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Goethe -Jahrbuch .
Herausgegeben
Ludwig Geiger.
Zweiter Band.
Frankfurt vm.
LiTK RARISCHE AnSTALT
Rotten ä- Loening.
1881.
Die Verlagsbandltmg beböJl sieh alle Rechte vor.
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SC.Um, ■■^^If.^^i £^41^,.^..^^^..^^
V O R W O R T.
fS^ er erste Band des Goethe-Jahrbuchs hat seitens des
Pubhkums und der Kritik eine sehr freundUche
Aufnahme gefunden. Fast allgemein wurde die
Xützhchkeit und Xothwendigkeit der Idee anerkannt und
auch die Art der Ausführung wurde meist gelobt. Einzelne
Aufsätze gaben zwar zu Ausstellungen Anlass, ja einer
derselben rief heftige gegnerische Bemerkungen hervor,
aber auch sie veranlassten keinen der wirklich competenten
Richter W'issenschafäichkeit und Würde in Abrede zu
stellen. Dem Herausgeber kann es nicht obliegen, den
Schutz der Angegriifenen zu übernehmen, ebensowenig
wie es seine Sache ist, die Verantwortung für sie zu tragen;
er wird auch ferner in diesem Jahrbuch, das ein Organ
aller Goethe-Forscher und nicht blos einer Partei sein soll,
Aufsätze wissenschafthchen Charakters gern aufnehmen,
selbst wenn er mit deren Resultaten keineswegs einver-
standen ist. Von den ^50 Mitarbeitern des ersten Bandes
sind viele auch in dem vorliegenden Bande mit grösseren
oder kleineren Beiträgen vertreten — das Fehlen einiger
hers-orragender Forscher beruht nur auf zufälligen Um-
ständen und ich kann mit Freude constatiren, dass ihre
IV
\'OR\VORT.
dauernde Theilnalimc und Unterstützung dem Unternehmen
gesichert ist — ; den Ahbewährten haben sich neue Freunde,
jüngere l'orscher und hochverdiente Schriftsteller ange-
sclilossen, die man mit Ireude in dieser Gemeinschaft
begrüssen wird. Ihnen allen, ferner den \'erfassern und
Verlegern von Goethe-Schriften, die mich durch ihre Zu-
sendungen erfreuten, sowie der Verlagshandlung, die den
regsten Eifer diesem Jahrbuche /u/uwenden fortfährt, sage
ich den besten Dank.
Leider konnten in den vorliegenden Band nicht alle
Mittheilungen und Miscellen aufgenommen werden, die
für denselben bestimmt waren, obgleich sein Umfang den
des ersten Bandes übersteigt und obgleich durch com-
pressern Druck einzelner Abtheilungen viel Raum gespart
wurde; ich hoffe, dass die verehrten Mitarbeiter mir diese
einstweilen nicht zum Abdruck gelangten Beiträge für den
folgenden Jahrgang belassen werden. Dieser dritte Jahr-
gang, der zum 22. März 1882 — Goethe's 50. Todestag —
erscheinen soll, wird ein die drei ersten Bände umfassendes
Register enthalten.
Berhn, 15. Februar 1881.
Ludwig Geiger.
Inhalt.
I. x\bhandluniicn. „ .
c' Seite
1. Georg Brandes: Goethe und Danemark ...... i
2. Julian Schmidt: Goethe's Stellung zum Christenthum . 49
5. Erich Schmidt: Zur Vorgeschichte des Goethe'schen Faust.
I. Lessings Faust 65
4. Richard Maria Werner: Die erste Auft'ulirung des Götz
von Berlichingen 87
IL Forschungen.
1. Bernhard Suphan: Aeltere Gestalten Goethe'sciier Ge-
dichte. Mittheilungen und Nachweise aus Herders
Papieren 105
2. Wilhelm WiLMANNs: Ueber Goethe's Erwin und Elniire 146
5. Heinrich DüNTZER : Zu Goethe's Bericht über seine An-
knüpfung mit Schiller [68
4. Otto Brahm : Die Bühnenbearbeitung des Götz von
Berlichingen 190
III. Neue Mittheilungen.
1. Gedichte und Dramen.
I. Scene aus den Vögeln. Mitgetheilt von Wilhelm
Arndt 219
II. Goethe an Merck 225
III. Aus Faust zweiter Theil. Mitgetheilt von Woldemar
Freiherr von Biedermann 229
IV. Aus Goethe's Notizbuch von der Schlesisclien Reise
1790. Mitgetheilt von G. von Loeper .... 251
2. Einundvierzig Brieee an Goethe nebst 2 Briefen der
Frau Rath und i Brief von K. Ph. Moritz. Mitgetheilt
von W. Arndt, K. Bartsch, L. Geiger, R. Koehler,
G. von Loeper, F. Muncker 237
VI
Inhalt.
M
tgctheilt von
Seite
I.
An
All
An
lenriette v. Knebel
Salis
Knebel ....
5. Mai
3 1 . März
10. Jan.
1775
1780
1783
2;S
2.
5-
G.
von Loeper
259
240
4-
An
;
12. '}uli
1786
241
242
244
An
An
He\'nc ....
Biicliholz . . .
24. Juli
12. Sept.
1788
1791
6.
L.
Geiger . .
7-
An Heinrich Mever 22.
-25. Jan.
1796
245
8.
An
? ....
6. März
1801
R.
Kochler
249
9-
An
Hofriuh Stark . .
3. Juni
1801
K.
Bartsch
249
lO.
An
An
An
Hertuch ....
denselben
denselben . . .
3. Jan.
12. Jan.
1 3. Mai
1 802
1802
1805
250
2)1
252
1 1.
12.
L.
Geiger . .
I 5.
An
denselben . . .
7. Juni
8. Juli
1803
236
14.
An
Hot'rath Stark . .
1803
K.
Bartsch
257
I)-
An
Heinrich Luden .
14. März
1807
L.
Geiger .
2)7
16.
An
Frau V. Evbenberi(
7. Aug.
1808
W
. Arndt . .
261
17-
18.
An
An
Knebel ....
Grat" Dictrichstein
1 1. Juli
23. Juni
1809 1
1811
G.
von Loeper
262
263
19.
2Ü.
An
An
Kirms
W'indischmann
7. März
28. Dez.
1812
1812
L.
Geiger .
265
266
21.
An
?
8. Jan.
1814
F.
Muncker
272
22.
25-
An
An
Kirms
denselben . . .
18. iMai
20. Mai
1814
1814
L.
Geiger . .
275
275
24.
An
Sartorius ....
5. Juni
1814
w
. Arndt . .
277
25.
26.
An
Rienier ....
19. Juli
8. Juli
1 5. Juni
1816
278
280
An
An
Heinrich Mever
1817
1818
27-
L.
Geiger . .
283
28.
An
Blunicnthal . . .
10. April
28. Mai
1819
1819
1820
284
29.
30.
An
denselben . . .
284
An
10. Mai
G
von Loeper
287
31-
52-
An
Schoene ....
3. Dez.
12. Jan.
1821
291
294
An
Loos
1823
L.
Geiger . .
-. -,
An
denselben
23. Sept.
1823
295
54-
An
V. Münch-ßelling-
hausen
I. Febr.
1825
W
. Arndt . .
296
55-
An
HolVath Stark . .
3. Nov.
1825
K
Bartsch
298
36.
37-
38.
An
Loos
23. März
1826
299
299
304
An
denselben . . .
24. Febr.
1827
An
18. Sept.
1827
L.
Geiger . .
39-
40.
An
-'
26. Okt.
1827
1830
50)
307
An
Heinrich Mvlius .
14. März
INHALT. VII
Mitgethcilt von
Seite
41. An Hofrath Stark . 7. April 1830 K. Bartsch . 30S
Frau Rath an Pli. Seide! . 10. Okt. 1777 l t (- v '°^
Frau Rath an Anna Amalia 24. Sept. 1779! " "^ ' ' 510
Moritz an Goethe . . . 6. Juni 1789 G. von Loeper 515
3. Ludwig Geiger: Goethe in Dornburg 316
Anhang I.: Zwei Briefe Sorets an Goethe 365
Anhang II.: (Zu S. 331%.) 368
Anhang III. : a. \'erzeichniss der Briefe, welche Goethe
von Dornburg aus schrieb . . . . 370
b. Verzeichniss der Briefe, welche Goethe
in Dornburg erhielt 372
4. Mittheilungen von Zeitgenossen über Goethe.
- I. Aus Bertuchs Nachlass. VerötTentlicht von Ludwig
Geiger 374
II. Aus Briefen von C. A. Vulpius in Weimar an Nie.
Mever in Bremen. Mitgetheilt von G. von Loeper 415
IV. Miscellen, Chronik, Bibliographie.
1 . Miscellen.
1. Aus Rings Nachlass. Mitgetheilt von Erich Schmidt 427
2. Bisher ungedruckte Anti-Xenien. Aus Nicolai's Nach-
lass. Mitgetheilt von R. M. Werner 433
3. Zu einer Stelle im Faust. Von G. von Loeper . . 439
4. Zum Faust. Von Otto Brahni 444
5. Zum Jahrmarktsfest zu Plundersweilern. Von R. M.
Werner 445
6. Zur Aufführung des zweiten Theils von Faust. Mit-
getheilt von C. von Beaulieu-Marconnay .... 445
Zusätze und Berichtigungen zum I. Band 450
2. Chronik 452
3. BlBLIOGR.^PHIE.
L Schriften.
A. Ungedrucktes.
1. Gedichte 476
2. Briefe.
I. Literatur . , 477
IL Regesten . 478
VIII Inhalt.
Seite
B. Neue Ausgaben 489
C. Uebcrsotzungen 494
D. Fünzolsclirifteu und Erläuterungen.
1. Allgemeines 495
2. Dramen 500
5. Gediclue 5O9
4. Prosascliril'ten 512
II. Biographisches.
.\. .\llgemeines 514
B. Biographische Einzelheiten 516
C. Statuen, Bilder, Kunst, Verschiedenes 532
I. Abhandlungen.
Goethe und Dänemark.
Georg Brandes.
i.
m 9. September 1776 schrieb Seine königliche
Hoheit der Erbprinz zu Dänemark der Canzelei,
um durch dieselbe der theologischen Facultät
Kopenhagens ein Gutachten abzufordern »»ob das Buch
»Werthers Leiden«, von welchem Proft eine Uebersetzung
angekündigt hat, ohne Schaden für gute Sitten gelesen
werden kann««, wenn nicht, »wolle die Canzelei (denn das
hat der König befohlen) diese Uebersetzung sofort ein-
stellen und kassiren lassen«.
Am 19. September erfolgte die Antwort der Ganzelei
an den König : »In allerunterthänigster Erfüllung des Gabi-
netsbefehls vom neunten hujus ist der theologischen Facultät
zugeschrieben worden, ob u. s. w. und da die theologische
Facultät in Ihrem Gutachten, das allerunterthänigst beige-
legt ist, das erwähnte Buch als eine Schrift betrachtet,
Goethe-Jaiirblch II. 2
Abhandlungen.
welche die Religion verspottet, die Laster beschönigt und
gute Sitten \erderben kann, so hat die Canzelei heute dem
Polizeipräsidenten geschrieben, Prott kund zu thun, dass
er die in \'orbercitung seiende Uebersetzung sotort einzu-
stellen habe, da dieselbe keineswegs gedruckt oder debitirt
werden darf«. [Luxdorphiana S. 258.]
Unter den Mitgliedern der theologischen Facultät der
Universität zu Kopenhagen, die dieses burleske Verbot ver-
anlassten, war der als dänischer Bischoi später bekannte
N.E.Balle, der durch einen sonderbaren Zufall in Leipzig zwei
Jahre gleichzeitig mit Goethe imd Jerusalem studirt hatte.
Man würde Dänemark Unrecht thun, wenn man einen
Beweis ungewöhnlicher nationaler Beschränktheit in einer
Urkunde suchen würde , in welcher nur die so häufige
theologische Bornirtheit der damaligen Zeit sich ausspricht.
In Mailand hatte, wie Goethe selbst Eckermann erzählt,
der Bischof die ganze Ausgabe der erschienenen Werther-
übersetzung von den Geistlichen in den Gemeinden auf-
kaufen lassen, um das Buch ganz im Stillen wieder aus der
Welt zu bringen — ein Mittel das übrigens leicht das
entgegengesetzte Resultat hätte herbeiführen können. Und
in Deutschland selbst war »Werthers Leiden« an mehr als
eineni Orte gerade so teindlich wie in Dänemark aufge-
nommen worden. In Hamburg hatte der durch Lessing
unsterblich gewordene Hauptpastor I. M. Goetze seine
»kurze aber nothwendige E.rinnerungen über die Leiden des
jungen Werthers« 1775 herausgegeben, nach welchen »die
ganze Gharteque« keinen anderen Zweck habe als »das
Schändliche von dem Selbstmorde eines jungen Witzlings
abzuwischen und diese schwarze That als eine Handlung
des Heroismus Norzuspiegeln«, und in Leipzig wurde das
Buch \()n den weisen \'ätern der Stadt sogar bei hundert
Reichsihalern Strate verboten. | ]. W. Appell : \\'erther
und seine Zeit.J
Georg Brandes :«Goethe und Dänemark. 3
Das Verbot hatte denn .luch nicht die geriiii^stc l^c-
deutung in einem Lande, wo alle Gebildeten Deutsch vei-
str.nden. Obwohl Werther erst 1832 (durch Meisling) in
dänischer Ueberset/ung erschien, war schon in den Siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts die W'ertiierepideniie unter
der Jugend in Dänemark stark verbreitet. Rahbek , der
emptindsanie Hlegien- und Trinkliederdichter, Herausgeber
eines dänischen Spectators und überhaupt der einzige eigent-
liche Litcrator jener Uebergangsxeit des 18. Jahrhunderts in
das folgende, war in seinem 19. Jahre jener Epidemie ver-
fallen. Wo er sie bespricht und auf ihr gleichzeitiges
Auftreten in verschiedenen Ländern aufmerksam macht,
stellt er es als unentschieden hin, ob das Buch die Quelle
oder das Erzeugniss jenes Fiebers sei, und erklärt nicht
zu wissen , »ob er ein Schwärmer wurde, weil er immer
Werther in der Tasche trug, oder ob er immer Werther
bei sich hatte, weil er ein Schwärmer geworden war«.
Goethe selbst, der in »Wahrheit und Dichtung« die allge-
meinen Einflüsse der Zeit und die Leetüre englischer Schrift-
steller hinzuzieht, um das Entstehen des Buchs zu erklären,
war später (Eckermann IIL 29.) geneigt, den Ursprung
individueller zu fassen. »Die vielbesprochene Wertherzeit
gehört, wenn man es näher betrachtet, freilich nicht dem
Gange der Weltcultur an, sondern dem Lebensgange jedes
Einzelnen, der mit angeborenem freien Natursinn sich in
die beschränkenden Formen einer veralteten Welt finden
und schicken lernen soll«. Die Gegenwart wird wohl
an eine Wechselwirkung zwischen Werther und dem Zeit-
alter glauben.
Obwohl nun die Schwärmerei für Goethe's Jugendwerk
viele Herzen erfüllte und manch einer jungen verheiratheten
Frau Seufzer und Thränen jugendlicher Anbeter eintrug,
waren die dänischen literarischen Zustände doch durchaus
nicht der Art, dass man in den letzten Decennien des
I*
Abhandlungen.
JahrhuiKlcrts Ciocthc schätzen und seiner Entw ickclung mir
\'erständniss und Ircudc tolijcn konnte. Ralibek, so einge-
schränkt sein Gesichtskreis auch war, ist als entschiedener
X'ertreter der Hniptindsamkeitsperiode tast der l:inzige, der
in dieser Zeit einen vollen Hindruck von Goetiie hat. Und
selbst er war persönlich geilen Goethe wegen dessen angeb-
lichen »Stolzesa eingenommen, und war noch im Jahre
1803 nicht weiter gekommen, als bis zum »ersten Goethe«,
w ie er ihn nennt, dem Verfasser von W'erther, Götz, Stella
und Glavigo. Was Goethe später geschrieben hatte, war
ihm nicht sympathisch, obwohl er 1801 eine Uebersetzung
von Wilhelm Meisters Lehrjahren herausgab.
Die älteren, Iranzösisch gebildeten, massig begabten
Dichter, Pram und ihaarup, mochten weder Goethe noch
Schiller, und verabscheuten überhaupt die ganze neuere
deutsche Literatur. Sie schrieben zwar nie eine Zeile gegen
die grossen Deutschen, aber charakteristische mündliche
Aeusserungen von ihnen sind aut bewahrt. \'on dem auf-
brausend heftigen Sonderling Pram hat Ochlenschläger in
seinen Lebens-Hrinnerungen eine hübsche Anekdote. )'))Mit
Pram disputirte ich zuweilen, bis er rasend und ich hitzig
wLU'de. — «Höre«, sagte er einmal, als wir von Schiller
sprachen, «»wenn ich einem deutschen Lnterottizier sage:
Du sollst mir so ein Stück schreiben wie Wallenstein,
imd der Schlingel es nicht in \ierundzwanzig Stunden
thut, so hat er siebenundzwanzig Stockprügel \erdient«.
Nun brach ich in ein Lachen aus, legte die Hand auf seine
Schulter und sagte: »Lieber Pram, und wenn man Dich
todt .schlüge, Du könntest nicht eine einzige solche Scene
schreiben«. — »Das ist, meiner Treu, sehr mögliche, sagte
er nun ganz Ireundlich; »ich habe auch nicht von mir
gesprochen««. —
Der einzige Dichter der alten Schule, welcher w irklich
einen Pteil gegen (joetlie richtete, war der geniale Norweger
Georg Brandes : ißoETHE und Dänemark.
Jdhan Hcrman W'cssc! (1742 — 1785), der ein jähr vor
seinem Tode eine komische Hrzähluiii; »Stelhi« veröHent-
liclite, welche Goethe's Schauspiel gleichen Namens paro-
din. W'essel, der durch sein die französische Tragödie
verspottendes Meisterwerk »Liebe ohne Strümpfe« in der
nordischen Literatur einen unsterblichen Ruhm gewonner
hat, war schnell von seiner poetischen Höhe gesunken
und hatte in den Achtziger Jahren einen grossen Theil
seines Humors eingebüsst. Goethe's »Stella« konnte zwar
durch die überspannte Empfindsamkeit und den gewagten
Schluss die Satire eines komischen Genius herausfordern,
aber \\'essels Gedicht ist weniger wit/ig als plump.
Ein fünfter Dichter der altern Generation, Sander, dem
Oehlenschläger seine erste, späte Bekanntschaft mit Goethe
verdankte, sprach von dem grossen Dichter mit einem
Schrecken wie von »einem Mann mit wilden, stolzen Leiden-
schaften, der sein schönes Genie missbraucht hatte« und
lieh dem Jüngling einige seiner Werke mit einer väterlichen
\\'arnung »als seien sie Pulver imd Kugel oder giftige
Arzneimittel«. Damals war Oehlenschläger schon 19 Jahr
alt; bisher hatte er von Goethe immer nur wie von einem
überspannten Schwärmer gehört, der junge Männer, ver-
führte, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, oder wie
von einem unsittlichen Schriftsteller, den zu lesen sich für
junge Leute nicht zieme.
IL
Wie weit die intelligentesten Kreise, ja selbst die
deutschen und deutschredenden Familien in Dänemark,
entfernt waren, Sinn für die Grösse Goethe's zu haben,
zeigt am deutlichsten der Standpunkt des 1764 geborenen
Dichters Jens Baggesen, der in diesen Familien stetig ver-
kehrte. Ende 1790 besuchte dieser zum ersten Male Weimar,
wohnte bei Wieland und sah Goethe nicht, der damals in
Abhandlungen.
Schlesien war; aber er .schciiu hier nur Missstininuiiig und
Unwillen gegen den Abwesenden eingesogen zu haben.
Gewiss niusste die selbstsichere Kühe Goethe's dem un-
steten, hysterisch empfindsamen, im französischen Sinne
geistreichen Danen fremd und unsympathisch sein. Aber
seine Briefe an Keinhold, wie seine Tagebücher zeigen,
dass ihm ausserdem von Goethe's »Freunden«, wie er
naiv es ausdrückt, sehr \iel Böses über den Hoclimuth,
die Selbstsucht, den Geniestolz Goethe's eingeflüstert worden
sei. [Baggesen an Reinhold, Kopenhagen den 19. Dec. 1791.
Briefwechsel 1., 20. In Baggesens Reisetagebuch heisst es ein
Paar Jahre später: Ich ziehe den vorstellenden (Fichte'schen)
Hgoismus dem darstellenden (Goethe'schen) \or.J
r.rst im Anfang des Jahres 1795 kommt Baggesen dazu,
(joethe seinen Besuch zu machen, der jedoch wenig be-
friedigend ausgefallen sein muss; sonst würde er, der Alles
aufzeichnet, eine solche Begebenheit nicht unbesprochen
gelassen haben. leinen günstigen Eindruck hat er nicht
erhalten und um den ungünstigen wiederzugeben, hat er,
der sich sonst so völlig in der klassischen Denkweise be-
wegt, ein romantisch angehauchtes Schmähwort gebraucht ;
im folgenden Jahre nennt er in einem Briefe an Reinhold
mit einer an Novalis erinnernden Wendung Goethe »den
erhabenen Brauer in Weimar«. Auch ein zweiter Besuch
bei Cioethe hat in Baggesens Papieren keine Spur hinter-
lassen. Welche Scheu er aber dem ihm so tremden Wesen
des grossen Mannes gegenüber fühlte, zeigt am schärfsten
eine Aeusserung in einem Briei an Jacobi vom 25. Sept. 1797 :
»Lavatern sah ich dies Mal nicht; die Zeit war zu kurz dazu —
und eigentlich, die Wahrheit zu sagen, fürchtete ich Goethe'n
bei ihm anzutrefien, der eben in Zürich angelangt war«.
Baggesen, der bei all seiner Zerfahrenheit ein specula-
tiver Kopt war und sich sein ganzes Leben hindurch von der
Philosophie ebenso sehr wie von der Poesie angezogen
Georg Brandes: ^oethe und Dänemark.
fühlte, hatte in der Kantischen Philosophie seine geistige
Erziehung durchgemacht. Sein Enthusiasmus tür Kant war
so gross, dass er sogar dessen Vornamen Immanuel als
zweiten Vornamen annahm, und er sah als junger Mann
alle geistigen Erscheinungen durch Kantische Brillen.
Deswegen vermochte er nicht Goethe zu verstehen. Mit
Kants Moralgesetz gemessen schien ihm Goethe frivol, und
von dem Standpunkt des Rationalismus angesehen war er
irrationell. Als gegen die Jahrhundertwende die Periode
der Reaction für ihn wie für so viele Andere kam, ver-
mochte er nicht sich zu Schelling zu erheben, dessen
Naturphilosophie, die in Dänemark Goethe den Weg bahnte,
auf seinen rein logischen Geist abschreckend wirkte, sondern
nahm zu derGefühls- und Glaubensphilosophie seine Zuflucht,
schloss sich erst Reinhold , dann Jacobi innig an. Sein
Unmuth gegen Goethe machte sich im Anfang des neuen
Jahrhunderts in einem Gedichte Luft, das man einfach als
höchst thoricht verurtheilen kann, das aber vöUig im Geiste
des vergangenen Zeitalters geschrieben ist, und eben des-
wegen ein Interesse darbietet, weil es, obwohl auf sehr
mangelhafter Kenntniss Goethe's beruhend, das Gepräge der
historischen Unfähigkeit eines Verstehens nicht offener
tragen könnte. Es heisst hierin :
Muthwillig ist sein Thun, muthwillig all sein Sinnen,
Und Ausgelassenheit sein End' und sein Beginnen.
Wenn And're den Gedanken hin und her
Mühselig suchen, endhch müde finden,
So suchen ihn Gedanken, kreuz und quer
Und finden ihn — doch nur von ungefähr ;
(Denn ernstliche Besuche hasst er sehr.)
Und stünds bei ihm, er hess sich niemals finden.
Er hat dem Pöbel manches Buch geschenkt,
Worin er niemals dacht', und jede Zeile — denkt !
8 AiiiiANULUNGEM.
Es verwirrte augenscheinlich Baggesen vollständig, dass
Goethe sogar den Hnthusiasmus als Stoff verwendete und
von diesem Stoff zu einem schalkhaften in einem und dem-
selben Werke überging. Und Goethe strebte nicht; man
spürte bei ihm keine Gedankenarbeit; er schien als Künstler
unbcwusst, er hatte nicht gedacht, und jede Zeile dachte.
Hs ist sehr eigenthümlich , dass diese \\'endung, die
ein Jahrzehnt später fast überall als das höchste Lob
gegolten hätte , hier einen bittern \'orwurf ausdrücken
soll. Hs ist auch bemerkenswerth, wie verwandt dieser
AngriH' dem ist, den Baggesen einige Jahre später in
seiner berühmten poetischen Epistel »Nureddin an Aladdin a
gegen Oehlenschläger richtet. Ganz im Sinne des acht-
zehnten lahrhunderts waren für ihn nicht Werden und
Wachsen, sondern Denken und Thun die höchsten geistigen
Funktionen. Man begreift, dass Baggesen bei Goethe die
Regeln »des gebildeten Geschmacks« übertreten fand ; aber
es gehörte nichts desto weniger viel Uebermuth und etwas
Frivolität dazu, gegen einen solchen Mann die platte Be-
schuldigung zu richten, dass er »dem Pöbel« manches Buch
geschrieben hätte.
Das Gedicht ist in der dänischen Literatur iolgenschwer
geworden, denn indem es die Entrüstung CX'hlenschlägers
hervorrief und ihn gegen Baggesen überhaupt verstimmte,
gab es dem bis dahin guten, ja innigen \'erständniss der
beiden Dichter den ersten Riss. Baggesen hatte, als er mi
Jahre 1800, in der Absicht nie zurückzukehren, Dänemark
verliess, Oehlenschläger »seine dänische Leier« vermacht;
er sah in dem Jüngling damals mit Recht einen begeisterten
\'erehrer. Aber kurz danach war der Umschlag in der
neuern dänischen Literatur erfolgt. Die Schlacht aut der
Rhede 1801 hatte das Xationalgefühl geweckt, und die
Ankunft Steffens' aus Deutschland als Apostel einer neuen
Zeit hatte auf die zeitgenössische Jugend, besonders auf
Georg Brandes: Qoethe und Danemark.
fast alle angehenden Dichter und Schrittsteller, den tiefsten
Eindruck gemacht. Steffens war in Wirklichkeit der Erste,
der die Augen der Jüngern Generation für die Bedeutung
und die Grösse Goethe's öffnete, er »der schlimme Atheist«,
\vie er sich bezeichnet, »der es wagte, die Weisheit jener
Zeiten apokr\ph und den verschrieenen Goethe kanonisch
zu nennen«. Ringsum in den Briefen und Memoiren des
jetzt ausgestorbenen Geschlechts findet man Zeugnisse der
umfassenden Wirkung seiner ersten Vorlesungen.
Grundtvig, der berühmte Dichter und nationale Sekten-
stifter, hat in seinem »Kirchenspiegel« den Eindruck,
den jene \'orlesungen — die einzigen , die er je zu
hören aushielt — auf ihn machten, in folgenden Worten
wiedergegeben: »Ich fand es zwar ganz unglaublich, aber
auch ganz merkwürdig, was er in seiner verwegenen Sprache
unleugbar nannte, dass Alles, was wir in Kopenhagen lasen
und schrieben und bis in die \\'olken erhoben, deutsche
und französische Makulatur sei und dass, wenn man
wissen wolle, was Poesie sei, nur Shakspeare und Goethe,
die ich niemals hatte nennen hören, zu lesen seien, wenn
man aber einen Begriff von Philosophie haben wolle, so
solle man nur Steffens hören und Schelling lesen«.
Welche Umwälzung Steftens in der Seele des jungen
Oehlenschläger hervorrief, wie er unter dem Eindruck
ihres ersten , Tag und Nacht dauernden Gespräches sein
epochemachendes Gedicht »Die goldenen Hörner« schrieb
und alle seine früheren Arbeiten , sogar einen halbwegs
gedruckten Band Gedichte verwarf, das ist zu oft und zu
gut erzählt, um mehr als einer Andeutung zu bedürfen.
Zwar hatte Oehlenschläger schon vier Jahre früher Goethe
liebengelernt; er hatte sich damals in »Götz vonBerlichingen«
mit derselben Schwärmerei vertieft, mit welcher er in der
Kindheit seine Lieblingsbücher gelesen hatte : »Ich folgte
Goethe's Geist;, wie der treue Knabe Georg seinem Herrn
10 Abhandlungen.
in der Schlacht. Ich kroch in den grossen Dicliterliarnisch,
und t)bi,deicli ich ihn noch nicht ausfüllen konnte, tröstete
ich mich mit Götzens Worten: Die künftigen Zeiten brauchen
auch Männer«. Aber jenes Studium war noch völlig naiv;
von einem Genuss oder N'erständniss der hohen Kunst bei
Goethe war Oehlenschläger noch weit entfernt. Gesteht
er doch selbst: olch merkte gar nicht, dass ich las, dass
es Poesie war. Hs war die Begebenheit selbst, die ich
erlebte«. Die Gespräche mit Stehens und die Vorlesungen
desselben über Goethe"s Werke lehrten Oehlenschläger den
grossen Dichter als Künstler und Denker verstehen.
Als dann im Jahre 1803 die deutschen Gedichte Bag-
gesens erschienen , musste das an Goethe gerichtete ihn
nothwendigerweise im höchsten Grade empören. Seit er
in den Geist des neuen Jahrhunderts eingeweiht worden,
war seine jugendliche Begeisterung für das feine und
geschmeidige Talent des altern Landsmannes verdampft.
Er schrieb einige Satiren gegen ihn, die er jedoch nur
Freunden vorlas. Er hat sie in seinen »Lebens-Erinnerungen«
in leider sehr massiger deutscher Uebersetzung mitgetheilt.
Eine Strophe beginnt:
W'asV Er singt »für den Pöbel V«
Solch wurmzerfressnes Möbel
Wagt an den Helden sich?
Du lens für Weih und Dirne,
Tief in den Staub die Stirne
Vor Goethe, passt für Dich '.
Oehlenschläger ist geneigt, die ganze spätere Bag-
gesen'sche Opposition gegen die poetische Richtung, die
er einschlug, aus dem Zorn über diese Satiren herzuleiten.
' D.is Wortspiel der letzten Zeilen war unübersetzbar. »Ein
Jens der Mädchen« ist im Danischen eine scherzhafte Benennung eines
bei den Frauen beliebten Kurniachers.
Georg Brandes: Goethe und Dänemark. ii
Er gellt doch vicUciclit in dieser Ansicht unhewusst etwas zu
weit, um jener Opposition jede innere Berechtigung abzu-
sprechen; aber ohne Einfluss auf die Stimmung eines so
erregbaren Mannes wie Baggesen waren sie sicherUch nicht.
Oehlenschläger bemerkt bei diesem Anlass ferner : »Mehrere
Jahre darauf war wieder sein Faust, ein grosses Spottge-
dicht gegen Goethe, die erste Ursache seiner Feindschaft
gegen mich, weil ich ihm meine Indignation darüber bezeugte,
auf diese Weise einen grossen Mann zu verhöhnen. Um
Goethe's willen hatte ich also diese vieljährigen Verfolgungen
zu erleiden. Xie habe ich aber diesen es wissen lassen«.
Nach wenigen Jahren trat jedoch eine grosse \'erände-
rung in der Stellung Baggesens zu Goethe ein. Während
er im Herbste 1806 sich in Kopenhagen aut hielt, wurde
er mit dem Oersted'schen Hause bekannt und vertraut.
Der grosse Jurist (spätere Premierminister) Anders Sandöe
Oersted, Bruder des berühmten Entdeckers des Elektro-
magnetismus und von beiden Brüdern der bedeutendere, war
mit der Schwester Oehlenschlägers, der schönen und begabten
Sophia, verheirathet. Die junge Frau war eine der damals
nicht sehr zahlreichen dänischen Damen, die lebhatte geistige
Interessen hegte, sie hatte ein unruhig verlangendes und
strebendes Naturell, lebte in Musik und Poesie, war ge-
schmackvoll, witzig und doch zur Schwermuth neigend,
in ihrer Ehe mit dem kränklichen, mit Arbeit überlasteten
Forscher nicht besonders glücklich und befriedigt. Von
fremden Sprachen verstand und sprach sie nur Deutsch,
zwar ungrammatisch, aber mit feiner Empfindung tür alle
eigenthümlichen Wendungen und Idiotismen. Sie empfing
als Gast in ihrem Hause Fichte (den ihr Gemahl in das
dänische Geistesleben eingeführt hatte), als der seiner
Professur beraubte Denker Kopenhagen besuchte. Sie las
Tieck, Novalis, Fichte. Goethe war ihr Lieblingsdichter.
Eine heftise Neigunir fesselte bald Bair^esen an die
12 Abhandlungen.
24Jäliri«^c Schwester seines damals abwesenden Xebenbuhlers,
und man spürte es schnell , dass sie einen bedeutenden
Hintiuss auf ihn ausübte. Eines Tages wurde er in ihrem
Hause krank und blieb, selbst nach der schnellen Heilung,
von der Zeit ab fast während seines ganzen Aufenthalts
dort w ohnen. Im September 1806 schreibt H. C. Oersted
an Oehlenschläger : »Baggesen ist hier .... deine Schwester
arbeitet, nicht ganz ohne hjiolg, ihn /u Goethe zu bekehren.
Er fühlt schon, dass \'ieles in seinen Urtheilen über den
grossen Dichter persönlichen \'erhältnissen entsprang«.
Das den Angriff auf Goethe widerratende Gedicht,
das 1808 in »Heideblumen« gedruckt wurde, findet sich
in einem Schreibkalender Baggesens aus dieser Zeit ent-
worfen. Es lautet :
Palinodie.
Der zarten Unschuld kühle Morgenröthe,
Das schüchterne Gefühl der ersten Liebe,
Die ("hristusoffenbarung meiner Jugend,
Die zitternde Bekämpfung wilder Triebe,
Die gar zu herbe, noch nicht reife Tugend :
Was früh zur Kunst des Dichters Seele wendet —
Entfernte lang mein krankes Herz \ on (".oethe.
Der freien Weisheit warme Mittagssonne,
Das Gleichgewicht, errungen durch Erfahrung.
Des Mannes gröss"re (]ottesoffenbarung.
Der vollempfundnen Liebe ganze \\onne:
Was zu Natur der Dichtung Kunst vollendet —
Zog den nicht länger unberufnen Richter
Zurück zum grössten aller deutschen Dichter.
In dem Tagebuch Baggesens vom Sommer 1807 '-■i'l-^l'ii't
er: »Dass Lilia (d. h. Sophia Oersted), diese reine, poetisch
begabte Seele, schon als junges Mädchen den Deutschen
Goethe und den Dänen Baggesen allen ihr bekannten
Georg Brandes: Goethe und Dänemark.
Dichtern vorzog, bewirkte, dass ich (i8ü6 — 1807) Goethe
zu lesen anfing, wahrend ich trüiier in seinen Schritten
nur geblättert hatte. Seine Iphigenia rinde ich unleugbar
so beschaffen, dass ich jetzt das zu erreichen wünsche, dem
zu entfliehen h'iiher niein Wunsch war«.
Hr ring an sich seines alten kindlichen Verhältnisses
zu W'ieland ein wenig zu schämen und die Spuren seiner
X'erehrung tür denselben in seinen Werken zu tilgen. In
dem Gedichte '>Der Ursprung der Poesie« (Poesiens
Oprindelse) wurde 1785 (in der ersten Fassung) \'oltaire
mit Shakspeare und Klopstock zusammen genannt als die,
welche von dem echten Dichtermeth tranken; von 1791
ab war an die Stelle \'oltaires Wieland getreten ; von
1806 ab wird Wielands Xame von dem Namen Goethe's
verdrängt.
In der grossen neuen \'orrede zum »Labvrinth« vom
Mai 1807 spricht Baggesen von seinem Auttreten in dem
Wendepunkt, als das 19. Jahrhundert sich von dem 18.
losriss, und erzählt, wie der Umstand, dass er in den
Kreis Wielands anstatt in den Goethe's hineingezogen wurde,
lür seine Entwickelung verhängnissvoll war. »Wenn ich
damals die persönliche Bekanntschaft dieses Genius der
Genien gemacht hätte und dadurch früher mit seinen Meister-
werken bekannt und in die Mysterien seiner eigenthüm-
lichen Kunst eingeweiht worden wäre, gewiss wäre dann
meine Huldigung, wenigstens tür lange Zeit, ausschliessend
geworden«. Baggesen beklagt jedoch das Geschehene oder
Unterlassene nicht, denn das Studium Goethe's würde,
meint er, seiner Selbständigkeit schädlich geworden sein,
Wieland könnte ihm dagegen nicht schaden : »Klopstock,
Voss und sogar Schiller haben meine Poesie mehr als
Wieland beeinflusst«. Der Satz ist vermuthlich mit sub-
jectiver Wahrheit geschrieben. Der Odenstil Baggesens
verräth die Einwirkung von Klopstock, seine Hexameter
14 Abhandlukgen.
nur XU sehr diejenige Non X'oss , aber als gcistii^c Per-
sönlichkeit war er mit W'ieland \iel näher als mit irgend
einem anderen deutschen Dichter verwandt. Sonderbar,
dass der /u Goethe bekehrte Xeophvt, der ein so feines
Ohr tür N'erse besass, noch immer fortfuhr, \'oss rein
metrisch über den so lanii;e verkannten Meister zu stellen,
den ei' doch selbst »in eigentlich poetischer Kraft« den
Ersten aller Neueren nennt. \'oss nennt er daselbst den
Ersten »in eigentlicher W-rskunst«. Doch nachdem dies
geringe Opler den alten Göttern gebracht war, gab er sich
rücksichtslos dem neuen Cultus hin. Er drehte den Spiess
des Unwillens, den er, der klassisch Gläubige, gegen
Goethe gerichtet hatte, gegen die in vollem Uebermuth
autblühende romantische Schule und war entzückt, bei dem
jetzt weniger als je romantischen Altmeister eine grosse,
wenn auch beherrschte Ungeduld über das Treiben der
Jüngeren zu spüren.
Es war eben der Zeitpunkt, wo die Xaturphilosophen
und Romantiker ihrer Unzufriedenheit mit Goethe öffent-
lichen und noch mehr privaten Ausdruck gaben. Seit sein
Aulsatz »Winckelmann« erschienen war, konnten sie ja in
ihm nicht mehr einen Beschützer und Patriarchen sehen.
Üehlenschlägers Briefe an H. C. Oersted vom Jahre 1807
geben von dieser gegenseitigen Missstimmung reichliches
Zeugniss. Er beklagt sich bitterlich über seinen alten Freund
Steffens: »Selbst Goethe war ihm zuletzt nichts Rechtes
mehr«, sagt er, und die Aeusserungen der Schlegel haben
ihn ganz besonders empört :
»»Als ich mit 1-riedrich über Goethe's Krankheit sprach,
sagte er kaltgrinsend: »Der alte Kerl hat faule Nieren und
wird's nicht lange mehr machen«. August Wilhelm sagte
mir, trotzdem er wusste, dass ich von Goethe kam und
bei ihm beliebt war: »Goethe soll sich sehr niederträchtig
geäussert haben in der Eiteraturzeitung etc.« Ich hatte alle
Georg Brandes: G6ethe und Dänemark. 15
Fassung nöthig, um ihm nicht eine Maulschelle zu geben, dass
der kleine Schwächling unter den Tisch gerollt wäre««
.Ueber die Stimmung Goethe's spricht Oehlenschläger
sich in folgenden Worten aus: .»In Berlin war ich allein
und frei, die lange, drückende Belästigung von Steftens
Persönlichkeit hatte etwas Bitteres hinterlassen, böses Blut
gesetzt. Nun kam ich nach der Sehnsucht eines halben
Lebens zu meinem Lehrer und Meister Goethe! Und da
sah ich die stumme Entrüstung des alten Löwen über
die neuere Frechheit und den muthwilligen Ungestüm. Er
sprach wenig davon, aber ich las in seinem Herzen und
zog aus seinem besonnenen Urtheil meinen Schluss ....
Ich hatte nicht viele Autoritäten, aber Goethe war eine«.
In demselben jähre (1807) schreibt Baggesen in einem
Brief nach Kopenhagen : »Sage Sophia, dass der Friede
zwischen ihrem Goethe und ihrem Baggesen geschlossen
ist, und was Sie gewiss erfreuen wird, dass, wenn ich der
Erste war, der ihm öffentlich die Hand reichte, so war er
der Erste, der mir privat die seinige gab, indem er mich
herzhch grüssen und mir für »Parthenais«, die er in Karls-
bad gelesen hatte, danken liess. Wir sind über den Werth
und Unwerth der neuen Schule völlig einverstanden«. '
Zu einer unbedingten Verurtheilung der Romantiker
ist Baggesen in diesem Augenblick durchaus nicht geneigt.
Sein aus demselben Jahre herrührendes dänisches Gedicht
»Mein Gespenst und ich selbst« (Min Gjenganger og jeg selv)
beweist, dass die aufrichtige, wenn auch nicht tiefgehende
Wandlung, die in ihm vorgegangen war, seine Augen für
die poetisch-geniale Seite der Kindlichkeit bei Tieck und
der Ausgelassenheit bei Schlegel geöffnet hatte; ja er war
' Ueber die Oersteds sehe man O. Borchsenius: Litteräre Feuille-
toner 1880. Die Beziehungen Baggesens zu Sophia Oersted sind zum
ersten Mal in dem reichhaltigen, achtbändigen Werk Kr. Arentzens:
«Baggesen og Oehlenscliläger« dargestellt worden.
l6 Abhandlungen.
vielleicht während dieser L'ebergangsepoche gerechter als
C)ehlenschläger gegen die Romantiker gestimmt; was er
aber bei ihnen Anzuerkennendes fand, dafür hatte ihm
die eingeimpfte Bewunderung für Goethe das \'erständniss
gegeben.
Seine deutsche Gedichtsammlung »Die Heideblumen«
entliält nicht nur Nachklänge an Goethe, sondern auch
directe Huldigungen. Goethe wird »der Dichtung strah-
lender Gottmensch« genannt, und in dem Stammbuch des
jungen Goethe, den Baggesen in Heidelberg bei Voss trat,
schilderte er den \'ater des ihm schnell lieb gewordenen
Jünglings als zwischen Homer und Shakspeare emporragend.
Die Begeisterung für einen auf so ganz \ erschiedenem
geistigen Boden stehenden Dichter war jedoch bei Baggesen
nur anempfunden und konnte bei seinem widerspruchsvollen
Gharakter sich nicht lange auf diesem Höhepunkt halten.
Nach und nach , wie sein Verhältniss zu den deutschen
Romantikern und zu Üehlenschläger sich immer kritischer
und polemischer gestaltete, wie Oehlenschläger ohne geistig
vorwärts zu schreiten ihn in der öflentlichen Meinung
immer mehr überstrahlte und vollends nachdem er im
November 1811 bei seiner Rückkehr vom Ausland durch
den kalten, fremden limpfang Sophia Oersteds, die in der
Zwischenzeit einen andern und Jüngern Freund in dem
Philosophen Sibbern gekmden hatte, das Band, das ihn
ursprünglich mit Goethe und Oehlenschläger verknüpft
hatte, zerrissen fühlte, — wairde sein Ton gegen den grossen
deutschen Meister kühler und pietätloser.
Schon in seinem »Taschenbuch für Liebende« i8iü,
noch mehr in dänischen Prosaschriften und Poesien von
1814 und 1817 behandelt er Goethe als weitschweifigen,
halbironischen oder altersnuiden Romantiker.
Erst 1836 erschien als »Dritter Theil der Poetischen
Werke Baggesens in deutscher Sprache« sein schon 1804
Georg Brandes: Qoethe und Danemark. 17
geschriebenes grosses aristoplninisches Drama »Der \ollendete
laust oder Ronianieii in Jaiier«, ein Werk, das nach den
Aeusserun<;en C)ehlenschlagers in seiner urspriuii^lichen
Gestalt eine hauptsachlich gegen Goethe gerichtete Satire
gewesen sein nuiss, das aber, 1806 geändert und 1809
reingeschrieben, nur geringe Spuren der einstigen Grund-
tendenz trägt. Goethe, der mit dem Namen Opitz bezeichnet
ist, wird als über der Satire stehend dargestellt.
Hin gewisses geistiges Armuths-Zeugniss hat Haggesen
sich selbst dadurch gegeben, dass diese dramatische Parodie,
in welcher vor Allen Tieck gehänselt wird, seiner ganzen
Form oder Unform nach — das Theater im Theater u. s. w.
— genau an die Tieck'schen polemisch -phantastischen
Lustspiele erinnert. Die Neueren werden (nicht eben tief)
als Barbaren aufgetasst , welche die griechisch-römische
Kultur tilgen und alle »Schulen« abschaffen wollen. Schel-
ling und Konsorten werden (nicht eben geistreich) dar-
gestellt, wie sie mit grossen Prügeln die Büsten »der
unromantischen Philister« Homers und Virgils herunter-
schlagen. In einem Ghor-Gesang wird ausdrücklich Goethe
von all dem Unheil, das seine Epigonen anrichten, frei-
gesprochen, aber da die Frucht nie weit vom Stamme fällt,
scheint Goethe irgendwie doch für die Verirrungen seiner
Schüler eine Verantwortung tragen zu müssen. Der Sohn Bag-
gesens bemerkt in seiner \'orrede, dass der Vater zwar Goethe
für den grössten Dichter Deutschlands anerkannt habe
»aber«, heisst es, »er war überhaupt jeder Vergötterung
feind, und hasste in der Literatur die Schulen«. Mag es
mit dem letzten Satz sein wie es will, der erstere spricht
geradezu eine Unwahrheit aus. Wie? Baggesen, der in
seinem Leben nie zu vergöttern müde wurde, sei der
Vergötterung feind gewesen, habe aus solcher Ursache
Goethe nur flüchtig, in einem kurzen Zeitraum seines
literarischen Lebens gewürdigt ! Nein, die Ursachen lagen
Goetiie-Jahrsccu II. ,
i8 Abhandlungen.
viel tiefer. Der /ersplittertc, unruhige, enthusiastische,
hyperkritische Baggesen i<onnte Goethe nicht rückhaltslos
erkennen ohi>e gleichzeitig sein eigenes poetisches Wesen
zu verurtheilen, oder wenigstens als eine untergeordnete
Entw ickelungsstufe anzusehen. Das that er eben in jenem
Augenblick, da er durch schwärmerische Liebe inspirirt
sich der Bewunderung Goethe's hingab; denn eben zu jener
Zeit brach er in seinem Werke »Mein Gespenst und ich
selbst« mit seiner ganzen dichterischen \'ergangenheit.
Sobald aber der Traum , sein Naturell von Grund aus
mit einem Schlage ändern zu können, verflogen war, musste
er nothwendigerweise zu der alten, nur gemilderten, Anti-
pathie zurückkehren.
III.
Die Stellung Oehlenschlägers zu Baggesen, insofern
sie von dem Verhältniss des letzteren zu Goethe bedingt
wurde, ist in »Hroars Saga« 1817 dichterisch umschrieben.
»Ich habe immer deine Geistesgaben hoch geschätzt«, sagt
hier der Skalde Hrane zu seinem Nebenbuhler Ragnvald,
»aber es war deine feindliche, allzu bittere Gesinnung gegen
Andere, die mich zuerst gegen dich reizte. Erinnerst du
dich, wie heftig du den herrlichen alten angelsächsischen
Skalden Hofting angriffst? Ich fand es eines echten Sohns
Bragi's unwürdig, Schandgedichte auf einen grossen Mann
zu singen, und es war mein Missvergnügen und meine
unverholene Entrüstung darüber, die dich veranlassten, auch
über mich deine Bitterkeit zu ergiessen«.
Es ist aus Oehlenschlägers Lebens-Erinnerungen bekannt,
wie väterlich er während seines ersten Autenthalts in Wei-
mar von Goethe aufgenommen wurde, wie es den Meister
amüsirte »die deutsche Sprache in einem poetischen Geiste
entstehen zu sehen«. Man erinnert sich vielleicht auch,
wie Hakon Jarl bei der ersten Vorlesung Goethe nicht
Georg Brandes: Goethe und Danemark. 19
gefallen wollte, wie sehr dies Oehlenschläger /u Herzen
ging und wie wahrend der traurigen Wanderung im herzog-
lichen Lustgarten die schönen Goethe'schen Verse, die in
der Felswand eingegraben stehen, »Die ihr Felsen und
Bäume bewohnt, o heilsame Nymphen ! u. s. w.« dem Ver-
zweifelnden wieder Muth einflössten. \'on Weimar zog
Oehlenschläger fast direct nach Dresden, wo Ludwig Tieck,
dessen Gegenwart in der Stadt er nicht ahnte, ilm zuerst
aufsuchte und durch den herzlichen Beiiall, den er seinen
Werken Aladdin , Hakon, dem Lvangelium des Jahres
spendete, den für Lob und Tadel so empfänglichen Dichter
beglückte. In Dresden sah (~)ehlenschläger zum ersten
Male Gemälde von Correggio.
Ich gruppire diese Thatsachen, weil es mir unzweifel-
haft vorkommt, dass man hier die Haupt-Ergebnisse zu-
sammen hat, aus welchen das bekannte (ausnahmsweise
zuerst in deutscher Sprache verfasste) Drama Oehlen-
schlägers »Correggio« hervorging. Oehlenschläger ist natürlich
selbst das Modell des naiven, begeisterten Coloristen, gegen
dessen Zeichnung sich Einwendungen machen lassen, der
aber durch den Schmelz seiner Farben die Mängel der
Formgebung deckt. In dem grossen, strengen, von Allen
verehrten , fast unfehlbaren Buonarotti , der druch sein
erstes hartes Urtheil dem armen Correggio alles \'ertrauen
an seine Begabung raubt, ihn aber dann um so rücksichts-
loser schätzt und durch sein Lob in den Himmel des Glücks
erhebt, erkennen wir unschwer Goethe wieder, der schon
bei diesem ersten Besuche Oehlenschlägers nach dessen
eignen Worten »allzu oft an einem gewissen hochmüthigen,
zurückhaltenden Wesen Gefallen fand«. Tieck endlich, der
feingebildete, kunstsinnige Schüler der Grossen, der Oehlen-
schläger so brüderlich entgegengekommen war, ist augen-
scheinlich das \'orbild des julio Romano, den der Dichter
mit seinem Mangel an Blick tür die feinere Figenthümlich-
20 Abhandlungen.
kcit der Künstler /um Vertreter der luiiiianen Bildung
gemacht hat. Zwei Goethe'.sche Gedichte, Künstlers Krde-
wallen und Künstlers Apotheose, die (^ehlenschläger beide
übersetzt hatte, enthielten ausserdem im Grundriss die
Idee des Dramas.
^)Correggio« , das in Dänemark immer tür eins der
schwächeren Oehlenschläger'schen Werke gegolten hat,
begründete bekanntlich durch seine Lebereinstimmung mit
dem damals herrschenden deutschen Geschmack den Rut
des Dichters in Deutschland und wird noch heutzutage,
.vohl allein unter allen seinen Dramen, aul deutschen Bühnen
gespielt, ja, diese tragische Idylle wurde sogar das Vorbild
eines ganzen europäischen Genre, der Künstler-Dramen.
Wenn meine Vermuthung richtig ist, dass Goethe und
Tieck unbewusst tür Michel Angelo und Julio Romano
Modell gesessen haben, lässt es sich nicht läugnen, dass
derliinfluss,den »Gorreggio« auf die Stellung Oehlenschlägers
zLi den zwei deutschen Dichtern ausübte, ein im eminenten
Sinne tragikomischer war. Tieck schrieb gegen das doch
in vielen Hinsichten schöne und werthvolle Stück eine
leidenschattlich bissige Kritik und (joethe wollte den
armen Poeten, der einen Umweg von 20 Meilen gemacht
hatte, um dem so treu verehrten Meister die Frucht seines
italienischen Aufenthalts zu zeigen, nicht einmal erlauben,
ihm sein Drama vorzulesen. Die Stimmung Goethe's
gegen Oehlenschläger war eine kältere geworden; der
ungestüme und nicht immer taktvolle jünger wollte sich
gern das alte herzliche \'erhältniss wieder ertrotzen. Man
weiss, dass der \'ersuch misslang und dass Oehlenschläger
traurig nach Hause reisen musste, »nachdem er«, wie die
letzten Worte des zweiten Bandes seiner Lebensbeschreibung
lauten, odie (iunst des grossen Goethe verloren hatte«.
Hr hätte es verdient, diese Gunst, die ihm so theuer
war, zu behalten, er_, der später noch den Satz schrieb:
Georg Brandes: Goethe und Dänemark. 21
»Keinen Mann in der Welt habe ich mehr als (ioethe
geachtet und geliebt«. Unmittelbar und direkt verdankt
er ihm als Dichter nicht viel. Fast nur in seinem hen-
lichen jugendwerk »St. Johannes Abend-Spiel« spürt man
den Hinfluss von einem bestimmten Goethe'schen \'orbilde,
dem »fahrmarktsfest zu Plundersweilen« ; und selbst hier
steht das dänische Werk, das eine jährlich wiederkehrende
\'olksfeier im Walde nördlich von Kopenhagen verherr-
licht, das geistiges Eigen thum der gan/en Nation geworden
ist und dessen Repliken als Sprichwörter auf den Lippen
des \'olks leben, völlig selbständig dem deutschen gegen-
über, das es an Bedeutung übertrifft.
Was Oehlenschläger aber im Allgemeinen und Ganzen
Goethe verdankt, ist gewiss sehr viel ; es lässt sich jedoch
natürlicherweise nicht mit Bestimmtheit nachweisen. Der
»Cjötz« hat ohne Zweifel stark dazu mitgewirkt, dass
er schon jung zu der nationalen \'orzeit seines A'olkes
zurückgrifl'; seine Begeisterung für die mittelalterlichen
Denkmäler Dänemarks, für den Roeskilder Dom z. B., hat
sich vielleicht an dem Enthusiasmus Goethe's für den
Strassburger Münster entzündet; Goethe's Beispiel hat ihm
endlich Muth eingeflösst seiner Neigung zu folgen , alte
Rhythmen der \'olkslieder, alte, volksthümliche und den
Dialekten angehörende Worte in die poetische Sprache
aufzunehmen. Im Uebrigen haben weder die Vorzüge noch
die Fehler der Oehlenschläger'schen Poesie mit Goethe
etwas gemein. Er war in seiner Frische und seinem Pathos
wie in seiner Schlaffheit völlig national.
Goethe hat ihm nicht Recht gethan, wenn er ihn in
den bekannten Briefen an Zelter mit Werner, Arnim,
Brentano und mehreren zusammenwirft als einen , dessen
Arbeiten und Treiben »durchaus ins Form- und Charakter-
lose geht«. Nicht dass das Urtheil einfach zu hart sei,
aber es ist ßranz und ü:ar nicht treffend. Kaum treffender
22 Abhandlungen.
ist CS, wenn (iocthc schreibt: »Dieser gute Ociilcnschlägcr
ist aiieh einer von den Halben , die sich tür i;an/ halten
und tür etwas darüber. Diese Nordsöhne gehen nach
Italien und bringens doch nicht weiter, als ihren Bären auf
die 1 lintertüsse zu stellen ; und wenn er einigerniassen tanzen
lernt, dann meinen sie, es wäre das recht«. Denn Bärcn-
ai'figes gab es bei (^ehlenschläger überhaupt nicht, und die
Wildheit w ar bei ihm nur zu gelehrig, den Tanz der W'ühl-
erzogenheit zu lernen. Man fühlt, dass Goethe, durch das
wenig gewinnende Wesen Oehlenschlägers zurück gestossen,
sich nie die Mühe gegeben hat, ihn zu lesen. Er lobte,
von seiner breundin Amalia von Hellwig veranlasst, Tegners
brithiotssage, sogar unter der Ueberschritt »Volkspoesief
(was diese Production am wenigsten ist); das originelle
und so viel kräftigere Vorbild derselben, Oehlenschlägers
»Helge«, nannte er dabei nicht und hat er augenscheinlich
nicht gekannt.
Wie im Allgemeinen die Romantiker, vor allen Tieck,
einen viel grösseren direkten lünlluss auf die dänische
Literatur ausübten als Goethe, so steht auch Oehlenschläger
mit seiner unbedingten Verehrung desselben unter den
zeitgenössischen Dichtern und Schriftstellern allein. Fast
alle übrigen Urtheile über Goethe, die in dänischen Briefen
oder Memoiren aus der damaligen Zeit vorkommen, sind
von theologischer und ästhetischer Befangenheit diktirt.
Diese Aeusserungen sind aber insofern nicht uninteressant,
weil jede ]:poche, jedes Land und jeder einzelne Mensch
durch das Urtheil, das von ihnen über Goethe gefällt w^ird,
sich aufs Bezeichnendste charakterisiren. Berthold Auer-
bach hat das glückliche Wort »goethereif« gebildet. »Goethe-
reif« war man in Dänemark in den ersten Decemiien dieses
Lihrhunderts nur ausnahmsweise.
Georg Brandes: Cjoethe und Dänemark. 23
Bredahl , der grobe und wilde Dramatiker des Hnt-
rüstungspessimisinus, schätzte Üehlenschläger weit höher
als Goethe; der kleine romantische Poet N. Sötoft findet
noch 1820 Goethe frivol und marniorkalt; der kindlich
religiöse, pietistisch angehauchte Ingemann, der bekannte
Dichter hi'ibscher Lieder und quasi-historischer Volksromane,
der in seiner Jugend eine erbärmliche, die platonische Liebe
verherrlichende Nachahmung Werthers verfasst hatte,
schreibt in seinem »Rückblick auf mein Leben« von Goethe :
»Seine Persönlichkeit — insofern dieselbe sich in seinen
Schriften offenbart — habe ich nie geliebt, und mit der
vollsten Hrkenntniss seines Genies habe ich immer eine
Art von Hass zu der Lebensansicht genährt, die ich in seinen
Werken fand«.
Zu derselben Gruppe ästhetisch befangener Beurtheiler
Goethe's kann der allerdings ganz anders durchgebildete
und freisinnige Bischot Jens Paludan-Müller, der Vater des
berühmten Dichters, nicht ganz gerechnet werden. In
seinen Brieten an Sibbern verehrt er im höchsten Grade
Goethe als Künstler und »plastischen Darsteller des Men-
schen als veredeltes Naturproduct«, aber er hegt nichts desto
weniger ein sympathisches Interesse für Pustkuchens be-
kanntes Werk, die falschen »Wanderjahre«, und möchte
es in den Händen aller bhnden Bewunderer Goethe's sehen.
Der Standpunkt dieses Geistlichen Goethe gegenüber,
die tast unbedingte Anerkennung seiner Künstlergrösse,
die in nicht bewusstem Widerspruch mit der, eigentlich
auch nur formellen, Ablehnung seiner ganzen Welt- und
Lebensanschauung steht, wurde in den dreissiger Jahren
der herrschende bei der gebildeten dänischen Klerisei, die
von dem eifrigen Goethe-Bewunderer Bischof Mynster ihr
Gepräge erhielt.
Es war das Gleichgewicht, die umfassende Weltklugheit,
das Beschauliche, über den Parteien Stehende, die erkämpfte
24 Abhandlungen.
Lcidcnschattsl()sii;kcit, der erhabene Egoismus, die /Li dem
Geiste Goetlies xMäiiner wie M\nster und Seinesgleichen
hin/.oi,'en. Die Tiete und Wahrheit seiner in Leid und
Forschen »^lewonneiien Lebensweisheit vermochten sie nicht
zu ergründen.
Interessanter, wenn auch viel toller und barocker als
die Aousserungen dieser der Hochkirche angehörenden Geist-
lichen über Goethe, sind diejenigen des genialen Sonder-
lings N. I-. S. Grundtvig (geb. 1783), des Stifters der
einzigen aus Lu-sprünglich danischen Ansichten hervor-
gegangenen kirchlichen Gemeinde. Ich habe schon erzählt,
dass er zuerst von Steffens 1802 Goethe's Namen hörte; zehn
Jahre später spricht er sich zum ersten Mal über ihn aus.
In seiner »Weltchronik« 1812, in der er als Apostat
des Rationalismus und überzeugter Anhänger der historischen
Schule mit der Bibel in der Hand, an dem (^ffenbarungs-
glauben festhaltend, den Geist der Zeit verurtheilte und
die Geschichte pries, wird Goethe gelobt, weil er als
W-rfasser von »Götz« die Geschichte neu belebt und das
Z^vergengeschlecht durch die \'ortührung der Riesenväter
desselben erschreckt habe, jedoch an »Tasso« und »Hgmont«
gezeigt, dass Goethe's Weltansicht sich nicht über die der
gewöhnlichsten Lebensklugheit erhebe.
In seiner »Aussicht über die Weltchronik« von 1817
hat Cjrundtvig sich einen neuen geschichtlichen Standpunkt
für die Heurtheilung Goethe"s gewählt. Nachdem er Sachsen,
Schwaben und L'ranken als die ursprünglichsten deutschen
Stämme und unter diesen wieder die hranken als den grund-
deutschen Stamm bezeichnet hat, stellt er die Behauptung
auf, ob nun Goethe ursprünglich ein Lrankiurter , und
l'rankturt ursprünglich tränkisch gewesen oder nicht, so sei
doch Goethe innerlich ein echter tränkisciier Deutscher, er
stehe als Ausdruck des eigentlichen Deutschthums, des
höchsten \'erständnisses aller deutschen Stämme mit einan-
Georg Brandes: Goethe und Dänemark. 25
der da. lir sei »der dcntsci.ic oder richtii^er dei' wirkliche
Wiltaire«, denn was N'oltaire nur anscheinend xermochte,
das rinde man bei Goethe, »die Macht Alles, was er will,
glanzvoll schimmern zu lassen«. Hs wird Goethe höchst
übel genonnnen, dass er so früh die geschichtlichen Stotle
aufgab, um sich in »Faust« und den »Wahlverwandt-
schaften« dem rein Xatürlichen zu widmen: »Wo die
Naturgeschichte Goethe's die Königin der Zeit wird, da
ist Saga von ihrem Thron gestossen«, und noch heftiger
wird ihm vorgeworfen, dass er »die Geschichte in dem
Grade über die Schulter ansieht, dass er es nicht einmal
für der Mühe werth hält sie zu bekämpfen«, oder sie nur
als Form gebraucht um »seinen eigenen wohlgefälligen
Roman darin zu giessen«. Grundtvig droht ihm, dass die
Geschichte sich zur Strafe nicht minder vornehm von
ihm wie von \'oltaire wenden werde. Von einem irgend-
wie gearteten Hinfluss Goethe's auf die Production des
volksthümlichen Psalmendichters ist natürlich keine Rede.
Es gibt noch einen poetischen Zeitgenossen Oehlen-
schlägers^ der sich wie die meisten Anderen anfangs gegen
Goethe sträubte , bei dem aber Goethe's Einfluss sich mit
grosser Entschiedenheit nachweisen lässt ; das ist der
merkwürdige deutschgeborene und am leichtesten deutsch
schreibende Dichter Schack von StafFeldt, (1769 — 1826),
der mit Gewalt dänischer Lvriker sein wollte und es
trotz all seinen sprachlichen Sünden und Sonderbarkeiten
auch wirklich wurde. Seine dänischen Poesien haben in
der Regel einen ultraromantischen Charakter, sie offen-
baren aber den echt deutsch-metaphvsischen, grüblerischen
Zug seines Wesens, durch welchen er in der Literatur,
der er nach seiner Wahl angehörte, so eigen und selb-
ständig dasteht. Er hatte in seiner frühen Jugend die
landläufigen \'orurtheile gegen Goethe getheilt. Nach einem
Besuch bei Klopstock schreibt er: »An Goethe tadelte er mit
26 Abhandlungen.
Inig die blind^cpricscnc Natur, ohne Auswahl und Ver-
schönerung«. Nachdem aber Oehlenschläger, sein glück-
licher und so viel reicher begabterXebenbuhler, der dänischsn
Poesie die neue Bahn gebrochen hatte, fing er an nicht
nur ihn, sondern auch den von ihm gepriesenen Goetiie
/u Studiren und beiden nachzuahmen. Direkte Nachahmungen
von Goethe kommen bei ihm in nicht geringer Zahl vor.
Wichtiger ist aber, dass er augensciieinlich nie ohne die
\'ertiet'ung in Goethe den hohen Rang erreicht hätte, der
ihm als dänischem L\riker jetzt allseitig zuerkannt wird.
Für die Schönheiten solcher Werke wie Iphigenia und Tasso
hatte er mehr Blick als für die Vorzüge der deutschnatio-
nalen Jugenddichtungen Goethe's. Denn er war nicht wie
Oehlenschläger in seiner Dichtung national, sondern wurde,
ohschon er in seiner irühen Jugend als tanatischer Däne
einen Angriff" auf das Deutschthum in Dänemark gerichtet
hatte, mit den reiferen Jahren immer mehr kosmopolitisch
gesinnt. W'ährend Oehlenschläger als naiver , sinnlich-
frischer Künstler und geborener Dramatiker in den späteren
Schauspielen Goethe's (besonders in der Natürlichen Tochter)
»die abstracte Dictionsvergötterung, diese \'ornehmheit im
Style, durch welche die dramatische Bewegung sich dem
Menuette nähert« scharf gerügt hat, begrüsste Stafleldt »Die
Natürliche Tochter« als Vorbote einer neuen Kunstepoche,
in der die nationalen Unterschiede zurückgedrängt und die
allgemein menschlichen Züge allein hervortreten werden.
Der abstracte, metaphvsische Dichter verräth sich in dieser
\'orliebe, die den Beweis liefert, dass es auch ausserhalb
Deutschlands einzelne Verehrer gab, die den dlieii Goethe
auf Kosten des jungen rülnnten.
V.
Ich habe erzählt, wie das Verständniss Goethe'scher
Dichtung gleichzeitig mit der Natur -Philosophie und der
Georg Brandes: Goethe und Danemark.
^/
Romantik in Dänemark durch Steffens so zu sagen ein-
getührt wurde. Die ersten Gegner (ioethe's waren, insofern
sie nicht aus rein theologischer Beschränkung sich gegen
das Neue verschlossen, als \'oltairianer , Lessingianer,
Kantianer eigentlich philosophische Gegner. Die ersten
leidenschaftlichen Anhänger, die er in Dänemark fand,
waren Romantiker mit einem Anflug von Natur-Philosophie.
Es hndet sich aber unter den bedeutendsten und
innigsten Goethe-\'erehrern eine kleine Gruppe von Natur-
Philosophen , die es mit der Forschung ernst nahmen,
und die, obwolil sie in Schelling ihren gemeinsamen Aus-
gangspunkt haben und die Pflege der Identitäts-Philosophie
mit der \'ertiefung in Goethe vereinigen, als Naturforscher,
Dichter, Denker mit anziehender Originalität ihre Welt-
Anschauung darstellten. Ich denke besonders an Hauch,
Sihbern imd Hans Christian Oersted.
Carsten Hauch (geb. 1790), ein tüchtiger Zoologe und
hervorragender romantischer Dichter, der sich sogleich
Oehlenschläger leidenschaftlich anschloss, ihn bald durch
sein Feuer inspirirte, bald gegen die Aussenwelt vertheidigte,
fühlte sich schon in der Jugend nach seiner Geistesart
besonders von den kleineren Gedichten Goethe's unendlich
angezogen. »Kaum«, sagt er, »konnten die alten Runen-
Lieder auf ihre Zuhörer stärker wirken, als diese musikalische
Lvrik, in welcher Goethe vor allen andern Dichtern seine
Stärke hat, mich damals ergrift'. Seine Lieder konnten mich
auf meinen Wegen wochenlang begleiten, und ich sang sie
mir oft laut vor, wenn ich allein war, zu Melodien, die
ich selbst, so gut ich es vermochte, erfand«.
Hauch war in seinem Mannes-Alter an den Hoch-
Schulen in Soröe und Kiel Professor. Nach dem Tode
Oehlenschlägers siedelte er, zum Professor der Aesthetik
an der Universität ernannt, nach der Hauptstadt über, und
nach meiner persönlichen Erfahrung ist das Hauch'sche
28 Abhandlungen.
Haus in Kopciiliam.!! dasjciiis^'c ij;c\vcscii,in welchem der (jeist
Gocthc's am tietsten verstanden und am höchsten verehrt
in Dänemark fortlebte, (obwohl ich in diesem Hause (in
den Sechzii^^er jähren) \iel verkehrt habe, erinnere ich mich
kaum eines Abends, wo Cioethe's Xame nicht genannt und
von seiner Kunst nicht s^esprochen wurde. Sie war der
Maasstab, mit dem die Kunst Anderer gemessen und zu
gering oder xu wenig einfach befunden ward. Hauch, den
man sich als einen W-rgötterer Oehlenschlägers dachte,
verehrte unter den Dichtern nur Shakspeare und Goethe
unbedingt, und nie habe ich schärfere, unbarmherzigere
Kritik der geistigen Persönlichkeit Oehlenschlägers, nie
eine verständnissvollere Bewunderung von Goethe gehört
als in dem Hauch'schen Familienkreis. Und es war
nicht allein der Dichter Cioethe, dessen Geist über dem
Hause schwebte. Man huldigte in den praktischen An-
gelegenheiten des Lebens — nicht durch Nachahmung,
durch natürliche, ursprüngliche Uebereinstimmung — An-
sichten, wie sie Goethe hegte, man spürte seinen Geist in
dem grossen Gewicht, das auf körperliche Fertigkeiten
gelegt wurde, wie gut schwimmen, gut segeln, ein Haus
zeichnen und bauen zu können oder es zu verstehen, aut
dem Fise ein Menschenleben zu retten. Nicht allein, dass
man solches verstand und that, es war, als thäte man es
im Namen eines ungenannten Meisters, Goethe.
FFuich war nie so glücklich, nach Weimar zu kommen
und den Schutzgeist des C^rtes von Angesicht zu Angesicht
zu schauen. Dies Foos hei Oersted und Sibbern zu. Hans
Ghristian l)ersted (geb. 1777) hat für Dänemark eine ähnliche
Bedeutung wie Alexander von Humboldt für Deutschland.
Sein grosser Ruhm ist unter den Iiinsichtsvolleren in
Dänemark jetzt etwas verblasst ; seine Philosophie mit
ihrem Gemisch von furchtsamen Pantheismus und \'ernuntt-
christenthum ist längst als Halbheit verlassen; der Glanz
Georg Brandes: Gbethe und Danemark. 29
den seine grosse l'Jitdeckunij; seinem X.unen i^ab, wird in
den Augen Mancher durch seine Uniähigkeit, diese lüit-
deckung irgendwie fruchtbar zu machen, verdunkelt; aber
ihm bleibt das unbestrittene \'erdienst, mit grossem Wissen,
ununterbrochenem korschen, kindlich reiner Hingebung an
ideale Ziele und der Autorität, die eine grosse Leistung gibt,
für die naturwissenschaftliche Erziehung und Bildung seines
Volkes erfolgreich gewirkt zu haben.
Früh hatte er mit der Naturphilosophie gebrochen.
Die Lehre von einem einzigen grossen Weltorganismus
musste ihn fesseln, aber in dem mystischen, von Phantasmen
bevölkerten Halbnebel konnte er mit seinem I^edürfnisse
nach strenger, ernster Forschung nicht autkommen. Einer
seiner Lieblingsgedanken war der, dass die Poesie, die zu
seiner Zeit sich noch durchgängig in übernatürlichen und
ungesund phantastischen Vorstellungen bewx^gte, sich nach
und nach die naturwissenschaftliche Weltanschauung zu
eigen machen und darstellen müsse. Er hatte selbst, um
diesen Gedanken zu illustriren, ein mittelmässiges Hexa-
metergedicht »Das Luttschiti« geschrieben. Er meint, wie
er sich ausdrückt, dass die Fortschritte der Naturforschung
und die allgemeine Verbreitung naturwissenschaftlicher
Kenntnisse eine Menge Vorstellungen, deren sich die Dichter
früher bedienten, unbrauchbar machen und in die poetische
Rüstkammet einer vergangenen Zeit verbannen werden, zu-
gleich aber, dass die Wissenschaft den Dichtern für diesen
Verlust einen reichen Ersatz bietet. Als diese Ansicht von
dem Theologen, Bischof Mynster, heftig angefochten wurde,
berief er sich (in dem zweiten Theil seines W^erkes »Der
Geist in der Natur«) auf Goethe wie auf einen grossen
Dichter, der weit weniger als die meisten anderen aus
jener poetischen Rüstkammer verwendet und seine Mittel
ohne Umweg direct von der Natur geholt habe. Er macht
geltend, dass Goethe in seinem Gedicht »Die Metamor-
30 Abhandlungen.
phosc der Pflanzen« elen (Jeist der Lehre, die er als Natur-
forscher der Welt vorgelegt hatte, zusammengedrängt gab.
Er nennt mit Bewunderung Goethe's Gedicht über die
Howard'sche Auffassung der Wolkenformation. Er hebt
hervor, dass man ringsum in seinen Werken dichterischen
Darstellungen wissenschaftlich begrifiener Xaturverhältnissc
begegnet, und beklagt nur, dass (ioethe die mathematische
Naturlehre so gröblich missverstehe. Dann schliesst er:
»Welch anderer deutscher Dichter hat sich durch und
durch so als Xaturbeobachter offenbart? Selbst in seinen
Darstellungen der Menschen sieht man, dass er den Wesen,
die seine Einbildungskraft erschuf, ein Gepräge gab, das
nur von tiefgehender Beobachtung herrühren konnte.«
Im Jahre 1822 besuchte Oersted Goethe in Weimar.
Eine weitläufigere Darstellung dieses Besuches scheint
leider verloren gegangen zu sein. Eine kürzere sendet er
am 10. October 1823 an seine Tochter, Frau Bull :
»»W^is dich vielleicht am meisten amüsiren wird, ist,
dass ich aufs Freundschaftlichste von Goethe, dessen grossen
Dichtergeist du liebst , empfangen wurde. Er hat in den
späteren Jahren seines Lebens mit verdoppeltem Eifer dem
Studium der Naturwissenschaften obgelegen luid empfing
mich wie ein Physiker den andern. Da ich ihm sagte,
wie sehr es mich ertreue, dass meine Wissenschaft mich
einem Manne näher gelührt hätte, der schon seit meiner
frühesten Jugend (Gegenstand meiner Bewunderung gewesen
sei, antwortete er mir: »Was kann wohl ein Mann in
meinem Alter besser thun , als sich in die Arme der
Natur zu werten.« Ich \erbraclue einen der schönsten
Abende in seinem Familienkreis.««
Dass Oersted seinerseits Goethe nicht gleichgültig
war, beweist mir der Umstand, dass — wie mir der be-
kannte Politiker Herr Dr. Loewe-Bochum mitgetheilt hat
— der deutsche Physiker Schweigger sich oft und bitter,
Georg Brandes: Gjäthe und Dänemark. 31
beklagte, Goethe habe seine Hntdeckung des elektromag-
netischen Multiplikators stets übersehen und immer statt
seiner Oersted als den eigentlichen epochemachenden l:nt-
decker — wohl mit Recht — gepriesen.
Es ist schon berührt worden, wie Baggesen, als er,
im Jahre 181 1 vom Auslande zurückgekehrt, zu dem Hause
Anders Sandöe Oersteds hineilte , schon bei dem ersten
kalten Empfang sich aus der Gunst Sophia Oersteds ver-
drängt fühlte. Während seiner Abwesenheit war Erederik
Christian Sibbern (geb. 1785), ein höchst ursprünglicher,
echt humaner, allseitig gebildeter junger Denker in das
Haus eingeführt worden , hatte sich in Sophia Oersted
leidenschaftlich verliebt, und wurde nun seinerseits von ihr
in die glühende \'erehrung für Goethe eingeweiht , die
tünt Jahre früher wie durch Ansteckung Baggesen ergriffen
hatte. Das \'erhältniss war gewiss ein völlig schuldloses,
wenn auch von der Seite Sibberns ein das ganze Gemüths-
leben beherrschendes. Es waren zwei Seelen, die sich in
Goethe begegneten und die ihrer gegenseitigen Neigung
die Weihe der Goethereligion verliehen.
181 1 — 12 unternahm Sibbern, bevor er die Stelle als
Professor der Philosophie in Kopenhagen antrat, die er
mehr als 50 Jahre inne hatte, eine Reise ins Ausland; sein
Briefwechsel während dieser Reise ist gedruckt und der
grosse Raum , den Goethe in diesen Episteln einnimmt,
macht es vielleicht deutschen Lesern wünschenswerth,
einige Bruchstücke derselben kennen zu lernen.
Am 4. April 18 12 schreibt Sophia Oersted an Sibbern :
»Sie glücklicher, der Sie jetzt nach Weimar reisen. Gott segne
Sie. Ich gönne es Ihnen vom ganzen Herzen. Vergessen
Sie nicht Ihr \"ersprechen, mir etwas von Goethe zu
erbetteln oder zu stehlen Zu meiner Persönlichkeit
passt Schiller nicht so wie Goethe. Die Einfachheit, Kraft
und Festigkeit, die unfassbare. Alles durchdringende und
32 Abhandlungen.
doch SC) milde Stärke, die, wie der Mahnet durch die Ivrde,
durch jede nocii so kleine Arbeit von Goethe ^^eht, die
fehlt ihm, und die ist es eben, die bei Goethe mich erhebt,
tröstet, ertreut und beridii^t.«
Sibbern trat Goethe nicht , weder in Weimar noch in
Jena. Hr hielt sich damals in Carlsbad auf. Sibbern wollte
aber nicht unterlassen, die Bekanntschaft der brau von
Goethe /u machen. Er schreibt aus Weimar 16. Mai 1812:
»Es ist und bleibt mir ein Räthsel, wie Goethe sie zur
Frau hat nehmen können In Jena sah ich sie
einen ganzen Abend hindurch tanzen , bis ein Uhr fast
jeden einzigen Tanz. Es ist Sitte unter den Studenten,
ihr den Hof zu machen, theils natürlich, um sich über
sie aufzuhalten, theils weil sie es pikant finden. .Sie wett-
eifern darin, mit ihr tanzen zu dürfen«. (Sie war damals
48 Jahre alt.)
hl seiner Ungedidd , Goethe zu sehen , hielt Sibbern
es nicht aus, dessen Ivückkunft nach Weimar zu erwarten,
sondern pilgerte ihm zu Euss bis Carlsbad nach. In einem
Briefe aus Jena 16. Juli 1812 hat er seine Eindrücke von
der Erscheinung Goethes beschrieben :
»Aber ich sollte von Goethe erzählen, jetzt, da ich das
Glück gehabt habe, den wamderbaren Mann zugänglich für
mich zu finden, ihn in guter und glücklicher Stimmung
getroffen und mehrmals gesprochen habe. Ich könnte und
sollte billigerw.eise jetzt voll Freude sein; wenn das Herz
nur genügsamer wäre. Er hat mich so gut empfangen, wie
ich nm' hoflen du.rfte ; und doch — wenn ich nicht die
Hoffnung oder richtiger den Vorsatz hätte , noch ein Mal
vor meiner Heimreise zu ihm zu kommen, würde ich voll
Missmuth sein. Doch preise ich die Stunden, die ich bei
ihm verbrachte (vier Mal in Allem) und die, in welchen
ich ihn bei Frau von der Recke sah, und die Augenblicke, da
ich ihn bei der Quelle und auf den Promenaden begrüsste ;
Georg Brandes: Gt>ETHE und Dänemark. 33
ich preise mich i^liickÜch tür sie alle, und hekUiiie nur,
dass ihrer nicht mehrere waren und dass ich ihm nicht
weit näher kam. — l:r ist von einer majestätischen
Schönheit, voller Kraft in Blick, Haltung und (jang, wie
ein Mann in den besten Jahren und dennoch trägt sein
Gesicht das Gepräge der 63. Er hat eine Gestalt und
einen Anstand wie ein Fürst ; lieber möchte ich sagen wie ein
Minister, und denke dabei fast an den alten Bernstorff . . . .
Leben und wirken wird er gewiss, ohne irgend eine Hem-
mung, wenigstens noch zwanzig Jahre. Er sieht aus, als
könne er achtzig Jahr erreichen, ohne ein Greis zu werden.
Freuen Sie sich, dass er noch so viele Jahre mit Ihnen leben
kann und Ihnen jedes Jahr neue Gaben bringen
Ich zog in den Gasthof in Carlsbad ein und ginij am
folgenden Morgen in die Stadt, um mir eine Wohnung
zu suchen und meinen Kotier vom Posthaus abzuholen.
Als ich über den »Ring« ging — so heisst hier der Markt —
begegnete ich ihm ; er kam mir entgegen mit einem Becher
in der Hand, er kam also vom Brunnen; ich kannte ihn
augenblicklich und wollte schon den Hut ziehen. Dann
bedachte ich, dass er ja nicht mich kannte \'on
Goethe merkte ich nichts weiteres, weder auf den Strassen
noch auf den Spazierwegen ; ich hatte mir fast gedacht,
dass er dort in Carlsbad alles füllen und durchdringen.
Alles ihn wiederspiegeln müsse
Ich stand denn vor ihm. Er emphng mich freundlich ;
ich w^ar da eine Viertelstunde; dann machte er eine \'er-
beugung und Hess mich gehen. Es hatte nicht viel auf
sich, was ich mit ihm besprach; es nimmt ja schon Zeit
zu sagen, wacher man kommt und wohin man geht; etwas
war die Rede von der neuen Universität in Norwegen, die
mir überhaupt ein bequemer Gegenstand ist, um ein Ge-
spräch anzuknüpfen. Ueber meine Begeisterung für ihn
sagte ich nicht ein einziges Wort; das wagte icli nicht.
GohTHt-jAHRBVCH II.
34 Abhandlungen.
Ich stand mit ihm am l-'cnstcr. l'r stand da, hoch und
krättii,^ in einem hlaucn Rock, den er auch am Tai^e
voraus trui^. Als ich von ihm ging, war es, als ob es in
meiner Seele stille stand; ich konnte ihre Stimmung wenden,
wohin ich wollte, y.nr Freude, /um Missmuth
Wenn ich später in einer Entfernung einen blauen
Rock und eine hohe stattliche Gestalt sah, wurde ich so-
gleich aufgeregt. Und noch viel mehr, als ich ein Paar
Tage danach wirklich (ioethe auf der Strasse begegnete
und er mich ansprach: Wie geht es? — F.s war mir
wie vormals, wenn xon ferne ein gelber Shawl meine
Freude erregte, und ich ihm nach/ustieren torttuhr, obwohl
ich erkannt hatte, dass es nicht der rechte war« .
Wie sehr Sibbern sein Leben lang sich mit Goethe
beschäftigte, davon legen seine Briefe nach der Kückkuntt
von seiner Reise Zeugniss ab. Fast sein ganzer, deutsch
geführter Briefwechsel mit Henriette Herz ist Goethe ge-
widmet. Und als der junge Professor der Philosophie
nach wenigen Jahren mit einer dichterischen Production
auftrat — in Dänemark ist man, was man auch sonst sei,
innner ein wenig Poet — spielten in der Schritt »Nachgelassene
Briefe von Gabrielis«, einer Wertheriade, für welche seine
Beziehungen zu der j-rau Oersted den Stoff gaben, die
Dichtungen Goethe's eine noch grössere Rolle als die
Ossians in ))\W'rther((. In seinem Werke »Ueber Poesie
und Kunst« ist Goethe endlich geradezu als der ideale
Künstler dargestellt, denn er vertritt die Verschmelzung
von Genialität und Besonnenheit, die Sibbern das Höchste
ist. Sehr verständig wird hier entwickelt, wie Goethe nur
um sich selbst allseitig zu entwickeln und zum tüchtigen,
vollendeten Organ seines Genius zu machen, in allen Rich-
tungen der Kunst und Wissenschaft gestrebt und gearbeitet
zu haben scheint, wie er aber eben dadurch seinen Mit-
menschen eine ganze helle und reine Welt schenkte.
Georg Brandes: Goethe und Danemark. 35
Besonders Tiefes und Neues findet man in Sibbcrns kunst-
philosophisclicn Schriften nicht, und \ cm den beijahteren
Zeitgenossen wurden sie besonders wegen des breiten
sclileppenden Stils last übersehen. Was sein \'erhältniss
zu Goethe betrifft , so war es der daniahgen hitelhgen/-
Aristokratie schon ein Anstoss, dass Sibbern trotz des
Anlautes zu rein freisinnigen Ansichten es nicht lassen konnte
— nacii dem Beispiel seiner 1-reundin Henriette Herz —
bei dem gepriesenen Goethe das christliche Getühl und
die Gottesergebenheit zu vermissen.
Sibbern war nicht derjenige, dem es gelang, als
Aesthetiker die geistige und künstlerische Ueberlegenheit
Goethe's in dem Bewusstsein des dänischen ^'olkes dauernd
zu befestigen.
VI.
Diese Aufgabe und dieser Erfolg waren einem am
entgegengesetzten geistigen Pol sich befindenden Gegner
von Sibbern, dem gewandten und genialen Dichter und
Denker Johan Ludvig Heiberg vorbehalten. Unter allen
dänischen Grössen ist es Heiberg, welcher, mit dem
iiellsten Bewusstsein über sein Ziel, direct im Goethe'schen
Geist hat wirken wollen, und da er die Gabe besass, seine
Ansichten und Sympathien der ganzen hauptstädtischen
Intelligenz mitzutheilen, da er sein Mannesalter hindurch
der Abgott der Gebildeten und der absolute Oberrichter
in der Literatur war, hat er auch zu seiner Zeit das, was
er von Goethe eriasst und in sich autgenommen hatte,
zum geistigen Eigenthum der höheren Klassen gemacht
und dadurch sowohl der ]:insicht in Goethe's Kunst wie
der Befestigung der rein äusserlichen Autorität von dessen
Namen den grössten Vorschub geleistet.
J. L. Heiberg (1791 — 1860) ist unstreitig eine der
hervorragendsten Persönlichkeiten der dänischen Literatur
36 Abhandlungen.
im 19. [.ihrluiiKlcrt. Als romantischer Lvrikcr und wit/igor,
gliin/cndcr LiistspiL-ldichicr beliebt, ja popidär, als Eintuhrcr
und talentvoller N'ertechter der Hegerschen Philosophie
von maassgebendem l'ünHuss , sogar nachdem diese Philo-
sophie ausserhalb Dänemarks ihre herrschende Stellung
verloren hatte, als Kritiker und Aesthctiker endlich buch-
stäblich ein Przieher seines \'olkes, hat er ungefähr von
1824 — 1842 eine im Wesentlichen erspriessliche und civili-
satorische Geistesherrschaft ausgeübt. Was ihm haupt-
sächlich fehlte, war ein voller originaler Xatm'ton ; Primi-
tivität hatte er nur in seinem Witz. In der Dichtkunst
gruppirte sich um ihn eine teine, retiectirende, nicht sehr
naturwüchsige Formschule (Henrik Hertz, Prederik Paludan-
Müller u. A.). Gegen die tüniziger Jahre wurde jedoch ein
bei ihm stets vorhandener Hang zum Schematismus und zur
Sophistik im Denken, zum leeren Pormalismus in der Kunst
und Kritik so stark, dass er als Kritiker, Theaterdirektor
und Politiker fast nur ein Hemniss der Entwickelung wiu'de.
Hs lag in seinem Wesen etwas x'on der ohinpischen
Ueberlegenheit, der göttlich heitern Ironie, der diploma-
tischen Selbstbeherrschung , die er bei Goethe verstanden
hatte. Die unerschcipHiche Xaturlülle, die ewige hrische
des Goethe'schen Wesens besass er nicht. Seine Jugend
hatte nie die leidenschaftliche Gluth gehabt, die bei Goethe
hinreisst, sein Alter hatte auch die hohe Weisheit nicht,
die bei Goethe erquickt. Nicht dass er der Natur Luid
dem Naturstudium tremd war. Im Gegentheil er war
von trübster [ugend ab eitriger Naturforscher, besonders
Pntomolog, und er betrieb bis in seine letzten Lebensjahre
mit wahrer Leidenschaft astronomische Porschungen; seine
letzten Schriften sind optische und akustische Monographien.
Das naturwissenschaftliche Gebiet des Goethe'schen Wissens
war ihm also keineswegs fremd; er war sogar wie sein
deutscher Meister ein heind der empirischen und experi-
Georg Brandes: Goethe und Dänemark. 37
nicntcllcn Richtlinie uikI wie die meisten Hei;elianer ein
Anhänger von Goethe's Farbenlehre. Aber er hatte nichts
von dem wcltimispannenden 1-jndeckergeist, dem grossen
naturaHstischen Fantheismus, der (k)ethe mit den Ahnen der
Philosophie, einem Thaies, einem Heraklit in \'er\vandt-
schatt bringt, ha' war kein Urmensch.
Heiberg war, ungefähr 30 Jahr alt, von Hegels Philo-
sophie mächtig ergriHen worden, war i(S2^ in I^erlin mit
Hegel selbst in \'erkehr getreten und betrachtete es von
jetzt ab als eine seiner wesentlichsten Lebensaufgaben, der
HegePschen Philosophie Hingang in Dänemark zu ver-
schaft'en. Aber für ihn wie für nicht wenige der Hegelianer
der ersten Zeit war die Hegel'sche Philosophie nicht
von der Dichtung Goethe's /u trennen. Sie waren ihnen
zwei Formen desselben geistigen Inhalts. Mit Heibergs
Auftreten fängt daher eine Periode in dem dänischen Geistes-
leben an, in welcher man Goethe so aulfasste, wie er sich
durch Hegel'sche Brillen ausnahm, und ihn nicht so sehr
um seiner selbst willen wie als poetische Illustration der
metaphysischen und ästhetischen l'heorien Hegels be-
wunderte. Es versteht sich jedoch von selbst, dass Heiberg
mit seiner lebhatten poetischen Empfindung sich diesen
N'erirrungen lern liielt.
In dem Aufsatz »Ueber die Bedeutung der Philosophie«
(1833) findet sich die Grundansicht Heibergs von Goethe:
Was Goethe von allen zeitgenössischen Dichtern unter-
scheidet, sei dasselbe, was Dante und Calderon so sehr
über ihre Zeitgenossen erhebe; er stelle die Philosophie
seines Zeitalters dar, er sei ein speculativer Dichter ge-
wesen. Heiberg spricht sich in Polge dieser Aulfassung
mit aller Entschiedenheit gegen den in Dänemark herr-
schenden Shakspeare-Cultus aus : Shakspeare sei kein ähn-
licher poetischer ^'ertreter der Menschheit. Shakspeare,
der einem Lande gehöre, das stets in lauter endlichen Bestre-
3«
Abhandlungen.
bunucn bctauiicn ucwcscn, sei allzu national um nicht Realist
zu sein. Interessante Charakterschilderungen, psychologische
und historische Meniorahilien seien die Gegenstände, in
die er sich vertiete, aber nie spüre man ein Bewusstsein
davon, dass dieselben als endliche und vergängliche Seiten
sowohl des Lebens wie der Dichtkunst in der Anschauung
des Unendlichen sich verlieren. Die übertriebene Be-
wundenmg Shakspeare's sei lächerlich und unverzeihlich
in einem Zeitalter, das einen weit grössern Dichter besitze.
Goethe stehe durchaus nicht in Liebe zu den Linzeinheiten
der Natur und des Menschenlebens hinter Shakspeare
zurück; im Gegentheil er übertretie ihn auch in der liebe-
vollen Vertiefung in"s Lndliche, nur seien sowohl die Be-
crebenheiten al^ die Charaktere von ihm als untergeordnete
Momente der ideellen Linheit gehalten. Wie er in 'Lasso
weder den Dichter noch den Staatsmann vorziehe, so wolle
er uns überhaupt nie für einen Helden t)der einen Liebenden
begeistern, sondern für die nicht individuell und persönlich
begrenzten Ideen. Heiberg zeigt, wie diese doppelte Ligen-
thümlichkeit und Grösse Goethe's die irrthümlichen An-
sichten über ihn erklären: »Die, welche sich nur an seine
überraschende Liebe zum ländlichen halten, neiuicn ihn
sinnlich und materiell; die, welche nur das entgegengesetzte
Moment aufgefasst haben, finden ihn ohne Wärme und
Begeisterung, sagen, dass es ihm mit keiner Sache Lrnst
sei. Und beide Klassen von Gegnern werden dann leicht
zu den weiteren Beschuldigungen getrieben : dass er un-
moralisch sei, weil er die moralischen Pllicln-Bestimnuingen,
an die sich die Menge wie an teste llaltpunkte klammert,
in ihrer Lndlichkeit darstellt und ihnen die \ermeintliche
absolute Gültigkeit raubt; dass er irreligiös sei, weil seine
Poesie, anstatt sich unter die Religion zu stellen, durch
ihre \'erschmelzung mit der Philosophie im Gegentheil
den religiösen Standpunkt in seinen eigenen Umfang auf-
J
Georg Bkandes: Gc^the und Danemark. 39
genommen hat. In beiden Hinsichten hat Goethe indessen
nichts anderes i^ethan , als uns unsere eigenen Gedanken
/um Bewusstsein /u bringen«.
Diese Worte, die den Nagel aut den Kopf treffen und
ohne Zweifel die wahrste und tietste Ansicht von Goethe
enthalten, die bis dahin in Dänemark ausgesprochen worden,
sind von einer den Nicht-Dänen kaum recht iassbaren
Kühnheit. Sie sprachen in einem orthodoxen Lande ein
neues Princip aus; sie enthielten einen directen, bewussten,
entschiedenen Angrift aut die alles überfluthende officielle
theologische Gesinnung, die man überall mit den Lippen
bekannte, während die Meisten in einem schlaffen Halb-
bewusstsein von einer ganz verschiedenen Weltanschauung
hinlebten. Diese Worte waren so kühn, dass Heiberg
selbst in seinen älteren Jahren den Standpunkt, den sie
bezeichneten, autgab, und, als die theologische Reaction in
den vierziger Jahren ihren Autschwung nahm, vom Panthe-
ismus zur speculativen Dogmatik zurückzukehren schien.
Ueberall in Heibergs Werken tinden sich zerstreute
i^eiträge zur Aesthetik der Goethe'schen Dichtung. Er
war der unermüdliche \'ertechter der von Goethe aus-
gesprochenen, streng künstlerischen Ansicht der Poesie.
Er gab einen Auszug des Brietwechsels zwischen Schiller
und Goethe mit Noten heraus, und wenn er in seiner scharfen
Polemik gegen Hebbel als A'ert'asser der Dramen »Judith«
und »Genoveva« und des Aufsatzes »Ein Wort über das
Drama« (1843) dem viel Jüngern deutschen Dichter so
hart zusetzte, hatte es hauptsächlich darin seinen Grund,
dass er bei Hebbel (wie bei Gutzkow) keine neue über
Goethe hinaustührende Riclitung zu erkennen vermochte,
sondern nur einen Rücktall in die von Goethe längst über-
wundenen Einseitio;keiten oder Trivialitäten tand '.
' Man sehe Heiberg: Prosaiske Skrit'ter L, 416 — 430, III., 256,
34811.. IV., 443. 471, \., 21)«., 3)3 ff. ^\■enn Emil Kuh in seiner
40 Abhandlungen.
Hcibcrg selbst und last noch mchi' sein treuer poetischer
Bundesgenosse Henrik Hertz, der sich nie bei Einer Dichtari,
J:iiiti Gruppe von StoHen, oder Jiiiicr Behandliingsweise
beruhigte, sondern sein Talent in iinnier neuen \'arietäten
otlenbarte, tussen als Dichter durchaus in Goethe's Hrd-
reich. In ihren guten Dichtungen athmet man Goethe'sche
Luft, nur leider sehr verdünnt. Diese Geister hatten mit
Goethe nur das Aristokratische, \'erteinerte gemeinsam;
ihnen fehlte das eminent Menschliche und deshalb gross-
artig \'olksthümliche, das in Goethe"s Xaturgrund lag.
Heiberg hatte viel von dem alten (joethe, nichts von dem
jungen. Die Schule ging in Formalismus zu Grunde.
Deswegen sind Heiberg und seine nächsten Freunde oder
Schüler aut der jetzigen Entwickelungsstufe des dänischen
\'olks und seiner Literatur so vollständig zur Seite
geschoben worden, dass sie, die so kürzlich Gestorbenen
(Heiberg starb 1860, Hertz 1870), fast wie vergessen sind.
Man hat aus ihnen Alles gelernt, was von ihnen zu lernen
war. Sie haben schon zu ihren Lebzeiten ihren Lohn
vorweggenommen. Die junge Generation findet unter
ihnen keinen zu bekämpfenden Gegner, keinen Führer und
kein \'orbild.
\'1I.
Aut Heiberg folgt in dem geistigen Leben Dänemarks das
Zeitalter des constitutionellen Liberalismus und der besonders
durch Sören Kierkegaard (1813 — 1855) Gestalt und Eigen-
thümlichkeit gewinnenden religiösen Reaction. Weder der
politische Liberalismus, noch der theologische Rückschlag
Biographic Hebbels sich diircli die Begeisterung für seinen Gegenstand
hinreissen lässt, Heiberg als einen hegelianiscli angehaiiciuen Gottsched zu
stempeln, so lässt dieses sich nur durch die Unkenntniss der danischen
Sprache erklären, in weJclier dieser übrigens so schätzenswerthe Literatur-
Historiker sich befand.
Georg Brandes: G«^the und Danemark. 41
war dem sx'mpathischcn und eindringlichen X'erständniss
Goetlie's günstig.
\'on der Seite der den Absolutismus bekämpfenden
Politiker kam in Dänemark, wie in Deutschland, eine Auf-
fassung Goethes zum X'orschein, die ihn wesentlich
als indifferenten (Olympier oder epikuräischen Hellenen
charakterisirt. Unter den Schrittstellern, die ursprünglich
dieser Gruppe angehörten, ist der Journalist, Novellen- und
Romandichter M. Goldschmidt unstreitig der talentvollste.
Seine romantische Religiosität war ausserdem der Xatur-
frommheit Goethe's abhold. Man findet überall in Gold-
schmidts Werken Andeutungen einer in Deutschland theils
von Heine, theils von Börne vertretenen bewundernden
Abneigung gegen Goethe, tir hebt besonders den politischen
Inditferentisnuis Goethe's wie Schiller's hervor. »Durch
beide« (Cjoethc und Schiller), sagt Goldschmidt, »war eine
eigenthümliche Gleichgültigkeit, ein egoistisches Streben
danach, in Genuss und Wohlgefallen sich ausserhalb des
Allgemeinen xu stellen, in deutsche Gemüther eingezogen«.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Antipathie,
welche die Mehrzahl der liberalen Politiker gegen Heiberg
und seinen Hinfluss hegte, den von Heiberg immer
gepriesenen Goethe ihnen gewissermassen einfach als den
nur viel grössern Heiberg Deutschlands erscheinen Hess.
Als solcher wurde er von ihnen bekämpft.
Ganz anders gestaltete sich die von Kierkegaard aus-
gehende Reaction gegen Goethe. Für Kierkegaard mit
seinem christlichen Pathos, seiner brennenden Leidenschaft-
lichkeit, seiner ethischen Begeisterung und seiner Ueber-
zeugung, dass Märtyrerthum das Loos jedes wahren
Gcisteshelden hier auf Erden sei, war das Lebenswerk und
die Lebensführung Goethe's nothwendig ein Aergerniss.
Ihm, dem es ausserdem zum Dogma geworden, dass man
nur ein Mal liebt, und der mit so unverbrüchlicher Treue
42 Abhandlungen.
;in der cin/igcn Licbcsncii^uni; seines Lehens testgehalten
hatte, nuisste das N'erhaltniss Goethe's /ii den Irauen
und der Liehe ein Stein des Anstosses sein.
.Seine ausiührhchste Auseinandersetzuni^ mit Cjoethe
rindet sich in dem zweiten Theil des Werkes »Stadien aut
dem Lebenswege'^ in dem Autsat/e des Assessors über die
Ehe. Der Assessor geht mit dem Helden der Goethe'schen
Selbstbiographie streng und spt)ttisch ins Gericht wegen
seines Benehmens Friederike gegenüber : »Wenn die kleine
Dorfschönheit so unglücklich gewesen, Seine Excellenz nicht
recht /u \erstehen, sich jedoch treu bleibt, so ist sie, wenn
ich mich nicht irre, aus der Idylle zur Tragödie avancirt ;
wenn dagegen Seine Excellenz so unglücklich gewe.sen ist,
mit sich selbst in Missverständniss zu gerathen, und ferner in
der Weise, wie er es wieder gut machen will, äusserst unglück-
lich ist, so ist er, wenn ich mich nicht irre, aus dem Drama
verabschiedet und in dem \'audeville ansässig«. Literessant ist
dieser Angritl, weil er von einem Manne herrührt, der mit
unendlichem Aufwand der Reflexion und mit erdrückender
Empfindung der \'erantwortung sein einem jungen Mädchen
gegebenes Wort zurückgenommen hatte.
Kierkegaard meint, in »Wahrheit und Dichtung u die
Erklärung dafür zu linden, dass Pathos dasjenige sei, was
man bei Goethe am meisten vermisse, und dass seine
vorzüglichsten (Gestalten, die weiblichen, immer in einer
Beleuchtung erscheinen, in welcher die überlegene \'er-
ständigkeit, die zu geniessen und sich zu entternen wisse,
als berechtigt oder wenigstens als entschuldbar dastehe.
Bitter verspottet er die kriechende Bewunderung der
Goethe'schen l-'ähigkeit. ein Lebensverhähniss , das ihn zu
überwältigen drohte, dadurch zu entternen, dass er es
dichtete. Denn was sei diese Xatureigenthümlichkeit anders
als die Parade des natürlichen imd lüsternen Menschen
gegen das Ethische? Das verstehe sich, dass nicht jeder,
Georg Brandes: Gqethe und Danemark. 43
der «dichtet«, Meisterwerke hervorbringe, aber was thue
dies mit Rücksicht mit das ]:thische zur Sache? Auch dieser
Vorwurt ist besonders deswegen interessant, weil er aus
der Feder eines Schriftstellers stammt, der die Hauptqual
seines Juyendlebens eben nur durch immer und immer
erneuerte dichterische Darstelluni^en derselben überw and.
Zu der ethischen Missbilligung Goethe's kam bei
Kierkegaard aber noch die religiöse. Und so bildete
sich nach und nach vor Kierkegaards Seele ein Zerrbild
von Goethe, nicht viel wahrer als das, welches die Welt
^\'olfgang Menzel verdankt. Dass Goethe die bildlich-
mvthischen X'orstellungen , die ihm in der Kindheit einge-
prägt wurden, nicht bis /u seinem Tode bewahrte, dass
er «sicli zurückzog, wo es galt, ob auch bis zur \'er-
zweiflung für die Glaubensgemeinschaft mit den Eltern zu
kämpfen«, das kann er nicht verzeihen, weil er auf den
höchsten Gebieten keine höhere Pflicht als die der Pietät
anerkennen will. l:r wirft Goethe vor, dass er sich nicht,
wie er selbst, gegen die ganze moderne Kulturentwickelung
gestemmt hat, anstatt ihr vorzüglichster Träger seit den
Tagen der Renaissance zu werden, — er denkt sich die
Möglichkeit, dass Goethe sich zu dem, was er wurde, ja
zu mehr als was er wurde , hätte entwickeln können,
wenn er, statt die ganze Entfaltung des deutschen Geistes
in Lessing und Winckelmann, Bürger und Wieland, Herder
und Kant zu resumiren , anstatt als der alles verdunkelnde
Mittelpunkt in dem Sternbild zu strahlen, das von Schiller,
Hölderlin, Kleist, Heine und den anderen freigeborenen
Dichtergeistern gebildet wird , ein Barde wie Klopstock,
ein Magus wäe Hamann, ein Heiliger wie Lavater gew^orden
wäre, die alle ihren religiösen Kindheitseindrücken treu
blieben, aber deren Werke jetzt nur von Literarhistorikern
als Curiositäten aufgesucht werden. [Georg Brandes : Sören
Kierkegaard. Leipzig, 1879.]
44 Abhandlungen.
Nach und nach schniol/ so^ar tür Kierkegaard die hohe
Lebensweisheit Goethe's mit der ihm so \erhassten teinen
Lebensklui,^heit des Bischofs M\nster zusammen. Hr bildet
sich ein Wort, ein Compositum, »das Mynster-Goethe'sche«,
mit welchem er den feigen Hpikuraismus, den er verachtet,
stempelt. So heisst es /. B. in seinen »Nachgelassenen
Papieren von i849c< von dem von ihm verabscheuten Pro-
fessor Martensen, M^■nsters Nachfolger als Bischof See-
lands : »Nimm Martensen. Der ist ein Beispiel des Mynster-
(joethe'schen, die Mitwelt zur höchsten Instanz zu machen;
nur steht er noch niedriger.« Es Hesse sich kaum etwas
Ungereimteres über Cioethe sagen, als dass er seinen Zeit-
genossen um jeden Preis zu gefallen gestrebt habe, und
ihn als Typus der Genusssucht zwischen zwei Bischöfe zu
placiren, ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Diese Aut-
fassung war trotz alledem zur Zeit des Triumphes der
Kierkegaard'schen Ideen (etwa 1856 — 1866) in vielen sonst
intelligenten Kreisen Dänemarks die vorherrschende.
Hine Gruppe von Männern gab es jedoch, in der das
Genie und die \'erdienste Goethe's nie über Rücksichten
auf das, was als absolute Moral oder absolute Glaubens-
verpflichtung galt, vergessen wurden, die Gruppe weniger
h'eidenkender Philosophen und Naturforscher.
Der (1875 als Professor gestorbene) Philosoph und
Geschichtschreiber der Philosophie, Hans Bröchner, der
erste entschiedene P'reidenker in Dänemark, welcher auf
die Jugend einen l^influss ausübte, wie (ioethe ein treuer
Bewunderer Spinoza's, ein pantheistisch religiöser Idealist,
dessen Bildung völlig griechisch und deutsch war, lebte
in Goethe. Kr war selbst eine Paustische Natur, und Goethe's
Faust war selten von seinem Tisch fort und seltener aus
seinen Gedanken.
Auch unter den Naturforschern hatte Goethe eine
kleine, treue (jcmeinde. Hs konnte kaum anders sein.
Georg Brandes: Gqethe und Dänemark. 45
Mir \vcniij;stcns ist es immer so vor<j;ekommen, als strahle
das Genie des grossen Meisters aut keinem (icbiet über-
raschender und voller, als sei nirgends die geheimnissvolle
\'er\\andtschalt seines Hervorbringens mit der schöpferischen
Kratt des Weltalls einleuchtender und mehr ergreitend zu
emphnden als in seinen Forschungen zur philosophischen
Botanik und Anatomie. Wer fühlt nicht hier, dass Goethe
wie sein 1-aust »die Mütter« geschaut hatte, wer sieht
nicht, dass sein Lvnceusblick in das grosse Laboratoriimi
der Xatur hineindrang !
Ich habe, um diesem Iintwurf eine gewisse \'ollständig-
keit zu geben, einen der ersten dänischen Xaturtorscher,
den Entomologen Schiödte gebeten, mir mit ein Paar
Worten anzudeuten, welche Eindrücke er während seiner
wissenschaftlichen Eautbahn aut Goethe zurückzuführen
vermag. Professor Schiödte schreibt mir u. A. :
»Ich bin durch Goethe in der Arbeitsmethode, in
welche ich durch mein Naturell eingeführt wurde, be-
festigt und darin bestärkt worden, sie unter Ungiuist und
Widerspruch testzuhalten und zu entwickeln. Sie besteht
darin, sich aus der endlosen Mannigfaltigkeit dadurch hinaus-
zuretten, da>s man seine Gegenstände symbolisch behandelt,
d. h. sie so vollständig und allseitig wie möglich durch-
dringt und solcherweise die Bearbeitung als ein instar
omnium hinstellt, laut der Erkenntniss, dass jeder ab-
geschlossene Organismus oder jede zusammenhängende
Gruppe von Organismen die ganze organische Natur ver-
tritt. Mannigfach bin ich in dieser Bestrebung von Goethe
beeinflusst worden, auch mit Rücksicht auf meine Dar-
stellungsweise in morphologischen und svstematischen Con-
spectus, in Abbildungskunst u. dgl. Ueber naturhistorisches
Zeichnen hat er \'ieles, das mir fruchtbringend war. Mir
besonders theure Stellen von Goethe sind : Was ist das
Allgemeine? Der einzelne Fall. Was ist das Besondere?
46 Akhandlungen.
Millionen l-.illc. — Willst Uu Dich :\m G.w/.un erquicken,
so niiisst Du das (}an/c im Kleinsten blicken.«
\is sciieint mir, dass diese so verschiedenartigen und
so ungleich motivirten Zeugnisse der Bewunderung, der
Abneigung oder der Dankbarkeit der verschiedensten Männer
eines kleinen \'olkes besser als die wärmsten Lobreden
eine X'orstellung von den nach allen Richtungen hin ver-
breiteten Anregungen geben, die der Geist (ioethe's sonnen-
artig ausstrahlt.
\'II1.
Was die jüngste, jetzt in dem Mannesalter stehende
Generation in Dänemark (joethe verdankt, lässt sich kaum
bestimmen oder ermessen. Seine Dichtung, seine Welt-
ansichr, seine Ideen sind \'ielen so in's Blut übergegangen,
sein lünfluss hat durch so viele Kanäle gewirkt, dass niu'
Wenige mit einiger Genauigkeit ihre Schuld an ihn an-
zugeben vermögen. Man las in den Jahren, da das jetzt
in den Dreissigern stehende Geschlecht autwuchs, in Däne-
mark wenig Deutsch. DieXationalfeindschaft gegen Deutsch-
land, die wir fast Alle als Jünglinge leidenschaftlich theilten
und die nach dem Verlust des ganzen Schleswig heftig
aufloderte, machte uns die deutsche Literatiu' im (ianzen
wenig sympathisch. Ueberhaupt ist die deutsche Geistesart
den Dänen fremder als man nach der W^rwandtschaft der
^'ölker und nach der langen Abhängigkeit von Deutschland
glauben sollte, besonders viel fremde]- als die Deutschen ahnen.
Goethe war aber (mit Heine) einer der wenigen Sterne
Deutschlands, die auch zur Zeit, da die nationale F.nt-
fremdung \ou Deutschland am grössten war, ihi" Licht
über die (jrenze sandten. Xicht dass seine Werke in guten,
künstlerisch ausgeführten Uebersetzungen vorlagen; die
L'ebersetzungen, die es von ihnen gibt, sind fast ohne
Ausnahme schlecht, veraltet oder verschollen und sind nie
populär gewesen. Wer ihn gelesen hat, las ihn im Original.
Georg Brandes: GeffeTHE und Danemark. 47
Xoch weniger lernten wir im nationalen Schauspielhaus
(joethe kennen. l:r ist aut der könii^lichen Bühne in
Kopenhagen so xii sagen nie autgelührt worden. Man liat
in Dänemark Claudine von \'illabella drei Mal, C^lavigo fünf
Mal, l-'gmont vier Mal, Die Geschwister drei Mal gegeben.
Und das ist Alles, was von Goethe gespielt worden ist.
Die nicht-dänischen zeitgenössischen Dichter, die auf die
Jugend am tiefsten gewirkt haben, die beiden Norweger
Björnstjerne Björnson imd Henrik Ibsen, haben von Goethe
wenig gelernt und mit ihm nichts gemein. Die dänischen
Dichter der Generation von 1870 H. Drachmann, S. Schan-
d(M-ph . J. P. Jacobsen, E. Skram u. s. w. scheinen von
Goethe durchaus nicht unmittelbar beeinflusst.
Sie sind es mittelbar, theils durch die literarische Krb-
schait, die sie von ihren Vätern übernommen iiaben , und
theils — was in Deutschland vielleicht sonderbar klingt —
durch die in Dänemark so mächtige Einwirkung fran-
/.ösischer Ideen und Formen. Die grosse französische
Kritik hat mitgewirkt, uns zu Goethe zurückzuführen. Das
Wort, das so oft hingeworfen wird, das, was Europa recht
verstehen soll, ihr von Frankreich erklärt werden muss,
hat sich für die jüngere Generation in Dänemark in
diesem Fall bestätigt. Deutschland war uns fast fremd
geworden, wir sahen es nur durch das Medium nationaler
Antipathie und früh eingesogener Vorurtheile. Die fran-
zösische Literatur, wie sie sich vor dem Jahre 1870
entwickelt hatte, lehrte uns aufs neue Deutschland ver-
stehen und würdigen, und Goethe ward uns das ideale
Deutschland.
Was unsere \'äter am stärksten zu Goethe hinzog,
sein erhabenes Gleichgewicht, seine Ruhe, die vollendete
Harmonie seines Wesens ist uns Jüngeren nicht das Theuerste
an ihm; die Ruhe seines Alters ist uns fast verleidet wor-
den, weil wir sahen, wie das nationale Phlegma unserer
48
Abhandlungen.
\';ucr sich in iiii- .spici^cltc und aus ihr die Gcwisshcit
seiner Würde und Berechtigung sog. Uns ist Goethe be-
sonders so theuei', weil wir die Natur vergöttern, und
Goethe der grosse, waiire, den Kampf entscheidende Pro-
test gegen den Supranaturalisnius ist, er, der, wie man
von einem Staat im Staate spricht, eine Natur in der
Natur genannt werden kann. Uns ist Goethe ferner so
theuer, weil wir die Kunst anbeten, und Goethe uns mehr
als alle Andern der Künstler ist. Hr, der als Morphologe und
Anatom fast ausschliesslich die Form zu defmiren suchte,
und der die Form als Bildung bestimmte, ein Wort^ das
den -Akt des sich Bildens und das Gebildete zugleich um-
tasst, er vertritt uns die höchste Form und die höchste
Bildung.
Unsere nationalen Koryphäen, wie Kierkegaard und
Paludan-MüUer, predigten uns das A'ersagen ; von Goethe
kam uns der Zurut : \'erstehe!
Wir sahen andere grosse Geister Furopas in Selbst-
bespiegelung, Selbstvergötterung, Selbstvernichtung, Selbst-
betäubung oder Selbstentäusserung endigen, Goethe wurde
uns das grosse Paradigma der Selbstentwicklung. Wir
lernten von ihm, dass wer vor Allem daran arbeitet, sich
selbst zu entwickeln, am meisten Aussicht hat, in die all-
gemeine Entwickelung einzugreifen. Die Universalität seines
Geistes ist und bleibt ein Ideal; man treut sich ihrer, ohne
sie zu begehren; aber von ihr haben wir gelernt, im
Einzelnen nie das Ganze aus den Auijen zu verlieren.
2. GoETHE's Stellung zum
Christenthum.
VON
JULIAN Schmidt.
o viel ich übersehe, war Goethe's Schritt über
W'inckehnann 1805 die erste \'eranlassung, dass
sein Christenthum in Frage gestellt wurde. Er
hatte nachgewiesen, dass Winckelmanns gesammte Kunst-
anschauung auf einer heidnischen Gesinnung beruhe, und
es schien, als ob er diese Gesinnung billige. Wir haben
hinreichende Zeugnisse, wie aufgebracht gerade seine alten
\'erehrer, die Romantiker, über dies Manifest waren.
Die Jahre 1805 und 1806 waren ein bedeutender
Moment für die Geschichte unserer Literatur, ein Wende-
punkt in unserem geistigen Leben. Die Schrift über Winckel-
mann war der Abschluss einer Entwicklung, die mit Goethe's
italienischer Reise beginnt : die Periode der rein ästhetischen
Weltanschauung, deren erster Apostel eben Winckelmann
gewesen war. Im Sinn dieser Weltanschauung schrieb
Schiller, noch bevor er Goethe näher getreten war, die
»Götter Griechenlands« und die »Künstler«; in diesem
GühTlll;-|AH!il:i.CI! II. 1
50 Abhandlungen.
Sinn bcluuKk'ltc Herder im vierten Band der »Ideen« das
historische Christenthum sehr übel , und tand Goethe's
vollen Beifall. Dieser Richtuni; gehörten ursprünglich die
geistreichen jungen Schriftsteller an, die sich später als
romantische Schule sonderten; sie sprach sich am leiden-
schaftlichsten in Hölderlin's »Hyperion« aus. Es galt wie
ein Glaubensbekenntniss, dass die Deutschen aus ihrer Zer-
fahrenheit sich erst würden lösen können, wenn sie völlig
Griechen geworden waren.
Diese Periode der Renaissance endigte wie die alte
italienische mit dem Einbruch der Barbaren. Die absolute
Kunst hatte /u ihrem HeiHgthum der rohen Wirkhchkeit
den Zutritt versagt, aber diese wartete nicht bis sie gerufen
wurde, sie brach wie ein ungeheurer Sturm \erheerend
über Deutschland ein. Was \'orschauende lange geahnt,
wurde in der Schlacht von Jena zur Wahrheit.
Eine grosse Erschütterung in den Ueberzeugungen
war die Eolge. Die Götter Griechenlands, die Winckel-
niann, Goethe und Schiller verkündigt, erwiesen sich als
ohnmächtige Schutzheilige; man wandte die Augen zu dem
alten historischen Gott zurück ; die Noth lehrte beten. Dass
Goethe bei dieser allgemeinen Umwandlung seinen Gleich-
muth zu bewahren schien, wurde ihm zum ^'orwurf gemacht;
seine Religion wurde nicht weniger in Zweifel gezogen
als sein Patriotismus. Seit der Zeit beginnen die Anklagen
gegen Goethe, in welchen sich die liberalen Patrioten mit
den bekehrten Romantikern begegneten. Er wurde fortan
der grosse Heide genannt. Am lautesten wurden diese
Anklagen kurz vor seinem Tode, seit Begründung der
evangelischen Kirchen-Zeitung.
Seitdem ist das ^'erständniss Goethe\ beim deutschen
Publicum immer mehr gewachsen, und die Ankläger wiu"-
den genöthigt, sich wenigstens ehrerbietig auszudrücken.
Es fanden sich wohlwollende Ausleger, die den hoch-
Julian Schmidt: Goethe's ^iellung zum Christenthum. 51
verehrten Dichter xu einem vollendeten Christen stempehi
wollten.
Das scheint jetzt wieder anders werden zu wollen, seit
D. l. Strauss in seiner Schrift »der alte und neue GLmbe«
denen, die sich Christen nennen wollten, das christliche
Credo zur Unterschrift vorlegte und sie vom Christenthum
ausschloss, wenn sie sich dessen weigerten. Mit der ent-
gegengesetzten Tendenz, aber nicht sehr abweichend in
der Form, treten nun die Orthodoxen aut, die in der
Kirche wieder eine maassgebende Stelle beanspruchen und
zum Theil errungen haben.
Ist Goethe ein Christ gewesen? — Diese Frage muss
erst richtig getasst werden.
Wenn man in der Strauss'schen Manier Goethe die
drei Artikel zur Unterschrift vorgelegt haben würde, so
hätte er, wenn er sich überhaupt zu einer Antwort herab-
liess, dasselbe erwidert, was er Lavater erwiderte, als dieser
ihm durch seine Zudringlichkeit lästig wurde: »ich bin
in diesem Sinn ein decidirter Xichtchrist«.
Aber dieselbe Antwort würden Lessing imd Schiller,
Kant und Fichte, Schelling und Hegel, kurz alle die Schrift-
steller, die den Stolz des 18. Jahrhunderts ausmachen,
gegeben haben; ja nicht minder die damals so übel
beleumdeten Glaubensphilosophen Jacobi, Claudius, Hamann,
Lavater u. s. w. Sie wären sämmtlich von dem Strauss'-
schen Glaubensgericht als arge Ketzer befunden worden.
Aber noch mehr. Gerade die Männer, die sich in
dieser und der unmittelbar vorhergehenden Periode durch
tiefe und echte Frömmigkeit auszeichneten, die Spener
und Francke, die Zinzendorf und Moser, die Haller und
Lavater, legten auf diesen historischen Buchstabenglauben
nicht den geringsten Werth. Nicht das heisst glauben,
dass ich das Bekenntniss meinem Gedächtniss einpräge und
niemals einen Zweifel ausspreche, sondern das heisst glauben.
52 Abhandlungkn.
dass ich die \'crdcrbniss der Welt und die Erlösung in
meinem Innern wirklich erfahre, durch die Gluth meiner
Andacht, durch die Inbrunst meines Willens Gott gleich-
sam nöthige, mir Rede /.u stehen. Mehrere dieser Männer
waren in der That so starken Willens, dass sie mit der
überirdischen Welt völlig ins Reine kamen ; bei den
Meisten aber erneuerte sich wiederholt das Ringen und
Kämpfen, und der Refrain ihres Gebets blieb: »ich glaube!
Herr, hilf meinem Unglauben ! «
Von dieser Seite über sein Ghristenthum betragt, hätte
Goethe keineswegs eine blos ablehnende Antwort gegeben,
auch er bemühte sich /u erfahren, ja er hatte manches wirk-
lich erfahren.
Die 1-rage : wer ist heute ein Ghrist? — der eine er-
schc)pfende Fassung zu geben die Orthodoxen wie die
Pietisten, zu sehr befangen in den \"oraussetzungen ihrer
eignen Zeit, nicht im Stande waren — wurde richtig tormulirt
durch Schleiermacher in den ^dleden über die Religion
an die (Gebildeten unter ihren Verächtern«. Ueber die
1-rage: was ist die Religion, was ist das Ghristenthum
überhaupt? gibt das Buch nur eine unzulängliche Auskunft,
da für die Religion in höherm Sinn nicht der Andächtige,
sondern der Prophet, der religiöse Genius typisch ist;
wohl aber gibt es Auskunft über die Frage: was ist die
Religion, was das Christentiium im geistigen Leben
eines (iebildeten im Wendepunkt des achtzehnten Jahr-
hunderts?
lün Gebildeter ist, wer das ik'dürtniss und das Geschick
hat, sich über den Zusammenhang seines Denkens, Wollens
und Emptindens Klarheit xu verschätzen. Je reicher der
geistige Stoff ist, den er zu bewältigen hat, je energischer
er ihn bewältigt, desto gebildeter ist der Mensch. In
diesem Sinn war Goethe der gebildetste Mann des i<S.,
wie Leibnitz der gebildetste Mann des 17. Jahrhunderts.
