahr liegt in der Unnatur der modernen Schule, im Über-
maß von Unterrichtsstunden in den ersten Schuljahren und in der Un-
zweckmäßigkeit des Lehrplans. Obgleich durch MinisterialverfÜgung die
Zahl der Lehrstunden in Klasse I auf 20 festgesetzt ist, werden in vielen
Klassen bis zu 24 Stunden gegeben. Dazu konmien die vielen Nach-
hilfestunden mitunter für ganze Klassen und das Unmaß der Hausauf-
gaben. Die Kinder bekommen das Schulfieber, verlieren den Appetit
und gesunden Schlaf. Sie müssen sich schon im 2. Schuljahre eine
Überfülle von Liederstrophen und Bibelsprüchen durch häusUchen Fleiß
einprägen und plappern in nervöser Angst noch auf dem Wege zur
Yerhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 55
Schule die Memorierstoffe her. Der Übergang von der üngebundenheit
des kindlichen Lebens im vorschulpflichtigen Alter zam Zwang auf der
Schulbank geschieht zu unvermittelt. Die Maßnahmen zur Verminderung
der Gesundheitsschadigungen müssen in einer Herabsetzung der Stunden-
zahl in den ersten Schuljahren und in der Aufstellung eines zweck-
mäßigen Lehrplans bestehen. Bei der Aufsuchung der Ursachen, welche
eine Benachteiligung der gesunden Entwicklung der Schüler bewirken,
dürfen die Klassenzimmer, ihre Lage, Belichtung usw., nicht außer acht
gelassen werden. Auf eine Stelle in dem Bericht des Herrn Referenten
möchte ich noch zu reden kommen, weil sie zu unliebsamen Erörterungen
Veranlassung gegeben hat. Der Bericht hat nämlich auch die Zahl der
mit Ungeziefer behafteten Kinder in die Öffentlichkeit gebracht. Da-
durch ist bei der Bevölkerung eine Scheu vor der Volksschule verursacht
worden, welche in der kleineren Zahl der Anmeldungen bei der letzten
Schüleraufhahme deutlich zur Erscheinung kam. Bei einer Ausdehnung,
der ärztlichen Untersuchung auf die Schüler der anderen Lehranstalten
würde sich ergeben, daß auch anderswo, wenn auch in geringerem Pro-
zentsatz, zuzeiten Entdeckungen auf Schülerköpfen gemacht werden
können. Solche Wahrnehmungen sollten in geheimen Berichten nieder-
gelegt werden, von welchen nur die Klassenlehrer und -lehrerinnen und
vor allem die Eltern Kenntnis erlangen.
Kreisarzt Dr. Kriege -Barmen:
Meine Herren! Eine Frage, die auch den Internationalen Kongreß
für Schulhygiene in Nürnberg beschäftigt hat, möchte ich hier in der
Diskussion kurz berühren, weil der Herr Beferent nicht darauf einge-
gangen ist. Ich meine die statistische Verwertung des Beobachtungs-
materials, welches durch die schulärztlichen Untersuchungen gewonnen
wird. Nach den in Nürnberg gemachten ärztlichen Vorschlägen sollten
unterschieden werden
1. Erkrankungen, die bereits beim Eintritt in die Schule vorhan-
den sind;
2. Erkrankungen, die zwar während der Schulzeit entstehen, aber
mit dem Unterricht und Schulbesuch nicht in unmittelbarem ursächlichen
Zusammenhang stehen, und
3. eigentliche Schulkrankheiten, die lediglich dem Lernen und dem
Schulaufenthalt zur Last geschrieben werden müssen.
Gegen eine solche Morbiditätsstatistik wurden von dem Verband der
deutschen Städtestatistiker gewichtige Bedenken geltend gemacht. Ins-
besondere wurde meines Erachtens mit Recht hervorgehoben, daß der
Schularzt im einzelnen Falle sehr häufig gar nicht wissen könne, ob
eine Krankheit, die er bei einem Schulkinde findet, durch den Schul-
besuch hervorgerufen sei oder durch andere, der Gesundheit nachteilige
Umstände.
Ein internationaler Kongreß scheint mir nun nicht die richtige Ge-
legenheit zu sein, um eine solche Streitfrage zu entscheiden. Wahr-
scheinlich wird es dem Deutschen Verein für Schulgesundheitspflege leicht
gelingen, eine Verständigung herbeizuführen, wenn er mit dem Verband
deutscher Städtestatistiker verhandelt. Ich möchte mir den Vorschlag
erlauben, eine Kommission zu bilden, die je zur Hälfte aus Schulärzten
56 Verhandl. d. VI. JahresyersammlTing d. Allgem. Deutsch. Yerems etc.
und Städtestatistikem bestellt und die mit der Aufgabe zu betrauen
wäre, ein zweckmäßiges, zur statistischen Bearbeitung allgemein geeig-
netes Erhebungsformular auszuarbeiten.
Schulin spektor S c h m e e 1 -Worms :
Die Untersuchung durch den Schularzt muß möglichst bald nach
dem Eintritt der Kinder in die Schule erfolgen, damit Kinder, welche
körperlich nicht genügend entwickelt sind, wieder zurückgegeben werden.
Dann ist mit aller Entschiedenheit darauf hinzuwirken, daß die all-
gemeine Schulpflicht hinaufgerückt wird vom 6 auf das 7. Lebensjahr,
damit nur Kinder in die Schule eintreten, die den Anforderungen, die
an sie gestellt werden, wirklich gewachsen sind. Dann auch haben wir
Schüler, die während der gesamten Schulzeit immer um 1 Jahr älter
sind, und die endlich, was sehr wichtig ist, auch reifer in das Leben
eintreten.
Schulinspektor Müller-Wiesbaden:
In Ergänzung der Ausführungen des Herrn Vorredners, denen ich
voll zustimme, teile ich mit, daß die städtischen Körperschaften Wies-
badens auf Antrag des Herrn Professor Kalle seit 2 Jahren den Betrag
von 2000 Jl in den Haushaltungsplan einstellen, um die noch nicht
schulfähigen sechsjährigen Kinder ein Jahr hindurch in Fröbelschen
Kindergärten unterbringen zu können.
Mathilde Planck -Stuttgart:
Zugunsten der Schulärztin muß ich anführen:
1. Die Schamhaftigkeit der jungen Mädchen muß mit allen Mitteln
gestärkt und aufs sorgiEältigste beachtet werden als Schutzmittel gegen
sittliche Gefahren.
2. Die Schulärztin wird manchmal einen schärferen Einblick in die
häuslichen Verhältnisse gewinnen und der Mutter manchmal besser raten
können als der Arzt.
3. Auf Grund ihrer eigenen Erfahrung kann die Ärztin die Zu-
stände der Mädchen in den Entwicklungsjahren sicherer beurteilen als
der Arzt.
Antrag Gastpar:
Die Versammlung wolle beschließen, den Regierungen
nahezulegen, daß die schulärztliche Überwachung nicht nur
auf die Volksschulen, sondern auf sämtliche Schulen, insbe-
sondere auch auf die höheren Knaben- und Mädchenschulen
ausgedehnt werde.
Direktor Dr. Hörn -Prankfurt a. Main begrüßt den Vorschlag, daß
Schulärzte auch für die höheren Schulen angestellt werden sollen; die
höheren Schulen können dadurch nur gewinnen, die Bedenken der Lehrer
dagegen sind unbegründet. Außerdem schlägt er vor, die Ausbildung
der Lehrer in der Gesundheitslehre nicht auf die üniversitätszeit zu
legen, sondern später Kurse (aber nicht Ferienkurse) für Lehrer und
Direktoren zu veranstalten.
Dr. Gmelin-Großgartach verweist für diese Frage (der Notwendig-
keit eines Schularztes für sämtliche Schulen, auch die höheren) auf das
Ergebnis der Untersuchungen in bezug auf die Augen, die in der Uni-
versitätsstadt Tübingen vor 2 Jahren angestellt worden sind, und die
Verhandl. d. VI. Jahresversaminlung d. Allgem. Deutscli. Tereins etc. 57
im „Staatsanzeiger" yeröffentlicht wiirden, wonach die Kurzsichtigkeit in
den Volksschulen hetrug 6 7oi i° ^^^ höheren Töchterschule 9 7o» ^«r
Realschule 15 %, dem Gymnasium aber gar 26 7o* ®i^ statistisches Er-
gebnis, das mehr als Bände spreche, namentlich auch nach der Richtung,
wo die eigentliche Überbürdung zu finden sei!
Prof. Hart mann -Leipzig:
Herr Dr. Hörn hat als Angehöriger des Mädchenlehrerstandes für
Anstellung von Schulärzten gesprochen. Als Angehöriger des Lehrer-
standes der höheren Knabenschulen möchte ich die Forderung für diese
Schulen nachdrücklich unterstützen. Wer die Frage unbefangen prüft,
muß zugeben, daß auch die höheren Knabenschulen das größte Interesse
an der Einführung dieser Reform haben. Gewiß sind hier nicht ganz
dieselben Krankheitserscheinungen zu finden, wie an den Volksschulen;
man muß auch hier damit rechnen, und man darf hoffen, daß unter
Mitwirkung des Schularztes auch die höheren Schüler in ihrem Gesund-
heitsstande erheblich gebessert werden.
Anders denke ich über die Gewinnung des Interesses der Lehrer-
schaft für die Hygiene. Natürlich muß hier auch auf die im Amte be-
findliche Lehrerschaft eingewirkt werden. Das schließt aber durchaus
nicht aus, daß man auch schon die Studierenden im letzten Teile ihres
akademischen Studiums hygienisch interessiert. Eine neue Belastung soll
dadurch nicht entstehen, und die Prüfungsanforderungen würden daher
unter diesem Gesichtspunkte einer Revision zu unterziehen sein. Aber
es ist von größter Wichtigkeit, daß schon der Studierende einen Einblick
in die Schulhygiene gewinnt, daß er von vornherein das Ganze des
Schülers ins Auge fassen lernt. Das wird ein wichtiges Gegengewicht
sein gegen einseitige Überspannung des Fachlehrerprinzips.
Generaloberarzt Prof. Dr. Jäger- Straßburg:
Meine Damen und Herren I Ich möchte die womöglich einstimmige
Annahme des Antrags auf Einführung von Schulärzten auch für die
höheren Lehranstalten aufs lebhafteste befClrworten, besonders auch aus
einem Grunde, der, wie ich glaube, bisher noch nicht hervorgehoben
worden ist, nämlich dem, Interesse für hygienische Fragen und Kennt-
nisse in denselben auch in den Stand der Lehrer höherer Anstalten
hineinzutragen. Nach meinen früheren Erfahrungen als Lehrer der Hy-
giene an der Universität Königsberg ist es damit meist noch nicht zum
besten bestellt. Meine dortigen Vorlesungen über Schulhygiene waren
z. B. von über 100 VolksschuUehrem besucht, Gymnasiallehrer kamen
nur 3 oder 4. Nun könnte man sagen, die Herren wissen das alles
schon. Auf der Universität haben sie aber, wie wir gehört haben, keine
diesbezüglichen Studien gemacht. So fehlt z. B. meist das Verständnis
für die zur Schonung der Augen so wichtige Größe der Druckbuchstaben
in den griechischen Elementarbüchem. Ich konnte mich wiederholt über-
zeugen, daß die wenigsten Lehrer der höheren Schüler auch nur eine
Ahnung haben z. B. von Ventilations- und Heizungsanlagen. Bei den
meisten beschränkte sich die Kenntnis auf das Gebot: „Fenster auf!"
Das ist wohl auch ganz gut, aber dazu braucht man allerdings auch
nicht Hygiene zu studieren. Die Ventilationseinrichtungen sind aber da-
zu da, für Lufterneuerung zu sorgen, wenn die Witterung das öfl&ien
58 Verhandl. d VI. JahreBverBammlong d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
der Fenster nicht erlaubt, sowie während des Verlaufs der Unterrichts-
stunden. Dazu muß man aber wissen, wozu die oberen Ventilations-
klappen da sind, wozu die unteren, oder unter welchen Verhältnissen
die einen in Tätigkeit zu treten haben, unter welchen die anderen. —
Jeder kulturelle Fortschritt pflegt sich von oben nach unten fortzu-
pflanzen: Hier, in der Schulhygiene, scheint es mehr von unten, von der
Volksschule auszugehen. Stehen wir dafür, daß auf diesem Gebiete ge-
rade die höheren Lehranstalten nicht rückständig werden, sondern zum
besten der Wehrhaftigkeit unseres Volkes sich an die Spitze stellen!
Oberstudiem-at Dr. Egelhaaf- Stuttgart, Rektor des Karlsgymnasiums,
spricht sich gegen den Antrag Gastpar aus, da fdr die höheren Schulen,
deren Schüler zumeist aus sozial günstig gestellten Kreisen hervorgehen,
das Bedürfnis einer schulärztlichen Überwachung nicht besteht. Hier sind
fast durchweg Hausärzte vorhanden, deren Rat die Eltern dem des Schul-
arztes vorziehen werden. Wenn die höheren Lehrer nach der Aussage
des Herrn Vorredners weniger Interesse fElr hygienische Fragen zeigen
als die Volksschullehrer, so hat das den einfachen Grund, daß die ihnen an-
vertrauten Schüler hygienisch weniger zu tun geben. Da man davon
ausgeht, daß die Sache bei den Volksschülem anders liegt, so enthält
das keinen Vorwurf für die Volksschule oder gar deren Lehrer, sondern
lediglich die Anerkennung einer bedauerlichen sozialen Tatsache.
Antrag Gastpar wird gegen wenige Stimmen angenommen.
Vorsitzender Prof. Griesbach:
Wir kommen jetzt zu der wichtigen Angelegenheit des ungeteilten
Unterrichts und ich erteile zunächst Herrn Oberrealschuldirektor Dr.
Hintzmann das Wort zu seinem Vortrage.
Der ungeteilte ünterriolit
(Kürzung der einzelnen Unterrichtsstunden und Verlegung des wissen-
schaftlichen Unterrichts auf den Vormittag.)
Leitsätze.
1. Die Unterrichtszeit, welche die preußischen Lehrpläne von 1901
fär die mittleren und oberen Klassen fordern, ist zu groß. Die Zahl
der Unterrichtsstunden steigt unter Einschluß von 3 Tum-, 2 Cborgesang-,
1 Schreib-, 2 wahlfreien Zeichen- und 2 wahlfreien englischen oder hebrä-
ischen Stunden bis auf 39; die Schüler müssen also durchschnittlich bis
zu ßYg Stunde täglich, d. h. an mehreren Tagen bis zu 7, ja an einzelnen
Tagen sogar 8 Stunden in der Schule zubringen.
2. Daraus folgt, daß die Schüler zum Anfertigen der häuslichen
Schularbeiten weder die notwendige oder geeignete Zeit noch die erforder-
liche geistige Kraft und Frische haben.
3. Den Schülern fehlt weiter erst recht die Zeit und darum auch
die Möglichkeit, für ihre körperliche Ertüchtigung zu sorgen, ihrer Indi-
vidualität entsprechenden wissenschaftlichen oder künstlerischen Neigungen
nachzugehen oder größere selbständige Arbeiten anzufertigen.
4. Die Erziehung zu selbständiger geistiger Tätigkeit ist aber die
vornehmste Aufgabe der höheren Schulen.
Verbandl. d. VI. JahresTenamiulung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc. 59
5. um jene Übelst&nde zu beseitigen und diese Aufgabe sicherer
lösen zu können, erscheint es geboten, abgesehen vom Turnen, den ge-
samten in den Lehrplänen genannten Unterricht auf den Yorniittag, als
die f&r geistige Arbeit geeignetste Zeit, zu verlegen, die Nachmittage also
für Turnen und andere körperliche Übungen (Spielen, Schwimmen, Budem)
und fOr die häusliche Arbeit und selbstgewählte Beschäftigungen frei-
zuhalten.
6. Das ist nur möglich, wenn jede Unterrichtsstunde auf 45 Minuten
beschrankt wird. Es können dann an den 6 Wochentagen bis zu 36 Unter-
richtsstunden vormittags erteilt werden, etwa nach folgendem Plan:
1. Stunde 7— 7**^ (45 Min.)
1. Pause 7*^—7^ (5 Min.)
2. Stunde 7«»— 8»*' (45 Min])
2. Pause 8«^— 8*^ (15 Min.)
3. Stunde 8^—9»* (45 Mini)
3. Pause 9»— 9^ (5 Min.)
4. Stunde 9*«— 10*^ (45 Min.)
4. Pause 10*^—10** (20 Min.)
5. Stunde 10*«^— 12^ (45 Min.^
5. Pause 11~-11« (15 Min.)
6. Stunde 11«— 12*> (45 Min.)
7. Derartige Pläne sind jahrelang erprobt und haben sich nicht
nur als durchführbar, sondern als anderen Plänen überlegen erwiesen.
Die Schüler sind im Unterricht frischer und lebendiger, im Hause arbeits-
freudiger.
8. Die Schulverwaltungen sind zu bitten, zunächst wenigstens Ver-
suche mit derartigen Lehrplänen machen zu lassen.
Hochansehnliche Versanmilung! Wie vor einem Jahre in Nürnberg
auf dem Internationalen Kongreß für Schulhygiene^), so folge ich auch
heute einer an mich seitens des Vorstandes gerichteten Aufforderung,
indem ich zu Ihnen über den „ungeteilten Unterricht" rede. Ich
gestehe, daß ich dem Wunsche des Vorstandes gern entspreche; denn
ich darf mich hier über eine Frage äußern, die mich seit Jahren ganz
besonders beschäftigt hat, deren sachgemäße Beantwortung meines £r-
achtens von großer Bedeutung för unser gesamtes Schulwesen, höheres
wie niederes, ist. Das Resultat meiner Beobachtungen und daraus sich
ergebenden Erwägungen Ihnen vorzuführen, das ist meine Aufgabe. Des-
halb gut das hier zu Sagende zunächst nur für die höhere Schule, und
zwar die preußische, nur ihre Verhältnisse und Bedürfhisse sollen hierbei
berücksichtigt werden. Ich werde mich dabei möglichster Kürze be-
fleißigen.
Meine Damen und Herren! Die Frage, auf welche Tageszeiten der
Schulunterricht zu legen sei, beschäftigt seit langer Zeit die Schul -
behörden und Schulmänner und in neuerer Zeit aqch die Arzte. Sie ist
immer brennender geworden, je mehr die Anforderungen wuchsen, welche
an die SchuUeistnngen und damit an Lehrer and Schüler gestellt wur-
1) Ber. über den 1. Intern. Kongr. f. Schulhygiene U 177 ff.
60 Verhandl. d. VI. JahreeverBammlung d. Allgem. Deutsch. Yereins etc.
den. Die Entwicklmig des höheren Schulwesens hat sich in der Bich-
tung vollzogen, daß die Arbeit mehr und mehr in den Unterricht ver-
legt, daß demgemäß die Unterrichtszeit ausgedehnt oder doch intensiver
ausgenutzt wurde. Wer den Gang der einzelnen Unterrichtsstunden, die
in ihnen von Lehrern und Schülern geleistete Arbeit heute beobachtet
und damit das Bild vergleicht, das sich dem Beobachter vor drei oder
mehr Jahrzehnten bot, der ist darüber nicht im Zweifel. ' Und wenn die
Behauptung, von der ich bei meinen Ausführungen in Nürnberg aus-
ging, daß nämlich „an allen höheren Schularten (Gymnasien, Realgym-
nasien, Oberrealschulen) eine Überbürdung der Lehrer und Schüler ge-
geben^^ sei, natürlich auch nicht in dem Sinne gilt, daß an jeder ein-
zelnen Anstalt nur überbürdete, nervöse Lehrer und bleiche Schüler-
gesichter gefunden würden, darüber daß das Maß von Zeit, das täglich
durch die Schule in Anspruch genommen wird, zum mindesten vielfach,
in größeren Städten immer zu groß ist, — darüber sollte, so meine ich,
ein Streit zwischen Schulmännern und Ärzten gar nicht bestehen. Ich
spreche hier nicht von den unteren Klassen (VI— IV nach norddeutscher
Bezeichnungsweise), ich habe dabei die mittleren bis oberen Klassen (HI
bis I) im Auge und frage: Heißt das das Maß der Schulzeit nicht über-
spannen, wenn in der Schule für die mittleren Klassen bis zu 37 Unter-
richtsstunden wöchentlich, für die oberen Klassen aber gar bis zu 41
Stunden gegeben werden? Man vergegenwärtige sich, daß zu diesen
Zeiten noch die häusliche Arbeitszeit, fOr den normalen Schüler der mitt-
leren Klassen 12, für den der oberen aber 18 Stunden wöchentlich, hin-
zugefügt werden muß, und daß dazu noch die Zeit kommt, die der
Schulweg in Anspruch nimmt, eine Zeit, die wenigstens für die Schüler
der größeren und Großstädte als Erholungszeit sicherlich nicht angesehen
werden kann. Summiert man die angegebenen Stundenzahlen, so ergibt
sich als Resultat, daß die Schüler der mittleren Klassen wöchentlich bis
zu 55, die der oberen bis zu 65 Stunden, d. h. erstere an jedem Wochen-
tage durchschnittlich bis 97^, letztere bis zu lO^/e Stunden durch die
Schule in Anspruch genommen werden. Ich habe dabei den Schulweg
mit einer täglichen Durchschnittsdauer von 1 Stunde in Rechnung ge-
stellt, einer für größere und große Städte bei geteiltem Unterricht sicher-
lich eher viel zu niedrigen als irgendwie zu hohen Zahl. Daß ich auch
bei dem Ansatz über die häusliche Arbeitszeit nicht zu schwarz gesehen
habe, wird mir jeder mit den Verhältnissen Vertraute bestätigen.
Die eben genannten Zahlen entsprechen aber den tatsächlichen Ver-
hältnissen noch nicht ganz, geben also keine zutreffende Unterlage für
Schlüsse, weil eine völlig gleichmäßige Verteilung der durch die Schule
beanspruchten Zeit ausgeschlossen ist. Um nur eins zu erwähnen, das
überall gilt, so folgt aus den freien Mittwoch- und Samstagnachmittagen,
daß an den 4 übrigen Wochentagen die Schüler der mittleren Klassen
bis zu wenigstens 6%, die der oberen bis zu l^j^ Unterrichtsstunden
haben, zu denen 2 oder 3 Arbeitsstunden und je 1 Stunde Schulweg
hinzukommen, so daß der Tertianer oder Untersekundaner an jedem dieser
4 Wochentage bis zu O'^, der Obersekundaner und Primaner bis zu
11% Stunden in Anspruch genommen ist.
Ist dem so, so ist damit zwar das Ideal derjenigen Wirklichkeit
YerhandL d. VI. Jahresversammlung d. Allgera. Deutsch. Vereins etc. 61
geworden, welche in der Schule vor allem eine Kinderbewahranstalt und
damit eine Einrichtung haben wollen, die den Eltern die ihnen zustehende
Aufgabe abnimmt, aber das Schulideal ist damit sicherlich nicht erfüllt,
wir haben ein Wirklichkeitsbild, das diesem Ideal schnurstracks wider-
spricht.
Aus den gekennzeichneten tatsächlichen Verhältnissen ergeben sich
mit Notwendigkeit als Folgeerscheinungen: 1. Dem Schüler fehlt an der
Mehrzahl der Wochentage die notwendige Zeit, häusliche Arbeiten für
die Schule anzufertigen. 2. Den Schülern gebricht es an Zeit, ihrer
„körperlichen Ertüchtigung^^ nachzugehen. 3. Die Schüler haben nicht
die Zeit, es ist ihnen wenigstens jeder Antrieb genommen, ihren Anlagen
entsprechenden Neigungen durch Beschäftigung mit einzelnen Wissens-
gebieten oder durch Ausübung künstlerischer Fertigkeiten und Fähigkeiten
nachzugehen. 4. Den Schülern mangelt die Zeit zu selbständiger geistiger
Arbeit, zu tieferem Eindringen in irgend ein Wissensgebiet.
Gestatten Sie mir folgende kurze Ausfilhrung:
Ein Knabe oder Jüngling, der am Vormittage bei auch nur gut
viertelstündigem Schulwege 4 und am Nachmittage der genannten 4
Wochentage durchschnittlich 2% Stunden in der Schule zugebracht hat,
kann, zunächst einmal angenommen, die Unterrichtszeit fiele auf die
Stunden von 8 — 12 und von 2 Uhr ab, verständigerweise wohl kaum
vor 6 Uhr mit seiner Hausarbeit beginnen. Der Knabe könnte sie, falls
er sich ihr ungestört und ohne Unterbrechung widmen kann, also bis
8 Uhr beendigt haben, der Jüngling aber, der, wie ich ausführte, an
diesen Tagen bis zu 7% Stunden in der Schule zuzubringen hat, würde
nicht vor 7 Uhr abends mit seiner Hausarbeit beginnen, sie also auch
bei ununterbrochenem Fortgang nicht vor 10 Uhr beendigt haben. Be-
darf es eines weiteren Beweises dafür, meine Damen und Herren, daß
den Normalschülem der mittleren und oberen Klassen die zum Erledigen
der Hausaufgaben notwendige, daß ihnen vor allem die dazu geeignete
Zeit fehlt?
