Skip to main content

Full text of "Goethe-Jahrbuch"

See other formats


m^St 


¥'/' 


^    \  '-.  : 


-0    ',) 


1ai*fi 


^.t 


y  >  ^  \  ^ 


i  ^^^>  "^X 


S)^« 


v\: 


ju 


^rfey^i  :"r>'S^ 


4E^ 


-^.^^ 


Goethe  -Jahrbuch  . 


Herausgegeben 


Ludwig  Geiger. 


Zweiter  Band. 


Frankfurt  vm. 

LiTK  RARISCHE     AnSTALT 

Rotten  ä-  Loening. 
1881. 


Die  Verlagsbandltmg  beböJl  sieh  alle  Rechte  vor. 


tqnS3 


<L 


SC.Um,  ■■^^If.^^i  £^41^,.^..^^^..^^ 


V  O  R  W  O  R  T. 


fS^  er  erste  Band  des  Goethe-Jahrbuchs  hat  seitens  des 
Pubhkums  und  der  Kritik  eine  sehr  freundUche 
Aufnahme  gefunden.  Fast  allgemein  wurde  die 
Xützhchkeit  und  Xothwendigkeit  der  Idee  anerkannt  und 
auch  die  Art  der  Ausführung  wurde  meist  gelobt.  Einzelne 
Aufsätze  gaben  zwar  zu  Ausstellungen  Anlass,  ja  einer 
derselben  rief  heftige  gegnerische  Bemerkungen  hervor, 
aber  auch  sie  veranlassten  keinen  der  wirklich  competenten 
Richter  W'issenschafäichkeit  und  Würde  in  Abrede  zu 
stellen.  Dem  Herausgeber  kann  es  nicht  obliegen,  den 
Schutz  der  Angegriifenen  zu  übernehmen,  ebensowenig 
wie  es  seine  Sache  ist,  die  Verantwortung  für  sie  zu  tragen; 
er  wird  auch  ferner  in  diesem  Jahrbuch,  das  ein  Organ 
aller  Goethe-Forscher  und  nicht  blos  einer  Partei  sein  soll, 
Aufsätze  wissenschafthchen  Charakters  gern  aufnehmen, 
selbst  wenn  er  mit  deren  Resultaten  keineswegs  einver- 
standen ist.  Von  den  ^50  Mitarbeitern  des  ersten  Bandes 
sind  viele  auch  in  dem  vorliegenden  Bande  mit  grösseren 
oder  kleineren  Beiträgen  vertreten  —  das  Fehlen  einiger 
hers-orragender  Forscher  beruht  nur  auf  zufälligen  Um- 
ständen und    ich  kann   mit  Freude    constatiren,   dass   ihre 


IV 


\'OR\VORT. 


dauernde  Theilnalimc  und  Unterstützung  dem  Unternehmen 
gesichert  ist  — ;  den  Ahbewährten  haben  sich  neue  Freunde, 
jüngere  l'orscher  und  hochverdiente  Schriftsteller  ange- 
sclilossen,  die  man  mit  Ireude  in  dieser  Gemeinschaft 
begrüssen  wird.  Ihnen  allen,  ferner  den  \'erfassern  und 
Verlegern  von  Goethe-Schriften,  die  mich  durch  ihre  Zu- 
sendungen erfreuten,  sowie  der  Verlagshandlung,  die  den 
regsten  Eifer  diesem  Jahrbuche  /u/uwenden  fortfährt,  sage 
ich  den  besten  Dank. 

Leider  konnten  in  den  vorliegenden  Band  nicht  alle 
Mittheilungen  und  Miscellen  aufgenommen  werden,  die 
für  denselben  bestimmt  waren,  obgleich  sein  Umfang  den 
des  ersten  Bandes  übersteigt  und  obgleich  durch  com- 
pressern  Druck  einzelner  Abtheilungen  viel  Raum  gespart 
wurde;  ich  hoffe,  dass  die  verehrten  Mitarbeiter  mir  diese 
einstweilen  nicht  zum  Abdruck  gelangten  Beiträge  für  den 
folgenden  Jahrgang  belassen  werden.  Dieser  dritte  Jahr- 
gang, der  zum  22.  März  1882  —  Goethe's  50.  Todestag  — 
erscheinen  soll,  wird  ein  die  drei  ersten  Bände  umfassendes 
Register  enthalten. 


Berhn,  15.  Februar  1881. 


Ludwig  Geiger. 


Inhalt. 

I.  x\bhandluniicn.  „  . 

c'  Seite 

1.  Georg  Brandes:  Goethe  und  Danemark  ......         i 

2.  Julian  Schmidt:  Goethe's  Stellung  zum  Christenthum  .       49 
5.    Erich  Schmidt:  Zur  Vorgeschichte  des  Goethe'schen  Faust. 

I.  Lessings  Faust 65 

4.  Richard  Maria  Werner:  Die  erste  Auft'ulirung  des  Götz 

von  Berlichingen 87 

IL  Forschungen. 

1.  Bernhard  Suphan:    Aeltere  Gestalten  Goethe'sciier  Ge- 

dichte. Mittheilungen  und  Nachweise  aus  Herders 
Papieren 105 

2.  Wilhelm  WiLMANNs:  Ueber  Goethe's  Erwin  und  Elniire     146 

5.  Heinrich  DüNTZER :  Zu  Goethe's  Bericht  über  seine  An- 

knüpfung mit  Schiller [68 

4.    Otto    Brahm  :    Die    Bühnenbearbeitung    des    Götz    von 

Berlichingen 190 

III.  Neue  Mittheilungen. 

1.  Gedichte  und  Dramen. 

I.  Scene   aus   den  Vögeln.     Mitgetheilt  von  Wilhelm 

Arndt 219 

II.  Goethe  an  Merck 225 

III.  Aus  Faust  zweiter  Theil.  Mitgetheilt  von  Woldemar 

Freiherr  von  Biedermann 229 

IV.  Aus  Goethe's  Notizbuch  von  der  Schlesisclien  Reise 

1790.     Mitgetheilt  von  G.  von  Loeper  ....     251 

2.  Einundvierzig  Brieee  an  Goethe  nebst  2  Briefen  der 

Frau  Rath  und  i  Brief  von  K.  Ph.  Moritz.  Mitgetheilt 
von  W.  Arndt,  K.  Bartsch,  L.  Geiger,  R.  Koehler, 
G.  von  Loeper,  F.  Muncker 237 


VI 


Inhalt. 


M 

tgctheilt  von 

Seite 

I. 

An 
All 
An 

lenriette  v.  Knebel 

Salis 

Knebel      .... 

5.  Mai 
3 1 .  März 
10.  Jan. 

1775 
1780 

1783 

2;S 

2. 

5- 

G. 

von  Loeper 

259 
240 

4- 

An 

; 

12.  '}uli 

1786 

241 
242 
244 

An 
An 

He\'nc      .... 
Biicliholz      .     .     . 

24.  Juli 
12.  Sept. 

1788 
1791 

6. 

L. 

Geiger  .     . 

7- 

An  Heinrich  Mever    22. 

-25.  Jan. 

1796 

245 

8. 

An 

?          .... 

6.  März 

1801 

R. 

Kochler 

249 

9- 

An 

Hofriuh  Stark  .     . 

3.  Juni 

1801 

K. 

Bartsch 

249 

lO. 

An 
An 
An 

Hertuch    .... 
denselben 
denselben     .     .     . 

3.  Jan. 

12.  Jan. 

1 3.  Mai 

1 802 
1802 
1805 

250 

2)1 
252 

1 1. 

12. 

L. 

Geiger  .     . 

I  5. 

An 

denselben     .     .     . 

7.  Juni 

8.  Juli 

1803 

236 

14. 

An 

Hot'rath  Stark  .     . 

1803 

K. 

Bartsch 

257 

I)- 

An 

Heinrich  Luden    . 

14.  März 

1807 

L. 

Geiger  . 

2)7 

16. 

An 

Frau  V.  Evbenberi( 

7.  Aug. 

1808 

W 

.  Arndt  .     . 

261 

17- 
18. 

An 
An 

Knebel     .... 
Grat"  Dictrichstein 

1 1.  Juli 
23.  Juni 

1809  1 
1811 

G. 

von  Loeper 

262 

263 

19. 

2Ü. 

An 
An 

Kirms 

W'indischmann 

7.  März 
28.  Dez. 

1812 
1812 

L. 

Geiger  . 

265 
266 

21. 

An 

? 

8.  Jan. 

1814 

F. 

Muncker 

272 

22. 
25- 

An 
An 

Kirms 

denselben     .     .     . 

18.  iMai 
20.  Mai 

1814 
1814 

L. 

Geiger  .     . 

275 
275 

24. 

An 

Sartorius  .... 

5.  Juni 

1814 

w 

.  Arndt  .     . 

277 

25. 
26. 

An 

Rienier     .... 

19.  Juli 

8.  Juli 

1 5.  Juni 

1816 

278 

280 

An 
An 

Heinrich  Mever 

1817 
1818 

27- 

L. 

Geiger  .     . 

283 

28. 

An 

Blunicnthal  .     .     . 

10.  April 
28.  Mai 

1819 
1819 
1820 

284 

29. 
30. 

An 

denselben      .     .     . 

284 

An 

10.  Mai 

G 

von  Loeper 

287 

31- 
52- 

An 

Schoene  .... 

3.  Dez. 
12.  Jan. 

1821 

291 

294 

An 

Loos 

1823 

L. 

Geiger  .     . 

-.    -, 

An 

denselben 

23.  Sept. 

1823 

295 

54- 

An 

V.    Münch-ßelling- 

hausen  

I.  Febr. 

1825 

W 

.  Arndt  .     . 

296 

55- 

An 

HolVath  Stark  .     . 

3.  Nov. 

1825 

K 

Bartsch 

298 

36. 

37- 
38. 

An 

Loos 

23.  März 

1826 

299 
299 
304 

An 

denselben      .     .     . 

24.  Febr. 

1827 

An 

18.  Sept. 

1827 

L. 

Geiger  .     . 

39- 
40. 

An 

-' 

26.  Okt. 

1827 
1830 

50) 
307 

An 

Heinrich  Mvlius    . 

14.  März 

INHALT.  VII 

Mitgethcilt  von 

Seite 

41.  An  Hofrath  Stark      .  7.  April  1830     K.  Bartsch       .  30S 

Frau  Rath  an  Pli.  Seide!  .  10.  Okt.    1777  l  t     (-  v  '°^ 

Frau  Rath  an  Anna  Amalia  24.  Sept.  1779!     "         "^       '     '  510 

Moritz  an  Goethe     .     .     .  6.  Juni    1789     G.  von  Loeper  515 

3.  Ludwig  Geiger:  Goethe  in  Dornburg 316 

Anhang  I.:  Zwei  Briefe  Sorets  an  Goethe 365 

Anhang  II.:  (Zu  S.  331%.) 368 

Anhang  III. :  a.  \'erzeichniss  der  Briefe,  welche  Goethe 

von  Dornburg  aus  schrieb  .  .  .  .  370 
b.  Verzeichniss  der  Briefe,  welche  Goethe 

in  Dornburg  erhielt 372 

4.  Mittheilungen  von  Zeitgenossen  über  Goethe. 

-  I.  Aus  Bertuchs  Nachlass.     VerötTentlicht  von  Ludwig 

Geiger 374 

II.  Aus  Briefen   von  C.  A.  Vulpius  in  Weimar  an  Nie. 

Mever  in  Bremen.     Mitgetheilt  von  G.  von  Loeper     415 

IV.  Miscellen,  Chronik,  Bibliographie. 

1 .  Miscellen. 

1.  Aus  Rings  Nachlass.    Mitgetheilt  von  Erich  Schmidt  427 

2.  Bisher  ungedruckte  Anti-Xenien.  Aus  Nicolai's  Nach- 
lass.    Mitgetheilt  von  R.  M.  Werner 433 

3.  Zu  einer  Stelle  im  Faust.     Von  G.  von  Loeper  .     .  439 

4.  Zum  Faust.     Von  Otto  Brahni 444 

5.  Zum  Jahrmarktsfest  zu  Plundersweilern.   Von  R.  M. 
Werner 445 

6.  Zur  Aufführung  des  zweiten  Theils  von  Faust.    Mit- 
getheilt von  C.  von  Beaulieu-Marconnay    ....  445 

Zusätze  und  Berichtigungen  zum  I.  Band 450 

2.  Chronik 452 

3.  BlBLIOGR.^PHIE. 

L  Schriften. 

A.  Ungedrucktes. 

1.  Gedichte 476 

2.  Briefe. 

I.  Literatur  .     , 477 

IL  Regesten .    478 


VIII  Inhalt. 

Seite 

B.  Neue  Ausgaben 489 

C.  Uebcrsotzungen 494 

D.  Fünzolsclirifteu  und  Erläuterungen. 

1.  Allgemeines 495 

2.  Dramen 500 

5.    Gediclue 5O9 

4.    Prosascliril'ten 512 

II.  Biographisches. 

.\.  .\llgemeines 514 

B.  Biographische  Einzelheiten 516 

C.  Statuen,  Bilder,  Kunst,  Verschiedenes 532 


I.  Abhandlungen. 


Goethe  und  Dänemark. 


Georg  Brandes. 


i. 


m  9.  September  1776  schrieb  Seine  königliche 
Hoheit  der  Erbprinz  zu  Dänemark  der  Canzelei, 
um  durch  dieselbe  der  theologischen  Facultät 
Kopenhagens  ein  Gutachten  abzufordern  »»ob  das  Buch 
»Werthers  Leiden«,  von  welchem  Proft  eine  Uebersetzung 
angekündigt  hat,  ohne  Schaden  für  gute  Sitten  gelesen 
werden  kann««,  wenn  nicht,  »wolle  die  Canzelei  (denn  das 
hat  der  König  befohlen)  diese  Uebersetzung  sofort  ein- 
stellen und  kassiren  lassen«. 

Am  19.  September  erfolgte  die  Antwort  der  Ganzelei 
an  den  König :  »In  allerunterthänigster  Erfüllung  des  Gabi- 
netsbefehls vom  neunten  hujus  ist  der  theologischen  Facultät 
zugeschrieben  worden,  ob  u.  s.  w.  und  da  die  theologische 
Facultät  in  Ihrem  Gutachten,  das  allerunterthänigst  beige- 
legt ist,    das   erwähnte    Buch    als    eine    Schrift    betrachtet, 

Goethe-Jaiirblch  II.  2 


Abhandlungen. 


welche  die  Religion  verspottet,  die  Laster  beschönigt  und 
gute  Sitten  \erderben  kann,  so  hat  die  Canzelei  heute  dem 
Polizeipräsidenten  geschrieben,  Prott  kund  zu  thun,  dass 
er  die  in  \'orbercitung  seiende  Uebersetzung  sotort  einzu- 
stellen habe,  da  dieselbe  keineswegs  gedruckt  oder  debitirt 
werden  darf«.     [Luxdorphiana  S.  258.] 

Unter  den  Mitgliedern  der  theologischen  Facultät  der 
Universität  zu  Kopenhagen,  die  dieses  burleske  Verbot  ver- 
anlassten, war  der  als  dänischer  Bischoi  später  bekannte 
N.E.Balle,  der  durch  einen  sonderbaren  Zufall  in  Leipzig  zwei 
Jahre  gleichzeitig  mit  Goethe  imd  Jerusalem  studirt  hatte. 

Man  würde  Dänemark  Unrecht  thun,  wenn  man  einen 
Beweis  ungewöhnlicher  nationaler  Beschränktheit  in  einer 
Urkunde  suchen  würde ,  in  welcher  nur  die  so  häufige 
theologische  Bornirtheit  der  damaligen  Zeit  sich  ausspricht. 
In  Mailand  hatte,  wie  Goethe  selbst  Eckermann  erzählt, 
der  Bischof  die  ganze  Ausgabe  der  erschienenen  Werther- 
übersetzung von  den  Geistlichen  in  den  Gemeinden  auf- 
kaufen lassen,  um  das  Buch  ganz  im  Stillen  wieder  aus  der 
Welt  zu  bringen  —  ein  Mittel  das  übrigens  leicht  das 
entgegengesetzte  Resultat  hätte  herbeiführen  können.  Und 
in  Deutschland  selbst  war  »Werthers  Leiden«  an  mehr  als 
eineni  Orte  gerade  so  teindlich  wie  in  Dänemark  aufge- 
nommen worden.  In  Hamburg  hatte  der  durch  Lessing 
unsterblich  gewordene  Hauptpastor  I.  M.  Goetze  seine 
»kurze  aber  nothwendige  E.rinnerungen  über  die  Leiden  des 
jungen  Werthers«  1775  herausgegeben,  nach  welchen  »die 
ganze  Gharteque«  keinen  anderen  Zweck  habe  als  »das 
Schändliche  von  dem  Selbstmorde  eines  jungen  Witzlings 
abzuwischen  und  diese  schwarze  That  als  eine  Handlung 
des  Heroismus  Norzuspiegeln«,  und  in  Leipzig  wurde  das 
Buch  \()n  den  weisen  \'ätern  der  Stadt  sogar  bei  hundert 
Reichsihalern  Strate  verboten.  |  ].  W.  Appell  :  \\'erther 
und  seine  Zeit.J 


Georg  Brandes  :«Goethe  und  Dänemark.  3 


Das  Verbot  hatte  denn  .luch  nicht  die  geriiii^stc  l^c- 
deutung  in  einem  Lande,  wo  alle  Gebildeten  Deutsch  vei- 
str.nden.  Obwohl  Werther  erst  1832  (durch  Meisling)  in 
dänischer  Ueberset/ung  erschien,  war  schon  in  den  Siebziger 
Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  die  W'ertiierepideniie  unter 
der  Jugend  in  Dänemark  stark  verbreitet.  Rahbek ,  der 
emptindsanie  Hlegien-  und  Trinkliederdichter,  Herausgeber 
eines  dänischen  Spectators  und  überhaupt  der  einzige  eigent- 
liche Litcrator  jener  Uebergangsxeit  des  18.  Jahrhunderts  in 
das  folgende,  war  in  seinem  19.  Jahre  jener  Epidemie  ver- 
fallen. Wo  er  sie  bespricht  und  auf  ihr  gleichzeitiges 
Auftreten  in  verschiedenen  Ländern  aufmerksam  macht, 
stellt  er  es  als  unentschieden  hin,  ob  das  Buch  die  Quelle 
oder  das  Erzeugniss  jenes  Fiebers  sei,  und  erklärt  nicht 
zu  wissen ,  »ob  er  ein  Schwärmer  wurde,  weil  er  immer 
Werther  in  der  Tasche  trug,  oder  ob  er  immer  Werther 
bei  sich  hatte,  weil  er  ein  Schwärmer  geworden  war«. 
Goethe  selbst,  der  in  »Wahrheit  und  Dichtung«  die  allge- 
meinen Einflüsse  der  Zeit  und  die  Leetüre  englischer  Schrift- 
steller hinzuzieht,  um  das  Entstehen  des  Buchs  zu  erklären, 
war  später  (Eckermann  IIL  29.)  geneigt,  den  Ursprung 
individueller  zu  fassen.  »Die  vielbesprochene  Wertherzeit 
gehört,  wenn  man  es  näher  betrachtet,  freilich  nicht  dem 
Gange  der  Weltcultur  an,  sondern  dem  Lebensgange  jedes 
Einzelnen,  der  mit  angeborenem  freien  Natursinn  sich  in 
die  beschränkenden  Formen  einer  veralteten  Welt  finden 
und  schicken  lernen  soll«.  Die  Gegenwart  wird  wohl 
an  eine  Wechselwirkung  zwischen  Werther  und  dem  Zeit- 
alter glauben. 

Obwohl  nun  die  Schwärmerei  für  Goethe's  Jugendwerk 
viele  Herzen  erfüllte  und  manch  einer  jungen  verheiratheten 
Frau  Seufzer  und  Thränen  jugendlicher  Anbeter  eintrug, 
waren  die  dänischen  literarischen  Zustände  doch    durchaus 

nicht   der    Art,    dass    man    in    den   letzten    Decennien    des 

I* 


Abhandlungen. 


JahrhuiKlcrts  Ciocthc  schätzen  und  seiner  Entw  ickclung  mir 
\'erständniss  und  Ircudc  tolijcn  konnte.  Ralibek,  so  einge- 
schränkt sein  Gesichtskreis  auch  war,  ist  als  entschiedener 
X'ertreter  der  Hniptindsamkeitsperiode  tast  der  l:inzige,  der 
in  dieser  Zeit  einen  vollen  Hindruck  von  Goetiie  hat.  Und 
selbst  er  war  persönlich  geilen  Goethe  wegen  dessen  angeb- 
lichen »Stolzesa  eingenommen,  und  war  noch  im  Jahre 
1803  nicht  weiter  gekommen,  als  bis  zum  »ersten  Goethe«, 
w  ie  er  ihn  nennt,  dem  Verfasser  von  W'erther,  Götz,  Stella 
und  Glavigo.  Was  Goethe  später  geschrieben  hatte,  war 
ihm  nicht  sympathisch,  obwohl  er  1801  eine  Uebersetzung 
von  Wilhelm  Meisters  Lehrjahren  herausgab. 

Die  älteren,  Iranzösisch  gebildeten,  massig  begabten 
Dichter,  Pram  und  ihaarup,  mochten  weder  Goethe  noch 
Schiller,  und  verabscheuten  überhaupt  die  ganze  neuere 
deutsche  Literatur.  Sie  schrieben  zwar  nie  eine  Zeile  gegen 
die  grossen  Deutschen,  aber  charakteristische  mündliche 
Aeusserungen  von  ihnen  sind  aut  bewahrt.  \'on  dem  auf- 
brausend heftigen  Sonderling  Pram  hat  Ochlenschläger  in 
seinen  Lebens-Hrinnerungen  eine  hübsche  Anekdote.  )'))Mit 
Pram  disputirte  ich  zuweilen,  bis  er  rasend  und  ich  hitzig 
wLU'de.  —  «Höre«,  sagte  er  einmal,  als  wir  von  Schiller 
sprachen,  «»wenn  ich  einem  deutschen  Lnterottizier  sage: 
Du  sollst  mir  so  ein  Stück  schreiben  wie  Wallenstein, 
imd  der  Schlingel  es  nicht  in  \ierundzwanzig  Stunden 
thut,  so  hat  er  siebenundzwanzig  Stockprügel  \erdient«. 
Nun  brach  ich  in  ein  Lachen  aus,  legte  die  Hand  auf  seine 
Schulter  und  sagte:  »Lieber  Pram,  und  wenn  man  Dich 
todt  .schlüge,  Du  könntest  nicht  eine  einzige  solche  Scene 
schreiben«.  —  »Das  ist,  meiner  Treu,  sehr  mögliche,  sagte 
er  nun  ganz  Ireundlich;  »ich  habe  auch  nicht  von  mir 
gesprochen««.  — 

Der  einzige  Dichter  der  alten  Schule,  welcher  w  irklich 
einen  Pteil  gegen  (joetlie  richtete,  war  der  geniale  Norweger 


Georg  Brandes  :  ißoETHE  und  Dänemark. 


Jdhan  Hcrman  W'cssc!  (1742 — 1785),  der  ein  jähr  vor 
seinem  Tode  eine  komische  Hrzähluiii;  »Stelhi«  veröHent- 
liclite,  welche  Goethe's  Schauspiel  gleichen  Namens  paro- 
din.  W'essel,  der  durch  sein  die  französische  Tragödie 
verspottendes  Meisterwerk  »Liebe  ohne  Strümpfe«  in  der 
nordischen  Literatur  einen  unsterblichen  Ruhm  gewonner 
hat,  war  schnell  von  seiner  poetischen  Höhe  gesunken 
und  hatte  in  den  Achtziger  Jahren  einen  grossen  Theil 
seines  Humors  eingebüsst.  Goethe's  »Stella«  konnte  zwar 
durch  die  überspannte  Empfindsamkeit  und  den  gewagten 
Schluss  die  Satire  eines  komischen  Genius  herausfordern, 
aber  \\'essels  Gedicht  ist  weniger  wit/ig  als  plump. 

Ein  fünfter  Dichter  der  altern  Generation,  Sander,  dem 
Oehlenschläger  seine  erste,  späte  Bekanntschaft  mit  Goethe 
verdankte,  sprach  von  dem  grossen  Dichter  mit  einem 
Schrecken  wie  von  »einem  Mann  mit  wilden,  stolzen  Leiden- 
schaften, der  sein  schönes  Genie  missbraucht  hatte«  und 
lieh  dem  Jüngling  einige  seiner  Werke  mit  einer  väterlichen 
\\'arnung  »als  seien  sie  Pulver  imd  Kugel  oder  giftige 
Arzneimittel«.  Damals  war  Oehlenschläger  schon  19  Jahr 
alt;  bisher  hatte  er  von  Goethe  immer  nur  wie  von  einem 
überspannten  Schwärmer  gehört,  der  junge  Männer,  ver- 
führte, sich  eine  Kugel  durch  den  Kopf  zu  jagen,  oder  wie 
von  einem  unsittlichen  Schriftsteller,  den  zu  lesen  sich  für 
junge  Leute  nicht  zieme. 

IL 

Wie  weit  die  intelligentesten  Kreise,  ja  selbst  die 
deutschen  und  deutschredenden  Familien  in  Dänemark, 
entfernt  waren,  Sinn  für  die  Grösse  Goethe's  zu  haben, 
zeigt  am  deutlichsten  der  Standpunkt  des  1764  geborenen 
Dichters  Jens  Baggesen,  der  in  diesen  Familien  stetig  ver- 
kehrte. Ende  1790  besuchte  dieser  zum  ersten  Male  Weimar, 
wohnte  bei  Wieland  und  sah  Goethe  nicht,  der  damals  in 


Abhandlungen. 


Schlesien  war;  aber  er  .schciiu  hier  nur  Missstininuiiig  und 
Unwillen  gegen  den  Abwesenden  eingesogen  zu  haben. 
Gewiss  niusste  die  selbstsichere  Kühe  Goethe's  dem  un- 
steten, hysterisch  empfindsamen,  im  französischen  Sinne 
geistreichen  Danen  fremd  und  unsympathisch  sein.  Aber 
seine  Briefe  an  Keinhold,  wie  seine  Tagebücher  zeigen, 
dass  ihm  ausserdem  von  Goethe's  »Freunden«,  wie  er 
naiv  es  ausdrückt,  sehr  \iel  Böses  über  den  Hoclimuth, 
die  Selbstsucht,  den  Geniestolz  Goethe's  eingeflüstert  worden 
sei.  [Baggesen  an  Reinhold,  Kopenhagen  den  19.  Dec.  1791. 
Briefwechsel  1.,  20.  In  Baggesens  Reisetagebuch  heisst  es  ein 
Paar  Jahre  später:  Ich  ziehe  den  vorstellenden  (Fichte'schen) 
Hgoismus  dem  darstellenden  (Goethe'schen)  \or.J 

r.rst  im  Anfang  des  Jahres  1795  kommt  Baggesen  dazu, 
(joethe  seinen  Besuch  zu  machen,  der  jedoch  wenig  be- 
friedigend ausgefallen  sein  muss;  sonst  würde  er,  der  Alles 
aufzeichnet,  eine  solche  Begebenheit  nicht  unbesprochen 
gelassen  haben.  leinen  günstigen  Eindruck  hat  er  nicht 
erhalten  und  um  den  ungünstigen  wiederzugeben,  hat  er, 
der  sich  sonst  so  völlig  in  der  klassischen  Denkweise  be- 
wegt, ein  romantisch  angehauchtes  Schmähwort  gebraucht ; 
im  folgenden  Jahre  nennt  er  in  einem  Briefe  an  Reinhold 
mit  einer  an  Novalis  erinnernden  Wendung  Goethe  »den 
erhabenen  Brauer  in  Weimar«.  Auch  ein  zweiter  Besuch 
bei  Cioethe  hat  in  Baggesens  Papieren  keine  Spur  hinter- 
lassen. Welche  Scheu  er  aber  dem  ihm  so  tremden  Wesen 
des  grossen  Mannes  gegenüber  fühlte,  zeigt  am  schärfsten 
eine  Aeusserung  in  einem  Briei  an  Jacobi  vom  25.  Sept.  1797  : 
»Lavatern  sah  ich  dies  Mal  nicht;  die  Zeit  war  zu  kurz  dazu  — 
und  eigentlich,  die  Wahrheit  zu  sagen,  fürchtete  ich  Goethe'n 
bei  ihm  anzutrefien,  der  eben  in  Zürich  angelangt  war«. 

Baggesen,  der  bei  all  seiner  Zerfahrenheit  ein  specula- 
tiver  Kopt  war  und  sich  sein  ganzes  Leben  hindurch  von  der 
Philosophie  ebenso   sehr    wie   von    der   Poesie    angezogen 


Georg  Brandes:  ^oethe  und  Dänemark. 


fühlte,  hatte  in  der  Kantischen  Philosophie  seine  geistige 
Erziehung  durchgemacht.  Sein  Enthusiasmus  tür  Kant  war 
so  gross,  dass  er  sogar  dessen  Vornamen  Immanuel  als 
zweiten  Vornamen  annahm,  und  er  sah  als  junger  Mann 
alle  geistigen  Erscheinungen  durch  Kantische  Brillen. 
Deswegen  vermochte  er  nicht  Goethe  zu  verstehen.  Mit 
Kants  Moralgesetz  gemessen  schien  ihm  Goethe  frivol,  und 
von  dem  Standpunkt  des  Rationalismus  angesehen  war  er 
irrationell.  Als  gegen  die  Jahrhundertwende  die  Periode 
der  Reaction  für  ihn  wie  für  so  viele  Andere  kam,  ver- 
mochte er  nicht  sich  zu  Schelling  zu  erheben,  dessen 
Naturphilosophie,  die  in  Dänemark  Goethe  den  Weg  bahnte, 
auf  seinen  rein  logischen  Geist  abschreckend  wirkte,  sondern 
nahm  zu  derGefühls-  und  Glaubensphilosophie  seine  Zuflucht, 
schloss  sich  erst  Reinhold ,  dann  Jacobi  innig  an.  Sein 
Unmuth  gegen  Goethe  machte  sich  im  Anfang  des  neuen 
Jahrhunderts  in  einem  Gedichte  Luft,  das  man  einfach  als 
höchst  thoricht  verurtheilen  kann,  das  aber  vöUig  im  Geiste 
des  vergangenen  Zeitalters  geschrieben  ist,  und  eben  des- 
wegen ein  Interesse  darbietet,  weil  es,  obwohl  auf  sehr 
mangelhafter  Kenntniss  Goethe's  beruhend,  das  Gepräge  der 
historischen  Unfähigkeit  eines  Verstehens  nicht  offener 
tragen  könnte.     Es  heisst  hierin : 

Muthwillig  ist  sein  Thun,  muthwillig  all  sein  Sinnen, 

Und  Ausgelassenheit  sein  End'  und  sein  Beginnen. 
Wenn  And're  den  Gedanken  hin  und  her 

Mühselig  suchen,  endhch  müde  finden, 

So  suchen  ihn  Gedanken,  kreuz  und  quer 
Und  finden  ihn   —   doch  nur  von  ungefähr ; 
(Denn  ernstliche  Besuche  hasst  er  sehr.) 

Und  stünds  bei  ihm,   er  hess  sich  niemals  finden. 
Er  hat  dem  Pöbel  manches  Buch  geschenkt, 
Worin  er  niemals  dacht',  und  jede  Zeile  —  denkt ! 


8  AiiiiANULUNGEM. 


Es  verwirrte  augenscheinlich  Baggesen  vollständig,  dass 
Goethe  sogar  den  Hnthusiasmus  als  Stoff  verwendete  und 
von  diesem  Stoff  zu  einem  schalkhaften  in  einem  und  dem- 
selben Werke  überging.  Und  Goethe  strebte  nicht;  man 
spürte  bei  ihm  keine  Gedankenarbeit;  er  schien  als  Künstler 
unbcwusst,  er  hatte  nicht  gedacht,  und  jede  Zeile  dachte. 
Hs  ist  sehr  eigenthümlich ,  dass  diese  \\'endung,  die 
ein  Jahrzehnt  später  fast  überall  als  das  höchste  Lob 
gegolten  hätte ,  hier  einen  bittern  \'orwurf  ausdrücken 
soll.  Hs  ist  auch  bemerkenswerth,  wie  verwandt  dieser 
AngriH'  dem  ist,  den  Baggesen  einige  Jahre  später  in 
seiner  berühmten  poetischen  Epistel  »Nureddin  an  Aladdin  a 
gegen  Oehlenschläger  richtet.  Ganz  im  Sinne  des  acht- 
zehnten lahrhunderts  waren  für  ihn  nicht  Werden  und 
Wachsen,  sondern  Denken  und  Thun  die  höchsten  geistigen 
Funktionen.  Man  begreift,  dass  Baggesen  bei  Goethe  die 
Regeln  »des  gebildeten  Geschmacks«  übertreten  fand ;  aber 
es  gehörte  nichts  desto  weniger  viel  Uebermuth  und  etwas 
Frivolität  dazu,  gegen  einen  solchen  Mann  die  platte  Be- 
schuldigung zu  richten,  dass  er  »dem  Pöbel«  manches  Buch 
geschrieben  hätte. 

Das  Gedicht  ist  in  der  dänischen  Literatur  iolgenschwer 
geworden,  denn  indem  es  die  Entrüstung  CX'hlenschlägers 
hervorrief  und  ihn  gegen  Baggesen  überhaupt  verstimmte, 
gab  es  dem  bis  dahin  guten,  ja  innigen  \'erständniss  der 
beiden  Dichter  den  ersten  Riss.  Baggesen  hatte,  als  er  mi 
Jahre  1800,  in  der  Absicht  nie  zurückzukehren,  Dänemark 
verliess,  Oehlenschläger  »seine  dänische  Leier«  vermacht; 
er  sah  in  dem  Jüngling  damals  mit  Recht  einen  begeisterten 
\'erehrer.  Aber  kurz  danach  war  der  Umschlag  in  der 
neuern  dänischen  Literatur  erfolgt.  Die  Schlacht  aut  der 
Rhede  1801  hatte  das  Xationalgefühl  geweckt,  und  die 
Ankunft  Steffens'  aus  Deutschland  als  Apostel  einer  neuen 
Zeit  hatte  auf  die   zeitgenössische   Jugend,   besonders   auf 


Georg  Brandes:  Qoethe  und  Danemark. 


fast  alle  angehenden  Dichter  und  Schrittsteller,  den  tiefsten 
Eindruck  gemacht.  Steffens  war  in  Wirklichkeit  der  Erste, 
der  die  Augen  der  Jüngern  Generation  für  die  Bedeutung 
und  die  Grösse  Goethe's  öffnete,  er  »der  schlimme  Atheist«, 
\vie  er  sich  bezeichnet,  »der  es  wagte,  die  Weisheit  jener 
Zeiten  apokr\ph  und  den  verschrieenen  Goethe  kanonisch 
zu  nennen«.  Ringsum  in  den  Briefen  und  Memoiren  des 
jetzt  ausgestorbenen  Geschlechts  findet  man  Zeugnisse  der 
umfassenden  Wirkung  seiner  ersten  Vorlesungen. 

Grundtvig,  der  berühmte  Dichter  und  nationale  Sekten- 
stifter, hat  in  seinem  »Kirchenspiegel«  den  Eindruck, 
den  jene  \'orlesungen  —  die  einzigen ,  die  er  je  zu 
hören  aushielt  —  auf  ihn  machten,  in  folgenden  Worten 
wiedergegeben:  »Ich  fand  es  zwar  ganz  unglaublich,  aber 
auch  ganz  merkwürdig,  was  er  in  seiner  verwegenen  Sprache 
unleugbar  nannte,  dass  Alles,  was  wir  in  Kopenhagen  lasen 
und  schrieben   und    bis    in    die    \\'olken  erhoben,  deutsche 

und  französische  Makulatur  sei und  dass,  wenn  man 

wissen  wolle,  was  Poesie  sei,  nur  Shakspeare  und  Goethe, 
die  ich  niemals  hatte  nennen  hören,  zu  lesen  seien,  wenn 
man  aber  einen  Begriff  von  Philosophie  haben  wolle,  so 
solle  man  nur  Steffens  hören  und  Schelling  lesen«. 

Welche  Umwälzung  Steftens  in  der  Seele  des  jungen 
Oehlenschläger  hervorrief,  wie  er  unter  dem  Eindruck 
ihres  ersten ,  Tag  und  Nacht  dauernden  Gespräches  sein 
epochemachendes  Gedicht  »Die  goldenen  Hörner«  schrieb 
und  alle  seine  früheren  Arbeiten ,  sogar  einen  halbwegs 
gedruckten  Band  Gedichte  verwarf,  das  ist  zu  oft  und  zu 
gut  erzählt,  um  mehr  als  einer  Andeutung  zu  bedürfen. 
Zwar  hatte  Oehlenschläger  schon  vier  Jahre  früher  Goethe 
liebengelernt;  er  hatte  sich  damals  in  »Götz  vonBerlichingen« 
mit  derselben  Schwärmerei  vertieft,  mit  welcher  er  in  der 
Kindheit  seine  Lieblingsbücher  gelesen  hatte :  »Ich  folgte 
Goethe's  Geist;,  wie  der  treue  Knabe  Georg  seinem  Herrn 


10  Abhandlungen. 


in  der  Schlacht.  Ich  kroch  in  den  grossen  Dicliterliarnisch, 
und  t)bi,deicli  ich  ihn  noch  nicht  ausfüllen  konnte,  tröstete 
ich  mich  mit  Götzens  Worten:  Die  künftigen  Zeiten  brauchen 
auch  Männer«.  Aber  jenes  Studium  war  noch  völlig  naiv; 
von  einem  Genuss  oder  N'erständniss  der  hohen  Kunst  bei 
Goethe  war  Oehlenschläger  noch  weit  entfernt.  Gesteht 
er  doch  selbst:  olch  merkte  gar  nicht,  dass  ich  las,  dass 
es  Poesie  war.  Hs  war  die  Begebenheit  selbst,  die  ich 
erlebte«.  Die  Gespräche  mit  Stehens  und  die  Vorlesungen 
desselben  über  Goethe"s  Werke  lehrten  Oehlenschläger  den 
grossen  Dichter  als  Künstler  und  Denker  verstehen. 

Als  dann  im  Jahre  1803  die  deutschen  Gedichte  Bag- 
gesens  erschienen ,  musste  das  an  Goethe  gerichtete  ihn 
nothwendigerweise  im  höchsten  Grade  empören.  Seit  er 
in  den  Geist  des  neuen  Jahrhunderts  eingeweiht  worden, 
war  seine  jugendliche  Begeisterung  für  das  feine  und 
geschmeidige  Talent  des  altern  Landsmannes  verdampft. 
Er  schrieb  einige  Satiren  gegen  ihn,  die  er  jedoch  nur 
Freunden  vorlas.  Er  hat  sie  in  seinen  »Lebens-Erinnerungen« 
in  leider  sehr  massiger  deutscher  Uebersetzung  mitgetheilt. 
Eine  Strophe  beginnt: 

W'asV  Er  singt   »für  den  Pöbel  V« 
Solch  wurmzerfressnes  Möbel 
Wagt  an  den   Helden  sich? 
Du    lens  für   Weih   und    Dirne, 
Tief  in  den  Staub  die  Stirne 
Vor  Goethe,  passt  für  Dich  '. 

Oehlenschläger  ist  geneigt,  die  ganze  spätere  Bag- 
gesen'sche  Opposition  gegen  die  poetische  Richtung,  die 
er  einschlug,  aus  dem  Zorn  über  diese  Satiren  herzuleiten. 


'  D.is  Wortspiel  der  letzten  Zeilen  war  unübersetzbar.  »Ein 
Jens  der  Mädchen«  ist  im  Danischen  eine  scherzhafte  Benennung  eines 
bei  den  Frauen  beliebten  Kurniachers. 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Dänemark.  ii 


Er  gellt  doch  vicUciclit  in  dieser  Ansicht  unhewusst  etwas  zu 
weit,  um  jener  Opposition  jede  innere  Berechtigung  abzu- 
sprechen; aber  ohne  Einfluss  auf  die  Stimmung  eines  so 
erregbaren  Mannes  wie  Baggesen  waren  sie  sicherUch  nicht. 
Oehlenschläger  bemerkt  bei  diesem  Anlass  ferner  :  »Mehrere 
Jahre  darauf  war  wieder  sein  Faust,  ein  grosses  Spottge- 
dicht gegen  Goethe,  die  erste  Ursache  seiner  Feindschaft 
gegen  mich,  weil  ich  ihm  meine  Indignation  darüber  bezeugte, 
auf  diese  Weise  einen  grossen  Mann  zu  verhöhnen.  Um 
Goethe's  willen  hatte  ich  also  diese  vieljährigen  Verfolgungen 
zu  erleiden.     Xie  habe   ich    aber  diesen  es  wissen  lassen«. 

Nach  wenigen  Jahren  trat  jedoch  eine  grosse  \'erände- 
rung  in  der  Stellung  Baggesens  zu  Goethe  ein.  Während 
er  im  Herbste  1806  sich  in  Kopenhagen  aut hielt,  wurde 
er  mit  dem  Oersted'schen  Hause  bekannt  und  vertraut. 
Der  grosse  Jurist  (spätere  Premierminister)  Anders  Sandöe 
Oersted,  Bruder  des  berühmten  Entdeckers  des  Elektro- 
magnetismus und  von  beiden  Brüdern  der  bedeutendere,  war 
mit  der  Schwester  Oehlenschlägers,  der  schönen  und  begabten 
Sophia,  verheirathet.  Die  junge  Frau  war  eine  der  damals 
nicht  sehr  zahlreichen  dänischen  Damen,  die  lebhatte  geistige 
Interessen  hegte,  sie  hatte  ein  unruhig  verlangendes  und 
strebendes  Naturell,  lebte  in  Musik  und  Poesie,  war  ge- 
schmackvoll, witzig  und  doch  zur  Schwermuth  neigend, 
in  ihrer  Ehe  mit  dem  kränklichen,  mit  Arbeit  überlasteten 
Forscher  nicht  besonders  glücklich  und  befriedigt.  Von 
fremden  Sprachen  verstand  und  sprach  sie  nur  Deutsch, 
zwar  ungrammatisch,  aber  mit  feiner  Empfindung  tür  alle 
eigenthümlichen  Wendungen  und  Idiotismen.  Sie  empfing 
als  Gast  in  ihrem  Hause  Fichte  (den  ihr  Gemahl  in  das 
dänische  Geistesleben  eingeführt  hatte),  als  der  seiner 
Professur  beraubte  Denker  Kopenhagen  besuchte.  Sie  las 
Tieck,  Novalis,  Fichte.     Goethe   war   ihr  Lieblingsdichter. 

Eine    heftise   Neigunir    fesselte    bald   Bair^esen   an   die 


12  Abhandlungen. 


24Jäliri«^c  Schwester  seines  damals  abwesenden  Xebenbuhlers, 
und  man  spürte  es  schnell ,  dass  sie  einen  bedeutenden 
Hintiuss  auf  ihn  ausübte.  Eines  Tages  wurde  er  in  ihrem 
Hause  krank  und  blieb,  selbst  nach  der  schnellen  Heilung, 
von  der  Zeit  ab  fast  während  seines  ganzen  Aufenthalts 
dort  w  ohnen.  Im  September  1806  schreibt  H.  C.  Oersted 
an  Oehlenschläger :  »Baggesen  ist  hier  ....  deine  Schwester 
arbeitet,  nicht  ganz  ohne  hjiolg,  ihn  /u  Goethe  zu  bekehren. 
Er  fühlt  schon,  dass  \'ieles  in  seinen  Urtheilen  über  den 
grossen  Dichter  persönlichen  \'erhältnissen  entsprang«. 

Das  den  Angriff  auf  Goethe  widerratende  Gedicht, 
das  1808  in  »Heideblumen«  gedruckt  wurde,  findet  sich 
in  einem  Schreibkalender  Baggesens  aus  dieser  Zeit  ent- 
worfen.    Es  lautet : 

Palinodie. 

Der  zarten  Unschuld  kühle  Morgenröthe, 
Das  schüchterne  Gefühl  der   ersten  Liebe, 
Die   ("hristusoffenbarung  meiner  Jugend, 
Die  zitternde  Bekämpfung  wilder  Triebe, 
Die  gar  zu  herbe,  noch  nicht  reife  Tugend : 

Was  früh  zur  Kunst  des  Dichters  Seele  wendet  — 
Entfernte  lang  mein  krankes  Herz   \  on  (".oethe. 

Der  freien  Weisheit  warme  Mittagssonne, 
Das  Gleichgewicht,  errungen  durch   Erfahrung. 
Des  Mannes  gröss"re  (]ottesoffenbarung. 
Der  vollempfundnen  Liebe  ganze  \\onne: 

Was  zu  Natur  der   Dichtung  Kunst  vollendet   — 
Zog  den   nicht  länger  unberufnen   Richter 
Zurück   zum  grössten  aller  deutschen   Dichter. 

In  dem  Tagebuch  Baggesens  vom  Sommer  1807  '-■i'l-^l'ii't 
er:  »Dass  Lilia  (d.  h.  Sophia  Oersted),  diese  reine,  poetisch 
begabte  Seele,  schon  als  junges  Mädchen  den  Deutschen 
Goethe    und    den    Dänen   Baggesen    allen    ihr    bekannten 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Dänemark. 


Dichtern  vorzog,  bewirkte,  dass  ich  (i8ü6 — 1807)  Goethe 
zu  lesen  anfing,  wahrend  ich  trüiier  in  seinen  Schritten 
nur  geblättert  hatte.  Seine  Iphigenia  rinde  ich  unleugbar 
so  beschaffen,  dass  ich  jetzt  das  zu  erreichen  wünsche,  dem 
zu  entfliehen   h'iiher  niein   Wunsch   war«. 

Hr  ring  an  sich  seines  alten  kindlichen  Verhältnisses 
zu  W'ieland  ein  wenig  zu  schämen  und  die  Spuren  seiner 
X'erehrung  tür  denselben  in  seinen  Werken  zu  tilgen.  In 
dem  Gedichte  '>Der  Ursprung  der  Poesie«  (Poesiens 
Oprindelse)  wurde  1785  (in  der  ersten  Fassung)  \'oltaire 
mit  Shakspeare  und  Klopstock  zusammen  genannt  als  die, 
welche  von  dem  echten  Dichtermeth  tranken;  von  1791 
ab  war  an  die  Stelle  \'oltaires  Wieland  getreten ;  von 
1806  ab  wird  Wielands  Xame  von  dem  Namen  Goethe's 
verdrängt. 

In  der  grossen  neuen  \'orrede  zum  »Labvrinth«  vom 
Mai  1807  spricht  Baggesen  von  seinem  Auttreten  in  dem 
Wendepunkt,  als  das  19.  Jahrhundert  sich  von  dem  18. 
losriss,  und  erzählt,  wie  der  Umstand,  dass  er  in  den 
Kreis  Wielands  anstatt  in  den  Goethe's  hineingezogen  wurde, 
lür  seine  Entwickelung  verhängnissvoll  war.  »Wenn  ich 
damals  die  persönliche  Bekanntschaft  dieses  Genius  der 
Genien  gemacht  hätte  und  dadurch  früher  mit  seinen  Meister- 
werken bekannt  und  in  die  Mysterien  seiner  eigenthüm- 
lichen  Kunst  eingeweiht  worden  wäre,  gewiss  wäre  dann 
meine  Huldigung,  wenigstens  tür  lange  Zeit,  ausschliessend 
geworden«.  Baggesen  beklagt  jedoch  das  Geschehene  oder 
Unterlassene  nicht,  denn  das  Studium  Goethe's  würde, 
meint  er,  seiner  Selbständigkeit  schädlich  geworden  sein, 
Wieland  könnte  ihm  dagegen  nicht  schaden  :  »Klopstock, 
Voss  und  sogar  Schiller  haben  meine  Poesie  mehr  als 
Wieland  beeinflusst«.  Der  Satz  ist  vermuthlich  mit  sub- 
jectiver  Wahrheit  geschrieben.  Der  Odenstil  Baggesens 
verräth    die  Einwirkung   von   Klopstock,    seine  Hexameter 


14  Abhandlukgen. 


nur  XU  sehr  diejenige  Non  X'oss ,  aber  als  gcistii^c  Per- 
sönlichkeit war  er  mit  W'ieland  \iel  näher  als  mit  irgend 
einem  anderen  deutschen  Dichter  verwandt.  Sonderbar, 
dass  der  /u  Goethe  bekehrte  Xeophvt,  der  ein  so  feines 
Ohr  tür  N'erse  besass,  noch  immer  fortfuhr,  \'oss  rein 
metrisch  über  den  so  lanii;e  verkannten  Meister  zu  stellen, 
den  ei'  doch  selbst  »in  eigentlich  poetischer  Kraft«  den 
Ersten  aller  Neueren  nennt.  \'oss  nennt  er  daselbst  den 
Ersten  »in  eigentlicher  W-rskunst«.  Doch  nachdem  dies 
geringe  Opler  den  alten  Göttern  gebracht  war,  gab  er  sich 
rücksichtslos  dem  neuen  Cultus  hin.  Er  drehte  den  Spiess 
des  Unwillens,  den  er,  der  klassisch  Gläubige,  gegen 
Goethe  gerichtet  hatte,  gegen  die  in  vollem  Uebermuth 
autblühende  romantische  Schule  und  war  entzückt,  bei  dem 
jetzt  weniger  als  je  romantischen  Altmeister  eine  grosse, 
wenn  auch  beherrschte  Ungeduld  über  das  Treiben  der 
Jüngeren  zu  spüren. 

Es  war  eben  der  Zeitpunkt,  wo  die  Xaturphilosophen 
und  Romantiker  ihrer  Unzufriedenheit  mit  Goethe  öffent- 
lichen und  noch  mehr  privaten  Ausdruck  gaben.  Seit  sein 
Aulsatz  »Winckelmann«  erschienen  war,  konnten  sie  ja  in 
ihm  nicht  mehr  einen  Beschützer  und  Patriarchen  sehen. 
Üehlenschlägers  Briefe  an  H.  C.  Oersted  vom  Jahre  1807 
geben  von  dieser  gegenseitigen  Missstimmung  reichliches 
Zeugniss.  Er  beklagt  sich  bitterlich  über  seinen  alten  Freund 
Steffens:  »Selbst  Goethe  war  ihm  zuletzt  nichts  Rechtes 
mehr«,  sagt  er,  und  die  Aeusserungen  der  Schlegel  haben 
ihn  ganz  besonders  empört : 

»»Als  ich  mit  1-riedrich  über  Goethe's  Krankheit  sprach, 
sagte  er  kaltgrinsend:  »Der  alte  Kerl  hat  faule  Nieren  und 
wird's  nicht  lange  mehr  machen«.  August  Wilhelm  sagte 
mir,  trotzdem  er  wusste,  dass  ich  von  Goethe  kam  und 
bei  ihm  beliebt  war:  »Goethe  soll  sich  sehr  niederträchtig 
geäussert  haben  in  der  Eiteraturzeitung  etc.«    Ich   hatte  alle 


Georg  Brandes:  G6ethe  und  Dänemark.  15 


Fassung  nöthig,  um  ihm  nicht  eine  Maulschelle  zu  geben,  dass 
der  kleine  Schwächling  unter  den  Tisch  gerollt  wäre«« 

.Ueber  die  Stimmung  Goethe's  spricht  Oehlenschläger 
sich  in  folgenden  Worten  aus:  .»In  Berlin  war  ich  allein 
und  frei,  die  lange,  drückende  Belästigung  von  Steftens 
Persönlichkeit  hatte  etwas  Bitteres  hinterlassen,  böses  Blut 
gesetzt.  Nun  kam  ich  nach  der  Sehnsucht  eines  halben 
Lebens  zu  meinem  Lehrer  und  Meister  Goethe!  Und  da 
sah  ich  die  stumme  Entrüstung  des  alten  Löwen  über 
die  neuere  Frechheit  und  den  muthwilligen  Ungestüm.  Er 
sprach  wenig  davon,  aber  ich  las  in  seinem  Herzen  und 
zog  aus  seinem  besonnenen  Urtheil  meinen  Schluss  .... 
Ich    hatte    nicht  viele  Autoritäten,  aber  Goethe  war   eine«. 

In  demselben  jähre  (1807)  schreibt  Baggesen  in  einem 
Brief  nach  Kopenhagen :  »Sage  Sophia,  dass  der  Friede 
zwischen  ihrem  Goethe  und  ihrem  Baggesen  geschlossen 
ist,  und  was  Sie  gewiss  erfreuen  wird,  dass,  wenn  ich  der 
Erste  war,  der  ihm  öffentlich  die  Hand  reichte,  so  war  er 
der  Erste,  der  mir  privat  die  seinige  gab,  indem  er  mich 
herzhch  grüssen  und  mir  für  »Parthenais«,  die  er  in  Karls- 
bad gelesen  hatte,  danken  liess.  Wir  sind  über  den  Werth 
und  Unwerth  der  neuen  Schule  völlig  einverstanden«. ' 

Zu  einer  unbedingten  Verurtheilung  der  Romantiker 
ist  Baggesen  in  diesem  Augenblick  durchaus  nicht  geneigt. 
Sein  aus  demselben  Jahre  herrührendes  dänisches  Gedicht 
»Mein  Gespenst  und  ich  selbst«  (Min  Gjenganger  og  jeg  selv) 
beweist,  dass  die  aufrichtige,  wenn  auch  nicht  tiefgehende 
Wandlung,  die  in  ihm  vorgegangen  war,  seine  Augen  für 
die  poetisch-geniale  Seite  der  Kindlichkeit  bei  Tieck  und 
der  Ausgelassenheit  bei  Schlegel  geöffnet  hatte;  ja  er  war 


'  Ueber  die  Oersteds  sehe  man  O.  Borchsenius:  Litteräre  Feuille- 
toner 1880.  Die  Beziehungen  Baggesens  zu  Sophia  Oersted  sind  zum 
ersten  Mal  in  dem  reichhaltigen,  achtbändigen  Werk  Kr.  Arentzens: 
«Baggesen  og  Oehlenscliläger«  dargestellt  worden. 


l6  Abhandlungen. 


vielleicht  während  dieser  L'ebergangsepoche  gerechter  als 
C)ehlenschläger  gegen  die  Romantiker  gestimmt;  was  er 
aber  bei  ihnen  Anzuerkennendes  fand,  dafür  hatte  ihm 
die  eingeimpfte  Bewunderung  für  Goethe  das  \'erständniss 
gegeben. 

Seine  deutsche  Gedichtsammlung  »Die  Heideblumen« 
entliält  nicht  nur  Nachklänge  an  Goethe,  sondern  auch 
directe  Huldigungen.  Goethe  wird  »der  Dichtung  strah- 
lender Gottmensch«  genannt,  und  in  dem  Stammbuch  des 
jungen  Goethe,  den  Baggesen  in  Heidelberg  bei  Voss  trat, 
schilderte  er  den  \'ater  des  ihm  schnell  lieb  gewordenen 
Jünglings  als  zwischen  Homer  und  Shakspeare  emporragend. 

Die  Begeisterung  für  einen  auf  so  ganz  \  erschiedenem 
geistigen  Boden  stehenden  Dichter  war  jedoch  bei  Baggesen 
nur  anempfunden  und  konnte  bei  seinem  widerspruchsvollen 
Gharakter  sich  nicht  lange  auf  diesem  Höhepunkt  halten. 
Nach  und  nach ,  wie  sein  Verhältniss  zu  den  deutschen 
Romantikern  und  zu  Üehlenschläger  sich  immer  kritischer 
und  polemischer  gestaltete,  wie  Oehlenschläger  ohne  geistig 
vorwärts  zu  schreiten  ihn  in  der  öflentlichen  Meinung 
immer  mehr  überstrahlte  und  vollends  nachdem  er  im 
November  1811  bei  seiner  Rückkehr  vom  Ausland  durch 
den  kalten,  fremden  limpfang  Sophia  Oersteds,  die  in  der 
Zwischenzeit  einen  andern  und  Jüngern  Freund  in  dem 
Philosophen  Sibbern  gekmden  hatte,  das  Band,  das  ihn 
ursprünglich  mit  Goethe  und  Oehlenschläger  verknüpft 
hatte,  zerrissen  fühlte,  —  wairde  sein  Ton  gegen  den  grossen 
deutschen  Meister  kühler  und  pietätloser. 

Schon  in  seinem  »Taschenbuch  für  Liebende«  i8iü, 
noch  mehr  in  dänischen  Prosaschriften  und  Poesien  von 
1814  und  1817  behandelt  er  Goethe  als  weitschweifigen, 
halbironischen  oder  altersnuiden   Romantiker. 

Erst  1836  erschien  als  »Dritter  Theil  der  Poetischen 
Werke  Baggesens  in    deutscher  Sprache«  sein   schon   1804 


Georg  Brandes:  Qoethe  und  Danemark.  17 


geschriebenes  grosses  aristoplninisches  Drama  »Der  \ollendete 
laust  oder  Ronianieii  in  Jaiier«,  ein  Werk,  das  nach  den 
Aeusserun<;en  C)ehlenschlagers  in  seiner  urspriuii^lichen 
Gestalt  eine  hauptsachlich  gegen  Goethe  gerichtete  Satire 
gewesen  sein  nuiss,  das  aber,  1806  geändert  und  1809 
reingeschrieben,  nur  geringe  Spuren  der  einstigen  Grund- 
tendenz trägt.  Goethe,  der  mit  dem  Namen  Opitz  bezeichnet 
ist,  wird  als  über  der  Satire  stehend  dargestellt. 

Hin  gewisses  geistiges  Armuths-Zeugniss  hat  Haggesen 
sich  selbst  dadurch  gegeben,  dass  diese  dramatische  Parodie, 
in  welcher  vor  Allen  Tieck  gehänselt  wird,  seiner  ganzen 
Form  oder  Unform  nach  —  das  Theater  im  Theater  u.  s.  w. 
—    genau    an    die    Tieck'schen    polemisch -phantastischen 
Lustspiele  erinnert.    Die  Neueren  werden  (nicht  eben  tief) 
als    Barbaren    aufgetasst ,   welche    die  griechisch-römische 
Kultur  tilgen  und  alle  »Schulen«  abschaffen  wollen.    Schel- 
ling    und    Konsorten    werden    (nicht   eben   geistreich)    dar- 
gestellt,   wie    sie    mit    grossen    Prügeln    die    Büsten     »der 
unromantischen    Philister«    Homers    und  Virgils    herunter- 
schlagen.  In  einem  Ghor-Gesang  wird  ausdrücklich  Goethe 
von   all   dem  Unheil,  das   seine    Epigonen    anrichten,  frei- 
gesprochen, aber  da  die  Frucht  nie  weit  vom  Stamme  fällt, 
scheint  Goethe  irgendwie  doch  für  die  Verirrungen  seiner 
Schüler  eine  Verantwortung  tragen  zu  müssen.  Der  Sohn  Bag- 
gesens  bemerkt  in  seiner  \'orrede,  dass  der  Vater  zwar  Goethe 
für    den    grössten    Dichter    Deutschlands    anerkannt    habe 
»aber«,    heisst    es,    »er  war   überhaupt   jeder  Vergötterung 
feind,  und  hasste    in   der  Literatur   die  Schulen«.     Mag    es 
mit  dem  letzten  Satz  sein  wie  es  will,  der   erstere  spricht 
geradezu   eine   Unwahrheit    aus.     Wie?   Baggesen,    der    in 
seinem    Leben    nie    zu    vergöttern    müde    wurde,    sei    der 
Vergötterung    feind    gewesen,    habe    aus    solcher    Ursache 
Goethe    nur    flüchtig,    in    einem    kurzen    Zeitraum    seines 
literarischen  Lebens  gewürdigt !   Nein,  die  Ursachen   lagen 

Goetiie-Jahrsccu  II.  , 


i8  Abhandlungen. 


viel  tiefer.  Der  /ersplittertc,  unruhige,  enthusiastische, 
hyperkritische  Baggesen  i<onnte  Goethe  nicht  rückhaltslos 
erkennen  ohi>e  gleichzeitig  sein  eigenes  poetisches  Wesen 
zu  verurtheilen,  oder  wenigstens  als  eine  untergeordnete 
Entw  ickelungsstufe  anzusehen.  Das  that  er  eben  in  jenem 
Augenblick,  da  er  durch  schwärmerische  Liebe  inspirirt 
sich  der  Bewunderung  Goethe's  hingab;  denn  eben  zu  jener 
Zeit  brach  er  in  seinem  Werke  »Mein  Gespenst  und  ich 
selbst«  mit  seiner  ganzen  dichterischen  \'ergangenheit. 
Sobald  aber  der  Traum ,  sein  Naturell  von  Grund  aus 
mit  einem  Schlage  ändern  zu  können,  verflogen  war,  musste 
er  nothwendigerweise  zu  der  alten,  nur  gemilderten,  Anti- 
pathie zurückkehren. 

III. 

Die  Stellung  Oehlenschlägers  zu  Baggesen,  insofern 
sie  von  dem  Verhältniss  des  letzteren  zu  Goethe  bedingt 
wurde,  ist  in  »Hroars  Saga«  1817  dichterisch  umschrieben. 
»Ich  habe  immer  deine  Geistesgaben  hoch  geschätzt«,  sagt 
hier  der  Skalde  Hrane  zu  seinem  Nebenbuhler  Ragnvald, 
»aber  es  war  deine  feindliche,  allzu  bittere  Gesinnung  gegen 
Andere,  die  mich  zuerst  gegen  dich  reizte.  Erinnerst  du 
dich,  wie  heftig  du  den  herrlichen  alten  angelsächsischen 
Skalden  Hofting  angriffst?  Ich  fand  es  eines  echten  Sohns 
Bragi's  unwürdig,  Schandgedichte  auf  einen  grossen  Mann 
zu  singen,  und  es  war  mein  Missvergnügen  und  meine 
unverholene  Entrüstung  darüber,  die  dich  veranlassten,  auch 
über  mich  deine  Bitterkeit  zu  ergiessen«. 

Es  ist  aus  Oehlenschlägers  Lebens-Erinnerungen  bekannt, 
wie  väterlich  er  während  seines  ersten  Autenthalts  in  Wei- 
mar von  Goethe  aufgenommen  wurde,  wie  es  den  Meister 
amüsirte  »die  deutsche  Sprache  in  einem  poetischen  Geiste 
entstehen  zu  sehen«.  Man  erinnert  sich  vielleicht  auch, 
wie   Hakon   Jarl    bei    der   ersten    Vorlesung  Goethe   nicht 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Danemark.  19 


gefallen  wollte,  wie  sehr  dies  Oehlenschläger  /u  Herzen 
ging  und  wie  wahrend  der  traurigen  Wanderung  im  herzog- 
lichen Lustgarten  die  schönen  Goethe'schen  Verse,  die  in 
der  Felswand  eingegraben  stehen,  »Die  ihr  Felsen  und 
Bäume  bewohnt,  o  heilsame  Nymphen  !  u.  s.  w.«  dem  Ver- 
zweifelnden wieder  Muth  einflössten.  \'on  Weimar  zog 
Oehlenschläger  fast  direct  nach  Dresden,  wo  Ludwig  Tieck, 
dessen  Gegenwart  in  der  Stadt  er  nicht  ahnte,  ilm  zuerst 
aufsuchte  und  durch  den  herzlichen  Beiiall,  den  er  seinen 
Werken  Aladdin ,  Hakon,  dem  Lvangelium  des  Jahres 
spendete,  den  für  Lob  und  Tadel  so  empfänglichen  Dichter 
beglückte.  In  Dresden  sah  (~)ehlenschläger  zum  ersten 
Male  Gemälde  von  Correggio. 

Ich  gruppire  diese  Thatsachen,  weil  es  mir  unzweifel- 
haft vorkommt,  dass  man  hier  die  Haupt-Ergebnisse  zu- 
sammen hat,  aus  welchen  das  bekannte  (ausnahmsweise 
zuerst  in  deutscher  Sprache  verfasste)  Drama  Oehlen- 
schlägers  »Correggio«  hervorging.  Oehlenschläger  ist  natürlich 
selbst  das  Modell  des  naiven,  begeisterten  Coloristen,  gegen 
dessen  Zeichnung  sich  Einwendungen  machen  lassen,  der 
aber  durch  den  Schmelz  seiner  Farben  die  Mängel  der 
Formgebung  deckt.  In  dem  grossen,  strengen,  von  Allen 
verehrten ,  fast  unfehlbaren  Buonarotti ,  der  druch  sein 
erstes  hartes  Urtheil  dem  armen  Correggio  alles  \'ertrauen 
an  seine  Begabung  raubt,  ihn  aber  dann  um  so  rücksichts- 
loser schätzt  und  durch  sein  Lob  in  den  Himmel  des  Glücks 
erhebt,  erkennen  wir  unschwer  Goethe  wieder,  der  schon 
bei  diesem  ersten  Besuche  Oehlenschlägers  nach  dessen 
eignen  Worten  »allzu  oft  an  einem  gewissen  hochmüthigen, 
zurückhaltenden  Wesen  Gefallen  fand«.  Tieck  endlich,  der 
feingebildete,  kunstsinnige  Schüler  der  Grossen,  der  Oehlen- 
schläger so  brüderlich  entgegengekommen  war,  ist  augen- 
scheinlich das  \'orbild  des  julio  Romano,  den  der  Dichter 
mit  seinem  Mangel  an  Blick  tür  die  feinere  Figenthümlich- 


20  Abhandlungen. 


kcit  der  Künstler  /um  Vertreter  der  luiiiianen  Bildung 
gemacht  hat.  Zwei  Goethe'.sche  Gedichte,  Künstlers  Krde- 
wallen  und  Künstlers  Apotheose,  die  (^ehlenschläger  beide 
übersetzt  hatte,  enthielten  ausserdem  im  Grundriss  die 
Idee  des  Dramas. 

^)Correggio« ,  das  in  Dänemark  immer  tür  eins  der 
schwächeren  Oehlenschläger'schen  Werke  gegolten  hat, 
begründete  bekanntlich  durch  seine  Lebereinstimmung  mit 
dem  damals  herrschenden  deutschen  Geschmack  den  Rut 
des  Dichters  in  Deutschland  und  wird  noch  heutzutage, 
.vohl  allein  unter  allen  seinen  Dramen,  aul  deutschen  Bühnen 
gespielt,  ja,  diese  tragische  Idylle  wurde  sogar  das  Vorbild 
eines  ganzen  europäischen  Genre,  der  Künstler-Dramen. 

Wenn  meine  Vermuthung  richtig  ist,  dass  Goethe  und 
Tieck  unbewusst  tür  Michel  Angelo  und  Julio  Romano 
Modell  gesessen  haben,  lässt  es  sich  nicht  läugnen,  dass 
derliinfluss,den  »Gorreggio«  auf  die  Stellung  Oehlenschlägers 
zLi  den  zwei  deutschen  Dichtern  ausübte,  ein  im  eminenten 
Sinne  tragikomischer  war.  Tieck  schrieb  gegen  das  doch 
in  vielen  Hinsichten  schöne  und  werthvolle  Stück  eine 
leidenschattlich  bissige  Kritik  und  (joethe  wollte  den 
armen  Poeten,  der  einen  Umweg  von  20  Meilen  gemacht 
hatte,  um  dem  so  treu  verehrten  Meister  die  Frucht  seines 
italienischen  Aufenthalts  zu  zeigen,  nicht  einmal  erlauben, 
ihm  sein  Drama  vorzulesen.  Die  Stimmung  Goethe's 
gegen  Oehlenschläger  war  eine  kältere  geworden;  der 
ungestüme  und  nicht  immer  taktvolle  jünger  wollte  sich 
gern  das  alte  herzliche  \'erhältniss  wieder  ertrotzen.  Man 
weiss,  dass  der  \'ersuch  misslang  und  dass  Oehlenschläger 
traurig  nach  Hause  reisen  musste,  »nachdem  er«,  wie  die 
letzten  Worte  des  zweiten  Bandes  seiner  Lebensbeschreibung 
lauten,  odie  (iunst  des  grossen  Goethe  verloren  hatte«. 

Hr  hätte  es  verdient,    diese  Gunst,   die  ihm  so  theuer 
war,    zu   behalten,   er_,   der   später  noch  den  Satz  schrieb: 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Dänemark.  21 


»Keinen  Mann  in  der  Welt  habe  ich  mehr  als  (ioethe 
geachtet  und  geliebt«.  Unmittelbar  und  direkt  verdankt 
er  ihm  als  Dichter  nicht  viel.  Fast  nur  in  seinem  hen- 
lichen  jugendwerk  »St.  Johannes  Abend-Spiel«  spürt  man 
den  Hinfluss  von  einem  bestimmten  Goethe'schen  \'orbilde, 
dem  »fahrmarktsfest  zu  Plundersweilen«  ;  und  selbst  hier 
steht  das  dänische  Werk,  das  eine  jährlich  wiederkehrende 
\'olksfeier  im  Walde  nördlich  von  Kopenhagen  verherr- 
licht, das  geistiges  Eigen thum  der  gan/en  Nation  geworden 
ist  und  dessen  Repliken  als  Sprichwörter  auf  den  Lippen 
des  \'olks  leben,  völlig  selbständig  dem  deutschen  gegen- 
über, das  es  an  Bedeutung  übertrifft. 

Was  Oehlenschläger  aber  im  Allgemeinen  und  Ganzen 
Goethe  verdankt,  ist  gewiss  sehr  viel ;  es  lässt  sich  jedoch 
natürlicherweise  nicht  mit  Bestimmtheit  nachweisen.  Der 
»Cjötz«  hat  ohne  Zweifel  stark  dazu  mitgewirkt,  dass 
er  schon  jung  zu  der  nationalen  \'orzeit  seines  A'olkes 
zurückgrifl';  seine  Begeisterung  für  die  mittelalterlichen 
Denkmäler  Dänemarks,  für  den  Roeskilder  Dom  z.  B.,  hat 
sich  vielleicht  an  dem  Enthusiasmus  Goethe's  für  den 
Strassburger  Münster  entzündet;  Goethe's  Beispiel  hat  ihm 
endlich  Muth  eingeflösst  seiner  Neigung  zu  folgen ,  alte 
Rhythmen  der  \'olkslieder,  alte,  volksthümliche  und  den 
Dialekten  angehörende  Worte  in  die  poetische  Sprache 
aufzunehmen.  Im  Uebrigen  haben  weder  die  Vorzüge  noch 
die  Fehler  der  Oehlenschläger'schen  Poesie  mit  Goethe 
etwas  gemein.  Er  war  in  seiner  Frische  und  seinem  Pathos 
wie  in  seiner  Schlaffheit  völlig  national. 

Goethe  hat  ihm  nicht  Recht  gethan,  wenn  er  ihn  in 
den  bekannten  Briefen  an  Zelter  mit  Werner,  Arnim, 
Brentano  und  mehreren  zusammenwirft  als  einen ,  dessen 
Arbeiten  und  Treiben  »durchaus  ins  Form-  und  Charakter- 
lose geht«.  Nicht  dass  das  Urtheil  einfach  zu  hart  sei, 
aber  es  ist  ßranz  und  ü:ar  nicht  treffend.      Kaum  treffender 


22  Abhandlungen. 


ist  CS,  wenn  (iocthc  schreibt:  »Dieser  gute  Ociilcnschlägcr 
ist  aiieh  einer  von  den  Halben ,  die  sich  tür  i;an/  halten 
und  tür  etwas  darüber.  Diese  Nordsöhne  gehen  nach 
Italien  und  bringens  doch  nicht  weiter,  als  ihren  Bären  auf 
die  1  lintertüsse  zu  stellen  ;  und  wenn  er  einigerniassen  tanzen 
lernt,  dann  meinen  sie,  es  wäre  das  recht«.  Denn  Bärcn- 
ai'figes  gab  es  bei  (^ehlenschläger  überhaupt  nicht,  und  die 
Wildheit  w  ar  bei  ihm  nur  zu  gelehrig,  den  Tanz  der  W'ühl- 
erzogenheit  zu  lernen.  Man  fühlt,  dass  Goethe,  durch  das 
wenig  gewinnende  Wesen  Oehlenschlägers  zurück gestossen, 
sich  nie  die  Mühe  gegeben  hat,  ihn  zu  lesen.  Er  lobte, 
von  seiner  breundin  Amalia  von  Hellwig  veranlasst,  Tegners 
brithiotssage,  sogar  unter  der  Ueberschritt  »Volkspoesief 
(was  diese  Production  am  wenigsten  ist);  das  originelle 
und  so  viel  kräftigere  Vorbild  derselben,  Oehlenschlägers 
»Helge«,  nannte  er  dabei  nicht  und  hat  er  augenscheinlich 
nicht  gekannt. 

Wie  im  Allgemeinen  die  Romantiker,  vor  allen  Tieck, 
einen  viel  grösseren  direkten  lünlluss  auf  die  dänische 
Literatur  ausübten  als  Goethe,  so  steht  auch  Oehlenschläger 
mit  seiner  unbedingten  Verehrung  desselben  unter  den 
zeitgenössischen  Dichtern  und  Schriftstellern  allein.  Fast 
alle  übrigen  Urtheile  über  Goethe,  die  in  dänischen  Briefen 
oder  Memoiren  aus  der  damaligen  Zeit  vorkommen,  sind 
von  theologischer  und  ästhetischer  Befangenheit  diktirt. 
Diese  Aeusserungen  sind  aber  insofern  nicht  uninteressant, 
weil  jede  ]:poche,  jedes  Land  und  jeder  einzelne  Mensch 
durch  das  Urtheil,  das  von  ihnen  über  Goethe  gefällt  w^ird, 
sich  aufs  Bezeichnendste  charakterisiren.  Berthold  Auer- 
bach hat  das  glückliche  Wort  »goethereif«  gebildet.  »Goethe- 
reif« war  man  in  Dänemark  in  den  ersten  Decemiien  dieses 
Lihrhunderts  nur  ausnahmsweise. 


Georg  Brandes:  Cjoethe  und  Dänemark.  23 


Bredahl ,  der  grobe  und  wilde  Dramatiker  des  Hnt- 
rüstungspessimisinus,  schätzte  Üehlenschläger  weit  höher 
als  Goethe;  der  kleine  romantische  Poet  N.  Sötoft  findet 
noch  1820  Goethe  frivol  und  marniorkalt;  der  kindlich 
religiöse,  pietistisch  angehauchte  Ingemann,  der  bekannte 
Dichter  hi'ibscher  Lieder  und  quasi-historischer  Volksromane, 
der  in  seiner  Jugend  eine  erbärmliche,  die  platonische  Liebe 
verherrlichende  Nachahmung  Werthers  verfasst  hatte, 
schreibt  in  seinem  »Rückblick  auf  mein  Leben«  von  Goethe  : 
»Seine  Persönlichkeit  —  insofern  dieselbe  sich  in  seinen 
Schriften  offenbart  —  habe  ich  nie  geliebt,  und  mit  der 
vollsten  Hrkenntniss  seines  Genies  habe  ich  immer  eine 
Art  von  Hass  zu  der  Lebensansicht  genährt,  die  ich  in  seinen 
Werken  fand«. 

Zu  derselben  Gruppe  ästhetisch  befangener  Beurtheiler 
Goethe's  kann  der  allerdings  ganz  anders  durchgebildete 
und  freisinnige  Bischot  Jens  Paludan-Müller,  der  Vater  des 
berühmten  Dichters,  nicht  ganz  gerechnet  werden.  In 
seinen  Brieten  an  Sibbern  verehrt  er  im  höchsten  Grade 
Goethe  als  Künstler  und  »plastischen  Darsteller  des  Men- 
schen als  veredeltes  Naturproduct«,  aber  er  hegt  nichts  desto 
weniger  ein  sympathisches  Interesse  für  Pustkuchens  be- 
kanntes Werk,  die  falschen  »Wanderjahre«,  und  möchte 
es  in  den  Händen  aller  bhnden  Bewunderer  Goethe's  sehen. 

Der  Standpunkt  dieses  Geistlichen  Goethe  gegenüber, 
die  tast  unbedingte  Anerkennung  seiner  Künstlergrösse, 
die  in  nicht  bewusstem  Widerspruch  mit  der,  eigentlich 
auch  nur  formellen,  Ablehnung  seiner  ganzen  Welt-  und 
Lebensanschauung  steht,  wurde  in  den  dreissiger  Jahren 
der  herrschende  bei  der  gebildeten  dänischen  Klerisei,  die 
von  dem  eifrigen  Goethe-Bewunderer  Bischof  Mynster  ihr 
Gepräge   erhielt. 

Es  war  das  Gleichgewicht,  die  umfassende  Weltklugheit, 
das  Beschauliche,  über  den  Parteien  Stehende,  die  erkämpfte 


24  Abhandlungen. 


Lcidcnschattsl()sii;kcit,  der  erhabene  Egoismus,  die  /Li  dem 
Geiste  Goetlies  xMäiiner  wie  M\nster  und  Seinesgleichen 
hin/.oi,'en.  Die  Tiete  und  Wahrheit  seiner  in  Leid  und 
Forschen  »^lewonneiien  Lebensweisheit  vermochten  sie  nicht 
zu  ergründen. 

Interessanter,  wenn  auch  viel  toller  und  barocker  als 
die  Aousserungen  dieser  der  Hochkirche  angehörenden  Geist- 
lichen über  Goethe,  sind  diejenigen  des  genialen  Sonder- 
lings N.  I-.  S.  Grundtvig  (geb.  1783),  des  Stifters  der 
einzigen  aus  Lu-sprünglich  danischen  Ansichten  hervor- 
gegangenen kirchlichen  Gemeinde.  Ich  habe  schon  erzählt, 
dass  er  zuerst  von  Steffens  1802  Goethe's  Namen  hörte;  zehn 
Jahre  später  spricht  er  sich  zum  ersten  Mal  über  ihn  aus. 
In  seiner  »Weltchronik«  1812,  in  der  er  als  Apostat 
des  Rationalismus  und  überzeugter  Anhänger  der  historischen 
Schule  mit  der  Bibel  in  der  Hand,  an  dem  (^ffenbarungs- 
glauben  festhaltend,  den  Geist  der  Zeit  verurtheilte  und 
die  Geschichte  pries,  wird  Goethe  gelobt,  weil  er  als 
W-rfasser  von  »Götz«  die  Geschichte  neu  belebt  und  das 
Z^vergengeschlecht  durch  die  \'ortührung  der  Riesenväter 
desselben  erschreckt  habe,  jedoch  an  »Tasso«  und  »Hgmont« 
gezeigt,  dass  Goethe's  Weltansicht  sich  nicht  über  die  der 
gewöhnlichsten  Lebensklugheit  erhebe. 

In  seiner  »Aussicht  über  die  Weltchronik«  von  1817 
hat  Cjrundtvig  sich  einen  neuen  geschichtlichen  Standpunkt 
für  die  Heurtheilung  Goethe"s  gewählt.  Nachdem  er  Sachsen, 
Schwaben  und  L'ranken  als  die  ursprünglichsten  deutschen 
Stämme  und  unter  diesen  wieder  die  hranken  als  den  grund- 
deutschen Stamm  bezeichnet  hat,  stellt  er  die  Behauptung 
auf,  ob  nun  Goethe  ursprünglich  ein  Lrankiurter ,  und 
l'rankturt  ursprünglich  tränkisch  gewesen  oder  nicht,  so  sei 
doch  Goethe  innerlich  ein  echter  tränkisciier  Deutscher,  er 
stehe  als  Ausdruck  des  eigentlichen  Deutschthums,  des 
höchsten  \'erständnisses  aller  deutschen  Stämme  mit  einan- 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Dänemark.  25 


der  da.     lir  sei    »der    dcntsci.ic    oder  richtii^er  dei'  wirkliche 
Wiltaire«,    denn   was   N'oltaire    nur  anscheinend  xermochte, 
das  rinde  man  bei  Goethe,    »die  Macht  Alles,  was  er  will, 
glanzvoll  schimmern  zu    lassen«.     Hs  wird    Goethe    höchst 
übel  genonnnen,  dass  er  so  früh  die  geschichtlichen  Stotle 
aufgab,    um     sich    in     »Faust«    und     den     »Wahlverwandt- 
schaften«    dem     rein     Xatürlichen    zu    widmen:    »Wo    die 
Naturgeschichte    Goethe's    die    Königin    der   Zeit  wird,    da 
ist  Saga  von    ihrem  Thron    gestossen«,   und    noch  heftiger 
wird    ihm    vorgeworfen,    dass   er    »die   Geschichte   in    dem 
Grade   über  die  Schulter  ansieht,  dass  er    es   nicht    einmal 
für  der  Mühe  werth   hält  sie   zu  bekämpfen«,  oder  sie   nur 
als    Form    gebraucht    um    »seinen    eigenen    wohlgefälligen 
Roman  darin  zu  giessen«.     Grundtvig  droht   ihm,  dass  die 
Geschichte    sich    zur    Strafe    nicht    minder     vornehm    von 
ihm  wie  von  \'oltaire  wenden   werde.    Von  einem  irgend- 
wie   gearteten    Hinfluss    Goethe's   auf  die    Production    des 
volksthümlichen  Psalmendichters  ist    natürlich  keine  Rede. 
Es  gibt  noch    einen    poetischen    Zeitgenossen    Oehlen- 
schlägers^  der  sich  wie  die  meisten  Anderen  anfangs  gegen 
Goethe  sträubte ,    bei  dem  aber  Goethe's  Einfluss  sich  mit 
grosser    Entschiedenheit    nachweisen    lässt ;     das    ist    der 
merkwürdige  deutschgeborene  und  am  leichtesten  deutsch 
schreibende   Dichter    Schack   von    StafFeldt,   (1769 — 1826), 
der    mit    Gewalt    dänischer    Lvriker    sein    wollte    und    es 
trotz  all  seinen    sprachlichen  Sünden    und   Sonderbarkeiten 
auch  wirklich  wurde.      Seine    dänischen    Poesien  haben  in 
der  Regel    einen    ultraromantischen    Charakter,    sie    offen- 
baren aber  den  echt  deutsch-metaphvsischen,  grüblerischen 
Zug    seines  Wesens,   durch   welchen    er    in    der  Literatur, 
der  er    nach    seiner  Wahl    angehörte,    so    eigen    und  selb- 
ständig   dasteht.      Er    hatte    in  seiner    frühen    Jugend    die 
landläufigen  \'orurtheile  gegen  Goethe  getheilt.  Nach  einem 
Besuch  bei  Klopstock  schreibt  er:  »An  Goethe  tadelte  er  mit 


26  Abhandlungen. 


Inig  die  blind^cpricscnc  Natur,  ohne  Auswahl  und  Ver- 
schönerung«. Nachdem  aber  Oehlenschläger,  sein  glück- 
licher und  so  viel  reicher  begabterXebenbuhler,  der  dänischsn 
Poesie  die  neue  Bahn  gebrochen  hatte,  fing  er  an  nicht 
nur  ihn,  sondern  auch  den  von  ihm  gepriesenen  Goetiie 
/u  Studiren  und  beiden  nachzuahmen.  Direkte  Nachahmungen 
von  Goethe  kommen  bei  ihm  in  nicht  geringer  Zahl  vor. 
Wichtiger  ist  aber,  dass  er  augensciieinlich  nie  ohne  die 
\'ertiet'ung  in  Goethe  den  hohen  Rang  erreicht  hätte,  der 
ihm  als  dänischem  L\riker  jetzt  allseitig  zuerkannt  wird. 
Für  die  Schönheiten  solcher  Werke  wie  Iphigenia  und  Tasso 
hatte  er  mehr  Blick  als  für  die  Vorzüge  der  deutschnatio- 
nalen Jugenddichtungen  Goethe's.  Denn  er  war  nicht  wie 
Oehlenschläger  in  seiner  Dichtung  national,  sondern  wurde, 
ohschon  er  in  seiner  irühen  Jugend  als  tanatischer  Däne 
einen  Angriff"  auf  das  Deutschthum  in  Dänemark  gerichtet 
hatte,  mit  den  reiferen  Jahren  immer  mehr  kosmopolitisch 
gesinnt.  W'ährend  Oehlenschläger  als  naiver ,  sinnlich- 
frischer Künstler  und  geborener  Dramatiker  in  den  späteren 
Schauspielen  Goethe's  (besonders  in  der  Natürlichen  Tochter) 
»die  abstracte  Dictionsvergötterung,  diese  \'ornehmheit  im 
Style,  durch  welche  die  dramatische  Bewegung  sich  dem 
Menuette  nähert«  scharf  gerügt  hat,  begrüsste  Stafleldt  »Die 
Natürliche  Tochter«  als  Vorbote  einer  neuen  Kunstepoche, 
in  der  die  nationalen  Unterschiede  zurückgedrängt  und  die 
allgemein  menschlichen  Züge  allein  hervortreten  werden. 
Der  abstracte,  metaphvsische  Dichter  verräth  sich  in  dieser 
\'orliebe,  die  den  Beweis  liefert,  dass  es  auch  ausserhalb 
Deutschlands  einzelne  Verehrer  gab,  die  den  dlieii  Goethe 
auf  Kosten  des  jungen  rülnnten. 

V. 

Ich    habe  erzählt,    wie    das  Verständniss    Goethe'scher 
Dichtung  gleichzeitig  mit  der  Natur -Philosophie    und    der 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Danemark. 


^/ 


Romantik  in  Dänemark  durch  Steffens  so  zu  sagen  ein- 
getührt  wurde.  Die  ersten  Gegner  (ioethe's  waren,  insofern 
sie  nicht  aus  rein  theologischer  Beschränkung  sich  gegen 
das  Neue  verschlossen,  als  \'oltairianer ,  Lessingianer, 
Kantianer  eigentlich  philosophische  Gegner.  Die  ersten 
leidenschaftlichen  Anhänger,  die  er  in  Dänemark  fand, 
waren  Romantiker  mit  einem  Anflug  von  Natur-Philosophie. 

Es  hndet  sich  aber  unter  den  bedeutendsten  und 
innigsten  Goethe-\'erehrern  eine  kleine  Gruppe  von  Natur- 
Philosophen  ,  die  es  mit  der  Forschung  ernst  nahmen, 
und  die,  obwolil  sie  in  Schelling  ihren  gemeinsamen  Aus- 
gangspunkt haben  und  die  Pflege  der  Identitäts-Philosophie 
mit  der  \'ertiefung  in  Goethe  vereinigen,  als  Naturforscher, 
Dichter,  Denker  mit  anziehender  Originalität  ihre  Welt- 
Anschauung  darstellten.  Ich  denke  besonders  an  Hauch, 
Sihbern  imd  Hans  Christian  Oersted. 

Carsten  Hauch  (geb.  1790),  ein  tüchtiger  Zoologe  und 
hervorragender  romantischer  Dichter,  der  sich  sogleich 
Oehlenschläger  leidenschaftlich  anschloss,  ihn  bald  durch 
sein  Feuer  inspirirte,  bald  gegen  die  Aussenwelt  vertheidigte, 
fühlte  sich  schon  in  der  Jugend  nach  seiner  Geistesart 
besonders  von  den  kleineren  Gedichten  Goethe's  unendlich 
angezogen.  »Kaum«,  sagt  er,  »konnten  die  alten  Runen- 
Lieder  auf  ihre  Zuhörer  stärker  wirken,  als  diese  musikalische 
Lvrik,  in  welcher  Goethe  vor  allen  andern  Dichtern  seine 
Stärke  hat,  mich  damals  ergrift'.  Seine  Lieder  konnten  mich 
auf  meinen  Wegen  wochenlang  begleiten,  und  ich  sang  sie 
mir  oft  laut  vor,  wenn  ich  allein  war,  zu  Melodien,  die 
ich  selbst,  so  gut  ich  es  vermochte,  erfand«. 

Hauch  war  in  seinem  Mannes-Alter  an  den  Hoch- 
Schulen  in  Soröe  und  Kiel  Professor.  Nach  dem  Tode 
Oehlenschlägers  siedelte  er,  zum  Professor  der  Aesthetik 
an  der  Universität  ernannt,  nach  der  Hauptstadt  über,  und 
nach    meiner    persönlichen    Erfahrung    ist    das    Hauch'sche 


28  Abhandlungen. 


Haus  in  Kopciiliam.!!  dasjciiis^'c  ij;c\vcscii,in  welchem  der  (jeist 
Gocthc's  am  tietsten  verstanden  und  am    höchsten  verehrt 
in  Dänemark    fortlebte,     (obwohl    ich  in  diesem   Hause  (in 
den  Sechzii^^er  jähren)  \iel  verkehrt   habe,  erinnere  ich  mich 
kaum   eines  Abends,  wo  Cioethe's  Xame  nicht  genannt  und 
von    seiner  Kunst    nicht    s^esprochen  wurde.     Sie    war   der 
Maasstab,    mit  dem    die  Kunst  Anderer    gemessen   und    zu 
gering  oder  xu  wenig  einfach  befunden    ward.    Hauch,  den 
man    sich    als    einen    W-rgötterer    Oehlenschlägers    dachte, 
verehrte    unter    den   Dichtern    nur  Shakspeare    und  Goethe 
unbedingt,    und  nie    habe    ich    schärfere,    unbarmherzigere 
Kritik    der    geistigen    Persönlichkeit    Oehlenschlägers,   nie 
eine    verständnissvollere  Bewunderung   von  Goethe   gehört 
als     in     dem     Hauch'schen    Familienkreis.      Und     es     war 
nicht    allein    der    Dichter   Cioethe,   dessen   Geist    über    dem 
Hause   schwebte.      Man    huldigte    in    den    praktischen    An- 
gelegenheiten   des    Lebens    —    nicht    durch    Nachahmung, 
durch  natürliche,  ursprüngliche  Uebereinstimmung  —  An- 
sichten, wie  sie  Goethe  hegte,  man  spürte  seinen  Geist  in 
dem    grossen    Gewicht,    das    auf   körperliche   Fertigkeiten 
gelegt  wurde,  wie  gut  schwimmen,  gut  segeln,  ein  Haus 
zeichnen   und  bauen   zu  können  oder  es  zu  verstehen,    aut 
dem  Fise  ein  Menschenleben  zu  retten.     Nicht  allein,  dass 
man    solches   verstand  und  that,  es  war,  als  thäte  man  es 
im   Namen  eines  ungenannten  Meisters,  Goethe. 

FFuich  war  nie  so  glücklich,  nach  Weimar  zu  kommen 
und  den  Schutzgeist  des  C^rtes  von  Angesicht  zu  Angesicht 
zu  schauen.  Dies  Foos  hei  Oersted  und  Sibbern  zu.  Hans 
Ghristian  l)ersted  (geb.  1777)  hat  für  Dänemark  eine  ähnliche 
Bedeutung  wie  Alexander  von  Humboldt  für  Deutschland. 
Sein  grosser  Ruhm  ist  unter  den  Iiinsichtsvolleren  in 
Dänemark  jetzt  etwas  verblasst ;  seine  Philosophie  mit 
ihrem  Gemisch  von  furchtsamen  Pantheismus  und  \'ernuntt- 
christenthum    ist   längst  als  Halbheit    verlassen;   der  Glanz 


Georg  Brandes:  Gbethe  und  Danemark.  29 


den  seine  grosse  l'Jitdeckunij;  seinem  X.unen  i^ab,  wird  in 
den  Augen  Mancher  durch  seine  Uniähigkeit,  diese  lüit- 
deckung  irgendwie  fruchtbar  zu  machen,  verdunkelt;  aber 
ihm  bleibt  das  unbestrittene  \'erdienst,  mit  grossem  Wissen, 
ununterbrochenem  korschen,  kindlich  reiner  Hingebung  an 
ideale  Ziele  und  der  Autorität,  die  eine  grosse  Leistung  gibt, 
für  die  naturwissenschaftliche  Erziehung  und  Bildung  seines 
Volkes  erfolgreich  gewirkt  zu  haben. 

Früh    hatte    er    mit    der  Naturphilosophie    gebrochen. 
Die  Lehre    von    einem    einzigen    grossen    Weltorganismus 
musste  ihn  fesseln,  aber  in  dem  mystischen,  von  Phantasmen 
bevölkerten  Halbnebel    konnte    er    mit    seinem  I^edürfnisse 
nach  strenger,  ernster  Forschung  nicht  autkommen.   Einer 
seiner  Lieblingsgedanken  war  der,  dass  die  Poesie,  die  zu 
seiner  Zeit  sich  noch    durchgängig  in    übernatürlichen  und 
ungesund  phantastischen  Vorstellungen  bewx^gte,  sich  nach 
und    nach    die    naturwissenschaftliche   Weltanschauung    zu 
eigen  machen  und  darstellen  müsse.     Er  hatte  selbst,    um 
diesen  Gedanken  zu    illustriren,    ein    mittelmässiges  Hexa- 
metergedicht »Das  Luttschiti«  geschrieben.     Er  meint,  wie 
er  sich  ausdrückt,  dass  die  Fortschritte  der  Naturforschung 
und    die     allgemeine    Verbreitung     naturwissenschaftlicher 
Kenntnisse  eine  Menge  Vorstellungen,  deren  sich  die  Dichter 
früher  bedienten,  unbrauchbar  machen  und  in  die  poetische 
Rüstkammet  einer  vergangenen  Zeit  verbannen  werden,  zu- 
gleich aber,  dass  die  Wissenschaft  den  Dichtern  für  diesen 
Verlust  einen  reichen  Ersatz  bietet.    Als  diese  Ansicht  von 
dem  Theologen,  Bischof  Mynster,  heftig  angefochten  wurde, 
berief  er  sich  (in  dem  zweiten  Theil   seines  W^erkes  »Der 
Geist  in   der  Natur«)   auf  Goethe   wie   auf  einen    grossen 
Dichter,    der  weit    weniger  als    die   meisten    anderen    aus 
jener   poetischen  Rüstkammer   verwendet  und  seine  Mittel 
ohne  Umweg  direct  von  der  Natur  geholt  habe.    Er  macht 
geltend,    dass  Goethe    in    seinem    Gedicht  »Die  Metamor- 


30  Abhandlungen. 


phosc  der  Pflanzen«  elen  (Jeist  der  Lehre,  die  er  als  Natur- 
forscher der  Welt  vorgelegt  hatte,  zusammengedrängt  gab. 
Er  nennt  mit  Bewunderung  Goethe's  Gedicht  über  die 
Howard'sche  Auffassung  der  Wolkenformation.  Er  hebt 
hervor,  dass  man  ringsum  in  seinen  Werken  dichterischen 
Darstellungen  wissenschaftlich  begrifiener  Xaturverhältnissc 
begegnet,  und  beklagt  nur,  dass  (ioethe  die  mathematische 
Naturlehre  so  gröblich  missverstehe.  Dann  schliesst  er: 
»Welch  anderer  deutscher  Dichter  hat  sich  durch  und 
durch  so  als  Xaturbeobachter  offenbart?  Selbst  in  seinen 
Darstellungen  der  Menschen  sieht  man,  dass  er  den  Wesen, 
die  seine  Einbildungskraft  erschuf,  ein  Gepräge  gab,  das 
nur  von  tiefgehender  Beobachtung  herrühren  konnte.« 

Im  Jahre  1822  besuchte  Oersted  Goethe  in  Weimar. 
Eine  weitläufigere  Darstellung  dieses  Besuches  scheint 
leider  verloren  gegangen  zu  sein.  Eine  kürzere  sendet  er 
am   10.  October  1823  an  seine  Tochter,  Frau  Bull : 

»»W^is  dich  vielleicht  am  meisten  amüsiren  wird,  ist, 
dass  ich  aufs  Freundschaftlichste  von  Goethe,  dessen  grossen 
Dichtergeist  du  liebst ,  empfangen  wurde.  Er  hat  in  den 
späteren  Jahren  seines  Lebens  mit  verdoppeltem  Eifer  dem 
Studium  der  Naturwissenschaften  obgelegen  luid  empfing 
mich  wie  ein  Physiker  den  andern.  Da  ich  ihm  sagte, 
wie  sehr  es  mich  ertreue,  dass  meine  Wissenschaft  mich 
einem  Manne  näher  gelührt  hätte,  der  schon  seit  meiner 
frühesten  Jugend  (Gegenstand  meiner  Bewunderung  gewesen 
sei,  antwortete  er  mir:  »Was  kann  wohl  ein  Mann  in 
meinem  Alter  besser  thun  ,  als  sich  in  die  Arme  der 
Natur  zu  werten.«  Ich  \erbraclue  einen  der  schönsten 
Abende    in    seinem  Familienkreis.«« 

Dass  Oersted  seinerseits  Goethe  nicht  gleichgültig 
war,  beweist  mir  der  Umstand,  dass  —  wie  mir  der  be- 
kannte Politiker  Herr  Dr.  Loewe-Bochum  mitgetheilt  hat 
—  der  deutsche    Physiker  Schweigger  sich   oft  und  bitter, 


Georg  Brandes:  Gjäthe  und  Dänemark.  31 

beklagte,  Goethe  habe  seine  Hntdeckung  des  elektromag- 
netischen Multiplikators  stets  übersehen  und  immer  statt 
seiner  Oersted  als  den  eigentlichen  epochemachenden  l:nt- 
decker  —  wohl  mit  Recht  —  gepriesen. 

Es  ist  schon  berührt  worden,  wie  Baggesen,  als  er, 
im  Jahre  181 1  vom  Auslande  zurückgekehrt,  zu  dem  Hause 
Anders  Sandöe  Oersteds  hineilte ,  schon  bei  dem  ersten 
kalten  Empfang  sich  aus  der  Gunst  Sophia  Oersteds  ver- 
drängt fühlte.  Während  seiner  Abwesenheit  war  Erederik 
Christian  Sibbern  (geb.  1785),  ein  höchst  ursprünglicher, 
echt  humaner,  allseitig  gebildeter  junger  Denker  in  das 
Haus  eingeführt  worden ,  hatte  sich  in  Sophia  Oersted 
leidenschaftlich  verliebt,  und  wurde  nun  seinerseits  von  ihr 
in  die  glühende  \'erehrung  für  Goethe  eingeweiht ,  die 
tünt  Jahre  früher  wie  durch  Ansteckung  Baggesen  ergriffen 
hatte.  Das  \'erhältniss  war  gewiss  ein  völlig  schuldloses, 
wenn  auch  von  der  Seite  Sibberns  ein  das  ganze  Gemüths- 
leben  beherrschendes.  Es  waren  zwei  Seelen,  die  sich  in 
Goethe  begegneten  und  die  ihrer  gegenseitigen  Neigung 
die  Weihe  der  Goethereligion  verliehen. 

181 1 — 12  unternahm  Sibbern,  bevor  er  die  Stelle  als 
Professor  der  Philosophie  in  Kopenhagen  antrat,  die  er 
mehr  als  50  Jahre  inne  hatte,  eine  Reise  ins  Ausland;  sein 
Briefwechsel  während  dieser  Reise  ist  gedruckt  und  der 
grosse  Raum ,  den  Goethe  in  diesen  Episteln  einnimmt, 
macht  es  vielleicht  deutschen  Lesern  wünschenswerth, 
einige  Bruchstücke  derselben  kennen  zu  lernen. 

Am  4.  April  18 12  schreibt  Sophia  Oersted  an  Sibbern  : 
»Sie  glücklicher,  der  Sie  jetzt  nach  Weimar  reisen.  Gott  segne 
Sie.  Ich  gönne  es  Ihnen  vom  ganzen  Herzen.  Vergessen 
Sie    nicht    Ihr    \"ersprechen,    mir    etwas    von    Goethe    zu 

erbetteln  oder  zu  stehlen Zu  meiner  Persönlichkeit 

passt  Schiller  nicht  so  wie  Goethe.  Die  Einfachheit,  Kraft 
und  Festigkeit,    die   unfassbare.   Alles   durchdringende  und 


32  Abhandlungen. 


doch  SC)  milde  Stärke,  die,  wie  der  Mahnet  durch  die  Ivrde, 
durch  jede  nocii  so  kleine  Arbeit  von  Goethe  ^^eht,  die 
fehlt  ihm,  und  die  ist  es  eben,  die  bei  Goethe  mich  erhebt, 
tröstet,  ertreut   und  beridii^t.« 

Sibbern  trat  Goethe  nicht ,  weder  in  Weimar  noch  in 
Jena.  Hr  hielt  sich  damals  in  Carlsbad  auf.  Sibbern  wollte 
aber  nicht  unterlassen,  die  Bekanntschaft  der  brau  von 
Goethe  /u  machen.  Er  schreibt  aus  Weimar  16.  Mai  1812: 
»Es    ist    und    bleibt    mir    ein  Räthsel,    wie  Goethe    sie    zur 

Frau    hat    nehmen    können In    Jena    sah    ich    sie 

einen  ganzen  Abend  hindurch  tanzen ,  bis  ein  Uhr  fast 
jeden  einzigen  Tanz.  Es  ist  Sitte  unter  den  Studenten, 
ihr  den  Hof  zu  machen,  theils  natürlich,  um  sich  über 
sie  aufzuhalten,  theils  weil  sie  es  pikant  finden.  .Sie  wett- 
eifern darin,  mit  ihr  tanzen  zu  dürfen«.  (Sie  war  damals 
48  Jahre  alt.) 

hl  seiner  Ungedidd ,  Goethe  zu  sehen ,  hielt  Sibbern 
es  nicht  aus,  dessen  Ivückkunft  nach  Weimar  zu  erwarten, 
sondern  pilgerte  ihm  zu  Euss  bis  Carlsbad  nach.  In  einem 
Briefe  aus  Jena  16.  Juli  1812  hat  er  seine  Eindrücke  von 
der  Erscheinung  Goethes  beschrieben : 

»Aber  ich  sollte  von  Goethe  erzählen,  jetzt,  da  ich  das 
Glück  gehabt  habe,  den  wamderbaren  Mann  zugänglich  für 
mich  zu  finden,  ihn  in  guter  und  glücklicher  Stimmung 
getroffen  und  mehrmals  gesprochen  habe.  Ich  könnte  und 
sollte  billigerw.eise  jetzt  voll  Freude  sein;  wenn  das  Herz 
nur  genügsamer  wäre.  Er  hat  mich  so  gut  empfangen,  wie 
ich  nm'  hoflen  du.rfte ;  und  doch  —  wenn  ich  nicht  die 
Hoffnung  oder  richtiger  den  Vorsatz  hätte ,  noch  ein  Mal 
vor  meiner  Heimreise  zu  ihm  zu  kommen,  würde  ich  voll 
Missmuth  sein.  Doch  preise  ich  die  Stunden,  die  ich  bei 
ihm  verbrachte  (vier  Mal  in  Allem)  und  die,  in  welchen 
ich  ihn  bei  Frau  von  der  Recke  sah,  und  die  Augenblicke,  da 
ich  ihn  bei  der  Quelle  und  auf  den  Promenaden  begrüsste ; 


Georg  Brandes:  Gt>ETHE  und  Dänemark.  33 


ich  preise  mich  i^liickÜch  tür  sie  alle,  und  hekUiiie  nur, 
dass  ihrer  nicht  mehrere  waren  und  dass  ich  ihm  nicht 
weit  näher  kam.  —  l:r  ist  von  einer  majestätischen 
Schönheit,  voller  Kraft  in  Blick,  Haltung  und  (jang,  wie 
ein  Mann  in  den  besten  Jahren  und  dennoch  trägt  sein 
Gesicht  das  Gepräge  der  63.  Er  hat  eine  Gestalt  und 
einen  Anstand  wie  ein  Fürst ;  lieber  möchte  ich  sagen  wie  ein 
Minister,  und  denke  dabei  fast  an  den  alten  Bernstorff .  .  .  . 
Leben  und  wirken  wird  er  gewiss,  ohne  irgend  eine  Hem- 
mung, wenigstens  noch  zwanzig  Jahre.  Er  sieht  aus,  als 
könne  er  achtzig  Jahr  erreichen,  ohne  ein  Greis  zu  werden. 
Freuen  Sie  sich,  dass  er  noch  so  viele  Jahre  mit  Ihnen  leben 
kann  und  Ihnen  jedes  Jahr  neue  Gaben  bringen 

Ich  zog  in  den  Gasthof  in  Carlsbad  ein  und  ginij  am 
folgenden  Morgen  in  die  Stadt,  um  mir  eine  Wohnung 
zu  suchen  und  meinen  Kotier  vom  Posthaus  abzuholen. 
Als  ich  über  den  »Ring«  ging  —  so  heisst  hier  der  Markt  — 
begegnete  ich  ihm  ;  er  kam  mir  entgegen  mit  einem  Becher 
in  der  Hand,  er  kam  also  vom  Brunnen;  ich  kannte  ihn 
augenblicklich   und   wollte    schon   den    Hut    ziehen.     Dann 

bedachte  ich,    dass  er  ja  nicht  mich  kannte \'on 

Goethe  merkte  ich  nichts  weiteres,  weder  auf  den  Strassen 
noch  auf  den  Spazierwegen ;  ich  hatte  mir  fast  gedacht, 
dass  er  dort  in  Carlsbad  alles  füllen  und  durchdringen. 
Alles  ihn  wiederspiegeln  müsse 

Ich  stand  denn  vor  ihm.  Er  emphng  mich  freundlich ; 
ich  w^ar  da  eine  Viertelstunde;  dann  machte  er  eine  \'er- 
beugung  und  Hess  mich  gehen.  Es  hatte  nicht  viel  auf 
sich,  was  ich  mit  ihm  besprach;  es  nimmt  ja  schon  Zeit 
zu  sagen,  wacher  man  kommt  und  wohin  man  geht;  etwas 
war  die  Rede  von  der  neuen  Universität  in  Norwegen,  die 
mir  überhaupt  ein  bequemer  Gegenstand  ist,  um  ein  Ge- 
spräch anzuknüpfen.  Ueber  meine  Begeisterung  für  ihn 
sagte   ich    nicht    ein    einziges  Wort;    das  wagte    icli  nicht. 

GohTHt-jAHRBVCH    II. 


34  Abhandlungen. 


Ich  stand  mit  ihm  am  l-'cnstcr.  l'r  stand  da,  hoch  und 
krättii,^  in  einem  hlaucn  Rock,  den  er  auch  am  Tai^e 
voraus  trui^.  Als  ich  von  ihm  ging,  war  es,  als  ob  es  in 
meiner  Seele  stille  stand;  ich  konnte  ihre  Stimmung  wenden, 
wohin  ich  wollte,  y.nr  Freude,    /um   Missmuth 

Wenn  ich  später  in  einer  Entfernung  einen  blauen 
Rock  und  eine  hohe  stattliche  Gestalt  sah,  wurde  ich  so- 
gleich aufgeregt.  Und  noch  viel  mehr,  als  ich  ein  Paar 
Tage  danach  wirklich  (ioethe  auf  der  Strasse  begegnete 
und  er  mich  ansprach:  Wie  geht  es?  —  F.s  war  mir 
wie  vormals,  wenn  xon  ferne  ein  gelber  Shawl  meine 
Freude  erregte,  und  ich  ihm  nach/ustieren  torttuhr,  obwohl 
ich  erkannt  hatte,  dass  es  nicht  der  rechte  war«  . 

Wie  sehr  Sibbern  sein  Leben  lang  sich  mit  Goethe 
beschäftigte,  davon  legen  seine  Briefe  nach  der  Kückkuntt 
von  seiner  Reise  Zeugniss  ab.  Fast  sein  ganzer,  deutsch 
geführter  Briefwechsel  mit  Henriette  Herz  ist  Goethe  ge- 
widmet. Und  als  der  junge  Professor  der  Philosophie 
nach  wenigen  Jahren  mit  einer  dichterischen  Production 
auftrat  —  in  Dänemark  ist  man,  was  man  auch  sonst  sei, 
innner  ein  wenig  Poet  —  spielten  in  der  Schritt  »Nachgelassene 
Briefe  von  Gabrielis«,  einer  Wertheriade,  für  welche  seine 
Beziehungen  zu  der  j-rau  Oersted  den  Stoff  gaben,  die 
Dichtungen  Goethe's  eine  noch  grössere  Rolle  als  die 
Ossians  in  ))\W'rther((.  In  seinem  Werke  »Ueber  Poesie 
und  Kunst«  ist  Goethe  endlich  geradezu  als  der  ideale 
Künstler  dargestellt,  denn  er  vertritt  die  Verschmelzung 
von  Genialität  und  Besonnenheit,  die  Sibbern  das  Höchste 
ist.  Sehr  verständig  wird  hier  entwickelt,  wie  Goethe  nur 
um  sich  selbst  allseitig  zu  entwickeln  und  zum  tüchtigen, 
vollendeten  Organ  seines  Genius  zu  machen,  in  allen  Rich- 
tungen der  Kunst  und  Wissenschaft  gestrebt  und  gearbeitet 
zu  haben  scheint,  wie  er  aber  eben  dadurch  seinen  Mit- 
menschen   eine    ganze     helle    und    reine    Welt    schenkte. 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Danemark.  35 


Besonders  Tiefes  und  Neues  findet  man  in  Sibbcrns  kunst- 
philosophisclicn  Schriften  nicht,  und  \  cm  den  beijahteren 
Zeitgenossen  wurden  sie  besonders  wegen  des  breiten 
sclileppenden  Stils  last  übersehen.  Was  sein  \'erhältniss 
zu  Goethe  betrifft  ,  so  war  es  der  daniahgen  hitelhgen/- 
Aristokratie  schon  ein  Anstoss,  dass  Sibbern  trotz  des 
Anlautes  zu  rein  freisinnigen  Ansichten  es  nicht  lassen  konnte 
—  nacii  dem  Beispiel  seiner  1-reundin  Henriette  Herz  — 
bei  dem  gepriesenen  Goethe  das  christliche  Getühl  und 
die  Gottesergebenheit  zu  vermissen. 

Sibbern  war  nicht  derjenige,  dem  es  gelang,  als 
Aesthetiker  die  geistige  und  künstlerische  Ueberlegenheit 
Goethe's  in  dem  Bewusstsein  des  dänischen  ^'olkes  dauernd 
zu  befestigen. 

VI. 

Diese  Aufgabe  und  dieser  Erfolg  waren  einem  am 
entgegengesetzten  geistigen  Pol  sich  befindenden  Gegner 
von  Sibbern,  dem  gewandten  und  genialen  Dichter  und 
Denker  Johan  Ludvig  Heiberg  vorbehalten.  Unter  allen 
dänischen  Grössen  ist  es  Heiberg,  welcher,  mit  dem 
iiellsten  Bewusstsein  über  sein  Ziel,  direct  im  Goethe'schen 
Geist  hat  wirken  wollen,  und  da  er  die  Gabe  besass,  seine 
Ansichten  und  Sympathien  der  ganzen  hauptstädtischen 
Intelligenz  mitzutheilen,  da  er  sein  Mannesalter  hindurch 
der  Abgott  der  Gebildeten  und  der  absolute  Oberrichter 
in  der  Literatur  war,  hat  er  auch  zu  seiner  Zeit  das,  was 
er  von  Goethe  eriasst  und  in  sich  autgenommen  hatte, 
zum  geistigen  Eigenthum  der  höheren  Klassen  gemacht 
und  dadurch  sowohl  der  ]:insicht  in  Goethe's  Kunst  wie 
der  Befestigung  der  rein  äusserlichen  Autorität  von  dessen 
Namen  den  grössten  Vorschub  geleistet. 

J.    L.    Heiberg    (1791 — 1860)    ist    unstreitig    eine    der 
hervorragendsten  Persönlichkeiten  der   dänischen  Literatur 


36  Abhandlungen. 


im  19.  [.ihrluiiKlcrt.  Als  romantischer  Lvrikcr  und  wit/igor, 
gliin/cndcr  LiistspiL-ldichicr  beliebt,  ja  popidär,  als  Eintuhrcr 
und  talentvoller  N'ertechter  der  Hegerschen  Philosophie 
von  maassgebendem  l'ünHuss  ,  sogar  nachdem  diese  Philo- 
sophie ausserhalb  Dänemarks  ihre  herrschende  Stellung 
verloren  hatte,  als  Kritiker  und  Aesthctiker  endlich  buch- 
stäblich ein  Przieher  seines  \'olkes,  hat  er  ungefähr  von 
1824 — 1842  eine  im  Wesentlichen  erspriessliche  und  civili- 
satorische  Geistesherrschaft  ausgeübt.  Was  ihm  haupt- 
sächlich fehlte,  war  ein  voller  originaler  Xatm'ton  ;  Primi- 
tivität hatte  er  nur  in  seinem  Witz.  In  der  Dichtkunst 
gruppirte  sich  um  ihn  eine  teine,  retiectirende,  nicht  sehr 
naturwüchsige  Formschule  (Henrik  Hertz,  Prederik  Paludan- 
Müller  u.  A.).  Gegen  die  tüniziger  Jahre  wurde  jedoch  ein 
bei  ihm  stets  vorhandener  Hang  zum  Schematismus  und  zur 
Sophistik  im  Denken,  zum  leeren  Pormalismus  in  der  Kunst 
und  Kritik  so  stark,  dass  er  als  Kritiker,  Theaterdirektor 
und  Politiker  fast  nur  ein  Hemniss  der  Entwickelung  wiu'de. 
Hs  lag  in  seinem  Wesen  etwas  x'on  der  ohinpischen 
Ueberlegenheit,  der  göttlich  heitern  Ironie,  der  diploma- 
tischen Selbstbeherrschung ,  die  er  bei  Goethe  verstanden 
hatte.  Die  unerschcipHiche  Xaturlülle,  die  ewige  hrische 
des  Goethe'schen  Wesens  besass  er  nicht.  Seine  Jugend 
hatte  nie  die  leidenschaftliche  Gluth  gehabt,  die  bei  Goethe 
hinreisst,  sein  Alter  hatte  auch  die  hohe  Weisheit  nicht, 
die  bei  Goethe  erquickt.  Nicht  dass  er  der  Natur  Luid 
dem  Naturstudium  tremd  war.  Im  Gegentheil  er  war 
von  trübster  [ugend  ab  eitriger  Naturforscher,  besonders 
Pntomolog,  und  er  betrieb  bis  in  seine  letzten  Lebensjahre 
mit  wahrer  Leidenschaft  astronomische  Porschungen;  seine 
letzten  Schriften  sind  optische  und  akustische  Monographien. 
Das  naturwissenschaftliche  Gebiet  des  Goethe'schen  Wissens 
war  ihm  also  keineswegs  fremd;  er  war  sogar  wie  sein 
deutscher  Meister    ein   heind    der    empirischen  und    experi- 


Georg  Brandes:  Goethe  und  Dänemark.  37 


nicntcllcn  Richtlinie  uikI  wie  die  meisten  Hei;elianer  ein 
Anhänger  von  Goethe's  Farbenlehre.  Aber  er  hatte  nichts 
von  dem  wcltimispannenden  1-jndeckergeist,  dem  grossen 
naturaHstischen  Fantheismus,  der  (k)ethe  mit  den  Ahnen  der 
Philosophie,  einem  Thaies,  einem  Heraklit  in  \'er\vandt- 
schatt  bringt,     ha'  war  kein  Urmensch. 

Heiberg  war,  ungefähr  30  Jahr  alt,  von  Hegels  Philo- 
sophie mächtig  ergriHen  worden,  war  i(S2^  in  I^erlin  mit 
Hegel  selbst  in  \'erkehr  getreten  und  betrachtete  es  von 
jetzt  ab  als  eine  seiner  wesentlichsten  Lebensaufgaben,  der 
HegePschen  Philosophie  Hingang  in  Dänemark  zu  ver- 
schaft'en.  Aber  für  ihn  wie  für  nicht  wenige  der  Hegelianer 
der  ersten  Zeit  war  die  Hegel'sche  Philosophie  nicht 
von  der  Dichtung  Goethe's  /u  trennen.  Sie  waren  ihnen 
zwei  Formen  desselben  geistigen  Inhalts.  Mit  Heibergs 
Auftreten  fängt  daher  eine  Periode  in  dem  dänischen  Geistes- 
leben an,  in  welcher  man  Goethe  so  aulfasste,  wie  er  sich 
durch  Hegel'sche  Brillen  ausnahm,  und  ihn  nicht  so  sehr 
um  seiner  selbst  willen  wie  als  poetische  Illustration  der 
metaphysischen  und  ästhetischen  l'heorien  Hegels  be- 
wunderte. Es  versteht  sich  jedoch  von  selbst,  dass  Heiberg 
mit  seiner  lebhatten  poetischen  Empfindung  sich  diesen 
N'erirrungen  lern  liielt. 

In  dem  Aufsatz  »Ueber  die  Bedeutung  der  Philosophie« 
(1833)  findet  sich  die  Grundansicht  Heibergs  von  Goethe: 
Was  Goethe  von  allen  zeitgenössischen  Dichtern  unter- 
scheidet, sei  dasselbe,  was  Dante  und  Calderon  so  sehr 
über  ihre  Zeitgenossen  erhebe;  er  stelle  die  Philosophie 
seines  Zeitalters  dar,  er  sei  ein  speculativer  Dichter  ge- 
wesen. Heiberg  spricht  sich  in  Polge  dieser  Aulfassung 
mit  aller  Entschiedenheit  gegen  den  in  Dänemark  herr- 
schenden Shakspeare-Cultus  aus  :  Shakspeare  sei  kein  ähn- 
licher poetischer  ^'ertreter  der  Menschheit.  Shakspeare, 
der  einem  Lande  gehöre,  das  stets  in  lauter  endlichen  Bestre- 


3« 


Abhandlungen. 


bunucn  bctauiicn  ucwcscn,  sei  allzu  national  um  nicht  Realist 
zu  sein.  Interessante  Charakterschilderungen,  psychologische 
und  historische  Meniorahilien  seien  die  Gegenstände,  in 
die  er  sich  vertiete,  aber  nie  spüre  man  ein  Bewusstsein 
davon,  dass  dieselben  als  endliche  und  vergängliche  Seiten 
sowohl  des  Lebens  wie  der  Dichtkunst  in  der  Anschauung 
des  Unendlichen  sich  verlieren.  Die  übertriebene  Be- 
wundenmg  Shakspeare's  sei  lächerlich  und  unverzeihlich 
in  einem  Zeitalter,  das  einen  weit  grössern  Dichter  besitze. 
Goethe  stehe  durchaus  nicht  in  Liebe  zu  den  Linzeinheiten 
der  Natur  und  des  Menschenlebens  hinter  Shakspeare 
zurück;  im  Gegentheil  er  übertretie  ihn  auch  in  der  liebe- 
vollen Vertiefung  in"s  Lndliche,  nur  seien  sowohl  die  Be- 
crebenheiten  al^  die  Charaktere  von  ihm  als  untergeordnete 
Momente  der  ideellen  Linheit  gehalten.  Wie  er  in  'Lasso 
weder  den  Dichter  noch  den  Staatsmann  vorziehe,  so  wolle 
er  uns  überhaupt  nie  für  einen  Helden  t)der  einen  Liebenden 
begeistern,  sondern  für  die  nicht  individuell  und  persönlich 
begrenzten  Ideen.  Heiberg  zeigt,  wie  diese  doppelte  Ligen- 
thümlichkeit  und  Grösse  Goethe's  die  irrthümlichen  An- 
sichten über  ihn  erklären:  »Die,  welche  sich  nur  an  seine 
überraschende  Liebe  zum  ländlichen  halten,  neiuicn  ihn 
sinnlich  und  materiell;  die,  welche  nur  das  entgegengesetzte 
Moment  aufgefasst  haben,  finden  ihn  ohne  Wärme  und 
Begeisterung,  sagen,  dass  es  ihm  mit  keiner  Sache  Lrnst 
sei.  Und  beide  Klassen  von  Gegnern  werden  dann  leicht 
zu  den  weiteren  Beschuldigungen  getrieben  :  dass  er  un- 
moralisch sei,  weil  er  die  moralischen  Pllicln-Bestimnuingen, 
an  die  sich  die  Menge  wie  an  teste  llaltpunkte  klammert, 
in  ihrer  Lndlichkeit  darstellt  und  ihnen  die  \ermeintliche 
absolute  Gültigkeit  raubt;  dass  er  irreligiös  sei,  weil  seine 
Poesie,  anstatt  sich  unter  die  Religion  zu  stellen,  durch 
ihre  \'erschmelzung  mit  der  Philosophie  im  Gegentheil 
den   religiösen  Standpunkt  in  seinen  eigenen  Umfang  auf- 


J 


Georg  Bkandes:  Gc^the  und  Danemark.  39 


genommen  hat.  In  beiden  Hinsichten  hat  Goethe  indessen 
nichts  anderes  i^ethan ,  als  uns  unsere  eigenen  Gedanken 
/um  Bewusstsein  /u  bringen«. 

Diese  Worte,  die  den  Nagel  aut  den  Kopf  treffen  und 
ohne  Zweifel  die  wahrste  und  tietste  Ansicht  von  Goethe 
enthalten,  die  bis  dahin  in  Dänemark  ausgesprochen  worden, 
sind  von  einer  den  Nicht-Dänen  kaum  recht  iassbaren 
Kühnheit.  Sie  sprachen  in  einem  orthodoxen  Lande  ein 
neues  Princip  aus;  sie  enthielten  einen  directen,  bewussten, 
entschiedenen  Angrift  aut  die  alles  überfluthende  officielle 
theologische  Gesinnung,  die  man  überall  mit  den  Lippen 
bekannte,  während  die  Meisten  in  einem  schlaffen  Halb- 
bewusstsein  von  einer  ganz  verschiedenen  Weltanschauung 
hinlebten.  Diese  Worte  waren  so  kühn,  dass  Heiberg 
selbst  in  seinen  älteren  Jahren  den  Standpunkt,  den  sie 
bezeichneten,  autgab,  und,  als  die  theologische  Reaction  in 
den  vierziger  Jahren  ihren  Autschwung  nahm,  vom  Panthe- 
ismus zur  speculativen  Dogmatik  zurückzukehren  schien. 

Ueberall  in  Heibergs  Werken  tinden  sich  zerstreute 
i^eiträge  zur  Aesthetik  der  Goethe'schen  Dichtung.  Er 
war  der  unermüdliche  \'ertechter  der  von  Goethe  aus- 
gesprochenen, streng  künstlerischen  Ansicht  der  Poesie. 
Er  gab  einen  Auszug  des  Brietwechsels  zwischen  Schiller 
und  Goethe  mit  Noten  heraus,  und  wenn  er  in  seiner  scharfen 
Polemik  gegen  Hebbel  als  A'ert'asser  der  Dramen  »Judith« 
und  »Genoveva«  und  des  Aufsatzes  »Ein  Wort  über  das 
Drama«  (1843)  dem  viel  Jüngern  deutschen  Dichter  so 
hart  zusetzte,  hatte  es  hauptsächlich  darin  seinen  Grund, 
dass  er  bei  Hebbel  (wie  bei  Gutzkow)  keine  neue  über 
Goethe  hinaustührende  Riclitung  zu  erkennen  vermochte, 
sondern  nur  einen  Rücktall  in  die  von  Goethe  längst  über- 
wundenen Einseitio;keiten  oder  Trivialitäten  tand '. 


'  Man   sehe  Heiberg:    Prosaiske   Skrit'ter    L,   416 — 430,    III.,    256, 
34811..  IV.,   443.   471,  \.,    21)«.,    3)3  ff.     ^\■enn    Emil    Kuh   in    seiner 


40  Abhandlungen. 


Hcibcrg  selbst  und  last  noch  mchi'  sein  treuer  poetischer 
Bundesgenosse  Henrik  Hertz,  der  sich  nie  bei  Einer  Dichtari, 
J:iiiti  Gruppe  von  StoHen,  oder  Jiiiicr  Behandliingsweise 
beruhigte,  sondern  sein  Talent  in  iinnier  neuen  \'arietäten 
otlenbarte,  tussen  als  Dichter  durchaus  in  Goethe's  Hrd- 
reich.  In  ihren  guten  Dichtungen  athmet  man  Goethe'sche 
Luft,  nur  leider  sehr  verdünnt.  Diese  Geister  hatten  mit 
Goethe  nur  das  Aristokratische,  \'erteinerte  gemeinsam; 
ihnen  fehlte  das  eminent  Menschliche  und  deshalb  gross- 
artig \'olksthümliche,  das  in  Goethe"s  Xaturgrund  lag. 
Heiberg  hatte  viel  von  dem  alten  (joethe,  nichts  von  dem 
jungen.  Die  Schule  ging  in  Formalismus  zu  Grunde. 
Deswegen  sind  Heiberg  und  seine  nächsten  Freunde  oder 
Schüler  aut  der  jetzigen  Entwickelungsstufe  des  dänischen 
\'olks  und  seiner  Literatur  so  vollständig  zur  Seite 
geschoben  worden,  dass  sie,  die  so  kürzlich  Gestorbenen 
(Heiberg  starb  1860,  Hertz  1870),  fast  wie  vergessen  sind. 
Man  hat  aus  ihnen  Alles  gelernt,  was  von  ihnen  zu  lernen 
war.  Sie  haben  schon  zu  ihren  Lebzeiten  ihren  Lohn 
vorweggenommen.  Die  junge  Generation  findet  unter 
ihnen  keinen  zu  bekämpfenden  Gegner,  keinen  Führer  und 
kein  \'orbild. 

\'1I. 

Aut  Heiberg  folgt  in  dem  geistigen  Leben  Dänemarks  das 
Zeitalter  des  constitutionellen  Liberalismus  und  der  besonders 
durch  Sören  Kierkegaard  (1813 — 1855)  Gestalt  und  Eigen- 
thümlichkeit  gewinnenden  religiösen  Reaction.  Weder  der 
politische  Liberalismus,  noch  der   theologische  Rückschlag 


Biographic  Hebbels  sich  diircli  die  Begeisterung  für  seinen  Gegenstand 
hinreissen  lässt,  Heiberg  als  einen  hegelianiscli  angehaiiciuen  Gottsched  zu 
stempeln,  so  lässt  dieses  sich  nur  durch  die  Unkenntniss  der  danischen 
Sprache  erklären,  in  weJclier  dieser  übrigens  so  schätzenswerthe  Literatur- 
Historiker  sich  befand. 


Georg  Brandes:  G«^the  und  Danemark.  41 

war  dem  sx'mpathischcn  und  eindringlichen  X'erständniss 
Goetlie's  günstig. 

\'on  der  Seite  der  den  Absolutismus  bekämpfenden 
Politiker  kam  in  Dänemark,  wie  in  Deutschland,  eine  Auf- 
fassung Goethes  zum  X'orschein,  die  ihn  wesentlich 
als  indifferenten  (Olympier  oder  epikuräischen  Hellenen 
charakterisirt.  Unter  den  Schrittstellern,  die  ursprünglich 
dieser  Gruppe  angehörten,  ist  der  Journalist,  Novellen-  und 
Romandichter  M.  Goldschmidt  unstreitig  der  talentvollste. 
Seine  romantische  Religiosität  war  ausserdem  der  Xatur- 
frommheit  Goethe's  abhold.  Man  findet  überall  in  Gold- 
schmidts Werken  Andeutungen  einer  in  Deutschland  theils 
von  Heine,  theils  von  Börne  vertretenen  bewundernden 
Abneigung  gegen  Goethe,  tir  hebt  besonders  den  politischen 
Inditferentisnuis  Goethe's  wie  Schiller's  hervor.  »Durch 
beide«  (Cjoethc  und  Schiller),  sagt  Goldschmidt,  »war  eine 
eigenthümliche  Gleichgültigkeit,  ein  egoistisches  Streben 
danach,  in  Genuss  und  Wohlgefallen  sich  ausserhalb  des 
Allgemeinen  xu  stellen,  in  deutsche  Gemüther  eingezogen«. 
Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  die  Antipathie, 
welche  die  Mehrzahl  der  liberalen  Politiker  gegen  Heiberg 
und  seinen  Hinfluss  hegte,  den  von  Heiberg  immer 
gepriesenen  Goethe  ihnen  gewissermassen  einfach  als  den 
nur  viel  grössern  Heiberg  Deutschlands  erscheinen  Hess. 
Als  solcher  wurde  er  von  ihnen  bekämpft. 

Ganz  anders  gestaltete  sich  die  von  Kierkegaard  aus- 
gehende Reaction  gegen  Goethe.  Für  Kierkegaard  mit 
seinem  christlichen  Pathos,  seiner  brennenden  Leidenschaft- 
lichkeit, seiner  ethischen  Begeisterung  und  seiner  Ueber- 
zeugung,  dass  Märtyrerthum  das  Loos  jedes  wahren 
Gcisteshelden  hier  auf  Erden  sei,  war  das  Lebenswerk  und 
die  Lebensführung  Goethe's  nothwendig  ein  Aergerniss. 
Ihm,  dem  es  ausserdem  zum  Dogma  geworden,  dass  man 
nur  ein  Mal  liebt,  und  der  mit  so  unverbrüchlicher  Treue 


42  Abhandlungen. 


;in  der  cin/igcn  Licbcsncii^uni;  seines  Lehens  testgehalten 
hatte,  nuisste  das  N'erhaltniss  Goethe's  /ii  den  Irauen 
und  der  Liehe  ein  Stein  des  Anstosses  sein. 

.Seine  ausiührhchste  Auseinandersetzuni^  mit  Cjoethe 
rindet  sich  in  dem  zweiten  Theil  des  Werkes  »Stadien  aut 
dem  Lebenswege'^  in  dem  Autsat/e  des  Assessors  über  die 
Ehe.  Der  Assessor  geht  mit  dem  Helden  der  Goethe'schen 
Selbstbiographie  streng  und  spt)ttisch  ins  Gericht  wegen 
seines  Benehmens  Friederike  gegenüber :  »Wenn  die  kleine 
Dorfschönheit  so  unglücklich  gewesen,  Seine  Excellenz  nicht 
recht  /u  \erstehen,  sich  jedoch  treu  bleibt,  so  ist  sie,  wenn 
ich  mich  nicht  irre,  aus  der  Idylle  zur  Tragödie  avancirt ; 
wenn  dagegen  Seine  Excellenz  so  unglücklich  gewe.sen  ist, 
mit  sich  selbst  in  Missverständniss  zu  gerathen,  und  ferner  in 
der  Weise,  wie  er  es  wieder  gut  machen  will,  äusserst  unglück- 
lich ist,  so  ist  er,  wenn  ich  mich  nicht  irre,  aus  dem  Drama 
verabschiedet  und  in  dem  \'audeville  ansässig«.  Literessant  ist 
dieser  Angritl,  weil  er  von  einem  Manne  herrührt,  der  mit 
unendlichem  Aufwand  der  Reflexion  und  mit  erdrückender 
Empfindung  der  \'erantwortung  sein  einem  jungen  Mädchen 
gegebenes  Wort  zurückgenommen  hatte. 

Kierkegaard  meint,  in  »Wahrheit  und  Dichtung u  die 
Erklärung  dafür  zu  linden,  dass  Pathos  dasjenige  sei,  was 
man  bei  Goethe  am  meisten  vermisse,  und  dass  seine 
vorzüglichsten  (Gestalten,  die  weiblichen,  immer  in  einer 
Beleuchtung  erscheinen,  in  welcher  die  überlegene  \'er- 
ständigkeit,  die  zu  geniessen  und  sich  zu  entternen  wisse, 
als  berechtigt  oder  wenigstens  als  entschuldbar  dastehe. 
Bitter  verspottet  er  die  kriechende  Bewunderung  der 
Goethe'schen  l-'ähigkeit.  ein  Lebensverhähniss  ,  das  ihn  zu 
überwältigen  drohte,  dadurch  zu  entternen,  dass  er  es 
dichtete.  Denn  was  sei  diese  Xatureigenthümlichkeit  anders 
als  die  Parade  des  natürlichen  imd  lüsternen  Menschen 
gegen    das  Ethische?     Das  verstehe  sich,  dass  nicht  jeder, 


Georg  Brandes:  Gqethe  und  Danemark.  43 


der  «dichtet«,  Meisterwerke  hervorbringe,  aber  was  thue 
dies  mit  Rücksicht  mit  das  ]:thische  zur  Sache?  Auch  dieser 
Vorwurt  ist  besonders  deswegen  interessant,  weil  er  aus 
der  Feder  eines  Schriftstellers  stammt,  der  die  Hauptqual 
seines  Juyendlebens  eben  nur  durch  immer  und  immer 
erneuerte  dichterische  Darstelluni^en  derselben  überw  and. 

Zu  der  ethischen  Missbilligung  Goethe's  kam  bei 
Kierkegaard  aber  noch  die  religiöse.  Und  so  bildete 
sich  nach  und  nach  vor  Kierkegaards  Seele  ein  Zerrbild 
von  Goethe,  nicht  viel  wahrer  als  das,  welches  die  Welt 
^\'olfgang  Menzel  verdankt.  Dass  Goethe  die  bildlich- 
mvthischen  X'orstellungen ,  die  ihm  in  der  Kindheit  einge- 
prägt wurden,  nicht  bis  /u  seinem  Tode  bewahrte,  dass 
er  «sicli  zurückzog,  wo  es  galt,  ob  auch  bis  zur  \'er- 
zweiflung  für  die  Glaubensgemeinschaft  mit  den  Eltern  zu 
kämpfen«,  das  kann  er  nicht  verzeihen,  weil  er  auf  den 
höchsten  Gebieten  keine  höhere  Pflicht  als  die  der  Pietät 
anerkennen  will.  l:r  wirft  Goethe  vor,  dass  er  sich  nicht, 
wie  er  selbst,  gegen  die  ganze  moderne  Kulturentwickelung 
gestemmt  hat,  anstatt  ihr  vorzüglichster  Träger  seit  den 
Tagen  der  Renaissance  zu  werden,  —  er  denkt  sich  die 
Möglichkeit,  dass  Goethe  sich  zu  dem,  was  er  wurde,  ja 
zu  mehr  als  was  er  wurde ,  hätte  entwickeln  können, 
wenn  er,  statt  die  ganze  Entfaltung  des  deutschen  Geistes 
in  Lessing  und  Winckelmann,  Bürger  und  Wieland,  Herder 
und  Kant  zu  resumiren ,  anstatt  als  der  alles  verdunkelnde 
Mittelpunkt  in  dem  Sternbild  zu  strahlen,  das  von  Schiller, 
Hölderlin,  Kleist,  Heine  und  den  anderen  freigeborenen 
Dichtergeistern  gebildet  wird ,  ein  Barde  wie  Klopstock, 
ein  Magus  wäe  Hamann,  ein  Heiliger  wie  Lavater  gew^orden 
wäre,  die  alle  ihren  religiösen  Kindheitseindrücken  treu 
blieben,  aber  deren  Werke  jetzt  nur  von  Literarhistorikern 
als  Curiositäten  aufgesucht  werden.  [Georg  Brandes  :  Sören 
Kierkegaard.     Leipzig,   1879.] 


44  Abhandlungen. 


Nach  und  nach  schniol/  so^ar  tür  Kierkegaard  die  hohe 
Lebensweisheit  Goethe's  mit  der  ihm  so  \erhassten  teinen 
Lebensklui,^heit  des  Bischofs  M\nster  zusammen.  Hr  bildet 
sich  ein  Wort,  ein  Compositum,  »das  Mynster-Goethe'sche«, 
mit  welchem  er  den  feigen  Hpikuraismus,  den  er  verachtet, 
stempelt.  So  heisst  es  /.  B.  in  seinen  »Nachgelassenen 
Papieren  von  i849c<  von  dem  von  ihm  verabscheuten  Pro- 
fessor Martensen,  M^■nsters  Nachfolger  als  Bischof  See- 
lands :  »Nimm  Martensen.  Der  ist  ein  Beispiel  des  Mynster- 
(joethe'schen,  die  Mitwelt  zur  höchsten  Instanz  zu  machen; 
nur  steht  er  noch  niedriger.«  Es  Hesse  sich  kaum  etwas 
Ungereimteres  über  Cioethe  sagen,  als  dass  er  seinen  Zeit- 
genossen um  jeden  Preis  zu  gefallen  gestrebt  habe,  und 
ihn  als  Typus  der  Genusssucht  zwischen  zwei  Bischöfe  zu 
placiren,  ist  eine  schreiende  Ungerechtigkeit.  Diese  Aut- 
fassung war  trotz  alledem  zur  Zeit  des  Triumphes  der 
Kierkegaard'schen  Ideen  (etwa  1856 — 1866)  in  vielen  sonst 
intelligenten  Kreisen  Dänemarks  die  vorherrschende. 

Hine  Gruppe  von  Männern  gab  es  jedoch,  in  der  das 
Genie  und  die  \'erdienste  Goethe's  nie  über  Rücksichten 
auf  das,  was  als  absolute  Moral  oder  absolute  Glaubens- 
verpflichtung galt,  vergessen  wurden,  die  Gruppe  weniger 
h'eidenkender  Philosophen  und  Naturforscher. 

Der  (1875  als  Professor  gestorbene)  Philosoph  und 
Geschichtschreiber  der  Philosophie,  Hans  Bröchner,  der 
erste  entschiedene  P'reidenker  in  Dänemark,  welcher  auf 
die  Jugend  einen  l^influss  ausübte,  wie  (ioethe  ein  treuer 
Bewunderer  Spinoza's,  ein  pantheistisch  religiöser  Idealist, 
dessen  Bildung  völlig  griechisch  und  deutsch  war,  lebte 
in  Goethe.  Kr  war  selbst  eine  Paustische  Natur,  und  Goethe's 
Faust  war  selten  von  seinem  Tisch  fort  und  seltener  aus 
seinen  Gedanken. 

Auch  unter  den  Naturforschern  hatte  Goethe  eine 
kleine,    treue    (jcmeinde.      Hs    konnte    kaum    anders    sein. 


Georg  Brandes:  Gqethe  und  Dänemark.  45 


Mir  \vcniij;stcns  ist  es  immer  so  vor<j;ekommen,  als  strahle 
das  Genie  des  grossen  Meisters  aut  keinem  (icbiet  über- 
raschender und  voller,  als  sei  nirgends  die  geheimnissvolle 
\'er\\andtschalt  seines  Hervorbringens  mit  der  schöpferischen 
Kratt  des  Weltalls  einleuchtender  und  mehr  ergreitend  zu 
emphnden  als  in  seinen  Forschungen  zur  philosophischen 
Botanik  und  Anatomie.  Wer  fühlt  nicht  hier,  dass  Goethe 
wie  sein  1-aust  »die  Mütter«  geschaut  hatte,  wer  sieht 
nicht,  dass  sein  Lvnceusblick  in  das  grosse  Laboratoriimi 
der  Xatur  hineindrang ! 

Ich  habe,  um  diesem  Iintwurf  eine  gewisse  \'ollständig- 
keit  zu  geben,  einen  der  ersten  dänischen  Xaturtorscher, 
den  Entomologen  Schiödte  gebeten,  mir  mit  ein  Paar 
Worten  anzudeuten,  welche  Eindrücke  er  während  seiner 
wissenschaftlichen  Eautbahn  aut  Goethe  zurückzuführen 
vermag.     Professor  Schiödte  schreibt  mir  u.  A. : 

»Ich  bin  durch  Goethe  in  der  Arbeitsmethode,  in 
welche  ich  durch  mein  Naturell  eingeführt  wurde,  be- 
festigt und  darin  bestärkt  worden,  sie  unter  Ungiuist  und 
Widerspruch  testzuhalten  und  zu  entwickeln.  Sie  besteht 
darin,  sich  aus  der  endlosen  Mannigfaltigkeit  dadurch  hinaus- 
zuretten,  da>s  man  seine  Gegenstände  symbolisch  behandelt, 
d.  h.  sie  so  vollständig  und  allseitig  wie  möglich  durch- 
dringt und  solcherweise  die  Bearbeitung  als  ein  instar 
omnium  hinstellt,  laut  der  Erkenntniss,  dass  jeder  ab- 
geschlossene Organismus  oder  jede  zusammenhängende 
Gruppe  von  Organismen  die  ganze  organische  Natur  ver- 
tritt. Mannigfach  bin  ich  in  dieser  Bestrebung  von  Goethe 
beeinflusst  worden,  auch  mit  Rücksicht  auf  meine  Dar- 
stellungsweise in  morphologischen  und  svstematischen  Con- 
spectus,  in  Abbildungskunst  u.  dgl.  Ueber  naturhistorisches 
Zeichnen  hat  er  \'ieles,  das  mir  fruchtbringend  war.  Mir 
besonders  theure  Stellen  von  Goethe  sind :  Was  ist  das 
Allgemeine?    Der  einzelne  Fall.     Was    ist    das  Besondere? 


46  Akhandlungen. 


Millionen   l-.illc.  —  Willst  Uu  Dich  :\m   G.w/.un  erquicken, 
so  niiisst   Du  das  (}an/c  im   Kleinsten  blicken.« 

\is  sciieint  mir,  dass  diese  so  verschiedenartigen  und 
so  ungleich  motivirten  Zeugnisse  der  Bewunderung,  der 
Abneigung  oder  der  Dankbarkeit  der  verschiedensten  Männer 
eines  kleinen  \'olkes  besser  als  die  wärmsten  Lobreden 
eine  X'orstellung  von  den  nach  allen  Richtungen  hin  ver- 
breiteten Anregungen  geben,  die  der  Geist  (ioethe's  sonnen- 
artig ausstrahlt. 

\'II1. 

Was  die  jüngste,  jetzt  in  dem  Mannesalter  stehende 
Generation  in  Dänemark  (joethe  verdankt,  lässt  sich  kaum 
bestimmen  oder  ermessen.  Seine  Dichtung,  seine  Welt- 
ansichr,  seine  Ideen  sind  \'ielen  so  in's  Blut  übergegangen, 
sein  lünfluss  hat  durch  so  viele  Kanäle  gewirkt,  dass  niu' 
Wenige  mit  einiger  Genauigkeit  ihre  Schuld  an  ihn  an- 
zugeben vermögen.  Man  las  in  den  Jahren,  da  das  jetzt 
in  den  Dreissigern  stehende  Geschlecht  autwuchs,  in  Däne- 
mark wenig  Deutsch.  DieXationalfeindschaft  gegen  Deutsch- 
land, die  wir  fast  Alle  als  Jünglinge  leidenschaftlich  theilten 
und  die  nach  dem  Verlust  des  ganzen  Schleswig  heftig 
aufloderte,  machte  uns  die  deutsche  Literatiu'  im  (ianzen 
wenig  sympathisch.  Ueberhaupt  ist  die  deutsche  Geistesart 
den  Dänen  fremder  als  man  nach  der  W^rwandtschaft  der 
^'ölker  und  nach  der  langen  Abhängigkeit  von  Deutschland 
glauben  sollte,  besonders  viel  fremde]-  als  die  Deutschen  ahnen. 

Goethe  war  aber  (mit  Heine)  einer  der  wenigen  Sterne 
Deutschlands,  die  auch  zur  Zeit,  da  die  nationale  F.nt- 
fremdung  \ou  Deutschland  am  grössten  war,  ihi"  Licht 
über  die  (jrenze  sandten.  Xicht  dass  seine  Werke  in  guten, 
künstlerisch  ausgeführten  Uebersetzungen  vorlagen;  die 
L'ebersetzungen,  die  es  von  ihnen  gibt,  sind  fast  ohne 
Ausnahme  schlecht,  veraltet  oder  verschollen  und  sind  nie 
populär  gewesen.    Wer  ihn  gelesen  hat,  las  ihn  im  Original. 


Georg  Brandes:  GeffeTHE  und  Danemark.  47 

Xoch  weniger  lernten  wir  im  nationalen  Schauspielhaus 
(joethe  kennen.  l:r  ist  aut  der  könii^lichen  Bühne  in 
Kopenhagen  so  xii  sagen  nie  autgelührt  worden.  Man  liat 
in  Dänemark  Claudine  von  \'illabella  drei  Mal,  C^lavigo  fünf 
Mal,  l-'gmont  vier  Mal,  Die  Geschwister  drei  Mal  gegeben. 
Und  das  ist  Alles,  was  von  Goethe  gespielt  worden  ist. 
Die  nicht-dänischen  zeitgenössischen  Dichter,  die  auf  die 
Jugend  am  tiefsten  gewirkt  haben,  die  beiden  Norweger 
Björnstjerne  Björnson  imd  Henrik  Ibsen,  haben  von  Goethe 
wenig  gelernt  und  mit  ihm  nichts  gemein.  Die  dänischen 
Dichter  der  Generation  von  1870  H.  Drachmann,  S.  Schan- 
d(M-ph .  J.  P.  Jacobsen,  E.  Skram  u.  s.  w.  scheinen  von 
Goethe  durchaus  nicht  unmittelbar  beeinflusst. 

Sie  sind  es  mittelbar,  theils  durch  die  literarische  Krb- 
schait,  die  sie  von  ihren  Vätern  übernommen  iiaben  ,  und 
theils  —  was  in  Deutschland  vielleicht  sonderbar  klingt  — 
durch  die  in  Dänemark  so  mächtige  Einwirkung  fran- 
/.ösischer  Ideen  und  Formen.  Die  grosse  französische 
Kritik  hat  mitgewirkt,  uns  zu  Goethe  zurückzuführen.  Das 
Wort,  das  so  oft  hingeworfen  wird,  das,  was  Europa  recht 
verstehen  soll,  ihr  von  Frankreich  erklärt  werden  muss, 
hat  sich  für  die  jüngere  Generation  in  Dänemark  in 
diesem  Fall  bestätigt.  Deutschland  war  uns  fast  fremd 
geworden,  wir  sahen  es  nur  durch  das  Medium  nationaler 
Antipathie  und  früh  eingesogener  Vorurtheile.  Die  fran- 
zösische Literatur,  wie  sie  sich  vor  dem  Jahre  1870 
entwickelt  hatte,  lehrte  uns  aufs  neue  Deutschland  ver- 
stehen und  würdigen,  und  Goethe  ward  uns  das  ideale 
Deutschland. 

Was  unsere  \'äter  am  stärksten  zu  Goethe  hinzog, 
sein  erhabenes  Gleichgewicht,  seine  Ruhe,  die  vollendete 
Harmonie  seines  Wesens  ist  uns  Jüngeren  nicht  das  Theuerste 
an  ihm;  die  Ruhe  seines  Alters  ist  uns  fast  verleidet  wor- 
den,   weil  wir  sahen,    wie  das   nationale  Phlegma  unserer 


48 


Abhandlungen. 


\';ucr  sich  in  iiii-  .spici^cltc  und  aus  ihr  die  Gcwisshcit 
seiner  Würde  und  Berechtigung  sog.  Uns  ist  Goethe  be- 
sonders so  theuei',  weil  wir  die  Natur  vergöttern,  und 
Goethe  der  grosse,  waiire,  den  Kampf  entscheidende  Pro- 
test gegen  den  Supranaturalisnius  ist,  er,  der,  wie  man 
von  einem  Staat  im  Staate  spricht,  eine  Natur  in  der 
Natur  genannt  werden  kann.  Uns  ist  Goethe  ferner  so 
theuer,  weil  wir  die  Kunst  anbeten,  und  Goethe  uns  mehr 
als  alle  Andern  der  Künstler  ist.  Hr,  der  als  Morphologe  und 
Anatom  fast  ausschliesslich  die  Form  zu  defmiren  suchte, 
und  der  die  Form  als  Bildung  bestimmte,  ein  Wort^  das 
den  -Akt  des  sich  Bildens  und  das  Gebildete  zugleich  um- 
tasst,  er  vertritt  uns  die  höchste  Form  und  die  höchste 
Bildung. 

Unsere  nationalen  Koryphäen,  wie  Kierkegaard  und 
Paludan-MüUer,  predigten  uns  das  A'ersagen ;  von  Goethe 
kam  uns  der  Zurut :  \'erstehe! 

Wir  sahen  andere  grosse  Geister  Furopas  in  Selbst- 
bespiegelung,  Selbstvergötterung,  Selbstvernichtung,  Selbst- 
betäubung oder  Selbstentäusserung  endigen,  Goethe  wurde 
uns  das  grosse  Paradigma  der  Selbstentwicklung.  Wir 
lernten  von  ihm,  dass  wer  vor  Allem  daran  arbeitet,  sich 
selbst  zu  entwickeln,  am  meisten  Aussicht  hat,  in  die  all- 
gemeine Entwickelung  einzugreifen.  Die  Universalität  seines 
Geistes  ist  und  bleibt  ein  Ideal;  man  treut  sich  ihrer,  ohne 
sie  zu  begehren;  aber  von  ihr  haben  wir  gelernt,  im 
Einzelnen  nie  das  Ganze  aus  den  Auijen  zu  verlieren. 


2.  GoETHE's  Stellung  zum 
Christenthum. 

VON 

JULIAN  Schmidt. 


o  viel  ich  übersehe,  war  Goethe's  Schritt  über 
W'inckehnann  1805  die  erste  \'eranlassung,  dass 
sein  Christenthum  in  Frage  gestellt  wurde.  Er 
hatte  nachgewiesen,  dass  Winckelmanns  gesammte  Kunst- 
anschauung auf  einer  heidnischen  Gesinnung  beruhe,  und 
es  schien,  als  ob  er  diese  Gesinnung  billige.  Wir  haben 
hinreichende  Zeugnisse,  wie  aufgebracht  gerade  seine  alten 
\'erehrer,  die  Romantiker,  über  dies  Manifest  waren. 

Die  Jahre  1805  und  1806  waren  ein  bedeutender 
Moment  für  die  Geschichte  unserer  Literatur,  ein  Wende- 
punkt in  unserem  geistigen  Leben.  Die  Schrift  über  Winckel- 
mann  war  der  Abschluss  einer  Entwicklung,  die  mit  Goethe's 
italienischer  Reise  beginnt :  die  Periode  der  rein  ästhetischen 
Weltanschauung,  deren  erster  Apostel  eben  Winckelmann 
gewesen  war.  Im  Sinn  dieser  Weltanschauung  schrieb 
Schiller,  noch  bevor  er  Goethe  näher  getreten  war,  die 
»Götter    Griechenlands«    und    die    »Künstler«;    in    diesem 

GühTlll;-|AH!il:i.CI!     II.  1 


50  Abhandlungen. 


Sinn  bcluuKk'ltc  Herder  im  vierten  Band  der  »Ideen«  das 
historische  Christenthum  sehr  übel ,  und  tand  Goethe's 
vollen  Beifall.  Dieser  Richtuni;  gehörten  ursprünglich  die 
geistreichen  jungen  Schriftsteller  an,  die  sich  später  als 
romantische  Schule  sonderten;  sie  sprach  sich  am  leiden- 
schaftlichsten in  Hölderlin's  »Hyperion«  aus.  Es  galt  wie 
ein  Glaubensbekenntniss,  dass  die  Deutschen  aus  ihrer  Zer- 
fahrenheit sich  erst  würden  lösen  können,  wenn  sie  völlig 
Griechen  geworden  waren. 

Diese  Periode  der  Renaissance  endigte  wie  die  alte 
italienische  mit  dem  Einbruch  der  Barbaren.  Die  absolute 
Kunst  hatte  /u  ihrem  HeiHgthum  der  rohen  Wirkhchkeit 
den  Zutritt  versagt,  aber  diese  wartete  nicht  bis  sie  gerufen 
wurde,  sie  brach  wie  ein  ungeheurer  Sturm  \erheerend 
über  Deutschland  ein.  Was  \'orschauende  lange  geahnt, 
wurde  in  der  Schlacht  von  Jena  zur  Wahrheit. 

Eine  grosse  Erschütterung  in  den  Ueberzeugungen 
war  die  Eolge.  Die  Götter  Griechenlands,  die  Winckel- 
niann,  Goethe  und  Schiller  verkündigt,  erwiesen  sich  als 
ohnmächtige  Schutzheilige;  man  wandte  die  Augen  zu  dem 
alten  historischen  Gott  zurück ;  die  Noth  lehrte  beten.  Dass 
Goethe  bei  dieser  allgemeinen  Umwandlung  seinen  Gleich- 
muth  zu  bewahren  schien,  wurde  ihm  zum  ^'orwurf gemacht; 
seine  Religion  wurde  nicht  weniger  in  Zweifel  gezogen 
als  sein  Patriotismus.  Seit  der  Zeit  beginnen  die  Anklagen 
gegen  Goethe,  in  welchen  sich  die  liberalen  Patrioten  mit 
den  bekehrten  Romantikern  begegneten.  Er  wurde  fortan 
der  grosse  Heide  genannt.  Am  lautesten  wurden  diese 
Anklagen  kurz  vor  seinem  Tode,  seit  Begründung  der 
evangelischen  Kirchen-Zeitung. 

Seitdem  ist  das  ^'erständniss  Goethe\  beim  deutschen 
Publicum  immer  mehr  gewachsen,  und  die  Ankläger  wiu"- 
den  genöthigt,  sich  wenigstens  ehrerbietig  auszudrücken. 
Es    fanden    sich    wohlwollende    Ausleger,    die    den    hoch- 


Julian  Schmidt:  Goethe's  ^iellung  zum  Christenthum.      51 


verehrten  Dichter  xu  einem  vollendeten  Christen  stempehi 
wollten. 

Das  scheint  jetzt  wieder  anders  werden  zu  wollen,  seit 
D.  l.  Strauss  in  seiner  Schrift  »der  alte  und  neue  GLmbe« 
denen,  die  sich  Christen  nennen  wollten,  das  christliche 
Credo  zur  Unterschrift  vorlegte  und  sie  vom  Christenthum 
ausschloss,  wenn  sie  sich  dessen  weigerten.  Mit  der  ent- 
gegengesetzten Tendenz,  aber  nicht  sehr  abweichend  in 
der  Form,  treten  nun  die  Orthodoxen  aut,  die  in  der 
Kirche  wieder  eine  maassgebende  Stelle  beanspruchen  und 
zum  Theil  errungen  haben. 

Ist  Goethe  ein  Christ  gewesen?  —  Diese  Frage  muss 
erst  richtig  getasst  werden. 

Wenn  man  in  der  Strauss'schen  Manier  Goethe  die 
drei  Artikel  zur  Unterschrift  vorgelegt  haben  würde,  so 
hätte  er,  wenn  er  sich  überhaupt  zu  einer  Antwort  herab- 
liess,  dasselbe  erwidert,  was  er  Lavater  erwiderte,  als  dieser 
ihm  durch  seine  Zudringlichkeit  lästig  wurde:  »ich  bin 
in  diesem  Sinn  ein  decidirter  Xichtchrist«. 

Aber  dieselbe  Antwort  würden  Lessing  imd  Schiller, 
Kant  und  Fichte,  Schelling  und  Hegel,  kurz  alle  die  Schrift- 
steller, die  den  Stolz  des  18.  Jahrhunderts  ausmachen, 
gegeben  haben;  ja  nicht  minder  die  damals  so  übel 
beleumdeten  Glaubensphilosophen  Jacobi,  Claudius,  Hamann, 
Lavater  u.  s.  w.  Sie  wären  sämmtlich  von  dem  Strauss'- 
schen Glaubensgericht    als    arge  Ketzer    befunden   worden. 

Aber  noch  mehr.  Gerade  die  Männer,  die  sich  in 
dieser  und  der  unmittelbar  vorhergehenden  Periode  durch 
tiefe  und  echte  Frömmigkeit  auszeichneten,  die  Spener 
und  Francke,  die  Zinzendorf  und  Moser,  die  Haller  und 
Lavater,  legten  auf  diesen  historischen  Buchstabenglauben 
nicht  den  geringsten  Werth.  Nicht  das  heisst  glauben, 
dass  ich  das  Bekenntniss  meinem  Gedächtniss  einpräge  und 
niemals  einen  Zweifel  ausspreche,  sondern  das  heisst  glauben. 


52  Abhandlungkn. 


dass  ich  die  \'crdcrbniss  der  Welt  und  die  Erlösung  in 
meinem  Innern  wirklich  erfahre,  durch  die  Gluth  meiner 
Andacht,  durch  die  Inbrunst  meines  Willens  Gott  gleich- 
sam nöthige,  mir  Rede  /.u  stehen.  Mehrere  dieser  Männer 
waren  in  der  That  so  starken  Willens,  dass  sie  mit  der 
überirdischen  Welt  völlig  ins  Reine  kamen ;  bei  den 
Meisten  aber  erneuerte  sich  wiederholt  das  Ringen  und 
Kämpfen,  und  der  Refrain  ihres  Gebets  blieb:  »ich  glaube! 
Herr,  hilf  meinem  Unglauben  !  « 

Von  dieser  Seite  über  sein  Ghristenthum  betragt,  hätte 
Goethe  keineswegs  eine  blos  ablehnende  Antwort  gegeben, 
auch  er  bemühte  sich  /u  erfahren,  ja  er  hatte  manches  wirk- 
lich erfahren. 

Die  1-rage  :  wer  ist  heute  ein  Ghrist?  —  der  eine  er- 
schc)pfende  Fassung  zu  geben  die  Orthodoxen  wie  die 
Pietisten,  zu  sehr  befangen  in  den  \"oraussetzungen  ihrer 
eignen  Zeit,  nicht  im  Stande  waren  —  wurde  richtig  tormulirt 
durch  Schleiermacher  in  den  ^dleden  über  die  Religion 
an  die  (Gebildeten  unter  ihren  Verächtern«.  Ueber  die 
1-rage:  was  ist  die  Religion,  was  ist  das  Ghristenthum 
überhaupt?  gibt  das  Buch  nur  eine  unzulängliche  Auskunft, 
da  für  die  Religion  in  höherm  Sinn  nicht  der  Andächtige, 
sondern  der  Prophet,  der  religiöse  Genius  typisch  ist; 
wohl  aber  gibt  es  Auskunft  über  die  Frage:  was  ist  die 
Religion,  was  das  Christentiium  im  geistigen  Leben 
eines  (iebildeten  im  Wendepunkt  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts? 

lün  Gebildeter  ist,  wer  das  ik'dürtniss  und  das  Geschick 
hat,  sich  über  den  Zusammenhang  seines  Denkens,  Wollens 
und  Emptindens  Klarheit  xu  verschätzen.  Je  reicher  der 
geistige  Stoff  ist,  den  er  zu  bewältigen  hat,  je  energischer 
er  ihn  bewältigt,  desto  gebildeter  ist  der  Mensch.  In 
diesem  Sinn  war  Goethe  der  gebildetste  Mann  des  i<S., 
wie  Leibnitz  der  gebildetste  Mann  des   17.  Jahrhunderts. 


Julian  Schmidt:  GoETHE's^iJTELLUNG  zlm  Chkistenthlm.     53 

Unniöü;lich  kann  das  Christciuhum  im  19.  jahrluindcrt 
die  Seele  eines  Gebildeten  so  austüUen  wie  im  6.  oder 
II.  Jahrhundert.  Damals  war  es  das  Christenthum  last 
ausschliesslich,  was  die  allgemein  menschliche  Bildung 
vermittelte;  die  Bildung  konnte  also  einen  einheitlichen 
Charakter  haben.  \\"\r  dagegen  müssen  mit  Bildungs- 
motiven rechnen,  die  jenen  Jahrhunderten  unbekannt  waren. 
Uns  ist  die  echte  Antike,  ihre  Kunst  und  Philosophie  nicht 
verborgen,  wir  kennen  das  Gesetz  der  Xatiu-  in  einem 
umfang  wie  keine  andere  Zeit,  wir  i.ibersehen  alle 
historischen  Mächte,  die  zu  irgend  einer  Zeit  die  Welt 
beherrscht  haben,  unter  denen  das  Christenthum  eine  her- 
vorragende aber  nicht  ausschliessliche  Stellung  einnimmt. 
Mit  allen  diesen  Bildungsmotiven  muss  der  Gebildete  des 
19.  Jahrhunderts  sich  abhndeu,  wenn  er  sich  über  seinen 
Glauben  Rechenschaft  geben  will. 

In  jenen  dunkeln  Zeiten  war  die  F. ehre  in  der  Hand 
der  Kirche;  der  Laie  fügte  sich,  oder  war  ein  Ketzer. 
Der  protestantische  Laie  dagegen  hat  nicht  nur  das  Recht 
sondern  die  Pflicht  überkommen,  über  die  Lehre  zu  torschen, 
sie  in  sich  zu  verarbeiten:  auch  als  Glied  der  Gemeinde, 
in  der  er  sich  sittlich  bewegt,  kommt  ihm  ein  produk- 
tives Wirken  zu. 

Nur  mit  diesen  X'oraussetzungen  wird  man  der  Frage: 
war  Goethe  ein  Christ?  naher  treten. 

Li  Goethe's  geistiger  Entwickelung  nimmt  das  Christen- 
thum einen  sehr  wichtigen  Platz  ein,  ja  ich  wage  zu 
behaupten :  einen  wichtigeren  als  in  dem  Leben  irgend 
eines  andern  der  leitenden  Männer  des   18.  Jahrhunderts. 

Freilich  änderte  sich  zuweilen  seine  Stimmung,  wie 
bald  die  eine  bald  die  andere  Seite  des  Christenthums  ilim 
entgegentrat.  In  den  zwanzig  Jahren,  die  ich  vorher 
erwähnte,  1785  — 1805,  überwog  die  Abneigung:  hatte  er 
das  Christenthum  zuletzt  doch  in   dem  Zerrbild   des  römi- 


54  Abhandlungen. 


sehen  PLill'ciitluiins  i^oschcn  !  Aber   vdrhei'  und  nachher  ist 
sein   L'rtheil  .yan/  anders. 

Ueber  seine  jiii^end/eit  berichtet  das  siebente  Buch 
von  »Wahrheit  und  Dichtung«.  »Sie  iiel  in  eine  Periode 
der  Toleranz,  in  der  man  sänimthchen  positiven  Ivehgionen 
gleiche  Rechte  gab,  wodurch  denn  eine  mit  der  andern 
gleichgültig  und  unsicher  wurde.  Uebrigens  liess  man 
denn  doch  alles  bestehn,  und  weil  die  Bibel  so  voller 
(jehalt  ist,  dass  sie  mehr  als  jedes  andere  Buch  Stoff  zum 
Nachdenken  und  Gelegenheit  y.u  Betrachtungen  über  die 
menschlichen  Dinge  darbietet,  so  konnte  sie  nach  wie  vor 
bei  allen  religiösen  W'rhandlungen  zu  Grunde  gelegt  wer- 
den. .  .  .  Ich  für  meine  Person  hatte  sie  lieb  und  werth  ; 
denn  füsl  ihr  iilleiii  ivar  ich  »wiiic  silllichc-  BildtDh^  scljiildig, 
und  die  Begebenheiten,  die  Lehre,  die  Symbole,  die  Gleich- 
nisse, alles  hatte  sich  tiel  bei  nnr  eingedrückt  und  war 
auf  die  eine  oder  andere  Weise  wirksam  gewesen«.  Hr 
setzt  noch  hinzu,  dass  er  sich  zwar  in  Leipzig  zu  den 
liberalen  Grundsätzen  der  Exegese  hielt,  wie  sie  Ernesti 
vortrug,  zugleich  aber  ahnte,  »dass  durch  diese  verständige 
Auslegungsweise  zuletzt  der  poetische  Cjchalt  jener  Schriften 
mit  den  prophetischen  \erloren   gehen  müsse«' . 

Diese  Erzählung  ist  von  1812;  im  »Westöstlichen 
Div.ui«  1814  erklärt  der  Dichter,  er  habe  »unsrer  heil'gen 
Bücher  herrlich  Bild  an  sich  genommen ,  wie  aut  jenes 
I  uch  der  Tüchei'  sich  des  Herren  Bildniss  drückte,  mich 
in  stiller  Brust  ei'quickte,  trotz  \'erneinung,  Hinderns, 
Rauhens  mit  dem  heiteren   Bild  des  Gdaubens«. 

-Als  Herder,  März  178^,  ihm  eine  Predigt  zuschickte, 
zur  Taute  des  lirbprinzen,  bemerkte  ihm  (Goethe:  »Mich 
■hat  gewundert,  dass  i\v\  darin  keinen  Gebrauch  gemacht 
hast  von  Motiven,  die  uns  die  christliche  Religion  bietet, 
wenn  ichs  auch  nur  nehme  als  Melodie  eines  bekannten 
Chorals,  der  unter  anderer  Musik    den    besten   J-.flect    thut. 


Julian  Schmidt:  Goethe's Stellung  zum  Christenthum.      55 


und  durch  allgemeine  Reniiniscen/en  die  ganze  Gemeine 
auf  Kinen  Punkt  führt.« 

Mir  scheint  die  Aeusserung  sehr  merkwürdig  und 
wichtig.  Hüflentlich  wird  man  sie  nicht  etwa  so  auslegen, 
dass  der  Kammerpräsident  dem  Superintendenten  den  Wink 
giebt,  er  wäre  es  seinem  Amt  schuldig,  die  Bilder  und 
Gleichnisse  anzuwenden,  an  die  das  Publikum  einmal 
gewöhnt  sei.  Sondern  es  spricht  der  Freund  zu  seinem 
besten  Freunde,  mit  dem  er  sich  in  allen  tieiern  Fragen 
einig  weiss;  er  erinnert  ihn  an  die  gemeinsame  Ueberzeugung, 
dass  die  biblischen  Symbole  nicht  blos  die  geläufigsten, 
sondern  auch  die  passendsten  wären  tür  eine  heilige  Hand- 
lung —  selbst  wenn  sie  nichts  weiter  wären  als  Symbole. 

»Es  ist  nicht  immer  nöthig«,  sagt  Goethe  im  ersten 
Buch  seiner  Sprüche  in  Prosa,  »dass  das  Wahre  sich  yer- 
körpere;  schon  genug,  wenn  es  geistig  umherschwebt  und 
L'ebereinstimmung  bewirkt;  wenn  es  wie  Glockenton  ernst 
freundlich  durch  die  Luft  wogt«. 

Der  Gebildete  lauscht  dem  Glockenton  nicht  blos, 
weil  er  ihn  zur  Gemeinde  ruft,  zu  der  er  gehört;  sondern 
weil  er  eine  sympathische  Saite  seines  eignen  Innern 
berührt.  Die  sittliche  Beziehung  zum  Kirchenthum  wird 
zugleich  getragen  durch  eine  Beziehung  des  Herzens. 

Wenn  die  Dichter  unserer  classischen  Zeit  als  Laien 
es  abgelehnt  hätten,  sich  katechisiren  zu  lassen,  so  hatten 
sie  doch  einen  hohen  Begrifi:  yon  dem  heiligen  Berut  der 
Männer,  die,  tieler  in  die  Geheimnisse  des  Glaubens  ein- 
geführt als  sie,  die  Leitung  der  Gemeinde  übernahmen. 

»Ein  protestantischer  Landgeistlicher  ist  yielleicht  der 
schönste  Gegenstand  einer  modernen  Idylle;  er  erscheint 
wie  Melchisedek  als  König  und  Priester  in  Einer  Person. 
An  den  unschuldigsten  Zustand,  der  sich  auf  Erden  denken 
lässt,  an  den  des  Ackermanns,  ist  er  meistens  durch  gleiche 
Beschätti^unt'    wie    durch    «gleiche  Familienyerhältnisse  se- 


;6  Abhandlungen. 


knüpit;  er  ist  \  atcr,  1  laiisliciT,  I.aiKlmann,  und  so  voll- 
koninicn  ein  (üicd  dci'  (icmcindc.  Aul  diesem  reinen 
schönen,  irdischen  Grund  ruht  sein  höherer  I3erut  ;  ihm  ist 
übergeben,  die  Menschen  ins  Leben  zu  H'ihren,  tür  ihre 
_Li;eistii:e  ha'/iehunu  /u  sorgen,  sie  bei  allen  1  laujnepochei; 
ihres  Daseins  /u  segnen,  sie  y.u  belehren,  zu  kralligen,  zu 
trösten,  und  wenn  der  Trost  lür  die  Gegenwart  nicht  aus- 
i'eicht,  die  HoHnung  einer  glücklicheren  Zukimtt  hervor- 
zurufen und  zu  verbürgen.  Vau  solcher  Mann,  mit  rein 
menschlichen  Gesinnungen,  stark  genug,  um  unter  keinen 
Umständen  davon  zu  weichen,  und  schon  dadiu'ch  über 
die  Menge  erhaben   .  .  .« 

Goethe  sagt  das  in  »Wahi'heit  und  Dichtung«  in  Ik'zug 
auf  den  Vicar  von  Wakcheld;  er  selbst  hat  in  »Hermann 
und  Dorothea«  einen  Geistlichen  der  Art  mit  Cjlück  dar- 
gestellt, wie  \'oss,  der  aut  der  äussersten  Linken  des 
Rationalisnuis    stand,    mit    weniger  Glück  in  der  »Luise«. 

l*jne  solche  Hochachtung  \-or  dem  geistlichen  Amt 
ist  aber  bei  einem  Gebildeten  undenkbar  ohne  sittliche 
Beziehung  zu  der  Religion,  die  diu'ch  dieses  Amt  \er- 
kündet   wird. 

Augenscheinlich  dachte  Goethe  bei  dem  Ideal  eines 
Geistlichen  nicht  an  einen  jener  orthodo.xen  Klopriechter, 
wie  sie  Geliert  in  »die  Bauern  und  der  Amtmann«  schildert, 
die  ihre  Gemeinde  mit  Schmähungen  gegen  die  Ketzer 
imterhielten.  Aber  ebensowenig  an  einen  rationalistischen 
KlopHechier,  einen  Sebaldus  Xothanker,  an  den  der  »ehr- 
würdige Ptarrer  N'on  Grünau«  einigermassen  anstreitt.  Seine 
Abneigung  gegen  die  altklugen,  nüchternen  und  streitlertigen 
Rationalisten  hat  Cioethe  schon  im  »Werther«  lebhaft 
ausgesprochen.  Ihm  war  durch  LIerders  Schritten  aus  den 
Jahren  177^ — 1775  der  nnthische  und  nnstische  Sinn  des 
Christenthums  aulgegangen,  die  pietistische  Gesinnung  durch 
Fräulein  von  Klettenberg,  seine  mütterliche  Freundin.     Sie 


Julian  Schmidt:  Goethe's  Ss-ellung  zum  Chkistenthum.      57 

gehörte  zur  Hci'rnhutcr  Schule,  war  aber  uiilde  i^egeu 
jede  gebildete  l^igenart,  sie  bedauerte  zwar  den  jungen  breund. 
dass  er  keinen  versöhnten  Gott  habe,  Hess  ihn  aber  lächelnd 
gewähren,  wenn  er  sich  einbildete,  »dass  nach  seinen 
lirfahrungen  C;()tt  gar  wohl  gegen  ihn  in  liest  stehen 
könne,  ja  dass  er  ihm  liiniges  zu  verzeihen  habeo. 

Noch  wichtiger  wurde  für  Goethe  der  W-rkehr  mit 
Lavater.  Beide  gingen  auf  religiöse  Erfahrungen  aus;  in 
Lavater  war  anscheinender  Reichthum  an  Hrfahrungen,  weit- 
reichende Bildung,  grosse  Toleranz,  und  dabei,  was  Goethe 
stets  bestach,  ein  starkes  Leben.  Goethe  ging  ganz  frei 
gegen  ihn  heraus,  meist  polemisch,  aber  in  dieser  Polemik 
entwickelte  sich  seine  religiöse  Weltanschauung,  die  in 
der  Grundidee  sich  gleich  blieb,  am  entschiedensten. 

Goethe  hält,  und  darin  stimmt  er  mit  Lavater  überein, 
das  Christenthum  für  eine  wirkliche  Ortenbarung  Gottes, 
und  zwar  tür  die  höchste,  aber  —  und  das  schied  ihn  von 
Lavater  —  nicht  für  die  einzige.  Offenbarung  Gottes  ist 
jede  neue  grosse  eigene  Erfahrung  vom  Uebersinnlichen, 
die  sich  noch  in  Jahrhunderten  und  Jahrtausenden  :\u  der 
Menschheit  als  heilkräftig  erweist. 

»Es  wird  die  Zeit  kommen,  da  wir  ims  verstehen 
werden.  Du  redest  mit  mir  als  mit  einem  Ungläubigen, 
der  begreifen  will,  der  bewiesen  haben  will,  der  nicht 
erfahren  hat!  und  \on  Allem  dem  ist  gerade  das  Gegentheil 
in  meinem  Herzen.  Ich  bin  vielleicht  ein  Thor,  dass  ich 
Euch  nicht  den  Gefallen  thue,  mich  mit  Euern  Worten 
auszudrücken  .  .  .  Zeugnisse  schätze,  liebe,  bet'  ich  an,  die 
mir  darlegen,  wie  Tausende  oder  Einer  vor  mir  eben  das 
gefühlt  haben,  das  mich  kräftigt  und  stärkt.  So  ist  das 
Wort  der  Menschen  mir  Wort  Gottes  .  .  .  und  mit 
inniger  Seele  falle  ich  dem  Bruder  um  den  Hals,  Moses, 
Prophet,  Evangelist,  Apostel,  Spinoza  oder  Machiavell ! 
dar!  aber    auch  zu    jedem    sagen:    lieber    Ereund,    geht  Dir 


c8  Abhandlungen, 


CS  di)ch  wie  mir!  Im  l:in/clncn  scntirst  Du  krältig  Lind 
hcrrlicli,  das  G.mzc  i^'iiii^  in  Deinen  Kopf  so  wenig  als 
in  meinen  ((. 

So  schreibt  er  an  einen  jüni^er  Lavaters  schon  1774. 
Dann  machte  der  persönHche  liindruck  Lavaters  ihn  noch 
Ljeneii,uer,  sich  mit  ihm  zu  verständigen,  aut  seine  \  or- 
stellungsweise  einzugehen.  Noch  i78oimponirt  ihm  Lavaters 
l-rommigkeit  aufs  äusserste.  Jetzt  aber  ertolgen  Ivund- 
gebungen  des  letzteren,  die  zu  Gunsten  des  wunderthätigen 
Glaubens  alles  Grosse  und  Schöne  der  weltlichen  Bildung 
mit  Füssen  treten.  Noch  einmal  stellt  Goethe  1782  zusammen, 
was  sie  verbindet  und  was  sie  trennt. 

»Du  iindest  nichts  schöner  als  das  H\angelium :  ich 
linde  tausend  geschriebene  laudier  alter  und  neuer  von 
Gott  begnadigter  Menschen  ebenso  schön  und  der  Mensch- 
heit nützlich  und  unentbehrlich.  Es  erhebt  die  Seele,  wenn 
man  Dich  das  herrliche  crvstallhelle  Gelass  mit  der  höchsten 
Inbrunst  fassen,  mit  Deinem  eigenen  hochrothen  Tranke 
schäumend  füllen  und  den  über  den  Rand  hinautsteigenden 
(lischt  mit  Wollust  wieder  schlürfen  sieht!  Ich  gönne 
Dir  gern  dieses  (ilück,  denn  Du  müsstest  ohne  dasselbe 
elend  wei'den.  l^ei  dem  Wunsch  und  der  Begierde,  in 
Linem  Individuo  alles  zu  geniessen^  und  bei  der  Unmög- 
lichkeit, dass  Dir  ein  Individuum  genug  thun  kann,  ist  es 
herrlich,  dass  aus  alten  Zeiten  uns  ein  Bild  übrig  blieb,  in 
das  Du  Dein  alles  übertragen  und  in  ihm  Dich  bespiegeln. 
Dich  selbst  anbeten  kannst.  Nur  das  kann  ich  nicht  anders 
als  ungerecht  und  einen  llaub  nennen,  der  sich  für  Deine 
gute  Sache  nicht  ziemt,  dass  Du  alle  köstlichen  l'edern 
der  tausendfachen  GeHüge!  unter  dem  Himmel  ihnen,  als 
wären  sie  usurpirt,  ausraufst,  um  Deinen  Paradiesvogel  aus- 
schliesslich damit  zu  schmücken  ;  dies  ist,  was  uns  noth- 
wendig  verdricssen  und  unleidlich  scheinen  muss,  die  wir 
uns  einer  jeden  durch  Menschen  und  den  Menschen  oHen- 


Julian  Schmidt:  Goethe's  ii^ELLUNG  zum  CHiusTENTHUiM.     39 

harten  Weisheit  /u  Schülern  hingehen ,  und  als  Söhne 
Gottes  ihn  in  uns  selbst  und  allen  seinen  Kindern  anbeten. 
Ich  weiss  wol,  dass  Du  Dich  darin  nicht  ändern  kannst 
und  dass  Du  xor  Dir  selbst  Rech.t  behältst;  doch  finde  ich 
auch  nöthii^,  da  Du  Deinen  Glauben  w  iederholt  predigst,  Dir 
auch  den  unsern  als  einen  ehrnen  Fels  der  Menschheit 
wiederholt  zu  /.eigen,  den  Du  und  eine  ganze  Christenheit 
mit  den  Wogen  Eueres  Meers  \'ielleicht  einmal  über- 
sprudeln, aber  weder  überströmen  noch  in  seinen  Tiefen 
erschüttern  k(innen  «. 

Auch  hiei'  wehrt  sich  Goethe  nicht  gegen  das  Christen- 
thum  an  sich,  sondern  gegen  die  einseitige  Herrschaft  des 
Christenthums  oder  des  christlichen  Bildungsmotivs  über 
alle  übrigen  Bildungsmotive,  die  gleichfalls  ihr  Recht  be- 
haupten sollen.  Je  mehr  sich  das  Band  mit  Lavater  lockerte, 
desto  näher  trat  ihm  Herder,  der  gerade  in  seinen  damaligen 
Schriften  tur  die  tiefen  Gedanken  des  Christenthums  die 
köstlichsten  Ausdrücke  gefunden  hatte.  In  Herders  Sinn 
begann  Goethe  bereits  1784  das  grosse  Gedicht  »die 
Geheimnisse«,  in  welchem  die  Coordination  der  verschiedenen 
Religionsformen  aber  unter  dem  Vorsitz  der  christlichen 
Religion  gefeiert  werden  sollte. 

Der  suchende  Pilger  hört  die  Glocken  läuten: 

Das  Zeiclien  sieht   er  prächtig  aufgerichtet, 
Das  Aller  Welt  zu  Trost  und  Hoffnung  steht, 
Zu  dem  viel  tausend  Geister  sich  verpflichtet. 
Zu   dem   \iel   tausend  Herzen  warm  gefleht, 
Das  die  Gewalt  des  bittern  'l'od's  vernichtet. 
1  )as  in  so  mancher  Siegesfahne  weht, 
Ein  Labequell  durchdringt  die  matten  (jlieder : 
Er  sieht  das  Kreuz   und  schlägt  die  Augen   nieder. 

Er  fühlet   neu  was  dort  für   Heil   entsprungen. 
Den  (ilauben  fühlt  er  einer  halben   Welt   .   .   . 


6o  Abhandlungen. 


Und  aus  der  Mitte  c|uillt   ein   heilig;   Leben 
Dreifacher  Strahlen,  die  aus  liinem  dringen. 
Von  keinen   Worten   ist  das  Bild  umgeben. 
Die   dem  (leheimniss  Sinn   und  Klarlieit   bringen. 
Im   Dänimersrhein.  der   inuner  tiefer  grauet 
Steht   er  und  sinnt    und   fühlet   sirh   erl)auet   .   .   . « 

Diese  Strophen  sind  1785  i^eschricben,  kurz  vor  der 
Reise  nach  Italien,  kurz  also  vor  der  Zeit,  wo  Goethe  eine 
dem  Christentluun  fast  feindselige  Stellung  einzunehmen 
begann.  l:r  hat  das  Gedicht  nicht  fortgesetzt,  aber  die 
Bilder  blieben  in  seiner  Seele,  und  fast  ein  Menschenalter 
später,  im  zweiten  Buch  der  Wanderjahre,  nahm  er  sie 
wieder  auf. 

Die  Religion  hat  den  Zweck,  im  Menschen  Ehrfurcht 
zu  erwecken,  und  zwar  eine  dreifache  Ehrfurcht:  Ehrfurcht 
vor  dem  was  über  inis  ist,  Ehrfurcht  vor  dem  was  unter 
uns  ist,  und  Ehrfiu'cht  vor  dem  was  uns  umgiebt.  Diese 
dreifache  Ehrfurcht  erreicht  ihre  höchste  Kraft  und  Wirkung, 
wenn  sie  zusammenfiiesst  und  ein  Ganzes  bildet.  Das  ist 
s\"mbolisch  bereits  geschehen  in  den  drei  Artikeln  unseres 
Glaubens. 

Das  eigentliche  Geheimniss  freilich  der  christlichen 
Religion  ist  begründet  auf  die  Ehrfurcht  vor  dem  was 
unter  uns  ist.  »Es  ist  ein  letztes,  wozu  die  Menschheit 
gelangen  konnte  und  musste.  Was  gehörte  dazu,  die 
Erde  nicht  allein  imter  sich  liegen  zu  lassen  imd  sich  auf 
einen  luiheren  Gebiu'tsort  zu  berufen,  sondern  auch  Niedrig- 
keit und  Armuth,  Spott  und  X'ei'achtLuig,  Schmach  und 
Elend,  Eeiden  und  Tod  als  göttlich  anzuerkennen,  ja  Sünde 
selbst  und  \'erbrechen  nicht  als  Hindernisse,  sondern  als 
I'ördernisse  des  Heiligen  zu  verehren  und  lieb  zu  gewinnen! 
Hievon  linden  sich  freilich  Spuren  zu  allen  Zeiten;  aber 
Spur  ist  nicht  Ziel,  und  da  dies  einmal  erreicht  ist,  so  kann 


JuLiAK  Schmidt:  Goethe's  S^llung  xlm  Christenthum.      6i 


die  Menschheit  nicht  wieder  zurück  und  man  dart  sagen, 
Jass  die  cbrisllicbe  Rclis^io)!^  da  sie  ciiuiial  crschioicii  isl,  iiichl 
■wieder  verschwinden  kann;  da  sie  sich  einhial  göttUch  ver- 
körpert hat,  nicht  wieder  aufgelöst  werden  mag«. 

Wohlgemerkt  die  christliche  Religion  als  einzelnes 
wenn  auch  das  grösste  Bildungsmotiv :  denn  die  wahre 
Religion  wird  erst  hervorgebracht,  wenn  mit  dem  Cultus 
der  Gräber  der  Cultus  der  Sterne  und  der  Cultus  des 
Menschenlebens  sich  gattet. 

Ausdrücklich  rechtfertigt  Goethe  bei  dieser  Gelegenheit 
die  Mysterien:  »Gewissen  Geheimnissen,  und  wenn  sie 
offenbar  wären,  muss  man  durcli  WMhüllen  und  Schweigen 
Achtung  erweisen«. 

Vor  diesen  starken  und  wohlüberlegten  Ausdrücken 
seiner  Verehrung  des  Christenthums  muss  verstummen, 
wer  einzelne  momentane  Ausbrüche  seines  Unmuths  zu 
bleibenden  Glaubensbekenntnissen  stempeln  möchte. 

Freilich  würde  Grethchen,  indem  sie  Faust  katechisirt, 
noch  nicht  ganz  befriedigt  sein.  Faust  ehrt  zwar  die  Sacra- 
mente,  aber  ohne  Verlangen;  ihn  bewegt  Orgelton  und 
Glockenklang  im  Innersten,  aber  gleichsam  nur  aus  Reminis- 
cenz  der  Kindheit.  Gott  lebt  in  seiner  Seele,  aber  nur  als 
Gefühl,  er  hndet  keinen  Namen  für  ihn,  da  doch  die  Kirche 
einen  Namen  hat;  die  Botschaft  hört  er  wohl,  allein  ihm 
fehlt  der  Glaube. 

Der  Glaube  hat  nur  Werth,  in  sofern  er  sich  als  lebens- 
kräftig und  wirksam  erweist.  War  bei  Goethe  die  Ehr- 
furcht vor  dem  Christenthum  nur  eine  theoretische  ?  oder 
hat  sie  sich  wirksam  erwiesen?  wirksam  in  seiner  eigent- 
lichen Thätigkeit,  in  der  Dichtung  ? 

Hier  ist  für  mich  die  entscheidende  Antwort  Iphigenie : 
sie  ist  trotz  ihrer  antiken  Gewandung  in  ihrem  innersten 
Kern  ein  christliches  Gedicht.  Denn  dieser  innerste  Kern 
ist   die  Entsühnumr  des  verfluchten  Hauses  der  Tantaliden 


62  AiUlANULUMJtN". 

durch  ein  reines  Menschenbild.  Dasselbe  ist  die  Grundlehre 
des  Christenthums.  Das  ganze  Menschengeschleclit  ist  in 
Sünden  verstrickt' wie  das  Haus  des  Tantalus,  aber  es  wurde 
erlöst  durch  einen  göttlichen  Menschen,  der  in  den  Ver- 
strickung«-'!''  dieses  Erdenlebens  rein  blieb.  Wer  ihn,  den 
Reinen,  ergreift,  wird  sündlos. 

Dies  Motiv  hat  Goethe  vollständig  unabhängig  von 
allen  Ueberlieferungen  des  Alterthums  für  sein  Problem 
gefunden.  Bei  Euripides  ist  die  Iphigenie  ein  wirksames 
Intriguenstück,  bei  Äschylos,  der  das  Problem  viel  tiefer 
fasst,  wird  ein  weitläufiger  Rechtsstreit  angestrengt,  der 
schliesslich  doch  zu  keinem  Austrag  R'ihrt,  sondern  mit 
einem  Compromiss  zwischen  den  alten  und  neuen  Göttern 
erledigt  wird.  In  Sophokles'  »Philoktet«  zeigt  Neoptolemos 
ebenso  wie  Iphigenie  die  Reinheit  seiner  Seele  durch  die 
Unfähigkeit,  bei  der  Lüge  stehen  zu  bleiben,  aber  durch 
diese  Reinheit  wird  im  Schicksal  des  Helden  nichts  ent- 
schieden; erst  die  Intervention  eines  Gottes  aus  der  Ma- 
schine löst  das  Verworrene.  Bei  Goethe  erfolgt  die  Wirkung 
unmittelbar,  die  verfolgenden  Eumeniden  lassen  von  ihrem 
Opfer  ab  und  fliehen  in  ihr  Dunkel  zurück,  sobald  ihnen 
»reine  Menschlichkeit«  entgegentritt,  die  alle  menschlichen 
Gebrechen  sühnt. 

Diese  \\'irkung  kann  freilich  nur  sxnibolisch  begritien 
werden,  aber  ist  es  denn  mit  der  christlichen  \'orstellung 
von  der  luiösung  anders?  wer  dem  Gebildeten  unter  den 
\'eräcluern  l:hrturcht  vor  dieser  Svmbolik  einflösst,  der 
macht  sich  mehr  verdient  um  das  kirchliche  Leben,  als 
wer  das  Credo  allenfalls  rückwärts  wie  v(M'wärts  ohne 
Stocken  herzusagen  weiss. 

»Goethe's  Heidenthum  «,  sagt  1 1.  1  leine  sehr  treffend,  »ist 
wunderbar  modernisirt.  Seine  starke  Heidennaiur  bekundet 
sich  in  dem  klaren  scharfen  Auft'assen  aller  äussern  Er- 
scheinunijen,  aller  Earben  und  Gestalten;  aber  das  Christen- 


Julian  Schmidt:  Goethe's  Stellung  zum  Christenthum.      6^ 


thuni  hat  ihn  zugleich  mit  einer  tiefern  \'erstandniss  begabt: 
trotz:  seines  Sträubens  hat  es  ihn  eingeweiht  in  die  Geheim- 
nisse der  Geisterwelt.  Er  hat  vom  Blute  Ghristi  genossen, 
und  dadurch  verstand  er  die  verborgensten  Stimmen  der 
Xatur,  gleich  Siegfried  dem  Nibelungen,  der  plötzlich  die 
Sprache  der  \'ögel  verstand,  als  ein  Tropfen  Blut  des 
erschlagenen  Drachen  seine  Lippen  benetzte«. 

Den  Faust  hätte  Goethe  nicht  dichten  können,  wenn 
er  vom  Christenthum  nicht  auch  innerlich  etwas  erlebt 
hatte.  In  diesem  Gedicht  finden  sich,  wenn  auch  verstreut, 
fast  alle  Phasen  seiner  christlichen  Stimmungen  und  Ge- 
danken. Freilich  sind  es  immer  nur  Bekenntnisse  eines 
Strebenden,  nicht  eines  Befriedigten.  Aber  »wer  immer 
strebend  sich  bemüht,  den  können  wir  erlösen!« 

Ein  fahr  vor  seinem  Tode  fand  Goethe  sich  gedrungen, 
einen  Briet  an  Sulpiz  Boisseree,  dessen  A'erkehr  ihm  auch 
die  geistvolle  Apol(\gie  der  katholischen  Sacramente  ein- 
gegeben hatte,  mit  »etwas  Wunderlichem«  zu  schliessen, 
von  dem  er  aber  später  bekennt,  dass  es  ihm  sehr  ernst 
gewesen  sei. 

»Des  religiösen  Gefühles  kann  sich  kein  Mensch 
erwehren.  Dabei  ist's  ihm  aber  unmöglich  solches  in  sich 
allein  zu  verarbeiten.  \'on  Erschaffung  der  \\'elt  an  habe 
ich  keine  Confession  gefunden,  zu  der  ich  mich  ganz 
bekennen  mochte,  nun  erfahre  ich  in  meinen  alten  Tagen 
von  einer  Secte  der  Hypsistarier,  welche  zwischen  Heiden, 
Juden  und  Christen  geklemmt  sich  erklärte,  das  Beste, 
\'ollkommenste  was  zu  ihrer  Kenntniss  käme,  zu  schätzen, 
zu  bewundern,  zu  verehren  und,  insofern  es  mit  der  Gott- 
heit im  nahen  Verhältniss  stehn  müsse,  anzubeten.  Da 
ward  mir  auf  einmal  aus  einem  dunkeln  Zeitalter  her  ein 
frohes  Licht,  denn  ich  fühlte,  dass  ich  zeitlebens  getrachtet 
habe,  mich  zum   Hypsistarier  zu  qualificiren«. 

Dieser  Brief    wird    erläutert    und    eingeschränkt   durch 


64 


Abhandlungen. 


ciiK'U  der  Sprudle  in  Prosa,  ol-'römniigkcit  ist  kein  Zweck, 
sondern  ein  Mittel,  um  durch  die  reinste  (iemüthsruhe 
zur  liöchsten  Cultiir  xu  gelangen«. 

Es  ist  augenscheinlich,  dass  dieser  Kath  sich  nicht  aut 
alle  Individuen  unsers  Jahrhunderts  bezieht:  es  gibt  grosse 
Schichten  des  \'olks,  für  die,  abgesehen  von  den  Gesetzen 
des  praktischen  Lebens,  das  Christenthum  das  einzig  sitt- 
liche Bildungsmotiv  ist,  die  also  daraut  verzichten  müssen, 
sich  zu  Hvpsistariern  zu  qualificiren.  Denen  es  aber  Ernst 
ist  mit  ihrer  einheitlichen  Bildung,  und  denen  die  Kraft 
nicht  fehlt,  dürfen  und  sollen,  das  ist  Goethe's  Meinung, 
auch  das  Heilige,  das  die  otfenbarte  Religion  ihnen  über- 
liefert, durch  die  Motive  sich  verstandlicher  machen,  die 
Kunst  und  Alterthum,  Wissenschaft  und  Poesie  ihnen  an 
die  Hand  sehen. 


..  Zur  Vorgeschichte 

DES    GOETHE'SCHEN  FaüST. 


VON 

Erich  Schmidt. 


I.     LESSINGS    FAUST 


lass  Lessing  als  Vertreter  der  freien  Autklärung 
dem  Faustproblem  eine  neue  Lösung  gegeben 
hat,  indem  sein  strebender  Forscher  nicht  den 
dunklen  Gewalten  verfällt,  sondern  von  den  Himmlischen 
vor  tiefem  Sturze  behütet  wird,  hat  zuletzt  Kuno  Fischer 
(Nord  und  Süd  i,  262  ff.)  beredt  hervorgehoben.  Diese 
Rettung  »Hölle,  wo  ist  dein  Sieg«  macht  Lessing  zum 
Vorläufer  Goethe's,  und  so  fragmentarisch  unsere  Kennt- 
niss  und  Erkenntniss  der  Lessing'schen  Faustpläne  stets 
bleiben  wird,  seine  grosse  Neuerung  ist  uns  ganz  bewusst. 
Auf  diesen  befreienden  Zug  kommt  es  an ,  wenn  von 
Lessing  und  Goethe  als  Faustdichtern  gesprochen  werden 
soll.  Dagegen  müssen  alle  noch  dazu  schlecht  beglaubigten 
Anecdoten  ins  Nichts  verschwinden,  namentlich  die  schöne 
Legende  von  der  Aeusserung  Lessings,  seinen  Faust  hole 
der    Teufel,    er    aber    wolle    den    Goethe'schen    holen,    da 

GoETiu;- Jaiikeucii  II.  ; 


66  Abhandlun(,i 


Lessings  Faust  eben  nicht  \oni  Teufel  geholt  wird.  Ich 
setze  Fischers  Aufsatz,  der  manche  Belehrung  und  Anregung 
gewährt,  als  bekannt  voraus  und  habe  nicht  nöthig  im 
folgenden  jedes  Mal  meine  Stellung  zur  bisherigen  Forschung 
ausdrücklich  zu  bezeichnen,  wie  mir  auch  eine  vollständige 
Uebersicht  über  das  Material  und  die  nochmalige  wört- 
liche Anführung  aller  einschlägigen  Briefstellen  erspart  bleibt. 
Wir  wissen  durcii  Creizenachs  treltlicheUntersuchungen, 
dass  das  \'olksschauspiel  vom  Dr.  Faust  im  achtzehnten 
Jahrhundert  zu  Wien  imi  eine  bedeutende  \\'irkung  bereichert 
wurde,  den  planmässig  diu-chgeführten  Gegensatz  des  Tragi- 
schen und  des  Komischen,  welches  authörte  ein  blosses 
Beiwerk  zu  sein.  Aber  sehr  verblasst  war  der  Charakter 
des  Titanismus  und  das  Ganze  wenig  mehr  als  eine  bunte 
Augenweide  lür  den  Janhagel,  der  schliesslich  mit  einem 
sattsamen  Gruseln  heimging.  Das  Spiel  erfreute  sich  allent- 
halben grosser  Beliebtheit.  Doch  nur  Tieferblickende 
konnten  in  dieser  heruntergekommenen  Herrlichkeit,  diesem 
Unfug  der  Flugmaschinen,  Verwandlungen  und  Feuerwerke, 
diesen  groben  Hanswurstspässen,  diesen  von  Gottsched 
sammt  Miltons  Alfanzereien  verdammten  Teufelscenen, 
diesen  abgerissenen,  theils  steitleinenen  theils  von  ver- 
wildertem Pathos  getragenen  Tiradcn  des  Helden  einen 
Abglanz  genialer  Poesie  erkennen.  Dem  säubernden  Gott- 
sched seine  Feindseligkeit  gegen  das  entartete  »Märchen 
von  D.  Fausten « ,  das  lang  genug  den  Pöbel  belustigt 
habe  (Grit.  Dichtkunst  5.  Hptst.  §  19),  nur  als  arge  Be- 
schränktheit vorzurücken,  wäre  höchst  ungerecht.  Fr  möchte 
die  Popularität  für  Leipzig  in  Abrede  stellen,  man  schilt 
das  Spiel,  die  Gottschedianer  bringen  ärgerlich  den  famosen 
Reibehand  in  Verbindung  mit  Faust-Aufführungen,  1759 
gilt  das  Stück  wenigstens  in  ihrer  Hauptstadt  für  »Ver- 
stössen« (Briefe,  die  Finiührung  des  Englischen  Geschmacks 
in    Schauspielen    betreflenu,    S.    117),    aber    in    demselben 


Erich  Schmidt:  Zur  VokgeschIishte  des  Goethe'schex  Faust.    67 

Jahre  hatte  sich  die  vordem  spöttisch  geäusserte  Befürch- 
tung, man  werde  zur  Abwechslung  mit  dem  possenhaften 
Singspiel  »Der  Teufel  ist  los«  den  Doctor  Faust  wieder 
auffrischen,  als  gar  nicht  grundlos  erwiesen.  Lessing  unter- 
nahm es. 

Ich  bezweifle  nicht,  dass  er  das  Faustspiel  in  irgend 
einer  der  vielen  Fassungen  schon  in  Leipzig  kannte.  Wie 
Weisse  in  d<jn  ersten  Ausgaben  seiner  Lustspiele,  so  bringt 
Lessing  im  »jungen  Gelehrten«  ein  paar  launige  Hinweise 
auf  den  Faust  an.  Der  Monolog  des  Bedienten  Anton  2,  4 
über  die  Gelehrsamkeit  mag  im  Zusammenhang  mit  Hans- 
wursts komischem  Leseversuch  stehen;  1,1  scherzt  Anton 
über  ein  hebräisches  Buch,  das  Damis  aufgeschlagen  hat : 
»Solche  Krakelfüsse,  solche  fürchterliche  Zickzacke,  die 
kann  ein  Mensch  lesen  ?  Wann  das  nicht  wenigstens  Fausts 
Höllenzwang  ist  —  Ach  man  weiss  es  ja  wohl,  wies  den 
Leuten  geht,  die  alles  lernen  wollen.  Endlich  verführt  sie 
der  böse  Geist,  dass  sie  auch  hexen  lernen  «  und  derselbe 
äussert  1,6  gegen  Chrysander:  um  die  verdammte  EJu'e 
thue  ein  junger  Gelehrter  alles,  »wann  es  auch  nach  dem 
Tode  heissen  sollte:  unter  diejenigen  Gelehrten,  die  zum 
Teufel  gefahren  sind,  gehört  auch  der  berühmte  Damis«. 
Aber  die  \'erwandtschatt  der  zuerst  erwähnten  Stelle 
ist  viel  zu  entfernt,  um  als  Beweis  für  Lessings  Kenntniss 
des  \^olksdramas  zu  dienen  und  die  beiden  anderen  setzen 
bei  unverkennbarer  Rücksicht  auf  die  Faustsage  deren 
dramatische  Fassung  keineswegs  voraus.  Das  Zauberbuch 
»Fausts  Höllenzwang«  kannte  Jedermann  dem  Namen  nach, 
wenn  es  auch  dem  lüderlichen  Studiosus  Bahrdt  vorbehalten 
blieb,  mit  demselben  in  Leipzig  als  betrogener  Betrüger 
Versuche  anzustellen.  All  das  ist  ferner  leichter  Spass, 
flüchtiger  noch  als  wenn  in  Holbergs  »Hexerei«  1,3  die 
Leute  den  Schauspieler  Leander,  der  die  Beschwörung 
des   Mephistopheles    einstudirt,   für  einen  vielvermögenden 


68  Abhandlungen. 

Zauberer  halten  (v^l.  auch  Crcizcnach  «Versuch  einer  Ge- 
schichte des  \'olksschauspiels  vom  Doctor  Faust«  S.  113). 

Allerdings  enthält  »Der  junge  Gelehrte«  ein  sicheres 
Zeugniss,  denn  gleich  eine  längere  Rede  des  Daniis  i,  i 
ist  ein  abhängiges  Seitenstück  zu  l'austs  stereotypem  l:in- 
gangsmonolog.  Die  Figur  des  Damis  hat  etwas  zwie- 
spältiges. Der  junge  schaale,  unfähige,  eingebildete,  pedan- 
tische Xarr  wird  von  dem  Dichter,  der  in  ihm  ein  Stück 
seiner  eigenen  \'ergangenheit  Lind  ihm  selbst  drohende 
Gefahren  gründlich  abthut,  mitunter  recht  ernst  genommen 
und  Lessing  mischt  unter  sein  thörichtes  Geschwätz  manche 
gewichtigere  Aeussei'ung.  So  ist  jene  Rede,  ^velche  drei 
Facultäten  durchmustert  und  das  weite  Reich  der  Gelehr- 
samkeit überschaut,  nur  zimi  Theil  rein  parodistisch  gemeint 
(Lachm.   1,215  f.). 

))  .  .  o  himmlische  Gelehrsamkeit,  wie  viel  ist  dir  ein 
Sterblicher  schuldig,  der  dich  besitzt!  Und  wie  bejammerns- 
würdig ist  es,  dass  dich  die  wenigsten  in  deinem  Umtange 
kennen!  Der  Theolog  gbubt  dich  bey  einer  Menge  heiliger 
Sprüche,  fürchterlicher  Erzählungen  und  einigen  übel  an- 
gebrachten Figuren  zu  besitzen.  Der  Rechtsgelehrte  bey 
einer  unseligen  Geschicklichkeit  unbrauchbare  Gesetze  ab- 
gestorbener Staaten,  zum  Xachtheile  der  Billigkeit  und 
X'ernunft,  zu  verdrehen,  und  die  fürchterlichsten  Urthel  in 
einer  noch  türchterlichern  Sprache  vorzutragen.  Der  Arzt 
endlich  glaubt  sich  wirklich  deiner  bemächtiget  zu  haben, 
wan.n  er  diu'ch  eine  Legion  barbarischer  Wörter  die  Ge- 
sunden krank  imd  die  Kranken  nocU  kränker  machen  kann. 
Aber,  o  betrogene  Thoren  !  Die  Wahrheit  lässt  euch  nicht 
lange  in  diesem  sie  schimpfenden  Irrthume.  Es  kommen 
Gelegenheiten,  wo  ihr  selbst  erkennt,  wie  mangelhaft  euer 
Wissen  se\' ;  voll  tollen  Ilochmuths  bem'theilet  ihr  alsdann 
alle  menschliche  Lrkenntniss  nach  der  eurigen,  und  ruft 
wohl    iiav    in    einem    Tone,    welcher    alle    Sterbliche    zu 


Erich  Schmidt:  Zur  VoRGEScnisHTE  des  Goethe'schek  Faust.    69 

bcjinnincrn  scheinet,  aus:  Unser  Wissen  ist  Stückwerk! 
Nein  ghuibe  mir,  mein  lieber  Anton,  der  Mensch  ist  aller- 
dinu[s  einer  alltremeinen  Hrkenntniss  tähi^;«. 

Ernst  und  Scherx  halten  einander  die  W'at^e  und  der 
\'erfasser  dieser  Rede,  eines  Ausläufers  des  von  Marlowe 
vorgezeichneten  Monologs,  ist  durch  keine  faustische  Pein 
bedrückt.  Jene  iieitere  Leipziger  Jugendlichkeit,  welche 
anakreontische  Kränze  Hicht,  jene  Studienjahre,  welche  dem 
abgelebten  Bildungsideal  einer  unkritischen  und  centrums- 
losen  Pol3'historie  nicht  völlig  entronnen  sind,  drängen 
Lessing  zu  keiner  Faustdichtung.  Auch  der  Leipziger 
Goethe  steht  ihr  fern;  die  Erwähnung  Richards  IIL  und 
des  Dr.  Faust  durch  den  geängstigten  Söller  zeugt  gewiss 
nicht  für  einen  keimenden  Faustplan.  Ferner  konnte  damals 
der  Gedanke,  durch  eine  Regeneration  des  \'olkstheaters 
dem  deutschen  Drama  Kraft  und  Saft  zuzuführen,  noch 
nicht  vor  die  Seele  Lessings  treten,  der  mit  einem  Fuss 
noch  im  Gottsched'schen  Lager  stand.  Auch  die  in  \"er- 
sprechungen  sich  überstürzende  \'orrede  zu  den  »Bevträgen 
zur  Historie  und  Aufnahme  des  Theaters«  1750  weiss 
davon  nichts. 