Julian Schmidt: GoETHE's^iJTELLUNG zlm Chkistenthlm. 53
Unniöü;lich kann das Christciuhum im 19. jahrluindcrt
die Seele eines Gebildeten so austüUen wie im 6. oder
II. Jahrhundert. Damals war es das Christenthum last
ausschliesslich, was die allgemein menschliche Bildung
vermittelte; die Bildung konnte also einen einheitlichen
Charakter haben. \\"\r dagegen müssen mit Bildungs-
motiven rechnen, die jenen Jahrhunderten unbekannt waren.
Uns ist die echte Antike, ihre Kunst und Philosophie nicht
verborgen, wir kennen das Gesetz der Xatiu- in einem
umfang wie keine andere Zeit, wir i.ibersehen alle
historischen Mächte, die zu irgend einer Zeit die Welt
beherrscht haben, unter denen das Christenthum eine her-
vorragende aber nicht ausschliessliche Stellung einnimmt.
Mit allen diesen Bildungsmotiven muss der Gebildete des
19. Jahrhunderts sich abhndeu, wenn er sich über seinen
Glauben Rechenschaft geben will.
In jenen dunkeln Zeiten war die F. ehre in der Hand
der Kirche; der Laie fügte sich, oder war ein Ketzer.
Der protestantische Laie dagegen hat nicht nur das Recht
sondern die Pflicht überkommen, über die Lehre zu torschen,
sie in sich zu verarbeiten: auch als Glied der Gemeinde,
in der er sich sittlich bewegt, kommt ihm ein produk-
tives Wirken zu.
Nur mit diesen X'oraussetzungen wird man der Frage:
war Goethe ein Christ? naher treten.
Li Goethe's geistiger Entwickelung nimmt das Christen-
thum einen sehr wichtigen Platz ein, ja ich wage zu
behaupten : einen wichtigeren als in dem Leben irgend
eines andern der leitenden Männer des 18. Jahrhunderts.
Freilich änderte sich zuweilen seine Stimmung, wie
bald die eine bald die andere Seite des Christenthums ilim
entgegentrat. In den zwanzig Jahren, die ich vorher
erwähnte, 1785 — 1805, überwog die Abneigung: hatte er
das Christenthum zuletzt doch in dem Zerrbild des römi-
54 Abhandlungen.
sehen PLill'ciitluiins i^oschcn ! Aber vdrhei' und nachher ist
sein L'rtheil .yan/ anders.
Ueber seine jiii^end/eit berichtet das siebente Buch
von »Wahrheit und Dichtung«. »Sie iiel in eine Periode
der Toleranz, in der man sänimthchen positiven Ivehgionen
gleiche Rechte gab, wodurch denn eine mit der andern
gleichgültig und unsicher wurde. Uebrigens liess man
denn doch alles bestehn, und weil die Bibel so voller
(jehalt ist, dass sie mehr als jedes andere Buch Stoff zum
Nachdenken und Gelegenheit y.u Betrachtungen über die
menschlichen Dinge darbietet, so konnte sie nach wie vor
bei allen religiösen W'rhandlungen zu Grunde gelegt wer-
den. . . . Ich für meine Person hatte sie lieb und werth ;
denn füsl ihr iilleiii ivar ich »wiiic silllichc- BildtDh^ scljiildig,
und die Begebenheiten, die Lehre, die Symbole, die Gleich-
nisse, alles hatte sich tiel bei nnr eingedrückt und war
auf die eine oder andere Weise wirksam gewesen«. Hr
setzt noch hinzu, dass er sich zwar in Leipzig zu den
liberalen Grundsätzen der Exegese hielt, wie sie Ernesti
vortrug, zugleich aber ahnte, »dass durch diese verständige
Auslegungsweise zuletzt der poetische Cjchalt jener Schriften
mit den prophetischen \erloren gehen müsse«' .
Diese Erzählung ist von 1812; im »Westöstlichen
Div.ui« 1814 erklärt der Dichter, er habe »unsrer heil'gen
Bücher herrlich Bild an sich genommen , wie aut jenes
I uch der Tüchei' sich des Herren Bildniss drückte, mich
in stiller Brust ei'quickte, trotz \'erneinung, Hinderns,
Rauhens mit dem heiteren Bild des Gdaubens«.
-Als Herder, März 178^, ihm eine Predigt zuschickte,
zur Taute des lirbprinzen, bemerkte ihm (Goethe: »Mich
■hat gewundert, dass i\v\ darin keinen Gebrauch gemacht
hast von Motiven, die uns die christliche Religion bietet,
wenn ichs auch nur nehme als Melodie eines bekannten
Chorals, der unter anderer Musik den besten J-.flect thut.
Julian Schmidt: Goethe's Stellung zum Christenthum. 55
und durch allgemeine Reniiniscen/en die ganze Gemeine
auf Kinen Punkt führt.«
Mir scheint die Aeusserung sehr merkwürdig und
wichtig. Hüflentlich wird man sie nicht etwa so auslegen,
dass der Kammerpräsident dem Superintendenten den Wink
giebt, er wäre es seinem Amt schuldig, die Bilder und
Gleichnisse anzuwenden, an die das Publikum einmal
gewöhnt sei. Sondern es spricht der Freund zu seinem
besten Freunde, mit dem er sich in allen tieiern Fragen
einig weiss; er erinnert ihn an die gemeinsame Ueberzeugung,
dass die biblischen Symbole nicht blos die geläufigsten,
sondern auch die passendsten wären tür eine heilige Hand-
lung — selbst wenn sie nichts weiter wären als Symbole.
»Es ist nicht immer nöthig«, sagt Goethe im ersten
Buch seiner Sprüche in Prosa, »dass das Wahre sich yer-
körpere; schon genug, wenn es geistig umherschwebt und
L'ebereinstimmung bewirkt; wenn es wie Glockenton ernst
freundlich durch die Luft wogt«.
Der Gebildete lauscht dem Glockenton nicht blos,
weil er ihn zur Gemeinde ruft, zu der er gehört; sondern
weil er eine sympathische Saite seines eignen Innern
berührt. Die sittliche Beziehung zum Kirchenthum wird
zugleich getragen durch eine Beziehung des Herzens.
Wenn die Dichter unserer classischen Zeit als Laien
es abgelehnt hätten, sich katechisiren zu lassen, so hatten
sie doch einen hohen Begrifi: yon dem heiligen Berut der
Männer, die, tieler in die Geheimnisse des Glaubens ein-
geführt als sie, die Leitung der Gemeinde übernahmen.
»Ein protestantischer Landgeistlicher ist yielleicht der
schönste Gegenstand einer modernen Idylle; er erscheint
wie Melchisedek als König und Priester in Einer Person.
An den unschuldigsten Zustand, der sich auf Erden denken
lässt, an den des Ackermanns, ist er meistens durch gleiche
Beschätti^unt' wie durch «gleiche Familienyerhältnisse se-
;6 Abhandlungen.
knüpit; er ist \ atcr, 1 laiisliciT, I.aiKlmann, und so voll-
koninicn ein (üicd dci' (icmcindc. Aul diesem reinen
schönen, irdischen Grund ruht sein höherer I3erut ; ihm ist
übergeben, die Menschen ins Leben zu H'ihren, tür ihre
_Li;eistii:e ha'/iehunu /u sorgen, sie bei allen 1 laujnepochei;
ihres Daseins /u segnen, sie y.u belehren, zu kralligen, zu
trösten, und wenn der Trost lür die Gegenwart nicht aus-
i'eicht, die HoHnung einer glücklicheren Zukimtt hervor-
zurufen und zu verbürgen. Vau solcher Mann, mit rein
menschlichen Gesinnungen, stark genug, um unter keinen
Umständen davon zu weichen, und schon dadiu'ch über
die Menge erhaben . . .«
Goethe sagt das in »Wahi'heit und Dichtung« in Ik'zug
auf den Vicar von Wakcheld; er selbst hat in »Hermann
und Dorothea« einen Geistlichen der Art mit Cjlück dar-
gestellt, wie \'oss, der aut der äussersten Linken des
Rationalisnuis stand, mit weniger Glück in der »Luise«.
l*jne solche Hochachtung \-or dem geistlichen Amt
ist aber bei einem Gebildeten undenkbar ohne sittliche
Beziehung zu der Religion, die diu'ch dieses Amt \er-
kündet wird.
Augenscheinlich dachte Goethe bei dem Ideal eines
Geistlichen nicht an einen jener orthodo.xen Klopriechter,
wie sie Geliert in »die Bauern und der Amtmann« schildert,
die ihre Gemeinde mit Schmähungen gegen die Ketzer
imterhielten. Aber ebensowenig an einen rationalistischen
KlopHechier, einen Sebaldus Xothanker, an den der »ehr-
würdige Ptarrer N'on Grünau« einigermassen anstreitt. Seine
Abneigung gegen die altklugen, nüchternen und streitlertigen
Rationalisten hat Cioethe schon im »Werther« lebhaft
ausgesprochen. Ihm war durch LIerders Schritten aus den
Jahren 177^ — 1775 der nnthische und nnstische Sinn des
Christenthums aulgegangen, die pietistische Gesinnung durch
Fräulein von Klettenberg, seine mütterliche Freundin. Sie
Julian Schmidt: Goethe's Ss-ellung zum Chkistenthum. 57
gehörte zur Hci'rnhutcr Schule, war aber uiilde i^egeu
jede gebildete l^igenart, sie bedauerte zwar den jungen breund.
dass er keinen versöhnten Gott habe, Hess ihn aber lächelnd
gewähren, wenn er sich einbildete, »dass nach seinen
lirfahrungen C;()tt gar wohl gegen ihn in liest stehen
könne, ja dass er ihm liiniges zu verzeihen habeo.
Noch wichtiger wurde für Goethe der W-rkehr mit
Lavater. Beide gingen auf religiöse Erfahrungen aus; in
Lavater war anscheinender Reichthum an Hrfahrungen, weit-
reichende Bildung, grosse Toleranz, und dabei, was Goethe
stets bestach, ein starkes Leben. Goethe ging ganz frei
gegen ihn heraus, meist polemisch, aber in dieser Polemik
entwickelte sich seine religiöse Weltanschauung, die in
der Grundidee sich gleich blieb, am entschiedensten.
Goethe hält, und darin stimmt er mit Lavater überein,
das Christenthum für eine wirkliche Ortenbarung Gottes,
und zwar tür die höchste, aber — und das schied ihn von
Lavater — nicht für die einzige. Offenbarung Gottes ist
jede neue grosse eigene Erfahrung vom Uebersinnlichen,
die sich noch in Jahrhunderten und Jahrtausenden :\u der
Menschheit als heilkräftig erweist.
»Es wird die Zeit kommen, da wir ims verstehen
werden. Du redest mit mir als mit einem Ungläubigen,
der begreifen will, der bewiesen haben will, der nicht
erfahren hat! und \on Allem dem ist gerade das Gegentheil
in meinem Herzen. Ich bin vielleicht ein Thor, dass ich
Euch nicht den Gefallen thue, mich mit Euern Worten
auszudrücken . . . Zeugnisse schätze, liebe, bet' ich an, die
mir darlegen, wie Tausende oder Einer vor mir eben das
gefühlt haben, das mich kräftigt und stärkt. So ist das
Wort der Menschen mir Wort Gottes . . . und mit
inniger Seele falle ich dem Bruder um den Hals, Moses,
Prophet, Evangelist, Apostel, Spinoza oder Machiavell !
dar! aber auch zu jedem sagen: lieber Ereund, geht Dir
c8 Abhandlungen,
CS di)ch wie mir! Im l:in/clncn scntirst Du krältig Lind
hcrrlicli, das G.mzc i^'iiii^ in Deinen Kopf so wenig als
in meinen ((.
So schreibt er an einen jüni^er Lavaters schon 1774.
Dann machte der persönHche liindruck Lavaters ihn noch
Ljeneii,uer, sich mit ihm zu verständigen, aut seine \ or-
stellungsweise einzugehen. Noch i78oimponirt ihm Lavaters
l-rommigkeit aufs äusserste. Jetzt aber ertolgen Ivund-
gebungen des letzteren, die zu Gunsten des wunderthätigen
Glaubens alles Grosse und Schöne der weltlichen Bildung
mit Füssen treten. Noch einmal stellt Goethe 1782 zusammen,
was sie verbindet und was sie trennt.
»Du iindest nichts schöner als das H\angelium : ich
linde tausend geschriebene laudier alter und neuer von
Gott begnadigter Menschen ebenso schön und der Mensch-
heit nützlich und unentbehrlich. Es erhebt die Seele, wenn
man Dich das herrliche crvstallhelle Gelass mit der höchsten
Inbrunst fassen, mit Deinem eigenen hochrothen Tranke
schäumend füllen und den über den Rand hinautsteigenden
(lischt mit Wollust wieder schlürfen sieht! Ich gönne
Dir gern dieses (ilück, denn Du müsstest ohne dasselbe
elend wei'den. l^ei dem Wunsch und der Begierde, in
Linem Individuo alles zu geniessen^ und bei der Unmög-
lichkeit, dass Dir ein Individuum genug thun kann, ist es
herrlich, dass aus alten Zeiten uns ein Bild übrig blieb, in
das Du Dein alles übertragen und in ihm Dich bespiegeln.
Dich selbst anbeten kannst. Nur das kann ich nicht anders
als ungerecht und einen llaub nennen, der sich für Deine
gute Sache nicht ziemt, dass Du alle köstlichen l'edern
der tausendfachen GeHüge! unter dem Himmel ihnen, als
wären sie usurpirt, ausraufst, um Deinen Paradiesvogel aus-
schliesslich damit zu schmücken ; dies ist, was uns noth-
wendig verdricssen und unleidlich scheinen muss, die wir
uns einer jeden durch Menschen und den Menschen oHen-
Julian Schmidt: Goethe's ii^ELLUNG zum CHiusTENTHUiM. 39
harten Weisheit /u Schülern hingehen , und als Söhne
Gottes ihn in uns selbst und allen seinen Kindern anbeten.
Ich weiss wol, dass Du Dich darin nicht ändern kannst
und dass Du xor Dir selbst Rech.t behältst; doch finde ich
auch nöthii^, da Du Deinen Glauben w iederholt predigst, Dir
auch den unsern als einen ehrnen Fels der Menschheit
wiederholt zu /.eigen, den Du und eine ganze Christenheit
mit den Wogen Eueres Meers \'ielleicht einmal über-
sprudeln, aber weder überströmen noch in seinen Tiefen
erschüttern k(innen «.
Auch hiei' wehrt sich Goethe nicht gegen das Christen-
thum an sich, sondern gegen die einseitige Herrschaft des
Christenthums oder des christlichen Bildungsmotivs über
alle übrigen Bildungsmotive, die gleichfalls ihr Recht be-
haupten sollen. Je mehr sich das Band mit Lavater lockerte,
desto näher trat ihm Herder, der gerade in seinen damaligen
Schriften tur die tiefen Gedanken des Christenthums die
köstlichsten Ausdrücke gefunden hatte. In Herders Sinn
begann Goethe bereits 1784 das grosse Gedicht »die
Geheimnisse«, in welchem die Coordination der verschiedenen
Religionsformen aber unter dem Vorsitz der christlichen
Religion gefeiert werden sollte.
Der suchende Pilger hört die Glocken läuten:
Das Zeiclien sieht er prächtig aufgerichtet,
Das Aller Welt zu Trost und Hoffnung steht,
Zu dem viel tausend Geister sich verpflichtet.
Zu dem \iel tausend Herzen warm gefleht,
Das die Gewalt des bittern 'l'od's vernichtet.
1 )as in so mancher Siegesfahne weht,
Ein Labequell durchdringt die matten (jlieder :
Er sieht das Kreuz und schlägt die Augen nieder.
Er fühlet neu was dort für Heil entsprungen.
Den (ilauben fühlt er einer halben Welt . . .
6o Abhandlungen.
Und aus der Mitte c|uillt ein heilig; Leben
Dreifacher Strahlen, die aus liinem dringen.
Von keinen Worten ist das Bild umgeben.
Die dem (leheimniss Sinn und Klarlieit bringen.
Im Dänimersrhein. der inuner tiefer grauet
Steht er und sinnt und fühlet sirh erl)auet . . . «
Diese Strophen sind 1785 i^eschricben, kurz vor der
Reise nach Italien, kurz also vor der Zeit, wo Goethe eine
dem Christentluun fast feindselige Stellung einzunehmen
begann. l:r hat das Gedicht nicht fortgesetzt, aber die
Bilder blieben in seiner Seele, und fast ein Menschenalter
später, im zweiten Buch der Wanderjahre, nahm er sie
wieder auf.
Die Religion hat den Zweck, im Menschen Ehrfurcht
zu erwecken, und zwar eine dreifache Ehrfurcht: Ehrfurcht
vor dem was über inis ist, Ehrfurcht vor dem was unter
uns ist, und Ehrfiu'cht vor dem was uns umgiebt. Diese
dreifache Ehrfurcht erreicht ihre höchste Kraft und Wirkung,
wenn sie zusammenfiiesst und ein Ganzes bildet. Das ist
s\"mbolisch bereits geschehen in den drei Artikeln unseres
Glaubens.
Das eigentliche Geheimniss freilich der christlichen
Religion ist begründet auf die Ehrfurcht vor dem was
unter uns ist. »Es ist ein letztes, wozu die Menschheit
gelangen konnte und musste. Was gehörte dazu, die
Erde nicht allein imter sich liegen zu lassen imd sich auf
einen luiheren Gebiu'tsort zu berufen, sondern auch Niedrig-
keit und Armuth, Spott und X'ei'achtLuig, Schmach und
Elend, Eeiden und Tod als göttlich anzuerkennen, ja Sünde
selbst und \'erbrechen nicht als Hindernisse, sondern als
I'ördernisse des Heiligen zu verehren und lieb zu gewinnen!
Hievon linden sich freilich Spuren zu allen Zeiten; aber
Spur ist nicht Ziel, und da dies einmal erreicht ist, so kann
JuLiAK Schmidt: Goethe's S^llung xlm Christenthum. 6i
die Menschheit nicht wieder zurück und man dart sagen,
Jass die cbrisllicbe Rclis^io)!^ da sie ciiuiial crschioicii isl, iiichl
■wieder verschwinden kann; da sie sich einhial göttUch ver-
körpert hat, nicht wieder aufgelöst werden mag«.
Wohlgemerkt die christliche Religion als einzelnes
wenn auch das grösste Bildungsmotiv : denn die wahre
Religion wird erst hervorgebracht, wenn mit dem Cultus
der Gräber der Cultus der Sterne und der Cultus des
Menschenlebens sich gattet.
Ausdrücklich rechtfertigt Goethe bei dieser Gelegenheit
die Mysterien: »Gewissen Geheimnissen, und wenn sie
offenbar wären, muss man durcli WMhüllen und Schweigen
Achtung erweisen«.
Vor diesen starken und wohlüberlegten Ausdrücken
seiner Verehrung des Christenthums muss verstummen,
wer einzelne momentane Ausbrüche seines Unmuths zu
bleibenden Glaubensbekenntnissen stempeln möchte.
Freilich würde Grethchen, indem sie Faust katechisirt,
noch nicht ganz befriedigt sein. Faust ehrt zwar die Sacra-
mente, aber ohne Verlangen; ihn bewegt Orgelton und
Glockenklang im Innersten, aber gleichsam nur aus Reminis-
cenz der Kindheit. Gott lebt in seiner Seele, aber nur als
Gefühl, er hndet keinen Namen für ihn, da doch die Kirche
einen Namen hat; die Botschaft hört er wohl, allein ihm
fehlt der Glaube.
Der Glaube hat nur Werth, in sofern er sich als lebens-
kräftig und wirksam erweist. War bei Goethe die Ehr-
furcht vor dem Christenthum nur eine theoretische ? oder
hat sie sich wirksam erwiesen? wirksam in seiner eigent-
lichen Thätigkeit, in der Dichtung ?
Hier ist für mich die entscheidende Antwort Iphigenie :
sie ist trotz ihrer antiken Gewandung in ihrem innersten
Kern ein christliches Gedicht. Denn dieser innerste Kern
ist die Entsühnumr des verfluchten Hauses der Tantaliden
62 AiUlANULUMJtN".
durch ein reines Menschenbild. Dasselbe ist die Grundlehre
des Christenthums. Das ganze Menschengeschleclit ist in
Sünden verstrickt' wie das Haus des Tantalus, aber es wurde
erlöst durch einen göttlichen Menschen, der in den Ver-
strickung«-'!'' dieses Erdenlebens rein blieb. Wer ihn, den
Reinen, ergreift, wird sündlos.
Dies Motiv hat Goethe vollständig unabhängig von
allen Ueberlieferungen des Alterthums für sein Problem
gefunden. Bei Euripides ist die Iphigenie ein wirksames
Intriguenstück, bei Äschylos, der das Problem viel tiefer
fasst, wird ein weitläufiger Rechtsstreit angestrengt, der
schliesslich doch zu keinem Austrag R'ihrt, sondern mit
einem Compromiss zwischen den alten und neuen Göttern
erledigt wird. In Sophokles' »Philoktet« zeigt Neoptolemos
ebenso wie Iphigenie die Reinheit seiner Seele durch die
Unfähigkeit, bei der Lüge stehen zu bleiben, aber durch
diese Reinheit wird im Schicksal des Helden nichts ent-
schieden; erst die Intervention eines Gottes aus der Ma-
schine löst das Verworrene. Bei Goethe erfolgt die Wirkung
unmittelbar, die verfolgenden Eumeniden lassen von ihrem
Opfer ab und fliehen in ihr Dunkel zurück, sobald ihnen
»reine Menschlichkeit« entgegentritt, die alle menschlichen
Gebrechen sühnt.
Diese \\'irkung kann freilich nur sxnibolisch begritien
werden, aber ist es denn mit der christlichen \'orstellung
von der luiösung anders? wer dem Gebildeten unter den
\'eräcluern l:hrturcht vor dieser Svmbolik einflösst, der
macht sich mehr verdient um das kirchliche Leben, als
wer das Credo allenfalls rückwärts wie v(M'wärts ohne
Stocken herzusagen weiss.
»Goethe's Heidenthum «, sagt 1 1. 1 leine sehr treffend, »ist
wunderbar modernisirt. Seine starke Heidennaiur bekundet
sich in dem klaren scharfen Auft'assen aller äussern Er-
scheinunijen, aller Earben und Gestalten; aber das Christen-
Julian Schmidt: Goethe's Stellung zum Christenthum. 6^
thuni hat ihn zugleich mit einer tiefern \'erstandniss begabt:
trotz: seines Sträubens hat es ihn eingeweiht in die Geheim-
nisse der Geisterwelt. Er hat vom Blute Ghristi genossen,
und dadurch verstand er die verborgensten Stimmen der
Xatur, gleich Siegfried dem Nibelungen, der plötzlich die
Sprache der \'ögel verstand, als ein Tropfen Blut des
erschlagenen Drachen seine Lippen benetzte«.
Den Faust hätte Goethe nicht dichten können, wenn
er vom Christenthum nicht auch innerlich etwas erlebt
hatte. In diesem Gedicht finden sich, wenn auch verstreut,
fast alle Phasen seiner christlichen Stimmungen und Ge-
danken. Freilich sind es immer nur Bekenntnisse eines
Strebenden, nicht eines Befriedigten. Aber »wer immer
strebend sich bemüht, den können wir erlösen!«
Ein fahr vor seinem Tode fand Goethe sich gedrungen,
einen Briet an Sulpiz Boisseree, dessen A'erkehr ihm auch
die geistvolle Apol(\gie der katholischen Sacramente ein-
gegeben hatte, mit »etwas Wunderlichem« zu schliessen,
von dem er aber später bekennt, dass es ihm sehr ernst
gewesen sei.
»Des religiösen Gefühles kann sich kein Mensch
erwehren. Dabei ist's ihm aber unmöglich solches in sich
allein zu verarbeiten. \'on Erschaffung der \\'elt an habe
ich keine Confession gefunden, zu der ich mich ganz
bekennen mochte, nun erfahre ich in meinen alten Tagen
von einer Secte der Hypsistarier, welche zwischen Heiden,
Juden und Christen geklemmt sich erklärte, das Beste,
\'ollkommenste was zu ihrer Kenntniss käme, zu schätzen,
zu bewundern, zu verehren und, insofern es mit der Gott-
heit im nahen Verhältniss stehn müsse, anzubeten. Da
ward mir auf einmal aus einem dunkeln Zeitalter her ein
frohes Licht, denn ich fühlte, dass ich zeitlebens getrachtet
habe, mich zum Hypsistarier zu qualificiren«.
Dieser Brief wird erläutert und eingeschränkt durch
64
Abhandlungen.
ciiK'U der Sprudle in Prosa, ol-'römniigkcit ist kein Zweck,
sondern ein Mittel, um durch die reinste (iemüthsruhe
zur liöchsten Cultiir xu gelangen«.
Es ist augenscheinlich, dass dieser Kath sich nicht aut
alle Individuen unsers Jahrhunderts bezieht: es gibt grosse
Schichten des \'olks, für die, abgesehen von den Gesetzen
des praktischen Lebens, das Christenthum das einzig sitt-
liche Bildungsmotiv ist, die also daraut verzichten müssen,
sich zu Hvpsistariern zu qualificiren. Denen es aber Ernst
ist mit ihrer einheitlichen Bildung, und denen die Kraft
nicht fehlt, dürfen und sollen, das ist Goethe's Meinung,
auch das Heilige, das die otfenbarte Religion ihnen über-
liefert, durch die Motive sich verstandlicher machen, die
Kunst und Alterthum, Wissenschaft und Poesie ihnen an
die Hand sehen.
.. Zur Vorgeschichte
DES GOETHE'SCHEN FaüST.
VON
Erich Schmidt.
I. LESSINGS FAUST
lass Lessing als Vertreter der freien Autklärung
dem Faustproblem eine neue Lösung gegeben
hat, indem sein strebender Forscher nicht den
dunklen Gewalten verfällt, sondern von den Himmlischen
vor tiefem Sturze behütet wird, hat zuletzt Kuno Fischer
(Nord und Süd i, 262 ff.) beredt hervorgehoben. Diese
Rettung »Hölle, wo ist dein Sieg« macht Lessing zum
Vorläufer Goethe's, und so fragmentarisch unsere Kennt-
niss und Erkenntniss der Lessing'schen Faustpläne stets
bleiben wird, seine grosse Neuerung ist uns ganz bewusst.
Auf diesen befreienden Zug kommt es an , wenn von
Lessing und Goethe als Faustdichtern gesprochen werden
soll. Dagegen müssen alle noch dazu schlecht beglaubigten
Anecdoten ins Nichts verschwinden, namentlich die schöne
Legende von der Aeusserung Lessings, seinen Faust hole
der Teufel, er aber wolle den Goethe'schen holen, da
GoETiu;- Jaiikeucii II. ;
66 Abhandlun(,i
Lessings Faust eben nicht \oni Teufel geholt wird. Ich
setze Fischers Aufsatz, der manche Belehrung und Anregung
gewährt, als bekannt voraus und habe nicht nöthig im
folgenden jedes Mal meine Stellung zur bisherigen Forschung
ausdrücklich zu bezeichnen, wie mir auch eine vollständige
Uebersicht über das Material und die nochmalige wört-
liche Anführung aller einschlägigen Briefstellen erspart bleibt.
Wir wissen durcii Creizenachs treltlicheUntersuchungen,
dass das \'olksschauspiel vom Dr. Faust im achtzehnten
Jahrhundert zu Wien imi eine bedeutende \\'irkung bereichert
wurde, den planmässig diu-chgeführten Gegensatz des Tragi-
schen und des Komischen, welches authörte ein blosses
Beiwerk zu sein. Aber sehr verblasst war der Charakter
des Titanismus und das Ganze wenig mehr als eine bunte
Augenweide lür den Janhagel, der schliesslich mit einem
sattsamen Gruseln heimging. Das Spiel erfreute sich allent-
halben grosser Beliebtheit. Doch nur Tieferblickende
konnten in dieser heruntergekommenen Herrlichkeit, diesem
Unfug der Flugmaschinen, Verwandlungen und Feuerwerke,
diesen groben Hanswurstspässen, diesen von Gottsched
sammt Miltons Alfanzereien verdammten Teufelscenen,
diesen abgerissenen, theils steitleinenen theils von ver-
wildertem Pathos getragenen Tiradcn des Helden einen
Abglanz genialer Poesie erkennen. Dem säubernden Gott-
sched seine Feindseligkeit gegen das entartete »Märchen
von D. Fausten « , das lang genug den Pöbel belustigt
habe (Grit. Dichtkunst 5. Hptst. § 19), nur als arge Be-
schränktheit vorzurücken, wäre höchst ungerecht. Fr möchte
die Popularität für Leipzig in Abrede stellen, man schilt
das Spiel, die Gottschedianer bringen ärgerlich den famosen
Reibehand in Verbindung mit Faust-Aufführungen, 1759
gilt das Stück wenigstens in ihrer Hauptstadt für »Ver-
stössen« (Briefe, die Finiührung des Englischen Geschmacks
in Schauspielen betreflenu, S. 117), aber in demselben
Erich Schmidt: Zur VokgeschIishte des Goethe'schex Faust. 67
Jahre hatte sich die vordem spöttisch geäusserte Befürch-
tung, man werde zur Abwechslung mit dem possenhaften
Singspiel »Der Teufel ist los« den Doctor Faust wieder
auffrischen, als gar nicht grundlos erwiesen. Lessing unter-
nahm es.
Ich bezweifle nicht, dass er das Faustspiel in irgend
einer der vielen Fassungen schon in Leipzig kannte. Wie
Weisse in d<jn ersten Ausgaben seiner Lustspiele, so bringt
Lessing im »jungen Gelehrten« ein paar launige Hinweise
auf den Faust an. Der Monolog des Bedienten Anton 2, 4
über die Gelehrsamkeit mag im Zusammenhang mit Hans-
wursts komischem Leseversuch stehen; 1,1 scherzt Anton
über ein hebräisches Buch, das Damis aufgeschlagen hat :
»Solche Krakelfüsse, solche fürchterliche Zickzacke, die
kann ein Mensch lesen ? Wann das nicht wenigstens Fausts
Höllenzwang ist — Ach man weiss es ja wohl, wies den
Leuten geht, die alles lernen wollen. Endlich verführt sie
der böse Geist, dass sie auch hexen lernen « und derselbe
äussert 1,6 gegen Chrysander: um die verdammte EJu'e
thue ein junger Gelehrter alles, »wann es auch nach dem
Tode heissen sollte: unter diejenigen Gelehrten, die zum
Teufel gefahren sind, gehört auch der berühmte Damis«.
Aber die \'erwandtschatt der zuerst erwähnten Stelle
ist viel zu entfernt, um als Beweis für Lessings Kenntniss
des \^olksdramas zu dienen und die beiden anderen setzen
bei unverkennbarer Rücksicht auf die Faustsage deren
dramatische Fassung keineswegs voraus. Das Zauberbuch
»Fausts Höllenzwang« kannte Jedermann dem Namen nach,
wenn es auch dem lüderlichen Studiosus Bahrdt vorbehalten
blieb, mit demselben in Leipzig als betrogener Betrüger
Versuche anzustellen. All das ist ferner leichter Spass,
flüchtiger noch als wenn in Holbergs »Hexerei« 1,3 die
Leute den Schauspieler Leander, der die Beschwörung
des Mephistopheles einstudirt, für einen vielvermögenden
68 Abhandlungen.
Zauberer halten (v^l. auch Crcizcnach «Versuch einer Ge-
schichte des \'olksschauspiels vom Doctor Faust« S. 113).
Allerdings enthält »Der junge Gelehrte« ein sicheres
Zeugniss, denn gleich eine längere Rede des Daniis i, i
ist ein abhängiges Seitenstück zu l'austs stereotypem l:in-
gangsmonolog. Die Figur des Damis hat etwas zwie-
spältiges. Der junge schaale, unfähige, eingebildete, pedan-
tische Xarr wird von dem Dichter, der in ihm ein Stück
seiner eigenen \'ergangenheit Lind ihm selbst drohende
Gefahren gründlich abthut, mitunter recht ernst genommen
und Lessing mischt unter sein thörichtes Geschwätz manche
gewichtigere Aeussei'ung. So ist jene Rede, ^velche drei
Facultäten durchmustert und das weite Reich der Gelehr-
samkeit überschaut, nur zimi Theil rein parodistisch gemeint
(Lachm. 1,215 f.).
)) . . o himmlische Gelehrsamkeit, wie viel ist dir ein
Sterblicher schuldig, der dich besitzt! Und wie bejammerns-
würdig ist es, dass dich die wenigsten in deinem Umtange
kennen! Der Theolog gbubt dich bey einer Menge heiliger
Sprüche, fürchterlicher Erzählungen und einigen übel an-
gebrachten Figuren zu besitzen. Der Rechtsgelehrte bey
einer unseligen Geschicklichkeit unbrauchbare Gesetze ab-
gestorbener Staaten, zum Xachtheile der Billigkeit und
X'ernunft, zu verdrehen, und die fürchterlichsten Urthel in
einer noch türchterlichern Sprache vorzutragen. Der Arzt
endlich glaubt sich wirklich deiner bemächtiget zu haben,
wan.n er diu'ch eine Legion barbarischer Wörter die Ge-
sunden krank imd die Kranken nocU kränker machen kann.
Aber, o betrogene Thoren ! Die Wahrheit lässt euch nicht
lange in diesem sie schimpfenden Irrthume. Es kommen
Gelegenheiten, wo ihr selbst erkennt, wie mangelhaft euer
Wissen se\' ; voll tollen Ilochmuths bem'theilet ihr alsdann
alle menschliche Lrkenntniss nach der eurigen, und ruft
wohl iiav in einem Tone, welcher alle Sterbliche zu
Erich Schmidt: Zur VoRGEScnisHTE des Goethe'schek Faust. 69
bcjinnincrn scheinet, aus: Unser Wissen ist Stückwerk!
Nein ghuibe mir, mein lieber Anton, der Mensch ist aller-
dinu[s einer alltremeinen Hrkenntniss tähi^;«.
Ernst und Scherx halten einander die W'at^e und der
\'erfasser dieser Rede, eines Ausläufers des von Marlowe
vorgezeichneten Monologs, ist durch keine faustische Pein
bedrückt. Jene iieitere Leipziger Jugendlichkeit, welche
anakreontische Kränze Hicht, jene Studienjahre, welche dem
abgelebten Bildungsideal einer unkritischen und centrums-
losen Pol3'historie nicht völlig entronnen sind, drängen
Lessing zu keiner Faustdichtung. Auch der Leipziger
Goethe steht ihr fern; die Erwähnung Richards IIL und
des Dr. Faust durch den geängstigten Söller zeugt gewiss
nicht für einen keimenden Faustplan. Ferner konnte damals
der Gedanke, durch eine Regeneration des \'olkstheaters
dem deutschen Drama Kraft und Saft zuzuführen, noch
nicht vor die Seele Lessings treten, der mit einem Fuss
noch im Gottsched'schen Lager stand. Auch die in \"er-
sprechungen sich überstürzende \'orrede zu den »Bevträgen
zur Historie und Aufnahme des Theaters« 1750 weiss
davon nichts.
Genug, er kannte das Faustspiel von Leipzig her und
erhielt in Berlin am 14. Juni 1753, als »aul der Schuchischen
Schaubühne . . Faust vom Teufel gehohlet« wurde, nur
einen neuen x\nstoss sich Gedanken darüber zu machen,
welche ihn allmählich zu dem echtlessingschen Bessermachen
anfeuerten. Erst 1755 ging er ans Werk, nach der »Miss
Sara Sampson« und nachdem er den ermüdend redseligen
englischen, d. h. Lilloschen und Richardsonschen Stil der
Sara von sich geworfen. Er hatte ihm nur einen Tribut
gebracht. Das hastige energische Volksschauspiel lockte
zu keiner breitspurigen Rhetorik und Moralisation. Moses
Mendelssohn fragt am 19. November 1755, wie weit
Lessing mit seinem »bürgerlichen Trauerspiel« sei? »Ich
70
AliHANDLUXGEN.
möchte CS nicht ij;crn bcy dem \amcn nennen, denn ich
zweifle oh Sie ihm den Xamen hissen werden, liine einzige
Exchiniation — o haustiis! Faustus könnte das ganze Par-
terre hiclien machend. Zwei Erklärungen sind mögHch;
zur vollen Gewisslieit h'isst sich keine erheben. ]3ie einen
schliessen, dass Le.ssing schon damals, also im Jahr der
Sara, an einem Faust ohne Teufelei gearbeitet habe, einem
bürgerlichen, denn nur in einem solchen könne jener Kuf
komisch wirken. Aber die nüchternen Moses lachten wohl
auch über das Fauste! Fauste, accusatus es u. s. w. im
dritten Act des Volksschauspiels. VerHihrerisch klänge
nur der Ratii, Lessing möge seinen Helden umtauten, was
nach unserem Urtheil dem üoctor Faust der langjährigen
Tradition gegenüber doch seine Schwierigkeiten hätte.
Mendelssohn jedoch, den offenbar das ganze \'orhaben
kalt Hess, mochte anders denken und, so müssen wir weiter
fragen, war er überhaupt näher in Leasings Absichten
eingeweiht, hatte er mehr als eine gelegentliche Aeusserung
vernommen? Es scheint nicht. Aus dem Briefe folgt
endlich weder, dass Lessing schon eine Zeile von dem
Stück geschrieben hatte, noch dass er selbst seinen Faust
ein »bürgerliches Trauerspiel« nannte, sondern nur dass
Mendelssohn diesen zur Zeit bekanntlich noch sehr vagen
Ausdruck, der ihm von der Sara her für alles, was nicht
haute tragedie, geläufig war, auf den Faustplan übertrug. Wir
denken also lieber mit den anderen Interpreten an einen
volksmässigen Faust.
Die Idee eines bürgerlichen Faust konnte Lessingen
während oder in unmittelbarer Folge des zweiten Leipziger
Aufenthalts gekommen sein, ob ich gleich nicht daran
glaube. Immerhin soll jede entfernte Möglichkeit verzeichnet
werden. |{r könnte, wie die \'irginia des antik Staatlichen,
so den Faust des .Mittelalterlichen und Theologischen ent-
kleidet haben. D.\s l'hema von seines jungen Freundes
Erich Schmidt: Zur Vorgeschichte des Goethe'schen Faust. 71
Brawc »l-rcigcist« ist der Untergang des guten dummen
jungen Clerdon, dem der teuflische Henley Gottesglauben
und Lebensglück raubt, also der Fall eines Menschen durch
blendende Verführung. Und schon Lillos durch die Buhl-
dirnc MilKvood auf Abwege gezerrter George Barnwell
vergleicht sich, vielleicht unter Miltons Anregung, mit
Lucifer, dem gefallenen schönen Stern, 2, i: »Gewiss, so
war der Zustand des grossen Abtrünnigen, als er zuerst
die Reinheit verlor«. Hätte Lessing von da aus ein bürger-
liches Intriguenstück Faust entworfen? Doch es fehlt
jeglicher Anhalt für eine solche Hypothese.
Nun das oftbesprochene Zeugniss in dem Brief an
Glcim vom 8. Juli 1758: »Sie haben es errathen : Herr
Ramler und ich machen Projecte über Projecte. Warten
Sie nur noch ein Vierteljahrhundert, und Sie sollen erstaunen,
was wir Alles werden geschrieben haben. Besonders ich !
Ich schreibe Tag imd Nacht, und mein kleinster Vorsatz
ist jetzo, wenigstens noch dreimal so viel Schauspiele zu
machen als Lope de ^ ega. Ehstens werde ich meinen
Doctor Faust hier spielen lassen. Kommen Sie doch
geschwind wieder nach Berlin^ damit Sie ihn sehen können«.
Wer verkennt hier die neckische Hyperbel in dem Wett-
eiter mit der beispiellosen Productivität des Spaniers und
in der Steigerung, welche im Handumdrehen von » nur
noch ein Vierteljahrhundert« zu dem beflügelten »ehstens«,
»geschwind« übergeht? Ist es ferner nicht ganz Lessings
Art bei derlei Ankündigungen den Gedanken für die Aus-
führung, den Plan für das Werk, das Werdende für das
Gewordene zu nehmen und, was eben erst begonnen ist,
als im nächsten Augenblick fertig hinzustellen? WahrHch,
wir werden uns vor dem Glauben lüiten, dass Lessing im
Sommer 1758 durch Tagesarbeit und Lucubration einen
»Doctor Faust« fast vollendet habe. Er braucht wieder
nicht über die ersten Anfänge hinausyerückt zu sein. Ein
72 AßHANDLCNGtN.
Faust iiach der populären Ucbcrlictcruny ist es, der ihn
damals beschaltii^t, denn Lessinij; iiatte sich der deutschen
Literatur des Mittelalters und der let/tvcrflossenen Jahr-
hunderte eilVi;:^st zugewandt und Ramler zum Mitarbeiter
erkoren. Auch im haust sollte vaterländisches Erbgut neu
gestaltet werden; darum wird er in einem Athem mit
enen Projecten genannt.
Das Publicum erfährt davon zuerst diu-ch den berühmten
siebzehnten Literattu'brief, datirt vom i6. l'ebruar 1759.
Die allgemeinen antigottschedschen Ausführungen über
das Drama erlauben Schlüsse aut Lessings Ziele und den
Character des ihm selbst vorliegenden Fausttorso. F^r
verurtheilt scharf die Haupt- und Staatsaction — ihr Stil,
ihre Technik eigneten seinem haust nicht. Er verurtheilt
scharf das ältere Lustspiel wegen seiner Zauber-,Verkleidungs-
und Prügelscenen -— die Einflüsse des Theatre italien, so
zudrin.glich im Wiener Faust, blieben dem seinigen fern.
Aber er erhebt die englische Manier begeistert über das
furchtsame französische Trauerspiel: ))^^'ir wollen mehr
sehen und denken«. Demnach trachtete er, in vorsichtiger
Anlehnung an die Kunstübung Shakespeares, nach einer
reicheren Flandlung aul der Bühne: man sieht. Diese
Handlung stand im innigsten Causalnexus mit dem Character
des Helden und dieser Character oflenbarte sich dem Par-
terre in tietsiiinigen Monologen und Dialogen : man denkt.
Kühnheit und »grosse \'erwicklung« wirken, und wenn
nach Lessing der deutsche Geschmack übereinstimmend
mit dem verwandten englischen vom Trauerspiel »das
Grosse, Schreckliche, Melancholische« verlangt, so lagen
gerade im Fauststofl' diese Elemente reichlich genug vor.
Gross ist Fausts Drang nach Erkenntniss, schrecklich sein
A'ertrag mit den bösen Mächten, melancholisch seine Reue.
Kraft seines Scharfblickes erkaimte Lessing den Zu-
sammenhang des verrotteten deutschen A'olksdramas mit
Erich Schmidt: Zur Vorgeschichte des Goethe'schen Faust. 73
dem cnglisclicn 'l'hcatcr der elisabethanischen lipuchc,
obgleich er nichts von Marlowe und den englischen
Komödianten wusste. l:s ist dieselbe literarhistorische
Combination, welclie später sein flüchtiges Urtheil über
Christian Weises Masaniello bewahrte. Auch diesmal gehen
Theorie und Praxis Hand in Hand. Lessing schreitet
unverzüglich zur Hxemplitication. l:r will leisten, was Noth
thut, wenigstens die Fackel voraustragen. Kaum hat er
sein Credo bekannt, das Heil unserer Tragödie beruhe in
der künstlerischen Anknüpfung an die beiden \-erwandten
Factoren, Shakespeare und das ^'olksdrama, so legt er eine
Scene seines Faust vor. \'ermuthlich gerade die, welche
der Ueberlieferung am nächsten in der Anlage stand ; wie
denn W. Schlegel S. W. 6, 145 irrthümlich behauptet,
Lessing habe dieselbe »geradezu aus dem alten Stück ent-
lehnt, welches den schönen Titel führt : Infelix prudentia
oder Doctor Faustus«. Lessings einleitende Worte sind
bekannt genug: unsere alten Stücke haben sehr viel Fng-
lisches, das bekannteste Dr. Faust enthält »eine Menge
Scenen, die nur ein Shakespearesches Genie zu erdenken
vermögend gewesen«, ein Freund — man denke an Lessings
»jungen Tragicus« und seine Emilia Galotti — verwahrt
einen alten Entwurf, hier ist zur Probe Fausts (lespräch
mit sieben Geistern der Hölle, die er um ihren schnellsten
Feutel beschworen hat; »und nun fängt sich die dritte
Scene des zweiten Autzugs an«.
Marlowe hat diese Scene nicht, weil sie der Spies'schen
Historie fehlt und zu den genialen Erfurter Zusätzen gehört.
Sie ist allen deutschen Spielen eigen; schon der Danziger
Rathsherr Schröder gedenkt ihrer. Die Puppenspiele S
und W zeigen dann, wie Creizenach nachweist, Lessing'-
schen Einfluss. Es ist einer der*) populärsten Auftritte,
*) Ich kann nicht unterlassen, hier auf F. Lichrensteins hübsche
Entdeckung (Zeitschr. I'. österr. G\-mnasien 1879 S. 925) aufmerksam
74 Abhandlungen.
dem in Lcssinij;s Bcarbcituni; als 2, i und 2, 2 ein Monolog,
vielleicht ein Gespräch mit Wagner oder dem Diener und
die Beschwörung vorausgingen. Der erste Act wird mit
der lirwerbung des Zauberbuchs, clavicula Salomonis oder
dergleichen, geschlossen haben. Ob das Vorspiel und i, i
bis 2,2 bereits ausgearbeitet waren? Zum mindesten ist
von einem fertigen Faust keine Rede. Lessings kurzer
Kpilog nach der langen Unterhaltung legt uns nur die
Annahme eines Scenars mit ein/einen ganz oder theilweise
dialogisirten Scenen nahe. »Was sagen Sie zu dieser
Scene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter
solche Scenen hätte? Ich auch«.
Wir nicht, antworten wir dies Mal mit den Gott-
schedianern und versagen dem Fragment, das jeder Wirkung
auf Gemüth und Phantasie bar, lediglich den \'erstand
beschäftigt, unfern Beifall. Als füllselloses Gerippe steht
es dem »Philotas«, in der pointirten Redeweise den Fabel-
Hpigrammen so nahe, dass ich die Abfassung nicht vor
1758 verlegen möchte, in jene Zeit etwa, als Lessing an
Cileim die oben erörterten Worte schrieb. Ein Gegner
der \'ielwisserei ä la jöcher hatte sich Lessing aut die
freiere Höhe kritischer Polyhistorie nach Ba\les Muster
geschwungen , um von diesem Standort aus wohl einen
bohrender Grübelei und verwegener Skepsis hingegebenen
Faust, aber keinen am Wissen schmerzvoll \erzweifelnden
und ungestüm nach höllischer Hilfe begehrenden zeichnen
zu können. Dieser Scene fehlt Pathos, Wucht, Ungeduld:
y.i\ maclien, wonach Heinrich von Kleist, mit der ursprünghcli neunten
Faustscene vom Puppentheater her vertraut, seinem alten Kottwitz
(Prinz Friedrich von Homburg) die dort übliche Gradation der Schnellig-
keit zueignet :
oZum Henker, nein! Was denkt die Hxcellenz ?
Bin ich ein P/eil, ein Vogel, ein Gedanke,
Dass er mich durch das ganze Schlachtfeld sprengt?«
Erich Schmidt: Zur Vorgeschichte des Goethe'schen Faust. 75
1-aust spricht, seines Witzes froh, als ein kühler, bhisirter,
geistreicher Mann, wo er ganz Feuer und Flamme sein
müsste. Hastig ruft der Held des \'olksschauspiels sein
apage, ohne Aufenthalt eilt er von dem einen zum andern,
da ist t'iir Bonniots und dialectische Fechterstücklein kein
Augenblick übrig. Die Teufel, welche Lessing dem Tüttier
sowol verzagt, als zu witzigem Widerstreit gerüstet ent-
gegenstellt, zerfiiUen in zwei Gruppen. Die vier Boten der
Körperwelt und der erste von den drei Boten der Geister-
welt gehören der \'orlage an, welche eine solche Scheidung
zwar nicht ausdrücklich vollzieht, aber durch den Uebergang
vom Sinnlichen zum Unsinnlichen im letzten Glied der
Steigerung doch in sich schliesst. Zu dem gedankenschnellen
Geist der Vorlage gesellt Lessing sehr unglücklich den
der «Rache des Rächers« an Schnelligkeit gleichen und
sehr subtil den letzten, welcher so rasch ist wie der
Uebergang vom Guten zum Bö^en. Diesen Uebergang
hat Faust, wie er schaudernd sagt, erfahren. Der erste
Act Lessings galt der \'erstrickung und Wandlung.
Dass Faust die Teufel »Schnecken des Orcus« — eme
verzwickte Bezeichnung — schilt, mag seinen Anlass in
der Vorlage haben, wo ein Teufel so schnell ist wie die
Schnecke im Sande. Stammt der Name Jutta, den hier
ein Teufel führt, von Scherenberg her? Gottsched spottet
ja später (Nöth. Vorrath 2, 141) über »einen heutigen
brittenzenden Shakespear«, »der nächst der versprochenen
Comödie vom Dr. Faust, auch das Trauerspiel unseres
Scherenbergs von Papst Jutten erneuert und umschmelzet,
um ein recht erstaunlich rührendes Stück trotz dem Kauf-
mann von London, oder Miss Sara Samson, daraus zu
machen«. Bis zu Arnim war aber noch lange hin.
Vordem hatte Gottsched in der »Critischen Dichtkunst«
a. a. O. den seichten Witz verdammt, der einen Hexen-
meister aut die Bühne bringt und ihn »wohl gar ein halbes
yö Abhandlungen.
Diitzciui junL^c Tciilcl licrzLibamicn« lässt — jetzt vcrsaiii-
nicltc Lcssings Faust deren sieben um sich.
Gegen den siebzehnten Literaturbrief erschienen zu
Hnde des Jahres 1759 die »Briefe, die Einführung des Eng-
lischen Geschmacks in Schauspielen betreftend, wo zugleich
auf den Siebzehenten der Briefe, die neue (sie) Litteratur
betreffend, geantwortet wird, l-'rankturt und Leipzig lyöoc,
128 SS.; S. 118 ff. hndet sich Lessings Faustscene mit
neunzehn längeren oder kürzeren hcihnischen F'ussnoten
abgedruckt. Nicht sehr sorgfältig, doch lässt sich wohl
nur in der Aenderung »Erster Teufel« und so tort tür
»Der erste Geist« (doch »unter sieben Geistern« statt »unter
sieben Teufeln«) und der A'ariante »Unzuvergnügender
Doctor« für »Unzuvergnügender Sterbliche« Absicht merken.
Die unsicheren Angaben über die \'erfasserschaft stellt
Creizenach S. 77 zusammen. Mit Canzler oder Gellius ist
nicht viel gewonnen, mehr durch Danzels A^ermuthung,
I'rau Gottsched sei die Verfasserin. Ohne Zweitel sind
die in Nachahmung des »Zuschauers« abgefassten lang-
athmigen Briefe, in denen der Ell der Literaturbriefe
wegen seiner Fleraustorderung »ich bin dieser Niemand c
als Herr Niemand hgurirt, eine in Leipzig und zwar im
engsten Kreise Gottscheds angefertigte Compagnie -Arbeit,
bestehend aus sehr ungleichwcrthigen Elementen. W'ii"
haben einen Hauptschreiber vor uns, mag er Ganzler heissen,
einen schaalen Kopt, der gegen Lessings Kritik der Gott-
schedschen Keform und gegen den gewesenen »Räuber (<
Shakespeare mit ebensoviel Bornirtheit als Weitschweitig-
keit ficht und tortwährend mit plumper Unterstellung den
Trumpl ausspielt. Lessing wolle die Haupt- und Staats-
action mit Haut und Haaren erneuern. Ciottsched steuerte
Materialien bei, /. B. über Neubers, wohl auch ein paar
Entrehlets und machte den Revisor. F^inzelne gute treffende
Bemerkungen mö";en von der »(geschickten Freundin« her-
I
Erich Schmidt: Zur Vorgeschichte des Goethe'schen Faust. 77
stammen. Unmöij;lich luu in dem parodistischcn Repertoire
S. 15 H. dieselbe [-"erson die trockene Anal\-se von «Mam-
mons Sold« Lind den lustii^en lintwuri der »Zerstörung
Jerusalems« geliefert, unmöglich ist der tölpelhafte Gegner,
der bis S. 115 Lufthiebe führt, derselbe, der dann so
gewandt gegen Niemand -Lessing in Duellposittu' steht.
Dagegen wäre dieser derbe und dieser zersetzende Witz
der Gottschedin, welche in LH einen Todfeind des alten
Reichs sehen musste, wohl zuzutrauen. Man wende nicht
ein, dass die L'austscene leichter zu bestreiten war, als die
vorausgehende Theaterkritik. Manches in den Fussnoten
hat der blinde Aerger geschrieben, im Ganzen ist der
Angrift ausgezeichnet geschickt, wie jeder zugeben wird,
der auch nur die von Danzel gegebenen Citate kennt.
Alles, was irgend gegen den Dichter vorgebracht werden
kann, wird gesagt, keine Blosse übersehen; dem Unerbitt-
lichen ist während seiner ganzen Schriftstellerlaufbahn,
wedei' vorher noch späterhin, so übel mitgespielt worden.
Ob vielleicht schon Lessing selbst an Frau Gottsched
dachte? Lind ob er deshalb in der Hamburgischen Drama-
turgie so schonungslos über die Todte, die er einst als
»ein kleines artig's [reundlich's Weib .... das .... aus
Gefälligkeit sich an des Mann's Gedanken bindet«, im
Gegensatz zum »grossen Duns« gelobt und deren Cenie-
übersetzung er lebhatt anerkannt hatte, zu Gericht sitzt?
Fassen wir den weiteren Fortgang kurz zusammen,
so hat Lessing in Breslau und Hamburg an einem Faust
nach der Tradition und daneben an einem bürgerlichen,
von der Ueberlieterung unabhängigen gedichtet. Ob ein
Breslauer Faust wirklich schon zwölf Bogen füllte, bleibe
dahingestellt. Weniges nur wurde von dem bürgerlichen
Faust ausgeführt, da der ältere Plan, unter gründlichen
Umwandlungen iragmentarisch gestaltet, immer wieder
Oberwasser erhielt und zuletzt den Gedanken an eine
78 Abhandlungen.
Abstrcit'uni; ;illcs Sagenhaften mehr und mehr zuriick-
dniiii^tc.
Die Xachbarschaft zweier Pläne ist bewiesen : erstens
durch eine Bemerkung der Collectaneen zinii »zweiten
Faust«. 1-erner durch Lessings in Wien gethane Aeusse-
rungen, welche Gebier im December 1775 an Nicolai
berichtet: ein Faust »nach der gemeinen l-'abel«, ein
anderer »ohne alle Teufelei, wo ein Frzbösewicht gegen
einen Unschuldigen die Rolle des schwarzen \'ertührers
vertritt«. Gegen Geblers Zusatz »beide Ausarbeitungen
erwarten nur die letzte Hand« sind dieselben Frwägungen
wie oben gegen den Brief an Gleim zu kehren. Drittens
durch Lessing's Frzählung in Mannheim 1777, die freilich
nur durch eine späte und vielleicht nicht ganz ungetrübte
Quelle auf uns gekommen ist. Am 14. September 1820
schreibt der iMaler Müller, den seine eigene Faustdichtung
für die Lessing'sche interessirt hatte, an Therese Huber:
Lessing sagte, »dass er zwey Schauspiele vom Faust
angelegt, bevde aber wieder liegen gelassen habe, das
eine sagte er mit Teufeln, das andere ohne solche, nur
solten in dem lezten die Ereignisse so sonderbar auf-
einander folgen, dass bev jeder Scene, der Zuschauer würde
genöthigt gewessen se\n, auszurufen, das hat der Satan
so gefüget«.
Ich sage: neben einander in Flamburg und wohl schon
in Breslau. Hier gedachte Lessing, nach Klose's Zeugniss,
den Luciier des Jesuiten Noel für seinen Faust zu nutzen,
— also für einen Faust mit Teufeln. Aus ilamburg, wieder
wie 1759 aus der Theaterkritik und dem Shakespeare-
studium heraus, schreibt Lessing am 21. September 1767
an den Bruder Karl Gotthelf, er arbeite »aus allen Kräften
am Faust« und wolle ihn im Winter spielen lassen. Da
Lessing damals so energisch die »Fmilia Galotti« zum pureii
Spieldrama umschuf, ist dieser Mittheilung aller Glaube zu
Erich Schmidt: Zur VoRGEScnciHTE des Goethe'schen Faust. 79
schenken. Hr bittet zui^leich um die chivicula Salomonis,
— also für einen Faust mit Teufeln.
Aber die Collectaneen vermerken eine Notiz des Dio-
genes Laertius über den Cyniker Menedemus, derselbe sei
als Furie verkleidet umhergezogen wie ein Gesandter der
Molle, um Acht zu geben auf die Sünder, und ein Wort
Tamerlans, er sei die Geissei Gottes, mit dem Zusatz :
«dies kann \ielleicht dienen den Charakter des \\'rti!hrers
in meinem zweiten Faust wahrscheinlich zu machen«. Wir
sind in die Räthsel dieses zweiten Faust wenig eingeweiht
und wissen nur dies: den Teufel oder die Furia Mephi-
stopheles vertrat ein Mensch, der sich eines höheren geheim-
nissvollen Auftrags und entsprechender Krätte rühmte,
eine dämonische Persönlichkeit, ein schwarzer \'ertührer,
der alle Fäden in seinen starken und flinken Fingern hielt
und dessen Ueberlegenheit das arglose Opfer bestrickte; die
Handlung war verschlungen und unheimliche, blitzschnelle
Effecte erweckten den Schein einer diabolischen Führung.
Dieser \'erführer war natürlich kein Intrigant vom
Schlage der Stukely und Henle^•. Er war natürlich aus
ganz anderem Holze geschnitzt als der Höfling Marinelli,
die geschmeidige feige Creatur, der durchaus nicht als ein
Ableger vom zweiten Faust zu fassen ist; auch findet sich sein
Character schon im alten Virginia-Entwurf skizzirt. Dennoch
bietet die »Emilia Galottia zwei, wohl unbewusste Hin-
deutungen auf das Faustische Gebiet. Der Prinz schliesst:
»Ist es zum Unglücke so mancher nicht genug, dass Fürsten
Menschen sind : müssen sich auch noch Teufel in ihren
Freund verstellen« — wir denken an den bürgerlichen
Faust. Und die leidenschaftliche Fieberphantasie der Orsina,
wenn sie alle, die Verlassenen, »alle in Bacchantinnen, in
Furien verwandelt, wenn wir ihn unter uns hätten ....
zerrissen«, erinnert uns an den, von Lessing freilich aut-
gegebenen, grausigen Schluss des \'olksschauspiels.
80 AHHANDLUNGEN'.
Dämonische Bosheit wollte Lessini^ im bürgerlichen
Faust darstellen. Schauen wir uns in seiner an lintwürlen
so reichen \\'erkstatt um, so gibt nur noch der »Xero«
den Zug /um Dämonischen kund. Xach dem weichlichen
verführerischen Prinzen des italienischen Duodezhotes
römischer Cäsarenwahnsinn ! Xero sollte der »Inbegriff
aller menschlichen Verruchtheit« werden, aber Lessing gab
den Plan aut, weil ein solches »moralisches Ungeheuer im
Drama . . . convulsivische hanpörung« erzeuge; so hörte
•Matthisson von Gleim ; der ihm zugleich mittheilte. Lessing
habe auf die »Bearbeitung der \'olkstradition von Doctor
Faust« verzichtet (Matthissons Autobiographie in »Deutsche
Lehr- und Wanderjahre« 1,62t.). Wir sind nicht in der
Lage X'ater (ileims Weisheit streng zu controliren.
Auffallend ist, dass Lessing in den siebziger Jahren
zwar Gebier und Müller kurz über beide Pläne aut klärte,
den Hauptmann von Blankenburg jedoch und lingel (1774)
niu' mit dem Teutelstaust, mit diesem aber eingehend, \-er-
traut machte. Ihre Berichte von 1784 und 17S6 helfen
uns weiter, ausserdem liegt, \()m siebzehnten Literaturbriet
abgesehen, nur eine Expositionsskizze aus dem theatralischen
Nachlass vor. Was sonst vom Faust zu Papier gebracht
worden, ist der Vernichtung anheim gefallen, ohne dass
ich hier die grosse Kistenfrage nochmals weitläufig abhan-
deln möchte, die sogai' vor Jahrzehnten schon Gegenstand
einer Novellette — oder nannte sich das Ding »Phantasie«
— geworden ist. Kuno Fischer dictirt mit dem ihm
eigenen Aplomb : der Faust wai' nicht in der Kiste. Aller-
dings könnten K. G. Lessing und Blankenburg sich irren.
Lessing, wo er von dem ^'erlust 1775 spricht, erwähnt
sein Drama nicht, aber die Fabeln, die lexikalische Unter-
suchung, die Woltenbüttler Handschritt lagen ihm gerade
mehr am Flerzen. Fs ist gar nicht in seiner stolzen Art,
seine Habe Stück tiir Stück zu inventarisiren und über jede
Erich Schmidt: Zur Vorgeschiöite des Goethe'schen Faust. 8l
liinbussc zu greinen. Hin ^crini;scliät/.igcs »/um Henker
mir alle dem HetteK' und damit genui^. Uebrigens ob in
der Kisie verloren oder von Lessing vernichtet, der baust,
richtiger wohl die Masse der Skizzen und Fragmente, ist
nicht mehr.
1768 hatte Ebert Lessingen vergebens zum Hervor-
treten gedrängt. Man wartete und munkelte später, Lessing
Werde unmittelbar nach Goethe auf den Plan treten (vgl.
auch B\ern an Knebel 8. D(dc. 1776, Düntzer »Zur deutschen
Literatur und Geschichte« i, 62). Aber Lessing wollte
nicht concurriren, sondern nur kritisiren.
Wir treten nunmehr an die erhaltenen Bruchstücke
und Analysen heran. Dem Volksdrama folgend leitet
Lessing seinen Faust durch ein Vorspiel ein. Zeit : um
Mitternacht. Ort: ein alter gothischer Dom. Nach Lessing's
Entwurt ein unzerstörter, denn der Küster und sein Junge
schreiten zum oder vom Läuten hindurch. Nach Engel
ist er zerstört; Kirchen zu verwüsten sei Satans Lust.
Lessing hat diesem Eftect und der Wahrscheinlichkeit zu
Liebe so geändert, denn Teufelsconvente pflegen nicht
in wohlerhaltenen heiligen Gotteshäusern stattzufinden.
Unsichtbar sitzen die Teufel auf den Altären, auf dem
Hauptaltar der Höllenfürst Beelzebub. Passend erinnert
Düntzer (Lessing als Dramatiker S. 196) an die Pia hilaria
des A)igelinus Gazäus: um Mitternacht versammeln sich
die Teutel in den Ruinen des Marstempels und erstatten
Lucifer Bericht über ihre Thaten ; einer hat den Bischof
Fundanus berückt. Ich füge hinzu, dass Hilarion in ver-
fallenen Tempehi hölHsche Geister gewahrte. Boxberger
(Hempel 11^, 594) sollte statt des fern liegenden »Bruder
Rausch« lieber die Charonscene, das Furienvorspiel zum
deutschen Hamlet und dergleichen, Naogeorgs Pammachius,
die Eingangsscenen der Scherenberg'schen Jutta heranziehen.
In den letzteren, einer ausgezeichneten Leistung unserer
Goetiiu-Jaiirbuch II. 5
Abhandlungen.
alten Dramatik, ruft Lucitcr seine Teufel bei Namen aut,
um schliesslich den liebsten »Schalck Sathanas« und Spiegel-
glanz gegen die unschuldige Jutta zu entsenden.
In Lessings Entwurf hat der erste Teufel eine Stadt,
der zweite eine Flotte zerstört, der dritte, Mephistopheles,
einen heiligen Mann zum Trunk und dadurch zu Ehebruch
und iMürd verführt. Eine alte, namentlich im i6. Jahrhundert
gern erzählte Anecdote, welche Lessing vermuthlich aus
einer Schwanksammlung wie Paulis »Schimpf und Ernst«
schöpfte. Sollte das für die Breslauer Zeit sprechen?
Mephistopheles übernimmt nun die schwierige Autgabe
den Faust binnen vier und zwanzig Stunden zu bethören.
Er rechnet mit der Erfahrung, dass zu viel Wissbegierde
der Ursprung aller Laster sein könne, wie es — er sagt
das nicht ausdrücklich — die Trunkenheit für den Einsicdel
gewesen ist.
Anders Engel, der uns wiederum in eine spätere Phase
blicken lässt. Zwar erinnerte er sich nicht mehr genau
an alles, aber was er gab glaubte er zu wissen, und er ist
ein zu kleiner Geist um etwas nachzuerfinden, was
Lessingisch aussähe. Wir sehen klar, wie subtil der frühere
Entwurf erweitert worden ist. Nicht eine Stadt hat der
erste Teufel zerstört, sondern die Hütte eines Armen, den
gute Geister sammt den Seinen retteten. Da floh der
Teufel verzagt. Satan lässt ihn hart an: der fromme Arme
wird, völlig verarmt, nur frömmer; bereichern hättest du
ihn sollen ! Ebenso führt er den Verniclner der Flotte
ad absurdum. Der dritte hat die Phantasie eines bis dahin
reinen Mädchens — unsinnig überliefert Engel: einer Buhlerin
— vergiftet. Nun erst kommt Mephistopheles an die
Reihe. Er hat nichts gethan, aber das Grosse gedacht.
»Gott seinen Liebling zu rauben einen denkenden
einsamen Jüngling, ganz der Weisheit ergeben«. Nur weiss
er ihn nirgends zu fassen; ähnlich berichtet in Kürze
Erich Schmidt: Zur VoRGESCHwfhTE des Goethe'schen Faust. 85
ßlankenburg. Doch, entgegnet Satan, bei seinem leiden-
schaftlichen Drang nach Weisheit sollst du ihn fassen.
Die vier ersten Auftritte des ersten Actes sind uns in
einer Skizze erhalten. Der Eingang gibt das traditionelle
Bild : Faust einsam grübelnd. Es ist Nacht. Er brütet über
einem philosophischen Werk. Er erinnert sich, dass ein
Gelehrter den Teufel über des Aristoteles Entelechie citirt
hat. Endlich nach vergeblichen Versuchen glückt ihm jetzt
um die zwölfte Stunde die Beschwörung. Auf den Ruf
»Bahall« erscheint der zunächst recht schlaftrunkene Geist,
der im Leben einst Aristoteles geheissen. Wie der Gram-
matiker Apion den Homer, so fragt Lessings Nekromant
den Stagiriten aus und stellt in der Disputation die »spitz-
findigsten Fragen«. An einen Teufel in des Aristoteles
Gestalt ist wohl nicht zu denken. Denn erst 1,3 geschieht
die weitere Beschwörung und 1,4 tritt der Dämon auf,
Mephistopheles.
Diese (Breslauer, 1758 schon ähnlich entworfene ?)
Skizze wurde später (in Hamburg?) entweder ganz bei
Seite geschoben oder vollständig umgearbeitet, denn auch
diesmal führen uns die Gewährsmänner, Engel und ßlanken-
burg, zu einer höheren Entwicklungsstufe, indem sie über-
einstimmend berichten, dass der ganze Handel mit dem
Teufel nicht von Faust, sondern von einem ihm täuschend
ähnlichen Phantom abgeschlossen und abgespielt wurde.
Oder wir müssten annehmen, dass Faust in der That selbst
den gefährlichen Steg beträte, aber, etwa i, 6, von guten
Geistern in Schlaf versenkt würde. Ungefähr an der Stelle,
wo der Faust der Tradition nach Unterzeichnung des
Pactes ohnmächtig zusammenbricht. Nicht unmöglich, aber
wahrscheinlich doch nur unter Annahme von Aenderungen,
zielend auf Entlastung des zweif^ichen Beschwörers, der in
der Exposition minder selbstthätig erscheinen müsste. —
Faust schlummert und alles, was fortan geschieht, erfolgt
6'^
^4 Abhandlungen.
tür ihn nur in l'orni eines Tnuimgcsichts. Als die Teufel
Irohlückend die Beute fortraften und den Siegesruf gen
Himmel ertönen lassen wollen, entschwindet das Phantom,
der Himmel hat den Prozess gewonnen, schamvoll und
wüthend müssen die unholden Geister den Plan räumen.
Xach lingel erklang schon in der ersten \'erschwörungs-
scene eine Stimme von oben, auch sie noch von Motiven
des \'olksschauspiels abzuleiten: »Ihr sollt nicht siegen«;
wohl nur dem Zuschauer vernehmbar, den Lessing von
vorn herein in den Plan des Ganzen einweiht. Nach
Blankenburg wurde den triumphirenden Teufeln zuletzt
von einem Himmelsboten ihre Niederlage kund gethan :
»Triumphirt nicht, ihr habt nicht über Menschen und
Wissenschaft gesiegt ; die Gottheit hat dem Menschen
nicht den edelsten der Triebe gegeben , um ihn ewig
unglücklich zu machen ; was ihr sähet und jetzt zu besitzen
glaubt war nichts als ein Phantom«.
In welchem Masse Lessing die Ausführung des uns
zunächst fremdartig anmuthenden Gedankens einer blossen
Phantasmagorie bewältigt hatte oder hätte, steht dahin.
Ob ihm die poetische Macht eigen war, eine lange Schein-
handlung etwa so im Charakter von dissolving views zu
halten, wie Grillparzer es in »Der Traum ein Leben « ver-
standen hat, mögen wir bezweifeln. Gewiss ist auch die
Substituirung eines Phantoms lür den rein passiven
schlafenden Helden und die Permanenz eines deus ex
machina nicht die dramatische Lösung, welche der Faust-
stofT erheischt, die Läuterung durch ein Gesicht nicht die
innerliche, welche Goethe seinem Irrenden Strebenden aui
der langen Wanderung zu Theil werden lässt. Wir wollen
keinen Theophilus, den die heilige Jungfrau als Noth-
helferin rettet, »dieweil ihr eben schliefet«, sondern den
echt protestantischen haust. Zu beantworten bleibt, wie
Lessiny auf diese Behandlung verfiel. Niemand wird sich
Erich Schmidt : Zur VoRGESCHiCHTE des Goethe'schen Faust. 8 <
dabei beruhigen, dass er den Schiitzgeist, welcher den l'aust
des \'olksschauspiels klagend verlässt, dem seinigen /imi
treuen Eckart bestellte. Oder gab ihm die Helenasage
etwa das euripideisclie Drama, den Ausweg an? Paris
entführt ein Schattenbild, und um ein Schattenbild entbrennt
der langjährige Krieg, während Helena unschuldig und
unbehelligt in Aegvpten weilt. Aber ganz abgesehen davon,
dass Lessing in seilten Faust die Helena der Faustsage
allem Anschein nach nicht aufnahm, eine andere Quelle liegt
näher: Calderon. An allerlei Phantomen ist im spanischen
Drama, das Lessing kannte, wie damals vielleicht kein
anderer in Deutschland, kein Mangel. Schon 1750 hatte
er, wie ein Zettel des theatralischen Nachlasses beweist,
an eine Bearbeitung der Komödie La vida es sueno gedacht.
Diese besitzt in einem Auto einen religiös-allegorischen
Namensvetter, der den Widerstreit der Elemente im Chaos,
die guten Gewalten und die bösen, die Sünde als Schatten
vorführt und den Sündenfall sowie die Erlösung des Men-
schen zum Gegenstand hat. Die Anregung für Lessing
liegt im späteren \'erlauf, \\o dem reuigen gefesselten
Höhlenbewohner die Weisheit als Pilger naht, sich selbst
die Fesseln anlegt und, während jener schläft, vom Satan
und dem Schatten gekreuzigt wird, um dann in alter Glorie
wieder wiederaufzuleben. Hölle und Sünde haben nicht
den Menschen in unzerreissbare Bande geschlagen, sondern
nur einen \on der himmlischen Gnade gesandten Stell-
vertreter sich selbst zum Schaden gemartert. Die Hölle
erliegt, die Himmlischen singen den Triumphgesang, der
Mensch, gereinigt, gekräftigt, gerettet, wie Lessings Faust
nach dem Schlummer, ruft in der Fülle seiner Seligkeit:
»O ! wenn auch dieses Traum ist, so lasst mich nie
erwachen«.
Echt lessingisch jenes frohe, befreiende »Ihr sollt
nicht siegen«. Das fuden-Christenthum hatte den freieren
86 Abhandlungen.
Paulinismus xum Schwindel des Simon Magus carikirt, im
i6. Jahrhundert stand der apostolische Krieger wieder aut
sein Schwert gestützt da, wie ihn Alhrecht Dürer malte
und Luther als Idealgestalt verehrte, aber der Teutelsglaube
der grossen gährenden Werdezeit warf in die Fausthistorie
seine düsteren Schatten und ahndete den geistigen Titanismus
des )) Speculirers« als die Gottlosigkeit eines »thummen
und hüffertigen Kopfs«, endlich trägt Lessing die Leuchte
der Aufklärung in das halbmittelalterliche Forschermuseum
als der erste wahrhaft moderne Betrachter des Faust.
Lessing am allerwenigsten konnte den einsamen Sucher
der Wahrheit dem Untergang preisgeben, ist doch die
Tendenz seines Faust ganz die seines eigenen Strebens,
welches den Trieb nach Wahrheit dem \'ollbesitz der
Wahrheit vorzieht. In Lessings Augen konnte nur der
dumme Teufel Vielwissenwollen für die Achillesferse des
guten Menschen halten. Seine heitere stolzbescheidene
Verstandesklarheit verstieg sich nie auch nur ahnend zu
dem schwindelnden Flug prometheisch-laustischer Gedanken.
Er gab uns seinen Faust. Wir aber sind froh, dass hinter
ihm, der wie Dürers Ritter trotz Tod und Teutel gerade
aus seinen Weg nahm, auf verschlungenen Ptaden der
Feuergeist einherzog, der mit aller Wollust und aller Pein
des Titanismus tief vertraut, ch'it l-'aust geschafl'en hat.
Erst die Goethe'sche Generation war zur \\)llendung
berufen.
4. Die erste Aufführung
DES Götz von Berlichingen.
VON"
Richard Maria Werner.
Ijs hat etwas Begeisterndes, die erste Wirkung des
Götz zu beobachten. Wie ein mächtiges Gewitter,
mit Blitz und Donner, fuhr dieses Drama in die
schwüle Luft der bürgerlichen Schauspiele. Alles wurde
hingerissen. Selbst die Tadler konnten sich der frischen
Jugendlichkeit dieses »schönsten interessantesten Monstrums«
nicht entziehen. Die knöchernste Prosa, Christian Heinrich
Schmid, hätte nach eigenem Geständnisse den »sehr
bedauert«, »der Müsse genug gehabt hätte, während der
ersten Durchlesung zu bemerken, dass der Verfasser last
auf allen Seiten gegen die Vorschriften der Kritik gesün-
diget«. Die »kritischen Linne's« waren ungewiss, in welche
Klasse sie es setzen sollten ; » c'est l'histoire d'un heros
mise en dialogues ; d'une scene ä l'autre le thedtre change;
c'est une tragedie et il y a des endroits comiques : ä cöte
du langage noble et eleve d'un guerrier ou d'une femme
sublime, on trouve le langage vulgaire et bas d'un valet;
Abhandlungen.
au milicu de tout cc quc la tragcdic pcut oftrir de tcrriblc,
de situations ijrotcsqucs qui fönt rirc<(. Man könnte das
Schwanken im Urtheile, die Ungewissheit über das Hervor-
stechende nicht besser ausdrücken als dieser Franzose im
»Journal Jincvclopediquec Die Kritiker waren naiv genug
einzugestehen, dass sie mit dem Götz noch nichts rechtes
anzufangen wüssten ; es taml sich aber auch hier die Hti-
quette, und sie lautete »Shakespeare«. Freilich dieser war
nun schon anerkannter, aber man fühlte sich in seiner
Gegenwart noch nicht recht wohl. Aiit die Bühne war
er nur in schlechten Bearbeitungen gekommen und gehöi^te
noch nicht zum stehenden Repertoire.
Dem Götz gegenüber wurde von der Kritil; die krage
nach der Auflührbarkeit kaum recht gestellt. Wieland sagte
ganz im \'orübergehen , nur zwischen zwei Gedanken-
strichen apodiktisch von dem Schauspiel » — das man
nicht aurtühren kann — bis uns irgend eine wohlthätige
Fee ein eigen Theater und eigene Schauspieler dazu her-
zaubert — « und fügte im A'erlaufe seiner Anzeige halb\\eh-
müthig hinzu: »Welche Wunder sollte der Genie, der dies
gethan hat, nicht auf unserer Schaubühne wirken kc'mnen,
wenn es ihm einfiele, Schauspiele zu schreiben, die man
auHühren könnte?« Und noch in den »Briefen an einen
jungen Dichter« läugnet er es schlechterdings, »dass der
\'erfasser Götzens die Absicht dabei gehabt habe, ein
gangbares Stück für unsere meistens herumziehenden
Schauspieler-Truppen zu verfertigen«.
Mensel dachte nicht anders daxon : »Wir glauben
nicht, dass irgend eine Schauspieler- Gesellschaft auf den
Finfall kommen wird Göz von Berlichingen zu geben.
C^hne auf die last unübersteiglichen Schwierigkeiten dei'
\'orstellung zu sehen, vermuthen \\\v sicher, dass dieses
Schauspiel auf der Bühne nicht gefallen würde. Wenn wir
es als ein Stück für die ßühiw betrachten wollten, so würden
Die erste Aufführung Dg« Götz von Berlichingen. 89
unsrc Urthcilc i^anz verschieden von derjenigen sex'n, die
wir in dieser [im ganzen lobenden] Kritik geäiiscrt haben«.
Auch der Recensent im Altonaer »Neuen gel. Mercurius«
sagte rundheraus: «Aufgeführt kann das Stück nicht eher
werden, bis wir ein Parterre, gleich dem englischen, haben,
das eigensinnig genug ist, etwas ansehen zu wollen, das
es kaum halb versteht, und auch im Grunde kaum halb
schön tindet; auch wird der \'ertasser es selbst nicht in
der Absicht verfertigt haben«. Von Anderen, /.. B. von
Schmid, wird Goethe immer in Gegensatz zu »seinem
Bruder, dem theatralischen Dichter« gesetzt. Goethe gestand
selbst im Alter, :\n der Darstellbarkeit nach wiederholten
\^ersuchen verzweifelnd, ein Stück, das nicht ursprünglich
mit Absicht und Geschick des Dichters für die Bretter
geschrieben sei, gehe auch niciu hinauf, und wie man auch
damit verfahre; »es wird immer etwas Ungehöriges und
Widerstrebendes behalten « .
Mancher Kritiker und Lobredner bedauerte dies,
Claudius z. B. ist überzeugt, dass Freund und Feind gewiss
mit ihm wünschten, dass es möchte aufgeführt werden
können. Und ein anderer (wahrscheinlich Bahrdt) vermisst
sich : »Wir getrauten uns, mit geringer Mühe die Schau-
platzveränderungen so zu reduciren, dass sich das Schau-
spiel aufführen Hesse«.
Für einen Schauspieldirector lag daher nichts näher,
als den \'ersuch zu wagen, konnte er doch sicher sein,
dass man wenigstens der Curiosität halber ins Schauspiel-
haus laufen würde. Koch, der mit seiner Gesellschaft
damals, nachdem er in Leipzig das Publikum entzückt
hatte, in Berlin Vorstellungen gab, war unternehmend
genug, das »schöne Ungeheuer« auf die Bühne zu bringen.
Und das muss ihm, obwohl er es gewiss nur aus Speculation
gethan hatte, als patriotische That angerechnet werden.
Bedenkt man den grossen Einfiuss, den damals alles fran-
90 Abhandlungen.
zösisclic Wesen gerade in Berlin hatte, wie der Hot, ^^leich
den Gelehrten und Schöngeistern, dLU-chaus Pariser Ge-
schmack, Pariser Interesse hatte, so erscheint die erste
Autführung eines Cjotz, noch dazu des ersten Goethe'schen
Werkes, das die Bretter beschritt, doppelt und dreifach
wichtig. Mag die Koch'sche Gesellschaft, wie die Berliner
Bühne der Aufgabe nicht gewachsen gewesen sein, mag
das Neue, Unerhörte des äusseren Apparates, der lUistungen
und Costüme, einen grossen Theil des Interesses für sich
in Anspruch nehmen, so bleibt doch das Verdienst unläugbar,
dass Koch ad oculos demonstrirte, der Götz sei wirklich
»die Morgenröthe einer neuen Dramaturgie«, von welcher
Hamann gesprochen hatte, und ein grossartiges Kunstwerk
modle den Geschmack selbst des widerstrebendsten Publi-
cums. Zwar waren die Meinungen auch jetzt noch getheilt,
zwar jubelten die Einen, während die Andern noch immer
zweifelnd und spöttisch die Köpfe schüttelten, aber der
vortretlliche »Kassenerfolg", wie wir heute sagen würden,
den Niemand wegläugnen konnte, sicherte dem Götz einen
Platz auf den Bühnen ; der Berliner Versuch fand gar bald
in Hamburg und Mannheim Nachahmung ; ja selbst über
den Canal weg soll er nicht ohne Einfluss gewesen sein.
Am i.(. April 1774 brachte die Vossische Zeitung
folgende Ankündigung, welche nur den Theater -Zettel
wiedergibt: »Heute |d. i. am 12.] wird die von Sr. Kiniigl.
Majestät von Preussen allergnädigst privilegirte Kochische
Ciesellschaft teutscher Schauspieler aufführen : »Götz von
Berlichingen mit der eisernen Hand«. Ein ganz neues
Schauspiel in 5 Akten, welches nach einer ganz besondern
und jetzt ganz ungewöhnlichen liänrichtung von einem
gelehrten und scharfsinnigen N'eriasser mit Eleiss vertertigt
worden. Es soll, wie man sagt, nach Sbiikespear' sehen
Geschmack abgefasst seyn. Man hätte vielleicht Bedenken
getragen, solches auf die Schaubühne zu bringen, aber man
Die erste Aufführung d^ Götz von Berlichingen. 91
hat dem \'crLini;cn vieler l-'reuiule nach^e^ebell, und so
viel, als Zeit und Plaiz erlauben wollen, Anstalt gemacht,
es auszuti-ihren. Auch hat man, sich dem geehrtesten
Publicum getällig /.u machen, alle erlorderlichen Kosten
auf die nöthigen Decorationen und neue Kleider gewandt,
die in den damaligen Zeiten üblich waren. In diesem Stück
kommt auch ein Ballet \on Zigeunern vor. Die Hinrichtung
dieses Stückes ist am Eingange aut einem a parte Blatt
tur I Gr. /u haben«.
Koch rechnete aut die Neugierde des grossen Publi-
cums, das wohl römisches und griechisches Costüm, wohl
ReitVock und Perrücke auf der Bühne zu sehen gewohnt
war, aber nicht die Rüstungen und das Driununddran eines
Ritterstückes. Auch ein Zigeuner -Ballet kam ^■or, was
/war schon dagewesen war, aber für das ganze Werk schon
von Anfang an den Reiz des Ungewohnten, Ungewöhn-
lichen erregte.
Und so erschien denn der iMann ))mit der eisernen
Hand« zinn ersten Mal am 12. April 1774 auf den Brettern.
Der Zulauf zu den Vorstellungen war ein enormer, so dass
sechs Tage hintereinander das Stück des Herrn »Dr. Göde
in Franklurt a. M.« autgetührt werden musste (1774 im
Ganzen vierzehnmal). Drei Tage nach der ersten Dar-
stellung schrieb die Vossische Zeitung : »Das so viel Auf-
sehen in Deutschland verursachte Schauspiel : Götz von
Berlichingen mit der eisernen Hand, ward auf hiesigem
deutschen Theater drei mal hintereinander mit grossem
Beiiall aufgeführt. Es ist eine deutsche Rittergeschichte
völlig in der Sbnki'spL'iii' sehen Manier. Es würde freilich
sehr sonderbar sein, wenn man es nach den Regeln der
sogenannten regelmässigen Schauspiele beurtheilen wollte,
noch sonderbarer aber, wenn man sich der willkürlichen
Regeln, die man von Griechen und Franzosen angenommen,
erinnern und danach den Werth dieses Stückes bestimmen
92 Abhandlungen.
wollte. l-!s ist, wenn man sich so ausdrücken darf, eine
Reihe der vortrel]lichsten Gemälde, die nach und nach
lebendii^ weiden und weiter unter sich keinen Zusammen-
hang haben, als dass sie y.u Göt/en's Lebs/eiten \'ortallen.
Weder l-!inheit der Handluni,^ noch \'orbereitung einer
Begebenheit xur andern, aber dafür so viel damalige deutsche
Sitte und Denkungsart, als aus manchem deutschen Gc-
schichtsbuche in tolio mit aller Schartsinnigkeit nicht heraus
zu kommentiren ist. Trugen diese Deutschinnen keine
Chignons und ellenlange Kleidcrschleppen, so hatten sie
doch auch ihren schonen Putz, und sagten die galanten
Damen damals nicht, wie jetzt, iinvi eher, so sagten sie,
mein lieber Junge. Und dass dies verliebten Rittern ebenso
reizend gewesen sein muss, als jenes, beweiset diese
Geschichte selbst; denn das mein lieber Junge aus einem
schönen Munde vermochte den braven Ritter W'eisslingen
so gut zu einer schlechten Handlung als das inoii eher
mancher unserer Zeitgenossen vermag. Wenn also dieses
Stück auch keinen andern \"orzug hätte (und es hat gewiss
noch viele andere!) als diesen, dass es uns mit den deutschen
Ritterzeiten bekannt machte, so wäre es schon für jeden
Deutschen Bewegungsgrund genug, es nicht einmal, sondern
vielmal zu hören. Denn es ist doch wunderlich genug,
die alten Römer so emsig zu studiren, und von den mittlem
Zeiten Deutschlands nicht eine Silbe zu wissen ! d
»Wenn der Ik-ifall ein Merkmal von der guten \'or-
stellung der Schauspieler ist, so kann man sie diesmal
vortreflhch nennen; und wenn dieser Beihill ihnen auch
nicht zu Theil geworden, so würde doch der Unpartheiische
gestehen, dass ein solches Stück, dessen Auftuhrung \ielen
Schwierigkeiten unterworfen, im Ganzen genommen, nach
der Beschaftenheit des deutschen Theaters wohl von keiner
Gesellschaft besser vorgestellt werden kann. \'ornämlich
werden die Hauptrollen sehr gm ausgeführt, und das
Die erste Aufführung des» Götz von Berlichingen. 93
Küstünic, das in den I\.lL'iduni;cn mit wahrem (jeselimack
durchgängig beobachtet wurde, wird selbst der Alterthums-
kenner rühmen müssen«.
Die Hauptrolle spielte Brückner, indem er mehr das
unternehmende Wesen, die thatkräftigen Seiten in Götzens
Charakter hervorkehrte. Dem entsprechend hatte er auch
seine Maske gewählt, welche unseren Theater-Traditionen
nicht entspricht. Es hat sich ein Bild seines Costümes
erhalten. Sein Götz ist ein kaum dreissigjähriger junger
Mann, mit vollen kurzen Locken, ein kleines Schnurrbärt-
chen und »die Fliege « zieren seine Lippen, während
Wangen und Kinn rasirt sind. Dadiu'ch erhält sein Aus-
sehen etwas Keckes, man möchte sagen Burschikoses_
Brückner war der weitaus bedeutendste Schauspieler der
ganzen Truppe, er beherrschte das Stück. In einer Zeit-
schritt, der gelehrten Zeitung für das Frauenzimmer, heisst
es von ihm als Götz : «Hier war er völlig Original, über-
traf sogar das Ideal, das man sich von einem solchen alten
teutschen Kitter gemacht hatte, vernachlässigte keinen Zug,
womit er \on dem treuherzigen, gleichmüthigen, tapferen
l^erlichingen noch mehr ausmahlen konnte. Die Scene
mit seiner Frau, die auf dem llathhause zu Heilbronn, und
die letzten Auttritte waren es zumal, die ihn als einen
Meister in seiner Kunst bezeichneten«. Die übrigen Darsteller
scheinen recht unbedeutend an Kunst wie an Zahl gewesen
zu sein ; mancher musste zwei Personen agieren : IVitböjl
war Lerse und Olearius, Miiller Selhitz und Kohl, Khtnge
Sickingen und Linck, Spengler Maximilian und Abt von
Fulda, Martini Bischof von Bamberg und l^ruder Martin,
Henisch Liebetraut und xMetzler; es muss eine heillose
Verwirrung entstanden sein. Auffallend ist die Besetzung
des Georg durch einen Herrn, Klofsch ; wir sind gewöhnt,
eine Dame mit dieser Rolle betraut zu sehen, was in
Berlin zuerst 1795 versucht wurde.
94 Abhandlungen.
\\)n der ^an/L-n Aufführung gibt der folgende Brief
ein ziemlicli deutliches Bild, und lässt auch Blicke in die
Art der Bühnenbearbeitung thun. Hr versetzt so gut in
die Berliner Stimnumg, dass er hier nicht fehlen darf
»Ob ich be\' meinem Autenthalt in Berlin nicht den
Goez von Berlichingen gesehn ? — ja, das hab ich. Man
gab ihn, und wie hätt ich da meine Neubegierde zähmen
können, die \on dem Augenblick an unbeschreiblich gross
war, da ich zum erstenmahle hörte, Ckiez sev wirklich aufs
Theater gebracht. — Zwar sagte man mir in Berlin gleich,
dass das Stück auf dem Theater nicht auszuhalten sev und
ich war eben nicht abgeneigt, das zu glauben ; doch auf
das Urtheil könnt ich nicht rechnen, denn man setzte
grossentheils ein allgememes Vcrdammungsurtheil des
ganzen Stücks hinzu, und wie hatt' ich darauf rechnen
können.^ em achtes deutsches Stück macht in Berlin gewiss
keine bessere Figur, als in Paris. Das beste war, ich über-
zeugte mich mit eignen Augen. Der \'orhang ward auf-
gezogen, und ich ärgerte mich von ganzem Herzen darüber,
dass man auf solch einem Theater, das nur für Nachspiele
scheint gebaut zu seyn, einen Goez spielen wollte. Doch
allmählich tieng ich an günstiger zu urtheilen, wenigstens
über den kühnen Entschluss, das Stück auf das Theater zu
bringen, wiewohl ich mit den Akteurs nur selten zufrieden
seyn konnte. Brückner riss mich bisweilen ganz mit sich
tort, aber er hatte seine Rolle nicht ganz studirt. Den
i,'7//(';/ i'briici.u'i! Goez machte er sehr mittelmässig, wusste
nicht die Rauhigkeit und Steifigkeit des gepanzerten Ritters,
und die Gutmüthigkeit eines ehrlichen Mannes in eines
zusammenzuschmelzen. Aber wt) er den HiigL'Sliiiiu'J!, hiirl-
uäckii^eii Go^.^ machte, da war er Meister. Ihn vor dem
Gerichte der kaiserlichen Räthe zu sehn, hätt einen allein
schon mit der ganzen \'orstellung wieder aussöhnen können.
Kliiitgi' machte den Sickingen, Müller den Selbitz, beyde
Die erste Aui-führung d^ Götz von Bhrlichingen. 95
verdarben \ielc Stellen, abei' die Scene, wd Seibit/ ver-
wundet neben dem W'artthurm lici^t, machte Müller L^apy
unxerbesserlich, alles in seiner Aktion war studiert, und
doch glaubte man nichts als Natur zu sehn. Hs schien als
ob er die ganze übrige Rolle über dieser Scene vergessen
hätte. — Kloiscb machte seinen Georg, und llliböft den
Lerse ganz erträglich. — Weder Md. Starke, als Elisabeth,
noch auch Md. Heiiisch [1. Hoiisrb] , als Maria trafen den
Charakter ihrer Rolle genau. Md. Spnigh'r affcktirte [als
Adelheid]. Die letzten beyden schienen ihre Rolle öfters
über dem Parterre zu vergessen. Gar sehr niedlich machte
die kleine IJ'itböfU'ii den Karl, nur Schade ! dass Maria hier
gar nicht das war, was sie seyn sollte. Heiiiscb [1. Heuckc,
Henisch ist Irrthum] spielte seinen W^eislingen nur mittel-
mässig. Ueberhaupt hab ich es an ihm und mehrern andern,
in diesem und andern Stücken, sehr unerträglich gefunden,
dass es ihnen öfters einfällt, Brücknern zu kopiren. Das
Tischgespräch an der bischöflichen Tafel machte unaus-
stehliche Langeweile, und das war wohl die Schuld der
Akteurs nicht. \'ielleicht lachen Sie über meinen Geschmack,
wenn ich Ihnen sage, dass mir die Zigeunerscene gar aus-
nehmend wohl gefiel, obgleich andre um mich her weg-
sahen und ausspuckten bey den Worten — »da zwev
Feldmaus«. — »Ich wiTl sie dir abziehn, und braten, und
sollst eine Kapp haben von den Fellchen«. — Ich konnte
ja das geschehn lassen, und doch bev meinem Urtheil
bleiben, denn — ich war ja nur aus der Provinz. — Nichts
fiel elender aus, als das heimliche Gericht. Stellen Sie
sich nur vor, das: »Weh! Weh! Weh!« und das: »Klage!
Klage! Klage!« in einem Tone wie in einer Knabenschule
nachgebetet. Hätte man doch wünschen mögen, dass Goez
die Leute, wie die Bürgerwache vorher, vom Theater
gejagt hätte. — Doch es war — und es ist meine Absicht
gar nicht, Ihnen eine vollständige Kritik über die Aufluhrung
96 Abhandlungen.
des GüLV. /LI schreiben, ich wohie Ihnen nur überhaupt
sagen, dass ich, eh icli das Stück sah, gar nicht glaubte,
dass es möghch sey, es auf die Bühne zu bringen, und
dass ich jetzt glaube vom Gegentheil überzeugt zu seyn.
Nur frevlich würden die Bedingungen hart seyn. Wäre
das Theater noch einmahl so gross, als das Leipziger; die
Gesellschaft stark genug, die Rollen alle gut zu besetzen,
gesetzt auch, dass manche doppelte Kollen nehmen müssten
(wie es auch in Berlin so war); und wäre denn eine W-r-
sammlung von Zuschauern zugegen, die sich nicht durch
süsse französische Sitten inul Theatertheorien verwöhnt
hätten, die den Schakespear genug gelesen, um sich daran
zu gewöhnen, dass man bald hier ist, bald dort, und Sprünge
von jähren zwischen manchen Scenen machen muss : so
wollten wir sehen, was Gocz tür Eindruck machen würde.
.\ber auch diese Bedingungen nicht ganz ertüUt, lässt er
sich auf dem Theater ertragen, und vielen wollt ich auch
wohl versprechen — mit Lust sehen. Überhaupt aber
muss ich Ihnen gestehen, dass die kochische Gesellschatt
im Ganzen nicht so gut mehr zu Berlin ist, als ich sie zu
Leipzig gesehen habe«.
Dieser Brief lässt warmen Antheil des ungenannten
Schreibers, der sich nur »G — s — r« zeichnet, und gesunden
Sinn entnehmen, obwohl wir ihn an 'dem, was ihm besonders
gefiel, als Kind seiner Zeit erkennen ; auch sein Geschmack
ist für den Götz noch nicht gereift genug. Schade, dass
er nicht die Absicht hatte, eine vollständige Kritik zu
geben; es hätte interessirt, sein Urtheil auch über die
anderen Rollen, zimial den Martin und l'ranz, die Herren
Martini und Qiitujno, zu hören. Bei allem seinem Tadel
im einzelnen, erschien ihm das ganze Experiment als wohl
gelungen.
Den geraden Gegensatz hiezu bildet das Urtheil Nicolais
in einem (ungedruckten) Briefe an den Freiherrn von Gebier.
DiH ERSTE Aufführung d^ Götz von Berlichingen. 97
Nicolai hatte in seine »Bibliotiiekc* noch keine Recension
über den Götz eingerückt; erst drei Jahre nach dem
Erscheinen Heferte Hschenbiu'g eine diplomatisch ge\vundene
Kritik dafür und machte sich zum Echo Nicolai's, indem
er über »die theatralische N'orstellung«, die manche Leser
dem Stücke vorher kaum zu weissagen sich getraut hätten,
äusserte, sie sei mehr «ein Beweis von dem sehr zu ent-
schuldigenden Hiter unsrer Theateraufseher für ihren
\'ortheil, als von der Schicklichkeit des Stücks zur Aut-
führung«, die er demselben, der wirklich geschehenen
Autfuhrung ungeachtet, dennoch nicht zugestehen könne.
In dem erwähnten Briete vom 8. October 1774 — den
ich nur aus dem eigenhändigen Concepte kenne — urtheilt
Nicolai ähnlich: »Götz von Berlichingen ist allerdings in
Berlin mit grossem Zulaufe aufgeführt worden, vielleicht
hatten die Kleider und Harnische, ganz neu und im voll-
kommenen Costüme gemacht, an diesem Bevtalle eben so
viel Antheil, als etwas anders. Im Ganzen wurde das
Stück nicht schlecht aufgeführt. Bloss die Person des
ehrlichen Martins (welcher nach des Verfassers Willen
Martin Luther seyn soll) war schlecht besetzt [durch Hrn.
Mtirlliii]. Das Sonderbarste ist, dass selbst Prinzessinnen und
Hofleute, die durchaus tranzösisch sind, den Götz besucht
haben. Aber wie ich schon gesagt habe, die alten Kleider
und Harnische, trugen auch das ihrige be}'. Das berlinische
Publikum ist übrigens (wie fast alle Publika in der Welt)
ein vielköptigtes Ungeheuer, davon sich einige Kopie mit
den teinsten Säften der besten Pflanzen nähren, die meisten
aber Distel und Stroh tressen. Berlin lief vor wenigen
Monaten dem Bischof von Lisicux [Eveque de Lizieux von
Voltaire, 1772] und dem G('/^ zu, und itzt läuft es der
Megäre eines gewissen Hafners aus Wien nach, die sogar
mehr als einmal auf hohen Befehl gespielt worden ist. Einige
aus Prag angekommene Schauspieler hatten sie auf das
Goethe-Jaürblch II. 7
9«^ Abhandlungen.
Ihcatcr i^cbraclu. jedermann .schämt .sich in die Mogare
zu gehen, und doch wenn sie gespielt wird, ist das
Hans voll«.
Wie es Nicolai als ausgemacht galt, dass der Haupt-
erfolg des Götz der Schaulust des Publikums zu danken
sei, so auch Lessing, der bekanntlich in einem Briefe an
seinen Bruder sagte : »Dass Götz von Berlichingen grossen
Beifall in Berlin gefunden, ist, fürchte ich, weder zur Ehre
des Verfassers, noch zur Ehre Berlins. Meil [der Zeichner
der Gostüme] hat ohne Zweifel den grössten Theil daran.
Denn eine Stadt, die kahlen Tcinen nachläuf't, kann auch
hübschen Kleidern nachlaufen«. Ereilich erkennt Lessing
ganz wohl, dass man von dem Stücke nicht, wie Ramler,
französisch lu'theilen dürfe.
Das Stück war aufgeführt. Das galt aber noch nicht
für einen Beweis der Aufiührbarkeit. Der \'erfasser der
Bisarrerien sagte noch Jahr und Tag nach dem 12. April 1774 :
»Wenn aber das keine Predigt ist, die nicht gehalten wer-
den kann, so kann auch das gewiss kein Schauspiel heissen,
dessen Auflührung, die Stadt Berlin mag es mir verzeihen,
unmöglich ist ; wenigstens so lange, bis man die Eigen-
schaften eines guten Schauspiels gänzlich vergessen hat«.
Dagegen herrschte natürlich im Lager von Goethe's
Anhängern eitel Ereude und Jubel über den gelungenen
Versuch des Director Koch. \'on Goethe selbst hat sich
keine gleiclizeitige Äusserung darüber erhalten. Aber
Schubart begeistert sich in seiner Deutschen Ghronik zu
dem Satze: »Ausserordentlich hab" ich mich gefreut, als
ich vernahm, dass Göz von Ik-rlichingen mit der eisernen
Hand, dieses Schauspiel, welches hundert französische imd
die meisten deutsche aufwiegt, in Berlin, diesem Tempel
des guten Geschmacks, nicht nur dreimal nach einander
mit dem grösten Beifalle aufgeführt worden, sondern auch
auf \'erlan!j;en wiederhohlt werden musste. Wie patriotisch
Die erste Aufführung qjss Götz von Berlichingen. *)*)
klopft mein Herz bc\- dieser Xachricht ! Sollte nicht einmal
das dciitscI.H' Publikum an komischen Opern, an Tragi-
komödien, diesen Missgeburten des Ausslandes und an leeren
Farcen satt haben, und unsre ersten Genies Klopstock,
Göthe und Lessingen bitten, uns mehr patron\"mische Stücke
zu liefern, wie Hermannsschlacht, Göz und Minna? — Alle
ijebrechliche Seelen aber, die am Göz von Berlichingen
keinen Geschmack finden, empfehl ich hiemit dem Laza-
rethe des Cervantes, unten an dem Fusse des Parnasses«.
Und in einer Anmerkung erwähnt er die Anekdote, der
Graf Schm *** am Churpfälzischen Hofe, der sich durch
sein Herz, seinen Geschmack und seine Erlahrungen vor
Tausenden auszeichne, habe, als man ihm den Göz vor-
gelesen geäussert : »Ich weiss nicht, ob ich lieber den
ganzen X'oltär oder dieses eifi:;jge Schauspiel gemacht haben
möchte«. Schon im Beginn des nächsten Jahres findet
sich in Schubarts Zeitschrift die Nachricht: »Unsers Göthe
Meisterstück, Götz von Berlichingen ist ins Englische über-
setzt worden, und wird nächstens in London aufgeführt
werden. Ein deutsches Schauspiel in London, wo Shakespear
seine Riesenstücke zuerst vollendete! Was muss man nicht
erleben ! Bin doch sehr begierig auf die Wirkung, die diess
herrliche Stück in London hervorbringen wird«. Auch ein
anderes Blatt, das »Fränkische Magazin zum Nutzen und
\'ergnügen« verzeichnet 1775 das Gerücht von der beab-
sichtigten Londoner Aufführung. Ob eine solche wirklich
zu Stande kam, vermochte ich nicht zu ermitteln. Die
beiden grossen englischen Zeitungen The Gentleman"s und
The Scot Magazin nennen Goethe bis in die neunziger
Jahre nicht ein einziges Mal und bieten auch wegen der
Uebersetzung des Götz keinen Aufschluss. Nach freund-
licher Mittheilung des Herrn ]. W. Appell in London versah
Miss Rose D'Aguilar ihren 1795 oder 1799 erschienenen
»Goetz of Berlichingen. Historical Drama from the Ger-
100 Abhandlungen.
niiin c)t Goethe (^ mit der Bemerk iiiig »ncver acted«, die
Wühl auch die Wahrscheinhchkeit tür sich hat.
Sei dem wie ihm wolle, jedenlalls hatte Goethe's Erst-
lingswerk in Berlin die Feuerprobe bestanden. Die Bühnen
von Hamburg und Mannheim hatten die Xachahmuiii; von
Kochs Wagnis nicht /u bereuen. Ueberall erntete das
Stück den grcissten Beitall. Und als später 1786 in Frank-
ku-t a. M. der GöV/. aufgeführt wurde, da hatte F'rau Aja
»ein herzliches Gaudium an dem ganzen Spektakel« und
freute sich auf die vom darmstädtischen Erbprinzen begehrte
Wiederholung, »das wird ein Spass seyno.
Heute dürfte das Werk kaum im Repertoire irgend
einer Bühne fehlen. Wem es aber vergönnt war, im Wiener
Burgtheater die liebevolle, technisch fast raffinirte Be-
arbeitung Dingelstedts mit der bis ins Kleinste vorzüglichen
Besetzung zu sehen, den wird wieder eine Begeisterung
überkommen, welche der Wirkung des Götz auf die Jugend
von 177^ und 1774 nichts nachgibt. Es hat sich ein
Umschwung in allen Anschauungen vollzogen, der kaum
grösser ü:edacht werden kann. Das Publikum fühlt sich
nicht mehr gequält durch den raschen Wechsel der Scenerie,
empfindet nicht mehr peinlich die grossen Zeitintervalle
zwischen den einzelnen Begebenheiten, sieht nicht mehr
eine lose Reihe von Episoden, die nur zufällig zu Götz in
Beziehung gebracht sind, sondern es erwärmt sich tür ein
grosses Kunstwerk, das es zu lassen vermag, tolgt mit
gespanntester Aufmerksamkeit dem Leben eines braven
deutschen Mannes und so ist die Prophezeihung des Magus
aus Xorden in Erfüllung gegangen: der Götz ist die Morgen-
röthe einer neuen Dramaturgie geworden.
I
II. Forschungen.
I. Aeltere Gestalten Goethe'scher
Gedichte.
MiTTHEILUXGHN UND NACHWEISE AUS HeRüER's
Papieren
VON
Bernhard Suphan.
or fünf Jahren veröffentlichte ich unter einem ähn-
lichen Titel ' Stücke eines Fundes , den es mir
glückte unter den Handschriften Herders zu machen.
Es waren Abschriften, die Herder von einer grösseren
Anzahl lyrischer Gedichte und Epigramme Goethe's genom-
men hatte, ehe sie unter der umbildenden und glättenden
Hand des Meisters die Form bekamen, in welcher sie sich
zuerst einem weiteren Leserkreise darboten. Bei der Aus-
wahl der Stücke und bei den Betrachtungen, mit denen
ich sie begleitete, kam es mir darauf an, die Maximen,
denen der Dichter bei der letzten Bearbeitung gefolgt war,
^ Goethe'sche Gedichte aus den siebziger und achtziger Jahren
in ältester Gestah. Zeitschrift für Deutsche Philologie VII. 208—257.
(Sonderabdruck. Halle, 1876.) Berichtigung a. a. O. 455 — 458.
104 FORSCHUNGEK.
ins Licht zu sct/cn. Auf den W'crth, den die LjetLuidenen
Blätter in einzelnen 1-ällen für die Sicherung des Textes
oder für die Chroncilogie der Gedichte haben möchten,
begnügte ich mich im allgemeinen hinzuweisen". Ich
wählte also zu Belegen fast nur solche Gedichte, deren
Erstlingsform bisher unbekannt war, und behielt eine grös-
sere Anzahl im Rückstande, die in einer oder mehreren
älteren Gestalten schon früher an den verschiedensten
Stellen veröffentlicht waren und zum guten Theil eben
damals durch Hirzel undBernavs bequem zugänglicli wurden.
Den Gedanken, \'arianten zum »Jungen Goethe« zu geben,
Hess ich bald fallen. Ausgehoben und einzeln an einander
gereiht verlieren die Lesarten iliren eigenthümlichen A\'erth ;
sie müssen mit dem Ganzen in überschaulicher Weise ver-
bunden sein. Zu der kritischen Ausgabe der Gedichte, die
G. V. Loeper vorbereitet, werden die Abschriften eine werth-
voUe Beisteuer liefern. Ich gedenke also auch dieses i\Ial
nur eine Auslese zu geben und einzelne Lesarten nur sofern
sie als Belege zu allgemeineren Betrachtungen dienen, mit-
zutheilen, zu Beobachtungen, die sicli zumeist auf dem früher
' Duh Lied ijRastlosc Liebe« tragt bei Herder die Ui-iterschritt :
Ilmenau, 6. Mai 1776. Man hat es früher, wegen des Schnee- Regen-
und Wind-Unwetters in den Januar gesetzt. Im Mai 1879 '""^^ *^s in
Ihnenau zwei Tage lang geschneit. Das mag auch sonst dort kein
seltenes Maiwetter sein. Die älteste Form bei Herder hat folgende
Varianten gegen den Text von 1789: Z. 4 Wolkneheldüfte (1789: Durch
Nebeldüfte) 9. 10 Als alle die Freuden i| Des Lebens zu tragen. 15
Wie? soll ich fliehen? 18 Leitstern des Lebens. Zu der Aenderung in
Z. 4 bemerke ich, dass Goethe die doppelt zusammengesetzten Substan-
tiva 1789 in den Liedern und Oden wohl sämmtlich beseitigt hat
("Frühlingslebenspracht, Eislebenslied, Morgenschlossenwolken), während
er früher (besonders 1772—78) eine Neigung zur ^^^oXvu'/.oxnt der
\\'orte« hat. Ueber die hiterpunktion von Zeile 15 habe ich in einer
Anmerkung zu Herder (4, 490) einiges zusammengestellt. Das »Wie ? « des
sich besinnenden bildet nach dieser Auffassung den^^'endepunkt desCiedichts.
B. Suphan: Aeltere Gestüten Goethe'scher Gedichte. 105
mir gestreiften Gebiete des Geschichtlichen und Sprachlichen
bewegen sollen. Hinige Stücke habe ich noch nach dein
ersten Funde entdeckt, darunter auch unbekannte Hrstlings-
t'ormen. Es ist nun jedes Blatt des Nachlasses umgewandt,
und weiteres nicht /u erwarten.
I.
Goethe schreibt an Caroline Herder den 21. Septem-
ber 1781: »Morgen in aller Frühe geh ich nach Dessau . . .
Ich werde bald und um so lieber zurückkehren, da ich von
Euch Eures freundlichen Empfanges versichert bin. Herder
hat von meinen Gedichten verlangt. Hier ist alles, icas ich
einmal zusammen geschrieben ; es fehlen eijiige, die folgen sollen.
Lassl sie niemand sehen »\ Ohne Zweifel ist es damals
geschehen , dass Herder, der gern alles Gelesene schwarz
auf weiss behielt und recht darauf aus war »Erstlings-
abdrücke der Seele eines Dichters« zu sammeln ^ sich ein
kleines Goetheliederbuch zusammenschrieb. Es musste in
Eile geschehen, wahrscheinlich bis zur Rückkunft des Dich-
ters; noch bestand zwischen ihnen nicht das rückhaltlose
\'ertrauen , das zu einem langen Behalten der geliehenen
Blätter berechtigt hätte. So erklärt sich denn zur Genüge
die Beschaffenheit der ältesten Sammlung. Es sind 36
Gedichte, mehrere von bedeutendem Umfang, zusammen
ü-edräni7t auf sieben Blättern eines in Octav "elei^ten Bogens'.
' Aus Herders Nachlass 1,67. Auf diese Stelle bin ich von
Michael Bernays aufmerksam "emacht worden, bald nach dem Erscheinen
der alleren Abhandluno. Zeitschr. f. D. Ph. VII, 455.
^ Herder, Vom Erkennen und Empfinden S. 57. (1778).
' Das gleiche Hauspapier, wie es Herder zum Concipieren und
/.um DrucU-Manuscript der Schrift vom Geist der Ebräischen Poesie
und anderer Schriften von 1781 — 82 gebraucht. Das letzte Octavblatt
ist abgerissen. Die Reihenfolge der (nicht gehefteten) Blätter Hess sich
iius Merkmalen der Schrift verlässlich bestimmen.
io6 Forschungen.
Der Charakter, wenigstens die Haltung der Schrittzüye
wechselt einiije Mal; schon aul der /weiten Seite nehmen
die Abkürzungen überhand, deren sich Herder bei Collec-
taneen zu bedienen liebt. Alles ist in einem raschen Tempo,
mit Absetzen und in Pausen, an verschiedenen Tagen jeden-
falls, geschrieben. Zuerst (jedichte von ernstem, würdigem
Inhalte, nachher manches ziu- Herzensgeschichte des Dichters,
zuletzt auch ein paar leichtere Stücke.
Ich habe trüber, mit Beziehung auf Herders Antheil
an der \'orbereitung der ersten Ausgabe von Goethe's Wer-
ken, die Niederschrift der meisten Gedichte in den Sommer
1786 verlegt und in dem letzten Blatte einen Nachtrag aus
dem Jahre 1788 gesehen. Ich ging bei dieser Annahme
von dem siebenten Blatte aus. Unter den Gedichten der
letzten Seite befindet sich nämlich die kleine Schnurre »Der
Segen wird gesprochen« (3,208)', die uns in einem am
16. Februar 1788 an Fritz von Stein geschriebenen Briet-
chen erhalten ist. Goethe sendet die \'erse mit dem Aut-
trage, »diesen Abendsegen Flerders und dem Fräulein
von Göchhausen zu recitieren.(» Sie würden, erzählt er,
um den Maler Fritz Bin'\' zu necken, Abends, wenn der
junge Künstler einnicken wdIIc, hergesagt; für ihn, der aus
seinem Abscheu gegen alles Nordische kein Hehl machte,
seien die Kinderreime »Die Zwillinge sind in der Nähe»
abgeändert. l:s hat lüernach iVeilich den Anschein, als
wären die Keime in Rom gemacht; mit Nothwendigkeit
indessen lässt es sich aus dem \'orangehenden nicht folgern.
Der Scherz konnte älter sein und doch wirken, als wäre
er just tür den guten Bur\' gereimt; und dass Herder die
Zeilen vor Jahren gelesen und abgeschrieben hatte, durfte
Goethe, als er in Rom sass, wahrlich \ergessen haben.
Mein Zweifel an der Jahreszahl 88 gründet sich lediglich
' Ich citicrc n.icli der Hcmpcrschcn Ausgabe.
B. SupiiAM : Aeltere GESTAii^N Goii the'scher ükoichte. 107
auf die Stelle und Reihentolij;e, die das Gedicht bei den
Ilerder'schen Abschriften einnimmt. Es tollten aul den
» Seij;en « noch drei kleine Stücke : Nicolai aut Herder's
Grabe (1775. 3, 198)', dann das sonst nicht als von Goethe
herrührend beglaubigte »In Siegestrieden ruhe , Heldeii-
gebein«, und »Wanderers Xachtlied«, am 6. September 1780
auf dem Gickelhahn gedichtet. Wie sollte Herder dazu
gekommen sein, im März 1788 diese drei kleinen älteren
Sachen nachzutragen ^ und woher hätte er eben damals die
Vorlage, zumal zu dem Spottgedicht auf Nicolai, entnom-
men ? Wahrscheinlicher jedenfalls, dass der »Segen« zu
den alten Stücken gehört. An den ^6 Gedichten besitzen
wir demnach eine auf ein Mal zusammengebrachte Samm-
lung. Die meisten Stücke, welche sie enthält, können wir
nach Jahr und Tag bestimmen, und diese vertheilen sich
auf die Zeit von 1771 (»Kleine Blumen, kleine Blätter«)
und 1772 (Wanderers Sturmlied) bis 1780 (Wanderers
Nachtlied). Auch so bestätigt es sich, dass wir die Copien
vom September 1781 \-or uns haben. Wichtig ist dies iür
die Zeitbestimmung einzelner nicht fest datirter Gedichte,
für welche nun w^enigstens ein terminus ad quem ermittelt
ist. Es sind dies folgende:
I. Ode. (Grer.zen der Menschheit) i, 164.
' Herders Copie bringe zu den beiden mir bekannten Fassungen
der muthwilligen Reime eine mehrfach abweichende dritte. So lautet
V. 7 bei Herder: »Er setzt nothdürftig sich aufs Grab«; im Jungen
Goethe: »Der setzt sich nieder auf das Grab«, in der Hempel'schen
Ausgabe: »Er setzt gemächlich sich auf's Grab«.
- Das im Februar 1788 nach \\'eimar gesandte Gedicht: »Cupido,
loser, eigensinniger Knabe« (S. 463. 473 in Düntzers Ausg. der Ital.
Reise) hat Herder auf einem Blättchen besonders aufgeschrieben. Zeile
IG lautet: »Ich such und bin wie blind und kann mich nicht finden«
(später: ound bin wie blind und irre geworden«).
lo8 Forschungen.
2. (Wonne der W'ehniuth) 'l'rocknct nicht! trocknet
nicht. 1,62'.
3. Ginnmed. i, 163.
4. Menschengefühl. Ach ihr Götter! grosse Götter
(i, 168. 18 15 gedruckt).
5. KönigHches Gebet. Ha ich bin Herr der Welt,
(i, 168. 1815 gedruckt).
6. Heiliger, lieber Luther. (5,276. 1836 gedruckt).
7. Ich armer Teufel, Herr Baron. (3,109. 1795
gedruckt).
Für »Ganvmed« und »Grenzen der Menschheit« ist die
chronologische Bestimmung von besonderem Belang. Es
bestätigt sich, dass die »Oden« mit dem Jahre 1781
abschliessen. Die dem Inhalte entsprechenden Ueberschritten
haben sich erst, als das Manuscript zum Gedichtbande
zusammengestellt wurde, gefunden. Anfänglich begnügte
sich Goethe mit der generellen Bezeichnung ^.
Die Ode »Grenzen der Menschheit« gehört zu der
kleinen Zahl der Auserwählten, welche fast ohne Aenderung
in das Gedichtbändchen vom Jahre 89 übergingen. Eine
unscheinbare Aenderung, doch bemerkenswerth aus einem
im weiteren \'erfolg näher zu erörternden Gesichtspunkte
ist es, wenn in Z. 17. 18 später eine andere \'ertheilung
eintritt :
17S0: 17^9:
Nir.Ljentls liaften Nirgends haften dann
Dann die unsichern Solen Hie unsicliern Sohlen.
' I. und 2. bilden den Anfang der Sammlung. Zwischen 5. und
4. steht das «Eislebens-Lied« (1,44; seit 1789 betitelt: Miith); 5. schliesst
sich auch in der Sammlung an 4. an, 7. steht, als fiinftletztes Stück,
vor den Reimen: »Der Segen wird gesprochen«.
- Auch »Wanderers Sturmlied« bezeichnet C.octhe einlach als
OJc. J. G. 5. 5.S.
B. Suphak: Aeltere Gestalten Goethe'scher Gedichte. 109
Eine zweite \'erschiedenheit aber ist für die Auslegung von
unverkennbarer Wichtigkeit.
Ein kleiner Ring
begränzt unser Leben
und viele Geschlechter
reilien s/e daurend
an ihres Daseyns
unendliche Kette.
Die drittletzte Zeile liest man seit dem ersten Druck (1789) :
» reihen sich dauernd «
Dass Herder seine Vorlage falsch gelesen habe, ist eben
so wenig anzunehmen , als dass er sich verschrieben hat.
Es ist das erste Gedicht, das er copirt hat, und ausser »und«
hat er nichts darin abgekürzt. Selbst aut den flinker geschrie-
benen folgenden Seiten allen hnden sich kaum zwei bis drei
Versehen'. Herder war — dank seinem Dienst bei Trescho
— ein gewandter und genauer Abschreiber. Hat aber Goethe
ursprünglich so geschrieben, wie wir es bei Herder linden,
so wäre über den Sinn, den Er in diese Stelle gelegt hat,
nicht mehr zu streiten — der Dichter müsste denn, was
sonst nicht seine Art ist, mit der Aenderung eines Buch-
stabens eine totale Aenderung des Gedankens beabsichtigt
haben. Bei Herders Lesart kann nur die ältere und — nach
meinem Gefühl — einfachere Deutung bestehen, welche
»ihres Daseins« vom Dasein der Götter versteht. Eine
neuerdings tein und scharfsinnig vorgetragene Auslegung '
' Verschrieben ist in den XacbtgcJdiikeii (i, 180) das letzte Wort
(vergessend f. vergessen), ferner ein \\'ort in der Dritten IVallfahrt
(Schaumstürzend f. Schaumstürmendj. Uebersprungen eine Zeile in der
Ode ))Meine Göttin c Zweifelhaft, ob nicht auch blosser Lesefehler,
ist mir in »Wanderers Nachthed« die erste Zeile: »Ueber allen Gefihlenv.
^ Franz Kern in den Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik,
Bd. I2Ü. 1879. ''^- 196 fgg.
HO Forschungen.
will bekanntlich »ihres Daseins« aul die Geschlechter der
Menschen beziehen, wodurch denn die letzte Periode einen
Sinn erhalt, der im tiefsten die Cirnndidee des Gedichts
berührt, das Ck-fühl von der Beschranktheit der Menschen-
natur. »Was ist der Mensch, dass Du sein L;edenkst«'.
Das kecke Lied »Ich armer Teutel« ist, wie bekannt,
in das dritte Buch von \\'ilhelm Meisters Lehrjahren ver-
flochten (Kap. 9)'. An diesem Buche arbeitete Cioethe schon
i. ). 1781; die Linlage aber ist wohl älter, es spukt etwas
darin von der ausgelassenen Laune der ersten Weimarer
Zeit. »Die Stimnien über dieses Gedicht« — heisst es
im Koman gleich nach der Mittheilung — »das in einigen
fast unleserlichen Abschriften sich in verschiedenen Händen
befand, waren sehr getheilt, auf den \'eriasser aber wusste
niemand zu muthmassen«. Seltsam, wie hier Dichtung
und Wirklichkeit sich begegnen. Bequem zu lesen ist
die eine noch \orliegende Abschritt keineswegs. Die
durch sie erhaltene Lrstlingsform hat folgende l:igen-
thümlichkeiten (die spätere Lesart v. ]. 1795 rücke ich in
eckigen Klanniiern bei):
Str. I. 2.3. IJeneide sie um ihren Stand
Um ihren Platz so //oi// [nahj am Thron
5. um ihres Vaters hrm'cs [festes] Schloss
Str. 2. 5. 6. J( h ward mit leichter Müh "^ [leiclilem Muth] und Kopf
zwar arm. docli nidit ein armer Tro])}.
' Tagebuch, dun 10. Dcc.1777. Aul' dem Brocken. (P.s.ihiuS, )j— Auch
in den Briden dieser Jahre öfters das gleiche Gefühl im einfachsten Aus-
druck: »\\'ie eingescliränkt ist doch der Mensch!«
- Goetiie's neue Schriften. i79). I^ . 106 ig.
? J. G. 2, ^•': i'.Mles Leid und Freude der Natur«. Wanderers
Naclnlied 1789 (\'II1, i^f): »Alles Leid und Schmerzen stillest«
»Was soll all der Schmer/ und Lust?« vgl. j. G. 5, \^\. ;)Verlangend
nach geringem Trank und Speise«. Ged. 1. 125 (1784).
B. Suphan: Aeltere Gestalt^' Goethe'scher Gedichte. II l
Str. 3. 3. 4. Sie blielien des Herrn \'aters Sohn
ich bhebe [und idi bUeh] meiner Nfutter Kind.
Die letzte Zeile wäre \ielleieht besser unverändert i^eblieben.
Die Samnilunu der :;6 enthält auf dem letzten Blatte
drei Gedichte, mit denen es eine eigene Bewandtnis hat.