Ebenso ist, wie ich meine, damit der Beweis erbracht, daß sich
auch die drei andern von mir gensumten Folgeerscheinungen mit Not-
wendigkeit aus einem geteilten Unterrichtsbetriebe ergeben.
Angedeutet habe ich es schon, hier soll es aber doch auch noch
besonders betont werden: Bei solcher Inanspruchnahme der Schüler durch
die Schulen kommen die Knaben und Jünglinge mit der Familie, mit
Eltern und Geschwistern eigentlich nur noch während der Mahlzeiten zu-
sammen, wird also ein Erziehungsfaktor ausgeschaltet, der wahrlich nicht
hoch genug gewertet werden kann, das Familienleben. Vitae discimus.
Für das Leben soll die Schule bilden. Das Leben fordert ganze
Männer, d. h. Männer, deren Geist, Wille und Gemüt, jedes an seinem
Teil, in der Jugend mit einsichtsvoller Hingabe und zarter Liebe gehegt
und in seiner Entwicklung gefördert worden ist, Männer, welche nicht
nur etwas oder auch viel wissen, die nicht nur wollen, das Gute wollen,
sondern Männer wahrhafter Herzensbildung. Nur sie werden unserem
Volke geeignete Führer bei der Lösimg der großen unsere Zeit bewegen-
den Fragen sein. Solche Führer heranbilden, erziehen zu helfen — ich
betone: erziehen zu helfen — das ist die Aufgabe unserer höheren
62 Verhandl. d. VI. JahresyerBamznlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
Schulen. Welche deutsche Schule könnte und wollte sich vermessen,
diese heilige Aufgabe allein, ohne Mitwirkung der deutschen Familie^
des deutschen Hauses zu erfüllen?
Ist so, wie ich denke, der Beweis geftlhrt, daß die Zeit, während
welcher die Schule ihre Zöglinge im allgemeinen für sich und ihre
Aufgabe in Anspruch nimmt, zu groß ist, als daß andere erziehliche
Aufgaben gleichzeitig gelöst werden könnten, so fragt es sich: Wie ist
das zu ändern?
Doch bevor ich diese Frage zu beantworten suche, gestatten Sie
noch eine Bemerkung.
Ich bin bei meiner vorhergehenden rechnerischen Aufstellung von
der Voraussetzung ausgegangen, daß die Unterrichtszeit außer am Mitt-
woch und Samstag auf 8 — 12 und von 2 Uhr ab, an den beiden ge-
nannten Tagen aber von 8 — 1 Uhr falle. Die Frage, ob diese Zeiten,
ob insbesondere die Vormittagszeit und ob die Zeit von 2 Uhr ab die
richtigen Unterrichtszeiten sind, will ich hier nicht weiter erörtern.
Ich will da gern dem Physiologen und dem Psychiater das erste Wort
überlassen. Nur das muß ich betonen, daß, wenn man den Nachmittags-
unterricht erst um 3 Uhr beginnt, ceteris paribus der Notstand nur
noch größer wird, weil sich die häusliche Arbeitszeit noch um eine Stunde
weiter in den Abend hinein verschiebt.
Und nun zu unserer Frage: Wie ist den Mißständen zu begegnen,
die sich, wie nachgewiesen wurde, ans der geteilten Unterrichtszeit er-
geben?
Nicht durch den vielfach beliebten und besonders in den grös-
seren Städten eingeftihrten fünfstündigen Unterricht. Denn einmal
ist es nicht möglich, bei diesem Plan mehr als 30 Unterrichtsstunden
auf den Vormittag zu legen — es bleiben für die 4 Schulnachmittage
(Montag, Dienstag, Donnergtag, Freitag) in den mittleren Klassen immer
noch 7, in den oberen 11 Stunden übrig, es bleibt an den vier Tagen
auch bei einem zweimaligen Schulwege — und andererseits wird der
Nachmittagsunterricht um so später begonnen werden müssen, je länger
der des Vormittages dauert. Auch bei dieser Zeiteinteilung wird also
der Schüler von morgens 8 Uhr bis zum Abend hin, abgesehen von der
Mittagspause, durch die Schule in Anspruch genommen, auch nicht eine
der üblen Folgen des geteilten Unterrichts wird auf diese Weise be-
seitigt.
Dagegen könnte dies erreicht werden durch Verminderung der
Stundenzahl um bis zu 4 bei den mittleren, bis zu 8 bei den oberen
Klassen. Dann blieben, abgesehen vom Turnunterricht, bis zu 30 Stun-
den, die ohne Ausnahme an den sechs Vormittagen gegeben werden
könnten. Das wäre meines Erachtens die glücklichste Lösung der Auf-
gabe. Ist diese Lösung aber erreichbar? Ich beantworte diese Frage
mit einem kräftigen: Für absehbare Zeiten nicht. Selbst die Lehrpläne
vom Jahre 1892, die im ganzen am wenigsten Unterrichtsstunden an-
setzten, forderten für die oberen Klassen bis zu 35 außer 2 Turnstunden.
Alle Bemühungen, Pläne zu entwerfen, welche jener Forderung genügen,
haben bisher zu keinem Ziel geführt, erscheinen auch, wenigstens für die
nächste Zukunft, völlig aussichtslos Oder hält es wirklich jemand für
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 63
möglich, irgend ein Unterrichtsfach ganz aus den Lehrplänen zu streichen,
oder einzelnen Fächern eine oder gar mehrere Stunden von der Unter-
richtszeit zu nehmen, ohne sie in ihrem Lebensnerv zu treffen, ohne der
Eigenart der betreffenden Schule damit zu naJie zu treten? Ich persön-
lich wenigstens wüßte höchstens 2 Stunden auf diesem Wege zu ge-
winnen, indem man dem Linearzeichnen den Charakter des wahlfreien Unter-
richts nähme und an den Realgymnasien und an den Oberrealschulen statt
der 5 Mathematik- H~ 2 Linearzeichenstunden 6 Mathematikstunden er-
teilte, in denen in organischer Verbindung mit der Mathematik auch das
Linearzeichnen behandelt würde, und indem man andererseits die eine
Stunde Erdkunde in den oberen Klassen der Oberrealschule wieder striche
und das erdkundliche Pensum dem geschichtlichen und dem naturwissen-
schaftlichen Unterricht zuwiese. Aber beseitigt wären die Übelstände da-
mit nicht, nur um ein wenig verringert.
Aucb, um das hier gleich zu bemerken, ohne auf die Sache näher
einzugehen — dazu wird die Diskussion die geeignete Stelle sein — ,
vermag ich in dem von dem ärztlichen Berichterstatter aufgestellten
Lektionsplane keine befriedigende Lösung des Problems zu erkennen.
Denn es handelt sich, das kann offenbar nicht oft und nicht bestimmt
genug betont werden, darum: Wie kann es vermieden werden, daß die
Schule ihre Schüler den ganzen Tag für sich beansprucht, und wie wird
dem Schüler die zu körperlicher Ertüchtigung und zu selbständiger Ar-
beit erforderliche Zeit geschaffen?
Meines Erachtens führt hier nur ein Weg zum Ziel, nämlich der,
die einzelnen Unterrichtsstunden zu kürzen und es dadurch zu ermög-
lichen, daß die Schulzeit in einer kürzeren Stundenzeit zusammengefaßt
wird. Dieser Weg kann auch bei geteiltem Unterricht mit Erfolg be-
schritten werden, er führt aber erst ganz zum Ziele bei ungeteiltem
Unterricht, weil dann auch der zweite Schulweg fortfällt, für größere
Städte also etwa 1 Zeitstunde täglich gewonnen wird.
Kürzt man jede Unterrichtsstunde, deren Dauer jetzt fast allgemein
50 Minuten beträgt, um nur 5 Minuten, so werden bei fünfstündigem
Unterricht schon 25 Minuten, also % einer weiteren Unterrichtsstunde
frei, es brauchen also nur noch 20 Minuten, oder unter Hinzufügung
von 10 Minuten Pause für diese Unterrichtsstunde eine halbe Stunde
hinzugefügt werden, und der gesamte Unterricht der Realgymnasien und
Oberrealschulen ohne Turnen, der des Gymnasiums ohne Turnen und
Hebräisch kann innerhalb von b^j^ Zeitstunden erledigt werden, in die
noch eine volle Zeitstunde als Pause in zweckmäßiger Verteilung einge-
schoben ist. Damit werden die sechs Nachmittage für körperliche
Übungen (Turnen, Spielen usw.), für die häusliche Schularbeit, für selb-
ständige Beschäftigung auf irgendwelchen geistigen und künstlerischen
Gebieten, für den Verkehr mit Eltern und Geschwistern, für die Beteili-
gung am Familienleben frei, damit wird dem Schüler der oberen Klassen
die Möglichkeit geschaffen, sich in eine Aufgabe zu vertiefen, damit wird
ihm erst jene Buhe gewährt, ohne die nun einmal geistiges Schaffen
nicht gedeiht.
Man hat behauptet, durch solche Kürzung der einzelnen Unterrichts-
stunde nähme man dieser jede Buhe, bringe man in den ganzen Unter-
64 Verhandl. d. VI. Jahresversammluiig d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
rieht das Ferment nervösen Hastens und Jagens. Dieser Einwand ist
nichts weiter als graueste Theorie. Wer ihn erhebt, ahnt nicht oder
will nichts davon wissen, daß seit Jahrzehnten solch verkürzter Unter-
richt ganz oder teilweise, für einzelne Stunden oder zu bestimmten
Jahreszeiten erteilt worden ist und heute noch erteilt wird, ohne daß
meines Wissens jemals auch nur der Schein eines Beweises dafür er-
bracht worden wäre, daß durch die Kürzung der Unterrichtsstunden
Lehrer oder Schüler nervös oder sonst gesundheitlich geschädigt worden
wären. Eins nur fordert solche verkürzte Stunde, und dies ist das, daß
der Lehrer sich in straffe Selbstzucht nimmt in bezug auf den Unter-
richtsstoff und jede unnötige Abschweifung vermeidet. Will jemand be-
haupten, daß dies dem Unterricht, dem Lehrer oder dem Schüler irgend-
wie Schaden bringe?
Aber nun die 6 Unterrichtsstunden hintereinander innerhalb von
öYj Zeitstunde I Man wendet ein, das sei eine Gesamtforderung an die
geistigen Ejräfte von Lehrern und Schülern, die das Maß des Zulässigen
übersteige. Auch mein medizinischer Herr Mitberichterstatter vertritt diesen
Standpunkt. Wer hier recht hat, das kann meines Erachtens nur der
Versuch erweisen. Solche Versuche liegen aber schon in solchem Um-
fange vor, daß wenigstens behauptet werden darf, wenn auf diesem
Wege ohne gesundheitliche Schädigung für Lehrer und Schüler die ge-
samten Notstände beseitigt werden könnten, die sich aus der heute meist
geübten Schulpraxis ergeben, so erwächst daraus allen, die es angeht,
in erster Linie also den Unterrichtsbehörden, die Pflicht, durch weitere
Versuche ein einwandsfreies Versuchsmaterial zur Entscheidung der Frage
herbeizuschaffen, zum mindesten aber solche Versuche in jeder Weise zu
begünstigen.
Ich darf hier als Resultat des vierjährigen Versuches, den ich mit
einem solchen Stundenplan gemacht habe (ich mußte den Versuch dann
plötzlich abbrechen, weil die vorgesetzte Behörde mir eine Fortsetzung
verbot), folgendes erwähnen. Die Schüler waren nach dem übereinstim-
menden Urteile des Lehrerkollegiums, auch der anfangs dem Versuch ab-
holden, ün Unterricht lebendiger, im Hause arbeitsfreudiger. Sie nalmien
in den Jahren, in denen der ungeteilte Unterrichtsplan bei uns galt, bis
in die obersten Klassen hinein gern und mit Lust an den Schulspielen
teil, die an einem der Nachmittage unter Leitung eines Lehrers auf
unserem Spielplatze stattfanden. Selbst die auswärtigen Schüler fehlten
da mit wenigen Ausnahmen nicht. Ja, Primaner beteiligten sich sogar
daneben noch als Spielleiter mit bei den Spielen der mittleren und
unteren Klassen. Das ist jetzt alles wieder anders geworden.
Und weiter: Gewichtsfeststellungen der Oberprimaner ergaben inner-
halb 3 Wochen eine allerdings minimale Gewichtszunahme, nämlich
0,06 7oi ^i^ anderen Worten; jeder Oberprimaner war durchschnittlich
um 40^2 g schwerer geworden. Im einzelnen zeigte sich in dieser Zeit
— die Messungen fanden am 7. und 28. Mai statt — bei 31,25 %
eine Gewichtsabnahme, die zwischen 0,15 und 1 kg lag, bei 25 \ ein
Gewichtsstillstand und bei 43,75 7o ®i^® Gewichtszunahme zwischen 0,05
und 1,4 kg.
Ich weiß sehr wohl, daß die Gewichtszu- oder -abnähme auch von
Verhandl. d. VI. JahreBversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 65
anderen Faktoren abhängig ist^ daß aus ihnen allein, und möchten die
Beobachtungen hundertmal zahlreicher sein, nicht auf den ünterrichts-
betrieb, seine Güte oder Mangelhaftigkeit geschlossen werden darf, aber
als ein Glied in der Beihe der Beobachtungen haben sie ihren Wert;
darum hatte ich das Recht und die Pflicht, sie hier zu erwähnen.
Auf diese Ausführungen glaube ich mich beschränken zu dürfen imd
zu sollen. Wenn ich in ihnen von den Lehrern nur sehr wenig, wenn
ich von diesen in meinen Leitsätzen gar nicht gesprochen habe, so ist
es geschehen, weil bei der Entscheidung der erörterten Frage wir Lehrer
in zweiter Linie zu berücksichtigen sind. Die Schule ist für die
Schüler da, ihre Einrichtungen, müssen so getroffen werden, daß sie dem
Wohle, dem körperlichen wie dem geistigen Wohle der Schüler in mög-
lichst vollkommener Weise dienen. Solchen Einrichtungen sind dann
unter Berücksichtigung normaler Leistungsfähigkeit die Anforderungen
an uns Lehrer anzupassen. Wir gehören der Schule, ihr, unseren Schü-
lern zu dienen ist unser Recht und unsere Pflicht, unsere Lust und unsere
Freude, ihr zu dienen ist der Wunsch, der mich auch heute beseelt. In
und mit dem Wunsche, daß der Schule, daß der Schuljugend gedient
werde, unterbreite ich auch die von mir aufgestellten Leitsätze Ihrer Be-
sprechung, Ihrem Urteile.
Vorsitzender, Prof. Dr. Griesbach:
Ich stelle anheim, ob -wir es heute morgen so machen wollen, wie
gestern, daß wir vorerst die anderen Referenten hören und nachher zur
Diskussion schreiten.
Letzterer Modus wird beschlossen und Herr Lehrer Baß -Stuttgart
erhält das Wort.
Leitsätze und Vortrag des pädagogischen Referenten für Volksschulen,
Mittelschullehrers Baß- Stuttgart.
LeitsätBe.
1. Die für die ungeteilte Unterrichtszeit im allgemeinen geltend ge-
machten sanitären und sozialen Gründe treffen für die Schüler der
Volksschule ebenso, wie für diejenigen der höheren Schulen, teilweise so-
gar in verstärktem Maße zu.
2. Wenn auch die Überbürdung der Schüler durch die Anforde-
rungen des Lehrplans und die Zahl der Unterrichtsstunden hier nicht so
bedeutend ist wie in den höheren Schulen, so ist doch auch für die
Volksschüler ein Gegengewicht gegen die geistige Anstrengung
und eine zusammenhängende schulfreie Zeit im Interesse einer
günstigen körperlichen und somit auch geistigen Entwicklung wün-
schenswert.
3. Eine pädagogisch und psychologisch begründete Notwendigkeit
für den ungeteilten Unterricht besteht nicht. Doch ist die Minder-
wertigkeit des Nachmittagsunterrichts nicht nur experimentell
nachgewiesen, sondern auch erfahrungsgemäß anerkannt. Die Gründe
gegen den reinen Vormittagsunterricht bieten manches Beachtenswerte,
bilden aber für eine richtige Durchführung desselben kein absolutes
Hindernis.
Verhandlungen 1905. 5
6G Verhandl. d. VI, JahresTersammliing d. AUgetn. Deut«ch. Vereins etc.
4. Die praktische Durchführung des ungeteilten Unterrichts ist
wegen der geringeren wöchentlichen Stundenzahl und der größeren Mannig-
faltigkeit der Unterrichtsfächer in der Volksschule leichter möglich als
in den höheren Schulen.
5. Eine Verringerung der wöchentlichen Stundenzahl würde
nur in Oberklassen städtischer Volksschulen, sowie in oberen und mitt-
leren Klassen der Bürger- und Mädchenmittelschulen eintreten, könnte aber
durch Verlegung technischer Fächer auf den Nachmittag auch ganz
vermieden werden. Übrigens dürfte eine Verminderung auf 30 Unter-
richtsstunden wöchentlich keinerlei Schädigung der Volksbildung mit
sich bringen, falls durch eine richtige Verteilung der Stunden auf
die einzelnen Fächer, durch eine psychologisch begründete Methode
und durch Vermeidung der nur äußeres Wortwissen vermittelnden Stoffe
eine Vertiefung der Schularbeit eintritt.
6. Einer durch einen höchstens 5 stündigen Vormittagsunterricht
befürchteten übermäßigen Ermüdung der Schüler soll auch noch
durch zweckmäßige Aufeinanderfolge der Fächer und durch ge-
nügende Pausen nach jeder Stunde begegnet werden.
7. Es empfiehlt sich, zunächst im Sommer, einen Versuch mit
dem ungeteilten Unterricht in denjenigen Orten zu machen, in denen
die Eltern nach vorausgegangener Belehrung dieser Einrichtung zu-
stimmen. In vielen Städten hat der Versuch zur dauernden Einrichtung
geführt, und es ist hierdarch der Beweis erbracht, daß, wenn das Pro-
blem der durchgehenden Arbeitszeit einmal im breiten Volksleben durch-
geföhrt wird, es für die Volksschule nur wünschenswert und forderlich
sein kann.
Hochansehnliche Versammlung!
Meine verehrten Damen und Herren!
Als ich vor wenigen Wochen aufgefordert wurde, für den durch
Krankheit verhinderten ursprünglichen Referenten, Herrn Rektor Müll er -
Eilenburg, den Vortrag über den ungeteilten Unterricht in Volksschulen
zu übernehmen, folgte ich diesem Rufe deshalb, weil ich diese An-
gelegenheit fElr eine sehr wichtige halte. Erstlich erscheint mir die
Einführung der durchgehenden Arbeitszeit, deren erste Etappe der un-
geteilte Unterricht ist, als durchaus wünschenswert, und zweitens bin ich
tief von dem Bewußtsein durchdrungen, daß wir alle Bestrebungen för-
dern müssen, welche eine Verbesserung der Gesundheit und der harmo-
nischen Ausbildung aller Kräfte unserer Jugend ermöglichen wollen. Die
Stellungnahme der Volksschule hierzu ist deshalb von so großer Bedeu-
tung, weil 90% aller Schüler die Volksschule besuchen. Wenn wir
diese Frage unter dem doppelten Gesichtspunkt einer Maßnahme der
Schulgesundheitspflege und einer Vorbedingung bzw. Folge der durch-
gehenden Arbeitszeit betrachten, so haben wir sie zugleich in den rich-
tigen Zusammenhang mit allgemeineren Fragen hineingestellt. Denn der
ungeteilte Unterricht kann nicht von nur pädagogischen Erwägungen
aus beurteilt werden, sondern die Hauptgründe für seine Einführung
liegen auf einem andern Gebiet, es sind vorwiegend, manche behaupten
Yerhandl. d. VI. Jahres verBammlimg d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 67
sogar ausschließlich, sanitäre und soziale Gründe, die hierfür geltend
gemacht werden. Die pädagogischen Gründe treten dem gegenüber
zurück, und die Beweisführung geht meist darauf hinaus, daß vom päda-
gogischen Standpunkt aus dem ungeteilten Unterricht keine absoluten
Hindemisse entgegenstehen.
Ich füge diesen allgemeinen Erörterungen noch eine Vorbemerkung
an über die Stellung der Lehrer zu der Frage des ungeteilten Unter-
richts. Bekanntlich sind die Meinungen über dieselbe in Lehrerkreisen
sehr geteilt, und es ist ebenso falsch, den Gegnern dieser Einrichtung
aus ihrer Stellungnahme einen Vorwurf zu machen als die Freunde dieser
Bewegung zu verdächtigen, sie erstreben dadurch eine Erleichterung ihrer
Berufstätigkeit. Der Lehrer als Person scheidet bei der Beurteilung
dieser Angelegenheit überhaupt aus; er hat der Schule zu dienen und
wird dies um so vollkommener tun, je weniger seine persönlichen Wünsche
bei der Entscheidung allgemeiner Fragen von ihm in die Wagschale ge-
worfen werden. Zudem dürften die für die Gesundheit der Schüler ins
Feld geführten Gründe auch voll und ganz für den Lehrer zutreffen.
Die Abneigung vieler Lehrer gegen den ungeteilten Unterricht hat jeden-
falls ihren Hauptgrund in dem schon erwähnten Mangel an zwingenden
und überzeugenden pädagogischen und psychologischen Gründen für den-
selben. Um so mehr ist es wichtig für uns, die sanitären und sozialen
Gründe für diese Einrichtung gründlich zu prüfen. Man darf hierbei
nicht vergessen, daß die gesundheitlichen Verhältnisse unserer schul-
pflichtigen Jugend mit Recht als besorgniserregend erkannt und be-
zeichnet werden. Man schaue einmal hinein in eine Schulklasse, und
man wird sich wundem, wieviel Kinder schon einem oberflächlichen
Blick gegenüber die rechte Frische der Jugend vermissen lassen. Wie
viele bleich aussehende, schlecht genährte Kinder haben wir; wieviel
wissen uns die Eltem zu erzählen von schlechter Eßlust, gestörter Ver-
dauung, Kopfweh und nervöser Gereiztheit der Kinder! Und welch ein-
dringliche Sprache reden erst die Ergebnisse der Schülerunter-
suchungen durch die Schulärzte; welch niederdrückendes Material hat
uns Herr Stadtarzt Dr. Gastpar über den Gesundheitszustand der Stutt-
garter Volksschüler vorgeführt! Wenn auch nur wenige der vorhandenen
Krankheiten und schlimmen Erscheinungen der Schule als solcher zur
Last fallen, so hat die Schule doch die Pflicht, ernstlich sich zu be-
mühen, daß die Gesundheit schTOchlicher Kinder nicht noch mehr ge-
schädigt werde; denn wir brauchen zur Erfüllung der Aufgaben des
deutschen Volkes vor allen Dingen eine gesunde, kräftige Jugend,
die den physischen Anstrengungen, welche unser gesteigertes Kulturleben
fordert, gewachsen ist. Wenn die Binder vormittags 3 — 4 Stunden,
nachmittags 2 Stunden in der Schule sitzen und zu Hause noch mit Haus-
aufgaben belastet sind, so fehlt ihnen das Nötigste, was sie zu einer
günstigen körperlichen und geistigen Entwicklung brauchen, eine zu-
sammenhängende freie Zeit, in der sie sich in der frischen Luft
tummeln und in Spiel und gesunder Körperübung ein Gegengewicht
gegen die geistige Anstrengung der Schultätigkeit gewinnen. Dem gegen-
über bedeutet der ungeteilte Unterricht eine Entlastung des Schülers von
gesundheitsschädigender Schularbeit. Dabei ist es zunächst von unter-
68 7erhandl. d. Vi. Jahres versammluDg d. AUgem. Deutsch. Vereins etc.
geordneter Bedeutung, ob die freie Zeit ftlr die Volksschüler vermehrt
bzw. die Unterrichtszeit gekürzt wird; es ist schon von ganz ausgezeich-
neter Wichtigkeit, wenn den Schülern die bisherige Freizeit zusammen-
hängend geboten wird und deshalb nutzbringender als seither angewendet
werden kann.