Genug,  er  kannte  das  Faustspiel  von  Leipzig  her  und 
erhielt  in  Berlin  am  14.  Juni  1753,  als  »aul  der  Schuchischen 
Schaubühne  .  .  Faust  vom  Teufel  gehohlet«  wurde,  nur 
einen  neuen  x\nstoss  sich  Gedanken  darüber  zu  machen, 
welche  ihn  allmählich  zu  dem  echtlessingschen  Bessermachen 
anfeuerten.  Erst  1755  ging  er  ans  Werk,  nach  der  »Miss 
Sara  Sampson«  und  nachdem  er  den  ermüdend  redseligen 
englischen,  d.  h.  Lilloschen  und  Richardsonschen  Stil  der 
Sara  von  sich  geworfen.  Er  hatte  ihm  nur  einen  Tribut 
gebracht.  Das  hastige  energische  Volksschauspiel  lockte 
zu  keiner  breitspurigen  Rhetorik  und  Moralisation.  Moses 
Mendelssohn  fragt  am  19.  November  1755,  wie  weit 
Lessing    mit  seinem   »bürgerlichen  Trauerspiel«  sei?    »Ich 


70 


AliHANDLUXGEN. 


möchte  CS  nicht  ij;crn  bcy  dem  \amcn  nennen,  denn  ich 
zweifle  oh  Sie  ihm  den  Xamen  hissen  werden,  liine  einzige 
Exchiniation  —  o  haustiis!  Faustus  könnte  das  ganze  Par- 
terre hiclien  machend.  Zwei  Erklärungen  sind  mögHch; 
zur  vollen  Gewisslieit  h'isst  sich  keine  erheben.  ]3ie  einen 
schliessen,  dass  Le.ssing  schon  damals,  also  im  Jahr  der 
Sara,  an  einem  Faust  ohne  Teufelei  gearbeitet  habe,  einem 
bürgerlichen,  denn  nur  in  einem  solchen  könne  jener  Kuf 
komisch  wirken.  Aber  die  nüchternen  Moses  lachten  wohl 
auch  über  das  Fauste!  Fauste,  accusatus  es  u.  s.  w.  im 
dritten  Act  des  Volksschauspiels.  VerHihrerisch  klänge 
nur  der  Ratii,  Lessing  möge  seinen  Helden  umtauten,  was 
nach  unserem  Urtheil  dem  üoctor  Faust  der  langjährigen 
Tradition  gegenüber  doch  seine  Schwierigkeiten  hätte. 
Mendelssohn  jedoch,  den  offenbar  das  ganze  \'orhaben 
kalt  Hess,  mochte  anders  denken  und,  so  müssen  wir  weiter 
fragen,  war  er  überhaupt  näher  in  Leasings  Absichten 
eingeweiht,  hatte  er  mehr  als  eine  gelegentliche  Aeusserung 
vernommen?  Es  scheint  nicht.  Aus  dem  Briefe  folgt 
endlich  weder,  dass  Lessing  schon  eine  Zeile  von  dem 
Stück  geschrieben  hatte,  noch  dass  er  selbst  seinen  Faust 
ein  »bürgerliches  Trauerspiel«  nannte,  sondern  nur  dass 
Mendelssohn  diesen  zur  Zeit  bekanntlich  noch  sehr  vagen 
Ausdruck,  der  ihm  von  der  Sara  her  für  alles,  was  nicht 
haute  tragedie,  geläufig  war,  auf  den  Faustplan  übertrug.  Wir 
denken  also  lieber  mit  den  anderen  Interpreten  an  einen 
volksmässigen  Faust. 

Die  Idee  eines  bürgerlichen  Faust  konnte  Lessingen 
während  oder  in  unmittelbarer  Folge  des  zweiten  Leipziger 
Aufenthalts  gekommen  sein,  ob  ich  gleich  nicht  daran 
glaube.  Immerhin  soll  jede  entfernte  Möglichkeit  verzeichnet 
werden.  |{r  könnte,  wie  die  \'irginia  des  antik  Staatlichen, 
so  den  Faust  des  .Mittelalterlichen  und  Theologischen  ent- 
kleidet   haben.     D.\s     l'hema    von    seines    jungen   Freundes 


Erich  Schmidt:  Zur  Vorgeschichte  des  Goethe'schen  Faust.    71 


Brawc  »l-rcigcist«  ist  der  Untergang  des  guten  dummen 
jungen  Clerdon,  dem  der  teuflische  Henley  Gottesglauben 
und  Lebensglück  raubt,  also  der  Fall  eines  Menschen  durch 
blendende  Verführung.  Und  schon  Lillos  durch  die  Buhl- 
dirnc  MilKvood  auf  Abwege  gezerrter  George  Barnwell 
vergleicht  sich,  vielleicht  unter  Miltons  Anregung,  mit 
Lucifer,  dem  gefallenen  schönen  Stern,  2,  i:  »Gewiss,  so 
war  der  Zustand  des  grossen  Abtrünnigen,  als  er  zuerst 
die  Reinheit  verlor«.  Hätte  Lessing  von  da  aus  ein  bürger- 
liches Intriguenstück  Faust  entworfen?  Doch  es  fehlt 
jeglicher  Anhalt  für  eine  solche  Hypothese. 

Nun  das  oftbesprochene  Zeugniss  in  dem  Brief  an 
Glcim  vom  8.  Juli  1758:  »Sie  haben  es  errathen :  Herr 
Ramler  und  ich  machen  Projecte  über  Projecte.  Warten 
Sie  nur  noch  ein  Vierteljahrhundert,  und  Sie  sollen  erstaunen, 
was  wir  Alles  werden  geschrieben  haben.  Besonders  ich ! 
Ich  schreibe  Tag  imd  Nacht,  und  mein  kleinster  Vorsatz 
ist  jetzo,  wenigstens  noch  dreimal  so  viel  Schauspiele  zu 
machen  als  Lope  de  ^  ega.  Ehstens  werde  ich  meinen 
Doctor  Faust  hier  spielen  lassen.  Kommen  Sie  doch 
geschwind  wieder  nach  Berlin^  damit  Sie  ihn  sehen  können«. 
Wer  verkennt  hier  die  neckische  Hyperbel  in  dem  Wett- 
eiter mit  der  beispiellosen  Productivität  des  Spaniers  und 
in  der  Steigerung,  welche  im  Handumdrehen  von  » nur 
noch  ein  Vierteljahrhundert«  zu  dem  beflügelten  »ehstens«, 
»geschwind«  übergeht?  Ist  es  ferner  nicht  ganz  Lessings 
Art  bei  derlei  Ankündigungen  den  Gedanken  für  die  Aus- 
führung, den  Plan  für  das  Werk,  das  Werdende  für  das 
Gewordene  zu  nehmen  und,  was  eben  erst  begonnen  ist, 
als  im  nächsten  Augenblick  fertig  hinzustellen?  WahrHch, 
wir  werden  uns  vor  dem  Glauben  lüiten,  dass  Lessing  im 
Sommer  1758  durch  Tagesarbeit  und  Lucubration  einen 
»Doctor  Faust«  fast  vollendet  habe.  Er  braucht  wieder 
nicht  über  die  ersten  Anfänge  hinausyerückt  zu  sein.     Ein 


72  AßHANDLCNGtN. 

Faust  iiach  der  populären  Ucbcrlictcruny  ist  es,  der  ihn 
damals  beschaltii^t,  denn  Lessinij;  iiatte  sich  der  deutschen 
Literatur  des  Mittelalters  und  der  let/tvcrflossenen  Jahr- 
hunderte eilVi;:^st  zugewandt  und  Ramler  zum  Mitarbeiter 
erkoren.  Auch  im  haust  sollte  vaterländisches  Erbgut  neu 
gestaltet  werden;  darum  wird  er  in  einem  Athem  mit 
enen  Projecten  genannt. 

Das  Publicum  erfährt  davon  zuerst  diu-ch  den  berühmten 
siebzehnten  Literattu'brief,  datirt  vom  i6.  l'ebruar  1759. 
Die  allgemeinen  antigottschedschen  Ausführungen  über 
das  Drama  erlauben  Schlüsse  aut  Lessings  Ziele  und  den 
Character  des  ihm  selbst  vorliegenden  Fausttorso.  F^r 
verurtheilt  scharf  die  Haupt-  und  Staatsaction  —  ihr  Stil, 
ihre  Technik  eigneten  seinem  haust  nicht.  Er  verurtheilt 
scharf  das  ältere  Lustspiel  wegen  seiner  Zauber-,Verkleidungs- 
und  Prügelscenen  -—  die  Einflüsse  des  Theatre  italien,  so 
zudrin.glich  im  Wiener  Faust,  blieben  dem  seinigen  fern. 
Aber  er  erhebt  die  englische  Manier  begeistert  über  das 
furchtsame  französische  Trauerspiel:  ))^^'ir  wollen  mehr 
sehen  und  denken«.  Demnach  trachtete  er,  in  vorsichtiger 
Anlehnung  an  die  Kunstübung  Shakespeares,  nach  einer 
reicheren  Flandlung  aul  der  Bühne:  man  sieht.  Diese 
Handlung  stand  im  innigsten  Causalnexus  mit  dem  Character 
des  Helden  und  dieser  Character  oflenbarte  sich  dem  Par- 
terre in  tietsiiinigen  Monologen  und  Dialogen  :  man  denkt. 
Kühnheit  und  »grosse  \'erwicklung«  wirken,  und  wenn 
nach  Lessing  der  deutsche  Geschmack  übereinstimmend 
mit  dem  verwandten  englischen  vom  Trauerspiel  »das 
Grosse,  Schreckliche,  Melancholische«  verlangt,  so  lagen 
gerade  im  Fauststofl'  diese  Elemente  reichlich  genug  vor. 
Gross  ist  Fausts  Drang  nach  Erkenntniss,  schrecklich  sein 
A'ertrag  mit  den  bösen  Mächten,  melancholisch  seine  Reue. 

Kraft  seines  Scharfblickes  erkaimte  Lessing  den  Zu- 
sammenhang des  verrotteten   deutschen  A'olksdramas    mit 


Erich  Schmidt:  Zur  Vorgeschichte  des  Goethe'schen  Faust.    73 


dem  cnglisclicn  'l'hcatcr  der  elisabethanischen  lipuchc, 
obgleich  er  nichts  von  Marlowe  und  den  englischen 
Komödianten  wusste.  l:s  ist  dieselbe  literarhistorische 
Combination,  welclie  später  sein  flüchtiges  Urtheil  über 
Christian  Weises  Masaniello  bewahrte.  Auch  diesmal  gehen 
Theorie  und  Praxis  Hand  in  Hand.  Lessing  schreitet 
unverzüglich  zur  Hxemplitication.  l:r  will  leisten,  was  Noth 
thut,  wenigstens  die  Fackel  voraustragen.  Kaum  hat  er 
sein  Credo  bekannt,  das  Heil  unserer  Tragödie  beruhe  in 
der  künstlerischen  Anknüpfung  an  die  beiden  \-erwandten 
Factoren,  Shakespeare  und  das  ^'olksdrama,  so  legt  er  eine 
Scene  seines  Faust  vor.  \'ermuthlich  gerade  die,  welche 
der  Ueberlieferung  am  nächsten  in  der  Anlage  stand ;  wie 
denn  W.  Schlegel  S.  W.  6,  145  irrthümlich  behauptet, 
Lessing  habe  dieselbe  »geradezu  aus  dem  alten  Stück  ent- 
lehnt, welches  den  schönen  Titel  führt :  Infelix  prudentia 
oder  Doctor  Faustus«.  Lessings  einleitende  Worte  sind 
bekannt  genug:  unsere  alten  Stücke  haben  sehr  viel  Fng- 
lisches,  das  bekannteste  Dr.  Faust  enthält  »eine  Menge 
Scenen,  die  nur  ein  Shakespearesches  Genie  zu  erdenken 
vermögend  gewesen«,  ein  Freund  —  man  denke  an  Lessings 
»jungen  Tragicus«  und  seine  Emilia  Galotti  —  verwahrt 
einen  alten  Entwurf,  hier  ist  zur  Probe  Fausts  (lespräch 
mit  sieben  Geistern  der  Hölle,  die  er  um  ihren  schnellsten 
Feutel  beschworen  hat;  »und  nun  fängt  sich  die  dritte 
Scene  des  zweiten  Autzugs  an«. 

Marlowe  hat  diese  Scene  nicht,  weil  sie  der  Spies'schen 
Historie  fehlt  und  zu  den  genialen  Erfurter  Zusätzen  gehört. 
Sie  ist  allen  deutschen  Spielen  eigen;  schon  der  Danziger 
Rathsherr  Schröder  gedenkt  ihrer.  Die  Puppenspiele  S 
und  W  zeigen  dann,  wie  Creizenach  nachweist,  Lessing'- 
schen    Einfluss.      Es    ist  einer  der*)    populärsten   Auftritte, 

*)  Ich  kann  nicht  unterlassen,  hier  auf  F.  Lichrensteins  hübsche 
Entdeckung    (Zeitschr.    I'.  österr.  G\-mnasien    1879  S.  925)    aufmerksam 


74  Abhandlungen. 


dem  in  Lcssinij;s  Bcarbcituni;  als  2,  i  und  2,  2  ein  Monolog, 
vielleicht  ein  Gespräch  mit  Wagner  oder  dem  Diener  und 
die  Beschwörung  vorausgingen.  Der  erste  Act  wird  mit 
der  lirwerbung  des  Zauberbuchs,  clavicula  Salomonis  oder 
dergleichen,  geschlossen  haben.  Ob  das  Vorspiel  und  i,  i 
bis  2,2  bereits  ausgearbeitet  waren?  Zum  mindesten  ist 
von  einem  fertigen  Faust  keine  Rede.  Lessings  kurzer 
Kpilog  nach  der  langen  Unterhaltung  legt  uns  nur  die 
Annahme  eines  Scenars  mit  ein/einen  ganz  oder  theilweise 
dialogisirten  Scenen  nahe.  »Was  sagen  Sie  zu  dieser 
Scene?  Sie  wünschen  ein  deutsches  Stück,  das  lauter 
solche  Scenen  hätte?     Ich  auch«. 

Wir  nicht,  antworten  wir  dies  Mal  mit  den  Gott- 
schedianern  und  versagen  dem  Fragment,  das  jeder  Wirkung 
auf  Gemüth  und  Phantasie  bar,  lediglich  den  \'erstand 
beschäftigt,  unfern  Beifall.  Als  füllselloses  Gerippe  steht 
es  dem  »Philotas«,  in  der  pointirten  Redeweise  den  Fabel- 
Hpigrammen  so  nahe,  dass  ich  die  Abfassung  nicht  vor 
1758  verlegen  möchte,  in  jene  Zeit  etwa,  als  Lessing  an 
Cileim  die  oben  erörterten  Worte  schrieb.  Ein  Gegner 
der  \'ielwisserei  ä  la  jöcher  hatte  sich  Lessing  aut  die 
freiere  Höhe  kritischer  Polyhistorie  nach  Ba\les  Muster 
geschwungen ,  um  von  diesem  Standort  aus  wohl  einen 
bohrender  Grübelei  und  verwegener  Skepsis  hingegebenen 
Faust,  aber  keinen  am  Wissen  schmerzvoll  \erzweifelnden 
und  ungestüm  nach  höllischer  Hilfe  begehrenden  zeichnen 
zu  können.    Dieser  Scene  fehlt  Pathos,  Wucht,  Ungeduld: 


y.i\  maclien,  wonach  Heinrich  von  Kleist,  mit  der  ursprünghcli  neunten 
Faustscene  vom  Puppentheater  her  vertraut,  seinem  alten  Kottwitz 
(Prinz  Friedrich  von  Homburg)  die  dort  übliche  Gradation  der  Schnellig- 
keit zueignet : 

oZum  Henker,  nein!  Was  denkt  die  Hxcellenz  ? 

Bin  ich  ein  P/eil,  ein  Vogel,  ein  Gedanke, 

Dass  er  mich  durch  das  ganze  Schlachtfeld  sprengt?« 


Erich  Schmidt:  Zur  Vorgeschichte  des  Goethe'schen  Faust.    75 


1-aust  spricht,  seines  Witzes  froh,  als  ein  kühler,  bhisirter, 
geistreicher  Mann,  wo  er  ganz  Feuer  und  Flamme  sein 
müsste.  Hastig  ruft  der  Held  des  \'olksschauspiels  sein 
apage,  ohne  Aufenthalt  eilt  er  von  dem  einen  zum  andern, 
da  ist  t'iir  Bonniots  und  dialectische  Fechterstücklein  kein 
Augenblick  übrig.  Die  Teufel,  welche  Lessing  dem  Tüttier 
sowol  verzagt,  als  zu  witzigem  Widerstreit  gerüstet  ent- 
gegenstellt, zerfiiUen  in  zwei  Gruppen.  Die  vier  Boten  der 
Körperwelt  und  der  erste  von  den  drei  Boten  der  Geister- 
welt gehören  der  \'orlage  an,  welche  eine  solche  Scheidung 
zwar  nicht  ausdrücklich  vollzieht,  aber  durch  den  Uebergang 
vom  Sinnlichen  zum  Unsinnlichen  im  letzten  Glied  der 
Steigerung  doch  in  sich  schliesst.  Zu  dem  gedankenschnellen 
Geist  der  Vorlage  gesellt  Lessing  sehr  unglücklich  den 
der  «Rache  des  Rächers«  an  Schnelligkeit  gleichen  und 
sehr  subtil  den  letzten,  welcher  so  rasch  ist  wie  der 
Uebergang  vom  Guten  zum  Bö^en.  Diesen  Uebergang 
hat  Faust,  wie  er  schaudernd  sagt,  erfahren.  Der  erste 
Act  Lessings  galt  der  \'erstrickung  und  Wandlung. 

Dass  Faust  die  Teufel  »Schnecken  des  Orcus«  —  eme 
verzwickte  Bezeichnung  —  schilt,  mag  seinen  Anlass  in 
der  Vorlage  haben,  wo  ein  Teufel  so  schnell  ist  wie  die 
Schnecke  im  Sande.  Stammt  der  Name  Jutta,  den  hier 
ein  Teufel  führt,  von  Scherenberg  her?  Gottsched  spottet 
ja  später  (Nöth.  Vorrath  2,  141)  über  »einen  heutigen 
brittenzenden  Shakespear«,  »der  nächst  der  versprochenen 
Comödie  vom  Dr.  Faust,  auch  das  Trauerspiel  unseres 
Scherenbergs  von  Papst  Jutten  erneuert  und  umschmelzet, 
um  ein  recht  erstaunlich  rührendes  Stück  trotz  dem  Kauf- 
mann von  London,  oder  Miss  Sara  Samson,  daraus  zu 
machen«.  Bis  zu  Arnim  war  aber  noch  lange  hin. 
Vordem  hatte  Gottsched  in  der  »Critischen  Dichtkunst« 
a.  a.  O.  den  seichten  Witz  verdammt,  der  einen  Hexen- 
meister aut  die  Bühne  bringt  und  ihn  »wohl  gar  ein  halbes 


yö  Abhandlungen. 


Diitzciui  junL^c  Tciilcl   licrzLibamicn«   lässt  —  jetzt  vcrsaiii- 
nicltc  Lcssings  Faust  deren  sieben  um  sich. 

Gegen  den  siebzehnten  Literaturbrief  erschienen  zu 
Hnde  des  Jahres  1759  die  »Briefe,  die  Einführung  des  Eng- 
lischen Geschmacks  in  Schauspielen  betreftend,  wo  zugleich 
auf  den  Siebzehenten  der  Briefe,  die  neue  (sie)  Litteratur 
betreffend,  geantwortet  wird,  l-'rankturt  und  Leipzig  lyöoc, 
128  SS.;  S.  118  ff.  hndet  sich  Lessings  Faustscene  mit 
neunzehn  längeren  oder  kürzeren  hcihnischen  F'ussnoten 
abgedruckt.  Nicht  sehr  sorgfältig,  doch  lässt  sich  wohl 
nur  in  der  Aenderung  »Erster  Teufel«  und  so  tort  tür 
»Der  erste  Geist«  (doch  »unter  sieben  Geistern«  statt  »unter 
sieben  Teufeln«)  und  der  A'ariante  »Unzuvergnügender 
Doctor«  für  »Unzuvergnügender  Sterbliche«  Absicht  merken. 
Die  unsicheren  Angaben  über  die  \'erfasserschaft  stellt 
Creizenach  S.  77  zusammen.  Mit  Canzler  oder  Gellius  ist 
nicht  viel  gewonnen,  mehr  durch  Danzels  A^ermuthung, 
I'rau  Gottsched  sei  die  Verfasserin.  Ohne  Zweitel  sind 
die  in  Nachahmung  des  »Zuschauers«  abgefassten  lang- 
athmigen  Briefe,  in  denen  der  Ell  der  Literaturbriefe 
wegen  seiner  Fleraustorderung  »ich  bin  dieser  Niemand c 
als  Herr  Niemand  hgurirt,  eine  in  Leipzig  und  zwar  im 
engsten  Kreise  Gottscheds  angefertigte  Compagnie -Arbeit, 
bestehend  aus  sehr  ungleichwcrthigen  Elementen.  W'ii" 
haben  einen  Hauptschreiber  vor  uns,  mag  er  Ganzler  heissen, 
einen  schaalen  Kopt,  der  gegen  Lessings  Kritik  der  Gott- 
schedschen  Keform  und  gegen  den  gewesenen  »Räuber (< 
Shakespeare  mit  ebensoviel  Bornirtheit  als  Weitschweitig- 
keit  ficht  und  tortwährend  mit  plumper  Unterstellung  den 
Trumpl  ausspielt.  Lessing  wolle  die  Haupt-  und  Staats- 
action  mit  Haut  und  Haaren  erneuern.  Ciottsched  steuerte 
Materialien  bei,  /.  B.  über  Neubers,  wohl  auch  ein  paar 
Entrehlets  und  machte  den  Revisor.  F^inzelne  gute  treffende 
Bemerkungen  mö";en  von  der  »(geschickten  Freundin«  her- 


I 


Erich  Schmidt:  Zur  Vorgeschichte  des  Goethe'schen  Faust.    77 

stammen.  Unmöij;lich  luu  in  dem  parodistischcn  Repertoire 
S.  15  H.  dieselbe  [-"erson  die  trockene  Anal\-se  von  «Mam- 
mons Sold«  Lind  den  lustii^en  lintwuri  der  »Zerstörung 
Jerusalems«  geliefert,  unmöglich  ist  der  tölpelhafte  Gegner, 
der  bis  S.  115  Lufthiebe  führt,  derselbe,  der  dann  so 
gewandt  gegen  Niemand -Lessing  in  Duellposittu'  steht. 
Dagegen  wäre  dieser  derbe  und  dieser  zersetzende  Witz 
der  Gottschedin,  welche  in  LH  einen  Todfeind  des  alten 
Reichs  sehen  musste,  wohl  zuzutrauen.  Man  wende  nicht 
ein,  dass  die  L'austscene  leichter  zu  bestreiten  war,  als  die 
vorausgehende  Theaterkritik.  Manches  in  den  Fussnoten 
hat  der  blinde  Aerger  geschrieben,  im  Ganzen  ist  der 
Angrift  ausgezeichnet  geschickt,  wie  jeder  zugeben  wird, 
der  auch  nur  die  von  Danzel  gegebenen  Citate  kennt. 
Alles,  was  irgend  gegen  den  Dichter  vorgebracht  werden 
kann,  wird  gesagt,  keine  Blosse  übersehen;  dem  Unerbitt- 
lichen ist  während  seiner  ganzen  Schriftstellerlaufbahn, 
wedei'  vorher  noch  späterhin,  so  übel  mitgespielt  worden. 
Ob  vielleicht  schon  Lessing  selbst  an  Frau  Gottsched 
dachte?  Lind  ob  er  deshalb  in  der  Hamburgischen  Drama- 
turgie so  schonungslos  über  die  Todte,  die  er  einst  als 
»ein  kleines  artig's  [reundlich's  Weib  ....  das  ....  aus 
Gefälligkeit  sich  an  des  Mann's  Gedanken  bindet«,  im 
Gegensatz  zum  »grossen  Duns«  gelobt  und  deren  Cenie- 
übersetzung  er  lebhatt  anerkannt  hatte,  zu  Gericht  sitzt? 

Fassen  wir  den  weiteren  Fortgang  kurz  zusammen, 
so  hat  Lessing  in  Breslau  und  Hamburg  an  einem  Faust 
nach  der  Tradition  und  daneben  an  einem  bürgerlichen, 
von  der  Ueberlieterung  unabhängigen  gedichtet.  Ob  ein 
Breslauer  Faust  wirklich  schon  zwölf  Bogen  füllte,  bleibe 
dahingestellt.  Weniges  nur  wurde  von  dem  bürgerlichen 
Faust  ausgeführt,  da  der  ältere  Plan,  unter  gründlichen 
Umwandlungen  iragmentarisch  gestaltet,  immer  wieder 
Oberwasser    erhielt    und    zuletzt    den    Gedanken    an     eine 


78  Abhandlungen. 


Abstrcit'uni;  ;illcs  Sagenhaften  mehr  und  mehr  zuriick- 
dniiii^tc. 

Die  Xachbarschaft  zweier  Pläne  ist  bewiesen  :  erstens 
durch  eine  Bemerkung  der  Collectaneen  zinii  »zweiten 
Faust«.  1-erner  durch  Lessings  in  Wien  gethane  Aeusse- 
rungen,  welche  Gebier  im  December  1775  an  Nicolai 
berichtet:  ein  Faust  »nach  der  gemeinen  l-'abel«,  ein 
anderer  »ohne  alle  Teufelei,  wo  ein  Frzbösewicht  gegen 
einen  Unschuldigen  die  Rolle  des  schwarzen  \'ertührers 
vertritt«.  Gegen  Geblers  Zusatz  »beide  Ausarbeitungen 
erwarten  nur  die  letzte  Hand«  sind  dieselben  Frwägungen 
wie  oben  gegen  den  Brief  an  Gleim  zu  kehren.  Drittens 
durch  Lessing's  Frzählung  in  Mannheim  1777,  die  freilich 
nur  durch  eine  späte  und  vielleicht  nicht  ganz  ungetrübte 
Quelle  auf  uns  gekommen  ist.  Am  14.  September  1820 
schreibt  der  iMaler  Müller,  den  seine  eigene  Faustdichtung 
für  die  Lessing'sche  interessirt  hatte,  an  Therese  Huber: 
Lessing  sagte,  »dass  er  zwey  Schauspiele  vom  Faust 
angelegt,  bevde  aber  wieder  liegen  gelassen  habe,  das 
eine  sagte  er  mit  Teufeln,  das  andere  ohne  solche,  nur 
solten  in  dem  lezten  die  Ereignisse  so  sonderbar  auf- 
einander folgen,  dass  bev  jeder  Scene,  der  Zuschauer  würde 
genöthigt  gewessen  se\n,  auszurufen,  das  hat  der  Satan 
so  gefüget«. 

Ich  sage:  neben  einander  in  Flamburg  und  wohl  schon 
in  Breslau.  Hier  gedachte  Lessing,  nach  Klose's  Zeugniss, 
den  Luciier  des  Jesuiten  Noel  für  seinen  Faust  zu  nutzen, 
—  also  für  einen  Faust  mit  Teufeln.  Aus  ilamburg,  wieder 
wie  1759  aus  der  Theaterkritik  und  dem  Shakespeare- 
studium heraus,  schreibt  Lessing  am  21.  September  1767 
an  den  Bruder  Karl  Gotthelf,  er  arbeite  »aus  allen  Kräften 
am  Faust«  und  wolle  ihn  im  Winter  spielen  lassen.  Da 
Lessing  damals  so  energisch  die  »Fmilia  Galotti«  zum  pureii 
Spieldrama  umschuf,  ist  dieser  Mittheilung  aller  Glaube  zu 


Erich  Schmidt:  Zur  VoRGEScnciHTE  des  Goethe'schen  Faust.    79 


schenken.  Hr  bittet  zui^leich  um  die  chivicula  Salomonis, 
—  also  für  einen  Faust  mit  Teufeln. 

Aber  die  Collectaneen  vermerken  eine  Notiz  des  Dio- 
genes Laertius  über  den  Cyniker  Menedemus,  derselbe  sei 
als  Furie  verkleidet  umhergezogen  wie  ein  Gesandter  der 
Molle,  um  Acht  zu  geben  auf  die  Sünder,  und  ein  Wort 
Tamerlans,  er  sei  die  Geissei  Gottes,  mit  dem  Zusatz : 
«dies  kann  \ielleicht  dienen  den  Charakter  des  \\'rti!hrers 
in  meinem  zweiten  Faust  wahrscheinlich  zu  machen«.  Wir 
sind  in  die  Räthsel  dieses  zweiten  Faust  wenig  eingeweiht 
und  wissen  nur  dies:  den  Teufel  oder  die  Furia  Mephi- 
stopheles  vertrat  ein  Mensch,  der  sich  eines  höheren  geheim- 
nissvollen Auftrags  und  entsprechender  Krätte  rühmte, 
eine  dämonische  Persönlichkeit,  ein  schwarzer  \'ertührer, 
der  alle  Fäden  in  seinen  starken  und  flinken  Fingern  hielt 
und  dessen  Ueberlegenheit  das  arglose  Opfer  bestrickte;  die 
Handlung  war  verschlungen  und  unheimliche,  blitzschnelle 
Effecte  erweckten  den  Schein    einer  diabolischen  Führung. 

Dieser  \'erführer  war  natürlich  kein  Intrigant  vom 
Schlage  der  Stukely  und  Henle^•.  Er  war  natürlich  aus 
ganz  anderem  Holze  geschnitzt  als  der  Höfling  Marinelli, 
die  geschmeidige  feige  Creatur,  der  durchaus  nicht  als  ein 
Ableger  vom  zweiten  Faust  zu  fassen  ist;  auch  findet  sich  sein 
Character  schon  im  alten  Virginia-Entwurf  skizzirt.  Dennoch 
bietet  die  »Emilia  Galottia  zwei,  wohl  unbewusste  Hin- 
deutungen auf  das  Faustische  Gebiet.  Der  Prinz  schliesst: 
»Ist  es  zum  Unglücke  so  mancher  nicht  genug,  dass  Fürsten 
Menschen  sind :  müssen  sich  auch  noch  Teufel  in  ihren 
Freund  verstellen«  —  wir  denken  an  den  bürgerlichen 
Faust.  Und  die  leidenschaftliche  Fieberphantasie  der  Orsina, 
wenn  sie  alle,  die  Verlassenen,  »alle  in  Bacchantinnen,  in 
Furien  verwandelt,  wenn  wir  ihn  unter  uns  hätten  .... 
zerrissen«,  erinnert  uns  an  den,  von  Lessing  freilich  aut- 
gegebenen, grausigen  Schluss  des  \'olksschauspiels. 


80  AHHANDLUNGEN'. 


Dämonische  Bosheit  wollte  Lessini^  im  bürgerlichen 
Faust  darstellen.  Schauen  wir  uns  in  seiner  an  lintwürlen 
so  reichen  \\'erkstatt  um,  so  gibt  nur  noch  der  »Xero« 
den  Zug  /um  Dämonischen  kund.  Xach  dem  weichlichen 
verführerischen  Prinzen  des  italienischen  Duodezhotes 
römischer  Cäsarenwahnsinn !  Xero  sollte  der  »Inbegriff 
aller  menschlichen  Verruchtheit«  werden,  aber  Lessing  gab 
den  Plan  aut,  weil  ein  solches  »moralisches  Ungeheuer  im 
Drama  .  .  .  convulsivische  hanpörung«  erzeuge;  so  hörte 
•Matthisson  von  Gleim ;  der  ihm  zugleich  mittheilte.  Lessing 
habe  auf  die  »Bearbeitung  der  \'olkstradition  von  Doctor 
Faust«  verzichtet  (Matthissons  Autobiographie  in  »Deutsche 
Lehr-  und  Wanderjahre«  1,62t.).  Wir  sind  nicht  in  der 
Lage  X'ater  (ileims  Weisheit  streng  zu  controliren. 

Auffallend  ist,  dass  Lessing  in  den  siebziger  Jahren 
zwar  Gebier  und  Müller  kurz  über  beide  Pläne  aut  klärte, 
den  Hauptmann  von  Blankenburg  jedoch  und  lingel  (1774) 
niu'  mit  dem  Teutelstaust,  mit  diesem  aber  eingehend,  \-er- 
traut  machte.  Ihre  Berichte  von  1784  und  17S6  helfen 
uns  weiter,  ausserdem  liegt,  \()m  siebzehnten  Literaturbriet 
abgesehen,  nur  eine  Expositionsskizze  aus  dem  theatralischen 
Nachlass  vor.  Was  sonst  vom  Faust  zu  Papier  gebracht 
worden,  ist  der  Vernichtung  anheim  gefallen,  ohne  dass 
ich  hier  die  grosse  Kistenfrage  nochmals  weitläufig  abhan- 
deln möchte,  die  sogai'  vor  Jahrzehnten  schon  Gegenstand 
einer  Novellette  —  oder  nannte  sich  das  Ding  »Phantasie« 
—  geworden  ist.  Kuno  Fischer  dictirt  mit  dem  ihm 
eigenen  Aplomb  :  der  Faust  wai'  nicht  in  der  Kiste.  Aller- 
dings könnten  K.  G.  Lessing  und  Blankenburg  sich  irren. 
Lessing,  wo  er  von  dem  ^'erlust  1775  spricht,  erwähnt 
sein  Drama  nicht,  aber  die  Fabeln,  die  lexikalische  Unter- 
suchung, die  Woltenbüttler  Handschritt  lagen  ihm  gerade 
mehr  am  Flerzen.  Fs  ist  gar  nicht  in  seiner  stolzen  Art, 
seine  Habe  Stück   tiir  Stück  zu  inventarisiren   und  über  jede 


Erich  Schmidt:  Zur  Vorgeschiöite  des  Goethe'schen  Faust.    8l 


liinbussc  zu  greinen.  Hin  ^crini;scliät/.igcs  »/um  Henker 
mir  alle  dem  HetteK'  und  damit  genui^.  Uebrigens  ob  in 
der  Kisie  verloren  oder  von  Lessing  vernichtet,  der  baust, 
richtiger  wohl  die  Masse  der  Skizzen  und  Fragmente,  ist 
nicht  mehr. 

1768  hatte  Ebert  Lessingen  vergebens  zum  Hervor- 
treten gedrängt.  Man  wartete  und  munkelte  später,  Lessing 
Werde  unmittelbar  nach  Goethe  auf  den  Plan  treten  (vgl. 
auch  B\ern  an  Knebel  8.  D(dc.  1776,  Düntzer  »Zur  deutschen 
Literatur  und  Geschichte«  i,  62).  Aber  Lessing  wollte 
nicht  concurriren,  sondern  nur  kritisiren. 

Wir  treten  nunmehr  an  die  erhaltenen  Bruchstücke 
und  Analysen  heran.  Dem  Volksdrama  folgend  leitet 
Lessing  seinen  Faust  durch  ein  Vorspiel  ein.  Zeit :  um 
Mitternacht.  Ort:  ein  alter  gothischer  Dom.  Nach  Lessing's 
Entwurt  ein  unzerstörter,  denn  der  Küster  und  sein  Junge 
schreiten  zum  oder  vom  Läuten  hindurch.  Nach  Engel 
ist  er  zerstört;  Kirchen  zu  verwüsten  sei  Satans  Lust. 
Lessing  hat  diesem  Eftect  und  der  Wahrscheinlichkeit  zu 
Liebe  so  geändert,  denn  Teufelsconvente  pflegen  nicht 
in  wohlerhaltenen  heiligen  Gotteshäusern  stattzufinden. 
Unsichtbar  sitzen  die  Teufel  auf  den  Altären,  auf  dem 
Hauptaltar  der  Höllenfürst  Beelzebub.  Passend  erinnert 
Düntzer  (Lessing  als  Dramatiker  S.  196)  an  die  Pia  hilaria 
des  A)igelinus  Gazäus:  um  Mitternacht  versammeln  sich 
die  Teutel  in  den  Ruinen  des  Marstempels  und  erstatten 
Lucifer  Bericht  über  ihre  Thaten ;  einer  hat  den  Bischof 
Fundanus  berückt.  Ich  füge  hinzu,  dass  Hilarion  in  ver- 
fallenen Tempehi  hölHsche  Geister  gewahrte.  Boxberger 
(Hempel  11^,  594)  sollte  statt  des  fern  liegenden  »Bruder 
Rausch«  lieber  die  Charonscene,  das  Furienvorspiel  zum 
deutschen  Hamlet  und  dergleichen,  Naogeorgs  Pammachius, 
die  Eingangsscenen  der  Scherenberg'schen  Jutta  heranziehen. 
In    den  letzteren,    einer    ausgezeichneten  Leistung   unserer 

Goetiiu-Jaiirbuch  II.  5 


Abhandlungen. 


alten  Dramatik,  ruft  Lucitcr  seine  Teufel  bei  Namen  aut, 
um  schliesslich  den  liebsten  »Schalck  Sathanas«  und  Spiegel- 
glanz gegen  die  unschuldige  Jutta  zu  entsenden. 

In  Lessings  Entwurf  hat  der  erste  Teufel  eine  Stadt, 
der  zweite  eine  Flotte  zerstört,  der  dritte,  Mephistopheles, 
einen  heiligen  Mann  zum  Trunk  und  dadurch  zu  Ehebruch 
und  iMürd  verführt.  Eine  alte,  namentlich  im  i6.  Jahrhundert 
gern  erzählte  Anecdote,  welche  Lessing  vermuthlich  aus 
einer  Schwanksammlung  wie  Paulis  »Schimpf  und  Ernst« 
schöpfte.  Sollte  das  für  die  Breslauer  Zeit  sprechen? 
Mephistopheles  übernimmt  nun  die  schwierige  Autgabe 
den  Faust  binnen  vier  und  zwanzig  Stunden  zu  bethören. 
Er  rechnet  mit  der  Erfahrung,  dass  zu  viel  Wissbegierde 
der  Ursprung  aller  Laster  sein  könne,  wie  es  —  er  sagt 
das  nicht  ausdrücklich  —  die  Trunkenheit  für  den  Einsicdel 
gewesen  ist. 

Anders  Engel,  der  uns  wiederum  in  eine  spätere  Phase 
blicken  lässt.  Zwar  erinnerte  er  sich  nicht  mehr  genau 
an  alles,  aber  was  er  gab  glaubte  er  zu  wissen,  und  er  ist 
ein  zu  kleiner  Geist  um  etwas  nachzuerfinden,  was 
Lessingisch  aussähe.  Wir  sehen  klar,  wie  subtil  der  frühere 
Entwurf  erweitert  worden  ist.  Nicht  eine  Stadt  hat  der 
erste  Teufel  zerstört,  sondern  die  Hütte  eines  Armen,  den 
gute  Geister  sammt  den  Seinen  retteten.  Da  floh  der 
Teufel  verzagt.  Satan  lässt  ihn  hart  an:  der  fromme  Arme 
wird,  völlig  verarmt,  nur  frömmer;  bereichern  hättest  du 
ihn  sollen !  Ebenso  führt  er  den  Verniclner  der  Flotte 
ad  absurdum.  Der  dritte  hat  die  Phantasie  eines  bis  dahin 
reinen  Mädchens  —  unsinnig  überliefert  Engel:  einer  Buhlerin 
—  vergiftet.  Nun  erst  kommt  Mephistopheles  an  die 
Reihe.     Er   hat   nichts   gethan,    aber  das    Grosse   gedacht. 

»Gott  seinen  Liebling  zu  rauben einen  denkenden 

einsamen  Jüngling,  ganz  der  Weisheit  ergeben«.  Nur  weiss 
er    ihn    nirgends    zu    fassen;    ähnlich    berichtet    in    Kürze 


Erich  Schmidt:  Zur  VoRGESCHwfhTE  des  Goethe'schen  Faust.    85 


ßlankenburg.     Doch,    entgegnet  Satan,   bei    seinem  leiden- 
schaftlichen Drang  nach  Weisheit  sollst  du  ihn  fassen. 

Die  vier  ersten  Auftritte  des  ersten  Actes  sind  uns  in 
einer  Skizze  erhalten.  Der  Eingang  gibt  das  traditionelle 
Bild :  Faust  einsam  grübelnd.  Es  ist  Nacht.  Er  brütet  über 
einem  philosophischen  Werk.  Er  erinnert  sich,  dass  ein 
Gelehrter  den  Teufel  über  des  Aristoteles  Entelechie  citirt 
hat.  Endlich  nach  vergeblichen  Versuchen  glückt  ihm  jetzt 
um  die  zwölfte  Stunde  die  Beschwörung.  Auf  den  Ruf 
»Bahall«  erscheint  der  zunächst  recht  schlaftrunkene  Geist, 
der  im  Leben  einst  Aristoteles  geheissen.  Wie  der  Gram- 
matiker Apion  den  Homer,  so  fragt  Lessings  Nekromant 
den  Stagiriten  aus  und  stellt  in  der  Disputation  die  »spitz- 
findigsten Fragen«.  An  einen  Teufel  in  des  Aristoteles 
Gestalt  ist  wohl  nicht  zu  denken.  Denn  erst  1,3  geschieht 
die  weitere  Beschwörung  und  1,4  tritt  der  Dämon  auf, 
Mephistopheles. 

Diese  (Breslauer,  1758  schon  ähnlich  entworfene  ?) 
Skizze  wurde  später  (in  Hamburg?)  entweder  ganz  bei 
Seite  geschoben  oder  vollständig  umgearbeitet,  denn  auch 
diesmal  führen  uns  die  Gewährsmänner,  Engel  und  ßlanken- 
burg, zu  einer  höheren  Entwicklungsstufe,  indem  sie  über- 
einstimmend berichten,  dass  der  ganze  Handel  mit  dem 
Teufel  nicht  von  Faust,  sondern  von  einem  ihm  täuschend 
ähnlichen  Phantom  abgeschlossen  und  abgespielt  wurde. 
Oder  wir  müssten  annehmen,  dass  Faust  in  der  That  selbst 
den  gefährlichen  Steg  beträte,  aber,  etwa  i,  6,  von  guten 
Geistern  in  Schlaf  versenkt  würde.  Ungefähr  an  der  Stelle, 
wo  der  Faust  der  Tradition  nach  Unterzeichnung  des 
Pactes  ohnmächtig  zusammenbricht.  Nicht  unmöglich,  aber 
wahrscheinlich  doch  nur  unter  Annahme  von  Aenderungen, 
zielend  auf  Entlastung  des  zweif^ichen  Beschwörers,  der  in 
der  Exposition  minder  selbstthätig  erscheinen  müsste.  — 
Faust  schlummert  und  alles,  was  fortan    geschieht,  erfolgt 

6'^ 


^4  Abhandlungen. 


tür  ihn  nur  in  l'orni  eines  Tnuimgcsichts.  Als  die  Teufel 
Irohlückend  die  Beute  fortraften  und  den  Siegesruf  gen 
Himmel  ertönen  lassen  wollen,  entschwindet  das  Phantom, 
der  Himmel  hat  den  Prozess  gewonnen,  schamvoll  und 
wüthend  müssen  die    unholden   Geister    den  Plan    räumen. 

Xach  lingel  erklang  schon  in  der  ersten  \'erschwörungs- 
scene  eine  Stimme  von  oben,  auch  sie  noch  von  Motiven 
des  \'olksschauspiels  abzuleiten:  »Ihr  sollt  nicht  siegen«; 
wohl  nur  dem  Zuschauer  vernehmbar,  den  Lessing  von 
vorn  herein  in  den  Plan  des  Ganzen  einweiht.  Nach 
Blankenburg  wurde  den  triumphirenden  Teufeln  zuletzt 
von  einem  Himmelsboten  ihre  Niederlage  kund  gethan  : 
»Triumphirt  nicht,  ihr  habt  nicht  über  Menschen  und 
Wissenschaft  gesiegt ;  die  Gottheit  hat  dem  Menschen 
nicht  den  edelsten  der  Triebe  gegeben ,  um  ihn  ewig 
unglücklich  zu  machen ;  was  ihr  sähet  und  jetzt  zu  besitzen 
glaubt  war  nichts  als  ein  Phantom«. 

In  welchem  Masse  Lessing  die  Ausführung  des  uns 
zunächst  fremdartig  anmuthenden  Gedankens  einer  blossen 
Phantasmagorie  bewältigt  hatte  oder  hätte,  steht  dahin. 
Ob  ihm  die  poetische  Macht  eigen  war,  eine  lange  Schein- 
handlung etwa  so  im  Charakter  von  dissolving  views  zu 
halten,  wie  Grillparzer  es  in  »Der  Traum  ein  Leben «  ver- 
standen hat,  mögen  wir  bezweifeln.  Gewiss  ist  auch  die 
Substituirung  eines  Phantoms  lür  den  rein  passiven 
schlafenden  Helden  und  die  Permanenz  eines  deus  ex 
machina  nicht  die  dramatische  Lösung,  welche  der  Faust- 
stofT  erheischt,  die  Läuterung  durch  ein  Gesicht  nicht  die 
innerliche,  welche  Goethe  seinem  Irrenden  Strebenden  aui 
der  langen  Wanderung  zu  Theil  werden  lässt.  Wir  wollen 
keinen  Theophilus,  den  die  heilige  Jungfrau  als  Noth- 
helferin  rettet,  »dieweil  ihr  eben  schliefet«,  sondern  den 
echt  protestantischen  haust.  Zu  beantworten  bleibt,  wie 
Lessiny  auf  diese  Behandlung  verfiel.     Niemand  wird  sich 


Erich  Schmidt  :  Zur  VoRGESCHiCHTE  des  Goethe'schen  Faust.    8  < 


dabei  beruhigen,  dass  er  den  Schiitzgeist,  welcher  den  l'aust 
des  \'olksschauspiels  klagend  verlässt,  dem  seinigen  /imi 
treuen  Eckart  bestellte.  Oder  gab  ihm  die  Helenasage 
etwa  das  euripideisclie  Drama,  den  Ausweg  an?  Paris 
entführt  ein  Schattenbild,  und  um  ein  Schattenbild  entbrennt 
der  langjährige  Krieg,  während  Helena  unschuldig  und 
unbehelligt  in  Aegvpten  weilt.  Aber  ganz  abgesehen  davon, 
dass  Lessing  in  seilten  Faust  die  Helena  der  Faustsage 
allem  Anschein  nach  nicht  aufnahm,  eine  andere  Quelle  liegt 
näher:  Calderon.  An  allerlei  Phantomen  ist  im  spanischen 
Drama,  das  Lessing  kannte,  wie  damals  vielleicht  kein 
anderer  in  Deutschland,  kein  Mangel.  Schon  1750  hatte 
er,  wie  ein  Zettel  des  theatralischen  Nachlasses  beweist, 
an  eine  Bearbeitung  der  Komödie  La  vida  es  sueno  gedacht. 
Diese  besitzt  in  einem  Auto  einen  religiös-allegorischen 
Namensvetter,  der  den  Widerstreit  der  Elemente  im  Chaos, 
die  guten  Gewalten  und  die  bösen,  die  Sünde  als  Schatten 
vorführt  und  den  Sündenfall  sowie  die  Erlösung  des  Men- 
schen zum  Gegenstand  hat.  Die  Anregung  für  Lessing 
liegt  im  späteren  \'erlauf,  \\o  dem  reuigen  gefesselten 
Höhlenbewohner  die  Weisheit  als  Pilger  naht,  sich  selbst 
die  Fesseln  anlegt  und,  während  jener  schläft,  vom  Satan 
und  dem  Schatten  gekreuzigt  wird,  um  dann  in  alter  Glorie 
wieder  wiederaufzuleben.  Hölle  und  Sünde  haben  nicht 
den  Menschen  in  unzerreissbare  Bande  geschlagen,  sondern 
nur  einen  \on  der  himmlischen  Gnade  gesandten  Stell- 
vertreter sich  selbst  zum  Schaden  gemartert.  Die  Hölle 
erliegt,  die  Himmlischen  singen  den  Triumphgesang,  der 
Mensch,  gereinigt,  gekräftigt,  gerettet,  wie  Lessings  Faust 
nach  dem  Schlummer,  ruft  in  der  Fülle  seiner  Seligkeit: 
»O !  wenn  auch  dieses  Traum  ist,  so  lasst  mich  nie 
erwachen«. 

Echt    lessingisch    jenes     frohe,    befreiende    »Ihr    sollt 
nicht  siegen«.    Das   fuden-Christenthum  hatte  den  freieren 


86  Abhandlungen. 


Paulinismus  xum  Schwindel  des  Simon  Magus  carikirt,  im 
i6.  Jahrhundert  stand  der  apostolische  Krieger  wieder  aut 
sein  Schwert  gestützt  da,  wie  ihn  Alhrecht  Dürer  malte 
und  Luther  als  Idealgestalt  verehrte,  aber  der  Teutelsglaube 
der  grossen  gährenden  Werdezeit  warf  in  die  Fausthistorie 
seine  düsteren  Schatten  und  ahndete  den  geistigen  Titanismus 
des  ))  Speculirers«  als  die  Gottlosigkeit  eines  »thummen 
und  hüffertigen  Kopfs«,  endlich  trägt  Lessing  die  Leuchte 
der  Aufklärung  in  das  halbmittelalterliche  Forschermuseum 
als  der  erste  wahrhaft  moderne  Betrachter  des  Faust. 
Lessing  am  allerwenigsten  konnte  den  einsamen  Sucher 
der  Wahrheit  dem  Untergang  preisgeben,  ist  doch  die 
Tendenz  seines  Faust  ganz  die  seines  eigenen  Strebens, 
welches  den  Trieb  nach  Wahrheit  dem  \'ollbesitz  der 
Wahrheit  vorzieht.  In  Lessings  Augen  konnte  nur  der 
dumme  Teufel  Vielwissenwollen  für  die  Achillesferse  des 
guten  Menschen  halten.  Seine  heitere  stolzbescheidene 
Verstandesklarheit  verstieg  sich  nie  auch  nur  ahnend  zu 
dem  schwindelnden  Flug  prometheisch-laustischer  Gedanken. 
Er  gab  uns  seinen  Faust.  Wir  aber  sind  froh,  dass  hinter 
ihm,  der  wie  Dürers  Ritter  trotz  Tod  und  Teutel  gerade 
aus  seinen  Weg  nahm,  auf  verschlungenen  Ptaden  der 
Feuergeist  einherzog,  der  mit  aller  Wollust  und  aller  Pein 
des  Titanismus  tief  vertraut,  ch'it  l-'aust  geschafl'en  hat. 
Erst  die  Goethe'sche  Generation  war  zur  \\)llendung 
berufen. 


4.  Die  erste  Aufführung 
DES  Götz  von  Berlichingen. 

VON" 

Richard  Maria  Werner. 


Ijs  hat  etwas  Begeisterndes,  die  erste  Wirkung  des 
Götz  zu  beobachten.  Wie  ein  mächtiges  Gewitter, 
mit  Blitz  und  Donner,  fuhr  dieses  Drama  in  die 
schwüle  Luft  der  bürgerlichen  Schauspiele.  Alles  wurde 
hingerissen.  Selbst  die  Tadler  konnten  sich  der  frischen 
Jugendlichkeit  dieses  »schönsten  interessantesten  Monstrums« 
nicht  entziehen.  Die  knöchernste  Prosa,  Christian  Heinrich 
Schmid,  hätte  nach  eigenem  Geständnisse  den  »sehr 
bedauert«,  »der  Müsse  genug  gehabt  hätte,  während  der 
ersten  Durchlesung  zu  bemerken,  dass  der  Verfasser  last 
auf  allen  Seiten  gegen  die  Vorschriften  der  Kritik  gesün- 
diget«. Die  »kritischen  Linne's«  waren  ungewiss,  in  welche 
Klasse  sie  es  setzen  sollten ;  » c'est  l'histoire  d'un  heros 
mise  en  dialogues ;  d'une  scene  ä  l'autre  le  thedtre  change; 
c'est  une  tragedie  et  il  y  a  des  endroits  comiques :  ä  cöte 
du  langage  noble  et  eleve  d'un  guerrier  ou  d'une  femme 
sublime,  on  trouve  le  langage  vulgaire    et   bas   d'un  valet; 


Abhandlungen. 


au  milicu  de  tout  cc  quc  la  tragcdic  pcut  oftrir  de  tcrriblc, 
de  situations  ijrotcsqucs  qui  fönt  rirc<(.  Man  könnte  das 
Schwanken  im  Urtheile,  die  Ungewissheit  über  das  Hervor- 
stechende nicht  besser  ausdrücken  als  dieser  Franzose  im 
»Journal  Jincvclopediquec  Die  Kritiker  waren  naiv  genug 
einzugestehen,  dass  sie  mit  dem  Götz  noch  nichts  rechtes 
anzufangen  wüssten  ;  es  taml  sich  aber  auch  hier  die  Hti- 
quette,  und  sie  lautete  »Shakespeare«.  Freilich  dieser  war 
nun  schon  anerkannter,  aber  man  fühlte  sich  in  seiner 
Gegenwart  noch  nicht  recht  wohl.  Aiit  die  Bühne  war 
er  nur  in  schlechten  Bearbeitungen  gekommen  und  gehöi^te 
noch  nicht  zum  stehenden  Repertoire. 

Dem  Götz  gegenüber  wurde  von  der  Kritil;  die  krage 
nach  der  Auflührbarkeit  kaum  recht  gestellt.  Wieland  sagte 
ganz  im  \'orübergehen ,  nur  zwischen  zwei  Gedanken- 
strichen apodiktisch  von  dem  Schauspiel  » —  das  man 
nicht  aurtühren  kann  —  bis  uns  irgend  eine  wohlthätige 
Fee  ein  eigen  Theater  und  eigene  Schauspieler  dazu  her- 
zaubert — «  und  fügte  im  A'erlaufe  seiner  Anzeige  halb\\eh- 
müthig  hinzu:  »Welche  Wunder  sollte  der  Genie,  der  dies 
gethan  hat,  nicht  auf  unserer  Schaubühne  wirken  kc'mnen, 
wenn  es  ihm  einfiele,  Schauspiele  zu  schreiben,  die  man 
auHühren  könnte?«  Und  noch  in  den  »Briefen  an  einen 
jungen  Dichter«  läugnet  er  es  schlechterdings,  »dass  der 
\'erfasser  Götzens  die  Absicht  dabei  gehabt  habe,  ein 
gangbares  Stück  für  unsere  meistens  herumziehenden 
Schauspieler-Truppen  zu   verfertigen«. 

Mensel  dachte  nicht  anders  daxon :  »Wir  glauben 
nicht,  dass  irgend  eine  Schauspieler- Gesellschaft  auf  den 
Finfall  kommen  wird  Göz  von  Berlichingen  zu  geben. 
C^hne  auf  die  last  unübersteiglichen  Schwierigkeiten  dei' 
\'orstellung  zu  sehen,  vermuthen  \\\v  sicher,  dass  dieses 
Schauspiel  auf  der  Bühne  nicht  gefallen  würde.  Wenn  wir 
es  als  ein  Stück  für  die  ßühiw  betrachten  wollten,  so  würden 


Die  erste  Aufführung  Dg«  Götz  von  Berlichingen.         89 

unsrc  Urthcilc  i^anz  verschieden  von  derjenigen  sex'n,  die 
wir  in  dieser  [im  ganzen  lobenden]  Kritik  geäiiscrt  haben«. 

Auch  der  Recensent  im  Altonaer  »Neuen  gel.  Mercurius« 
sagte  rundheraus:  «Aufgeführt  kann  das  Stück  nicht  eher 
werden,  bis  wir  ein  Parterre,  gleich  dem  englischen,  haben, 
das  eigensinnig  genug  ist,  etwas  ansehen  zu  wollen,  das 
es  kaum  halb  versteht,  und  auch  im  Grunde  kaum  halb 
schön  tindet;  auch  wird  der  \'ertasser  es  selbst  nicht  in 
der  Absicht  verfertigt  haben«.  Von  Anderen,  /..  B.  von 
Schmid,  wird  Goethe  immer  in  Gegensatz  zu  »seinem 
Bruder,  dem  theatralischen  Dichter«  gesetzt.  Goethe  gestand 
selbst  im  Alter,  :\n  der  Darstellbarkeit  nach  wiederholten 
\^ersuchen  verzweifelnd,  ein  Stück,  das  nicht  ursprünglich 
mit  Absicht  und  Geschick  des  Dichters  für  die  Bretter 
geschrieben  sei,  gehe  auch  niciu  hinauf,  und  wie  man  auch 
damit  verfahre;  »es  wird  immer  etwas  Ungehöriges  und 
Widerstrebendes  behalten  « . 

Mancher  Kritiker  und  Lobredner  bedauerte  dies, 
Claudius  z.  B.  ist  überzeugt,  dass  Freund  und  Feind  gewiss 
mit  ihm  wünschten,  dass  es  möchte  aufgeführt  werden 
können.  Und  ein  anderer  (wahrscheinlich  Bahrdt)  vermisst 
sich  :  »Wir  getrauten  uns,  mit  geringer  Mühe  die  Schau- 
platzveränderungen so  zu  reduciren,  dass  sich  das  Schau- 
spiel aufführen  Hesse«. 

Für  einen  Schauspieldirector  lag  daher  nichts  näher, 
als  den  \'ersuch  zu  wagen,  konnte  er  doch  sicher  sein, 
dass  man  wenigstens  der  Curiosität  halber  ins  Schauspiel- 
haus laufen  würde.  Koch,  der  mit  seiner  Gesellschaft 
damals,  nachdem  er  in  Leipzig  das  Publikum  entzückt 
hatte,  in  Berlin  Vorstellungen  gab,  war  unternehmend 
genug,  das  »schöne  Ungeheuer«  auf  die  Bühne  zu  bringen. 
Und  das  muss  ihm,  obwohl  er  es  gewiss  nur  aus  Speculation 
gethan  hatte,  als  patriotische  That  angerechnet  werden. 
Bedenkt  man  den  grossen  Einfiuss,  den  damals    alles  fran- 


90  Abhandlungen. 


zösisclic  Wesen  gerade  in  Berlin  hatte,  wie  der  Hot,  ^^leich 
den  Gelehrten  und  Schöngeistern,  dLU-chaus  Pariser  Ge- 
schmack, Pariser  Interesse  hatte,  so  erscheint  die  erste 
Autführung  eines  Cjotz,  noch  dazu  des  ersten  Goethe'schen 
Werkes,  das  die  Bretter  beschritt,  doppelt  und  dreifach 
wichtig.  Mag  die  Koch'sche  Gesellschaft,  wie  die  Berliner 
Bühne  der  Aufgabe  nicht  gewachsen  gewesen  sein,  mag 
das  Neue,  Unerhörte  des  äusseren  Apparates,  der  lUistungen 
und  Costüme,  einen  grossen  Theil  des  Interesses  für  sich 
in  Anspruch  nehmen,  so  bleibt  doch  das  Verdienst  unläugbar, 
dass  Koch  ad  oculos  demonstrirte,  der  Götz  sei  wirklich 
»die  Morgenröthe  einer  neuen  Dramaturgie«,  von  welcher 
Hamann  gesprochen  hatte,  und  ein  grossartiges  Kunstwerk 
modle  den  Geschmack  selbst  des  widerstrebendsten  Publi- 
cums.  Zwar  waren  die  Meinungen  auch  jetzt  noch  getheilt, 
zwar  jubelten  die  Einen,  während  die  Andern  noch  immer 
zweifelnd  und  spöttisch  die  Köpfe  schüttelten,  aber  der 
vortretlliche  »Kassenerfolg",  wie  wir  heute  sagen  würden, 
den  Niemand  wegläugnen  konnte,  sicherte  dem  Götz  einen 
Platz  auf  den  Bühnen ;  der  Berliner  Versuch  fand  gar  bald 
in  Hamburg  und  Mannheim  Nachahmung ;  ja  selbst  über 
den  Canal  weg  soll  er  nicht  ohne  Einfluss  gewesen  sein. 
Am  i.(.  April  1774  brachte  die  Vossische  Zeitung 
folgende  Ankündigung,  welche  nur  den  Theater -Zettel 
wiedergibt:  »Heute  |d.  i.  am  12.]  wird  die  von  Sr.  Kiniigl. 
Majestät  von  Preussen  allergnädigst  privilegirte  Kochische 
Ciesellschaft  teutscher  Schauspieler  aufführen  :  »Götz  von 
Berlichingen  mit  der  eisernen  Hand«.  Ein  ganz  neues 
Schauspiel  in  5  Akten,  welches  nach  einer  ganz  besondern 
und  jetzt  ganz  ungewöhnlichen  liänrichtung  von  einem 
gelehrten  und  scharfsinnigen  N'eriasser  mit  Eleiss  vertertigt 
worden.  Es  soll,  wie  man  sagt,  nach  Sbiikespear' sehen 
Geschmack  abgefasst  seyn.  Man  hätte  vielleicht  Bedenken 
getragen,  solches  auf  die  Schaubühne  zu  bringen,  aber  man 


Die  erste  Aufführung  d^  Götz  von  Berlichingen.         91 


hat  dem  \'crLini;cn  vieler  l-'reuiule  nach^e^ebell,  und  so 
viel,  als  Zeit  und  Plaiz  erlauben  wollen,  Anstalt  gemacht, 
es  auszuti-ihren.  Auch  hat  man,  sich  dem  geehrtesten 
Publicum  getällig  /.u  machen,  alle  erlorderlichen  Kosten 
auf  die  nöthigen  Decorationen  und  neue  Kleider  gewandt, 
die  in  den  damaligen  Zeiten  üblich  waren.  In  diesem  Stück 
kommt  auch  ein  Ballet  \on  Zigeunern  vor.  Die  Hinrichtung 
dieses  Stückes  ist  am  Eingange  aut  einem  a  parte  Blatt 
tur  I   Gr.  /u  haben«. 

Koch  rechnete  aut  die  Neugierde  des  grossen  Publi- 
cums,  das  wohl  römisches  und  griechisches  Costüm,  wohl 
ReitVock  und  Perrücke  auf  der  Bühne  zu  sehen  gewohnt 
war,  aber  nicht  die  Rüstungen  und  das  Driununddran  eines 
Ritterstückes.  Auch  ein  Zigeuner -Ballet  kam  ^■or,  was 
/war  schon  dagewesen  war,  aber  für  das  ganze  Werk  schon 
von  Anfang  an  den  Reiz  des  Ungewohnten,  Ungewöhn- 
lichen erregte. 

Und  so  erschien  denn  der  iMann  ))mit  der  eisernen 
Hand«  zinn  ersten  Mal  am  12.  April  1774  auf  den  Brettern. 
Der  Zulauf  zu  den  Vorstellungen  war  ein  enormer,  so  dass 
sechs  Tage  hintereinander  das  Stück  des  Herrn  »Dr.  Göde 
in  Franklurt  a.  M.«  autgetührt  werden  musste  (1774  im 
Ganzen  vierzehnmal).  Drei  Tage  nach  der  ersten  Dar- 
stellung schrieb  die  Vossische  Zeitung :  »Das  so  viel  Auf- 
sehen in  Deutschland  verursachte  Schauspiel :  Götz  von 
Berlichingen  mit  der  eisernen  Hand,  ward  auf  hiesigem 
deutschen  Theater  drei  mal  hintereinander  mit  grossem 
Beiiall  aufgeführt.  Es  ist  eine  deutsche  Rittergeschichte 
völlig  in  der  Sbnki'spL'iii' sehen  Manier.  Es  würde  freilich 
sehr  sonderbar  sein,  wenn  man  es  nach  den  Regeln  der 
sogenannten  regelmässigen  Schauspiele  beurtheilen  wollte, 
noch  sonderbarer  aber,  wenn  man  sich  der  willkürlichen 
Regeln,  die  man  von  Griechen  und  Franzosen  angenommen, 
erinnern  und  danach  den  Werth  dieses  Stückes  bestimmen 


92  Abhandlungen. 

wollte.  l-!s  ist,  wenn  man  sich  so  ausdrücken  darf,  eine 
Reihe  der  vortrel]lichsten  Gemälde,  die  nach  und  nach 
lebendii^  weiden  und  weiter  unter  sich  keinen  Zusammen- 
hang haben,  als  dass  sie  y.u  Göt/en's  Lebs/eiten  \'ortallen. 
Weder  l-!inheit  der  Handluni,^  noch  \'orbereitung  einer 
Begebenheit  xur  andern,  aber  dafür  so  viel  damalige  deutsche 
Sitte  und  Denkungsart,  als  aus  manchem  deutschen  Gc- 
schichtsbuche  in  tolio  mit  aller  Schartsinnigkeit  nicht  heraus 
zu  kommentiren  ist.  Trugen  diese  Deutschinnen  keine 
Chignons  und  ellenlange  Kleidcrschleppen,  so  hatten  sie 
doch  auch  ihren  schonen  Putz,  und  sagten  die  galanten 
Damen  damals  nicht,  wie  jetzt,  iinvi  eher,  so  sagten  sie, 
mein  lieber  Junge.  Und  dass  dies  verliebten  Rittern  ebenso 
reizend  gewesen  sein  muss,  als  jenes,  beweiset  diese 
Geschichte  selbst;  denn  das  mein  lieber  Junge  aus  einem 
schönen  Munde  vermochte  den  braven  Ritter  W'eisslingen 
so  gut  zu  einer  schlechten  Handlung  als  das  inoii  eher 
mancher  unserer  Zeitgenossen  vermag.  Wenn  also  dieses 
Stück  auch  keinen  andern  \"orzug  hätte  (und  es  hat  gewiss 
noch  viele  andere!)  als  diesen,  dass  es  uns  mit  den  deutschen 
Ritterzeiten  bekannt  machte,  so  wäre  es  schon  für  jeden 
Deutschen  Bewegungsgrund  genug,  es  nicht  einmal,  sondern 
vielmal  zu  hören.  Denn  es  ist  doch  wunderlich  genug, 
die  alten  Römer  so  emsig  zu  studiren,  und  von  den  mittlem 
Zeiten   Deutschlands  nicht  eine  Silbe  zu  wissen !  d 

»Wenn  der  Ik-ifall  ein  Merkmal  von  der  guten  \'or- 
stellung  der  Schauspieler  ist,  so  kann  man  sie  diesmal 
vortreflhch  nennen;  und  wenn  dieser  Beihill  ihnen  auch 
nicht  zu  Theil  geworden,  so  würde  doch  der  Unpartheiische 
gestehen,  dass  ein  solches  Stück,  dessen  Auftuhrung  \ielen 
Schwierigkeiten  unterworfen,  im  Ganzen  genommen,  nach 
der  Beschaftenheit  des  deutschen  Theaters  wohl  von  keiner 
Gesellschaft  besser  vorgestellt  werden  kann.  \'ornämlich 
werden    die    Hauptrollen    sehr    gm    ausgeführt,    und    das 


Die  erste  Aufführung  des» Götz  von  Berlichingen.  93 


Küstünic,  das  in  den  I\.lL'iduni;cn  mit  wahrem  (jeselimack 
durchgängig  beobachtet  wurde,  wird  selbst  der  Alterthums- 
kenner  rühmen  müssen«. 

Die  Hauptrolle  spielte  Brückner,  indem  er  mehr  das 
unternehmende  Wesen,  die  thatkräftigen  Seiten  in  Götzens 
Charakter  hervorkehrte.  Dem  entsprechend  hatte  er  auch 
seine  Maske  gewählt,  welche  unseren  Theater-Traditionen 
nicht  entspricht.  Es  hat  sich  ein  Bild  seines  Costümes 
erhalten.  Sein  Götz  ist  ein  kaum  dreissigjähriger  junger 
Mann,  mit  vollen  kurzen  Locken,  ein  kleines  Schnurrbärt- 
chen  und  »die  Fliege «  zieren  seine  Lippen,  während 
Wangen  und  Kinn  rasirt  sind.  Dadiu'ch  erhält  sein  Aus- 
sehen etwas  Keckes,  man  möchte  sagen  Burschikoses_ 
Brückner  war  der  weitaus  bedeutendste  Schauspieler  der 
ganzen  Truppe,  er  beherrschte  das  Stück.  In  einer  Zeit- 
schritt, der  gelehrten  Zeitung  für  das  Frauenzimmer,  heisst 
es  von  ihm  als  Götz  :  «Hier  war  er  völlig  Original,  über- 
traf sogar  das  Ideal,  das  man  sich  von  einem  solchen  alten 
teutschen  Kitter  gemacht  hatte,  vernachlässigte  keinen  Zug, 
womit  er  \on  dem  treuherzigen,  gleichmüthigen,  tapferen 
l^erlichingen  noch  mehr  ausmahlen  konnte.  Die  Scene 
mit  seiner  Frau,  die  auf  dem  llathhause  zu  Heilbronn,  und 
die  letzten  Auttritte  waren  es  zumal,  die  ihn  als  einen 
Meister  in  seiner  Kunst  bezeichneten«.  Die  übrigen  Darsteller 
scheinen  recht  unbedeutend  an  Kunst  wie  an  Zahl  gewesen 
zu  sein ;  mancher  musste  zwei  Personen  agieren :  IVitböjl 
war  Lerse  und  Olearius,  Miiller  Selhitz  und  Kohl,  Khtnge 
Sickingen  und  Linck,  Spengler  Maximilian  und  Abt  von 
Fulda,  Martini  Bischof  von  Bamberg  und  l^ruder  Martin, 
Henisch  Liebetraut  und  xMetzler;  es  muss  eine  heillose 
Verwirrung  entstanden  sein.  Auffallend  ist  die  Besetzung 
des  Georg  durch  einen  Herrn,  Klofsch ;  wir  sind  gewöhnt, 
eine  Dame  mit  dieser  Rolle  betraut  zu  sehen,  was  in 
Berlin  zuerst   1795  versucht  wurde. 


94  Abhandlungen. 


\\)n  der  ^an/L-n  Aufführung  gibt  der  folgende  Brief 
ein  ziemlicli  deutliches  Bild,  und  lässt  auch  Blicke  in  die 
Art  der  Bühnenbearbeitung  thun.  Hr  versetzt  so  gut  in 
die  Berliner  Stimnumg,  dass  er  hier  nicht  fehlen  darf 

»Ob  ich  be\'  meinem  Autenthalt  in  Berlin  nicht  den 
Goez  von  Berlichingen  gesehn  ?  —  ja,  das  hab  ich.  Man 
gab  ihn,  und  wie  hätt  ich  da  meine  Neubegierde  zähmen 
können,  die  \on  dem  Augenblick  an  unbeschreiblich  gross 
war,  da  ich  zum  erstenmahle  hörte,  Ckiez  sev  wirklich  aufs 
Theater  gebracht.  —  Zwar  sagte  man  mir  in  Berlin  gleich, 
dass  das  Stück  auf  dem  Theater  nicht  auszuhalten  sev  und 
ich  war  eben  nicht  abgeneigt,  das  zu  glauben ;  doch  auf 
das  Urtheil  könnt  ich  nicht  rechnen,  denn  man  setzte 
grossentheils  ein  allgememes  Vcrdammungsurtheil  des 
ganzen  Stücks  hinzu,  und  wie  hatt'  ich  darauf  rechnen 
können.^  em  achtes  deutsches  Stück  macht  in  Berlin  gewiss 
keine  bessere  Figur,  als  in  Paris.  Das  beste  war,  ich  über- 
zeugte mich  mit  eignen  Augen.  Der  \'orhang  ward  auf- 
gezogen, und  ich  ärgerte  mich  von  ganzem  Herzen  darüber, 
dass  man  auf  solch  einem  Theater,  das  nur  für  Nachspiele 
scheint  gebaut  zu  seyn,  einen  Goez  spielen  wollte.  Doch 
allmählich  tieng  ich  an  günstiger  zu  urtheilen,  wenigstens 
über  den  kühnen  Entschluss,  das  Stück  auf  das  Theater  zu 
bringen,  wiewohl  ich  mit  den  Akteurs  nur  selten  zufrieden 
seyn  konnte.  Brückner  riss  mich  bisweilen  ganz  mit  sich 
tort,  aber  er  hatte  seine  Rolle  nicht  ganz  studirt.  Den 
i,'7//(';/  i'briici.u'i!  Goez  machte  er  sehr  mittelmässig,  wusste 
nicht  die  Rauhigkeit  und  Steifigkeit  des  gepanzerten  Ritters, 
und  die  Gutmüthigkeit  eines  ehrlichen  Mannes  in  eines 
zusammenzuschmelzen.  Aber  wt)  er  den  HiigL'Sliiiiu'J!,  hiirl- 
uäckii^eii  Go^.^  machte,  da  war  er  Meister.  Ihn  vor  dem 
Gerichte  der  kaiserlichen  Räthe  zu  sehn,  hätt  einen  allein 
schon  mit  der  ganzen  \'orstellung  wieder  aussöhnen  können. 
Kliiitgi'    machte    den    Sickingen,  Müller    den  Selbitz,  beyde 


Die  erste  Aui-führung  d^  Götz  von  Bhrlichingen.  95 

verdarben  \ielc  Stellen,  abei'  die  Scene,  wd  Seibit/  ver- 
wundet neben  dem  W'artthurm  lici^t,  machte  Müller  L^apy 
unxerbesserlich,  alles  in  seiner  Aktion  war  studiert,  und 
doch  glaubte  man  nichts  als  Natur  zu  sehn.  Hs  schien  als 
ob  er  die  ganze  übrige  Rolle  über  dieser  Scene  vergessen 
hätte.  —  Kloiscb  machte  seinen  Georg,  und  llliböft  den 
Lerse  ganz  erträglich.  —  Weder  Md.  Starke,  als  Elisabeth, 
noch  auch  Md.  Heiiisch  [1.  Hoiisrb] ,  als  Maria  trafen  den 
Charakter  ihrer  Rolle  genau.  Md.  Spnigh'r  affcktirte  [als 
Adelheid].  Die  letzten  beyden  schienen  ihre  Rolle  öfters 
über  dem  Parterre  zu  vergessen.  Gar  sehr  niedlich  machte 
die  kleine  IJ'itböfU'ii  den  Karl,  nur  Schade  !  dass  Maria  hier 
gar  nicht  das  war,  was  sie  seyn  sollte.  Heiiiscb  [1.  Heuckc, 
Henisch  ist  Irrthum]  spielte  seinen  W^eislingen  nur  mittel- 
mässig.  Ueberhaupt  hab  ich  es  an  ihm  und  mehrern  andern, 
in  diesem  und  andern  Stücken,  sehr  unerträglich  gefunden, 
dass  es  ihnen  öfters  einfällt,  Brücknern  zu  kopiren.  Das 
Tischgespräch  an  der  bischöflichen  Tafel  machte  unaus- 
stehliche Langeweile,  und  das  war  wohl  die  Schuld  der 
Akteurs  nicht.  \'ielleicht  lachen  Sie  über  meinen  Geschmack, 
wenn  ich  Ihnen  sage,  dass  mir  die  Zigeunerscene  gar  aus- 
nehmend wohl  gefiel,  obgleich  andre  um  mich  her  weg- 
sahen und  ausspuckten  bey  den  Worten  —  »da  zwev 
Feldmaus«.  —  »Ich  wiTl  sie  dir  abziehn,  und  braten,  und 
sollst  eine  Kapp  haben  von  den  Fellchen«.  —  Ich  konnte 
ja  das  geschehn  lassen,  und  doch  bev  meinem  Urtheil 
bleiben,  denn  —  ich  war  ja  nur  aus  der  Provinz.  —  Nichts 
fiel  elender  aus,  als  das  heimliche  Gericht.  Stellen  Sie 
sich  nur  vor,  das:  »Weh!  Weh!  Weh!«  und  das:  »Klage! 
Klage!  Klage!«  in  einem  Tone  wie  in  einer  Knabenschule 
nachgebetet.  Hätte  man  doch  wünschen  mögen,  dass  Goez 
die  Leute,  wie  die  Bürgerwache  vorher,  vom  Theater 
gejagt  hätte.  —  Doch  es  war  —  und  es  ist  meine  Absicht 
gar  nicht,  Ihnen  eine  vollständige  Kritik  über  die  Aufluhrung 


96  Abhandlungen. 


des  GüLV.  /LI  schreiben,  ich  wohie  Ihnen  nur  überhaupt 
sagen,  dass  ich,  eh  icli  das  Stück  sah,  gar  nicht  glaubte, 
dass  es  möghch  sey,  es  auf  die  Bühne  zu  bringen,  und 
dass  ich  jetzt  glaube  vom  Gegentheil  überzeugt  zu  seyn. 
Nur  frevlich  würden  die  Bedingungen  hart  seyn.  Wäre 
das  Theater  noch  einmahl  so  gross,  als  das  Leipziger;  die 
Gesellschaft  stark  genug,  die  Rollen  alle  gut  zu  besetzen, 
gesetzt  auch,  dass  manche  doppelte  Kollen  nehmen  müssten 
(wie  es  auch  in  Berlin  so  war);  und  wäre  denn  eine  W-r- 
sammlung  von  Zuschauern  zugegen,  die  sich  nicht  durch 
süsse  französische  Sitten  inul  Theatertheorien  verwöhnt 
hätten,  die  den  Schakespear  genug  gelesen,  um  sich  daran 
zu  gewöhnen,  dass  man  bald  hier  ist,  bald  dort,  und  Sprünge 
von  jähren  zwischen  manchen  Scenen  machen  muss :  so 
wollten  wir  sehen,  was  Gocz  tür  Eindruck  machen  würde. 
.\ber  auch  diese  Bedingungen  nicht  ganz  ertüUt,  lässt  er 
sich  auf  dem  Theater  ertragen,  und  vielen  wollt  ich  auch 
wohl  versprechen  —  mit  Lust  sehen.  Überhaupt  aber 
muss  ich  Ihnen  gestehen,  dass  die  kochische  Gesellschatt 
im  Ganzen  nicht  so  gut  mehr  zu  Berlin  ist,  als  ich  sie  zu 
Leipzig  gesehen  habe«. 

Dieser  Brief  lässt  warmen  Antheil  des  ungenannten 
Schreibers,  der  sich  nur  »G — s — r«  zeichnet,  und  gesunden 
Sinn  entnehmen,  obwohl  wir  ihn  an 'dem,  was  ihm  besonders 
gefiel,  als  Kind  seiner  Zeit  erkennen  ;  auch  sein  Geschmack 
ist  für  den  Götz  noch  nicht  gereift  genug.  Schade,  dass 
er  nicht  die  Absicht  hatte,  eine  vollständige  Kritik  zu 
geben;  es  hätte  interessirt,  sein  Urtheil  auch  über  die 
anderen  Rollen,  zimial  den  Martin  und  l'ranz,  die  Herren 
Martini  und  Qiitujno,  zu  hören.  Bei  allem  seinem  Tadel 
im  einzelnen,  erschien  ihm  das  ganze  Experiment  als  wohl 
gelungen. 

Den  geraden  Gegensatz  hiezu  bildet  das  Urtheil  Nicolais 
in  einem  (ungedruckten)  Briefe  an  den  Freiherrn  von  Gebier. 


DiH  ERSTE  Aufführung  d^  Götz  von  Berlichingen.  97 

Nicolai  hatte  in  seine  »Bibliotiiekc*  noch  keine  Recension 
über  den  Götz  eingerückt;  erst  drei  Jahre  nach  dem 
Erscheinen  Heferte  Hschenbiu'g  eine  diplomatisch  ge\vundene 
Kritik  dafür  und  machte  sich  zum  Echo  Nicolai's,  indem 
er  über  »die  theatralische  N'orstellung«,  die  manche  Leser 
dem  Stücke  vorher  kaum  zu  weissagen  sich  getraut  hätten, 
äusserte,  sie  sei  mehr  «ein  Beweis  von  dem  sehr  zu  ent- 
schuldigenden Hiter  unsrer  Theateraufseher  für  ihren 
\'ortheil,  als  von  der  Schicklichkeit  des  Stücks  zur  Aut- 
führung«, die  er  demselben,  der  wirklich  geschehenen 
Autfuhrung  ungeachtet,  dennoch  nicht  zugestehen  könne. 
In  dem  erwähnten  Briete  vom  8.  October  1774  —  den 
ich  nur  aus  dem  eigenhändigen  Concepte  kenne  —  urtheilt 
Nicolai  ähnlich:  »Götz  von  Berlichingen  ist  allerdings  in 
Berlin  mit  grossem  Zulaufe  aufgeführt  worden,  vielleicht 
hatten  die  Kleider  und  Harnische,  ganz  neu  und  im  voll- 
kommenen Costüme  gemacht,  an  diesem  Bevtalle  eben  so 
viel  Antheil,  als  etwas  anders.  Im  Ganzen  wurde  das 
Stück  nicht  schlecht  aufgeführt.  Bloss  die  Person  des 
ehrlichen  Martins  (welcher  nach  des  Verfassers  Willen 
Martin  Luther  seyn  soll)  war  schlecht  besetzt  [durch  Hrn. 
Mtirlliii].  Das  Sonderbarste  ist,  dass  selbst  Prinzessinnen  und 
Hofleute,  die  durchaus  tranzösisch  sind,  den  Götz  besucht 
haben.  Aber  wie  ich  schon  gesagt  habe,  die  alten  Kleider 
und  Harnische,  trugen  auch  das  ihrige  be}'.  Das  berlinische 
Publikum  ist  übrigens  (wie  fast  alle  Publika  in  der  Welt) 
ein  vielköptigtes  Ungeheuer,  davon  sich  einige  Kopie  mit 
den  teinsten  Säften  der  besten  Pflanzen  nähren,  die  meisten 
aber  Distel  und  Stroh  tressen.  Berlin  lief  vor  wenigen 
Monaten  dem  Bischof  von  Lisicux  [Eveque  de  Lizieux  von 
Voltaire,  1772]  und  dem  G('/^  zu,  und  itzt  läuft  es  der 
Megäre  eines  gewissen  Hafners  aus  Wien  nach,  die  sogar 
mehr  als  einmal  auf  hohen  Befehl  gespielt  worden  ist.  Einige 
aus    Prag    angekommene    Schauspieler   hatten    sie    auf  das 

Goethe-Jaürblch   II.  7 


9«^  Abhandlungen. 


Ihcatcr  i^cbraclu.  jedermann  .schämt  .sich  in  die  Mogare 
zu  gehen,  und  doch  wenn  sie  gespielt  wird,  ist  das 
Hans  voll«. 

Wie  es  Nicolai  als  ausgemacht  galt,  dass  der  Haupt- 
erfolg  des  Götz  der  Schaulust  des  Publikums  zu  danken 
sei,  so  auch  Lessing,  der  bekanntlich  in  einem  Briefe  an 
seinen  Bruder  sagte  :  »Dass  Götz  von  Berlichingen  grossen 
Beifall  in  Berlin  gefunden,  ist,  fürchte  ich,  weder  zur  Ehre 
des  Verfassers,  noch  zur  Ehre  Berlins.  Meil  [der  Zeichner 
der  Gostüme]  hat  ohne  Zweifel  den  grössten  Theil  daran. 
Denn  eine  Stadt,  die  kahlen  Tcinen  nachläuf't,  kann  auch 
hübschen  Kleidern  nachlaufen«.  Ereilich  erkennt  Lessing 
ganz  wohl,  dass  man  von  dem  Stücke  nicht,  wie  Ramler, 
französisch  lu'theilen  dürfe. 

Das  Stück  war  aufgeführt.  Das  galt  aber  noch  nicht 
für  einen  Beweis  der  Aufiührbarkeit.  Der  \'erfasser  der 
Bisarrerien  sagte  noch  Jahr  und  Tag  nach  dem  12.  April  1774  : 
»Wenn  aber  das  keine  Predigt  ist,  die  nicht  gehalten  wer- 
den kann,  so  kann  auch  das  gewiss  kein  Schauspiel  heissen, 
dessen  Auflührung,  die  Stadt  Berlin  mag  es  mir  verzeihen, 
unmöglich  ist ;  wenigstens  so  lange,  bis  man  die  Eigen- 
schaften eines  guten  Schauspiels    gänzlich  vergessen    hat«. 

Dagegen  herrschte  natürlich  im  Lager  von  Goethe's 
Anhängern  eitel  Ereude  und  Jubel  über  den  gelungenen 
Versuch  des  Director  Koch.  \'on  Goethe  selbst  hat  sich 
keine  gleiclizeitige  Äusserung  darüber  erhalten.  Aber 
Schubart  begeistert  sich  in  seiner  Deutschen  Ghronik  zu 
dem  Satze:  »Ausserordentlich  hab"  ich  mich  gefreut,  als 
ich  vernahm,  dass  Göz  von  Ik-rlichingen  mit  der  eisernen 
Hand,  dieses  Schauspiel,  welches  hundert  französische  imd 
die  meisten  deutsche  aufwiegt,  in  Berlin,  diesem  Tempel 
des  guten  Geschmacks,  nicht  nur  dreimal  nach  einander 
mit  dem  grösten  Beifalle  aufgeführt  worden,  sondern  auch 
auf  \'erlan!j;en  wiederhohlt  werden  musste.  Wie  patriotisch 


Die  erste  Aufführung  qjss  Götz  von  Berlichingen.         *)*) 


klopft  mein  Herz  bc\- dieser  Xachricht !  Sollte  nicht  einmal 
das  dciitscI.H'  Publikum  an  komischen  Opern,  an  Tragi- 
komödien, diesen  Missgeburten  des  Ausslandes  und  an  leeren 
Farcen  satt  haben,  und  unsre  ersten  Genies  Klopstock, 
Göthe  und  Lessingen  bitten,  uns  mehr  patron\"mische  Stücke 
zu  liefern,  wie  Hermannsschlacht,  Göz  und  Minna?  —  Alle 
ijebrechliche  Seelen  aber,  die  am  Göz  von  Berlichingen 
keinen  Geschmack  finden,  empfehl  ich  hiemit  dem  Laza- 
rethe  des  Cervantes,  unten  an  dem  Fusse  des  Parnasses«. 
Und  in  einer  Anmerkung  erwähnt  er  die  Anekdote,  der 
Graf  Schm  ***  am  Churpfälzischen  Hofe,  der  sich  durch 
sein  Herz,  seinen  Geschmack  und  seine  Erlahrungen  vor 
Tausenden  auszeichne,  habe,  als  man  ihm  den  Göz  vor- 
gelesen geäussert :  »Ich  weiss  nicht,  ob  ich  lieber  den 
ganzen  X'oltär  oder  dieses  eifi:;jge  Schauspiel  gemacht  haben 
möchte«.  Schon  im  Beginn  des  nächsten  Jahres  findet 
sich  in  Schubarts  Zeitschrift  die  Nachricht:  »Unsers  Göthe 
Meisterstück,  Götz  von  Berlichingen  ist  ins  Englische  über- 
setzt  worden,  und  wird  nächstens  in  London  aufgeführt 
werden.  Ein  deutsches  Schauspiel  in  London,  wo  Shakespear 
seine  Riesenstücke  zuerst  vollendete!  Was  muss  man  nicht 
erleben !  Bin  doch  sehr  begierig  auf  die  Wirkung,  die  diess 
herrliche  Stück  in  London  hervorbringen  wird«.  Auch  ein 
anderes  Blatt,  das  »Fränkische  Magazin  zum  Nutzen  und 
\'ergnügen«  verzeichnet  1775  das  Gerücht  von  der  beab- 
sichtigten Londoner  Aufführung.  Ob  eine  solche  wirklich 
zu  Stande  kam,  vermochte  ich  nicht  zu  ermitteln.  Die 
beiden  grossen  englischen  Zeitungen  The  Gentleman"s  und 
The  Scot  Magazin  nennen  Goethe  bis  in  die  neunziger 
Jahre  nicht  ein  einziges  Mal  und  bieten  auch  wegen  der 
Uebersetzung  des  Götz  keinen  Aufschluss.  Nach  freund- 
licher Mittheilung  des  Herrn  ].  W.  Appell  in  London  versah 
Miss  Rose  D'Aguilar  ihren  1795  oder  1799  erschienenen 
»Goetz  of  Berlichingen.     Historical  Drama    from   the  Ger- 


100  Abhandlungen. 


niiin  c)t  Goethe (^  mit  der  Bemerk iiiig  »ncver  acted«,  die 
Wühl  auch  die  Wahrscheinhchkeit  tür  sich   hat. 

Sei  dem  wie  ihm  wolle,  jedenlalls  hatte  Goethe's  Erst- 
lingswerk in  Berlin  die  Feuerprobe  bestanden.  Die  Bühnen 
von  Hamburg  und  Mannheim  hatten  die  Xachahmuiii;  von 
Kochs  Wagnis  nicht  /u  bereuen.  Ueberall  erntete  das 
Stück  den  grcissten  Beitall.  Und  als  später  1786  in  Frank- 
ku-t  a.  M.  der  GöV/.  aufgeführt  wurde,  da  hatte  F'rau  Aja 
»ein  herzliches  Gaudium  an  dem  ganzen  Spektakel«  und 
freute  sich  auf  die  vom  darmstädtischen  Erbprinzen  begehrte 
Wiederholung,  »das  wird  ein  Spass  seyno. 

Heute  dürfte  das  Werk  kaum  im  Repertoire  irgend 
einer  Bühne  fehlen.  Wem  es  aber  vergönnt  war,  im  Wiener 
Burgtheater  die  liebevolle,  technisch  fast  raffinirte  Be- 
arbeitung Dingelstedts  mit  der  bis  ins  Kleinste  vorzüglichen 
Besetzung  zu  sehen,  den  wird  wieder  eine  Begeisterung 
überkommen,  welche  der  Wirkung  des  Götz  auf  die  Jugend 
von  177^  und  1774  nichts  nachgibt.  Es  hat  sich  ein 
Umschwung  in  allen  Anschauungen  vollzogen,  der  kaum 
grösser  ü:edacht  werden  kann.  Das  Publikum  fühlt  sich 
nicht  mehr  gequält  durch  den  raschen  Wechsel  der  Scenerie, 
empfindet  nicht  mehr  peinlich  die  grossen  Zeitintervalle 
zwischen  den  einzelnen  Begebenheiten,  sieht  nicht  mehr 
eine  lose  Reihe  von  Episoden,  die  nur  zufällig  zu  Götz  in 
Beziehung  gebracht  sind,  sondern  es  erwärmt  sich  tür  ein 
grosses  Kunstwerk,  das  es  zu  lassen  vermag,  tolgt  mit 
gespanntester  Aufmerksamkeit  dem  Leben  eines  braven 
deutschen  Mannes  und  so  ist  die  Prophezeihung  des  Magus 
aus  Xorden  in  Erfüllung  gegangen:  der  Götz  ist  die  Morgen- 
röthe  einer  neuen  Dramaturgie  geworden. 


I 


II.  Forschungen. 


I.  Aeltere  Gestalten  Goethe'scher 
Gedichte. 

MiTTHEILUXGHN   UND  NACHWEISE   AUS  HeRüER's 

Papieren 

VON 

Bernhard  Suphan. 


or  fünf  Jahren  veröffentlichte  ich  unter  einem  ähn- 
lichen Titel  '  Stücke  eines  Fundes ,  den  es  mir 
glückte  unter  den  Handschriften  Herders  zu  machen. 
Es  waren  Abschriften,  die  Herder  von  einer  grösseren 
Anzahl  lyrischer  Gedichte  und  Epigramme  Goethe's  genom- 
men hatte,  ehe  sie  unter  der  umbildenden  und  glättenden 
Hand  des  Meisters  die  Form  bekamen,  in  welcher  sie  sich 
zuerst  einem  weiteren  Leserkreise  darboten.  Bei  der  Aus- 
wahl der  Stücke  und  bei  den  Betrachtungen,  mit  denen 
ich  sie  begleitete,  kam  es  mir  darauf  an,  die  Maximen, 
denen  der  Dichter  bei  der  letzten  Bearbeitung  gefolgt  war, 


^  Goethe'sche  Gedichte  aus  den  siebziger  und  achtziger  Jahren 
in  ältester  Gestah.  Zeitschrift  für  Deutsche  Philologie  VII.  208—257. 
(Sonderabdruck.     Halle,   1876.)     Berichtigung  a.  a.  O.  455 — 458. 


104  FORSCHUNGEK. 


ins  Licht  zu  sct/cn.  Auf  den  W'crth,  den  die  LjetLuidenen 
Blätter  in  einzelnen  1-ällen  für  die  Sicherung  des  Textes 
oder  für  die  Chroncilogie  der  Gedichte  haben  möchten, 
begnügte  ich  mich  im  allgemeinen  hinzuweisen".  Ich 
wählte  also  zu  Belegen  fast  nur  solche  Gedichte,  deren 
Erstlingsform  bisher  unbekannt  war,  und  behielt  eine  grös- 
sere Anzahl  im  Rückstande,  die  in  einer  oder  mehreren 
älteren  Gestalten  schon  früher  an  den  verschiedensten 
Stellen  veröffentlicht  waren  und  zum  guten  Theil  eben 
damals  durch  Hirzel  undBernavs  bequem  zugänglicli  wurden. 
Den  Gedanken,  \'arianten  zum  »Jungen  Goethe«  zu  geben, 
Hess  ich  bald  fallen.  Ausgehoben  und  einzeln  an  einander 
gereiht  verlieren  die  Lesarten  iliren  eigenthümlichen  A\'erth  ; 
sie  müssen  mit  dem  Ganzen  in  überschaulicher  Weise  ver- 
bunden sein.  Zu  der  kritischen  Ausgabe  der  Gedichte,  die 
G.  V.  Loeper  vorbereitet,  werden  die  Abschriften  eine  werth- 
voUe  Beisteuer  liefern.  Ich  gedenke  also  auch  dieses  i\Ial 
nur  eine  Auslese  zu  geben  und  einzelne  Lesarten  nur  sofern 
sie  als  Belege  zu  allgemeineren  Betrachtungen  dienen,  mit- 
zutheilen,  zu  Beobachtungen,  die  sicli  zumeist  auf  dem  früher 


'  Duh  Lied  ijRastlosc  Liebe«  tragt  bei  Herder  die  Ui-iterschritt : 
Ilmenau,  6.  Mai  1776.  Man  hat  es  früher,  wegen  des  Schnee-  Regen- 
und  Wind-Unwetters  in  den  Januar  gesetzt.  Im  Mai  1879  '""^^  *^s  in 
Ihnenau  zwei  Tage  lang  geschneit.  Das  mag  auch  sonst  dort  kein 
seltenes  Maiwetter  sein.  Die  älteste  Form  bei  Herder  hat  folgende 
Varianten  gegen  den  Text  von  1789:  Z.  4  Wolkneheldüfte  (1789:  Durch 
Nebeldüfte)  9.  10  Als  alle  die  Freuden  i|  Des  Lebens  zu  tragen.  15 
Wie?  soll  ich  fliehen?  18  Leitstern  des  Lebens.  Zu  der  Aenderung  in 
Z.  4  bemerke  ich,  dass  Goethe  die  doppelt  zusammengesetzten  Substan- 
tiva  1789  in  den  Liedern  und  Oden  wohl  sämmtlich  beseitigt  hat 
("Frühlingslebenspracht,  Eislebenslied,  Morgenschlossenwolken),  während 
er  früher  (besonders  1772—78)  eine  Neigung  zur  ^^^oXvu'/.oxnt  der 
\\'orte«  hat.  Ueber  die  hiterpunktion  von  Zeile  15  habe  ich  in  einer 
Anmerkung  zu  Herder  (4,  490)  einiges  zusammengestellt.  Das  »Wie  ? «  des 
sich  besinnenden  bildet  nach  dieser  Auffassung  den^^'endepunkt  desCiedichts. 


B.  Suphan:  Aeltere  Gestüten  Goethe'scher  Gedichte.    105 


mir  gestreiften  Gebiete  des  Geschichtlichen  und  Sprachlichen 
bewegen  sollen.  Hinige  Stücke  habe  ich  noch  nach  dein 
ersten  Funde  entdeckt,  darunter  auch  unbekannte  Hrstlings- 
t'ormen.  Es  ist  nun  jedes  Blatt  des  Nachlasses  umgewandt, 
und  weiteres  nicht  /u  erwarten. 

I. 

Goethe  schreibt  an  Caroline  Herder  den  21.  Septem- 
ber 1781:  »Morgen  in  aller  Frühe  geh  ich  nach  Dessau  .  .  . 
Ich  werde  bald  und  um  so  lieber  zurückkehren,  da  ich  von 
Euch  Eures  freundlichen  Empfanges  versichert  bin.  Herder 
hat  von  meinen  Gedichten  verlangt.  Hier  ist  alles,  icas  ich 
einmal  zusammen  geschrieben ;  es  fehlen  eijiige,  die  folgen  sollen. 
Lassl  sie  niemand  sehen »\  Ohne  Zweifel  ist  es  damals 
geschehen ,  dass  Herder,  der  gern  alles  Gelesene  schwarz 
auf  weiss  behielt  und  recht  darauf  aus  war  »Erstlings- 
abdrücke  der  Seele  eines  Dichters«  zu  sammeln  ^  sich  ein 
kleines  Goetheliederbuch  zusammenschrieb.  Es  musste  in 
Eile  geschehen,  wahrscheinlich  bis  zur  Rückkunft  des  Dich- 
ters;  noch  bestand  zwischen  ihnen  nicht  das  rückhaltlose 
\'ertrauen ,  das  zu  einem  langen  Behalten  der  geliehenen 
Blätter  berechtigt  hätte.  So  erklärt  sich  denn  zur  Genüge 
die  Beschaffenheit  der  ältesten  Sammlung.  Es  sind  36 
Gedichte,  mehrere  von  bedeutendem  Umfang,  zusammen 
ü-edräni7t  auf  sieben  Blättern  eines  in  Octav  "elei^ten  Bogens'. 


'  Aus  Herders  Nachlass  1,67.  Auf  diese  Stelle  bin  ich  von 
Michael  Bernays  aufmerksam  "emacht  worden,  bald  nach  dem  Erscheinen 
der  alleren  Abhandluno.     Zeitschr.  f.  D.  Ph.  VII,  455. 

^  Herder,  Vom  Erkennen  und  Empfinden  S.   57.     (1778). 

'  Das  gleiche  Hauspapier,  wie  es  Herder  zum  Concipieren  und 
/.um  DrucU-Manuscript  der  Schrift  vom  Geist  der  Ebräischen  Poesie 
und  anderer  Schriften  von  1781 — 82  gebraucht.  Das  letzte  Octavblatt 
ist  abgerissen.  Die  Reihenfolge  der  (nicht  gehefteten)  Blätter  Hess  sich 
iius  Merkmalen  der  Schrift  verlässlich  bestimmen. 


io6  Forschungen. 


Der  Charakter,  wenigstens  die  Haltung  der  Schrittzüye 
wechselt  einiije  Mal;  schon  aul  der  /weiten  Seite  nehmen 
die  Abkürzungen  überhand,  deren  sich  Herder  bei  Collec- 
taneen  zu  bedienen  liebt.  Alles  ist  in  einem  raschen  Tempo, 
mit  Absetzen  und  in  Pausen,  an  verschiedenen  Tagen  jeden- 
falls, geschrieben.  Zuerst  (jedichte  von  ernstem,  würdigem 
Inhalte,  nachher  manches  ziu- Herzensgeschichte  des  Dichters, 
zuletzt  auch  ein  paar  leichtere  Stücke. 

Ich  habe  trüber,  mit  Beziehung  auf  Herders  Antheil 
an  der  \'orbereitung  der  ersten  Ausgabe  von  Goethe's  Wer- 
ken, die  Niederschrift  der  meisten  Gedichte  in  den  Sommer 
1786  verlegt  und  in  dem  letzten  Blatte  einen  Nachtrag  aus 
dem  Jahre  1788  gesehen.  Ich  ging  bei  dieser  Annahme 
von  dem  siebenten  Blatte  aus.  Unter  den  Gedichten  der 
letzten  Seite  befindet  sich  nämlich  die  kleine  Schnurre  »Der 
Segen  wird  gesprochen«  (3,208)',  die  uns  in  einem  am 
16.  Februar  1788  an  Fritz  von  Stein  geschriebenen  Briet- 
chen  erhalten  ist.  Goethe  sendet  die  \'erse  mit  dem  Aut- 
trage, »diesen  Abendsegen  Flerders  und  dem  Fräulein 
von  Göchhausen  zu  recitieren.(»  Sie  würden,  erzählt  er, 
um  den  Maler  Fritz  Bin'\'  zu  necken,  Abends,  wenn  der 
junge  Künstler  einnicken  wdIIc,  hergesagt;  für  ihn,  der  aus 
seinem  Abscheu  gegen  alles  Nordische  kein  Hehl  machte, 
seien  die  Kinderreime  »Die  Zwillinge  sind  in  der  Nähe» 
abgeändert.  l:s  hat  lüernach  iVeilich  den  Anschein,  als 
wären  die  Keime  in  Rom  gemacht;  mit  Nothwendigkeit 
indessen  lässt  es  sich  aus  dem  \'orangehenden  nicht  folgern. 
Der  Scherz  konnte  älter  sein  und  doch  wirken,  als  wäre 
er  just  tür  den  guten  Bur\'  gereimt;  und  dass  Herder  die 
Zeilen  vor  Jahren  gelesen  und  abgeschrieben  hatte,  durfte 
Goethe,  als  er  in  Rom  sass,  wahrlich  \ergessen  haben. 
Mein    Zweifel   an    der  Jahreszahl  88    gründet  sich  lediglich 

'   Ich  citicrc  n.icli  der    Hcmpcrschcn  Ausgabe. 


B.  SupiiAM :  Aeltere  GESTAii^N  Goii the'scher  ükoichte.    107 


auf  die  Stelle  und  Reihentolij;e,  die  das  Gedicht  bei  den 
Ilerder'schen  Abschriften  einnimmt.  Es  tollten  aul  den 
» Seij;en «  noch  drei  kleine  Stücke :  Nicolai  aut  Herder's 
Grabe  (1775.  3,  198)',  dann  das  sonst  nicht  als  von  Goethe 
herrührend  beglaubigte  »In  Siegestrieden  ruhe ,  Heldeii- 
gebein«,  und  »Wanderers  Xachtlied«,  am  6.  September  1780 
auf  dem  Gickelhahn  gedichtet.  Wie  sollte  Herder  dazu 
gekommen  sein,  im  März  1788  diese  drei  kleinen  älteren 
Sachen  nachzutragen  ^  und  woher  hätte  er  eben  damals  die 
Vorlage,  zumal  zu  dem  Spottgedicht  auf  Nicolai,  entnom- 
men ?  Wahrscheinlicher  jedenfalls,  dass  der  »Segen«  zu 
den  alten  Stücken  gehört.  An  den  ^6  Gedichten  besitzen 
wir  demnach  eine  auf  ein  Mal  zusammengebrachte  Samm- 
lung. Die  meisten  Stücke,  welche  sie  enthält,  können  wir 
nach  Jahr  und  Tag  bestimmen,  und  diese  vertheilen  sich 
auf  die  Zeit  von  1771  (»Kleine  Blumen,  kleine  Blätter«) 
und  1772  (Wanderers  Sturmlied)  bis  1780  (Wanderers 
Nachtlied).  Auch  so  bestätigt  es  sich,  dass  wir  die  Copien 
vom  September  1781  \-or  uns  haben.  Wichtig  ist  dies  iür 
die  Zeitbestimmung  einzelner  nicht  fest  datirter  Gedichte, 
für  welche  nun  w^enigstens  ein  terminus  ad  quem  ermittelt 
ist.     Es  sind  dies  folgende: 

I.  Ode.  (Grer.zen  der  Menschheit)    i,  164. 


'  Herders  Copie  bringe  zu  den  beiden  mir  bekannten  Fassungen 
der  muthwilligen  Reime  eine  mehrfach  abweichende  dritte.  So  lautet 
V.  7  bei  Herder:  »Er  setzt  nothdürftig  sich  aufs  Grab«;  im  Jungen 
Goethe:  »Der  setzt  sich  nieder  auf  das  Grab«,  in  der  Hempel'schen 
Ausgabe:  »Er  setzt  gemächlich  sich  auf's  Grab«. 

-  Das  im  Februar  1788  nach  \\'eimar  gesandte  Gedicht:  »Cupido, 
loser,  eigensinniger  Knabe«  (S.  463.  473  in  Düntzers  Ausg.  der  Ital. 
Reise)  hat  Herder  auf  einem  Blättchen  besonders  aufgeschrieben.  Zeile 
IG  lautet:  »Ich  such  und  bin  wie  blind  und  kann  mich  nicht  finden« 
(später:  ound  bin  wie  blind  und  irre  geworden«). 


lo8  Forschungen. 

2.  (Wonne  der  W'ehniuth)  'l'rocknct   nicht!    trocknet 
nicht.    1,62'. 

3.  Ginnmed.   i,  163. 

4.  Menschengefühl.     Ach    ihr  Götter!    grosse  Götter 
(i,  168.   18 15  gedruckt). 

5.  KönigHches   Gebet.     Ha    ich    bin    Herr    der   Welt, 
(i,  168.   1815  gedruckt). 

6.  Heiliger,  lieber  Luther.   (5,276.   1836  gedruckt). 

7.  Ich     armer    Teufel,     Herr    Baron.      (3,109.     1795 
gedruckt). 

Für  »Ganvmed«  und  »Grenzen  der  Menschheit«  ist  die 
chronologische  Bestimmung  von  besonderem  Belang.  Es 
bestätigt  sich,  dass  die  »Oden«  mit  dem  Jahre  1781 
abschliessen.  Die  dem  Inhalte  entsprechenden Ueberschritten 
haben  sich  erst,  als  das  Manuscript  zum  Gedichtbande 
zusammengestellt  wurde,  gefunden.  Anfänglich  begnügte 
sich  Goethe  mit  der  generellen  Bezeichnung  ^. 

Die  Ode  »Grenzen  der  Menschheit«  gehört  zu  der 
kleinen  Zahl  der  Auserwählten,  welche  fast  ohne  Aenderung 
in  das  Gedichtbändchen  vom  Jahre  89  übergingen.  Eine 
unscheinbare  Aenderung,  doch  bemerkenswerth  aus  einem 
im  weiteren  \'erfolg  näher  zu  erörternden  Gesichtspunkte 
ist  es,  wenn  in  Z.  17.  18  später  eine  andere  \'ertheilung 
eintritt : 

17S0:  17^9: 

Nir.Ljentls  liaften  Nirgends  haften  dann 

Dann    die   unsichern   Solen  Hie  unsicliern  Sohlen. 


'  I.  und  2.  bilden  den  Anfang  der  Sammlung.  Zwischen  5.  und 
4.  steht  das  «Eislebens-Lied«  (1,44;  seit  1789  betitelt:  Miith);  5.  schliesst 
sich  auch  in  der  Sammlung  an  4.  an,  7.  steht,  als  fiinftletztes  Stück, 
vor  den  Reimen:  »Der  Segen  wird  gesprochen«. 

-  Auch  »Wanderers  Sturmlied«  bezeichnet  C.octhe  einlach  als 
OJc.     J.  G.  5.  5.S. 


B.  Suphak:  Aeltere  Gestalten  Goethe'scher  Gedichte.    109 


Eine  zweite  \'erschiedenheit  aber  ist  für  die  Auslegung  von 
unverkennbarer  Wichtigkeit. 

Ein  kleiner  Ring 
begränzt  unser  Leben 
und  viele  Geschlechter 
reilien  s/e  daurend 
an   ihres   Daseyns 
unendliche  Kette. 

Die  drittletzte  Zeile  liest  man  seit  dem  ersten  Druck  (1789)  : 

»  reihen  sich  dauernd  « 

Dass  Herder  seine  Vorlage  falsch  gelesen  habe,  ist  eben 
so  wenig  anzunehmen ,  als  dass  er  sich  verschrieben  hat. 
Es  ist  das  erste  Gedicht,  das  er  copirt  hat,  und  ausser  »und« 
hat  er  nichts  darin  abgekürzt.  Selbst  aut  den  flinker  geschrie- 
benen folgenden  Seiten  allen  hnden  sich  kaum  zwei  bis  drei 
Versehen'.  Herder  war  —  dank  seinem  Dienst  bei  Trescho 
—  ein  gewandter  und  genauer  Abschreiber.  Hat  aber  Goethe 
ursprünglich  so  geschrieben,  wie  wir  es  bei  Herder  linden, 
so  wäre  über  den  Sinn,  den  Er  in  diese  Stelle  gelegt  hat, 
nicht  mehr  zu  streiten  —  der  Dichter  müsste  denn,  was 
sonst  nicht  seine  Art  ist,  mit  der  Aenderung  eines  Buch- 
stabens eine  totale  Aenderung  des  Gedankens  beabsichtigt 
haben.  Bei  Herders  Lesart  kann  nur  die  ältere  und  —  nach 
meinem  Gefühl  —  einfachere  Deutung  bestehen,  welche 
»ihres  Daseins«  vom  Dasein  der  Götter  versteht.  Eine 
neuerdings   tein  und  scharfsinnig  vorgetragene  Auslegung  ' 


'  Verschrieben  ist  in  den  XacbtgcJdiikeii  (i,  180)  das  letzte  Wort 
(vergessend  f.  vergessen),  ferner  ein  \\'ort  in  der  Dritten  IVallfahrt 
(Schaumstürzend  f.  Schaumstürmendj.  Uebersprungen  eine  Zeile  in  der 
Ode  ))Meine  Göttin  c  Zweifelhaft,  ob  nicht  auch  blosser  Lesefehler, 
ist  mir  in  »Wanderers  Nachthed«  die  erste  Zeile:  »Ueber  allen  Gefihlenv. 

^  Franz  Kern  in    den  Jahrbüchern  für  Philologie   und  Pädagogik, 

Bd.     I2Ü.       1879.      ''^-    196  fgg. 


HO  Forschungen. 


will  bekanntlich  »ihres  Daseins«  aul  die  Geschlechter  der 
Menschen  beziehen,  wodurch  denn  die  letzte  Periode  einen 
Sinn  erhalt,  der  im  tiefsten  die  Cirnndidee  des  Gedichts 
berührt,  das  Ck-fühl  von  der  Beschranktheit  der  Menschen- 
natur.     »Was  ist  der  Mensch,  dass  Du  sein  L;edenkst«'. 

Das  kecke  Lied  »Ich  armer  Teutel«  ist,  wie  bekannt, 
in  das  dritte  Buch  von  \\'ilhelm  Meisters  Lehrjahren  ver- 
flochten (Kap.  9)'.  An  diesem  Buche  arbeitete  Cioethe  schon 
i.  ).  1781;  die  Linlage  aber  ist  wohl  älter,  es  spukt  etwas 
darin  von  der  ausgelassenen  Laune  der  ersten  Weimarer 
Zeit.  »Die  Stimnien  über  dieses  Gedicht«  —  heisst  es 
im  Koman  gleich  nach  der  Mittheilung  —  »das  in  einigen 
fast  unleserlichen  Abschriften  sich  in  verschiedenen  Händen 
befand,  waren  sehr  getheilt,  auf  den  \'eriasser  aber  wusste 
niemand  zu  muthmassen«.  Seltsam,  wie  hier  Dichtung 
und  Wirklichkeit  sich  begegnen.  Bequem  zu  lesen  ist 
die  eine  noch  \orliegende  Abschritt  keineswegs.  Die 
durch  sie  erhaltene  Lrstlingsform  hat  folgende  l:igen- 
thümlichkeiten  (die  spätere  Lesart  v.  ].  1795  rücke  ich  in 
eckigen   Klanniiern  bei): 

Str.  I.  2.3.  IJeneide  sie  um   ihren  Stand 

Um   ihren  Platz  so  //oi//  [nahj  am  Thron 
5.      um  ihres  Vaters  hrm'cs  [festes]  Schloss 

Str.  2.  5.  6.  J(  h  ward  mit  leichter  Müh  "^  [leiclilem  Muth]  und  Kopf 
zwar  arm.   docli   nidit   ein   armer  Tro])}. 


'  Tagebuch,  dun  10.  Dcc.1777.  Aul' dem  Brocken.  (P.s.ihiuS,  )j—  Auch 
in  den  Briden  dieser  Jahre  öfters  das  gleiche  Gefühl  im  einfachsten  Aus- 
druck: »\\'ie  eingescliränkt  ist  doch  der  Mensch!« 

-  Goetiie's  neue  Schriften.      i79).     I^  .   106  ig. 

?  J.  G.     2,  ^•':    i'.Mles  Leid   und  Freude    der  Natur«.     Wanderers 
Naclnlied    1789   (\'II1,   i^f):    »Alles    Leid   und   Schmerzen    stillest« 
»Was  soll  all  der  Schmer/  und  Lust?«  vgl.  j.  G.   5,  \^\.    ;)Verlangend 
nach  geringem  Trank  und  Speise«.  Ged.   1.    125  (1784). 


B.  Suphan:  Aeltere  Gestalt^'  Goethe'scher  Gedichte.    II  l 


Str.  3.  3.  4.  Sie   blielien  des  Herrn   \'aters  Sohn 

ich  bhebe  [und   idi   bUeh]  meiner   Nfutter   Kind. 

Die  letzte  Zeile  wäre  \ielleieht  besser  unverändert  i^eblieben. 
Die  Samnilunu  der  :;6  enthält  auf  dem  letzten  Blatte 
drei  Gedichte,  mit  denen  es  eine  eigene  Bewandtnis  hat. 
Ich  habe  sie  am  Schlüsse  der  ersten  Publication  mitgetheilt 
(S.  26 — 27)  und  bin  auf  die  dort  angeknüptten  Bemerkungen 
in  einer  Berichtigung  zurückgekommen.  Die  Frage  nach 
dem  \'erfasser  scheint  erledigt  bei  dem  ersten ,  der  Ode : 
»Umschwebst  du  mich,  Götterbild«,  da  es  in  Friedrich 
Hildebrand  von  Hinsiedeis  Neuesten  vermischten  Schritten 
gedruckt  ist'.  Das  zweite,  »  Schotlisrhes  Lied:  Mir  ist,  als 
müsst'  ich  dir  was  sagen  «^  hat  sich  handschriftlich,  mir 
Kavsers  Coraposition  und  der  Unterschritt  »Kliiiger  29.  Sept. 
IJJJ«-  in  Zürich  gefunden-.  Klinger  war  im  Sommer  und 
Herbst  1776  in  Weimar;  es  lässt  sich  annehmen,  dass  eine 
Abschrift  desLiedes  damals  unterGoethe'sPapiere  gekommen. 
Das  dritte  ist  zur  Zeit  noch  herrenlos:  »Als  iiiif  einen/ 
Landgiite  Iwi  Koppenhageii  drei  Urnen  gefunden  wurden.  In 
Siegestrieden  ruhe  Heldengebein«.  Es  ist  so  kurz  wie  edel 
einfach"*.     Ich  gestehe,  dass  ich  nach  manchem   »Choc  und 


'  Dessau  I7(S4.  H,  45-  Ebenda  freilich  auch  S.  84  Goethe's 
Zigeunerlied  »Im  Nebelgeriesel,  im  tiefen  Schnee«.  Das  Motiv  der 
Ode,  das  «vorschwebende  Bild  der  Geliebten c,  erinnert  an  Goethe's 
Lieder  an  Lili  (a.  a.  O.  S.  27  fg.).  kann  aber  auch  durch  Klopstocks 
Edoiie  (1771)  gegeben  sein.  j>Dein  süsses  Bild,  Edone,  Schwebt  stets 
\or  meinem  Blick  .  .  .  \'er\vandle  dich  Erscheinung,  Und  werd"  Edoiie 
selbst«.  Klopstocks  Lied,  auch  in  der  Situation  nicht  unähnlich,  bewegt 
sich  ganz  um  diese  eine  Vorstellung. 

^  Zwischen  i.  und  2.  steht  »Rastlose  Liebe«,  vor  i.  steht  »Gretcheiis 
Lied :  Meine  Ruh  ist  hin«. 

3  Burckhardt,   Goethe  und  der  Componist  Ka\ser.   1879  ^-  7'^-  '*^^- 

■*  Ich  verglich  a.  a.  O.  »Geistesgruss«  J.  G.  5,  151.  Die  \'erehrung 
der  »starken«  Ahnen  und  ihrer  »Riesengebeine«  auch  im  Reisetagebuch. 
October  1775,   }.  G.   ^,698. 


112  Forschungen. 


Gegenchoc«  der  kritischen  lürwä^iing  über  das  Urneiii^edicht 
nicht  ins  Reine  i^ekoninien  bin,  auch  die  (\le  »Aiit  der 
Jaii;d «  möchte  ich  nicht  so  unbedini^t,  wie  in  der  »  Berich- 
tiguni^«  Kinsiedel  zusprechen. 

»Es  fehlen  einii^e,  die  ti)li,'en  sollen«  bemerkt  Goethe 
bei  der  Senduni;.  \'ielleicht  hat  der  \ersprochene  Xach- 
schub ,  die  »/weite  Schwingung«  /u  einer  kleineren 
Kollection  von  neun  Nummern  gefühii,  welche  ich  nach- 
träglich aufgefunden  habe.  Sie  stehen,  gleichfalls  mit  Abkür- 
zungen geschrieben ,  auf  einem  in  Octav  gelegten  \'iertel- 
bogen  von  dem  feineren  Papier,  welches  Herder  zu  dieser 
Zeit  zur  Reinschrift  der  Briefe  über  das  Studiiun  der  Theo- 
logie gewählt  hat.     Es  sind  folgende  Gedichte: 

1.  »Euch  bedaur'  ich,  unglückseelgen  Sterne«.  Im 
Tiefurter  Journal  Stück  6  (1781).  »Nach  dem 
Griechischen«.     1789:  »Nachtgedanken«. 

2.  »Selig  bist  du,  liebe  Kleine«.  Tief.  Journal  St.  9. 
»An  die  Heuschreke.  Aus  dem  Griechischen«. 
1789:  »An  die  Cicade«. 

3.  »Einen    wohlgeschnitzten    [vollen]  Becher«.     Tief, 
lournal    St.  9.     »Aus    dem    (jriechischen «.      1789 
»Der  Becher«. 

4.  »Unter  Wielands  Büste.  Wenn  zu  den  Reihen  der 
Nymphen«.     1789:  »Geweihter  Platz«. 

5.  »Edel  sei  der  Mensch«.  Tief.  Journal  St.  40  (1782). 
1789:    »Das  Göttliche»'. 

6.  »Welcher  Unsterblichen«.  Tief.  Journal  St.  5 
»Ode«.  Gedichtet  d.  15.  Sept.  1780.  1789:  »Meine 
Göttin«. 

7.  »Als  Minerva  jenen  Liebling«.  1789:  »Die  Nektar- 
tropten«. 


■  Ohne  Uobcrsclirilt  auch  der  erste  Druck  ;uil   den  ersten  Blättern 
von   Fr.   [actibi's  Spinozabüclilein    1785. 


B.  Suphan:  Aeltere  Gestalj-en  Goethi^'scher  Gedichte.    II3 

8.  »Es  saiii^cn  die  Parccn  ein  ^rauscnd  Lied«.  (Iphi- 
genia  4,  5). 

9.  »  Du  bist  Eins  und  lebendig  gezeugt  —  und  da  sein 
wird«.  Aus  der  Dritten  Wallfahrt  nach  Erwins  Grabe. 
Gehet.     Der  junge  Goethe  3,  694  fg.    WW.  28,354. 

Mit  Ausnahme  des  letzten  (prosaischen)  und  wahrschein- 
lich noch  des  fünften  Stücks,  der  Ode,  die  nach  einer 
annehmbaren  \'ermuthung  von  Loepers  in  das  Jahr  1775 
gehören  möchte',  sind  es  lauter  neue  Saclien  aus  den  Jahren 
80  und  81.  Die  Nummern  6.  i.  2.  3  sind,  vom  Oktober  81 
ab,  im  Tiefurter  Journal  erschienen.  Herder  bekam  das 
Journal  als  iMitarbeiter,  man  sieht  nicht,  weshalb  er  sich 
noch  i.  J.  1782  die  unnütze  Mühe  gemacht  haben  sollte, 
sich  Gedichte  abzuschreiben,  welche  er  darin  gelesen  hatte 
und  besass.  Aus  dem  Journal  hat  er  sie  keinenfalls  abge- 
schrieben. Das  lässt  sich  z.  B.  an  der  dritten  Nummer 
nachweisen.  Es  tehlt,  wie  im  Tielurter  Journal,  in  Herders 
Abschrift  die  vierte  Zeile: 

(rram  und  Sorg'  auf  Einmal   zu  vertrinken 

die,  wie  es  scheint,  später(i789),  der  harmonischen  Gliederung 
in  vier-  und  dreizeilige  Perioden  wegen,  eingefügt  ist.  Auch 
lauten  an  beiden  Stellen  die  Zeilen  13 — 15 

Da  er  Lyda  [T.  J.   Lida]  ]3ich  mit  sanfter  Leitung 

[1789:  Neigung] 
mir  dem  lange  sehnenden  geeignet. 
^^"enn  ich  de///c  lieboi  Hüften  halte 


'  Schnorr's  Archiv  t.  Lit.  Gesch.  5,  95  fg.  Die  Verniuthung  stützt 
sich  hauptsächlich  auf  eine  Stelle  in  Goet'ie's  Brief  an  Johanna  Fahimer, 
10.  April  1775.  (J.  G.  3,79)  und  auf  die  Thatsache,  dass  von  der  Mit- 
theilung der  Ode  seit  der  Wiederherstellung  des  Einvernehmens  zwisclien 
Goethe  und  Fritz  Jacobi  nicht  die  Rede  ist.  Indessen  könnte  dieselbe 
doch  noch  im  September  1784,  bei  dem  mehrwochentlichen  Besuche 
jacobi's  in  Weimar  erfolgt  sein. 

GoETllR-jAHKhLCH    II.  O 


114  Forschungen. 


(wofür  dann  1789  das  feinere,  doch  als  Gegenbild  zu  \'.  i.  2.8 
nicht  mehr  so  anschaidich  ausij;eprägte  »Wenn  ich  deinen 
Heben  Leib  umfasse«  eintrat).  Aber  in  der  ersten  Zeile 
hat  Herder  statt  des  Wortes  »vollen«  drei  Punkte  gesetzt; 
es  muss  in  seiner  \'orlage  unleserlich  gewesen  sein  oder 
gefehlt  haben. 

Die  \'erse  »Unter  Wielands  Büste«  sind  in  Halbzeilcn 
gesetzt,  wahrscheinlich  wie  aut  dem  Steine.  Sie  müssen, 
nach  der  unvollkommenen  Behandlung  des  Metrums  zu 
schlie.ssen,  zu  Goethe's  frühesten  \\'rsuchen  im  Hexameter 
gehören.  Yoy  dem  ersten  Druck  (1789)  haben  sie  einige 
geringfügige  Verbesserungen  erfahren.  In  geglättetem 
Metrum  brachte  sie  erst  die  Ausgabe  v.  j.  1806.  Die 
älteste  Form  lautet : 

Wenn  zu  den  Reihen  der  Nymi)hen 
Die  eine  Mondnacht  versammlet 
Sich  die  Grazien  heimlich 
Von  dem  Olympe  [1789:  (Olympus]  gesellen 
Hier  belauscht  sie  der  Dichter 
Und  hört  die  schönen  Gespräche 
Sieht  den  heiligen  Tänzen 
Ihrer   Bewegungen  zu. 

[1789:  Sieht  den   freundlichen  Tänzen,   den  stillen 

Bewegungen  zu  ;] 

Was  der  Himmel   herrliches  hat 

Was  glücklich  die  Erde 

Reizendes  hervorbringt 

[1789:   Reitzendes   immer  gebar] 

Erscheint  dem   wachenden  'J'räumer 

Dann  erzählt  ers  den  Musen 

Und  dass  die  Götter  nie  ht  zürnen 

Lehren  ihn  die  Musen 

Bescheiden  Geheimnisse  plaudern  [1789:  sprechen]. 


B.   SUPHAN  :   AeLTÜRE   GESTAJiTEN   GoETHE'SCHER   GeDICHTE.      I  I  J 

Es  ist  aiiftallcnd ,  wie  vieler  Xachhülle  später  noch  die 
daktylischen  Gedichte  im  Metrum  und  (nicht  immer  Mos 
aus  Gründen  des  Metrums)  im  wiii-tlichen  Ausdruck  bedurft 
haben.  Fast  scheint  es,  als  habe  sich  hier  die  Sprache  dem 
Dichter  nicht  so  willig  ergeben,  wie  in  allen  andern  b'ormen. 
Auch  Klopstock  quält  sich  in  seinen  Epigrammen  mit  dem 
Pentameter  in  einer  uns  kaum  noch  begreiflichen  Weise'. 
Die  »Oden«  dagegen  und  die  »nach  dem  Griechischen" 
in  Trochäen  gedichteten  Stücke,  sie  sind  im  ersten  Ciuss 
so  vollkommen  gerathen,  dass  nachher  nur  noch  hier  und 
da  ein  Strich  mit  der  I-"eile  zu  thun  war.  Vollkommen 
war  gleich  in  erster  Gestalt  die  Param\thie,  die  »das 
schönste  Glück,  die  Kunst«  feiert;  vollkommen  bis  auf 
eine  etwas  ungelenke  Fügung,  die  C^de,  die  der  Dichter 
seiner  Göttin  widmet^;    ein  einzelner  Ausdruck   ist  veredelt 


'  Vgl.  S.  i6  Igg.  in  meiner  ersten  .\bh:indlnng.  \\'eitere  Belege 
aus  den  in  Herders  Copie  (die  erst  1785  genommen  sein  kann)  erhaltenen 
Epigrammen  lohnt  es  sich  nicht  hier  zu  geben,  da  Mehreres  von  den 
älteren  Gestalten  bereits  früher  (von  Scholl  besonders)  bekannt  gemacht 
ist.  Düntzer  hat  (Aus  Herders  Nachlass  i,  177)  das  Schlussdistichon  von 
»Herzog  Leopold«  aus  Herders  Papieren  mitgetheilt,  aber  mit  einem 
sinnstörenden  Druckfehler.     Es  lautet : 

Sei  dann  hülfreich  den  Menschen,  wie    du  es  Sterblicher    |  nicht: 

Sterblichen!]  wärest 
Den  wir  als  Krieger  geehrt,  herzlich  als  Bruder  geliebt. 
Derselbe  Druckfehler  und  ein  anderer  [de///  Menschen]  dazu  in  der 
HempeTschen  Ausgabe  2,  >.  Die  vier  Distichen  »An  Frau  Gen.  Super. 
Herder«:  »Jugendlich  kommt  sie  vom  Himmel«,  die  Düntzer  am  gleichen 
Orte  zuerst  veröffentlicht  hat,  sind  wahrscheinlich  nicht  zu  überschreiben 
oD/V  IFahrbcit«,  wie  dies  in  der  Hemperschen  Ausgabe  (5,  122)  ohne 
jede  Gewahr  geschieht,  sondern  »Nemesis«.  Sie  scheinen  auf  ^'er- 
anlassung  von  Herders  .\ufsatz  »Nemesis.  Ein  lehrendes  Sinnbild« 
entstanden  (Herders  Zerstreute  Blätter  (1786)  2,  219 — 281;  vgl.  besonders 
221 — 25,  228  —  34)  und  begleiteten  wohl  das  Manuscript  desselben  bei 
der  Rücksendung. 

^  ^^  48,  49:  »Hiiii^Ci^'cii  die  armen  .\ndern  Geschlechter«.  Kleinere 
Aenderungeii  V.    3:  Niemand  f.  keinem.  ^'.  7:  seltsamen  f.  seltsamsten, 


ii6  Forschungen. 


in  den  ))XacluL;cdankcn «  (V'.  9  »■wciloul  in  dem  Arm  der 
Liebsten  ((  für  »bleibend«);  kaum  eine  Aenderung  ist  es  zu 
nennen,  wenn  in  der  Ode  »Das  Göttliclie«  »unfühlend  ist 
die  NatLU'<(  gesetzt  ward  für  das  altere   » unfühlbar«'. 

Das  »Lied  der  Parcen«,  in  der  Abschritt  eingeleitet 
durch  die  letzten  Sätze  des  Monologs,  ist,  wie  die  Oden, 
recht  dazu  angethan,  uns  die  Sicherheit  desGetühls  bewundern 
zu  lassen,  das  den  Dichter  in  metrischen  Dingen  leitete. 
Nicht  ein  Wort  lautet  anders,  als  die  älteste  Lassung  v.J.  1779, 
wie  wir  sie  seit  Adolf  Stahrs  Publication  kennen".  Aber 
Herders  Vorlage  war  bereits  » in  Verse  geschnitten  «  : 

Es  sangen  die  Parzen  ein  graiisend  J.ied 

als  Tantal  fiel  vom  goldenen  Stuhl 

Die  Alten  litten  mit  ihrem  Freund.   —  Ich  hört  es  oft, 

In  meiner  Jugend  sangs  eine  Amme  uns  Kindern   vor. 

Es  fürchte  die  Götter  das  Menschengeschlecht 

sie  haben  Macht,  und  brauchen  sie,  wies  ihnen  gefälh. 

Der  fürchte  sie  mehr,  den  sie  erheben 

Auf  schroffen  Klippen  stehnihre  Stühle  um  den  goldenen  Tisch. 

Erhebt  sich  ein  Zwist,  so  stürzt  der  Gast 

unwiederbringlich  ins  Reich  der  Nacht 

und  ohne  Crericht  liegt  er  gebunden  in  der  Finsterniss 

Sie  aber  hxssen  sichs  ewig  wohl  sein  am  goldenen  Tisch 

Von  Berg  zu  Bergen  schreiten  sie  weg  u.  s.  w. 


V.  11:  Alle  Liiunen  f.  alle  die  Launen,  V.  19:  Blunienthaler  f.  Blüthen- 
thälcr  u.  s.  \v.  übergehe  ich.  Audi  Ganyiiied  (i,  163)  hat  in  Herders 
.\bschrift  bis  auf  zwei  Wonc  (V.  i:  \\"\c  im  Morgenrotb,  Y.  4:  Lchms- 
wonne)  die  seit  i7(S9  bekannte  Gestalt.  Der  Gesang  der  Geister  über 
den  IVassern  (1,141)  ist  .;n  xwei  Stimmen  vertheilt,  also  ursprünglich 
als  IVecbselgeSiUig  gedacht,  wie  «Mahomets  Gesang«,  aber  sonst  ebenfalls 
der  letzten  Gestalt  gleich;  nur  V.  10:  der  eivige  Strahl,  \'.  25:  das 
IViesthal  (die  süddeutsche  Form,  wie  Wiesbaum:  Steub,  Drei  Sommer 
in    Tirol   3,  7J. 

'  Vgl.  Der  Wandrer  \'.  132  unkihlend,  welchen  Zierrath  sie  verklebt. 

^  Goethe's  Iphigenieaut  Tauris  in  ihrer  ersten  Gestalt.  1839.  '^-  '  'j-  -)■ 


B.  Suphan:  Aeltere  GestaIiVen  Goethe'scher  Gedichte.    117 


ücbcnilt  ist  schon  der  Rhythmus  xcrnchmbar,  der  sich  in 
der  letzten  Gestalt  rein  durchgesetzt  hat.  Um  diesen  zu 
gewinnen,  liess  Goethe  »Zeile  vor  Zeile,  Period  vor  Pcriod 
regelmässig  erklingen«,  wie  er  an  bekannter  Stelle  erzählt. 
Bei  diesem  W'rtahren  mussten  sich,  und  zwar  besonders 
deutlich  allemal  im  Anfange  der  Perioden,  die  jambisch- 
anapästischen  Kurzzeilen  ablösen  ;  und  je  reiner  das  Metrum 
nun  durchgeführt  wurde ,  desto  mehr  gewann  das  Ganze 
an  Wohllaut  und  Adel  des  Ausdrucks,  an  sinnlicher  Kraft 
der  Bilder.  Die  rhvthmische  Physiognomie,  so  zu  sagen, 
ist  schon  in  der  prosaischen  Urgestalt  scharf  ausgeprägt ; 
ich  vermuthe,  dass  die  nordischen  Lieder,  welche  Goethe 
aus  Herders  Volksliedern  in  Irischem  Gedächtniss  haben 
musste,  bewusst  oder  unbewusst  darauf  eingewirkt  haben. 
Das  »Zaubergespräch  Angantvrs  undHervors«  oder  »Voluspa« 
oder  der  »Webegesang  der  Walkyren  «  mochte  ihm  im  Ohre 
summen,  als  das  Lied  der  Schicksalsgöttinnen  in  seiner 
Seele  lebendig  ward  '.  — 

IT. 

Drei  einzelne  Abschriften  rühren  von  Caroline  Herder 
her,  sie  sind  lanu;e  vor  der  ersten  Sammlunsj;  gemacht  und 
ireben  uns  zwei  grössere  Gedichte :    den  Wandrer  und  den 


'  Die  nordischen  Lieder  erschienen  1779  '"''  '-^•'itten  Buclie  des 
/.weiten  Tlieils,  Angantvr  und  mehrere  andre  «skaldische«  im  ersten 
Theii.  Der  Webegesang  der  Walkyren  schon  1773  in  den  Blättern  von 
Deutscher  Art  und  Kunst  S.  ^öfgg.  Goethe  hat  von  diesen  Ueber- 
setzungen  gewiss  mehreres  schon  in  der  Handschrift  kennen  gelernt; 
des  alten  Angantyr  gedenkt  er  noch  in  einem  Briefe  aus  Italien;  Rom, 
7.  Dec.  1787.  WW.  24,446.  Die  Aehnlichkeit  des  Tonfalls,  der  bei 
Herder  übrigens  eben  so  wenig  wie  bei  Goethe  mit  Strenge  beobaclitet 
wird,  ist  im  Ganzen  unverkennbar. 

Auf  schroffen  Klippen  Stehn  ihre  Stühle  Um  den  goldiien  Tisch  -- 
Umher  wirds  dunkel  Von  Pfeilgewölken  Zu  grosser  Schlacht  — . 


Il8  Forschungen. 


Klat^gesang  von  der  cdcln  Ir.uicn  des  Asan  Aga.  Als  sie 
den  WandcfL-r  abschrieb,  war  sie  noch  »die  Flachsland«, 
Herders  Braut.  »Meine  Schwester  Caroline  ist  Engel«, 
sagte  Goethe  damals,  und  sie,  »Goethe  ist  ein  gutherziger 
Junge«.  Goethe  erhaschte  bisweilen  von  ihr  einen  Kuss, 
wie  es  die  freie  Sitte  des  rheinischen  Landes  gestattete, 
und  er  gab  ihr  manchen  Hinblick  in  das  Heiligthum  seines 
Liebeslebens  und  seiner  Kunst.  »Unser  Freund  Goethe  ist 
■/A\  Fuss  von  l'rankfurt  gekommen  und  hat  Merck  besucht«, 
schreibt  Caroline  kaum  einen  Monat  nach  der  ersten  Bekannt- 
schaft (April  72).  »Fr  hat  uns  einige  der  besten  Scenen 
aus  seinem  Gottfried  von  Berlichingen  vorgelesen.  Goethe 
steckt  voller  Lieder.  Fins  von  einer  Hütte,  die  in  Ruinen 
alter  Tempel  gebaut,  ist  vortrefHich  ;  er  muss  mirs  geben, 
wenn  er  wieder  kommt  und  danii  theile  ichs  Ihnen  mit«. 
Darauf  im  Mai:  »Hier  ist«  —  schreibt  sie,  nachdem  sie 
schon  drei  andere Emphndungsstücke  des  »grossen«  Freundes 
vorausgesandt  —  »das  Lied  von  der  Hütte  von  Goethe, 
wovon  ich  Ihnen  schon  einmal  geschrieben;  er  hats  mir 
von  Wetzlar  geschickt.  Ich  habe  lange,  lange  nichts  rühren- 
deres gelesen,  Der  Wanderer  auf  den  Kuinen  —  die  Frau 
mit  dem  Knaben  auf  dem  Arm  —  und  der  Wanderer  mit 
dem  Knaben  auf  dem  Arm  —  und  die  letzte  Bitte  um  eine 
Hütte  am  Abend  —  o  ich  kann  Ihnen  nicht  sagen,  wie 
alles  das  mir  in  die  Seele  geht!  (k)tt,  wo  werden  wir, 
»zwischen  der  X'ergangenheir  erhabenen  Trümmern«  unsere 
Hütte  flicken?«  Der  Frguss  des  gerührten  Herzens,  die 
brautliche  Nutzanwendung  eingeschlossen,  ist  dies  Mal  eine 
recht  schätzbare  Zugabe.  Caroline  giebt  den  Ciang  des 
Gedichtes  an,  sie  tlicht  endlich  eine  Zeile  daraus  in  ihre 
eigenen  Worte  ein;  man  gewinnt  die  Anschauung,  dass  die 
Freunde  in  Darmstadt  den  Wanderer  bereits  im  April  72 
in  einer  L'orm  zu  hören  bekommen  haben,  die  von  der  im 
Musenalmanach  1774  gegebenen  nicht  weit  kann  abgestanden 


B.  SuPHAN:  Aeltere  Gestowten  Goethe'scher  Gedichte.    119 


haben.  Goethe  hat  das  Gedicht  bekannthch  /u  seinen 
Wetzhirer  Erlebnissen  in  die  nächste  Beziehung  gesetzt, 
Kestner  und  Lotte  werden  auf  die  Leetüre  vorbereitet,  als 
sei  es  eigens  für  sie  gedichtet,  als  sei  es  ein  ideales  Porträt 
ihres  eigenen,  dichteriscli  vorausgenommenen  Zustandes'. 
Goethe  hat  Lotte's  Bekanntschaft  erst  am  9.  Juni  gemacht. 
Der  Widerspruch  ist  längst  bemerkt  worden.  Man  hat  ihn 
zu  heben  versucht  durch  die  Annahme  einer  Umdichtung, 
eine  Annahme,  die  durch  die  mitgetheilten  Sätze  des  Begleit- 
briefes vom  iMai  72  freilich  nicht  begünstigt  wird.  Ueber 
dieZulässigkeit  derselben  braucht  man  nicht  mehr  zu  rechten. 
Caroline's  Abschrift  ist  gut  zur  Hälfte  wenigstens  erhalten. 
Schriftzüge  und  Format  lassen  keinen  Zweifel  darüber, 
dass  sie  die  Einlage  des  angeführten  Briefes  gebildet 
hat.  Der  zweite  Briefbogen  ist  verloren  gegangen,  die 
Abschrift  reicht  nur  bis  V.  87.  Dafür  aber  hat  sich  noch 
eine  zweite,  vollständige  Abschrift,  gleichfalls  von  Caro- 
line's Hand,  vorgefunden  (drei  \'iertelbogen,  in  Octav 
geheftet).  Sie  hat  freilich  nur  secundären  Werth ,  denn 
sie  stimmt ,  so  weit  sich  dies  nach  den  von  Karl  Wagner 
mitgetheilten  Lesarten  beurtheilen  lässt,  mit  der  Abschrift 
übercin,  die  sich  »von  Merck  geschrieben,  mit  Ver- 
besserungen von  Goethes  Hand«  in  Mercks  Nachlass 
gefunden  hat'.  Caroline  liat  diese  zweite  Abschrift  für 
sich  selbst  genommen ,  etliche  Zeit  später.  Die  Vorlage 
wird    ihr  xMerck    geliehen    haben;    er  hielt    damals   mit    ihr 


'  Der  junge  Goethe  I,   381.   369. 

-  Briefe  an  und  von  Merck  1858  S.  11  fg.  Sämmtliche  Varianten 
Jie  Wagner  notirt,  finden  sich  auch  in  Caroline's  zweiter  Abschrift. 
Hin  Mal  hat  die  letztere  eine  eigene  Wortform,  Y.  31:  Trümmern  (so 
auch  Ci  und  der  erste  Druck  in  den  Schriften  VIU,  255),  die  Wagner 
wahrscheinlich  mit  Vorsatz  übergangen  hat.  An  zwei  Stellen  liat  sich 
Caroline  leiclit  verschrieben. 


120  Forschungen. 


gute  Frcundschali ',  thcilic  ihr  seine  eigenen  poetischen 
Versuche  mit,  und  so  wohl  auch  manches  Bhitt,  das  er  aus 
Wetzlar  und  Frankfurt  erhielt.  Wir  kennen,  wie  gesagt, 
die  Merck'sche  Abschritt  nur  aus  den  \'arianten,  die  sich 
auf  Schreibung  und  Interpunction  nicht  erstrecken ;  und 
eben  deswegen  ist  uns  Caroline's  zweite  Abschrift  nicht  ent- 
behrlich. Im  »jungen  Goethe«  (2,7 — 14)  ist  der  Wanderer 
nach  dem  ersten  Druck  (Göttinger  Musenalmanach  1774) 
gegeben,  dem  eine  von  Merck  gelieferte  Abschrift  zu  Grunde 
lag  (J.  G.  I,  369).  Garoline's  Abschriften  stehen  an  Treue 
noch  über  denen,  die  wir  Herder  verdanken.  Sie  halten 
sich  an  die  Schreibung  des  Originals  und  an  seine  Inter- 
punction, oder,  besser  gesagt,  seine  Interpunctionslosigkeit. 
Die  »lieben  Mädgen«  fanden  sich  eben  in  Goethe's  Satz- 
zeichnung besser  zurecht  als  die  Schriftgelehrten  ^  Diesen 
\^orzug  könnte  nur  ein  vollständiger  Abdruck  ins  Licht 
stellen. 

In  der  nun  folgenden  Uebersicht  der  Lesarten  bezeichne 
ich  CaroUne's  beide  Abschriften  mit  C  i  und  C  2,  Mercks 
Abschrift  mit  M,  den  Text  im  Jungen  Goethe  mit  J  G. 
An  einigen  Stellen  nur  notire  ich  die  letzte  Gestalt '  (nach 
welcher  die  Zeilen  gezählt  sind)  mit  W. 

2.   JG,  W:  den  säugenden   Knaben 

Ci,  M,  C2:  den  saugenden  Knaben 
'3-  J  G,  \V:  Lächelst  Fremdling 
LTebcr  meine  Frage  V 
Ci,  C2:  ])'  lächelst  Fremdling 
über  meine  Frage. 


'  Mercks  Frau  wurde  auf  Herders  ^'erl^)bte  eifersüchtig,  und 
Leuchsenring  bekam  Stofl'  zu  seinen  fatalen  Zwischcntragereien.  Aus 
Herders  Xachlass  5,  242  i'g. 

'  J.  G.  I,  219. 

'  Schriften  Vlli  (1789)  S.  252. 


B.  Suphan:  Aeltere  GESTAtarEN  Goethe'scher  Gedichte.    I2i 


15.   Ci,M,  C2:    I(  li   bring  []('':  bringe]   keine  W'aaren 
W :  Keine  W'aaren   bring'   ich' 

:;5 — 40.  =  JG.   36 — 41   |in  W  am  stärksten  umgearbeitet]^ 

C  r  :  Eine  Innschrift  über  die  ich  trette ! 
"r  Venus !   —  und  ihr  übrigen 
[JG,  M:  Der  Venus  C2:  Der  —  Venus] 
seyd  verloschen 

weggewandelt  ihrClesellen  [J(t,M:  Gespielen] 
die    ihr   euers   Meisters   Gefühl    [J  G,  M.  C  2 : 

Andacht] 
Jahrtausenden  entgegen  zeigen  solltet. 
JG,  C2:  Tausend  Enkeln  zeugen  [\V :  zeigen]    solltet. 
41.  Ci:  D"  staunest  Fremdling 
diese  Stein  an 
J  G  :  Staunest,  Fremdling, 
Diese  Stein"  an? 
78.Ci,AP,  C2,W:  Sch<7tzest  du  so  Natur  [JG:  Schützest] 

deines  Meisterstücks  Meisterstück  V 
85.  Gl,  M,  C2:  Fremdling  willst  du  hier 

untern  Pappelbaum  [JG:unter'm]  dich  setzen? 
hier    ist    kühl.    [J  G  :    ist's    kühl].     Nimm  den 

Knaben 

88.  M,C2:      dass  ich  da  hinab  geh  Wasser  schöpfen 

JG:   Dass  ich  hinabgeh,  Wasser  zu  schöpfen! 
W  :  Es  ist  kühl.     Nimm  den  Knaben, 
Dass  ich  Wasser  schöpfen  gehe. 

89.  C2,    W:      Schlafe  [JG:  Schlaf,]  Lieber  schlaf. 


'  Vers  16  (JG.  17):  «Schwül  ist,  schwül  der  Abend«  —  W: 
oKühl  wird  nun  der  Abend«  fehlt  in  C  i.  Jedenfalls  blos  aus  Versehen 
übersprungen. 

^  »Schätzest«  niuss  Wagner  in  seiner  \'orlage  gefunden  haben, 
denn  er  bemerkt  keine  ^'ariante  gegen  die  Ausg.  v.  J.  1815,  die  er  bei 
der  \'ergleichung  zu  Grunde  legte. 


122  Forschungen. 


Ich  bin  schon  einige  \'crsc  weiter  ^c^angcn,  als  Carolinc's 
ältere  Abschritt  reicht.  Sie  reicht  weit  ijjenug,  um  das 
Wichtigste  ausser  Zweifel  zu  setzen:  die  Gestalt,  welche 
Caroline  im  Mai  72  vor  Augen  hatte,  und  die  \x)n  der  im 
April  vorgelesenen  sich  ihrer  lü-innerung  nach  nicht  unter- 
schied, ist  bis  auf  wenige  liigenthümlichkeiten  des  Aus- 
drucks identisch  mit  der  i.  J.  1774  veröffentlichten.  \'on 
den  formellen  liigenthümlichkeiten  fallen  \ielleicht  am 
meisten  aul  die  abgekürzten  1-ormen  D'  (Du)  und  "r  (der), 
auf  die  ich  unten  in  einem  grösseren  Zusammenhange 
zurückzukommen  gedenke.  \ur  einige  ^'erse  (38— 40) 
haben  eine  namhafte  Aenderung  erfahren.  Bedeutsam  ist 
es,  wie  der  Dichter  hier  sein  Lieblingswort  »Gefühl  '«  opfert, 
zunächst  wohl  blos  des  Tonfalls  wegen,  und  nun  einen 
noch  höheren  und  inhaltsschwereren  Ausdruck  hndet. 

Caroline's  zweite  Abschrift  bietet  uns  in  den  weiteren 
W'rsen  nichts  Eigenthümliches  mehr  —  bis  auf  die  Spär- 
lichkeit der  Interpunction.  Goethe  überliess  es  denen,  die 
den  Druck  seiner  Gedichte  besorgten,  »zu  interpunctiren, 
wie's  dem  Leser  genehm  war«  und  ertheilte  \'ollmacht 
»Komma,  Kolon,  Semikolon  und  Punktum  zu  machen, 
Ausruf imgszeichen  in  Fragezeichen  zu  verwandeln«  u.  s.  f.^« 
Dies  hat  denn  auch  Boie  oder  dessen  Corrector  in  unserni 
Falle  mit  einem  wahren  Uebereifer  besorgt  (\'.  20  »liebes, 
junges  Weib«    u.  ä.),    an    einei'  Stelle    \ielleicht    wider   den 


■  «Hier  stellt  sein  Werk,  tretet  liin  und  erkennt  das  tiefste  Gefühl 
von  \\'ahrheit  und  .Schönheit  der  Verhältnisse«.  (J.  G.  1,212  vgl.  3,696) 
»Drum  glaubt  nicht  ^o  schnell  zu  verstehen,  was  das  heisse:  Das  Gefühl 
ist  die  Harmonie  und  vice  versa.  Und  das  ist  es,  was  immer  durch 
die  Seele  des  Künstlers  webt,  was  in  iiini  nach  und  nach  sich  zuni 
verstandensten  Ausdrucke  drangt,  ohne  durch  die  l-j-kenntnisskrafl 
durchgegangen  zu  sein.»     (J.  G.  5,  690). 

-  J.  (i.  5,48.  Th.  ßergk,  .\cht  Lieder  von  Goethe  S.  25  (über 
den   Druck   vo  1    j-j-win   und  lilmire. ) 


B.  Suphan:  Aeltere  Gestüten  Goethe'scher  Gedichte.     123 


Sinn  der  ursprüni^lichL'H  Fassung,  oder  doch  wider  die  vom 
Dichter  gewollte  \'erbindiing  der  Ausdrücke.  \'ers  118 
nämlich  u.  f.  (J.  G.  113  fg.)  haben  im  Musenalmanach 
folgende  Satzzeichnung : 

Hier,   zwischen   das  (Jeniäuer   her. 
Die   Hütte  haute  noch   mein   Vater 
Aus  Ziegeln  und  des  Schuttes  Steinen. 
Hier  wohnen  wir. 

In  den  beiden  Abschriften  (.\I,  C  2)  fehlt  alle  Interpunktion  : 

Hier  zwischen  das  (iemäuer  her 
die  Hütte  baut  mein  Vater  ikx  h 
aus  Ziegehi  und  des  Schuttes  Steinen 
hier   wohnen    wir    — 

Es  ist  lebendige  Rede,  die  Worte  reihen  sich  in  der  natür- 
lichsten Folge  an  einander,  wie  die  Gegenstände  sich  sinn- 
lich dem  Auge  darbieten.  Auf  des  Wanderers  erstaunte 
Frage  »Ihr  wohnet  hier?<(  (Goethe  setzte  ein  blosses 
Punktum)  erwidert  die  Frau:  »Hier,  in  der  Hütte,  die 
zwischen  das  Gemäuer  her  der  \'ater  baute,  hier  wohnen 
wir«.  Sie  spricht  wie  ein  Natiu'kind,  und  macht  freilich 
dem  Grammatiker  zu  scharten,  der  ihre  sxntaxis  naturae  nach 
seiner  syntaxis  convenientiae  regeln  will.  Der  Grammatiker 
des  Musenalmanachs  niuthet  übrigens  mit  seinem  Punktum 
dem  Dichter  die  schlimme  Gonstruction  zu:  »Wir  wohnen 
zwischen  das  Gemäuer  her«.  Indessen  er  hat  schliesslich 
Recht  behalten.  Denn  in  der  letzten  Gestalt  ist  Goethe 
auf  seine  Satztheilung  eingegangen : 

Da,  zwischen  dem  Gemäuer  her. 

Die  Hütte  baute  noch  mein  Vater  u.  s.  w. 

Aber  das  beweist  keineswegs,  dass  er  von  Haus  aus  Recht 
hatte.    Denn  der  letzten  Bearbeitunii;  hat  Goethe  eben  diesen 


124  Forschungen'. 


ersten  Druck  /.u  Grunde  geleimt  —  er  besass  schon  im 
Mai  1773  keine  Abschrift  mehr  vom  Wandrer  {].G.  1,369) 
—  und  wir  kennen  mehr  Belege  als  diesen,  die  es  bezeugen, 
dass  Goethe  die  Druckgestalten  seiner  Werke  in  gewisser 
Weise  wie  grossjährige  Kinder  ansah ,  die  man  mit  einer 
Art  Respekt  behandeln  und  in  ihren  Eigenthümlichkeiten 
sclnit/en  müsse  —  vom  Spiel  des  Zufalls,  das  wohl  auch 
einmal  den  Fehler  eines  Nachdrucks  zu  Ehren  gebracht 
hat.  ganz  abgesehen. 

Ueberhaupt  aber  glaube  ich  im  Texte  des  Musen- 
Almanachs  etliche  Spuren  einer  kleinlichen  und  willkür- 
lichen Revision  zu  entdecken.     \w  \.  78  (J.  G.  74)  ist 

Sch<?tzest  du  so,  Natur, 

schlechthin  ein  Versehen  oder  Missverständniss,  und  viel- 
leicht ist  auch  der 

Srt'Ugende  Knabe 

nur  ein  Kind  des  Correctors.  Alle  die  Abschriften  haben 
die  richtige  Form  »saugende« ;  der  »saugende«  ist  indessen 
1815  vom  Dichter  selbst  adoptirt  worden.  Wenn  lerner 
die  metrisch  so  wohl  gerathene  Zeile  88: 

Dass  ich   da  hinab  geh   Wasser  schöpfen 

im  Musen-Almanach  die  lendenlahme,  aus  dem  Metrum 
fallende  Gestalt  annimmt 

Dass   icli  hinabgeh,   Wasser  zu  schöpfen    — 

so  wüsste  ich  keine  andere  Kücksicht,  die  das  veranlasst 
haben  könnte,  als  die  einer  pedantischen  Sprachreinhaltung, 
die  nicht  gestatten  wollte,  dass  »hinabgehen«  mit  dem 
schlicluen  Inhnitiv  verbunden  würde.  Goethe  hat,  wie  es 
scheint,  von  treuer  Erinnerung  geleitet ,  in  der  letzten 
Gestalt    sein    »schöpfen    gehen«    wieder    hergestellt.      Die 


B.  Suphan:  Aeltere  Gestaj.ten  Goethe'scher  Gedichte.     125 


.gleiche  Hand,  welche  den  \'.  88  antastete,  hat  \vi)hl  auch 
»untern  Pappelbaum«  in  »unter'ni  Pappelbaum«  »ist  kühl« 
in  »ist's  kühl«,  »in  Götterselbstgefühl«  in  »im  Götter- 
selbstgefühl«, »Trümmern«  in  »Trümmer«  verbessert. 
Boie  erhielt,  wie  erwähnt,  den  iraiuircr  durch  Mercks 
X'ermittlung  und  st)mit  doch  wohl  in  einer  mit  M  und 
C2  übereinstimmenden,  höchstens  zufallig  abweichenden, 
Copie.  Die  angeführten  \'arianten  des  von  ihm  besorgten 
.Abdrucks  sind  sämmtlich  von  der  Art,  dass  man  an  ihrer 
Aechtheit  zu  zweifeln  berechtigt  ist.  Der  Text  des  Musen- 
Almanachs  steht  also,  wenn  es  uns  auf  Feststellung  der 
ältesten  Gestalt  ankommt,  an  Werth  hinter  jeder  der  drei  er- 
haltenen Abschriften  zurück.  Wichtiger  als  dies  kritische  Er- 
gebniss  ist  es,  dass  uns  Caroline's  Abschrift  im  ältesten 
»Wandrer«  schon  das  vollständig  ausgeformte  Gedicht  zeigt , 
ein  Gedicht,  zu  dem  Lotte  und  Kestner  auch  nicht  den 
kleinsten  Zug  haben  liefern  können.  Was  der  Dichter  selbst, 
»Lotten  ganz  im  Herzen«,  im  Widerspruch  mit  dieser 
Thatsache  sagt,  ist  poetische  Selbsttäuschung  oder  treund- 
schaftliche  Mystitication. 

Die  Abschrift  des  Klaggesaii^'s  von  der  cdlcu  Frauen 
des  Asaii  Aga  hat  sich  bei  dem  zu  den  »\^olksliedern« 
gehörigen  Nachlasse  gefunden.  Wir  verdanken  sie  Caro- 
line's  treuer  Mitarbeit  an  der  Volkslieder-Sammlung  — 
verdanken  wir  es  doch  ihr  vornehmlich,  dass  diese  Samm- 
lung selbst,  die  liebenswürdigste  Gabe,  die  uns  Herder 
hinterlassen  hat ,  zu  Stande  und  an  die  Oeftentlichkeit 
gekommen  ist.  Im  ersten  Theil  der  Volkslieder  S.  309  fgg. 
ist  der  »edle  Gesang«  mit  der  Bezeichnung  morlackisches 
Lied  gedruckt.  Man  hat  den  ersten  Druck  bisher  ohne 
weiteres  für  die  Erstlingsform  genommen.  Aber  Herder 
hat  den  Beitrag  nicht  ohne  Aenderungen  aufger.ommen, 
und  es  ist  von  besonderem  Interesse,  zu  sehen,  wie  sich 
Goethe  später  (1788)  zu    diesen  Aenderungen  gestellt  hat, 


126  Forschungen. 


:\\s  cv  selbst  seiner  Ueberset/.uni;  die  letzte  I'eile  gab. 
Caroline  hat  ihre  X'orlage  auch  dies  Mal  getreu  abge- 
schrieben (Blaf,  Thiinw,  Trancv  Scheidhriej ,  itngestiiwnic, 
Sliir~l  .v/V,  ohne  Apostroph  ').  Die  Worte,  welche  Herder 
gestrichen  bat,  sind  im  l'olgenden  mit  liegenden  Lettern 
gegeben  und  die  von  ihm  übergeschriebenen  Correcturen 
in  kleinerem  Druck.  Die  Handschritt  soll  mit  A,  der  erste 
Druck  in  den  \'olksliedern  mit  \',  die  letzte  Gestalt  in 
Goethe's  Werken'  mit  W  bezeichnet  werden. 

3.   A,    y :  War"   es  Schnee  da.   wäre  weggeschmolzen 

W:  War"  es  Schnee,  er 

7.   A.    \' :  Nieder  Hegt  er  drein   [W:   (lrin|    an   seiner  Wunde 

18.  A:  Springt   zum    1  hurne   [V.   W  :  Tliurme] 

kehrt  zurück  Gattin 

23.  A.  \\  :   Und  es  keJirct  die  GcmaJiliii  Asans 

V:  Und  es  kehrt   zurück   die  (iattin   Asans 

27.   A,   V:  Schweigt  der  Bruder  und  zieht  [\N:  Bruder,  ziehet] 

aus  der  Tasche 

34.  A:    Küsst    die    Wangen    iliren    \\ .   ^^' :      ihrer]    beiden 

Mädchen, 


'  \'.  iS9  Gedruckt  ist  bchon  in  \' ;  Stürzt"  sie.  Das  Apostrophiren 
hat  in  solcliem  Falle  sein  MissJiclies.  Der  Herausgeber  traut  dem  Leser 
niciit  eben  so  viel  Besinnung  zu,  wie  der  Dichter  dem  Hörer.  Dem 
Hörenden  bleibt  es  überlassen,  ob  er  die  Handlung  als  gegenwärtige  oder 
vergangene  empfinden  will.  Wo  es  dem  Dichter  darauf  ankommt,  stellt 
er  selbst,  durch  Wiederholung  z.  B.  das  Tempus  sicher  (Briefe  an  Frau 
V.  Stein  1,25  »Da  er  dankbar  dir  zu  Füssen  lag.  Fühlt  sein  Herz  an 
deinem  Herzen  schwellen,  Fühlte  sich  in  deinem  Auge  gute  und 
ebenso  \'.  53.  n-  "^vo  .\,  V  ohne  Apostroph  geben:  »Küsste  sie  der 
beiden  Knaben  Stirne,  Küsst  die  \\'angen(<  ).  In  vielen  Fällen  lässt 
der  Zusammenhang  keinen  Zweilei;  bisweilen  aber  ist,  wie  liier  in  V.  89 
der  Vorstellung  des  Hörenden  ein  Spielraum  gelassen,  der  dem  Leser 
durch  das  .\postrophiren  verengt  wird. 

-  Zuerst  in  den  Scbrificn.  \'\\\  .  177 — i<S2  als  erstes  Stück  der 
zweiten   Sammlung. 


B.   SuPHAN:   AtLTEUE   GESTAJriEN   GOETHE'SCHtR   GtDICHTE.      I27 

43.44.  A:   Die'    liebe   Frau.   \' :     I,icl)c   Frau.     W  :    l'nsre   Frau 

bitt' 
47.         .\ :   .-Xch  I>ei   dciiKMii  I.cbcnl     Dich  bachwor  ich  Bruder 

V:   Ach   bei   deiueni   Leben!   bitt'   i(  h.    I'.ruder 

W :   Ich   beschwöre  dich   bei  deinem   Leben 

Fr.iu  sie 
53.         A:    L)o(  h  die   Franc   liittet   ihn   unendlich 

V:   Doch  die  Frau,    sie   .   .   .     W  :   Doch  die   (iute   .   .   . 

60.         A:   Dass  ich  mich   vor  Asans   Haus   \erhülle 

zu  sehen 
Meine  lieben   \^'aisen   nicht  ersehe 

V:   .    .   .   nicht   zu  sehen   W :   nicht   erblicke. 
70.         -A:    Riefen:   Komm   zu  deinen  Kindern   wieder 

Brod 
Iss  mit  uns  das  AbendhrofX  in   deiner   Halle. 

V:   Iss  mit  uns  dass  Brod  in  deiner  Halle 
W:  Riefen:  Komm  zu  deiner  Halle  wieder! 
Iss  das  Abendbrot  mit  deinen   Kindern. 
74.   A.  V:  Kehrete  sich   zu  der  Suaten  Fürsten: 

Bruder  '  lass  die  Suaten  und  die  Pferde 
Halten   'wenig  [V.  :   Halten   wenig]   vor    der  lieben 

Thürc 
W:  Lass  doch,  lass  die  Suaten  und  die  Pferde 
Halten   weniir  ^  or  der  Lieben^  Thüre 


'  Der  Fürst  der  Suaten  (stari  svvat,  .-\eltestc  d.  h.  \'ornehnistc 
der  Hochzeitsgäste)  der  Führer  des  Brautgclolges.  ist  einer  der  nächsten 
Verwandten  des  Bräutigams,  nicht  etwa  der  leibliche  Bruder  der  Braut, 
»Bruder«  also  in  diesem  einen  Falle  nur  die  ehrende,  zutrauliche  Anrede. 
Anscheinend  hat  sie  der  Dichter  denn  auch  nur,  um  der  leicht  mög- 
lichen Verwechslung  vorzubeugen,  bei  der  letzten  Revision  beseitigt. 

^  Schade  um  die  »liebe  Thüre«.  Auch  son.st  hat  der  Dichter  seit 
1786  das  Wort,  das  er  früher  so  lieb  hatte,  entfernt.  So  im  Liede  an 
den  Mond  das  »liebe  Thal«  (vgl.  J.  G.  5,  342  Z.  5)  während  es  sich 
in  Jägers  Abendlied  Z.  6  noch  gerettet  hat  im  Liede  auf  dem  Züricher. 
See  Z.  ij  die  »lieben  Nebel«  (vgl.  j.  G.  3,290  die  »lieben  Wolken«). 
Der  vorano;esetzte  Genitiv   »der  Lieben«  Thüre  ist  kein  schöner  Ersatz. 


128  Forschungen. 


Si.  A,  V:    Und    dem    Säugling    hülflos    in    der    Wiegen    |\V: 

Wiege]' 

Herders  Acndcrungen  hat  Goethe,  bis  aid'  eine,  als  berechtigt 
anerkannt,  keine  aber  hat  er  in  der  angebotenen  Form 
benutzt.  Auf  das  einfache  »kehren«  für  »zurückkehren« 
hat  er  ^veder  in  \'.  23,  wo  Herder  corrigiereii  wollte,  noch 
unten  V.  85  verzichtet.  Hr  gebraucht  es  ebenso  in  Wan- 
derers Sturmlied  : 

Soll  der  zurückkehren 
Der  kleine  schwarze  feurige  Bauer? 
Soll  der  zurückkehren,   erwartend 
Nur  deine  Gaben,  Vater  Bromius   — 
Der  kehren  muthigV 

und  hier  hat  er  es  sogar  erst  bei  einer  späteren  Niederschrift 
eingeführt,  während  die  beiden  älteren  Gestalten  auch  im 
letzten  Verse  die  zusammeniresetzte  Form  haben  : 


Soll  der  zurück  kehren  niuthig 


Noch  mehr  aber  ist  die  Aeiuicrung  von  »(die)  liebe  Frau«  in  »unsre 
Frau«  zu  bedauern.  Jenes  klingt  so  licrzlich,  wie  immer  in  Goethe's 
Briefen  dieser  Ausdruck,  mit  dem  er  nicht  die  erste  beste  beehrt.  »Und 
grüsse  die  liebe  Frau«  (Betty  Jacobi)  J.  G.  i,  599,  an  Johanna  Fahimer, 
Dcc.  1775.  »Die  liebe  Frau  (Lotte)  hatte  in  der  letzten  Nacht  wenig 
geschlaien«.     J.  G.  3,  367. 

'  V.  6  der  Zelten  Asan  Aga.  J.  G.  5,306  Erden.  3,352,  33) 
meiner  Seelen.  3, 283  die  Mündung  der  Pistolen  (Singular).  Vgl. 
oben  S.ii9^(//V  TrüviDicni.  Sogar  (5,  229)  »die  himmlisch  Freuden  ist  ein 
Traum«.     (Hier  wie  im  ersten  Beispiel  zur  Vermeidung  des  Hiatus). 

^  J.  G.  2,  3  l'gg.  und  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  F.  H. 
Jacobi  S.  5  fgg.  (V.  I— 100)  S.  57  fg.  (V.  101  — 116).  An  letzterer 
Stelle  scheint  mir  die  »älteste  erreichbare  Form«  gegeben.  Die  Lesart 
der  letzten  Gestalt  (i<Si5)  findet  sich  schon  1781  in  Herders  .Ab- 
schrift. 


B.  Suphan:  Aeltere  Gesta^fen  Goethe'scher  Gedichte.    129 

Sratt  dcN  Kcricxivuni^ '  finden  wir  c^  in  der  ältesten  lorni 
des  FrDnieiheus: 

Als  ich  ein  Kind  war 
Ni<ht  wusste  wo  aus  wo  ein 
Kehrt  mein   \erirrtes  Aug* 
Zur  Sonne   — 

seit   1789  allerdini^s  geändert  in:    »Kehrt"  ich  mein  \erirrtes 
Aui,'e(i. 

hl  zwei  \'ersen  (47,  71)  xerhin^te  das  Metrum  eine 
Xachhiilte.  Die  erste  Gestalt  hatte  sich  hier  sechs  Hebungen 
gestattet,  wie  denn  noch  in  dem  Gedichte  »Seetahrt« 
(11.  Sept.  1776),  dem  ersten  Original-Gedichte,  welches  in 
dem  am  »Klaggesange«  geübten  Versmasse  geschrieben  ist, 
sich  vier  trochäische  Sechsfüssler  linden  (W  i,  2,  20,  22) 
—  Ln'sprünglich  nur  drei;  denn  der  vierte  (\'.  i)  wiu'de 
aurtallender  Weise  noch  bei  der  letzten  Redaction  hinzu- 
gethan : 

Lange  Tag  und  Nächte  stand  mein  Schiff  befrac  Iitet 
während  in  der  älteren   (iestalt  das  Gedicht  anhebt: 
Taglang  Xaclnlang  [Näditelang  -']  stand  mein  S(  hiff  befrachtet. 


'  Drehen  und  iu'i\n-n  reflexiv  oder  neutral :  Gedichte  2,  294.  J.  G. 
5,  6X4.  (Da  drehten  die  Pärchen  allzumal  —  Er  neigt  zur  ihr  —  vor- 
neigt sicii  gegen  sie). 

^  J.  G.  5,  157.  Ebenso  im  ersten  Drucke  (Einlage  in  F.  Jacobi's 
Schrift  Über  die  Lelire  des  Spinoza  1785,  zwischen  S.  48,  49J  und  in 
Herders  Abschrift.  Die  Lesart  der  in  Mercks  Nachlass  befindlichen 
Handschrift  hat  K.  Wagner  (Mercks  Br.  I,  55 j  nicht  angegeben,  und 
doch  ist  es  kaum  anzunehmen,  dass  sie  mit  der  .\usgabe  letzter  Hand 
übereinstimmt. 

'  »\achtlang((  in  Goethe's  Briefen  an  Lavatcr  .S.  25  ( J.  (].  5,  145) 
Tagelang,  Nächtelang  in  Mercks  Handschrift  (Mercks  Br.  1.  78)  und 
im  Deutschen  Museum  1777  11,  267.  «Taglang,  Nachte  lang«  in 
Herders  Abschrift  (datirt:    den   11.  September   1776.    wie  im  Deutschen 

r.üliTHE-lAlIRIiLCH    II.  9 


1 30  Forschungen. 


Seil  17S1  t'ornn  Goethe,  wie  die  oben  (S.  115)  besprochenen 
Gedichte  im  Tiekirter  Journal  zeigen,  die  serbischen  Tro- 
chäen in  tadelloser  Regelnlässigkeit.  In  der  »Seehthrt« 
aber  wollte  er  oHenbar  die  beiden  schon  vorhandenen 
Langverse  nicht  opfern  und  erhob,  indem  er  auch  die  erste 
Zeile  dehnte,  das  Unregelmässige  zur  poetischen  .Schönheit. 
Die  \'erse  rücken  nicht  \-on  der  Stelle,  sie  schaukeln  luid 
schwanken  hin  und  her,  wie  das  l''ahr/eug,  dessen  .Mann- 
schaft die  Tage  im  Hafen  verliegt,  günstiger  Winde  harrend. 
Bei  dem  \'olksliede  aber  musste  selbstverständlich  Ton 
und  Weise  des  Originals  dLU'chgehends  eingehalten  werden. 
Im  ersten  halle  (W  47)  liessen  sich  die  überschüssigen 
Worte  leicht  beseitigen.  Bei  \'.  70,  71  aber  könnte  man 
darüber  rechten,  ob  Herders  oder  Goethe's  Aenderung  den 
Preis  verdient.  Natürlicher,  rührender  klingt  doch  jedenfalls 
im  Munde  der  Kinder  die  Bitte:  »Komm  wieder  zu  uns!« 
als  »Komm  wieder  zu  deiner  Halle!«  So  rufen  sie  denn 
auch  nach  der  treueren  Uebersetzung  von  Talvj '  : 

Kehr  zu   uns  zurücke,   liebe  Mutter! 
Dass  das  Mittao;smahl   wir  mit  dir  theileii 


Museum).     Diese    letztere    hat    einiges    lü^enthümliche.     Ich    notire   als 
wichtigste  Lesart  ^'.    15  : 

Und  die  Segel  blühen  in  dem  Hauchu. 
So  steht  deLitlich  geschrieben.  I:s  ist  die  Lesart  sammtlicher  erhaltener 
Handschritten  (auch  der  von  Merck ;  denn  Wagner  notirt  keine  Variante 
gegen  die  .\usgabe  v.  J.  1815),  des  ersten  Drucks  und  sammtlicher 
unter  (]iiethe"->  .\ugen  erschienener  Ausgaben.  Erst  die  .\usgabe  v. 
j.  1836  brachte  »die  Segel  blähen«.  Ls  ist  otienbar  eine  willki.'irliche 
Correctur,  wahrscheinlich  von  Riemer.  Unbegreiflich,  wie  sie  sich  bei 
den  spateren  Herausgebern  (Strehlke  i,i)9;  Cotta'sche  .Vusg.  1875  mit 
Karl  Goedeke's  Einleitung  i,  195)  in  Gunst  gesetzt  hat;  noch  unbegreif- 
licher, dass  der  Recensent  des  »Jungen  Goethe«  im  Literarischen 
Centralblatt  1875,  50.  Oct.  sie  sogar  in  den  originalen  Text  eingeschwärzt 
sehen  möchte. 

'  Volkslieder  der  Serben  2,  275. 


B.  SuPHAN :  Aeltere  GnsT.vi^rEN  Goethe'scher  Gedichte.    I  ^  i 


und  so   schon    in  der  alten  Ucbcrsctzung  von  Fortis  Reise 

in   Dalmatien  (1776): 

I-icl)c,    liehe   Mutier! 
Komni   wieder  /u   uns,   komm    in   cIciikt   Halle 
Mit  uns  das  Abendbrut   /u   essen  '. 

An  Herders  Aendeiinii;  tand  es  Goethe  otienbar  iinHebsain, 
dass  sie  ihm  das  Abendbrot  nahm,  tür  welches  er,  als  Poet 
wenigstens,  wegen  der  traulich  gemächlichen  Nebenideen, 
die  sich  von  selbst  zugesellen,  eine  besondere  \'orliebe 
gehabt  hat ".  Hs  trifft  sich  eigen,  dass  es  von  Rechts  wegen 
nicht  einmal  das  Abendbrot  ist,  zu  welchem  die  liebe  l'raii 
i^erufen  wird.  xMit  Absicht  indessen  oder  aus  \  orliebe 
hat  Goethe  die  Zeiten  nicht  \ertauscht ;  er  lolgte  einlach 
seiner  \'orlage. 

Wo  aber  haben  wir  diese  \'orlage  zu  suchen?  13ie 
Ansichten  sind  über  den  Fundort  und  im  Zusammenhange 
damit  über  das  [ahr,  in  welchem  die  Uebersetzung  des 
Klaggesanges  entstanden  ist,  getheilt.  Der  Dichter  selbst 
datirt  sie  1824  in  seinem  Autsatze  über  Serbische  X'olks- 
lieder  fünfzig  Jahre  zurück.  In  der  Chroiioloi^ii'  der  Goelhc'- 
schen  ITcrhc  ist  sie  dem  Jahre  75  zugewiesen.  An  diesem 
Jahre  halten  die  Herausgeber  fest  ■*.  Fine  abw  eichende 
Ansetzung    geht    von   der  Notiz   aus,   die  sich  im  Antange 


'    Dünt/.cr,    Goetlic's  lyrische  Gedichte  erläutert  (icSjiS)  1.,    514  lg. 

^  Der  Wanderer  V.  ii).  116.  An  Lottchen  (Jacobi)  J,  G.  2,  55 
Z.  4;    178t)  bekanntlich  geändert  in  Abendroth :  Gedichte   i,  4«;. 

5  Bd.  53,  502  »Schon  sind  es  fünfzig  Jahr,  dass  ich  den  Klag- 
gesang ....  überset/.te«. 

+  So  noch  die  Gotta'sche  Ausgabe  in  zehn  Bänden  v.  J.  1875. 
In  dem  Jungen  Goethe  aber  ist  das  Stück  nicht  enthalten,  wird  also 
von   Bernavs  nach   1775   angesetzt. 


I  y2  Forschungen. 

von  Ik'i'dci'N  X'olkslicdci'ii  zu  dem  (icdiclilc  lindct  :  »Siehe 
Foiiis  RcisL'  Th.  I.  S.  150  odei-  J)lf  Sllle/i  der  Morlachcii 
(von  der  Grätin  Kosenbers^;)  Bern  1775  S.  50*' .  Dieselben 
Werke  nennt  auch  Goethe  a.  a.  ().  als  solche,  wo  sich 
dei'  edle  (jesan^;  »hnden  Hesse  lir  hatte  wahrscheinlich, 
als  er  so  schrieb,  Herders  \'olkslieder  vor  sich.  Inissend 
aut  Herders  Xoti/,  die  er  als  Ani:;abe  der  »Quelle^  betrachtet, 
sieht  Düntzer  '  in  der  oben  citirten  jambischen  Uebersetziini;, 
die  sich  in  dei'  deutschen  Ausgabe  von  lortis  Reisen  behndet, 
die  eigentliche  \'orlage  und  hndet,  da  die  besagte  Ausgabe 
erst  1776  erschienen,  in  Goethe's  Erklärung  eine  doppelte 
Unrichtigkeit.  Düntzer  \ermuthet,  dass  Goethe  durch 
F^erder  aut  den  Stoti  und  das  Buch  aufmerksam  gemacht 
sei.  Dann  müsste  aber,  da  Herder  erst  im  Oktober  1776 
nach  Weimar  kam,  die  Nachdichtung  erst  nach  dem  treien 
Gedichte  »Seetahrt«  entstanden  sein,  in  welchem  wir  bereits 
die  tüntiüssigen  Trochäen  vorfinden. 

Herder  nennt,  genau  betrachtet,  die  Berner  Ausgabe 
der  Keisebeschreibimg  gar  nicht  als  Quelle,  aus  welcher 
der  Uebersetzer  geschöpft";  indessen  konnnt  es  darauf 
wenig  an  gegenüber  einem  Kreuzverhör  zwischen  der 
Urschrift,  dem  italienischen  Texte  des  Fortis,  der  französi- 
schen Uebersetzung,  die  (ioethe  erwähnt,  der  deutschen 
Uebersetzung  \om  Jahre  1776  und  der  (joethe'schen  Xacii- 
dichtung.  Ich  kann  nur  die  von  Düntzer  mitgetheilten 
25  lamben  mit  (ioethe's  Asan  Aga  vergleichen,  hi  den 
Schlussversen  : 


'  Goetlie"s  Ivrisclic  (jcdichtc  für  ij;Lliildctc  Leser  erläutert.  l-;il->erteld 
nSjS.      I,  512  fg.     E^  ist  mir  nur  diese  erste  Ausgabe  zur   Hand. 

-  Bisweilen  gebraucht  er  wohl  sein  »Siehe !<-  um  den  l'undort 
anzugeben.  Will  er  aber  ausdrücklieh  die  Q.üelle  be/.eichnen,  so  sagt 
er,  wie  z.  B.  bei  den  niorlackisclicn  Liedern,  die  er  selbst  übersetzt:  ».\us 
Fortis  Osscrvazioni  .  .  .  Venet.  1771,  nach  seiner  italienischen  Uebersetzung« 
—    »aus  einem  ungedruckten  italienischen   Manuscripte  des  .\bt  Fortis«. 


B.  Suphan:  Aeltere  ÜESTAjt^rEN  Goethe'scher  Gedichte.     133 


L'iul   die   hange-  (?)   Xr/r 
Entfloh  liciii  hangen   Jhiscii.   als  die   Anne 
Sie  ihi'e  Kinder  sah   xon  ihr  entfliehen  — 

ist  die  Aehnhchkeit  aLii;ense'heinHeh ;  wenn  aber  (joethe 
hier  yan/  wie  eler  ]3crner  Ueberset/er  von  dem  Sinne  der 
Urschrift  abweie'hend,  gerade  eins  Fliehen  der  Kinder,  w oxon 
jene  nichts  hat,  /u  dem  Schmerzensanbhck  macht,  welcher 
der  Mutter  das  Her/,  bricht  —  so  k()nnte  das  aiil  Rechnung 
einer  gemeinschaftlichen  \'orlage  kommen,  (übt  es  aller- 
dings Stellen  von  so  frappanter  Aehnlichkeit  mehr,  so 
müssen  wir  die  deutsciie  \'orlage  annehmen.  Die  \'er- 
gleicluing  nuiss  ich  denen  überlassen,  welchen  die  literarischen 
Hülfsmittel  zur  Hand  sind.  Der  blosse  Zweifel  ist  uner- 
quicklich, wenn  er  auch  aus  dem  Wunsche  entspringt, 
eine  zu  den  Akten  gegebene  Aussage  des  Dichters  zu  retten; 
ich  \ersuche  es  also,  wenigstens  auf  einem  Nebenwege, 
den  ich  autgetunden  zu  haben  glaube,  etwas  zur  Lösung 
der  chronologischen   brage  beizutragen. 

Man  wird  es  \ermuthen,  dass  es  die  apostrophirten 
W'örtchen  sind,  \-on  denen  ich  dabei  ausgehen  will :  »Die" 
liebe  Frau  —  halten  \\enig".  (\'.  43.  44.  74.).  Sie  gesellen 
sich  zu  den  Abkürzungen,  welche  uns  in  Caroline's  erster 
Abschrift  vom  Wandrer  auffielen  :  »D'lächelst,  —  D'staunest 
—  'r  Venus«.  Denn  der  Apostroph  hinter  dem  weiblichen 
Artikel  will  besagen,  dass  der  \'ocal  desselben  verflüchtigt, 
dass  er  mit  der  folgenden  Silbe  zusammen  gesprochen 
werden  solle  (d'liebe),  und  der  Apostroph  xor  lueuio^  soll 
den  unbestimmten  Artikel  \ertreten.  Die  im  X'olkston 
gehaltenen  Dichtungen  der  ersten  siebziger  Jahre  zeigen 
uns  zahlreiche  Abkürzungen  ahnlichen  Schlages,  am  meisten 
die  Fastnachts-  und  Scherzspiele.  Wie  viele  Zeilen  und 
Sätze  fangen  da  mit  einem  's  an  (für  ('.v  und  das),  wie  ott 
wird  der  Artilscl  mit  der  I^raposition  zu  einer  Silbe  zusammeii- 


1 34  Forschungen. 

Ljcfasst  (;uirni  gedruckten  Zettel,  aus'm  Sittenschlat,  aus'eni 
Radien  blasen);  noch  kühner  sind  \'erkürzLini^en  wie 
die  von  cl'wa  in  'liui  (Und  lassen  sie  sich  \va  nicht 
weisen) '.  Die  Kürzung  von  ilii  und  (//V  kommt  meines 
Wissens  >onst  nicht  vor;  es  ist  \vt)hl  nicht  zutälli^,  dass 
wir  die  so  apostrophirten  l-Ormen  in  Abschriften  hnden, 
die  Herdern   zu  Gesicht  kommen   sollten. 

Denn  Herder  ist  es,  der  diesen  Apostrophiruni^en 
recht  ^eriissentlich  das  Wort  geredet,  der  sie  emptohlen 
und  eingeführt  hat.  Es  geschieht  in  den  Blättern  von 
Deutscher  Art  und  Kunst ".  Er  knüpft  an  das  «Fabelliedchen«  : 
«Es  sah  ein  Knab  ein  Röslein  stehn «  an,  dessen  Text  er 
mittheilt,  wie  er  ihn  »aus  der  mündlichen  Sage«  behalten 
hat.  Im  Liede  selbst  schreibt  er  alle  Arfikel  aus,  aber 
gleich  danach  weist  er  eine  »Aenderiing  des  lebendigen 
Gesanges«  nach.  Er  nennt  sie  »\\)rschlag«  (Anakrusis). 
»Der  Vorschlag  ist  im  Deutschen  wie  im  Englischen 
meistens  der  dunkle  Laut  von  the  in  beidem  Geschlecht 
((/(■  Knabe)  's  statt  das  ('s  Röslein)  und  statt  ein  ein 
dunkles  ü  und  was  man  noch  innner  in  Liedern  der  Art 
mit  '  ausdrücken  könnte.  Das  Hauptwort  bekommt  auf 
solche  Weise  immer  weit  mehr  pt)etische  Substantialität  und 
Persönlichkeit  ('  Knabe  sprach  —  '  Röslein  sprach  u.  s.  w.), 
in  den  Liedern  weit'  mehr  Accent.  In  schnellrollenden,, 
gereimten  komischen  Sachen,  in  den  stärksten,  hettigsten 
Stellen  der  tragischen  Leidenschaft,  hier  am  meisten  in 
den  gedrungenen  Blankversen,  haben  Sie  es  da  nicht  ott 
bemerkt,  wie  schädlich  es  uns  Deutschen  sei,  dass  wir  keine 
Elisionen  haben  oder  tnis  machen  wollen?  Unsre  \'ortahren 


'    ]G    ^.    20\.    2\o.    2  12.    2",ti.      Hriviii    iiiiil    Hliiiirr:    »Sich    niit'ni 
Naclibar  schlagen«'.     (JG    ^,   i22). 

^  Briefe  über  Ossinn  und  die  Lieder  alter  \'öll<er  S.  57     59. 

•■•  So  verbessere  ich  das  im  Originaltext  stehende  »mit  mehr  Accent«. 


B.  SupHAN  :  Aeltere  Gestalten  Goethe'scher  Gedichte.    1 3  • 


haben  sie  häutig  und  /u  häutii:;  gehabt ;  die  Engländer  niii 
ihren  Artikehi,  mit  den  \'ocalen  bei  unbedeutenden  Wörtern, 
Partikehi  u.  s.  \v.  haben  sie  zur  Regel  gemacht:  die  innere 
Beschaffenheit  beider  Sprachen  ist  in  diesem  Stücke  ganz 
Hinerlei  .  .  .  aber  wer  unter  uns  wird  zu  elidiren  wagen? 
Unsre  Kunstrichter  zählen  ja  Silben  und  können  so  gut 
skandiren !  Sie  also,  der  kein  Kunstrichter  ist,  erlauben  in 
dergleichen  Fällen  mir  wenigstens,  mich  freiherrlichermassen 
des  Zeichens  (')  bedienen  zu  können,  nach  bestem  Belieben,  c 
Ganz  denselben  Sinn  hat  die  Stelle  in  einer  mir  vorliegenden 
älteren  Fassung,  welche,  wäe  ich  beweisen  kann,  zwischen 
Mai  70  und  April  71  niedergeschrieben  ist.  Als  Probe  wird 
da  zugleich  ein  Liedchen  von  Vanbrugh  gegeben,  in  einer 
Uebersetzung,  die  mit  verkürzten  Formen  und  Elisionen 
das  äusserste  leistet'.  In  freiherrlicher  Weise,  wie  hier, 
hat  Herder,  seinem  eigenen  \'orschlage  entsprechend,  auch 
bei  seinen  Uebersetzungen  aus  Shakespeare  die  Sprache 
behandelt. Von  Sliakespeare  hatte  er  manche  Scene^,  besonders 
Monologe,  und  auch    schon  Lieder   in  Riga    übersetzt    und 


-  N(n  an  Angel  dwells  above  aus  Vanbrughs  Provokcd  W'if'c  II.,  2. 

Droben  nicht  im   Himmelreicli 
ist  ein  Engel  halb  Ihr  gleich 
—   Himmel  weiss,  wie  s'  micli  wird  ansehn 
läciiclnd  —  ach  wie  war'  ich  froh 
aber  säur  —  doch  da  bin  *ch  so 
Himmel  weiss,  's  soll  mich  nichts  angehn. 
Str.  1.    Lieben  —  das  kann  kein  Mensch  sie  mehr 
aber  sterb"n  wer  'n  Narre  war  u.  s.  w. 

-  Eins  der  ältesten  Stücke  ist  Ariels   Lied  aus  The  Tempest  V,  3 : 

^\'o  die  Biene  saugen  thut 

in  Schlüsselblum'n  —  da  ruh  ich  gut ! 

schlupf  hinein,  wenn  die'  Eule  schreit 

rtattr'  auf  Fledermaus  Schwingen  weit  u.  s.  w. 
Vgl.    Volkslieder  I,  2,   13.     Mehrere  Apostrophirungen  sind  nachträglicli 
angebracht. 


136  Forschungen-. 


mit  auf  die  Kcisc  genommen.  An  den  I/iedern  besonders 
versuchte  er  sich  immer  von  neuem.  Die  Uebersetzungen 
aus  den  ersten  siebziger  Jahren  erkennt  man  schon  an  der 
kecken  \'er\vendiui^  des  Apostrophs. 

hl  Strassburi^  war  es,  wo  1  lerder  den  gekürzten 
I'ormen  jenen  Freibriet  ausstellte,  den  wir  überarbeitet  in 
den  Blättern  von  deutscher  Art  und  Kunst  lesen.  l-!r  wird 
in  seinen  Unterhaltungen  mit  (ioethe,  die  so  ott  Xatur- 
poesie,  Volkslied,  Wesen  der  lebendigen  Sprache  zum 
Gegenstande  hatten,  nicht  weniger  lebhaft  dafür  eingetreten 
sein.  \'on  seinem  X'orrathe  an  Uebersetzungen  theilte  er 
dem  )ungen  Freunde  manches  mit ',  darunter  auch  Lieder 
von  Shakespeare.  Von  zweien  können  wir  es  nachweisen, 
dass  Goethe  sie  schon  in  Strassburg  bekommen  hat.  »Wohl 
unter  grünen  Laubes  Dach «  singt  er  den  Darmstädter 
Freunden  im  Walde  vor,  unter  einem  dichtbelaubten  Baume, 
wo  sie  Schutz  vor  einem  Regengusse  suchen,  und  lässt 
sie  den  Chorus  singen:  »Xur  eins,  das  heisst  auch  \\'etter"!« 
Und  das  andere,  ebenfalls  aus  As  von  like  it  (IL  10) 
schwebte  ihm  vor  in  Herders  Uebersetzung,  als  er  die 
Geschichte  Gottfriedens  von  Berlichingen  dramatisirte. 
»Auf!  Ihre  Seelen  sollen  mit  dem  Morgennebel  steigen!«  — 
lässt  er  den  rasenden  Metzler  sagen  —  »Und  dann  sli'inii, 
stürm,  U'iiih'rii'inci !  und  zerreiss  sie«  u.  s.  w.  QG  2,  168). 
Das  »Lied  des  wilden  Licobs «  (Blow,  blow,  thou  winter- 
wind) fängt  schon  in  der  Kigaer  Uebersetzung  an :  »Stürm, 
stürm'  o  Winterwind  M  « 


'    Alis   Herders  Xaclilass   5,    196.     l->innerunt;en    i,  219. 

-  .\s  von  like  it  II,  ].  \'olkslicder  I,  :;,  5  in  einer  späteren 
Gestalt.  {lVaMi;cS(Ui:^.  Unter  dies  Ciri.inlaub-Dacli)  aber  noch  mit  den 
alten  »Elisionen«  (Herder  denkt  hei  der  Henennung  xugleich  an  die 
svnkopirten  Formen).     .\us  Heiders  N'achlass   v  --^^• 

?  Volkslieder  1,  ^  4.  Waldlied.  In  der  ältesten  Uebertragung 
Verse  wie:  »Ras'innner  brüirnd  ins  Land  —  Du  nagst  zwar  bitt'rlicli  auchv. 


B.  Suphan:  Aeltere  Gestauten  Goethe'scher  Gedichte.    1^7 

Die  Gründe,  mit  denen  Herder  seinen  \  Orsehla^ 
empfahl,  nuissten  tür  Cioetlie  viel  ^gewinnendes  haben.  l{r 
macht  die  Horderunuen  des  lebendigen  Gesanges ,  der 
ächten  Poesie  geltend.  Jener  verschmäht  das  Klanglose, 
diese  das  Inhaltleere.  Das  Wesen  der  Dichtkunst  ist 
bjiergie,  ist  Kratt,  das  war  schon  einer  \-on  den  Cinind- 
gedanken  des  ersten  kritischen  Wäldchens.  Die  magern 
Artikel,  die  blutlosen  FormwiJrter  sind  ihr  /uwidei'  — 
ergo:  sie  werden  hinausapostrophirt.  Hs  ist  ganz  ebenso 
gemeint  wie  für  die  Prosa  die  l'orderung :  Nur  \'ollblut- 
sätze !  keine  Uebergangsphrasen ,  keine  Umschreibungen! 
Gedankenstrich  und  Ausrut/eichen  thun  in  der  Prosa,  was 
dort  der  Apostroph  ausrichten  soll.  Wer  das  Kernhafte, 
Gedrängte,  Bedeutende  empfahl,  hatte  das  junge  Geschlecht 
tür  sich  —  und  hier  zeigte  es  sich  noch  als  ein  altes 
Hrbstück  von  deutscher  Art  und  Kunst.  Wie  wohl  Cioethe 
es  sich  zugeeignet  hat,  besonders  in  »schnellrollenden, 
gereimten,  komischen  N'ersenci,  ist  oben  angedeutet  und 
zur  Genüge  bekannt. 

Hs  war  in  dem  Umfange,  wie  Herder  sie  eingeführt 
sehen  wollte,  doch  eine  gewagte  Massregel,  und  eine 
revolutionäre  dazu.  Diese  \'erschneidLmg  der  Artikel  und 
Fürwörter  missachtete  das  historische  Recht,  missachtete 
die  Thatsache,  dass  ein  Jahrhundert  und  länger  das  Deutsche 
sich  auf  dem  Grunde  der  Schriftsprache  von  A'erfall  und 
X'erwilderung  erholt  und  tortgebildet  hatte.  Hier  sollte 
recht  nach  alter  Weise  mit  Schneiden  und  Brennen  kurirt 
werden ;  aber  die  Sprache  war  für  solche  Operationen  zu 
gebildet,  zu  empfindlich  geworden.  Herder  hat  sich  davon 
bei  Zeiten  überzeugt.  Noch  in  der  \'olksliedersammlung, 
die  er  1773 — 74  tür  den  Druck  zusammenstellte,  finden 
sich  \'erkürzungen  \'on  dci\  die,  sie,  aber  nicht  mehr  in 
den  \'olksliedern  von  1778 — 79  und  —  ich  glaube  das 
bestimmt    anireben    zu    können    —    in    den    Handschritten 


138  Forschungen. 


sclion  nicht  mehr  seit  1775.  Wie  er  seinen  Vorschlag 
aut  haltbare  Grenzen  zurückzieht,  zeigt  uns  ein  Blättchen, 
welches  \'crbesscrungen  für  den  Wiederabdruck  der  in 
dem  Büchlein  von  Deutscher  Art  und  Kunst  veröffent- 
lichten Proben  von  \'olkspoesie  enthalt.  Zu  »Röslein  auf 
der  Heiden«  ist  vermerkt,  dass  die  Zeilen  anfangen  sollen: 
«Knabe  sprach«  —  »Röslein  sprach«,  ohne  Andeutung 
des  Artikels.  Im  Klaggesange  von  der  edeln  iM'auen 
W  43.  44.  74  das  gleiche  \'erhihren.  Wenn  er  jetzt  den 
als  \'orschlag  gedachten  Artikel  (xler  auch  ein  persön- 
liches Pronomen  einfach  wegliess,  so  waren  ihm  gewiss  die 
Bemerkungen  im  Gedächtniss.  die  Lessing  über  Logau's 
Sprache  gemacht  liatte ' :  \vie  solches  »zu  einer  besondern 
Schönheit  werden«  könne  — Bemerkungen,  die  ihm  nicht 
entgangen  waren,  als  er  zu  seinen  Fragmenten  \'orstudien 
machte.  \'on  den  Abkürzungen  behält  er  nur  das  's  tür 
c'S  und  (seltner)  ihis  bei,  dieselbe,  die  auch  Klopstock 
selbst  in  den  Oden  sich  gestattet '.  Wo  aber  die  lebendige 
.Aussprache,  beim  Gesang  besonders,  die  \'erkürzung  oder 
W-rschleifung  von  selbst  vornimmt,  überlässt  er  sie,  ohne 
die  trübere  Andeutung,  dem  Leser,  wie  in  den  Zeilen 

Koinmt   Liebe,  sie  wird  siegen 
l^nd   finden  den   ^^  eg. 

in  dem  Liede  »Weg  der  Liebe«  (X'olkslieder  IL  U  i )) 
oder  in   Ariels  Lied  : 

Schlüpf   hinein,  wo  die  Eulen  sdirein   (L   2.    13) 

wo  er  früher  ilic'  Eitle  oder  </'  Iziilr  gesetzt  hatte. 


'  Schril'ten  5,  299 — 501.  (oxccrpirt  in  u-incni  Königsborger  Studien- 
licftc  Herders. 

^  Z.  B.  "s  Kind  (4,  28?)  "s  .Aug  (4,  278  im  Versantange).  "s  Un- 
geheuer (4,  535).  Die  Verlair/.Ling  von  ilie  wendet  A.  W.  Schlegel 
/u  komischer  Wirkung  an :  »Den  woiilgehörnten  Mond  d'Latern  /.' 
erkennen  gibt«.     (Somniernachtstraum    5.   1 ). 


B.  Suphan:  Aeltere  GestÄIten  Goethe'scher  Gedichte.    139 


Es  hatte  übrii^ciis  seine  ^iiten  (Gründe,  dass  Herder 
eben  zu  der  angegebenen  Zeit  \ve_uen  seines  X'orschlai^s 
bedenklich  ward  und  ihn  in  der  eigenen  Praxis  aut  ein 
bescheidenes  Mass  herabsetzte.  l:in  Freund  und  Mentor, 
dessen  Mahnungen  er  sehen  überhörte,  erhob  kräftige 
Einspräche  gegen  »die  Alcibiadischen  \'erhun/ungen  des 
Artikels;«  ja  er  bedrohte  ihn  ti'ir  diese  und  andere 
»Gräuel  der  X'erwüstung  in  .Ansehung  der  deutschen 
Sprache«  mit  einem  »törmÜchen  und  ötlenthchen  belhnn 
grammaticum«.  Das  war  in  den  letzten  Tagen  des  Jahres  74.' 
Der  gute  Hamann  wäre  im  Stande  gewesen,  die  Drohung 
in  seiner  barocken  Weise  zu  \erwirklichen ;  aber  ein 
Anderer,  dem  er  es  am  wenigsten  gönnte,  gegen  Herder 
Recht  zu  behalten ,  kam  ihm  zuvor  —  der  sinnreiche 
X'ertasser  der  »l-reuden  des  jungen  Werthers«  und  der 
'Leiden  und  hreuden  Werthers  des  Mannes«. 

Das  Büchlein  erschien  im  Januar  75  *.  Man  nimmt  es 
gewohnlich  als  eine  blos  gegen  Goethe's  Roman  geschriebene 
Parodie.  Aber  es  sind  Dinge  darin,  die  Goethe  unschuldig 
in  Kaut  nehmen  muss,  die  aut  einen  Andern  gemünzt  sind. 
Mit  Herder  war  Xict)lai  seit  dem  Sommer  74  im  Kriegs- 
zustande. Herder  hatte  ihn  in  seinem  Absagebriete  ziemlich 
unverblümt  einen  flachen  Kopt  genannt,  hatte  über  Sebaldus 
Xothankers  »Sandwüsten«  gespottet.  Der  Riss  war  längst 
vorhanden,  war  eigentlich  schon  seit  der  Aussprache,  die 
über  die  Blätter  von  Deutscher  Art  und  Kunst  stattgefunden 
hatte,  nicht  mehr    zu    heilen.     Herdei'    hatte    es    abij^elehnt, 


'  Hamann  an  Herder  d.  20.  December  1774.  (Schriften  5,  120  fg.) 
Die  -Anspielung  auf  die  .\nekdote  von  Alcibiades,  der  seinem  Hunde 
den  Schwanz  stutzen  liess,  um  den  .\thenern  /,u  reden  zu  geben,  ist 
;iclit  Hamannischer  ctvil. 

-  Nicolai  an  Lessing  d.  17.  Januar  177).  (Briete  an  l.essing  hg. 
V.  Redlich  2,  777.  Vgl.  \\.  .M.\\'erner.  Der  Berliner  W'erther.  Salzburg  1874.) 


140  Forschungen. 


den  I^oLjcn  X'on  Deutscher  Baukunst  in  Xicolai's  kritischem 
lournal  /u  besprechen  und  sich  im  (irunde  ti'ir  einxerstanden 
mit  dem  X'ertasser  erklart.  »Dass  er  übrigens  ein  Kopt 
sei,  /eii^t,  glaub'  ich,  sein  Göt::;;  von  BerJichiu^cn!  Ich  wüsste 
niciu,  welche  Marionette  \o\\  neuerm  Kunstwerk  ich  tür 
den  Gö/^  nehmen  wollte. <(  (Am  14.  August  1773)'.  »Sie 
sollten  nicht  aut  mich  ungehalten  sein«,  hatte  Xicolai 
damals  noch  ausweichend  erwidert,  »wenn  ich  nicht  recht 
■vo)i  DcitlscJjcr  Arl  bin«,  jetzt  aber  war  er  der  abgesagte 
Feind  dieser  Art  und  des  Mannes,  der  sie  aufgebracht  hatte. 
Die  Gelegenheit  war  gi^tnstig  genug,  ihm  so  nebenbei  einen 
Possen  711  spielen.  Der  lächerlichste  Lafte,  der  in  Xicolai's 
Werthergeschichte  vorkommt,  ist  ein  Herderianer.  »'s  war 
da  ein  junges  Kerlchen,  leicht  und  lüttig,  hatt'  allerleA' 
gelesen,  schwätzte  drob  kreuz  und  quer,  nciisi'  aitjgcbriichU'r- 
iiiassi')t,voin  ersten  ITiirfc,  von  rolkslicdcrn  aml  von  l.uslonsri.h'n 
Schauspielen,  ~;U'iiii~ior  jajircln'n  hnii^^  jed's  in  lirey  Miunlen 
~nsaninieno^edruckh<.  (S.  43).  Es  ist  ein  Hieb  aut  Herder's 
Abhandlungen  über  \'olkslieder  und  Shakespeare,  und  gegen 
diese  viel  mehr  und  insbesondere  gegen  die  oben  angeführte 
Stelle,  als  gegen  die  sprachliche  Cjcstalt  des  Romans  richtet 
sich  die  bis  ins  Lächerliche  getriebene  \'erschneidung  der 
Artikel  und  Fürwörter.  Hans  und  Martin,  die  Bauern,  die 
zu  Eingang  und  Schluss  das  Wort  führen,  aber  auch  Werther 
und  Lotte  und  wer  sonst  auttritt,  der  dazwischenredende 
Nicolai  nicht  ausgenommen,  sie  alle  leben,  möchte  man 
sagen,  von  halb  verschluckten  Artikeln  und  andern  kleinen 
Insekten.  Hier  nur  ein  Pröbchen,  wie  »'n  Genie«  redet. 
(S.   )6)  »s"  n'  Wort,  schrie  der  Nachbar,    'ch    seh    'r    seyd 


'  Von  und  an  Herder  i,  355.  Aut'  Herders  Seite  ist  hier  niciits 
von  der  ticieii  \'crstininuing  zu  spüren,  die,  wie  man  neuerdings  niclirtach 
angencininien  hat,  damals  /wischen  den  beiden  .\lanncrn  bestanden 
haben  soIL 


B.    StPHAN:    AeLTERE    GESTAf-Vl-N    CiOl- lllU'SCHER    GEDICHTE.      I4I 


'n  Kerl  der's  Grosse  licht.  Schaut  wie  die  l^auuic  mit  'n 
Wiirzohi  empor  Heuen,  und  wie  's  Dach  aut  d'  Seite  him^t, 
.  .  .  .  solch  'ne  Ansicht  hätte  mir  nun  keine  liworic,  wie 
s"  <\k:u  Quark  nennen,  aussinnen  können  c  Aul  wenigen 
Zeilen  eine  Musterkarte  aller  von  Herder  eniptohlenen 
»Elisionen  c(.  Der  \'ertasser  des  W'erther  ist  mit  alle  dem 
nicht  getroffen.  Hans  und  Martin  ki)nnten  allentalls  aut  die 
»deutsche  Art«  in  der  Bauern-  und  Keitknechtssprache  des 
Ciötz  von  Berlichingen  sticheln,  die  Sprache  des  Romans 
aher  yah  /u  einer  derartii^en  stilistischen  Parodie  keine 
X'eranlassung. 

Herder  muss  die  h'reuden  des  juui^en  Werther  hald 
nachdem  sie  herausgekommen  waren,  gelesen  hahen.  Im 
l-'ehruar  1775  zieht  er  den  ersten  Band  seiner  Volkslieder- 
Sammlung,  deren  Erscheinen  bereits  angekündigt  war,  aus 
der  Druckerei  zurück  und  erklärt  dem  \'erleger  seinen 
Entschluss,  zu  warten  »bis  das  Publicum  liebtreundlicher 
gestimmt  sei«.  Er  wollte  es  unter  allen  Umständen  ver- 
meiden, dem  \erachteteten  und  doch  getürchteten  (jegner 
eine  Blosse  zu  geben  '.  .Mit  seinem  Elisionsvorschlage 
hatte  er  es  ihm  leicht  genug  gemacht,  sich  Eorbeern  in 
einem  bellum  grammaticum  zu  holen.  Bei  Hamanns  Warnung 
und  Xicolai's  Hohn  musste  sich  sein  sprachretormatorischer 
Eifer  ernüchtern,  und  ohne  Zweifel  hat  er  jetzt  erst  darauf 
Bedacht  genommen,  jenen\'orschlag  nach  Massgabe  des  durch 
die  Schriftsprache  geschützten  Lautbestands  zu  ermässigen. 