Ich habe sie am Schlüsse der ersten Publication mitgetheilt
(S. 26 — 27) und bin auf die dort angeknüptten Bemerkungen
in einer Berichtigung zurückgekommen. Die Frage nach
dem \'erfasser scheint erledigt bei dem ersten , der Ode :
»Umschwebst du mich, Götterbild«, da es in Friedrich
Hildebrand von Hinsiedeis Neuesten vermischten Schritten
gedruckt ist'. Das zweite, » Schotlisrhes Lied: Mir ist, als
müsst' ich dir was sagen «^ hat sich handschriftlich, mir
Kavsers Coraposition und der Unterschritt »Kliiiger 29. Sept.
IJJJ«- in Zürich gefunden-. Klinger war im Sommer und
Herbst 1776 in Weimar; es lässt sich annehmen, dass eine
Abschrift desLiedes damals unterGoethe'sPapiere gekommen.
Das dritte ist zur Zeit noch herrenlos: »Als iiiif einen/
Landgiite Iwi Koppenhageii drei Urnen gefunden wurden. In
Siegestrieden ruhe Heldengebein«. Es ist so kurz wie edel
einfach"*. Ich gestehe, dass ich nach manchem »Choc und
' Dessau I7(S4. H, 45- Ebenda freilich auch S. 84 Goethe's
Zigeunerlied »Im Nebelgeriesel, im tiefen Schnee«. Das Motiv der
Ode, das «vorschwebende Bild der Geliebten c, erinnert an Goethe's
Lieder an Lili (a. a. O. S. 27 fg.). kann aber auch durch Klopstocks
Edoiie (1771) gegeben sein. j>Dein süsses Bild, Edone, Schwebt stets
\or meinem Blick . . . \'er\vandle dich Erscheinung, Und werd" Edoiie
selbst«. Klopstocks Lied, auch in der Situation nicht unähnlich, bewegt
sich ganz um diese eine Vorstellung.
^ Zwischen i. und 2. steht »Rastlose Liebe«, vor i. steht »Gretcheiis
Lied : Meine Ruh ist hin«.
3 Burckhardt, Goethe und der Componist Ka\ser. 1879 ^- 7'^- '*^^-
■* Ich verglich a. a. O. »Geistesgruss« J. G. 5, 151. Die \'erehrung
der »starken« Ahnen und ihrer »Riesengebeine« auch im Reisetagebuch.
October 1775, }. G. ^,698.
112 Forschungen.
Gegenchoc« der kritischen lürwä^iing über das Urneiii^edicht
nicht ins Reine i^ekoninien bin, auch die (\le »Aiit der
Jaii;d « möchte ich nicht so unbedini^t, wie in der » Berich-
tiguni^« Kinsiedel zusprechen.
»Es fehlen einii^e, die ti)li,'en sollen« bemerkt Goethe
bei der Senduni;. \'ielleicht hat der \ersprochene Xach-
schub , die »/weite Schwingung« /u einer kleineren
Kollection von neun Nummern gefühii, welche ich nach-
träglich aufgefunden habe. Sie stehen, gleichfalls mit Abkür-
zungen geschrieben , auf einem in Octav gelegten \'iertel-
bogen von dem feineren Papier, welches Herder zu dieser
Zeit zur Reinschrift der Briefe über das Studiiun der Theo-
logie gewählt hat. Es sind folgende Gedichte:
1. »Euch bedaur' ich, unglückseelgen Sterne«. Im
Tiefurter Journal Stück 6 (1781). »Nach dem
Griechischen«. 1789: »Nachtgedanken«.
2. »Selig bist du, liebe Kleine«. Tief. Journal St. 9.
»An die Heuschreke. Aus dem Griechischen«.
1789: »An die Cicade«.
3. »Einen wohlgeschnitzten [vollen] Becher«. Tief,
lournal St. 9. »Aus dem (jriechischen «. 1789
»Der Becher«.
4. »Unter Wielands Büste. Wenn zu den Reihen der
Nymphen«. 1789: »Geweihter Platz«.
5. »Edel sei der Mensch«. Tief. Journal St. 40 (1782).
1789: »Das Göttliche»'.
6. »Welcher Unsterblichen«. Tief. Journal St. 5
»Ode«. Gedichtet d. 15. Sept. 1780. 1789: »Meine
Göttin«.
7. »Als Minerva jenen Liebling«. 1789: »Die Nektar-
tropten«.
■ Ohne Uobcrsclirilt auch der erste Druck ;uil den ersten Blättern
von Fr. [actibi's Spinozabüclilein 1785.
B. Suphan: Aeltere Gestalj-en Goethi^'scher Gedichte. II3
8. »Es saiii^cn die Parccn ein ^rauscnd Lied«. (Iphi-
genia 4, 5).
9. » Du bist Eins und lebendig gezeugt — und da sein
wird«. Aus der Dritten Wallfahrt nach Erwins Grabe.
Gehet. Der junge Goethe 3, 694 fg. WW. 28,354.
Mit Ausnahme des letzten (prosaischen) und wahrschein-
lich noch des fünften Stücks, der Ode, die nach einer
annehmbaren \'ermuthung von Loepers in das Jahr 1775
gehören möchte', sind es lauter neue Saclien aus den Jahren
80 und 81. Die Nummern 6. i. 2. 3 sind, vom Oktober 81
ab, im Tiefurter Journal erschienen. Herder bekam das
Journal als iMitarbeiter, man sieht nicht, weshalb er sich
noch i. J. 1782 die unnütze Mühe gemacht haben sollte,
sich Gedichte abzuschreiben, welche er darin gelesen hatte
und besass. Aus dem Journal hat er sie keinenfalls abge-
schrieben. Das lässt sich z. B. an der dritten Nummer
nachweisen. Es tehlt, wie im Tielurter Journal, in Herders
Abschrift die vierte Zeile:
(rram und Sorg' auf Einmal zu vertrinken
die, wie es scheint, später(i789), der harmonischen Gliederung
in vier- und dreizeilige Perioden wegen, eingefügt ist. Auch
lauten an beiden Stellen die Zeilen 13 — 15
Da er Lyda [T. J. Lida] ]3ich mit sanfter Leitung
[1789: Neigung]
mir dem lange sehnenden geeignet.
^^"enn ich de///c lieboi Hüften halte
' Schnorr's Archiv t. Lit. Gesch. 5, 95 fg. Die Verniuthung stützt
sich hauptsächlich auf eine Stelle in Goet'ie's Brief an Johanna Fahimer,
10. April 1775. (J. G. 3,79) und auf die Thatsache, dass von der Mit-
theilung der Ode seit der Wiederherstellung des Einvernehmens zwisclien
Goethe und Fritz Jacobi nicht die Rede ist. Indessen könnte dieselbe
doch noch im September 1784, bei dem mehrwochentlichen Besuche
jacobi's in Weimar erfolgt sein.
GoETllR-jAHKhLCH II. O
114 Forschungen.
(wofür dann 1789 das feinere, doch als Gegenbild zu \'. i. 2.8
nicht mehr so anschaidich ausij;eprägte »Wenn ich deinen
Heben Leib umfasse« eintrat). Aber in der ersten Zeile
hat Herder statt des Wortes »vollen« drei Punkte gesetzt;
es muss in seiner \'orlage unleserlich gewesen sein oder
gefehlt haben.
Die \'erse »Unter Wielands Büste« sind in Halbzeilcn
gesetzt, wahrscheinlich wie aut dem Steine. Sie müssen,
nach der unvollkommenen Behandlung des Metrums zu
schlie.ssen, zu Goethe's frühesten \\'rsuchen im Hexameter
gehören. Yoy dem ersten Druck (1789) haben sie einige
geringfügige Verbesserungen erfahren. In geglättetem
Metrum brachte sie erst die Ausgabe v. j. 1806. Die
älteste Form lautet :
Wenn zu den Reihen der Nymi)hen
Die eine Mondnacht versammlet
Sich die Grazien heimlich
Von dem Olympe [1789: (Olympus] gesellen
Hier belauscht sie der Dichter
Und hört die schönen Gespräche
Sieht den heiligen Tänzen
Ihrer Bewegungen zu.
[1789: Sieht den freundlichen Tänzen, den stillen
Bewegungen zu ;]
Was der Himmel herrliches hat
Was glücklich die Erde
Reizendes hervorbringt
[1789: Reitzendes immer gebar]
Erscheint dem wachenden 'J'räumer
Dann erzählt ers den Musen
Und dass die Götter nie ht zürnen
Lehren ihn die Musen
Bescheiden Geheimnisse plaudern [1789: sprechen].
B. SUPHAN : AeLTÜRE GESTAJiTEN GoETHE'SCHER GeDICHTE. I I J
Es ist aiiftallcnd , wie vieler Xachhülle später noch die
daktylischen Gedichte im Metrum und (nicht immer Mos
aus Gründen des Metrums) im wiii-tlichen Ausdruck bedurft
haben. Fast scheint es, als habe sich hier die Sprache dem
Dichter nicht so willig ergeben, wie in allen andern b'ormen.
Auch Klopstock quält sich in seinen Epigrammen mit dem
Pentameter in einer uns kaum noch begreiflichen Weise'.
Die »Oden« dagegen und die »nach dem Griechischen"
in Trochäen gedichteten Stücke, sie sind im ersten Ciuss
so vollkommen gerathen, dass nachher nur noch hier und
da ein Strich mit der I-"eile zu thun war. Vollkommen
war gleich in erster Gestalt die Param\thie, die »das
schönste Glück, die Kunst« feiert; vollkommen bis auf
eine etwas ungelenke Fügung, die C^de, die der Dichter
seiner Göttin widmet^; ein einzelner Ausdruck ist veredelt
' Vgl. S. i6 Igg. in meiner ersten .\bh:indlnng. \\'eitere Belege
aus den in Herders Copie (die erst 1785 genommen sein kann) erhaltenen
Epigrammen lohnt es sich nicht hier zu geben, da Mehreres von den
älteren Gestalten bereits früher (von Scholl besonders) bekannt gemacht
ist. Düntzer hat (Aus Herders Nachlass i, 177) das Schlussdistichon von
»Herzog Leopold« aus Herders Papieren mitgetheilt, aber mit einem
sinnstörenden Druckfehler. Es lautet :
Sei dann hülfreich den Menschen, wie du es Sterblicher | nicht:
Sterblichen!] wärest
Den wir als Krieger geehrt, herzlich als Bruder geliebt.
Derselbe Druckfehler und ein anderer [de/// Menschen] dazu in der
HempeTschen Ausgabe 2, >. Die vier Distichen »An Frau Gen. Super.
Herder«: »Jugendlich kommt sie vom Himmel«, die Düntzer am gleichen
Orte zuerst veröffentlicht hat, sind wahrscheinlich nicht zu überschreiben
oD/V IFahrbcit«, wie dies in der Hemperschen Ausgabe (5, 122) ohne
jede Gewahr geschieht, sondern »Nemesis«. Sie scheinen auf ^'er-
anlassung von Herders .\ufsatz »Nemesis. Ein lehrendes Sinnbild«
entstanden (Herders Zerstreute Blätter (1786) 2, 219 — 281; vgl. besonders
221 — 25, 228 — 34) und begleiteten wohl das Manuscript desselben bei
der Rücksendung.
^ ^^ 48, 49: »Hiiii^Ci^'cii die armen .\ndern Geschlechter«. Kleinere
Aenderungeii V. 3: Niemand f. keinem. ^'. 7: seltsamen f. seltsamsten,
ii6 Forschungen.
in den ))XacluL;cdankcn « (V'. 9 »■wciloul in dem Arm der
Liebsten (( für »bleibend«); kaum eine Aenderung ist es zu
nennen, wenn in der Ode »Das Göttliclie« »unfühlend ist
die NatLU'<( gesetzt ward für das altere » unfühlbar«'.
Das »Lied der Parcen«, in der Abschritt eingeleitet
durch die letzten Sätze des Monologs, ist, wie die Oden,
recht dazu angethan, uns die Sicherheit desGetühls bewundern
zu lassen, das den Dichter in metrischen Dingen leitete.
Nicht ein Wort lautet anders, als die älteste Lassung v.J. 1779,
wie wir sie seit Adolf Stahrs Publication kennen". Aber
Herders Vorlage war bereits » in Verse geschnitten « :
Es sangen die Parzen ein graiisend J.ied
als Tantal fiel vom goldenen Stuhl
Die Alten litten mit ihrem Freund. — Ich hört es oft,
In meiner Jugend sangs eine Amme uns Kindern vor.
Es fürchte die Götter das Menschengeschlecht
sie haben Macht, und brauchen sie, wies ihnen gefälh.
Der fürchte sie mehr, den sie erheben
Auf schroffen Klippen stehnihre Stühle um den goldenen Tisch.
Erhebt sich ein Zwist, so stürzt der Gast
unwiederbringlich ins Reich der Nacht
und ohne Crericht liegt er gebunden in der Finsterniss
Sie aber hxssen sichs ewig wohl sein am goldenen Tisch
Von Berg zu Bergen schreiten sie weg u. s. w.
V. 11: Alle Liiunen f. alle die Launen, V. 19: Blunienthaler f. Blüthen-
thälcr u. s. \v. übergehe ich. Audi Ganyiiied (i, 163) hat in Herders
.\bschrift bis auf zwei Wonc (V. i: \\"\c im Morgenrotb, Y. 4: Lchms-
wonne) die seit i7(S9 bekannte Gestalt. Der Gesang der Geister über
den IVassern (1,141) ist .;n xwei Stimmen vertheilt, also ursprünglich
als IVecbselgeSiUig gedacht, wie «Mahomets Gesang«, aber sonst ebenfalls
der letzten Gestalt gleich; nur V. 10: der eivige Strahl, \'. 25: das
IViesthal (die süddeutsche Form, wie Wiesbaum: Steub, Drei Sommer
in Tirol 3, 7J.
' Vgl. Der Wandrer \'. 132 unkihlend, welchen Zierrath sie verklebt.
^ Goethe's Iphigenieaut Tauris in ihrer ersten Gestalt. 1839. '^- ' 'j- -)■
B. Suphan: Aeltere GestaIiVen Goethe'scher Gedichte. 117
ücbcnilt ist schon der Rhythmus xcrnchmbar, der sich in
der letzten Gestalt rein durchgesetzt hat. Um diesen zu
gewinnen, liess Goethe »Zeile vor Zeile, Period vor Pcriod
regelmässig erklingen«, wie er an bekannter Stelle erzählt.
Bei diesem W'rtahren mussten sich, und zwar besonders
deutlich allemal im Anfange der Perioden, die jambisch-
anapästischen Kurzzeilen ablösen ; und je reiner das Metrum
nun durchgeführt wurde , desto mehr gewann das Ganze
an Wohllaut und Adel des Ausdrucks, an sinnlicher Kraft
der Bilder. Die rhvthmische Physiognomie, so zu sagen,
ist schon in der prosaischen Urgestalt scharf ausgeprägt ;
ich vermuthe, dass die nordischen Lieder, welche Goethe
aus Herders Volksliedern in Irischem Gedächtniss haben
musste, bewusst oder unbewusst darauf eingewirkt haben.
Das »Zaubergespräch Angantvrs undHervors« oder »Voluspa«
oder der »Webegesang der Walkyren « mochte ihm im Ohre
summen, als das Lied der Schicksalsgöttinnen in seiner
Seele lebendig ward '. —
IT.
Drei einzelne Abschriften rühren von Caroline Herder
her, sie sind lanu;e vor der ersten Sammlunsj; gemacht und
ireben uns zwei grössere Gedichte : den Wandrer und den
' Die nordischen Lieder erschienen 1779 '"'' '-^•'itten Buclie des
/.weiten Tlieils, Angantvr und mehrere andre «skaldische« im ersten
Theii. Der Webegesang der Walkyren schon 1773 in den Blättern von
Deutscher Art und Kunst S. ^öfgg. Goethe hat von diesen Ueber-
setzungen gewiss mehreres schon in der Handschrift kennen gelernt;
des alten Angantyr gedenkt er noch in einem Briefe aus Italien; Rom,
7. Dec. 1787. WW. 24,446. Die Aehnlichkeit des Tonfalls, der bei
Herder übrigens eben so wenig wie bei Goethe mit Strenge beobaclitet
wird, ist im Ganzen unverkennbar.
Auf schroffen Klippen Stehn ihre Stühle Um den goldiien Tisch --
Umher wirds dunkel Von Pfeilgewölken Zu grosser Schlacht — .
Il8 Forschungen.
Klat^gesang von der cdcln Ir.uicn des Asan Aga. Als sie
den WandcfL-r abschrieb, war sie noch »die Flachsland«,
Herders Braut. »Meine Schwester Caroline ist Engel«,
sagte Goethe damals, und sie, »Goethe ist ein gutherziger
Junge«. Goethe erhaschte bisweilen von ihr einen Kuss,
wie es die freie Sitte des rheinischen Landes gestattete,
und er gab ihr manchen Hinblick in das Heiligthum seines
Liebeslebens und seiner Kunst. »Unser Freund Goethe ist
■/A\ Fuss von l'rankfurt gekommen und hat Merck besucht«,
schreibt Caroline kaum einen Monat nach der ersten Bekannt-
schaft (April 72). »Fr hat uns einige der besten Scenen
aus seinem Gottfried von Berlichingen vorgelesen. Goethe
steckt voller Lieder. Fins von einer Hütte, die in Ruinen
alter Tempel gebaut, ist vortrefHich ; er muss mirs geben,
wenn er wieder kommt und danii theile ichs Ihnen mit«.
Darauf im Mai: »Hier ist« — schreibt sie, nachdem sie
schon drei andere Emphndungsstücke des »grossen« Freundes
vorausgesandt — »das Lied von der Hütte von Goethe,
wovon ich Ihnen schon einmal geschrieben; er hats mir
von Wetzlar geschickt. Ich habe lange, lange nichts rühren-
deres gelesen, Der Wanderer auf den Kuinen — die Frau
mit dem Knaben auf dem Arm — und der Wanderer mit
dem Knaben auf dem Arm — und die letzte Bitte um eine
Hütte am Abend — o ich kann Ihnen nicht sagen, wie
alles das mir in die Seele geht! (k)tt, wo werden wir,
»zwischen der X'ergangenheir erhabenen Trümmern« unsere
Hütte flicken?« Der Frguss des gerührten Herzens, die
brautliche Nutzanwendung eingeschlossen, ist dies Mal eine
recht schätzbare Zugabe. Caroline giebt den Ciang des
Gedichtes an, sie tlicht endlich eine Zeile daraus in ihre
eigenen Worte ein; man gewinnt die Anschauung, dass die
Freunde in Darmstadt den Wanderer bereits im April 72
in einer L'orm zu hören bekommen haben, die von der im
Musenalmanach 1774 gegebenen nicht weit kann abgestanden
B. SuPHAN: Aeltere Gestowten Goethe'scher Gedichte. 119
haben. Goethe hat das Gedicht bekannthch /u seinen
Wetzhirer Erlebnissen in die nächste Beziehung gesetzt,
Kestner und Lotte werden auf die Leetüre vorbereitet, als
sei es eigens für sie gedichtet, als sei es ein ideales Porträt
ihres eigenen, dichteriscli vorausgenommenen Zustandes'.
Goethe hat Lotte's Bekanntschaft erst am 9. Juni gemacht.
Der Widerspruch ist längst bemerkt worden. Man hat ihn
zu heben versucht durch die Annahme einer Umdichtung,
eine Annahme, die durch die mitgetheilten Sätze des Begleit-
briefes vom iMai 72 freilich nicht begünstigt wird. Ueber
dieZulässigkeit derselben braucht man nicht mehr zu rechten.
Caroline's Abschrift ist gut zur Hälfte wenigstens erhalten.
Schriftzüge und Format lassen keinen Zweifel darüber,
dass sie die Einlage des angeführten Briefes gebildet
hat. Der zweite Briefbogen ist verloren gegangen, die
Abschrift reicht nur bis V. 87. Dafür aber hat sich noch
eine zweite, vollständige Abschrift, gleichfalls von Caro-
line's Hand, vorgefunden (drei \'iertelbogen, in Octav
geheftet). Sie hat freilich nur secundären Werth , denn
sie stimmt , so weit sich dies nach den von Karl Wagner
mitgetheilten Lesarten beurtheilen lässt, mit der Abschrift
übercin, die sich »von Merck geschrieben, mit Ver-
besserungen von Goethes Hand« in Mercks Nachlass
gefunden hat'. Caroline liat diese zweite Abschrift für
sich selbst genommen , etliche Zeit später. Die Vorlage
wird ihr xMerck geliehen haben; er hielt damals mit ihr
' Der junge Goethe I, 381. 369.
- Briefe an und von Merck 1858 S. 11 fg. Sämmtliche Varianten
Jie Wagner notirt, finden sich auch in Caroline's zweiter Abschrift.
Hin Mal hat die letztere eine eigene Wortform, Y. 31: Trümmern (so
auch Ci und der erste Druck in den Schriften VIU, 255), die Wagner
wahrscheinlich mit Vorsatz übergangen hat. An zwei Stellen liat sich
Caroline leiclit verschrieben.
120 Forschungen.
gute Frcundschali ', thcilic ihr seine eigenen poetischen
Versuche mit, und so wohl auch manches Bhitt, das er aus
Wetzlar und Frankfurt erhielt. Wir kennen, wie gesagt,
die Merck'sche Abschritt nur aus den \'arianten, die sich
auf Schreibung und Interpunction nicht erstrecken ; und
eben deswegen ist uns Caroline's zweite Abschrift nicht ent-
behrlich. Im »jungen Goethe« (2,7 — 14) ist der Wanderer
nach dem ersten Druck (Göttinger Musenalmanach 1774)
gegeben, dem eine von Merck gelieferte Abschrift zu Grunde
lag (J. G. I, 369). Garoline's Abschriften stehen an Treue
noch über denen, die wir Herder verdanken. Sie halten
sich an die Schreibung des Originals und an seine Inter-
punction, oder, besser gesagt, seine Interpunctionslosigkeit.
Die »lieben Mädgen« fanden sich eben in Goethe's Satz-
zeichnung besser zurecht als die Schriftgelehrten ^ Diesen
\^orzug könnte nur ein vollständiger Abdruck ins Licht
stellen.
In der nun folgenden Uebersicht der Lesarten bezeichne
ich CaroUne's beide Abschriften mit C i und C 2, Mercks
Abschrift mit M, den Text im Jungen Goethe mit J G.
An einigen Stellen nur notire ich die letzte Gestalt ' (nach
welcher die Zeilen gezählt sind) mit W.
2. JG, W: den säugenden Knaben
Ci, M, C2: den saugenden Knaben
'3- J G, \V: Lächelst Fremdling
LTebcr meine Frage V
Ci, C2: ])' lächelst Fremdling
über meine Frage.
' Mercks Frau wurde auf Herders ^'erl^)bte eifersüchtig, und
Leuchsenring bekam Stofl' zu seinen fatalen Zwischcntragereien. Aus
Herders Xachlass 5, 242 i'g.
' J. G. I, 219.
' Schriften Vlli (1789) S. 252.
B. Suphan: Aeltere GESTAtarEN Goethe'scher Gedichte. I2i
15. Ci,M, C2: I( li bring []('': bringe] keine W'aaren
W : Keine W'aaren bring' ich'
:;5 — 40. = JG. 36 — 41 |in W am stärksten umgearbeitet]^
C r : Eine Innschrift über die ich trette !
"r Venus ! — und ihr übrigen
[JG, M: Der Venus C2: Der — Venus]
seyd verloschen
weggewandelt ihrClesellen [J(t,M: Gespielen]
die ihr euers Meisters Gefühl [J G, M. C 2 :
Andacht]
Jahrtausenden entgegen zeigen solltet.
JG, C2: Tausend Enkeln zeugen [\V : zeigen] solltet.
41. Ci: D" staunest Fremdling
diese Stein an
J G : Staunest, Fremdling,
Diese Stein" an?
78.Ci,AP, C2,W: Sch<7tzest du so Natur [JG: Schützest]
deines Meisterstücks Meisterstück V
85. Gl, M, C2: Fremdling willst du hier
untern Pappelbaum [JG:unter'm] dich setzen?
hier ist kühl. [J G : ist's kühl]. Nimm den
Knaben
88. M,C2: dass ich da hinab geh Wasser schöpfen
JG: Dass ich hinabgeh, Wasser zu schöpfen!
W : Es ist kühl. Nimm den Knaben,
Dass ich Wasser schöpfen gehe.
89. C2, W: Schlafe [JG: Schlaf,] Lieber schlaf.
' Vers 16 (JG. 17): «Schwül ist, schwül der Abend« — W:
oKühl wird nun der Abend« fehlt in C i. Jedenfalls blos aus Versehen
übersprungen.
^ »Schätzest« niuss Wagner in seiner \'orlage gefunden haben,
denn er bemerkt keine ^'ariante gegen die Ausg. v. J. 1815, die er bei
der \'ergleichung zu Grunde legte.
122 Forschungen.
Ich bin schon einige \'crsc weiter ^c^angcn, als Carolinc's
ältere Abschritt reicht. Sie reicht weit ijjenug, um das
Wichtigste ausser Zweifel zu setzen: die Gestalt, welche
Caroline im Mai 72 vor Augen hatte, und die \x)n der im
April vorgelesenen sich ihrer lü-innerung nach nicht unter-
schied, ist bis auf wenige liigenthümlichkeiten des Aus-
drucks identisch mit der i. J. 1774 veröffentlichten. \'on
den formellen liigenthümlichkeiten fallen \ielleicht am
meisten aul die abgekürzten 1-ormen D' (Du) und "r (der),
auf die ich unten in einem grösseren Zusammenhange
zurückzukommen gedenke. \ur einige ^'erse (38— 40)
haben eine namhafte Aenderung erfahren. Bedeutsam ist
es, wie der Dichter hier sein Lieblingswort »Gefühl '« opfert,
zunächst wohl blos des Tonfalls wegen, und nun einen
noch höheren und inhaltsschwereren Ausdruck hndet.
Caroline's zweite Abschrift bietet uns in den weiteren
W'rsen nichts Eigenthümliches mehr — bis auf die Spär-
lichkeit der Interpunction. Goethe überliess es denen, die
den Druck seiner Gedichte besorgten, »zu interpunctiren,
wie's dem Leser genehm war« und ertheilte \'ollmacht
»Komma, Kolon, Semikolon und Punktum zu machen,
Ausruf imgszeichen in Fragezeichen zu verwandeln« u. s. f.^«
Dies hat denn auch Boie oder dessen Corrector in unserni
Falle mit einem wahren Uebereifer besorgt (\'. 20 »liebes,
junges Weib« u. ä.), an einei' Stelle \ielleicht wider den
■ «Hier stellt sein Werk, tretet liin und erkennt das tiefste Gefühl
von \\'ahrheit und .Schönheit der Verhältnisse«. (J. G. 1,212 vgl. 3,696)
»Drum glaubt nicht ^o schnell zu verstehen, was das heisse: Das Gefühl
ist die Harmonie und vice versa. Und das ist es, was immer durch
die Seele des Künstlers webt, was in iiini nach und nach sich zuni
verstandensten Ausdrucke drangt, ohne durch die l-j-kenntnisskrafl
durchgegangen zu sein.» (J. G. 5, 690).
- J. (i. 5,48. Th. ßergk, .\cht Lieder von Goethe S. 25 (über
den Druck vo 1 j-j-win und lilmire. )
B. Suphan: Aeltere Gestüten Goethe'scher Gedichte. 123
Sinn der ursprüni^lichL'H Fassung, oder doch wider die vom
Dichter gewollte \'erbindiing der Ausdrücke. \'ers 118
nämlich u. f. (J. G. 113 fg.) haben im Musenalmanach
folgende Satzzeichnung :
Hier, zwischen das (Jeniäuer her.
Die Hütte haute noch mein Vater
Aus Ziegeln und des Schuttes Steinen.
Hier wohnen wir.
In den beiden Abschriften (.\I, C 2) fehlt alle Interpunktion :
Hier zwischen das (iemäuer her
die Hütte baut mein Vater ikx h
aus Ziegehi und des Schuttes Steinen
hier wohnen wir —
Es ist lebendige Rede, die Worte reihen sich in der natür-
lichsten Folge an einander, wie die Gegenstände sich sinn-
lich dem Auge darbieten. Auf des Wanderers erstaunte
Frage »Ihr wohnet hier?<( (Goethe setzte ein blosses
Punktum) erwidert die Frau: »Hier, in der Hütte, die
zwischen das Gemäuer her der \'ater baute, hier wohnen
wir«. Sie spricht wie ein Natiu'kind, und macht freilich
dem Grammatiker zu scharten, der ihre sxntaxis naturae nach
seiner syntaxis convenientiae regeln will. Der Grammatiker
des Musenalmanachs niuthet übrigens mit seinem Punktum
dem Dichter die schlimme Gonstruction zu: »Wir wohnen
zwischen das Gemäuer her«. Indessen er hat schliesslich
Recht behalten. Denn in der letzten Gestalt ist Goethe
auf seine Satztheilung eingegangen :
Da, zwischen dem Gemäuer her.
Die Hütte baute noch mein Vater u. s. w.
Aber das beweist keineswegs, dass er von Haus aus Recht
hatte. Denn der letzten Bearbeitunii; hat Goethe eben diesen
124 Forschungen'.
ersten Druck /.u Grunde geleimt — er besass schon im
Mai 1773 keine Abschrift mehr vom Wandrer {].G. 1,369)
— und wir kennen mehr Belege als diesen, die es bezeugen,
dass Goethe die Druckgestalten seiner Werke in gewisser
Weise wie grossjährige Kinder ansah , die man mit einer
Art Respekt behandeln und in ihren Eigenthümlichkeiten
sclnit/en müsse — vom Spiel des Zufalls, das wohl auch
einmal den Fehler eines Nachdrucks zu Ehren gebracht
hat. ganz abgesehen.
Ueberhaupt aber glaube ich im Texte des Musen-
Almanachs etliche Spuren einer kleinlichen und willkür-
lichen Revision zu entdecken. \w \. 78 (J. G. 74) ist
Sch<?tzest du so, Natur,
schlechthin ein Versehen oder Missverständniss, und viel-
leicht ist auch der
Srt'Ugende Knabe
nur ein Kind des Correctors. Alle die Abschriften haben
die richtige Form »saugende« ; der »saugende« ist indessen
1815 vom Dichter selbst adoptirt worden. Wenn lerner
die metrisch so wohl gerathene Zeile 88:
Dass ich da hinab geh Wasser schöpfen
im Musen-Almanach die lendenlahme, aus dem Metrum
fallende Gestalt annimmt
Dass icli hinabgeh, Wasser zu schöpfen —
so wüsste ich keine andere Kücksicht, die das veranlasst
haben könnte, als die einer pedantischen Sprachreinhaltung,
die nicht gestatten wollte, dass »hinabgehen« mit dem
schlicluen Inhnitiv verbunden würde. Goethe hat, wie es
scheint, von treuer Erinnerung geleitet , in der letzten
Gestalt sein »schöpfen gehen« wieder hergestellt. Die
B. Suphan: Aeltere Gestaj.ten Goethe'scher Gedichte. 125
.gleiche Hand, welche den \'. 88 antastete, hat \vi)hl auch
»untern Pappelbaum« in »unter'ni Pappelbaum« »ist kühl«
in »ist's kühl«, »in Götterselbstgefühl« in »im Götter-
selbstgefühl«, »Trümmern« in »Trümmer« verbessert.
Boie erhielt, wie erwähnt, den iraiuircr durch Mercks
X'ermittlung und st)mit doch wohl in einer mit M und
C2 übereinstimmenden, höchstens zufallig abweichenden,
Copie. Die angeführten \'arianten des von ihm besorgten
.Abdrucks sind sämmtlich von der Art, dass man an ihrer
Aechtheit zu zweifeln berechtigt ist. Der Text des Musen-
Almanachs steht also, wenn es uns auf Feststellung der
ältesten Gestalt ankommt, an Werth hinter jeder der drei er-
haltenen Abschriften zurück. Wichtiger als dies kritische Er-
gebniss ist es, dass uns Caroline's Abschrift im ältesten
»Wandrer« schon das vollständig ausgeformte Gedicht zeigt ,
ein Gedicht, zu dem Lotte und Kestner auch nicht den
kleinsten Zug haben liefern können. Was der Dichter selbst,
»Lotten ganz im Herzen«, im Widerspruch mit dieser
Thatsache sagt, ist poetische Selbsttäuschung oder treund-
schaftliche Mystitication.
Die Abschrift des Klaggesaii^'s von der cdlcu Frauen
des Asaii Aga hat sich bei dem zu den »\^olksliedern«
gehörigen Nachlasse gefunden. Wir verdanken sie Caro-
line's treuer Mitarbeit an der Volkslieder-Sammlung —
verdanken wir es doch ihr vornehmlich, dass diese Samm-
lung selbst, die liebenswürdigste Gabe, die uns Herder
hinterlassen hat , zu Stande und an die Oeftentlichkeit
gekommen ist. Im ersten Theil der Volkslieder S. 309 fgg.
ist der »edle Gesang« mit der Bezeichnung morlackisches
Lied gedruckt. Man hat den ersten Druck bisher ohne
weiteres für die Erstlingsform genommen. Aber Herder
hat den Beitrag nicht ohne Aenderungen aufger.ommen,
und es ist von besonderem Interesse, zu sehen, wie sich
Goethe später (1788) zu diesen Aenderungen gestellt hat,
126 Forschungen.
:\\s cv selbst seiner Ueberset/.uni; die letzte I'eile gab.
Caroline hat ihre X'orlage auch dies Mal getreu abge-
schrieben (Blaf, Thiinw, Trancv Scheidhriej , itngestiiwnic,
Sliir~l .v/V, ohne Apostroph '). Die Worte, welche Herder
gestrichen bat, sind im l'olgenden mit liegenden Lettern
gegeben und die von ihm übergeschriebenen Correcturen
in kleinerem Druck. Die Handschritt soll mit A, der erste
Druck in den \'olksliedern mit \', die letzte Gestalt in
Goethe's Werken' mit W bezeichnet werden.
3. A, y : War" es Schnee da. wäre weggeschmolzen
W: War" es Schnee, er
7. A. \' : Nieder Hegt er drein [W: (lrin| an seiner Wunde
18. A: Springt zum 1 hurne [V. W : Tliurme]
kehrt zurück Gattin
23. A. \\ : Und es keJirct die GcmaJiliii Asans
V: Und es kehrt zurück die (iattin Asans
27. A, V: Schweigt der Bruder und zieht [\N: Bruder, ziehet]
aus der Tasche
34. A: Küsst die Wangen iliren \\ . ^^' : ihrer] beiden
Mädchen,
' \'. iS9 Gedruckt ist bchon in \' ; Stürzt" sie. Das Apostrophiren
hat in solcliem Falle sein MissJiclies. Der Herausgeber traut dem Leser
niciit eben so viel Besinnung zu, wie der Dichter dem Hörer. Dem
Hörenden bleibt es überlassen, ob er die Handlung als gegenwärtige oder
vergangene empfinden will. Wo es dem Dichter darauf ankommt, stellt
er selbst, durch Wiederholung z. B. das Tempus sicher (Briefe an Frau
V. Stein 1,25 »Da er dankbar dir zu Füssen lag. Fühlt sein Herz an
deinem Herzen schwellen, Fühlte sich in deinem Auge gute und
ebenso \'. 53. n- "^vo .\, V ohne Apostroph geben: »Küsste sie der
beiden Knaben Stirne, Küsst die \\'angen(< ). In vielen Fällen lässt
der Zusammenhang keinen Zweilei; bisweilen aber ist, wie liier in V. 89
der Vorstellung des Hörenden ein Spielraum gelassen, der dem Leser
durch das .\postrophiren verengt wird.
- Zuerst in den Scbrificn. \'\\\ . 177 — i<S2 als erstes Stück der
zweiten Sammlung.
B. SuPHAN: AtLTEUE GESTAJriEN GOETHE'SCHtR GtDICHTE. I27
43.44. A: Die' liebe Frau. \' : I,icl)c Frau. W : l'nsre Frau
bitt'
47. .\ : .-Xch I>ei dciiKMii I.cbcnl Dich bachwor ich Bruder
V: Ach bei deiueni Leben! bitt' i( h. I'.ruder
W : Ich beschwöre dich bei deinem Leben
Fr.iu sie
53. A: L)o( h die Franc liittet ihn unendlich
V: Doch die Frau, sie . . . W : Doch die (iute . . .
60. A: Dass ich mich vor Asans Haus \erhülle
zu sehen
Meine lieben \^'aisen nicht ersehe
V: . . . nicht zu sehen W : nicht erblicke.
70. -A: Riefen: Komm zu deinen Kindern wieder
Brod
Iss mit uns das AbendhrofX in deiner Halle.
V: Iss mit uns dass Brod in deiner Halle
W: Riefen: Komm zu deiner Halle wieder!
Iss das Abendbrot mit deinen Kindern.
74. A. V: Kehrete sich zu der Suaten Fürsten:
Bruder ' lass die Suaten und die Pferde
Halten 'wenig [V. : Halten wenig] vor der lieben
Thürc
W: Lass doch, lass die Suaten und die Pferde
Halten weniir ^ or der Lieben^ Thüre
' Der Fürst der Suaten (stari svvat, .-\eltestc d. h. \'ornehnistc
der Hochzeitsgäste) der Führer des Brautgclolges. ist einer der nächsten
Verwandten des Bräutigams, nicht etwa der leibliche Bruder der Braut,
»Bruder« also in diesem einen Falle nur die ehrende, zutrauliche Anrede.
Anscheinend hat sie der Dichter denn auch nur, um der leicht mög-
lichen Verwechslung vorzubeugen, bei der letzten Revision beseitigt.
^ Schade um die »liebe Thüre«. Auch son.st hat der Dichter seit
1786 das Wort, das er früher so lieb hatte, entfernt. So im Liede an
den Mond das »liebe Thal« (vgl. J. G. 5, 342 Z. 5) während es sich
in Jägers Abendlied Z. 6 noch gerettet hat im Liede auf dem Züricher.
See Z. ij die »lieben Nebel« (vgl. j. G. 3,290 die »lieben Wolken«).
Der vorano;esetzte Genitiv »der Lieben« Thüre ist kein schöner Ersatz.
128 Forschungen.
Si. A, V: Und dem Säugling hülflos in der Wiegen |\V:
Wiege]'
Herders Acndcrungen hat Goethe, bis aid' eine, als berechtigt
anerkannt, keine aber hat er in der angebotenen Form
benutzt. Auf das einfache »kehren« für »zurückkehren«
hat er ^veder in \'. 23, wo Herder corrigiereii wollte, noch
unten V. 85 verzichtet. Hr gebraucht es ebenso in Wan-
derers Sturmlied :
Soll der zurückkehren
Der kleine schwarze feurige Bauer?
Soll der zurückkehren, erwartend
Nur deine Gaben, Vater Bromius —
Der kehren muthigV
und hier hat er es sogar erst bei einer späteren Niederschrift
eingeführt, während die beiden älteren Gestalten auch im
letzten Verse die zusammeniresetzte Form haben :
Soll der zurück kehren niuthig
Noch mehr aber ist die Aeiuicrung von »(die) liebe Frau« in »unsre
Frau« zu bedauern. Jenes klingt so licrzlich, wie immer in Goethe's
Briefen dieser Ausdruck, mit dem er nicht die erste beste beehrt. »Und
grüsse die liebe Frau« (Betty Jacobi) J. G. i, 599, an Johanna Fahimer,
Dcc. 1775. »Die liebe Frau (Lotte) hatte in der letzten Nacht wenig
geschlaien«. J. G. 3, 367.
' V. 6 der Zelten Asan Aga. J. G. 5,306 Erden. 3,352, 33)
meiner Seelen. 3, 283 die Mündung der Pistolen (Singular). Vgl.
oben S.ii9^(//V TrüviDicni. Sogar (5, 229) »die himmlisch Freuden ist ein
Traum«. (Hier wie im ersten Beispiel zur Vermeidung des Hiatus).
^ J. G. 2, 3 l'gg. und Briefwechsel zwischen Goethe und F. H.
Jacobi S. 5 fgg. (V. I— 100) S. 57 fg. (V. 101 — 116). An letzterer
Stelle scheint mir die »älteste erreichbare Form« gegeben. Die Lesart
der letzten Gestalt (i<Si5) findet sich schon 1781 in Herders .Ab-
schrift.
B. Suphan: Aeltere Gesta^fen Goethe'scher Gedichte. 129
Sratt dcN Kcricxivuni^ ' finden wir c^ in der ältesten lorni
des FrDnieiheus:
Als ich ein Kind war
Ni<ht wusste wo aus wo ein
Kehrt mein \erirrtes Aug*
Zur Sonne —
seit 1789 allerdini^s geändert in: »Kehrt" ich mein \erirrtes
Aui,'e(i.
hl zwei \'ersen (47, 71) xerhin^te das Metrum eine
Xachhiilte. Die erste Gestalt hatte sich hier sechs Hebungen
gestattet, wie denn noch in dem Gedichte »Seetahrt«
(11. Sept. 1776), dem ersten Original-Gedichte, welches in
dem am »Klaggesange« geübten Versmasse geschrieben ist,
sich vier trochäische Sechsfüssler linden (W i, 2, 20, 22)
— Ln'sprünglich nur drei; denn der vierte (\'. i) wiu'de
aurtallender Weise noch bei der letzten Redaction hinzu-
gethan :
Lange Tag und Nächte stand mein Schiff befrac Iitet
während in der älteren (iestalt das Gedicht anhebt:
Taglang Xaclnlang [Näditelang -'] stand mein S( hiff befrachtet.
' Drehen und iu'i\n-n reflexiv oder neutral : Gedichte 2, 294. J. G.
5, 6X4. (Da drehten die Pärchen allzumal — Er neigt zur ihr — vor-
neigt sicii gegen sie).
^ J. G. 5, 157. Ebenso im ersten Drucke (Einlage in F. Jacobi's
Schrift Über die Lelire des Spinoza 1785, zwischen S. 48, 49J und in
Herders Abschrift. Die Lesart der in Mercks Nachlass befindlichen
Handschrift hat K. Wagner (Mercks Br. I, 55 j nicht angegeben, und
doch ist es kaum anzunehmen, dass sie mit der .\usgabe letzter Hand
übereinstimmt.
' »\achtlang(( in Goethe's Briefen an Lavatcr .S. 25 ( J. (]. 5, 145)
Tagelang, Nächtelang in Mercks Handschrift (Mercks Br. 1. 78) und
im Deutschen Museum 1777 11, 267. «Taglang, Nachte lang« in
Herders Abschrift (datirt: den 11. September 1776. wie im Deutschen
r.üliTHE-lAlIRIiLCH II. 9
1 30 Forschungen.
Seil 17S1 t'ornn Goethe, wie die oben (S. 115) besprochenen
Gedichte im Tiekirter Journal zeigen, die serbischen Tro-
chäen in tadelloser Regelnlässigkeit. In der »Seehthrt«
aber wollte er oHenbar die beiden schon vorhandenen
Langverse nicht opfern und erhob, indem er auch die erste
Zeile dehnte, das Unregelmässige zur poetischen .Schönheit.
Die \'erse rücken nicht \-on der Stelle, sie schaukeln luid
schwanken hin und her, wie das l''ahr/eug, dessen .Mann-
schaft die Tage im Hafen verliegt, günstiger Winde harrend.
Bei dem \'olksliede aber musste selbstverständlich Ton
und Weise des Originals dLU'chgehends eingehalten werden.
Im ersten halle (W 47) liessen sich die überschüssigen
Worte leicht beseitigen. Bei \'. 70, 71 aber könnte man
darüber rechten, ob Herders oder Goethe's Aenderung den
Preis verdient. Natürlicher, rührender klingt doch jedenfalls
im Munde der Kinder die Bitte: »Komm wieder zu uns!«
als »Komm wieder zu deiner Halle!« So rufen sie denn
auch nach der treueren Uebersetzung von Talvj ' :
Kehr zu uns zurücke, liebe Mutter!
Dass das Mittao;smahl wir mit dir theileii
Museum). Diese letztere hat einiges lü^enthümliche. Ich notire als
wichtigste Lesart ^'. 15 :
Und die Segel blühen in dem Hauchu.
So steht deLitlich geschrieben. I:s ist die Lesart sammtlicher erhaltener
Handschritten (auch der von Merck ; denn Wagner notirt keine Variante
gegen die .\usgabe v. J. 1815), des ersten Drucks und sammtlicher
unter (]iiethe"-> .\ugen erschienener Ausgaben. Erst die .\usgabe v.
j. 1836 brachte »die Segel blähen«. Ls ist otienbar eine willki.'irliche
Correctur, wahrscheinlich von Riemer. Unbegreiflich, wie sie sich bei
den spateren Herausgebern (Strehlke i,i)9; Cotta'sche .Vusg. 1875 mit
Karl Goedeke's Einleitung i, 195) in Gunst gesetzt hat; noch unbegreif-
licher, dass der Recensent des »Jungen Goethe« im Literarischen
Centralblatt 1875, 50. Oct. sie sogar in den originalen Text eingeschwärzt
sehen möchte.
' Volkslieder der Serben 2, 275.
B. SuPHAN : Aeltere GnsT.vi^rEN Goethe'scher Gedichte. I ^ i
und so schon in der alten Ucbcrsctzung von Fortis Reise
in Dalmatien (1776):
I-icl)c, liehe Mutier!
Komni wieder /u uns, komm in cIciikt Halle
Mit uns das Abendbrut /u essen '.
An Herders Aendeiinii; tand es Goethe otienbar iinHebsain,
dass sie ihm das Abendbrot nahm, tür welches er, als Poet
wenigstens, wegen der traulich gemächlichen Nebenideen,
die sich von selbst zugesellen, eine besondere \'orliebe
gehabt hat ". Hs trifft sich eigen, dass es von Rechts wegen
nicht einmal das Abendbrot ist, zu welchem die liebe l'raii
i^erufen wird. xMit Absicht indessen oder aus \ orliebe
hat Goethe die Zeiten nicht \ertauscht ; er lolgte einlach
seiner \'orlage.
Wo aber haben wir diese \'orlage zu suchen? 13ie
Ansichten sind über den Fundort und im Zusammenhange
damit über das [ahr, in welchem die Uebersetzung des
Klaggesanges entstanden ist, getheilt. Der Dichter selbst
datirt sie 1824 in seinem Autsatze über Serbische X'olks-
lieder fünfzig Jahre zurück. In der Chroiioloi^ii' der Goelhc'-
schen ITcrhc ist sie dem Jahre 75 zugewiesen. An diesem
Jahre halten die Herausgeber fest ■*. Fine abw eichende
Ansetzung geht von der Notiz aus, die sich im Antange
' Dünt/.cr, Goetlic's lyrische Gedichte erläutert (icSjiS) 1., 514 lg.
^ Der Wanderer V. ii). 116. An Lottchen (Jacobi) J, G. 2, 55
Z. 4; 178t) bekanntlich geändert in Abendroth : Gedichte i, 4«;.
5 Bd. 53, 502 »Schon sind es fünfzig Jahr, dass ich den Klag-
gesang .... überset/.te«.
+ So noch die Gotta'sche Ausgabe in zehn Bänden v. J. 1875.
In dem Jungen Goethe aber ist das Stück nicht enthalten, wird also
von Bernavs nach 1775 angesetzt.
I y2 Forschungen.
von Ik'i'dci'N X'olkslicdci'ii zu dem (icdiclilc lindct : »Siehe
Foiiis RcisL' Th. I. S. 150 odei- J)lf Sllle/i der Morlachcii
(von der Grätin Kosenbers^;) Bern 1775 S. 50*' . Dieselben
Werke nennt auch Goethe a. a. (). als solche, wo sich
dei' edle (jesan^; »hnden Hesse lir hatte wahrscheinlich,
als er so schrieb, Herders \'olkslieder vor sich. Inissend
aut Herders Xoti/, die er als Ani:;abe der »Quelle^ betrachtet,
sieht Düntzer ' in der oben citirten jambischen Uebersetziini;,
die sich in dei' deutschen Ausgabe von lortis Reisen behndet,
die eigentliche \'orlage und hndet, da die besagte Ausgabe
erst 1776 erschienen, in Goethe's Erklärung eine doppelte
Unrichtigkeit. Düntzer \ermuthet, dass Goethe durch
F^erder aut den Stoti und das Buch aufmerksam gemacht
sei. Dann müsste aber, da Herder erst im Oktober 1776
nach Weimar kam, die Nachdichtung erst nach dem treien
Gedichte »Seetahrt« entstanden sein, in welchem wir bereits
die tüntiüssigen Trochäen vorfinden.
Herder nennt, genau betrachtet, die Berner Ausgabe
der Keisebeschreibimg gar nicht als Quelle, aus welcher
der Uebersetzer geschöpft"; indessen konnnt es darauf
wenig an gegenüber einem Kreuzverhör zwischen der
Urschrift, dem italienischen Texte des Fortis, der französi-
schen Uebersetzung, die (ioethe erwähnt, der deutschen
Uebersetzung \om Jahre 1776 und der (joethe'schen Xacii-
dichtung. Ich kann nur die von Düntzer mitgetheilten
25 lamben mit (ioethe's Asan Aga vergleichen, hi den
Schlussversen :
' Goetlie"s Ivrisclic (jcdichtc für ij;Lliildctc Leser erläutert. l-;il->erteld
nSjS. I, 512 fg. E^ ist mir nur diese erste Ausgabe zur Hand.
- Bisweilen gebraucht er wohl sein »Siehe !<- um den l'undort
anzugeben. Will er aber ausdrücklieh die Q.üelle be/.eichnen, so sagt
er, wie z. B. bei den niorlackisclicn Liedern, die er selbst übersetzt: ».\us
Fortis Osscrvazioni . . . Venet. 1771, nach seiner italienischen Uebersetzung«
— »aus einem ungedruckten italienischen Manuscripte des .\bt Fortis«.
B. Suphan: Aeltere ÜESTAjt^rEN Goethe'scher Gedichte. 133
L'iul die hange- (?) Xr/r
Entfloh liciii hangen Jhiscii. als die Anne
Sie ihi'e Kinder sah xon ihr entfliehen —
ist die Aehnhchkeit aLii;ense'heinHeh ; wenn aber (joethe
hier yan/ wie eler ]3crner Ueberset/er von dem Sinne der
Urschrift abweie'hend, gerade eins Fliehen der Kinder, w oxon
jene nichts hat, /u dem Schmerzensanbhck macht, welcher
der Mutter das Her/, bricht — so k()nnte das aiil Rechnung
einer gemeinschaftlichen \'orlage kommen, (übt es aller-
dings Stellen von so frappanter Aehnlichkeit mehr, so
müssen wir die deutsciie \'orlage annehmen. Die \'er-
gleicluing nuiss ich denen überlassen, welchen die literarischen
Hülfsmittel zur Hand sind. Der blosse Zweifel ist uner-
quicklich, wenn er auch aus dem Wunsche entspringt,
eine zu den Akten gegebene Aussage des Dichters zu retten;
ich \ersuche es also, wenigstens auf einem Nebenwege,
den ich autgetunden zu haben glaube, etwas zur Lösung
der chronologischen brage beizutragen.
Man wird es \ermuthen, dass es die apostrophirten
W'örtchen sind, \-on denen ich dabei ausgehen will : »Die"
liebe Frau — halten \\enig". (\'. 43. 44. 74.). Sie gesellen
sich zu den Abkürzungen, welche uns in Caroline's erster
Abschrift vom Wandrer auffielen : »D'lächelst, — D'staunest
— 'r Venus«. Denn der Apostroph hinter dem weiblichen
Artikel will besagen, dass der \'ocal desselben verflüchtigt,
dass er mit der folgenden Silbe zusammen gesprochen
werden solle (d'liebe), und der Apostroph xor lueuio^ soll
den unbestimmten Artikel \ertreten. Die im X'olkston
gehaltenen Dichtungen der ersten siebziger Jahre zeigen
uns zahlreiche Abkürzungen ahnlichen Schlages, am meisten
die Fastnachts- und Scherzspiele. Wie viele Zeilen und
Sätze fangen da mit einem 's an (für ('.v und das), wie ott
wird der Artilscl mit der I^raposition zu einer Silbe zusammeii-
1 34 Forschungen.
Ljcfasst (;uirni gedruckten Zettel, aus'm Sittenschlat, aus'eni
Radien blasen); noch kühner sind \'erkürzLini^en wie
die von cl'wa in 'liui (Und lassen sie sich \va nicht
weisen) '. Die Kürzung von ilii und (//V kommt meines
Wissens >onst nicht vor; es ist \vt)hl nicht zutälli^, dass
wir die so apostrophirten l-Ormen in Abschriften hnden,
die Herdern zu Gesicht kommen sollten.
Denn Herder ist es, der diesen Apostrophiruni^en
recht ^eriissentlich das Wort geredet, der sie emptohlen
und eingeführt hat. Es geschieht in den Blättern von
Deutscher Art und Kunst ". Er knüpft an das «Fabelliedchen« :
«Es sah ein Knab ein Röslein stehn « an, dessen Text er
mittheilt, wie er ihn »aus der mündlichen Sage« behalten
hat. Im Liede selbst schreibt er alle Arfikel aus, aber
gleich danach weist er eine »Aenderiing des lebendigen
Gesanges« nach. Er nennt sie »\\)rschlag« (Anakrusis).
»Der Vorschlag ist im Deutschen wie im Englischen
meistens der dunkle Laut von the in beidem Geschlecht
((/(■ Knabe) 's statt das ('s Röslein) und statt ein ein
dunkles ü und was man noch innner in Liedern der Art
mit ' ausdrücken könnte. Das Hauptwort bekommt auf
solche Weise immer weit mehr pt)etische Substantialität und
Persönlichkeit (' Knabe sprach — ' Röslein sprach u. s. w.),
in den Liedern weit' mehr Accent. In schnellrollenden,,
gereimten komischen Sachen, in den stärksten, hettigsten
Stellen der tragischen Leidenschaft, hier am meisten in
den gedrungenen Blankversen, haben Sie es da nicht ott
bemerkt, wie schädlich es uns Deutschen sei, dass wir keine
Elisionen haben oder tnis machen wollen? Unsre \'ortahren
' ]G ^. 20\. 2\o. 2 12. 2",ti. Hriviii iiiiil Hliiiirr: »Sich niit'ni
Naclibar schlagen«'. (JG ^, i22).
^ Briefe über Ossinn und die Lieder alter \'öll<er S. 57 59.
•■• So verbessere ich das im Originaltext stehende »mit mehr Accent«.
B. SupHAN : Aeltere Gestalten Goethe'scher Gedichte. 1 3 •
haben sie häutig und /u häutii:; gehabt ; die Engländer niii
ihren Artikehi, mit den \'ocalen bei unbedeutenden Wörtern,
Partikehi u. s. \v. haben sie zur Regel gemacht: die innere
Beschaffenheit beider Sprachen ist in diesem Stücke ganz
Hinerlei . . . aber wer unter uns wird zu elidiren wagen?
Unsre Kunstrichter zählen ja Silben und können so gut
skandiren ! Sie also, der kein Kunstrichter ist, erlauben in
dergleichen Fällen mir wenigstens, mich freiherrlichermassen
des Zeichens (') bedienen zu können, nach bestem Belieben, c
Ganz denselben Sinn hat die Stelle in einer mir vorliegenden
älteren Fassung, welche, wäe ich beweisen kann, zwischen
Mai 70 und April 71 niedergeschrieben ist. Als Probe wird
da zugleich ein Liedchen von Vanbrugh gegeben, in einer
Uebersetzung, die mit verkürzten Formen und Elisionen
das äusserste leistet'. In freiherrlicher Weise, wie hier,
hat Herder, seinem eigenen \'orschlage entsprechend, auch
bei seinen Uebersetzungen aus Shakespeare die Sprache
behandelt. Von Sliakespeare hatte er manche Scene^, besonders
Monologe, und auch schon Lieder in Riga übersetzt und
- N(n an Angel dwells above aus Vanbrughs Provokcd W'if'c II., 2.
Droben nicht im Himmelreicli
ist ein Engel halb Ihr gleich
— Himmel weiss, wie s' micli wird ansehn
läciiclnd — ach wie war' ich froh
aber säur — doch da bin *ch so
Himmel weiss, 's soll mich nichts angehn.
Str. 1. Lieben — das kann kein Mensch sie mehr
aber sterb"n wer 'n Narre war u. s. w.
- Eins der ältesten Stücke ist Ariels Lied aus The Tempest V, 3 :
^\'o die Biene saugen thut
in Schlüsselblum'n — da ruh ich gut !
schlupf hinein, wenn die' Eule schreit
rtattr' auf Fledermaus Schwingen weit u. s. w.
Vgl. Volkslieder I, 2, 13. Mehrere Apostrophirungen sind nachträglicli
angebracht.
136 Forschungen-.
mit auf die Kcisc genommen. An den I/iedern besonders
versuchte er sich immer von neuem. Die Uebersetzungen
aus den ersten siebziger Jahren erkennt man schon an der
kecken \'er\vendiui^ des Apostrophs.
hl Strassburi^ war es, wo 1 lerder den gekürzten
I'ormen jenen Freibriet ausstellte, den wir überarbeitet in
den Blättern von deutscher Art und Kunst lesen. l-!r wird
in seinen Unterhaltungen mit (ioethe, die so ott Xatur-
poesie, Volkslied, Wesen der lebendigen Sprache zum
Gegenstande hatten, nicht weniger lebhaft dafür eingetreten
sein. \'on seinem X'orrathe an Uebersetzungen theilte er
dem )ungen Freunde manches mit ', darunter auch Lieder
von Shakespeare. Von zweien können wir es nachweisen,
dass Goethe sie schon in Strassburg bekommen hat. »Wohl
unter grünen Laubes Dach « singt er den Darmstädter
Freunden im Walde vor, unter einem dichtbelaubten Baume,
wo sie Schutz vor einem Regengusse suchen, und lässt
sie den Chorus singen: »Xur eins, das heisst auch \\'etter"!«
Und das andere, ebenfalls aus As von like it (IL 10)
schwebte ihm vor in Herders Uebersetzung, als er die
Geschichte Gottfriedens von Berlichingen dramatisirte.
»Auf! Ihre Seelen sollen mit dem Morgennebel steigen!« —
lässt er den rasenden Metzler sagen — »Und dann sli'inii,
stürm, U'iiih'rii'inci ! und zerreiss sie« u. s. w. QG 2, 168).
Das »Lied des wilden Licobs « (Blow, blow, thou winter-
wind) fängt schon in der Kigaer Uebersetzung an : »Stürm,
stürm' o Winterwind M «
' Alis Herders Xaclilass 5, 196. l->innerunt;en i, 219.
- .\s von like it II, ]. \'olkslicder I, :;, 5 in einer späteren
Gestalt. {lVaMi;cS(Ui:^. Unter dies Ciri.inlaub-Dacli) aber noch mit den
alten »Elisionen« (Herder denkt hei der Henennung xugleich an die
svnkopirten Formen). .\us Heiders N'achlass v --^^•
? Volkslieder 1, ^ 4. Waldlied. In der ältesten Uebertragung
Verse wie: »Ras'innner brüirnd ins Land — Du nagst zwar bitt'rlicli auchv.
B. Suphan: Aeltere Gestauten Goethe'scher Gedichte. 1^7
Die Gründe, mit denen Herder seinen \ Orsehla^
empfahl, nuissten tür Cioetlie viel ^gewinnendes haben. l{r
macht die Horderunuen des lebendigen Gesanges , der
ächten Poesie geltend. Jener verschmäht das Klanglose,
diese das Inhaltleere. Das Wesen der Dichtkunst ist
bjiergie, ist Kratt, das war schon einer \-on den Cinind-
gedanken des ersten kritischen Wäldchens. Die magern
Artikel, die blutlosen FormwiJrter sind ihr /uwidei' —
ergo: sie werden hinausapostrophirt. Hs ist ganz ebenso
gemeint wie für die Prosa die l'orderung : Nur \'ollblut-
sätze ! keine Uebergangsphrasen , keine Umschreibungen!
Gedankenstrich und Ausrut/eichen thun in der Prosa, was
dort der Apostroph ausrichten soll. Wer das Kernhafte,
Gedrängte, Bedeutende empfahl, hatte das junge Geschlecht
tür sich — und hier zeigte es sich noch als ein altes
Hrbstück von deutscher Art und Kunst. Wie wohl Cioethe
es sich zugeeignet hat, besonders in »schnellrollenden,
gereimten, komischen N'ersenci, ist oben angedeutet und
zur Genüge bekannt.
Hs war in dem Umfange, wie Herder sie eingeführt
sehen wollte, doch eine gewagte Massregel, und eine
revolutionäre dazu. Diese \'erschneidLmg der Artikel und
Fürwörter missachtete das historische Recht, missachtete
die Thatsache, dass ein Jahrhundert und länger das Deutsche
sich auf dem Grunde der Schriftsprache von A'erfall und
X'erwilderung erholt und tortgebildet hatte. Hier sollte
recht nach alter Weise mit Schneiden und Brennen kurirt
werden ; aber die Sprache war für solche Operationen zu
gebildet, zu empfindlich geworden. Herder hat sich davon
bei Zeiten überzeugt. Noch in der \'olksliedersammlung,
die er 1773 — 74 tür den Druck zusammenstellte, finden
sich \'erkürzungen \'on dci\ die, sie, aber nicht mehr in
den \'olksliedern von 1778 — 79 und — ich glaube das
bestimmt anireben zu können — in den Handschritten
138 Forschungen.
sclion nicht mehr seit 1775. Wie er seinen Vorschlag
aut haltbare Grenzen zurückzieht, zeigt uns ein Blättchen,
welches \'crbesscrungen für den Wiederabdruck der in
dem Büchlein von Deutscher Art und Kunst veröffent-
lichten Proben von \'olkspoesie enthalt. Zu »Röslein auf
der Heiden« ist vermerkt, dass die Zeilen anfangen sollen:
«Knabe sprach« — »Röslein sprach«, ohne Andeutung
des Artikels. Im Klaggesange von der edeln iM'auen
W 43. 44. 74 das gleiche \'erhihren. Wenn er jetzt den
als \'orschlag gedachten Artikel (xler auch ein persön-
liches Pronomen einfach wegliess, so waren ihm gewiss die
Bemerkungen im Gedächtniss. die Lessing über Logau's
Sprache gemacht liatte ' : \vie solches »zu einer besondern
Schönheit werden« könne — Bemerkungen, die ihm nicht
entgangen waren, als er zu seinen Fragmenten \'orstudien
machte. \'on den Abkürzungen behält er nur das 's tür
c'S und (seltner) ihis bei, dieselbe, die auch Klopstock
selbst in den Oden sich gestattet '. Wo aber die lebendige
.Aussprache, beim Gesang besonders, die \'erkürzung oder
W-rschleifung von selbst vornimmt, überlässt er sie, ohne
die trübere Andeutung, dem Leser, wie in den Zeilen
Koinmt Liebe, sie wird siegen
l^nd finden den ^^ eg.
in dem Liede »Weg der Liebe« (X'olkslieder IL U i ))
oder in Ariels Lied :
Schlüpf hinein, wo die Eulen sdirein (L 2. 13)
wo er früher ilic' Eitle oder </' Iziilr gesetzt hatte.
' Schril'ten 5, 299 — 501. (oxccrpirt in u-incni Königsborger Studien-
licftc Herders.
^ Z. B. "s Kind (4, 28?) "s .Aug (4, 278 im Versantange). "s Un-
geheuer (4, 535). Die Verlair/.Ling von ilie wendet A. W. Schlegel
/u komischer Wirkung an : »Den woiilgehörnten Mond d'Latern /.'
erkennen gibt«. (Somniernachtstraum 5. 1 ).
B. Suphan: Aeltere GestÄIten Goethe'scher Gedichte. 139
Es hatte übrii^ciis seine ^iiten (Gründe, dass Herder
eben zu der angegebenen Zeit \ve_uen seines X'orschlai^s
bedenklich ward und ihn in der eigenen Praxis aut ein
bescheidenes Mass herabsetzte. l:in Freund und Mentor,
dessen Mahnungen er sehen überhörte, erhob kräftige
Einspräche gegen »die Alcibiadischen \'erhun/ungen des
Artikels;« ja er bedrohte ihn ti'ir diese und andere
»Gräuel der X'erwüstung in .Ansehung der deutschen
Sprache« mit einem »törmÜchen und ötlenthchen belhnn
grammaticum«. Das war in den letzten Tagen des Jahres 74.'
Der gute Hamann wäre im Stande gewesen, die Drohung
in seiner barocken Weise zu \erwirklichen ; aber ein
Anderer, dem er es am wenigsten gönnte, gegen Herder
Recht zu behalten , kam ihm zuvor — der sinnreiche
X'ertasser der »l-reuden des jungen Werthers« und der
'Leiden und hreuden Werthers des Mannes«.
Das Büchlein erschien im Januar 75 *. Man nimmt es
gewohnlich als eine blos gegen Goethe's Roman geschriebene
Parodie. Aber es sind Dinge darin, die Goethe unschuldig
in Kaut nehmen muss, die aut einen Andern gemünzt sind.
Mit Herder war Xict)lai seit dem Sommer 74 im Kriegs-
zustande. Herder hatte ihn in seinem Absagebriete ziemlich
unverblümt einen flachen Kopt genannt, hatte über Sebaldus
Xothankers »Sandwüsten« gespottet. Der Riss war längst
vorhanden, war eigentlich schon seit der Aussprache, die
über die Blätter von Deutscher Art und Kunst stattgefunden
hatte, nicht mehr zu heilen. Herdei' hatte es abij^elehnt,
' Hamann an Herder d. 20. December 1774. (Schriften 5, 120 fg.)
Die -Anspielung auf die .\nekdote von Alcibiades, der seinem Hunde
den Schwanz stutzen liess, um den .\thenern /,u reden zu geben, ist
;iclit Hamannischer ctvil.
- Nicolai an Lessing d. 17. Januar 177). (Briete an l.essing hg.
V. Redlich 2, 777. Vgl. \\. .M.\\'erner. Der Berliner W'erther. Salzburg 1874.)
140 Forschungen.
den I^oLjcn X'on Deutscher Baukunst in Xicolai's kritischem
lournal /u besprechen und sich im (irunde ti'ir einxerstanden
mit dem X'ertasser erklart. »Dass er übrigens ein Kopt
sei, /eii^t, glaub' ich, sein Göt::;; von BerJichiu^cn! Ich wüsste
niciu, welche Marionette \o\\ neuerm Kunstwerk ich tür
den Gö/^ nehmen wollte. <( (Am 14. August 1773)'. »Sie
sollten nicht aut mich ungehalten sein«, hatte Xicolai
damals noch ausweichend erwidert, »wenn ich nicht recht
■vo)i DcitlscJjcr Arl bin«, jetzt aber war er der abgesagte
Feind dieser Art und des Mannes, der sie aufgebracht hatte.
Die Gelegenheit war gi^tnstig genug, ihm so nebenbei einen
Possen 711 spielen. Der lächerlichste Lafte, der in Xicolai's
Werthergeschichte vorkommt, ist ein Herderianer. »'s war
da ein junges Kerlchen, leicht und lüttig, hatt' allerleA'
gelesen, schwätzte drob kreuz und quer, nciisi' aitjgcbriichU'r-
iiiassi')t,voin ersten ITiirfc, von rolkslicdcrn aml von l.uslonsri.h'n
Schauspielen, ~;U'iiii~ior jajircln'n hnii^^ jed's in lirey Miunlen
~nsaninieno^edruckh<. (S. 43). Es ist ein Hieb aut Herder's
Abhandlungen über \'olkslieder und Shakespeare, und gegen
diese viel mehr und insbesondere gegen die oben angeführte
Stelle, als gegen die sprachliche Cjcstalt des Romans richtet
sich die bis ins Lächerliche getriebene \'erschneidung der
Artikel und Fürwörter. Hans und Martin, die Bauern, die
zu Eingang und Schluss das Wort führen, aber auch Werther
und Lotte und wer sonst auttritt, der dazwischenredende
Nicolai nicht ausgenommen, sie alle leben, möchte man
sagen, von halb verschluckten Artikeln und andern kleinen
Insekten. Hier nur ein Pröbchen, wie »'n Genie« redet.
(S. )6) »s" n' Wort, schrie der Nachbar, 'ch seh 'r seyd
' Von und an Herder i, 355. Aut' Herders Seite ist hier niciits
von der ticieii \'crstininuing zu spüren, die, wie man neuerdings niclirtach
angencininien hat, damals /wischen den beiden .\lanncrn bestanden
haben soIL
B. StPHAN: AeLTERE GESTAf-Vl-N CiOl- lllU'SCHER GEDICHTE. I4I
'n Kerl der's Grosse licht. Schaut wie die l^auuic mit 'n
Wiirzohi empor Heuen, und wie 's Dach aut d' Seite him^t,
. . . . solch 'ne Ansicht hätte mir nun keine liworic, wie
s" <\k:u Quark nennen, aussinnen können c Aul wenigen
Zeilen eine Musterkarte aller von Herder eniptohlenen
»Elisionen c(. Der \'ertasser des W'erther ist mit alle dem
nicht getroffen. Hans und Martin ki)nnten allentalls aut die
»deutsche Art« in der Bauern- und Keitknechtssprache des
Ciötz von Berlichingen sticheln, die Sprache des Romans
aher yah /u einer derartii^en stilistischen Parodie keine
X'eranlassung.
Herder muss die h'reuden des juui^en Werther hald
nachdem sie herausgekommen waren, gelesen hahen. Im
l-'ehruar 1775 zieht er den ersten Band seiner Volkslieder-
Sammlung, deren Erscheinen bereits angekündigt war, aus
der Druckerei zurück und erklärt dem \'erleger seinen
Entschluss, zu warten »bis das Publicum liebtreundlicher
gestimmt sei«. Er wollte es unter allen Umständen ver-
meiden, dem \erachteteten und doch getürchteten (jegner
eine Blosse zu geben '. .Mit seinem Elisionsvorschlage
hatte er es ihm leicht genug gemacht, sich Eorbeern in
einem bellum grammaticum zu holen. Bei Hamanns Warnung
und Xicolai's Hohn musste sich sein sprachretormatorischer
Eifer ernüchtern, und ohne Zweifel hat er jetzt erst darauf
Bedacht genommen, jenen\'orschlag nach Massgabe des durch
die Schriftsprache geschützten Lautbestands zu ermässigen.
Goethe ist, so weit ich sehe, nur in wenigen Eällen
bis an die äusserste Grenze gegangen, welche die »Blätter
von Deutscher Art und Kunst« zu behaupten wagen. Er
' Von und an Herder 2, 70. 71. Hamanns Schril'ten 3, i2iS.
Havm, Herder I, 689 t'g. Caroline richtet gleichzeitig an den Verleger
die Bitte, er möge Herders Namen hei Nicolai nicht nennen, weder im
Cniten noch im Bnseii.
142 Forschungen.
Hess sich \()n seinem nai\en und gesunden Sprachiietüh!
leiten, die «gelehrten Berutun_L;en aiit die altere Sprache,
die Minnesäni^^er, konnten ihm wenii,' anhaben. Jedenfalls
sind es gan/^ vereinzelte ^'ersuche, wenn er auch einmal
du und die und ähnliches als Anakrusis behandelt. Dass
er das aber (bei die und ('/'//) noch linde 1776 gethan haben
sollte, will mir nicht in den Sinn. Hr hat sich im Anfange
des Jahres noch ein Mal recht gründlich an der alten
liebgewonnenen Art geletzt, in »Hans Sachsens poetischer
Sendung« — wie hätte er die anders dichten können, als
in Hans Sachsens Weise und Sprache — nichts verzierlicht
und nichts verkritzelt! Da drängen sich denn auch unter
alle den altdeutschen Wörtern und Formen die bekannten
Kürzungen — mit'n Augen rum zu scharlenzen — wie e'n
Affentanz — zu 's Überfensters Raum — In (= In 'n)
l^-oschpfuhl ' — fast noch dichter und kecker als in den
Schwanken und dem Puppenspiel. Aber es ist ein Gütlich-
thun wie hei jedem letzten Abschiede. Das Gedicht bildet
mit Recht den Schluss des »Jungen Goethe«. Wenn wir uns
in den späteren Gedichten nach Kürzungen umsehen, so
linden wir, wie bei Herder, bloss 's tür es ('s ist leicht
geschehen — Faust, 2. Theil IL, 1457) und seltener Rü-
den neutralen Artikel:
Füllest wieder "s liebe 'l'hal
in der ältesten Cjestalt des Lieds an den Mond (1778) und
so bis zuletzt (Faust, 2. Theil, II, 109(4: Wir schatien's
Fisen). Kiu' in humoristisch gefärbter Sprache wohl auch
einmal lür sie (Flinze, wenig Frz enthaltens' — Gedichte
3, 20^). Wie Herder, lässt auch (joethe bisweilen die
W-rschleikmi: xon die mit dem nächsten Anlaut eintreten.
' J. G. 5, 701. 704. 7(i6.
B. SupHAx: Aeltere Gestagen GohTHE'scHEk Gedichte. 143
Ich erinnere an die oben (S. 108) ani^eluhrte Lesart in
der Oiii' (Grenzen der Menschheit) :
Nirgends haften
Dann (//V iinsichern Solen
WC) dei' Artikel L;an/ ebenso mit dem tolijenden W orte
ztisammentliesst, wie in den X'ersen :
Kein Nebel umschwebt uns. und schleicht er sich ein,
Ein Strahl und ein Lüftchen, und d/c Insel ist rein.
(Faust. 2. Theil, IL, 1733).
Wer erinnert sich schhesshch nicht, wie gern Cioethe die
Geschlechts- und Ftirwörter auslässt und zu wie schöner
und vielfältiger Wirkung ! Wie er dies simple Mittel bald
zum Zwecke der Belebung und Personitication, bald mit
feinen Bezügen auf Ton und Stimmung, immer aber zum
Gewinn des Wohllauts und der Sprache zu verwenden
weiss ! Herders \'orschlag, tnid gerade die weit- und i.iber-
greifende Fassung desselben und ihre Begründung (S. 134)
hat gewiss da/ti mitgewirkt.
Ich habe meine eigentlich blos auf die Sicherstellung
einer fahreszahl gerichtete Untersuchung zu einem Excurse
über eine sprachliche Eigenthümlichkeit und deren Geschichte
ausgedehnt, um ihr einen von der angeknüpften Folgerung
möglichst unabhängigen Werth zu verleihen. Ich folgere
nämlicit so. Wenn die älteste Niederschrift uns Formen
bietet, wie »der Zelten, die Fraue, von dem Thurne« ',
wenn sie tms eine Behandltmg des Artikels zeigt, so extrem,
wie kaum in den ersten Jahren der »Deutschen Art und
Kunst«, eine Behandlung, die im Jahre 1776 von ihrem
früheren \'erfechter selbst längst aufgegeben war: so stimmt
■ fDie alte Form finde ich zuletzt in der Dritten ^\'alll■ahrt nach
lirwins Grabe. J. Ci. 5, 69). » I^er Frauen c (Singular) noch in
»Iphigeniav und »Herrmann und Dorotlieai'. Gedichte 2, 120.
144 Forschungen.
das alles weit eher zu des Dichters eigener Angabe, die
den »edelii Gesan.L;« dem jähre 1775 (wenn nicht i^ar dem
X'orjahre) /uweist, als zu der X'erleuunu aul Mitte oder
linde 1776.
Aelter als man gewc)hnlich annimmt (1780 — 81) ist
wohl die Ballade Der Sdih^cy. Auch sie hat in der
l:rstlin!4stürm noch einige Spuren \-on der alten Art und
Kunst. Herder hat seine Abschritt wohl nach dem Ahuui-
script des Romans gemacht, wir hnden sie (ohne Ueberschrilt)
nebst A'Iignons Lied (Kennst Au den Orl, wo die (Zitronen
blühn ') und den Liedern des Harfners (Wer sich der
lunsamkeit ergiebt — Wer nie sein Brot mit 'Lhränen as)
zusammen in demselben poetischen Sammelhette, das ims
die älteste Gestalt der Z//<7V//////i,'' " aufbewahrt hat. Ich
beschränke mich daraul , die erste und dritte Strophe
mitzutheilen, da die übrigen X'arianten meistens mit denen
der Ausgabe vom Ldire 1799 zusammen fallen -\
Was hör' ich draussen. vor dem 'l'horV
Was schallet auf der Pirücken V
Es dringet 1ms zu meinem Ohr
Die Stimme voll Entzücken.
' Ausser dieser cigenthünilichen Fassung der ersten Zeile (die
eine Sehnsucht nach dem Heimathsorte ausspricht, der erst spater und
vielleicht nur des Wohllauts, des Gesanges wegen sich in «das Land<.<
der Goldorangen verwandelt hat) ist an der alteren l-orni nur das
noch hervorzuheben, dass der Refrain nur die Anrede »o mein Gebietern
(1.2) und »Ck'bieterc (5) hat. Wie viel hmigkeit ist durch die zarten
Nuancen der späteren l'orni (o mein (jeliebter — o mein Beschützer
— o Vater) noch in Mignons Bitten gelegt! In '/.. 2 hat Herders
(Ä')pic ; »im i^riiiwn Laub« —
- Mitgethcilt in der älteren Publication .S. 19 Ig.
5 Nur in der sechsten Strophe hat die älteste Cjestalt Eigenes.
'/.. 2 O Trank von süsser l.abe! Im W. .\1. : O Trank der süssen
Labe! hi den Werken: voll süsser Labe. Z. 5. /;'/ r/V/.- O hoch-
beglücktes Haus! W. M. : O drevmal hochbeglücktes Haus! In den
Werken: C^ wolil dem hochbeglückten Haus.
B. Suphan: Aeltere GESTAiiEN Goethe'schek Gedichte. 145
I )i,'r König s])ra<hs. der l'agc lief.
I )cr Knabe kam. der König rief
l.asst ihn herein den Alten.
Der Sänger drückt die Augen ein
Und schlug in vollen Tönen
Die Ritter sduiuten nnilhig drein
Und in (\cn ScIidos die Schönen.
Der Fürst dem es so wohl gefiel
Liess ihn zu lohnen für das Spiel
Ein' goldne Kette liolen.
.\ni meisten fällt die Aenderun» des Antant^s in die Alicen.
Sie ist äusserst glücklich. \'c)n der Beseitigung einer alt-
fränkischen Form geht sie aus, aber nun gelingt zugleich
damit ein echt poetischer Zug. Das Entzücken des Königs
wird nicht mehr beschrieben, wir emplinden es in seinem
dringenden Begehren und Befehl , in den dahineilenden
\'ersen; der Dichter zciut Schönheit in Wirkung.
Gdktiie-Iaiirivcii II.
2. Uebek Goethe's Erwin und Elmire.
Wilhelm Wilmanns.
oethe's Singspiel Erwin und Elmirc erschien 1775
im Märzheft von Jacobi's Iris; im Mai wurde es
in Franklurt aufgeführt. Goethe konnte der \oy-
stellung nicht beiwohnen. Die verdriesshche Wendung,
welche kurz vorher in seinem Verhältniss /u Lili eingetreten
war, hatte ihn bewogen sich den Grafen Stollberg auf
einer Schweizerreise anzuschliessen, um sich von peinlicher
Unruhe zu befreien und den \'ersuch zu wagen, ob er
Lili entbehren könne. Ueber den Bühnenerfolg seines
Dramas erbat er sich Bericht von seiner treuen Freundin
Johanna Fahimer. »Und wenn lirwin aufgeführt wird«,
schreibt er an sie am 16. Mai (Briefe an Job. Fahimer
Nr. XXX., Junge Goethe 3, 86), »bitt ich doch um eine
Relation. Denn eine barce gibts doch — Und ob Lili
drinn war?« Und bald nachher, am 22. Mai (Nr. XXXI.,
J.G. 3,87): »Dancke herzlich liebe Tante für die Nachricht
des herrlichen Tragierens . . Ihr Brief hat uns allen viel
Freude gemacht, Sie haben sehr lebhaft gefühlt, und sehr
Wilhelm Wilmanns: Uebe^.Goethe's Erwin und Elmire. 147
dr.iniatiscli cr/alilt. Mir wars lieber als die \'c)rstellunL;
selbst«. Schade, dass der Bericht nicht erhalten ist.
»Ob Lili drinn war«, will der Dichter wissen. Nicht
niu' das Interesse des Autors, sondei'n auch des Liebhabers
war reue. Das Stiick war ein Ciruss aus der l'erne, er
wollte wissen, ob die Geliebte hin^in^, ihn y.u empfangen.
In den \\'ochen der keimenden Neigung war das Singspiel
geschrieben und hatte manchen Zug aus dem gemeinsamen
Liebcslcben aufgenommen. l-!lmire ist w ie Uli die Tochter
einer VVittwe, hübsch und reich, sorglich erzogen und
wohlgebildet, \c)n \ielen breiern umworben, nicht Irei von
kleinei" Fätelkeit, anziehend und abstossend zugleich. \\'ie
lirwin hatte Goethe gefühlt, dass sein Mädchen ihn beherrsche
und nach ihrem Willen leite; auch hatte er eingesehen,
dass seine äussere Lage ihm keinen Anspruch auf ihre
Hand gehe, dass er durch Fleiss und praktische Tüchtigkeit
sich eine Lebensstellung scharten müsse; hatte wie F.rwin
Freunde gefunden, die ihn mahnten und ihm hallen sein
bürgerliches Leben zu gestalten.
An mehreren Stellen erinnert das Singspiel deutlich
an andere Dichtungen, die aus demselben Liebesverhältniss
entsprossen, zum Theil Lili gewidmet sind. Wenn Frwin,
gekränkt und verbittert ausruft {)-])'• «L)ie Mädchen! —
Ha! was kennen, was fühlen die! Ihre Fitelkeit ist's, die
sie etwa höchstens einigen Antheil an uns nehmen lässt.
Uns an ihrem Triinnphw^agen auf und abzuschleppeii!« so
stellt die erste Scene der Claudine von \'illa l^tlla Lili in
solchem 'Friumphzuge dar: «Kleine Kinder gehen voran
mit l^lumenkörben und Kränzen ; ihnen folgen Mädchen
und Jünglinge mit Früchten ; darauf kommen Alte mit
allerlei Gaben. Endlich erscheint, getragen von vier Jüng-
lingen, auf einem mit Blumen geschmückten Sessel, Donna
Claudina (= Lili). Die herabhangenden Kränze tragen vier
andere lünghnge, deren erster rechter Hand, Don Pedro
148 Forschungen.
(= (jocthc) ist« '. — An der angeführten Stelle fäiirt
Erwin fort: »Wenn sie Langeweile haben, wenn sie nicht
wissen, was sie wollen, da sehnen sie sich trevlich nach
etwas; und dann ist ein Liebhaber oder ein Hund ein
willkommenes Cjeschöpl. Den streicheln und halten sie
wohl, bis es ihnen einfällt, ihn /u wecken, und von sich
zu stossen ; da denn der arme Teufel ein lautes Gepelfere
verführt, und mit allen Pfotchen kratzt, wieder gnädig
aufgenonnnen zu werden — und dann lasst ihnen einen
andern Gegenstand in die Sinnen fallen, auf und davon sind
sie, und vergessen alles«. So vergleicht Goethe in Lilis
Park (S. 188) sich mit dem Bären in Lilis Menagerie, der
unwillig über die Gunstbezeugungen, die sie andern Thicren
gewährt, knurrend davon trollt, ins dunkelste Gebüsch hin,
und sich dort halb todt kaut, weint und wälzt, bis er auf
einmal aus der Laube ihre liebe, liebe Stimme hört, und
über Büsche, über Sträuche zu ihren Füssen eilt. -i^Sie streicht
ihn mit den Füsschen übern Rücken ; er denkt im Paradiese
zu sein. Wie ihn alle sieben Sinne jucken ! und sie sieht
ganz gelassen drein«. — Erwin klagt: »Unterhalten, amusirt
wollen sie sevn , das ist alles. Sie schätzen dir einen
Menschen, der an einem fatalen Abende in der Karte mit
ihnen spielt, so hoch, als den, der Leib und Leben für sie
hingibt«. Dieselbe Scene hat der Dichter in dem Lied an
Belinde im Auge;
Bin ichs noch, den du bei so vif Licinern
An dem S])ieltis(h liältstV
Oft so unerträglichen (lesichtern
(>egenüber stellst V
Aber trotz dieser deutlichen Beziehungen besteht die
Aelmliclikeit zwischen der Welt des Singspiels und Goethe's
' Uebcr die l^czicliunn .luf Lili und Ciocthe s. fni ncu<:n l^eicli
187.S. I.. 4cSi.
Wilhelm WiLMANNS: Ueber'Goethe's Erwin und Elmire. 149
Leben mehr in lün/elheiten und dem Allgemeinsten d<jv
äusseren Situation als in der Gleichheit der wesentlichen
Characterzüge. Wir \ ermissen in Erw in namentlich Goethc's
jugendlich frischen Lebensmuth , in Hlmire des Lebens
fröhliches Behagen. Lrw in hat keinen Tropfen Blutes von
Crugantino, LJmirens weiche Sentimentalität stinnnt nicht
zu der strahlenden Heiterkeit der Claudine und Lili. Das
kleine Drama ist nicht aus Goethe's Leben allein erwachsen;
in einen gegebenen Stoff und ältere Ik'arbeitung ist sein
Lebensreis erst nachträglich eingeimpft. Die Operette ist
älter als sein traulicher W-rkehr mit Lili. Wie wir aus
Lavaters Tagebuch wissen, las Goethe schon auf jener
bekannten Rheinreise des Sommers 1774 daraus vor, und
Goethe selbst gibt in Dichtung und Wahrheit (23, 95) an,
sein Werk sei aus Goldsmiths liebenswürdiger, im »Land-
prediger von W'akefield« eingefügter Romanze entstanden.
Alles dies ist hinlänglich bekannt, aber verborgen
liegt der eigentliche Ursprung des Stückes, der Anlass,
den Goethe hatte, die Romanze dramatisch zu gestalten.
Goedcke (Goethe's Leben und Schriften S. 133) vermuthete,
das Singspiel sei nicht all zu lange nach der Wetzlarer
Zeit begonnen, denn schon in Strassburg habe er durch
Herder den Landprediger kennen gelernt und seitdem
werth gehalten ; in den Briefen nach der Wetzlarer Zeit
aber werde seiner nicht mehr mit innerer Freude gedacht.
Ich glaube, dass diese W-rmutlumg das Richtige trifh.
Der erste Entwurf gehört in den Winter, der aut den
Wetzlarer Aufenthalt folgte, das Stück sollte ein Hochzeits-
gedicht für Herder werden.
Aeussere Beweise für diese H\pothese giebt es nicht;
der \'ersuch sie aus der Dichtung darzuthim, ist misslich,
da spätere Absichten und andere Verhältnisse den Dichter
veranlasst haben, den Plan, wie er ursprünglich ausgeführt
oder entworfen war, zu verlassen. Aber auch in dem
I5Ü FORSCHUNGUN.
jüngeren Bau treten an einigen Stellen die alten Linien
noch deutlich i^eiiui; hervor, um eine \'ermuthun,i^' über
ilire erste Bestimmunii; zu gestatten.
Herder hatte in Strasshuri;, zugleich mit dem jüngeren
1-reunde, den Landprediger gelesen , »wohl schon zum
vierten \Lile«, wie er an seine Freundin schreibt, (Herders
Lebensbild 3, i, 276). Er verspricht ihr, wenn sie in der
Lectürc davon sei, einen kleinen Beitrag zu schicken, der
dem Uebersetzer niissrathen sei (280) und sendet später
wenigstens den Anfang eben jener Komanze, die Goethe
seinem Singspiel zu Grunde legte (363). Zu wiederholten
Malen linden wir dann in den Briefen Hindeutungen auf
Personen und einzelne »Herzenssprüche« des Romanes,
die Herder besonders schätzte.
Es war ein anziehender Gedanke, die Lebensschicksale
des Freundes mit diesem Werke zu verschlingen, wie
Goethe die Darstellung seines eigenen Strassburger Lebens
mit Rücksicht auf Figuren und Situationen im Landprediger
gestaltete. Die Aehnlichkeit zwischen der Romanze und
dem, was Herders Leben bot, scheint zwar zunächst
gering. Angelina, die Tochter eines vornehmen iMannes,
hat Edwins treue Liebe verschmäht ; durch Härte und
Laune hat sie ihn gekränkt und in die Einsamkeit getrieben.
Bald macht sie sich \'orwür{e, flieht selbst die Welt und
irrt in Männerkleidung in die \\'ildniss. Dort tritit sie
den Geliebten als lünsiedler. Ohne ihn /u erkennen,
erleichtert sie vor dem frommen Maiin durch ein Geständnis
ihrer Liebe und \'ergehen das bedrängte Herz. Das Be-
kenntnis führt zur Erkennung und liebenden Vereinigung. —
So war Herders Liebe nicht \erlauten. Seine Karoline
war ein Mädchen von geringer Herkunft, eine arme Waise,
die im Hause ihres Schwagers ein bedrücktes Leben führte.
Der Eindruck, da-i Herder auf das Mädchen machte, war
bedeutender als der ihre auf ihn. Karoline war es zunächst.
Wilhelm Wilmanns : ÜKBER.GohTHE's Erwin und Elmire. 1 5 1
die sich mit ganzer Liebe und \'erehrui\u an ihn hing;
/u allen Zeiten war sie weit davon entlernt, ihn durch
Laune und Härte quälen zu wollen; nie hat sie den
Geliebten von sich gestossen, nie durch ein Bekenntniss
solcher Schuld ihn wieder zu gewinnen brauchen. Nicht
in dem Ganzen des \'erhältnisses, das viel eher Beziehung
auf Goethe und Lili gestattete, konnte die Anknüpfung
liegen, sondern nur in Einzelnem.
Von den Strophen, in denen Edwins Liebe geschildert
wird, mag die Erfindung ausgegangen sein. Angelina
erzählt von seinem schüchternen Werben :
Auch Edwin naht in Liebe sich,
Doch sprach von Liebe nie.
Er trug ein schlicht einfach (Jewand.
Nicht Macht noch Gut hat er:
Nur Tugend hatt' er und Verstand,
Doch wünscht i<h auch niclits mehr.
L'nd wenn er mir in \\ aldeskluü
Der Liebe Lieder sang,
Lieh er dem Weste süssen Duft.
.\Lisik dem Bergeshang.
Die zweite Strophe lässt sich wohl aut Herder beziehen ;
aber sie ist zu allgemein , sie beweist nichts. Bemerkens-
werther ist die letzte. Wer Goethe's Satvros im Gedächt-
niss hat und Scherers Auslegung, wird sogleich sich jener
Scene erinnern, wo der Satyr Herder in der Waldeinsam-
keit die liebesbange Natur mit Sang und Llöte letzt und
Fsyches Herz tun strickt. Es waren die ersten Stunden
der Bekanntschaft, die hier bezeichnet werden, gemeinsame
Spaziergänge in der Nähe Darmstadts. In den Briefen
ist oft davon die Rede. Herder schreibt von dem Walde
der Easanerie, wo sie sich, er und seine unschuldige Psvche,
152 Forschungen.
zusammenfanden, sangen und sprachen und sich die ersten
Accente einer Empfindung, die sich ganz ohne Bewustsein
meldete, einander stammelten (Lebensb. 3, i, 53). Karoline
verehrt diesen Ort als eine geheiligte Stätte, und sie
versäumt nicht, es dem Freunde /u melden, als sie das
erste Mal nach seiner Abreise mit Merck hinausgezogen
war, dort die Lieder der Minnesänger zu lesen und ihrer
wahren Herzenssprache zu lauschen. Noch nach Herders
Tode gedenkt sie dieses Ortes und der glücklichen Stunden.
Sie erzählt in den Erinnerungen (I, 154) von den ersten
Tagen der Bekanntschaft, wie sie Herder fast jeden Nach-
mittag in den Wohnungen, in kleinen Gesellscliaften, oder
auf den angenehmen Spaziergängen der nahen Wälder um
Darmstadt gesehen habe. »Statt dass wir ihn unterhalten
wollten, unterhielt er uns auf die mannigfliltigste, geist-
vollste Weise . . Aus Klopstocks Messias die schönsten
menschlichen Scenen, aus Klopstocks Oden, aus Kleist
(seinem und meinem Lieblingsdichter), aus den Minnesängern
las er uns vor. Unvergesslich ist mir die Darmsiädier
Fasanerie, wo er in der Stille des Waldes, in der feierlichen
Einsainkeit des Orles Klopstocks Ode ' .• »Als ich unter den
Menschen noch luanc — ;;/// seiner seelenvollen Stimme ans
dem Gedächtniss ;vr///r/^^((. Als Goethe später in den Darm-
städter Kreis trat, lernte er natürlich diese Plätzchen und
ihre Bedeutung für Herders Liebe kennen. Die Situation
konnte leicht die Erinnnerung an die Romanze wecken, und
ihre\'erschmelzun^mit dem Leben desl'reundes veranlassen.
' S. Schcror, Goclhc's Frühzeit S. 50 Anni.
^ Auch Herder in einem Briete vom Juli 1771 gedenkt der Aus-
fahrt in die Fasanerie (Aus Herders Nachlass 3, 81), aber etwas anders:
»Sie waren ein taubes Mädchen, icli kannte Sie noch nicht : aber als
Sie die Arie anfini::en im Walde (ich sass auf der Erde): »Als ich
unter den Menschen noch war« — das Bild ist mir immer wieder
zurückgekommene'. \'gl. auch 5, 140.
Wilhelm Wilmanns: Ueber <GoErHE's Ekwin und Elmike, 153
»Konnte!« Aus der Möi^lichkcit der Ucbcrtragunu
folgt nicht, dass sie wirklich stattgefunden habe. Dem
Nachweise, dass Goethe die \'erbindung vollzog, können
überhaupt nicht S(.)lche Punkte dienen, in denen die drei
in Betracht kommenden Factoren : das Singspiel, die Ballade
und Herders Leben übereinstimmen, sondern nur solciie,
in denen der Dichter, um den ^'erhältnissen des Freundes
sich zu nähern, \c)n der Ballade abwich.
Besonders anziehend ist in dieser Beziehiuig die Er-
kennung der Liebenden. In der Ballade ist ihre \'ereinigung
unmittelbar mit dem Geständniss Angelinas gegeben; sobald
Erwin erkennt, dass er die Geliebte vor sich hat, schliesst
er sie in seine Arme. Anders der Erwin des Singspiels.
Er ist von der Ankuntt Elmirens unterrichtet, er legt das
Gewand des Einsiedlers an, um ihr fremd zu bleiben; er
hält sich selbst da noch zurück, als er das Geständniss der
Liebe aus ihrem Munde empfangen hat. »Erwin zieht
eine Schreibtafel heraus, schreibt mit zitternder Hand einige
Worte, taltet sie zusammen und gibt sie ihr. Sie will es
aufmachen, er hält sie ab, und macht ihr ein Zeichen sich
zu entfernen«. Erst in einiger Entfernung soll sie es öffnen.
Niemand wird das Benehmen des Eremiten anders
als seltsam finden. Die Scheinmotivirung des Dichters,
der fromme Mann habe das Gelübde gethan, einige Monate
kein Won zu reden, gilt nur für Elmire, nicht für den
Zuschauer, Erwin selbst hat solch Gelübde nicht gethan.
Auch das lallt auf, dass Erwin das Gewand des Einsiedlers
erst anlegt, als Elmire naht. Warum lässt ihn der Dichter
dieses Kleid nicht als das gewöhnliche tragen, wie es den
Verhältnissen angemessen war und der Ballade entsprach ?
Es ist klar, dass der Dichter für diese Erfindungen besondere
Gründe gehabt haben muss.
Er fand sie in Herders Leben. Yon Herder galt das
Wort, »auch Erwin naht in Liebe sich, doch sprach von
154 Forschungen.
Liebe nie«. Karoline tühlte sich ihm längst nahe, aber
Herder mied bestimmte iirklärung ; sie genoss im täglichen
\'erkehr mit ihm ein nie emptundenes Gliick, aber auch
unbeschreibliclie Wehmuth und Schwermuth. Endlich am
2). August entschloss er sich zu einem entscheidenden
Schritt, in den frühen Morgenstunden seines Geburtstages
gelobte er dem Mädchen innige, treue Freundschaft. Aber
in seltsamer Weise: brieflich, und doch ohne Boten; von
Angesicht zu Angesicht, und doch ohne Bekenntniss des
Mundes. »Den 25. August«, berichtet Karoline in den
Erinnerungen, »feierten wir Herders Geburtstag in dem
kleinen Kreise der Freunde, bei Mlle. Ravanell im Schloss ;
da gab er mir seinen ersten Brief . . ach ich empting mit
diesem Brief das heiligste, was diese Erde für mich hatte!
ich konnte nur Gott und ihm danken«, (^'gl. auch Nachlass
3, 126). In der Darstellung dieser \'erlobung fand Goethe
anmuchigen Stoft' für ein Hochzeitsgedicht; er verwandte
einen auffallenden, gewiss so manches Mal belachten Zug
aus dem Leben des Freundes in treundlich neckischer Weise.
Auch die andere auffallende und von der Ballade
abweichende Erfindung, dass Erwin das Gewand des Eremiten
nur als Hülle und Maske braucht, erklärt sich als xAnspielung.
Obschon nämlich Herder von Anfang an einen ungewöhn-
lichen Eindruck auf Karoline gemacht hatte, überwältigend
wirkte er auf sie erst im geistlichen Gewände. Dem
Prediger stanmielte sie ihren Dank und im Dank ihre Liebe.
»Am 19. August predigte Herder in der Schlosskirche.
Ich hörte die Stimme eines Engels und Seelenworte, wie
ich sie nie gehört ! . . zu diesem grossen, ein/igen, nie
empfundenen Eindruck habe ich keine Worte — ein Hinnii-
lischer in Menschengestalt stand er vor mir. — Den Nach-
mittag sah ich ihn, stammelte ihm meinen Dank . . von
dieser Zeit an waren unsere Seelen niu' Eins und sind
Eines«. (Vgl. Lebensb. 3, 1,124. M^- ^9^-) Worüber mag
W'lLHHLM WiLMANNS: UeBHR«GoETHE'S ErwiN UND ElMIHU. IJ)
Herder i^cprcdi^t haben? die lipistel des S()iinta_i;s (des
/.ehnten nach Trinitatis) stellt i. Korinth. 12, i— ii: »^ on
den geistlichen Gaben aber will ich euch, lieben Brüder,
nicht verhalten. Ihr wisset, dass ihr Heiden seid gewesen,
und hingegangen /u den stinnmen Gtn/en, wie ihr getühret
wurdet. Darum thue ich euch kund, dass niemand Jesum
\erfluchet, der durch den Cieist Gottes redet«. Welch
herrlicher Anlang tür llerder! — Und nachher \-. 4. »Hs
sind mancherlei Gaben; aber es ist Hin Geist. Und es sind
mancherlei Krake; aber es ist Hin Gott, der da wirket
alles in allen«. "Li /.itl -jür.
In den äusseren \'erhältnissen Hrwins gestattet manches
Beziehungen aut Goethe, anderes und bedeiuenderes weist
aul Herder: die Unentschlossenheit, das Abbrechen Ireund-
licher Beziehungen zum Hofe, sorglich verholene Hiebe
und selbstquälerischer Hiebesschmerz. Hlmirens Mutter
C)lvmpia schildert sein Wesen in der ersten Scene: »Jetzt
da der junge Hrwin, der hat auch solche Knöpie, es war
ihm nirgends wohl . . Ich begreils nicht, was ihn bewogen
haben kann, aut einmal durchzugehen. Keine Schulden
hatte er nicht, war sonst auch ein Mensch nicht zur
.Vusschweiiung geneigt. Nur die Unruhe, die Unzufrieden-
heit mit sich selbst ists, die ihn ins Hlend stürzt . . Hr
wird herumirren, er wird Mangel leiden, er wird in Noth
kommen, er wird kümmerlich sein Brod verdienen, wird
luuer die Soldaten gehen. Hr war ein lieber, guter Junge.
Sonst so still, so sanft! Wie beliebt war er bei Hofe!
Seine Geschicklichkeit, sein Hleiss ersetzte den .\Hmgel
eignes Vermögens. Hätte er warten können ! Ihm würd'
es an \'ersorgung nicht gelehlt haben. Ich begreile nicht,
was ihn zu dieser Hntschliessung gebracht hat.« Diese
Unruhe, diese Unzufriedenheit, »das Missbehagen an
seiner Stellung und der ungläubige Unmuth über sein
Schicksal«, waren Herder in hohein Masse eigen. Sein
156 Forschungen.
\'crhaltcn wahrend der Jahre der Liebschaft forderte ein
ähnliches Urtheil ver.ständii^er Mensclien heraus. Als er
Karoline kennen lernte, stand er in Diensten des Herzogs
von Holstein-Eutin, dessen Sohn er auf Reisen begleitete.
;)Hr genoss in hohem Grade den Beifall der fürstlichen
Eltern, ihre Zufriedenheit und Gnade«; aber schon ehe er
die Reise antrat, fühlte er sich in seiner Stellung unbe-
haglich, und erbat sich die Hrlaubniss, auch während der
Reise um seinen Abschied bitten zu dürfen. Am Tage
vor seiner \'erlobung traf er eine gewisse Entscheidung,
indem er eine WKation des Grafen Wilhelm von Bückeburg
wenigstens vorläufig annahm. Einige Wochen später, von
Strassburg aus, löste er dann sein Eutiner \'erhältniss,
kehrte aber nun nicht wieder, die Ereundin nach Bückeburg
zu führen , wie man hätte erwarten dürfen und er selbst
später gethan zu h.aben wünschte (Nachlass 3, 391. 379),
sondern blieb ohne Amt und ohne Subsistenzmittel in
Strassburg, unterwart sich einer langwierigen Kur, und
machte Schulden, die zum Theil der Grund waren, dass
die \'erbindung mit Karoline so lange hinausgeschoben
werden musste. — Auch Herders Liebesstimmung klingt
aus Erwins verzweifelten Klagen wieder. Auch Herder,
so wenig Ursache er dazu hatte, zweifelt an Karolinens
Gegenliebe, plagt sich mit dem Gedanken, ob er ihrer
würdig sei, findet Kälte und Gleichgiltigkeit in ihrem
Wesen, das doch ganz Hingabe war (Lebensb. 3, i, 154 ff.
192. 305. u. a.).
Wie Erwin an Herder erinnert, so Elmire an Karoline.
Ihr sehnendes \'erlangen, die thränenreiche Sentimentalität,
ihr verzagtes fremden Trostes bedürftiges Herz hat sie
von Karoline; Lili sind diese Züge fremd. Auch das
entspricht Karolinens, nicht Lili's Leben, dass EJmire ihre
Liebe in sich verschliesst und nicht einmal der Mutter
ihre Liebe und ihre Qual zu xerti'auen wagt. So nuisste
Wilhelm Wilmanns: UeberjGoethe's Erwin und ELiMiuE. 157
auch Karolinc ihre 1-rciindschalt bcr_ucii: selbst der Schwcsicr,
in deren I Luise sie lebte, und der sie zärtlich /.ui;eth.\n
war, wurde das \'erhältniss nicht Ljan/ enthüllt (Nachlass
^, 25), und dem Schwager theilte sie es erst nach zwei
Jahren mit, und nur im Augenblick heftiger Gemiiths-
wallung.
In anderen He/iehungen, in der äussern Lage und
dem übermüthigen \'erhalten gegenüber dem Geliebten,
stimmt l:lmire mehr zu Goethe's Lili, zugleich aber auch,
was beachtenswerth ist, zu der Angelina der Ballade. l:s
mag daher unentschieden bleiben , ob Goethe in dem
ursprünglichen hjitwurt diese Züge, seiner Quelle tolgend,
beibehielt, oder ob er sie in der späteren Bearbeitung seinen
eigenen Erfahrungen gemäss einfügte. Nur einige Stellen
gemahnen an Karolinens äussere Lage. Li dem Hause
des Geheimraths Hesse fehlte der rechte Lriede; die Gatten
harmonirten nicht, es kam oft zu verdriesslichen Auftritten,
Karoline war ihrem Schwager innerlich fremd, und oft
verlangte es sie, diesem gestörten Hauswesen sich zu
entziehen (Nachlass 3, 121. 210. 309. — 46. 68. 315. 318.
327. 334.}. Diesem Zustande entspricht es wohl, wenn
Olympia Llmiren warnt: »Nui' nicht aus der Welt lauten,
das \erbitt ich mir« (5*^9); '-'ii'-^ wenn sie, den Frieden
und die breiheit ihres Hauses rühmend, ausridt: »Wenn
dir eine Ratte durch den Kopf läuft, dass du einen Morgen
nichts reden magst, oder bei Tische das Maul hängst, sag'
ich da was drüber? Hat man jemals eine schönere Haus-
haltung gesehen, als unsere, da man einander aus dem
Wege geht, wenn man üblen Humors ist?« (505). —
Ausser den beiden Hauptpersonen, den einzigen in
Goldsmiths Ivomanze, treten bei Goethe noch zwei andere
auf, die Mutter Olympia, und der Vertraute Bernardo.
Olympia, ninunt man an, sei nach Gcx'the's eigner Mutter
gezeichnet. Li der 'Lhat ist es wohl glaublich, dass die
158 Forschungen.
hausbackenen Ik'trachtiingen über moderne l^ilduny und
Her/ens\-erxärtelung dem Sinne und den Anschauuni^en der
Frau Rath gemäss sind, und jedenfalls bezieht sich das
Meiste, was in dieser Scene über l-dmirens \'erhältnisse
gesagt wird, auf Lili, nicht aul' Karoline. Aber doch nur
das Meiste, nicht alles. Auch diese Scene und die b'igLu-
der Olympia muss schon indem altern Entwurf vorhanden
gewesen sein, so sehr sie auch später xerändert sein mag.
Wäre Goethe's Erfindung von seiner Mutter ausgegangen,
sowohl die äussere Stellung der OKmpia, als auch ihr
inneres Verhältniss zu den Hauptpersonen wäre ein anderes
geworden. Nur in der eisten Scene tritt sie auf, sie bleibt
ganz ausserhalb der Handlung, weil ihre Beschränktheit
cmen tiefern Antheil nicht gestattet. »Diese Mutter«,
seutzt Elmire, »vermöchte mir nicht zu helfen mit all dem
wahren Antheil an meinem innersten Herzen. Wie viele
Eltern verkennen das Wohl ihrer Kinder, und sind für
ihre dringendsten Empfindungen taub«. So hätte Goethe
mit Bezug aut seine Mutter wohl nicht geschrieben. In
dem altern l:ntwurf vertrat Olvmpia Karolinens \'erwandt-
schalt, sie war das Zeichen für die einsame Verlassenheit
des liebenden Mädchens. Weim man sie aul eine bestinnnte
Person beziehen soll, so wird man zunächst an Karolinens
Schwester denken. Viele Stellen in den Briefen an Herder
zeigen, dass sie dieser Schwester auls herzlichste zugethan
war, dass sie bei ihr wahren Antheil an ihrem innersten
Herzen hmd, sie nennt sie das beste, beste Herz, aber
doch \erschieden in der Denkungsart oder E.mpfindung
(Nachlass 3, 24)).
Edne bedeutendere Rolle spielt Bernardt), der freund-
liche \'ermittler, der die unglückliche Elmire tröstet, den
verzagten Einsiedler aufsucht und autrichtet, der das Wohl
beider im Herzen trägt, und ihre Begegnung in de)-
l'jnsamkeit herbeitührt. In ihm ist Merck \-erherrlicht.
Wilhelm Wilmakns : UEBEi^tiOETHE's Erwin und Elmire. 159
Goethe hat Jas Bild des Mannes, der ihm damals auN
engste befreundet war, <j;an/ so gexeichnet, wie er ihn-
erschien, autrichtig wohlwollend und interesselos. Merck
war der Mitwisser und \'ermittler in Herders Liebe. Noch
am Mori^en der Abreise, am 27. August, hatte er den
Liebenden eine X'iertelstunde bereitet, wie sie ihnen noch
nicht y.u Theil geworden war. Lr hatte es \eranstaltet,
dass sie sich in seiner Wohnung traten, »in dem Augen-
blick der Trennung zum erstenmal allein!« (Erinnerungen
I, 157). Nach Herders Abreise schützte er, als Vertrauter
beider, das Geheimniss des ^'erkehrs, tröstete die Linsame
und besorgte die Briefe, selbst da noch als der Geheimrath
bereits um die A'erlobung wusste, denn Karoline wollte
diesem die Briefe nicht vorlegen (Nachlass 3, 341). Noch
kurz \or der \'ermahlung schickt sie zu Merck, imi nach
Briefen zu fragen (Nachlass 3, 453).
Diesen treuen Diensten hat Goethe ein Denkmal
gesetzt. Auch darin entspricht seine Dichtung der \\'irk-
lichkeit, dass die Liebenden dem L'reunde nicht reinen
Dank zollen. Erwin und Elmire, beide werfen Bernardo
kalte Sophismen und fühllosen Spott vor (513. 516. 526).
So hat auch Karoline in den Briefen an Herder nicht
selten über Merck zu klagen, tadelt sein Benehmen gegen
seine Frau, wirft ihm vor, dass er sich ihrer Gesellschaft
entziehe, rügt, dass es ihm an wahrer Theilnahme, an
Aufrichtigkeit imd Diskretion [ehle u. s. w., zumal gegen
Ende des Brautstandes, als Leuchsenring wieder nach
Darmstadt zurückgekehrt war und sein zweideutiges
Wesen trieb. Herder leistet Widerstand, er versichert
noch im December des Jahres 1772, dass er ewige
Achtung und Freundschaft für Merck behalten werde,
»denn«, sagt er, »mein Herz betrachtet ihn noch immer
als den Mittler und Zw'ischenfreund unserer ersten Blicke
und W^ünsche, und er ist im Grunde ein edler Mann^^.
l6o Forschungen.
Aber auch auf seiner Seite niinnit man eine gewisse
Hrkältung wahr.
Die Bezieliung Bernardos xii Merck erklärt denn auch
wohl ein einzelnes Wort, das jedem Leser auHallen nuiss,
dass nämlich der \'ertraute, ohne dass man in der Dichtung
irgend welchen Anlass und Zweck sähe, als lilmirens
französischer Sprachlehrer bezeichnet wird, »l^ist du nicht
der Mann«, sagt sie zu Bernardo (513), »der in meiner
ersten Jugend mir das Herz zu besseren Empfindungen
öffnete, der nicht nur mein französischer Sprachmeister,
sondern auch mein Freund und Vertrauter war«. Sicher-
lich hat dieser französische Sprachmeister, der in der
pathetischen Stelle fast komisch wirkt, individuelle Be-
deutung.
Karoline lernte das Französische als Bram. Der W^msch
den Emil Rousseau's, dessen Leetüre ihr Herder emptohlen
hatte, in der Ursprache zu lesen, hatte sie auf den Gedanken
gebracht: »Ein- für allemal will ich Französisch lernen,
dass ich nicht in Ewigkeit von den Uebersetzern abhänge«.
(Nachlass 3, 84). Freilich erlahmt der heilige Enthusiasmus
oft : «Es ist eine undankbare Aufgabe, Wörter auswendig
zu lernen, aber iür Rousseau thue ich alles« — (3, 88).
Noch öfter gedenkt sie dieser Studien (3, 121. 271), bei
denen ihr des vertrauten Freundes Rath sicherlich nicht
gefehlt hat. l:in Brief Herders vom 12. October 1772
zeigt jedenfalls, dass Merck über Karolinens französische
Studien an Herder berichtet hatte (3, 355).
Die Rolle Bernardos scheint mehr als eine andere
ganz dem altern Entwurf eigen zu sein; denn Goethe
und Lili bedurften eines Vermittlers nicht ; sie hatten sich
selbst gefunden und verkehrten offen ohne Geheinuiiss
für sich und andere. Aber daraus folgt doch nicht, dass
der ganze Bernardo dieser altern Ik-arbeitung angehört.
Denn auch Cjoethe und Lili kam das \\'ohl wollen belreun-
WlLlltLM W'ILMANNS : UeBER GoETHE'S ErWIN UND ElMIRE. i6i
deter Personen zu statten , und es ist sehr wohl möghch,
wenn sich auch nichts Bestimmtes nachweisen lässt, dass
sich in dieser oder jener Wendung eine Anspielung aul
Goethe's Verhältnisse birgt '. Ja noch mehr; wenn einmal
die Rolle da war, so konnte die dichterische Phantasie sie
frei weiter bilden und selbst mit heterogenen j-lementen
der Wirklichkeit verbinden. Dies letztere glaube ich hier
wahrzunehmen. Goethe scheint mit der edlen Figur des
vermittelnden Freundes die Züge eines Mannes aus Lili's
Umgebung, der nichts weniger als ein Förderer ihrer Liebe
war, wunderlich vermischt zu haben.
Es wurde vorhin bemerkt, dass es dem N'erhalten
Karolinens und Herders gegen Merck entspricht, wenn
Hrwin und Elmire ihrem Bernardo nicht überall mit der
Rücksicht begegnen, die er uns verdient zu haben scheint ;
aber ein paar gar zu herbe, beleidigende Ausdrücke weisen
über diese ^\n-hältnisse hinaus. Schwerlich konnte Goethe
in Karolinens Benehmen den Anlass finden, dass Elmire
dem Bernardo ein unerträgliches Alltagsgesicht vorwirft
(5I2)^ dass sie ihn sogar mit den Worten anfährt: »Du
kommst, meines Schmerzes zu spotten, ohngefähr wie ein
reicher wollüstiger Esel seine Gemeinsprüche bei so einer
' Individueller Bezug liegt jedenfalls in der ausführlichen Erzäh-
lung Bcrnardos, wie er auf einsamem Morgenritt sich verirrte und den
Einsiedler fand (517). Elmirens Zwischenbemerkung: »Du wünschtest
mich gewiss zu dir, so ein Morgen im Thale!« weist auf Lill, die
zierliche Reiterin. Bei Bernardo würde man dann an ihren Onkel
d'Orville denken dürfen.
^ Am 14. Nov. 1772 schreibt Karoline (Xachlass 3, 373): »Icli
hab' unsern Freund Merck erwischt; er lässt meine Briefe oft einen
ganzen Posttag liegen, ehe er sie abschickt. Ich hab' ihm feierlich
jeden ihrer Seufzer darum auf seine arme Seele gelegt , aber da stand
er und lachte, wie — ein alter Ehemann, und ich — musste mitlachen«.
Die Stelle erinnert an das unerträgliche Alltagsgesicht Bernardos, aber
so, dass man den Unterschied nur um so deutlicher empfindet.
Goethe-Jahrblcü II. I I
102 Forschungen.
Gelegenheit LUiskranien würde«. (513 f.) Und doch zeigen
grade diese Stellen individuelles Gepräge; denn diese Worte
entsprechen weder dem Wesen Elmirens noch dem wahren
Herzensantheil, auf dem die Handlungsweise Bernardo's
beruht. Ich vermuthe, dass Goethe hier Lili's Onkel
Bernard im Auge hatte.
Dass Goethe diesem Herrn nicht hold war, sieht man
schon aus der Stelle, wo er ihn in Dichtung und Wahrheit
(23, 26) zuerst neben d'Orville erwähnt, diesen freundlich
lobend, als jüngeren lebhaften Mann von liebenswürdigen
Eigenheiten, jenen nur als Besitzer des grössten Hauses
und weitläuftiger Fabrikgebäude.
Wir wissen, dass Goethe in Lili's Verwandtschaft sich
im allgemeinen nicht behaghch fühlte; sehr scharf spricht
er sich in Briefen aus; aber auch in seiner Biographie
macht er kein Hehl daraus. Unter den jüngeren Männern fand
er anspruchsvolle Nebenbuhler, unleidlicher waren ihm die
älteren »mit ihren Onkelsmanieren, die ihre Hände nicht
im Zaum hielten und bei widerwärtigem Tätscheln sogar
einen Kuss verlangten, welchem die Wange nicht versagt
wurde. Allein auch die Gespräche erregten manches bedenk-
liche Erinnern«. Hier haben wir den reichen wollüstigen Esel.
Der Onkel Bernard wird zwar nicht namentlich bezeichnet,
man darf aber getrost auf ihn, den Goethe als den Onkel
■AUT i^o/i'jv bezeichnet (23, 26), die Onkelsmanieren dieser
Stelle beziehen.
Sein unerträgliches Alltagsgesicht kommt bei einer
andern Gelegenheit in Dichtung und Wahrheit zum \^or-
schein. Der Leser erinnert sich des Berichtes über Lili's
siebzehnten Geburtstag. Eine ganz besondere Feier im
Hause des Onkels d'Orville war vorbereitet, mit angenehmer
Hoflnung sah Goethe dem festlichen Tage entgegen, da
meldete ihm plötzlich am \'orabend Lili"s Bruder, das Fest
sei gestört, es sei der Schwester völlig unmöglich am
Wilhelm \\il.\ianns : Ueber Goethe's Erwin und Iilmire. l6^
folg£nden Mittag nach Offenbach zu kommen. Lili Hess
Gücthc recht herzlich bitten, etwas zu erfinden, wodurch
das Unangenehme dieser Nachricht gemildert, ja versöhnt
werde. Der Dichter, schnell gehisst, entw arf ein Gelegen-
heitsgedicht, in welchem er die Unruhe, die durch so
plötzhche Xachricin im Kreise der Freunde hervorgerufen
werden musste, darstellte. Das Schlusstableau bildete der
Onkel Bernard: »Alles ging noch bunt durcheinander bis
der musterhaft ruhige Onkel Bernard endlich herankommt,
ein gutes Frühstück, ein löblich Mittagfest erwartend, und
der einzige ist, der die Sache aus dem rechten Gesichtspunkte
ansieht, beschwichtigende, vernünftige Reden äussert und
alles ins Gleiche bringt, völlig wie in der griechischen
Tragödie ein Gott die Verworrenheit der grössten Helden
mit wenigen Worten aufzulösen weiss«. Die Ironie in
dem Bilde dieses musterhaft ruhigen Gottes , dessen
Erwartung nur auf gutes Frühstück . und löblich Mittags-
mahl gerichtet war, ist nicht zu verkennen. Ein unerträg-
lich Alltagsgesicht für den Liebenden, dessen Hofl'nung
getäuscht war.
Später als das Verhältniss zwischen Goethe und Lili
sich gelöst hatte, wurde diese mit einem Neffen des Onkel
Bernard verlobt, der den gleichen Namen führte. Es war
begreiflich, wenn der Alte von Anfang an Goethe's Werben
missgünstig ansah. Dem entspricht Bernardo's erstes Lied-
chen, das mit vortrefflichem »Gemeinspruch« beginnt:
Hin ist hin,
Und todt ist todt!
Spare die vergel)ene Noth.
Verweine nicht die schönsten Zeiten ;
Ich wetf, ic'/i freye dir den zioeite/i.
Jung, schön, und reich : keine ( ietahr !
Der Bernardo, der dieses Lied singt, ist nicht Merck.
1 1*'
164 Forschungen.
Diese Stellen, welche eine Erklärung aus der Anlage
des Stückes selbst nicht finden, und eben deshalb auffordern,
nach einem andern Ursprung zu suchen, lassen sich durch
die Beziehung auf den Onkel Bernard begreifen. Sie gehören
sämmtlich dem Anfang der Scenen an, in denen Bernardo
seine Thätigkeit übt. Wir hören diese Urthcilc und Kund-
gebungen, ehe wir ihn kennen; sie sind gleichsam eine
Maske , die dem treuen Gesicht des braven Mittlers zu
Anfang vorgehalten wird. Eingeweihte Freunde mochten
den durcli den Kontrast gesteigerten Spott um so leichter
merken, als der Name Bernardo die Spur wies. Denn
wenn überhaupt die erwähnten Züge dem Onkel Bernard
entlehnt sind, ist wohl nicht zu bezweifeln, dass Goethe
von ihm auch den Namen borgte.
Das Resultat der vorstehenden Untersuchung wäre
also folgendes : Den literarischen Ausgangspunkt fand Goethe
in Goldsmiths Romanze, Herders Liebesverhältniss bildet
den Anlass, die Romanze dramatisch zu bearbeiten; dorther
stammen sowohl die Grundtypen der Charaktere als auch
die Anlage und Entwickelung der Handlung; später arbeitete
Goethe das Stück um , nach Massgabe seiner eigenen
Erlebnisse. Wer diese Ansicht gelten lässt, wird in einem
Briefe Gocthe's, dem ersten, den er nach langer Entfremdung
an Herder richtete, auch ein äusseres Zeugniss willkommen
heissen. Am 18. Januar 1775 antwortet Goethe auf eine
Zusendung Herders: »Der Moment, in dem mich Dein
Brief traf, lieber Bruder, war höchst bedeutend. Ich hatte
mich eben mit viel Lebhaftigkeit des Wesens und Unwesens
unter uns erinnert, und siehe Du trittst herein — und reichst
mir die Hand. Da hast Du meine und lass uns ein neu
Leben beginnen mit einander«. Das schrieb Goethe, als
er grade mit dem Abschluss der Operette beschäftigt war.
Natürlich hatte ihm die Wiederaufnahme der älteren Arbeit
die veryan^ene Zeit und das Leben des Freundes wieder
Wilhelm WiLM ANNS: Ueber jSoethe's Erwin und Elmire. 165
in ganzer Lebhaftigkeit vors Auge geführt. Der Ausdruck
»Wesen und Unwesen« wird nachher seine Hrklärung finden.
Bisher habe ich nur versucht, die Beziehung des Gedichts
auf Herder zu sichern ; um die Vermuthung über den
Zweck desselben zu begründen, habe ich nichts zu sagen,
als dass Herders Hochzeit jedenfalls der schicklichste Anlass
war, sich in dieser Weise mit den persönlichen Angelegen-
heiten des Freundes zu beschäftigen. Xachher ist er
jedenfalls nicht auf den Gedanken gekommen; denn mit
Herders Hochzeit löste sich der Bund, der erst durch den
eben angeführten Briet wieder geknüpft wurde. Zwar der
Biograph Herders (i, 737) stellt es in Abrede, dass eine
solche Entfremdung zwischen Goethe und Herder einge-
treten sei, aber die Thatsache, dass für die Zeit vom
Frühjahr 1773 bis zu Anfimg 1775 der briefliche Verkehr
aufgehoben war, und die Art, wie er in dem eben erwähnten
Briefe wieder angeknüpft wurde, stellt es, wie mir scheint,
ausser Zweifel, dass Scherer mit der Annahme eines Zer-
würfnisses Recht hat; nur Scherers Ansicht über den
Ursprung und die Art dieses Zerwürfnisses vermag ich nicht
zu theilen. Ich glaube nicht, dass die Störung im freund-
schaftlichen Verkehr das Resultat einer langen Reihe von
Kränkungen war, die Herder Goethe zugefügt hätte; glaube
auch nicht, dass die Missstimmung vorzugsweise bei Goethe
obwaltete.