Wenn schon jedes lange Stubenhocken und in der Schule Sitzen der
Gesundheit der Schüler nicht zuträglich ist, so hat der Nachmittags-
unterricht selbst noch seine besonderen sanitären Nachteile. Die jedem
Lehrer bekannte Mattigkeit der Schüler in der Nachmittagsstunde von
2 — 3 Uhr, die im Sommer wie im Winter beobachtet werden kann, hat
ihren Grund in der Tatsache, daB die Kinder einige Stunden nach dem
Mittagessen so sehr durch den Verdauungsvorgang in Anspruch genommen
sind, daB eine Betätigung in der Schule nur mit größter Anstrengung
und ebendeshalb mit einer Gef&hrdimg ihrer Gesundheit möglich ist. An
Sommemachmittagen kommt die Hitze erschwerend hinzu, im Winter
die ungünstige Beleuchtung. Der zweimalige Schulweg wirkt,
obgleich sich die Kinder hierbei im Freien befinden, nicht so günstig
wie eine andere Betätigung in frischer Luft, weil die Kinder ebenso wie
die Erwachsenen von einem Zwangsgang niemals den Gewinn haben, wie
von etwas Freiwilligem. Dagegen wirken die Schulwege bei großer
Hitze und schlimmem Unwetter, besonders wenn sie über ^j^ Stunde
dauern, direkt gesundheitsschädlich, in Großstädten durch die vielerlei
Zerstreuungen und die Gefahren des Verkehrswesens auch nerven-
aufregend.
Außerdem erscheint es mir auf Grund von Erfahrungen mit meinen
eigenen Kindern als besonders wertvoll,' wenn die Kinder mindestens bis
zum 10. Lebensjahr, an heißen Sommertagen auch noch in höherem
Alter, nach dem Mittagessen schlafen, um einerseits die Verdauungs-
tätigkeit ungestört sich vollziehen zu lassen, andererseits ihren Nerven
die nötige Beruhigung und Erholung nach den vielen Reizen, denen sie
am Vormittag ausgesetzt waren, zu gewähren.
In denjenigen Städten, in denen der ungeteilte Unterricht durch-
geführt wurde, ist der Gewinn, der den Kindern an den freien Nach-
mittagen durch Baden, Schlittschuhlaufen, Spielen im Freien, selbständige
Beschäftigungen erwachsen ist, offen zutage getreten und auch in der
Frische und gesteigerten Energie der Kinder in der Sohultätigkeit wohl
zu bemerken gewesen.
Diesen gewichtigen hygienischen Grründen stellen sich solche sozialer
Art zur Seite. Ln vollen Umfang treten diese meiner Oberzeugung
nach erst hervor, wenn die durchgehende Arbeitszeit im gesamten Er-
werbsleben durchgeführt ist. Ehe dies geschehen ist, scheint dem unge-
teilten Unterricht auf diesem Gebiet ein großes Hindernis zu erwachsen
durch die bei uns bis jetzt übliche Zeit für das Mittagsmahl um
12 Uhr. Denn es ist zu wünschen, daß das Mittagsmahl die Glieder
einer Familie vereinigt findet; dies würde aber schwer fallen, wenn die
Schule im Winter den Unterricht erst um 1 Uhr schließt. Aber es
gibt doch jetzt schon eine große Zahl von Familien, wo das Mittags-
essen erst um 127^ oder 12% stattfindet und einer Verlegung auf
1 — 1^2 Uhr wenig im Wege stünde. Weiterhin aber wird es sich
Yerhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Yereins etc. 69
fragen, was in sozialer Beziehung wertvoller ist, dies kurze Zusammen-
sein der Familienglieder am Mittagstisch, oder die längere Zeit, welche
beim ungeteilten Unterricht die Kinder unter dem Einfluß des Hauses
stehen. Wie wenig Zeit und Gelegenheit an den Wochentagen den
Eltern von der Schule gelassen wird, um sich ernstlich um die Bedürf-
nisse und die Angelegenheiten ihrer Kinder zu kümmern, weiß jeder
Vater. Es dürfte aber wohl wieder mehr der Schwerpunkt der Erziehung
in die Familie verlegt werden und auch in den brennenden sozialen
Fragen der Gegenwart soweit möglich alles hierfür getan werden, daß
auch in den unteren Volkskreisen ein gemeinsames Familienleben
möglich ist. Es ist dies wichtiger, als die Kinder in Knaben- und
Mädchenhorten auch noch außerhalb der Schulzeit von der Familie zu
entfernen, wenn wir auch selbstverständlich gerne zugeben, daß diese
Veranstaltungen bei den jetzigen Verhältnissen für viele Kinder segens-
reich wirken.
Für sehr wichtig halte ich es, daß der ungeteilte Unterricht, wenn
er in höheren Schulen durchgeführt wird, auch in den Volksschulen Ein-
gang findet. Denn wenn in sozialer Beziehung auch Bedenken geltend
gemacht werden wegen einer etwa befürchteten Ausnützung der
Kinder zum Erwerb, so bieten die Gesetze Handhaben, dies zu ver-
hindern. Eine mäßige Unterstützung durch ihre Kinder z. B. bei der
Beaufsichtigung jüngerer Geschwister, oder bei den Mädchen durch Bei-
hilfe bei den Hausarbeiten, dürfen die Eltern wohl verlangen, und sie
können dies um so mehr, wenn einmal der ungeteilte Unterricht den
Kindern eine genügende, zusammenhängende Freizeit gewährt. Die sani-
tären Gründe vollends gelten für die Volksschüler in verstärktem Maße;
denn infolge einer oft ungenügenden Ernährung sind sie weniger
kräftig und den Anforderungen des Lehrplans nicht so gewachsen
wie Kinder aus günstiger gestellten Volkskreisen. Zudem können die
minderbemittelten Eltern von sich aus nicht soviel fClr die Gesundheit
ihrer Kinder tun wie besser gestellte Eltern. Auch die Meinung, daß
es für die Volksschüler keine Überbürdung gebe, weil die An-
forderungen des Lehrplans nicht so hoch und die wöchentliche Stunden-
zahl meist nicht so bedeutend ist wie in den höheren Schulen, trifft
nicht ganz zu. Wie weit verbreitet diese falsche Meinung ist, sieht
man freilich auch daran, daß die Volksschüler kürzere Ferien
haben als die Schüler der höheren Schulen. Wenn man aber die Lehr-
pläne beispielsweise der Stuttgarter Volksschulen mit denen höherer
Schulen vergleicht, und zwar mit den Klassen, die Kinder im gleichen
Alter haben, so ist die Zahl der Unterrichtsstunden an der Volksschule
zum Teü eine höhere, und auch die geistige Anstrengung dürfte für das
einzelne Kind in vielen Fächern der Volksschule, so wie sie jetzt be-
trieben werden, kaum geringer sein als in den höheren Schulen. Dazu
kommt noch, daß die Kinder infolge der großen Klassen viel weniger
einzeln vorgenommen und ihrem persönlichen Auffassungsvermögen ent-
sprechend berücksichtigt werden können. Wenn wir also für die Volks-
schüler auch eine Überbürdung in so bedeutendem Maße wie in den
höheren Schulen nicht haben, so ist doch auch für sie die Schultätigkeit
eine solch ernste, anstrengende und ermüdende Arbeit, daß sie
70 Verhandl. d. VI, JahreBversammlnng d. Allgem. Deutscli. Vereins etc.
zur Pflege ihrer Gesundheit eine zusammenhängende freie Zeit notwendig
brauchen. Die schon bisher bestehenden Maßnahmen zur körperlichen
Erziehung, Hitzvakanz und Eisvakanz, sollten daher auch den Schülern
der Volksschule ebenso zugute kommen wie den Schülern höherer Schulen,
ein Wunsch, den ich gerade für die Stuttgarter Volksschulen noch be-
sonders unterstreichen möchte. Noch mehr aber würde der ungeteilte
Unterricht den Kindern Gelegenheit geben, durch Spiel und freie Be-
wegung ein Gegengewicht gegen geistige Anstrengung in der Schule zu
schaffen imd enger mit der Natur, die unser aller Mutter ist, zusanmien-
zu wachsen.
Wir haben schon in der Einleitung bemerkt, daß eine pädagogisch
und psychologisch begründete Notwendigkeit für den ungeteilten Unter-
richt nicht bestehe. Das ist es ja eben, was die Frage so schwierig
macht. Wo man bloß von der grauen Theorie aus aja sie herantritt,
wird man die Bedenken entschieden zu schwerwiegend werten. Daß
solche bestehen, haben wir selbst schon im bisherigen angedeutet imd
ebenso gestehen wir gerne zu, daß sie manches Beachtenswerte enthalten.
Äußerst wertvoll für einen Ausgleich der bestehenden Meinungsverschie-
denheiten ist die Tatsache, daß auch vom pädagogischen Standpunkt
aus die Minderwertigkeit des Nachmittagsunterrichts ziemlich
allgemein anerkannt ist Zunächst ist es einfach Erfahrungstatsache, daß
mit aller Mühe die Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit der Schüler
besonders in der 1. Nachmittagsstunde kaum auf einen genügenden Stand
gebracht werden kann. Von den Sommern achmittagsstunden ist vielleicht
über die Hälfte in ihrem Erfolg höchst zweifelhaft. In Unterklassen habe
ich persönlich die Erfahrung gemacht, daß schwächliche und schlecht ge-
nährte Kinder dem Schlafbedürfnis nicht widerstehen können. Durch
sorgfältige Experimente ist nachgewiesen, daß die Leistungen der Nach-
mittagsstunden einen Vergleich mit den Vormittagsstunden nicht aus-
halten können, ja daß die letzte Vormittagsstunde, und sei es sogar eine
5. Stunde, sich noch vorteilhaft vor der 1. Nachmittagsstunde auszeichnet.
Man darf nicht übersehen, daß das Gefühl, den Nachmittag frei zu haben,
die Kinder gemütlich so angenehm berührt, daß ihre Leistungsfähigkeit
davon fordernd beeinflußt wird.
Damit sind wir dem gewichtigsten Bedenken gegen den ungeteilten
Unterricht nahe getreten, nämlich dem, daß durch einen 5 stündigen Unter-
richt eine übermäßige Ermüdung sich der Schüler bemächtigen werde,
so daß nicht nur die Erfolge der 5. Stunde gering sein, sondern auch
die erhofften sanitären Vorteile des freien Nachmittags hierdurch in Frage
gestellt werden. Mit Meinungen und Ansichten kann dieses Bedenken,
nicht widerlegt und nicht aufrecht erhalten werden. Hier gelten die
schon erwähnten sorgfältigen Experimente und ferner die Er-
fahrungen, die man mit dem 5 stündigen Unterricht schon bisher ge-
macht hat. Es ist erwiesen, daß die 5. Stunde erfolgreich betrieben
werden kann, wenn erstlich die verschiedenen geistigen Kräfte des Kindes
nicht einseitig, sondern in lebendiger Mannigfaltigkeit und wohltuender
Abwechslung in Anspruch genommen werden und zweitens, wenn nach
jeder Stunde eine genügende Pause zur Erholung in frischer Luft ein-
gelegt wird. So wird eine Kürzung der einzelnen Unterrichts-
Verhandl. d. VL Jahreflversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 71
stunden erreicht, die für die Kinder sehr heilsam wirkt, den Unterrichts-
erfolg aber nicht schädigt, weil durch die Erfrischung in der Pause die
Leistungsß-higkeit weder gehoben und die Nachteile der Ermüdung ver-
mieden wurden. Eine größere Mannigfaltigkeit in den einzelnen Fächern
ist ja in der Volksschule schon an sich mehr als für die höheren Schulen
vorhanden, weil neben den wissenschaftlichen Fächern, wenn wir sie auch
für die Volksschule so heißen dürfen, mehr technische Fächer stehen,
wie Zeichen, Schönschreiben, Singen, bei den Mädchen Handarbeit. Es
ist also dem Lehrer sehr leicht möglich, die nötige Abwechslung in den
Unterrichtsgang eines Vormittags von 7 — 12 Uhr oder 8 — 1 Uhr zu
bnngen. Die Sache ist so einfach, daß ich es unterlassen kann, hier
ein Beispiel für einen Tag zu geben.
Das soll allerdings nicht verschwiegen werden, daß nach den bis-
herigen Vorschriften, da und dort vielleicht auch nur infolge einer Ver-
waltungspraxis, die Zusammenlegung von 5 Stunden Unterricht nicht
gestattet ist, wenigstens nicht bei uns in Württemberg. Ich meine,
die heutigen Verhandlungen sollten zunächst die Frucht zeitigen, daß
in den Klassen, wo es infolge geringer Stundenzahl möglich
ist, der reine Vormittagsunterricht gestattet wird. Im Sommer
ist dies in allen Klassen, die höchstens 30 Stunden haben, von 7 — 12 Uhr
möglich. Ich glaube, daß nach dem schönen alten Sprichwort: „Morgen-
stund hat Gold im Mund" ein Anfang der Schule um 7 Uhr hygienisch
nicht beanstandet werden wird; sollte dies aber der Fall sein, so müßte
bis 1 Uhr Unterricht erteilt oder zu dem Mittel eines sogenannten „ge-
mischten Systems" gegriffen werden. Es wären noch etwa 2 Nachmittage
mit technischen Fächern zu belegen. Diese Maßnahme sollte überhaupt
wieder als Mindestmaß unserer heutigen Erfolge als Grundsatz festgelegt
werden: Der wissenschaftliche Unterricht ist ganz am Vor-
mittag zu erledigen; auf den Nachmittag dürfen nur tech-
nische Fächer gelegt werden. Letztere Einrichtung und damit das
gemischte System würde auch für die städischen Volksschulen mit
32 Stunden und für die Bürger- und Mädchenmittelschulen mit 34 bis
36 Stunden in Betracht kommen. Es wird sich aber fragen, ob nicht
eine Verminderung auf 30 Stunden wöchentlich hier ohne Schädigung
der Unterrichtserfolge und der Volksbildung eintreten könnte. Wir
Lehrer nehmen gerade diesen Punkt sehr ernst. Wir wissen, daß auch
an die niederen Volksklassen so wichtige und hohe Anforderungen heran-
treten, daß sie eine tüchtige Schulbildung unbedingt brauchen. Wenn
das deutsche Volk seinen Platz unter den Völkern der Erde behalten
will, muß es die Vorzüge, die andere Länder in einer günstigeren Lage
und in reicheren natürlichen Hilfsquellen besitzen, durch eine größere
Vollkommenheit in der Bearbeitung der Produkte, durch ein tieferes Er-
fassen seiner Aufgaben, eine umfangreichere Betätigung seiner Kräfte
ausgleichen. Wir müssen sogenannte Qualitätsarbeiter erziehen, welche
durch den guten Geschmack, gefallige, künstlerische Form, gute Haltbar-
keit und feine Zweckmäßigkeit der von ihnen erzeugten Waren den
Weltmarkt behen*schen. Dies alles ist nur durch eine gesteigerte Volks-
bildung möglich. Deshalb können wir einer Verringerung der wöchent-
lichen Stundenzahl auf 30 nur unter gewissen Bedingungen zustimmen.
72 Verhandl. d. VI. JahresverBammluiig d. Allgem. Deutsch. YereinB etc.
Erstlich müssen die Lehrpläne einer genauen Durchsicht unterzogen
und solche Stoffe daraus entfernt werden, welche zur allgemeinen Geistes-
bildung nur wenig beitragen. Jedes Fach hat Stoffe, die rein gedächtnis-
mäßig angeeignet, wohl vielleicht eine formale Übung der geistigen Kräfte
bringen, im übrigen aber nur an den Prüfungen kurze Triumphe feiern
und sehr bald wieder vergessen werden. Reich an solchen Stoffen ist
besonders der deutsche Sprachunterricht, der Unterricht in den Realien
und besonders in Religion. Eine Darstellung dieser Stoffe im einzelnen
würde an dieser Stelle zu weit fuhren; es ist in der Lehrerfachpresse
schon oft der Nachweis gefuhrt worden, daB auch der Lehrplan der
Volksschulen, Bürger- und Mädchenmittelschulen noch viel unnötigen
Ballast mitschleppt. Im Rechnen wird der formale Zweck dieses
Faches noch zu sehr betont, was beispielsweise in Berlin zu der fEbr eine
Volksschule durchaus unnötigen Einführung von Algebra geführt hat.
Des weiteren sollte die wöchentliche Stundenzahl richtiger auf die
einzelnen Fächer verteilt werden. Ich weiß nicht, ob es nur in Württem-
berg der Fall ist, daß einzelne Fächer zum Schaden anderer in der
Stundenzahl bevorzugt sind. Bei uns gilt dies am meisten von dem
Religionsunterricht, dem in der einklassigen Schule Y, aller Stunden,
nämlich Sy^ wöchentlich zugewiesen sind. Dieser Zahl nähert sich die-
jenige in Kl. VI der Stuttgarter Volksschulen mit 7 Stunden wöchent-
lich, selbst in Unterklassen hat in unserer Stadt keine Klasse unter
4 Stunden Religion. Ein weiteres Fach, das sich bei uns in Mädchen-
schulen ungebührlich breit macht, ist der Handarbeitsunterricht der
Mädchen, der von der Unterklasse an mit 4 vollen Unterrichtsstunden
durch alle Klassen durchgeffthrt wird. Diesem Umstand haben wir es
zu danken, daß die untersten Klassen in Mädchenschulen in Stuttgart
schon 24 Stunden Schule haben.
Endlich aber halten wir auch noch eine Vertiefung der Schularbeit
durch eine sorgfältige und psychologisch begründete Methode
bei der Darbietung der Unterrichtsstoffe für geboten. Die Lehrgegenstände
sollen recht sinnenf&Uig und anschaulich, in Wort und Bild, dargeboten
werden. Das Kind soll selbständig über sie nachdenken, sie mit phan-
tasievollem und denkendem Geiste erfassen. Das Wesentliche und Wich-
tige eines Unterrichtsgegenstandes muß klar hervortreten imd geistiger
Besitz der Schüler werden. Ein solcher Unterricht schafft bleibende
Werte, er bildet die ganze Persönlichkeit und ist zugleich das beste
Mittel gegen eine übermäßige Ermüdung der Schüler. Wenn das
Interesse geweckt und rege erhalten wird, wenn die Schüler angeregt
und begeistert werden, so folgen sie dem Unterricht mit Lust, \md eine
Ermüdung tritt viel langsamer ein, als bei einem langweiligen, Worte
einpaukenden Unterricht. Selbst in der 4. oder 5. Stunde des Vormit-
tags kann der Lehrer seine Klasse noch so mit sich fortreißen, daß die
Augen der Kinder leuchten und ihre Aufmerksamkeit bis zum Schluß
anhält. Wer aber trotz diesen bis jetzt angeföhrten Vorbeugungen gegen
eine durch Beschränkung der Unterrichtszeit befürchtete geringere Aus-
bildung noch weitere Maßregeln zur Hebung der Volksbildung wünscht,
dem empfehlen wir, an die allgemeine Einführung von acht Schul-
jahren, an die Verringerung der ungewöhnlich hohen Schüler-
Verhandl. d. VI. Jahresyersammlong d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 73
zahl und an die bessere Ausbildung der Volksschullehrer zu
denken. Die Verwirklichung dieser drei von den VolksschuUehrem längst
angestrebten. Reformen würde die Volksbildung kräftig und nachhaltig in
die Höhe bringen. In der Nichterfüllung dieser Bedingungen liegt ein
Moment, das bei der durch die Schule etwa verschuldeten Gesundheits-
gefährdung der Schüler sehr in die Wagschale fällt, und das deshalb in
diesem Zusammenhang notwendig zur Sprache gebracht werden mußte.
Wir haben im bisherigen gesehen, daß die Frage des ungeteilten
Unterrichts sich nicht überzeugend und zwingend durch theoretische
Gründe lösen läßt. Es hftngt viel davon ab, wie sich der einzelne zu
den Bestrebungen der Schulgesundheitspflege überhaupt stellt. Wer die-
selben für notwendig und wichtig erachtet, wird sicherlich auch dem un-
geteilten Unterricht als einer Maßnahme von höchster schulhygienischer
Bedeutung freundlich gegenüberstehen. Die Wertung der Gründe fftr
und gegen hängt davon ab, wie hoch man die von ärztlicher und natur-
wissenschaftlicher Seite angestellten Experimente, denen sich wissenschaft-
liche Untersuchungen von Schulmännern angereiht haben, einschätzt.
Für mich sind diese durchaus maßgebend und ihre Ergebnisse decken
sich meist mit den praktischen Erfahrungen vollständig. Man wird aber
nach der Lage der Dinge nicht vorwärts kommen, wenn man nicht fort-
fährt, praktische Versuche zu machen. Und so soll es auch das
Resultat der heutigen Beratung sein, daß wir uns auf einige praktische
Vorschläge einigen. Wir erwarten und wünschen von den Schulbehörden
nicht, daß sie die Einführung des ungeteilten Unterrichts einfach de-
kretieren, dazu liegt die Frage, wie schon erwähnt, zu kompliziert und die
Begründung ist hierfür nicht zwingend genug. Das soll von uns ausdrück-
lich anerkannt werden. Doch ist bemerkenswert, daß wir z. B. in Würt-
temberg in Orten mit landwirtschaftlicher Bevölkerung den Vormittags-
unterricht während des Sommers schon haben. [Ich ging in den drei
ersten Schuljahren selbst in eine solche Schule, in der von 6 — 11 Uhr
vormittags aUer Unterricht absolviert wurde. Die Belastung mit 5 Stun-
den trifft hier aber nur den Lehrer; die Schüler kommen nur auf
höchstens 26 Wochenstunden. Überzeugender fQr die Möglichkeit der
praktischen Durchführung spricht die Tatsache, daß schon in vielen
Städten ein Versuch mit dem ungeteilten Unterricht gemacht worden ist
und damit so günstige Erfahrungen erzielt wurden, daß sie zur
bleibenden Einrichtung führten. In der von Herrn Rektor Müller ver-
faßten Broschüre sind 18 Städte aufgeführt, in denen seit einer Reihe
von Jahren ungeteilter Unterricht erteilt wird, und die Gutachten stimmen
in der Betonung der Zweckmäßigkeit der Einrichtung und ihrer guten
Folgen vollständig miteinander überein. Seither sind hierzu noch weitere
Städte getreten; ich nenne z. B. München. Dies ermutigt dazu, auch in
anderen Städten und in Landorten Versuche zu machen. Denn ober-
flächlich betrachtet, scheinen gerade viele örtliche Hemmnisse einer
Einführung im Wege zu stehen, und es ist nur möglich durch prakti-
sche Versuche die Möglichkeit ihrer Überwindung zu imtersuchen. Ganz
glatt liegt die Sache in Unterklassen, wo wir eine wöchentliche
Stundenzahl von 20 — 24 in Betracht ziehen müssen. Hier würden 3 bis
4 Stunden auf jeden Tag kommen, und es wird sich nur bezüglich des
74 Verhandl. d. VI. Jahresyersammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins eic.
1. Schuljahres fragen, ob mehr als 3 Standen an einem Vormittag fär
dieselben möglich sind. Ich wünschte, daß im 1. Schuljahr nie mehr als
3 Stunden täglich gegeben würden und somit die Unterrichtszeit auf
18 Stunden wöchentlich ermäßigt würde. Überhaupt bedürfen die Schü-
ler dieser Stufe bei Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit eine besondere
Sorgfalt. Für die Mittelstufe, HI. und IV. Schuljahr, dürften 4 Stunden
täglich nicht zuviel sein; vorausgesetzt, daß nach der 1. Stunde eine
Pause von 5 — 7 Minuten, nach der 2. und 3. je eine solche von 15 Mi-
nuten eintritt. Von der V. Klasse an wären 5 Stunden nötig, wobei
nach der 4. Stunde nochmals eine Pause von 15 Minuten eingelegt wer-
den müßte. Pausen von einer Dauer übfer 15 Minuten möchte ich nicht
befürworten. Im Sommer würde auch in Klasse V — VII der Volks-
schulen der ungeteilte Unterricht ohne Belästigung des Hauses durchge-
führt werden können, wenn um 7 Uhr morgens begonnen wird. Dennoch
dürfte es sich auch hier schon empfehlen, sich der Zustimmung der
Eltern zunächst zu versichern. Man wii-d also die Eltern etwa durch
eine Mitteilung in der Zeitung, durch ein Zirkular oder durch einen
Vortrag in einem Elternabend über die Vorzüge des ungeteilten Unter-
richts belehren und sie dann darüber schriftlich abstimmen lassen, ob
sie der Einrichtung zustimmen. Nach den Erfahrungen in anderen
Städten ist an einer Znstimmung der Eltern nicht zu zweifeln, besonders
für den Sommer, wo das Mittagsmahl nicht verlegt werden muß. Anders
verhält es sich für den Winter, wo die Kinder erst um 1 Uhr zum
Mittagsmahl kommen würden. Viele Versuche werden Klarheit darüber
geben, ob die Eltern sich auch damit befreunden können. Die Schul-
behörden bitten wir, die Erlaubnis zur Vornahme solcher Versuche zu
geben und einer bleibenden Einrichtung da, wo die Verhältnisse es er-
möglichen, die Genehmigung zu erteilen. Es dürfte aber wohl zunächst
mehrere Sommer hindurch der Versuch wiederholt werden, damit sich
die Eltern mit der Einrichtung befreunden und sich auch ihrerseits in
dieselbe einleben können.