Goethe  ist,  so  weit  ich  sehe,  nur  in  wenigen  Eällen 
bis  an  die  äusserste  Grenze  gegangen,  welche  die  »Blätter 
von  Deutscher  Art  und  Kunst«    zu  behaupten  wagen.     Er 


'  Von  und  an  Herder  2,  70.  71.  Hamanns  Schril'ten  3,  i2iS. 
Havm,  Herder  I,  689  t'g.  Caroline  richtet  gleichzeitig  an  den  Verleger 
die  Bitte,  er  möge  Herders  Namen  hei  Nicolai  nicht  nennen,  weder  im 
Cniten  noch  im   Bnseii. 


142  Forschungen. 


Hess  sich  \()n  seinem  nai\en  und  gesunden  Sprachiietüh! 
leiten,  die  «gelehrten  Berutun_L;en  aiit  die  altere  Sprache, 
die  Minnesäni^^er,  konnten  ihm  wenii,'  anhaben.  Jedenfalls 
sind  es  gan/^  vereinzelte  ^'ersuche,  wenn  er  auch  einmal 
du  und  die  und  ähnliches  als  Anakrusis  behandelt.  Dass 
er  das  aber  (bei  die  und  ('/'//)  noch  linde  1776  gethan  haben 
sollte,  will  mir  nicht  in  den  Sinn.  Hr  hat  sich  im  Anfange 
des  Jahres  noch  ein  Mal  recht  gründlich  an  der  alten 
liebgewonnenen  Art  geletzt,  in  »Hans  Sachsens  poetischer 
Sendung«  —  wie  hätte  er  die  anders  dichten  können,  als 
in  Hans  Sachsens  Weise  und  Sprache  —  nichts  verzierlicht 
und  nichts  verkritzelt!  Da  drängen  sich  denn  auch  unter 
alle  den  altdeutschen  Wörtern  und  Formen  die  bekannten 
Kürzungen  —  mit'n  Augen  rum  zu  scharlenzen  —  wie  e'n 
Affentanz  —  zu  's  Überfensters  Raum  —  In  (=  In  'n) 
l^-oschpfuhl  '  —  fast  noch  dichter  und  kecker  als  in  den 
Schwanken  und  dem  Puppenspiel.  Aber  es  ist  ein  Gütlich- 
thun  wie  hei  jedem  letzten  Abschiede.  Das  Gedicht  bildet 
mit  Recht  den  Schluss  des  »Jungen  Goethe«.  Wenn  wir  uns 
in  den  späteren  Gedichten  nach  Kürzungen  umsehen,  so 
linden  wir,  wie  bei  Herder,  bloss  's  tür  es  ('s  ist  leicht 
geschehen  —  Faust,  2.  Theil  IL,  1457)  und  seltener  Rü- 
den neutralen  Artikel: 

Füllest   wieder  "s  liebe  'l'hal 

in  der  ältesten  Cjestalt  des  Lieds  an  den  Mond  (1778)  und 
so  bis  zuletzt  (Faust,  2.  Theil,  II,  109(4:  Wir  schatien's 
Fisen).  Kiu'  in  humoristisch  gefärbter  Sprache  wohl  auch 
einmal  lür  sie  (Flinze,  wenig  Frz  enthaltens'  —  Gedichte 
3,  20^).  Wie  Herder,  lässt  auch  (joethe  bisweilen  die 
W-rschleikmi:   xon  die  mit  dem  nächsten  Anlaut  eintreten. 


'  J.  G.  5,  701.  704.  7(i6. 


B.  SupHAx:  Aeltere  Gestagen  GohTHE'scHEk  Gedichte.    143 


Ich  erinnere  an  die  oben  (S.  108)  ani^eluhrte  Lesart  in 
der   Oiii'  (Grenzen  der  Menschheit)  : 

Nirgends  haften 

Dann   (//V   iinsichern   Solen 

WC)  dei'  Artikel  L;an/  ebenso  mit  dem  tolijenden  W  orte 
ztisammentliesst,  wie  in  den   X'ersen  : 

Kein  Nebel   umschwebt   uns.   und  schleicht   er  sich    ein, 
Ein  Strahl   und  ein    Lüftchen,   und  d/c  Insel   ist  rein. 
(Faust.   2.    Theil,   IL,    1733). 

Wer  erinnert  sich  schhesshch  nicht,  wie  gern  Cioethe  die 
Geschlechts-  und  Ftirwörter  auslässt  und  zu  wie  schöner 
und  vielfältiger  Wirkung  !  Wie  er  dies  simple  Mittel  bald 
zum  Zwecke  der  Belebung  und  Personitication,  bald  mit 
feinen  Bezügen  auf  Ton  und  Stimmung,  immer  aber  zum 
Gewinn  des  Wohllauts  und  der  Sprache  zu  verwenden 
weiss !  Herders  \'orschlag,  tnid  gerade  die  weit-  und  i.iber- 
greifende  Fassung  desselben  und  ihre  Begründung  (S.  134) 
hat  gewiss  da/ti  mitgewirkt. 

Ich  habe  meine  eigentlich  blos  auf  die  Sicherstellung 
einer  fahreszahl  gerichtete  Untersuchung  zu  einem  Excurse 
über  eine  sprachliche  Eigenthümlichkeit  und  deren  Geschichte 
ausgedehnt,  um  ihr  einen  von  der  angeknüpften  Folgerung 
möglichst  unabhängigen  Werth  zu  verleihen.  Ich  folgere 
nämlicit  so.  Wenn  die  älteste  Niederschrift  uns  Formen 
bietet,  wie  »der  Zelten,  die  Fraue,  von  dem  Thurne«  ', 
wenn  sie  tms  eine  Behandltmg  des  Artikels  zeigt,  so  extrem, 
wie  kaum  in  den  ersten  Jahren  der  »Deutschen  Art  und 
Kunst«,  eine  Behandlung,  die  im  Jahre  1776  von  ihrem 
früheren  \'erfechter  selbst  längst  aufgegeben  war:  so  stimmt 


■  fDie  alte  Form  finde  ich  zuletzt  in  der  Dritten  ^\'alll■ahrt  nach 
lirwins  Grabe.  J.  Ci.  5,  69).  » I^er  Frauen  c  (Singular)  noch  in 
»Iphigeniav   und  »Herrmann  und   Dorotlieai'.     Gedichte  2,   120. 


144  Forschungen. 


das  alles  weit  eher  zu  des  Dichters  eigener  Angabe,  die 
den  »edelii  Gesan.L;«  dem  jähre  1775  (wenn  nicht  i^ar  dem 
X'orjahre)  /uweist,  als  zu  der  X'erleuunu  aul  Mitte  oder 
linde    1776. 

Aelter  als  man  gewc)hnlich  annimmt  (1780 — 81)  ist 
wohl  die  Ballade  Der  Sdih^cy.  Auch  sie  hat  in  der 
l:rstlin!4stürm  noch  einige  Spuren  \-on  der  alten  Art  und 
Kunst.  Herder  hat  seine  Abschritt  wohl  nach  dem  Ahuui- 
script  des  Romans  gemacht, wir  hnden  sie  (ohne  Ueberschrilt) 
nebst  A'Iignons  Lied  (Kennst  Au  den  Orl,  wo  die  (Zitronen 
blühn  ')  und  den  Liedern  des  Harfners  (Wer  sich  der 
lunsamkeit  ergiebt  —  Wer  nie  sein  Brot  mit  'Lhränen  as) 
zusammen  in  demselben  poetischen  Sammelhette,  das  ims 
die  älteste  Gestalt  der  Z//<7V//////i,'' "  aufbewahrt  hat.  Ich 
beschränke  mich  daraul ,  die  erste  und  dritte  Strophe 
mitzutheilen,  da  die  übrigen  X'arianten  meistens  mit  denen 
der  Ausgabe  vom    Ldire   1799  zusammen  fallen  -\ 

Was   hör'   ich   draussen.   vor  dem   'l'horV 
Was  schallet  auf  der  Pirücken  V 
Es  dringet  1ms   zu  meinem  Ohr 
Die  Stimme   voll   Entzücken. 


'  Ausser  dieser  cigenthünilichen  Fassung  der  ersten  Zeile  (die 
eine  Sehnsucht  nach  dem  Heimathsorte  ausspricht,  der  erst  spater  und 
vielleicht  nur  des  Wohllauts,  des  Gesanges  wegen  sich  in  «das  Land<.< 
der  Goldorangen  verwandelt  hat)  ist  an  der  alteren  l-orni  nur  das 
noch  hervorzuheben,  dass  der  Refrain  nur  die  Anrede  »o  mein  Gebietern 
(1.2)  und  »Ck'bieterc  (5)  hat.  Wie  viel  hmigkeit  ist  durch  die  zarten 
Nuancen  der  späteren  l'orni  (o  mein  (jeliebter  —  o  mein  Beschützer 
—  o  Vater)  noch  in  Mignons  Bitten  gelegt!  In  '/..  2  hat  Herders 
(Ä')pic  ;  »im  i^riiiwn  Laub«  — 

-  Mitgethcilt  in  der  älteren   Publication   .S.    19  Ig. 

5  Nur  in  der  sechsten  Strophe  hat  die  älteste  Cjestalt  Eigenes. 
'/..  2  O  Trank  von  süsser  l.abe!  Im  W.  .\1.  :  O  Trank  der  süssen 
Labe!     hi   den  Werken:    voll  süsser  Labe.  Z.    5.   /;'/   r/V/.-    O  hoch- 

beglücktes Haus!  W.  M.  :  O  drevmal  hochbeglücktes  Haus!  In  den 
Werken:   C^  wolil   dem   hochbeglückten   Haus. 


B.  Suphan:  Aeltere  GESTAiiEN  Goethe'schek  Gedichte.    145 


I  )i,'r   König  s])ra<hs.  der   l'agc   lief. 
I  )cr   Knabe   kam.   der    König  rief 
l.asst    ihn   herein   den   Alten. 

Der  Sänger  drückt  die  Augen  ein 
Und  schlug  in  vollen  Tönen 
Die  Ritter  sduiuten  nnilhig  drein 
Und  in  (\cn  ScIidos  die  Schönen. 
Der  Fürst  dem  es  so  wohl  gefiel 
Liess  ihn  zu  lohnen  für  das  Spiel 
Ein'  goldne  Kette  liolen. 

.\ni  meisten  fällt  die  Aenderun»  des  Antant^s  in  die  Alicen. 
Sie  ist  äusserst  glücklich.  \'c)n  der  Beseitigung  einer  alt- 
fränkischen Form  geht  sie  aus,  aber  nun  gelingt  zugleich 
damit  ein  echt  poetischer  Zug.  Das  Entzücken  des  Königs 
wird  nicht  mehr  beschrieben,  wir  emplinden  es  in  seinem 
dringenden  Begehren  und  Befehl ,  in  den  dahineilenden 
\'ersen;  der  Dichter  zciut  Schönheit  in  Wirkung. 


Gdktiie-Iaiirivcii  II. 


2.  Uebek  Goethe's  Erwin  und  Elmire. 


Wilhelm  Wilmanns. 


oethe's  Singspiel  Erwin  und  Elmirc  erschien  1775 
im  Märzheft  von  Jacobi's  Iris;  im  Mai  wurde  es 
in  Franklurt  aufgeführt.  Goethe  konnte  der  \oy- 
stellung  nicht  beiwohnen.  Die  verdriesshche  Wendung, 
welche  kurz  vorher  in  seinem  Verhältniss  /u  Lili  eingetreten 
war,  hatte  ihn  bewogen  sich  den  Grafen  Stollberg  auf 
einer  Schweizerreise  anzuschliessen,  um  sich  von  peinlicher 
Unruhe  zu  befreien  und  den  \'ersuch  zu  wagen,  ob  er 
Lili  entbehren  könne.  Ueber  den  Bühnenerfolg  seines 
Dramas  erbat  er  sich  Bericht  von  seiner  treuen  Freundin 
Johanna  Fahimer.  »Und  wenn  lirwin  aufgeführt  wird«, 
schreibt  er  an  sie  am  16.  Mai  (Briefe  an  Job.  Fahimer 
Nr.  XXX.,  Junge  Goethe  3,  86),  »bitt  ich  doch  um  eine 
Relation.  Denn  eine  barce  gibts  doch  —  Und  ob  Lili 
drinn  war?«  Und  bald  nachher,  am  22.  Mai  (Nr.  XXXI., 
J.G.  3,87):  »Dancke  herzlich  liebe  Tante  für  die  Nachricht 
des  herrlichen  Tragierens  .  .  Ihr  Brief  hat  uns  allen  viel 
Freude  gemacht,   Sie  haben  sehr  lebhaft  gefühlt,   und  sehr 


Wilhelm  Wilmanns:  Uebe^.Goethe's  Erwin  und  Elmire.     147 

dr.iniatiscli  cr/alilt.  Mir  wars  lieber  als  die  \'c)rstellunL; 
selbst«.     Schade,  dass  der  Bericht  nicht  erhalten  ist. 

»Ob  Lili  drinn  war«,  will  der  Dichter  wissen.  Nicht 
niu'  das  Interesse  des  Autors,  sondei'n  auch  des  Liebhabers 
war  reue.  Das  Stiick  war  ein  Ciruss  aus  der  l'erne,  er 
wollte  wissen,  ob  die  Geliebte  hin^in^,  ihn  y.u  empfangen. 
In  den  \\'ochen  der  keimenden  Neigung  war  das  Singspiel 
geschrieben  und  hatte  manchen  Zug  aus  dem  gemeinsamen 
Liebcslcben  aufgenommen.  l-!lmire  ist  w  ie  Uli  die  Tochter 
einer  VVittwe,  hübsch  und  reich,  sorglich  erzogen  und 
wohlgebildet,  \c)n  \ielen  breiern  umworben,  nicht  Irei  von 
kleinei"  Fätelkeit,  anziehend  und  abstossend  zugleich.  \\'ie 
lirwin  hatte  Goethe  gefühlt,  dass  sein  Mädchen  ihn  beherrsche 
und  nach  ihrem  Willen  leite;  auch  hatte  er  eingesehen, 
dass  seine  äussere  Lage  ihm  keinen  Anspruch  auf  ihre 
Hand  gehe,  dass  er  durch  Fleiss  und  praktische  Tüchtigkeit 
sich  eine  Lebensstellung  scharten  müsse;  hatte  wie  F.rwin 
Freunde  gefunden,  die  ihn  mahnten  und  ihm  hallen  sein 
bürgerliches  Leben  zu  gestalten. 

An  mehreren  Stellen  erinnert  das  Singspiel  deutlich 
an  andere  Dichtungen,  die  aus  demselben  Liebesverhältniss 
entsprossen,  zum  Theil  Lili  gewidmet  sind.  Wenn  Frwin, 
gekränkt  und  verbittert  ausruft  {)-])'•  «L)ie  Mädchen!  — 
Ha!  was  kennen,  was  fühlen  die!  Ihre  Fitelkeit  ist's,  die 
sie  etwa  höchstens  einigen  Antheil  an  uns  nehmen  lässt. 
Uns  an  ihrem  Triinnphw^agen  auf  und  abzuschleppeii!«  so 
stellt  die  erste  Scene  der  Claudine  von  \'illa  l^tlla  Lili  in 
solchem  'Friumphzuge  dar:  «Kleine  Kinder  gehen  voran 
mit  l^lumenkörben  und  Kränzen ;  ihnen  folgen  Mädchen 
und  Jünglinge  mit  Früchten ;  darauf  kommen  Alte  mit 
allerlei  Gaben.  Endlich  erscheint,  getragen  von  vier  Jüng- 
lingen, auf  einem  mit  Blumen  geschmückten  Sessel,  Donna 
Claudina  (=  Lili).  Die  herabhangenden  Kränze  tragen  vier 
andere    lünghnge,   deren    erster  rechter  Hand,    Don  Pedro 


148  Forschungen. 


(=  (jocthc)  ist«  '.  —  An  der  angeführten  Stelle  fäiirt 
Erwin  fort:  »Wenn  sie  Langeweile  haben,  wenn  sie  nicht 
wissen,  was  sie  wollen,  da  sehnen  sie  sich  trevlich  nach 
etwas;  und  dann  ist  ein  Liebhaber  oder  ein  Hund  ein 
willkommenes  Cjeschöpl.  Den  streicheln  und  halten  sie 
wohl,  bis  es  ihnen  einfällt,  ihn  /u  wecken,  und  von  sich 
zu  stossen ;  da  denn  der  arme  Teufel  ein  lautes  Gepelfere 
verführt,  und  mit  allen  Pfotchen  kratzt,  wieder  gnädig 
aufgenonnnen  zu  werden  —  und  dann  lasst  ihnen  einen 
andern  Gegenstand  in  die  Sinnen  fallen,  auf  und  davon  sind 
sie,  und  vergessen  alles«.  So  vergleicht  Goethe  in  Lilis 
Park  (S.  188)  sich  mit  dem  Bären  in  Lilis  Menagerie,  der 
unwillig  über  die  Gunstbezeugungen,  die  sie  andern  Thicren 
gewährt,  knurrend  davon  trollt,  ins  dunkelste  Gebüsch  hin, 
und  sich  dort  halb  todt  kaut,  weint  und  wälzt,  bis  er  auf 
einmal  aus  der  Laube  ihre  liebe,  liebe  Stimme  hört,  und 
über  Büsche,  über  Sträuche  zu  ihren  Füssen  eilt.  -i^Sie  streicht 
ihn  mit  den  Füsschen  übern  Rücken ;  er  denkt  im  Paradiese 
zu  sein.  Wie  ihn  alle  sieben  Sinne  jucken  !  und  sie  sieht 
ganz  gelassen  drein«.  —  Erwin  klagt:  »Unterhalten,  amusirt 
wollen  sie  sevn ,  das  ist  alles.  Sie  schätzen  dir  einen 
Menschen,  der  an  einem  fatalen  Abende  in  der  Karte  mit 
ihnen  spielt,  so  hoch,  als  den,  der  Leib  und  Leben  für  sie 
hingibt«.  Dieselbe  Scene  hat  der  Dichter  in  dem  Lied  an 
Belinde  im  Auge; 

Bin   ichs  noch,  den   du  bei   so   vif   Licinern 

An   dem  S])ieltis(h   liältstV 

Oft  so  unerträglichen  (lesichtern 

(>egenüber  stellst  V 

Aber  trotz  dieser  deutlichen  Beziehungen  besteht  die 
Aelmliclikeit  zwischen  der  Welt  des  Singspiels  und  Goethe's 

'  Uebcr   die  l^czicliunn  .luf  Lili  und  Ciocthe  s.     fni  ncu<:n  l^eicli 
187.S.  I..  4cSi. 


Wilhelm  WiLMANNS:  Ueber'Goethe's  Erwin  und  Elmire.     149 


Leben  mehr  in  lün/elheiten  und  dem  Allgemeinsten  d<jv 
äusseren  Situation  als  in  der  Gleichheit  der  wesentlichen 
Characterzüge.  Wir  \  ermissen  in  Erw  in  namentlich  Goethc's 
jugendlich  frischen  Lebensmuth  ,  in  Hlmire  des  Lebens 
fröhliches  Behagen.  Lrw  in  hat  keinen  Tropfen  Blutes  von 
Crugantino,  LJmirens  weiche  Sentimentalität  stinnnt  nicht 
zu  der  strahlenden  Heiterkeit  der  Claudine  und  Lili.  Das 
kleine  Drama  ist  nicht  aus  Goethe's  Leben  allein  erwachsen; 
in  einen  gegebenen  Stoff  und  ältere  Ik'arbeitung  ist  sein 
Lebensreis  erst  nachträglich  eingeimpft.  Die  Operette  ist 
älter  als  sein  traulicher  W-rkehr  mit  Lili.  Wie  wir  aus 
Lavaters  Tagebuch  wissen,  las  Goethe  schon  auf  jener 
bekannten  Rheinreise  des  Sommers  1774  daraus  vor,  und 
Goethe  selbst  gibt  in  Dichtung  und  Wahrheit  (23,  95)  an, 
sein  Werk  sei  aus  Goldsmiths  liebenswürdiger,  im  »Land- 
prediger von  W'akefield«   eingefügter  Romanze  entstanden. 

Alles  dies  ist  hinlänglich  bekannt,  aber  verborgen 
liegt  der  eigentliche  Ursprung  des  Stückes,  der  Anlass, 
den  Goethe  hatte,  die  Romanze  dramatisch  zu  gestalten. 
Goedcke  (Goethe's  Leben  und  Schriften  S.  133)  vermuthete, 
das  Singspiel  sei  nicht  all  zu  lange  nach  der  Wetzlarer 
Zeit  begonnen,  denn  schon  in  Strassburg  habe  er  durch 
Herder  den  Landprediger  kennen  gelernt  und  seitdem 
werth  gehalten ;  in  den  Briefen  nach  der  Wetzlarer  Zeit 
aber  werde  seiner  nicht  mehr  mit  innerer  Freude  gedacht. 
Ich  glaube,  dass  diese  W-rmutlumg  das  Richtige  trifh. 
Der  erste  Entwurf  gehört  in  den  Winter,  der  aut  den 
Wetzlarer  Aufenthalt  folgte,  das  Stück  sollte  ein  Hochzeits- 
gedicht für  Herder  werden. 

Aeussere  Beweise  für  diese  H\pothese  giebt  es  nicht; 
der  \'ersuch  sie  aus  der  Dichtung  darzuthim,  ist  misslich, 
da  spätere  Absichten  und  andere  Verhältnisse  den  Dichter 
veranlasst  haben,  den  Plan,  wie  er  ursprünglich  ausgeführt 
oder    entworfen    war,    zu    verlassen.     Aber    auch    in    dem 


I5Ü  FORSCHUNGUN. 

jüngeren  Bau  treten  an  einigen  Stellen  die  alten  Linien 
noch  deutlich  i^eiiui;  hervor,  um  eine  \'ermuthun,i^'  über 
ilire  erste  Bestimmunii;  zu  gestatten. 

Herder  hatte  in  Strasshuri;,  zugleich  mit  dem  jüngeren 
1-reunde,  den  Landprediger  gelesen ,  »wohl  schon  zum 
vierten  \Lile«,  wie  er  an  seine  Freundin  schreibt,  (Herders 
Lebensbild  3,  i,  276).  Er  verspricht  ihr,  wenn  sie  in  der 
Lectürc  davon  sei,  einen  kleinen  Beitrag  zu  schicken,  der 
dem  Uebersetzer  niissrathen  sei  (280)  und  sendet  später 
wenigstens  den  Anfang  eben  jener  Komanze,  die  Goethe 
seinem  Singspiel  zu  Grunde  legte  (363).  Zu  wiederholten 
Malen  linden  wir  dann  in  den  Briefen  Hindeutungen  auf 
Personen  und  einzelne  »Herzenssprüche«  des  Romanes, 
die  Herder  besonders  schätzte. 

Es  war  ein  anziehender  Gedanke,  die  Lebensschicksale 
des  Freundes  mit  diesem  Werke  zu  verschlingen,  wie 
Goethe  die  Darstellung  seines  eigenen  Strassburger  Lebens 
mit  Rücksicht  auf  Figuren  und  Situationen  im  Landprediger 
gestaltete.  Die  Aehnlichkeit  zwischen  der  Romanze  und 
dem,  was  Herders  Leben  bot,  scheint  zwar  zunächst 
gering.  Angelina,  die  Tochter  eines  vornehmen  iMannes, 
hat  Edwins  treue  Liebe  verschmäht ;  durch  Härte  und 
Laune  hat  sie  ihn  gekränkt  und  in  die  Einsamkeit  getrieben. 
Bald  macht  sie  sich  \'orwür{e,  flieht  selbst  die  Welt  und 
irrt  in  Männerkleidung  in  die  \\'ildniss.  Dort  tritit  sie 
den  Geliebten  als  lünsiedler.  Ohne  ihn  /u  erkennen, 
erleichtert  sie  vor  dem  frommen  Maiin  durch  ein  Geständnis 
ihrer  Liebe  und  \'ergehen  das  bedrängte  Herz.  Das  Be- 
kenntnis führt  zur  Erkennung  und  liebenden  Vereinigung.  — 
So  war  Herders  Liebe  nicht  \erlauten.  Seine  Karoline 
war  ein  Mädchen  von  geringer  Herkunft,  eine  arme  Waise, 
die  im  Hause  ihres  Schwagers  ein  bedrücktes  Leben  führte. 
Der  Eindruck,  da-i  Herder  auf  das  Mädchen  machte,  war 
bedeutender  als  der  ihre  auf  ihn.    Karoline  war  es  zunächst. 


Wilhelm  Wilmanns  :  ÜKBER.GohTHE's  Erwin  und  Elmire.     1 5 1 


die  sich  mit  ganzer  Liebe  und  \'erehrui\u  an  ihn  hing; 
/u  allen  Zeiten  war  sie  weit  davon  entlernt,  ihn  durch 
Laune  und  Härte  quälen  zu  wollen;  nie  hat  sie  den 
Geliebten  von  sich  gestossen,  nie  durch  ein  Bekenntniss 
solcher  Schuld  ihn  wieder  zu  gewinnen  brauchen.  Nicht 
in  dem  Ganzen  des  \'erhältnisses,  das  viel  eher  Beziehung 
auf  Goethe  und  Lili  gestattete,  konnte  die  Anknüpfung 
liegen,  sondern  nur  in  Einzelnem. 

Von  den  Strophen,  in  denen  Edwins  Liebe  geschildert 
wird,  mag  die  Erfindung  ausgegangen  sein.  Angelina 
erzählt  von  seinem  schüchternen  Werben : 

Auch  Edwin  naht  in  Liebe  sich, 
Doch  sprach  von  Liebe  nie. 

Er  trug  ein  schlicht  einfach  (Jewand. 
Nicht  Macht  noch  Gut  hat  er: 
Nur  Tugend  hatt'  er  und  Verstand, 
Doch  wünscht  i<h  auch  niclits  mehr. 

L'nd  wenn  er  mir  in  \\  aldeskluü 
Der  Liebe  Lieder  sang, 
Lieh  er  dem  Weste  süssen  Duft. 
.\Lisik  dem  Bergeshang. 

Die  zweite  Strophe  lässt  sich  wohl  aut  Herder  beziehen ; 
aber  sie  ist  zu  allgemein ,  sie  beweist  nichts.  Bemerkens- 
werther ist  die  letzte.  Wer  Goethe's  Satvros  im  Gedächt- 
niss  hat  und  Scherers  Auslegung,  wird  sogleich  sich  jener 
Scene  erinnern,  wo  der  Satyr  Herder  in  der  Waldeinsam- 
keit die  liebesbange  Natur  mit  Sang  und  Llöte  letzt  und 
Fsyches  Herz  tun  strickt.  Es  waren  die  ersten  Stunden 
der  Bekanntschaft,  die  hier  bezeichnet  werden,  gemeinsame 
Spaziergänge  in  der  Nähe  Darmstadts.  In  den  Briefen 
ist  oft  davon  die  Rede.  Herder  schreibt  von  dem  Walde 
der  Easanerie,  wo  sie  sich,  er  und  seine  unschuldige  Psvche, 


152  Forschungen. 


zusammenfanden,  sangen  und  sprachen  und  sich  die  ersten 
Accente  einer  Empfindung,  die  sich  ganz  ohne  Bewustsein 
meldete,  einander  stammelten  (Lebensb.  3,  i,  53).  Karoline 
verehrt  diesen  Ort  als  eine  geheiligte  Stätte,  und  sie 
versäumt  nicht,  es  dem  Freunde  /u  melden,  als  sie  das 
erste  Mal  nach  seiner  Abreise  mit  Merck  hinausgezogen 
war,  dort  die  Lieder  der  Minnesänger  zu  lesen  und  ihrer 
wahren  Herzenssprache  zu  lauschen.  Noch  nach  Herders 
Tode  gedenkt  sie  dieses  Ortes  und  der  glücklichen  Stunden. 
Sie  erzählt  in  den  Erinnerungen  (I,  154)  von  den  ersten 
Tagen  der  Bekanntschaft,  wie  sie  Herder  fast  jeden  Nach- 
mittag in  den  Wohnungen,  in  kleinen  Gesellscliaften,  oder 
auf  den  angenehmen  Spaziergängen  der  nahen  Wälder  um 
Darmstadt  gesehen  habe.  »Statt  dass  wir  ihn  unterhalten 
wollten,  unterhielt  er  uns  auf  die  mannigfliltigste,  geist- 
vollste Weise  .  .  Aus  Klopstocks  Messias  die  schönsten 
menschlichen  Scenen,  aus  Klopstocks  Oden,  aus  Kleist 
(seinem  und  meinem  Lieblingsdichter),  aus  den  Minnesängern 
las  er  uns  vor.  Unvergesslich  ist  mir  die  Darmsiädier 
Fasanerie,  wo  er  in  der  Stille  des  Waldes,  in  der  feierlichen 
Einsainkeit  des  Orles  Klopstocks  Ode '  .•  »Als  ich  unter  den 
Menschen  noch  luanc  —  ;;///  seiner  seelenvollen  Stimme  ans 
dem  Gedächtniss  ;vr///r/^^((.  Als  Goethe  später  in  den  Darm- 
städter Kreis  trat,  lernte  er  natürlich  diese  Plätzchen  und 
ihre  Bedeutung  für  Herders  Liebe  kennen.  Die  Situation 
konnte  leicht  die  Erinnnerung  an  die  Romanze  wecken,  und 
ihre\'erschmelzun^mit  dem  Leben  desl'reundes  veranlassen. 


'  S.  Schcror,  Goclhc's  Frühzeit  S.   50  Anni. 

^  Auch  Herder  in  einem  Briete  vom  Juli  1771  gedenkt  der  Aus- 
fahrt in  die  Fasanerie  (Aus  Herders  Nachlass  3,  81),  aber  etwas  anders: 
»Sie  waren  ein  taubes  Mädchen,  icli  kannte  Sie  noch  nicht :  aber  als 
Sie  die  Arie  anfini::en  im  Walde  (ich  sass  auf  der  Erde):  »Als  ich 
unter  den  Menschen  noch  war«  —  das  Bild  ist  mir  immer  wieder 
zurückgekommene'.     \'gl.  auch   5,   140. 


Wilhelm  Wilmanns:  Ueber <GoErHE's  Ekwin  und  Elmike,     153 


»Konnte!«  Aus  der  Möi^lichkcit  der  Ucbcrtragunu 
folgt  nicht,  dass  sie  wirklich  stattgefunden  habe.  Dem 
Nachweise,  dass  Goethe  die  \'erbindung  vollzog,  können 
überhaupt  nicht  S(.)lche  Punkte  dienen,  in  denen  die  drei 
in  Betracht  kommenden  Factoren :  das  Singspiel,  die  Ballade 
und  Herders  Leben  übereinstimmen,  sondern  nur  solciie, 
in  denen  der  Dichter,  um  den  ^'erhältnissen  des  Freundes 
sich  zu  nähern,  \c)n  der  Ballade  abwich. 

Besonders  anziehend  ist  in  dieser  Beziehiuig  die  Er- 
kennung der  Liebenden.  In  der  Ballade  ist  ihre  \'ereinigung 
unmittelbar  mit  dem  Geständniss  Angelinas  gegeben;  sobald 
Erwin  erkennt,  dass  er  die  Geliebte  vor  sich  hat,  schliesst 
er  sie  in  seine  Arme.  Anders  der  Erwin  des  Singspiels. 
Er  ist  von  der  Ankuntt  Elmirens  unterrichtet,  er  legt  das 
Gewand  des  Einsiedlers  an,  um  ihr  fremd  zu  bleiben;  er 
hält  sich  selbst  da  noch  zurück,  als  er  das  Geständniss  der 
Liebe  aus  ihrem  Munde  empfangen  hat.  »Erwin  zieht 
eine  Schreibtafel  heraus,  schreibt  mit  zitternder  Hand  einige 
Worte,  taltet  sie  zusammen  und  gibt  sie  ihr.  Sie  will  es 
aufmachen,  er  hält  sie  ab,  und  macht  ihr  ein  Zeichen  sich 
zu  entfernen«.    Erst  in  einiger  Entfernung  soll  sie  es  öffnen. 

Niemand  wird  das  Benehmen  des  Eremiten  anders 
als  seltsam  finden.  Die  Scheinmotivirung  des  Dichters, 
der  fromme  Mann  habe  das  Gelübde  gethan,  einige  Monate 
kein  Won  zu  reden,  gilt  nur  für  Elmire,  nicht  für  den 
Zuschauer,  Erwin  selbst  hat  solch  Gelübde  nicht  gethan. 
Auch  das  lallt  auf,  dass  Erwin  das  Gewand  des  Einsiedlers 
erst  anlegt,  als  Elmire  naht.  Warum  lässt  ihn  der  Dichter 
dieses  Kleid  nicht  als  das  gewöhnliche  tragen,  wie  es  den 
Verhältnissen  angemessen  war  und  der  Ballade  entsprach  ? 
Es  ist  klar,  dass  der  Dichter  für  diese  Erfindungen  besondere 
Gründe  gehabt  haben  muss. 

Er  fand  sie  in  Herders  Leben.  Yon  Herder  galt  das 
Wort,    »auch  Erwin    naht  in  Liebe    sich,    doch  sprach  von 


154  Forschungen. 


Liebe  nie«.  Karoline  tühlte  sich  ihm  längst  nahe,  aber 
Herder  mied  bestimmte  iirklärung  ;  sie  genoss  im  täglichen 
\'erkehr  mit  ihm  ein  nie  emptundenes  Gliick,  aber  auch 
unbeschreibliclie  Wehmuth  und  Schwermuth.  Endlich  am 
2).  August  entschloss  er  sich  zu  einem  entscheidenden 
Schritt,  in  den  frühen  Morgenstunden  seines  Geburtstages 
gelobte  er  dem  Mädchen  innige,  treue  Freundschaft.  Aber 
in  seltsamer  Weise:  brieflich,  und  doch  ohne  Boten;  von 
Angesicht  zu  Angesicht,  und  doch  ohne  Bekenntniss  des 
Mundes.  »Den  25.  August«,  berichtet  Karoline  in  den 
Erinnerungen,  »feierten  wir  Herders  Geburtstag  in  dem 
kleinen  Kreise  der  Freunde,  bei  Mlle.  Ravanell  im  Schloss ; 
da  gab  er  mir  seinen  ersten  Brief  .  .  ach  ich  empting  mit 
diesem  Brief  das  heiligste,  was  diese  Erde  für  mich  hatte! 
ich  konnte  nur  Gott  und  ihm  danken«,  (^'gl.  auch  Nachlass 
3,  126).  In  der  Darstellung  dieser  \'erlobung  fand  Goethe 
anmuchigen  Stoft'  für  ein  Hochzeitsgedicht;  er  verwandte 
einen  auffallenden,  gewiss  so  manches  Mal  belachten  Zug 
aus  dem  Leben  des  Freundes  in  treundlich  neckischer  Weise. 
Auch  die  andere  auffallende  und  von  der  Ballade 
abweichende  Erfindung,  dass  Erwin  das  Gewand  des  Eremiten 
nur  als  Hülle  und  Maske  braucht,  erklärt  sich  als  xAnspielung. 
Obschon  nämlich  Herder  von  Anfang  an  einen  ungewöhn- 
lichen Eindruck  auf  Karoline  gemacht  hatte,  überwältigend 
wirkte  er  auf  sie  erst  im  geistlichen  Gewände.  Dem 
Prediger  stanmielte  sie  ihren  Dank  und  im  Dank  ihre  Liebe. 
»Am  19.  August  predigte  Herder  in  der  Schlosskirche. 
Ich  hörte  die  Stimme  eines  Engels  und  Seelenworte,  wie 
ich  sie  nie  gehört !  .  .  zu  diesem  grossen,  ein/igen,  nie 
empfundenen  Eindruck  habe  ich  keine  Worte  —  ein  Hinnii- 
lischer  in  Menschengestalt  stand  er  vor  mir.  —  Den  Nach- 
mittag sah  ich  ihn,  stammelte  ihm  meinen  Dank  .  .  von 
dieser  Zeit  an  waren  unsere  Seelen  niu'  Eins  und  sind 
Eines«.    (Vgl.  Lebensb.  3,   1,124.   M^-   ^9^-)    Worüber  mag 


W'lLHHLM  WiLMANNS:    UeBHR«GoETHE'S  ErwiN  UND  ElMIHU.        IJ) 

Herder  i^cprcdi^t  haben?  die  lipistel  des  S()iinta_i;s  (des 
/.ehnten  nach  Trinitatis)  stellt  i.  Korinth.  12,  i— ii:  »^  on 
den  geistlichen  Gaben  aber  will  ich  euch,  lieben  Brüder, 
nicht  verhalten.  Ihr  wisset,  dass  ihr  Heiden  seid  gewesen, 
und  hingegangen  /u  den  stinnmen  Gtn/en,  wie  ihr  getühret 
wurdet.  Darum  thue  ich  euch  kund,  dass  niemand  Jesum 
\erfluchet,  der  durch  den  Cieist  Gottes  redet«.  Welch 
herrlicher  Anlang  tür  llerder!  —  Und  nachher  \-.  4.  »Hs 
sind  mancherlei  Gaben;  aber  es  ist  Hin  Geist.  Und  es  sind 
mancherlei  Krake;  aber  es  ist  Hin  Gott,  der  da  wirket 
alles  in  allen«.    "Li  /.itl  -jür. 

In  den  äusseren  \'erhältnissen  Hrwins  gestattet  manches 
Beziehungen  aut  Goethe,  anderes  und  bedeiuenderes  weist 
aul  Herder:  die  Unentschlossenheit,  das  Abbrechen  Ireund- 
licher  Beziehungen  zum  Hofe,  sorglich  verholene  Hiebe 
und  selbstquälerischer  Hiebesschmerz.  Hlmirens  Mutter 
C)lvmpia  schildert  sein  Wesen  in  der  ersten  Scene:  »Jetzt 
da  der  junge  Hrwin,  der  hat  auch  solche  Knöpie,  es  war 
ihm  nirgends  wohl  .  .  Ich  begreils  nicht,  was  ihn  bewogen 
haben  kann,  aut  einmal  durchzugehen.  Keine  Schulden 
hatte  er  nicht,  war  sonst  auch  ein  Mensch  nicht  zur 
.Vusschweiiung  geneigt.  Nur  die  Unruhe,  die  Unzufrieden- 
heit mit  sich  selbst  ists,  die  ihn  ins  Hlend  stürzt  .  .  Hr 
wird  herumirren,  er  wird  Mangel  leiden,  er  wird  in  Noth 
kommen,  er  wird  kümmerlich  sein  Brod  verdienen,  wird 
luuer  die  Soldaten  gehen.  Hr  war  ein  lieber,  guter  Junge. 
Sonst  so  still,  so  sanft!  Wie  beliebt  war  er  bei  Hofe! 
Seine  Geschicklichkeit,  sein  Hleiss  ersetzte  den  .\Hmgel 
eignes  Vermögens.  Hätte  er  warten  können  !  Ihm  würd' 
es  an  \'ersorgung  nicht  gelehlt  haben.  Ich  begreile  nicht, 
was  ihn  zu  dieser  Hntschliessung  gebracht  hat.«  Diese 
Unruhe,  diese  Unzufriedenheit,  »das  Missbehagen  an 
seiner  Stellung  und  der  ungläubige  Unmuth  über  sein 
Schicksal«,    waren    Herder    in    hohein    Masse    eigen.     Sein 


156  Forschungen. 


\'crhaltcn  wahrend  der  Jahre  der  Liebschaft  forderte  ein 
ähnliches  Urtheil  ver.ständii^er  Mensclien  heraus.  Als  er 
Karoline  kennen  lernte,  stand  er  in  Diensten  des  Herzogs 
von  Holstein-Eutin,  dessen  Sohn  er  auf  Reisen  begleitete. 
;)Hr  genoss  in  hohem  Grade  den  Beifall  der  fürstlichen 
Eltern,  ihre  Zufriedenheit  und  Gnade«;  aber  schon  ehe  er 
die  Reise  antrat,  fühlte  er  sich  in  seiner  Stellung  unbe- 
haglich, und  erbat  sich  die  Hrlaubniss,  auch  während  der 
Reise  um  seinen  Abschied  bitten  zu  dürfen.  Am  Tage 
vor  seiner  \'erlobung  traf  er  eine  gewisse  Entscheidung, 
indem  er  eine  WKation  des  Grafen  Wilhelm  von  Bückeburg 
wenigstens  vorläufig  annahm.  Einige  Wochen  später,  von 
Strassburg  aus,  löste  er  dann  sein  Eutiner  \'erhältniss, 
kehrte  aber  nun  nicht  wieder,  die  Ereundin  nach  Bückeburg 
zu  führen ,  wie  man  hätte  erwarten  dürfen  und  er  selbst 
später  gethan  zu  h.aben  wünschte  (Nachlass  3,  391.  379), 
sondern  blieb  ohne  Amt  und  ohne  Subsistenzmittel  in 
Strassburg,  unterwart  sich  einer  langwierigen  Kur,  und 
machte  Schulden,  die  zum  Theil  der  Grund  waren,  dass 
die  \'erbindung  mit  Karoline  so  lange  hinausgeschoben 
werden  musste.  —  Auch  Herders  Liebesstimmung  klingt 
aus  Erwins  verzweifelten  Klagen  wieder.  Auch  Herder, 
so  wenig  Ursache  er  dazu  hatte,  zweifelt  an  Karolinens 
Gegenliebe,  plagt  sich  mit  dem  Gedanken,  ob  er  ihrer 
würdig  sei,  findet  Kälte  und  Gleichgiltigkeit  in  ihrem 
Wesen,  das  doch  ganz  Hingabe  war  (Lebensb.  3,  i,  154  ff. 
192.   305.  u.  a.). 

Wie  Erwin  an  Herder  erinnert,  so  Elmire  an  Karoline. 
Ihr  sehnendes  \'erlangen,  die  thränenreiche  Sentimentalität, 
ihr  verzagtes  fremden  Trostes  bedürftiges  Herz  hat  sie 
von  Karoline;  Lili  sind  diese  Züge  fremd.  Auch  das 
entspricht  Karolinens,  nicht  Lili's  Leben,  dass  EJmire  ihre 
Liebe  in  sich  verschliesst  und  nicht  einmal  der  Mutter 
ihre  Liebe    und    ihre  Qual  zu  xerti'auen  wagt.     So  nuisste 


Wilhelm  Wilmanns:  UeberjGoethe's  Erwin  und  ELiMiuE.     157 


auch  Karolinc  ihre  1-rciindschalt  bcr_ucii:  selbst  der  Schwcsicr, 
in  deren  I  Luise  sie  lebte,  und  der  sie  zärtlich  /.ui;eth.\n 
war,  wurde  das  \'erhältniss  nicht  Ljan/  enthüllt  (Nachlass 
^,  25),  und  dem  Schwager  theilte  sie  es  erst  nach  zwei 
Jahren  mit,  und  nur  im  Augenblick  heftiger  Gemiiths- 
wallung. 

In  anderen  He/iehungen,  in  der  äussern  Lage  und 
dem  übermüthigen  \'erhalten  gegenüber  dem  Geliebten, 
stimmt  l:lmire  mehr  zu  Goethe's  Lili,  zugleich  aber  auch, 
was  beachtenswerth  ist,  zu  der  Angelina  der  Ballade.  l:s 
mag  daher  unentschieden  bleiben ,  ob  Goethe  in  dem 
ursprünglichen  hjitwurt  diese  Züge,  seiner  Quelle  tolgend, 
beibehielt,  oder  ob  er  sie  in  der  späteren  Bearbeitung  seinen 
eigenen  Erfahrungen  gemäss  einfügte.  Nur  einige  Stellen 
gemahnen  an  Karolinens  äussere  Lage.  Li  dem  Hause 
des  Geheimraths  Hesse  fehlte  der  rechte  Lriede;  die  Gatten 
harmonirten  nicht,  es  kam  oft  zu  verdriesslichen  Auftritten, 
Karoline  war  ihrem  Schwager  innerlich  fremd,  und  oft 
verlangte  es  sie,  diesem  gestörten  Hauswesen  sich  zu 
entziehen  (Nachlass  3,  121.  210.  309.  —  46.  68.  315.  318. 
327.  334.}.  Diesem  Zustande  entspricht  es  wohl,  wenn 
Olympia  Llmiren  warnt:  »Nui'  nicht  aus  der  Welt  lauten, 
das  \erbitt  ich  mir«  (5*^9);  '-'ii'-^  wenn  sie,  den  Frieden 
und  die  breiheit  ihres  Hauses  rühmend,  ausridt:  »Wenn 
dir  eine  Ratte  durch  den  Kopf  läuft,  dass  du  einen  Morgen 
nichts  reden  magst,  oder  bei  Tische  das  Maul  hängst,  sag' 
ich  da  was  drüber?  Hat  man  jemals  eine  schönere  Haus- 
haltung gesehen,  als  unsere,  da  man  einander  aus  dem 
Wege  geht,  wenn  man  üblen  Humors  ist?«  (505).  — 

Ausser  den  beiden  Hauptpersonen,  den  einzigen  in 
Goldsmiths  Ivomanze,  treten  bei  Goethe  noch  zwei  andere 
auf,  die  Mutter  Olympia,  und  der  Vertraute  Bernardo. 
Olympia,  ninunt  man  an,  sei  nach  Gcx'the's  eigner  Mutter 
gezeichnet.     Li    der  'Lhat    ist   es   wohl    glaublich,    dass  die 


158  Forschungen. 


hausbackenen  Ik'trachtiingen  über  moderne  l^ilduny  und 
Her/ens\-erxärtelung  dem  Sinne  und  den  Anschauuni^en  der 
Frau  Rath  gemäss  sind,  und  jedenfalls  bezieht  sich  das 
Meiste,  was  in  dieser  Scene  über  l-dmirens  \'erhältnisse 
gesagt  wird,  auf  Lili,  nicht  aul'  Karoline.  Aber  doch  nur 
das  Meiste,  nicht  alles.  Auch  diese  Scene  und  die  b'igLu- 
der  Olympia  muss  schon  indem  altern  Entwurf  vorhanden 
gewesen  sein,  so  sehr  sie  auch  später  xerändert  sein  mag. 
Wäre  Goethe's  Erfindung  von  seiner  Mutter  ausgegangen, 
sowohl  die  äussere  Stellung  der  OKmpia,  als  auch  ihr 
inneres  Verhältniss  zu  den  Hauptpersonen  wäre  ein  anderes 
geworden.  Nur  in  der  eisten  Scene  tritt  sie  auf,  sie  bleibt 
ganz  ausserhalb  der  Handlung,  weil  ihre  Beschränktheit 
cmen  tiefern  Antheil  nicht  gestattet.  »Diese  Mutter«, 
seutzt  Elmire,  »vermöchte  mir  nicht  zu  helfen  mit  all  dem 
wahren  Antheil  an  meinem  innersten  Herzen.  Wie  viele 
Eltern  verkennen  das  Wohl  ihrer  Kinder,  und  sind  für 
ihre  dringendsten  Empfindungen  taub«.  So  hätte  Goethe 
mit  Bezug  aut  seine  Mutter  wohl  nicht  geschrieben.  In 
dem  altern  l:ntwurf  vertrat  Olvmpia  Karolinens  \'erwandt- 
schalt,  sie  war  das  Zeichen  für  die  einsame  Verlassenheit 
des  liebenden  Mädchens.  Weim  man  sie  aul  eine  bestinnnte 
Person  beziehen  soll,  so  wird  man  zunächst  an  Karolinens 
Schwester  denken.  Viele  Stellen  in  den  Briefen  an  Herder 
zeigen,  dass  sie  dieser  Schwester  auls  herzlichste  zugethan 
war,  dass  sie  bei  ihr  wahren  Antheil  an  ihrem  innersten 
Herzen  hmd,  sie  nennt  sie  das  beste,  beste  Herz,  aber 
doch  \erschieden  in  der  Denkungsart  oder  E.mpfindung 
(Nachlass  3,  24)). 

Edne  bedeutendere  Rolle  spielt  Bernardt),  der  freund- 
liche \'ermittler,  der  die  unglückliche  Elmire  tröstet,  den 
verzagten  Einsiedler  aufsucht  und  autrichtet,  der  das  Wohl 
beider  im  Herzen  trägt,  und  ihre  Begegnung  in  de)- 
l'jnsamkeit    herbeitührt.     In    ihm    ist    Merck    \-erherrlicht. 


Wilhelm  Wilmakns  :  UEBEi^tiOETHE's  Erwin  und  Elmire.     159 


Goethe  hat  Jas  Bild  des  Mannes,  der  ihm  damals  auN 
engste  befreundet  war,  <j;an/  so  gexeichnet,  wie  er  ihn- 
erschien,  autrichtig  wohlwollend  und  interesselos.  Merck 
war  der  Mitwisser  und  \'ermittler  in  Herders  Liebe.  Noch 
am  Mori^en  der  Abreise,  am  27.  August,  hatte  er  den 
Liebenden  eine  X'iertelstunde  bereitet,  wie  sie  ihnen  noch 
nicht  y.u  Theil  geworden  war.  Lr  hatte  es  \eranstaltet, 
dass  sie  sich  in  seiner  Wohnung  traten,  »in  dem  Augen- 
blick der  Trennung  zum  erstenmal  allein!«  (Erinnerungen 
I,  157).  Nach  Herders  Abreise  schützte  er,  als  Vertrauter 
beider,  das  Geheimniss  des  ^'erkehrs,  tröstete  die  Linsame 
und  besorgte  die  Briefe,  selbst  da  noch  als  der  Geheimrath 
bereits  um  die  A'erlobung  wusste,  denn  Karoline  wollte 
diesem  die  Briefe  nicht  vorlegen  (Nachlass  3,  341).  Noch 
kurz  \or  der  \'ermahlung  schickt  sie  zu  Merck,  imi  nach 
Briefen  zu  fragen  (Nachlass  3,  453). 

Diesen  treuen  Diensten  hat  Goethe  ein  Denkmal 
gesetzt.  Auch  darin  entspricht  seine  Dichtung  der  \\'irk- 
lichkeit,  dass  die  Liebenden  dem  L'reunde  nicht  reinen 
Dank  zollen.  Erwin  und  Elmire,  beide  werfen  Bernardo 
kalte  Sophismen  und  fühllosen  Spott  vor  (513.  516.  526). 
So  hat  auch  Karoline  in  den  Briefen  an  Herder  nicht 
selten  über  Merck  zu  klagen,  tadelt  sein  Benehmen  gegen 
seine  Frau,  wirft  ihm  vor,  dass  er  sich  ihrer  Gesellschaft 
entziehe,  rügt,  dass  es  ihm  an  wahrer  Theilnahme,  an 
Aufrichtigkeit  imd  Diskretion  [ehle  u.  s.  w.,  zumal  gegen 
Ende  des  Brautstandes,  als  Leuchsenring  wieder  nach 
Darmstadt  zurückgekehrt  war  und  sein  zweideutiges 
Wesen  trieb.  Herder  leistet  Widerstand,  er  versichert 
noch  im  December  des  Jahres  1772,  dass  er  ewige 
Achtung  und  Freundschaft  für  Merck  behalten  werde, 
»denn«,  sagt  er,  »mein  Herz  betrachtet  ihn  noch  immer 
als  den  Mittler  und  Zw'ischenfreund  unserer  ersten  Blicke 
und    W^ünsche,    und   er    ist    im    Grunde    ein    edler    Mann^^. 


l6o  Forschungen. 


Aber  auch  auf  seiner  Seite  niinnit  man  eine  gewisse 
Hrkältung  wahr. 

Die  Bezieliung  Bernardos  xii  Merck  erklärt  denn  auch 
wohl  ein  einzelnes  Wort,  das  jedem  Leser  auHallen  nuiss, 
dass  nämlich  der  \'ertraute,  ohne  dass  man  in  der  Dichtung 
irgend  welchen  Anlass  und  Zweck  sähe,  als  lilmirens 
französischer  Sprachlehrer  bezeichnet  wird,  »l^ist  du  nicht 
der  Mann«,  sagt  sie  zu  Bernardo  (513),  »der  in  meiner 
ersten  Jugend  mir  das  Herz  zu  besseren  Empfindungen 
öffnete,  der  nicht  nur  mein  französischer  Sprachmeister, 
sondern  auch  mein  Freund  und  Vertrauter  war«.  Sicher- 
lich hat  dieser  französische  Sprachmeister,  der  in  der 
pathetischen  Stelle  fast  komisch  wirkt,  individuelle  Be- 
deutung. 

Karoline  lernte  das  Französische  als  Bram.  Der  W^msch 
den  Emil  Rousseau's,  dessen  Leetüre  ihr  Herder  emptohlen 
hatte,  in  der  Ursprache  zu  lesen,  hatte  sie  auf  den  Gedanken 
gebracht:  »Ein-  für  allemal  will  ich  Französisch  lernen, 
dass  ich  nicht  in  Ewigkeit  von  den  Uebersetzern  abhänge«. 
(Nachlass  3,  84).  Freilich  erlahmt  der  heilige  Enthusiasmus 
oft :  «Es  ist  eine  undankbare  Aufgabe,  Wörter  auswendig 
zu  lernen,  aber  iür  Rousseau  thue  ich  alles«  —  (3,  88). 
Noch  öfter  gedenkt  sie  dieser  Studien  (3,  121.  271),  bei 
denen  ihr  des  vertrauten  Freundes  Rath  sicherlich  nicht 
gefehlt  hat.  l:in  Brief  Herders  vom  12.  October  1772 
zeigt  jedenfalls,  dass  Merck  über  Karolinens  französische 
Studien  an  Herder  berichtet  hatte  (3,   355). 

Die  Rolle  Bernardos  scheint  mehr  als  eine  andere 
ganz  dem  altern  Entwurf  eigen  zu  sein;  denn  Goethe 
und  Lili  bedurften  eines  Vermittlers  nicht ;  sie  hatten  sich 
selbst  gefunden  und  verkehrten  offen  ohne  Geheinuiiss 
für  sich  und  andere.  Aber  daraus  folgt  doch  nicht,  dass 
der  ganze  Bernardo  dieser  altern  Ik-arbeitung  angehört. 
Denn  auch  Cjoethe  und  Lili  kam  das  \\'ohl wollen  belreun- 


WlLlltLM  W'ILMANNS  :    UeBER  GoETHE'S  ErWIN  UND  ElMIRE.        i6i 

deter  Personen  zu  statten  ,  und  es  ist  sehr  wohl  möghch, 
wenn  sich  auch  nichts  Bestimmtes  nachweisen  lässt,  dass 
sich  in  dieser  oder  jener  Wendung  eine  Anspielung  aul 
Goethe's  Verhältnisse  birgt '.  Ja  noch  mehr;  wenn  einmal 
die  Rolle  da  war,  so  konnte  die  dichterische  Phantasie  sie 
frei  weiter  bilden  und  selbst  mit  heterogenen  j-lementen 
der  Wirklichkeit  verbinden.  Dies  letztere  glaube  ich  hier 
wahrzunehmen.  Goethe  scheint  mit  der  edlen  Figur  des 
vermittelnden  Freundes  die  Züge  eines  Mannes  aus  Lili's 
Umgebung,  der  nichts  weniger  als  ein  Förderer  ihrer  Liebe 
war,  wunderlich  vermischt  zu  haben. 

Es  wurde  vorhin  bemerkt,  dass  es  dem  N'erhalten 
Karolinens  und  Herders  gegen  Merck  entspricht,  wenn 
Hrwin  und  Elmire  ihrem  Bernardo  nicht  überall  mit  der 
Rücksicht  begegnen,  die  er  uns  verdient  zu  haben  scheint ; 
aber  ein  paar  gar  zu  herbe,  beleidigende  Ausdrücke  weisen 
über  diese  ^\n-hältnisse  hinaus.  Schwerlich  konnte  Goethe 
in  Karolinens  Benehmen  den  Anlass  finden,  dass  Elmire 
dem  Bernardo  ein  unerträgliches  Alltagsgesicht  vorwirft 
(5I2)^  dass  sie  ihn  sogar  mit  den  Worten  anfährt:  »Du 
kommst,  meines  Schmerzes  zu  spotten,  ohngefähr  wie  ein 
reicher  wollüstiger  Esel  seine  Gemeinsprüche  bei  so  einer 


'  Individueller  Bezug  liegt  jedenfalls  in  der  ausführlichen  Erzäh- 
lung Bcrnardos,  wie  er  auf  einsamem  Morgenritt  sich  verirrte  und  den 
Einsiedler  fand  (517).  Elmirens  Zwischenbemerkung:  »Du  wünschtest 
mich  gewiss  zu  dir,  so  ein  Morgen  im  Thale!«  weist  auf  Lill,  die 
zierliche  Reiterin.  Bei  Bernardo  würde  man  dann  an  ihren  Onkel 
d'Orville  denken  dürfen. 

^  Am  14.  Nov.  1772  schreibt  Karoline  (Xachlass  3,  373):  »Icli 
hab'  unsern  Freund  Merck  erwischt;  er  lässt  meine  Briefe  oft  einen 
ganzen  Posttag  liegen,  ehe  er  sie  abschickt.  Ich  hab'  ihm  feierlich 
jeden  ihrer  Seufzer  darum  auf  seine  arme  Seele  gelegt ,  aber  da  stand 
er  und  lachte,  wie  —  ein  alter  Ehemann,  und  ich  —  musste  mitlachen«. 
Die  Stelle  erinnert  an  das  unerträgliche  Alltagsgesicht  Bernardos,  aber 
so,  dass  man  den  Unterschied  nur  um  so  deutlicher  empfindet. 

Goethe-Jahrblcü  II.  I  I 


102  Forschungen. 


Gelegenheit  LUiskranien  würde«.  (513  f.)  Und  doch  zeigen 
grade  diese  Stellen  individuelles  Gepräge;  denn  diese  Worte 
entsprechen  weder  dem  Wesen  Elmirens  noch  dem  wahren 
Herzensantheil,  auf  dem  die  Handlungsweise  Bernardo's 
beruht.  Ich  vermuthe,  dass  Goethe  hier  Lili's  Onkel 
Bernard  im  Auge  hatte. 

Dass  Goethe  diesem  Herrn  nicht  hold  war,  sieht  man 
schon  aus  der  Stelle,  wo  er  ihn  in  Dichtung  und  Wahrheit 
(23,  26)  zuerst  neben  d'Orville  erwähnt,  diesen  freundlich 
lobend,  als  jüngeren  lebhaften  Mann  von  liebenswürdigen 
Eigenheiten,  jenen  nur  als  Besitzer  des  grössten  Hauses 
und  weitläuftiger  Fabrikgebäude. 

Wir  wissen,  dass  Goethe  in  Lili's  Verwandtschaft  sich 
im  allgemeinen  nicht  behaghch  fühlte;  sehr  scharf  spricht 
er  sich  in  Briefen  aus;  aber  auch  in  seiner  Biographie 
macht  er  kein  Hehl  daraus.  Unter  den  jüngeren  Männern  fand 
er  anspruchsvolle  Nebenbuhler,  unleidlicher  waren  ihm  die 
älteren  »mit  ihren  Onkelsmanieren,  die  ihre  Hände  nicht 
im  Zaum  hielten  und  bei  widerwärtigem  Tätscheln  sogar 
einen  Kuss  verlangten,  welchem  die  Wange  nicht  versagt 
wurde.  Allein  auch  die  Gespräche  erregten  manches  bedenk- 
liche Erinnern«.  Hier  haben  wir  den  reichen  wollüstigen  Esel. 
Der  Onkel  Bernard  wird  zwar  nicht  namentlich  bezeichnet, 
man  darf  aber  getrost  auf  ihn,  den  Goethe  als  den  Onkel 
■AUT  i^o/i'jv  bezeichnet  (23,  26),  die  Onkelsmanieren  dieser 
Stelle  beziehen. 

Sein  unerträgliches  Alltagsgesicht  kommt  bei  einer 
andern  Gelegenheit  in  Dichtung  und  Wahrheit  zum  \^or- 
schein.  Der  Leser  erinnert  sich  des  Berichtes  über  Lili's 
siebzehnten  Geburtstag.  Eine  ganz  besondere  Feier  im 
Hause  des  Onkels  d'Orville  war  vorbereitet,  mit  angenehmer 
Hoflnung  sah  Goethe  dem  festlichen  Tage  entgegen,  da 
meldete  ihm  plötzlich  am  \'orabend  Lili"s  Bruder,  das  Fest 
sei    gestört,    es    sei    der    Schwester    völlig    unmöglich    am 


Wilhelm  \\il.\ianns  :  Ueber  Goethe's  Erwin  und  Iilmire.      l6^ 

folg£nden  Mittag  nach  Offenbach  zu  kommen.  Lili  Hess 
Gücthc  recht  herzlich  bitten,  etwas  zu  erfinden,  wodurch 
das  Unangenehme  dieser  Nachricht  gemildert,  ja  versöhnt 
werde.  Der  Dichter,  schnell  gehisst,  entw  arf  ein  Gelegen- 
heitsgedicht, in  welchem  er  die  Unruhe,  die  durch  so 
plötzhche  Xachricin  im  Kreise  der  Freunde  hervorgerufen 
werden  musste,  darstellte.  Das  Schlusstableau  bildete  der 
Onkel  Bernard:  »Alles  ging  noch  bunt  durcheinander  bis 
der  musterhaft  ruhige  Onkel  Bernard  endlich  herankommt, 
ein  gutes  Frühstück,  ein  löblich  Mittagfest  erwartend,  und 
der  einzige  ist,  der  die  Sache  aus  dem  rechten  Gesichtspunkte 
ansieht,  beschwichtigende,  vernünftige  Reden  äussert  und 
alles  ins  Gleiche  bringt,  völlig  wie  in  der  griechischen 
Tragödie  ein  Gott  die  Verworrenheit  der  grössten  Helden 
mit  wenigen  Worten  aufzulösen  weiss«.  Die  Ironie  in 
dem  Bilde  dieses  musterhaft  ruhigen  Gottes ,  dessen 
Erwartung  nur  auf  gutes  Frühstück .  und  löblich  Mittags- 
mahl gerichtet  war,  ist  nicht  zu  verkennen.  Ein  unerträg- 
lich Alltagsgesicht  für  den  Liebenden,  dessen  Hofl'nung 
getäuscht  war. 

Später  als  das  Verhältniss  zwischen  Goethe  und  Lili 
sich  gelöst  hatte,  wurde  diese  mit  einem  Neffen  des  Onkel 
Bernard  verlobt,  der  den  gleichen  Namen  führte.  Es  war 
begreiflich,  wenn  der  Alte  von  Anfang  an  Goethe's  Werben 
missgünstig  ansah.  Dem  entspricht  Bernardo's  erstes  Lied- 
chen, das  mit  vortrefflichem  »Gemeinspruch«  beginnt: 

Hin   ist   hin, 

Und  todt  ist  todt! 

Spare  die  vergel)ene  Noth. 

Verweine  nicht  die  schönsten  Zeiten  ; 

Ich  wetf,  ic'/i  freye  dir  den  zioeite/i. 

Jung,  schön,  und  reich  :  keine  ( ietahr ! 

Der  Bernardo,  der  dieses  Lied  singt,  ist  nicht  Merck. 

1 1*' 


164  Forschungen. 


Diese  Stellen,  welche  eine  Erklärung  aus  der  Anlage 
des  Stückes  selbst  nicht  finden,  und  eben  deshalb  auffordern, 
nach  einem  andern  Ursprung  zu  suchen,  lassen  sich  durch 
die  Beziehung  auf  den  Onkel  Bernard  begreifen.  Sie  gehören 
sämmtlich  dem  Anfang  der  Scenen  an,  in  denen  Bernardo 
seine  Thätigkeit  übt.  Wir  hören  diese  Urthcilc  und  Kund- 
gebungen, ehe  wir  ihn  kennen;  sie  sind  gleichsam  eine 
Maske ,  die  dem  treuen  Gesicht  des  braven  Mittlers  zu 
Anfang  vorgehalten  wird.  Eingeweihte  Freunde  mochten 
den  durcli  den  Kontrast  gesteigerten  Spott  um  so  leichter 
merken,  als  der  Name  Bernardo  die  Spur  wies.  Denn 
wenn  überhaupt  die  erwähnten  Züge  dem  Onkel  Bernard 
entlehnt  sind,  ist  wohl  nicht  zu  bezweifeln,  dass  Goethe 
von  ihm  auch  den  Namen  borgte. 

Das  Resultat  der  vorstehenden  Untersuchung  wäre 
also  folgendes :  Den  literarischen  Ausgangspunkt  fand  Goethe 
in  Goldsmiths  Romanze,  Herders  Liebesverhältniss  bildet 
den  Anlass,  die  Romanze  dramatisch  zu  bearbeiten;  dorther 
stammen  sowohl  die  Grundtypen  der  Charaktere  als  auch 
die  Anlage  und  Entwickelung  der  Handlung;  später  arbeitete 
Goethe  das  Stück  um ,  nach  Massgabe  seiner  eigenen 
Erlebnisse.  Wer  diese  Ansicht  gelten  lässt,  wird  in  einem 
Briefe  Gocthe's,  dem  ersten,  den  er  nach  langer  Entfremdung 
an  Herder  richtete,  auch  ein  äusseres  Zeugniss  willkommen 
heissen.  Am  18.  Januar  1775  antwortet  Goethe  auf  eine 
Zusendung  Herders:  »Der  Moment,  in  dem  mich  Dein 
Brief  traf,  lieber  Bruder,  war  höchst  bedeutend.  Ich  hatte 
mich  eben  mit  viel  Lebhaftigkeit  des  Wesens  und  Unwesens 
unter  uns  erinnert,  und  siehe  Du  trittst  herein  —  und  reichst 
mir  die  Hand.  Da  hast  Du  meine  und  lass  uns  ein  neu 
Leben  beginnen  mit  einander«.  Das  schrieb  Goethe,  als 
er  grade  mit  dem  Abschluss  der  Operette  beschäftigt  war. 
Natürlich  hatte  ihm  die  Wiederaufnahme  der  älteren  Arbeit 
die    veryan^ene  Zeit    und    das  Leben  des  Freundes  wieder 


Wilhelm  WiLM ANNS:  Ueber jSoethe's  Erwin  und  Elmire.     165 


in  ganzer  Lebhaftigkeit  vors  Auge  geführt.  Der  Ausdruck 
»Wesen  und  Unwesen«  wird  nachher  seine  Hrklärung  finden. 

Bisher  habe  ich  nur  versucht,  die  Beziehung  des  Gedichts 
auf  Herder  zu  sichern ;  um  die  Vermuthung  über  den 
Zweck  desselben  zu  begründen,  habe  ich  nichts  zu  sagen, 
als  dass  Herders  Hochzeit  jedenfalls  der  schicklichste  Anlass 
war,  sich  in  dieser  Weise  mit  den  persönlichen  Angelegen- 
heiten des  Freundes  zu  beschäftigen.  Xachher  ist  er 
jedenfalls  nicht  auf  den  Gedanken  gekommen;  denn  mit 
Herders  Hochzeit  löste  sich  der  Bund,  der  erst  durch  den 
eben  angeführten  Briet  wieder  geknüpft  wurde.  Zwar  der 
Biograph  Herders  (i,  737)  stellt  es  in  Abrede,  dass  eine 
solche  Entfremdung  zwischen  Goethe  und  Herder  einge- 
treten sei,  aber  die  Thatsache,  dass  für  die  Zeit  vom 
Frühjahr  1773  bis  zu  Anfimg  1775  der  briefliche  Verkehr 
aufgehoben  war,  und  die  Art,  wie  er  in  dem  eben  erwähnten 
Briefe  wieder  angeknüpft  wurde,  stellt  es,  wie  mir  scheint, 
ausser  Zweifel,  dass  Scherer  mit  der  Annahme  eines  Zer- 
würfnisses Recht  hat;  nur  Scherers  Ansicht  über  den 
Ursprung  und  die  Art  dieses  Zerwürfnisses  vermag  ich  nicht 
zu  theilen.  Ich  glaube  nicht,  dass  die  Störung  im  freund- 
schaftlichen Verkehr  das  Resultat  einer  langen  Reihe  von 
Kränkungen  war,  die  Herder  Goethe  zugefügt  hätte;  glaube 
auch  nicht,  dass  die  Missstimmung  vorzugsweise  bei  Goethe 
obwaltete. 

Die  kleinen  Reibereien ,  die  im  Winter  vor  der 
Hochzeit  stattgefunden  hatten,  die  Knüttelverse,  die  hin 
und  wieder  gegangen  waren,  dieses  »Schneeballengefecht 
braver  muthiger  Jungens«,  wie  es  Karoline  nennt  (Nachlass 
3,451.  496),  hatte  wohl  vorübergehenden  Unmuth  erzeugt, 
aber  nichts  mehr.  Im  December  ladet  Goethe  Herdern 
freundlich  ein,  über  Frankfurt  zu  kommen,  wenn  er  die 
Braut  hole  (Nachlass  i,  44),  auch  zu  Karoline  hat  er  davon 
gesprochen  (3,  386).   \och  drei  Monate  vor  der  Hochzeit 


l66  Forschungen. 


schreibt  diese :  »Junker  Berlichingen  erwartet  Dich  in 
Frankfurt  am  Main,  und  kommt  vielleiclit  mit  Dir  hierher« 
(Kachkiss  3,  489);  er  kam  schon  früher  (3,  500);  mit 
herzlichem  Verkmgen  sieht  er  dem  verehrten  Freunde  ent- 
gegen. Von  aufgespeichertem  Groll  nirgends  eine  Spur.  Auch 
nachher,  in  der  Zeit  da  keine  Briefe  gewechselt  wurden, 
spricht  Goethe  von  Herder  mit  hoher  Achtung  und  freu- 
diger Anerkennung,  und  als  Herder  ihm  von  neuem  die 
Hand  bot,  findet  er  gleich  den  alten  Ton,  zeigt  in  Wort 
und  That,  dass  auf  seiner  Seite  die  Freundschaft  fortbestanden 
habe :  »Im  Grunde  hab'  ich  doch  bisher  für  Dich  tortgelebt, 
Du  für  michff  (Nachlass  3,  50.  Vgl.  Haym,  Herder  i,  737). 
Die  Entfremdung  muss  in  Herders  Gesinnung  einge- 
treten sein;  bestimmte  Ereignisse  müssen  in  den  Tagen 
der  Hochzeit  sie  herbeigeführt  haben.  Nach  einem  Briefe 
an  Kestner  (der  junge  Goethe  i,  368)  erwartete  Goethe, 
das  junge  Paar  werde  auf  der  Heimreise  in  Frankfurt 
vorsprechen.  Aber  wir  haben  keinen  Grund  anzunehmen, 
dass  Herder  der  Einladung  folgte;  jede  Verbindung  nach 
dieser  Seite  ist  mit  der  Hochzeit  gelöst.  Es  ist  wohl  nicht 
zu  bezweifeln,  dass  der  Bruch  zwischen  Merck  und  Herder, 
der  eben  damals  erfolgte,  auch  auf  Herders  Verhältniss 
zu  Goethe  eingewirkt  habe ;  um  jedoch  Herders  Missstimmung 
gegen  Goethe  zu  begreiten,  braucht  man  nicht  anzunehmen, 
dass  dieser  in  die  Handlungen  Mercks,  die  Herder  und  seine 
Frau  so  sehr  empörten,  verwickelt  gewesen  sei;  es  genügt 
der  Hinweis  auf  den  Polterabendscherz,  mit  dem  Goethe 
dem  Freunde  aufwartete.  Noch  im  Jahre  1789  spricht 
Herder  in  heftigen  Worten  seinen  Unmuth  über  den  Pater 
ßrey  aus :  »Hole  der  Henker  den  Gott,  um  den  alles  rings 
umher  eine  Fratze  sein  soll,  die  er  nach  seinem  Gelallen 
brauchet;  oder  gelinder  zu  sagen,  ich  drücke  mich  weg 
von  dem  grossen  Künstler,  dem  einzigen  rückstrahlenden 
All    im  All  der  Natur,    der  auch    seine  Freunde,    und  was 


Wilhelm  WiLMANNS:  Ueber.Goethe's  Erwin  und  Elmire.      167 

ihm  vorkommt  blos  als  Papier  ansieht,  aut  welches  er 
schreibt,  oder  als  Farbe  des  Paletts,  mit  dem  er  malet«. 
Wer  seine  Indignation  noch  nach  sechzehn  Jahren  so  hart 
äussert,  wie  muss  der  gelitten  haben  unter  dem  frischen 
Eindruck  und  in  einer  Zeit,  wo  Mercks  Indiscretionen  ihn 
aufs  emptindlichste  gereizt  hatten.  Herder  war,  zumeist 
wegen  seiner  Braut,  empört  über  diese  Profanirung 
intimster  Verhciltnisse. 

Die  Arbeit  an  Erwin  und  Elmire  rief  dem  Dichter  die 
Erinnerung  an  diese  leidigen  Irrungen  zurück,  und  deshalb 
schrieb  er  damals :  »Ich  hatte  mich  eben  mit  viel  Leb- 
haftigkeit  des  Wesens   und   Unwesens  unter  uns  erinnert«. 

Das  freundliche  Singspiel  würde  diesen  verletzenden 
Eindruck  nicht  gemacht  haben.  Aber  es  ist  sehr  zu 
bezweifeln,  dass  Goethe  diese  Arbeit  damals  zu  irgend 
welchem  Abschluss  brachte  und  sie  dem  Freunde  vorles^te. 
Ich  glaube  vielmehr,  dass  er  sie  unvollendet  liegen  Hess, 
bis  er  im  eignen  Leben  den  Anlass  fand,  sie  wieder  auf- 
zunehmen. Er  schob  die  Arbeit  bei  Seite,  weil  der  in 
der  Ballade  gegebene  Stoff  zu  spröde  war,  um  sich  nach 
dem  erwünschten  Ziele  biegen  zu  lassen;  der  wesentliche 
Unterschied  zwischen  den  \'erhältnissen  Edwins  und  Angelinas 
und  denen  des  Brautpaares  hinderte,  dem  Stück  so  viel- 
seitige und  augenfällige  Beziehungen  zu  geben,  wie  sie 
der  Dichter  einem  Gelegenheitsgedicht  sieben  wollte. 

O  C^  O 


3-  Zv  GoETHE's  Bericht  über  seine 
Anknüpeung  mit  Schiller. 


Heinrich  Düntzer. 


|eute  lesen  wir  Goethe's  eigene  Erzählung,  wie  sein 
Verhältniss  zu  Schiller  sich  angesponnen,  unter 
dem  betreffenden  Jahre  der  »Annalen«  (1794); 
ursprünglich  stand  sie  im  ersten,  1817  erschienenen  Hette 
j)Zur  Morphologie«.  Dort  findet  sich  ein  zweiter  Abdruck 
der  Schrift  »Die  Metamorphose  der  Pflanzen«  ;  vorher  geht 
eine  Darstellung  der  Entstehung  derselben,  den  Schluss 
bildet  die  Geschichte  des  »Verfolgesfc  in  vier  Abschnitten: 
»Schicksal  der  Handschrift,  Schicksal  der  Druckschrift, 
Entdeckung  eines  trelflichen  \'orgängers,  Glückliches  Er- 
eigniss«.  In  dem  letzteren  berichtet  Goethe,  wie  seine  Lehre 
von  der  Metamorphose  zu  einem  der  höchsten  Verhältnisse 
Anlass  gegeben^  die  ihm  das  Glück  in  spätem  Jahren 
bereitet,  zu  der  Verbindung  mit  Schiller.  \o\-  seinem  Tode 
bestimmte  er,  dieser  Bericlit  solle  in  der  nächsten  Ausgabe 
der  »Annalen«  unter  dem  Jahre  1794  mit  einem  von  ihm 
entworfenen  oder  gebilligten  veränderten  Uebergange  ein- 


Heinrich  Düntzer:  Goetiöi's  Anknüpfung  mit  Schiller.    169 


gefü_L;t  werden ;  denn  dass  die  lünschiebunt;en  in  die 
»Annalen«  und  in  die  »Italienische  Reise«,  welche  wir  in 
den  mich  Gocthe's  Tod  erschienenen  Ausgaben  lesen, 
von  den  Herausgehern  Riemer  und  lickermann  willkürlich 
gemacht  seien,  ist  mehr  als  unwahrscheinlich;  es  lagen 
eben,  wahrscheinlich  nur  mündliche,  Bestimmungen  des 
Dichters  vor,  der  über  die  spiitern  Ausgaben  seiner  Werke 
sich  mit  den  Herausgebern  verständigt  hatte,  wie  wir  dies 
in  Bezug  auf  die  »Wanderjahre«  bestimmt  wissen. 

Schon  sieben  Jahre  vor  jenem  Berichte  hatte  Goethe 
in  der  »Contession«  am  Ende  des  dritten,  geschichtlichen 
Theiles  »Zur  Farbenlehre«  seines  vor  tünf  Jahren  geschiedenen 
» unvergesslichen«  Freundes  gedacht.  Unter  denjenigen, 
die  ihn  bei  seinen  optischen  Bestrebungen  durch  Neigung 
und  Zutrauen  gefördert;,  hatte  er  Schiller  nicht  erwähnt, 
(wie  er  auch  Herders  und  Knebels  nicht  gedacht,  da  er 
nur  Fürsten ,  Staatsmänner  und  Gelehrte  anführte) , 
doch  wollte  er  nicht  schliessen,  ohne  sich  des  Vorwurfes, 
den  er  sich  selbst  darüber  mache,  zu  entledigen.  »Dort 
aber  empfand  ich  eine  Art  von  Scheu,  dem  besonderen 
Denkmal,  das  ich  unserer  Freundschaft  schuldig  bin,  durch 
ein  voreiliges  Gedenken  Abbruch  zu  thun«,  bemerkt  er. 
»Nun  will  ich  aber  doch,  in  Betrachtung  menschlicher 
Zufälligkeiten,  aufs  kürzeste  bekennen,  wie  er  an  meinem 
Bestreben  lebhaften  Antheil  genommen ,  sich  mit  den 
Phänomenen  bekannt  zu  machen  gesucht,  ja  sogar  mit 
eigenen  \'orrichtungen  umgeben,  um  sich  an  denselben 
vergnüglich  zu  belehren  '.     Durch  die  grosse  Natürlichkeit 


■  Schon  bei  seinem  vierzehntägigen  Aufenthalt  in  Weimar  im 
September  1794  hatte  Goethe  ihn  mit  seinen  Einwendungen  gegen 
Newton  bekannt  gemacht,  die  ihm  »sehr  befriedigend«  schienen.  Eine 
der  vielen  gangbaren  irrigen  Meinungen  ist  es,  Scliiller  habe  an  die 
Richtigkeit  von  Goethe's  Farbenlehre  nicht  geglaubt.  Im  Jahre  1800 
schrieb  er,  seine  Entdeckungen  in  der  Optik  werde  man  erst  in  späterer 


lyo  Forschungen. 


seines  Genies  ergriff  er  nicht  nur  schnell  die  Hauptpunkte, 
worauf  es  ankam,  sondern  wenn  ich  manchmal  auf  meinem 
beschaulichen  Wege  zögerte,  nöthigte  er  mich  durch  seine 
reflektirende  Kraft  vorwärts  /u  eilen  und  riss  mich  gleichsam 
an  das  Ziel,  wohin  ich  strebte.  Und  so  wünsche  ich  nur,  dass 
mir  das  Besondere  dieser  \'erhältnisse,  die  mich  noch  in 
der  Erinnerung  glücklich  maclicn,  bald  auszusprechen  ver- 
gönnt sein  nK)ge«.  Diese  Worte  waren  geschrieben  und  ge- 
druckt, ehe  die  Weimarische  Bühne  am  lo.  Mai  das  Andenken 
des  vor  fünf  Jahren  Hingeschiedenen  durch  Schillers  »Glocke« 
mit  dem  vermehrten  »Epilog«  und  Scenen  aus  verschiedenen 
seiner  Dramen  feierte.  Sechs  Tage  später  begab  sich 
Goethe  nach  Karlsbad,  wo  Körner  ihm  den  Wunsch  äusserte, 
dass  er  sich  an  der  Gesammtausgabe  Schillers  betheilige 
oder  wenigstens  eine  Charakteristik  Schillers  als  Schrift- 
steller dazu  liefere.  Er  lehnte  auch  letzteres  ab,  weil  dieses 
ihn  zu  weit  führen  und  zu  viel  Zeit  kosten  würde,  die  er 
jetzt  zu  mehreren  angestrengten  Arbeiten  nöthig  habe. 
Seine  eigene  Lebensbeschreibung,  die  er  bis  zur  Ueber- 
siedlung  nach  Weimar  zu  führen  gedachte,  hatte  er  damals 
in  Aussicht  genommen,  vorab  wollte  er  noch  die  »Wander- 
jahre« fördern.  So  kam  er  denn  nicht  zur  Darstellung 
seines  Verhältnisses  zu  Schiller.  Erst  als  er  die  Geschichte 
seiner  »Metamorphose  der  Pflanzen«  schrieb,  drängte  es 
ihn,  auch  des  Gespräches  zu  gedenken,  das  er  über  diese 
ihm  ans  Herz  gewachsene  Entdeckung  einst  mit  Schiller 
geführt  und  als  eine  N'ermittlung  seiner  segensreichen 
\'erbindung  mit  diesem,  somit  als  ein  »glückliches  Ereigniss«, 
betrachtete.    Er  stützte  sich  dabei  nicht  auf  seine  Tagebücher 


Zeit  ganz  würdigen,  das  Falsche  der  Xewton'sciien  Farbentheorie  habe 

er    bis    zur   Evidenz  erwiesen.      Zur    »vergnüglichen    Belehrung«    vgl. 

Urlichs    »Charlottec  IL,    255.     Noch    mit   seinem    letzten    Briefe    (999) 

sandte    Goetiie    ihm  den    Versuch    einer    Geschichte    der    Farbenlehre 
zur  Durchsicht. 


Heinrich  Düntzer:  GoetH^'s  Anknüpfung  mit  Schiller.    171 


(wir  wissen  nicht  einmal  bestimmt,  ob  solche  tjjerade  aus 
jenem  Jahre,  welches  seinem  Leben  einen  neuen  geistigen 
Frühling  brachte,  vorhanden  sind);  auch  die  in  seinen 
Händen  beiindlichen  Briefe  Schillers  wurden  nicht  benutxt; 
er  folgte  einer  mehr  als  zwanzig  Jahre  alten  Erinnerung 
und  schloss  sich  in  der  Darstellung  seinem  besonderen 
Zwecke  an.  Auf  die  Unzuverlässigkeit  des  Berichtes  habe 
ich  schon  in  meiner  Schrift  »Schiller  und  Goethe«  (1859) 
hingewiesen,  aber  noch  immer  legt  man  demselben  eine 
geschichtliche  Zuverlässigkeit  bei,  die  ihm  durchaus  abgeht. 
Der  Bericht  beginnt  mit  der  Rückkunft  aus  Italien. 
Dort  habe  er  sich  um  das,  was  mittlerweile  in  Deutschland 
auf  dem  Gebiete  der  Dichtung  zu  Tage  getreten,  nicht 
gekümmert,  um  so  unangenehmer  aber  sich  betroffen  gefühlt, 
als  er  hier  neuere  und  ältere  Werke,  die  ihn  äusserst 
angewidert,  in  der  entschiedensten  Gunst  gefunden,  von 
denen  er  nur  Heinses  »Ardinghello«  und  Schillers  »Räuber« 
nennt.  Aber  die  »Räuber«  hatten  schon  mehrere  Jahre 
vor  seiner  Reise  nach  Italien  Alt  und  Jung  hingerissen 
und  auch  auf  Bellomo's  Bühne  in  Weimar  bedeutendsten 
Beifall  nicht  blos  von  den  Jenaischen  Studenten,  deren  Leib- 
stück sie  waren,  eingeerntet.  Die  Kunstansichten  in  Heinse's 
1787  erschienenem,  von  üppiger  Sinnlichkeit  durchzogenem 
»Ardinghello«  konnten  ihn  freilich  verstimmen,  obgleich 
diesen  mehr  der  sinnliche  Reiz  zu  einem  Lieblingsbuche  machte 
als  die  schwärmerische  Auffassung  der  Kunst;  aber  das  im 
\'aterland  durch  jene  »wunderlichen  Ausgeburten«  erregte 
»Rumoren«  erschreckte  ihn  doch  nicht  so,  dass  er,  wie 
er  sagt,  all  sein  Bemühen  völlig  verloren  zu  sehen  glaubte, 
die  Gegenstände,  zu  welchen,  die  Art  und  Weise,  wie  er 
sich  gebildet,  ihm  beseitigt  und  gelähmt  geschienen.  Schon 
in  Italien  hatte  er  mit  Bedauern  empfunden,  dass  »Iphigenie« 
und  »Egmont«  nicht  den  erwarteten  Beifall,  nicht  einmal 
bei   den  Freunden    fanden,   ja  die  grosse  Wirkung,   welche 


172  Forschungen. 


er  von  dem  letzteren  Drama  ;uit  der  Bühne  sich  versprochen, 
blieb  ganz  aus,  aber  dadurch  liess  er  sich  doch  so  wenig 
in  seiner  Dichtung  irre  machen,  dass  er  sich  mit  ganzer 
Seele  dem  mit  unendlicher  Feinheit  und  reinstem  Kunst- 
gefühl  ausgeführten  »Tasso«  hingab,  und  an  der  gewonnenen 
Kunstanschauung  hielt  er  trotz  Heinse's  und  der  jungen 
Deutschen  Künstler  entschieden  fest :  er  spürte  den  Kunst- 
idealen der  Alten  nach ;  mit  seinem  Römischen  breunde 
Meyer  versenkte  er  sich  im  Gegensatz  zu  dem  »lebenden 
Geschlecht«  in  die  Anschauungen  und  Grundsätze  der 
alten  Meister,  ja  es  zog  ihn  unwiderstehlich  nach  Italien 
zurück ,  wo  er  sich  zum  Künstler  herangebildet  hatte. 
Besonders  auHallend  ist  die  weitere  Aeusserung:  »Und  was 
mich  am  meisten  schmerzte,  alle  mit  mir  verbundenen 
Freunde,  Heinrich  Meyer  und  Moritz,  so  wie  die  im  gleichen 
Sinne  fortwaltenden  Künstler  Tischbein  und  Bur}-  schienen 
mir  gleichfalls  gefährdet;  ich  war  sehr  betrotfen«.  Wie 
ganz  einstimmig  Meyer,  der  sich  um  Dichtung  wenig 
kümmerte,  sich  in  Bezug  auf  Kunst  mit  ihm  fand,  beweisen 
die  Italienische  Reise  und  die  aus  Weimar  an  ihn  geschrie- 
benen Briefe;  war  dieser  ja  sein  eigentlicher  Lehrer  und 
Meister,  der  ihn  in  die  Anschauung  der  hohen  Kunstwerke 
eingeführt  hatte.  Moritz  war  durchaus  von  Goethe's  Geist 
erfüllt,  er  hielt  ihn  für  den  grössten  Dichter,  alle  seine 
Werke  für  klassisch;  insonderheit  war  er  gegen  Schiller  ein- 
genommen, dessen  »Kabale  und  Liebe«  ihm  verhasst  war. 
Freilich  wurden  Tischbein  und  Bury  von  Goethe's  »Iphigenie« 
nicht  so  entzück t,wie  er  gehofft,  sie  hatten  etwas  Stürmischeres, 
Leidenschaftlicheres,  etwas  Götzisches  erwartet,  aber  sie 
standen  deshalb  nicht  auf  der  Seite  des  Rohen,  Wilden; 
waren  sie  ja  vielmehr  vom  Geiste  höchster  Kunst  angeweht. 
Und  Schiller  selbst  hatte  den  Sturm  und  Drang  längst 
hinter  sich,  wie  sein  »Karlos«  zeigte,  dessen  Goethe  in 
einer  Weise  gedenkt,  als  sei  er  erst  nach  seiner  Rückkehr 


Heinrich  Düntzer:  Goeths*s  Anknüpfung  mit  Schiller.     173 

erschienen,  nnd  einlach  mit  den  Worten  abthiit,  dieser  sei 
nicht  geeignet  gewesen,  ihn  Schiller  näher  zu  lühren.  War  auch 
die  im  »Karlos«  wehende  Freiheit  nicht  in  Goethe's  Sinne, 
so  zeigte  doch  die  Dichtung  den  lebendigen  Hntwicklungs- 
trieb  zu  reinerer  Gestaltung,  das  Streben  nach  idealer  Kunst. 
Auch  hatte  Schiller  sich  damals  fast  ganz  der  Geschichte 
zugewandt.  Weiter  trifft  die  Behauptung  nicht  zu,  Moritz 
habe  sich  mit  ihm  leidenschaftlich  in  diesen  Gesinnungen 
bestärkt,  dass  man  auf  die  Betrachtung  der  bildenden  Kunst, 
auf  die  Ausübung  der  Dichtkunst,  wenn  es  möglich  wäre, 
verzichten  müsse,  weil  man  jene  Produktionen  von  genialem 
Werth  und  wilder  Poesie  nicht  überbieten  könne.  Lust 
und  Muth  wurden  durch  die  Anwesenheit  des  Römischen 
Freundes  mächtig  in  ihm  gehoben,  so  dass  er  während 
derselben  »Tasso«  zu  vollenden  hoffte.  Die  höhere  Ansicht 
von  Kunst,  die  Moritz  im  Weimarischen  Kreise,  besonders 
unter  den  Damen,  mit  Glück  zu  verbreiten  suchte,  und 
die  schwärmerische  \^erehrung,  die  er  gerade  für  Goethe 
überall  zeigte,  mussten  erhebend  wirken. 

»Ich  vermied  Schillern«,  heisst  es  weiter,  »der,  sich  in 
Weimar  aufhaltend,  in  meiner  Nachbarschaft  wohnte«.  Schil- 
lers Wohnung  war  im  Hause  Frauenthorstrasse  21,  neben 
dem  an  der  Ecke  der  Strasse  gelegenen  Gasthofe  zum  weissen 
Schwan,  fast  Goethe  gegenüber.  Hier  ist  sein  erstes 
freundliches  Zusammentreffen  mit  Schiller  zu  Rudolstadt 
am  7.  September  1788,  dem  gegenseitige  Grüsse  vorher- 
gegangen, ganz  vergessen,  ebenso  die  Wirkung  seiner 
»Götter  Griechenlands«  und  die  Schiller'sche  Beurtheilung 
seines  »Egmont«,  dessen  Verfasser  ihm  freilich  nicht  gleich 
bekannt  wurde;  ja  sein  Antheil  an  Schillers  Berufung  nach 
Jena  und  dessen  Besuch,  der  freilich  keine  weitere  Annäherung 
von  Goethe's  Seite  veranlassen  konnte,  bleiben  unerwähnt. 
Statt  dessen  hören  wir  nach  der  schon  erwähnten  flüchtigen 
Bemerkung  über  »Karlos«  :    »Alle  Versuche  von  Personen, 


174  Forschungen. 


die  ihm  und  mir  glcicli  nahe  standen,  lehnte  ich  ab,  und 
so  lebten  wir  eine  Zeit  lang  nebeneinander  fort«.  Wir 
kennen  jetzt  Schillers  Beziehungen  zu  der  Lengeteld'schen 
Familie,  zu  Frau  von  Stein,  zu  Frau  von  Kalb  und  Voigt, 
an  die  man  allein  denken  ktinnte,  so  genau,  dass  wir  solche 
Versuche,  eine  nähere  \'erbindung  hei  Goethe  zu  veran- 
lassen, mit  einziger  Ausnahme  de--  Besuches  in  Rudolstadt, 
leugnen  müssen,  am  wenigsten  kann  von  irgend  einer 
Vcrljaudhm^  darüber  die  Rede  sein. 

Das  »Kebeneinanderlehen«  beider  Dichter  in  Weimar 
dauerte  von  Mitte  November  1788  bis  Anfang  Mai  1789. 
Zu  einer  näheren  Verbindung  konnte  es  um  so  weniger 
kommen,  als  Goethe  in  seinen  »Tasso«  und  das  Glück 
seiner  Liebe  versenkt,  zugleich  vom  Grolle  der  Frau  von 
Stein  und  aller  auf  ihrer  Seite  stehenden  Damen  Weimars 
bedrängt,  Schiller  von  seinen  schriftstellerischen  Arbeiten 
und  den  Vorbereitungen  zu  seiner  Professur  sehr  in  Anspruch 
genommen  war.  In  die  Weimarische  Zeit  versetzt  Goethe 
auch  Schillers  Abhandlung  «über  Anmuth  und  Würde«, 
wenn  er  unmittelbar  darauf  bemerkt,  auch  diese  sei  kein 
Mittel  gewesen,  ihn  zu  versöhnen.  Sie  erschien  erst  im 
Sommer  1793,  als  Goethe  sich  an  den  Rhein  begeben  hatte. 
Auch  die  sonstigen  Aeusserungen  darüber  treften  nicht  zu. 
Freilich  ist  es  richtig,  dass  Schiller  die  Kantische  Philosophie 
mit  Freuden  in  sich  aufgenommen,  aber  die  Wirkung  auf 
ihn  wird  hcichst  ungenau  dadurch  bezeichnet,  dass  sie  das 
Ausserordentliche,  was  die  Xatur  in  sein  Wesen  gelegt, 
entwickelt  habe;  geradezu  verfehlt  ist  die  Behauptung,  er 
sei,  im  höchsten  Gefühl  der  F'reiheit  und  Selbstbestimmung, 
undankbar  gegen  die  grosse  xMutter  gewesen  ,  die  ihn 
gewiss  nicht  stiefmütterlich  behandelt  habe.  In  der  genannten 
Abhandlung  ging  Schillei^  darin  über  Kant  hinaus,  dass  er 
dessen  sogenannten  kategorischen  Imperativ  als  eine  l:rnied- 
ritjuni:    der  Menschheit    \erwarf,   da«:egen   als  'Fugend    die 


Heinrich  Düntzer  :  Goethe''s  Anknüpfung  mit  Schiller.    175 


erlangte  innige  Uebereinstimmung  zwisciien  Sinnlichkeit 
und  \'ernunft,  Pflicht  und  Neigung  bezeichnete.  X'on  der 
Mutter  Xatur  ist  in  Schillers  Abhandlung  nur  insofern  die 
Rede,  als  diese  nicht  blos  die  Anlage,  sondern  auch  das 
Streben  nach  Entwicklung  dem  Menschen  verliehen,  und 
wenn  er  auch  den  sinnlichen  Naturtrieb  zuweilen  im 
Gegensatze  zur  \'ernunft  als  »Natur«  bezeichnet,  so  spricht 
er  doch  auch  von  diesen  als  den  »beiden  Naturen« ,  ja  als 
Quelle  der  Liebe  nennt  er  die  »götthche  Natur«;  beide 
sich  widerstrebenden  Kräfte  sind  ihm  Gaben  der  Natur. 
Ganz  ungerechtfertigt  erscheint  der  Vorwurf,  Schiller  habe 
dort  die  Natur,  anstatt  selbstständig,  lebendig,  vom  Tiefsten 
bis  zum  Höchsten  gesetzlich  hervorbringend  zu  betrachten, 
von  der  Seite  einiger  empirischen  menschlichen  Natürlich- 
keiten genommen;  denn  er  wollte  ja  in  dieser  Abhandlung 
nur  die  Begrifle  von  Anmutli  und  Würde  aus  dem  gegen- 
seitigen \'erhalten  beider  Naturen,  der  sinnlichen  und 
sittlichen,  bestimmen.  »Gewisse  harte  Stellen  sogar  konnte 
ich  direkt  auf  mich  deuten«,  fährt  er  fort;  »sie  zeigten 
mein  Glaubensbekenntniss  in  einem  falschen  Lichte;  dabei 
fühlte  ich,  es  sei  noch  schlimmer,  wenn  es  ohne  Beziehung 
auf  mich  gesagt  worden  ;  denn  die  ungeheure  Kluft  zwischen 
unsern  Denkweisen  klaflte  nur  desto  entscliiedener «.  Man 
hat  nach  diesen  harten  Slelleii  gesucht.  Riemer,  der  gerade 
zur  Zeit  als  Goethe  dieses  schrieb,  ihm  nicht  so  nahe  zur 
Seite  stand,  dass  er  gewusst  hätte,  was  damit  gemeint  sei, 
vermuthet,  es  habe  die  Aeusserung  einer  Anmerkung  vor- 
geschwebt: »Ich  bemerke  beiläufig,  dass  etwa  Aehnliches 
zuweilen  mit  dem  Genie  vorgeht,  welches  überhaupt  in 
seinem  Ursprünge  wie  in  seinen  Wirkungen  mit  der 
architektonischen  Schönheit  vieles  gemein  hat.  Wie  diese, 
so  ist  auch  jene  ein  blosses  Naturer:;^engniss,  und,  nach  der 
verkehrten  Denkart  der  Menschen,  die,  was  nach  keiner 
Vorschrift  nachzuahmen  und  durch  kein\'crdicnst  zu  erringen 


iy6  Forschungen. 


ist,  gerade  :\m  höchsten  schätzen,  w  irJ  die  Schönheit  mehr 
als    der    l^eiz,    das    Genie    mehr    als    erworbene   Kratt   des 
Geistes    bewundert.     Beide  Gihislliuge    der    Nalitr    werden, 
bei    allen    ihren    Unarten    (wodurch    sie    nicht    selten    ein 
Gegenstand    verdienter  Verachtung    sind)    als  ein  gewisser 
Geburtsadel,   als   eine    höhere  Kaste   betrachtet,    weil    ihre 
Vorzüge  von  Naturbedingungen  abhängig  sind,    und  daher 
über   alle  Wahl  hinausliegen«.     Auch  Palleske  bleibt  dabei 
stehen,  während  Boxberger  auch  den  Schluss  der  Anmerkung 
hereinzieht,  der  darauf  hinweist,  dass  bei  einzelnen  Dichter- 
genien das  ganze  Talent  die  Jugend  sei,  sie  später,  wie  jedes 
andere  Naturprodukt,    der  Materie  anheim  fallen,    als  ganz 
gewöhnliche  Lichter,  wo  nicht  ijar  als  noch  etwas  weniger 
erscheinen ;    denn    die    poetisirende  Einbildungskraft    sinke 
zuweilen  ganz  zu  dem  Stoffe  zurück,  aus  dem  sie  sich  losge- 
wickelt, und  verschmähe  es  nicht,  wenn  es  ihr  mit  der  poeti- 
schen Zeugung  nicht  mehr  recht  gelingen  wolle,  der  Natur  bei 
einem   andern,    solidem    Bildungswerk   zu   dienen.    Musste 
auch  besonders  die  letztere  Aeusserung  Goethe  unangenehm 
berühren,   da   sie   vom  Genie    in   einer  unwürdigen  Weise 
sprach,    die   nur   auf  das    sogenannte   Genie   passt,   nichts 
konnte    ihm    ferner  liegen  als  der  Verdacht,   Schiller  habe, 
nach  den  grossartigen  Dichtungen,  die  er  als  \'ierzigjähriger 
in  »Egmont«  und  »Tasso  «  geliefert,  und  bei  seinen  unab- 
lässig   auf  die  Natur  und  Kunst  gerichteten  Bestrebungen, 
ihn   unter   den   so    verächtlich    bezeichneten   verkommenen 
Genies  gemeint.     Und  was  die  Hauptsache,  die  »gewissen 
harten   Stellen«    müssen    seine    »Undankbarkeit    gegen   die 
srosse  Mutter«    beweisen,    auf  die    »gute  Mutter«   müssen 
sich    »jene   harten  Ausdrücke«    beziehen,   die  ihm,    wie  es 
sechzehn  Seiten   später  in  demselben  Hefte    »Zur  Morpho- 
logie« heisst,   den  Aufsatz  »über  Anmuth  und  Würde«  so 
verhasst     gemacht    hatten.      Sein    »Glaubensbekenntniss«, 
welches  diese  Stellen    »in  einem  falschen  Eichte  gezeigt«. 


Heinrich  Düntzer:  Goethb^  Anknüpfung  mit  Schiller.    177 


muss  seine  Verehrung  der  überall  gesetzlich  zu  Werke 
gehenden  Natur,  es  nuiss  derselbe  Gegensatz  gemeint  sein, 
den  er  an  der  angeführten  Stelle  mit  den  Worten  bezeichnet: 
))l:r  predigte  das  livangelium  der  Freiheit,  ich  wollte  die 
Rechte  der  Xatur  nicht  verkürzt  wissen«.  Wer  noch  daran 
zweifeln  könnte,  beaciite  die  weitere  Erzählung  unseres 
Berichtes :  bei  Schillers  Aeusserung  über  seine  symbolische 
Pflanze:  »Das  ist  keine  lirfahrung,  das  ist  eine  Idee«,  sei 
ihm  die  Behauptung  aus  »Anmuth  und  Würde«  wieder 
eingefallen,  der  alte  Groll  habe  sich  wieder  regen  wollen. 
Also  keine  Aeusserung  über  das  Genie  kann  bei  jenen 
»harten  Stellen«  vorgeschwebt  haben,  sondern  nur  Ver- 
achtung der  Natur  gegenüber  der  Freiheit.  Weil  aber  eine 
solche  sich  in  der  Abhandlung  nicht  findet,  so  muss  Goethe 
hier  durch  sein  Gedäciitmss  getäuscht  worden  sein,  da  er 
wahrscheinlich  kurz  vor  der  Abfassung  des  Berichtes,  um 
sich  mit  Schillers  damaliger  Ansicht  bekannt  zu  machen, 
jene  Abhandlung  flüchtig  gelesen  hatte.  Dass  er  sie  gleich 
beim  Erscheinen  in  der  »'Fhalia«  gefunden  habe  und  dadurch 
gegen  Schiller  verstimmt  worden  sei,  ist  nicht  wahrscheinlich, 
da  er  zu  jener  Zeit  von  Weimar  fern  und  in  seine  Farben- 
lehre vertieft  war;  möglich  wäre  es  freilich,  dass  sie  ihm 
in  der  besondern  Ausgabe  zugekommen  wäre,  in  welcher 
Schiller  sie  Dalberg  mit  dem  etwas  seltsamen  Milton'schen 
Worte:  »Was  du  hier  siebest,  edler  Geist,  bist  du  selbst«, 
gewidmet  hatte.  Jedenfalls  hatte  Goethe  damals  der  Schiller'- 
schen  Aesthetik  keine  besondere  Aufmerksamkeit  zugewandt; 
sonst  hätte  er  diesen  unmöglich  im  Briefe  vom  27.  August 
1794  bitten  können,  ihn  mit  dem  Gange  seines  Geistes, 
besonders  in  den  letzten  Jahren,  bekannt  zu  machen.  So 
war  ihm  denn  auch  die  »Fortgesetzte  Entwicklung  des 
Tragischen«  in  einem  Hefte  der  »Thalia«  neu,  welches 
Schiller  ihm  wegen  Körners  darin  enthaltener  Ideen  über 
Deklamation  gesandt  hatte.    1-reilich,  wäre  Falk  zu  trauen, 

Gut  ihe-Iahhblcii  Jl.  I  2 


lyS  Forschungen. 

so  würde  Goethe  Schillers  Arbeiten  genau  verfolgt  haben; 

aber  es  ist  völlig  unglaublich,  dass  der  aus  gutem  Grunde 

gegen  Besuche  so  zurückhaltende,  ja,  wie  man  finden  wollte, 

Steile  und  kalte  Goethe  gegen  einen  wildfremden  zweiund- 

zwanzigjährigen  Studenten,  der  an  ihn  nicht  einmal  empfohlen 

war,  so  eingehend,  besonders  über  den  als  sein  Nebenbuhler 

geltenden  Dichter,    den    er   zum  Professor   der  Geschichte 

empfohlen  hatte,  sich  ausgelassen  haben  sollte,  wie  Johann 

Daniel   Falk    es   im    Juli   1792   seinen    Bruder    David    weis 

machen  will '.    Er  Uisst  gar  Goethe  eine  acht  Zeilen  lange 

Stelle  aus  Schillers  »Geisterseher«  anführen,    von   welcher 

nur    die    erste    darin  steht.     Goethe  würde  wohl  eher  von 

dem    traurigen   Leiden  Schillers,    den   Falk    selbst   in  Jena 

gesehen   hatte,    und   von    seinen   geschichtlichen   Arbeiten 

als  von  den  längstgeschriebenen  Dramen  und  den  vor  vier 

Jahren    erschienenen    Briefen    über    »Karlos«    gesprochen 

haben,    an   denen   man    die  Schweisstropfen    hängen   sehe. 

Goethe  soll  sich  so  weit  vergessen  haben,  sich  darüber  zu 

ergehen,    dass   Schiller   nur    mit    unsäglicher   Anstrengung 

arbeite,  seiner   Seltsamkeit   zu    gedenken,    dass  er  sich  oft 

acht  Tage   lang   in   Weimar   vor    aller  Welt   verschlossen 

und  vor  seinem  Studirpult  bis  Abends  acht  Uhr  gestanden, 

ohne  sein  Mittagsessen  zu  berühren.   Hätte  auch  der  Klatsch 

etwas   der  Art  Goethe   zugebracht,   unmöglich   konnte    er 

das  junge  Studentenblut  mit  solchen  Kostbarkeiten  regaliren. 

Falk  erkannte  Goethe's  Charakter  so  wenig,   wie  er  seine 

Augen  gut  sah,  die  er  für  schwarz  erklärt.    Man  vergleiche 

nur  die  Schilderung  des  Besuches,  den  der  gut  empfohlene, 

von    seinem    Oheim    begleitete    David    Wh    acht    Monate 

später    bei  Goethe  machte ",    um  sich  zu  überzeugen,    dass 


'  Weimarisches   Jahrbuch    VI.    i  tV..  wo    der    Briet'  irrig  in   den 
December  1794  gesetzt  wird. 

^  Briefwechsel  zwischen  Rahcl  und  David  Vch  I.,   i   ff. 


Heinrich  Düntzer:  Goethe*?  Anknüpfung  mit  Schiller.     179 


Falk  nur  geflunkert  hat,  ja  man  möchte  fast  glauben,  er 
sei  gar  nicht  bei  Goethe  gewesen.  Was  er  von  diesem 
erzählt ,  könnte  er  leicht  sonsthcr  erfahren  haben ,  auch 
das  Gerede  über  Schiller. 

Doch  kehren  wir  zu  Goethe's  Bericht  zurück.  Dieser 
setzt  Dalbergs  Zureden  vor  die  Uebersiedlung  nach  Jena. 
Dalberg  kam  erst  ein  halbes  Jahr  nach  Schillers  Antritt 
seiner  Professur  von  Mainz  nach  Erfurt  zurück,  wo  Karolinc 
von  Beulwitz  ihm  Schiller  empfahl;  im  December  1789 
sprach  er  Schiller  in  Jena,  und  wenn  er  mit  Goethe  über 
ihn  redete,  so  geschah  es  blos  mit  Bezug  auf  die  Ver- 
leihung eines  Gehaltes,  das  wegen  der  bevorstehenden 
Heirat,  von  der  auch  Goethe  wusste,  gewünscht  wurde. 
Dalberg  war  weit  entfernt ,  ein  Freundschaftsbündniss 
zwischen  dem  Jenaer  Professor  und  dem  Weimarer  Minister 
zu  betreiben,  wonach  es  auch  eine  \'crschiebung  der  Sache 
ist,  wenn  Goethe  sagt,  dieses  milde  Zureden  sei  fruchtlos 
gebUeben,  da  die  Gründe,  die  er  jeder  Vereinigung  entgegen- 
gesetzt, schwer  zu  widerlegen  gewesen.  Mit  dem  Gedanken, 
dass  trotz  ihrer  Grundverschiedenheit  doch  ein  Bezug  unter 
ihnen  stattgefunden,  macht  Goethe  den  Uebergang  zu  dem 
Umzug  nach  Jena,  wo  sie  sich  eben  so  wenig  wie  in 
Weimar  gesehen,  was  wieder  nicht  richtig  ist. 

Wir  wissen,  dass  Goethe,  der  sich  vor  kurzem  mit 
Schillers  Freund  Körner  in  Dresden  unterhalten  hatte,  am 
31.  Oktober  1790  ihn  mit  dem  auch  Schiller  und  dessen 
Gattin  bekannten  Maler  Lips  besuchte.  Schiller  fand,  wie 
er  an  Körner  berichtete,  Goethe's  ganze  Philosophie  subjekti- 
visch,  seine  Vorstellungsart  zu  sinnlich ;  sie  betastete  ihm 
zu  viel,  holte  zu  viel  aus  der  Sinnenwelt,  wo  er  aus  der 
Seele  hole.  Das  Gespräch,  bei  dem  viel  von  Körner  die 
Rede  war,  führte  auf  Kant,  dessen  Lehre  Schiller  nur  im 
allgemeinen    kannte,    doch   war    es   ihm    dabei   anziehend, 

wie  Goethe   alles  in  seine  eigene  Manier  kleide  und  über- 

12* 


l8o  Forschungen. 


iMschcnd  das  Gelesene  wiedergebe.  .-XLiflällt  die  Benierkuni;, 
es  telile  Goethe  i^anx  an  der  herzlichen  Art,  sich  zu  etwas 
zu  bekennen,  was  auf  eine  gewisse  Zurückhaltung  deutet. 
Damals  war  eben  seine  Schritt  über  die  Metamorphose 
der  Pflanzen  erschienen,  mit  der  er,  wie  warm  sie  ihm 
auch  am  Herzen  lag,  wie  unumstösslich  seine  Ansicht  ihm 
schien,  wenig  Glück  unter  seinen  Freunden  machte,  ja  selbst 
so  naturkundige,  ihm  innig  ergebene  Männer  wie  Batsch 
legten  daraut  wenig  NWn'th.  WY^nn  Goethe  von  einem 
Gesprach  über  diese  die  erste  Verbindung  mit  Schiller 
herleitet,  so  kann  jenes  selbst,  das  gerade  die  Erwähnung 
im  morphologischen  Hette  veranlasst,  unmöglich  aut  bioser 
Hinbildung  beruhen;  nur  die  Zeitbestimmung  geht  irre: 
»Zu  gleicher  Zeit  [wo  Schiller  nach  Jena  zog]  hatte  Batsch 
durch  unglaubliche  Regsamkeit  eine  naturtorschende  Gesell- 
schaft in  Thätigkeit  gesetzt,  auf  schöne  Sammlungen,  auf 
bedeutenden  Apparat  gegründet«.  Die  naturforschende 
Gesellschaft  gründete  der  äusserst  thätige  und  freisinnige 
Batsch  am  14.  Juli  1793  (es  war  der  Jahrestag  der  Stürmung 
der  Bastille) ;  Goethe,  Schiller  und  Wieland  wurden  zu 
Ehrenmitgliedern  ernannt.  Der  erstere  befand  sich  gerade 
\or  dem  von  den  Verbündeten  belagerten  Mainz,  Schiller 
rüstete  sich  zur  Abreise  nach  Schwaben.  Die  Sammlungen 
und  der  Apparat  waren  eben  nicht  sehr  bedeutend.  Batsch, 
der  diese  zusammengebracht,  war  die  Seele  der  Gesellschaft, 
die  Eiebe  zur  Naturwissenschaft  verbreiten  und  einen  Mittel- 
punkt der  zerstreuten  Bestrebungen  der  Jenaer  und  Wei- 
marer Naturfreunde  bilden  sollte.  Monatlich  fand  eine 
Sitzung  in  einem  Zimmer  des  Schlosses  statt,  in  welcher 
der  Direktor  den  anwesenden  Genossen  mittheilte,  was  im 
Laufe  des  Monats  ihm  Merkwürdiges  zugekommen,  freund- 
schaftlich besprochen,  eingeliefert  oder  schriftlich  verhandelt 
worden;  jede  sonstige  Vorlesung  oder  Unterhaltung  war 
ausgeschlossen.     Xun    erzählt    unser    Bericht,    als    Schiller 


Heinrich  Düntzer:  Goethb^  Anknüpfung  mit  Schiller.    i8l 


und  Goethe  zu  gleicher  Zeit  aus  der  Sitzung  herausge- 
kommen, habe  sich  ein  Gespräch  zwischen  ihnen  angeknüpft, 
das  Goethe  in  Schillers  Wohnung  gelockt,  wo  denn  die 
Metamorphose  zur  Sprache  gekommen.  Dies  müsste  vor 
dem  13.  Juni  1794  geschehen  sein,  an  welchem  Tage 
Schiller  das  Einladungsschreiben  zu  den  »Hören«  an  Goethe 
richtete;  Schillers  Rückkehr  aus  Schwaben  war  am  15.  Mai 
erfolgt.  Nun  aber  ist  eine  Anwesenheit  Goethe's  in  Jena 
während  der  dazwischen  liegenden  vier  Wochen  gar  nicht 
anzunehmen.  Gleich  nach  seiner  Ankunft  hatte  Fichte, 
der  kurz  vor  Schiller  eintraf,  Goethe  in  W^eimar  besucht, 
der  ihn  freundlichst  aufnahm.  Wäre  Goethe  gleich  darauf 
nach  Jena  gekommen,  so  würde  er  ohne  Zweifel  den  für 
ihn  so  anziehenden  neuen  Philosophen  besucht  haben,  was 
in  den  Briefen  an  seine  Gattin  erwähnt  sein  müsste ;  dies 
ist  aber  nicht  der  Fall.  Hätte  eine  Zusammenkunft  zwischen 
beiden  Dichtern  um  diese  Zeit  stattgefunden,  so  könnte 
sie  in  Goethe's  Brief  an  Mever  vom  7.  Juni  und  in  dem 
zweiten,  den  Schiller  nach  seiner  Rückkuntt,  den  12.,  an 
Körner  schrieb,  nicht  übergangen  sein.  Zu  diesen  entschei- 
denden Gründen  kommt,  dass  Schillers  Einladung  zu  den 
»Hören«  und  Goethe's  Antwort  jeden  Gedanken  an  ein 
kurz  vorangegangenes  persönliches  Zusammentreffen  aus- 
schliessen.  Ja,  hätte  wirklich  Ende  Mai  oder  Anfangs  Juni 
ein  solches  Gespräch  stattgefunden,  so  hätte  Schiller  irgend 
eine  Beziehung  auf  die  Unternehmung  der  »Hören«,  die 
ihm  nach  Ausweis  des  Briefes  an  Cotta  vom  19.  Mai  schon 
damals  im  Sinne  lag,  gegen  Goethe  nicht  unterlassen,  ja 
er  hätte  seine  Ansicht  sich  darüber  erbitten  müssen,  was 
nach  der  Fassung  des  Einladungsbriefes  nicht  geschehen 
sein  kann.  Auch  findet  sich  in  den  Briefen  an  Cotta  vom 
4.  und  14.  Juni  nicht  die  entfernteste  Beziehung  auf  eine 
schon  ertolgte  freundliche  Zusammenkunft  mit  Goethe, 
auf  die    er    die   Hoffnung    seines    Beitrittes   hätte    gründen 


l82  Forschungen. 


können  ;  er  j^edenkt  nur  der  Senduni:;  von  Briet  und  Aver- 
tissement  an  diesen,  wie  an  Kant,  Klopstock,  Herder.  Kann 
hiernach  /.wischen  Schillers  Rückkehr  und  seinem  Hinladungs- 
briefe an  Goethe  keine  persönliche  Zusammenkunft  statt- 
gefunden, haben,  so  muss  jenes  Gespräch  über  die  Meta- 
morphose früher  fallen;  denn  dass  die  Erzählung,  dieses  sei 
der  Annäherung  vorhergegangen,  blos  aut  talscher  Erinnerung 
beruhe,  ein  solches  etwa  in  älmlicher  Weise  nach  Goethe's 
Beitritt  stattgefunden,  entbehrt  jeder  Wahrscheinlichkeit, 
wogegen  nichts  gegen  die  Annahme  spricht,  die  Metamor- 
phose sei  bei  Goethe's  Besuch  am  31.  Oktober  1790  zur 
Sprache  gekommen,  das  Gespräch  aber  habe  statt  einer  An- 
näherung eine  grössere  Entfremdung  zur  Folge  gehabt. 

Ereilich  ist  die  Art,  wie  Goethe's  Bericht  das  Gespräch 
einleitet,  nach  falscher  oder  abgeblasster  Erinnerung  gebildet 
und  auf  die  Darstellung  desselben  nichts  zu  geben.  Auf 
dem  Wege  soll  Schiller  bemerkt  haben,  eine  so  zerstückelte 
Art,  die  Natur  zu  behandeln,  könne  den  Laien,  der  sich 
gern  darauf  cinliesse,  nicht  anmuthen.  Aber  in  der  Gesell- 
schaft erfolgten  nur  Mittheilungen  des  Direktors,  die  eben 
Antheil  an  der  Sache  und  eine  gewisse  Kenntniss  voraus- 
setzten. Auf  diese  sehr  verständige  und  einsichtige  Bemer- 
kung will  Goethe  erwidert  haben,  vielleicht  bleibe  diese 
Art  den  Eingeweihten  selbst  unheimlich,  und  es  könne 
wohl  noch  eine  andere  Weise  geben,  die  Natur  nicht 
gesondert  und  vereinzelt  \-orzunehmen,  sondern  sie  wirkend 
und  lebendig,  aus  dem  Ganzen  in  die  Theile  strebend 
darzustellen.  Schiller  habe  dieses  bezweifelt  und  nicht 
eingestehen  wollen ,  dass  eine  solche  Erkenntniss  des 
lebendigen  Wirkens  der  Natur,  ihres  Strebens  aus  dem 
Ganzen  in  die  Theile  schon  aus  der  Erfahrung  hervorgehe. 
Das  war  freilich  ganz  in  Schillers  Sinne,  der  schon  1787 
Goethe  und  allen,  welche  sich  mit  der  Entwicklung  der  Natur- 
gesetze beschät'tigten,  eine  stolze  Verachtung  jeder  Speku- 


Heinrich  Düntzer:  Goeth^'s  Anknüpfung  mit  Schiller.    183 

liition  und  philosophischen  Betrachtung  Schuld  gab,  und 
bemerkte:  »Da  sucht  man  Ueber  Kräuter  oder  treibt  Mine- 
ralogie, als  dass  man  sich  in  leeren  Demonstrationen 
vcrhnge.  Die  Idee  kann  gesund  sein,  aber  man  kann  auch 
übertreiben«.  Auch  der  schöne  Brief,  den  Goethe  im 
Februar  1789  unter  der  Ueberschrift  »Naturlehre«  in  den 
»Merkur«  einrücken  liess  und  der  Schiller  schon  wegen 
der  von  Knebel  darin  gefundenen  Beleidigung  anzog,  konnte 
ihn  nicht  umstimmen,  wie  klar  auch  Goethe  dort  auf  das 
strenge  Auseinanderhalten  der  drei  Naturreiche  drang, 
deren  Gipfel  Krystallisation,  Vegetation  und  animalische 
Organisation  seien,  und  wie  herrlich  er  auch  mit  dem 
bedeutenden  Worte  schloss:  »Die  Wissenschaft  ist  eigentlich 
das  Vorrecht  des  Menschen,  und  wenn  er  durch  sie  immer 
wieder  auf  den  grossen  Begriff  geleitet  wird,  dass  das  All 
nur  ein  harmonisches  Eins,  und  er  doch  auch  wieder  ein 
harmonisches  Eins  sei,  so  wird  dieser  grosse  Begriff  weit 
reicher  und  voller  in  ihm  stehen,  als  w^enn  er  in  einem 
bequemen  Mysticismus  ruhte,  der  seine  Armuth  gern  in 
einer  respektabeln  Dunkelheit  verbirgt«.  Es  war  Schiller 
eben  zuwider,  dass  Goethe  immer  von  den  Sinnen  und 
der  Erfassung  der  sinnlichen  Erscheinungen  ausging,  nicht 
vom  Geiste  und  der  Spekulation.  Erst  später  lernte  er 
den  »ruhigen  Weg«  schätzen,  auf  welchem  dieser  »in  die 
Tiefe  der  Wissenschaften«  gedrungen. 

Während  des  Gespräches  kamen  sie,  so  erzählt  Goethe 
weiter,  zu  Schillers  Hause,  das  an  der  Ecke  des  Markts 
und  der  Strasse  unter  dem  Markte  lag;  die  Lust,  ihn  über 
seine  Zweifel  aufzuklären,  habe  ihn  hineingelockt.  Goethe 
selbst  wohnte  im  Schlosse  und  fast  könnte  man  es 
auffallend  finden,  dass  er  Schiller  von  dort  in  die  Stadt 
begleitete ,  da  von  einer  sonstigen  Absicht  bei  diesem 
Gange  nicht  die  Rede  ist.  »Da  trug  ich  die  Metamorphose 
der  Pflanzen  lebhaft  vor,  und  Hess  mit  manchen  charakte- 


184  Forschungen. 


ristischen  Federstrichen  eine  symbolische  PHanze  vor  seinen 
Augen  entstehen.  F.r  vernahm  und  schaute  das  alles  mit 
grosser  Theilnahme,  mit  entschiedener  Fassungskraft;  als 
ich  aber  geendet,  schüttelte  er  den  Kopt  und  sagte:  ,Das 
ist  keine  Erfahrung,  das  ist  eine  Idee'.  Ich  stutzte,  vcr- 
driesslich  einigermassen:  denn  der  Punkt,  der  uns  trennte, 
war  dadurch  aufs  strengste  bezeichnet.  Die  Behauptung 
aus  »Anmuth  und  Würde«  fiel  mir  wieder  ein,  der  alte 
Groll  wollte  sich  wieder  regen,  ich  nahm  mich  aber 
zusammen  und  versetzte:  ,Das  kann  mir  sehr  lieb  sein, 
dass  ich  Ideen  habe,  ohne  es  zu  wissen,  und  sie  sogar 
mit  Augen  sehe'.  Schiller,  der  weit  mehr  Lebensklugheit 
und  Lebensart  hatte  als  ich,  und  mich  auch  wegen  der 
»Hören«,  die  er  herauszugeben  im  Begriff  stand,  mehr 
anzuziehen  als  abzustossen  gedachte,  erwiederte  darauf  als 
ein  gebildeter  Kantianer,  und  als  aus  meinem  hartnäckigen 
Realismus  mancher  Anlass  zu  lebhaftem  Widerspruch  ent- 
stand, so  ward  viel  gekämptt  und  dann  Stillstand  gemacht ; 
keiner  von  beiden  konnte  sich  für  den  Sieger  halten, 
beide  hielten  sich  für  unüberwindlich«.  Die  Schilderung  ist 
keineswegs  so  anschaulich,  wie  sie  bei -lebhafter  Erinnerung 
gerathen  sein  würde;  auch  zeigt  sie  Goethe  gegen  Schiller, 
dessen  Schütteln  des  Kopfes  freilich  auch  nicht  sehr  fein 
gewesen  wäre ,  wohl  in  einem  zu  ungünstigen  Lichte. 
Schiller  zu  seiner  Ansicht  herüberzuziehen,  durfte  er  nach 
den  Erfahrungen,  die  er  bei  andern  mit  seiner  Metamorphose 
gemacht,  kaum  erwarten,  am  wenigsten  diesen  von  der 
Wahrheit  seiner  symbolischen  Pflanze  zu  überzeugen,  die 
sich  eben  nur  demjenigen  ergeben  kann,  der  sich  von  der  Ent- 
wicklung der  einzelnen  Bildungen  auseinander  ganz  durch- 
drungen hat,  nicht  einem  in  reiner  Beobachtung  der  Natur- 
erscheinungen imgewandten  spekulativen  Geiste.  Und 
haben  wir  das  Gespräch  richtig  dem  31.  C)ktober  1790 
zugewiesen ,    so    waren    auch    die   Aeusserungen    über    die 


Heinrich  Düntzer:  Goethe^S  Anknüpfung  mit  Schiller.     185 


Metamorphose  keineswegs  in  einen  hitzigen  Streit  ausge- 
artet. Dass  Goethe,  welcher  so  viele  Jahre  am  Hofe  gelebt 
hatte,  den  man  seit  der  Rückkehr  aus  Italien  in  Folge  der 
schiefen  Stellung,  in  die  er  durch  seine  \'erbindung  mit 
der  \'ulpius  gegen  die  Gesellschaft  gerathen  war,  allgemein 
kalt  und  verschlossen  flmd,  so  heftig  seine  Ansicht  gegen 
Schiller  verfochten  haben  sollte,  ist  höchst  unwahrscheinlich. 
Freilich  an  Lebensart  und  Lebensklugheit  fehlte  es  auch 
Schiller  später  nicht,  aber  wir  wissen,  dass  auch  ihn  die 
Leidenschaft  zuweilen  hinriss,  und  dass  er  bei  seiner  grossen 
Lebhaftigkeit  es  in  besonnenem,  gemessenem  Benehmen, 
wo  es  darauf  ankam,  Goethe  zuvorgethan,  scheint  uns 
doch  eine  überbescheidene  Behauptung.  Die  Beziehungen 
auf  die  »Hören«  und  »Anmuth  und  Würde«  ergeben  sich 
nach  unserer  Annahme  als  ungehörig.  Dass  Schiller  seine 
symbolische  Pflanze  nicht  für  eine  Erfahrung  halten  konnte, 
sondern  nur  tür  einen  diese  überschreitenden  Begrifl", 
durfte  Goethe  gar  nicht  verstimmen,  da  dies  nicht  anders 
zu  erwarten  stand;  freilich  hatte  dieser  aus  Kants  Lehre 
im  Jahre  1790  noch  keine  Studien  gemacht,  aber  sie  war 
ihm  nicht  ganz  unbekannt,  und  er  schrieb  mit  ihm  dem 
Denkenden  nur  eine  reflektirende  discursive  Urtheilskraft 
zu,  jedentalls  war  ihm  der  Weg  der  Beobachtung  und 
Anschauung,  den  Goethe  mit  solcher  rastlosen,  von  Stufe 
zu  Stufe  steigenden  Ausdauer  ging,  ganz  fremd,  wenn  er 
auch  früher  bei  seinen  physiologischen  Untersuchungen 
einige  Schritte  darauf  gewandelt  war. 

Ganz  unglücklich,  bemerkt  Goethe,  hätten  ihn  in  diesem 
Gespräche  Sätze  gemacht,  wie  folgender:  »Wie  kann 
jemals  Erfahrung  gegeben  werden,  die  einer  Idee  angemessen 
sein  sollte?  denn  darin  besteht  eben  das  Eigenthümliche 
der  letztern,  dass  ihr  niemals  eine  Erfahrung  kongruiren 
könne«.  Goethe  erkannte  in  den  einzelnen  Erscheinungen 
eben  die  allen  zu  Grunde  liegende  Idee,    nur  insofern  war 


i86  Forschungen. 


ihm  .seine  Metamorphose  eine  wirkliche  Erfahruni;,  kein 
Vernunftbegrirt.  Sonderbar  ist  es,  wie  er  hiervon  den 
Ucbergang  zu  der  durch  dieses  Gespräch  vermittelten 
A'erbindung  mit  Schiller  gewinnt.  »Wenn  er  das  für  eine 
Idee  hielt,  was  ich  als  Erfahrung  aussprach,  so  musste 
doch  /.wischen  beiden  irgend  etwas  N'ermittelndes,  Bezüg- 
liches obwalten!  Der  erste  Schritt  war  jedoch  gethan«. 
Eigentlich  knüpft  er  an  den  Widerspruch  ihrer  Ansichten 
über  denselben  Satz  das,  wenn  auch  zunächst  nur  schwache 
\'erlangen  nach  näherer  Verbindung  an.  Das  »jedoch« 
passt  zum  unmittelbar  vorhergehenden  Satze  nicht,  mag 
man  es  nun  als  bestreitend,  beschränkend,  vermittelnd,  wie 
»doch«,  oder  nach  älterm,  auch  noch  bei  Goethe  sich 
findendem  Gebrauche  als  den  Gegensatz  zurückweisend, 
wie  »dennoch«,  nehmen.  Es  bezieht  sich  eben  nicht  auf 
den  letzten  Satz  allein,  sondern  auf  die  Folge  des  Gespräches, 
das  den  Gegensatz  ihrer  Anschauungen  scharf  hatte  hervor- 
treten lassen. 

Höchst  unklar  knüpft  sich  hieran  der  Abschluss  des 
Bundes;  denn  Goethe  fährt  unmittelbar  darauf  fort:  »Schillers 
Anziehungskraft  war  gross,  er  hielt  alle  lest,  die  sich  ihm 
näherten.  Ich  nahm  Theil  an  seinen  Absichten  und  ver- 
sprach zu  den  »Hören«  manches,  was  bei  mir  verborgen 
lag,  herzugeben ;  seine  Gattin,  die  ich  von  ihrer  Kindheit 
auf  zu  lieben  und  zu  schätzen  gew^ohnt  war,  trug  das  Ihrige 
bei  zu  dauerndem  Verständniss ;  alle  beiderseitigen  Freunde 
waren  troh;  und  so  besiegelten  wir,  durch  den  grössten, 
vielleicht  nie  ganz  zu  schlichtenden  Wettkampf  zwischen 
Objekt  und  Subjekt,  einen  Bund,  der  ununterbrochen 
gedauert  und  für  uns  und  andere  manches  Gute  gewirkt 
hat«.  Der  eigentliche  Schritt  zur  Schliessung  des  Bundes 
bleibt  hier  im  Dunkel,  ja  man  könnte  aus  der  Bemerkung, 
Schiller  habe  alle  festgehalten,  die  sich  ihm  genähert,  fast 
den  Schluss  ziehen,  die  Annäherung  sei  von  Goethe's  Seite 


Heinrich  Düntzer:  Goethe's  Anknüpfung  mit  Schiller.    187 


erfolgt  in  Veranlassung  jenes  Gespräches  über  die  Meta- 
morphose. Wir  wissen,  dass  diese  keinen  Bezug  aut  die 
Schliessung  des  Bundes  hatte,  dass  auch  Gattin  und  Freunde 
keine  Annäherung  bewirkten,  diese  eben  nur  durch  die 
Einladung  zu  den  »Hören«  nach  langem  persönlichen 
Fernstehen  veranlasst  wurde,  wobei  wir  bemerken,  dass 
Schiller  schon  fünf  Jahre  vorher  die  Hoffnung  gehegt,  durch 
die  Herausgabe  einer  grösseren  Zeitschritt  mit  Goethe  in 
Verbindung  zu  kommen.  Jetzt  erst  war  es,  wie  es  im 
»Märchen«  heisst,  an  der  Zeit;  beide  hatten  sich  gerade 
zur  rechten  Zeit  gefunden,  und  sie  bedurften  keines  weitern 
Einigungs-  oder  Festhaltungsmittels. 

Vom  November  1790  bis  zum  Juni  1794  fand  keine 
Verbindung  statt.  Als  Schiller  im  Januar  1791  nach  dem 
Fieberanfalle,  den  er  zu  Erfurt  erlitten,  drei  Tage  in  Weimar 
weilte,  besuchte  er  den  Hof,  Wieland,  Voigt  u.  a.,  nicht 
Goethe.  Nach  der  Rückkehr  befiel  ihn  eine  andauernde 
Krankheit,  an  deren  Anfang  die  von  idealem  Standpunkte 
ausgehende  überscharfe  Beurtheilung  von  Bürgers  Gedichten 
erschien.  Am  2.  April  ging  er  zur  Herstellung  seiner 
Gesundheit  nach  Rudolstadt,  von  da  nach  Karlsbad  und 
Erfurt,  erst  am  i.  Oktober  kehrte  er  nach  Jena  zurück. 
Mit  Goethe  stand  er  so  wenig  in  Verbindung,  dass  Wieland 
in  einer  Theaterangelegenheit  den  Vermittler  machte.  Die 
Bühne,  die  optischen  Untersuchungen  und  Geschäfte  nahmen 
diesen  ganz  in  Anspruch.  Im  Frühjahr  1792  traf  er  Schiller 
auf  einem  Spaziergange;  denn  auf  diese  Zeit  muss  das 
gehen,  was  Meyer  am  31.  März  183 1  Eckermann  erzählte: 
»Ich  ging  mit  Goethe  in  dem  sogenannten  Paradies  bei 
Jena  spazieren,  wo  Schiller  uns  begegnete  und  wo  wir 
zuerst  miteinander  redeten.  Er  hatte  seinen  »Don  Karlos« 
noch  nicht  beendigt,  er  war  eben  aus  Schweden  zurück- 
gekehrt und  schien  sehr  krank  und  an  den  Nerven  leidend. 
Sein  Gesicht   glich    dem  Bilde    des  Gekreuziirten.     Goethe 


l88  Forschungen. 


dachte,  er  würde  keine  vierzehn  Tai^e  lehen  ',  allein  als  er 
zu  grössereni  Ik-hagen  kam,  erholte  er  sich  wieder  und 
schrieb  dann  erst  alle  seine  bedeutenden  Sachen«.  Meyer 
kam  erst  im  November  179 1  nach  Weimar,  wo  er  Goethe's 
Hausgenosse  war.  Den  nach  seinen  Bergen  sich  sehnenden 
Schweizer  wird  Goethe  im  nächsten  Frühling  nach  Jena 
geführt  haben,  wo  ihm  freilich  die  Berge  nur  Hügel 
schienen.  Wenn  noch  Palleske,  der  auch  Meyers  Bemerkung 
über  Schiller  willkürlich  Goethe  mit  in  den  Mund  legt,  dieses 
Begegnen  in  den  Mai  1794  setzt,  so  widerlegt  sich  dies 
schon  dadurch,  dass  Meyer  damals  in  Dresden  war.  Auch 
passt  die  Schilderung  seines  leidenden  Zustandes  nicht  auf 
die  Zeit  nach  der  Rückkehr  aus  seiner  Heimat,  wo  er 
sich  in  Stuttgart  überraschend  hergestellt  hatte;  im  Frühjahr 
1792,  als  er  so  lange  nicht  ins  Freie  gekonnnen,  befand  er 
sich  viel  leidender.  Seltsamer,  als  der  Irrthum,  »Karlos« 
sei  noch  nicht  vollendet  gewesen,  ist  die  Bestimmung,  er 
sei  eben  erst  aus  Schw^eden  zurückgekehrt,  wo  er  nie 
gewesen  ;  man  könnte  an  eine  freilich  starke  Verwechslung 
mit  Schwaben  denken,  aber  auch  diese  Bestimmung  passt 
eben  nicht. 

\'om  August  bis  Mitte  December  1792  und  vom  Mai 
bis  zum  August  179^  war  Goethe  von  W'einiar  lern.  Ende 
April  179^  hielt  er  sich  einige  Tage  in  Jena  aul ,  wo 
Schiller  in  seinem  Gartenhause  wohnte  und  von  der  rauhen 
Witterung  litt.  Auch  damals  sahen  sie  sich  nicht.  Als 
(ioethe  vom  Rheine  zurückkehrte,  war  Schiller  nach  Schwaben 


'  Am  20.  Dcccmbcr  1829  lasst  Eckermann  Goethe  sagen,  als  er 
Scliillcr  zuerst  kennen  gelernt,  habe  er  geglaubt,  er  lebe  keine  vier 
Wochen.  Das  ist  jedenfalls  irrig;  weder  im  Jahre  1788,  wo  Goethe 
ihn  zuerst  sah,  noch  1790  war  Schiller  so  krank;  nur  von  diesem 
zufälligen  Begegnen  im  Frühling  1792  kann  es  gelten.  .\uch  sonst  tühren 
die  .\eusserungen  Goethe's  in  den  Gesprächen  mit  Hckcrmann  häutig  irre. 


Heinrich  Düntzer:  Goethe's  Anknüpfung  mit  Schiller.     189 


abgereist.  Erst  die  Einladung  zu  den  »Hören«  führte  zu 
dem  einzigen  Bunde.  Wie  wenig  treu  Goethe's  (jedächtniss 
in  Bezug  auf  seine  erste  Anknüpfung  mit  Schiller  war, 
ergibt  sich  daraus,  dass  er  weder  des  Einladungsbriefes, 
noch  des  ersten  Besuches  in  Jena  mit  dem  so  bedeutenden 
Gespräche,  noch  des  vier/ehntägigen  die  Geister  voll 
gegeneinander  t)rtnenden  Zusammenlebens  in  Weimar 
gedachte ;  nur  das  Gespräch  über  die  Metamorphose  lag 
ihm  noch  im  Sinne.  Dieses  hatte  er  schcMi  am  i.  Oktober 
1815  gegen  Boisseree  erwähnt,  aber  niu'  mit  der  unbe- 
stimmten Zeitangabe :  »Als  ich  nachher  [nach  der  Rückkehr 
aus  Italien]  Schiller  in  Jena  sah«.  Goethe  soll  damals  das 
Gespräch  oder  vielmehr  Schillers  Ausruf:  »Das  ist  eine 
Idee!«  als  Veranlassung  seiner  eigenen  Beschäftigung  mit 
der  Kantischen  Philosophie  bezeichnet  haben,  die  er  sich 
durch  Reinhold  habe  vortragen  lassen.  Leider  ist  Boisseree's 
ganzer  Bericht  nicht  in  allen  Einzelheiten  zuverlässig  und 
genau,  da  ihm  das  Gedächtniss  bei  der  Niederschrift  nicht 
ganz  getreu  war. 


4.  Die  Bühnen -Bearbeitung  des 
Götz  von  Berlichingen. 

VON 

Otto  Brahm. 


ntcr  allen  Werken  Goethe's  hat  keines  nach  seiner 

\\illendung  eine    so    häufige  Bearbeitung,    so    tief 

ül  greifende    \'eränderungen    erfahren    müssen ,    wie 


sein  erstes  grosses  Drama,  der  Götz  von  Berlichingen.  Das 
Verhältniss  der  ersten  Fassung  von  1771,  zur  zweiten,  aus  dem 
Jahre  1773,  ist  bereits  mehrfach  einer  philologischen  Betrach- 
tung unterzogen  worden'  und  kann  desshalb  hier  tüglich 
ganz  ausser  Acht  bleiben;  die  bewunderungswürdige  Selbst- 
überwindung und  künstlerische  Selbstbeschränkung,  von 
der  die  zweite  Bearbeitung  Zeugniss  ablegt ,  macht 
die  Betrachtung  dieser  zu  einer  durchaus  erfreulichen, 
während  die  Untersuchung,  welche  uns  im  Folgenden 
beschäftigen  soll,  zu  durchaus  imertreulichen  Resultaten 
führen  wird. 


'  Am  gründliclistcii  und  Iruclitbarstcn  in  den  soeben  erschienenen 
»Studien  zur  Goethe-Pliilologie«  von  J,  Minor  und  A.  Sauer.  Wien  1880. 


O.  Brahm:  Bühnhn-Bearbeitl'NG  dhs  Götz  von  Bhklichingkx.      19 1 

Die  erste  Bühnen-Beiirbeitung  des  »Götz«  liegt  erst 
seit  Kurzem  vollständig  im  Druck  vor,  da  das  Original- 
manuscript, welches  der  Schauspieler  Un/clmann  besessen 
hatte,  eine  Zeit  lang  verloren  war  und  nur  durch  einen 
glücklichen  Zufall  wieder  aufgefunden  wurde;  11.  W'endt 
hat  das  Drama  in  einer  vortrefflichen  Ausgabe  (Karlsruhe 
1879)  erscheinen  lassen.  Nach  diesem  Texte  fiind  in 
Weimar  am  22.  September  1804  die  erste  Darstellung  statt; 
Goethe  glaubte,  das  Stück  werde  nahe  an  vier  Stunden 
spielen,  allein  die  Aufführung  währte  von  halb  sechs  bis 
gegen  Mitternacht.  So  musste  er  zu  einer  zweiten 
Bühnen-Bearbeitung  schreiten  (bei  Hempel  und  in  andern 
Ausgaben  gedruckt),  die  aber  fast  nur  in  Kürzungen  bestand; 
in  einigen  Punkten  nähert  sie  sich  wieder  der  Fassung  von 
1773.  Auch  mit  dieser  Bearbeitung  war  der  Dichter  nicht 
zufrieden;  im  Jahre  1809  machte  er  das  bekannte  seltsame 
Experiment,  das  Drama  in  zwei  selbständige  Stücke  zu 
zerlegen,  in  das  Ritter-Schauspiel  Adelbert  von  Weisungen, 
in  vier  Autzügen,  und  das  Ritter -Schauspiel  Götz  von 
Berlichingen,  in  iünt  Aufzügen.  Und  bei  weiteren  Dar- 
stellungen, 1819,  1829,  1830,  hält  er  noch  immer  seine 
Aufgabe  für  nicht  völlig  gelöst,  wieder  werden  Kleinigkeiten 
geändert,  1830  die  zwei  Stücke  wieder  zu  einem  zusammen- 
gezogen. Es  würde  durchaus  verwirren,  wollte  ich  in  dem 
Folgenden  auf  alle  diese  Fassungen  Rücksicht  nehmen;  ich 
beschränke  mich  vielmehr  darauf:  die  Bühnen-Bearbeitungen 
durch  die  Betrachtung  jener  Abweichungen  zu  charakterisiren, 
welche  die  erste  Bühnen-Bearbeitung,  von  1804,  (B)  von  der 
Fassung  unterscheiden,  in  der  »Götz  von  Berlichingen« 
zum  ersten  Male  vor  das  deutsche  Publikum  trat,  von  der 
Fassung  von  1773.  (A) 

Schon  aus  der  Thatsache,  dass  der  ersten  Bühnen- 
Bearbeitung  immer  neue  folgten,  ergibt  sich,  dass  die  erste 
nicht  gelungen  war,  dass  der  Dicliter  das  Misslingen  fühlte. 


192  Forschungen. 


aber  doch  nichi  im  Stande  war,  etwas  Besseres  zu  i^eben. 
Goethe'n  selbst  war  denn  auch  bei  der  Arbeit  durchaus 
nicht  gut  zu  Muthe;  er  gesteht,  er  habe  nicht  mit  Liebe 
daran  gearbeitet,  er  nennt  sein  Vorgehen,  in  einem  Briefe 
an  Zelter  (I,  127),  »Penelopeisch«,  was  er  gewoben,  muss 
er  immer  wieder  »autdröseln«.  Während  wir  in  einem 
andern  Falle,  dem  »Werther«  gegenüber,  die  Sicherheit 
nicht  genug  bewundern  können,  mit  welcher  der  Dichter 
den  Ton  seiner  Jugend  noch  in  der  Mitte  der  achtziger 
Jahre  wiederzufinden  verstand;  während  wir  weiter  dem 
»Faust«  gegenüber  zwar,  Goethe's  Bemühungen  zum  Trotz 
und  ohne  das  verschiedenartig  gefärbte  Papier  vor^  Augen 
zu  haben  (an  Herder,  i.  März  1788),  die  älteren  und 
die  jüngeren  Scenen  scheiden  können,  aber  doch  nur 
scheiden,  weil  Scherers  bewundernswerther  Scharfblick 
den  Weg  dazu  gewiesen  —  können  wir  im  » Götz « , 
mit  der  allerleichtesten  Mühe,  und  häufig  auch  ohne 
die  ursprüngliche  Fassung  zu  vergleichen,  die  neuen 
Partien  heraus  finden ,  so  durchaus  stillos  erscheinen 
sie  dem  Betrachter.  Selbst  bei  der  schärfsten  Prüfung  aber 
wird  man  im  »Götz« ,  den  starken  Verschlechterungen 
gegenüber,  nur  ganz  verschwindende  Besserungen  ent- 
decken, und  man  sagt  in  der  That  nicht  zu  viel,  wenn 
man  findet,  dass  Goethe  hier  seine  ursprüngliche  Conception 
jämmerlich  verdorben  habe  —  mehr  vielleicht,  als  es  jemals 
durch  einen  fremden  Bearbeiter    hätte    geschehen    können. 

Die  Aenderungen  nun,  welche  Goethe  in  B  vorge- 
nommen hat,  lassen  sich  nach  folgenden  Gesichtspunkten 
etwa  gruppiren  : 

1.  Engere  Motivirung. 

2.  Losere    Motivirung    (meist    durch    Kürzungen    ver- 
anlasst). 

^  \'eränderte  Tendenzen. 


O.  Bkahm:  Bühn'ex-Bearbhitung  des  Götz  von  Beklichingen.     193 

4.  Bühnen-EfFecte. 

5.  Interpolationen   nach    der    Seite    des  Weichen  und 
Sentimentalen. 

6.  Reflexionen. 

7.  Stil. 

(i.)  Zu  den  wichtigsten  künstlerischen  Eigenheiten  des 
alteren  (k)ethe  gehört  die  Neigung  zu  strengem  Motiviren; 
dem  Bestrehen:  den  engsten  Zusammenhang  auch  in  die 
Motive  des  Götz  zu  bringen,  ist  eine  ganze  Reihe  wichtiger 
Aenderungen  in  B  entsprungen.  Niemand  erscheint,  so  weit 
es  möglich,  unvermittelt,  ohne  vorherige  Ankündigung; 
auf  Ereignisse,  die  in  Zukunft  eintreten  werden,  wird 
schon  vom  Anbeginn  an  hingewiesen^  ihre  Möglichkeit 
oder  Nützlichkeit  zum  Voraus  ins  Auge  gefasst. 

So  tritt  in  B  Weislingens  Knappe  Fm;/^  gleich  in 
der  ersten  Scene  auf,  während  er  in  A  erst  am  Schlüsse 
des  ersten  Aktes  erscheint,  als  er  bereits  in  Adelheid 
verliebt  ist.  Was  bezweckt  die  Aenderung  ?  Franz  soll 
Gelegenheit  erhalten,  bevor  er  Adelheid  kennen  gelernt,  sein 
Vorleben,  seine  Stimmung  darzulegen.  Er  sehnt  sich  in 
die  Ferne,  er  will  nichts  wissen  von  Weibern.  So  ist 
die  Wirkun»  Adelheids  grösser  und  doch  zugleich  vorbe- 
reitet.   Im  zweiten  Akt  dann  wird  darauf  Bezug  genommen: 

O  die  Welt  ist  nicht  mehr  unendlich  für  mich!  Ins 
Blaue  hinaus  geht  meine  Sehnsucht  nicht  mehr!  Zu  ihr! 
Zu  ihr!   (Wendt  S.  50). 

Olcariiis  und  der  Narr  —  der  an  die  Stelle  des  Liebe- 
traut gekommen  ist  —  werden  in  B  schon  vor  ihrem 
Erscheinen  gesprächsweise  erwähnt,  in  dem  Bericht  des 
Franz  über  die  Zustände  in  Bamberg  und  über  Adelheid. 
In  A  heisst  es : 

Ich  hätte  mein  \'ermögen  gegeben,  die  Spitze  ihres 
kleinen    Fingers    küssen    zu    dürfen !      Wie    ich    so    stand, 

GoETFiH- Jaiiup.li:ti   II.  13 


194  Forschungen. 


warf  der  Bischof   einen  Bauern  herunter;   ich  fuhr  darnach 
und  berührte  im  Auf  heben  den  Saum  ihres  Kleides.' 

Dagegen  in  B : 

Alles  hätte  ich  hingegeben,  die  Spitze  ihres  kleinen 
Fingers  küssen  /u  dürfen!  O,  \vie  hab  ich  mich  an  die 
Stelle  des  Narren  gewünscht!  O  der  glückliche  Narr! 

Wcislingen.    Den  alten  Kunz  meynst  Du? 

Franz.   Denselben. 

Weisungen.  Und  was  begegnet'  ihm  beneidenswerthes? 
Ihm,  der  sonst  nur  Schläge  zu  erndten  gewohnt  ist? 

Fran:^^.  Es  war  auch  ein  Schlag,  aber  von  ihrer  Hand. 
Diesseits  stand  ich,  jenseits  er,  da  warf  sie  einen  Bauern 
auf  den  Boden,  und  täppisch  dienstfertig  bückte  sich  der 
Narr  darnach.  Da  gab  ihm  ihre  leichte  schöne  Hand  einen 
Klapps  hinter  die  bunten  Ohren.  Ich  sprang  hinüber  und 
las  mit  auf.  Hätte  sie  doch  auch  nach  mir  geschlagen! 
Da  berührt  ich  den  Saum  ihres  Kleides.     (S.  42). 

In  A  ist  Olcariüs  rein  zufällig  am  Hofe  des  Bischofs, 
er  greift  in  keiner  Weise  in  die  Handlung  ein ;  in  B  ist 
er  zu  ganz  bestimmten  Zwecken  in  Bamberg,  er  ist  »von 
Bononien  her«  zum  Kanzler  verschrieben,  seine  Rechts- 
gelehrsamkeit soll  der  Befreiung  Weislingens  zu  Gute 
kommen,  die  neue  Ordnung,  welche  er  einführt,  ist  eines 
der  Momente ,  die  Weisungen  antreiben ,  an  den  Hof 
zurückzukehren. 

In  A  fallen  den  Zigeunern  und  den  iMitgliedern  der 
Vehnie  je  eine  Scene  zu,  in  B  dagegen  je  drei.  In  der 
neunten  Scene  des  letzten  Aktes  erscheinen  die  Boten, 
welche    zur  Gerichtsnacht   ziehen,   in   der  vierzehnten  eine 


'  Hempel,  Bd.  6  S.  46.  Ich  cilire  nach  der  Hcmperschen  Aus- 
gabe, da  die  Bearbeitung  von  1787,  welche  ihr  zu  Grunde  liegt,  nur 
in  für  unsern  Zweck  unwesentlichen  Einzelheiten  von  A  verschieden 
ist.     ^'gl.  Bd.  6.  S.  204—9. 


ü.  Brahm:  Buhnen-Bearbeitung' des  Götz  von  Berlichingen.     195 

vermummte  Gestalt,  mit  Strang  und  Dolch,  welche  auf 
das  Vorgehen  des  heimlichen  Gerichts  gegen  Adelheid 
diese  selbst  und  den  Zuschauer  vorbereiten  soll,  und  erst 
in  der  neunzehnten  Scene,  der  vorletzten  des  ganzen 
Dramas,  folgt  die  aus  A  bekannte  feierhche  Sitzung.  Die 
Zigeuner  treten  in  B  gleich  in  der  ersten  Scene,  als  Wahr- 
sager, auf  und  dann  in  dem  Kampfe  zwischen  Götz  und 
der  Reichsarmee,  wo  sie  zu  rauben  und  zu  plündern  ver- 
suchen;  in  A  ist  hiervon  nicht  die  Rede. 

Die  »grossen  Anschläge«  Sickiiigeiis  werden  in  A  nur 
gelegentlich,  und  mehr  vorübergehend,  durch  Götz  erörtert; 
in  B  beginnt  die  Scene,  in  welcher  Sickingen  zum  ersten 
Male  erscheint,  eindringlicher  und  gewichtiger  mit  den 
Worten  des  Götz : 

Weite  Plane,  theuerster  Sickingen,  hab  ich  euch  immer 
zugetraut  und  vermuthet;  jetzt,  da  ihr  sie  aussprecht, 
erschrecke  ich  davor.  So  verschieden  sind  unsere  Geister! 
Mir  genügt  es,  mich  in  der  Nähe  zu  tummeln  und  das 
was  recht  und  billig  ist,  zu  fördern.  (89)  — 

woran  sich  dann  noch  weitere  Erörterungen  und  Reflexionen 
schliessen.  Ebenso  wird  die  Entw^icklung  des  Verhältnisses 
zwischen  Sickingen  und  Maria  in  B  breiter  dargestellt;  in 
A  finden  sich  die  Beiden  hinter  der  Scene,  in  B  spielt  sich 
eine  ihrer  Begegnungen  vor  unsern  Augen  ab  und  Sickingen 
legt  ausführlich  dar,  wie  seine  Liebe  zu  Maria  entstanden  ist : 

Du  bist  von  frühern  Zeiten  meine  Liebe.    Lächle  nur ! 

staune  nur!     Ich  will  es  dir  erklären.     Melleicht  erinnerst 

du  dich  kaum  dass  du,  mit  deiner  Mutter,  auf  dem  Reichstag 

zu    Speyer  warst    .  .  .   Damals   als   du    mit   deinen   blauen 

Augen  zu  mir  herauf  blicktest,  fühlte  ich  den  Wunsch  dich 

zu  besitzen.   Lange  war  ich  von  dir  getrennt,  jener  Wunsch 

blieb   lebendig,   so  wie  jenes  Bild,  wie  der  Eindruck  jener 

Augen.     Ich  komme  eigentlich  nur  zurück. 

13* 


196  Forschungen. 


Demselben  Ik-dürtniss  der  strengeren  Motiviruni;  ent- 
spricht es,  wenn  in  H  aut  der  einen  Seite  uns,  genauer 
noch  als  in  A,  dargelegt  wird ,  wie  Göt{  und  JJ'risliiii^wii, 
die  alten  Kameraden,  auseinandergekommen  sind,  und  wenn 
andrerseits  aut  die  abermalige  Tremumg  und  die  \\'ieder- 
annäherung  Weislingens  an  den  Ik)i  \(,)rbereitet  wird.  Dem 
einen  Zwecke  dient  die  Frage  der  Maria:  »Wie  konntet 
ihr  euch  jemals  entxweven?«   und  Weislingens  Antwort: 

Auch  das  wird  mir  nun  ganz  klar.  C^ !  warum  blieb 
ich  zurück,  als  er  nach  Brabant  zog,  er  bildete  sich  zum 
Krieger,  ich  zum  Weltmann,  und  als  er  zurückkam,  gesteh 
ichs  nur,  das  strenge,  barsche  Wesen  liel  mir  lästig.  Da 
mied  ich  ihn,  wir  wurden  kälter,  wir  trennten  uns,  ein 
anderer  Kreis  lunschloss  mich,  und  wir  wurden  1-einde.  (34); 

dem  andern  Zwecke  dienen   die   Worte  des  1-ranz  : 

Das  kann ,  das  muss  anders  werden.  Und  es  wird 
sich  geben.  Heute  streiten  sich  die  Herren,  gross  und 
klein,  als  wollten  sie  sich  die  Köpfe  abreissen  luid  morgen 
sind  sie  wieder  einig ,  Freunde ,  \'erbündete ,  giue  Ge- 
sellen. (43) 

Selbst  so  weit  geht  Goethe  in  seiner  peinlichen  Sorgfalt, 
dass  auch  das  spätere  l^intreten  des  kleinen  Karl  ins 
Kloster  vorher  angekündigt  werden  muss;  Maria  lügt  in 
B  neu  hinzu,  nachdem  sie  gesagt :  »Die  rechtschartensten 
llitter  begehen  mehr  Ungerechtigkeit  als  Gerechtigkeit  auf 
ihren  Ziigeno,  sie  fügt  liinzu :  »Ja,  und  ich  kann  es  keinem 
friedliebenden  \erdenken,  weim  ei'  sich  aus  dieser  wilden 
Welt  heraus  und  in  ein  Kloster  begibt«.  (19)  Die  Fin- 
fügung  ist  gewiss  nicht  sonderlich  geschickt,  man  sieht 
deuthch   die  Naht   in  dem    »ja,  undc 

Durch  ein  solches  »ja«  wird  auch  in  einer  andern 
Scene  ein  neues  Stück  angelügt,  Göv/.  rutt  seiner  Cjattin  zu: 


O.  Brahm:  Bühnen-Bearbeitun«' des  Götz  von  Berlichingen.    197 

Du  sollst  deine  Hand  auch  da/uijeben,  und  sagen: 
Gott  segne  euch.     Sie  sind  ein  Paar. 

Hlisühiih.    So  geschwind? 

G()/~.  Aber  nicht  unvennuthet.  ja  l'rauen,  ihr  könnt, 
ihr  sollt  alles  wissen.  Schon  ist  ein  Knecht  tort,  dem 
Bischori'  ein  Schreiben  zu  bringen.  (36) 

Aehnlich  wird  im  dritten  Akt  eine  alte  Scene  an  eine 
neue  geflickt ;  die  \'erbindung  wird  so  hergestellt :  »Gö!:;;  (nach 
der  Thür  schauend)  Was  gibts  ?  Da  kommt  ja  Selbitzc  (91) 
Dasselbe  \'erbindungsglied  noch  zweimal  im  zweiten  Akt: 
»Da  kommt  mein  Herr«  und:  »da  seh  ich  ihn  kommen«. 
(62,  66). 

Endlich  sei  noch  erwähnt,  dass  in  B  die  Stellen  der 
Reichsarmee  durch  \'erwandte  und  Günstlinge  Adelheids 
besetzt  werden  ;  wenn  man  will,  so  mag  man  auch  hierin 
ein  Streben  nach  engerem  Zusammenhang  erblicken.  Un- 
zweifelhaft aber  erscheint  Adelheid  in  der  Scene,  in  welcher 
sie  Weislingen  bestimmen  will,  diese  und  andere  Aemter 
ihren  Freunden  zu  überlassen,  kleinlich  und  unklug  zugleich, 
da  sie  unfähigen  Günstlingen  wichtige  Stellen  überlassen 
mag.  Ob  man  sagen  darf,  dass  hier  die  Erfahrungen  des 
Hoflebens  mitspielen,  die  Goethe  bei  der  Ausführung 
von  A  noch  nicht  gemacht  haben  konnte? 

(2.)  Nicht  nur  dieser  Zug  ist  neu  hinzugekommen, 
sondern  der  ganze  Theil  des  Dramas,  welcher  sich  um 
Adelheid  und  Weislingen  dreht,  hat  die  einschneidensten 
Veränderungen  erfahren.  Goethe  hat  hier  einerseits  Erzählung 
in  Handlung  umgesetzt,  andererseits  sehr  wichtige  Scenen 
ganz  fortgelassen ,  das  eine  noch  unglücklicher  als  das 
andere.  In  A  erzählt  Liebetraut,  wie  er  Weislingen  bewogen 
habe,  nach  Bamberg  zu  kommen: 

Erst  that  ich,  als  wüsst  ich  nichts,  verstund'  nichts 
von  seiner  Aufführung,  und  setzt  ihn  dadurch  in  den  Nach- 
theil, die  ganze  Historie  zu  erzählen   u.  s.  w.   (51) 


198  Forschungen. 


Dieser  i^iinz  vor/iit^lichc  Bericht,  ein  wahres  Meister- 
stück der  M(ni\'iruni; ,  der  durchaus  das  leistet,  was  die 
Situation  verhingt,  ist  gelahen;  für  l.iehetraut  ist  der  sehr  ge- 
wöhnHcheXarr  eingetreten,  der  vor  unsern  Augen  Weisungen 
bestimmen  soll,  nach  Bamberg  zu  kommen  und  der  weiter 
nichts  vorzubringen  weiss,  als  dass  Olearius  eine  neue 
Ordnung  der  Dinge  einführe.  In  keiner  Weise  aber  wird 
Adelheid  damit  in  W'rbindung  gebracht. 

Und  nun,  das  erste  Mal,  da  wir  Weisungen  und 
Adelheid  beisammen  sehen  —  finden  wir  sie  bereits  völlig 
miteinander  einig.  Gefallen  sind  also  die  wichtigsten 
Scenen  des  früheren  zweiten  Aktes,  zw  ischeu  dem  i^ischol 
undWeislingen,  und  die  ganzeEntwicklung  des  Verhältnisses 
Adelheid-Weislingen,  Scenen,  welche  ebenso  bedeutend,  wie 
unentbehrlich  sind,  soll  anders  Weislingen  nicht  als  ein 
ganz  erbärmlicher  Schwächling  erscheinen,  als  eine  elende 
Puppe  in  der  Hand  seiner  jeweiligen  Umgebung. 

Anderes,  wie  die  Klagen  des  Götz  über  das  gezwungene 
Müssiggehen,  oder  die  Unterredung  Elisabeths  und  Lerses, 
welche  auf  das  Schicksal  vorbereitet,  das  den  Götz  erwartet, 
vermissen  wir  zwar  ebenfalls  ungern,  aber  es  ist  doch  nicht 
gradezu  unentbehrlich.  Dagegen  tritt  der  Bauernkrieg  und 
die  Verwicklung,  welche  für  Götz  daraus  resultirt,  in  l'olge 
starker  Striche,  wieder  gar  zu  unvermittelt  ein.  Xur  ganz 
vorübergehend,  und  ohne  Beziehung  aul  Götz,  luircn  wir 
von  der  Meuterei  der  I. andiente,  gegen  die  Weislingen 
zu  Felde  ziehen  wird.  Im  Anfang  des  fünften  Aktes  dann, 
mitten  im  Gespräch,  ruft  plötzlich  Götz  —  man  erkennt 
wiederum  die  Xath  — :  »Doch,  was  ist  das  für  ein  Staub 
dort  unten  ?  Welch  ein  wilder  Hauten  zieht  gegen  uns 
an?«  (151)  Und  sofort  folgt  die  für  Götz  so  bedeutsame 
Uebernahme  der  Anfülu-erschaft.  In  der  h-ülK-rcn  kassuiig 
wurde,  am  Ende  des  xierten  Aktes,  Götz  von  dem  Bauern- 
krieg; unterrichtet,  im  fünften  Akt  folgte  unmittelbar  daraut 


Ü.  Brahm:  Bühnen-Bearbeitung'des  Götz  von  Berlichingen.     199 

eine  Sceiie  des  Krieges,  »Tumult  und  Plünderung«,  der 
Beschluss,  Götz  (oder  Stumpf)  zum  l'"ührer  zu  wählen, 
wurde  getasst  —  und  jetzt  erst,  in  der  nächsten  Scene, 
wurde  Götz  der  Hauptmann  der  Hmpörer. 

(3.)  Die  Ursache  dieser  und  ähnlicher  Kürzungen  waren 
sicher  Rücksichten  auf  die  Bühne;  dagegen  kann  man  zweifeln, 
ob  die  Bauernhochzeit  mehr  aus  diesem  Grunde  fehlt,  oder 
weil  sie  der  veränderten  Tendenz  des  Dichters  nicht  mehr 
entsprach.  Diese  \'eränderung  liegt  uns  in  andern  Punkten 
deutlich  vor  Augen.  Fast  Alles,  was  in  A  gegen  Fürsten 
Luul  Hof  gesagt  wurde,  ist  in  B,  sow^eit  es  irgend  entbehrlich 
war,  getallen  ;  in  jeder  und  jeder  Hinsicht  macht  sicli  der 
bestimmte  Wille  bemerkbar,  die  Reden  von  Freiheit  und 
Unabhängigkeit,  die  der  veränderten  Anschauung  des  Dichters 
nicht  mehr  gemäss  sind,  unbedingt  zu  unterdrücken. 

Gleich  im  ersten  Akt  fehlen  die  Worte  des  Götz: 
»Wie  wollen  wir  den  Fürsten  den  Daumen  auf  dem  Aug 
halten !((  (43)  und  jene  des  Sievers:  »Dürften  wir  nur  so 
einmal  an  die  Fürsten,  die  uns  die  Haut  über  die  Ohren 
ziehen«  (21),  wogegen  eingeschaltet  ist:  »Fin  Bauer  ist 
jederzeit  so  gut  als  ein  Reiter  und  vielleicht  so  gut  als  ein 
Ritter.  Fs  wird  sich  zeigen«.  (5)  In  der  Tafelscene  des 
dritten  Aktes  macht  sich  vor  Allem  der  Fortfall  des  dreimal 
wiederholten :  »Es  lebe  die  Freiheit«  bemerkbar,  welches  da- 
durch noch  besonders  hervortrat,  dass  Götz  erklärte,  ihr 
vorletztes  Wort,  wenn  sie  stürben,  solle  lauten:  es  lebe 
der  Kaiser!  ihr  letztes  aber:  es  lebe  die  Freiheit!  (S.  80.) 

Aber  wenn  wir  es  begreiflich  finden ,  dass  eine 
Stelle,  wie  diese,  dem  Goethe  von  1804  bedenklich 
erschien,  so  werden  wir  doch  nicht  umhin  können, 
einige  andere  kleine  Aenderungen  als  entbehrlich  und  ein 
wenig  pedantisch  zu  bezeichnen.  Wenn  Götz  in  A  fragte: 
»Hab'  ich  nicht  unter  den  Fürsten  treffliche  Menschen 
gekannt,    und    sollten  wir  nicht  hoffen,  dass  mehr  solcher 


200  Forschungen. 


l'ürstcn  aut  einmal  herrschen  können?«  (8i)  —  so  muss 
diese  Stelle  in  B  ebenso  gut  entfallen,  wie  die  unschuldige 
Wendung:  »wenn  meine  Leute  beisammen  sind,  es  wird 
ein  Häuflein  sein,  dergleichen  wenig  Fürsten  beisammen 
gesehen  haben«.  {66)  Sagte  Götz  in  A:  »So  lang's  an 
Wein  nicht  mangelt  und  an  frischem  Muth ,  lach'  ich  der 
Fürsten  Herrschsucht  und  Ränke«  (21),  so  wird  in  B  das 
Wort:  Fürsten  unterdrückt,  und  es  heisst  nur:  »So  lanü:e 
es  an  Wein  nicht  mangelt  und  an  frischem  Muth,  sollen 
Herrschsucht  und  Ränke  mir  nichts  anhaben«.  (7)  Bezeich- 
nend ist  eine  Aenderung  in  der  ersten  Scene  zwischen 
Götz  und  Weisungen.     In  A  heisst  es: 

lVei$rni^eu.   Ich  bin  gefangen ;  das  Uebrige  ist  eins. 

G'dl~.  Ihr  solltet  nicht  so  reden.  Wenn  ihr's  mit 
Fürsten  zu  thun  hättet,  und  sie  Fuch  in  tiefen  Turn  an 
Ketten  authingen  (31); 

in  B  statt  dessen  : 

Wenn  ihr's  mit  Tyrannen  zu  thun  hättet  (24). 

Hätte  der  junge  Goethe  diese  Aenderung  gethan,  so 
wäre  sie  kaum  Aenderung  zu  nennen  gewesen,  denn 
»Fürst«  und  »T^■rann«  sind  für  ihn  und  die  Genossen 
nahezu  gleichbedeutend  ;  eben  desshalb  fühlte  er  später 
die  Xothwendigkeit ,  zwischen  den  guten  und  den  bösen 
Herrschern  zu  scheiden. 

Noch  eine  interessante  Aenderung  enthält  die  zweite 
Bühnenbearbeitung,  auf  die  ich  hier  ausnahmsweise  Rück- 
sicht nehmen  will;  dort  sollte  nicht,  wie  in  A  und  B,  der 
Tod  des  Götz  das  Drama  beschliessen,  sondern  die  Scene 
des  heimlichen  (Berichts,  und  die  letzten  Worte  des  Stückes 
daher  nicht  lauten':  »Himmlische  Luft—  l'reiheit!  l'reiheit!« 
u.  s.  w.,  sondern  vielmehi': 

Ihr  die  ihr  Uebelthaten  verabscheut,  Richter  in  der 
Tiefe,  wirket,  so  lange  die  Nacht  währt!  ja,  der  Tag 
wird    kommen ,    der    euch    abruft.       Frscheine    'Fag    den 


O.  Brahm:  Bühnen-Bearbeitung  ifts  Götz  von:  Berlichingen.    201 


\'ölkcrn,  verleihe  glückliche  Thärigkeit,  und  /um  Plande 
geset -lieber  Freiheit  walte  von  oben  im  Lichtiilanz  (jerechtiu- 
keit   und  Macht. 

Zu  diesen  Tenden/en  Goethe's  stimmt  es,  wenn  in 
B  ein  heftiger  Ausfall  auf  die  deputirten  Räthe  fortgefallen 
ist  —  »die  grossen  goldnen  Ketten«,  heisst  es  in  A  (84), 
»stehen  ihnen  zu  Gesicht  wie  dem  Schwein  das  Halsband«  — 
und  wenn  ferner  das  patriarchalische  W-rhältniss  des  Götz 
zu  seinen  Untergebenen  eine  leise  Abschwächung  eriahren 
hat;  er  fragt  den  Lerse  nicht  mehr:  »Wie  lange  wollt 
Ihr  bei  mir  aushalten?«  (A  6'-)),  sondern:  »Auf  wie  lange 
verpflichtet  ihr  euch«  (96),  und  als  Georg  erzählt,  Weis- 
ungen habe  kaum  das  Herz  gehabt,  ihn  anzusehen,  ihn, 
einen  schlechten  Reitersjungen,  sagt  Götz:  »Erzähle  du, 
und  lass  mich  richten«  (69),  während  in  A  diese  Worte 
fehlten,  und  Selbitz  vielmehr  zustimmend  bemerkte:  »Das 
macht,  sein  Gewissen  war  schlechter  als  Dein  Stand«  (^6). 

Interessant  für  die  Wandlungen,  welche  Goethe's  An- 
schauungen durchgemacht  haben,  sind  weiter  die  Zigeuner- 
scenen.  In  den  älteren  Fassungen  erscheinen  die  Zigeuner, 
durchaus  romantisch,  und  im  Einklang  mit  der  allgemeinen 
Vorliehe  der  Stürmer  und  Dränger  für  edle  Verbrecher,' 
als  eine  Art  von  verlassenem  Bruderstamm ;  sie  holen 
zwar  dem  geizigen  Bauern  die  Enten,  aber  nur,  weil  er 
sie  fortschickte,  da  sie  um  ein  Stück  Brod  bettelten,  sie 
nehmen  sich  mit  Gefahr  ihres  Lebens,  in  der  uneigen- 
nützigsten Weise,  des  Götz  an,  sie  sind  »wilde  Kerls, 
starr  und  treu«,  so  dass  Götz  wehmüthig  ausrufen  kann: 
»O  Kaiser!  Kaiser!  Räuber  beschützen  deine  Kinder«.  (104) 
Bis  aut  die  letzte  Spur  ist  in  B  diese  Auffassung  geschwunden ; 
die  Zigeuner  sind  betrügerische  Wahrsager,  Diebsgesindel 
und  xMarodeure,  die  Götz  lediglich  aus  Eigennutz,  weil  sie 
eines  Führers  bedürfen ,  bei  sich  aufnehmen.  Man  merkt, 
dass  aus  dem  iugendlichen  Stürmer  der  \\'eimarische  Staats- 


202  Forschungen. 


minister,  l'ACcUcn/,  tjjcwoi'dcn   ist,  der  Vaü;abundcn  solcher 
Art  energisch  den  Marsch  maclien  würde. 

(4.)  Die  W'ahrsagekunst  der  Zii^euner  gibt  gleichzeitig 
\'eranlassung,  den  Gegensat/  von  Georg  und  Franz  um 
einen  neuen  Zug  zu  vermehren:  Franz  lässt  sie  sich  halb 
sj-)ielend  gefallen,  Georg  weist  sie  voll  Entrüstung  zurück  : 

Hinweg  du  Kobold!  Frevelhatte  Lügenbrut!  Ich  vertrau' 
auf  Gott,  was  der  mir  beschieden  hat,  wird  mir  werden. 
Ich  bete  zu  meinem  Heiligen,  der  wird  mich  schützen. 
Sanct  Georg  und  sein  Segen ! 

Knechte.   Sanct  Georg  und  sein  Segen. 

Ein  anderes  Beispiel  solcher  etfectvoUen  Theater- 
frömmigkeit findet  sich  in  der  Scene  des  gemeinsamen 
Mahles,  wo  die  folgenden  Worte  des  Götz  neu  hinzu- 
gekommen sind  : 

Von  diesem  spärlichen  Mahle  wendet  hinauf  den  Blick 
zu  eurem  \'ater  im  Himmel,  der  alles  ernährt,  der  euch 
nah  ist  zur  guten  und  bösen  Stunde,  ohne  dessen  Willen 
kein  Haar  von  eurem  Haupte  fällt.  \'ertraut  ihm!  dankt 
ihm!  (Er  setzt  sich,  mit  ihm  alle.)  Und  nun  heiter  und 
•frcihlich  zugegrüTen. 

Bei  miand  oder  Kotzebue  würde  diese  Stelle  wohl 
weiter  keinen  Anstoss  erregen,  allein  bei  dem  Dichter  des 
»Faust«  und  des  »Prometheus«  kann  sie  nicht  anders  als 
auts  Höchste  befremdend  wirken. 

Nicht  blos  aus  dieser  Scene  tritt  es  uns  deutlich  ent- 
gegen, dass  (jüethe  in  der  Wahl  der  Mittel,  durch  die  er 
sein  Drama  für  die  Bühne  wirksam  machen  wollte,  nichts 
weniger  als  zaghaft  war.  unbedenklich  wird  an  die  Stelle 
des  köstlichen  Liebetraut,  eine  der  wenigen  gelungenen 
Nachahmungen  Shakespear'scher  Glowns,  ein  recht 
schablonenhafter  Xarr  (vgl.  l'aust,  2.  Theil)  gesetzt,  der 
die    lustigen    I-oppereien    des    Flof'nianns    in     eine    derbere 


O.  Brahm:  BChnen-Bearbeitung  des  Götz  von  Beulichingen.     20  3 

Sprache  überträgt;  der  wackere  Selbitz,  früher  durch  die 
leise  bemerkbaren,  aber  nirgends  stark  aulgetragenen  \'er- 
schiedenheiten  von  Götz  ein  hübsches  Gegenbild  zu  diesem, 
wird  ein  herabgekommener  Spieler  und  Herumlungerer, 
der  in  die  Fehde  zieht,  um  Kleider  und  goldene  Ketten 
zu  erbeuten. 

Mehrfach  wird  die  Gelegenheit  zu  feierlichen  Auf- 
zügen und  Schaustellungen  herbeigeführt,  obgleich  doch 
schon  A  genug  davon  enthielt;  mit  Zelter  correspondirt 
Goethe  eifrig  über  die  nöthigen  Compositionen.  Es  ist 
dieselbe  Neigung  zum  Opernhaften,  die  um  diese  Zeit  so 
stark  im  Faust  hervortritt.  Bei  der  Trauung  der  Maria 
kommen  Lerse  und  Georg  mit  Fahnen  auf  die  Bühne,  dann 
ziehen  Chorknaben,  der  Priester,  Männer  und  Frauen  mit 
Gesang  ums  Theater  und  in  die  Kapelle,  die  Wache  salutirt 
mit  Picken  und  Fahnen,  der  Gesang  in  der  Kirche  dauert 
fort.  Adelheid  ferner  kommt  mit  einem  Maskengefolge, 
bei  Fackellicht,  auf  die  Scene,  Jugend  und  Mann,  Kind 
und  Greis  sind  ihre  Begleiter  und  werden  an  Blumenketten 
geführt,  während  wiederum  hinter  der  Bühne  Musik 
erschallt  —  die  Scene  ist  vollständig  überflüssig. 

Abermals  ein  Theater-Effect  —  und  zwar  kein  sehr 
glücklicher  —  ist  die  Erscheinung,  welche  Adelheid  in 
der  Nacht  hat  und  die  auf  das  Eingreifen  der  Vehme 
vorbereiten  soll;  sie  glaubt  ein  fiu'chtbares,  schattenähn- 
liches Wesen  auf  sich  zukommen  zu  sehen  und  gleich- 
zeitig kommt  in  der  That  eine  schwarze,  vermummte 
Gestalt  drohend  heran,  aber  ihr  im  Rücken,  so  dass  sie 
mit  leiblichen  Augen  sie  nicht  erblicken  kann.  Das 
Ganze  wird  nicht  recht  klar  und  reicht  in  keiner  Weise  an 
die  erschütternde  Gewalt  der  entsprechenden  Scene  der 
ersten  Bearbeitung,  von  1771  heran,  in  welcher  selbst 
der  rächende  Bote  der  heimlichen  Brüder  durch  die 
dämonische  Schönheit  der  Adelheid  bestrickt  wird. 


204  Forschungen. 


Die  einzigen  durcluuLs  L;cluiit^cncn  Sccncn,  die  auch 
auf  der  Bülmc  selten  die  Wirkuni^^  verfelilen,  sind  im 
dritten  Act  die  Auftritte  zwischen  Adelheid  und  Franz, 
in  welchen  Adelheid  den  KnapjX'u  zu  einem  gelehrigen 
Staaren  abrichten  will,  der  seinem  Herrn  die  Xamen 
ihrer  Freunde  unermüdlich  vorsagt,  und  die  hübschen 
\''erse  des  F^'anz,  die  sich  daran  schliessen  : 

Bc)  in  alten   Herrn  von   W'anzenau 

Gedenk   i(  h  meiner  gnädgen   Frau   u.  s.   \v.   (88): 

einige  Heiterkeit  pflegt  dann  auch  die  Bequemlichkeit  und 
Unfähigkeit  des  dicken  Hauptmanns  zu  erregen,  seine 
Sorge  um  Zelt,  Feldstuhl,  Teppich  und  Flaschenkeller. 

Was  die  AcbchU'isse  anlangt,  so  sind  sie  in  B,  mit  Aus- 
nahme des  letzten,  sammtlich  mehr  oder  weniger  geändert 
(in  der  zweiten  Bühnenbearbeitung  sollte  auch  der  tünfte 
Act  anders  schliessen,  o.  S.  200)  Der  Schluss  des  dritten 
Actes  —  um  von  der  glücklichsten  Aenderung  zuerst  zu 
sprechen  —  zeigt  in  B  Götz  aut  der  Höhe  seines  Glückes, 
nach  dem  ersten  Siege  über  die  Reichstruppen;  die  letzten 
W'orte  weisen  geschickt  und  bedeutungsvoll  aut  das 
Folgende  hinüber: 

Kommt  in  mein  Schloss.  Sie  sind  /erstreut,  die 
unsrigen  auch.  Wer  weiss  was  wir  wieder  zusammen- 
bringen? ((iruppe  in   Bewegung). 

In  :\  schloss  der  Auttritt,  da  er  an  einem  weniger 
wichtigen  (^rte  stand,  einlacher: 

Kommt  in  mein  Schloss.  Sie  sind  zerstreut.  Aber 
Unser  sind  wenig  und  ich  weiss  nicht,  ob  sie  'Fruppen 
nachzuschicken  haben.  Ich  will  luich  bewirthen,  meine 
1  reimde.  I:in  Glas  Wein  schmeckt  aul  so  einen 
Strauss.     (71). 

Iis  folgten  dai'aul  noch  in  demselben  dritten  Act  die 
Scenen   der  Belauerunu,  bis  zur  Ueber^abe  und  dem   j-^ruch 


O.  Hrahm:  Bühnen-Beakbeitung  des  Götz  von  Berlichingen.     205 

des  Vertrages,  die  nun  in  B  in  die  Mitte  des  vierten  Auf- 
zuges fallen. 

Die  Veränderung  um  Schluss  des  vierten  Aktes  ist 
lediglich  durch  den  Fortfall  mehrerer  Auftritte  herbeige- 
führt; in  B  schliesst  der  Aufzug  mit  der  Scenc  zwisclien 
Götz  und  Sickingcn  in  Ilcilbronn  —  Sickingcn  sucht  den 
Muth  des  Freundes  wieder  zu  erheben  — ,  in  A  tolgte 
noch  ein  Auftritt  zwischen  Adelheid,  Weislingen  und 
Franz  und  die  Scene,  in  der  Götz  von  dem  Autstand  der 
Bauern  erfährt.  Beide  Aktschlüsse  sind  wohl  gleich 
passend;  der  von  B  erweckt  die  leise  Hoffnung  auf  eine 
erneute  Besserung  im  Schicksal  des  Götz,  ohne  aber  den 
Zuschauer  allzusehr  daran  glauben  zu  lassen ,  so  dass 
dann  doch  der  tragische  Ausgang  nichts  Üeberraschendes 
hat;  der  Schluss  von  A  bereitet  in  anderer  Weise,  mehr 
unmittelbar,  aut  die  Freignisse  des  fünften  Actes,  auf 
Götzens  Theilnahme  am  Bauernkrieg  vor. 

Der  dritte  und  vierte  Aktschluss  also ,  kann  man 
sagen,  hat  in  B  weiter  keinen  Schaden  erlitten;  das  grade 
Gegentheil  leider  lässt  sich  von  dem  ersten  und  zweiten 
erweisen.  Der  erste  Akt  in  A  schliesst  mit  der  \'erlobung 
von  Maria  und  Weislingen,  und  dem  Bericht  des  Franz 
über  Adelheid;  B  verlegt  diese  Scene  in  den  zweiten  Aufzug, 
streicht  die  vorhergehende,  im  bischöflichen  Palaste  zu  Bam- 
berg, und  endet  mit  dem  Auftritt  zwischen  Weislingen  und 
Götz,  in  welchem  die  \'erschiedenheit  ihrer  Anschauungen 
zu  einer  leichten  Fntzweiung  und  gleich  darauf  zur  \'er- 
söhnung  führt.    In  A  schliesst  die  Scene  folgendermassen : 

Gö/^.  Aus  dem  Wege  wollen  sie  mich  haben,  wie's 
wäre.     Und  Du,  Weislingen,  bist  ihr  Werkzeug ! 

IVeislhigen.   Berlichingen ! 

Gö/^.  Kein  Wort  mehr  davon!  Ich  bin  ein  Feind  von 
Explikationen;  man  betrügt  sich  oder  den  Andern  und 
meist  Beide. 


2o6  Forschungen. 


Kiiil.  Zu    risch,  Witcr! 

G('/-.  Fröhliche  Botschaft!  —  Kommt!  Ich  hotfc,  meine 
Wcibslcutc  Süllen  luich  munter  machen.    Kommt!    (36) 

In  B  aber  wirJ,  um  den  Schluss  lebhafter  zu  gestalten, 
der  Streit  noch  weiter  geführt,  und  ;^\var  in  einer  Weise, 
die  so  sehr  dem  ursprünglichen  Tone  des  »Götz«  fremd 
ist,  dass  hier  einer  der  Fälle  vorliegt,  von  denen  oben  die 
Rede  Nvar,  einer  der  Fälle,  in  denen  man  auch  ohne  \'er- 
gleichung  die  Zusätze  erkennen  könnte.  In  kurzer  Rede 
und  Gegenrede  fallen  Schlag  auf  Schlag  sentenzmässige 
Aussprüche,  wie  sie  etwa  der  Auftritt  zwischen  Egmont 
und  Oranien  bringt,  oder  die  Stichomythie  in  der  Iphigenie, 
im  Tasso,  und  so  fort.     Es  heisst  da  u.  A. : 

Gö/-^.  Schweigen  ist  das  Beste,  wo  reden  nichts  wirkt. 

l'Veislini^eii.  In  Gegenwart  des  Uebermüthigen  zu 
schw^eigen  ist  das  Beste. 

Weisliiigeii.     Der  Sieg  macht  trunkne  Männer. 

Gö/^.    Die  Niederlage  macht,  so  scheint  es,  ungerecht. 
(Sie  stehen  abgewendet  und  entfernt.) 

Es  erscheinen  alsdann  Carl  und  Marie,  um  zu  Tische 
zu  laden  : 

Marie.     Wie  steht  ihr  da,  wie  schweigt  ihr? 

Carl.  Habt  ihr  euch  verzürnt?  Nicht  doch  \'ater.  D;is 
ist  dein  Gast. 

Marie.  Guter  b'remdling!  das  ist  dein  Wirth.  Lasst 
eine  kindliche,  lasst  eine  weibliche  Stinnne  bey  euch  gelten. 

G('/-  (zum  Knaben).  Bote  des  Friedens,  du  erinnerst 
mich  an  meine  Pflicht. 

Weisliiii^eii.  Wer  könnte  solch  einem  hinnnlischen 
Winke  wiederstehen. 

Marie.  Nähert  euch,  versöhnet,  verbindet  euch.  (Die 
Männer  geben  sich  die  Hände,  Marie  steht  zwischen  beyden) 
Einigkeit  fürtrefl  lieber  Männer  ist  wohlgesinnter  Frauen 
sehnlichster  Wunsch. 


Ü.  Brah.m:  Bühnen-Bhakheitung  d'es  Götz  von  Berlichingen.    207 


Auch     hier    sollte    also    im    Interesse    des    strengeren 

iMotivirens  auf  die  Ivollc  der  N'crsöhnerin,  welche  Marie 
in  der  Folge  spielt,  schon  h'üher  hingedeutet  werden;  aher 
wie  öfter  in  dieser  Bearbeitung  ist  der  Preis,  der  tür  den 
Vortheil  gezahlt  wird,  ein  unverhältnissnrässig  hoher:  der 
etwas  engere  Zusammenhang  in  den  Alotiven  und  das 
TheatraÜsch-Effectvülle  des  Schlusses  können  doch  über 
das  unsagbar  äusserliche,  leere  und  stillose  dieser  Scene 
in  keiner  Weise  hinweghelfen. 

Aehnlich  steht  es  im  zweiten  Akt.  Die  Beraubung 
der  Kaufleute,  die  hier  abweichend  von  A,  und  lediglich 
dem  Theater-Effect  zu  Liebe,  ausführlich  auf  die  Scene 
gebracht  wird,  muss  Gelegenheit  bieten,  dem  Charakter 
des  Götz  ein  paar  neue  Züge  aufzuheften,  die  ihn  weder 
sympathischer  machen,  noch  auch  nur  innerlich  motivirt 
sind.  Durch  den  Bericht  des  Georg,  über  Weislingens 
erneuten  Abfall,  in  unbändigen  Zorn  versetzt,  befiehlt  Götz, 
die  unglückhchen  Kaufleute  scharf  zu  binden,  die  Hände 
auf  den  Rücken.  »An  ihrer  Todesangst«,  ruft  er  aus,  »will 
ich  mich  weiden,  ihre  Furcht  will  ich  verspotten.  O,  dass 
ich  an  ihnen  nicht  blutige  Rache  nehmen  darf!«  Und  dann, 
ohne  jede  Vermittlung  tritt  Stimmungswechsel  ein  : 

Und  wie  Götz?  Bist  du  auf  einmal  so  verändert?  haben 
fremde  Fehler,  fremde  Laster  auf  dich  solch  einen  Einfluss. 
In  einer  solchen  Schule  soll  dein  wackrer  Georg  heran- 
w^achsen  !  .  .  .  Geh  und  binde  sie  los. 

Hier  oder  nirgends  erkenne  ich  den  Einfluss  Schillers, 
von  dem  wir  wissen,  dass  er  an  der  Bearbeitung  Antheil 
genommen  hat  —  ebenso  in  dem  Folgenden.  Georg  bringt 
einen  Schmuck,  den  er  bei  einem  der  Gefangenen  gefunden 
hat  und  der  zu  einem  Brautgeschenk  bestimmt  ist.  Daraul 
Götz,  den  Schmuck  beschauend : 

Marie!  Diesmal  komme  ich  nicht  in  ^\'rsuchung,  dir 
ihn  zu  deinem  Feste  zu  bringen.    Doch  du  gute  edle  Seek- 


208  FORSCHUNGEK. 


würdest  dich,  selbst  in  deinem  Unglück,  eines  fremden. 
Glückes  herzlich  erfreuen.  In  deine  Seele  w  ill  ich  handeln  ! 
—  Nimm  Georg!  Gieb  dem  Burschen  den  Schmuck  wieder 
Seiner  Braut  soll  er  ihn  bringen,  und  einen  Gruss  vom 
Götz  dazu. 
(Wie  Cieorg  das  Kästchen  ant'asst,  fällt  der  \\)rhang.) 
l:s  kann  ja  nicht  geleugnet  werden ,  dass  schon  der 
alte  Götz  einen  leisen  \'orgeschmack  des  edlen  Räubers 
Moor  hatte  —  aber  von  dieser  theatralischen  Biederkeit 
war  er  denn  doch  weit  entfernt. 

().)  Aenderungen  dieser  Art,  Interpolationen  nach  der 
Seite  des  Biedern  und  Sentimentalen  sind  in  B  leider 
noch  eine  ganze  Reihe  zu  verzeichnen.  Besonders  in  der 
Figur  des  Götz.  Als  Götz  in  die  Acht  erklärt  wird,  ruft  er: 
So  wäre  ich  denn  ausgestossen,  wie  Ketzer,  Mörder 
und  \'erräther.  (92) 
und  als  er  den  \'errath  Weislingens  erfahren  muss : 

Wie  beschämt  stehen  wir  da,  wenn  man  uns  das 
Wort  bricht !  Dass  wir  dem  Heiligsten  vertrauten,  erscheint 
nun  als  täppischer  Blödsinn.  Jener  hat  recht,  der  uns 
verrieth.  Er  ist  nun  der  Kluge,  der  Gewandte,  ihn  lobt, 
ihn  ehrt  die  Welt,  er  hat  sich  aus  der  Schlinge  gezogen 
und  wir  stehen  lächerlich  da  und  beschauen  den  leeren 
Knoten.    (70) 

Sickingens  Hülfsanerbieten,  das  in  A  von  Götz  ohne 
Weiteres  angenommen  wurde,  muss  in  B  Götz  und  Sickingen 
die  erwünschte  CJelegenheit  geben,  sich  als  die  ehrenwerthen 
iMänner,  die  sie  sind,  zu  erweisen : 

Sickiiii^cii.  Gerade  zur  gelegenen  Zeit  bin  ich  hier, 
euch  mit  Rath  und  That  beizustehen. 

Gol{.  Nein  Sickingen!  Entfernt  euch  lieber !  X'erbindet 
euch  nicht  mit  einem  geächteten. 

Sirkiiiocii.  Von  ilcni  Jn'drdiayh'ii  werde  ich  mich  nicht 
(thwciiilrii.    (92) 


O.    BkAHM  :    BLHNtN-BhARlil-lTLNG   DES    GÖTZ    VON    BeKLICHINGHN.      209 

Es  zeugt  von  der  gleichen  bewussten  Tugend,  die  sich 
selbst  in  das  helle  Licht  xu  stellen  versteht,  wenn  Götz 
erklärt,  da  Georg  ihn  flehentlich  bittet,  von  den  I^aucrn, 
diesem  ehrlosen  Hauten,  sich  zu  entfernen: 

Ich  kann  sie  nicht  verlassen,  weil  es  ihnen  übel  geht. 
Wir  \vi')llen  uns  nicht  verhehlen,  dass  wir  manches  (kue 
gestittet  und  so  wollen  wir  es  tortsetzen.  Wir  werden 
uns  dieser  That  mit  hreuden  rühmen.  (162) 

Xach  so  viel  Biederkeit  dart  es  nicht  Wunder  nehmen, 
wenn  Götz  selbst  sich  ihrer  bewusst  wird  und  den  kaiser- 
lichen Käthen  erklärt:  »Hier  in  Heilbronn  will  ich  ritter- 
liche Haft  leisten,  wie  es  einem  Biedermanne  geziemt«.  (144) 

Eine  wesentliche  \'erschlimmbesserung  zum  Senti- 
mentalen hat  das  ^'erhältniss  von  Götz  und  Georg 
ertahren  müssen.  In  A  gedenkt  er  des  Knaben  erst  in 
Wehmuth  und  Liebe,  als  er  ihn  verloren  hat;  in  B  schon 
weit  früher.  »Meines  Georgs  erste  wackere  That  sey  ge- 
segnet« (iio).  »In  einer  solchen  Schule  soll  dein 
wackrer  Georg  heranwachsen!«  (71),  ruft  Götz  und 
Lerse:  »Georg  ist  ein  herrlicher  Knabe«  (122).  Am 
klarsten  wird  die  Veränderung  in  der  letzten  Scene  des 
Georg.  In  A  betiehlt  Götz  dem  Knappen  ganz  einfach 
und  sachgemäss : 

Geschwind  zu  Pferde !  Ich  sehe  Miltenberg  brennen. 
Reit  hin,  sag  ihnen  die  Meinung!  Geschwind,  Georg!  (loi). 
—  und  Georg  geht  darauf  ab,  olnic  eine  Silbe  :{ii  enviedeni. 
Dagegen  heisst  es  in  B: 

Georg.  Wohl,  Herr!  wohl!  und  so,  zum  Schlüsse, 
rieht  ich  freudig  aus  was  ihr  befehlt. 

Gt)/~  (nach  einer  Pause).  Nein  doch  Georg!  Bleibe 
hier,  was  sollst  du  dicli  wagen? 

Georg.  Nein  Herr !  was  ihr  einmal  befohlen  habt, 
will  ich  ausrichten;  was  ihr  wünscht  soll  möglich  werden. 

Gö/^.    Bleib,  bleib! 

Gohthe-Iaukblch  II.  I^ 


210  FORSCHLTNGEK. 


Georg.  Nein  Herr!  \crzciht  meinem  gehorsamen  Uii- 
geborsdiii.  Ihr  wünschtet,  dass  Miltenberg  gerettet  werde, 
ich  will  es  retten,    oder  ihr  seht  mich  nicht  wieder.  (163) 

Auch  die  Figur  der  Marie  hat  in  B  eine  entschiedene 
sentimentale  »Durchgeistigungc  erfahren.  Goethe  führt  sie 
uns  in  einem  ländlichen,  von  der  Sonne  beleuchteten 
Garten  vor,  wie  sie  aus  einem  tiefen  Schlummer  erweckt 
wird,  der  mehr  der  Seligkeit  als  dem  Tode  /u  gleichen 
scheint.    »Wer  ruft?«   fragt  sie. 

Wer,  auf  einmal,  reisst  mich  aus  den  seligen  Gefilden 
herunter  in  die  irdischen  Umgebungen?  Ach!  diese  Welt, 
diese  Blumen,  sie  sind  nur  ein  matter  Widerschein  dessen, 
was  der  entzückten  Seele  manchmal  jenseits  gegönnt  ist. 
O  hättest  du  mich  fortträumen  lassen !  Da  war  ich  in  die 
Wohnung  des  Friedens  versetzt,  da  war  es  leicht  athmen, 
leicht  wandlen.  Ein  kräftiges  Zeugniss,  dass  jenseits  des 
Wachens  ein  schöneres  Erwachen  auf  uns  wartet.  (178) 

Im  Gegensatz  zu  früher,  hören  wir  in  B,  dass  Marie 
die  Leidenschaft  für  Weisungen  nie  überwunden  habe,  dass 
an  Sickingen  Verehrung,  aber  nicht  Liebe  sie  fessele. 
Ziemlich  abrupt  wird,  durch  eine  Frage  Lerse's,  dieses 
Bekenntniss  herausgefordert : 

Wie   auf  einmal    verändert?    Eine   stürmische   Leiden-. 
Schaft  erschüttert  eure  sanften  Züge.    Redet!    vertraut  mir. 

Marie.  Du  bist  ein  wackrer  Mann !  So  wisse  denn, 
zu  wem  du  mich  führst.  Dieser  Weisungen!  Ich  liebt 
ihn,  mit  aller  Innigkeit  der  ersten  schüchternen  Liebe. 
Er  verliess  mich  und  alle  meine  Wünsche  waren  jenseits 
hingewiesen.  Irdische  Neigungen  verschwanden  nach  und 
nach,  mein  Geist  löste  sich  los  und  fühlte  sich  bereit,  jeden 
Augenblick  dieser  Hülle  zu  entschlüpfen,  und  zu  seinem 
ewigen  Ursprung  zurück   zu  kehren.    (179) 

(6.)  Eines  der  wesentlichsten  Merkmale  der  trüberen 
Kunstweise  Goethe's,  im  Ciegensatz  zu  seiner  späteren,  ist 


O.    BkAHM  :    Bl.HXUN-BtARI31,ITLNG  DES   GÖTZ    VON    BliKLICIllNGl-.N.      211 


die  Knappheit,  jene  wundervolle  Knappheit,  wie  sie  neben 
dem  Götz  vor  allem  dem  Prometheus-Fragment  eignet. 
Nirgends  im  »Götz«  ein  Aussparen,  ein  \'er\veilen,  ein 
Ausklingenlassen  und  Retardiren;  unauthaltsam  tluthen  die 
Ereignisse  weiter,  und  nur  spärlich,  und  stets  am  rechten 
Orte,  treten  Reflexionen  auf".  Ganz  anders  in  der  späteren  Zeit. 
liier  haben  wir  behagliches  \"erweilen  und  Ausmalen,  — 
langsamsten  h'ortschritt  der  Handlung;  die  Empfindungen 
werden  bis  aui  den  Grund  ausgeschöpft,  —  Rhetorisches 
ist  nicht  ganz  verpönt  und  Betrachtungen  aller  Art  werden 
in  reicher  EüUe  eingestreut.  Es  ist  ein  Gegensatz,  wie  er, 
mehr  oder  weniger,  wohl  bei  jedem  grossen  Künstler  sich 
beobachten  lässt :  in  der  Jugend  sagt  man  vieles  mit 
wenigen  Worten,  im  Alter  weniges  in  vielen  Worten. 

So  ist  es  nur  natürlich,  dass  auch  bei  der  Umarbeitung 
des  Götz  diese  breitere  Kunstübung  ihren  Einfluss  nahm 
und  dass  besonders  eine  Reihe  von  Reflexionen  in  das 
Drama  neu  eingefügt  wurden  —  eine  so  übele  Figur  sie 
auch  in  den  meisten  Fällen  machen  und  so  wenig  auch 
die  drängende  Situation  sie  zu  gestatten  scheint. 

Als  die  Belagerung  ihren  Anfang  nimmt,  meint  Götz  : 
Es    ist   immer    verdriesslich,    eingesperrt   zu    seyn,   zu 
sorgen,    ob  Mauern  wohl    bewacht,   ob  Thore    wohl    ver- 
wahrt sind,  Tücke  gegen  List  zu  brauchen.  (120), 

und  als  er  von  dem  Bruder  Martin  scheidet : 

Wer  weiss,  wo  wir  uns  wieder  flnden.  Und  wenn 
ihr  wacker  auf  euren  Wegen  bleibt,  ich  wacker  auf  den 
meinigen  fortschreite,  so  müssen  wir  uns  irgendwo  wieder 
begegnen.  Ungerechtigkeit,  Uebermuth,  Bedrängung,  Arg- 
list, Betrug  schalten  so  gut  im  Kloster  als  im  Freyen. 
Bekämpft  sie  mit  geistlichen  Waff'en  in  heiliger  Stille, 
lasst  mich  das  Eisen  durchs  offene  Feld  gegen  sie  führen. 

Gott  segne  jede  redliche  Bemühung  und  helfuns  bevden.(i5) 

14* 


212  Forschungen. 


Da  Götz  seine  Burn  verlässt,  sai,'t  er: 

I\(Miim  l:!isabeth.  Durch  eben  dieses  Thor  führte  ich 
dich,  als  junge  hrau  wohl  ausgestattet,  herein,  l-'remden 
Händen  überlassen  wir  nun  unser  Hab  und  Gut.  Wer 
weiss  wann  wir  wiederkehren.  Aber  wir  werden  wieder- 
kehren und  uns  drinnen  in  dieser  Kapelle,  neben  luiseren 
würdigen  \'()rtordern,  xusannnen  zur  Ruhe  legen.  (130) 

In  einer  Reflexion  Weislingens  spricht  deutlich  der 
Dichter  selbst : 

brüher  wenn  wir  die  Welt  auf  unsere  Schultern  kiden 
möchten,  und  den  Himmel  da/u,  da  scheint  uns  gleich- 
giltig  wer  mitwirke.  Wir  vertrauen  uns,  imd  so  vertrauen 
wir  allen.  Später,  meine  Liebe,  fühlt  man  sich  unzuläng- 
lich, wenn  eine  grosse  That  geboten  ist,  man  erkennt  nun 
den  \\\M'th  mitwirkender  trefflicher  Menschen,  und  da 
möchte  man  sich  nur  mit  den  tüchtigsten,  den  treuesten 
umgeben.  (84) 

Hübsch  ist  die  Betrachtung,  welche  Georg  beim 
Giessen  der  Kugeln  anstellt : 

\\'enn  man  doch  auch  so  eine  Form  hätte,  wackere 
Reuter  zu  giessen,  wie  wollten  wir  ein  ganzes  Schloss 
voll  erst  fertig  machen  und  auf  einmal  alsdann  die  Thor- 
flügel auseinander  und  unter  die  beinde  hinausgesprengt! 
Wie  sollten  die  sich  verwundern!  (124) 

(janz  aus  dem  Stile  fallen  dagegen  die  folgenden  Worte 
des  kränz  : 

Deine  Drohung  erschreckte  mich,  wenn  ich  sie  ver- 
diente. Der  Hohn  \ernichtete  mich,  wenn  er  mich  träfe. 
Unbeständig  ist  der  Jünglinge  Hin-  und  Widerstreben; 
der  standhafte  Mann  wird  gerühmt,  wenn  er  seine  Liebe 
treu  zu  bewahren   weiss.  (172) 

Sollte  man  nicht  glauben,  einen  \'orkkmg  \on  iM'eytags 
■)Inm)c(   zu  \ei'nehmen  : 


O.  Bkahm:  HuHNtN-BEARBurruNG  DES  Götz  von  Berlichingen.    215 

Merkwürdig  ist,  wie  einzelnen  Aeusseriingen  die  frische, 
lebendige  1-arbe  abgestreift  wird,  wie  der  Dichter  ihnen 
ein  graues,  sentenzmässiges  Aussehen  \erleiht.  In  A  sagt 
■/..  B.  der  Kaiser: 

\\'ieder  neue  Händel!  Sie  wachsen  nach  wie  die  Köpfe 
der  Ih-dra. 

lf\'isliih^u-ii.  Und  sind  nicht  auszurotten,  als  mit  Ix-uer 
und  Schwert  und  einer  nuithigen  Unternehmung.    (6^), 

in   B  dagegen : 

Immer  kleine  Händel,  die  den  Tag  und  das  Leben 
wegnehmen,  ohne  dass  was  rechts  gethan  wird. 

fl\'isliiii^i'i!.  Wer  möchte  gern  nach  aussen  wirken,  ^o 
lange  er  im  Innern  bedrängt  ist?  Liessen  sich  die  Empfindlich- 
keiten des  Augenblicks  mildern,  so  würde  sich  bald  zeigen, 
dass  übereinstimmende  Gesinnungen  durch  alle  Gemüther 
walten,  und  hinreichende  Kräfte  vorhanden  sind.     (76) 

(7.)  Auf  die  Aenderungen  im  Stil,  welche  B  autzuweisen 
hat,  möchte  ich  schliesslich  mit  ein  paar  Worten  nur  ein- 
gehen. Dass  dem  Goethe  von  1804  vieles  im  »Götz«  als 
zu  derb  erschien,  zu  wenig  gewählt,  zu  volksthümlich,  zu 
stark  dialektisch  gelarbt,  nimmt  nicht  weiter  Wunder. 
Wohl  aber  wundert  man  sich  über  das  eigenthümliche 
Missgeschick,  dass  fast  durchgehend  die  Aenderung  gleich- 
bedeutend mit  Verschlechterung  ist. 