Die kleinen Reibereien , die im Winter vor der
Hochzeit stattgefunden hatten, die Knüttelverse, die hin
und wieder gegangen waren, dieses »Schneeballengefecht
braver muthiger Jungens«, wie es Karoline nennt (Nachlass
3,451. 496), hatte wohl vorübergehenden Unmuth erzeugt,
aber nichts mehr. Im December ladet Goethe Herdern
freundlich ein, über Frankfurt zu kommen, wenn er die
Braut hole (Nachlass i, 44), auch zu Karoline hat er davon
gesprochen (3, 386). \och drei Monate vor der Hochzeit
l66 Forschungen.
schreibt diese : »Junker Berlichingen erwartet Dich in
Frankfurt am Main, und kommt vielleiclit mit Dir hierher«
(Kachkiss 3, 489); er kam schon früher (3, 500); mit
herzlichem Verkmgen sieht er dem verehrten Freunde ent-
gegen. Von aufgespeichertem Groll nirgends eine Spur. Auch
nachher, in der Zeit da keine Briefe gewechselt wurden,
spricht Goethe von Herder mit hoher Achtung und freu-
diger Anerkennung, und als Herder ihm von neuem die
Hand bot, findet er gleich den alten Ton, zeigt in Wort
und That, dass auf seiner Seite die Freundschaft fortbestanden
habe : »Im Grunde hab' ich doch bisher für Dich tortgelebt,
Du für michff (Nachlass 3, 50. Vgl. Haym, Herder i, 737).
Die Entfremdung muss in Herders Gesinnung einge-
treten sein; bestimmte Ereignisse müssen in den Tagen
der Hochzeit sie herbeigeführt haben. Nach einem Briefe
an Kestner (der junge Goethe i, 368) erwartete Goethe,
das junge Paar werde auf der Heimreise in Frankfurt
vorsprechen. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen,
dass Herder der Einladung folgte; jede Verbindung nach
dieser Seite ist mit der Hochzeit gelöst. Es ist wohl nicht
zu bezweifeln, dass der Bruch zwischen Merck und Herder,
der eben damals erfolgte, auch auf Herders Verhältniss
zu Goethe eingewirkt habe ; um jedoch Herders Missstimmung
gegen Goethe zu begreiten, braucht man nicht anzunehmen,
dass dieser in die Handlungen Mercks, die Herder und seine
Frau so sehr empörten, verwickelt gewesen sei; es genügt
der Hinweis auf den Polterabendscherz, mit dem Goethe
dem Freunde aufwartete. Noch im Jahre 1789 spricht
Herder in heftigen Worten seinen Unmuth über den Pater
ßrey aus : »Hole der Henker den Gott, um den alles rings
umher eine Fratze sein soll, die er nach seinem Gelallen
brauchet; oder gelinder zu sagen, ich drücke mich weg
von dem grossen Künstler, dem einzigen rückstrahlenden
All im All der Natur, der auch seine Freunde, und was
Wilhelm WiLMANNS: Ueber.Goethe's Erwin und Elmire. 167
ihm vorkommt blos als Papier ansieht, aut welches er
schreibt, oder als Farbe des Paletts, mit dem er malet«.
Wer seine Indignation noch nach sechzehn Jahren so hart
äussert, wie muss der gelitten haben unter dem frischen
Eindruck und in einer Zeit, wo Mercks Indiscretionen ihn
aufs emptindlichste gereizt hatten. Herder war, zumeist
wegen seiner Braut, empört über diese Profanirung
intimster Verhciltnisse.
Die Arbeit an Erwin und Elmire rief dem Dichter die
Erinnerung an diese leidigen Irrungen zurück, und deshalb
schrieb er damals : »Ich hatte mich eben mit viel Leb-
haftigkeit des Wesens und Unwesens unter uns erinnert«.
Das freundliche Singspiel würde diesen verletzenden
Eindruck nicht gemacht haben. Aber es ist sehr zu
bezweifeln, dass Goethe diese Arbeit damals zu irgend
welchem Abschluss brachte und sie dem Freunde vorles^te.
Ich glaube vielmehr, dass er sie unvollendet liegen Hess,
bis er im eignen Leben den Anlass fand, sie wieder auf-
zunehmen. Er schob die Arbeit bei Seite, weil der in
der Ballade gegebene Stoff zu spröde war, um sich nach
dem erwünschten Ziele biegen zu lassen; der wesentliche
Unterschied zwischen den \'erhältnissen Edwins und Angelinas
und denen des Brautpaares hinderte, dem Stück so viel-
seitige und augenfällige Beziehungen zu geben, wie sie
der Dichter einem Gelegenheitsgedicht sieben wollte.
O C^ O
3- Zv GoETHE's Bericht über seine
Anknüpeung mit Schiller.
Heinrich Düntzer.
|eute lesen wir Goethe's eigene Erzählung, wie sein
Verhältniss zu Schiller sich angesponnen, unter
dem betreffenden Jahre der »Annalen« (1794);
ursprünglich stand sie im ersten, 1817 erschienenen Hette
j)Zur Morphologie«. Dort findet sich ein zweiter Abdruck
der Schrift »Die Metamorphose der Pflanzen« ; vorher geht
eine Darstellung der Entstehung derselben, den Schluss
bildet die Geschichte des »Verfolgesfc in vier Abschnitten:
»Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift,
Entdeckung eines trelflichen \'orgängers, Glückliches Er-
eigniss«. In dem letzteren berichtet Goethe, wie seine Lehre
von der Metamorphose zu einem der höchsten Verhältnisse
Anlass gegeben^ die ihm das Glück in spätem Jahren
bereitet, zu der Verbindung mit Schiller. \o\- seinem Tode
bestimmte er, dieser Bericlit solle in der nächsten Ausgabe
der »Annalen« unter dem Jahre 1794 mit einem von ihm
entworfenen oder gebilligten veränderten Uebergange ein-
Heinrich Düntzer: Goetiöi's Anknüpfung mit Schiller. 169
gefü_L;t werden ; denn dass die lünschiebunt;en in die
»Annalen« und in die »Italienische Reise«, welche wir in
den mich Gocthe's Tod erschienenen Ausgaben lesen,
von den Herausgehern Riemer und lickermann willkürlich
gemacht seien, ist mehr als unwahrscheinlich; es lagen
eben, wahrscheinlich nur mündliche, Bestimmungen des
Dichters vor, der über die spiitern Ausgaben seiner Werke
sich mit den Herausgebern verständigt hatte, wie wir dies
in Bezug auf die »Wanderjahre« bestimmt wissen.
Schon sieben Jahre vor jenem Berichte hatte Goethe
in der »Contession« am Ende des dritten, geschichtlichen
Theiles »Zur Farbenlehre« seines vor tünf Jahren geschiedenen
» unvergesslichen« Freundes gedacht. Unter denjenigen,
die ihn bei seinen optischen Bestrebungen durch Neigung
und Zutrauen gefördert;, hatte er Schiller nicht erwähnt,
(wie er auch Herders und Knebels nicht gedacht, da er
nur Fürsten , Staatsmänner und Gelehrte anführte) ,
doch wollte er nicht schliessen, ohne sich des Vorwurfes,
den er sich selbst darüber mache, zu entledigen. »Dort
aber empfand ich eine Art von Scheu, dem besonderen
Denkmal, das ich unserer Freundschaft schuldig bin, durch
ein voreiliges Gedenken Abbruch zu thun«, bemerkt er.
»Nun will ich aber doch, in Betrachtung menschlicher
Zufälligkeiten, aufs kürzeste bekennen, wie er an meinem
Bestreben lebhaften Antheil genommen , sich mit den
Phänomenen bekannt zu machen gesucht, ja sogar mit
eigenen \'orrichtungen umgeben, um sich an denselben
vergnüglich zu belehren '. Durch die grosse Natürlichkeit
■ Schon bei seinem vierzehntägigen Aufenthalt in Weimar im
September 1794 hatte Goethe ihn mit seinen Einwendungen gegen
Newton bekannt gemacht, die ihm »sehr befriedigend« schienen. Eine
der vielen gangbaren irrigen Meinungen ist es, Scliiller habe an die
Richtigkeit von Goethe's Farbenlehre nicht geglaubt. Im Jahre 1800
schrieb er, seine Entdeckungen in der Optik werde man erst in späterer
lyo Forschungen.
seines Genies ergriff er nicht nur schnell die Hauptpunkte,
worauf es ankam, sondern wenn ich manchmal auf meinem
beschaulichen Wege zögerte, nöthigte er mich durch seine
reflektirende Kraft vorwärts /u eilen und riss mich gleichsam
an das Ziel, wohin ich strebte. Und so wünsche ich nur, dass
mir das Besondere dieser \'erhältnisse, die mich noch in
der Erinnerung glücklich maclicn, bald auszusprechen ver-
gönnt sein nK)ge«. Diese Worte waren geschrieben und ge-
druckt, ehe die Weimarische Bühne am lo. Mai das Andenken
des vor fünf Jahren Hingeschiedenen durch Schillers »Glocke«
mit dem vermehrten »Epilog« und Scenen aus verschiedenen
seiner Dramen feierte. Sechs Tage später begab sich
Goethe nach Karlsbad, wo Körner ihm den Wunsch äusserte,
dass er sich an der Gesammtausgabe Schillers betheilige
oder wenigstens eine Charakteristik Schillers als Schrift-
steller dazu liefere. Er lehnte auch letzteres ab, weil dieses
ihn zu weit führen und zu viel Zeit kosten würde, die er
jetzt zu mehreren angestrengten Arbeiten nöthig habe.
Seine eigene Lebensbeschreibung, die er bis zur Ueber-
siedlung nach Weimar zu führen gedachte, hatte er damals
in Aussicht genommen, vorab wollte er noch die »Wander-
jahre« fördern. So kam er denn nicht zur Darstellung
seines Verhältnisses zu Schiller. Erst als er die Geschichte
seiner »Metamorphose der Pflanzen« schrieb, drängte es
ihn, auch des Gespräches zu gedenken, das er über diese
ihm ans Herz gewachsene Entdeckung einst mit Schiller
geführt und als eine N'ermittlung seiner segensreichen
\'erbindung mit diesem, somit als ein »glückliches Ereigniss«,
betrachtete. Er stützte sich dabei nicht auf seine Tagebücher
Zeit ganz würdigen, das Falsche der Xewton'sciien Farbentheorie habe
er bis zur Evidenz erwiesen. Zur »vergnüglichen Belehrung« vgl.
Urlichs »Charlottec IL, 255. Noch mit seinem letzten Briefe (999)
sandte Goetiie ihm den Versuch einer Geschichte der Farbenlehre
zur Durchsicht.
Heinrich Düntzer: GoetH^'s Anknüpfung mit Schiller. 171
(wir wissen nicht einmal bestimmt, ob solche tjjerade aus
jenem Jahre, welches seinem Leben einen neuen geistigen
Frühling brachte, vorhanden sind); auch die in seinen
Händen beiindlichen Briefe Schillers wurden nicht benutxt;
er folgte einer mehr als zwanzig Jahre alten Erinnerung
und schloss sich in der Darstellung seinem besonderen
Zwecke an. Auf die Unzuverlässigkeit des Berichtes habe
ich schon in meiner Schrift »Schiller und Goethe« (1859)
hingewiesen, aber noch immer legt man demselben eine
geschichtliche Zuverlässigkeit bei, die ihm durchaus abgeht.
Der Bericht beginnt mit der Rückkunft aus Italien.
Dort habe er sich um das, was mittlerweile in Deutschland
auf dem Gebiete der Dichtung zu Tage getreten, nicht
gekümmert, um so unangenehmer aber sich betroffen gefühlt,
als er hier neuere und ältere Werke, die ihn äusserst
angewidert, in der entschiedensten Gunst gefunden, von
denen er nur Heinses »Ardinghello« und Schillers »Räuber«
nennt. Aber die »Räuber« hatten schon mehrere Jahre
vor seiner Reise nach Italien Alt und Jung hingerissen
und auch auf Bellomo's Bühne in Weimar bedeutendsten
Beifall nicht blos von den Jenaischen Studenten, deren Leib-
stück sie waren, eingeerntet. Die Kunstansichten in Heinse's
1787 erschienenem, von üppiger Sinnlichkeit durchzogenem
»Ardinghello« konnten ihn freilich verstimmen, obgleich
diesen mehr der sinnliche Reiz zu einem Lieblingsbuche machte
als die schwärmerische Auffassung der Kunst; aber das im
\'aterland durch jene »wunderlichen Ausgeburten« erregte
»Rumoren« erschreckte ihn doch nicht so, dass er, wie
er sagt, all sein Bemühen völlig verloren zu sehen glaubte,
die Gegenstände, zu welchen, die Art und Weise, wie er
sich gebildet, ihm beseitigt und gelähmt geschienen. Schon
in Italien hatte er mit Bedauern empfunden, dass »Iphigenie«
und »Egmont« nicht den erwarteten Beifall, nicht einmal
bei den Freunden fanden, ja die grosse Wirkung, welche
172 Forschungen.
er von dem letzteren Drama ;uit der Bühne sich versprochen,
blieb ganz aus, aber dadurch liess er sich doch so wenig
in seiner Dichtung irre machen, dass er sich mit ganzer
Seele dem mit unendlicher Feinheit und reinstem Kunst-
gefühl ausgeführten »Tasso« hingab, und an der gewonnenen
Kunstanschauung hielt er trotz Heinse's und der jungen
Deutschen Künstler entschieden fest : er spürte den Kunst-
idealen der Alten nach ; mit seinem Römischen breunde
Meyer versenkte er sich im Gegensatz zu dem »lebenden
Geschlecht« in die Anschauungen und Grundsätze der
alten Meister, ja es zog ihn unwiderstehlich nach Italien
zurück , wo er sich zum Künstler herangebildet hatte.
Besonders auHallend ist die weitere Aeusserung: »Und was
mich am meisten schmerzte, alle mit mir verbundenen
Freunde, Heinrich Meyer und Moritz, so wie die im gleichen
Sinne fortwaltenden Künstler Tischbein und Bur}- schienen
mir gleichfalls gefährdet; ich war sehr betrotfen«. Wie
ganz einstimmig Meyer, der sich um Dichtung wenig
kümmerte, sich in Bezug auf Kunst mit ihm fand, beweisen
die Italienische Reise und die aus Weimar an ihn geschrie-
benen Briefe; war dieser ja sein eigentlicher Lehrer und
Meister, der ihn in die Anschauung der hohen Kunstwerke
eingeführt hatte. Moritz war durchaus von Goethe's Geist
erfüllt, er hielt ihn für den grössten Dichter, alle seine
Werke für klassisch; insonderheit war er gegen Schiller ein-
genommen, dessen »Kabale und Liebe« ihm verhasst war.
Freilich wurden Tischbein und Bury von Goethe's »Iphigenie«
nicht so entzück t,wie er gehofft, sie hatten etwas Stürmischeres,
Leidenschaftlicheres, etwas Götzisches erwartet, aber sie
standen deshalb nicht auf der Seite des Rohen, Wilden;
waren sie ja vielmehr vom Geiste höchster Kunst angeweht.
Und Schiller selbst hatte den Sturm und Drang längst
hinter sich, wie sein »Karlos« zeigte, dessen Goethe in
einer Weise gedenkt, als sei er erst nach seiner Rückkehr
Heinrich Düntzer: Goeths*s Anknüpfung mit Schiller. 173
erschienen, nnd einlach mit den Worten abthiit, dieser sei
nicht geeignet gewesen, ihn Schiller näher zu lühren. War auch
die im »Karlos« wehende Freiheit nicht in Goethe's Sinne,
so zeigte doch die Dichtung den lebendigen Hntwicklungs-
trieb zu reinerer Gestaltung, das Streben nach idealer Kunst.
Auch hatte Schiller sich damals fast ganz der Geschichte
zugewandt. Weiter trifft die Behauptung nicht zu, Moritz
habe sich mit ihm leidenschaftlich in diesen Gesinnungen
bestärkt, dass man auf die Betrachtung der bildenden Kunst,
auf die Ausübung der Dichtkunst, wenn es möglich wäre,
verzichten müsse, weil man jene Produktionen von genialem
Werth und wilder Poesie nicht überbieten könne. Lust
und Muth wurden durch die Anwesenheit des Römischen
Freundes mächtig in ihm gehoben, so dass er während
derselben »Tasso« zu vollenden hoffte. Die höhere Ansicht
von Kunst, die Moritz im Weimarischen Kreise, besonders
unter den Damen, mit Glück zu verbreiten suchte, und
die schwärmerische \^erehrung, die er gerade für Goethe
überall zeigte, mussten erhebend wirken.
»Ich vermied Schillern«, heisst es weiter, »der, sich in
Weimar aufhaltend, in meiner Nachbarschaft wohnte«. Schil-
lers Wohnung war im Hause Frauenthorstrasse 21, neben
dem an der Ecke der Strasse gelegenen Gasthofe zum weissen
Schwan, fast Goethe gegenüber. Hier ist sein erstes
freundliches Zusammentreffen mit Schiller zu Rudolstadt
am 7. September 1788, dem gegenseitige Grüsse vorher-
gegangen, ganz vergessen, ebenso die Wirkung seiner
»Götter Griechenlands« und die Schiller'sche Beurtheilung
seines »Egmont«, dessen Verfasser ihm freilich nicht gleich
bekannt wurde; ja sein Antheil an Schillers Berufung nach
Jena und dessen Besuch, der freilich keine weitere Annäherung
von Goethe's Seite veranlassen konnte, bleiben unerwähnt.
Statt dessen hören wir nach der schon erwähnten flüchtigen
Bemerkung über »Karlos« : »Alle Versuche von Personen,
174 Forschungen.
die ihm und mir glcicli nahe standen, lehnte ich ab, und
so lebten wir eine Zeit lang nebeneinander fort«. Wir
kennen jetzt Schillers Beziehungen zu der Lengeteld'schen
Familie, zu Frau von Stein, zu Frau von Kalb und Voigt,
an die man allein denken ktinnte, so genau, dass wir solche
Versuche, eine nähere \'erbindung hei Goethe zu veran-
lassen, mit einziger Ausnahme de-- Besuches in Rudolstadt,
leugnen müssen, am wenigsten kann von irgend einer
Vcrljaudhm^ darüber die Rede sein.
Das »Kebeneinanderlehen« beider Dichter in Weimar
dauerte von Mitte November 1788 bis Anfang Mai 1789.
Zu einer näheren Verbindung konnte es um so weniger
kommen, als Goethe in seinen »Tasso« und das Glück
seiner Liebe versenkt, zugleich vom Grolle der Frau von
Stein und aller auf ihrer Seite stehenden Damen Weimars
bedrängt, Schiller von seinen schriftstellerischen Arbeiten
und den Vorbereitungen zu seiner Professur sehr in Anspruch
genommen war. In die Weimarische Zeit versetzt Goethe
auch Schillers Abhandlung «über Anmuth und Würde«,
wenn er unmittelbar darauf bemerkt, auch diese sei kein
Mittel gewesen, ihn zu versöhnen. Sie erschien erst im
Sommer 1793, als Goethe sich an den Rhein begeben hatte.
Auch die sonstigen Aeusserungen darüber treften nicht zu.
Freilich ist es richtig, dass Schiller die Kantische Philosophie
mit Freuden in sich aufgenommen, aber die Wirkung auf
ihn wird hcichst ungenau dadurch bezeichnet, dass sie das
Ausserordentliche, was die Xatur in sein Wesen gelegt,
entwickelt habe; geradezu verfehlt ist die Behauptung, er
sei, im höchsten Gefühl der F'reiheit und Selbstbestimmung,
undankbar gegen die grosse xMutter gewesen , die ihn
gewiss nicht stiefmütterlich behandelt habe. In der genannten
Abhandlung ging Schillei^ darin über Kant hinaus, dass er
dessen sogenannten kategorischen Imperativ als eine l:rnied-
ritjuni: der Menschheit \erwarf, da«:egen als 'Fugend die
Heinrich Düntzer : Goethe''s Anknüpfung mit Schiller. 175
erlangte innige Uebereinstimmung zwisciien Sinnlichkeit
und \'ernunft, Pflicht und Neigung bezeichnete. X'on der
Mutter Xatur ist in Schillers Abhandlung nur insofern die
Rede, als diese nicht blos die Anlage, sondern auch das
Streben nach Entwicklung dem Menschen verliehen, und
wenn er auch den sinnlichen Naturtrieb zuweilen im
Gegensatze zur \'ernunft als »Natur« bezeichnet, so spricht
er doch auch von diesen als den »beiden Naturen« , ja als
Quelle der Liebe nennt er die »götthche Natur«; beide
sich widerstrebenden Kräfte sind ihm Gaben der Natur.
Ganz ungerechtfertigt erscheint der Vorwurf, Schiller habe
dort die Natur, anstatt selbstständig, lebendig, vom Tiefsten
bis zum Höchsten gesetzlich hervorbringend zu betrachten,
von der Seite einiger empirischen menschlichen Natürlich-
keiten genommen; denn er wollte ja in dieser Abhandlung
nur die Begrifle von Anmutli und Würde aus dem gegen-
seitigen \'erhalten beider Naturen, der sinnlichen und
sittlichen, bestimmen. »Gewisse harte Stellen sogar konnte
ich direkt auf mich deuten«, fährt er fort; »sie zeigten
mein Glaubensbekenntniss in einem falschen Lichte; dabei
fühlte ich, es sei noch schlimmer, wenn es ohne Beziehung
auf mich gesagt worden ; denn die ungeheure Kluft zwischen
unsern Denkweisen klaflte nur desto entscliiedener «. Man
hat nach diesen harten Slelleii gesucht. Riemer, der gerade
zur Zeit als Goethe dieses schrieb, ihm nicht so nahe zur
Seite stand, dass er gewusst hätte, was damit gemeint sei,
vermuthet, es habe die Aeusserung einer Anmerkung vor-
geschwebt: »Ich bemerke beiläufig, dass etwa Aehnliches
zuweilen mit dem Genie vorgeht, welches überhaupt in
seinem Ursprünge wie in seinen Wirkungen mit der
architektonischen Schönheit vieles gemein hat. Wie diese,
so ist auch jene ein blosses Naturer:;^engniss, und, nach der
verkehrten Denkart der Menschen, die, was nach keiner
Vorschrift nachzuahmen und durch kein\'crdicnst zu erringen
iy6 Forschungen.
ist, gerade :\m höchsten schätzen, w irJ die Schönheit mehr
als der l^eiz, das Genie mehr als erworbene Kratt des
Geistes bewundert. Beide Gihislliuge der Nalitr werden,
bei allen ihren Unarten (wodurch sie nicht selten ein
Gegenstand verdienter Verachtung sind) als ein gewisser
Geburtsadel, als eine höhere Kaste betrachtet, weil ihre
Vorzüge von Naturbedingungen abhängig sind, und daher
über alle Wahl hinausliegen«. Auch Palleske bleibt dabei
stehen, während Boxberger auch den Schluss der Anmerkung
hereinzieht, der darauf hinweist, dass bei einzelnen Dichter-
genien das ganze Talent die Jugend sei, sie später, wie jedes
andere Naturprodukt, der Materie anheim fallen, als ganz
gewöhnliche Lichter, wo nicht ijar als noch etwas weniger
erscheinen ; denn die poetisirende Einbildungskraft sinke
zuweilen ganz zu dem Stoffe zurück, aus dem sie sich losge-
wickelt, und verschmähe es nicht, wenn es ihr mit der poeti-
schen Zeugung nicht mehr recht gelingen wolle, der Natur bei
einem andern, solidem Bildungswerk zu dienen. Musste
auch besonders die letztere Aeusserung Goethe unangenehm
berühren, da sie vom Genie in einer unwürdigen Weise
sprach, die nur auf das sogenannte Genie passt, nichts
konnte ihm ferner liegen als der Verdacht, Schiller habe,
nach den grossartigen Dichtungen, die er als \'ierzigjähriger
in »Egmont« und »Tasso « geliefert, und bei seinen unab-
lässig auf die Natur und Kunst gerichteten Bestrebungen,
ihn unter den so verächtlich bezeichneten verkommenen
Genies gemeint. Und was die Hauptsache, die »gewissen
harten Stellen« müssen seine »Undankbarkeit gegen die
srosse Mutter« beweisen, auf die »gute Mutter« müssen
sich »jene harten Ausdrücke« beziehen, die ihm, wie es
sechzehn Seiten später in demselben Hefte »Zur Morpho-
logie« heisst, den Aufsatz »über Anmuth und Würde« so
verhasst gemacht hatten. Sein »Glaubensbekenntniss«,
welches diese Stellen »in einem falschen Eichte gezeigt«.
Heinrich Düntzer: Goethb^ Anknüpfung mit Schiller. 177
muss seine Verehrung der überall gesetzlich zu Werke
gehenden Natur, es nuiss derselbe Gegensatz gemeint sein,
den er an der angeführten Stelle mit den Worten bezeichnet:
))l:r predigte das livangelium der Freiheit, ich wollte die
Rechte der Xatur nicht verkürzt wissen«. Wer noch daran
zweifeln könnte, beaciite die weitere Erzählung unseres
Berichtes : bei Schillers Aeusserung über seine symbolische
Pflanze: »Das ist keine lirfahrung, das ist eine Idee«, sei
ihm die Behauptung aus »Anmuth und Würde« wieder
eingefallen, der alte Groll habe sich wieder regen wollen.
Also keine Aeusserung über das Genie kann bei jenen
»harten Stellen« vorgeschwebt haben, sondern nur Ver-
achtung der Natur gegenüber der Freiheit. Weil aber eine
solche sich in der Abhandlung nicht findet, so muss Goethe
hier durch sein Gedäciitmss getäuscht worden sein, da er
wahrscheinlich kurz vor der Abfassung des Berichtes, um
sich mit Schillers damaliger Ansicht bekannt zu machen,
jene Abhandlung flüchtig gelesen hatte. Dass er sie gleich
beim Erscheinen in der »'Fhalia« gefunden habe und dadurch
gegen Schiller verstimmt worden sei, ist nicht wahrscheinlich,
da er zu jener Zeit von Weimar fern und in seine Farben-
lehre vertieft war; möglich wäre es freilich, dass sie ihm
in der besondern Ausgabe zugekommen wäre, in welcher
Schiller sie Dalberg mit dem etwas seltsamen Milton'schen
Worte: »Was du hier siebest, edler Geist, bist du selbst«,
gewidmet hatte. Jedenfalls hatte Goethe damals der Schiller'-
schen Aesthetik keine besondere Aufmerksamkeit zugewandt;
sonst hätte er diesen unmöglich im Briefe vom 27. August
1794 bitten können, ihn mit dem Gange seines Geistes,
besonders in den letzten Jahren, bekannt zu machen. So
war ihm denn auch die »Fortgesetzte Entwicklung des
Tragischen« in einem Hefte der »Thalia« neu, welches
Schiller ihm wegen Körners darin enthaltener Ideen über
Deklamation gesandt hatte. 1-reilich, wäre Falk zu trauen,
Gut ihe-Iahhblcii Jl. I 2
lyS Forschungen.
so würde Goethe Schillers Arbeiten genau verfolgt haben;
aber es ist völlig unglaublich, dass der aus gutem Grunde
gegen Besuche so zurückhaltende, ja, wie man finden wollte,
Steile und kalte Goethe gegen einen wildfremden zweiund-
zwanzigjährigen Studenten, der an ihn nicht einmal empfohlen
war, so eingehend, besonders über den als sein Nebenbuhler
geltenden Dichter, den er zum Professor der Geschichte
empfohlen hatte, sich ausgelassen haben sollte, wie Johann
Daniel Falk es im Juli 1792 seinen Bruder David weis
machen will '. Er Uisst gar Goethe eine acht Zeilen lange
Stelle aus Schillers »Geisterseher« anführen, von welcher
nur die erste darin steht. Goethe würde wohl eher von
dem traurigen Leiden Schillers, den Falk selbst in Jena
gesehen hatte, und von seinen geschichtlichen Arbeiten
als von den längstgeschriebenen Dramen und den vor vier
Jahren erschienenen Briefen über »Karlos« gesprochen
haben, an denen man die Schweisstropfen hängen sehe.
Goethe soll sich so weit vergessen haben, sich darüber zu
ergehen, dass Schiller nur mit unsäglicher Anstrengung
arbeite, seiner Seltsamkeit zu gedenken, dass er sich oft
acht Tage lang in Weimar vor aller Welt verschlossen
und vor seinem Studirpult bis Abends acht Uhr gestanden,
ohne sein Mittagsessen zu berühren. Hätte auch der Klatsch
etwas der Art Goethe zugebracht, unmöglich konnte er
das junge Studentenblut mit solchen Kostbarkeiten regaliren.
Falk erkannte Goethe's Charakter so wenig, wie er seine
Augen gut sah, die er für schwarz erklärt. Man vergleiche
nur die Schilderung des Besuches, den der gut empfohlene,
von seinem Oheim begleitete David Wh acht Monate
später bei Goethe machte ", um sich zu überzeugen, dass
' Weimarisches Jahrbuch VI. i tV.. wo der Briet' irrig in den
December 1794 gesetzt wird.
^ Briefwechsel zwischen Rahcl und David Vch I., i ff.
Heinrich Düntzer: Goethe*? Anknüpfung mit Schiller. 179
Falk nur geflunkert hat, ja man möchte fast glauben, er
sei gar nicht bei Goethe gewesen. Was er von diesem
erzählt , könnte er leicht sonsthcr erfahren haben , auch
das Gerede über Schiller.
Doch kehren wir zu Goethe's Bericht zurück. Dieser
setzt Dalbergs Zureden vor die Uebersiedlung nach Jena.
Dalberg kam erst ein halbes Jahr nach Schillers Antritt
seiner Professur von Mainz nach Erfurt zurück, wo Karolinc
von Beulwitz ihm Schiller empfahl; im December 1789
sprach er Schiller in Jena, und wenn er mit Goethe über
ihn redete, so geschah es blos mit Bezug auf die Ver-
leihung eines Gehaltes, das wegen der bevorstehenden
Heirat, von der auch Goethe wusste, gewünscht wurde.
Dalberg war weit entfernt , ein Freundschaftsbündniss
zwischen dem Jenaer Professor und dem Weimarer Minister
zu betreiben, wonach es auch eine \'crschiebung der Sache
ist, wenn Goethe sagt, dieses milde Zureden sei fruchtlos
gebUeben, da die Gründe, die er jeder Vereinigung entgegen-
gesetzt, schwer zu widerlegen gewesen. Mit dem Gedanken,
dass trotz ihrer Grundverschiedenheit doch ein Bezug unter
ihnen stattgefunden, macht Goethe den Uebergang zu dem
Umzug nach Jena, wo sie sich eben so wenig wie in
Weimar gesehen, was wieder nicht richtig ist.
Wir wissen, dass Goethe, der sich vor kurzem mit
Schillers Freund Körner in Dresden unterhalten hatte, am
31. Oktober 1790 ihn mit dem auch Schiller und dessen
Gattin bekannten Maler Lips besuchte. Schiller fand, wie
er an Körner berichtete, Goethe's ganze Philosophie subjekti-
visch, seine Vorstellungsart zu sinnlich ; sie betastete ihm
zu viel, holte zu viel aus der Sinnenwelt, wo er aus der
Seele hole. Das Gespräch, bei dem viel von Körner die
Rede war, führte auf Kant, dessen Lehre Schiller nur im
allgemeinen kannte, doch war es ihm dabei anziehend,
wie Goethe alles in seine eigene Manier kleide und über-
12*
l8o Forschungen.
iMschcnd das Gelesene wiedergebe. .-XLiflällt die Benierkuni;,
es telile Goethe i^anx an der herzlichen Art, sich zu etwas
zu bekennen, was auf eine gewisse Zurückhaltung deutet.
Damals war eben seine Schritt über die Metamorphose
der Pflanzen erschienen, mit der er, wie warm sie ihm
auch am Herzen lag, wie unumstösslich seine Ansicht ihm
schien, wenig Glück unter seinen Freunden machte, ja selbst
so naturkundige, ihm innig ergebene Männer wie Batsch
legten daraut wenig NWn'th. WY^nn Goethe von einem
Gesprach über diese die erste Verbindung mit Schiller
herleitet, so kann jenes selbst, das gerade die Erwähnung
im morphologischen Hette veranlasst, unmöglich aut bioser
Hinbildung beruhen; nur die Zeitbestimmung geht irre:
»Zu gleicher Zeit [wo Schiller nach Jena zog] hatte Batsch
durch unglaubliche Regsamkeit eine naturtorschende Gesell-
schaft in Thätigkeit gesetzt, auf schöne Sammlungen, auf
bedeutenden Apparat gegründet«. Die naturforschende
Gesellschaft gründete der äusserst thätige und freisinnige
Batsch am 14. Juli 1793 (es war der Jahrestag der Stürmung
der Bastille) ; Goethe, Schiller und Wieland wurden zu
Ehrenmitgliedern ernannt. Der erstere befand sich gerade
\or dem von den Verbündeten belagerten Mainz, Schiller
rüstete sich zur Abreise nach Schwaben. Die Sammlungen
und der Apparat waren eben nicht sehr bedeutend. Batsch,
der diese zusammengebracht, war die Seele der Gesellschaft,
die Eiebe zur Naturwissenschaft verbreiten und einen Mittel-
punkt der zerstreuten Bestrebungen der Jenaer und Wei-
marer Naturfreunde bilden sollte. Monatlich fand eine
Sitzung in einem Zimmer des Schlosses statt, in welcher
der Direktor den anwesenden Genossen mittheilte, was im
Laufe des Monats ihm Merkwürdiges zugekommen, freund-
schaftlich besprochen, eingeliefert oder schriftlich verhandelt
worden; jede sonstige Vorlesung oder Unterhaltung war
ausgeschlossen. Xun erzählt unser Bericht, als Schiller
Heinrich Düntzer: Goethb^ Anknüpfung mit Schiller. i8l
und Goethe zu gleicher Zeit aus der Sitzung herausge-
kommen, habe sich ein Gespräch zwischen ihnen angeknüpft,
das Goethe in Schillers Wohnung gelockt, wo denn die
Metamorphose zur Sprache gekommen. Dies müsste vor
dem 13. Juni 1794 geschehen sein, an welchem Tage
Schiller das Einladungsschreiben zu den »Hören« an Goethe
richtete; Schillers Rückkehr aus Schwaben war am 15. Mai
erfolgt. Nun aber ist eine Anwesenheit Goethe's in Jena
während der dazwischen liegenden vier Wochen gar nicht
anzunehmen. Gleich nach seiner Ankunft hatte Fichte,
der kurz vor Schiller eintraf, Goethe in W^eimar besucht,
der ihn freundlichst aufnahm. Wäre Goethe gleich darauf
nach Jena gekommen, so würde er ohne Zweifel den für
ihn so anziehenden neuen Philosophen besucht haben, was
in den Briefen an seine Gattin erwähnt sein müsste ; dies
ist aber nicht der Fall. Hätte eine Zusammenkunft zwischen
beiden Dichtern um diese Zeit stattgefunden, so könnte
sie in Goethe's Brief an Mever vom 7. Juni und in dem
zweiten, den Schiller nach seiner Rückkuntt, den 12., an
Körner schrieb, nicht übergangen sein. Zu diesen entschei-
denden Gründen kommt, dass Schillers Einladung zu den
»Hören« und Goethe's Antwort jeden Gedanken an ein
kurz vorangegangenes persönliches Zusammentreffen aus-
schliessen. Ja, hätte wirklich Ende Mai oder Anfangs Juni
ein solches Gespräch stattgefunden, so hätte Schiller irgend
eine Beziehung auf die Unternehmung der »Hören«, die
ihm nach Ausweis des Briefes an Cotta vom 19. Mai schon
damals im Sinne lag, gegen Goethe nicht unterlassen, ja
er hätte seine Ansicht sich darüber erbitten müssen, was
nach der Fassung des Einladungsbriefes nicht geschehen
sein kann. Auch findet sich in den Briefen an Cotta vom
4. und 14. Juni nicht die entfernteste Beziehung auf eine
schon ertolgte freundliche Zusammenkunft mit Goethe,
auf die er die Hoffnung seines Beitrittes hätte gründen
l82 Forschungen.
können ; er j^edenkt nur der Senduni:; von Briet und Aver-
tissement an diesen, wie an Kant, Klopstock, Herder. Kann
hiernach /.wischen Schillers Rückkehr und seinem Hinladungs-
briefe an Goethe keine persönliche Zusammenkunft statt-
gefunden, haben, so muss jenes Gespräch über die Meta-
morphose früher fallen; denn dass die Erzählung, dieses sei
der Annäherung vorhergegangen, blos aut talscher Erinnerung
beruhe, ein solches etwa in älmlicher Weise nach Goethe's
Beitritt stattgefunden, entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit,
wogegen nichts gegen die Annahme spricht, die Metamor-
phose sei bei Goethe's Besuch am 31. Oktober 1790 zur
Sprache gekommen, das Gespräch aber habe statt einer An-
näherung eine grössere Entfremdung zur Folge gehabt.
Ereilich ist die Art, wie Goethe's Bericht das Gespräch
einleitet, nach falscher oder abgeblasster Erinnerung gebildet
und auf die Darstellung desselben nichts zu geben. Auf
dem Wege soll Schiller bemerkt haben, eine so zerstückelte
Art, die Natur zu behandeln, könne den Laien, der sich
gern darauf cinliesse, nicht anmuthen. Aber in der Gesell-
schaft erfolgten nur Mittheilungen des Direktors, die eben
Antheil an der Sache und eine gewisse Kenntniss voraus-
setzten. Auf diese sehr verständige und einsichtige Bemer-
kung will Goethe erwidert haben, vielleicht bleibe diese
Art den Eingeweihten selbst unheimlich, und es könne
wohl noch eine andere Weise geben, die Natur nicht
gesondert und vereinzelt \-orzunehmen, sondern sie wirkend
und lebendig, aus dem Ganzen in die Theile strebend
darzustellen. Schiller habe dieses bezweifelt und nicht
eingestehen wollen , dass eine solche Erkenntniss des
lebendigen Wirkens der Natur, ihres Strebens aus dem
Ganzen in die Theile schon aus der Erfahrung hervorgehe.
Das war freilich ganz in Schillers Sinne, der schon 1787
Goethe und allen, welche sich mit der Entwicklung der Natur-
gesetze beschät'tigten, eine stolze Verachtung jeder Speku-
Heinrich Düntzer: Goeth^'s Anknüpfung mit Schiller. 183
liition und philosophischen Betrachtung Schuld gab, und
bemerkte: »Da sucht man Ueber Kräuter oder treibt Mine-
ralogie, als dass man sich in leeren Demonstrationen
vcrhnge. Die Idee kann gesund sein, aber man kann auch
übertreiben«. Auch der schöne Brief, den Goethe im
Februar 1789 unter der Ueberschrift »Naturlehre« in den
»Merkur« einrücken liess und der Schiller schon wegen
der von Knebel darin gefundenen Beleidigung anzog, konnte
ihn nicht umstimmen, wie klar auch Goethe dort auf das
strenge Auseinanderhalten der drei Naturreiche drang,
deren Gipfel Krystallisation, Vegetation und animalische
Organisation seien, und wie herrlich er auch mit dem
bedeutenden Worte schloss: »Die Wissenschaft ist eigentlich
das Vorrecht des Menschen, und wenn er durch sie immer
wieder auf den grossen Begriff geleitet wird, dass das All
nur ein harmonisches Eins, und er doch auch wieder ein
harmonisches Eins sei, so wird dieser grosse Begriff weit
reicher und voller in ihm stehen, als w^enn er in einem
bequemen Mysticismus ruhte, der seine Armuth gern in
einer respektabeln Dunkelheit verbirgt«. Es war Schiller
eben zuwider, dass Goethe immer von den Sinnen und
der Erfassung der sinnlichen Erscheinungen ausging, nicht
vom Geiste und der Spekulation. Erst später lernte er
den »ruhigen Weg« schätzen, auf welchem dieser »in die
Tiefe der Wissenschaften« gedrungen.
Während des Gespräches kamen sie, so erzählt Goethe
weiter, zu Schillers Hause, das an der Ecke des Markts
und der Strasse unter dem Markte lag; die Lust, ihn über
seine Zweifel aufzuklären, habe ihn hineingelockt. Goethe
selbst wohnte im Schlosse und fast könnte man es
auffallend finden, dass er Schiller von dort in die Stadt
begleitete , da von einer sonstigen Absicht bei diesem
Gange nicht die Rede ist. »Da trug ich die Metamorphose
der Pflanzen lebhaft vor, und Hess mit manchen charakte-
184 Forschungen.
ristischen Federstrichen eine symbolische PHanze vor seinen
Augen entstehen. F.r vernahm und schaute das alles mit
grosser Theilnahme, mit entschiedener Fassungskraft; als
ich aber geendet, schüttelte er den Kopt und sagte: ,Das
ist keine Erfahrung, das ist eine Idee'. Ich stutzte, vcr-
driesslich einigermassen: denn der Punkt, der uns trennte,
war dadurch aufs strengste bezeichnet. Die Behauptung
aus »Anmuth und Würde« fiel mir wieder ein, der alte
Groll wollte sich wieder regen, ich nahm mich aber
zusammen und versetzte: ,Das kann mir sehr lieb sein,
dass ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar
mit Augen sehe'. Schiller, der weit mehr Lebensklugheit
und Lebensart hatte als ich, und mich auch wegen der
»Hören«, die er herauszugeben im Begriff stand, mehr
anzuziehen als abzustossen gedachte, erwiederte darauf als
ein gebildeter Kantianer, und als aus meinem hartnäckigen
Realismus mancher Anlass zu lebhaftem Widerspruch ent-
stand, so ward viel gekämptt und dann Stillstand gemacht ;
keiner von beiden konnte sich für den Sieger halten,
beide hielten sich für unüberwindlich«. Die Schilderung ist
keineswegs so anschaulich, wie sie bei -lebhafter Erinnerung
gerathen sein würde; auch zeigt sie Goethe gegen Schiller,
dessen Schütteln des Kopfes freilich auch nicht sehr fein
gewesen wäre , wohl in einem zu ungünstigen Lichte.
Schiller zu seiner Ansicht herüberzuziehen, durfte er nach
den Erfahrungen, die er bei andern mit seiner Metamorphose
gemacht, kaum erwarten, am wenigsten diesen von der
Wahrheit seiner symbolischen Pflanze zu überzeugen, die
sich eben nur demjenigen ergeben kann, der sich von der Ent-
wicklung der einzelnen Bildungen auseinander ganz durch-
drungen hat, nicht einem in reiner Beobachtung der Natur-
erscheinungen imgewandten spekulativen Geiste. Und
haben wir das Gespräch richtig dem 31. C)ktober 1790
zugewiesen , so waren auch die Aeusserungen über die
Heinrich Düntzer: Goethe^S Anknüpfung mit Schiller. 185
Metamorphose keineswegs in einen hitzigen Streit ausge-
artet. Dass Goethe, welcher so viele Jahre am Hofe gelebt
hatte, den man seit der Rückkehr aus Italien in Folge der
schiefen Stellung, in die er durch seine \'erbindung mit
der \'ulpius gegen die Gesellschaft gerathen war, allgemein
kalt und verschlossen flmd, so heftig seine Ansicht gegen
Schiller verfochten haben sollte, ist höchst unwahrscheinlich.
Freilich an Lebensart und Lebensklugheit fehlte es auch
Schiller später nicht, aber wir wissen, dass auch ihn die
Leidenschaft zuweilen hinriss, und dass er bei seiner grossen
Lebhaftigkeit es in besonnenem, gemessenem Benehmen,
wo es darauf ankam, Goethe zuvorgethan, scheint uns
doch eine überbescheidene Behauptung. Die Beziehungen
auf die »Hören« und »Anmuth und Würde« ergeben sich
nach unserer Annahme als ungehörig. Dass Schiller seine
symbolische Pflanze nicht für eine Erfahrung halten konnte,
sondern nur tür einen diese überschreitenden Begrifl",
durfte Goethe gar nicht verstimmen, da dies nicht anders
zu erwarten stand; freilich hatte dieser aus Kants Lehre
im Jahre 1790 noch keine Studien gemacht, aber sie war
ihm nicht ganz unbekannt, und er schrieb mit ihm dem
Denkenden nur eine reflektirende discursive Urtheilskraft
zu, jedentalls war ihm der Weg der Beobachtung und
Anschauung, den Goethe mit solcher rastlosen, von Stufe
zu Stufe steigenden Ausdauer ging, ganz fremd, wenn er
auch früher bei seinen physiologischen Untersuchungen
einige Schritte darauf gewandelt war.
Ganz unglücklich, bemerkt Goethe, hätten ihn in diesem
Gespräche Sätze gemacht, wie folgender: »Wie kann
jemals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen
sein sollte? denn darin besteht eben das Eigenthümliche
der letztern, dass ihr niemals eine Erfahrung kongruiren
könne«. Goethe erkannte in den einzelnen Erscheinungen
eben die allen zu Grunde liegende Idee, nur insofern war
i86 Forschungen.
ihm .seine Metamorphose eine wirkliche Erfahruni;, kein
Vernunftbegrirt. Sonderbar ist es, wie er hiervon den
Ucbergang zu der durch dieses Gespräch vermittelten
A'erbindung mit Schiller gewinnt. »Wenn er das für eine
Idee hielt, was ich als Erfahrung aussprach, so musste
doch /.wischen beiden irgend etwas N'ermittelndes, Bezüg-
liches obwalten! Der erste Schritt war jedoch gethan«.
Eigentlich knüpft er an den Widerspruch ihrer Ansichten
über denselben Satz das, wenn auch zunächst nur schwache
\'erlangen nach näherer Verbindung an. Das »jedoch«
passt zum unmittelbar vorhergehenden Satze nicht, mag
man es nun als bestreitend, beschränkend, vermittelnd, wie
»doch«, oder nach älterm, auch noch bei Goethe sich
findendem Gebrauche als den Gegensatz zurückweisend,
wie »dennoch«, nehmen. Es bezieht sich eben nicht auf
den letzten Satz allein, sondern auf die Folge des Gespräches,
das den Gegensatz ihrer Anschauungen scharf hatte hervor-
treten lassen.
Höchst unklar knüpft sich hieran der Abschluss des
Bundes; denn Goethe fährt unmittelbar darauf fort: »Schillers
Anziehungskraft war gross, er hielt alle lest, die sich ihm
näherten. Ich nahm Theil an seinen Absichten und ver-
sprach zu den »Hören« manches, was bei mir verborgen
lag, herzugeben ; seine Gattin, die ich von ihrer Kindheit
auf zu lieben und zu schätzen gew^ohnt war, trug das Ihrige
bei zu dauerndem Verständniss ; alle beiderseitigen Freunde
waren troh; und so besiegelten wir, durch den grössten,
vielleicht nie ganz zu schlichtenden Wettkampf zwischen
Objekt und Subjekt, einen Bund, der ununterbrochen
gedauert und für uns und andere manches Gute gewirkt
hat«. Der eigentliche Schritt zur Schliessung des Bundes
bleibt hier im Dunkel, ja man könnte aus der Bemerkung,
Schiller habe alle festgehalten, die sich ihm genähert, fast
den Schluss ziehen, die Annäherung sei von Goethe's Seite
Heinrich Düntzer: Goethe's Anknüpfung mit Schiller. 187
erfolgt in Veranlassung jenes Gespräches über die Meta-
morphose. Wir wissen, dass diese keinen Bezug aut die
Schliessung des Bundes hatte, dass auch Gattin und Freunde
keine Annäherung bewirkten, diese eben nur durch die
Einladung zu den »Hören« nach langem persönlichen
Fernstehen veranlasst wurde, wobei wir bemerken, dass
Schiller schon fünf Jahre vorher die Hoffnung gehegt, durch
die Herausgabe einer grösseren Zeitschritt mit Goethe in
Verbindung zu kommen. Jetzt erst war es, wie es im
»Märchen« heisst, an der Zeit; beide hatten sich gerade
zur rechten Zeit gefunden, und sie bedurften keines weitern
Einigungs- oder Festhaltungsmittels.
Vom November 1790 bis zum Juni 1794 fand keine
Verbindung statt. Als Schiller im Januar 1791 nach dem
Fieberanfalle, den er zu Erfurt erlitten, drei Tage in Weimar
weilte, besuchte er den Hof, Wieland, Voigt u. a., nicht
Goethe. Nach der Rückkehr befiel ihn eine andauernde
Krankheit, an deren Anfang die von idealem Standpunkte
ausgehende überscharfe Beurtheilung von Bürgers Gedichten
erschien. Am 2. April ging er zur Herstellung seiner
Gesundheit nach Rudolstadt, von da nach Karlsbad und
Erfurt, erst am i. Oktober kehrte er nach Jena zurück.
Mit Goethe stand er so wenig in Verbindung, dass Wieland
in einer Theaterangelegenheit den Vermittler machte. Die
Bühne, die optischen Untersuchungen und Geschäfte nahmen
diesen ganz in Anspruch. Im Frühjahr 1792 traf er Schiller
auf einem Spaziergange; denn auf diese Zeit muss das
gehen, was Meyer am 31. März 183 1 Eckermann erzählte:
»Ich ging mit Goethe in dem sogenannten Paradies bei
Jena spazieren, wo Schiller uns begegnete und wo wir
zuerst miteinander redeten. Er hatte seinen »Don Karlos«
noch nicht beendigt, er war eben aus Schweden zurück-
gekehrt und schien sehr krank und an den Nerven leidend.
Sein Gesicht glich dem Bilde des Gekreuziirten. Goethe
l88 Forschungen.
dachte, er würde keine vierzehn Tai^e lehen ', allein als er
zu grössereni Ik-hagen kam, erholte er sich wieder und
schrieb dann erst alle seine bedeutenden Sachen«. Meyer
kam erst im November 179 1 nach Weimar, wo er Goethe's
Hausgenosse war. Den nach seinen Bergen sich sehnenden
Schweizer wird Goethe im nächsten Frühling nach Jena
geführt haben, wo ihm freilich die Berge nur Hügel
schienen. Wenn noch Palleske, der auch Meyers Bemerkung
über Schiller willkürlich Goethe mit in den Mund legt, dieses
Begegnen in den Mai 1794 setzt, so widerlegt sich dies
schon dadurch, dass Meyer damals in Dresden war. Auch
passt die Schilderung seines leidenden Zustandes nicht auf
die Zeit nach der Rückkehr aus seiner Heimat, wo er
sich in Stuttgart überraschend hergestellt hatte; im Frühjahr
1792, als er so lange nicht ins Freie gekonnnen, befand er
sich viel leidender. Seltsamer, als der Irrthum, »Karlos«
sei noch nicht vollendet gewesen, ist die Bestimmung, er
sei eben erst aus Schw^eden zurückgekehrt, wo er nie
gewesen ; man könnte an eine freilich starke Verwechslung
mit Schwaben denken, aber auch diese Bestimmung passt
eben nicht.
\'om August bis Mitte December 1792 und vom Mai
bis zum August 179^ war Goethe von W'einiar lern. Ende
April 179^ hielt er sich einige Tage in Jena aul , wo
Schiller in seinem Gartenhause wohnte und von der rauhen
Witterung litt. Auch damals sahen sie sich nicht. Als
(ioethe vom Rheine zurückkehrte, war Schiller nach Schwaben
' Am 20. Dcccmbcr 1829 lasst Eckermann Goethe sagen, als er
Scliillcr zuerst kennen gelernt, habe er geglaubt, er lebe keine vier
Wochen. Das ist jedenfalls irrig; weder im Jahre 1788, wo Goethe
ihn zuerst sah, noch 1790 war Schiller so krank; nur von diesem
zufälligen Begegnen im Frühling 1792 kann es gelten. .\uch sonst tühren
die .\eusserungen Goethe's in den Gesprächen mit Hckcrmann häutig irre.
Heinrich Düntzer: Goethe's Anknüpfung mit Schiller. 189
abgereist. Erst die Einladung zu den »Hören« führte zu
dem einzigen Bunde. Wie wenig treu Goethe's (jedächtniss
in Bezug auf seine erste Anknüpfung mit Schiller war,
ergibt sich daraus, dass er weder des Einladungsbriefes,
noch des ersten Besuches in Jena mit dem so bedeutenden
Gespräche, noch des vier/ehntägigen die Geister voll
gegeneinander t)rtnenden Zusammenlebens in Weimar
gedachte ; nur das Gespräch über die Metamorphose lag
ihm noch im Sinne. Dieses hatte er schcMi am i. Oktober
1815 gegen Boisseree erwähnt, aber niu' mit der unbe-
stimmten Zeitangabe : »Als ich nachher [nach der Rückkehr
aus Italien] Schiller in Jena sah«. Goethe soll damals das
Gespräch oder vielmehr Schillers Ausruf: »Das ist eine
Idee!« als Veranlassung seiner eigenen Beschäftigung mit
der Kantischen Philosophie bezeichnet haben, die er sich
durch Reinhold habe vortragen lassen. Leider ist Boisseree's
ganzer Bericht nicht in allen Einzelheiten zuverlässig und
genau, da ihm das Gedächtniss bei der Niederschrift nicht
ganz getreu war.
4. Die Bühnen -Bearbeitung des
Götz von Berlichingen.
VON
Otto Brahm.
ntcr allen Werken Goethe's hat keines nach seiner
\\illendung eine so häufige Bearbeitung, so tief
ül greifende \'eränderungen erfahren müssen , wie
sein erstes grosses Drama, der Götz von Berlichingen. Das
Verhältniss der ersten Fassung von 1771, zur zweiten, aus dem
Jahre 1773, ist bereits mehrfach einer philologischen Betrach-
tung unterzogen worden' und kann desshalb hier tüglich
ganz ausser Acht bleiben; die bewunderungswürdige Selbst-
überwindung und künstlerische Selbstbeschränkung, von
der die zweite Bearbeitung Zeugniss ablegt , macht
die Betrachtung dieser zu einer durchaus erfreulichen,
während die Untersuchung, welche uns im Folgenden
beschäftigen soll, zu durchaus imertreulichen Resultaten
führen wird.
' Am gründliclistcii und Iruclitbarstcn in den soeben erschienenen
»Studien zur Goethe-Pliilologie« von J, Minor und A. Sauer. Wien 1880.
O. Brahm: Bühnhn-Bearbeitl'NG dhs Götz von Bhklichingkx. 19 1
Die erste Bühnen-Beiirbeitung des »Götz« liegt erst
seit Kurzem vollständig im Druck vor, da das Original-
manuscript, welches der Schauspieler Un/clmann besessen
hatte, eine Zeit lang verloren war und nur durch einen
glücklichen Zufall wieder aufgefunden wurde; 11. W'endt
hat das Drama in einer vortrefflichen Ausgabe (Karlsruhe
1879) erscheinen lassen. Nach diesem Texte fiind in
Weimar am 22. September 1804 die erste Darstellung statt;
Goethe glaubte, das Stück werde nahe an vier Stunden
spielen, allein die Aufführung währte von halb sechs bis
gegen Mitternacht. So musste er zu einer zweiten
Bühnen-Bearbeitung schreiten (bei Hempel und in andern
Ausgaben gedruckt), die aber fast nur in Kürzungen bestand;
in einigen Punkten nähert sie sich wieder der Fassung von
1773. Auch mit dieser Bearbeitung war der Dichter nicht
zufrieden; im Jahre 1809 machte er das bekannte seltsame
Experiment, das Drama in zwei selbständige Stücke zu
zerlegen, in das Ritter-Schauspiel Adelbert von Weisungen,
in vier Autzügen, und das Ritter -Schauspiel Götz von
Berlichingen, in iünt Aufzügen. Und bei weiteren Dar-
stellungen, 1819, 1829, 1830, hält er noch immer seine
Aufgabe für nicht völlig gelöst, wieder werden Kleinigkeiten
geändert, 1830 die zwei Stücke wieder zu einem zusammen-
gezogen. Es würde durchaus verwirren, wollte ich in dem
Folgenden auf alle diese Fassungen Rücksicht nehmen; ich
beschränke mich vielmehr darauf: die Bühnen-Bearbeitungen
durch die Betrachtung jener Abweichungen zu charakterisiren,
welche die erste Bühnen-Bearbeitung, von 1804, (B) von der
Fassung unterscheiden, in der »Götz von Berlichingen«
zum ersten Male vor das deutsche Publikum trat, von der
Fassung von 1773. (A)
Schon aus der Thatsache, dass der ersten Bühnen-
Bearbeitung immer neue folgten, ergibt sich, dass die erste
nicht gelungen war, dass der Dicliter das Misslingen fühlte.
192 Forschungen.
aber doch nichi im Stande war, etwas Besseres zu i^eben.
Goethe'n selbst war denn auch bei der Arbeit durchaus
nicht gut zu Muthe; er gesteht, er habe nicht mit Liebe
daran gearbeitet, er nennt sein Vorgehen, in einem Briefe
an Zelter (I, 127), »Penelopeisch«, was er gewoben, muss
er immer wieder »autdröseln«. Während wir in einem
andern Falle, dem »Werther« gegenüber, die Sicherheit
nicht genug bewundern können, mit welcher der Dichter
den Ton seiner Jugend noch in der Mitte der achtziger
Jahre wiederzufinden verstand; während wir weiter dem
»Faust« gegenüber zwar, Goethe's Bemühungen zum Trotz
und ohne das verschiedenartig gefärbte Papier vor^ Augen
zu haben (an Herder, i. März 1788), die älteren und
die jüngeren Scenen scheiden können, aber doch nur
scheiden, weil Scherers bewundernswerther Scharfblick
den Weg dazu gewiesen — können wir im » Götz « ,
mit der allerleichtesten Mühe, und häufig auch ohne
die ursprüngliche Fassung zu vergleichen, die neuen
Partien heraus finden , so durchaus stillos erscheinen
sie dem Betrachter. Selbst bei der schärfsten Prüfung aber
wird man im »Götz« , den starken Verschlechterungen
gegenüber, nur ganz verschwindende Besserungen ent-
decken, und man sagt in der That nicht zu viel, wenn
man findet, dass Goethe hier seine ursprüngliche Conception
jämmerlich verdorben habe — mehr vielleicht, als es jemals
durch einen fremden Bearbeiter hätte geschehen können.
Die Aenderungen nun, welche Goethe in B vorge-
nommen hat, lassen sich nach folgenden Gesichtspunkten
etwa gruppiren :
1. Engere Motivirung.
2. Losere Motivirung (meist durch Kürzungen ver-
anlasst).
^ \'eränderte Tendenzen.
O. Bkahm: Bühn'ex-Bearbhitung des Götz von Beklichingen. 193
4. Bühnen-EfFecte.
5. Interpolationen nach der Seite des Weichen und
Sentimentalen.
6. Reflexionen.
7. Stil.
(i.) Zu den wichtigsten künstlerischen Eigenheiten des
alteren (k)ethe gehört die Neigung zu strengem Motiviren;
dem Bestrehen: den engsten Zusammenhang auch in die
Motive des Götz zu bringen, ist eine ganze Reihe wichtiger
Aenderungen in B entsprungen. Niemand erscheint, so weit
es möglich, unvermittelt, ohne vorherige Ankündigung;
auf Ereignisse, die in Zukunft eintreten werden, wird
schon vom Anbeginn an hingewiesen^ ihre Möglichkeit
oder Nützlichkeit zum Voraus ins Auge gefasst.
So tritt in B Weislingens Knappe Fm;/^ gleich in
der ersten Scene auf, während er in A erst am Schlüsse
des ersten Aktes erscheint, als er bereits in Adelheid
verliebt ist. Was bezweckt die Aenderung ? Franz soll
Gelegenheit erhalten, bevor er Adelheid kennen gelernt, sein
Vorleben, seine Stimmung darzulegen. Er sehnt sich in
die Ferne, er will nichts wissen von Weibern. So ist
die Wirkun» Adelheids grösser und doch zugleich vorbe-
reitet. Im zweiten Akt dann wird darauf Bezug genommen:
O die Welt ist nicht mehr unendlich für mich! Ins
Blaue hinaus geht meine Sehnsucht nicht mehr! Zu ihr!
Zu ihr! (Wendt S. 50).
Olcariiis und der Narr — der an die Stelle des Liebe-
traut gekommen ist — werden in B schon vor ihrem
Erscheinen gesprächsweise erwähnt, in dem Bericht des
Franz über die Zustände in Bamberg und über Adelheid.
In A heisst es :
Ich hätte mein \'ermögen gegeben, die Spitze ihres
kleinen Fingers küssen zu dürfen ! Wie ich so stand,
GoETFiH- Jaiiup.li:ti II. 13
194 Forschungen.
warf der Bischof einen Bauern herunter; ich fuhr darnach
und berührte im Auf heben den Saum ihres Kleides.'
Dagegen in B :
Alles hätte ich hingegeben, die Spitze ihres kleinen
Fingers küssen /u dürfen! O, \vie hab ich mich an die
Stelle des Narren gewünscht! O der glückliche Narr!
Wcislingen. Den alten Kunz meynst Du?
Franz. Denselben.
Weisungen. Und was begegnet' ihm beneidenswerthes?
Ihm, der sonst nur Schläge zu erndten gewohnt ist?
Fran:^^. Es war auch ein Schlag, aber von ihrer Hand.
Diesseits stand ich, jenseits er, da warf sie einen Bauern
auf den Boden, und täppisch dienstfertig bückte sich der
Narr darnach. Da gab ihm ihre leichte schöne Hand einen
Klapps hinter die bunten Ohren. Ich sprang hinüber und
las mit auf. Hätte sie doch auch nach mir geschlagen!
Da berührt ich den Saum ihres Kleides. (S. 42).
In A ist Olcariüs rein zufällig am Hofe des Bischofs,
er greift in keiner Weise in die Handlung ein ; in B ist
er zu ganz bestimmten Zwecken in Bamberg, er ist »von
Bononien her« zum Kanzler verschrieben, seine Rechts-
gelehrsamkeit soll der Befreiung Weislingens zu Gute
kommen, die neue Ordnung, welche er einführt, ist eines
der Momente , die Weisungen antreiben , an den Hof
zurückzukehren.
In A fallen den Zigeunern und den iMitgliedern der
Vehnie je eine Scene zu, in B dagegen je drei. In der
neunten Scene des letzten Aktes erscheinen die Boten,
welche zur Gerichtsnacht ziehen, in der vierzehnten eine
' Hempel, Bd. 6 S. 46. Ich cilire nach der Hcmperschen Aus-
gabe, da die Bearbeitung von 1787, welche ihr zu Grunde liegt, nur
in für unsern Zweck unwesentlichen Einzelheiten von A verschieden
ist. ^'gl. Bd. 6. S. 204—9.
ü. Brahm: Buhnen-Bearbeitung' des Götz von Berlichingen. 195
vermummte Gestalt, mit Strang und Dolch, welche auf
das Vorgehen des heimlichen Gerichts gegen Adelheid
diese selbst und den Zuschauer vorbereiten soll, und erst
in der neunzehnten Scene, der vorletzten des ganzen
Dramas, folgt die aus A bekannte feierhche Sitzung. Die
Zigeuner treten in B gleich in der ersten Scene, als Wahr-
sager, auf und dann in dem Kampfe zwischen Götz und
der Reichsarmee, wo sie zu rauben und zu plündern ver-
suchen; in A ist hiervon nicht die Rede.
Die »grossen Anschläge« Sickiiigeiis werden in A nur
gelegentlich, und mehr vorübergehend, durch Götz erörtert;
in B beginnt die Scene, in welcher Sickingen zum ersten
Male erscheint, eindringlicher und gewichtiger mit den
Worten des Götz :
Weite Plane, theuerster Sickingen, hab ich euch immer
zugetraut und vermuthet; jetzt, da ihr sie aussprecht,
erschrecke ich davor. So verschieden sind unsere Geister!
Mir genügt es, mich in der Nähe zu tummeln und das
was recht und billig ist, zu fördern. (89) —
woran sich dann noch weitere Erörterungen und Reflexionen
schliessen. Ebenso wird die Entw^icklung des Verhältnisses
zwischen Sickingen und Maria in B breiter dargestellt; in
A finden sich die Beiden hinter der Scene, in B spielt sich
eine ihrer Begegnungen vor unsern Augen ab und Sickingen
legt ausführlich dar, wie seine Liebe zu Maria entstanden ist :
Du bist von frühern Zeiten meine Liebe. Lächle nur !
staune nur! Ich will es dir erklären. Melleicht erinnerst
du dich kaum dass du, mit deiner Mutter, auf dem Reichstag
zu Speyer warst . . . Damals als du mit deinen blauen
Augen zu mir herauf blicktest, fühlte ich den Wunsch dich
zu besitzen. Lange war ich von dir getrennt, jener Wunsch
blieb lebendig, so wie jenes Bild, wie der Eindruck jener
Augen. Ich komme eigentlich nur zurück.
13*
196 Forschungen.
Demselben Ik-dürtniss der strengeren Motiviruni; ent-
spricht es, wenn in H aut der einen Seite uns, genauer
noch als in A, dargelegt wird , wie Göt{ und JJ'risliiii^wii,
die alten Kameraden, auseinandergekommen sind, und wenn
andrerseits aut die abermalige Tremumg und die \\'ieder-
annäherung Weislingens an den Ik)i \(,)rbereitet wird. Dem
einen Zwecke dient die Frage der Maria: »Wie konntet
ihr euch jemals entxweven?« und Weislingens Antwort:
Auch das wird mir nun ganz klar. C^ ! warum blieb
ich zurück, als er nach Brabant zog, er bildete sich zum
Krieger, ich zum Weltmann, und als er zurückkam, gesteh
ichs nur, das strenge, barsche Wesen liel mir lästig. Da
mied ich ihn, wir wurden kälter, wir trennten uns, ein
anderer Kreis lunschloss mich, und wir wurden 1-einde. (34);
dem andern Zwecke dienen die Worte des 1-ranz :
Das kann , das muss anders werden. Und es wird
sich geben. Heute streiten sich die Herren, gross und
klein, als wollten sie sich die Köpfe abreissen luid morgen
sind sie wieder einig , Freunde , \'erbündete , giue Ge-
sellen. (43)
Selbst so weit geht Goethe in seiner peinlichen Sorgfalt,
dass auch das spätere l^intreten des kleinen Karl ins
Kloster vorher angekündigt werden muss; Maria lügt in
B neu hinzu, nachdem sie gesagt : »Die rechtschartensten
llitter begehen mehr Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit auf
ihren Ziigeno, sie fügt liinzu : »Ja, und ich kann es keinem
friedliebenden \erdenken, weim ei' sich aus dieser wilden
Welt heraus und in ein Kloster begibt«. (19) Die Fin-
fügung ist gewiss nicht sonderlich geschickt, man sieht
deuthch die Naht in dem »ja, undc
Durch ein solches »ja« wird auch in einer andern
Scene ein neues Stück angelügt, Göv/. rutt seiner Cjattin zu:
O. Brahm: Bühnen-Bearbeitun«' des Götz von Berlichingen. 197
Du sollst deine Hand auch da/uijeben, und sagen:
Gott segne euch. Sie sind ein Paar.
Hlisühiih. So geschwind?
G()/~. Aber nicht unvennuthet. ja l'rauen, ihr könnt,
ihr sollt alles wissen. Schon ist ein Knecht tort, dem
Bischori' ein Schreiben zu bringen. (36)
Aehnlich wird im dritten Akt eine alte Scene an eine
neue geflickt ; die \'erbindung wird so hergestellt : »Gö!:;; (nach
der Thür schauend) Was gibts ? Da kommt ja Selbitzc (91)
Dasselbe \'erbindungsglied noch zweimal im zweiten Akt:
»Da kommt mein Herr« und: »da seh ich ihn kommen«.
(62, 66).
Endlich sei noch erwähnt, dass in B die Stellen der
Reichsarmee durch \'erwandte und Günstlinge Adelheids
besetzt werden ; wenn man will, so mag man auch hierin
ein Streben nach engerem Zusammenhang erblicken. Un-
zweifelhaft aber erscheint Adelheid in der Scene, in welcher
sie Weislingen bestimmen will, diese und andere Aemter
ihren Freunden zu überlassen, kleinlich und unklug zugleich,
da sie unfähigen Günstlingen wichtige Stellen überlassen
mag. Ob man sagen darf, dass hier die Erfahrungen des
Hoflebens mitspielen, die Goethe bei der Ausführung
von A noch nicht gemacht haben konnte?
(2.) Nicht nur dieser Zug ist neu hinzugekommen,
sondern der ganze Theil des Dramas, welcher sich um
Adelheid und Weislingen dreht, hat die einschneidensten
Veränderungen erfahren. Goethe hat hier einerseits Erzählung
in Handlung umgesetzt, andererseits sehr wichtige Scenen
ganz fortgelassen , das eine noch unglücklicher als das
andere. In A erzählt Liebetraut, wie er Weislingen bewogen
habe, nach Bamberg zu kommen:
Erst that ich, als wüsst ich nichts, verstund' nichts
von seiner Aufführung, und setzt ihn dadurch in den Nach-
theil, die ganze Historie zu erzählen u. s. w. (51)
198 Forschungen.
Dieser i^iinz vor/iit^lichc Bericht, ein wahres Meister-
stück der M(ni\'iruni; , der durchaus das leistet, was die
Situation verhingt, ist gelahen; für l.iehetraut ist der sehr ge-
wöhnHcheXarr eingetreten, der vor unsern Augen Weisungen
bestimmen soll, nach Bamberg zu kommen und der weiter
nichts vorzubringen weiss, als dass Olearius eine neue
Ordnung der Dinge einführe. In keiner Weise aber wird
Adelheid damit in W'rbindung gebracht.
Und nun, das erste Mal, da wir Weisungen und
Adelheid beisammen sehen — finden wir sie bereits völlig
miteinander einig. Gefallen sind also die wichtigsten
Scenen des früheren zweiten Aktes, zw ischeu dem i^ischol
undWeislingen, und die ganzeEntwicklung des Verhältnisses
Adelheid-Weislingen, Scenen, welche ebenso bedeutend, wie
unentbehrlich sind, soll anders Weislingen nicht als ein
ganz erbärmlicher Schwächling erscheinen, als eine elende
Puppe in der Hand seiner jeweiligen Umgebung.
Anderes, wie die Klagen des Götz über das gezwungene
Müssiggehen, oder die Unterredung Elisabeths und Lerses,
welche auf das Schicksal vorbereitet, das den Götz erwartet,
vermissen wir zwar ebenfalls ungern, aber es ist doch nicht
gradezu unentbehrlich. Dagegen tritt der Bauernkrieg und
die Verwicklung, welche für Götz daraus resultirt, in l'olge
starker Striche, wieder gar zu unvermittelt ein. Xur ganz
vorübergehend, und ohne Beziehung aul Götz, luircn wir
von der Meuterei der I. andiente, gegen die Weislingen
zu Felde ziehen wird. Im Anfang des fünften Aktes dann,
mitten im Gespräch, ruft plötzlich Götz — man erkennt
wiederum die Xath — : »Doch, was ist das für ein Staub
dort unten ? Welch ein wilder Hauten zieht gegen uns
an?« (151) Und sofort folgt die für Götz so bedeutsame
Uebernahme der Anfülu-erschaft. In der h-ülK-rcn kassuiig
wurde, am Ende des xierten Aktes, Götz von dem Bauern-
krieg; unterrichtet, im fünften Akt folgte unmittelbar daraut
Ü. Brahm: Bühnen-Bearbeitung'des Götz von Berlichingen. 199
eine Sceiie des Krieges, »Tumult und Plünderung«, der
Beschluss, Götz (oder Stumpf) zum l'"ührer zu wählen,
wurde getasst — und jetzt erst, in der nächsten Scene,
wurde Götz der Hauptmann der Hmpörer.
(3.) Die Ursache dieser und ähnlicher Kürzungen waren
sicher Rücksichten auf die Bühne; dagegen kann man zweifeln,
ob die Bauernhochzeit mehr aus diesem Grunde fehlt, oder
weil sie der veränderten Tendenz des Dichters nicht mehr
entsprach. Diese \'eränderung liegt uns in andern Punkten
deutlich vor Augen. Fast Alles, was in A gegen Fürsten
Luul Hof gesagt wurde, ist in B, sow^eit es irgend entbehrlich
war, getallen ; in jeder und jeder Hinsicht macht sicli der
bestimmte Wille bemerkbar, die Reden von Freiheit und
Unabhängigkeit, die der veränderten Anschauung des Dichters
nicht mehr gemäss sind, unbedingt zu unterdrücken.
Gleich im ersten Akt fehlen die Worte des Götz:
»Wie wollen wir den Fürsten den Daumen auf dem Aug
halten !(( (43) und jene des Sievers: »Dürften wir nur so
einmal an die Fürsten, die uns die Haut über die Ohren
ziehen« (21), wogegen eingeschaltet ist: »Fin Bauer ist
jederzeit so gut als ein Reiter und vielleicht so gut als ein
Ritter. Fs wird sich zeigen«. (5) In der Tafelscene des
dritten Aktes macht sich vor Allem der Fortfall des dreimal
wiederholten : »Es lebe die Freiheit« bemerkbar, welches da-
durch noch besonders hervortrat, dass Götz erklärte, ihr
vorletztes Wort, wenn sie stürben, solle lauten: es lebe
der Kaiser! ihr letztes aber: es lebe die Freiheit! (S. 80.)
Aber wenn wir es begreiflich finden , dass eine
Stelle, wie diese, dem Goethe von 1804 bedenklich
erschien, so werden wir doch nicht umhin können,
einige andere kleine Aenderungen als entbehrlich und ein
wenig pedantisch zu bezeichnen. Wenn Götz in A fragte:
»Hab' ich nicht unter den Fürsten treffliche Menschen
gekannt, und sollten wir nicht hoffen, dass mehr solcher
200 Forschungen.
l'ürstcn aut einmal herrschen können?« (8i) — so muss
diese Stelle in B ebenso gut entfallen, wie die unschuldige
Wendung: »wenn meine Leute beisammen sind, es wird
ein Häuflein sein, dergleichen wenig Fürsten beisammen
gesehen haben«. {66) Sagte Götz in A: »So lang's an
Wein nicht mangelt und an frischem Muth , lach' ich der
Fürsten Herrschsucht und Ränke« (21), so wird in B das
Wort: Fürsten unterdrückt, und es heisst nur: »So lanü:e
es an Wein nicht mangelt und an frischem Muth, sollen
Herrschsucht und Ränke mir nichts anhaben«. (7) Bezeich-
nend ist eine Aenderung in der ersten Scene zwischen
Götz und Weisungen. In A heisst es:
lVei$rni^eu. Ich bin gefangen ; das Uebrige ist eins.
G'dl~. Ihr solltet nicht so reden. Wenn ihr's mit
Fürsten zu thun hättet, und sie Fuch in tiefen Turn an
Ketten authingen (31);
in B statt dessen :
Wenn ihr's mit Tyrannen zu thun hättet (24).
Hätte der junge Goethe diese Aenderung gethan, so
wäre sie kaum Aenderung zu nennen gewesen, denn
»Fürst« und »T^■rann« sind für ihn und die Genossen
nahezu gleichbedeutend ; eben desshalb fühlte er später
die Xothwendigkeit , zwischen den guten und den bösen
Herrschern zu scheiden.
Noch eine interessante Aenderung enthält die zweite
Bühnenbearbeitung, auf die ich hier ausnahmsweise Rück-
sicht nehmen will; dort sollte nicht, wie in A und B, der
Tod des Götz das Drama beschliessen, sondern die Scene
des heimlichen (Berichts, und die letzten Worte des Stückes
daher nicht lauten': »Himmlische Luft— l'reiheit! l'reiheit!«
u. s. w., sondern vielmehi':
Ihr die ihr Uebelthaten verabscheut, Richter in der
Tiefe, wirket, so lange die Nacht währt! ja, der Tag
wird kommen , der euch abruft. Frscheine 'Fag den
O. Brahm: Bühnen-Bearbeitung ifts Götz von: Berlichingen. 201
\'ölkcrn, verleihe glückliche Thärigkeit, und /um Plande
geset -lieber Freiheit walte von oben im Lichtiilanz (jerechtiu-
keit und Macht.
Zu diesen Tenden/en Goethe's stimmt es, wenn in
B ein heftiger Ausfall auf die deputirten Räthe fortgefallen
ist — »die grossen goldnen Ketten«, heisst es in A (84),
»stehen ihnen zu Gesicht wie dem Schwein das Halsband« —
und wenn ferner das patriarchalische W-rhältniss des Götz
zu seinen Untergebenen eine leise Abschwächung eriahren
hat; er fragt den Lerse nicht mehr: »Wie lange wollt
Ihr bei mir aushalten?« (A 6'-)), sondern: »Auf wie lange
verpflichtet ihr euch« (96), und als Georg erzählt, Weis-
ungen habe kaum das Herz gehabt, ihn anzusehen, ihn,
einen schlechten Reitersjungen, sagt Götz: »Erzähle du,
und lass mich richten« (69), während in A diese Worte
fehlten, und Selbitz vielmehr zustimmend bemerkte: »Das
macht, sein Gewissen war schlechter als Dein Stand« (^6).
Interessant für die Wandlungen, welche Goethe's An-
schauungen durchgemacht haben, sind weiter die Zigeuner-
scenen. In den älteren Fassungen erscheinen die Zigeuner,
durchaus romantisch, und im Einklang mit der allgemeinen
Vorliehe der Stürmer und Dränger für edle Verbrecher,'
als eine Art von verlassenem Bruderstamm ; sie holen
zwar dem geizigen Bauern die Enten, aber nur, weil er
sie fortschickte, da sie um ein Stück Brod bettelten, sie
nehmen sich mit Gefahr ihres Lebens, in der uneigen-
nützigsten Weise, des Götz an, sie sind »wilde Kerls,
starr und treu«, so dass Götz wehmüthig ausrufen kann:
»O Kaiser! Kaiser! Räuber beschützen deine Kinder«. (104)
Bis aut die letzte Spur ist in B diese Auffassung geschwunden ;
die Zigeuner sind betrügerische Wahrsager, Diebsgesindel
und xMarodeure, die Götz lediglich aus Eigennutz, weil sie
eines Führers bedürfen , bei sich aufnehmen. Man merkt,
dass aus dem iugendlichen Stürmer der \\'eimarische Staats-
202 Forschungen.
minister, l'ACcUcn/, tjjcwoi'dcn ist, der Vaü;abundcn solcher
Art energisch den Marsch maclien würde.
(4.) Die W'ahrsagekunst der Zii^euner gibt gleichzeitig
\'eranlassung, den Gegensat/ von Georg und Franz um
einen neuen Zug zu vermehren: Franz lässt sie sich halb
sj-)ielend gefallen, Georg weist sie voll Entrüstung zurück :
Hinweg du Kobold! Frevelhatte Lügenbrut! Ich vertrau'
auf Gott, was der mir beschieden hat, wird mir werden.
Ich bete zu meinem Heiligen, der wird mich schützen.
Sanct Georg und sein Segen !
Knechte. Sanct Georg und sein Segen.
Ein anderes Beispiel solcher etfectvoUen Theater-
frömmigkeit findet sich in der Scene des gemeinsamen
Mahles, wo die folgenden Worte des Götz neu hinzu-
gekommen sind :
Von diesem spärlichen Mahle wendet hinauf den Blick
zu eurem \'ater im Himmel, der alles ernährt, der euch
nah ist zur guten und bösen Stunde, ohne dessen Willen
kein Haar von eurem Haupte fällt. \'ertraut ihm! dankt
ihm! (Er setzt sich, mit ihm alle.) Und nun heiter und
•frcihlich zugegrüTen.
Bei miand oder Kotzebue würde diese Stelle wohl
weiter keinen Anstoss erregen, allein bei dem Dichter des
»Faust« und des »Prometheus« kann sie nicht anders als
auts Höchste befremdend wirken.
Nicht blos aus dieser Scene tritt es uns deutlich ent-
gegen, dass (jüethe in der Wahl der Mittel, durch die er
sein Drama für die Bühne wirksam machen wollte, nichts
weniger als zaghaft war. unbedenklich wird an die Stelle
des köstlichen Liebetraut, eine der wenigen gelungenen
Nachahmungen Shakespear'scher Glowns, ein recht
schablonenhafter Xarr (vgl. l'aust, 2. Theil) gesetzt, der
die lustigen I-oppereien des Flof'nianns in eine derbere
O. Brahm: BChnen-Bearbeitung des Götz von Beulichingen. 20 3
Sprache überträgt; der wackere Selbitz, früher durch die
leise bemerkbaren, aber nirgends stark aulgetragenen \'er-
schiedenheiten von Götz ein hübsches Gegenbild zu diesem,
wird ein herabgekommener Spieler und Herumlungerer,
der in die Fehde zieht, um Kleider und goldene Ketten
zu erbeuten.
Mehrfach wird die Gelegenheit zu feierlichen Auf-
zügen und Schaustellungen herbeigeführt, obgleich doch
schon A genug davon enthielt; mit Zelter correspondirt
Goethe eifrig über die nöthigen Compositionen. Es ist
dieselbe Neigung zum Opernhaften, die um diese Zeit so
stark im Faust hervortritt. Bei der Trauung der Maria
kommen Lerse und Georg mit Fahnen auf die Bühne, dann
ziehen Chorknaben, der Priester, Männer und Frauen mit
Gesang ums Theater und in die Kapelle, die Wache salutirt
mit Picken und Fahnen, der Gesang in der Kirche dauert
fort. Adelheid ferner kommt mit einem Maskengefolge,
bei Fackellicht, auf die Scene, Jugend und Mann, Kind
und Greis sind ihre Begleiter und werden an Blumenketten
geführt, während wiederum hinter der Bühne Musik
erschallt — die Scene ist vollständig überflüssig.
Abermals ein Theater-Effect — und zwar kein sehr
glücklicher — ist die Erscheinung, welche Adelheid in
der Nacht hat und die auf das Eingreifen der Vehme
vorbereiten soll; sie glaubt ein fiu'chtbares, schattenähn-
liches Wesen auf sich zukommen zu sehen und gleich-
zeitig kommt in der That eine schwarze, vermummte
Gestalt drohend heran, aber ihr im Rücken, so dass sie
mit leiblichen Augen sie nicht erblicken kann. Das
Ganze wird nicht recht klar und reicht in keiner Weise an
die erschütternde Gewalt der entsprechenden Scene der
ersten Bearbeitung, von 1771 heran, in welcher selbst
der rächende Bote der heimlichen Brüder durch die
dämonische Schönheit der Adelheid bestrickt wird.
204 Forschungen.
Die einzigen durcluuLs L;cluiit^cncn Sccncn, die auch
auf der Bülmc selten die Wirkuni^^ verfelilen, sind im
dritten Act die Auftritte zwischen Adelheid und Franz,
in welchen Adelheid den KnapjX'u zu einem gelehrigen
Staaren abrichten will, der seinem Herrn die Xamen
ihrer Freunde unermüdlich vorsagt, und die hübschen
\''erse des F^'anz, die sich daran schliessen :
Bc) in alten Herrn von W'anzenau
Gedenk i( h meiner gnädgen Frau u. s. \v. (88):
einige Heiterkeit pflegt dann auch die Bequemlichkeit und
Unfähigkeit des dicken Hauptmanns zu erregen, seine
Sorge um Zelt, Feldstuhl, Teppich und Flaschenkeller.
Was die AcbchU'isse anlangt, so sind sie in B, mit Aus-
nahme des letzten, sammtlich mehr oder weniger geändert
(in der zweiten Bühnenbearbeitung sollte auch der tünfte
Act anders schliessen, o. S. 200) Der Schluss des dritten
Actes — um von der glücklichsten Aenderung zuerst zu
sprechen — zeigt in B Götz aut der Höhe seines Glückes,
nach dem ersten Siege über die Reichstruppen; die letzten
W'orte weisen geschickt und bedeutungsvoll aut das
Folgende hinüber:
Kommt in mein Schloss. Sie sind /erstreut, die
unsrigen auch. Wer weiss was wir wieder zusammen-
bringen? ((iruppe in Bewegung).
In :\ schloss der Auttritt, da er an einem weniger
wichtigen (^rte stand, einlacher:
Kommt in mein Schloss. Sie sind zerstreut. Aber
Unser sind wenig und ich weiss nicht, ob sie 'Fruppen
nachzuschicken haben. Ich will luich bewirthen, meine
1 reimde. I:in Glas Wein schmeckt aul so einen
Strauss. (71).
Iis folgten dai'aul noch in demselben dritten Act die
Scenen der Belauerunu, bis zur Ueber^abe und dem j-^ruch
O. Hrahm: Bühnen-Beakbeitung des Götz von Berlichingen. 205
des Vertrages, die nun in B in die Mitte des vierten Auf-
zuges fallen.
Die Veränderung um Schluss des vierten Aktes ist
lediglich durch den Fortfall mehrerer Auftritte herbeige-
führt; in B schliesst der Aufzug mit der Scenc zwisclien
Götz und Sickingcn in Ilcilbronn — Sickingcn sucht den
Muth des Freundes wieder zu erheben — , in A tolgte
noch ein Auftritt zwischen Adelheid, Weislingen und
Franz und die Scene, in der Götz von dem Autstand der
Bauern erfährt. Beide Aktschlüsse sind wohl gleich
passend; der von B erweckt die leise Hoffnung auf eine
erneute Besserung im Schicksal des Götz, ohne aber den
Zuschauer allzusehr daran glauben zu lassen , so dass
dann doch der tragische Ausgang nichts Üeberraschendes
hat; der Schluss von A bereitet in anderer Weise, mehr
unmittelbar, aut die Freignisse des fünften Actes, auf
Götzens Theilnahme am Bauernkrieg vor.
Der dritte und vierte Aktschluss also , kann man
sagen, hat in B weiter keinen Schaden erlitten; das grade
Gegentheil leider lässt sich von dem ersten und zweiten
erweisen. Der erste Akt in A schliesst mit der \'erlobung
von Maria und Weislingen, und dem Bericht des Franz
über Adelheid; B verlegt diese Scene in den zweiten Aufzug,
streicht die vorhergehende, im bischöflichen Palaste zu Bam-
berg, und endet mit dem Auftritt zwischen Weislingen und
Götz, in welchem die \'erschiedenheit ihrer Anschauungen
zu einer leichten Fntzweiung und gleich darauf zur \'er-
söhnung führt. In A schliesst die Scene folgendermassen :
Gö/^. Aus dem Wege wollen sie mich haben, wie's
wäre. Und Du, Weislingen, bist ihr Werkzeug !
IVeislhigen. Berlichingen !
Gö/^. Kein Wort mehr davon! Ich bin ein Feind von
Explikationen; man betrügt sich oder den Andern und
meist Beide.
2o6 Forschungen.
Kiiil. Zu risch, Witcr!
G('/-. Fröhliche Botschaft! — Kommt! Ich hotfc, meine
Wcibslcutc Süllen luich munter machen. Kommt! (36)
In B aber wirJ, um den Schluss lebhafter zu gestalten,
der Streit noch weiter geführt, und ;^\var in einer Weise,
die so sehr dem ursprünglichen Tone des »Götz« fremd
ist, dass hier einer der Fälle vorliegt, von denen oben die
Rede Nvar, einer der Fälle, in denen man auch ohne \'er-
gleichung die Zusätze erkennen könnte. In kurzer Rede
und Gegenrede fallen Schlag auf Schlag sentenzmässige
Aussprüche, wie sie etwa der Auftritt zwischen Egmont
und Oranien bringt, oder die Stichomythie in der Iphigenie,
im Tasso, und so fort. Es heisst da u. A. :
Gö/-^. Schweigen ist das Beste, wo reden nichts wirkt.
l'Veislini^eii. In Gegenwart des Uebermüthigen zu
schw^eigen ist das Beste.
Weisliiigeii. Der Sieg macht trunkne Männer.
Gö/^. Die Niederlage macht, so scheint es, ungerecht.
(Sie stehen abgewendet und entfernt.)
Es erscheinen alsdann Carl und Marie, um zu Tische
zu laden :
Marie. Wie steht ihr da, wie schweigt ihr?
Carl. Habt ihr euch verzürnt? Nicht doch \'ater. D;is
ist dein Gast.
Marie. Guter b'remdling! das ist dein Wirth. Lasst
eine kindliche, lasst eine weibliche Stinnne bey euch gelten.
G('/- (zum Knaben). Bote des Friedens, du erinnerst
mich an meine Pflicht.
Weisliiii^eii. Wer könnte solch einem hinnnlischen
Winke wiederstehen.
Marie. Nähert euch, versöhnet, verbindet euch. (Die
Männer geben sich die Hände, Marie steht zwischen beyden)
Einigkeit fürtrefl lieber Männer ist wohlgesinnter Frauen
sehnlichster Wunsch.
Ü. Brah.m: Bühnen-Bhakheitung d'es Götz von Berlichingen. 207
Auch hier sollte also im Interesse des strengeren
iMotivirens auf die Ivollc der N'crsöhnerin, welche Marie
in der Folge spielt, schon h'üher hingedeutet werden; aher
wie öfter in dieser Bearbeitung ist der Preis, der tür den
Vortheil gezahlt wird, ein unverhältnissnrässig hoher: der
etwas engere Zusammenhang in den Alotiven und das
TheatraÜsch-Effectvülle des Schlusses können doch über
das unsagbar äusserliche, leere und stillose dieser Scene
in keiner Weise hinweghelfen.
Aehnlich steht es im zweiten Akt. Die Beraubung
der Kaufleute, die hier abweichend von A, und lediglich
dem Theater-Effect zu Liebe, ausführlich auf die Scene
gebracht wird, muss Gelegenheit bieten, dem Charakter
des Götz ein paar neue Züge aufzuheften, die ihn weder
sympathischer machen, noch auch nur innerlich motivirt
sind. Durch den Bericht des Georg, über Weislingens
erneuten Abfall, in unbändigen Zorn versetzt, befiehlt Götz,
die unglückhchen Kaufleute scharf zu binden, die Hände
auf den Rücken. »An ihrer Todesangst«, ruft er aus, »will
ich mich weiden, ihre Furcht will ich verspotten. O, dass
ich an ihnen nicht blutige Rache nehmen darf!« Und dann,
ohne jede Vermittlung tritt Stimmungswechsel ein :
Und wie Götz? Bist du auf einmal so verändert? haben
fremde Fehler, fremde Laster auf dich solch einen Einfluss.
In einer solchen Schule soll dein wackrer Georg heran-
w^achsen ! . . . Geh und binde sie los.
Hier oder nirgends erkenne ich den Einfluss Schillers,
von dem wir wissen, dass er an der Bearbeitung Antheil
genommen hat — ebenso in dem Folgenden. Georg bringt
einen Schmuck, den er bei einem der Gefangenen gefunden
hat und der zu einem Brautgeschenk bestimmt ist. Daraul
Götz, den Schmuck beschauend :
Marie! Diesmal komme ich nicht in ^\'rsuchung, dir
ihn zu deinem Feste zu bringen. Doch du gute edle Seek-
208 FORSCHUNGEK.
würdest dich, selbst in deinem Unglück, eines fremden.
Glückes herzlich erfreuen. In deine Seele w ill ich handeln !
— Nimm Georg! Gieb dem Burschen den Schmuck wieder
Seiner Braut soll er ihn bringen, und einen Gruss vom
Götz dazu.
(Wie Cieorg das Kästchen ant'asst, fällt der \\)rhang.)
l:s kann ja nicht geleugnet werden , dass schon der
alte Götz einen leisen \'orgeschmack des edlen Räubers
Moor hatte — aber von dieser theatralischen Biederkeit
war er denn doch weit entfernt.
().) Aenderungen dieser Art, Interpolationen nach der
Seite des Biedern und Sentimentalen sind in B leider
noch eine ganze Reihe zu verzeichnen. Besonders in der
Figur des Götz. Als Götz in die Acht erklärt wird, ruft er:
So wäre ich denn ausgestossen, wie Ketzer, Mörder
und \'erräther. (92)
und als er den \'errath Weislingens erfahren muss :
Wie beschämt stehen wir da, wenn man uns das
Wort bricht ! Dass wir dem Heiligsten vertrauten, erscheint
nun als täppischer Blödsinn. Jener hat recht, der uns
verrieth. Er ist nun der Kluge, der Gewandte, ihn lobt,
ihn ehrt die Welt, er hat sich aus der Schlinge gezogen
und wir stehen lächerlich da und beschauen den leeren
Knoten. (70)
Sickingens Hülfsanerbieten, das in A von Götz ohne
Weiteres angenommen wurde, muss in B Götz und Sickingen
die erwünschte CJelegenheit geben, sich als die ehrenwerthen
iMänner, die sie sind, zu erweisen :
Sickiiii^cii. Gerade zur gelegenen Zeit bin ich hier,
euch mit Rath und That beizustehen.
Gol{. Nein Sickingen! Entfernt euch lieber ! X'erbindet
euch nicht mit einem geächteten.
Sirkiiiocii. Von ilcni Jn'drdiayh'ii werde ich mich nicht
(thwciiilrii. (92)
O. BkAHM : BLHNtN-BhARlil-lTLNG DES GÖTZ VON BeKLICHINGHN. 209
Es zeugt von der gleichen bewussten Tugend, die sich
selbst in das helle Licht xu stellen versteht, wenn Götz
erklärt, da Georg ihn flehentlich bittet, von den I^aucrn,
diesem ehrlosen Hauten, sich zu entfernen:
Ich kann sie nicht verlassen, weil es ihnen übel geht.
Wir \vi')llen uns nicht verhehlen, dass wir manches (kue
gestittet und so wollen wir es tortsetzen. Wir werden
uns dieser That mit hreuden rühmen. (162)
Xach so viel Biederkeit dart es nicht Wunder nehmen,
wenn Götz selbst sich ihrer bewusst wird und den kaiser-
lichen Käthen erklärt: »Hier in Heilbronn will ich ritter-
liche Haft leisten, wie es einem Biedermanne geziemt«. (144)
Eine wesentliche \'erschlimmbesserung zum Senti-
mentalen hat das ^'erhältniss von Götz und Georg
ertahren müssen. In A gedenkt er des Knaben erst in
Wehmuth und Liebe, als er ihn verloren hat; in B schon
weit früher. »Meines Georgs erste wackere That sey ge-
segnet« (iio). »In einer solchen Schule soll dein
wackrer Georg heranwachsen!« (71), ruft Götz und
Lerse: »Georg ist ein herrlicher Knabe« (122). Am
klarsten wird die Veränderung in der letzten Scene des
Georg. In A betiehlt Götz dem Knappen ganz einfach
und sachgemäss :
Geschwind zu Pferde ! Ich sehe Miltenberg brennen.
Reit hin, sag ihnen die Meinung! Geschwind, Georg! (loi).
— und Georg geht darauf ab, olnic eine Silbe :{ii enviedeni.
Dagegen heisst es in B:
Georg. Wohl, Herr! wohl! und so, zum Schlüsse,
rieht ich freudig aus was ihr befehlt.
Gt)/~ (nach einer Pause). Nein doch Georg! Bleibe
hier, was sollst du dicli wagen?
Georg. Nein Herr ! was ihr einmal befohlen habt,
will ich ausrichten; was ihr wünscht soll möglich werden.
Gö/^. Bleib, bleib!
Gohthe-Iaukblch II. I^
210 FORSCHLTNGEK.
Georg. Nein Herr! \crzciht meinem gehorsamen Uii-
geborsdiii. Ihr wünschtet, dass Miltenberg gerettet werde,
ich will es retten, oder ihr seht mich nicht wieder. (163)
Auch die Figur der Marie hat in B eine entschiedene
sentimentale »Durchgeistigungc erfahren. Goethe führt sie
uns in einem ländlichen, von der Sonne beleuchteten
Garten vor, wie sie aus einem tiefen Schlummer erweckt
wird, der mehr der Seligkeit als dem Tode /u gleichen
scheint. »Wer ruft?« fragt sie.
Wer, auf einmal, reisst mich aus den seligen Gefilden
herunter in die irdischen Umgebungen? Ach! diese Welt,
diese Blumen, sie sind nur ein matter Widerschein dessen,
was der entzückten Seele manchmal jenseits gegönnt ist.
O hättest du mich fortträumen lassen ! Da war ich in die
Wohnung des Friedens versetzt, da war es leicht athmen,
leicht wandlen. Ein kräftiges Zeugniss, dass jenseits des
Wachens ein schöneres Erwachen auf uns wartet. (178)
Im Gegensatz zu früher, hören wir in B, dass Marie
die Leidenschaft für Weisungen nie überwunden habe, dass
an Sickingen Verehrung, aber nicht Liebe sie fessele.
Ziemlich abrupt wird, durch eine Frage Lerse's, dieses
Bekenntniss herausgefordert :
Wie auf einmal verändert? Eine stürmische Leiden-.
Schaft erschüttert eure sanften Züge. Redet! vertraut mir.
Marie. Du bist ein wackrer Mann ! So wisse denn,
zu wem du mich führst. Dieser Weisungen! Ich liebt
ihn, mit aller Innigkeit der ersten schüchternen Liebe.
Er verliess mich und alle meine Wünsche waren jenseits
hingewiesen. Irdische Neigungen verschwanden nach und
nach, mein Geist löste sich los und fühlte sich bereit, jeden
Augenblick dieser Hülle zu entschlüpfen, und zu seinem
ewigen Ursprung zurück zu kehren. (179)
(6.) Eines der wesentlichsten Merkmale der trüberen
Kunstweise Goethe's, im Ciegensatz zu seiner späteren, ist
O. BkAHM : Bl.HXUN-BtARI31,ITLNG DES GÖTZ VON BliKLICIllNGl-.N. 211
die Knappheit, jene wundervolle Knappheit, wie sie neben
dem Götz vor allem dem Prometheus-Fragment eignet.
Nirgends im »Götz« ein Aussparen, ein \'er\veilen, ein
Ausklingenlassen und Retardiren; unauthaltsam tluthen die
Ereignisse weiter, und nur spärlich, und stets am rechten
Orte, treten Reflexionen auf". Ganz anders in der späteren Zeit.
liier haben wir behagliches \"erweilen und Ausmalen, —
langsamsten h'ortschritt der Handlung; die Empfindungen
werden bis aui den Grund ausgeschöpft, — Rhetorisches
ist nicht ganz verpönt und Betrachtungen aller Art werden
in reicher EüUe eingestreut. Es ist ein Gegensatz, wie er,
mehr oder weniger, wohl bei jedem grossen Künstler sich
beobachten lässt : in der Jugend sagt man vieles mit
wenigen Worten, im Alter weniges in vielen Worten.
So ist es nur natürlich, dass auch bei der Umarbeitung
des Götz diese breitere Kunstübung ihren Einfluss nahm
und dass besonders eine Reihe von Reflexionen in das
Drama neu eingefügt wurden — eine so übele Figur sie
auch in den meisten Fällen machen und so wenig auch
die drängende Situation sie zu gestatten scheint.
Als die Belagerung ihren Anfang nimmt, meint Götz :
Es ist immer verdriesslich, eingesperrt zu seyn, zu
sorgen, ob Mauern wohl bewacht, ob Thore wohl ver-
wahrt sind, Tücke gegen List zu brauchen. (120),
und als er von dem Bruder Martin scheidet :
Wer weiss, wo wir uns wieder flnden. Und wenn
ihr wacker auf euren Wegen bleibt, ich wacker auf den
meinigen fortschreite, so müssen wir uns irgendwo wieder
begegnen. Ungerechtigkeit, Uebermuth, Bedrängung, Arg-
list, Betrug schalten so gut im Kloster als im Freyen.
Bekämpft sie mit geistlichen Waff'en in heiliger Stille,
lasst mich das Eisen durchs offene Feld gegen sie führen.
Gott segne jede redliche Bemühung und helfuns bevden.(i5)
14*
212 Forschungen.
Da Götz seine Burn verlässt, sai,'t er:
I\(Miim l:!isabeth. Durch eben dieses Thor führte ich
dich, als junge hrau wohl ausgestattet, herein, l-'remden
Händen überlassen wir nun unser Hab und Gut. Wer
weiss wann wir wiederkehren. Aber wir werden wieder-
kehren und uns drinnen in dieser Kapelle, neben luiseren
würdigen \'()rtordern, xusannnen zur Ruhe legen. (130)
In einer Reflexion Weislingens spricht deutlich der
Dichter selbst :
brüher wenn wir die Welt auf unsere Schultern kiden
möchten, und den Himmel da/u, da scheint uns gleich-
giltig wer mitwirke. Wir vertrauen uns, imd so vertrauen
wir allen. Später, meine Liebe, fühlt man sich unzuläng-
lich, wenn eine grosse That geboten ist, man erkennt nun
den \\\M'th mitwirkender trefflicher Menschen, und da
möchte man sich nur mit den tüchtigsten, den treuesten
umgeben. (84)
Hübsch ist die Betrachtung, welche Georg beim
Giessen der Kugeln anstellt :
\\'enn man doch auch so eine Form hätte, wackere
Reuter zu giessen, wie wollten wir ein ganzes Schloss
voll erst fertig machen und auf einmal alsdann die Thor-
flügel auseinander und unter die beinde hinausgesprengt!
Wie sollten die sich verwundern! (124)
(janz aus dem Stile fallen dagegen die folgenden Worte
des kränz :
Deine Drohung erschreckte mich, wenn ich sie ver-
diente. Der Hohn \ernichtete mich, wenn er mich träfe.
Unbeständig ist der Jünglinge Hin- und Widerstreben;
der standhafte Mann wird gerühmt, wenn er seine Liebe
treu zu bewahren weiss. (172)
Sollte man nicht glauben, einen \'orkkmg \on iM'eytags
■)Inm)c( zu \ei'nehmen :
O. Bkahm: HuHNtN-BEARBurruNG DES Götz von Berlichingen. 215
Merkwürdig ist, wie einzelnen Aeusseriingen die frische,
lebendige 1-arbe abgestreift wird, wie der Dichter ihnen
ein graues, sentenzmässiges Aussehen \erleiht. In A sagt
■/.. B. der Kaiser:
\\'ieder neue Händel! Sie wachsen nach wie die Köpfe
der Ih-dra.
lf\'isliih^u-ii. Und sind nicht auszurotten, als mit Ix-uer
und Schwert und einer nuithigen Unternehmung. (6^),
in B dagegen :
Immer kleine Händel, die den Tag und das Leben
wegnehmen, ohne dass was rechts gethan wird.
fl\'isliiii^i'i!. Wer möchte gern nach aussen wirken, ^o
lange er im Innern bedrängt ist? Liessen sich die Empfindlich-
keiten des Augenblicks mildern, so würde sich bald zeigen,
dass übereinstimmende Gesinnungen durch alle Gemüther
walten, und hinreichende Kräfte vorhanden sind. (76)
(7.) Auf die Aenderungen im Stil, welche B autzuweisen
hat, möchte ich schliesslich mit ein paar Worten nur ein-
gehen. Dass dem Goethe von 1804 vieles im »Götz« als
zu derb erschien, zu wenig gewählt, zu volksthümlich, zu
stark dialektisch gelarbt, nimmt nicht weiter Wunder.
Wohl aber wundert man sich über das eigenthümliche
Missgeschick, dass fast durchgehend die Aenderung gleich-
bedeutend mit Verschlechterung ist.
Aus dem Satze: »Dass sie sich nur darum graue Haare
wachsen liessen!« (35) wird in B: »dass sie nur darum
ein graues Haare anflöge« (29); aus: »Bring mir einen
Krug Wein« (22) — »Fülle mir den Becher nochmals« (8);
aus : »Ich hätte mein ^\Tmögen gegeben, die Spitze ihres
kleinen Fingers küssen zu dürfen!« (46) — »Alles hätte
ich hingegeben« (42); aus: »Sorg Du! Es sind lauter
Miethhnge. Und dann kann der beste Ritter nichts machen,
wenn er nicht Herr von seinen Handlungen i;t«. (66) —
214 Forschungen.
»Und tcriKT kann«. Aehnlich werden, der leidigen Correct-
heit des Bildes /u Liebe, des Seibit/ Worte : »Schwimm,
braver Schwimmer! Ich liege hier!« (73) gciindert in:
»Schwimme , braver Schwimmer ! Ich bin leider an den
Strand geworfen«. (106) Aus Sickingen's Betheurung : »Ich
will ihr Bette nicht besteigen, bis ich luich ausser Gefahr
weiss«. (77) wird, in übertriebener Rücksicht auf die Bühne,
das gänzlich nichtssagende: »Ich will nicht ruhen noch
rasten, bis« (119)
Die Aenderungen in rein sprachlicher Hinsicht sind
nicht ganz correct durchgeführt, einige Freiheiten sind
getilgt, einige andere erhalten. Da sich aus einer näheren
Betrachtung doch keine nennenswerthen Resultate ergeben
würden, darf ich von den Einzelheiten absehen. Sprach-
liche Untersuchung, soll sie fruchtbar sein, bedarf einer
grösseren Fülle empirischen Materials, als sie hiei' zu
Gebote steht.
In der ganzen ausiührlichen Betrachtung, an deren
Ende wir jetzt stehen, habe ich mit einer Einseitigkeit und
Rücksichtslosigkeit, deren ich mir wohl bewusst bin, einzig
und allein den ästhetischen Standpunkt lestgehalten ; von
dem biographischen Gesichtspunkt: wie weit denn von
dem Goethe des Jahres 1804 eine grössere Pietät gegen
den Ton seiner Jugend erwartet werden diuite, wie weit,
auf der andern Seite, der \'ersuch, den durchaus undrama-
tischen »Götz« nachträglich tür die Bühne zu gewinnen,
auf ein Gelingen rechnen liess — ist kaum die Rede
gewesen. Die Berechtigung einer solchen Betrachtungs-
weise soll damit natürlich nicht in Abrede gestellt sein ;
nur dass es nicht möglich ist, sie heute noch zu leisten.
Aber um doch wenigstens anzudeuten, worauf es ankäme,
möchte ich eine schöne Aeusserimg Herman Grimms
auszugsweise wiedergeben , der auch hier den auf das
Grosse gerichteten Blick des echten Historikers zeigt:
O. Brahm: Bühnen-Bearbeitung" des Götz von Berlichingen. 21 5
»Goethe trug den Inhalt seiner Dichtungen so lebendig
in der Seele, dass ihr Ausdruck in Worten, selbst wenn
er ihm am herrlichsten gelungen war, dennoch für ihn
eine über alle testen Formeln erhabene Berechtigung blieb.
Er glaubte sein Eigenthum jeden Tag anders gewandt und
anders accentuirt neu mittheilen xu dürfen. Goethe war
der Herr und seine Werke hatten sich jederzeit seinem
Willen /.u fügen. Es war ihm gleichgültig, ob litterar-
historische Betrachtung ihm später vorwerten könne, seine
Dichtung in gewissem Sinne zerstört und willkürlich anders
autgebaut zu haben. l:r that auch hier was ihm beliebte . . .
Wir aber haben ihm gegenüber unsere Unbetangeniieit
wieder gewonnen und lassen nur gelten was uns zusagt.
Und so sind wir im Rechte, diese \'eränderungen nur
noch als ein seltsames Symptom der Entwicklung des
grossen Dichters aufzufassen : als ein Zeichen seiner inneren
Freiheit und des höheren idealen Lebens, mit dem seine
Dichtungen in ihm und mit ihm sich fortbildeten, alternd
mit ihm selber gleichsam«. (Preuss. Jahrbücher, Bd. 35.)
Wie man auch zu dieser Auffassung sich stellen mag --
und in allen Punkten möchte auch ich sie nicht unter-
schreiben — das Recht des Autors, mit seiner Dichtung
nach Belieben zu schalten und walten, wird niemand
anzweifeln können; Goethe's gutes Recht war es, das
Werk seiner Jugend, nach Maassgabe der veränderten
Auffassung umzuformen, aber unser gutes Recht, des Lesers
Recht ist, sich an diejenige Fassung zu halten, welche ihm
als die gelungenste erscheint. Und so wird wohl, so lange
man den Götz liest, der unbefangen Geniessende sich immer
wieder zu der unvergleichlichen Frische der ersten Fassung
hingezogen fühlen und von der farblosen und dissoluten
Bühnenbearbeitung sich zu jener zurückwenden.
Die Bezeichnung «Bühnenbearbeitung '^, die man B
gegeben hat, sagt, wie aus dieser Untersuchung deutlich
2l6
Forschungen.
geworden sein wird, viel /u wenig — Goethe selbst spricht,
in den l^rieten an Zelter und ivochlitz, immer nur von
einer »Umarbeitung c und nennt das Stück mit Recht
»durchaus decomponirt und recomponirt« (An Zelter I.
132); es handelt sich, wie wir gesehen haben, um eine
vollständige Bearbeitung, nicht blos in Rücksicht auf die
Bühne, sondern ebenso sehr nach politischen, sittlichen,
ästhetischen Gesichtspunkten, welche, in ihrer Art consequent,
doch tür uns, die wir von dem Standpimkt der ursprüng-
lichen Fassimgen urtheilen, eine ungeheure W'rschlechterung
bedeutet, eine \'erschlechterung, wie sie glücklicherweise
einzig ist in der Geschichte Goethe'scher Poesie und wohl
in der ganzen Geschichte unserer Literatur.
III. Neue Mittheilungen.
1. Gedichte und Dramen.
I. SC1:NH AUS DEN VÖGELN.
MiTGETHKii.T VON WILHKLM ARNDT
Lirch eine Notiz Salomon Hir/els wurde ich lUit
zwei von Cioethe an den Prinzen August von
\1^^^^^ (jotha in-i Jahre 1781 gerichtete Briefe aufmerk-
sam, die, dem Maniiscript der \'ögcl vorgebunden, aut der
HerzogHchen Bibliothek zu Cjotha aul bewahrt werden. Aul
meine Bitte sandte mir Herr BibHothekar Dr. Georges mit
der grössten Liebenswürdigkeit die erwähnte Handschrilt
nach Leipzig, und ich konnte zu meiner Freude die beiden
Briete zur Feier von Goethe's Geburtstag in den Grenz-
boten (1880, Nr. 35) veröflenthchen. Zugleicii aber unter-
nahm ich eine X'ergleichung der Handschrift mit dem
gedruckten 'Fext, imd es stellte sich dabei heraus, dass
Goethe das Stück vor dem Druck einer genauen prüfenden
Durchsicht unterzogen, namentlich eine ganze Scene —
die ihm mit Kecht als zu übermüthig erscheinen musste —
herausgeworfen und durch eine andere ersetzt hatte. Auch
andere Abweichungen, darunter manche interessanter Natur,
sind zu verzeichnen gewesen; sie werden in der von mir
beabsichtie;ten kritischen Ausgabe mitiietheilt werden. Dort
220 Neue Mittheilungen.
wird sich auch der schickhchc Phu/ iindcii, das Xöthii^c
ühcr \'ci'anlassun_i^ und C^oniposition des Stückes, sowie
über die in ihni erkennbaren Beziehungen zu Zeitgenossen
zu erörtern, namentHch die l'rage zu behandehi, ob unter
dem Schuhu Klopstock, unter dem Papagei Gramer zu
verstehen seien. Icli dart wdhl hier im A'oraus bekennen,
dass ich davon überzeugt bin, dass Cramer wirkhch unter
dem Papagei gemeint sei, dass aber tür die Annahme, der
Schuhu repräsentire Klopstock sich nur einzehie Beweis-
momente erbringen lassen, und dass nach meiner Meinung
Bodmer, Klopstock und Nicolai vereint zu dem Bilde des
tagscheuen \'ogels gesessen haben.
Auf den Wunsch des Herausgebers dieses Jahrbuches
theile ich zunächst die bisher unbekannte Scene sowie
einige Zeilen mit, die gegen Ende der Handschriit sich
finden und die, durch ein WMsehen des Setzers in der
Hditio princeps ausgetallen, seitdem in allen Ausgaben tehlen.
Wenige Bemerkungen über die Handschritt selbst seien
\'orausgeschickt. Sie trägt in der Herzoglichen Bibliothek
zu Gotha die Nummer: Ghart. B. 1304. Der Text ist auf
zu Quart zusammengefaltetem Schreibpapier von einem
Schreiber äusserst sauber geschrieben, und von Goethe
selbst genau durchcorrigirt worden. Pappband; der Deckel
mit Papier vcmi gelber Steinfarbe beklebt, hat eine Um-
ränderung \()n schmalen eingepressten Goldstrichen, und
ebensolche finden sich auch aut dem Kücken. Aut Blatt 4
steht in Practurschrift : Die \'ögel. i Hrster Akt. : 1780. I
Die Rückseite von diesem Blatt ist leer geblieben, ein
Personenverzeichniss, das man hier ei'warten sollte, iehlt
überhaupt. Auf l^latt 5 beginnt der Text. Der Name der
agirenden Person steht stets in der Mitte einer besondern
Zeile, und die \-on derselben zu sprechenden Worte be-
ginnen immer eine neue Zeile. Die scenischen Bemer-
kungen sind den Personennamen in Klammern beigefügt,
SCLNt ALS DLN \'üGULN. 221
reicht die Zeile dazu nicht aus, so wird in einer neuen
damit tortgehihrcn, aber regehiiässii^ nur die rechte Hiiltte
dieser Zeile benut/.t. Mit dem Schluss von l^latt 51 endet
der Text. Die Handschritt ist in neuerer Zeit mit Blei-
teder durclitohirt worden.
I. Wich den Worten des Schuhu (Werke, Hempel,
\'III. S. 379, Zeile 1.): *'Jis ^i^nt'hl vci schicdciic .-irlcii von
IVohhexn« , steht in der Handschrift Folgendes:
Hotiegut.
Nun eben eine Stadt, wo mir einer auf dem Marckte
begegnete, und mich anführe und sagte : Was, Herr, ist
das erlaubt, ist das ein Freundschaftstück, in acht Tagen
sich nicht einmal be\' mir zu Gaste /u laden? meine
Capaunen nicht verzehren helfen? meinen alten W'ein zu
verschmähen? Ich muss wahrhaftig bitten, mein Herr,
dass sie ihre Autiührung andern, sonst kann's nicht gut gehen.
'Freutreund.
So eine Stadt, wo mich ein alter würdiger (jreis in
der Allee be_\-m Lippen kriegte und mich zur Rede stellte
und sagte: Was, ihr belohnt meine Woiilthaten so! Hab
ich euch darum einen Fintritt in mein Haus erlaubt? da
hab ich meine Tochter das allerliebste Miidgen ! ' hab ich
euch nur darum bev ihr allein gelassen, dass ihr ihr so
begegnen sollt? Der arme 'Fropt kommt zu mir, weint
und schluchst, und sagt : ach lieber Herzenspapa, bedenkt
nur, er hat mich nicht einmal geküsst, nicht einmal geherzt
nicht einmal ach dass das arme Kind vor weinen nicht
lortreden kann ! — Pfui, fahrt der Alte in einem gesezten
' Der Schreiber schrieb: // V/Vn^c//, Goethe stricli e^ ans inui sciirieb
eigenhändig Miuh^oi darüber.
222 Neue Mittheilungen.
'l'onc lort, das hätt' ich mir von euch nicht \crschn !
beschimpft mich nicht so zum zweitenmal, wenn wir i^ute
Freunde bleiben sollen, wie ich"s von eurem seeliL;en \'ater
gewesen bin.
Hoffet^ut.
Und wo wieder \'ermuthen ein bescheidner, saubei'
gekleideter Mann in mein Zimmer träte und mich sehr
um Vergebung bäte. Ich bin ihnen doch nicht beschwerlich?
sagt' er: »Im geringsten nicht«, sagt' ich — Ich habe
was vorzubringen, wenn sie mir's nicht übel autnehmen,
sagt' er: »im geringsten nicht«, sagt' ich. — 'S ist eine
Kleinigkeit, sagt' er: »Oh desto besser« sagt' ich. — Aber
ich muss überzeugt sevn, dass sie deswegen nicht schlimmer
von mir denken werden. »Oh ganz und gar nicht«. —
Dass sie nach wie vor mein Freund sevn wollen? — »Auf
alle Weise«. — Nun so wag' ich's. Ich habe hier 200.
Stück Loui;-d'ors; sie sind warlich vollwichtig! darf ich sie
ihnen anbieten ? Ich wüsste nicht hey wem sie sichrer
wären. C^hne H\potheck , ohne ^'crschreibung , ohne
Wechsel ; aber ich bitte sie ums Hinnnels willen, unter
zehn zwanzig Jahren denken sie mir an keine Rückzahlung.
Treutreund.
Und wenn ich nun irgend für ein \\'ei'k des Genies
5, 6, 800 Louisd'ors geradeswegs vom unbekandten unauf-
geforderten Publiko ins Haus geschickt kriege, und ich
nicht mehr ein Schuldner des kleinen Philisters sevn will,
und ich zu ihm schicke: lässt er sich verläugnen — ich
ihm begegne und er weicht mir aus — ich ihn verklagen
will dass er"s annehmen soll und muss, dass ich keinen
Advokaten kriege der sich meiner ungerechten Sache
annehmen mag — wenn ich zulezt genöthigt bin, es :\d
pias causas anzubieten, so einem hübschen kleinen Mädchen,
die gute Gesellschaft aufnimmt, und, was mich zulezt
Sci-.N'u ALS »Ihn VoGtLS. 223
ganz auser mich sezt, auch die wirft mir's vor die Füssc,
schickt ein paar MesstVemde fort, und bchäk mich wahr-
haftig vom l'rc\ tau in der Zahlwochc bis Sontag bcv sicii.
Schiihu.
Zu wem, denkt ihr, dass ihr gekommen se\-d ?
'l'reutreund.
Wie so?
Schuhu.
Wo find ich Worte, die eure Ungezogenheit ausdrücken ?
Hoffegut.
Sonst habt ihr deren doch einen guten \'orrath.
Schulni.
Schändhch ! und was schlimmer ist, abscheuhch ! und
was schhnmier ist, gottlos! und was schhmmer ist, abge-
schmackt !
Treufreund.
Nun geht der Periode zu Ende.
Schuhu.
Für euch ist kein Weeg, als ins Zucht — oder ins
Tollhaus, (ab)
Papagay.
Aber um Gotteswillen etc. etc. wie S. 380.
II. Nach den Worten l'reufreunds (Werke, Hempel,
VIII. S. 393. Z. 8 — 10): »Dadroben wohnen — Was seht ihr
da?« folgt in der Handschrift:
4. Vogel. Berge und Müsse, Wälder und Seen, Woh-
nungen der verderblichen Menschen.
Trcitfrcitini. Xun merkt auf! und schaut auf! Und
zwischen diesen be\-den, was seht ihr?
224
Neue Mittheilungen.
Es ist klar dass das Auge des Setzers durch das:
»Was sein ihr dar« und: »Was seht ihr?(( zur Auslassung
der oben mitgetheilten Worte verleitet worden ist. Die
Correctur ist entschieden nicht nach dem Manuscript gelesen
worden, weil sonst die entstandene Lücke bemerkt werden
musste. Ich mache aber noch daraut aufmerksam, dass in
der ersten Ausgabe des Stücks (hei Goeschen, 1787, Band 4;
die in demselben Jahre erschienene Separatausgabe des
Stücks ist von dem stehengebliebenen Satz des vierten
Bandes genommen.) die Worte Treufreunds: »Da droben
wohnen — was seht ihr da?« die Seite 275 schliessen.
Der Setzer also sowohl als der Corrector konnten beim
Beginnen mit einer neuen Seite, die mit den Worten des
zweiten Vogels: »Zwischen Himmel und Erde?« anfängt,
um so eher den Zusammenhang aus den Augen verlieren.
II. GOhTlll: AN MHRCK.
Schicke Dir hier in altem Kleid
Hin neues Kindlein wohl bereit,
Und ist's nichts weiters auf der Bahn,
iiats immer alte Hosen an.
Wir Xeuen sind ia solche Hasen,
Sehn immer nach den alten Nasen,
Und hast ia auch wies ieder schaut
Dir Xeuen ein altes Haus gebaut.
Darum wies steht sodann geschrieben,
Im Evangelium dd drüben,
Dass sich der neu Most so erweist,
Dass er die alten Schlauch zerreisst.
Ist fasst das Gegenteil so wahr
Das alt die iungen Schlauch reisst gar.
Und können wir nicht tragen mehr
Krebs, Panzerhemd, Helm, Schwerdt und Speer,
Und erliegen daruiuer todt
Wie Ameis unterm SchoUenkoth,
So ist doch immer unser Muth
W^dirhatitig wahr und bieder gut.
Und allen Perrückeurs und Fratzen
Und allen Literarschen Katzen
Und Räthen, Schreibern, Maidels, Kindern
Und wissenschaftlich schönen Sündern
Sey Troz und Hohn gesprochen hier
Und Hass und Aerger für und für.
Weissen wir so diesen Philistern
Kritikastern und ihren Geschwistern
Wohl ein ieder aus seinem Haus
Seinen zum Fenster hinaus.
Goetiie-Jaukbccm IF. IC
226 Neue Mittheilungek.
Vorstehendes Gedicht in Briefform darf als ungedruckt
bezeichnet werden, da es nur als liinzeldruck in sehr
wenigen Exemplaren, gleichsam zur Probe, veröffentlicht wor-
den ist. (Vgl. unten Bibliogr.) Der Herausgeber, G. v. Loeper,
wünschte nämlich die Vota der Goethe-Forscher über diese
Epistel zu \ernehmen und durch dieselben eine Art von
Entscheidung über Inhalt und Beziehung des Gedichtchens
testzustellen. Er selbst äusserte sich in den kurzen Vor-
bemerkungen, in denen er mittheilte, dass dasselbe seit
Merck's Tagen in Goethe's Handschrift in Darmstadt
aufbewahrt wird, folgendermassen : »Nach dem so sehr
burschikosen Tone würde ich die Epistel eher dem j. 1773
als dem J. 1774 zuschreiben, weiss aber nichts von einem
»neuen Kindlein in alte/}! Kleid« aus diesem Jahre; man
könnte doch für dies Jahr nur an den Götz denken, wohin
auch der Gedanke weist, dass wir nicht melir den Harnisch
der Vorfahren zu tragen vermögen, aber der Götz war
grade etwas »Weiteres auf der Bahn « und Merck als \cr-
leger stand zu jenem Stück anders als diese Epistel voraus-
setzt. Ich vermag bei derselben nur an den Glavigo zu
denken, an die Rückkehr zur geschlossenen dramatischen
Form, hier als »alte Hosen« bezeichnet, mithin, was die
Zeit anbetrifft, an den Spätsommer 1774. Für Lenz's
Lustspiele nach dem Plautus wird man sich bei näherer
Prüfung schwerlich entscheiden«. Gegen diese Auffassung ist
von W. v. Biedermami, Zarncke, R. M. Werner, R. Boxberger
die Ansicht geltend gemacht worden, dass unter dem
»neuen Kindlein « die erste Gestalt des Götz zu verstehen
sei. Boxberger fügt seiner Auseinandersetzung die Be-
merkung hinzu: »Mir konmit das Goethe'sche Gedicht wie
ein Pendant zu der Epistel an Gotter vor. Als Zeit der
Abfassung ist wohl Anf. 1772 anzunehmen«. Das alte Haus,
das dem Neuen gebaut ist, sind, nach dieser Ansicht, die
von .Merck ue^riindeten Frank hirter Gelehrten Anzeigen,
Goethe ax Merck. 227
die nur als eine Fortsetzung der seit 1736 bestehenden
Frankfurter Gelehrten Zeitung zu betrachten waren. Nach
»zerreisst« Z. 1 1 ist der in der Original-Handschrilt stellende
Punkt beibehalten, wie überhaupt der Druck alle Eigen-
tliümlichkeiten der Handschrift reproducirt ; der Sinn würde
an dieser Stelle statt des Punktes ein Semikolon verlangen.