Nicht versäumt werden dürfte von Anfang an die Forderung der
Schule, daß die freien Nachmittage im Dienste der körperlichen
Ausbildung und Gesundheitspflege der Kinder benützt werden sollen.
Inwieweit durch SchaflFiing von Spiel-, Bade- und Schlittschuhlaufgelegen-
heit die Schule selbst, beziehungsweise die Gemeinden eine Pflicht zu er-
füllen haben, ist ebenfalls zu erwägen. Mir scheint, daß man mehr, als
bis jetzt geschehen, mit besonderem Nachdruck auf die vorteilhafte
Ausnützung des freien Nachmittages hinarbeiten sollte, nicht durch
Zwangsveranstaltungen der Schule, aber durch Belehrung der Kinder und
Eltern und Ermöglichung einer nutzbringenden Verwendung der Freizeit.
Denn wenn die Kinder den Eltern in der freien Zeit lästig fallen oder
einen schädigenden Gebrauch von derselben machen, wäre dies für die
Beurteilung der ganzen Einrichtung sehr schlimm.
Lassen Sie mich noch die praktischen Ergebnisse, die eventuell zu
einem Antrag zu verdichten wären, kurz zusammenfassen:
1. In Klassen, wo es infolge geringer Stundenzahl möglich
ist, also besonders in Unterklassen, sollte der reine Vormit-
Verhandl. d. VI. Jahresversaimnlang d. Allgem. Deutsch. Vereine etc. 75
tagsunterricht denjenigen Schulanstalten gestattet werden,
die diese Einrichtung wünschen.
2. Wo durch den reinen Vormittagsunterricht eine Be-
lastung der Schüler mit höchstens 5 Stunden täglich eintritt,
ist zunächst die Zustimmung der Eltern hierzu einzuholen,
ebenso, wenn der Unterricht über 12 Uhr hinaus fortgeführt
werden muß.
3. a) Vorerst sind zahlreiche Versuche, besonders im Som-
mer, aber auch im Winter, anzustellen.
b) Der wissenschaftliche Unterricht ist ganz am Vormit-
tag zu erledigen; auf den Nachmittag dürfen nur technische
Fächer gelegt werden.
c) Die bis jetzt schon bestehenden Bestimmungen über
Einhaltung der Pausen, Dauer der Ferien, Gewährung von
Hitz- und Eisvakanz sollen für die Volksschulen in demsel-
ben Umfang gelten wie für die höheren Schulen.
Ich bin am Schlüsse meiner Ausführungen angelangt Ich habe es
nicht als meine Aufgabe angesehen, alle Gründe für und gegen aufzu-
zählen und ausführlich zu beleuchten. Meine Ausführungen sollten zu
einer Aussprache anregen, nicht den Gegenstand erschöpfen. Neues
konnte ich zur Sache schon wegen der kurzen mir zur Verfügung stehen-
den Zeit nicht beibringen, um so mehr fühle ich mich verpflichtet, Herrn
Rektor Müller, dessen Broschüre ich viel verdanke, ausdrücklich das
Verdienst zu wahren, daß er diesen Gegenstand für die Volksschule als
erster in zusammenhängender und erschöpfender Weise behandelt hat.
Ich verweise auf diese Broschüre und bedaure, daß er nicht statt meiner
diese Sache hier vertreten konnte. Ich schließe mit dem Wunsche, daß
wir auch in der Volksschule Geistes- und Körperpflege immer besser
miteinander in Einklang bringen möchten, um die Gesundheit unserer
Schüler zu kräftigen und sie widerstandsfähig fürs Leben zu machen.
Und des weiteren wünsche ich, daß die Schule den wichtigen Be-
strebungen der durchgehenden Arbeitszeit kein Hindernis sein möge,
sondern auch ihrerseits zur Verwirklichung dieses allgemeinen Zieles bei-
trage. Es wird sich zeigen, daß die durchgehende Arbeitszeit durch
die Ermöglichung einer größeren Anteilnahme des Hauses an der Schul-
arbeit auch der Schule selbst wieder zugute kommen wird. Deshalb
steuern wir mutig los auf diese Entwicklung und bedauern nur, daß die
Schwierigkeiten auf dem Gebiete des Erwerbslebens viel bedeutender
sind als auf demjenigen der Schule. Aber auch das wird sich bessörn,
noch befindet sich unser deutsches Volk in einer aufsteigenden Entwick-
lung; es wird auch weiter vorwärts und aufwärts gehen, und dann
werden sich auch erst voll und ganz die Früchte davon zeigen, wofür
wir heute miteinander gearbeitet haben.
Vorsitzender, Prof. Griesbach:
Herr Baß hat uns gezeigt, wie notwendig der ungeteilte Unterricht
auch in der Volksschule ist, ich danke dem Herrn Referenten für seinen
interessanten Vortrag und erteile Herrn Dr. Hellpach das Wort zu
seinem Vortrage.
76 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
LeitBätse.
1. Die Aufgabe der geistigen Gesundheitspflege gegenüber dem
Problem der Unterrichtsverteilung kann nicht in der Einmischung in
materielle Unterrichtsreformfragen gesucht werden, wofern nicht gerade
Zustände vorliegen, die mit dem Postulat der Gesunderhaltung der Jugend
absolut unvereinbar sind. Vielmehr ist es unsere Sache, mit dem be-
stehenden Unterricht nach Umfang und Inhalt, ja selbst mit einer wei-
teren Verschiebung in der Richtung wachsender Vielgestaltigkeit .(z. B.
durch Einführung neuer Disziplinen, etwa der Biologie) zu rechnen und
auf dieser Basis eine hygienisch möglichst einwandfreie Unterrichts-
verteilung anzustreben.
2. Die Unterrichts Verteilung darf nicht eine für das gesamte Schul-
wesen schematische sein. Sie hat sich zu orientieren nach dem wich-
tigsten Marksteine im jugendlichen Leben: der Pubertät.
3. Für die Schulstufen bis zur Pubertät, also Volksschule
und Unter- und Mittelstufe der höheren Schule, ist es hygie-
nisch und psychologisch in gleichem Maße zweckmäßig, die
einzelne Unterrichtsstunde auf 45 Minuten zu normieren und
unter Einfügung einer löminutigen und mehrerer lOminu-
tigen Pausen den gesamten wissenschaftlichen Unterricht auf
den Vormittag zu konzentrieren.
4. a) Für die Oberstufe ist weitgehende fakultative Unterrichts-
gestaltung anzustreben.
b) Die Ausdehnung der Unterrichtsstunde auf 80 Minuten
ist für solche Fächer, welche keine unausgesetzte einseitige
oder maximale Aufmerksamkeitsspannung fordern^), als psy-
chologisch vorteilhaft und hygienisch unbedenklich ins Auge
zu fassen.
c) Der Unterricht soll an 3 Wochentagen nur vormittags und
zwar in vier Zeitstunden (= fünf Unterrichtsstunden), an den
3 anderen Tagen vor- und nachmittags in je 3 Zeitstunden
(= 2 Unterrichts-Doppelstunden) erteilt werden.
d) Dabei ist der Nachmittagsunterricht ans hygienischen wie psy-
chologischen Gründen auf den Spätnachmittag (4—7 Uhr)
zu verlegen.
e) Während der Zeit vom 1. Juni bis 31. August ist, soweit
nicht Ferien sind, der Stundenplan dahin abzuändern, daß
unter Kürzung desselben um mindestens 3 Stunden der wöchent-
liche Unterricht in 6 Vormittagen zu je 4 Zeitstunden und
2 Nachmittagen zu je IY2 Zeitstunden erledigt werden kann.
5. Die gymnastische . Betätigung ist auf der Oberstufe
fakultativ, und die Teilnahme aller an ihr durch möglichst vorzügliche
Organisation seitens der Schule ohne Zwang zu sichern.
6. Für Springstunden, wie sie bei einer hinreichend fakultativen
1) Z. B. Deutsch, Geschichte, experimentierende und beschreibende Natur-
wissenschaften. Ungeeignet sind Mathematik, mathemat. Physik und gramma-
tische Fächer.
Verhandl. d. VI. JahreBversammlnng d. AUgem. Dentsch. Vereins etc. 77
ünterrichtsgcstaltnng unvermeidlich werden, sind Arheitsräume (nach dem
Muster der seminaristischen und ähnlichen Bäume an Hochschulen) bereit-
zustellen.
Oberprima einer Oberrealsohulec
Montag
8 — 9*<> Mathematik
9«o_ll Dentsch
4 —6** Französisch
ö*®— 7 Geschichte
Dienstag
8 —8" Mathematik
q60 QS6 1
9.._;o»|i''»y''*
Nachmittag
freil
Mittwoch
8 —9*^ Mathematik
9«o_ii Physik
4 —6" Chemie
4*®— 7 Englisch
Donnerstag
8 —8" Mathematik
g60_986 Physik
96o___io" Französisch
10"— II»» Englisch
11"— 12" Deutsch
Nachmittag
frei!
Freitag
Sonnabend
8 —9»« Englisch
9"— 11 Französisch
4 —6" Deutsch
6"— 7 Geschichte
lon
8 — 8")t> ,. .
göo_986 j Keligio
10"— 11"!^®^^^®°
11"— 12" Gesang
Nachmittag
freil
Es
entfa
llen auf je ein Fach wöchentlich:
nach dem alten Plan:
(z. B. I Karlsruhe) °*^^ vorstehendem Plan:
Religion
Deutsch
100 Minuten
200
160
200
200
260
200
100
200
60
90 Minuten
206
Geschichte
160
Französisch
206
Entrlisch
206
Mathematik
260
Physik
Chemie
216
80
Zeichnen
Gesang
180
46
Summa:
1
1650
1685
Meine Herren!
Es ist noch nicht gar so lange her, daß der Arzt in den Fragen
der ünterrichtsgestaltung gefragt wird. Selbst zu einer Zeit, da der
Siegeslauf der exakten Hygiene es mit sich gebracht hatte, daß man
über Anstrich der Wftnde, Breite der Treppen, Heizung, Ventilation,
Luftkubus, auch über Refinktionsanomalien des Auges und Deformie-
rungen des Bewegungsapparates sich dem medizinischen Urteil schon
willig unterwarf, wurde die ärztliche Einmischung in die eigentlichen
Untennchtsfragen fast durchgehends abgelehnt — teils mit leidenschaft-
78 VerhaDdl. d. VI. Jahresversammlnng d. AUgem. Deutsch. Vereins etc.
Hoher Erregung, teils mit passiv sich widersetzendem Mißtranen, immer
aber abgelehnt. Blicken Sie noch in die maßgebenden pädagogischen
Enzyklopädien und Handbücher zu Ende der achtziger Jahre: die lll)er-
bürdnngs&age ist schon da, aber sie wird durchaus als eine esoterische
Frage aufgefaßt, die intra muros zu verhandeln und zu lösen sei.
Den Umschwung brachte das Jahr 1890 mit der preußischen
Schulreform, die ja überhaupt breite nicht-pädagogische Kreise wieder
einmal zur Anteilnahme an den Erziehungsangelegenheiten aufrüttelte.
Und nun heben jene schulhygienischen Arbeiten an, die in erster Linie
die Wirkung des Unterrichts auf die kindliche Psyche zum Gegenstande
hatten und Mitte der neunziger Jahre ihre stärkste Intensität erlebten.
Praktische Versuche der Unterrichts Verbesserung sind gefolgt, und im
Laufe eines Jahrzehnts ist jedenfalls der allgemeine und grundsätzliche
Wideratand gegen das Mitreden des Arztes in der Unterrichtsfrage über-
wunden. Freilich, es wird noch einiger Zeit bedürfen, ehe alle Päda-
gogen den Standpunkt dieses Vereins erreicht haben, der sogar das
spezielle Problem des neusprachlichen Unterrichts nicht ohne medizinische
Beratung diskutieren wollte. Und am Ende werden wir für immer mit
einem oder dem andern rechnen müssen, der es für Unfug und unver-
zeihlich hält, die Domäne der Pädagogen mit den Ärzten zu teilen,
wie es ja sogar unter meinen Facbgenossen selber nicht an wunderlichen
Eigenbrödlern gefehlt hat, denen die ganze unterrichtspsychologische und
-hygienische Methodik samt den aus ihren Resultaten gezogenen Folge-
rungen genau wie einem durch diesen Ausspruch unsterblich gewordenen
i^orddeutschen Oberlehrer nichts weiter als eine „Grimasse der Wissen-
schaft" war.
Wenn nun der Arzt vor ein konkretes Unterrichtsproblem gestellt
wird, so stehen ihm zwei Linien offen, auf denen seine Meinungsäuße-
rung sich bewegen kann: die Linie des Prinzips und die Linie der
Opportunität. Ich meine aber, daß er gut daran tun wird, hier nicht
zu wählen, sondern beide Linien jeweils miteinander zu verbinden. Es
wäre gewiß töricht, wenn wir uns in jedem Moment auf hygienische
letzte Forderungen, auf Endziele versteifen und Kompromisse ablehnen
wollten. Die Welt bewegt sich — aber nicht im Tempo der idealen
Forderung; und wenn man ihr dieses Tempo aufzwingen will, so kann
es leicht passieren, daß sie für eine Weile stille steht. Indessen, wir
sollen die ideale Forderung auch nicht gerade in den Kasten verschließen
und sie ein reliquienhaftes Dasein führen lassen. Wir sollen sie immer
und immer wieder geltend machen, und wir sollen auch keinen Zweifel
daran aufkommen lassen, daß wir bei allen Kompromissen doch die
Richtung auf die grundsätzliche Forderung hin nicht verlassen dürfen.
Die Erfüllungen, die ims zuteil werden, müssen stets Abschlagszahlungen
in dieser Richtung sein. Was nun in jedem Augenblick zu verlangen
ist und was nachzulassen, das entscheidet allein der Takt, der realpoli-
tische Instinkt. Und der hat auch bei der Formulierung der Prinzipien
noch ein gewichtiges Wort mitzureden. Denn Hygiene ist schließlich
die Lehre von dem unter bestimmten Bedingungen Gesunden imd Ge-
sundheitsförderlichen, und eine Schulhygiene muß die praktischen Grund-
bedingungen des Schullebens an sich anerkennen, wenn sie nicht einfach
Verhandl. d. YI. Jahresversammlang d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 79
eine Hygiene gegen die Schule werden und sich damit zur Wirkungs-
losigkeit verurteilen will. Es könnte ja einer ein Votum über die hygie-
nische ünterrichtsgestaltung z. B. mit der Negierung des Unterrichts als
Erziehungsmittel an sich einleiten. Aber man würde aufhören, ihn ernst
zu nehmen, wenigstens als hygienischen Berater; und man würde mit
Recht sagen, daß diese Art heiße, sich die Sache sehr leicht machen.
Denn die hygienische Leistung wird um so beträchtlicher sein, unter je
schwierigeren Verhältnissen es gelingt, hygienische Maßnahmen durch-
zusetzen und mit ihnen der Gesundheit ihr Recht zu sichem.
Wende ich solche Ei*wägungen auf unsere besondere Frage, die
heute zur Debatte steht, an, so komme ich zu dem Schlüsse, daß wir
als Hygieniker, als Vertreter geistiger Oesundheitspflege in erster Linie,
versuchen müssen, an die materielle Unterrichtsgestaltung so wenig als
möglich zu rühren, wenn wir zur Unterrichts Verteilung Stellung zu
nehmen haben. Natürlich wäre wohl eine günstigere Verteilung von
selber gegeben, wenn der Unterrichtsinhalt ein anderer, günstigerer, z. B.
einheitlicherer wäre. Aber wir müssen uns sagen, daß es ganz unver-
hältnismäßig leichter sein, in den Sehulorganismus viel weniger tief ein-
greifen wird, die Unterrichtsverteilung umzugestalten, als den Unterrichts-
inhalt, der eben von gewissen unerbittlichen Ansprüchen des Lebens
abhängig bleibt, und daß wir auch einen Unterricht, der seinem Inhalt
nach hygienisch viel zu wünschen übrig läßt, doch hygienisch befriedi-
gend bemessen und anordnen können. In diesem Sinne bitte ich Sie
meinen ersten Leitsatz zu verstehen.
Bin ich also bereit, in sehr weitgehendem Maße mit dem Bestehen-
den zu rechnen — in solchem Maße, daß ich die Frage einer Reduzie-
rung des heute üblichen Unterrichtsquantums gar nicht diskutiere — , so
muß ich nun freilich gleich meinen weiteren Erörterungen eine prinzi-
pielle Forderung zugrunde legen, vor deren Erfüllung mir alle Unter-
richtsreform Flickwerk zu sein scheint. M. H., es ist der Kardinalfehler
der heutigen Mittelschule, ein Fehler, viel schwerer als alle Gedächtnis-
überladung und Formelbildung usw., daß sie sich als eine innerliche
Einheit betrachtet und ihre Zöglinge demgemäß behandelt, während doch
das bedeutendste Ereignis jedes jugendlichen Lebens, die Pubertät, mitten
in sie hineinfällt und sie in zwei Hälften schneiden sollte. Ich habe
vor kurzem erst an anderer Stelle (im „Internat. Archiv f. Schulhygiene",
das unser Herr Vorsitzender herausgibt) nachzuweisen versucht, wie
schädigend auf die Psyche die Ignorierung dieser natürlichen Grenze
seitens der Schule wirkt. Ich werde auch heute, wo es sich um die
Unterrichtsverteilung handelt, an dieser Frage nicht vorübergehen können ;
denn auch hier scheint mir eben die Umwandlung des inneren Menschen,
die die Geschlechtsreife verkörpert, neue Gesichtspunkte zu fordern, und
jenseits dieses natürlichen Marksteins, auf der Oberstufe unserer Mittel-
schulen heißt das, ist allerdings das Problem der Unterrichtsverteilung,
wenn man es nicht ganz vom niedrigen Standpunkt des hygienisch
kleineren Übels allein anfassen will, vom Problem der Unterrichtsgestal-
tung überhaupt nicht loszulösen. Ich werde also die Oberstufe für sich
abhandeln und mich zuerst der Volksschule, der Unter- und der Mittel-
stufe der Mittelschule zuwenden, für die die Gesichtspunkte im wesent-
80 Yerhandl. d. VI. Jahresversammlnng d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
liehen gemeinsam sind. Es verbindet diese Schnlstufen gegenüber der
Oberstufe vor allem das, daß ihre Zöglinge grundsätzlich richtig — in-
tellektuell und moralisch — , vor allem aber intellektuell richtig behandelt
werden; für die einzige Phase, für die das auch hier fraglich war, für
die unterste Stufe nämlich, sind heute die besten Ansätze zum Kach-
holen des Versäumten zu bemerken. Und das darf uns nicht wundem,
denn mit dem Kinde befaßt sich die pädagogische Theorie und Praxis
seit Jahrhunderten, der Jüngling aber ist noch immer eine terra incognita;
das Wort Pubertät stand ja bis vor nicht langer Zeit auf dem Index der
Wörter, die man nur flüsternd und mit vorgehaltener Hand aussprechen
durfte. So ist denn für diesen Komplex von Unterrichtssiufen unsere
Aufgabe wesentlich einfacher als für die Oberstufe.
Wäre dies Problem der üntenichtsverteilung lediglich vom Ge-
sichtspunkte der intellektuellen Ermüdung und Erholung her
anzufassen, so hätten wir im geteilten Unterricht das hygienische Ideal.
Denn es ist Tatsache, daß mit der Häufung von Unterrichtsstunden die
Ermüdung fortschreitend wächst, und es ist nicht minder Tatsache, daß starke
Ermüdung weniger rasch sich ausgleicht als geringe und viel eher die ver-
hängnisvolle Bahn zur chronischen Übermüdung freimacht. Wir würden
dieser Gefahr dann desto sicherer ausweichen, je längere Unter brechimgen
wir zwischen die zeitlichen Unterrichtseinheiten einschieben — je mehr
wir, heißt das, den Unterricht über den Tag verteilen. Aber jener Ge-
sichtspunkt ist einseitig. Der Unterricht ist nur zum Teil Selbstzweck;
zum größeren Teil Mittel der Erziehung, und auch für die intellektuelle
Erziehung nur eines unter ihren verschiedenen Mitteln. Die Verzettelung
des Unterrichts würde bedeuten, daß der ganze Tag dem Unterricht und
der Erholung von ihm gewidmet wäre. Dabei käme die übrige Erzie-
hung zu kurz, es bliebe weder für die Hausarbeit, noch für die häus-
liche Erziehung, noch für die köi-perliche Bildung, noch endlich für die
freigewählte Betätigung des einzelnen genügend Zeit übrig. Da aber
diese pädagogischen Faktoren ebenbürtig neben dem Unterricht zur Gel-
tung kommen müssen, so wird überall dort, wo eine Übermüdung ver-
mieden werden kann, der ungeteilte Unterricht dem geteilten gerade im
Interesse der harmonischen Gesamterziehung unbedingt vorzuziehen sein.
Es muß betont werden, daß dieser Gesichtspunkt nicht bloß ein pädago-
gischer, sondern ebenso sehr ein hygienischer ist. Denn die Gesundheit
der jugendlichen Psyche ist nicht allein von den dem Intellekt zuge-
muteten Anstrengungen, sie ist nicht minder von der physischen Aus-
bildung und der sittlichen Haltimg, zu allermeist in den kritischen Jahren
der Geschlechtsreife, abhängig; auch auf dem Boden unzureichender Er-
ziehung nach diesen beiden Richtungen hin, und nicht nur immer als
direkte Überbürdungsfolgen, erwachsen die Abnormisierungen neurasthe-
nischer und hysterischer Art, und die Stählung der Psyche für die Kon-
flikte des Lebens gar, die noch ganz andere Zumutungen an die Ge-
sundheit stellen, kann am allerwenigsten einseitig vom Unterricht geleistet
werden. Es ist gerade auch die geistige Gesundheitspflege, die den
Unterricht der Erziehung unterzuordnen fordert und darum, wo die er-
forderlichen Kautelen erreichbar sind, den ungeteilten Unterricht jeder
anderen Form vorziehen muß.
YerhandL d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 81
Aber die Kautelen! Auch dieser Sorge gegenüber darf man zunächst
nicht vergessen, daß, wenngleich der ungeteilte Unterricht stärker er-
müdet, er doch auch die ausgiebigere Erholungszeit gewährt und schon
damit bis zu einem gewissen Grade seinen Nachteil sicherlich völlig zu
paralysieren vermag. Aber eben doch nur bis zu einem gewissen Grnde
— und wieweit, darüber streiten die Gelehrten und die Praktiker.
Als sicher können wir annehmen, daß eine Aufeinanderfolge von
4 Zeitstnnden, durch Pausen getrennt, keine Ermüdung erzeugt, die nicht
durch den folgenden unterridits&eien Nachmittag und die Nacht regel-
mäßig wieder ausgeglichen würde. Mindestens gilt das für Kinder von
10 Jahren aufwärts, also für die zweite Hälfte der Volksschule und die
gesamte Mittelschule. Das ist ja auch der normale Vormittag bei be-
setzten Nachmittagen gewesen, und es wurde wohl noch nirgends be-
hauptet, daß es der Vormittag sei, der die Gefahr der Übermüdung mit
sich bringe. Wo also das wöchentliche Lehrpensum in 6 mal 4 Zeit-
stunden erledigt werden kann, dort ist die Frage des ungeteilten Unter-
richts gelöst. Annähernd gilt dies z. B. für die Sexta und Quinta aller
preußischen Mittelschulen, in der bei 25 Unterrichtsstunden nur ein Vor-
mittag über die vierte Stunde hinaus zu belasten wäre. Das Turnen
ist selbstverständlich dabei nicht einbezogen.
Aber das scheint ein schwacher Trost zu sein, denn die Sexta ist
eben nicht die Schule. Schon die Stundenziffer der Quarta zwingt uns
mit ihren 29 Stunden, wollen wir den ungeteilten Unterricht durchsetzen,
zu einem Ausweg. Der eröffnet sich uns in der Einführung der ver-
kürzten Unterrichtseinheit. Wenn es nämlich gelingt, das Unter-
richtsziel anstatt in einer Stunde in einem kürzeren Zeitraum zu er-
reichen, 80 sind wir auch für eine etwas größere Lektionenziffer als 25
über die Schwierigkeiten hinweg. So z. B. wäre es möglich, in 4 Zeit-
stunden, nötigenfalls (unter Einschaltung größerer Pausen nämlich) in
4y^ Stunden 5 Lektionen zu erledigen, wenn sich die Lektion auf eine
Dauer von 40 Minuten (statt, wie bisher, auf 50 oder gar 55) zurück-
schrauben ließe, und der ungeteilte Unterricht wäre imstande, an 6 Vor-
mittagen 30 Lektionen zu bewältigen.