Aus  dem  Satze:  »Dass  sie  sich  nur  darum  graue  Haare 
wachsen  liessen!«  (35)  wird  in  B:  »dass  sie  nur  darum 
ein  graues  Haare  anflöge«  (29);  aus:  »Bring  mir  einen 
Krug  Wein«  (22)  —  »Fülle  mir  den  Becher  nochmals«  (8); 
aus  :  »Ich  hätte  mein  ^\Tmögen  gegeben,  die  Spitze  ihres 
kleinen  Fingers  küssen  zu  dürfen!«  (46)  —  »Alles  hätte 
ich  hingegeben«  (42);  aus:  »Sorg  Du!  Es  sind  lauter 
Miethhnge.  Und  dann  kann  der  beste  Ritter  nichts  machen, 
wenn  er   nicht  Herr  von    seinen  Handlungen    i;t«.  (66)  — 


214  Forschungen. 

»Und  tcriKT  kann«.  Aehnlich  werden,  der  leidigen  Correct- 
heit  des  Bildes  /u  Liebe,  des  Seibit/  Worte  :  »Schwimm, 
braver  Schwimmer!  Ich  liege  hier!«  (73)  gciindert  in: 
»Schwimme ,  braver  Schwimmer !  Ich  bin  leider  an  den 
Strand  geworfen«.  (106)  Aus  Sickingen's  Betheurung :  »Ich 
will  ihr  Bette  nicht  besteigen,  bis  ich  luich  ausser  Gefahr 
weiss«.  (77)  wird,  in  übertriebener  Rücksicht  auf  die  Bühne, 
das  gänzlich  nichtssagende:  »Ich  will  nicht  ruhen  noch 
rasten,  bis«  (119) 

Die  Aenderungen  in  rein  sprachlicher  Hinsicht  sind 
nicht  ganz  correct  durchgeführt,  einige  Freiheiten  sind 
getilgt,  einige  andere  erhalten.  Da  sich  aus  einer  näheren 
Betrachtung  doch  keine  nennenswerthen  Resultate  ergeben 
würden,  darf  ich  von  den  Einzelheiten  absehen.  Sprach- 
liche Untersuchung,  soll  sie  fruchtbar  sein,  bedarf  einer 
grösseren  Fülle  empirischen  Materials,  als  sie  hiei'  zu 
Gebote  steht. 

In  der  ganzen  ausiührlichen  Betrachtung,  an  deren 
Ende  wir  jetzt  stehen,  habe  ich  mit  einer  Einseitigkeit  und 
Rücksichtslosigkeit,  deren  ich  mir  wohl  bewusst  bin,  einzig 
und  allein  den  ästhetischen  Standpunkt  lestgehalten  ;  von 
dem  biographischen  Gesichtspunkt:  wie  weit  denn  von 
dem  Goethe  des  Jahres  1804  eine  grössere  Pietät  gegen 
den  Ton  seiner  Jugend  erwartet  werden  diuite,  wie  weit, 
auf  der  andern  Seite,  der  \'ersuch,  den  durchaus  undrama- 
tischen »Götz«  nachträglich  tür  die  Bühne  zu  gewinnen, 
auf  ein  Gelingen  rechnen  liess  —  ist  kaum  die  Rede 
gewesen.  Die  Berechtigung  einer  solchen  Betrachtungs- 
weise soll  damit  natürlich  nicht  in  Abrede  gestellt  sein ; 
nur  dass  es  nicht  möglich  ist,  sie  heute  noch  zu  leisten. 
Aber  um  doch  wenigstens  anzudeuten,  worauf  es  ankäme, 
möchte  ich  eine  schöne  Aeusserimg  Herman  Grimms 
auszugsweise  wiedergeben ,  der  auch  hier  den  auf  das 
Grosse  gerichteten   Blick   des  echten  Historikers  zeigt: 


O.  Brahm:  Bühnen-Bearbeitung"  des  Götz  von  Berlichingen.    21 5 


»Goethe  trug  den  Inhalt  seiner  Dichtungen  so  lebendig 
in  der  Seele,  dass  ihr  Ausdruck  in  Worten,  selbst  wenn 
er  ihm  am  herrlichsten  gelungen  war,  dennoch  für  ihn 
eine  über  alle  testen  Formeln  erhabene  Berechtigung  blieb. 
Er  glaubte  sein  Eigenthum  jeden  Tag  anders  gewandt  und 
anders  accentuirt  neu  mittheilen  xu  dürfen.  Goethe  war 
der  Herr  und  seine  Werke  hatten  sich  jederzeit  seinem 
Willen  /.u  fügen.  Es  war  ihm  gleichgültig,  ob  litterar- 
historische  Betrachtung  ihm  später  vorwerten  könne,  seine 
Dichtung  in  gewissem  Sinne  zerstört  und  willkürlich  anders 
autgebaut  zu  haben.  l:r  that  auch  hier  was  ihm  beliebte  .  .  . 
Wir  aber  haben  ihm  gegenüber  unsere  Unbetangeniieit 
wieder  gewonnen  und  lassen  nur  gelten  was  uns  zusagt. 
Und  so  sind  wir  im  Rechte,  diese  \'eränderungen  nur 
noch  als  ein  seltsames  Symptom  der  Entwicklung  des 
grossen  Dichters  aufzufassen :  als  ein  Zeichen  seiner  inneren 
Freiheit  und  des  höheren  idealen  Lebens,  mit  dem  seine 
Dichtungen  in  ihm  und  mit  ihm  sich  fortbildeten,  alternd 
mit  ihm  selber  gleichsam«.     (Preuss.  Jahrbücher,  Bd.  35.) 

Wie  man  auch  zu  dieser  Auffassung  sich  stellen  mag  -- 
und  in  allen  Punkten  möchte  auch  ich  sie  nicht  unter- 
schreiben —  das  Recht  des  Autors,  mit  seiner  Dichtung 
nach  Belieben  zu  schalten  und  walten,  wird  niemand 
anzweifeln  können;  Goethe's  gutes  Recht  war  es,  das 
Werk  seiner  Jugend,  nach  Maassgabe  der  veränderten 
Auffassung  umzuformen,  aber  unser  gutes  Recht,  des  Lesers 
Recht  ist,  sich  an  diejenige  Fassung  zu  halten,  welche  ihm 
als  die  gelungenste  erscheint.  Und  so  wird  wohl,  so  lange 
man  den  Götz  liest,  der  unbefangen  Geniessende  sich  immer 
wieder  zu  der  unvergleichlichen  Frische  der  ersten  Fassung 
hingezogen  fühlen  und  von  der  farblosen  und  dissoluten 
Bühnenbearbeitung  sich  zu  jener  zurückwenden. 

Die  Bezeichnung  «Bühnenbearbeitung '^,  die  man  B 
gegeben   hat,    sagt,   wie  aus  dieser  Untersuchung  deutlich 


2l6 


Forschungen. 


geworden  sein  wird,  viel  /u  wenig  —  Goethe  selbst  spricht, 
in  den  l^rieten  an  Zelter  und  ivochlitz,  immer  nur  von 
einer  »Umarbeitung  c  und  nennt  das  Stück  mit  Recht 
»durchaus  decomponirt  und  recomponirt«  (An  Zelter  I. 
132);  es  handelt  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  um  eine 
vollständige  Bearbeitung,  nicht  blos  in  Rücksicht  auf  die 
Bühne,  sondern  ebenso  sehr  nach  politischen,  sittlichen, 
ästhetischen  Gesichtspunkten,  welche,  in  ihrer  Art  consequent, 
doch  tür  uns,  die  wir  von  dem  Standpimkt  der  ursprüng- 
lichen Fassimgen  urtheilen,  eine  ungeheure  W'rschlechterung 
bedeutet,  eine  \'erschlechterung,  wie  sie  glücklicherweise 
einzig  ist  in  der  Geschichte  Goethe'scher  Poesie  und  wohl 
in    der  ganzen  Geschichte  unserer  Literatur. 


III.  Neue  Mittheilungen. 


1.    Gedichte  und  Dramen. 


I.  SC1:NH  AUS  DEN  VÖGELN. 

MiTGETHKii.T  VON  WILHKLM   ARNDT 


Lirch  eine  Notiz  Salomon  Hir/els  wurde  ich  lUit 
zwei  von  Cioethe  an  den  Prinzen  August  von 
\1^^^^^  (jotha  in-i  Jahre  1781  gerichtete  Briefe  aufmerk- 
sam, die,  dem  Maniiscript  der  \'ögcl  vorgebunden,  aut  der 
HerzogHchen  Bibliothek  zu  Cjotha  aul  bewahrt  werden.  Aul 
meine  Bitte  sandte  mir  Herr  BibHothekar  Dr.  Georges  mit 
der  grössten  Liebenswürdigkeit  die  erwähnte  Handschrilt 
nach  Leipzig,  und  ich  konnte  zu  meiner  Freude  die  beiden 
Briete  zur  Feier  von  Goethe's  Geburtstag  in  den  Grenz- 
boten (1880,  Nr.  35)  veröflenthchen.  Zugleicii  aber  unter- 
nahm ich  eine  X'ergleichung  der  Handschrift  mit  dem 
gedruckten  'Fext,  imd  es  stellte  sich  dabei  heraus,  dass 
Goethe  das  Stück  vor  dem  Druck  einer  genauen  prüfenden 
Durchsicht  unterzogen,  namentlich  eine  ganze  Scene  — 
die  ihm  mit  Kecht  als  zu  übermüthig  erscheinen  musste  — 
herausgeworfen  und  durch  eine  andere  ersetzt  hatte.  Auch 
andere  Abweichungen,  darunter  manche  interessanter  Natur, 
sind  zu  verzeichnen  gewesen;  sie  werden  in  der  von  mir 
beabsichtie;ten  kritischen  Ausgabe  mitiietheilt  werden.    Dort 


220  Neue  Mittheilungen. 


wird  sich  auch  der  schickhchc  Phu/  iindcii,  das  Xöthii^c 
ühcr  \'ci'anlassun_i^  und  C^oniposition  des  Stückes,  sowie 
über  die  in  ihni  erkennbaren  Beziehungen  zu  Zeitgenossen 
zu  erörtern,  namentHch  die  l'rage  zu  behandehi,  ob  unter 
dem  Schuhu  Klopstock,  unter  dem  Papagei  Gramer  zu 
verstehen  seien.  Icli  dart  wdhl  hier  im  A'oraus  bekennen, 
dass  ich  davon  überzeugt  bin,  dass  Cramer  wirkhch  unter 
dem  Papagei  gemeint  sei,  dass  aber  tür  die  Annahme,  der 
Schuhu  repräsentire  Klopstock  sich  nur  einzehie  Beweis- 
momente erbringen  lassen,  und  dass  nach  meiner  Meinung 
Bodmer,  Klopstock  und  Nicolai  vereint  zu  dem  Bilde  des 
tagscheuen  \'ogels  gesessen  haben. 

Auf  den  Wunsch  des  Herausgebers  dieses  Jahrbuches 
theile  ich  zunächst  die  bisher  unbekannte  Scene  sowie 
einige  Zeilen  mit,  die  gegen  Ende  der  Handschriit  sich 
finden  und  die,  durch  ein  WMsehen  des  Setzers  in  der 
Hditio  princeps  ausgetallen,  seitdem  in  allen  Ausgaben  tehlen. 

Wenige  Bemerkungen  über  die  Handschritt  selbst  seien 
\'orausgeschickt.  Sie  trägt  in  der  Herzoglichen  Bibliothek 
zu  Gotha  die  Nummer:  Ghart.  B.  1304.  Der  Text  ist  auf 
zu  Quart  zusammengefaltetem  Schreibpapier  von  einem 
Schreiber  äusserst  sauber  geschrieben,  und  von  Goethe 
selbst  genau  durchcorrigirt  worden.  Pappband;  der  Deckel 
mit  Papier  vcmi  gelber  Steinfarbe  beklebt,  hat  eine  Um- 
ränderung \()n  schmalen  eingepressten  Goldstrichen,  und 
ebensolche  finden  sich  auch  aut  dem  Kücken.  Aut  Blatt  4 
steht  in  Practurschrift :  Die  \'ögel.  i  Hrster  Akt.  :  1780.  I 
Die  Rückseite  von  diesem  Blatt  ist  leer  geblieben,  ein 
Personenverzeichniss,  das  man  hier  ei'warten  sollte,  iehlt 
überhaupt.  Auf  l^latt  5  beginnt  der  Text.  Der  Name  der 
agirenden  Person  steht  stets  in  der  Mitte  einer  besondern 
Zeile,  und  die  \-on  derselben  zu  sprechenden  Worte  be- 
ginnen immer  eine  neue  Zeile.  Die  scenischen  Bemer- 
kungen   sind  den  Personennamen    in   Klammern  beigefügt, 


SCLNt    ALS   DLN    \'üGULN.  221 


reicht  die  Zeile  dazu  nicht  aus,  so  wird  in  einer  neuen 
damit  tortgehihrcn,  aber  regehiiässii^  nur  die  rechte  Hiiltte 
dieser  Zeile  benut/.t.  Mit  dem  Schluss  von  l^latt  51  endet 
der  Text.  Die  Handschritt  ist  in  neuerer  Zeit  mit  Blei- 
teder  durclitohirt  worden. 


I.  Wich  den  Worten  des  Schuhu  (Werke,  Hempel, 
\'III.  S.  379,  Zeile  1.):  *'Jis  ^i^nt'hl  vci  schicdciic  .-irlcii  von 
IVohhexn« ,  steht  in  der  Handschrift  Folgendes: 

Hotiegut. 

Nun  eben  eine  Stadt,  wo  mir  einer  auf  dem  Marckte 
begegnete,  und  mich  anführe  und  sagte :  Was,  Herr,  ist 
das  erlaubt,  ist  das  ein  Freundschaftstück,  in  acht  Tagen 
sich  nicht  einmal  be\'  mir  zu  Gaste  /u  laden?  meine 
Capaunen  nicht  verzehren  helfen?  meinen  alten  W'ein  zu 
verschmähen?  Ich  muss  wahrhaftig  bitten,  mein  Herr, 
dass  sie  ihre  Autiührung  andern,  sonst  kann's  nicht  gut  gehen. 

'Freutreund. 

So  eine  Stadt,  wo  mich  ein  alter  würdiger  (jreis  in 
der  Allee  be_\-m  Lippen  kriegte  und  mich  zur  Rede  stellte 
und  sagte:  Was,  ihr  belohnt  meine  Woiilthaten  so!  Hab 
ich  euch  darum  einen  Fintritt  in  mein  Haus  erlaubt?  da 
hab  ich  meine  Tochter  das  allerliebste  Miidgen ! '  hab  ich 
euch  nur  darum  bev  ihr  allein  gelassen,  dass  ihr  ihr  so 
begegnen  sollt?  Der  arme  'Fropt  kommt  zu  mir,  weint 
und  schluchst,  und  sagt :  ach  lieber  Herzenspapa,  bedenkt 
nur,  er  hat  mich  nicht  einmal  geküsst,  nicht  einmal  geherzt 

nicht  einmal ach  dass  das  arme  Kind  vor  weinen  nicht 

lortreden  kann  !  —  Pfui,  fahrt  der  Alte  in  einem  gesezten 


'  Der  Schreiber  schrieb:   // V/Vn^c//,  Goethe  stricli  e^  ans  inui  sciirieb 
eigenhändig  Miuh^oi  darüber. 


222  Neue  Mittheilungen. 


'l'onc  lort,  das  hätt'  ich  mir  von  euch  nicht  \crschn  ! 
beschimpft  mich  nicht  so  zum  zweitenmal,  wenn  wir  i^ute 
Freunde  bleiben  sollen,  wie  ich"s  von  eurem  seeliL;en  \'ater 
gewesen  bin. 

Hoffet^ut. 

Und  wo  wieder  \'ermuthen  ein  bescheidner,  saubei' 
gekleideter  Mann  in  mein  Zimmer  träte  und  mich  sehr 
um  Vergebung  bäte.  Ich  bin  ihnen  doch  nicht  beschwerlich? 
sagt'  er:  »Im  geringsten  nicht«,  sagt'  ich  —  Ich  habe 
was  vorzubringen,  wenn  sie  mir's  nicht  übel  autnehmen, 
sagt'  er:  »im  geringsten  nicht«,  sagt'  ich.  —  'S  ist  eine 
Kleinigkeit,  sagt'  er:  »Oh  desto  besser«  sagt'  ich.  —  Aber 
ich  muss  überzeugt  sevn,  dass  sie  deswegen  nicht  schlimmer 
von  mir  denken  werden.  »Oh  ganz  und  gar  nicht«.  — 
Dass  sie  nach  wie  vor  mein  Freund  sevn  wollen?  —  »Auf 
alle  Weise«.  —  Nun  so  wag'  ich's.  Ich  habe  hier  200. 
Stück  Loui;-d'ors;  sie  sind  warlich  vollwichtig!  darf  ich  sie 
ihnen  anbieten  ?  Ich  wüsste  nicht  hey  wem  sie  sichrer 
wären.  C^hne  H\potheck ,  ohne  ^'crschreibung ,  ohne 
Wechsel ;  aber  ich  bitte  sie  ums  Hinnnels  willen,  unter 
zehn  zwanzig  Jahren  denken  sie  mir  an  keine  Rückzahlung. 

Treutreund. 

Und  wenn  ich  nun  irgend  für  ein  \\'ei'k  des  Genies 
5,  6,  800  Louisd'ors  geradeswegs  vom  unbekandten  unauf- 
geforderten Publiko  ins  Haus  geschickt  kriege,  und  ich 
nicht  mehr  ein  Schuldner  des  kleinen  Philisters  sevn  will, 
und  ich  zu  ihm  schicke:  lässt  er  sich  verläugnen  —  ich 
ihm  begegne  und  er  weicht  mir  aus  —  ich  ihn  verklagen 
will  dass  er"s  annehmen  soll  und  muss,  dass  ich  keinen 
Advokaten  kriege  der  sich  meiner  ungerechten  Sache 
annehmen  mag  —  wenn  ich  zulezt  genöthigt  bin,  es  :\d 
pias  causas  anzubieten,  so  einem  hübschen  kleinen  Mädchen, 
die    gute    Gesellschaft    aufnimmt,    und,    was    mich    zulezt 


Sci-.N'u  ALS  »Ihn  VoGtLS.  223 


ganz  auser  mich  sezt,  auch  die  wirft  mir's  vor  die  Füssc, 
schickt  ein  paar  MesstVemde  fort,  und  bchäk  mich  wahr- 
haftig  vom  l'rc\  tau  in  der  Zahlwochc  bis  Sontag  bcv  sicii. 

Schiihu. 
Zu  wem,  denkt  ihr,  dass  ihr  gekommen  se\-d  ? 

'l'reutreund. 
Wie  so? 

Schuhu. 

Wo  find  ich  Worte,  die  eure  Ungezogenheit  ausdrücken  ? 

Hoffegut. 

Sonst  habt  ihr  deren  doch  einen  guten  \'orrath. 

Schulni. 
Schändhch  !   und  was  schlimmer  ist,  abscheuhch  !    und 
was  schhnmier  ist,  gottlos!    und  was  schhmmer  ist,  abge- 
schmackt ! 

Treufreund. 

Nun  geht  der  Periode  zu  Ende. 

Schuhu. 
Für   euch    ist    kein  Weeg,   als    ins  Zucht   —    oder   ins 
Tollhaus,  (ab) 

Papagay. 

Aber  um  Gotteswillen  etc.  etc.  wie  S.   380. 

II.  Nach  den  Worten  l'reufreunds  (Werke,  Hempel, 
VIII.  S.  393.  Z.  8 — 10):  »Dadroben  wohnen — Was  seht  ihr 
da?«   folgt  in  der  Handschrift: 

4.  Vogel.  Berge  und  Müsse,  Wälder  und  Seen,  Woh- 
nungen der  verderblichen    Menschen. 

Trcitfrcitini.  Xun  merkt  auf!  und  schaut  auf!  Und 
zwischen  diesen   be\-den,  was  seht  ihr? 


224 


Neue  Mittheilungen. 


Es  ist  klar  dass  das  Auge  des  Setzers  durch  das: 
»Was  sein  ihr  dar«  und:  »Was  seht  ihr?((  zur  Auslassung 
der  oben  mitgetheilten  Worte  verleitet  worden  ist.  Die 
Correctur  ist  entschieden  nicht  nach  dem  Manuscript  gelesen 
worden,  weil  sonst  die  entstandene  Lücke  bemerkt  werden 
musste.  Ich  mache  aber  noch  daraut  aufmerksam,  dass  in 
der  ersten  Ausgabe  des  Stücks  (hei  Goeschen,  1787,  Band  4; 
die  in  demselben  Jahre  erschienene  Separatausgabe  des 
Stücks  ist  von  dem  stehengebliebenen  Satz  des  vierten 
Bandes  genommen.)  die  Worte  Treufreunds:  »Da  droben 
wohnen  —  was  seht  ihr  da?«  die  Seite  275  schliessen. 
Der  Setzer  also  sowohl  als  der  Corrector  konnten  beim 
Beginnen  mit  einer  neuen  Seite,  die  mit  den  Worten  des 
zweiten  Vogels:  »Zwischen  Himmel  und  Erde?«  anfängt, 
um   so  eher  den  Zusammenhang  aus  den  Augen  verlieren. 


II.     GOhTlll:  AN  MHRCK. 

Schicke  Dir  hier  in  altem  Kleid 

Hin  neues  Kindlein  wohl  bereit, 

Und  ist's  nichts  weiters  auf  der  Bahn, 

iiats  immer  alte  Hosen  an. 

Wir  Xeuen  sind  ia  solche  Hasen, 

Sehn  immer  nach  den  alten  Nasen, 

Und  hast  ia  auch  wies  ieder  schaut 

Dir  Xeuen  ein  altes  Haus  gebaut. 

Darum  wies  steht  sodann  geschrieben, 

Im  Evangelium  dd  drüben, 

Dass  sich  der  neu  Most  so  erweist, 

Dass  er  die  alten  Schlauch  zerreisst. 

Ist  fasst  das  Gegenteil  so  wahr 

Das  alt  die  iungen  Schlauch  reisst  gar. 

Und  können  wir  nicht  tragen  mehr 

Krebs,  Panzerhemd,  Helm,  Schwerdt  und  Speer, 

Und  erliegen  daruiuer  todt 

Wie  Ameis  unterm  SchoUenkoth, 

So  ist  doch  immer  unser  Muth 

W^dirhatitig  wahr  und  bieder  gut. 

Und  allen  Perrückeurs  und  Fratzen 

Und  allen  Literarschen  Katzen 

Und  Räthen,  Schreibern,  Maidels,  Kindern 

Und  wissenschaftlich  schönen  Sündern 

Sey  Troz  und  Hohn  gesprochen  hier 

Und  Hass  und  Aerger  für  und  für. 

Weissen  wir  so  diesen  Philistern 

Kritikastern  und  ihren  Geschwistern 

Wohl  ein  ieder  aus  seinem  Haus 

Seinen zum  Fenster  hinaus. 

Goetiie-Jaukbccm  IF.  IC 


226  Neue  Mittheilungek. 


Vorstehendes  Gedicht  in  Briefform  darf  als  ungedruckt 

bezeichnet  werden,  da  es  nur  als  liinzeldruck  in  sehr 
wenigen  Exemplaren,  gleichsam  zur  Probe,  veröffentlicht  wor- 
den ist.  (Vgl.  unten  Bibliogr.)  Der  Herausgeber,  G.  v.  Loeper, 
wünschte  nämlich  die  Vota  der  Goethe-Forscher  über  diese 
Epistel  zu  \ernehmen  und  durch  dieselben  eine  Art  von 
Entscheidung  über  Inhalt  und  Beziehung  des  Gedichtchens 
testzustellen.  Er  selbst  äusserte  sich  in  den  kurzen  Vor- 
bemerkungen, in  denen  er  mittheilte,  dass  dasselbe  seit 
Merck's  Tagen  in  Goethe's  Handschrift  in  Darmstadt 
aufbewahrt  wird,  folgendermassen :  »Nach  dem  so  sehr 
burschikosen  Tone  würde  ich  die  Epistel  eher  dem  j.  1773 
als  dem  J.  1774  zuschreiben,  weiss  aber  nichts  von  einem 
»neuen  Kindlein  in  alte/}!  Kleid«  aus  diesem  Jahre;  man 
könnte  doch  für  dies  Jahr  nur  an  den  Götz  denken,  wohin 
auch  der  Gedanke  weist,  dass  wir  nicht  melir  den  Harnisch 
der  Vorfahren  zu  tragen  vermögen,  aber  der  Götz  war 
grade  etwas  »Weiteres  auf  der  Bahn  «  und  Merck  als  \cr- 
leger  stand  zu  jenem  Stück  anders  als  diese  Epistel  voraus- 
setzt. Ich  vermag  bei  derselben  nur  an  den  Glavigo  zu 
denken,  an  die  Rückkehr  zur  geschlossenen  dramatischen 
Form,  hier  als  »alte  Hosen«  bezeichnet,  mithin,  was  die 
Zeit  anbetrifft,  an  den  Spätsommer  1774.  Für  Lenz's 
Lustspiele  nach  dem  Plautus  wird  man  sich  bei  näherer 
Prüfung  schwerlich  entscheiden«.  Gegen  diese  Auffassung  ist 
von  W.  v.  Biedermami,  Zarncke,  R.  M.  Werner,  R.  Boxberger 
die  Ansicht  geltend  gemacht  worden,  dass  unter  dem 
»neuen  Kindlein «  die  erste  Gestalt  des  Götz  zu  verstehen 
sei.  Boxberger  fügt  seiner  Auseinandersetzung  die  Be- 
merkung hinzu:  »Mir  konmit  das  Goethe'sche  Gedicht  wie 
ein  Pendant  zu  der  Epistel  an  Gotter  vor.  Als  Zeit  der 
Abfassung  ist  wohl  Anf.  1772  anzunehmen«.  Das  alte  Haus, 
das  dem  Neuen  gebaut  ist,  sind,  nach  dieser  Ansicht,  die 
von    .Merck    ue^riindeten   Frank  hirter   Gelehrten    Anzeigen, 


Goethe  ax  Merck.  227 


die  nur  als  eine  Fortsetzung  der  seit  1736  bestehenden 
Frankfurter  Gelehrten  Zeitung  zu  betrachten  waren.  Nach 
»zerreisst«  Z.  1 1  ist  der  in  der  Original-Handschrilt  stellende 
Punkt  beibehalten,  wie  überhaupt  der  Druck  alle  Eigen- 
tliümlichkeiten  der  Handschrift  reproducirt ;  der  Sinn  würde 
an  dieser  Stelle  statt  des  Punktes  ein  Semikolon  verlangen. 
Gegen  die  oben  niitgetheilte  Erklärung  hat  H.  Düntzer 
1-olgendes  geltend  gemacht: 

»Die  richtige  Beziehung  des  launigen  gereimten  Begleit- 
schreibens ergibt  sich  aus  der  Bedeutung  der  »Xeuenc*  \.  5 
im  Gegensatz  zu  den  Alten  (den  »alten  Xasen«)  \'.  6. 
Wie  letztere  die  alten  Klassiker  bezeichnen,  so  erstere  die 
Modernen.  Hiernach  müssen  das  »alte  Kleid«  und  die 
»alten  Hosen«  auf  altklassischen  Stoff  gehen,  aus  welchem 
» ein  neues  Kindlein  wohl  bereit  (bereitet)«  worden  ;  es 
hat  einen  neuen  Schnitt,  eine  moderne  Form  erhalten. 
Damit  scheint  mir  das  lläthsel  gelöst.  Es  sind  die  »Lust- 
spiele nach  dem  Plautus  fürs  deutsche  Theater«  gemeint, 
die  von  Lenz  herrühren,  aber  Goethe  hat  auf  deren  Um- 
gestaltung grossen  Einfluss  gehabt,  auch  wohl  einiges  selbst 
geändert.  Sind  diese  auch  kein  Fortschritt  in  der  deutschen 
Dichtung  (»nichts  weiters  auf  der  Bahn«),  so  wird  man 
sie  doch  ihres  altklassischen  Gehaltes  wegen  gelten  lassen. 
l:s  sind,  wie  einer  der  ersten  Beurtheiler  sagt,  »unveränderte 
'Fhemata,  unveränderte  Situationen,  unveränderte  Ideen  des 
Plautus«,  aber  sie  gewinnen  durch  die  »originellen  \'orzüge 
des  Dialogs«  die  »hinzugekommenen  neuen  Einfälle«,  das 
»hinweggeschnittene  müssige  Geschwätz«,  den  »modernen 
Anstrich  der  Kostüme«.  Goethe  besorgte  den  \'erleger. 
In  Weygands  \'erlags-Katalogen  sind  die  Stücke  mit  der 
Bezeichnung  »von  Goethe  und  Lenz«  angeführt.  Schon 
am  3.  November  1773  sandte  Goethe  die  ersten  Aushänge- 
bogen an  Betty  Jacoby,  die  davon  wenig  erbaut  war.  Merck 
erhielt    mit    diesen    Zeilen    die    vollständig    ausgedruckten 


22S 


Neue  Mittheilungen. 


Stücke  um  Ostern  177^.    Das  »alte  Haus«,  das  Merck  sich, 

»dem  Xcucn «  ,  gebaut,  hatte  er  schon  im  Dccember  1772 
bezogen.« 

Wilh.  Arndt  endhch  bezieht  das  (iedicht  aut  das 
«Puppenspiel«.  Weitere  \ou  sind  weder  dem  ersten 
Herausgeber  noch  mir  zugegangen.  Ich  gebe  die  vor- 
stehenden nicht  in  der  Absicht,  die  Forschung  damit  tür 
abgeschlossen  zu  erklären,  sondern  um  zu  erneuter  Be- 
trachtung der  jugendlichen  Epistel  anzuregen. 

»Im  Evangelium«   (\'.  10)  bezieht  sich  auf  den  Matth. 

9,  15  und  Mark.  2,  20  mitgetheilten  Spruch  Jesu:   »Niemand 

setzt  einen  neuen  Fleck  auf  ein  altes  Kleid  oder  tasst  neuen 

Wein    in    alte  Schläuche«.     Ich  darf  wohl  bemerken,   dass 

mein    Witer,    Abraham    Geiger,    schon    vor    längerer    Zeit 

behauptet    hatte,    dass    »fast    das  Gegentheil   des  Spruches 

wahr  sei«    (Das  Judenthum  und  seine  Geschichte,  Breslau 

1865,    2.  Aufl.    S.   173 — 175),    dass    er    aber    wegen    dieser 

Behauptung  heftige  Angriffe  erfuhr  (Das  Judenthum,  Bd.  II, 

S.  195),  und  dass  er  sich  gewiss  getreut  haben  würde,  tür 

seine    Ansicht  keinen  geringern  Bundesgenossen  zu  finden 

als  Goethe. 

L.  G. 


in.   Aus  Faust  zwi-ithr  Thhii.. 

MiicKTHKii.T  VON  \\(  )1 .1  )KMA  R   1-RKIH.  \'.   BIKI  )KKM  ANN. 

Chor. 

Nennst  du  ein  Wunder  dicss? 
Gretas  Erzcii^^tcr  du ! 
Dichtend  belehrenden 
Hast  du  niemals  du  /ui;ehuischt. 
Niemals  i^ehört  loniens 
Nie  vernommen  Hellas 
Urväterlicher  Sagen 
Göttlich-heldenhaften  Reicht hum. 

Alles  was  je  geschieht 

Trauriger  Nachklang  ists 

Unsrer  Tage,  der  Tage 

Herrlicher  Anherrn 

Dein  Erzählen  vergleicht  sich  nicht 

lenem  was  lieblich-glaubliche  Lüge 

A'on  dem  Sohne  der  Maja  sang. 

Diesen  zierlich  krättig 

Gebohrenen  kaum 

Faltet  in  reinste  Wickeln, 

Strenget  in  köstliche  Windeln 

Klatschender  Wärterinnen 

Unvernunft. 

Kräftig  u  zierlich  aber 
Zieht  schon  die  beugsamen, 
Dehnsamen  Glieder 
Listig  heraus,  die  purpurne 
Aengstlich  drückende  Schaale 
Lassend  an  seiner  Statt. 


230  Neue  Mittheilungen. 


So  wie  der  Schmetterling 
Aus  dem  starren  Piippenzwang 
Flügel  enthdtend  schlüpft, 
Sonnendurchstrahlten  Aether 
Mut  h  will  ig  durch  flatternd. 

So  auch  er,  der  behendeste, 
Dass  er  den  Dieben  se\', 
Vortheilsuchenden  allen 
Ewig  günstiger  Dämon, 
Das  bethätigt  er  gleich 
Schwingt  zum  Olymp  sich  auf, 
Nieder  zum  tosenden  Ocean, 
Ueber  der  Erde  Breites  hinweg. 
Nicht  verschont  er  des  V^iters 
Nicht  des  Oheims 
Würdige  Herrscherkraft. 

Der  vorstehende  ältere  Entwurf  eines  Chorgesangs 
aus  h'aust,  zweiter  Theil,  wurde  dem  jetzt  im  Ruhestand 
lebenden  Geheimen  Hofrath  Ludrius  aus  Weimar  nach 
Goethe's  Tod  als  Andenken  an  den  Verstorbenen  gegeben. 
Er  findet  sich  auf  einem  Folioblatt,  ganz  von  Goethe's 
eigener  Hand  geschrieben.  l:s  ist  der  Chorgesang  im 
IIL  Act  von  Faust,  2.  Theil.  (Eoeper,  v.  1142  bis  1191), 
aber  vielfach  abweichend,  namentlich  am  Schluss.  In  dieser 
sauberen  Handschrift  findet  sich  keine  einzige  Aenderung, 
ausser  dass  das  Wort  »faltet«  in  der  3.  Strophe  auf  einem 
aufgeklebten  Papierstückchen  geschrieben  ist;  vier  Strophen 
stehen  auf  der  ersten,  die  letzte  „xüi  der  zweiten  Seite. 
Das  Ganze  ist  mit  Bleistift  durchstrichen.  \'orstehender 
Abdruck  ist  buchstabengetreu. 


I\-.     Ais  C;OETHH'S  NcrnZBUCH  VON  DER 
SCHLESISCHHN  REISE  1790. 

MiTGKTHKILT    VON    G.    VON    LOEPEK. 

In  Hirzcls  »Xcucsteni  \'crzcichnis.s  einer  Goethe- 
bibliothek«  bildet  das  handschriftlich  erhaltene,  aus  38  nur 
/um  Theil  beschriebenen  Blättern  bestehende  Notizbuch 
vom  Sommer  1790  eine  der  merkwürdigsten  Nummern. 
Schon  1862  hat  Hirzel  daraus  im  Grimm'schen  Wörterbuch 
unter  »Eilfte«  das  Distichon  veröffentlicht: 

Unklug  schob  er  den  kleinsten  der  zehen  Einger  in's 

Ringchen, 
Nur  der  grösste  gehört  würdig,  der  eiltte  hinein. 

und  neuerdings  G.  Weisstein,  unter  Angabe  der  Quelle, 
das  ungedruckte  und  sonst  unbekannte  Epigramm  (Berliner 
Tagblatt  v.  29.  August  1880.  Nr.  403  S.  4): 

Guten  schreibt  er,  das  glaub'  ich,   die  Menschen  müssen 

wohl    gut   se}'n, 
Die  das  alberne  Zeug  lesen  und  glauben  an  ihn, 
ITeiscii  denkt  er  zu  schreiben,  die  Weisen  mag  ich  nicht 

kennen, 
Ist  das  Weisheit,  hc\  Gott,  bin  ich  mit  Ereuden  ein  Thor. 

Auch  dies  Distichon,  mit  Bleistift  unleserlich  auf  Seite 
1 3  des  Büchleins  hingeworfen,  hatte  bereits  Hirzel  entziffert 
und  auf  ein  besonderes  Blatt  so  verzeichnet,  wie  es  Herr 
\WMSstein  kopirt  hat.  Ich  bemerke  dazu  nur,  dass  im 
zweiten  Pentameter  statt  »mit  Freuden«  anfangs  geschrieben 
war  «und  bleib'  ich«.  Die  folgende  Seite  enthält  dann 
das  57.  der  \'enetianischen  Epigramme,  nur  dass  das  zweite 
Distichon  hier  das  erste  bildet  und  dass  der  ursprünglich 
erste  Hexameter  lautet : 

jiLavater  prägte  den  Stempel  des  Geistes  auf  Wahnsinn 

und  Eüse». 


252  Neue  Mittheilungen, 


Auch  das  vorige  l:pii2;r:imni  ist  unzwcilclhalt  durch 
den  nur  hier  i^cnaiuncn  Züricher  Propheten  veranhisst, 
ebenso  das  53.  der  Venetianischen  Hpii^ramme,  welches IMatt  8 
des  Schlesisclien  Notizbuchs  in    folgender  Fassimg   bringt : 

Kreuzigen  soll  man  jeden  Propheten  vom  dre\sigsten  lahre, 
Kennt  er  die  Welt  erst,  so  wird   aus    dem    Betrognen 

ein  Schelm. 

Noch  \'ier  der  \'enetianischen  l:pigramme  sind  nach 
diesem  Büchlein  auf  den  Schlesischen  Sommer  zurückzu- 
führen. Zunächst  Nr.  95,  welches  sich,  jedoch  ohne  das 
Schluss-Distichon ,  auf  Blatt  12  befindet,  in  nachstehender 
Fassung,  sofern  ich  richtig  zu  lesen  verstand : 

In  der  Dämmrung  des  Morgens  den  höchsten  Gipiel 

erklimmen. 
Lange  den  Boten  des  Tags  schauen,  den   freundlichen 

Stern ! 
Ungeduldig  die  Blicke  der  Himmelsfürstin  erwarten, 
Wonne   des  Jünglings,  wie  oft  hast  du  mich  mächtig 

verlockt ! 
Dann   folgen    auf  Blatt    18   die   Nummern    99   und  94 
nach   einander   in  fast   ganz  unveränderter,   endlich  Nr.  66 
in  folgender  primitiver  Gestalt: 

Ist  denn  so  grosses  Geheimniss,  was  Gott,  die  Welt  und 

der  Mensch  sey? 
Nein!  Doch  Keiner  mags  gern  hören,  da  bleibt  es  geheim. 
Diese  Nr.  66,  sowie  Nr.  94  und  95  sind  bei  der  Wid- 
mung der  Epigramme    an  Herzogin  Amalie   weggeblieben. 
Auf  demselben  lose  gewordenen  Blatt  mit  Nr.  66  findet 
sich  noch  der  für  Goethe  damals  bezeichnende  Spruch: 
Von  Osten  nach  Westen, 
Zu  Hause  am  Besten.' 

'  Das  Motiv  ist  woiil  alt,  denn  bei  Klaus  CJroth  ist  /u  lesen: 
Nord  Uli  Süd,  de  NVelt  is  wit! 
Ost  un  West,  To  Ikis  is  best. 


Aus  Gokthe's  Norr/.BLCH  von  dhr  Schlesischf.n  Ruse  1790.    233 


Andre  Fntwürfc  zu  Epigrammen  habe  ich  nicht  zu 
cin/itlcrn  vcrniochi,  auf  Seite  8  nur  unsicher  die  verwischten 
\\'()rte : 

Wären    der  Welt   die  AuL;en  /u  öffnen!  —    Was  könnte 

geschehen  !  — 
Besser  du  siehest  die  Welt   und  du   findest  dein  Theil ; 

Lind  auf  Blatt   30  ein  Distichon  mit  dem   Anfang: 

Thörig  war  es  ein   Brod  zu  vergöttern  — 

XU  welchem  der  Anfang  des  Pentameters  :  »unser  tägliches 
Brod«  wohl  einen  Gegensatz  bilden  sollte. 

\'on  bekannten  Gedichten  enthält  das  Buch  (Blatt  31) 
nur  noch  die  erste  Conception  desjenigen  auf  die  Knapp- 
schaft zu  Tarnowitz  (bei  Hempel  III.  124)  vom  .-|.  Sep- 
tember 1790,  nicht  aber  die  des  voraufgehenden  Schlesischen 
Epigramms:  »Grün  ist  der  Boden  der  Wohnung«  u.  s.  w. 
(da^.  S.   123). 

Andre  Gedichte  sind  embr\'onisch  verblieben,  so  zwei 
Strophen  auf  S.   15: 

Ach  wir  sind  zur  Quaal  gebohren 

mit  dem  Reim  auf  »verlohren«  luid  dem  zweiten  Reim- 
paar:  werth   und  begehrt,  luid  als  Antwort: 

Du  bist  nicht  zur  Quaal  gebohren, 
Habe  was  dein  Geiz  begehrt, 

mit  Wiederkehr  der  Reinnvorte  verlohren   und  werth. 

Von  diesen  und  andern  kaimi  noch  lesbaren  Kntwürfen 
dürfte  nur  das  in  zweimaliger  Fassung  vorkommende,  aus 
4  Distichen  bestehende  lu'otikon  die  Mühe  der  lintzillerung 
belohnen,  dessen  Schlussverse,  wie  im  Eingange  erwähnt, 
das  Grimm'sche  Wch'terbuch  zuerst  mittheilte.  Die  ersten 
drei  Distichen  habe  ich  bei  trübem  Wetter  niu-  stückweise 
zu  lesen  \ermocht,  etwa  so  : 


234  Neue  Mittheilungen. 


Köstliche  Ringe  besitz'  ich  gegraben  von  kösiliclicni  Stein, 

hoher  Gedanken  und  Styls, 
Theiier  bezahk  man  die  Ringe, 

BHnken  hast  du  sie  oft  über  dem  Spiel  geselm, 
Aber  ein  Ixingelclien  kenn  ich  das  hat  sich  anders  — 

Das  Hans  Carvel  einmal  im  Alter  behagte, 
Unklug  schob  er  u.  s.  \v.  (s.  oben  S.  231). 

Nur,  um  die  Beziehung  der  Schlussverse  aut  Hans 
C^arvel  aufzudecken,  habe  ich  die  vorstehenden  Distichen 
in  ihrer  Lückenhattigkeit  niedergeschrieben.  Ueber  ihn 
existirt  eine  reiche  Litteratur.  Unter  dem  Namen  Franciscus 
Philelphus  erscheint  er  zuerst  in  des  Florentiners  Poggius 
liber  iacetiarum ,  in  dem  Annulus  überschriebenen  Stück. 
Diesen  alten  sexuellen  Scherzen  zahlte  der  Deutsche  mit 
jenen  versteckt  gebliebenen  Versen  seinen  Tribut,  wie  vor 
ihm  Rabelais  (Pantagruel  III,  28  zu  Ende),  der  die  Ge- 
schichte vom  anneau  de  Hans  Carvel  ausführlich  erzählt, 
ferner  La  Fontaine  in  dem  ebenso  benannten  conte, 
Ariost  in  der  Satire  L'Anello :  Fu  gia  un  Pittor,  der 
Fngländer  Prior  u.  a.  m.  Die  Verse  vom  Eilften  in 
Grimm's  Wörterbuch  linden  hiedurch  ihre  vollständige^ 
Erklärung. ' 

Von  den  Bemerkungen  des  Büchleins  in  Prosa  lasse  ich 

die  zahlreichen  mineralogischen  und  ökonomischen  bei  Seite 

und  kopire  (Bl.  10)  folgenden  Spruch  in  doppelter  Fassung: 

Die  M.    ist    das    Vermögen    recht    oder    unrecht    zu 

thun,  ohne  dass  man  wegen  des  ersten  eine  Strafe 

oder    wegen    des    zwe^•ten     eine    Belohnung    zu 

erwarten  hat. 
■M.  ist  das  Vermögen  ohne  Rücksicht  aut  Belohnung 

oder  ]k\stratunu  recht    oder    unrecht   zu    handeln. 


'    Wegen    des    eilltcn    iMugcrs    s.    auch    Gocdcke,    Schwanke    des 
16.  jahrlumderts   1879.  Nr.   i)i   (S.  217). 


Als  Güethe's  Notizbuch  von  der  Schlusischen  Reise  1790.    235 


Eine  dritte  Fassung  enthält  der  spätere  Reimspruch 
(bei  Henipel  II,  ",31): 

Wer  ist  denn  der  souveräne  Mann? 
Das  ist  bald  gesagt : 
Der:  den  man  nicht  hindern  kann. 
Ob  er  nach  Gutem  oder  Bösem  jagt. 

Danach  möchte  unter  'alle  M.d  die  Majestät  zu  ver- 
stehen sein.     Wenigstens  linde  icii  keine  andre  Deutung. 

Auch  Zeichnungen  enthäh  das  Buch,   namenthch  zwei 
schöne    antike    Köpfe    in    Bleistift    und  Architektonisches. 
Unter  der  Zeichnung  eines  menscldichen  Körpcrtiieils  steht: 
Verengerung  verstärkt  diesen  Muskel,  — 
Vermenschlicht  weil  es  altert,  — 
Anschwellung  verjüngt,  versinnlicht. 

\'on  Buchnotizen  fmde  ich:  de  l'Orme  Staat  x.  lingell., 
von  den  Niederlanden,  und  Pass  Charta  af  war.  Finska 
Wicken.     Stockholm   1788. 

Dem  Tagesleben  gehören  an  die  Notizen  auf  Blatt  2  und 
3  (Nr.  2  ist  bemertkenswerth  wegen  der  t^xbin-Besteigung) : 

Briefe.   Nr.   i.   Dresden. 

»     2.   d.  6.  Aug.   Zittau. 
»     3.   d.   12.    »       Breslau. 

—       —      an  Herder. 
»     4.    d.   14.    ))       an  Werther.    Breslau  mit  dem 
Postwagen  Nr.  3.    Die  Bücher. 
»     5.    d.  21.    »       Breslau.     Mit   der   Staffete   an 

Herder. 
Mit  der  Staffete  an  Voigt. 
—  —     an  Seidel. 

))     6.   d.   31.    »       Landshut.   Herr  Müller. 

—  Frau  V.  Stein. 

—  Kt)n.  Postamt 

Hirschbera. 


236 


Neue  Mittheilungen. 


l^rictc.    Xr.  7.    d.    i.  Sept.    Breslau. 

li.   II.     ))      l^rcsl.    HeTdcr.  —  Frankcnhcrg. 
Rcntmcistcr  des  Graf  Sandrctzki 
in  Binden  Ruthart. 
»     8.    Bresl.  den   12.  Sept.  diu-ch   Seidel. 

—  —         anScidel  niit  Assii^nation. 
-  —  Voigt. 

—  —  Eglofstein. 

—  —  Gr.  Reden. 

»     9.    Bresl.  den  18.  Sept.  durch  den  Br. 

—  —  Herzog  v.  Gotha. 

—  —  Bertuch.    Brossecke 

I  Brösigke  ?] 
»  IG.   Dresden  den  28.  Sept. 

«II.        —        —      3.  Octbr. 

Auf  einem  andern  Bkitte  sind  folgende  l^ersonen  notirt : 
Herr  v.  Paczensky  in  Altschotwitz;  Herr  R.  R.  v.  Klöber; 
Herr  O.  R.  v.  Schuckmann;  Herr  Probst  Hermes;  Herr 
Min.  Hovni ;  Herr  Prof.  Schummel;  Herr  Prot.  Gedike ; 
Herr  R.  Manso;  Herr  O.  R.  Raflel ;  Graf  Haugwitz. 

Dann  die  Wochen-Eintheilung : 

Sonntag  früh  10  Uhr  Cour.   Nachmittag  Paczensk\  ; 

Montag   früh    Bibl.    10    Uhr.     Mittag   Graf   Reden, 

Abend  Graf  Hovm. 

Mittwoch  Mittag  G.  R.  v.  Jngersleben  (?). 

Freytag  Mittag  Rothkirch. 

Mittwoch  Abend  Coadjutor. 
Endlich  die  Xotiz:   Riesengebirg  über  die  Schneekupp 
nach    Breslau    den     15.    Sept.    Steinschneider    Eudwig     in 
l-riedeberir. 


2.  ElXUM)\'IliRZl(,  BRIEM:  \0N  GüETHH 

NEBST  2  Briefen  der  Frau  Rath  und 
1  Brief  von  K.  Ph.  Morffz. 


MlTGHTHKILT    VON' 


W  .  Arndt,  K.  Bartsch,  L.  Geiger,  R.  Köhlj:r, 
G.  w  Foeper,  f.  Muxcker. 


Vorbemerkung  : 

\'on  den  nuchtülgcndcn  44  Brieten  ist  Xr.  i — 4.  17. 
18.  ^o.  44  \'on  G.  von  Loeper;  Xr.  5 — 7.  10 — 13.  15.  19. 
20.  22.  23.  25 — 29.  31  —  jj-  ,)(' — 40.  42.  43  von  F.  Geiger; 
Xr.  8  von  R.  Koehler;  Xr.  9.  14.  35.  41  von  K.  Bartsch; 
Xr.  16.  24.  34  von  W.  Arndt;  Xr.  21  von  F.  Muncker 
niitgetheilt.  Die  Genannten  haben  aucli  den  von  ihnen 
verötientlichten  Briefen  die  liinleitungen,  Anmerkungen 
lind  erklärenden  Abhandkingen  hinzugefügt. 

L.  G. 


238  Neue  Mittheilungen. 


1. 

(Aj!  llciiriclte  v.  Knebel. '  j.  Mai  177 ).) 

Hier  i:;nädge  Frl.  ein  ]3ricf  von  ihrem  Hn.  Bruder,  den 
ich  so  alleine  nicht  lauffen  lassen  kann.  Er  hat  mir  auch 
einen  langen  lieben  Brief  geschrieben,  ob  ich's  gleich  gar 
nicht  um  ihn  verdient  habe.  Auch  danck'  ich  Ihnen  rin- 
den Ihrigen,  spät  aber  herzlich,  ich  habe  die  sehr  angenehme 
Bekanntschatit  der  Fr.  v.  Altenstein  und  ihrer  Frl.  Töchter 
gemacht,  und  hofte  sie  bald  wieder  zu  sehen.  Ich  lebe 
wie  immer  in  Strudelev,  und  Unmäsigkeit  des  \'ergnügens 
und  Schnierzens.  Dencken  sie  manchmal  im  Guten  an 
mich.     Frankfurt  den  3  May  1775.  Goethe. 

An  Fräulein  Henriette  von  Knebel  nach  Nürnberg, 
frank. 

(Siegel:  G.) 

Der  vorstehende  an  Knebels  Schwester  Henriette  gerichtete 
Brief,  schliesst  sich  an  Nr.  i  des  gedruckten  Cxoethe-Kneber- 
schen  Briefwechsels  und  wäre  dort  zwischen  Nr.  4  und  5 
einzuschalten.  Die  darin  erwähnte  Frau  von  Altenstein  war 
die  in  Ansbach  heimische  Mutter  des  spätem,  damals  fünf- 
jährigen, preussischen  Ministers  dieses  Namens,  eine  Freundin 
der  Knebel'schen  Familie;  sie  reiste  mit  ihren  Töchtern,  von 
welchen  Karoline  Goethe's  FreundeKnebel  besonders  nahe  stand, 
durch  Frankfurt  auf  der  Hinreise  nach ,  und  später  auf  der 
Rückreise  von  der  Schweiz.  Die  »Unmässigkeit  des  A'ergnügens 
und  Schmerzens«  erklärt  sich  aus  den  Konflikten,  welche  die 
Verlobung  mit  Lili  Schönemann  hervorrief;  zehn  Tage  später 
entzog  sich  Goethe  denselben  durch  seine  erste  Reise  in 
die  Schweiz. 


'  Eigenhandii^,  auf  einem  Quartblatt,  in  meinem  Besitze ;  befand 
sicli  auf  der  Berliner  Goethe -Ausstellung  1861,  als  Nr.  117  des 
Catalos;s. 


41  Briefe  von*  Goethe  etc.  239 


(All  Salis.'  j/.  M(ier~  ijSo.) 

Unter  dem  2üsten  Merz  dieses  Jahrs  habe  ich  eine 
Quittung  \t>n  den  Gebrüdern  Schulthess  in  Zürich  über 
60^/3  Stück  alte  Louisdors,  die  Sie  vielleicht  schon  vor 
diesem  Brief  werden  empfangen  haben. 

Der  Herr  von  Schollery  schreibt  mir  auch,  dass  er  die 
i^)st  für  Petern  baldigst  an  mich  abtragen  werde,  bittet 
nur  noch  um  einige  Nachsicht  biss  seine  vormundschafftliche 
Gasse  sich  wieder  in  etwas  erholet.  Er  verlangt  eine 
vidimirte  Abschrift  Ihrer  \'ollmacht  an  mich,  die  ich  ihm 
auch  gleich  überschiken  werde  um  ihm  von  meiner 
Seite  keine  Ausflucht  zu  lassen.  So  bald  ich  das  Geld 
erhalte,  werde  ich  es  sogleich  überschiken. 

Ich  empfehle  mich  zu  freundlichem  Andenken. 

Weimar  den  31  Merz  1780.  Goethe. 

An  Ulysses  von  Salis  nach 

Marschlins. 

Der  Brief  betrifft  den  Schweizer  Hirtenknaben  Peter  i)u 
liaumgarten,  der  dem  Hannoveraner  von  Lindau,  einem 
Anhänger  Lavaters,  dessen  Goethe  im  igten  Buch  von  Dichtung 
und  Wahrheit  gedenkt,  einst  das  Leben  gerettet  hatte  und 
als  Anerkenntniss  dafür  von  Lindau,  nach  dessen  frühen 
Tode  1777.  ein  Vermächtniss  von  2000  Thalern  empfing. 
Goethe  war  zu  Peters  Vormunde  ernannt,  Lavater  und  der 
Adressat  obigen  Briefes,  Salis,  der  Leiter  des  Philantropins 
zu  Marschlins  und  (ioethe  persönlich  bekannt  (Dichtung  und 
Wahrheit  Buch  15),  zu  Testaments-Executoren  ("Brief  Lavaters 
an  Zimmermann  v.  20.  Mai  1777:  Im  Neuen  Reich  1878. 
Nr.  4). 


'  Das  Original,  in  Goethe's  eigener  Handsclirilt,  befindet  sich  im 
rätischen  Museum  zu  Cliur  als  Nr.  2  der  Handschriften  berühmter 
Autoren.  Dort  am  3.  September  1878  von  Prof.  H.  Grimm  und 
Staatsminister  Delbrück  kopirt. 


240  Neue  Mittheilungen. 


(J>!  KiichcL'  10.  Januar  17S).) 

Ich  danke  dir  für  das  übcrschiktc  artige  Kunstwerk. 
Es  scheint  wirkHch  von  einem  Künstler  zu  seyn,  der  auch 
gern  seinen  kleinen  Haussrath  um  sich  verzieren  und 
angenehm  machen  wollen.  Ich  habe  zu  Ende  des  vorigen 
Jahres  zehn  Tage  in  Leipzig  zugebracht,  und  habe  viel 
mit  dem  alten  Üeser  gelebt  der  mir  immer  respektabler, 
und  beneidenswerther  vorkommt.  Diesmal  kann  ich  dir 
nicht  viel  mehr  sagen,  als  dass  ich  dir  einige  Commissionen 
schike ,  die  aus  dem  Kupierstichkatalogus  der  Regens- 
burgischen Auktion  ausgezogen  sind.  Ich  hatte  Anfongs 
den  Vorsaz  sie  unserem  Legationssecretiir  zuzuschicken. 
Da  du  mir  aber  schreibst,  dass  ein  dir  bekannter  guter 
Mann  dorthin  gehen  will,  so  ist  es  mir  um  desto  lieber. 
Man  hat  keine  Preisse  angesezt,  was  man  daiür  zu  geben 
gedenkt,  weil  sich  das  nicht  wohl  bestimmen  lässt.  Ich 
vermuthe  dass  der  Kommissionnär  selbst  die  Sache  ver- 
steht und  allenfalls  wird  der  Kaufmann  Leubold  wie  ich 
bemerkt  gerne  mit  Rath  an  Händen  gehen.  Sollte  der 
von  dir  vorgeschlagene  Mann  verhindert  werden  nach 
Kegenspiu'g  zu  gehen  und  diese  Commission  zu  über- 
nehmen, so  bitte  ich  dich,  mir  solches  geschwind  wissen 
zu  lassen,  damit  ich  andere  Anstalten  machen  kann.  Ich 
habe  eine  Abschrift  meiner  Kommissionen  hier  behalten 
und  weiss  also  genau  was  ich  bestellt  habe,  auf  alle  Fälle 
wenn  der  Zettel  verlohren  ginge.  Heute  Abend  soll  deine 
Gesundheit  getrunken  werden,  ich  gebe  vor  der  Redoute 
an  diejenigen,  die  im  November  gebohren  sind  und  ihre 
i/ute  Freunde    ein  Abendessen.     Lebe    indessen    wohl    und 


'■    Aul'  2  Q.uartsciten,    von  Seidels    Hand,    nur    Unterschrift    und 
Datum  eif^enhändig,  in   meinem   liesitz. 


41    BRlIiKh    VON    GOETHU    ETC.  2/\.l 

erwarte,  dass  icli  dir  nächsten  etwas    mehreres    schike  wo 
ich  dir  weiter  schreibe.     W.  d.    lo.  Jan.  85.  CJ. 

Nach  Nürnberg  an  lN.nel)el  geruhtet,  der  den  Jiriet  am 
16.  Januar  erhielt:  zwisclien  Nr.  37  und  38  des  gedruckten 
(ioethe-Knebelschen  Briefwechsels  einzurücken.  Das  im  Ein- 
gange erwähnte  Kunstwerk  war  ein  Federmesser  von  Albrecht 
Dürer,  ein  Weihnachtsgeschenk  Knebels  (nach  dessen  Kalender). 
I  )ei  von  Knebel  »vorgeschlagene  Mann«  war,  nach  demselben 
Ivalender.  ein  Herr  \ on  Derschau  aus  Nürnberg.  Zu  den 
»im  Noxember  gebi)rnen  guten  Freunden«  gehörten  ausser 
Knebel  selbst,  Siegm.  v.  Seckendorff  und  i'Yau  v.  Schardt. 
Diesen  und  andern  November-Ciebornen  widmete  (iuelhe  noch 
in  demselben  Jahr  das  unter  seinen  Ciedichten  betindliche 
Novevibcrlicd :   »dem  Schützen,  doch  dem   alten  nicht«. 


4- 

[An  ?  '  12.  Juli  ijS6.) 

liLier  Hxcellen/ 

Haben  mir  durch  Ihren  getalUgen  Brief  einen  neuen 
und  höchst  schätzbaren  Beweis  Ihrer  Freundschaft  i^ci^eben, 
ich  wünschte  nin-,  dass  ich  dem  Herrn  Brtider  mehr  als 
geschehen  /ii  seinen  Absichten  hätte  fc)rderhch  sein 
können. 

Den  Antang  unserer  Bergbaiier  hatte  er  schon  ge- 
sehen und  sein  hiesiger  Aufenthak  war  km-z  be\-  übler 
Witterung. 

hidessen  habe  ich  einige  angenehme  Stunden  mit  ihm 
zugebracht  und  wünsche,  dass  sie  ihm  nicht  ganz  ohne 
Xutzen  mögen  gewesen  se\n. 

Unsere  liebe  regierende  Herzogin  lässt  uns  noch  immer 
aut  ihre  Entbindung  warten  und  diese  Hoffnung,  die  sich 
immer  zeigt  und  entfernt,  lässt  be\-  ims  jetzt  fast  keinen 
andern  Gedanken  RamTi.    Ich  empfehle  mich  luier  lixcellenz 


'  Nacli  cinur  Abschrilt  dc^  eigenhändigen  Schreibens. 

Goetiii:-|amkj;lcii   II.  l6 


242  Neue  Mittheilukgen. 


aut  das  aiii^clcgcntlichstc    und    bitte    trcundschaitliche  Ge- 
sinnungen XU  erhalten. 

Euer  Excellcnz 
Weimar  d.   12  Jul.  86.        ^^anz  gehorsamster  Diener 

Goethe. 

Gehört  in  den  Naturwissenschaftlichen  Briefwechsel.  Der 
Empfänger  des  Briefs,  der  seinen  Bruder  durch  ein  Empfeh- 
lungsschreiben bei  Goethe  eingeführt  zu  haben  scheint,  ist 
noch  nicht  ermittelt.  Zurückgehalten  durch  die  lang  erwartete, 
erst  am  18.  desselben  Monats  erfolgende  Geburt  der  Prinzessin 
Karoline,  richtete  Goethe  an  jenem  Tage  auch  Briefe  an 
Frau  V.  Stein,  Jacobi  und  Sömmerring. 


5- 

(All  Heyne.  '  IVeiiiiar  24.  Jiili  iyS<S.) 

Sie  koinmen  mir  durch  Ihr  gütiges  Schreiben  aut  eine 
freundliche  Weise  zuvor  und  beschämen  mich  dadurch  um 
so  mehr,  als  ich  gewissermassen  Ihr  Schuldner  geblieben 
bin.  Ich  musste  fürchten  dass  Sie  mich  tiir  inconsequent 
halten  möchten,  da  ich,  be^■  meinem  Hintritt  nach  Rom, 
mein  Verlangen  Ihnen  zu  dienen  bezeigte  und  nachher, 
ausser  einer  vorläufigen  Antwort,  nichts  wieder  von  mir 
hören  licss.  Allein  ich  darf  zu  meiner  Entschuldigung 
sagen:  dass  es  mir  sonderbar  genug  und  im  Grunde  doch 
ganz  natürlich  gegangen  ist.  Ich  erkenne  es  jetzt  selbst 
erst  nach  meiner  Rückkunft,   aus  den  Briefen  die   ich  von 


'  Cicdruckt  in:  Philologischer  .\nzcigur.  ,\ls  Ergänzung  des 
Philologus  ligg.  von  Ernst  von  Lcutsch.  10.  Bd.,  ^.  Heft.  Gottingen. 
Dieterich  S.  lylS,  199.  Der  Brief  gehört  zu  dem  bisher  ziemlich  ver- 
wahrlosten Naciihisse  Hevnc's,  der  auch  Briefe  Lessing's  u.  A.  enthält. 
Der  Ikief  ist,  wie  mir  der  erste  Herausgeber,  I:.  v.  Leutsch,  der  den 
Wiederabdruck  gestattete,  gütigst  mittheilt,  ganz  autograpii.,  1  Quart- 
seiten  voll  beschrieben.    Einen  anderen  Brief  Goethe's  an  Heyne  s.  G.-J. 


41    BRltlt    VON    GüETHt    hTC.  243 


dort    her    nn    meine    Freunde    schrieb    und    die    mir    jetzt 
wieder  zu  (jesicht   kommen. 

Im  Anhmi;e  hatte  ich  noch  Lust  und  Muth  d.is  ein/eine 
zu  bemerken,  es  nach  meiner  Art  zu  behandehi  und  zu 
beurtheilen ;  allein  je  weiter  ich  in  die  Sachen  kam,  je  mehr 
ich  den  Lmiang  der  Kirnst  übersehen  lernte  desto  weniger 
unterstand  ich  mich  zu  sagen  und  meine  letzten  j^riefe 
sind  eine  Art  \c)n  \'erstummen  oder,  wie  I  lerder  sich  aus- 
drückt: Schüsseln   in  denen   man  die  Speisen   \ermisst. 

Wenn  ich  mich  werde  gesammelt  haben,  werde  ich 
erst  selbst  erkeiuien  was  ich  mir  erworben  habe  und  dann 
wird  leider  gleich  das  Gefühl  eintreten  von  dem  was  mir 
noch  abgeht. 

Was  ich  dem  Publiko  vorlegen  könnte  sind  Bruchstücke, 
die  wenig  bedeuten  und  niemand  befriedigen. 

Dass  Merder  zu  eben  der  Zeit  als  ich  hier  ankomme, 
weggeht,  ist  mir  ein  sehr  leidiger  \'orfall.  So  sehr  ich 
ihm  die  Reise  gönne,  so  musste  ich  doch  nothwendig 
wünschen:  dass  er  mir  entweder  hier  oder  ich  ihm  dort 
nützlich  se\-n  mikdite. 

Nach  meinen  \'erhidtnissen  kann  ich  nicht  hoflen 
Ihnen  sobald  in  Göttingen  autzuwarten,  ob  ich  es  gleich 
herzlich  wünsche,  denn  der  grösste  Theil  von  dem 
was  mir  abgeht,  ist  eben  das  was  Sie  im  Ueberflusse 
besitzen. 

Sollte  ich   über  das  was  ich  an  alter  und  neuer  Kunst 

bemerckt    ein    allgemeines    Glaubensbekenntniss    hersetzen, 

so  \\  ürde  ich  sagen :  dass  man  zwar  nicht  genug  Ehrfurcht 

für    das,  was    uns  von    alter    und    neuerer   Zeit    übrig    ist, 

empiinden  kann,  dass  aber  ein    ganzes  Leben    dazu  gehört 

diese  Ehrfurcht  recht  zu  bedingen,   den  Werth  eines  jeden 

Kunstw  ercks  in  seiner  Art  zu  erkennen  und  davon,  als  einem 

Menschenwercke,  weder  zu  viel   zu    \erlangen,    noch    auch 

wieder  sich   allzuleicht  befriedigen   zu  lassen. 

16* 


244  Neue  Mittheilungen. 


Wenn  ic!i  geneigt  wäre  etwas  aut  das  Papier  zu  bringen  : 
so  wären  es  vorerst  sehr  einfache  Sachen.  /.  B.  in  wiefern 
die  Materie,  woraus  gebildet  worden,  den  klugen  Künstler 
bestimmt,  das  Werk  so  und  nicht  anders  /u  bilden.  So 
geben  die  verschiedenen  Steinarten  gar  artige  Aufschliisse 
über  Baukunst,  jede  \'eränderung  des  Materials  und  des 
Mechanismus,  giebt  dem  Kunstwercke  eine  andere  Be- 
stimmung und  Beschränkung.  Die  Alten  waren,  nach 
allem  was  ich  bemercken  konnte,  auch  besonders  hierin 
unaussprechlich  klug  und  ich  habe  mich  oft  mit  grossem 
Interesse  in  diese  Betrachtungen  vertieft. 

Sie  sehen,  dass  ich  sehr  von  der  lirde  anfange  und 
dass  es  manchem  scheinen  dürfte  als  behandelte  ich  die 
geistigste  Sache  zu  irdisch ;  aber  man  erlaube  mir  zu 
bemerken:  dass  die  Götter  der  Ciriechen  nicht  im  siebenten 
oder  zehnten  Himmel,  sondern  auf  dem  (^Knip  trohnten 
und  nicht  von  Sonne  zu  Sonne,  sondern  allenfalls  \-on 
Berg  zu  Berg  einen  riesenmässigen  Schritt  thaten. 

Es  ist  gut  dass  mich  der  Kaum  nötigt  aufzuhören. 

Ich  empfehle  mich  Ihnen  bestens  und  bitte  mich  mit 
Ihrem  Angedencken  zu  erfreuen.     Weimar  d.  24.  iul.    1788. 


Goethi 


6. 


(All  Biirhl}ol:^.'  12.  Scplciuber  i'j'ji.) 

Wollten  Sie  die  Güte  haben  und  mir  nur  kürtzlich  den 
Prozess  aufsetzen  wie  nian  verfahren  muss  um  das  Wasser 
durch   das  Kohlenpulver  zu  verbessern?  Man  hat  das  Rezept 

'  Kleines  Q.uartlilatt,  von  Wilpius  geschrieben,  ohne  Anrede  und 
Datum.  Das  letztere  ist  vom  Adressaten  eri^anzt ;  die  .\dresse  aut  der 
lUickseite  >)Hn.  15erL;raih  Jkichliolz«  ist  von  Goeliie's  Hand.  Siegel 
massig  gut  erhalten:  kleiner  .\mor  mit  l-'lugeln.  Der  Briel  helindet 
sich   im   Resit/  des  Hrn.   A.  Spitta  (R.   Zeune's  .Antiquariat)   in   Berlin. 


41  BRiürE  VON  GühTiiL  ETC.  245 

von  mir  verlangt,  und  es  freut  mich,  dass  unsere  neuliche 
Zusammenkunft  so  unmittelbar  niit/Iich   wirkt. 

den    12.  Sepi.   1791.  (ioethe. 

Der  Ailrcssat  .  \\  ilh.  Heinrich  Sebastian  Üih  lihol/ . 
Hofmedikus,  HolaiJothckcr  und  ISergratli  zu  Weimar  lueb.  in 
l)ernl)urL(  1734.  gest.  in  Weimar  179S)  wird  \()n  (Joethe 
wiederholt  rühnih(  iist  erwähnt.  In  der  »(ieschichte  meines 
botanischen  Studiums«  (Hem])el  ,^3,  60)  wird  er  gleichsam  als 
hJegrilnder  der  naturwissenschaftlichen  Studien  in  Weimar 
bezeichnet,  als  Lehrer  (löttlings,  als  eifriger  l'jeobachter  neuer 
ausländischer  Entdeckungen  und  als  stets  bereit,  das  von  ihm 
üeobachtete  einer  »wissbegierigen  Gesellschaft«  uneigennützig 
vorzutragen.  Diese  C/esellschaft  war  diejenige,  welche  sich 
Freitags  bei  (ioethe  versammelte  und  grade  in  der  ersten  Sitzung 
derselben  (vgl.  Tag-  inid  Jahreshefte,  Hempel  27,  S.  42  und 
388),  am  9.  Sept.  1791  hielt  Buchholz  einen  von  Experimenten 
begleiteten  Vortrag  über  die  Wirkung  ])ulverisirter  Kohle  auf 
fauliges  Wasser.  .\uf  diesen  \'ortrag  l)ezieht  sich  das  voi - 
stehende  Uillet. 

7- 
(All  Hi'iiirii'h  Meyer/  irriiiuir  22. — 2  j. Januar  iJ'j6.J 

Es  ist  recht  schön,  dass  gleich  anfangs  inisere  Briefe 
im  Wechsel  gegangen  sind,  auf  diese  Weise  können  wir 
öfter  Nachricht  von  einander  haben.  Ihren  Brief  vom 
12.  D{:c.  habe  ich  in  Jena  erhalten,  wo  ich  mich  auf  hielt 
um  das  siebende  Buch  meines  Romans  in  Ruhe  zu  schreiben. 
Schiller  grüsst  Sie  bestens.  Wir  sind  jetzt  im  CJusto 
Disticha,  zu  i-Jiren  tmserer  Freimde,  zu  machen,  wovon  ich 
Ihnen  einige  bevlegen  werde.  Sie  sollen  bald  die  i^riefe 
für  Neapel  haben,  um  sich  solcher  nöthigenfalls  bedienen 
zu  können,  ich  hoffe  auch  bis  dahin  eine  Auszahlung  an 
Heigelein  zu  bewirken.  Leber  Ihre  Kntdeckimgen  freue 
ich  mich  sehr,  luui  ich    bin    überzeugt   dass    Sie   nach    imd 

'  Q.uartbo<jen,  .illc  4  Seiten  beschrieben;  dictirt,  nur  Name  und 
Nachschrift  eigenhändig;  Original  in  der  Grossh.  l^ibl.  in  Weimar, 
l^cchts  oben:  Weimar  den  22.  Januar   1796. 


246  Neue  MirriihiLuxGEN. 


nach  eine  reiche  Rrndtc  finden  werden  und  danke  für 
die  Nachrichten,  ob  sie  gleich  nicht  alle  trostlich  lauten. 
Ich  wünsche  Glück  zu  den  Spat/iergängen  auf  Piazza 
Navonna. 

Geben  Sie  doch  auf  die  letzten  Stücke  der  Hören  acht, 
worin  vielsagende  Abhandlungen  Schillers  über  die  uaivcn 
und  sciiliiiiciitalcii  Dichter  stehn,  auch  werden  Sie  in  den 
ersten  Stücken  der  Litteraturzeitung  dieses  Jahres,  das 
Elogium  des  poetischen  Theils  der  Hören  lesen,  worüber 
sich  die  Widersacher  männiglich  erzürnen   werden. 

Wenn  Ihnen  ein  kleines  Buch  begegnet :  Le  Antichita 
di  Roma  per  Lucio  Mauro  Appresso  le  statue  antiche  per 
Ulisse  Aldrovandi,  so  sehen  Sie  doch  hinein.  I:s  ist  merk- 
würdig \vegen  des  Anhanges,  in  welchem  Aldrovandi  die 
Antiken  rezensirt,  wie  sie  zu  seiner  Zeit  in  öffentlichen  und 
Privatgebäuden  zu  Rom  standen.  Auch  habe  ich  eine 
kleine  Schrift  gefunden  die  sehr  interessant  ist,  sie  führt 
den  Titel :  Quaestiones  Forcianae  und  ist  ein  Dialog  in 
gutem  Latein,  in  welchem  die  Sitten  und  Arten  der  ver- 
schiedenen Bewohner  Italiens,  mit  grosser  Frevmüthigkeit, 
gegen  einander  gestellt  werden.  Es  mag  in  der  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  geschrieben  sevn,  ging  lange  im  Manu- 
script  herimi  und  ward  zuletzt  nicht  ohne  \'erdruss  des 
Herausgebers,  gedruckt.  Ich  will  sehen ,  dass  ich  einen 
tabellarischen  Auszug  daraus  mache,  um  den  Ueberblick 
der  \'erhältnisse  zu  erleichtern,  und  Sie  sollen  alsdann  eine 
Abschritt  erhalten ,  die  Ihnen  gewiss  W'i'gnügen  machen 
wird.  Sie  sehen,  dass  ich,  indem  Sie  aus  den  lebendigen 
Quellen  schöpfen,  fortfahre  mich  aus  l^üchern  vorzubereiten, 
wodurch  wir  denn  doch,  wie  Sie  auch  be\-  Ihren  perusini- 
schen  Nachrichten  bemerken,  im  Suchen  und  Untersuchen 
sehr  gefördert  werden  müssen.  Auch  fahre  ich  fort,  indem 
Sie  der  heiligen  Form  huldigen,  dem  Element,  der  Masse, 
und    den     geringeren    (Organisationen     nachzuspüren.      In 


41  Brii:fh  von  Goethe  etc.  247 


alle  die  Fächer,  deren  T.iebhaberey  Sie  mir  kennen,  wird 
täglich  etwas  neues  eingebracht. 

Wir  haben  hier  unglaublich  schönes  Wetter,  meist 
heitern  Himmel  und  oft  wahre  Sommertage,  wie  sieht 
es  damit  in  Rom  aus  ? 

Was  Sie  zu  den  Hören  schicken,  wird  sehr  willkommen 
sevn.  Suchen  Sie  ja  auch  etwas  brauchbares  von  andern 
zu  erlangen.  Schiller  wünscht  selbst  einige  Zeit  pausiren 
zu  können  und  ich  kann  ihm,  wegen  des  Romans  und 
wegen  anderer  Umstände,  nicht  so  wie  ich  wünschte  be\- 
stehen. 

Ich  habe  den  Brief  von  Uden  an  Böttiger  gesehen,  der 
mir  recht  wohl  gefällt.  Beobachten  Sie  doch  diesen  Mann 
und  sehen  Sie  inwiefern  es  räthlich  wäre  sich  mit  ihm 
einzulassen?  worauf  er  gesammelt  und  was  er  vorzüglich 
beobachtet  hat?  Wir  können  ihm  auf  alle  1-älle  seine 
Arbeiten  besser  bezahlen  als  ein  Buchhändler  thun  würde.' 
Sehen  Sie  doch  auch,  was  Hirt  etwa  besitzt  und  was  man 
dem  abnehmen  könnte.  Wir  brauchen  und  dürfen  uns 
ja  im  Anfang  nicht  merken  zu  lassen  wo  wu'  hinaus 
wollen. 

Die  acht  grossen  Poussins  wovon  ich  schon  zwey 
besass,  habe  ich  durch  die  Aufmerksamkeit  und  Vorsorge 
der  regierenden  Herzogin,  aus  der  Frauenholzischen  Auction 
bekommen,  leider  sind  4  davon  sehr  ausgedruckt  und  4 
aufgestochen,  so  dass  man  nur  die  Ideen  davon  noch  sehen 
kann.  Wenn  Ihnen  alte  Abdrücke  begegnen,  so  versäumen 
Sie  ja  nicht  sie  einzukaufen,  hier  ist  das  Verzeichniss. 

Dedicirt  an  den  König  Ludwig  XIV. 
I.    Gegend   am  Etna.     Poliphem   sitzt   auf  dem  Gipfel 
■des  Felsens,  unten  Feldarbeiter,  ein  Flussgott  und  Nymphen. 


Goetlie  hat  hier  .iii  Jio  Seite  geschrieben :  ("siehe  Böttchers  Brief). 


248  Neue  Mitthhilungen. 

2.  DiogL-ncs  und  der  Jünglinu  der  aus  der  Hand 
trinkt. 

3.  Der  Mann  von  der  Wasserschlange  umwunden,  die 
verschiedenen  Stufen  des  Schreckens  und  der  Furcht. 

4.  Orpheus  und  Huridice,  der  Hintergrund  dem  Kastei 
St.  Angelo  ähnlich. 

Dedicirt  an  den  Herzog  von  Bourbon. 

1.  Phocions  Begräbniss  (besitz  ich). 

2.  Eine  Heerstrasse,  ein  Mann  der  Wasser  schöpft, 
ein  Mann  und  Weih  ruhend. 

3.  Phocions  Grab  (besitz  ich). 

4.  Ländliche  Gegend,  grosser  Wassernapt  im  \'order 
grund,  ein  Alter  wäscht  die  Füsse,  gegenüber,  an  einem 
Monument,  ein  Jüngling  und  ein  Mädchen  sitzend. 

Was  Sie  von  den  Pfuschereven  in  der  \'illa  Borkese 
schreiben  ist  freilich  traurig;  doch  geht  es  bev  uns'  nicht 
besser  und  wir  können  also  von  dort  her  Trost  schöpfen. 
Des  Bauens  und  Anlegens  aus  dem  Stegreife  und  ohne 
Riss  und  Plan  ist  kein  Knde,  man  fürchtet  sich  vor  einer 
grossen  Idee,  die  auszuführen  und  vor  einer  grossen  Summe, 
die  auszugeben  ist;  aber  eben  diese  Summe  nach  und 
nach  für  Anstalten  zu  verzetteln  die  man  am  Faule  gern 
wieder  wegkaufte,  muss  unglaublich  reizend  sevn.  So  will 
es  das  unerbittliche  Schicksal  der  Menschen  und  dabev 
mags  denn  auch  bleiben. 

Leben '  Sie  recht  wohl.  Hier  noch  einige  Disticha 
und  ein  Blat  von  Böttcher',  d.  2)ten  *   1796.  G. 


'  /'('v  uns  hat  Goctlie  eitjenhiindig  statt  der  ausgcstricliencn  Worte 
»in  Paris«  gescliricbcn. 

^  Von  liier  an  bis  G.  eigenhändig. 

?  Liegt  niclit  bei,  es  ist  vielleiclit  dasselbe,  von  dem  S.  247  A.  i. 
die  Rede  war.  Nachschrift  von  Goethe's  Hand,  aber  ausgestrichen: 
das  Bötchrischc  Blat  hab  ich  verlegt  es  folgt  nächstens.     G. 

•»  Natürlich  Januar  /.u  erganzen.  Die  Verse  sind  \-oni  ,Schreiber 
geschrieben. 


41  Brii.11.  von  Goethl  etc.  249 


Der  Teleolog. 

\\  cLlic  \cichruni;  \crdicnt  dcr\\'cltschc)pkT,  der  i;n;idiL;, 

Als  er  den  Korkbamn  erscluit,  gleich  auch  die  Stöp.sel 

erland. 
Der  Antiquar. 

Was  ein  christliches  Aui^e  nur  sieht  erblickt  ich  im  Marmor  : 

Zevs  und  sein  ganzes  Cjeschlecht  grämt  sich  und  fürchtet 

den  Tod. 
Der  Kenner. 

Alte  \'asen  und  Urnen!     Das  Zeug  wohl  könnt  ich 

entbehren ; 
Doch  ein  Majolica-Topfmachte  mich  glücklich  und  reich. 

8. 

(All  .^  '  6.  Mär.i  iSoi.) 

Indem  ich  V.w .  W'ohlgeb.  mit  Dank  das  ausgelegte 
Geld  zLischicke  und  um  Quittirung  bevgelegter  Rechnung 
bitte,  so  folgt  auch  das  neue  Leos,  welches  zurück  zu 
schicken  bitte.  Man  kann  wohl  zum  Scherz  einmal  in 
einem  Glückspiele  den  Zutall  \ersuchen,  aber  es  darf  daraus 
keine  Gewohnheit  werden. 

Der  ich  recht  wohl  zu  leben  wünsche, 

Weimar  am  6.  März   1801.  Goethe. 

(All  Hofralh  Slark.-  }.  Jniii   iSoi.) 

\l\\.  Wohlgeb. 
Haben    die    Gefälligkeit    be\iiegendes    Gedicht     Ihrer 
Dem.  Tochter  in    meinem  Xamen    zuzustellen.     Möge   sie 

'  Xur  Unterschritt  (in  dcutsclicr  Schrift)  cii^cnliandii^.  hii  I5csit/c 
der  Grossherz.  Bibliothek  zu  Weimar. 

-  Im  Besitz  von  Frau  Hofrath  .Stark  in  Heidelberg,  aus  dem 
Nachlass  meines  Collegen  Stark,  der  ein  Enkel  des  Leibarztes  von 
Karl  August,  Hofrath  Stark  (damals  auch  oft  noch  Starke  geschrieben) 
war.     Der  Brief  ist  oime  .Kdressc.    Xur  die  Unterschrift  ist  eii^enhandiy;. 


250  Neue  Mittheilungen. 


wenn  CS  ihr  einiges  Vergnügen  macht,  sich  dabev  manch- 
mal des  \'erfassers  erinnern  der  ihrem  Vater  so  viel  Dank 
schuldig  bleibt. 

Weimar  am   3.  Juni    i8(ii.  Goethe. 

Welches  CiedichtGoetheStarks Tochter  übersandte,  ist  nicht 
angedeutet.  Damals  der  Familie  des  berühmten  Arztes  eine 
Aufmerksamkeit  zu  erweisen,  mochte  (lOethe  sich  besonders 
gedrungen  fühlen  nach  der  schweren  Krankheit,  die  ihn  im 
Januar  1801  befallen  hatte.  Dass  Stark  hier  der  über  die 
Krisis  hinweghelfende  war,  geht  aus  dem  nachfolgenden 
eigenhändigen  Handbillet  Karl  Augusts  hervor,  welches  gleich- 
falls aus  Starks  Nachlass  stammt.     Adresse  (aussen) 

An 
Herrn   Hofrath   u.   l-eibarzt 
Dr.  Starcke 


\V.    19.  1801. 

Zur  Erinnerung  der  Zeit  die  Sie  mit  glücklichem  Erfolge 
am  Kranckenlager  Göthens  so  rühmlich  und  nützlich  zuge- 
bracht haben,  erhalten  Sie  beykommendes  Andenken,  u. 
nehmen  es  gerne  von  mir  (an).' 


Carl  August. 


10. 


(An  Bcrttich.  '  j.  janiiay  1S02.) 

Hw.  Wohlgeb. 

erlauben  mir,  im  Betracht  unseres  immer  gut  bestandenen 
Verhältnisses,  den  Wunsch,  die  Notizen,  welche  künftig, 
über  das  weimarische  Theater ,    in    das  Mode  Journal  ein- 


'  an  und  ein  Thcil  des  (.  von  Carl  durch  ein  I.ocli  im  Papier 
weggenommen,  doch  findet  sich  das  Felilendc  auf  der  einen  Seite  der 
Oblate,  mit  der  der  15rief  geschlossen  war. 

■^  duartbogcn  ;  nur  Untersciirift  eigenhändig.  Auf  der  Rückseite 
die  Adresse:  »Des  Herrn  begationsrath  Bertucli,  Wolilgeboren«.  Im 
l'roricp'sclien  .\rchiv  in   W'einiar. 


41  Briei-l  von  Goethe  etc.  25 1 


gerückt  werden,  im  Manuscript  /.ii  sehen ;  damit  '\ch  nicht, 
bev  meinen  mannigfaltigen  Bemühungen  {ür  solche  Anstalt, 
/war  gewiss  c^hne  Absicht  ]i\\ .  W'ohlgeb.,  aber  doch  durch 
lin'e  X'ermittelung,  manches  unangenehme  ertahre,  wie  es 
mir  noch  neuerlich,  be\'  dem  Un/elmannischen  hall, 
ergangen   ist. 

Sie  verzeihen  eine  Aeusserung,  die  ich  nur  trüber 
hätte  tluin  dürfen,  um  von  Ihrer  Cjefalligkeit  eine  ange- 
nehme Behandlung  zu  erwarten. 

Weimar  am    ].  Jan.   1802. 

Goethe. 

Der  vorstehende  Brief  ist  geschriehen  mit  Rücksicht  auf 
die  Aufführung  des  Schlegelschen  Jon,  welche  am  Tage 
nachher  (4.  Jan.  1802)  in  Weimar  stattfinckii  sollte.  .,Ein 
sowohl  ",  sagt  (ioethe,  Annalen  r8o2  .,den  Autor  als  die 
Intendanz  angreifender  Aufsatz  war  in  das  Mode-Journal 
projectirt .  aber  ernst  uiui  kräftig  zurückgewiesen :  denn  es 
war  noch  nicht  (Grundsatz,  dass  in  demselbigen  Staat,  in 
derselhigen  Stadt  es  irgend  einem  Olied  erlaubt  sei.  das  zu 
zerstören,  was  andere  kurz  vorher  aufgehaut  hatten".  .,I)er 
Unzelmann"sche  Fall"  bezieht  si<h  auf  die  berühmte  Schau- 
spielerin Mad.  Unzelmann  (1760  -1814),  welche  vom  21.  Sept. 
bis  I,  Okt.  1801  auf  dem  Weimarer  Theater  gastirt  hatte. 
(Vgl.  Annalen  1801,  Ende  und  Pasque .  (Joethe's  Theater- 
leitung IL.  324  fg.).  Bertuch  kam  dem  Wunsche  nur  halb 
nach,   wie  der  folgende   Brief  mittheilt. 

1  1. 

(^11  Bcrlnrh.'  12.  Jüiiiiar  1S02.) 

Was  ich  von  einem  niederträchtigen  Menschen,  wie 
dem  W-rtasser  Ihrer  Theaterrecensionen,  in  einem  solchen 
j-alle  zu  erwarten  hatte,  schwebte  mir  vor,  als  ich  Sie 
neulich    freundschaftlich    um    künftige   Mittheilun^    solcher 


'  Quartblatt,  nur  Unterschrift  eiujcnhändig.    .\drcssc:  dDcs  Herrn 
Lcgationsrath  Bertuch  Wohlgeb.«     Im  Froricp'schcn  .Archiv. 


252  Neue  Mittheilungen. 


Aufsät/c  ersuchte.  Sic  schicken  mir  ihn  gegenwärtig  halb 
gedruckt  und  ich  kann  nur  soviel  sagen:  dass  wenn  Sie 
nicht  selbst  geneigt  sind,  die  Sache  /u  remediren  und  den 
Autsat/  unterdrucken,  ich  sogleich  an  Durchl.  den  Herzog 
gehe  Lmd  Alles  auf  die  Spit/e  setze.  Denn  ich  will  entweder 
von  den  Geschätten  sogleich  entbunden  oder  tür  die  Zukunft 
von  solchen  Iniamieen  gesichert  sevn.  Mag  der  allezeit 
geschäftige  \'erzerrer  seine  Künste  doch  in  der  Allgemeinen 
Zeitung  oder  wo  er  will  autgaukeln,  in  Weimar  werde 
ich  sie  nicht  mehr  leiden,  in  den  Fällen  wo  ich  als  öffent- 
liche Person  anzusehen  bin.  Ich  erbitte  mir  vor  vier  Ulir 
Ihre  Erklärung  darüber:  mit  dem  Schlag  geht  meine  Wn- 
stellung  an  Durchl.  dem  Herzog  ab. 

Weimar  am    12  Jan. 

1802.  JW  v  Goethe. 

Der  Verfasser  der  Recension  ist  Böttiger :  über  die 
Sache  vgl  \\'ielands  Aeusserungen  (G.-J.  I.,  326 — 329) :  von 
dem  vorstehenden  Briefe  hat  schon  Caroline  Herder  an  Knebel 
eine  Andeutung  gegeben  (Knebels  Nachlass  IL,  S.  328). 
Eöttigers  Recension  blieb  damals  ungednickt  und  wurde  erst 
nach  des  Verfs.  Tode  in  den  »Kleinen  Schriften  a  1837.  J.. 
S.  328  ff.  gedruckt;  über  den  Jon  berichtete  dann  Goethe 
selbst  im  Journal  des  Luxus  und  der  Moden  März  1802 
(s.  Llcmpel'p.d.   28.   673  —  681). 

12. 

(All  Bert  lieh.'  I}.  Mai  180].) 

Ew.  Wohlgeb. 
eine    vertrauliche    Eröffnung    zu    thun,    werde    durch 
verschiedene  Umstände    bewogen.     Schon    lange    sind  mir 
die    Misshelligkeiten,   welche    zwischen    unsern    jenaischen 

'  duartbogcn :  die  zwei  ersten  Seiten  beschrieben.  Riickseitc. 
.Adresse:  »Des  Herrn  Legationsratii  Bertiicli  W'ohlgeboren;«  nur  Unter- 
schrift eigenhändig.      Im  Froriep'sclien   .\rchiv. 


41    BKlElh   VON    GOUTHI.   ETC.  2)^ 


Lehrern,  sich  in  heftigen  Ausbrüchen  gezeigt  so  wie  andern 
1-rcundcn  der  W'isscnscliaft,  höchst  bedauerlich  gewesen, 
weil  otlenbar  dadurch  ein  scliDiies  Institut  manchen  Schaden 
erleiden  ntusste.  Leider  haben  hiezu  manche,  nicht  genugsam 
überdachte  Ausdrücke  in  periodischen  Blättern  und  Schritten 
die  nächste  \'eranlassung  gegeben.  Die  b'ebel,  welciie 
daraus  entstanden  habe  ich  als  Privatmann  im  Stillen  bedauert. 

Nun  tritt  aber  ein  Umstand  ein,  der  mich,  im  Geschäfts- 
gänge aufmerksam  macht.  Die  zur  Oberaufsicht  über  das 
neue  botanische  Institut  im  i'ürstengarten  zu  Jena  bestellte 
Kommission  hat,  bei  der  Correspondenz,  welche  sie  wegen 
Wiederbesetzung  der,  durch  den  Tod  des  Professor  Batscb 
erledigten  Stelle  geführt,  zu  bemerken  gehabt,  dass  man 
gedachtes  Institut  auswärts  zu  verrufen  und  dadurch  Per- 
sonen, von  der  Annahme  des  Ruis  abschrecken  wollen. 

Ohne  untersuchen  zu  wollen  woher  solche  Insinuationen 
gekonnnen  sein  mögen  sieht  sich  fürstl.  Connnission  ver- 
anlasst besonders  die  Herrn  Redacteurs  der  allgemeinen 
Litteraturzeitung  auf  alles  dasjenige  aufmerksam  zu  machen, 
was  ihr,  sowohl  wegen  des  Instituts  selbst,  als  wegen  den 
litterarischen  Arbeiten  des  nunmehr  dabe\'  angestellten 
Professor  Schdvcrs ,  eingesendet  werden  könnte.  Man 
muss  ausdrücklich  wünschen,  dass  nichts  unangenehmes, 
noch  verkleinerndes  vorkommen  möge,  damit  eine,  im 
wachsen  begriffene  Anstalt  nicht  gehindert  noch  verletzt 
werde. 

Lw.  Wohlgeb.  ersuche  ich  um  diese  Gefälligkeit  im 
Nahmen  fürstl.  Gommission  nicht  ohne  höheres  Mitwissen 
und  bin  zu  allen  Gegendiensten  gerne  bereit. 

Weimar  am   13.  Ma\-   1803. 

J.  W.  Goethe. 

Zu  vorstehendem  Brief  gehört  eine  mit  »Nachschrift« 
überschriebene  undatirte  Notiz  auf  einem  grossen  Quartl)ogen 
Conceptpapier,   von   welcher  nur  die  Unterschrift   eigenhändig 


254  Neue  Mittheilungen. 


ist.  Sie  lautet:  »Professor  Sdielver  wird  zu  Einleituiijr  seiner 
Vorlesungen  ein  kurzes  Programm  schreiben,  wovon  icli  eine 
Anzeige  für  die  T.iteraturzeitung  einzusenden  nicht  abgeneigt 
bin.  Ci.«  Auf  beide,  Brief  und  Notiz,  bezieht  sich  nun  die 
höchst  characteristische  kühne  Antwort  Bertuchs,  welche  als 
Concept  in  seinem  Nachlass  aufbewahrt  wird.  Ihre  Mitthei- 
lung ist  zum  nähern  Verständniss  des  Briefes  nothwendig: 
„Ew.  Hochwohlg.  verehrte  vertrauliche  Eröffnungen  vom  13. 
Mai  in  Betreff  des  künftigen  Benehmens  der  A.  L.  Z.  gegen 
Hn.  Professor  Schelver  habe  ich  für  nöthig  gefunden,  meinen 
beiden  Herrn  Collegen  Griesbach  und  Schütz  mitzutheilen, 
da  dieselben  eine  Direktorial-  und  besonders  eine  Redactions- 
sache  betreffen.  Im  Namen  des  Directorii  dieses  Instituts 
habe  ich  daher  die  Ehre  E.  H.  zu  versichern,  dass  die  A.  L.  Z. 
nie  an  Misshelligkeiten  und  Zwisten  der  hiesigen  Lehrer 
Antheil  noch  Partei  dafür  noch  dawider  genommen  habe. 
Ungerechte  und  injuriöse  Angriffe,  welche  bei  einem  literarisch- 
critischen  Institute  fast  nicht  zu  vermeiden  stehen .  mussten 
die  Herausgeber  des  Instituts  nothwendig  zuweilen  zurück- 
weisen ,  ohne  dass  jedoch  das  Institut  dadurch  nur  den 
mindesten  Schaden  gelitten  hätte. 

Wir  sind  uns  übrigens  auch  bewusst,  dass  die  A.  L.  Z. 
nie  gegen  andere  Institute,  am  wenigsten  aber  gegen  hiesige 
etwas  nachtheiliges  verbreitet  habe.  Man  hat  vielmehr  stets 
von  Seiten  des  Directorii  bereitwillig  die  Hände  geboten 
und  thut  es  noch,  wo  hiesige  oder  weimarische  Institute,  ohne 
der  Wahrheit  zu  nahe  zu  treten,  angepriesen  oder  befürwortet 
werden  konnten.     Bew'eise  dafür  sind  z.  E. 

1.  Der  unentgeldliche  Abdruck  des  hiesigen  akademischen 
Lectionscatalogs .  welchen  andere  Universitäten  bezahlen 
müssen, 

2.  Die  häufigen  Nachrichten  Non  der  Verbesserung  der 
hiesigen  Akademie. 

3.  Die  bereitwillige  Aufnahme  der  Programme  von 
Weimarischen  Kunst -Preiss-Instituten, 

4.  Die  Ankündigungen  und  Recensionen  der  Hören  und 
Propvläen.  worüber  sogar  die  A.  L.  Z.  von  Hn.  Schwab  und 
anderen  Antagonisten  als  parteiisch  für  Weimar  ausgeschrieen 
worden  ist. 

Da  nun  aber  die  A.  L.  Z.  kein  akademisches,  sondern 
ein  ganz  freies  Institut  ist.  das  nicht  Jena,  sondern  ganz 
Deutschland  angehört  und  ebensogut  in  Halle.  Lei])zig,  Erfurt. 
Hamburg  als  hier  sein  könnte,  so  ergibt  sich  daraus  von 
selbst,   dass  hiesii^e  Schriftsteller,    weil   sie  hiesi<j:e  Professoren 


41  Brihi-l  von  GoKTHi.  urc.  255 


sind,  in  den  Retensionen  ihrer  Werke  nicht  anders  behandelt 
werden,  als  auswärtige  Gelehrte,  zumal  da  nach  den  Grund- 
gesetzen unseres  Instituts  nie  ein  College  den  andern,  norh 
einen  andern  Verfasser  .  mit  dem  er  in  näherer  Verbindung 
steht,  die  ihn  für  oder  wider  dcnsclbL'n  zur  Parteili<hkcil 
\erleiten  könnte,  recensiren  darf. 

Dass  von  uns  Niemand  das  hiesige  fürstliche  botanische 
Institut  auswärts  im  geringsten  verrufen  noch  verläumdet  habe, 
ist  gewiss  und  wahr,  und  sollte  E.  H.  von  einem  unter  uns 
Direktoren  solch  eine  schändliche  Verläumdung  hinterbracht 
worden  sein,  so  bitten  wir  um  nichts  mehr  als  eine  Anzeige 
davon  und  Anlass  dieselbe  sogleich  zu  vernichten. 

Wir  vermögen  daher  wirklich  nicht  einzusehen,  wie  ims 
etwas  Nachtheiliges  oder  Verkleinerndes  gegen  das  hiesige 
botanische  Institut  oder  Hn.  Prof.  Schelver  eingesendet  werden 
könnte  :  denn  käme  auch  etwas  dergleichen,  so  würde  es  ohnedem 
nach  den  Gesetzen  nicht  in  das  Intelligenzblatt  eingerückt 
und  Recensionen.  die  uns  unaufgetragen  von  Anderen  zuge- 
schickt werden,  können  nach  eben  den  Crcsetzen  nie  von  uns 
angenommen  werden.  Aus  eben  diesem  Grunde  würden  wir 
auch  die  von  E.  H.  gütigst  offerirte  Recension  von  dem  Pro- 
gramm des  Hn.  Prof.  Schelvers  gehorsamst  verbitten  müssen,  um 
uns  keinen  Vorwürfen  auszusetzen,  so  verehrlich  und  erfreulich 
uns  auch  sonst  E.  H.  Theilnahme  an  unserm  Institut  als  ordent- 
licher Mitarbeiter  sein  würde ,  da  dasselbe  schon  mehrere 
Staatsmänner  von  den  erhabensten  Posten  als  Gelehrte  unter 
ihren  ordentlichen  Mitarbeitern  zählen  zu  können  das  Glück 
hat.  Wenn  wir  aber  des  Hn.  Professor  Schelvers  Programm 
sowohl  als  dessen  künftige  Schriften  einem  Mann,  der  unter 
unseren  Mitarbeitern  sich  als  ausgezeichneter  Botaniker  legitimirt 
und  nie  in  einigen  Verhältnissen  mit  Hn.  Professor  Schelver 
gestanden  hat,  zur  Recension  zutheilen,  so  werden  diese 
Recensionen,  sie  mögen  nun  lobend  oder  tadelnd  ausfallen, 
wenn  sie  nur  sonst  den  Gesetzen  des  Instituts  gemäss  sind, 
eingerückt:  und  wir  sind  überzeugt,  dass  E.  H.  Forderung  an  uns. 
nichts  Unangenehmes  gegen  Hn.  Prof.  Schelver  in  der  A.  L.  Z. 
aufzunehmen,  sich  soweit  nicht  erstrecken  werde,  noch  \on 
einem  solchen  Falle  verstanden  werden  könnte. 

Jena,  d.  2.  Juny   1803.  F.    I.   B." 

Dieser  kühne  Brief  erregte  keineswegs  Goethe"s  Zorn, 
sondern  veranlasste  ihn  nur,  eine  Verständigung  mit  dem  lang- 
jährigen Vertrauten  zu  suchen.  Denn  nur  auf  das  vorstehende 
Bertuch"sche  Schreit:>en  kann  sich  die  nachfolgende  Aeusserung 
(joethe"s  beziehen  : 


2\6  Neue  Mittheilungen. 


1  V 

(.-In  Bcrliich.  '  7.  //////   /.Vo;J 

Hw.  Wohl^eborcn 

haben  mich  seit  so  hingen  Jaliren  zum  ersten  Male 
missverstanden,  sonst  würden  Sie  ein  so  wnnderhches 
Schreiben  nicht  an  mich  erhissen   haben. 

Mein  Losungswort  ist  Gcineiiisiini !  der  sich  wenn  er 
acht  ist  mit   ircllsiiin  recht  wohl  verträgt. 

xMehr  füge  ich  nicht  hinzu,  um  das  weitere  mündlich 
abzuhandeln;  da  sich  dann  Uebereinstimmung  am  geschwin- 
desten finden  wird.     Mit  bestem  Lebewohl 

Weimar  den  7.  jun.  03.  jW  v   (ioethe. 

Was  Südann  den  Prof.  Schelver  anbetrifft,  der  zu  dem 
mitgetheilten  Briefwechsel  indirekt  die  Veranlassung  gab,  so 
war  er  nach  Batschs  Tode  (1802)  nach  Jena  berufen  worden, 
(roethe  hielt  sehr  viel  auf  ihn  (Annalen,  Abs.  374),  wie  er 
denn  seinen  Zweifeln  an  der  Sexualität  der  Pflanzen  grosse 
Bedeutung  zuschrieb  und  ausführliche  Behandlung  schenkte 
(Zur  Morphologie,  Hempel  33,  S.  lii  fg.):  seinen  Stil  dagegen 
schätzte  Goethe  anfangs  gering  (Hempel  34,  S.  267,  Ka- 
lischers  Anmerkung,  vgl.  auch  Annalen,  Abs.  568).  F.  ].  Schelver 
(1778—1832)  kam  1807  nach  Heidelberg,  erduldete  wegen 
seiner  Lehren  Angriffe  und  Verfolgungen  und  gerieth  in  einen 
traurigen  CJeisteszustand,  von  welchem  Windischmann  in  einem 
Briefe  an  Ooethe  (30.  März  1824,  Naturwiss.  Correspond.  II. 
386  fg.)  ausführhche  Nachricht  gab.  Die  Stellung,  die  ihm 
ohne  sein  Zuthun  gleich  bei  seinem  Eintritt  in  Jena  durch 
Goethe  zugewiesen  wurde,  scheint  ihn  von  den  Beziehungen 
zu  Bertuch  ausgeschlossen  zu  haben,  wenigstens  fmdet  sich 
unter  Bertuchs  Correspondenzen    nichts  von  Schelvers  Hand. 


'  Grosser  Q.uartbogcn,  Briol'  dictirt;  nur  der  Name  cigcnluindig 
Auf  der  vierten  Seite  die  Adresse:  «Des  Herrn  Legationsrath  Bertuch 
Wohlgeboreud.  Siegel  gut  erhalten:  Sciiöner  männlicher  Kopl.  Im 
1-roriep'schen   Archiv. 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  257 

14- 

(An  Hofriilh  Stark.  '  S.  Juli  iSoß.) 

Fnv.  W'ohlocb. 

versäume  nicht  anzuzeigen  diiss  ich  von  Weimar  aus 
zu  einer  Conumication  mit  Herrn  Hofr.  Sömmering  befehligt 
worden  und  dass  mein  Rriet  an  ihn  heute  aul  die  Post 
kommen  wird. 

Könnten  Sie  veranhissen  dass  der  academische  Antrag, 
verabredeter  masen  baldigst  an  ihn  abginge:  so  würde 
diese  Angelegenheit  dadurch  sein'  beschleunigt  werden. 

Das  Verordnete  habe  ich  gebraucht  und  \erspüre  guten 

Effect. 

Ew.  Wohlgeb. 

|ena  ergebenster  Dr 

am  8  jul.   1803.  Goethe. 

Es  handelt  sich  um  die  damals  beabsichtigte  aber  ni<  ht 
zu  Stande  gekommene  Berufung  Sömmerrings  in  Frankfurt  a.  M. 
an  die  Universität  Jena.  Goethe  war  kurz  vorher  in  Jena 
gewesen  und  hatte  dort  mündlich  (darauf  bezieht  sich  »ver- 
abredeter masen«)  über  die  Sache  verhandelt. 


(An  Heinrich  Luden. '  14.  Mär{  iSoy.J 

Sider.^  habe  ich  wohl  erhalten.  Er  steht  jederzeit 
wieder  zu  Diensten.  Der  Punct  wegen  der  Pension  ist, 
so  viel  ich  weiss,  schon  zu  Ihren  Gunsten  entschieden. 
Was  die  Biographie  des  Herzogs  Bernhard  betrifft,  so  habe 


'  Im  Besitz  von  Frau   Hofrath  Stark  in  Heidelberg.    Der  Brief  ist 
ohne  .\dresse.     Die  Unterschrift  von  «Ew.«  an  eigenhändig. 

-  Unterschrift    und   Adresse   eigenhändig,     (.\dresse)   Des  Htmi 
Professor  Luden  \  IVohlgehoren    Jena  \/r. 

GoETHt-jAiiRiacii  ir  17 


2\8  NüLt    Mn  IMKILUNüLN. 


ich  den  Gediinken  danin  lange  aufgegeben.    Warum  dieses 

geschah  und  wie  ich  die  Sache  überhaupt  ansehe,  werde 
ich  nü'indHch  eröffnen  sobald  ich  das  Vergnügen  habe  Sie 
zLi  sehen.  Vielleicht  entschliessen  Sie  sich  alsdann  diese 
Arbeit  /u  übernehmen.  Mit  vieler  Theilnahme  gedenke 
ich  stets  des  Untalls,  der  Sie  bedrollen  hat  und  wünsche 
in  der  Folge  Ihnen  manches  l-rcundliclic  und  Niit/liche 
erzeigen  zu  können. 

Der  ich   recht  wt)hl  zu  leben   wünsche 

Weimar  ijoclhc 

den    14  März 
1807 

Der  vorstehend  mitgetheilte  Brief  ist,  nebst  einem  zweiten 
an  Luden  gerichteten,  aber  l)ereits  in  Westermanns  Monats- 
heften 40,  S.  253  veröffentlichten  Briefe  vom  2.  April  1825 
auf  einem  Blättehen  4  Seiten  kl.  8"  u.  d.  T.  :  »Zu  I.uden's 
hundertstem  Geburtstag  (ro.  April  1880)  Zwei  Briefe  Goethe's 
an  Luden.  Leipzig  bei  Veit  und  Comp«  von  Herm.  Credner 
und  zwar  aus  der  Hirzelschen  Goethebibliothek  gedruckt. 
Er  wird  hier,  nach  Vereinbarung  mit  dem  Herausgeber, 
wiederholt,  um  ihn  einem  weitern  Publikum  zugänglich  zu 
machen.  Ein  einige  Monate  später  geschriebener  Brief  ist 
neuerdings  gleichfalls  gedruckt  (vgl.   unten  Regesten). 

Der  Historiker  Heinrich  Luden  (10.  April  1780  bis 
2^.  Mai  1847)  hat  in  dem  nach  seinem  Tode  erschienenen 
Buche:  »Rückblicke  in  mein  Leben«,  Jena  1847,  in  sehr  aus- 
führlicher Weise  (S.  i  — 133)  seine  Beziehungen  zu  Goethe 
erörtert.  Daraus  sei  folgendes  hervorgehoben:  Luden  machte, 
bald  nach  seiner  Ernennung  zum  ausserordentlichen  Professor 
in  Jena  (Aug.  1806),  Goethe"s  Bekanntschaft.  Er  traf  ihn 
mit  Hufeland  und  Riemer  in  einer  .Abendgesellschaft  bei 
Knebel,  war  \on  seiner  Unterhaltung  entzückt,  durfte  ihn  am 
folgenden  Morgen  besuchen,  und  gerieth  mit  ihm  in  sehr 
merkwürdige,  langandauernde  Gespräche  über  f'aust  und  die 
darüber  in  Göttingen  und  Berlin  gehaltenen  Disjnuationen. 
über  (ieschichte  und  deren  Quellen,  über  einzelne  Historiker, 
loh.  Müller  und  Walter  Raleigh,  über  Wahrheit  und  Lüge. 
Geschichte  und  r)i<htung:  Gespräche,  welche,  so  freundlich 
sie  auch  schh)ssen.  dem  jungen,  seine  abweichenden  Meiiumgen 


|i   Bkieie  von  Goethe  etc.  239 

lebhaft  und  cnts(  hieden  vortragenden  Professor  doch  die  Ver- 
muthung  aufdrängten,  er  habe  (loethe  verletzt.  In  Folge  dieser 
seiner  Vermuthung  theilte  er  seine  Aeusserungen  und  die 
darauf  erhaltenen  Antworten  seinen  (iönnern  (iriesbach, 
Hufeland  und  Knebel  mit,  wurde  aber  von  den  Genannten 
beruhigt  und  hatte  selbst  bald  Gelegenheit,  das  Ungerecht- 
fertigte seines  Argwohns  zu  erkennen.  Denn  schon  im  Nov. 
desselben  Jahres  sprach  er,  wiederum  bei  Knebel.  Goethe  aufs 
Neue,  besonders  über  die  durch  die  Schlacht  bei  Jena  hervor- 
gerufenen Verwirrungen  und  Verheerungen  und  konnte  sich 
vergewissern,  dass  er  die  kürzli«h  erlangte  Gunst  nicht  ver- 
scherzt habe.  »Seit  diesem  Tage»,  bemerkt  Luden,  S.  104, 
»hab"  ich  Goethe  zwar  noch  sehr  oft  gesehen,  auf  Spazier- 
gängen, bei  Knebel,  oder  wenn  der  Herzog-Grossherzog  ein 
Mal  na<h  Jena  kam  und  mir  die  Ehre  erzeigte,  mich  zur  Tafel 
zu  ziehen:  aber  nur  drei  [richtiger:  vier]  Male,  soviel  ich  mich 
erinnere,  habe  ich  ihn  allein  gesprochen«.  Unter  diesen 
Gesprächen:  Sommer  1812  in  Knebers  Garten,  Nov.  18 13 
und  1826  in  (Joethe's  Hause,  Frühling  i8r6  bei  Luden  ist 
das  an  zweiter  Stelle  angeführte  das  wichtigste.  In  demselben 
handelte  es  sich  um  die  von  Luden  geplante  Zeitschrift  Nemesis 
und  es  versteht  sich  von  selbst,  dass  das  Kundwerden  eines 
solchen  Planes  bei  dem  erregten  Zustande  der  (Jemüther 
(bespräche  bedeutsamer  Art  hervorrufen  musste.  Wirklich  sind 
Goethe"s  Bemerkungen  (S.  119  —  122)  von  dem  hervorragendsten 
Interesse  und  können  allen  denen,  die  über  des  Dichters 
politische  Anschauungen  leichtfertig  den  Stab  brechen,  nicht 
genug  empfohlen  werden.  Nicht  Alles,  was  damals  gesprochen 
wurde,  zeichnet  Luden  auf,  doch  deutet  er  den  Inhalt  des 
Verschwiegenen  folgendermassen  an :  »Nur  das  Eine  will  ich 
bemerken,  dass  ich  in  dieser  Stunde  auf  das  Innigste  über- 
zeugt worden  bin.  dass  Diejenigen  im  ärgsten  Irrthum  sind, 
welche  (roethe  beschuldigen,  er  habe  keine  Vaterlandsliebe 
gehabt,  keine  teutsche  (Besinnung,  keinen  (ilauben  an  unser 
Volk,  kein  Gefühl  für  Teutschlands  Ehre  oder  Schande,  Glück 
oder  Unglück.  Sein  Schweigen  bei  den  grossen  Ereignissen 
und  den  wirren  Verhandlungen  dieser  Zeit  war  lediglich  eine 
schmerzliche  Resignation,  zu  welcher  er  sich  in  seiner  Stellung 
und  bei  seiner  genauen  Kenntniss  von  den  Menschen  und 
von  den  Dingen  wohl  entschliessen  musste«.  Ueber  die  Zeit- 
schrift »Nemesis«  sind  zwei  Äusserungen  Goethe's  bekannt: 
die  eine :  »Die  Deutschen  sind  wiederkäuende  Thiere«  bei 
Riemer :  Briefe  von  und  an  Goethe  S.  349,  die  andre  das 
Xenion  :  b  li   kann   mich  nicht  bereden  lassen  (Hempel  3,  287). 

17* 


26o  Neue  Mittheilungen. 


Zu  derartigen  vertraulichen  Gesprächen  kam  es  in  der 
Folgezeit  nicht  mehr.  Vielmehr  trat  eine  Entfremdung  ein. 
welche  entweder  durch  Ludens  entschiedenes  Auftreten  in  der 
genannten  Zeitschrift,  oder  durch  seine  Betheiligung  an  den 
Weimarischen  Landtags -\'erhandlungen,  die  Goethe  unange- 
nehm waren,  oder  endlich,  wie  Luden  vermuthete,  durch  die 
Einflüsterungen  des  Staatsraths  vSchulz  hervorgerufen  wurde, 
welcher  in  der  That  den  freisinnigen  Geschichtschreiber  bei 
der  Gentral-Untersuchungs-Commission  in  Mainz  verklagt  hatte. 

In  die  Zeit  dieses  kühlern  Verhältnisses  fällt  der  zweite 
an  Luden  gerichtete  Brief  vom  2.  April  1825,  der  freilich  von 
einer  Verstimmung  nichts  merken  lässt.  Vielmehr  erinnert 
sich  Goethe  darin  mit  Freude  der  in  Jena  verlebten  Tage,  wünscht 
in  freundlichster  Weise  das  Gelingen  von  Ludens  literarischen 
Planen  und  dankt  für  die  Uebersendung  der  »Allgemeinen 
Geschichte  der  Völker  und  Staaten  des  Mittelalters«,  deren 
zweite  Auflage  1824  erschienen  war.  Ueber  dieses  Werk  findet 
sich  in  Goethe's  Briefen  und  Gesprächen  sonst  kein  weiteres 
LTrtheil.  (Dass  er  es  las,  geht  aus  Goethe's  Unterhaltungen 
mit  dem  Kanzler  v.  Müller  S.  120  hervor.)  Dagegen  berichtet 
Eckermann  (L  203,  17.  Jan.  1827):  »Der  Kanzler  brachte 
Ludens  »Geschichte  der  Deutschen«  ins  Ciespräch  und  ich 
hatte  zu  bewundern,  mit  welcher  Gewandtheit  und  Eindringlich- 
keit der  junge  Goethe  dasjenige,  was  öffentliche  Blätter  an  dem 
Buche  zu  tadeln  gefunden,  aus  der  Zeit,  in  der  es  geschrieben, 
und  den  nationalen  Empfindungen  und  Rücksichten,  die  dabei 
in  dem  Verfasser  gelebt,  herzuleiten  wusste«. 

Als  Zeichen  der  Verstimmung  möchte  ich  dagegen  Goethe's 
Schweigen  über  Luden  in  den  Annalen  gelten  lassen,  in  denen 
sich  wohl  Gelegenheit  zur  Erwähnung  seines  Namens  gefunden 
hätte.  Auch  in  den  Briefen  findet  sich  der  Name  sehr  selten 
angeführt;  nur  aus  den  »Briefen  an  Eichstädt«  (S.  142,  152. 
176  f.,  290)  kann  man  entnehmen,  dass  Goethe  von  Ludens 
Beurtheilung  der  Fichte'schen  Vorlesungen  sagte,  sie  zeige  von 
einem  sehr  vorzüglichen  und  gebildeten  Cieist  (19.  April  1806). 
dass  er  in  Folge  dessen  sich  mit  Ludens  Berufung  nach  Jena 
sehr  einverstanden  erklärte  (26.  April),  und  dass  er  auch 
später  einmal  seine  Recension  von  Heeren  und  Woltmanns 
Buch  über  Johannes  von  Müller  lobte  (12.  Dez.   181 1). 

Der  in  vorstehendem  Briefe  erwähnte  Siders  ist  mir  ni<  ht 
bekannt.  Lieber  (loethe's  Arbeit  an  der  Biographie  des 
Herzogs  Bernhard  vgl.  Annalen,  Hempel .  27.  5,365  und 
Ludens  Rückblickes.  105--113.  In  dem  oben  schon  erwähnten 
Briefe  vom    18    Oktober   1807   sagt  Goethe  :   »Ich  will  alsdann 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  261 


wie  ich  über  den  Sarhsischen  Helden  denke,  und  was  irh 
\on  einer  Biographie  desselben  hoffe,  ganz  aufri(  htig  mit- 
theilen«. Auch  Luden  zeigte  später  keine  Neigung  das  Werk 
zu  beenden,  sondern  gab  1812  seinen  Plan  definitiv  auf;  sein 
Bericht  (S.  105),  dass  er  erst  im  Frühjahre  1808  [durch  den 
Minister  v.  Voigt  zur  Beschäftigung  mit  dem  genannten  Gegen - 
Stande  angeregt  worden  sei,  ist  nach  dem  obigen  Briefe  einzu- 
schränken. -  -  Der  Unfall  ist  die  vollständige  Ausraubung  und 
Plünderung  der  Luden'schen  Wohnung,  die  unmittell)ar  nach 
der  Schlacht  bei  Jena,  während  Luden  sich  auf  der  Hochzeits- 
reise befand,  von  den  Franzosen  und  dem  jenaischen  Pöbel 
vorgenommen  worden  war.  (Rückblicke  S.  176  fg.,  s.  auch 
S.  102).  Vgl.  zur  weitern  Orientirung  über  Luden  nun  auch 
die  Abhandlung    von   Dietr.  Schäfer    (s.   unten  Bibliographie). 

16. 

(An  Frau  von  Exhenhcrg'  ?  7.  Ait^nsl  iSoS.J 

Hier  sende  icli  durch  Gefälligkeit  des  Hn.  Graten  von 
Einsiedel  die  Dosen  imd  die  Cameen  zurück;  die  Intaglios 
will  ich  für  120  ,$^  Sächsisch  selbst  behalten  und  lege 
deshalb  eine  Assi^''(7tion  an  Frege  in  Leipzig  bei,  mit  einem 
Ersuchen  an  den  Rcisekass/r  des  Herzogs  Ihnen  diese 
Summe  wenigstens  in  Silber  anszuzahlen.  iMeine  Reise- 
kasse könnt  ich  nicht  entblössen  und  wollte  diese  Dinge, 
auch  zum  Andenken  Ihrer  Gegenwart,  die  übrigens  ganz 
artig  sind,  mir  zueignen. 

Abr  bey  näherer  Betrachtung,  insofern  man  selbsi 
Geld  datür  geben  soll,  entsteht  manche  Bedenklichkeit. 
.Man  begreitt  nicht  warum  die  Faunen,  das  geringste  von 
allen,  so  hoch  angesezt  sind  und  was  einem  sonst  beytällt. 
Doch  war  ich  bev  dieser  Sache  in  Sorge,  da  man  Kunst- 
liebhabern kein  Gewissen  zutraut,  es  möchte  scheinen  als 
wollte  ich  Ihre  freundschaftliche  Nachsicht  misbrauchen. 
Niemand   hat   auch    nur   ein  Gebot  auf  die  Dinge   gethan 


'  Der  Brief  ganz    eigenhändig  von    G.  geschrieben,    in    der   kais. 
Bibliothek   zu  Wien,   ist  nach  einer  Abschrift  des  Dr.  Dürr  mitgetheilt. 


202  Neue  iMittheilungen. 


LI  meines  ist  nach  genauer  Prüfung  annehmlich  genug. 
Soviel  von  diesem  Handel  und  auch  heute  nicht  mehr. 
Empfehlen  Sie  mich  Durchl.  dem  Herzoge  dem  ich  für  den 
gnädigen  Briet,  auf  das  lebhafteste  danke.  Nächstens  mehr. 
Adieu  liebe  Freundinn.  Erhalten  Sie  mir  ihre  Gesinnung. 
CB.  d.  7.  Aug   1808  G. 

Die  PVeundin.  an  welche  der  vorliegende  Brief  geriditet 
ist,  ist  sicher  Frau  von  Eybenberg,  geb.  Marianne  Meyer, 
mit  der  seit  Jahren  von  dem  Dichter  ein  freundschaftliches 
Verhältniss  angeknüpft  war.  Schon  in  den  Jahren  1803  und 
1805  sehen  wir  sie  beflissen  die  Münzsammlung  Croethe"s  zu 
vermehren.  (Goethe's  Briefe,  hrgb.  von  der  AUg.  Deutschen 
^'erlag-Anstalt  IIL,  i,  S.  451  u.  S.  482  ff.).  Während 
Goethe  im  August  des  Jahres  1808  in  Karlsbad  weilte,  befand 
sich  Frau  \  on  Eybenberg  in  Teplitz,  wohin  sich  auch  der 
Herzog  Karl  August  in  den  ersten  Tagen  des  August  begeben 
hatte.  Von  hier  aus  schreibt  er  am  4.  August  an  Goethe 
(Briefwechsel  des  Grossherzogs  Karl  August  mit  Goethe  Nr.  245), 
und  scherzt:  »Frau  von  E.  excellirt  in  Anhänglichkeit  an 
dich:  sie  wird  sehr  geplagt,  um  ihr  Gefühl  für  dich  in  die 
richtige  Klasse  zu  ordnen«.  Es  ist  dies  unzweifelhaft  der 
Brief  des  Herzogs,  den  Goethe  oben  als  empfangen  erwähnt. 
Noch  am  22.  August  schreibt  Goethe  an  Frau  von  Eybenberg 
(a.  a.  O.  S.  613):  »Von  dem  Italiäner  lassen  Sie  Sich  die 
nächsten  Preise  von  jedem  Steine  melden  u.  zeigen  mir  sie 
an.  Man  hat  alsdann  noch  die  Wahl  ein  und  den  andern 
zu  behalten«.  —  Ueber  Frau  von  Eybenberg  ist  im  (ianzen 
wenig  bekannt,  noch  heute  sind  wir  fast  nur  auf  das  ange- 
wiesen, was  Varnhagen  von  Ense  im  vierten  Band  seiner 
Denkwürdigkeiten  und  vermischten  Schriften,  S.  215  —  223 
über  sie  und  ihre  Schwester,  Frau  von  Grotthus  mita;etheilt  hat. 


(An  Knebel.'  IV.  d.  11.  Juli  1S09.) 

Recht  herzlichen  Anteil  nehm  icii  an  deinem  Zustande, 
umsomehr  als    ich    nicht  glaubte   dass  es  zuletzt  nocli  auf 

'  Eigenhändig,  in  meinem  Besitz.     Das    Weitere,    wie   es    scheint 
von  Knebels  Sohn  Bernhard,  abgeschnitten. 


41    BKlhFh    VON    GohTHh    ETC.  263 

ein  Hxtrcm  auslohen  sollte;  da  sich  hoffen  lies  das  so  lange 
Hrtragene  würde  auch  so  fort  erträglich  Weihen.  Rath  ist 
in  der  Sache  schwer  zu  geben,  weil  alles  auf  BcJ.unullmio^ 
ankommt,  das  X'erhähniss  mag  wiederherzustellen  se\n  oder 
nicht. 

l:in  Dritter  ist  hi)chst  nothwendig,  der  bevde  Theile 
spreche  u  sich  klar  mache  was  zu  thun  sev. 

Unter  unsern  Freunden  kenne  ich  niemand  der  sich 
dazu  eigne. 

Das  vorstehende  Fragment  eines  Schreibens  an  Knebel 
fällt  vor  317  des  Briefwechsels,  in  welchem  auch  zwei  vorauf- 
gegangne  Schreiben  Knebels  an  (ioethe  vom  6.  und  vom 
9.  Juli  1809  fehlen.  Der  Inhalt  betraf  wohl  Knebels  eheliches 
Verhältniss. 

t8. 

(All  Graf  Dietricijsteiu.'  2j.  Juni  iSii.) 

Hochgeborner 
Hochzuverehrender  Herr  Graf. 

Fw.  Hochgeboren  haben  mir  durch  die  übersendeten 
Lieder  sehr  viel  Freude  gemacht,  und  ich  hoffe,  dass  Herr 
von  Gonz  (Genz?)  meinen  vorläufigen  Dank  wird  gefälligst 
abgetragen  haben.  Seit  fünf  Wochen  befinde  ich  mich  in 
Karlsbad,  nicht  ohne  Hoffnung  mich  Ew.  Hochgeboren 
persönlicher  Bekanntschaft  bei  einem  längern  Aufenthalt  in 
Böhmen  vielleicht  irgendwo  zu  ertreuen. 

Da  ich  aber  gegen  Erwarten  diessmal  gleich  wieder 
nach  Hauss  zurückkehre,  so  verfehle  ich  nicht,  vorher  meine 
Erkenntlichkeit  selbst  auszusprechen. 


'  Nach  einer  .abschritt  des  eigenhändigen  Schreibens: 
A  tergo 
Des  Herrn  Grafen    Moritz  \on  Dietrichstein    Hocli^ebornen  i  nach  IWien. 


264  Neue  Mittheilungen. 


Ohne  dass  ich  im  Stande  bin  ein  Kunsturtlieil  über 
jene  Compositionen  zu  fällen,  darl  ich  doch  soviel  sagen, 
dass  mir  sowohl  ihre  Anmut  als  eine  gewisse  liigenheit 
des  Charakters  sehr  viel  \'ergniigen  gemacht  hat.  Es  gibt 
zu  interessanten  Betrachtungen  Anlass,  wenn  man  sieht, 
wie  der  Componist,  indem  er  sich  ein  Lied  zueignet  und 
es  auf  seine  Weise  belebt,  der  Poesie  eine  gewisse  \^iel- 
seitigkeit  ertheilt,  die  sie  an  und  für  sich  nicht  haben  kann  ; 
woraus  denn  erhellt,  dass  etwas  Einlaches  und  beschränkt 
scheinendes,  wenn  es  nur  wirksam  ist,  zu  den  manigtaltigsten 
Productionen  Anlass  geben  kann.  Sehr  angenehm  würde 
es  mir  seyn,  diese  Lieder  von  dem  Componisten  selbst 
oder  in  seiner  Gegenwart  vorgetragen  zu  hören,  weil  sie 
dadurch  gewiss  nur  gewinnen  können. 

Indessen  haben  unsere  Sänger  und  Musiker  sie  mit  viel 
Liebe  und  Aufmerksamkeit  behandelt  und  mir  dadurch 
manche  vergnügte  Stunde  gemacht.  Der  ich  in  der  ange- 
nehmen Hoffnung  Hochdenenselben  irgendwo  einmal  zu 
begegnen,  mich  mit  der  vollkommensten  Hochachtung  zu 
unterzeichnen  die  Ehre  habe. 

Carlsbad  Ew.  Excellen/ 

den  23.  Junv  ganz  gehorsamster  Diener 

181 1.  I  \'  Goethe. 


Dies  Schreiben  an  den  (irafen  Dietriclistein  erscheint 
besonders  dadurch  interessant ,  dass  darin  —  sofern  ich  die 
unausgesprochne    Beziehung    desselben    richtig    deute  ein 

Urtheil  Goethe's  über  Beethovens  Compositionen  vorliegt, 
wie  nur  noch  in  dem  spätem  Briefe  an  Marianne  W'illemer 
vom  26.  Juni  1S21.  Die  »übersendeten  Lieder«  sind,  nach 
meiner  Annahme,  hauptsächlich  Beethovens  opus  75,  welches 
im  November  18 10  bei  Breitkopf  und  Härtel  erschienen  war. 
Dasselbe  enthält  für  eine  Singstimme  mit  Klavierbegleitung 
von  (joethe's  Liedern:  i)  Mignon:  Kennst  du  das  Land; 
2)  Neue  Liebe,   neues  Leben:   3)  Aus  Faust:   »Es  war  einmal 


41  Briefu  von  GotTHE  inc.  26; 


ein  König«.  Ausserdem  könnte  man  dazu  noch  rechnen 
Beethovens  im  September  1810  im  \\iener  Kunst-  und  Industrie- 
Komptoir  als  Nr.  38  erschienene  Komposition:  »Die  Sehnsucht 
von  Goethe,  was  zieht  mir  das  Herz  so,  mit  vier  Melodien 
nebst  Klavierbegleitung«,  nicht  aber  Beethovens  op.  83,  drei 
(iesänge  von  Goethe  enthaltend,  da  dieses  erst  im  October 
181 1  herauskam  und  Beethoven  eine  Abschrift  davon  schwerlich 
schon  im  Mai  oder  Juni  vorher  Anderen  zur  Verschickung 
überlassen  haben  würde.  Auch  die  schon  18 10  komponirte, 
aber  erst  später  \eröfl"entlichte  Egmont-Musik  dürfte  nicht 
gemeint  sein. 


i9- 

(All  Kinns?'  7.  Mar:^  1S12.) 

Des  H.  Generaldirektor  einsichtigen  u  wohlgemeinten 
Vorschkig  kann  ich  nicht  anders  als  danckbar  annehmen. 
Es  erfolgt  daher  sogleich  ein  Exemplar  des  Stücks.  Wie 
ich  denn  auch  die  gefällige  Mittheilung  des  Stücks  an 
andere  Bühnen  mit  Danck  erkenne  u  die  nöthigen  Exem- 
plare sogleich  besorgen  werde.  Sollte  einiges  im  Theater- 
arrangement besonders  bey  der  Gruftscene,  Erläuterungen 
bedürfen  so  könnte  eine  Zeichnung  nachgesendet  werden. 
Mit  Bitte  mich  H.  Iffland  bestens  zu  empfehlen 

d  7  xMärz  Goethe. 

1812 

Der  Adressat  ist  wo)  Kirms,  der  als  (ieneralbevoll- 
mächtigter  zwischen  Goethe  und  Iffland  —  denn  dieser  ist 
natürlich  der  Generaldirektor  —  verkehrte  und  verhandelte. 
Das  Stück,  um  das  es  sich  handelt,  ist  die  Bearbeitung  von 
Romeo  und  Julie,  gedruckt  bei  E.  Boas,  Nachträge  zu  Goethe's 
Werken,  Leipzig  1841 ,  2.  Theil ,  S.  3  —  124,  auch  in  die 
neuesten  Ausgaben  der   Werke    nicht  aufgenommen.     Goethe 


'  Ein  duarthiatt  einfaches  Briefpapier  ohne  Adresse;  eigenhändig; 
ieutsclie  Schrift.     L'eber  die  Provenienz  des  Briefes  vi^I.  unten. 


266  Neue  Mittheilungen. 


hatte-  si(  h  \vl'<;cii  seiner  Bearbeitung  schon  einmal  an  Iffland 
gewendet,  22.  Febr.  181  2.  gedruckt  in  J.  V.  Teichmanns  l.iterar. 
NachL  S.  239,  600  Thlr.  für  Ueberlassung  des  Stücks  an 
12  Theater  gefordert,  sicli  \erpflichtet,  es  »unter  drei  Jahren« 
nicht  drucken  zu  lassen  und  sich  bereit  erklärt,  »da  auf 
manchen  Theatern  der  Mönch  ni(  ht  als  solcher  erscheinen 
darf,  den  Pater  Lorenzo  in  einen  Arzt  zu  \  erwandeln«.  Iffland 
muss  darauf  eingegangen  sein,  das  lehrt  der  vorstehende  Brief, 
besonders  aber  auch  der  Anfang  eines  fernem  Schreibens 
an  Iffland  (14.  Mai  1812,  Teichmann,  S.  240):  »Sie  haben, 
verehrter  Mann,  Sich  bey  jeder  Cielegenheit  und  auch  neuer- 
lich wieder,  so  freundlich  und  thciluclunend  gegen  mich  er- 
wiesen«. Die  erste  Aufführung  des  Stücks  in  Berlin  fand  am 
9.  Apr.  181 2  statt;  darüber,  wie  über  die  Bearbeitung  vgl. 
Strehlke's  Bemerkungen    bei  Hempel    X.,    573—576.  Die 

Gruftscene  ist  die  6.  bis  8.  des  5.  Aktes.  Die  Abweichungen 
dieser  Scenen  in  Ooethe's  Bearbeitung  bestehen  darin,  da^s 
alle  zur  Handlung  nicht  unbedingt  nothwendigen  Personen, 
z.  B.  der  Page,  Balthasar  ausgelassen  sind.  Das  Stück  schliesst 
unmittelbar  nach  dem  Selbstmord  Juliens ,  ohne  VVieder- 
erscheinen  und  Versöhnung  der  feindlichen  Familien :  nur 
Lorenzo  hat  ("nach  einer  Pause)  noch  folgende  Worte  zu 
sprechen  : 

Auch  sie   ist  hin  I   Damit  bekräftigt  werde. 

13ass  menschliches  Beginnen   eitel   sei. 

Des  weisen  Mannes  Rath  verstiebt  zu  Nichts. 

Und  Thorheit  sieht  sich   vom  Erfolg  gekrönt. 

Das  Gute  wollen  ist  gefährlich,   oft 

Gefährlicher  als  Böses  unternehmen : 

Die  eh'rne  Pforte  mög"  auch   hier   verwaliren. 

Bis  ich  es  darf  den  Obern  offenbaren. 

Glückselig  der,  wer   Liebe  rein  geniesst. 

Weil   doch  zuletzt  das  Cirab  so  Lieb'  als  Hass  verschliesst. 


20. 

(An   Wmdischmann.'  2S.  De~cmbcr  1S12.) 

Ew.  Wohlü:eboren  haben    sich  in  dieser  Zeit  zwcynial 
so  freundlich  bc\-  mir  angemeldet  und  dadurch  die  kurzen 

'   in   Hirzels  S;in)niiung,   ;  S.,  dictirt,  nur  »Goc'thc^<  eigenhändig. 


41   Hmiut  VON  GohTHh  urc.  26, 


und  düstren  Wintertaii;e  dergestalt  erheitert  und  verlängert, 

dass  ich  mich  gcdi'ungcn  liihle,  Ihnen  noch  im  ahen  Jahr 
dafür  meinen  vcrhindhchen  Dank  ah/ustatten. 

Die  /arte  Weise,  mit  der  Sie  das  Andenken  eines 
/arten  Ahgeschiedenen '  te\ern,  hat  meine  Bewunderung 
erregt.  Sie  hahen  das  Khngen  und  \'erkhngen  eines 
hebenswürdigen  Wesens  in  Ihrer  schönen  Rede  nicht  dar- 
gestellt, sondern  nachgeahmt  und  diesen  trefl  liehen  Mann 
dadurch  wirklich  unter  den  Lebendigen  erhalten.  Der 
Kunst,  mit  dei'  solches  geschehn,  w  ill  ich  nicht  /u  Ungunsten 
sprechen,  aber  das  erlauben  Sie  mir  zu  sagen:  so  glücklich 
wäre  die  Arbeit  nicht  gerathen ,  wenn  nicht  das  Herz 
dabe\-  gewesen   wäre. 

Eine  zweyte,  zwar  nicht  unbekannte,  aber  doch  uner- 
wartete Erscheinung  war  Ihre  Kecension  meiner  Farbenlehre 
in  den  Ergän/ungsblättern  der  Jenaischen  allgemeinen 
I.iteratur/eitung.  Ich  habe  seither  über  diesen  Gegenstand 
so  wenig  gedacht,  dass  ich  vielmehr  alles  Denken  darüber 
ablehnte,  um  mich  andern  Dingen  zu  widmen,  indess  diese 
meine  vieljährige  Arbeit  im  Stillen  wirken  möchte.  Ich 
hisste  um  so  eher  diesen  Entschluss,  als  ich  vernahm,  dass 
das  Meiste,  was  öffentlich  darüber  geäussert  wurde,  nur 
in  Misgebärden  bestand,  denen  zuzusehn  ich  nicht  Lust 
hatte.  Nun  tritt  Ihre  ruhige,  theilnehmende,  freundliche 
Anzeige  hervor,  in  der  ich  mich  selbst  mit  meinen  Inten- 
tionen und  Gesinnungen  wiederfinde  und  meine  Arbeit 
dabev  so  schön  supplirt  sehe,  dass  ich  wohl  hoffen  dart, 
ein  solcher  Mitarbeiter  werde  dasieniiie  immer  mehr  nach- 


'  Bczieln  sich  auf  W'indischmanns  Vorlesung:  Was  Job.  Müller 
wesentlich  war  und  was  er  ferner  sein  müsse.  Winterthur  1811.  Auch 
in  der  gleich  anzuführenden  Besprechung  S.  24  hat  Windischmann  Johan- 
nes V.  Müller  gerühmt  und  ihn  wegen  seiner  Schätzung  der  biblischen 
Schriften  mit  Goethe  zusammengestellt. 


268  Neue  Mittheilungen. 


liolcn,  was  ich  rechts  und  links,  mit  Wissen  und  unbewusst 
liegen  Hess. 

Einen  Wink,  den  Sie  in  diesem  Aufsatze  geben,  lassen 
vSie  mich  erwidern,  /um  Beweis  meiner  Aufmerksamkeit. 
Sie  bemerken  mit  Recht,  dass  ich  das  Magische,  das  Höhere, 
Unergründliche,  UnaussprechHche  der  Xaturwirkungen 
zwar  nicht  mit  Ungunst,  aber  doch  von  der  negativen 
Seite  betrachtet;  und  so  ist  es  auch.  Denn  indem  ich 
meine  Farhenwelt  aus  Licht  und  Finsterniss  zusammensetzte 
und  dadurch  schon  in  Gefahr  gerieth,  den  meisten  meiner 
Zeitgenossen  düster  und  ungeniessbar  zu  erscheinen ;  so 
hielt  ich  mich  um  desto  mehr  auf  der  Lichtseite,  als  mir 
ohnehin  alles,  was  ich  der  Nachtseite  zuschrieb,  von  den 
herrschenden  Theoretikern  abgeleugnet  und  missdeutet 
werden  musste,  wie  es  denn  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag 
geschieht. 

Sodann  ist  im  Wissenschaftlichen,  wie  in  allem  L'dischen 
die  Nacht  mächtiger  als  der  Tag :  denn  wie  viel  Dunst 
und  Wolken,  wie  mancher  Nebel  und  Höhrauch,  ja  bev 
heitersten  Himmel  die  nothwendige  Trübe  der  Atmosphäre 
und  die  climatischen  Lagen,  wie  verkümmern  sie  uns  den 
Lichtantheil,  der  von  der  Sonne  gern  immer  gleichtliätig 
zu  uns  herabkäme  ! 

Diese  Betrachtung  bestimmte  mich  sowohl  in  gedachtem 
Werke,  als  überhaupt  in  poetischen,  wissenschaftlichen, 
künstlerischen  Aeusserungen,  das  Klare  vor  dem  Trüben, 
das  Verständige  vor  dem  Ahndungsvollen  vorwalten  zu 
lassen,  damit  bei  Darstellung  des  Aeussern  das  Innere  im 
Stillen  geelirt  würde. 

Aber  gar  manche  durch  meine  Werke  sich  durch- 
schmiegende, mehr  oder  weniger  esoterische  Bekenntnisse 
sind  Ihnen  gewiss  nicht  verborgen  geblieben  und  diesen 
schreibe  ich    hauptsächlich  Ihre  freundliche  Neigung  gegen 


41   liRihn.  VON  Goethe  etc.  269 


mich  und  gegen  dasjenige  zu,  was  von  meinem  Daseyn 
zur  Erscheinung  gekommen. 

Xach  allem  diesem  werden  Sie  sich  überzeugen,  dass 
es  kein  leeres  Wort  ist,  wenn  ich  Sie  \ersichere,  dass  ich 
mit  \'erlangen  auf  Ihr  Werk  gerichtet  bin,  welches  Sie 
über  Magie  herauszugeben  gedenken'.  Nachdem,  wie  ich 
Sie  zu  kennen  glaube,  muss  es  höchst  schätzbar  werden, 
sowohl  an  sich,  als  in  Betracht  der  Zeit,  in  welcher  es 
erscheint.  Die  unglaublichen  Entdeckungen  der  Chemie 
sprechen  ja  schon  das  Magische  der  Xatur  mit  Gewalt 
aus,  so  dass  wir  ohne  Gefahr  wagen  dürfen,  ihr  in  einem 
höheren  Sinne  entgegenzukommen,  damit  eine  d\namische, 
geistreiche  Betrachtung  in  allen  Menschen  recht  begründet 
und  belebt  werde.  Fürs  Atomistische,  Materielle,  Mechanische 
dürfen  wir  nicht  sorgen,  denn  auch  dieser  \'orstellungsart 
wird  es  an  Jk'kennern   und   j-reunden  nicht  fehlen. 

So  viel  für  diessmal;  mit  den  besten  \\'ünschen  und 
limpfehlungen. 

\\'as  haben  Sie  zu  Ihrem  \'orredner  in  den  Hrganzungs- 
bliittern  gesagt?  Mir  sind  diese  Spalten  ein  neuer  Beweis, 
wie  geduldig  das  Papier  ist.  Hätte  der  Chemiker  so 
widersprechende  Elemente  in  den  Topf  gegossen,  so  wäre 
das  wildeste  Aufbrausen,  Wirken  und  Gegenwirken  ent- 
standen. Hier  aber  ruhen  die  unverträglichsten  Wort- 
phrasen recht  behaglich  neben  einander;  aber  frevlich 
kann  dieser  anscheinende  Friede  vor  einem  thätigen  Geiste 
nicht  bestehen   imd  eine  psvchische  Chemie  wird  hier  nicht 


■  Windisclinianns  Worte  hatten  gelautet:  »So  walir  das  Urtheil 
(G's)  über  Alchymie  im  Allgemeinen  ist,  ...  so  können  wir  docii 
nach  vielfachen  und  liöchst  ermüdenden  Studien  dieser  Sache  niciit 
umhin  von  einigen  .Mchvmisten  .  .  .  mit  Achtung  zu  sprechen  .  .  Hier 
ist  nicht  der  Ort  davon  /.u  reden.  Dies  wird  nächstens  unter  vielen 
anderen  Beleuchtungen  des  Mystischen  in  der  Erziehung  des  Menschen- 
geschlechts in  einer  eigenen  Schrift  geschehen«. 


270  Neue  Mittheilungen. 


Neutralisation  zu  bewundern,  sondern  Xullität  zu  bedauern 
haben. 

Haben  Ew.  Wohlgeboren  vielleicht  indessen  mit  Ihrer 
lieben  Familie,  wie  Sie  aniiengen,  die  Farbenlehre  weiter 
durchversucht,  ist  Ihnen  als  Phänomen  oder  als  l^rklärungs- 
weise  etwas  Neues  und  Bedeutendes  erschienen  r  Theilen 
Sie  mir  solches  ja  mit,  so  wie  auch,  wenn  einer  meiner 
Gegner  etwas  Relevantes  gesagt  hatte.  Freundschaftliche 
Anregungen  beleben  diese  Studien  aut  eine  angenehme 
Weise  u  erinnern  uns,  manches  früher  vorzunehmen,  was 
man  auf  spätere  Zeit  verschiebt,  wenn  uns  Widerstand  und 
Misverstand  verdrieslich  machen. 

Leben  Sie  recht  wohl  und  bleiben  meiner  vt)r/.Liglichsten 
Hochachtung  versichert ! 

Weimar  d.  28  Decbr.  Goethe. 

1812. 

Der  Adressat  des  vorstehenden  Briefes  ist  Karl  Job.  Hier. 
Windischmann,  geb.  24.  Aug.  1775  in  Mainz,  gest.  in  Bonn 
23.  April  1839,  katholischer  Philosoph,  der  aber  ausser  seinen 
grösseren  philosophischen  Schriften  während  seiner  jüngeren 
Jahre  eine  Reihe  physikalischer,  naturwissenschaftlicher  Aljhand- 
lungen  und  Besprechungen  schrieb. 

Von  Windischmanns  Beziehungen  zu  Goethe  vermag  ich 
nicht  allzuviel  zu  sagen.  In  den  Werken  finde  ich  seinen 
Namen  nicht  erwähnt ,  obwol  zu  solcher  Erwähnung  mehr 
als  eine  Veranlassung  gewesen  wäre.  Dagegen  wird  er  in 
den  neuerdings  veröffentlichten  »Briefen  an  Eichstädt«  seit 
1804  mehrfach  als  Mitarbeiter  an  der  Jenaischen  Allgemeinen 
Literaturzeitung  genannt.  Als  solcher  hat  er  denn  auch  zu 
dem  eben  mitgetheilten  Schreiben  Veranlassung  geboten. 

In  den  »Ergänzungsblättern«  der  genannten  Zeitung  näm- 
lich 1813,  Nr.  3  —  6,  Spalte  20  —  44  wurde  Windischmanns 
Besprechung  UberGoethe's  Farbenlehre(unterzeichnet:  K.  J.  ^V.) 
abgedru(  kt.  Dieselbe  ist  ein  sehr  ausführliches  Referat,  mit 
mannigfachen  Bemerkungen,  welche  die  Uebereinstimmung 
des  Referenten  mit  demVerfasser  bekunden.  Als  charakteristische 
Probe  für  den  Ton  des  Ganzen  sei  nur  die  Schlussstelle  hervor- 
gehoben:   »Von   der  6.  Abtheilung:  Sinnlich-sittli(  he  Wirkung 


41    Briefk  von  Gohthe  ktc.  27 1 


der  Farbe,  schweigen  wir  lieber  ganz,  als  dass  wir  in  allzu- 
drängter  KUrze  etwas  Ungehöriges  sagen  sollten.  Am  hebsten 
geht  man  ohnehin  mit  dem  Zartesten.  Fidelsten  in  stiller 
\'ertrautheit  um.  Hiezu  aber  wird  eine  Würdigkeit  erfodert, 
die  errungen  seyn  will,  und  wir  können  Jeden,  insbesondere 
auch  den  Künstler,  versichern,  dass  diese  reifste  Frucht  der 
Farbenlehre,  welche  sinnig  genossen  das  innere  Auge  eröffnet, 
niemals  von  demjenigen  erreicht  werden  möchte,  welcher  vor- 
eilig oder  in  müssiger  Neugierde  nach  ihr  hinlangt  :  nur  der 
wird  sie  verdienen  und  haben,  welcher  sich  mühselig  durch 
alle  Entwiklungsstufen.  wie  wir  l)isher  sie  angedeutet,  durch- 
gearbeitet hat«. 

Der  »Vorredner  in  den  Ergänzungsblätterncc  ist  L.  R., 
der  a.  a.  O.  S.  1 7  20  gleichfalls  eine  Besprechung  von 
(ioethe's  Farbenlehre  bringt.  Dieselbe  ist  ungemein  phrasen- 
haft, versucht,  neben  aller  Anerkennung  des  Besprochenen  eine 
eigene  Ansicht  zu  begründen,  insbesondere  einer  Vereinigung 
der  Goethe'schen  und  Newton"schen  Theorie  das  Wort  zu 
reden.  »Dann«,  so  heisst  der  vorletzteSatz,  »wird  der  polemische 
Theil  dieses  Buches  wegfallen,  und  die  schöne  Dogmatik 
bleiben,  die  hier  in  dem  reinen,  anspruchlosen  Gewände  der 
schönsten  Sprache  aut'tritt.«  Es  scheint  lange  gedauert  zu 
haben ,  bis  Eichstädt  diese  Kritik  als  Einleitung  zu  dem 
Windischmann'schen  Referat  erhalten  hat.  Wenigstens  ist  man 
versucht,  den  zuerst  von  .\.  Cohn,  Ungedrucktes,  S.  80  —  82 
mitgetheilten  Brief  (ioethe's  an  Eichstädt  vom  28.  Aug.  181 1, 
der  dann  bei  Biedermann :  Goetheforschungen  S.  423  424 
wiederholt  ist,  einen  Brief,  in  welchem  es  sich  um  eine 
Windischmann"sche  Recension  und  ein  von  Goethe  beabsichtigtes 
Urtheil  über  die  Wirkung  seiner  eigenen  Schrift  handelt,  auf 
die  ebengenannte  Recension  zu  beziehn.  Aus  dem  Umstände, 
dass  statt  einer  ri(-htigen  Erkenntniss  seiner  Farbentheorie  eine 
unverständige  und  ül)elwollende  Beurtheilung  vorangestellt 
wurde,  erklärt  sich  auch  der  besondere  (jroll,  mit  welchem  sich 
Goethe  über  den  Beurtheiler  L.   R.  äussert. 

Einige  Jahre  später  1815  machte  Windischmann  Goethe's 
persönliche  Bekanntschaft  in  Frankfurt.  Dieses  Zusammentreffens 
und  der  bei  demselben  geführten  Gespräche  gedenkt  er  in 
einem  (Naturw.  Corresp.  fl.  S.  385  387  abgedruckten)  Briefe 
vom  30.  März  1824,  in  welchem  er  ein  neues  Werk,  jedenfalls 
»Kritische  Betrachtungen  über  die  Schicksale  der  Philosophie 
in  der  neuern  Zeit«  übersendet  und  empfiehlt.  Zugleich  bat 
er  Goethe,  dem  ehemaligen  Jenenser,  damals  Heidelberger 
Professor,  dem  Botaniker  Schelvcr,  auf  dessen  »gespannten  und 


272  Neue  Mittheilungen. 


zum  'l'hcil  s(  ln\  er  zerrütteten  (Geisteszustand«  er  aufmerksam 
macht,  womöglich  anderswo  eine  Stelle  zuverschaffen,  vgl.  oben 
S.  256.  Diese  J>itte  lehnte  Goethe  kurz  ab :  »ich  bedauere,  dass  ich 
seinen  Wünschen  nicht  entgegenzukommen  Mittel  finde«  ';  über 
das  angegebene  Werk  äusserte  er:  »es  soll  mit  in  die  Fremde 
wandern,  und  da  will  ich  sehen,  ob  sein  Vortrag,  ganz  ohne 
Eintheil-  und  Abtheilung,  mich  in  die  Materie  hineinlässt. 
Sonst  übernahm  icli  in  ähnlichem  Falle,  das  Werk  in  Bücher. 
Kapitel,  Paragraphen  zu  zerspalten,  ja  sogar  mit  Marginalien 
zu  versehen,  da  ich  dann  beim  Ende  der  Operation  das  Ganze 
völlig  inne  hatte.  Jetzt  wünsche  ich  freilich,  dass  ichs  bequemer 
finde«.  Einige  Monate  später  gedenkt  der  Adressat  des  letzt- 
erwähnten Briefes,  Nees  v.  Esenbeck,  noch  einmal  \^'indisch- 
nianns  (i.  Febr.  1825,  a.  a.  O.  S.  120):  von  einer  spätem 
Erwähnung  ist  mir  nichts  bekannt. 

Fernere  Briefe  Goethe's  an  Windischmann  vom  2.  Mai  181 1. 
20.  Apr.  18 15,  2.  Jan.  18 16  befinden  sich  gleichfalls  in  der 
Hirzel'schen  Sammlung. 


21. 

(An  ?  Weimar  S.  Januar  1S14.) 

Wacrc  meine  Canzlev  \vie  sonst  bestellt;  so  erhielten 
Sie,  thcLierste  Freundinn,  zwev  Abschriften  des  Epilogs, 
nun  muss  ich  aber  diese  Bemühung  Ihren  lieben  Fingerchen 
überlassen.  Sodann  haben  Sie  wohl  die  Güte  unsrer  wiener 
Freundinn  einige  Worte  zu  Erklärung  der  ersten  zehen 
Verse  zu  sagen.  Zum  schoenen  Morgen  die  schoensten 
Grüsse ! 

W.  d.  8.  Jan.  Goethe. 

1814. 


'  An  Nces  von  Hscnbeck.  Naturw.  Corrcsp.  II,  95.  Der  Brief 
wird  vom  Herausgeber  fälsclilicli  in  den  März  1824  gesetzt;  er  gehört 
da  er  eine  Beantwortung  des  W'indischmann'schen  Schreibens  gibt,  in 
den  April,  oder  wie  einzelne  auf  eine  beabsichtigte  Sommerreise  sich 
bezicliende  Aeusserungen  vcrmuthen  lassen ,  vielleicht  schon  in  den 
Mai  ICS24. 


41    BkIKIE    VON"    GühTHE   ETC.  l'J ^ 


Das  Rriefchen  ist  ganz  eigenhändig  mit  lateinischen 
Lettern  gescln-ieben.  Die  Adressatin  ist  mir  unbekannt.  L'iiter 
der  Wiener  Freundin  ist  wohl  Sara  \on  (irotthuss,  geb.  Meyer 
aus  Berlin  zu  verstehen  (gestorben  1828  zu  Oranienburg),  mit  der 
Cioethe  gerade  während  der  Jahre  1810  18 15  eine  regere  Corre- 
spondenz    unterhielt  21    Briefe  von  Cioethe    an  Frau    von 

(Irotthuss  veröffentlichte  K.  A.  N'arnhagen  von  P^nse  1846  in 
den  «Cirenzboten«  (Hand  2,  Nummer  25,  Seite  497  fC),  nach- 
dem er  schon  1838  in  den  vierten  Bdnd  seiner  ))l)enk\vürdig- 
keiten  und  vermischten  Schriften«  (Seite  215  ff.)  einen  kleinen 
.Vufsatz  über  Sara  und  ihre  Schwester  Mariane,  die  181 2  als 
Frau  von  Eybenberg  starb,  aufgenommen  hatte,  (loethe  über- 
sandte mit  obigen  Zeilen  eine  Abschrift  des  Epilogs  zum 
'i"rauersi)iele  Essex  \  011  J.  (J.  Dyk.  nach  dem  Englischen  des 
[>anks.  den  er  für  Aiualia  W'olff,  die  Darstellerin  der  Königin 
Elisabeth,  am  17.  und  18.  Oktober  1813  gedichtet  hatte. 
Aufgeführt  wurde  der  Essex  mit  diesem  Epilog,  dessen  erste 
zehn  \'erse  unmittelbar  an  die  letzte  Scene  des  Trauerspiels 
anknüpfen,  schon  am  13.  November  1813  in  Weimar,  gedruckt 
erst   im  Taschenbuch   für  Damen   auf  das  Jahr    1815.  Seite  7  ff. 


(Jii  Kinns.'  /.V.  Miti  iSi.f.) 

H\v.  Wohlgebohren  kann  ich  nicht  verbergen,  das.s  der 
treundliche  und  ehrenvolle  Auftrag  des  Herrn  General- 
director  llfland  niich  in  eine  peinliche  Lage  versetzt.  Wie 
gern  ich  Gelegenheits- Gedichte  bearbeite  habe  ich  oft 
gestanden  und  wie  geschwind  ich  mich  zu  einem  solchen 
Unternehmen  entschliesse,  davon  mag  zeugen,  dass  ich 
mich  soeben  mit  eine//  kleine//  X'orspiel  beschäftige,  nach 
Wunsch  der  Badedirection  in  Halle,  welche  etwas  Zeit- 
gemässes,  das  sich  zugleich  auf  den  verewigten  Keil  bezöge, 
\()r  Kurzem  verlangt  hat. 


'  4  duartscitcn  beschrieben;  ganz  eigenhändig;  lateinisclie  Sclirift, 
olmc  Adresse.  Von  trenider  Hand  ist  über  den  Brief  gesciirieben :  Au 
Hofriüh  Kinnes  in  Weimar. 

Goktiik-.Iaiiki.lcii   II.  ^" 


274  Neue  Mittheilungen. 


Wie  weh  es  mir  also  thiin  nuiss,  eine  einzige  Gelegen- 
heit, wie  die  welche  sich  von  Berlin  darhietet,  zu  \ersäumen, 
bedarf  keiner  \\'orte.  Ich  habe  die  Sache  seit  vierund- 
zwanzig Stunden,  nach  allen  Seiten,  durchgedacht  und  hnde 
sie  nicht  ausführbar.  \'ier  Wochen  sind  ein  gar  zu  kurzer 
Termin,  sie  wären  es  nicht,  wenn  ich  mich  in  Berlin 
befände,  oder  wenigstens  vom  dortigen  Theater  und  äusseren 
Verhältnissen  früher  persönliche  Ke;/tniss  genommen  hätte. 

Die  Würckimg  nach  Halle  und  in  Halle  wird  mir  leicht, 
es  geschieht  durch  unsere  Schauspieler,  deren  Fertigkeiten 
ich  kenne,  und  für  die  also,  mit  einigem  Geistesaufwand  ', 
wohl  solche  Rollen  zu  schreiben  sind  welche  Gunst  erwerben. 
\'on  Lauchstädt  her  lässt  sich  manches  anknüpten,  in  Halle 
selbst  habe  ich  persönliche  Verhältnisse,  und  sodann  ist  es 
wohl  erlaubt,  das  Ganze  überhau/'t  leichter  zu  nehmen. 

Die  Aufgabe  für  Berlin  ist  gross  und  ich  erkenne  in 
ihrem  ganzen  Werth  die  Ehre  die  man  mir  erzeigt  zu 
glauben,  dass  ich  sie  zu  lösen  im  stände  se\-.  Ich  habe 
den  grossen  Umfang  der  gefordert  werden  kann,  schnell 
durchgedacht;  aber  ich  darf  keine  Erfindung  wagen  ohne 
genügsame  Zeit  und  hinreichende  Kenntniss.  Damit  aber 
dieses  nicht  eine  blosse  Ausflucht  scheine,  so  erbiete  ich 
mich  eine  aehnliche  Arbeit  durch  zu  dencken  die,  bey  eine// 
bevorstehenden  Friedensfeste  auf  einem  so  würdigen  Schau- 
platz, wenn  sie  glückt,  mit  Ehren  erscheinen  dürfte. 

Hierzu  aber  wäre  nöthig,  dass  der  Herr  Generaldirector 
irgend  einem  geistreichen  Mann  den  Auftrag  gäbe  sich  mit 
mir  in  Raport  zu  setzen  und  mich  mit  den  Persönlichkeiten 
der  Schauspieler  und  Sänger,  den  Rollen,  worinn  sie  am 
meisten  gefallen  und  was  man  sonst  noch  iür  nothwendig 
hielte,  bekannt  zu  machen. 


'  im  Oritrinal  steht :  gcistcs  Aitf-ivaiui. 


41  Bkiei-k  von  Gotrm.  in  .  275 


Hierauf  würde  icli  die'  F.rfiiidunü;^  gründen  und  mich 
darüber,  auch  abw  esend,  mit  dortii^en  einsicluigcn  Männern 
vorliuitii^  berathen  und  so  i^etroster  an  die  Austühruni; 
uehen  können. 

Ich  bitte  dieses,  mit  X'ersiclieruni;  eines  aufrichtigen 
Danckes  und  wahrhafter  W'rehrung,  dem  Herrn  General- 
direcior   mitzutheilen. 

Bercka  aii  der  Ihn.  l:rgebenst 

iS  Ma\    181  |.  (joethe 

23- 

(Jii  Kinns?'  20.  Mai  iSi^.J 

Haben  H\v.  Wohlgebohrnen  etwa  schon,  nach  dem 
Inhalte  meines  gestrigen  Briefes,  Herrn  Generaldirector 
Itfland  mein'  Zweifehl  und  Zaudern  gemeldet;  so  haben  Sie 
die  Güte,  dem  verehrten  Mann  baldigst  anzuzeigen,  dass 
mir  sein  Antrag  all/u  schmeichelhaft  gewesen,  als  dass  ich 
nicht  hätte  alle  meine  Kräfte  hervor  rufen,  und  einen  ^'ersuch 
machen  sollen,  wie  seiii  \'erlangen  .zu  ertülleu  wäre.  Nim 
ist  mir  ein  (bedanke  bexgegangen,  der  mir  der  Ausführung 
nicht  unwerth  scheint.  In  einigen  Tagen  soll  der  Entwurf 
abgehen,  wird  er  gebilligt,  so  können  Kleider,  Dekorationen, 
Instrumentalmusik,  durchaus  vorbereitet  \\  erden.  Die  Gesänge 
schickte  ich  zuerst,  sodann  den  Dialog.  Da  Alles  was  zu 
sprechen  '  ist,  unter  viele  Personen  vertheilt  wird,  so  macht 
sich  keine  Rolle  starck,  sie  sind  alle  Tage  zulernen.  Mehr 
sa^e    ich    nicht.      Wäre    meine    ücstriue    lirklärun^    schon 


'  die  übergeschrieben. 

^  vor  gründen :  iiiul  Jusfühniiii^'  im  Original  gestriclien. 
?  2  Quartseitcn;  ganz  eigenhändig;  lateinische  Schrift. Olme Adresse, 
■t  Original:  Diciiieni;  die  zwei  letzten  Buchstaben  später  ausgestrichen. 
'  im  Original :  y.usiviniicii,  ausgestrichen,  sprechen  darübergeschrie- 
ben;  im  Original:  uiiler  ausgcstriciien,  i'oii  ihr  darübergeschrieben. 

18* 


276  Neue  Mittheilungex. 


abgegangen,  so  bitte  von  der  gegenwärtigen  eiligen  Gebrauch 
zu  machen.    Mich  zu  geneigtem  AnJenckcn  emptehlend  ' 

ergeben  st 

Ik'rcka  AU  der  Ihn  Goethe. 

den  20  Ma\-   18 14 

Die  Autographen  der  zwei  vorstehenden  Ih'iele  an  Rirnis 
befanden  sich  in  der  Autographen-Sammlung  des  Hn.  \-.  Strampf, 
aus  welcher  sie  (Auction  vom  23.  Juni  1879)  in  den  Besitz 
des  Hn.  Baron  Schimmelpfennig  v.  d.  Oye  übergingen.  Dieser 
hat  mir  freundlichst  gestattet,  dieselben  wie  die  unter  Nr.  19. 
38.  29.  mitgetheilten  abzuschreiben  und  zu  veröffentlichen. 
Denn  sie  waren  bislier.  wenigstens  in  extenso  ungedruckt; 
Bruchstücke  daraus  gab  Hr.  v.  Loeper  in  den  Einleitungen 
zu  seinen  vortrefflichen  Ausgaben  von :  «Des  Epimenides 
Erwachen«  und  »Was  wir  bringen«  (Hempel  XI,  i.S.  iio.  367: 
ersteres  auch  separat.  Berlin  1871),  der.  wie  er  mir  gütigst 
mittheilt,  die  Briefe  in  den  Berliner  Theater-Akten  gefunden 
hatte.  Die  beiden  ebenerwähnten  Vorreden  bieten  für  die 
Erklärung  genügendes  Material.  Es  sei  daher  nur  kurz  erwähnt, 
dass  Iffland  sich  am  7.  Mai  1814  an  Kirms  und  Goethe  gewandt 
und  Letztern  um  ein  Festspiel  zur  Begrüssung  des  Königs 
von  Preussen  und  des  Kaisers  von  Russland  gel)eten  liatte. 
in  welchem  auch  des  Kaisers  Franz  und  des  Kronprinzen  von 
Schweden  zu  erwähnen  sei.  Kirms  begab  sich  am  17.  Mai 
zu  Goethe  nach  Berka,  erhielt  hier  eine  ablehnende  Antwort, 
die  an  den  folgenden  Tagen  durch  die  zwei  vorstehenden 
üriefe  begründet,  aber  auch  gemildert  wurde.  Der  »Entwurf«. 
von  welchem  in  dem  zweiten  Schreiben  die  Rede  ist.  war 
bereits  am  22.  fertig  und  wurde  am  24.  an  Iffland  geschickt 
(abgedruckt  bei  Loeper  a.  a.  O.  135  — 144)-  Die  weiteren 
Verhandlungen  haben  mit  unseren  Briefen  niclits  zu  thun. 
DasFestspiel  »Was  wir  bringen«  ist  1814  von  Goethe  und  Riemer 
gearbeitet.  —  Joh.  Christ.  Reil,  geb.  20.  P"ebr.  1758,  gest.  22.  Nov. 
1813.  Lieber  ihn  vgl.  l>oepers  reichhaltige  Anmerkungen  zu 
dem  ebengenannten  Stücke,  Hempel  XI.  i,  381-388.  (i. 
erwähnt  seiner  auch  in  den  Annalen  1803.  1805.  An  letzterer 
Stelle  sagt  er:  »Es  [mein  Uebel]  brachte  mir  diesmal  den 
Vortheil  einer  grösseren  Annäherung  an  Bergrath  Reil,  welcher 
als    Arzt    mich    behandelnd,    mir    zugleich    als    Praktiker,    als 


'  im  Original:  iDiphchiui. 


|I    BrII.1  E   VON   GOHTHK    ETC.  27 


// 


(lenkender,  wohlgesinnter  und  anscliauender  Mann  bekannt 
wurde.  W  ie  sehr  er  sich  meinen  Zustand  angelegen  sein  Hess. 
da\(Mi  gibt  ein  eigenhändiges  Gutachten  Zeugniss,  welches 
\oni  17.  Sept.  dieses  Jahres  unter  meinen  l'ajjieren  noch  mit 
.Achtung   verwahrt   wird.c 

Ein  Briefchen  Kirms.  an  bertuc  h  geri(  htet  und  in  dessen 
l'aiiieien  (Froriep"sches  Archiv  in  Weimar),  aufbewahrt,  mag. 
da  es  gleichfalls  I'heaterangelegenheiten  besprii  ht  und  an 
(loethe  anknüjjft.  hier  mitgetheilt  werden:  »Der  Herr  (ieheime 
Rath  von  (loethe  lässt  Ihnen  für  die  Mittheilung  diese.s  und 
auch  jenes  IJriefs  gar  sehr  danken:  er  beklagt  nur,  dass  lo 
Ducaten  für  die  arme  Theatercasse  ein  zu  grosses  Object 
wären,  als  dass  man  dafür  ein  Manuscript  kaufen  könne,  ^^'ir 
getrauen  uns  nicht,  die  Zaulierflote.  die  schönste  Oper  von 
Mozart,  zu  kaufen,  weil   man  noch  30  Thlr.  dafür  haben  will.« 

(Jii  Sarloriiis.'  y.  ///;//  1S14.) 

»Der  Herzog  \ernuithet  den  Hotr.  Sartorius  noch  bey 
Ihnen,  und  i^iebt  mir  einen  Auftrag  an  ihn  den  Sie  ihm 
mittheilen  werden,  b'r  schätzt  den  HotV.  Sartorius  und 
achtet  sehr  hoch  seine  verständige  Ansichten,  er  wünscht 
dass  dieser,  hev  dein  bevorstehenden  grossen  Moment, 
ihm  u  dem  deutschen  \'aterlande  mit  seinen  rieten  bjn- 
sichten  bevstehn  möchte. 

Der  Herzog  schlägt  iluii  vor  einen  unbedingten  Urlaub 
zu  nehnien  u  mit  Grat  lidling  u  H.  von  Gersdort  nach 
Wien  zu  reisen.  Gratlidling  wird  in  diesen  Tagen  ankonunen 
u  deim   in  zehen  Tagen  abreisen«. 

So  latitet ,  mein  Theuerster,  ein  Billet  Diu'chL  der 
Herzoginn.  Schnüren  Sie  also  iiu-  Bündel,  konuuen  bald- 
möylichst.     Sagen    mir   aber  vorher  durch  Statiete,    dass  u 


'  Auf  einem  lialbcn  Bogen  Schreibpapier  liat  Goethe  Obiges 
eigenhändig  mit  Bleifeder  geschrieben.  Es  wird  somit  nur  der  Brief- 
entwurf vorliegen.  Das  Original  befindet  ^ich  im  Besitz  des  Herrn 
Senator  Culeniann  in   Hannover. 


278  Neue  Mittheilungen. 


wann  Sic    kommen.     Der  Herzog   zahlt  alles.     Ich   stecke 
in  Ik-rka. 

Kommen  Sie  in  Weimar  :m,  so  zeigen  Sie  Sich  der 
Fürstin  u  den  Mandarinen. 

Ihren  ersten  Brief  erhielt  ich.     (jott  befohlen. 

Berka  an  der  Um  d.  5.  Jun.   18 14.  G. 

(ioedeke  hat  im  Feuilleton  der  Neuen  Freien  Presse 
(1878.  Jan.  8.,  Morgenblatt,  Nr.  4802)  unter  der  Aufschrift: 
»Ein  Freund  Goethe"««,  die  Verbindung  Goethe's  mit  Sartorius 
besprochen,  und  zugleich  vier  bisher  unbekannte  Briefe  des 
Dichters  an  den  Göttinger  Professor  mitgetheilt.  Ein  fünfter 
Brief  an  Sartorius  (vom  23.  März  18 10)  findet  sich  in  Lewaids 
Europa.  1843  S.  42  ff.  Aus  Goedeke's  Aufsatz  entnehmen 
\vir.  dass  Sartorius  im  April  Goethe  besucht,  dann  als  durch 
Goethe's  Anregung  die  Einladung  ergangen  war  dem  Weimar- 
.schen  Gesandten  zum  Wiener  Congress  als  Beirath  sich 
anzuschliessen,  vom  25.  Juni  bis  17.  Juli  in  Weimar  zubrachte, 
hierhin  wiederum  am  12.  September  zurückkehrte  und  endlich 
sich  am  14.  desselben  Monats  na<:h  Wien  begab.  Jedoch 
schon  im  Dezember  desselben  Jahres  verliess  er  Wien,  um  an 
der  Ständeversammlung  in  Hanno^•er  theilzunchmen. 

25- 

(An  Riemer.'  i<j.  Juli  iSiö.) 

Wie  leid  es  mir  tliut  Sie,  mein  guter  Rienier  mit  meinem 
Sohne  in  einem  Verhiiltniss  zu  sehen,  welches  mir  nicht  er- 
laubte Sie  einzuladen,  muss  ich  aussprechen,  eh  ich  scheide. 

iMöge  bey  meiner  Rückkunft  alles   ausgeglichen  seyn. 

Das  Osteologische  Manuscript  wünsche  auf  die  Reise 
mit,  diese  Gegenstände  sind  in  der  Welt  sehr  rege.  Geben 
Sie  es  an  Ueberbringer. 

Der  kleinen  Frau  die  schönsten  Grüsse. 

W.  d.  19  jul 

18 16  G. 

'  Oktavbogen ,  .mJcrtlialb  .Seiten  besclirieben ,  eigenhändig ;  aus 
der   llirzeFschen  Saniniluno:. 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  i^^) 


Der  vorstehende  Brief  ist  als  ein  Nachtrag  zu  den  zwei 
von  v.Loeper  niitgetlieilten  Briefen,  lo.  Sept.  1803,  19.  Mai  1809 
aufzufassen  (G.-J.  I.,  S.  2t,t„  242).  Ueber  die  (wohl  bald  aus- 
geglichene) Spannung  Riemers  und  Augusts  von  Coethe  ist 
nichts  weiter  bekannt:  grade  in  diesen  Tagen  (22.  Juli  1816) 
schrieb  (J.  an  den  vor  wenigen  Tagen  von  ihm  geschiedenen 
Zelter  (Briefw.  IL,  S.  289)  mit  grosser  Zufriedenheit  über 
seinen  Sohn.  Das  »osteologische  Manuscripta  lässt  sich  jetzt 
nicht  mehr  bestimmt  nachweisen,  da  Goethe  trotz  vielfacher 
Studien  keine  auf  derartige  Gegenstände  bezügliche  Abhand- 
lung vor  1820  veröffentlicht  hat.  Die  »Reise«  ist  die  am 
nächsten  Tage  (20.  Juli)  mit  Hofr.  Meyer  angetretene,  die 
aber  nicht  die  vom  Dichter  geplante  grosse  Ausdehnung 
hatte,  sondern  in  Folge  eines  Wagenunfalls  in  der  Nähe  von 
Weimar   unterbrochen,    nur    nach  Tennstedt    gerichtet  wurde. 

Als  Anhang  dazu  gebe  ich  zwei  andere  Briefchen  (ioethe's 
an  Riemer.  Beide  befinden  sich  im  Besitze  des  Hn.  A.  Spitta 
(R.  Zeune's  Antiquariat,  Berlin),  beide  vollständig  autograjjh, 
der  erstere  auf  bläulichem,  der  letztere  auf  grauem  Concept- 
papier.  Nur  der  erstere  hat  auf  der  Rückseite  die  Adresse 
von  Goethe's  Hand:  »Hn.  Professor  Riemer«,  hat  aber  kein 
Datum,  der  letztere,  mit  genauem  Datum  versehen,  ist  ohne 
Adresse,  kann  aber,  des  Inhalts  wegen  wol  nur  an  Riemer 
gerichtet  sein.  Der  erstere  lautet:  »Ist  das  13.  Buch  noch  in 
Ihren  Händen,  so  erbitt"  ich  mir"s.  An  der  Stelle  die  Freuden 
des  jungen  Werthers  betr.  muss  etwas  geändert  werden.  Allen- 
falls könnte  es  noch  bey  der  Revision  geschehen«.  Der  Brief 
bezieht  sich  auf  die  Ausgabe  der  Werke  letzter  Hand:  ge- 
meint ist  natürlich  das  13.  Buch  von  »Dichtung  und  Wahr- 
heit«, die  Stelle  in  der  genannten  Ausgabe,  Bd.  26,  S.  230  fg. 
Doch  ist  an  der  betreffenden  Stelle,  wie  aus  einer  Vergleichung 
der  Originalausgabe  (18 14)  mit  der  Ausgabe  letzter  Hand 
hervorgeht,  schliesslich  doch  nichts  geändert  worden.  Das 
Briefchen  ist  übrigens  schon  einmal  (Hamburg.  Correspon- 
dent,  26.  Aug.  1875)  abgedruckt,  mit  der  falschen  Jahres- 
zahl 1813,  die  auf  dem  Original  allerdings  von  fremder 
moderner  Hand  mit  Bleistift  beigeschrieben  ist  -  auch  die 
Worte  :  Freuden  des  jungen  Werthers  sind  im  Original,  aber 
sicherlich  nicht  von  Goethe,  init  Bleistift  unterstrichen  und 
mit  der  unrichtigen  bei  dem  Vorhandensein  der  deutlich 
geschriebenen  Adresse  fast  unerklärlichen  Bemerkung,  der 
Brief  sei  ohne  Zweifel  an  Frommann  den  Vater  gerichtet. 
Das  »noch«  beweist  ganz  klar,  dass  der  Empfänger  nicht  ein 
Drucker  sein  kann,  sondern  ein  Revisor,  der  das  Manusxript 


28o  Neue  Mittheilungen. 


durchsah,  bevor  es  dem  Drucker  übergeben  wurde.    Der  zweite 
I'.rief  lautet : 

Nichts  Nothwendiges  liegt  vor.  Nur  der  Wunsch  nach 
freundlicher  Unterhaltung  u  die  Absicht  das  Sicilianische  Werk 
nochmals  durchzugehen  lies  mich  die  Einladung  senden. 
Möge   es  bey  Hofe  wohl   ergehen. 

d.   17.   Jan.  G. 

1828. 

Das  ))Sicilianische  \\'erk((  ist  der  den  Aufenthalt  in  Sizilien 
behandelnde  Abschnitt  der  »Italiänischen  Reise« .  der  im 
28.  Band  der  Ausgabe  letzter  Hand  abgedruckt  wurde. 


26. 

(Aji  Heinrich  Mcvcr.'  Jena  S.  Juli   iSij.) 

Den  schönsten  Dank,  mein  theuerster  Freund,  tür  alles 
Gute. 

1.  Zuförderst  also  die  i'orsc-hläi^'i'  ;iir  Medaille.  Ich 
wünschte  dass  man  sie  beide  brauchen  könnte  als  ^\)rder- 
und  Ri'ickseite,  da  sie  denn  einander  ^^ar  hübsch  antworteten. 
Man  machte  die  Medaille  etwas  stark  und  prägte  die  Inschrift 
auf  den  Hand,  doch  will  ich  auf  so  etwas  ungewöhnliches 
nicht  antragen.  Ist  zu  wählen,  so  möchte  wohl  die  Wahl 
auf  den  Vorhang  fallen  der  so  schön  eröfinet  und  ver- 
birgt.    Das  Nähere  schreibe  Herrn  von  \'oigt. 

2.  Liegt  ein  Blatt  bey  wegen  der  Prämien.  Denken 
Sie  darüber  nach  luul  melden  mir  das  weitere. 

3.  Die  sowohl  für  uns,  als  für  die  Bibliothek  anzu- 
schaft'enden  Kupfenuerke  billige  durchaus,  ich  habe  sie  in 
beiliegendem  Catalog  nochmals  roth  vorge/eichnet,  auch 
hab  ich  manches  schwär/  angestrichen,  was  ich  wohl  um 
einen  leidlichen  Preiss  besitzen  möchte.  Das  warum?  werden 


'  2  duartbügcn,  etwa  6  Seiten  bcscliricbcn.  dictirt. 


41  Briuh  von  Goethu  etc.  281 


Sic  Sich  bei  dem  einzelnen  wohl  auslegen.  Auch  sprechen 
wir  nochmals  dariiiier  denn  ich  muss  doch  nächstens  ein- 
mal nach  \\'ein"!ar.  Halten  Sie  Sich  eine  kleine  Nota 
was  alsdann  noch   etwa  zu  \'erhandlen   wäre. 

j.  lür  die  ik'Mräge  xur  Thiertabel  danke  schönstens. 
Sehen  Sie  einmal  gelegentlich  auf  der  l^ibliothek  die  Kupfer 
zu  Lafontaines  Fabeln  in  Folio.  Die  Künstler  waren  auch 
auf  dem  falschen  Naturwege.  Und  so  mögen  diese  Blätter 
denn  auch  zu  frülicrem  oder  späterem  Gebrauch  still  liegen. 

5.  Hierbev  auch  die  Revisionsbogen  meines  ersten 
Autenthalts  in  Neapel.  Druckfehler  lassen  Sie  Sich  nicht 
irren,  sie  sind  verbessert,  lassen  Sie  aber  dieses  Schatten- 
spiel mit  Bedacht  vorübergehen  und  deuten  mir  an  womit 
ich  allenfalls  noch  meinen  20tägigen  2*^"  Aufenthalt  in  Neapel 
ausstatten  und  würzen  könnte.  Es  sind  noch  recht  artige 
Sachen  zurücl<  auch  schon  redigirt.  Es  fällt  Ihnen  gewiss 
noch  etwas  ein  was  mir  Lethe  schon  getrübt  hat.  l'j'innere 
ich  mich  recht  so  stand  Herkules  Farnese  schon  in  der 
Porcellan-habrik,  der  Toro  aber  war  noch  in  Rom.  Sagen  Sie 
mir  doch  auch  etwas  von  Veuuti,  was  man  dem  zu  Lieb 
und  Fhre  noch  anbringen  könnte.  Alle  diese  Dinge  sind 
soweit  weg  und  werden  noch  durch  das  Literesse  des  Tags 
verdunkelt. 

6.  Drei  Bogen  von  Kunst  und  Alterthum  sind  gedruckt. 
Hier  mag  eine  Pause  stehen.  \'iel  Stoff  ist  da,  manches 
schon  geordnet  und  behandelt.  K/icksliibls  Brief  theile 
nächstens  mit.  Benehmen  Sie  Sich  freundlich  mit  ihm,  er 
\'erdient's,  ich  schreib  ihm  auch  noch  im  Laufe  dieses 
.Monats. 

7.  Die  grosse  Bewegung  die  unter  Xazarenern  und 
Hellenen  durch  das  2^  Stück  hervorgebracht  worden, 
giebt  uns  zu  Ernst  und  Scherz  köstliche  Gelegenheit.  Zuerst, 
dächt'  ich,  w  ärcn  wir  ganz  stille,  ja  Hessen  ein  Stück  vorüber- 
gehen   ohne    der    AnyeleiJenheit   zu    erwähnen.      Darnach 


282  NeUK    MlTTHflLUNGEN. 


hab'  ich  einen  Einfall  dem  ich  Ihren  Beifall  wünsche,  und 
den  ich  mündlich  zu  fernerm  Nachdenken  niittlieile. 

(S.  Die  Abi^üsse  der  p;esLhnittenen  Steine  am  Cölhier 
Reliquienkasten  wären  dankbar  anzunehmen  und  zu  erforschen 
ob  man  etwa  Herrn  Pick  etwas  freundliches  erzeii^cn  könnte. 
Ich  habe  die  Steine  freilich  ntn-  be\-  Kerzen-Grubenlicht 
gesehen,  wo  sie  nicht  zu  würdigen  waren.  Finden  sich 
keine  Werke  von  grosseni  Kunstwerth  so  ist  doch  vielleicht 
manches  historico-curiosum  darunter.  Eine  Rennbahn  z.  B. 
schien  mir  recht  nett  zu  sevn. 

9.  Hiebey  ein  Vorschlag  zur  Medaillen-Inschrift.  Ich 
schickte  sie  Herrn  von  Voigt  mit  dem  Zusatz:  in  gegen- 
wärtigem Augenblicke  ist  es  vielleicht  den  Umständen  gemäss 
auf  die  Zukunft  hinzudeuten,  da  in  so  vielen  protestantischen 
Gemüthern  die  catholische  Legende  spuckt. 

Den  I  Evangelischen  i  ins  |  Vierte  Jahrhundert  j  segen- 
reiche I  Wirkung,  i  Weimar    MDCCCXVII. 

Von  Ilu'em  Befinden  erbitte  mir  einige  Nachricht. 

G. 

Die  Briefe  Nr.  7  und  26  sind  theihveise  von  Riemer  in 
seinen  Briefen  von  und  an  (roethe,  S.  21  fg.  S.  113  fg.  115 
abgedruckt.  Sie  werden  hier  aufs  Neue  veröffentlicht,  tlieils 
um  zu  zeigen,  in  welcher  Weise  Riemer  die  ihm  vorliegenden 
Originale  abkürzte  (von  dem  ersten  Briefe  sind  nur  die  beiden 
Abschnitte :  »Geben  Sie  doch  ~  erzürnen  werden«  und  »Was 
Sie  von  —  mag"s  denn  auch  bleiben«,  abgedruckt);  theilsum 
zu  beweisen ,  mit  Avelcher  Willkür  er  bei  der  Herausgabe 
schaltete.  Der  grosse  Ab.schnitt  nämlich  S.  22.  23,  den  er  dem 
Fragment  vom  22.  Jan.  1796  anklebt,  gehört  als  Schlu.ss  zu 
dem  Brief  vom  8.  Febr.  1796,  von  dem  er  selbst  S.  23  —  25 
das  Hauptstück  mittheilt;  den  Brief  vom  8.  Juli  181 7  hat  er 
in  3  Theile  zerrissen,  gibt  die  9  Anfangszeilen  S  113  lässt 
darnach  S.  114  ganz  ungehörig  den  4  Schlusszeilen  folgen, 
mit  einer  Einschaltung  und  einer  ungehörigen  Auslassung, 
druckt  ein  kleines  Mittelstück  (8  Druckzeilen)  als  neuen  selb- 
ständigen lirief  an  falscher  Stelle  ab  (S.  115)  und  lässt  den 
Haupttheil  des  Briefes  einfach  fort.    Die  hier  hervorgehobenen 


41  Brihi-e  von  Goethe  etc.  283 


Heispiele  gehören  zu  den  argen,  können  al)cr  dunh  Dut/cndc 
ähnlicher  vermehrt  werden. 


\i\\.   Wohli^cborcn 

ersuche  um  nochmalii^'e  Getallii^keit  mir  eine  der  Rcise- 
beschreibungcn  in  die  nordamerikanischen  Staaten  auf  kur/c 
Zeit  /u  überlassen,  wobei  es  hauptsächlich  auf  eine  Charte 
dieses  merkwürdigen  Hrdstreichs  angesehen^  ist.  Das  ernste 
Studium  des  mir  geneigt  mitgetheilten  Werkes  macht  mir 
sehr  viel  Vergnügen,  indem  es  über  jene  Zustände  die 
wichtigsten-' Aufschlüsse  giebt.  Dankbar  mich  /.u  geneigtem 
Andenken  empfehlend 

Jena,  d.   15.  Juni  ergebenst 

1818  Goethe 

Adressat  dieses  Briefes  ist  jedenfalls  einer  der  fenaischcn 
BibHothekare,  Prof.  (aUdenapfel  oder  Dr.  Waller!  In  den 
Tag-  und  Jahresheften,  in  denen  grade  zu  diesem  fahre  voi^ 
einer  Aenderung  und  Umordnung  der  Jenaischen  Bihliothek 
ge.sprochen  wird,  findet  sich  keine  Andeutung  von  dem  Studium 
amerikanischer  Verhältnisse,  welc;he  dieser  Brief  voraussetzt. 
Auch  aus  den  Büchern  der  Jenaer  Bibliothek  kässt  sich,  wie 
mi(h  eine  gütige  Mittheikmg  des  Bibliothekars  Hartenstein 
belehrt,  nicht  feststellen,  welches  auf  Amerika  bezügliche 
Werk  Goethe  vor  dem  15.  Juni  studirt  hatte  und  welches  er 
m  Folge  dieses  Briefes  erhielt.  Vielleicht  war  das  grosse 
Interesse,  welches  Herzog  Bernhard  für  Amerika  an  den  Tag 
legte  und   welches   er  durch  seine    1825    unternommene   Reise 


'  Ein  Q.L;artblatt,  blauliches  Papier,  nur  /.um  Theil  beschrieben. 
Die  Unterschrift  und  eine  Correctur  (.\nm.  5)  sind  von  (Joethe's  Hand. 

-  \\'ohl  Schreib-  oder  Hörfehler  des  Sciireibers  für:  o Erdstrichs 
(Hrdstreichs)  abgesehen«. 

5  Die  erste  Silbe:  »wicht«  von  Goethe's  Hand  corrigirt ;  dictirt 
und  geschrieben  war:  »merkwürdig-sten«. 


284  NtUK    MlTTHEILUNGLN. 


hethätigte.  Veranlassung  dazu,  dass  auch  Goethe  dem  fernen 
und  fremden    W'elttlieil   Aufmerksamkeit  zuwandte. 


28. 

(All  ßlmiwiillml.  '  10.  April  iSn).) 

\'orl;uifig,   mein  wcrthcstcr  Herr,  will    ich    Lingcsiiunu 

zu  erkennen    geben,  dass    Ihr  Schreiben  vom   31  März    bei 

mir  eingegangen  und  mir  viel  Freude   gemacht   hat.     Nur 

bin    ich    gegenwärtig    nach    vielen    Seiten    hin     dergestalt 

beschäftigt,  dass  es  mir   unmöglich    lallt,   meine  Gedanken 

gerade  auf  diesen  Punkt  zu  richten.    Doch  werde  ich,  inn 

Ihnen  einigermassen  entgegenzukommen,  dasCapitel  unseres 

Real-Catalogs,  deutsche  Dichter  enthaltend,  die  in  lateinischer 

Sprache  gedichtet,  für  Sie  abschreiben '  lassen  und  baldigst 

übersenden;  indessen  gibt  es  ja  auch  \vohl  Raum  über  das 

Geschäft    selbst    und     dessen     \vünschens\verthe    Führung 

Einiges  mitzutheilen.     Fahren  Sie   in    der  löblichen  Arbeit 

fort,  deren  Resultat  kein  anderes    sevn  wird,   als   dass    der 

Deutsche  auch  in  fremden  Formen  und  Sprachen  sich  selbst 

gleich    bleibt,    seinem  Character    und  Talent    überall    Ehre 

macht. 

Mit  den  aufrichtigsten  \\'ünschen 

Weimar  d.   10  Apr.  ergebenst 

18 19.  Goethe. 

29. 
(All  ßliniu'iilhal. '  21^.  Mai  iSiij.) 

Hierbei  erfolgt  das  \ersprochene  ^'er/eichniss  der  auf 
hiesiger  Bibliothek    befindlichen  Werke,    welche    be^•  Ihrer 


^  2  Q.uartscitcn  bescliricbcn .  diLtirt,  nur  Unterschritt  cigcnhandii;. 
^  ))zii((  ausgestriclicn. 

'  Grosses  duartblatt,   ■;  Seiten  beschrieben,  dictirt,  nur  Untersclirift 
eigenhändig. 


41  Briei-e  von  Goethe  etc.  285 

Arbeil  interessant  se\n  könnten  ;  ist  die  Brcslauischc  reicher, 
SD  /eii^en  Sie  mir  es  gefalligst  an.  Umstände  erlauben 
mir  nicht  gegenwärtig  wie  ich  \\  ünschte  aut  Ihr  Geschäft 
meine  Gedanken  /ii  richten;  nur  so  \iel  sage  ich: 

Die  chronolügische  Betrachtung  und  Ordnung  geht 
allen  anderen  vor.  Denn  wie  sich  die  lateinische  Sprache 
din-ch  /ufälliges,  dann  vorset/liches  PfaHenverderbniss  in 
die  ronianische  verlor  und  die  südwestlichen  N'ölker  mit 
einer  solchen  X'erkindischung  sich  begnügen  mussten;  so 
war  Nichts  natürlicher,  als  dass  begabte  freiere  Geister 
\on  der  aLisgearbeiteten  absurden  Tochter  wieder  zur  hohen 
Mutter  zurückkehrten. 

Eben  so  musste  sich  der  Deutsche  aus  einem  Mönchisch 
barbarischen  Druck  erst  in  seine  eigene  natürliche  Liebens- 
würdigkeit, daini  aber  mit  entschiedenem  Geschmacks- 
bedürtniss  gegen  die  lateinische  Sprache  wenden. 

Damit  aber  auch  ich  xon  Ihren  Untersuchungen  \'or- 
theil  ziehe,  so  geben  Sie  mir  gegen  das  alphabetische 
X'erzeichniss  ein  chronologisches  zurück.  Die  frühesten 
Dichtungen  gegenwärtigen  \'erzeichnisses  sind  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  Sechszehnten  Jahrhunderts;  nui'  Sebastian 
l^randt  erscheint  am  linde  des  Fünfzehnten;  hier  begegnen 
und  kreuzen  sich  die  derbere  deutsche  und  die  zartere 
lateinische  Dichtkunst.  ]'a  deosculatae  sunt,  wie  zwei 
\erwandte  Tugenden,  kann  man  wohl  ausrufen,  beiliegendes 
(jedicht  in  der  Hand  und  dessen  \'eranlassung  bedenkend. 

Ferner  möchte  ich  Sie  ermahnen,  dass,  wenn  Sie  die 
Dichter  chronologisch  darstellen,  Sie  alsdann  einen  jeden 
nach  seinem  eigenthümlichen  Character  schildern;  daraus 
folgt  schon,  wie  lukI  was  er  gedichtet  hat.  Fassen  Sie 
sich  ja  nicht  aut  die  Rubriken  ein,  wornach  man  <//V  Si'höiicii 
Rcch'kftrslc  zu  sondern  und  zu  ordnen  pflegt.  Auf  Ihrem 
Felde  werden  Sie  ohnehin  unter  allen  äusseren  Formen 
mmer    nur   elegische  und  didactische  Gesinnungen  finden. 


286  Neue  Mitihhillngen. 


Im  Nachtrag  7.u  meinem  Divan  habe  ich  mich  hierüber, 
zwar  sehr  kurz,  aber  zu  Ihrem  Zweck  hinlänyUch,  erklärt. 

Metrische  deutsche  Übersetzungen  zu  versuchen,  kt)nnen 
Sie  nicht  umgehen.  Möge  docli  an  Ihrer  Hand  kiteinische 
und  deutsche  Poesie  zu  Anfange  des  Neunzehnten  Jahr- 
hunderts abermals  sich  begegnen,  wobei  erhellen  wird, 
wie  sehr  in  Dreihundert  Jahren  unsere  Sprache  sich  aus- 
gebildet, um  auf  ihre  Weise  auszudrücken,  was  wir  bei 
und  an  den  Alten  so  höchlich  bewundern. 

Nun  noch  ein  Wort  von  der  neuern  Teutschthümlichkeit. 
Die  Menschen  in  Masse  werden  von  jeher  nur  verbunden 
durch  \'orurtheile  und  aufgeregt  durch  Leidenschaften; 
selbst  der  beste  Zweck  wird  somit  immer  getrübt  und  ott 
verschoben;  aber  demohngeachtet  wird  das  Trefflichste 
gewirkt,  wenn  auch  nicht  im  Angenblick,  doch  in  der 
Folge,  wenn  nicht  unmittelbar  doch  veranlasst.  Und  so 
werden  Sie  erleben,  dass  Werth  und  Würde  unserer  Ahn- 
herrn '  rein  und  schön  aus  der  eigenen  Sprache  hervor- 
treten; denn  es  ist  wahr,  was  Gott  im  Koran  sagt:  Wir 
haben  keinem  A'olk  einen  Propheten  geschickt,  als  in  seiner 
Sprache  !  Und  so  sind  denn  die  Deutschen  erst  ein  \'olk 
durch  Luthern  geworden.  Lassen  Sie  sich  aber  durch 
alles  dies  in  Ihrem  eigensten  Geschäfte  nicht  irren,  denn 
man  kennt  die  Eigenthümlichkeit  einer  Nation  erst  alsdann, 
wenn  man  sieht  wie  sie  sich  auswärts  beträgt.  So  weit 
für  diesmal.  Mit  den  besten  Wünschen  und  Hoffnungen 
für  Ihr  Unternehmen 

Weimar  d.  28.  Mav  Goethe 

1819. 

Brief  28  und  29  sind  der  Schimmelpfennig'schen  Auto- 
graphensammlung entnommen.     Eine  Adresse   findet  sich  bei 


'   Der  Schreiber  hatte:   »Anherrn«  s^esclirieben. 


41  Brihfü  von  Goethe  etc.  287 

l)eiden  Briefen  nicht,  doch  liegt  ein  Blatt  bei  denselben, 
unterz.  Blumenthal.  Berlin  1864  und  wahrscheinlich  für  den 
frilliern  Besitzer  der  Handschriften  v.  Stram])f  bestimmt,  des 
Inlialts,  dass  diese  Briefe  von  Cioethe  an  den  Unterzeichner,  der 
damals  in  Breslau  studirt  habe,  gerichtet  seien.  Es  ist  mir 
indessen  nicht  gelungen,  über  Lebensverhältnisse  und  literarische 
Thätigkeit  des  Adressaten  irgend  etwas  zu  ermitteln. 


SO. 

(Au  ?  '  10.  Mai  1S20.) 

F,\v.  Hochwohlgeb. 

darf  mit  wahrer  Zufriedenheit  vermelden, :  dass  ich 
den  29'!"  vorigen  Monats  in  Carlsbad  eingetroffen  und  micii 
von  den  seitherigen  Cur-Tagen  sclion  sehr  zu  einem  besseren 
Behnden  gefördert  fiihle.  Ich  hatte  vorher  Marienbad 
besucht,  eine  Anstalt,  welche  allen  denen  die  dazu  mit- 
wirken Ehre  macht.  Nun  verfehle  nicht,  als  ein  zeitiger 
Staats-Bürger  der  Monarchin  Hochdieselben  aufs  freund- 
lichste zu  begrü.ssen,  um  mir  fernere  gefälHge  Thcilnahme 
zu  erbitten.  Ew.  Hochwohlgeb.  botanische  Sendung  an 
Gegenständen  und  Beziehungen,  ist  indessen  in  Weimar 
glücklich  angelangt  und  von  meinem  beauftragten  Sohne 
sogleich  Serenissimo,  zu  höchstem  Wohlgefallen  übergeben 
worden. 

Das  mir  und  allen  Naturfreunden  so  werthe  Heft  die 
brasilianische  Expedition  betreffend,  ist  nicht  etwa  unbe- 
achtet geblieben;  eine  Anzeige  davon  in  der  A.  L.  Z.  konnte 
nicht  abwarten,  der  Redaktciu'  jedoch  wird  sich  es  zur 
Pflicht  rechnen,  sie  ungesäumt  zu  übersenden.  Darf  ich 
nun,  wie  gewöhnlich  noch  eine  Bitte  hinzufügen,  so  wäre 
es  folgende:    Im  Pilsner  Kreise,    zwischen  Harchowiz    und 


'  Nach    einer   Absclirift.     Gcliört    in    Goctlie's    Witiirwissenschaft- 
iiclie  Korrespondenz. 


Neue  Mittheilungen. 


Radniz,  auf  einer  Herrschaft  des  Herrn   Grafen  Sternberg, 

hat  sich  ein  merkwürdiger  verkohlter  Urwald  gefunden, 
es  sey  von  Fahnen,  colossalen  Farnkräutern  oder  gar 
Casuarinen,  wovon  Hochdenselhen  gewiss  schon  das  nähere 
bekannt  ist.  Der  freundhche  Doktor  Heidler  in  Marienbad 
versprach  mir  davon  zu  \-erschallen ;  allein  ich  bin  über- 
zeugt,  dass  ein  N'orschreiben  \on  Fw.  Hochwohlgeb.  .\n 
dortige  Behörden  wohl  am  ersten  bewirken  müsse,  dass 
mir  einige  instrukti\e  Stücke  nach  Weimar  gesendet  würden. 
Allenfalls  mit  der  fahrenden  Fost  unter  meiner  Adresse. 
Ich  nehme  mir  um  desto  eher  die  Freiheit  zu  dieser  Bitte, 
als  die  Nachricht  vor  diesem  Natur- Phänomen  meinen 
gnädigsten  Herrn  gar  sehr  interessirt,  so  dass  Höchst- 
dieselben,  halb  scherz-  halb  ernsthaft,  bevni  Abschiede 
mich  aufmunterten :  da  ich  doch  einmal  so  nahe  sev,  noch 
vollends  hinzugehen,  um  gründlichen  Rapport  abzustatten; 
welches  denn  trevlich  mit  meinem  Alter  und  Befinden 
nicht  vereinbar  gewesen.  \'or  meiner  Abreise  nehme  mir 
die  Freiheit  ein  Kistchen  iMineralien  zu  übersenden,  welche 
diese  Tage  gewonnen.  Gegen  Schlackenwerth  zu  hat  der 
Ghausseebau  einen  Hügel  autgeschlossen,  v\-o  sich  schöne 
und  manigfaltige  Pseudovulkanische  Produkte  sammeln 
Hessen.  Auch  sprengen  die  Garlsbader,  ihren  Neben  und 
Hinterhäusern  Kaum  zu  gewinnen  manche  Felsen.  Hiebe\- 
wird  jene  merkwürdige  Granitabweichung,  welche  ver- 
schiedene Arten  des  Hornsteins  enthält,  woraus  der  ganze 
Schlossberg ,  nicht  weniger  der  Bernhardstelsen  besteht, 
wieder  Irisch  aulgeschlossen  und  bietet  schöne  Stuten 
dar.  Vor  dem  27'  dieses  würde  mich  ein  treundliches 
Wort  von  Ihrer  Seite  hier  antreten  und  höchlich  er- 
treuen. 

Garlsbad  gehorsamster 

d   10  Mav   i(S2o.  j  W.  Goethe 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  289 

An  denselben  Adressaten  ist  nachstehendes  gleichfalls  nach 
einer  Abschrift  mitgotheilte  Schreiben  des  Grossherzogs  Karl 
August  vom   2S  Apr.    1820  gerichtet. 

1{\\.  H()clnvi)hl_ueb. 

gütige,  frcundschaftl.  X'orsorgc  hat  mir  alles  verschaft 
was  ich  in  meinen  Ict/.ten  Briete,  als  Wunsch  gegen  Sie 
ausdrückte,  theils  durch  die  Post ,  unter  x\l.  v.  Goethens 
Adresse,  theils  durch  einen  Courier  den  mir  M.  v.  Feilsch  von 
Wien  aus  sendete.  \'erzeih'n  Sie  dass  ich  Ihnen  und  H.  v.Ja- 
quin  dem  ich  mich  dankbar  empfehle,  beschwerl.  gefallen  bin. 

Alle  Paquete  kamen  durch  die  obenbenannten  zweyerley 
Gelegenheiten,  am  26.  dieses  \vohlbehalten  und  unversehrt 
hier  aji.  Goethe  ist  vorigen  Sonntag  schon  nacli  dem  Carls- 
bade abgereiset,  woselbst  er  jährl.  einen  neuen  vorrath  von 
Gesundheit  einzusamlen  pflegt,  indem  das  dortige  wohl- 
thätige  Wasser,  aus  ihm  wegführt,  was  im  laufe  des  Jahres 
ihn  plagt.  Da  er  den  Neubrunnen  dorten,  immer  im  Bette 
liegend,  zu  trinken  pflegt,  so  braucht  er  sich  nicht  vor  die 
rauhe  frühjahrszeit  zu  fürchten  u.  er  geniesst  zugleich  der 
freyen  Einsamkeit  daselbst. 

Beil.  Blättchen  ist  aus  H.  v.  Jaquin's  gütigen  Aufsatze 
copirt,  u.  bedeutet  so  viel,  als  dass  es  mich  ausserordentl. 
freuen  würde,  wenn  die  Saamen  der  in  selbigen  benahnten 
pflanzen  in  meinem  Besitz  sich  verfügen  wollten,  entweder 
die  Saamen  oder  die  pflanzen  selbst. 

Das  Exemplar  der  Cosuar.  Equ.  Sol.  aus  E.  v.  Jaquins 
Samlung  od.  herbario  ist  von  einer  art  dieses  Geschlechtes 
das  ich  nicht  besitze.  Aus  England  wurde  uns  schon 
geschrieben,  dass  unser  grosse  Cosuar.  die  im  Lande  steht 
und  gedeyet,  nicht  die  Equist.  Sol.  seye,  sondern  eine 
andere  die  ihnen  in  England  nicht  recht  bekannt  ist.  Die 
zufällige  Cultur  dergl.  tropischen  pflanzen  in  unsern  Clima 
bewirkt,  dass  von  einerley  Geschlechte  bei  dem  schönsten 

Goethe-Jaiirblch  II.  I9 


290  \HLt   iMrriHUILLNGliN. 


Wetter   u   Boden    einander  nicht    wieder    erkennen.     Aus 

llnij}.  ist  mir  eine  Cosiuir.  pflanze  und  deren  Saanien  gesendet 
worden  die  platterdini^s  das  Wiirmehaus  verlangt,  wärend 
das  meinem  Hxempl.  ein  parr  grade  Kälte-frost  nicht  schaden. 
Die  Zinke  Biloba  welche  ich  in  Gotha  suchte,  ist  leider 
von  dorten  verschwunden  ;  der  Garten  in  welchem  sie  sich 
befand,  ist  mehrmahlen  an  gemeine  Leute  verkauft,  und 
bei  diesen  Veränderungen  ist  alles  überflüssige  darin  aus- 
gerottet worden. 

Was  die  Erdarten  anbetrifl't,  so  muss  ich  Hw.  Hoch- 
wohlgeb.  mit  der  Absicht  bekannt  machen ,  warum  ich 
Ihnen  welche  abgebettelt  habe;  sie  ist  folgende. 

Ein  gewisser  Cushing  in  oder  bei  London  hat  ein 
Werkchen  über  Erdarten  herausgegeben,  welches  für  Gärtner 
\'erdienste  hat,  welche  in  England  die  Erden  unter  den 
Xahmen  zu  finden  wissen  unter  welchen  sie  Gushing 
angiebt;  G.  S  in  sonst  dieser  oder  jener  Gom.  X.  e.  gedeyen 
diente  od.  jene  tropische  Pflanzen,  diese  anweisungen  sind, 
sie  werden  mir  es  gestehen,  etwas  gar  zu  Empierisch;  ich 
bin  daher  auf  den  Gedanken  gerathen,  eine  menge  ]-!rdarten 
zu  sammlen  u.  sie  chymisch  zerlegen  zu  lassen,  welche 
der  Cultur  tropischer  Pflanzen  zuträgl.  oder  schädlich,  ja 
sogar  tödtend  sind. 

Geräth  dieses  unternehmen  nur  einiger  massen,  so  kann 
es  zu  weitern  Untersuchungen  u.  die  phisiologie  der  pflanzen 
auf  chymischen  wege  geleitet,  zu  neuen  ansichten  führen. 
Unser  wissen  ist  Stückwerk  u.  so  auch  unser  beginnen. 

Da  ich  mehrerle\-  \\'erke  die  H.  v.  Jaquin's  W.  u.  d. 
besitze  da  unterrichtet  mich  die  empfangene  Liste  von  dem, 
was  mir  fehlt;  und  um  mich  zu  complettiren,  werde  ich 
ehestens  wieder  bittend  auftreten. 