Gegen die oben niitgetheilte Erklärung hat H. Düntzer
1-olgendes geltend gemacht:
»Die richtige Beziehung des launigen gereimten Begleit-
schreibens ergibt sich aus der Bedeutung der »Xeuenc* \. 5
im Gegensatz zu den Alten (den »alten Xasen«) \'. 6.
Wie letztere die alten Klassiker bezeichnen, so erstere die
Modernen. Hiernach müssen das »alte Kleid« und die
»alten Hosen« auf altklassischen Stoff gehen, aus welchem
» ein neues Kindlein wohl bereit (bereitet)« worden ; es
hat einen neuen Schnitt, eine moderne Form erhalten.
Damit scheint mir das lläthsel gelöst. Es sind die »Lust-
spiele nach dem Plautus fürs deutsche Theater« gemeint,
die von Lenz herrühren, aber Goethe hat auf deren Um-
gestaltung grossen Einfluss gehabt, auch wohl einiges selbst
geändert. Sind diese auch kein Fortschritt in der deutschen
Dichtung (»nichts weiters auf der Bahn«), so wird man
sie doch ihres altklassischen Gehaltes wegen gelten lassen.
l:s sind, wie einer der ersten Beurtheiler sagt, »unveränderte
'Fhemata, unveränderte Situationen, unveränderte Ideen des
Plautus«, aber sie gewinnen durch die »originellen \'orzüge
des Dialogs« die »hinzugekommenen neuen Einfälle«, das
»hinweggeschnittene müssige Geschwätz«, den »modernen
Anstrich der Kostüme«. Goethe besorgte den \'erleger.
In Weygands \'erlags-Katalogen sind die Stücke mit der
Bezeichnung »von Goethe und Lenz« angeführt. Schon
am 3. November 1773 sandte Goethe die ersten Aushänge-
bogen an Betty Jacoby, die davon wenig erbaut war. Merck
erhielt mit diesen Zeilen die vollständig ausgedruckten
22S
Neue Mittheilungen.
Stücke um Ostern 177^. Das »alte Haus«, das Merck sich,
»dem Xcucn « , gebaut, hatte er schon im Dccember 1772
bezogen.«
Wilh. Arndt endhch bezieht das (iedicht aut das
«Puppenspiel«. Weitere \ou sind weder dem ersten
Herausgeber noch mir zugegangen. Ich gebe die vor-
stehenden nicht in der Absicht, die Forschung damit tür
abgeschlossen zu erklären, sondern um zu erneuter Be-
trachtung der jugendlichen Epistel anzuregen.
»Im Evangelium« (\'. 10) bezieht sich auf den Matth.
9, 15 und Mark. 2, 20 mitgetheilten Spruch Jesu: »Niemand
setzt einen neuen Fleck auf ein altes Kleid oder tasst neuen
Wein in alte Schläuche«. Ich darf wohl bemerken, dass
mein Witer, Abraham Geiger, schon vor längerer Zeit
behauptet hatte, dass »fast das Gegentheil des Spruches
wahr sei« (Das Judenthum und seine Geschichte, Breslau
1865, 2. Aufl. S. 173 — 175), dass er aber wegen dieser
Behauptung heftige Angriffe erfuhr (Das Judenthum, Bd. II,
S. 195), und dass er sich gewiss getreut haben würde, tür
seine Ansicht keinen geringern Bundesgenossen zu finden
als Goethe.
L. G.
in. Aus Faust zwi-ithr Thhii..
MiicKTHKii.T VON \\( )1 .1 )KMA R 1-RKIH. \'. BIKI )KKM ANN.
Chor.
Nennst du ein Wunder dicss?
Gretas Erzcii^^tcr du !
Dichtend belehrenden
Hast du niemals du /ui;ehuischt.
Niemals i^ehört loniens
Nie vernommen Hellas
Urväterlicher Sagen
Göttlich-heldenhaften Reicht hum.
Alles was je geschieht
Trauriger Nachklang ists
Unsrer Tage, der Tage
Herrlicher Anherrn
Dein Erzählen vergleicht sich nicht
lenem was lieblich-glaubliche Lüge
A'on dem Sohne der Maja sang.
Diesen zierlich krättig
Gebohrenen kaum
Faltet in reinste Wickeln,
Strenget in köstliche Windeln
Klatschender Wärterinnen
Unvernunft.
Kräftig u zierlich aber
Zieht schon die beugsamen,
Dehnsamen Glieder
Listig heraus, die purpurne
Aengstlich drückende Schaale
Lassend an seiner Statt.
230 Neue Mittheilungen.
So wie der Schmetterling
Aus dem starren Piippenzwang
Flügel enthdtend schlüpft,
Sonnendurchstrahlten Aether
Mut h will ig durch flatternd.
So auch er, der behendeste,
Dass er den Dieben se\',
Vortheilsuchenden allen
Ewig günstiger Dämon,
Das bethätigt er gleich
Schwingt zum Olymp sich auf,
Nieder zum tosenden Ocean,
Ueber der Erde Breites hinweg.
Nicht verschont er des V^iters
Nicht des Oheims
Würdige Herrscherkraft.
Der vorstehende ältere Entwurf eines Chorgesangs
aus h'aust, zweiter Theil, wurde dem jetzt im Ruhestand
lebenden Geheimen Hofrath Ludrius aus Weimar nach
Goethe's Tod als Andenken an den Verstorbenen gegeben.
Er findet sich auf einem Folioblatt, ganz von Goethe's
eigener Hand geschrieben. l:s ist der Chorgesang im
IIL Act von Faust, 2. Theil. (Eoeper, v. 1142 bis 1191),
aber vielfach abweichend, namentlich am Schluss. In dieser
sauberen Handschrift findet sich keine einzige Aenderung,
ausser dass das Wort »faltet« in der 3. Strophe auf einem
aufgeklebten Papierstückchen geschrieben ist; vier Strophen
stehen auf der ersten, die letzte „xüi der zweiten Seite.
Das Ganze ist mit Bleistift durchstrichen. \'orstehender
Abdruck ist buchstabengetreu.
I\-. Ais C;OETHH'S NcrnZBUCH VON DER
SCHLESISCHHN REISE 1790.
MiTGKTHKILT VON G. VON LOEPEK.
In Hirzcls »Xcucsteni \'crzcichnis.s einer Goethe-
bibliothek« bildet das handschriftlich erhaltene, aus 38 nur
/um Theil beschriebenen Blättern bestehende Notizbuch
vom Sommer 1790 eine der merkwürdigsten Nummern.
Schon 1862 hat Hirzel daraus im Grimm'schen Wörterbuch
unter »Eilfte« das Distichon veröffentlicht:
Unklug schob er den kleinsten der zehen Einger in's
Ringchen,
Nur der grösste gehört würdig, der eiltte hinein.
und neuerdings G. Weisstein, unter Angabe der Quelle,
das ungedruckte und sonst unbekannte Epigramm (Berliner
Tagblatt v. 29. August 1880. Nr. 403 S. 4):
Guten schreibt er, das glaub' ich, die Menschen müssen
wohl gut se}'n,
Die das alberne Zeug lesen und glauben an ihn,
ITeiscii denkt er zu schreiben, die Weisen mag ich nicht
kennen,
Ist das Weisheit, hc\ Gott, bin ich mit Ereuden ein Thor.
Auch dies Distichon, mit Bleistift unleserlich auf Seite
1 3 des Büchleins hingeworfen, hatte bereits Hirzel entziffert
und auf ein besonderes Blatt so verzeichnet, wie es Herr
\WMSstein kopirt hat. Ich bemerke dazu nur, dass im
zweiten Pentameter statt »mit Freuden« anfangs geschrieben
war «und bleib' ich«. Die folgende Seite enthält dann
das 57. der \'enetianischen Epigramme, nur dass das zweite
Distichon hier das erste bildet und dass der ursprünglich
erste Hexameter lautet :
jiLavater prägte den Stempel des Geistes auf Wahnsinn
und Eüse».
252 Neue Mittheilungen,
Auch das vorige l:pii2;r:imni ist unzwcilclhalt durch
den nur hier i^cnaiuncn Züricher Propheten veranhisst,
ebenso das 53. der Venetianischen Hpii^ramme, welches IMatt 8
des Schlesisclien Notizbuchs in folgender Fassimg bringt :
Kreuzigen soll man jeden Propheten vom dre\sigsten lahre,
Kennt er die Welt erst, so wird aus dem Betrognen
ein Schelm.
Noch \'ier der \'enetianischen l:pigramme sind nach
diesem Büchlein auf den Schlesischen Sommer zurückzu-
führen. Zunächst Nr. 95, welches sich, jedoch ohne das
Schluss-Distichon , auf Blatt 12 befindet, in nachstehender
Fassung, sofern ich richtig zu lesen verstand :
In der Dämmrung des Morgens den höchsten Gipiel
erklimmen.
Lange den Boten des Tags schauen, den freundlichen
Stern !
Ungeduldig die Blicke der Himmelsfürstin erwarten,
Wonne des Jünglings, wie oft hast du mich mächtig
verlockt !
Dann folgen auf Blatt 18 die Nummern 99 und 94
nach einander in fast ganz unveränderter, endlich Nr. 66
in folgender primitiver Gestalt:
Ist denn so grosses Geheimniss, was Gott, die Welt und
der Mensch sey?
Nein! Doch Keiner mags gern hören, da bleibt es geheim.
Diese Nr. 66, sowie Nr. 94 und 95 sind bei der Wid-
mung der Epigramme an Herzogin Amalie weggeblieben.
Auf demselben lose gewordenen Blatt mit Nr. 66 findet
sich noch der für Goethe damals bezeichnende Spruch:
Von Osten nach Westen,
Zu Hause am Besten.'
' Das Motiv ist woiil alt, denn bei Klaus CJroth ist /u lesen:
Nord Uli Süd, de NVelt is wit!
Ost un West, To Ikis is best.
Aus Gokthe's Norr/.BLCH von dhr Schlesischf.n Ruse 1790. 233
Andre Fntwürfc zu Epigrammen habe ich nicht zu
cin/itlcrn vcrniochi, auf Seite 8 nur unsicher die verwischten
\\'()rte :
Wären der Welt die AuL;en /u öffnen! — Was könnte
geschehen ! —
Besser du siehest die Welt und du findest dein Theil ;
Lind auf Blatt 30 ein Distichon mit dem Anfang:
Thörig war es ein Brod zu vergöttern —
XU welchem der Anfang des Pentameters : »unser tägliches
Brod« wohl einen Gegensatz bilden sollte.
\'on bekannten Gedichten enthält das Buch (Blatt 31)
nur noch die erste Conception desjenigen auf die Knapp-
schaft zu Tarnowitz (bei Hempel III. 124) vom .-|. Sep-
tember 1790, nicht aber die des voraufgehenden Schlesischen
Epigramms: »Grün ist der Boden der Wohnung« u. s. w.
(da^. S. 123).
Andre Gedichte sind embr\'onisch verblieben, so zwei
Strophen auf S. 15:
Ach wir sind zur Quaal gebohren
mit dem Reim auf »verlohren« luid dem zweiten Reim-
paar: werth und begehrt, luid als Antwort:
Du bist nicht zur Quaal gebohren,
Habe was dein Geiz begehrt,
mit Wiederkehr der Reinnvorte verlohren und werth.
Von diesen und andern kaimi noch lesbaren Kntwürfen
dürfte nur das in zweimaliger Fassung vorkommende, aus
4 Distichen bestehende lu'otikon die Mühe der lintzillerung
belohnen, dessen Schlussverse, wie im Eingange erwähnt,
das Grimm'sche Wch'terbuch zuerst mittheilte. Die ersten
drei Distichen habe ich bei trübem Wetter niu- stückweise
zu lesen \ermocht, etwa so :
234 Neue Mittheilungen.
Köstliche Ringe besitz' ich gegraben von kösiliclicni Stein,
hoher Gedanken und Styls,
Theiier bezahk man die Ringe,
BHnken hast du sie oft über dem Spiel geselm,
Aber ein Ixingelclien kenn ich das hat sich anders —
Das Hans Carvel einmal im Alter behagte,
Unklug schob er u. s. \v. (s. oben S. 231).
Nur, um die Beziehung der Schlussverse aut Hans
C^arvel aufzudecken, habe ich die vorstehenden Distichen
in ihrer Lückenhattigkeit niedergeschrieben. Ueber ihn
existirt eine reiche Litteratur. Unter dem Namen Franciscus
Philelphus erscheint er zuerst in des Florentiners Poggius
liber iacetiarum , in dem Annulus überschriebenen Stück.
Diesen alten sexuellen Scherzen zahlte der Deutsche mit
jenen versteckt gebliebenen Versen seinen Tribut, wie vor
ihm Rabelais (Pantagruel III, 28 zu Ende), der die Ge-
schichte vom anneau de Hans Carvel ausführlich erzählt,
ferner La Fontaine in dem ebenso benannten conte,
Ariost in der Satire L'Anello : Fu gia un Pittor, der
Fngländer Prior u. a. m. Die Verse vom Eilften in
Grimm's Wörterbuch linden hiedurch ihre vollständige^
Erklärung. '
Von den Bemerkungen des Büchleins in Prosa lasse ich
die zahlreichen mineralogischen und ökonomischen bei Seite
und kopire (Bl. 10) folgenden Spruch in doppelter Fassung:
Die M. ist das Vermögen recht oder unrecht zu
thun, ohne dass man wegen des ersten eine Strafe
oder wegen des zwe^•ten eine Belohnung zu
erwarten hat.
■M. ist das Vermögen ohne Rücksicht aut Belohnung
oder ]k\stratunu recht oder unrecht zu handeln.
' Wegen des eilltcn iMugcrs s. auch Gocdcke, Schwanke des
16. jahrlumderts 1879. Nr. i)i (S. 217).
Als Güethe's Notizbuch von der Schlusischen Reise 1790. 235
Eine dritte Fassung enthält der spätere Reimspruch
(bei Henipel II, ",31):
Wer ist denn der souveräne Mann?
Das ist bald gesagt :
Der: den man nicht hindern kann.
Ob er nach Gutem oder Bösem jagt.
Danach möchte unter 'alle M.d die Majestät zu ver-
stehen sein. Wenigstens linde icii keine andre Deutung.
Auch Zeichnungen enthäh das Buch, namenthch zwei
schöne antike Köpfe in Bleistift und Architektonisches.
Unter der Zeichnung eines menscldichen Körpcrtiieils steht:
Verengerung verstärkt diesen Muskel, —
Vermenschlicht weil es altert, —
Anschwellung verjüngt, versinnlicht.
\'on Buchnotizen fmde ich: de l'Orme Staat x. lingell.,
von den Niederlanden, und Pass Charta af war. Finska
Wicken. Stockholm 1788.
Dem Tagesleben gehören an die Notizen auf Blatt 2 und
3 (Nr. 2 ist bemertkenswerth wegen der t^xbin-Besteigung) :
Briefe. Nr. i. Dresden.
» 2. d. 6. Aug. Zittau.
» 3. d. 12. » Breslau.
— — an Herder.
» 4. d. 14. )) an Werther. Breslau mit dem
Postwagen Nr. 3. Die Bücher.
» 5. d. 21. » Breslau. Mit der Staffete an
Herder.
Mit der Staffete an Voigt.
— — an Seidel.
)) 6. d. 31. » Landshut. Herr Müller.
— Frau V. Stein.
— Kt)n. Postamt
Hirschbera.
236
Neue Mittheilungen.
l^rictc. Xr. 7. d. i. Sept. Breslau.
li. II. )) l^rcsl. HeTdcr. — Frankcnhcrg.
Rcntmcistcr des Graf Sandrctzki
in Binden Ruthart.
» 8. Bresl. den 12. Sept. diu-ch Seidel.
— — anScidel niit Assii^nation.
- — Voigt.
— — Eglofstein.
— — Gr. Reden.
» 9. Bresl. den 18. Sept. durch den Br.
— — Herzog v. Gotha.
— — Bertuch. Brossecke
I Brösigke ?]
» IG. Dresden den 28. Sept.
«II. — — 3. Octbr.
Auf einem andern Bkitte sind folgende l^ersonen notirt :
Herr v. Paczensky in Altschotwitz; Herr R. R. v. Klöber;
Herr O. R. v. Schuckmann; Herr Probst Hermes; Herr
Min. Hovni ; Herr Prof. Schummel; Herr Prot. Gedike ;
Herr R. Manso; Herr O. R. Raflel ; Graf Haugwitz.
Dann die Wochen-Eintheilung :
Sonntag früh 10 Uhr Cour. Nachmittag Paczensk\ ;
Montag früh Bibl. 10 Uhr. Mittag Graf Reden,
Abend Graf Hovm.
Mittwoch Mittag G. R. v. Jngersleben (?).
Freytag Mittag Rothkirch.
Mittwoch Abend Coadjutor.
Endlich die Xotiz: Riesengebirg über die Schneekupp
nach Breslau den 15. Sept. Steinschneider Eudwig in
l-riedeberir.
2. ElXUM)\'IliRZl(, BRIEM: \0N GüETHH
NEBST 2 Briefen der Frau Rath und
1 Brief von K. Ph. Morffz.
MlTGHTHKILT VON'
W . Arndt, K. Bartsch, L. Geiger, R. Köhlj:r,
G. w Foeper, f. Muxcker.
Vorbemerkung :
\'on den nuchtülgcndcn 44 Brieten ist Xr. i — 4. 17.
18. ^o. 44 \'on G. von Loeper; Xr. 5 — 7. 10 — 13. 15. 19.
20. 22. 23. 25 — 29. 31 — jj- ,)(' — 40. 42. 43 von F. Geiger;
Xr. 8 von R. Koehler; Xr. 9. 14. 35. 41 von K. Bartsch;
Xr. 16. 24. 34 von W. Arndt; Xr. 21 von F. Muncker
niitgetheilt. Die Genannten haben aucli den von ihnen
verötientlichten Briefen die liinleitungen, Anmerkungen
lind erklärenden Abhandkingen hinzugefügt.
L. G.
238 Neue Mittheilungen.
1.
(Aj! llciiriclte v. Knebel. ' j. Mai 177 ).)
Hier i:;nädge Frl. ein ]3ricf von ihrem Hn. Bruder, den
ich so alleine nicht lauffen lassen kann. Er hat mir auch
einen langen lieben Brief geschrieben, ob ich's gleich gar
nicht um ihn verdient habe. Auch danck' ich Ihnen rin-
den Ihrigen, spät aber herzlich, ich habe die sehr angenehme
Bekanntschatit der Fr. v. Altenstein und ihrer Frl. Töchter
gemacht, und hofte sie bald wieder zu sehen. Ich lebe
wie immer in Strudelev, und Unmäsigkeit des \'ergnügens
und Schnierzens. Dencken sie manchmal im Guten an
mich. Frankfurt den 3 May 1775. Goethe.
An Fräulein Henriette von Knebel nach Nürnberg,
frank.
(Siegel: G.)
Der vorstehende an Knebels Schwester Henriette gerichtete
Brief, schliesst sich an Nr. i des gedruckten Cxoethe-Kneber-
schen Briefwechsels und wäre dort zwischen Nr. 4 und 5
einzuschalten. Die darin erwähnte Frau von Altenstein war
die in Ansbach heimische Mutter des spätem, damals fünf-
jährigen, preussischen Ministers dieses Namens, eine Freundin
der Knebel'schen Familie; sie reiste mit ihren Töchtern, von
welchen Karoline Goethe's FreundeKnebel besonders nahe stand,
durch Frankfurt auf der Hinreise nach , und später auf der
Rückreise von der Schweiz. Die »Unmässigkeit des A'ergnügens
und Schmerzens« erklärt sich aus den Konflikten, welche die
Verlobung mit Lili Schönemann hervorrief; zehn Tage später
entzog sich Goethe denselben durch seine erste Reise in
die Schweiz.
' Eigenhandii^, auf einem Quartblatt, in meinem Besitze ; befand
sicli auf der Berliner Goethe -Ausstellung 1861, als Nr. 117 des
Catalos;s.
41 Briefe von* Goethe etc. 239
(All Salis.' j/. M(ier~ ijSo.)
Unter dem 2üsten Merz dieses Jahrs habe ich eine
Quittung \t>n den Gebrüdern Schulthess in Zürich über
60^/3 Stück alte Louisdors, die Sie vielleicht schon vor
diesem Brief werden empfangen haben.
Der Herr von Schollery schreibt mir auch, dass er die
i^)st für Petern baldigst an mich abtragen werde, bittet
nur noch um einige Nachsicht biss seine vormundschafftliche
Gasse sich wieder in etwas erholet. Er verlangt eine
vidimirte Abschrift Ihrer \'ollmacht an mich, die ich ihm
auch gleich überschiken werde um ihm von meiner
Seite keine Ausflucht zu lassen. So bald ich das Geld
erhalte, werde ich es sogleich überschiken.
Ich empfehle mich zu freundlichem Andenken.
Weimar den 31 Merz 1780. Goethe.
An Ulysses von Salis nach
Marschlins.
Der Brief betrifft den Schweizer Hirtenknaben Peter i)u
liaumgarten, der dem Hannoveraner von Lindau, einem
Anhänger Lavaters, dessen Goethe im igten Buch von Dichtung
und Wahrheit gedenkt, einst das Leben gerettet hatte und
als Anerkenntniss dafür von Lindau, nach dessen frühen
Tode 1777. ein Vermächtniss von 2000 Thalern empfing.
Goethe war zu Peters Vormunde ernannt, Lavater und der
Adressat obigen Briefes, Salis, der Leiter des Philantropins
zu Marschlins und (ioethe persönlich bekannt (Dichtung und
Wahrheit Buch 15), zu Testaments-Executoren ("Brief Lavaters
an Zimmermann v. 20. Mai 1777: Im Neuen Reich 1878.
Nr. 4).
' Das Original, in Goethe's eigener Handsclirilt, befindet sich im
rätischen Museum zu Cliur als Nr. 2 der Handschriften berühmter
Autoren. Dort am 3. September 1878 von Prof. H. Grimm und
Staatsminister Delbrück kopirt.
240 Neue Mittheilungen.
(J>! KiichcL' 10. Januar 17S).)
Ich danke dir für das übcrschiktc artige Kunstwerk.
Es scheint wirkHch von einem Künstler zu seyn, der auch
gern seinen kleinen Haussrath um sich verzieren und
angenehm machen wollen. Ich habe zu Ende des vorigen
Jahres zehn Tage in Leipzig zugebracht, und habe viel
mit dem alten Üeser gelebt der mir immer respektabler,
und beneidenswerther vorkommt. Diesmal kann ich dir
nicht viel mehr sagen, als dass ich dir einige Commissionen
schike , die aus dem Kupierstichkatalogus der Regens-
burgischen Auktion ausgezogen sind. Ich hatte Anfongs
den Vorsaz sie unserem Legationssecretiir zuzuschicken.
Da du mir aber schreibst, dass ein dir bekannter guter
Mann dorthin gehen will, so ist es mir um desto lieber.
Man hat keine Preisse angesezt, was man daiür zu geben
gedenkt, weil sich das nicht wohl bestimmen lässt. Ich
vermuthe dass der Kommissionnär selbst die Sache ver-
steht und allenfalls wird der Kaufmann Leubold wie ich
bemerkt gerne mit Rath an Händen gehen. Sollte der
von dir vorgeschlagene Mann verhindert werden nach
Kegenspiu'g zu gehen und diese Commission zu über-
nehmen, so bitte ich dich, mir solches geschwind wissen
zu lassen, damit ich andere Anstalten machen kann. Ich
habe eine Abschrift meiner Kommissionen hier behalten
und weiss also genau was ich bestellt habe, auf alle Fälle
wenn der Zettel verlohren ginge. Heute Abend soll deine
Gesundheit getrunken werden, ich gebe vor der Redoute
an diejenigen, die im November gebohren sind und ihre
i/ute Freunde ein Abendessen. Lebe indessen wohl und
'■ Aul' 2 Q.uartsciten, von Seidels Hand, nur Unterschrift und
Datum eif^enhändig, in meinem liesitz.
41 BRlIiKh VON GOETHU ETC. 2/\.l
erwarte, dass icli dir nächsten etwas mehreres schike wo
ich dir weiter schreibe. W. d. lo. Jan. 85. CJ.
Nach Nürnberg an lN.nel)el geruhtet, der den Jiriet am
16. Januar erhielt: zwisclien Nr. 37 und 38 des gedruckten
(ioethe-Knebelschen Briefwechsels einzurücken. Das im Ein-
gange erwähnte Kunstwerk war ein Federmesser von Albrecht
Dürer, ein Weihnachtsgeschenk Knebels (nach dessen Kalender).
I )ei von Knebel »vorgeschlagene Mann« war, nach demselben
Ivalender. ein Herr \ on Derschau aus Nürnberg. Zu den
»im Noxember gebi)rnen guten Freunden« gehörten ausser
Knebel selbst, Siegm. v. Seckendorff und i'Yau v. Schardt.
Diesen und andern November-Ciebornen widmete (iuelhe noch
in demselben Jahr das unter seinen Ciedichten betindliche
Novevibcrlicd : »dem Schützen, doch dem alten nicht«.
4-
[An ? ' 12. Juli ijS6.)
liLier Hxcellen/
Haben mir durch Ihren getalUgen Brief einen neuen
und höchst schätzbaren Beweis Ihrer Freundschaft i^ci^eben,
ich wünschte nin-, dass ich dem Herrn Brtider mehr als
geschehen /ii seinen Absichten hätte fc)rderhch sein
können.
Den Antang unserer Bergbaiier hatte er schon ge-
sehen und sein hiesiger Aufenthak war km-z be\- übler
Witterung.
hidessen habe ich einige angenehme Stunden mit ihm
zugebracht und wünsche, dass sie ihm nicht ganz ohne
Xutzen mögen gewesen se\n.
Unsere liebe regierende Herzogin lässt uns noch immer
aut ihre Entbindung warten und diese Hoffnung, die sich
immer zeigt und entfernt, lässt be\- ims jetzt fast keinen
andern Gedanken RamTi. Ich empfehle mich luier lixcellenz
' Nacli cinur Abschrilt dc^ eigenhändigen Schreibens.
Goetiii:-|amkj;lcii II. l6
242 Neue Mittheilukgen.
aut das aiii^clcgcntlichstc und bitte trcundschaitliche Ge-
sinnungen XU erhalten.
Euer Excellcnz
Weimar d. 12 Jul. 86. ^^anz gehorsamster Diener
Goethe.
Gehört in den Naturwissenschaftlichen Briefwechsel. Der
Empfänger des Briefs, der seinen Bruder durch ein Empfeh-
lungsschreiben bei Goethe eingeführt zu haben scheint, ist
noch nicht ermittelt. Zurückgehalten durch die lang erwartete,
erst am 18. desselben Monats erfolgende Geburt der Prinzessin
Karoline, richtete Goethe an jenem Tage auch Briefe an
Frau V. Stein, Jacobi und Sömmerring.
5-
(All Heyne. ' IVeiiiiar 24. Jiili iyS<S.)
Sie koinmen mir durch Ihr gütiges Schreiben aut eine
freundliche Weise zuvor und beschämen mich dadurch um
so mehr, als ich gewissermassen Ihr Schuldner geblieben
bin. Ich musste fürchten dass Sie mich tiir inconsequent
halten möchten, da ich, be^■ meinem Hintritt nach Rom,
mein Verlangen Ihnen zu dienen bezeigte und nachher,
ausser einer vorläufigen Antwort, nichts wieder von mir
hören licss. Allein ich darf zu meiner Entschuldigung
sagen: dass es mir sonderbar genug und im Grunde doch
ganz natürlich gegangen ist. Ich erkenne es jetzt selbst
erst nach meiner Rückkunft, aus den Briefen die ich von
' Cicdruckt in: Philologischer .\nzcigur. ,\ls Ergänzung des
Philologus ligg. von Ernst von Lcutsch. 10. Bd., ^. Heft. Gottingen.
Dieterich S. lylS, 199. Der Brief gehört zu dem bisher ziemlich ver-
wahrlosten Naciihisse Hevnc's, der auch Briefe Lessing's u. A. enthält.
Der Ikief ist, wie mir der erste Herausgeber, I:. v. Leutsch, der den
Wiederabdruck gestattete, gütigst mittheilt, ganz autograpii., 1 Quart-
seiten voll beschrieben. Einen anderen Brief Goethe's an Heyne s. G.-J.
41 BRltlt VON GüETHt hTC. 243
dort her nn meine Freunde schrieb und die mir jetzt
wieder zu (jesicht kommen.
Im Anhmi;e hatte ich noch Lust und Muth d.is ein/eine
zu bemerken, es nach meiner Art zu behandehi und zu
beurtheilen ; allein je weiter ich in die Sachen kam, je mehr
ich den Lmiang der Kirnst übersehen lernte desto weniger
unterstand ich mich zu sagen und meine letzten j^riefe
sind eine Art \c)n \'erstummen oder, wie I lerder sich aus-
drückt: Schüsseln in denen man die Speisen \ermisst.
Wenn ich mich werde gesammelt haben, werde ich
erst selbst erkeiuien was ich mir erworben habe und dann
wird leider gleich das Gefühl eintreten von dem was mir
noch abgeht.
Was ich dem Publiko vorlegen könnte sind Bruchstücke,
die wenig bedeuten und niemand befriedigen.
Dass Merder zu eben der Zeit als ich hier ankomme,
weggeht, ist mir ein sehr leidiger \'orfall. So sehr ich
ihm die Reise gönne, so musste ich doch nothwendig
wünschen: dass er mir entweder hier oder ich ihm dort
nützlich se\-n mikdite.
Nach meinen \'erhidtnissen kann ich nicht hoflen
Ihnen sobald in Göttingen autzuwarten, ob ich es gleich
herzlich wünsche, denn der grösste Theil von dem
was mir abgeht, ist eben das was Sie im Ueberflusse
besitzen.
Sollte ich über das was ich an alter und neuer Kunst
bemerckt ein allgemeines Glaubensbekenntniss hersetzen,
so \\ ürde ich sagen : dass man zwar nicht genug Ehrfurcht
für das, was uns von alter und neuerer Zeit übrig ist,
empiinden kann, dass aber ein ganzes Leben dazu gehört
diese Ehrfurcht recht zu bedingen, den Werth eines jeden
Kunstw ercks in seiner Art zu erkennen und davon, als einem
Menschenwercke, weder zu viel zu \erlangen, noch auch
wieder sich allzuleicht befriedigen zu lassen.
16*
244 Neue Mittheilungen.
Wenn ic!i geneigt wäre etwas aut das Papier zu bringen :
so wären es vorerst sehr einfache Sachen. /. B. in wiefern
die Materie, woraus gebildet worden, den klugen Künstler
bestimmt, das Werk so und nicht anders /u bilden. So
geben die verschiedenen Steinarten gar artige Aufschliisse
über Baukunst, jede \'eränderung des Materials und des
Mechanismus, giebt dem Kunstwercke eine andere Be-
stimmung und Beschränkung. Die Alten waren, nach
allem was ich bemercken konnte, auch besonders hierin
unaussprechlich klug und ich habe mich oft mit grossem
Interesse in diese Betrachtungen vertieft.
Sie sehen, dass ich sehr von der lirde anfange und
dass es manchem scheinen dürfte als behandelte ich die
geistigste Sache zu irdisch ; aber man erlaube mir zu
bemerken: dass die Götter der Ciriechen nicht im siebenten
oder zehnten Himmel, sondern auf dem (^Knip trohnten
und nicht von Sonne zu Sonne, sondern allenfalls \-on
Berg zu Berg einen riesenmässigen Schritt thaten.
Es ist gut dass mich der Kaum nötigt aufzuhören.
Ich empfehle mich Ihnen bestens und bitte mich mit
Ihrem Angedencken zu erfreuen. Weimar d. 24. iul. 1788.
Goethi
6.
(All Biirhl}ol:^.' 12. Scplciuber i'j'ji.)
Wollten Sie die Güte haben und mir nur kürtzlich den
Prozess aufsetzen wie nian verfahren muss um das Wasser
durch das Kohlenpulver zu verbessern? Man hat das Rezept
' Kleines Q.uartlilatt, von Wilpius geschrieben, ohne Anrede und
Datum. Das letztere ist vom Adressaten eri^anzt ; die .\dresse aut der
lUickseite >)Hn. 15erL;raih Jkichliolz« ist von Goeliie's Hand. Siegel
massig gut erhalten: kleiner .\mor mit l-'lugeln. Der Briel helindet
sich im Resit/ des Hrn. A. Spitta (R. Zeune's .Antiquariat) in Berlin.
41 BRiürE VON GühTiiL ETC. 245
von mir verlangt, und es freut mich, dass unsere neuliche
Zusammenkunft so unmittelbar niit/Iich wirkt.
den 12. Sepi. 1791. (ioethe.
Der Ailrcssat . \\ ilh. Heinrich Sebastian Üih lihol/ .
Hofmedikus, HolaiJothckcr und ISergratli zu Weimar lueb. in
l)ernl)urL( 1734. gest. in Weimar 179S) wird \()n (Joethe
wiederholt rühnih( iist erwähnt. In der »(ieschichte meines
botanischen Studiums« (Hem])el ,^3, 60) wird er gleichsam als
hJegrilnder der naturwissenschaftlichen Studien in Weimar
bezeichnet, als Lehrer (löttlings, als eifriger l'jeobachter neuer
ausländischer Entdeckungen und als stets bereit, das von ihm
üeobachtete einer »wissbegierigen Gesellschaft« uneigennützig
vorzutragen. Diese C/esellschaft war diejenige, welche sich
Freitags bei (ioethe versammelte und grade in der ersten Sitzung
derselben (vgl. Tag- inid Jahreshefte, Hempel 27, S. 42 und
388), am 9. Sept. 1791 hielt Buchholz einen von Experimenten
begleiteten Vortrag über die Wirkung ])ulverisirter Kohle auf
fauliges Wasser. .\uf diesen \'ortrag l)ezieht sich das voi -
stehende Uillet.
7-
(All Hi'iiirii'h Meyer/ irriiiuir 22. — 2 j. Januar iJ'j6.J
Es ist recht schön, dass gleich anfangs inisere Briefe
im Wechsel gegangen sind, auf diese Weise können wir
öfter Nachricht von einander haben. Ihren Brief vom
12. D{:c. habe ich in Jena erhalten, wo ich mich auf hielt
um das siebende Buch meines Romans in Ruhe zu schreiben.
Schiller grüsst Sie bestens. Wir sind jetzt im CJusto
Disticha, zu i-Jiren tmserer Freimde, zu machen, wovon ich
Ihnen einige bevlegen werde. Sie sollen bald die i^riefe
für Neapel haben, um sich solcher nöthigenfalls bedienen
zu können, ich hoffe auch bis dahin eine Auszahlung an
Heigelein zu bewirken. Leber Ihre Kntdeckimgen freue
ich mich sehr, luui ich bin überzeugt dass Sie nach imd
' Q.uartbo<jen, .illc 4 Seiten beschrieben; dictirt, nur Name und
Nachschrift eigenhändig; Original in der Grossh. l^ibl. in Weimar,
l^cchts oben: Weimar den 22. Januar 1796.
246 Neue MirriihiLuxGEN.
nach eine reiche Rrndtc finden werden und danke für
die Nachrichten, ob sie gleich nicht alle trostlich lauten.
Ich wünsche Glück zu den Spat/iergängen auf Piazza
Navonna.
Geben Sie doch auf die letzten Stücke der Hören acht,
worin vielsagende Abhandlungen Schillers über die uaivcn
und sciiliiiiciitalcii Dichter stehn, auch werden Sie in den
ersten Stücken der Litteraturzeitung dieses Jahres, das
Elogium des poetischen Theils der Hören lesen, worüber
sich die Widersacher männiglich erzürnen werden.
Wenn Ihnen ein kleines Buch begegnet : Le Antichita
di Roma per Lucio Mauro Appresso le statue antiche per
Ulisse Aldrovandi, so sehen Sie doch hinein. I:s ist merk-
würdig \vegen des Anhanges, in welchem Aldrovandi die
Antiken rezensirt, wie sie zu seiner Zeit in öffentlichen und
Privatgebäuden zu Rom standen. Auch habe ich eine
kleine Schrift gefunden die sehr interessant ist, sie führt
den Titel : Quaestiones Forcianae und ist ein Dialog in
gutem Latein, in welchem die Sitten und Arten der ver-
schiedenen Bewohner Italiens, mit grosser Frevmüthigkeit,
gegen einander gestellt werden. Es mag in der Hälfte des
16. Jahrhunderts geschrieben sevn, ging lange im Manu-
script herimi und ward zuletzt nicht ohne \'erdruss des
Herausgebers, gedruckt. Ich will sehen , dass ich einen
tabellarischen Auszug daraus mache, um den Ueberblick
der \'erhältnisse zu erleichtern, und Sie sollen alsdann eine
Abschritt erhalten , die Ihnen gewiss W'i'gnügen machen
wird. Sie sehen, dass ich, indem Sie aus den lebendigen
Quellen schöpfen, fortfahre mich aus l^üchern vorzubereiten,
wodurch wir denn doch, wie Sie auch be\- Ihren perusini-
schen Nachrichten bemerken, im Suchen und Untersuchen
sehr gefördert werden müssen. Auch fahre ich fort, indem
Sie der heiligen Form huldigen, dem Element, der Masse,
und den geringeren (Organisationen nachzuspüren. In
41 Brii:fh von Goethe etc. 247
alle die Fächer, deren T.iebhaberey Sie mir kennen, wird
täglich etwas neues eingebracht.
Wir haben hier unglaublich schönes Wetter, meist
heitern Himmel und oft wahre Sommertage, wie sieht
es damit in Rom aus ?
Was Sie zu den Hören schicken, wird sehr willkommen
sevn. Suchen Sie ja auch etwas brauchbares von andern
zu erlangen. Schiller wünscht selbst einige Zeit pausiren
zu können und ich kann ihm, wegen des Romans und
wegen anderer Umstände, nicht so wie ich wünschte be\-
stehen.
Ich habe den Brief von Uden an Böttiger gesehen, der
mir recht wohl gefällt. Beobachten Sie doch diesen Mann
und sehen Sie inwiefern es räthlich wäre sich mit ihm
einzulassen? worauf er gesammelt und was er vorzüglich
beobachtet hat? Wir können ihm auf alle 1-älle seine
Arbeiten besser bezahlen als ein Buchhändler thun würde.'
Sehen Sie doch auch, was Hirt etwa besitzt und was man
dem abnehmen könnte. Wir brauchen und dürfen uns
ja im Anfang nicht merken zu lassen wo wu' hinaus
wollen.
Die acht grossen Poussins wovon ich schon zwey
besass, habe ich durch die Aufmerksamkeit und Vorsorge
der regierenden Herzogin, aus der Frauenholzischen Auction
bekommen, leider sind 4 davon sehr ausgedruckt und 4
aufgestochen, so dass man nur die Ideen davon noch sehen
kann. Wenn Ihnen alte Abdrücke begegnen, so versäumen
Sie ja nicht sie einzukaufen, hier ist das Verzeichniss.
Dedicirt an den König Ludwig XIV.
I. Gegend am Etna. Poliphem sitzt auf dem Gipfel
■des Felsens, unten Feldarbeiter, ein Flussgott und Nymphen.
Goetlie hat hier .iii Jio Seite geschrieben : ("siehe Böttchers Brief).
248 Neue Mitthhilungen.
2. DiogL-ncs und der Jünglinu der aus der Hand
trinkt.
3. Der Mann von der Wasserschlange umwunden, die
verschiedenen Stufen des Schreckens und der Furcht.
4. Orpheus und Huridice, der Hintergrund dem Kastei
St. Angelo ähnlich.
Dedicirt an den Herzog von Bourbon.
1. Phocions Begräbniss (besitz ich).
2. Eine Heerstrasse, ein Mann der Wasser schöpft,
ein Mann und Weih ruhend.
3. Phocions Grab (besitz ich).
4. Ländliche Gegend, grosser Wassernapt im \'order
grund, ein Alter wäscht die Füsse, gegenüber, an einem
Monument, ein Jüngling und ein Mädchen sitzend.
Was Sie von den Pfuschereven in der \'illa Borkese
schreiben ist freilich traurig; doch geht es bev uns' nicht
besser und wir können also von dort her Trost schöpfen.
Des Bauens und Anlegens aus dem Stegreife und ohne
Riss und Plan ist kein Knde, man fürchtet sich vor einer
grossen Idee, die auszuführen und vor einer grossen Summe,
die auszugeben ist; aber eben diese Summe nach und
nach für Anstalten zu verzetteln die man am Faule gern
wieder wegkaufte, muss unglaublich reizend sevn. So will
es das unerbittliche Schicksal der Menschen und dabev
mags denn auch bleiben.
Leben ' Sie recht wohl. Hier noch einige Disticha
und ein Blat von Böttcher', d. 2)ten * 1796. G.
' /'('v uns hat Goctlie eitjenhiindig statt der ausgcstricliencn Worte
»in Paris« gescliricbcn.
^ Von liier an bis G. eigenhändig.
? Liegt niclit bei, es ist vielleiclit dasselbe, von dem S. 247 A. i.
die Rede war. Nachschrift von Goethe's Hand, aber ausgestrichen:
das Bötchrischc Blat hab ich verlegt es folgt nächstens. G.
•» Natürlich Januar /.u erganzen. Die Verse sind \-oni ,Schreiber
geschrieben.
41 Brii.11. von Goethl etc. 249
Der Teleolog.
\\ cLlic \cichruni; \crdicnt dcr\\'cltschc)pkT, der i;n;idiL;,
Als er den Korkbamn erscluit, gleich auch die Stöp.sel
erland.
Der Antiquar.
Was ein christliches Aui^e nur sieht erblickt ich im Marmor :
Zevs und sein ganzes Cjeschlecht grämt sich und fürchtet
den Tod.
Der Kenner.
Alte \'asen und Urnen! Das Zeug wohl könnt ich
entbehren ;
Doch ein Majolica-Topfmachte mich glücklich und reich.
8.
(All .^ ' 6. Mär.i iSoi.)
Indem ich V.w . W'ohlgeb. mit Dank das ausgelegte
Geld zLischicke und um Quittirung bevgelegter Rechnung
bitte, so folgt auch das neue Leos, welches zurück zu
schicken bitte. Man kann wohl zum Scherz einmal in
einem Glückspiele den Zutall \ersuchen, aber es darf daraus
keine Gewohnheit werden.
Der ich recht wohl zu leben wünsche,
Weimar am 6. März 1801. Goethe.
(All Hofralh Slark.- }. Jniii iSoi.)
\l\\. Wohlgeb.
Haben die Gefälligkeit be\iiegendes Gedicht Ihrer
Dem. Tochter in meinem Xamen zuzustellen. Möge sie
' Xur Unterschritt (in dcutsclicr Schrift) cii^cnliandii^. hii I5csit/c
der Grossherz. Bibliothek zu Weimar.
- Im Besitz von Frau Hofrath .Stark in Heidelberg, aus dem
Nachlass meines Collegen Stark, der ein Enkel des Leibarztes von
Karl August, Hofrath Stark (damals auch oft noch Starke geschrieben)
war. Der Brief ist oime .Kdressc. Xur die Unterschrift ist eii^enhandiy;.
250 Neue Mittheilungen.
wenn CS ihr einiges Vergnügen macht, sich dabev manch-
mal des \'erfassers erinnern der ihrem Vater so viel Dank
schuldig bleibt.
Weimar am 3. Juni i8(ii. Goethe.
Welches CiedichtGoetheStarks Tochter übersandte, ist nicht
angedeutet. Damals der Familie des berühmten Arztes eine
Aufmerksamkeit zu erweisen, mochte (lOethe sich besonders
gedrungen fühlen nach der schweren Krankheit, die ihn im
Januar 1801 befallen hatte. Dass Stark hier der über die
Krisis hinweghelfende war, geht aus dem nachfolgenden
eigenhändigen Handbillet Karl Augusts hervor, welches gleich-
falls aus Starks Nachlass stammt. Adresse (aussen)
An
Herrn Hofrath u. l-eibarzt
Dr. Starcke
\V. 19. 1801.
Zur Erinnerung der Zeit die Sie mit glücklichem Erfolge
am Kranckenlager Göthens so rühmlich und nützlich zuge-
bracht haben, erhalten Sie beykommendes Andenken, u.
nehmen es gerne von mir (an).'
Carl August.
10.
(An Bcrttich. ' j. janiiay 1S02.)
Hw. Wohlgeb.
erlauben mir, im Betracht unseres immer gut bestandenen
Verhältnisses, den Wunsch, die Notizen, welche künftig,
über das weimarische Theater , in das Mode Journal ein-
' an und ein Thcil des (. von Carl durch ein I.ocli im Papier
weggenommen, doch findet sich das Felilendc auf der einen Seite der
Oblate, mit der der 15rief geschlossen war.
■^ duartbogcn ; nur Untersciirift eigenhändig. Auf der Rückseite
die Adresse: »Des Herrn begationsrath Bertucli, Wolilgeboren«. Im
l'roricp'sclien .\rchiv in W'einiar.
41 Briei-l von Goethe etc. 25 1
gerückt werden, im Manuscript /.ii sehen ; damit '\ch nicht,
bev meinen mannigfaltigen Bemühungen {ür solche Anstalt,
/war gewiss c^hne Absicht ]i\\ . W'ohlgeb., aber doch durch
lin'e X'ermittelung, manches unangenehme ertahre, wie es
mir noch neuerlich, be\' dem Un/elmannischen hall,
ergangen ist.
Sie verzeihen eine Aeusserung, die ich nur trüber
hätte tluin dürfen, um von Ihrer Cjefalligkeit eine ange-
nehme Behandlung zu erwarten.
Weimar am ]. Jan. 1802.
Goethe.
Der vorstehende Brief ist geschriehen mit Rücksicht auf
die Aufführung des Schlegelschen Jon, welche am Tage
nachher (4. Jan. 1802) in Weimar stattfinckii sollte. .,Ein
sowohl ", sagt (ioethe, Annalen r8o2 .,den Autor als die
Intendanz angreifender Aufsatz war in das Mode-Journal
projectirt . aber ernst uiui kräftig zurückgewiesen : denn es
war noch nicht (Grundsatz, dass in demselbigen Staat, in
derselhigen Stadt es irgend einem Olied erlaubt sei. das zu
zerstören, was andere kurz vorher aufgehaut hatten". .,I)er
Unzelmann"sche Fall" bezieht si<h auf die berühmte Schau-
spielerin Mad. Unzelmann (1760 -1814), welche vom 21. Sept.
bis I, Okt. 1801 auf dem Weimarer Theater gastirt hatte.
(Vgl. Annalen 1801, Ende und Pasque . (Joethe's Theater-
leitung IL. 324 fg.). Bertuch kam dem Wunsche nur halb
nach, wie der folgende Brief mittheilt.
1 1.
(^11 Bcrlnrh.' 12. Jüiiiiar 1S02.)
Was ich von einem niederträchtigen Menschen, wie
dem W-rtasser Ihrer Theaterrecensionen, in einem solchen
j-alle zu erwarten hatte, schwebte mir vor, als ich Sie
neulich freundschaftlich um künftige Mittheilun^ solcher
' Quartblatt, nur Unterschrift eiujcnhändig. .\drcssc: dDcs Herrn
Lcgationsrath Bertuch Wohlgeb.« Im Froricp'schcn .Archiv.
252 Neue Mittheilungen.
Aufsät/c ersuchte. Sic schicken mir ihn gegenwärtig halb
gedruckt und ich kann nur soviel sagen: dass wenn Sie
nicht selbst geneigt sind, die Sache /u remediren und den
Autsat/ unterdrucken, ich sogleich an Durchl. den Herzog
gehe Lmd Alles auf die Spit/e setze. Denn ich will entweder
von den Geschätten sogleich entbunden oder tür die Zukunft
von solchen Iniamieen gesichert sevn. Mag der allezeit
geschäftige \'erzerrer seine Künste doch in der Allgemeinen
Zeitung oder wo er will autgaukeln, in Weimar werde
ich sie nicht mehr leiden, in den Fällen wo ich als öffent-
liche Person anzusehen bin. Ich erbitte mir vor vier Ulir
Ihre Erklärung darüber: mit dem Schlag geht meine Wn-
stellung an Durchl. dem Herzog ab.
Weimar am 12 Jan.
1802. JW v Goethe.
Der Verfasser der Recension ist Böttiger : über die
Sache vgl \\'ielands Aeusserungen (G.-J. I., 326 — 329) : von
dem vorstehenden Briefe hat schon Caroline Herder an Knebel
eine Andeutung gegeben (Knebels Nachlass IL, S. 328).
Eöttigers Recension blieb damals ungednickt und wurde erst
nach des Verfs. Tode in den »Kleinen Schriften a 1837. J..
S. 328 ff. gedruckt; über den Jon berichtete dann Goethe
selbst im Journal des Luxus und der Moden März 1802
(s. Llcmpel'p.d. 28. 673 — 681).
12.
(All Bert lieh.' I}. Mai 180].)
Ew. Wohlgeb.
eine vertrauliche Eröffnung zu thun, werde durch
verschiedene Umstände bewogen. Schon lange sind mir
die Misshelligkeiten, welche zwischen unsern jenaischen
' duartbogcn : die zwei ersten Seiten beschrieben. Riickseitc.
.Adresse: »Des Herrn Legationsratii Bertiicli W'ohlgeboren;« nur Unter-
schrift eigenhändig. Im Froriep'sclien .\rchiv.
41 BKlElh VON GOUTHI. ETC. 2)^
Lehrern, sich in heftigen Ausbrüchen gezeigt so wie andern
1-rcundcn der W'isscnscliaft, höchst bedauerlich gewesen,
weil otlenbar dadurch ein scliDiies Institut manchen Schaden
erleiden ntusste. Leider haben hiezu manche, nicht genugsam
überdachte Ausdrücke in periodischen Blättern und Schritten
die nächste \'eranlassung gegeben. Die b'ebel, welciie
daraus entstanden habe ich als Privatmann im Stillen bedauert.
Nun tritt aber ein Umstand ein, der mich, im Geschäfts-
gänge aufmerksam macht. Die zur Oberaufsicht über das
neue botanische Institut im i'ürstengarten zu Jena bestellte
Kommission hat, bei der Correspondenz, welche sie wegen
Wiederbesetzung der, durch den Tod des Professor Batscb
erledigten Stelle geführt, zu bemerken gehabt, dass man
gedachtes Institut auswärts zu verrufen und dadurch Per-
sonen, von der Annahme des Ruis abschrecken wollen.
Ohne untersuchen zu wollen woher solche Insinuationen
gekonnnen sein mögen sieht sich fürstl. Connnission ver-
anlasst besonders die Herrn Redacteurs der allgemeinen
Litteraturzeitung auf alles dasjenige aufmerksam zu machen,
was ihr, sowohl wegen des Instituts selbst, als wegen den
litterarischen Arbeiten des nunmehr dabe\' angestellten
Professor Schdvcrs , eingesendet werden könnte. Man
muss ausdrücklich wünschen, dass nichts unangenehmes,
noch verkleinerndes vorkommen möge, damit eine, im
wachsen begriffene Anstalt nicht gehindert noch verletzt
werde.
Lw. Wohlgeb. ersuche ich um diese Gefälligkeit im
Nahmen fürstl. Gommission nicht ohne höheres Mitwissen
und bin zu allen Gegendiensten gerne bereit.
Weimar am 13. Ma\- 1803.
J. W. Goethe.
Zu vorstehendem Brief gehört eine mit »Nachschrift«
überschriebene undatirte Notiz auf einem grossen Quartl)ogen
Conceptpapier, von welcher nur die Unterschrift eigenhändig
254 Neue Mittheilungen.
ist. Sie lautet: »Professor Sdielver wird zu Einleituiijr seiner
Vorlesungen ein kurzes Programm schreiben, wovon icli eine
Anzeige für die T.iteraturzeitung einzusenden nicht abgeneigt
bin. Ci.« Auf beide, Brief und Notiz, bezieht sich nun die
höchst characteristische kühne Antwort Bertuchs, welche als
Concept in seinem Nachlass aufbewahrt wird. Ihre Mitthei-
lung ist zum nähern Verständniss des Briefes nothwendig:
„Ew. Hochwohlg. verehrte vertrauliche Eröffnungen vom 13.
Mai in Betreff des künftigen Benehmens der A. L. Z. gegen
Hn. Professor Schelver habe ich für nöthig gefunden, meinen
beiden Herrn Collegen Griesbach und Schütz mitzutheilen,
da dieselben eine Direktorial- und besonders eine Redactions-
sache betreffen. Im Namen des Directorii dieses Instituts
habe ich daher die Ehre E. H. zu versichern, dass die A. L. Z.
nie an Misshelligkeiten und Zwisten der hiesigen Lehrer
Antheil noch Partei dafür noch dawider genommen habe.
Ungerechte und injuriöse Angriffe, welche bei einem literarisch-
critischen Institute fast nicht zu vermeiden stehen . mussten
die Herausgeber des Instituts nothwendig zuweilen zurück-
weisen , ohne dass jedoch das Institut dadurch nur den
mindesten Schaden gelitten hätte.
Wir sind uns übrigens auch bewusst, dass die A. L. Z.
nie gegen andere Institute, am wenigsten aber gegen hiesige
etwas nachtheiliges verbreitet habe. Man hat vielmehr stets
von Seiten des Directorii bereitwillig die Hände geboten
und thut es noch, wo hiesige oder weimarische Institute, ohne
der Wahrheit zu nahe zu treten, angepriesen oder befürwortet
werden konnten. Bew'eise dafür sind z. E.
1. Der unentgeldliche Abdruck des hiesigen akademischen
Lectionscatalogs . welchen andere Universitäten bezahlen
müssen,
2. Die häufigen Nachrichten Non der Verbesserung der
hiesigen Akademie.
3. Die bereitwillige Aufnahme der Programme von
Weimarischen Kunst -Preiss-Instituten,
4. Die Ankündigungen und Recensionen der Hören und
Propvläen. worüber sogar die A. L. Z. von Hn. Schwab und
anderen Antagonisten als parteiisch für Weimar ausgeschrieen
worden ist.
Da nun aber die A. L. Z. kein akademisches, sondern
ein ganz freies Institut ist. das nicht Jena, sondern ganz
Deutschland angehört und ebensogut in Halle. Lei])zig, Erfurt.
Hamburg als hier sein könnte, so ergibt sich daraus von
selbst, dass hiesii^e Schriftsteller, weil sie hiesi<j:e Professoren
41 Brihi-l von GoKTHi. urc. 255
sind, in den Retensionen ihrer Werke nicht anders behandelt
werden, als auswärtige Gelehrte, zumal da nach den Grund-
gesetzen unseres Instituts nie ein College den andern, norh
einen andern Verfasser . mit dem er in näherer Verbindung
steht, die ihn für oder wider dcnsclbL'n zur Parteili<hkcil
\erleiten könnte, recensiren darf.
Dass von uns Niemand das hiesige fürstliche botanische
Institut auswärts im geringsten verrufen noch verläumdet habe,
ist gewiss und wahr, und sollte E. H. von einem unter uns
Direktoren solch eine schändliche Verläumdung hinterbracht
worden sein, so bitten wir um nichts mehr als eine Anzeige
davon und Anlass dieselbe sogleich zu vernichten.
Wir vermögen daher wirklich nicht einzusehen, wie ims
etwas Nachtheiliges oder Verkleinerndes gegen das hiesige
botanische Institut oder Hn. Prof. Schelver eingesendet werden
könnte : denn käme auch etwas dergleichen, so würde es ohnedem
nach den Gesetzen nicht in das Intelligenzblatt eingerückt
und Recensionen. die uns unaufgetragen von Anderen zuge-
schickt werden, können nach eben den Crcsetzen nie von uns
angenommen werden. Aus eben diesem Grunde würden wir
auch die von E. H. gütigst offerirte Recension von dem Pro-
gramm des Hn. Prof. Schelvers gehorsamst verbitten müssen, um
uns keinen Vorwürfen auszusetzen, so verehrlich und erfreulich
uns auch sonst E. H. Theilnahme an unserm Institut als ordent-
licher Mitarbeiter sein würde , da dasselbe schon mehrere
Staatsmänner von den erhabensten Posten als Gelehrte unter
ihren ordentlichen Mitarbeitern zählen zu können das Glück
hat. Wenn wir aber des Hn. Professor Schelvers Programm
sowohl als dessen künftige Schriften einem Mann, der unter
unseren Mitarbeitern sich als ausgezeichneter Botaniker legitimirt
und nie in einigen Verhältnissen mit Hn. Professor Schelver
gestanden hat, zur Recension zutheilen, so werden diese
Recensionen, sie mögen nun lobend oder tadelnd ausfallen,
wenn sie nur sonst den Gesetzen des Instituts gemäss sind,
eingerückt: und wir sind überzeugt, dass E. H. Forderung an uns.
nichts Unangenehmes gegen Hn. Prof. Schelver in der A. L. Z.
aufzunehmen, sich soweit nicht erstrecken werde, noch \on
einem solchen Falle verstanden werden könnte.
Jena, d. 2. Juny 1803. F. I. B."
Dieser kühne Brief erregte keineswegs Goethe"s Zorn,
sondern veranlasste ihn nur, eine Verständigung mit dem lang-
jährigen Vertrauten zu suchen. Denn nur auf das vorstehende
Bertuch"sche Schreit:>en kann sich die nachfolgende Aeusserung
(joethe"s beziehen :
2\6 Neue Mittheilungen.
1 V
(.-In Bcrliich. ' 7. ////// /.Vo;J
Hw. Wohl^eborcn
haben mich seit so hingen Jaliren zum ersten Male
missverstanden, sonst würden Sie ein so wnnderhches
Schreiben nicht an mich erhissen haben.
Mein Losungswort ist Gcineiiisiini ! der sich wenn er
acht ist mit ircllsiiin recht wohl verträgt.
xMehr füge ich nicht hinzu, um das weitere mündlich
abzuhandeln; da sich dann Uebereinstimmung am geschwin-
desten finden wird. Mit bestem Lebewohl
Weimar den 7. jun. 03. jW v (ioethe.
Was Südann den Prof. Schelver anbetrifft, der zu dem
mitgetheilten Briefwechsel indirekt die Veranlassung gab, so
war er nach Batschs Tode (1802) nach Jena berufen worden,
(roethe hielt sehr viel auf ihn (Annalen, Abs. 374), wie er
denn seinen Zweifeln an der Sexualität der Pflanzen grosse
Bedeutung zuschrieb und ausführliche Behandlung schenkte
(Zur Morphologie, Hempel 33, S. lii fg.): seinen Stil dagegen
schätzte Goethe anfangs gering (Hempel 34, S. 267, Ka-
lischers Anmerkung, vgl. auch Annalen, Abs. 568). F. ]. Schelver
(1778—1832) kam 1807 nach Heidelberg, erduldete wegen
seiner Lehren Angriffe und Verfolgungen und gerieth in einen
traurigen CJeisteszustand, von welchem Windischmann in einem
Briefe an Ooethe (30. März 1824, Naturwiss. Correspond. II.
386 fg.) ausführhche Nachricht gab. Die Stellung, die ihm
ohne sein Zuthun gleich bei seinem Eintritt in Jena durch
Goethe zugewiesen wurde, scheint ihn von den Beziehungen
zu Bertuch ausgeschlossen zu haben, wenigstens fmdet sich
unter Bertuchs Correspondenzen nichts von Schelvers Hand.
' Grosser Q.uartbogcn, Briol' dictirt; nur der Name cigcnluindig
Auf der vierten Seite die Adresse: «Des Herrn Legationsrath Bertuch
Wohlgeboreud. Siegel gut erhalten: Sciiöner männlicher Kopl. Im
1-roriep'schen Archiv.
41 Briefe von Goethe etc. 257
14-
(An Hofriilh Stark. ' S. Juli iSoß.)
Fnv. W'ohlocb.
versäume nicht anzuzeigen diiss ich von Weimar aus
zu einer Conumication mit Herrn Hofr. Sömmering befehligt
worden und dass mein Rriet an ihn heute aul die Post
kommen wird.
Könnten Sie veranhissen dass der academische Antrag,
verabredeter masen baldigst an ihn abginge: so würde
diese Angelegenheit dadurch sein' beschleunigt werden.
Das Verordnete habe ich gebraucht und \erspüre guten
Effect.
Ew. Wohlgeb.
|ena ergebenster Dr
am 8 jul. 1803. Goethe.
Es handelt sich um die damals beabsichtigte aber ni< ht
zu Stande gekommene Berufung Sömmerrings in Frankfurt a. M.
an die Universität Jena. Goethe war kurz vorher in Jena
gewesen und hatte dort mündlich (darauf bezieht sich »ver-
abredeter masen«) über die Sache verhandelt.
(An Heinrich Luden. ' 14. Mär{ iSoy.J
Sider.^ habe ich wohl erhalten. Er steht jederzeit
wieder zu Diensten. Der Punct wegen der Pension ist,
so viel ich weiss, schon zu Ihren Gunsten entschieden.
Was die Biographie des Herzogs Bernhard betrifft, so habe
' Im Besitz von Frau Hofrath Stark in Heidelberg. Der Brief ist
ohne .\dresse. Die Unterschrift von «Ew.« an eigenhändig.
- Unterschrift und Adresse eigenhändig, (.\dresse) Des Htmi
Professor Luden \ IVohlgehoren Jena \/r.
GoETHt-jAiiRiacii ir 17
2\8 NüLt Mn IMKILUNüLN.
ich den Gediinken danin lange aufgegeben. Warum dieses
geschah und wie ich die Sache überhaupt ansehe, werde
ich nü'indHch eröffnen sobald ich das Vergnügen habe Sie
zLi sehen. Vielleicht entschliessen Sie sich alsdann diese
Arbeit /u übernehmen. Mit vieler Theilnahme gedenke
ich stets des Untalls, der Sie bedrollen hat und wünsche
in der Folge Ihnen manches l-rcundliclic und Niit/liche
erzeigen zu können.
Der ich recht wt)hl zu leben wünsche
Weimar ijoclhc
den 14 März
1807
Der vorstehend mitgetheilte Brief ist, nebst einem zweiten
an Luden gerichteten, aber l)ereits in Westermanns Monats-
heften 40, S. 253 veröffentlichten Briefe vom 2. April 1825
auf einem Blättehen 4 Seiten kl. 8" u. d. T. : »Zu I.uden's
hundertstem Geburtstag (ro. April 1880) Zwei Briefe Goethe's
an Luden. Leipzig bei Veit und Comp« von Herm. Credner
und zwar aus der Hirzelschen Goethebibliothek gedruckt.
Er wird hier, nach Vereinbarung mit dem Herausgeber,
wiederholt, um ihn einem weitern Publikum zugänglich zu
machen. Ein einige Monate später geschriebener Brief ist
neuerdings gleichfalls gedruckt (vgl. unten Regesten).
Der Historiker Heinrich Luden (10. April 1780 bis
2^. Mai 1847) hat in dem nach seinem Tode erschienenen
Buche: »Rückblicke in mein Leben«, Jena 1847, in sehr aus-
führlicher Weise (S. i — 133) seine Beziehungen zu Goethe
erörtert. Daraus sei folgendes hervorgehoben: Luden machte,
bald nach seiner Ernennung zum ausserordentlichen Professor
in Jena (Aug. 1806), Goethe"s Bekanntschaft. Er traf ihn
mit Hufeland und Riemer in einer .Abendgesellschaft bei
Knebel, war \on seiner Unterhaltung entzückt, durfte ihn am
folgenden Morgen besuchen, und gerieth mit ihm in sehr
merkwürdige, langandauernde Gespräche über f'aust und die
darüber in Göttingen und Berlin gehaltenen Disjnuationen.
über (ieschichte und deren Quellen, über einzelne Historiker,
loh. Müller und Walter Raleigh, über Wahrheit und Lüge.
Geschichte und r)i<htung: Gespräche, welche, so freundlich
sie auch schh)ssen. dem jungen, seine abweichenden Meiiumgen
|i Bkieie von Goethe etc. 239
lebhaft und cnts( hieden vortragenden Professor doch die Ver-
muthung aufdrängten, er habe (loethe verletzt. In Folge dieser
seiner Vermuthung theilte er seine Aeusserungen und die
darauf erhaltenen Antworten seinen (iönnern (iriesbach,
Hufeland und Knebel mit, wurde aber von den Genannten
beruhigt und hatte selbst bald Gelegenheit, das Ungerecht-
fertigte seines Argwohns zu erkennen. Denn schon im Nov.
desselben Jahres sprach er, wiederum bei Knebel. Goethe aufs
Neue, besonders über die durch die Schlacht bei Jena hervor-
gerufenen Verwirrungen und Verheerungen und konnte sich
vergewissern, dass er die kürzli«h erlangte Gunst nicht ver-
scherzt habe. »Seit diesem Tage», bemerkt Luden, S. 104,
»hab" ich Goethe zwar noch sehr oft gesehen, auf Spazier-
gängen, bei Knebel, oder wenn der Herzog-Grossherzog ein
Mal na<h Jena kam und mir die Ehre erzeigte, mich zur Tafel
zu ziehen: aber nur drei [richtiger: vier] Male, soviel ich mich
erinnere, habe ich ihn allein gesprochen«. Unter diesen
Gesprächen: Sommer 1812 in Knebers Garten, Nov. 18 13
und 1826 in (Joethe's Hause, Frühling i8r6 bei Luden ist
das an zweiter Stelle angeführte das wichtigste. In demselben
handelte es sich um die von Luden geplante Zeitschrift Nemesis
und es versteht sich von selbst, dass das Kundwerden eines
solchen Planes bei dem erregten Zustande der (Jemüther
(bespräche bedeutsamer Art hervorrufen musste. Wirklich sind
Goethe"s Bemerkungen (S. 119 — 122) von dem hervorragendsten
Interesse und können allen denen, die über des Dichters
politische Anschauungen leichtfertig den Stab brechen, nicht
genug empfohlen werden. Nicht Alles, was damals gesprochen
wurde, zeichnet Luden auf, doch deutet er den Inhalt des
Verschwiegenen folgendermassen an : »Nur das Eine will ich
bemerken, dass ich in dieser Stunde auf das Innigste über-
zeugt worden bin. dass Diejenigen im ärgsten Irrthum sind,
welche (roethe beschuldigen, er habe keine Vaterlandsliebe
gehabt, keine teutsche (Besinnung, keinen (ilauben an unser
Volk, kein Gefühl für Teutschlands Ehre oder Schande, Glück
oder Unglück. Sein Schweigen bei den grossen Ereignissen
und den wirren Verhandlungen dieser Zeit war lediglich eine
schmerzliche Resignation, zu welcher er sich in seiner Stellung
und bei seiner genauen Kenntniss von den Menschen und
von den Dingen wohl entschliessen musste«. Ueber die Zeit-
schrift »Nemesis« sind zwei Äusserungen Goethe's bekannt:
die eine : »Die Deutschen sind wiederkäuende Thiere« bei
Riemer : Briefe von und an Goethe S. 349, die andre das
Xenion : b li kann mich nicht bereden lassen (Hempel 3, 287).
17*
26o Neue Mittheilungen.
Zu derartigen vertraulichen Gesprächen kam es in der
Folgezeit nicht mehr. Vielmehr trat eine Entfremdung ein.
welche entweder durch Ludens entschiedenes Auftreten in der
genannten Zeitschrift, oder durch seine Betheiligung an den
Weimarischen Landtags -\'erhandlungen, die Goethe unange-
nehm waren, oder endlich, wie Luden vermuthete, durch die
Einflüsterungen des Staatsraths vSchulz hervorgerufen wurde,
welcher in der That den freisinnigen Geschichtschreiber bei
der Gentral-Untersuchungs-Commission in Mainz verklagt hatte.
In die Zeit dieses kühlern Verhältnisses fällt der zweite
an Luden gerichtete Brief vom 2. April 1825, der freilich von
einer Verstimmung nichts merken lässt. Vielmehr erinnert
sich Goethe darin mit Freude der in Jena verlebten Tage, wünscht
in freundlichster Weise das Gelingen von Ludens literarischen
Planen und dankt für die Uebersendung der »Allgemeinen
Geschichte der Völker und Staaten des Mittelalters«, deren
zweite Auflage 1824 erschienen war. Ueber dieses Werk findet
sich in Goethe's Briefen und Gesprächen sonst kein weiteres
LTrtheil. (Dass er es las, geht aus Goethe's Unterhaltungen
mit dem Kanzler v. Müller S. 120 hervor.) Dagegen berichtet
Eckermann (L 203, 17. Jan. 1827): »Der Kanzler brachte
Ludens »Geschichte der Deutschen« ins Ciespräch und ich
hatte zu bewundern, mit welcher Gewandtheit und Eindringlich-
keit der junge Goethe dasjenige, was öffentliche Blätter an dem
Buche zu tadeln gefunden, aus der Zeit, in der es geschrieben,
und den nationalen Empfindungen und Rücksichten, die dabei
in dem Verfasser gelebt, herzuleiten wusste«.
Als Zeichen der Verstimmung möchte ich dagegen Goethe's
Schweigen über Luden in den Annalen gelten lassen, in denen
sich wohl Gelegenheit zur Erwähnung seines Namens gefunden
hätte. Auch in den Briefen findet sich der Name sehr selten
angeführt; nur aus den »Briefen an Eichstädt« (S. 142, 152.
176 f., 290) kann man entnehmen, dass Goethe von Ludens
Beurtheilung der Fichte'schen Vorlesungen sagte, sie zeige von
einem sehr vorzüglichen und gebildeten Cieist (19. April 1806).
dass er in Folge dessen sich mit Ludens Berufung nach Jena
sehr einverstanden erklärte (26. April), und dass er auch
später einmal seine Recension von Heeren und Woltmanns
Buch über Johannes von Müller lobte (12. Dez. 181 1).
Der in vorstehendem Briefe erwähnte Siders ist mir ni< ht
bekannt. Lieber (loethe's Arbeit an der Biographie des
Herzogs Bernhard vgl. Annalen, Hempel . 27. 5,365 und
Ludens Rückblickes. 105--113. In dem oben schon erwähnten
Briefe vom 18 Oktober 1807 sagt Goethe : »Ich will alsdann
41 Briefe von Goethe etc. 261
wie ich über den Sarhsischen Helden denke, und was irh
\on einer Biographie desselben hoffe, ganz aufri( htig mit-
theilen«. Auch Luden zeigte später keine Neigung das Werk
zu beenden, sondern gab 1812 seinen Plan definitiv auf; sein
Bericht (S. 105), dass er erst im Frühjahre 1808 [durch den
Minister v. Voigt zur Beschäftigung mit dem genannten Gegen -
Stande angeregt worden sei, ist nach dem obigen Briefe einzu-
schränken. - - Der Unfall ist die vollständige Ausraubung und
Plünderung der Luden'schen Wohnung, die unmittell)ar nach
der Schlacht bei Jena, während Luden sich auf der Hochzeits-
reise befand, von den Franzosen und dem jenaischen Pöbel
vorgenommen worden war. (Rückblicke S. 176 fg., s. auch
S. 102). Vgl. zur weitern Orientirung über Luden nun auch
die Abhandlung von Dietr. Schäfer (s. unten Bibliographie).
16.
(An Frau von Exhenhcrg' ? 7. Ait^nsl iSoS.J
Hier sende icli durch Gefälligkeit des Hn. Graten von
Einsiedel die Dosen imd die Cameen zurück; die Intaglios
will ich für 120 ,$^ Sächsisch selbst behalten und lege
deshalb eine Assi^''(7tion an Frege in Leipzig bei, mit einem
Ersuchen an den Rcisekass/r des Herzogs Ihnen diese
Summe wenigstens in Silber anszuzahlen. iMeine Reise-
kasse könnt ich nicht entblössen und wollte diese Dinge,
auch zum Andenken Ihrer Gegenwart, die übrigens ganz
artig sind, mir zueignen.
Abr bey näherer Betrachtung, insofern man selbsi
Geld datür geben soll, entsteht manche Bedenklichkeit.
.Man begreitt nicht warum die Faunen, das geringste von
allen, so hoch angesezt sind und was einem sonst beytällt.
Doch war ich bev dieser Sache in Sorge, da man Kunst-
liebhabern kein Gewissen zutraut, es möchte scheinen als
wollte ich Ihre freundschaftliche Nachsicht misbrauchen.
Niemand hat auch nur ein Gebot auf die Dinge gethan
' Der Brief ganz eigenhändig von G. geschrieben, in der kais.
Bibliothek zu Wien, ist nach einer Abschrift des Dr. Dürr mitgetheilt.
202 Neue iMittheilungen.
LI meines ist nach genauer Prüfung annehmlich genug.
Soviel von diesem Handel und auch heute nicht mehr.
Empfehlen Sie mich Durchl. dem Herzoge dem ich für den
gnädigen Briet, auf das lebhafteste danke. Nächstens mehr.
Adieu liebe Freundinn. Erhalten Sie mir ihre Gesinnung.
CB. d. 7. Aug 1808 G.
Die PVeundin. an welche der vorliegende Brief geriditet
ist, ist sicher Frau von Eybenberg, geb. Marianne Meyer,
mit der seit Jahren von dem Dichter ein freundschaftliches
Verhältniss angeknüpft war. Schon in den Jahren 1803 und
1805 sehen wir sie beflissen die Münzsammlung Croethe"s zu
vermehren. (Goethe's Briefe, hrgb. von der AUg. Deutschen
^'erlag-Anstalt IIL, i, S. 451 u. S. 482 ff.). Während
Goethe im August des Jahres 1808 in Karlsbad weilte, befand
sich Frau \ on Eybenberg in Teplitz, wohin sich auch der
Herzog Karl August in den ersten Tagen des August begeben
hatte. Von hier aus schreibt er am 4. August an Goethe
(Briefwechsel des Grossherzogs Karl August mit Goethe Nr. 245),
und scherzt: »Frau von E. excellirt in Anhänglichkeit an
dich: sie wird sehr geplagt, um ihr Gefühl für dich in die
richtige Klasse zu ordnen«. Es ist dies unzweifelhaft der
Brief des Herzogs, den Goethe oben als empfangen erwähnt.
Noch am 22. August schreibt Goethe an Frau von Eybenberg
(a. a. O. S. 613): »Von dem Italiäner lassen Sie Sich die
nächsten Preise von jedem Steine melden u. zeigen mir sie
an. Man hat alsdann noch die Wahl ein und den andern
zu behalten«. — Ueber Frau von Eybenberg ist im (ianzen
wenig bekannt, noch heute sind wir fast nur auf das ange-
wiesen, was Varnhagen von Ense im vierten Band seiner
Denkwürdigkeiten und vermischten Schriften, S. 215 — 223
über sie und ihre Schwester, Frau von Grotthus mita;etheilt hat.
(An Knebel.' IV. d. 11. Juli 1S09.)
Recht herzlichen Anteil nehm icii an deinem Zustande,
umsomehr als ich nicht glaubte dass es zuletzt nocli auf
' Eigenhändig, in meinem Besitz. Das Weitere, wie es scheint
von Knebels Sohn Bernhard, abgeschnitten.
41 BKlhFh VON GohTHh ETC. 263
ein Hxtrcm auslohen sollte; da sich hoffen lies das so lange
Hrtragene würde auch so fort erträglich Weihen. Rath ist
in der Sache schwer zu geben, weil alles auf BcJ.unullmio^
ankommt, das X'erhähniss mag wiederherzustellen se\n oder
nicht.
l:in Dritter ist hi)chst nothwendig, der bevde Theile
spreche u sich klar mache was zu thun sev.
Unter unsern Freunden kenne ich niemand der sich
dazu eigne.
Das vorstehende Fragment eines Schreibens an Knebel
fällt vor 317 des Briefwechsels, in welchem auch zwei vorauf-
gegangne Schreiben Knebels an (ioethe vom 6. und vom
9. Juli 1809 fehlen. Der Inhalt betraf wohl Knebels eheliches
Verhältniss.
t8.
(All Graf Dietricijsteiu.' 2j. Juni iSii.)
Hochgeborner
Hochzuverehrender Herr Graf.
Fw. Hochgeboren haben mir durch die übersendeten
Lieder sehr viel Freude gemacht, und ich hoffe, dass Herr
von Gonz (Genz?) meinen vorläufigen Dank wird gefälligst
abgetragen haben. Seit fünf Wochen befinde ich mich in
Karlsbad, nicht ohne Hoffnung mich Ew. Hochgeboren
persönlicher Bekanntschaft bei einem längern Aufenthalt in
Böhmen vielleicht irgendwo zu ertreuen.
Da ich aber gegen Erwarten diessmal gleich wieder
nach Hauss zurückkehre, so verfehle ich nicht, vorher meine
Erkenntlichkeit selbst auszusprechen.
' Nach einer .abschritt des eigenhändigen Schreibens:
A tergo
Des Herrn Grafen Moritz \on Dietrichstein Hocli^ebornen i nach IWien.
264 Neue Mittheilungen.
Ohne dass ich im Stande bin ein Kunsturtlieil über
jene Compositionen zu fällen, darl ich doch soviel sagen,
dass mir sowohl ihre Anmut als eine gewisse liigenheit
des Charakters sehr viel \'ergniigen gemacht hat. Es gibt
zu interessanten Betrachtungen Anlass, wenn man sieht,
wie der Componist, indem er sich ein Lied zueignet und
es auf seine Weise belebt, der Poesie eine gewisse \^iel-
seitigkeit ertheilt, die sie an und für sich nicht haben kann ;
woraus denn erhellt, dass etwas Einlaches und beschränkt
scheinendes, wenn es nur wirksam ist, zu den manigtaltigsten
Productionen Anlass geben kann. Sehr angenehm würde
es mir seyn, diese Lieder von dem Componisten selbst
oder in seiner Gegenwart vorgetragen zu hören, weil sie
dadurch gewiss nur gewinnen können.
Indessen haben unsere Sänger und Musiker sie mit viel
Liebe und Aufmerksamkeit behandelt und mir dadurch
manche vergnügte Stunde gemacht. Der ich in der ange-
nehmen Hoffnung Hochdenenselben irgendwo einmal zu
begegnen, mich mit der vollkommensten Hochachtung zu
unterzeichnen die Ehre habe.
Carlsbad Ew. Excellen/
den 23. Junv ganz gehorsamster Diener
181 1. I \' Goethe.
Dies Schreiben an den (irafen Dietriclistein erscheint
besonders dadurch interessant , dass darin — sofern ich die
unausgesprochne Beziehung desselben richtig deute ein
Urtheil Goethe's über Beethovens Compositionen vorliegt,
wie nur noch in dem spätem Briefe an Marianne W'illemer
vom 26. Juni 1S21. Die »übersendeten Lieder« sind, nach
meiner Annahme, hauptsächlich Beethovens opus 75, welches
im November 18 10 bei Breitkopf und Härtel erschienen war.
Dasselbe enthält für eine Singstimme mit Klavierbegleitung
von (joethe's Liedern: i) Mignon: Kennst du das Land;
2) Neue Liebe, neues Leben: 3) Aus Faust: »Es war einmal
41 Briefu von GotTHE inc. 26;
ein König«. Ausserdem könnte man dazu noch rechnen
Beethovens im September 1810 im \\iener Kunst- und Industrie-
Komptoir als Nr. 38 erschienene Komposition: »Die Sehnsucht
von Goethe, was zieht mir das Herz so, mit vier Melodien
nebst Klavierbegleitung«, nicht aber Beethovens op. 83, drei
(iesänge von Goethe enthaltend, da dieses erst im October
181 1 herauskam und Beethoven eine Abschrift davon schwerlich
schon im Mai oder Juni vorher Anderen zur Verschickung
überlassen haben würde. Auch die schon 18 10 komponirte,
aber erst später \eröfl"entlichte Egmont-Musik dürfte nicht
gemeint sein.
i9-
(All Kinns?' 7. Mar:^ 1S12.)
Des H. Generaldirektor einsichtigen u wohlgemeinten
Vorschkig kann ich nicht anders als danckbar annehmen.
Es erfolgt daher sogleich ein Exemplar des Stücks. Wie
ich denn auch die gefällige Mittheilung des Stücks an
andere Bühnen mit Danck erkenne u die nöthigen Exem-
plare sogleich besorgen werde. Sollte einiges im Theater-
arrangement besonders bey der Gruftscene, Erläuterungen
bedürfen so könnte eine Zeichnung nachgesendet werden.
Mit Bitte mich H. Iffland bestens zu empfehlen
d 7 xMärz Goethe.
1812
Der Adressat ist wo) Kirms, der als (ieneralbevoll-
mächtigter zwischen Goethe und Iffland — denn dieser ist
natürlich der Generaldirektor — verkehrte und verhandelte.
Das Stück, um das es sich handelt, ist die Bearbeitung von
Romeo und Julie, gedruckt bei E. Boas, Nachträge zu Goethe's
Werken, Leipzig 1841 , 2. Theil , S. 3 — 124, auch in die
neuesten Ausgaben der Werke nicht aufgenommen. Goethe
' Ein duarthiatt einfaches Briefpapier ohne Adresse; eigenhändig;
ieutsclie Schrift. L'eber die Provenienz des Briefes vi^I. unten.
266 Neue Mittheilungen.
hatte- si( h \vl'<;cii seiner Bearbeitung schon einmal an Iffland
gewendet, 22. Febr. 181 2. gedruckt in J. V. Teichmanns l.iterar.
NachL S. 239, 600 Thlr. für Ueberlassung des Stücks an
12 Theater gefordert, sicli \erpflichtet, es »unter drei Jahren«
nicht drucken zu lassen und sich bereit erklärt, »da auf
manchen Theatern der Mönch ni( ht als solcher erscheinen
darf, den Pater Lorenzo in einen Arzt zu \ erwandeln«. Iffland
muss darauf eingegangen sein, das lehrt der vorstehende Brief,
besonders aber auch der Anfang eines fernem Schreibens
an Iffland (14. Mai 1812, Teichmann, S. 240): »Sie haben,
verehrter Mann, Sich bey jeder Cielegenheit und auch neuer-
lich wieder, so freundlich und thciluclunend gegen mich er-
wiesen«. Die erste Aufführung des Stücks in Berlin fand am
9. Apr. 181 2 statt; darüber, wie über die Bearbeitung vgl.
Strehlke's Bemerkungen bei Hempel X., 573—576. Die
Gruftscene ist die 6. bis 8. des 5. Aktes. Die Abweichungen
dieser Scenen in Ooethe's Bearbeitung bestehen darin, da^s
alle zur Handlung nicht unbedingt nothwendigen Personen,
z. B. der Page, Balthasar ausgelassen sind. Das Stück schliesst
unmittelbar nach dem Selbstmord Juliens , ohne VVieder-
erscheinen und Versöhnung der feindlichen Familien : nur
Lorenzo hat ("nach einer Pause) noch folgende Worte zu
sprechen :
Auch sie ist hin I Damit bekräftigt werde.
13ass menschliches Beginnen eitel sei.
Des weisen Mannes Rath verstiebt zu Nichts.
Und Thorheit sieht sich vom Erfolg gekrönt.
Das Gute wollen ist gefährlich, oft
Gefährlicher als Böses unternehmen :
Die eh'rne Pforte mög" auch hier verwaliren.
Bis ich es darf den Obern offenbaren.
Glückselig der, wer Liebe rein geniesst.
Weil doch zuletzt das Cirab so Lieb' als Hass verschliesst.
20.
(An Wmdischmann.' 2S. De~cmbcr 1S12.)
Ew. Wohlü:eboren haben sich in dieser Zeit zwcynial
so freundlich bc\- mir angemeldet und dadurch die kurzen
' in Hirzels S;in)niiung, ; S., dictirt, nur »Goc'thc^< eigenhändig.
41 Hmiut VON GohTHh urc. 26,
und düstren Wintertaii;e dergestalt erheitert und verlängert,
dass ich mich gcdi'ungcn liihle, Ihnen noch im ahen Jahr
dafür meinen vcrhindhchen Dank ah/ustatten.
Die /arte Weise, mit der Sie das Andenken eines
/arten Ahgeschiedenen ' te\ern, hat meine Bewunderung
erregt. Sie hahen das Khngen und \'erkhngen eines
hebenswürdigen Wesens in Ihrer schönen Rede nicht dar-
gestellt, sondern nachgeahmt und diesen trefl liehen Mann
dadurch wirklich unter den Lebendigen erhalten. Der
Kunst, mit dei' solches geschehn, w ill ich nicht /u Ungunsten
sprechen, aber das erlauben Sie mir zu sagen: so glücklich
wäre die Arbeit nicht gerathen , wenn nicht das Herz
dabe\- gewesen wäre.
Eine zweyte, zwar nicht unbekannte, aber doch uner-
wartete Erscheinung war Ihre Kecension meiner Farbenlehre
in den Ergän/ungsblättern der Jenaischen allgemeinen
I.iteratur/eitung. Ich habe seither über diesen Gegenstand
so wenig gedacht, dass ich vielmehr alles Denken darüber
ablehnte, um mich andern Dingen zu widmen, indess diese
meine vieljährige Arbeit im Stillen wirken möchte. Ich
hisste um so eher diesen Entschluss, als ich vernahm, dass
das Meiste, was öffentlich darüber geäussert wurde, nur
in Misgebärden bestand, denen zuzusehn ich nicht Lust
hatte. Nun tritt Ihre ruhige, theilnehmende, freundliche
Anzeige hervor, in der ich mich selbst mit meinen Inten-
tionen und Gesinnungen wiederfinde und meine Arbeit
dabev so schön supplirt sehe, dass ich wohl hoffen dart,
ein solcher Mitarbeiter werde dasieniiie immer mehr nach-
' Bczieln sich auf W'indischmanns Vorlesung: Was Job. Müller
wesentlich war und was er ferner sein müsse. Winterthur 1811. Auch
in der gleich anzuführenden Besprechung S. 24 hat Windischmann Johan-
nes V. Müller gerühmt und ihn wegen seiner Schätzung der biblischen
Schriften mit Goethe zusammengestellt.
268 Neue Mittheilungen.
liolcn, was ich rechts und links, mit Wissen und unbewusst
liegen Hess.
Einen Wink, den Sie in diesem Aufsatze geben, lassen
vSie mich erwidern, /um Beweis meiner Aufmerksamkeit.
Sie bemerken mit Recht, dass ich das Magische, das Höhere,
Unergründliche, UnaussprechHche der Xaturwirkungen
zwar nicht mit Ungunst, aber doch von der negativen
Seite betrachtet; und so ist es auch. Denn indem ich
meine Farhenwelt aus Licht und Finsterniss zusammensetzte
und dadurch schon in Gefahr gerieth, den meisten meiner
Zeitgenossen düster und ungeniessbar zu erscheinen ; so
hielt ich mich um desto mehr auf der Lichtseite, als mir
ohnehin alles, was ich der Nachtseite zuschrieb, von den
herrschenden Theoretikern abgeleugnet und missdeutet
werden musste, wie es denn noch bis auf den heutigen Tag
geschieht.
Sodann ist im Wissenschaftlichen, wie in allem L'dischen
die Nacht mächtiger als der Tag : denn wie viel Dunst
und Wolken, wie mancher Nebel und Höhrauch, ja bev
heitersten Himmel die nothwendige Trübe der Atmosphäre
und die climatischen Lagen, wie verkümmern sie uns den
Lichtantheil, der von der Sonne gern immer gleichtliätig
zu uns herabkäme !
Diese Betrachtung bestimmte mich sowohl in gedachtem
Werke, als überhaupt in poetischen, wissenschaftlichen,
künstlerischen Aeusserungen, das Klare vor dem Trüben,
das Verständige vor dem Ahndungsvollen vorwalten zu
lassen, damit bei Darstellung des Aeussern das Innere im
Stillen geelirt würde.
Aber gar manche durch meine Werke sich durch-
schmiegende, mehr oder weniger esoterische Bekenntnisse
sind Ihnen gewiss nicht verborgen geblieben und diesen
schreibe ich hauptsächlich Ihre freundliche Neigung gegen
41 liRihn. VON Goethe etc. 269
mich und gegen dasjenige zu, was von meinem Daseyn
zur Erscheinung gekommen.
Xach allem diesem werden Sie sich überzeugen, dass
es kein leeres Wort ist, wenn ich Sie \ersichere, dass ich
mit \'erlangen auf Ihr Werk gerichtet bin, welches Sie
über Magie herauszugeben gedenken'. Nachdem, wie ich
Sie zu kennen glaube, muss es höchst schätzbar werden,
sowohl an sich, als in Betracht der Zeit, in welcher es
erscheint. Die unglaublichen Entdeckungen der Chemie
sprechen ja schon das Magische der Xatur mit Gewalt
aus, so dass wir ohne Gefahr wagen dürfen, ihr in einem
höheren Sinne entgegenzukommen, damit eine d\namische,
geistreiche Betrachtung in allen Menschen recht begründet
und belebt werde. Fürs Atomistische, Materielle, Mechanische
dürfen wir nicht sorgen, denn auch dieser \'orstellungsart
wird es an Jk'kennern und j-reunden nicht fehlen.
So viel für diessmal; mit den besten \\'ünschen und
limpfehlungen.
\\'as haben Sie zu Ihrem \'orredner in den Hrganzungs-
bliittern gesagt? Mir sind diese Spalten ein neuer Beweis,
wie geduldig das Papier ist. Hätte der Chemiker so
widersprechende Elemente in den Topf gegossen, so wäre
das wildeste Aufbrausen, Wirken und Gegenwirken ent-
standen. Hier aber ruhen die unverträglichsten Wort-
phrasen recht behaglich neben einander; aber frevlich
kann dieser anscheinende Friede vor einem thätigen Geiste
nicht bestehen imd eine psvchische Chemie wird hier nicht
■ Windisclinianns Worte hatten gelautet: »So walir das Urtheil
(G's) über Alchymie im Allgemeinen ist, ... so können wir docii
nach vielfachen und liöchst ermüdenden Studien dieser Sache niciit
umhin von einigen .Mchvmisten . . . mit Achtung zu sprechen . . Hier
ist nicht der Ort davon /.u reden. Dies wird nächstens unter vielen
anderen Beleuchtungen des Mystischen in der Erziehung des Menschen-
geschlechts in einer eigenen Schrift geschehen«.
270 Neue Mittheilungen.
Neutralisation zu bewundern, sondern Xullität zu bedauern
haben.
Haben Ew. Wohlgeboren vielleicht indessen mit Ihrer
lieben Familie, wie Sie aniiengen, die Farbenlehre weiter
durchversucht, ist Ihnen als Phänomen oder als l^rklärungs-
weise etwas Neues und Bedeutendes erschienen r Theilen
Sie mir solches ja mit, so wie auch, wenn einer meiner
Gegner etwas Relevantes gesagt hatte. Freundschaftliche
Anregungen beleben diese Studien aut eine angenehme
Weise u erinnern uns, manches früher vorzunehmen, was
man auf spätere Zeit verschiebt, wenn uns Widerstand und
Misverstand verdrieslich machen.
Leben Sie recht wohl und bleiben meiner vt)r/.Liglichsten
Hochachtung versichert !
Weimar d. 28 Decbr. Goethe.
1812.
Der Adressat des vorstehenden Briefes ist Karl Job. Hier.
Windischmann, geb. 24. Aug. 1775 in Mainz, gest. in Bonn
23. April 1839, katholischer Philosoph, der aber ausser seinen
grösseren philosophischen Schriften während seiner jüngeren
Jahre eine Reihe physikalischer, naturwissenschaftlicher Aljhand-
lungen und Besprechungen schrieb.
Von Windischmanns Beziehungen zu Goethe vermag ich
nicht allzuviel zu sagen. In den Werken finde ich seinen
Namen nicht erwähnt , obwol zu solcher Erwähnung mehr
als eine Veranlassung gewesen wäre. Dagegen wird er in
den neuerdings veröffentlichten »Briefen an Eichstädt« seit
1804 mehrfach als Mitarbeiter an der Jenaischen Allgemeinen
Literaturzeitung genannt. Als solcher hat er denn auch zu
dem eben mitgetheilten Schreiben Veranlassung geboten.
In den »Ergänzungsblättern« der genannten Zeitung näm-
lich 1813, Nr. 3 — 6, Spalte 20 — 44 wurde Windischmanns
Besprechung UberGoethe's Farbenlehre(unterzeichnet: K. J. ^V.)
abgedru( kt. Dieselbe ist ein sehr ausführliches Referat, mit
mannigfachen Bemerkungen, welche die Uebereinstimmung
des Referenten mit demVerfasser bekunden. Als charakteristische
Probe für den Ton des Ganzen sei nur die Schlussstelle hervor-
gehoben: »Von der 6. Abtheilung: Sinnlich-sittli( he Wirkung
41 Briefk von Gohthe ktc. 27 1
der Farbe, schweigen wir lieber ganz, als dass wir in allzu-
drängter KUrze etwas Ungehöriges sagen sollten. Am hebsten
geht man ohnehin mit dem Zartesten. Fidelsten in stiller
\'ertrautheit um. Hiezu aber wird eine Würdigkeit erfodert,
die errungen seyn will, und wir können Jeden, insbesondere
auch den Künstler, versichern, dass diese reifste Frucht der
Farbenlehre, welche sinnig genossen das innere Auge eröffnet,
niemals von demjenigen erreicht werden möchte, welcher vor-
eilig oder in müssiger Neugierde nach ihr hinlangt : nur der
wird sie verdienen und haben, welcher sich mühselig durch
alle Entwiklungsstufen. wie wir l)isher sie angedeutet, durch-
gearbeitet hat«.
Der »Vorredner in den Ergänzungsblätterncc ist L. R.,
der a. a. O. S. 1 7 20 gleichfalls eine Besprechung von
(ioethe's Farbenlehre bringt. Dieselbe ist ungemein phrasen-
haft, versucht, neben aller Anerkennung des Besprochenen eine
eigene Ansicht zu begründen, insbesondere einer Vereinigung
der Goethe'schen und Newton"schen Theorie das Wort zu
reden. »Dann«, so heisst der vorletzteSatz, »wird der polemische
Theil dieses Buches wegfallen, und die schöne Dogmatik
bleiben, die hier in dem reinen, anspruchlosen Gewände der
schönsten Sprache aut'tritt.« Es scheint lange gedauert zu
haben , bis Eichstädt diese Kritik als Einleitung zu dem
Windischmann'schen Referat erhalten hat. Wenigstens ist man
versucht, den zuerst von .\. Cohn, Ungedrucktes, S. 80 — 82
mitgetheilten Brief (ioethe's an Eichstädt vom 28. Aug. 181 1,
der dann bei Biedermann : Goetheforschungen S. 423 424
wiederholt ist, einen Brief, in welchem es sich um eine
Windischmann"sche Recension und ein von Goethe beabsichtigtes
Urtheil über die Wirkung seiner eigenen Schrift handelt, auf
die ebengenannte Recension zu beziehn. Aus dem Umstände,
dass statt einer ri(-htigen Erkenntniss seiner Farbentheorie eine
unverständige und ül)elwollende Beurtheilung vorangestellt
wurde, erklärt sich auch der besondere (jroll, mit welchem sich
Goethe über den Beurtheiler L. R. äussert.
Einige Jahre später 1815 machte Windischmann Goethe's
persönliche Bekanntschaft in Frankfurt. Dieses Zusammentreffens
und der bei demselben geführten Gespräche gedenkt er in
einem (Naturw. Corresp. fl. S. 385 387 abgedruckten) Briefe
vom 30. März 1824, in welchem er ein neues Werk, jedenfalls
»Kritische Betrachtungen über die Schicksale der Philosophie
in der neuern Zeit« übersendet und empfiehlt. Zugleich bat
er Goethe, dem ehemaligen Jenenser, damals Heidelberger
Professor, dem Botaniker Schelvcr, auf dessen »gespannten und
272 Neue Mittheilungen.
zum 'l'hcil s( ln\ er zerrütteten (Geisteszustand« er aufmerksam
macht, womöglich anderswo eine Stelle zuverschaffen, vgl. oben
S. 256. Diese J>itte lehnte Goethe kurz ab : »ich bedauere, dass ich
seinen Wünschen nicht entgegenzukommen Mittel finde« '; über
das angegebene Werk äusserte er: »es soll mit in die Fremde
wandern, und da will ich sehen, ob sein Vortrag, ganz ohne
Eintheil- und Abtheilung, mich in die Materie hineinlässt.
Sonst übernahm icli in ähnlichem Falle, das Werk in Bücher.
Kapitel, Paragraphen zu zerspalten, ja sogar mit Marginalien
zu versehen, da ich dann beim Ende der Operation das Ganze
völlig inne hatte. Jetzt wünsche ich freilich, dass ichs bequemer
finde«. Einige Monate später gedenkt der Adressat des letzt-
erwähnten Briefes, Nees v. Esenbeck, noch einmal \^'indisch-
nianns (i. Febr. 1825, a. a. O. S. 120): von einer spätem
Erwähnung ist mir nichts bekannt.
Fernere Briefe Goethe's an Windischmann vom 2. Mai 181 1.
20. Apr. 18 15, 2. Jan. 18 16 befinden sich gleichfalls in der
Hirzel'schen Sammlung.
21.
(An ? Weimar S. Januar 1S14.)
Wacrc meine Canzlev \vie sonst bestellt; so erhielten
Sie, thcLierste Freundinn, zwev Abschriften des Epilogs,
nun muss ich aber diese Bemühung Ihren lieben Fingerchen
überlassen. Sodann haben Sie wohl die Güte unsrer wiener
Freundinn einige Worte zu Erklärung der ersten zehen
Verse zu sagen. Zum schoenen Morgen die schoensten
Grüsse !
W. d. 8. Jan. Goethe.
1814.
' An Nces von Hscnbeck. Naturw. Corrcsp. II, 95. Der Brief
wird vom Herausgeber fälsclilicli in den März 1824 gesetzt; er gehört
da er eine Beantwortung des W'indischmann'schen Schreibens gibt, in
den April, oder wie einzelne auf eine beabsichtigte Sommerreise sich
bezicliende Aeusserungen vcrmuthen lassen , vielleicht schon in den
Mai ICS24.
41 BkIKIE VON" GühTHE ETC. l'J ^
Das Rriefchen ist ganz eigenhändig mit lateinischen
Lettern gescln-ieben. Die Adressatin ist mir unbekannt. L'iiter
der Wiener Freundin ist wohl Sara \on (irotthuss, geb. Meyer
aus Berlin zu verstehen (gestorben 1828 zu Oranienburg), mit der
Cioethe gerade während der Jahre 1810 18 15 eine regere Corre-
spondenz unterhielt 21 Briefe von Cioethe an Frau von
(Irotthuss veröffentlichte K. A. N'arnhagen von P^nse 1846 in
den «Cirenzboten« (Hand 2, Nummer 25, Seite 497 fC), nach-
dem er schon 1838 in den vierten Bdnd seiner ))l)enk\vürdig-
keiten und vermischten Schriften« (Seite 215 ff.) einen kleinen
.Vufsatz über Sara und ihre Schwester Mariane, die 181 2 als
Frau von Eybenberg starb, aufgenommen hatte, (loethe über-
sandte mit obigen Zeilen eine Abschrift des Epilogs zum
'i"rauersi)iele Essex \ 011 J. (J. Dyk. nach dem Englischen des
[>anks. den er für Aiualia W'olff, die Darstellerin der Königin
Elisabeth, am 17. und 18. Oktober 1813 gedichtet hatte.
Aufgeführt wurde der Essex mit diesem Epilog, dessen erste
zehn \'erse unmittelbar an die letzte Scene des Trauerspiels
anknüpfen, schon am 13. November 1813 in Weimar, gedruckt
erst im Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1815. Seite 7 ff.
(Jii Kinns.' /.V. Miti iSi.f.)
H\v. Wohlgebohren kann ich nicht verbergen, das.s der
treundliche und ehrenvolle Auftrag des Herrn General-
director llfland niich in eine peinliche Lage versetzt. Wie
gern ich Gelegenheits- Gedichte bearbeite habe ich oft
gestanden und wie geschwind ich mich zu einem solchen
Unternehmen entschliesse, davon mag zeugen, dass ich
mich soeben mit eine// kleine// X'orspiel beschäftige, nach
Wunsch der Badedirection in Halle, welche etwas Zeit-
gemässes, das sich zugleich auf den verewigten Keil bezöge,
\()r Kurzem verlangt hat.
' 4 duartscitcn beschrieben; ganz eigenhändig; lateinisclie Sclirift,
olmc Adresse. Von trenider Hand ist über den Brief gesciirieben : Au
Hofriüh Kinnes in Weimar.
Goktiik-.Iaiiki.lcii II. ^"
274 Neue Mittheilungen.
Wie weh es mir also thiin nuiss, eine einzige Gelegen-
heit, wie die welche sich von Berlin darhietet, zu \ersäumen,
bedarf keiner \\'orte. Ich habe die Sache seit vierund-
zwanzig Stunden, nach allen Seiten, durchgedacht und hnde
sie nicht ausführbar. \'ier Wochen sind ein gar zu kurzer
Termin, sie wären es nicht, wenn ich mich in Berlin
befände, oder wenigstens vom dortigen Theater und äusseren
Verhältnissen früher persönliche Ke;/tniss genommen hätte.
Die Würckimg nach Halle und in Halle wird mir leicht,
es geschieht durch unsere Schauspieler, deren Fertigkeiten
ich kenne, und für die also, mit einigem Geistesaufwand ',
wohl solche Rollen zu schreiben sind welche Gunst erwerben.
\'on Lauchstädt her lässt sich manches anknüpten, in Halle
selbst habe ich persönliche Verhältnisse, und sodann ist es
wohl erlaubt, das Ganze überhau/'t leichter zu nehmen.
Die Aufgabe für Berlin ist gross und ich erkenne in
ihrem ganzen Werth die Ehre die man mir erzeigt zu
glauben, dass ich sie zu lösen im stände se\-. Ich habe
den grossen Umfang der gefordert werden kann, schnell
durchgedacht; aber ich darf keine Erfindung wagen ohne
genügsame Zeit und hinreichende Kenntniss. Damit aber
dieses nicht eine blosse Ausflucht scheine, so erbiete ich
mich eine aehnliche Arbeit durch zu dencken die, bey eine//
bevorstehenden Friedensfeste auf einem so würdigen Schau-
platz, wenn sie glückt, mit Ehren erscheinen dürfte.
Hierzu aber wäre nöthig, dass der Herr Generaldirector
irgend einem geistreichen Mann den Auftrag gäbe sich mit
mir in Raport zu setzen und mich mit den Persönlichkeiten
der Schauspieler und Sänger, den Rollen, worinn sie am
meisten gefallen und was man sonst noch iür nothwendig
hielte, bekannt zu machen.
' im Oritrinal steht : gcistcs Aitf-ivaiui.
41 Bkiei-k von Gotrm. in . 275
Hierauf würde icli die' F.rfiiidunü;^ gründen und mich
darüber, auch abw esend, mit dortii^en einsicluigcn Männern
vorliuitii^ berathen und so i^etroster an die Austühruni;
uehen können.
Ich bitte dieses, mit X'ersiclieruni; eines aufrichtigen
Danckes und wahrhafter W'rehrung, dem Herrn General-
direcior mitzutheilen.
Bercka aii der Ihn. l:rgebenst
iS Ma\ 181 |. (joethe
23-
(Jii Kinns?' 20. Mai iSi^.J
Haben H\v. Wohlgebohrnen etwa schon, nach dem
Inhalte meines gestrigen Briefes, Herrn Generaldirector
Itfland mein' Zweifehl und Zaudern gemeldet; so haben Sie
die Güte, dem verehrten Mann baldigst anzuzeigen, dass
mir sein Antrag all/u schmeichelhaft gewesen, als dass ich
nicht hätte alle meine Kräfte hervor rufen, und einen ^'ersuch
machen sollen, wie seiii \'erlangen .zu ertülleu wäre. Nim
ist mir ein (bedanke bexgegangen, der mir der Ausführung
nicht unwerth scheint. In einigen Tagen soll der Entwurf
abgehen, wird er gebilligt, so können Kleider, Dekorationen,
Instrumentalmusik, durchaus vorbereitet \\ erden. Die Gesänge
schickte ich zuerst, sodann den Dialog. Da Alles was zu
sprechen ' ist, unter viele Personen vertheilt wird, so macht
sich keine Rolle starck, sie sind alle Tage zulernen. Mehr
sa^e ich nicht. Wäre meine ücstriue lirklärun^ schon
' die übergeschrieben.
^ vor gründen : iiiul Jusfühniiii^' im Original gestriclien.
? 2 Quartseitcn; ganz eigenhändig; lateinische Schrift. Olme Adresse,
■t Original: Diciiieni; die zwei letzten Buchstaben später ausgestrichen.
' im Original : y.usiviniicii, ausgestrichen, sprechen darübergeschrie-
ben; im Original: uiiler ausgcstriciien, i'oii ihr darübergeschrieben.
18*
276 Neue Mittheilungex.
abgegangen, so bitte von der gegenwärtigen eiligen Gebrauch
zu machen. Mich zu geneigtem AnJenckcn emptehlend '
ergeben st
Ik'rcka AU der Ihn Goethe.
den 20 Ma\- 18 14
Die Autographen der zwei vorstehenden Ih'iele an Rirnis
befanden sich in der Autographen-Sammlung des Hn. \-. Strampf,
aus welcher sie (Auction vom 23. Juni 1879) in den Besitz
des Hn. Baron Schimmelpfennig v. d. Oye übergingen. Dieser
hat mir freundlichst gestattet, dieselben wie die unter Nr. 19.
38. 29. mitgetheilten abzuschreiben und zu veröffentlichen.
Denn sie waren bislier. wenigstens in extenso ungedruckt;
Bruchstücke daraus gab Hr. v. Loeper in den Einleitungen
zu seinen vortrefflichen Ausgaben von : «Des Epimenides
Erwachen« und »Was wir bringen« (Hempel XI, i.S. iio. 367:
ersteres auch separat. Berlin 1871), der. wie er mir gütigst
mittheilt, die Briefe in den Berliner Theater-Akten gefunden
hatte. Die beiden ebenerwähnten Vorreden bieten für die
Erklärung genügendes Material. Es sei daher nur kurz erwähnt,
dass Iffland sich am 7. Mai 1814 an Kirms und Goethe gewandt
und Letztern um ein Festspiel zur Begrüssung des Königs
von Preussen und des Kaisers von Russland gel)eten liatte.
in welchem auch des Kaisers Franz und des Kronprinzen von
Schweden zu erwähnen sei. Kirms begab sich am 17. Mai
zu Goethe nach Berka, erhielt hier eine ablehnende Antwort,
die an den folgenden Tagen durch die zwei vorstehenden
üriefe begründet, aber auch gemildert wurde. Der »Entwurf«.
von welchem in dem zweiten Schreiben die Rede ist. war
bereits am 22. fertig und wurde am 24. an Iffland geschickt
(abgedruckt bei Loeper a. a. O. 135 — 144)- Die weiteren
Verhandlungen haben mit unseren Briefen niclits zu thun.
DasFestspiel »Was wir bringen« ist 1814 von Goethe und Riemer
gearbeitet. — Joh. Christ. Reil, geb. 20. P"ebr. 1758, gest. 22. Nov.
1813. Lieber ihn vgl. l>oepers reichhaltige Anmerkungen zu
dem ebengenannten Stücke, Hempel XI. i, 381-388. (i.
erwähnt seiner auch in den Annalen 1803. 1805. An letzterer
Stelle sagt er: »Es [mein Uebel] brachte mir diesmal den
Vortheil einer grösseren Annäherung an Bergrath Reil, welcher
als Arzt mich behandelnd, mir zugleich als Praktiker, als
' im Original: iDiphchiui.
|I BrII.1 E VON GOHTHK ETC. 27
//
(lenkender, wohlgesinnter und anscliauender Mann bekannt
wurde. W ie sehr er sich meinen Zustand angelegen sein Hess.
da\(Mi gibt ein eigenhändiges Gutachten Zeugniss, welches
\oni 17. Sept. dieses Jahres unter meinen l'ajjieren noch mit
.Achtung verwahrt wird.c
Ein Briefchen Kirms. an bertuc h geri( htet und in dessen
l'aiiieien (Froriep"sches Archiv in Weimar), aufbewahrt, mag.
da es gleichfalls I'heaterangelegenheiten besprii ht und an
(loethe anknüjjft. hier mitgetheilt werden: »Der Herr (ieheime
Rath von (loethe lässt Ihnen für die Mittheilung diese.s und
auch jenes IJriefs gar sehr danken: er beklagt nur, dass lo
Ducaten für die arme Theatercasse ein zu grosses Object
wären, als dass man dafür ein Manuscript kaufen könne, ^^'ir
getrauen uns nicht, die Zaulierflote. die schönste Oper von
Mozart, zu kaufen, weil man noch 30 Thlr. dafür haben will.«
(Jii Sarloriiis.' y. ///;// 1S14.)
»Der Herzog \ernuithet den Hotr. Sartorius noch bey
Ihnen, und i^iebt mir einen Auftrag an ihn den Sie ihm
mittheilen werden, b'r schätzt den HotV. Sartorius und
achtet sehr hoch seine verständige Ansichten, er wünscht
dass dieser, hev dein bevorstehenden grossen Moment,
ihm u dem deutschen \'aterlande mit seinen rieten bjn-
sichten bevstehn möchte.
Der Herzog schlägt iluii vor einen unbedingten Urlaub
zu nehnien u mit Grat lidling u H. von Gersdort nach
Wien zu reisen. Gratlidling wird in diesen Tagen ankonunen
u deim in zehen Tagen abreisen«.
So latitet , mein Theuerster, ein Billet Diu'chL der
Herzoginn. Schnüren Sie also iiu- Bündel, konuuen bald-
möylichst. Sagen mir aber vorher durch Statiete, dass u
' Auf einem lialbcn Bogen Schreibpapier liat Goethe Obiges
eigenhändig mit Bleifeder geschrieben. Es wird somit nur der Brief-
entwurf vorliegen. Das Original befindet ^ich im Besitz des Herrn
Senator Culeniann in Hannover.
278 Neue Mittheilungen.
wann Sic kommen. Der Herzog zahlt alles. Ich stecke
in Ik-rka.
Kommen Sie in Weimar :m, so zeigen Sie Sich der
Fürstin u den Mandarinen.
Ihren ersten Brief erhielt ich. (jott befohlen.
Berka an der Um d. 5. Jun. 18 14. G.
(ioedeke hat im Feuilleton der Neuen Freien Presse
(1878. Jan. 8., Morgenblatt, Nr. 4802) unter der Aufschrift:
»Ein Freund Goethe"««, die Verbindung Goethe's mit Sartorius
besprochen, und zugleich vier bisher unbekannte Briefe des
Dichters an den Göttinger Professor mitgetheilt. Ein fünfter
Brief an Sartorius (vom 23. März 18 10) findet sich in Lewaids
Europa. 1843 S. 42 ff. Aus Goedeke's Aufsatz entnehmen
\vir. dass Sartorius im April Goethe besucht, dann als durch
Goethe's Anregung die Einladung ergangen war dem Weimar-
.schen Gesandten zum Wiener Congress als Beirath sich
anzuschliessen, vom 25. Juni bis 17. Juli in Weimar zubrachte,
hierhin wiederum am 12. September zurückkehrte und endlich
sich am 14. desselben Monats na<:h Wien begab. Jedoch
schon im Dezember desselben Jahres verliess er Wien, um an
der Ständeversammlung in Hanno^•er theilzunchmen.
25-
(An Riemer.' i<j. Juli iSiö.)
Wie leid es mir tliut Sie, mein guter Rienier mit meinem
Sohne in einem Verhiiltniss zu sehen, welches mir nicht er-
laubte Sie einzuladen, muss ich aussprechen, eh ich scheide.
iMöge bey meiner Rückkunft alles ausgeglichen seyn.
Das Osteologische Manuscript wünsche auf die Reise
mit, diese Gegenstände sind in der Welt sehr rege. Geben
Sie es an Ueberbringer.
Der kleinen Frau die schönsten Grüsse.
W. d. 19 jul
18 16 G.
' Oktavbogen , .mJcrtlialb .Seiten besclirieben , eigenhändig ; aus
der llirzeFschen Saniniluno:.
41 Briefe von Goethe etc. i^^)
Der vorstehende Brief ist als ein Nachtrag zu den zwei
von v.Loeper niitgetlieilten Briefen, lo. Sept. 1803, 19. Mai 1809
aufzufassen (G.-J. I., S. 2t,t„ 242). Ueber die (wohl bald aus-
geglichene) Spannung Riemers und Augusts von Coethe ist
nichts weiter bekannt: grade in diesen Tagen (22. Juli 1816)
schrieb (J. an den vor wenigen Tagen von ihm geschiedenen
Zelter (Briefw. IL, S. 289) mit grosser Zufriedenheit über
seinen Sohn. Das »osteologische Manuscripta lässt sich jetzt
nicht mehr bestimmt nachweisen, da Goethe trotz vielfacher
Studien keine auf derartige Gegenstände bezügliche Abhand-
lung vor 1820 veröffentlicht hat. Die »Reise« ist die am
nächsten Tage (20. Juli) mit Hofr. Meyer angetretene, die
aber nicht die vom Dichter geplante grosse Ausdehnung
hatte, sondern in Folge eines Wagenunfalls in der Nähe von
Weimar unterbrochen, nur nach Tennstedt gerichtet wurde.
Als Anhang dazu gebe ich zwei andere Briefchen (ioethe's
an Riemer. Beide befinden sich im Besitze des Hn. A. Spitta
(R. Zeune's Antiquariat, Berlin), beide vollständig autograjjh,
der erstere auf bläulichem, der letztere auf grauem Concept-
papier. Nur der erstere hat auf der Rückseite die Adresse
von Goethe's Hand: »Hn. Professor Riemer«, hat aber kein
Datum, der letztere, mit genauem Datum versehen, ist ohne
Adresse, kann aber, des Inhalts wegen wol nur an Riemer
gerichtet sein. Der erstere lautet: »Ist das 13. Buch noch in
Ihren Händen, so erbitt" ich mir"s. An der Stelle die Freuden
des jungen Werthers betr. muss etwas geändert werden. Allen-
falls könnte es noch bey der Revision geschehen«. Der Brief
bezieht sich auf die Ausgabe der Werke letzter Hand: ge-
meint ist natürlich das 13. Buch von »Dichtung und Wahr-
heit«, die Stelle in der genannten Ausgabe, Bd. 26, S. 230 fg.
Doch ist an der betreffenden Stelle, wie aus einer Vergleichung
der Originalausgabe (18 14) mit der Ausgabe letzter Hand
hervorgeht, schliesslich doch nichts geändert worden. Das
Briefchen ist übrigens schon einmal (Hamburg. Correspon-
dent, 26. Aug. 1875) abgedruckt, mit der falschen Jahres-
zahl 1813, die auf dem Original allerdings von fremder
moderner Hand mit Bleistift beigeschrieben ist - auch die
Worte : Freuden des jungen Werthers sind im Original, aber
sicherlich nicht von Goethe, init Bleistift unterstrichen und
mit der unrichtigen bei dem Vorhandensein der deutlich
geschriebenen Adresse fast unerklärlichen Bemerkung, der
Brief sei ohne Zweifel an Frommann den Vater gerichtet.
Das »noch« beweist ganz klar, dass der Empfänger nicht ein
Drucker sein kann, sondern ein Revisor, der das Manusxript
28o Neue Mittheilungen.
durchsah, bevor es dem Drucker übergeben wurde. Der zweite
I'.rief lautet :
Nichts Nothwendiges liegt vor. Nur der Wunsch nach
freundlicher Unterhaltung u die Absicht das Sicilianische Werk
nochmals durchzugehen lies mich die Einladung senden.
Möge es bey Hofe wohl ergehen.
d. 17. Jan. G.
1828.
Das ))Sicilianische \\'erk(( ist der den Aufenthalt in Sizilien
behandelnde Abschnitt der »Italiänischen Reise« . der im
28. Band der Ausgabe letzter Hand abgedruckt wurde.
26.
(Aji Heinrich Mcvcr.' Jena S. Juli iSij.)
Den schönsten Dank, mein theuerster Freund, tür alles
Gute.
1. Zuförderst also die i'orsc-hläi^'i' ;iir Medaille. Ich
wünschte dass man sie beide brauchen könnte als ^\)rder-
und Ri'ickseite, da sie denn einander ^^ar hübsch antworteten.
Man machte die Medaille etwas stark und prägte die Inschrift
auf den Hand, doch will ich auf so etwas ungewöhnliches
nicht antragen. Ist zu wählen, so möchte wohl die Wahl
auf den Vorhang fallen der so schön eröfinet und ver-
birgt. Das Nähere schreibe Herrn von \'oigt.
2. Liegt ein Blatt bey wegen der Prämien. Denken
Sie darüber nach luul melden mir das weitere.
3. Die sowohl für uns, als für die Bibliothek anzu-
schaft'enden Kupfenuerke billige durchaus, ich habe sie in
beiliegendem Catalog nochmals roth vorge/eichnet, auch
hab ich manches schwär/ angestrichen, was ich wohl um
einen leidlichen Preiss besitzen möchte. Das warum? werden
' 2 duartbügcn, etwa 6 Seiten bcscliricbcn. dictirt.
41 Briuh von Goethu etc. 281
Sic Sich bei dem einzelnen wohl auslegen. Auch sprechen
wir nochmals dariiiier denn ich muss doch nächstens ein-
mal nach \\'ein"!ar. Halten Sie Sich eine kleine Nota
was alsdann noch etwa zu \'erhandlen wäre.
j. lür die ik'Mräge xur Thiertabel danke schönstens.
Sehen Sie einmal gelegentlich auf der l^ibliothek die Kupfer
zu Lafontaines Fabeln in Folio. Die Künstler waren auch
auf dem falschen Naturwege. Und so mögen diese Blätter
denn auch zu frülicrem oder späterem Gebrauch still liegen.
5. Hierbev auch die Revisionsbogen meines ersten
Autenthalts in Neapel. Druckfehler lassen Sie Sich nicht
irren, sie sind verbessert, lassen Sie aber dieses Schatten-
spiel mit Bedacht vorübergehen und deuten mir an womit
ich allenfalls noch meinen 20tägigen 2*^" Aufenthalt in Neapel
ausstatten und würzen könnte. Es sind noch recht artige
Sachen zurücl< auch schon redigirt. Es fällt Ihnen gewiss
noch etwas ein was mir Lethe schon getrübt hat. l'j'innere
ich mich recht so stand Herkules Farnese schon in der
Porcellan-habrik, der Toro aber war noch in Rom. Sagen Sie
mir doch auch etwas von Veuuti, was man dem zu Lieb
und Fhre noch anbringen könnte. Alle diese Dinge sind
soweit weg und werden noch durch das Literesse des Tags
verdunkelt.
6. Drei Bogen von Kunst und Alterthum sind gedruckt.
Hier mag eine Pause stehen. \'iel Stoff ist da, manches
schon geordnet und behandelt. K/icksliibls Brief theile
nächstens mit. Benehmen Sie Sich freundlich mit ihm, er
\'erdient's, ich schreib ihm auch noch im Laufe dieses
.Monats.
7. Die grosse Bewegung die unter Xazarenern und
Hellenen durch das 2^ Stück hervorgebracht worden,
giebt uns zu Ernst und Scherz köstliche Gelegenheit. Zuerst,
dächt' ich, w ärcn wir ganz stille, ja Hessen ein Stück vorüber-
gehen ohne der AnyeleiJenheit zu erwähnen. Darnach
282 NeUK MlTTHflLUNGEN.
hab' ich einen Einfall dem ich Ihren Beifall wünsche, und
den ich mündlich zu fernerm Nachdenken niittlieile.
(S. Die Abi^üsse der p;esLhnittenen Steine am Cölhier
Reliquienkasten wären dankbar anzunehmen und zu erforschen
ob man etwa Herrn Pick etwas freundliches erzeii^cn könnte.
Ich habe die Steine freilich ntn- be\- Kerzen-Grubenlicht
gesehen, wo sie nicht zu würdigen waren. Finden sich
keine Werke von grosseni Kunstwerth so ist doch vielleicht
manches historico-curiosum darunter. Eine Rennbahn z. B.
schien mir recht nett zu sevn.
9. Hiebey ein Vorschlag zur Medaillen-Inschrift. Ich
schickte sie Herrn von Voigt mit dem Zusatz: in gegen-
wärtigem Augenblicke ist es vielleicht den Umständen gemäss
auf die Zukunft hinzudeuten, da in so vielen protestantischen
Gemüthern die catholische Legende spuckt.
Den I Evangelischen i ins | Vierte Jahrhundert j segen-
reiche I Wirkung, i Weimar MDCCCXVII.
Von Ilu'em Befinden erbitte mir einige Nachricht.
G.