Die Hygiene könnte nur ihren Segen hierzu geben. Wiederholte
Untersuchungen haben ihr gezeigt, daß die Lektionsdauer von 55 Minuten,
auch von 50, im Durchschnitt zu groß ist; wo immer stete und ge-
spannte Aufmerksamkeit gefordert wird (und das ist auf der elementaren,
der Unter- und Mittelstufe fast ausnahmslos der Fall!), dort beginnt schon
nach 30 Minuten eine deutliche Ermüdung sichtbar zu werden, die eine
Fortsetzung des Unterrichts über die Dauer von 45 Minuten hinaus
widerrät. Im Interesse der geistigen Gesunderhaltung sollte also im
Anfang, vom 6. bis 8. Lebensjahr, überhaupt nur in halbstündigen, mit
der ferneren Unter- und Mittelstufe längstens in drei viertelstündigen
Unterrichtseinheiten unterrichtet werden.
Kombinieren wir diese Kurzstunden, wie wir sie weiterhin nennen
wollen, so kommt es natürlich füi* die Berechnung der gesamten Zeit-
summe auf die Dauer der eingeschalteten Pausen an. Auch hierfür hat
nun die Hygiene nachdrückliche Forderungen aufzustellen. Die heute
übliche Unterbrechung des Unterrichts leidet an zu kurzen Pausen und
Verbandlangen 1906. 6
82 Verhandl. d VI. Jahres versammlang d. AUgem. Deutsch. Vereins etc.
an ihrer falschen Verteilung. Wir verlangen 10 Minuten als Mindest-
pause, und auf Grund exakter Untersuchungen über die Ermftdung und
Erholung verlangen wir femer, daß die Pausen mit zunehmender Lek-
tionenzifTer wachsen. 5 Lektionen würden also der Reihe nach durch
Pausen von 10, 15 und 20 Minuten zu trennen sein, mindestens aber
müssen zwei Pausen von 10 und zwei Pausen von 15 Minuten gefordert
werden. Dabei ist darauf zu halten, daß nicht der Lehrer durch un-
nötige Manipulationen (z. B. umständliche Feststellung der Hausaufgaben
und Eintragungen ins Klassenbuch) die Pausen verkürze.
Freilich ist damit nun nicht mehr zu erreichen, daß 5 Lektionen
in 4 Zeitstunden erledigt werden. Denn unter Berücksichtigung der ge-
forderten Pausendauer würde der Stundenplan bei dreiviertelstündigen
Unterrichtseinheiten sich so gestalten: 8— 8*^ 8^^— 9*^ 9^—10**, 10*«—
l^ib^ 11«> — 12*-\ Das sind also reichlich 4% Zeitstunden. Aber wir
müssen bedenken, daß diese Überschreitung ja wesentlich durch die ge-
nügenden Pausen so reichlich ausfallt. Mit Unterrichtseinheiten von
40 Minuten und lediglich zehnminutigen Pausen ließen sich freilich
5 Lektionen in genau 4 Zeitstunden zusammendrängen. Aber ich glaube
erstens, daß 40 Minuten als Norm für eine Lektion in absehbarer Zeit
nicht ohne Vermehrung der wöchentlichen Lektionenziffer zu erreichen
sein dürften, während mit den % Stunden sich schon an verschiedenen
Orten die Lehrerschaft abgefunden hat. Und zweitens sind hinreichende
Pausen viel wichtiger als das Schönheitsideal der runden netten 4 Zeit-
stunden. In Anbetracht der kürzeren Stundendauer und der reichlicheren
Erholungsmöglichkeit, meine ich, ist die Vormittagsnorm von 4 Stunden
35 Minuten ohne Bedenken einzuräumen. Dafür erreichen wir ja, daß
der ungeteilte Unterricht för die ganze V^olksschule, die Unterstufe und
die Mittelstufe der höheren Schule gleichmäßig durchgesetzt werden kann.
Und das ist für den Vertreter der Gesundheitspflege ein Ziel, so aufs
Innigste zu wünschen, daß er schon darum, und mit Rücksicht auf die
Ermüdungswerte innerhalb der einzelnen Stunde nun erst recht nach-
drücklich die Herabsetzung der Unterrichtseinheit auf 45 Mi-
nuten als die grundlegende Forderung für die hygienische
Unterrichtsgestaltung schlechthin aufstellen darf.
Ist diese Forderung nicht durchzusetzen, so hätten wir uns zwischen
einem ungeteilten Unterricht, der die Vormittage mit 5 Vollstunden be-
setzt, und der Unterrichtsteilung zu entscheiden.
Den üblichen Fünfstunden-Unterricht muß ich als hygie-
nisch verwerflich bezeichnen. Er ist ja an sich nur erreichbar, indem
fünf Lektionen vou je 50 Minuten, durch unzureichende Pausen getrennt,
kombiniert werden. In dieser Aufstellung wirken drei gesundheitswidrige
Momente einträchtiglich zusammen: 1. die übermäßige Lektionsdauer,
2. die übermäßige Häufung dieser übermäßig langen Lektionen, 3. die
ungenügende Erholungsmöglichkeit zwischen den Lektionen. Wären wir
gezwungen, dieses System einzuführen, so müßte seine Schädlichkeit
wenigstens durch längere Pausen, zwei zu je 10 und zwei zu je 20 Mi-
nuten, kompensiert werden, obwohl das natürlich ein sehr unzulänglicher
Ausgleich wäre; es ergäbe sich dann freilich sogar eine Unterrichtsdauer
von 5 Stunden 10 Minuten, aber ich würde diesen Schönheitsfehler gegen-
Verhandl. d. VI. Jahregveraammlmig d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 83
über dem Vorteil, den er in sich birgt, für bedeutungslos halten. Indes,
auch mit diesem Zugeständnis bliebe der ungeteilte Unterricht in 5 Voll-
stunden so bedenklich, daß wir die ihm gegenüberstehende Möglichkeit
des geteilten Unterrichts sehr ernstlich darauf prüfen müssen, ob sie
nicht etwa das kleinere Übel — oder ob dieses kleinere Übel wirklich
der übermäßig lange ungeteilte Unterricht bedeutet.
Der Nachmittagsunterricht, diese unvermeidliche Folge der ünter-
richtsteilung unter den deutschen Verhältnissen, die die Hauptmahlzeit
des Tages auf den Mittag verlegen, ist seit einem Jahrzehnt ganz be-
sonders der Angriffspunkt für die Überbürdungsklagen geworden. In
seiner üblichen Lokalisation (2 — 4 Uhr) mit vollem Recht. Denn wir
brauchen gar nicht erst den Ergographen oder das Ästhesiometer zu
befragen, ob eine dreistündige Mittagspause (11 — 2 Uhr) imstande sei,
überhaupt die durch den Vormittagsunterricht gesetzte Ermüdung sich
ausgleichen zu lassen: selbst wenn das der Fall wäre, so bleibt die
Verlegung geistiger Anstrengung mitten in die Verdauung
der Hauptmahlzeit hinein ein für den Arzt schlechterdings
undiskutierbares Unternehmen. Es ist schwer zu sagen, was da-
bei stärker geschädigt wii'd, die Organe der Ernährung oder die Organe
der geistigen Tätigkeit; wahrscheinlich leiden Digestion und Nervensystem
gleichmäßig darunter. Daß das Gehirn während der Magenverdauung
unter höchst ungünstigen Blutzuflußverhältnissen sich befindet, ist Tat-
sache; ob vielleicht auch gleichzeitig noch Stoffwechselprodukte im Blute
kreisen, die wir analog denen bei gestörter Digestion als Nervengifte anzu-
sprechen haben, und ob dies mit dem Überwiegen animalischer Eiweißkost
(Fleischkost) in unserer durchschnittlichen Ernährung zusammenhängt, bleibe
dahingestellt. Die Spannkraft des jugendlichen Organismus möchte wohl
freilich momentan noch die Schädigungen überwinden, die aus jener
Kombination fließen; für die Dauer kaum. Und als düsteres Warnungs-
signal erhebt sich hier die Beobachtung von der ganz ungeheuren Zu-
nahme der nervösen Herzkrankheiten im letzten Jahrzehnt: Leiden, von
denen wir wissen, daß sie ganz besonders häufig mit nervösen Verdau-
ungsstörungen sich vergesellschaften, ja auf deren Grundlage sich heraus-
bilden. Zudem ist die Ernährung breiter Schichten unseres Volkes ohne-
dies eine recht fragwürdige; wir können es keinesfalls verantworten, sie
bei den Kindern schon durch Erzwingung geistiger Leistungen zu beein-
trächtigen, die ihrerseits wieder, in eine so ungünstige Zeitspanne ver-
legt, das Nervensystem mehr als selbst die rein quantitative Überbürdung
es tut gefährden. Nehmen wir hinzu, daß in die minimale Pause
zwischen Mahlzeit und Unterricht sich noch der Schulweg und sehr oft
noch wieder häusliche Schularbeit einschiebt, so ist der übliche Nach-
mittagsunterricht für uns hygienisch absolut erledigt.
Eine Verschiebung der Nachmittagslektionen um eine Stunde könnte
hieran nicht viel ändern. Sie würde für die hinreichende Ausdehnung
der Verdauungspause mindestens unsicher sein und brächte gegenüber
der alten Lokalisation noch den Nachteil einer stärkeren Verzettelung
des Nachmittags mit sich. Für einen hygienisch überhaupt diskutablen
Nachmittagsunterricht müssen wir eben zwei Grundforderungen fest-
halten: einmal, daß er frühestens zwei Stunden nach der Beendigung
6*
84 Verhandl. d. VI. JahreBversammlnng d. Allgiem. DentBch. Vereins etc.
der Hauptmahlzeit beginne, und dann, daß er dem Schüler eine zusammen-
hängende Freizeit am Nachmittag garantiere. Diese Forderungen sind
beide einzig und allein erfüllt im Spätnachmittagsunterricht, der,
je nach der Dauer des Vormittagsunterrichts, von 5 — 7 oder auch von
4 — 7 sich erstreckea könnte.
Aber auch gegen eine solche Einrichtung sprechen mancherlei Ar-
gumente der geistigen Gesundheitspflege, gröbere und feinere, und sie
verketten sich mit pädagogischen Bedenken. Im Sommer würden die
Spätnachmittagsstunden häufig wegen Hitze ausfallen müssen — was
freilich den üblichen Nachmittags- und den verlängerten ungeteilten
Unterricht nicht minder trifft. Im Winter dagegen bieten jene Lektionen
die Mißstände des Schulwegs in der Dunkelheit und des Unterrichts bei
künstlicher Beleuchtung. Im Hinblick auf diesen letzteren Faktor denke
ich weniger an eine Benachteiligung der Sehwerkzeuge, denn vom Arbeiten
bei künstlichem Licht wird schwerlich eine andere Maßregel unsere Jugend
entbinden können, als eine radikale Einschränkung der Hausaufgaben,
und die Schule vermag jedenfalls hygienisch einwandfreiere Beleuchtungen
zu schaffen, als die Kinder sie meistens daheim genießen; wohl aber an
die erhebliche Luftverschlechterung, die nicht -elektrisches Licht in ge-
füllten Bäumen bedingt. Indessen, das wären besiegbare Übelstände.
Ernster ist schon der Schulweg in der Dunkelheit. Femer würde, falls
der frühe Nachmittag zu körperlicher Betätigung benutzt oder falls er
geistiger Ai*beit gewidmet wird, die Fähigkeit zur geistigen Kräfte-
anspannung in der Spätnachmittagslektion in gleicher Weise stark herab-
gesetzt sein. Und schließlich, was mir entscheidend erscheint: trotz
allem Gerede über die „Freudigkeit^^ mit der das Kind zur Schule gehen
soU, bleibt der Unterricht nach seiner ganzen Natur doch ein Druck, der
auf der kindlichen Psyche lastet, und die Aussicht auf nochmalige Schul-
stunden würde unvermeidlich die Nachmittagserholung sehr stark beein-
trächtigen. Die Verzettelung des Unterrichts ist eben grundsätzlich vom
Übel. Und darum wäre der Spätnachmittagsunterricht überhaupt nur
als das kleinere Übel gegenüber dem „Verdauungsunterricht" dort in Er-
wägung zu ziehen, wo es sich als unmöglich herausstellen sollte, eine
Normierung der Lektion auf 45 Min. zu erreichen, so daß mehrere Vor-
mittage mit 5 Langstunden entständen. Für diese Fälle möchte ich
immerhin die Idee eines (freilich möglichst beschränkten) Unterrichts am
Spätnachmittag mindestens für die Mittelstufe, für die das Bedenken des
Schulwegs im Dunkel nicht so gravierend ist, nicht ohne weiteres von
der Hand gewiesen sehen.
Prinzipiell aber, das sei wiederholt, ist für die Volksschule und die
Untermittelstufe der Mittelschule der ungeteilte Vormittagsunterricht auf
der Grundlage der Normalstunde von 45 Minuten zu fordern; für die
Einführungsstufe sind 30 minutige Lektionen anzusetzen. Ich sehe auch
keine Kollision dieser Forderung mit der andern nach einem nicht zu
frühen Schulbeginn. Daß der Unterricht auf der Unterstufe niemals
vor 8 Uhr anfangen sollte, kann vom hygienischen Gesichtspunkt aus
nicht bezweifelt werden. Wenn es sich aber als geraten erwiese, ihn
im Winter noch später beginnen zu lassen, so braucht man ja nicht
gleich um eine Vollstunde vorzurücken: der Unterrichtsbeginn um 7,9
Verhandl. d. VI. Jahresversammlnng d. Allgem. Dentscb. Yereins etc. 85
z. B. würde wahrscheinlich den hygienischen Ansprüchen genügen, und
es wäre dabei der ungeteilte Unterricht noch immer bis 1 Uhr zu er-
ledigen. Im großen ganzen halte ich das Beispiel Stockholms für vor-
bildlich, wo in fünf Lektionen von je 45 Minuten mit ergiebigen Pausen
(drei Pausen zu je 15 und eine sogar zu 30 Minuten) von 8 — 1 unter-
richtet wird. —
Wir betreten die Oberstufe der Mittelschule; und es ist ein Schritt
in eine neue Welt. Oder sagen wir bescheiden: es sollte einer sein!
Wer besucht die Oberstufe? Zum größten Teil die Anwärter des
Hochschulstudiums; daneben, aber in sinkendem Maße, weil in diese
Laufbahnen ebenfalls mehr und mehr der Jurist eindringt, künftige Be-
amte, endlich künftige Offiziere und Anwärter höherer gewerblicher Berufe.
Das ergibt schon ein klares Bild. Danach präsentiert sich uns
die Oberstufe als die Vorbereitung auf die geistig und sitt-
lich zur Führung bestimmten Stellen unseres Öffentlichen
Lebens. Das scheidet sie grundsätzlich von der Mittelstufe, die, mit der
Verleihung des Einjährigenzeugnisses abschließend, immer noch eine
Seitenlinie der elementaren Bildung darstellt. Man braucht das gar nicht
zu beweisen; wer sehen will, der sieht, daß die Hochflut der Einjährigen-
anwärter heute schon auf die nur mittelstuiigen Realschulen abströmt,
und daß auf der höchsten Stufe der Volksschule Versuche auftauchen,
sich der Mittelschule zu nähern (durch fakultative Einführung einer
Fremdsprache z. B.); und beide Schularten sind überdies durch die
Zwischenform der Bürgerschule miteinander verbunden. Ferner ist beiden
gemeinsam, daß sie den Zögling noch vor Eintritt ins Jünglingsalter ent-
lassen — deutsch gesagt, Knaben entlassen. Die Oberstufe aber um-
spannt die Höhe der Geschlechtsreife und deren Abklärung: die erste
Phase des Jünglingsalters. Sie knüpft sich also psychologisch viel enger
ans vor ihr liegende Leben, als an die hinter ihr liegende Mittelstufe;
man möchte sagen, ihr Zusammenhang mit der Mittelstufe sei ein imter-
richtstechnischer, ihr Zusammenhang mit dem Leben organisch.
Ihre sittlichen Aufgaben stehen hier nicht zur Erörterung. Aber
es sei nachdrücklich betont, daß Moral und Litellekt nicht abstrakte
Separata sind, sondern in jeder Psyche, und nicht am wenigsten in der
gärenden Jünglingsspyche ineinander greifen, unangemessene ünterrichts-
maximen berühren auch die sittliche Entwicklung in empfindlicher Weise,
ja der Schaden, den sie damit anrichten, ist unberechenbarer als der
intellektuelle: was an der Bildung der sittlichen Persönlichkeit verfehlt
oder versäumt wurde, läßt sich nicht so einfach abschütteln, überwinden,
nachholen, wie geistige Lücken oder Überbürdung.
Die Jahre des angehenden Jünglingsalters sind aber die vielleicht
wichtigsten für die Entfaltung der Persönlichkeit überhaupt. Will der
Unterricht an dieser Entfaltung mitarbeiten, so hat er zweierlei zu
geben: Freiheit und Stetigkeit. Freiheit, die Atmosphäre, in der
allein Persönlichkeit werden kann, Stetigkeit, das Gegengewicht gegen die
Sprunghaftigkeit der Hochpubertät, die der Persönlichkeit gefährlichste
Klippe ist. Ins Unterrichtstechnische übersetzt, heißt Freiheit: weit-
gehende Fakultation und vomchtige Zurückhaltung des Lehrenden, dem
hier wesentlich die Aufgabe der Darbietung, der Anregimg zufällt; und
86 Verhandl. d. VI. JahresTergammlang d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
heißt Stetigkeit: Vermeidung des raschen Wechsels in der Interessen-
und Gedankenrichtung. Wie setzt sich beides in der speziellen Angelegen-
heit der Unterrichtsverteitung durch?
Das Unterrichtsquantum zunächst wird auf der Oberstufe kaum einer
Herabminderung gegen heute fähig sein. Wir können hier stärker als
irgendwo die größte Einschränkung häuslicher Zwangsarbeit fordern^), aber
die Stundenziffer von mindestens 32 wird zumal bei der Dreiviertelstunden -
norm schwerlich zu vermeiden sein. Da soll eben die Fakultation nach-
helfen. Selbst wenn wir die Verkürzung oder gar die Abschaffung eines
oder des andern Faches erreichten — ante portas stehen schon neue
Petenten, die die Biologie eingefährt, die Geographie erweitert, die
Hygiene aufgenommen sehen möchten.
Diese 32 oder mehr Lektionen sind zu verteilen. Das bedeutet schon,
daß wir mit 6 Yormittagen zu 5 Lektionen hier nicht auskommen. Wir
müssen also entweder einen oder zwei Vormittage zu 6 Lektionen schaffen,
oder einen Nachmittag belasten. Dem ersteren stehe ich grundsätzlich
ablehnend gegenüber; für die Oberstufe desto mehr, je weniger hier die
Häufung des Lektionenwechsels dem Prinzip der geistigen Stetigkeit ent-
spricht.
Ich finde aber, daß der Nachmittagsunterricht an sich auf der
Oberstufe nicht den Bedenken begegnet, die uns ihn für die niederen
Stufen verwerfen ließen. Erstens: die häusliche Erziehung fällt hier nicht
mehr so ins Gewicht, wie früher. Die Volksschule entläßt die Vierzehn-
jährigen, die Mittelstufe der Mittelschule die Sechzehnjährigen ins Leben —
und das frühe Jünglingsalter ist an sich eine Zeit der inneren Eman-
zipation vom elterlichen Einfluß. Zweitens: der Unterricht, wenn er unsere
eben genannte Forderung erfüllt, nähert sich selber mehr der freige wählten
Tätigkeit. Es ist also nur zu fordern, daß für die gymnastische Aus-
bildung genug Raum ausgespart bleibe — dann darf der Nachmittags-
unterricht erzieherisch unbedenklich genannt werden. Natürlich der
Spätnachmittagsunterricht. Denn auch für ihn entfallen die beiden
wesentlichen Bedenken, die wir früher erhoben: der Schulweg im Dunkeln
— darüber ist wohl kein Wort zu verlieren; und der Schuldruck —
der darf eben beim richtig verstandenen Unterricht auf der Oberstufe
nicht vorhanden sein. Er ist um so weniger ins Feld zu führen, da wir
dem Nachmittagsunterricht wesentlich nur die Fächer vorbehalten wollen,
die an sich und nun gerade auf der Oberstufe rein anregende, sagen
wir einmal ungeniert: unterhaltende, d. h. eben mehr das Interesse als
die Aufmerksamkeitsspannung beanspruchende sind: ich nenne Ihnen Ge-
schichte, Deutsch, neusprachliche Lektüre, Chemie. Mathematik, mathe-
matische Physik, Grammatik bleiben unter allen Umständen der Morgen-
frische reserviert. Ich wüßte also keinen ernstlichen Einwand dagegen,
für die Oberstute einen Stundenplan vorzuschlagen, der 3 Tage unge-
teilten mit 3 Tagen geteilten Unterrichts wechseln läßt, so daß etwa
Dienstag, Donnerstag, Samstag mit 5 Vormittagslektionen und freien
^) Auf dem Realgymnasium, das mich vorgebildet hat, war sie schon
damals in Pnma auf ein Minimum beschränkt, bis ein Provinzialschnlrat ihre
ausgiebige Wiedereinführung verlangte.
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 87
Nachmittagen, Montag, Mittwoch, Freitag aber mit 3 Lektionen am Vor-
mittag und 3 Lektionen am Spätnachmittag und 5 stündiger Trennungs-
pause ausgestattet sind. Es wird dann 3 Tage von 8 — 1, und die
andern 3 Tage von 8 — 11 und 4 — 7 unterrichtet. Damit sind 33 Lek-
tionen untergebracht.
Wenn ich nun noch einen Schritt weiter gehe, so bin ich mir be-
wußt, daß der letzte Vorschlag, den ich für die Oberstufe zu machen
habe, keine Forderung, sondern lediglich eine Anregung sein
kann, der ich eben nur eine Erörterung auf pädagogischer Seite und viel-
leicht auch praktische Versuche gewidmet sehen möchte.
Wir haben angenommen, daß auch für die Oberstufe die Normal-
lektion von 45 Minuten Geltung haben solle. Nun ist es mir aber
zweifelhaft, ob diese Lektion dem Prinzip der Oberstufe gerecht werden
kann. Mindestens würde sie die Verbindung möglichst gleichai'tiger
Fächer im Stundenplan fordern, z. B. Mathematik und Physik, Deutsch
und Geschichte — da eben der Sprung von einer Interessen- und Denk-
lichtung in eine völlig andere der für die Oberstufe unbedingt zu for-
dernden Stetigkeit der geistigen Erziehung widerspricht. Ich möchte aber
anregen, ob es nicht geraten wäre, dem Oberstufenunterricht zwei
Einheiten zugrunde zu legen: eine kurze, „entwickelnde", die eigentliche
Lehreinheit, und eine lange, die Verarbeitungseinheit; die kürzere zu
45 Minuten, die längere zu 80.
Daß pädagogisch die Existenz einer solchen verlängerten Unter-
richtseinheit zweckmäßig wäre, ist mir schon mündlich von verschiedenen
Seiten bestätigt worden; ich möchte gerade diese Frage zur Diskussion
stellen. Hygienisch sehe ich keinen Grund, der dagegen spräche. Auf
der Hochschule müssen die jungen Leute in allen ihren Übungen mehr
als eine Stunde, oft zwei und mehr Stunden ausharren; und ich denke
mir gerade die beiden Unterrichtseinheiten annähernd so, daß die kürzere
dem Kolleg und die längere dem — sagen wir, dem Seminar entspricht.
Wo die Aufmerksamkeit dauernd gespannt werden muß, eben bei der
Entwicklung des Neuen, dort befürworte ich grundsätzlich keine längere
Dauer, als die von 45 Minuten; von einer solchen Aufmerksamkeits-
spannung ist aber in den Verarbeitungsstunden keine Hede. Wenn z. B.
in der Geschichtsstunde der Lehrer von 2 oder 3 Schülern Vorträge über
das zuletzt Entwickelte entgegennimmt, hierauf seine Kritik mit Er-
läuterungen und Ergänzungen übt und endlich ein Stück aus einem
Originalhistoriker liest oder lesen läßt — so ist die geistige Spannung
während einer solchen Stunde der Spannung, mit der wir z. B. einem Vor-
trag folgen, gar nicht zu vergleichen; eher derjenigen, mit der wir ein
Schauspiel sehen. Trotzdem will ich keine dogmatischen Behauptungen
aufstellen und überlasse die Entscheidung dem praktischen Ver-
such und der experimentellen Ermüdungsmessung. Was mit der
langen Unterrichtseinheit erzielt werden kann, ist die Vermeidung ge-
häuften Wechsels. Denn nun kombinieren wir für die Tage des geteilten
Unterrichts immer zwei Langstunden, früh zwei und nachmittags zwei;
und man erhält den Stundenplan, den ich meinen Leitsätzen als Beispiel
angefügt habe. Es ist der Plan der Oberprima der Karlsruher Oberreal-
schule. Die angeschlossene Berechnung zeigt, daß dabei die Gesamtzeit,
g8 Verhandl. d. VI. Jahres verBammluDg d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
die dem Unterricht gewidmet wird, nur 15 Minuten in der Woche
weniger beträgt, als bisher, und auch die einzelnen Fächer nur unbe-
deutende Veränderungen erfahren. Gegenüber dem heutigen ünterrichts-
quantum der Oberstufe ist also dieser Entwurf so opportunistisch, wie
nur möglich.