Leben  Sie  recht  wohl  und  erhalten  mir  Ihi'e  j-reund- 
schaft 

Garl  .\uüust. 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  291 

Unter  dem  Adressaten  sowohl  des  Briefes  von  Carl  August 
als  des  Goethe'sihen  vom  10.  Mai  1820  vermuthe  ich  den  CIrafen 
Auersperg.  Besitzer  mehrerer  Grafschaften,  Geheimen  Rath 
und  Präsidenten,  den  Goethe,  im  August  1822  auf  seinem 
Schlosse  in  Hartenherg  besuchte  (S.  Hemj^el  27,  i.  S.  342 
und  das  Namenregister  da/u"). 

fjii  Schöne'  ;.  DL^cmbcr  1S21.) 

l-w  W'ohlgcb. 

verfehle  niclit  an/.uzcii,'en  dass  das  schon  lani^c  in 
meinem  Gewahrsam  sich  befindende  Maniiscript  gestern 
mit  dem  Postwagen  ab^egan^cn ;  ich  fühle  mich  darüber 
mit  mir  selbst  enzweyt,  denn  indem  ich  Ihre  Bemühungen 
zu  schätzen  alle  Ursache  fand,  so  war  es  mir  doch  nicht 
möglich  mich  darüber  vernehmen  zu  lassen.  Ich  hatte 
müssen  meine  Intentionen  orten  hinlegen  und  sie  alsdann 
mit  den  Ihrigen  vergleichen,  weil  ich  aber  meine  Absichten 
bisher  immer  geheim  gehalten  und  mich  nicht  entschliessen 
konnte,  gegenwärtig  damit  hervorzutreten ,  so  blieb  das 
Manuscript  liegen ,  ja  sogar  die  Ankunft  unangezeigt. 
\'erzeihen  Sie  einem  für  meine  Jahre  überdrängten  Zustande, 
nehmen  Sie  meinen  Dank  für  den  Antheil  :\n  meinen 
Arbeiten  und  bleiben  meiner  xorzüglichen  HochaclitLmg 
versichert. 

Hrgebenst 

Weimar  JW'v  Goethe, 

den   3   Decbr 
1821. 


'  Quartblatt,  die  zwei  Seiten  beschrieben,  Untersclirift  eigenliiindig. 
Auch  das  Couvert  ist  erhalten  mit  der  vom  Schreiber  geschriebenen 
Adresse:  »Des  Hn.  Hofrath  Scliönc  Wohlgeb.  nach  Stralsund,  fco. 
Hamburg«.  Auf  der  Rückseite  das  sehr  wohl  erhaltene  Siegel  Goethe's 
mit  dessen  eigenhändiger  L'eberschrift:  »]  W  v  G.«  Dur  Brief  befindet 
sich    im  Besitze    des  Hn.  A.   Spitta  (R.    Zeuiies   .\ntiquariatj   in   Berlin. 


292  Neuh  Mittheilungen. 


Der  Adressat,  Karl  Chr.  Ludwig  Schöne,  ist  nach  (ioedeke, 
(Irundriss  III,  S.  159,  in  Hildesheim,  10.  Febr.  1779,  geboren, 
war  ursprünglich  zum  Maler  bestimmt,  studirte  aber  Medicin, 
wurde  18 13  Direktor  des  Militärlazareths  in  Colberg,  später 
Arzt  und  Hofrath  in  Stralsund.  Trotz  dieses  veränderten 
Berufes  Hess  er  von  seinen  künstlerischen  Neigungen  nicht 
ab,  vier  Dramen  aus  den  Jahren  1809-1823  sind  Zeugnisse 
von  seiner  grossen  Lust,  aber  zugleich  auch  von  seiner  geringen 
Fähigkeit.  Der  Anfang  und  der  Schluss  seiner  dichterischen 
Thätigkeit  werden  durch  Faustdramen  bezeichnet.  Sein  erstes 
Drama  erschien  u.  d. 'F. :  »P'aust.  Eine  romantische  Tragödie. 
Berlin  1809«,  mit  einer  Widmung  an  die  berühmten  Aerzte 
Welper  und  Hufeland.  Er  erhielt,  wie  er  selbst  bekennt,  durch 
Klinger's  gleichnamigen  Roman ,  die  Idee ,  sein  Drama  zu 
bearbeiten.  »Im  ersten  Akte  bin  ich  mehreren  seiner  schönen 
Ideen,  aber  schon  vom  Ende  des  ersten  Akts  bin  ich  einem 
eigenen  Plane  gefolgt«.  Das  Drama  ist  ein  schwächliches 
Produkt,  platte,  prosaische  Ausdrucksweise,  armselige  Erfindung. 
Faust  wird  mit  Fust,  dem  JMiterfinder  der  Buchdruckerkunst 
zusammengestellt.  Er  reisst  sich  von  seiner  Frau  Johanna, 
seinen  Kindern  Friedrich  und  Albert,  seinem  Vater  r^Iartin 
los,  um  mit  Leviathan,  dem  Teufel,  der  ihm  Macht.  Gold  und 
schöne  Frauen  versprochen,  in  die  Welt  zu  ziehn.  Er  erscheint 
an  dem  Hofe  des  Kaisers  Friedrich  III,  von  dem  und  dessen 
Kanzler  Heribert  er  freundlich  aufgenommen  wird.  Dadurch 
erregt  er  den  Hass  des  päpstlichen  Gesandten  Innocenz  und 
des  von  diesem  beherrschten  ehrgeizigen  Grafen  Berthold. 
Dieser,  der  durch  Vermittlung  des  päpstlichen  Gesandten  die 
Liebe  der  schonen  Mathilde,  der  zweiten  Frau  Heriberts  geniesst 
—  während  Faust  im  Besitze  der  Kunegunde,  Heriberts  Tochter 
aus  erster  Ehe  schwelgt  — ,  wird  von  Innocenz  verleitet,  den 
Faust  zu  erdolchen,  verfehlt  ihn,  es  kommt  zum  Kampf,  Faust 
wird  von  Trabanten  ergriffen ,  und  trotz  seiner  U^nschulds- 
betheuerungen  auf  Grund  verleumderischer  Aussagen  der  Mord- 
gesellen in  Haft  genominen;  auch  Heribert,  durch  ein  von 
seinem  verrätherischen  Weibe  preisgegebenes  diplomatisches 
(ieheimniss  blosgestellt,  kommt  ins  Gefängniss.  Dort  stirbt 
er,  aus  Schmerz  über  den  Tod  seiner  Tochter,  die  sich  ver- 
giftet, da  sie  die  Gefangennahme  ihres  Geliebten  erfährt;  Faust, 
der  nun  gänzlich  reuevoll  und  verzweifelt  ist,  entflieht  mit 
Hilfe  seines  teuflischen  Genossen.  Dieser  beschliesst  das  Ganze 
mit  einer  Rede,  in  welcher  er  mittheilt,  Innocenz  sei  Cardinal 
geworden,  lierthold  Kanzler,  so  triumphire  das  Böse,  da- 
gegen   zeige    sicli    auch    che    Bestrafung    des    Bösen    m    dem 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  293 

Wahnsinn,    weU'her    Mathilde,    die  Verratlierin    hefallen    hahe 
und  endet : 

()   .Menschen!  schwache  (Geister  dieser  Erde  I 
Restraft  seid   ihr  durch  eigen  That  und  \Villen. 
Drum  hadert  nicht  mit  einem  e\v"gen  (xeist 
U'enn  ihr  ihn  nicht  erkennet  und  begreift     - 
Denn  dunkel  sind  die  Plane  ew'ger  Macht  I   — 
—  Vollendet  ist  der  böse  Weg  der  Erde  ! 
Drum  fahr  hinab!  dass  dir  der  Lohn  jetzt  werde. 

(Er  reisst  Faust  in  seine  Armen,  Beide  versinken  in  Flammen.) 

Von  der  Aufnahme  des  Stückes  weiss  ich  nichts.  Da 
Schöne  in  dem  Vorwort  sagt :  »Die  Aufnahme  meines  Faust 
wird  mich  bestimmen,  mehrere  schon  vollendete  Arbeiten  der 
Welt  zu  übergeben  und  meine  Kräfte  ferner  im  tragischen 
Fache  zu  versuchen«  und  wirklich  noch  drei  Dramen:  »(Gustav 
Adolfs  Tod«,  »Die  Macht  der  Deidenschaft«  und  »Faust  2.  Theil« 
veröffentlicht  hat,  so  muss  es  doch  Leute  gegeben  haben,  die 
ihn  lobten. 

Vielleicht  wurde  er  durch  derartige  Urtheile  auch  zur 
Fortsetzung  seines  Faust  veranlasst.  Ueber  den  Inhalt  dieses 
»zweiten  Theils«  hat  Enslin  in  seiner  jüngst  erschienenen  Arbeit 
(s.  die  Bibliographie)  in  dankenswerther  Weise  berichtet  (dass 
Schöne  seine  Schrift  durch  Zelters  Vermittlung  an  Goethe 
sandte,  wie  dort  S.  61  gesagt  wird,  ist  schwerlich  richtig);  es 
lohnt  nicht  der  Mühe  näher  auf  den  Inhalt  des  wunderlichen 
Opus  einzugehn. 

Diese  Fortsetzung  des  Faust  nun  gab  zu  vorstehendem 
Briefe  Veranlassung.  Man  wusste  aus  Goethe's  Briefwechsel 
mit  Zelter,  dass  Ersterer  das  wunderliche  Werk  im  Manuscript 
erhalten  hatte.  Auf  eine  Bemerkung  Zelters  nämlich  (22.  No- 
vember 1822,  III,  275),  der  den  im  Druck  erschienenen  Faust 
gelesen  hatte,  erwiderte  Goethe  (14.  Dec.  S.  279):  »Herr 
Schöne  hatte  mir  sein  Manuscript  geschickt,  ich  sah  nur  hie 
und  da  hinein:  es  ist  wunderlich,  dass  ein  sinniger  Mensch  das 
für  Fortsetzung  halten  kann,  was  nur  Wiederholung  ist,  das 
Hauptunglück  aber  bleibt,  dass  sie  haben  in  Prosa  und  in 
Versen  schreiben  lernen,  und  damit,  meinen  sie,  wäre  es  gethan«. 
Diese  Worte  bilden  für  unsern  Brief  den  besten  Commentar; 
der  Empfänger  aber  merkte  die  leicht  erkennbare  Ironie  nicht, 
sondern  nahm  die  Höflichkeitsworte  für  Ernst  und  Hess  daher 
seiner  grossen  poetischen  Widmung  an  Goethe,  welche  er  seinem 


294  Neue  Mittheilungen. 


Werke    voranges(hi(-kt    liatte.    eine    zweite    poetische    Epistel 
folgen,   des  Wortlauts: 

An  Herrn   Non   Ooethe.   nac  hdem   ich    seine   Antwort    auf 
meine  Zusendung  erhalten   hatte. 

Du  würdigtest   des  Schülers  Werk  zu  lesen, 
Dein  Beifall,   Meister!   wurde  mir  zu  Theil : 
»Veranlassung  ist  Dir  mein  Faust  gewesen, 
»Zu  schätzen  mein  Bemühn«   —  welch  süsses  Heil ! 
Dein  Wort  macht  mich  von  banger  Furcht  genesen, 
Um  keinen  Preis  ist  mir  Dein  Lehrbrief  feil. 
So  mag  mein  Lied  nun   weit  umher  erklingen, 
Der  Deutschen  (lunst  wie  Deine  sich   erringen. 

Man  sieht,  Schöne  hat  einen  Satz   unseres  Briefes  redlich 
in  Verse  gebracht. 


32. 

(Jn  Laos.'  12.  Januar  1S2}.) 

E\v  Wohlgeb. 
erhalten  hicbev  die  schuldigen  Zwölf  Thaler  mit  vielem 
Danke  dass  Sie  mir  die  schöne  Medaillen  sobald  übersenden 
wollen.  Lassen  Sie  mich  ferner  von  dem  was  unter  Ihrer 
Anleitung  geschieht  von  Zeit  /u  Zeit  etwas  Angenehmes 
erfahren.  Auf  eine  Rückseite  zu  meinem  I^ilde  habe  ich 
auch  schon  gedacht.  Nahes  und  Fernes  ist  mir  im  Kunst- 
fache gleich  angelegen,  senden  Sie  mir  einen  Probedruck 
so  überlege  ich  ob  es  passen  möge,  denn  Alles  schickt 
sich  nicht  zti  Allem.  Die  wunderliche  Capelle  aut  dem 
Schlosse  zu  ]:ger  habe  ich  oft  gesehen,  aber  da  ich  in 
diesem  Felde  niemals  gearbeitet,  so  konnte  kein  Urtheil 
bei  mir  feststellen  ;  doch  scheint  mir  Ihre  Ansicht  dieser 
Dinge    so    plausibel  ^    dass    ich    ihr  gern  be\treten  möchte. 


'  Vgl.  unten  Nr.   57. 

-  Im  Orio:iiial  nicht  recht  deutlich. 


41  Brieke  von  Goethe  etc.  293 

Bev  allen  solchen '  Vorkommnissen  ist  gewiss  so  viel  Will- 
kiihrliches  und  Zutiilliges  cUiss  wir  wohlthun  nicht  überall 
Bedeutung  zu  wittern. 

Möge  alles  bis  /um  gehoti'ten  glücklichen  Wiedersehn 
bestens  gelingen 

Hochachtungsvoll  ergebenst 
Weimar  den    12.  jenner   1823  JW  v  Goethe 

))• 
(J)i  Loos.^  2).  September  1S2).) 

Ew  Wohlgeb 

verzeihen  wenn  ich  eine  Antwort  aut  Ihr  wenhes 
Schreiben  bis  jetzt  verzögert  und  im  gegenwärtigen  Augen- 
blick auch  nur  im  Allgemeinen  dankend  um  abermalige 
Sendung  von  Vierundzwanzig  Medaillen  wie  die  vorjährige 
war,  wo  die  Zeil  das  Verdienst  hervorhebt,  mit  wenigem 
bitte.  Es  ist  aber  nicht  nöthig  dass  sie  alle  von  gleichem 
Schlage  seyen,  sondern  es  könnten  auch  andere,  die  nur 
irgend  auf  G/z/f/o  und  Gelingen  hindeuten  hinzugefügt  werden. 
Sodann  wünscht  ich  eine  grössere  auf  Eheverbindnng  auch 
dass  sie  sämtlich  in  Kästchen  gelegt  möchten  ankommen. 
Von  meinem  diesjährigen  Wohlbefinden  in  den  böhmischen 
Bädern  kann  ich  nicht  genug  Gutes  sagen  ;  leider  konnte 
ich  nicht  persönlich  hievon  Zeugniss  geben.  Eiligst.  Das 
Weitere  mir  vorbehaltend 

Weimar  ergebenst 

den  23  Sept.  JW  v  Goethe 

1823. 

'  Im  Original:  sollen. 
^  Vgl.  unten  Nr.  57. 


296  NlX'E   MlTTliniLUKGEX. 


Die  beiden  von  Goethe  angedeuteten  Münzen  sind  wohl : 
I.  die  bei  Schurhardt:  Goethe's  Kunstsammlungen  Bd.  II., 
Nr.  1582  angeführte:  »Medaille  mit  einem  Kalender  auf  der 
einen  Seite,  auf  der  andern  mit  einem  Phönix,  welcher  aus 
einer  Flamme  emporsteigt,  mit  einer  Landschaft«.  Exergue  : 
»Wunsch  für  1823:  Pfeiffer  (ec.  Loos  dir.«  und  2.  die  a.  a.  O. 
Nr.  1605  beschriebene:  »Glück  der  Ehe:  Hymen  legt  einen 
Kranz  auf  einen  Altar,  Loos  fec.«  Rückseite:  Inschrift  auf 
eine  glückliche  Ehe. 

34- 

(^A)i  V.  Miiiirh-Bt'lliiii^l.Hinscii.''  i.  Februar  iSij.) 

Hochwohlgchohrncr  I'i'cvhcrr 
Hochzuverchrendcr  Herr. 

H\v.  Hxzcll.  vergönnen  nacli  gewohnter  Güte,  womit 
Sie  so  manchen  Geschäfts-Antrag  aufnehmen,  und  erwägen, 
auch  dem  gegenwärtigen  geneigte  Aufmerksamkeit. 

In  der  Lage  in  der  ich  mich  betindc,  im  hohen  Alter 
eine  neue  Ausgabe  meiner  sämmtlichen  Werke  zu  besorgen, 
musste  freylich  bedacht  werden  wie  die  literarischen  Erzeug- 
nisse meines  ganzen  vergangenen  Lebens  und  zugleich  diese 
lezten,  nicht  geringen  Bemühungen  mir  und  den  Meinigen 
oekonomiscii  zu  Gute  kommen  möchten. 

Dabe\-  that  sich  denn  die  Frage  hervor:  ob  nicht  von 
der  hohen  BulKles-^'ersammlung  ein  Privilegium  tür  diese 
neue  Ausgabe,  auf  geziemendes  Ansuchen  zu  erhalten  wäre  ? 
Ein  Gedanke  der  sich  auf  die  Voraussezung  stüzt :  dass 
die  Höchsten  Herren  Herrscher  und  Gewalthaber  dasjenige 
was  Höchst  Sie  sonst  einzeln  verliehen  auch  jezt  wohl 
vereint  zu  gewähren,  und  so  einen  Akt  verbündeter  Sou- 
verainitat  auszuüben  geneigt  seyn  möchten. 

Um  nun  aber,  im  Falle  eines  möglichen  Ablchnens 
aller    Beschämung    zu    entgehen     und    mich    im    Stillen    zu 

'  Oritrina!   in  Wien  eigenh.   vy;!.  oben  Xr.    16. 


41  Briuil  von  GoETiit;  etc.  297 

beruhigen,  wendete  micli  in  elirfiirchtsvollem  \\'rtr:uicn  an 
Ihro  des  Herren  Fürsten  Metternich  Durchl.  da  ich  von 
Höchstdenenselben,  mehrere  Jahre  her  vorzüghche  Gnade 
und  Bet^ünstigung  erfahren.  Ich  überreichte  ein  an  die  hohe 
Bundes-Versammhmg  zu  richtendes  Schreiben,  gnädigster 
fernerer  Leitung  besclieidenthch  entgegen  sehend. 

Nun  hab  ich  aber  zu  vernehmen  dass  dieser  von  mir 
gewagte  Schritt  günstigst  aufgenommen  und  eine  Beförderung 
meines  Schreibens  an  die  holie  ^'crsammh^lg  gnädigst 
beschlossen  worden. 

Meine  Schuldigkeit  ist  es  nunmehr,  da  eine  für  mich 
so  wichtige  Sache  zuförderst  in  Ew.  Exzell.  Hände  gelangt 
und  dero  Geneigtheit  ein  glücklicher  Ausgang  anheim 
gegeben  ist,  desfalls  schuldige  Anzeige  zu  thun  und  die 
weitere  Leitung  Ihrer  kräftigen  Einwirkung  geziemend  zu 
empfehlen. 

Möge  die  Bedeutsamkeit,  welche  dieses  Anliegen  für 
mich  haben  muss,  Ew.  Exzell,  bev  weiter  Umsicht  und 
genauster  Kenntniss,  auch  für  das  Ganze  betrachtenswerth 
erscheinen,  indem  sich  denn  doch  dadurch  ein  wichtiger 
Einfluss  auf  deutsche  Literatur  für  die  Zukunft  vorbereiten 
dürfte. 

Und  so  bleibt  mir  nur  der  Wunsch  noch  übrig:  das 
fruchtbare  Wohlwollen,  wodurch  deutsche  Herrscher  und 
Geschäftsmänner  mich  seit  mehreren  Jahren  beglückt,  auch 
zu  meinen  Gunsten  bey  Ew.  Exzell  entwickelt  zu  sehen, 
und  des  wichtigen  \'orzugs:  in  späten  Jahren  neue  Gönner 
zu  gewinnen  auch  in  diesem  Falle  abermals  dankbar 
erfreuen  zu  können. 

Hochachtungsvoll 

Ew  Exzellenz 
Weimar  gehorsamster  Diener 

d  I  Febr  1825.  JW  v  Goethe. 


29<S  NeCI-;    MlTTHKILUNGEN. 


Das  vorliegende  Schreiben  Goethe's  ist  an  den  Freiherrn 
von  Münch-Eellinghausen,  damaligen  Oesterreichischen  Bundes- 
tagsgesandten und  Vorsitzenden  der  Bundesversammlung  zu 
Frankfurt  gerichtet.  Dass  Goethe  in  der  Privilegienangelegen- 
heit seiner  Werke  zweimal  an  diesen  geschrieben,  wussten  wir 
bereits  aus  seinem  am  22.  Juli  1825  an  den  Grafen  von  Beust 
gerichteten  Brief  (Grenzboten  1874,  Nr.  ^;^,  S.  265):  «und 
darf  nicht  unbemerkt  lassen,  dass  ich  von  des  Freyherrn  Herrn 
von  MUnch-Bellinghausen  Exe.  auf  zwey  Schreiben,  eins  nach 
Wien,  das  andere  nach  Frankfurt  am  Mayn,  noch  mit  keiner 
Antwort  beehrt  worden  bin«.  Der  vorliegende  Brief  wird  der 
nach  Wien  abgegangene  sein.  Der  Antrag  an  die  Bundes- 
versammlung wird  damit  zusammen  expedirt  worden  sein. 
An  Fürst  Metternich  hatte  Goethe  bereits  am  1 1.  Januar  1825 
(gedruckt:  Wiener  Zeitung  1870  Nr.  133:  Frankfurter  Didas- 
kalia   1870  Nr.    168)   geschrieben. 


35- 

(An  HoJ'ra/h  Slark.'  j.  November  iS2j.) 

Ew.  Wohlgcb. 

danke  verbindlichst,  dass  Sie  mir  Gelegenheit  gegeben, 
mich  der  angenehmsten  und  fruchtreichsten  Tage  meines 
Lebens  zu  erinnern :  indem  ich  zugleich  das  besprochene 
Heft  übersende,  und  wünsche  dass  es  sicli  schicken  möge, 
Ihr  einsichtiges  Urtheil  darüber  zu  vernehmen.  Im  All- 
gemeinen hat  man  immer  Ursache  sich  eines  solchen 
Gesprächs  zu  enthalten  da  man  gewöhnlich  niu"  Enthusiasten 
und  Widersacher  antrifft. 


■  Im  Besitz  von  Frau  Hofrath  Stark  in  Picidclborg,  aus  dem 
Xaclilass  ilircs  Gatten,  des  Sohnes  des  Adressaten.  Der  Brief  ist  oline 
Adresse.  Die  Unterschrift  von  »Ew«  an  eigenhändig.  Unter  dem 
übersandten  Hefte  ist  wol  entweder  das  zweite  Heft  des  /.weiten 
Bandes  «Zur  Naturwissenschaft«  oder  das  den  2.  .\ufsat/.  »Zur  ver- 
i^leichenden  Osteologie«  enthaltende  der  Verliandlungen  der  Leopoldi- 
nisch-CaroliniscIien  Akademie  gemeint. 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  299 

Mit  Jen  besten  Wünschen  mich  unterzeichnend 
H\v  Wo  hl  geb. 

ergebenste;/  Diener 
Weimar  den  5'';"  November  )  W  v  Goethe. 

1825. 

)^- 

(Au  Laos.'  2;.  Mär-  1S26.) 

Aus  Ew.  Wohlgeb.  Offizin  sind  schon  manclie  schöne 
Medaillen  hervorgegangen,  aber  ich  weis  nicht  ob  ich  mich 
irre  wenn  ich  die  mir  gefällig  gewidmete  für  besonders 
vorzüglich  halte.  Nehmen  Sie  dafür  meinen  lebhaftesten 
Dank  und  entrichten  solchen  gefällig,  mich  vielmals  em- 
ptehlend  denen  Herren  Levezow  und  König,  tür  ihren 
sorgfältigen  Antheil. 

Ersteren  hätte  ich  wohl  bev  seiner  Durchreise  zu 
sprechen  gewünscht ;  dergleichen  Gelegenheit  sollte  man 
nicht  versäumen.  Persönliche  Bekanntschaft  ist  der  (irund 
zu  allen  wahren  Verhältnissen  und  so  treue  ich  mich  noch 
immer  Ihnen  und  den  werthcn  Ihrigen  an  merkwürdiger 
Stelle  begegnet  zu  sevn.  Erhalten  Sie  mir  sämmtlich  ein 
wohlwollendes  Andenken  !  Ew.  Wohlgeb.  ergebenster  Diener 

Weimar  den  23  März  J.  W  v  Goethe 

1826 

■)/• 
(All  Laos.  24.  Februar  1S2J.) 

Ew.  Wohlgeb. 

sage  zuvörderst  den  allerschönsten  Dank  für  die  ge- 
fällige Mittheilung  der   neusten   aus  Ihrer  Offizin    hervor- 

'  Vgl.  unten  Nr.  57. 


^00  Neue  Mittheillngen. 


gegangenen  Medaillen ;  die  grösste  Genauigkeit  des  Stempels 
und  die  vollkommen  sichere  Prägung  gereicht  Ihnen  ' 
durchaus  zur  entschiedensten  lünptehhmg.  Desto  unan- 
genehmer aber  ist  mir  aussprechen  /u  müssen  dass  ich 
Ihren  Wünschen  mich  zu  fügen  auf  keine  Weise  im  Stande 
bin  ;  die  Ausgabe  meiner  sämmtlichen  Schritten  legt  mir 
die  ernsteste  Verpflichtung  aut  und  ich  darf  mich  weder 
rechts  noch  links  umsehen,  wenn  ich  einigermassen  meiner 
Schuldigkeit  nachkommen  will.  Ausserdem  kann  ich  mich 
folgereicher  seit  vielen  Jahren  übernommenen  Geschäfte 
nicht  entschlagen  und  nun  kommen  seit  den  letzten  Wochen 
so  viele  und  angenehme  gesellige  Feste  hinzu,  deren  Ein- 
wirkung ich  sogar  in  meiner  Einsiedelev  empfinde.  \'er- 
zeihen  Sie  daher  wenn  ich  jede  Einwirkung  ablehne;  denn 
selbst  ein  Geschäft  wie  das  wozu  Sie  mich  auffordern, 
das  wohl  als  nebenher  zu  verrichten  geeignet  schiene,  ist 
bedeutender  als  maii  glaubt,  es  gehört  Müsse  und  Glück 
dazu  um  das  Schickliche  zu  finden. 

Die  Rückseite  meiner  Medaille  ist  Herrn  Levezow 
sehr  gut  gerathen;  sollte  derselbe  nicht  auch  diesmal  sein 
schönes  Talent  bethätigen  mögen? 

Mich  auf  alle  Weise  geneigtem  Andenken  emptehlend 

l^w.  Hochwohlgeb. 

Weimar  d.  24  Febr.  gehorsamster  Diener 

1827  JW  v.  Goethe 

Die  Briefe,  Nr.  32,  ;^t,,  36,  37  an  den  General-Münz- 
Director  Loos  in  Berlin  gerichtet,  sind  nach  Abschriften  abge- 
druckt, welche  der  Besitzer  der  Originale,  Hr.  A.  Spitta  in 
Berhn  angefertigt  und  1878  an  Hn.  Dr.  H.  Uhde  geschickt  hat. 


'  Im  Original  irrthümlicli    kloin  geschrieben.  Gemeint   ist  wo) 

eine  Gocthe'sche;  von  der  G.  an  Zelter  (2.  Jan.  1827)  schreibt:  »Nächstens 
sende  an  Doris  eine  Anzahl  Medaillen  mit  .\drossen  versehene.  G.  m. 
Z.   IV.,  234  vgl.  2H'.  243. 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  301 

Gottfried  Bernhard  Loos  geb.  6.  Aug.  1774  zu  Berlin, 
seit  1S06  Mün/meister,  181 2  Begründer  einer  >ledaillenmiln/- 
anstalt  daselbst,  starb  29.  Juli   1843. 

Schon  im  J.  1804  wurde  (ioethe  auf  Laos,  freilich  mehr 
den  Vater.  (Daniel  Friedrich,  1735  —  1819)  hingewiesen,  (ioethe 
beabsichtigte  nämlich,  durch  Vermitthmg  Wilhelms  \on  Hum- 
boldt von  dem  römischen  Künstler  Mercandetti  eine  Medaille 
auf  den  Erzkanzler  Dalberg  prägen  zu  lassen,  und  erhielt  von 
Humboldt  eine  Antwort  in  welcher  dieser  Bedenken  über 
Merc's  Künstlerschaft  äussert,  Pariser  Medaillen  rühmt  und 
fortfährt :  » Ob  Abramson  oder  Loos  in  Berlin  gleich  gut 
arbeiten,  weiss  ich  nicht.  Aber  die  Nähe  wäre,  schon  bei 
gleicher  Güte,  ein  Vortheil«  '.  Crleichwol  scheint  Goethe 
mit  dem  Berliner  Künstler  nicht  in  Verbindung  getreten  zu 
sein  ;  eine  solche  wurde  vielmehr  erst  durch  persönli<he  Bekannt- 
schaft angebahnt.  In  dem  Aufsatz  :  »Notirtes  und  Gesammeltes 
auf  der  Reise  vom  16.  Juni  bis  zum  29.  Aug.  1822«  zuerst 
gedruckt,  Werke,  Hempel,  27,  i,  S.  340  —  351  heisst  es  zum 
7.  Aug.  S.  344:  »Generalmünzwardein  Loos,  der  Sohn,  Non 
Berhn,  seiner  eigenen,  vom  verstorbenen  Vater  überkommenen 
Medaillenfabrikation  erwähnend ,  Freund  der  Mineralogie. 
Studien  der  Münzen  des  Mittelalters  verfolgend«. 

Bei  dieser  Zusammenkunft  mag  dann  auch  die  Bestellung 
erfolgt  sein,  von  deren  richtiger  Ausführung  der  erste  Brief 
spricht.  Lieber  die  weitere  persönliche  Verbindung  beider 
Männer  geben  die  nachfolgenden  Briefe  genügende  Kunde. 
Aus  späterer  Zeit  ist  folgende  Stelle  an  Zelter  (V.  S.  234, 
A\'eimar  17.  Mai  1829)  hinzuzufügen:  »Die  Medaille  der  Facius 
ist  gut  genug  gerathen.  Das:  Loos  direxit  ist  nicht  vergebens 
hinzugefügt.  Ich  hoffe  man  wird  von  hier  aus  diesem  Manne 
etwas  Freundliches  erweisen,  um  ihn  für  das  Mädchen  noch 
weiter  zu  interessiren«.  Eine  andere  Stelle  in  demselben 
l>riefwechsel  (4.  Febr.  183 1,  VI,  S.  136)  mag  sich,  wie  gegen 
das  Medaillenwesen  überhaupt ,  indirekt  auch  gegen  den 
genannten  Künstler  richten:  » Dass  die  Medaille  [nämlich 
Zelters]  gelinge,  ist  mein  eifrigster  Wunsch  :  das  Medaillenwesen 
ist  nach  und  nach  so  trivial  geworden,  dass  man  sich  gar 
nicht  mehr  gesteht  wie  löblich  und  wichtig  dergleichen  immer 
gewesen  sey  und  bleibe.  Freylich  ist  der  grosse  plastische 
Ernst,  womit  man  diese  .Angelegenheit  in  früherer  Zeit  I)ehandelt, 


■    Bricfw.   mit    den    Gebr.    Humboldt,    iisg.    von    Bratranck    1S76, 
S.  213. 


302  Nkue  Mittheilungen. 


so  gut  wie  verschwunden:  indessen  die  Technik  immer  an 
Fertigkeit  zunimmt.  Mein  Sohn  schickte  mir,  von  Mayland 
aus,  wohl  hundert  Stiu:k  aus  dem  15.  und  16.  Jahrhundert, 
worunter  sich  erstaunenswerthe  Dinge  befinden«.  I.oos'sche 
Medaillen,  d.  h.  bei  Loos  ge[)rägte  (Loos  direxit),  von  ver- 
schiedenen Künstlern  entworfene  waren  mehrfach  in  Ci's  Besitz. 
Vgl.  Schuchardt,  Goethe's  Kunstsammlungen.  Jena  1848,  II, 
Nr.  1425,  1427,  1430.  1433,  1459,  1466,  1468.  1483,  1485, 
u.  a.  Die  vier  ersten  sind  aus  den  Jahren  1822  und  1823; 
alle,  auch  die  letztgenannten,  beziehen  sicli  auf  bestimmte 
Personen  oder  Ereignisse. 

Im  Anschluss  an  diese  Briefe  mag  ein  durchaus  auf  (ioethe 
bezügliches  Schreiben  mitgetheilt  werden,  das  der  Adressat 
unserer  Briefe  an  den  Obermedicinalrath  v.  Froriep  in  Weimar 
richtete  (Fror.   Archiv). 

Berlin  am   12.  November  1825. 

Mein  hochgeschätzter  Freund ! 

Eben  finde  ich  in  unserer  Zeitung  die  Anzeige  von 
Goethe's  Fest.  Schade,  dass  ich  es  nicht  trüber  vvusste, 
denn  ich  iiabe  längst  aut  eine  Gelegenheit  zu  einer  Denk- 
münze gewartet.  Was  meinen  Sie:  wäre  es  moutarde 
apres  diner?  Die  Begebenheit  und  der  Mann  verdienen  aber 
doch  eine  Denkmünze  und  wenn  ihm  auch  der  Grossherzog 
die  mit  Seinem  und  Seiner  Gemahlin  Bildniss  und  sein 
«Goethens«  Bildniss  auf  der  Kehrseite  gegeben  hat,  so  hat 
doch  die  übrige  Welt  da  wenig  von ,  die  vielleicht  auch 
gern  eine  Medaille  auf  den  Gegenstand  besässe. 

Wenn  Sie  nun  der  Meinung  sind,  dass  es  nicht  zu 
spät  wäre,  wenn  man  jet^t  noch  eine  Medaille  ankündigte, 
so  sagen  Sie  es  mir  nicht  bloss,  sondern  machen  Sie  es 
dort  auch  i^lcich  öjfcutUcJ}  hckainil  und  nehmen  entweder 
selbst  Subscription  an  oder  lassen  Sie  durch  Jemanden 
annehmen. 

Die  Grösse  der  Denkmünze  soll,  nach   meiner  Meinung 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  303 

dieselbe  werden   wie  die  auf  di\s    Re^ierungs-jubeltest  des 
Grossherzüi^s  .... 

Ein  Bildniss  vi)n  (joethe  ist  fasl  /('///V  i^ravirl,  soll  aber 
noch  überarbeitet  werden  und  xur  Kehrseite  dürfte  sich 
die  Idee  der  Frl.  l'acius  (ein  Lorbeer-  und  Eichen-Kranz) 
recht  i^ut  machen  oder  auch  ein  Lorbeer  und- ein  Eichen- 
kranz, also  zwei  Kränze  in  einander  geschlungen.  Ich  lasse 
mir  aber  auch  von  Ihnen  und  Ihren  Freunden  eine  andere 
Idee  gefallen,  dafern  sie  nur  recht  bald  eintritlt.  Auch 
bitte  ich  Sie  inn  Angabe  der  Umschriften  um  Kopf-  und 
Kehrseite,  da  Weimar  so  \-oll  \-on  tüchtigen  Gelehrten  ist. 
Ob  deutsch,  ob  lateinisch  ist  mir  gleich,  aber  unmassgeblich 
bitte  ich,  weder  das  Bildniss  ohne  Umschrift  imd  Andeutung 
was  es  sein  soll,  zu  lassen,  noch  auch  überhaupt  die  Schrift 
ohne  bestimmte  Andeutung  des  Gegenstandes.  Cioethe's 
Idee  —  denn  von  ihm  soll  sie  sein  —  zur  Jubeldenkmünze 
auf  den  Fürsten,  ist  übrigens  ganz  vortrefflich,  aber  der 
Naciru'c'll,  für  welche  jede  geschichtliche  Denkmünze  haupt- 
sächlich mit  bestimmt  ist,  wird  sie  wenig  nützen.  Heute 
weiss  man,  wen  das  l^ildniss  vorstellt  und  welche  50jährige 
Wiederkehr  gemeint  ist ;  nach  100  Jahren  wird  es  Niemand 
mehr  wissen  und  die  Denkmünze  nicht  versteim.  —  Sobald 
Sie  mir  sagen,  dass  Sie  in  meine  Idee  eingehn,  dort  auch 
Bekanntmachung  und  Subscription  veranlassen  imd  mir 
Idee  und  Legende  schicken  wollen  oder  lieber  gleich  mit- 
schicken, mache  ich  die  Sache  auch  hier  und  anderweitig 
bekannt  imd  es  können  die  Theilnehmer  dann  in  4  bis  6 
Wochen  die  verlangten  Exemplare  erhalten.  Ich  schicke 
Ihnen,  sobald  es  nur  irgend  soweit  ist,  das  nach  Rauch 
gravirte  Bildniss  mit  dem  Lorbeer  im  Haar  was  recht  sehr 
ahnlich  ist.     Beehren  Sie  bald  mit  freundlicher  Antwort 

Ihren   ergebensten   Ireund   und   Diener 
G.  Loos. 


304  NeUÜ    MlTTHEILüXGEN. 


(A.11  ?'  iS.  Scptcniber  iS2y.J 

K\v.  Wohlgcb. 

habe  hiedurch  zu  vermelden  dass  die  letzte  Sendung 
datirt  vom  2.  Septembr^  seiner  Zeit  glücklich  angekommen, 
wobey  denn  abermals  zu  danken  habe,  dass  Ihre  Aufmerk- 
samkeit einige  eingeschlichene  Fehler  des  Originals  zu 
tilgen  gewusst. 

Anbey  sende  die  Eintheilung  der  verschiedenen  poeti- 
schen Arbeiten  in  die  fünf  Bände  der  dritten  Lieferung ; 
das  Meiste  ist  nun  schon  in  Ihren  Händen,  das  Original 
zum  XI\'  und  XV  Bande  folgt  nächstens.  Die  bevden 
ungedruckten  Anfügungen  zum  XII  und  XV  Band  sende 
später.  Besonders  ^vünschte  den  Anfang  von  Faustens 
zweiten  Theil  am  längsten  zu  behalten.  Da  es  gleichgültig 
ist,  welcher  Theil  zuletzt  gedruckt  wird,  so  wünschte, 
dass  Sie  die  Einleitung  träfen,  diesen  erst  gegen  das  Ende 
vorzunehmen.  Haben  Sie  bev  der  von  mir  intentionirten 
Eintheilung  noch  irgend  etwas  zu  erinnern,  so  bemerken 
Sie  solches  gefällig. 

Der  ich  diese  Angelegenheit  Ihrer  fernem  Theilnahme 
auch  hiermit  zum  Besten  empfohlen  haben  will. 

Ew. '  Wohlgeb. 

ergebenster  Diener 
Weimar  den  18  Scptcmbr  JW  v  Goethe. 

1827 


'  duartblatt,  nur  die  erste  Seite  beschrieben ;  im  Besitz  des  Hn. 
A.  Spittit  (R.  Zeune's  Antiquariat)  in  Berlin. 

-  Mit  dieser  seltsamen  Abkürzung,  ohne  Punkt,  sclireibt  der 
Schreiber  auch  unten  den  Monatsnamen. 

3  Von  liier  an  eifircnhandii);. 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  305 


39- 

(Jn  ?  '  26.  Oktober  1S2J.) 

Ew.  Wolilgch. 

vermelde  schleunigst  die  glückliche  Ankunft  der  voll- 
ständigen zweiten  Lieferung  meiner  Werke  Sedezausgabe 
unter  Kreuzband,  sowie  der  begonnenen  Oktavausgabe. 

Was  Sie  hie  und  da  bemerkt,  und  wie  Sie  nachgeholten, 
erkenne  durchaus  dankbar.  Den  Mangel  auf  dem  Titel 
habe  trevlich  und  ungern  gesehen  ;  weil  man  aber  in  alten 
Tagen  manches  hingehen  lässt,  wass  man  in  jüngeren 
gerügt  haben  würde ,  so  unterlies  ichs  anzuzeigen  imd 
thut  mir's  leid,  dass  auch  ich  in  diesem  Sinne  Schuld  an 
dem  mehreren  Autwand  habe. 

Hiebev  folgen  noch  einige  Desiderata  zu  dem  3.  Bande, 
Bemerkungen  zu  dem  4.,  welche  sich  glücklicherweise 
auf   wenig   Druckfehler  beziehen. 

Für  mich  ist  es  eine  grosse  Beruhigung,  diese  Ange- 
legenheit in  Ihren  Händen  zu  wissen;  sie  ist  überhaupt 
von  so  bedenklicher  Art,  dass  ich  wohl  wünschen  darf, 
die  noch  übrigen  drey  \'iertel  mit  Ihrem  treuen  Beystand 
durchgeführt  zu  sehen.  Senden  Sie  mir  doch  auch,  wie 
ein  Band  der  Octavausgabe  beysammen  ist,  ein  Exemplar 
aut  Schweitzerpapier  mit  der  fahrenden  Post;  ich  würde 
es  sauber  binden  lassen  und  vorzeigen. 

Mit  den  besten  Wünschen  und  Hoti'nungen,  vertrauend 
t'ernerer  Theilnahme,  empfehle  mich  geneigtem  Andenken 

Weimar,  den  26.  Oktober  Ergebenst 

182-  JW  V  Goethe 

Die  zwei  vorstehenden  Briefe  beziehen  sich  ebenso  wie 
der  oben  Nr.  34  ferner  S.  280  und  der  unten  S.  306  A.  i.  mit- 
getheilte    auf   die    Ausgabe    der   Werke    letzter    Hand,    über 


'  duartblatt.    die   zwei  Seiten    beschrieben;    nur   die  Unterschrift 

eigenhändig.     Der  Brief  ist   im  Besitze  des  Hn.  A.  Spitta  (R.  Zeune's 
Antiquariat)  in  Berlin. 

Goethe-Jaiirblcii   II.  20 


?o6  Neue  Mittheilungen. 


deren  Herstellung  der  kürzlich  veröffentlichte  Briefwechsel 
mit  Göttling  so  lehrreiche  Daten  gebracht  hat.  Zur  Erklärung 
des  Einzelnen  ist  zu  bemerken,  dass  die  4obändige  Ausgabe 
in  8  Lieferungen  von  je  5  Bänden  erschien,  dass  also  die 
dritte  Lieferung,  von  der  hier  die  Rede  ist,  die  Bände  11  — 15 
umfasst.  Die  Taschenausgabe  erschien  etwas  früher  als  die 
()kta\ausgabe,  so  dass  von  jener  im  J.  1827  schon  10  Bände 
ausgegeben  wurden,  von  dieser  nur  2  :  diese  Verzögerung, 
welche  auch  G's  obige  Aeusserung  leise  tadelt,  erregte  damals 
grossen  Unwillen  (Zelter  V.,  S.  32).  Die  »poetischen  Arbeiten«, 
welche  die  3.  Lieferung  enthält,  sind  die  Lust-  Sing-  Zeit- 
und  Festspiele,  Faust,  und  einige  Erzählungen:  »Die  Ausge- 
wanderten; die  guten  AVeiber:  Novelle«:  die  »ungedruckten 
Anfügungen«  sind  zum  12.  Band  (S.  24g  —  313)  das  Fragment 
aus  Faust,  Zweiter  Theil.  zum  15:  die  »Novelle«.  \\'as  mit 
dem  «Mangel  auf  dem  Titel«  gemeint  ist,  vermag  ich  nicht  zu 
sagen '.  Der  Adressat  ist  höchst  wahrs(  heinÜch  der  Faktor 
Reichel  in  Augsburg.  Dass  dieser  den  Theil  der  Correspondenz 
besorgte,  welcher  sich  auf  die  Herstellung  des  Druckes  bezog, 
geht  z.  B.  aus  dem  unten  S.  343  veröffentlichten  Briefe  und 
den  im  Goethe-Göttling'schen  Briefwechsel  gegebenen  Mit- 
theilungen hervor. 

'  In  einer  Anmerkung  wenigstens  sei  ein  zu  den  beiden  vorstehen- 
den Sclireiben  gehöriges  abgedruckt.  Es  ist  ein  Quartblatt  mit  Trauer- 
rand; nur  eine  Seite  beschrieben;  die  Unterschritt  eigenliändig ; 
befindet  sich  im  Besitze  des  Hn.  A.  Spitta  (R.  Zeune's  Antiquariat)  in 
Berlin.  Es  ist  (von  Uhde?)  im  Hamburger  Correspondenten  1875,  26.  --Vug., 
Morgenblatt,  nicht  ganz  genau  abgedruckt.  Es  lautet: 
Ew.  Wohlgeb. 

habe  hiermit  anzuzeigen,  das,  durch  Vermittlung  des  Herrn 
Goldbeck  zu  Nürnberg  abgesendete  Paquet  sev  glücklich  angekommen 
und  also  für  diesmal  kein  weiteres  Bedenken.  Zugleich  vermelde  jedoch 
dass  mit  der  nächsten  fahrenden  Post  ein  kleines  Paquet  an  dieselben 
abgehen  wird,  enthaltend  den  18,  19,  20  Band  der  kleinen  .\usgabe, 
rcvidirt  zum  Behuf  der  Octav-Edition. 

Der  ich,  das  Beste  v.-ünschend,  mich  zu  geneigtem  .\ndenken 
bestens  empfehle 

Weimar  ergebenst 

den  7  Juny  jW  v  Goethe. 

1829 

Der  Adressat  des  Brietes  muss,  nach  dem  Inhalte,  derselbe  wie 
dei-  von  Nr.  38  und  39  sein.  Band  18 --20  der  Taschenausgabe,  welche  schon 
1828  erschienen  waren,  enthalten  Wilhelm  Meisters  Lehrjahre. 


41    BRlhHt    VON    GühTHE    KTC.  5t)' 


40. 

(All  Hciiuich  Myliiis.  i^.  Miir:^   iS^o.) 

Als  mein  Sohn  von  Hn.  Elkan  empfohlen  nach  Mav- 
land  abreiste,  war  be\'  uns  die  Nachricht  eini^e^ijangen, 
•dieselben  seven  in  einer  holhuingsvollen  Familienangelegen- 
heit abgereist  und  deshalb  von  ihm  nicht  wohl  würden 
angetroffen  werden.  Nun  aber  da  er  wahrscheinlich  über 
die  Alpen  gelangt  ist,  vernehme  ich,  dass  jene  freudigen 
Hoffnungen  in  Trauer  und  Schmer/,  verwandelt  worden, 
welches  von  Herzen  bedaure  und  mein  Bevleid  auszu- 
drücken nicht  Worte  genug  finde.  liw.  Hochwohlgeb. 
Verhältniss  ist  seit  langen  Jahren  mit  Weimar  so  innig 
verwebt,  dass  Ihnen  nichts  Angenehmes  und  nichts  Uner- 
freuliches begegnen  kann,  woran  wir  nicht  aufrichtig  Theil 
nehmen  sollten  und  ich  darf  wohl  versichern,  dass  die  Besten 
unserer  Stadt  den  Unfall,  welcher  Dieselben  betroffen  hat, 
aufs  tiefste  mitempfinden. 

Auch  ohne  meine  ausdrückliche  Bitte  werden  Dieselben 
meinem  Sohn  allen  freundlichen  Vorschub  geleistet  haben, 
wie  ich  denn  diese  Geneigtheit  auch  fernerhin  fortzusetzen 
bitte.  Der  Frau  Gemalin ,  deren  bedeutende  Gefasstheit 
in  diesem  Trauerfalle  unser  guter  Dr.  Schnauss,  ausführlich 
und  zu  eigner  Beruhigung,  mir  vertraut  hat,  werden  Sie 
auch  mich  ziun    allerbesten    zu  empfehlen    die  Geneigtheit 

haben. 

Hochachtungsvoll 

Weimar  d.   14  März  Fw.  Hochwohlgeboren 

1830.  ergebenster  Diener 

J  W  V.  Goethe. 

Der  vorstehende  Ih'ief  ist  von  Hn.  fuliiis  Mylius  in  Mai- 
land nach  dem  in  seinem  Besitz  befindHchen  Original  Hn. 
Dr.  Uhde  mit  Befugniss  zur  Veröffent!i(  hang  abschriftlich 
mitgetheilt   worden.     Der  .\dressat  Heinrich  MyHus,    geboren 

20* 


joS  Neue  Mittheilungen. 


24.  März  1769,  gestorben  21.  April  1854,  ist  ein  Bankier  aus 
Frankfurt  a.  M.,  der  durc-li  seine  Verheirathung  mit  der  Tochter 
des  Geh.  R.  Schnauss  in  Weimar  (1774— 185 1)  in  nahe  Ver- 
bindung mit  den  Weimarer  Kreisen  kam  und  in  derselben 
dauernd  bUeb.  Seine  Verehrung  für  (ioethe  bezeugte  MyHus  auf 
mannigfache  Weise,  z.  B.  dadurch,  dass  er  in  (Gemeinschaft 
mit  anderen  Freunden  eine  sitzende  Statue  (loethe"svon  Pompeo 
Marchesi  in  Mailand  arbeiten  Hess  und  der  Bibliothek  seiner 
Vaterstadt  schenkte.  —  Hr.  J.  Mylius  erzählt,  H.  Mylius  habe 
Maffei  veranlasst,  den  Faust  zu  übersetzen,  eine  Aufforderung, 
deren  der  Uebersetzer  ausdrücklich  gedenke.  Nach  dem  Tode 
von  Heinrich  Mylius  sei  sein  Haus  vollkommen  umgebaut 
und  in  Folge  dessen  natürlich  manches  Schriftstück  vernichtet 
worden:  die  noch  vorhandenen  Papiere  wurden,  da  direkte 
Erben  nicht  vorhanden  waren,  an  die  zahlreichen  Mitglieder 
der  Familie  vertheilt,  weitere  Briefe  (roethe's  aber  haben  sich 
nicht  erhalten. 

41- 

(All  Hofrath  Stark.  '  7.  April  iS)0.) 

Ew.  Hoclnvohlgeb. 
ersuche    durch   Gegenwärtiges    auf  das   FrcundHchste, 
unserm     vorzüghchen     Porträtzeichner    Schmeller     einige 
Stunden  zu  gönnen,  damit  auch  Ilir  Bildniss  der  würdigen 
Sammlung  von  einheimischen  und  auswärtigen  schätzbaren 
Zeitgenossen,  die  bev  mir  immer  zunimmt,  eingefügt  und 
das  Andenken  eines   so  bedeutenden  Zusammenlebens  um 
desto  vollständiger  unsern  Nachkommen  hinterlassen  werde. 
hi  vollkommenster  Hochachtung 
Weimar  gehorsamst 

d.  7.  Apr.  .1  ^^'  V  Goethe 

1830. 


■  Im  Besitze  von  Frau  Hofrath  Stark  in  Heidelberg,  aus  dem  Nach- 
lass  ihres  (iatten,  der  der  Sohn  des  Adressaten  war.  Ohne  .\dressc. 
Nur  der  Name  und  »gehorsamst«  eigenhändig.  Der  Briet  hat  einen 
Trauerrand. 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  309 


(Frau  Riilh  an  PI).  SciiicI.      Frankfurt}),  10.  Okiober  ijj~.) 

Euer  Brief  vom  5.  Okt.  hat  uns  sehr  gefreut,  insbesondere 
dass  der  Doktor  gesundt  UTid  guten  Humors  ist.  —  Wann 
Ihr  so  was  schreibt,  sollen  auch  tür  jetzt  und  künftig  alle 
\'agabundere\"en  \erziehen  se\n,  zumahl  i\<^r  Herr  .Merck 
viel  gutes  von  lüich  erzählt  hat  und  wie  hübsch  Ihr  alle 
Sachen  von  Hurem  Herrn  besorgt  und  in  obacht  nehmetet 
—  als  ein  braver  Piu'sch  dürft  Ihr  auch  Freude  haben  und 
ich  wünsche  Euch  recht  viele.  Die  Reisse  von  Eurem 
Herrn  mag  gehen,  wohin  sie  will,  so  werdet  Ihr  uns  doch 
als  im  \'ertrauen  sagen,  wo  E.r  ist,  denn  man  kann  nicht 
wessen  was  als  vorfällt,  dass  doch  ein  Brief  zu  Euch  gelangen 
kann.  Von  Herrn  Wielandt  habe  gar  ein  liebes  Briefgen 
erhalten,  wo  Er  mir  sagt,  dass  Er  das  Christkindgen  bei 
uns  haben  will,  wir  treuen  uns  sehr  auf  seine  Ankunft. 
Sagt  dem  Doctor,  dass  Herr  Merck  ehestens  wegen  der 
bewusten  Angelegenheit  schreiben  würde  und  wie  Alles 
gemacht  und  gehalten  werden  solle.  Der  Herr  Rath  ist 
immer  noch  nicht  recht  wohl  wir  brauchen  Medicin,  laufen 
spaziren  u.  s.  w.  Die  Jahre  kommen  frevlich  heran,  von 
denen  es  heisst,  sie  gefallen  mir  nicht.  \\'as  aber  mich 
anbelangt,  so  bin  ich,  Gott  seA'  Dank,  fri:-ch  und  gesundt, 
auch  gutes  Humors  zumal  wenn  ich  als  gute  neue  Mähr 
von  Euch  geschrieben  bekomme,  macht  mir  als  öffters  so 
einen  spass,  davor  solt  Ihr  auch  gelobt  und  gepriesen 
werden  von  Allen,  besonders  aber  von  Eurer  Euch  steht 
gewogenen  C.  E.  Goethe. 

Der  Adressat  des  Briefes  ist  zwar  nicht  genannt,  aber  er 
kann,  wie  aus  dem  Wortlaut  hervorgeht,  Niemand  anders  als 
Goethe's  treuer  Ph.  Seidel  sein.  Andere  Briefe  an  ihn  sind 
in  R.  Keils  bekannter  Sammlung  gedruckt.  Das  Original 
befindet  sich  im  Froriep'schen  .^.rchiv  in  Weimar.  Auch  ein- 
zelne Billete  G*s  an  den  (benannten  haben  sich  in  demselben 
Archiv  gefunden,  die  an   anderm  Orte  mitzutheilen  sind. 


10  Neue  Mittheilungen. 


(Frnu  Ratb  an  Anna  Anwlia.      Frankfurt  24.  September  ij/^.) 

Durchlauchdigstc   l-'ürstin. 

Der  i8te  September  war  der  grosse  Tag  da  der  alte 
\'ater  und  l-'rau  Aja,  denen  seeligen  Göttern  weder  Ihre 
Wohnung  im  hohen  ()lymp  weder  Ihr  Ambrosia  noch 
Nectar,  weder  Ihre  Vocal  noch  Instrumentthal  Musick  be- 
neideten, sondern  glücklich,  so  gantz  glücklich  waren,  dass 
schwerlich  ein  sterblicher  Mensch  jemahls  grösser  und 
reinere  Freuden  geschmeckt  hat,  als  wir  bevde  glück- 
lichen Eltern  an  diesem  Jubel-  und  Freuden-Tag  —  Nie- 
mahl hat  mich  mein  Unvermögen,  eine  sache  gut  und 
anschaulich  vorzutragen  mehr  belästig  als  jetzt,  da  ich  der 
Besten  Fürstin  (:  von  Der  doch  eigendtlich  alle  diese  Freude 
ausgeht,  die  doch  eigendtlich  die  erste  Ursach  aller  dieser 
Wonne  ist :)  so  recht  aus  dem  Hertzen  heraus  unsere 
Freude  mittheilen  mögte  — ■  Es  gerade  nun,  wie  es  wolle, 
gesagt  muss  es  nun  einmahl  sevn. 

Ihro  Durchlaucht  unser  gnädigster  und  Bester  Fürst 
stiegen  (:  um  uns  recht  zu  überraschen  :)  eine  strecke  von 
unserm  Hausse  ab,  kamen  also  gantz  ohne  geräusch  an 
die  Thür,  klingelten,  traten  in  die  blaue  Stube  u.  s.  w. 
Nun  stellen  Sich  Ihro  Durchlaucht  vor,  wie  Frau  Aja  am 
runden  Tisch  sitzt,  wie  die  Stubenthür  aufgeht,  wie  in  dem 
Augenblick  der  Hätschelhanss  ihr  um  den  Hals  tält,  wie 
der  Herzog  in  einiger  Entfernung  der  Mütterlichen  kreude 
eine  weile  zusieht,  wie  Frau  Aja  endlich  wie  betrunken 
auf  den  besten  Fürsten  zuläuft,  halb  greint  halb  lacht,  gar 
nicht  weiss,  was  sie  thun  soll,  wie  der  schöne  Kammer- 
herr von  Wedel  auch  allen  Antheil  an  der  erstaunlichen 
Freude  nimbt  —  lindlich  der  Auftrit  mit  dem  Witer,  das 
lässt  sich  nun  gar  nicht  beschreiben  —  mir  war  Angst,  er 
stürbe  auf  der  stelle,  noch  an  dem  heutigen  Tag,  da  Ihro 
Durchlaucht    schon    eine    ziemliche    Weite    von    uns    wey; 


41  Briefe  von  Goethe  etc.  31 1 


Sind,  ist  er  noch  nicht  recht  bcv  sich,  und  1-rau  Aja  gehts 
nicht  ein  Haar  besser  —  Ihro  Durchlaucht  können  Sich 
leicht  vorstellen,  wie  vergnüi^t  und  seelii;  Wir  diese  5  taijc 
über  gewessen  sind.  Merck  kam  auch  und  führte  sich  st) 
ziemlich  gut  auf,  den  Mephisthovilcs  kan  llr  nun  treylich 
niemahls  gantx  zu  llauss  lassen,  das  ist  man  nun  schon 
so  gewohnt.  Wieder  alle  (jcwohnheit  waren  dieses  mahl 
gar  keine  Fürsten  und  1-ürstinnen  aut  der  Messe,  das  war 
nach  Unsers  Theuersten  Herzogs  Wunsch,  Sie  waren  also 
gar  nicht  Genirt  Am  Sontag  gingen  Sie  in  ein  grosses 
Concert,  das  im  Rothen  Hauss  gehalten  wurde,  nachdem 
in  die  Adliche  GeselLschatft  ins  so  genandte  Brunnenteis, 
Montags  und  Dinstags  gingen  Sie  in  die  Commedie,  Mitt- 
woch um  12  uhr  Mittags  ritten  Sie  in  bestem  Wohlseyn 
der  Bergstrasse  zu,  Merck  begleidtete  Sie  biss  Hberstadt. 
Was  sich  nun  alles  mit  dem  schönen  Cammerherrn  von 
Wedel,  mit  dem  Herrn  Geheimdten  Rath  Goethe  zu 
getragen  hat,  wie  sich  unsere  Hochadliche  Freulein  gänssger 
brüsteten  und  Froberungen  machen  wolten,  wie  es  aber 
nicht  zu  Stande  kam  u.  d.  m.,  das  verdiente  nun  tre\lich 
hübsch  dramatisirt  zn  werden.  Theureste  Fürstin !  Sie 
verzeihen  diesen  kalten  Brief,  der  gegen  die  Sache  sehr 
zu  kurtz  tält  —  es  ist  mir  jetzt  gantz  ohnmöglich  es  besser 
zu  machen  —  ich  bin  den  gantzen  Tag  vor  Freude  und 
Wonne  wie  bctruncken,  wenn  sichs  etwas  zu  boden  gesetzt 
hat,  wird  meine  xernunift  auch  wieder  zu  hFiusse  kommen  — 
bis  dahin  Bittet  Frau  Aja,  dass  Ihro  Durchbucht  Gedult  mit 
ihr  haben  mögten.  Uns  ist  jetzt  nichts  im  Sinne,  als  die 
breude  des  wieder  zurückkommens,  da  soll  der  jubel  von 
neuem  angehn.  Gott  bringe  Sie  glücklich  und  gesund 
zurück,  dann  soll  dem  alten  Reihnwein  in  prächtigen  Pocalen 
mächtig  zugesprochen  werden.  Wüsten  Ihro  Durchlaucht, 
wie  oft  wir  mit  Freudenthränen  an  Ihnen  dachten,  von 
Ihnen    redeten,    wie    Frau   Aja    den    Tag    seegnete,  da    die 


;I2  Neue  Mitthhilungen. 


Beste  Fürstin   Ihrem   glücklichen  Land   einen  Carl  August 

gcbohrcn  hat,  Der,  wie  es  nun  am  Tag  ist,  nicht  Seinem 
Land  allein  zum  Heil  gebohren  worden,  sondern  auch 
dazu,  um  auf  unsere  Tage  Wonne,  Leben  und  seeligkeit 
zu  verbreiten  —  \\'ie  dann  ferner  Frau  Aja  sicli  nicht 
mehr  halten  konte,  sondern  in  ein  Eckelgen  ging  und 
ihrem  Hertzen  Luft  machen  musste,  so  weiss  ich  gantz 
gewiss,  die  Beste  Fürstin  hätte  Sich  unserer  Freuden 
gefreut.  —  Denn  das  war  kein  Mondschein  im  Kasten, 
sondern  wahres  Hertzensgefühl.  Dieses  wäre  nur  so  ein 
kleiner  abriss  von  denen  Tagen,  wie  sie  Gott  (:  mit  dem 
seeligen  Werther  zu  reden :)  seinen  Heiligen  aufspart ; 
mann  kan  hernach  immer  wieder  was  auf  den  Rücken 
nehmen  und  durch  diese  Werckeltag-Welt  durchtraben 
und  sein  Tagewerck  mit  Freuden  thun,  \\ür\x\  einem  solche 
erquickungsstunden  zu  theil  worden  sind.  Nun  Durchlauch- 
digste  Fürstin !  Behalten  Sie  uns  in  gnädigstem  Angedencken 
—  der  A'ater  empfiehlt  sich  gantz  besonders  —  und  Frau 
Aja  Lebt  und  stirbt  als 

Ihro  Durchlaucht 
Frankfurth,  d.  24'^'''  unterthänigst  treugehorsambste 

September  1779.  Dienerin 

C.  F.  Goethe 

Der  Erklärung  bedarf  dieser  prächtige  Brief,  der  zuerst 
in  den  Berichten  des  Freien  Deutsehen  Hochstifts  veröffent- 
licht worden  ist  und  hier  als  eine  Probe  der  mehr  als  70 
noch  ungedruckten  im  (zrossh.  Archiv  zu  Weimar  aufbe- 
wahrten Briefe  der  Frau  Rath  an  Anna  Amalia  willkommen 
sein  wird,  nur  sehr  wenig.  Das  Rothe  Haus,  auf  dem  Grund- 
stück des  jetzigen  kaiserlichen  Postgebäudes  gelegen,  war 
damals  das  vornehmste  Gasthaus  Frankfurts:  Brunnenfels  ist 
das  Haus  Braunfels,  Liebfrauenberg  29.  —  Die  Worte  »das 
war  kein  Mondschein  im  Kasten «  beziehen  sich  w^ohl  auf 
die  bezügliche  Stelle  im  »Triumph  der  Empfindsamkeit« 
(2.  Akt). 


41  Briefe  von  Goethe  etc. 


(Moril-  (in  Goethe.  '  Berlin,  d.  6.  Jnnv  lyS^.) 

Ich  bin  eine  Zcithin«^  mir  selbst  nicht  recht  sicher 
gewesen,  und  habe  Ihnen  in  dem  Zustande  nicht  schreiben 
wollen:  denn  wir  müssen  nur  Lebensbriefe  an  einander 
schreiben  und  alles  muss  von  I'olgen  sevn.  In  dem  Zustande 
hat  der  Tasso  etwas  Balsamisches  iür  mich  gehabt,  was 
aber  in  mir  yx\  Todtenähnlich  wurde.  Xun  ist  das  junge 
Grün  wieder  aufgelebt,  und  ich  kann  froher  und  leichter 
wieder  Athem  schöpfen,  und  mit  ganzer  Seele  sagen,  wie 
der  Tasso  mich  entzückt  und  mir  Beruhigung  und  l'reude 
gegeben  hat ;  Beruhigung,  weil  ich  einen  Punkt  sehe,  wo 
das  Qualenvollste  und  Drückendste  der  menschlichen  \'er- 
hältnisse  in  die  mildeste  Erscheinung  sich  xollendet,  und 
Freude,  weil  dieser  ^'ollendungspunkt  mir  so  nahe  erschienen 
ist.  Das  klare  Sternchen  schwebt  mir  immer  xor,  und  alles 
übrige  ordnet  sich  darnach.  Der  Tasso  ist  nun  einmal  das 
höchste  Geistige,  die  zarteste  Menschheit,  welche  auch  von 
der  sanftesten  und  weichsten  Umgebung  gedrückt,  sich  ihrer 
Auflösung  nähert;  welche  den  Schwerpunkt  verlohren  hat, 
der  sie  an  die  Wirklichkeit  heftet,  und  daher  auch  erst  in 
der  Erscheinung  ihre  eigentliche  \'ollendung  erreichen  konnte. 
Die  tragische  Darstelkmg  dieses  Zarten  Geistigen,  auf  dem 
Punkte,  wo  es  sich  jammernd  ablösst  und  in  sich  selbst 
versinkt,  ist  gewiss  das  Höchste  der  Poesie,  bei  der  freilich 
das  Tiefste  nicht  minder  schön  ist,  sobald  die  Möglichkeit 
zu  dem  Höchsten  einmal  in  der  Seele  daliegt.  Die  Prinzessin 
und  Leonore  sprechen  gleich  im  Anfang  die  grössten 
Menschenverhältnisse  unmerklich  in  jeder  Zeile  aus,  und 
sagen  sich  über  sich  selbst  und  über  Tasso  das  Feinste  und 
Grösste,  was  Menschen  sich  einander  über  sich  selbst  und 
über  einen  dritten  sagen  können.  Und  so  ist  die  erste 
Auseinanderleijuno;  des  Stücks  selbst  schon  der  interessanteste 


'  Eis'enliändiiJ',  olme  .Adresse,  in  meinem   Besitz. 


314  NeUK    MlTTHKlLUNGEN. 


Anfang  dazu,  der  schon  für  sich  selbst  in  gewisser  Rücksicht 
ein  schönes  Ganze  ausmacht,  so  wie  jede  Einzehie  Zeile 
nur  ein  erneuerter  Wiederhall  dieses  harmonischen  Ganzen 
ist,  und  daher  an  sich  einen  sprüchwörtlichen  Werth  erhält, 
welcher  macht,  dass  sie  von  i^ebildeten  Lippen  wiedertönt 
und  ins  Leben  eingreift.  Diese  Dichtung  wird  aber  über- 
haupt, ohngeachtet  ihrer  Zartheit,  ins  Leben  eingreifen, 
weil  sie  die  Ehrfurcht  für  das  Zarte  und  Schöne,  welche 
doch  einmal  wirklich  statt  fand,  zum  Hauptgegenstande  der 
Darstellung  macht,  und  auf  manche  Wangen  Schamröthe 
hervorlocken  wird,  die  dem  Gefühl  für  das,  was  seinen 
Werth  in  sich  selber  hat,  noch  nicht  ganz  abgestorben  sind  ; 
wenigstens  habe  ich  diese  Probe  schon  damit  gemacht. 
In  das  Detail  kann  und  will  mich  itzt  nicht  einlassen; 
denn  ich  würde  sonst  nicht  davon  abkommen  können,  und 
mein  Gedanken  sind  jetzt  ganz  mit  dem  Werther  beschäf- 
tiget :  über  acht  Tage  w^erde  ich  Ihnen  schon  einen  Theil 
des  Mspts.  zum  Durchlesen  schicken  können,  weil  ich  fleissig 
dabei  bin.  Ich  hätte  schon  vor  zwei  Monathen  mit  dieser 
Arbeit  fertig  sevn  können ;  sie  durfte  aber  schlechterdings 
nicht  bei  körperlicherUnbehäglichkeit  imternommen  werden. 
Der  Tasso  hat  so  was  wunderbar  Anziehendes,  dass  ich 
mit  meinen  Gedanken  gern  immer  dabei  verweilen  möchte. 
Ich  fühle  immer  mehr  die  Nothwendigkeit  dieses  Kunst- 
werks in  der  Reihe  der  Dinge,  wo  es  nicht  zufällig,  sondern 
wie  vorher  angewiesen  seinen  Platz  hat.  Jedes  ächte  Kunst- 
werk scheint  mir  gleichsam,  wie  vorher  auspunktiert  zu 
seyn,  und  zu  seiner  Zeit  an  die  Reihe  zu  kommen.  Nun 
wäre  es  freilich  wohl  Zeit  die  Spreu  von  dem  Weitzen  zu 
sondern ;  Der  muss  nur  im  Siebe  geschüttelt  werden  so 
wird  die  Spreu  von  selbst  verfliegen.  Ich  denke  immer, 
dass  noch  einiger  Sinn  für  ächte  Kunst  irgendwo  in  unserer 
Zeit  verborgen  liegt,  imd  unvermuthet  erwachen  soll.  Die 
jungen  Künstler  sind  bei  meinen  Vorlesungen  aufmerksam 


41  Briefe  von  Goethe  etc. 


315 


L;ciuii;,  wenn  nur  ihre  Lehrer,  die  alten  Kiinstler  etwas 
taugten.  X'ielleiclu  lässt  es  sich  nun  noch  ins  Werk  richten, 
diiss  Trippel  doch  noch  herkömmt.  Ich  habe  mit  dem 
Minister  v.  Herzber^  darüber  gesprochen  und  der  Minister  \ . 
Heinitz  scheinet  auch  nicht  abgeneigt  da/u  zu  seAii.  Die 
Herausgabe  der  akademischen  Monatsschrift  besorge  ich 
jetzt  allein,  obgleich  Riems  Nähme  mit  daraut  steht.  Was 
sagen  Sie  zu  meiner  Atiaire  mit  (Rampen?  Ich  glaube  es 
ist  recht,  dass  diese  Sache  zur  Sprache  gekommen  ist:  denn 
von  solchen  Menschen  wie  der  Campe  ist,  kann  eben  nichts 
Reelles  und  Gutes  emporkommen.  Ich  bin  nun  auch  zum 
-Mitarbeiter  an  der  I.itteraturzeitung  ordentlich  kontrackt- 
mässig  angenommen  worden :  Die  Recension  über  die 
bildende  Nachahmung  etc.  von  Rehberg  steht  noch  nicht 
darinn,  und  auch  die  Ihrige  noch  nicht  im  Mercur.  Sie 
haben  doch  die  Güte  gehabt,  20  St.  Ducaten  an  den  Mahler 
xMeyer  in  Rom  bei  meiner  Abreise  aus  Wevmar  zu  über- 
machen;  er  muss  durch  einen  Zufall  den  Brief  nicht  erhalten 
haben,  wie  ich  von  Hirt  erfahre.  —  Ich  glaube,  dass  ich 
auf  einem  guten  Wege  bin,  und  dass  Sie  mit  mir  zufrieden 
seyn  werden,  aber  muntern  Sie  mich  auch  durch  ein  Wört- 
chen wieder  aut  und  emphehlen  mich  allen  b'reunden 

Moritz. 

Übschon  der  Adressat  nicht  genannt  ist,  so  kann  es  doch 
nur  Goethe  gewesen  sein ,  als  Verfasser  des  Tasso.  Meines 
Wissens,  der  erste  veröffentlichte  Brief  von  Moritz  an  denselben. 
Auf  die  am  ."^.chlusse  erwähnte  Rehberg"sche  Anzeige  beziehe 
ich  (ioethe's  undatirtes  Billet  an  Knebel  Nr.  173,  während 
der  Herausgeber  es  in's  Jahr  1798  gesetzt  hat  und  Hirzel  es 
auf  (loethe's  eigne  Anzeige  der  Moritz'schen  Schrift  über  die 
bildende  Nachahmung  des  Schönen  im  Juli-Heft  des  Merkurs 
V.  J.  1789  bezog,  welche  Moritz  nach  vorstehendem  Briefe 
schon   im  Juni   mit   Ungeduld  erwartete. 


Goethe  ix  Dornburg. 


Von 

LUD\vj(;  gri(;er. 


m  14.  |uni  1828  starb  der  Cirossherzog  Karl  August 
auf  seiner  Rückreise  von  Berlin  zu  Graditz  bei 
Torgau.  Kaum  einen  Monat  vorher,  bevor  er  die 
Berliner  Reise  unternahm  .  hatte  er  an  (ioethe 
geschrieben  (17.  Mai);  einige  Tage  früher  hatte  er,  nicht  ohne 
eine  Art  von  Todesahnung  geäussert :  »Ich  denke  einen  Ab- 
stecher nach  Berlin  zu  machen  und  alles  dorten  Neuentstandene 
und  Hingekommene  zu  beleuchten  und  so  zu  sagen,  von  der 
Aussenwelt  bei  dieser  Gelegenheit  Abschied  zu  nehmen«.  Durch 
die  unerwartete  Nachricht  von  dem  Hinscheiden  des  fürstlichen 
Freundes,  mit  welchem  er  seit  länger  als  einem  halben  Jahr- 
hundert aufs  Innigste  befreundet  gewesen,  war  Goethe  tief 
betroffen'  und  wünschte,  wie  er  dies  bei  traurigen  Veran- 
lassungen früherer  Jahre,  z.  B.  bei  Schillers  Tode  erprobt  hatte, 
sich  in  stiller  Einsamkeit  zu  sammeln,  auf  sich  selbst  zu  besinnen 
und  in  dieser  Ruhe  Kräfte  zu  neuem  Leben  zu  gewinnen. 
Daher  erbat  er,  da  er  die  rechte  Stimmung  weder  in  Weimar. 
noch  auch  in  Jena  zu  finden  vermocht  hatte,  die  Erlaubniss. 
si(  li  in  das  grossherzoglichc  Schloss  in  Dornburg,  das  ihm 
von   (lern  Verst()rl)enen  schon   mehrfach    zur  Wohnung    ange- 


'  L'cbcr  LUC  lüin/clhcitcn  v^y;!.  Düntzcr :  Gocthc's  Leben  S.  6^9. 
Ufber  die  Vorgänge  der  folgenden  Tage  unterrichten  die  unten  gedrcckten 
Briefe  Soreis  vom  20.  und  23.  Juni. 


Goi£THE  IN  Dornburg.  3^7 


l)Oten  worden  war,  einige  Wochen  zurückziehen  /u  dürk-n 
und  erhielt  diese  Ritte  sofort  gewährt. 

Am  7.  Juli  traf  er  in  Dornburg  ein.  gedachte  ursprilnt^dii  h 
nur  kürzere  Zeit  daselbst  /.u  verweilen  und  dun  AufcntliaU 
/.u  einer  Vorbereitung  für  eine  seinen  mineralogischen  und 
geognostischen  Studien  nutzbringende  Reise  nach  Freiberg 
anzuwenden,  erkannte  aber  bald,  dass  er  zu  einem  solchen 
Hintritt  in  einen  fremden  Kreis  weder  körperli<-.h  noch  geistig 
geeignet  sei  und  erbat  sich  daher  zwar  Urlaub  zu  der  ange- 
gebenen Reise,  jedoch  mit  der  Bedingung,  dass  er,  wenn  er  einen 
solchen  Ausflug  nii  lit  wagen  dürfte,  die  nächsten  Wochen 
zwischen  Dornburg  und  Jena  theilen  könnte '.  Ein  solcher 
Urlaub  wurde  ihm  selbstverständlich  gewährt ;  trotzdem  blieb 
er  fast  ohne  jede  Unterbrechung  bis  zum  11.  Sept.  in  Dornburg. 

In  Goethe's  Tagebuch  (Abschrift  im  Besitz  des  Frhrn. 
V.  Maltzan  in  Weimar)  heisst  es:  »Fahrt  am  7.  Juli  nach 
Dornburg.  Aufenthalt  daselbst.  Macht  das  Schreiben  über 
den  Tod  des  CJrossherzogs  Karl  August.  Schreibt  die 
(iedichte:  »Früh,  wenn  Thal,  Gebirg  und  Schatten«,  »Und 
wenn  mich  am  Tag  die  Ferne«,  »Dem  aufgehenden  Vollmonde", 
»Der  Bräutigam«  (Vgl.  die  Gedichte  bei  Hempel  III,  reo,  loi, 
166;  die  Bemerkung  v.  Loepers  an  letzterer  Stelle  ist  unserm 
urkundlichen  Zeugniss  gegenüber  schwer  haltbar)  und  ergänzt 
die  Geschichte  seines  botanischen  Studiums.  Zurück  von 
Dornburg  den    11.  Sept.   nach   Weimar«. 

Von  diesen  Wochen  hat  wahrheitsgetreu  und  liebevoll 
der  Dornburger  Hofgärtner  K.  A.  Ch.  Sckell  in  seinem  Schrift- 
chen :  Goethe  in  Dornburg,  Gesehenes,  Gehörtes  und  Erlebtes, 
Jena  u.  Leipzig,  H.  Costenoble  1864  berichtet,  der  seit  1816 
von  Goethe  beachtet,  seit  1822  in  seiner  Dornburger  Stellung, 
nun,  während  des  Aufenthalts  des  Dichters,  täglich  mit  ihm 
zusammen  war.  ihn  vnid  seine  Freunde  beköstigte,  und  über 
den  schlichten  äussern  Verlauf  jener  Tagen  Genaues  mitzu- 
theilen  in  der  Lage  war. 

Goethe  wohnte  in  der  damals  sogenannten  Bergstube  in 
dem  sonst  Stomann'schen  Schlösschen,  lehnte  das  Anerbieten 
des  Grossherzogs  Karl  Friedrich,  in  das  mittlere  Schloss  über- 
zusiedeln ,  ab  und  empfing  höchstens  vornehme  Besuche  in 
dem  Saale  desselben.  Ueber  seine  Wohnung  und  den  Dorn- 
burger Garten  sprach  er  sich  in  einem  Briefe  an  Zelter 
folgendermassen  aus:  (10.  Juli  1828,  G.  u.  Z.  V,  S.  68  fg.) : 
»Ich  weiss    nicht,    ob   Dornburg  Dir    bekannt    ist:    es    ist    ein 

'  Briet  an   H.  .Movcr.  25.    |uli. 


Neuu  Mitthuilungen. 


Städtchen  auf  der  Höhe  im  Saalthale  unter  Jena,  von  welchem 
eine  Reihe  von  Schlössern  und  Schlösschen,  gerade  am  Ab- 
sturz (los  Kalkflützgebirges,  zu  den  verschiedensten  Zeiten 
erl)aut  ist:  anmutliige  (Järten  ziehen  sich  an  Lusthäusern  her : 
ich  l)e\vohne  das  alte  neuaufgeputzte  Schlösschen  am  südlichsten 
P>nde.  Die  Aussicht  ist  herrlich  und  fröhlich,  die  Blumen 
blühen  in  den  wohlunterhaltenen  (iärten,  die  Traubengeländer 
sind  reichlich  behangen  und  unter  meinem  Fenster  seh"  ich 
einen  wohlgediehenen  Weinberg,  den  der  Verblichene  auf 
dem  ödesten  Abhang  noch  vor  drei  Jahren  anlegen  liess  und 
an  dessen  ErgrUnung  Er  sich  die  letzten  Pfingsttage  noch  zu 
erfreuen  die  Lust  hatte.  Von  den  andern  Seiten  sind  die  Rosen- 
lauben bis  zum  Feenhaften  geschmückt  und  die  Malven,  und  was 
nicht  alles,  blühend  und  bunt,  und  mir  erscheint  das  alles  in  erhöh 
teren  Farben  wie  der  Regenbogen  auf  schwarzgrauem  Grunde. 

Seit  fünfzig  Jahren  hab'  ich  an  dieser  Stätte  mich  mehr- 
mals mit  Ihm  des  Thebens  gefreut,  und  ic:h  könnte  diesmal  an 
keinem  Orte  verweilen,  wo  seineThätigkeit  auffallender  anmuthig 
vor  die  Sinne  tritt.  Das  Aeltere  erhalten  und  aufgeschmückt, 
das  Neuerworbene  (eben  das  Schlösschen,  das  ich  bewohne, 
ehemals  ein  Privat-Eigenthum)  massig  und  schicklich  einge- 
richtet, durch  anmuthige  Berggänge  und  Terrassen  mit  den 
früheren  Schlossgärten  verbunden ,  für  eine  zahlreiche  Hof- 
haltung, wenn  sie  keine  übertriebenen  Forderungen  macht, 
geräumig  und  genügend,  und  was  der  Gärtner  ohne  Pedan- 
terie und  Aengstlichkeit  zu  leisten  verpflichtet  ist,  alles  voll- 
kommen, Anlage  wie  Flor«. 

(joethe  war  mit  seinem  Sekretär  John  und  seinem  Be- 
dienten P>iedrich,  von  deren  geringer  Widerstandskraft  gegen 
den  Dornburger  Wein  Sckell  ein  hübsches  Geschichtchen  zu 
erzählen  weiss,  nach  Dornburg  gekommen  und  hielt  mit  ihnen, 
gegen  die  er,  wie  gegen  alle  die  ihm  nahten,  den  milden, 
anspruchslosen,  freigebigen  Herrn  spielte,  allein  aus.  Bei 
schönem  ^^"etter  war  er  viel  im  Garten,  während  der  furcht- 
baren Regengüsse,  über  welche  er  in  seinen  Briefen  mehrfach 
klagte,  blieb  er  in  seinen  Zimmern;  nur  dreimal  fuhr  er  aus, 
immer  in  Begleitung  des  genannten  Sckell.  Das  erste  Mal 
nach  Cirossheringen,  wo  er  den  ihm  von  früher  bekannten 
Ort.sschulzen  Planert,  welcher  lange  Zeit  Landtagsaligeordneter 
gewesen  war,  besuchte;  '   das  zweite  Mal   nach  Jena,  '  wo   er 


'  Am  2.  August,  vgl.  unten  den  Brici'Fronimanns.  Nach  Grosslicringon 
fuhr  Dr.  Stichling  mit,  »ein  Enkel  Wiehuids,  ein  gar  angenehmer  gebil- 
deter, wohldcnkender  und  unterrichteter  Mann.«  (G.  u.  Knebel  II,   366.) 

^  Wol  am  20  Juli,  s.  G.  u.  Z.  V,   79. 


Goethe  in  Dornblrg.  3  1 9 

hei  dem  Legationsrath  Weiler,  dem  Bauinspector  Götze,  dem 
Hauptmann  Schauroth  und  bei  Knebel  vorsjjrai  h  ;  endlich  nach 
dem  vor  Camburg  an  der  C'haussee  liegenden,  seiner  Aussicht 
wegen  berühmten  Thurmberg. 

Seine  Lebensweise  war  sehr  einta(  h  :  ic  !i  schildere  sie  mit 
Sckells  ^^'orten  (a.  a.  O.  S.  45  47):  »In  der  Regel  verliess 
Goethe  um  6  Uhr  das  Bett  und  genoss  sofort  Kaffee.  Schon 
um  7  Uhr  beschied  er  seinen  Sekretär  zu  sich  und  dictirte 
diesem  bis  um  8.  auch  halb  9  Uhr.  Darauf  ging  er  auf  den 
Terrassen  oder  im  (iarten  bis  halb  10  Uhr  spazieren,  nahm 
nun  das  Frühstück  ein  und  dictirte  darauf  von  Neuem  oder 
begab  sich  wieder  in  den  Garten,  wenn  er  nicht  schon  zeitig 
durch  Fremdenbesuch  behindert  wurde.  Um  i  i  Uhr  stellte 
sich  dann  in  der  Regel  jeden  I  ag  Besuch  ein,  weicher  bei 
ihm  speiste.  Die  Tafel  begann  gewöhnlich  um  halb  2  Uhr 
und  dauerte  bis  4  Uhr.  Dann  reisten  die  Fremden  sofort 
ab  '  und  Goethe  begab  sich  wieder  in  den  Garten,  blieb  dort 
bis  halb  6  Uhr,  ass  darauf  stets  eine  Franzsemmel  imd  trank 
die  acht  Tage  ausgenommen,  an  welchen  er  den  Dorn- 
dorfer  Rothwein  genoss  ein  \'iertel  Moselwein.  Von  da 
blieb  er  auf  seinem  Zimmer  oder  ging  bei  schöner  Witterung 
wiederholt  einige  Male  im  (iarten  auf  und  ab.  Sitzend  habe 
ich  ihn  dort  nie  angetroffen.  Abends  bes(  häftigte  er  sich  mit 
dem  Lesen  eingegangener  oder  mit  dem  L^nterschreiben  \on 
ihm  dictirter  Briefe.  An  Zeitungslectüre  schien  er  wenig 
(Gefallen  zu  finden.  Um  9  oder  halb  "lo  Uhr  ging  er  zu  Bett. 
Da  mir  gestattet  war,  zu  jeder  Zeit  sein  Zimmer  zu  betreten 
ohne  angemeldet  zu  sein,  so  ist  mir  vergönnt  gewesen,  ihn 
auch  hier  beobachten  zu  können.  Er  legte  sich  auf  den 
Rücken,  die  Hände  ausserhalb  der  Bettdecke  auf  der  Brust, 
wie  zum  Gebet  gefaltet,  den  Blick  nach  oben  gerichtet.  Früh 
waren  die  Hände  noch  in  ihrer  ursprünglichen  Situation,  sein 
erster  Blick  war  nach  oben  gerichtet.  Sein  Schlaf  musste  tief 
und  süss  sein,  denn  das  Lager  zeigte  keine  Spuren  von  Unruhe. 
-  -  Er  lebte  sehr  massig  und  nach  einer  bestimmt  vorgezeich- 
neten Ordnung :  daher  kam  es  wohl  auch,  dass  er  sich  während 
seines  Aufenthaltes  in  Dornburg  nie  unwohl  fühlte.  Im  Genüsse 
des  Weins  war  er  sehr  massig ,  denn  bei  der  Mittagstafel 
wurden,  ausser  einem  guten  Tischwein,  selbst  bei  acht  bis 
vierzehn  Gästen  höchstens  zwei  Flaschen  Champagner  getrunken. 
Vorzugsweise  liebte  er  unter  den  Speisen  Compots  aus  Birnen. 


'  Eine  Ausnahme  maclitcn  bisweilen   Gocthe's   .Sohn  und    l'öplci', 
welche  um   3   Uhr  ankamen  und  bis  9,  wolil  aucli    10  Uhr  blieben. 


320  Neue  Mittheilungen. 


Kirs(  heil  und  Himbeeren.  Ausserdem  von  ihm  selbst  bereiteten 
Salate  aus  Artischoken,  die  er  nebst  feinem  Provencerol  aus 
Frankfurt  a.  M.  hatte  kommen  lassen,  genoss  er  keine  Salate  : 
auch  Milchspeisen  waren  ni(  ht  nac  h  seinem  Geschmack«. 

Die  Dornburger  Einsamkeit  wurde  durch  zahlreiche  Be- 
suche belebt.  Ottilic  7'on  Goethe,  welche  mit  ihren  Kindern 
wöchentlich  zwei  oder  drei  mal  kam,  August,  der  sich  meist 
in  Begleitung  des  Landesdirectionsraths  Töpfer  einstellte, 
Kanzler  von  Müller,  Legationsrath  Weller  und  andere  Wei- 
marer und  Jenaer  Freunde,  erstere  seltener,  weil  die  je  \ier- 
stündige  Hin-  und  Rückfahrt  die  Reise  für  einen  Tag  ziemlich 
beschwerlich  machte.  Von  einem  solchen  Besuche  hat  einer 
der  Theilnehmer  F.  f.  Frommann  '  Mittheilung  gemacht. 
Es  war  am  2.  Aug.  an  dem  Tage  des  Ausflugs  nach  Gross- 
heringen (oben  S.  318),  Goethe  war  vor  Kurzem  erst  zurück- 
gekommen, unterhielt  sich  zuerst  in  einem  andern  Raum  mit 
den  jenaischen  Präsidenten  von  Ziegesar  und  von  Motz. 
wendete  sich  dann  aber  den  neuen  Besuchern  zu ,  ausser 
Frommann  dessen  Tante  Betty  \\'esselhöft,  dem  berühmten 
Uebersetzer  J.  D.  Gries,  Frau  v.  Löiu  und  ihrer  Tochter^. 
Frommann  also  schreibt  (Brief  an  Stüve)': 

»Gleich  vom  ersten  Eintreten  an  war  er  heiter,  freundlich 
und  unbeschreiblich  liebenswürdig,  setzte  sich,  scherzte  mit 
Luischen  Low  und  durchlief  in  den  beinahe  zwei  Stunden, 
die  wir  bei  ihm  sassen,  einen  unglaublich  reichen  Kreis  von 
Dingen,  Menschen  und  Situationen.  Da  die  Low  von  hier 
zu  Graf  Caspar  Sternberg  reist,  sprach  er  zuerst  von  ihm, 
schilderte  seine  würdige  und  grosse  Denkungsart,  erzählte, 
wie    er    sich    mit    ihm    gefunden,    welch  ein  Glück   es  sei.    in 


'  Das  Frommann'sche  Haus  und  seine  Freunde  1792 — I1S57.  Jena 
1870.  S.  39.  Dort  heisst  es:  »Er  war  ermuntert  und  angefeuert  durcli 
die  Blicke  seiner  jungen  Nachbarin,  die  mit  freudiger  Begeisterung  an 
seinen  Lippen  hing.  Da  streifte  er  mit  seinem  Arm  den  ihrigen  und 
sagte:  «Ja  wenn  man  sich  ander  Jugend  reibt,  wird  man  selbst  wieder 
jung«.     -  Ferner  handscliriftlicher  Brief  Frommanns  an  Stüve2.  Aug.  1828. 

^  Von  dem  Besuch  der  Frau  v.  Low  schreibt  G.  an  Sternberg 
).  Okt.,  berichtet  über  deren  Brief  vom  9.  August;  Sternherg  dankt 
(13.  Okt.)  für  die  von  ilir  »noch  ganz  begeistert  von  den  angenehmen 
Stunden  in  Dornburg«  überbrachten  Grüsse  und  meldet,  dass  sie  bis 
zum  16.  Aug.  bei  ilim  verweilt  habe;  dann  sei  er  von  einer  Krankheit 
befallen  worden.  Dass  Frau  v.  Low  auch  später  mehrere  Briefe  an 
Goethe  "jericiitet  hat,  geht  aus  dessen  Worten  50.  Jan.   1829  iiervor. 

5  Hr.  FVommann  sen.  in  Jena  hat  diesen  seinen  Brief  an  Uhde 
abschriftlich  geschickt  und  mir  den   Abdruck  freundlichst  «gestattet. 


Goethe  in  Dornburg.  321 


seinem  Alter  noch  solche  Jünglingsfreunds(  haft  zu  schliessen  '.  — 
Zelter,  der  sei  immer  ein  Mann  gewesen,  habe  sich  durchs 
Leben  durchgeschlagen  durch  Theater,  Musik,  Essen,  Trinken, 
durch  Creditoren  *,  um  den  sei  ihm  nicht  bange  —  Tischbein 
characterisirte  er  herrlich  in  seinem  verfehlten  aber  liebens- 
würdigen und  geistreichen  Streben,  hob  hervor,  was  man 
ihm  auch  in  der  Kunst  zu  danken  habe,  dadurch  dass  er 
das  Studium  der  Antike  belebt,  die  etrurischen  Vasen  zu 
Ehren  gebracht  habe  :  mit  ihm  habe  er  in  seinem  40.  Jahre  ' 
wieder  ein  Studentenleben  gelebt,  aber  in  Rom.  wo  einen 
das  Ungeheuere  überall  umgeben,  sei  man  immer  genöthigt 
gewesen  sich  wieder  zu  sammeln.  —  Die  strebenden  Oeister, 
die  damals  dort  vereinigt  waren,  Angelica  Kaufmanit,  Reijfeii- 
stein  ^  der  Löki  Aeltern,  das  Concert  mit  diesen  auf  dem 
Capitol  bei  Rezzonico"^  mit  der  Aussicht  auf  dascampo  vaccino, 
wo  die  untergehende  Sonne  die  Steine  all  des  Ungeheuern 
Gemäuers  roth,  die  Bäume  nur  noch  grüner,  die  Ferne  dunkel- 
blau gemalt  hätte.  Dss  deutete  er  alles  nur  so  an.  Er  erzählte 
auch  von  einem  Briefe  Göttlini^'s  aus  Neapel  %  lobte  ihn  und 
seine  Sicherheit  und  Keckheit  ^,  seine  Beschränkung  in  den 
Zwecken  und  Unermüdlichkeit  in  den  festgesetzten  Gränzen. 
Von  den  Salzbohrvcrsuchen,  dem  Salinendirektor  Klenck'. 
der  neuen  Saline  bei  Bufleben  ging  er  über  zu  der  Möglichkeit, 
auch  in  Böhmen  Salz  zu  finden  und  trug  Luischen  mit  höchst 
launischer  Scherzhaftigkeit  auf,  dem  Grafen  Sternberg  diese 
Möglichkeit,  ja  Wahrscheinlichkeit  und  warum  nicht  gleich 
Gewissheit  zu  verkündigen.  —  Aber  ich  könnte  noch  lange 
schreiben,    ohne    die    Gegenstände,    worüber    er   sprach,    zu 


'  Nicht  lange  verlier  hatte  G.  einen  Brief  des  Grafen  Sternberg 
(vom  ).  Juli)  erhalten,  aus  welchem  wenigstens  eine  Stelle  mitgetheilt 
sei:  «Ganz  Deutschland  muss  sich  an  dieser  Bahre  erinnern,  welche 
Geistesentwicklung ,  welche  Förderung  der  Wissenschaften  unter  der 
begünstigenden  Regierung  dieses  Fürsten  von  Weimar  ausgegangen  ist, 
und  in  die  allgemeine  Trauer  des  Landes  einstimmen ;  doch  wer  könnte 
dieses  besser  beurtheilen,  als  der  verehrte  Freund,  der  alle  Phasen  dieser 
langen  und  denkwürdigen  Regierung  getheilt  und  an  allem  Grossen 
und  Guten,  das  sie  bewirkt  den  grössten  Antheil  genommen  hat?« 

^  hl  der  Abschrift  undcutlicii,  könnte  vielleicht  Traditionen  heissen. 

5  In  Rom   1787. 

•>  Zweiter  Aufenthalt  in  Rom.  Bericht  Febr.  1788  s.  ni.  .\usg. 
S.  587  fg.  mit  den  Anmerkungen  dazu. 

>  \  om  24.  Juni  1828.  Der  Brief  ist  jetzt  abgedruckt  in  Fischer: 
Briefwechsel   zwischen  Goethe  u.  Göttling,   München  1880,    S.  41  —  53. 

6  Wohl  besser :  Ra.schheit. 

'  G.  erwähnt   ihn  in  dem  Briefe  an  Nikolo'.ius  vom  7.  .\ug.  1828. 
Goethe-Jahrblxu  II.  2 1 


122  Neue  Mittheilungen. 


erschöpfen  und  am  Ende  hättest  Du  doch  nur  ein  todtes 
Gerippe,  denn  der  Zaul)er  seines  Ausdrucks,  seines  lebendigen 
CJeberdenspiels,  seiner  schönen  heute  mitunter  recht  kräftigen 
und  kUngenden  Stimme  fehhe.  Unzählige  kleine  Anspiehmgen 
und  Scherze  fielen  noch  nebenbei !  So  hatte  eine  Frau  in 
St.  der  Tante  Betty  aufgetragen,  sie  ihm  zu  Füssen  zu  legen. 
Dabei  benahm  er  (sich)  einzig,  um  diesen  unanständigen 
Altar  einer  anständigen  Frau  abzuwehren,  der  ihm  schon  in 
der  blossen  Vorstellung  schrecklich  war.« 

Auch  andere  Besuche  stellten  sich  ein :  Sorcf.  der  den 
Erbprinzen  begleitete,  viele  Engländer,  unter  ihnen  die  jungen 
Herzöge  Arthur  Richard  und  Charles  Wclleslcy  von  ^^'ellington, 
Sir  Clave,  mit  welchem  über  Brasilien  geplaudert  wurde ;  der 
Amerikaner  Robinson  mit  seiner  als  Uebersetzerin  serbischer 
Volkslieder  bekannten  Frau,  (Talvj),die,  von  Knebel  empfohlen, 
von  Goethe  als  allerliebst  charakterisirt  wurde ,  »so  hübsch 
und  eigensinnig,  dass  man  hoffen  darf,  sie  werde  sowohl  in 
der  alten  als  neuen  Welt  glücklich  durchkommen«  (G.  Briefw. 
mit  Knebel  II,  384,  387.),  Leipziger  Studenten,  die  (ioethe. 
zuerst  etwas  unwillig,  dann  aber  freundlich  genug  empfing : 
Stieglitz  aus  Berlin,  der  wenigstens  von  Zelter  angekündigt  wurde, 
der  aber  vielleicht  nicht  kam,  Avie  andere  von  dem  Genannten 
empfohlene  Berliner  Gedike,  Bach  und  Rungenhagen  die  durch. 
Krankheit  zurückgehalten,  den  Brief  aus  Dresden  übersendeten 
und  nachher  bejammerten  den  Dichter  zu  verfehlen  ' :  der 
französische  Musiker  Chelard ,  Maitre  de  Chapelle  de  S.  M. 
le  Roi  de  Baviere,  der  aus  Weimar  nach  Dornburg  empfohlen, 
von  dort  mit  einem  freundlichen  Schreiben  an  Zelter  nach 
Berlin  gewiesen  wurde,  dann,  nach  seiner  Rückkehr  in  Weimar 
eine  Anstellung  fand. 

Ausser  Besuchen  kamen  Briefe  i)ersönlichen  und  wissen- 
schaftlichen Inhalts,  die  Gelegenheit  zur  Beantwortung  und 
mannigfacher  Anregung  boten,  Briefe,  die  zwar  ausser  denen 
Knebels  und  Zelters  nicht  gedruckt,  durch  Goethe's  Antworten 
—  man  kennt,  vgl.  das  unten  folgende  Verzeichniss,  49  aus 
Dornburg  geschriebene  —  ihrem  wesentlichen  Inhalte  nach 
bekannt  sein  dürften.  Zu  den  Briefen  ersterer  Art  gehört  ein 
im  Namen  der  nun  regierenden  Hoheiten  von  Hrn.  v.  Beulwitz 
gesendeter  Brief  (28.  Juni),  den  Goethe  mit  jener  wahrschein- 


'  G.  u.  Z.  V,  72.  98.  104.  Das.  98:  »Die  am  23.  july  von  Dir 
Hmpfohlcncn«  ist  nicht  richtig.  Ein  Brief  von  diesem  Datum  ist  nicht 
erhalten  und  Zelters  Bricfclien  vom  22.  (a.  a.  O.  S.  74  fg.)  enthält 
keine  Empfehlung  der  Genannten.    Es   niuss  hcissen  2^    |uni  s.  V,  65. 


Goethe  in  Dornburg. 


i^i 


lieh  dtMi  17.  Juli  abgefassten.  später  mehrfach  gedruckten,  merk- 
würdigen Seelen-  und  Zeits<:hilderung  l)eant\v()rtete :  zu  den 
letzteren  ein  Schreiben  aus  dem  Haag  ',  dessen  Inhalt  und  Ab- 
sender aus  dem  bisher  bekannten  Material  nicht  zu  ermitteln  ist. 

Auch  von  Dornburg  aus  besorgte  (loethe  sodann  die  Amts- 
geschäfte .  deren  Erfüllung  ihm  oblag.  Seine  'I'hätigkeit  in 
dieser  Beziehung  kann  freilich,  bei  dem  Mangel  an  akten- 
raässigem  Material.  ni(  ht  erörtert  werden  :  nur  einer  mit  diesem 
Geschäftskreise  einigermassen  in  Verbindung  stehenden  Ange- 
legenheit mag  hier  gedacht  werden.  Es  ist  die  Ordnung  dei 
Briefschaften  der  Herzogin  Amalia,  welche  Kanzler  Müller  im 
Auftrage  Karl  Augusts  besorgte.  Der  Beauftragte  hatte  die 
ersten  Zeugnisse  seiner  Arbeit  an  Goethe  übersandt  und  erhielt 
dieselben  (25.  July)  zurück^  mit  Dank  und  Anerkennung  für 
das  Geleistete  und  folgender  1  Bemerkung:  «Auf  diesem  \\'egc 
werden  sonderbare  Dokumente  gerettet:  nicht  in  politischer, 
sondern  menschlicher  Hinsicht  unschätzbar,  weil  man  sich  nur 
aus  diesen  Pai)ieren  die  damaligen  Zustände  wird  vergegen- 
wärtigen können,  wie  auf  hohem  Standort  ein  reines  Wohl- 
wollen .  gebührende  Anerkennung,  ernstliche  Studien  und 
heiterste  Mittheiluni/  in  einem  Kreise  sich  bethätitren,  der  schon 
demjenigen,  der  es  mil  erlel)t  liat.  mythologisch  zu  erscheinen 
anfängt«. 

Schon  seit  Jahren  aber  hatte  die  amiliche  Thätigkeit  nur 
einen  geringen  l'heil  des  Tagewerks  ausgemacht  ;  sie  war  mehr 
und  mehr  durch  die  wissenschaftliihe  Arbeit  verdrängt  worden. 
Diese  musste  nun,  zumal  bei  der  Entfernung  vom  Sitze  der 
Behörden,  immer  mehr  in  den   Vordergrund  treten. 

Goethe  hatte,  bevor  er  den  furchtbaren  Schicksalsschlag 
erfuhr,  eine  französische  Bearbeitung  der  »Metamorphose  der 
Pflanzen«  mit  Soret  verabredet,  der  er,  auch  von  Dornburg 
aus,  fördernde  Theilnahme  und  fleissige  Mitarbeit  zuwendete. 
Zu  diesem  Behufe  besonders  nahm  er  das  grosse  Werk  A.  P. 
de  Candolles:  Organographie  vegetale,  2  Bände,  Paris  1827 
durch,  übersetzte  einen  Theil  desselben  sur  la  Symmetrie  des 
plantes  nebst  einigen  anderen  Fragmenten,  schrieb  «wenige 
Noten  zu  Verständniss  und  Ausgleichung  kleiner  Differenzen, 
welche  eigentlich  nur  aus  der  Vershiedenheit  beider  Sprachen 
entspringen«,  und  entwarf  einen  Plan  zu  der  neuen  Ausgabe 
seines  Werkes,  den  er  am  3.  Aug.  an  Soret  übersandte.   Auch 


'  Vgl.  Briefe  au  Soret  S.  52. 
*  Gedenkbuch  S.  8;. 


324  Neue  Mittheilungen. 


ein  anderes  eben  damals  in  zweiter  Auflage  erschienenes  Buch 
brachte  ihm  für  seine  Arbeit  Nutzen,  das  »System  der  Botanik« 
von  F.  S.  Voigt  (Jena  1827)  und  wurde  in  der  französischen 
Bearbeitung  mehrfach  angeführt  '. 

So  erregte  die  Botanik,  die  »aUe  wohlfundirte  Liebschaft«, 
wie  er  einmal  an  Zelter  schreibt,  ihn  aufs  Neue :  dazu  kamen 
als  äussere  Anlässe  Sorets  Lust  sich  alsUebersetzer  zu  bethätigen. 
der  beständige  Aufenthalt  in  der  Natur,  in  blühenden  (iärten. 
endlich  auch  eine  gewisse  Opposition  gegen  die  deutsche 
Wissenschaft,  welche  ihm  »der  seit  50  Jahren  leidenschaftlich 
den  Naturbetrachtungen  ergeben«,  keine  neue  Gabe  anbiete, 
und  ihn  veranlasse  zu  sehen,  »wie  das  Summa  Summarum  im 
Auslande  fruchtet«  ^. 

Das  vielseitige  Interesse  für  Naturwissenschaft  gestattete 
indessen  keine  Beschränkung  auf  die  Botanik,  vielmehr  reihten 
sich  den  genannten  Studien  manche  andere  an.  Der  Botanik 
am  nächsten  lagen  die  in  Folge  der  günstigen  Aussichten  auf 
ein  gutes  Weinjahr  auch  praktisch  nicht  unwichtigen  Betrach- 
tungen über  ^^'einkultur.  die  sich  an  eine  Schrift  von  Kccht 
anschlössen  -\  Goethe  verglich  die  Lehren  dieses  Buchs  mit 
den  anerkannten  Grundsätzen  der  Pflanzenphysiologie,  führte 
sie  darauf  zurück ,  fand  sie  auch  hier  probat  und  empfahl 
besonders  seinem  (J<YO?,%ne^Qn  Alfred Nico/oviiis,^  der  sich  schon 
damals  in  Bonn  befand,  ihm  etwa  neu  erschienene  Schriften 
über  diesen  Gegenstand  zuzuschicken.  »Uebrigens  wünsche«, 
schloss  er  heiter,  »dass  Du  Dich  bei  der  bevorstehenden  Wein- 
lese mit  erfahrenen  Männern  hierüber  besprächest,  welches 
jedem  Christen  erspriesslich  sein  kann,  da  in  den  Evangelien 
des  edlen  Weinstocks  und  der  damit  bepflanzten  schönen 
Berge  öfters  in  allen  Ehren  Erwähnung  geschieht.  ]3u  weisst 
ja,  wie  der  Exegese  die  Naturanschauung  kräftig  zu  Hülfe 
kommt«. 

Auf  die  Pflanzen-  folgten  Steinstudien.  Das  Interesse 
für  diese,  schon  immer  rege,  wurde  neu  belebt  durch  die 
Sendung  eines  Buches  von  Af.  v.  Engclhardt:  »Die  Lagerstätte 
des  Goldes    und    Platin    im    Uralgebirge«,    (Riga    1828)    über 


'  Briete  an  Sorct  S.  33  A.  1.  Andere  Erwähnungen  Voigts, 
Werke,  Hcnipel  XXXIII,  S.  137,  148,  151,  152,  159,  X;uurw.  Corrcsp. 
X'r.   31,  33,   192. 

^  An  Zelter  V,  69,  98. 

'  J.  S.  Kecht,  Verbesserter  praktischer  Weinb;ui.  Nach  dorn  Tode 
des  Verfs.  hgg.  von  S.  W.  Kecht.     Berlin  1827. 

t  An  Nicolovius,  Sepdr.  (G.-J.  I,  S.   397),  S.   16. 


(ioLTllE   IN    DOUNBLRG.  )2) 


weicht'S  Goethe  bald  nach  Empfang  '  also  urtheilt:  »Von  einem 
scharfsichtigen,  einsichtigen,  wohldenkenden  freyen  Manne 
geschrieben,  wodurch  mein  Wunsch  erfüllt  wird,  dass  wir  nun- 
mehr (lebirg  und  (.langart  kennen  lernen,  welche,  dur(  h  Ver- 
witterung, Zerbröckelung,  Auflösung,  zu  Verschattungen  und 
Zuschüttungen  der  allernächsten  'J  häler  und  Schluchten  Veran- 
lassung gegeben.  In  seinen  ganzen  Erklärungen  ist  nicht  das 
mindeste  Gewaltsame,  sondern  man  sieht  die  Natur  wie  sie 
still  wirkt  und  wie   ich  sie  liebe«. 

Auch  Knebel  theilte  (Joethe  seine  Meinung  ii])er  die 
erfreuliche  Schrift  mit  ^  und  meldete  ihm.  wie  er  auch  Soret 
gemeldet  hatte,  dass  jene  erste  Sendung  von  der  nicht  minder 
erfreulichen  zweiten,  nämlich  dem  «prächtig  verguldeten  (lyps- 
modell,  oder  Abguss  von  dem  Stück  gediegenen  Goldes,  welches 
am  Ural  gefunden  worden  ist«,  einem  Geschenk  des  Staatsrath 
Lodcr'^)  begleitet  gewesen  sei.  (irade  diese  Sendung  war 
Cioethe  besonders  erwünscht,  sie  wurde  \on  ihm  dem  (iärtner 
Sckell  gezeigt,  der  sich  zwar  später  des  Gewichts  des  Klumpens 
(etwa  ein  Viertelzentner)  nicht  mehr  erinnert,  aber  die  Worte 
des  Meisters  :  »Sehen  sie.  hier  liabe  i(  h  von  Petersburg  den 
Abdruck  eines  Goldklumjjen  erhalten,  welcher  bis  jetzt  der 
grösste  ist.  den  man  aufgefunden  hat«  überliefert  und  meldet, 
dass  der  Abdruck  die  Form  des  Kojjfes  eines  erwachsenen 
Menschen  hatte. 

Wie  die  Erscheinungen  auf  der  Erde,  so  gaben  die  Himmels- 
Erscheinungen  (loethe  Veranlassung  zu  Betrachtungen  und 
Bemerkungen,  die  während  seines  Dornburger  Aufenthalts  ein- 
tretenden Regengüsse  brachten  ihn  dazu,  barometrische  Ver- 
gleichungen  anzustellen,  von  den  Freunden  Nachrichten  über 
das  \\'etter  in  ihrer  Gegend  zu  verlangen,  Avohl  auch  denen, 
welche  die  Al)sicht .  ihn  zu  besuchen  aussprachen .  einen 
l)estimmten  Barometerstand  anzugeben,  welchen  sie  abwarten 
sollten.  Zelter  aber,  der  auf  Alles  einging,  und  der,  ohne 
allzu\  iel  methodisch  geordnete  Kenntnisse  zu  besitzen,  den 
.Mangel  an  Wissen  durch  seinen  graden  klaren  Verstand,  durch 
die  T.ust,  dem  verehrten  Freunde  in  Allem  zu  folgen  und  seine 
hingebende  T.iel)e  ersetzte,  die  ihm  manche  Schwierigkeiten 
besiegen    half,  wünschte   etwas    von    den    Untersui  hungen    zu 


'  An  Sorct,   15.  Aug.,  Briete  .S.  60. 

•--   18.  Aug.     Knebel  II,   586.     Vgl.  auch  unten  an  Müller. 

'  Sollte  dessen  Brief,  Moskau,  9.  April  1828  (Naturwiss.  Corr.  I, 
307 — 511)  wirklich  erst  im  Aug.  in  Dornburg  cingetrofi'cn  sein,  oder 
kam  die  Sendun»;  ohne  Brief? 


326  NüUE   MiTTlIEILUNGEN. 


nützen  und  schrieb  :  »Um  endlich  noch  einmal  auf  die  wüste 
Witterung  zu  kommen:  Lass  mich  doch  einsehn  wie  Du  die 
Sache  siehst  und  schreibe  etwas  auf,  ich  bin  gewiss  nicht  der 
letzte,  der  Deinen  (iedanken  fasst;  dass  die  Ursache  nicht 
auswendig  zu  suchen  ist,  davon  bin  ich  überzeugt'«.  Durch 
eine  solche  Mahnung  angeregt  entwarf  Goethe  einen  Al)riss 
seiner  Deutung  der  Witterungs-Erscheinungen,  schrieb  ihn  in 
den  ersten  Tagen  des  September  nieder,  ergänzte  ihn  durch 
Aufzeichnungen  über  den  Barometerstand  an  den  folgenden 
Tagen,  schloss  diese  Bemerkungen   mit  dem  Vers : 

Denn  mit  dem  hinunlischen  Küchenzettel 
Isfs  immer  wieder  der  alte  Bettel. 

schickte  aber  das  (janze,  mit  mancherlei  anderen  Zusätzen 
versehen,  erst  von  Weimar  aus  ab  ^. 

Während  er  Zelters  Verlangen  gern  erfüllte,  \erhielt  er 
sich  dem  von  A^ces  von  Esenbcck  ausgesprochenen  gegenüber 
ablehnend.  Dieser  hatte  nämlich  den  Wunsch  zu  erkennen 
gegeben,  eine  wohlwollende  Aeusserung  über  den  verstorbenen 
Bojaniis  zu  erhalten,  ;;eine  Andeutung  dessen,  wass  durch  diese 
nachträgliche  Tafel  [die  Abbildung  des  Urstierskeletts]  ergänzt, 
erläutert  und  besser  vor  Augen  gebracht  wird«,  musste  aber 
auf  einen  derartigen  Aufsatz ,  welchen  er  für  ein  schöneres 
Denkmal  erklärte,  als  die  gelehrteste  latinisirende  Biographie, 
verzichten  und  nach  dreijährigem  Warten  sich  dazu  verstehen, 
einer  von  Prof.  Otto  verfassten  Biographie  des  Verstorbenen 
einige  Worte  voranzuschicken,  in  denen  er  Goethe's  ehrender 
Theilnahme  an  der  letzten  Arbeit  dieses  Anatomen  gedachte  '. 

So  sehr  nun  auch  die  naturwissenschaftlichen  Studien  im 
Vordergrund  standen,  so  blieben  sie  nicht  die  alleinherrschen- 
den. Mittelbar  waren  sie  es  indess,  die  Goethe  auf  ein  anderes 
wenn  auch  benachbartes  Gebiet  riefen.  In  Candolle's  oben- 
erwähntem Werke  nämlich  war  unter  denen,  welche  vor  Goethe 
eine  richtige  naturwissenschaftliche  Beobachtung  angebahnt 
hätten,  Joachim  Jiingius  genannt  worden.  Diese  Nennung 
gab  Anlass  zu  neuen  Studien.  »Den  alten  Joachim  Jungius« 
—    heisst    es    in    einem    Briefe    an    Soret.    Weimar    2.    {uli 


2  - 


50.  Aug.    i<S28,  Briclw.  \',   105. 

5.  Okt.,  a.  a.  O.,   106  —  108,  Zeiter  geht  nur  sehr  wenig  auf  die 
Darlegung  ein:   19.  Okt.,  S.   120. 

5  Naturvv.  Corr.  II,  167,  176.  Briefe  vom  12.  Juli  1828,  23.  Juli  i8u. 
Vgl.  Nennung  des  Bojanus  in  Werke,  Hempel  XXXIV,    174. 


GOETHt  IN   DORNBCRG.  ^2"/ 

»dessen  seltene  Schriften,  auf  die  er  (Candolle)  uns  hinweisst, 
sich  auf  der  Jcnaischen  Bibhothek  glücklicherweise  befinden, 
studier  ich  sehr  ernsthaft,  um  zu  erfahren,  was  ich  mit  diesem 
grauen  Vorgänger  gemein  habe;  bisher  war  er  mir  unljekannt 
geblieben«.  Nun  war  freilich  Jungius  vornemlich  Botaniker. 
Naturforscher  überhaupt  und  auf  die  Werke,  die  er  als  solcher 
geschrieben,  bezieht  sich  die  Darstellung  und  die  fragmen- 
tarischen Notizen,  die  Goethe  ihm  gewidmet  u.  d.  '1'.:  »Leben 
und  Verdienste  des  lOoctor  Joachim  Jungius.  Rektors  zu  Ham- 
burg« (Werke,  Hempel  XXXIV,  S.  208  223),  aber  sie  berührt 
auch  den  Umstand,  dass  Jungius  mit  Vorliebe  Mathematik 
betrieb  und  dass  er  in  seinem  Hauptwerke :  Doxoscopiae 
Physicae  minores,  das  erst  5  Jahre  nach  seinem  Tode  heraus- 
kam, „nach  und  nach  aus  den  Reichen  der  Metaphysik  herab- 
steigend, der  Erfahrungsphysik  sich  nähert  und  zuletzt  bis  zur 
Chemie  und  zur  Harmonie  der  Töne  gelangt"  '.  Eine  solche 
Beobachtung  genügte,  um  Goethe  zum  Weitergehen  zu  bewegen, 
wie  er  denn  niemals  bei  der  Betrachtung  eines  Menschen  mit 
der  Erkenntniss  einer  Seite  seines  Wesens  sich  befriedigt 
erklärte,  sondern  ihn  nach  allen  Seiten  zu  verfolgen,  die 
verschiedensten  Aeusserungen  seines  Geistes  zu  belauschen 
bemüht  war.  Während  er  daher  den  Naturforschern  das  fast 
unbekannte  Wesen  eines  würdigen  Vorgängers  zu  enträthseln 
begann,  fragte  er  Zelter  nach  einem  musikalischen  System, 
»das  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  gegolten  und 
dergestalt  ausgesprochen  gewesen ,  dass  es  ein  Hamburger 
Rector  jener  Zeit  seinen  Schülern  auf  drey  gedruckten  Bogen 
habe  überliefern  können  ?  Ich  bin  so  eben  mit  Betrachtung  über 
jene  bedeutende  Epoche,  der  wir  so  viel  schuldig  sind,  be- 
schäftigt« ,  erhielt  freilich  auf  diese  Anfrage  keine  recht 
genügende  Antwort,  wohl  aber  Bemerkungen  über  den  inneren 
Werth  der  von  jungius  geäusserten  musikalischen  Theorie. 
(Vgl.  G.   u.  Z.  V."83,    135,    139.) 

Neben  die  verschiedenartigen  wissenschaftlichen  Bestre- 
bungen traten  sodann  die  künstlerischen.  In  welcher  Weise 
sie   den    Dichter    beherrschten,    lehren    die    unten    folgenden 


'  Im  Besitze  des  Hrn.  v.  Loepcr  befinden  sich  5  Bibliothcks/cttcl 
der  Jenaer  Universitätsbibliothek  (10.  July  1828)  unterschrieben :  J.  \\'. 
V.  Goethe,  auf  denen  dieser  drei  Werke  des  Jungius:  Logica  Ham- 
burgensis,  1681,  Germania  superior,  168),  Mineralia  1689  verlangt.  Auf 
einen  4.  Zettel  hat  G.  eigenhändig  geschrieben :  »Erbitte  mir  Joachim 
Jungius  Isagoge  phytosopica  (sie.  st.:  phytoscopica)  1678.  Goethe«  und 
wie  Weller  nachschriftlich  bemerkt,  am   13.  Okt.   1828  erhalten. 


328 


Neue  Mittheilungen. 


Briefe:  hervorgehoben  mag  werden  das  Interesse  an  Dorow's 
glücklichen  Funden,  und  die  Aufmerksamkeit,  freilich  auch 
das  Misstrauen,  welches  der  Dichter  der  damals  noch  unge- 
druckten DanteUbersetzung  desPhilalethes  ( Johann's,  damaligen 
Prinzen  von  Sachsen)  entgegenbrachte.  Auch  hier  wurde 
die  Anerkennung  fremder  Thätigkeit  durch  eigenes  Schaffen 
erhöht.  »Auch  mache  ich  hier  wieder  Gedichte«,  sagte  Goethe 
zu  Eckermann  ((bespräche  IL.  S.  5)  bei  einem  von  dessen 
Besuchen,  »die  nicht  schlecht  sind,  und  möchte  überall,  dass 
es  mir  vergönnt  wäre,  in  diesem  Zustande  so  fortzuleben«. 
Zwei  derselben  lassen  sich  aus  brieflichen  Quellen  nachweisen. 
Zunächst  das  schöne  Gedicht :  »Dem  aufgehenden  Vollmonde. 
Dornburg.  August  1828«.  (Werke,  Hempel  III.,  S.  99  fg.)  das. 
theilweise  eine  Fortsetzung  der  alten  traulichen  Beziehungen 
zu  Marianne  von  Willemer,  eine  Erfüllung  des  ehemals  gege- 
benen Versprechens,  beim  Vollmond  an  die  Abwesende  zu 
denken,  theilweise  ein  Ausdruck  der  Betrübniss  über  den 
kürzlich  erlittenen  schweren  Verlust,  alsbald  einigen  Theil- 
nehmern,  auch  an  Zelter  geschickt  wurde,  der  freilich  der 
liittc.  einige  Noten  an  die  beigelegten  Strophen  zu  verwenden, 
um  sie  dadurch  neu  zu  beleben,  nicht  nachkam  \  Ein  ferneres 
Lied,  »Früh,  wenn  Thal,  Gebirg  und  Garten  Nebelschleiern 
sich  enthüllen«  (Werke,  Hempel  III.,  100),  dem  Kreise  der 
Naturbetrachtungen  entstammend,  in  denen  Goethe  sich  damals 
o-ern  bewegte,  gehört  gleichfalls  der  Dornburger  Zeit  an. 
Zwei  andere  Gedichte  entstanden,  nach  Goethe's  eigener  Be- 
merkung (vgl.  oben  S.  317),  während  der  Dornburger  Zeit;  sie 
haben  beide  das  Ciemeinsame,  dass  der  Dichter  sich  zur  Natur 
flüchtet  und,  obwohl  gebeugt  von  schwerem  Verlust,  das 
Vertrauen  und  die  Hoffnung  auf  eine  gedeihliche  Entwic-klung 
der  W  elt  und  des  Menschen  bewahrt  und  ausspricht.  Endlich 
mag  au(  h  diese  Zeit  ziemlich  ungestörter  Einsamkeit  der 
Weiterarbeit  am  Faust  günstig  gewesen  sein.  So  wenigstens 
kann  man  folgende  Stelle  in  einem  Briefe  an  Zelter  (26.  Ji^ili) 
auffassen:  »Dass  ii  h  in  diesen  zwanzig  Tagen,  aus  Unruhe. 
Neigung,  Trieb  und  Langerweile  gar  manches  geleistet  habe, 
wirst  Du  wohl  glauben  :  leider  ist  es  sehr  vielerley,  dergestalt 
dass  es  nicht  leiclit   zur  Erscheinung  kommen  wird«.    Freilicli 


'  Marianne  von  Willcmcr  erhielt  das  (Gedicht  erst  als  Hinhige  zu 
einem  Briefe  25.  Okt.  1828.  (Briefweclisel  herausg.  von  Th.  Creizenach, 
2.  .\ufl.  Stuttg.  1878,  S.  259  i'g.)  Das  Gedicht  ist  daselbst  mit  dem 
Datum  des  25.  Aug.  hezeicimet,  'und  die  Worte  des  bjpglcitenden  Briefes 
weisen  auf  den  dein  Gedicht  zu  Grunde  liegenden  Gedanken  hin. 


GOETHI:    IN    DORNBUKG.  329 


spricht  die  sich  unmittelbar  anschliessende  Bemerkung:  »Meine 
nahe  Hoffnung  Euch  zu  Michael  die  Fortsetzung  von  Faust 
zu  geben,  wird  mir  denn  auch  durch  diese  Ereignisse  ver- 
eitelt«, dagegen,  doth  lässt  sich  ein  weiterer  Passus,  der  von 
dem  ebenangeführten  nur  durch  eine  Stelle  über  die  Auffassung 
des  Faust  durch  das  Publikum  getrennt  wird,  recht  wohl  auf 
eine  grade  damals  wieder  lebendige  Arbeit  an  diesem  \\'erke 
beziehn.  »Der  Anfang  des  zweyten  Acts  ist  gelungen:  wir 
wollen  dies  ganz  bescheiden  aussprechen,  weil  wir  ihn.  wenn 
er  nicht  da  stünde,  nicht  machen  würden.  Es  kommt  nun 
darauf  an,  den  ersten  Act  zu  schliessen,  der  bis  aufs  letzte 
Detail  erfunden  ist,  und  ohne  dieses  Unheil  auch  schon  im 
behaglichen  Reinen  ausgeführt  stände«.  Ob  freilich  diese 
Worte  grade  auf  die  Wochen  des  Dornburger  Aufenthaltes 
zu  beziehen  sind,  steht  dahin;  v.  Loeper  (Faust,  zweite 
Bearbeitung  II..  S.  XXXI.  Anm.  ''*)  gibt  an,  dass  die  Aus- 
führung der  ersten  beiden  Scenen  in  Fausts  ehemaligem  Zimmer 
und  in  \\'agners  Laboratorium  in  den  Sommer  1828  und  in 
die  erste  Hälfte  des  J.  1829  fällt;  eine  bestimmtere  Datirung 
lässt  sich  wohl  einstweilen  nicht  geben  '. 

Die  letzten  Lebensjahre  (ioethe's  sind  trotz  der  Staunens-, 
werthen  Frische  und  der  rastlosen  Thätigkeit  des  Greises, 
weniger  eine  Zeit  reicher  Productivität,  als,  wie  es  in  der 
Natur  dieses  letzten  Lebensabschnitts  liegt .  eine  Periode 
emsigen  Sammeins,  Sichtens  und  Ordnens.  Erst  vor  Kurzem 
ist  man  durch  den  von  Kuno  Fischer  veröffentlichten  Brief- 
wechsel zwischen  Goethe  und  Göttling  belehrt  worden,  in 
welcher  ^^'eise  grade  das  Jahr  1828  und  die  unmittelbar 
\orhergehenden  der  Herstellung.  Ordnung  und  endgiltigen 
Feststellung  der  »Ausgabe  letzter  Hand«  gewidmet  war.  Aber 
Göttling,  der  eifrige,  wenn  auch  nicht  immer  glückliche  Mit- 
arbeiter an  dieser  Ausgabe,  war  Mitte  Februar  1828  nach 
Italien  gereist  und  hatte  durch  seine  Abreise  das  glücklich 
angefangene  \\'erk  ins  Stocken  gebracht.  Die  Zwischenzeit 
zwischen  Göttlings  Abreise  und  Rückkehr  —  das  erste  ^\'ieder- 
anknüpfen  ist  vom  25.  Oktober  -  wurde  zum  Ausdrucken 
des  in  gemeinsamer  Arbeit  festgestellten  Textes  benutzt^. 
Doch    ist    es   mehr  als  Avahrscheinlich.  dass  Goethe,   um  dem 


■  Die  W'citcrarbcit  an  der  Neugestaltung  der  W'anderjahre  dagegen, 
die  ursprünglich  dem  Sommer  1828  vorbehalten  war,  unterblieb  nach 
Eckermanns  bestimmtem  Zeugniss  (Gespräche  IL,  S.  7  fg.)  während 
der  Dornburger  Periode. 

""  Vgl.  Brief  an  Reicliel    ',.  .\u£?. 


330  Neue  Mittueilungen. 


Heimkehrenden  sogleich  Stoff  zu  erneuter  Thätigkeit  über- 
reichen zu  können ,  manche  Bände,  vorbereitet  habe.  Aus 
diesem  Stillstand  der  damals  wichtigsten  Verhandlungen  zwischen 
Dornburg  und  Augsburg  oder  Stuttgart  erklärt  sich  auch,  dass 
der  (xoethe-C'otta'sche  Briefwechsel  jener  Tage  nur  zwei  Num- 
mern mehr  privater  als  geschäftlicher  Natur  aufweist ;  einer 
dieser  Briefe  ist  wegen  seines  freundschaftlich-herzlichen  Tones 
besonders  bemerkenswerth,  bei  dessen  Anhören  Cotta  jenes 
Schreiben  vom  13.  Dez.  1827  vergessen  mochte,  das  ihn, 
und  mit  Recht,  so  empfindlich  berührt  hatte  \  Denn  auch 
das  zweite  grosse  Verlagsunternehmen,  das  ausser  der  neuen 
Ausgabe  der  Werke  zwischen  Buchhändler  und  Schriftsteller 
vereinbart  war,  der  Schiller-Goethe"sche  Briefwechsel  nämlich, 
war  im  Wesentlichen  beendet  und  die  letzten  Dispositionen 
wurden  bei  der  einige  Monate  später  statthabenden  Anwesen- 
heit Cotta's  in  Weimar  getroffen^. 

So  war  die  Dornburger  Zeit  durch  literarische  Beschäf- 
tigungen mannigfachster  Art  ausgefüllt :  der  Greis,  obgleich 
durch  den  Verlust  seines  in  langjähriger  Gemeinschaft  bewährten 
fürstlichen  Freundes  tief  erschüttert,  fuhr  fort,  sein  geistiges 
Vermächtniss  in  gute  Ordnung  zu  bringen,  in  welcher  es  der 
Nation  überliefert  werden  sollte  und  dem  reichen  Schatze, 
den  er  bereits  aufgehäuft  hatte,  neue  Kostbarkeiten  hinzu- 
zufügen. Denn  er  erkannte,  dass  es  für  den  Lebendigen 
stets  gelte,  sein  Tagewerk  fortzusetzen,  niemals  aber  ange- 
bracht sei,  sich  eigenmächtig  und  eigenwillig  von  der  Bühne 
zurückzuziehn,  auf  der  ihm  nun  einmal  der  Schauplatz  bestimmt 
war,  und  wie  er  z.  B.  im  Einzelnen  darauf  drang,  dass  man. 
wie  in  den  früheren  Jahren,  so  auch  nun  die  Ausstellung  in 
Weimar  am  3.  Sei)t,  eröffne,  so  hielt  er  im  Allgemeinen  an 
dem  Grundsatz  fest,  »dass  jeder  Treugesinnte  vorerst  nur 
daran  denkt  in  den  Wegen  fortzuwandeln  che  der  Abgeschiedene 
bezeichnet  und  eingeleitet  hat:  dadurch  wird  denn  auch  wohl 
das  allenfalls  sich  Abändernde  erträglich  seyn  und  in  einigen 
Functen  vielleicht  Beyfall  verdienen«.  (An  Zelter,  27.  july 
V.,  S.    78.) 

Die  Thätigkeit,  als  eine  ununterbrochene  Aeusserung  klar 
erkannter  Pflicht,  sollte  nicht  aufhören,  aber  die  Freude  musste 
schwinden.  Demgemäss  schrieb  Goethe,  da  er  nicht  wissen 
konnte,  ob    nicht    irgend    ein  Unberufener  die  Festlichkeiten 


'  Briefw.  /.w.  Schiller  u.  Cotta,  S.  581  ^584. 
-  A.  a.  O.  S.   586  fg.  28.  Okt.   1828. 


CiOKTHE    IN    DORNBURG.  33^ 


erneuern  wollte,  mit  denen  man  während  der  letzten  Jahre 
in  Weimar  und  an  anderen  Orten  seinen  Geburtstag  zu  ehren 
i^ewohnt  war:  »jede  Spur  von  Feyerlichkeit,  dem  28  Aug. 
zugedacht,   habe  verbeten   und  verboten«.   (An  Zelter,  26.  Aug. 

V,  :^.   99-) 

Oeffentliclie  Festlichkeiten  in  Dornburg  unterblieben  daher 
vollkommen:  die  Weimarer  Freunde  Hessen  sich  indessen  das 
Festmahl  ni(  ht  nehmen,  auf  das  sie  nun  einmal  ein  Anrecht 
zu  haben  glaubten,  und  auch  an  jenem  ländlichen  Ort  sollte 
und  konnte  die  stille  Art,  durch  welche  Freunde  und  Verehrer 
dem  Greise  ihre  Huldigung  darbrachten,  nicht  gehindert  werden. 
Der  grossherzogliche  Gartenknecht  und  die  (nirtenarbeiter 
wanden  ihm,  wie  Sckell  erzählt,  »zum  28.  August  einen  Kranz 
und  hingen  denselben,  mit  einer  komischen  Inschrift  versehen, 
über  der  Eingangsthür  auf.  Goethe  bemerkte  den  Kranz  bemi 
Heraustreten  freudig  erregt  und  lachte  über  die  Inschrift.  Ich 
niusste  die  Leute  zu  ihm  bescheiden.  Es  erschien  nur  der 
Gartenknecht.  Goethe  dankte  für  die  ihm  bezeigte  Aufmerk- 
samkeit aufs  Freundlichste,  schenkte  ihm  einen  Ducaten  und 
behändigte  ihm  für  die  übrigen  Arbeiter  eine  Summe  (Feldes, 
deren  Höhe  ich  nicht  erfahren  habe«. 

Ein  zweite  Freude  wurde  ihm  durch  einen  l'.net  des 
(;iessener  Professors  F.  A.  v.  Ritgen  zu  Theil .  der  ein  mit 
seinem  Lehrer  Wilbraud  zusammen  gearbeitetes  Werk:  »Ge- 
mälde der  organischen  Natur«  Goethe  zueignete  und  dies  nebst 
einer  andern  kleinern  Arbeit  zum  Geburtstage  übersandte,  mit 
einem  Schreiben,  in  welchem  er  von  dem  grossartigen  FLinthiss 
der  »Metamorphose  der  Pflanzen«  auch  auf  seine  eigene  natur- 
wissensc:haftliche  Richtung  sprach  und  die  zweite  Scdirift  mit 
den  sc-hönen  Worten  empfahl :  »Auch  diese  Arbeit  gehört 
Ihnen,  wie  das  Rächlein  seinem  Quell;  allein  so  oft  ich  das 
längst  gebundene  Heftchen  zur  Hand  nahm,  schien  es  mir 
gar  zu  geringe  und  so  allein  ,  ohne  Begleitung,  nicht  des 
würdigenden  ^Blicks  des  Meisters  werth.  Was  ich  ihm  bei- 
geben wollte,  reifte  spät  und  erst  jetzt  kann  ich  es  freudig 
hinzulegen :  und  so  sende  ich  das  Beste,  was  ich  habe.  Nehmen 
Sie  es  freundlich  hin!«      (18.  Aug.  Naturw.  Gorr.   II.   200).^ 

Ein  drittes  überaus  sinniges  Gesc:henk  ferner  war  die  Uhr 
aus  dem  Vaterhause,  welche  durch  den  Grossherzog  Georg 
Friedrich  von  Meckknluirg-Strelitz  dem  Dichter  geschenkt  und, 
wenn  auch  nicht  in  Dornburg,  so  doch  in  Weimar  am  Geburts- 
tagsmorgen aufgestellt  wurde.  Es  war  eine  schöne  Erinnerung 
an  die  Jugendtage,  zugleich  eine  ahnungsvolle  Mahnung  an  die 
rasch  dahineilende  Gegenwart,  an  das  Wirken  für  die  Zukunft. 


)}- 


NeCL    MlTTHHILUNGUN. 


Zum  Geburtstag  traf  sodann  auch  eine  Sammlung  des 
eifrigen  Raths  Grüner  ein.  des  fleissigen  Mineralogen,  mit  dem 
C]oethe  in  Eger  gern  \erkehrte  und  dem  er  auch  von  der 
Ferne  aus  manch  freundliches  Wort  zusendete.  Dieser  hatte 
aus  Weimar  zwei  Bronze-Medaillen  erhalten,  deren  eine  das 
Brustbild  des  Grossherzogs,  deren  andere  das  Bild  Goethe's 
trug,  auf  der  Rückseite  einen  aufsteigenden  Adler  mit  einem 
Lorbeerkranz  und  er  glaubte,  dem  verehrten  Freunde  sich 
gefällig  zu  erweisen,  wenn  er  diese  Medaillen  durch  Eisen- 
abgUsse  des  Horczowitzer  Eisenwerks,  das  sich  gerade  durch 
derartige  Arbeiten  auszeichnete,  auch  in  Böhmen  verbreitete. 
Diese  Abgüsse,  welche  von  dem  Direktor  des  genannten 
Eisenwerks  für  Juli  1827  versprochen  waren,  wurden  erst  im 
Sommer  1828  geliefert  und  am  20.  August  nach  Dornburg 
gesandt.  Cioethe  dankte  (3.  Sept.),  lobte  den  gutgerathenen 
Guss  und  bemerkte  dazu :  »Das  Bildniss  unseres  trefflichen 
Fürsten  war  mir  um  so  erwünschter,  als  er  uns  leider  vor 
Kurzem  verliess,  uns  in  die  grössten  Schmerzen  versetzte  und 
eine  unbeschreibliche  Leere  in  den  Herzen  seiner  treuen 
Diener  zurückliess.  Sie  kannten  ihn  selbst,  er  zeichnete  Sie 
aus  und  Sie  sind  wie  wir  von  diesem  Falle  schwer  betroffen«  '. 

Knüpfte  Grüners  Geschenk  an  die  unmittelbare  Vergangen- 
heit an,  so  erinnerte  eine  Gabe  Abekcns  an  die  schönen  mit 
Schiller  verbrachten  Zeiten.  Abeken  sandte  nämlich  Auszüge 
aus  den  Tagebüchern  seiner  Gattin,  der  Cousine  von  Schillers 
Frau,  Christiane  von  Wurmb,  worin  diese  »Tischreden«  des 
\erewigten  Dichters  verzeichnet  hatte  ^.  Goethe  war  über 
dieselben  sehr  erfreut:  er  meinte:  »Sie  hat  alles  sehr  hübsch 
aufgefasst  und  treu  wiedergegeben,  und  das  liest  sich  nun 
naf  h  so  langer  Zeit  gar  gut,  indem  man  dadurch  unmittelbar 
in  einen  Zustand  versetzt  wird,  der  mit  tausend  andern 
bedeutenden  vorübergegangen  ist,  in  diesem  Falle  aber  glück- 
licherweise in  seiner  Lebendigkeit  auf  dem  Papiere  gefesselt 
worden«. 

Neben  der  Freude  fehlte  auch  der  Schmerz  nicht.  \'iel- 
leicht  noch  am  28.  August,  jedenfalls  unmittelbar  darauf  musste 
der  Greis  vernehmen,  dass  F.  A.  Jlo/Jf.  der  treffliche  Schau- 
spieler, »mein  treuester  Scliiiler,  derwolil  zu  seinen  und  meinen 


'  Briclwcchsc!  zwischen  Cioctlie  und  Rath  Cirüncr.  l.cipz.  1855, 
S.  256—258. 

^  Sie  sind  später  vielfach  i;edruckt  .  zuerst  in  »Schillers  Lebenu 
von  Caroline  von  vVol/.ogen  1850:  j.  Aufl.  1876  S.  524—556.  Ckiethe's 
.\eusserung  bei  Hckermann   II,  S.  8. 


Goethe  In  Dornburg.  333 


Ehren  sein  Daseyn  verlängert  sehen  soUteu.  wie  Ooethe  kurz 
vorher  an  den  Kanzler  Mllller  geschriel)en  hatte,  in  Weimar. 
\  on  wo  er  ausgegangen  und  wohin  er  »vom  Kampf  ermattet« 
zurückgekehrt  war,  sein  Leben  beschlossen  hatte.  Auf  seinem 
Sarge  lag  auch  eine  von  l^lumen  gewundene  Lyra,  die  (loethe 
\on   Dornburg  aus  gesandt,  mit   der   Insclirift : 

Mögt  zur  Gruft  ihn  senken. 
Doch  nicht  starb, 
Wer  solch'  .\ngedenken 
Sich   erwarb. 

Bei  der  Beerdigung  hielt  der  Si-hauspieler  Oels  eine  Rede, 
aus  der  ich  mir  nicht  versagen  kann  einen  Passus,  der  sich 
auf  den  eben  angedeuteten  Brief  bezieht,  mitzutheilen :  »Ach. 
dass  die  goldenen  Worte  liebevollster  Achtung  und  Theilnahme, 
die  Goethe  aus  seinem  einsamen  Asyl  ihm  no<-h  zuletzt  durch 
Freundes  Mund  zurufen  Hess,  nicht  mehr  von  dem  Scheiden- 
den vernommen  werden  konnten !  —  Doch  vielleicht  hätten 
sie  seinen  Abschied ,  gerade  am  Lebenstage  des  erhabeneii 
Meisters  —  als  sollte  sein  Andenken  noch  fester  an  das 
Herrlichste ,  was  wir  besitzen,  geknüpft  werden  -  nur  er- 
schwert, indem  sie  den  Werth  seines  eigenen  Lebens  noch 
erhöhen  mussten.  Möge  der  ewige  Baumeister  der  Welten 
dem  Meister  die  Tage  zulegen ,  die  dem  treuen  würdigen 
Schüler  versagt  waren« '. 

Nur  wenige  Tage  nach  dem  (Jeburtstage  traf  ein  junger 
Dresdener  Schriftsteller  Kraiikling  ein,  der  dem  Meister  schon 
lange  verehrungsvoll  zugethan  und  auch  von  ihm  nicht  unbe- 
achtet geblieben,  sich  zur  Feier  des  28.  August,  der  auch  sein 
(jeburtstag  war.  von  Dresden  nach  "Weimar  aufgemacht  hatte. 
Er  sprach  sodann  in  Dornburg  ein  —  am  i.  Sept.  reiste  er 
von  dort  wieder  ab  —  und  wurde  von  Goethe  in  sehr  liebens- 
würdiger Weise  empfangen  und  durch  Gespräche  unterhalten, 
aus  denen  besonders  des  Alten  unverwüstliches  Literesse  am 
Neuen  und  stets  frisches  Mitleben  mit  der  Jugend  hervorzu- 
heben ist  ^. 

Die  Dornburger  Tage  neigten  ihrem  Ende  zu.  Nur 
ein  schwerer  Tag  war  noch   zu  überstehn  :  der  3.   Sei)tember. 


Brie! 


'  M.  Martersteig:  P.  .\.   Wolrt",  Leipzig   1879,  S.   lySti". 
^  Vgl.  V.  Biedermann:  Goethe  und  Dresden,  S.  65—67.  154,  unten 
ief  vom  i.    Sept.     .\nm.  und  C.  Wendeler,  Brief\V.  Meusebachs  mit 


Jak.  u.  Wilh.  Grimm.   Heilhronn   1880,  S.  X\'II— XX. 


334  Neue  Mittheilungen. 


des  Herzogs  Cieburtstag.  Man  war  gewohnt  diesen  Tag  nicht 
nur  mit  rausclienden  Festen  zu  begehen,  in  denen  die  Treue 
der  Unterthanen  und  die  Liebe  der  Freunde  sich  dokumentirte, 
sondern  durch  eine  Huldigung  sinniger  Art :  durch  die  Eröff- 
nung der  KunstaussteUung  der  von  dem  Herzog  errichteten 
Zeichenschule.  Goethe  drang  darauf,  dass  gerade  diesmal  der 
Termin  festgehalten  würde;  ein  Abweichen  von  der  Gewohn- 
heit dünkte  ihm  eine  Impietät;  ein  Beharren  bei  derselben 
schien  ihm  die  Gewähr  zu  bieten,  dass  man  das  von  Jenem 
Gestiftete  und  Angeregte  bewahren  und  in  seinem  Sinne  fort- 
setzen wollte.  Nun  aber  sollte  der  3.  Sept.  auch  der  Tag 
eines  ernstern  Festes  werden,  der  dem  Andenken  des  Herzogs 
bestimmten  Logenfeier  nämlich,  durch  welche  nicht  die  Unter- 
thanen den  Verlust  des  Herrschers,  sondern  die  Brüder  den 
Heimgang  des  Bruders,  die  Freunde  das  Scheiden  des  Freundes 
beklagen  wollten.  Einer  so  edlen  Trauerfestlichkeit  konnte 
und  wollte  sich  Goethe  nicht  entziehen,  und  wenn  er  auch, 
freiwillig  in  seine  Einsamkeit  gebannt,  nicht  für  diesen  Tag 
aus  derselben  herauszutreten  gedachte,  so  verfolgte  er  doch 
mit  herzlicher  Antheilnahme  die  Bemühungen  seiner  Genossen. 
Hess  sich  durch  den  treugesinnten  Kanzler  <'.  Jj^/Z/rr  von  den- 
selben unterrichten  und  ertheilte,  um  seine  dem  Verstorbenen 
so  oft  bewiesene  Freundschaft  neu  zu  bethätigen,  gern  seinen 
Rath  über  die  getroffenen  Veranstaltungen.  Das  Fest  fand 
dann  wirklich  statt,  eine  würdige  Erinnerungsfeier,  bei  welcher 
man  in  echt  menschlicher  Weise  nicht  blos  die  Erinnerung 
an  den  Fürsten,  sondern  auch  an  zwei  andere  Heimgegangene 
Mitglieder  Meiscl  und  v.  Einsiedet  beging;  die  der  Festschrift ' 
vorangeschickte  Einleitung  gedachte  ausserdem  des  Verlustes, 
den  die  Gesellschaft  durch  den  Tod  des  Schauspielers  Wolff 
und  des  Arztes  Huschke  erlitten  hatte.  Die  künstlerische 
Ausschmückung  des  Saals  war  von  dem  Baumeister  Coiidray. 
dem  geschickten  Anordner  derartiger  Feste  nicht  ohne  Beirath 
(Joethe's  besorgt  worden;  der  Baumeister  selbst  hatte,  ebenso 
wie  Goethe's  Sohn  August,  mannigfache  Obliegenheiten  bei 
dem  Feste  zu  besorgen,  der  Letztere  z.  B.  die  von  Ackermann 
verfasste  Schilderung  des  Lebensganges  des  verewigten  Meisel 
vorzutragen ;  aus  Goethe's  »des  Aelteren«  Gedichten  war  am 
Schluss  der  ebengenannten  Rede  ein  Vers  angeführt  worden 
und  ein  THeil  der  zum  Jubelfeste  Karl  Augusts  gedichteten 
(.'antäte:   »Lasst  fahren  hin  das  Allzuflüchtige«  bildet  den  Ein- 


Freymaurer-Analekten  4.  Heft.    Weimar  dritten  September  1828. 


Goethe  fN  Dornburg.  335 


leitungsgesang  /u  der  meisterhaften,  sprachlich  und  inlialtUch 
vollendeten  Rede,  in  weh  her  Kanzler  Müller  die  Verdienste  des 
verstorbenen  Herzogs  feierte  und  sein  (Jediichtniss  erneuerte. 

(ioethe  hatte  erfahren,  dass  der  neue(irossherzogam  14.  Sept. 
wieder  in  Weimar  eintreffen  werde,  dass  unmittelbar  darauf 
die  Huldigungs-Feierlichkeiten  stattfinden  sollten;  er  hielt  es 
für  unpassend,  länger  als  der  Herrscher  die  Zeit  der  Einsam- 
keit und  7Airückgezogenheit  auszudehnen,  erachtete  es  vielmehr 
für  seine  Pflicht,  den  Grossherzog  in  Weimar  zu  empfangen. 
Am   II.  Sept.   1828'  fuhr  er  von  Dornburg  ab. 

Der  Schmerz  war  gemildert,  wenn  auch  nicht  geschwun- 
den. Die  ZAu-ückgebliebenen,  die  fürstliche  Wittwe  I-uise  und 
das  neue  grossherzogliche  Paar  traten  dem  Dichter  mit  herz- 
licher Verehrung  und  aufmerksamer  Freundschaft  entgegen 
und  gestalteten,  soweit  es  an  ihnen  lag,  seine  letzten  Lebens- 
jahre zu  einer  friedlich-glückseligen  Zeit.  Aber  auch  an  ihren 
Palast  klopfte  noch  einmal  der  Tod  und  bereitete  dem  Dichter 
neue  Schmerzen,  öfter,  als  ihm  lieb  war,  sah  er  seinen  Grund- 
satz bewahrheitet :  »Lange  leben  heisst  viele  überleben«  und 
bis  an  sein  eigenes  Lebensende  hatte  er  sich  den  Spruch  zu- 
zurufen .  welcher  ihn  auch  in  der  Dornburger  Zeit  aufrecht 
erhalten   hatte:   »Lieber  Gräber  vorwärts«. 


I. 

(An  Kan:iler  Müller}       Schloss  Donibiirg,  u.  Juli  1S2S.) 

(iaudeat  ingrediens  laetetur  et  aede  recedens 
His  qui  praetereunt  det  bona  cuncta  Deus   i6o8. 

So  lautet  die  Inschrift  über  dem  Eingang  des  Schlöss- 
chens, dessen  Zimmer  nach  Süden  ich  bewohne;  die  Thür- 


'  So  nach   dem  Briet"  an  Müller   vom   22.   Sept.  und  dem     Tage- 
buch. Freilich  widerspriclit  diesem   Goethe'schen    Zeugniss  ein  anderes 
die   eigenliändige    Insciirift  nämlich,  welche  sich  am  Rahmen  des  einen 
Fensters    im    Goethezimmer    zu    Dornburg    findet   und    welche  lautet: 
»1828   vom  7.  Juli  bis  12.  Sept.  weilte  hier  Goethec 

^    Dieser    und    die  folgenden  Briefe  Goethe's  an  Müller  befinden 
sich   in  Kanzler  Müllers  Archiv    und   sind  von  mir,    durch  gütis;e  Ver- 


336  Neue  Mittheilungen. 


iiiewändc,  das  Sinischcn  iiiui  (jicbclchcn  sind  im  Geschmack 
jener  Zeit  architectoniscli  und  plastisch  errichtet  und  viel- 
tach  ver/iert.  Und  so  wollen  wir  denn  den  alten  Besitzer 
loben,  dass  er  sich  geilen  alle  Herannahende  für  ewige 
Zeiten  Ireundlich  und  wohlwollend  erweisen  mochte;  deute 
man  immer  auf  das  Glück  hin,  das  Unheil  kommt  unge- 
rufen.  H.  Gn.  habe  den  aufrichtigsten  Dank  /u  sagen  für 
die  mitgetheilten  Nachrichten  der  so  würdig  vollendeten 
Trauerteier ',  nicht  weniger  für  die  höchst  willkommenen, 
obgleich  vorherzusehenden  Aeusserungen  unserer  Höchsten 
Erwarteten. 

Der  Aufenthalt  hier  auf  der  Höhe  ist  höchst  erquicklich  ; 
die  Anlage  der  Terrassen  kann  man  labyrinthisch  nennen, 
auch  mache  ich  dieser  Tage  her  immer  neue  Entdeckungen. 

Da  ich  soweit  bin,  besucht  mich  der  gute  Töpfer^  und 
bringt  mir  umständUche  erfreuliche  Nachrichten  von  der 
wäirdigen  Bestattung  des  edlen  Geschiedenen  und  von  dem 
Wohlbefinden  der  guten  Zurückgelassenen.  Nun  bedenke 
ich  vor  allen  Dingen  was  ich  allenfalls  mit  dieser  Gelegen- 
heit bringen  kann  und  sehe  vorerst  das  Exemplar  von 
Kunst  und  Alterthum,  welches,  froh  begonnen,  Ihnen  den 
heitersten  Beitrag  verdankt  und  nunmehr  traurig  abge- 
schlossen wird. 


niittlung  des  Oberarchivar  Dr.  Burkhardt  in  Weimar,  daselbst  eingeselieii 
worden.  Sie  stehen  auf  Q.uart-  oder  FoHobogen ,  deren  erste  Seite 
Trauerrand  hat,  (nur  der  letzte  Briet  vom  i.  Sept.  hat  keinen)  abwechselnd 
2,  3,  ;  Seiten  beschrieben,  sämmtlich  dictirt,  nur  Namensunterschrift 
und  häufig  einige  Worte  vor  derselben  eigenhändig.  Sowohl  diese 
Briefe  als  alle  die  übrigen,  welche,  der  Dornburger  Zeit  angehörend, 
hier  folgen,  habe  ich  zunächst  in  Abschriften  aus  Dr.  Uhde's  Nachlass, 
durch  gütige  Vermittlung  von  Frau  Dr.  Uhde  benutzt,  dieselben  aber, 
soweit  es  mir  möglich  war,  mit  den  Originalen  collationirt. 

■  Der  feierlichen  Beisetzung  Karl  Augusts  9.  Juli. 

-  Landesdirektionsrath  in  Weimar  vgl.  oben  S.  320. 


Goethe  in  Dornburg.  337 


Dankbar  verpflichtet  mit  angelegentlicher  Bitte  mich 
manchmal  durch  Nachricht  von  erwünschten  Vori'allen  zu 
erfreuen  )\V  v  Goethe 

Nachschrittlich  bitte  baldmöglichst  um  einige  Exemplare 
des  schönen  biographischen  Aufsat/es',  den  Sie  unsrem 
X'erewigten  gewidmet  haben.  An  Zelter'  bitte' von  Weimar 
aus  einige  Exemplare  zu  senden.  Grüssen  sie  unsere  gute 
Julie ^^  schönstens;  leider  weis  ich  zu  ihrer  Beruhigung 
nichts  zu  sagen.  Sie  erfährt  nun ,  wie  es  einem  armen 
Autor  zu  Muthe  ist,  der  sich  unzulänglich  übersetzt    sieht. 

2. 

fA}i  Heinrich  Meyer.  '  //.  /////'  /<V2<V.J 

Schon  einige  Tage  daher  wälzt  sich's  mir  in  Sinn  und 
(jedanken,  irgend  ein  Wort  an  Sie  gelangen  zu  lassen,  nun 
kommt  mir  der  gute  Ilofgärtner  Skel  '  grade  recht,  der 
sich  anbietet,  ein  Blättchen  an  Sie  mitzunehmen.  Es  geht 
Ihnen,  wie  er  mir  sagt,  auf  Ihrer  Berghöhe  ganz  wohl, 
mir  auch  auf  der  meinigen.  Hier  ist  es  ausserordentlich 
schön,  die  Lage  selbst  ist  einzig,  auch  die  grosse  Abwechse- 


'  »Zum  ruhmwürdigen  Gediichtniss  S.  K.  H.  Kar!  Augusts,  Gross- 
herzogs  von  Sachsen-Weimar«,  zuerst  gedrucktJenaerLiteraturzeitungi828, 
dann  separat.    Von  dieser  Rede  wird  unten  noch  melirtach  gesproclien. 

-  Zelter  schreibt  22.  Juh  (Zelter  V.,  75):  «Herr  Kanzler  v.  Müller 
hat  mir  seine  Schrift  zum  Hhrengedächtnisse  des  Grossherzogs  von 
Weimar  K.  A.  gesandt;  das  inliegende  Blatt  enthält  meinen  Dank 
dalür  und  Du  thust  mir  wohl  die  Liebe  es  überschreiben  und  an  ihn 
gelangen  zu  lassen  «. 

5  Julie  von  Egloffstein  (12.  Sept.  1792  bis  16.  Jan.  1869),  die 
wegen  ihrer  künstlerischen  Talente  in  den  »Annalen«  mehrfach  gepriesene. 
Worauf  der  letzte  Satz  geht,  vermag  ich  nicht  zu  sageii;  sollte  er  auf 
den  Tod  des  Grossherzogs  zu  beziehen  sein? 

*  Qiiartbogen  mit  schwarzem  Rand.  Dictirt;  nur:  )>treuliclist  und 
Unterschrift«  eigenhändig. 

>  Er  selbst  schrieb  sich  Sckell,  s.  oben  S.  5 17.  Das  Original  dieses  Briefs 
und  der  folgenden  an  Meyer  gerichteten  auf  der  Grossherz.  Bibl.  in  Weimar. 
Goethe-Jahrbuch  II.  22 


338  Neue  Mittheilungen. 


lung,  welche  Tageszeit  und  Witterung  bringen,  weder  zu 
zählen,  noch  zu  beschreiben.  Ich  war  seit  meinem  hiesigen 
Aufenthalt  fleissig  genug  und  habe  Manches  zu  Stande 
gebracht,  was  ohne  eine  absolute  Einsamkeit  nicht  möghch 
gewesen  wäre,  ich  hofte  sie  noch  eine  Zeit  lang  fortzusetzen 
und  sage  überhaupt  nächstens  über  unsere  Zustände  etwas 
Weiteres. 

Vor  allem  ist  die  Rückkunft  unserer  Herrschaften  abzu- 
warten ;  doch  möcht'  ich  vorläufig  wissen,  ob  Sie  Anstalten 
zu  einem  nahen  Aufenthalt  in  Belvedere  bemerken.  Mögen 
Sie  Sonnabends  bei  Zeiten  irgend  ein  Blättchen  oder  was 
es  wäre,  in  mein  Haus  geben,  so  erhielt'  ich  es  mit  einem 
rückkehrenden  Boten. 

Lassen  Sie  Gegenwärtiges  als  einen  gesegneten  Anfi\ng 
erneuter  Mittheilungen  freundlich  gelten 

Schloss  Dornburg  treulichst 

den   17  Juli  Goethe. 

1828 

3- 

(An  Frau  v.  Pogwisch.  '  iS.  Juli  1S2S.) 

Ew.  Gnaden 
Die  Geschichte  der  Neugriechen  ^  zurücksendend  darf 
zugleich    versichern   dass    nicht    leicht    ein   vorzüglicheres 
Werk  der  Art  geschrieben  sey. 


'  Von  Vollmer  aus  Freiligraths  Nachlass  an  Uhdc  mitgetheüt. 
Die  Adressatin  ist  Henriette  von  Pogwisch,  geb.  Gräfin  Henckel  von 
Donnersmarck,  Hofdame  der  Grossherzogin  Luise,  Mutter  von  Goethe's 
Schwiegertochter,  gest.  15.  Juni  185 1.  Diese  und  mehrere  der  folgenden 
Anmerkungen  sind  einem  Briefe  R.  Köhlers  an  Uhde  (13.  Dez.  1876) 
entnommen.  Biographic  der  Frau  von  Pogwisch  in:  »Neuer  Nekrolog 
der  Deutschen«.     29.  Jahrg.    I.  Theil,  Weimar  1853,  S.  471--481. 

^  Histoire  moderne  de  la  Grecc  depuis  la  chute  de  l'Empire  d'Orient. 
l'ar   J.   Rizo  Xcroulos.     Geneve    1828.     Von    desselben   Rizo   Xeroulo 


Goethe  in  üoknburg.  331^ 

Für  Grossherzogl.  Bibliothek  würde  zur  Hälfte  nehmen 

La  Jacquoric,  sccncs  fcodalcs,  suivies  de  la  Familie  de 

Carvajal,  Dranic.     Par  raiiteur  du  theätrc  de  Clara  Gaxul.  ' 

Ingleichen : 

Histoire   generale    des    proverbes,   adages,   sentences, 

apophtegmes ,    derives    des  moeurs,    des  usages  de  l'esprit 

et  de  la  murale  des  peuples  anciens  et  modernes;   accom- 

pagnee    de    remarques,   d'anecdotes  etc.  etc.    par  M.  C.  de 

Mer}-.     Tom  I.     3  fl.  45  kr.  ' 

Sollte  Letzteres  für    die    Gesellschaft  '    nicht    geeignet 

getunden  werden,  so  würde  bitten,  solches  für  meine  eigene 

Rechnuns;  zu  bestellen. 


Cours  de  littcraturc  grccquc  moderne,  Geneve  1827  hat  Goethe  in 
Kunst  und  Alterthum  VI,  2,  329  eine  Anzeige  geschrieben,  über  welche 
sich  Zeher  besonders  freute,  so  dass  G.  in  den  an  ihn  gerichteten 
Briefen  mehrfach  auf  diesen  Gegenstand  zurückkommt  (z.  ß.  V,  S.  95). 

'  Paris  1828.  Verf  ist  bekannthch  Prosper  Merimee.  G's  Unheil 
über  denselben  7..  B.  ^\'erke,  Hempel  29,  S.  703  ff. 

^  Paris  1828.  Beide  Bücher  befinden  sich  auf  der  Grossherzoglichen 
Bibliothek  in  Weimar. 

'  Die  von  Frau  v.  Pogwisch  geleitete  französische  Lesegesellschaft. 
Von  den  gelesenen  Büchern  kaufte  die  Bibliothek  die  ihr  convenirenden 
zur  Hälfte  des  Ladenpreises.  Ueber  das  Verhältniss  der  Bibliothek  zur 
Gesellschaft  existirt  in  der  erstem  ein  bis  1848  reichendes  Aktenfascikel. 
Dasselbe  beginnt  mit  folgendem  Schreiben  Goethe's  (nur  Unterschrift 
eigenhändig)  an  Riemer:  »Da  ich  von  Seiten  Grossherz.  Bibliothek  zu 
der  Frau  v.  Pogwisch  französischer  Lesegesellschaft  bevgetreten  bin, 
so  wird  Hn.  Prof.  Riemer  bcyliegendes  Verzeichniss  mitgetheilt,  ob 
etwa  derselbige  von  gemeldeten  Büchern  einiges  zu  lesen,  oder  sonstige 
Kenntniss  davon  zu  nehmen  wünschte;  da  denn  ein  Empfangschein 
an  Frau  von  Pogwisch  durch  Römhild  [den  damaligen  Bibliotheksdiener] 
zu  senden  und  die  Wiedererstattung  des  Werkes  ebenmässig  zu  besorgen 
seyn  würde. 

Weimar  den  13  Nov.  1828  JW  v  Goethe. 

In  dem  beiliegenden  Verzeichniss  kommen  von  den  obengenannten 
Werken  La  Jacquerie  und  Rizo's  Histoire  vor. 

22* 


5ij.o  \eue  MrniiniLUNGEN. 


Meine  hiesige  Einsamkeit  thut  mir  sehr  wohl,  ich  kann 
arbeiten  und  bringe  etwas  vor  mich,  das  ist  jetzt  das  Einzige, 
wie  sich  für  mich  Zerstreuung  und  Trost  hnden  lässt. 

1-indet  sich  Gelegenlieit,  mich  Ihro  K.  H.  der  Frau 
Grossherzogin  zu  empfehlen  so  haben  Sie  die  Geneigtheit 
es  nicin  zu  versäiunen. 

Mir  fortdauerndes  wohlwollendes    Andenken  erbittend 

Schloss  Dornburg  gehorsamst 

den   i8  July  Goethe. 

1828 

4- 

(J,!  Müller.  iS.  Juli  1S2S.) 

E.  Hochwohlgeb.  haben  mir  eine  dauernde  breude 
bereitet  durch  den  gründliclien  Anthei!  an  dem  letzten 
Hefte  Kunst  und  Alterthum,  Es  hat  mehr  Mühe  gekostet 
als  andere  und  zwar  wegen  des  mannigfachen  Zudrangs; 
ich  hätte  leichter  ein  zweytes  Stück  gefüllt,  als  so  Viel- 
faches für  dieses  zu  verkürzen'.  Wohlthätig  ist  es  daher, 
wenn  sich  eine  solch  treugemeinte  Thätigkeit  auch  gegen 
die  eigentlichen  Leser  wirksam  erweist. 

Den  übersendeten  Aufsatz "  habe  nocii  nicht  wieder 
gelesen;  die  Iireignisse  so  vieler  Jahre  mir  wieder  hervor- 
zurufen will  ich  einen  ganz  ruhigen  Augenblick  abwarten. 
Indessen  habe  ein  Exemplar  dem  deshalb  sehr  dankbaren 
Kreise  der  hiesigen  Honoratioren  eingehändigt. 


'  Kunst  und  Altcrtluini  Bd.  \'I,  Heft  2.  s.  Zelter  22.  Juli  \\ 
S.  72.  Auch  an  Z.  (und.n.,  Juni  1828,  V,  S.  51)  hatte  G.  gcsclirioben  : 
»Zu  dem  letzten  Bogen  von  Kunst  und  Alterthum  niussto  ich  kleinere 
Schrift  nehmen,  soviel  schiebt  sich  zuletzt  noch  über  einander  c 

^  Müllers  Aufsatz  über  den  Grossherzog  K.  .\ug.  vgl.  oben 
S.  557  \.  I.  Der  .Aufsatz  gehört  entschieden  zu  den  Dokumenten 
jener  Zeit,  welche  einen  Neudruck  verdienen. 


GohTHt   IN    DORNHLRC.  34 1 


Beyliegend  erhalten  Sie  ein  Sclireiben  an  Hn.  von  Beiil- 
witz';  CS  ist  eine  l{r\videruni^  eines  Briefes,  den  er  mir 
unter  dem  28.  Juni  d.  j.  von  Pawlowsk  in  Auftrat;  unserer 
gnädiL;sten  Herrschaften  schrieb,  der  mich  in  den  traurigsten 
Augenbhcken  höchhch  erquickte.  1:.  Hochwohlgeb.  aul- 
merksam  auf  ahe  Schritte  unserer  Rückkehrenden,  werden 
o;e\viss  den  schickHchsten  Augenblick  hnden  das  Schreiben 
in  seine  Hände  gelangen  zu  lassen. 

Die  lateinische  einladende  Inschrift '  hatte  ich  mir  nach 
meiner  Art  einstweilen  folgendermassen  übersetzt : 

Freudig  trete  herein  und  froh  entferne  dich  wieder! 
Ziehst  Du  als  Wandrer  vorbe\-,  segne  die  Piade  Dir  Gott  ! 

Diese  wenigen  Zeilen  haben  einen  ganz  eigenen  Ein- 
fluss  auf  meinen  hiesigen  Einfluss '  gehabt;  es  ergiebt  sich 
hierbey  ein  gar  hübsches  Beyspiel,  wie  vernünftig  wohl- 
wollende Worte  auf  Jahrhunderte  hinaus  wirken.  Es  fasst 
sie  immer  wohl  einer  wieder  auf  um  sie  entweder  direct 
oder  symbolisch  sich  dieselben  sinnig  anzueignen. 

Die  Abgabe  des  Lessmannischen  Romans^  ist  bestellt 
und  wird,  hoff  ich  nächstens  bewirkt  werden. 

Gegenwärtiges  wird  durch  den  Wagen  Sonnabend  früh 
hineingebracht,   welcher   Sonntags    in    aller    Frühe    wieder 


'  Vgl.   oben  S.   522  ig. 

^  Auf  der  Thür  des  Dornburger  Schlosses.  Vgl.  oben  S.  35). 
Die  Stelle:  »die  lateinische  —  anzueignen«  ist  im  Gedenkbuch  S.  82 
als  Stück  des  Briefes  vom  11.  Juli  gedruckt. 

5  So  im  Original,  jedenfalls  muss  es  heissen  :  Zustand. 

•♦  Wahrscheinlich:  Louise  v.  Halling.  In  Briefen  aus  Südspanien 
von  Daniel  Lessmann.  2  Theile,  Berlin,  Verlagsbuchhandlung.  1827. 
Es  handelt  sich  wohl  um  Circulation  des  Buches  in  der  Lesegesell- 
schaft. —  Eine  Aeusserung  G.'s  über  diesen  talentvollen  aber  seltsamen 
Schriftsteller  ist  mir  nicht  bekannt. 


342  Neue  Mittheilungen. 


/Lirückfälirt.     Dagegen    könnte    immer    etwas   Vorräthigcs 
gefällig  zugesendet  werden. 

Damit  nun  aber  das  Paket  geschlossen  werden  könne, 
endige  hier  und  wiederhole  meine  Bitte  mich  nicht  lange 
ohne  Mittheilung  zu  lassen. 

Gehorsamst ' 

JWv  Goethe. 

5- 

(A)i  Meyer.'  i.  Aiii^iist  1S2S.J 

Den  Gebrauch,  den  Sie,  mein  Theuerster,  von  meinem 
Briefe  zu  bewussten  Z\vecken  '  machen  wollen ,  ist  ganz 
meinen  Wünschen  gemäss  und  ich  erwarte  nun  das  Beste 
davon. 

Was  die  Ausstellung  "♦  betrifft ,  so  wünsch  ich,  dass 
solche  am  3  Septbr.  geschehe;  allerdings  würden  Sie  deshalb 
höchsten  Ortes  Anzeige  und  Anfrage  zu  thun  haben.  Yon 
meiner  Seite  würde  es  eine  Impietät  scheinen,  wenn  ich 
nicht  darauf  antrüge ;  wie  so  vieles  andere  sind  wir  dem 
Hingeschiedenen  auch  diese  Anstalt  schuldig  und  es  würde 
sich  nicht  gut  ausnehmen,  wenn  wir  nach  so  wenigen 
Wochen  die  ersten  wären,  die  eine  fromm-thätige  Erinne- 
rung an  ihn  beseitigten.  Sind  wir  über  diese  Epoche  hinaus, 
so  zeigt  sich  was  für  die  Folge   schicklich  gefunden  wird. 

Bringen  Sie  dieses  in  guter  Stunde  bescheidentlich  zur 
Sprache,  so  können  wir  alsdann  unser  Benehmen  einrichten. 


'  Von  hier  an  eigenhändig. 

^  Oktavbögelchen  mit  schwarzem  Rand.     Dictirt. 
'  Nicht  bekannt. 

»  Die  Kunstausstellung  in  Weimar,  die  jährlich  am  3.  Sept.  erötVnet 
wurde. 


Goethe  in  Dornburg.  343 


Ich  gratulire  zum  gewonnenen  Abschnitt  '  wie  xur 
Lust  einen  neuen  anzulangen,  ich  hisse  es  auch  an  allerlei 
Thätigkeit  nicht  fehlen  und  muss  wohl,  um  diese  langen 
einsamen  Tage  einigermassen  auszutüUen. 

Die  besten  Wünsche  hinzufügend 

Dornburg  d.   i   Aug  treulichst^ 

1828  Goethe. 


(J)i  Faktor  Reiche!  in  Augsburg.'  }.  August  1S28.) 

Ew.  Wohlgeb. 

rechnen  es  dem  traurigsten  Hreigniss  zu  welches  uns 
in  den  letzten  Tagen  befiel,  dass  ich  nicht  früher  anzeigte, 
wie  alles  Angemeldete  und  Erwartete  seiner  Zeit  glücklich 
angekommen.  Wie  ich  denn  auch  nicht  zweifle,  der  Druck 
beider  Ausgaben  ^  werde  seinen  eingeleiteten  Gang  tort- 
schreiten, daher  ich  mir  denn  gelegentlich  die  Aushänge- 
bogen erbitte. 

Ferner  bemerke  ich,  dass  ich  in  diesen  Tagen  ein  Paket 
an  Dieselben  absende,  nach  Mayland  an  die  Herausgeber 
der  Zeitschritt  L'Eco  ^  bestimmt.    Da  von  Ihnen  aus  öfters 


'  Gemeint  jedenfalls  ein  Abschnitt  in  Meyers:  Geschichte  der 
l\unst  der  Griechen,  von  welcher  die  beiden  ersten  Bände  Dresden 
1824, 25  erschienen  waren.  Der  dritte,  an  dem  er  damals  arbeitete, 
wurde  erst  nach  seinem  Tode  veröffentlicht. 

^  Von  hier  an  eigenhändig. 

5  Faktor  der  Gotta'schen  Druckerei.  —  Dieser  wie  der  Briet'  an 
Gotta,  unten  Xr.  17  nach  einer  von  Hr.  Dr.  W.  Vollmer  für  Ulule 
angefertigten  .\bschrilt. 

■*  Taschen-  und  Oktavausgabe  der  Werke  letzter  Hand. 

>  L'Eco,  Giornale  di  Scienze,  Lettere,  Arti,  Commerzio  e  Teatri. 
Zwei  kleine  Aufsätze  über  diese  Zeitschrift,  Werke,  Hempel  29,  660 
und  661.  Daselbst  noch  einige  Stellen  aus  den  Briefen.  Herausgeber 
der  Zeitschrift  war  Lampato.  Unter  den  Mailändern  sind  aber  wohl 
ausser  ihm  auch  Manzoni  und  die  Familie  Mvlius  zu  verstehen. 


344  Neuü  Mittheilungen. 


Sendungen  dorthin  abgehen  so  bitte  gedachtes  Paket  bey- 
zufügen  und  wie  es  geschehen  gefälHg  anzuzeigen.  Die 
Mayländer  Freunde  sind  von  dem  Abgang  unterrichtet. 

Der  ich  mit  den  besten  Wünschen  abschliesse  und  micli 
zu  geneigtem  Andenken  empfehle 

Schloss  Dornburg  ergebenst' 

den  3  Aug.  1828^  J  \V  v  Goethe 

Noch  bemerke  dass  unter  dem  weissen  Papier  worauf 
die  Signatur  steht  die  Addresse  nach  Mayiand  befindhch 
ist,  weshalb  denn  jenes  wegzunehmen  und  das  Weitere  zu 
besorgen  bitte. 

7- 

(An  Meyer  \  6.  Auf^iisi  1S2S). 

Da  sich  eben  eine  Gelegenheit  darbietet,  so  will  ich 
mit  Wenigem  auf  das  freundlichste  ersuchen :  Sie  möchten 
wie  es  sich  thun  lässt  für  die  neulich  mitgetheilte  gnädigst 
erfreulichste  Resolution  '^  den  verpflichtesten  Dank  abstatten. 

Ich  erinnere  mich  nicht,  ob  ich  schon  gemeldet,  dass 
ich  durch  thätige  Theilnahme  unseres  wackern  Soret,  wieder 
in  die  Botanik  gerathen  bin,  und  nun  trilft  es  sich,  dass 
ich  in  diesem  Kreise  seit  einigen  Tagen  an  jenen  V^or- 
schlägen  zu  Verbesserung  des  Weinbaues  Beschäftigung 
finde,  die  ein  kluger  Berliner  vor  wenigen  Jahren  zur 
Sprache  gebracht  hat.     Es   ist    unendlich   angenehm,  wenn 


'  Dies  und  Unterschrift  eigenhändig. 

^  Cotta  hat  dazu  geschrieben:  8.  9.  Aug.,  wol  das  Datum  des 
Empfangs  von  Brief  und  Packet. 

5  duartblatt  mit  Trauerrand,  die  zwei  ersten  Seiten  beschrieben, 
dictirt. 

4  Vgl.  oben  S.  516,  die  Resolution  betr.  den  Aufenthalt  G's  in 
den  nächsten  Wochen.  Nur  der  folgende  Abschnitt  »Ich  erinnere  — 
behaltene  ist  bei  Riemer  S.  131,  132  gedruckt. 


Goethe  in  DousBURci.  345 


die  richtigen  Ansichten,  die  ein  gescheiter  Mann  aus  dem 
unbefangenen  Betrachten  der  Natur  sich  erwarb,  auch  vor 
einer  höheren  Instanz  Recht   behalten. 

Auch  in  diesen  Gegenden  wird  natürhch  die  Angelegen- 
heit hin  und  wieder  besprochen  und  da  unsre  gnädigsten 
Herrschaften  hieran  so  wie  an  ander//  (kiten  gewiss  Antheil 
nehmen,  so  giebt  dies  wohl  in  der  Folge  Gelegenheit  zu 
Unterhaltungen  so  nützlich  als  angenehm.  Einen  Aufsatz 
habe  ich  schon  zu  dictiren  angefimgen. 

Soviel  tür  diesmal  mit  den  besten  Grüssen.  Sie  sehen 
aus  Vorstehendem  dass  ich  torttahre  durch  Fleiss,  \vobe^■ 
es  auch  an  Zerstreuung  nicht  fehlt,  mich  auf  die  rechten 
Wege  zu  leiten,  die  mich  denn  hoffentlich  dahin  führen 
werden,  wohin  ich  eigentlich  gehöre. 

treu  '  angehörig 

Goethe 

8. 

(An  Müller.  7.  August  iiS28.) 

Dieses  gegenwärtige  Blatt  kann  ich  mit  dem  angenehmen 
Zeugniss  beginnen,  dass  der  Lebenslauf  unseres  verewigten 
Fürsten  -  den  Sie  an  einem  so  zarten  Faden  rasch  durch- 
geführt haben ,  an  allen  Orten  und  Enden  den  grössten 
Beyfall  hndet.  Sie  haben  dasselbe  zwar  schon  oft  genug 
und  unmittelbar  vernommen  aber  auch  davon  mittelbar 
benachrichtigt  zu  werden  ist  bedeutend  indem  auf  diesem 
Wege  die  reinste  Wahrheit  erklingt!  Möge  Ihnen  alles 
Unternommene  so  wohl  und  irlücklich  ü^elintjen. 


'  Von  hier  an  eigenhändig-.  Aul  der  vierten  Seite  Adr. :  Des 
Herrn  '  Hofrath  Mever  j  Woiilgeb.  nach  I  Belvedere.  ' :  Durch  Gelegen- 
heit.    Schwarzes  Siegel  erhalten. 

*  S.  oben  S.   340.  Anni.  2. 


346  N'eUI:   MiTTlllilLUXGEN. 


Ich  fahre  fort '  wie  diese  Wochen  her  durch  Fleiss 
und  Zerstreuung  ein  schmerzHch  bewegtes  Innere  zu  be- 
schwichtigen; Nach-  und  Wiederklänge  bleiben  nicht  aussen 
und  so  muss  man  sich  hinzuhalten  suchen;  denn  wer  massto 
sich  wohl  an,  einem  solchen  Ereigniss,  wie  es  besonders 
mich  betrifft,  gewachsen  zu  sevn;  am  wenigsten  bedarf  es 
hier  für  den  Verfasser  jener  edlen  Denkschrift  einer  weiteren 
Ausführung. 

Da  ich  durch  die  freundliche  Theilnahme  unseres  guten 
Sorcl  wieder  ganz  in  die  Botanik  gekommen  bin,  thut  sich 
hier  für  mich  der  eigene  Fall  auf,  dass  bei  einer  reichlich 
zu  hoffenden  Weinerndte  eine  neue  Methode  zur  Sprache 
kommt,  die  ein  Berliner,  Namens  Kcchl,  vor  einigen  Jahren, 
in  Anregung  gebracht  hat.  Alle  ^  Weinbauer  von  einiger- 
massen  höherer  Cultur  sind  aufmerksam  darauf,  und  ich 
habe  sofort  das  von  jenem  verfasste  Büchlein  und  zwar 
die  4.  nach  seinem  Ableben  erfolgte  Auflage  studirt  und 
mit  dem  vielfach  mich  umgebenden  Wachsthum  der  Stöcke, 
Reben  und  Ranken  vergleichen  können. 

Mein  Erstes  muste  seyn,  jene  aus  der '  Erfahrung 
geschöpften  Ansichten  auf  die  anerkannten  Grundsätze  der 
Pflanzenphysiologie  zurückzuführen,  wo  sich  denn,  nach 
genauer  Einsicht,  sein  Vortrag  durchaus  bewahrheitet  und 
seine  Naturansichten  recht  eigentlich  begründen,  indem  wir 
die  höheren  Ursachen  der  Erscheinungen,  die  er  vorführt, 
auszusprechen  befugt  sind. 


'  «Ich  fahre  fort  —  ausspricht«  (S.  347  Z.  16)  ist  im  »Gedenkbuch« 
S.  84.  85  als  grösster  Theil  eines  Briefes  vom  25.  Juli  abgedruckt 
dem  ein  anderer  Anfang  vorangestellt  und  ein  Satz  aus  dem  Briet 
vom  16.  Aug.  als  Schluss  angefügt  ist. 

^  Die  Stelle  ».\lle  —  können«  ist  in  dem  eben  angeführten  Druck 
ausgelassen. 

5  Vor  Erfahrung  »  ersten  «  ausgestrichen. 


Goethe  in  Dornburg.  347 


Dies  sev  also  eine  Weile  genug,  dass  wir  das  Reclite 

und  Xüt/lichc  wissen;  inwiefern  es  eingreitt  wird  die  Zeit 
lehren.  Sehr  viel  thun  hie/.u  gewiss  die  von  gebildeten 
iMännern  gestifteten  Vereine,  wo  durch  \'ersuche  die  Grund- 
sätze erprobt  und  durch  Denken  auf  verschiedene  Weise 
die  Anwendung  möglich  geniacht  wird.  Ich  denke  eine 
Darstellung  nach  meiner  Weise  zu  versuchen  und  dadurch 
der  guten  Sache  förderlich  /u  sevn,  dass  ich  sie  zugleich 
einfacher  und  ausführlicher  behandle.  Wir  '  wollen  sehen 
was  gelingt.  Der  Antheil  unserer  gnädigsten  Herrschaften 
an  solchen  Auiklärungen  und  Verbesserungen  wird  Alles 
zum  schönsten  und  schnellsten  fördern. 

Des  theuren  Grafen  RciuJiardt  Briefe  ist  wie  alles  was 
von  seiner  Hand  kommt  wahrhaft  stärkend,  da  sich  überall 
ein  gefasster,  umsichtiger,  theilnehmender  und  immer 
gleicher  Mann  ausspricht. 

Auf  die  Uebersetzung  des  Dante  Bezügliches  wäre  ich 
im  Augenblick  verlegen  etwas  auszusprechen ;  man  hat  den 
grossen  Fehler  begangen  dass  man  die  Noten  unmittelbar 
untern  Texte  setzte.  Kaum  Hess  man  sich  in  jene  düstre 
trübe  furchtbare  Stimmung,  in  jenes  Nächtliche  Gräuliche 
wider  Willen  hineinziehn,  so  reissen  uns  die  Noten  wieder 
ans  Tageslicht  historisch-politisch,  critisch-ästhetischer  Auf'- 
klärung  und  zerstören  jene  mächtigen  Eindrücke  ganz  und 
gar.  Es  klingt  wunderUch!  Aber  ich  habe  diese  zehn 
Gesänge  zweymal  gelesen  und  bin  nicht  zum  Wiederanschauen 
des  Gedichtes  gelangt,  das  mir  sonst  schon  so  bekannt  ist; 
immer  schieben  sich  meiner  Einbildungskraft  die  Noten 
unter.  Die  Händel  der  Guelfen  und  Gibellinen  in  ihrer  leidigen 
Wirklichkeit  verderben  mir  den  Spass,  bösartige  Menschen 


'  Die  Stelle  »Wir  —  fördern«  ist  in  dem  genannten  Druck  ausgelassen. 

-  An  Müller  aus  Cronberg,  50.  Juli,  gedruckt  im  Gedenkbuch  zur 

4.  Jubelfeier  der  Erfindung  der  Buchdruckerkunst,  Frankf.  a.  M.  1840,  S.  85. 


34^  Neue  Mittheilunüen. 


so  recht  aus  dem  Grunde  gepeinigt  zu  sehn.  Sagen  Sie 
Kiemanden  nichts  hiervon.  Die  Uebersetzung  könnte  mir 
ganz  angenehm  se\n,  auch  lässt  sich  zu  guter  Stunde 
darüber  was  Freundliches  sagen  und  jener  Naevus  nur 
beyher  bemerkt  werden,  der  alsdann  bev  weiterer  Fortsetzung 
vermieden  und  zuletzt,  bei  Herausgabe  des  Ganzen,  woran 
es  doch  auch  nicht  fehlen  wird ',  völlig  beseitigt  werden.  - 
Verzeihung  dem  Vorstehenden ;  es  ist  so  in  in  die  Lutt 
gesprochen ,   von  einer  schnellen  Feder  aufgefasst  worden. 

treu  •'  izemeint 


(Jii  Meyer.'*  lo.  Jiii^nsl  1S2S.) 

Die  wilden  Wetter,  die  uns  hier  an  der  Ecke  gewalt- 
sam bestürmen,  thun  mir  nicht  viel  zu  Leide,  denn  indem 
sie  mich  hindern,  die  lieben  Terrassen  zu  besuchen,  so 
nöthigen  sie  mich  hineinwärts,  wo  mannigfache  Geschäfte 
zu  besorgen  und  über  Manches  hinauszuschreiten  ist. 
Eigentlich  aber  betrüben  mich  diese  Sturmregen,  da  sie 
von    Ihnen    zu   uns    herüberkommen    und    unsre    theuern 


'  König  Joliann  sagt  in  der  Vorrede  zur  ersten  öfientlichen  Aus- 
gabe der  ')Hüllc«  ('1839):  »Die  erste  Ausgabe  des  auf  diese  Weise  zu 
Tage  gekommenen  Inferno  hatte  ich  blos  zur  \'ertlieilung  an  einige 
Bekannte  veranstalten  lassen.  Da  dieselbe  jedoch  nicht  ganz  ohne 
Beifall  blieb,  so  wage  ich  es  nunmehr  diese  zweite  Auflage  dem  grösseren 
Publikum  zu  übergeben«.  Natürlich  hat  G.  jene  «erste  Ausgabe«  (vgl. 
Falckenstein,  König  Johann.  Ein  Characterbild,  Dresden  1879,  S.  72) 
vor  sich  gehabt.  —  Etwa  2  Jahre  vorher  (Sept.  1826)  hatte  G.  Ge- 
legenheit gehabt ,  sich  über  eine  andre  Danteübersetzung ,  die  von 
K.  Streckfuss  auszusprechen,  s.  Werke,  Hempel  29,  S.  609—612. 

^  So  im  Original ;  zu  ergänzen  ist :  »kann«  oder  ein  ähnliclies  ^\'ort. 

i  \o\\  hier  an  eigenhändig. 

'  duartbogen  mit  schwarzem  Rand:   ",  Seiten  beschrieben;  dictirt. 


GOETHU   IN    DORNBLRG.  349 


Fürsten  wohl  nicht  den  heitersten  Empfanc:  in  Bclvedcre 
möchten  genossen  haben. 

Doch  dies  wechseh  in  L;ei,'cn\vartiiicr  jahrs/.eit  von 
Stund  XU  Stunde;  und  so  erleuciitet  die  Sonne  nach  einem 
solchen  allgemeinen  heftigen  Abwaschen  auf  eine  ganz 
eigene  Weise  die  Gegend.  Ich  kann  Sie  versichern,  dass 
das  Grün  der  Wiesen  blendend  ist,  wie  ich  es  nie  gesehen 
habe,  so  dass  man  die  Augen  abwenden  muss,  wie  denn 
auch  alles  Grüne  der  gegenüberliegenden  Berge  frisch  und 
leuchtend  erscheint. 

Mein  Aufenthalt  wird  mir  von  Tag  zu  Tage  heilsamer 
und  lieber;  gar  mannigtaltige  Thätigkeit  wird  fortgesetzt, 
andere  knüpft  sich  neuerlichst  an,  so  dass  es  mir  selbst 
komisch  vorkommt,  mit  welcher  Leidenschaft  ich  das  zur 
Sprache  gebrachte  IVciiibauiieschäft  seit  acht  Tagen  '  erg'reife. 
Das  Herrliche  hat  aber  die  Natur  wie  man  auf  sie  losgeht, 
dass  sie  immer  wahrer  wird,  sich  immer  mehr  entfaltet, 
immer  neu  erscheint,  ob  sie  gleich  die  alte,  immer  tiefer, 
ob  sie  gleich  immer  dieselbe  bleibt. 

Hin  Büchlein,  das  ich  sende,  wird  Sie  gewiss  interessiren. 
Freund  Dorozi' '  manifestirt  sein  Talent  auf  einem  höheren 


'  Durch  die  Schritt  von  Kcclit  vgl.  oben  S.   324,  A.   3. 

^  F.  \V.  Dorow  (1790  1846)  seit  1820  Direktor  der  Verwaltung 
tür  Alterthuniskunde  in  den  rlieinisch-vvestphälischen  Provinzen  und 
Begründer  des  Bonner  Museums,  niaciite  1827  eine  Reise  nach  Italien, 
wo  er  bedeutende  Ausgrabungen  und  Entdeckungen  im  alten  Etrurien 
veranlasste  und  eine  grosse  Sammlung  etrurischer  Alterthümer  für  das 
Berliner  Museum  erwarb.  Das  »Büchlein«  ist  entweder  Dorows  Voyage 
archeologique  dans  l'anciennc  lütruric,  ins  Französische  übersetzt  von 
Egries  (Paris  1829)  oder,  was  wahrscheinlicher,  eine  handschriftliche 
Aufzeichnung  über  das,  was  D.  in  diesem  Buche  niederzulegen  gedachte. 
Denn  das  Buch  muss  Goethe  weit  später  zugekommen  sein,  da  er  erst 
am  9.  Nov.  1829  für  die  Zusendung  dankte.  Dorow  hat  diesen  Briel 
nebst  einigen  anderen  in  seinen  »Denkschriften  und  Briefen«,  Berlin 
uS^o    IV,    S.    175    mitgetheilt:    vorher   S.    163    ff.   erzahlt   er    von    der 


3)0  Nl-Li;   MlTTHF.lLUNGHN. 


Schauplätze.  Im  Auffinden  und  Aneignen  hat  er  sich  am 
Rheine  wacker  geübt ;  dies  scheint  er  nun  in  Itahen  fort- 
zusetzen. Er  schreibt  mir,  dass  er  zweihundert  gemake ' 
\'ascn  mit  den  wichtigsten,  bis  jetzt  noch  nie  gesehnen 
mythologischen  Darstellungen,  reich  und  voll  mit  Inschriften 
versehen,  etc.!!  anzuschaffen  das  Glück  gehabt  habe.  Was 
uns  dabey  zugute  kommt,  ist,  dass  er  eben  so  sehr  nach 
öffentHchen  Ehren  als  nach  Besitz  strebt ,  dass  er  vieles 
eilig  herausgeben  wird,  da  ihm  besonders  die  Litographie 
zu  statten  kommt.  vSein  Text  wird  manche  historische 
Xotiz  enthalten  und,  mit  Kritik  gebraucht,  immer  zu 
nützen  seyn,  so  viel  lässt  sich  voraussehen.  Die  Dar- 
stellungen der  Tafeln,  welche  mitkommen,  scheinen  mir 
neu,  nach  manchen  Seiten  hinweisend  und  bedeutend.  Sie 
werden  den  Werth  derselben  beurtheilen,  als  ein  Wissender 
\'om  Anfang  her  bis  aufs  Neuste.  Ich  kenne  nicht  ein- 
mal Inghirami"  durchaus  und  bin  nur  durch  Dorows  Auf- 
satz w^ieder  in  jene  Regionen  hingezogen  worden. 

Gegenwartiges  wünsche  mit  meinen  Kindern  nach 
Weimar  zu  spediren,  daher  wird  mir  schliesslich  zur  Pflicht, 
Sie,  mein  Werthester  dringend  zu  ersuchen,  mich  höchsten 
Ortes  treu  angelegentlichst  zu  empfehlen,  zugleich  mir 
fortgesetzte  unschätzbare  Huld  und  Gnade  zu  erbitten. 


persönlichen  Bekanntschalt  Goethe's,  die  er  1811,  eingeführt  diiidi 
Briefe  F.  A.  \\'olfs  und  |.  Fr.  Reichardts  machte  und  von  der  höchst 
seltsamen,  kaum  glaublichen  Art  der  Einführung,  deren  er  sich  bediente. 
Die  Briefe  Goethe's,  welche  Dorow  erhielt  und  zum  Abdruck  brachte, 
beziehen  sich  theils  auf  die  von  Letzterm  in  der  Gegend  Wiesbadens 
gemachten  Ausgrabungen,  theils  auf  seinen  einige  Zeit  hindurch  lebhaft 
erfassten,  aber  nicht  zur  .Ausführung  gebrachten  Plan,  Hamanns  Scliriften 
herauszugeben. 

'  Der  Schreiber  sclireibt :  gemalde ! 

^  Fr.  V.  Ingiiirami  (1772 — 1846):  Monumenti  Etruschi  10  Bde.. 
Florenz   1820     27. 


Goethe  in  Dornburg.  351 


Herrn  Hofrath  Soref  danken  Sie  zum  schönsten  für 
seine  bisherigen  und  seinen    letzten  Brief   von   Belvedere '. 

Ich  hotle,  unsere  Angelegenheit  wird  sich  nun  inniier  mehr 
fördern  und  abrunden ;  ich  werde  nächstens  demselben 
noch  manches  Angenehme  und  Gute  deshalb  /.u  vermelden 
baben. 

Nach  Allem  und  vor  Allem  würde  ich  Sie  bitten,  mir 
von  dem  Betinden  Ihro  kaiserl.  Hoheit  gefällige  Nachricht 
zu  geben 

Dornburg,  Und^  so  getrost  fortan! 

d.  10  August  Goethe 

1828^ 

10. 

(All  Müller.'  ij.  Aiii^Hsl  JS2S.) 

Ist  denn  die  Einwilligung  der  Theilnehmerin  zum  Kaut 
des  Gutes  Bergern''  eingelangt?  leb  habe  meine  Glück- 
wünsche verschoben,  um  sie  nicht  zurücknehmen  zu  müssen, 
der  Gedanke  ist  gar  zu  hübsch,  als  dass  ich  ihn  aufgeben 
möchte.  Wie  Sie  einziehen,  müssen  wir  Ihnen  gleich  einiges 
Gebildete  an  die  Wände  stiften. 


'  Soret  war  8.  Aug.  von  Wilhelmstlial  nach  Belvedere  gezogen 
und  wird  vermuthlich  alsbald  geschrieben  haben;  G.  antwortet  am 
15.  Aug.  Uhde  S.  60 — 63.  Die  »Angelegenheit«  ist  jedenfalls  die 
Uebersetzung  der  »Metamorphose  der  Pflanzen«. 

^  Von  hier  an  eigenhändig. 

5  Der  Brief  ist  unvollendet  und  wie  auf  dem  Original  bemerkt 
ist,  von  dem  Adressaten  Abends  persönlich  in  Empfang  genommen 
worden.  Auf  Grund  dieses  Zeugnisses  ist  sodann  Müllers  Erzählung 
in  den  »Unterhaltungen«  S.  125,  er  sei  am  16.  August  in  Dornburg 
gewesen  zu  berichtigen,  zumal  von  dem  letztgenannten  Tage  der 
folgende  Brief  datirt  ist,  der  keineswegs  den  Eindruck  macht,  als  sei 
er  nach  einem  unmittelbar  vorangehenden  Gespräch  geschrieben. 

^  In  der  Nähe  von  Weimar.  Die  Unterhandlungen  mit  der  ehe- 
maligen Besitzerin  des  Gutes  fülirten  bald  zum  orewünschten  .Abschluss. 


35-  NeUF.   MlTTHIilLUXGEN. 


Unseres  edlen  Freundes  am  Mayne  '  wichtiges  Schreiben 
hat  mich  bcym  wiederholten  Lesen  erfreut  und  erbaut ;  es 
wird  mir  sehr  angenehm  sc\n  zu  vernehmen,  was  in  dortigen 
Kreisen  von  denen  in  meinem  letzten  Heft "  vielfach  berühr- 
ten Gegenständen  einige  Aufmerksamkeit  erregt.  Zcllcr 
hat  sich  besonders  an  die  Ableitung  der  Neugriechischen 
Literatur  von  frühen  Zeiten  her  gehalten  welches  mich 
höchlich  erfreute ' ,  da  ich  diesem  Aufsatz  viel  Sorgfalt 
zugewendet  und  wohl  das  Doppelte  auf  diesem  Wege  Fort- 
geschriebene noch  zurückhalte,  bis  Gelegenheit  und  Gunst 
es  hervorlockt  \ 

\'on  Moskaw  erhielt  ein  merkwürdiges  prächtig  ver- 
guldetes  Facsimile  der  grossen  Goldstufe,  welche  im  Jahr 
1826  am  Ural  gefunden  wurde;  ihr  Gewicht  betrug  beynahe 
ein  Viertels  Zentner.  Sie  wird  zu  St.-Petersburg  beym 
Bergkadetten-Corps  aufbewahrt;  ein  vergoldeter  Gypsab- 
guss  verschafft  auch  uns  nun  die  unmittelbare  Anschauung. 

Es  ist  ein  sehr  glücklicher  Gedanke,  das  in  gegen- 
wärtiger Zeit  sehr  weit  vorgeschrittene  Gypsabgiessen  auch 
auf  Naturgegenstände  auszudehnen,  wie  es  Cuvier  auf  die 
Fossilien  that  und  bev  Kunste:eii;enständen  längst  herkömm- 


'  Graf  Reinhardt. 

^  Kunst  und  Alterthum  \'I,  2  vgl.  oben  S.  540. 

5  Zelter  braucht  11.  Aug.  (Brietw.  V,  S.  96)  die  schönen  Worte: 
«Deine  Ableitung  der  Neugriechischen  Bildung  sprach  mir  sogleich  zu. 
Was  ich  längst  im  tiefsten  Herzen  bewahre ,  konnte  ich  hier  dazu 
geben.  Die  Musik  hat  nur  alte  Naturgesetze.  Die  heutigen  Tlieoristen 
wollen  neue  Regeln  haben  für  Aftermusik  oder  was  mehr  ist  als  Musik. 
Lasst  sie  gehn.  Das  Genie  findet  den  Weg  zum  Neuen  durch  die  alte 
Natur  und  die  Philistcrey  braucht  gar  keine  Regel  um  zum  Tculel  zu 
fahren«.  Vgl.  auch  schon  vorher  27.  Juli  V,  83.  Die  letztere  Aeusserung 
hat  G.  bei  obigen  Worten  vornemlich  im  Auge. 

*  Die  Fortsetzung  wurde  erst  in  den  Nachgelassenen  Werken 
1855  Bd.  VI  gedruckt,  .\nfang  und  Fortsetzung  jetzt  Werke,  Hempel  29, 
)66-)74. 


GOETHi:   IN    DOKNBURG.  353 


lieh  ist.  Wenn  icii  das  Vergnügen  habe,  Sie  be}'  mir  zu 
sehen ,  werden  Sie  diesem  Fetisch  auf  meinem  Hausahar 
gewiss  alle   Ehre  erweisen. 

II. 

(All  Müller.  i6.  August  1S2S.) 

Ew.  Hochwohlgeb.  Vorschlag,  die  goldene  \'erdienst- 
medaille  an  Herrn  Moittc  '  zu  verehren  und  zwar  bald  mög- 
lichst kann  ich  unter  gegebenen  Umständen  nicht  anders 
als  vollkommen  billigen.  Herr  Geh.  Hofrath  Heibig  wird 
dazu  verhelfen  können. 

Artig  wäre  es,  wenn  man  zugleich  die  kleine  goldene 
Medaille  Hn.  Stapfer  "■  verehrte;  Sie  machen  so  Manches 
möglich  und  also  wohl  auch  dieses. 

Dieser  Sendung  wäre  jedoch  die  Notiz  hinzuzutügen, 
dass  ich  von  meiner  Seite  nächstens  auch  etwas  Angenehmes 
zu  überschicken  und  zu  vermelden  gedächte. 

Hierauf  wäre  denn  die  Bestellung  in  Berlin  nicht  zu 
erneuern,  weil  sie  uns  in  dem  gegenw^ärtigen  Falle  nur 
unbequem  werden  müsste  und  allenfalls,  im  Verfolge  modi- 
ticirt,  erneuert  werden  könnte.     Worüber  mündlich. 

Heute  ist  '  Dornburg  fürchterlich  und  schon  seit  einigen 
Tagen.  Ein  wüthender  Sturm  saust  nun  schon  seit  24 
Stunden  an  meiner  Ecke  her,  so  dass  man  nicht  zur  Besinnung 
kommt.     Das   fest  gegründete   Haus  ist    noch    ein   Trost, 

'  Lithograph  in  Paris,  der  sonst  von  Goethe  nicht  erwähnt  wird. 

^  Ph.  Albr.  Stapfer  1766  —  1840,  Uebersetzer  von  Goethe's  drama- 
tischen Werixen.  Ueber  den  »4.  und  besten«  Thcil  dieser  üebersetzung 
s.  an  Z.  IV,  190  (5.  Aug.  1826);  über  die  Faustübersetzung  in  dem 
mehrfach  angeführten  Hefte  von  K.  u.  Aherth. ,  Werke,  Hempel,  29, 
S.  697  ff. 

3  Die  Stelle  von  »Heute  ist  —  gegenwärtig  bin«  S.  554  Z.  15  ist 
als  Anfang  eines  Briefes  vom  26.  Aug.  abgedruckt  im  Gedenkbuch  S.  85. 

Gof.tüe-Jahrblch  U.  ^5 


354  Neul  .Mittheilungen. 


wenn  man  an  die  Unglücklichen  denkt,  die  Tag  und  Nächte 
lang  gegenwärtig  auf  den  Wellen  geschaukelt  werden. 

Ich  habe  diese  Unbilden  des  Sommers  (wenn  Sic.  Sich 
erinnern)  vorausgesagt  und  darf  deswegen  nicht  einnial 
wünschen,  dass  unsere  verehrte  Fürstin-Mutter  sich  herbe- 
gebe, denn  ein  solcher  Zustand  würde  Sie  und  die  Ihrigen 
in  \'erzweiflung  bringen. 

Die  guten  jungen  iMänner,  IVcylaud  und  Slirhlijig  gelang- 
ten unter  Sturni  und  Regen  nur  mit  Mühe  von  einer  Felsecke 
zur  andern.  Ich  hatte  sie  mit  den  Frauenzimmern  auf 
heute  Abend  eingeladen,  die  Communikation  wird  sicli 
aber  bis  dahin  nicht  wieder  herstellen. 

Mit  Hn.  Wevland  habe  mein  Paris  recapitulirt  und 
gefunden,  dass  ich  im  Geiste  dort  ziemhch  richtig  gegen- 
wärtig bin.  Das  sind  wir  denn  doch  unsern  jungen  Freunden 
und  der  lebhaften  Connnunikation  durch  die  Lese-Anstalt 
der  Frau  v.  Pogwiscb '  schuldig. 

Die  vortreffliche  Rede  des  Hn.  i\  Frilsch  ^  erfüllt  auch 
eine  von  meinen  Weissagungen ;  dass  sobald  Geschäfts- 
männer öffentlich  sprechen,  wir  auch  Muster  der  Redekunst 
werden  aufweisen  können.  '  Man  muss  etwas  zu  sagen 
haben  wenn  man  reden  will.  Ich  bedaure  immer  unsere 
guten  Kanzelmänner,  welche  sich  eine  seit  last  zweytausend 
Jahren  durchgedroschene  Garbe  zum  Gegenstand  ihrer 
Thätigkeit  wählen  müssen. 

Mit  '  Sir  Clave  habe  ich  die  Antillen  in  möglichster 
Geschw'indigkeit    recapitulirt    und,    indem    ich    zu    einiger 

'  Ueber  diese  Gesellschaft  et",  oben  S.  339,  A.  3. 

'  Bei  der  feierlichen  Beisetzung  Karl  .Xugusts  oder  bei  der  Hul- 
digung für  den  neuen  Herrscher. 

5  Die  Worte  von  »Die  -  können«  abgedruckt  bei  v.  Bieder- 
mann ,  Goethe-Forschungen  S.  260  und  zwar  aus  dem  S.  347  A.  2 
angeführten  Druck. 

+  Die  Stelle  »Mit  nimmt  vorliebd  an  dem  S.  353,  A.  3  a.  Ü. 
als  unmittelbare  Forisetzun";  abgedruckt. 


Goethe  in  Dornburg.  355 


Zufriedenheit  fand,  dass  ich  auch  dort  ziemHch  zu  Hause 
bin,  machte  ich  mir  durch  seine  Mittheilungen  noch  einiges 
Besondere  zu  eigen. 

Freund  Coitdray  soll  mir  jederzeit  willkommen  seyii, 
überhaupt  bedarf  es  künftig  keiner  Anmeldung  mehr,  wer 
vor  12  Uhr  konnnt,  lindct  eine  hinreichende  Mahlzeit,  wer 
erst  gegen  2  Uhr  eintrifft,  nimmt  vorlieb. 

Um  Eiiisiedcls  '  Andenken  müssen  Sie  sich  auch  noch 
verdient  machen.  Es  bleibt  weiter  nichts  übrig  als  dieser 
Entschluss.  Die  Schwierigkeit  liegt  darin  den  Lebensgang 
eines  milden  geselligen  Mannes  aufzufassen,  dessen  Gegen- 
wart schon  ein  Räthsel  war. 

Sie  denken  mein  Theuerster,  wie  in  solchen  Sündfluths- 
tagen  das  Dictiren  überhand  nimmt. 

Deshalb  fortan !  -  Xach  wie  vor 

in  treuer  Beharrlichkeit 
Goethe. 

'  Fr.  Hildebrand  V.  Einsiedel,  geb.  30.  Apr.  1750,  gest.  9.  Juli  1828, 
der  Vertraute  Karl  Augusts,  der  »Freund«  des  ganzen  Weimarer  Kreises, 
ein  Mann,  von  dem  Caroline  v.  Wolzogen  sagte,  dass  er  »im  geraden 
Herzen  alles  Rechte  und  Edle  mit  Neigung  empfing«;  manniglacli 
literarisch  thätig,  auch  als  Beamter,  zuletzt  als  Appellations-Gerichts- 
präsident in  Jena  wirksam.  Müller  hat  die  von  G.  gewünschte  Schil- 
derung nicht  geschrieben,  vielmehr  unterzog  sich  Minister  von  Fritsch 
dieser  Aufgabe.  Diese  Biographie  ist  abgedruckt  in  den  Freiniaurer- 
Analekten,  4.  Heft,  Weimar  1828,  S.  20—28.  Das  genannte  Heft 
übersendete  G.  an  Z.  (9.  Jan.  1829,  V.,  S.  151)  mit  der  Bemerkung: 
»Auch  weiss  ich  nicht  ob  ich  von  beyliegenden  Analekten  schon  einige 
Exemplare  zugesendet  habe;  auf  alle  Fälle  findest  Du  Liebhaber  zu 
den  beykommenden «  und  Z.  erwidert  (17.  Jan.  V.,  S.  156):  »Ein 
Exemplar  der  Fr.  M.  Analekten  ist  schon  an  den  General  von  Brock- 
hausen überantwortet,  der  ein  dankbarer  und  eifriger  Maurer  ist.  Die 
Sinnes-  und  Charakterschilderung  des  guten  v.  Einsiedel  ist  mir  sehr 
erbaulich  gewesen,  da  ich  von  dem  werthen  Manne  nie  etwas  Weiteres 
erfahren  können  und  mir  zwey  seiner  Terenzischen  Comödien,  vor 
26  Jahren  in  Weimar  mit  Masken  dargestellt,  ausnehmend  gefallen 
haben  «. 