Die Briefe Nr. 7 und 26 sind theihveise von Riemer in
seinen Briefen von und an (roethe, S. 21 fg. S. 113 fg. 115
abgedruckt. Sie werden hier aufs Neue veröffentlicht, tlieils
um zu zeigen, in welcher Weise Riemer die ihm vorliegenden
Originale abkürzte (von dem ersten Briefe sind nur die beiden
Abschnitte : »Geben Sie doch ~ erzürnen werden« und »Was
Sie von — mag"s denn auch bleiben«, abgedruckt); theilsum
zu beweisen , mit Avelcher Willkür er bei der Herausgabe
schaltete. Der grosse Ab.schnitt nämlich S. 22. 23, den er dem
Fragment vom 22. Jan. 1796 anklebt, gehört als Schlu.ss zu
dem Brief vom 8. Febr. 1796, von dem er selbst S. 23 — 25
das Hauptstück mittheilt; den Brief vom 8. Juli 181 7 hat er
in 3 Theile zerrissen, gibt die 9 Anfangszeilen S 113 lässt
darnach S. 114 ganz ungehörig den 4 Schlusszeilen folgen,
mit einer Einschaltung und einer ungehörigen Auslassung,
druckt ein kleines Mittelstück (8 Druckzeilen) als neuen selb-
ständigen lirief an falscher Stelle ab (S. 115) und lässt den
Haupttheil des Briefes einfach fort. Die hier hervorgehobenen
41 Brihi-e von Goethe etc. 283
Heispiele gehören zu den argen, können al)cr dunh Dut/cndc
ähnlicher vermehrt werden.
\i\\. Wohli^cborcn
ersuche um nochmalii^'e Getallii^keit mir eine der Rcise-
beschreibungcn in die nordamerikanischen Staaten auf kur/c
Zeit /u überlassen, wobei es hauptsächlich auf eine Charte
dieses merkwürdigen Hrdstreichs angesehen^ ist. Das ernste
Studium des mir geneigt mitgetheilten Werkes macht mir
sehr viel Vergnügen, indem es über jene Zustände die
wichtigsten-' Aufschlüsse giebt. Dankbar mich /.u geneigtem
Andenken empfehlend
Jena, d. 15. Juni ergebenst
1818 Goethe
Adressat dieses Briefes ist jedenfalls einer der fenaischcn
BibHothekare, Prof. (aUdenapfel oder Dr. Waller! In den
Tag- und Jahresheften, in denen grade zu diesem fahre voi^
einer Aenderung und Umordnung der Jenaischen Bihliothek
ge.sprochen wird, findet sich keine Andeutung von dem Studium
amerikanischer Verhältnisse, welc;he dieser Brief voraussetzt.
Auch aus den Büchern der Jenaer Bibliothek kässt sich, wie
mi(h eine gütige Mittheikmg des Bibliothekars Hartenstein
belehrt, nicht feststellen, welches auf Amerika bezügliche
Werk Goethe vor dem 15. Juni studirt hatte und welches er
m Folge dieses Briefes erhielt. Vielleicht war das grosse
Interesse, welches Herzog Bernhard für Amerika an den Tag
legte und welches er durch seine 1825 unternommene Reise
' Ein Q.L;artblatt, blauliches Papier, nur /.um Theil beschrieben.
Die Unterschrift und eine Correctur (.\nm. 5) sind von (Joethe's Hand.
- \\'ohl Schreib- oder Hörfehler des Sciireibers für: o Erdstrichs
(Hrdstreichs) abgesehen«.
5 Die erste Silbe: »wicht« von Goethe's Hand corrigirt ; dictirt
und geschrieben war: »merkwürdig-sten«.
284 NtUK MlTTHEILUNGLN.
hethätigte. Veranlassung dazu, dass auch Goethe dem fernen
und fremden W'elttlieil Aufmerksamkeit zuwandte.
28.
(All ßlmiwiillml. ' 10. April iSn).)
\'orl;uifig, mein wcrthcstcr Herr, will ich Lingcsiiunu
zu erkennen geben, dass Ihr Schreiben vom 31 März bei
mir eingegangen und mir viel Freude gemacht hat. Nur
bin ich gegenwärtig nach vielen Seiten hin dergestalt
beschäftigt, dass es mir unmöglich lallt, meine Gedanken
gerade auf diesen Punkt zu richten. Doch werde ich, inn
Ihnen einigermassen entgegenzukommen, dasCapitel unseres
Real-Catalogs, deutsche Dichter enthaltend, die in lateinischer
Sprache gedichtet, für Sie abschreiben ' lassen und baldigst
übersenden; indessen gibt es ja auch \vohl Raum über das
Geschäft selbst und dessen \vünschens\verthe Führung
Einiges mitzutheilen. Fahren Sie in der löblichen Arbeit
fort, deren Resultat kein anderes sevn wird, als dass der
Deutsche auch in fremden Formen und Sprachen sich selbst
gleich bleibt, seinem Character und Talent überall Ehre
macht.
Mit den aufrichtigsten \\'ünschen
Weimar d. 10 Apr. ergebenst
18 19. Goethe.
29.
(All ßliniu'iilhal. ' 21^. Mai iSiij.)
Hierbei erfolgt das \ersprochene ^'er/eichniss der auf
hiesiger Bibliothek befindlichen Werke, welche be^• Ihrer
^ 2 Q.uartscitcn bescliricbcn . diLtirt, nur Unterschritt cigcnhandii;.
^ ))zii(( ausgestriclicn.
' Grosses duartblatt, ■; Seiten beschrieben, dictirt, nur Untersclirift
eigenhändig.
41 Briei-e von Goethe etc. 285
Arbeil interessant se\n könnten ; ist die Brcslauischc reicher,
SD /eii^en Sie mir es gefalligst an. Umstände erlauben
mir nicht gegenwärtig wie ich \\ ünschte aut Ihr Geschäft
meine Gedanken /ii richten; nur so \iel sage ich:
Die chronolügische Betrachtung und Ordnung geht
allen anderen vor. Denn wie sich die lateinische Sprache
din-ch /ufälliges, dann vorset/liches PfaHenverderbniss in
die ronianische verlor und die südwestlichen N'ölker mit
einer solchen X'erkindischung sich begnügen mussten; so
war Nichts natürlicher, als dass begabte freiere Geister
\on der aLisgearbeiteten absurden Tochter wieder zur hohen
Mutter zurückkehrten.
Eben so musste sich der Deutsche aus einem Mönchisch
barbarischen Druck erst in seine eigene natürliche Liebens-
würdigkeit, daini aber mit entschiedenem Geschmacks-
bedürtniss gegen die lateinische Sprache wenden.
Damit aber auch ich xon Ihren Untersuchungen \'or-
theil ziehe, so geben Sie mir gegen das alphabetische
X'erzeichniss ein chronologisches zurück. Die frühesten
Dichtungen gegenwärtigen \'erzeichnisses sind aus der
zweiten Hälfte des Sechszehnten Jahrhunderts; nui' Sebastian
l^randt erscheint am linde des Fünfzehnten; hier begegnen
und kreuzen sich die derbere deutsche und die zartere
lateinische Dichtkunst. ]'a deosculatae sunt, wie zwei
\erwandte Tugenden, kann man wohl ausrufen, beiliegendes
(jedicht in der Hand und dessen \'eranlassung bedenkend.
Ferner möchte ich Sie ermahnen, dass, wenn Sie die
Dichter chronologisch darstellen, Sie alsdann einen jeden
nach seinem eigenthümlichen Character schildern; daraus
folgt schon, wie lukI was er gedichtet hat. Fassen Sie
sich ja nicht aut die Rubriken ein, wornach man <//V Si'höiicii
Rcch'kftrslc zu sondern und zu ordnen pflegt. Auf Ihrem
Felde werden Sie ohnehin unter allen äusseren Formen
mmer nur elegische und didactische Gesinnungen finden.
286 Neue Mitihhillngen.
Im Nachtrag 7.u meinem Divan habe ich mich hierüber,
zwar sehr kurz, aber zu Ihrem Zweck hinlänyUch, erklärt.
Metrische deutsche Übersetzungen zu versuchen, kt)nnen
Sie nicht umgehen. Möge docli an Ihrer Hand kiteinische
und deutsche Poesie zu Anfange des Neunzehnten Jahr-
hunderts abermals sich begegnen, wobei erhellen wird,
wie sehr in Dreihundert Jahren unsere Sprache sich aus-
gebildet, um auf ihre Weise auszudrücken, was wir bei
und an den Alten so höchlich bewundern.
Nun noch ein Wort von der neuern Teutschthümlichkeit.
Die Menschen in Masse werden von jeher nur verbunden
durch \'orurtheile und aufgeregt durch Leidenschaften;
selbst der beste Zweck wird somit immer getrübt und ott
verschoben; aber demohngeachtet wird das Trefflichste
gewirkt, wenn auch nicht im Angenblick, doch in der
Folge, wenn nicht unmittelbar doch veranlasst. Und so
werden Sie erleben, dass Werth und Würde unserer Ahn-
herrn ' rein und schön aus der eigenen Sprache hervor-
treten; denn es ist wahr, was Gott im Koran sagt: Wir
haben keinem A'olk einen Propheten geschickt, als in seiner
Sprache ! Und so sind denn die Deutschen erst ein \'olk
durch Luthern geworden. Lassen Sie sich aber durch
alles dies in Ihrem eigensten Geschäfte nicht irren, denn
man kennt die Eigenthümlichkeit einer Nation erst alsdann,
wenn man sieht wie sie sich auswärts beträgt. So weit
für diesmal. Mit den besten Wünschen und Hoffnungen
für Ihr Unternehmen
Weimar d. 28. Mav Goethe
1819.
Brief 28 und 29 sind der Schimmelpfennig'schen Auto-
graphensammlung entnommen. Eine Adresse findet sich bei
' Der Schreiber hatte: »Anherrn« s^esclirieben.
41 Brihfü von Goethe etc. 287
l)eiden Briefen nicht, doch liegt ein Blatt bei denselben,
unterz. Blumenthal. Berlin 1864 und wahrscheinlich für den
frilliern Besitzer der Handschriften v. Stram])f bestimmt, des
Inlialts, dass diese Briefe von Cioethe an den Unterzeichner, der
damals in Breslau studirt habe, gerichtet seien. Es ist mir
indessen nicht gelungen, über Lebensverhältnisse und literarische
Thätigkeit des Adressaten irgend etwas zu ermitteln.
SO.
(Au ? ' 10. Mai 1S20.)
F,\v. Hochwohlgeb.
darf mit wahrer Zufriedenheit vermelden, : dass ich
den 29'!" vorigen Monats in Carlsbad eingetroffen und micii
von den seitherigen Cur-Tagen sclion sehr zu einem besseren
Behnden gefördert fiihle. Ich hatte vorher Marienbad
besucht, eine Anstalt, welche allen denen die dazu mit-
wirken Ehre macht. Nun verfehle nicht, als ein zeitiger
Staats-Bürger der Monarchin Hochdieselben aufs freund-
lichste zu begrü.ssen, um mir fernere gefälHge Thcilnahme
zu erbitten. Ew. Hochwohlgeb. botanische Sendung an
Gegenständen und Beziehungen, ist indessen in Weimar
glücklich angelangt und von meinem beauftragten Sohne
sogleich Serenissimo, zu höchstem Wohlgefallen übergeben
worden.
Das mir und allen Naturfreunden so werthe Heft die
brasilianische Expedition betreffend, ist nicht etwa unbe-
achtet geblieben; eine Anzeige davon in der A. L. Z. konnte
nicht abwarten, der Redaktciu' jedoch wird sich es zur
Pflicht rechnen, sie ungesäumt zu übersenden. Darf ich
nun, wie gewöhnlich noch eine Bitte hinzufügen, so wäre
es folgende: Im Pilsner Kreise, zwischen Harchowiz und
' Nach einer Absclirift. Gcliört in Goctlie's Witiirwissenschaft-
iiclie Korrespondenz.
Neue Mittheilungen.
Radniz, auf einer Herrschaft des Herrn Grafen Sternberg,
hat sich ein merkwürdiger verkohlter Urwald gefunden,
es sey von Fahnen, colossalen Farnkräutern oder gar
Casuarinen, wovon Hochdenselhen gewiss schon das nähere
bekannt ist. Der freundhche Doktor Heidler in Marienbad
versprach mir davon zu \-erschallen ; allein ich bin über-
zeugt, dass ein N'orschreiben \on Fw. Hochwohlgeb. .\n
dortige Behörden wohl am ersten bewirken müsse, dass
mir einige instrukti\e Stücke nach Weimar gesendet würden.
Allenfalls mit der fahrenden Fost unter meiner Adresse.
Ich nehme mir um desto eher die Freiheit zu dieser Bitte,
als die Nachricht vor diesem Natur- Phänomen meinen
gnädigsten Herrn gar sehr interessirt, so dass Höchst-
dieselben, halb scherz- halb ernsthaft, bevni Abschiede
mich aufmunterten : da ich doch einmal so nahe sev, noch
vollends hinzugehen, um gründlichen Rapport abzustatten;
welches denn trevlich mit meinem Alter und Befinden
nicht vereinbar gewesen. \'or meiner Abreise nehme mir
die Freiheit ein Kistchen iMineralien zu übersenden, welche
diese Tage gewonnen. Gegen Schlackenwerth zu hat der
Ghausseebau einen Hügel autgeschlossen, v\-o sich schöne
und manigfaltige Pseudovulkanische Produkte sammeln
Hessen. Auch sprengen die Garlsbader, ihren Neben und
Hinterhäusern Kaum zu gewinnen manche Felsen. Hiebe\-
wird jene merkwürdige Granitabweichung, welche ver-
schiedene Arten des Hornsteins enthält, woraus der ganze
Schlossberg , nicht weniger der Bernhardstelsen besteht,
wieder Irisch aulgeschlossen und bietet schöne Stuten
dar. Vor dem 27' dieses würde mich ein treundliches
Wort von Ihrer Seite hier antreten und höchlich er-
treuen.
Garlsbad gehorsamster
d 10 Mav i(S2o. j W. Goethe
41 Briefe von Goethe etc. 289
An denselben Adressaten ist nachstehendes gleichfalls nach
einer Abschrift mitgotheilte Schreiben des Grossherzogs Karl
August vom 2S Apr. 1820 gerichtet.
1{\\. H()clnvi)hl_ueb.
gütige, frcundschaftl. X'orsorgc hat mir alles verschaft
was ich in meinen Ict/.ten Briete, als Wunsch gegen Sie
ausdrückte, theils durch die Post , unter x\l. v. Goethens
Adresse, theils durch einen Courier den mir M. v. Feilsch von
Wien aus sendete. \'erzeih'n Sie dass ich Ihnen und H. v.Ja-
quin dem ich mich dankbar empfehle, beschwerl. gefallen bin.
Alle Paquete kamen durch die obenbenannten zweyerley
Gelegenheiten, am 26. dieses \vohlbehalten und unversehrt
hier aji. Goethe ist vorigen Sonntag schon nacli dem Carls-
bade abgereiset, woselbst er jährl. einen neuen vorrath von
Gesundheit einzusamlen pflegt, indem das dortige wohl-
thätige Wasser, aus ihm wegführt, was im laufe des Jahres
ihn plagt. Da er den Neubrunnen dorten, immer im Bette
liegend, zu trinken pflegt, so braucht er sich nicht vor die
rauhe frühjahrszeit zu fürchten u. er geniesst zugleich der
freyen Einsamkeit daselbst.
Beil. Blättchen ist aus H. v. Jaquin's gütigen Aufsatze
copirt, u. bedeutet so viel, als dass es mich ausserordentl.
freuen würde, wenn die Saamen der in selbigen benahnten
pflanzen in meinem Besitz sich verfügen wollten, entweder
die Saamen oder die pflanzen selbst.
Das Exemplar der Cosuar. Equ. Sol. aus E. v. Jaquins
Samlung od. herbario ist von einer art dieses Geschlechtes
das ich nicht besitze. Aus England wurde uns schon
geschrieben, dass unser grosse Cosuar. die im Lande steht
und gedeyet, nicht die Equist. Sol. seye, sondern eine
andere die ihnen in England nicht recht bekannt ist. Die
zufällige Cultur dergl. tropischen pflanzen in unsern Clima
bewirkt, dass von einerley Geschlechte bei dem schönsten
Goethe-Jaiirblch II. I9
290 \HLt iMrriHUILLNGliN.
Wetter u Boden einander nicht wieder erkennen. Aus
llnij}. ist mir eine Cosiuir. pflanze und deren Saanien gesendet
worden die platterdini^s das Wiirmehaus verlangt, wärend
das meinem Hxempl. ein parr grade Kälte-frost nicht schaden.
Die Zinke Biloba welche ich in Gotha suchte, ist leider
von dorten verschwunden ; der Garten in welchem sie sich
befand, ist mehrmahlen an gemeine Leute verkauft, und
bei diesen Veränderungen ist alles überflüssige darin aus-
gerottet worden.
Was die Erdarten anbetrifl't, so muss ich Hw. Hoch-
wohlgeb. mit der Absicht bekannt machen , warum ich
Ihnen welche abgebettelt habe; sie ist folgende.
Ein gewisser Cushing in oder bei London hat ein
Werkchen über Erdarten herausgegeben, welches für Gärtner
\'erdienste hat, welche in England die Erden unter den
Xahmen zu finden wissen unter welchen sie Gushing
angiebt; G. S in sonst dieser oder jener Gom. X. e. gedeyen
diente od. jene tropische Pflanzen, diese anweisungen sind,
sie werden mir es gestehen, etwas gar zu Empierisch; ich
bin daher auf den Gedanken gerathen, eine menge ]-!rdarten
zu sammlen u. sie chymisch zerlegen zu lassen, welche
der Cultur tropischer Pflanzen zuträgl. oder schädlich, ja
sogar tödtend sind.
Geräth dieses unternehmen nur einiger massen, so kann
es zu weitern Untersuchungen u. die phisiologie der pflanzen
auf chymischen wege geleitet, zu neuen ansichten führen.
Unser wissen ist Stückwerk u. so auch unser beginnen.
Da ich mehrerle\- \\'erke die H. v. Jaquin's W. u. d.
besitze da unterrichtet mich die empfangene Liste von dem,
was mir fehlt; und um mich zu complettiren, werde ich
ehestens wieder bittend auftreten.
Leben Sie recht wohl und erhalten mir Ihi'e j-reund-
schaft
Garl .\uüust.
41 Briefe von Goethe etc. 291
Unter dem Adressaten sowohl des Briefes von Carl August
als des Goethe'sihen vom 10. Mai 1820 vermuthe ich den CIrafen
Auersperg. Besitzer mehrerer Grafschaften, Geheimen Rath
und Präsidenten, den Goethe, im August 1822 auf seinem
Schlosse in Hartenherg besuchte (S. Hemj^el 27, i. S. 342
und das Namenregister da/u").
fjii Schöne' ;. DL^cmbcr 1S21.)
l-w W'ohlgcb.
verfehle niclit an/.uzcii,'en dass das schon lani^c in
meinem Gewahrsam sich befindende Maniiscript gestern
mit dem Postwagen ab^egan^cn ; ich fühle mich darüber
mit mir selbst enzweyt, denn indem ich Ihre Bemühungen
zu schätzen alle Ursache fand, so war es mir doch nicht
möglich mich darüber vernehmen zu lassen. Ich hatte
müssen meine Intentionen orten hinlegen und sie alsdann
mit den Ihrigen vergleichen, weil ich aber meine Absichten
bisher immer geheim gehalten und mich nicht entschliessen
konnte, gegenwärtig damit hervorzutreten , so blieb das
Manuscript liegen , ja sogar die Ankunft unangezeigt.
\'erzeihen Sie einem für meine Jahre überdrängten Zustande,
nehmen Sie meinen Dank für den Antheil :\n meinen
Arbeiten und bleiben meiner xorzüglichen HochaclitLmg
versichert.
Hrgebenst
Weimar JW'v Goethe,
den 3 Decbr
1821.
' Quartblatt, die zwei Seiten beschrieben, Untersclirift eigenliiindig.
Auch das Couvert ist erhalten mit der vom Schreiber geschriebenen
Adresse: »Des Hn. Hofrath Scliönc Wohlgeb. nach Stralsund, fco.
Hamburg«. Auf der Rückseite das sehr wohl erhaltene Siegel Goethe's
mit dessen eigenhändiger L'eberschrift: »] W v G.« Dur Brief befindet
sich im Besitze des Hn. A. Spitta (R. Zeuiies .\ntiquariatj in Berlin.
292 Neuh Mittheilungen.
Der Adressat, Karl Chr. Ludwig Schöne, ist nach (ioedeke,
(Irundriss III, S. 159, in Hildesheim, 10. Febr. 1779, geboren,
war ursprünglich zum Maler bestimmt, studirte aber Medicin,
wurde 18 13 Direktor des Militärlazareths in Colberg, später
Arzt und Hofrath in Stralsund. Trotz dieses veränderten
Berufes Hess er von seinen künstlerischen Neigungen nicht
ab, vier Dramen aus den Jahren 1809-1823 sind Zeugnisse
von seiner grossen Lust, aber zugleich auch von seiner geringen
Fähigkeit. Der Anfang und der Schluss seiner dichterischen
Thätigkeit werden durch Faustdramen bezeichnet. Sein erstes
Drama erschien u. d. 'F. : »P'aust. Eine romantische Tragödie.
Berlin 1809«, mit einer Widmung an die berühmten Aerzte
Welper und Hufeland. Er erhielt, wie er selbst bekennt, durch
Klinger's gleichnamigen Roman , die Idee , sein Drama zu
bearbeiten. »Im ersten Akte bin ich mehreren seiner schönen
Ideen, aber schon vom Ende des ersten Akts bin ich einem
eigenen Plane gefolgt«. Das Drama ist ein schwächliches
Produkt, platte, prosaische Ausdrucksweise, armselige Erfindung.
Faust wird mit Fust, dem JMiterfinder der Buchdruckerkunst
zusammengestellt. Er reisst sich von seiner Frau Johanna,
seinen Kindern Friedrich und Albert, seinem Vater r^Iartin
los, um mit Leviathan, dem Teufel, der ihm Macht. Gold und
schöne Frauen versprochen, in die Welt zu ziehn. Er erscheint
an dem Hofe des Kaisers Friedrich III, von dem und dessen
Kanzler Heribert er freundlich aufgenommen wird. Dadurch
erregt er den Hass des päpstlichen Gesandten Innocenz und
des von diesem beherrschten ehrgeizigen Grafen Berthold.
Dieser, der durch Vermittlung des päpstlichen Gesandten die
Liebe der schonen Mathilde, der zweiten Frau Heriberts geniesst
— während Faust im Besitze der Kunegunde, Heriberts Tochter
aus erster Ehe schwelgt — , wird von Innocenz verleitet, den
Faust zu erdolchen, verfehlt ihn, es kommt zum Kampf, Faust
wird von Trabanten ergriffen , und trotz seiner U^nschulds-
betheuerungen auf Grund verleumderischer Aussagen der Mord-
gesellen in Haft genominen; auch Heribert, durch ein von
seinem verrätherischen Weibe preisgegebenes diplomatisches
(ieheimniss blosgestellt, kommt ins Gefängniss. Dort stirbt
er, aus Schmerz über den Tod seiner Tochter, die sich ver-
giftet, da sie die Gefangennahme ihres Geliebten erfährt; Faust,
der nun gänzlich reuevoll und verzweifelt ist, entflieht mit
Hilfe seines teuflischen Genossen. Dieser beschliesst das Ganze
mit einer Rede, in welcher er mittheilt, Innocenz sei Cardinal
geworden, lierthold Kanzler, so triumphire das Böse, da-
gegen zeige sicli auch che Bestrafung des Bösen m dem
41 Briefe von Goethe etc. 293
Wahnsinn, weU'her Mathilde, die Verratlierin hefallen hahe
und endet :
() .Menschen! schwache (Geister dieser Erde I
Restraft seid ihr durch eigen That und \Villen.
Drum hadert nicht mit einem e\v"gen (xeist
U'enn ihr ihn nicht erkennet und begreift -
Denn dunkel sind die Plane ew'ger Macht I —
— Vollendet ist der böse Weg der Erde !
Drum fahr hinab! dass dir der Lohn jetzt werde.
(Er reisst Faust in seine Armen, Beide versinken in Flammen.)
Von der Aufnahme des Stückes weiss ich nichts. Da
Schöne in dem Vorwort sagt : »Die Aufnahme meines Faust
wird mich bestimmen, mehrere schon vollendete Arbeiten der
Welt zu übergeben und meine Kräfte ferner im tragischen
Fache zu versuchen« und wirklich noch drei Dramen: »(Gustav
Adolfs Tod«, »Die Macht der Deidenschaft« und »Faust 2. Theil«
veröffentlicht hat, so muss es doch Leute gegeben haben, die
ihn lobten.
Vielleicht wurde er durch derartige Urtheile auch zur
Fortsetzung seines Faust veranlasst. Ueber den Inhalt dieses
»zweiten Theils« hat Enslin in seiner jüngst erschienenen Arbeit
(s. die Bibliographie) in dankenswerther Weise berichtet (dass
Schöne seine Schrift durch Zelters Vermittlung an Goethe
sandte, wie dort S. 61 gesagt wird, ist schwerlich richtig); es
lohnt nicht der Mühe näher auf den Inhalt des wunderlichen
Opus einzugehn.
Diese Fortsetzung des Faust nun gab zu vorstehendem
Briefe Veranlassung. Man wusste aus Goethe's Briefwechsel
mit Zelter, dass Ersterer das wunderliche Werk im Manuscript
erhalten hatte. Auf eine Bemerkung Zelters nämlich (22. No-
vember 1822, III, 275), der den im Druck erschienenen Faust
gelesen hatte, erwiderte Goethe (14. Dec. S. 279): »Herr
Schöne hatte mir sein Manuscript geschickt, ich sah nur hie
und da hinein: es ist wunderlich, dass ein sinniger Mensch das
für Fortsetzung halten kann, was nur Wiederholung ist, das
Hauptunglück aber bleibt, dass sie haben in Prosa und in
Versen schreiben lernen, und damit, meinen sie, wäre es gethan«.
Diese Worte bilden für unsern Brief den besten Commentar;
der Empfänger aber merkte die leicht erkennbare Ironie nicht,
sondern nahm die Höflichkeitsworte für Ernst und Hess daher
seiner grossen poetischen Widmung an Goethe, welche er seinem
294 Neue Mittheilungen.
Werke voranges(hi(-kt liatte. eine zweite poetische Epistel
folgen, des Wortlauts:
An Herrn Non Ooethe. nac hdem ich seine Antwort auf
meine Zusendung erhalten hatte.
Du würdigtest des Schülers Werk zu lesen,
Dein Beifall, Meister! wurde mir zu Theil :
»Veranlassung ist Dir mein Faust gewesen,
»Zu schätzen mein Bemühn« — welch süsses Heil !
Dein Wort macht mich von banger Furcht genesen,
Um keinen Preis ist mir Dein Lehrbrief feil.
So mag mein Lied nun weit umher erklingen,
Der Deutschen (lunst wie Deine sich erringen.
Man sieht, Schöne hat einen Satz unseres Briefes redlich
in Verse gebracht.
32.
(Jn Laos.' 12. Januar 1S2}.)
E\v Wohlgeb.
erhalten hicbev die schuldigen Zwölf Thaler mit vielem
Danke dass Sie mir die schöne Medaillen sobald übersenden
wollen. Lassen Sie mich ferner von dem was unter Ihrer
Anleitung geschieht von Zeit /u Zeit etwas Angenehmes
erfahren. Auf eine Rückseite zu meinem I^ilde habe ich
auch schon gedacht. Nahes und Fernes ist mir im Kunst-
fache gleich angelegen, senden Sie mir einen Probedruck
so überlege ich ob es passen möge, denn Alles schickt
sich nicht zti Allem. Die wunderliche Capelle aut dem
Schlosse zu ]:ger habe ich oft gesehen, aber da ich in
diesem Felde niemals gearbeitet, so konnte kein Urtheil
bei mir feststellen ; doch scheint mir Ihre Ansicht dieser
Dinge so plausibel ^ dass ich ihr gern be\treten möchte.
' Vgl. unten Nr. 57.
- Im Orio:iiial nicht recht deutlich.
41 Brieke von Goethe etc. 293
Bev allen solchen ' Vorkommnissen ist gewiss so viel Will-
kiihrliches und Zutiilliges cUiss wir wohlthun nicht überall
Bedeutung zu wittern.
Möge alles bis /um gehoti'ten glücklichen Wiedersehn
bestens gelingen
Hochachtungsvoll ergebenst
Weimar den 12. jenner 1823 JW v Goethe
))•
(J)i Loos.^ 2). September 1S2).)
Ew Wohlgeb
verzeihen wenn ich eine Antwort aut Ihr wenhes
Schreiben bis jetzt verzögert und im gegenwärtigen Augen-
blick auch nur im Allgemeinen dankend um abermalige
Sendung von Vierundzwanzig Medaillen wie die vorjährige
war, wo die Zeil das Verdienst hervorhebt, mit wenigem
bitte. Es ist aber nicht nöthig dass sie alle von gleichem
Schlage seyen, sondern es könnten auch andere, die nur
irgend auf G/z/f/o und Gelingen hindeuten hinzugefügt werden.
Sodann wünscht ich eine grössere auf Eheverbindnng auch
dass sie sämtlich in Kästchen gelegt möchten ankommen.
Von meinem diesjährigen Wohlbefinden in den böhmischen
Bädern kann ich nicht genug Gutes sagen ; leider konnte
ich nicht persönlich hievon Zeugniss geben. Eiligst. Das
Weitere mir vorbehaltend
Weimar ergebenst
den 23 Sept. JW v Goethe
1823.
' Im Original: sollen.
^ Vgl. unten Nr. 57.
296 NlX'E MlTTliniLUKGEX.
Die beiden von Goethe angedeuteten Münzen sind wohl :
I. die bei Schurhardt: Goethe's Kunstsammlungen Bd. II.,
Nr. 1582 angeführte: »Medaille mit einem Kalender auf der
einen Seite, auf der andern mit einem Phönix, welcher aus
einer Flamme emporsteigt, mit einer Landschaft«. Exergue :
»Wunsch für 1823: Pfeiffer (ec. Loos dir.« und 2. die a. a. O.
Nr. 1605 beschriebene: »Glück der Ehe: Hymen legt einen
Kranz auf einen Altar, Loos fec.« Rückseite: Inschrift auf
eine glückliche Ehe.
34-
(^A)i V. Miiiirh-Bt'lliiii^l.Hinscii.'' i. Februar iSij.)
Hochwohlgchohrncr I'i'cvhcrr
Hochzuverchrendcr Herr.
H\v. Hxzcll. vergönnen nacli gewohnter Güte, womit
Sie so manchen Geschäfts-Antrag aufnehmen, und erwägen,
auch dem gegenwärtigen geneigte Aufmerksamkeit.
In der Lage in der ich mich betindc, im hohen Alter
eine neue Ausgabe meiner sämmtlichen Werke zu besorgen,
musste freylich bedacht werden wie die literarischen Erzeug-
nisse meines ganzen vergangenen Lebens und zugleich diese
lezten, nicht geringen Bemühungen mir und den Meinigen
oekonomiscii zu Gute kommen möchten.
Dabe\- that sich denn die Frage hervor: ob nicht von
der hohen BulKles-^'ersammlung ein Privilegium tür diese
neue Ausgabe, auf geziemendes Ansuchen zu erhalten wäre ?
Ein Gedanke der sich auf die Voraussezung stüzt : dass
die Höchsten Herren Herrscher und Gewalthaber dasjenige
was Höchst Sie sonst einzeln verliehen auch jezt wohl
vereint zu gewähren, und so einen Akt verbündeter Sou-
verainitat auszuüben geneigt seyn möchten.
Um nun aber, im Falle eines möglichen Ablchnens
aller Beschämung zu entgehen und mich im Stillen zu
' Oritrina! in Wien eigenh. vy;!. oben Xr. 16.
41 Briuil von GoETiit; etc. 297
beruhigen, wendete micli in elirfiirchtsvollem \\'rtr:uicn an
Ihro des Herren Fürsten Metternich Durchl. da ich von
Höchstdenenselben, mehrere Jahre her vorzüghche Gnade
und Bet^ünstigung erfahren. Ich überreichte ein an die hohe
Bundes-Versammhmg zu richtendes Schreiben, gnädigster
fernerer Leitung besclieidenthch entgegen sehend.
Nun hab ich aber zu vernehmen dass dieser von mir
gewagte Schritt günstigst aufgenommen und eine Beförderung
meines Schreibens an die holie ^'crsammh^lg gnädigst
beschlossen worden.
Meine Schuldigkeit ist es nunmehr, da eine für mich
so wichtige Sache zuförderst in Ew. Exzell. Hände gelangt
und dero Geneigtheit ein glücklicher Ausgang anheim
gegeben ist, desfalls schuldige Anzeige zu thun und die
weitere Leitung Ihrer kräftigen Einwirkung geziemend zu
empfehlen.
Möge die Bedeutsamkeit, welche dieses Anliegen für
mich haben muss, Ew. Exzell, bev weiter Umsicht und
genauster Kenntniss, auch für das Ganze betrachtenswerth
erscheinen, indem sich denn doch dadurch ein wichtiger
Einfluss auf deutsche Literatur für die Zukunft vorbereiten
dürfte.
Und so bleibt mir nur der Wunsch noch übrig: das
fruchtbare Wohlwollen, wodurch deutsche Herrscher und
Geschäftsmänner mich seit mehreren Jahren beglückt, auch
zu meinen Gunsten bey Ew. Exzell entwickelt zu sehen,
und des wichtigen \'orzugs: in späten Jahren neue Gönner
zu gewinnen auch in diesem Falle abermals dankbar
erfreuen zu können.
Hochachtungsvoll
Ew Exzellenz
Weimar gehorsamster Diener
d I Febr 1825. JW v Goethe.
29<S NeCI-; MlTTHKILUNGEN.
Das vorliegende Schreiben Goethe's ist an den Freiherrn
von Münch-Eellinghausen, damaligen Oesterreichischen Bundes-
tagsgesandten und Vorsitzenden der Bundesversammlung zu
Frankfurt gerichtet. Dass Goethe in der Privilegienangelegen-
heit seiner Werke zweimal an diesen geschrieben, wussten wir
bereits aus seinem am 22. Juli 1825 an den Grafen von Beust
gerichteten Brief (Grenzboten 1874, Nr. ^;^, S. 265): «und
darf nicht unbemerkt lassen, dass ich von des Freyherrn Herrn
von MUnch-Bellinghausen Exe. auf zwey Schreiben, eins nach
Wien, das andere nach Frankfurt am Mayn, noch mit keiner
Antwort beehrt worden bin«. Der vorliegende Brief wird der
nach Wien abgegangene sein. Der Antrag an die Bundes-
versammlung wird damit zusammen expedirt worden sein.
An Fürst Metternich hatte Goethe bereits am 1 1. Januar 1825
(gedruckt: Wiener Zeitung 1870 Nr. 133: Frankfurter Didas-
kalia 1870 Nr. 168) geschrieben.
35-
(An HoJ'ra/h Slark.' j. November iS2j.)
Ew. Wohlgcb.
danke verbindlichst, dass Sie mir Gelegenheit gegeben,
mich der angenehmsten und fruchtreichsten Tage meines
Lebens zu erinnern : indem ich zugleich das besprochene
Heft übersende, und wünsche dass es sicli schicken möge,
Ihr einsichtiges Urtheil darüber zu vernehmen. Im All-
gemeinen hat man immer Ursache sich eines solchen
Gesprächs zu enthalten da man gewöhnlich niu" Enthusiasten
und Widersacher antrifft.
■ Im Besitz von Frau Hofrath Stark in Picidclborg, aus dem
Xaclilass ilircs Gatten, des Sohnes des Adressaten. Der Brief ist oline
Adresse. Die Unterschrift von »Ew« an eigenhändig. Unter dem
übersandten Hefte ist wol entweder das zweite Heft des /.weiten
Bandes «Zur Naturwissenschaft« oder das den 2. .\ufsat/. »Zur ver-
i^leichenden Osteologie« enthaltende der Verliandlungen der Leopoldi-
nisch-CaroliniscIien Akademie gemeint.
41 Briefe von Goethe etc. 299
Mit Jen besten Wünschen mich unterzeichnend
H\v Wo hl geb.
ergebenste;/ Diener
Weimar den 5'';" November ) W v Goethe.
1825.
)^-
(Au Laos.' 2;. Mär- 1S26.)
Aus Ew. Wohlgeb. Offizin sind schon manclie schöne
Medaillen hervorgegangen, aber ich weis nicht ob ich mich
irre wenn ich die mir gefällig gewidmete für besonders
vorzüglich halte. Nehmen Sie dafür meinen lebhaftesten
Dank und entrichten solchen gefällig, mich vielmals em-
ptehlend denen Herren Levezow und König, tür ihren
sorgfältigen Antheil.
Ersteren hätte ich wohl bev seiner Durchreise zu
sprechen gewünscht ; dergleichen Gelegenheit sollte man
nicht versäumen. Persönliche Bekanntschaft ist der (irund
zu allen wahren Verhältnissen und so treue ich mich noch
immer Ihnen und den werthcn Ihrigen an merkwürdiger
Stelle begegnet zu sevn. Erhalten Sie mir sämmtlich ein
wohlwollendes Andenken ! Ew. Wohlgeb. ergebenster Diener
Weimar den 23 März J. W v Goethe
1826
■)/•
(All Laos. 24. Februar 1S2J.)
Ew. Wohlgeb.
sage zuvörderst den allerschönsten Dank für die ge-
fällige Mittheilung der neusten aus Ihrer Offizin hervor-
' Vgl. unten Nr. 57.
^00 Neue Mittheillngen.
gegangenen Medaillen ; die grösste Genauigkeit des Stempels
und die vollkommen sichere Prägung gereicht Ihnen '
durchaus zur entschiedensten lünptehhmg. Desto unan-
genehmer aber ist mir aussprechen /u müssen dass ich
Ihren Wünschen mich zu fügen auf keine Weise im Stande
bin ; die Ausgabe meiner sämmtlichen Schritten legt mir
die ernsteste Verpflichtung aut und ich darf mich weder
rechts noch links umsehen, wenn ich einigermassen meiner
Schuldigkeit nachkommen will. Ausserdem kann ich mich
folgereicher seit vielen Jahren übernommenen Geschäfte
nicht entschlagen und nun kommen seit den letzten Wochen
so viele und angenehme gesellige Feste hinzu, deren Ein-
wirkung ich sogar in meiner Einsiedelev empfinde. \'er-
zeihen Sie daher wenn ich jede Einwirkung ablehne; denn
selbst ein Geschäft wie das wozu Sie mich auffordern,
das wohl als nebenher zu verrichten geeignet schiene, ist
bedeutender als maii glaubt, es gehört Müsse und Glück
dazu um das Schickliche zu finden.
Die Rückseite meiner Medaille ist Herrn Levezow
sehr gut gerathen; sollte derselbe nicht auch diesmal sein
schönes Talent bethätigen mögen?
Mich auf alle Weise geneigtem Andenken emptehlend
l^w. Hochwohlgeb.
Weimar d. 24 Febr. gehorsamster Diener
1827 JW v. Goethe
Die Briefe, Nr. 32, ;^t,, 36, 37 an den General-Münz-
Director Loos in Berlin gerichtet, sind nach Abschriften abge-
druckt, welche der Besitzer der Originale, Hr. A. Spitta in
Berhn angefertigt und 1878 an Hn. Dr. H. Uhde geschickt hat.
' Im Original irrthümlicli kloin geschrieben. Gemeint ist wo)
eine Gocthe'sche; von der G. an Zelter (2. Jan. 1827) schreibt: »Nächstens
sende an Doris eine Anzahl Medaillen mit .\drossen versehene. G. m.
Z. IV., 234 vgl. 2H'. 243.
41 Briefe von Goethe etc. 301
Gottfried Bernhard Loos geb. 6. Aug. 1774 zu Berlin,
seit 1S06 Mün/meister, 181 2 Begründer einer >ledaillenmiln/-
anstalt daselbst, starb 29. Juli 1843.
Schon im J. 1804 wurde (ioethe auf Laos, freilich mehr
den Vater. (Daniel Friedrich, 1735 — 1819) hingewiesen, (ioethe
beabsichtigte nämlich, durch Vermitthmg Wilhelms \on Hum-
boldt von dem römischen Künstler Mercandetti eine Medaille
auf den Erzkanzler Dalberg prägen zu lassen, und erhielt von
Humboldt eine Antwort in welcher dieser Bedenken über
Merc's Künstlerschaft äussert, Pariser Medaillen rühmt und
fortfährt : » Ob Abramson oder Loos in Berlin gleich gut
arbeiten, weiss ich nicht. Aber die Nähe wäre, schon bei
gleicher Güte, ein Vortheil« '. Crleichwol scheint Goethe
mit dem Berliner Künstler nicht in Verbindung getreten zu
sein ; eine solche wurde vielmehr erst durch persönli<he Bekannt-
schaft angebahnt. In dem Aufsatz : »Notirtes und Gesammeltes
auf der Reise vom 16. Juni bis zum 29. Aug. 1822« zuerst
gedruckt, Werke, Hempel, 27, i, S. 340 — 351 heisst es zum
7. Aug. S. 344: »Generalmünzwardein Loos, der Sohn, Non
Berhn, seiner eigenen, vom verstorbenen Vater überkommenen
Medaillenfabrikation erwähnend , Freund der Mineralogie.
Studien der Münzen des Mittelalters verfolgend«.
Bei dieser Zusammenkunft mag dann auch die Bestellung
erfolgt sein, von deren richtiger Ausführung der erste Brief
spricht. Lieber die weitere persönliche Verbindung beider
Männer geben die nachfolgenden Briefe genügende Kunde.
Aus späterer Zeit ist folgende Stelle an Zelter (V. S. 234,
A\'eimar 17. Mai 1829) hinzuzufügen: »Die Medaille der Facius
ist gut genug gerathen. Das: Loos direxit ist nicht vergebens
hinzugefügt. Ich hoffe man wird von hier aus diesem Manne
etwas Freundliches erweisen, um ihn für das Mädchen noch
weiter zu interessiren«. Eine andere Stelle in demselben
l>riefwechsel (4. Febr. 183 1, VI, S. 136) mag sich, wie gegen
das Medaillenwesen überhaupt , indirekt auch gegen den
genannten Künstler richten: » Dass die Medaille [nämlich
Zelters] gelinge, ist mein eifrigster Wunsch : das Medaillenwesen
ist nach und nach so trivial geworden, dass man sich gar
nicht mehr gesteht wie löblich und wichtig dergleichen immer
gewesen sey und bleibe. Freylich ist der grosse plastische
Ernst, womit man diese .Angelegenheit in früherer Zeit I)ehandelt,
■ Bricfw. mit den Gebr. Humboldt, iisg. von Bratranck 1S76,
S. 213.
302 Nkue Mittheilungen.
so gut wie verschwunden: indessen die Technik immer an
Fertigkeit zunimmt. Mein Sohn schickte mir, von Mayland
aus, wohl hundert Stiu:k aus dem 15. und 16. Jahrhundert,
worunter sich erstaunenswerthe Dinge befinden«. I.oos'sche
Medaillen, d. h. bei Loos ge[)rägte (Loos direxit), von ver-
schiedenen Künstlern entworfene waren mehrfach in Ci's Besitz.
Vgl. Schuchardt, Goethe's Kunstsammlungen. Jena 1848, II,
Nr. 1425, 1427, 1430. 1433, 1459, 1466, 1468. 1483, 1485,
u. a. Die vier ersten sind aus den Jahren 1822 und 1823;
alle, auch die letztgenannten, beziehen sicli auf bestimmte
Personen oder Ereignisse.
Im Anschluss an diese Briefe mag ein durchaus auf (ioethe
bezügliches Schreiben mitgetheilt werden, das der Adressat
unserer Briefe an den Obermedicinalrath v. Froriep in Weimar
richtete (Fror. Archiv).
Berlin am 12. November 1825.
Mein hochgeschätzter Freund !
Eben finde ich in unserer Zeitung die Anzeige von
Goethe's Fest. Schade, dass ich es nicht trüber vvusste,
denn ich iiabe längst aut eine Gelegenheit zu einer Denk-
münze gewartet. Was meinen Sie: wäre es moutarde
apres diner? Die Begebenheit und der Mann verdienen aber
doch eine Denkmünze und wenn ihm auch der Grossherzog
die mit Seinem und Seiner Gemahlin Bildniss und sein
«Goethens« Bildniss auf der Kehrseite gegeben hat, so hat
doch die übrige Welt da wenig von , die vielleicht auch
gern eine Medaille auf den Gegenstand besässe.
Wenn Sie nun der Meinung sind, dass es nicht zu
spät wäre, wenn man jet^t noch eine Medaille ankündigte,
so sagen Sie es mir nicht bloss, sondern machen Sie es
dort auch i^lcich öjfcutUcJ} hckainil und nehmen entweder
selbst Subscription an oder lassen Sie durch Jemanden
annehmen.
Die Grösse der Denkmünze soll, nach meiner Meinung
41 Briefe von Goethe etc. 303
dieselbe werden wie die auf di\s Re^ierungs-jubeltest des
Grossherzüi^s ....
Ein Bildniss vi)n (joethe ist fasl /('///V i^ravirl, soll aber
noch überarbeitet werden und xur Kehrseite dürfte sich
die Idee der Frl. l'acius (ein Lorbeer- und Eichen-Kranz)
recht i^ut machen oder auch ein Lorbeer und- ein Eichen-
kranz, also zwei Kränze in einander geschlungen. Ich lasse
mir aber auch von Ihnen und Ihren Freunden eine andere
Idee gefallen, dafern sie nur recht bald eintritlt. Auch
bitte ich Sie inn Angabe der Umschriften um Kopf- und
Kehrseite, da Weimar so \-oll \-on tüchtigen Gelehrten ist.
Ob deutsch, ob lateinisch ist mir gleich, aber unmassgeblich
bitte ich, weder das Bildniss ohne Umschrift imd Andeutung
was es sein soll, zu lassen, noch auch überhaupt die Schrift
ohne bestimmte Andeutung des Gegenstandes. Cioethe's
Idee — denn von ihm soll sie sein — zur Jubeldenkmünze
auf den Fürsten, ist übrigens ganz vortrefflich, aber der
Naciru'c'll, für welche jede geschichtliche Denkmünze haupt-
sächlich mit bestimmt ist, wird sie wenig nützen. Heute
weiss man, wen das l^ildniss vorstellt und welche 50jährige
Wiederkehr gemeint ist ; nach 100 Jahren wird es Niemand
mehr wissen und die Denkmünze nicht versteim. — Sobald
Sie mir sagen, dass Sie in meine Idee eingehn, dort auch
Bekanntmachung und Subscription veranlassen imd mir
Idee und Legende schicken wollen oder lieber gleich mit-
schicken, mache ich die Sache auch hier und anderweitig
bekannt imd es können die Theilnehmer dann in 4 bis 6
Wochen die verlangten Exemplare erhalten. Ich schicke
Ihnen, sobald es nur irgend soweit ist, das nach Rauch
gravirte Bildniss mit dem Lorbeer im Haar was recht sehr
ahnlich ist. Beehren Sie bald mit freundlicher Antwort
Ihren ergebensten Ireund und Diener
G. Loos.
304 NeUÜ MlTTHEILüXGEN.
(A.11 ?' iS. Scptcniber iS2y.J
K\v. Wohlgcb.
habe hiedurch zu vermelden dass die letzte Sendung
datirt vom 2. Septembr^ seiner Zeit glücklich angekommen,
wobey denn abermals zu danken habe, dass Ihre Aufmerk-
samkeit einige eingeschlichene Fehler des Originals zu
tilgen gewusst.
Anbey sende die Eintheilung der verschiedenen poeti-
schen Arbeiten in die fünf Bände der dritten Lieferung ;
das Meiste ist nun schon in Ihren Händen, das Original
zum XI\' und XV Bande folgt nächstens. Die bevden
ungedruckten Anfügungen zum XII und XV Band sende
später. Besonders ^vünschte den Anfang von Faustens
zweiten Theil am längsten zu behalten. Da es gleichgültig
ist, welcher Theil zuletzt gedruckt wird, so wünschte,
dass Sie die Einleitung träfen, diesen erst gegen das Ende
vorzunehmen. Haben Sie bev der von mir intentionirten
Eintheilung noch irgend etwas zu erinnern, so bemerken
Sie solches gefällig.
Der ich diese Angelegenheit Ihrer fernem Theilnahme
auch hiermit zum Besten empfohlen haben will.
Ew. ' Wohlgeb.
ergebenster Diener
Weimar den 18 Scptcmbr JW v Goethe.
1827
' duartblatt, nur die erste Seite beschrieben ; im Besitz des Hn.
A. Spittit (R. Zeune's Antiquariat) in Berlin.
- Mit dieser seltsamen Abkürzung, ohne Punkt, sclireibt der
Schreiber auch unten den Monatsnamen.
3 Von liier an eifircnhandii);.
41 Briefe von Goethe etc. 305
39-
(Jn ? ' 26. Oktober 1S2J.)
Ew. Wolilgch.
vermelde schleunigst die glückliche Ankunft der voll-
ständigen zweiten Lieferung meiner Werke Sedezausgabe
unter Kreuzband, sowie der begonnenen Oktavausgabe.
Was Sie hie und da bemerkt, und wie Sie nachgeholten,
erkenne durchaus dankbar. Den Mangel auf dem Titel
habe trevlich und ungern gesehen ; weil man aber in alten
Tagen manches hingehen lässt, wass man in jüngeren
gerügt haben würde , so unterlies ichs anzuzeigen imd
thut mir's leid, dass auch ich in diesem Sinne Schuld an
dem mehreren Autwand habe.
Hiebev folgen noch einige Desiderata zu dem 3. Bande,
Bemerkungen zu dem 4., welche sich glücklicherweise
auf wenig Druckfehler beziehen.
Für mich ist es eine grosse Beruhigung, diese Ange-
legenheit in Ihren Händen zu wissen; sie ist überhaupt
von so bedenklicher Art, dass ich wohl wünschen darf,
die noch übrigen drey \'iertel mit Ihrem treuen Beystand
durchgeführt zu sehen. Senden Sie mir doch auch, wie
ein Band der Octavausgabe beysammen ist, ein Exemplar
aut Schweitzerpapier mit der fahrenden Post; ich würde
es sauber binden lassen und vorzeigen.
Mit den besten Wünschen und Hoti'nungen, vertrauend
t'ernerer Theilnahme, empfehle mich geneigtem Andenken
Weimar, den 26. Oktober Ergebenst
182- JW V Goethe
Die zwei vorstehenden Briefe beziehen sich ebenso wie
der oben Nr. 34 ferner S. 280 und der unten S. 306 A. i. mit-
getheilte auf die Ausgabe der Werke letzter Hand, über
' duartblatt. die zwei Seiten beschrieben; nur die Unterschrift
eigenhändig. Der Brief ist im Besitze des Hn. A. Spitta (R. Zeune's
Antiquariat) in Berlin.
Goethe-Jaiirblcii II. 20
?o6 Neue Mittheilungen.
deren Herstellung der kürzlich veröffentlichte Briefwechsel
mit Göttling so lehrreiche Daten gebracht hat. Zur Erklärung
des Einzelnen ist zu bemerken, dass die 4obändige Ausgabe
in 8 Lieferungen von je 5 Bänden erschien, dass also die
dritte Lieferung, von der hier die Rede ist, die Bände 11 — 15
umfasst. Die Taschenausgabe erschien etwas früher als die
()kta\ausgabe, so dass von jener im J. 1827 schon 10 Bände
ausgegeben wurden, von dieser nur 2 : diese Verzögerung,
welche auch G's obige Aeusserung leise tadelt, erregte damals
grossen Unwillen (Zelter V., S. 32). Die »poetischen Arbeiten«,
welche die 3. Lieferung enthält, sind die Lust- Sing- Zeit-
und Festspiele, Faust, und einige Erzählungen: »Die Ausge-
wanderten; die guten AVeiber: Novelle«: die »ungedruckten
Anfügungen« sind zum 12. Band (S. 24g — 313) das Fragment
aus Faust, Zweiter Theil. zum 15: die »Novelle«. \\'as mit
dem «Mangel auf dem Titel« gemeint ist, vermag ich nicht zu
sagen '. Der Adressat ist höchst wahrs( heinÜch der Faktor
Reichel in Augsburg. Dass dieser den Theil der Correspondenz
besorgte, welcher sich auf die Herstellung des Druckes bezog,
geht z. B. aus dem unten S. 343 veröffentlichten Briefe und
den im Goethe-Göttling'schen Briefwechsel gegebenen Mit-
theilungen hervor.
' In einer Anmerkung wenigstens sei ein zu den beiden vorstehen-
den Sclireiben gehöriges abgedruckt. Es ist ein Quartblatt mit Trauer-
rand; nur eine Seite beschrieben; die Unterschritt eigenliändig ;
befindet sich im Besitze des Hn. A. Spitta (R. Zeune's Antiquariat) in
Berlin. Es ist (von Uhde?) im Hamburger Correspondenten 1875, 26. --Vug.,
Morgenblatt, nicht ganz genau abgedruckt. Es lautet:
Ew. Wohlgeb.
habe hiermit anzuzeigen, das, durch Vermittlung des Herrn
Goldbeck zu Nürnberg abgesendete Paquet sev glücklich angekommen
und also für diesmal kein weiteres Bedenken. Zugleich vermelde jedoch
dass mit der nächsten fahrenden Post ein kleines Paquet an dieselben
abgehen wird, enthaltend den 18, 19, 20 Band der kleinen .\usgabe,
rcvidirt zum Behuf der Octav-Edition.
Der ich, das Beste v.-ünschend, mich zu geneigtem .\ndenken
bestens empfehle
Weimar ergebenst
den 7 Juny jW v Goethe.
1829
Der Adressat des Brietes muss, nach dem Inhalte, derselbe wie
dei- von Nr. 38 und 39 sein. Band 18 --20 der Taschenausgabe, welche schon
1828 erschienen waren, enthalten Wilhelm Meisters Lehrjahre.
41 BRlhHt VON GühTHE KTC. 5t)'
40.
(All Hciiuich Myliiis. i^. Miir:^ iS^o.)
Als mein Sohn von Hn. Elkan empfohlen nach Mav-
land abreiste, war be\' uns die Nachricht eini^e^ijangen,
•dieselben seven in einer holhuingsvollen Familienangelegen-
heit abgereist und deshalb von ihm nicht wohl würden
angetroffen werden. Nun aber da er wahrscheinlich über
die Alpen gelangt ist, vernehme ich, dass jene freudigen
Hoffnungen in Trauer und Schmer/, verwandelt worden,
welches von Herzen bedaure und mein Bevleid auszu-
drücken nicht Worte genug finde. liw. Hochwohlgeb.
Verhältniss ist seit langen Jahren mit Weimar so innig
verwebt, dass Ihnen nichts Angenehmes und nichts Uner-
freuliches begegnen kann, woran wir nicht aufrichtig Theil
nehmen sollten und ich darf wohl versichern, dass die Besten
unserer Stadt den Unfall, welcher Dieselben betroffen hat,
aufs tiefste mitempfinden.
Auch ohne meine ausdrückliche Bitte werden Dieselben
meinem Sohn allen freundlichen Vorschub geleistet haben,
wie ich denn diese Geneigtheit auch fernerhin fortzusetzen
bitte. Der Frau Gemalin , deren bedeutende Gefasstheit
in diesem Trauerfalle unser guter Dr. Schnauss, ausführlich
und zu eigner Beruhigung, mir vertraut hat, werden Sie
auch mich ziun allerbesten zu empfehlen die Geneigtheit
haben.
Hochachtungsvoll
Weimar d. 14 März Fw. Hochwohlgeboren
1830. ergebenster Diener
J W V. Goethe.
Der vorstehende Ih'ief ist von Hn. fuliiis Mylius in Mai-
land nach dem in seinem Besitz befindHchen Original Hn.
Dr. Uhde mit Befugniss zur Veröffent!i( hang abschriftlich
mitgetheilt worden. Der .\dressat Heinrich MyHus, geboren
20*
joS Neue Mittheilungen.
24. März 1769, gestorben 21. April 1854, ist ein Bankier aus
Frankfurt a. M., der durc-li seine Verheirathung mit der Tochter
des Geh. R. Schnauss in Weimar (1774— 185 1) in nahe Ver-
bindung mit den Weimarer Kreisen kam und in derselben
dauernd bUeb. Seine Verehrung für (ioethe bezeugte MyHus auf
mannigfache Weise, z. B. dadurch, dass er in (Gemeinschaft
mit anderen Freunden eine sitzende Statue (loethe"svon Pompeo
Marchesi in Mailand arbeiten Hess und der Bibliothek seiner
Vaterstadt schenkte. — Hr. J. Mylius erzählt, H. Mylius habe
Maffei veranlasst, den Faust zu übersetzen, eine Aufforderung,
deren der Uebersetzer ausdrücklich gedenke. Nach dem Tode
von Heinrich Mylius sei sein Haus vollkommen umgebaut
und in Folge dessen natürlich manches Schriftstück vernichtet
worden: die noch vorhandenen Papiere wurden, da direkte
Erben nicht vorhanden waren, an die zahlreichen Mitglieder
der Familie vertheilt, weitere Briefe (roethe's aber haben sich
nicht erhalten.
41-
(All Hofrath Stark. ' 7. April iS)0.)
Ew. Hoclnvohlgeb.
ersuche durch Gegenwärtiges auf das FrcundHchste,
unserm vorzüghchen Porträtzeichner Schmeller einige
Stunden zu gönnen, damit auch Ilir Bildniss der würdigen
Sammlung von einheimischen und auswärtigen schätzbaren
Zeitgenossen, die bev mir immer zunimmt, eingefügt und
das Andenken eines so bedeutenden Zusammenlebens um
desto vollständiger unsern Nachkommen hinterlassen werde.
hi vollkommenster Hochachtung
Weimar gehorsamst
d. 7. Apr. .1 ^^' V Goethe
1830.
■ Im Besitze von Frau Hofrath Stark in Heidelberg, aus dem Nach-
lass ihres (iatten, der der Sohn des Adressaten war. Ohne .\dressc.
Nur der Name und »gehorsamst« eigenhändig. Der Briet hat einen
Trauerrand.
41 Briefe von Goethe etc. 309
(Frau Riilh an PI). SciiicI. Frankfurt}), 10. Okiober ijj~.)
Euer Brief vom 5. Okt. hat uns sehr gefreut, insbesondere
dass der Doktor gesundt UTid guten Humors ist. — Wann
Ihr so was schreibt, sollen auch tür jetzt und künftig alle
\'agabundere\"en \erziehen se\n, zumahl i\<^r Herr .Merck
viel gutes von lüich erzählt hat und wie hübsch Ihr alle
Sachen von Hurem Herrn besorgt und in obacht nehmetet
— als ein braver Piu'sch dürft Ihr auch Freude haben und
ich wünsche Euch recht viele. Die Reisse von Eurem
Herrn mag gehen, wohin sie will, so werdet Ihr uns doch
als im \'ertrauen sagen, wo E.r ist, denn man kann nicht
wessen was als vorfällt, dass doch ein Brief zu Euch gelangen
kann. Von Herrn Wielandt habe gar ein liebes Briefgen
erhalten, wo Er mir sagt, dass Er das Christkindgen bei
uns haben will, wir treuen uns sehr auf seine Ankunft.
Sagt dem Doctor, dass Herr Merck ehestens wegen der
bewusten Angelegenheit schreiben würde und wie Alles
gemacht und gehalten werden solle. Der Herr Rath ist
immer noch nicht recht wohl wir brauchen Medicin, laufen
spaziren u. s. w. Die Jahre kommen frevlich heran, von
denen es heisst, sie gefallen mir nicht. \\'as aber mich
anbelangt, so bin ich, Gott seA' Dank, fri:-ch und gesundt,
auch gutes Humors zumal wenn ich als gute neue Mähr
von Euch geschrieben bekomme, macht mir als öffters so
einen spass, davor solt Ihr auch gelobt und gepriesen
werden von Allen, besonders aber von Eurer Euch steht
gewogenen C. E. Goethe.
Der Adressat des Briefes ist zwar nicht genannt, aber er
kann, wie aus dem Wortlaut hervorgeht, Niemand anders als
Goethe's treuer Ph. Seidel sein. Andere Briefe an ihn sind
in R. Keils bekannter Sammlung gedruckt. Das Original
befindet sich im Froriep'schen .^.rchiv in Weimar. Auch ein-
zelne Billete G*s an den (benannten haben sich in demselben
Archiv gefunden, die an anderm Orte mitzutheilen sind.
10 Neue Mittheilungen.
(Frnu Ratb an Anna Anwlia. Frankfurt 24. September ij/^.)
Durchlauchdigstc l-'ürstin.
Der i8te September war der grosse Tag da der alte
\'ater und l-'rau Aja, denen seeligen Göttern weder Ihre
Wohnung im hohen ()lymp weder Ihr Ambrosia noch
Nectar, weder Ihre Vocal noch Instrumentthal Musick be-
neideten, sondern glücklich, so gantz glücklich waren, dass
schwerlich ein sterblicher Mensch jemahls grösser und
reinere Freuden geschmeckt hat, als wir bevde glück-
lichen Eltern an diesem Jubel- und Freuden-Tag — Nie-
mahl hat mich mein Unvermögen, eine sache gut und
anschaulich vorzutragen mehr belästig als jetzt, da ich der
Besten Fürstin (: von Der doch eigendtlich alle diese Freude
ausgeht, die doch eigendtlich die erste Ursach aller dieser
Wonne ist :) so recht aus dem Hertzen heraus unsere
Freude mittheilen mögte — ■ Es gerade nun, wie es wolle,
gesagt muss es nun einmahl sevn.
Ihro Durchlaucht unser gnädigster und Bester Fürst
stiegen (: um uns recht zu überraschen :) eine strecke von
unserm Hausse ab, kamen also gantz ohne geräusch an
die Thür, klingelten, traten in die blaue Stube u. s. w.
Nun stellen Sich Ihro Durchlaucht vor, wie Frau Aja am
runden Tisch sitzt, wie die Stubenthür aufgeht, wie in dem
Augenblick der Hätschelhanss ihr um den Hals tält, wie
der Herzog in einiger Entfernung der Mütterlichen kreude
eine weile zusieht, wie Frau Aja endlich wie betrunken
auf den besten Fürsten zuläuft, halb greint halb lacht, gar
nicht weiss, was sie thun soll, wie der schöne Kammer-
herr von Wedel auch allen Antheil an der erstaunlichen
Freude nimbt — lindlich der Auftrit mit dem Witer, das
lässt sich nun gar nicht beschreiben — mir war Angst, er
stürbe auf der stelle, noch an dem heutigen Tag, da Ihro
Durchlaucht schon eine ziemliche Weite von uns wey;
41 Briefe von Goethe etc. 31 1
Sind, ist er noch nicht recht bcv sich, und 1-rau Aja gehts
nicht ein Haar besser — Ihro Durchlaucht können Sich
leicht vorstellen, wie vergnüi^t und seelii; Wir diese 5 taijc
über gewessen sind. Merck kam auch und führte sich st)
ziemlich gut auf, den Mephisthovilcs kan llr nun treylich
niemahls gantx zu llauss lassen, das ist man nun schon
so gewohnt. Wieder alle (jcwohnheit waren dieses mahl
gar keine Fürsten und 1-ürstinnen aut der Messe, das war
nach Unsers Theuersten Herzogs Wunsch, Sie waren also
gar nicht Genirt Am Sontag gingen Sie in ein grosses
Concert, das im Rothen Hauss gehalten wurde, nachdem
in die Adliche GeselLschatft ins so genandte Brunnenteis,
Montags und Dinstags gingen Sie in die Commedie, Mitt-
woch um 12 uhr Mittags ritten Sie in bestem Wohlseyn
der Bergstrasse zu, Merck begleidtete Sie biss Hberstadt.
Was sich nun alles mit dem schönen Cammerherrn von
Wedel, mit dem Herrn Geheimdten Rath Goethe zu
getragen hat, wie sich unsere Hochadliche Freulein gänssger
brüsteten und Froberungen machen wolten, wie es aber
nicht zu Stande kam u. d. m., das verdiente nun tre\lich
hübsch dramatisirt zn werden. Theureste Fürstin ! Sie
verzeihen diesen kalten Brief, der gegen die Sache sehr
zu kurtz tält — es ist mir jetzt gantz ohnmöglich es besser
zu machen — ich bin den gantzen Tag vor Freude und
Wonne wie bctruncken, wenn sichs etwas zu boden gesetzt
hat, wird meine xernunift auch wieder zu hFiusse kommen —
bis dahin Bittet Frau Aja, dass Ihro Durchbucht Gedult mit
ihr haben mögten. Uns ist jetzt nichts im Sinne, als die
breude des wieder zurückkommens, da soll der jubel von
neuem angehn. Gott bringe Sie glücklich und gesund
zurück, dann soll dem alten Reihnwein in prächtigen Pocalen
mächtig zugesprochen werden. Wüsten Ihro Durchlaucht,
wie oft wir mit Freudenthränen an Ihnen dachten, von
Ihnen redeten, wie Frau Aja den Tag seegnete, da die
;I2 Neue Mitthhilungen.
Beste Fürstin Ihrem glücklichen Land einen Carl August
gcbohrcn hat, Der, wie es nun am Tag ist, nicht Seinem
Land allein zum Heil gebohren worden, sondern auch
dazu, um auf unsere Tage Wonne, Leben und seeligkeit
zu verbreiten — \\'ie dann ferner Frau Aja sicli nicht
mehr halten konte, sondern in ein Eckelgen ging und
ihrem Hertzen Luft machen musste, so weiss ich gantz
gewiss, die Beste Fürstin hätte Sich unserer Freuden
gefreut. — Denn das war kein Mondschein im Kasten,
sondern wahres Hertzensgefühl. Dieses wäre nur so ein
kleiner abriss von denen Tagen, wie sie Gott (: mit dem
seeligen Werther zu reden :) seinen Heiligen aufspart ;
mann kan hernach immer wieder was auf den Rücken
nehmen und durch diese Werckeltag-Welt durchtraben
und sein Tagewerck mit Freuden thun, \\ür\x\ einem solche
erquickungsstunden zu theil worden sind. Nun Durchlauch-
digste Fürstin ! Behalten Sie uns in gnädigstem Angedencken
— der A'ater empfiehlt sich gantz besonders — und Frau
Aja Lebt und stirbt als
Ihro Durchlaucht
Frankfurth, d. 24'^''' unterthänigst treugehorsambste
September 1779. Dienerin
C. F. Goethe
Der Erklärung bedarf dieser prächtige Brief, der zuerst
in den Berichten des Freien Deutsehen Hochstifts veröffent-
licht worden ist und hier als eine Probe der mehr als 70
noch ungedruckten im (zrossh. Archiv zu Weimar aufbe-
wahrten Briefe der Frau Rath an Anna Amalia willkommen
sein wird, nur sehr wenig. Das Rothe Haus, auf dem Grund-
stück des jetzigen kaiserlichen Postgebäudes gelegen, war
damals das vornehmste Gasthaus Frankfurts: Brunnenfels ist
das Haus Braunfels, Liebfrauenberg 29. — Die Worte »das
war kein Mondschein im Kasten « beziehen sich w^ohl auf
die bezügliche Stelle im »Triumph der Empfindsamkeit«
(2. Akt).
41 Briefe von Goethe etc.
(Moril- (in Goethe. ' Berlin, d. 6. Jnnv lyS^.)
Ich bin eine Zcithin«^ mir selbst nicht recht sicher
gewesen, und habe Ihnen in dem Zustande nicht schreiben
wollen: denn wir müssen nur Lebensbriefe an einander
schreiben und alles muss von I'olgen sevn. In dem Zustande
hat der Tasso etwas Balsamisches iür mich gehabt, was
aber in mir yx\ Todtenähnlich wurde. Xun ist das junge
Grün wieder aufgelebt, und ich kann froher und leichter
wieder Athem schöpfen, und mit ganzer Seele sagen, wie
der Tasso mich entzückt und mir Beruhigung und l'reude
gegeben hat ; Beruhigung, weil ich einen Punkt sehe, wo
das Qualenvollste und Drückendste der menschlichen \'er-
hältnisse in die mildeste Erscheinung sich xollendet, und
Freude, weil dieser ^'ollendungspunkt mir so nahe erschienen
ist. Das klare Sternchen schwebt mir immer xor, und alles
übrige ordnet sich darnach. Der Tasso ist nun einmal das
höchste Geistige, die zarteste Menschheit, welche auch von
der sanftesten und weichsten Umgebung gedrückt, sich ihrer
Auflösung nähert; welche den Schwerpunkt verlohren hat,
der sie an die Wirklichkeit heftet, und daher auch erst in
der Erscheinung ihre eigentliche \'ollendung erreichen konnte.
Die tragische Darstelkmg dieses Zarten Geistigen, auf dem
Punkte, wo es sich jammernd ablösst und in sich selbst
versinkt, ist gewiss das Höchste der Poesie, bei der freilich
das Tiefste nicht minder schön ist, sobald die Möglichkeit
zu dem Höchsten einmal in der Seele daliegt. Die Prinzessin
und Leonore sprechen gleich im Anfang die grössten
Menschenverhältnisse unmerklich in jeder Zeile aus, und
sagen sich über sich selbst und über Tasso das Feinste und
Grösste, was Menschen sich einander über sich selbst und
über einen dritten sagen können. Und so ist die erste
Auseinanderleijuno; des Stücks selbst schon der interessanteste
' Eis'enliändiiJ', olme .Adresse, in meinem Besitz.
314 NeUK MlTTHKlLUNGEN.
Anfang dazu, der schon für sich selbst in gewisser Rücksicht
ein schönes Ganze ausmacht, so wie jede Einzehie Zeile
nur ein erneuerter Wiederhall dieses harmonischen Ganzen
ist, und daher an sich einen sprüchwörtlichen Werth erhält,
welcher macht, dass sie von i^ebildeten Lippen wiedertönt
und ins Leben eingreift. Diese Dichtung wird aber über-
haupt, ohngeachtet ihrer Zartheit, ins Leben eingreifen,
weil sie die Ehrfurcht für das Zarte und Schöne, welche
doch einmal wirklich statt fand, zum Hauptgegenstande der
Darstellung macht, und auf manche Wangen Schamröthe
hervorlocken wird, die dem Gefühl für das, was seinen
Werth in sich selber hat, noch nicht ganz abgestorben sind ;
wenigstens habe ich diese Probe schon damit gemacht.
In das Detail kann und will mich itzt nicht einlassen;
denn ich würde sonst nicht davon abkommen können, und
mein Gedanken sind jetzt ganz mit dem Werther beschäf-
tiget : über acht Tage w^erde ich Ihnen schon einen Theil
des Mspts. zum Durchlesen schicken können, weil ich fleissig
dabei bin. Ich hätte schon vor zwei Monathen mit dieser
Arbeit fertig sevn können ; sie durfte aber schlechterdings
nicht bei körperlicherUnbehäglichkeit imternommen werden.
Der Tasso hat so was wunderbar Anziehendes, dass ich
mit meinen Gedanken gern immer dabei verweilen möchte.
Ich fühle immer mehr die Nothwendigkeit dieses Kunst-
werks in der Reihe der Dinge, wo es nicht zufällig, sondern
wie vorher angewiesen seinen Platz hat. Jedes ächte Kunst-
werk scheint mir gleichsam, wie vorher auspunktiert zu
seyn, und zu seiner Zeit an die Reihe zu kommen. Nun
wäre es freilich wohl Zeit die Spreu von dem Weitzen zu
sondern ; Der muss nur im Siebe geschüttelt werden so
wird die Spreu von selbst verfliegen. Ich denke immer,
dass noch einiger Sinn für ächte Kunst irgendwo in unserer
Zeit verborgen liegt, imd unvermuthet erwachen soll. Die
jungen Künstler sind bei meinen Vorlesungen aufmerksam
41 Briefe von Goethe etc.
315
L;ciuii;, wenn nur ihre Lehrer, die alten Kiinstler etwas
taugten. X'ielleiclu lässt es sich nun noch ins Werk richten,
diiss Trippel doch noch herkömmt. Ich habe mit dem
Minister v. Herzber^ darüber gesprochen und der Minister \ .
Heinitz scheinet auch nicht abgeneigt da/u zu seAii. Die
Herausgabe der akademischen Monatsschrift besorge ich
jetzt allein, obgleich Riems Nähme mit daraut steht. Was
sagen Sie zu meiner Atiaire mit (Rampen? Ich glaube es
ist recht, dass diese Sache zur Sprache gekommen ist: denn
von solchen Menschen wie der Campe ist, kann eben nichts
Reelles und Gutes emporkommen. Ich bin nun auch zum
-Mitarbeiter an der I.itteraturzeitung ordentlich kontrackt-
mässig angenommen worden : Die Recension über die
bildende Nachahmung etc. von Rehberg steht noch nicht
darinn, und auch die Ihrige noch nicht im Mercur. Sie
haben doch die Güte gehabt, 20 St. Ducaten an den Mahler
xMeyer in Rom bei meiner Abreise aus Wevmar zu über-
machen; er muss durch einen Zufall den Brief nicht erhalten
haben, wie ich von Hirt erfahre. — Ich glaube, dass ich
auf einem guten Wege bin, und dass Sie mit mir zufrieden
seyn werden, aber muntern Sie mich auch durch ein Wört-
chen wieder aut und emphehlen mich allen b'reunden
Moritz.
Übschon der Adressat nicht genannt ist, so kann es doch
nur Goethe gewesen sein , als Verfasser des Tasso. Meines
Wissens, der erste veröffentlichte Brief von Moritz an denselben.
Auf die am ."^.chlusse erwähnte Rehberg"sche Anzeige beziehe
ich (ioethe's undatirtes Billet an Knebel Nr. 173, während
der Herausgeber es in's Jahr 1798 gesetzt hat und Hirzel es
auf (loethe's eigne Anzeige der Moritz'schen Schrift über die
bildende Nachahmung des Schönen im Juli-Heft des Merkurs
V. J. 1789 bezog, welche Moritz nach vorstehendem Briefe
schon im Juni mit Ungeduld erwartete.
Goethe ix Dornburg.
Von
LUD\vj(; gri(;er.
m 14. |uni 1828 starb der Cirossherzog Karl August
auf seiner Rückreise von Berlin zu Graditz bei
Torgau. Kaum einen Monat vorher, bevor er die
Berliner Reise unternahm . hatte er an (ioethe
geschrieben (17. Mai); einige Tage früher hatte er, nicht ohne
eine Art von Todesahnung geäussert : »Ich denke einen Ab-
stecher nach Berlin zu machen und alles dorten Neuentstandene
und Hingekommene zu beleuchten und so zu sagen, von der
Aussenwelt bei dieser Gelegenheit Abschied zu nehmen«. Durch
die unerwartete Nachricht von dem Hinscheiden des fürstlichen
Freundes, mit welchem er seit länger als einem halben Jahr-
hundert aufs Innigste befreundet gewesen, war Goethe tief
betroffen' und wünschte, wie er dies bei traurigen Veran-
lassungen früherer Jahre, z. B. bei Schillers Tode erprobt hatte,
sich in stiller Einsamkeit zu sammeln, auf sich selbst zu besinnen
und in dieser Ruhe Kräfte zu neuem Leben zu gewinnen.
Daher erbat er, da er die rechte Stimmung weder in Weimar.
noch auch in Jena zu finden vermocht hatte, die Erlaubniss.
si( li in das grossherzoglichc Schloss in Dornburg, das ihm
von (lern Verst()rl)enen schon mehrfach zur Wohnung ange-
' L'cbcr LUC lüin/clhcitcn v^y;!. Düntzcr : Gocthc's Leben S. 6^9.
Ufber die Vorgänge der folgenden Tage unterrichten die unten gedrcckten
Briefe Soreis vom 20. und 23. Juni.
Goi£THE IN Dornburg. 3^7
l)Oten worden war, einige Wochen zurückziehen /u dürk-n
und erhielt diese Ritte sofort gewährt.
Am 7. Juli traf er in Dornburg ein. gedachte ursprilnt^dii h
nur kürzere Zeit daselbst /.u verweilen und dun AufcntliaU
/.u einer Vorbereitung für eine seinen mineralogischen und
geognostischen Studien nutzbringende Reise nach Freiberg
anzuwenden, erkannte aber bald, dass er zu einem solchen
Hintritt in einen fremden Kreis weder körperli<-.h noch geistig
geeignet sei und erbat sich daher zwar Urlaub zu der ange-
gebenen Reise, jedoch mit der Bedingung, dass er, wenn er einen
solchen Ausflug nii lit wagen dürfte, die nächsten Wochen
zwischen Dornburg und Jena theilen könnte '. Ein solcher
Urlaub wurde ihm selbstverständlich gewährt ; trotzdem blieb
er fast ohne jede Unterbrechung bis zum 11. Sept. in Dornburg.
In Goethe's Tagebuch (Abschrift im Besitz des Frhrn.
V. Maltzan in Weimar) heisst es: »Fahrt am 7. Juli nach
Dornburg. Aufenthalt daselbst. Macht das Schreiben über
den Tod des CJrossherzogs Karl August. Schreibt die
(iedichte: »Früh, wenn Thal, Gebirg und Schatten«, »Und
wenn mich am Tag die Ferne«, »Dem aufgehenden Vollmonde",
»Der Bräutigam« (Vgl. die Gedichte bei Hempel III, reo, loi,
166; die Bemerkung v. Loepers an letzterer Stelle ist unserm
urkundlichen Zeugniss gegenüber schwer haltbar) und ergänzt
die Geschichte seines botanischen Studiums. Zurück von
Dornburg den 11. Sept. nach Weimar«.
Von diesen Wochen hat wahrheitsgetreu und liebevoll
der Dornburger Hofgärtner K. A. Ch. Sckell in seinem Schrift-
chen : Goethe in Dornburg, Gesehenes, Gehörtes und Erlebtes,
Jena u. Leipzig, H. Costenoble 1864 berichtet, der seit 1816
von Goethe beachtet, seit 1822 in seiner Dornburger Stellung,
nun, während des Aufenthalts des Dichters, täglich mit ihm
zusammen war. ihn vnid seine Freunde beköstigte, und über
den schlichten äussern Verlauf jener Tagen Genaues mitzu-
theilen in der Lage war.
Goethe wohnte in der damals sogenannten Bergstube in
dem sonst Stomann'schen Schlösschen, lehnte das Anerbieten
des Grossherzogs Karl Friedrich, in das mittlere Schloss über-
zusiedeln , ab und empfing höchstens vornehme Besuche in
dem Saale desselben. Ueber seine Wohnung und den Dorn-
burger Garten sprach er sich in einem Briefe an Zelter
folgendermassen aus: (10. Juli 1828, G. u. Z. V, S. 68 fg.) :
»Ich weiss nicht, ob Dornburg Dir bekannt ist: es ist ein
' Briet an H. .Movcr. 25. |uli.
Neuu Mitthuilungen.
Städtchen auf der Höhe im Saalthale unter Jena, von welchem
eine Reihe von Schlössern und Schlösschen, gerade am Ab-
sturz (los Kalkflützgebirges, zu den verschiedensten Zeiten
erl)aut ist: anmutliige (Järten ziehen sich an Lusthäusern her :
ich l)e\vohne das alte neuaufgeputzte Schlösschen am südlichsten
P>nde. Die Aussicht ist herrlich und fröhlich, die Blumen
blühen in den wohlunterhaltenen (iärten, die Traubengeländer
sind reichlich behangen und unter meinem Fenster seh" ich
einen wohlgediehenen Weinberg, den der Verblichene auf
dem ödesten Abhang noch vor drei Jahren anlegen liess und
an dessen ErgrUnung Er sich die letzten Pfingsttage noch zu
erfreuen die Lust hatte. Von den andern Seiten sind die Rosen-
lauben bis zum Feenhaften geschmückt und die Malven, und was
nicht alles, blühend und bunt, und mir erscheint das alles in erhöh
teren Farben wie der Regenbogen auf schwarzgrauem Grunde.
Seit fünfzig Jahren hab' ich an dieser Stätte mich mehr-
mals mit Ihm des Thebens gefreut, und ic:h könnte diesmal an
keinem Orte verweilen, wo seineThätigkeit auffallender anmuthig
vor die Sinne tritt. Das Aeltere erhalten und aufgeschmückt,
das Neuerworbene (eben das Schlösschen, das ich bewohne,
ehemals ein Privat-Eigenthum) massig und schicklich einge-
richtet, durch anmuthige Berggänge und Terrassen mit den
früheren Schlossgärten verbunden , für eine zahlreiche Hof-
haltung, wenn sie keine übertriebenen Forderungen macht,
geräumig und genügend, und was der Gärtner ohne Pedan-
terie und Aengstlichkeit zu leisten verpflichtet ist, alles voll-
kommen, Anlage wie Flor«.
(joethe war mit seinem Sekretär John und seinem Be-
dienten P>iedrich, von deren geringer Widerstandskraft gegen
den Dornburger Wein Sckell ein hübsches Geschichtchen zu
erzählen weiss, nach Dornburg gekommen und hielt mit ihnen,
gegen die er, wie gegen alle die ihm nahten, den milden,
anspruchslosen, freigebigen Herrn spielte, allein aus. Bei
schönem ^^"etter war er viel im Garten, während der furcht-
baren Regengüsse, über welche er in seinen Briefen mehrfach
klagte, blieb er in seinen Zimmern; nur dreimal fuhr er aus,
immer in Begleitung des genannten Sckell. Das erste Mal
nach Cirossheringen, wo er den ihm von früher bekannten
Ort.sschulzen Planert, welcher lange Zeit Landtagsaligeordneter
gewesen war, besuchte; ' das zweite Mal nach Jena, ' wo er
' Am 2. August, vgl. unten den Brici'Fronimanns. Nach Grosslicringon
fuhr Dr. Stichling mit, »ein Enkel Wiehuids, ein gar angenehmer gebil-
deter, wohldcnkender und unterrichteter Mann.« (G. u. Knebel II, 366.)
^ Wol am 20 Juli, s. G. u. Z. V, 79.
Goethe in Dornblrg. 3 1 9
hei dem Legationsrath Weiler, dem Bauinspector Götze, dem
Hauptmann Schauroth und bei Knebel vorsjjrai h ; endlich nach
dem vor Camburg an der C'haussee liegenden, seiner Aussicht
wegen berühmten Thurmberg.
Seine Lebensweise war sehr einta( h : ic !i schildere sie mit
Sckells ^^'orten (a. a. O. S. 45 47): »In der Regel verliess
Goethe um 6 Uhr das Bett und genoss sofort Kaffee. Schon
um 7 Uhr beschied er seinen Sekretär zu sich und dictirte
diesem bis um 8. auch halb 9 Uhr. Darauf ging er auf den
Terrassen oder im (iarten bis halb 10 Uhr spazieren, nahm
nun das Frühstück ein und dictirte darauf von Neuem oder
begab sich wieder in den Garten, wenn er nicht schon zeitig
durch Fremdenbesuch behindert wurde. Um i i Uhr stellte
sich dann in der Regel jeden I ag Besuch ein, weicher bei
ihm speiste. Die Tafel begann gewöhnlich um halb 2 Uhr
und dauerte bis 4 Uhr. Dann reisten die Fremden sofort
ab ' und Goethe begab sich wieder in den Garten, blieb dort
bis halb 6 Uhr, ass darauf stets eine Franzsemmel imd trank
die acht Tage ausgenommen, an welchen er den Dorn-
dorfer Rothwein genoss ein \'iertel Moselwein. Von da
blieb er auf seinem Zimmer oder ging bei schöner Witterung
wiederholt einige Male im (iarten auf und ab. Sitzend habe
ich ihn dort nie angetroffen. Abends bes( häftigte er sich mit
dem Lesen eingegangener oder mit dem L^nterschreiben \on
ihm dictirter Briefe. An Zeitungslectüre schien er wenig
(Gefallen zu finden. Um 9 oder halb "lo Uhr ging er zu Bett.
Da mir gestattet war, zu jeder Zeit sein Zimmer zu betreten
ohne angemeldet zu sein, so ist mir vergönnt gewesen, ihn
auch hier beobachten zu können. Er legte sich auf den
Rücken, die Hände ausserhalb der Bettdecke auf der Brust,
wie zum Gebet gefaltet, den Blick nach oben gerichtet. Früh
waren die Hände noch in ihrer ursprünglichen Situation, sein
erster Blick war nach oben gerichtet. Sein Schlaf musste tief
und süss sein, denn das Lager zeigte keine Spuren von Unruhe.
- - Er lebte sehr massig und nach einer bestimmt vorgezeich-
neten Ordnung : daher kam es wohl auch, dass er sich während
seines Aufenthaltes in Dornburg nie unwohl fühlte. Im Genüsse
des Weins war er sehr massig , denn bei der Mittagstafel
wurden, ausser einem guten Tischwein, selbst bei acht bis
vierzehn Gästen höchstens zwei Flaschen Champagner getrunken.
Vorzugsweise liebte er unter den Speisen Compots aus Birnen.
' Eine Ausnahme maclitcn bisweilen Gocthe's .Sohn und l'öplci',
welche um 3 Uhr ankamen und bis 9, wolil aucli 10 Uhr blieben.
320 Neue Mittheilungen.
Kirs( heil und Himbeeren. Ausserdem von ihm selbst bereiteten
Salate aus Artischoken, die er nebst feinem Provencerol aus
Frankfurt a. M. hatte kommen lassen, genoss er keine Salate :
auch Milchspeisen waren ni( ht nac h seinem Geschmack«.
Die Dornburger Einsamkeit wurde durch zahlreiche Be-
suche belebt. Ottilic 7'on Goethe, welche mit ihren Kindern
wöchentlich zwei oder drei mal kam, August, der sich meist
in Begleitung des Landesdirectionsraths Töpfer einstellte,
Kanzler von Müller, Legationsrath Weller und andere Wei-
marer und Jenaer Freunde, erstere seltener, weil die je \ier-
stündige Hin- und Rückfahrt die Reise für einen Tag ziemlich
beschwerlich machte. Von einem solchen Besuche hat einer
der Theilnehmer F. f. Frommann ' Mittheilung gemacht.
Es war am 2. Aug. an dem Tage des Ausflugs nach Gross-
heringen (oben S. 318), Goethe war vor Kurzem erst zurück-
gekommen, unterhielt sich zuerst in einem andern Raum mit
den jenaischen Präsidenten von Ziegesar und von Motz.
wendete sich dann aber den neuen Besuchern zu , ausser
Frommann dessen Tante Betty \\'esselhöft, dem berühmten
Uebersetzer J. D. Gries, Frau v. Löiu und ihrer Tochter^.
Frommann also schreibt (Brief an Stüve)':
»Gleich vom ersten Eintreten an war er heiter, freundlich
und unbeschreiblich liebenswürdig, setzte sich, scherzte mit
Luischen Low und durchlief in den beinahe zwei Stunden,
die wir bei ihm sassen, einen unglaublich reichen Kreis von
Dingen, Menschen und Situationen. Da die Low von hier
zu Graf Caspar Sternberg reist, sprach er zuerst von ihm,
schilderte seine würdige und grosse Denkungsart, erzählte,
wie er sich mit ihm gefunden, welch ein Glück es sei. in
' Das Frommann'sche Haus und seine Freunde 1792 — I1S57. Jena
1870. S. 39. Dort heisst es: »Er war ermuntert und angefeuert durcli
die Blicke seiner jungen Nachbarin, die mit freudiger Begeisterung an
seinen Lippen hing. Da streifte er mit seinem Arm den ihrigen und
sagte: «Ja wenn man sich ander Jugend reibt, wird man selbst wieder
jung«. - Ferner handscliriftlicher Brief Frommanns an Stüve2. Aug. 1828.
^ Von dem Besuch der Frau v. Low schreibt G. an Sternberg
). Okt., berichtet über deren Brief vom 9. August; Sternherg dankt
(13. Okt.) für die von ilir »noch ganz begeistert von den angenehmen
Stunden in Dornburg« überbrachten Grüsse und meldet, dass sie bis
zum 16. Aug. bei ilim verweilt habe; dann sei er von einer Krankheit
befallen worden. Dass Frau v. Low auch später mehrere Briefe an
Goethe "jericiitet hat, geht aus dessen Worten 50. Jan. 1829 iiervor.
5 Hr. FVommann sen. in Jena hat diesen seinen Brief an Uhde
abschriftlich geschickt und mir den Abdruck freundlichst «gestattet.
Goethe in Dornburg. 321
seinem Alter noch solche Jünglingsfreunds( haft zu schliessen '. —
Zelter, der sei immer ein Mann gewesen, habe sich durchs
Leben durchgeschlagen durch Theater, Musik, Essen, Trinken,
durch Creditoren *, um den sei ihm nicht bange — Tischbein
characterisirte er herrlich in seinem verfehlten aber liebens-
würdigen und geistreichen Streben, hob hervor, was man
ihm auch in der Kunst zu danken habe, dadurch dass er
das Studium der Antike belebt, die etrurischen Vasen zu
Ehren gebracht habe : mit ihm habe er in seinem 40. Jahre '
wieder ein Studentenleben gelebt, aber in Rom. wo einen
das Ungeheuere überall umgeben, sei man immer genöthigt
gewesen sich wieder zu sammeln. — Die strebenden Oeister,
die damals dort vereinigt waren, Angelica Kaufmanit, Reijfeii-
stein ^ der Löki Aeltern, das Concert mit diesen auf dem
Capitol bei Rezzonico"^ mit der Aussicht auf dascampo vaccino,
wo die untergehende Sonne die Steine all des Ungeheuern
Gemäuers roth, die Bäume nur noch grüner, die Ferne dunkel-
blau gemalt hätte. Dss deutete er alles nur so an. Er erzählte
auch von einem Briefe Göttlini^'s aus Neapel % lobte ihn und
seine Sicherheit und Keckheit ^, seine Beschränkung in den
Zwecken und Unermüdlichkeit in den festgesetzten Gränzen.
Von den Salzbohrvcrsuchen, dem Salinendirektor Klenck'.
der neuen Saline bei Bufleben ging er über zu der Möglichkeit,
auch in Böhmen Salz zu finden und trug Luischen mit höchst
launischer Scherzhaftigkeit auf, dem Grafen Sternberg diese
Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit und warum nicht gleich
Gewissheit zu verkündigen. — Aber ich könnte noch lange
schreiben, ohne die Gegenstände, worüber er sprach, zu
' Nicht lange verlier hatte G. einen Brief des Grafen Sternberg
(vom ). Juli) erhalten, aus welchem wenigstens eine Stelle mitgetheilt
sei: «Ganz Deutschland muss sich an dieser Bahre erinnern, welche
Geistesentwicklung , welche Förderung der Wissenschaften unter der
begünstigenden Regierung dieses Fürsten von Weimar ausgegangen ist,
und in die allgemeine Trauer des Landes einstimmen ; doch wer könnte
dieses besser beurtheilen, als der verehrte Freund, der alle Phasen dieser
langen und denkwürdigen Regierung getheilt und an allem Grossen
und Guten, das sie bewirkt den grössten Antheil genommen hat?«
^ hl der Abschrift undcutlicii, könnte vielleicht Traditionen heissen.
5 In Rom 1787.
•> Zweiter Aufenthalt in Rom. Bericht Febr. 1788 s. ni. .\usg.
S. 587 fg. mit den Anmerkungen dazu.
> \ om 24. Juni 1828. Der Brief ist jetzt abgedruckt in Fischer:
Briefwechsel zwischen Goethe u. Göttling, München 1880, S. 41 — 53.
6 Wohl besser : Ra.schheit.
' G. erwähnt ihn in dem Briefe an Nikolo'.ius vom 7. .\ug. 1828.
Goethe-Jahrblxu II. 2 1
122 Neue Mittheilungen.
erschöpfen und am Ende hättest Du doch nur ein todtes
Gerippe, denn der Zaul)er seines Ausdrucks, seines lebendigen
CJeberdenspiels, seiner schönen heute mitunter recht kräftigen
und kUngenden Stimme fehhe. Unzählige kleine Anspiehmgen
und Scherze fielen noch nebenbei ! So hatte eine Frau in
St. der Tante Betty aufgetragen, sie ihm zu Füssen zu legen.
Dabei benahm er (sich) einzig, um diesen unanständigen
Altar einer anständigen Frau abzuwehren, der ihm schon in
der blossen Vorstellung schrecklich war.«
Auch andere Besuche stellten sich ein : Sorcf. der den
Erbprinzen begleitete, viele Engländer, unter ihnen die jungen
Herzöge Arthur Richard und Charles Wclleslcy von ^^'ellington,
Sir Clave, mit welchem über Brasilien geplaudert wurde ; der
Amerikaner Robinson mit seiner als Uebersetzerin serbischer
Volkslieder bekannten Frau, (Talvj),die, von Knebel empfohlen,
von Goethe als allerliebst charakterisirt wurde , »so hübsch
und eigensinnig, dass man hoffen darf, sie werde sowohl in
der alten als neuen Welt glücklich durchkommen« (G. Briefw.
mit Knebel II, 384, 387.), Leipziger Studenten, die (ioethe.
zuerst etwas unwillig, dann aber freundlich genug empfing :
Stieglitz aus Berlin, der wenigstens von Zelter angekündigt wurde,
der aber vielleicht nicht kam, Avie andere von dem Genannten
empfohlene Berliner Gedike, Bach und Rungenhagen die durch.
Krankheit zurückgehalten, den Brief aus Dresden übersendeten
und nachher bejammerten den Dichter zu verfehlen ' : der
französische Musiker Chelard , Maitre de Chapelle de S. M.
le Roi de Baviere, der aus Weimar nach Dornburg empfohlen,
von dort mit einem freundlichen Schreiben an Zelter nach
Berlin gewiesen wurde, dann, nach seiner Rückkehr in Weimar
eine Anstellung fand.
Ausser Besuchen kamen Briefe i)ersönlichen und wissen-
schaftlichen Inhalts, die Gelegenheit zur Beantwortung und
mannigfacher Anregung boten, Briefe, die zwar ausser denen
Knebels und Zelters nicht gedruckt, durch Goethe's Antworten
— man kennt, vgl. das unten folgende Verzeichniss, 49 aus
Dornburg geschriebene — ihrem wesentlichen Inhalte nach
bekannt sein dürften. Zu den Briefen ersterer Art gehört ein
im Namen der nun regierenden Hoheiten von Hrn. v. Beulwitz
gesendeter Brief (28. Juni), den Goethe mit jener wahrschein-
' G. u. Z. V, 72. 98. 104. Das. 98: »Die am 23. july von Dir
Hmpfohlcncn« ist nicht richtig. Ein Brief von diesem Datum ist nicht
erhalten und Zelters Bricfclien vom 22. (a. a. O. S. 74 fg.) enthält
keine Empfehlung der Genannten. Es niuss hcissen 2^ |uni s. V, 65.
Goethe in Dornburg.
i^i
lieh dtMi 17. Juli abgefassten. später mehrfach gedruckten, merk-
würdigen Seelen- und Zeits<:hilderung l)eant\v()rtete : zu den
letzteren ein Schreiben aus dem Haag ', dessen Inhalt und Ab-
sender aus dem bisher bekannten Material nicht zu ermitteln ist.
Auch von Dornburg aus besorgte (loethe sodann die Amts-
geschäfte . deren Erfüllung ihm oblag. Seine 'I'hätigkeit in
dieser Beziehung kann freilich, bei dem Mangel an akten-
raässigem Material. ni( ht erörtert werden : nur einer mit diesem
Geschäftskreise einigermassen in Verbindung stehenden Ange-
legenheit mag hier gedacht werden. Es ist die Ordnung dei
Briefschaften der Herzogin Amalia, welche Kanzler Müller im
Auftrage Karl Augusts besorgte. Der Beauftragte hatte die
ersten Zeugnisse seiner Arbeit an Goethe übersandt und erhielt
dieselben (25. July) zurück^ mit Dank und Anerkennung für
das Geleistete und folgender 1 Bemerkung: «Auf diesem \\'egc
werden sonderbare Dokumente gerettet: nicht in politischer,
sondern menschlicher Hinsicht unschätzbar, weil man sich nur
aus diesen Pai)ieren die damaligen Zustände wird vergegen-
wärtigen können, wie auf hohem Standort ein reines Wohl-
wollen . gebührende Anerkennung, ernstliche Studien und
heiterste Mittheiluni/ in einem Kreise sich bethätitren, der schon
demjenigen, der es mil erlel)t liat. mythologisch zu erscheinen
anfängt«.
Schon seit Jahren aber hatte die amiliche Thätigkeit nur
einen geringen l'heil des Tagewerks ausgemacht ; sie war mehr
und mehr durch die wissenschaftliihe Arbeit verdrängt worden.
Diese musste nun, zumal bei der Entfernung vom Sitze der
Behörden, immer mehr in den Vordergrund treten.
Goethe hatte, bevor er den furchtbaren Schicksalsschlag
erfuhr, eine französische Bearbeitung der »Metamorphose der
Pflanzen« mit Soret verabredet, der er, auch von Dornburg
aus, fördernde Theilnahme und fleissige Mitarbeit zuwendete.
Zu diesem Behufe besonders nahm er das grosse Werk A. P.
de Candolles: Organographie vegetale, 2 Bände, Paris 1827
durch, übersetzte einen Theil desselben sur la Symmetrie des
plantes nebst einigen anderen Fragmenten, schrieb «wenige
Noten zu Verständniss und Ausgleichung kleiner Differenzen,
welche eigentlich nur aus der Vershiedenheit beider Sprachen
entspringen«, und entwarf einen Plan zu der neuen Ausgabe
seines Werkes, den er am 3. Aug. an Soret übersandte. Auch
' Vgl. Briefe au Soret S. 52.
* Gedenkbuch S. 8;.
324 Neue Mittheilungen.
ein anderes eben damals in zweiter Auflage erschienenes Buch
brachte ihm für seine Arbeit Nutzen, das »System der Botanik«
von F. S. Voigt (Jena 1827) und wurde in der französischen
Bearbeitung mehrfach angeführt '.
So erregte die Botanik, die »aUe wohlfundirte Liebschaft«,
wie er einmal an Zelter schreibt, ihn aufs Neue : dazu kamen
als äussere Anlässe Sorets Lust sich alsUebersetzer zu bethätigen.
der beständige Aufenthalt in der Natur, in blühenden (iärten.
endlich auch eine gewisse Opposition gegen die deutsche
Wissenschaft, welche ihm »der seit 50 Jahren leidenschaftlich
den Naturbetrachtungen ergeben«, keine neue Gabe anbiete,
und ihn veranlasse zu sehen, »wie das Summa Summarum im
Auslande fruchtet« ^.
Das vielseitige Interesse für Naturwissenschaft gestattete
indessen keine Beschränkung auf die Botanik, vielmehr reihten
sich den genannten Studien manche andere an. Der Botanik
am nächsten lagen die in Folge der günstigen Aussichten auf
ein gutes Weinjahr auch praktisch nicht unwichtigen Betrach-
tungen über ^^'einkultur. die sich an eine Schrift von Kccht
anschlössen -\ Goethe verglich die Lehren dieses Buchs mit
den anerkannten Grundsätzen der Pflanzenphysiologie, führte
sie darauf zurück , fand sie auch hier probat und empfahl
besonders seinem (J<YO?,%ne^Qn Alfred Nico/oviiis,^ der sich schon
damals in Bonn befand, ihm etwa neu erschienene Schriften
über diesen Gegenstand zuzuschicken. »Uebrigens wünsche«,
schloss er heiter, »dass Du Dich bei der bevorstehenden Wein-
lese mit erfahrenen Männern hierüber besprächest, welches
jedem Christen erspriesslich sein kann, da in den Evangelien
des edlen Weinstocks und der damit bepflanzten schönen
Berge öfters in allen Ehren Erwähnung geschieht. ]3u weisst
ja, wie der Exegese die Naturanschauung kräftig zu Hülfe
kommt«.
Auf die Pflanzen- folgten Steinstudien. Das Interesse
für diese, schon immer rege, wurde neu belebt durch die
Sendung eines Buches von Af. v. Engclhardt: »Die Lagerstätte
des Goldes und Platin im Uralgebirge«, (Riga 1828) über
' Briete an Sorct S. 33 A. 1. Andere Erwähnungen Voigts,
Werke, Hcnipel XXXIII, S. 137, 148, 151, 152, 159, X;uurw. Corrcsp.
X'r. 31, 33, 192.
^ An Zelter V, 69, 98.
' J. S. Kecht, Verbesserter praktischer Weinb;ui. Nach dorn Tode
des Verfs. hgg. von S. W. Kecht. Berlin 1827.
t An Nicolovius, Sepdr. (G.-J. I, S. 397), S. 16.
(ioLTllE IN DOUNBLRG. )2)
weicht'S Goethe bald nach Empfang ' also urtheilt: »Von einem
scharfsichtigen, einsichtigen, wohldenkenden freyen Manne
geschrieben, wodurch mein Wunsch erfüllt wird, dass wir nun-
mehr (lebirg und (.langart kennen lernen, welche, dur( h Ver-
witterung, Zerbröckelung, Auflösung, zu Verschattungen und
Zuschüttungen der allernächsten 'J häler und Schluchten Veran-
lassung gegeben. In seinen ganzen Erklärungen ist nicht das
mindeste Gewaltsame, sondern man sieht die Natur wie sie
still wirkt und wie ich sie liebe«.
Auch Knebel theilte (Joethe seine Meinung ii])er die
erfreuliche Schrift mit ^ und meldete ihm. wie er auch Soret
gemeldet hatte, dass jene erste Sendung von der nicht minder
erfreulichen zweiten, nämlich dem «prächtig verguldeten (lyps-
modell, oder Abguss von dem Stück gediegenen Goldes, welches
am Ural gefunden worden ist«, einem Geschenk des Staatsrath
Lodcr'^) begleitet gewesen sei. (irade diese Sendung war
Cioethe besonders erwünscht, sie wurde \on ihm dem (iärtner
Sckell gezeigt, der sich zwar später des Gewichts des Klumpens
(etwa ein Viertelzentner) nicht mehr erinnert, aber die Worte
des Meisters : »Sehen sie. hier liabe i( h von Petersburg den
Abdruck eines Goldklumjjen erhalten, welcher bis jetzt der
grösste ist. den man aufgefunden hat« überliefert und meldet,
dass der Abdruck die Form des Kojjfes eines erwachsenen
Menschen hatte.
Wie die Erscheinungen auf der Erde, so gaben die Himmels-
Erscheinungen (loethe Veranlassung zu Betrachtungen und
Bemerkungen, die während seines Dornburger Aufenthalts ein-
tretenden Regengüsse brachten ihn dazu, barometrische Ver-
gleichungen anzustellen, von den Freunden Nachrichten über
das \\'etter in ihrer Gegend zu verlangen, Avohl auch denen,
welche die Al)sicht . ihn zu besuchen aussprachen . einen
l)estimmten Barometerstand anzugeben, welchen sie abwarten
sollten. Zelter aber, der auf Alles einging, und der, ohne
allzu\ iel methodisch geordnete Kenntnisse zu besitzen, den
.Mangel an Wissen durch seinen graden klaren Verstand, durch
die T.ust, dem verehrten Freunde in Allem zu folgen und seine
hingebende T.iel)e ersetzte, die ihm manche Schwierigkeiten
besiegen half, wünschte etwas von den Untersui hungen zu
' An Sorct, 15. Aug., Briete .S. 60.
•-- 18. Aug. Knebel II, 586. Vgl. auch unten an Müller.
' Sollte dessen Brief, Moskau, 9. April 1828 (Naturwiss. Corr. I,
307 — 511) wirklich erst im Aug. in Dornburg cingetrofi'cn sein, oder
kam die Sendun»; ohne Brief?
326 NüUE MiTTlIEILUNGEN.
nützen und schrieb : »Um endlich noch einmal auf die wüste
Witterung zu kommen: Lass mich doch einsehn wie Du die
Sache siehst und schreibe etwas auf, ich bin gewiss nicht der
letzte, der Deinen (iedanken fasst; dass die Ursache nicht
auswendig zu suchen ist, davon bin ich überzeugt'«. Durch
eine solche Mahnung angeregt entwarf Goethe einen Al)riss
seiner Deutung der Witterungs-Erscheinungen, schrieb ihn in
den ersten Tagen des September nieder, ergänzte ihn durch
Aufzeichnungen über den Barometerstand an den folgenden
Tagen, schloss diese Bemerkungen mit dem Vers :
Denn mit dem hinunlischen Küchenzettel
Isfs immer wieder der alte Bettel.
schickte aber das (janze, mit mancherlei anderen Zusätzen
versehen, erst von Weimar aus ab ^.
Während er Zelters Verlangen gern erfüllte, \erhielt er
sich dem von A^ces von Esenbcck ausgesprochenen gegenüber
ablehnend. Dieser hatte nämlich den Wunsch zu erkennen
gegeben, eine wohlwollende Aeusserung über den verstorbenen
Bojaniis zu erhalten, ;;eine Andeutung dessen, wass durch diese
nachträgliche Tafel [die Abbildung des Urstierskeletts] ergänzt,
erläutert und besser vor Augen gebracht wird«, musste aber
auf einen derartigen Aufsatz , welchen er für ein schöneres
Denkmal erklärte, als die gelehrteste latinisirende Biographie,
verzichten und nach dreijährigem Warten sich dazu verstehen,
einer von Prof. Otto verfassten Biographie des Verstorbenen
einige Worte voranzuschicken, in denen er Goethe's ehrender
Theilnahme an der letzten Arbeit dieses Anatomen gedachte '.
So sehr nun auch die naturwissenschaftlichen Studien im
Vordergrund standen, so blieben sie nicht die alleinherrschen-
den. Mittelbar waren sie es indess, die Goethe auf ein anderes
wenn auch benachbartes Gebiet riefen. In Candolle's oben-
erwähntem Werke nämlich war unter denen, welche vor Goethe
eine richtige naturwissenschaftliche Beobachtung angebahnt
hätten, Joachim Jiingius genannt worden. Diese Nennung
gab Anlass zu neuen Studien. »Den alten Joachim Jungius«
— heisst es in einem Briefe an Soret. Weimar 2. {uli
2 -
50. Aug. i<S28, Briclw. \', 105.
5. Okt., a. a. O., 106 — 108, Zeiter geht nur sehr wenig auf die
Darlegung ein: 19. Okt., S. 120.
5 Naturvv. Corr. II, 167, 176. Briefe vom 12. Juli 1828, 23. Juli i8u.
Vgl. Nennung des Bojanus in Werke, Hempel XXXIV, 174.
GOETHt IN DORNBCRG. ^2"/
»dessen seltene Schriften, auf die er (Candolle) uns hinweisst,
sich auf der Jcnaischen Bibhothek glücklicherweise befinden,
studier ich sehr ernsthaft, um zu erfahren, was ich mit diesem
grauen Vorgänger gemein habe; bisher war er mir unljekannt
geblieben«. Nun war freilich Jungius vornemlich Botaniker.
Naturforscher überhaupt und auf die Werke, die er als solcher
geschrieben, bezieht sich die Darstellung und die fragmen-
tarischen Notizen, die Goethe ihm gewidmet u. d. '1'.: »Leben
und Verdienste des lOoctor Joachim Jungius. Rektors zu Ham-
burg« (Werke, Hempel XXXIV, S. 208 223), aber sie berührt
auch den Umstand, dass Jungius mit Vorliebe Mathematik
betrieb und dass er in seinem Hauptwerke : Doxoscopiae
Physicae minores, das erst 5 Jahre nach seinem Tode heraus-
kam, „nach und nach aus den Reichen der Metaphysik herab-
steigend, der Erfahrungsphysik sich nähert und zuletzt bis zur
Chemie und zur Harmonie der Töne gelangt" '. Eine solche
Beobachtung genügte, um Goethe zum Weitergehen zu bewegen,
wie er denn niemals bei der Betrachtung eines Menschen mit
der Erkenntniss einer Seite seines Wesens sich befriedigt
erklärte, sondern ihn nach allen Seiten zu verfolgen, die
verschiedensten Aeusserungen seines Geistes zu belauschen
bemüht war. Während er daher den Naturforschern das fast
unbekannte Wesen eines würdigen Vorgängers zu enträthseln
begann, fragte er Zelter nach einem musikalischen System,
»das in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegolten und
dergestalt ausgesprochen gewesen , dass es ein Hamburger
Rector jener Zeit seinen Schülern auf drey gedruckten Bogen
habe überliefern können ? Ich bin so eben mit Betrachtung über
jene bedeutende Epoche, der wir so viel schuldig sind, be-
schäftigt« , erhielt freilich auf diese Anfrage keine recht
genügende Antwort, wohl aber Bemerkungen über den inneren
Werth der von jungius geäusserten musikalischen Theorie.
(Vgl. G. u. Z. V."83, 135, 139.)
Neben die verschiedenartigen wissenschaftlichen Bestre-
bungen traten sodann die künstlerischen. In welcher Weise
sie den Dichter beherrschten, lehren die unten folgenden
' Im Besitze des Hrn. v. Loepcr befinden sich 5 Bibliothcks/cttcl
der Jenaer Universitätsbibliothek (10. July 1828) unterschrieben : J. \\'.
V. Goethe, auf denen dieser drei Werke des Jungius: Logica Ham-
burgensis, 1681, Germania superior, 168), Mineralia 1689 verlangt. Auf
einen 4. Zettel hat G. eigenhändig geschrieben : »Erbitte mir Joachim
Jungius Isagoge phytosopica (sie. st.: phytoscopica) 1678. Goethe« und
wie Weller nachschriftlich bemerkt, am 13. Okt. 1828 erhalten.
328
Neue Mittheilungen.
Briefe: hervorgehoben mag werden das Interesse an Dorow's
glücklichen Funden, und die Aufmerksamkeit, freilich auch
das Misstrauen, welches der Dichter der damals noch unge-
druckten DanteUbersetzung desPhilalethes ( Johann's, damaligen
Prinzen von Sachsen) entgegenbrachte. Auch hier wurde
die Anerkennung fremder Thätigkeit durch eigenes Schaffen
erhöht. »Auch mache ich hier wieder Gedichte«, sagte Goethe
zu Eckermann ((bespräche IL. S. 5) bei einem von dessen
Besuchen, »die nicht schlecht sind, und möchte überall, dass
es mir vergönnt wäre, in diesem Zustande so fortzuleben«.
Zwei derselben lassen sich aus brieflichen Quellen nachweisen.
Zunächst das schöne Gedicht : »Dem aufgehenden Vollmonde.
Dornburg. August 1828«. (Werke, Hempel III., S. 99 fg.) das.
theilweise eine Fortsetzung der alten traulichen Beziehungen
zu Marianne von Willemer, eine Erfüllung des ehemals gege-
benen Versprechens, beim Vollmond an die Abwesende zu
denken, theilweise ein Ausdruck der Betrübniss über den
kürzlich erlittenen schweren Verlust, alsbald einigen Theil-
nehmern, auch an Zelter geschickt wurde, der freilich der
liittc. einige Noten an die beigelegten Strophen zu verwenden,
um sie dadurch neu zu beleben, nicht nachkam \ Ein ferneres
Lied, »Früh, wenn Thal, Gebirg und Garten Nebelschleiern
sich enthüllen« (Werke, Hempel III., 100), dem Kreise der
Naturbetrachtungen entstammend, in denen Goethe sich damals
o-ern bewegte, gehört gleichfalls der Dornburger Zeit an.
Zwei andere Gedichte entstanden, nach Goethe's eigener Be-
merkung (vgl. oben S. 317), während der Dornburger Zeit; sie
haben beide das Ciemeinsame, dass der Dichter sich zur Natur
flüchtet und, obwohl gebeugt von schwerem Verlust, das
Vertrauen und die Hoffnung auf eine gedeihliche Entwic-klung
der W elt und des Menschen bewahrt und ausspricht. Endlich
mag au( h diese Zeit ziemlich ungestörter Einsamkeit der
Weiterarbeit am Faust günstig gewesen sein. So wenigstens
kann man folgende Stelle in einem Briefe an Zelter (26. Ji^ili)
auffassen: »Dass ii h in diesen zwanzig Tagen, aus Unruhe.
Neigung, Trieb und Langerweile gar manches geleistet habe,
wirst Du wohl glauben : leider ist es sehr vielerley, dergestalt
dass es nicht leiclit zur Erscheinung kommen wird«. Freilicli
' Marianne von Willcmcr erhielt das (Gedicht erst als Hinhige zu
einem Briefe 25. Okt. 1828. (Briefweclisel herausg. von Th. Creizenach,
2. .\ufl. Stuttg. 1878, S. 259 i'g.) Das Gedicht ist daselbst mit dem
Datum des 25. Aug. hezeicimet, 'und die Worte des bjpglcitenden Briefes
weisen auf den dein Gedicht zu Grunde liegenden Gedanken hin.
GOETHI: IN DORNBUKG. 329
spricht die sich unmittelbar anschliessende Bemerkung: »Meine
nahe Hoffnung Euch zu Michael die Fortsetzung von Faust
zu geben, wird mir denn auch durch diese Ereignisse ver-
eitelt«, dagegen, doth lässt sich ein weiterer Passus, der von
dem ebenangeführten nur durch eine Stelle über die Auffassung
des Faust durch das Publikum getrennt wird, recht wohl auf
eine grade damals wieder lebendige Arbeit an diesem \\'erke
beziehn. »Der Anfang des zweyten Acts ist gelungen: wir
wollen dies ganz bescheiden aussprechen, weil wir ihn. wenn
er nicht da stünde, nicht machen würden. Es kommt nun
darauf an, den ersten Act zu schliessen, der bis aufs letzte
Detail erfunden ist, und ohne dieses Unheil auch schon im
behaglichen Reinen ausgeführt stände«. Ob freilich diese
Worte grade auf die Wochen des Dornburger Aufenthaltes
zu beziehen sind, steht dahin; v. Loeper (Faust, zweite
Bearbeitung II.. S. XXXI. Anm. ''*) gibt an, dass die Aus-
führung der ersten beiden Scenen in Fausts ehemaligem Zimmer
und in \\'agners Laboratorium in den Sommer 1828 und in
die erste Hälfte des J. 1829 fällt; eine bestimmtere Datirung
lässt sich wohl einstweilen nicht geben '.
Die letzten Lebensjahre (ioethe's sind trotz der Staunens-,
werthen Frische und der rastlosen Thätigkeit des Greises,
weniger eine Zeit reicher Productivität, als, wie es in der
Natur dieses letzten Lebensabschnitts liegt . eine Periode
emsigen Sammeins, Sichtens und Ordnens. Erst vor Kurzem
ist man durch den von Kuno Fischer veröffentlichten Brief-
wechsel zwischen Goethe und Göttling belehrt worden, in
welcher ^^'eise grade das Jahr 1828 und die unmittelbar
\orhergehenden der Herstellung. Ordnung und endgiltigen
Feststellung der »Ausgabe letzter Hand« gewidmet war. Aber
Göttling, der eifrige, wenn auch nicht immer glückliche Mit-
arbeiter an dieser Ausgabe, war Mitte Februar 1828 nach
Italien gereist und hatte durch seine Abreise das glücklich
angefangene \\'erk ins Stocken gebracht. Die Zwischenzeit
zwischen Göttlings Abreise und Rückkehr — das erste ^\'ieder-
anknüpfen ist vom 25. Oktober - wurde zum Ausdrucken
des in gemeinsamer Arbeit festgestellten Textes benutzt^.
Doch ist es mehr als Avahrscheinlich. dass Goethe, um dem
■ Die W'citcrarbcit an der Neugestaltung der W'anderjahre dagegen,
die ursprünglich dem Sommer 1828 vorbehalten war, unterblieb nach
Eckermanns bestimmtem Zeugniss (Gespräche IL, S. 7 fg.) während
der Dornburger Periode.
"" Vgl. Brief an Reicliel ',. .\u£?.
330 Neue Mittueilungen.
Heimkehrenden sogleich Stoff zu erneuter Thätigkeit über-
reichen zu können , manche Bände, vorbereitet habe. Aus
diesem Stillstand der damals wichtigsten Verhandlungen zwischen
Dornburg und Augsburg oder Stuttgart erklärt sich auch, dass
der (xoethe-C'otta'sche Briefwechsel jener Tage nur zwei Num-
mern mehr privater als geschäftlicher Natur aufweist ; einer
dieser Briefe ist wegen seines freundschaftlich-herzlichen Tones
besonders bemerkenswerth, bei dessen Anhören Cotta jenes
Schreiben vom 13. Dez. 1827 vergessen mochte, das ihn,
und mit Recht, so empfindlich berührt hatte \ Denn auch
das zweite grosse Verlagsunternehmen, das ausser der neuen
Ausgabe der Werke zwischen Buchhändler und Schriftsteller
vereinbart war, der Schiller-Goethe"sche Briefwechsel nämlich,
war im Wesentlichen beendet und die letzten Dispositionen
wurden bei der einige Monate später statthabenden Anwesen-
heit Cotta's in Weimar getroffen^.
So war die Dornburger Zeit durch literarische Beschäf-
tigungen mannigfachster Art ausgefüllt : der Greis, obgleich
durch den Verlust seines in langjähriger Gemeinschaft bewährten
fürstlichen Freundes tief erschüttert, fuhr fort, sein geistiges
Vermächtniss in gute Ordnung zu bringen, in welcher es der
Nation überliefert werden sollte und dem reichen Schatze,
den er bereits aufgehäuft hatte, neue Kostbarkeiten hinzu-
zufügen. Denn er erkannte, dass es für den Lebendigen
stets gelte, sein Tagewerk fortzusetzen, niemals aber ange-
bracht sei, sich eigenmächtig und eigenwillig von der Bühne
zurückzuziehn, auf der ihm nun einmal der Schauplatz bestimmt
war, und wie er z. B. im Einzelnen darauf drang, dass man.
wie in den früheren Jahren, so auch nun die Ausstellung in
Weimar am 3. Sei)t, eröffne, so hielt er im Allgemeinen an
dem Grundsatz fest, »dass jeder Treugesinnte vorerst nur
daran denkt in den Wegen fortzuwandeln che der Abgeschiedene
bezeichnet und eingeleitet hat: dadurch wird denn auch wohl
das allenfalls sich Abändernde erträglich seyn und in einigen
Functen vielleicht Beyfall verdienen«. (An Zelter, 27. july
V., S. 78.)
Die Thätigkeit, als eine ununterbrochene Aeusserung klar
erkannter Pflicht, sollte nicht aufhören, aber die Freude musste
schwinden. Demgemäss schrieb Goethe, da er nicht wissen
konnte, ob nicht irgend ein Unberufener die Festlichkeiten
' Briefw. /.w. Schiller u. Cotta, S. 581 ^584.
- A. a. O. S. 586 fg. 28. Okt. 1828.
CiOKTHE IN DORNBURG. 33^
erneuern wollte, mit denen man während der letzten Jahre
in Weimar und an anderen Orten seinen Geburtstag zu ehren
i^ewohnt war: »jede Spur von Feyerlichkeit, dem 28 Aug.
zugedacht, habe verbeten und verboten«. (An Zelter, 26. Aug.
V, :^. 99-)
Oeffentliclie Festlichkeiten in Dornburg unterblieben daher
vollkommen: die Weimarer Freunde Hessen sich indessen das
Festmahl ni( ht nehmen, auf das sie nun einmal ein Anrecht
zu haben glaubten, und auch an jenem ländlichen Ort sollte
und konnte die stille Art, durch welche Freunde und Verehrer
dem Greise ihre Huldigung darbrachten, nicht gehindert werden.
Der grossherzogliche Gartenknecht und die (nirtenarbeiter
wanden ihm, wie Sckell erzählt, »zum 28. August einen Kranz
und hingen denselben, mit einer komischen Inschrift versehen,
über der Eingangsthür auf. Goethe bemerkte den Kranz bemi
Heraustreten freudig erregt und lachte über die Inschrift. Ich
niusste die Leute zu ihm bescheiden. Es erschien nur der
Gartenknecht. Goethe dankte für die ihm bezeigte Aufmerk-
samkeit aufs Freundlichste, schenkte ihm einen Ducaten und
behändigte ihm für die übrigen Arbeiter eine Summe (Feldes,
deren Höhe ich nicht erfahren habe«.
Ein zweite Freude wurde ihm durch einen l'.net des
(;iessener Professors F. A. v. Ritgen zu Theil . der ein mit
seinem Lehrer Wilbraud zusammen gearbeitetes Werk: »Ge-
mälde der organischen Natur« Goethe zueignete und dies nebst
einer andern kleinern Arbeit zum Geburtstage übersandte, mit
einem Schreiben, in welchem er von dem grossartigen FLinthiss
der »Metamorphose der Pflanzen« auch auf seine eigene natur-
wissensc:haftliche Richtung sprach und die zweite Scdirift mit
den sc-hönen Worten empfahl : »Auch diese Arbeit gehört
Ihnen, wie das Rächlein seinem Quell; allein so oft ich das
längst gebundene Heftchen zur Hand nahm, schien es mir
gar zu geringe und so allein , ohne Begleitung, nicht des
würdigenden ^Blicks des Meisters werth. Was ich ihm bei-
geben wollte, reifte spät und erst jetzt kann ich es freudig
hinzulegen : und so sende ich das Beste, was ich habe. Nehmen
Sie es freundlich hin!« (18. Aug. Naturw. Gorr. II. 200).^
Ein drittes überaus sinniges Gesc:henk ferner war die Uhr
aus dem Vaterhause, welche durch den Grossherzog Georg
Friedrich von Meckknluirg-Strelitz dem Dichter geschenkt und,
wenn auch nicht in Dornburg, so doch in Weimar am Geburts-
tagsmorgen aufgestellt wurde. Es war eine schöne Erinnerung
an die Jugendtage, zugleich eine ahnungsvolle Mahnung an die
rasch dahineilende Gegenwart, an das Wirken für die Zukunft.
)}-
NeCL MlTTHHILUNGUN.
Zum Geburtstag traf sodann auch eine Sammlung des
eifrigen Raths Grüner ein. des fleissigen Mineralogen, mit dem
C]oethe in Eger gern \erkehrte und dem er auch von der
Ferne aus manch freundliches Wort zusendete. Dieser hatte
aus Weimar zwei Bronze-Medaillen erhalten, deren eine das
Brustbild des Grossherzogs, deren andere das Bild Goethe's
trug, auf der Rückseite einen aufsteigenden Adler mit einem
Lorbeerkranz und er glaubte, dem verehrten Freunde sich
gefällig zu erweisen, wenn er diese Medaillen durch Eisen-
abgUsse des Horczowitzer Eisenwerks, das sich gerade durch
derartige Arbeiten auszeichnete, auch in Böhmen verbreitete.
Diese Abgüsse, welche von dem Direktor des genannten
Eisenwerks für Juli 1827 versprochen waren, wurden erst im
Sommer 1828 geliefert und am 20. August nach Dornburg
gesandt. Cioethe dankte (3. Sept.), lobte den gutgerathenen
Guss und bemerkte dazu : »Das Bildniss unseres trefflichen
Fürsten war mir um so erwünschter, als er uns leider vor
Kurzem verliess, uns in die grössten Schmerzen versetzte und
eine unbeschreibliche Leere in den Herzen seiner treuen
Diener zurückliess. Sie kannten ihn selbst, er zeichnete Sie
aus und Sie sind wie wir von diesem Falle schwer betroffen« '.