Ich möchte nocK auf einige Vorzüge hinweisen. Erstens verteilen sich
die Hausarbeiten bei diesem Plan gewissermaßen durch eine Selbst-
regnlierung sehr zweckmäßig. Denn es ist ja klar, daß die Hauptlast
der häuslichen Arbeit auf den Tagen ruhen wird, an denen neue Dinge
entwickelt worden sind und fElr die Verarbeitungsstunden vorbereitet
werden müssen. Das sind aber die Tage mit den freien Nachmittagen
— während die Tage mit langen Untenichtseinheiten von häuslicher
Nacharbeit relativ verschont sein werden. Zweitens raubt dieser Plan im
Winter den Schülern nicht den hellen Nachmittag; ja, er läßt ihnen
an drei Tagen die Wahl, diesen Nachmittag (von 2 — 4) oder den R«st
des Vormittags (11 — l) zur Erholung auszunützen. Drittens werden die
bei ausgiebigerer Fakultation unvermeidlichen Springstunden auf ein
Minimum reduziert und zum Teil in echte Freistunden umgewandelt; wer
z. B. am Französischen nicht teilnähme, hätte nur am Donnerstag eine
Springstunde, am Freitag früh aber von 9^ an und am Montag Nach-
mittag bis 5^ frei. Die Schüler haben damit von ihren Dispensationen
einen wirklichen Nutzen für ihre Zeiteinteilung, während Springstunden,
zumal bei 45 Minuten Dauer der Stunde, sonst fast stets vertrödelte
Stunden sind. Und viertens — und das ist ein Punkt, auf den ich
sehr großes Gewicht lege — wird ein Plan, wie dieser, einem sehr ver-
breiteten seelischen Typus gerecht, der gerade mit dem Jünglingsalter
aufs Deutlichste in die Erscheinung zu treten pflegt. Ich meine die
Morgenschläfer, das sind diejenigen, die am Morgen erst ihre größte
Schlaftiefe erreichen und während des Vormittags weniger leistungsfähig
zu sein pflegen, als am Nachmittag und Abend. Da ich selber zu dieser
Mcnschenklasse gehöre, so weiß ich, welchen unermeßlichen Vorteil ein
Spätnachmittagsunterricht für sie bedeutet — ich weiß es aus den Er-
fahrungen meiner Universitätszeit. Dieser Typus wird beim ungeteilten
Unterricht einfach um die Möglichkeit gebracht, im Unterricht sein Bestes
zu geben. Gleichgestellt ist er ja mit dem andern, för den die Morgen-
stunde Gold im Munde hat, auch so noch nicht; aber seine Ansprüche
fallen doch wenigstens nicht ganz unter den Tisch.
Das stärkste Bedenken, das mir selber gegen meinen Gedanken ge-
kommen ist, möchte ich nicht verschweigen: wir erstreben auf allen Ge-
bieten die englische Arbeitszeit, und nun wollen wir gerade für die
Jünglinge unserer Mittelschulen ihr einen Damm entgegenschieben, indem
wir die Spätnachmittagsarbeit einfahren? Das klingt politisch sehr groß-
artig, aber es nicht stichhaltig. Denn in dem Augenblicke (ich sehne
ihn selber herbei), da in unserm öffentlichen Leben grundsätzlich die
englische Arbeitszeit siegt, sind wir ja eben unsere verpfuschte deutsche
Tageseinteilung mit der Mittagshauptmahlzeit los, und wenn wir nicht
mehr die stärkste Verdauung am frühen Nachmittag, sondern gegen Abend
zu erwarten haben, so hindert uns nichts mehr, den Unterricht z. B. von
8 — 11 und 12 — 2 oder 1 — 3 — oder so ähnlich zu erteilen, wie es
Yerhandl. d. VI. Jafaresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 89
in Frankreich und England heute schon z. T. geschieht. Das ist also
durchaus eine cura posterior, und zunächst werden leider wohl noch
Jahrzehnte vergehen, während deren der Deutsche sein kümmerliches
Kaffee-mit-Brötchen-Frühstück, sein zeitlich unzweckmäßiges Mittagessen
und seinen ganzen in Arheit verzettielten Tag festhält. Ich glauhe, so
lange wäre es nicht geraten, die Hände in den Schoß zu legen.
Sie werden an diesen letzten Erörterungen vielleicht tadeln, daß sie
sich zu wenig mit der Ermüdungsfrage befassen. Aber das tun sie mit
Bewußtsein. Denn das steht doch fest: die ängstliche Fürsorge, die wir
dem Kinde schuldig sind, kann in dem Maße für den Jüngling nicht
fortdauern. Gerade wenn die Oberstufe ihre Aufgabe richtig erfaßt,
als eine Vermittlung zwischen Schule und Leben nämlich, wird sie an
die Spannkraft höhere Anforderungen stellen müssen, als es noch
die Mittelstufe tun dürfte. Im Vordergrunde der Oberstufenhygiene
steht die Berücksichtigung der natürlichen Entwicklungstendenzen des
Jünglings ; und ein Oberstufenunterrißht, der der Freiheit und der Stetig-
keit Rechnung trägt, wird auch bei starken Anforderungen viel weniger
leicht schädigend wirken, als ein Unterricht mit noch so niederer Stunden-
ziffer und noch so verminderten didaktischen Ansprüchen, der sich jenen
Ginindforderungen der Freiheit und Stetigkeit verschließt. Denn das
glaube ich ganz fest: die meisten nervösen Alterationen, die auf dieser
Stufe entstehen, wurzeln viel weniger in intellektueller Überbürdung, als
in der gewaltsamen Belastung der Jünglingspsyche mit Zumutungen, über
die sie innerlich gerade um diese Zeit hinauswachsen soll. Solange wir
den Piimaner intellektuell und sittlich behandeln wie den Sextaner,
wird die Überbürdungsklage nicht verstummen, und wenn wir auch alle
Hausarbeit abschafften und den Unterricht auf täglich 4 Stunden ein-
schränkten; denn so lange wird ihm die Schule ein Druck, eine Last,
ein Gefängnis sein.
Nun ist mit dem alten System, das die ganze Mittelschule als eine
psychologische Einheit auffaßt, prinzipiell noch immer nicht gebrochen.
Ansätze zu einer Änderung sind da, sie wachsen auch, aber es sind doch
erst Ansätze. Und so lange kann man freilich auch für die
Oberstufe keine Unterrichtsteilung empfehlen. 30 Wochenstunden
sind ja, die Stunde zu 45 Minuten gerechnet, an 6 Vormittagen unter-
zubringen. Wir fordern dann nur, daß möglichst gleichartige Stunden
verbunden werden und daß, wenn der Nachmittag wissenschaftlich be-
lastet wird, nur der Spätnachmittag in Frage komme. Prinzipiell aber
setze ich hinter die Unterrichtskonzentration und hinter die '/^ Stunde
auf der Oberstufe ein Fragezeichen. Ich wül damit sagen, daiß ich bei
einer prinzipiell gesünderen Auffassung der Oberstufenziele unbedingt
bessere Organisierungsmöglichkeiten für den Oberstufenimterricht vermute,
als die Konzentration unter Zugrundelegung der Kurzstunde es ist. Wie-
weit meine Anregungen solche Möglichkeiten darstellen, muß ich der
Praxis, dem Experiment und dem pädagogischen Urteil amheimgeben zu
entscheiden. —
M. H., vom gymnastischen Unterricht habe ich bisher nicht
gesprochen. Aber in diesem Schweigen liegt eine Grundforderung schon
inbegriffen: der gymnastische Unterricht mag sein, wie er will, niemals
90 Verhandl. d. VI. JahresyerBammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
und ant«r keinen umständen darf er mit dem wissenschaftlichen und
ästhetischen Unterricht durcheinander gemischt werden. Am allerwenig-
sten, wenn er, wie an unsem Schulen, Turnen ist. Es handelt sich hier
einmal darum, daß körperliche Anstrengung zu geistiger untauglich macht,
jede Unterrichtsstunde nach dem Turnen also pädagogisch ergebnisarm
und gesundheitlich mindestens nicht förderlich wird, sowie darum, daß
körperliche Anstrengung keine Erholung nach geistiger Anstrengung be-
deutet, sondern ein Fortschreiten der Abspannung. Und dann verbindet
gerade das Turnen mit der körperlichen Anstrengung eine eminente psy-
chische, denn es verlangt höchste Anspannung der Willenskraft, der
Selbstbeherrschung, des Wagemuts, genaue Koordinierung der Bewegungs-
Innervationen — es will ja ausgesprochen dazu erziehen, daß der Geist
den Körper in der Hand habe; es ist also schlechterdings kein Gegen-
gewicht gegen die durch geistige Arbeit entstandene Ermüdung, sondern
Fortsetzung dieser. Der gymnastische Unterricht muß also
grundsätzlich aus dem wissenschaftlichen Stundenplan ver-
schwinden. Erst nach hinreichender Erholung darf er seinen Anfang
nehmen — d. h, beim ungeteilten Unterricht am Nachmittag. Und hier
gilt nun ganz besonders stark die Notwendigkeit des Respekts vor den
vegetativen Funktionen; die Gymnastik beginne nie während der Ver-
dauung, sondern frühestens eine Stunde nach Beendigung der Mahlzeit.
Auf die materielle Frage, ob die Gymnastik überhaupt einseitig im
Turnen bestehen solle, kann ich hier nicht eintreten. Aber das möchte
ich doch andeuten, daß die körperliche Erziehung desto besser, auch
hygienisch wertvoller sein wird, je vielseitiger sie ist, und von diesem
Gesichtspunkte aus rede ich einer viel ausgiebigeren Berücksichtigung des
Spiels und Sports, als sie heute im Durchschnitt stattfindet, das Wort.
Auch das sollte man nicht vergessen, daß der Gesang zur Gymnastik
gehört; ich halte ihn für physisch bedeutsamer, als viele Prozeduren an
unsem künstlich ausgeheckten Turngeräten.
Für die Oberstufe aber ist unbedingte Fakultation des
gymnastischen Unterrichts zu fordern. Man glaube nur nicht,
daß man in den Jünglingen fürs Leben eine besondere Anhänglichkeit
an körperliche Betätigung erwecke, wenn man sie zum Turnen zwingt.
Auch hierin biingen diese Jahre eine schroffe Individualisierung mit sich,
die es ganz wertlos ist, darniederhalten zu wollen; so mancher, der nicht
turnen mag, findet lebhafte Lust an Sport oder Spiel. Der allgemeine
Drang zu physischem Ausleben ist in diesem Alter lebhaft; Sache der
Schule ist es, die Gymnastik so vorzüglich zu organisieren, daß keiner
sich ausschließen mag. Gerade die Gymnastik soll aus der innersten
Freude an ihr erwachsen; eine Gymnastik wider Willen, bei der einer
den Schluß der Stunde herbeisehnt und auf alle Weise die Dispensation
anistrebt, ist so wertlos, daß man über sie gar nicht ernsthaft zu dis-
kutieren braucht.
Daß die Pausen im wissenschaftlichen Unterricht nicht
zu einem forcierten Austoben benutzt werden sollen, möchte
besonders zu betonen sein. Das scheinbar natürliche Bedürfnis des
Schülers ist hierin durchaus nicht gleichwertig mit dem Zuträglichen.
Nach dem Stillesitzen — in dem man übrigens auch etwas mehr natür-
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 91
liehe Anmut pflegen könnte; beute ist es vielfach geradezu ein sinnloser
Eräfteverbraueh — macht sich naturgemäß ein starker Bewegungsdrang
geltend. Aber seine Befriedigung schafft weder eine passende Erholung
von der letzten, noch günstige Vorbedingungen für die kommende Stunde.
Freilich wird hier der Takt entscheiden müssen, was zu erlauben und
zu fördern sei. Vielleicht ist leichtes Haschen u. dgl. das Beste; denn
bloßes Umhergehen verführt meist zu Unterhaltungen über den Unter-
richt — und geschlossenes Herumführen ist etwas so Absurdes, daß ich
es gar nicht erst als diskutabel erwähne. Auf eines aber soUte strenger
geachtet werden: darauf, daß die Schüler ihr Frühstück in einer dazu
bestimmten Pause (Stockholm setzt 30 Minuten an) verzehren und es
nicht auf 3 oder 4 Pausen verzetteln. Denn diese Verzettelung ist der
Verdauung wie dem nachfolgenden Unterricht in gleichem Maße nach-
teilig, und sie sollte nur geduldet werden, wo etwa der Arzt die Er-
nährung durch kleine Mahlzeiten verordnet hat. Das kann ja bei anä-
mischen und djspeptischen Kindern gelegentlich vorkommen.
Damit wäre ich eigentlich am Ende. Lassen Sie mich aber noch
zwei Wünsche geltend machen. Der erste faßt die Hitzeperiode ins
Auge. Ich deutete ja schon an, daß der ungeteilte Unterricht in seinen
beiden Schlußlektionen häufig genug mit der Mittagshitze kollidieren
wird; und für eine Teilung des Oberstufenunterrichts, wie ich sie an-
regte, wäre die Beeinträchtigung durch die Hitze ebenso stark, wie heute
für den üblichen Nachmittagsunterricht. Könnte man sich zu einer
zweckmäßigen Ferienanordnung entschließen, bei welcher der ganze Juli
und mindestens die erste Augusthälfte schulfrei wären, so fände damit
die Schwierigkeit ihre Lösung, denn dann würde ein Ausfall nur noch
sehr selten nötig sein. Solange aber noch immer in einem erheblichen
Teil der Hitzeperiode imterrichtet wird, sollte man grundsätzlich vom
1. Juni bis 31. August den Wochenstundenplan um wenigstens 3 bis
4 Stunden kürzen, wenn möglich um 6. Denn es sind ja nicht bloß die
heißen Tage, die den Schülern (samt den Lehrern) auf die Nerven fallen.
Die allgemeine geistige Spannkraft laßt im Hochsommer nach,
und diesem Nachlassen hat die Schule im hygienischen und im pädago-
gischen Interesse Rechnung zu tragen. Unter den heutigen Verhältnissen,
wo in den Juli und August 5 Wochen Ferien fallen, würde es sich bei
meinem Vorschlage um 7 — 8 Wochen handeln, während deren die Haupt-
fächer je eine Stunde den Temperaturverhältnissen zu opfern hätten. Ich
denke, das wäre auch pädagogisch vorteilhafter als die unvermuteten und
regellosen Ausfälle, die heute entstehen.
Und zweitens einen Wunsch, der aus der geforderten Fakultation
des Oberstufenunterrichts sich unvermeidlich ergibt. Gar wenn auch die
Oberstufe den ungeteilten Unterricht erhält, entstehen durch die Fakul-
tation zahlreiche Springstunden. Diese Stunden sind ein absoluter Ver-
lust für die betroffenen Schüler — wenn die Schule nicht Räume bereit
stellt, in denen sie sich während solcher Stunden beschäftigen können.
Es handelt sich also um eine Einrichtung, die den seminaristischen
Räumen an unsem Hochschulen entspräche. Ich möchte besonders darauf
hinweisen, daß viele und gerade begabte Schüler der Oberstufe daheim
einfach die Bedingungen fürs Arbeiten nicht mehr vorfinden. Nicht all«
92 Verhandl. d. YI. Jahresveraammlnng d. Allgem. Deutsch. Vereins eic.
Familien sind imstande, dem Sohne ein eigenes Zimmer einzuräumen, und
in Pensionen liegen die Dinge vielfach ganz trostlos. Auch im Interesse
dieser Schüler liegt es, wenn sie einen Teil ihrer Hausarbelt in Schul-
räumen erledigen könnten.
Ich bin am Ende, meine Herren. Sie wissen, daß ein Teil der
Forderungen, in deren wesentlichen ich mich ja auch freudig eins mit
meinen Herren Mitreferenten sehe, schon praktisch erprobt wird, und,
wie es scheint, mit bestem Erfolge, und dies möchte ich, als letzter
Referent, noch ganz besonders als Grundgesichtspunkt für unsere Dis-
kussion Ihnen empfehlen: nur das Probieren kann uns abschließende
Urteile ermöglichen. Unfehlbare Deduktionen gibt es in unserer Sache
so wenig wie ein unfehlbares Gewohnheitsrecht. Der Unterrichts versuch
im Bunde mit einer umfassenden Anwendung dos psychologischen Ex-
periments allein kann uns die richtigen Wege weisen. Es ist vielleicht
nicht so ganz überflüssig, das heute zu betonen, wo seit einiger Zeit die
schöngeistige Phrase wieder sich breit und die Erziehung zu revolutio-
nieren sich anheischig macht. Eine Zeitschrift, die der „pädagogischen
Reform^' zu dienen vorgibt, hat die experimentelle Pädagogik sogleich
im ersten Hefte verspotten zu müssen geglaubt. Das sind ernste Symp-
tome, und sie bedrohen die ganze psychologische Forschung — man ist
hie und da wieder einmal der Arbeit überdrüssig und wirft sich dem
volltönenden Postulat in die Arme, der DedukMon und Spekulation. Um
so fester müssen wir hier auf den nüchternen Ton der Erfahrung gestimmt
bleiben. Und das Beste, was wir heute erreichen können, ist Freiheit
zum Versuch! Mag man immerhin sagen: sie sind noch uneins: wenn
man nur hinzufügt: aber es ist der Mühe wert, das, worüber sie streiten,
durch den Versuch zu entscheiden. Das sei es, was uns, die wir aus
verschiedenen Sphären hier uns zusammenfinden, Lehrer, Eltern, Gesetz-
geber, Ärzte, verbinde: die goldene Praxis!
Vorsitzender, Prof. Dr. Griesbach:
Meine Damen imd Herren!
Ich möchte Herrn Dr. Hellpach danken für seinen fein durch-
dachten Vortrag. Mediziner und Pädagogen können aus diesem Vortrage
reiche Anregung schöpfen. Ich glaube, daß der Vortrag sehr viel Stoff
zum Nachdenken enthält, und welch hohes Interesse der Vortrag allen
Anwesenden brachte, zeigt der lebhaft« Beifall, der dem Herrn Redner
zuteil geworden ist.
Wenn wir jetzt auf die Diskussion der drei Vorträge eingehen, so
dürfte es sich fragen, ob es geraten wäre, die Diskussion zu trennen,
erst die Volksschule und dann die höhere Schule in Angriff zu nehmen.
Es sind manche Punkte vorhanden, die eine besondere Besprechung ver-
langen.
Diskussion.
Antrag Vorstand: Im Anschluß an die Referate über den „un-
geteilten Unterricht" werden die Leitsätze den ärztlichen Vereinen Deutsch-
lands mitgeteilt und der Geschäftsausschuß des deutschen Arztevereins-
bundes gebeten, diese Frage auf die Tagesordnung des nächstjährigen
Ärztetages zu setzen. In gleicher Weise sollen die Leitsätze der deut-
Verhandl. d. VI. Jahresvereaminlung d. AUgem. Dentach. Vereins etc. 93
sehen Lehrerschaft, insbesondere auch der der höheren Schulen mitgeteilt
und auch diese gebeten werden, diesen Gegenstand sowohl in ihren
lokalen wie in den größeren Vereinen zu behandeln und streng auf die
Abkürzung der theoretischen Unterrichtszeit auf 45 Minuten und die
Einhaltung der vorgeschriebenen Pausen zu halten. Schließlich soll durch
aufklarende Berichte in der Tagespresse von Zeit zu Zeit auf die ge-
samte Elternschaft aufklärend gewirkt werden. Die 6. Jahresver-
sammlung des Deutschen Vereins fEbr Schulgesundheitspflege erklärt, daß
die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden nicht über 30 hinausgehen
und daß die Unterrichtseinheit nur aus 45 Minuten bestehen darf.
Antrag Hintzmann: Gegen die heute allgemein übliche Schul -
Zeiteinteilung sind im hygienischen und unterrichtlich-erziehlichen Inter-
esse schwere Bedenken zu erheben. Der Vorstand wird daher beauftragt,
die geeigneten Schritte bei den Regierungen zu tun, um zahlreiche Ver-
suche zu veranlassen, durch die die Frage der zweckmäßigen Unter-
richtszeit ihrer Lösung entgegengeführt wird, auch die Ärzte- und Lehrer-
vereine um ihre Mitarbeit hierbei anzugehen.
Antrag Hörn: Der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege hält
mit Rücksicht auf die körperliche Gesundheit und auf die Gesundheit
und auf die Erziehung zu selbständiger geistiger Tätigkeit der Schüler
der höheren Schulen für unbedingt erforderlich, daß die wöchentliche
Stundenzahl einschließlich Chorgesang und einschließlich der wahlfreien
Fächer 30 nicht überschreite. Bis zur Durchführung dieser Forderung
empfiehlt es sich, den verbindlichen Unterricht auf den Vormittag zu
legen und an diesem je 6 Stunden zu je 40 — 45 Minuten zu erteilen.
Die deutschen Regierungen sollen gebeten werden, derartige Versuche auf
Antrag zu gestatten.
Antrag Baß: Die 6. Jahresversammlung des „Allgemeinen
Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege" stimmt folgenden An-
trägen ihres pädagogischen Referenten für Volksschulen über den un-
geteilten Unterricht zu und unterbreitet dieselben den deutschen Unter-
richtsverwaltungen :
1. In Klassen, wo es infolge geringer* wöchentlicher Stundenzahl mög-
lich ist, also besonders in Unterklassen, sollte der reine Vormittags-
unterricht denjenigen Schulanstalten gestattet werden, die diese Ein-
richtung wünschen.
2. In höheren Klassen, wo durch den reinen Vormittagsunterricht eine
höchstens 5 Stunden betragende Belastung der Schüler eintritt, ist
die Zustimmung der Eltern einzuholen, ebenso wenn der Unterricht
über 12 Uhr hinaus fortgeführt werden muß.
3. a) Vorerst sind zahlreiche Versuche im Sommer und Winter wün-
schenswert, durch welche besonders auch die Möglichkeit einer
Verringerung der Stundenzahl auf 30 geprüft werden sollte.
b) Solange der Nachmittagsunterricht nicht entbehrt werden kann,
sind nur technische Fächer auf denselben zu verlegen.
c) Die bestehenden Bestimmungen über Unterrichtspausen, Dauer der
Ferien, Gewährung von Hitzvakanz im Sommer, Eisvakanz im
Winter sollen für die Volksschulen in demselben Umfang gelten
wie für die höheren Schulen.
94 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
Lehrer Baß ftigt zu, daß die Volksschulen bis zu 14 Jahren uud
die höheren Schulen genau die gleichen Bedingungen haben.
Professor Dr. Griesbach:
Meine Herren! Sie haben gehört, daß eigentlich nur zwei Anträge
vorliegen, da die Anträge des Vorstandes, Hintzmann und Hom sich zu-
sammenfassen lassen. Ich eröffne die Diskussion.
Prof. Martin Hart mann -Leipzig:
Ich bekenne offen, daß ich ursprünglich und lange Jahre hindurch
ein entschiedener Gegner des ungeteilten Unterrichts gewesen bin, weil
es mir unerfindlich war, wie dabei die Klippe der Überlastung für Lehrer
wie für Schüler vermieden werden könnte. Ich gestehe aber gern, daß
die Ausföhrungen der Herren Referenten, daß namentlich die über mehrere
Jahre sich erstreckenden Erfahrungen des Herrn Direktor Hintzmann
großen Eindruck gemacht haben. Ich gehe natürlich nicht so weit, daß
ich sagte: Der ungeteilte Unterricht muß überall eingeführt werden.