^  Von  hier  an  eigenhändig. 

25* 


356  Neue  Mittheilungen. 


12. 

(An  Müller.  26.  August  1S2S.) 

Hn.  Chelard^  habe  freundlichst  empfangen  und  ich 
glaube  zufrieden  entlassen ;  ihn  anzumelden  und  zu  empfehlen 
geht  heute  ein  Brief  an  Zeltern  ab.  Seine  Zwecke  sind  mir 
nicht  klar,  auch  er  scheint  sich  bey  uns  gegen  seine 
Landsleute  stärken  zu  wollen.  Möge  ihm  das  Tonbad  gut 
anschlagen! 

Die  mitgetheilten  Papiere^  sende  dankbar  zurück,  ich 
finde  alles  auf  das  lobens-  und  liebenswürdigste  eingeleitet 
und  durchgeführt.  Dichter  und  Redner  thun  das  ihrige 
und  der  Architekt  wird  auch  nicht  zurückbleiben. 

Besonders  find  ich  unsern  Zuständen  sehr  angemessen, 
dass  sich  nach  und  nach  eine  Liturgie  bildet.  Die  mensch- 
lichen Schicksale  drehen  sich  in  einem  engen  Kreise  und 
müssen  sich  oft  wiederholen;  hat  sich  einmal  ein  guter 
Ausdruck  gefunden,  so  bewahre  man  ihn  bis  zum  ähnlichen 
Falle  und  bediene   sich    seiner  zu    erbauender   Erinnerung. 

Dass  man'  meinen  Wünschen  und  Bitten  gemäss  des 
28.  Augusts  diesmal  in  Stille  gedenken  wird,  dafür  danke 
ich  verpflichtet.  Den  3.  Sept.  durch  herkömmliche  Aus- 
stellung öffentlich-*  zu  feyern,  macht  Freund  Meyer,  wie 
ich  weis,  schon  gehörige  Anstalten;  Ihre  halbverhüllten 
Geheimnisse  treten  sodann  schicklich  und  würdig  zur  Stelle. 

Der  verwittibten  Frau  Grossherzogin  wünsche  bestens 
und  treulichst  empfohlen   zu    sein ;    meine  Hoffnung   mich 


•  Vgl.  oben  S.  322. 

*  Für  Einrichtung  der  Logenfeier  für  Karl  Aug.;  auf  dieselbe 
kommt    G.  unten   im  4.  Absatz  nochmals  zurück:    »Ihre  Geheimnissee 

3  Die  Stelle  »üass  man  —  entsprechen«  S.  357  Z.  19  ist  an  dem 
S.   553  A.  3  a.  O.  als  Fortsetzung  und  Schluss  abgedruckt. 

'*  A.  a.  O.  »durch  öffentliche  Ausstellung«.  Auch  sonst  mancherlei 
kleine  Abweichungen. 


Goethe  in  Dornburg.  357 

bald  wieder  so  schöner  Dienstage'  zu  erfreuen,  belebt  die 
Aussicht  für  die  nächste  Zeit,  regt  mich  auf,  hier  am  Orte 
abzuschliessen  und  meine  Gedanken  dorthin  zu  wenden, 
wohin  ich  eigentlich  gehöre. 

Merkwürdig  ward  mir  in  diesen  letzten  Wochen,  wie 
die  alte  Neigung  zur  Botanik,  welche  hei  mir  nur  zufällig 
rege  ward,  sich  wieder  leidenschaftlich  entwickelte,  ja,  ich 
darf  sagen,  productiv  erwies,  da  mir  einige  neue  gute 
Gedanken  bev  meinen  Wanderungen  durch  dies  herrliche 
Reich  frevwillig  entgegenkamen. 

Und  so  bitte  meiner  freundlich  zu  gedenken  und  mir 
behülflich  zu  seyn,  dass  ich  in  Weimar  ein  nach  meiner 
Weise  glücklich  und  nützlich  geschäftiges  Leben  auch 
diesen  Winter  über  freudig  fortsetzen  möge;  denn  ich 
wüsste  nicht  genugsam  auszudrücken,  wie  schön  und  reich- 
lich diese  einsamen  Wochen  sich  mir  erwiesen  haben. 
Möge  auch  Ihnen  Alles  gelingen  und  besonders  der  3.  Sept. 
seinem  Werth  und  Gewicht  durch  eine  edle  Feyer  völlig 
entsprechen.  Herrn  von  Fritsch  Excellenz  bitte  mich  aufs 
Verbindlichste  an  jenem  Tage  zu  empfehlen  und  bei  allen 
Brüdern  meiner  im  Besten  zu  gedenken. 

Manches  im  Busen  behaltend  schliesse 

treugesinnt^ 
J  W  V  Goethe. 

13- 

(An  Müller.  2S.  August  1S2S.) 

Es  sey  mir  vergönnt,  mit  den  wenigsten  Worten  heute 
meine    dankbare  Erwiederung   auszudrücken.     Mir  [ist   es| 


'  An  denen  die  Grosslicrzogin  Luise  ihn  zu  besuchen  pflegte. 
Dass  sie  diese  Besuche  unmittelbar  nach  G's  Rückkehr  in  aher  Weise 
wieder  aufgenommen,  erzähh  Eckermann  IL,  S.  6. 

*  Von  hier  an  eigenhändig. 


358  Nfx'e  Mittheiluxgex. 


sehr  wohlthiitig  Sic  in  einer  anniutliigen  ländlichen  Um- 
gebung zu  denken  ',  indessen  ich  auf  den  weit  umherschauen- 
den Terrassen  in  Dornburg  hin  und  wieder  gehe.  Der 
Tag  war  sehr  belebt,  Jenaische  Wohlwollende  wechselten 
mit  einander  ab,  so  dass  ich  zuletzt  noch  die  gute  Grieshach  ' 
bev  mir  bewillkommte.  Wäre  nicht  gleich  nach  Tische 
Regen  eingefallen,  so  hätte  ich  freundlicher  seyn  können, 
auch  gegen  andere,  von  denen  ich  durch  Nebel  und  Wasser- 
gestöber getrennt  war.  Viele  Gaben  sind  zu  mir  gekommen 
und  zu  den  vorzüglichsten  kann  ich  w"ohl  Ihr  Schreiben 
rechnen,  das  mir  alte  geprüfte  Gesinnungen  neu  und  kräftig 
ausdrückt.  Lassen  Sie  uns  so  weiter  fortfahren,  so  wird 
es  an  manchem  Guten  nicht  fehlen  können. 

Verbind'  ich  Coiidray's  Nachricht  von  architektonisch- 
mystisch-ästhetischen Anstalten  mit  neulich  an  mich  gelangten 
poetisch-rhetorischen  Erzeugnissen ,  so  darf  ich  wohl  für  ' 
die  Fever  des  3.  Septembers  die  schönsten  Hoffnungen 
hegen. 

Heute  aber  neigt  sich  Geist,  Seele  und  Sinn  zu  einer 
erwünschten  Ruhe.  In  der  Frühe  sah  ich  den  leuchtenden 
Morgenstern  weit  vor  der  Sonne  vorausgehen,  den  zaudern- 
den Mond  abzuwarten  fühl  ich  mir  keine  Kräfte,  aber  den 
Wunsch  recht  lebhaft ,  Sie  bald  in  Bergern  begrüssen  zu 
können. 

Und"*  so  fort  an! 

Goethe. 


'  In  dem  neuangckautten  Gute  ßergern. 

^  Friderike  Juliane  Griesbach,  geb.  1754,  seit  1812  W'ittwe  des 
(jeh.  Kirchenraths  joli.  Jak.  Griesbach,  die  erprobte,  wenn  aucii  viel- 
bespöttelte Freundin  des  Schiller'schen  Ehepaars. 

5  »für«  hat  der  Schreiber  ausgelassen;  doch  ist  es  ganz  sicher  zu 


erganzen. 

4  Von  hier  an  eigenhändig 


Goethe  in  Dornulrg.  559 


14- 

(An  ?  '  jo.  August  1828.) 

I-AV.     \Vl)hl-cb. 

erhalten  hiebev  einige  Büttnerische  '  Papiere,  so  operos 
als  wunderlich ;  es  soll  mich  freuen  von  Ihnen  darüber 
wissenschaftlich  aufgeklärt  zu  werdeii. 

Die  eingesendete  Quittung  liegt  autorisirt  bey;  ich 
wünsche  dass  Sie  von  dieser  kleinen  Summe  zu  unsern 
wissenschaftlichen  Zwecken  geneigte  Anwendung  machen 
mögen. 

Gedenken  Sie  meines  neulichen  Wunsches,  st)  werden 
wir  bev  meiner  nächsten  Ankunft  in  Jena  manche  ange- 
nehme und  lehrreiche  Unterhaltung  geniessen  können. 

Auch  theile  zugleich  ein  Gutachten  unseres  Präsidenten  ' 
in  Bonn  über  fossile  Früchte  mit,  welche  in  dem  Kalten- 
nordheimer  Kohlenwerk  vorkommen. 

Mit  den  besten  Grüssen  an  die  theure  Ihrige 

Dornburg  ergebenst 

d.  30.  August  1828  JW  V  Goethe. 

15- 

(An  Müller.  i.  September  1S2S.) 

Ew.  Hochwohlgeb.  schreibe  in  mitten  mannigfiütig  sehr 
schöner  Sachen,  die  seit  einigen  Tagen  zufliessend  mich 
ear  anmuthiiJ  umgeben. 


'  Der  Adressat  ist  jedenfalls  Professor  in  Jena,  wie  aus  dem 
Wortlaut  des  Briefes  hervorgeht. 

^  Hofrath  Büttner,  geb.  27.  Febr.  17 16,  gest.  8.  Okt.  1802.  Ob 
auf  die  Büttnerische  Bibliothek  bezüglich?     Eckcrmann  III.,  220. 

>  Gemeint  kann  nur  Necs  v.  Esenbeck  sein,  den  G.  an  Nicolovius 
30.  Mai  1828  und  sonst  vielfach  als  «Präsident«  bezeichnet;  doch  ist 
in  dessen  Briefe  vom  12.  Juli  (Naturw.  Corr.  II.,  166—168),  der  hier 
allein  in  Frage  kommen  kann,  ein  derartiges  Gutachten  nicht  enthalten. 


360  Neue  Mittueiluxgen. 


Herrn  Cornelius  »erobertes  Troja«,  ein  respectables  und 
zu  respectirendes  Kunstwerk,  ist  in  lithographirten  Umrissen 
XU  mir  gelangt.  ' 

Dazu  von  einem  Schüler  mehrere  Rand-Arabesken  zur 
Begleitung  von  manclierlev  Dichtungen  ^  nach  Art  der 
bekannten  Albrecht  Dürer'schen  zu  jenem  Gebetbuche  ' ; 
aber  eigentlich  nur  dadurch  veranlasst;  sie  sind  mit  aller- 
Hebstem  Talent  und  Geist  und  Erfindung  der  neusten  Zeit 
wohl  werth. 

Hit::^ig  habe  nicht  gesehen,  er  wird  wohl  den  nähern 
Weg  nach  Naumburg  genommen  haben. 

Ueber  den  Dante  des  Prinz  Johann  Hoheit  bin  ich  nicht 
im  Stande  gegenwärtig  ein  Wort  zu  sagen.  Erst  haben 
mich  die  unglücklichen  Noten  vom  Gedicht  und  dessen 
Uebertragung  abgewendet,  sodann  aber  gestehe  autrichtig, 
ich  möchte  einen  so  werthen  und  würdigen  Prinzen,  dessen 
Gedicht  an  Herrn  von  Frilsch  schon  mit  Vergnügen  und 
Antheil  gelesen,  gern  etwas  sagen,  was  sich  auch  eigentlich 
individuell  auf  ihn  bezöge,  und  dazu  werden  Sie  am  besten 
beytragen  können,  wie  Sie  denn  auch  wohl  mein  Zaudern 
am  allerslücklichsten  bevorworten  werden.  ■* 


'  Vgl.  Düntzer,  Aus  Goethe's  Freundeskreise,  Braunschweig  1868, 
S.  279.     Daselbst  Goethe's  Dank  für  die  Sendung,  26.  Sept.   1828. 

^  Gemeint  ist  Neureuther,  E.  N.;  geb.  zu  Bamberg  15.  Jan.  1806. 
Ueber  die  im  Text  erwähnten  Zeichnungen  spricht  G.  sehr  günstig 
30.  Okt.  1828  an  Zelter  \.,  S.  125,  kündigt  sie  als  erschienen  an  das. 
S.  424,  27  März  1830.  Sie  wurden  veröffentliclit  u.  d.  T. :  Randzeich- 
nungen  zu    Goethe's    Balladen    und    Romanzen,    München   1828—1840. 

5  »zu  jenem  München'schen  Gebetbuche,  welches  Dir  durch  Strixners 
Lithographie  wohl  bekannt  geworden«  sagt  G.  an  Z.  .\usführliciier 
Werke,    Hempel    28,    819—831.     Vgl.    nun   Thausing,    Dürer    (1876) 

s.  379-582. 

■♦  Vgl.  oben  S.  348  Anm.  i.  Der  Kanzler  Müller  muss  nun  wohl 
diesem  Antrage  nachgekommen  sein  oder  G.  hat  eine  andere  Gelegenheit 
oehabt  seine  Meinung  kundzugeben.    Wenigstens  lindet  sich  in  Falken- 


Goethe  in  Dornburg.  }6l 


Wie  ich  mir  ein  Denkmalfür  unsern  schnell  Geschiedenen 

an  Ort  und  Stelle  habe  denken  können,  ist  nur  sehr  alli^e- 
mein  mit  Herrn  Coiidray  besprochen  worden.  Was  er 
darnach  oder  daraus  gebildet,  blieb  mir  durchaus  unbekannt; 
nun  aber  set/.t  eine  Inschrift  den  Raum  voraus,  worauf  sie 
angebracht  werden  soll.  I-ihc  mir  also  eine  Zeichnung  mit 
genauer  Angabe  des  Masses  vorgelegt  wird,  bin  ich  nicht 
im  Stande  zu  dienen.  Was  zu  sagen  ist  weis  ich  wohl ; 
das  Wie?  hängt  von  Höhe  und  Breite  der  Fläche  ab. 
Herrn  Soret  meine  besten  Empfehlungen,  mein  Antheil  an 
diesem  frommen  Geschäfte  solle  gewiss  nicht  ausbleiben. ' 
(NB.  -  Ich  hatte  mir  einen  netten  Cippus  vierseitig  gedacht 
und  darauf  meine  Worte  gefügt;  passen  sie  und  werden 
gebilligt,  so  ist  es  schön  und  gut,  sonst  lässt  sich  dies  m\\ 


Steins  Charakterbild  S.  57  die  Stolle:  »Hat  doch  selbst  Goethe  sich 
für  das  dichterische  Talent  des  Prinzen  interessirt  und  einst  dessen 
Adjutanten  von  Lützerode  um  Zusendung  von  Original-Dichtungen 
gebeten,  da,  wie  Goethe  sagt,  er  zu  einem  gründlichen  Studium  des 
Dante  »«aus  Angst  vor  den  gelehrten  Noten  des  Textes  nicht  leicht 
kommen  werde««.  Man  sieht,  letzteres  ist  fast  eine  wörtliche  Wieder- 
gabe der  in  unserm  und  in  dem  oben  angeführten  Brief  vorkommenden 
Stellen.  —  Das  Gedicht  an  Fritsch  ist,  da  Prinz  Johann  keine  Gedicht- 
sammlungen herausgab,  nicht  bekannt,  möglicherweise  ist  es  eine 
poetische  Antwort  auf  ein  Glückwunschschreiben  zur  Geburt  des  ersten 
Sohnes  (1828  vgl.  Falkenstein  a.  a.  O.  S.  64).  —  Endlich  sei  aul 
eine  Stelle  in  Falkensteins  Gedachtnissrede:  »Zur  Charakteristik  König 
Johanns,  Dresden  1874,  S.  9«  hingewiesen:  »Nur  beiläufig  mag  hier 
bemerkt  werden,  dass  er  zwar  einige  Werke  Goethe's,  namentlich  den 
Faust  und  Hermann  und  Dorothea  bewunderte,  dass  er  aber  Schiller 
wirklich  liebte.  <.< 

'  Gemeint  ist  wohl  Sorets  Bemühung  um  ein  Denkmal  hir  die 
19.  Juli  1828  plötzlich  gestorbene  Ober-Kammerherrin  Caroline  von 
Egloffstein,  geb.  Reichsfreiin  von  Aufsess.  Das  Nähere  bei  Uhde, 
Soret  S.  44  A.  2  »Meine  Worte«,  doch  jedenfalls  Verse  sind  nicht 
bekannt;  zwei  Gedichte  an  Caroline  v.  Egloffstein  aus  früherer  Zeit 
gedruckt  in  Werken,  Hempel  IL,  431;  HL,  551. 

^  Das  NB.  im  Original  als  Fussnote. 


362  Neue  Mitthuilungek. 


mancherlei  Weise  modificiren.  Einen  Beytrag  der  Freunde 
halte  durchaus  zweckmässig,  denn  es  muss  hübsch  werden 
und  nach  was  ausselien. 

Dagegen  darf  ich  wohl  hoffen,  dass  mir  nach  der 
Mittwochsfe^er  '  eine  treue  Mittheilung  gegönnt  werde, 
nicht  weniger  die  Reden  in  Extenso,  welche  hiezu  vorbe- 
reitet sind.  Ich  freue  mich  sehr  darauf,  weil  gewiss  jede 
Erwartung  übertroffen  sein  wird. 

\'ielleicht  erregt  nachstehendes  Ihre  Autmerksamkeit, 
ich  habe  von  Gotha  ein  Gedicht  erhalten,  von  einigem 
Belang  in  kurzen  reimlosen  Versen,  wie  sie  sich  unter  den 
meinigen  befinden.  Es  deutet  auf  eine  freymüthige  Theil- 
nahme  an  meinen  Arbeiten  und  meinem  Lebensgang,  des- 
halb ich  wol  wissen  möchte  wer  es  geschrieben.  Offener 
Sinn,  guter  Wille  und  Gemüthlichkeit  ist  allerdings  zu 
schätzen.  Eine  Stelle  die  sich  auf  den  Divan  bezieht  lege 
abschriftlich  bey.  ^ 

Gar  manches  wäre  noch  zu  sagen  und  mitzutheilen, 
doch  eil  icli  zum  Schlüsse,  weil  ich  dieses  durch  den  guten 


'  Trauerfeier  des  3.  Sept. 

^  Die  Beilage  lautet  :  »Der  Diwan  '  Ein  Schirasbecher,  Mutii 
sprudelnd  zum  Leben  j  Und  gläubigen  Käniptcn;  \  Ein  Iransgarten,  I 
Von  Rosen  Düften  |  Reinmenschlichster  Lehre  j  und  Xachtigallliedern  ] 
Liebherzigster  hinig]<eit  |  Klangvoll  durclnvürzet ;  |  Der  Vorhöfe  einer  | 
Zum  Heiligthume  j  Des  Buches  der  Büc]ier;|Ein  Sonnenaufgang  |  Der 
Thron  des  Heiligsten,  Höchsten  |  Von  \\'ahrhcit  und  Liebe  umfunkelt.  1 1 
Und  Suleika?  I  Seht  doch  hin,  |  Die  Ihr  reinen  Herzens  seyd,  |  Was  ist 
des  Dichters  Geliebte  i  Die  Sonne  der  Sonnen?  Was  ist  sein  liebverklärtes 
Ich  Der  Stern  der  Sterne?  |  Unwandelbar  verbunden  |  In  blühender  Bräut- 
lichkeit,  ist  |  Sie  holdeste  fehllose  Gattin ;  |  Reintreuester  Gatte  liebt  er  ; 
Stets  zärtlicher,  wahrer.  '  Die  glücklichsten  verknüpfen  '  Mit  köstlichem 
Besitz  für  das  Leben  !  Den  zarten  Sinn,  die  Innigkeit,  ;  Die  begeisternde 
Gluth,  i  Die  lautere  Seelen  fülle  j  Der  ersten  Liebe;  |  Suleika  schliesst  mit 
ihrem  Hatem  |  Paradiesischen  Bund,jBeyde  Welten  umfassend,  j  |«  Der 
Verfasser  dieser  poetischen  Würdigung  des  Divan  ist  niclit  bekannt. 


GOETHIi   IN    DORNBLUG. 


:)":> 


und   werthen   Dr.   KrniiJclhig'  nach  Jena  schaffen  und  als- 
bald in  Ihre  Hände  brinij;en  kann. 

Beyliei^end  hnden  Sie  hoffentlich  alles  Mitgetheilte. 
Fahren  Sie  fort,  auch  meiner  in  der  Ferne  zu  gedenken 
und  mir  vom  Wissensquell  *  Segen  zu  erbitten.  Ich  habe 
mich  leider  wieder  in  die  Botanik  eingelassen  und  da  ist 
es  gleich  immer  wieder,  als  wenn  man  sich  durch  den 
Urwald  durchhauen  müsste.  Möge  Mittwoch  Abends  Alles 
gelingen,  ich  teyre  die  Stunden  ganz  im  Stillen  aufs  Herz- 
lichste mit.     Und  somit  also  das  beste  Lebewohl! 


i6. 

(An  Meyer  \  6.  September  1828.) 

Hierbev  mein  Theuerster ,  das  früher  Verlane^te,  es 
wird  wohl  noch  vor  Schluss  Ihrer  Ausstellung  *  gelegen 
ankommen.  Ich  denke  mich  zu  beeilen,  dass  ich  noch 
alles  beysammen  finde,  denn  ich  sehe  nunmehr  meinen 
Zweck  am  hiesigen  Ort  gar  löblich  erfüllt. 

Möge  es  Ihnen  in  Weimar  wohl  gehen  und  Sie  mit 
Zufriedenheit  nach  Belvedere  zurückkehren  !  Empfehlen  Sie 
mich  dem  lieben  Erbprinz  und  Herrn  Sorel  auf  das  ange- 
legentlichste; ich  wünsche  mir  nichts  mehr  als  gute  Tage 
in  der  Nähe  der  \'erehrten  und  Geliebten ;  denn  ich  leui^ne 


'  K.  Const.  Kraukling,  gen.  Krauklilm,  geb.  zu  Bauska  in  Kurland 
28.  -A^ug.  1792,  gab  1827  mit  L.  Tieck  und  Fr.  Kind  die  »Dresdener 
Morgenzeitung«  heraus,  war  später  Direktor  des  bist.  Museums  in 
Dresden,  gest.  12.  Apr.   1873.     ^g^-  oben  S.  553. 

^  Müller  war  im  Begriff  eine  Reise  nach  dem  Westen,  nach  den 
Niederlanden  zu  unternehmen ;  mit  dem  »\\'issensquell «  könnte  Pem- 
pcltort,    der  ehemalige  \\'ohnsitz  des  Pbilosophen  Jakobi  gemeint  sein. 

?  Einlaches  Kleinquartblatt.     Diktirt. 

•*  Ueber  die  Ausstellung  s.  oben  S.  342  A.  4. 


364  Neue  Mittheilungen. 


nicht,  dass  ich  mich  hier  gewissermassen  abgemüdet  habe, 
um  die  einsamen  langen  Stunden  mit  Interesse  hinzubringen 

treu  angeeignet ' 

Dornburg,  d.  6.  Septbr.  1828 

J  W  V.  Goethe. 

17- 

(All  Cotfa\  10.  September  1S2S.) 

Ew.  Hoch\vohlgeboren 

gefälliges  Schreiben  erreicht  mich  in  dem  Augenblick, 
da  ein  unersetzlicher  \^erlust  mich  anmahnt  umherzuschauen 
und  zu  beachten  was  nun  schätzenswerthes  für  mich  auf 
dieser  Erde  übrig  geblieben.  Da  tritt  denn  ohne  Weiteres 
das  Verhältniss  zu  Ew.  Hochwohlgeb.  bedeutend  hervor 
und  ich  habe  mir  Glück  zu  wünschen  dass  ich  ein  Geschäft', 
woran  mein  und  der  Meinigen  Wohlstand  geknüpft  ist,  den 
Händen  eines  Mannes  anvertraut  sehe,  der  mit  entschie- 
denster Thätigkeit  die  edelsten  Zwecke  verfolgt  und,  sowohl 
durch  Klugheit  und  Redlichkeit,  sich  allgemeines  Ansehen 
und  Zutrauen  erworben  hat. 

Hiernach  muss  daher  mein  eifrigster  Wunsch  bleiben, 
die  wechselseitigen  Bezüge  klar  und  rein  erhalten  zu  wissen, 
damit  wir  uns  mit  Zuversicht  jener  schönen  Tage  erinnern 
mögen,  wo  wir,  unter  den  Augen,  mit  treuer  Theilnahme 
eines  nur  zu  früh  abgeschiedenen  Freundes"*,  den  Anfang 
einer  Verbindung  fe3"erten  die  so  lange  segenreich  für  uns 
dauern  sollte. 


'  Von  hier  an  eigenhändig. 

^  Vgl.  oben  S.  343  A.   3. 

5  Die  Herausgabe  der  Werke. 

•*  Schiller. 


Goethe  in  Dornblrg.  3^' 


Das  Weitere   mir   auf  die   nächste  Mittheilung  vorbe- 
haltend 

In'  vorzüglichster  Hochachtung  mich  unterzeichnend 

Ew.  Hochwohlgeb. 
Schloss  Dornburg  ganz  gehorsamsten  Diener 

d.  IG  Sept.  1828  J  W  V  Goethe. 


ANHANG    I. 

Zwei  Briefe  Soret'S  an  Goethe. 
I. 

(WilhelmsthaJ,  20.  Juni  1S2S.) 

Votre  Excellence  aura  presqu'en  meme  temps  recu 
ma  lettre  et  Celle  de  M.  \'ogel,^  qui  s'est  trouve  favorable 
ä  l'idee  d'un  voyage  ä  Wilhelmsthal;  pour  ma  part  j'en 
craindrais  un  peu  les  suites  ä  moins  que  Vous  continuassiez 
ä  vivre  ici  comme  chez  Vous,  c'est  ä  dire  en  Votre  par- 
ticulier  sans  paraitre  dans  la  societe,  sans  rester  expose  ä 
Tair  humide  du  soir.  Depuis  hier  notre  hermitage  s'est 
'singuliercment  rempli  de  nouveaux  hötes.  Nous  avons  eu 
plusieurs  visites  et  la  plus  marquante  est  celle  de  Mme  \:\ 
Princesse  Marie '  avec  Son  epoux  et  Sa  suitc.  On  avait 
annonce  qu'ils  passeraient  la  nuit  ä  Gotha  et  n'arriveraient 
que  demain  dans  la  matinee ;  mais  Pimpatience  de  revoir 
S.  A.  R.  les  a  talonnes.  Ils  ont  envoye  en  toute  hdtc  une 
nouvelle  estafette  et  sont  arrives  ä  soir  ä  9  heures  au 
moment   oü  Mme   la  Grande-duchesse    se   disposait  ;\  ren- 


'  Von  hier  ab  Alles,  auch  Datum,  eigenhändig. 
^  Der  Grossherzogliche  Leibarzt. 

5  Princessin  Marie  Louise  .\lexandrine,  welche  sich  26.  Mai  1827 
mit  dem  Prinzen  Karl  v.  Preussen  vermiihlt  hatte,    ^'gl.  den  foii?.  Briet". 


366  Neue  Mittheilungen. 


voyer  les  Dames  qui  etaient  reunics  chez  Elle.  Plusieurs 
personnes  etaient  arrivcs  d'Eisenach,  entr'autrcs  Ic  Sur- 
intendant, Mad.  de  Bechtolsheini  et  Mad.  de  Werther; 
S.  A.  R.  s'est  encore  dccidee  ä  prendre  le  the  avec  cette 
espece  de  cour  et  avcc  Son  Service  devant  le  corps  de 
logis  en  plein  air.  \'ers  huit  heures  lille  s'est  retiree  dans 
Ses  appartemens  avec  les  Dames  et  les  enfants  et  vers 
9  heures  sont  arrivees  les  voyageurs. 

On  attend  le  prince  Chretien  de  Darmstadt  d"un  in- 
stant a  Tautre;  il  arrivera  peut-etre  au  milieu  de  la  nuit; 
j"ai  peur  que  toutes  ces  visites  n'eftVavent  votre  Hxcellence 
et  ne  la  retiennent  ä  Weimar  ou  dans  les  environs.  S'il 
ne  s'agissait  que  d'eviter  les  repas  en  grande  süciete,  j'otiri- 
rais  ä  votre  Hxcellence  de  partager  la  soupe  du  Prince. 

20  Juin  dans  la  nuit 


(Wilhdiiisthal,  2j.  Juni  1S2S.) 

Votre  Hxcellence  daignera  bien  nie  pardonner  si  je 
reponds  encore  une  fois  laconiquement  a  la  bonne  et  pre- 
cieuse  lettre'  dont  vous  m'avez  honore.  J'ai  eprouve  un 
sentiment  mele  de  regret  et  de  plaisir,  en  apprenant  que 
vous  ne  viendrez  pas.  Le  regret  etait  relatif,  le  plaisir 
Vous  concernant,  car  je  n'ai  pu  me  dissimuler  que  cet  eternel 
arrivage  de  visites,  ce  mouvement  perpetuel,  cette  presqu' 
impossibilite  de  voir  S.  A.  R.  seule  quelques  instants  ne 
Vous  eussent  tait  beaucoup  plus  de  mal  que  de  bien.  Aussi 
Madame  la  Grande  Duchesse  a  ete  la  prcmiere  ä  feliciter 
pour  Votre  Hxcellence  de  ce  que  Vos  occupations  aient 
ete  de  nature  ä  ne  pas  \'ous  permettre  d'effectuer  \'otre 
projet. 


'  Vom  21.  Juni.     Ulidc.  Goethe's  Briefe  an  Soret,  S.  39 — 42. 


Goethe  in  Dornburg.  367 


M.  Vogel '  ni'a  communique  iin  passage  d'iine  lettre 
de  X'otre  p.irt  qui  r.iutorisait  i'i  nie  Jemander  hi  lecture  de 
Celle  que  je  venais  de  recevoir  et  que  je  n'aurais  p;is  songe 
a  pouvüir  kii  moiitrer  sans  cet  ordre.  II  a  eprouve  ainsi 
que  niüi  an  sentinient  de  securite  sur  Tetat  sanitaire  de 
Wnre  Excellence  en  lisant  les  admirables  lignes  oü  \\)lis 
peignez  l'effet  qu'a  produit  sur  \''ous  la  lecture  du  livre 
de  De  Candolle";  puissiez-\'ous  bientot  reprendre  ce 
tra\ail.  La  nature  toujours  fraiche,  toujours  riante,  toujours 
nouvelle  est  le  dernier  ami  qui  nous  reste,  celui  qui  ne 
nous  abandonne  jamais  et  qui  nous  console  encore  quand 
les  hommes  ne  nous  consolent  plus.  —  Je  n'ai  pu  jusqu'ä 
present  traduire '  que  deux  chapitres,  mais  ce  travail  me 
parait  si  agreable,  qu'il  avancera  rapidement  lorsque  nous 
serons  sortis  du  tourbillon  oü  nous  avons  le  nialheur  de 
vivre,  lorsque  j'aurai  moins  de  lettres  journalieres  ä  ecrire 
lorsqu'enlin  ma  tete  et  mon  coeur  auront  repris  quelque 
peu  d'equilibre. 

Alad.  la  Princesse  Marie  m"a  paru  fort  bien  malgre  sa 
juste  douleur.  Elle  a  beaucoup  gagne  durant  les  13  mois 
de  son  sejour  ä  Berlin,  soit  sous  le  rapport  physique  soit 
dans  Ses  manieres  d'etre  et  Sa  tenue.  Elle  a  pris  beaucoup 
plus  d'aplomb.  Sa  presence  est  une  grande  consolation 
pour  S.  A.  R.,  une  grande  joie  pour  le  Prince. 


'  Vogel  hatte  gleichzeitig  mit  Soret  geschrieben,  vgl.  Uhde  S.  41  ; 
von  dem  an  \^ogel  gerichteten  Brief  ist  ein  Stück  in  Hufeland  und 
Osanns  Neuem  Journal  der  praktischen  Arzneykunde  Bd.  69,  1Ü53, 
H.  2,  S.  1 1  gedruckt.  Die  Worte  lauten :  »Sie  thun  sehr  wohl,  länger 
in  Eisenach  zu  verweilen,  denn  in  solchen  Fällen  sind  die  Nachwirkungen 
immer  zu  fürchten.  Der  Charakter  widersetzt  sich  dem  treffenden 
Schlage,  aber  consolidirt  dadurch  gleichsam  das  Uebel,  das  sich  späterhin 
auf  andere  Weise  Luft  zu  maclien  sucht«. 

^  Uhde,  S.  40. 

5  Nämlich  die  j)Metamorphose  der  Pflanzen«  vgl.  oben  S.   523  fg. 


^^68  Neue  Mittheilungex. 


Waltlier '  est  arrive  aujourd'hui  en  bonne  sante  dans 
Ic  courant  de  l'apres-diner,  il  a  fait  visite  au  Prince  ainsi 
que  Rodri^Lie  et  Leo.  Les  qiuitre  amis  se  sont  bruyam- 
ment  et  gaiement  amuses  durant  toute  la  soiree  jusqu'apres 
neuf  heures.  La  journee  de  demain  sera  bien  plus  bruyante 
encore. 

Je  finis  par  le  plus  essentiel;  il  m'a  paru  que  iMad.  la 
Grande  Duchesse  etait  moins  accablee  aujourd'hui  qu'hier; 
il  est  vrai  que  cette  journee  d'hier  a  passe  la  permission, 
tant  il  est  venu  de  visites,  dont  plusieures  etaient  fort 
penibles  ä  supporter,  je  ne  les  nommerai  pas  ä  Votre 
Excellence  pour  .ne  pas  Vous  faire  partager  l'impatience 
que  nous  avons  eprouvee.  Les  forces  morales  se  maintien- 
nent  ä  la  meme  hauteur  qu'au  premier  jour  et,  graces  au 
ciel,  la  toux  qui  nous  inquietait  tant  ä  Weimar,  n'a  point 
reparu  ou  du  moins  a  ete  tout-ä-fait  insignihante. 

23  Juin  dans  la  nuit. 


ANHANG   IL  (zu  oben  S.  331   fg.) 

Durch  die  Güte  des  Hr.  Geh.  R.  (L  v.  Loeper  bin  ich  in 
den  Stand  gesetzt,  den  Brief  des  Grossherzogs  von  Strehtz  an 
August  V.  Goethe,  durch  welchen  der  Erstere  seine  Geschenke 
ankündigte,   mitzutheilen. 

Strelitz  d.  21.  July   1828. 

Ew.  Hochwohlgebohren 

werden  es  mir  gewiss  verzeyhen,  wenn  ich  unbekannter- 
weise so  frcY  bin  Sie  mit  einem  Auftrage  zu  beschweren, 


'  Des  Dicliters  Enkel.  Wer  die  beiden  anderen  Gespielen  des 
Prinzen  Alexander  (des  gegenwärtig  regierenden  Grossherzogs)  waren, 
weiss  icli  nicht. 


Goethe  in  Dornburg.  3^^^* 


da  der  Zweck  desselben  darin  besteht,  Ihrem  Herrn  Vater 
eine  kleine  Freude  /a\  machen. 

Mein  Wunsch  u  Bitte  bestehen  darin,  dass  Sie  die  Güte 
haben  mögen,  die  Uhr  welche,  so  wie  dieser  Brief,  durch 
meinen  Legationsrath  v.  Mever  in  Frankfurth,  Ihnen  zu- 
kommen wird,  am  Morgen  des  28.  Augusts  unbemerkt  in 
das  Haus  Ihres  Herrn  \'aters  bringen  u  dort  auf  dem  Flure 
aufstellen  zu  lassen;  u  wann  dieselbe  von  ihm  wird  bemerkt 
worden  seyn,  dann  erst  einliegenden  Brief  gefälligst  über- 
geben zu  wollen. 

Was  es  für  eine  Bewandtniss  mit  dieser  Uhr  hat,  wäre 
überflüssig  hier  zu  erwähnen,  da  Sie  es  durch  Ihren  Herrn 
Vater  erfahren  werden.  Xur  so  viel  sey  vorläuffig  zu  Ihrer 
Beruhio;ung  o;esaiJt :  dass  ich  mir  das  Geschenk  eines  so 
alten  unscheinbaren  Möbels  gewiss  nicht  erlauben  würde, 
wenn  ich  nicht  hoffen  dürfte,  dass  es  durch  mehrrache 
Beziehung  für  Ihren  Herrn  \'ater  von  einigem  Werth 
sevn  werde. 

Empfangen  Ew.  Hochwohlgebohren  schliesshch  die 
Versicherung  meiner  ganzen  Achtung 

Georg  Grossherzog  v.  Mecklenburg. 

Diesen  Brief,  mit  der  (bisher  ungedruckten)  Einlage  an 
Goethe  übersandte  der  Legationsrath  v.  Meyer  am  29.  Juli, 
Hess  am  i.  Aug.  die  Uhr  durch  den  Frachtfuhrmann  Caspar 
Schack  von  Schwarzhausen  folgen  und  kündigte  den  Abgang 
der  Sendung  in  einem  Briefe  (Frankf.  8.  Aug.  1828)  an. 
August  V.  Goethe  meldete  (19.  Aug.)  an  Meyer  den  Empfang 
der  Briefe  und  der  Uhr  und  zeigte  seine  Bereitwilligkeit  an, 
den  ihm  gewordenen  Auftrag  pünktlich  zu  erfüllen.  (Original 
des  Meyer"schen,  Concept  des  A.  v.  Goethe'schen  Briefes 
gleichfalls  in  Hrn.  v.  Loepers  Besitz.) 


GüETllE-jAHP,ri.-CH    n.  24 


17^ 


NtüL   MiTTHEILLNGEN. 


ANHANG    III. 

a.    Fer~c'ichiiiss  der  Briefe,  ivelche  Goethe  von  Dornburo^ 
ans  schrieb.^ 


Name 
DER  Adressaten, 

Datum. 

1 

Quelle  oder  Druckort. 

Zelter. 

Juli 

lO. 

Zelter,  Bd.  V.,  S.  67  —  70. 

Götze. 

» 

» 

Preuss.  Jahrb.  XXL,  353. 

Weller. 

)) 

» 

Döring,  (xoethe-Briefe  Nr.  941. 

Soret. 

» 

» 

Uhde.  Soret,  S.  48—50. 

August  \.  Go 

ethe. 

)) 

» 

Ungedruckt,  erwähnt  im  Brief 
an  Weller  von  dems.  Tage. 

Kanzler  V.  Müller. 

» 

1 1 . 

Buchdruckergedenkbuch  (Titel 

obenS.  347  A.  2)  S.  82".  83\ 

Soret. 

» 

14. 

Soret,  S.   51-  -54. 

V.  Keuhvitz. 

1) 

I/- 

Goethe  u.  G.  August  IL,  316  — 
319  u.  mehrfach. 

*H.  Meyer. 

)) 

)) 

Grossh.    Biblioth.    in  ^\'eimar. 

*  Müller. 

» 

18. 

Kanzler  Müllers  Archiv. 

*  Frau  \'.  Pog^^ 

'isch. 

)) 

18. 

Frau  Freiligrath  (Vollmers  Ab- 
schrift). 

Müller. 

» 

25- 

Gedenkbuch  S.  83  —  85. 

Me3'er. 

)) 

25- 

Riemer,  Briefe  (1846),  S.  129 
bis   131. 

*  Müller. 

» 

25- 

K.  M.  A.  (Von  Diezel  nicht 
abgeschrieben.) 

Zelter. 

» 

26.  27. 

Zelter  V.,  S.  75-79- 

Zelter. 

» 

27. 

Zelter  V.,  S.  79-82. 

Hofr.  Voigt. 

» 

28. 

Guhrauer.      Joachim     Jungius 

(1850)  S."  185,    186' 

'  Die  mit  einem  *  versehenen  sind  hier  zum  ersten  Male  gedruckt. 
(D.  X.)  bedeutet  Diezel's  Abschrift  aus  Uhde's  Nachlass.  Dem  vor- 
stehenden Verzeichniss  ist  die  unter  den  Goetheforschern  bekannte 
Aufstellung  Diezels  zu  Grunde  gelegt. 

^  Trotz  dieses  Drucks  im  \'orstehendcn  wiederholt,  weil  die  im 
»Gcdenkbuch«  wiedergegebene  Form  mit  der  ursprünglichen  sehr  wenig 
übereinstimmt.  Der  Nachweis  im  Einzelnen  ist  in  den  Anmerkungen 
zu  den  Jiriefen  vom  7.  16.  26.  August  erbracht.  Wem  diese  Willkürlich- 
keiten zuzuschreiben  sind,  Kisst  sich  nicht  mehr  bestimmen.  Der  Heraus- 
geber jenes  Buchdruckergedenkbuchs  gibt  nicht  an,  wem  er  die  Mittbeilung 
der  l^riefe  zu  verdanken  hat;  am  ehesten  könnte  man  Riemer,  der  auch 
anderweitig  bewiesen  hat.  dass  er  solcher  ^Verstümmelungen  fähig  war, 
vcrmuthen. 


Goethe  i\  Dokkhurg. 


i7i 


Name 
IHR  Adressatkx. 


TXvru.M. 


QUELI.K    ODER    DrUCKORI 


Zahn. 

Äug 

I. 

Facsimile  1849  ;  Berl.  Verz.  von 
Goethe's  Handschr.  (1861) 
Nr.    182. 

Soret. 

» 

1-  -3- 

Soret,  S.   55    -58. 

*  Meyer. 

» 

I . 

Grossh.  Bihl. 

*Reichel. 

» 

3- 

Cotta's  Archiv  (^'ollmcr.s  Ab- 
schrift). 

Soret. 

» 

3- 

Soret,  S.  59. 

*  Meyer. 

» 

6. 

Grossh.   Bibl. 

A.  Nicolovius. 

)) 

7- 

Weimar.  Sonntagsbl.  1856,  Nr. 
16,  (Separatdr.  1879  s.  ober, 
S.  324,  A.  4). 

Weiler. 

)) 

7- 

Arch.  für  l.itg.  1876,  V..  H.  4, 
Vgl.  Döring  Nr.  945. 

*  Müller. 

» 

7- 

K.  M.  A.  (D.  A.) 

Zelter. 

)) 

9- 

Zelter,  Bd.  V.,  S.  89    -93. 

*  Meyer. 

)) 

lO. 

Grossh.  Bibl.    (D.  A.) 

*  Müller. 

« 

13- 

K.  M.  A.  (D.  A.) 

Soret. 

» 

13- 

Soret,  S.  60  —  63. 

*  Müller. 

» 

i6. 

K.  M.  A.    (T).  A.) 

Knebel. 

)) 

i8. 

Goethe  u.  Knebel  IL,  S.  385 
bis  388. 

Weller. 

» 

19. 

Major  Jahns  in  Berlin  '. 

Soret. 

)) 

20. 

Soret,  S.   64. 

Götze. 

» 

20. 

Ungedruckt.  Hirzels  Verzeich - 
niss  (1874),  S.   228. 

Weller. 

» 

26. 

Major  Jahns'. 

'  Die  zwei  unter  dem  19.  und  26.  Aug.  angelührtcn  an  Weiler. 
sind  Zettclchen,  deren  \\'orthun,  durch  den  Besitzer  gütigst  mitgethcilt. 
folgender  ist: 

1.  Haben  Sie  die  Gefälligkeit,  mein  Werthester,  beikommende 
Verschiedenheiten  zu  spediren  und  zu  besorgen.  Auch  wenn  etwas 
an    mich    gelangt   wäre   dem    Überbringer  mitzugeben. 

Dornburg,  d.  19.  Aug.   1828.  G. 

2.  Mit  höflichster  Bhte  beikommendes  alsobald  weiter  zu  belörderi: 

ergebenst 

G. 


Dornburg,  d.  26.  Aug. 
1828 


24' 


yj~ 


NtuE  Mittheilungen. 


Name 

Datum. 

Quelle  oder  Druckoki'. 

DKR  Adressaten. 

Zelter. 

Aug.  26. 

Zelter  V,  S.  97 — 101. 

Müller. 

»     26. 

Oedenkbuch,  S.   85. 

*       » 

»     26. 

K.  M.  A.    (D.  A.) 

)) 

))     27.? 

Zeitung  für  die  elegante  Welt 
1828,  Nr.    183. 

*       )) 

))     28. 

K.  M.  A.    (D.  A.) 

=-'V  (Prof.   in    Jena.) 

»    30. 

Ab.schrift  in   Uhde's  Nachlass. 

*  Müller. 

Sept.   1. 

K.  M.  A.  (D.  A.) 

Weller. 

»       I. 

Döring,  Nr.  948. 

(jrüner. 

»       3- 

GrUner,  [oben  S.  t,^2  A.  i] 
S.  236  bis   238. 

(jrossh.  Georg  v. 

»       3- 

Z.  17.  Okt.  1866:  Preuss.  Jahrb. 

Mecklenburg, 

XXV.,   71. 

Meyer. 

»       6. 

lahrb.    f.    Kunstwiss.  IL,    336. 

*  Meyer. 

»       6. 

Grossh.  Eibl.    (D.  A.) 

*  Cotta. 

»     10. 

Cotta"s  Archiv  (Vollmers  Ab- 
schrift). 

/'.    Ve)\eichiiiss  der  Briefe,  welche  Goethe  in  Donibiirg  erhiell 
(soiueil  sie  besiimrnt  nachweisbar)  \ 


Name 
DE.s  Schreibers. 


Ort  und  Datuisl 


Quelle 
ODER  Druckort. 


(iöttling. 

'  V.   Leulwitz. 
? 

Sternberg. 
'Soret. 

Zelter. 

Nees  V.  Esenbeck. 


Neapel  Juni  24. 

Pawlowsk  Juni    28. 
Haag  Juni 
Brezina  Juli   5. 
Wilhelmsthal  Juli  7. 8. 
Berlin  Juli  8. 
Bonn    Ulli    12. 


Fischer :  Goethe  und 
Göttling,  S.  41-  53. 

C.  August  IL,   316. 

Soret,  S.   52. 

Sternberg,  S.  200,  201. 

Soret,  S.  51   A.   2. 

ZelterBd.  V.,  S.  66.67. 

Naturw.Corr.IL,S.  166 
bis  168. 


'  Die  mit  einem  *  versehenen  sind  ungedruckt.  Ob  sie  sich  im 
Goethe-Archiv  in  Weimar  bclinden,  ist  mir  niclit  bekannt.  Die  Ant- 
worten auf  die  meisten  der  hier  genannten  Briefe  ergeben  sich  fast 
ausnahmlos  aus  dem  ersten  Verzeichniss. 


Goethe  ix  Dornburc. 


J/  :> 


Name 
dks  schrkihers. 


()Rr  i'Ni)  Datum. 


Zelter. 
*Soret. 

Zelter. 
*Soret. 

Zelter. 

*  Soret. 
Zelter. 
Zelter. 
Krau   \.    I.ü' 

Zelter. 
Knebel. 

*  Bonstetten. 

Ritgen. 

"Soret. 

*  Clrüner. 

'■"  Abeken. 


(iöttling. 
Zelter.  ' 
Knebel. 


Berlin  Juli   15.  ' 

Wilhelmsthal  Juli  17. 
Berlin  Juli    19.   20. 
\\  ilhelmsthal  Juli  2  i. 
l^erlin  Juli   22. 
W  ilhelmsthal  Juli  27. 
Berlin   Juli   27.      31. 
Berlin   August   4. 
Brc/.ina   August  9. 

Berlin   .August    11. 
Jena  August   14. 
Genf  vor  August  16. 

Giessen    August    18. 

Weimar    August    19. 
Eger  August  20. 

Osnabrück  Aug.  (vor 
dem   28.). 

Florenz  August  21.  ' 
Berlin  August  30. 
Jena  Se])t.    11.^ 


Quelle 

iiDER  Druckort 

Zelter  V..   S.    70  - 

72 

Soret,  S.  55   A.   i. 

Zelter  V..    S.    72- 

74 

Soret,  S.   ^5   A.    1. 

Zelter  V..    S.    74. 

7^ 

Soret,  S.   55   A.    i. 

Zelter   \'..    S.    82- 

-8t; 

Zelter  V..    S.    85- 

-89 

\'gl.  Sternberg  S.  201 
und  oben  S.  320  A.  2. 

Zelter  V.,   S.    93  —  97. 

Knebel  II.,  S.  384,  385. 

Vgl.  Muller,  Unterhal- 
tungen S.   125. 

Natur\v.(  "orr.  IL,  S.  1Q9. 
200. 

Soret,  S.  63  A.  i.  S.  64. 

Briefwechsel.  S.  236 
(vgl.ol)enS.332  A.  i ). 

Eckermann, Gespräche 
IL,  S.   8,   (vgl.   oben 

s.  332)- 

Göttling,  S.   54  —  59- 
Zelter  V.,  S.  102  — 106. 
Knebel  IL,  S.  388.389. 


'  Ob  noch  rechtzeitig  in  Dornhurg  cingetroften?  1804  schreibt 
G.  an  ^\■ilhelm  v.  Humboldt  (Briefw.  hgg.  v.'ßratranek  1876,  S.  215): 
»Die  Briefe  zaudern  jetzt  unerträglicii,  einer  von  Florenz  hierher  lault 
20  Tage  und  darüber c 

-  Obwohl  Goethe  an  dem  genannten  Tage  Dornburg  verliess,  so 
ist  es,  bei  der  so  geringen  Entfernung  zwischen  D.  und  Jena  immerhin 
möolich,  dass  er  aen  Knebefschen  Brief  noch  erhalten  hat. 


4.   Mittheilungen 

VON  ZErrGENOSSEN  ÜBER  GOETHE. 


I.    Aus  BERTUCHS  NACHLASS. 

VERÖFFENTLICHT  \ON 

LUDWIG    GEKiER. 


ie  nachfolgenden  Mittheilungen  stammen  grössten- 
theils  aus  dem  Nachlasse  F.  J.  Kertuchs  (Frorieps 
g^^l  Archiv  in  Weimar),  aus  dessen  reichen  Schätzen 
auch  einige  oben  abgedruckte  Goethebriefe  entnommen  sind. 
Aus  dieser  Provenienz  erklärt  sich,  dass  die  meisten  derselben 
an  Bertuch  gerichtet  sind ;  die  beiden  ersten  nicht  an  Bertuch, 
sondern  an  Wieland  adressirten  gehören  zu  den  mannigfachen 
aus  Wielands  Nachlass  in  denBertuch'schen  herübergekonnnenen 
Schriftstücken.  Vielleicht  wird  man  unter  den  Correspondenten 
Böttiger  vermissen,  aus  dessen  Nachlass  der  vorige  Jahrgang 
Goethe-Mittheilungen  bringen  konnte.  Wirklich  hat  Köttiger 
zahllose  Briefe  an  Bertuch  und  dessen  Schwiegersohn  Froriep 
(von  1791  — 1834)  geschrieben  und  in  denselben  nach  seiner 
Art,  nämlich  in  klatschsüchtiger,  kleinlicher,  boshafter  Weise, 
maiK  hmal,  freilich  nicht  so  häufig,  als  man  erwarten  sollte, 
sich  über  Goethe  geäussert.  Doch  schien  es  mir  gerathener, 
die  nachfolgende  Reihe  ^■on  Mittheilungen  nicht  durch  der- 
artiges Geschwätz  zu  unterbrechen  :   um  aber  nicht  der  rn\  oll- 


MlTTHElLLNGEN    VON    ZeITGENOSSUK    ÜBER   GOETHE.  jjj 


stäncUgkeit  beschuldigt  zu  werden,  stelle  ich  hier  das  ^^'esent- 
liche  zusammen. 

Weimar  6.  März  1796:  »(loethe  hämmert  in  Jena,  wo  er 
nach  seiner  \'ersicherung  allein  noch  einige  Laune  zum 
Schriftstellern   hat,  an  seineni  ewigen  Meister«. 

27.  Juli  1798:  «Das  Comödienhaus  bekommt  auf  Schröders 
Ankunft  Logen.  Die  Architekten  Wolzogen  und  (joethe  weisen 
einander  die  Zähne,  weil  (Joethe  zum  Bau  des  Comödien- 
hauses  dem  armen  Wolzogen  das  Holz  zum.>5chlossbau  weg- 
gefahren hat«. 

Dresden  2^.  Aug.  1804:  »Ich  kann  nicht  läugnen ,  dass 
ich  um  so  lieber  im  Merkur  ein  gelungenes  Werk  von  Schadoiv 
bekannt  mache,  je  despotischer  und  wegwerfender  (loethe  u. 
Comp,  den  braven  Berliner  Künstler,  dem  Tiek  noch  lange 
nicht  gleichkommt,  seit  einigen  Jahren  l)ehandelt  haben«. 

5.  Febr.  1805:  Empfiehlt  Gruber.  »Da  haben  wir  denn 
unser  blaues  Wunder  über  das  Treiben  der  Jenaischen  Literatur- 
Zeitung  vernommen,  (joethe  hat  manchmal  50  Recensionen 
zu  allerhöchster  Stempelung  bei  sich  liegen.  Eichstädt  muss 
einen  sehr  bösen  Dämon  in  sich  haben«. 

24.  Aug.  1806:  »Mit  Goethe  habe  ich  in  den  4  \\  (jchen, 
wo  wir  zusammen  im  Karlsbad  gewesen  sind,  mich  nur  stumm 
gegrüsst.  Es  ist  nicht  meine  Schuld.  Er  wollte  es  so  haben, 
wie  mir  Henderich  (?)  sagte  und  ich  fand  mich  natürlich 
auch  nicht  geneigt,  ihm  zu  hofiren.  Welch  eine  suttanische 
Arroganz«. 

24.  April  1807:  »Ich  habe  die  Blume  schon  in  Händen, 
die  Goethe  auf  Amaliens  Grab  gestreut  hat.  Es  ist  nicht  zu 
läugnen,  dass  sie  manch  aromatische  Ausdüftung  verstreut, 
aber  hie  und  da  riecht  man  doch  auch  den  Minister,  der  den 
Lebenden  schön  tliut.  Da  ich  als  Redacteur  des  Merkurs 
bekannt  bin  und  sich  (joethe  nt>ch  das  letzte  Mal,  in  Karls- 
bad so  bäurisch  grob  gegen  mich  benommen  hat,  dass  es 
aller  Welt  auffiel,  so  kann  ich,  verzeihen  Sie  mir  diese  Weige- 
rung, sein  Specimen  nicht  in  den  Merkur  aufnehmen,  ohne 
den  Anschein  zu  haben,  als  wollt  ich  ihm  den  Hof  machen. 
Auch  ist  es  eine  grosse  Frage,  ob  Vater  Wieland  mit  allem 
was  Goethe  sagte  oder  versc/mneg .  zufrieden  ist.  Endlich 
erscheint  dies  Andenken  auch  sogleich  in  Eichstädts  Allg  - 
Lit.-Zeit.  :  wir  kommen   viel   zu   spät  damit«. 

Aus  den  späteren  l]riefen  sind  nur  wenige  Notizen  hervor- 
zuheben.    Am  16.  Febr.  1814  fragt  er  an.  ob  der  circulirende 


37^  Nele  Mittheilun'gex. 


Quatrain  auf  die  Kaiserin  .  in  welchem  dieselbe  »das  holde 
Licht  von  Osten«  genannt  werde,  wirklich  von  Goethe  sei. 
im  Sommer  desselben  Jahres  erwähnt  er  des  Gerüchts  (er 
bedient  sich  der  lateinischen  Sprache  zur  \\'iedergabe  des 
Geschwätzes),  dass  G.  clur(  h  unmässiges  Essen  und  Trinken 
sich  körperlich  fast  ruinirt  habe,  am  12.  Dez.  18 16  (also 
6  Monate  nach  Christianens  Tode)  will  er  wissen,  ob  es  wahr 
sei,  dass  Goethe  die  Hofdame  der  Cirossherzogin.  die  Gräfin 
Schulenburg    heirathe. 

Diese  Proben  werden  zur  Charakterisirung  desBöttigeriscIien 
Creschwätzes  genügen  und  werden  rechtfertigen,  dass  ich  nicht 
jede  Notiz,  die  Herr  Ubique  irgendwo  aufgestöbert  hatte, 
aufgespürt  und  mitgetheilt  habe. 

Von  den  übrigen  Briefschreibern  sind  viele  allgemein 
bekannt.  Zu  ihnen  gehören :  Der  Aesthetiker  Blankenl)urg. 
"der  alte  Cileim,  der  Buchhändler  Göschen,  der  Jurist  Hufeland. 
F.  H.  Jakobi,  dessen  Aeusserungen  als  aus  der  Periode  der 
Erbitterung  gegen  (roethe  stanunend,  doppeltes  Interesse 
erregen,  (i.  M.  Kraus,  der  für  Weimars  Kunstleben  bedeutende 
Maler,  Rühle  v.  Lilienstern,  der  Berliner  Buchhändler  Unger. 
und  endlich  der  Dichter  Ghr.  Fei.  Weisse.  Von  den  Uebrigen 
weiss  man  zum  Theil  sehr  wenig,  doch  schien  es  nicht  räthlich. 
ihre  Urtheile  und  Erzählungen  mit  ausfülirlichen  Anmerkungen 
zu  beschweren. 

Auch  die  anderen  zahlreichen  Correspondenten  Bertuchs 
lassen  es  gelegentlich  an  einem  für  (joethe  bestimmten  Gruss. 
oder  einer  ihn  betreffenden  Anfrage  nicht  fehlen.  Doch  würde 
es  zu  weit  führen  alle  derartige  Notizen  zu  sammeln  und 
abzudrucken.  Nur  von  einem  der  Briefschreiber,  von  dessen 
Beziehungen  zu  Goethe  auch  sonst  mancherlei  bekannt  ist. 
von  dem  Mediziner  Loder  in  Jena,  seien  drei  solcher  Notizen 
hier  zusammengestellt.  (Undat.,  Anf.  1782):  »Eben  ist  Goethe 
hier  und  ich  unterhalte  ihn  den  ganzen  Tag.  Er  ist  auch  ein 
treufleissiger  Auditor  in  allen  meinen  Collcgiis  und  wir  hal)en 
nachher  herrliche  LTnterredungen  darüber«.  (7.  Juni  1788.) 
Uebersendet  ihm  sein  »Handbuch«  und  bemerkt  dazu:  »Wenn 
Sie  aber  gar  nichts  in  diesem  Buch  lesen  können,  so  lesen 
Sit'  die  Note  89,  wo  Goethe's  panegyricus  steht«.  (14.  Jan. 
1795.)  );(ioethe  hat  sich  eben  gemeldet,  daher  will  ich  nur 
das  Dringendste  beantworten  .  .  .  .  G.  und  Meyer  hören  die 
Syndesmologie  con   amore«. 


MiTTHEILLNGtN    VON    ZtITGENOSSEX    ÜBER   Goi^THE.  jJJ 

(F///^  Jnrobi  au  fficlniid.  Elherfehl,  lO.  Juli  ijjy.) 

Ganz  gewiss,  mein  liebster  Wieland,  liatten  Sie,  als 
Sie  mir  Ihren  letzten  Brief  schrieben,  den  Sebaldus  Xoth- 
anker  nicht  ganz  u.  was  Sie  darin  gelesen  harten,  sehr 
riüchtig  u.  in  einer  besonders  gutherzigen  Laune  gelesen. 
Als  ich  auf  V^  1  heil  nach  mit  dem  Buch  zu  ]:nde  war, 
setzte  ich  mich  hin  und  schrieb  Ihnen  einen  drolligten 
Brief  darüber;  bewies  Ihnen,  aus  verschiedenen  Beyspielen 
—  unter  andern  aus  einem  vom  Doctor  Göthc  (dem  \'er- 
fasser  des  infamen  Artikuls  gegen  meinen  Bruder  in  den 
Frankfurter  Anzeigen  von  1772')  hergenommenen  sehr 
treffenden  Beispiele,  dass  mein  Urtheil  über  die  Schritten  u. 
Talente  eines  Mannes  u.  meine  Gesinnungen  gegen  seine 
Person,  nie  etwas  mit  einander  gemein  haben,  —  hernach 
beleuchtete  ich  den  Satz,  duss  der  Hnlhnsiasiiuis  do  cdclcii 
Seelen  inlolcraul  iiiache  und  zeigte,  dass  es  um  den  zu  weit 
getriebenen  Tolerantismus,  der  allemahl  eine  ^~//  alh^citiciuc 
Svmpathie  \-oraussetzt,  eine  sehr  gefährliche  Sache  sei, 
indem  dadurch  alle  Triebfedern  der  Seele  losgeroUt  und 
zu  tanzenden  Schnörkeln  würden.  —  Und  diesen  schönen 
langen  Brief,  mein  bester  Bruder,  habe  ich  vor  ohngelahr 
2  Stunden  in  1000  Stück  zerrissen.  —  Nehmen  Sie  Ihren 
Sebaldus  und  lesen  Sie  darin  das  3\f  Stück  des  3"?,"  Buchs, 
so  werden  Sie  begreiten,  was  mich  in  dem  Grade  aus  aller 
Fassung  gebracht  hat.  —  Heute,  mein  Freund,  kann  ich 
noch  nicht  sagen,  was  ich  gegen  den  infamen  Pasquillanten 
Nicolai  unternehmen  werde;  ich  habe  blos  Sie  zu  ersuchen, 
im  Fall  der  Sebaldus  im  II  Th.eil  des  Merkurs  angezeigt 
oder  recensirt  sein  sollte,  dass  das  Blatt  weggeschnitten 
oder   der  Bogen,   halbe   oder   V^  Bogen ,    herausgenommen 


'  Gemeint  ist  die  Besprechung  des  Schrii'tcliens:    «Uebcr  das  von 
Prof.  Hausen  entworfene  Lebensbild   des  G.  R.  Klotz«.     Vgl.  Scherer 
Goethe  als  Journalist.     Deutsche  Rundschau  Y.,  S.  69 — 71. 


\jS  Neue  Mittheilungex. 


werde.  Es  würde  überall  Abscheu  u.  Gelächter  erwecken, 
wenn  Sic  ein  Buch  anpreisen,  worin  der  Edle  George  auf 
die  niederträchtigste  Weise  ridiculiesirt  wird.  —  Rache 
verhtnge  ich  nicht  von  Ihnen.  Mein  bebender  Arm  wird 
nur  desto  rascher  den  Dolch  führen,  und  ihn  bis  ans  Hett 
in  das  Herz  des  Elenden  stürzen,  der  hinter  meinem  Bruder 
herschlich,  um  ihn  zu  morden.  —  Also  Rache  fordere  ich 
nicht,  nur  sollen  Sie  verhindern,  dass  meine  Wuth  nicht 
in  einen  Schmerz  verwandelt  werde,  der  micli  tckiten  würde. 
—  Sie  wollen  doch  Ihre  Brüder  Jabobi  nicht  verlieren  — 
nicht  auf  6^u'/V  verlieren  ? 

Sie  sehen,  mein  Liebster,  wie  es  mit  ;nir  ist,  u.  dass 
ich  vor  itzt  die  Eeder  hinlegen  muss.  —  Leben  Sie  also 
wohl,  mein  theurer  Freund  u.  antworten  Sie  mir  ohne 
Fehl  mit  umlaufender  Post.  — 

Fritz  Jacobi. 

Was  um  Gottes  Willen  sagen  Sie  doch  dazu :  der 
Verfasser  des  Chaniiides  eine  Brevseele  ?  Eben  der  Mann, 
von  dem  Wieland  schwur,  dass  er  ihn  über  alles,  dass  er 
ihn  mehr  noch,  als  seinen  Fritz  liebe,  —  den  dart  ein 
Nicolai  mit  Koth  werfen  !  ein  Nicolai  darf  seine  erhabene 
Seele  verhöhnen  ;  Bildung  der  Grazie  für  weibisches  Wesen 
und  Sanftmuth  für  nervenlose  Trägheit  ausschreien. 

(Fril~  Jacobi  iiii  lllehtiid.  Düsseldorf,  S.  Mai  1774-) 

....  Erst  vorgestern  erhielt  ich  Nachricht  von  Tante 
Fahimer,  wie  die  Scene  zwischen  ihr,  dem  Doktor  Göthe 
und  dem  Merkur  abgelaufen  ist.  Göthe  hatte  der  Fever 
einer  goldenen  Hochzeit,  die  mit  ausserordentlicher  Pracht 
aul  dem  Lande  begangen  wurde,  beygewohnt  und  war 
deswegen  verschiedene  Tage  lang  von  Frankfurt  abwesend. 
Alles  übrige  werden  Sie  in  beyliegendem  Auszuge  finden. 
Die  iM'eude,    welche  dieser  ganze  Vorgang  mir  verursacht. 


Mittheilungen  von  Zeitgenossen  ühek  Goethe.         379 


ist  nicht  zu  beschreiben  und  nicht  zu  crmessen.  Nächsten 
Postiag  schreibe  ich  Ihnen  mehr  von  Göthe,  dem  wir, 
seiner  gegenwärtigen  Aeusserungcn  i)hngeachict,  nicht  /ii 
viel  gutes  zutrauen  dürlen,  denn  ei'  ist  und  bleibt  ein 
/ügelloser  unbändiger  Mensch.  Sie  sollen  das  Fasquill, 
das  er,  unter  dem  Titul  '   .  .  . 

Auszug  aus  einem  Briefe  von  Tante  l'ahlmer  an  Iritz 

jacobi. 

Göthe.     Tante. 

Die  Tante  sitzt  vor  ihrem  Klavier,  spielt  aber  nicht 
mehr  drauf,  sondern  liest  in  Mad.  du  Boccage.  Göthe 
kömmt  gestiefelt  und  in  einem  Englischen  Ueberrock.  Noch 
aut  der  obersten  Stubentreppe  stehend  und  eines  seiner 
gestiefelten  Beine  hervorstreckend. 

Göthe.  Tante!  Da  komme  ich  .  .  .  ja,  gestiefelt  und 
eingemunnnclt.     Das  ist  die  \'ariation. 

Taute.  Aber  Sie  riechen  doch,  als  wie  in  Ambrosia 
getaucht. 

Göthe.  Ich  komme  vom  Dechant.  (Dumeix)  —  Aber 
was  machen  denn  Sie,  liebe  Tante? 

Taute.  Da,  mit  Mad.  du  Boccage  unterhalt  ich  mich 
ganz  gut.     Wie  gefällt  Ihnen  dies  hier?" 

Göthe.     O  —  gut !  gut !  ist  recht  gut ! 

Taute.  Wissen  Sie?  —  Sie  haben  mirs  lange  gemacht, 
bis    Sie    wieder    heramrekommen    sind.      Ich    habe    etwas 


'  Mit  diesem  Worte  hört  der  Briefbogen  auf  und  der  dazu  gehörige 
/.weite  konnte  trotz  eifrigen  Suchcns  nicht  gefunden  werden.  Man 
möchte  am  ehesten  oDas  UngUicl<  der  Jacobis«  erganzen.  .\uch  der 
angekündigte  Brief  vom  nächsten  Posttag  ist  nicht  erhalten.  Das  im 
Text  Folgende  steht  auf  besonderen  Blattern  von  Jacobi's  Hand. 
^  Aretins  Grabschritt: 

L'aretin  repose  en  ce  lieu 

De  chacun  il  fit  la  satirc 

Mais  ne  connaissant  point  de  Dieu 

De  Dieu  seul  il  ne  peut  medirc. 


580  Neue  Mitthuilungen. 


bekommen,  das  für  Sie  zu  allererst  mit  /um  Genuss  soll 
sevn,  iibci'  mit  der  Zeit  —  o,  dann  kömts  /um  General 
Tractamcnt  für  das  Publikum.  Aber  erst  sagen  Sie  mir. 
wie  hats  gegangen?  Ist  brav  getan/t  worden?  W^u's  denn 
sehr  herrlich? 

Göihe 

(\\'ir  gi engen  mit  einander    in  der    Stube  aut  und  ab. 
Des  kleinen    George  '    Kribel   Krabel   Briefchen    lag 
auf  meinem  Tische.) 
Tanie.     Da,  lesen  Sie  vom  kleinen  George. 
(Göthe  liest.     Unterdessen   holt  die  Tante  ihre  Arbeit 
und  die  Blätter  vom  Merkur  und  setzt  sich  an  ihren 
Schreibtisch,  Göthe  gegenüber.) 
Tanie.     Sehen  Sie  hier !   Nun  was  habe  ich  ? 
Gölhc.     Was  ists?  Was  ists,  lieb  Täntchen?   Lassen  Sie 
sehen. 

Taute.  Es  ist ,  worauf  Sie  sich  bev  BöUing,  wenns 
ankäme  als  aut  ein  herrliches  Tractament  zu  Gast  geladen 
haben. ^ 

Aber  ich  habe  noch  mehr. 

(Tante  hält  ihm  die  Revision  '  über  Götz  von  Berlichingen 
vor  die  Augen  und  giebt  ihm  die  Blätter  zusammen.) 
G'öiJn'  (nacii  einigem  Lesen).  Xu,  Wieland,  du  bist 
ein  braver  Kerl!  —  Ein  ganzer  Kerl!  Was?  fängt  er's  so 
an?  O,  gut!  Nun,  Sie  wissen  Tante,  was  ich  immer  von  W. 
gesagt  habe  —  ob  ich  ihm  nicht  immer  gut  war?  Ich 
habe  allezeit  gesagt,  es  ist  ein  ganzer  Kerl,  ein  guter  .Mensch. 


'  Fritz  Jacobis  Söhnchen. 

^  Goethe  war  wegen  Wielands  Rache  voller  Krwartung  und  sah 
deswegen  dem  \l.  Theile  des  Merkurs  mit  brennender  Ungeduld  entgegen. 
(Die  .Anmerkung  ebenso  wie  S.  579,  .\  2  ist  von  der  Hand  Fr.  Jacobis.) 

""  Ist  iedentalls  für  »Recension«  verschrieben. 


MlTTHElHJNGtN    VON    ZlilTGtNOSSEN    ÜBER    GOETHE.  38 1 


Aber  ich  bin  gegen  ihn  aufgebracht  worden.  Den  ver- 
fluchten Dreck  schrieb  ich  in  der  Trunkenheit.  Ich  war 
trunken!  Und  wie  ich  Ihnen  gesagt  habe,  in  liwigkeii 
hätte  ich's  nicht  selber  in  Druck  gegeben;  aber  ich  hatte 
es  nicht  mehr  allein  in  Händen.  -  Und  ich  bin  wie  der 
llerodes;  in  gewissen  Augenblicken  kann  man  Alles  von 
mir  erhalten.  Schon  lange  haben  mir  die  Kerls  vorge- 
schwätzt: »lass's  drucken!  lass'  drucken!«  —  Nä  ihr  sollt 
nicht!  —  Da  kommen  sie  mir  aber  auls  neu:  »O  mein! 
lass  es  uns  drucken!«  Und  ich  hatte,  Gott  weis!  weder 
neue  Bosheit  noch  Ärger  gegen  W.  —  Nun  so  druckts 
und  schert  euch!  .  .  .  Da,  da  (mit  dem  Finger  auf  das 
Blatt  deutend).  Das  ist  just  was  mich  :\n  W.  so  ärgerte, 
und  mich  reitzte,  mich  gegen  ihn  auszulassen.  Da^  der 
Ton.  Sehen  Sie,  liebe  Tante;  ich  will's  nicht  sagen,  ich 
selbst  hab  Recht,  W.  hat  Unrecht.  Denn  Alter,  Zeitpunkte, 
alles  macht  Verschiedenheit  in  der  Art  zu  sehen  und  zu 
emptinden.  Jetzt  denk  ich  nur  so  und  so;  vielleicht  in 
dem  Alter  von  W.  —  wer  weiss  noch  eher?  —  denke 
ich  inst  so  wie  er.  Drum  was  soll  ich  sagen?  Hat  er 
nnn  Recht?  Oder  hab'  ich  nnn  Recht?  —  Der  Eindruck 
den  man  itzt  selbst  hat,  der  gilt.  Wieland  hat  Recht,  dass 
er  so  urtheilt ;  aber  mich  ärgert's  ;/////  noch.  —  »Mit  der 
Zeit!  Mit  der  Zeit!«  Ja  das  ist's,  das  ist's!  just,  just  so 
spricht  mein  Vater;  die  nehmliche  Händel,  die  ich  mit 
diesem  in  Politischen  Sachen  habe,  hab'  ich  mit  \V.  in 
diesen  Punkten.  Der  Vater-Ton !  der  ist's  just,  der  mich 
aufgebracht  hat.  —  Sagen  Sie  mir  um  Gotteswillen,  warum 
er  sich  just  an  seine  allerschlechteste  Arbeit  machte  und 
mit  den  ewigen  Briefen  sie  vertheidigte?  Seine  Musarion, 
ein  Werk  wovon  ich  jedes  Blatt  auswendig  lernte,  das  aller- 
vortrefflichste  Ganze ,  das  je  erschienen  ist  ...  .  nichts, 
nichts  nimmt  er  sich  so  an,  als  der  x\lcesLe,  die  tür  mich 
just  das  Schlechteste  von  allen    seinen  Werken  ist.  —  Ich 


382  Neue  Mittheilungen. 


muss  weiter  lesen.  —  Ganz  bniv!  Ganz  brav!  Nun  Wieland, 
unsere  Fehde  ist  aus;  dir  kann  ich  nichts  mehr  thun.  Das 
ffarstiije  Fra/enzeui}  hat  er  schon  gelesen,  das  seh'  ich. 

Tante.  Ja  freiUch!  Kommen  Sic,  lesen  Sie,  das  hier 
ist  die  Antwort  drauf. 

(Er  wurde  roth.     Ich  sah,  dass  es  ihn  erschütterte.) 

Gölbc.  Besser  hätt  er  es  nicht  machen  können.  Sehr 
gut !  Ich  sag's  ja,  nun  muss  ich  ihn  auf  immer  gehen 
lassen.  W.  gewinnt  viel  bei  dem  Publico  dadurch,  und  icii 
verliere.     Ich  bin  eben  jvosliluirl. 

(Tante  lachte  herzlich.) 

Nun  wieder  an  den  Anfang  von  der  Recension.  Die 
Vergleichung  mit  den  jungen  Füllen  u.  s.  w.  Durch- 
geschnattert und  dabei  vielmahl  ausgerufen:  es  ist  wahr, 
er  hat  Recht!  ganz  excellent!  —  Weiter  gelesen.  —  Gut! 
meinen  Weisslingen  beiu'theilt  er,  wie  ich  ihn  will  gelesen 
haben.  —  Gut!  Besser  als  Wieland  versteht  mich  doch 
keiner.  —  An  der  Stelle,  wo  er  wegen  der  Vermischung 
der  Sprachen  in  verschiedenen  Jahrhunderten  getadelt 
wird,  sagte  er:  auch  recht,  auch  gut;  aber  wer  Teuiel 
anders,  als  ein  W.,  Lessing,  kann  mich  hierinnen  beur- 
theilen?  Freilich  hat  er  ganz  Recht;  ich  hab"s  selber 
genug  gefühlt  u.  s.  w.  Die  Folge  meiner  Werke  soll's 
zeigen,  ob  ich  meine  Fehler  kannte. 

Tcinie.  Haben  Sie,  seit  ich  zu  Düsseldort  war,  nicht 
sonst  noch  etwas  Hübsches  im  Genre  des  Götter-Gesprächs 
componirt  ? 

G'ölhc.  Niclits,  liebe  Tante.  Den  Satiros.  Nun,  der 
war  schon  vor  ihrer  Abreise  fertig. 

TiDilc.  Gar  nichts?  Ein  dergleichen  freundschaftliches 
Drama  (sie  kuckte  ihm  gerade  in  die  Augen).  Sie  sind 
aufrichtig,  Göthe !  Darum  müssen  Sie  mirs  gestehen. 

G'olhe.     Das  will  ich.   Ja  liebe  Tante;  fragen  Sie  nur! 


MlTTHEILUNGhN    VON    ZEITGENOSSEN    ÜliEK    GoETHE.  ySy 


Tante.     D:is  Unglück  der  J***? 

G'othc.  ja,  das  ist  wahr.  Aber  schon  lange,  ehe  ich 
sie  noch  alle  kannte;  es  war  blos  anf  Anecdoten,  auf 
Wischwaschereion  gebaut,  alles  von  Hörensagen.  Ihr  alle 
seid  lächerlich  mitgespielt.  Sie  auch  Tante.  Niemand,  als 
die  L.  R.,  Merk  und  der  Dechant  habens  gelesen ;  und  niemand 
mehr  in  der  Welt  soll  es  auch  /u  hören  und  /u  sehen 
bekommen;  es  soll  nie  wieder  an  das  Licht  riechen.  — 
Es  ist  auch  nicht  einmal  ausgemacht,  —  gilt   nicht  mehr. 

Tante.     Aber  ich   doch  muss  es  hören? 

Götbe.  Liebe  Tante,  das  kann  unmöglich  sein.  \'er- 
langen  Sie  es  nicht 

Nach  Hin-  und  Wieder-Reden  wurde  es  klar,  wer  der 
Held  darin  sei,  und  was  den  Anlass  dazu  gegeben  hatte. 
Es  wurde  gleich  nachlier  als  G.  und  Merk  von  Koblenz 
zurückkamen,  geschrieben 

Wir    hatten   grossen  Spass  und 

Gelächter  über   das    Ding,    wie    und  wohin  er  mich  schief 
und  über  Eck  gestellt  hätte  u.  dg!. 

(Frily^  Jacohi  an  IVieland. '         Düsseldorf,  4.  Juni  1774.) 

Meine  Merkurs  sind  am  Donnerstag  angekommen. 
Bitten  Sie  die  Erfurter,  dass  sie  künftig  unser  Journal 
4  Wochen  später  ankündigen.  Dass  die  Recension  des 
Merkurs  in  diesem  Blatt  so  gar  früh  erschien,  hat  Göthen, 
wegen  der  ihn  betreffenden  Anmerkung  ein  wenig  spannend 
gemacht;  es  war  darum  recht  gut,  dass  er  die  relativen 
Artikuls  im  Merkur  bereits  gesehen  hatte.     Die  Recension 


'  Der  grössere  Theil  des  nicht  uninteressanten  Briefes  enthält  eine 
sehr  ausführliche  Besprechung  von  Heinse's  Laidion,  die  an  dieser 
Stelle  nicht  mitzutheilen  war. 


384  Neue  Mittheilungex. 


in  der  Irankfurtcr  gelehrten  Zeitung,  deren  Sie  erwähnen, 
ist  mir  niciu  /u  Gesicht  gekonimen.  Ich  will  sie  mir 
schicken  lassen  und  nach  dem  \'ertasser  forschen  .... 
Die  Comödie  der  Hofmeister,  ist  nicht  von  Göthe. 

(Schcrjf  LDi  Bcrliich.  lliiiciuui,  2^).  Scplcmhcv  i'J'J^.) 

.  .  Ich  habe  mit  vielem  X'ergnügen  die  mir  über- 
sendeten Bücher  empfangen,  ich  habe  sie  auch  alle  schon 
durchblättert.  Goethens  Hofmeister  war  mir  vorzüglich 
willkommen,  nicht  eben  weil  ich  ein  besonderer  Liebhaber 
der  dramatischen  Dichter  wäre,  —  das  bin  ich  nicht,  mein 
Freund,  denn  ich  kenne  die  Dramaturgie  und  die  Bühne 
selbst  zu  wenig,  aber  ich  schätze  das  Genie  des  Göthens 
unendlich  hoch,  weil  ich  nie  zu  dem  Glauben  mich  über- 
winden konnte,  dass  ein  Deutscher  je  mit  Shakespeare 
glücklich  wetteifern  würde,  aber  Götz  von  BerHchingen 
und  nun  der  Hofmeister  haben  meine  Furcht  über- 
wunden. 

(Weisse  an  Bertuch.  Undatiri.    ii']^.) 

Des  Puente  spanische  Reisebeschreibung  müssen  Sie 
besser  als  ich  beurtheilen.  können,  da  ich  sie  blos  aus  der 
hohen  Empfehlung  der  Ephemeridi  literariae  kenne.  Ich 
wundere  mich  gleichwohl,  dass  sie  in  der  Weygandischen 
Buchhandlung,  die  Goethe  und  Consorten  meistens  in 
Beschlag  nehmen,  auch  übersetzt  wird.  Vermuthlich  haben 
Sie  den  neuen  Menoza  schon  gelesen  ?  Den  Seitenhieb, 
den  ich  darinnen  soll  bekommen  haben  (denn  ich  seihst 
habe  ihn  so  wenig  als  andre  Messbücher  gelesen)  lass  ich 
mir  gern  gefallen,  da  andere  grössere  Dichter  als  ich, 
nicht  besser  sollen  weggekommen  seyn.  Der  Verl,  ist 
ein  gewisser  Lent  (sie)  aus  Strassburg,  ein  h'reund  Goetiiens, 
der  auch  den  Hofmeister  geschrieben  hat. 


Mn  THLILLNGhN    VON    ZlITGEKOSSUN    ÜBER   GohTHL.  yS) 


(G.  M.  Kraus'.  Frankfurt,  /.  M<7r~  777/ J 

\'üri^cstcni  waren  llr.  Hot -Kamiiierrath  jacobi  mit 
seiner  Cousine  Müe  1-albert"  be\-  mir,  besahen  und  lobten 
die  Portraits  von  der  lieben  Wieland'sclien  Familie,  treueten 
sich  besonders  über  die  Gleichheit  in  dem  Porträt  des 
Hn.  Hofraths  .  .  . 

Nun  hören  Sie,  \\as  Göthe  sai^t.  Dieser  hat  mich 
schon  etliche  mahle  besucht.  Des  Hn.  Hotraths  Wieland 
Portrait  lobt  er  über  alle  massen;  diesse  gantze  Familie 
gefält  ihm  ;  Carolingen  heisst  er  seine  favorite.  »Man  sieht 
ihr  die  Gutheit  in  ihren  Gesichtszügen !  Sophiegen,  sagt 
er,  ist  eine  kleine  Schönheit,  aber  et\vas  schalkhaft  und 
gefährlich!  Die  wird  Männer  rasen  machen.  Dorgen  ist 
ein  kleiner  Teufel.  Malchen  sehr  unschuldig  und  ange- 
nehmes  Kind«.  Das  ist  das  Urtheil  von  Goethe  über  diese 
Portraits,  welches  er,  wie  er  mir  noch  heute  sagte,  selbsten 
an  Hn.  Hotrath  schreiben  wird.  '  Die  Anordnimg  vom 
gantzen  Bild  getällt  ihm  nach  meiner  Skitze  sehr  wohl,  nur 
mit  der  Finrichtung  des  Zimmers  ist  er  nicht  ganz  zufrieden, 
es  scheinen  ihm  die  darinnen  angebrachte  Meubles  zu  reich 
und  prächtig  für  einen  Autor  zu  se\n !  Daran  last  sich 
denken  und  ändern  ohne  dem  gantzen  zu  schaden.  Goethe 
ist  jetzo  lustig  und  munter  in  Gesellschaften,  geht  auf 
Bäle  und  tantzt  wie  rasend !  Macht  den  Galanten  bevm 
schönen  Geschlecht:  das  war  er  sonsten  nicht.  Doch  hat 
er  noch  immer  seine  alte  Laune.  Im  eifrigsten  Gespräche 
kan  ihm  einfallen,  aufzustehen,  fortzulaufen  und  nicin 
wiederzuerscheinen.  Er  ist  gantz  sein,  richtet  sich  nach 
keiner  Menschen  Gebräuche,  wenn  und  wo  alle  Menschen 
in   feverlichsten    Kleidungen    sich,   sehen   lassen,   sieht    man 


'  Der  Adressat  dieses  und  der  in  diesem  Absclmitt  folgenden  Briefe 
ist  Bertuch. 

^  Es  muss  jedenfalls  Fahlnier  heissen. 

Goethe-Jahrblcii  II.  25 


386  Neue  Mhiheilungen. 


ihn  im  grösten  neglige  und  ebenso  im  Gegentlieil.  Goethe 
will  oft  zu  mir  kommen  und  hev  mir  zeichnen,  welches 
ich  ihm  sehr  gerne  erlauben  werde.  Er  hat  seit  einem 
Jahr  viel  gezeichnet  und  auch  etwas  gemalt.  Viele  Schatten- 
bilder und  auch  andere  Gesichter  im  Prohl  macht  er,  trifft 
öfters  recht  gut  die  Gleichheit.  Nun  deucht  mich  hätt 
ich  Ihnen  genug  von  diesem  xManne  geplaudert,  ein  ander- 
mal ein  mehreres.  Noch  eins  muss  ich  Ihnen  sagen  — 
und  das  zwar  sage  ich  Ihnen  nicht  gern  —  Goethe  hat  mir 
angekündiget,  dass  ich  in  hiesiger  Stadt  nicht  viel  Sub- 
scribenten  für  Ihren  Don  Quixote  anwerben  würde.  Ein 
garstiges  Zeichen  vom  Geschmack  meiner  Landsleute. 

(Derselbe.  Frank fitrl,  1;.  Mai  ij'J).) 

Goethe  ist  nicht  Autor  von  Prometheus -Deukalion; 
ich  weiss  es'  gantz  gewiss,  weilen  ich  den  Mann  kenne, 
der  diesse  —  wie  Sie  es  heissen  —  Scharteke  gemacht 
hat ;  ich  musste  mein  Ehrenwort  geben,  dessen  Nahmen 
noch  etliche  Wochen  zu  verschweigen,  Sie  sollen  ihn  aber 
bald  durch  ein  neu  herauskommendes  Werk  oder  durch 
mich  kennen  lernen. 

(Gleiiii.        Halbersiadt,  ij.  Januar  bis  /_/.  Februar  I//6.) 

Sei  zufrieden,  guter  \'ater  Gleim,  dass  Bertuch  Dich 
nicht  vergessen  hat  und  dass  Dein  Herzensbruder  Wieland 
unter  seinen  Lavatern  und  Goethen  doch  Dein  Herzens- 
bruder geblieben  ist  .  .  .  Mags  nicht  wissen,  warum  Sie 
keine  S\lbe  von  Goethe  sagen,  dass  er  noch  dort  ist,  viel- 
leicht dort  bleibt,  dass  er  dem  Herzog  in  einen  Bauer  sich 
verstellt  und  ihn  in  Knittelversen  regieren  gelehrt  hat  .  .  . 

(Aiilon  Schweit::^er.  Gotha,  16.  Mär~  I//6.) 

Gestern  wnirde  Clavigo  aufgeführt,  nach  meinem  Gefühl 
sehr  gut.    Der  Herzog  war  äusserst  bewegt  und  zufrieden. 


MlTTHLILLNGHN    \  ON    ZeITGENOSSHN    CBER   GoETHE.  38/ 

\'icllcicht  ist  nie  ein  Stück  bei  einer  so  ganz  feierlichen 
Stille  der  Zuschauer  autgetührt  worden ;  ich  sage  Ihnen  es 
hat  erstaunende  Sensation  gemacht.  Möcht  doch  wissen, 
was  die  Weimarischen  Zuschauer,  die  hier  zugegen  waren, 
davon  sagen  werden  r  Zum  Monolog  des  Clavigo  im 
5.  Aufzug,  sowie  auch  ztun  Leichenbegängniss  habe  ich 
Musik  gethan. 

(Göchhciiiscii.  liisoiach,  2j.  Mciri  Jy/6.J 

Buns  dies,  lieher  Bertuch!  Itzt  ist  Dein  guter  lürst 
nicht  daheim  und  also  hast  Du  nichts  zu  geheimdesekre- 
tariiren  und  wenn  Du  Dich  den  Armen  Deines  Weibchens 
einen  Augenblick  losreissen  und  mein  Brief  lein  da  lesen 
wolltest,  so  thätest  Du  mir  einen  grossen  Gefallen  .  .  . 

Sagen  Sie  mir,  was  macht  Wieland?  Kein  Mensch 
schreibt  mir  ein  Wort  von  ihm  und  was  Goethe  anbetrirt't, 
der  ist  hier  ohngefähr  so  der  Gegenstand  allgemeiner 
Unterredung,  als  ehedem  die  Hyäne  von  1-rankreich  es 
unterm  deutschen  Landvolke  war.  Sie  wissen  nicht,  was 
sie  aus  dem  Dinge  machen  sollen  und  grade  weil  sies  nicht 
wissen,  machen  sie  sich  ein  Ideal  von  dem  Dinge,  das 
genau  so  passt  als  eine  Faust  in  Venus'  Auge. 

Am  ersten  Ostcrfciciia^  ^77^- 

.  .  .  Goethe  bleibt  also  bei  liuchr  Heisst  das,  frey.^  Oder 
nimmt  er  Titul,  Besoldung  oder  Dienstpflicht  über  sich.^ 
Lieber,  wenn  Du  kannst,  so  meld  mir  das  gelegentlich. 
Ueber  unsern  lieben  Kraus  treu  ich  mich  inniglich.  Dass 
Wieland  wieder  Vater  ist,  dass  Herder  —  der  Anti- 
wielandianer  —  Oberpriester  bev  Euch  wird  und  Stollberg 
Gammerherr,  weis  ich  schon.  Lenzen  mögt  ich  kennen 
und  was  gab  ich  drum,  wenn  ich  bev  Luch  sein  könnte, 
wenn  Gleim  kommt. 

25* 


Neue  Mittheilüngen. 


Eisenach,  j.  Sept einher  1776. 

Lieber!  Nun  ists  Jahr  und  Tag,  dass  ich  einen  Einfall 
hatte,  den  ich  bald  drauf  ausführte,  und  der  nun  —  geh's 
auch  wie  es  wolle  —  ausgcH'ihrt  bleibt.  Die  Leute  schwatzten 
mir  und  schrieben  mir  so  kraus  Zeug  über  IFertber,  wie 
sie  allerwärts  mögen  geschwatzt  haben.  Ich  nahm  ihrer 
einige  heraus,  lies  sie  reden,  wie  sie  mit  mir  geredt  und 
wie  sie  an  mich  geschrieben  hatten,  macht  ein  Histörchen, 
das  (wie  mir  dünkt)  immer  in  der  Welt  möglich  seyn  kan, 
draus  und  daraus  entstund  be\-gehendes  Ding  \  Hast  für 
Deinen  trauten  guten  Bertuch  kein  Geheimnis  gehabt  und 
dies  da  soll  ihm  also  auch  keins  bleiben,  dacht  ich,  und 
so  pack  ichs  ein  und  schicks  Ihnen. 

Alles  was  sich  überhaupt  von  jeher  imd  itzt  über  den 
Einfall  sagen  lässt,  irgend  etwas  zu  schreiben  was  Beziehung 
auf  Werthers  Leiden  haben  kan,  das  Alles,  Lieber,  hab  ich 
mir  selbst  gesagt,  auch  würd  ich  vielleicht  meine  Hand- 
schrift nie  haben  drucken  lassen,  wenn  ich  nicht  in  eine 
Kette  von  mancherlev  Ursachen,  die  mich  damals  dazu 
determinirten,  gerathen  war.  Gerade  heraus,  was  man 
immer  vor  oder  wieder  mich  als  Schreiber  eines  Buchs 
sagen  kann,  das  kümmert  mich  nicht:  itzt  wenigstens  nicht 
mehr,  weils  zu  spät  sein  würde.  Was  aber  Leute,  die  mich 
und  meine  Art  zu  denken  nicht  so  genau  kennen,  als  Sie, 
von  dem  Gegenstand  sagen  mögen,  den  ich  behandle,  und 
was  sie  weiter  von  den  Absichten  plappern  mögen,  die  ich 
gehabt  oder  nicin  gehabt  haben  kann,  das  ist  mir  freylich 
itzt  weniger  einerley  als  jemals.  Bisher  wissen  ohngefahr 
nur  4  Menschen,  dass  ich  \'erfasser  des  Wertheriiebers  bin. 
Könnte  mein  Nähme  auf  immer  ver.-^chwiegen  bleiben  — 
lieb  war  mirs.      Aber  da  ausser  Ihnen    und  Louischen  ihn 


'  Das  Wcrther-Ficbor.     Hin  unvollendetes   Familienstück.    Nieder- 
Tcutschland   1776. 


MrrriitiLLNGHN  von  Zeitgenossen  übek  Goethe.  3^!^ 


am  Hnde  nocli  mehrere  und  also  Goetlie  auch  erfaliren 
können  und  werden  und  da  Goetlie  mich  ganz  und  gar 
nicht  kennt,  und  ich  vielleicht,  eh  er  sich  die  Mühe  gab, 
mein  Büchlein  seihst  zu  lesen,  der  unangenehmen  Begegnis 
ausgesetzt  seyn  könnte,  ihm  von  einem  oder  dem  andern 
schielenden  Leser  in  ein  falsches  Licht  gesetzt  zu  werden, 
so  thun  Sie  alsdenn  für  mich,  was  ich  auch  lür  Sie  thun 
würde.  Sagen  Sie,  wenn  Sie  sich  selbst  überzeugt  haben 
werden,  dass  mein  Buch  gegen  keine  Seele  gerichtet  ist 
und  gerichtet  seyn  kann,  als  gegen  diejenigen,  die  wie  ich 
wörtlich  (pag.  102)  sage:  Werthers  Leiden  als  einen 
Catechismus  etc.  lesen,  sagen  Sie  dann  zu  Goethen :  »ich 
sage  für  des  Verfassers  Herz  gut,  denn  ich  habe  ihn  meiner 
Liebe  werth  gehalten«. 

Eiscimch,  28.  Sepleiiiber  ijj6. 

.  .  .  Also  Goethe  schaut's  W'ertherheber  von  der  rcrhlcii 
Seite  an?  Gut!  Um  ch'ii  war  mirs  auch  nebst  wenig  Men- 
schen unsers  Schlags  zu  thun.  Was  hudelt  mich  der  Resf 
von  Leuten,  die  blind  sind?  Sagen  Sies  dem  Mann  immer, 
dass  ich  mit  dem  kleinen  Anstrich  von  Besonderm,  den 
vielleicht  mein  St\l  haben  kann,  doch  darinn  mit  allen 
Menschen,  die  sehen  können  übereinstimme,  dass  ich  kein 
Fell  auf  dem  Auge  habe.  Weiter  braucht  er  nichts  von 
mir  zu  wissen.  Denn,  dass  ich  allentalls  überdcm  eine 
gute  Haut  von  Menschen  bin,  was  ist  das  besonderes  ? 
oder  w'as  kann  das  ihn  kümmern  ? 

(v.  Trebra.  Weimar,  j.  AhjjiisI  I//6.) 

Goethe,  dem  lieben  Goethe  erneuern  Sie  meinen 
Dank;  er  kann  keinen  Freund  haben,  der  ihn  mehr  liebt, 
als  mich  und  kann  dieses  also  wohl  vergelten  und  kann 
auch    mich    lieben.      Ich    wünschte    ihn    nocli    einmal    zu 


390  Neue  Mittheilungen. 


sprechen,  aber  es  kann  ja  doch  nicht  sein;  es  muss  also 
auch  bleiben  '. 

(Göchbaiiscn.  <).  Mär~  1/77.) 

O,    Guter,   was  hör   ich!     Goethe   hat   gegen  Jemand- 

gesagt,    er    habe    in    meinem    Wertherfieber    Safxre    über 

Werthers  Leiden  gefunden,    Ists  möglich  überhaupt?   Und 

wärs  möglich,   dass  Goethe  Sie  hintergangen  hätte,   als  er 

Ihnen,   wie  Sie    mir  meldeten,   sagte:    er  erkenne   meine 

Absicht  und  danke  sie  mir?    Sie  können  urtheilen,  wieviel 

mir  itzt  daran    liegt,    dass  Sie   mir  nur  in  zwo  Zeilen  dies 

Geheimniss  erklären.   Ich  sollte  micli  auch  da  in  Menschen 

geirrt  haben? 

50.  Aför^  lyjj. 

.  .  Sie  schrieben  mir,  Goethe  habe  die  Absicht  meiner 
W^ertherfiebers  von  der  rechten  Seite  angesehn.  Ich  was 
froh  darüber,  denn  Gott  weis  es,  und  Sie,  der  Sie  mich 
kennen,  gkuibens,  aucli  glaubts  jeder  gescheute  Mensch, 
dass  es  nimmer  Satyre  auf  Werthern ,  sondern  auf  die 
Gecken  sey  und  seyn  soll,  die  Werthern  zu  verstehn  glauben 
und  nicht  verstehn.  Goethe  ist  mii^ciciss  darüber  und 
daran  ist  kein  Mensch  schuld  als  der  verdammte  Narr,  der 
G.  L.  Rath  Schmidt,  ein  Narr,  der  sich  auf  die  Satvre  so 
verstehn  will,  dass  er  mich  selbst  einmal  hier  einen  halben 
Nachmittag  damit  ennuyirt  hat,  dass  er  mir  erzählte,  er 
habe  einst  mit  Rabnern  ein  öffentlich  Gefecht  gehalten, 
worinn  die  Lacher  alle  auf  seiner  Seite  gewesen  und  Rabner 
so  still  geworden  sey,  dass  er  bald  ein  Gallenfieber  davon 


'  Trotz  dieser  Uebcsvcrsicherung  findet  sicli  in  den  übrigen  sehr 
zalilreichen  Briefen  l'rebra's  keine  Erwähnung  ("loethe's,  kein  Ciruss  an 
ihn;  nur  einmal  hcisst  es  sehr  forniel]  (Zellerleld,  30.  De/.  1784): 
»Den  beigehenden  Briel  bitte  ich  dem  Hn.  Geheimenratli  von  Goethe 
zuzustellen  c. 


MlTTHEILUNGtN    VON    ZtITGENOSSEN   ÜBER   GoETIiL.  ^91 

gekriegt  habe.  Dieser  Mensch  nun,  den  ich  in  Bclvederc 
mit  Wiehmd  auch  einmal  habe  streiten  hören,  dass  michs 
ekehc,  bildet  sich  ein,  er  allein  habe  eine  so  teine  Xase, 
dass  er  die  wahre  Pointe  im  W'ertherheber  rieciie  und  sagt 
laut,  hats  der  l'rau  von  Bechtolsheim  und  andern  gesagt, 
das  W'ertherlieber  se\-  die  ärgste  Satvre,  die  auf  W'erthers 
Leiden  gemacht  worden  sey.  Das  hat  ein  andrer  Xarr 
vermuthlich  gehört  und  Goethe  kanns  wieder  erfahren 
haben,  hats  wieder  erfahren,  das  kann  nicht  fehlen.  Xun 
mag  Goethe  innnerhin  erst  geglaubt  haben,  was  wir  anderen 
klugen  Menschen  alle  glauben,  dass  das  Wertherfieber 
nichts  weniger  als  AusfitU  auf  ihn  oder  auf  Werthern  sey, 
aber  es  muss  um  doch  natiirlich  verdriessen,  wenn  andere 
—  solltens  auch  nur  tumme  und  boshaffte  Kerle  und 
W'eiblein  sein,  —  ihn  und  mich,  sein  Buch  und  meins  in 
einem  so  hundsfcittischen  \is  ä  vis  ansehn.  Drüber  wird 
Goethe  mir  gram,  ob  ich  gleich  die  unschuldige  Ursach 
bin  und  ob  ich  gleich  (wenn  ein  Schafkopf  mich  nicht 
verstehn  will  oder  kann)  Busspsalmen  hätte  schreiben 
können  und  dennoch  für  Goethens  Gegner  hätte  gehalten 
werden  können.  Ach,  lieber  guter  Bertuch,  ich  bin  was 
Sie  sind  und  wofür  ich  Goethe  auch  nehme,  ein  wackrer 
Mann,  's  muss  mich  verdriessen,  dass  ich  /wiefach  in 
eines  Ehrenmannes  Augen  erscheine  und  um  eines  so  ver- 
fluchten Narren  willen,  wie  Schmidt  ist.  Reden  Sie  mit 
Goethe  davon.  Sagen  Sies  wie  michs  verdriesst  und  sagen 
Sies  ihm  dreuste,  dass  ich  so  ein  zaghafter  Pinsel  nicht 
bin,  der,  wenn  ihm  was  gefällt  oder  missfällt  seine  Mev- 
nung  nur  en  tatonnant  entdeckte  oder  sie  verzuckerte. 
Hätte  ich  über  Werther  satvrisiren  wollen  oder  können, 
ich  hätts  laut  gethan.  Goethe  kan  mich  für  alles  halten, 
wofür  er  will,  nur  nicht  für  einen  Menschen,  der  aus  Furcht 
zwiefach  ist.    Das  kann  nicht  seyn,  ist  nicht,  lieber  Bertuch. 

Dein  Göchhausen. 


39-  Neue  Mittheilungen. 


(C.  G.  Ki'ilhicr.  Basel,  22.  Mi'tr~  ijjj.) 

Hin  Jahr  ists  besster  Miinn,  dass  ich  durch  Weimar 
i;ing,  dass  ich  das  Glück  hatte,  Sie  kennen  zu  lernen.  Was 
macht  Ihr  Goethe?  Ist  er  als  llegierun^srath  noch  der  liebe 
herrliche  Mensch  der  er  war,  als  ich  ihn  in  Weimar  s.ihe 
und  Lehen  und  Wohl  von  ihm  einathmeter  Man  erzählt 
hier  viel  und  mancherlei  von  ihm,  aber  ich  kenne  die  Leute, 
die  so  gerne  von  Goethen  erzählen  und  weiss  den  W'erth 
ihrer  Erzählungen  zu  bestimmen,  also  weiss  ich  nichts  von 
ihm.  Ich  habe  viele  seiner  Freunde  seit  einem  Jahre  kennen 
gelernt  und  mir  war  wohl  bei  ihnen.  In  Schinznach  sah 
ich  Schlossern  und  Lavatern,  den  ich  hernach  in  Zürich 
wieder  trat,  in  Colmar,  in  deren  Nachbarschaft  ich  ver- 
gangenen Sommer  viele  Wochen  zubrachte,  Pfeftel  und  den 
Franz  Lerse.  Lenzen,  der  sich  zeither  bei  Schlosser  aufge- 
halten hat,  erwartet  man  in  Basel.  Sie  wissen,  dass  mich 
Goethe  einst  an  ihn  wies  :  be\-  meiner  Ankunft  in  Frankfurt 
sagte  mir  die  Räthin  Goethe,  dass  sie  ihn  alle  Tage  erwarte, 
aber  ich  musste  meinen  Weg  eh  er  kam.  In  Manheim 
sagte  mir  der  Maler  Müller,  dass  Lenz  vor  meiner  Ankunit 
abgereisst  w\ire,  um  über  Darmstadt  nach  Frankfurt:  zu 
gehen;  ich  war  über  xMaynz  gekommen.  Empfehlen  Sie 
mich  Goethen,  wenn  ich  bitten  dart,  herzlich,  wenn  er  sich 
meiner  noch  erinnert,  und  den  guten  Jungen,  wie  er  mich 
einst  nannte,  nicht  \erkennt.  .  .  (Er  emphehlt  sodann  Hn. 
Burkardt  den   \'ater  seines  Zöglings.) 

(C.  G.  Knllucr.  Basel,  11.  Miii  lyyj.) 

Was  soll  ich  Ihnen  nun  von  Hn.  Burkardt  sagen,  wie 
für  die  wonnigen  Stunden  danken,  die  Sie  ihm  gemacht 
haben?  Er  ging  mit  \'orurtheilen ,  die  ich  ihm  nie  ganz 
nehmen  konnte,  nach  Weimar  und  er  kömmt  mit  einem 
Himmel  im  Herzen  zurück.     \'on  keinem  C)rt  seiner  Reise 


MlTTHElLUNGHN    VON    ZeITGUNOSSUN    ÜBEK    GoETHE.  393 


hat  er  mir  so  inni<^,  so  herzlich,  so  warm  gesclirieben  als 
von  Weimar.  T.r  hat  versprochen,  atil  seiner  Rückreise 
noch  einmal  nach  W.  zu  konnnen  und  er  ist  lest  entschlos^^en, 
sein  Wort  zu  haken.  Dass  ich  all  das  Gute,  was  er  mir 
sai;t,  gern  ijlaube,  ach,  Besster!  das  k(:)nnen  Sie  sich  vor- 
stellen, das  kann  der  tulilen,  der  auch  bev  Ihnen  in  \\'ohlse\-n 
und  Wonne  etHchc  Taiie  zubrachte  und  alles  um  sich  her 
schwinden  sah,  lange  ohne  Eckel  keinen  Genuss  kannte, 
da  er  sich  nicht  mehr  von  den  Lieben  umgeben  sah,  die 
keine  Ritze  seines  Herzens  imgelüllt  Hessen.  —  Letzthin 
hab  ich  wieder  einmal  8  Tage  gelebt  und  alles  um  mich 
her  mit  Wohlgefallen  angesehn,  weil  ich  mit  dem  lebte, 
der  alles  mir  werth  machen  konnte.  Lenz  war  hier;  wir 
lernten  uns  bald  kennen  und,  einige  Mahlzeiten  ausgenommen, 
die  er  in  der  Stadt  that  und  einige  Visiten,  die  er  machen 
musste,  haben  wir  luis  keinen  Augenblick  getrennt.  Ich 
war  gerade  so  ganz  fre^■,  dass  ich  über  jede  meiner  Stunden 
gebieten  konnte.  Lenz  ist  mir  lieber  geworden,  als  er  mir 
je  war;  ich  habe  himmlische,  noch  ungekannte  Züge  in  ihm 
entdeckt,  die  ihn  auf  innner  mir  werth  machen.  Aber  ich 
habe  nicht  in  ihm  den  Jüngling  gefunden,  nicht  das  Ideal, 
das  ich  mir  aus  den  ersten  seiner  Werke  vpn  ihm  gemacht 
hatte;  ich  vermutliLte  einen  starken,  kraftvollen  Menschen 
und  ich  fand  einen  duldenden,  liebevollen.  Ich  habe  mit 
Lrstaunen  an  ihm  gesehn,  wie  er  eine  xMenge  Dinge  tun 
sich  her  tragen  kann,  die  ich  nicht  ohne  Verdruss  und 
Bitterkeit  sehe;  er  spricht  \()n  vielen  Dingen  mit  Schonung, 
die  ich  nicht  mit  Gelassenheit  nennen  kann.  Aber  was  sag 
ich  das  Ihnen?  Er  hat  so  viele  xMonate  mit  Ihnen  gelebt. 
Er  ist  vergangene  Woche  nach  Zürich  gegangen  luid  aui 
den  Montag  denk  ich  ihn  in  Schinznach  zu  trefl'en,  wo  die 
Versammlung   der    sogenannten   helvetischen    Gesellschaft 

sein  wird.    Von  dort  geht  Lenz  ins  pa\  s  de  \'aud 

Schreiben  Sie  mir,  was  Goethe  und  Wieland  treiben.  In'zahlen 


394  Xeuh  Mitthuilungex. 


Sie  mir  ja  einiges  von  Goethe,  ich  bitte  Sie  und  will  Ihnen 
danken  mit  allem  was  ich  vermag.  Hr.  Burkhardt  hat  ihn 
nur  wenig  gesehn,  das  that  mir  sehr  leid.  Erinnern  Sie 
ihn  auch  wieder  an  mich,  vielleicht  dass  er  mich  nicht 
vergessen  hat  .  .  Von  Goethens  Faust  hab'  ich  nichts  wieder 
gehört,  seit  ich  von  ^\'eimar  weg  bin  ;  ich  wünschte  wohl 
einige  Nachricht  davon. 

(Gleiiii.  HalhcrstiuU,  iß.  April  ij//.) 

Ich  fürchtete  mich  vor  Goethe,  nicht  vor  seinem  Genius, 
den  liebe  ich,  sondern  vor  seinem  ausgelassenen  Satir,  der 
den  besten  der  Menschen,  meinen  Wieland  und  meinen 
facobi,  so  boshaft,  ehe  er  sie  kannte,  den  Menschen  lächer- 
lich machte.  Diese  Furcht  hat  unser  Jacobi  mir  genommen. 
Goethe  gereut  es,  dass  er  seinen  Satir  an  der  Kette  nicht 
liess,  das  ist  mir  genug. 

(Dell?  Kid,  i6.  Juni  lyjj.) 

Gestern  Abend  war  Klopstock  unter  uns.  Diesen 
Abend  wird  er  es  noch  einmal  sein.  In  diesen  Stunden 
war  es  mir,  als  wenn  sicli  der  Himmel  über  mir  aut klären 
wollte.  Es  scheint  ein  herrlicher  Mann  zu  sein.  Dieses 
Mannes,  dieses  Edeln  seiner  warmen  Freundschaft  war 
D.  G  .  .  e  nicht  werth.  Aber  dass  dieser  Letztere  gegen 
einen  solchen  Mann  hat  insolent  werden  können,  ist  mir 
eine  unverzeihliche  Sünde.  Morgen  schon  verlässt  er  uns 
wieder  und  eilt  in  seinen  Zirkel,  worin  Reichard  aus  Berlin 
mit  seiner  Juliane  Benda  angekommen  sind.  Ich  ärgere 
mich,  dass  ich  ihn  meines  Hustens  wegen  dahin  nicht 
begleiten  kann.  Doch  finde  ich  Ihn  ein  andermal  wieder. 
Wenn  es  nicht  ganz  und  gar  eine  gleichgültige  Sache  ist, 
so  nennen  Sie  gegen  Ihren  Herrn  meinen  Namen  mit  den 
uehöriuen   Form  alitäten. 


MiTTIlEILUNGEK    VOK   ZEITGENOSSEN    ÜBER   GOETHE.  395 


Alis  Göschens  und  Bertiichs  Correspondaiy. 

Unter  den  sehr  zahlreichen  Briefen,  welche  CIc.  lüa<  hini 
Ciöschen  an  Bertuch  geschrieben  hat,  handeln  viele,  aus  den 
Jahren  1786  —  89,  über  (Joethe.  insbesondere  über  die  erste 
Gesammtausgabe  seiner  Werke.  Diese  Ausgabe  nun  ist,  wie 
erst  aus  unseren  Briefen  her\ürgeht,  ein  gemeinschaftliches 
Verlagsunternehmen  von  Bertuch  und  Göschen,  obwohl  nur 
der  Name  des  Letztern  auf  der  Ausgabe  angegeben  ist. 
Grade  in  Folge  dieser  Gemeinsamkeit,  die  erst  durch  Ueber- 
einkunft  vom  Jahre  1791  gelost  wurde,  sah  sich  (iüschen 
veranlasst,  seinem  Genossen  die  genauesten  Angaben  über 
Herstellung  und  Vertrieb  zu  machen,  Angaben,  die  dem 
Forscher  wohl  nicht  unwillkommen  sind  und  ihn  in  den 
Stand  setzen,  die  Bedenken  Cioethe's  gegen  seine  A'erleger 
nic-.ht  ganz  ungerechtfertigt  zu  finden.  Die  Briefe  Göschens 
erhalten  eine  sehr  hübsche  Illustration  und  Ergänzung  durc:h  einige 
Antwortschreiben  Bertuchs,  von  denen  das  eine  (29.  Juni  1786) 
im  Concept  in  Bertuchs  Nachlass  erhalten  war,  die  übrigen 
15.  Juni  1786,  IG.  April  1791  von  G.  Weissstein  mitgetheilt 
sind.  Von  Goethens  Briefen  an  Göschen,  auf  welche  in  den 
folgenden  Fragmenten  mannigfache  Rücksicht  genommen  ist. 
sind  4  und  zwar  vom  15.  Aug.,  28.  Okt.  1787,  9.  Febr.  und 
21.  März  1788  von  Düntzer  zusammengestellt  (Hempel  XXIV.. 
S.  840  fg.,  874  fg.,  926  fg.,  946  fg.),  ein  fünfter,  eigentlich  der 
erste  in  der  Reihe  vom  20.  Febr.  1787  ist  neuerdings  von 
Arndt  gedruckt  (vgl.  unten  Bibliographie). 

(Bertuch  an  Göschen.  IVeiniar,  ij.  Juli  I/S6.) 

....  Goethe  kommt  erst  auf  den  Sonnabend  von  Ihncnau 
zurück.  Er  hat  noch  am  Sonntage  mit  Wieland  über  die 
Sache  gesprochen,  und  Wieland  ihn  versichert,  dass  er  sich 
über  den  vortheilhaften  accord  seiner  Schriften  sehr  Glück 
wünschen  könne.  Die  Ratification  der  Präliminar  Artikel 
ist  also  gewiss. 

Göschen. 

Leipzig,  17.  Juni  1786.  In  der  That  ist  3  Louisd'or 
(für  den  Bogen)  alles  Mögliche,  was  Goethe  erwarten 
kann.  In  der  That  ist  es  schon  etwas  hart  für  uns  und 
wenn  Goethe  mit  2  Carlsd'or  zufrieden   ist,   so  haben  wir 


396  Neue  Mittheilungen. 


es  immer  noch  nicht  \vohlfeil.  Doch  nehmen  müssen  wir 
es  auch  /u  3  Louisd'or  und  müssen  nachher  desto  lauter 
und  anhaltender  trommeln. 

Leipzig,  30.  Juni  1786.  Mir  liegt  sehr  am  Herzen,  dass 
ich  auch  Goethens  Avertissement  mit  wegbringe.  Um  des 
Himmels  willen  sorgen  Sie  dafür.  Ich  will  das  Merkantilische 
hier  hinzusetzen  und  dann  drucken  lassen.  Die  wichtigsten 
Punkte  sind:  i.  Das  Publikum  erfährt:  die  bisherigen  Aus- 
gaben seiner  Werke  erkenne  der  Verfasser  nicht  für  Ausgaben 
seiner  Hand;  diese  aber  sei  von  ihm  selbst  veranstaltet, — 
das  muss  Goethe  bezeugen,  2.  dass  das  Publikum  anjetzt 
die  Goethe'schen  Werke  theils  in  ganz  anderer  Gestalt, 
theils  vermehrt  und  viele  noch  nicht  gedruckte  Sachen 
erhalte.  —  Wegen  Goethens  Werke  französisch  muss  ich 
erst  mit  de  la  Garde  sprechen.  Salzmann  ist  zu  genau, 
aber  vielleicht  lässt  sich  doch  was  mit  ihm  machen,  wenn 
d.  1.  G.  nicht  will.  Ohne  einen  Compagnon,  der  französischen 
Handel  treibt,  kann  ich  und  ein  andrer  Buchhändler  nichts 
mit  den  Franzosen  machen.  Ihr  Grundsatz  ist,  den  Ausländer 
nicht  mit  Geld,  sondern  mit  Büchern  zu  bezahlen,  von  dem 
Ausländer  aber  keine  Bücher  zu  nehmen,  sondern  Geld, 
dabei  kommt  denn  der  Ausländer  sehr  schlecht  zurechte. 
Ich  wollte,  ich  könnte  nach  England.  Dort  wäre,  glaub' 
ich,  mehr  mit  Goethens  Werken  zu  machen,  weil  Werther 
auch  dort  ein  gewaltiges  Fieber  der  Empfindsamkeit  erregt 
hat.  Wieviel  englische  Imitationen  sind  vom  Werther  nicht 
erschienen  ! 

(Bi'rliifh  Uli  Göschen.  IFcitnar,  2y.  ///;//  i-jSG.) 

In  Erwartung  dass  ich  heute  Briefe  von  Ihnen  erhalte, 
1.  Göschen,  fange  ich  indessen  den  Meinigen  an  Sie  an. 

Ich  war  am  Dienstage  bei  Göthe,  und  sprach  mit  ihm 
über  seine  Iirklärumr.    »Sie  haben   die  Schraube  sehr  scharf 


MlTTHlilLUNGUN    VON    ZElTütNOSSUN    ÜBl.K    GuLHlE.  ^9  ' 


nn2:ezogen,  sagte  ich  ihm ;  Göschen  wird  zucken  ;  indessen 
wir  wollen  sehn  w  as  er  draul  sagt ;  einige  Milderung 
werden  Sie  ihm  aut  alle  halle  aecordiren  müssen«.  —  »Es 
ist  wahr,  sagte  er,  ich  habe  meine  horderung  etwas  gesteigert, 
meine  gedruckten  und  ungedruckten  Werke  in  eine  Brühe 
geworten,  und  eine  Sunune  überhaupt  gclordcri,  i.  weil 
ihm  be\de  wegen  der  neuen  Bearbeitung  gleich,  und  so 
gut  wie  ganz  neu  sind;  2.  um  uns  nicht  wegen  der  diversen 
Bogen  Berechnung  /u  geniren;  ^.  weil  ich,  da  Göschen 
nicht  changirt,  sondern  blos  coulant  handelt,  aul  eine 
2',',  Auflage  so  gut  als  nicht  rechne,  und  also  alles  was  ich 
hoffen  kann  von  dieser  erwarten  nuiss.  Hingegen  will  ich 
ihn  wegen  der  Stärke  der  Auflage  gar  nicht  einschränken, 
und  iür  die  gute  Auflage  in  gr.  B'".  auch  nichts  verlangen; 
auch  die  Subscription  aut  alle  Art  durch  meine  Freunde 
unterstützen  helfen.«  etc.  etc.  Diess  war  ohngetähr  seine 
Meinung,  und  ich  merke  dass  er  von  den  2000  thlr.  wohl 
nicht  abgehen  wird;  allein  eine  Milderunu  auf  iV^  Ldr. 
pr.  J3ogen  einer  zwe\ten  Auflage,  und  der  80  frey  Exem- 
plare vielleicht  aut  40,  neml.  25  ordin.  und  15  in  gr:  8'_^ 
wird  er  sich  gewiss  gefallen  lassen.  —  Da  er  nun  kommende 
Woche  ins  Carlsbad  geht,  und  doch  noch  gern  die  An- 
kündigung entworfen  sehen  wollte,  so  setzte  er  mir  gestern 
den  verabredeten  Brief-Extract  dazu  auf,  und  ich  habe  sie 
in  soweit  als  ich  sie  ohne  Ihren  Calcul  machen  konnte 
entworfen.  Hier  ist  sie.  l{r  hat  sie  gelesen  und  ist  damit 
zufrieden.  Gehen  Sie  sie  nun  auch  genau  dm-ch,  füllen  Sie 
die  Preisse  aus,  (wenn  Sie  zuvor  die  \'erlages  Kosten 
genau  berechnet  haben)  und  fügen  Sie  noch  hinzu  was 
Sie  theils  wegen  der  guten  Edition,  theils  sonst  noch  über- 
haupt tür  nöthig  finden.  Schicken  Sie  mir  sie  dann  auf 
den  Montag  zurück  und  melden  mir  v\ie  viel  tausend  ich 
davon  soll  drucken  lassen.  Ich  rechne  dass  sie  2  Octav 
Blätter    Median    mit  Petit    "iebt,  und    dächte    20000  wären 


39^  Neue  Mittheilungen. 


niclit  zu  viel,  weil  wir  sie  durchaus  bey  etl.  der  gangbarsten 
Zeitungen  sowohl  gelehrte  als  polit.  mit  beyschlagen  lassen 
müssen.  GcJthe  allein  will  looo  Stück  ins  Carlshad  zum 
Vertheilen  haben.  Und  Sie  müssen  auch  eine  starke  Parthie 
mit  auf  Ihre  Reise  nehmen. 

(Gösfhi'ii.  Leip:iig,  12.  Juli  ijSO.) 

Goethens  Werke  lass  ich  so  drucken,  dass  jeder  Band 
ein  Alpliabet  ist  —  davon  ist  der  Ladenpreis  8  Thlr.  gleich 
nach  Ende  der  Messe.  Während  der  Messe  ist  der  Sub- 
scriptionspreis  6  Thlr.  16  gr.,  der  Buchhändler  hat  von  der 
Subscr.  ein  volles  Drittel  Rabatt;  das  soll  ihn  ermuntern, 
Subscriptionen  anzunehmen,  2.  Exemplare  noch  über  die 
Subscription  anzunehmen.  W'ir  können  doch  dabei  bestehn. 
Keine  Auflage  in  gross  Format  wird  gemacht.  Dagegen 
lasse  ich  3000  mehr  drucken  als  wir  Subscribenten  haben, 
welche  ich  zu  1000  anschlage.  Also  eine  Auflage  von  4000 
und  eine  ord.  zu  2000.  Von  dieser  wird  geschwiegen  bis 
es  Zeit  ist 

Das  gedruckte  Avertissement  von  Goethe  erhalten  Sie 
mit  der  Sonntagspost.  Sie  lassen  es  dort  so  oft  drucken,  als 
es  zum  Beiheften  zum  Merkur  und  zum  Journal  der  Moden 
und  der  Literaturzeitung  nöthig  ist  .  .  Auch  zu  der  Ham- 
burger Zeitung  muss  es  als  Beilage  kommen,  sowie  zu  der 
Berliner  und  Baireuther.  Dafür  will  ich  sorgen.  Auch  tür 
die  Berliner  Monatsschrift  und  das  politische  Journal. 

Mit  Goethen  nehm  ich  Abrede  im  Carlsbade  und 
werde  alle  Vorsicht  dabei  gebrauchen.  Die  2.  Hälfte  wollen 
wir  erst  auf  Michaelis  liefern  und  zwischen  Johanni  und 
Michaelis  versprechen.  Die  ganze  Subscription  muss  auf 
Ostern  bezahlt  werden.  Ich  bin  nicht  bange,  dass  wir 
auch  ohne  Subscription  bald  aui  unsere  Kosten  mit  desto 
mehrerm  Vortheil  kommen  werden.  Ein  Wort  iür  die 
H.  Nachdrucker  habe  ich  noch  zu  dem  Avertissement  gesetzt. 


MlTTHEILUNGüN    VON    ZEITGENOSSEN    UBEK   GofcTHE.  399 

Leipzig,  24.  August  1786.  Aclit  Tage  habe  ich  im 
Carlsbad  nach  Goethe  in  tödtUcher  Uiu'uhe  ausgesehn, 
endlich  tnid  ich  Gelegenheit  nach  Prag  und  am  nchmlichcn 
Tage,  da  ich  abgereist  bin,  ist  Goethe  angekonunen.  Im 
Carlsbade  sind  unsere  Avertissenients  in  alle!  lande  gekonnncn 
durch  den  Aufseher  des  Sprudels.  Cjoethe  hab  ich  ein  Billet 
und  1000  Avertissenients  hinterlassen  ....  \'on  Goethe 
weiss  ich  in  Wien  schon  200  Exemplare  sichern  Absatz. 
Aber  ich  weise  alle  ein/einen  Subscribenten  an  unsern 
Hauptcommissionär,  weil  ich  Niemanden  in  den  Beutel  sehn, 
kann  und  die  Leute  hier  viel  Schulden  machen. 

Regensburg,  19.  September  1786.  Die  schönste  Frucht 
meiner  Reise  ist,  dass  ich  mich  für  den  Nachdruck  der 
Goethe'schen  Schritten  in  den  österreichischen  Staaten  sicher 
gestellt  habe. 

(Früii:^  :\  Scckciidorf.  IVien,  2<-j.  Scplcuilwr  ijS6.) 

.  .  .  Ich  wusste,  dass  Sie  Goethe's  Kinder  unter  die 
Scheere  nehmen  und  zur  Ausgabe  zustutzen  sollten.  Die 
Jungens  werden  sich  gewaltig  sträuben  und  der  Witer  wird 
sie  nicht  gerne  züchtigen  lassen.  Desto  besser  sie  als 
Fragmente  dem  Publiko  atd'tischen,  das  sie  ohnedem  nicht 
ganz  speisen  kann.  Die  haches  gehen  zwar  Jedem  in  den 
Magen,  sollen  aber  den  Besten  un\erdaulich  sein  und  oft 
retour  kommen.  X'ielleicht  sollen  Sie  die  Kinder  nur  von 
aussen  präsentabel  und  fähig  machen,  dass  sie  das  Kostgeld 
wiedereinbringen. 

Gösch  Ol. 
Leipzig  ',  2.  Oktober  1786.    Hier,  lieber  Freund,  haben 
Sie  den  Contract  von   Goethe,   einen   Brief   von   ihm  und 
eine  Antwort  darauf.     Empfangen  Sie   von    Seideln   gegen 


'  Ortsbezeichnung_  von  nun  an  fortgelassen ;    es    ist   stets  Leipzig 
y.u  ei'2:änzen. 


^.00  N'i;ui;  Miithlilungln. 


Bezahlung  der  500  Thlr.  das  Manuscript,  übergeben  Sie  ihm 
meinen  Contract  gegen  den  von  Goethe  unterschriebenen, 
hissen  Sie  vorher  eine  Ankündigung  hineinhetten  und  haben 
Sie  die  Güte,  mir  Goethens  Brief  wieder  zurück  mit  dem 
Manuscript  zu  senden.  Dann  haben  Sie  die  Güte  meinen 
Brief  zu  versiegehi  und  schleimig  wegen  der  Kupter-Sujets 
an  Goethe  abzusenden. 

22.  Oktober.  Wollte  Gott,  Goethe  erklärte  sich  bald 
über  die  Wahl  der  Sujets  zu  unseren  Kupfern,  sonst  geht 
uns  Chüdowiecki  aus  dem  Garn  .  .  .  Goethe  verlangte 
Zeichnung  und  Stich  von  Gh.,  dieses  habe  ich  mit  ihm  aus- 
gemacht. Akkordirt  habe  ich  mit  ihm  nicht,  sonst  schleudert 
und  haut  er  darauf  los,  um  nur  fertig  zu  werden.  Ich 
habe  gesagt,  dass  ich  mich  auf  ilm  als  auf  einen  Mann 
von  Ehre  und  BiUigkeit  verlassen  wollte. 

29.  Oktober.  Goethe  hat  mir  durch  das  Avertissement, 
die  Schriften  unvollendet  zu  liefern  einen  bösen  Streich 
gespielt.  Es  thut  mir  bei  der  Subscription  vielen  Schaden 
und  ich  bitte  Sie  daher,  an  die  Pandora  folgendes  einrücken 
zu  lassen,  welches  ich  auch  nächstens  in  mehrere  Zeitungen 
einrücken  lassen  werde. 

I.  November.  Hierbei  die  Proben  des  Drucks  von  Goethe. 
Haben  Sie  die  Güte,  in  meinem  Namen  solche  an  Herder 
zu  übergeben,  wie  Goethe  verlangt.  Ich  weiss  nicht,  ob 
Herder  entscheiden  kann,  ob  der  Druck  so  bleiben  soll  oder 
nicht.  Fragen  Sie  ihn  gütigst  darum  und  bringen  Sie  nur 
mündliche  Antwort  mit. 

3.  December.  Wegen  Goethe  werde  ich  Ihre  Meinung 
befolgen.     Der  ganze  Mann  ist  doch  Genie. 

17.  [anuar.  Jetzt  rückt  es  gut  mit  Goethe.  Der  Werther 
wird  bald  fertig  sein.  Mit  den  Kupfern  habe  ich  Teufels- 
sprünge gehabt.  Chodowiecki  und  Meil  hatten  andere 
Arbeiten    angenommen,    weil    die    Sujets    ausblieben,    Meil 


MiTTHElLLNGtN    VON    ZEITGENOSSEN    ÜBER    GOETHE.  4OI 


kann  nur  eine  Vignette  bis  Ostern  machen,  dagegen  zeichnet 
Ch.  noch  eine  Mgnette  und  Gevser  sticht  sie,  eine  Iphi- 
genie  soll  Oeser  zeichnen  und  Broges  stechen,  eine  soll 
Vogel  in  Dresden  oder  Rode  zeichnen  und  Penzel  oder 
Geyser  stechen.  Alle  4  Kupfer  in  8°  zeichnet  und  sticht  Ch. 
Das  erste  ist  aus  den  Leiden  Werthers,  das  zweite  aus 
Götz  von  Berlichingen,  das  dritte  und  vierte  wird  erst 
gewählt,  wenn  die  neuen  Stücke  zum  3.  und  4.  Bande 
eingelaufen  sind.  Ch.  macht  zum  2.  Band  die  Vignette 
aus  den  Mitschuldigen,  ich  mochte  gern  Sujets  aus  den 
neuen  Stücken  haben.  Die  Wahl  der  Gegenstände  habe 
ich  Ch.  und  den  übrigen  Künstlern  ganz  überlassen.  Zeich- 
nungen will  Ch.  nicht  schicken.  Er  sagte  zu  dem,  was 
er  selbst  sticht,  macht  er  nie  ausgeführte  Zeichnungen. 

21.  Januar  1787.  Gestern  erhalte  ich  von  Seidel  das 
Manuscript  zu  Goethe,  4.  Band  mit  dem  Bedeuten,  der 
3.  Band  würde  an  Sie  abgeliefert  werden,  sobald  die  Iphigenie 
vollendet  wäre.  Innerhalb  14  Tagen  wird  das  geschehen 
und  dann  werden  Sie  die  Güte  haben  und  500  Thlr.  für 
denselben  parat  halten. 

24.  Januar.  Hierbei  haben  Sie  die  Aushängebogen 
von  Goethe.  Haben  Sie  die  Güte,  solche  Herdern  mitzu- 
theilen.  Möchte  meine  Sorgfalt,  die  ich  auf  Druck  und 
Correctur  wende,  Ihren  Beifall  erhalten.  Wenn  wir  den 
Brief  pag.  195  '  auf  eine  gute  Manier  in  die  Literaturzeitung 
bringen  könnten,  so  sollte  er  sehr  locken, 

7.  Februar.  Hier  haben  Sie  einen  Brief  von  Goethe  ^ 
Ich  habe  ihn  von  Herdern  erhalten  und  antworte  heute 
darauf.     Sie    werden    nun    die  Güte  haben,   an  Seideln  die 


'  Aus  W'erther. 

^  Bisher  nicht  gedruckt. 

GoETHt-jAHRBVCH     II.  20 


402  Neue  Mittiieilungen. 


500  Thlr.  zahlen,  wenigstens  ihm  sagen  zu  hissen,  dass  Sie 
solche  an  ihn  bezahlen  würden  '. 

28.  Februar.  Goethe  liegt  mir  sehr  am  Herzen.  Ich 
lese  jeden  Bogen  selbst  und  werde  mich  ängstigen,  dem 
Buchdrucker  allein  die  Sache  anzuvertrauen. 

18.  März.  Die  Subscription  auf  Goethe  wird  zur 
Ostermesse  geschlossen.  Man  wird  und  muss  die  Werke 
kaufen  und  wir  können  den  erhöhten  Preis  auch  mitnehmen. 
Ich  lasse  rüstig  drucken,  doch  so,  dass  wir  keine  Sudeleien 
bekommen,  dieses  ist  die  Hauptsache.  Das  Manuscript  zu 
Goethe's  3.  Band  ist  richtig  eingegangen.  Wir  werden  in 
der  Ostermesse  tausend  absetzen  oder  mein  Calcul  müsste 
gewaltig  trügen.  Diesen  tausend  können  wir  lauter  gute 
Kupfer  geben ,  das  wird  unsern  Credit  erhalten.  Die 
Übrigen  müssen  nachher  zutrieden  sein,  wie  sie  bedient 
werden. 

23.  Mai.  Goethe's  Schritten  kann  ich  erst  dann  liefern, 
wenn  das  neue  Kupfer  fertig  ist,  unmöglich  kann  ich  sie 
Ihnen  mit  dem  elenden  Zeuge  senden.  Sprechen  Sie  doch 
mit  Herdern  deshalb. 

_[,  Juni.  Wie  wird  das  werden  mit  Goethe  ?  Er  bekommt 
Freiexemplare  wie  Sie  wissen.  Wahrscheinlich  hat  er 
davon  tur  den  Herzog,  für  die  Herzogin,  für  die  Mutter, 
auch  für  Herder  bestimmt;  diese  erhalten  solche  nun  durch 
uns.  Sprechen  Sie  doch  mit  Seideln  darüber  und  haben 
Sie  ja  die  Güte,  Seideln  zu  sagen,  dass  Weygand  für  Hn.  G.  R. 
von  Goethe  60  Thlr.  an  mich  hätte  bezahlen  sollen,  die 
ich  an  ihn  zu  übermachen  hätte.  Allein  der  Flegel  hätte 
mir  leichtes  Geld  geben  wollen ,  dieses  hätt  ich  nicht 
angenommen,  er  möchte  dem  Menschen  darüber  den  Text 

'  Am  I).  meldet  er  das  Gerüclit,  dass  Goethe  aus  Unlust  über 
die  Weimarer  \'erliältnisse  iür  immer  fortzubleiben  gedenke. 


MlTTHEILLN'GEN    VON    ZhlTGhNOSSHN    UUHR    Goi.TlIi:.  ^üj 


lesen.  Plessing  in  Wernigerode  hat  mir  über  diese  60  Thlr. 
eine  Anweisung  aul  Weygand  geschickt,  mit  der  Ordre, 
dass  ich  solche  an  Goethe  bezahlen  soll,  diese  Anweisung 
ist  also  noch  in  meinen   Händen. 

20.  Juni.  Seidel  soll  künftige  Woche  Goethens  Frei- 
exemplare haben.  Ich  warte  seimlich  auf  den  4.  Band ; 
jetzt  druckt  Solbrig  an  dem  letzten  Stück :  die  Vögel. 

23.  Juni.  Herder  hat  sich  bei  mir  für  Goethe  auf 
hüll.  Papier  bedankt,  hat  es  also  als  Präsent  angenommen. 
Er  ist  nicht  zufrieden  mit  dem  Druck;  ich  habe  ihm  ja 
solchen  vorher  gewiesen.  Er  beklagt  das  wegen  seiner 
grossen  Achtung  für  Goethe  sehr.  —  Wie  soll  mans  am 
Ende  in  der  Welt  machen?     Gott  weiss  es,  ich  nicht! 

21.  August.  Unser  Schütz  macht  ein  wenig  lange 
mit  der  Recension  von  Goethe.  Sie  könnten  etwas  bei 
der  Sache  thun.  Ich  wünschte,  dass  in  der  Recension 
auf  die  Absicht,  die  man  bei  der  Typographie  gehabt, 
gewinkt  würde.  Man  hat  nicht  pergament-artiges  Papier 
nehmen  wollen,  keine  überflüssigen  Verzierungen  anbringen 
wollen.  Simplicität,  Gorrectheit  und  Niedlichkeit  sollten 
erreicht  werden  und  die  Ausgabe  sollte  eine  edition  portative 
sein,  damit  der  Freund  der  Goethe'schen  Muse  solche 
bequem  allenthalben  mit  sich  führen  könnte.  Eine  prächtige 
Ausgabe  soll  es  nicht  sein.  In  dieser  Rücksicht  beurtheilt 
wird  unsere  Ausgabe  die  Kritik  aushalten  .... 

Ich  urtheile  von  Goethe  so.  Eine  Ausgabe  in  gross  8^ 
ist  nicht  wohl  zu  wagen,  weil  das  Publikum  schon  die 
Oktavausgabe  sehr  theuer  findet.  Med.  Schreibpapier  ist 
sehr  theuer.  Auch  müssten  wir  neue  Kupfer  iiaben.  Bis 
der  Verfasser  also  wieder  eine  neue  Ausgabe  maclit,  die 
neue  innere  Reize  hat,  lässt  sich  nicht  wohl  etwas  Neues 
unternehmen.  Aber  doch  fragt  man  häurig  nach  Exem- 
plaren   auf   hol).  Papier.     Diese  Abdrücke    auf  iioll.  Papier 

26* 


404  Neue  Mittheilungen. 


sind  offenbar  keine  neue  Ausgabe  und  würden  auch  nicht 
so  thcuer  kommen  als  eine  ganz  neue  Ausgabe  in  gross  8°. 
Diese  500  Exempl.  benehmen  uns  also  auch  nicht  das 
Recht  zu  einer  neuen  Ausgabe  in  gross  8°.  Sie  würden 
cc.  uns  800  Thlr.  kosten,  vielleicht  1000,  und  ich  würde 
den  Preis  10  Thlr.  machen,  sind  netto,  nach  Abzug  des 
Buchhändlerrabatts,  welchen  ich  von  der  holl.  Ausgabe  nur 
25%  geben  würde,  3750  Thlr.  Wir  brauchten  jetzo  nur 
bis  Ostern  150  Ries  Papier,  weil  wahrscheinlich  auf  Ostern 
nur  2  Bände  herauskommen.  Also  dazu  würden  erfordert 
ca.  400  Thlr.  Können  Sie  die  auf  gemeinschaftlich  zu 
tragende  Interessen  verschaffen?  Die  300  Thlr.  für  den 
Druck  der  ersten  Bände  verschaff  ich.  —  Dieses  sind  die 
Punkte,  worum  sich  alles  dreht  i.  die  Kosten,  2.  wird 
unsere  holländische  Ausgabe  der  druckpapier  —  schaden?,  — 
nein,  denn  die  ganze  Druckpapier- Ausgabe  wird  4  Thlr. 
kosten,  3.  Den  noch  vorräthigen  1800  Exempl.  von  unserer 
Auflage  zu  3000  auch  nicht,  w^eil  für  viele  Menschen  diese 
Ausgabe  gut  genug  ist.  Müssen  wir  aber  eine  neue  Aus- 
gabe machen,  o  weh!  da  werden  die  Kosten  gross  und 
der  Abgang  wird  langsam  sein.  Also  Ausdehnung  dieser 
Ausgabe  ist  Gewinn  für  uns,  denn  wir  haben  doch  unsern 
Autor  auch  auf  holländischem  Papier.  Die  Ausgabe  in 
gross  8°  auf  holl.  Papier  würde  ungeheuer  viel  kosten  \ 

22.  September.  So  ein  Brief  wie  der  von  Goethe 
kann  den  Frohmuth  sehr  niederschlagen.  Mit  der  Schrift 
ist  vorher  keine  Zeile  gedruckt  worden  und  sie  soll  stumpf 


'  Zwischen  diesem  und  dem  folgenden  Brief  langte  Goethens 
Schreiben  vom  ij.  August  an  (Düntzer,  S.  840—842).  Göschen  über- 
sendet ihn  an  Bertuch  5.  September  mit  der  Bemerkung:  «Goethens 
Brief  senden  Sie  mir  doch  gleich  zurück.  Ich  habe  ihn  kaum  gelesen«. 
In  diesem  Goethe'schen  Brief  findet  sich  übrigen?  nichts  \-on  dem,  was 
Göschen  anfülirt. 

•2  cy:^,-li)^y^,<;t^^^  .\.z..':^£/. 


MiTTHElLLNGEN'    VON    ZEITGENOSSEN    ÜBER    GOETHE.  4O5 


sein!  Das  Papier  welches  weiss  ist  und  nicht  stark,  um 
bequeme  Bände  /.u  bekommen,  soll  Druckpapier  sein,  — 
mag  es  doch !  Herder  soll  nur  die  Auflage  seiner  Schriften 
damit  vergleichen.  Ich  weiss  nunmehro  wohl,  woran  es 
hängt.  Der  feine  Hartknoch  hat  sicher  Lunte  gerochen 
und  sich  gefürchtet :  ich  möge  ihm  ins  Gehege  kommen 
und  hat  deswegen  diesen  oder  jenen  Dannn  bei  Herdern 
gezogen.  Mag  auch  das!  Auf  den  Sonntag  send  ich  eine 
Beantwortung  von  Goethe's  Brief.  Herder  muss  ich  sehen 
herumzukriegen.  Goethe  müssen  wir  in  Rücksicht  der 
Zukunft  die  Exemplare  schenken.  Lassen  Sie  uns  hier 
nicht  genau  handeln;  das  Papier  ist  zu  übersehen.  Druck- 
fehler und  Auslassungen  können  nicht  in  den  Werken  sein, 
sie  müssen  im  Manuscripte  stehn.  Ich  werde  Goethe 
melden,  dass  ich  3000  gedruckt  habe.  Denn  ich  möchte 
gern  aufrichtig  handeln.  Aber,  wird  er  nicht  sagen,  wir 
vermehren  die  Auflage  ins  Unendliche?  Melden  Sie  mir  Ihre 
Meinung.  Ich  versichere  Ihnen  heilig,  hätt'  ich  Herdern 
und  Goethen  von  der  Seite  gekannt,  als  ich  sie  jetzt  kenne, 
sie  hätten  mich  nicht  so  glücklich  machen  sollen,  ihre 
Werke  zu  verlegen.  Sind  denn  2000  Thlr  ein  Kinderspiel  ? 
Doch  es  wurmt  heute  bei  mir  und  ich  mag  nicht  länger 
Ihre  Geduld  belästigen. 

28.  November  1787.  Hier  ist  der  Brief  an  Goethe. 
Diesen  muss  Herder  und  Seidel  nicht  lesen.  Lassen  Sie 
^hn  direct  nach  Rom  gehen.  Ich  muss  diese  Satisfaktion 
an  Herdern  haben  und  alle  Pfaff'en  hole  der  Teufel.  Ich 
denke,  Goethe  soll  die  40  Exemplare  nicht  verlangen ;  ver- 
langt er  sie,  so  gebe  ich  sie  ihm  mit  Freuden,  denn  mit 
eben  der  Zuversicht,  als  ich  zu  manchen  Dingen  rieth,  die 
anderen  Menschen  geglückt  sind,  sag  ich,  dass  Angelika's 
Zeichnung  und  der  Egmont  unsere  Ausgabe  heben  wird. 
Goethe  schenkt  seine  40  Exemplare  weg;  damit  wird 
unsere   holl.  Ausgabe   bekannt,   er  wird   in   gutem  Willen 


406  Neue  Mittheilukgen. 


erhalten  und  das  Papier  lässt  sich  übersehen  .  .  .  Finden 
Sie  etwas  in  Goethe's  Brief,  das  Ihnen  nicht  gefälh,  so 
sclircib  ich  ihn  anders.  Sagen  Sie  niir's  frei  heraus.  Noch 
glaub  ich,  Goethe  wird  geleitet.  Sollte  es  nicht  sein,  so 
veracht  ich  ihn  ebensosehr,  als  ich  ihn  verehrt  habe  und 
ich  muss  glauben^  dass  er  zu  den  niedrigen  Menschen 
gehört,  welche  glauben,  alle  Buchhändler  sind  Juden. 

22.  Dezember.  Sie  wissen,  dass  ich  das  4.  Tausend 
von  Goethe  einzeln  gedruckt  habe ,  wenigstens  die  Leiden 
Werther^s,  Götz  von  Berlichingen  und  alle  neuen  Stücke 
und  diese  verkaufe.  Von  Egmont  wollen  wir  2000  drucken. 
Das  Publikum  weiss  schon  davon  und  ist  darauf  gespannt. 
—  So  berühmt  als  Hiiher  ist,  so  wenig  kann  man  doch  in 
Frankreich  seine  Uebersetzungen  verdauen ;  das  weiss  ich 
gewiss.  Vielleicht  Mad.  Lafitte.  Aber  ich  gehe  an  keine 
französische  Unternehmung  heran,  wenn  nicht  etwa  Dufour 
in  Maastricht  die  ganze  Auflage  nehmen  will.  Sonst  drucken 
wir  die  französische  Ausgabe  für  die  Banditen  in  Lüttich 
oder  Yverdun.  Noch  weiss  ich  nichts  von  dem  Nachdruck 
der  Iphigenie ;  der  Kerl  sollte  durch  eine  Druckpapier- 
ausgabe, die  ich  gleich   machen   Hess,  den  Teufel  kriegen. 

27.  Februar  1788.  Eben  erhalt  ich  einen  Briet  von 
Goethe  und  Seidel,  auch  die  ersten  Akte  der  Claudine. 
Das  Resultat  aus  Goethe's  Brief  ist :  er  wünscht  die  Be- 
zahlung der  beiden  Kupferplatten  von  Lips  zur  Iphigenie 
und  Egmont  mit  8  Carolin  und  für  die  Vignette  ein 
Uebriges  nach  Belieben  und  das  Honorarium  für  den  5.  Band 
an  Seidel.  Da  für  die  Zeichnung  des  Blatts  zur  Iphigenie 
und  die  Vignette  nichts  angerechnet  ist,  so  ist  der  Preis 
billig.  Goetlie  will  die  übrigen  Kupfer  und  Vignetten 
auch  in  Rom  stechen  lassen  ;  um  deswillen  wollen  wir  für 
die  beiden  Vignetten  2  Carolins  bezahlen  und  sind  des 
Hudelns  unserer  deutschen  Kupferstecher  überhoben. 


Mittheilungen  von  Zeitgenossen  über  Goethe.  407 

(Beilud)  au  Göschen.  IVciimir,  nj.  Juni  ijS(j.) 

Nun  noch  die  /wcvlc  Bitte,  liebster  1-reund,  \veu;en 

unserer  Berechnung  über  Goethe.  Sie  versprachen  mir  Sie 
abermals  in  Ihrem  Briefe  nun  baldigst,  und  ich  erwarte 
sie  mit  \'erlangen,  um  zu  übersehen,  wie  wir  stehen,  und 
um  nicht  wieder  in  einen  zu  langen  \\'irr\varr  zu  gerathen  ; 
denn  allem  Anscheine  nach  endigt  Goethe  gewiss  vor 
Michl.  1790  nicht.  Ich  bitte  also  nochmals  darum  aufs 
dringendste.  Es  dient  Ihnen  selbst  zu  einer  helleren  Ueber- 
sicht  des  Geschäfts.  Vergessen  Sie  dabey  nicht,  dass  wir 
verabredet  haben,  dass  uns  beyden  auf  dem  Verlags  Conto 
die  zu  jedem  Bande  hergeschossenen  baaren  Zahlungen  nebst 
dem  Betrag  des  von  mir  gelieferten  Holl.  Papiers,  mit 
5  pr.  Ct.  Inter.  gutgeschrieben  werden  sollen.  Ausserdem 
giebts  Confusion,  und  eine  unrichtige  \'erlagsrechnung. 

(Göschen  au  Beriiich.) 

24.  Juli.  Xach  Goethe  seinem  Briefe  erhalten  wir  zu 
Michaeli  nichts.  Doch  wünscht  er,  dass  die  Sache  beendet 
sein  möchte.  Treiben  will  ich  ihn  nicht.  Am  Sonntag 
schreibe  ich  an  ihn ,  worauf  wol  eine  weitere  Erklärung 
folgen  wird. 

5.  September.  Goethe  meldet  mir  heute,  dass  er  die 
Güte  haben  will ,  den  8.  Band  zum  Druck  zuzubereiten. 
Entschuldigen  Sie  mich,  dass  ich  heute  nicht  an  ihn  schreibe 
und  bitten  ihn ,  was  er  mit  der  ersten  Post  gern  wissen 
möchte,  dass  er  nur  fürs  erste  3  bis  4  Bogen  mit  der  nächsten 
Post,  so  ihm  möglich  ist,  sendet  und  dann  successive  nach- 
schickt; zur  Messe  könnte  der  Band  dann  zwar  nicht  iertig 
werden,  allein  während  der  Messe  kann  fortgedruckt  werden 
und  so  im  Nov.  der  8.  Band  noch  erscheinen. 

4.  November.  Goethe  hat  mir  nun  das  Manuscript  so 
ziemlich  ganz  geliefert  zum  8.  Band,  wie  ich  vermuthe. 
Miedin2;s   Tod    ist    das    letzte.      Ich    habe    ihm    68    Thlr. 


4o8  Neue  Mittheilungen. 


LoLiisd'or  für  die  Zeichnungen  und  das  Kupfer  zum  8.  Band 
gesendet,  nebst  den  zum  6.  und  7.  Band,  —  die  xu  beiden 
letzteren  habe  ich  aber  noch  nicht  in  Händen. 

16.  Dezember  1789.  Goethens  Schriften  6.  Theil  werden 
zu  Neujahr  ausgegeben.  Es  sind  nur  noch  4  Bogen  zu  setzen 
und  zu  drucken.  Die  starke  Auflage  hält  auf,  das  mag  ich 
aber  Goethe  nicht  sagen.  Unterdess  hat  er  uns  lange  genug 
aufgehalten  und  es  ist  billig,  dass  er  sich  gedulde.  Ich  hätte 
seinen  Wunsch  bald  befriedigen  können;  sollte  ich  aber 
darüber  den  Kalender  in  die  Schanze  schlagen  ? 

Die  Correspondenz  schliesst  mit  einer  von  Bertuch  ge- 
schriebenen, von  den  beiden  Contrahenten  unterzeichneten 
Abmachung  vom  30.  Mai  1791,  worin  es  heisst,  dass  »mit 
heutigem  Dato  die  im  Jahre  1786  von  uns  gemeinschafthch 
gemachte  Verlagsentreprise  von  Goethe's  Schriften  in  8  Bänden« 
von  Göschen  allein  angekauft  sei,  unter  der  Bedingung,  dass 
er  an  Bertuch  das  Verlagskapital  von  2026  Thlr.  12  Gr.  ; 
ferner  Zinsen  (bis  zum  3.  Apr.  1791)  405  Thlr.  15  Gr.,  und 
eirdlich  600  Thlr.  Aequivalent  für  den  Gewinn  zahle.  Mit 
dieser  Abmachung  endet  auch  so  ziemlich  die  regelmässige 
und  herzliche  Verbindung  der  beiden  Verleger.  Nur  noch  ein 
Brief,  auf  den  Nachdruck  von  Goethens  Werken  bezüglich, 
sei  als  Schluss  der  Correspondenz  mitgetheilt : 

(Bertuch  an  Göschen.  IVeiinar,  10.  April  ijpi.) 

Mein  theuerster  Freund, 

ich  habe  mich  schon  seit  länger  als  4  Wochen  mit  sehr 
bösen  Augen  herumgeschlagen,  urid  diese  sind  Schuld,  dass 
ich  fast  alle  grösseren  Geschäfte  meines  Schreibe-Tisches 
habe  müssen  liegen  lassen,  also  auch  noch  nicht  über  die 
Revision  Ihrer  Berechnung  und  lezten  Brief  über  Göthe 
kommen  können;  welches  aber  nun,  da  es  wieder  leidlicher 
geht,  meine  erste  Arbeit  seyn  soll. 

Schmiedern  in  Carlsruhe,  der  über  Göthe's  Schritten 
herfallen  will,  muss  augenblicklich  eine  Contre-Lection 
gemacht    werden.      Besinnen    Sie    sich    doch,    dass    Ihnen 


Mittheilungen  von  Zeitgenossen  über  Goethe.  409 


A°"  1786,  als  Sie  wegen  Göthe's  Werken  an  den  Marggf. 
von  Baadeii  schrieben,  und  um  Schutz  gegen  Schmieder 
bathen,  er  Ihnen  ausdrücklich  und  wörtlich  schrieb:  »er 
wolle  dafür  sorgen,  dass  Ihnen  Göthe's  Werke  niciit  von 
Schmieder  nachgedruckt  werden  sollen«.  Sie  haben  mir 
selbst  damals  diesen  Brief  mitgetheilt;  Gcithe  und  der  Herzog 
haben  ihn  gelesen;  Sie  haben  ihn  wieder  erhalten,  und 
müssen  ihn  also  noch  haben.  Zum  Glück  hat  sich  nun 
Schmieder  durch  sein  Avertiss.  selbst  sachfällig  gemacht, 
und  man  kann  ihn,  und  den  Marggrafen  also  leichter  beym 
Worte  halten,  als  wenn  Schmieder  versteckt  nachgedruckt 
hätte.  Ich  dächte  also  Sie  suchten  des  Marggrafs  Brief 
wieder  auf,  kopirten  sein  Versprechen  daraus,  nähmen 
Schmieders  Ankündigung,  als  das  Corpus  delicti,  und  machten 
geradezu  ein  Schreiben  an  den  Marggraten,  und  forderten 
den  versprochenen  Schutz.  Diess  Schreiben  schicken  Sie 
mir,  sub  volante,  zu,  dass  es  Göthe  und  der  Herzog  lesen 
kann,  und  einer  von  Beyden  soll  es,  mit  einem  kräftigen 
Vorschreiben  begleitet  an  den  Marggraf  schicken ;  diess 
übernehme  ich.  Indessen  ists  doch  nun  Zeit  mit  der  Druck- 
papier Ausgabe  herauszufahren,  und  alle  Plätze  im  Reiche 
und  in  Oesterreich,  wo  Schmieder  hauptsächlich  sein  Wesen 
treibt  zu  belegen.  —  Ich  überlasse  Ihrem  Gutachten  zwar, 
und  genehmige  Alles,  lieber  Freund,  was  Sie  deshalb  zu 
thun  für  gut  finden ;  ich  dächte  aber  wir  setzten  diese 
4  Bände  an  Statt  3  Thlr.  16  Gr.  lieber  nur  auf  3  Thir.  um 
dieser  Ausgabe  einen  schnellen  Zug  zu  schallen,  und  Schmie- 
dern das  Spiel  desto  gewisser  zu  verderben.  Der  Band 
komt  dann  doch  immer  noch  auf  18  Gr.  Laden  und  12  Gr. 
Netto  Preiss;  wobey  wir  denk  ich  ganz  gut  bestehen  können. 
Doch  nehmen  Sie  dies  wie  Sie  es  für  gut  finden.  Nur 
thun  Sie  die  nöthigen  Schritte  schnell. ' 


Schmieder  hat  dennocli  die  Göschen'sche  Ausgabe  nacligedruckt. 


410  Neue  Mittheilukgen. 


(Hiifeland  an  Berlnch.  Jena,  2}.  November  1788.) 

.  .  .  Goethen,  der  unsere  hiesige  Gesellschaft  fleissig  besucht 
hat,  sagen  Sie  unsern  besten  Dank  für  die  mitgetheilte 
Nachricht ;  sie  war  uns  aber  schon  von  Hiii  eingesendet 
und  in  Nro  56  des  Intelligenzblattes  abgedruckt.  Ein  kleiner 
uns  fehlender  Zusatz,  der  in  der  Goethischen  enthalten 
ist,  soll  in  einem  der  nächsten  Intelligenzblätter  erscheinen. 
Die  Nachricht  folgt  hierbei.  Muntern  Sie  ihn  zu  künftigen 
andern  Beiträgen  auf,  um  ihn  gut  zu  erhalten.  Hier  war 
er  äusserst  gesellig  und  artig. 

(BnchdruchT  Uiiger.  Berlin,  2S.  Mär~  i/S^}.) 

Ich  habe  die  Ehre,  Ihnen  hier  den  ersten  Bogen  des 
Carnevals  zu  überschicken  .  .  .  Wegen  des  Drucks  der 
Iphigenie  kam  Ihr  gütiger  Rath  zu  spät.  Leider  sind  schon 
4  Bogen  gedruckt,  aber  ich  habe  nur  150  Exemplare 
gedruckt  und  diese  wollt  ich  sämmtlich  Ihrer  Durchlaucht 
zur  gnädigen  Disposition  überlassen.  Dann  kann  Göschen 
nicht  klagen,  besonders  wenn  es  der  Herzog  genehmigte, 
dass  ich  ihm  dieses  kleine  Werk  zueignen  dürfte.  Ich  lege 
zw-ey  ganz  fertige  Bogen  davon  bey,  um  Ihre  Meinung 
darüber  zu  hören.  Ich  wäll  nicht  eher  weiter  daran  fort- 
drucken, als  bis  ich  Ihren  gütigen  Rath  darüber  höre.  Ich 
glaube  es  war  nicht  recht,  dass  Hr.  GR  v.  Goethe  etw^as 
davon  vorher  erfahren  hat!  Dies  vergass  ich  Ihnen  zu 
schreiben.  Ich  glaubte,  der  Herzog  hat  ihn  wollen  damit 
überraschen.  Es  ist  nun  einmal  geschehn  und  vielleicht 
habe  ich  mich  auch  geirrt  und  mir  das  nur  eingebildet. 

(Bhmkeuhurg  \  I^('!px'g>  20.  Mär:^  1796.) 

.  .  Norh  ein  braver  Mann  und  ich  haben  ein  Anliegen  an 
Sie  .  .  .  Der  brave  Mann  ist  Hofrath  Leise.  Wir  wollen 
gern    nach  Weimar   .   .   .    Wie   wäre   es,   liebster   Bertuch, 


Mutheillngen  von  Zeitgunossen  über  Goethe.  41 1 


wenn  Sie  mir  einen  Brief  sciirieben  und  darin  an  Lerse 
in  seines  alten  Freundes,  Goethe,  Namen  einen  Aufruf 
scliickten,  ...  zu  diesen  Ostern  nach  Weimar  xu  kommen. 
Es  versteht  sich,  dass  weder  Goethe  noch  \\'iehmd  ein 
Wort  hiervon  wissen  müssten. 

(Gnll.  Basel,  2;.  September  iSoj.) 

(Erklärt ,  in  etwa  3  Wochen  in  Weimar  zu  sein.) 
Wenn  Goethe  da  ist,  so  beschwören  Sie  ihn  doch,  dass 
er  mir  seinen  prächtigen,  herrlichen  Kopf  abdrücken  lässt. 
Alle  Welt  lacht  mich  aus,  dass  ich  ihn  nicht  habe;  ich 
will  recht  santt  mit  ihm  umgehn. 

(: .  Riihle.  Dresden,  11.  Januar  180S.) 

Goethe  hat  Müller  geantwortet  und  versprochen,  sobald 
es  Zeit  und  Gesundheit  erlauben,  Beiträge  zum  Phoebus 
zu  geben;  Sie  können  uns  sehr  verbinden,  wenn  Sie  ihm 
von  Seiten  Müllers,  Kleist's  und  meiner  darüber  etwas 
Schmeichelhaftes  sagen  wollen  .  .  .  Zugleich  schreibt  er, 
dass  die  Rollen  für  den  »Zerbrochenen  Krug«  ausgetheilt 
seien.  Schreiben  Sie  mir  doch,  aber  ganz  aufrichtig,  wie 
dieses  Stück  aufgenommen  worden. 

Dresden,  2S.  Januar  iSoS. 

.  .  Ihren  Rath  wegen  des  Phoebus  werden  meine  Freunde 
befolgen.  Wenn  Sie  Goethen  zu  Beiträgen  irgend  einer 
Art  vermögen  können,  erzeigen  Sie  uns  eine  grosse  Gefällig- 
keit. Es  kann  ihm  ja  nicht  an  alten  Arbeiten  fehlen,  z.  E. 
Fragmente  aus  der  Achilleis  u.  dergl. 


'    Der  Besuch  unterblieb  damals,  weil  Blankenburg  krank   wurde 
und  wurde  erst  im  folgenden  Jahre  ausgeführt,  vgl.  Annalen  z.  J.   1797. 


412  Neue  Mittheiluxgex. 


(Kammersecretär L.  Nainuerk.  Rat:^ehitrg,  iS.  Deieuiher  iSio.) 

.  .  .  Hr,  GehR,  v.  Goethe  hat  die  Güte  gehabt,  meinen 
Zeichnungen  zum  Faust  seinen  Beifall  zu  bezeugen  und 
schreibt  mir,  dass  er  in  dem  Jahresprogramm  der  Jen.  Lit. 
Ztg.  etwas  darüber  sagen  wolle.  Auf  seine  Aeusserung, 
dass  er  mehrmals  befragt  sey,  ob  sie  käuflich  seyen,  habe 
ich  ihm  geantwortet,  dass  ich  sie  recht  gern  einem  Käufer 
überlassen  würde  und  da  ich  nicht  lioften  dürtte  den  Preis, 
den  unser  Schnorr  dafür  bestimmte,  nämlich  7  Louisd'or 
für  das  Blatt,  jetzt  zu  bekommen,  so  würde  ich  sie  auch 
für  5  Louisd'or  das  Stück  weggeben.  Zugleich  nahm  ich 
mir  die  Erlaubniss,  ihn  zu  ersuchen,  wenn  er  die  Zeich- 
nungen nicht  länger  bey  sich  behalten  wollte,  solche  Ihnen 
zuzustellen,  weil  ich  sie  lieber  in  Weimar  wissen,  als  hier 
bey  mir  haben  möchte,  wo  ich  so  wenig  Aussicht  habe, 
sie  anzubringen.  Wäre  es  Ihnen  also,  mein  würdiger  Freund, 
nicht  zuwider,  so  möchte  ich  Sie  bitten,  auf  den  Fall,  dass 
Hr.  GehR.  v.  Goethe  Ihnen  selbige  zustellen  sollte,  sie  vor 
der  Hand  in  Verwahrung  zu  nehmen  und  sie  gelegentlich 
Kunstfreunden  zu  zeigen. 

( Schul rath  Sichler.  Weimar,  21.  Sepicmher  1S12.) 

.  .  .  Von  Goethe  bin  ich  äusserst  freundlich  aufgenommen 
worden.  Er  wird  den  Brief  bloss  mit  einigen  Veränderungen 
abdrucken  lassen  und  ist  zufrieden,  dass  dies  in  den 
»Curiositäten«  geschehe.  Hr.  Bibliothekar  \'ulpius  '  wird 
ihn,  wie  er  mir  versichert,  nächstens  zu  diesem  Zwecke 
erhalten.  In  dieser  Hinsicht  wäre  es  mir  nun  sehr  angenehm^ 
wenn  Sie  ihn  ganz  so,  wie  er  ist,  ohne  das  Ende  (wie  Sie 


^  Dabei  liegt  ein  Brief  des  Genannten  vom  23.  September,  mit 
der  Bemcrlvung,  dass  Goetlie  den  Abdruck  gestatte.  —  Vgl.  ferner 
Gocthe's  Brief  an  Heinrich  Meyer,  29.  April   1812  bei  Riemer  S.  90. 


MlTTHtlLLNGtN    VON    ZEITGENOSSEN    ÜBER    GOETHE.  4I3 


gethan)  abzuschneiden  abdrucken  Hessen.  Meine  Bemer- 
kungen habe  ich  ihm  mündHch  mitgetheilt;  er  schien 
damit  zufrieden  zu  sein;  folgHch  werden  sie  nunmehr 
unterdrückt. 

{Friedlich  Hufclaud.  Berlin,  2S.  September  1S16.) 

Ich  erhielt  schon  vor  mehreren  Monaten  von  einem 
gewissen  D.  Dumpf,  praktischen  Arzte  in  Livland,  den  ich 
nicht  persönlich,  aber  durch  Briefwechsel  kenne,  ein  Schreiben, 
in  welchem  er  mir  unter  anderm  seinen  Entschluss  mittheilt, 
eine  Schrift  den  verstorbenen  Dichter  Lenz  betreffend  heraus- 
zugeben, mit  welchem  er  verwandt  war  und  dessen  bekannt- 
lich in  Goethe's  Leben  in  einer  nicht  eben  rühmlichen  Weise 
gedacht  wird.  »Ich  sammlete  durch  eine  weitläufige  Corre- 
spondenz  alle  jetzt  noch  mögUchen  Notizen  über  ihn  und 
sein  Leben.  EndUch  gelang  es  mir  auch  seinen  schriftlichen 
Nachlass  aus  Moskau,  sowie  seine  Papiere,  die  er,  krank 
werdend,  vor  38  Jahren  bei  dem  edlen  Schlosser  zurück- 
gelassen, an  mich  zu  bringen.  Sie  geben  eine  so  reiche 
Ausbeute,  dass  es  mir  ein  Vergehen  gegen  alle  Literatur- 
freunde,  und  besonders  seine  noch  lebenden  Jugendfreunde 
scheinen  musste ,  sie  unbekannt  modern  zu  lassen.  Das 
bewegt  mich,  sein  Biograph  werden  zu  wollen,  zugleich 
aber  erregt  es  auch  den  Wunsch,  einige  kleine  Werke  von 
ihm,  die,  höchst  genial,  wahrscheinlich  noch  nie  gedruckt 
wurden,  herauszugeben.  Es  sind  diese  i.  Catharina  v.  Siena, 
ein  Trauerspiel,  2.  die  Laube,  ein  Schauspiel  und  3.  eine 
höchst  geniale  und  interessante  Skizze  unter  dem  Titel : 
Pandaemonium  germanicum  oder  über  die  teutsche  Literatur 
(im  J.  1775).  Mein  Antheil  an  der  Biographie  wird  sehr 
gering  sein,  denn  aus  Lenz'  Blättern  der  Erinnerung  und 
meinen  gesammelten  Notizen  hoffe  ich  sie  grösstentheils 
zu  vollenden,  so  dass  mein  Geschäft  nur  darin  bestehen 
wird,  den  Faden  der  Erzählung  zu  leiten.    Eine  bedeutende 


414  Neue  Mittheilukgen. 


Anzahl  herrlicher  Briefe  von  Herder,  F.  L.  Grafen  zu  Stollherg, 
Lavater,  Klinger,  Merck  und  anderen  vorzüglichen  Männern, 
liegen  seit  40  Jahren  ungckannt  und  sollen  nun  dem  Todtcn 
ein  Todtenopter  bringen,  wie  sie  ihn  im  Leben  ehrten  und 
ermuthigten«. 

Hierzu  tügt  Dr.  Dumpl  nun  die  Bitte,  dass  ich  ihm 
einen  Verleger  verschaffen  und  mich  bei  Goethe  erkundigen 
möchte,  ob  er  für  die  Herausgabe  der  Materialien  stimme. 
Die  letztere  Bitte  musste  ich  ihm  natürlich  abschlagen,  da 
der  so  reizbare  Goethe  den  Mangel  an  DeHcatesse,  den  eine 
solche  einen  ihm  verhassten  Gegenstand  betreffende  Frage 
verrathen  würde,  sehr  übel  aufnehmen  könnte.  Was  aber 
den  erstem  Punkt  betrifft,  so  schrieb  ich  ihm,  dass  ich  mir 
die  Freiheit  nehmen  würde,  mich  deshalb  an  Sie  zu  wenden, 
lieber  diesen  Vorschlag  bezeugt  er  nun  in  seiner  Antwort 
grosse  Freude,  besonders  da  er  hofft,  dass  er,  wenn  es 
Ihnen  gefällig  wäre,  sich  auf  dieses  Unternehmen  einzulassen, 
durch  Ihre  Güte  noch  manche  wichtige  Aufklärungen  über 
Lenzens  Aufenthalt  in  Weimar  erhalten  und  zugleich  erfahren 
würde,  ob  von  den  Dichtungen,  die  er  aus  dessen  Nachlass 
besitzt,  eine  oder  die  andere  vielleicht  schon  gedruckt  ist. 


II.  Aus  BRIHFEX  \'OX  C.  A.  X'ULPIUS  IN  WEIMAR 

Ax  Xic.  Meyer  in  Bremen. 

MIlGinHlill-T  VON 

G.  VON   LOEPER.' 


Weimar,  den  15.  October  1802.  Bei  uns  gehts  an"s 
Avanciren.  —  Egloftstein  ist  Obermarschall  geworden,  Euck 
Hofmarschall,  Kirms  darf  Hof-Uniform  tragen.  Schmidt 
der  Geheime  Rath  ist  geworden  Ober-Kammerprasident 
und  Wollzogen  Kammerpräsident.  \'oigt  Kammerpräsident 
in  Eisenach  und  bleibt  dabei  hier,  \'ent  Hauptmann.  — 
Was  den  Schauspieler  Zwick  anbetrifft,  so  wissen  Sie,  wie 
der  Geheime  Rath  ist,  wenn  er  einmal  nicht  will,  so  will 
er  nicht  und  ist  sehr  soupconös,  sobald  man  sich  einer 
Sache  recht  ernstlich  annimmt.  Deshalb  möchte  ich  nicht 
gern  ein  Wort  darüber  verlieren.  Ich  will  aber  dennoch, 
wenn  ich  ihn  einmal  bei  Laune  rinde,  mit  ihm  darüber 
sprechen,  indessen  mag  Zwick  das  Seinige  thun  und  noch 
einmal    anbohren,    so   wie    hrau  Wunschel'   im   Schauspiel 


'  Aus   der  Autographcnsamnilung  des  Herrn  Fal)rikbi'sil:^ers  Julius 
Schiller  ^u  Berlin. 

^  Figur  aus  Kotzebues  beiden  Klinajsbergen. 


4l6  Neul  Mittheilungen. 

mit  dem  Ellenbogen,  bis  es  geht.  —  Noch  haben  wir  kein 

eini^iges   neues   Schauspiel    hier    gesehen.  Es    geht    etwas 

lahm,    zumal    da    die    Jagemann    jetzt    so  öffentlich    hoch 
steht,  dass  sie  macht  was  —  sie  will. 

Weimar,  den  i.  Dezember  1802.  Von  Goethe  haben 
wir  ehestens  ein  neues  Originalwerk  '  ganz  neu  vom 
Stapel  gelaufen,  zu  erwarten. 

Meine  Frau  wird  binnen  14  Tagen  Gevatter  bei  meiner 
Schwester  stehen^,  und  hat  August  ein  neues  Metall  entdeckt. 

Merkel  und  Kotzehue  haben  sich  vereinigt,  der  literari- 
schen Welt  eine  Brille  aufzusetzen  und  in  einem  eigenen 
Journale  werden  sie  beweisen,  dass  Goethe  gar  kein  Dichter 
ist,  dass  Merkel  und  Kotzebue  allein  Kenner  des  Geschmacks 
sind  und  dass  Kotzebue  eigentlich  Deutschlands  einziger 
Dichter  ist,  wie  er  sein  soll.  — 

Übrigens  hat  sich  bei  uns  ein  grosser  Wind  gelegt, 
seit  Kotzebue  ihn  nach  Berlin  mitgenommen  hat,  und 
Böttiger  sitzt  ganz  still  in  der  antiquarischen  Ecke,  um 
Bolzen  zu  heizen  für  die  beiden  literarischen  Buben  der 
eleganten  Gosse,  soit-disant  der  kritischen  Welt '. 

Weimar,  den  19.  Jänner  1803.  Seit  meinem  letzten 
Briefe  war  meine  Schwester  mit  einem  Mädchen  in  die 
Wochen  gekommen,  das  meine  Frau  heben  und  das  den 
Namen  Kathinka  erhalten  sollte;  es  ist  aber  drei  Tage 
darauf  gleich  wieder  gestorben. 

Die  grosse  Sängerin  Mara  hat  vorgestern  sicii  hier 
im  Konzert   hören   lassen.     Es  war  zum  Einbrechen  voll  "*. 

Vorige  Woche  wurde  der  Prof.  Mever  getraut. 


'  Die  natürliche  Tochter. 

^  «Den  neuen  Gast«,  Goethe  an  Schiller,  den   19.  December  1802. 
5  Vergl.    Goethe's    hivectiven:     Triumvirat,     »Die    gri.indlichsten 
Scliufte«  und  »Gottheiten  zwei«  (bei  Hempel  III.,  S.  296  fg.). 
4  Scliiller  an  Goethe,  6.  Juli   1S05. 


Mn  TIltlLUNGUN    VON    ZlirfGENOSSEN    ÜBER    GOETHE.  4I7 


Unser  Theater  kränkelt  sehr  und  die  Oper  taugt  wenig 
noch.  Kr.  ist  noch  immer  dispensirt.  D.  kann  nicht  viel 
wie  Sie  wissen,  und  die  jagemann   imponirt  quantum  satis. 

Fürs  reciiirende  Schauspiel  wird  auch  noch  wenig 
gethan,  weil  Goethe  taglich  verdrüsslicher  wird  und  weil 
man  es  recht  darauf  anlegt,  ihm  auch  deshalb  das  Leben 
sauer  zu  machen.  Am  i  Jänner  gab  er  uns  sein  Paläophron 
und  Neoterpe;  das  Stück  ging  sehr  gut  und  gefiel.  Er 
hatte  einen  neuen  Schluss  dazu  gemacht,  der  sehr  enchan- 
tirte.     Heute  ist  sein  Clavigo. 

Weimar,  den  7.  l-"ebruar  1803.  Kotzebue'n  ist  das  Land 
verboten  worden.    Er  verkauft  jetzt  seinen  Garten  zu  Jena. 

—  Schiller  hat  ein  neues  Stück  mit  Chören  geschrieben. 
Goethe  vollendet  sein  Trauerspiel.  Kotzebue  hat  sich 
allgemein  verhasst  gemacht.  Goethe  antwortet  ihm  nicht, 
aber  er  soll  dennoch  gezüchtiget  werden. 

Weimar,  den  26.  Februar  1803.  Mich  dauert  der 
Geheime  Rath  sehr.  Er  ist  nun  seit  sieben  Wochen  nicht 
aus  dem  Hause  gegangen,  und  als  er  neulig  in  den  Garten 
an  die  Luft  kam,  ist  er  umgesunken. 

Einsiedeis  Bearbeitung  des  Eunuchus  des  Terenz  ist 
mit  Masken  aufgeführt  worden,  unterm  Titel:  die  Mohnn, 
hat  aber  nicht  gefallen.  Jetzt  studirt  man  Schillers  Braul 
von  Messina  ein,  Trauerspiel  mit  Chören.  Ich  verspreche 
ihm  kein  grosses  Publikum.  — 

Der  verwittwete  Hof  hat  gleichsam  offene  Fehde  gegen 
Goethe  und  dort  hängt  Alles  auf  des  Kotzen  Buben  Seite. 

—  Das  Volk  verdient  Goethen  gar  nicht.  Der  Schuft  hat 
sogar  Parthie  hier;  können  Sie  sich  das  denken?  Nur  der 
Herzog  steht  fest  bei  Goethe  und  hat  Kotzebue  sein  Land 
verboten. 

Weimar,  den  12.  März  1803.  Dass  der  Geheime  Rath 
wirklich,  wenn  auch  nicht  änsserlich,  krank  war,  ist  gewiss. 

Goethe-Jahrbuch  II.  27 


^.l8  Neue  Mitthhilunghx. 


jetzt  ist  er  schon  in  neun  Wochen  nicht  vor  die  Hausthür 
ij;ekonimen.  Das  Kotzebue'sche  Wesen  hat  ihn  sehr  getrogen ; 
auch  hat  er  viel  Gram  der  Cantatrice  Jageniann  wegen, 
die  jetzt  Alles  ist.  Sie  kommt  oft  mit  5 — 6000  Thaler 
Schmuck  und  Ketten  auf's  Theater.  — 

Der  Geheime  Rath  hält  jetzt  wöchentlich  Dienstags 
Konzert.  Die  Sänger  singen.  Diese  Woche  waren  der 
Herzog,  die  Prinzessin  und  Prinz  Bernhard  drin.  —  Er 
arbeitet  viele  Gedichte  jetzt  aus  und  sein  Schauspiel  die 
natürliche  Tochter.  — 

Jetzt  speisen  Sonntags  jedesmal  zwei  Schauspieler  und 
eine  Schauspielerin  beim  Geheimen  Rath. 

Weimar,  den  17.  März  1803.  Es  ist  hier  bei  uns  noch 
ebenso,  wie  es  vor  acht  Tagen  war,  da  ich  Ihnen  schrieb. 
Goethe  geht  noch  immer  nicht  aus.  Der  Herzog  sagt 
neulich  zu  ihm  :  Wenn  ich  eine  Sonne  machen  könnte,  ich 
wollte  Dir  eine  in's  Haus  schicken. 

Weimar,  den  20.  März  1803.  Gestern  wurde  endlich 
die  Braut  von  Messina  gegeben  und  hat  vielen  hundert 
Jenensern,  die  da  waren  zum  Abonnement  suspendu,  unge- 
mein und  so  gefallen,  dass  man  nach  Endigung  des  Stück's 
dem  Dichter  ein  lautes  \'ivat  rufte,  welches  Herr  Dr.  Schütz 
aus  Jena  ausbrachte,  etwas,  das  im  hiesigen  Schauspielhause 
noch  nie  geschehen  ist. 

)ena,  den  15.  Juni  1803.  \'on  hier  geht  Loder  ab, 
aus  Verdruss,  weil  man  ihn  Kotzebue's  wegen  kalt  behandelt 
hat,  nach  Halle '.  An  seine  Stelle  kömmt,  wie  es  heisst, 
Sömmerring.  Kilian  geht  nach  Bamberg ;  Schelling  ist  mit 
Md.  Schlegel  nach  der  Schweiz  gegangen.  Paulus  heisst  es, 
ginge  nach  Würzburg  und  l'roriep  geht  auch  ab  (heisst  es). 


'  Loder  war  mit  Kotzcbue  eng  befreundet.    Vgl.  Goetlie"s  »Neuen 
AlciniHis«   (Henipe!   III.,  290). 


MiTTHlilLUNGLN'    VON    ZuiTGUNOsSHN    LH1:K    GoiiTHH.  4I9 


Jena,  den  4.  September  1803.  Der  freimüthige  Schuft 
hat  Jena's  Untergang  prophezeit.  Die  Clique  schlägt  sich 
aber  selbst,  und  Jena  wird  wohl  stehen  bleiben.  Loder 
hat  aus  Dankbarkeit  für  die  vielen  Gnaden  vom  Herzog 
seinen  Abgang  nach  Halle  unvergesslich  machen  wollen, 
er  hat  deshalb  so  lange  durch  Kotzebue  \md  andre  grosse 
Männer  seil,  negozirt,  bis  die  Litteratur-Zeitung  nach  Halle 
kam.  Nun  gut!  Kotzebue  stiess  sogleich  in  die  Tuba,  und 
siehe  da,  Alles  ist  voll  Schrecken  und  Furcht.  Aber  sie 
hatten  nicht  Alles  wohl  überlegt  und  die  Jcnaische  Litt. 
Zeitung  bkihl.  Goethe  und  Schiller  sind  an  die  Spitze 
getreten,  und  Eichstädt  wird  Kedakteur.  Es  ist  ein  b'onds 
von  5000  Thaler  dazu  da.  Mit  dem  i  Jänner  1804  ersclieint 
das  erste  Stück. 

Weimar,  den  15.  Jänner  1804.  Sie  wollen  wissen,  was 
bei  uns  passirt  ?  Weniges,  das  tröstlich  ist.  Unter  andern, 
ist  der  Geheime  Rath  Goethe  wieder  einmal  unpässlich,  und 
hat  einige  Tage  im  Bett  gelegen.  Er  ist  überhaupt,  im 
Ganzen  phvsisch  und  moralisch  nicht  wohlaul. 

Die  soit  disant  berühmte  Md.  Stael  ist  jetzt  seit  drei 
Wochen  hier  und  wird  —viel  fetirt.  Nur  in  dem  despotischen 
Frankreich  konnte  man  ihren  Roman  Delphine  verbieten, 
bei  uns  fragt  man  kaum  danach. 

Kotzebue  ist  bei  Nacht  hier  durchgegangen,  hat  sich 
aber  nicht  getraut,  im  Thor  seinen  Namen  anzugeben  und 
hat  sich  nur  anderthalb  Stunden  bei  seiner  Mutter  autge- 
halten, aus  Furcht,  arretirt  zu  werden.  Seine  Freunde  selbst 
springen  jetzt  von  ihm  ab.  Sein  Hugo  Grotius  fiel  so  durch 
hier,  dass  man  zischte,  und  sein  Ranudo  Colibrados  miss- 
iiel  sehr. 

Goethe  arbeitet  jetzt  seinen  Götz  von  Berlichingen  fürs 

hiesige  Theater  zu,  und  der   zweite  Theil    der  natürlichen 

27* 


420  Neue  Mittheilungen. 


Tochter  ist  auch   bald   fertig.      Schiller   brütet   noch  über 
seinem  Schauspiel  Wilhelm  Teil. 

Jena,  den  4.  Februar  1804.  Am  Montage  sahen  wir 
am  Geburtstage  der  Herzogin  des  Sophokles  Antigene  auf 
dem  Theater  mit  Chor  und  Costüm  a  la  Grccque.  Sie  gefiel 
ganz  ausserordentlich  und  wurde  sehr  beklatscht.  So  etwas 
liebt  man  nun  hier,  indess  man  aus  Kotzebue's  Dramen  und 
Trauerspielen  sich  durchaus  nichts  macht.  Ich  denke,  wir 
werden  auch  etwas  von  Aeschylos  zu  sehn  bekommen. 

Weimar,  den  22.  October  1804.  Dass  Goethe  nie  wieder 
etwas  Poetisches  schreiben  wolle,  glaube  ich  auch  nicht,  und 
zwar  deswegen,  weil  er  eben  etwas  wieder  unter  der  Feder 
hat ;  seinen  Faust  wird  er  auch  vollenden.  Noch  etwas 
sollen  Sie  vielleicht  bald  erfahren.  Wir  dürfen  jetzt  noch 
nicht  davon  sprechen.  In  seinen  Götz  hat  er  eine  sehr 
poetische  Scene  eingelegt  u.  a.  die  in  gereimten  Versen  ist. 
Er  spielte  bis  11  Uhr.    Nun  wird  er  in  zwei  Hälften  gegeben. 

Weimar,  den  7.  März  1805.  Goethe  war  drei  Wochen 
lang  so  gefährlich  krank  wie  vor  vier  Jahren.  Doch  hat 
ihm  Starke  wieder  geholfen.  —  August  geht  auf  einige  Zeit 
zur  Grossmuttcr  nach  Frankfurt. 

Weimar,  den  8.  März  1805.  Ueber  Nacht  ist  der  Geh. 
Rath  von  Goethe  wieder  sehr  schlecht  und  bedenklich  krank 
geworden. 

Weimar,  den  19.  April  1805.  Goethe  war  wieder  sehr 
krank,  doch  ist  es  nun  besser.  Er  hat  uns  diesen  Winter 
hindurch  stets  sehr  besorgt  für  sein  Leben  gemacht.  — 
August  ist  in  Frankfurt  bei  der  Grossmutter.  Christel  ist 
wohl,  aber  Ernestine  hat  sich  die  Auszehrung  an  den  Hals 
getanzt  und  geärgert,  und  selbst  Starke  zweifelt  an  ihrer 
Rettung. 


Mittheilungen  von  Zeitgenossen  über  Goethe.  421 


Weimar,  den  13.  Mai  1805.  Nach  vielen  Leiden  und 
Schmerzen  ist  Goethe  endUch  wiederhergestellt,  aber  am 
10.  d.  M.  Abends  starb  Schiller.  Seine  intestina  sind  ganz 
entzündet  gewesen.  Den  11.  wurde  er  nach  Mitternacht 
von  jungen  Gelehrten  zu  Grabe  getragen,  und  gestern  Nach- 
mittag 3  Uhr  in  der  St.  Jakobskirche  wurde  er  vom  Superinten- 
dent Vogt  parentirt,  und  dabei  Mozarts  Requiem  von  der 
Kapelle  und  den  Sängern  aufgeführt.  Seine  Theater-Todten- 
feier  wird  besonders  sein. 

Weimar,  den  20.  Mai  1805.  Ihre  Theilnahme  an 
Goethens  Gesundheitszustande  verlangt  öftere  Relationen 
deshalb.  Leider!  So  gesund  er  auch  wieder  zu  sein  schien, 
so  kamen  vorgestern  seine  Krämpfe  doch  so  schrecklich 
wieder,  dass  Starke  von  Jena  um  Mitternacht  herbei  musste. 
Es  hat  sich  jetzt  wieder  gegeben,  und  Starke  meint,  das 
Uebel  w^ird  chronisch  werden,  doch  so,  dass  es  immer  nach 
längeren  Pausen  wieder  käme,  um  endlich  zu  verschwinden. 
Aber  bis  dahin  ?  —  Seine  Kräfte  gehen  sehr  darauf.  Er 
hört  ungern  davon  reden,  und  man  muss  sich  hüten,  Briefe 
sehen  zu  lassen,  in  welchen  davon  gesprochen  wird. 

Morgen  wird  Schillers  Übersetzung  der  Phädra  des 
Racine  gegeben,  und  vorher  wird  ihm  zu  Ehren  etwas 
musicirt  und  gesprochen. 

Die  Menschen  sind  hier  sonderbar !  Es  ist  schon,  als 
wenn  gar  kein  Schiller  unter  ihnen  gelebt  liätte,  so  wie's 
bei  Herdern  auch  war.  Alles  hat  mit  seinen  ökonomischen 
Lagen  zu  thun,  und  alle  jagen  nur  der  Zerstreuung  nach. 
Die  Einweihung  des  neuen,  wirklich  prächtigen  Schiess- 
hauses beschäftigt  jetzt  Alle  weit  lustiger.  Unsre  Frau 
Erbprinzessin  wird  im  September  in  die  Wochen  kommen, 
und  da  giebts  wieder  Feten.     Das  interessirt  mehr. 

Weimar,  den  4.  Juli  1805.  Dienstag  Abends  ist  Goethe 
mit  meiner  Schwester  nach  Lauchstedt  abaereiset    und  ueht 


422  Neue  Mittheillngek. 


nach  Halle,  dort  den  Dr.  Gall  zu  hören,  dann  wird  er  zurück- 
kommen und  vielleicht  auf  vierzehn  Tage  in's  Karlsbad  gehen. 

Jena,  den  30.  August  1805.  Meine  Sclnvester  ist  von 
Lauchstedt  seit  vierzehn  Tagen  zurück.  —  Der  Geiieime 
Rath  aber  ist  umhergereiset  und  in  Helmstedt  gewesen, 
um  den  sonderbaren  Beireis  kennen  zu  lernen.  Jetzt  ist  er 
wieder  in  Lauchstedt,  und  schreibt  etwas,  womit  im  Oktober 
Schiller's  Apotheose  auf  dem  hiesigen  Theater  gefeiert 
werden  soll.  Gegen  den  12  September  wird  er  nach 
Weimar  zurückgehn. 

Hier  in  Jena  ist  es  ziemlich  leer.  Man  zählt  etwa 
260  Studenten.  Allenthalben  ist  die  Theuerung  drückend, 
besonders  aber  in  Weimar.  Diess  hat  auf  alles  sichtbaren 
Einfluss.     Der  Muth  fehlt  überall. 

Weimar,  den  6.  December  1805.  Seit  sechs  Wochen 
haben  wir  täglich  Durchmärsche  von  Soldaten,  Geschütz, 
Preussen,  Sachsen  etc.  Alle  Dörfer  liegen  hagelvoll,  z.  B. 
Ober-Weimar  hat  150  Mann.  Alles  steigt  zu  enormen 
Preisen,    und    wir   wissen   nicht   was" aus  uns  werden  soll. 

Dass  der  Kaiser  von  Russland  hier  war,  wissen  Sie 
auch  schon.  —  Der  Jubel  war  gross. 

Goethe  arbeitet  an  seiner  Farbenlehre,  die  Ostern 
erscheinen  soll,  und  hat  für  gar  nichts  sonst  Zeit.  Indessen 
wird  er  Ihnen  doch  wohl  sclireiben,  wenig,  mit  Liebe. 

Weimar,  den  28.  December  1805.  Dass  Sie  von  Goethe 
wenig  lesen,  kömmt  daher,  dass  er  gar  nicht  ä  son  aise 
ist.  Immer  kränkelt  er.  Die  Ärzte  sagen,  er  halte  sich 
in  Hssen  und  Trinken  nicht  nach  ihren  Vorschritten.  Ich 
habe  ihn  erinnert,  und  er  diktirte  mir  sogleich  einen  Brief, 
den  Sie  hierbei  erhalten. 

Wir  haben  so  viel  Soldaten,  dass  von  Lisenach  bis 
Jena  46,000  Mann  liegen.  Unsere  Stadt  hat  1600  Mann 
und  die  Theuerunt/  wird  rasend. 


MlTTHEILUNGEN    VON    ZEITGENOSSEN   ÜBER   GOETHE.  423 

Weimar,  den  7.  Januar  1806.  Diesen  Morgen  um 
II  Uhr  ist  meine  Schwester  Hrnestine '  sanft  für  immer 
entschlafen.  Sie  dauert  mich  sehr.  Sie  ist  nun  das  neunte 
meiner  verstorbenen  Geschwister.  Seit  einem  halben  Jahre 
sahen  wir  iliren  Tod  voraus;  sie  zehrte  sich  aus;  und 
dennoch  weinen  wir  jetzt.  —  Wir  di'irten  es  dem  Cieheimen 
Kath  noch  nicht  sagen,  dass  Erncstine  todt  ist.  Es  greift 
iiin  Alles  gar  zu  sehr  an.   Er  ist  auch  nicht  recht  taktfest. 

Weimar,  den  3.  März  1806.  \'orgestern  früh  7  Uhr 
ist  unsre  gute  alte  Tante  %  74  Jahr  alt,  nach  einer  zwei- 
tägigen Brustkrankheit  am  Schlage  gestorben.  Wir  beklagen 
die  gute  alte  Pflegerin  unsrer  Jugend  recht  sehr.  —  Der 
Verlust  von  ihr  und  der  Ernestine  so  kurz  hinter  einander 
muss  dem  Haushalt  viel  Schaden  und  Eintrag  thun. 

Goethe  ist  schon  wieder  krank  gewesen.  Monatlich 
kömmt  jedesmal  sein  Übel  zurück  und  macht  ihn  sehr 
mürbe.  Es  sind  böse  Hämorrhoidal-Zufälle.  —  Goethe  hat 
seine  Stella  für's  Theater  bearbeitet. 

Jena,  den  21.  Juni  1806.  Ich  gehe  morgen  oder  über- 
morgen von  hier  nach  Weimar,  weil  der  Geheime  Rath 
Goethe  jetzt  hier  ist  und  in  acht  Tagen  nebst  dem  Major 
von  Hendrich  in's  Karlsbad  geht,  dort  seine  Gesundheit' 
wieder  zu  erlangen.  Gott  gebe  es!  Meine  Schwester  ist 
schon  seit  zwei  Tagen  nach  Lauchstedt,  und  ich  kann  das 
Goethische  Haus  in  Weimar  nicht  ganz  leer  lassen. 

Weimar,  den  20.  Oktober  1806.  Welch  ein  Unglück 
hat  uns  betroff'en!  Den  14'.  wurde  die  unglückliche  Schlacht 


'  Die  im  Goethehause  wohnende  Sophie  Ernestine  Louise  Vulpius. 
einzige  Tochter  zweiter  Ehe  des  Amts- Archivars  Joh.  Friedrich  \''ulpius. 
starb  den  7.  Januar  1806  im  Aher  von  27  Jahren. 

^  Die  gleichfalls  im  Goethehause  wohnhafte  Juliana  .\ugusta 
Vulpius,  einzige  Tochter  des  Hofadvokaten  Joh.  Friedrich  Vulpius, 
starb  am   i.  März   1806  im  Alter  von  72  Jahren  am  Schlagfluss. 


424  Neue  Mittheilungen. 


bei  Jena  verloren ,  Abends  5  Uhr  ging  bei  uns  die 
Plünderung  an,  die  36  Stunden  dauerte  und  mich  von 
Allem  entblösset  hat.  Drei  Tage  waren  wir  nicht  in 
unserm  Hause.  Mordgewehre  auf  uns  gezückt,  gemiss- 
handelt,  berauht,  unendlich  unglücklich  gemacht.  Wir 
sprechen  jetzt  gute  Seelen  um  Geld  an ,  und  wer  hat 
welches  ?  Denn  nicht  zehn  Häuser,  selbst  das  Schloss  nicht, 
sind  verschont  geblieben.  Die  fürchterliche  Nacht,  Geheul^ 
Gewinsel,  Brand  —  ach  Gott!  und  meine  Frau  und  das  Kind, 
Stunden  in  kalter  Nacht  unter  freiem  Himmel  im  Park ! 
Etwas  Frohes:  Gestern  hat  der  Geheimerath  Goethe 
sich  mit  meiner  Schwester  trauen  lassen.  Sein  Haus  ist 
verschont  geblieben.     Er  hatte  stets  Marschälle  drin. 

Weimar,  den  10.  November  1806.  Den  15I  bis  17 1 
waren  wir  im  Hause  des  Geheimen  Raths  Goethe,  und 
unsre  Wohnung  war  mit  Allem  was  darin  war  denen  Preis 
gegeben,  die  sie  besetzen  wollten.  Und  das  geschah  auch 
redlich.  Gegen  sechzehn  Mann  hausten  darin,  als  mich 
endlich,  da  Napoleon  Bücher  von  der  Bibliothek  verlangt, 
aut  Requisition  seines  Ingenieurs  d'Alma  Grenadiere  in 
meine  Wohnung  einsetzten.  Den  18 '„  zog  ich  ein;  aber 
wie  fand  ich  es?  Lassen  Sie  mich  davon  schweigen!  Dann 
tägliche  Einquartirung,  so  dass  wir  einmal  zehn  Mann 
hatten  und  kein  Geld,  keine  Lebensmittel!  —  Meine 
Schwester  stand  bei,  aber  —  dem  Geheimen  Rath  selbst 
hat  es  über  2000  Thaler  gekostet;  allein  12  Eimer  Wein. 
Er  ist  nicht  geplündert ;  den  ersten  Abend  hat  er's  mit 
Wein  und  Klugheit  abgewendet,  dann  bekam  er  sauvegarde, 
da  die  Generale  Viktor,  Marschälle  Ney,  Lannes,  Augereau 
und  andere  Offiziere  bei  ihm  logirten ;  zuweilen  28  Betten 
in  seinem  Hause,  aber  es  hat  ihn  sehr  mitgenommen,  doch 
ist  er  gesund,  wofür  Gott  zu  danken  ist. 


IV.  MiscELLEN,  Chronik, 
Bibliographie. 


I.   MlSCELLEN. 


I.  Aus  Rifigs  Ä'ac/ilass.  Strassbi/rg.  Die  beiden  ersten 
Notizen  habe  ich  schon  vor  drei  Jahren,  jedoch  unvollständig. 
in  der  Wochenschrift  »Im  neuen  Reich«  1877,  II  451  gegeben. 
Professor  Stoeber,  4.  und  5.  Juli  1772:  »D.  Hr.  Göthe  hat 
eine  Role  hier  gespielt,  die  ihn  als  einen  aberwitzigen  Halb- 
gelehrten und  als  einen  wahnsinnigen  Religions-Verächter  nicht 
eben  nur  verdächtig,  sondern  ziemlich  bekannt  gemacht.  Er 
muss  wie  man  fast  durchgängig  von  ihm  glaubt,  in  seinem 
Obergebäude  einen  Sparren  zuviel  oder  zu  wenig  haben.  Um 
davon  augenscheinlich  überzeugt  zu  werden,  darf  man  nur 
seine  ^•orgehabte  Inaugiiral - Dissertatio7i  de  Legislatoribus 
lesen,  welche  selbst  die  Juristische  Facultät  ex  capite  religioiiis 
et  pj-ude/ifiac  unterdrückt  hat :  weil  sie  hier  nicht  hätte  können 
abgedruckt  werden  anders,  als  dass  die  Profcssores  sich  hätten 
müssen  gefallen  lassen  mit  Urtheil  und  Recht  abgesetzt  zu 
werden«  und  7.  August  1772:  ))^^'as  ich  Ihnen,  werthester 
Freund,  von  des  Hn.  Göthe  seiner  vorgehabten  iuaiigural- 
Dissertation  gemeldet,  das  habe  aus  dem  Munde  des  Hrn. 
Professor  Reisseissen  vernommen,  welcher  damals  Decanus 
Fdcultatis  gewesen.  Und,  soviel  ich  mich  zu  erinnern  weiss, 
hat  er  mir  gesagt,  dass  dem  Candidaten  seine  ungereimte 
Arbeit  zurückgegeben  worden.  Sie  dörfte  wohl  bey  keiner 
guten  Polizey  zum  Druck  erlaubt  oder  gelassen  werden : 
wiewohl  d.  Hr.  Autor  damit  gedrohet«.  —  Pfeffel ,  Golmar, 
12.  Februar  1773,  gelegentlich  der  Frankfurter  gel.  Anzeigen: 
Uv  des  pri?icipaux  aiiteurs  de  cette  Gazette  est  im  nommi  Gette, 
komme  de  genie  ä  ce  qii'on  dit,  mais  d'une  Süffisance  insiip- 
portable.  J'ai  iine  fois  soup(  en  sa  compagnie  4'  fneme  re^it 
sa  Visite  mais  je  ne  Ic  cojino'is  pas  a  heaiicoitp  prh  assez  pour 


428  MiSCELLEN. 

en  juger  d' apres  mes  propres  observations.  Später  spricht  Pfeffel 
einmal  flüchtig  von  Goethe  als  auteur  de  Clavigo,  bezeichnend 
für  den  Halbfranzosen,  dem  der  auteur  de  Götz .  für  den 
schwunglosen  vorsichtigen  Mann,  dem  der  auteur  de  Wert  her 
unsympathisch  war. 

Petersen,  Begleiter  der  hessischen  Prinzen ,  Strassburg, 
7.  Januar  1775:  »Vorigen  Mittwoch  Nachmittags  gegen  3  Uhr 
sind  die  Prinzen  von  Weimar  hier  angekommen.  Die  erste 
Visite,  welche  sie  hier  gemacht  haben,  hat  —  das  wird  manchem 
fremd  vorkommen  —  Hr.  Buchhändler  Bauer  empfangen :  eine 
Visite  von  2  Stunden.  Ich  war  selbigen  Abend  in  diesem 
Buchladen.  Bald  darauf  kamen  die  Prinzen  von  Weimar  ange- 
fahren, liessen  sich,  sowie  die  Herren  von  ihrem  Gefolg,  allerley 
französ.  und  deutsche ,  Militärische ,  Oekonomische  und  belle- 
tristische Bücher  geben,  kauften  verschiedenes,  urtheilten  über 
aus-  und  einheimische  gelehrte  Producte  mit  Einsicht,  und 
gefielen  sich  recht  wol  in  diesem  Bücher  Magazin.  Eine  erbau- 
liche Erscheinung  für  mich,  der  ich  Prinzen,  Prinzen-Hofmeister, 
und  Cavaliers  kenne,  bey  denen  der  Gedanke  niemals  aufsteigt, 
einen  Buchladen,  und  was  nach  Gelehrsamkeit  schmeckt  zu 
besehen,  —  die  vielmehr  auf  alles  solches  mit  Verachtung 
herabsehen«  und  am  30.  Januar  1775:  »Wie  man  sagt,  so 
wollen  die  beide  Prinzen  von  Weimar  hier  noch  einem  cours 
d'anatomie  und  zwar  über  den  Kopf  unter  der  Anführung 
Hrn.  P.  Lobsteins,  bey  wohnen«. 

2.  Wetzlar,  s.  meinen  Aufsatz  »Aus  der  W'ertlierzeit« 
»Im  neuen  Reich«    1879  Nr.  47. 

3.  Frankfurt.  H.  P.  Schlosser,  6.  Mai  1772  über  die 
Gelehrten  Anzeigen,  »unsere  neue  gelehrte  Zeitung,  die  freilich 
aus  einem  andern  Ton  spricht  als  die  vorige,  und  den  Geist  .... 
der  Berliner  zu  erreichen  sucht«  :  »Ich  habe  zwar  kein  Anteil 
an  derselben,  und  billige  auch  nicht  durchgängig  die  scharfen 
Beurteilungen,  welchen  oft  verdiente  Leute  ausgesezzet  werden, 
allein,  es  ist  wahr,  weil  man  den  Witz  gerne  liest,  und  den 
Stachel,  den  man  nicht  fühlt,  wegen  den  Verzerrungen  der 
Gesichter  derer  die  ihn  fühlen,  auch  gerne  in  fremdes  Fleisch 
geheftet  sieht,  so  gefällt  sie  ziemlich  allgemein.  Die  Satirn 
sind  fürchterliche  Götter.  Sie  haben  starke  Boksfüse,  und 
können  tretten,  sie  haben  Hörner,  und  können  stossen.  sie 
haben  eine  Geisel  und  peitschen  —  aber  der  Scherz  ist  ein 
bioser  Kopf  mit  einem  langen  Schwanz,  der  beleidigt  keinen 
Menschen  und  ist  gefälliger.  Ihn  lese  ich  lieber  als  jene,  aber 
jene  sind  mehr  gewöhnlich  von  der  Zeit  an  als  die  Musen 
vom  Helikon  gezogen   und    die    Satirn    aus    den  Wäldern  auf 


MiSCELLEN.  -|29 

diesem  heiligen  Berge  ihren  Wohnplaz  aufgeschlagen  haben. 
Uebrigens  begehre  ich  von  einer  gelehrten  Zeitung,  dass  sie 
mir  einen  kurzen,  doch  hinlänglichen  Ik'griff  vom  Inhalt. 
Methode  geben  soll,  und  das  vermisse  ich  bei  den  Kritiken 
dieser  Art  vollständig«. 

Deinet.  lo.  Juni  1775:  »Die  Briete  über  Werthers  Leiden 
[Schlettwein]  sind  doch  nicht  ganz  ohne  allen  (Irund.  Der 
Teufel  hohle  das  gesellige  Leben,  wenn  Werthers  Philosophie 
in  Gang  kommt.  Nur  ist  mir  die  Consequenzmacherey  und 
das  Zettergeschrey  d  la  Göze  unausstehl.  in  den  Briefen  .... 
Göthe  werden  sie  von  Angesicht  zu  Angesicht  gesehen  haben. 
Ein  bewundernswerther  Kopf,  ich  möchte  aber  nicht  in  einer 
Stadt  wohnen,  deren  ßtcr  Theil  Einwohner  so  dächten  wie  er«. 

Rector  Schlegel,  Heilbronn  6.  Juni  1775:  »Mich  freut 
es,  dass  Sie,  bester  Herr  geheimer  Hofrath,  Göthen  haben 
kennen  lernen.  Einen  Mann  wie  ihn  kennen  zu  lernen,  ist 
immer  eine  Acquisition  von  Menschenkenntniss,  die  man 
werth  achten  muss.  Das  Sonderbare ,  das  sich  in  seinem 
schriftstellerischen  Character  schon  deutlich  genug  geäussert 
hat,  haben  auch  andre  in  seinem  Umgang  bemerken  wollen. 
Die  Grafen  von  Stolberg  mögen  ganz  wackre  Herren  seyn, 
aber  Originale  sind  sie  freylich  nicht  —  alles  in  ihren 
Gedichten  ist  Nachahmung  —  und  daher  mögen  sie  freylich 
in  der  Gesellschaft  eines  teutschen  Originals,  wie  (iöthe  ist, 
ziemlich  contrastirt  haben.  Inzwischen  lassen  Sie  es  gut  seyn 
—  wenn  nur  diese  Herren  vom  hohen  Adel  zu  denken  an- 
fangen —  wenn  sie  auch  andren  nur  nachdenken  —  so  ist 
es  doch  besser,  als  völlig  gedankenloss  seyn«. 