Knüpfte Grüners Geschenk an die unmittelbare Vergangen-
heit an, so erinnerte eine Gabe Abekcns an die schönen mit
Schiller verbrachten Zeiten. Abeken sandte nämlich Auszüge
aus den Tagebüchern seiner Gattin, der Cousine von Schillers
Frau, Christiane von Wurmb, worin diese »Tischreden« des
\erewigten Dichters verzeichnet hatte ^. Goethe war über
dieselben sehr erfreut: er meinte: »Sie hat alles sehr hübsch
aufgefasst und treu wiedergegeben, und das liest sich nun
naf h so langer Zeit gar gut, indem man dadurch unmittelbar
in einen Zustand versetzt wird, der mit tausend andern
bedeutenden vorübergegangen ist, in diesem Falle aber glück-
licherweise in seiner Lebendigkeit auf dem Papiere gefesselt
worden«.
Neben der Freude fehlte auch der Schmerz nicht. \'iel-
leicht noch am 28. August, jedenfalls unmittelbar darauf musste
der Greis vernehmen, dass F. A. Jlo/Jf. der treffliche Schau-
spieler, »mein treuester Scliiiler, derwolil zu seinen und meinen
' Briclwcchsc! zwischen Cioctlie und Rath Cirüncr. l.cipz. 1855,
S. 256—258.
^ Sie sind später vielfach i;edruckt . zuerst in »Schillers Lebenu
von Caroline von vVol/.ogen 1850: j. Aufl. 1876 S. 524—556. Ckiethe's
.\eusserung bei Hckermann II, S. 8.
Goethe In Dornburg. 333
Ehren sein Daseyn verlängert sehen soUteu. wie Ooethe kurz
vorher an den Kanzler Mllller geschriel)en hatte, in Weimar.
\ on wo er ausgegangen und wohin er »vom Kampf ermattet«
zurückgekehrt war, sein Leben beschlossen hatte. Auf seinem
Sarge lag auch eine von l^lumen gewundene Lyra, die (loethe
\on Dornburg aus gesandt, mit der Insclirift :
Mögt zur Gruft ihn senken.
Doch nicht starb,
Wer solch' .\ngedenken
Sich erwarb.
Bei der Beerdigung hielt der Si-hauspieler Oels eine Rede,
aus der ich mir nicht versagen kann einen Passus, der sich
auf den eben angedeuteten Brief bezieht, mitzutheilen : »Ach.
dass die goldenen Worte liebevollster Achtung und Theilnahme,
die Goethe aus seinem einsamen Asyl ihm no<-h zuletzt durch
Freundes Mund zurufen Hess, nicht mehr von dem Scheiden-
den vernommen werden konnten ! — Doch vielleicht hätten
sie seinen Abschied , gerade am Lebenstage des erhabeneii
Meisters — als sollte sein Andenken noch fester an das
Herrlichste , was wir besitzen, geknüpft werden - nur er-
schwert, indem sie den Werth seines eigenen Lebens noch
erhöhen mussten. Möge der ewige Baumeister der Welten
dem Meister die Tage zulegen , die dem treuen würdigen
Schüler versagt waren« '.
Nur wenige Tage nach dem (Jeburtstage traf ein junger
Dresdener Schriftsteller Kraiikling ein, der dem Meister schon
lange verehrungsvoll zugethan und auch von ihm nicht unbe-
achtet geblieben, sich zur Feier des 28. August, der auch sein
(jeburtstag war. von Dresden nach "Weimar aufgemacht hatte.
Er sprach sodann in Dornburg ein — am i. Sept. reiste er
von dort wieder ab — und wurde von Goethe in sehr liebens-
würdiger Weise empfangen und durch Gespräche unterhalten,
aus denen besonders des Alten unverwüstliches Literesse am
Neuen und stets frisches Mitleben mit der Jugend hervorzu-
heben ist ^.
Die Dornburger Tage neigten ihrem Ende zu. Nur
ein schwerer Tag war noch zu überstehn : der 3. Sei)tember.
Brie!
' M. Martersteig: P. .\. Wolrt", Leipzig 1879, S. lySti".
^ Vgl. V. Biedermann: Goethe und Dresden, S. 65—67. 154, unten
ief vom i. Sept. .\nm. und C. Wendeler, Brief\V. Meusebachs mit
Jak. u. Wilh. Grimm. Heilhronn 1880, S. X\'II— XX.
334 Neue Mittheilungen.
des Herzogs Cieburtstag. Man war gewohnt diesen Tag nicht
nur mit rausclienden Festen zu begehen, in denen die Treue
der Unterthanen und die Liebe der Freunde sich dokumentirte,
sondern durch eine Huldigung sinniger Art : durch die Eröff-
nung der KunstaussteUung der von dem Herzog errichteten
Zeichenschule. Goethe drang darauf, dass gerade diesmal der
Termin festgehalten würde; ein Abweichen von der Gewohn-
heit dünkte ihm eine Impietät; ein Beharren bei derselben
schien ihm die Gewähr zu bieten, dass man das von Jenem
Gestiftete und Angeregte bewahren und in seinem Sinne fort-
setzen wollte. Nun aber sollte der 3. Sept. auch der Tag
eines ernstern Festes werden, der dem Andenken des Herzogs
bestimmten Logenfeier nämlich, durch welche nicht die Unter-
thanen den Verlust des Herrschers, sondern die Brüder den
Heimgang des Bruders, die Freunde das Scheiden des Freundes
beklagen wollten. Einer so edlen Trauerfestlichkeit konnte
und wollte sich Goethe nicht entziehen, und wenn er auch,
freiwillig in seine Einsamkeit gebannt, nicht für diesen Tag
aus derselben herauszutreten gedachte, so verfolgte er doch
mit herzlicher Antheilnahme die Bemühungen seiner Genossen.
Hess sich durch den treugesinnten Kanzler <'. Jj^/Z/rr von den-
selben unterrichten und ertheilte, um seine dem Verstorbenen
so oft bewiesene Freundschaft neu zu bethätigen, gern seinen
Rath über die getroffenen Veranstaltungen. Das Fest fand
dann wirklich statt, eine würdige Erinnerungsfeier, bei welcher
man in echt menschlicher Weise nicht blos die Erinnerung
an den Fürsten, sondern auch an zwei andere Heimgegangene
Mitglieder Meiscl und v. Einsiedet beging; die der Festschrift '
vorangeschickte Einleitung gedachte ausserdem des Verlustes,
den die Gesellschaft durch den Tod des Schauspielers Wolff
und des Arztes Huschke erlitten hatte. Die künstlerische
Ausschmückung des Saals war von dem Baumeister Coiidray.
dem geschickten Anordner derartiger Feste nicht ohne Beirath
(Joethe's besorgt worden; der Baumeister selbst hatte, ebenso
wie Goethe's Sohn August, mannigfache Obliegenheiten bei
dem Feste zu besorgen, der Letztere z. B. die von Ackermann
verfasste Schilderung des Lebensganges des verewigten Meisel
vorzutragen ; aus Goethe's »des Aelteren« Gedichten war am
Schluss der ebengenannten Rede ein Vers angeführt worden
und ein THeil der zum Jubelfeste Karl Augusts gedichteten
(.'antäte: »Lasst fahren hin das Allzuflüchtige« bildet den Ein-
Freymaurer-Analekten 4. Heft. Weimar dritten September 1828.
Goethe fN Dornburg. 335
leitungsgesang /u der meisterhaften, sprachlich und inlialtUch
vollendeten Rede, in weh her Kanzler Müller die Verdienste des
verstorbenen Herzogs feierte und sein (Jediichtniss erneuerte.
(ioethe hatte erfahren, dass der neue(irossherzogam 14. Sept.
wieder in Weimar eintreffen werde, dass unmittelbar darauf
die Huldigungs-Feierlichkeiten stattfinden sollten; er hielt es
für unpassend, länger als der Herrscher die Zeit der Einsam-
keit und 7Airückgezogenheit auszudehnen, erachtete es vielmehr
für seine Pflicht, den Grossherzog in Weimar zu empfangen.
Am II. Sept. 1828' fuhr er von Dornburg ab.
Der Schmerz war gemildert, wenn auch nicht geschwun-
den. Die ZAu-ückgebliebenen, die fürstliche Wittwe I-uise und
das neue grossherzogliche Paar traten dem Dichter mit herz-
licher Verehrung und aufmerksamer Freundschaft entgegen
und gestalteten, soweit es an ihnen lag, seine letzten Lebens-
jahre zu einer friedlich-glückseligen Zeit. Aber auch an ihren
Palast klopfte noch einmal der Tod und bereitete dem Dichter
neue Schmerzen, öfter, als ihm lieb war, sah er seinen Grund-
satz bewahrheitet : »Lange leben heisst viele überleben« und
bis an sein eigenes Lebensende hatte er sich den Spruch zu-
zurufen . welcher ihn auch in der Dornburger Zeit aufrecht
erhalten hatte: »Lieber Gräber vorwärts«.
I.
(An Kan:iler Müller} Schloss Donibiirg, u. Juli 1S2S.)
(iaudeat ingrediens laetetur et aede recedens
His qui praetereunt det bona cuncta Deus i6o8.
So lautet die Inschrift über dem Eingang des Schlöss-
chens, dessen Zimmer nach Süden ich bewohne; die Thür-
' So nach dem Briet" an Müller vom 22. Sept. und dem Tage-
buch. Freilich widerspriclit diesem Goethe'schen Zeugniss ein anderes
die eigenliändige Insciirift nämlich, welche sich am Rahmen des einen
Fensters im Goethezimmer zu Dornburg findet und welche lautet:
»1828 vom 7. Juli bis 12. Sept. weilte hier Goethec
^ Dieser und die folgenden Briefe Goethe's an Müller befinden
sich in Kanzler Müllers Archiv und sind von mir, durch gütis;e Ver-
336 Neue Mittheilungen.
iiiewändc, das Sinischcn iiiui (jicbclchcn sind im Geschmack
jener Zeit architectoniscli und plastisch errichtet und viel-
tach ver/iert. Und so wollen wir denn den alten Besitzer
loben, dass er sich geilen alle Herannahende für ewige
Zeiten Ireundlich und wohlwollend erweisen mochte; deute
man immer auf das Glück hin, das Unheil kommt unge-
rufen. H. Gn. habe den aufrichtigsten Dank /u sagen für
die mitgetheilten Nachrichten der so würdig vollendeten
Trauerteier ', nicht weniger für die höchst willkommenen,
obgleich vorherzusehenden Aeusserungen unserer Höchsten
Erwarteten.
Der Aufenthalt hier auf der Höhe ist höchst erquicklich ;
die Anlage der Terrassen kann man labyrinthisch nennen,
auch mache ich dieser Tage her immer neue Entdeckungen.
Da ich soweit bin, besucht mich der gute Töpfer^ und
bringt mir umständUche erfreuliche Nachrichten von der
wäirdigen Bestattung des edlen Geschiedenen und von dem
Wohlbefinden der guten Zurückgelassenen. Nun bedenke
ich vor allen Dingen was ich allenfalls mit dieser Gelegen-
heit bringen kann und sehe vorerst das Exemplar von
Kunst und Alterthum, welches, froh begonnen, Ihnen den
heitersten Beitrag verdankt und nunmehr traurig abge-
schlossen wird.
niittlung des Oberarchivar Dr. Burkhardt in Weimar, daselbst eingeselieii
worden. Sie stehen auf Q.uart- oder FoHobogen , deren erste Seite
Trauerrand hat, (nur der letzte Briet vom i. Sept. hat keinen) abwechselnd
2, 3, ; Seiten beschrieben, sämmtlich dictirt, nur Namensunterschrift
und häufig einige Worte vor derselben eigenhändig. Sowohl diese
Briefe als alle die übrigen, welche, der Dornburger Zeit angehörend,
hier folgen, habe ich zunächst in Abschriften aus Dr. Uhde's Nachlass,
durch gütige Vermittlung von Frau Dr. Uhde benutzt, dieselben aber,
soweit es mir möglich war, mit den Originalen collationirt.
■ Der feierlichen Beisetzung Karl Augusts 9. Juli.
- Landesdirektionsrath in Weimar vgl. oben S. 320.
Goethe in Dornburg. 337
Dankbar verpflichtet mit angelegentlicher Bitte mich
manchmal durch Nachricht von erwünschten Vori'allen zu
erfreuen )\V v Goethe
Nachschrittlich bitte baldmöglichst um einige Exemplare
des schönen biographischen Aufsat/es', den Sie unsrem
X'erewigten gewidmet haben. An Zelter' bitte' von Weimar
aus einige Exemplare zu senden. Grüssen sie unsere gute
Julie ^^ schönstens; leider weis ich zu ihrer Beruhigung
nichts zu sagen. Sie erfährt nun , wie es einem armen
Autor zu Muthe ist, der sich unzulänglich übersetzt sieht.
2.
fA}i Heinrich Meyer. ' //. /////' /<V2<V.J
Schon einige Tage daher wälzt sich's mir in Sinn und
(jedanken, irgend ein Wort an Sie gelangen zu lassen, nun
kommt mir der gute Ilofgärtner Skel ' grade recht, der
sich anbietet, ein Blättchen an Sie mitzunehmen. Es geht
Ihnen, wie er mir sagt, auf Ihrer Berghöhe ganz wohl,
mir auch auf der meinigen. Hier ist es ausserordentlich
schön, die Lage selbst ist einzig, auch die grosse Abwechse-
' »Zum ruhmwürdigen Gediichtniss S. K. H. Kar! Augusts, Gross-
herzogs von Sachsen-Weimar«, zuerst gedrucktJenaerLiteraturzeitungi828,
dann separat. Von dieser Rede wird unten noch melirtach gesproclien.
- Zelter schreibt 22. Juh (Zelter V., 75): «Herr Kanzler v. Müller
hat mir seine Schrift zum Hhrengedächtnisse des Grossherzogs von
Weimar K. A. gesandt; das inliegende Blatt enthält meinen Dank
dalür und Du thust mir wohl die Liebe es überschreiben und an ihn
gelangen zu lassen «.
5 Julie von Egloffstein (12. Sept. 1792 bis 16. Jan. 1869), die
wegen ihrer künstlerischen Talente in den »Annalen« mehrfach gepriesene.
Worauf der letzte Satz geht, vermag ich nicht zu sageii; sollte er auf
den Tod des Grossherzogs zu beziehen sein?
* Qiiartbogen mit schwarzem Rand. Dictirt; nur: )>treuliclist und
Unterschrift« eigenhändig.
> Er selbst schrieb sich Sckell, s. oben S. 5 17. Das Original dieses Briefs
und der folgenden an Meyer gerichteten auf der Grossherz. Bibl. in Weimar.
Goethe-Jahrbuch II. 22
338 Neue Mittheilungen.
lung, welche Tageszeit und Witterung bringen, weder zu
zählen, noch zu beschreiben. Ich war seit meinem hiesigen
Aufenthalt fleissig genug und habe Manches zu Stande
gebracht, was ohne eine absolute Einsamkeit nicht möghch
gewesen wäre, ich hofte sie noch eine Zeit lang fortzusetzen
und sage überhaupt nächstens über unsere Zustände etwas
Weiteres.
Vor allem ist die Rückkunft unserer Herrschaften abzu-
warten ; doch möcht' ich vorläufig wissen, ob Sie Anstalten
zu einem nahen Aufenthalt in Belvedere bemerken. Mögen
Sie Sonnabends bei Zeiten irgend ein Blättchen oder was
es wäre, in mein Haus geben, so erhielt' ich es mit einem
rückkehrenden Boten.
Lassen Sie Gegenwärtiges als einen gesegneten Anfi\ng
erneuter Mittheilungen freundlich gelten
Schloss Dornburg treulichst
den 17 Juli Goethe.
1828
3-
(An Frau v. Pogwisch. ' iS. Juli 1S2S.)
Ew. Gnaden
Die Geschichte der Neugriechen ^ zurücksendend darf
zugleich versichern dass nicht leicht ein vorzüglicheres
Werk der Art geschrieben sey.
' Von Vollmer aus Freiligraths Nachlass an Uhdc mitgetheüt.
Die Adressatin ist Henriette von Pogwisch, geb. Gräfin Henckel von
Donnersmarck, Hofdame der Grossherzogin Luise, Mutter von Goethe's
Schwiegertochter, gest. 15. Juni 185 1. Diese und mehrere der folgenden
Anmerkungen sind einem Briefe R. Köhlers an Uhde (13. Dez. 1876)
entnommen. Biographic der Frau von Pogwisch in: »Neuer Nekrolog
der Deutschen«. 29. Jahrg. I. Theil, Weimar 1853, S. 471--481.
^ Histoire moderne de la Grecc depuis la chute de l'Empire d'Orient.
l'ar J. Rizo Xcroulos. Geneve 1828. Von desselben Rizo Xeroulo
Goethe in üoknburg. 331^
Für Grossherzogl. Bibliothek würde zur Hälfte nehmen
La Jacquoric, sccncs fcodalcs, suivies de la Familie de
Carvajal, Dranic. Par raiiteur du theätrc de Clara Gaxul. '
Ingleichen :
Histoire generale des proverbes, adages, sentences,
apophtegmes , derives des moeurs, des usages de l'esprit
et de la murale des peuples anciens et modernes; accom-
pagnee de remarques, d'anecdotes etc. etc. par M. C. de
Mer}-. Tom I. 3 fl. 45 kr. '
Sollte Letzteres für die Gesellschaft ' nicht geeignet
getunden werden, so würde bitten, solches für meine eigene
Rechnuns; zu bestellen.
Cours de littcraturc grccquc moderne, Geneve 1827 hat Goethe in
Kunst und Alterthum VI, 2, 329 eine Anzeige geschrieben, über welche
sich Zeher besonders freute, so dass G. in den an ihn gerichteten
Briefen mehrfach auf diesen Gegenstand zurückkommt (z. ß. V, S. 95).
' Paris 1828. Verf ist bekannthch Prosper Merimee. G's Unheil
über denselben 7.. B. ^\'erke, Hempel 29, S. 703 ff.
^ Paris 1828. Beide Bücher befinden sich auf der Grossherzoglichen
Bibliothek in Weimar.
' Die von Frau v. Pogwisch geleitete französische Lesegesellschaft.
Von den gelesenen Büchern kaufte die Bibliothek die ihr convenirenden
zur Hälfte des Ladenpreises. Ueber das Verhältniss der Bibliothek zur
Gesellschaft existirt in der erstem ein bis 1848 reichendes Aktenfascikel.
Dasselbe beginnt mit folgendem Schreiben Goethe's (nur Unterschrift
eigenhändig) an Riemer: »Da ich von Seiten Grossherz. Bibliothek zu
der Frau v. Pogwisch französischer Lesegesellschaft bevgetreten bin,
so wird Hn. Prof. Riemer bcyliegendes Verzeichniss mitgetheilt, ob
etwa derselbige von gemeldeten Büchern einiges zu lesen, oder sonstige
Kenntniss davon zu nehmen wünschte; da denn ein Empfangschein
an Frau von Pogwisch durch Römhild [den damaligen Bibliotheksdiener]
zu senden und die Wiedererstattung des Werkes ebenmässig zu besorgen
seyn würde.
Weimar den 13 Nov. 1828 JW v Goethe.
In dem beiliegenden Verzeichniss kommen von den obengenannten
Werken La Jacquerie und Rizo's Histoire vor.
22*
5ij.o \eue MrniiniLUNGEN.
Meine hiesige Einsamkeit thut mir sehr wohl, ich kann
arbeiten und bringe etwas vor mich, das ist jetzt das Einzige,
wie sich für mich Zerstreuung und Trost hnden lässt.
1-indet sich Gelegenlieit, mich Ihro K. H. der Frau
Grossherzogin zu empfehlen so haben Sie die Geneigtheit
es nicin zu versäiunen.
Mir fortdauerndes wohlwollendes Andenken erbittend
Schloss Dornburg gehorsamst
den i8 July Goethe.
1828
4-
(J,! Müller. iS. Juli 1S2S.)
E. Hochwohlgeb. haben mir eine dauernde breude
bereitet durch den gründliclien Anthei! an dem letzten
Hefte Kunst und Alterthum, Es hat mehr Mühe gekostet
als andere und zwar wegen des mannigfachen Zudrangs;
ich hätte leichter ein zweytes Stück gefüllt, als so Viel-
faches für dieses zu verkürzen'. Wohlthätig ist es daher,
wenn sich eine solch treugemeinte Thätigkeit auch gegen
die eigentlichen Leser wirksam erweist.
Den übersendeten Aufsatz " habe nocii nicht wieder
gelesen; die Iireignisse so vieler Jahre mir wieder hervor-
zurufen will ich einen ganz ruhigen Augenblick abwarten.
Indessen habe ein Exemplar dem deshalb sehr dankbaren
Kreise der hiesigen Honoratioren eingehändigt.
' Kunst und Altcrtluini Bd. \'I, Heft 2. s. Zelter 22. Juli \\
S. 72. Auch an Z. (und.n., Juni 1828, V, S. 51) hatte G. gcsclirioben :
»Zu dem letzten Bogen von Kunst und Alterthum niussto ich kleinere
Schrift nehmen, soviel schiebt sich zuletzt noch über einander c
^ Müllers Aufsatz über den Grossherzog K. .\ug. vgl. oben
S. 557 \. I. Der .Aufsatz gehört entschieden zu den Dokumenten
jener Zeit, welche einen Neudruck verdienen.
GohTHt IN DORNHLRC. 34 1
Beyliegend erhalten Sie ein Sclireiben an Hn. von Beiil-
witz'; CS ist eine l{r\videruni^ eines Briefes, den er mir
unter dem 28. Juni d. j. von Pawlowsk in Auftrat; unserer
gnädiL;sten Herrschaften schrieb, der mich in den traurigsten
Augenbhcken höchhch erquickte. 1:. Hochwohlgeb. aul-
merksam auf ahe Schritte unserer Rückkehrenden, werden
o;e\viss den schickHchsten Augenblick hnden das Schreiben
in seine Hände gelangen zu lassen.
Die lateinische einladende Inschrift ' hatte ich mir nach
meiner Art einstweilen folgendermassen übersetzt :
Freudig trete herein und froh entferne dich wieder!
Ziehst Du als Wandrer vorbe\-, segne die Piade Dir Gott !
Diese wenigen Zeilen haben einen ganz eigenen Ein-
fluss auf meinen hiesigen Einfluss ' gehabt; es ergiebt sich
hierbey ein gar hübsches Beyspiel, wie vernünftig wohl-
wollende Worte auf Jahrhunderte hinaus wirken. Es fasst
sie immer wohl einer wieder auf um sie entweder direct
oder symbolisch sich dieselben sinnig anzueignen.
Die Abgabe des Lessmannischen Romans^ ist bestellt
und wird, hoff ich nächstens bewirkt werden.
Gegenwärtiges wird durch den Wagen Sonnabend früh
hineingebracht, welcher Sonntags in aller Frühe wieder
' Vgl. oben S. 522 ig.
^ Auf der Thür des Dornburger Schlosses. Vgl. oben S. 35).
Die Stelle: »die lateinische — anzueignen« ist im Gedenkbuch S. 82
als Stück des Briefes vom 11. Juli gedruckt.
5 So im Original, jedenfalls muss es heissen : Zustand.
•♦ Wahrscheinlich: Louise v. Halling. In Briefen aus Südspanien
von Daniel Lessmann. 2 Theile, Berlin, Verlagsbuchhandlung. 1827.
Es handelt sich wohl um Circulation des Buches in der Lesegesell-
schaft. — Eine Aeusserung G.'s über diesen talentvollen aber seltsamen
Schriftsteller ist mir nicht bekannt.
342 Neue Mittheilungen.
/Lirückfälirt. Dagegen könnte immer etwas Vorräthigcs
gefällig zugesendet werden.
Damit nun aber das Paket geschlossen werden könne,
endige hier und wiederhole meine Bitte mich nicht lange
ohne Mittheilung zu lassen.
Gehorsamst '
JWv Goethe.
5-
(A)i Meyer.' i. Aiii^iist 1S2S.J
Den Gebrauch, den Sie, mein Theuerster, von meinem
Briefe zu bewussten Z\vecken ' machen wollen , ist ganz
meinen Wünschen gemäss und ich erwarte nun das Beste
davon.
Was die Ausstellung "♦ betrifft , so wünsch ich, dass
solche am 3 Septbr. geschehe; allerdings würden Sie deshalb
höchsten Ortes Anzeige und Anfrage zu thun haben. Yon
meiner Seite würde es eine Impietät scheinen, wenn ich
nicht darauf antrüge ; wie so vieles andere sind wir dem
Hingeschiedenen auch diese Anstalt schuldig und es würde
sich nicht gut ausnehmen, wenn wir nach so wenigen
Wochen die ersten wären, die eine fromm-thätige Erinne-
rung an ihn beseitigten. Sind wir über diese Epoche hinaus,
so zeigt sich was für die Folge schicklich gefunden wird.
Bringen Sie dieses in guter Stunde bescheidentlich zur
Sprache, so können wir alsdann unser Benehmen einrichten.
' Von hier an eigenhändig.
^ Oktavbögelchen mit schwarzem Rand. Dictirt.
' Nicht bekannt.
» Die Kunstausstellung in Weimar, die jährlich am 3. Sept. erötVnet
wurde.
Goethe in Dornburg. 343
Ich gratulire zum gewonnenen Abschnitt ' wie xur
Lust einen neuen anzulangen, ich hisse es auch an allerlei
Thätigkeit nicht fehlen und muss wohl, um diese langen
einsamen Tage einigermassen auszutüUen.
Die besten Wünsche hinzufügend
Dornburg d. i Aug treulichst^
1828 Goethe.
(J)i Faktor Reiche! in Augsburg.' }. August 1S28.)
Ew. Wohlgeb.
rechnen es dem traurigsten Hreigniss zu welches uns
in den letzten Tagen befiel, dass ich nicht früher anzeigte,
wie alles Angemeldete und Erwartete seiner Zeit glücklich
angekommen. Wie ich denn auch nicht zweifle, der Druck
beider Ausgaben ^ werde seinen eingeleiteten Gang tort-
schreiten, daher ich mir denn gelegentlich die Aushänge-
bogen erbitte.
Ferner bemerke ich, dass ich in diesen Tagen ein Paket
an Dieselben absende, nach Mayland an die Herausgeber
der Zeitschritt L'Eco ^ bestimmt. Da von Ihnen aus öfters
' Gemeint jedenfalls ein Abschnitt in Meyers: Geschichte der
l\unst der Griechen, von welcher die beiden ersten Bände Dresden
1824, 25 erschienen waren. Der dritte, an dem er damals arbeitete,
wurde erst nach seinem Tode veröffentlicht.
^ Von hier an eigenhändig.
5 Faktor der Gotta'schen Druckerei. — Dieser wie der Briet' an
Gotta, unten Xr. 17 nach einer von Hr. Dr. W. Vollmer für Ulule
angefertigten .\bschrilt.
■* Taschen- und Oktavausgabe der Werke letzter Hand.
> L'Eco, Giornale di Scienze, Lettere, Arti, Commerzio e Teatri.
Zwei kleine Aufsätze über diese Zeitschrift, Werke, Hempel 29, 660
und 661. Daselbst noch einige Stellen aus den Briefen. Herausgeber
der Zeitschrift war Lampato. Unter den Mailändern sind aber wohl
ausser ihm auch Manzoni und die Familie Mvlius zu verstehen.
344 Neuü Mittheilungen.
Sendungen dorthin abgehen so bitte gedachtes Paket bey-
zufügen und wie es geschehen gefälHg anzuzeigen. Die
Mayländer Freunde sind von dem Abgang unterrichtet.
Der ich mit den besten Wünschen abschliesse und micli
zu geneigtem Andenken empfehle
Schloss Dornburg ergebenst'
den 3 Aug. 1828^ J \V v Goethe
Noch bemerke dass unter dem weissen Papier worauf
die Signatur steht die Addresse nach Mayiand befindhch
ist, weshalb denn jenes wegzunehmen und das Weitere zu
besorgen bitte.
7-
(An Meyer \ 6. Auf^iisi 1S2S).
Da sich eben eine Gelegenheit darbietet, so will ich
mit Wenigem auf das freundlichste ersuchen : Sie möchten
wie es sich thun lässt für die neulich mitgetheilte gnädigst
erfreulichste Resolution '^ den verpflichtesten Dank abstatten.
Ich erinnere mich nicht, ob ich schon gemeldet, dass
ich durch thätige Theilnahme unseres wackern Soret, wieder
in die Botanik gerathen bin, und nun trilft es sich, dass
ich in diesem Kreise seit einigen Tagen an jenen V^or-
schlägen zu Verbesserung des Weinbaues Beschäftigung
finde, die ein kluger Berliner vor wenigen Jahren zur
Sprache gebracht hat. Es ist unendlich angenehm, wenn
' Dies und Unterschrift eigenhändig.
^ Cotta hat dazu geschrieben: 8. 9. Aug., wol das Datum des
Empfangs von Brief und Packet.
5 duartblatt mit Trauerrand, die zwei ersten Seiten beschrieben,
dictirt.
4 Vgl. oben S. 516, die Resolution betr. den Aufenthalt G's in
den nächsten Wochen. Nur der folgende Abschnitt »Ich erinnere —
behaltene ist bei Riemer S. 131, 132 gedruckt.
Goethe in DousBURci. 345
die richtigen Ansichten, die ein gescheiter Mann aus dem
unbefangenen Betrachten der Natur sich erwarb, auch vor
einer höheren Instanz Recht behalten.
Auch in diesen Gegenden wird natürhch die Angelegen-
heit hin und wieder besprochen und da unsre gnädigsten
Herrschaften hieran so wie an ander// (kiten gewiss Antheil
nehmen, so giebt dies wohl in der Folge Gelegenheit zu
Unterhaltungen so nützlich als angenehm. Einen Aufsatz
habe ich schon zu dictiren angefimgen.
Soviel tür diesmal mit den besten Grüssen. Sie sehen
aus Vorstehendem dass ich torttahre durch Fleiss, \vobe^■
es auch an Zerstreuung nicht fehlt, mich auf die rechten
Wege zu leiten, die mich denn hoffentlich dahin führen
werden, wohin ich eigentlich gehöre.
treu ' angehörig
Goethe
8.
(An Müller. 7. August iiS28.)
Dieses gegenwärtige Blatt kann ich mit dem angenehmen
Zeugniss beginnen, dass der Lebenslauf unseres verewigten
Fürsten - den Sie an einem so zarten Faden rasch durch-
geführt haben , an allen Orten und Enden den grössten
Beyfall hndet. Sie haben dasselbe zwar schon oft genug
und unmittelbar vernommen aber auch davon mittelbar
benachrichtigt zu werden ist bedeutend indem auf diesem
Wege die reinste Wahrheit erklingt! Möge Ihnen alles
Unternommene so wohl und irlücklich ü^elintjen.
' Von hier an eigenhändig-. Aul der vierten Seite Adr. : Des
Herrn ' Hofrath Mever j Woiilgeb. nach I Belvedere. ' : Durch Gelegen-
heit. Schwarzes Siegel erhalten.
* S. oben S. 340. Anni. 2.
346 N'eUI: MiTTlllilLUXGEN.
Ich fahre fort ' wie diese Wochen her durch Fleiss
und Zerstreuung ein schmerzHch bewegtes Innere zu be-
schwichtigen; Nach- und Wiederklänge bleiben nicht aussen
und so muss man sich hinzuhalten suchen; denn wer massto
sich wohl an, einem solchen Ereigniss, wie es besonders
mich betrifft, gewachsen zu sevn; am wenigsten bedarf es
hier für den Verfasser jener edlen Denkschrift einer weiteren
Ausführung.
Da ich durch die freundliche Theilnahme unseres guten
Sorcl wieder ganz in die Botanik gekommen bin, thut sich
hier für mich der eigene Fall auf, dass bei einer reichlich
zu hoffenden Weinerndte eine neue Methode zur Sprache
kommt, die ein Berliner, Namens Kcchl, vor einigen Jahren,
in Anregung gebracht hat. Alle ^ Weinbauer von einiger-
massen höherer Cultur sind aufmerksam darauf, und ich
habe sofort das von jenem verfasste Büchlein und zwar
die 4. nach seinem Ableben erfolgte Auflage studirt und
mit dem vielfach mich umgebenden Wachsthum der Stöcke,
Reben und Ranken vergleichen können.
Mein Erstes muste seyn, jene aus der ' Erfahrung
geschöpften Ansichten auf die anerkannten Grundsätze der
Pflanzenphysiologie zurückzuführen, wo sich denn, nach
genauer Einsicht, sein Vortrag durchaus bewahrheitet und
seine Naturansichten recht eigentlich begründen, indem wir
die höheren Ursachen der Erscheinungen, die er vorführt,
auszusprechen befugt sind.
' «Ich fahre fort — ausspricht« (S. 347 Z. 16) ist im »Gedenkbuch«
S. 84. 85 als grösster Theil eines Briefes vom 25. Juli abgedruckt
dem ein anderer Anfang vorangestellt und ein Satz aus dem Briet
vom 16. Aug. als Schluss angefügt ist.
^ Die Stelle ».\lle — können« ist in dem eben angeführten Druck
ausgelassen.
5 Vor Erfahrung » ersten « ausgestrichen.
Goethe in Dornburg. 347
Dies sev also eine Weile genug, dass wir das Reclite
und Xüt/lichc wissen; inwiefern es eingreitt wird die Zeit
lehren. Sehr viel thun hie/.u gewiss die von gebildeten
iMännern gestifteten Vereine, wo durch \'ersuche die Grund-
sätze erprobt und durch Denken auf verschiedene Weise
die Anwendung möglich geniacht wird. Ich denke eine
Darstellung nach meiner Weise zu versuchen und dadurch
der guten Sache förderlich /u sevn, dass ich sie zugleich
einfacher und ausführlicher behandle. Wir ' wollen sehen
was gelingt. Der Antheil unserer gnädigsten Herrschaften
an solchen Auiklärungen und Verbesserungen wird Alles
zum schönsten und schnellsten fördern.
Des theuren Grafen RciuJiardt Briefe ist wie alles was
von seiner Hand kommt wahrhaft stärkend, da sich überall
ein gefasster, umsichtiger, theilnehmender und immer
gleicher Mann ausspricht.
Auf die Uebersetzung des Dante Bezügliches wäre ich
im Augenblick verlegen etwas auszusprechen ; man hat den
grossen Fehler begangen dass man die Noten unmittelbar
untern Texte setzte. Kaum Hess man sich in jene düstre
trübe furchtbare Stimmung, in jenes Nächtliche Gräuliche
wider Willen hineinziehn, so reissen uns die Noten wieder
ans Tageslicht historisch-politisch, critisch-ästhetischer Auf'-
klärung und zerstören jene mächtigen Eindrücke ganz und
gar. Es klingt wunderUch! Aber ich habe diese zehn
Gesänge zweymal gelesen und bin nicht zum Wiederanschauen
des Gedichtes gelangt, das mir sonst schon so bekannt ist;
immer schieben sich meiner Einbildungskraft die Noten
unter. Die Händel der Guelfen und Gibellinen in ihrer leidigen
Wirklichkeit verderben mir den Spass, bösartige Menschen
' Die Stelle »Wir — fördern« ist in dem genannten Druck ausgelassen.
- An Müller aus Cronberg, 50. Juli, gedruckt im Gedenkbuch zur
4. Jubelfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst, Frankf. a. M. 1840, S. 85.
34^ Neue Mittheilunüen.
so recht aus dem Grunde gepeinigt zu sehn. Sagen Sie
Kiemanden nichts hiervon. Die Uebersetzung könnte mir
ganz angenehm se\n, auch lässt sich zu guter Stunde
darüber was Freundliches sagen und jener Naevus nur
beyher bemerkt werden, der alsdann bev weiterer Fortsetzung
vermieden und zuletzt, bei Herausgabe des Ganzen, woran
es doch auch nicht fehlen wird ', völlig beseitigt werden. -
Verzeihung dem Vorstehenden ; es ist so in in die Lutt
gesprochen , von einer schnellen Feder aufgefasst worden.
treu •' izemeint
(Jii Meyer.'* lo. Jiii^nsl 1S2S.)
Die wilden Wetter, die uns hier an der Ecke gewalt-
sam bestürmen, thun mir nicht viel zu Leide, denn indem
sie mich hindern, die lieben Terrassen zu besuchen, so
nöthigen sie mich hineinwärts, wo mannigfache Geschäfte
zu besorgen und über Manches hinauszuschreiten ist.
Eigentlich aber betrüben mich diese Sturmregen, da sie
von Ihnen zu uns herüberkommen und unsre theuern
' König Joliann sagt in der Vorrede zur ersten öfientlichen Aus-
gabe der ')Hüllc« ('1839): »Die erste Ausgabe des auf diese Weise zu
Tage gekommenen Inferno hatte ich blos zur \'ertlieilung an einige
Bekannte veranstalten lassen. Da dieselbe jedoch nicht ganz ohne
Beifall blieb, so wage ich es nunmehr diese zweite Auflage dem grösseren
Publikum zu übergeben«. Natürlich hat G. jene «erste Ausgabe« (vgl.
Falckenstein, König Johann. Ein Characterbild, Dresden 1879, S. 72)
vor sich gehabt. — Etwa 2 Jahre vorher (Sept. 1826) hatte G. Ge-
legenheit gehabt , sich über eine andre Danteübersetzung , die von
K. Streckfuss auszusprechen, s. Werke, Hempel 29, S. 609—612.
^ So im Original ; zu ergänzen ist : »kann« oder ein ähnliclies ^\'ort.
i \o\\ hier an eigenhändig.
' duartbogen mit schwarzem Rand: ", Seiten beschrieben; dictirt.
GOETHU IN DORNBLRG. 349
Fürsten wohl nicht den heitersten Empfanc: in Bclvedcre
möchten genossen haben.
Doch dies wechseh in L;ei,'cn\vartiiicr jahrs/.eit von
Stund XU Stunde; und so erleuciitet die Sonne nach einem
solchen allgemeinen heftigen Abwaschen auf eine ganz
eigene Weise die Gegend. Ich kann Sie versichern, dass
das Grün der Wiesen blendend ist, wie ich es nie gesehen
habe, so dass man die Augen abwenden muss, wie denn
auch alles Grüne der gegenüberliegenden Berge frisch und
leuchtend erscheint.
Mein Aufenthalt wird mir von Tag zu Tage heilsamer
und lieber; gar mannigtaltige Thätigkeit wird fortgesetzt,
andere knüpft sich neuerlichst an, so dass es mir selbst
komisch vorkommt, mit welcher Leidenschaft ich das zur
Sprache gebrachte IVciiibauiieschäft seit acht Tagen ' erg'reife.
Das Herrliche hat aber die Natur wie man auf sie losgeht,
dass sie immer wahrer wird, sich immer mehr entfaltet,
immer neu erscheint, ob sie gleich die alte, immer tiefer,
ob sie gleich immer dieselbe bleibt.
Hin Büchlein, das ich sende, wird Sie gewiss interessiren.
Freund Dorozi' ' manifestirt sein Talent auf einem höheren
' Durch die Schritt von Kcclit vgl. oben S. 324, A. 3.
^ F. \V. Dorow (1790 1846) seit 1820 Direktor der Verwaltung
tür Alterthuniskunde in den rlieinisch-vvestphälischen Provinzen und
Begründer des Bonner Museums, niaciite 1827 eine Reise nach Italien,
wo er bedeutende Ausgrabungen und Entdeckungen im alten Etrurien
veranlasste und eine grosse Sammlung etrurischer Alterthümer für das
Berliner Museum erwarb. Das »Büchlein« ist entweder Dorows Voyage
archeologique dans l'anciennc lütruric, ins Französische übersetzt von
Egries (Paris 1829) oder, was wahrscheinlicher, eine handschriftliche
Aufzeichnung über das, was D. in diesem Buche niederzulegen gedachte.
Denn das Buch muss Goethe weit später zugekommen sein, da er erst
am 9. Nov. 1829 für die Zusendung dankte. Dorow hat diesen Briel
nebst einigen anderen in seinen »Denkschriften und Briefen«, Berlin
uS^o IV, S. 175 mitgetheilt: vorher S. 163 ff. erzahlt er von der
3)0 Nl-Li; MlTTHF.lLUNGHN.
Schauplätze. Im Auffinden und Aneignen hat er sich am
Rheine wacker geübt ; dies scheint er nun in Itahen fort-
zusetzen. Er schreibt mir, dass er zweihundert gemake '
\'ascn mit den wichtigsten, bis jetzt noch nie gesehnen
mythologischen Darstellungen, reich und voll mit Inschriften
versehen, etc.!! anzuschaffen das Glück gehabt habe. Was
uns dabey zugute kommt, ist, dass er eben so sehr nach
öffentHchen Ehren als nach Besitz strebt , dass er vieles
eilig herausgeben wird, da ihm besonders die Litographie
zu statten kommt. vSein Text wird manche historische
Xotiz enthalten und, mit Kritik gebraucht, immer zu
nützen seyn, so viel lässt sich voraussehen. Die Dar-
stellungen der Tafeln, welche mitkommen, scheinen mir
neu, nach manchen Seiten hinweisend und bedeutend. Sie
werden den Werth derselben beurtheilen, als ein Wissender
\'om Anfang her bis aufs Neuste. Ich kenne nicht ein-
mal Inghirami" durchaus und bin nur durch Dorows Auf-
satz w^ieder in jene Regionen hingezogen worden.
Gegenwartiges wünsche mit meinen Kindern nach
Weimar zu spediren, daher wird mir schliesslich zur Pflicht,
Sie, mein Werthester dringend zu ersuchen, mich höchsten
Ortes treu angelegentlichst zu empfehlen, zugleich mir
fortgesetzte unschätzbare Huld und Gnade zu erbitten.
persönlichen Bekanntschalt Goethe's, die er 1811, eingeführt diiidi
Briefe F. A. \\'olfs und |. Fr. Reichardts machte und von der höchst
seltsamen, kaum glaublichen Art der Einführung, deren er sich bediente.
Die Briefe Goethe's, welche Dorow erhielt und zum Abdruck brachte,
beziehen sich theils auf die von Letzterm in der Gegend Wiesbadens
gemachten Ausgrabungen, theils auf seinen einige Zeit hindurch lebhaft
erfassten, aber nicht zur .Ausführung gebrachten Plan, Hamanns Scliriften
herauszugeben.
' Der Schreiber sclireibt : gemalde !
^ Fr. V. Ingiiirami (1772 — 1846): Monumenti Etruschi 10 Bde..
Florenz 1820 27.
Goethe in Dornburg. 351
Herrn Hofrath Soref danken Sie zum schönsten für
seine bisherigen und seinen letzten Brief von Belvedere '.
Ich hotle, unsere Angelegenheit wird sich nun inniier mehr
fördern und abrunden ; ich werde nächstens demselben
noch manches Angenehme und Gute deshalb /.u vermelden
baben.
Nach Allem und vor Allem würde ich Sie bitten, mir
von dem Betinden Ihro kaiserl. Hoheit gefällige Nachricht
zu geben
Dornburg, Und^ so getrost fortan!
d. 10 August Goethe
1828^
10.
(All Müller.' ij. Aiii^Hsl JS2S.)
Ist denn die Einwilligung der Theilnehmerin zum Kaut
des Gutes Bergern'' eingelangt? leb habe meine Glück-
wünsche verschoben, um sie nicht zurücknehmen zu müssen,
der Gedanke ist gar zu hübsch, als dass ich ihn aufgeben
möchte. Wie Sie einziehen, müssen wir Ihnen gleich einiges
Gebildete an die Wände stiften.
' Soret war 8. Aug. von Wilhelmstlial nach Belvedere gezogen
und wird vermuthlich alsbald geschrieben haben; G. antwortet am
15. Aug. Uhde S. 60 — 63. Die »Angelegenheit« ist jedenfalls die
Uebersetzung der »Metamorphose der Pflanzen«.
^ Von hier an eigenhändig.
5 Der Brief ist unvollendet und wie auf dem Original bemerkt
ist, von dem Adressaten Abends persönlich in Empfang genommen
worden. Auf Grund dieses Zeugnisses ist sodann Müllers Erzählung
in den »Unterhaltungen« S. 125, er sei am 16. August in Dornburg
gewesen zu berichtigen, zumal von dem letztgenannten Tage der
folgende Brief datirt ist, der keineswegs den Eindruck macht, als sei
er nach einem unmittelbar vorangehenden Gespräch geschrieben.
^ In der Nähe von Weimar. Die Unterhandlungen mit der ehe-
maligen Besitzerin des Gutes fülirten bald zum orewünschten .Abschluss.
35- NeUF. MlTTHIilLUXGEN.
Unseres edlen Freundes am Mayne ' wichtiges Schreiben
hat mich bcym wiederholten Lesen erfreut und erbaut ; es
wird mir sehr angenehm sc\n zu vernehmen, was in dortigen
Kreisen von denen in meinem letzten Heft " vielfach berühr-
ten Gegenständen einige Aufmerksamkeit erregt. Zcllcr
hat sich besonders an die Ableitung der Neugriechischen
Literatur von frühen Zeiten her gehalten welches mich
höchlich erfreute ' , da ich diesem Aufsatz viel Sorgfalt
zugewendet und wohl das Doppelte auf diesem Wege Fort-
geschriebene noch zurückhalte, bis Gelegenheit und Gunst
es hervorlockt \
\'on Moskaw erhielt ein merkwürdiges prächtig ver-
guldetes Facsimile der grossen Goldstufe, welche im Jahr
1826 am Ural gefunden wurde; ihr Gewicht betrug beynahe
ein Viertels Zentner. Sie wird zu St.-Petersburg beym
Bergkadetten-Corps aufbewahrt; ein vergoldeter Gypsab-
guss verschafft auch uns nun die unmittelbare Anschauung.
Es ist ein sehr glücklicher Gedanke, das in gegen-
wärtiger Zeit sehr weit vorgeschrittene Gypsabgiessen auch
auf Naturgegenstände auszudehnen, wie es Cuvier auf die
Fossilien that und bev Kunste:eii;enständen längst herkömm-
' Graf Reinhardt.
^ Kunst und Alterthum \'I, 2 vgl. oben S. 540.
5 Zelter braucht 11. Aug. (Brietw. V, S. 96) die schönen Worte:
«Deine Ableitung der Neugriechischen Bildung sprach mir sogleich zu.
Was ich längst im tiefsten Herzen bewahre , konnte ich hier dazu
geben. Die Musik hat nur alte Naturgesetze. Die heutigen Tlieoristen
wollen neue Regeln haben für Aftermusik oder was mehr ist als Musik.
Lasst sie gehn. Das Genie findet den Weg zum Neuen durch die alte
Natur und die Philistcrey braucht gar keine Regel um zum Tculel zu
fahren«. Vgl. auch schon vorher 27. Juli V, 83. Die letztere Aeusserung
hat G. bei obigen Worten vornemlich im Auge.
* Die Fortsetzung wurde erst in den Nachgelassenen Werken
1855 Bd. VI gedruckt, .\nfang und Fortsetzung jetzt Werke, Hempel 29,
)66-)74.
GOETHi: IN DOKNBURG. 353
lieh ist. Wenn icii das Vergnügen habe, Sie be}' mir zu
sehen , werden Sie diesem Fetisch auf meinem Hausahar
gewiss alle Ehre erweisen.
II.
(All Müller. i6. August 1S2S.)
Ew. Hochwohlgeb. Vorschlag, die goldene \'erdienst-
medaille an Herrn Moittc ' zu verehren und zwar bald mög-
lichst kann ich unter gegebenen Umständen nicht anders
als vollkommen billigen. Herr Geh. Hofrath Heibig wird
dazu verhelfen können.
Artig wäre es, wenn man zugleich die kleine goldene
Medaille Hn. Stapfer "■ verehrte; Sie machen so Manches
möglich und also wohl auch dieses.
Dieser Sendung wäre jedoch die Notiz hinzuzutügen,
dass ich von meiner Seite nächstens auch etwas Angenehmes
zu überschicken und zu vermelden gedächte.
Hierauf wäre denn die Bestellung in Berlin nicht zu
erneuern, weil sie uns in dem gegenw^ärtigen Falle nur
unbequem werden müsste und allenfalls, im Verfolge modi-
ticirt, erneuert werden könnte. Worüber mündlich.
Heute ist ' Dornburg fürchterlich und schon seit einigen
Tagen. Ein wüthender Sturm saust nun schon seit 24
Stunden an meiner Ecke her, so dass man nicht zur Besinnung
kommt. Das fest gegründete Haus ist noch ein Trost,
' Lithograph in Paris, der sonst von Goethe nicht erwähnt wird.
^ Ph. Albr. Stapfer 1766 — 1840, Uebersetzer von Goethe's drama-
tischen Werixen. Ueber den »4. und besten« Thcil dieser üebersetzung
s. an Z. IV, 190 (5. Aug. 1826); über die Faustübersetzung in dem
mehrfach angeführten Hefte von K. u. Aherth. , Werke, Hempel, 29,
S. 697 ff.
3 Die Stelle von »Heute ist — gegenwärtig bin« S. 554 Z. 15 ist
als Anfang eines Briefes vom 26. Aug. abgedruckt im Gedenkbuch S. 85.
Gof.tüe-Jahrblch U. ^5
354 Neul .Mittheilungen.
wenn man an die Unglücklichen denkt, die Tag und Nächte
lang gegenwärtig auf den Wellen geschaukelt werden.
Ich habe diese Unbilden des Sommers (wenn Sic. Sich
erinnern) vorausgesagt und darf deswegen nicht einnial
wünschen, dass unsere verehrte Fürstin-Mutter sich herbe-
gebe, denn ein solcher Zustand würde Sie und die Ihrigen
in \'erzweiflung bringen.
Die guten jungen iMänner, IVcylaud und Slirhlijig gelang-
ten unter Sturni und Regen nur mit Mühe von einer Felsecke
zur andern. Ich hatte sie mit den Frauenzimmern auf
heute Abend eingeladen, die Communikation wird sicli
aber bis dahin nicht wieder herstellen.
Mit Hn. Wevland habe mein Paris recapitulirt und
gefunden, dass ich im Geiste dort ziemhch richtig gegen-
wärtig bin. Das sind wir denn doch unsern jungen Freunden
und der lebhaften Connnunikation durch die Lese-Anstalt
der Frau v. Pogwiscb ' schuldig.
Die vortreffliche Rede des Hn. i\ Frilsch ^ erfüllt auch
eine von meinen Weissagungen ; dass sobald Geschäfts-
männer öffentlich sprechen, wir auch Muster der Redekunst
werden aufweisen können. ' Man muss etwas zu sagen
haben wenn man reden will. Ich bedaure immer unsere
guten Kanzelmänner, welche sich eine seit last zweytausend
Jahren durchgedroschene Garbe zum Gegenstand ihrer
Thätigkeit wählen müssen.
Mit ' Sir Clave habe ich die Antillen in möglichster
Geschw'indigkeit recapitulirt und, indem ich zu einiger
' Ueber diese Gesellschaft et", oben S. 339, A. 3.
' Bei der feierlichen Beisetzung Karl .Xugusts oder bei der Hul-
digung für den neuen Herrscher.
5 Die Worte von »Die - können« abgedruckt bei v. Bieder-
mann , Goethe-Forschungen S. 260 und zwar aus dem S. 347 A. 2
angeführten Druck.
+ Die Stelle »Mit nimmt vorliebd an dem S. 353, A. 3 a. Ü.
als unmittelbare Forisetzun"; abgedruckt.
Goethe in Dornburg. 355
Zufriedenheit fand, dass ich auch dort ziemHch zu Hause
bin, machte ich mir durch seine Mittheilungen noch einiges
Besondere zu eigen.
Freund Coitdray soll mir jederzeit willkommen seyii,
überhaupt bedarf es künftig keiner Anmeldung mehr, wer
vor 12 Uhr konnnt, lindct eine hinreichende Mahlzeit, wer
erst gegen 2 Uhr eintrifft, nimmt vorlieb.
Um Eiiisiedcls ' Andenken müssen Sie sich auch noch
verdient machen. Es bleibt weiter nichts übrig als dieser
Entschluss. Die Schwierigkeit liegt darin den Lebensgang
eines milden geselligen Mannes aufzufassen, dessen Gegen-
wart schon ein Räthsel war.
Sie denken mein Theuerster, wie in solchen Sündfluths-
tagen das Dictiren überhand nimmt.
Deshalb fortan ! - Xach wie vor
in treuer Beharrlichkeit
Goethe.
' Fr. Hildebrand V. Einsiedel, geb. 30. Apr. 1750, gest. 9. Juli 1828,
der Vertraute Karl Augusts, der »Freund« des ganzen Weimarer Kreises,
ein Mann, von dem Caroline v. Wolzogen sagte, dass er »im geraden
Herzen alles Rechte und Edle mit Neigung empfing«; manniglacli
literarisch thätig, auch als Beamter, zuletzt als Appellations-Gerichts-
präsident in Jena wirksam. Müller hat die von G. gewünschte Schil-
derung nicht geschrieben, vielmehr unterzog sich Minister von Fritsch
dieser Aufgabe. Diese Biographie ist abgedruckt in den Freiniaurer-
Analekten, 4. Heft, Weimar 1828, S. 20—28. Das genannte Heft
übersendete G. an Z. (9. Jan. 1829, V., S. 151) mit der Bemerkung:
»Auch weiss ich nicht ob ich von beyliegenden Analekten schon einige
Exemplare zugesendet habe; auf alle Fälle findest Du Liebhaber zu
den beykommenden « und Z. erwidert (17. Jan. V., S. 156): »Ein
Exemplar der Fr. M. Analekten ist schon an den General von Brock-
hausen überantwortet, der ein dankbarer und eifriger Maurer ist. Die
Sinnes- und Charakterschilderung des guten v. Einsiedel ist mir sehr
erbaulich gewesen, da ich von dem werthen Manne nie etwas Weiteres
erfahren können und mir zwey seiner Terenzischen Comödien, vor
26 Jahren in Weimar mit Masken dargestellt, ausnehmend gefallen
haben «.
^ Von hier an eigenhändig.
25*
356 Neue Mittheilungen.
12.
(An Müller. 26. August 1S2S.)
Hn. Chelard^ habe freundlichst empfangen und ich
glaube zufrieden entlassen ; ihn anzumelden und zu empfehlen
geht heute ein Brief an Zeltern ab. Seine Zwecke sind mir
nicht klar, auch er scheint sich bey uns gegen seine
Landsleute stärken zu wollen. Möge ihm das Tonbad gut
anschlagen!
Die mitgetheilten Papiere^ sende dankbar zurück, ich
finde alles auf das lobens- und liebenswürdigste eingeleitet
und durchgeführt. Dichter und Redner thun das ihrige
und der Architekt wird auch nicht zurückbleiben.
Besonders find ich unsern Zuständen sehr angemessen,
dass sich nach und nach eine Liturgie bildet. Die mensch-
lichen Schicksale drehen sich in einem engen Kreise und
müssen sich oft wiederholen; hat sich einmal ein guter
Ausdruck gefunden, so bewahre man ihn bis zum ähnlichen
Falle und bediene sich seiner zu erbauender Erinnerung.
Dass man' meinen Wünschen und Bitten gemäss des
28. Augusts diesmal in Stille gedenken wird, dafür danke
ich verpflichtet. Den 3. Sept. durch herkömmliche Aus-
stellung öffentlich-* zu feyern, macht Freund Meyer, wie
ich weis, schon gehörige Anstalten; Ihre halbverhüllten
Geheimnisse treten sodann schicklich und würdig zur Stelle.
Der verwittibten Frau Grossherzogin wünsche bestens
und treulichst empfohlen zu sein ; meine Hoffnung mich
• Vgl. oben S. 322.
* Für Einrichtung der Logenfeier für Karl Aug.; auf dieselbe
kommt G. unten im 4. Absatz nochmals zurück: »Ihre Geheimnissee
3 Die Stelle »üass man — entsprechen« S. 357 Z. 19 ist an dem
S. 553 A. 3 a. O. als Fortsetzung und Schluss abgedruckt.
'* A. a. O. »durch öffentliche Ausstellung«. Auch sonst mancherlei
kleine Abweichungen.
Goethe in Dornburg. 357
bald wieder so schöner Dienstage' zu erfreuen, belebt die
Aussicht für die nächste Zeit, regt mich auf, hier am Orte
abzuschliessen und meine Gedanken dorthin zu wenden,
wohin ich eigentlich gehöre.
Merkwürdig ward mir in diesen letzten Wochen, wie
die alte Neigung zur Botanik, welche hei mir nur zufällig
rege ward, sich wieder leidenschaftlich entwickelte, ja, ich
darf sagen, productiv erwies, da mir einige neue gute
Gedanken bev meinen Wanderungen durch dies herrliche
Reich frevwillig entgegenkamen.
Und so bitte meiner freundlich zu gedenken und mir
behülflich zu seyn, dass ich in Weimar ein nach meiner
Weise glücklich und nützlich geschäftiges Leben auch
diesen Winter über freudig fortsetzen möge; denn ich
wüsste nicht genugsam auszudrücken, wie schön und reich-
lich diese einsamen Wochen sich mir erwiesen haben.
Möge auch Ihnen Alles gelingen und besonders der 3. Sept.
seinem Werth und Gewicht durch eine edle Feyer völlig
entsprechen. Herrn von Fritsch Excellenz bitte mich aufs
Verbindlichste an jenem Tage zu empfehlen und bei allen
Brüdern meiner im Besten zu gedenken.
Manches im Busen behaltend schliesse
treugesinnt^
J W V Goethe.
13-
(An Müller. 2S. August 1S2S.)
Es sey mir vergönnt, mit den wenigsten Worten heute
meine dankbare Erwiederung auszudrücken. Mir [ist es|
' An denen die Grosslicrzogin Luise ihn zu besuchen pflegte.
Dass sie diese Besuche unmittelbar nach G's Rückkehr in aher Weise
wieder aufgenommen, erzähh Eckermann IL, S. 6.
* Von hier an eigenhändig.
358 Nfx'e Mittheiluxgex.
sehr wohlthiitig Sic in einer anniutliigen ländlichen Um-
gebung zu denken ', indessen ich auf den weit umherschauen-
den Terrassen in Dornburg hin und wieder gehe. Der
Tag war sehr belebt, Jenaische Wohlwollende wechselten
mit einander ab, so dass ich zuletzt noch die gute Grieshach '
bev mir bewillkommte. Wäre nicht gleich nach Tische
Regen eingefallen, so hätte ich freundlicher seyn können,
auch gegen andere, von denen ich durch Nebel und Wasser-
gestöber getrennt war. Viele Gaben sind zu mir gekommen
und zu den vorzüglichsten kann ich w"ohl Ihr Schreiben
rechnen, das mir alte geprüfte Gesinnungen neu und kräftig
ausdrückt. Lassen Sie uns so weiter fortfahren, so wird
es an manchem Guten nicht fehlen können.
Verbind' ich Coiidray's Nachricht von architektonisch-
mystisch-ästhetischen Anstalten mit neulich an mich gelangten
poetisch-rhetorischen Erzeugnissen , so darf ich wohl für '
die Fever des 3. Septembers die schönsten Hoffnungen
hegen.
Heute aber neigt sich Geist, Seele und Sinn zu einer
erwünschten Ruhe. In der Frühe sah ich den leuchtenden
Morgenstern weit vor der Sonne vorausgehen, den zaudern-
den Mond abzuwarten fühl ich mir keine Kräfte, aber den
Wunsch recht lebhaft , Sie bald in Bergern begrüssen zu
können.
Und"* so fort an!
Goethe.
' In dem neuangckautten Gute ßergern.
^ Friderike Juliane Griesbach, geb. 1754, seit 1812 W'ittwe des
(jeh. Kirchenraths joli. Jak. Griesbach, die erprobte, wenn aucii viel-
bespöttelte Freundin des Schiller'schen Ehepaars.
5 »für« hat der Schreiber ausgelassen; doch ist es ganz sicher zu
erganzen.
4 Von hier an eigenhändig
Goethe in Dornulrg. 559
14-
(An ? ' jo. August 1828.)
I-AV. \Vl)hl-cb.
erhalten hiebev einige Büttnerische ' Papiere, so operos
als wunderlich ; es soll mich freuen von Ihnen darüber
wissenschaftlich aufgeklärt zu werdeii.
Die eingesendete Quittung liegt autorisirt bey; ich
wünsche dass Sie von dieser kleinen Summe zu unsern
wissenschaftlichen Zwecken geneigte Anwendung machen
mögen.
Gedenken Sie meines neulichen Wunsches, st) werden
wir bev meiner nächsten Ankunft in Jena manche ange-
nehme und lehrreiche Unterhaltung geniessen können.
Auch theile zugleich ein Gutachten unseres Präsidenten '
in Bonn über fossile Früchte mit, welche in dem Kalten-
nordheimer Kohlenwerk vorkommen.
Mit den besten Grüssen an die theure Ihrige
Dornburg ergebenst
d. 30. August 1828 JW V Goethe.
15-
(An Müller. i. September 1S2S.)
Ew. Hochwohlgeb. schreibe in mitten mannigfiütig sehr
schöner Sachen, die seit einigen Tagen zufliessend mich
ear anmuthiiJ umgeben.
' Der Adressat ist jedenfalls Professor in Jena, wie aus dem
Wortlaut des Briefes hervorgeht.
^ Hofrath Büttner, geb. 27. Febr. 17 16, gest. 8. Okt. 1802. Ob
auf die Büttnerische Bibliothek bezüglich? Eckcrmann III., 220.
> Gemeint kann nur Necs v. Esenbeck sein, den G. an Nicolovius
30. Mai 1828 und sonst vielfach als «Präsident« bezeichnet; doch ist
in dessen Briefe vom 12. Juli (Naturw. Corr. II., 166—168), der hier
allein in Frage kommen kann, ein derartiges Gutachten nicht enthalten.
360 Neue Mittueiluxgen.
Herrn Cornelius »erobertes Troja«, ein respectables und
zu respectirendes Kunstwerk, ist in lithographirten Umrissen
XU mir gelangt. '
Dazu von einem Schüler mehrere Rand-Arabesken zur
Begleitung von manclierlev Dichtungen ^ nach Art der
bekannten Albrecht Dürer'schen zu jenem Gebetbuche ' ;
aber eigentlich nur dadurch veranlasst; sie sind mit aller-
Hebstem Talent und Geist und Erfindung der neusten Zeit
wohl werth.
Hit::^ig habe nicht gesehen, er wird wohl den nähern
Weg nach Naumburg genommen haben.
Ueber den Dante des Prinz Johann Hoheit bin ich nicht
im Stande gegenwärtig ein Wort zu sagen. Erst haben
mich die unglücklichen Noten vom Gedicht und dessen
Uebertragung abgewendet, sodann aber gestehe autrichtig,
ich möchte einen so werthen und würdigen Prinzen, dessen
Gedicht an Herrn von Frilsch schon mit Vergnügen und
Antheil gelesen, gern etwas sagen, was sich auch eigentlich
individuell auf ihn bezöge, und dazu werden Sie am besten
beytragen können, wie Sie denn auch wohl mein Zaudern
am allerslücklichsten bevorworten werden. ■*
' Vgl. Düntzer, Aus Goethe's Freundeskreise, Braunschweig 1868,
S. 279. Daselbst Goethe's Dank für die Sendung, 26. Sept. 1828.
^ Gemeint ist Neureuther, E. N.; geb. zu Bamberg 15. Jan. 1806.
Ueber die im Text erwähnten Zeichnungen spricht G. sehr günstig
30. Okt. 1828 an Zelter \., S. 125, kündigt sie als erschienen an das.
S. 424, 27 März 1830. Sie wurden veröffentliclit u. d. T. : Randzeich-
nungen zu Goethe's Balladen und Romanzen, München 1828—1840.
5 »zu jenem München'schen Gebetbuche, welches Dir durch Strixners
Lithographie wohl bekannt geworden« sagt G. an Z. .\usführliciier
Werke, Hempel 28, 819—831. Vgl. nun Thausing, Dürer (1876)
s. 379-582.
■♦ Vgl. oben S. 348 Anm. i. Der Kanzler Müller muss nun wohl
diesem Antrage nachgekommen sein oder G. hat eine andere Gelegenheit
oehabt seine Meinung kundzugeben. Wenigstens lindet sich in Falken-
Goethe in Dornburg. }6l
Wie ich mir ein Denkmalfür unsern schnell Geschiedenen
an Ort und Stelle habe denken können, ist nur sehr alli^e-
mein mit Herrn Coiidray besprochen worden. Was er
darnach oder daraus gebildet, blieb mir durchaus unbekannt;
nun aber set/.t eine Inschrift den Raum voraus, worauf sie
angebracht werden soll. I-ihc mir also eine Zeichnung mit
genauer Angabe des Masses vorgelegt wird, bin ich nicht
im Stande zu dienen. Was zu sagen ist weis ich wohl ;
das Wie? hängt von Höhe und Breite der Fläche ab.
Herrn Soret meine besten Empfehlungen, mein Antheil an
diesem frommen Geschäfte solle gewiss nicht ausbleiben. '
(NB. - Ich hatte mir einen netten Cippus vierseitig gedacht
und darauf meine Worte gefügt; passen sie und werden
gebilligt, so ist es schön und gut, sonst lässt sich dies m\\
Steins Charakterbild S. 57 die Stolle: »Hat doch selbst Goethe sich
für das dichterische Talent des Prinzen interessirt und einst dessen
Adjutanten von Lützerode um Zusendung von Original-Dichtungen
gebeten, da, wie Goethe sagt, er zu einem gründlichen Studium des
Dante »«aus Angst vor den gelehrten Noten des Textes nicht leicht
kommen werde««. Man sieht, letzteres ist fast eine wörtliche Wieder-
gabe der in unserm und in dem oben angeführten Brief vorkommenden
Stellen. — Das Gedicht an Fritsch ist, da Prinz Johann keine Gedicht-
sammlungen herausgab, nicht bekannt, möglicherweise ist es eine
poetische Antwort auf ein Glückwunschschreiben zur Geburt des ersten
Sohnes (1828 vgl. Falkenstein a. a. O. S. 64). — Endlich sei aul
eine Stelle in Falkensteins Gedachtnissrede: »Zur Charakteristik König
Johanns, Dresden 1874, S. 9« hingewiesen: »Nur beiläufig mag hier
bemerkt werden, dass er zwar einige Werke Goethe's, namentlich den
Faust und Hermann und Dorothea bewunderte, dass er aber Schiller
wirklich liebte. <.<
' Gemeint ist wohl Sorets Bemühung um ein Denkmal hir die
19. Juli 1828 plötzlich gestorbene Ober-Kammerherrin Caroline von
Egloffstein, geb. Reichsfreiin von Aufsess. Das Nähere bei Uhde,
Soret S. 44 A. 2 »Meine Worte«, doch jedenfalls Verse sind nicht
bekannt; zwei Gedichte an Caroline v. Egloffstein aus früherer Zeit
gedruckt in Werken, Hempel IL, 431; HL, 551.
^ Das NB. im Original als Fussnote.
362 Neue Mitthuilungek.
mancherlei Weise modificiren. Einen Beytrag der Freunde
halte durchaus zweckmässig, denn es muss hübsch werden
und nach was ausselien.
Dagegen darf ich wohl hoffen, dass mir nach der
Mittwochsfe^er ' eine treue Mittheilung gegönnt werde,
nicht weniger die Reden in Extenso, welche hiezu vorbe-
reitet sind. Ich freue mich sehr darauf, weil gewiss jede
Erwartung übertroffen sein wird.
\'ielleicht erregt nachstehendes Ihre Autmerksamkeit,
ich habe von Gotha ein Gedicht erhalten, von einigem
Belang in kurzen reimlosen Versen, wie sie sich unter den
meinigen befinden. Es deutet auf eine freymüthige Theil-
nahme an meinen Arbeiten und meinem Lebensgang, des-
halb ich wol wissen möchte wer es geschrieben. Offener
Sinn, guter Wille und Gemüthlichkeit ist allerdings zu
schätzen. Eine Stelle die sich auf den Divan bezieht lege
abschriftlich bey. ^
Gar manches wäre noch zu sagen und mitzutheilen,
doch eil icli zum Schlüsse, weil ich dieses durch den guten
' Trauerfeier des 3. Sept.
^ Die Beilage lautet : »Der Diwan ' Ein Schirasbecher, Mutii
sprudelnd zum Leben j Und gläubigen Käniptcn; \ Ein Iransgarten, I
Von Rosen Düften | Reinmenschlichster Lehre j und Xachtigallliedern ]
Liebherzigster hinig]<eit | Klangvoll durclnvürzet ; | Der Vorhöfe einer |
Zum Heiligthume j Des Buches der Büc]ier;|Ein Sonnenaufgang | Der
Thron des Heiligsten, Höchsten | Von \\'ahrhcit und Liebe umfunkelt. 1 1
Und Suleika? I Seht doch hin, | Die Ihr reinen Herzens seyd, | Was ist
des Dichters Geliebte i Die Sonne der Sonnen? Was ist sein liebverklärtes
Ich Der Stern der Sterne? | Unwandelbar verbunden | In blühender Bräut-
lichkeit, ist | Sie holdeste fehllose Gattin ; | Reintreuester Gatte liebt er ;
Stets zärtlicher, wahrer. ' Die glücklichsten verknüpfen ' Mit köstlichem
Besitz für das Leben ! Den zarten Sinn, die Innigkeit, ; Die begeisternde
Gluth, i Die lautere Seelen fülle j Der ersten Liebe; | Suleika schliesst mit
ihrem Hatem | Paradiesischen Bund,jBeyde Welten umfassend, j |« Der
Verfasser dieser poetischen Würdigung des Divan ist niclit bekannt.
GOETHIi IN DORNBLUG.
:)":>
und werthen Dr. KrniiJclhig' nach Jena schaffen und als-
bald in Ihre Hände brinij;en kann.
Beyliei^end hnden Sie hoffentlich alles Mitgetheilte.
Fahren Sie fort, auch meiner in der Ferne zu gedenken
und mir vom Wissensquell * Segen zu erbitten. Ich habe
mich leider wieder in die Botanik eingelassen und da ist
es gleich immer wieder, als wenn man sich durch den
Urwald durchhauen müsste. Möge Mittwoch Abends Alles
gelingen, ich teyre die Stunden ganz im Stillen aufs Herz-
lichste mit. Und somit also das beste Lebewohl!
i6.
(An Meyer \ 6. September 1828.)
Hierbev mein Theuerster , das früher Verlane^te, es
wird wohl noch vor Schluss Ihrer Ausstellung * gelegen
ankommen. Ich denke mich zu beeilen, dass ich noch
alles beysammen finde, denn ich sehe nunmehr meinen
Zweck am hiesigen Ort gar löblich erfüllt.
Möge es Ihnen in Weimar wohl gehen und Sie mit
Zufriedenheit nach Belvedere zurückkehren ! Empfehlen Sie
mich dem lieben Erbprinz und Herrn Sorel auf das ange-
legentlichste; ich wünsche mir nichts mehr als gute Tage
in der Nähe der \'erehrten und Geliebten ; denn ich leui^ne
' K. Const. Kraukling, gen. Krauklilm, geb. zu Bauska in Kurland
28. -A^ug. 1792, gab 1827 mit L. Tieck und Fr. Kind die »Dresdener
Morgenzeitung« heraus, war später Direktor des bist. Museums in
Dresden, gest. 12. Apr. 1873. ^g^- oben S. 553.
^ Müller war im Begriff eine Reise nach dem Westen, nach den
Niederlanden zu unternehmen ; mit dem »\\'issensquell « könnte Pem-
pcltort, der ehemalige \\'ohnsitz des Pbilosophen Jakobi gemeint sein.
? Einlaches Kleinquartblatt. Diktirt.
•* Ueber die Ausstellung s. oben S. 342 A. 4.
364 Neue Mittheilungen.
nicht, dass ich mich hier gewissermassen abgemüdet habe,
um die einsamen langen Stunden mit Interesse hinzubringen
treu angeeignet '
Dornburg, d. 6. Septbr. 1828
J W V. Goethe.
17-
(All Cotfa\ 10. September 1S2S.)
Ew. Hoch\vohlgeboren
gefälliges Schreiben erreicht mich in dem Augenblick,
da ein unersetzlicher \^erlust mich anmahnt umherzuschauen
und zu beachten was nun schätzenswerthes für mich auf
dieser Erde übrig geblieben. Da tritt denn ohne Weiteres
das Verhältniss zu Ew. Hochwohlgeb. bedeutend hervor
und ich habe mir Glück zu wünschen dass ich ein Geschäft',
woran mein und der Meinigen Wohlstand geknüpft ist, den
Händen eines Mannes anvertraut sehe, der mit entschie-
denster Thätigkeit die edelsten Zwecke verfolgt und, sowohl
durch Klugheit und Redlichkeit, sich allgemeines Ansehen
und Zutrauen erworben hat.
Hiernach muss daher mein eifrigster Wunsch bleiben,
die wechselseitigen Bezüge klar und rein erhalten zu wissen,
damit wir uns mit Zuversicht jener schönen Tage erinnern
mögen, wo wir, unter den Augen, mit treuer Theilnahme
eines nur zu früh abgeschiedenen Freundes"*, den Anfang
einer Verbindung fe3"erten die so lange segenreich für uns
dauern sollte.
' Von hier an eigenhändig.
^ Vgl. oben S. 343 A. 3.
5 Die Herausgabe der Werke.
•* Schiller.
Goethe in Dornblrg. 3^'
Das Weitere mir auf die nächste Mittheilung vorbe-
haltend
In' vorzüglichster Hochachtung mich unterzeichnend
Ew. Hochwohlgeb.
Schloss Dornburg ganz gehorsamsten Diener
d. IG Sept. 1828 J W V Goethe.
ANHANG I.
Zwei Briefe Soret'S an Goethe.
I.
(WilhelmsthaJ, 20. Juni 1S2S.)
Votre Excellence aura presqu'en meme temps recu
ma lettre et Celle de M. \'ogel,^ qui s'est trouve favorable
ä l'idee d'un voyage ä Wilhelmsthal; pour ma part j'en
craindrais un peu les suites ä moins que Vous continuassiez
ä vivre ici comme chez Vous, c'est ä dire en Votre par-
ticulier sans paraitre dans la societe, sans rester expose ä
Tair humide du soir. Depuis hier notre hermitage s'est
'singuliercment rempli de nouveaux hötes. Nous avons eu
plusieurs visites et la plus marquante est celle de Mme \:\
Princesse Marie ' avec Son epoux et Sa suitc. On avait
annonce qu'ils passeraient la nuit ä Gotha et n'arriveraient
que demain dans la matinee ; mais Pimpatience de revoir
S. A. R. les a talonnes. Ils ont envoye en toute hdtc une
nouvelle estafette et sont arrives ä soir ä 9 heures au
moment oü Mme la Grande-duchesse se disposait ;\ ren-
' Von hier ab Alles, auch Datum, eigenhändig.
^ Der Grossherzogliche Leibarzt.
5 Princessin Marie Louise .\lexandrine, welche sich 26. Mai 1827
mit dem Prinzen Karl v. Preussen vermiihlt hatte, ^'gl. den foii?. Briet".
366 Neue Mittheilungen.
voyer les Dames qui etaient reunics chez Elle. Plusieurs
personnes etaient arrivcs d'Eisenach, entr'autrcs Ic Sur-
intendant, Mad. de Bechtolsheini et Mad. de Werther;
S. A. R. s'est encore dccidee ä prendre le the avec cette
espece de cour et avcc Son Service devant le corps de
logis en plein air. \'ers huit heures lille s'est retiree dans
Ses appartemens avec les Dames et les enfants et vers
9 heures sont arrivees les voyageurs.
On attend le prince Chretien de Darmstadt d"un in-
stant a Tautre; il arrivera peut-etre au milieu de la nuit;
j"ai peur que toutes ces visites n'eftVavent votre Hxcellence
et ne la retiennent ä Weimar ou dans les environs. S'il
ne s'agissait que d'eviter les repas en grande süciete, j'otiri-
rais ä votre Hxcellence de partager la soupe du Prince.
20 Juin dans la nuit
(Wilhdiiisthal, 2j. Juni 1S2S.)
Votre Hxcellence daignera bien nie pardonner si je
reponds encore une fois laconiquement a la bonne et pre-
cieuse lettre' dont vous m'avez honore. J'ai eprouve un
sentiment mele de regret et de plaisir, en apprenant que
vous ne viendrez pas. Le regret etait relatif, le plaisir
Vous concernant, car je n'ai pu me dissimuler que cet eternel
arrivage de visites, ce mouvement perpetuel, cette presqu'
impossibilite de voir S. A. R. seule quelques instants ne
Vous eussent tait beaucoup plus de mal que de bien. Aussi
Madame la Grande Duchesse a ete la prcmiere ä feliciter
pour Votre Hxcellence de ce que Vos occupations aient
ete de nature ä ne pas \'ous permettre d'effectuer \'otre
projet.
' Vom 21. Juni. Ulidc. Goethe's Briefe an Soret, S. 39 — 42.
Goethe in Dornburg. 367
M. Vogel ' ni'a communique iin passage d'iine lettre
de X'otre p.irt qui r.iutorisait i'i nie Jemander hi lecture de
Celle que je venais de recevoir et que je n'aurais p;is songe
a pouvüir kii moiitrer sans cet ordre. II a eprouve ainsi
que niüi an sentinient de securite sur Tetat sanitaire de
Wnre Excellence en lisant les admirables lignes oü \\)lis
peignez l'effet qu'a produit sur \''ous la lecture du livre
de De Candolle"; puissiez-\'ous bientot reprendre ce
tra\ail. La nature toujours fraiche, toujours riante, toujours
nouvelle est le dernier ami qui nous reste, celui qui ne
nous abandonne jamais et qui nous console encore quand
les hommes ne nous consolent plus. — Je n'ai pu jusqu'ä
present traduire ' que deux chapitres, mais ce travail me
parait si agreable, qu'il avancera rapidement lorsque nous
serons sortis du tourbillon oü nous avons le nialheur de
vivre, lorsque j'aurai moins de lettres journalieres ä ecrire
lorsqu'enlin ma tete et mon coeur auront repris quelque
peu d'equilibre.
Alad. la Princesse Marie m"a paru fort bien malgre sa
juste douleur. Elle a beaucoup gagne durant les 13 mois
de son sejour ä Berlin, soit sous le rapport physique soit
dans Ses manieres d'etre et Sa tenue. Elle a pris beaucoup
plus d'aplomb. Sa presence est une grande consolation
pour S. A. R., une grande joie pour le Prince.
' Vogel hatte gleichzeitig mit Soret geschrieben, vgl. Uhde S. 41 ;
von dem an \^ogel gerichteten Brief ist ein Stück in Hufeland und
Osanns Neuem Journal der praktischen Arzneykunde Bd. 69, 1Ü53,
H. 2, S. 1 1 gedruckt. Die Worte lauten : »Sie thun sehr wohl, länger
in Eisenach zu verweilen, denn in solchen Fällen sind die Nachwirkungen
immer zu fürchten. Der Charakter widersetzt sich dem treffenden
Schlage, aber consolidirt dadurch gleichsam das Uebel, das sich späterhin
auf andere Weise Luft zu maclien sucht«.
^ Uhde, S. 40.
5 Nämlich die j)Metamorphose der Pflanzen« vgl. oben S. 523 fg.
^^68 Neue Mittheilungex.
Waltlier ' est arrive aujourd'hui en bonne sante dans
Ic courant de l'apres-diner, il a fait visite au Prince ainsi
que Rodri^Lie et Leo. Les qiuitre amis se sont bruyam-
ment et gaiement amuses durant toute la soiree jusqu'apres
neuf heures. La journee de demain sera bien plus bruyante
encore.
Je finis par le plus essentiel; il m'a paru que iMad. la
Grande Duchesse etait moins accablee aujourd'hui qu'hier;
il est vrai que cette journee d'hier a passe la permission,
tant il est venu de visites, dont plusieures etaient fort
penibles ä supporter, je ne les nommerai pas ä Votre
Excellence pour .ne pas Vous faire partager l'impatience
que nous avons eprouvee. Les forces morales se maintien-
nent ä la meme hauteur qu'au premier jour et, graces au
ciel, la toux qui nous inquietait tant ä Weimar, n'a point
reparu ou du moins a ete tout-ä-fait insignihante.
23 Juin dans la nuit.
ANHANG IL (zu oben S. 331 fg.)
Durch die Güte des Hr. Geh. R. (L v. Loeper bin ich in
den Stand gesetzt, den Brief des Grossherzogs von Strehtz an
August V. Goethe, durch welchen der Erstere seine Geschenke
ankündigte, mitzutheilen.
Strelitz d. 21. July 1828.
Ew. Hochwohlgebohren
werden es mir gewiss verzeyhen, wenn ich unbekannter-
weise so frcY bin Sie mit einem Auftrage zu beschweren,
' Des Dicliters Enkel. Wer die beiden anderen Gespielen des
Prinzen Alexander (des gegenwärtig regierenden Grossherzogs) waren,
weiss icli nicht.
Goethe in Dornburg. 3^^^*
da der Zweck desselben darin besteht, Ihrem Herrn Vater
eine kleine Freude /a\ machen.
Mein Wunsch u Bitte bestehen darin, dass Sie die Güte
haben mögen, die Uhr welche, so wie dieser Brief, durch
meinen Legationsrath v. Mever in Frankfurth, Ihnen zu-
kommen wird, am Morgen des 28. Augusts unbemerkt in
das Haus Ihres Herrn \'aters bringen u dort auf dem Flure
aufstellen zu lassen; u wann dieselbe von ihm wird bemerkt
worden seyn, dann erst einliegenden Brief gefälligst über-
geben zu wollen.
Was es für eine Bewandtniss mit dieser Uhr hat, wäre
überflüssig hier zu erwähnen, da Sie es durch Ihren Herrn
Vater erfahren werden. Xur so viel sey vorläuffig zu Ihrer
Beruhio;ung o;esaiJt : dass ich mir das Geschenk eines so
alten unscheinbaren Möbels gewiss nicht erlauben würde,
wenn ich nicht hoffen dürfte, dass es durch mehrrache
Beziehung für Ihren Herrn \'ater von einigem Werth
sevn werde.
Empfangen Ew. Hochwohlgebohren schliesshch die
Versicherung meiner ganzen Achtung
Georg Grossherzog v. Mecklenburg.
Diesen Brief, mit der (bisher ungedruckten) Einlage an
Goethe übersandte der Legationsrath v. Meyer am 29. Juli,
Hess am i. Aug. die Uhr durch den Frachtfuhrmann Caspar
Schack von Schwarzhausen folgen und kündigte den Abgang
der Sendung in einem Briefe (Frankf. 8. Aug. 1828) an.
August V. Goethe meldete (19. Aug.) an Meyer den Empfang
der Briefe und der Uhr und zeigte seine Bereitwilligkeit an,
den ihm gewordenen Auftrag pünktlich zu erfüllen. (Original
des Meyer"schen, Concept des A. v. Goethe'schen Briefes
gleichfalls in Hrn. v. Loepers Besitz.)
GüETllE-jAHP,ri.-CH n. 24
17^
NtüL MiTTHEILLNGEN.
ANHANG III.
a. Fer~c'ichiiiss der Briefe, ivelche Goethe von Dornburo^
ans schrieb.^
Name
DER Adressaten,
Datum.
1
Quelle oder Druckort.
Zelter.
Juli
lO.
Zelter, Bd. V., S. 67 — 70.
Götze.
»
»
Preuss. Jahrb. XXL, 353.
Weller.
))
»
Döring, (xoethe-Briefe Nr. 941.
Soret.
»
»
Uhde. Soret, S. 48—50.
August \. Go
ethe.
))
»
Ungedruckt, erwähnt im Brief
an Weller von dems. Tage.
Kanzler V. Müller.
»
1 1 .
Buchdruckergedenkbuch (Titel
obenS. 347 A. 2) S. 82". 83\
Soret.
»
14.
Soret, S. 51- -54.
V. Keuhvitz.
1)
I/-
Goethe u. G. August IL, 316 —
319 u. mehrfach.
*H. Meyer.
))
))
Grossh. Biblioth. in ^\'eimar.
* Müller.
»
18.
Kanzler Müllers Archiv.
* Frau \'. Pog^^
'isch.
))
18.
Frau Freiligrath (Vollmers Ab-
schrift).
Müller.
»
25-
Gedenkbuch S. 83 — 85.
Me3'er.
))
25-
Riemer, Briefe (1846), S. 129
bis 131.
* Müller.
»
25-
K. M. A. (Von Diezel nicht
abgeschrieben.)
Zelter.
»
26. 27.
Zelter V., S. 75-79-
Zelter.
»
27.
Zelter V., S. 79-82.
Hofr. Voigt.
»
28.
Guhrauer. Joachim Jungius
(1850) S." 185, 186'
' Die mit einem * versehenen sind hier zum ersten Male gedruckt.
(D. X.) bedeutet Diezel's Abschrift aus Uhde's Nachlass. Dem vor-
stehenden Verzeichniss ist die unter den Goetheforschern bekannte
Aufstellung Diezels zu Grunde gelegt.
^ Trotz dieses Drucks im \'orstehendcn wiederholt, weil die im
»Gcdenkbuch« wiedergegebene Form mit der ursprünglichen sehr wenig
übereinstimmt. Der Nachweis im Einzelnen ist in den Anmerkungen
zu den Jiriefen vom 7. 16. 26. August erbracht. Wem diese Willkürlich-
keiten zuzuschreiben sind, Kisst sich nicht mehr bestimmen. Der Heraus-
geber jenes Buchdruckergedenkbuchs gibt nicht an, wem er die Mittbeilung
der l^riefe zu verdanken hat; am ehesten könnte man Riemer, der auch
anderweitig bewiesen hat. dass er solcher ^Verstümmelungen fähig war,
vcrmuthen.
Goethe i\ Dokkhurg.
i7i
Name
IHR Adressatkx.
TXvru.M.
QUELI.K ODER DrUCKORI
Zahn.
Äug
I.
Facsimile 1849 ; Berl. Verz. von
Goethe's Handschr. (1861)
Nr. 182.
Soret.
»
1- -3-
Soret, S. 55 -58.
* Meyer.
»
I .
Grossh. Bihl.
*Reichel.
»
3-
Cotta's Archiv (^'ollmcr.s Ab-
schrift).
Soret.
»
3-
Soret, S. 59.
* Meyer.
»
6.
Grossh. Bibl.
A. Nicolovius.
))
7-
Weimar. Sonntagsbl. 1856, Nr.
16, (Separatdr. 1879 s. ober,
S. 324, A. 4).
Weiler.
))
7-
Arch. für l.itg. 1876, V.. H. 4,
Vgl. Döring Nr. 945.
* Müller.
»
7-
K. M. A. (D. A.)
Zelter.
))
9-
Zelter, Bd. V., S. 89 -93.
* Meyer.
))
lO.
Grossh. Bibl. (D. A.)
* Müller.
«
13-
K. M. A. (D. A.)
Soret.
»
13-
Soret, S. 60 — 63.
* Müller.
»
i6.
K. M. A. (T). A.)
Knebel.
))
i8.
Goethe u. Knebel IL, S. 385
bis 388.
Weller.
»
19.
Major Jahns in Berlin '.
Soret.
))
20.
Soret, S. 64.
Götze.
»
20.
Ungedruckt. Hirzels Verzeich -
niss (1874), S. 228.
Weller.
»
26.
Major Jahns'.
' Die zwei unter dem 19. und 26. Aug. angelührtcn an Weiler.
sind Zettclchen, deren \\'orthun, durch den Besitzer gütigst mitgethcilt.
folgender ist:
1. Haben Sie die Gefälligkeit, mein Werthester, beikommende
Verschiedenheiten zu spediren und zu besorgen. Auch wenn etwas
an mich gelangt wäre dem Überbringer mitzugeben.
Dornburg, d. 19. Aug. 1828. G.
2. Mit höflichster Bhte beikommendes alsobald weiter zu belörderi:
ergebenst
G.
Dornburg, d. 26. Aug.
1828
24'
yj~
NtuE Mittheilungen.
Name
Datum.
Quelle oder Druckoki'.
DKR Adressaten.
Zelter.
Aug. 26.
Zelter V, S. 97 — 101.
Müller.
» 26.
Oedenkbuch, S. 85.
* »
» 26.
K. M. A. (D. A.)
))
)) 27.?
Zeitung für die elegante Welt
1828, Nr. 183.
* ))
)) 28.
K. M. A. (D. A.)
=-'V (Prof. in Jena.)
» 30.
Ab.schrift in Uhde's Nachlass.
* Müller.
Sept. 1.
K. M. A. (D. A.)
Weller.
» I.
Döring, Nr. 948.
(jrüner.
» 3-
GrUner, [oben S. t,^2 A. i]
S. 236 bis 238.
(jrossh. Georg v.
» 3-
Z. 17. Okt. 1866: Preuss. Jahrb.
Mecklenburg,
XXV., 71.
Meyer.
» 6.
lahrb. f. Kunstwiss. IL, 336.
* Meyer.
» 6.
Grossh. Eibl. (D. A.)
* Cotta.
» 10.
Cotta"s Archiv (Vollmers Ab-
schrift).
/'. Ve)\eichiiiss der Briefe, welche Goethe in Donibiirg erhiell
(soiueil sie besiimrnt nachweisbar) \
Name
DE.s Schreibers.
Ort und Datuisl
Quelle
ODER Druckort.
(iöttling.
' V. Leulwitz.
?
Sternberg.
'Soret.
Zelter.
Nees V. Esenbeck.
Neapel Juni 24.
Pawlowsk Juni 28.
Haag Juni
Brezina Juli 5.
Wilhelmsthal Juli 7. 8.
Berlin Juli 8.
Bonn Ulli 12.
Fischer : Goethe und
Göttling, S. 41- 53.
C. August IL, 316.
Soret, S. 52.
Sternberg, S. 200, 201.
Soret, S. 51 A. 2.
ZelterBd. V., S. 66.67.
Naturw.Corr.IL,S. 166
bis 168.
' Die mit einem * versehenen sind ungedruckt. Ob sie sich im
Goethe-Archiv in Weimar bclinden, ist mir niclit bekannt. Die Ant-
worten auf die meisten der hier genannten Briefe ergeben sich fast
ausnahmlos aus dem ersten Verzeichniss.
Goethe ix Dornburc.
J/ :>
Name
dks schrkihers.
()Rr i'Ni) Datum.
Zelter.
*Soret.
Zelter.
*Soret.
Zelter.
* Soret.
Zelter.
Zelter.
Krau \. I.ü'
Zelter.
Knebel.
* Bonstetten.
Ritgen.
"Soret.
* Clrüner.
'■" Abeken.
(iöttling.
Zelter. '
Knebel.
Berlin Juli 15. '
Wilhelmsthal Juli 17.
Berlin Juli 19. 20.
\\ ilhelmsthal Juli 2 i.
l^erlin Juli 22.
W ilhelmsthal Juli 27.
Berlin Juli 27. 31.
Berlin August 4.
Brc/.ina August 9.
Berlin .August 11.
Jena August 14.
Genf vor August 16.
Giessen August 18.
Weimar August 19.
Eger August 20.
Osnabrück Aug. (vor
dem 28.).
Florenz August 21. '
Berlin August 30.
Jena Se])t. 11.^
Quelle
iiDER Druckort
Zelter V.. S. 70 -
72
Soret, S. 55 A. i.
Zelter V.. S. 72-
74
Soret, S. ^5 A. 1.
Zelter V.. S. 74.
7^
Soret, S. 55 A. i.
Zelter \'.. S. 82-
-8t;
Zelter V.. S. 85-
-89
\'gl. Sternberg S. 201
und oben S. 320 A. 2.
Zelter V., S. 93 — 97.
Knebel II., S. 384, 385.
Vgl. Muller, Unterhal-
tungen S. 125.
Natur\v.( "orr. IL, S. 1Q9.
200.
Soret, S. 63 A. i. S. 64.
Briefwechsel. S. 236
(vgl.ol)enS.332 A. i ).
Eckermann, Gespräche
IL, S. 8, (vgl. oben
s. 332)-
Göttling, S. 54 — 59-
Zelter V., S. 102 — 106.
Knebel IL, S. 388.389.
' Ob noch rechtzeitig in Dornhurg cingetroften? 1804 schreibt
G. an ^\■ilhelm v. Humboldt (Briefw. hgg. v.'ßratranek 1876, S. 215):
»Die Briefe zaudern jetzt unerträglicii, einer von Florenz hierher lault
20 Tage und darüber c
- Obwohl Goethe an dem genannten Tage Dornburg verliess, so
ist es, bei der so geringen Entfernung zwischen D. und Jena immerhin
möolich, dass er aen Knebefschen Brief noch erhalten hat.
4. Mittheilungen
VON ZErrGENOSSEN ÜBER GOETHE.
I. Aus BERTUCHS NACHLASS.
VERÖFFENTLICHT \ON
LUDWIG GEKiER.
ie nachfolgenden Mittheilungen stammen grössten-
theils aus dem Nachlasse F. J. Kertuchs (Frorieps
g^^l Archiv in Weimar), aus dessen reichen Schätzen
auch einige oben abgedruckte Goethebriefe entnommen sind.
Aus dieser Provenienz erklärt sich, dass die meisten derselben
an Bertuch gerichtet sind ; die beiden ersten nicht an Bertuch,
sondern an Wieland adressirten gehören zu den mannigfachen
aus Wielands Nachlass in denBertuch'schen herübergekonnnenen
Schriftstücken. Vielleicht wird man unter den Correspondenten
Böttiger vermissen, aus dessen Nachlass der vorige Jahrgang
Goethe-Mittheilungen bringen konnte. Wirklich hat Köttiger
zahllose Briefe an Bertuch und dessen Schwiegersohn Froriep
(von 1791 — 1834) geschrieben und in denselben nach seiner
Art, nämlich in klatschsüchtiger, kleinlicher, boshafter Weise,
maiK hmal, freilich nicht so häufig, als man erwarten sollte,
sich über Goethe geäussert. Doch schien es mir gerathener,
die nachfolgende Reihe ^■on Mittheilungen nicht durch der-
artiges Geschwätz zu unterbrechen : um aber nicht der rn\ oll-
MlTTHElLLNGEN VON ZeITGENOSSUK ÜBER GOETHE. jjj
stäncUgkeit beschuldigt zu werden, stelle ich hier das ^^'esent-
liche zusammen.
Weimar 6. März 1796: »(loethe hämmert in Jena, wo er
nach seiner \'ersicherung allein noch einige Laune zum
Schriftstellern hat, an seineni ewigen Meister«.
27. Juli 1798: «Das Comödienhaus bekommt auf Schröders
Ankunft Logen. Die Architekten Wolzogen und (joethe weisen
einander die Zähne, weil (Joethe zum Bau des Comödien-
hauses dem armen Wolzogen das Holz zum.>5chlossbau weg-
gefahren hat«.
Dresden 2^. Aug. 1804: »Ich kann nicht läugnen , dass
ich um so lieber im Merkur ein gelungenes Werk von Schadoiv
bekannt mache, je despotischer und wegwerfender (loethe u.
Comp, den braven Berliner Künstler, dem Tiek noch lange
nicht gleichkommt, seit einigen Jahren l)ehandelt haben«.
5. Febr. 1805: Empfiehlt Gruber. »Da haben wir denn
unser blaues Wunder über das Treiben der Jenaischen Literatur-
Zeitung vernommen, (joethe hat manchmal 50 Recensionen
zu allerhöchster Stempelung bei sich liegen. Eichstädt muss
einen sehr bösen Dämon in sich haben«.
24. Aug. 1806: »Mit Goethe habe ich in den 4 \\ (jchen,
wo wir zusammen im Karlsbad gewesen sind, mich nur stumm
gegrüsst. Es ist nicht meine Schuld. Er wollte es so haben,
wie mir Henderich (?) sagte und ich fand mich natürlich
auch nicht geneigt, ihm zu hofiren. Welch eine suttanische
Arroganz«.
24. April 1807: »Ich habe die Blume schon in Händen,
die Goethe auf Amaliens Grab gestreut hat. Es ist nicht zu
läugnen, dass sie manch aromatische Ausdüftung verstreut,
aber hie und da riecht man doch auch den Minister, der den
Lebenden schön tliut. Da ich als Redacteur des Merkurs
bekannt bin und sich (joethe nt>ch das letzte Mal, in Karls-
bad so bäurisch grob gegen mich benommen hat, dass es
aller Welt auffiel, so kann ich, verzeihen Sie mir diese Weige-
rung, sein Specimen nicht in den Merkur aufnehmen, ohne
den Anschein zu haben, als wollt ich ihm den Hof machen.
Auch ist es eine grosse Frage, ob Vater Wieland mit allem
was Goethe sagte oder versc/mneg . zufrieden ist. Endlich
erscheint dies Andenken auch sogleich in Eichstädts Allg -
Lit.-Zeit. : wir kommen viel zu spät damit«.
Aus den späteren l]riefen sind nur wenige Notizen hervor-
zuheben. Am 16. Febr. 1814 fragt er an. ob der circulirende
37^ Nele Mittheilun'gex.
Quatrain auf die Kaiserin . in welchem dieselbe »das holde
Licht von Osten« genannt werde, wirklich von Goethe sei.
im Sommer desselben Jahres erwähnt er des Gerüchts (er
bedient sich der lateinischen Sprache zur \\'iedergabe des
Geschwätzes), dass G. clur( h unmässiges Essen und Trinken
sich körperlich fast ruinirt habe, am 12. Dez. 18 16 (also
6 Monate nach Christianens Tode) will er wissen, ob es wahr
sei, dass Goethe die Hofdame der Cirossherzogin. die Gräfin
Schulenburg heirathe.
Diese Proben werden zur Charakterisirung desBöttigeriscIien
Creschwätzes genügen und werden rechtfertigen, dass ich nicht
jede Notiz, die Herr Ubique irgendwo aufgestöbert hatte,
aufgespürt und mitgetheilt habe.
Von den übrigen Briefschreibern sind viele allgemein
bekannt. Zu ihnen gehören : Der Aesthetiker Blankenl)urg.
"der alte Cileim, der Buchhändler Göschen, der Jurist Hufeland.
F. H. Jakobi, dessen Aeusserungen als aus der Periode der
Erbitterung gegen (roethe stanunend, doppeltes Interesse
erregen, (i. M. Kraus, der für Weimars Kunstleben bedeutende
Maler, Rühle v. Lilienstern, der Berliner Buchhändler Unger.
und endlich der Dichter Ghr. Fei. Weisse. Von den Uebrigen
weiss man zum Theil sehr wenig, doch schien es nicht räthlich.
ihre Urtheile und Erzählungen mit ausfülirlichen Anmerkungen
zu beschweren.
Auch die anderen zahlreichen Correspondenten Bertuchs
lassen es gelegentlich an einem für (joethe bestimmten Gruss.
oder einer ihn betreffenden Anfrage nicht fehlen. Doch würde
es zu weit führen alle derartige Notizen zu sammeln und
abzudrucken. Nur von einem der Briefschreiber, von dessen
Beziehungen zu Goethe auch sonst mancherlei bekannt ist.
von dem Mediziner Loder in Jena, seien drei solcher Notizen
hier zusammengestellt. (Undat., Anf. 1782): »Eben ist Goethe
hier und ich unterhalte ihn den ganzen Tag. Er ist auch ein
treufleissiger Auditor in allen meinen Collcgiis und wir hal)en
nachher herrliche LTnterredungen darüber«. (7. Juni 1788.)
Uebersendet ihm sein »Handbuch« und bemerkt dazu: »Wenn
Sie aber gar nichts in diesem Buch lesen können, so lesen
Sit' die Note 89, wo Goethe's panegyricus steht«. (14. Jan.
1795.) );(ioethe hat sich eben gemeldet, daher will ich nur
das Dringendste beantworten . . . . G. und Meyer hören die
Syndesmologie con amore«.
MiTTHEILLNGtN VON ZtITGENOSSEX ÜBER Goi^THE. jJJ
(F///^ Jnrobi au fficlniid. Elherfehl, lO. Juli ijjy.)
Ganz gewiss, mein liebster Wieland, liatten Sie, als
Sie mir Ihren letzten Brief schrieben, den Sebaldus Xoth-
anker nicht ganz u. was Sie darin gelesen harten, sehr
riüchtig u. in einer besonders gutherzigen Laune gelesen.
Als ich auf V^ 1 heil nach mit dem Buch zu ]:nde war,
setzte ich mich hin und schrieb Ihnen einen drolligten
Brief darüber; bewies Ihnen, aus verschiedenen Beyspielen
— unter andern aus einem vom Doctor Göthc (dem \'er-
fasser des infamen Artikuls gegen meinen Bruder in den
Frankfurter Anzeigen von 1772') hergenommenen sehr
treffenden Beispiele, dass mein Urtheil über die Schritten u.
Talente eines Mannes u. meine Gesinnungen gegen seine
Person, nie etwas mit einander gemein haben, — hernach
beleuchtete ich den Satz, duss der Hnlhnsiasiiuis do cdclcii
Seelen inlolcraul iiiache und zeigte, dass es um den zu weit
getriebenen Tolerantismus, der allemahl eine ^~// alh^citiciuc
Svmpathie \-oraussetzt, eine sehr gefährliche Sache sei,
indem dadurch alle Triebfedern der Seele losgeroUt und
zu tanzenden Schnörkeln würden. — Und diesen schönen
langen Brief, mein bester Bruder, habe ich vor ohngelahr
2 Stunden in 1000 Stück zerrissen. — Nehmen Sie Ihren
Sebaldus und lesen Sie darin das 3\f Stück des 3"?," Buchs,
so werden Sie begreiten, was mich in dem Grade aus aller
Fassung gebracht hat. — Heute, mein Freund, kann ich
noch nicht sagen, was ich gegen den infamen Pasquillanten
Nicolai unternehmen werde; ich habe blos Sie zu ersuchen,
im Fall der Sebaldus im II Th.eil des Merkurs angezeigt
oder recensirt sein sollte, dass das Blatt weggeschnitten
oder der Bogen, halbe oder V^ Bogen , herausgenommen
' Gemeint ist die Besprechung des Schrii'tcliens: «Uebcr das von
Prof. Hausen entworfene Lebensbild des G. R. Klotz«. Vgl. Scherer
Goethe als Journalist. Deutsche Rundschau Y., S. 69 — 71.
\jS Neue Mittheilungex.
werde. Es würde überall Abscheu u. Gelächter erwecken,
wenn Sic ein Buch anpreisen, worin der Edle George auf
die niederträchtigste Weise ridiculiesirt wird. — Rache
verhtnge ich nicht von Ihnen. Mein bebender Arm wird
nur desto rascher den Dolch führen, und ihn bis ans Hett
in das Herz des Elenden stürzen, der hinter meinem Bruder
herschlich, um ihn zu morden. — Also Rache fordere ich
nicht, nur sollen Sie verhindern, dass meine Wuth nicht
in einen Schmerz verwandelt werde, der micli tckiten würde.
— Sie wollen doch Ihre Brüder Jabobi nicht verlieren —
nicht auf 6^u'/V verlieren ?
Sie sehen, mein Liebster, wie es mit ;nir ist, u. dass
ich vor itzt die Eeder hinlegen muss. — Leben Sie also
wohl, mein theurer Freund u. antworten Sie mir ohne
Fehl mit umlaufender Post. —
Fritz Jacobi.
Was um Gottes Willen sagen Sie doch dazu : der
Verfasser des Chaniiides eine Brevseele ? Eben der Mann,
von dem Wieland schwur, dass er ihn über alles, dass er
ihn mehr noch, als seinen Fritz liebe, — den dart ein
Nicolai mit Koth werfen ! ein Nicolai darf seine erhabene
Seele verhöhnen ; Bildung der Grazie für weibisches Wesen
und Sanftmuth für nervenlose Trägheit ausschreien.
(Fril~ Jacobi iiii lllehtiid. Düsseldorf, S. Mai 1774-)
.... Erst vorgestern erhielt ich Nachricht von Tante
Fahimer, wie die Scene zwischen ihr, dem Doktor Göthe
und dem Merkur abgelaufen ist. Göthe hatte der Fever
einer goldenen Hochzeit, die mit ausserordentlicher Pracht
aul dem Lande begangen wurde, beygewohnt und war
deswegen verschiedene Tage lang von Frankfurt abwesend.
Alles übrige werden Sie in beyliegendem Auszuge finden.
Die iM'eude, welche dieser ganze Vorgang mir verursacht.
Mittheilungen von Zeitgenossen ühek Goethe. 379
ist nicht zu beschreiben und nicht zu crmessen. Nächsten
Postiag schreibe ich Ihnen mehr von Göthe, dem wir,
seiner gegenwärtigen Aeusserungcn i)hngeachict, nicht /ii
viel gutes zutrauen dürlen, denn ei' ist und bleibt ein
/ügelloser unbändiger Mensch. Sie sollen das Fasquill,
das er, unter dem Titul ' . . .
Auszug aus einem Briefe von Tante l'ahlmer an Iritz
jacobi.
Göthe. Tante.
Die Tante sitzt vor ihrem Klavier, spielt aber nicht
mehr drauf, sondern liest in Mad. du Boccage. Göthe
kömmt gestiefelt und in einem Englischen Ueberrock. Noch
aut der obersten Stubentreppe stehend und eines seiner
gestiefelten Beine hervorstreckend.
Göthe. Tante! Da komme ich . . . ja, gestiefelt und
eingemunnnclt. Das ist die \'ariation.
Taute. Aber Sie riechen doch, als wie in Ambrosia
getaucht.
Göthe. Ich komme vom Dechant. (Dumeix) — Aber
was machen denn Sie, liebe Tante?
Taute. Da, mit Mad. du Boccage unterhalt ich mich
ganz gut. Wie gefällt Ihnen dies hier?"
Göthe. O — gut ! gut ! ist recht gut !
Taute. Wissen Sie? — Sie haben mirs lange gemacht,
bis Sie wieder heramrekommen sind. Ich habe etwas
' Mit diesem Worte hört der Briefbogen auf und der dazu gehörige
/.weite konnte trotz eifrigen Suchcns nicht gefunden werden. Man
möchte am ehesten oDas UngUicl< der Jacobis« erganzen. .\uch der
angekündigte Brief vom nächsten Posttag ist nicht erhalten. Das im
Text Folgende steht auf besonderen Blattern von Jacobi's Hand.
^ Aretins Grabschritt:
L'aretin repose en ce lieu
De chacun il fit la satirc
Mais ne connaissant point de Dieu
De Dieu seul il ne peut medirc.
580 Neue Mitthuilungen.
bekommen, das für Sie zu allererst mit /um Genuss soll
sevn, iibci' mit der Zeit — o, dann kömts /um General
Tractamcnt für das Publikum. Aber erst sagen Sie mir.
wie hats gegangen? Ist brav getan/t worden? W^u's denn
sehr herrlich?
Göihe
(\\'ir gi engen mit einander in der Stube aut und ab.
Des kleinen George ' Kribel Krabel Briefchen lag
auf meinem Tische.)
Tanie. Da, lesen Sie vom kleinen George.
(Göthe liest. Unterdessen holt die Tante ihre Arbeit
und die Blätter vom Merkur und setzt sich an ihren
Schreibtisch, Göthe gegenüber.)
Tanie. Sehen Sie hier ! Nun was habe ich ?
Gölhc. Was ists? Was ists, lieb Täntchen? Lassen Sie
sehen.
Taute. Es ist , worauf Sie sich bev BöUing, wenns
ankäme als aut ein herrliches Tractament zu Gast geladen
haben. ^
Aber ich habe noch mehr.
(Tante hält ihm die Revision ' über Götz von Berlichingen
vor die Augen und giebt ihm die Blätter zusammen.)
G'öiJn' (nacii einigem Lesen). Xu, Wieland, du bist
ein braver Kerl! — Ein ganzer Kerl! Was? fängt er's so
an? O, gut! Nun, Sie wissen Tante, was ich immer von W.
gesagt habe — ob ich ihm nicht immer gut war? Ich
habe allezeit gesagt, es ist ein ganzer Kerl, ein guter .Mensch.
' Fritz Jacobis Söhnchen.
^ Goethe war wegen Wielands Rache voller Krwartung und sah
deswegen dem \l. Theile des Merkurs mit brennender Ungeduld entgegen.
(Die .Anmerkung ebenso wie S. 579, .\ 2 ist von der Hand Fr. Jacobis.)
"" Ist iedentalls für »Recension« verschrieben.
MlTTHElHJNGtN VON ZlilTGtNOSSEN ÜBER GOETHE. 38 1
Aber ich bin gegen ihn aufgebracht worden. Den ver-
fluchten Dreck schrieb ich in der Trunkenheit. Ich war
trunken! Und wie ich Ihnen gesagt habe, in liwigkeii
hätte ich's nicht selber in Druck gegeben; aber ich hatte
es nicht mehr allein in Händen. - Und ich bin wie der
llerodes; in gewissen Augenblicken kann man Alles von
mir erhalten. Schon lange haben mir die Kerls vorge-
schwätzt: »lass's drucken! lass' drucken!« — Nä ihr sollt
nicht! — Da kommen sie mir aber auls neu: »O mein!
lass es uns drucken!« Und ich hatte, Gott weis! weder
neue Bosheit noch Ärger gegen W. — Nun so druckts
und schert euch! . . . Da, da (mit dem Finger auf das
Blatt deutend). Das ist just was mich :\n W. so ärgerte,
und mich reitzte, mich gegen ihn auszulassen. Da^ der
Ton. Sehen Sie, liebe Tante; ich will's nicht sagen, ich
selbst hab Recht, W. hat Unrecht. Denn Alter, Zeitpunkte,
alles macht Verschiedenheit in der Art zu sehen und zu
emptinden. Jetzt denk ich nur so und so; vielleicht in
dem Alter von W. — wer weiss noch eher? — denke
ich inst so wie er. Drum was soll ich sagen? Hat er
nnn Recht? Oder hab' ich nnn Recht? — Der Eindruck
den man itzt selbst hat, der gilt. Wieland hat Recht, dass
er so urtheilt ; aber mich ärgert's ;///// noch. — »Mit der
Zeit! Mit der Zeit!« Ja das ist's, das ist's! just, just so
spricht mein Vater; die nehmliche Händel, die ich mit
diesem in Politischen Sachen habe, hab' ich mit \V. in
diesen Punkten. Der Vater-Ton ! der ist's just, der mich
aufgebracht hat. — Sagen Sie mir um Gotteswillen, warum
er sich just an seine allerschlechteste Arbeit machte und
mit den ewigen Briefen sie vertheidigte? Seine Musarion,
ein Werk wovon ich jedes Blatt auswendig lernte, das aller-
vortrefflichste Ganze , das je erschienen ist ... . nichts,
nichts nimmt er sich so an, als der x\lcesLe, die tür mich
just das Schlechteste von allen seinen Werken ist. — Ich
382 Neue Mittheilungen.
muss weiter lesen. — Ganz bniv! Ganz brav! Nun Wieland,
unsere Fehde ist aus; dir kann ich nichts mehr thun. Das
ffarstiije Fra/enzeui} hat er schon gelesen, das seh' ich.
Tante. Ja freiUch! Kommen Sic, lesen Sie, das hier
ist die Antwort drauf.
(Er wurde roth. Ich sah, dass es ihn erschütterte.)
Gölbc. Besser hätt er es nicht machen können. Sehr
gut ! Ich sag's ja, nun muss ich ihn auf immer gehen
lassen. W. gewinnt viel bei dem Publico dadurch, und icii
verliere. Ich bin eben jvosliluirl.
(Tante lachte herzlich.)
Nun wieder an den Anfang von der Recension. Die
Vergleichung mit den jungen Füllen u. s. w. Durch-
geschnattert und dabei vielmahl ausgerufen: es ist wahr,
er hat Recht! ganz excellent! — Weiter gelesen. — Gut!
meinen Weisslingen beiu'theilt er, wie ich ihn will gelesen
haben. — Gut! Besser als Wieland versteht mich doch
keiner. — An der Stelle, wo er wegen der Vermischung
der Sprachen in verschiedenen Jahrhunderten getadelt
wird, sagte er: auch recht, auch gut; aber wer Teuiel
anders, als ein W., Lessing, kann mich hierinnen beur-
theilen? Freilich hat er ganz Recht; ich hab"s selber
genug gefühlt u. s. w. Die Folge meiner Werke soll's
zeigen, ob ich meine Fehler kannte.
Tcinie. Haben Sie, seit ich zu Düsseldort war, nicht
sonst noch etwas Hübsches im Genre des Götter-Gesprächs
componirt ?
G'ölhc. Niclits, liebe Tante. Den Satiros. Nun, der
war schon vor ihrer Abreise fertig.
TiDilc. Gar nichts? Ein dergleichen freundschaftliches
Drama (sie kuckte ihm gerade in die Augen). Sie sind
aufrichtig, Göthe ! Darum müssen Sie mirs gestehen.
G'olhe. Das will ich. Ja liebe Tante; fragen Sie nur!
MlTTHEILUNGhN VON ZEITGENOSSEN ÜliEK GoETHE. ySy
Tante. D:is Unglück der J***?
G'othc. ja, das ist wahr. Aber schon lange, ehe ich
sie noch alle kannte; es war blos anf Anecdoten, auf
Wischwaschereion gebaut, alles von Hörensagen. Ihr alle
seid lächerlich mitgespielt. Sie auch Tante. Niemand, als
die L. R., Merk und der Dechant habens gelesen ; und niemand
mehr in der Welt soll es auch /u hören und /u sehen
bekommen; es soll nie wieder an das Licht riechen. —
Es ist auch nicht einmal ausgemacht, — gilt nicht mehr.
Tante. Aber ich doch muss es hören?
Götbe. Liebe Tante, das kann unmöglich sein. \'er-
langen Sie es nicht
Nach Hin- und Wieder-Reden wurde es klar, wer der
Held darin sei, und was den Anlass dazu gegeben hatte.
Es wurde gleich nachlier als G. und Merk von Koblenz
zurückkamen, geschrieben
Wir hatten grossen Spass und
Gelächter über das Ding, wie und wohin er mich schief
und über Eck gestellt hätte u. dg!.
(Frily^ Jacohi an IVieland. ' Düsseldorf, 4. Juni 1774.)
Meine Merkurs sind am Donnerstag angekommen.
Bitten Sie die Erfurter, dass sie künftig unser Journal
4 Wochen später ankündigen. Dass die Recension des
Merkurs in diesem Blatt so gar früh erschien, hat Göthen,
wegen der ihn betreffenden Anmerkung ein wenig spannend
gemacht; es war darum recht gut, dass er die relativen
Artikuls im Merkur bereits gesehen hatte. Die Recension
' Der grössere Theil des nicht uninteressanten Briefes enthält eine
sehr ausführliche Besprechung von Heinse's Laidion, die an dieser
Stelle nicht mitzutheilen war.
384 Neue Mittheilungex.
in der Irankfurtcr gelehrten Zeitung, deren Sie erwähnen,
ist mir niciu /u Gesicht gekonimen. Ich will sie mir
schicken lassen und nach dem \'ertasser forschen ....
Die Comödie der Hofmeister, ist nicht von Göthe.
(Schcrjf LDi Bcrliich. lliiiciuui, 2^). Scplcmhcv i'J'J^.)
. . Ich habe mit vielem X'ergnügen die mir über-
sendeten Bücher empfangen, ich habe sie auch alle schon
durchblättert. Goethens Hofmeister war mir vorzüglich
willkommen, nicht eben weil ich ein besonderer Liebhaber
der dramatischen Dichter wäre, — das bin ich nicht, mein
Freund, denn ich kenne die Dramaturgie und die Bühne
selbst zu wenig, aber ich schätze das Genie des Göthens
unendlich hoch, weil ich nie zu dem Glauben mich über-
winden konnte, dass ein Deutscher je mit Shakespeare
glücklich wetteifern würde, aber Götz von BerHchingen
und nun der Hofmeister haben meine Furcht über-
wunden.
(Weisse an Bertuch. Undatiri. ii']^.)
Des Puente spanische Reisebeschreibung müssen Sie
besser als ich beurtheilen. können, da ich sie blos aus der
hohen Empfehlung der Ephemeridi literariae kenne. Ich
wundere mich gleichwohl, dass sie in der Weygandischen
Buchhandlung, die Goethe und Consorten meistens in
Beschlag nehmen, auch übersetzt wird. Vermuthlich haben
Sie den neuen Menoza schon gelesen ? Den Seitenhieb,
den ich darinnen soll bekommen haben (denn ich seihst
habe ihn so wenig als andre Messbücher gelesen) lass ich
mir gern gefallen, da andere grössere Dichter als ich,
nicht besser sollen weggekommen seyn. Der Verl, ist
ein gewisser Lent (sie) aus Strassburg, ein h'reund Goetiiens,
der auch den Hofmeister geschrieben hat.
Mn THLILLNGhN VON ZlITGEKOSSUN ÜBER GohTHL. yS)
(G. M. Kraus'. Frankfurt, /. M<7r~ 777/ J
\'üri^cstcni waren llr. Hot -Kamiiierrath jacobi mit
seiner Cousine Müe 1-albert" be\- mir, besahen und lobten
die Portraits von der lieben Wieland'sclien Familie, treueten
sich besonders über die Gleichheit in dem Porträt des
Hn. Hofraths . . .
Nun hören Sie, \\as Göthe sai^t. Dieser hat mich
schon etliche mahle besucht. Des Hn. Hotraths Wieland
Portrait lobt er über alle massen; diesse gantze Familie
gefält ihm ; Carolingen heisst er seine favorite. »Man sieht
ihr die Gutheit in ihren Gesichtszügen ! Sophiegen, sagt
er, ist eine kleine Schönheit, aber et\vas schalkhaft und
gefährlich! Die wird Männer rasen machen. Dorgen ist
ein kleiner Teufel. Malchen sehr unschuldig und ange-
nehmes Kind«. Das ist das Urtheil von Goethe über diese
Portraits, welches er, wie er mir noch heute sagte, selbsten
an Hn. Hotrath schreiben wird. ' Die Anordnimg vom
gantzen Bild getällt ihm nach meiner Skitze sehr wohl, nur
mit der Finrichtung des Zimmers ist er nicht ganz zufrieden,
es scheinen ihm die darinnen angebrachte Meubles zu reich
und prächtig für einen Autor zu se\n ! Daran last sich
denken und ändern ohne dem gantzen zu schaden. Goethe
ist jetzo lustig und munter in Gesellschaften, geht auf
Bäle und tantzt wie rasend ! Macht den Galanten bevm
schönen Geschlecht: das war er sonsten nicht. Doch hat
er noch immer seine alte Laune. Im eifrigsten Gespräche
kan ihm einfallen, aufzustehen, fortzulaufen und nicin
wiederzuerscheinen. Er ist gantz sein, richtet sich nach
keiner Menschen Gebräuche, wenn und wo alle Menschen
in feverlichsten Kleidungen sich, sehen lassen, sieht man
' Der Adressat dieses und der in diesem Absclmitt folgenden Briefe
ist Bertuch.
^ Es muss jedenfalls Fahlnier heissen.
Goethe-Jahrblcii II. 25
386 Neue Mhiheilungen.
ihn im grösten neglige und ebenso im Gegentlieil. Goethe
will oft zu mir kommen und hev mir zeichnen, welches
ich ihm sehr gerne erlauben werde. Er hat seit einem
Jahr viel gezeichnet und auch etwas gemalt. Viele Schatten-
bilder und auch andere Gesichter im Prohl macht er, trifft
öfters recht gut die Gleichheit. Nun deucht mich hätt
ich Ihnen genug von diesem xManne geplaudert, ein ander-
mal ein mehreres. Noch eins muss ich Ihnen sagen —
und das zwar sage ich Ihnen nicht gern — Goethe hat mir
angekündiget, dass ich in hiesiger Stadt nicht viel Sub-
scribenten für Ihren Don Quixote anwerben würde. Ein
garstiges Zeichen vom Geschmack meiner Landsleute.
(Derselbe. Frank fitrl, 1;. Mai ij'J).)
Goethe ist nicht Autor von Prometheus -Deukalion;
ich weiss es' gantz gewiss, weilen ich den Mann kenne,
der diesse — wie Sie es heissen — Scharteke gemacht
hat ; ich musste mein Ehrenwort geben, dessen Nahmen
noch etliche Wochen zu verschweigen, Sie sollen ihn aber
bald durch ein neu herauskommendes Werk oder durch
mich kennen lernen.
(Gleiiii. Halbersiadt, ij. Januar bis /_/. Februar I//6.)
Sei zufrieden, guter \'ater Gleim, dass Bertuch Dich
nicht vergessen hat und dass Dein Herzensbruder Wieland
unter seinen Lavatern und Goethen doch Dein Herzens-
bruder geblieben ist . . . Mags nicht wissen, warum Sie
keine S\lbe von Goethe sagen, dass er noch dort ist, viel-
leicht dort bleibt, dass er dem Herzog in einen Bauer sich
verstellt und ihn in Knittelversen regieren gelehrt hat . . .
(Aiilon Schweit::^er. Gotha, 16. Mär~ I//6.)
Gestern wnirde Clavigo aufgeführt, nach meinem Gefühl
sehr gut. Der Herzog war äusserst bewegt und zufrieden.
MlTTHLILLNGHN \ ON ZeITGENOSSHN CBER GoETHE. 38/
\'icllcicht ist nie ein Stück bei einer so ganz feierlichen
Stille der Zuschauer autgetührt worden ; ich sage Ihnen es
hat erstaunende Sensation gemacht. Möcht doch wissen,
was die Weimarischen Zuschauer, die hier zugegen waren,
davon sagen werden r Zum Monolog des Clavigo im
5. Aufzug, sowie auch ztun Leichenbegängniss habe ich
Musik gethan.
(Göchhciiiscii. liisoiach, 2j. Mciri Jy/6.J
Buns dies, lieher Bertuch! Itzt ist Dein guter lürst
nicht daheim und also hast Du nichts zu geheimdesekre-
tariiren und wenn Du Dich den Armen Deines Weibchens
einen Augenblick losreissen und mein Brief lein da lesen
wolltest, so thätest Du mir einen grossen Gefallen . . .
Sagen Sie mir, was macht Wieland? Kein Mensch
schreibt mir ein Wort von ihm und was Goethe anbetrirt't,
der ist hier ohngefähr so der Gegenstand allgemeiner
Unterredung, als ehedem die Hyäne von 1-rankreich es
unterm deutschen Landvolke war. Sie wissen nicht, was
sie aus dem Dinge machen sollen und grade weil sies nicht
wissen, machen sie sich ein Ideal von dem Dinge, das
genau so passt als eine Faust in Venus' Auge.