Aber ganz berechtigt erscheint mir nunmehr das Verlangen, daß man
an die Behörden mit dem Wunsche freier Bahn für weitere Versuche mit
dem ungeteilten Unterricht herantritt, überall da, wo die Verhältnisse
dafür sprechen, wo die Lehrerschaft von der Zweckmäßigkeit der Ände-
rung überzeugt ist. Zu den vorgetragenen Argumenten möchte ich hier
noch eins hinzufügen, das nicht unwichtig ist: Bei ungeteiltem Unter-
richt wird es viel eher möglich sein, die Forderung der tagtäglichen
Reinigung der Schulräume zu erfüllen. Wenn es fQr jede anstän-
dige Privatwohnung als selbstverständlich gilt, daß man täglich eine
sorgfältige Reinigung vornimmt, so ist diese Forderung für Schulhäuser
nur in einer kleinen Minderheit von Fällen verwirklicht. Ohne Frage
würde der Wegfall des Nachmittagsunterrichts es erheblich erleichtern,
zur täglichen Reinigung der Schulhäuser überzugehen, was eine neue
Bürgschaft für die Gesunderhaltung unserer Jugend bedeuten würde.
Die Hauptbedingung für die Einführung des ungeteilten Unterrichts
ist natürlich die Verkürzung der Unterrichtseinheit auf 45 Minuten, und
ich möchte hier nachdrücklich hervorheben, daß diese Verkürzung eine
nicht unwichtige hygienische Refbrm darstellt, die auch ganz unabhängig
von der Frage des ungeteilten Unterrichts eingeführt werden könnte.
In meiner persönlichen Erfahrung hat sich mir schon lange die Tatsache
aufgedrängt, daß eine Unterrichtszeit von 50 Minuten mehr ist, als was
man bei Aufeinanderfolge mehrerer Lehrstunden billigerweise von den
Schülern verlangen kann, und ich habe mir dabei vielfach so geholfen,
nicht bloß auf der - Unterstufe, daß ich etwa in die Mitte der Stunde
eine kleine Pause eingelegt habe, ausgefällt durch Aufstehen sämtlicher
Schüler, womöglich bei geöffneten Fenstern, verbunden mit einigen
leichten Freiübungen, wobei zur Stärkung der Augen Gesicht und Körper
dem Fenster zugewandt waren. Mehr aber noch würden Unterrichts-
stunden von 45 Minuten Dauer am Platze sein, um geistiger Über-
anstrengung wirksam vorzubeugen. Wenn man den Studenten im all-
gemeinen das volle akademische Viertel zubilligt, den Studenten, die
wesentlich älter und reifer sind als Schüler, und die im allgemeinen
wöchentlich lange nicht so viel Lektionen zu hören haben als Schüler
(Unterbrechung: Oho!) — allerdings, meine Herren, pflegt der Student,
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 95
soweit meine Kenntnis reicht, im allgemeinen wohl nicht viel über
20 Stunden Kolleg zu hören, also erheblich weniger als die Stundenzahl
der Schüler beträgt, — mit welchem Rechte also gibt man den jüngeren
und stärker mit Stunden belasteten Schülern Pausen von kürzerer Dauer?
Der scheinbare Verlust, der durch Herabsetzung der Unterrichtseinheit
auf 45 Minuten entsteht, würde zweifellos reichlich durch größere Frische
und Leistungsfilhigkeit der Schüler aufgewogen werden. Und dasselbe
dürfte auch für die Lehrer gelten, wennschon diese hier erst in zweiter
Linie in Betracht kommen. Ist es nicht eine bekannte Tatsache, daß
Nervosität unter den Lehrern weitverbreitet ist, nicht nur unter den
Lehrern der höheren Schulen, sondei'n auch unt«r denen der Volksschulen,
namentlich in den Großstädten? Zahlen kann man ja darüber noch
nicht geben, aber die Tatsache selbst ist leider nicht zu bezweifeln. Sie
erklärt sich gewiß aus verschiedenen Ursachen, aber jeder praktische
Schulmann wird zugeben müssen, daß dabei auch die bisher meist un-
genügende Dauer der Pausen in Betracht kommt. Man bedenke nur,
daß die Pause dem Lehi-er nur selten im Sinne wirklicher Erholung voll
zugute kommt. Da sind manchmal Einträge zu bewirken, da ist etwas
für die folgende Stunde vorzubereiten, da ist eine amtliche Angelegen-
heit mit dem Direktor zu besprechen, da sind unter Umständen auch
Besuche der Eltern zu empfangen, und es kommt tatsächlich manchmal
vor, daß dem vielgeplagten Lehrer nicht einmal Zeit zur Befriedigung
dringender leiblicher Bedürfnisse bleibt. Soll ein derartiges Hasten und
Hetzen wirklich günstig auf den Zustand seiner Nerven wirken? Man
gönne ihm daher eine — ich möchte sagen, etwas breiter bemessene
Drehscheibe, o-uf der er sich etwas gemächlicher nach dem Geleis der
folgenden Unterrichtsstunde zu bewegen kann.
Natürlich müßten die Schüler in den verlängerten Pausen das
Klassenzimmer auch wirklich verlassen, einschließlich der Herren Pri-
maner, und es müßte für gute Lüftung der Zimmer Sorge getragen,
werden. Ebenso muß streng auf größtmögliche Pünktlichkeit im An-
fang und Schluß der Stunden gehalten werden. Denn Pünktlichkeit hat
in der Schule nicht nur Bedeutung für die gute Ordnung, sondern auch
für die Hygiene, und wenn einmal ein Lehrer die Forderung pünktlichen
Schlusses seiner Stunde als eine ungerechtfertigte Zumutung mit dem
Bemerken ablelmte, er sei doch kein Handlanger, der seine Arbeit mit
dem Stundenschlage hinlege, so verrät das recht wenig Verständnis. Die
Schüler haben ein gutes Recht auf die Pause, und dies darf ihnen nicht
verkümmert werden.
Direktor Hörn -Frankfurt a. M. tritt in erster Linie für eine Herab-
setzung der Wochenstundenzahl auf 30 ein, und möchte das als Ausdruck
des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege hervorgehoben wissen.
Er ist der Meinung, daß dadurch alle hervorgetretenen Schwierigkeiten
am besten beseitigt werden. Sehr sympathisch ist ihm die von Dr.
Hei Ip ach befürwortete Fakultation des Unterrichts auf der Oberstufe
der höheren Schulen: diese ist aber nur durchzuführen bei Abschaffung
der Abiturientenprüfung. Diese hat in unserer Zeit keine Berechtigung
mehr, schon deshalb nicht, weil nachweislich dadurch die Nervosität der
Jünglinge gesteigert wird. Das Wissen wird heutzutage überschätzt; wir
96 VerhUndl. d. VI. JahreBversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
müssen eine geistig, körperlich und sittlich gesunde Jugend haben, dann
brauchen wir fQr die Zukunft nicht zu fürchten.
Stadtschulrat Dr. Wehrhahn: Ist für Abschaffung des Abiturienten-
examens und bittet, dies in den Antrag aufzunehmen.
Professor Dr. Griesbach: Ich wollte mir die Frage erlauben, ob
es nicht besser wäre, eine so wichtige Sache, wie das Abiturienten-
examen, in einer späteren Verhandlung zu behandeln
Prof. Bay dt -Leipzig: Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren,
die Frage des zusammenhängenden Unterrichts vom Gesichtspunkte der
Leibesübungen in freier Luft insbesondere der Jugendspiele zu betrachten.
Über den gesundheitlichen und eraehlichen Wert der Jugendspiele brauche
ich in dieser Versammlung nicht zu sprechen. Bei der Einführung der
Jugendspiele in unser Schulleben ist eine der Hauptschwierigkeiten die
Zeit. Denn unsere größeren Spiele, von denen ich spreche, bedürfen,
um ihre gesundheitlichen und erziehlichen guten Wirkungen ausüben zu
können, einer längeren Zeit, als die Turnstunde bieten kann. Wir be-
dürfen eines allgemein verbindlichen Spielnachmittags. Diese Schwierig-
keit wird durch den zusammenhängenden Unterrieht gelöst.
Der Hauptpunkt bei der Erziehung der deutschen Jugend ist die
Wehrkraft, die wir überall voranstellen dürfen. Unser Kaiser hat
bei der Schulberatung vom Dezember 1890 das gute Leitwort gesagt:
„Ich suche nach Soldaten, wir wollen eine kräftige Generation haben/^
Diesem Gesichtspunkte gegenüber müssen alle Schwierigkeiten weichen.
Dem Buche „Wehrkraft durch Erziehung", dessen Widmung der Kron-
prinz des Deutschen Reiches „sehr gern" angenommen hat, ist das Bild
des Kaisers mit seiner Genehmigung vorangestellt.
Ich bitte Sie, in den Fragen der Schulgesundheitspflege den Leibes-
übungen genügenden Raum zu gewähren.
Direktor Beinmüller -Hamburg berichtet, daß in Hamburg die un-
geteilte Schulzeit an hohem Schulen und an der Volksschule seit langer
Zeit besteht. Er setzt die Gründe der Einführung auseinander und be-
stätigt, daß die Erfahrungen zufriedenstellende sind. Der normale Schüler
ist nach der zusammenhängenden Unterrichtszeit nicht mehr ermüdet, als
er sein darf, damit er am andern Morgen erfrischt wieder an die Arbeit
gehen kann. Der Redner geht noch auf die besondem Lebensverhält-
nisse in Hamburg ein, auch erwähnt er den spätem Schulanfang morgens,
mit dem Hinweis, daß vielleicht diese Dinge den nachteiligen Wirkungen
der ungeteilten Schulzeit vorbeugen.
Professor Dr. Griesbach:
Meine Herren! Wir haben jetzt die drei Anträge Hom, Vorstand,
Hintzmann, die gemeinsam zu behandeln wären, und den Antrag Baß.
Nach längerer Debatte zwischen den Herren Hintzmann, Baß
und Griesbach zieht Lehrer Baß seinen Antrag zurück, nachdem
Direktor Hintzmann erklärt hat, daß „für Volksschulen" ausdrücklich
in seinen Antrag hineinkommen soll.
Der Antrag Hintzmann wird in folgender Fassung fast einstimmig
angenommen:
Gegen die heute allgemein übliche Schulzeiteinteilung sind im hygie-
nischen und unterrichtlich-erziehlichen Interesse schwere Bedenken zu er-
Yerhandl. d. VI. Jahresversammluug d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 97
heben. Der Vorstand wird daher beauftragt, die geeigneten Schritte bei
den Regierungen zu tun, um zahlreiche Versuche an Volks- und höheren
Schulen zu veranlassen, durch die die Frage der zweckmäßigen Unter-
richtszeit ihrer Lösung entgegengeführt wird, auch die Ärzte- und Lehrer-
vereine um ihre Mitarbeit hierbei anzugehen.
Vorsitzender, Professor Dr. Griesbach:
Dann, meine Herren, haben wir auf der heutigen Tagesordnung
keinen Gegenstand mehr und wir können damit unsere VL Jahresver-
sammlung schließen. Mir bleibt nur noch übrig, nach verschiedenen
Richtungen hin meinen Dank auszusprechen, besonders den Behörden der
Stadt und hauptsächlich denjenigen, die uns die schönen Räume des
Landesgewerbemuseums überlassen haben. Des weiteren gebührt mein
Dank auch allen den Herren Referenten, die es verstanden haben, die
Versammlung so reich zu befruchten, und schließlich allen Teilnehmern
der Versammlung, die den Verhandlungen ein so reges Interesse ent-
gegengebracht haben. Damit schließe ich die VL Jahresversammlung des
Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege in Stuttgart.
YerhaudluQgen 1905.
Festliche Yeranstaltungen
zu Ehren der Teilnehmer an der 6. Jahresversammlnng des Allg.
Deutschen Vereins für Schnlgesnndheitspflege.
Wenn der Bericht über die diesjährige Jahresversammlung in
Stuttgart von ernster Arbeit im Dienst der Sache, der der Verein
sich widmet, sprechen konnte, von bedeutsamen Referaten und von
rühmlicher Ausdauer der Teilnehmer, so ist auch von mancherlei
freundlichen und schönen Veranstaltunger zu berichten, welche den
Teilnehmern die Tage in der schwäbischen Hauptstadt verschönten
und sie manche wertvolle und liebe Erinnerung mit heimnehmen
ließen. Die Natur selbst bot ihr Bestes dazu, der blaue Himmel
über der schönen schwäbischen Landschaft, über der Stadt zwischen
den rebenbekränzten, waldgekrönten Hügeln, mit ihren blumigen
Gärten und schattigen Parkanlagen. So bot gleich der erste Abend
ein schönes, anmutiges Bild, gemütliche Stunden. Die Stadt Stutt-
gart hatte für die Teilnehmer an der Jahresversammlung im Stadt-
garten ein Festkonzert veranstaltet. So sammelten sich die Erst-
linge der Angekommenen in der schönen Anlage, in der niltten in
der Stadt, nur wenige Minuten vom Bahnhof entfernt, pirtnerische
Kunst und glücklich erhaltene Naturschönheit sich zu einem reiz-
vollen Ganzen vereinigen. Waren es auch nicht allzuviele, die sich
hier schon trafen, so frentea sich, die da erschienen waren, der
schönen Abendstunden, in denen der fast volle Mond sein Licht
durch die mächtigen Kronen der alten Bäume , der Hauptzierde des
Stadtgartens, leuchten ließ, und zu gemütlicher Aussprache sich die
Gäste aus Nord, Ost und West mit den Schwaben zusammenfanden.
Von einer Begrüßung im Garten hatte die Stadtverwaltung abgesehen.
Sie blieb dem festlichen Eingang der ersten öffentlichen Versamm-
lung vorbehalten.
Am Morgen des ersten Versammlungstages boten sich, ehe die
Arbeit begann, neue Veranstaltungen, weniger dem Genuß als der
Belehrung gewidmet. Unter kundiger Führung wurden neue Schul-
hausbauten besichtigt, die schöne „Schwabschule", die einen der
Verhandl. d. VI. Jahresversanimluiig d. AUgem. Deutsch. Vereins etc. 99
Volksschulfcomplexe beherbergt, der prächtige Bau der Königin-
Katharinaschule, das Heim einer höheren Töchterschule, ideal
gelegen am Rand der Königlichen Anlagen, ideal angelegt mit ihren
hohen Schulsälen, ihren weiten Gängen, ihrer beneidenswert schönen
Turn- und Festhalle. Mit den Beamten des städt. Hochbauamts
machte dort Schulrat Dr. Mosapp, hier Oberstudienrat Heint-
zeler den Führer. Der Rektor des Eberhard-Ludwigsgymna-
siums, Oberstudienrat Dr. Straub zeigte in diesem jüngsten
Schulbau, wie die Gelehrtenschule nicht nur vornehm und muster-
haft untergebracht, sondern auch reichlich ausgestattet ist, so daß
ob dieser Ausstattung mit Sammlungen und physikalischen Appa-
raten der Naturwissenschaftler dem Humanisten neidig werden
könnte. Zu anderer Zeit besahen sich die einen die Schulbaracken
imd das neue. Schulhaus der Ostheimer Vorstadt, nachdem sie
auf der Straßenbahnfahrt dorthin von der Höhe des Kanonenwegs
den schönen Blick über die Stadt und auf die Stuttgarter Berge
hatten genießen können, andere besuchten das Erholungsheim für
Kinder, das draußen am Nordwestrand der Stadt kränklichen Kin-
dern eine schöne gastliche Stätte bereitet, dem Walde nah, der fast
auf allen Seiten der Stadt naherückt. Eine andere Schar bewunderte
das mit erlesenem Geschmack eingerichtete, mit den neuesten balneo-
logischen Errungenschaften ausgerüstete Schwimmbad, wo der um
diese musterhafte Anstalt hochverdiente Gründer und Leiter, Geh.
Hof rat Leo Vetter, mit seiner Gemahlin selbst die liebenswürdige
P^ührung übernommen hatte. Knaben- und Mädchenschwimmklassen
führten in ihren Schwimmbassins ihre flotten Übungen vor. Im
W^irtschaftssaal des Schwimmbades sammelten sich die Besucher um
den freundlichen Führer zu einem gemütlichen Vesperschoppen.
Wieder andere, die nur den Genuß der Natur haben wollten, ließen
sich auf der elektrischen Bahn auf die Höhe von Degerloch bringen,
um von dort aus sich der hier in schönster Weise gebotenen Rund-
sicht über das Stuttgarter Tal zu erfreuen.
Eine einzigartige Aufmerksamkeit bot der Ortsausschuß den
Damen der Gäste. Die Frauen des Ortsausschusses hatten sich mit
anderen Damen als Führerinnen zur Verfügung gestellt, um den
Damen die Stunden, während deren die Männer ernster Arbeit in
langen Verhandlungen oblagen, angenehm verbringen zu helfen. Sie
seien auch hier für den liebenswürdigen Dienst aufs freundlichste
bedankt.
Den Höhepunkt der festlichen Veranstaltungen für die Teil-
nehmer am „Schulgesundheitskongreß" bildet die huldvolle Einladung,
7*
100 Verband!, d. VI. Jahresvereammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc.
welche vom König Wilhelm auf seine Schlösser Rosenstein und
Wilhelma ergangen war. Nach einem Gang durch das mit vielen
Kunstwerken angefüllte Rosensteinschloß ging die Gesellschaft
— es waren ungefähr 200 Gäste — durch den Rosensteinpark nach
dem mit diesem zusammenhängenden Wilhelmapark, unterwegs
die weite Aussicht ins Schwabenland mit seinem gesegneten Neckar-
tale, seinen Rebenhügeln, bis fem hin auf die Berge der Alb be-
wundernd. Man begreift, daß der alte König Wilhelm, der hier
seine Tage beschloß, sterbend sagte, es sei schwer, von einem so
schönen Lande scheiden zu müssen. Auf der Wilhelma war im
Festsaal die Tafel gedeckt. In Worten voll herzlicher schwäbischer
Gemütlichkeit, die vergessen ließen, daß man Gast eines gekrönten
Hauptes sei, bot im Namen des Königs der Oberhofmarschall
Freiherr v. Wöllwarth den Gästen den Willkomm. Er trank
auf das Wohl des geladenen Vereins. Der Vorsitzende des Vereins-
vorstandes, Professor Dr. Griesbach dankte für die huldvolle Ein-
ladung und Begrüßung und brachte ein begeistert aufgenommenes
Hoch auf den König aus, an den zum Ausdruck der Huldigung und
des Dankes ein Telegramm nach Schloß Friedrichshafen am
Bodensee abging. Tags darauf konnte folgende Antwort des Königs
dem Verein mitgeteilt werden: „Seine Königliche Majestät
haben die Danksagung der Jahresversammlung sehr wohl-
wollend entgegengenommen und danken für die darge-
brachte Huldigung. Kabinetschef Gemraingen." Die Schloß-
hauten der K. Wilhelma sind einzigartig in ihrer Schönheit. Im
reichsten reinsten maurischen Stil erbaut, erscheinen sie wie die
Hallen aus dem Märchen von Tausend und Eine Nacht. Während
die Gäste im Festsaal sich die Weine des Königs munden ließen —
neben dem Champagner fand man die auserlesenen schwäbischen
Hofkammerweine, den weißen Rießling und den roten Untertürk-
heimer als köstliche Tropfen — , ergoß sich ein Regen über den
Park, der den geplanten Aufenthalt im Freien unmöglich machte.
Glücklicherweise ziehen sich vom maurischen Festsaal bis zum kleinen
maurischen Schlößchen Wandelgänge, in denen sich die Teilnehmer
ergingen. Im Schlößchen wurde noch eine gemütliche Stunde bei
einem Glas Bier imd duftendem Rauchkraut verbracht. Dankbar,
um eine schöne Erinnerung reicher, schieden die Gäste aus den
königlichen Räumen. Im Garten des nahen Wilhelmatheaters
fanden sich noch gemütliche Gruppen zur Naclifeier zusammen.
Am zweiten Haupttag machte das Festmahl im Hotel Mar-
quardt den offiziellen Schluß der Tagung, noch nicht der festlichen
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 101
Veranstaltungen für die Gäste. Das Hotel Marquardt bewährte mit
seinen vornehmen Räumen, seiner ausgezeichneten Küche und seinem
wohlbestellten Keller seinen alten glänzenden Ruf. Bei den Klängen
eines Streichorchesters waren ca. 40 Personen zum guten Schluß
beisammen; viele Teilnehmer waren schon mit den Abendzugen ab-
gereist. In längerer Rede feierte der Vorsitzende Professor
Dr. Griesbach den König von Württemberg, Schulrajb
Dr. Salzmann-Stuttgart den Kaiser, Stadtschulrat Dr. Wehr-
hahn-Hannover brachte seinen Trinkspruch der Stadt Stuttgart
und dem Stuttgarter Zweigverein; für beide antwortete als
Stuttgarter Gemeinderat wie als Vorsitzender des Stuttgarter Ver-
eins Privatdozent Dr. med. Bauer in launigen Worten. Noch
sprachen Dr. Weil -Stuttgart auf den AUg. Deutschen Verein
und Dr. R ei hlen- Stuttgart auf die Damen.
Auf den Tag der geplanten Festfahrten schien das Wetter sich
ungünstig gestalten zu wollen. So wagte man nicht die Festfahrt
auf den Lichtenstein, jene köstliche Perle der schwäbischen Alb.
Ein kleines Häuflein wandte sich der nahen Schillerstadt, Marbach,
zu, wo das Schillerhaus, die schlichte Stätte der Geburt des Großen,
das Schillermuseum so manches wertvolle Stück aus dem Leben
und der Geistesarbeit des Dichters zeigten.
Die Tage der VI. Jahresversammlung, reich an Anregungen für
die Sache, der der Verein dient, reich an freundlichen Veranstal-
tungen, waren vorüber. Es wird sich, so hoffen wir, mancher noch
lange ihrer gerne erinnern. Dr. H.
Yerzeichnis
der bei der VI. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins
für Schulgesundheitspflege in Stuttgart Anwesenden.
Abel, Dr. Medizinalrat, Oppeln.
Ackermann, Lehrer, üntertürkheim.
Ackere, Lehrer, Münster.
AI icke, Dr. med. u. Frau, Chemnitz.
Amma, Lehrer, Gablenberg.
Annoud, Gottl., Lehrer, Schwieberdingen.
Bader, Lehrer, Möhringen a. Fild.
Baier, Fräulein, Berg.
Bai er, Lehrer mit Frau, Neuenstein.
Baisch, Lehrer, Feuerbach.
Baitinger, Lehrerin, Cannstatt.
Barchet, Bechnungsrat, Stuttgart.
Bart, Dr. mit Frau, Stuttgart.
Baß, Frau, Mittelschullehrer, Stuttgart.
Bau der, Lehrer, MöckmühL
Bauer, Arzt, Dr., Stuttgart.
Bauer, Lehrer, Feuerbach.
Baumann, Lehrer mit Frau, Efilingen.
Baumann, Lehrer, Wasseralfingen.
Baumgärtner, Lehrer, Cannstatt.
Bär, Lehrer, Schnaith.
ßärlin, G., Lehrer, AfFalterbach.
Bäuerle, Lehrer, Mettingen.
Beck, Lehrer, Rottweil.
Beck, Lehrer mit Frau, Neufürstenhütte.
B eis er, Lehrer, Stuttgart.
Beiswenger, Lehrer, Gablenberg.
Berlin, Dr., Stuttgart.
Berstecher, Lehrer Cannstatt.
Bessey, Gemeinderat, Stuttgart.
Betz, Lehrer, Ellingen, Oberamt Ulm,
Beutelsbach, Lehrer, Stuttgart.
Beutter, Lehrer, Eßlingen.
Bibel, Lehrer, Vaihingen a. F.
Bilfinger, Dr., Ulm.
Bilfinger, Oberamtaarzt, Horb.
Birkhold, Lehrer, Stuttgart
Birkner, Dr. med., Frankenberg in Sachsen.
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 103
B laich, Lehrer, Cannstatt.
Blessing, Lehrer, Stuttgart.
Blezinger, Dr., Cannstatt.
Blum, Lehrer, Vaihingen.
Bockshammer, Oherkonsistorialrat , Stuttgart.
Bonhöffer, Professor, S tu ttgart.
Brachert, FrL, Stuttgart.
Braitlin, Lehrer mit Frau, Lomersheim.
Brand, Lehrer, Kleinbottwar.
Brand, Lehrer und Frau, Horb.
Breitling, Lehrer, Altbach, Oberamt Eßlingen.
Brennle, Lehrer, Igelsberg.
Brettschneider, Dr., Stuttgart.
Brohn, Student, Tübingen.
Brösamlen, Herr und Frau, Stuttgart.
Brück er, Lehrer, Rohracker.
Bruker, Lehrer, Dettingen.
Briigel, Oberschulrat, Eßlingen.
Bück, Lehrer, nebst Frau.
Burk, Lehrer, Zuffenhausen.
Bühler, Lehrer, Stuttgart.
Bührle, Lehrer, Stuttgart.
Bührlen, Lehrer mit Frau, Dünstbach.
Clement, Lehrer, Hedelfingen.
Dann, Lehrer, Untertürkheim.
Deahna, Dr. med., HotVat, Stuttgart.
Deeg, Lehrer, Schanbach.