Deinet.  7.  November  1775:  »Göthe  soll  einem  stadtge- 
schwätze  nach,  darauf  aber  wenig  zu  bauen  ist,  das  Theater 
zu  Weymar  dirigiren«.  Derselbe,  18.  September  1774:  »Hier 
kommen  statt  i  Clavigo  6  Sttick,  Nachdruck,  aber  man  sagt 
correcter  als  die  Leipziger  Ausgabe.  Ich  habe  200  Stück 
an  mich  gekauft,  und  erlasse  sie  an  gute  Freunde  zu  15  \r. 
Die  deutsche  Chronik  hat  dieses  Stück  mitgenommen,  das 
heist  heruntergemacht.  Wer  die  Mevioire  des  Beaumarchais 
gelesen  hat,  wird  sich  am  Clavigo  Trauerspiel  auch  so  sehr 
nicht  erbauen.    Indessen  geht  das  Stück  ab  wie  warm  Brodt«. 

Ring  in  seinem  »Reisejournal«  (1783  als  Manuscript  für 
Freunde  gedruckt,  geschrieben  bald  nach  dem  April  1778): 
»Madame  Göthe  unterhielte  mich  von  Klopstock,  Wieland, 
Schlossern  und  dem  Herrn  Sohne  sehr  angenehm,  wiess  mir 
den  letztern  auch   in  theatral.  Kleiduncr  sehr  treffend  gemahlt. 


430  MlSCtLLEN. 

Würde  mir  auch  eines  vordeclamirt  haben,  wäre  sie  nicht  so 
heiser  —  besser  —  cnrhumirt  gewesen.  Sie  versjjrach  mich 
wo  möglich  bey  der  Mlle.  Fahner  noch  einmal  zu  sehen  und 
hielte  ^^'ürt«.  Er  verfehlt  H.  P.  Schlosser  und  Gerocks,  der 
badische  Resident  Schmidt  von  Rossan  (DUntzer,  f>auenbilder 
S.  i6i.)  neckt  ihn  mit  seinem  Galakleid,  »die  schöne  Mlle 
Runckel«  habe  ihn  den  ganzen  Abend  vom  Fenster  aus 
beguckt.  »Zu  Mlle  Falmer,  die  nicht  zu  Hause  war  und 
deren  Stelle  also  die  taube  Fr.  Mutter  nebst  4.  Fräulein  von 
Clermont  aus  Aachen  und  ihrer  geschwätzigen  Gouvernante 
vertreten  musste«.  Am  nächsten  Tag  wiederholt  er  mit  der 
»Riesentochter«  des  Stadtschreibers  Stark  den  Besuch  bei 
der  Fahimer:  »Die  Mlle  Falmer  ist  hesslich,  aber  artig,  ver- 
ständig, wolgebaut  u.  nett  gekleidet,  Madame  Bettmann  ein 
schönes  Weib  u.  ihre  schöne  Tochter,  andre  schöne  junge 
Mädchen,  Madame  Cröthe,  Fr.  Dr.  Starekinn,  [;;«  la  francfor- 
toise  alles  laut  Uberschreyend«]  und  ihr  Sohn  Hr.  Dr.  Starck 
u.  a.  Personen  halfen  mir  den  Rest  des  Abends  vergnügt 
und  unter  mancherley  Gesprächen  hinbringen«. 

4.  Weimar.  Schlegel,  Heilbronn,  3.  Mai  1776:  »Wieland 
u.  Herder  und  Göthe  möchte  ich  doch  in  einer  Gesellschaft 
beysammen  sehen  —  drey  schöne  Schwärmer,  jeder  von  einer 
besonderen  Art ,  unter  denen  aber  wol  nie  eine  standhafte 
Freundschaft  seyn  wird.  Wieland  zwar  soll  sich  vor  (iöthen 
bis  zum  Argerniss  demüthigen  —  allein  das  wird  so  lange 
dauern  als  es  die  Hofluft  erfodert«.  Kupferstecher  v.  Mechel, 
Basel,  2.  September  1776:  Ȋ/  //  vrai  quc  Mr.  le  baron 
d'Edelshci)/!  quitte  chcz  vous  et  va  commc  premier  Ministre  ä 
Weimar  Y  und  Goethe,  Freund,  im  Ministerio  allda,  je  nc  sais 
si  r auteur  de  Werthereji  fait  un  grand  politiqiie .  11  n  hoinme 
de  cour?  wie  habe  ich  von  Herzen  lachen  müssen«. 

Bertuch,  4.  October  1776:  »Nehmen  sie  meinen  wärmsten 
verbindlichsten  Dank  für  die  Bekanntschaft,  die  Sie  mir  mit 
H.  Kaufmann  verschafften.  Es  ist  ein  Mann  von  grossem 
inneren  Gehalte,  vom  feinsten  Gefühl  und  edelsten  Herzen ; 
und  man  kann  den  Tag  seegnen,  da  man  so  einen  Menschen 
findet.  Noch  ist  er  bey  uns  der  treffliche  Fremdling,  und  ich 
schmeichle  mir,  es  ist  ihm  wohl.  Vor  einigen  Tagen  kam 
auch  unser  Herder  an ;  diess  hoffe  ich,  soll  ihn  noch  einige 
Tage  länger  halten.  Dass  man  sich  doch  von  solchen  Men- 
schen wieder  trennen  muss!« 

Ansse  de  Villoison,  der  Philolog.  der  schon  die  Ver- 
mählung   Karl    Augusts    und    Luisens    durcli     ein    gedrucktes 


MiSCtLLEN.  4  5  1 

lateinisches  Epithalamium  gefeiert  hat,  schreibt  am  7.  Juni  1782 
aus  Weimar  begeistert  über  seinen  dortigen  Aufenthalt.  Dieser 
Hof  gleiche  dem  mediceischen  avcc  ccttc  difft'rencc  qitc  Ic 
souvcrain,  aussi  inst  mit  ^  aiissi  eclairc  et  aussi  atiii  de  Lctfrcs, 
t/u'il  connoit  parfaitemcnt,  est  bcaiicoup  plus  i'crtuciix.  Die 
Herzogin  Amalia  beherrsche  die  deutsche,  englische,  italienische, 
französische  Litteratur,  und  mehr:  ricn  ('galc  so//  gniic  et  ses 
connoissanees  dans  la  physiqiie  et  la  mathematique :  jetzt  treibe 
sie  mit  ihm  Griechisch  avee  la  patieiiee,  le  zele,  rardeur  et 
le  eourage,  kurz  all  den  Eigenschaften,  welche  die  braun- 
schweigischen  Prinzen  auf  dem  Schlachtfeld  zeigten.  Ebenso 
entzückt  ist  er  \on  Mr.  IVieland,  aussi  bon  grkiste,  qu'exeellent 
prosateur  poete  et  philosophc,  Mr.  Goethe,  le  sublime  Mr.  Herder, 
Seekendorf  {tri's  seavant  dans  la  litterature  ancienne  et  moderne), 
Bertueh.  He n siede l  [sie].  Les  daines  mime  de  eette  doete  eour 
sont  tres  instruites,  tres  klairees  et  on  peut  s'entretcnir  avec 
elles  des  matieres  les  plus  graves  et  plus  profondes,  temoin 
madamc  Stein,  femme  du  grand  Ecuyer,  mad.  Sehardt,  mad. 
Bernstor/,  veuve  du  grand  Ministre,  madejuoiselle  Goechausen, 
mademoiselle  Wolvarth  [W'öllwarth]  qui  cultive  la  peinture 
avec  succes.  C'est  que  ces  danies  suivent  l'exemple  auguste  de 
hur  grande  Souveraine  mad.  la  Duchesse  Regnante  qui  passe 
presque  tonte  la  journee  ä  lire  et  ä  etudier,  qui  est  pleine  de 
lumiere,  de  connoissance.  de  genie,  de  bonte  et  de  modestie,  qui 
eache  la  superiorit^  de  ses  talens  avec  autant  de  soin  que  les 
autres  apporteroient  ä  riHaler.  Plus  on  Pobserve  de  pres, 
plus  on  lui  dh'ouvre  malgr^  eile  de  nouvelles  qualitis  qu'ellc 
efforce  envain  de  cacher  et  qui  percent  ä  son  inscu  au  travers 
du  volle  dont  eile  voudrait  les  couvrir.  Vous  connaissez  cette 
souveraine  auguste  ?  avez  vous  rien  vu  de  plus  noble,  de  plus 
imposant,  de  plus  /najestueux,  n'est  il  pas  vrai  qu'elle  porte 
sur  la  Physiognomie  Vempreinte  de  sa  ^randeur.  et  de  l'energie 
de  son  ante. 

Am  22.  März  1783  zeigte  Villoison  dem  Ereund  in 
Karlsruhe  folgende  zu  Weimar  verfasste,  für  Büsten  bestimmte 
Epigramme : 

I.     Herzogin  Luise. 

Ut  monstrare  alii,  sie  illa  abscondere  tantas 

Virtutes,  dotes  vellet  et  ingenium. 
Sed  sublimem  aninium  prodit  bene  perfida  pulchro 

Nescia  majestas  corpore  et  ore  tegi. 


4^2  MiSCELLEN. 


2.     Anna  Amalia. 


Tinctos  ingcnio  scifitillantesqiic  benigna 
Luce  vides  oculos?  talem  Mavortius  ardeus 
In  gremio  Vcneris.  talciii  paeana  canentes 
Brunsviaci  hcrocs  7'ih-a/if  post  proelia  ßai/iiiia/n. 

3.     Karl  August. 

Hie  dulcc/n  Liidovica  vi  nun,  Viinaria  patj-evi. 
Hie  virtus  colitmcn,  reges  exemplar,  amiciim 
Pic7-ides,  proprium  Dens  ipsc  agnoscere  gaiidet 
Effigievi ;  August  um  t/uisquis  eonspexif,  amavif. 

4.  Herder. 

Grandiloquos  reddit  Tultu  et  sermone  prophetas 
Herderus  atque  alto  fervidus  ore  mit. 

Nil  mortale  sonat  —   nee  jam  mortalis  imago  — 
Cernis  ut  ardenti  numine  plena  mieat. 

5.  Wieland. 

[uppiter  in  terris  dixisset  voee  Piatonis. 

Voee  [que  V]  Wielandi  dieeret  ipse  Flato 
Maeoniusque  senex,  Ariostus  et  ille  sepultis 

Qui  salsas  voees  ingeniumque  dedit  [Lucian]. 

6.  Goethe. 

August 0  et  Musis  eharus  traetavit  amores 
Lethiferos  juvenum,  fortia  faeta  dueum, 

Atque  pari  ingenio  eomniissa  negotia  doeta, 
Maeeenas  aulae  Virgiliusque  simul. 

7.     Knebel. ' 

Knebeiis  ora  vides.  nienteiii  si  reddere  posset 
Sculptor  et  ingenium.   nuiiquani  diseedere  posses. 


'  Erinnert    aulTallcnd    an     die    ^^'(1rto    auf  Dürers    Melanchthon- 
Bildniss  von   1526: 

Viveulis  poliiit  Durcriiis  ora  Philippi, 
Meiiteni  iioii  pohiit  piiii^crc  docta  nianus. 


MiSCELLEK.  433 


8.     Frl.  V.  Göchhausen. 

Maxi/na  laus  Uli  Musas  /lahi/isse  faventes. 
Major  at  AincUac  siimiiiuiit  mcruisse  favorem. 

Ihnen  reiht  sich  an: 

Pour  Ic  Portrait  du  plus  jeune  des  enjans  de  Mad.  Stein. 
Matrein  cum  puero  voluissein  pingere  —   Amori 
Tunc  primuin  in  tcrris  juncta  Minerva  forct. 

Erich  Schmidt. 


2.  Bisher  ungedruckte  Anti-Xenien.  Aus  Nicolais  Nachlass. 
Die  Stellung,  welche  Nicolai  in  dem  Xenienstreite  einnimmt,  wird 
nicht  ganz  ric:htig  beurtheilt;  es  ist  durchaus  falsch,  dem  Manne 
gemeine  Absichten  zu  insinuiren.  Es  wird  überhaupt  die  Auf- 
gabe einer  Monographie  über  ihn  sein,  zu  zeigen,  wie  ernst 
er  es  in  seinem  Leben  stets  und  mit  allem  genommen,  und 
wie  Unrecht  ihm  vielfach  gethan  wird.  Die  zahllosen  Rand- 
bemerkungen, mit  welchen  er  alle  einlaufenden  Briefe  versieht, 
setzen  durch  ihre  Ungezwungenheit  und  Aufrichtigkeit  in  den 
Stand,  ein  klareres  und  richtigeres  Bild  von  ihm  zu  ent- 
werfen. Er  ist  fähig  für  die  gute  Sache  grosse,  pecuniäre 
Opfer  zu  bringen,  er  ist  bemüht  das,  was  er  als  recht  und 
wahr  erkannt  hat,  zu  vertheidigen,  ja  mit  Leidenschaft  zu 
verfechten.  Niedrige  Motive  leiteten  ihn  nicht.  In  seinen 
gelegentlichen,  durchaus  nicht  für  die  Oeffentlichkeit  bestimmten 
eigenhändigen  Notizen,  also  gleichsam  im  literarischen  Schlat- 
rocke  zeigt  sich  das  am  besten. 

Auch  im  Xenienstreite  ist  seine  Absicht  eine  gute:  er 
bekämpft  die  kritische  Philosophie  in  jeder  Form,  und  wird 
darum  gegen  die  Hören,  wie  den  Musen-Almanach  verstimmt. 
Er  hält  das  ästhetische  Strafgericht  für  unpassend.  Schweigen 
hat  er  nie  können,  wenn  er  etwas  auf  dem  Herzen  hatte 
und  so  entstand  sein  ;;.\nhang  zu  Friedrich  Schillers  Musen- 
Almanach«  (vgl.  Boas  IL,  146  ff.).  Die  Arbeit  schrieb  er  mit 
innerm  Widerwillen,  doch  hielt  er  sich  für  verpflichtet  die 
Wahrheit  zu  sagen.  Eine  briefliche  Aeusserung  Boies  suchte 
ihn  davon  abzubringen ;  er  schreibt  an  Nicolai  aus  Meldorf 
den  29.  Dezember  1796:  »Ich  wünschte,  dass  Sie  entübrigt 
sein  könten  über  den  Schillerschen  Almanach  zu  schreiben. 
Die  Angriffe  haben  mir  wehe  gethan,  und  ich  fühle  ihren  oft 
nicht  zu  entschuldigenden  Muthwillen,  wie  ihre  Ungerechtigkeit. 
Solte  ein  Mann,  wie  Sie,  es  nicht   getrost    darauf  ankommen 

Goethe-Jahrslch  II.  28 


^.34  MiSCELLEN. 

lassen  dürfen,  dass  das  Publikum  mehr  von  solchen  unbe- 
fangenen und  unpartheiischen  Urtheilern  haben  wird.  Was 
Sie  über  die  Hören  und  den  Misbrauch  der  Kantisrhen  Philo- 
sophie schrieben,  [in  der  Reisebeschreibung]  war  allen,  deren 
Urtheil  darüber  ich  gehört,  ein  Wort  geredet  zu  seiner  Zeit, 
und  die  Hören  selbst  haben  es  anerkannt,  da  sie  seitdem 
weniger  trandescental  [sie]  philosophiren«. 

Trotzdem  vermochte  er  nicht  zu  schweigen ,  aber  er 
wollte  ganz  ruhig,  in  ernstem  Tone  antworten,  darum  unter- 
drückte er  nicht  nur  eigene  Parodien,  sondern  verhinderte 
auch  den  Druck  der  nachstehenden,  ihm  eingeschickten  Anti- 
Xenien.  Worin  Nikolais  Parodie  bestand,  konnte  ich  noch 
nicht  ermitteln,  und  schöpfe  meine  Kenntniss  nur  aus  einem 
Briefe  Boies,  Meldorf,  den  19.  Merz  1797,  in  welchem  es  u.  a. 
heisst:  »Was  Sie  über  das  Benehmen  der  Herren  in  Weimar 
schreiben,  ist  Ihrer  würdig.  Mögen  sie  es  im  Urtheilen  halten, 
wie  sie  wollen,  wenn  sie  nur  weiter  kein  öffentliches  Ärger- 
niss  geben.  Dieses  wird  durch  den  neuen  Abdruck  der  Xenien 
mit  Anmerkungen  um  ein  Grosses  vermehrt  werden,  (rleim 
soll  sich  den  Ausfall  auf  ihn  durch  ein  rasches  Wort  in  ver- 
mischter Gesellschaft  gesprochen  zugezogen  haben.  Für  die 
Parodie,  die  mich  sehr  belustigt  hat,  und  auch  nur  ungedrucki 
belustigen  muss,  meinen  bestell  Dank«. 

Nicolai  befolgte  diesen  Wink  Boies  getreulicher,  dürfte 
auch  kaum  jemals  den  Druck  beabsichtigt  haben:  am  29.  Oc- 
tober  1796  war,  wie  er  selbst  eigenhändig  auf  der  Rückseite 
bemerkt,  ein  anonymer  Brief  »mit  der  Braunschweigischen 
Post  eingegangen«,  welcher  also  lautet: 

»am  2Ssten  Octob.   1796. 
Hochgeehrter  Herr, 

Jeder  Ehrliebende  Deutsche  muss  von  einem  edeln 
Unwillen  durchdrungen  werden,  wenn  er  die  schänd- 
lichen Basquille  [sie]  liesst,  welche  Herr  Schiller  in 
seinem  neusten  Musen-Almanach  gegen  Sie  einzurücken 
für  gut  befunden  hat.  In  diesem  Unwillen  entstanden 
beygefügte  Epigramme,  die  weiter  nichts,  als  eine  Ver- 
geltung dessen  sind,  was  Herr  S.  so  reichlich  ausspendete. 
Meine  gehorsamste  Bitte  (deren  Erfüllung  ich  als  eine 
Belohnung  meiner  beständigen  ZAineigung  gegen  einen 
der  würdigsten  Deutschen  Gelehrten  ansehen  werde)  ist 
jetzt,  dass  Sie  die  Ciüte  haben  mögen,  diese  Epigramme 
de/?  Herausgeber  des  Archivs  der  Zeit  [Friedrieh   Ludwig 


MlSCELLLN.  435 

Wilhelm    Meyer]    zur   Einrürkung    in    diess   Journal   mit- 
zutheilen. 

Mit  der  grössten  Hochachtung  nenne  ich  mich 

Ihren  gehorsamsten  Diener 

Dazu  schreibt  Nicolai  eigenhändig  an  den  Rand :  »Es 
würde  sich  für  mich  nicht  ziemen,  dergleichen  irgendwo  ein- 
rücken zu  lassen.  Es  würde  mich  im  Archiv  compromittiren 
und  in  Streit  mengen,  welches  ich  wieder  nicht  veranlassen 
mag«.  Freilich  hätte  Nicolai  mit  dieser  Erwiderung  wenig 
Ehre  aufgehoben,  und  möglicher  Weise  unterdrückte  er  sie  mehr 
aus  Klugheit,  als  aus  selbstloseren  Motiven.  Man  kann  sich 
kaum  eine  mattere,  nichtssagendere  Abwehr  der  Goethe- 
Schiller  "sehen  Angriffe  denken. 

»A  LI  ch  X  en  ien. 
Fragen. 

I. 

(Ein  M  .  .  .  scher  Dolimhcrr  antwortet.) 

Warum  nennet   Herr  Schiller  wohl  seine  Hefte  die  Hören  ? 
Unser  unnütz  Geplärr,  nennen  ja  Hora  auch  wir. 


Warum  schimpft  man  so  viel   in  Schillers  Musen-KalenderV 
Weil  solch  elendes  Zeug  nur  als  Basquill  sich  verkauft. 


Warum  schimpfen  auf  Nicolai  die  Almanachs-Helden? 
Weil  er  ihr  tolles  Gewäsch  nimmer  verlegen  gewollt. 


Warum  beklagt  ihr  euch,  dass  Aglaia  von  hinten  sich  zeiget V 
Ach!  weil  wir  niemals  von  vorn  eine  der  Grazien  sahn«. 

[Dieses  Xenion  erinnert  an  einen  ähnlichen  Einfall  in  den 
»Parodien  auf  dieXenien.  Ein  Körbchen  voll  Stachel-Rosen  etc.« 
1797.     (Boas  II.   172.) 

»Auf  dem  Umschlag  zeigt  euch  Aglaja  den  göttlichen 

Hintern«. 

2<S* 


436  MiSCELLUN. 

Der  Umschlag  des  Miisen-Almanachs  war  dem  Zeirhner 
ganz  missglürkt.] 

»Der  übelgcioähltc  Titel. 

Nicht  der  Musen,  nein,  nenn"  ihn  den  Ahiianach  der  Harpien; 
Denn  es  bedecket  diess  Volk    reinliche    Tafeln   mit  Koth«. 

[Durch  dies  Epigramm  ist  der  Ausfall  auf  Nicolai  in  den 
Xenien  Nr.   201    »Das  grobe  Organ«   sehr  schlecht  pariert: 

»Was  du  mit  Händen    nicht    greifst,    das  scheint    dir  Blinden 

ein  Unding, 
Und  betastest  du  was,  gleich  ist  das  Uing  auch  beschmutzt«. 

vgl.  Boas  I.   124.J 

»Eine  juristische  Aiitiuort. 

Freund,  belange  doch  S***  der  dich  so  schändlich  beleidigt.  — 
Nein,   ich  bekäme  kein  Recht,  denn  er  ist  oftmahls  verrückt. 

Da  die  Verse  kurz  vor  dem  25.  October  entstanden,  so 
zählen  sie  mit  zu  den  ersten  Entgegnungen ;  ihr  Verfasser 
konnte  von  den  andern  vorbereiteten  und  geplanten  Anti- 
Xenien  noch  keine  Kenntniss  haben ;  die  erste  Recension, 
welche  Boas  (II.  22.)  nachweist,  erschien  am  28.  October  in 
Beckers  Reichsanzeiger.  Wohl  hatte  damals  Nicolai  selbst 
noch  nicht  die  Absicht,  in  die  Reihe  der  Streitenden  einzu- 
treten ;  im  December  aber  musste  sie  bereits  bestehen,  im 
Februar  1797  war  der  »Anhang«  sclion  erschienen,  Bohn  in 
Hamburg ,  Boie  in  Meldorf  hatten  ihn  damals  schon  und 
danken  für  die  Zusendung.  Die  übrigen  Dankschreiben  laufen 
im  März  und  April  ein.  Die  meisten  billigen  Nicolai"s 
Versuch,  »dem  Unwesen  der  Herrn  in  Weimar  zu  steuern«, 
auf  das  nachdrücklichste.  Boie  z.  B.  schreibt  am  26.  Febr.  1797, 
indem  er  zugleich  die  Versi)ätung  seines  Dankes  entschuldigt : 
»Ihr  Buch  ist  Ihrer  ganz  würdig  und  hat  mir  wahre  Freude 
gemacht,  auch  wegen  der  Blicke,  die  es  jeden,  der  sehen  -loill. 
in  Ihr  Herz  thun  lässt.  Sie  haben  den  heimlichen  Schaden 
der  alle  die  widrigen  Ausbruche  erzeugt,  auch  ganz  gekannt 
und  offen  dargelegt,  die  beiden  Herren  müssen  sich  schämen, 
wenn  sie  gleich  schwerlich  Ihr  Vergehen  öffentlich  anerkennen 
werden.  Mögen  sie  das  halten,  wie  sie  wollen,  wenn  sie  nur 
nicht  ferner  so  sündigen ,  andere  excentrische  Köpfe  von 
ähnlichen  Uebertretungen  der  Linie  alles  Anstandes  abgehalten 


Misci  i.i.i.N.  437 

werden,  und  sie  seilest  durch  Werke,  ihrer  W'erth  [sie],  diese 
ihrer  so  unwürdige  Auswüchse  vergessen  machen,  so  ist  Ihr 
Zweck  erreicht.  Ich  sehe  Ihr  HiUhelchen  als  eine  unsrer 
ganzen  Litteratur  höchst  erspriessliclie  Zeitsc  hrift  an,  und  recht 
l)eherzigt  kan  sie  unsern  jungen  Brauseköpfen  nicht  anders 
als  sehr  frommen.  Die  Furcht,  die  ich,  ich  mag  es  nicht 
leugnen,  als  Ihr  Freuntl.  Nor  der  Erscheinung  der  Schrift  hatte, 
ist  gänzlich  besiegt.  Ich  war  besorgt,  Sie  raögten  sich  durch 
den  reichen  Stof  zu  einer  weitläufigen  Induzirung  und  Wider- 
legung des  Unfugs  verführen  lassen,  wobei  Sie  nur  verlieren 
konten.  Sie  werden  gewiss  gelesen  werden,  und  dadurch  ist 
alles  gewonnen.  Die  Anzeige  der  Xenien  im  Merkur  hat  mich 
sehr  amüsirt.  Ich  denke  aber  doch  nicht,  dass  der  gute 
Vulpius  öffentlich  der  Sündenbock  werden  wird,  wie  einst 
\\'agner.  [W'ieland  hatte,  um  Cioethe  und  Schiller  zu  retten, 
die  Schuld  einem  »jungen,  lebhaften,  von  Witz  und  Muthwillen 
strotzenden,  für  G.  und  S.  enthusiastisch  eingenommenen  Kunst- 
jünger«  (vgl.  Boas  II.  65  f.)  beimessen  wollen,  worauf  hier  Boie 
hindeutet.  Der  erwähnte  Wagner  ist  natürlich  Heinrich  Leopold, 
dem  sein  »Prometheus«  von  seinen  Zeitgenos.sen  nicht  zugetraut 
wurde.]  Ich  sah  in  den  Xenien,  als  sie  mir  zu  desichte  kamen 
nicht  allenthalben  gleich  die  unreine  Quelle,  woraus  so  manche 
kamen,  und  konte  sie  in  meiner  Abgeschiedenheit  von  aller 
Litteratur  und  gänzlicher  LTnbekantheit  mit  den  gelehrten 
Klatschereien  nicht  ausfindig  machen.  Auf  manches  durch 
Freunde,  die  mehr  davon  w'issen.  aufmerksam  gemacht,  bin 
ich.  wie  sie,  indignirt.  Der  Musen-Almanach  erlebt  indess 
die  dritte  Auflage  [vgl.  Boas  II,  19.].  Nichts  freut  mich  mehr. 
als  die  volle  Gerechtigkeit,  die  Sie  den  Talenten  beider  mit 
Recht  bestraften  vortrefflichen  Köpfen  widerfahren  lassen.  Ich 
glaube  mit  Ihnen,  dass  nichts  Göthen  in  seiner  Jugend  heil- 
samer gewesen  wäre,  als  eine  Lessingische  Rüge.  [Nicolai 
hatte  in  seinem  »Anhange«  gesagt  (vgl.  Boas  II.  152.):  »Viel- 
leicht wäre  doch  ....  Herrn  Cxoethe  eine  kleine  Züchtigung 
von  Lessing  heilsam  gewesen» ,  wie  eine  solche  im  Plane 
Lessings  gelegen  haben  soll.]  Unser  so  wenig  gebildetes,  im 
Lobe  nie  Maasshaltendes  Publikum  ist  im  Grunde  Schuld  an 
dem  ganzen  Uebel.  Es  verzieht  seine  guten  Köpfe  selbst, 
und  beklagt  sich,  wenn  sie  \erzogen  sind«. 

Der  »Anhang«  zog  Nicolai  auch  die  Dedication  des 
Mücken- Almanachs  zu,  eines  der  verrücktesten  Producte  aus 
der  Xenienzeit  (vgl.  Boas  IL,  180—193).  Er  erschien  angeblich 
in  Pesth,  aber  eigentlich  in  Neustrelitz  und  von  dort  aus 
dürfte  Nicolai  den  nachstehenden  anonymen  (bisher  gleichfalls 


438  MiSCELLEN. 

ungedruckten)  Brief  erhalten  haben.  Nicolai  befand  sich 
damals  zur  Messe  in  T.eipzig  und  dort  erreichte  ihn  das 
undatirte  Schreiben,  wie  er  auf  der  Rückseite  bemerkt,  am 
21.  März    1797. 

»Herrn   Fr.  Nicolai. 

Dem  würdigen  Manne ,  in  dem  der  Geist  besserer 
Zeiten,  eine  schöne  Freimüthigkeit  zum  muthigsten  Kampfe 
gegen  alles  belebt,  was  der  Litteratur  nachtheilig  werden 
kann  —  eir  e  Freimüthigkeit  die,  sie  erscheine  in  strengem 
Ernst  oder  ergiesse  sich  in  heiterer  Laune,  immer  dieselbe 
bleibt  und  sich  auch  da  nicht  verleugnet,  wo  ein  schänd- 
licher Muthwille  sie  selbst  zum  Gegenstande  niedriger 
Behandlung  wählt  -  überreicht  dieses  Büchlein .  das 
auch  Seiner  erwähnt  und  in  einem  launigten  (rewand 
Seine  ernste  Wahrheiten  mit  Seinen  eigenen  Worten 
wieder    giebt,    aus  wahrer  und  aufrichtiger  Hochachtung 

der  Verleger«. 

Nicolai  notirt  dazu :  » Anbey  der  Mückenalmanach  (wider 
Schillers  Xenien).     Ein  sehr  mittelmässiges  Büchl  a. 

Die  Recension  für  die  Neue  Allgemeine  Deutsche  Bibliothek 
(vgl.  Boas  IL,  41  ff.),  dies  sei  zum  Schlüsse  erwähnt,  war 
dem  Hofrath  Langer,  dem  Nachfolger  Lessings  in  Braunschweig, 
gegen  den  Willen  des  Verlegers  Carl  Ernst  Bohn  und  zu 
dessen  Leidwesen  zugetheilt  worden.  Er  hatte  Eschenburg 
um  die  Anzeige  des  Almanachs,  des  Anhangs  und  der  übrigen 
Antixenien  gebeten,  dieser  aber  wollte  nicht.  Trotzdem  hatte 
er  den  Auftrag  gegeben ,  den  Almanach  vom  Zettel  des 
Hofraths  Langer  zu  löschen,  was  aber  versäumt  wurde,  und 
so  sendet  er  am  10.  März  1797  die  inzwischen  eingelaufene 
Besprechung-,  die  ihm  »nicht  recht  gefällt«:  »es  ist  indessen«, 
wie  er  schreibt,  »nichts  dabei  zu  machen,  weil  Langer  ein 
äusserst  empfindlicher  Mann  ist«.  Und  so  Hess  sich  auch 
Nicolai,  der  immer  noch  die  geheime  Oberleitung  der  Bibliothek 
hatte,  die  Recension  gefallen.  Verantwortlich  darf  er  aber 
nicht  dafür  gemacht  werden". 

R.  M.  Werner. 


'  Die  Benutzung  der  Nicolai'schcn  Papiere  wurde  mir  durch  die 
Güte  meiner  verehrten  Tante,  Frau  Veronica  Parthey  in  Berhn,  ermög- 
licht, der  ich  hiemit  meinen  Dank  ausspreche.  Ausserdem  bin  icii  den 
Herren  J.  W.  Appell  in  London  und  J.  Palhschlce  in  Berlin  für  freund- 
liche Auskunft  verpflichtet. 


MiSCELLEN.  4^9 

3.  Zu  einer  Stelle  im  Faust.  Im  Goethe -Jahrb.  I, 
S.  435  ist  nach  Dilntzer  angeführt :  Fideler  im  Walpurgis- 
nachtstraum des  Faust  bedeute  nicht:  Fiedeler,  sondern: 
Lustig.  Die  nähere  Ausführung  findet  sich  in  einem  Artikel 
der  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  (XI,  S.  66  73).  (Ge- 
nauer hätte  die  Angabe  gelautet :  Fideler  sei  zu  lesen : 
Fideler:  es  ist  diess  eine  Ansicht,  welche  Herr  DUntzer  schon 
in  der  ersten  Ausgabe  seines  grossen  Faust-Commentar's  1850 
aufgestellt  und  seitdem  festgehalten  hat.  Sie  mag  auch  von 
der  Mehrzahl  der  Faust-Erklärer  und  Faustleser  getheilt  werden. 
M.  Carriere,  welcher  sonst  im  Faust :  Fiedler,  an  dieser  Stelle : 
Fideler  schreibt,  ganz  entsprechend  der  Original-Ausgabe  von 
1828,  versteht  darunter  anscheinend  gleichfalls  den  Fidelen. 
Einer  der  neuesten  Faust -Erklärer,  O.  Marbach,  lässt  den 
Punkt  unberührt.  B.  Taylor  hat  in  seiner  nicht  genug  zu 
rühmenden  Faust-Uel)ertragung  die  Düntzer'sche  Lesart  ange- 
nommen und  die  Ueberschrift  mit  good  fellow  wiedergegeben. 
Mag  die  überwiegende  Mehrheit  Düntzer  folgen,  eine  Minder- 
heit wird  die  Fidelität  an  dieser  Stelle  ablehnen  und  dem 
Tanzmeister  einen  Geiger,  einen  Fiedler  zugesellen.  Dieser 
Minderheit  gehöre  ich  an,  und  ich  glaube,  dass  die  Richtig- 
stellung eines  Wortes  im  Faust,  sei  es  auch  nur  eine  L^eber- 
schrift,  in  Erklärung  und  Gegen-Erklärung,  genau  erörtert  zu 
werden  verdient. 

Justus  Moser  sagt  in  den  Patriotischen  Phantasien  ' :  »In 
gewissen  Ländern,  und  besonders  am  Rheine,  lässt  der  Pfarrer 
Sonntags  das  Zeichen  mit  der  Glocke  geben,  wenn  der  Fideler 
in  der  Schenke  auf  die  Tonne  steigen  darf,  und  nun  fängt 
Alles  an  zu  hüpfenc.  So  auf  einer  Erhöhung  stehend  und 
aufspielend  könnte  man  auch  den  Fiedler  im  Faust  sich  denken ; 
mit  dem  Blick  auf  die  hüpfende  Menge  spricht  er  die  Worte : 

»Es  eint  sie  hier  der  Dudelsack 
Wie  Orpheus  Leier  die  Bestien«. 

Nur  dient  auf  dem  Blocksberg  herkömmlich  als  Fiedel  nicht 
eine  normale  Violine,  sondern  ein  verwitterter  und  gebleichter 
Pferdekopf.  »Wie  die  Geige  des  Musikanten  die  Bewegungen 
der  Tänzer  leitet«  (Schiller  an  Goethe,  den  15.  October  1799), 
so  stellte  Goethe  hier,  als  Leiter  des  Chors,  neben  den  Tanz- 
meister noch  einen  Fiedler  hin,  und  Beiden  legte  er  verwandte 


'  Bd.  4,  S.  34  (Ausg.  V.    1842),   in    der  Abhandlung:   Etwas   zur 
Polizei  der  Freuden  der  Landkute  von  1780. 


440  MiSCELLEN. 

p  

Betrachtungen  über  die  Wirkung  ihrer  Funktionen  in  den 
Mund.  Beide  sind  zusammengehörig  wie  Kaiser  und  Kanzler, 
Pfarrer  und  Küster.  »Tänzer,  Tanzmeister  und  Fiedler,  sagt 
Krupp  in  seinem  Faust  -  Kommentar  für  das  nichtgelehrte 
Publikum  (1878),  sind  hier  ganz  am  Platz,  da  ja  ein  Hexen- 
tanz losgehn  soll«.  Auch  Schröer  in  seiner  eben  erschienenen 
Faust-Ausgabe  (Heilbronn  1881)  bemerkt:  »Zu  Tanzmeister 
und  Tänzer  ]:)asst  gewiss  der  Fiedler  besser  als  ein  iiniiioti- 
virtcr  Fideler  «. 

Es  scheint  also  Alles  in  der  Ordnung  zu  sein,  der  \\'orte 
Düntzers  unerachtet:  »Wie  der  Dichter  dazu  hätte  kommen 
sollen,  neben  dem  Tanzmeister  einen  Geiger  einzuführen,  ist 
mir  unerfindlich«.  Erblickt  man  nicht  in  jeder  Tanzstunde 
den  Tanzlehrer  begleitet  von  einem  Geiger,  und  wenn  einer 
von  Beiden  fehlt,  so  ist  es  nicht  der  Letztere.  So  heisst  es 
auch  vorher  im  Faust  selbst:  »die  Fiedel  stockt,  der  Tänzer 
weilt«.  Ebenso  erscheint  die  Aeusserung  paradox:  ;jAus  der 
Erwähnung  des  Dudelsacks  und  der  dadurch  veranlassten 
Erinnerung  an  Orpheus  folge  für  die  musikalische  Natur  des 
Redenden  nichts«.  Auch,  auf  dem  Blocksberg  spricht  Jeder, 
denk'  ich,  am  Liebsten  von  seinem  Metier,  und  Goethe  ist 
auch  sonst  die  Verknüpfung  der  modernen  Fiedel  mit  Orpheus 
geläufig,  wie  in  der  Zahmen  Xenie:  »Mancher  auf  der  Geige 
fiedelt  und  glaubt  auf  seiner  Violin  ein  anderer,  dritter 
Orpheus  zu  syn«.  Die  Zusammengehörigkeit  von  Tanz  und 
Fiedel  wird  uns  also   nicht  auszureden  sein. 

Damit  ist  es  aber  nicht  gethan,  die  Differenz  reic:ht  tiefer 
und  beruht  schliesslich  auf  einer  verschiedenen  Auffassung  der 
Faustdichtung  überhaupt.  Denn,  wenn  wir  in  dem  Düntzer"- 
schen  Artikel  lesen:  »Der  Dichter  deutet  hier  darauf,  dass 
die  Philoso])hen  sonderliche  Ansichten  entwickeln,  welche 
dem  Fernstehend<;n  gar  wunderlich,  ja  unbegreiflich  scheinen«, 
und  die  Worte  des  Tanzmeisters:  »Der  Krumme  springt,  der 
Plumpe  hupft«  auf  die  »Sprünge  der  Philosophen,  um  auf 
ihre  Weise  sich  herauszuziehen«  bezogen  werden,  wenn  ebenda 
gesagt  wird,  ein  Geiger  setze  voraus,  dass  »der  Dichter  die 
Philosophie  niclit  blos  als  Tänzer,  sondern  auch  als  Musiker 
hätte  bezeichnen  wollen«  :  so  begegnen  wir  hier  derselben 
Neigung,  die  Dichtung  willkürlich  und  in  prosaischer  ^^'eise 
zu  deuten,  welche  sich  früher  so  vielfach  beim  Faust,  besonders 
beim  zweiten  Theile,  geltend  machte,  und  vielleicht  nie  ganz 
aufhören  wird.  Diese  Neigung  zu  überwinden,  sind  scenische 
Aufführungen  des  Stücks  und  grade  des  zweiten  Theils  gewiss 
das  beste  Mittel.    Solche  Auffassungen   wie  in   Düntzers  Com- 


MiSCELLEN.  441 

mentar  jenes  Theils  -  ich  greife  aufs  Gerathewuhl  l]cisi)ielc' 
heraus  —  von  der  Mummenschanz:  »das  folgende  Paar  der 
Holzhauer  und  Pulcinelle  deutet  auf  die  ungleiche  Vertheilung 
der  äussern  Güter  iui  Leben«,  oder:  »ein  andres  Paar,  die 
Parasiten  und  die  Trunkenen,  zeigt  uns  die  Abhängigkeit  \  on 
den  äussern  Gütern,  denen  sich  manche  ganz  sklavisch  hin- 
geben«, und  so  hier  im  Walpurgisnachtstraum  die  satirische 
Beziehung  grotesker  Bewegungen  des  tanzenden  Chors  auf 
die  deutsche  Philosophie,  würden  wie  Nachtgesichte  \or  dem 
Tage  bei  einer  lebendigen  Darstellung  verschwinden,  um  das 
wirkliih  Poetische  und  die  tieferen  Beziehungen  der  Dichtung 
auf  das  menschliche  Innere,  auf  das  Menschenschicksal,  auf 
Leben  und  Geschichte  um  so  stärker  hervortreten  zu  lassen. 
Wenn  uns  die  Tänzer  hier  zeigen  sollen,  dass  die  Philosophen 
arge  Sprünge  machen,  so  diente  die  so  lebendige  Bildlichkeit 
jener  Verse  nicht  nur  einem  sehr  trivialen  (Jedanken,  sondern 
auch  einem  schiefen  und  einem  dem  Dichter  ganz  fern  liegenden. 
Denn  nicht  die  Sprünge,  sondern  umgekehrt  die  Systemmacherei 
und  die  einseitige  Conseciuenz  der  Philosophen  reizten  ihn  zur 
Satire.  Diese  besteht  hier  in  eben  der  G'^//jY(///r/(S  des  Systems 
entnommenen  und  diese  persiflirenden  Aeusserungen  der  finif 
Philosophen.  Wenn  sie  so  reden,  können  sie  nicht  zugleich 
tanzen.  Dieses  wäre  zudem  für  sie  kein  charakteristischer, 
jedenfalls  ein  schon  ganz  abgenutzter  satirischer  Zug.  da  ja 
der  ganze  grosse  Hexenschwarm  hüpft  und  springt.  Auch  der 
neugierige  Reisende  und  wohl  auch  die  Frommen  sind  nur 
Zuschauer.  Erst  mit  der  »Dogmatiker«  überschriebnen  Strophe 
treten  die  Philosophen  auf  den  Plan,  und  wenn  auch  der 
Realist  in  dem  Wirbel  sich  nicht  fest  auf  seinen  Füssen  fühlt, 
so  mangelt  doch  jede  Andeutung,  dass  wir  sie  als  am  Tanze 
Theil  nehmend  uns  vorstellen  sollen.  In  der  Strophe  »Tänzer« 
sprechen  dagegen  zwei  unbekannte  Personen  des  grossen 
Schwarms :  der  Eine  vernimmt  den  nahenden  Lärm  der  ihre 
Systeme  vervollständigenden  Philosophen ,  und  der  Andere 
heisst  ihn  dadurcrh  sich  nicht  im  'l'anzvergnügen  stören  lassen 
(»Nur  ungestört  'a().  Dann  folgen  die  drastischen  Aeusserungen 
des  Tanzmeisters  und  des  Fiedlers  über  den  tanzenden  Haufen 
im  Sinne  Ariels:  »Viele  Fratzen  lockt  mein  Sang«.  —  Habe 
ich  das  Intermezzo  als  Parodie  des  Wranitzkyschen  Oberon 
bezeichnet,  so  ist  dies  freilich  nicht  so  zu  verstehen,  als  solle 
dies  Stück  persiflirt  werden,  sondern  so,  dass  dies  Stück  das 
Motiv  zur  parodistischenl'ehandlung  eines  andern  (Gegenstandes 
hergegeben  habe.  In  der  ersten  Strophe  des  Intermezzo  wird 
direct  an  das  \\'eimarische  Theater  und  an  das  genannte  Stück 


442  MiSCELLEX. 

angeknüpft.  Was  der  Dichter  gibt,  ist  nicht  eine  Nach-  oder 
Fortbildung,  sondern  ein  satirisches  und  possenhaftes  Gegen- 
stück, wie  O.  Marbach  es  in  seinem  Kommentar  (S.  259.) 
benennt:  »ein  Surrogat  dramatischer  Darstellung«. 

Nur  kurz  berühre  ich  die  formellen  Gründe,  welche  zu 
der  Düntzerschen  Lesart  »Fideler«  geführt  haben  (ich  glaube, 
mit  vorstehendem  Accent  hätte  auch  Goethe,  gleich  Jakob 
Grimm,  das  Wort  geschrieben).  Der  Gründe  sind  wesentlich 
zwei.  Erstens  :  »ein  neuhochdeutsches  Fiedeler  sei  gar  nicht 
nachzuweisen«;  dass  diese  Annahme  irrig,  zeigt  mein  obiges 
Beispiel  aus  J.  Moser  mit  der  Form  genau  wie  in  der  strittigen 
Stelle:  Fideler,  noch  1820  in  der  Ausgabe  der  Phantasien 
bei  Nicolai,  während  Abeken  (bei  Reimer  1842)  Fiedler  hinein- 
corrigirt.  Ist  das  organische  e  der  zweiten  Silbe  auch  heute 
eliminirt,  so  war  der  Prozess  zu  Goethe's  Zeit  noch  nicht 
beendigt  und  daher  enthält  das  Auftreten  der  dreisilbigen 
Form  bei  ihm  im  Jahre  1828  nichts  befremdendes.  (Wahrschein- 
lich fällt  aber  die  Abfassung  schon  in  das  Jahr  1797.  Das 
genaue  Datum  der  Entstehung  von  Oberons  und  Titania's 
goldner  Hochzeit  ist  der  4.  und  5.  Juni  dieses  Jahres.)  Sanders 
gibt  in  seinem  Wörterbuch  die  Form  als :  Fied(e)ler,  also  drei- 
silbig an,  die  zweite  Silbe  als  nur  unterdrückt ,  sprachlich 
jedoch  vorhanden.  Man  kann  daher  immer  zu  ihr  greifen. 
Goethe  selbst  schrieb  :  Fidel,  nicht  Fiedel;  dies  ergibt  seine 
Handschrift  des  Briefes  an  Reichardt  vom  25.  October  1790 
mit  den  Worten:  »Die  Fidelcy  zum  Tanze«.  \\'ie  nah  liegt 
da  die  Form  :  Fidelcr ! 

Der  zweite  äussere  (irund  wird  in  der  Abweichung  dieser 
Schreibung  von  der  Form  der  Augsburger  Druckerei:  Fiedel, 
Fiedler  gefunden.  Freilich  druckt  die  Ausgabe  von  1828, 
wo  wir  zuerst  die  Ueberschrift  »Fideler«  finden,  sonst  nur: 
Fiedler,  fiedeln,  Fiedel.  Es  wurde  vergessen,  das  Wort  in 
seiner  geschrieben  an  die  Druckerei  gelangten  Form  dem 
Uebrigen  nachträglich  zu  akkomodiren.  Dies  oder  mit  Schröer 
einen  Druckfehler  im  Zweifel  anzunehmen,  erscheint  weniger 
gewagt,  als  hier,  wo  es  sich  darum  handelt,  zwischen  zwei 
Bedeutungen  zu  wählen,  statt  des  Bekannten  das  Unbekannte 
zu  vermuthen  und  im  Wege  der  C'onjektur  ein  una^  HQt]f.iivov 
zu  schaffen.  Denn  der  Gebrauch  des  Hybriden-A\'orts  »fidel« 
ist  (ioethe  sonst  weder  in  den  Werken,  noch  in  den  Briefen, 
noch  in  mündlicher  Rede  nachzuweisen.  Soll  das  Wort  ihm 
hier  zugeschrieben  werden,  so  muss  es  in  seiner  Form  min- 
destens zweifellos  sein  und  dem  Sprachgebrauch  entsprechen, 
dagegen    ist   die  Conjektur    nach    allen   Regeln    methodischer 


MiSCELLEN.  443 

Auslegung   hinfällig,    sobald  Raum   für  eine  andre  Bedeutung 
bleibt. 

Wenn  mein  Herr  Gegner  mir  den  Beweis  darüber  zuschiebt 
»dass  die  fragliche  Strophe  auf  einen  im  fidelen  Zustand 
befindlichen  Zuschauer  nicht  passe«,  so  ist  ein  solcher  Beweis 
sehr  leicht.  Nicht,  wie  derselbe  ferner  behauptet,  »giebt  sich 
der  Sprechende  durch  die  burschikosen  Ausdrücke,  zu  welchen 
er  in  seinem  behaglichen  Spotte  greift,  als  Fideler  zu  erkennen«. 
Vielmehr  zeigt  die  nüchterne  und  verstandesmässige  Reflexion 
über  die  Umgebung  den  Sprechenden  eben  als  nicht  fidel  im 
studentischen  Sinne.  Die  Qualifikation  jener  Umgebung  als 
»Lumpenpack«  und  »Bestien«  drückt  nicht  behaglichen  Syjott, 
sondern  bitterste  Verachtung  aus  und  wäre  im  Munde  eines 
mit  der  Rolle  eines  lustigen  Bruders  Betrauten  schlechthin 
unmöglich.  Ein  solcher  würde  sich  hingebend  äussern  und 
die  ganze  Welt,  selbst  Lumpen  und  Bestien,  umarmen  wollen. 
In  der  Hingabe  an  Andre  in  besonders  erregten  Momenten 
besteht  grade  Fidelität.  Ich  weiss  weder,  wie  Spott  für  eine 
solche  Stimmung  passen,  noch  wüe  der  Ausdruck  der  Stro])he 
burschikos  sein  soll.  Wahre  Fidelität,  edle  Heiterkeit  bleiben 
jenen  Zauberhohen  ewig  fern,  banale  Lustigkeit  und  toller 
Galgenhumor  sind  dagegen  Attribute  aller  dort  Heimischen, 
eignen  sich  daher  nicht  zur  Rolle  eines  Einzelnen. 

Endlich  liefe  der  Gebrauch  des  Worts  an  dieser  Stelle 
nicht  nur  dem  Goetheschen,  sondern  überhaupt  dem  Sprach- 
gebrauch zuwider.  Der  Dichter  benennt  seine  Personen  nach 
ihren  Eigenschaften  wohl  als:  die  Unbehülflichen,  die  Ge- 
wandten, die  Massiven,  aber  nicht:  Unbehulflichr/-  u.  s.  w. 
So  wäre  auch  hier :  Lustiger  ganz  undeutsch.  Soll  dagegen 
ein  Zustand  ausgedrückt  werden,  so  kann  der  Artikel  weg- 
bleiben :  die  Ueberschriften :  Kranker,  Verwundeter,  wären 
zulässig.  So  nennt  auch  Goethe  im  zweiten  Theile  des  Faust 
eine  Person  schlechthin :  Trunkener.  Beide  Fälle  sind  ganz 
verschieden.  Man  kann  sagen :  ich  bin  heute  einem  Trunkenen 
begegnet,  auf  der  Strasse  waren  viele  Betrunkene ,  nicht  aber : 
ich  bin  heute  einem  Fidelen  begegnet,  auf  der  Strasse  waren 
viele  Fidele.  Der  Ausdruck  verlangt  durchaus  eine  Vermitt- 
lung, ein  Substantiv,  man  kennt  nur  Leute,  die  fidel  sind. 
Streng  genommen  setzt  die  fidelitas,  nach  ihrer  ursprünglichen 
Bedeutung,  Cregenseitigkeit,  daher  eine  Mehrheit  voraus,  (xe- 
nossen,  fratres  fideles.  So  ein  einzelner  Fideler  spielte  eine 
traurige  Figur.  Xicht  Goethe's  feinem  Sprachsinn  ist  ein 
Missbrauch  des  Worts  in  seiner  Blocksbergdichtung,  viel 
eher  Taylors   Sprachgefühl   im   Deutschen    ein    Irrthum    zuzu- 


444  MiSCELLEN. 

trauen.    Auf  Taylor  kann  ein  Deutscher  sich  nicht  verweisen 
lassen. 

(i.    V.    LoKl'KR. 


4.  Zuni  Faust.  Scherer  hat  in  der  Schrift  »Aus  Goethe's 
Frühzeit«  (S.  150)  Shakespeareschc  Motive  im  Faust  nach- 
gewiesen :  Hexen,  Geister.  Schauspiel  im  Schauspiel.  Auch 
die  Analogie  von  0])helia  und  Gretchen  hat  er  von  Neuem 
betont.  Ich  glaube  in  Bezug  auf  (ircti  hcn  eine  weitere 
Analogie  constatiren  zu  können,  die,  so  viel  ich  sehe,  noch 
nicht  anderweitig  bemerkt  worden  ist :  Gretchen  verhält  sich 
zur  Marthe,  genau  wie  Julia  zur  Amme.  Und  zwar  denke 
ich  dal)ei  weniger  an  äussere  Uebereinstimmungen,  als  an  die 
Stellung,  welche  die  Figuren  in  der  Oekonomie  des  Dramas 
einnehmen:  die  Gestalt  der  Marthe  leistet  dem  Dichter  die- 
selben Dienste  wie  jene  der  Amme,  durch  ihre  Einwirkung 
erst ,  durch  die  Einwirkung ,  welche  Marthe  auf  Gretchen, 
welche  die  Amme  auf  Julia  genommen,  wird  es  begreiflich, 
dass  Gretchen  und  Julia  in  so  rückhaltsloser  Schnelle  den 
Geliebten  sicli  hingeben.  »Das  ist  ein  Weib  wie  auserlesen 
zum  Kuppler-  und  Zigeunerwesen !«  —  das  Wort  Mephisto's 
passt  auf  beide  Gestalten :  beide  haben  stärkern  Einfluss  auf 
ihre  Schützlinge,  als  die  eigene  Mutter,  welche  mehr  in  den 
Hintergrund  gedrängt  und  unter  Beihilfe  jener  betrogen  wird : 
»die  Mutter  sieht's  wohl  nicht,  man  macht  ihr  auch  was  vor«, 
auch  dieser  Vers  würde  auf  die  Amme  passen.  Aeussere 
Uebereinstimmungen,  wie  gesagt,  möchte  ich  nicht  aufweisen, 
obgleich  sich  wohl  einiges  ausfindig  machen  liese :  die  Amme 
ist  so  durchaus  und  specifisch  Shakespearisch,  dass  von  einer 
Nachahmung  der  Gestalt  als  solcher  nicht  wohl  die  Rede 
sein  kann. 

Scherer  (a.  a.  O.  S.  86)  meint  Stücke  des  vermutheten 
Prosa-Faust  in  der  Katechisations-Scene  zu  erkennen,  in  den 
Zeilen  »Der  Allumfasser,  Der  Allerhalter«  u.  s.  w.  Dazu  stimmt, 
dass  die  Verse: 

Schau   ich  nicht  Aug"  in   Auge  dir. 
Und  drängt  nicht  alles 
Nach  Haupt  und  Herzen  dir. 
Und  webt  in  ewigem  Geheimniss 
Unsichtbar  sichtbar  neben   dirV 

so    wie    sie    jetzt    vorHegen .    dur(  li    das    dreimal    kurz     hinter 
einander  den  Vers  beschliessende   »dir«   etwas    niclit  nur  auf- 


MiSCELLKN.  415 

fallendes,  sondern  unbedingt  unschönes  haben.  Lässt  sieh  bei 
Goethe  auch  in  anderen  Fällen,  dort,  wo  er  von  vornherein 
in  Versen  dichtete,  ein  (Ueiihes  oder  Aehnliches  nachweisen? 
Ich  glaube  nicht,  und  möchte  also  vermuthen,  dass  nur  durch 
das  nachträgliche  Umschreiben  der  ursjjrünglich  prosaischen 
Zeilen  diese  unleidlichen  Versschlüsse  entstanden  sind.  Scherer 
hat  die  Zeilen  a.  a.  C).  im  andern  Sinne  deuten  wollen,  schlicsst 
sich  aber  jetzt  meiner  Erklärung  an. 

Orio   bkAiiM. 

5  Zum  njahnitarktsfest  zu  Pluiidcrswcilcrim.  Scherer 
lässt  (aus  (.ioethe's  Frilhzeit,  S.  28  f.)  den  Besenbinder  unge- 
deutet :  Wilmanns  denkt  an  Herder  ;  wir  müssen  einen  Schwaben 
dahinter  suchen,  denn  das  Besenbinden  gilt  im  vorigen  Jahr- 
hundert, wie  das  Schneckenklauben  als  charakteristisch  für 
das  »Schwabaland«  : 

»im  Sommer  Schnecken  klaube,  im  Winter  Besen  binden. 
Nein  Baur !  Dass  ist  zu  hart  ich  kan  mich  drein  nicht  finden«, 

heisst  es  in  »Der  ^\'ienerische  Hannsswursl  oder  lustige  Reyse- 
beschreibung  aus  Salzburg  in  verschiedene  Länder.  Heraus- 
gegeben von  Prehauser.  Pintzkerthal«  (o.  J.).  S.  43  und  folg. 
wird  erzählt .  wie  Hannswurst  nach  Schwaben  kommt,  sich 
bei  einem  Bauern  verdingt  und  da  er  einmal  die  Schnecken 
selber  verzehrt,  von  seinem  Herrn  angeschrieen  wird :  »Du 
solst  mir  vor  das  Schnecken-Klaube  die  Bese  z'samm  binden, 
da  müst  ich  erst  wieder  recht  sitzen  und  Schwitzen,  25000 
Bese  zu  binden  in  einem  Tag,  dass  war  ein  unerträgliche 
Plag,  die  dicke  Widi;  haben  mir  die  Hand  alle  zerschnitten, 
Nein!  Nein!  das  gieng  nicht  an,  ich  brächt  mit  der  Zeit  aus 
Schwabaland  kein  Hand  mehr  davon,  hab  also  das  völlige 
Ober-Land  verlassen,  begab  mich  wieder  auff  ein  andere 
Strassen  .  .  . «  Schubarts  »Deutsche  Chronik«  erschien  erst 
seit    1774. 

R.    M.   Wl-KNEK. 

6.  Zur  Aujführung  des  zweiten  Theils  von  Faust.  Die 
Versuche,  den  zweiten  Theil  des  Faust  für  die  Bühne  zu 
gewinnen,  haben  sich  in  neuester  Zeit  wiederholt.  Nac:hdem 
in  Weimar  die  Bearbeitung  von  O.  Devrient  seit  mehreren 
lahren  eine  wohlverdiente  Anerkennimg  errungen,  die  im 
Sommer  des  laufenden  Jahres  1880  in  Berlin  die  lebhafteste 
Zustimmung  gefunden,  hat  man  in  Dresden  im  September  sich 


446  MlSCELLEN. 

veranlasst  gesehen,  auf  die  alte,  schon  vor  mehr  als  30  Jahren 
in  Hamburg  versuchte  Bearbeitung  des  Herrn  Wollheim  da 
Fonseca  zurückzukommen,  und  dieselbe  mit  einigen  Aende- 
rungen  des  Regisseurs  Marks  auf  die  Bühne  zu  bringen. 

Wir  wissen  aus  Eckermanns  Gesprächen  mit  Goethe,  dass 
der  Dichter  sich  lebhaft  mit  dem  Gedanken  beschäftigte,  den 
ganzen  Faust  auf  die  Bühne  gebracht  zu  sehen.  »Es  ist  alles 
sinnli(^h((,  sagte  er,  »und  wird,  auf  dem  Theater  gedacht, 
jedem  gut  in  die  Augen  fallen.  Und  mehr  habe  ich  nicht 
gewollt.  Wenn  es  nur  so  ist,  dass  die  Menge  der  Zuschauer 
Freude  an  der  Erscheinung  hat ;  dem  Eingeweihten  wird  zu- 
gleich der  höhere  Sinn  nicht  entgehen,  wie  es  ja  auch  bei 
der  Zauberflöte  und  andern  Dingen  der  Fall  ist«. 

Wiederholt  kommt  die  Unterhaltung  auf  den  zweiten 
Theil  des  Faust  zurück,  und  Eckermann  fand  sich  zu  ver- 
schiedenen Malen  angeregt  und  selbst  vom  Dichter  aufgefordert. 
über  Einzelnes  was  ihm  nicht  sofort  klar  geworden  war,  selb- 
ständig nachzudenken  und  Erklärung  zu  versuchen.  Eine 
derartige  Betrachtung  theilt  er  mit  in  Betreff  der  »Mütter«. 
Es  ist  nun  nicht  wohl  erklärlich  warum  er  einen  andern 
Punkt,  der  ihn  lebhaft  zu  jener  Zeit  beschäftigte,  nicht  auch 
in  sein  Tagebuch  mit  aufgenommen  hat.  Es  betrifft  den 
schroffen,  gänzlich  unvermittelten  Sprung,  der  sich  zwischen 
der  ersten  und  der  zweiten  Scene  des  ersten  Akts  zweiten 
Theils  befindet.  In  der  ersten  Scene,  Fausts  Schlaf.  bewa<ht 
von  den  Elfen ;  dann  sein  Monolog  mit  Reflexionen  über 
das  Leben.  Loeper  bezeichnet  diesen  »Prolog«  als  entbehr- 
lich. Das  ist  er  jedoch  für  den  Zweck  einer  theatralischen 
Aufführung  durchaus  nicht :  er  macht  im  Gegentheil  die 
grösste  Wirkung  und  bietet  dem  Komponisten  den  reichsten 
Stoff  zur  Entfaltung  seiner  Kunst.  Unmittelbar  darauf  aber 
finden  wir  uns  an  den  Hof  des  Kaisers  versetzt,  ohne  zu 
wissen,  weshalb  und  wie  Faust  dorthin  gerathen  ist. 

Diese  Lücke  gab  Eckermann  viel  zu  bedenken,  der  sich 
1830  und  31  mit  einer  Einrichtung  des  ersten  Aktes  für  die 
Bühne  beschäftigte,  zu  derselben  Zeit  da  Goethe  selbst  noch 
an  der  Beendigung  des  4.  und  5.  Aktes  arbeitete.  Er  ent- 
schloss  sich  endlich  kurzweg,  eine  Zwischen-Scene  zu  dichten, 
welche  den  Uebergang  an  den  Hof  motiviren  sollte.  Nach 
der  Beendigung  des  Monologs: 

»Ihm  sinne  nach,  und  du  begreifst  genauer: 
Am  farb'gen  Abglanz  haben  wir  das  Leben« 


MlSCELLEN.  447 

entfernt    Faust    sich    nicht,    sondern    Mephisto    tritt    zu    ihm, 
umherspürend : 

Was  wiire  nun  des  strengen  Herrn  Beheben  V 

Faust. 
Du  hast  di(  h  lang  umhcrgetrieben. 

Mephisto. 

Die  holde  Nacht,  die  einzge  Zeit  zu  Thaten, 

Die  schwache  Sterbliche  im  Schlaf  verlieren, 

Sie  ist  auch  diesmal  mir  gerathen. 

Um  dies  und  jenes  zu  vollführen. 

Ich  habe  fern  bis  an  des  Meeres  Wogen 

Und  hin  und  her  das  weite  Land  durchzogen ; 

Da  gab  es  denn  in  mancherlei  Bezirken 

Hier  dies,  dort  jenes  zu  bewirken : 

Zu  bessrem  Aufschwung  edler  Seelen. 

Soll  ich  dir  etwa  dies  und  das  erzählen? 

Faust. 

Verschone  mich,  ich  mag  davon  nichts  hören ! 

Ich  hasse  dich  und  dein  Begehren; 

Ich  kenne  ganz  die  Richtung  deiner  Macht. 

Gewiss !  wie  du  seit  vielen  tausend  Jahren 

Mit  dem  Geschick  der  Sterblichen  verfahren, 

So  triebst  du  es  auch  diese  Nacht. 

Ward  irgendwo  ein  junges  Weib  verführt, 

Ein  Jüngling  um  sein  bessres  Selbst  betrogen. 

Des  Aufruhrs  Flamme  tückisch  angeschürt. 

Und  Stadt  und  Schloss  ein  Raub  der  Feuerwogen; 

Floss  irgendwo  in  mitternächt'ger  Stunde 

Ein  edles  Blut  aus  falschen  Dolches  Wunde, 

So  kann  man,  ohne  mehr  zu  wissen, 

Getrosst  auf  dich  und  deine  Thaten  schliessen. 

Mephisto. 

Du  warst  indess,  wie  ich  vernommen, 
Umgeben  von  der  Schaar  der  Frommen. 
Sie  waren  hübsch,  man  muss  gestehn. 
Besonders  wie  sie  sich  im  Tanze  drehn. 


44^  MiSCELLEN. 

Sie  schienen  ganz  nach  deiner  Laune  : 

Es  waren  Blonde,  waren  Braune, 

Und  alle  liebevoll  um  dich  bemüht. 

Auf  blum'gem  Rasen  war  dir  weich  gebettet, 

Mit  Blumen  warst  du  angekettet, 

A(  li  I  und  sie  sangen  welch'  erbaulich  Lied! 

Du  warst  wohl  ganz  im  süssen  Traum  verloren, 

Du  weisst  wohl  kaum  wie  dir  geschehen"? 

Du  hast  wohl  nichts  von  alle  dem  geseh'n  V 

Allein  gesteh :  du  bist  wie  neu  geboren  I 

Du  fühlest  neues  Leben,  neue  Stärke  I 

Faust. 

Ich  fühle  Kraft  zu  jedem  guten   Werke.   — 
Sei  das  Vergang'ne  hinter  mir  gethan  I 
Was  ich  erduldet  sei  vergessen. 
Verschmerzet  jedes  Glück  das  ich  besessen, 
Betref  ich  nun  die   neue  höh"re  Bahn. 

Mephisto. 

Ich  denke  gern  vergangner  Zeit ; 

Ich  kenn  ein  Lied  und  werd'  es  treu  erfüllen  : 

»Lass  in  den  Tiefen  der  Sinnlichkeit 

Uns  glühende  Leidenschaften  stillen !« 

Nicht  wahr?  es  ging  in  diesem  Ton. 

Sei  ohne  Furcht,  ich  werd'  es  nie  vergessen, 

Dein  ganzes  Glück,  so  wie  du  es  besessen, 

Es  blüht  noch  irgendwo,  wir  finden's   schon. 

Faust. 

Scheinst  du  doch  blos  zur  Qual  mir  beigegeben! 

Mein  bess'res  Selbst,  mein  höh'res  Streben 

Wird  nie  von  dir  begriffen  und  gefasst, 

Ich  hab'  erprobt,   was  du  gewähret ;   — 

Doch  durch  Vergangnes  längst  belehret. 

Ist  deine  Leitung  mir  fortan  verhasst. 

Zu  Hexenküchen,   wüsten  Brocken-Scenen. 

Zu  Trinkgelagen,  junger  Mädchen  Brust 

Und  dunkler  Sinne  ähnlich  wildem  Wust 

Werd'   ich  hinfort   mi(  li   nicht  betjuemen. 


MiSCELLEN.  449 

Mephisto. 

I^a  hältst  du   wolil  dein  Leben  für  verloren  y 
Wie  schade,  dass  du   nicht  zum    Thron  geboren. 

Faust. 

Wenn  auch  nicht  das,  doch  will  icli  dir  gestehn, 

Dass  ich  was  Aehnliches  im  Sinne  trage. 

Die  Thaten,  die  vom  Throne  aus  geschehn, 

Sie  sind  im  Volk,  nur  eine  dunkle  Sage, 

Der  Glocke  ähnlich  die  man  hört, 

Vom  inn'ren  Trieb  und   Wirken  unbclehrt. 

Mephisto. 

'So  geht  dein  Trachten  nach  der  Kön"ge  Tischen, 
Ganz  nah  zu  sehn,  wie  sich  die  Karten  mischen. 

Faust. 

Ein  müssig  Zusehn  wird  mir  nie  genügen. 
Mitwirkend  mich  den  Ersten  anztifügen 
Das  wäre  so  nach  meinem  Plan; 
Es  knüpften  wohl  sich  grosse  Folgen  dran. 
Doc;h,  was  ich  denke  wie  dies  kann  geschehn, 
Wohin  zunächst  beschlossen  ist  zu  gehn, 
Verberg"  ich  noch   in  meiner  Seele  ; 
Komm,  und  vollbringe  was  ich  dir   befehle. 

(ab.) 

Mephisto. 

Als  wüsst"   ich  nicht,  was  er  im  Schilde   hat ! 
Er  fühlt  sich  wundergross  und  wunderweise ; 
Auf  gradem  \\'eg  geht's  nach  der  Kaiserstadt  ! 
Ich  wünsch"  ihm  Cilück  zu  dieser   neuen  Reise. 

(ab.) 

Verwandlung. 

Kaiserliche  Pfalz  u.  s.  w. 

Mit    diesem    Dialog,  nach    der    weitem    l^inrichtung   von 
Eckermann,    und    mit   Musik    von  Eberwein,    ward    der    erste 

Goethe-Jahrblch  II.  29 


450  MiSCELLEN. 

Akt  am  24.  Juni  1856  in  ^^■eimar  aufgeführt,  im  ]>aufe  eines 
Jahres  unter  allseitiger  lebendiger  Theilnahme  mehrfach  wieder- 
holt, bei  der  diesjährigen  Aufführung  aber  leider  nicht  beachtet. 

C.  V.  Beaulieu-Marconnay. 


Zusätze  und  Berichtigungen  zum  l  Band. 

S.  119.  ff.  Ein  Alexandriner  in  Tasso  IL,  3:  Rückhalten 
durff  ich  nicht,    j  j  Antonio   doch  gewiss. 

S.  258.  Mit  »B.  J.  Schüz«  ist  vielleicht  der  B(ade)- 
I(nspektor)  Schütz  in  Berka  an  der  Um  gemeint.  Heinrich 
Friedrich  Schütz  war  ausserdem  Organist  und  Mädchenlehrer 
und  starb  am  6.  Nov.  1829,  50  Jahr  alt.  W.  von  Biedermann 
verweist  in  der  Hempelschen  Croethe-Ausgabe  XXVII,  483. 
über  ihn  auf  Riemer  I.  266  ff.,  Genast  L,  Cap.  10,  und  das 
'\^'eimarer  Sonntags-Blatt  II,  226.  Man  vergl.  auch  noch 
R.  Springer,  l^ie  klassischen  Stätten  von  Jena  und  Ilmenau, 
S.  52.  "  R.  K. 

S.  283.  A'^on  Goethe's  Neigung  zu  Minchen  Münchhausen 
gibt  das  an  sie  gerichtete  Gedicht:  »Der  zierlichsten  Undine« 
(Hempel  II.  434.)  vom  J.   181 7  Zeugniss. 

S.  287.  Das  Gedicht,  dessen  Verbreitung  dem  Kanzler 
Müller  nachgesehen  wird,  ;)da  es  mir  ja  zu  Ehre  und  Freude 
gereicht,  wenn  jene  dort  symbolisch  angedeutete  folgenrechten 
Zustände,  von  denkenden  Männern  gebilligt  werden«  ist  das 
Logengedicht,  1830:  »Fünfzig  Jahre  sind  vorüber«  (Hempel  III. 
361.),  welches  wohl  durch  Kanzler  Müllers  Veranstaltung  1831 
schon  in  zwei  Taschenbüchern  weiter  verbreitet  wurde :  dann 
sind  die  symbolisch-angedeuteten  Zustände  eben  die  Freimaurerei. 

S.  321.  Z.  12  ist  1798  St.  1797  zu  lesen.  [Der  Brief  also 
S.  322  nach  den  des  Buchhändlers  Unger  zu  setzen]:  (ioethe's 
Aufenthalt  in  Zürich  fiel  bekanntlich   1797. 

S.  371.  Z.  I  ff.  Die  Strophe  ist  dem  Gedichte  »Der 
Kölner  Mummenschanz«    (Hempel  II.   275.)  entnommen. 

S.  371.  Z.  25.  Durch  das  Protokoll  der  physikalischen 
Gesellschaft  inZürich  ist  ein  authentisches  Datum  (26.  Juni  1775) 
über  das  Ende  und  dadurch  überhaupt  über  die  Dauer  \on 
Cxoethe's  erster  Alpenreise  gegeben. 


MiSCELLEN.  45 1 

S.  _^S2.  Z.  12  \.  11.  i'\'.  Die  in  tlein  Gedichle  »Masken- 
zilgeu  (Hempcl  II.  435)  Angesungene  spielte  in  dem  Fest- 
spiel von  18 18  den  Tag:  die  Pointe  des  (ledichts  ist  daher 
der  Schluss  :   »Holder  Tag  im  liohen  Saale«. 

S.  383.  Z.  2  V.  11.  »Einer  viel  früheren  l^eriode«  ist  nicht 
richtig;  die  Ortsangabe  »Mannheim«  verweist  klar  auf  die 
letzten  Tage  Septembers  1815.  welche  (ioethe  mit  seinem 
C.rossherzoge,  und  der  Frau  von  Heygendorf  nebst  Schwester 
dort  von  Heidelberg  aus  zubrachte. 

S.  385.  M.  Koch  (in  der  Besprechung  desG.  J.  inder  Allg.  Z.) 
protestirt  gegen  die  Veränderung  »licht«  für  »leicht«.  Absichtlich 
sei  der  leichte,  d.  h.  das  Herz  erleichternde,  lei<ht  machende  Tag 
vom  Dichter  der  schweren,  d.  h.  auf  dem  beklemmten  Herzen 
schwer  lastenden  Dämmerung  gegenübergestellt. 

S.  408.  Die  Stelle  »Mich  dünkt«  (20.  März  1783)  steht 
schon,  mit  geringen  Abweichungen  in  :  Aus  Herders  Nach- 
lass  I.,  72  fg. 

S.  417.  Muss  ein  Brief  Goethe's  an  Lili,  1801  März  30., 
aus  dem  Dürkheim'schen  Ikiche,  vgl.  I.,  S.  444.  nadigetragen 
werden. 

S.  429.  Der  Brief  an  Göttling  17.  Sept.  1831  ist,  frei- 
lich mit  einzelnen  Auslassungen,  in  der  Berliner  Sammlung 
der  Goethebriefe  III.,  S.   1567  abgedruckt. 

S.  445.  Das  Urtheil  über  das  Schwarz'sche  Buch  ist  zu 
berichtigen:  das  biographische  Material  über  Lila  (Frl.  v. 
Ziegler)   ist  ziemlich  reichhaltig. 


S.  360  ff.  Ueber  die  Familien  Stock  und  Moritz  und 
ihre  Beziehungen  zur  Familie  Goethe  vgl.  Briefw.  zw.  Goethe 
u.  Marianne  von  ^^"illemer  und  die  B.  z.  Allg.  Z.  1878  Nr.  74. 

S.  363.  Das  So/intagski/id — Fritz/acobi  hQzm\\t  sich  ver- 
muthlich  auf  das  Singspiel  »das  neue  Sonntagskind«.  F.  H. 
Jacobi  hielt  sich  im  Sommer  1805  auf  der  Reise  von  Eutin 
nach  München  eine  Zeit  lang  in  Frankfurt  auf. 

S.  366.  Die  »Rössergerv,  scherzhafter  Ausdruc  k  für  irgend 
eine  Münzgattung.  In  Frankfurt  cursirten ,  so  viel  ich  weiss, 
keine  Münzen,  auf  denen,  wie  z.  B.  auf  den  Braunschweigischen, 
ein  Ross  abgebildet  gewesen  wäre. 

W.  Crkizenach. 


29 


2.   Chronik. 

Im  Bonner  Biidungsverein  wurde  der  interessante  Ver- 
such gemacht,  in  einem  zum  Besten  der  Volksbibliotliek  ver- 
anstalteten Cykhis  von  Vorträgen  Goethe  zum  Mittelpunkt- 
derselben  zu  machen.  Uebernommen  wurden  folgende  Vor- 
träge :  Prof.  Arnold  Schäfer  über  Goethe's  Stellung  zur  deut- 
schen Nation;  Privatdocent  Dr.  Lipps  über  Goethe's  Eigenart 
im  Dichten  und  Denken  ;  Sr.  Magnificenz  Prof.  von  Hanstein 
über  Goethe  als  Naturforscher ;  Stadtbaumeister  von  Noel 
über  Goethe's  Verhalten  zur  Baukunst,  besonders  zur  deut- 
schen Baukunst ;  Musikdirector  von  Wasielewski  über  Goethe's 
Verhalten  zur  Musik,  besonders  über  das  Musikalische  in 
seinen  Liedern  (mit  nachfolgendem  Solo-  und  Quartett-Gesang 
zur  Erläuterung);  Prof.  Meyer  über  (ioethe's  Ansicht  vom 
Menschenleben  und  Lebensglück. 

Der  erste  dieser  Vorträge  wurde  am  29.  Jan.  1880  ge- 
halten, der  letzte  5.  März;  an  Stelle  Hansteins  sprach  Prof. 
Jürgen  Bona  Meyer  über  (roethe's  Naturliebe  und  Natur- 
ansicht  im  Verhältnisse  zur  Naturphilosophie  seiner  Zeit. 


Am  2.  März  starb  in  Bremen  y^^/^  Willi.  Schäfer.  Er  war 
am  17.  Sept.  1809  in  Seehausen  bei  Bremen  geboren,  besuchte 
die  Schule  in  Bremen,  wohin  sein  Vater  1823  berufen  wurde 
und  bezog  1827  —  31  die  Universität  Leipzig,  auf  der  er,  nach- 
dem er  die  Theologie  aufgegeben,  philologische  und  historische 
Studien,  besonders  unter  Gottfr.  Hermanns,  \\ .  W'achsmuths 
und  Hasse's  Leitung  betrieb.  Erst  auf  der  Universität  wurde 
er  mit  Goethe's  Schriften  bekannt;  durch  die  Lektüre  von 
»Dichtunn    uiul  Wahrheit^  wurde    ilim.   wie  er  selbst   berichtet, 


Chronik.  453 

»nicht  Goethe  allein,  die  ganze  Literatur  des  Jahrhunderts 
ward  mir  auf  einmal  klar.  Dies  Werk  hat  mich  zum  Literatur- 
historiker gemacht«.  Bedeutenden  Eindruck  machten  auf  ihn 
Werther.  ^\'ilhclm  Meisters  Lehrjahre,  die  dramatischen  ^\'erke, 
namentlich  Faust,  dessen  erster  Auffuhrung  er  am  25.  Aug.  1829 
beiwohnte :  er  bildete  mit  wenigen  seiner  Genossen  eine 
kleine  (Gemeinde,  stets  bereit  den  von  ihm  Verehrten  gegen 
die  grosse  Menge  seiner  Angreifer  und  .Ankläger  in  Schutz 
zu  nehmen;  er  wünschte  sehnlichst,  eine  Wallfahrt  nach  Weimar, 
wohin  ihn  sein  Gönner  Amad.  Wendt.  der  Herausgeber  des 
Musen-Almanachs  für  das  Jahr  1831,  in  welchen  Goethe  einige 
Beiträge  geschickt  hatte  (Hirzel,  Verzeichniss  S.  100),  em- 
pfehlen wollte,  zu  unternehmen,  musste  aber  aus  Scheu  vor 
den  Reisekosten,  diesen  Lieblingsplan  aufgeben.  Im  Jahr  1831 
wurde  Schäfer  Lehrer  in  Bremen  und  hat  seit  1835  an  der 
Handelsschule  in  Bremen  41  Jahre  gewirkt.  Schäfer  war 
literarisch  eifrig  thätig.  Er  schrieb  eine  grosse  Anzahl  von 
Gedichten,  die  meist  ungedruckt  geblieben  sind,  eine  Reihe 
Schulschriften,  besonders  aber  literar- historische  Arbeiten. 
Unter  diesen  sind  die  bekanntesten  der  »(irundriss  der  Ge- 
schichte der  deutschen  Literatur«,  dessen  erste  Auflage  1836, 
dessen  zwölfte  1876  erschienen  sind  und  »Leben  Goethe's«, 
das  in  3.  Aufl.  1877,  2  Bände,  vorliegt,  letzteres  ein  sehr 
fleissig  und  umsichtig  gearbeitetes  Werk,  das  mit  redlichem 
Bemühen  seine  Aufgabe  zu  bewältigen  sucht  und  in  den 
späteren  Auflagen  mit  sorgfältiger  Treue  die  reich  angewachsene 
Literatur  zu  benutzen  und  zu  verwerthen  strebt.  Daneben 
veröffentlichte  er  Schulausgaben  von  Classikern  mit  Einlei- 
tungen und  Anmerkungen,  u.  a.,  auch  einige  Dramen  Goethe"s 
und  eine  Auswahl  aus  seiner  Prosa.  Im  Jahr  1876  wurde  er 
in  den  Ruhestand  versetzt:  5.  Dez.  1879  feierte  er  sein 
5ojähriges  Doctorjubiläum  und  mit  Recht  konnte  die  Leip- 
ziger Fakultät  in  dem  erneuerten  Diplom,  das  sie  ihm  zu- 
schickte, bemerken :  qui  non  solum  in  erudiendis  scholae 
commercialis  Bremensis  discipulis  per  longem  annorum  seriem 
diligentissime  et  integerrime  versatus  est  sed  etiam  libris  de 
litterarum  germanicarum  historia  deque  Goethii  summi  poetae 
vita  editis  praecjare  de  litteris  meruit. ' 

Ich  hatte  mich  auch  an  den  Verstorbenen  gewendet,  ihn 
zur   Mitarbeiterschaft    am    Jahrbuch    aufgefordert    und    erhielt 


'  Meist  nach  einem  Artikel  der  Weser-Zeitung,  April  1880;  ein 
anderer  Nekrolog  von  Brenning  mit  Bild  Illustr.  Ztg.  17.  April,  Bd.  74, 
Nr.  1920. 


454  Chronik. 

von  ihm  (ii.  Sept.  1879)  folgende  Zeilen :  »Bei  der  Rückkehr 
von  einer  Sommerreise  finde  ich  Ihre  freundliche  Zuschrift 
vor,  welche  mir  Ihre  Unternehmung  eines  Goethe-Jahrbuchs 
meldet,  der  ich  nur  meinen  vollen  Beifall  schenken  kann : 
ein  solches  Buch  fehlte  unserer  Literatur.  In  jüngeren  Jahren 
wäre  ich  ein  fleissiger  Mitarbeiter  gewesen.  Was  jetzt  die 
Kräfte  der  vorgerückten  Jahre  erlauben,  wage  ich  nicht  zu 
bestimmen.  Zur  Förderung  des  Buches  trage  ich  gern,  wo 
sich  eine  Gelegenheit  bietet,  bei«.  Es  ist  ihm  leider  nicht 
mehr  vergönnt  gewesen  an  dem  gemeinsamen  Werke  mitzu- 
arbeiten; er  hat  das  Erscheinen  des  ersten  Bandes  niclit  mehr 
erlebt. 

Edward  Dowden.  Professor  der  englischen  Literatur  an 
der  TTniversität  Dublin,  der  in  der  Academy  vom  30.  Oct.  1880 
dem  ^isten  Band  des  Goethe- Jahrbuchs  eine  sehr  anerkennende 
Besprechung  gewidmet,  hat  vom  10.  April  bis  15.  Mai  im 
Trinity-College  in  Dublin  6  Vorlesungen  über  Goethe  gehalten, 
deren  Titel  folgendermassen  lauten:  Goethe  andhistime;  the 
early  works  of  Goethe:  Goethe  and  Frau  von  Stein;  Goethe 
in  Italy ;  Goethe  and  Schiller:  Wilhelm  Meister,  Faust.  Der 
Autor,  der  auch  in  Deutschland  durch  sein  Buch  über  Shake- 
speare (in  der  Uebersetzung  von  W.  Wagner)  Verdientermassen 
bekannt  ist,  beabsichtigt  in  der  nächsten  Zeit  ein  ähnliches 
Buch  über  Goethe  zu  veröffentlichen,  dem  man  mit  freudiger 
Erwartung  entgegensehen  darf. 


Am  2.  Juli  1880  fand  unter  Assistenz  vieler  durch  ihre 
Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  und  Wissenschaft  her- 
vorragender Männer  die  Enthüllung  des  von  dem  Bildhauer 
Fritz  Schajjer  vollendeten  Goethedenkmals  statt. 

Einige  U'orte  über  die  Geschichte  des  Denkmals  mögen 
der  Schilderung  der  Festlichkeit  vorangehn.  Im  Jahre  1859, 
nachdem  von  dem  Comite  zur  Säcularfeier  von  Schillers  Ge- 
burtstage die  Errichtung  eines  Schillerdenkmals  vor  dem  könig- 
lichen Schauspielhause  in  Berlin  angeregt  worden  war,  erschien 
eine  kleine  Schrift:  ))^'orschlag  zur  Errichtung  einer  Reihe 
von  Denkmälern  berühmter  deutscher  Männer  unter  den  Linden 
in  l^jerlin«.  Berlin,  E.  H.  Schroeder  1859,  8  S.  8°.,  verfasst  von 
H.  Kaiser,  welche  den  Vorschlag  machte,  unabhängig  von 
dem  projectirten  Schillerdenkmal.  C'olossal-Büsten  von  (joethe. 
Schiller,  Lessing.  A.  v.  Humboldt   in   der  Strasse   »Unter  den 


Chronik.  455 

Linden«  aufzustellen,  die  für  dieselben  nöthigen  Küsten  dunh 
eine  alljährliche  Sammlung  autzubringen  und  die  Namen  der 
späterhin  noch  durch  ein  Denkmal  zu  Ehrenden  dur(  h  die 
Akademie  der  Wissenschaften  festsetzen  zu  lassen. 

Der  so  formulirte  Gedanke  fand  von  manchen  Seiten  Zustim- 
mung wurde  aber  nicht  ausgeführt.  Wohl  ward  jedoch  bei  Vielen 
die  Ansicht  rege,  dass  eine  Stadt,  der  ein  Sihiller-Standbild  ge- 
sichert sei,  eines  Goethe -Denkmals  tüglich  nicht  entbehren 
könne;  F.  A.  Märcker  war  der  Erste,  der  diesem  Gedanken  Le- 
ben zu  geben  wusste  und,  seiner  Anregung  ist  es  zu  danken, 
dass  64  den  verschiedensten  Ständen  und  Berut'sarten  an- 
gehörige  Männer:  Kaufleute,  Industrielle,  Maler,  Archi- 
tekten .  Musiker ,  Schulmänner ,  L'niversitätsprofessoren  und 
höhere  Beamte  zusammentraten,  sich  (27.  Januar  1860)  an 
den  damaligen  Prinzregenten  mit  dem  Gesuche  wandten,  die 
Errichtung  eines  gesonderten  Denkmals  Goethe's  neben  dem 
Schillers  auf  dem  Gensdarmen-Markte  zu  gestatten,  den  Unter- 
zeichneten die  Erlaubniss  zu  gewähren  sich  als  Comite  zu 
konstituiren  und  »im  erspriesslichen  Einvernehmen  mit  dem 
zur  Ausführung  des  Schiller-Denkmals  niedergesetzten  Comite'«, 
für  die  Erfüllung  ihres  Planes  zu  arbeiten.  Die  erbetene 
Erlaubniss  wurde  ertheilt  (Schreiben  desCultusministers  v.  Beth- 
mann-Hollweg,  27.  Febr.  1860);  das  Comite  trat  zusammen 
(10.  Mai  1860),  Vorsitzender  wurde  Jakob  Grimm,  und  erliess. 
nachdem  man  die  Nachricht  von  einem  Beitrage  des  Prinz- 
regenten in  der  Höhe  von  zehntausend  Thalern  erhalten 
hatte,  folgenden  »Aufruf  zu  Beiträgen  für  Goethe's  Standbild« 
(ig.  Juli   1860),  welcher  Jakob  (irimm   zum  Verfasser    hatte: 

»Die  Feier  des  zehnten  Novembers  hat  tiefen  P2indruck 
hinterlassen.  Unwillkürlich  keimten  Wünsche  und  stiegen  Ver- 
langen auf ,  die  bald  nachher  sich  als  laute  Wünsche  und 
Verlangen  kundgaben.  Allen  Freunden  deutscher  Poesie  musste 
auf  das  Herz  fallen,  während  Schillers  Bildsäule  mit  lobens- 
werthem  Eifer  aufzurichten  beschlossen  wurde,  Goethe,  dessen 
Andenken  in  den  ringenden  \\'irren  des  Jahres  neun  und 
vierzig  nur  matt  und  trüb  leuchtete,  vorbeigegangen  zu  sehn. 

Es  wäre  ungeschickt  und  ungerecht,  da,  wo  uns  anliegt 
unsere  beiden  grössten  Dichter  zu  ehren,  sie  sich  gegenüber 
zu  stellen  und  abzuwägen,  ob  und  wo  der  eine  den  andern, 
um  Armlänge  oder  Handbreite,  überrage.  Im  Leben  haben 
sie  zusammen  gestanden,  sich  einander  erhöhend,  ergänzend, 
erfüllend,  beide  die  göttliche  Gabe  vor  der  Welt  entfaltet, 
die   ihnen   innewohnte.    Nur  das  ist  nicht  zu   verkennen,  dass 


45  6  Chronik. 

wie  Goethe  S(  hillern  zehn  Jahre  vorausging,  er  ihn  beinahe 
noch  dreissig  Jahre  lang  überlebte.  Gegen  Schillers  auf 
kürzere  Frist  gedrängte,  um  so  gewaltigere  und  unaufli altsame 
Laufbahn,  erscheint  Goethe's  Einwirkung  ruhiger,  dauernder. 

Eines  grossen,  der  Nachwelt  geheiligten  Mannes  Stand- 
bild soll  im  Angesicht  der  täglic'h  vorüberwandelnden  Menge 
da,  wo  sich  zahllose  Schritte  begegnen,  auf  Plätzen  volkreicher 
Städte  errichtet  werden.  In  IJerlin,  der  Königstadt,  wenn 
sich  an  ihrem  weitesten  öffentlichen  Räume  Schillers  Denk- 
mal erhebt,  darf  das  von  Goethe  nicht  unerhoben  bleiben 
und  die  Kraft,  welche  jenes  hervorruft,  wird  auch  diesem  nicht 
fehlen.  Das  fühlen  alle,  nicht  nur  in  Preussen,  in  ganz  Deutsch- 
land. Denn  vor  diesen  Dichtern,  die  l)eide  unserer  Si)rache 
ein  fernreichendes  Gebiet  erobert  und  sie  für  immer  vergeistigt 
haben,  weicht  aller  landschaftliche  Unterschied  zurück.  Durch 
sie  sind  wir  ein  vorangehendes  Volk  geworden.  Jahrhunderte 
rollen  dahin,  wenn  alles  was  uns  jetzt  drückt  und  hebt  längst 
vergessen  ist ,  werden  diese  Bilder  stehen ,  unerlöschenden 
Glanz  spreiten  und,  hoffen  wir,  auf  ein  glückliches  Reich  in 
alles  Friedens  Segen  niederschauen. 

Sobald  die  Kosten  sich  decken,  die  ein  würdiges  Denk- 
mal erheischt,  können  Künstler  auserlesen  werden  und  zu 
schaffen  beginnen.  Des  Prinz  Regenten  Gnade  hat  bereits 
einen  ansehnlichen  Beitrag  verwilligt,  der  als  Grundlage  aller 
weiteren  muss  angesehen  werden.  Zu  diesen  aber  darf  selbst 
in  unserer  Zeit,  die  mehr  als  ein  Standbild  im  Auge  hat  und 
damit  alte  Schulden  abträgt,  vertrauensvoll  aufgefordert  werden, 
weil  wir  an  die  Haujjtschuld  mahnen.  Möge  die  erwünschte 
Unterstützung,  wie  nach  langer  Dürre  erquickender  Regen 
trieft,  mild  und  freigebig  zufliessen«. 

(Dieses  und  die  im  Vorstehenden  benutzten  Dokumente 
sind  einer  Schrift  entnommen  u.  d.  T.  :  Vier  Aktenstücke 
betreffend  die  Errichtung  eines  Denkmals  für  Goethe  in  Berlin 
nebst  der  l-ebersicht  der  Ordnung  des  Comite  nach  den  Be- 
schlüssen der  begründenden  Versammlung  vom  lo.  März  und 
der  Versammlung  vom  28.  Juli  1860.  Berlin  1860.  Druckerei 
von  (i.  Lange,  23  S.  in  8".  Erwähnung  verdient  ferner  die 
Schrift  :  Goethe's  nationale  Stellung  und  die  Errichtung 
seiner  Statue  in  Berlin  von  Ferdinand  Piper,  der  Theologie 
Dr.  und  Professor.  Berlin  E.  H.  Schroeder  1860,  63  S.  S°; 
erweiterter  Abdruck  eines  am  15.  März  im  wissenschaftlichen 
Kunstverein  zu  Berlin  gehaltenen  Vortrags.) 

Die  Sammlungen,  zu  denen  auch  der  Täcrlincr  Magistrat 
einenBeitrag  von  zehntausend  Thalern  leisten  /u  wollen  erklärte. 


Chronik.  -)57 

iialimcn  ilucn  Fortgang.  Neben  der  Sanuiilung  tVeiwilliirer 
Beiträge  mittelst  Listen  wurden  mehrere  Bühnen  angegangen. 
^^orstellungen  zum  Besten  des  Denkmals-Fonds  zu  veranstalten. 
Die  Hoftheater  in  Berlin,  München,  Karlsruhe,  Weimar,  so- 
wie die  Berliner  Privatbühnen:  Friedrich -Wilhelmstadt, 
A\'allner-Theater,  Viktoria-Theater  kamen  dieser  Bitte  l)ereit- 
willigst  nach.     (Reinertrag  in  Summa   1660  Thlr.) 

Im  Frühjahr  1861  wurden  ferner  auf  Veranstaltung  des 
Cümite"s  im  Saale  der  Singakademie  sechs  stark  besuchte 
^'orträge  gehalten  : 

1.  Prof.  ^'ir(■hc)w.    Goethe    als  Naturforscher,    besonders 
als  Anatom. 

2.  Prot.  Hettner  aus  Dresden  :  Goethe's  Iphigenie  in  ihrem 
Verhältnisse  zur  Bildungsgeschichte  des  Dichters. 

3.  P)r.  B.   Auerbach.  Goethe  und  die  Erzählungskunst. 

4.  Hofrath  Scholl    aus  Weimar,   Goethe  als  Staatsmann. 

5.  Hermann  Grimm,  Goethe  in  Italien. 

6.  Prof.  Hotho,  Goethe  und  Schiller  als  Dichter. 

Der  Reinertrag  dieses  Cyclus  betrug  512  Thlr. 

Endlich  wurde  die  Goethe-Ausstellung  eröffnet ,  deren 
Catalog  »Verzeichniss  von  Goethe's  Handschriften,  Zeich- 
nungen und  Radirungen,  Drucken  seiner  Werke,  Compositionen 
und  Illustrationen  seiner  Dichtungen,  Büsten,  Medaillen  und 
Ciemälden,  Porträts  aus  seinem  Freundeskreise,  Andenken  und 
Erinnerungszeichen,  welche  im  Concertsaale  des  königlichen 
Schauspielhauses  vom  19.  Mai  1861  an  ausgestellt  sind.  Mit 
zwei  Schrifttafeln.  Berlin  1861.  E.  H.  Schröder,  73  S.  8°«  ', 
namentlich  dessen  zweite  Abtheilung  S.  14 — 40  :  »Handschriften 
von  Goethe,  von  seiner  Familie  und  seinen  nächsten  Freunden«, 
noch  heute  eine  reiche  Quelle  der  Belehrung  bildet.  Das 
Verzeichniss  der  206  Handschriften  nämlich  —  und  zwar 
IG  Stücke  aus  grösseren  Dichtwerken,  52  Gedichte,  22  Prosa- 
Aufsätze.  108  Briefsammlungen  oder  einzelne  Briefe  Goethe's 
von  1769  bis  10.  März  1832:  die  Ul)rigen  15  Nummern  sind 
Briefe  der  Eltern.  Schwester,  Frau,  des  Sohnes  Goethe's,  ferner 
des  Grossherzogs  Karl  August  und  der  Herzogin  Amalia  von 
Weimar,  der  Friederike  Brion,  Lilli,  Charlotte  v.  Stein,  Wieland 


'  Die  beiden  Schrifttafeln  enthalten  die  Gedichte:  »Und  wenn 
mich  am  Tag  die  Ferneo  (Hempel  III.,  166)  und  »Wenn  einst  nach 
übcrstandnen  Lebensmüh"  und  Schmerzen«  (das.  III.,  315),  also  zwei 
Gedichte,  die  in  Folge  ihrer  Entstehungszeit.  18^0  und  1773.  fast  die 
literarische  ^\'irksamkeit  Goethe's  begrenzen. 


458  Chronik. 

und  Jerusalem  —  gibt  nicht  bloss  Adressaten,  Datum  und 
Besitzer  der  einzelnen  Stücke  an,  sondern  vielfach  auch  den 
Inhalt  derselben,  einzelne  Stellen  oder  die  vollständigen  Briefe 
im  Wortlaut.  Fragmente  namentlich  aus  den  Briefen  an 
Sophie  V.  Laroche :  ganze  Briefe  an  Helene  Elisabeth  Jacobi 
6.  Febr.  1775,  ^^  Lavater  28.  Nov.  1783,  an  Elisa  v.  d.  Recke 
8.  Nov.  1811,  an  Gräfin  Caroline  v.  Egloffstein  7.  Dec.  1830. 
Auch  einige  Verse  z.  B. :  »Ein  Zauber  wohl  ziehet  nach 
Norden«  und  »Ein  Füllhorn  von  Blüten«  (jetzt  Hempel  III. 
340,  360)  waren  in  dieser  Abtheilung  zum  ersten  Male  abge- 
druckt worden.  Der  materielle  Erfolg  der  Ausstellung  war 
freilich  sehr  gering. 

Jedoch ,  noch  bevor  die  Sammlungen  ihren  Abschluss 
erlangt  hatten,  musste  der  ursprüngliche  Plan  aufgegeben 
werden.  Der  Absicht  nämlich,  das  Goethe  -  Denkmal  neben 
die  Statue  Schillers  vor  das  Schauspielhaus  zu  setzen,  wider- 
setzte sich  das  Schiller- Comite,  das  nicht  zu  bewegen  war, 
dem  Grundstein  von  Schiller's  Standbild  eine  andere  Stelle 
anzuweisen.  Durch  diesen  Widerspruch  schien  das  ganze 
Unternehmen  gefährdet.  Da  erschien  eine  Schrift  (anonym ; 
von  Bloemer,  Obertribunalsrath  und  Mitglied  des  Abgeordneten- 
Hauses):  »Drei  Dichter  -  Statuen  in  Berlin.  Ein  \A'ort  zur 
Einigung.  Als  Manuscript  gedruckt.  Berlin  1861«,  in  welcher 
der  Vorschlag  gemacht  und  begründet  wurde,  dass  der  Grund- 
stein für  Schiller  belassen,  zur  Seite  des  in  der  Mitte  des 
Platzes  aufzustellenden  Denkmals  zwei  andere,  Goethe  und 
Lessing  gewidmete  Standbilder  errichtet  werden  sollten.  Diese 
Schrift  hatte  zwei  Folgen,  die  eine,  dass  sich  alsbald  ein 
Lessing-Comite  bildete,  welche  die  für  das  neue  Denkmal  noth- 
wendigen  Kosten  aufzubringen  versuchen  wollte,  die  andere, 
dass  das  Schiller-Comite  die  neue  Wendung  der  Dinge  begierig 
ergriff  und  die  städtischen  Behörden  veranlasste,  das  Goethe- 
Comite  zu  einer  Aeusserung  über  das  neue  Projekt,  bez.  zu 
einer  Zustimmung  zu  demselben  aufzufordern.  Eine  solche 
Zustimmung  erfolgte  denn  auch  in  der  That  in  einer  sehr 
schwach  besuchten  (18  von  64  Mitgliedern)  Generalversamm- 
lung am  16.  Juli  1861  mit  10  gegen  8  Stimmen,  trotzdem 
Jakob  Grimm  schon  am  2g.  Mai,  noch  11  Tage  vor  dem 
ersten  Aufrufe  des  Lessing-Comite's  in  einem  ausfuhrlichen,  an 
den  Präsidenten  des  Abgeordnetenhauses,  Simson,  gerichteten 
Schreiben,  sich  gegen  Bloemer"s  Plan  erklärt  und  seine  geist- 
volle und  poetische  Darlegung  in  dem  Satz  susammengefasst 
hatte:  »Die  vorgeschlagene  Trilogie,  ich  gestehe  es,  scheint 
mir  unfähit(  praktisch   "eltend   iremacht  zu  werden«,   trotzdem 


Chronik.  459 

auch  die  künstlerische  Abtheilung  des  Goethe-Comite's  be- 
schlossen hatte,  an  dem  alten  Plane  festzuhalten  und  auf  den 
neuen  nicht  einzugehn.  Unmittelbar  nach  diesem  Beschlüsse 
erfolgte  die  Zustimmung  der  städtischen  Behörden  zu  dem 
Drei-Statuen-Projekte  und  die  Gutheissung  des  Königs,  welchem 
der  neue  Plan  vorgelegt  wurde.  Unmittelbar  nach  dem  Be- 
schlüsse erfolgte  aber  auch,  zuerst  in  einem  Schreiben  an  den 
interimistischen  Vorsitzenden,  sodann  in  einer  Anzeige  der 
Vossischen  Zeitung,  die  Mittheilung  Jakob  Cirimms,  dass  er 
aus  »dem  Comite  für  ein  Cioethe-Denkmal«  getreten  sei. 

Diese  Erklärung  hatte  einen  Schriftenwechsel  zur  Folge, 
der  wegen  der  Correspondenten  erhalten  zu  werden  verdient. 
Einer  der  Betheiligten  F.  A.  Märcker  hat  erst  neuerdings 
öffentlich  davon  gesprochen.  In  einem  Artikel  der  Voss.  Zeitg. 
2.  Juli  1880  (»Ein  Brief  von  Jakob  Grimm  bei  seinem  Aus- 
scheiden aus  dem  (roethe-Comite  vom  26.  Juli  1861«)  erzählt 
er  die  im  Vorstehenden  erörterten  Vorgänge  und  theilt  zwei 
Sonnette  mit,  die  er  an  Jakob  (Jrimm  richtete  und  des  Letztem 
Antwort,  die  so  lautet : 

»Hochgeehrter  Herr  Professor,  gestern  konnte  ich 
vor  lauter  correcturen  und  manuscriptenrüstung  nicht 
dazu  kommen  Ihnen  zu  danken. 

Die  beiden  übersandten  gedichte  sollen  mich  noch 
späterhin  beschwichtigen  und  fühlen  lassen,  dass  meine 
gesinnung  und  mein  streben  nicht  von  allen  verkannt 
sind,  es  wird  noch  viel  ungeduldiges  wasser  die  Spree 
hinablaufen,  ehe  hier  das  land  für  deutsche  arbeit  reift, 
und  ehe  nichts  anderes  mehr  geschieht  als  was  ihr  ent- 
spricht. 

Erhalten  Sie  dem  verein  Ihre  rege  thätigkeit,  es  soll 
mich  freuen  aus  Ihrem  munde  von  zeit    zu    zeit    zu  ver- 
nehmen, wie  die  angelegenheit  steht  und  sich  fortbewegt. 
Hochachtend  und  ergebenst  Jac.  Grimm. 

26  juli    1861.« 

So  schien  das  Schicksal  des  Denkmals  besiegelt.  Doch 
die  durch  eine  zufällige  Majorität  Geschlagenen  gaben  sich 
nicht  besiegt.  Vielmehr  veröffentlichte  ein  Ungenannter  eine 
Schrift :  »Das  Drei-Statuen-Projekt.  Als  Manuscript  gedruckt. 
Berlin  E.  H.  Schroeder  1862.  15  SS.  in  8°«.  in  der  er  an 
die  Freunde  des  Lessing-Denkmals  die  Mahnung  richtete,  von 
ihrem  Plane,  der  die  Einheit  gefährdet  habe,  abzustehn  und 
durch  diese  Entsagung  die  Durchführung  des  ursprünglichen 
Planes  möglich    zu    machen,    und  Herman  Grimm    Hess   eine 


460  Chronik. 

Schrift  vertheilen :  »Zur  Begründung  des  in  der  Sitzung  des 
Goethe-Comite's  am  7.  April  1862  von  Hotho,  v.  d.  Hude 
und  H.  (jrimni  eingebrachten  Antrags.  Als  Manuscript  gedruckt. 
Berlin.  Gustav  Schade.  1862.  16  SS.  8°«.  Der  Antrag  lautete: 
»In  Anbetracht,  dass  durch  die  am  18.  Juli  1861  gefassten 
Beschlüsse  die  wahren  Grundlagen  des  Goethe-Comite's  als 
beseitigt  anzusehn  wären,  beschliesst  das  Goethe-Comite,  \on 
seinem  Plane  die  Goethe-Statue  auf  dem  Gensdarmenmarkte 
aufzustellen,  abzugehn,  mit  allen  ihm  zu  Gebote  stehenden 
Mitteln  dahin  zu  wirken,  einen  anderen,  des  Dichters  würdigen 
Platz  zu  gewinnen  und  mit  allen  Kräften  die  Ausführung  der 
Statue  zu  betreiben«.  Er  wurde  von  der  Generalversammlung 
an  den  Central-Ausschuss  zu  vorheriger  Begutachtung  über- 
wiesen. Die  von  diesem  befragte  Kunstabtheilung  des  Cornite's 
erklärte  sich  für  den  Antrag',  dem  sie  nach  dem  Worte 
»Beschlüsse«  den  Zusatz  beifügte :  »das  Gelingen  der  künst- 
lerischen Wirkung  des  Goethe-Denkmals  unmöglich  gemacht 
zu  Averden  scheint  und  somit«  und  beantragte,  als  Platz  für 
das  Goethe  -  Denkmal  die  Mitte  des  Opernplatzes ,  zwischen 
dem  Opernhause  und  der  Bibliothek  und  als  Platz  für  ein 
Lessing-Denkmal  den  Platz  vor  der  Universität,  innerhalb  der 
beiden  Flügel  derselben  vorzuschlagen.  Diese  Anträge  wurden 
von  der  am  23.. April  1862  stattgehabten  Generalversammlung, 
die  zunächst  den  Prof.  Hotho  an  Stelle  des  ausgeschiedenen 
Jakob  Grimm  zum  Vorsitzenden  wählte,  angenommen. 

Nun  aber  trat  in  der  Geschichte  des  Denkmals  eine  etwa 
achtjährige  Pause  ein.  Erst  nach  der  Enthüllung  der  Schiller- 
Statue  genehmigte  der  Kaiser,  mittels  Kabinets  -  Ordre  vom 
II.  September  1870,  den  jetzigen  Platz  zur  Aufstellung  des 
Goethe-Denkmals. 

Im  September  1871  erliess  nunmehr  das  Comite  den  Auf- 
ruf zu  Goncurrenz-Entwürfen.  Aus  dieser  Goncurrenz  wurden 
im  Juli  1872  vier  Entwürfe  mit  Prämien  (ä  228  Thlr.)  bedacht, 
es  waren  dies  die  Arbeiten  von  Schai)er,  Calandrelli,  Donn- 
dorf (in  Dresden)  und  Siemering. 

Aus  einer  engern  Goncurrenz  ging  Schajjer  als  Sieger 
hervor,  dem    nunmehr    mittels  Vertrages  vom   23.  März   1874 


'  Die  BerathuncTcn  und  Beschlüsse  sind  nebst  einem  ^"orwort, 
einer  geschichtlichen  Darstellung  und  11  aktenniassigen  i^eilagen  (Briefe, 
Gutachten  von  liildliauern,  Architekten,  Kunstkennern)  mitgetheilt  in 
der  Schrift  (von  F.  A.  Märcker) :  »Gutachten  der  Kunstabtheilung  des 
Goetlic-Coniite  über  die  Aufsteilung  der  drei  Standbilder  von  Schiller, 
Goethe  und  Lessing  auf  dem  (iensdarmenmarkte  in  Berlin.  Nebst  Bei- 
lagen.   Berlin  1862.    E.  H.  Schroedcr.    28  SS.  8°«. 


Chronik.  461 

die  Ausführung  des  Denkmals  tür  die  runde  Summe  \on 
90,000  Mark,  übertragen  werden  konnte. 

Obwül  dem  Comite  inz\vi.s(:hen  auch  ein  Zinsgenuss  von 
ca.  4700  Thlr.  zugeflossen  war  und  somit  die  Gesammt-Ein- 
nahme  die  Summe  von  90,000  Mark  erreicht  hatte,  so  ergab 
sich  doch,  dass  die  Gesammtkosten  für  das  Denkmal  durch 
die  nöthigen  Aufwendungen  für  Fundamentirung,  (iitter.  Auf- 
steHung,  EnthüHung  und  eine  ganze  Reihe  kleiner  L'nkosten 
aller  Art  den  Voranschlag  weit  überschritten  und  auf  circa 
120,000  Mark  gestiegen  waren.  Es  stellte  sich  nach  der  Ent- 
hüllung ein  Defizit  von  ca..  28,000  Mark  heraus,  welche  Summe 
indessen  innerhalb  weniger  Wochen  durch  die  erfreuliche, 
dankbar  anzuerkennende  Ketheiligung  der  Berliner  Bürger 
zusammengebracht  wurde. 

So  konnte  endlich  am  2.  Juni  i88o  die  Enthüllung  statt- 
finden. Die  bei  derselben  gehaltene  Rede  des  Geh.  Raths 
V.  Loeper    lautete   folgendermasen : 

»Verehrte  Anwesende ! 

Unsere  Schwesterstadt  Wien  hat  bereits  in  diesem  Früh- 
ling dem  Rheinländer  Beethoven  und  das  Rheinland  dem 
Sachsen  Robert  Schumann  in  Bonn  ein   Denkmal  erri(  htet. 

Sie  sind  eingeladen,  der  Enthüllung  des  Denkmals  bei- 
zuwohnen, welches  Berlin  dem  Frankfurter  und  wir  können 
doch  sagen  seinem  (ioethe  widmet. 

Wie  auf  der  Wiener  Statue  Beethovens  werden  Sie  auf 
unserem  Denkmal  nur  den  Namen  des  Gefeierten  lesen,  in- 
dem nur  dieser  erschöpfend  erschien  und  alle,  selbst  die 
schönsten,  tiefsinnigsten,  persönlich  zutreffendsten  Sprüche  des 
1  )ichters  selbst : 


oder 


oder; 


Denn  ich  bin  ein  Mensch  gewesen, 
Und  das  heisst  ein  Kämpfer  sein, 

Pfeiler,  Säulen  kann  man  brechen, 
Aber  nicht  ein  freies  Herz, 

Es  kann  die  Spur  von  meinen  Erdentagen, 
Nicht  in  Aeonen  untergehn. 


indem,  sage  ich,  alle  diese  und  ähnliche  Sprüche  alsbald  das 
Gefühl  hinterliessen,  als  enthielten  sie  nicht  voll  und  ganz, 
was  der  Name  ausdrückt. 

Wenn  wir  nun   heute,  in  dieser  schönen  Jahreszeit,   hier, 
vor  diesen  Baumgruppen,    in    dieser   gewählten  Versammlung 


462  Chronik. 

und  unter  den  Augen  unseres  allveiehrten  Kaisers  und  Königs 
zu  der  Enthüllung  des  Goethe-Denkmals  schreiten,  so  geschieht 
es  mit  dem  Ausdruck  des  aufrichtigsten  Dankes  an  die  hohen 
Staats-  und  Stadtbehörden,  sowie  an  das  Publikum,  welches 
unser  Unternehmen  so  reichlich  unterstützt  hat,  zugleich  mit 
dem  (lefühl  der  höchsten  Befriedigung,  dass  unsere  mehr  als 
zwanzigjährigen  Bemühungen  endlich  ihr  Ziel  erreicht  haben: 
dass  der  Dichter  des  Faust,  in  welchem,  Avie  in  Schiller,  die 
Deutschen  selbst  im  fernsten  Welttheil  sich  als  Eines  em- 
pfanden und  empfinden  werden,  hier  in  der  neuen  Hauptstadt 
des  deutschen  Reichs,  wo  alles  Herrlichste  und  Höchste  der 
Nation  wenigstens  im  Bilde,  im  Symbol,  vereinigt  sein  muss, 
gleich  den  Fürsten,  Feldherren,  Staatsmännern,  verdienten 
Bürgern,  deren  Denkmäler  unsere  öffentlichen  Plätze  so  zahl- 
reich schmücken,  aufgestellt  werden  soll. 

Mit  solcher  Aufstellung  lösen  wir  eine  Aufgabe,  welche 
uns  von  den  edelsten  Männern  der  Nation,  einem  Jakob 
(irimm,  einem  Boeckh,  an  der  Spitze  fast  des  ganzen  geistigen 
Berlins  der  fünfziger  und  sechziger  Jahre,  als  theures  Ver- 
mächtniss  hinterlassen  worden,  und  zwar  in  den  Worten, 
welche  Jacob  Grimm  im  Januar  1860  an  des  Kaisers  Ma- 
jestät, damaligen  Prinz-Regenten  richtete  und  welche  die 
Allerhöchste  Zustimmung  fanden  : 

,dass  Berlin  einen  gerechten  A'orwurf  auf  sich  laden 
würde,  wenn  es  nicht  (ioethe  neigen  Schiller  eine  Statue 
errichtete" 

und    in    den  ^^'orten    desselben    in    einem    öffentlichen  Aufruf 
vom    ]uli    1860: 

, Eines  grossen,  der  Nachwelt  geheiligten  Mannes  Stand- 
bild soll  im  Angesicht  der  täglich  vorüberwandelnden  Menge, 
da,  wo  sich  zahllose  Schritte  begegnen,  auf  Plätzen  volkreicher 
Städte  errichtet  werden. 

In  Berlin,  der  Königstadt,  wenn  sich  an  ihrem  weitesten 
öffentlichen  Räume  Schillers  Denkmal  erhebt,  darf  das  von 
Goethe  nicht  unerhoben  bleiben.  Das  fühlen  alle,  nicht  nur 
in  Preussen,  in  ganz  Deutschland.  Denn  vor  diesen  Dichtern, 
die  beide  unserer  Sprache  ein  fernreichendes  Gebiet  erobert 
und  sie  für  immer  vergeistigt  haben,  weicht  aller  landschaft- 
liche Unterschied  zurü-'k.  Durch  sie  sind  wir  ein  voran- 
gehendes Volk  geworden.  Jahrhunderte  rollen  dahin;  wenn 
Alles,  was  uns  jetzt  drückt  und  hebt,  längst  vergessen  ist, 
werden    diese  Bilder    stehen,    unerlöschenden   Glanz    spreiten. 


Chronik.  463 

und,  hoffen  wir,  auf  ein  glückliches  Reich  in  alles  Friedens 
Segen  niedersrhauen'. 

Das  waren  prophetische  Worte !  In  ihrem  Sinne  sind  wir 
bisher  thätig  gewesen,  und  in  ihrem  Sinne  bitten  wir  die  Ver- 
treter unserer  Stadt,  welche  wir  hier  zu  begrüssen  die  Ehre 
haben,  nach  geschehener  Enthüllung  dieses  mit  so  viel  Liebe 
und  Hingabe  von  dem  Künstler  geschaffene  ^^'erk  in  Em- 
pfang zu  nehmen,  sowie  die  hohen  Staatsbehörden,  insbe- 
sondere die  königliche  Thiergarten -Verwaltung  und  die  ge- 
sammte  Einwohnerschaft  Berlins,  dem  \\'erke  Schutz  zu  ver- 
leihen und  seine  edlen  Formen  vor  Entweihung  zu  bewahren. 
]3arum  bitten  wir. 

Es  ist  errichtet  nicht  etwa  zur  Erinnerung  an  persön- 
liches Schalten  und  Walten  an  dieser  Stätte,  in  dieser  Stadt, 
welche  der  Fuss  des  Dichters  nur  einmal  flüchtig  berührt  hat : 
sondern  als  Huldigung  dem  nationalen  CJenius,  dessen  hoher 
Baum,  mit  Jean  Paul  zu  reden,  die  Wurzel  tief  in  Deutsch- 
land treibt,  den  BlUthenüberhang  aber  ins  griechische  Klima 
senkt,  es  ist  errichtet  zu  unserer  eigenen  Ehre,  aus  eigener 
Selbstachtung :  nicht  aus  Dankbarkeit  für  dem  Lande  oder 
der  Stadt  in  Krieg  und  Friede  geleistete  Dienste  äusserer, 
weltlicher  Art,  sondern  als  ein  Leuchtthurm  des  Geistes,  den 
die  Wogen  der  Zeit  nicht  zerstören  werden  und  zu  dessen 
stillleuchtender  Flamme  wir  und  die  nach  uns  kommenden 
Geschlechter  im  Dunkel,  im  Sturm,  selbst  im  zerbrechlichsten 
Nachen  vertrauensvoll  hinauf  blicken  mögen. 

Und  so  im  Namen  und  Auftrage  des  Comite's  ertheile 
ich  das  Zeichen,  dass  die  Hülle  falle  und  übergebe  dieses 
nun  vor  uns  stehende  Denkmal  Ihnen,  den  Vertretern  der 
Haupt-  und  Residenzstadt  Berlin  als  dauerndes  städtisches 
Eigenthum.« 

Auf  den  Wink  des  Redners   fiel  die  Hülle  herab. 

Die  Antwort  des  Herrn  Oberbürgermeisters  v.  Forcken- 
beck lautete: 

»Angesichts  des  jetzt  in  seiner  vollen  Schönheit  stehen- 
den Denkmals  spreche  ich  dem  rastlos  thätigen  Comite,  dem 
Künstler,  der  so  Herrliches  geschaffen,  unsern  tiefempfundenen 
Dank  aus.  L'nmittelbar  nach  wieder  errungener  Peinigung 
unserer  Nation,  unter  dem  mächtigen  Schutz  von  Kaiser  und 
Reich,  enthüllten  wir  mitten  im  Gewoge  der  Hauptstadt  am 
IG.  November  1871  Schillers  Denkmal.  Heute,  an  einem  ruhigen, 
still  beschaulichen  Platze  findet  die  Enthüllung  des  (ioethe- 
Denkmals  statt.     Dank  den  Bestrebungen,  die  dahin   führten. 


464  Chronik. 

dass  Berlin  jetzt  die  Denkmäler  der  beiden  grössten  Dichter 
und  Denker  der  Nation  in  so  herrlicher  Gestaltung  besitzt ! 
Und  so  übernehme  ich  Namens  der  Stadt  für  die  Stadt  und 
zum  Eigenthum  der  Stadt  auch  dieses  Denkmal.  Beide  Denk- 
mäler wollen  wir  in  nie  erkaltender  Dankbarkeit  für  die 
idealen  Güter,  welche  die  eng  verbundene  Kraft  beider  Dichter- 
fürsten errungen  hat,  in  alle  Zukunft  mit  liebevoller  Sorgfalt 
pflegen  und  erhalten,  kommenden  Geschlechtern  zur  stets 
lebendigen  Mahnung,  dass  das  geeinigte  Volk  un  energischen 
Streben  und  Ringen  für  die  höchsten  Cniter  nie  erlahme  und 
ermatte.« 

Das  Denkmai,  aus  carrarischem  Marmor,  ist  im  Thier- 
garten  zwischen  dem  Brandenburger  Thor  und  der  Lenne- 
strasse  aufgestellt  und  steht  mitten  unter  schönen  Baum- 
gruppen. 

Die  Festlichkeiten  hatten  mit  der  Enthüllung  des  Denk- 
mals noch  nicht  ihr  Ende  erreicht.  Um  die  6.  Nachmittags- 
stunde fand  in  den  Räumen  des  »englischen  Hauses«  ein 
Festmahl  statt,  an  welchem  etwa  100  Personen,  zumeist  den 
Gelehrten-  und  Künstlerkreisen  der  Residenz  angehörend, 
theilnahmen.  Die  festliche  und  frohe  Stimmung  der  Ver- 
sammelten fand  in  Reden  und  Gesängen,  meist  Zelter"schen 
Compositionen  Goethe'scher  Lieder  ihren  würdigen  Ausdruck. 
Unter  den  eingelaufenen  und  beim  Festmahl  verlesenen  Zu- 
schriften sei  diejenige  der  deutschen  Kaiserin  erwähnt,  welche 
lautet : 

»Dem  Dichterfürsten  an  der  in  Berlin  gewidmeten  Stätte 
nicht  huldigen  zu  können,  wie  dereinst  in  Weimar,  wo 
sein  Standbild  die  Blüthezeit  deutscher  Poesie  vertritt, 
verhindert  zu  sein,  dankbare  Erinnerungen  Meiner  Kind- 
heit mit  der  Anerkennung  zu  verbinden,  welche  der  Ent- 
stehung und  Vollendung  eines  nationalen  Werkes  entspricht ; 
mithin  Verzicht  auf  Meine  Gegenwart  bei  der  Enthüllung 
des  Denkmals  Goethe's  leisten  zu  müssen,  kann  nur  durch 
Gesundheits-Rücksichten  geboten  werden,  die  Ich  um  so 
mehr  bedauere,  als  ich  weiss,  welches  Lob  dem  Komitee 
gebührt,  und  welchen  hohen  Werth  auf  geistigem  Gebiet 
diese  Feier  in  sich  trägt. 

Raden-Baden,  den  30.  Mai    1880. 

.\ugusta«. 

Von  den  Reden,  die  des  Hr.  Geh.  R.  v.  Loeper,  welcher 
der  vielen  durch  den  Tod  abberufenen  Comite-Mitglieder,  vor 
Allem    lakob    (rrimm's   und    Hotho's   gedachte,    und    die    des 


Chronik.  465 

Hrn.  Prof.  Herman  Grimm,  welcher  anknüpfend  an  die  hinter 
ihm  postirte  Raucli'srhe  Goethe-Büste  folgendermassen  sprach: 

»Meine  Herren,  als  vor  nun  fast  fünfzig  Jahren  Goethe 
gestorben  war,  stand  sein  Bild  in  den  Zügen  Allen  vor  Augen, 
wie  es  Rauch,  unser  grosser  Mitbürger,  in  seiner  bewund- 
rungswürdigen  Büste  geschaffen  hatte.  (Joethe  war  der  Greis, 
der  Altvater,  der  in  Weimar  thronende  »Kunstpapst«,  und  in 
dieser  Gestalt  hat  man  ihn  lange  erblickt.  Bis  dann  eine 
Aenderung  eintrat.  Mehr  und  mehr  wurde  von  seinen  Jugend- 
briefen herausgegeben,  die  ächten  Briefe  W'erthers  erschienen. 
Trippels  in  Rom  gemachte  Büste  des  jungen  (ioethe  wurde 
wieder  bekannt  und  endlich  drückte  Hirzel  —  den  wir,  wenn 
er  noch  lebte,  so  gern  hier  unter  uns  gesehen  hätten  durch 
seine  Publikation  der  Werke  des  »Jungen  Goethe«  dem  Bilde 
des  »Jungen  Goethe«  den  letzten  Stempel  auf.  Nun  hatten 
wir  zwei  Goethes  nebeneinander,  den  jungen  und  den  alten, 
gleichsam  sich  gegenüberstehend  in  unserer  Phantasie :  da 
kam  Schaper  und  schuf  in  seiner  Goethe-Statue  das  Bild 
Goethe's,  das  beide  Anschauungen  versöhnte,  weil  es  beide 
enthielt.  Schapers  Goethe  ist  nicht  der  junge  und  nicht  der 
alte  Goethe,  es  ist  der  junge  und  alte  zugleich,  es  ist  nicht 
der  Dichter  des  ersten  Theiles  des  Faust ,  nicht  der  des 
zweiten  Theiles :  es  ist  der  Dichter  des  ganzen  Faust,  es  ist 
in  einem  einzigen  Anblicke  der,  den  wir  meinen,  wenn  wir 
mit  einem  einzigen  Worte  »Goethe«  sagen. 

Meine  Herren !  wir  haben  Professor  Schaper  für  diese 
Schöpfung  zu  danken.  Er  ist  noch  jung,  sein  Werk  ist  nicht 
die  Blüthe  langer  Thätigkeit,  sondern  bezeichnet  erst  den 
Beginn  seiner  Laufbahn.  Möge  es  ihm  noch  oft  vergönnt 
sein,  mit  seinen  künstlerischen  Schöpfungen  so  die  Dank- 
barkeit und  den  Enthusiasmus  des  Volkes  herauszufordern 
wie  er  es  mit  seinem  (joethe  heute  gethan  hat.  Schaper 
lebe  hoch !« 

Den  Schluss  der  Festlichkeiten  machte  die  Aufführung 
des  Faust  (i.  Theil)  im  kgl.  Schauspielhause,  wel<-her  ein  von 
Hofr.  Adami  gedichteter  Prolog  voranging. 

Auch  von  der  Presse  der  Hauptstadt  wurde  der  Tag 
begangen.  Die  »Nationalzeitung«  widmete  ihm  ihr  Feuilleton, 
dessen  bei  weitem  grösserer  Theil  von  einem  Aufsatze  Julian 
Schmidts  angefüllt  war:  »Goethe  in  Berlin,  2.  Juni  1880«,  den 
kleinern  bildete  ein  »Hymnus  auf  Goethe,  zur  Feier  der  Ent- 
hüllung seiner  Statue  zu  Berlin,  am  2.  Juni  1880«  von  F.  A. 
Märcker,  die  »Vossische  Zeitung«  brachte  zu  Ehren  des  Tages 

Goethe-Jaurbich  II.  ^O 


466  Chronik. 

H.  Pröhle's  Besprechung  des  Goethe  -  Jahrbuchs,  Bd.  L,  das 
»Tageblatt«  einen  poetisch  empfundenen,  schön  geschriebenen 
Leitartikel :  »Vor  dem  Goethe  -  Denkmalo  ;  die  »Post«  ein 
grosses  Feuilleton  Adolf  Rosenberg's:  »Das  Goethe-Denkmal 
von  Fritz  Schaper«.  Die  Abendblätter  der  grösseren  Zeitungen 
und  die  kleineren  Blätter,  welche  am  Morgen  des  3.  Juni 
erschienen,  brachten  fast  ausnahmslos  ausführliche  Besprechung 
der  Enthüllungsfeier,  des  Festmahls  und  der  Fest-Vorstellung. 

Drei  kleine  Festschriften  wurden  in  der  Nähe  des  Fest- 
Platzes  von  fliegenden  Buchhändlern  verkauft,  alle  drei  mit 
sehr  fragwürdigen  Abbildungen  des  Denkmals  geziert:  i.  Zur 
Erinnerung  an  die  Enthüllung  des  Goethe-Denkmals  in  Berlin 
am  2. »Juni  1880,  hgg.  von  R.  Gnevkow.  Druck  und  Verlag 
von  Nauck  und  Hartmann  (4  SS.  fol.),  (enth.  Festgruss, 
Würdigung  des  Denkmals,  Beschreibung  des  Denkmals,  Bio- 
graphie des  Künstlers,  Festprogramm);  2.  Das  Goethe-Denk- 
mal im  Thiergarten  zu  Berlin.  Druck  und  Selbstverlag  von 
Adolf  Schulze.  16  SS.  8°  (enth.  auf  dem  Umschlag  vorn: 
Bild  Goethe's,  hinten:  Denkmal,  dasselbe  nochmals  im  Heft, 
sowie  die  drei  Gruppen  am  Fusse  desselben  einzeln;  ferner: 
Beschreibung  des  Denkmals  und :  Aus  dem  Leben  Joh.  Wolfg. 
Goethe's,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Jugendzeit  und 
der  Liebschaften)  ;  3.  Das  Goethe-Denkmal  im  Thiergarten 
zu  Berlin.  Enthüllt  am  2.  Juni  1880.  Selbstverlag  von  A.  G. 
Knopf.  15  SS.  8°  (enth.  Programm  der  Enthüllungs-Feierlich- 
keit, Biographie  des  Dichters,  Beschreibung  des  Denkmals). 

Eine  würdigere  Festschrift  ist  diejenige  O.  Brahm's  vgl. 
unten  Bibliographie. 

Am  7.,  17.  und  19.  Juli  fanden  in  München  Muster-Vor- 
stellungen dreier  Goethe'scher  Dramen,  Clavigo,  Tasso,  Egmont, 
in  dem  durch  den  Direktor  E.  Possart  eingerichteten  Gesammt- 
Gastspiel  bedeutender  deutscher  Bühnenkünstler  statt. 


Frideriken-Feier.  Der  auch  im  Goethe-Jahrb.  I.,  392  fg. 
abgedruckte  Aufruf,  Geldmittel  zum  Ankauf  des  Hügels  in 
Sesenheim  zusammenzubringen,  auf  welchem  Goethe  mit  Fri- 
derike  Brion  öfters  geweilt,  hatte  derartigen  Erfolg,  dass  als- 
bald der  Hügel  angekauft  und  eine  Laube  errichtet  werden 
konnte.  Die  feierliche  Einweihung  derselben  und  ihre  Ueber- 
gabe  an  die  Stadtgemeinde  fand  am  18.  Juli  statt.  In  der 
Laube  ist  eine  Tafel  angebracht  mit  der  Inschrift:   »1770  —  71. 


Chronik.  467 

Frideriken-Ruh.  1880«.  Die  Feier,  an  welcher  namentlich 
auch  Strassburger  Professoren  und  Studenten  theilnahmen,  war 
eine  durchaus  würdige.  Nachdem  der  akademische  Ciesang- 
Verein  ein  Goethe'sches  Lied  gesungen  hatte,  hielt  Prof.  Erich 
Schmidt  die  Festrede. 

Nach  der  Rede  erzählte  Oberlehrer  A.  (Irün  die  (ieschichte 
der  Laube  und  übergab  im  Namen  des  Comite's  der  Gemeinde 
Sesenheim  das  Eigenthumsrecht  über  die  neue  Schöpfung,  unter 
der  Bedingung,  dass  die  sämmtlichen  Anlagen  dauernd  erhalten 
blieben.  Der  Bürgermeister  erklärte  sich  mit  dieser  Ikdingung 
einverstanden,  nahm  die  Schenkung  an  und  ein  zweiter  Gesang 
beschloss  die  Feier. 


Zur  Erinnerung  an  Goethe's  Besuch  des  Adersbacher 
Felsen  im  Jahre  1790  (3.  Aug.  vgl.  Wenzel,  Goethe  in  Schlesien 
S.  67:  ferner  Annalen,  Hemjjel  27,  11)  wurde  am  25.  Juli 
eine  von  einer  Gesellschaft  aus  Trautenau  und  Marschendorf 
gestiftete  Gedenktafel  in  Adersbach  enthüllt. 


Am  28.  August  wurde  in  Goethe's  Vaterstadt  Frankfurt  a.  M. 
von  dem  »Freien  Deutschen  Hochstift  für  Wissenschaften,  Künste 
und  allgemeine  Bildung  in  Goethe's  Vaterhause«  Goethe's  Ge- 
burtstag feierlich  begangen. 

Die  Feier  betand  ähnlich  wie  die  des  Jahres  1879  in  einer 
Bekränzung  des  Grabes  der  Frau  Rath  auf  dem  alten  Peters- 
kirchhof, (27.  August,  Abends)  in  einer  Ausschmückung  des 
Goethehauses,  Entgegennahme  von  Kränzen  und  feierlicher 
Sitzung  des  Hochstifts  (28.  Aug.)  und  einem  Waldfest  (29.  Aug.), 
zu  welchem  sich  mehr  Neugierige  als  Theilnehmende  einfanden. 
Das  Hochstift  hatte  vorher  in  Frankfurter  Blättern  und  ausser- 
frankfurtischen  Zeitungen  Aufrufe  zur  feierlichen  Begehung  des 
Goethetages  veröffentlicht. 

Aber  nicht  diese  Feier  von  Goethe's  Geburtstag  allein  gibt 
Veranlassung  vom  »Freien  Deutschen  Hochstift«  zu  reden :  zu 
einer  solchen  Aussprache  werde  ich  vielmehr  gedrängt  durch 
die  allgemeine  Erwägung,  dass  es  als  eine  Verpflichtung  für 
das  Goethe-Jahrbuch  erscheint,  von  einer  Institution  zu  reden, 
die  sich  mit  Cioethe's  Namen  brüstet  und  in  seinem  Vater- 
hause ihren  Sitz  hat,  und  durch  die  besondere  Thatsache, 
dass  kürzlich  die  Berichte  jenes  Vereins  erschienen  sind,  welche 
von  seiner  Thätigkeit  ein  anschauliches  Bild  geben.  (Vgl. 
unten  S.  495  fg.)  Freilich  dieses  Bild  ist  kein  erfreuliches.   Denn 

^0* 


468  Chronik. 

nun  kann  ein  Jeder,  welcher  durch  die  Gunst  eines  Stiftge- 
nossen oder  nach  Erlegung  von  8  Mark  sich  das  Buch  verschafft 
hat,  die  Ueberzeugung  erlangen,  dass  dieser  Verein,  bei  allem 
gutem  Willen,  redlichen  Streben,  guter  Gesinnung  doch  nur 
höchst  winzige  Leistungen  aufzuweisen  hat  und  an  einem 
unheilbaren  Dilettantismus  krankt.  Das  Hochstift  hatte  sich 
eine  dankenswerthe  Aufgabe  gestellt,  nämlich  die  Erwerbung 
des  Goethehauses,  und  durch  die  Erfüllung  dieser  Aufgabe, 
die  freilich  mit  etwas  geringerem  Lärm  und  etwas  grösserer 
Bescheidenheit  hätte  vor  sich  gehen  können,  den  Dank  der 
Nation  verdient ;  es  hätte  sich  diesen  Dank  dauernd  zu  erhalten 
vermocht,  wenn  es  sich  nach  Erfüllung  dieser  Leistung  bescheiden 
in  den  Hintergrund  zurückgezogen  und  seine  Thätigkeit  einzig 
und  allein  auf  die  Pflege  des  von  ihm  erworbenen  Guts 
beschränkt  hätte.  Einem  derartigen  vernünftigen  Handeln 
hätte  allgemeine  Zustimmung  nicht  gefehlt ;  das  prahlerische 
Gebahren  einiger  Männer  dagegen,  die  sich  gern  zum  Mittel- 
punkt deutscher  Gesammtkultur  gemacht  hätten,  musste  den 
Widerspruch  aller  Vernünftigdenkenden  hervorrufen  und  den 
Fluch  der  Lächerlichkeit  auf  sich  laden.  Die  Gesellschaft 
bildet  sich  aus  Stiftsgenossen,  die  sich  melden  und  durch  einen 
jährlichen  Beitrag  von  mindestens  6  Mark  ihre  Fähigkeit 
bekunden,  die  Interessen  deutscher  Cultur  zu  fördern :  die 
Gesammtheit  der  Genossen  wählt  zu  Meistern  diejenigen, 
»welche  sich  als  Vertreter  und  geistige  Förderer  irgend  eines 
Zweiges  der  Wissenschaft ,  der  Kunst  und  der  allgemeinen 
Bildung  bethätigt  haben«.  Man  bedenke :  eine  Hand  voll 
Leute  —  denn  wenn  auch  die  Mitglieder  nach  Hunderten 
zählen  mögen,  so  sind  doch  die  Sitzungen,  in  denen  derartige 
Beschlüsse  gefasst  werden,  erfahrungsmässig  nur  von  Wenigen 
besucht  —  eine  Schaar,  die  sich  zusammensetzt  aus  Gelehrten, 
Künstlern,  aber  ebensowohl  aus  Fabrikanten,  Kaufleuten,  Hand- 
werkern, Männern,  von  denen  gewiss  Jeder  in  seinem  Berufe 
wacker  und  tüchtig,  aber  weder  befähigt  noch  befugt  ist,  über 
die  Leistungen  auf  anderen  Gebieten  zu  urtheilen,  vertheilt 
Grade  und  Würden ,  welche  sie  in  prahlerischer  Weise  den 
akademischen  Würden  gleichzustellen  oder  gar  über  dieselben 
zu  erheben  meint.  Man  denke  nicht,  dass  ich  übertreibe ; 
lautet  ja  doch  die  ausdrückliche  Versicherung  des  Hochstifts, 
dass  »es  eine  offene  Vertretung  des  gesammten  freien  deutschen 
Geisteslebens  bilde«  und  heisst  es  in  einem  Artikel,  den  man 
als  eine  Art  offiziellen  Programmes  des  Vereins  auffassen 
kann:  »Durch  die  allen  Mitgliedern  satzungsgemäss  gewähr- 
leistete   Lehr-    und    Lernfreiheit    bir^rt    die    Genossenschaft   in 


Chronik.  469 

sich  das  Kleinod  einer  freien  gesammt  -  deutschen  Hoch- 
schule«. 

Unter  der  Zahl  der  Meister  finden  sich  neben  durchaus 
untergeordneten  Männern  Schriftsteller  und  Künstler  ersten 
Rangs.  Auch  während  des  Zeitraums,  über  wehhen  der  vor- 
liegende Bericht  handelt,  sind  viele  Meister  creirt  worden 
u.  A.  ein  Musiklehrer  der  Stadt  Frankfurt  und  ein  Capitain, 
der  bei  dem  Untergang  eines  ihm  anvertrauten  Schiffes  grossen 
Heldenmuth   bewies. 

Ganz  besonders  bemuht  man  sich  das  Interesse  von  Fürsten 
für  die  Vereinigung  zu  gewinnen,  ein  Streben,  gegen  das  gewiss 
nichts  einzuwenden  wäre,  wenn  nicht  der  Verein  bei  anderen 
Cielegenheiten  so  laut  auf  seine  Unabhängigkeit  pochte.  Da 
dieses  Rühmen  aber  bekannt  ist,  so  wird  allerdings  durch 
eine  sechsseitige  Schilderung  eines  Besuches  des  Königs  Oscar 
von  Schweden  im  Goethehause,  der  später  eine  5  Seiten  lange 
Aufzählung  seiner  Schriften  folgt  —  selbstverständlich  konnte 
auch  dieser  König  dem  verhängnissvollen  Geschenk  eines 
Meisterdiploms  nicht  entgehen  —  eine  seltsame  Empfindung 
hervorgerufen.  Auch  der  König  der  Belgier  wird  zum  Meister 
ernannt,  durchreisende  oder  in  der  Nähe  Frankfurts  weilende 
Fürsten  werden  zum  Besuche  eingeladen.  Jubiläen  deutscher 
und  fremder  Könige  gefeiert,  und  die  staunenswerthe  Unpartei- 
lichkeit des  Vereins  durch  die  Thatsache  dargelegt,  dass  dem 
Bericht  über  einen  Glückwunsch  an  den  Kaiser  Wilhelm  un- 
mittelbar die  Notiz  über  eine  Beileidsadresse  an  die  Wittwe 
des  Königs  Georg  von  Hannover  folgt. 

Auch  sonst  fehlt  es  diesmal  nicht  an  hervorragenden 
INIännern  z.  B.  Palmieri  und  Kraszewski,  die  mit  dem  Meister- 
schaftsdiplom beehrt  werden,  und  sich  für  diese  Uebersendung 
in  einer  Weise  bedanken,  als  hätte  ihnen  Alldeutschland  die 
Ehre  einer  Krönung  zu  Theil  werden  lassen.  Eine  solche 
Handlungsweise  kann  man  bei  Ausländern,  die  deutsche  Verhält- 
nisse nicht  kennen,  begreiflich  finden,  seltsam  bleibt  es  aber, 
dass  sie  auch  bei  Deutschen  vorkommt.  Zwar  kann  man 
verstehn,  dass  manche  der  durch  die  Gesellschaft  ausgezeich- 
neten Deutschen  artig  genug  sind,  die  Diplome  nicht  geradezu 
zurückzuschicken  oder  sogar  so  höflich ,  mit  einigen  freund- 
lichen Worten  die  Annahme  derselben  anzuzeigen;  aber  unbe- 
greiflich erscheint,  dass  einige  bedeutende  Männer  durch 
Büchersendungen  oder  ähnliche  Gefälligkeiten  sich  als  Ange- 
hörige der  Gesellschaft  bekunden ,  dass  es  in  einer  Stadt, 
Regensburg,  eine  Hochstiftsgenossenschaft  gibt,  die  sich  der 
Frankfurter  anschliesst  und  unterordnet :  dass  es  ferner  Leute 


470  Chronik. 

gibt,  freilich  solche,  bei  denen  man  vergeblich  fragt,  welches 
literarische  Verdienst  ihnen  Anrecht  auf  die  Meisterwürde  ver- 
schaift  habe,  welche  dem  Hochstifte  Schriften  widmen;  ja 
dass  endlich  —  ein  freilich  in  unserm  titelsüchtigen  Deutsch- 
land nicht  vereinzelt  dastehender  Fall  —  Nichtstiftsgenossen 
sich  um  die  Aufnahme  in  die  Meisterschaft  bewerben. 

Fragt  man  nun,  was  diese  Gesellschaft,  die  sich  z.  B.  bei 
der  letzterwähnten  Angelegenheit  durch  den  Mund  ihres  Ob- 
manns charakterisiren  lässt  als  »eine  nicht  von  staatlicher 
Fürsorge  bestellte  und  keine  staatlichen  Versorgungen  in 
Aussicht  stellende,  unabhängige  und  einzig  aus  freier  Begeiste- 
rung und  Erhebung  ihre  Berufung  ableitende  Vereinigung« 
leistet ,  so  muss  man  antworten :  nichts,,  als  was  jeder  der 
zahllosen  literarischen  Vereine  in  kleinen  Provinzstädten  auch 
thut.  Die  Mitglieder  kommen  zusammen,  um  Verwaltungs- 
geschäfte zu  erledigen,  neu  erschienene  Bücher  anzusehen  und 
Vortage  anzuhören.  Jedes  dieser  Bücher  wird  in  dem  Berichte 
genannt :  es  ist  eine  stattliche  Reihe,  nur  schade,  dass  von 
Vollständigkeit  in  irgend  einer  Disciplin  nicht  die  Rede  sein 
kann,  da  die  Gesellschaft  in  der  Ergänzung  ihrer  Bücherei 
(»Completirung  der  Bibliothek«  zu  sagen,  wäre  in  den  Augen 
der  Stiftsgenossen  ein  Verbrechen)  auf  die  Gnade  der  Verleger, 
Mitglieder  oder  Gönner  angewiesen  ist.  Manchmal  begnügt 
sich  der  Berichterstatter  nicht  mit  der  blosen  Nennung  der 
Bücher,  sondern  referirt  auch  über  den  Inhalt.  Solche  Referate 
mögen  die  Vereinssitzungen  passend  ausfüllen  und  für  die 
Hörer  nicht  ohne  Interesse  sein ;  zu  welchem  Zwecke  aber 
derartige  Mittheilungen  aus  einer  Schrift  über  Keltische  Königs- 
höfe in  Schlesien  und  über  eine  Vorrichtung  zur  Ueberwachung 
der  Leuchtfeuer  und  viele  andere  gedruckt  werden,  ist  uner- 
findlich. Schon  die  obenerwähnte  Notiz  legt  Zeugniss  von 
dem  vielseitigen  Interesse  der  Gesellschaft  ab,  aber  die  Viel- 
seitigkeit ist  noch  weit  grösser  als  man  aus  dem  Mitgetheilten 
schliessen  möchte;  die  Herren  kümmern  sich  z.  B.  um  Buch- 
drucker- und  Buchbinderarbeit,  um  Leseclaviere,  veranstalten 
Lehrmittelausstellungen  und  bemühen  sich  den  Ankauf  der 
Ueberreste  des  Archäopteryx  zu  Stande  zu  bringen,  sie  geben 
ihre  Ansicht  kund  über  Glockenmusik  und  sind  sehr  ärgerlich, 
wenn  »die  nur  zur  Verbrämung  auf  Einrückungsgebühren 
berechneter  Geschäftsunternehmungen  dienende  'lagespresse 
öffentliche  Anregungen  der  Förderung  des  Schönen«  nicht 
unterstützt;  sie  sind  selbstverständlich  gegen  den  Impfzwang 
als  gegen  eine  die  Freiheit  des  Einzelnen  gefährdende  f2in- 
richtung  und  haben  kein  Wohlgefallen  an  den  Naturforscher- 


Chronik.  47 1 

Versammlungen,  über  welche  sie  ihr  Gesammturtheil  mit  den 
mehr  kräftigen  als  wahren  Worten  abgeben :  »Lorenz  Oken 
würde  an  einer  Versammlung  weniger  wirklicher  Forscher  und 
Gelehrten  mit  einer  überwiegenden  Schaar  jubilirender  Pläsir- 
michel  (der  germanische  Zorn  hat  hier  wohl  das  Fremdwort 
hervorgerufen),  wie  solche  jetzt  alljährlich  in  seinem  Namen  als 
.Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte'  tagt,  wenig 
Gefiillen  fmden«.  Auch  die  moralischen  Zustände  »können  der 
Aufmerksamkeit  des  F.  1).  H.  nicht  entgehn«  :  man  beschäftigt 
siih  mit  Schülerverbindungen,   Doktorfal)riken  u.  ä. 

Bei  einem  solchen  vielseitigen  Interesse  ist  es  erklärlich, 
dass  Gespräche  der  Mitglieder  und  Vereinssitzungen  nicht 
ausreichen,  sondern  dass  auch  Correspondenzen  nothwendig 
sind.  Von  dem  in  dieser  Beziehung  entfalteten  Eifer  wird  ein 
Beweis  durch  die  Thatsache  geliefert,  dass  in  einem  Monat 
183,  in  einem  Jahre  2096  Zuschriften  abgesendet  werden. 
Aber  das  Hochstift  in  seiner  weltbewegenden  Thätigkeit  darf 
sich  nicht  auf  Privatkundgebungen  beschränken ,  es  muss 
Organe  haben,  durch  deren  Vermittlung  es  wirkt  und  spricht. 
Drei  der  grössten  deutschen  Buchhandlungen :  F.  A.  Brock- 
liaus,  J.  G.  Cotta,  Wilh.  Braumüller  erhalten  daher  die  »Be- 
rechtigung«, sich  als  »Buchhandlungen  des  Freien  Deutschen 
Hochstiftes«  zu  bezeichnen,  und  zwar  —  man  muss  die  hoch- 
tönenden Worte  selbst  lesen  —  »in  voller  Würdigung  der 
hohen  Bedeutung,  welche  für  das  Gedeihen  deutscher  Geistes- 
arbeit der  nach  höheren  Grundsätzen  geführte  deutsche  Buch- 
handel stets  gehabt  hatte,  noch  gegenwärtig  besitze  und  in 
noch  vermehrtem  Masstabe  wieder  gewinnen  müsse ,  zur 
Kundgebung  der  vollsten  Anerkennung  des  gesammten  Ge- 
schäftszweiges, wie  insbesondere  der  hervorragenden  Ver- 
dienste der  demselben  die  ehrenvollsten  Vorbilder  gewähren- 
den weltberühmten  Hauptgeschäfte«.  Die  Naivetät,  die  in 
dieser  Ernennung  und  der  Motivirung  derselben  liegt,  ist 
bewunderungswürdig ;  seltsam  genug  bleibt  aber  auch,  dass 
die  genannten  Buchhandlungen  jene  Ernennung  annahmen 
und,  um  wiederum  in  der  Hochstift-Sprache  zu  reden,  »für 
die  denselben  gewährte  Bevorzugung  und  ehrenvolle  Würdigung 
ihren  wärmsten  Dank  aussprachen  und  in  wahrhaft  genug- 
thuender  Weise  zu  erkennen  gaben,  dass  denselben  eine  solche 
Anerkennung  bisheriger  Bestrebungen  ein  neuer  Sporn  sein 
werde,  ihrer  grossen  Ueberlieferungen  eingedenk,  auch  ferner 
das  Cxute,  Wahre  und  Schöne  werkthätig  zu  fördern«. 

Nicht  ohne  Grund  habe  ich  im  Vorstehenden  manche 
Proben  der  Hochstift-Sprachc  mitgetheill ;  gehört  es  ja  mit  zu 


472  Chronik. 

den  Aufgal)en  des  Vereins,  die  deutsche  Sprache  zu  reinigen 
und  namenthch  von  allen  Fremdwörtern  zu  befreien.  Dieses 
Streben  führt  natürlich  zu  grossen  Seltsamkeiten  :  ihre  Bücher 
erscheinen  nicht  in  Commission,  sondern  in  »Besorgung  bei 
F.  A.  Brockhaus« ;  sie  legen  ihre  Briefe  nicht  in  Couverts, 
sondern  in  »Briefhülsen«,  sie  lassen  sich  von  ihren  Schriften 
keine  Correkturen,  sondern  »Verbesserungsabzüge«  schicken  und 
lassen  dieselben  statt  in  Oktav,  in  »Achtelbogen«  abdrucken: 
sie  sagen  statt  der  undeutschen  Redaktion:  »Herausgeberschaft«, 
und  sprechen  von  ;nvissenschaftlichen  Bewerbungs-Abhand- 
lungen«   (Dissertationen)    und   »Theilkünstlern«   (Spezialisten). 

Alle  diese  und  ähnliche  Bestrebungen  finden  bei  Meistern 
und  Genossen  selbstverständlich  die  höchste  A\'ürdigung; 
unglücklicherweise  gehört  aber  nur  ein  kleiner  Theil  der 
Deutschen  in  einer  der  genannten  Eigenschaften  dem  Bunde 
an.  Wagt  nun  ein  Aussenstehender  Tendenz  oder  Thätigkeit 
des  Bundes  zu  bekritteln,  so  wird  er  verfehmt;  Beweis  dafür 
z.  B.  die  Auslassungen  gegen  die  Tagespresse  (S.  435  bis 
439'  515  ^^1^517,)  die  sich  überhaupt  keiner  liebenswürdigen 
Beachtung  erfreut. 

Der  Urheber  solcher  Bemerkungen,  wie  überhaupt  der 
geistige  Vater  der  ganzen  Gesellschaft  ist  der  Obmann.  Hr. 
Dr.  Otto  Volger.  Er  ist  nicht  blos  auf  die  Verbreitung  des 
Ruhms  des  Vereins,  sondern  auch  seines  eignen  bedacht.  Er 
hatte  den  Versuch  gemacht,  Frankfurt  mit  Quellwasser  zu 
versorgen  und  benutzt,  da  Quellwasser  wohl  auch  zur  allge- 
meinen Bildung  gehört,  die  Berichte  des  Hochstifts  dazu,  um 
die  zustimmenden  Aeusserungen  in-  und  ausländischer  Gelehrten 
mitzutheilen  und  die  Gegner  gebührend  abzustrafen  (vgl.  z.  B. 
S.  99 — 103,  i26fg.,  327),  er  verbreitet  sich  gern  über  sich 
und  seine  Verdienste,  und  gebraucht  diese  Berichte  gleichsam 
als  Familien-Archiv,  in  das  er  Nachrichten  über  seinen  ver- 
storbenen Vater  niederlegt  (S.  254 ff..   342  '). 

Man  wird  aus  der  vorstehenden  Erörterung  die  Ueber- 
zeugung  gewinnen,  dass  das  Hochstift,  trotz  seiner  pomj)- 
haften  Reden  weder  befähigt  noch  befugt  ist,  die  Aufgaben 
zu  lösen,  zu  deren  Erfüllung  es  sich  unberufenerweise  heran- 
drängt. Die  Goetheforscher  und  —  Verehrer,  welche  dem 
Hochstift  für  die  Erwerbung  des  Goethehauses  dankbar  sind. 


'  BciläLitig  sei  bemerkt,  dass  Hr.  Dr.  Otto  A'olger  in  der  Einleitung 
S.  XIV  sich  sehr  mit  Unrecht  eines  »fehlerfreien«  Drucks  rühmt.  So 
heisst  es  z.  B.  einmal:  Bernay's  st.  Bernavs,  S.  174  A.  steht:  1839  st. 
1859,  S.  485  Z.  6:  1799  St.  1779,  484  A.  Z.'8  v.  u. :  1844  st.  1874  u.  s.  w. 


Chronik.  473 

können  unmöglich  das  Gebahren  jenes  Vereins  billigen.  Und 
eben  darum  hielt  ich  es  für  meine  Pflicht,  grade  im  Cioethe- 
Jahrbuch  meine  Meinung  über  den  Verein  zu  sagen,  jeden 
Zusammenhang  mit  demselben  abzulehnen,  um  nicht  durch 
Stillschweigen  die  irrige  Meinung  zu  erwecken,  als  billigte 
ich  sein  Streben  und  sein  \'erfahren. 


Während  der  Versammlung  des  deutschen  Schriftsteller- 
tages in  Weimar  (25.-27.  Sept.),  waren  (loethe"s  Wohn- 
zimmer und  Sammlungen  im  (loethehause  zu  U'eimar,  sowie 
das  Gartenhaus  den  Theilnehmern  an  jener  Versammlung 
geöffnet.  Auch  dem  Herausgeber  dieses  Jahrbuchs,  der  sich 
seitens  der  Enkel  des  Dichters  einer  sehr  zuvorkommenden 
Aufnahme  zu  erfreuen  hatte,  war  es  vergönnt,  die  Räume  zu 
betreten  und  mit  den  Uebrigen  die  Pietät  zu  bewundern,  mit 
welcher  die  Nachkommen  jene  Stätten  in  ihrem  ursi)rüng- 
lichen  Zustande  zu  erhalten  bestrebt  sind. 

Zu  derselben  Zeit  wurde  im  Grossherz.  Museum  von  dem 
Direktor  desselben,  Hofrath  Ruland,  eine  Ausstellung  von 
Bildern,  Zeichnungen  und  Münzen  veranstaltet,  welche  grössten- 
theils  auf  (ioethe  Bezug  hatten.  Von  Goethe-Bildern  waren 
ausgessellt:  i.  Das  Gemälde  von  G.  M.  Kraus:  Goethe, 
sitzend,  die  Silhouette  der  Frau  von  Stein  in  der  Hand  (im 
Besitze  des  Hrn.  Dr.  Vulpius  in  \\'eimar);  2.  von  demselben 
Porträt  auch  die  Bleistiftskizze:  3.  Goethe  in  sinniger  Be- 
trachtung unter  römischen  Antiquitäten,  Stahlstich :  4.  von 
demselben  eine  farbige  Skizze,  von  Buri  gezeichnet,  von 
H.  Meyer  colorirt,  die  Landschaft  von  C.  G.  Schütz  hinzu- 
gezeichnet;  5.  Zeichnung  von  Schmeller :  6.  Studien  zu 
H.  Meyers  lebensgrossem  Aquarellporträt:  7.  Photographie 
nach  dem  grossen  Oelgemälde  von  May;  8—11.  4  Kupfer- 
stiche aus  älterer  Zeit,  einer  nach  G.  M.  Kraus  1776,  mit 
der  Unterschrift:  D.  J.  W.  Göthe;  12.  Kupferstich  7.  Nov.  1825, 
mit  der  Unterschrift :  Liegt  Dir  gestern  klar  und  offen ; 
13.  Kupferstich  von  Sichling,  nach  dem  Gemälde  von  Sebbers 
1826:  14.  Stahlstich:  Goethe  Karl  August  Vortrag  haltend 
(1860).  beide  sitzend;  15.  Kupferstich  von  C.  A.  Schwerdt- 
geburth  1832  ;  16—19.  4  Stiche  von  Schwerdtgeburth,  3  davon 
nach  der  Medaille  1825.  einer  derselben  mit  der  Unterschrift : 
Am  siebenten  November.  Meinen  feierlich  Bewegten  u.  s.  \v. : 
der  4.  mit  der  Unterschrift:  Goethe  in  seinem  27.  Jahre 
nach  dem  Gemälde  von  Kraus  1776:  20.  eine  Art  Carricatur: 
Goethe    spazierengehend,    in   etwas   gebeugter    Haltung,    den 


474  Chronik. 

Hut  auf  dem  Rücken  haltend,  1839  gezeichnet  von  einem 
Major,  der  Goethe  in  dieser  Stellung  oft  gesehen  hatte. 

Von  Münzen,  Medaillen  etc.  zeigte  die  Ausstellung: 
Hautrelief  von  J.  P.  Melchior  1775,  nach  dem  Leben  gear- 
beitet ;  Medaille  von  H.  Boltschauser  c.  1780 ;  von  J.  G.  Hilpert 
c.  1780;  Büste  in  Biscuit  aus  der  Braunschweiger  Porzellan- 
manufaktur 1786;  Hautrelief  in  Wachs  nach  dem  Leben 
modellirt  von  Schadow  1816;  Medaille  von  A.  Bovy  1824; 
die  zwei  Jubiläumsmedaillen  von  Brandt  1825,  von  denen 
die  erste  verworfen,  die  zweite  genehmigt  wurde  ;  von  A.  Facius 
1825;  F.König  1826  und  1832;  A.  Bovy  1831;  von  Sebald 
1858  (Abbildung  des  Goethe-Schillerdenkmals  in  Weimar), 
grosse  Medaille  mit  der  Umschrift:  Erinnerung  an  Goethe's 
Geburtshaus  ;  Goethe  und  Schiller  geschnitten  von  F.  Hirsch 
in  Stuttgart  (Siegelabdruck). 

Von  Goethe's  eignen  Zeichnungen  und  Radirungen  :  Porträt 
Wielands;  Das  Heidelberger  Schloss,  23.  Sept.  1779;  Im  Park 
zu  Weimar;  Gebirg  am  See  nach  F.  Kobell,  Febr.  1780;  Die 
Kegelbrücke  von  der  Spitze  des  Stern ;  Die  Wallersdorfer 
Mühle ;  zwei  der  veröffentlichten  Radirungen,  die  eine,  nach 
dem  Gemälde  von  Thiele,  mit  der  Unterschrift :  dedie  ä  Mr. 
Goethe  conseiller  actuel  .  .  .  par  son  fils  tres-obeissant.  So- 
dann Goethe's  Frau  und  Sohn,  Zeichnung  zu  einem  Aquarell- 
gemälde von  H.  Meyer,  im  Besitze  der  Goethe'schen  Familie ; 
Goethe's  Enkelin  Alma  von  Louise  Seidler  1834  gezeichnet. 
Endlich  gehören  hierher  die  Goethehäuser,  i.  das  Weimarer 
Haus,  Stahlstich  mit  der  Unterschrift:  Was  stehn  sie  davor? 
u.  s.  w.  2.  Das  Stammhaus  der  Goethe'schen  Familie  in  Artern 
(Photographie  1879);  3.  Goethe's  Gartenhaus.  Stahlstich  mit 
der  Unterschrift :  Übermüthig  siehts  nicht  aus  u.  s.  w.  4.  Der 
Brunnen  in  Goethe's  Vaterhaus  in  Frankfurt.  Stahlstich  mit 
der  Unterschrift :  Im  grossen  Hirschgraben  zu  Frankfurt  a.  Main 
Lit.  F.  Nro  74,  der  goldenen  Federgasse  gegenüber. 

Eine  Reihe  anderer  Bilder  diente  zur  Illustrirung  der 
Goethe'schen  Zeit,  genannt  seien  3  Bilder  von  G.  M.  Kraus: 
Der  Jahrmarkt  zu  Plundersweilern  1780;  Aufführung  der 
Fischerin  im  Park  zu  Tiefurt:  das  belagerte  Mainz  1792; 
ein  Bild  von  G.  Schütz :  Anna  Amalia  mit  Herder  u.  A. 
Rom  1789;  ferner:  Selbstporträt  der  Corona  Schröter;  dieselbe 
(zeichnend)  Aquarelle  von  G.  M.  Kraus  1785;  sodann:  H. 
Meyers  Costümzeichnungen  zu  Paläophron  und  Neoterpe, 
Illustrationsentwürfe  zu  den  Gedichten,  Entwürfe  zu  den  Fresken 
im  Römischen  Haus,  Selbstporträt.  Carricatur  auf  Bertuch: 
Zeichnungen   von  Geser  und  Lips:   18  Stiche  Sch\verdtgel)urths 


Chronik.  4^5 

zu   Goethe's  Leben    und  Werken;   endlich  Zeichnungen  Ver- 
schiedener, Carl  Auaiust,  Herder,  Schiller  darstellend. 


Bei  der  Versammlung  des  Historischen  Vereins  für  das 
württembergische  Franken,  welche  am  4.  October  1S80  in 
Oehringen  tagte,  wurde  eine  Sammlung  Hohenlohischer  Be- 
amtenbildnisse vorgezeigt,  darunter  das  Bildniss  von  Goethe's 
Urgrossvater  Te.xtor  f  1701.  Die  Sammlung  gehört  Sr.  D. 
dem  Fürsten  von  Hohenlohe-Waldenburg.  A.  v.  K. 


Goethe -Vorlesungen  auf  deutschen  Universitäten.  Sommer 
1880.  Berlin:  Scherer,  über  Goethe's  Leben  und  Schriften, 
r775— 1832  (3  Std.,  priv.);  Breslau:  Bobertag,  über  Ursprung 
und  Entwicklung  der  Faustsage  (2  St.  off.):  Kiel:  Klaus  Groth, 
über  Goethe  und  seine  Zeit  (off.) ;  Leipzig:  Creizenach,  über 
Goethe's  Faust  (öff.) ;  Marburg :  Koch ,  ausgewählte  Jugend- 
gedichte Goethe's  (i  St.  öff.);  München:  Bernays,  Schillers 
und  Goethe's  Zusammenwirken  1794 — 1805  (4  St.  priv.) ; 
Tübingen :  Köstlin,  Goethe's  Faust  i .  und  a.Thell  nebst  Einleitung 
in  die  Faustsage  und  Faustliteratur  (3  St.  priv.);  Würzburg: 
Seuffert,  deutsche  Literatur  von  Goethe's  Jugend  bis  Schillers 
Tod  (4  St.  priv.);  Basel:  St.  Born,  Goethe  und  Schiller,  ihr 
Leben  und  ihre  Werke  (2  St.  öff.);  Zürich:  Honegger,  deutsche 
Literatur  in  der  classischen  Periode,  Goethe -Schiller- Zeit 
(3  St.  priv.);  Prag:  Lambel,  Erklärung  ausgewählter  Dichtungen 
Goethe's  (2  St.). 

Winter  1880/81.  Berlin:  Scherer,  Geschichte  der  deutschen 
Dichtung  von  Schillers  Tod  bis  zu  Goethe's  Tod  (3  St.  priv.) ; 
Bonn  :  Birlinger,  Goethe's  Faust  (2  St.  öff.) ;  Göttingen :  Goe- 
deke,  über  (ioethe's  Leben  und  Schriften  (i  St.  öff.);  Jena: 
Boehtlingk ,  über  Goethe's  Leben  und  Schriften  (2  St.  priv.) ; 
Lei])/.ig:  Hildebrand,  Goethe's  Lieder  und  (Gedichte  erklärt, 
zugleich  als  Einführung  in  das  tiefere  Verständniss  des  Dichters 
überhaupt  (3  Std.  priv.) ;  Arndt ,  Goethe's  Leben  und  Werke 
1.  Abschn.,  die  Jugendzeit  (i  St.  öff.);  Creizenach,  Uebungen 
der  lit.-hist.  Gesellschaft:  Interpretation  des  2.  Theils  des  Faust 
(öff.);  München:  Carriere,  Goethe's  Faust  (i  St.  öff.);  Bernays, 
Gesch.  der  deutsch.  Lit.  von  Schillers  Tod  bis  Goethe's  Tod 
(4  St.  priv.);  Basel:  St.  Born,  Gesch.  der  neuern  deutschen 
Lit.,  Goethe  und  Schiller,  die  Periode  des  klassischen  Idealis- 
mus  (2  St.  öff.):    Dorpat:    Masing ,    über   Goethe's  Gedichte. 


Bibliographie. 


I.  Schriften. 


A.    Ungrdrucktes. 


I.    GEDICHTE. 

Zum  Acht  und  Zwanzigsten  August  1880.  Erster  Druck  einer 
gereimten  Epistel  Goethe's.  Berlin  1880.  Druck  von 
G.  Bernstein.    4  unpagg.  SS.  (G.  v.  Loeper.  Vgl.  oben 

S.  225  fg.) 

G.  Weisstein.  Goethe-Findlinge.  Berliner  Tageblatt.  29.  Aug. 
1880.     Erstes  Beiblatt. 

Theilt  folgende  Ins(  hrift  mit,  die  Goethe  an  ein   Fenster 
in  dem   W'erther-Hause  in   Wetzlar  geschrieben  haben  soll  : 

L"amour  et  la  mort  sont  deux  canailles ; 
L'un  gäte  les  coeurs  et  l'autre  les  entrailles 

ferner  aus  dem  Notizbuch  der  schlesischen  Reise  (1790. 
Hirzels  Bil)liothek)  die  älteren  Fassungen  der  Venediger 
Epigramme  55  und  57,  die  sich  deutlicher  als  die  späteren 
Abdrücke  auf  I,avater  beziehen:  endlich  die  gleichfalls  auf 
Lavater  bezüglichen  oben  S.  231  von  Loeper  wiederholten 
4  Verse:  »Guten         ein  Thor«. 


BiBLIOGRAPHIL. 


1.   p. Rinri-. 

I.      S(  hriftcn.    in   denen   die   Briefe  entlialten   sind.' 

■'  Härtung  =  Einige  Briete  von  Goethe.  Mit  einer  Musik- 
Beilage  von  Corona  Srhröter.  Manuscript  für  Hrn. 
Professor  Lobe  zum  30.  Mai  1S79.  15  pixgg.  und  3 
unpagg.  SS.  Leipzig.  Druck  von  Hundertstund  und 
Pries. 

Die  Vorrede  (unterzeichnet  H.  Hartung)gibt  l-5iograi)hisclies 
über  Lobe,  den  Musiker,  der  in  (ioethe's  Hause  und  im  Theater 
musikahsch  thätig  war.  Enthält  7  Cioethe-Briefe,  von  denen 
2  .  nämlich  an  Kirms  4.  März  1799,  an  J.  E.  Müller  7.  Mai  1810, 
bereits  gedruckt  waren  und  Corona's  Composition  vom  ersten 
Verse  des  Erlkönigs,  sowie  den  dazu  gehörigen  Theaterzettel 
(1782J. 

*  Weissstein  =  Zu  Goethe's  hundertunddreissigstem  Geburtstag 
(28.  Aug.  1879)  in:  Neues  Tagblatt,  Stuttgart  29.  Aug.  1879, 
S.  3.  4- 
Notizen  über  CJoethe's  W'rhältniss  zu  Stuttgart  und  Stutt- 
gartern,  besonders  zum  Hofbaumeister  Nik.  Fr.  Thouret.     Ein 
Briefchen  an  ihn,  30.  Jan.  1800  wiederholt,  ein  anderes,  auf 
den  Umbau   des  Weimar'schen    Residenz-Schlosses   bezüglich, 
vgl.   unten.    16.  Juni    1800,  zum  ersten  Male  gedruckt. 

Deutsche  Revue  =  Zwei  ungedruckte  Briefe  Goethe's,  mit- 
getheilt  von  Prof.  Eritz  Schultze  in  Dresden.  Deutsche 
Revue  IV.,  H.   11,  S.  207  —  209. 

Arndt  =  Zu  Goethe's  Geburtstag  1880.  Sonderabdruck  aus 
den  Grenzboten  16  SS.  8°. 

Enthält  12  Goethe-Briefe  von  1780— 1829,  theils  aus  der 
HirzeKschen  Goethe-Bibliothek,    theils  aus  Privatsammlungen. 

W".  v.  Biedermann  =  W'issensch.  r)eil.  der  Leipziger  Zeitung 
Nr.   76. 

Biedermann  IL  =  \\  issensch.  Beil.  zur  Leipziger  Zeitung 
Nr.  104,   105,  25.   und  30.  Dez. 


'  Das  *  vor   einem    in    der  ßibliograpliic   angeführten   Werke  be- 
deutet, dass  es  schon  im  Jaiir  1879  erschienen  ist. 


478  Bibliographie. 


Eggers  =  Briefe  von  Goethe  an  Rauch,  mitgetheilt  von  Dr. 
Karl  Eggers.  Mit  einem  Lichtdruck.  In:  Zeitschrift 
für  bildende  Kunst.  Leipzig,  E.  A  Seemann  1880. 
Bd.    15,  S.  360—364.  392-400. 

Enthält  18  Briefe  Goethe's,  mit  erläuternden  Bemerkungen 
des  Herausgebers.  Der  Lichtdruck  gibt  die  Medaille  auf  K. 
August  zum  5ojähr.  Regierungs-Jubiläum  und  die  Medaille 
auf  Goethe  zum  7.  Nov.  1825.  Am  Schluss  (S.  400)  Gruppe 
vom  Goethe-Denkmal  in  Berlin.  —  Erschien  auch  in  einem 
Separat- Abdruck  bei  demselben  Verleger:  15  SS.  in  4^^;  ohne 
die  Abbildungen. 


IL     R  e  g  e  s  t  e  n. 
(An  Lavater.  IVeimar  28.  August  lySo.) 

»Der  Rath  Bertuch«  werde  an  L.  wegen  der  von  ihm 
gewünschten  tausend  Thaler  schreiben.  Die  überschöne  Bran- 
coni  sei  in  W.  gewesen. 

Arndt  S.   2. 

(An  Prinz  Atigust  von  Gotha.  IVeimar  2.  April  17 81.) 

»E.  D.  dancke  auf  das  lebhafteste«,  sendet  eine  zu 
übersetzende  Schrift,  ferner  seine  Büste,  endlich  die  Vögel. 
»Es  ist  freylich  nur  der  erste  Ackt,  und  die  übrigen  sind 
noch  in  Petto ,  vielleicht  lockt  die  nächste  Jahrszeit  des 
Gefieders,  auch  diese  merkwürdigen  Geschichten  hervor«. 

Arndt  S.   3. 

(An  Prinz  August  von  Gotha.         Weimar  ly.  Sept.  17 81.) 

»E.  D.  nochmals  meine  Freude  über  die  glückliche  Be- 
gegnung in  Erfurt  zu  versichern«.  Sendet  »Wilhelm  Meisters 
theatralische  Sendung  I.  Th.  i.  Buchs«  und  Bruchstücke  aus 
den  Briefen  von  der  Schweizerreise  1779.  Hat  dem  Grafen 
Schuwalow  in  Weimar  zum  Geleitsmann  gedient 

Arndt  S.  3.  4. 

(An  Michael  Saloni.  IKeiniar  20.  Februar  1782.) 

»Auf  Ihr  gefälliges  Schreiben,  dem  Sie  eine  Probe  der 
Übersetzung  meines  Werthers  bey fügten«.  Lobt  dieselbe, 
wünscht  sie  durchzugehn  und  seine  Bemerkungen  darüber  zu 


Bibliographie.  479 


machen.     Will    sich    dazu    der  Hilfe  eines  Weimar'schen  Ge- 
lehrten bedienen,    der   lange   in  Italien    gewesen.     Ermuntert 
zur  Fortsetzung  der  Uebersetzung. 
Arndt  S.   5.   6. 

(An  Gosche fi.  Rom  20.  Februar  i~8j.) 

»Die  vier  ersten  Bände  sind  nun  bey  Ihnen  und  ich  wünsche 
zu  dem  Unternehmen  Glück«.  Ist  mit  den  folgenden  Bänden 
beschäftigt,  arbeitet  an  Tasso,  später  Egmont.  hofft  Michaelis 
2  Bände  zu  liefern,  sendet  durch  Herder  eine  Nachricht  fürs 
Publikum.  »Meine  Reise  giebt  mir  neuen  u  wenn  ich  mein 
Leben  u  meine  Lebensart  betrachte  unendlichen  Stoff,  mit 
dessen  Verarbeitung  ich  auch  nicht  säumen  werde.  So  scheint 
es  mir  gleich  jetzt  dass  wir  statt  8  Bänden  10  haben  werden«. 
Bestimmung  über  die  ihm  zukommenden  Exemplare  und 
über  60  Thlr..  die  ihm  Plessing  in  Wernigerode  zurückzu- 
zahlen habe. 

Arndt  S.  6.  7. 

(An  Kirms.  Weiinar  i.  oder  2.  Dezember  ijgj.) 

»Herr  Hofrath  Schiller  wird  das  Stück  nächstens  schicken. 
Herrn  v.  Einsiedel  könnte  man  antworten,  dass  man  nicht 
abgeneigt  sey,  das  Stück  für  den  nächsten  Winter  zu  acquiriren. 
nur  wünsche  man  vorher  das  Personal  mit  Bemerkung  der 
Stimmen  zu  erhalten ,  um  die  Besetzung  für  das  hiesige 
Theater  beurtheilen  zu  können«. 

Härtung  S.   7. 

(An  Kirms.  Jena  26.  N^ovcmber  ijgg.) 

»Haben  Ew.  ^^■ohlgeb.  die  Gefälligkeit«.  Abweisung 
einer  Schauspielerin.  »Herr  Hofrath  Schiller  wird  seine  am 
Körper  zwar  leidlich  gesunde,  doch  am  Gemüth  noch  kranke 
Gattin  bald  nach  Weimar  schicken ;  ich  denke  ihm  bey  seinem 
Demenagemcnt  noch  beyzustehn  und  ihn  alsdann  nach 
Weimar  zu  begleiten«. 

Härtung  S.  8. 

(An  Kirms.  Weimar  20.  April  1800.) 

»Ich  sende  vorläufig  das  Concept  eines  Briefes«  an  den 
Sänger  Hassloch,  das  vielleicht  noch  geändert  werden  kann. 
Komiker  Beck  sei  abzuweisen. 

Härtung  S.   9. 


480  Bibliographie. 


(An  Kinns.  Weimar  12.  Dezember  ijpp.) 

»Der  Verfasser  der  ,Ortavia«  verzeihe"  (nämlich  Kotze- 
bue)  die  verzögerte  Rücksendung.  Sie  habe  ihren  Grund 
darin,  dass  man  die  Frage  entscheiden  musste,  ob  die  poeti- 
schen und  rednerischen  Verdienste  des  Trauerspiels  den  Mangel 
dramatischer  Eigenschaften  überragen  [so  muss  es  wohl  statt 
»übertragen«  heissen]  könnten«. 

Biedermann  II..  S.   622. 

(An  Thoiiret.  Weimar  16.  Juni  1800.) 

»Da  mit  jedem  Tage  das  Bedürfniss  neuer  Zeichnungen 
dringender  wird,  indem  die  Arbeiten  der  Quadratoren  und 
Stukatoren  nach  und  nach  zu  Ende  geht ;  so  habe  ich  durch 
gegenwärtiges  anfragen  sollen  :  ob  Sie,  werthester  Herr  Hof- 
baumeister, uns  nicht  bald  einige  ausgearbeitete  Zeichnungen 
überschicken  könnten?  |  Auf  alle  Fälle  ersuche  ich  Sie  um 
die  Gefälligkeit  mir  baldmöglichst  zu  schreiben,  was  wir  er- 
warten dürfen,  damit  ich  Durchl.  dem  Herzog,  der  mich 
selbst,  durch  wiederholte  Nachfragen,  zu  dem  gegenwärtigen 
Briefe  veranlasst,  davon  aufs  baldigste  Relation  thun  könne. 
Ich  hoffe,  dass  Sie  sich  recht  wohl  befinden  und  empfehle 
mich  zu  geneigtem  Andenken». 

Weissstein  S.  4. 

(An  Henriette  v.  Egio ff  stein.     Weimar  10.  November  1801 .) 

»Meine  Ankunft  zu  notifiziren«,  die  liebe  Gesellschaft 
finde  morgen  Abend  alles  bereit. 

Biedermann  IL,  S.  630. 

{An  Kirms.  lieimar  28.  Februar  1802.) 

»Es  thut  mir  leid,  dass  ich  in  der  Angelegenheit  der 
»Kleinstädter«  nicht  von  der  Meinung  des  Verfassers  sein 
kann«.  Die  Regieen  hätten  sich  das  Recht  des  »Streichens« 
angemasst,  den  Autoren  das  Ausfüllen  der  Lücken  überlassend, 
er  könne  von  jener  ersten  Redaction  »um  so  weniger  abgehen, 
als  ich  mir  fest  vorgenommen  habe,  auf  dem  Weimarischen 
Theater  künftighin  nichts  mehr  aussprechen  zu  lassen,  was 
im  Guten  oder  Bösen  einen  persönlichen  Bezug  hat,  noch 
auf  neuere  Literatur  hinweist,  umsomehr  da  hier  auch  nur 
meistens  persönliche  Verhältnisse  berührt  werden«.     Die  von 


BlBLlOGKAPHIt.  481 


K..  gerügte   Stelle    in    den   »Theatralischen  Abenteuern«,  (ko- 
mische Oper  von   Vulpius)  werde  er  glei(  hlalls  streichen. 
Biedermann   II..  S.   623. 

(A//  Kir/Jis.  fciui  y.  May  1802.) 

»Inliegendes  war  schon  gestern  zugesiegelt«.  (Geschäft- 
liches über  Tanzstunden,  Zimmermann,  IJacker.  »Lassen  Sie 
Mme.  Vohs  weiss  gehen  wie  sie  will.  Diese  (>es])ensternarr- 
heit  ist  einmal  den  Weibern  imserer  Zeit  nic.ht  aus  dem  Sinn 
/u  bringen.  Suchen  Sie  nur  das  übrige,  nach  der  Angabe  de> 
Professor  Meyer,  einzurichten,  besonders  dass  keine  Seide  in 
dem  Stück  ersclieine«.  Möge  das  zu  lJesi)rechende  ])unki\veise 
aufzeichnen. 

Härtung  S.    10. 

{An  Eiclistädt .  Weimar  8.  September  JSoj.) 

»E.  \V.  kann  heute  nur  mit  wenigen  Worten  versichern. 
dass  ich  mich  des  Geschäffts  die  allgemeine  J.itteraturzeitung 
betr.  mit  Eifer  annehme  und  den  besten  Erfolg  hoffe«.  Die 
übrigen  Akademika  sollen  (leli.  Rath  X'nigt  dircd  mitge- 
theilt  werden. 

Arndt   S.   8. 

{An  Friedrieh  Vogt.  Weimar  20.  Dezember  j8o6.) 

»Es  wird  Fürstl.Commission«  :  möge  Hn.  Meunier  i)ri\'atim 
antworten.  »Wenn  Sie  bey  Entfaltung  des  Typus  alle  Bücher 
bey  Seite  legen  und  sich  blos  an  die  Natur  halten,  so  werden 
Sie  gewiss  Alles  durchdringen.  Zu  dem  Gedanken  das  os 
temporvnii  mit  der  scapula  zu  vergleichen  gratulir  ich.  Die 
basis  cranii  werden  Sie  gewiss  auch  bald  entwickelt  haben, 
wie  ich  denn  auch  besonders  das  os  ethmoideum,  das  Sieb- 
chen selbst,  die  conchas  und  den  vomer  empfehle,  an  welchem 
die  Gnmdgestalt  sich  am  wimderbarsten  aufschliesst ,  dem 
Auge  ganz  verschwindet  und  nur  vom  (leiste  verfolgt  werden 
kann«.     Grüsst  Knebel  und  Frau. 

Deutsche  Revue.    S.  209. 

{An  Luden.  Weimar  18.  Oktober  j8oj.) 

»E.  W.  sagen  vielen  Dank  für  die  übersendeten  Bände«. 
(»Kleine  Aufsätze  geschichtlichen  Inhalts«.)      Theilnahme  an 

Goethe- ).^HKBLCH  11.  5I 


482  Bibliographie. 


seinem  unglücklichen  Schicksal.  (vgl.  oben  S.  261.)  Kitte, 
unangemeldet  mit  der  Frau  zu  Tisch  zu  k(jmmen.  l'eber 
die  Biographie  des  Herzogs  Bernhard. 

.\rndt  S.   8.   9. 

(An  Zelter.  Weimar  J4.  März  iSii.) 

»Der  Stier  ist  ausgepackt  und  steht  vor  unsern  .\ugen 
da«.  JJankt  Hn.  Friedländer  für  denselben,  will  etwas  Anders 
zum  Tausch  schicken,  maclit  einige  Bemerkungen  über  das 
Kunstwerk  und  will  die  Weimarischen  Kunstfreunde  zu  einer 
umständlichen  Recension  veranlassen.  »Nächstens  mehr,  mein 
Kunst-  und  Leidensbruder.  Das  Rechte  will  die  ganze  Welt, 
aber  mit  Pfuschen  soll   es  erreicht  werden«. 

Arndt  S.   9,    lo. 

{An  Sehlichtegroll.  Weij/uir  j/ .  Ja/iiiar  1S12.} 

»E.  W .  freundliches  Schreiben  \'om  15.  Nov.«  ist  noch 
unbeantwortet ,  sendet  einige  erbetene  Inschriften  für  ein 
Gartenhaus ,  es  gehöre  angebornes  Talent  dazu  ,  neue  zu 
finden  »in  welchem  Fall  Hr.  von  Birkenstock  war,  der  gleich- 
sam im  Lapidarstyl  dachte«.  Grüsst  den  Freund  F.  H.  Jacobi, 
über  dessen  Werk:  »Von  den  göttlichen  Dingen  und  ihrer 
Offenbarung«  er  seinen  Widerspruch  nicht  zurückhält.  Erbittet 
Schwefelabgüsse  von  Münzen  aus  der  Münchener  Sammlung, 
besonders  aus  der  Zeit  zwischen  Phidias  und  Lysippus.  Rühmt 
die  Musiker  K.  M.  v.  \\'eber  und  Bärmann.  Bittet  um  Be- 
reicherung seiner  Autographensammlung  durch  Handschriften 
von  Baiern.  »Sollte  nicht  von  dem  wackern  Aventin  eine 
Zelle  vorhanden  seyn?« 

Arndt  S.   10 — 12. 

{An':'  Weimar  2j.  April  1814.) 

»E.  W.  geben  mir  durch  Ihren  freundlichen  Brief«.  Dank 
für  seine  Zeitschrift.  Ihm  fehle  das  12.  Stück  des  vorigen 
Jahres.  Lobt  die  Register.  Bespricht  einzelne  .\rbeiten, 
freut  sich  seiner  Uebereinstimmung  mit  »imserm  vortrefflichen 
Kant«,  stellt  seine  Mitarbeiterschaft  nicht  in  sichere  Aussicht, 
hofft  aber  durch  Seebeck  und  Döbereiner  in  nähere  Ver- 
bindung mit  dem  Adressaten   zu  kommen. 

R.    Ho\l)ergcr   im    Archiv   f.    Literaturgesch.  IX..  334.  335- 


Bibliographie.  \S^ 


(All  Sc/i/ic/i/t\i:;ro//.  W't'i/iiiir  24.  Jiily  1^14.1 

»F.  \\  .  tVeundlii  hc  Ziis(  luift  sowohl  als  der  heygeschlossene 
Briet  einer  verdienstvollen  Künstlerin  hat  bey  mir  man<he 
bedauerliche  Betrat  htung  rege  gemat  ht.«  JJedauert  sie  nicht 
am  Theater  anstellen  zu  können.  Ist  im  Begriff  nach  Frank- 
fiM't  und  \N'iesbaden  zu  reisen.  Freund  Meyer  ist  entzückt 
von   seinem    Münchener   Aufenthalt. 

Arndt  S.    13.    14. 

{An  Kinns.  Wr/n/ar  S\  Mnrz  iSiß.) 

»Möchten  F.  W  .  lleikonnnendes  .  .  an  II.  I)un<  ker  ab- 
gehen lassen«.  (Fpimenides  Frw  achen)  .  .  »hh  habe,  was  er 
wünscht,  zum  Manuscript  hinzugefügt,  und  schick  es  ihm  zurück 
mit  der  Zusage  seines  Verlag-Rechts  bis  Michael  dieses  Jahrs«. 
\\"ünscht  von  1).  baldigst  eine  .Mischrift  der  l'artitur  für  Weimar. 

Härtung  S.    11. 

{An  JSochdcn.  U'cinuir  ^.  A/nr:  j.S'jj.) 

»E.  \V.  empfangen  geneigtest  die  Erwiederung«.  Dankt 
für  die  Mittheilungen  über  den  Triumphzug  des  Mantegna. 
die  in  K.  u.  Alt.  verwerthet  werden  sollen,  fragt  an  i.  wie  die 
Bilder  nach  England  gekommen  sind,  2.  ob  sich  auf  dem  Bilde 
das  Aufstreben  eines  Knaben,  der  sich  verletzt  hat,  zur  Mutter 
erkennen  lässt,  3.  ob  das  Wickelkind  dieser  Frau  oder  der 
dahinterstehenden.  Frau  angehört. 

Im  neuen  Reich   Nr.   40.   S.   508.   509. 

(An  Rauch.  ll'einiar  26.  Juni  1824.) 

»Man  wünsi  Iit  das  Bevorstehende«.  Bestimmungen  über 
die  Medaille  für  den  Grossherzog  :  ^'eral)redungen  werden 
verlangt  mit    dem  Bildhauer  Tiek  und   dem  Medailleur  Brand. 

Eggers  S.  361,  362. 

(An  Rauch.  Weimar  2j.  August  JS24.) 

»In  Erinnerung  so  mam  her  angenehmen  Stunde«.  Dankt 
für  das  5.  Heft  der  SchinkePschen  Sammlungen  und  das 
Blücher'sche  Modell,  sendet  die  Festgedichte  von  1819  und 
einen  Abdruck  der  Taufschale,     (hüsst  die  Tochter. 

Eggers  S.  362. 


484  Bibliographie. 


(A/f  Weiler.  Weimar  21.  März  1825.) 

»Mögen  Sie,  mein  Wcrthester«.  Bitte.  Prof.  (jöttling  zu 
ermahnen,  da  Osann  verreist  sei,  seine  Meinung  über  eine 
für  ein  architektonisches  liilcl  bestimmte  lateinische  Inschrift 
zu  sagen,     (iruss  an  Knebel. 

Biedermann  S.   450. 

{Au  RaucJi.  ]]'ci)iidr  20.  Juni  182 j.i 

»Geneigtest  zu  gedenken«.  Genehmigt  den  Vorschlag 
der  Berliner,  »das  aus  den  Wellen  hervorsteigende  Vierge- 
spann auf  die  Rückseite  der  Medaille  zu  bringen«,  wünscht 
die  Figuren  des  Ihierkreises  beizubehalten  ,  bewilligt  das 
Honorar,  von  100  Dukaten.  Bemerkung  über  Farbe  und  Preis 
der  einzelnen  (Silber-Bronze)  Medaillen. 

Eggers  S.  362,  363. 

(All  Raiicii.  Weimar  2J .  Aitgiisf  iS2^.) 

»E.  W.  darf  die  glückliche  Ankunft  der  Medaillen  nicht 
unangezeigt  lassen,  so  wenig  als  den  Ausdruck  der  Freude 
verschweigen,  welche  das  so  wohl  gerathene  Kunstwerk  vor- 
erst im  Innern  des  Vereins  erregt  hat«  ,  dankt  ihm,  Brandt 
imd  Tiek.  Wünscht  Glück  zu  dem  entstehenden  Verein  der 
Kunstfreunde  im  preussischen  Staate.  Bittet  ihn,  bei  einer 
Reise,  sollte,  wie  es  scheint,  die  Statue  für  Frankfurt  ernstlich 
\  erlangt  werden,  mit  der  Tochter  8  Tage  in  Weimar  zu  ver- 
weilen und  von  der  für  ihn  xorhandenen  Liebe  und  Aner- 
kennung sich  zu  überzeugen. 

Eggers  S.  363. 

{An  Frau  von  Lcvetzou'.  Jl'rin/ar  Ol^tobcr  182 j.) 

»Mit  vieler  Freude  erhalte  ich«  ihren  Brief,  der  ihre 
(ienesung  mittheilt,  wünscht  Glück  dazu,  freut  sich  über  das 
»holde  Geschick  Amaliens«.  »In  Gedanken  spazierte  gar  oft 
mit  unserer  lieben  Aeltesten  auf  der  Terrasse  hin  und  wieder«. 
Musste  wegen  des  Jubelfestes  in  Weimar  bleiben  und  wird 
das  erste  Exemplar  der  gesammelten  Gedichte  der  Freundin 
seiiden,  erinnert  sich  mit  Freude  der  früher  gemeinsam  ver- 
brachten Tage. 

Arndt   S.    14.    15. 


BiBLIÜGKAPHlt.  48; 


(Äff  Rektor  der  UtfiTersität  Jetfa.       U'eiffiar  6.  Dez.  iSj^.t 

»E.  \\  .  danke  /.iivorderst  für  den  mir  neuerlicli  cr/.cij^acn 
])ersönlichen  Anthcil  an  dem  ehrenvollen  Feste«  (vom  7.  No\.). 
dankt  für  das  ('redicht  und  bittet  die  »beyliet^enden  Schreiben« 
den  einzelnen  Fakultäten  zu  ül)erreichen. 

Deutsche    Re\'iie  S.    20g. 

{All  Kiiiii/i.  ll'iiiiiar  j6.  Dcziiiibtf  iS2j.) 

wE.  \\  .  liebwerthe  Schriftzüge  (Brief  Rauchs  vom  30.  Nov.: 
nach  dem  Concept  abgedruckt:  Eggers  S.  363,  364)  nach  so 
geraumer  Zeit  wieder  zu  erblicken,  war  mir  höchst  angenehm«. 
Hat  Rauchs  Bemerkungen  zur  Goethe-Medaille  der  damit 
beauftragten  ("ommission  mitgetheilt,  freut  sich  des  Rauch 
\  on  Hrn.  v.  Bethmann  ertheilten  Auftrags,  eine  Goethe-Statue 
für  Frankfurt  herzustellen,  wünscht  ihn  aber  wegen  derselben 
nochmals  zu  sprechen.  Freut  sich  Rauchs  grosser  Thätigkeil : 
»der  Waisenvater  Franke  und  der  A^ölkervater  Maximilian 
erscheinen  durch  Sie  auf  gleiche  U'eise  der  Nachwelt  em])fohlen«. 
Grüsst  Tiek.  »Sollte  der  neu  angekommene  Ajjollo  Kopf 
geformt  werden  so  gedenken  Sie  mein.  Es  ist  mir  allzu- 
wohlthätig,  wenn  ich  mich  von  Zeit  zu  Zeit  wieder  aufgefrischt 
fühle  und  ich  veranlasst  bin,  ein  höheres  Bedürfniss  in  dem 
.\ugenblick,  da  es  befriedigt  wird,   in  mir  hervorzurufen«. 

Eggers  S.   364. 

(A/i  Rauch.  Weimar  3.  No7'e)nhcr  1826.) 

»E.  \< .  bin  in  dem  Lauf  der  letzten  Monate«.  Dank 
für  die  Medaille:  es  »sey  mir  erlaubt,  eine  allgemeine  Re- 
flexion hier  beyzufügen :  dass  man  in  einem  langen  Leben 
durch  manche  Schicksale  geprüft  sein  muss,  um  von  einer 
solchen  Gabe  sich  nicht  erdrückt  zu  fühlen«.  Dankt  Hrn. 
Brand,  grüsst  Tiek  und  Schinkel  und  l)ittet  um  des  Letztern 
architektonische  Entwürfe.  Heft   1. 

Eggers  S.   392. 

(All  Rauch.  Jl'e/u/ar  2J.  März  /82y.) 

»E.  W .  nehmen  Überbringerin«  Frl.  Facius.  die  mit 
Medailleur  Posch  nach  Berlin  gehe,  freundlich  auf.  Versicherung 
der  Theilnahme  an   »Ihren  herrlichen   Werken«. 

Eggers  S.  392. 


4^6  BlBLIÜGKAl^HIH. 


(An  Rauch.  IVc/iiiar  i8.  Sept einher  182J.) 

»E.  \\'.  (Geneigtheit  gegen  die  hübsche  kunstreiche  Facius 
ihut  sich  sehr  klar  aus  der  eingesendeten  Büste  hervor«. 
Dankt  für  die  Unterstützung,  empfiehlt  den  Sohn  des  Dr. 
N.  Meyer  in  Minden,  der  eigens  zu  Rauch  lun  h  Berlin  ge- 
schickt werde,  dankt  für  Begas'  höchst  gelungenes  Porträt 
Zelters,  rühmt  Zahn  und  Cassel,  der  ihn  eben  verlasse,  um 
nach   Kerlin  zu  gehn. 

Kggers  S.   393. 


{An  Raticli.  Weimar  21.  Oktober  182J.) 

»Dass  Sie,  theurer  verehrter  Mann,  im  Augenblick  eines 
herben  Schmerzes  Ihre  Gedanken  mir  zuwenden  und  mit  mir  sich 
unterhaltend,  einige  Erleichterung  fühlen,  dies  gibt  die  schönste 
Ueberzeugung  eines  innig  geneigten  Wohlwollens,  eines  zarten 
traulichen  Verhältnisses ,  wie  ich  von  je  auch  gegen  Sie 
empfinde«.  Trostreiche  Ermahnungen,  nur  in  der  Thätigkeit 
sei  ein  Mittel  zu  finden,  um  im  Gleichgewicht  zu  bleiben : 
Hinweis  auf  eigne  ähnliche  Erfahrungen.  »Viele  Leidende 
sind  vor  mir  hingegangen,  mir  ah.er  war  die  Pflicht  auferlegt 
auszudauern  und  eine  Folge  von  Freude  und  Schmerz  zu 
ertragen.  wo\on  das  Einzelne  wohl  schon  hätte  tödtlich  sein 
können«. 

Eggers  S.   393.   394. 

{An  Rauch.  Ilein/ar  3.  Noi'cuiber  182J.} 

»Lassen  Sie  mich  nun,  theuerster  Mann,  von  Künstlern 
imd  Kunstangelegenheiten  das  Weitere  verhandeln«,  ^^'ieder- 
holte  Empfehlung  des  Frl.  Facius  und  des  jungen  Meyer ; 
wünscht  von  den  U'erken  der  HH.  Brand  und  Tiek  Kenntniss 
zu  nehmen;  würde  sich  freuen,  wenn  das  Denkmal  in  Frank- 
furt, trotz  des  Todes  des  Hrn.  v.  Bethmann,  zu  Stande  komme; 
kennt  die  Bestrebungen  des  Hrn.  Beuth ;  würde  gern  von 
Rauch  den  von  Hn.  Kohlrausch  gezeigten  Kopf  des  Antinous 
von  Mondragone  besitzen;  fragt  an,  ob  nicht  ein  Abguss  eines 
Theils  der  Rauch"schen  Basreliefs  am  fJlücher'schen  Monument 
zu  erlangen  sei.  Schickt  den  Fhief  durch  .\lfr.  Xicolo\ius. 
(iruss  an  die  Tochter. 

Eggers  S.  394,  395. 


Bibliographie.  487 


(A/i  Rauch.  IVei/nar  11.  März  182S.) 

))E.  \\'.  nach  Ihrer  Rückkehr  nach  IJcrhn  rrcundiichsi 
begrüssend«  hat  das  Trauerspiel  von  Beer  bekommen  und 
Holtei,  der  hier  allgemein  erwünschten  Beitall  finde,  übergeben. 
Dankt  Rauch  für  die  (Blücher'schen)  Reliefs  und  Tiek  für 
eine  Statue ,  möchte  Nachrichten  über  das  von  Rauch  in 
München  und  Nürnberg  Veranstaltete  haben,  wünscht  Glück 
zur  Vollendung  des  2.  Bildes  der  Königin  Luise;  theilt  mit, 
dass  er  seine  vom  jungen  Meyer,  an  den  er  einen  Brief  bei- 
legt, gefertigte  Büste  bekommen,  wünscht  die  Skizze  zur  Hum- 
boldtischen Medaille  zu  erhalten  und  grüsst  die  Tochter. 

Eggers  S.  395.  396. 

(All  Rauch.  Weimar  2'j^.  März  1828.) 

»In  meinem  letzten  Schreiben  vom  n.  Märzcc.    Emjifiehlt 
Frl.   Fac:ius  zur  Aufnahme  ins  Rauc-h'sche  Atelier. 
Eggers  S.   396. 

(An  Rauch.  Weimar  2J .  April  1828.) 

»Bei  der  vor  einiger  Zeit  mir  gefällig  zugegangenen  höchst 
ehrenvollen  Einladung  empfand  ich  ein  innigstes  Bedauern,  dass 
meine  hohen  Jahre  mich  verhinderten,  derselben  Folge  zu 
leisten  und  an  einem  so  schönen  Feste  mich  theilnehmend 
einzustellen«.  Hätte  gern  die  alte  ehrwürdige  Stadt  (Nürnberg?) 
wieder  besucht  und  in  das  Hoch  auf  den  König,  »welchem 
ich  so  vielfach   dankbar  verpflic:htet  bincc  eingestimmt. 

Eggers  S.  396. 

(Au  Rauch.  Weimar  4.  November  1828.) 

»E.  W.  wieder  einmal  auf  das  freundlichste  zu  begrüssencc, 
wünscht  von  seiner  Juljiläumsmedaille  10  silberne  und  50 
bronzene  Exemplare ,  bittet  Hrn.  Brand ,  das  Verlangte  zu 
sc:hicken.  hatte  von  den  »zurückkehrenden  naturforschenden 
Freunden«   Erfreuliches  über  Rauch  geliört. 

Eggers  S.  397. 

{An  Rauch.  Weiuiar  /.  Dezemher  J828.) 

»E.  W.  habe  ui)ter  clem  4.  Nov.«,  erneuert  die  Bestellung, 
meldet,  »dass  die  Durchzeichnung  des  Peter  Fischers  in  .\rbeit 
sei«,  grüsst  ihn  und  die  Tochter. 

Eggers  S.   398. 


488  Bibliographie. 


(An  Rtxitch.  Weimar  R.  Dezember  1828.) 

»E.  W  .  übersende  die  gewünschte  Durrhzeichnung«,  er- 
wartet die  bestellten  Medaillen,  wünscht  eine  Nachbildung 
des  Tele])hiis  mit  der  Ziege  und  erbittet  Rauchs  und  der 
Tochter  Besuch  bei   ihrer  Durchreise  nach  München. 

Eggers  S.  398. 

(All  Rauch.  Weimar  24.  Mai  182g.) 

»Ungeduldig  über  mancherlei  Hindernisse«  wünscht  (ilück 
zur  Vermählung  von  Rauchs  Tochter,  dankt  Schinkel.  bittet 
um  vorherige  Anmeldung  seines  Besuches. 

Eggers  S.  398. 

{An  Weller.  IVeimar  12.  August  182g.) 

«Mögen  Sie  wohl,  mein  Verehrtester«  Prof.  (iöttling  zur 
Rücksendung  des  Manuscripts  ermahnen. 

Biedermann  S.   450. 

{All  Frau  v.  Levetzow.  Weimar  2.  Septemlier  i82(^.} 

»Es  ist  nun  jährig,  dass  Sie  als  theure  geprüfte  Freundin, 
mir  Ihren  Antheil  zu  erkennen  gaben  bei  dem  schweren 
Geschick  das  mich  betroffen,  denjenigen  vor  mir  hingehen 
zu  sehen,  dem  ich  dem  Laufe  der  Natur  und  meinen  AA'ünschen 
gemäss  in  jene  Gegenden  hätte  vorantreten  sollen«,  ^^'ünscht 
Glück  zu  der  Vermehrung  der  Familie,  sendet  Frl.  Ulrike 
den   »treulichsten  Gruss«. 

Arndt  S.    15,    16. 

(All  Kau  eil.  Weimar  20.  Februar  1832.) 

»Heute  ist  unsere  gute  Doris  Zelter  mit  der  kleinen 
Facius  abgereist«,  dankt  für  den  IJrief,  freut  sich  Rauch 
wieder  in  PJerlin  zu  wissen.  »Ich  lebe  dort  mehr  als  ich 
sagen  kann  und  vergegenwärtige  mir  möglichst  das  mannig- 
faltige Grosse,  was  für  die  Königsstadt,  für  Preussen  und  für 
den  ganzen  Umfang  der  Kunst  und  Technik,  der  \\'issenschaft 
und  der  Geschäftsordnung  geleistet  und  gegründet  wird«. 
Empfiehlt  nochmals  Frl.  Facius  und  spricht  ausführlich  über 
ein  von  ihr  in  Stein  zu  schneidendes  Bild.  \A'üns('ht,  dass 
Rauch   mit  Tiek  und   Beuth  sich   für  Errifhtung  eines  Instituts 


lilBLIOGRArilll  .  }S9 


für  plastische  Anatomie  interessirte,  das  er  »als  eine  Welt- 
angelegenheit« ansehe.  »Vers(h\\  eigen  kann  i<  h  jedoch  nicht, 
dass  ich  mir  manchmal  selbst  hiebey  wunderlich  \  orkomme. 
denn  ich  fintic  mi(  h  fast  /um  ersten  Male  auf  ])roi)agandisti- 
schcm  Wege.  Sonst  stellte  ich  meine  Überzeugungen  hin 
und  liess  sie  gewähren :  diessmal  mö.ht  ich  sie  lel)endig  durch- 
geführt sehen.  Es  scheint  das  Alter  wird  ungeduldig,  wo  die 
Jugend  langmüthig  war«.  Grüsst  Schinkel  und  sendet  Cou- 
drays  Grüsse  an  denselben. 

Eggers  S.   399.  400. 


H.     XEIE  AUSCiAllKN    DER   WERKE. 

lugendbriefe  Goethe"s.  Ausgewählt  und  erklän  \ on  Dr.  Wil- 
helm Eielit/.  Oberlehrer  am  Ciymnasium  zu  Wittenberg. 
Berlin.   Weidmann.      XII.   und  307   SS. 

\\'iederabdruck  von  204  Briefen,  vom  2^.  Mai  1764  an 
bis  3.  September  1783.  In  drei  Abtheilungen,  r.  Frankfurt. 
Leipzig,  Frankfurt,  Strassburg.  2.  Frankfurt.  Wetzlar,  Frankfurt. 
3.  Weimar.  Der  .\nhang  enthcält:  .Aus  Goethe's  Weimarer 
Tagebuch :  Personenverzeichniss.  Die  beiden  ersten  Abthei 
lungen  wiederholen  zumeist  das  im  »Jungen  Goethe«  mit- 
getheilte  Material,  vermehrt  mit  einigen  Briefen  an  Sophie 
La  Roche;  die  dritte  bringt  Briefe  an  Frau  v.  Stein,  an  Kraft. 
Johanna  Fahimer  u.  .\.  Die  Briefe  sind  durch  einen  bio- 
graphischen Text  mit  einander  verbunden ;  die  Anmerkungen 
enthalten  sachliche  (literar-historische  u.  s.  w.)  Erklärungen. 
Die  Briefe  sind  mit  wenigen  Ausnahmen  unverkürzt  mitgetheilt : 
Orthographie  und  Interpunktion  sind  vollkommen  modernisirt: 
nur  an  drei  Stellen  ist  der  Text  durch  Conjektur  geändert. 
Unter  den  neuen  Beiträgen  zur  Erklärung  sei  die  Notiz 
(S.  125)  hervorgeholten,  dass  Unterhaltungen  über  den  Selbst- 
mord (mit  Johanna  Fahimer)  vielleicht  anknüpften  an  gemein- 
same Lektüre  des  Vikars  of  Wakefield. 

(ioethe's  Briefe  an  die  (iräfin  Auguste  zu  Stolberg,  verwittwete 
Gräfin  von  Bernstorfif.  Zweite  Auflage,  mit  Einleitung 
und  Anmerkungen.  Leipzig.  F.  A.  Brockhaus  1881. 
XL  und   166  SS.     kl.  8°. 

Herausgeber    ist  W.  .\rndt  in   Leipzig.     \'on   ihm  rühren 
Vorwort.    Einleitung   und   die  Anmerkungen    S.   81-166    her. 


_j.t)0  BlHLlOGKAl'HIH. 


Die  Briefe  Goethe's,  zum  ersten  Male   1839  von  A.  v.  Binzer 

herausgegeben,  sind  mit  den  Originalen  collationirt ;  die  im 
Besitz  der  Uittwe  des  ersten  Herausgebers  durch  M.  Carriere, 
2  in  der  Sammlung  des  Freien  Deutschen  Hochstifts  durch 
\\'.  Oeizenach.  6  in  Leipzig  (Sammlung  von  R.  Brockhaus 
und  Hirzel'sche  Bibliothek).  Die  20  ersten  Briefe  vom 
26.  Januar  1775  bis  4.  März  1782:  IJrief  22  vom  17.  April 
1823  als  Antwort  auf  Augustens  Brief  vom  15.  Oktober  1822. 
Die  Einleitung  gibt  eine  Biographie  der  Adressatin  und  eine 
kurze  Charakteristik  der  Briefe.  Die  sehr  ausführlichen  An- 
merkungen geben  Erklärungen  im  Einzelnen,  chronologische 
Untersuchungen,  mancherlei  Vermuthungen,  z.  B.  dass  das 
Lied  (iretchens  »Meine  Ruh  ist  hin«  vor  dem  25.  März  1775 
gedichtet  und  an  Auguste  geschickt  sei;  der  Anhang  enthält 
einen  Brief  der  Auguste  an  Klopstock  und  Johanna  Elisabeth 
von  W'inthem  25.  A\m]  1776.   -   Die  Ausstattung  ist  sehr  zierlich. 