De geler, Lehrer, Dettingen.
Deines, Lehrer, Mannenberg.
De lins. Geh. Oberbaurat, Berlin.
Dichtelmüller, Lehrer, Feuerbach.
Dietrich, Lehrer, Rottweil.
Dilker, Lehrer, Stuttgart.
Dill, Lehrer, Stuttgart.
Di stier, Dr. med., Hof rat, mit Frau.
Dürr, Lehrer, Obertürkheim.
Dürr, Lehrer, Steinkirchen.
Eberbach, Elementarlehrer mit Frau, Stuttgart.
E binger, Frl. Emilie, Stuttgart.
Eblen, Lehrer, Wangen.
Egger, L., Lehrer, Hochdorf.
Ehmert, Lehrer, Scharnhausen.
Eichele, Oberlehrer mit Frau, Stuttgart.
Eichele, Lehrer, Heilbronn.
Eichele, Schullehrer mit Frau, Pfäffingen.
Eisenhardt, Schullehrer, Deckenbronn.
Eisler, Lehrerin, Stuttgart.
Eitle, Lehrer, mit Frau, Hochdorf (Vaihingen a. E.)
Emhardt, Lehrer, Vaihingen a. F.
Euch, Dr. med., Saarbrücken.
Engelhorn, Dr., Med.-Rat, Göppingen.
Erhardt, Lehrer, Steinheim a. Murr.
Essig, Medizinalrat, Ravensburg.
Falch, Lehrer mit Frau, Botnang.
104 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
F au sei, Schul lehrer, Stuttgart.
Feldmann, Dr. med., Stuttgart.
Fetzer, Frl., Lehrerin, Stuttgart.
Feucht, Professor mit Frau, Stuttgart.
Finkh, Frau Professor, Stuttgart.
Fischer, Lehrerin, Cannstatt.
Fischer, Lehrer mit Frau.
Fischer, Lehrer, Gaishurg.
Fischer, Frau Lehrer, Gaisburg.
Fischer, Lehrer, Vaihingen a. F.
Flor US, Lehrer, Vaihingen a. E.
Fluhrer, Lehrer, Brettach.
Forstner, Lehrer, Untertürkheim.
Frank, Frau Bankier, Stuttgart.
Frei, Schulamts verweser, Cannstatt.
Friedmann, Sekretär, Stuttgart.
Fuchs, Schulinspektor, Gerolsheim.
Fuchs, Oberlehrer, Stuttgart.
Gaßmann, Lehrer, Stuttgart.
Gastpar, Dr. med., Stuttgart.
Gackle, Lehrer, Plochingen.
Gackle, Mittelschullehrer, Stuttgart.
Gackle, Lehrer, Stuttgart.
Gärtner, Schulrat, Nordhausen.
Gaiser, Lehrer, Plochingen.
Gaub, Lehrer, Cannstatt.
Gang er, Pfarrer, Stuttgart.
Gaufi, Lehrer, Freudenstein b. Maulbronn.
Gaufi, Lehrer, Ludwigsburg.
Geck, Oberlehrer, Stuttgart.
Gehring, Schullehrer, Botnang.
Gehringer, Lehrer, Jungholzhausen.
Geiger, Reallehrer, Feuerbach.
Geiger, Frau Reallehrer, Feuerbach.
Geiß 1er, Oberlehrer, Vaihingen a. F.
Gelchsheimer, Robert, Lehrer, Stuttgart
Gengenbach, Lehrer, HedelHngen.
Gerok, Dr., Stuttgart.
Glocker, Architekt, u. Frau, Stuttgart.
Gmelin, Pfarrer, Großgartach.
Göbel, Lehrer, Kornwestheim.
Gönenwein, Lehrer, Stuttgart.
Grabert, Pfarrer, Eichel berg.
Gramm er, Oberlehrer, mit Frau, Stuttgart.
Grein er, Lehrer, Feuerbach.
Grevell, Dr., Stuttgart.
Grieb, Lehrer, Stuttgart.
Griesbach, Dr. med. et phil., Professor, Mülhausen.
Grieß er, Lehrer, Stuttgart.
GrClnenwald, Lehrer, u. 2 Töchter, Cannstatt.
Grünenwald, Frau Lehrer, Cannstatt.
Guide, Lehrer, Eichschieß.
Guß mann, Übermed.-R. Dr., mit Frau u. Tochter.
Gutbrod, Lehrer, Gaisburg.
Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 105
Gutbrod, Dr. med., Stuttgart.
Günther, Lehrer, aus Finsterlohr, OA. Mergentheim.
Haag, Lehrer, Stuttgart.
Haag, 0. A., Wangen.
Haas, Lehrer, Schnaith, Remstal.
Haffner, Lehrer, Sindelfingen.
Hahn, Lehrer, Stuttgart.
Haibsch, Lehrer, Altbach.
Hainz, Lehrer, Üntertürkheim.
Ha ißt. Kehrer, Wasseralfingen.
Halber, Oberlehrer, Sindelfingen.
Halm, Lehrer, Stuttgart.
Hammer, Dr. med., Stuttgart.
Hanselinden, Frl., Stuttgart.
Hanselmann, Oberlehrer.
Harm, Lehrer, Wangen.
Hart, Lehrer, Siltbach.
Hartmann, Dr., Prof. Leipzig.
Hartmann, Professor, Berlin.
Hart mann, Professor Dr., Stuttgart.
Hau ß 1er, Lehrer, Stuttgart.
Häußler, Lehrer, Möhringen.
Haymann, Lehrer, Laupheim.
Häberle, Lehrer, Vaihingen.
Hacker, Dr., Eßlingen.
Hacker, Dr. Heilbronn.
H ahn lein, Lehrer, Schw. Hall.
Häring, Lehrer, Hohenhaslach.
Häunlein, Lehrer, Schorndorf
Häusler, Lehrer, Höpfigheim.
Heck er, Kreisschulinspektor Dr., München.
Hengstb erger, Lehrer, üntertürkheim.
Hermann, Lehrer, Kocherstetten.
Herre, Sekretär, Weinsberg.
Herrigel, Lehrer, Gaisburg.
Herwig, K. G., Stuttgtirt.
Heuler, Dr. med., Stuttgart.
Hey mann, Dr. med., Stuttgart.
Hieb er, Lehrer, Stuttgart.
Hiemann, Lehrer, Delegierter, Leipzig.
Hinderer, Lehrer, Wangen.
Hintzmann, Oberrealschuldirektor Dr., Elberfeld.
Hirsch felder, Student, Stuttgart.
Hoff mann, Professor, Stuttgart.
Hof mann, Lehrer, Botnang.
Hof mann, Frau Lehrer, Botnang.
Hohnold, Oberlehrer, Berg.
Höhrburger, Lehrer, Cannstatt.
Holderle, Lehrer, mit Frau, Wangen.
Hörn, Direktor Dr., Frankfurt a. M.
Hornberger, Lehrer, mit Frau, Plochingen.
Höhne, Architekt, Leipzig.
Hub er, Mittelschullehrer, Feuerbach.
Huß, Lehrer, Zuffenhausen.
106 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
Hübler, Lehrer, Komtal.
Irion, Frau Professor, Öschelbronn.
Jaus, Lehrer, Ii^ankenberg.
Jäger, Dr., Eirchberg.
Jäger, Lehrer, Unteraichen.
Jäger, Professor Dr. H., mit Frau, Strasburg.
Jehle, Begierungsrat, Stuttgart.
Jüngling, Lehrerin, Cannstatt.
Kahn, Frau, Stuttgart.
Kammerer, Oberlehrer, Stuttgart.
Kandvater, Lehrer, Cannstatt.
Kaufmann, Lehrer, Stuttgart.
Kahler, Lehrer, Stuttgart.
Kehle, Lehrer mit Frau, Stuttgart.
Keinhath, Lehrer, Untertürkheim.
Kellenbelz, Lehrer, Feuerbach.
Kentner, Pfarrer, Schnaith.
Kern, Lehrer, Berg.
Keßler, Schub-at, Düsseldorf.
Kieser, Oberlehrer, Cannstatt.
Kießling, Schuldirektor Dr., Leipzig.
Killinger, Lehrer, Stuttgart.
Kimmerle, Lehrer, Stuttgart.
Kißling, Lehrer, Zaisersweiher.
Klein, Lehrer, mit Frau, Zuffenhausen.
Klein, Lehrer, Stuttgart.
Klein, Lehrer, Cannstatt.
Kleiner, Lehrer, Feuerbach.
Klenk, Lehrer, Cannstatt.
Klett, Rektor, Cannstatt.
Klingler, Lehrer, Feuerbach.
Klingler, Lehrer, Untertüi'kheim.
Klinger, Frau Lehrer, Feuerbach.
Klopfer, Stadtpfarrer Dr., Aosenfeld.
Knaier, FrL, Stuttgart.
Knapp, Lehrer, Tonbach.
Knayer, Schullehrer, Vaihingen a. F.
Knehr, Lehrer mit Frau, Cannstatt.
Kneile, Oberlehrer, Stuttgart.
KnoU, Lehrer, Braunsbach.
Kohler, Lehrer, mit Frau, Eßlingen.
Kohl mann, Lehrer, Ehningen OA. Böblingen.
Königshöfer, Dr., Prof., Sanitätsrat, Stuttgart.
Közle, Oberlehrer, mit Frau, Berg.
Korman, Dr. med, Arzt, Leipzig.
Kraft, Dr., Zürich.
Krauß, Lehrer, Deckenpfronn.
Krauter, Lehrer, Gaisburg.
Krieg, Oberlehrer, Stuttgart
Kriege, Dr. Barmen.
Krug, Frau, Stuttgart.
Kubier, Lehrer, Marbach.
Kuder, Oberlehrer, Köngen.
Kümmel, Lehrer, Stuttgart.
Verhandl. d. VI. JahresverBammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc. 107
Läpple, Schullehrer, mit Frau, Phittenhardt.
Leuhuscher, Dr. med., Geh. Medizinalrat, Meiningen.
Lieb, Dr, Freudenstadt.
Litt er 8, Lehrer, Liemersbach.
Lumpp. Stadtpfarrer, Stuttgart.
Lupp, Lehrer, Schamhausen.
Lutz, Ernst, Dr., Worms a Rhein.
Lutz, Dr., Stuttgart.
Lüpke, Dr., Prof., Stuttgart.
Maier, L., Frl., Stuttgart.
Maisch, Oberamtsarzt, Öhringen.
Mannhard, Lehrerin, Stuttgart.
Marx, Lehrer, mit Frau, Buchaü a. Federsee.
Massa, Lehrer, Vaihingen a. F.
Mast, Lehrer, Hohenbaslach.
Matting, Bürgermeister, Charlottenburg.
Maurer, Lehrer, Stuttgart.
Maushart, Lehrer, Stuttgart.
Mayer, Dr., Rektor, Cannstatt.
Mayer, Oberbaurat, Stuttgart.
Meltzer, Dr., Stuttgart.
Merkenthaler, Hans, Bürkmannsweiler.
Merkenthaler, Lehrer, Bürkmannsweiler.
Merkle, Lehrer, Vaihingen a. E.
Merkle, Lehrer, Erbstetten.
Merkt, Lehrer, Stuttgart.
Merz, Lehrer, Metterzimmem.
Miller, Professor Dr., Stuttgart.
Mitschele, Lehrer, Neckarrems.
Moll, Lehrer, Stuttgart.
Mönch, Lehrer, mit Frau, Stuttgart.
Mosapp, Schulrat mit Frau, Stuttgart.
Motteier, Lehrer, Stuttgart.
Mnhlbayer, Oberlehrer, Stuttgart.
Müller, Hauptlebrer, Heidelberg.
Müller, Rektor, Kreuznach.
Müller, Schulinspektor, Wiesbaden, Vertr.
Nestlen, Otto, Lehrer, Stuttgart. *
Nestlen, Regierungspräsident, Stuttgart.
Nickel, Oberregierungsrat, Stuttgart.
Obermeyer, Lehrer, Gablenberg.
Obermeyer, Student, Gablenberg.
Ochs, Lehrer, mit Frau, Steinheim a. M.
Ostertag, Oberlehrer, Stuttgart.
öttle, Lehrer, Creglingen.
Otterbach, Lehrer, Cannstatt.
Paret, Friedrich, Dr., Rektor, Markgröningen.
Pfälin, Oberamtsarzt, Urach.
Pfeffer, Lehrer, Gaisburg.
Pfeiffer, Geheimer Hofrat, Stuttgart.
Pfeiffer, Ida, Lehrerin, Stuttgart.
Pfeilsticker, Dr., Gmünd.
Pfl ei derer, Dr., Knittlingen.
Planck, Mathilde, Stuttgart.
108 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc.
Preßburger, Lehrer, Creglingen.
Quelle, Prokurist der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner, Leipzig.
Randecker, Lehrer, Stuttgart.
Kapp, Lehrer, Stuttgart.
Rauh, Lehrer, Stuttgart.
Rauh, Lehrer, Gaisburg.
Rauscher, Lehrer, Bonfeld.
Rautenberger, Dr., Charlottenburg.
Rajdt, H., Professor, Studiendirektor, Vertreter des Zentral- Ausschusses zur
Förderung der Volks- und Jugcndspiele in Deutschland, Leipzig.
Ray her, Professor Dr., Stuttgart.
Reebig, Registrator, mit Frau, Stuttgart.
Reif, Gemeinderat, Stuttgart.
Reif, Lehrer, Aurich -Vaihingen a. E.
Reihlen, Dr. med., Stuttgart.
Reinhardt, Lehrer, mit Frau, Aifaltetbach. ^
Reiß, Lehrer, Cannstatt.
Remppis, Schulrat, Heilbronn.
Renschier, Lehrer, Weiler b. Schd.
Rentschier, Lehrer, Ostelsheim.
Rettig, Dr., Gemeinderat, Stuttgart.
Reuß, Dr. med., Stuttgart.
Reutier, Lehrer, Liemersbach.
Reyhing, Lehrer, Neckarrems.
Riederer, Oberlehrer, Ludwigsburg.
Riedmann, Lehrer, Stuttgart.
Rieker, Lehrer, Stuttgart.
Rieth, Lehrer, Vaihingen a. F.
Ringwald, Lehrer, Münster.
Risch, Lehrer, Harthausen.
Rösch, Lehrer, Leonbronn.
Roll, Lehrer, Stuttgart.
Roller, Oberlehrer, Darmstadt.
Rosner, Dr. med., Stuttgart.
Ruck, Lehrer, Rohracker.
Rumpp, Lehrer, Gaisburg.
Salz mann. Schulrat Dr., Stuttgart.
Sandberger, Pr&lat, Stuttgart.
Sauter, Lehrer, Stuttgart.
Schaaf, Lehrer, Stuttgart.
Schaf, H., Stuttgart.
Schaible, Lehrer, Gussenstadt.
Scharr, Lehrer, Münster.
Schau z, Lehrer, Möhringen.
Scheich, Lehrer, Unter- Neustetten.
Schempp, Lehrer, Sindelfingen.
Scheurlen, Obermedizinalrat, Stuttgart.
Schick, Lehrer, Schwieberdingen.
Schick, Lehrer, Stuttgart.
Schick, Lehrer, Feuerbach.
Schill, Lehrer, Münster.
Schiller, Lehrer, Stuttgart.
Schink, Lehrer, mit Frau, Stuttgart.
Schißler, Lehrer, Stuttgart.
Verhandl. d. VI. Jahreßvergammlung d. AUgem. Deutsch. Vereins etc. 109
Schlegel, Lehrer, Münster.
Schlegel, Emil, Münster.
Schleich, Professor Dr., Tübingen.
Schlichtharle, Lehrer, Stuttgart.
Schlitz, Hofrat, Heilbronn
Schmalzried, Frl., Stuttgart.
Schmehl, H., Stadtschulinspektor, Woitus.
Schmid, Lehrer, Botnang.
Schmid, Oberlehrer, Stuttgart.
Schmid, Lehrer, Feuerbach.
Schmidt, Lehrer, mit Frau, Zuffenhausen.
Schmohl, Lehrer, Feuerbach.
Schneider, Lehrer, Stuttgart.
Scholl, Lehrer, Groß-Erlach.
Schott, Stadtpfarrer, Böblingen.
Schramm, Lehrer, Stuttgart.
Schrot, Lehrer, Stuttgart.
Schuhmann, Frl., Stuttgart.
Schumann, Oberstudienrat, Stuttgart.
Sc hu mm, Lehrer, Murrhardt.
Schuon, Oberlehrer, Cannstatt.
Schwarz, Lehrer, mit Frau, Hedelfingen.
Schwarz, Friedr., Lehrer, Komwestheim.
Schwarz, Dr. med., Stuttgart.
Schweickhardt, Lehrer. Stuttgart.
Schwend, Professor Dr., Stuttgart.
Schweizer, Rechtsanwalt Dr., mit Frau, Stuttgart.
Sclerdeur, Schulrat, Hagen i. Westfalen.
Seeger, Frl., Lehrerin, Stuttgart.
Seeger, Lehrer, Münster bei Cannstatt.
Seemann, Lehrer, Stuttgart.
Seimenstoll, Lehrerin, Cannstatt.
Seit er, Dr. med., Privatdozent für Hygiene, Bonn.
Semmler, L., Frl., Stuttgart.
Seydel, Lehrer, Hedelfingen.
Siegle, Lehrer, Sindelfingen.
Sommer, Oberlehrer, mit Frau, Wangen.
Spatz, Lehrer, Rexingen OA. Horb.
Speyer, Lehrer, Ellwangen.
Stahl, Lehrer, Vaihingen.
Staiger, Oberlehrer, Untertürkheim.^
Staßburger, Lehrer, Baisingen OA. Horb.
Staudenmayer, Oberamtsarzt, Langenburg.
Staudenmayer, Lehrer, Stuttgart.
Stab 1er, Lehrer, Cannstatt.
St&hle, Dr. med., Stuttgart.
Stärk, Oberlehrer, Stuttgart.
Stockmayer, Gemeinderat, Stuttgart.
Stohrer, Lehrer, Stuttgart.
Stecher, Lehrer, Wörth.
Steiner, Dr., Karlsruhe i. Baden.
Steiner, Dr. med., Stuttgart.
Steiner, Professor, Freiburg.
Stenzel, Lehrer, mit Frau, Stuttgart.
110 Verhandl. d. VI. JahresTersammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc^
Stephanie, Dr., Mannheim.
Steudle, Lehrer, Cannstatt.
Stolz, Lehrer, Beutelabacfa.
Straßburger, Lehrer, Rottweil.
Straßburger, Rabbiner, Göppingen.
Straub, Oberstudienrat, mit Frau, Stuttgart.
Straup, Lehrer, Stuttgart.
Strauß^ Lehrer, Stuttgart.
Ströle, Lehrer, mit Frau, Neilingen b. G.
Stumpf ig, Lehrer, mit Frau, Kuchen.
Stütz, Lehrer, Perouse.
Sulzbacher, Lehrer, Stuttgart.
Thomann, Professor, Stuttgart.
Thomas, Oberbürgermeister, Greiz i. Thüringen.
Tott, Lehrer, Haibach.
Traub, Überlehrer, Münster.
Traub, Professor, Stuttgart.
Treutlein, Direktor, Karlsruhe i. Baden.
Übrig, Lehrer, mit Frau, MOssingen.
übrig, Lehrer, Steinheim a. M.
Uhlmann, Lehrer, mit Frau, Schw. Gmünd.
Ulrich, Gustav, Privatier, Stuttgart.
Ulshöfer, Lehrer, Künzelsau.
Vetter, Geheimer Hofrat, Dr. Leo, mit Frau, Stufctgart.
Vogel, Lehrer, Neubronn OA. Aalen.
Volmer, H., Göppingen.
Wächter, Lehrer, Enzweihingen.
Wag 1er, Dr. L., mit Frau, Leipzig.
Wagner, Lehrer, Jagstfeid.
Wagner, Lehrer, Stuttgart.
Wagner, Lehrer, mit Frau, Koch erstatten.
Wagner, Oberlehrer, Stuttgart.
Wagner, Lehrer, Stuttgart.
Wagner, Lehrer, Göppingen.
Walter, Lehrer, mit Frau, Osteisheim OA. Calw.
Walter, Lehrer, Hochdorf.
Walter, Oberbaurat, Stuttgart.
Walz, Lehrer, Cannstatt.
Wehrhahn, Dr., mit Frau, Hannover.
Weidenmann, Lehrer, Stuttgart.
Weidmann, Lehrer, Creglingen.
Weil, L., Dr. med., Stuttgart.
Weil, Dr. med. E., Stuttgart.
Weiss ch edel, Lehrer, Heslach.
Weißer, Frl., Ostheim.
Weizsäcker, Seiue Exzellenz Minister v., Stuttgart.
Welsch, Martha, Frl., Lehrerin, Stuttgart.
Wengert, Lehrer, Stuttgart.
Werfer, Medizinalrat, Ellwangen.
Wettstein, Lehrer, Stuttgart.
Weygoldt, Geheimer Hofrat Dr., Stuttgart.
Weyrauch, Prof. Dr., Prorektor der technischen Hochschule, Stuttgart.
Wiedmann, Lehrer, Untertürkheim.
Wild, Lehrer, Stuttgart.
Verhandl. d. VI Jafaresrersainmlung d Allgem. Deutsch. Vereins etc. Hl
Wink, Frl., Stuttgart.
Wißmann, Lehrer, Cannstatt
Wolf, Lehrer, Mettingen.
Wurster, H., Lichtenstem
Wurster, Oberlehrer, Stuttgart.
Wurster, Lehrer, Neckarwestheim
Würz, Gemeinderat, Stuttgart.
Zach, Alice, Lehrerin, Stuttgart
Zach We., Helene, Stuttgart.
Zaiser, Lehrer, Stuttgart.
Ziegele, Lehrer, Schnaith.
Ziegler, Lehrer, Gaisburg.
ZoUinger, F., Dr. phil., Zürich.
Zürn, Lehrer, Cannstatt.
Zürndorfer, Student, Stuttgart.
Bedner- Liste.
Baß, Lehrer, Stuttgart. S. 113.
Bauer, Dr., Privatdozent, Stuttgart. S. 52.
Delius, Geh. Oberbaurat, Berlin. S. 49.
Egelhaaf, Dr., Oberstudienrat, Stuttgart. S. 106.
Engelhorn, Dr., Medizinalrat, Göppingen. S. 51.
Feucht, Prof., Stuttgart. S. 83.
Gästpar, Dr., Stadtarzt, Stuttgart. S. 90.
Gmelin, Dr., Großgartach. S. 104.
Griesbach, Dr. Prof, Mülhausen i. Eis. S. 65. 81. 85. 88. 113. 115. 140.
142. 145.
Hartmann, Prof., Leipzig. S. 58. 88. 105. 142.
Hellpach, Dr., Karlsruhe. S. 124.
Hintzmann, Dr, Oberrealschuldirektor, Elberfeld. S. 81. 106.
Hörn, Dr., Direktor, Frankfurt a. M. S. 83. 104. 143.
Jäger, Dr., Schwabisch-Hall. S. 65.
Jäger, Dr., Generaloberarzt, Straßburg. S. 105.
Korman, Dr., Leipzig. S. 89.
Königshöfer, Dr., Prof, Stuttgart. S. 88.
Krieg, Oberlehrer, Stuttgart. S. 53.
Kriege, Dr., Kreisarzt, Barmen. S. 103.
Leubus eher, Dr., Geh. Medizinalrat, Meiningen. S. 88. 102.
Miller, Prof., Stuttgart. S. 82.
Müller, Schulinspektor, Wiesbaden. S. 104.
Nestlen, von, Präsident, Stuttgart. S. 50.
Planck, Mathilde, Stuttgart. S. 89. 104.
Raydt, Dr., Prof, Leipzig. S. 53. 144.
Reichert, Lehrer, Stuttgart. S. 84. 102.
Reinmüller, Dr., Hamburg. S. 144.
Reutter, Lehrer, Ehingen. S. 85.
112 Verhandl. d. VI. Jahresversammlung d. Allgem. Deutsch. Vereins etc.
Salzmann, Dr., Schulrat, Stuttgart. S. 89.
Schmeel, Schulinspektor, Worms. S. 104.
Steiner, Dr., Karlsruhe. S. 88.
Stetter, Direktor, Stuttgart. S. 87.
Treu t lein, Direktor, Karlsruhe. S. 82.
Viötor, Dr., Prof., Marburg S. 59. 82.
Wehrhahn, Dr., Schukat, Hannover. S. 144.
Weil, Dr. Stuttgart. S. 86.
Weizsäcker, von, Dr., Staatsminister, Exzellenz, Stuttgart. S. 49.
Weyrauch, von, Dr., Prof., Prorektor, Stuttgart. S. 61.
Zollinger, Dr., Zürich. S. 64.
ifi(L.
27f
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