Die  Leiden  des  jungen  Werthers  von  J.  W.  Goethe.  Gedruckt 
in  der  \\'erkstatt  der  Heinzelmännchen,  getreu  nach 
der  ersten  Ausgabe  \on  1774.  München.  Adolf  Acker- 
mann.     224  SS.   des  kleinsten  Formats  (64°). 

Allerliebste  Spielerei,  nach  Art  des  vor  einigen  Jahren 
in  Italien  erschienenen  kleinen  Dante.  Dieselbe  Verlags- 
Handlung  hatte  das  Jahr  vorher  eine  ähnliche  Ausgabe  von 
Schillers  Räubern  herstellen  lassen.  Die  Herstellung  ist  eine 
photographische,  keine  typographische,  die  Buchstaben  sind  sehr 
klein,  trotzdem  ziemlich  scharf.  Auf  dem  Titelblatt,  am  An- 
fang der  Einleitung  und  der  Briefe ,  sowie  am  Schlüsse  sind 
die  kleinen  Vignetten  der  Original-Ausgabe  nachgebildet,  oben 
an  der  Seite  die  verzierten  Striche ,  unten  die  Paginirung 
\i  —  8  u.  s.  w.  und  die  Hinweisungen  auf  das  Anfangswort  der 
folgenden  Seite.  Schnitt  des  Buches,  die  roth  und  weiss 
gepressten  Decken  und  der  goldverzierte  Deckel  des  Einbandes 
sind  überaus   anmuthig   und  zierlicli. 

(loethe's  Hermann  und  Dorothea,  mit  8  Bildern  von  Arthur 
Freiherr  von  Ramberg,  nach  den  Original -Oelgemälden 
in  Lichtdruck  hergestellt  von  Friedrich  Bruckmann. 
Mit  Ornamentstücken  von  Adolf  S(-hill.  Neue  Ausgabe. 
Dritte  Auflage.  Berlin,  (i.  (bote'sche  Verlagshand- 
lung   1881.     kl.  fol.  67   SS. 

Die  neue  Ausgabe  wird  auch  als  Volksausgabe  bezeichnet 
und  empfiehlt  sich  durcli   ihre  herrliche  Ausstattung  und  ihren 


BlBLlOGRAI'Hlb.  491 


massigen  Preis.  Die  acht  genialen  Bilder  Rambergs,  deren 
photographische  Wiedergabe  gradezu  meisterhaft  ist,  erregen 
ausser  durch  iliren  unvergleichlichen  Kunstwerth  noch  durch 
den  Umstand  besonderes  Interesse,  dass  sie  in  den  Gestalten 
Hermanns  und  der  Mutter  (ioethe  und  P>au  Rath  re])räsentiren. 
Die  Bilder  stellen  dar:  1.  Die  beiden  Alten  unterm  Thorweg: 
2.  Der  Zug  der  Auswanderer:  3.  Hermann  und  die  'lö<  hier 
des  Nachbars:  4.  Hermann  und  die  Mutter  unterm  Hirnbaum ; 
5.  Dorothea  und  die  Wöchnerin:  6.  Hermann  und  Dorothea 
am  Brunnen:  7.  Heimkehr  beim  Anzüge  des  Gewitters;  8.  Die 
HeimÜihrung.  Die  Ausgabe  enthält  blos  den  Text,  ohne 
Einleitung  und   Anmerkungen. 

Hermann  und  Dorothea.  \'on  Goethe.  Leijizig.  (roldhausen's 
Verlag.      78  SS.    12°. 

Titel-Auflage  des  bereits  1878  in  der  »Cienossenschafts- 
Buchdruckerei«  erschienenen  Bändchens.  'I'ext-Abdruck  mit 
kurzer  Vorbemerkung  über  Entstehung  des  (iedichts.  Bildet 
das  3.  Bändchen  der  »Hausbibliothek.  Auslese  von  Werken 
der  bedeutendsten  Schriftsteller  des  In-   und  Auslandes«. 

Deutsche  Dichtung  im  Liede.  (Jedichte  literaturgeschichtlichen 
Inhalts,  gesammelt  und  mit  Anmerkungen  begleitet  von 
Dr.  J.  Imelmann  .  Prot".  Berlin.  Weidmann.  XXV.  und 
619  SS.   Lex.-8". 

(ioethe'sche  (iedichtc  sind  niitgetheilt  über  :  König  Rüther, 
Nibelungenlied.  Otnit  (Stellen  aus  dem  Ma-kenzug  18 10), 
Reineke  Fuchs.  Hans  Sachs  (2),  Geliert.  Klopstock.  Wieland 
(3).  Herder  (2),  Voss.  Bürger.  Schiller  (5).  Kotzebue :  über 
Goethe  zunächst  14  Gedichte  zur  Selbstcharakteristik,  sodann 
(iedichte  von  Beer.  Dingelstedt,  Geibel,  (deim.  (xrillparzer  (2), 
Grün.  Hebbel  (2),  Immermann  (2j,  Mörike,  Platen,  Rückert 
(8),  Schenkendorf,  Schiller.  Schlegel  (3),  Simrock,  1).  F.  Strauss, 
V.  Strauss,  Tieck,  Uhland  (3),  Wackernagel,  Zedlitz.  —  Die 
Gedichte  über  Goethe  S.  277  —  338;  Anmerkungen  dazu 
S.  604  —  606.  z.   B.  über  das  (iedicht   »Deutscher   Parnass«. 

*Altclassisches  Lesebuch.  Musterstüc:ke  aus  den  griechischen 
und  lateinischen  Classikern  in  deutscher  Uebersetzung 
von  Klopstock,  Lessing,  Wieland,  Herder,  Goethe, 
Schiller  u.  A.,  herausg.  von  Albert  Wittstock.  H  alle  a.  d.  S. 
Buchhandlung  des  ^^  aisenhauses  (1879).  VIII.  u.  696  SS. 


492  ßll',Ll(K;KAI'lllK. 


Enthält  von  Goethe  S.  32  :  Anakreon  an  die  Cicade 
(Werke.  Hempel  2,  462):  S.  132  — 141:  Euripides,  Phaeton, 
VcrsiK  h  einer  \\iederherstellung  aus  den  Bruchstücken;  S.  161 
l)is  164:  Euripides  Bachantinnen  (die  l)eiden  letzteren  Hem- 
])el   29.  S.   500-519). 

Eaust   und   I])hii,renie  s.  unten   Dramen  (Schröer,  Vockeradt). 

Museum.  Sammlung  literarischer  Meisterwerke.  Nr.  3.  8,  9, 
14.  Faust.  Eine  l'ragödie  von  Wolfgang  von  Goethe. 
Erster  Theil :  Hermann  und  Dorothea;  Iphigenie  auf 
Tauris ;  Tortjuato  Tasso.  In  neuer  Rechtschreibung. 
Billigste  Ausgabe  in  eleganter  Ausstattung.  Elberfeld. 
Eduard  Lolls  Nachfolger,  ^'erlagshandlung.  123,  56. 
60.    90  S.   gr.   8°. 

Zu  unglaul)lich  billigen  Preiseii  (Heft  20  bis  30  Pf.)  :  mit 
schönem  Druck  und  Papier.  Nr.  8,  9,  14  auch  cartonnirt 
u.  d.  T.  :  Schulausgabe,  sonst  ganz  in  derselben  Ausstattung 
zu  etwas  erhöhtem  Preise.  Die  Schulausgaben  etwas  verändert; 
H.  u.  D.  :  Euterpe  fehlen  z.  B.  nach  Cholevius'  Vorgang 
die  2  Verse:  Dass  Dir  werde  die  Nacht  bis:  freier  und  eigener 
werde. 

Faust.  Eine  Tragödie  von  Johann  Wolfgang  von  Goethe. 
Erster  Theil.  lUustrirt  in  50  Compositionen  von  Alexan- 
der Liezen  Mayer,  Direktor  der  kgl.  Kunstschule  in 
Stuttgart.  Mit  Ornamenten  von  Rudolf  Seitz.  Ausge- 
führt in  9  Radirungen  xon  W.  Hecht  und  ^^".  Kraus- 
kopf und  in  Holzschnitten  von  \N'.  Hechts  xylogr.  Anstalt. 
Gedruckt  bei  Gebrüder  Kröner  in  Stuttgart  auf  Papier 
der  G.  Schauffelen'schen  Fabrik  zu  Heilbronn.  München. 
Theodor  Stroefer's  Kunstverlag.      254  SS.   in   4'\ 

Ausser  den  im  Titel  genannten  Radirungen  enthält  das 
wundervolle  Prachtwerk  8  ganzseitige  und  33  mittelgrosse 
Holzschnitte  nebst  vielen  ornamentalen  Illustrationen.  Auch 
der  Tt\{  ist  reich  verziert.  Einstweilen  liegt  nur  der  erste 
Theil  vor  :  der  zweite  Theil.  von  Max  Klinger  illustrirt,  soll 
bis  Mai  1881  vollendet  sein.  Der  Text  ist  ohne  jede  Ein- 
leitung und  Bemerkung.  Die  Scenen  sind  nummerirt  (1—25); 
zur  Unterscheidung  der  einzelnen  sind  erklärende  \\'orte  in 
Klammern  beigefügt  z.  B.  Studirzimmer  (Beschwörung),  Studir- 
zimmer  (Bündniss)  u.   a. 


Mll«LIÜGK.\l-Hlt.  493 


Goethe  (iedenk-Hiuh.  Hie  hin  ich!  Dass  Freunde  seiner 
schonend  sich  erfreirn,  So  kann  ich  auch  nur  sagen : 
Nimm'  es  hin.  Tasso.  |  W'ilhchn  Fric<h-ich.  Leipzig. 
Universalbuchhandkmg.      277   SS.   in    \  2". 

In  Monate  und  Tage  getheiU.  jedem  M(jnat  ist  aul  einer 
hcsundern  Seite  ein  Goethe'st'her  Vers  vorangestellt,  tlem 
P^ebruar  z.  B.  :  Vom  Eise  befreit  sind  Strom  und  IJäche  (Faust) ; 
Oktober:  Beschränkt  der  Rand  des  Bechers  einen  Wein,  Der 
schäumend  wallt  und  brausend  überschwillt.  (Tasso.)  Jedes 
Blatt  ist  sodann  drei  Monatstagen  bestimmt  auf  der  linken 
Seite  drei  Stellen  Goethe's  (bei  Epen  und  I  )ramen  .uisser 
dem  Werke  auch  die  Person  genannt,  welche  jene  W  orte  zu 
sprechen  hat),  mit  Angabe  des  Stücks,  aus  welchem  die  Stelle 
entlehnt  ist.  Selten  fehlt  das  Citat  z.  B.  S.  184;  nicht  seilen  ist 
es  ungenügend  z.  B.  S.  244:  »Distichen«;  häufiger:  «Eigenes 
und  Angeeignetes«  statt  Sprüche  in  Prosa;  auf  der  rechten 
Seite  drei  leere  Abschnitte,  mit  den  Monatstagen  bezeichnet, 
zum  Einschreiben  von  Bemerkungen  bestimmt.  Nach  welchem 
Grundsatz  der  Herausgeber  bei  der  Anordnung  der  Bknnen- 
lese  verfahren,  ist  nicht  zu  enträthseln.  Sehr  komisch  ist  der 
Druckfehler  (S.  24.)  in  der  Unterschrift  des  (redic-htchens 
»Immer  niedlicli«:   Chenup  statt  Genug.    (Hempel  II.   270.) 

Goethe-Buch.  Goethe'sche  I^ebens-  und  W  cisheitssprüche  zur 
Einführung  in  des  Dichters  Denk-  und  Simiesweise  nach 
denTagen  des  Jahres  zusammengestellt  und  mitCommen- 
tar ,  Gedenkbuch ,  sowie  Personen-  und  Sachregister 
versehen  vcjn  Paul  Knauth,  Gymnasialoberlehrer.  Zweite 
Ausgabe.  Leipzig.  Commissionsverlag  xon  Wilhelm 
Friedrich    1881.     184  SS.   in   8°. 

S.  I  — 136:  Goethe'sche  Sentenzen  fiu-  jeden  Tag,  (an 
manchen  Tagen  mehrere)  :  rechts  der  Name  berühmter  Männer, 
welche  an  den  betreffenden  Tagen  geboren  oder  gestorben 
sind,  ■/..  B.  1.^4.  Januar  :  Zwingli  und  Murillo,  Byron,  Cicero. 
J.  Grimm,  mit  Angabe  der  Jahreszahlen,  links  Daten  aus 
Goethe's  Leben  und  Hterarischer  Thätigkeit,  z.  1!.  7.  April  : 
(1808  Faust  I.  Theil  erscheint).  Der  F'undort  der  Sprüche  und 
(iedichtstellen  ist  nicht  regelmässig  angegeben,  S.  137— 161: 
Erläuterungen  (im  Ganzen  1 70)  mit  Hinweisung  auf  andere 
ähnlich  lautende  Worte  Goethe's  und  Parallelstellen  anderer 
Dichter  mit  Auseinandersetzungen  über  Pessimismus,  die  wohl 
an  einen  passendem  Ort  hiitten  verwiesen  werden  können. 
S.     162 —  171:     »Anmerkungen     zum    Getlenkbuche«    (XXV.) 


494  Bibliographie. 


Aussprüche  Goethe's  und  Anderer  über  die  in  den  Tages-  und 
Jahresdaten  erwähnten  Personen  z.  15.  über  Lessing.  Herder, 
u.  A.  S.  172  —  179:  Sachregister;  S.  179:  Erklärung  der 
Abkürzungen:  S.  iSo — 184:  Personenregister. 


C.     U  E 15  E  R  S  hVrZUN  ( ]  EN . 

*Le  Faust  de  Cioethe,  traduit  cn  \ers  francais  par  M.  Marc- 
Monnier.     Paris.     Sandoz   et  Fischbacher.     12".     1879. 

Als  meisterhaft  characterisirt .  mit  einzelnen  Proben. 
Mag.   f.   Fit.  d.   Ausl.      1879,  Nr.   49,   S.   749  ff. 

(roethe.  Faust.  Premiere  partie.  Prefac  e  et  traduction  de 
H.  Blaze  de  Bury.  onze  eaux-fortes  de  Lalauze.  (ira- 
vures  de  Meaulle  d"apres  Vogel  et  Scott.  Paris. 
A.  Quantin.  imprimeur-editeur  7.  rue  Saint-Benoit  1880. 
XLIX.  und  274  SS.     kl.   fol. 

Glänzend  ausgestattetes  Werk.  Die  11  Kupferstiche  sind: 
Portrait  de  Goethe  (darunter:  Jean  Wolgang  (!)  G.) :  Gabinet 
de  Faust:  La  Sensation:  Chez  la  sorciere :  La  rencontre : 
Dans  le  jardin  ;  Mort  de  Valentin;  Le  sabbat;  Dans  la  prison. 
Zu  diesen  ausgezeichnet  ausgeführten  Blättern  kommen  am 
Anfang  und  Ende  jeder  einzelnen  Scene  Textillustrationen 
oder  Vignetten:  Darstellung  der  Häuser.  Strassen.  Schmu(-k- 
gegenstände.  Kopf  des  Mephistopheles  u.  a.  m.  Die  Ein- 
leitung, die  auch  auf  H.  Grimms  Vorlesungen  und  \.  Loepers 
Ausgabe  Bezug  nimmt,  handelt  über  die  Entstehungsgeschichte 
des  Faust,  Gharacteristik  von  Gretchen  und  Mephisto,  (ioethe's 
Stellung  zur  Religion,  Philosopie,  Politik  u.  s.  w.  Die  Uel)er- 
setzung  (seit  1840  zum  14.  Male  gedruckt)  enthält  Prosa  und 
Poesie  in  seltsamer  Mischung;  dem  Texte  sind  nur  in  der 
\\'alpurgisna<  ht  einige  Anmerkungen  beigegeben.  Auf  die 
Uebersetzung  folgt  Notice  bibliographique  und  zwar:  über 
Behandlung  der  Faustsage  vor  (ioethe:  .Ausgaben  des  Goethe' 
sehen  Faust;  französische  Uebersetzungen  in  Prosa  (11  von 
1827— 1878),  in  Versen  (7  von  1840—1875):  Nachahmungen 
(besonders  Oi)ern):  Abhandlungen  (letzteres  Verzeichniss  un- 
gemein dürftig).  Den  Schluss  (p.  263  —  271)  macht  eine 
Notice  artistitpie  von  A.  |.  Pons,  in  welcher  die  bildlichen 
Darstellungen  von  Faust  und  Gretchen  durch  Gornelius, 
E.  Delacroix  .   .\ry  Scheffer  u.a.   besonders  behandeil   werden. 


BlBLIÖGRAPHIl..  \ij 


*  Faust.  A  Trat,fedy.  By  (iocthe.  J'ranslatcd  im«)  l",n-lisli 
vcrsc  by  William  Dalton  Skooncs,  15.  A.  London, 
riühncr   \-    Co.,     Liidt^^atL-   Hill.     1.S79     2;,o  .SS.     kl.   .S'\ 

Nur  febcrscl/uni;  dos  ersten  Theils  mit  Witiniuni;.  dem 
Vorspiele  auf  dem  Theater  und  im  Himmel.  Dem  ( )riginal 
entsprechend  sind  nur  die  beiden  Sc  enen :  »TrCiber  'l'ag.  Feld: 
Nacht,  offen  Feld"  in  Prosa:  alles  Uel)ri.i,'e  ist  in  ^^ereimten 
Versen. 

Frames«)  Mustogiuri :  l.'elezione  et  bin«  oronazione  di  un  re 
dei  Romani,  Ricordo  giovanile  di  W.  (loethe.  (Nuo\a 
.\ntologia,   anno  15.    vol.  XXII.   tasc    16  S.  619     648). 

S.  633  647  italienische  Ueberset/.ung  der  bekannten 
KrönungsschilderunL;  aus  1 ).  u.  W.  mit  mandierlei  historiM'hen 
.\nmerkungen. 

Iphigenie  in  Tauris.  Uel)ersetzung  ins  Polnische  von  Marie 
Ivurtzmann.  Tarnöw.  Verlag  der  Bibliotheka  Uni- 
wersalno.    1880. 

Im  »Mag.  f.  Fit.  d.  .\usl.«  S.  504  als  treu  gerühmt. 
aber  »zu  viel  Zartheit  und  Weichheit  au«  h  in  ])athetischen 
Scenen.«« 


1).    KlNZELSCH RIFFEN  UND   J-RFAÜ  rFRUN( ; FN. 

I.   A  i.bc-i;M  i:iN  i-;s. 

Berichte  des  Freien  Deutschen  Hoilistiftes  tür  \\issens«haften. 

Künste  und  allgemeine  Bildung  in  Ooethe's  Vaterhause. 

Vom  Lenzmonate    1878    bis    zum  Wintermonate   1879. 

Frankfurt    am   Main.     Freies   Deutsches   Hochstift.     In 

Besorgung  bei  F.  A.  Brockhaus  in   Leipzig.     XVI.   und 

575  SS. 
Vgl.  oben  S.  467  ff.  In  den  Mittheilungen  über  die 
eingegangenen  Neuigkeiten  sind  viele  der  1878  und  r879 
erschienenen  Abhandlungen  und  Schriften  über  Coethe  ge- 
nannt: unter  den  aufgezählten  Geschenken  finden  sich  viele 
Goethe  -  Schriften  und  Ausgaben.  Sodann  zahlreiche  Mit- 
theilungen über  die  Schicksale  des  Vaterhauses  Goethe's  und 
des  Grabes  der  Frau  Rath.  Von  literarischem  Werthe  sind 
die    Notizen    S.     16    über    ein    von    Th.   Vollmer    überreichtes 


496  Bibliographie. 


handschriftliches  Werk :  »Chronologisches  Verzeichniss  der 
Aufführungen  Goethe'scher  Stücke  auf  dem  Stadl -Theater  in 
Frankfurt  am  Main,  beginnend  mit  dem  Jahre  1793  und 
fortgeführt  bis  zum  Jahre  1878«,  S.  27  fg.  über  den  Plan, 
»ein  würdiges  Sammelwerk  aller,  oder  wenigstens  der  vor- 
züglicheren Bildnisse  (roethe's  in  möglichst  gleichmässigen 
lichtkünstlerischen  Vervielfältigungen  der  unmittelbar  nach 
dem  lieben  entnommenen  Kunstwerke  (mit  strengem  Aus- 
schlüsse aller  mittelbaren  Nachbildungen)  zu  veranstalten  und 
herauszugeben«.  Ueber  dies  Werk  und  C/oethe-Bildnisse  über- 
haupt S.  299 fg.,  411 — 433.  S.  38:  Mittheilung  über  eine  in 
Upsala  181 1  —  1820  in  19  Bänden  erschienene  (lOethe-Ausgabe. 
-  S.  238:  Goethe-Urkunde  17.  Juli  1831:  Kauf  eines  am 
Frauenthor    in    Weimar    belegenen    Wohnhauses.  S.    239: 

Notizen  über  3  Briefe  der  Lilli :  16,  36.,  28.  September  1810. 
S.  300  fg. :  CJedenkblatt  Goethe"s  an  Frau  v.  Berg.  Weimar 
20.  ]uli  1809  :  ^\'ie  es  dampft  und  braust  und  sj^rühet  (Hem- 
pel  III,  330).  S.  320:  Andeutung  von  Dr.  Volgers  Forschungen 
über  AVillemer  und  sein  Haus,  welche  der  Veröffentlichung 
harren,  vereinigt  mit  einer  reichen  Sammlung  von  Ergänzungen 
und  Berichtigungen  zu  dem  Briefwechsel  mit  Marianne.  S.  444 : 
Das  Gedicht:  Im  Athemholen  sind  zweyerlei  Gnaden  (Hempel 
IV,  ig)  als  Stammbuchspruch  an  G.  R.  v.  Poletika  (Wei- 
mar April  1825)  übergeben,  der  seit  langer  Zeit  an  Asthma 
litt.  S.  375— 407:  Feier  von  Goethe's  Geburtstag  1879. 
S.  456 — 492:  »Jahrhundertfeier  des  Besuches  des  Herzoges 
Carl  August  zu  Sachsen-Weimar  in  Goethe's  Vaterhause  vom 
18.  bis  22.  Herbstmonates  1779«  (vgl.  (roethe-Jahrb.  I..  389 
und  unten. 

Wold.  Frhr.  \.  Biedermann:  Vierte  Forlsetzung  der  Nach- 
träge zu  Hirzels  :  Neuestem  Verzeichniss  einer  Goethe- 
Bibliothek.     (Archiv  für  Literaturgesch.  IX.   552  —  559.) 

Gibt  Nachträge  aus  den  Frankfurter  gel.  Anzeigen  (nach 
Biedermann.  Goethe-Forschungen  S.  344  ff. ;)  ferner  aus  den 
Jahren  1825,  1839,  1845,  1852,  1854,  1855,  1870,  1874,  1876. 
1877,  1878  und  ein  Verzeichniss  der  Goetheinedita  enthaltenden 
Publikationen  des  Jahres  1879,  ^^^  zumeist  in  der  vorjährigen 
üibliographie  gleichfalls  erwähnt  sind:  einzelne  damals  über- 
gangene sind   in   der    diesmaligen   nachgetragen. 

K.  M.  Werner:  (ioethe  - 1  ,iteralur  (seit  dem  Aufhören  des 
I^rivilegs).  [Jahres-Supplement  zu  Meyers  Conv.-l.ex.  II. 
43^-  444-] 


BlBLlOGRAPHIt.  497 


Zusammenstellung  und  kurze  Besprechung  der  Literatur 
nach  folgenden  Rubriken :  Bibliographisches,  Textrevision, 
Einzehverke.  Ungedru<  ktes,  zu  Cloethe's  Leben  und  Zeitge- 
nossen. Au(  li  dem  Cioethe-Jahrb.  sind  einige  freundli(  he  \\  orte 
gewidmet.  Die  Zusammenstellung  ist  übersi«  htli(  h.  das  L'rtiieil 
ruhig  und   gerecht. 

(].  V.  Loeper :  Mist  eilen.  Die  (Jegenwart.  Bd.  W'll.  Nr.  25. 
S.  399.  Vgl.  oben  S.  450.  Berichtigungen  zum  1.  Band 
und   zwar  zu  S.   287,  321,  371.  ;^ii^. 

Studien  zur  (Joethe-Philologie  von  J.  Minor  und  .\.  Sauer. 
Wien.  Karl  Konegen  (Franz  Leo  u.  Comp.)  IX.  u. 
292   S. 

Enthält  4  grössere  Abhandlungen  über  den  jungen  (Joethe 
bis  zum  Jahre  1773:  i.  Goethe's  älteste  J.yrik.  2.  Herderund 
der  junge  Goethe,  3.  Die  zwei  ältesten  Bearbeitungen  des 
Götz  von  Berlichingen,  4.  Götz  und  Shakespeare,  i.  gibt 
eine  Untersuchung  über  die  frühesten  Lieder  Goethe"s,  eine 
Vergleichung  ihres  Sprachschatzes  mit  dem  der  damaligen 
Anakreontiker  und  einen  historisch -kritischen  Commentar; 
2.  soll  zeigen,  wie  Goethe  in  der  nach-strassburger  Zeit  die 
von  Herder  durch  Schriften  und  Gespräche  in  ihn  gepflanzten 
Ideen  weiter  in  sich  ausgebildet,  wie  er  sie  in  Leben  und 
Dichtung  praktisch  verwerthet  hat  (Faust  ,  Kunstansichten. 
Sprache.  Verskunst.  Volkspoesie,  Homer,  griechische  und 
biblische  Studien):  3.  vergleicht  die  ersten  Ausgaben  1771 
und  1773,  beide  im  »Jungen  Goethe«  Bd.  II.  abgedruckt 
(Einheit,  Concentration  der  Handlung,  gestrichene  Scenen, 
Adelheidscenen  in  B,  Motivirung,  Aenderungen  veranlasst 
durch  persönliche  Erlebnisse,  Characteristik,  politische  Ten- 
denz, Stiländerung  und  Sprache),  4.  zeigt  die  Verehrung  und 
Würdigung  Goethe's  durch  die  einzelnen  Mitglieder  des  Strass- 
burger  Kreises:  Beeinflussung  des  Götz  in  Bezug  auf  Charac- 
tere  und  sprachliche  Eigenthümlichkeiten. 

Miscellanea  Goethiana  von  Herman  Wentzel.  XVI  SS.  in  8°. 
Separatdruck  aus :  Viro  illustrissimo  atcpie  doctissimo 
Augusto  Stinner  .  .  summos  in  philosophia  honores 
ante  50  annos  collatos  .  .  congratulatur  Philomathia  üp- 
poliensis.     Oppeln.     J.  Raabe   1880.     XXXIII  SS. 

Lateinisch.  Der  Name  »Werther«  sei  gewählt  wegen 
seiner  Bedeutung  =  mehr  werth (carior) :  zur  Begründung  werden 

Goethe-Jaukbucil  II.  3  2 


498  BlBLIOGRAPHIl- 


Stellen,  Hempel  81,  87,  11 1  angeführt.  2.  Der  Name  Ogon,  mit 
welchem  Charlotte  v.  Stein  in  ihrem  Trauerspiel  »Dido«  (ioethe 
bezeichnet,  sei  aus  den  englischen  Worten  ogre  (Werwolf) 
und  gone  (gegangen)  entstanden,  sei  also  eine  freie  ^^'ieder- 
gabe  des  Namens  Wolfgang.  3.  Das  Lied  »Ueber  allen 
Gipfeln«  sei  keineswegs,  wie  Kuhn  (Germania  1843)  bemerkt 
habe,  Nachahmung  eines  schlesischen  Volksliedes,  biete  aber 
Anklänge  an  Verse  des  griechischen  Lyrikers  Alkman,  welche 
Goethe  durch  den  berühmten  französischen  Philologen  Vil- 
loisin,  der  sich  1782  fg.  am  Weimarer  Hofe  aufhielt,  kennen 
gelernt  haben  mag. 

J.  ImehiKinn:  Anmerkungen  zu  deutschen  1  )ichtern.  (Separat- 
druck aus  »Symbolae  Joachimicae «.  Festschrift  des 
königl.  Joachimsthal'schen  Gymnasiums.  Aus  Anlass  der 
Verlegung  der  Anstalt  veröffentlicht  von  dem  Lehrer- 
Collegium  des  k.  J.  G.  i.Theil.  f>erlin.  Weidmann'sche 
Buchhandlung.)     38  SS.  Lex. -8°. 

S.  22—36:  Goethe.  1.  Die  Worte  Marianne's  (»Die 
Geschwister«),  »dass  ichs  eben  so  mehr  auch  gestehe«  sind 
Frankfurter  Provinzialisiiius.  2.  Erwin  und  Elmire  (Hempel  IX., 
28)  statt:  »Wendet  sie  Schmerzen  tief  in  der  Brust«  zu  lesen: 
»wecket«.  3.  Uebereinstimmung  mit  Menander  in  der  Ab- 
neigung gegen  die  Heautongnosie.  4.  Die  in  den  Sprüchen 
mehrfach  gelehrte  »Einfachheit  der  \\'ahrheit«  knüpft  an  eine 
Betrachtung  des  Euripides  an.  5.  Spruch  826  erinnert  an 
Larochefoucauld.  6.  Der  Keim  der  Elegie  »Amyntas«  ist  in  dem 
Epigramm  des  Antipater  von  Sidon  (griechische  Anthologie). 
7.  Uebereinstimmung  des  Hauptmotivs  der  Iphigenie  mit  dem 
des  sophokleischen  Philoktet.  8.  »Deutscher  Parnass«  richtet 
sich  gegen  Gleims  Antixenie  (s. Jahrb.  1..  S.  438  fg.).  9.  Zusammen- 
stellung Goethe'scher  Dichtworte  mit  denen  Früherer:  Logau, 
Milton ,  Klopstock  und  Späterer:  Uz,  Chronegk .  Schiller, 
Kerner.  gleichsam  um  A'orbildungund  Nachwirkung  zu  erweisen. 

jalirbuch   für  das    deutsche  Theater.     Von    Joseph  Kürschner. 
Leipzig.     L.  E.  Foltz.     VIII  und  384  SS. 

Enthält  au(  h  \  iele  Mittheilungen  zur  Goethe  -  Literatur. 
Zur  Ergänzung  der  Bibliographie  im  Goethe-jahrb.  ist  Kürsch- 
ners Zusanunenstellung  S.  288  wichtig.  Sonst  verdient  Her- 
vorhebung S.  88-90:  Bericht  über  die  erste  Faust -Auf- 
führung in  Braunschweig,  19.  Januar  1829,  und  die  Jubelfeier, 
18.  Januar    1879:   gofg. :  Der  (nicht   gefeierte)  Säkulartag  der 


Bibliographie.  49^ 


Iphigcnic  (5.  April;  worüber  zu  vgl.  Aufsätze  \  on  Kol).  Keil: 
(iartenlauhe  Nr.  15  und  .M.  .Martersteig:  Deutsche  Hühiien- 
(ienossenschaft  Nr.  15),  S.  9i>  fg.  Noti/eu  (Iber  (loethe-l  )enk- 
male.   277  fg.   über  (loethe-l>ilder. 

Julian   Schmidt:  (loetheana. 

(»Im  neuen   Reich«    Nr.   24.  S.   939  — 94.V) 

I.  1  )er  S(  huhu  in  den  »X'ügelnu  nii  ht,  wie  !•".  H.  la« obi 
meinte,  Klopstock ,  sondern  ])rofessioneller  Rec  ensent  über 
literarische  und  politische  Dinge,  unter  dem  ersteren  vielleicht 
Nicolai  verstanden,  unter  dem  letzteren  Schlö/er.  2.  Das 
Gedicht  vom  »ewigen  Juden«,  vollendet  Frühling  1774.  steht 
in  merkwürdigem  Widerspruch  mit  der  in  «Dichtung  und 
Wahrheit«   gegebenen  Erzählung  von   Ahasver. 

H.   Pröhlc  :  Zur  (loethe-Literatur. 

|\'oss.   Zeitg.  Sonntagsbeil.   Nr.    17.    i^,    19.) 

I.  Besprechung  von  Biedermanns  Cloethe  -  Forschungen, 
mit  einigen  Einzelheiten  über  (joethe's  Yerhältniss  zur  Frei- 
maurerei (Bode)  und  zu  Helmine  v.  Chezy.  2.  Ueber  (ioethe's 
Besuch  in  Helmstedt,  nach  der  von  Pröhle  (Feldgarten)  und 
Varnhagen  mehrfach  benutzten  und  theilweise  abgedruckten 
Selbstbiographie  W'eitze's  (1783  — 1840).  Zweimaliger  Verkehr 
(ioethe's  mit  Lafontaine,  1802  und  1803  (Goethe  irrthümlich 
als  Kaufmann  angesehn).  3  .  Nochmaliger  Versuch,  ohne 
Beibringung  neuen  Materials  »Satyros«  auf  Basedow  zu  be- 
ziehen. (Darauf,  wie  auf  andere  Einzelheiten  bezieht  sich 
auch  l'röhle"s  Besprechung  des  Goethe-  [ahrbuchs,  s.  oben  S.  466.) 

F.  Meyer   von\\alde(k:   ( ioethe-l.iteratur   1.     Zu   dvn   Werken 
und  Briefen.     Aus  (ioethe"s  Freundes-   und   Bekannten- 
kreise. 
(Literaturblatt   für   german.   und  roman.   l'hilologie    1880. 
Nr.   5.   7.    S.    172—175.   243-246.) 

Ausführli(  he  Besprei  hung  \ 011  Sabells  Fe>tschntt,  Scherers 
Frühzeit.  Biedermanns  Forschungen,  ( Joethe-(Jottling-Brief- 
wechsel  ((ioethe-Jahrb.  I.  394,  4190".,  431  ff.),  ferner  des  franzö- 
sischen Schriftchens:  La  Marguerite  de  Faust.  Meditation  sur  le 
[)oeme  de  Cioethe.  .\ve(  une  preface  en  vers  de  M.  Emile 
La  bededolliere.     Paris.     .A.  Ghio    1879. 


500  Bibliographie. 


W.  V.  Biedermann:  Die  (loethe-Literatur  von  1880  bis  Jahres- 
mitte. 
(\\'issens(  li.  l!cil.  der  Leipziger  Zeitung  Nr.  76.  S.  449  —  454.) 

Besprechung  von  JJüntzers  Biographie,  Goethe-(iöttHng- 
Briefwechsel;  Jahrbuch:  Schrift  von  Pietsch  (s.u.),  mit  werth- 
vollen  Berichtigungen  und  Mittheilungen  von  Notizen  aus 
dem  Tagebuch  (28.  Oktober  1826,  18.  März  1829)  und 
2  Briefen:  21.  März  1825:  12.  August  1829  (vgl.  oben 
Regesten). 

Gustav  Karpeles :  Goethe-Frühling. 

(Westermanns  Monatshefte  Bd.  XLMIL,  Nr.  288  S.  784  —  792.) 

Besprechung  von  U.  Brahms  Schrift,  der  Hemperschen 
Ausgabe  der  Werke,  des  Schaper'schen  Denkmals,  der  Devrienf- 
schen  Faustbearbeitung  und  der  Berliner  Aufführung  der- 
selben. 

^\'.   Buchner:  Zur  Goethe-   und  Sirhiller-Literatur. 

(Blätter    für  literarische  Unterhaltung    Nr.  38.    39  S.   593 
bis  598,   61 1  —  617.) 

Bespricht  1 1  Goethe  betreffende  Schriften  und  zwar 
Scherer:  Frühzeit;  Bernays ,  Düntzer :  Biographie:  Sabell ; 
Bielschowski ;  (jnad :  Semler  vgl.  Goethe- Jahrb.  I.,  431,  441, 
442,  394,  443,  439,  435;  ferner:  Düntzer  Faust  3.  Aufl. 
2.  Theil,  Leipzig  1879;  ausserdem  (vgl.  unten)  Grimm,  Vor- 
lesungen,  2.   Aufl.;  Lobstein. 

2.     D  R  A  M  E  X. 

Goethe's  Faust.  Neue  Beiträge  zu  Kritik  des  Gedichts  von 
Friedrich  Vischer.  O,  dass  dem  Menschen  nichts  Voll- 
kommnes  wird.  Empfind  ich  nun !  Stuttgart.  A'erlag 
von  Adolf  Bonz  u.  Comp.  XVl  u.  368  SS. 

Neue  (Titel)  Auflage  des  bereits  1876  veröffentlichten 
Buches.  Eben  der  Umstand,  dass  das  Buch  nicht  neu  ist, 
rechtfertigt  die  blosse  Nennung  des  Titels  und  den  Hinweis 
darauf,  dass  es  in  zwei  grosse  Abschnitte  zerfällt:  i.  Die 
lange  Säumniss  und  ihre  Ursachen.  2.  Die  inhaltschweren 
Stellen  des  (iedichts. 


Bi)fLiO(;KAi'nii..  501 

Fr.  Vischer:  7,ur  \'ertheidigiing  meiner  S(  lirit't:  (ioethc's  Faust. 
Neue  Beiträge  zur  Kritik  des  (ledichts   1S75. 
(Deutsche  Revue  über  das  ges.  nat.  Leben,  herausg.  \()n 
R.   Fleischer:   Berlin.  Janke.     IV.  Jahrg.    11.  Hd.  S.   178 
("<"•:   319     ,vU-) 

Wendet  sich  besonders  gegen  Kuno  Fischer,  \er\virtt 
dessen  Einwände  und  Erklärungen  über  die  Stelle  im  Prolog: 
So  lang"  er  auf  der  Erde  lebt.  So  lange  sei  dir"s  nicht 
verboten,  Es  irrt  der  Mensch,  so  lang"  er  strebt:  ferner  über 
mehrere   Worte  des  Mephistopheles. 

K.    I.   Schröer:    Literarische   l'nterlialtungen. 

(Klätter  f.   lit.   Unterhaltung  Nr.    15,   S.   225      229.) 

Anknüpfend  an  den  frühern  Aufsatz  (Jahrb.  L.  S.  434) 
versucht  er  den  Nachweis,  dass  auch  der  zweite  Monolog, 
der  nicht  im  Faustfragment  von  1790  steht,  in  die  Jugendzeit 
zu  setzen  sei;  auch  die  Domscene  nur  die  Zeile:  »Auf  Deiner 
Schwelle  wessen  Blut"?«  1800;  die  Kerkerscene  sei  nicht  1798 
entstanden .  sondern  damals  sei  nur  der  Versuch  gema<  ht 
worden,  die  Prosascene   in   Verse  zu   bringen. 

(loethe's  Faust  erster  und  zweiter  Theil,  erklärt  von  Oswald 
Marbach.  Stuttgart.  (L  J.  Göschen"sche  \'erlagshand- 
lung    1881.     XIII  und  481   SS.  gr.  8^ 

Aus  \'orlesungen  entstanden,  welche  der  Verf  vor  etwa 
40  Jahren  an  der  Universität  Leipzig  begonnen  und  seit  1875 
wieder  aufgenonimen  hat.  Das  Buch  enthält  nur  einen  Com- 
nientar  nicht  einen  Textabdruck,  gibt  aber  bei  den  52  Scenen 
der  Dichtung  (der  Verf.  zählt  25  solcher  Scenen  im  ersten, 
27  im  zweiten  Theile  und  etwas  abweichend  von  Loeper 
12089  Verse)  kurz  den  Inhalt  an.  Das  Buch  beginnt  mit 
einem  Gedichte:  »Den  Manen  Goethe's  zum  Johannisfest 
1880«,  enthält  in  einer  Einleitung  die  Skizzirung  der  .Auf- 
gabe :  erzählt  »eine  Episode  aus  meinem  Leben«,  einen  Be- 
such des  Verfs.  in  \\'eimar  (1829),  bei  w-elchem  er  Goethe 
nicht  sah,  eine  kurze  Abhandlung  »das  Böse  und  der  Böse«, 
sodann  die  Erklärung  im  Einzelnen:  Erster  Theil  S.  17  — 141; 
zweiter  I  heil  bis  S.  411:  den  Schluss  (S.  411— 481)  macht 
ein  sehr  ausführlicher  Index.  —  Der  Verf.  polemisirt  gegen 
die  gelehrte  Art  der  Erklärung,  ferner  gegen  die  Suc-ht  der 
Commentatoren.   Ereignisse    aus  dem  Leben  des  Dichters  zur 


502  Bibliographie. 


Erklärung  des  Dichtwerks  herbeizuziehen,  und  endlich  gegen 
das  Bestreben  derselben.  Irrthümer  Anderer  aufzuzählen  und 
zu  widerlegen  :  er  will  vielmehr  das  Dichtwerk  »so  comnien- 
tiren.  dass  ich  lediglich  tien  Inhalt  aufsuche  und  alles  Störende, 
ohne  mich  auf  persönliche  Polemik  einzulassen,  fernhalte  und 
ablehne,  um  mich  mit  meinen  Lesern  der  lauteren  Geistes- 
freude an  dem  Schönen  und  Herrlichen  hinzugeben,  was  der 
grösste  Dichter  unseres  Volkes  uns  dargeboten  hat.  um  uns 
und  mit  uns,  in  uns  und  durch  uns  die  Menschheit  zu  fördern 
in  der  Entwicklung  ihres  Culturlebens«.  P>eilich  hat  sich 
der  \"erf.  trotz  seines  Versprechens  nicht  ganz  der  polemischen 
Bemerkungen  enthalten  (vgl.  S.  306  fg.).  Auch  manche  andere 
Bemerkungen  reizen  zum  Widerspruch :  an  sehr  vielen  Stellen 
hat  man  Fleiss,  Grinidlichkeit  und  Scharfsinn  des  Commen- 
tators  zu  loben;  die  Bibliographie  indessen  ist  nicht  der  Ort, 
Anerkennung  oder  Tadel   näher  zu  begründen. 

Faust  von  (ioethe.  Mit  Einleitung  und  fortlaufender  Erklä- 
rung, herausgegeben  von  K.  j.  Schröer.  Erster  Theil. 
Verlag  von  Gebr.  Henninger  i88r.  LXXXA'I  und 
303  SS.  kl.  8". 

Für  den  Abdruck  des  Textes  ist  keine  Vergleichung  der 
Handschriften  angestellt  (nur  S.  IX  Anm.  wird  ein  Stückchen 
aus  dem  2.  Theil,  3.  Akt  nach  dem  Autograph  des  Dichters, 
in  Loepers  Handschriftenverzeichniss  Nr.  12,  13  mitgetheilt), 
sondern  der  A'ersuch  gemacht  »nach  den  mir  erreichbaren 
Mitteln  einen  Text  zu  geben,  der  so-conser\ativ  als  möglich 
bestrebt  ist,  des  Dichters  Wortlaut  wiederzugeben.  Loeper 
und  Düntzer  gegenüber  bin  ich  mehrmals  auf  die  ursprüng- 
liche Textgestalt  zurückgegangen«.  Die  Einleitung  enthält 
folgende  Abhandlungen  :  Die  Entstehung  von  Goethe"s  Faust 
(im  Wesentlichen  ein  Abdruck  der  Goethe-Jahrl).  I.  S.  434  und 
oben  S.  50 1  angeführten  Aufsätze):  dieVerszählung ;  der  Alexandri- 
ner (mit  Hinweis  auf  Bartsch's  Aufsatz,  Goethe-Jahrb.  I.  S.  1 19); 
Faust  in  Prosa :  (polemisirt  gegen  Scherers  Vermuthung  von 
dem  Prosaentwurf  des  Faust  1771/72);  die  ersten  Aufführungen 
von  Goethe's  Faust :  (Nachträge  zu  Enslins  Schrift  aus  Holtei's 
und  Laroche's  des  noch  lebenden  Schauspielers  Mittheilungen): 
S.  I  —  287  Text  und  Erklärung,  letztere  unter  dem  Text: 
S.  288  bis  Schluss :  Register.  Die  Erklärung  sprachlich  und 
sachlich,  mit  vielen  literarischen  Hinweisungen  und  polemi- 
schen Bemerkungen.  S.  255,  256  eine  längere  Bemerkung 
ȟbei    die    \on   Eoe])er    beigel)rachten    handschriftlichen   Les- 


BiBLIOGRAPHIt.  50^ 

arten  zu  Scene  18  20«.  Die  Erklärung  geht  manchmal  gar 
zu  sehr  ins  Einzelne  und  gibt  Selbstverständliches  oder  Ueber- 
flUssiges;  Interpunktionsänderungen  (z.  H.  S.  30)  hätten  be- 
gründet, nicht  nur  registrirt  werden  müssen.  -  Vielleicht 
findet  sich  Gelegenheit,  in  einem  der  nächsten  Bände  des 
Jahrbuchs  den  Schröer'schen  Commentar  und  die  übrigen 
neuesten  Fausterklärungen  eingehender  zu  würdigen. 

Heinrich   Düntzer:    Die  vorgebliche    erste    prosaische  Fassung 
von  (Joethe's  Faust. 

(Archiv  für  Literatur-Geschi<hte   IX..   529  —  554.) 

Behauptet,  mit  Bezug  auf  Riemers  Angabe  ( Mittheilungen  I., 
S.  348  fg.),  er  habe  eines  Morgens  die  Scene  »Trüber  Tag, 
Feld«  unmittelbar  nach  der  Conception  auf  Goethe's  Diktat 
niedergeschrieben,  dass  ein  früheres  (Prosa)concept  nicht 
existire  und  versucht  die  einzelnen  von  S<herer  (Aus  Goethe's 
Frühzeit)  geäusserten  sprachlichen  Vermuthungen  (Parallelen 
mit  (iütz)  zu  widerlegen.  Er  zieht  den  Schluss :  »Von  einem 
Versuche  der  Ausführung  des  »Faust«  im  Jahre  1773  findet 
sich  durchaus  keine  Spur:  wir  müssen  diese  in  den  Herbst 
1774  setzen«.  (Ist  es  aber  billig  und  würdig,  dass  Polemiken, 
welche  wissenschaftliche  Dinge  betreffen,  in  so  heftigem, 
persönlichem  Tone  geführt   werden  V) 

Adolph  Enslin :  1  )ie  ersten  Aufführungen  des  Goethe'schen 
Faust.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  deutschen 
Theaters.  Berlin.  Gebrüder  Paetel.  70  SS.  und  2 
unpagg.  Bll. 
(Auch  vorher  schon  in:  Deutsche  Rundschau.  6.  Jahrg., 
IG.  Heft,  S.  95 — 114.) 

Bespricht  (Joethe"s  geringe  Neigung,  den  Faust  auf  die 
Bühne  zu  bringen  oder  aufgeführt  zu  sehn  :  die  Compositionen 
des  Fürsten  Radziwill  (Abdruck  der  betr.  Briefstücke  Zelters 
und  der  von  (Joethe  gedichteten  Zusätze  :  Geisterchöre,  Garten- 
scene  ;  Besprechung  der  .,Scenen  aus  Goethe's  Faust«,  Litho- 
graphien): Karl  v.  Holtei  und  dessen  Faust;  Holtei's  Versuch 
im  Königstädtischen  Theater  in  Berlin  den  Faust  in  selbst- 
ständiger Bearbeitung  u.  d.  T.  :  »Des  weltberühmten  Erz-  und 
Schwarzkünstlers  Doctor  Faust  Pactum  mit  der  Hölle.  Melo- 
drama in  3  Acten  und  einem  Vorspiel  nach  (ioethe  mit  des 
Dichters  Bewilligung  für  die  Bühne  eingerichtet  von  Holtei« 
aufzuführen,  scheiterte  an  dem  Widerspruch  des  Dichters  und 


504  Bibliographie. 


des  Intendanten  der  k.  S*  hauspiele  und  Holtei  verfasste  daher 
selbst  ein  Drama :  »Doctor  Johannes  Faust,  der  wunderthätige 
Magus  des  Nordens«  das  am  10.  Januar  1829  aufgeführt  wurde; 
Angabe  von  dessen  Inhalt:  Klingemann  und  die  erste  Faust- 
Aufführung  in  Braunschweig  (Inhalts -Angabe  von  August 
Klingemanns  Bühnenstück:  »Faust,  eine  dramatische  Legende 
in  5  Akten«  ;  das  Cioethe'srhe  Stück  in  seiner  Bearbeitung, 
am  19.  Januar  1829  zuerst  autgeführt:  Notizen  über  einige 
Darsteller) :  Goethe's  achtzigster  Geburtstag.  Dresden,  Leipzig, 
^^'eimar  (Faust -Aufführungen  als  Huldigung  für  den  greisen 
Dichter,  in  Dresden  durch  Tieck,  27.  und  29.  August  1829, 
Leipzig  28.  August,  Weimar  29.  August:  Notizen  über  die 
Schauspieler,  über  die  am  Faust  geübte  Censur  (S.  51): 
Spätere  Aufführungen  (München  12.  April  1830.  Wien  29.  Mai 
1839,  Berlin  15.  Mai  1838).  Der  zweite  Theil  des  Faust 
(Mittheilungen  aus  Schöne's  Fortsetzung  und  F.  Vischers 
Parodie;  Notizen  über  die  ersten  Aufführungen).  Den  Anhang 
bilden  photolithographische  Abbildungen  in  verkleinertem 
Masstabe  der  Theaterzettel  der  ersten  Aufführung  in  Braun- 
schweig und  Weimar  1829.  Dieser  Anhang,  sowie  einzelne 
x\nmerkungen  sind  im  Separatdruck  neu. 

Der  Biblische  und  der  (ioethe'sche  Faust.  Vortrag  gehalten 
von  Oberrabbiner  Dr.  J.  Hollander.  Der  Reinertrag 
ist  für  die  innere  Ausschmückung  der  hiesigen  Synagoge 
bestimmt.  Trier.  Commissionsverlag  von  Heinrich 
Stephanus   1881.     24  SS.  8°. 

Inhaltsangabe  des  Buchs  Koheleth  »des  biblischen  Faust«  ; 
Parallelisirung  einzelner  Stellen  mit  Goethe'schen.  Der  Verf. 
findet  u.  A.  einen  Vorzug  des  erstem  darin,  dass  der  Ver- 
zweifelnde ein  mächtiger  reicher  König  und  nicht  ein  armer 
Gelehrter  ist.  Er  meint  ferner,  dass  »in  der  Verwandtschaft 
des  deutschen  und  israelitischen  Faust  die  enge  Geistesver- 
wandtschaft der  deutschen  mit  der  israelitischen  Nation  als 
nachgewiesen  betrachtet  sei«. 

Sul  tipo  del  Mefistofele  e  suU"  ideale  della  Margherita  nella 
tragedia  Faust  di  \A'.  Goethe.  Genni  filosofico-critici 
del  Dr.  Niccolo"  Franzutti.  Lodi.  Tipografia  editrice 
Costantino   dell"   Avo.     31   SS.   in  8°. 

Mit  Berücksichtigung  des  Gounod'schen  Faust.  Einzelne 
Stellen  des  Goethe'schen  Textes  sind  getreu  nach  dem  Original 
in  italienische  Prosa  übersetzt.    Mei)histopheles  sei  die  Personi- 


BlBLlOGRAI'HIK.  505 


fikation  des  Hiob  der  lübcl.  des  Falstiiff  hei  Shakespeare 
und  des  Thersites  in  den  homerischeh  Cledichten !  Margaretlie 
sei  das  Ideal  des  Weibes  schlechtweg.  Ein  Appendice  (S.  27  —  31) 
handelt  sui  traduttori  di  Poeti  inglesi  e  tedeschi  in  italiano  e 
viceversa.  wo  /..  B.  Maffei  getadelt  wird,  dass  er  zur  Ueber- 
setzung  des  Verses:  »Das  Aechte  bleibt  der  Nachweh  unver- 
loren« (Faust,  Vorsp.)  einen  Dante'schen  Vers  (Par.  X\'II., 
S.  149)  zu  Hilfe  genommen  und  dadurch,  wie  an  vielen 
anderen  Stellen  die  Kintachheit  seiner  Uebersetzung  geschä- 
digt habe. 

Faust.  skärskAdad  i  Spiritismens  l,ju>.  Nägra  anteikningar 
af  |.   F.   Fröleen.     Stockholm.     Ebeling  und  C!omp. 

Will  zunächst  zeigen,  »wie  die  spiritistischen  Phänomene 
der  Gegenwart'  in  vielen  Theilen  mit  den  VVunderthaten, 
welche  Faust  vollbracht  hat,  übereinstimmen,  Avenn  auch  die 
letzteren  die  ersteren  bei  weitem  übertreffen«,  ist  aber  auch 
literarisch  nicht  uninteressant  durch  eine  Zusammenstellung 
der  Faustliteratur  von  1587  bis  Gounods  Faust  und  durch 
Inhaltsangabe  der  Schrift  »Doctoris  Johannis  Fausti  Manual - 
Höllenzwang«  (sie!).  (Vgl.  Poestion  im  Mag.  f.  Tat.  d.  Ausl. 
1880  Nr.  46,  S.  652.) 

Essai  sur  le  Faust  de  Goethe  par  J.  Ehni,  Dr.  ph.  anc.  past. 
(ieneve.  Imprimerie  Charles  Schuchardt  (libr.  J.  Sandoz). 
165  SS. 

Die  Einleitung  handelt  über  die  Faustsage,  das  Eeben 
Goethe's,  die  Composition  des  Faust  (drei  Fassungen  :  177  1—75 
veröffentlicht  1790,  1797  — 1806  veröffentlicht  1808,  1824 — 1831 
\eröffentlicht  1832  als  2.  Theil).  Die  Erklärung  bespricht 
ausführlich  die  beiden  Prologe  und  unterscheidet  dreiTheile: 
Faust  allein  ;  Faust  in  Verl)indung  mit  Me])histopheles  (Wissen- 
schaft  und  Genüsse  der  Welt):  Fausts  Thätigkeit  gefördert 
durch  Mephistopheles  (2.  Theil).  Sehr  viele  einzelne  meist 
ganz  kleine  Stellen   sind   in   französis<  he  Verse  übertragen. 

Katalog  Nr.  70  von  Theodor  Ackermann  in  München.  Faust- 
Literatur   1494—1880.  IV  und  42   SS. 

Enthält  1059  Nummern  in  20  Abschnitte  getheilt:  Ein- 
leitendes über  die  Faustsage:  Volksbuch  vom  Dr.  Faust 
(darunter  eine  bisher  so  gut  wie  unbekannte  Ausgabe  aus 
dem    Jahre     1596):    Das    grosse   Faustwerk    von    J.    Scheible ; 


5o6  Bibliographie. 


Christoph  Wagner,  Fausts  Famulus;  Magische  Werke,  welche 
Dr.  Faust  verfasst  und  hinterlassen  haben  soll :  Dramatische 
Bearbeitung  der  Faustsage:  Volksschauspiel,  Marlowe :  Weitere 
Bearbeitungen  vor  Croethe;  Cioethe"s  Faust:  Fortsetzung  des- 
selben von  anderen  Dichtern:  Ucbersetzungen;  Erläuterungen 
(und  zwar:  in  selbstständigen  Schriften,  in  anderen  Werken, 
in  Zeitschriften)  :  Musikalische  Bearbeitungen.  Parodieen,  Illu- 
strationen;  Dramatische  Bearbeitungen  nach  1790;  Faust  als 
Ballet;  Die  Faustsage  als  (redicht,  Roman,  Novelle;  Ver- 
mischtes; Nachtrag.  Werthvolle  Zusammenstellung,  freilich  sehr 
vieles  Kleinliche  (unbedeutende  Besprechungen  einzelner  Auf- 
führungen: Schriften  in  denen  einzelne  Verse  citirt  sind)  und 
mancherlei  Ungehöriges  enthaltend.  Cileich  die  erste  Nummer: 
P.  Fausti  Andreiini  elegiae  Paris  1494  gehört  durchaus  nicht 
hierher:  F.  Andrelinus  aus  Forli  war  ein  sehr  bekannter 
italienischer  in  Frankreich  lebender  vieldichtender  Humanist, 
der  mit  der  Faustsage  in  gar  keiner  Beziehung  steht. 

Adalbert   Rudolf:   Der  Name  Mephistopheles. 

(Herrigs  Arch.  f.  d.  Stud.  neuerer  Sprachen  LXIL,  S.  289 
bis  318.) 

Weitere  Ausführung  der  (Joethe -Jahrb.  I..  S.  385  ange- 
deuteten Vermuthung.  Die  Abhandlung  zerfällt  in  folgende 
Abschnitte:    1.    Hölle,  Lucifer:   2:    Faust  und  Mephistopheles. 

Heinrich   J  )imtzer  :  Zu  (ioethe"s   Faust. 

(Arch.   f.  I.it.-Oesch.   IX..   S.   439.  440.) 

In  der  Stelle  (2.  Theil,  4.  Akt):  »Das  heiss  ich  endlich 
vorgeschritten«,  sei  endlich  =  doch,  vorgeschritten  =  tüchtig 
vorwärtsgekommen  zu  nehmen. 

Faust.     Eine    Satire    von    H.  E.  Jahn.      Rostock.     (".    Meyers 
Buchhandlung.      15  SS.   16". 

Soll  eine  Satire  auf  die  »tintenblufgen,  wilden  Bücher- 
wUrger«  sein,  die  mit  Faust  »einem  halbverhungerten  Dichter« 
und  Mephistopheles  »einem  wohlgenährten  Kritiker«  auf  dem 
Bloxberg  zusammenkommen,  ist  aber  eine  ganze  tolle  Zu- 
sammenstellung witzloser  Bemerkungen ,  unter  denen  selbst- 
verständlich solche  gegen  die  Juden   nicht   fehlen. 


Bibliographie.  )0~ 


*  Arnold  Wellmer:  Goethe  und  seine  Festspiele. 

(Magdeburgische  Zeitung  1879  Nr.  375.  577,  379.   jjSi.  ,^83.) 

Ftlnf  grosse  Artikel,  oft  von  ermüdender  \\'eits<  hweifig- 
keit  und  lästigem  Kreittreten  häufig  gesagter  Dinge  ((Icdichte 
Wielands.  Einsiedeis.  Hriefexcerpte),  beginnend  mit  der  \uf- 
filhrung  von  Paläophron  unil  Neoterpe  (Berlin  Sylvester  1878). 
Dann:  Corona  Schröter.  Darstellimgen  von  l.ila.  Krwin  und 
Elniire.  geflickte  Braut,  Jahrmarktstest  von  IMuntlersweilern, 
Iphigenie.  Verhöhnung  von  W'oidemar  (Wellmer  schreibt 
beständig:  \\'aldeniar)  und  Alceste ;  Seckendorfs  Kallisto  :  die 
Vögel;  das  Neueste  von  Plundersweilern:  Maskenzug  1781 
und  Berliner  Prolog  1817.  Im  Einzelnen  vielfache  Unrichtig- 
keiten und  .-Vuslassungen.  die  nicht  alle  erwähnt  werden  können. 

Anton  Bettelheim:   Beaumarchais  über  (ioethe's  ("lavigo. 
(Die  (regenwart.      Band  XVII..  Nr.   25.  S.    396  —  398.) 

Theilt  eine  Ansicht  Lomenie"s  (Beaumarchais  et  son 
tempsll..  343),  Beaumarchais  habe  sic-,h  um  ausländische  Stimmen 
über  sein  Wirken  wenig  bekümmert,  berichtigend,  einen  Brief 
Beaumarchais  an  Marsollier  (29  germinal,  an  VII.)  mit.  der  noch 
vor  (Joethe  das  Fragment  eines  spanischen  Reisetagebuchs 
dramatisirt  hatte,  in  welchem  er  u.  A.  von  der  Aufführung 
des  Goethe'schen  Clavigos  in  Augsburg,  der  er  selbst  bei- 
gewohnt habe,  erzählt  und  fortfährt:  »Mais  l'.Mlemand  avait 
gäte  Tanecdote  de  mon  memoire  en  la  surchargeant  d"un 
combat  et  d"un  enterrement,  additions  cpii  montraient  plus 
de  vide  de  tete  cpie  de   talent. 

(lot^the's  Iphigenie  auf  Tauris.  Ein  Schauspiel.  Für  die  Zwecke 
der  Schule  erläutert  und  methodisc  h  bearbeitet  von 
Dr.  H.  Vockeradt.  Paderborn.  Ferd.  Scliöningh.  \'\ 
und    185   SS. 

S.  1  —  132  Abruck  des  Textes  mit  sprac  hlic:hen,  sach- 
lichen, historischen  Anmerkungen.  Von  S.  132  Methodischer 
Anhang.  I.  Fragen  zur  Vermittlung  des  Verständnisses  der 
Auftritte  und  Aufzüge.  Durchnahme  jedes  einzelnen  Auftritts 
in  Fragen  nach  i.  Inhalt.  2.  (diederung,  3.  Charakteristik, 
4.  Kunst  der  Comjjosition,  5.  Sprachlicher  Darstellung.  Am 
Schlüsse  eines  jeden  Aufzugs  allgemeine  Fragen  über  denselben 
und  Zusammenstellung  der  aus  ihm  zu  entnehmenden  Themata 
für  Aufsätze    und  Vorträge:    zuletzt    allgemeine    Fragen    iU)er 


508  BiBLIOGKAl'HIE. 


das  ganze  Thema  und  nochmals  Themata  und  zwar  41. 
Darauf  (34)  Sentenzen  des  Dramas  als  Aufsatzthemata  und 
zum  Auswendiglernen.  II.  Die  Quelle  des  in  der  Iphigenie 
bearbeiteten  Stoffes  und  die  Benutzung  derselben.  III.  Die 
Geschichte  der  Cioethe'schen  Iphigenie.  -  Das  Werkchen 
bildet  einen  Theil  (den  4.)  von  Schöninghs  Ausgaben  deut- 
scher Classiker  mit  Commentar ;  in  dieser  war  schon  früher 
ein  Werk  Goethe"s  erschienen,  nämlich  Hermann  und  Dorothea 
von  Funke. 

Paul   Stapfer.     L'Iphigenie  en  Tauride  de  (ioethe. 

(Re\iie  politique  et  literaire  de  la  France  et  de  l'etranger. 
10  annee.    2  serie.    Nr.  7.    14  aout.    S.   145— 151. 

Betont  das  griechische  Moment  in  Cioethe's  Iphigenie, 
im  Gegensatze  zu  den  ähnlichen  Stücken  französischer  Dichter; 
selbständig  sei  bei  Cioethe  der  Ausgang  des  Stücks  und  der 
Character  der  Heldin.  Die  moralische  Grösse  der  Ijihigenie 
bestehe  in  »abnegation«.  Prosaische  Uebersetzung  einzelner 
Stellen   aus  den   letzten   Reden  der  Iphigenie  und  des  Orestes. 

Zur  fünfzigjährigen  Wiederkehr  des  Tages  welcher  einst  Karl 
August  Hase  der  Universität  Jena  zuführte  zum 
15.  Juli  1880  widmet  innige  Glück-  und  Segenswünsche 
der  freundschaftlich  Zugethane.  (Friedr.  Zarncke.)  Leip- 
zig, Druck  von  W.  Drugulin.  14  SS.  kl.  fol.  Abgezogen 
in   50  bezifferten  Exemplaren. 

Ueber  Elpenor.  Das  Stück,  zu  dem  ersten  Ausgang  der 
Herzogin  Luise,  nach  der  Geburt  des  Erbprinzen  (1783) 
bestimmt,  sei  mit  Anlehnung  an  eine  von  Hyginus  erzählte, 
von  Euripides  in  einem  fragmentarisch  erhaltenen  Drama 
bearbeitete  Geschichte  gedichtet.  Elpenor  sei  der  Sohn 
Antiopens ;  Plan  der  Fortsetzung  sei  etwa  der  gewesen,  dass 
Lykos  den  bei  den  Hirten  verborgenen  Knaben  für  den  Sohn 
der  Antiope  haltend,  denselben  getödtet,  zu  spät  bemerkt 
habe,  dass  er  sein  eigenes  Kind  umgebracht  und  aus  Schmerz 
und  Reue  sich  selbst  den  Tod  gegeben  habe. 

^^'.  V.   Biedermann:   Goethe's  Caesar. 

(Wissensch.   Beil.   der  Lei])z.  Zeitg.,  Nr.  30,  11.  April  1880, 
S.    176      178.) 

Nachrichten  über  eine  Bearbeitung  dieses  Stoffes  i  770  -  17  78, 
Anregung  dazu  durch  Shakesjjeare,  hohe  Meinung  von  Caesar; 


Bibliographie.  5^9 


Zusammenstellung  der  wenigen  bei  S(  hüll  mitgetlieilten  Stellen 
des  Fragments:  der  Plan  wird  fallen  gelassen,  weil  der  (be- 
danke an   nKgm(uit((    u.  a.  aiittauiht. 

Götz  V.  Kerlic  hingen  in  :  Das  deutsrhe  Ritterdrama  des  i8.  Jahr- 
hunderts. Studien  über  Joseph  August  von  Törring, 
seine  \'orgänger  und  Nachfolger  von  Otto  lirahni. 
Strassburg.     Karl  J.    Trübner.     X  u.   235   SS.   8". 

(Quellen   u.   Forschungen,   Heft   40.) 

Hespricht  im  vierten  .\bschnitt  (S.  69 — 103):  Die  ersten 
Wirkungen  des  (]ötz  und  geht  dabei  besonders  auf  Klingers 
Otto,  Maiers  Sturm  von  Bo.xberg,  Hahns  Robert  von  Hohen- 
e<ken  ein.  .\uch  sonst:  S.  142  Götz  v.  Herlichingen  als 
Vorbild  für  L.  Tiecks  Karl  v.  Berneck,  S.  143  fg. :  .Anklänge 
an  Götz  V.  Berlichingen  in  Schiller'schen  Dramen.  In  der 
2.  Beilage:  Stilistische  Beobachtungen  (S.  204  ff.)  fuiden  sich 
zahlreiche  Bemerkungen  über  den  Stil  in  Götz  v.  licrlichingen 
und  anderen  (iüethe"schen   Werken. 

Jacob  Minor:  (joethe"s  Apotheose  des   Künstlers. 

(Neue  freie  Presse,    12.  Okt.    1880.) 

Vergleich  zwischen  »Des  Künstlers  Apotheose«  veröffent- 
licht 1789  und  der  altern  Fassung  desselben  Dramas  »Des 
Künstlers  Vergötterung«  vgl.  Goethe- Jahrb.  I..  S.  393.  In 
der  Vergötterung  »ein  von  der  Empfindung  volles  Herz 
macht  den  Künstler«;  in  der  Apotheose  »der  angehende 
Künstler,  dem  gerathen  und  geholfen  werden  soll ,  bleibt 
über  all  dem  Rathen  und  Helfen  dumm«  ;  in  der  Vergötterung 
sollte  wohl  »der  verstorbene  Künstler  an  der  Hand  der  Muse 
erscheinen  und  durch  die  vergötternde  Hingebung  des  Jüngers 
und  Meisters,  überhaupt  der  Nachwelt  gefeiert  werden «  ;  in 
der  Apotheose  ist  an  Stelle  der  \'erklärung  die  Ironie  getreten. 

3.     (;!•:  DICHTE. 

R.  M.   ^^'erner :  Zum  Leipziger  Liederbuche  (ioethe's. 

(Archiv  für  Literaturgeschichte  X.,   S.   75  —  82). 

Weist  na<h,  dass  das  Lied:  »Einst  ging  ich  meinem 
Mädgen  nach«  nicht  nach  dem  Vorbild  von  Weisse's  Gedicht : 
Die   »Vorsicht«,  sondern   nach  dem  zweier  anderen  desselben 


510  Bibliographie. 


Verf.  »Der  Kuss«  und  »der  Wald«  entstanden,  und  dass 
dasselbe  Moti\  \on  früheren  und  späteren  deutschen  Dichtern 
mehrfach  behandelt  worden   sei. 

Robert   Hein:   Nachträge  zu  Hoffmann  \-.  l''allersleben  :   Unsere 
\ olksthümlichen  Lieder.     3.   Aufl.    1859. 

(.\rchiv   für    1  .itcraturgesch     IX..    225  —  250.) 

S.  232  tg.  Das  Gedicht  »Das  \'eilchen «  1773  gedichtet, 
nicht  1775;  ^-  -35%-  Bemerkungen  über  die  (Gedichte :  Ergo 
bibamus,  Rattenfänger,  Vanitas  vanitatum  vanitas.  (lewohnt, 
gethan:  Marmottenlied  aus  dem  »Jahrmarktsfest«:  Bundeslied; 
Offene  Tafel :   nur  Zusammenstellung  der  bekannten   Literatur. 

C.   E.   Putsche:    Eine   Lischrift    (ioethe's    aus    dem  Forstrevier 
Waldeck  l)ei   Bürgel. 

( W'eimarische  Zeitung   20.    |uli.) 

N'ermuthet,  dass  die  Inschrift,  welche  (loethe  am  ange- 
gebenen Ort,  während  seines  dortigen  Aufenthalts  mit  Kalb. 
Einsiedel  und  PJertuch  auf  eine  Forsttafel  geschrieben  haben 
soll,  ni(  ht  wie  bisher  cltirt :  »Nur  Luft  und  Licht  und  Freundes- 
liebe I  Ermüde  nicht,  wenn  dies  noch  bliebe  !  '  oder :  Ermüde 
nicht,  wenn  dies  dir  bliebe«,  sondern:  »Nur  Luft  und  Licht 
und  Freundeslieb'  Ermüde  nicht,  wem  dies  noch  blieb« 
gelautet   habe. 

Ludolf  Parisius  :    Zur  Vorgeschichte    von    (ioethe's    Hermann 
und  Dorothea. 
(Didaskalia.  Frankfurt   a.   M.    15..    17..    18.  Februar.) 

.Anknüpfend  an  eine  Aeusserung  des  Abgeordneten  Freytag 
in  der  bayri.schen  Kammer  (13.  Januar),  die  Stellung  der 
These:  »Vorgesc-hic:hte  des  Oedichtes  Hermann  und  Dorothea 
von  Goethe«  als  Seminaristen -Arbeit,  sei  ein  Zeichen  der 
überspannten  Lehrer-Bildung,  eine  Aeusserung,  welche  eine 
kleine  Deljatte  hervorrief,  gibt  Parisius  .A.uszüge  aus  der 
bekannten  Quelle  (ioethe's:  ».Ausführliche  Historie  derer 
Emigranten«  Leipzig  1732  mit  einigen  literarhistorisc-hen 
Bemerkungen   und   \'erweisen. 

»Cilück  und  Frieden!«  (ioethe's  Hermann  und  Dorothea  ethisch 
ausgelegt  von  Karl  Weiss.  Direktor  der  Frauen-Industrie- 
und   Bildungs-Schulen    \on  P>furt,   Strassburg   im  Elsass, 


BiBLIOGRAHHII..  )  I  I 


Magdeburg,  Halle  a.  d.  S.,  l'hcinnitz  i.  S.  und  Haiher- 
stadt.   Berlin.    F.  <  )chmigkes  Verlag  (R.    A])pelius). 

Sehr  wortreic  he.  oratorisch  gehaltene  Auslegung  der  (le- 
danken  und  Charakterisirung  der  einzelnen  Personen  des 
(iedichts  nach  folgenden  Abschnitten:  \\'elt  und  Zeit:  Alltag 
und  Masse:  Ideal  und  Leben;  Die  Religion  und  ihr  Diener; 
Zeit  und  Ewigkeit.  Ob  wirklich  derartige  phrasenhafte  oft 
vulgäre  Ausführungen  den  vom  Verfasser  angestrebten  Zweck 
erreichen,  dass  »Lehrer  der  Literatur  ein  Vorbild  darin  finden 
mögen,  wie  man  unsere  Classiker  in  das  Herz  des  Volkes 
])fianzen   soll«  V      Ich   zweifle  daran. 

Zu  (ioethe's  römischen   Elegieen.    Xon  V.    (Aus  der  Schweiz). 
(Augsburger  Allg.  Zeitung  Nr.   58,   Beil.,   27.   Februar.) 

Elegie  15:  »Wie  es  Dein  Priester  Horaz«,  spielt  an  auf 
Horaz.  Carmen  saeculare  V.  9,  nicht  auf  Properz,  wie  Gött- 
ling  wollte.  Elegie  5  :  »Amor  schüret  die  Lamp"  indess  und 
denket  der  Zeiten,  Da  er  nämlichen  Dienst  seinen  'Iriumvirn 
gethan«,  müsse  auf  die  politischen  Triumvirn,  nicht  etwa  auf 
die  drei  grossen  römischen   Lyriker  gedeutet  werden. 

Die  olympische  (iesellsc  haft  zu  Köln.  Ein  Beitrag  zur  Kölner 
Literatur-Cicschichte  der  Neuzeit.  Von  Hubert  Ennen. 
Würzburg.     Stuber.     30  SS.   8°. 

S.  26  —  28:  Zwei  Briefe  des  Stadt  -  Sekretärs  Fuchs  aus 
Cleve  (23.  Juni  und  22.  Dezember  1811)  über  das  Denkmal 
der  opferfreudigen  und  unglücklichen  Johanna  Sebus.  In 
einem  kommt  die  Stelle  vor:  »Auf  Betrieb  des  Hrn.  \on 
Keverberg  hatte  Goethe  ein  Gedicht  über  die  ganze  Begeben- 
heit verfertigt,  welches  von  Zelter  in  Musik  gesetzt,  hier  in 
Cleve  mehrmals  aufgeführt  worden«.  (Die  Composition  schickt 
Zelter  17.  F"ebruar  1810,  Zelter  L,  386  ff.,  nachdem  schon 
vorher  von  dem  (iedicht  mannigfach  die  Rede  gewesen;  von 
der  ersten  Aufführung  berichtet  (ioethe  am  18.  November  18 10 
daselbst  S.   418.    ^'gI.   auch   Annalen.    Hempel,   Absihn.   757). 

Das  lagebuch.  Noch  nicht  gedrucktes  Gedicht  von  Goethe. 
Berlin.  Th.  Lemke.  Ritterstr.  27.  8  SS.  in  8°.  Erste 
bis  vierte  Auflage. 

Längst  gedruckt  vgl.  Jahrb.  I..  S.  437  fg.  Die  Lorbeeren 
der  Carlsbader  und  Wiener  Collegen  haben  den  Berliner 
Buchhändler  nicht   ruhen   lassen. 


512  Bibliographie. 


4.     P  R  O  S  A  S  C  11  R  I  F  T  H  N. 

Werther:  (Grenzboten    1880,   IL,  Ö.  35ofg. :  Besprechung  des 
(ioethe-Jahrb.  1.). 

Im  Briefe  vom  4.  Mai:  »Ich  habe  meine  Tante  ge- 
sprochen und  bei  Weitem  das  böse  Weib  nicht  gefunden, 
das  man  bei  uns  aus  ihr  macht«  ist  (loethe's  Tante,  die  Frau 
Geheimräthin   Lange  gemeint. 

Werther :     Briefe     von    Herzog    Karl    .\ugust     und    Herzogin 
Amalia  von  Sachsen- Weimar  an  Prof.  J.  C.  Majer. 
(Aus  dem  WUrtemb.  Vierteljahrsheft  für  Landesgesch.  in: 
Weimarische  Zeitung,  Sonntagsbeilage  4.  Juli.) 

J.  C.  Majer  1741  — 1811,  hielt  1772  —  1774  dem  Prinzen 
Carl  August  Vorlesungen  über  deutsche  Reichsgeschichte  und 
Staatsrecht  und  blieb  auch  weiter  in  gutem  Einvernehmen 
mit  ihm.  Carl  August  schreibt  6.  Nov.  1774:  »Sehr  erfreut  es 
mich,  dass  Malchen,  ihre  Parcen  und  ihr  Staatsrecht,  ihnen 
noch  so  viel  Lebens-Geister  übrig  gelassen  dass  Sie  noch  mit 
mir  die  Schönheiten  der  Leiden  und  die  edle  Tugend  der 
Geliebten  des  Unglücklichen  Werthers  fühlen  könnnen.  j|  Oh! 
welch  ein  Glück  eine  Lotte  zu  lieben,  welche  die  Ermunterung, 
die  Begeisterung  zu  allen  Geschäften  giebt«.  Ein  anderer 
Brief  vom  7.  März  1782  und  ein  Brief  der  Herzogin  Amalia 
vom  4.  Nov.  1798  enthält  wenige  rein  persönliche  Mittheilungen. 

H.  M.  Richter :    Der    junge   Werther    in    Wien    und    Wien    in 
der  Werther-Epoche.     Antiquarische  Studien. 
Deutsche  Revue,  4.  Jahrg.  Heft  8,  9.  S.  164 — 181,  290 — 308.) 

Literarische  Bewegung  Wiens  vor  Werther:  Begeisterung 
für  Lessing;  geistige  Annäherung  Oesterreichs  an  J)eutsch- 
land :  Buchhandel  und  Leselust ;  Betheiligung  an  Sturm  und 
Drang:  Lavater;  Beurtheilung  von  Jacobi's  Woldemar :  »Man 
sieht,  dass  er  den  Herrn  Göthe  nachpoetisiren  will«;  Theil- 
nahme  am  Rührenden,  so  dass  z.  B.  eine  Zeitschrift  (1776) 
opponirt:  »Es  ist  leichter  die  Menschen  zu  verzärteln,  als 
ihnen  überlegende  Vernunft,  Stärke  des  Geistes,  Standhaftigkeit 
und  Grösse  einzuflössen.  Darum  ist  es  nicht  gut,  wenn  der 
Geschmack  am  Rührenden  so  die  Oberhand  gewinnt,  dass 
er  beinahe  ein  ausschliessendes  Recht  bekommt«.  Nach- 
ahmungen des  Werther:  Sigwart :  Werther-L'ieber.  Drama  1785; 


Bibliographie.  5^3 


Bretschneiders  Parodie;  Ratschky's  Verse.  Bekanntsein  Goethe's 
in  Wien:  Beurtheilungen  und  Aufführungen  seiner  Dramen. 
Der  Werther  nicht  erst  durch  ein  Feuerwerk  den  Wienern 
bekannt  geworden;  dieses  22.  Juni  1781  abgebrannt  u.  d.  T. : 
Werthers  Zusammenkunft  mit  Lottchen  im  Elysium  hat  mit 
der  Goethe'sclien  Erzähkmg  nichts  /u  ihun.  Die  Sage  durch 
Andeutungen  Nicolai"s  entstanden. 

Wilhehn  Herbst:  Wetzlar  und  die  Wertherperiode. 

(»Daheim«   XVI.,  Nr.   28,  29,  S.  448  —  451,  458  — 461  j. 

Darstelkmg  von  Goethe's  Stimmung  und  Erlebnissen  in 
jener  Zeit:  Lotte,  Maxe  Brentano  (von  der  letztern  entlehnt 
die  schwarzen  Augen  der  Lotte  Werthers);  den  Motiven  der 
Dichtung  :  Liebe  und  Ehre :  Schilderung  von  Goethe's  damaliger 
Dichterarbeit:  Scherers  Annahme  eines  Prosa-Faust  im  Jahre 
1772  etc.  sei  unbeweisbar  »um  so  fester  aber  steht  die  An- 
nahme, dass  die  Faustidee  überhaupt  bereits  vor  und  in  die 
stillbewegte  Zeit  jenes  Wetzlarer  Sommers  fällt«.  Andeutung 
der  Wirkung  Werthers.     Feier  für  Jerusalem   1776. 

R.   M.   Werner:  Goethe  als  Märchenerzähler. 

(Neue  fr.  Presse.      Wien   9.  Juni.) 

Besprechung  und  \'erurtheilung  des  Meyer  v.  \\  aldeck'schen 
Buches  (vgl.  Jahrb.  L,  S.  439J.  Einzelne  Scenen  des  »Neuen 
Paris«  erinnerten  an  das  3.  Gesicht  des  Philander  v.  Sittewald. 

H.  Düntzer:  (ioethe's  Märchen ;  Der  neue  Paris  und  die  neue 
Melusine. 
(Westermann's  Monatshefte  N.  F.  XLVIL,  Nr.  281,  S.  634 
bis  641.) 

Der  neue  Paris,  dictirt  3.  Juli  181 1  (»nach  einer  noch 
nicht  benutzten  Angabe  in  Goethe's  Tagebuch«.)  Besprechung 
beider  Märchen,  mit  Berücksichtigung  und  theilweiser  Wider- 
legung der  Schriften  von  Meyer  v.  Waldeck  (Goethe-Jahrb.  L, 
S.  439)  und  Bielschowki  (daselbst  S.  443  fg.). 

H.   Düntzer:  Goethe  und  Tristram  Schandy. 

(Archiv  für  Literaturgesch.  IX.,  S.  438  —  439.) 

Die  Stelle,  Briefe  an  die  Fahimer  (S.  92  fg.):  »Verworren- 
heiten des  Diego  und  Juliens«  u.  s.  w.  aus  T.  S.  c.  87  ; 
Tagebuch  4.  April    1777   fnudiSu/.Toc   zu    lesen  aus  das.  c.   19. 

Goethe- Jahrbuch  IJ.  55 


514  Bibliographie. 


H.  Brunn :  Laokoon.  Zum  Andenken  an  Karl  Bernhard  Stark. 
(Archäologische  Zeitung  XXXVII. ,   1879,  S.  167  — 170.) 

Geht  von  Goethe's  Bemerkungen  (Dichtung  und  Wahr- 
heit, 1 1 .  Buch,  Ende)  aus ;  »auch  in  dem  vorliegenden  Falle 
erweisen  sich  die  Erörterungen  Goethe's  erst  recht  fruchtbar, 
indem  sie  dem  äusseren  Zeugnisse  die  tiefere,  innerliche 
Begründung  hinzufügen«. 

H.  Pröhle :  Geflügelte  Worte.  II  \\ekliche  Citate.  mit  beson- 
derer   Rücksicht    auf   Goethe's    Büchertitel     »Dichtung 
und  Wahrheit«. 
(Vossische  Zeitung,   5.  September,  Sonntagsbeilage  Nr.  36.) 

Der  Titel  stamme  aus  einem  Aufsatze  J.  G.  Jacobi's  in 
der  »Iris«    1774  »Dichtkunst.    Von  der  poetischen  Wahrheit«. 


II.  Biographisches. 

A.     ALLGEMEINES. 

Goethe.  Vorlesungen  gehalten  an  der  Kgl.  Universität  zu 
Berlin  von  Herman  Grimm.  Zweite  durchgesehene 
Auflage.  Berlin,  Wilhelm  Hertz,  1880.  VIII  und  524  SS. 

Neu  sind  die  Beilagen  S.  489 :  Wichtigste  Ausgaben : 
S.  490—492  :  Goethe's  Briefe,  Sprüche,  Verhältnisse  zu  Per- 
sonen und  Orten;  S.  492  — 495  :  Erläuterungsschriften  (alpha- 
betisch nach  dem  Namen  der  Autoren);  S.  496 — 503:  Zeit- 
tafel, beginnend:  1474— 1533  Ariost,  schliessend:  1880  Ent- 
hüllung des  Goethe-Denkmals  in  Berlin,  ausführlich  ist  die 
Zeit  von  1759— 1832  behandelt:  S.  504—524:  Register,  über 
Goethe  speciell :  S.  509  —  513:  Leben:  Italien;  Familie;  Briefe; 
Aeusserungen:  Eigenschaften;  Styl,  Sprache,  Metrik;  Allge- 
meines: Werke.  —  Der  Text  des  Buches  ist  im  Ganzen 
unverändert    der  der  ersten  Auflage    (2  Bände.   Berlin   1877). 

*Studies  in  German  Literature  by  Bayard  Taylor.  \\  ith  an 
introduction  by  George  H.  Boker.  New-York.  G.  P. 
Putnams  Sons   1879.     IX  u.  418  SS. 

S.  304—337:  (ioetlie:  S.  337  —  388:  Goethe's  Faust. 
Der    erste  Artikel    eine    biographische  Skizze   mit  Würdigung 


Bibliographie. 


)M 


der  Hauptwerke,  Vergleichung  mit  Shakespeare;  der  zweite 
eine  Gesthichtc  der  Faust-Legende  und  des  Goethe'schen 
Faust.  Darlegung  des  Inhalts  mit  Uebersetzung  vieler  einzelner 
Stellen  beider  Theile.  ((Gegenüberstellung  von  Original  und 
Uebersetzung.)  \'on  den  anderen  Aufsätzen  des  'J'aylor'schen 
Bandes  sind  6  der  deutsi;hen  Literatur  bis  zum  17.  Jahrh. 
einschl..  die  4  übrigen:  Lessing:  Klopstock.  W'ieland.  Herder: 
Schiller:  Jean  Paul  gewidmet. 

j.  Harl)ey  d"Aureviliy:  Goethe  et  Diderut.  bonuc  laste.  Paris. 
E.  Dentu.     XXIII  u.   290  SS. 

Jämmerliches  Machwerk  I  Ein  kindischer,  ohne  jede  Spur 
von  LTrtheil  und  Kenntniss  unternommener  A'ersuch,  Goethe 
zu  vernichten.  In  S  Capiteln  S.  i  — 119  wird:  Theater,  Poesie, 
Philosophie,  Roman,  Kunst  und  Reisen,  Wissenschaft  behandelt. 
In  dem  Schlusswort  meint  der  Verf.:  man  sehe  in  Goethe 
nur:  mesquinerie  egoisme,  bourgeoisisme.  und  bemerkt:  On 
ne  le  lit  guere  dejä,  bientot,  on  ne  lira  plus!  In  der  Bio- 
graphie Diderots  S.  119  —  265  ist  von  Urtheilen  Goethe's  über 
Diderot,  von  seiner  Uebersetzung  des  Neffen  Rameau's  nicht 
die  Rede,  der  Schluss  (S.  263  —  265)  ist  nur  eine  Wiederholung 
unflätiger  Schimpfereien.  Einen  ähnlichen  Charakter  trägt 
die  Schlussabhandlung  (S.  267  —  288),  eine  Besprechung  der 
französischen  L^ebersetzung  der  Gespräche  zwischen  Goethe 
und  Eckermann,  in  welcher  einige  Urth'eile  Goethe's  über 
französische  Literatur  hervorgehoben  und  in  der  Manier  des 
Verf.  behandelt  werden. 

Literaturbilder.  Klopstock.  Lessing.  Wieland.  Herder.  Die 
Göttinger.  Goethe.  Schiller.  Von  Joseph  Lerique.  Mit 
10  Porträts.  Düsseldorf.  L.  Schwann 'sehe  Verlags- 
handlung.     1881.     VIII  und  382  SS. 

Die  Bilder  sind  gezeichnet  auf  »Grundlage  christlicher 
Weltanschauung«.  Goethe  S.  213 — 309.  Porträts:  Goethe 
nach  dem  Porträt  von  May  aus  dem  Jahre  1779,  Goethe 
nach  der  Rauch'schen  Büste.  Behandelt  i.  Goethe's  Leben 
und  Schriften  2.  Goethe's  Literarische  Bedeutung.  Die 
Darstellung  ganz  sorgsam,  wenn  auch  mit  mancherlei  Fabeln 
gemischt  (sehr  heftig  gegen  Christiane) ;  die  Beurtheilung  der 
lyrischen,  epischen,  dramatischen  Arbeiten  meist  würdig.  An 
die  Besprechung  schliesst  sich  die  Mittheilung  längerer  Stellen 
aus  Götz,  Iphigenie.  Tasso,  Faust. 

35* 


5l6  Bibliographie. 


B.     BIOGRAPHISCHE  EINZELHEITEN. 

Zur  Geschichte  der  Famüie  (ioethe. 

(Frankfurter    Nachrichten.     Beilage    zum    Intclligenzblatt 
14.    18.   19.  Juni.  S.    i6i8fg.,   1653  fg.,   1663  fg.) 

Der  ungenannte  \'erfasser  weist  aus  den  EeedebUchern 
Frankfurts  nach,  dass  Goethe's  Grossvater,  der  Schneider- 
meister Friedr.  Georg  Goethe  1687  mit  einem  Vermögen  von 
300  fl.  verzeichnet  ist,  Ende  1704  dagegen  von  einem  Ver- 
mögen von  15000  fl.  besteuert  wurde,  dass  also  das  Ver- 
mögen nicht  erst  durch  die  Verheirathung  mit  der  Wittwe 
Schelhorn  entstanden  ist.  Notizen  über  die  Kinder,  das 
Testament  vom  17.  Okt.  1729,  aus  dem  hervorgeht,  dass  Joh. 
Caspar  eine  Summe  von  etwa  15000  fl.  aus  dem  väterlichen 
Vermögen  erhalten  haben  muss:  zuletzt  ein  »Stammbaum  der 
Familie  Goethe  in  Frankfurt:  neu  revidirt  nach  den  Kirchen- 
büchern«. 

^^'.  Stricker:  Zu  Goethe's  Leben  und  Werken. 

(Im  neuen  Reich.  Nr.    14,  S.   549 — 553-) 

I.  (ioethe  als  Schlittschuhläufer  auf  den  Rödelheirner 
Wiesen  (22.  od.  23.  Jan.  1774).  2.  Goethe's  zweimaliger 
Besuch  in  seiner  Vaterstadt  vor  und  nach  der  zweiten 
Schweizerreise  1779  und  1780:  i.:  19 — 2^.  Sept.:  2.:  Ende 
Dezember  und  Anfang  Januar.  3.  Goethe's  Frankfurter  und 
Thüringer  Idiotismen.  Aufzählung  einer  Reihe  von  Formen 
und  Zetteln.     4.    Ein  Billet  Goethe's. 

W.  Scherer:  (iretchen. 

(Z.  f.  d.  A.  N.  F.  Bd.  XIL  S.   231-235.) 

Goethe's  Liebesverhältniss  zu  Ciretchen  beruhe  nicht  auf 
eigner  Erfindung,  vielmehr  sei  Gretchen  mit  der  A\'.  zu 
identificiren.  von  der  Goethe  i.  Okt.  1766  an  Moors  schreibt, 
dies  W.  =  Wagner  (Kriegk,  Senckenberg  326),  das  Lustspiel 
»Die  Mitschuldigen«  sei   ein  Niederschlag  dieser  Verbindung. 

W  .   Lang:   Herder  und   (ioethe  in  Strassburg. 

(Im   neuen    Reich.     Nr.   25,  S.  975  —  986.) 

Besprechung  in  Anknüpfung  an  Hayms  Herderbiographie 
(S.  979  A.  Rücksichtnahme  auf  Goethe-Jahrb.  L,  144  ff".; 
S.  984  Hinweis  aufSatyros-Herder.  ohne  bestimmte  Parteinahme). 


Bibliographie.  517 


A.  Schneegans:    Friderike  Brion   von  Sesenheim   1770— 18S0. 
(Die  (iegenwart  Nr.  35,  S.    155—138.) 

Erzählt  die  CJeschichte  des  Autograplis  der  »Mitschuldigen« 
(Hirzel'sche  Sammlung),  das  ursprünglich  im  Besitz  der  Brion"- 
schen  Familie  war,  und  versucht  den  Nachweis,  dass  das 
angebliche  Bild  Friderikens  ein  Porträt  einer  Hürgerfrau  aus 
dem  Anfang  des   18.  Jahrhunderts  sei. 

*  \N'.   V.   liiedermann :    (loethe  zu   Frau    von   l,a    Roche,    deren 
Tochter  und  Enkelin,  sowie  zu  Schlossers. 
(Wissensch.  Beil.    der    Leipziger  Zeitung,    6.   März    1879, 
Nr.    19.  S.    1 13  —  1 15.) 

Enthält  eine  Besprechung  der  im  (iocthe- Jahrb.  I.  excer- 
pirten  v.  Loeper'schen  Briefpublikation:  theilt  eine  (bisher 
ungedruckte)  Stelle  aus  Croethe's  Tagebuch,  3.  bis  10.  Sept.  1826 
mit,  aus  welcher  hervorgeht,  dass  damals  eine  Wiederannäherung 
mit  Bettina  v.  Arnim  stattgefunden  hat. 

Wilhelm   Fielitz  :   Goethe  und  Sophie  La  Roche. 

(Archiv  für  Literaturgesch.   X..  S.   83  —  96.) 

Andere  Datirung  einiger  der  von  Loeper  edirten  Briefe. 
Goethe-Jahrb.  I.,  399,  Nr.  i,  nicht  August  1773,  sondern 
Februar/März  1874:  daselbst  Nr.  2  nicht  Ende  August  1773. 
sondern  Februar/März  1775:  daselbst  Nr.  5  nicht  22.  Januar  1774, 
sondern  Sommer  (d.  h.  Juli)  desselben  Jahres :  in  dieselbe 
Zeit  daselbst  Nr.  6  und  S.  400.  Nr.  4. 

Paul  Stapfer:  Goethe  et  Lessing. 

(Revue  politi(|ue  et  literaire  Nr.  31  :  31  janv..  S.  720  —  727.) 

Unterschiede  beider  Persönlichkeiten,  Lessing  combattant, 
Goethe  artiste ;  ausführlichere  Besprechung  von  Goethe's 
dramatischem  Entwicklungsgang  (l'ebersetzung  eines  Theils 
der  Shakespeare-Rede),  Parallele  zwischen  beider  Ansichten 
über  Religion  und  Politik. 

Ed.  S(ack) :  Goethe  und  Lessing. 

(Frankfurter  Zeitung.   26.   und   27.   Oktober,   2   Artikel.) 

Sehr  harte  Kritik  gegen  v.  Biedermanns  Ausführungen 
im  Goethe-Jahrb.  L.  S.  17  —  44.  Dem  Autor  werden  Auslassungen 
in    den    \on    ihm    citirten    Stellen,   Veränderungen    einzelner 


5 1 8  Bibliographie. 


^^'orte  vorgeworfen  und  das  Bestreben  Schuld  gegeben.  Lessing 
gegen  Goethe  herabzusetzen.  —  Ich  registrire  diese  Aus- 
lassungen, ohne  über  ihren  Werth  und  Unwerth  mich  zu 
äussern.  Noch  weniger  gedenke  ich  meine  persönliche  Meinung 
über  Aufsätze  des  Goethe-Jahrbuchs  zu  sagen,  welche  hoch- 
achtbare Männer  von  wohlverdientem  literarischen  Rufe  ge- 
schrieben haben  und  mit  ihrem  Namen  zu  vertreten  wohl 
geeignet  sind.  Nur  muss  ich  zweierlei  erklären:  i.  dass  der 
Ton ,  in  welchem  Hr.  E.  S.  seine  Angriffe  erhebt ,  ein  in 
anständiger  Gesellschaft  durchaus  unerhörter  ist,  ein  Ton,  der 
vielleicht  einem  Dorfschulmeister  seinen  unerzogenen  Schul- 
kindern, aber  gewiss  nicht  einem  dilettirenden  Feuilletonisten 
einem  verdienten  Gelehrten  gegenüber  zukommt,  und  2.  dass 
sowohl  ich,  als  alle  diejenigen,  die  es  mit  Cioethe  ernst  meinen, 
aufs  Entschiedenste  gegen  die  uns  von  Hrn.  S.  gemachte 
Unterstellung  protestiren,  als  wollten  wir  »Goethe,  den  Dichter 
und  den  Menschen  zu  einem  Abgott  zu  erheben  suchen,  an 
dem  nur  Tugend  und  (ienie,  aber  keine  Fehler,  Schwächen 
und  Sünden  bemerkt  werden  dürfen«  und  ferner,  »neben 
Goethe  jeden  Andern  klein,  dürftig  und  mit  allerlei  Sünden 
und  Gebrechen  behaftet  erscheinen«  lassen.  Wir  wollen  viel- 
mehr, so  hoch  wir  und  mit  uns  alle  Gebildete  Goethe's 
Genie  und  Charakter  verehren,  unpartheiisch  urtheilen,  Jedem 
das  ihm  gebührende  Verdienst  gerne  gewähren  und  als  echte 
und  treue  Diener  der  \\  issenschaft  vorurtheilslos  den  Mann 
und  seine  Werke  betrachten.  Nur  eins  möge  uns  Hr.  S.  für 
jetzt  und  in  alle  Zukunft  gestatten,  dass  wir  den  Kritiker  der 
Frankfurter  gelehrten  Anzeigen  von  1772  in  jeder  Beziehung 
höher  stellen,  als  den  Kritiker  der  Frankfurter  Zeitung  von  1880. 

Goethe's  Verhältniss  zu  Klopstock.  Inaugural  -  Dissertation 
zur  Erlangung  der  Doctorwürde  bei  der  philosophischen 
Facultät  der  Universität  Leipzig,  eingereicht  von  Otto 
Lyon,  Oberlehrer  an  der  Kgl.  Realschule  i.  Ordnung 
in  Döbeln.  Döbeln.  Druck  von  J.  W.  Thallwitz.    134  SS. 

Beeinflussung  Goethe"s  durch  Klopstock.  Nachweis  im 
Einzelnen,  dass  die  »Höllenfahrt  Christi«  viele  Ausdrücke  und 
Bilder  aus  dem  »Messias«  entnommen ;  der  Darmstädter  Kreis 
weist  wieder  auf  Klopstock  hin  :  Goethe's  »Elysium«  anknüpfend 
an  Klopstocks  »Der  Zürchersee«.  6  Punkte  zusammengestellt, 
die  das  »Vortreffliche«  Klopstocks  enthalten,  welches  Goethe 
auf  sich  wirken  Hess :  Durchbrechen  zum  vollen  Leben, 
Empfindung   etc.     Die    Einwirkung    gehört    den    Jahren    1770 


Bibliographie.  519 


bis  1775  an;  Zerwilrfniss  1776;  Literarische  Angriffe:  Epi- 
gramme 1795,  1796,  Briefstellen  aus  den  folgenden  Jahren; 
gerechte  Würdigung,  die  Goethe  dem  Todten  angedeihen  Hess. 

Julian  Schmidt:  Goethe's  erstes  Jahr  in  Weimar  (i  775  — i  777). 
(Preuss.  Jahrb..   Hand  XLVI.,  S.  515  —  543.) 

Nach  kurzer  Einleitung  folgt  eine  Zusammenstellung  von 
Brief- Auszügen  Goethe's,  Wielands,  Einsiedeis,  Herders  u.  A. ; 
Schilderung  der  Frau  v.  Stein,  Lenz,  Klopstock  und  Goethe ; 
Corona  Schröter;  Jacobi's  Alhvill. 

Bayard  Taylor:  Weimar  im    luni  (Deutsch  von  Marie  Hansen- 
Taylor.) 
(Deutsche  Revue,  IV.  Jahrg.,   10.  Heft,  S.   56  —  66.) 

Bringt  u.  -\.  Mittheilungen  aus  Gesprächen  der  Alwine 
Frommann  über  Goethe  und  seinen  Kreis,  mit  mancherlei  Re- 
miniscensen  und  Anekdoten  aus  der  Weimarischen  (jlanzzeit. 

Goethe  und  p]erlin.  Festschrift  zur  Enthüllung  des  Berliner 
Goethe-Denkmals  von  Otto  Brahm.  Berlin.  Weidmann. 
36  SS.     8°. 

Goethe  in  Berlin  (1778),  bewundert  Friedrich  d.  Gr., 
wird  von  Prinz  Louis  Ferdinand  angestaunt,  von  Friedrich 
\\  ilhelm  IIL  und  den  übrigen  Mitgliedern  des  königlichen 
Hauses  geehrt.  Die  Bewunderung  in  Berlin  seit  1790  von 
grossen  Kreisen  ausgehend,  dem  Rahel'schen,  etwas  abseits 
Zelter.  Der  Goethecultus ;  drei  Epochen:  Rahel,  ältere  Roman- 
tiker (Tieck,  Schlegel),  jüngere  (Bettina) ;  als  Vorläufer  Moritz. 
Die  3  Epochen  eingehender  geschildert,  Zelter  als  Vermittler 
zwischen  Goethe  und  Berlin,  des  Erstem  ungünstiges  Urtheil 
allmählich  umgestaltend. 

K.  N.-St.  (Karl  Neumann-Strela):  Goethe  und  Schiller  in  Berlin. 
(Voss.  Zeitg.,  Freitag  10.  September  2.  Beil.) 

Wiederholung  allbekannter  Thatsachen  über  Goethe's 
Besuch   15.  Mai  ff.   1778.   — 

Carl  August  in  Frankfurt  a.  ^L  und  die  glücklichsten  Tage 
im  Leben  der  Eltern  Goethe's  i8.  bis  23.  Herbst- 
monates 1779.  Bericht  über  eine  Feier  in  Goethe's 
Vaterhause,  veranstaltet  vom  Freien  Deutschen  Hoch- 


520  Bibliographie. 


stifte  für  A\'issenschaftt'n,  Künste  und  allgemeine  Bildung 
daselbst  am  19.  Herbstmonates  1879.  Sonderabdruck 
aus  den  Berichten  des  Freien  Deutschen  Hochstifts 
1878/79.  Mit  \ier  Bildnissen  —  einem  der  Herzogin 
Anna  Amalia ,  einem  des  Prinzen  Constantin  und 
zweien  des  Herzogs  und  Grossherzogs  Carl  August  — 
in  Lichtdruck.  Frankfurt  a.  M.  Freies  Deutsches 
Hochstift.  In  Besorgung  bei  F.  A.  Brockhaus  in  Leipzig. 
4  unpagg.  Bll.,  4  Bilder,  36  SS.  in  8°. 

Der  Inhalt  ist  in  dem  langathmigen  Titel  angegeben  : 
vgl.  übrigens  oben  S.  467,  495  fg.,  der  Brief  der  Frau  Rath  (S.  24 
bis  27)  oben  S.  310 — 312,  die  unpagg.  Blätter  enthalten  Vor- 
wort, kleine  Gedichte  und  A\'idmung  an  den  Grossherzog  Karl 
Alexander.  Die  Originale  (Hr.  Volger  schreibt  Vorbilder) 
von  I,  3  und  4  (Anna  Amalia;  Carl  August  als  Jüngling  und 
als  Greis)  befinden  sich  im  Grossherzoglichen  Schloss  zu 
Weimar :  nur  Nr.  4  ist  mit  einem  Künstlernamen :  Bruni 
bezeichnet ;  das  Original  des  Bildes  des  1 1  jährigen  Prinzen 
Constantin  (S.  35  irrthümlich  gleichfalls  als  Bild  des  jugend- 
lichen Carl  August  bezeichnet)  gemalt  von  Zieseniss  ist  Eigen- 
thum  der  Kestner'schen  Familie  in  Hannover.  Auf  der 
Rückseite  des  Umschlags  eine  Abbildung  von  Goethe's  Vater- 
haus in  Frankfurt  mit  mancherlei  Verzierungen. 

(Lothholz):  Italien  und  Goethe. 

(Blätter  für  Handel,  Gewerbe  und  sociales  Leben,  Beibl. 
zur  Magdeb.  Zeitg.  Nr.  31,  32.  S.  242  — 244,   249,   250.) 

Goethe's  Kunstbildung  in  Frankfurt.  Leipzig,  Düsseldorf: 
Verhältniss  zur  Natur,  Eindruck  und  Wirkungen  der  italieni- 
schen Reise. 

Julian  Schmidt :    Aus   der  Blüthezeit  der  deutschen  Dichtung. 
Die  Vollendung  des  Tasso.  Goethe  und  Schiller  1788  —  89. 
(Preuss.  Jahrbücher  Bd.  46  H.   2.  S.   174 — 213.) 

Stimmung  in  und  über  Italien.  Studien  für  Tasso,  gemischt 
mit  persönlichen  Beziehungen:  Lenz,  Frau  von  Stein.  Schillers 
Eintritt  in  Weimar;  Beziehungen  zu  Frau  v.  Kalb  und  Char- 
lotte v.  Lengefeld,  Verhältniss  zu  Goethe  und  Moritz;  Gedicht 
»die  Künstler«  ;  Vollendung  des  Tasso,  Würdigung  desselben. 
Herder  in  Italien;  Schillers  Verhältnisse  zu  den  Frauen, 
Goethe's  zu  Christiane.  Schillers  \^erlobung.  (Das  Ganze 
im  U'esentlichen  eine  Aneinanderreihung  von  Briefstellen  der 
Betheiligten.) 


BlBLIOGRAPHlL.  ^21 


*  Alfred  Mosrhkau  :  Goethe  und  Karl  August  auf  dem  Oybiii 
l)ci  Zittau  vom  28.  bis  29.  Sept.  1790.  Eine  Eriimerung 
für  Verehrer  (ioethe's  und  Karl  Augusts  und  fUr  Re- 
surher  des  Oybin.  Mit  einem  Kui^ferstiche.  das  alte 
Gesellschaftshaus  auf  dem  Oybin  darstellend:  nebst 
mehreren  ungedruckten  Handschriften  Grocthe's.  Leipzig. 
Louis  Senf      1879.      \'III   und  30  SS. 

Berichtet  über  Goethe"s  Hesuc  h  an  genanntem  Orte  von 
Schlesien  aus,  über  den  dortigen  komischen  Schulmeister 
Johann  Hübel  und  (ioethe's  an  ihm  geül)ten  Scherz  (ein  Brief 
an  denselben,  nur  durch  die  Tradition  bezeugt,  ist  bisher 
nicht  aufgefunden).  S.  2,  3  Notizen  aus  dem  (in  Hirzels 
Sammlung  befindlichen)  Reisetagebuch  Goethe's  in  Schlesien. 
S.  29  fg.  Neudruck  des  Briefes  an  Döbereiner  28.  März  1814: 
S.  30  :  ein  kurzes  Billet  an  den  Herzog  ('I'heaterangelegenheit) 
27.   ALirz    1807. 

Robert  PJoxberger  :  Die  \'erunti'euung  des  Manuscriptes  \-on 
Wallensteins  Lager. 

(Archiv  f.   Literaturgesch.  IX.  S.   339     353-) 

Wiederholt  die  »Weimarer  Sonntagsblatt«  1856,  »Grenz- 
boten« 1857  mitgetheilten  Briefe  (ioethe's  an  Kirms,  15.  Ok- 
tober 1798,  4.  März,  26.  März.  2.  April  1799,  die  Verord- 
nungen vom  II.,  16.  März  1799,  welche  den  »Theaterwöchnern« 
das  Verleihen  von  Handschriften  untersagen,  Böttigers  Be- 
sprechung der  Piccolomini  und  einen  ungedruckten  Brief  der 
Friderike  Brun  an  Böttiger  (19.  März  1799),  welchen  sich 
Ivetzterer  schreiben  Hess,  um  die  Veruntreuung  zu  bemänteln. 
Sicher  hat  Böttiger  sich  die  Abschrift  durch  seine  Schüler 
machen  lassen. 

Bei  Goethe.        (Otto  Glagau,  Der  Culturkämpfer,  Sept. -Heft.) 

Bericht  Wilh.  Zahns  über  seinen  Besuch  bei  (ioethe, 
7.  Sept.  1827  ff.,  dem  Herausgeber  mündlich  mitgetheilt  im 
Frühjahr  1877,  über  die  Mittagsgesellschaft:  Meyer,  Ecker- 
mann, Riemer,  den  später  eintretenden  Grossherzog  und 
Goethe's  La-theile  über  Zahns  Zeichnungen  nac  h  Pompejani- 
schen  Gemälden.    (Vgl.   Didaskalia,  26.  Sept.,  Nr.   269.) 

R.  S  .  .  r  (Robert  Springer?).    Wie  Goethe  wohnte. 

(Deutsche  Lesehalle.    Sonntagsbeil,  zum  Ikrlincr  Tage- 
blatt.    Nr.  25.   20.    luni,  S.   196  fg.) 


522  Bibliographie. 


Beschreibung  des  Goethehauses  in  Weimar  mit  manchen 
falschen  Angaben:  die  Uhrgeschichte  vgl.  oben  S.  331,  wird 
dem  Herzog  von  Coburg  statt  dem  von  Mecklenburg  zuge- 
schrieben, in  eine  unrichtige  Zeit  verlegt  und  feuilletonistisch 
ausgeschmückt. 

Goethe's  Stellung  zur  deutschen  Nation  von  Arnold  Schäfer, 
Prof.  in  Bonn,  (Frommel  u.  Pfaff,  Sammlung  von  Vor- 
trägen III.,  3.)  Heidelberg.  Carl  Winters  Universitäts- 
buchhandlung. 24  SS.  in  8°. 

Ciehört  zu  den  oben  S.  452  erwähnten  Vorträgen. 
Schilderung  der  Zeit  und  des  Ortes,  in  denen  Goethe  auf- 
Avuchs ;  geringe  Befriedigung  in  der  Gegenwart,  Verehrung  der 
früheren  Zeit,  besonders  deren  Kunst.  Götz  v.  Berlichingen. 
Politische  Thätigkeit  in  Weimar,  Betheiligung  an  den  deut- 
schen Ereignissen  :  Fürstenbund  ;  Krieg  gegen  Frankreich  ; 
Theilnahmlosigkeit  während  der  Befreiungskriege.  »Goethe's 
Stellung  zur  deutschen  Nation  nach  seinen  letzten  Lebens- 
jahren bemessen  zu  wollen,  würde  ungerecht  sein«. 

Goethe's  deutsche  Gesinnung.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  seiner 
Entwicklung.  Inaugural  -  Dissertation  zur  Erlangung 
der  philosophischen  r3octorwürde  an  der  Universität 
Leipzig ,  eingereicht  von  Friedrich  (iotthard  U'inter 
aus  Schwarzenberg.  Leipzig.  Rossberg"sche  Buch- 
druckerei.     91   SS. 

Nur  I.  'l'heil :  Von  Goethe's  Jugend  bis  Ende  der  Freiheits- 
kriege. Quellen :  Goethe's  Werke  und  Handschriften  der 
Hirzel'schen  Bibliothek.  Hinweis  auf  Goethe's  Bewunderung 
für  Friedrich  d.  Gr.,  deutsches  Volkslied,  Gothik,  Götz  ;  über 
Bardenpoesie  ;  Thätigkeit  in  \\  eimar  ;  Fernhalten  von  Politik  ; 
Stimmung  in  den  Freiheitskriegen  :   Epimenides. 

Jürgen  Bona  Meyer  :  Goethe's  Naturliebe. 

(Deutsche  Revue,  IV.  Jahrg.,  Heft   11.,  S.   166—178.) 

Naturbetrachtung  der  Dichter  des  18.  Jahrhunderts:  Haller. 
Klopstock ;  im  Gegensatz  dazu:  Goethe;  Frankfurt,  Wetzlar, 
besonders  Schweiz  (grosse  Auszüge  aus  den  Reisebriefen). 
Einwirkung  Rousseau's  ;  Weimar  (Gartenhäuschen);  Ilmenau 
»Goethe  ist  der  Dichter,  der  nicht  melir  die  Natur  nur  sucht, 
er  ist  der  Dichter,  der  sie  hat   und  der  selbst  Natur  ist«. 


BiBLIOGRAPHIt.  523 


Johann  Wolfgang  v.  Goethe  als  Freimaurer.  Festschrift  zum 
23.  Juni  1880,  dem  hundertjährigen  Freimaurerjubiläum 
(roethe's  von  I.  Pietsch.  Lei|)zig.  IJruno  Zeche!. 
63  SS. 

Nennt  S.  5  eine  Anzahl  wenig  bekaniUc  tVeiinaurcris«  lie 
Schriften  über  (ioethe,  Aufnahme  in  den  Hund,  Meister  (iJriefe 
an  Fritsch),  Auflösung  der  Loge  Amalia  und  Wiedereröffnung 
derselben  (1808),  S.  20 fg.:  Mitgliederliste,  1809:  Ablehnung 
der  Würde  des  Meisters  vom  Stuhl,  1830:  Feier  des  fünfzig- 
jährigen Jubiläums  (S.  29  fg.:  Ehrendiplom).  —  Freimaurerische 
Gedichte  und  Werke:  Loge;  Cieheimnisse;  auch  in  anderen 
Gedichten  sei  Maureris<:hes  enthalten  (doch  hat  der  Verfasser 
sehr  Unrecht,  alle  Verse  in  den  »Zahmen  Xenien«,  in  denen 
das  Wort  »Orden«  vorkommt,  hierher  zu  rechnen) ;  der  »Divan« 
sei  das  »freimaurerische  Glaubensbekenntniss«  (loethe's;  Gross- 
kophta,  ^^'ilhelm  Meister,  Faust.  Zauberflöte,  zweiter  Theil. 
Nicht  blos  als  Dichter,  sondern  au<h  als  Privat-  und  Staats- 
mann habe  Goethe  sich  als  durchdrungen  von  freimaurerischen 
Ideen  gezeigt.  -  Die  literarisch-kritischen  Bemerkungen  des 
Verfassers  sind  dürftig  und  unreif. 

Jakob  Auerbach:  Rede  über  Goethe  als   Freimaurer. 

(Bauhütte,  Nr.  35,  S.   277  —  279.     Au(  h    in   sehr  wenigen 
Abzügen  gedruckt,  8  SS.  in  8°.) 

Sehr  schöne  Würdigung  von  Goethe's  inneren  Beziehungen 
zur  Maurerei ;  spricht  sich  (ohne  Namen  zu  nennen)  gegen 
die  Uebertreibungen  Pietschs  und  Anderer  aus,  welche  der 
Freimaurerei  eine  tiefere  Einwirkung  auf  Goethe  zuschreiben 
und  auch  in  vielen  seiner  Gedichte,  die  auf  die  Loge  gar 
keinen  Bezug  haben ,  maurerische  Andeutungen  zu  finden 
meinen. 

Freimaurerische  Vorträge,  Ansprachen,  (iedichte  und  Tafel- 
reden. L  Aus  dem  Nachlasse  von  Br.  Heribert  Rau. 
IL  Zur  Säkularleier  der  Aufnahme  Goethe's  in  die 
Loge  Amalia  zu  ^^"eimar  am  23.  Juni  1780.  Festvortrag 
und  Festlieder  von  Br.  Putschke ,  Mstr.  v.  St.  und 
Br.  L^nrein,  Secr.  der  Loge  Amalia.  III.  Tafelreden, 
Ansprachen,  Lieder  und  Gedic-hte.  Frankfurt  a.  M. 
W.  Rommel.     VIII  u.  240  SS.j 

Enthält  S.  141  — 160  u.  d.T.:  »Zweite  Abtheilung  :  Goethe's 
Maurerberuf  und  dessen  Beglaubigung  schon   durch  sein   Auf- 


524  HliiUOGKAPHlt. 


nahmegesuch«,  die  von  dem  auf  dem  Haupttiiel  Genannten 
herrührenden  Lieder  und  den  Vortrag  bei  der  Säkularfeier. 
In  der  Rede  sind  u.  A.  Briefe  von  und  an  Fritsch  über 
Goethe's  Aufnahme  in  den  Freimaurerbund  und  in  das  Minister- 
consci!   zum   erneuten   Al)dru(k   L^ebracht. 

Aurea  catena  Honieri.  Von  Hermann  Kopp.  Braunschweig. 
Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.     XII  u.   50  SS. 

Bespricht  CJoethe"s  Betheihgung  an  hermetischer  C'hemie, 
die  Nachwirkung  der  dabei  in  seiner  Jugend  empfangenen 
Eindrücke  in  späterer  Zeit,  namenthch  das  Buch,  von  welchem 
Goethe  bekannt  hat,  dass  es  ihm  damals  besonders  gefallen; 
Aurea  catena  Homeri  (S.  5  fg.  Anm.  ül^er  encheiresis  naturae 
vgl.  Goethe- Jahrb.  L,  S.  435).  Ausgaben  des  Buches,  Skizzirung 
des  Inhalts ;  Versuch,  den  Oesterreicher  Ant.  Jos.  Kirchweger 
als  Verfasser,  das  erste  Decennium  des  18.  Jahrh.  als  Abfassungs- 
zeit zu  erweisen. 

R.  Steck  :  Goethe's  religiöser  Entwicklungsgang.  (Abgedruckt 
aus  der  Protestantischen  Kirchenzeitung  1880,  Nr.  22 
u.   23.)     Berlin.     G.  Reimer.     38  SS. 

Unterscheidet  vier  Perioden:  i.  Jugendzeit.  Erste  Ein- 
drücke. Religionsunterricht.  Bibelkenntniss.  2.  Die  Jahre 
der  fortschreitenden  Entwicklung.  Fräulein  von  Klettenberg. 
Lavater.  3.  Die  Mannesjahre.  Italienische  Reise.  Abkehr 
vom  Christenthum.  4,  Das  Alter.  Rückkehr  zum  Christen- 
thum  und  betrachtet  in  zwei  Schlussabschnitten.  5.  Verhältniss 
zur  Kirche.  Unsterblichkeitsglaube.  6.  Die  Hauptwerke.  Fasst 
als  Resultat  zusammen  :  »Wenn  jenes  enge  ängstliche  Wesen, 
das  von  der  Welt  scheu  sich  abwendet,  das  der  Wunder  nicht 
entbehren  kann,  das  in  pietistischer  Gefühlsschwärmerei  mit 
Christi  Blut  und  Wunden  spielt,  das  wahre  Christenthum  ist, 
dann  ist  Goethe  kein  Christ  gewesen.  Fassen  wir  aber  das 
Christenthum  in  seiner  ursprünglichen  und  reinen  Gestalt, 
stellen  wir  das  Bild  Jesu  in  seiner  geschichtlichen  Klarheit 
vor  unser  Auge  und  fragen  wir  dann,  ob  (loethe's  Dichten 
und  Denken  sich  hiermit  vertrage,  so  müssen  wir  mit  einem 
bestimmten  Ja  antworten«. 

Goethe  als  Pädagog.  Vortrag,  gehalten  im  Ihlinner  Lehrer- 
vereine am  20.  März  1880.  ^"on  Wilhelm  C.  Schräm, 
Lehrer  der  klassischen  Philologie.  Leipzig.  Heinrich 
Pfeil.     29  SS.  8°. 


Bibliographie.  525 


Goethe  als  Erzieher  des  jungen  v.  Stein ;  Zusammen- 
stelhing  pädagogischer  Aeusseningen  aus  »Hermann  und 
Dorothea:  Wahlverwandtschaften:  Wilhelm  Meister«;  erste 
Erziehung  der  Kinder  aus  Werther  und  Dichtung  und  Wahr- 
heit, Sprüche  in  Prosa  und  in  Reimen ;  Mäd<henerziehung ; 
Vorschriften  für  die  Bildung  zur  Religion  und  Sittlichkeit: 
Material  des  Unterrichts:  Hihel,  griechische  Classiker.  neuere, 
insbesondere  deutsche  Literatur;  (leschichte;  Naturwissensc  haft; 
Zeic:hnen ;  Singen :  ȟber  die  physis(  hc  Erziehung  hat  sich 
leider  unser  Dichter  fast  gar  nicht  mitgetheilt«.  Das  Schrift- 
chen endet  mit  dem  hübschen  Satz:  »Wer  si(  h  in  (ioethe"s 
Eeben   und  \\'erke  vertieft,   wird  bald  ein  anderer«. 

Eugen   Dreher,  Privatdozent  an  der  Universität   Halle-\Vitten- 
berg.    (ioethe's  Bedeutung  als  Naturforscher.    Vortrag, 
gehalten   in  der   »Deutschen  (Gesellschaft«   zu  Berlin. 
(Die  Natur,    herausg.    von   Karl   Müller.      XXIX.    Nr.  41. 
S.  516-519.) 

Goethe's  Farbenlehre  beruhe  auf  unrichtigen  Folgerungen; 
die  J,eistungen  in  Botanik  und  Zoologie  bedeutend;  Richtung 
als  Naturforscher  :  »die  Geheimnisse  der  Natur  offenbaren  sich 
nach  ihm  von  selbst  den  gesunden  Sinnen  und  dem  klaren 
Verstände« :  kein  Sinn  für  metaphysische   Weltanschauung. 

Dr.   S.   Kalischer:    Bemerkungen    zu    Hrn.    Dr.    Drehers  Vor- 
trag: Goethe's  Bedeutung  als  Naturforscher. 

(Die  Natur.      XXIX.     Nr.  48,  S.   606.   607. j 

Verwirft  Drehers  ^'erurtheilung  von  (ioethe's  P\arljenlehre 
als  unrichtig. 

Prof.    Franz  'l'oula :    (ioethe    als    Geologe.     Zum    28.  August, 
dem  Geburtstage  Goethe's   1749— 1880. 
(Die  Natur.    XXIX.    Nr.  46,  47,    S.  581,  582,    587  —  590.) 

Literatur  über  diesen  Gegenstand :  chronologische  Zu- 
sammenstellung der  Cioethe'schen  Aufsätze  und  Entdeckungen; 
Besprechung  des  Aufsatzes  »Joh.  MüUer'sche  Sammlungen 
1807«;  der  Theilnahme  Goethe's  an  dem  Streit  über  die 
»erratischen  Blöcke^'  (Stellen  im  Faust,  den  Briefen).  —  Mit- 
theilungen aus  Goethe's  Sprüchen  und  Cxesprächen  über  die 
Art  und  Entwicklung   seines  geologischen   Studiums. 


526  BlBLlOGKAPHIE. 


Dr.  S.  Kalischer:  Noch  einmal  Goethe  als  Geologe.  Mit 
Bezug  auf  den  gleichnamigen  Aufsatz  des  Hrn.  Prof. 
Franz  Toula  in  Wien. 

(Die  Natur.     XXIX.     Nr.  52,  S.  654.  655.) 

Berichtigung  eines  Irrthums  'l'oula's,  Croethe  habe  aller- 
dings das  Herkommen  der  erratischen  Blöcke  aus  über- 
baltischen Regionen  angenommen. 

W.  V.  Biedermann:  Goethe  und  Kotzebue. 

(^^'issenschaft].    Beil.    z.    1-eipz.    Zeitg.    25.    und    30.   Dez- 
Nr.   104.   105.  S.  621 --625,  629 — 634.) 

Stellt  die  lobenden  Aussprüche  über  Kotzebue's  Talent, 
den  Tadel  gegen  seine  Rührseligkeit  zusammen.  Mittheilungen 
über  die  Aufführung  Kotzebue'scher  Stücke  in  Weimar,  er- 
leichtert durch  des  Verf.  Verzicht  auf  Honorar.  Bearbeitung 
einzelner  Stücke,  z.  B.  des  Schutzgeistes,  eines  Stückes  »das 
Goethe  sehr  liebte« ,  bisher  nicht  bekannt :  Aenderungen  in 
»Die  deutschen  Kleinstädter«,  Streichung  der  Anspielungen 
auf  Vulpius  und  Schlegel.  Brief  Schillers,  Kotzebue  zieht  das 
Stück  zurück,  die  Affaire  Veranlassung  zu  der  von  Kotzebue 
projectirten,  aber  verhinderten  Schillerfeier :  Cioethe  bezeigt 
dabei  keine  Feindseligkeit  gegen  Schiller.  Ausfälle  des  Frei- 
müthigen  gegen  Goethe,  Reime  Goethe's  gegen  Kotzebue, 
erst  nach  dessen  Tod  veröffentlicht :  Urtheile  über  seine  Er- 
mordung. (Mittheilung  dreier  Briefe,  12.  Dez.  1799,  ^°-  Nov. 
1801,  28.  Febr.   1802  s.  oben  Regesten.) 

De  botulo  sive  sanguiculo  insaniente  tractatus  d.  i.  die  Ab- 
handlung von  der  wahnsinnigen  Blutwurst.  Von  Mi- 
nutius  Quisquilius  v.  Pimperling,  Doctor.  Professor, 
Akademiker,  Geheimrath,  Ritter  des  hohen  Ordens 
vom  güldenen  Maulkorb  3.  Klasse  mit  Humboldtfedern 
am  Ringe  u.  s.  w.  Ein  unentbehrlicher  Beitrag  zur 
Goethe-Literatur.  Nach  Vergleichung  sämmtlicher  Hand- 
schriften edirt  von  Johannes  Scherr. 

(Gegenwart.     Nr.   21.  S.  324 — 328.) 

Will  in  der  bekannten  plumpen  und  burschikosen  Manier 
des  Verfassers  eine  Verspottung  der  Goetheforschung  sein. 
Ein    Eingehen    auf   den  Aufsatz    und    eine  Wiederlegung   der 


BlBLIOGRAPHIh.  527 


darin  ausgesprochenen  Ansichten  würde  der  Wurde  des  Jahr- 
buchs zu  nahe  treten. 

Herder  nach  seinem  Lehen  und  seinen  Werken  dargestellt 
von  R.  Haym.  Berlin.  Rudolph  Ciärtiicr.  I.  IJand. 
XIV  und  748  SS. 

Schilderung  der  Zeit  \  or  Herders  Ankunft  in  Weimar. 
S.  380  —  450:  Strassburg,  ausführliche  Darlegung  des  Einflusses, 
welchen  Herder  auf  Goethe  übte;  S.  523:  Goethe.  Caroline 
Flachsland  und  Lila  (aus  ungedruckten  Briefen  der  I-etztern). 
S.  530:  Pater  Brey  (vgl.  Goethe-Jahrb.  L.  115  ff,  daselbst 
auch  über  die  Erwähnung  des  Satyros  bei  Haym,  S.  375). 
S.  736  ff. :  erste  Anknüpfung  mit  und  schliessliche  Berufung 
nach  Weimar:  Erwähnung  und  Beurtheilung  xon  (ioethe's 
Jugendwerken,  Goethe's  Zettelbriefe  an  Herder. 

J.  Fr.  Lobstein  sen.  Professor  der  Anatomie  und  Chirurgie. 
Ein  Lehrer  Goethe's  in  Strassburg.  Von  Dr.  med. 
Ed.  Lobstein  Mr.  F.  D.  H.  Nebst  einem  Anhang: 
Zur  Geschichte  des  Bürgerhospitals  von  Strassburg. 
Heidelberg.  Carl  Winters  Universitätsbuchliandlung. 
VII  u.  94  SS. 

Pietätsvolle  Biographie  J.  Fr.  Lobsteins,  geb.  zu  Lampert- 
heim, 30.  Mai  1736,  gest.  in  Strassburg  11.  Okt.  1784,  mit 
vielen  Notizen  und  Excursen  zur  Gelehrtengeschichte  des 
18.  Jahrhunderts.  Ueber  Goethe  S.  33  —  35-  doch  nur  das 
aus   »Dichtung  und  Wahrheit«   Bekannte. 

Christian  Felix  Weisse  und  seine  Beziehungen  zur  deutsclien 
Literatur  des  18.  Jahrhunderts.  Von  Dr.  J.  Minor. 
Innsbruck,  "\^'agner'sche  Universitätsbuchhandlung.  ^'III 
u.  406  SS. 

S.  49:  Goethe  versucht  Weisse  zu  besuchen  (1776):  S.  91 : 
ergötzt  sich  über  das  Lustspiel :  »Der  Leichtgläubige«  ;  S.  94  : 
Goethe's  Brief  über  Gottsched  (1765)  Copie  einer  Stelle  aus 
einem  komischen  Heldengedicht  Weisse's;  S.  109  fg.:  Lustspiel 
Amalia  Vorbild  von  Stella:  S.  198  fg. :  Goethe  durch  den 
Verkehr  mit  Andre  auf  das  französische  Singspiel  hingewiesen  : 
S.  234.  243:  Ueber  Weisse's  Romeo  und  Julie:  S.  295  fg. : 
aus  einem  ungedruckten  Briefe  Weisse's  an  Blankenburg 
(20.  Mai  1775)  ü^"^''  Lessings  Grimm  gegen  Goethe  (Jerusalem. 
Werther):    S.   328  ff.  :    Abdruck    aus    »Bil)liothek   der  schönen 


528  Bibliographie. 


Wissenschaften«  der  Wezel'schen  Antwort  auf  die  Sprikmann"- 
sche  Frage  :  »Was  heisst  göthisiren  y«  ;  S.  356  — 339:  über  die 
Beurtheilungen  ders.  Bibl.  :  Deutsche  JJaukunst,  Werther. 
Gösrhen'sche  Ausgabe  der  Werke. 

Klinger  in  der  Sturm-  und  Drangperiode,  dargestelk  von 
M.  Rieger.  Mit  vielen  Briefen.  Darmstadt.  Arnold 
Bergsträsser.     Xll  u.  438  SS. 

Vorn  Bild  Klingers  nach  einer  Kreidezeichnung  (ioethe"s 
Jan.  1775.  S.  9fr.,  18  —  23:  Jugendbeziehungen  zu  Goethe; 
S.  26  fg. :  Goethe  überlässt  ihm  seine  Fastnachtsspiele  zum 
Verkauf;  S.  62  fg.  :  über  Werther;  S.  147—178:  Klinger  in 
\^'eimar.  Die  Darstellung  theils  nach  bekanntem  Material,  theils 
nach  15  im  Anhang  abgedruckten  Briefen  Klingers  aus  Weimar 
(12.  Juni  bis  25.  Sept.  1776)  an  Mutter  und  Schwester, 
Schleiermacher,  Kayser,  die  für  das  damalige  Weimarer  Leben 
und  für  Goethe  von  grossem  Interesse  sind.  (Vgl.  besonders 
37I'  375i  379i  381  (Stella),  384  (Wallfahrt  nach  Wetzlar), 
385,  389.  431   (Kayser  über  (Joethe). 

H.   Hettner  :   Aus  Wilh.   Heinse's  Nachlass  1. 

(Archiv  für  Literaturgeschichte  X.,  S.  39  —  73.) 

AN'iederholt  3  Briefe  Klingers  an  Heinse  (s.  Rieger), 
2  Heinse's  an  Klinger  (Frankfurter  Buchdruckergedenkbuch 
1840),  publicirt  zum  ersten  Male  6  sehr  interessante  Briefe 
des  Malers  Müller  an  Heinse.  S.  55  (Rom  17.  April  1787) 
heisst  es :  »Dass  Goethe  hier  war,  wirstu  ^^ermuthlich  schon 
wissen  —  er  logirte  beym  Mahler  Tischbein,  schien  ein  Staats- 
gefangner vom  neugebacknen  Anticiuar  Hirt  (ein  erbärmlicher 
Prinz),  Schüz,  Pirry  (gemeint  ist :  Bury)  etz.  zu  seyn.  ]3iese 
machten  seine  Leibguarda  aus  und  es  schien  mir  immer  wenn 
ich  den  starcken  Goethe  unter  den  Schaalen  Schmachtlappen 
so  herum  marschiren  sah,  als  erblickt  ich  den  Achilles  unter 
den  Vozen  von  Sciros  —  ich  sah  ihn  nicht  als  nur  in  den 
letzten  Tagen  seines  Hierseyns  da  traffen  wir  uns  auf  der 
Villa  Medicis  und  sprachen  auf  einige  Augenblicke  miteinander«. 

Erich   Schmidt:   Satirisches  aus  tler  (ieniezeit. 

(Archiv  für  Literaturgesch.  IX.,  S.    179 — 199.) 
S.    i88fg. :  In  (C.   G.   Contius)   »Wieland  und  seine  Abon- 
nenten«    wird    Goethe    wenigstens    genannt :     in     der    Schrift 


BlBLIOGKAPHn..  529 


(vielleicht  von  Cranz  V)  »Condolenzsrhreiben  an  die  grossen 
Geister  Teutschlands,  Hn.  Lessing,  Hn.  (ioethc  und  ihre- 
Cameraden  bey  dem  'l'od  der  Hmilia  (Jalotti.  der  Mina  \on 
Uarnhelm  und  des  (lötz  v.  Üeriichingen,  da  diese  Stücke 
durch  den  unsterblichen  Dichter  H.  H.  Möller  Mitglied  der 
Seilerschen  (Gesellschaft  ins  Reic  h  der  Vergessenheit  und  Ver- 
moderung abzugehn  gezwungen  wurdencc  kommt  (ioethe  gegen 
den  Dichterling  und  Si;hausi)ieler  M..  der  durch  seine  werth- 
losen  Stücke  das  Publikum  ent/iic-kte,   zu   Khren. 

Ansichten  über  Aesthetik  und  Literatur  von  Wilhelm  v.  Hum- 
boldt. Seine  Briefe  an  Chr.  (r.  Körner  (1793— 1830). 
Herausgg.  von  F.  Jonas.  Berlin.  1,.  Sr.hleiermac:her. 
XI  und    190  SS. 

Enthält  auch  über  Goethe"s  Werke :  Egmont,  italienische 
Reise,  Hermann  und  Dorothea  interessante  Urtheile,  jedoch 
keine  neuen  Mittheilungen.  Seltsam  ist  die  Notiz  S.  150 
(4.  April  1830):  »Schiller  und  (lOethe  tranken  immer  Bier 
und  (joethe  thut  es  auch  jetzt  o/i/zr  alle  Scliaiii^  ^\enn  auch 
Leute  dabei  sind«. 

(Dietrich  Schäfer):  Heinrich  Luden. 

(Preussische  Jahrbüc:her  S.  379 — 400.) 

Sehr  anziehende  Schilderung  von  Ludens  Leben  und 
Bedeutung.  Beziehungen  zu  (ioethe:  S.  381,  385  fg.,  392 
(Nemesis).  399  (Verlangen  an  die  »Immediatcommission  für 
Wissenschaft  und  Kunst«  Rechenschaft  im  Landtage  abzulegen.) 
Vgl.   übrigens  auch  oben  S.   258. 

Alexander  Ecker :  Lorenz  Oken.  Line  biographische  Skizze. 
Gedächtnissrede  zu  dessen  hundertjähriger  (Geburtstags- 
feier, gesprochen  in  der  zweiten  öffentlichen  Sitzung  der 
52.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 
zu  Baden-Baden  am  20.  September  1879.  Durch 
erläuternde  Zusätze  und  Mittheilungen  aus  (Jken's  Brief- 
wechsel vermehrt.  Mit  dem  Porträt  Okens  und  einem 
Facsimile  der  Nr.  195  des  L  Bandes  der  Isis.  Stuttgart. 
C.  Schweizerbarfsche  Verlagshandlung  (E.  Koch).  VIII 
und  220  SS. 

Manche  neue  Briefstellen  über  Goethe,  welche  in  den 
»Mittheilungen  über  Goethe«  abgedruckt  werde»  sollten,  aber 
aus  Mangel  an  Raum  zurückgelegt   werden  mussten. 

Goetiie-Jahrblch  II.  54 


530  Bibliographie. 


Herr  Alexander  Ecker  über  Oken  und  Goethe. 

(Im  neuen   Reich  Nr.   41.  S.   537  —  546.) 

Sehr  heftige  Polemik  gegen  Eckers  Vertheidigung  Okens 
in  dem  Prioritätsstreit  mit  (ioethe  und  gegen  manche 
Aeusserungen  Eckers  über  Goethe,  namentlich  in  Bezug  auf 
das  Ckitachten  über  die  Isis.  —  Die  Sprache  des  Einsenders 
ist  über  Gebühr  scharf;  der  Ausruf  »Schande  über  Deutschland«, 
wenn  nämlich  in  der  Naturforscher  -Versammlung  kein  Protest 
oeo-en    Eckers  Aeusserungen    sich    erhohen,  sehr    übertrieben. 

A.  B — m.     (Bettelheim):  Cioethe  und  Zacharias  \\erner. 

(Im  neuen  Reich  Nr.   35.   S.   335.   336.) 

Wiederholung  des  Briefs  (ioethe-Jahrb.  I.,  S.  239.  Hin- 
weis auf  demnächst  von  Bratranek  zu  publicirende  Briefe 
von  Werner  an  Goethe  :  Goethe"s  Briefe  an  ^^■erner  im  Archiv 
der  Wiener  Redemptoristen? 

A.  T.  Brück:  Karl   Beruh.    Trinius  in  Petersburg. 

(Gegenwart  Nr.    12,  S.    180  ff.) 

Brück  (s.  Jahrb.  L,  S.  443)  war  1825  in  der  Absicht, 
Deutschland  zu  verlassen  und  nach  Petersburg  zu  gehn,  nach 
\\'eimar  gegangen  und  hatte  durch  Eckermanns  Vermittlung 
freundliche  Worte  erhalten  .  darunter  auch  folgende  auf  sein 
Vorhaben  bezügliche  :  »Ja  als  ich  jung  war ,  war  Deutschland 
auch  noch  jung,  und  wer  Talent  hatte,  konnte  etwas  erreichen : 
jetzt  wüsste  ich  selbst  nicht,  was  anzufangen«. 

=M>riefe  an  Ch.  de  Villers,  hgg.  von  M.  Isler.    Haml)urg.    1879 
(vgl.  Jahrb.  L,   S.  417.) 

S.  170.  F.  H.  Jakobi  schreibt  (26.  März  1801):  Vous 
avez  raison  en  trouvant  que  (ioethe  dans  les  Propylees  trans- 
cendentalise  un  peu.  Derselbe  berichtet  20.  Januar  1808: 
Goethe  m'a  ecrit  sur  cette  production  (die  akademische  Rede: 
Ueber  gelehrte  Gesellschaften,  ihren  Geist  und  Zweck)  avec 
enthousiasme.  (Vgl.  Goethe's  Brief  vom  16.  Dezember  1807 
im  Briefwechsel  mit  Jacobi  S.  237-239.)  S.  297.  Frau 
V.  Stael  schreibt  den  28.  Dezember  1803:  Je  passe  ma  vie 
avec  Goethe,  Schiller  et  Vieland,  et  certainement  des  honimes 
plus  distingues  ne  se  trouvent  nulle  part,  mais  ils  sont  beau- 
coup  plus  severes  sur  tout  que  vous  ne  nie  le  disiez  et  nous 
sommes  tres  pres  de  nous  entendre  sur  tous  les  ]K)ints. 


Bibliographie.  331 


Aus  dem  literarischen  Narhlass  von  Tf>li.  T.udw.  Mosle.  Grossli. 
( )ldenl)urgis(  licn  ( leneralniajor.  <  »denhiiri;.  Schulze'schc 
Hotbur.hhantlluni:.  (().  j.  1S79.)    I\'  und  255  SS. 

Mosle,  geb.  2.  Januar  1794.  gest.  24.  ( )kl()l)er  1877  erzählt 
S.  35  ff.,  dass  er  als  Freiwilliger  am  21.  Oktober  1813  nach 
Weimar  gekommen,  mit  Hilfe  der  Dienerschaft  des  Krbjjrinzen 
von  Oldenburg  ins  Schloss  gelangt  sei.  »Ich  wurde  auf  die 
Oallerie  des  grossen  und  prachtvollen  Saales  geführt  und  ein 
anwesender  VVeimaraner  zeigte  mir  an  der  langen  jjrächtig 
besetzten  Tafel  den  Minister  (loethe  gegenüber  dem  Kaiser 
von  Russland,  der  sich  fortwährend  mit  ihm  unterhielt.  I<  h 
konnte  mi(  h  nicht  satt  sehen  und  au(  h  die  anderen  vielen 
Fürsten.  (Generale  und  Minister  wurden  gemustert  und  mir 
genannt«.  Abends  im  Theater,  wo  «eine  grosse  0])er((  gegeben 
wurde:  »ich  heftete  meine  Augen  auf  Ooetlie.  mit  wcL  hciii 
der  Kaiser  und  König  viel   sprachen«. 


Briefe  Alex,  von  Humboldt  an  seinen  IJruder  Wilhelm. 
Hrsg.  von  der  Familie  \.  Humboldt  in  Ottmac  hau. 
Stuttgart.  Cotta.   YU  u.   228  SS. 

S.  142  fg.  steht  ein  Brief,  Weimar  13.  Dezember  1826. 
Darin  heisst  es:  Je  ne  puis  te  decrire  la  bienveillanc  e  avec 
laquelle  j"ai  ete  recu  ä  la  cour  de  \\  eimar.  <  hez  Cloethe  etc. 
On  ne  m'a  pas  laisse  respirer  un  instant  .  .  .  Goethe  est  ä 
merveille,  plein  de  vigueur  et  d'amabilite.  Tout  le  monde 
se  rejouit  ici  de  ton  arrivee  prochaine.  S  144:  Paris  24.  Januar 
1827.  Jai  hl  avec  le  plus  vif  plaisir  la  lettre  de  la  bonne 
Li  (Caroline,  ^^'ilhelms  Frau)  et  celle  que  tu  m'as  adressee 
de  \N"eimar.  Tant  ce  que  tu  me  dis  de  Goethe  et  d"Helene 
et  du  fils  de  Faust  devenu  Mylord  m'a  infmiment  interesse. 
S.  148,  Paris  3.  Febr.  1827:  Fottum  passe  par  ici.  je  lui  ai 
donne  une  lettre  pour  Goethe.  Dieser  Brief  ist  in  (loethe's 
Jjriefwechsel  mit  den  (iebrüdern  von  Humboldt  S.  319  fg. 
abgedruckt :  über  den  Aufenthalt  der  Brüder  in  Weimar 
daselbst  S.  281.  318  f.  und  S.  353.  an  letzterm  Orte  Stelle  aus 
Eckermann  und  Boisseree :  vgl.  ferner  an  Zelter  lY.,   233  fg. 


O.  F.  Gensichen :    August  von  Goethe.     Ein   Gedenkblatt    zu 
seinem  fünfzigsten  Todestage. 

(National-Zeitung   27.  Oktober  ff.     Nr.    503  ff. 

34* 


532  BiHLlOGRAPllIH. 


Zusammenstellung  nach  längst  bekannten  Quellen  mit 
vielen  überflüssigen  Abschweifungen  und  oberflächlichen  oder 
böswilligen  Urtheilen.  Wäre  es  nicht  gerathener,  biographische 
Darstellungen  jedweder  Art  über  August  v.  Goethe  so  lange 
zu  vertagen,  bis  die  bisher  gänzlich  unbekannten  verschlossenen 
Quellen  zur  Erkenntniss  seines  Wesens,  seine  Tagebücher  und 
seine  Briefe  zugänglich  sind?  Es  erscheint  überflüssig,  ja 
geradezu  unwürdig,  immer  und  immer  wieder  den  Klatsch 
iler  Bewohner  und  Bewohnerinnen  Weimars  über  Christiane 
zu  wiederholen  und  den  Ausgangspunkt  für  die  Beurtheilung 
des  Sohnes  in  der  Erzählung  der  Charlotte  von  Stein  zu 
nehmen,  dass  der  elfjährige  Knabe  einmal  i  7  Glas  Champagner 
getrunken  habe.  —  Neu  ist  die  Vermuthung,  dass  Goethe 
bei  der  Schilderuug  des  Euphorion  auch  an  seinen  Knaben 
gedacht,  der  1799  bei  einem  der  Frau  v.  La  Roche  zu  Ehren 
veranstalteten  Feste  als  Amorino  aufgetreten  sei. 


c.    S'JWTUEN,  Bilder,  Kunst,  Verschiedenes. 

Das   (joethe-Schiller-Denkmal    in   Weimar.      Briefe    von    Ernst 
Rietschel  an  Eduard  Devrient. 
(Deutsche  Rundschau,   6.  Jahrgang.  8.   Heft.     S.   304  —  311.) 

Fünf  Briefe  vom  12.  Nov.  1852  bis  7.  Febr.  1857,  die 
ganze  Zeit  der  Arbeit  an  dem  genannten  Denkmal  umfassend, 
zu  welcher  sich  Rietschel  8.  Juli  1852  verpflichtet  und  zu 
welchem  Devrient  in  der  Schiller-Kleidung,  Ernst  Walter  im 
Goethe-CostUm  »durch  die  dramatische  Vorstellung  der  Gruppe 
die  Ueberzeugung  ihrer  plastischen  Darstellbarkeit  bei  dem 
Künstler  führten«.  Sehr  interessante  Einzelheiten  über  die 
Gedanken  des  Künstlers  und  die  Ausführung  des  Werkes. 

Goethe  et  la  nuisique.  Ses  jugements,  son  influence,  les  Oeuvres 
qu"il  a  inspirees.  Par  Adolphe  Jullien.  Paris.  Sandoz 
et  Fischbacher.     311   SS. 

(iehürt  weit  mehr  der  Musik,  als  der  (loetheliteratur  an. 
Denn  der  Haupttheil,  von  S.  65  an  Les  traductions  musicales 
des  Oeuvres  de  Goethe  bespricht  theils  die  Compositionen 
zu  Goethe"s  Faust,  Egmont,  Mignonlieder,  theils  die  durch 
diese  l^ichtungen  angeregten  musikalischen  \\erke,  z.  B.  die 
verschiedenen  deutschen  und  französischen  Faust-  und  Mignon- 


BlBLIOGRAPHll  533 


C^licrn  :  der  erste  kleinere  Tlieil  :  l.e  Peiiser  de  ("loetlie  sur 
hl  musi(jue  bespriclit  i)ersöiili(  he  He/,ieluinL,fen  zu  Musikern  : 
Mendelssohn  und  Zelter  (Kayser  wird  nur  gelege?itli(h  S.  57 
erwähnt,  lUirkhartlts  Buch,  Jahrh.  1.,  S.  396  ist  nicht  benutzt): 
(ioethe's  Urtheile  über  Musik  uu(i  ( )i»ern.  speciell  Mo/art: 
Musikgesellschaften  in  seinem  Hause  (sehr  fl(lchtig):  musikalische 
Kindrücke  der  Reise  nach  Italien.  —  Das  sehr  schön  ausge- 
stattete Buch,  dessen  einzelne  Theile  schon  vorher  in  der 
Revue  et  Clazette  musicale  abgedruckt  gewesen  waren,  ist 
Krau   Clara   Schumann  gewidmet. 

W  .  j.  \un  \\  asielewski :  (ioethe"s  \'erhältniss  zur  Musik.  (Samm- 
lung musikalischer  Vorträge  \r.  18)  Leipzig.  Breitkopt" 
und  Härtel.      20  SS.     (Bd.   IV..  S.    181      200.) 

Kiner  der  oben  S.  452.  erwähnten  \'orträge.  .Musik- 
unterricht in  der  Jugend:  Weimars  musikalisches  Leben;  \n- 
fragen  über  Theoretisches  bei  Zelter:  Bemerkungen  über  Musik 
in  den  »Maximen  und  Reflexionena.  -  Musikalisc  he  .Xbende; 
Zelter,  F"elix  Mendelssohn,  Unempfänglichkeit  für  Beethoven, 
A'erehrung  Mozarts;  Interesse  für  die  Oper:  C'om|)Ositionen 
Goethe'scher  Lieder.  Neues  Material,  wie  die  Briefe  Kelix 
Mendelssohns,  Burckhardts  (ioethe  und  Kayser,  ist  sehr  unge- 
nügend benutzt.  Von  (loethe  werden  Worte  nach  »Supple- 
mente zu  sämmtlichen   Werken.  Altenburg,  Pierer«  citirt  I 

W.    Lang:  (joethe  und  die  Musik. 

(Im   neuen   Reich   Nr.   35,   S.   313  —  326.) 

Darstellung  aus  den  Quellen:  Verhältniss  zur,  Urtheile 
über  Musik.  (Mit  Hinweis  auf  W.  v.  Bocks  Schrift:  (Goethe 
in  seinem  Verhalten  zur  Musik.  Berlin,  1871  und  Verurtheilung 
der  Schrift  von  lullien.)  Besonders  die  mit  Zelter  erwogenen 
theoretischen   ?>agen. 

Kriedrich  Zarncke :    Eine    verschollene    und    wiedergehuidene 
Goethe -Statuette  von  Rauch. 
(Augsb.  Allg.  Zeitg.   2.   Aug.  Nr.   215,  S.   3146,   3147.) 

Unterscheidet  die  berühmte  Büste  1820,  3  Entwürfe  zum 
beabsichtigten  Krankfurter  Monument  1823  —  25,  Statuette  1849, 
die  Entwürfe  aller  im  Rauchmuseum  zu  Berlin.  Von  einer 
andern  Statuette  »Cioethe,  barhaupt,  in  langem  schön  sich 
anschmiegenden  Mantel  und  Schnürstiefeln  dastehend,  antik 
und    doch    zugleich    mcjdern.    den   \ollen   Kranz   der   Dichtung 


534  Bibliographie. 


in  der  einen  Hand  haltend«,  war  bekannt,  dass  sie  1826  auf 
der  Berliner  Ausstellung  gewesen ;  durch  die  Forschungen 
Zarncke's.  Eggers".  Halms  ist  nun  herausgebracht,  dass  die 
Statuette  nach  mannigfa«  hen  Besitz  Veränderungen  im  Besitz 
des  Dr.  Em.  Daxenberger  in  München  sich  befindet.  Sie 
wurde  Anf.  1823  begonnen,  18.  Juni  1825  gegossen,  50,5  Centim. 
hoch.  »Eine  reichgehaltene  Toga  über  einer  Tunika  umhüllt 
den  Körper,  aber  sie  ist  straff  angezogen,  so  dass  sie  die 
Gestalt  fast  schlank  erscheinen  lässt.  ])ie  rechte  Hand  stützt 
sich  auf  einen  Altar,  die  linke  hält  einen  vollen  1-orbeerkranz 
erhoben.  Der  Kopf  ist  etwas  geneigt,  das  Profil  ausser- 
ordentlich fein  behandelt«. 

Robert  Springer:  Sulpiz  Boisseree.  Goethe  und  der  Kölner 
Dombau.       (National-Zeitung,   7.  ()ktol)er,  Nr.   469.) 

Kurze  Biographie  Boisseree's,  Eifer  für  Vollendung  des 
Kölner  Doms,  Beziehungen  zu  Goethe:  allmählich  erwachendes, 
aber  immer  eifriger  werdendes  Interesse  für  die  altdeutsche 
Kunst.    -      (iute  Zusammenstellung    nach  bekannten  (Quellen. 

Die  Feier  des  Goethe-Tages  als  erbauendes  und  veredelndes 
Volksfest.  Ein  Bericht  über  die  Feier  des  130.  Geburts- 
tages Goethe's,  nebst  einem  Beitrage  zur  Kenntniss  der 
nach  dem  Leben  gemalten  Goethe-Bildnisse.  Sonder- 
Abdruck  aus  den  Berichten  des  Freien  Deutschen 
Hochstifts  1878/79.  Mit  vier  Goethe- Bildnissen  in 
Lichtdruck.  Frankfurt  a.  M.  Freies  Deutsches  Hoch- 
stift. In  Besorgung  bei  F.  A.  Brockhaus  in  Leipzig. 
Vin,   59   SS.   und  4  photographische  Tafeln. 

Leber  den  Inhalt  vgl.  oben  S.  467.  Das  Vorwort  und 
Nachwort  gibt  einige  Ergänzungen  zu  der  Herkunft  der  mit- 
getheilten  Bilder  und  zu  der  Goethe-Bilder-Literatur  überhaupt. 
Aus  diesen  Mittheilungen  sei  erwähnt,  dass  in  der  Neuen 
Dorpat'schen  Zeitung  1879,  12.  Juli  bis  19.  August,  Nr.  149, 
151,  155,  177  und  181  Mittheilungen  über  die  Kügelgen'schen 
(ioethe-Bildnisse  von  Hn.  v.  Seidlitz  und  Prof.  L.  Stieda  und 
in  den  »Sitzungsberichten  der  Gelehrten  esthnischen  (Gesell- 
schaft 1879«  (Dorpat  1880)  S.  164 — 165,  eine  Uebersicht  des 
Letztgenannten  über  den  Stand  dieser  Kügelgen-Bildniss-Frage 
sich  finden.  Die  4  Photographien  sind  i.  nach  dem  Gemälde 
von  (i.  M.  Kraus  (Goethe  mit  der  Silhouette  der  Frau  von 
Stein  in  der  Hand);  von  dem  Bilde  sind  3  Wiederholungen 
bekannt:   im   Besitze  des  Hrn.   v.   Bernus.  des  Dr.  Vulpius  und 


Bibliographie.  535 


der  Enkel  (xoethe's;  2.  nach  dem  ersten  (leinälde  (Gerhards 
\on  Kügelgen  1808,  Original  im  Besitz  der  kaiserl.  russischen 
Höchst  hiile  in  Dorpat :  3.  nach  dem  zweiten  Gemälde  des 
(ierhard  von  Kügelgen  1810,  Original,  im  Auftrag  (ioethe's 
für  Fritz  Schlosser  gemalt,  im  Besitze  des  Hrn.  v.  Bernus: 
4.  nach  der  eigenhändigen  Wiederholung  des  zweiten  Gemäldes 
(lerhards  von  Kügelgen  18 10.  nach  dem  Original  im  Besitz 
der  Frau  Maria  von  Dehn  in  Esthland.  —  Die  Schrift  ist 
der  Kaiserin  Augusta  gewidmet.  Auf  der  Rückseite  des 
Umschlages  Abbildung  des  Goethe-Hauses  in  Frankfurt. 

Goethe.  Xac  h  einer  bis  jetzt  unbekannt  gebliebenen  Original - 
Kreidezeichnung  von  Gerh.  v.  Kügelgen.  Photugraphirt 
von  H.  Fritz  in  (ireiz.  1881.  Oldenburg  u.  Leipzig, 
Commissions-Verlag  von  Theodor  Keppel. 

Die  Kreidezeichnung,  bisher  völlig  unbekannt,  wurde  von 
Cioethe  dem  Hofrath  Rochlitz  geschenkt,  von  diesem  testa- 
mentarisch dem  Geh.  Kirchenrath  Meissner  in  Dresden  ver- 
macht und  von  diesem  auf  seine  Tochter  Frau  Pastor  Engel 
vererbt,  die  dem  Photographen  die  Vervielfältigung  gestattete. 
Eine  genaue  Vergleichung  dieser  merkwürdig  ausgeführten 
Kreidezeichnung  mit  den  Photographien  der  Kügelgen'schen 
Bilder  (oben  S.  534 fg.)  lehrt,  dass  dieselbe  nur  Vorlage  des 
ersten  Gemäldes  gewesen  sein  kann,  mit  welchem  Zug  für 
Zug  des  Gesichtes  stimmt,  wenn  auch  freilich  die  Augen  der 
Zeichnung  nicht  so  starr  sind,  wie  die  des  Bildes :  auch  die 
Kleidung  beider  stimmt  genau  überein,  mit  dem  einzigen 
Unterschiede,  dass  der  über  den  Rock  geschlungene  Mantel, 
der  auf  dem  Oval  des  Bildes  ein  klein  wenig  zum  Vorschein 
kommt,,  auf  dem  Viereck  der  Zeichnung  nicht  mehr  sicht- 
bar ist. 

(ioethe  in  Italien.  Nach  dem  Originalgemälde  von  H.  ^^■. 
Tischbein.  Photographirt  von  J.  Schaefer,  Frankfurt  a.  M.. 
Verlag:  Literarische  Anstalt,  Rütten  &:  Loening.  Frank- 
furt a.  M.    Aufgezogen  auf  grauen  Karton,  48x62  cm. 

Zarncke  urtheilt  darüber  im  Lit.  Centralbl.  4.  December 
folgendermassen :  »Das  Bild  von  Tischbein  ist  seinem  Ent- 
würfe nach  zweifelsohne  das  grossartigste  aller  Goethe-Bildnisse. 
Während  alle  übrigen  in  Lebensgrösse  entworfenen  (mit  Aus- 
nahme des  Kolb'schen)  sich  auf  den  Oberkörper  des  Dichters 
beschränken,  lieferte  Tischbein  ein  wirkliches  Gemälde  in 
grossem  historischen   Stil.     Cioethe  ist   in  ganzer  Figur  dargc- 


536 


Bibliographie. 


stellt,  inmitten  der  Campagna  hei  Rom.  auf  den  Trümmern 
eines  altrömischen  Bauwerks,  malerisch  hingestreckt  in  faltigem 
hellem  Mantel ,  eine  bedeutende  an  Alterthümern  reiche 
Landschaft  zu  beiden  Seiten,  die  dem  Blicke  eine  weite  Per- 
spective auf  die  fernen  im  blauen  Duft  verschwindenden  Berge 
gewährt.  Es  ist  Goethe  auf  der  Höhe  seines  Lebens,  wie 
ihm  selbst  sein  Aufenthalt  in  Italien  stets  erschienen  ist, 
umgeben  \on  allen  characteristischen  Merkmalen,  die  diesem 
Aufenthalt  seine  Bedeutung  verliehen :  ernstdenkend ,  fast 
schwermüthig  schaut  das  tiefschwarze  Auge  hinaus  in  die 
Landschaft«. 


Anzeigen. 


F^ROSPEIvT. 

5m  l^erlai^c  uoii  0'^nflal)  .Ocmpcl  in  iycrliii  crfd)cint  unb 
luirb  bie  cvftc  iiiefcniiii]  uoii  jcbcr  iMidjljaiiMuiuj  bercitunUiijjt 
jur  5(nfid)t  inittjeü)cilt : 

Scr^eidjuii)  berfclbcu 

unter  ^uijalif  uuii  (^ucUc,  ©rt,  gntHiu  uiu'»  ^nfauö5utintfit. 


Ueberrtd)tlid) 

nat^  bcn  G'nUjfängcrn  gcorbnct,  mit  einer  furjcii  Torftellung  be§ 

li>crl)ältnijje-3  (9oct()c'tf  ju  bicjcn 

unb  unter  ?3iittf)ei(ung 
Gearbeitet 

mm 

3tr.  gtrcOfßc. 


©r[d)eiiit  in  Lieferungen  ä  1  3)?ar!. 

S)en  fielen  gteunben,  SSere^tctn  unb  ^ennetn 
ßoet^e-§,  fotüie  benen,  ttJcIc^e  i§n  unb  feine  äßer!c  jum 
©egenftanbe  bet  gorfc^ung  ober  3ur  ©nmblagc  tüiffcn^ 
fc^aftlicf)cr  Sefcfjäftigung  machen,  tüitb  eine  lange  t)or= 
bereitete  ^Irbeit  tüiKfommcn  fein,  bie  bcftitnmt  ift,  einen 
.:pta!tif(^en  ßcitfaben  für  ein  tucitöer^tüeigtcg  ©ebict 
ß)oetI)ifc^er  Xfjätigfeit  3U  geben.  G»  finb  im  Sanfe  bcr 
Seit  me^r  al§  9000  Briefe  ©oetfjcg  befannt  gen^orbcn 
unb  ba  biefelben  in  etftia  brei^unbert  2Ber!cn,  ^dt- 
fdjriften  k.  serftreut  finb,  fo  ift  e»  gerabcju  unmögli(^, 


o^ne  anbetlticitige  §ülf§m{ttel  einen  UcBerHitf  ü6et  ba§ 
©anje  gu  Beljaltcn  unb  ein  @in3elne§  öotlommeuben 
galig  auöfinbig  au  macfjen. 

2)ic  crftc  Sieferung  bc§  2öet!e§,  tt)el(^e§  ein  folcC)c§ 
§ü(ismittcl  Bieten  foE,  ift  fo  eBen  erf(^ienen  unb  !ann 
bui-(^  jebe  Suc^Ijanblung  p  geneigtex  ^Prüfung  Belogen 
njexben.  2Ba§  baffelBc  entljaltcn  it)ixb,  ift  in  ^l^üx^e  f(^on 
auf  bem  2:itel  gefagt.  3n  SBctxcff  bcx  innexen  ßinxic^tung 
f(^ien  c§  am  S^Jecfmägigften,  ba§  Sxiefüexaeic^nig  al^^i^ 
Betifc§  na(^  ben  @m|)fängexn  3U  oxbnen  unb  e§  mit  htx 
Unhxit  bex  aa'^lxeii^en  SBxicfe  an  UnBc!annte  aBaufi^Iie^en, 
6in  c^xonologifi^  angeoxbnete§  S}cx3ei(^ni6 ,  n?el(^e§  ja 
autf)  Ijätte  gegeBen  tüexben  !i)nnen,  njüxbe  p)ax  aEe§ 
gcitlid)  Siifö^^^s^Ö^^^^^ge  üBexfe^en  laffen,  aBex  be» 
S^oxt^eily  entBel^xen,  ha^  man  fi(^  au§  bemfelBen  mit 
Sei(^tig!eit  üBex  ba§  SSex^ältni^  ©oet§e§  3U  ixgenb  einem 
feinex  Seitgenoffen  untexxii^tcn  unb  ^HIe§  ^iexauf  SBe-- 
güglic^e  gufammenfinben  !ann.  S)ie  3U  biefem  3tt)ecfe 
einem  jeben  5lxti!el  Ijinaugefügte  fuxge  S)axfteEung  bcx 
^eaiet^ungcn  ©oet^e'g  gu  bem  ^xiefem^fängex  tt)ixb  Be- 
fonbex§  benen  exn)ün|d)t  fein,  tücld^e  bem  gxöBtcn  beutfc^cn 
S)i(^tcx  !ein  eingeljcnbcö  Stubium  tnibmcn  tonnen,  ^a- 
gegen  ift  bie  5lngaBe  bex  QucKen  fotXJO^I  im  ^IKgemeinen 
aU  au(^  füx  ieben  23xief  in§Befonbexe  me'^x  au§  tüiffen^ 
fc^aftlic^em  ^ntexeffe  gef(^el)en;  c§  mußte  einmal  bie 
Slufnaljmc  be§  Betxeffenben  6(^xiftftüiie§  gexei^tfextigt, 
bann  aBex  anä)  5lnbexn  ba§  SOUttel  3UX  ^xüfung  bcffelBcn 
geBoten  ipexben.  S)en  Beiben  oBen  angegeBenen  ^tx- 
fi^iebenen  ^ntexeffen  tüixb  bann  \mhn  3U  glei(^ßx  Qdi 
babuxc^  genügt,  baß  eine  gxoße  ^naaljl  t)on  Sxiefen  in 
tüöxtlicfiem  SlBbxud  Slufnal^me  finben,  bie  cnttpebex  Big^ex 
üBcx(jau)3t  nocfj  uicfjt  öebvutft  finb  obex  bcxen  5lBbxuc^ 
Bcfonbcx»  ftfjtDex  3U  Befd^affen  ift. 


Qim  njcfcnttid^c  §ülfc  Bei  bct  5l6faffiing  bicfc§ 
äöcrfcä  gcunitjrtc  bic  tu  tneniöcn  Ijanbfc^i-iftlictjeu  (vjem- 
plai'cn  Dcr6rcitctc  5lr0cit  bc»  t)or  einigen  ,3^1^}^^^^  ^ct: 
ftor6cncn  33udj(jänblcx§  (s.  %.  Sichel  in  Glftcrdcrg, 
beten  litcratifcf^Cö  GiQcutljiim  Don  bcr  untcr^cidjncten 
S}ei*Iag§I}anbIung  extüorBcn  n^ntbc.  S>on  einer  S^ep 
öffentüc^ung  bcrfdöcn  mnfjtc  jcbod)  Im  bcn  tDcitcr  Qc'^cnben 
3if  edcn,  iDclcfjc  ba§  norlicgcnbc  2Bcrf  öerfolgt,  a6öe|cf)en 
njcrben;  bcnn  bajiciöc  liefert  nur  literari|d;cy  ältaterial, 
ol^ne  trgenb  h)el(^e  Ülefultate  barau§  gu  gieljen. 

23ei  ^nfüljrung  ber  Duetten  unb  5lufftettung  be§ 
SriefDer3ei(^ni]fe§  ift  ])X)ax  bie  grö6tmi3t3licf)ftc  3>ottftän: 
big!eit  ongeftreBt  tnorben,  inbeffcn  liegt  c§  in  ber  Statur 
ber  Sa(^c,  ha^  bicfelOc  cinftiDeilen  nur  eine  relatiöe  fein 
!ann.  ^oä)  immer  Jx)irb,  oft  gan^  unertuartet,  5^eueö 
3U  2^age  geförbert,  tüä^renb  3ngleicf)  nitfjt  aBsufe^cn  ift, 
tt)ann  bie  längft  Belannten  Bi§  je^  nocfj  berfc^Ioffenen 
Duetten  fi(^  öffnen  tüerben.  Suätüifc^en  fotten  5tac§  = 
träge,  tüelc^e  3U  biefem  äßer!  t)on  Qäi  3U  3^^^  ^r^ 
fc^einen  tüerben,  etlnaige  neue  2)litt§eilungen  t)on  Briefen 
regiftriren,  fotüic  aucf)  S3eric§tigungen  unb  Ermittelungen, 
namentli(^  in  SBe^ug  auf  bie  unbatirten  Briefe,  aufnel§men 
unb  S}crfaffer  unb  Sjerlegcr  tüerben  für  jebe  berartigc 
3}litt§ eilung,  bie  il^nen  gemacht  tnirb,  banfBarfein. 

3}löge  benn  ba§  Tjicrburc^  angetünbigte  äßer!  fic^ 
t)iele  greunbe  ertüerBen  unb  atten  bcnen,  tuelc^e  fi(^  mit 
©oet^e  unb  bem  8tubium  beffelBen  Bef (^äf tigen ,  t)on 
5lu^en  fein! 

S3erlin,  5luguft  1881. 

DetfagsfiQiuffuug  uoa  ®u|!au  ^ßernpcf. 


§flij-,  |lruilt-  uitb  llnpicrprobc. 


S3et^mann,  g^vicberife  SUigufte  Äüiivabiiic,  geb.  gdttiier.  59 

5hiöfid^ten  auf  bie  Sn^unft.  —  SSenuaubten  3"t;alti3,  aber  tiefer  in  bie 
gan^e  (ärjietjiingSfrage  eingeljenb,  ift  ber  ätüeite  bioljev  ungebrurfte  iBrief, 
ber  beSljdb  unten  niitgetljcilt  initb.  —  S^er  bvitte  ^rief  enblicE)  I;ängt 
mit  bem  am  22.  (September  1814  erfolgten  2:obc  3ff^anb'3  jnjammen. 
%xan  Setf^mann  l^atte  ©oettje  gebeten,  5um  33e[ten  eineö  für  Stl^anb 
3U  erric^tenben  2!en!mal<3  [i(^  fomoljl  mit  einer  ®ic^tnng  aU  einer  %ep 
liorfteEung  be^S  SBeimarifdEien  Sll)eater!3  jn  betl;eiligen.  S^iefer,  erft  t}or 
gmei  Sod)en  non  einem  längeren  3lnfent(jn(te  am  dHjdn  3urürf'ge!ef)rt 
unb  bur(^  ©efc^äfte  mib  ^läne  mannigfacher  2lrt  noüftänbig  in  9ln= 
fpruc^  genommen,  leljnt  baö  (Srfte  bebingt,  ba§  S^ueite  aU  ben  3QBei= 
marifd^en  2;^eatergrnnbfä^en  unberfprec£)enb  unbebingt  ab.  „^ebenfen 
(Sie  meiner  ju  gntcr  (Stnnbe",  j(i)Iie|^t  er,  „nnb  oerjeiljen  <Sie  ha^j  bop= 
pelte  9tein,  melrf)e§  (Sie  hoä)  aib$  meinem  33riefe  Ijeranötjöreu  mürben, 
iüenn  i(^  c§>  auä)  mit  nod)  fo  öiel  glatten  Sorten  umfleiben  moüte." 

QucEcii : 

SScvjeic^niB  einer  @oet^e=S3tWtot:^cI  (C  17  c);  ©rcnabotcn  (D  23).  —  Älcinjler 

mma'ä  Strd^to  (II.  A  5).  —  ©ovo»,  Äriefl,  Sttevatur  unb  S^entcv  (C  49). 

SJBeimov,     2.  12.  1802.     ^i)x  Sö^ulein,  meine  liebe  «eine  j  ^  ^^  ^  ^3.  ^^qc,  5.^  20 

fjveunbin.  \ 

t     „         14.     3.     „03.     ®ie    Ijabcn    uiic^,     liebe    ücine  (  ^^  .  , 

jjveuitbin.  \ 
„         12.  11.     „14.     9(uf  itjre  freunblicfie  3utraulirf)e.         c  40.  ©.  283, 

SBiefjcr  ungcbrucfter  IBricf: 

(Sie  l^aben  mid),  liebe  Heine  greunbin,  buvd)  ^f)X  föftlic^eg  ©ef(})enf  auf» 
angenel^niftc  übervafd)t,  inbcnt  (2ic  mir  juglcid)  einen  ^öemciö  Jf)ver  Dieigung 
unb  eine  muftcvf)afte  5(rbeit  überfd^icfen.  D.Uan  fiel)t  ntd)t  Icid}t  an  gorm, 
garbe,  55ergulbung,  23el^anblung  etmaö  fo  ooUenbetcö.         -j 

S)a§  Sie  iii  isovfteUung  bcv  3pl}tgcnia  eine  fatte  ^ax'bc  an  ber  .ft^Ieibung 
mit  gcbvaud)t,  erfreut  niid)  fcljv.  ©aö  fd^recflid)e ,  Iccrc,  nteland)plifd^e  2SeiB 
oerfolgt  unö  uont  S(ugenblic!  bc6  Scegligccö  biß  juv  I)i)d)ften  9{epräfciitation. 
gjJan  fliegt  bie  gavben,  weit  eö  fo  fd)iocv  ift,  fid)  ifjvcr  mit  ©efc^madt  unb 
Stnmutf)  ju  bebieuen. 

9Jtit  Sfjvcnt  ©ö^nlein  werben  Sie  ©ebulb  l^abcn,  wenn  mand^mal  bie 
9{ad)vid)t  einer  tleinen  llnoorfid)tigfeit  ju  Jifj'icn  gelaugt.  SoId)c  Äiuber,  in 
frcmbc  5Bcvr)äItni|fc  oerfc^t,  fonuucn  mir  oov  wie  ä^ögel,  bie  man  in  einem 
3inimer  fliegen  lä^t,  fie  fafjren  gegen  alle  ©d)cibcu  unb  cS  ift  fc^on  ©lütf 
genug,  wenn  fie  fid)  uid)t  bie  5vöpfe  einfto^en,  cf)e  fie  begreifen  lernen,  i>a^ 
uid)t  altce  buvd)fid)tigc  burd)bvinglid)  ift. 

^sd)  tcunc  baö  ^4>ii'^^"'ilt'9Mf')^  übcvfjiiupt  unb  bcfcubcvS  bie  2f)eatcr» 
piibagogif  gut  genug,  um  ju  wiffen,  bafj  ctgcntlid)  I)auptfäd)lid)  aUeö  barauf 


Irucf  ton  («.  33  e  ruft  ein  in  53crlin. 


Lri  i-.K.\Kisc,ni  Anstai.'i  ,  Kltti.n  c\  L()i;mn(,,  I-kanki  i  k  r  a.  M. 
Verlagsbuchhandlung. 


Goethe-Jahrbuch 

Hcrausi^cgcbcn 

Dr.   Ludwig   (i  e  k;  k  k 

=  Erster  Band  1880.  = 
Gi'hnndt-n  in  Halbfranz  Mark  12.  )0,  gthiiiulfit  in  Lcinnwul  Mark  10. 

Mit   Ik'itnigcn  von  : 

Herman  Gkimm,  W  .  \-.  l5ii.ni;KMANN,  S(:iii;ki:k,  Baktsch,  Düntzhk, 

WiLMANNs,    GoKDHKi;,    G.    V.    Loiii'LK,    liKicH    ScHMior.    Ckki/.knac;h, 

HiRZKL,    HuF.ITIlK,    UkLICHS,    BURCKIIAKDT    LI.    A. 

Beim  Hrschoiiicn  des  zweiten  Jalirgangs  Ireut  es  uns  constatireii  /.\x 
können,  dass  das  »Goethe-Jahrbuch«  bei  dem  ifebildeten  Publikum  ein 
so  reges  Interesse  gefunden,  wie  wir  es  kaum  zu  hotlen  wagten;  ebenso 
haben  aber  auch  die  berufensten  Kritiker  das  Unternehmen  »ah  die 
Erfüllung  eines  lang  gehegten  IVnnsches  der  Goelhefreuudea ,  ja  \tir  dürfen 
sagen,  geradezu  als  »freudiges  liierarisches  Ereigniss«  begrüsst  und  an- 
erkannt. Diese  allseitigen  Beweise  thatkriiftiger  Antheilnahme  machen 
es  dem  Herausgeber  wie  der  Verlagshandlung  zur  Pflicht,  auf  dem 
beschrittenen  \Veg  weiter  zu  gehen  und  wir  glauben  mithin  dem 
.>Goethe-JahrbucH(<  dauernden  Bestand  in  unserer  Literatur  verspreciien 
zu  dürlen. 

^3Ä  mSge- 

Goethe  in  Italien. 

ORlCilNAL-PHOTOCiRAPHlJ-   NACH  DEM  GEMALD]-. 

Von 

H.  w.  Tischbein. 

Aufgewogen  auf  grauen  Karion  (48  X  62  cm.)  M.  10. 

Die  Verlagsiiandlung  hofft  mit  der  Verofientlichung  dieses  interes- 
santen Bildes,  das  Goethe  »in  sinniger  Betrachtung  unter  römischen 
Alterthümern«  darstellt  und  das  wie  kein  anderes  Goethe's  edle  Gesichts- 
züge getreu  wiedergibt,  allen  Kennern  und  Freunden  des  Dichters  eine 
wirkliche  Freude  zu  bereiten.  »Das  Bild  von  Tischhein«  —  sagt  Zarncke  — 
»ist  seinem  Entictirfe  nach  :^Lveifel söhne  das  grossartigste  aller  Goethe-Bildnissen. 
Und  Goethe  selbst  schreibt  darüber  aus  Rom,  27.  Juni  1787:  »Mein 
Portrait  icird  glücklich,  es  gleicht  sehr  und  der  Gedanke  gefällt  Jederniannu. 
^=z     ^'e■rg].  Bibliographie  Seite  55).     = 


-^     4     ^- 

LiTERARisciü-  Anstalt,  RCtti:x  &  Lokning,  1-kankilrt  a.  M. 
Verlagsbuchhandlung. 


Goethe  -Forschungen 

XON 

WOLDEMAR   FRHlHliRR   VON    BIEDERMANN. 

Gebitiidi'H  Mark  ij.   — 

«Wer  sich  irgend  eingehender  mit  Goethe  beschäftigt  hat«  — 
sagt  Julian  Schmidt  in  einer  Besprechung  —  »kennt  den  Verfasser  als 
einen  der  einsichtvollsten  Forscher  in  dieser  Richtung  und  wird  sich 
freuen,  diese  Aufsätze,  die  sich  über  alle  möglichen  Zweige  der  Goethe- 
Literatur  verbreiten,  nun  zusammen  zu  haben.«  Zeugen  dieselben  von 
gründlichen,  wissenschaftlichen  Studien,  so  wollen  sie  doch  keineswegs 
ausschliessend  oder  auch  nur  vorwiegend  dem  wissenschaftlichen  Gebrauch 
dienen  und  gewiss  werden  dieselben  nicht  blos  von  Literaturkennern 
im  engeren  Sinne  willkommen  geheissen  werden,  sondern  literarisch 
Gebildeten  überhaupt  eine  angenehme  Lektüre  bieten. 

Goethe'S  Faust 

ALS 

Bühnenwerk 

Wilhelm  Creizenach. 

Gehcßcl  ca.  i^Cark  2. 

Die  Frage,  in  wie  weit  Goethe's  Faust  auf  die  Bühne  gebracht 
werden  könne  und  solle,  ist  in  der  letzten  Zeit  viel  erörtert  worden, 
und  hat  das  lebhafte  hiteresse  der  weitesten  Kreise  erregt.  Der  Ver- 
fasser hat  sich  bestrebt,  das  ganze  auf  diese  Frage  bezügliche,  weit- 
zerstreute Material  klar  und  übersichtlich  zusammenzustellen,  die  mannig- 
fachen Schicksale  Faust's  auf  der  Bühne  anschaulich  zu  schildern  und 
hat  namentlich  auch  die  bisher  gar  zu  wenig  in  Betracht  gezogene 
Vorfrage,  in  wie  weit  Goethe  selbst  den  Faust  als  Bühnenwerk  betrachtet 
wissen  wollte,  zum  Gegenstand  einer  eingehenden  Untersuchung  gemacht. 


LiTKRAKist.iii;  Anstalt,  KCttkn  i^:  Lot;nin(.  1'kankilkt  a.  M. 
Verlagsbuchhandlung. 


MOLIERE, 


SEIN  LEBEN  \:\D  SE1N1{  WERKE. 

VON 

1-i:rdina\i)  Lothhissen. 

Mit  dorn  Bildniss  Molicrc's  in  Radirung  nach  dem  Origiiial-CJcnialdc  im 
Besitze  des  Herzogs  von  Aumale. 

Gebunden  in  Leinwil.  M.  lo,  in  Halbfranz  M.  12. 


»Lotheisscns  Buch«  —  sagt  Heinrich  Laube  in  einer  Bospreciiung  — 
»Hest  sich,  natürlich  fliessend  geschrieben,  wie  ein  Unterhahungsbuch 
und  ent\vici<eh  doch  die  ganze  Geschichte  des  französischen  Theaters, 
die  ganze  Lebensgeschichte  Molicre's.  Diese  Lebensgeschichte  des  grossen 
Schauspielers  und  Comödien-Dichters,  welcher  das  iVanzösisciie  Lustspiel 
begründet  hat,  ist  interessant  wie  ein  Roman.  Lotheissen  bringt  Aul- 
klärungen über  Moliere's  Privatveriiältnisse,  welciie  zum  Theil  aucii  den 
Franzosen  neu  sein  werden  .  .  .«  Und  die  Kölnische  Zeitung  sagt  u.  a.: 
»Das  Buch  ist  eine  der  werthvollsten  Bereicherungen  der  französischen 
Literaturgeschichte  die  seit  Jahren  erschienen  ist.« 


Dante  Alighieri. 

SEINE  ZEIT,  SEIN  LEBEN  UND  SEINE  \\1-RKE. 


JüH.  Andr.  Scartazzixi. 

Ziveite  mit  Nachträgen  versehene  Ausgabe. 

Gebunden  Mark  9, 

In  allgemein  tesselnder  und  anrei^^cnder  Form  gibt  das  vorstehende 
Werk  ein  vollständiges  (^liarakterbild  Dante's,  des  grössten  und  gelehr- 
testen Dichters  des  Mittelalters,  des  Schöpfers  der  italienischen  Literatur. 
Dabei  versäumt  der  Verfasser  nicht  ein  eindringliches  Bild  zu  entwerlen 
jener  überaus  interessanten  Flpoche  italienisciier  Geschichte,  von  Zeit  und 
Volk,  von  Famihe  und  Staat,  die  die  Bedingungen  waren,  unter  denen 
ein  so  eminenter  Geist  sich  entwickelte. 


_^     6     ^- 

lltkrarischh  anstalt,  rütthn  &  lohxing,  frankfurt  a.  m. 
Verlagsbuchhandlung. 


Lessings 


PERSÖNLICHES  UND  LITERARISCHES  \'ERHÄLTXIS 

ZL" 

Klopstock. 

Dr.  FRANZ  MUN'CKHR 

Privatdocent  a.  d.   Universität  Mlxciiex. 

Geheftet  Mark  /.  — 

^\  ie  mit  Klopstock  die  deutsche  Poesie  im  engeren  Sinne,  so  beginnt  mit  Lessin" 
nnsere  neuere  grosse  Literatur  überhaupt;  dem  ersten  wahrhaften  Dichter  tritt  der  grösste 
Kunstrichter  aller  Zeiten  zur  Seite:  die  Werke,  mit  welchen  Klopstock  unsere  neuere  Poesie 
erörtnet,  wählt  I.essing  zum  Gegenstand  seiner  Besprechung  und  begründet  damit  die  ästhe- 
tische Kritik.  Von  diesem  Gesichtspunkt  behandelt  der  Verfasser  die  Beziehungen  beider 
Geisiesheroen,  unter  deren  gemtinschaftlichem  Wirken  sich  unsere  gesaramte  Literatur  so 
erfolgreich   entfaltet  hat. 


Johann  Georg  Hamann 

IN  SEINER  BEDEUTUNC; 

FÜR    DIE 

STURM-  UND  DRANGPERIODE. 

vox 
Dr.  JACOB  MINOR 

Privatdocent  a.  d.   Universität  \\ H.n. 

Geheftet  ca.  Mark  2. 

In  Form  eines  literarhistorischen  Hssavs  und  frei  von  jedeni 
gelehrten  Beiwerk  gibt  der  ^'er^asser  einen  charakteristischen  Ueberblick 
über  jenen  geistreichen  und  eigenthünilicli  tiefen  Denker,  der  in  seinen 
tietsinnigen  Schriften,  die  noch  heute  eine  »Fundgrube  nicht  nur  wichtiger 
Hinsichten,  sondern  ganzer  Tendenzen«  bilden,  die  Ideen  vergeistigte, 
von  weichen  die  Sturm-  und  Drangzeit  ertüllt  war,  und  der  wohl  der 
i>  Vater  der  Sturm-  inni  Dran^f^eriodeu  genannt  zu  werden  \-erdient. 


L.TFRARISCHE  AnSTAL  P,  KuTTHN  Cv  LoKNINC  1-RANKI  LRT  A.  M. 

Verlagsbuchhandlung. 


Beiträge  zur  Textkritik  und  Ciir(^\(M.(x;ii: 

DER  -DICHTUNGEN 

JOHANN  CHRISTIAN  GÜNTHERS 

BKRTHOIJ)  LITZMANN. 

G,h,-ßel  Mark  ;.   bo. 

JoHANX  Christian  Günther,  der  iiacli  dem  Ausspruch  Golthf.'s 
»ein  Poet  in  vollem  Sinn  des  Worts  'genannt  werden  darfu,  hat  neuerdings 
durch  die  in  der  Stadtbibhoihek  zu  Breslau  auff=;et'undenen  Original- 
Manuscripte  vieH'ach  das  hiteresse  der  Literaturliistoriker  in  Ansprucli 
genommen.  Eine  mehrjärige  Beschäftigung  mit  dem  Leben  und  den 
Schritten  Günthers  hat  den  Verfasser  obiger  Sclirift  dazu  geführt,  eine 
kritische  Sichtung  der  überHeferten  Texte  seiner  Dichtungen  vorzu- 
nehmen und  an  der  Hand  des  neuentdeckten  Materials  die  dadurcli 
erziehen  Resultate  für  die  Wissenschaft  festzustellen. 

ABHANDLUNGEN 

UllKK 

Dante  Alighieri 

JOH.  ANDR.  SCARTAZZINI. 

Geheftet   Marl;   ;.    —. 

Gelegentlich  einer  Besprechung  der  neuen  Ausgabe  von  Scartazzini"s 
Dante-Biographie  kündigt  Karl  Witte  das  bevorstehende  Erscheinen  dieser 
Abhandlungen  wie  folgt  an:  »Jeder  Dante-Forscher  wird  die  verheissene 
Arbeit  mit  Ungeduld  erwarten,  Scartazzini's  unerreicht  dastehende  Um- 
sicht schützt  ihn  vor  leichtfertigen  Hvpothesen  .  .  .;  sein  Scharfsinn 
hat  ihn  schon  so  oft  kaum  wahrnehmbare  und  doch  wichtige  Eiiden 
des  Zusammenhangs  erkennen  lassen,  dass  seine  Schritt  zweilellos  eine 
reiche  Eülle  von  Belehrendem  und  Anregendem  darbieten  wird«. 


B&B&^&Be^r^-'riy:^m'm'r'^-^=mm?~mm^':<^i'^^^ 


Soeben  erscliien  unser  sehr  reichhaltiger  antiquarischer 

LAGER-C ATALOG  8q: 

Deutsche  Literatur-  und  CJelehrteni^eschichte. 

20ÖJ  Xiinuiieni. 

(Die  Abtheilung  »Goethe«    170  Piecen,   diejenige   der    »Briefwechselo, 

darunter  viele  von  Goethe,  102  Nummern  umfassend.) 
Derselbe  steht  gegen  Einsendung  von   10  Pf.  für  Francatur  zu  Diensten. 

Frankfurt  a.  M.,  März  iSSr.  JOSEPH  BaER  &  CO. 


-^     8     ^- 

Verlag  \on  Carl  Conkadi  in  Siutt(;art. 

Biographische  und  erläuternde  Schriften 

über 

Goethe  und  Schiller 


DiRhXTOR  Heinrich  Viehoff. 

GOETHE'S  LEBEN,  Geistesenhuickelnng  und  Werke.  4.  imigearb.  Auflage. 

4  Theile.    8°.    (1877).     In   i   Band  brochirt  Mark  9.  —   In   1   eleg. 
Leinwandbd.  Mark   10.  — 

SCHILLER'S   LEBEN,   Geistesenkvickclnug  und    IVerkc,    auf  Grundlage 
der    Karl    HoffmeLster'schen    Schriften    neu    bearbeitet    (1875). 

5  Tille.  In  I  Bd.  brocli.  M.  7.  50.   In  i  eleg.  Leinwandbd.  M.  8.  50. 
GOETHE'S  GEDICHTE,  erklärt  und  auf  ihre  Veranlassungen,  Quellen 

und  \"orbilder  zurückgeführt  nebst  Variantensammlung.    3.  Auflage. 
2  Bde.  kl.  8°.  (1876).    Brochirt  Mark  6.    -    In   i   eleg.  Leinwandbd. 
Mark  7.  — 
SCHILLER'S  GEDICHTE,  ebenso,    5.  Auflage.    5  Bde.    kl.  8°.    (1876.) 
Brochirt  Mark  6.  —  In   i   eleg.  Leinwandbd.  Mark  7.  — 

Im  Verlage  von  Carl  Konegen  (Franz  Leu  &:  Co.)  in  Wien  ist 
erschienen  inid  durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen: 

J.  Minor  und  A.  Sauer. 

Studien  zur  Goethe-Philologie 

19  Bogen,    gr.  8°.    Preis  eleg.  broch.:  fl.  3.  —  =  M.  6.  — 
Verlag  von  Bkeitropf  und  Hartkl  in  Leipzig. 

Leipzig  und  seine  Universität  vor 
hundert  Jahren. 

.\iis    den    glcich/citigen    AiitV.eichnungcn    eines    Leipziger 
Studenten. 

Mit    J'ili/l'i/d,  Plan  von  Leip::i!J[  und  KarU   der   L'w^e^end. 
1S79.  XII.     i;S  S.  p,r.  S».    Brodi.  M.irk   5.    Hlcg.  geb.  .Mark  4. 


—h     9    ^- 

Verlag  von  Theodor  Hüfmann  in  Berlin. 

Gotthold  Ephraim  Lessing, 

Sein  Lhbhx  und  siiixi-:  Whrke. 

VON 

^H.  6W.  3DANZEL  und  (^.  E;.  C^UHRAUEF^. 

/Cxvi'ili  hi-riihliglf  und   vtnnthrte  Aufingi-. 
Herausgegeben  von 

SW.  V.  '^VtALTZAHN  und  «R.  «BOXBERGEF^. 
Zivei  Bämh:  —  Eleg.  brochirt  Mark  ;/,  i^ebiiihicit  Mark  iS.  60. 


«Zum  Schlüsse  unseres  Rcchcnschaftsbericlnes  dürtcn  wir  aber  nicht 
unerwähnt  lassen,  dass  Lessings  Andenken  in  Deutsch/and  durch  ein 
Denkmal  geehrt  worden  ist,  wie  keine  Kaiion  einem  ihrer  grossen  Geister 
eines  errichtet  hat:  wir  meinen:  Dan-el-Giihrauers  Biographie  Lessings, 
ein  Werk,  dessen  wissenschaftliche  Gründlichkeit,  feine  Kritik  und 
glänzende  Stilistik  ihm  unter  den  mustergiltigen  Erzeugnissen  deutscher 
Literatur  einen  hervorragenden  Kiiirenplatz  sichern.« 

(X'ossisclie  Zcitg.  vom  22.  Jan.  iSSi.) 

Verlag  von  Ls.  Ehlermann  in  Dresden. 

GOEDEKE,  Dr.  K.,  Gniudriss  iiir  Geschichte  der  deutschen 
Dichtung.  Aus  den  Quellen.  Bd.  I.  II.  III.  1-6.  gr.  8°. 
broch.     (Das  Schliissheft  wird  im  März  ds.  Js.  erscheinen.) 

Mark  32.  40 

))Es  ist  bek.-inut  mit  wekliem  ausnehmenden  Fleisse  dieicr  GrunJriss  gearbeitet,  wie 
er  fast  erschöpfend  zu  nennen  ist  in  Bezug  auf  die  dii  minorum  und  minimarum  gentium 
der  Literatur,  somit  über  die  Grenze  hinaus,  wo  die  Nationalliteratur  aufhört,  und  die 
Bibliographie  anfangt,  noch  genaue  Daten  bietet ;  doch  auch  die  Urtheile  über  hervorragende 
Dichter  sind  wohlbegründct,  und  das  V'erzeichniss  ihrer  Werke  ist  durchaus  vollständig«. 

(Butler  f.  Uli-rar.    Unterhalt.   iSSt,   \r.   4.) 

uEin  Riesenwerk  echt  deutscher  Arbeit,  eines  nicht  genug  zu  rühmenden  Flcisses,  einer 
gewissenhaften  Gründlichkeit,  der  wir  nicht  nur  unsere  Bewunderung  zollen  müssen,  die 
wir  auch  durch   Einverleibung  des  Werkes  in  unsere  Bibliotheken  ehren  sollten". 

(DiJaskalia.   iS'S.  AV.  2.  }.) 

"Dieses  eminent  gelehrte  Werk,  das  sich  bescheidener  Weise  einen  Grundriss  nennt, 
das  aber  bezüglich  der  Vollständigkeit  der  Bibliographie  nicht  nur  in  Deutschland,  sondern 
überhaupt  ganz  einzig  dasteht,  ist  für  alle  Diejenigen  unentbehrlich,  die  sich  näher  mit 
deutscher  Literaturgeschichte  oder  einer  Spezialität  derselben  beschäftigen  wollen«. 

(Der  BiinJ  [Bern]   tSjS.   AV.   }.) 

GOEDEKE,  Dr.  K.,  Die  deutsche  Dichtung  im  Mittelaller. 
2.  verm.  Juli,  mit  vollst.  Sachregister  von  A".  G.  u.  Buch  XII,  enth. : 
Niederdeutsche  üiclituiig  im  Mittelalter  von  H.  Oesterley.  Lex. -8°. 
(LXIX)  u.   1088  S.      ■  broch.  Mark  13.  — 

GOEDEKE,  Dk.  K.,  Goethe  und  Schiller.  Biographien.  2.  Aufl. 

broch.  2.  80.     geb.  Mark   5.  80 

Goethe-Jaukblcu  11.  5) 


— ^      10     +4— 

Verlag  der  G.  J.  GöscHEN'schen  Verlagshandlung  in  Stuttgart. 

GoETHE's  Faust 

erster    und    zweiter    Theil 

erkliirt  von 

OSirALD   MAR  BACH. 
5 1  Bogen  8°.  M.  8. 

Das  Werk  ist  hervorgegangen  aus  Vorlesungen,  welche  der  Verfasser  (ord.  Professor  an  der 
Universität  Leipzig)  über  Goethe's  Faust  gehalten  hat.  Dasselbe  bringt  eine  Analyse  des 
Dichtwerkes  Scene  für  Scene.  Alles  zum  Verständnisse  der  Dichtung  Nichtnothige,  Ueberflüssige 
und  Störende  ist  vermieden,  dagegen  alles  zum  Verständniss  Erforderliche  eingellochtcn,  inden; 
an  vom  Dichter  Vorausgesetztes  erinnert,  Dunkles  aufgeklärt,  überhaupt  die  Seele  des  Lesers 
vorbereitet,  der  geistige  Sinn  erschlossen  und  so  in  die  Gedankenkreise  des  Dichters  eingeführt  wird. 

Im  Verlage  von  A.  Deichert  in  Erlangen  ist  erschienen : 

GoETHE's  Faust. 

ERSTER  UND  ZWEITER  THEIL. 

Text  und  Erläuterung 

in 

VORLESUNGEN 

von 

ALEXANDER  FON  OETTIXGEN. 

I.     (XVI  u.   506  S.)  Mark    5.   -,  eleg.  geb.  Mark   6.    50. 
II.     (IV  und  564  S.)  Mark  6.   -.  eleg.  geb.  Mark  7.   50. 

Verlac;  von  Theodor  Keppel,  Oldenburg. 


Goethe. 


Photographie  von  Hotphotograph  Fritz  in  Greiz  nach 
einer  bis  jetzt  gänzlich  unbekannt  gebliebenen  Original- 
Kreidezeichnung  von  Gerb,  von  Kilo  eigen,  uus  dem  Jahre  1808. 
Das  »Freie  deutsche  Hoclistift«  zu  Frankfurt  a.  M.  sagt 
über  dieses  Portrait :  Das  Gocllw-Bildiiiss  ist  (hisserst  will- 
kommeii.  Die  Kreide:^eichnnng  iiiiiss  ofenbar  von  Ki'igelgen 
mit  grosscDi  Fleisse  liebevoll  ausgeführt  sein.  Das  rorhanden- 
sein  einer  solchen  war  bisher  völlig  unbekannt. 

Preis  der   Photographie   in  ( 'abinetformat  Mark   i.   20. 
Quart  Mark  3.  50,  Folio  Mark  5.  — 

Zu  beliehen  diiid>  alle  Biicl.i-  und  Kuiistl.HVidhiiigcii. 


-•^      IT      -»4- 

Librairic  A.  QUASTIA.  7,  nw  Saint-Bcnoit.     PARIS. 


GRANDES  PUBLICATIONS  !LLUSTR£ES 

DhS   CHE1-S-U"(I  L'VKl  S  I  ;{.\N(;:.\IS  KT  liTKANGHKS. 

LE 

Faust  dp:  Gop:the 

TRADÜCTION  ET  PREFACE  NOUYELLES 

Par    H.    BLAZE    DE    BURY 

iLLCs'iR.rnoxs  hors  texth  a  l'eal -forte 

Par    LALAUZE 

Gravures  sur  bois  pjr  Ml  ALi.Lt,  d'apriis  Vogel  et   Scon. 

<:e:^ 

Un  magnifique  volume  in-8°  colombier,  contenant   un   portrait  et  hiiit 
grandes    compositions,    gravces    a    l'eaii- forte    par    Lalauze   et   tirees 

hors  texte. 

Claqui-  ihitpi'lre  est  oriw  cit  plus  il'iin  en-tele  cl  J'int  c,il-it,-/,i,iifr  spuntiix, 
ijravcs  d  l'fäu-forte  cl  s»r  l'ols. 

Ed.  sur  papier  de  Hollande  ä  la  forme,  planches  hors  texte  sur  Hollande. 

Prix:  50  fr. 

EXEMPLAIRES  NUMAROTAS 

N"'  1  ä  10  avec  3  suites.  —  N""  11  ä  100  avec  2  suites  de  gravures. 

N«*  I   ä     IG  sur  papier  du  Japon.    Prix  ....     250  fr. 

—  II  ä     55  sur  papier  de  Chine.    Pri.\  ...  100  fr. 

—  56  ä   100  sur  papier  Whatman.    Prix  100  Ir. 


Cette  edition  est  la  premiere  edition  d'amateur  du  chef- 
d'oeuvre  de  Goethe.  Les  eaiix-fortes  de  Lalauze  seront  com- 
parees  avec  interet  au.x  illustrations  de  Tony  Johannot  et 
d'Eugene  Delacroix.  Le  texte  est  imprime  avec  le  plus  grand 
luxe,  sur  du  papier  ä  la  cuve  fabrique  specialement  pour  cet 
ouvrage.  Des  notices  bibliographiques  et  artistiques  des  plus 
completes  terminent  le  volume. 


— ^       12      +4— 

Soeben   erschien  das  dritte  Heft  von : 

GESCHICHTE 

DLR 

DEUTSCHEN  LITTERATUR 


Dr.  Wilhelm  Scherer, 

o.  ö.  Professor  der  Deutschen  Litteratiirgesjhichte  an  Jer  Universität  Berlin. 

Der  Umfang  des  Buches  ist  auf  ca.  40  Bogen  berechnet, 
die   in  etwa  acht  Heften  ä   i   Mark  zur  Ausgabe  kommen. 

Das  erste  Heft  ist  durch  alle  Buchhandlungen  zur  Ansicht 
zu  erhalten. 

BERLIN. 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG. 

L.  M.  Glogau    Sohn,  Buchhandlung    und    Antiquariat 
in  Hamburg  und  Fih'ale  m  Leipzig,  Hefern: 

LAPPENBERG,  J.  M.  Reliquien  des  Frl.  Sus.  Catharina 
V.  Klcttenberg,  nebst  Rrlaiiterungen  zu  den  Bekenntnissen 
einer  schönen  Seele.   Hamburg.    308  S.    broch.    Mark  2.  50. 

KELLNER,  E.  Goethe  und  das  Urbild  seiner  Suleika.  {Marianne 
i'.    Willemer.)     Eleg.  broch.  nur  Mark  2.   — 

SYNTAX,  PEREGR.  Reimlexicon.  2  Bde.  Leipzig  (statt  Mark  18) 
Mark  9.   — 

JENSEN,  ^^'ILH.  Nach  Sonnenuntergang.  Roman.  2  Bde. 
Berlin,   1879.     Eleg.  broch.  (statt  Mark   10)  Mark  2.   50. 

PASQUE,  E.  Goethe's  Theaterleitung  in  Weimar.  2  Bde. 
Leipzig,   1863.    broch.   (statt  9  Mark")  Mark   4.   50. 


Cala/oijc  über  das  reichhaltige  aiititjiiarische  Bücher-Lager  piibliciren 
mein   Uamhurger  und  Leipziger  Hans. 

Bibliotheken  wie  einzelne  JFerke  werden  stets  -»  höchsten  Baarpreisen 
angekauft. 

L.  M.  Glogau  Sohn,  Hamburg  und  Leipzig. 


Verlag  von  Gf.br.  Hf.nninoer  in  HKii.r.RnNN  a.  N. 


\'nr   kur/cm   crsihicn: 

1    ^ATTCnf^     ^  *'"  (joethe.     Mit    Einleitung   und    tort- 
|~^  ^      ^^  *■   '   laufender  Erklärung,    herausgegeben    von 

l'rot'.  1  )r.  K.  J.  Schröer  (Wien).  Erster  'Vh^W.  Eleg.  geh. 
Mark  3.  75.  In  höchst  elegantem  l.einwandluind  mit  S(  hwar/.- 
und  ( loldpressung  Mark  5. 

In  einem  austührlichen  Artikel  der  »Ciegenwart«  1881, 
Nr.  2  schreibt  Prof.  Dr.  Karl  Bartsc  h  über  d'e  Schröer'sche 
Ausgabe  unter  dem  Titel    »Ein   neuer  Eaustcommentar«   u.  A. : 

»Scliröers  Arbeit  liegt  ihrem  (^iianiktcr  nach  in  der  Mitte  zwischen 
beiden  (Loeper  und  Düntzcr).  \\'enigcr  das  gelehrte  Iilement  in  den 
Vordergrund  stellend,  als  Düntzor  gethan,  geht  er  doch  tiefer  in  die 
Sache  ein  als  Loeper  und  berührt  eine  Menge  Punkte,  die  Loepers 
Commentar  mit  Stillschweigen  übergeht.  \\'er  in  ein  tieferes  Verstandniss 
der  Goethc'schen  Dichtung  einzudringen  versucht,  wird  in  dem  Buch 
von  Schröer  reichen  Gcnuss  und  Anregung  linden.  Denn  nicht  nur 
der  Erklärung  bedürftige  Einzelheiten  werden  hier  erläutert,  sondern 
der  Commentar  reiht  an  einen  geistigen  Faden  die  Gedankenentwickelung 
der  Dichtung.  —  —  Es  sei  daher  allen  Goethefreunden,  und  deren 
Zahl  wächst  ja  in  erfreulicher  Weise,  auls  wärmste  empfohlen,  um  so 
mehr,  als  auch  die  Ausstattung  bei  billigem  Preise  eine  sehr  gefällige  ist. 

(Der  zweite   Theil  erseheiiif  im  Sommer  1S81.) 


aS^.  vJ-a  A.d-  oJ^  äS-t  H^A  äS-i'i  H^A  ^5-^*1  H^A  ^y-p  *i^A  jy^*!  M^*.  aX.j'  *^y^  äS^,  *4^A  ^S-i',  **^  ^Sai'.  **^-*- 

Im    unterzeichneten    Verlage    ist    erschienen    und    durch 
alle  Buchhandlungen   zu  l^eziehen  : 

GOETHE-GliDENK-BUCH. 

kl.  8°.     Mark   i.   50. 

GOETHE-BUCH. 

lierausgegeben  von 
PAUL   KNAUTH. 

kl.  so.    .Mark  2. 
LEIPZIG. 

Wilhelm  Friedrich.   Verlagsbuchhandlung. 


-4*     ij     ^- 

Verlag  von  Wilhelm  Hertz  in  Berlin 

(Besser' sehe  Biichbainlhini^)  ■ 


GOETHE 

Vorlesungen  gehalten  an  der  K.  Universität  zu  Berlin 

Herman  Grimm. 

Zweite  durchgesehene  Auflage.     8°. 

Proi,  eles;.  .geh.  6  M.irk,  geb.  7  Mark,  in  H.ilblVanz  sjeb.  9  Mark. 


BRIEFE  GOETHE'S 

an  Sophie  von   T.a   Roche   und   Bettina  Brentano 

nebst  dichterischen  Beilagen, 

lii;rau^s;egeben  von 

G.  von  Loeper. 

8".     Elegant  gehefttt  6  Mark.     Gebunden  7  Mark. 


Erinnerungen   und  Leben  der  Malerin 

LOUISE   SEIDLER. 

Aus  haiidschrift/icbeiii  Kachlass  -iisaiiiiiieiii^eslel/l  und  bearbeite! 

von 

Hermann  Uhde. 

Zweite  umgearbeitete  Auflage.     8°. 

Eleg.  geb.  7  Mark,  geb.  8  M.irk. 

Verlag  von  F.  A.  Brockh.^ius  in  Leipzig. 
Soeben  erschien : 

GoETHE's  Briefe 

an  die 
Gräfin    Auguste   zu    Stolberg, 

verwitwete  GräTm  von   BernstoriV. 

Z-iveile  Auflage,  viil  Einleitung  und  Anmerkungen. 

S".     Geh.  Mark  2.   ;o.     Gart.  Mar';   5. 

Goethe's  Briete  an  die  Griihn  Auguste  zu  Stoiberg,  einer  der 
wichtigsten  Beiträge  zur  Cliarakteristik  des  jungen  wie  des  alten  Goethe, 
waren  schon  seit  mehreren  Jahren  vergriflen.  Vorliegende  neue  gelällig 
ausgestattete  Ausgabe,  von  Professor  Dr.  IF.  Arndt  herausgegeben  und  mit 
werthvollen  literar-geschichtliclicn  Hxcursen  versehen,  entspricht  einem 
lebhaft  empfundenen  Bedürlniss  der  Goethe-Sammler  und  Literaturfreunde. 


/  / fl}. 


%\ 


lV>,% 


•f^'v^^ 


m>. 


^"■^f^f^ 


Mm«^ 


'^TTft 


-  ^^   - 

"  (t  C 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 


UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


#* 


wm 


*»  •