Am ersten Ostcrfciciia^ ^77^-
. . . Goethe bleibt also bei liuchr Heisst das, frey.^ Oder
nimmt er Titul, Besoldung oder Dienstpflicht über sich.^
Lieber, wenn Du kannst, so meld mir das gelegentlich.
Ueber unsern lieben Kraus treu ich mich inniglich. Dass
Wieland wieder Vater ist, dass Herder — der Anti-
wielandianer — Oberpriester bev Euch wird und Stollberg
Gammerherr, weis ich schon. Lenzen mögt ich kennen
und was gab ich drum, wenn ich bev Luch sein könnte,
wenn Gleim kommt.
25*
Neue Mittheilüngen.
Eisenach, j. Sept einher 1776.
Lieber! Nun ists Jahr und Tag, dass ich einen Einfall
hatte, den ich bald drauf ausführte, und der nun — geh's
auch wie es wolle — ausgcH'ihrt bleibt. Die Leute schwatzten
mir und schrieben mir so kraus Zeug über IFertber, wie
sie allerwärts mögen geschwatzt haben. Ich nahm ihrer
einige heraus, lies sie reden, wie sie mit mir geredt und
wie sie an mich geschrieben hatten, macht ein Histörchen,
das (wie mir dünkt) immer in der Welt möglich seyn kan,
draus und daraus entstund be\-gehendes Ding \ Hast für
Deinen trauten guten Bertuch kein Geheimnis gehabt und
dies da soll ihm also auch keins bleiben, dacht ich, und
so pack ichs ein und schicks Ihnen.
Alles was sich überhaupt von jeher imd itzt über den
Einfall sagen lässt, irgend etwas zu schreiben was Beziehung
auf Werthers Leiden haben kan, das Alles, Lieber, hab ich
mir selbst gesagt, auch würd ich vielleicht meine Hand-
schrift nie haben drucken lassen, wenn ich nicht in eine
Kette von mancherlev Ursachen, die mich damals dazu
determinirten, gerathen war. Gerade heraus, was man
immer vor oder wieder mich als Schreiber eines Buchs
sagen kann, das kümmert mich nicht: itzt wenigstens nicht
mehr, weils zu spät sein würde. Was aber Leute, die mich
und meine Art zu denken nicht so genau kennen, als Sie,
von dem Gegenstand sagen mögen, den ich behandle, und
was sie weiter von den Absichten plappern mögen, die ich
gehabt oder nicin gehabt haben kann, das ist mir freylich
itzt weniger einerley als jemals. Bisher wissen ohngefahr
nur 4 Menschen, dass ich \'erfasser des Wertheriiebers bin.
Könnte mein Nähme auf immer ver.-^chwiegen bleiben —
lieb war mirs. Aber da ausser Ihnen und Louischen ihn
' Das Wcrther-Ficbor. Hin unvollendetes Familienstück. Nieder-
Tcutschland 1776.
MrrriitiLLNGHN von Zeitgenossen übek Goethe. 3^!^
am Hnde nocli mehrere und also Goetlie auch erfaliren
können und werden und da Goetlie mich ganz und gar
nicht kennt, und ich vielleicht, eh er sich die Mühe gab,
mein Büchlein seihst zu lesen, der unangenehmen Begegnis
ausgesetzt seyn könnte, ihm von einem oder dem andern
schielenden Leser in ein falsches Licht gesetzt zu werden,
so thun Sie alsdenn für mich, was ich auch lür Sie thun
würde. Sagen Sie, wenn Sie sich selbst überzeugt haben
werden, dass mein Buch gegen keine Seele gerichtet ist
und gerichtet seyn kann, als gegen diejenigen, die wie ich
wörtlich (pag. 102) sage: Werthers Leiden als einen
Catechismus etc. lesen, sagen Sie dann zu Goethen : »ich
sage für des Verfassers Herz gut, denn ich habe ihn meiner
Liebe werth gehalten«.
Eiscimch, 28. Sepleiiiber ijj6.
. . . Also Goethe schaut's W'ertherheber von der rcrhlcii
Seite an? Gut! Um ch'ii war mirs auch nebst wenig Men-
schen unsers Schlags zu thun. Was hudelt mich der Resf
von Leuten, die blind sind? Sagen Sies dem Mann immer,
dass ich mit dem kleinen Anstrich von Besonderm, den
vielleicht mein St\l haben kann, doch darinn mit allen
Menschen, die sehen können übereinstimme, dass ich kein
Fell auf dem Auge habe. Weiter braucht er nichts von
mir zu wissen. Denn, dass ich allentalls überdcm eine
gute Haut von Menschen bin, was ist das besonderes ?
oder w'as kann das ihn kümmern ?
(v. Trebra. Weimar, j. AhjjiisI I//6.)
Goethe, dem lieben Goethe erneuern Sie meinen
Dank; er kann keinen Freund haben, der ihn mehr liebt,
als mich und kann dieses also wohl vergelten und kann
auch mich lieben. Ich wünschte ihn nocli einmal zu
390 Neue Mittheilungen.
sprechen, aber es kann ja doch nicht sein; es muss also
auch bleiben '.
(Göchbaiiscn. <). Mär~ 1/77.)
O, Guter, was hör ich! Goethe hat gegen Jemand-
gesagt, er habe in meinem Wertherfieber Safxre über
Werthers Leiden gefunden, Ists möglich überhaupt? Und
wärs möglich, dass Goethe Sie hintergangen hätte, als er
Ihnen, wie Sie mir meldeten, sagte: er erkenne meine
Absicht und danke sie mir? Sie können urtheilen, wieviel
mir itzt daran liegt, dass Sie mir nur in zwo Zeilen dies
Geheimniss erklären. Ich sollte micli auch da in Menschen
geirrt haben?
50. Aför^ lyjj.
. . Sie schrieben mir, Goethe habe die Absicht meiner
W^ertherfiebers von der rechten Seite angesehn. Ich was
froh darüber, denn Gott weis es, und Sie, der Sie mich
kennen, gkuibens, aucli glaubts jeder gescheute Mensch,
dass es nimmer Satyre auf Werthern , sondern auf die
Gecken sey und seyn soll, die Werthern zu verstehn glauben
und nicht verstehn. Goethe ist mii^ciciss darüber und
daran ist kein Mensch schuld als der verdammte Narr, der
G. L. Rath Schmidt, ein Narr, der sich auf die Satvre so
verstehn will, dass er mich selbst einmal hier einen halben
Nachmittag damit ennuyirt hat, dass er mir erzählte, er
habe einst mit Rabnern ein öffentlich Gefecht gehalten,
worinn die Lacher alle auf seiner Seite gewesen und Rabner
so still geworden sey, dass er bald ein Gallenfieber davon
' Trotz dieser Uebcsvcrsicherung findet sicli in den übrigen sehr
zalilreichen Briefen l'rebra's keine Erwähnung ("loethe's, kein Ciruss an
ihn; nur einmal hcisst es sehr forniel] (Zellerleld, 30. De/. 1784):
»Den beigehenden Briel bitte ich dem Hn. Geheimenratli von Goethe
zuzustellen c.
MlTTHEILUNGtN VON ZtITGENOSSEN ÜBER GoETIiL. ^91
gekriegt habe. Dieser Mensch nun, den ich in Bclvederc
mit Wiehmd auch einmal habe streiten hören, dass michs
ekehc, bildet sich ein, er allein habe eine so teine Xase,
dass er die wahre Pointe im W'ertherheber rieciie und sagt
laut, hats der l'rau von Bechtolsheim und andern gesagt,
das W'ertherlieber se\- die ärgste Satvre, die auf W'erthers
Leiden gemacht worden sey. Das hat ein andrer Xarr
vermuthlich gehört und Goethe kanns wieder erfahren
haben, hats wieder erfahren, das kann nicht fehlen. Xun
mag Goethe innnerhin erst geglaubt haben, was wir anderen
klugen Menschen alle glauben, dass das Wertherfieber
nichts weniger als AusfitU auf ihn oder auf Werthern sey,
aber es muss um doch natiirlich verdriessen, wenn andere
— solltens auch nur tumme und boshaffte Kerle und
W'eiblein sein, — ihn und mich, sein Buch und meins in
einem so hundsfcittischen \is ä vis ansehn. Drüber wird
Goethe mir gram, ob ich gleich die unschuldige Ursach
bin und ob ich gleich (wenn ein Schafkopf mich nicht
verstehn will oder kann) Busspsalmen hätte schreiben
können und dennoch für Goethens Gegner hätte gehalten
werden können. Ach, lieber guter Bertuch, ich bin was
Sie sind und wofür ich Goethe auch nehme, ein wackrer
Mann, 's muss mich verdriessen, dass ich /wiefach in
eines Ehrenmannes Augen erscheine und um eines so ver-
fluchten Narren willen, wie Schmidt ist. Reden Sie mit
Goethe davon. Sagen Sies wie michs verdriesst und sagen
Sies ihm dreuste, dass ich so ein zaghafter Pinsel nicht
bin, der, wenn ihm was gefällt oder missfällt seine Mev-
nung nur en tatonnant entdeckte oder sie verzuckerte.
Hätte ich über Werther satvrisiren wollen oder können,
ich hätts laut gethan. Goethe kan mich für alles halten,
wofür er will, nur nicht für einen Menschen, der aus Furcht
zwiefach ist. Das kann nicht seyn, ist nicht, lieber Bertuch.
Dein Göchhausen.
39- Neue Mittheilungen.
(C. G. Ki'ilhicr. Basel, 22. Mi'tr~ ijjj.)
Hin Jahr ists besster Miinn, dass ich durch Weimar
i;ing, dass ich das Glück hatte, Sie kennen zu lernen. Was
macht Ihr Goethe? Ist er als llegierun^srath noch der liebe
herrliche Mensch der er war, als ich ihn in Weimar s.ihe
und Lehen und Wohl von ihm einathmeter Man erzählt
hier viel und mancherlei von ihm, aber ich kenne die Leute,
die so gerne von Goethen erzählen und weiss den W'erth
ihrer Erzählungen zu bestimmen, also weiss ich nichts von
ihm. Ich habe viele seiner Freunde seit einem Jahre kennen
gelernt und mir war wohl bei ihnen. In Schinznach sah
ich Schlossern und Lavatern, den ich hernach in Zürich
wieder trat, in Colmar, in deren Nachbarschaft ich ver-
gangenen Sommer viele Wochen zubrachte, Pfeftel und den
Franz Lerse. Lenzen, der sich zeither bei Schlosser aufge-
halten hat, erwartet man in Basel. Sie wissen, dass mich
Goethe einst an ihn wies : be\- meiner Ankunft in Frankfurt
sagte mir die Räthin Goethe, dass sie ihn alle Tage erwarte,
aber ich musste meinen Weg eh er kam. In Manheim
sagte mir der Maler Müller, dass Lenz vor meiner Ankunit
abgereisst w\ire, um über Darmstadt nach Frankfurt: zu
gehen; ich war über xMaynz gekommen. Empfehlen Sie
mich Goethen, wenn ich bitten dart, herzlich, wenn er sich
meiner noch erinnert, und den guten Jungen, wie er mich
einst nannte, nicht \erkennt. . . (Er emphehlt sodann Hn.
Burkardt den \'ater seines Zöglings.)
(C. G. Knllucr. Basel, 11. Miii lyyj.)
Was soll ich Ihnen nun von Hn. Burkardt sagen, wie
für die wonnigen Stunden danken, die Sie ihm gemacht
haben? Er ging mit \'orurtheilen , die ich ihm nie ganz
nehmen konnte, nach Weimar und er kömmt mit einem
Himmel im Herzen zurück. \'on keinem C)rt seiner Reise
MlTTHElLUNGHN VON ZeITGUNOSSUN ÜBEK GoETHE. 393
hat er mir so inni<^, so herzlich, so warm gesclirieben als
von Weimar. T.r hat versprochen, atil seiner Rückreise
noch einmal nach W. zu konnnen und er ist lest entschlos^^en,
sein Wort zu haken. Dass ich all das Gute, was er mir
sai;t, gern ijlaube, ach, Besster! das k(:)nnen Sie sich vor-
stellen, das kann der tulilen, der auch bev Ihnen in \\'ohlse\-n
und Wonne etHchc Taiie zubrachte und alles um sich her
schwinden sah, lange ohne Eckel keinen Genuss kannte,
da er sich nicht mehr von den Lieben umgeben sah, die
keine Ritze seines Herzens imgelüllt Hessen. — Letzthin
hab ich wieder einmal 8 Tage gelebt und alles um mich
her mit Wohlgefallen angesehn, weil ich mit dem lebte,
der alles mir werth machen konnte. Lenz war hier; wir
lernten uns bald kennen und, einige Mahlzeiten ausgenommen,
die er in der Stadt that und einige Visiten, die er machen
musste, haben wir luis keinen Augenblick getrennt. Ich
war gerade so ganz fre^■, dass ich über jede meiner Stunden
gebieten konnte. Lenz ist mir lieber geworden, als er mir
je war; ich habe himmlische, noch ungekannte Züge in ihm
entdeckt, die ihn auf innner mir werth machen. Aber ich
habe nicht in ihm den Jüngling gefunden, nicht das Ideal,
das ich mir aus den ersten seiner Werke vpn ihm gemacht
hatte; ich vermutliLte einen starken, kraftvollen Menschen
und ich fand einen duldenden, liebevollen. Ich habe mit
Lrstaunen an ihm gesehn, wie er eine xMenge Dinge tun
sich her tragen kann, die ich nicht ohne Verdruss und
Bitterkeit sehe; er spricht \()n vielen Dingen mit Schonung,
die ich nicht mit Gelassenheit nennen kann. Aber was sag
ich das Ihnen? Er hat so viele xMonate mit Ihnen gelebt.
Er ist vergangene Woche nach Zürich gegangen luid aui
den Montag denk ich ihn in Schinznach zu trefl'en, wo die
Versammlung der sogenannten helvetischen Gesellschaft
sein wird. Von dort geht Lenz ins pa\ s de \'aud
Schreiben Sie mir, was Goethe und Wieland treiben. In'zahlen
394 Xeuh Mitthuilungex.
Sie mir ja einiges von Goethe, ich bitte Sie und will Ihnen
danken mit allem was ich vermag. Hr. Burkhardt hat ihn
nur wenig gesehn, das that mir sehr leid. Erinnern Sie
ihn auch wieder an mich, vielleicht dass er mich nicht
vergessen hat . . Von Goethens Faust hab' ich nichts wieder
gehört, seit ich von ^\'eimar weg bin ; ich wünschte wohl
einige Nachricht davon.
(Gleiiii. HalhcrstiuU, iß. April ij//.)
Ich fürchtete mich vor Goethe, nicht vor seinem Genius,
den liebe ich, sondern vor seinem ausgelassenen Satir, der
den besten der Menschen, meinen Wieland und meinen
facobi, so boshaft, ehe er sie kannte, den Menschen lächer-
lich machte. Diese Furcht hat unser Jacobi mir genommen.
Goethe gereut es, dass er seinen Satir an der Kette nicht
liess, das ist mir genug.
(Dell? Kid, i6. Juni lyjj.)
Gestern Abend war Klopstock unter uns. Diesen
Abend wird er es noch einmal sein. In diesen Stunden
war es mir, als wenn sicli der Himmel über mir aut klären
wollte. Es scheint ein herrlicher Mann zu sein. Dieses
Mannes, dieses Edeln seiner warmen Freundschaft war
D. G . . e nicht werth. Aber dass dieser Letztere gegen
einen solchen Mann hat insolent werden können, ist mir
eine unverzeihliche Sünde. Morgen schon verlässt er uns
wieder und eilt in seinen Zirkel, worin Reichard aus Berlin
mit seiner Juliane Benda angekommen sind. Ich ärgere
mich, dass ich ihn meines Hustens wegen dahin nicht
begleiten kann. Doch finde ich Ihn ein andermal wieder.
Wenn es nicht ganz und gar eine gleichgültige Sache ist,
so nennen Sie gegen Ihren Herrn meinen Namen mit den
uehöriuen Form alitäten.
MiTTIlEILUNGEK VOK ZEITGENOSSEN ÜBER GOETHE. 395
Alis Göschens und Bertiichs Correspondaiy.
Unter den sehr zahlreichen Briefen, welche CIc. lüa< hini
Ciöschen an Bertuch geschrieben hat, handeln viele, aus den
Jahren 1786 — 89, über (Joethe. insbesondere über die erste
Gesammtausgabe seiner Werke. Diese Ausgabe nun ist, wie
erst aus unseren Briefen her\ürgeht, ein gemeinschaftliches
Verlagsunternehmen von Bertuch und Göschen, obwohl nur
der Name des Letztern auf der Ausgabe angegeben ist.
Grade in Folge dieser Gemeinsamkeit, die erst durch Ueber-
einkunft vom Jahre 1791 gelost wurde, sah sich (iüschen
veranlasst, seinem Genossen die genauesten Angaben über
Herstellung und Vertrieb zu machen, Angaben, die dem
Forscher wohl nicht unwillkommen sind und ihn in den
Stand setzen, die Bedenken Cioethe's gegen seine A'erleger
nic-.ht ganz ungerechtfertigt zu finden. Die Briefe Göschens
erhalten eine sehr hübsche Illustration und Ergänzung durc:h einige
Antwortschreiben Bertuchs, von denen das eine (29. Juni 1786)
im Concept in Bertuchs Nachlass erhalten war, die übrigen
15. Juni 1786, IG. April 1791 von G. Weissstein mitgetheilt
sind. Von Goethens Briefen an Göschen, auf welche in den
folgenden Fragmenten mannigfache Rücksicht genommen ist.
sind 4 und zwar vom 15. Aug., 28. Okt. 1787, 9. Febr. und
21. März 1788 von Düntzer zusammengestellt (Hempel XXIV..
S. 840 fg., 874 fg., 926 fg., 946 fg.), ein fünfter, eigentlich der
erste in der Reihe vom 20. Febr. 1787 ist neuerdings von
Arndt gedruckt (vgl. unten Bibliographie).
(Bertuch an Göschen. IVeiniar, ij. Juli I/S6.)
.... Goethe kommt erst auf den Sonnabend von Ihncnau
zurück. Er hat noch am Sonntage mit Wieland über die
Sache gesprochen, und Wieland ihn versichert, dass er sich
über den vortheilhaften accord seiner Schriften sehr Glück
wünschen könne. Die Ratification der Präliminar Artikel
ist also gewiss.
Göschen.
Leipzig, 17. Juni 1786. In der That ist 3 Louisd'or
(für den Bogen) alles Mögliche, was Goethe erwarten
kann. In der That ist es schon etwas hart für uns und
wenn Goethe mit 2 Carlsd'or zufrieden ist, so haben wir
396 Neue Mittheilungen.
es immer noch nicht \vohlfeil. Doch nehmen müssen wir
es auch /u 3 Louisd'or und müssen nachher desto lauter
und anhaltender trommeln.
Leipzig, 30. Juni 1786. Mir liegt sehr am Herzen, dass
ich auch Goethens Avertissement mit wegbringe. Um des
Himmels willen sorgen Sie dafür. Ich will das Merkantilische
hier hinzusetzen und dann drucken lassen. Die wichtigsten
Punkte sind: i. Das Publikum erfährt: die bisherigen Aus-
gaben seiner Werke erkenne der Verfasser nicht für Ausgaben
seiner Hand; diese aber sei von ihm selbst veranstaltet, —
das muss Goethe bezeugen, 2. dass das Publikum anjetzt
die Goethe'schen Werke theils in ganz anderer Gestalt,
theils vermehrt und viele noch nicht gedruckte Sachen
erhalte. — Wegen Goethens Werke französisch muss ich
erst mit de la Garde sprechen. Salzmann ist zu genau,
aber vielleicht lässt sich doch was mit ihm machen, wenn
d. 1. G. nicht will. Ohne einen Compagnon, der französischen
Handel treibt, kann ich und ein andrer Buchhändler nichts
mit den Franzosen machen. Ihr Grundsatz ist, den Ausländer
nicht mit Geld, sondern mit Büchern zu bezahlen, von dem
Ausländer aber keine Bücher zu nehmen, sondern Geld,
dabei kommt denn der Ausländer sehr schlecht zurechte.
Ich wollte, ich könnte nach England. Dort wäre, glaub'
ich, mehr mit Goethens Werken zu machen, weil Werther
auch dort ein gewaltiges Fieber der Empfindsamkeit erregt
hat. Wieviel englische Imitationen sind vom Werther nicht
erschienen !
(Bi'rliifh Uli Göschen. IFcitnar, 2y. ///;// i-jSG.)
In Erwartung dass ich heute Briefe von Ihnen erhalte,
1. Göschen, fange ich indessen den Meinigen an Sie an.
Ich war am Dienstage bei Göthe, und sprach mit ihm
über seine Iirklärumr. »Sie haben die Schraube sehr scharf
MlTTHlilLUNGUN VON ZElTütNOSSUN ÜBl.K GuLHlE. ^9 '
nn2:ezogen, sagte ich ihm ; Göschen wird zucken ; indessen
wir wollen sehn w as er draul sagt ; einige Milderung
werden Sie ihm aut alle halle aecordiren müssen«. — »Es
ist wahr, sagte er, ich habe meine horderung etwas gesteigert,
meine gedruckten und ungedruckten Werke in eine Brühe
geworten, und eine Sunune überhaupt gclordcri, i. weil
ihm be\de wegen der neuen Bearbeitung gleich, und so
gut wie ganz neu sind; 2. um uns nicht wegen der diversen
Bogen Berechnung /u geniren; ^. weil ich, da Göschen
nicht changirt, sondern blos coulant handelt, aul eine
2',', Auflage so gut als nicht rechne, und also alles was ich
hoffen kann von dieser erwarten nuiss. Hingegen will ich
ihn wegen der Stärke der Auflage gar nicht einschränken,
und iür die gute Auflage in gr. B'". auch nichts verlangen;
auch die Subscription aut alle Art durch meine Freunde
unterstützen helfen.« etc. etc. Diess war ohngetähr seine
Meinung, und ich merke dass er von den 2000 thlr. wohl
nicht abgehen wird; allein eine Milderunu auf iV^ Ldr.
pr. J3ogen einer zwe\ten Auflage, und der 80 frey Exem-
plare vielleicht aut 40, neml. 25 ordin. und 15 in gr: 8'_^
wird er sich gewiss gefallen lassen. — Da er nun kommende
Woche ins Carlsbad geht, und doch noch gern die An-
kündigung entworfen sehen wollte, so setzte er mir gestern
den verabredeten Brief-Extract dazu auf, und ich habe sie
in soweit als ich sie ohne Ihren Calcul machen konnte
entworfen. Hier ist sie. l{r hat sie gelesen und ist damit
zufrieden. Gehen Sie sie nun auch genau dm-ch, füllen Sie
die Preisse aus, (wenn Sie zuvor die \'erlages Kosten
genau berechnet haben) und fügen Sie noch hinzu was
Sie theils wegen der guten Edition, theils sonst noch über-
haupt tür nöthig finden. Schicken Sie mir sie dann auf
den Montag zurück und melden mir v\ie viel tausend ich
davon soll drucken lassen. Ich rechne dass sie 2 Octav
Blätter Median mit Petit "iebt, und dächte 20000 wären
39^ Neue Mittheilungen.
niclit zu viel, weil wir sie durchaus bey etl. der gangbarsten
Zeitungen sowohl gelehrte als polit. mit beyschlagen lassen
müssen. GcJthe allein will looo Stück ins Carlshad zum
Vertheilen haben. Und Sie müssen auch eine starke Parthie
mit auf Ihre Reise nehmen.
(Gösfhi'ii. Leip:iig, 12. Juli ijSO.)
Goethens Werke lass ich so drucken, dass jeder Band
ein Alpliabet ist — davon ist der Ladenpreis 8 Thlr. gleich
nach Ende der Messe. Während der Messe ist der Sub-
scriptionspreis 6 Thlr. 16 gr., der Buchhändler hat von der
Subscr. ein volles Drittel Rabatt; das soll ihn ermuntern,
Subscriptionen anzunehmen, 2. Exemplare noch über die
Subscription anzunehmen. W'ir können doch dabei bestehn.
Keine Auflage in gross Format wird gemacht. Dagegen
lasse ich 3000 mehr drucken als wir Subscribenten haben,
welche ich zu 1000 anschlage. Also eine Auflage von 4000
und eine ord. zu 2000. Von dieser wird geschwiegen bis
es Zeit ist
Das gedruckte Avertissement von Goethe erhalten Sie
mit der Sonntagspost. Sie lassen es dort so oft drucken, als
es zum Beiheften zum Merkur und zum Journal der Moden
und der Literaturzeitung nöthig ist . . Auch zu der Ham-
burger Zeitung muss es als Beilage kommen, sowie zu der
Berliner und Baireuther. Dafür will ich sorgen. Auch tür
die Berliner Monatsschrift und das politische Journal.
Mit Goethen nehm ich Abrede im Carlsbade und
werde alle Vorsicht dabei gebrauchen. Die 2. Hälfte wollen
wir erst auf Michaelis liefern und zwischen Johanni und
Michaelis versprechen. Die ganze Subscription muss auf
Ostern bezahlt werden. Ich bin nicht bange, dass wir
auch ohne Subscription bald aui unsere Kosten mit desto
mehrerm Vortheil kommen werden. Ein Wort iür die
H. Nachdrucker habe ich noch zu dem Avertissement gesetzt.
MlTTHEILUNGüN VON ZEITGENOSSEN UBEK GofcTHE. 399
Leipzig, 24. August 1786. Aclit Tage habe ich im
Carlsbad nach Goethe in tödtUcher Uiu'uhe ausgesehn,
endlich tnid ich Gelegenheit nach Prag und am nchmlichcn
Tage, da ich abgereist bin, ist Goethe angekonunen. Im
Carlsbade sind unsere Avertissenients in alle! lande gekonnncn
durch den Aufseher des Sprudels. Cjoethe hab ich ein Billet
und 1000 Avertissenients hinterlassen .... \'on Goethe
weiss ich in Wien schon 200 Exemplare sichern Absatz.
Aber ich weise alle ein/einen Subscribenten an unsern
Hauptcommissionär, weil ich Niemanden in den Beutel sehn,
kann und die Leute hier viel Schulden machen.
Regensburg, 19. September 1786. Die schönste Frucht
meiner Reise ist, dass ich mich für den Nachdruck der
Goethe'schen Schritten in den österreichischen Staaten sicher
gestellt habe.
(Früii:^ :\ Scckciidorf. IVien, 2<-j. Scplcuilwr ijS6.)
. . . Ich wusste, dass Sie Goethe's Kinder unter die
Scheere nehmen und zur Ausgabe zustutzen sollten. Die
Jungens werden sich gewaltig sträuben und der Witer wird
sie nicht gerne züchtigen lassen. Desto besser sie als
Fragmente dem Publiko atd'tischen, das sie ohnedem nicht
ganz speisen kann. Die haches gehen zwar Jedem in den
Magen, sollen aber den Besten un\erdaulich sein und oft
retour kommen. X'ielleicht sollen Sie die Kinder nur von
aussen präsentabel und fähig machen, dass sie das Kostgeld
wiedereinbringen.
Gösch Ol.
Leipzig ', 2. Oktober 1786. Hier, lieber Freund, haben
Sie den Contract von Goethe, einen Brief von ihm und
eine Antwort darauf. Empfangen Sie von Seideln gegen
' Ortsbezeichnung_ von nun an fortgelassen ; es ist stets Leipzig
y.u ei'2:änzen.
^.00 N'i;ui; Miithlilungln.
Bezahlung der 500 Thlr. das Manuscript, übergeben Sie ihm
meinen Contract gegen den von Goethe unterschriebenen,
hissen Sie vorher eine Ankündigung hineinhetten und haben
Sie die Güte, mir Goethens Brief wieder zurück mit dem
Manuscript zu senden. Dann haben Sie die Güte meinen
Brief zu versiegehi und schleimig wegen der Kupter-Sujets
an Goethe abzusenden.
22. Oktober. Wollte Gott, Goethe erklärte sich bald
über die Wahl der Sujets zu unseren Kupfern, sonst geht
uns Chüdowiecki aus dem Garn . . . Goethe verlangte
Zeichnung und Stich von Gh., dieses habe ich mit ihm aus-
gemacht. Akkordirt habe ich mit ihm nicht, sonst schleudert
und haut er darauf los, um nur fertig zu werden. Ich
habe gesagt, dass ich mich auf ilm als auf einen Mann
von Ehre und BiUigkeit verlassen wollte.
29. Oktober. Goethe hat mir durch das Avertissement,
die Schriften unvollendet zu liefern einen bösen Streich
gespielt. Es thut mir bei der Subscription vielen Schaden
und ich bitte Sie daher, an die Pandora folgendes einrücken
zu lassen, welches ich auch nächstens in mehrere Zeitungen
einrücken lassen werde.
I. November. Hierbei die Proben des Drucks von Goethe.
Haben Sie die Güte, in meinem Namen solche an Herder
zu übergeben, wie Goethe verlangt. Ich weiss nicht, ob
Herder entscheiden kann, ob der Druck so bleiben soll oder
nicht. Fragen Sie ihn gütigst darum und bringen Sie nur
mündliche Antwort mit.
3. December. Wegen Goethe werde ich Ihre Meinung
befolgen. Der ganze Mann ist doch Genie.
17. [anuar. Jetzt rückt es gut mit Goethe. Der Werther
wird bald fertig sein. Mit den Kupfern habe ich Teufels-
sprünge gehabt. Chodowiecki und Meil hatten andere
Arbeiten angenommen, weil die Sujets ausblieben, Meil
MiTTHElLLNGtN VON ZEITGENOSSEN ÜBER GOETHE. 4OI
kann nur eine Vignette bis Ostern machen, dagegen zeichnet
Ch. noch eine Mgnette und Gevser sticht sie, eine Iphi-
genie soll Oeser zeichnen und Broges stechen, eine soll
Vogel in Dresden oder Rode zeichnen und Penzel oder
Geyser stechen. Alle 4 Kupfer in 8° zeichnet und sticht Ch.
Das erste ist aus den Leiden Werthers, das zweite aus
Götz von Berlichingen, das dritte und vierte wird erst
gewählt, wenn die neuen Stücke zum 3. und 4. Bande
eingelaufen sind. Ch. macht zum 2. Band die Vignette
aus den Mitschuldigen, ich mochte gern Sujets aus den
neuen Stücken haben. Die Wahl der Gegenstände habe
ich Ch. und den übrigen Künstlern ganz überlassen. Zeich-
nungen will Ch. nicht schicken. Er sagte zu dem, was
er selbst sticht, macht er nie ausgeführte Zeichnungen.
21. Januar 1787. Gestern erhalte ich von Seidel das
Manuscript zu Goethe, 4. Band mit dem Bedeuten, der
3. Band würde an Sie abgeliefert werden, sobald die Iphigenie
vollendet wäre. Innerhalb 14 Tagen wird das geschehen
und dann werden Sie die Güte haben und 500 Thlr. für
denselben parat halten.
24. Januar. Hierbei haben Sie die Aushängebogen
von Goethe. Haben Sie die Güte, solche Herdern mitzu-
theilen. Möchte meine Sorgfalt, die ich auf Druck und
Correctur wende, Ihren Beifall erhalten. Wenn wir den
Brief pag. 195 ' auf eine gute Manier in die Literaturzeitung
bringen könnten, so sollte er sehr locken,
7. Februar. Hier haben Sie einen Brief von Goethe ^
Ich habe ihn von Herdern erhalten und antworte heute
darauf. Sie werden nun die Güte haben, an Seideln die
' Aus W'erther.
^ Bisher nicht gedruckt.
GoETHt-jAHRBVCH II. 20
402 Neue Mittiieilungen.
500 Thlr. zahlen, wenigstens ihm sagen zu hissen, dass Sie
solche an ihn bezahlen würden '.
28. Februar. Goethe liegt mir sehr am Herzen. Ich
lese jeden Bogen selbst und werde mich ängstigen, dem
Buchdrucker allein die Sache anzuvertrauen.
18. März. Die Subscription auf Goethe wird zur
Ostermesse geschlossen. Man wird und muss die Werke
kaufen und wir können den erhöhten Preis auch mitnehmen.
Ich lasse rüstig drucken, doch so, dass wir keine Sudeleien
bekommen, dieses ist die Hauptsache. Das Manuscript zu
Goethe's 3. Band ist richtig eingegangen. Wir werden in
der Ostermesse tausend absetzen oder mein Calcul müsste
gewaltig trügen. Diesen tausend können wir lauter gute
Kupfer geben , das wird unsern Credit erhalten. Die
Übrigen müssen nachher zutrieden sein, wie sie bedient
werden.
23. Mai. Goethe's Schritten kann ich erst dann liefern,
wenn das neue Kupfer fertig ist, unmöglich kann ich sie
Ihnen mit dem elenden Zeuge senden. Sprechen Sie doch
mit Herdern deshalb.
_[, Juni. Wie wird das werden mit Goethe ? Er bekommt
Freiexemplare wie Sie wissen. Wahrscheinlich hat er
davon tur den Herzog, für die Herzogin, für die Mutter,
auch für Herder bestimmt; diese erhalten solche nun durch
uns. Sprechen Sie doch mit Seideln darüber und haben
Sie ja die Güte, Seideln zu sagen, dass Weygand für Hn. G. R.
von Goethe 60 Thlr. an mich hätte bezahlen sollen, die
ich an ihn zu übermachen hätte. Allein der Flegel hätte
mir leichtes Geld geben wollen , dieses hätt ich nicht
angenommen, er möchte dem Menschen darüber den Text
' Am I). meldet er das Gerüclit, dass Goethe aus Unlust über
die Weimarer \'erliältnisse iür immer fortzubleiben gedenke.
MlTTHEILLN'GEN VON ZhlTGhNOSSHN UUHR Goi.TlIi:. ^üj
lesen. Plessing in Wernigerode hat mir über diese 60 Thlr.
eine Anweisung aul Weygand geschickt, mit der Ordre,
dass ich solche an Goethe bezahlen soll, diese Anweisung
ist also noch in meinen Händen.
20. Juni. Seidel soll künftige Woche Goethens Frei-
exemplare haben. Ich warte seimlich auf den 4. Band ;
jetzt druckt Solbrig an dem letzten Stück : die Vögel.
23. Juni. Herder hat sich bei mir für Goethe auf
hüll. Papier bedankt, hat es also als Präsent angenommen.
Er ist nicht zufrieden mit dem Druck; ich habe ihm ja
solchen vorher gewiesen. Er beklagt das wegen seiner
grossen Achtung für Goethe sehr. — Wie soll mans am
Ende in der Welt machen? Gott weiss es, ich nicht!
21. August. Unser Schütz macht ein wenig lange
mit der Recension von Goethe. Sie könnten etwas bei
der Sache thun. Ich wünschte, dass in der Recension
auf die Absicht, die man bei der Typographie gehabt,
gewinkt würde. Man hat nicht pergament-artiges Papier
nehmen wollen, keine überflüssigen Verzierungen anbringen
wollen. Simplicität, Gorrectheit und Niedlichkeit sollten
erreicht werden und die Ausgabe sollte eine edition portative
sein, damit der Freund der Goethe'schen Muse solche
bequem allenthalben mit sich führen könnte. Eine prächtige
Ausgabe soll es nicht sein. In dieser Rücksicht beurtheilt
wird unsere Ausgabe die Kritik aushalten ....
Ich urtheile von Goethe so. Eine Ausgabe in gross 8^
ist nicht wohl zu wagen, weil das Publikum schon die
Oktavausgabe sehr theuer findet. Med. Schreibpapier ist
sehr theuer. Auch müssten wir neue Kupfer iiaben. Bis
der Verfasser also wieder eine neue Ausgabe maclit, die
neue innere Reize hat, lässt sich nicht wohl etwas Neues
unternehmen. Aber doch fragt man häurig nach Exem-
plaren auf hol). Papier. Diese Abdrücke auf iioll. Papier
26*
404 Neue Mittheilungen.
sind offenbar keine neue Ausgabe und würden auch nicht
so thcuer kommen als eine ganz neue Ausgabe in gross 8°.
Diese 500 Exempl. benehmen uns also auch nicht das
Recht zu einer neuen Ausgabe in gross 8°. Sie würden
cc. uns 800 Thlr. kosten, vielleicht 1000, und ich würde
den Preis 10 Thlr. machen, sind netto, nach Abzug des
Buchhändlerrabatts, welchen ich von der holl. Ausgabe nur
25% geben würde, 3750 Thlr. Wir brauchten jetzo nur
bis Ostern 150 Ries Papier, weil wahrscheinlich auf Ostern
nur 2 Bände herauskommen. Also dazu würden erfordert
ca. 400 Thlr. Können Sie die auf gemeinschaftlich zu
tragende Interessen verschaffen? Die 300 Thlr. für den
Druck der ersten Bände verschaff ich. — Dieses sind die
Punkte, worum sich alles dreht i. die Kosten, 2. wird
unsere holländische Ausgabe der druckpapier — schaden?, —
nein, denn die ganze Druckpapier- Ausgabe wird 4 Thlr.
kosten, 3. Den noch vorräthigen 1800 Exempl. von unserer
Auflage zu 3000 auch nicht, w^eil für viele Menschen diese
Ausgabe gut genug ist. Müssen wir aber eine neue Aus-
gabe machen, o weh! da werden die Kosten gross und
der Abgang wird langsam sein. Also Ausdehnung dieser
Ausgabe ist Gewinn für uns, denn wir haben doch unsern
Autor auch auf holländischem Papier. Die Ausgabe in
gross 8° auf holl. Papier würde ungeheuer viel kosten \
22. September. So ein Brief wie der von Goethe
kann den Frohmuth sehr niederschlagen. Mit der Schrift
ist vorher keine Zeile gedruckt worden und sie soll stumpf
' Zwischen diesem und dem folgenden Brief langte Goethens
Schreiben vom ij. August an (Düntzer, S. 840—842). Göschen über-
sendet ihn an Bertuch 5. September mit der Bemerkung: «Goethens
Brief senden Sie mir doch gleich zurück. Ich habe ihn kaum gelesen«.
In diesem Goethe'schen Brief findet sich übrigen? nichts \-on dem, was
Göschen anfülirt.
•2 cy:^,-li)^y^,<;t^^^ .\.z..':^£/.
MiTTHElLLNGEN' VON ZEITGENOSSEN ÜBER GOETHE. 4O5
sein! Das Papier welches weiss ist und nicht stark, um
bequeme Bände /.u bekommen, soll Druckpapier sein, —
mag es doch ! Herder soll nur die Auflage seiner Schriften
damit vergleichen. Ich weiss nunmehro wohl, woran es
hängt. Der feine Hartknoch hat sicher Lunte gerochen
und sich gefürchtet : ich möge ihm ins Gehege kommen
und hat deswegen diesen oder jenen Dannn bei Herdern
gezogen. Mag auch das! Auf den Sonntag send ich eine
Beantwortung von Goethe's Brief. Herder muss ich sehen
herumzukriegen. Goethe müssen wir in Rücksicht der
Zukunft die Exemplare schenken. Lassen Sie uns hier
nicht genau handeln; das Papier ist zu übersehen. Druck-
fehler und Auslassungen können nicht in den Werken sein,
sie müssen im Manuscripte stehn. Ich werde Goethe
melden, dass ich 3000 gedruckt habe. Denn ich möchte
gern aufrichtig handeln. Aber, wird er nicht sagen, wir
vermehren die Auflage ins Unendliche? Melden Sie mir Ihre
Meinung. Ich versichere Ihnen heilig, hätt' ich Herdern
und Goethen von der Seite gekannt, als ich sie jetzt kenne,
sie hätten mich nicht so glücklich machen sollen, ihre
Werke zu verlegen. Sind denn 2000 Thlr ein Kinderspiel ?
Doch es wurmt heute bei mir und ich mag nicht länger
Ihre Geduld belästigen.
28. November 1787. Hier ist der Brief an Goethe.
Diesen muss Herder und Seidel nicht lesen. Lassen Sie
^hn direct nach Rom gehen. Ich muss diese Satisfaktion
an Herdern haben und alle Pfaff'en hole der Teufel. Ich
denke, Goethe soll die 40 Exemplare nicht verlangen ; ver-
langt er sie, so gebe ich sie ihm mit Freuden, denn mit
eben der Zuversicht, als ich zu manchen Dingen rieth, die
anderen Menschen geglückt sind, sag ich, dass Angelika's
Zeichnung und der Egmont unsere Ausgabe heben wird.
Goethe schenkt seine 40 Exemplare weg; damit wird
unsere holl. Ausgabe bekannt, er wird in gutem Willen
406 Neue Mittheilukgen.
erhalten und das Papier lässt sich übersehen . . . Finden
Sie etwas in Goethe's Brief, das Ihnen nicht gefälh, so
sclircib ich ihn anders. Sagen Sie niir's frei heraus. Noch
glaub ich, Goethe wird geleitet. Sollte es nicht sein, so
veracht ich ihn ebensosehr, als ich ihn verehrt habe und
ich muss glauben^ dass er zu den niedrigen Menschen
gehört, welche glauben, alle Buchhändler sind Juden.
22. Dezember. Sie wissen, dass ich das 4. Tausend
von Goethe einzeln gedruckt habe , wenigstens die Leiden
Werther^s, Götz von Berlichingen und alle neuen Stücke
und diese verkaufe. Von Egmont wollen wir 2000 drucken.
Das Publikum weiss schon davon und ist darauf gespannt.
— So berühmt als Hiiher ist, so wenig kann man doch in
Frankreich seine Uebersetzungen verdauen ; das weiss ich
gewiss. Vielleicht Mad. Lafitte. Aber ich gehe an keine
französische Unternehmung heran, wenn nicht etwa Dufour
in Maastricht die ganze Auflage nehmen will. Sonst drucken
wir die französische Ausgabe für die Banditen in Lüttich
oder Yverdun. Noch weiss ich nichts von dem Nachdruck
der Iphigenie ; der Kerl sollte durch eine Druckpapier-
ausgabe, die ich gleich machen Hess, den Teufel kriegen.
27. Februar 1788. Eben erhalt ich einen Briet von
Goethe und Seidel, auch die ersten Akte der Claudine.
Das Resultat aus Goethe's Brief ist : er wünscht die Be-
zahlung der beiden Kupferplatten von Lips zur Iphigenie
und Egmont mit 8 Carolin und für die Vignette ein
Uebriges nach Belieben und das Honorarium für den 5. Band
an Seidel. Da für die Zeichnung des Blatts zur Iphigenie
und die Vignette nichts angerechnet ist, so ist der Preis
billig. Goetlie will die übrigen Kupfer und Vignetten
auch in Rom stechen lassen ; um deswillen wollen wir für
die beiden Vignetten 2 Carolins bezahlen und sind des
Hudelns unserer deutschen Kupferstecher überhoben.
Mittheilungen von Zeitgenossen über Goethe. 407
(Beilud) au Göschen. IVciimir, nj. Juni ijS(j.)
Nun noch die /wcvlc Bitte, liebster 1-reund, \veu;en
unserer Berechnung über Goethe. Sie versprachen mir Sie
abermals in Ihrem Briefe nun baldigst, und ich erwarte
sie mit \'erlangen, um zu übersehen, wie wir stehen, und
um nicht wieder in einen zu langen \\'irr\varr zu gerathen ;
denn allem Anscheine nach endigt Goethe gewiss vor
Michl. 1790 nicht. Ich bitte also nochmals darum aufs
dringendste. Es dient Ihnen selbst zu einer helleren Ueber-
sicht des Geschäfts. Vergessen Sie dabey nicht, dass wir
verabredet haben, dass uns beyden auf dem Verlags Conto
die zu jedem Bande hergeschossenen baaren Zahlungen nebst
dem Betrag des von mir gelieferten Holl. Papiers, mit
5 pr. Ct. Inter. gutgeschrieben werden sollen. Ausserdem
giebts Confusion, und eine unrichtige \'erlagsrechnung.
(Göschen au Beriiich.)
24. Juli. Xach Goethe seinem Briefe erhalten wir zu
Michaeli nichts. Doch wünscht er, dass die Sache beendet
sein möchte. Treiben will ich ihn nicht. Am Sonntag
schreibe ich an ihn , worauf wol eine weitere Erklärung
folgen wird.
5. September. Goethe meldet mir heute, dass er die
Güte haben will , den 8. Band zum Druck zuzubereiten.
Entschuldigen Sie mich, dass ich heute nicht an ihn schreibe
und bitten ihn , was er mit der ersten Post gern wissen
möchte, dass er nur fürs erste 3 bis 4 Bogen mit der nächsten
Post, so ihm möglich ist, sendet und dann successive nach-
schickt; zur Messe könnte der Band dann zwar nicht iertig
werden, allein während der Messe kann fortgedruckt werden
und so im Nov. der 8. Band noch erscheinen.
4. November. Goethe hat mir nun das Manuscript so
ziemlich ganz geliefert zum 8. Band, wie ich vermuthe.
Miedin2;s Tod ist das letzte. Ich habe ihm 68 Thlr.
4o8 Neue Mittheilungen.
LoLiisd'or für die Zeichnungen und das Kupfer zum 8. Band
gesendet, nebst den zum 6. und 7. Band, — die xu beiden
letzteren habe ich aber noch nicht in Händen.
16. Dezember 1789. Goethens Schriften 6. Theil werden
zu Neujahr ausgegeben. Es sind nur noch 4 Bogen zu setzen
und zu drucken. Die starke Auflage hält auf, das mag ich
aber Goethe nicht sagen. Unterdess hat er uns lange genug
aufgehalten und es ist billig, dass er sich gedulde. Ich hätte
seinen Wunsch bald befriedigen können; sollte ich aber
darüber den Kalender in die Schanze schlagen ?
Die Correspondenz schliesst mit einer von Bertuch ge-
schriebenen, von den beiden Contrahenten unterzeichneten
Abmachung vom 30. Mai 1791, worin es heisst, dass »mit
heutigem Dato die im Jahre 1786 von uns gemeinschafthch
gemachte Verlagsentreprise von Goethe's Schriften in 8 Bänden«
von Göschen allein angekauft sei, unter der Bedingung, dass
er an Bertuch das Verlagskapital von 2026 Thlr. 12 Gr. ;
ferner Zinsen (bis zum 3. Apr. 1791) 405 Thlr. 15 Gr., und
eirdlich 600 Thlr. Aequivalent für den Gewinn zahle. Mit
dieser Abmachung endet auch so ziemlich die regelmässige
und herzliche Verbindung der beiden Verleger. Nur noch ein
Brief, auf den Nachdruck von Goethens Werken bezüglich,
sei als Schluss der Correspondenz mitgetheilt :
(Bertuch an Göschen. IVeiinar, 10. April ijpi.)
Mein theuerster Freund,
ich habe mich schon seit länger als 4 Wochen mit sehr
bösen Augen herumgeschlagen, urid diese sind Schuld, dass
ich fast alle grösseren Geschäfte meines Schreibe-Tisches
habe müssen liegen lassen, also auch noch nicht über die
Revision Ihrer Berechnung und lezten Brief über Göthe
kommen können; welches aber nun, da es wieder leidlicher
geht, meine erste Arbeit seyn soll.
Schmiedern in Carlsruhe, der über Göthe's Schritten
herfallen will, muss augenblicklich eine Contre-Lection
gemacht werden. Besinnen Sie sich doch, dass Ihnen
Mittheilungen von Zeitgenossen über Goethe. 409
A°" 1786, als Sie wegen Göthe's Werken an den Marggf.
von Baadeii schrieben, und um Schutz gegen Schmieder
bathen, er Ihnen ausdrücklich und wörtlich schrieb: »er
wolle dafür sorgen, dass Ihnen Göthe's Werke niciit von
Schmieder nachgedruckt werden sollen«. Sie haben mir
selbst damals diesen Brief mitgetheilt; Gcithe und der Herzog
haben ihn gelesen; Sie haben ihn wieder erhalten, und
müssen ihn also noch haben. Zum Glück hat sich nun
Schmieder durch sein Avertiss. selbst sachfällig gemacht,
und man kann ihn, und den Marggrafen also leichter beym
Worte halten, als wenn Schmieder versteckt nachgedruckt
hätte. Ich dächte also Sie suchten des Marggrafs Brief
wieder auf, kopirten sein Versprechen daraus, nähmen
Schmieders Ankündigung, als das Corpus delicti, und machten
geradezu ein Schreiben an den Marggraten, und forderten
den versprochenen Schutz. Diess Schreiben schicken Sie
mir, sub volante, zu, dass es Göthe und der Herzog lesen
kann, und einer von Beyden soll es, mit einem kräftigen
Vorschreiben begleitet an den Marggraf schicken ; diess
übernehme ich. Indessen ists doch nun Zeit mit der Druck-
papier Ausgabe herauszufahren, und alle Plätze im Reiche
und in Oesterreich, wo Schmieder hauptsächlich sein Wesen
treibt zu belegen. — Ich überlasse Ihrem Gutachten zwar,
und genehmige Alles, lieber Freund, was Sie deshalb zu
thun für gut finden ; ich dächte aber wir setzten diese
4 Bände an Statt 3 Thlr. 16 Gr. lieber nur auf 3 Thir. um
dieser Ausgabe einen schnellen Zug zu schallen, und Schmie-
dern das Spiel desto gewisser zu verderben. Der Band
komt dann doch immer noch auf 18 Gr. Laden und 12 Gr.
Netto Preiss; wobey wir denk ich ganz gut bestehen können.
Doch nehmen Sie dies wie Sie es für gut finden. Nur
thun Sie die nöthigen Schritte schnell. '
Schmieder hat dennocli die Göschen'sche Ausgabe nacligedruckt.
410 Neue Mittheilukgen.
(Hiifeland an Berlnch. Jena, 2}. November 1788.)
. . . Goethen, der unsere hiesige Gesellschaft fleissig besucht
hat, sagen Sie unsern besten Dank für die mitgetheilte
Nachricht ; sie war uns aber schon von Hiii eingesendet
und in Nro 56 des Intelligenzblattes abgedruckt. Ein kleiner
uns fehlender Zusatz, der in der Goethischen enthalten
ist, soll in einem der nächsten Intelligenzblätter erscheinen.
Die Nachricht folgt hierbei. Muntern Sie ihn zu künftigen
andern Beiträgen auf, um ihn gut zu erhalten. Hier war
er äusserst gesellig und artig.
(BnchdruchT Uiiger. Berlin, 2S. Mär~ i/S^}.)
Ich habe die Ehre, Ihnen hier den ersten Bogen des
Carnevals zu überschicken . . . Wegen des Drucks der
Iphigenie kam Ihr gütiger Rath zu spät. Leider sind schon
4 Bogen gedruckt, aber ich habe nur 150 Exemplare
gedruckt und diese wollt ich sämmtlich Ihrer Durchlaucht
zur gnädigen Disposition überlassen. Dann kann Göschen
nicht klagen, besonders wenn es der Herzog genehmigte,
dass ich ihm dieses kleine Werk zueignen dürfte. Ich lege
zw-ey ganz fertige Bogen davon bey, um Ihre Meinung
darüber zu hören. Ich wäll nicht eher weiter daran fort-
drucken, als bis ich Ihren gütigen Rath darüber höre. Ich
glaube es war nicht recht, dass Hr. GR v. Goethe etw^as
davon vorher erfahren hat! Dies vergass ich Ihnen zu
schreiben. Ich glaubte, der Herzog hat ihn wollen damit
überraschen. Es ist nun einmal geschehn und vielleicht
habe ich mich auch geirrt und mir das nur eingebildet.
(Bhmkeuhurg \ I^('!px'g> 20. Mär:^ 1796.)
. . Norh ein braver Mann und ich haben ein Anliegen an
Sie . . . Der brave Mann ist Hofrath Leise. Wir wollen
gern nach Weimar . . . Wie wäre es, liebster Bertuch,
Mutheillngen von Zeitgunossen über Goethe. 41 1
wenn Sie mir einen Brief sciirieben und darin an Lerse
in seines alten Freundes, Goethe, Namen einen Aufruf
scliickten, ... zu diesen Ostern nach Weimar xu kommen.
Es versteht sich, dass weder Goethe noch \\'iehmd ein
Wort hiervon wissen müssten.
(Gnll. Basel, 2;. September iSoj.)
(Erklärt , in etwa 3 Wochen in Weimar zu sein.)
Wenn Goethe da ist, so beschwören Sie ihn doch, dass
er mir seinen prächtigen, herrlichen Kopf abdrücken lässt.
Alle Welt lacht mich aus, dass ich ihn nicht habe; ich
will recht santt mit ihm umgehn.
(: . Riihle. Dresden, 11. Januar 180S.)
Goethe hat Müller geantwortet und versprochen, sobald
es Zeit und Gesundheit erlauben, Beiträge zum Phoebus
zu geben; Sie können uns sehr verbinden, wenn Sie ihm
von Seiten Müllers, Kleist's und meiner darüber etwas
Schmeichelhaftes sagen wollen . . . Zugleich schreibt er,
dass die Rollen für den »Zerbrochenen Krug« ausgetheilt
seien. Schreiben Sie mir doch, aber ganz aufrichtig, wie
dieses Stück aufgenommen worden.
Dresden, 2S. Januar iSoS.
. . Ihren Rath wegen des Phoebus werden meine Freunde
befolgen. Wenn Sie Goethen zu Beiträgen irgend einer
Art vermögen können, erzeigen Sie uns eine grosse Gefällig-
keit. Es kann ihm ja nicht an alten Arbeiten fehlen, z. E.
Fragmente aus der Achilleis u. dergl.
' Der Besuch unterblieb damals, weil Blankenburg krank wurde
und wurde erst im folgenden Jahre ausgeführt, vgl. Annalen z. J. 1797.
412 Neue Mittheiluxgex.
(Kammersecretär L. Nainuerk. Rat:^ehitrg, iS. Deieuiher iSio.)
. . . Hr, GehR, v. Goethe hat die Güte gehabt, meinen
Zeichnungen zum Faust seinen Beifall zu bezeugen und
schreibt mir, dass er in dem Jahresprogramm der Jen. Lit.
Ztg. etwas darüber sagen wolle. Auf seine Aeusserung,
dass er mehrmals befragt sey, ob sie käuflich seyen, habe
ich ihm geantwortet, dass ich sie recht gern einem Käufer
überlassen würde und da ich nicht lioften dürtte den Preis,
den unser Schnorr dafür bestimmte, nämlich 7 Louisd'or
für das Blatt, jetzt zu bekommen, so würde ich sie auch
für 5 Louisd'or das Stück weggeben. Zugleich nahm ich
mir die Erlaubniss, ihn zu ersuchen, wenn er die Zeich-
nungen nicht länger bey sich behalten wollte, solche Ihnen
zuzustellen, weil ich sie lieber in Weimar wissen, als hier
bey mir haben möchte, wo ich so wenig Aussicht habe,
sie anzubringen. Wäre es Ihnen also, mein würdiger Freund,
nicht zuwider, so möchte ich Sie bitten, auf den Fall, dass
Hr. GehR. v. Goethe Ihnen selbige zustellen sollte, sie vor
der Hand in Verwahrung zu nehmen und sie gelegentlich
Kunstfreunden zu zeigen.
( Schul rath Sichler. Weimar, 21. Sepicmher 1S12.)
. . . Von Goethe bin ich äusserst freundlich aufgenommen
worden. Er wird den Brief bloss mit einigen Veränderungen
abdrucken lassen und ist zufrieden, dass dies in den
»Curiositäten« geschehe. Hr. Bibliothekar \'ulpius ' wird
ihn, wie er mir versichert, nächstens zu diesem Zwecke
erhalten. In dieser Hinsicht wäre es mir nun sehr angenehm^
wenn Sie ihn ganz so, wie er ist, ohne das Ende (wie Sie
^ Dabei liegt ein Brief des Genannten vom 23. September, mit
der Bemcrlvung, dass Goetlie den Abdruck gestatte. — Vgl. ferner
Gocthe's Brief an Heinrich Meyer, 29. April 1812 bei Riemer S. 90.
MlTTHtlLLNGtN VON ZEITGENOSSEN ÜBER GOETHE. 4I3
gethan) abzuschneiden abdrucken Hessen. Meine Bemer-
kungen habe ich ihm mündHch mitgetheilt; er schien
damit zufrieden zu sein; folgHch werden sie nunmehr
unterdrückt.
{Friedlich Hufclaud. Berlin, 2S. September 1S16.)
Ich erhielt schon vor mehreren Monaten von einem
gewissen D. Dumpf, praktischen Arzte in Livland, den ich
nicht persönlich, aber durch Briefwechsel kenne, ein Schreiben,
in welchem er mir unter anderm seinen Entschluss mittheilt,
eine Schrift den verstorbenen Dichter Lenz betreffend heraus-
zugeben, mit welchem er verwandt war und dessen bekannt-
lich in Goethe's Leben in einer nicht eben rühmlichen Weise
gedacht wird. »Ich sammlete durch eine weitläufige Corre-
spondenz alle jetzt noch mögUchen Notizen über ihn und
sein Leben. EndUch gelang es mir auch seinen schriftlichen
Nachlass aus Moskau, sowie seine Papiere, die er, krank
werdend, vor 38 Jahren bei dem edlen Schlosser zurück-
gelassen, an mich zu bringen. Sie geben eine so reiche
Ausbeute, dass es mir ein Vergehen gegen alle Literatur-
freunde, und besonders seine noch lebenden Jugendfreunde
scheinen musste , sie unbekannt modern zu lassen. Das
bewegt mich, sein Biograph werden zu wollen, zugleich
aber erregt es auch den Wunsch, einige kleine Werke von
ihm, die, höchst genial, wahrscheinlich noch nie gedruckt
wurden, herauszugeben. Es sind diese i. Catharina v. Siena,
ein Trauerspiel, 2. die Laube, ein Schauspiel und 3. eine
höchst geniale und interessante Skizze unter dem Titel :
Pandaemonium germanicum oder über die teutsche Literatur
(im J. 1775). Mein Antheil an der Biographie wird sehr
gering sein, denn aus Lenz' Blättern der Erinnerung und
meinen gesammelten Notizen hoffe ich sie grösstentheils
zu vollenden, so dass mein Geschäft nur darin bestehen
wird, den Faden der Erzählung zu leiten. Eine bedeutende
414 Neue Mittheilukgen.
Anzahl herrlicher Briefe von Herder, F. L. Grafen zu Stollherg,
Lavater, Klinger, Merck und anderen vorzüglichen Männern,
liegen seit 40 Jahren ungckannt und sollen nun dem Todtcn
ein Todtenopter bringen, wie sie ihn im Leben ehrten und
ermuthigten«.
Hierzu tügt Dr. Dumpl nun die Bitte, dass ich ihm
einen Verleger verschaffen und mich bei Goethe erkundigen
möchte, ob er für die Herausgabe der Materialien stimme.
Die letztere Bitte musste ich ihm natürlich abschlagen, da
der so reizbare Goethe den Mangel an DeHcatesse, den eine
solche einen ihm verhassten Gegenstand betreffende Frage
verrathen würde, sehr übel aufnehmen könnte. Was aber
den erstem Punkt betrifft, so schrieb ich ihm, dass ich mir
die Freiheit nehmen würde, mich deshalb an Sie zu wenden,
lieber diesen Vorschlag bezeugt er nun in seiner Antwort
grosse Freude, besonders da er hofft, dass er, wenn es
Ihnen gefällig wäre, sich auf dieses Unternehmen einzulassen,
durch Ihre Güte noch manche wichtige Aufklärungen über
Lenzens Aufenthalt in Weimar erhalten und zugleich erfahren
würde, ob von den Dichtungen, die er aus dessen Nachlass
besitzt, eine oder die andere vielleicht schon gedruckt ist.
II. Aus BRIHFEX \'OX C. A. X'ULPIUS IN WEIMAR
Ax Xic. Meyer in Bremen.
MIlGinHlill-T VON
G. VON LOEPER.'
Weimar, den 15. October 1802. Bei uns gehts an"s
Avanciren. — Egloftstein ist Obermarschall geworden, Euck
Hofmarschall, Kirms darf Hof-Uniform tragen. Schmidt
der Geheime Rath ist geworden Ober-Kammerprasident
und Wollzogen Kammerpräsident. \'oigt Kammerpräsident
in Eisenach und bleibt dabei hier, \'ent Hauptmann. —
Was den Schauspieler Zwick anbetrifft, so wissen Sie, wie
der Geheime Rath ist, wenn er einmal nicht will, so will
er nicht und ist sehr soupconös, sobald man sich einer
Sache recht ernstlich annimmt. Deshalb möchte ich nicht
gern ein Wort darüber verlieren. Ich will aber dennoch,
wenn ich ihn einmal bei Laune rinde, mit ihm darüber
sprechen, indessen mag Zwick das Seinige thun und noch
einmal anbohren, so wie hrau Wunschel' im Schauspiel
' Aus der Autographcnsamnilung des Herrn Fal)rikbi'sil:^ers Julius
Schiller ^u Berlin.
^ Figur aus Kotzebues beiden Klinajsbergen.
4l6 Neul Mittheilungen.
mit dem Ellenbogen, bis es geht. — Noch haben wir kein
eini^iges neues Schauspiel hier gesehen. Es geht etwas
lahm, zumal da die Jagemann jetzt so öffentlich hoch
steht, dass sie macht was — sie will.
Weimar, den i. Dezember 1802. Von Goethe haben
wir ehestens ein neues Originalwerk ' ganz neu vom
Stapel gelaufen, zu erwarten.
Meine Frau wird binnen 14 Tagen Gevatter bei meiner
Schwester stehen^, und hat August ein neues Metall entdeckt.
Merkel und Kotzehue haben sich vereinigt, der literari-
schen Welt eine Brille aufzusetzen und in einem eigenen
Journale werden sie beweisen, dass Goethe gar kein Dichter
ist, dass Merkel und Kotzebue allein Kenner des Geschmacks
sind und dass Kotzebue eigentlich Deutschlands einziger
Dichter ist, wie er sein soll. —
Übrigens hat sich bei uns ein grosser Wind gelegt,
seit Kotzebue ihn nach Berlin mitgenommen hat, und
Böttiger sitzt ganz still in der antiquarischen Ecke, um
Bolzen zu heizen für die beiden literarischen Buben der
eleganten Gosse, soit-disant der kritischen Welt '.
Weimar, den 19. Jänner 1803. Seit meinem letzten
Briefe war meine Schwester mit einem Mädchen in die
Wochen gekommen, das meine Frau heben und das den
Namen Kathinka erhalten sollte; es ist aber drei Tage
darauf gleich wieder gestorben.
Die grosse Sängerin Mara hat vorgestern sicii hier
im Konzert hören lassen. Es war zum Einbrechen voll "*.
Vorige Woche wurde der Prof. Mever getraut.
' Die natürliche Tochter.
^ «Den neuen Gast«, Goethe an Schiller, den 19. December 1802.
5 Vergl. Goethe's hivectiven: Triumvirat, »Die gri.indlichsten
Scliufte« und »Gottheiten zwei« (bei Hempel III., S. 296 fg.).
4 Scliiller an Goethe, 6. Juli 1S05.
Mn TIltlLUNGUN VON ZlirfGENOSSEN ÜBER GOETHE. 4I7
Unser Theater kränkelt sehr und die Oper taugt wenig
noch. Kr. ist noch immer dispensirt. D. kann nicht viel
wie Sie wissen, und die jagemann imponirt quantum satis.
Fürs reciiirende Schauspiel wird auch noch wenig
gethan, weil Goethe taglich verdrüsslicher wird und weil
man es recht darauf anlegt, ihm auch deshalb das Leben
sauer zu machen. Am i Jänner gab er uns sein Paläophron
und Neoterpe; das Stück ging sehr gut und gefiel. Er
hatte einen neuen Schluss dazu gemacht, der sehr enchan-
tirte. Heute ist sein Clavigo.
Weimar, den 7. l-"ebruar 1803. Kotzebue'n ist das Land
verboten worden. Er verkauft jetzt seinen Garten zu Jena.
— Schiller hat ein neues Stück mit Chören geschrieben.
Goethe vollendet sein Trauerspiel. Kotzebue hat sich
allgemein verhasst gemacht. Goethe antwortet ihm nicht,
aber er soll dennoch gezüchtiget werden.
Weimar, den 26. Februar 1803. Mich dauert der
Geheime Rath sehr. Er ist nun seit sieben Wochen nicht
aus dem Hause gegangen, und als er neulig in den Garten
an die Luft kam, ist er umgesunken.
Einsiedeis Bearbeitung des Eunuchus des Terenz ist
mit Masken aufgeführt worden, unterm Titel: die Mohnn,
hat aber nicht gefallen. Jetzt studirt man Schillers Braul
von Messina ein, Trauerspiel mit Chören. Ich verspreche
ihm kein grosses Publikum. —
Der verwittwete Hof hat gleichsam offene Fehde gegen
Goethe und dort hängt Alles auf des Kotzen Buben Seite.
— Das Volk verdient Goethen gar nicht. Der Schuft hat
sogar Parthie hier; können Sie sich das denken? Nur der
Herzog steht fest bei Goethe und hat Kotzebue sein Land
verboten.
Weimar, den 12. März 1803. Dass der Geheime Rath
wirklich, wenn auch nicht änsserlich, krank war, ist gewiss.
Goethe-Jahrbuch II. 27
^.l8 Neue Mitthhilunghx.
jetzt ist er schon in neun Wochen nicht vor die Hausthür
ij;ekonimen. Das Kotzebue'sche Wesen hat ihn sehr getrogen ;
auch hat er viel Gram der Cantatrice Jageniann wegen,
die jetzt Alles ist. Sie kommt oft mit 5 — 6000 Thaler
Schmuck und Ketten auf's Theater. —
Der Geheime Rath hält jetzt wöchentlich Dienstags
Konzert. Die Sänger singen. Diese Woche waren der
Herzog, die Prinzessin und Prinz Bernhard drin. — Er
arbeitet viele Gedichte jetzt aus und sein Schauspiel die
natürliche Tochter. —
Jetzt speisen Sonntags jedesmal zwei Schauspieler und
eine Schauspielerin beim Geheimen Rath.
Weimar, den 17. März 1803. Es ist hier bei uns noch
ebenso, wie es vor acht Tagen war, da ich Ihnen schrieb.
Goethe geht noch immer nicht aus. Der Herzog sagt
neulich zu ihm : Wenn ich eine Sonne machen könnte, ich
wollte Dir eine in's Haus schicken.
Weimar, den 20. März 1803. Gestern wurde endlich
die Braut von Messina gegeben und hat vielen hundert
Jenensern, die da waren zum Abonnement suspendu, unge-
mein und so gefallen, dass man nach Endigung des Stück's
dem Dichter ein lautes \'ivat rufte, welches Herr Dr. Schütz
aus Jena ausbrachte, etwas, das im hiesigen Schauspielhause
noch nie geschehen ist.
)ena, den 15. Juni 1803. \'on hier geht Loder ab,
aus Verdruss, weil man ihn Kotzebue's wegen kalt behandelt
hat, nach Halle '. An seine Stelle kömmt, wie es heisst,
Sömmerring. Kilian geht nach Bamberg ; Schelling ist mit
Md. Schlegel nach der Schweiz gegangen. Paulus heisst es,
ginge nach Würzburg und l'roriep geht auch ab (heisst es).
' Loder war mit Kotzcbue eng befreundet. Vgl. Goetlie"s »Neuen
AlciniHis« (Henipe! III., 290).
MiTTHlilLUNGLN' VON ZuiTGUNOsSHN LH1:K GoiiTHH. 4I9
Jena, den 4. September 1803. Der freimüthige Schuft
hat Jena's Untergang prophezeit. Die Clique schlägt sich
aber selbst, und Jena wird wohl stehen bleiben. Loder
hat aus Dankbarkeit für die vielen Gnaden vom Herzog
seinen Abgang nach Halle unvergesslich machen wollen,
er hat deshalb so lange durch Kotzebue \md andre grosse
Männer seil, negozirt, bis die Litteratur-Zeitung nach Halle
kam. Nun gut! Kotzebue stiess sogleich in die Tuba, und
siehe da, Alles ist voll Schrecken und Furcht. Aber sie
hatten nicht Alles wohl überlegt und die Jcnaische Litt.
Zeitung bkihl. Goethe und Schiller sind an die Spitze
getreten, und Eichstädt wird Kedakteur. Es ist ein b'onds
von 5000 Thaler dazu da. Mit dem i Jänner 1804 ersclieint
das erste Stück.
Weimar, den 15. Jänner 1804. Sie wollen wissen, was
bei uns passirt ? Weniges, das tröstlich ist. Unter andern,
ist der Geheime Rath Goethe wieder einmal unpässlich, und
hat einige Tage im Bett gelegen. Er ist überhaupt, im
Ganzen phvsisch und moralisch nicht wohlaul.
Die soit disant berühmte Md. Stael ist jetzt seit drei
Wochen hier und wird —viel fetirt. Nur in dem despotischen
Frankreich konnte man ihren Roman Delphine verbieten,
bei uns fragt man kaum danach.
Kotzebue ist bei Nacht hier durchgegangen, hat sich
aber nicht getraut, im Thor seinen Namen anzugeben und
hat sich nur anderthalb Stunden bei seiner Mutter autge-
halten, aus Furcht, arretirt zu werden. Seine Freunde selbst
springen jetzt von ihm ab. Sein Hugo Grotius fiel so durch
hier, dass man zischte, und sein Ranudo Colibrados miss-
iiel sehr.
Goethe arbeitet jetzt seinen Götz von Berlichingen fürs
hiesige Theater zu, und der zweite Theil der natürlichen
27*
420 Neue Mittheilungen.
Tochter ist auch bald fertig. Schiller brütet noch über
seinem Schauspiel Wilhelm Teil.
Jena, den 4. Februar 1804. Am Montage sahen wir
am Geburtstage der Herzogin des Sophokles Antigene auf
dem Theater mit Chor und Costüm a la Grccque. Sie gefiel
ganz ausserordentlich und wurde sehr beklatscht. So etwas
liebt man nun hier, indess man aus Kotzebue's Dramen und
Trauerspielen sich durchaus nichts macht. Ich denke, wir
werden auch etwas von Aeschylos zu sehn bekommen.
Weimar, den 22. October 1804. Dass Goethe nie wieder
etwas Poetisches schreiben wolle, glaube ich auch nicht, und
zwar deswegen, weil er eben etwas wieder unter der Feder
hat ; seinen Faust wird er auch vollenden. Noch etwas
sollen Sie vielleicht bald erfahren. Wir dürfen jetzt noch
nicht davon sprechen. In seinen Götz hat er eine sehr
poetische Scene eingelegt u. a. die in gereimten Versen ist.
Er spielte bis 11 Uhr. Nun wird er in zwei Hälften gegeben.
Weimar, den 7. März 1805. Goethe war drei Wochen
lang so gefährlich krank wie vor vier Jahren. Doch hat
ihm Starke wieder geholfen. — August geht auf einige Zeit
zur Grossmuttcr nach Frankfurt.
Weimar, den 8. März 1805. Ueber Nacht ist der Geh.
Rath von Goethe wieder sehr schlecht und bedenklich krank
geworden.
Weimar, den 19. April 1805. Goethe war wieder sehr
krank, doch ist es nun besser. Er hat uns diesen Winter
hindurch stets sehr besorgt für sein Leben gemacht. —
August ist in Frankfurt bei der Grossmutter. Christel ist
wohl, aber Ernestine hat sich die Auszehrung an den Hals
getanzt und geärgert, und selbst Starke zweifelt an ihrer
Rettung.
Mittheilungen von Zeitgenossen über Goethe. 421
Weimar, den 13. Mai 1805. Nach vielen Leiden und
Schmerzen ist Goethe endUch wiederhergestellt, aber am
10. d. M. Abends starb Schiller. Seine intestina sind ganz
entzündet gewesen. Den 11. wurde er nach Mitternacht
von jungen Gelehrten zu Grabe getragen, und gestern Nach-
mittag 3 Uhr in der St. Jakobskirche wurde er vom Superinten-
dent Vogt parentirt, und dabei Mozarts Requiem von der
Kapelle und den Sängern aufgeführt. Seine Theater-Todten-
feier wird besonders sein.
Weimar, den 20. Mai 1805. Ihre Theilnahme an
Goethens Gesundheitszustande verlangt öftere Relationen
deshalb. Leider! So gesund er auch wieder zu sein schien,
so kamen vorgestern seine Krämpfe doch so schrecklich
wieder, dass Starke von Jena um Mitternacht herbei musste.
Es hat sich jetzt wieder gegeben, und Starke meint, das
Uebel w^ird chronisch werden, doch so, dass es immer nach
längeren Pausen wieder käme, um endlich zu verschwinden.
Aber bis dahin ? — Seine Kräfte gehen sehr darauf. Er
hört ungern davon reden, und man muss sich hüten, Briefe
sehen zu lassen, in welchen davon gesprochen wird.
Morgen wird Schillers Übersetzung der Phädra des
Racine gegeben, und vorher wird ihm zu Ehren etwas
musicirt und gesprochen.
Die Menschen sind hier sonderbar ! Es ist schon, als
wenn gar kein Schiller unter ihnen gelebt liätte, so wie's
bei Herdern auch war. Alles hat mit seinen ökonomischen
Lagen zu thun, und alle jagen nur der Zerstreuung nach.
Die Einweihung des neuen, wirklich prächtigen Schiess-
hauses beschäftigt jetzt Alle weit lustiger. Unsre Frau
Erbprinzessin wird im September in die Wochen kommen,
und da giebts wieder Feten. Das interessirt mehr.
Weimar, den 4. Juli 1805. Dienstag Abends ist Goethe
mit meiner Schwester nach Lauchstedt abaereiset und ueht
422 Neue Mittheillngek.
nach Halle, dort den Dr. Gall zu hören, dann wird er zurück-
kommen und vielleicht auf vierzehn Tage in's Karlsbad gehen.
Jena, den 30. August 1805. Meine Sclnvester ist von
Lauchstedt seit vierzehn Tagen zurück. — Der Geiieime
Rath aber ist umhergereiset und in Helmstedt gewesen,
um den sonderbaren Beireis kennen zu lernen. Jetzt ist er
wieder in Lauchstedt, und schreibt etwas, womit im Oktober
Schiller's Apotheose auf dem hiesigen Theater gefeiert
werden soll. Gegen den 12 September wird er nach
Weimar zurückgehn.
Hier in Jena ist es ziemlich leer. Man zählt etwa
260 Studenten. Allenthalben ist die Theuerung drückend,
besonders aber in Weimar. Diess hat auf alles sichtbaren
Einfluss. Der Muth fehlt überall.
Weimar, den 6. December 1805. Seit sechs Wochen
haben wir täglich Durchmärsche von Soldaten, Geschütz,
Preussen, Sachsen etc. Alle Dörfer liegen hagelvoll, z. B.
Ober-Weimar hat 150 Mann. Alles steigt zu enormen
Preisen, und wir wissen nicht was" aus uns werden soll.
Dass der Kaiser von Russland hier war, wissen Sie
auch schon. — Der Jubel war gross.
Goethe arbeitet an seiner Farbenlehre, die Ostern
erscheinen soll, und hat für gar nichts sonst Zeit. Indessen
wird er Ihnen doch wohl sclireiben, wenig, mit Liebe.
Weimar, den 28. December 1805. Dass Sie von Goethe
wenig lesen, kömmt daher, dass er gar nicht ä son aise
ist. Immer kränkelt er. Die Ärzte sagen, er halte sich
in Hssen und Trinken nicht nach ihren Vorschritten. Ich
habe ihn erinnert, und er diktirte mir sogleich einen Brief,
den Sie hierbei erhalten.
Wir haben so viel Soldaten, dass von Lisenach bis
Jena 46,000 Mann liegen. Unsere Stadt hat 1600 Mann
und die Theuerunt/ wird rasend.
MlTTHEILUNGEN VON ZEITGENOSSEN ÜBER GOETHE. 423
Weimar, den 7. Januar 1806. Diesen Morgen um
II Uhr ist meine Schwester Hrnestine ' sanft für immer
entschlafen. Sie dauert mich sehr. Sie ist nun das neunte
meiner verstorbenen Geschwister. Seit einem halben Jahre
sahen wir iliren Tod voraus; sie zehrte sich aus; und
dennoch weinen wir jetzt. — Wir di'irten es dem Cieheimen
Kath noch nicht sagen, dass Erncstine todt ist. Es greift
iiin Alles gar zu sehr an. Er ist auch nicht recht taktfest.
Weimar, den 3. März 1806. \'orgestern früh 7 Uhr
ist unsre gute alte Tante % 74 Jahr alt, nach einer zwei-
tägigen Brustkrankheit am Schlage gestorben. Wir beklagen
die gute alte Pflegerin unsrer Jugend recht sehr. — Der
Verlust von ihr und der Ernestine so kurz hinter einander
muss dem Haushalt viel Schaden und Eintrag thun.
Goethe ist schon wieder krank gewesen. Monatlich
kömmt jedesmal sein Übel zurück und macht ihn sehr
mürbe. Es sind böse Hämorrhoidal-Zufälle. — Goethe hat
seine Stella für's Theater bearbeitet.
Jena, den 21. Juni 1806. Ich gehe morgen oder über-
morgen von hier nach Weimar, weil der Geheime Rath
Goethe jetzt hier ist und in acht Tagen nebst dem Major
von Hendrich in's Karlsbad geht, dort seine Gesundheit'
wieder zu erlangen. Gott gebe es! Meine Schwester ist
schon seit zwei Tagen nach Lauchstedt, und ich kann das
Goethische Haus in Weimar nicht ganz leer lassen.
Weimar, den 20. Oktober 1806. Welch ein Unglück
hat uns betroff'en! Den 14'. wurde die unglückliche Schlacht
' Die im Goethehause wohnende Sophie Ernestine Louise Vulpius.
einzige Tochter zweiter Ehe des Amts- Archivars Joh. Friedrich \''ulpius.
starb den 7. Januar 1806 im Aher von 27 Jahren.
^ Die gleichfalls im Goethehause wohnhafte Juliana .\ugusta
Vulpius, einzige Tochter des Hofadvokaten Joh. Friedrich Vulpius,
starb am i. März 1806 im Alter von 72 Jahren am Schlagfluss.
424 Neue Mittheilungen.
bei Jena verloren , Abends 5 Uhr ging bei uns die
Plünderung an, die 36 Stunden dauerte und mich von
Allem entblösset hat. Drei Tage waren wir nicht in
unserm Hause. Mordgewehre auf uns gezückt, gemiss-
handelt, berauht, unendlich unglücklich gemacht. Wir
sprechen jetzt gute Seelen um Geld an , und wer hat
welches ? Denn nicht zehn Häuser, selbst das Schloss nicht,
sind verschont geblieben. Die fürchterliche Nacht, Geheul^
Gewinsel, Brand — ach Gott! und meine Frau und das Kind,
Stunden in kalter Nacht unter freiem Himmel im Park !
Etwas Frohes: Gestern hat der Geheimerath Goethe
sich mit meiner Schwester trauen lassen. Sein Haus ist
verschont geblieben. Er hatte stets Marschälle drin.
Weimar, den 10. November 1806. Den 15I bis 17 1
waren wir im Hause des Geheimen Raths Goethe, und
unsre Wohnung war mit Allem was darin war denen Preis
gegeben, die sie besetzen wollten. Und das geschah auch
redlich. Gegen sechzehn Mann hausten darin, als mich
endlich, da Napoleon Bücher von der Bibliothek verlangt,
aut Requisition seines Ingenieurs d'Alma Grenadiere in
meine Wohnung einsetzten. Den 18 '„ zog ich ein; aber
wie fand ich es? Lassen Sie mich davon schweigen! Dann
tägliche Einquartirung, so dass wir einmal zehn Mann
hatten und kein Geld, keine Lebensmittel! — Meine
Schwester stand bei, aber — dem Geheimen Rath selbst
hat es über 2000 Thaler gekostet; allein 12 Eimer Wein.
Er ist nicht geplündert ; den ersten Abend hat er's mit
Wein und Klugheit abgewendet, dann bekam er sauvegarde,
da die Generale Viktor, Marschälle Ney, Lannes, Augereau
und andere Offiziere bei ihm logirten ; zuweilen 28 Betten
in seinem Hause, aber es hat ihn sehr mitgenommen, doch
ist er gesund, wofür Gott zu danken ist.
IV. MiscELLEN, Chronik,
Bibliographie.
I. MlSCELLEN.
I. Aus Rifigs Ä'ac/ilass. Strassbi/rg. Die beiden ersten
Notizen habe ich schon vor drei Jahren, jedoch unvollständig.
in der Wochenschrift »Im neuen Reich« 1877, II 451 gegeben.
Professor Stoeber, 4. und 5. Juli 1772: »D. Hr. Göthe hat
eine Role hier gespielt, die ihn als einen aberwitzigen Halb-
gelehrten und als einen wahnsinnigen Religions-Verächter nicht
eben nur verdächtig, sondern ziemlich bekannt gemacht. Er
muss wie man fast durchgängig von ihm glaubt, in seinem
Obergebäude einen Sparren zuviel oder zu wenig haben. Um
davon augenscheinlich überzeugt zu werden, darf man nur
seine ^•orgehabte Inaugiiral - Dissertatio7i de Legislatoribus
lesen, welche selbst die Juristische Facultät ex capite religioiiis
et pj-ude/ifiac unterdrückt hat : weil sie hier nicht hätte können
abgedruckt werden anders, als dass die Profcssores sich hätten
müssen gefallen lassen mit Urtheil und Recht abgesetzt zu
werden« und 7. August 1772: ))^^'as ich Ihnen, werthester
Freund, von des Hn. Göthe seiner vorgehabten iuaiigural-
Dissertation gemeldet, das habe aus dem Munde des Hrn.
Professor Reisseissen vernommen, welcher damals Decanus
Fdcultatis gewesen. Und, soviel ich mich zu erinnern weiss,
hat er mir gesagt, dass dem Candidaten seine ungereimte
Arbeit zurückgegeben worden. Sie dörfte wohl bey keiner
guten Polizey zum Druck erlaubt oder gelassen werden :
wiewohl d. Hr. Autor damit gedrohet«. — Pfeffel , Golmar,
12. Februar 1773, gelegentlich der Frankfurter gel. Anzeigen:
Uv des pri?icipaux aiiteurs de cette Gazette est im nommi Gette,
komme de genie ä ce qii'on dit, mais d'une Süffisance insiip-
portable. J'ai iine fois soup( en sa compagnie 4' fneme re^it
sa Visite mais je ne Ic cojino'is pas a heaiicoitp prh assez pour
428 MiSCELLEN.
en juger d' apres mes propres observations. Später spricht Pfeffel
einmal flüchtig von Goethe als auteur de Clavigo, bezeichnend
für den Halbfranzosen, dem der auteur de Götz . für den
schwunglosen vorsichtigen Mann, dem der auteur de Wert her
unsympathisch war.
Petersen, Begleiter der hessischen Prinzen , Strassburg,
7. Januar 1775: »Vorigen Mittwoch Nachmittags gegen 3 Uhr
sind die Prinzen von Weimar hier angekommen. Die erste
Visite, welche sie hier gemacht haben, hat — das wird manchem
fremd vorkommen — Hr. Buchhändler Bauer empfangen : eine
Visite von 2 Stunden. Ich war selbigen Abend in diesem
Buchladen. Bald darauf kamen die Prinzen von Weimar ange-
fahren, liessen sich, sowie die Herren von ihrem Gefolg, allerley
französ. und deutsche , Militärische , Oekonomische und belle-
tristische Bücher geben, kauften verschiedenes, urtheilten über
aus- und einheimische gelehrte Producte mit Einsicht, und
gefielen sich recht wol in diesem Bücher Magazin. Eine erbau-
liche Erscheinung für mich, der ich Prinzen, Prinzen-Hofmeister,
und Cavaliers kenne, bey denen der Gedanke niemals aufsteigt,
einen Buchladen, und was nach Gelehrsamkeit schmeckt zu
besehen, — die vielmehr auf alles solches mit Verachtung
herabsehen« und am 30. Januar 1775: »Wie man sagt, so
wollen die beide Prinzen von Weimar hier noch einem cours
d'anatomie und zwar über den Kopf unter der Anführung
Hrn. P. Lobsteins, bey wohnen«.
2. Wetzlar, s. meinen Aufsatz »Aus der W'ertlierzeit«
»Im neuen Reich« 1879 Nr. 47.
3. Frankfurt. H. P. Schlosser, 6. Mai 1772 über die
Gelehrten Anzeigen, »unsere neue gelehrte Zeitung, die freilich
aus einem andern Ton spricht als die vorige, und den Geist ....
der Berliner zu erreichen sucht« : »Ich habe zwar kein Anteil
an derselben, und billige auch nicht durchgängig die scharfen
Beurteilungen, welchen oft verdiente Leute ausgesezzet werden,
allein, es ist wahr, weil man den Witz gerne liest, und den
Stachel, den man nicht fühlt, wegen den Verzerrungen der
Gesichter derer die ihn fühlen, auch gerne in fremdes Fleisch
geheftet sieht, so gefällt sie ziemlich allgemein. Die Satirn
sind fürchterliche Götter. Sie haben starke Boksfüse, und
können tretten, sie haben Hörner, und können stossen. sie
haben eine Geisel und peitschen — aber der Scherz ist ein
bioser Kopf mit einem langen Schwanz, der beleidigt keinen
Menschen und ist gefälliger. Ihn lese ich lieber als jene, aber
jene sind mehr gewöhnlich von der Zeit an als die Musen
vom Helikon gezogen und die Satirn aus den Wäldern auf
MiSCELLEN. -|29
diesem heiligen Berge ihren Wohnplaz aufgeschlagen haben.
Uebrigens begehre ich von einer gelehrten Zeitung, dass sie
mir einen kurzen, doch hinlänglichen Ik'griff vom Inhalt.
Methode geben soll, und das vermisse ich bei den Kritiken
dieser Art vollständig«.
Deinet. lo. Juni 1775: »Die Briete über Werthers Leiden
[Schlettwein] sind doch nicht ganz ohne allen (Irund. Der
Teufel hohle das gesellige Leben, wenn Werthers Philosophie
in Gang kommt. Nur ist mir die Consequenzmacherey und
das Zettergeschrey d la Göze unausstehl. in den Briefen ....
Göthe werden sie von Angesicht zu Angesicht gesehen haben.
Ein bewundernswerther Kopf, ich möchte aber nicht in einer
Stadt wohnen, deren ßtcr Theil Einwohner so dächten wie er«.
Rector Schlegel, Heilbronn 6. Juni 1775: »Mich freut
es, dass Sie, bester Herr geheimer Hofrath, Göthen haben
kennen lernen. Einen Mann wie ihn kennen zu lernen, ist
immer eine Acquisition von Menschenkenntniss, die man
werth achten muss. Das Sonderbare , das sich in seinem
schriftstellerischen Character schon deutlich genug geäussert
hat, haben auch andre in seinem Umgang bemerken wollen.
Die Grafen von Stolberg mögen ganz wackre Herren seyn,
aber Originale sind sie freylich nicht — alles in ihren
Gedichten ist Nachahmung — und daher mögen sie freylich
in der Gesellschaft eines teutschen Originals, wie (iöthe ist,
ziemlich contrastirt haben. Inzwischen lassen Sie es gut seyn
— wenn nur diese Herren vom hohen Adel zu denken an-
fangen — wenn sie auch andren nur nachdenken — so ist
es doch besser, als völlig gedankenloss seyn«.
Deinet. 7. November 1775: »Göthe soll einem stadtge-
schwätze nach, darauf aber wenig zu bauen ist, das Theater
zu Weymar dirigiren«. Derselbe, 18. September 1774: »Hier
kommen statt i Clavigo 6 Sttick, Nachdruck, aber man sagt
correcter als die Leipziger Ausgabe. Ich habe 200 Stück
an mich gekauft, und erlasse sie an gute Freunde zu 15 \r.
Die deutsche Chronik hat dieses Stück mitgenommen, das
heist heruntergemacht. Wer die Mevioire des Beaumarchais
gelesen hat, wird sich am Clavigo Trauerspiel auch so sehr
nicht erbauen. Indessen geht das Stück ab wie warm Brodt«.
Ring in seinem »Reisejournal« (1783 als Manuscript für
Freunde gedruckt, geschrieben bald nach dem April 1778):
»Madame Göthe unterhielte mich von Klopstock, Wieland,
Schlossern und dem Herrn Sohne sehr angenehm, wiess mir
den letztern auch in theatral. Kleiduncr sehr treffend gemahlt.
430 MlSCtLLEN.
Würde mir auch eines vordeclamirt haben, wäre sie nicht so
heiser — besser — cnrhumirt gewesen. Sie versjjrach mich
wo möglich bey der Mlle. Fahner noch einmal zu sehen und
hielte ^^'ürt«. Er verfehlt H. P. Schlosser und Gerocks, der
badische Resident Schmidt von Rossan (DUntzer, f>auenbilder
S. i6i.) neckt ihn mit seinem Galakleid, »die schöne Mlle
Runckel« habe ihn den ganzen Abend vom Fenster aus
beguckt. »Zu Mlle Falmer, die nicht zu Hause war und
deren Stelle also die taube Fr. Mutter nebst 4. Fräulein von
Clermont aus Aachen und ihrer geschwätzigen Gouvernante
vertreten musste«. Am nächsten Tag wiederholt er mit der
»Riesentochter« des Stadtschreibers Stark den Besuch bei
der Fahimer: »Die Mlle Falmer ist hesslich, aber artig, ver-
ständig, wolgebaut u. nett gekleidet, Madame Bettmann ein
schönes Weib u. ihre schöne Tochter, andre schöne junge
Mädchen, Madame Cröthe, Fr. Dr. Starekinn, [;;« la francfor-
toise alles laut Uberschreyend«] und ihr Sohn Hr. Dr. Starck
u. a. Personen halfen mir den Rest des Abends vergnügt
und unter mancherley Gesprächen hinbringen«.
4. Weimar. Schlegel, Heilbronn, 3. Mai 1776: »Wieland
u. Herder und Göthe möchte ich doch in einer Gesellschaft
beysammen sehen — drey schöne Schwärmer, jeder von einer
besonderen Art , unter denen aber wol nie eine standhafte
Freundschaft seyn wird. Wieland zwar soll sich vor (iöthen
bis zum Argerniss demüthigen — allein das wird so lange
dauern als es die Hofluft erfodert«. Kupferstecher v. Mechel,
Basel, 2. September 1776: Ȋ/ // vrai quc Mr. le baron
d'Edelshci)/! quitte chcz vous et va commc premier Ministre ä
Weimar Y und Goethe, Freund, im Ministerio allda, je nc sais
si r auteur de Werthereji fait un grand politiqiie . 11 n hoinme
de cour? wie habe ich von Herzen lachen müssen«.
Bertuch, 4. October 1776: »Nehmen sie meinen wärmsten
verbindlichsten Dank für die Bekanntschaft, die Sie mir mit
H. Kaufmann verschafften. Es ist ein Mann von grossem
inneren Gehalte, vom feinsten Gefühl und edelsten Herzen ;
und man kann den Tag seegnen, da man so einen Menschen
findet. Noch ist er bey uns der treffliche Fremdling, und ich
schmeichle mir, es ist ihm wohl. Vor einigen Tagen kam
auch unser Herder an ; diess hoffe ich, soll ihn noch einige
Tage länger halten. Dass man sich doch von solchen Men-
schen wieder trennen muss!«
Ansse de Villoison, der Philolog. der schon die Ver-
mählung Karl Augusts und Luisens durcli ein gedrucktes
MiSCtLLEN. 4 5 1
lateinisches Epithalamium gefeiert hat, schreibt am 7. Juni 1782
aus Weimar begeistert über seinen dortigen Aufenthalt. Dieser
Hof gleiche dem mediceischen avcc ccttc difft'rencc qitc Ic
souvcrain, aussi inst mit ^ aiissi eclairc et aussi atiii de Lctfrcs,
t/u'il connoit parfaitemcnt, est bcaiicoup plus i'crtuciix. Die
Herzogin Amalia beherrsche die deutsche, englische, italienische,
französische Litteratur, und mehr: ricn ('galc so// gniic et ses
connoissanees dans la physiqiie et la mathematique : jetzt treibe
sie mit ihm Griechisch avee la patieiiee, le zele, rardeur et
le eourage, kurz all den Eigenschaften, welche die braun-
schweigischen Prinzen auf dem Schlachtfeld zeigten. Ebenso
entzückt ist er \on Mr. IVieland, aussi bon grkiste, qu'exeellent
prosateur poete et philosophc, Mr. Goethe, le sublime Mr. Herder,
Seekendorf {tri's seavant dans la litterature ancienne et moderne),
Bertueh. He n siede l [sie]. Les daines mime de eette doete eour
sont tres instruites, tres klairees et on peut s'entretcnir avec
elles des matieres les plus graves et plus profondes, temoin
madamc Stein, femme du grand Ecuyer, mad. Sehardt, mad.
Bernstor/, veuve du grand Ministre, madejuoiselle Goechausen,
mademoiselle Wolvarth [W'öllwarth] qui cultive la peinture
avec succes. C'est que ces danies suivent l'exemple auguste de
hur grande Souveraine mad. la Duchesse Regnante qui passe
presque tonte la journee ä lire et ä etudier, qui est pleine de
lumiere, de connoissance. de genie, de bonte et de modestie, qui
eache la superiorit^ de ses talens avec autant de soin que les
autres apporteroient ä riHaler. Plus on Pobserve de pres,
plus on lui dh'ouvre malgr^ eile de nouvelles qualitis qu'ellc
efforce envain de cacher et qui percent ä son inscu au travers
du volle dont eile voudrait les couvrir. Vous connaissez cette
souveraine auguste ? avez vous rien vu de plus noble, de plus
imposant, de plus /najestueux, n'est il pas vrai qu'elle porte
sur la Physiognomie Vempreinte de sa ^randeur. et de l'energie
de son ante.
Am 22. März 1783 zeigte Villoison dem Ereund in
Karlsruhe folgende zu Weimar verfasste, für Büsten bestimmte
Epigramme :
I. Herzogin Luise.
Ut monstrare alii, sie illa abscondere tantas
Virtutes, dotes vellet et ingenium.
Sed sublimem aninium prodit bene perfida pulchro
Nescia majestas corpore et ore tegi.
4^2 MiSCELLEN.
2. Anna Amalia.
Tinctos ingcnio scifitillantesqiic benigna
Luce vides oculos? talem Mavortius ardeus
In gremio Vcneris. talciii paeana canentes
Brunsviaci hcrocs 7'ih-a/if post proelia ßai/iiiia/n.
3. Karl August.
Hie dulcc/n Liidovica vi nun, Viinaria patj-evi.
Hie virtus colitmcn, reges exemplar, amiciim
Pic7-ides, proprium Dens ipsc agnoscere gaiidet
Effigievi ; August um t/uisquis eonspexif, amavif.
4. Herder.
Grandiloquos reddit Tultu et sermone prophetas
Herderus atque alto fervidus ore mit.
Nil mortale sonat — nee jam mortalis imago —
Cernis ut ardenti numine plena mieat.
5. Wieland.
[uppiter in terris dixisset voee Piatonis.
Voee [que V] Wielandi dieeret ipse Flato
Maeoniusque senex, Ariostus et ille sepultis
Qui salsas voees ingeniumque dedit [Lucian].
6. Goethe.
August 0 et Musis eharus traetavit amores
Lethiferos juvenum, fortia faeta dueum,
Atque pari ingenio eomniissa negotia doeta,
Maeeenas aulae Virgiliusque simul.
7. Knebel. '
Knebeiis ora vides. nienteiii si reddere posset
Sculptor et ingenium. nuiiquani diseedere posses.
' Erinnert aulTallcnd an die ^^'(1rto auf Dürers Melanchthon-
Bildniss von 1526:
Viveulis poliiit Durcriiis ora Philippi,
Meiiteni iioii pohiit piiii^crc docta nianus.
MiSCELLEK. 433
8. Frl. V. Göchhausen.
Maxi/na laus Uli Musas /lahi/isse faventes.
Major at AincUac siimiiiuiit mcruisse favorem.
Ihnen reiht sich an:
Pour Ic Portrait du plus jeune des enjans de Mad. Stein.
Matrein cum puero voluissein pingere — Amori
Tunc primuin in tcrris juncta Minerva forct.
Erich Schmidt.
2. Bisher ungedruckte Anti-Xenien. Aus Nicolais Nachlass.
Die Stellung, welche Nicolai in dem Xenienstreite einnimmt, wird
nicht ganz ric:htig beurtheilt; es ist durchaus falsch, dem Manne
gemeine Absichten zu insinuiren. Es wird überhaupt die Auf-
gabe einer Monographie über ihn sein, zu zeigen, wie ernst
er es in seinem Leben stets und mit allem genommen, und
wie Unrecht ihm vielfach gethan wird. Die zahllosen Rand-
bemerkungen, mit welchen er alle einlaufenden Briefe versieht,
setzen durch ihre Ungezwungenheit und Aufrichtigkeit in den
Stand, ein klareres und richtigeres Bild von ihm zu ent-
werfen. Er ist fähig für die gute Sache grosse, pecuniäre
Opfer zu bringen, er ist bemüht das, was er als recht und
wahr erkannt hat, zu vertheidigen, ja mit Leidenschaft zu
verfechten. Niedrige Motive leiteten ihn nicht. In seinen
gelegentlichen, durchaus nicht für die Oeffentlichkeit bestimmten
eigenhändigen Notizen, also gleichsam im literarischen Schlat-
rocke zeigt sich das am besten.
Auch im Xenienstreite ist seine Absicht eine gute: er
bekämpft die kritische Philosophie in jeder Form, und wird
darum gegen die Hören, wie den Musen-Almanach verstimmt.
Er hält das ästhetische Strafgericht für unpassend. Schweigen
hat er nie können, wenn er etwas auf dem Herzen hatte
und so entstand sein ;;.\nhang zu Friedrich Schillers Musen-
Almanach« (vgl. Boas IL, 146 ff.). Die Arbeit schrieb er mit
innerm Widerwillen, doch hielt er sich für verpflichtet die
Wahrheit zu sagen. Eine briefliche Aeusserung Boies suchte
ihn davon abzubringen ; er schreibt an Nicolai aus Meldorf
den 29. Dezember 1796: »Ich wünschte, dass Sie entübrigt
sein könten über den Schillerschen Almanach zu schreiben.
Die Angriffe haben mir wehe gethan, und ich fühle ihren oft
nicht zu entschuldigenden Muthwillen, wie ihre Ungerechtigkeit.
Solte ein Mann, wie Sie, es nicht getrost darauf ankommen
Goethe-Jahrslch II. 28
^.34 MiSCELLEN.
lassen dürfen, dass das Publikum mehr von solchen unbe-
fangenen und unpartheiischen Urtheilern haben wird. Was
Sie über die Hören und den Misbrauch der Kantisrhen Philo-
sophie schrieben, [in der Reisebeschreibung] war allen, deren
Urtheil darüber ich gehört, ein Wort geredet zu seiner Zeit,
und die Hören selbst haben es anerkannt, da sie seitdem
weniger trandescental [sie] philosophiren«.
Trotzdem vermochte er nicht zu schweigen , aber er
wollte ganz ruhig, in ernstem Tone antworten, darum unter-
drückte er nicht nur eigene Parodien, sondern verhinderte
auch den Druck der nachstehenden, ihm eingeschickten Anti-
Xenien. Worin Nikolais Parodie bestand, konnte ich noch
nicht ermitteln, und schöpfe meine Kenntniss nur aus einem
Briefe Boies, Meldorf, den 19. Merz 1797, in welchem es u. a.
heisst: »Was Sie über das Benehmen der Herren in Weimar
schreiben, ist Ihrer würdig. Mögen sie es im Urtheilen halten,
wie sie wollen, wenn sie nur weiter kein öffentliches Ärger-
niss geben. Dieses wird durch den neuen Abdruck der Xenien
mit Anmerkungen um ein Grosses vermehrt werden, (rleim
soll sich den Ausfall auf ihn durch ein rasches Wort in ver-
mischter Gesellschaft gesprochen zugezogen haben. Für die
Parodie, die mich sehr belustigt hat, und auch nur ungedrucki
belustigen muss, meinen bestell Dank«.
Nicolai befolgte diesen Wink Boies getreulicher, dürfte
auch kaum jemals den Druck beabsichtigt haben: am 29. Oc-
tober 1796 war, wie er selbst eigenhändig auf der Rückseite
bemerkt, ein anonymer Brief »mit der Braunschweigischen
Post eingegangen«, welcher also lautet:
»am 2Ssten Octob. 1796.
Hochgeehrter Herr,
Jeder Ehrliebende Deutsche muss von einem edeln
Unwillen durchdrungen werden, wenn er die schänd-
lichen Basquille [sie] liesst, welche Herr Schiller in
seinem neusten Musen-Almanach gegen Sie einzurücken
für gut befunden hat. In diesem Unwillen entstanden
beygefügte Epigramme, die weiter nichts, als eine Ver-
geltung dessen sind, was Herr S. so reichlich ausspendete.
Meine gehorsamste Bitte (deren Erfüllung ich als eine
Belohnung meiner beständigen ZAineigung gegen einen
der würdigsten Deutschen Gelehrten ansehen werde) ist
jetzt, dass Sie die Ciüte haben mögen, diese Epigramme
de/? Herausgeber des Archivs der Zeit [Friedrieh Ludwig
MlSCELLLN. 435
Wilhelm Meyer] zur Einrürkung in diess Journal mit-
zutheilen.
Mit der grössten Hochachtung nenne ich mich
Ihren gehorsamsten Diener
Dazu schreibt Nicolai eigenhändig an den Rand : »Es
würde sich für mich nicht ziemen, dergleichen irgendwo ein-
rücken zu lassen. Es würde mich im Archiv compromittiren
und in Streit mengen, welches ich wieder nicht veranlassen
mag«. Freilich hätte Nicolai mit dieser Erwiderung wenig
Ehre aufgehoben, und möglicher Weise unterdrückte er sie mehr
aus Klugheit, als aus selbstloseren Motiven. Man kann sich
kaum eine mattere, nichtssagendere Abwehr der Goethe-
Schiller "sehen Angriffe denken.
»A LI ch X en ien.
Fragen.
I.
(Ein M . . . scher Dolimhcrr antwortet.)
Warum nennet Herr Schiller wohl seine Hefte die Hören ?
Unser unnütz Geplärr, nennen ja Hora auch wir.
Warum schimpft man so viel in Schillers Musen-KalenderV
Weil solch elendes Zeug nur als Basquill sich verkauft.
Warum schimpfen auf Nicolai die Almanachs-Helden?
Weil er ihr tolles Gewäsch nimmer verlegen gewollt.
Warum beklagt ihr euch, dass Aglaia von hinten sich zeiget V
Ach! weil wir niemals von vorn eine der Grazien sahn«.
[Dieses Xenion erinnert an einen ähnlichen Einfall in den
»Parodien auf dieXenien. Ein Körbchen voll Stachel-Rosen etc.«
1797. (Boas II. 172.)
»Auf dem Umschlag zeigt euch Aglaja den göttlichen
Hintern«.
2<S*
436 MiSCELLUN.
Der Umschlag des Miisen-Almanachs war dem Zeirhner
ganz missglürkt.]
»Der übelgcioähltc Titel.
Nicht der Musen, nein, nenn" ihn den Ahiianach der Harpien;
Denn es bedecket diess Volk reinliche Tafeln mit Koth«.
[Durch dies Epigramm ist der Ausfall auf Nicolai in den
Xenien Nr. 201 »Das grobe Organ« sehr schlecht pariert:
»Was du mit Händen nicht greifst, das scheint dir Blinden
ein Unding,
Und betastest du was, gleich ist das Uing auch beschmutzt«.
vgl. Boas I. 124.J
»Eine juristische Aiitiuort.
Freund, belange doch S*** der dich so schändlich beleidigt. —
Nein, ich bekäme kein Recht, denn er ist oftmahls verrückt.
Da die Verse kurz vor dem 25. October entstanden, so
zählen sie mit zu den ersten Entgegnungen ; ihr Verfasser
konnte von den andern vorbereiteten und geplanten Anti-
Xenien noch keine Kenntniss haben ; die erste Recension,
welche Boas (II. 22.) nachweist, erschien am 28. October in
Beckers Reichsanzeiger. Wohl hatte damals Nicolai selbst
noch nicht die Absicht, in die Reihe der Streitenden einzu-
treten ; im December aber musste sie bereits bestehen, im
Februar 1797 war der »Anhang« sclion erschienen, Bohn in
Hamburg , Boie in Meldorf hatten ihn damals schon und
danken für die Zusendung. Die übrigen Dankschreiben laufen
im März und April ein. Die meisten billigen Nicolai"s
Versuch, »dem Unwesen der Herrn in Weimar zu steuern«,
auf das nachdrücklichste. Boie z. B. schreibt am 26. Febr. 1797,
indem er zugleich die Versi)ätung seines Dankes entschuldigt :
»Ihr Buch ist Ihrer ganz würdig und hat mir wahre Freude
gemacht, auch wegen der Blicke, die es jeden, der sehen -loill.
in Ihr Herz thun lässt. Sie haben den heimlichen Schaden
der alle die widrigen Ausbruche erzeugt, auch ganz gekannt
und offen dargelegt, die beiden Herren müssen sich schämen,
wenn sie gleich schwerlich Ihr Vergehen öffentlich anerkennen
werden. Mögen sie das halten, wie sie wollen, wenn sie nur
nicht ferner so sündigen , andere excentrische Köpfe von
ähnlichen Uebertretungen der Linie alles Anstandes abgehalten
Misci i.i.i.N. 437
werden, und sie seilest durch Werke, ihrer W'erth [sie], diese
ihrer so unwürdige Auswüchse vergessen machen, so ist Ihr
Zweck erreicht. Ich sehe Ihr HiUhelchen als eine unsrer
ganzen Litteratur höchst erspriessliclie Zeitsc hrift an, und recht
l)eherzigt kan sie unsern jungen Brauseköpfen nicht anders
als sehr frommen. Die Furcht, die ich, ich mag es nicht
leugnen, als Ihr Freuntl. Nor der Erscheinung der Schrift hatte,
ist gänzlich besiegt. Ich war besorgt, Sie raögten sich durch
den reichen Stof zu einer weitläufigen Induzirung und Wider-
legung des Unfugs verführen lassen, wobei Sie nur verlieren
konten. Sie werden gewiss gelesen werden, und dadurch ist
alles gewonnen. Die Anzeige der Xenien im Merkur hat mich
sehr amüsirt. Ich denke aber doch nicht, dass der gute
Vulpius öffentlich der Sündenbock werden wird, wie einst
\\'agner. [W'ieland hatte, um Cioethe und Schiller zu retten,
die Schuld einem »jungen, lebhaften, von Witz und Muthwillen
strotzenden, für G. und S. enthusiastisch eingenommenen Kunst-
jünger« (vgl. Boas II. 65 f.) beimessen wollen, worauf hier Boie
hindeutet. Der erwähnte Wagner ist natürlich Heinrich Leopold,
dem sein »Prometheus« von seinen Zeitgenos.sen nicht zugetraut
wurde.] Ich sah in den Xenien, als sie mir zu desichte kamen
nicht allenthalben gleich die unreine Quelle, woraus so manche
kamen, und konte sie in meiner Abgeschiedenheit von aller
Litteratur und gänzlicher LTnbekantheit mit den gelehrten
Klatschereien nicht ausfindig machen. Auf manches durch
Freunde, die mehr davon w'issen. aufmerksam gemacht, bin
ich. wie sie, indignirt. Der Musen-Almanach erlebt indess
die dritte Auflage [vgl. Boas II, 19.]. Nichts freut mich mehr.
als die volle Gerechtigkeit, die Sie den Talenten beider mit
Recht bestraften vortrefflichen Köpfen widerfahren lassen. Ich
glaube mit Ihnen, dass nichts Göthen in seiner Jugend heil-
samer gewesen wäre, als eine Lessingische Rüge. [Nicolai
hatte in seinem »Anhange« gesagt (vgl. Boas II. 152.): »Viel-
leicht wäre doch .... Herrn Cxoethe eine kleine Züchtigung
von Lessing heilsam gewesen» , wie eine solche im Plane
Lessings gelegen haben soll.] Unser so wenig gebildetes, im
Lobe nie Maasshaltendes Publikum ist im Grunde Schuld an
dem ganzen Uebel. Es verzieht seine guten Köpfe selbst,
und beklagt sich, wenn sie \erzogen sind«.
Der »Anhang« zog Nicolai auch die Dedication des
Mücken- Almanachs zu, eines der verrücktesten Producte aus
der Xenienzeit (vgl. Boas IL, 180—193). Er erschien angeblich
in Pesth, aber eigentlich in Neustrelitz und von dort aus
dürfte Nicolai den nachstehenden anonymen (bisher gleichfalls
438 MiSCELLEN.
ungedruckten) Brief erhalten haben. Nicolai befand sich
damals zur Messe in T.eipzig und dort erreichte ihn das
undatirte Schreiben, wie er auf der Rückseite bemerkt, am
21. März 1797.
»Herrn Fr. Nicolai.
Dem würdigen Manne , in dem der Geist besserer
Zeiten, eine schöne Freimüthigkeit zum muthigsten Kampfe
gegen alles belebt, was der Litteratur nachtheilig werden
kann — eir e Freimüthigkeit die, sie erscheine in strengem
Ernst oder ergiesse sich in heiterer Laune, immer dieselbe
bleibt und sich auch da nicht verleugnet, wo ein schänd-
licher Muthwille sie selbst zum Gegenstande niedriger
Behandlung wählt - überreicht dieses Büchlein . das
auch Seiner erwähnt und in einem launigten (rewand
Seine ernste Wahrheiten mit Seinen eigenen Worten
wieder giebt, aus wahrer und aufrichtiger Hochachtung
der Verleger«.
Nicolai notirt dazu : » Anbey der Mückenalmanach (wider
Schillers Xenien). Ein sehr mittelmässiges Büchl a.
Die Recension für die Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek
(vgl. Boas IL, 41 ff.), dies sei zum Schlüsse erwähnt, war
dem Hofrath Langer, dem Nachfolger Lessings in Braunschweig,
gegen den Willen des Verlegers Carl Ernst Bohn und zu
dessen Leidwesen zugetheilt worden. Er hatte Eschenburg
um die Anzeige des Almanachs, des Anhangs und der übrigen
Antixenien gebeten, dieser aber wollte nicht. Trotzdem hatte
er den Auftrag gegeben , den Almanach vom Zettel des
Hofraths Langer zu löschen, was aber versäumt wurde, und
so sendet er am 10. März 1797 die inzwischen eingelaufene
Besprechung-, die ihm »nicht recht gefällt«: »es ist indessen«,
wie er schreibt, »nichts dabei zu machen, weil Langer ein
äusserst empfindlicher Mann ist«. Und so Hess sich auch
Nicolai, der immer noch die geheime Oberleitung der Bibliothek
hatte, die Recension gefallen. Verantwortlich darf er aber
nicht dafür gemacht werden".
R. M. Werner.
' Die Benutzung der Nicolai'schcn Papiere wurde mir durch die
Güte meiner verehrten Tante, Frau Veronica Parthey in Berhn, ermög-
licht, der ich hiemit meinen Dank ausspreche. Ausserdem bin icii den
Herren J. W. Appell in London und J. Palhschlce in Berlin für freund-
liche Auskunft verpflichtet.
MiSCELLEN. 4^9
3. Zu einer Stelle im Faust. Im Goethe -Jahrb. I,
S. 435 ist nach Dilntzer angeführt : Fideler im Walpurgis-
nachtstraum des Faust bedeute nicht: Fiedeler, sondern:
Lustig. Die nähere Ausführung findet sich in einem Artikel
der Zeitschrift für deutsche Philologie (XI, S. 66 73). (Ge-
nauer hätte die Angabe gelautet : Fideler sei zu lesen :
Fideler: es ist diess eine Ansicht, welche Herr DUntzer schon
in der ersten Ausgabe seines grossen Faust-Commentar's 1850
aufgestellt und seitdem festgehalten hat. Sie mag auch von
der Mehrzahl der Faust-Erklärer und Faustleser getheilt werden.
M. Carriere, welcher sonst im Faust : Fiedler, an dieser Stelle :
Fideler schreibt, ganz entsprechend der Original-Ausgabe von
1828, versteht darunter anscheinend gleichfalls den Fidelen.
Einer der neuesten Faust -Erklärer, O. Marbach, lässt den
Punkt unberührt. B. Taylor hat in seiner nicht genug zu
rühmenden Faust-Uel)ertragung die Düntzer'sche Lesart ange-
nommen und die Ueberschrift mit good fellow wiedergegeben.
Mag die überwiegende Mehrheit Düntzer folgen, eine Minder-
heit wird die Fidelität an dieser Stelle ablehnen und dem
Tanzmeister einen Geiger, einen Fiedler zugesellen. Dieser
Minderheit gehöre ich an, und ich glaube, dass die Richtig-
stellung eines Wortes im Faust, sei es auch nur eine L^eber-
schrift, in Erklärung und Gegen-Erklärung, genau erörtert zu
werden verdient.
Justus Moser sagt in den Patriotischen Phantasien ' : »In
gewissen Ländern, und besonders am Rheine, lässt der Pfarrer
Sonntags das Zeichen mit der Glocke geben, wenn der Fideler
in der Schenke auf die Tonne steigen darf, und nun fängt
Alles an zu hüpfenc. So auf einer Erhöhung stehend und
aufspielend könnte man auch den Fiedler im Faust sich denken ;
mit dem Blick auf die hüpfende Menge spricht er die Worte :
»Es eint sie hier der Dudelsack
Wie Orpheus Leier die Bestien«.
Nur dient auf dem Blocksberg herkömmlich als Fiedel nicht
eine normale Violine, sondern ein verwitterter und gebleichter
Pferdekopf. »Wie die Geige des Musikanten die Bewegungen
der Tänzer leitet« (Schiller an Goethe, den 15. October 1799),
so stellte Goethe hier, als Leiter des Chors, neben den Tanz-
meister noch einen Fiedler hin, und Beiden legte er verwandte
' Bd. 4, S. 34 (Ausg. V. 1842), in der Abhandlung: Etwas zur
Polizei der Freuden der Landkute von 1780.
440 MiSCELLEN.
p
Betrachtungen über die Wirkung ihrer Funktionen in den
Mund. Beide sind zusammengehörig wie Kaiser und Kanzler,
Pfarrer und Küster. »Tänzer, Tanzmeister und Fiedler, sagt
Krupp in seinem Faust - Kommentar für das nichtgelehrte
Publikum (1878), sind hier ganz am Platz, da ja ein Hexen-
tanz losgehn soll«. Auch Schröer in seiner eben erschienenen
Faust-Ausgabe (Heilbronn 1881) bemerkt: »Zu Tanzmeister
und Tänzer ]:)asst gewiss der Fiedler besser als ein iiniiioti-
virtcr Fideler «.
Es scheint also Alles in der Ordnung zu sein, der \\'orte
Düntzers unerachtet: »Wie der Dichter dazu hätte kommen
sollen, neben dem Tanzmeister einen Geiger einzuführen, ist
mir unerfindlich«. Erblickt man nicht in jeder Tanzstunde
den Tanzlehrer begleitet von einem Geiger, und wenn einer
von Beiden fehlt, so ist es nicht der Letztere. So heisst es
auch vorher im Faust selbst: »die Fiedel stockt, der Tänzer
weilt«. Ebenso erscheint die Aeusserung paradox: ;jAus der
Erwähnung des Dudelsacks und der dadurch veranlassten
Erinnerung an Orpheus folge für die musikalische Natur des
Redenden nichts«. Auch, auf dem Blocksberg spricht Jeder,
denk' ich, am Liebsten von seinem Metier, und Goethe ist
auch sonst die Verknüpfung der modernen Fiedel mit Orpheus
geläufig, wie in der Zahmen Xenie: »Mancher auf der Geige
fiedelt und glaubt auf seiner Violin ein anderer, dritter
Orpheus zu syn«. Die Zusammengehörigkeit von Tanz und
Fiedel wird uns also nicht auszureden sein.
Damit ist es aber nicht gethan, die Differenz reic:ht tiefer
und beruht schliesslich auf einer verschiedenen Auffassung der
Faustdichtung überhaupt. Denn, wenn wir in dem Düntzer"-
schen Artikel lesen: »Der Dichter deutet hier darauf, dass
die Philoso])hen sonderliche Ansichten entwickeln, welche
dem Fernstehend<;n gar wunderlich, ja unbegreiflich scheinen«,
und die Worte des Tanzmeisters: »Der Krumme springt, der
Plumpe hupft« auf die »Sprünge der Philosophen, um auf
ihre Weise sich herauszuziehen« bezogen werden, wenn ebenda
gesagt wird, ein Geiger setze voraus, dass »der Dichter die
Philosophie niclit blos als Tänzer, sondern auch als Musiker
hätte bezeichnen wollen« : so begegnen wir hier derselben
Neigung, die Dichtung willkürlich und in prosaischer ^^'eise
zu deuten, welche sich früher so vielfach beim Faust, besonders
beim zweiten Theile, geltend machte, und vielleicht nie ganz
aufhören wird. Diese Neigung zu überwinden, sind scenische
Aufführungen des Stücks und grade des zweiten Theils gewiss
das beste Mittel. Solche Auffassungen wie in Düntzers Com-
MiSCELLEN. 441
mentar jenes Theils - ich greife aufs Gerathewuhl l]cisi)ielc'
heraus — von der Mummenschanz: »das folgende Paar der
Holzhauer und Pulcinelle deutet auf die ungleiche Vertheilung
der äussern Güter iui Leben«, oder: »ein andres Paar, die
Parasiten und die Trunkenen, zeigt uns die Abhängigkeit \ on
den äussern Gütern, denen sich manche ganz sklavisch hin-
geben«, und so hier im Walpurgisnachtstraum die satirische
Beziehung grotesker Bewegungen des tanzenden Chors auf
die deutsche Philosophie, würden wie Nachtgesichte \or dem
Tage bei einer lebendigen Darstellung verschwinden, um das
wirkliih Poetische und die tieferen Beziehungen der Dichtung
auf das menschliche Innere, auf das Menschenschicksal, auf
Leben und Geschichte um so stärker hervortreten zu lassen.
Wenn uns die Tänzer hier zeigen sollen, dass die Philosophen
arge Sprünge machen, so diente die so lebendige Bildlichkeit
jener Verse nicht nur einem sehr trivialen (Jedanken, sondern
auch einem schiefen und einem dem Dichter ganz fern liegenden.
Denn nicht die Sprünge, sondern umgekehrt die Systemmacherei
und die einseitige Conseciuenz der Philosophen reizten ihn zur
Satire. Diese besteht hier in eben der G'^//jY(///r/(S des Systems
entnommenen und diese persiflirenden Aeusserungen der finif
Philosophen. Wenn sie so reden, können sie nicht zugleich
tanzen. Dieses wäre zudem für sie kein charakteristischer,
jedenfalls ein schon ganz abgenutzter satirischer Zug. da ja
der ganze grosse Hexenschwarm hüpft und springt. Auch der
neugierige Reisende und wohl auch die Frommen sind nur
Zuschauer. Erst mit der »Dogmatiker« überschriebnen Strophe
treten die Philosophen auf den Plan, und wenn auch der
Realist in dem Wirbel sich nicht fest auf seinen Füssen fühlt,
so mangelt doch jede Andeutung, dass wir sie als am Tanze
Theil nehmend uns vorstellen sollen. In der Strophe »Tänzer«
sprechen dagegen zwei unbekannte Personen des grossen
Schwarms : der Eine vernimmt den nahenden Lärm der ihre
Systeme vervollständigenden Philosophen , und der Andere
heisst ihn dadurcrh sich nicht im 'l'anzvergnügen stören lassen
(»Nur ungestört 'a(). Dann folgen die drastischen Aeusserungen
des Tanzmeisters und des Fiedlers über den tanzenden Haufen
im Sinne Ariels: »Viele Fratzen lockt mein Sang«. — Habe
ich das Intermezzo als Parodie des Wranitzkyschen Oberon
bezeichnet, so ist dies freilich nicht so zu verstehen, als solle
dies Stück persiflirt werden, sondern so, dass dies Stück das
Motiv zur parodistischenl'ehandlung eines andern (Gegenstandes
hergegeben habe. In der ersten Strophe des Intermezzo wird
direct an das \\'eimarische Theater und an das genannte Stück
442 MiSCELLEX.
angeknüpft. Was der Dichter gibt, ist nicht eine Nach- oder
Fortbildung, sondern ein satirisches und possenhaftes Gegen-
stück, wie O. Marbach es in seinem Kommentar (S. 259.)
benennt: »ein Surrogat dramatischer Darstellung«.
Nur kurz berühre ich die formellen Gründe, welche zu
der Düntzerschen Lesart »Fideler« geführt haben (ich glaube,
mit vorstehendem Accent hätte auch Goethe, gleich Jakob
Grimm, das Wort geschrieben). Der Gründe sind wesentlich
zwei. Erstens : »ein neuhochdeutsches Fiedeler sei gar nicht
nachzuweisen«; dass diese Annahme irrig, zeigt mein obiges
Beispiel aus J. Moser mit der Form genau wie in der strittigen
Stelle: Fideler, noch 1820 in der Ausgabe der Phantasien
bei Nicolai, während Abeken (bei Reimer 1842) Fiedler hinein-
corrigirt. Ist das organische e der zweiten Silbe auch heute
eliminirt, so war der Prozess zu Goethe's Zeit noch nicht
beendigt und daher enthält das Auftreten der dreisilbigen
Form bei ihm im Jahre 1828 nichts befremdendes. (Wahrschein-
lich fällt aber die Abfassung schon in das Jahr 1797. Das
genaue Datum der Entstehung von Oberons und Titania's
goldner Hochzeit ist der 4. und 5. Juni dieses Jahres.) Sanders
gibt in seinem Wörterbuch die Form als : Fied(e)ler, also drei-
silbig an, die zweite Silbe als nur unterdrückt , sprachlich
jedoch vorhanden. Man kann daher immer zu ihr greifen.
Goethe selbst schrieb : Fidel, nicht Fiedel; dies ergibt seine
Handschrift des Briefes an Reichardt vom 25. October 1790
mit den Worten: »Die Fidelcy zum Tanze«. \\'ie nah liegt
da die Form : Fidelcr !
Der zweite äussere (irund wird in der Abweichung dieser
Schreibung von der Form der Augsburger Druckerei: Fiedel,
Fiedler gefunden. Freilich druckt die Ausgabe von 1828,
wo wir zuerst die Ueberschrift »Fideler« finden, sonst nur:
Fiedler, fiedeln, Fiedel. Es wurde vergessen, das Wort in
seiner geschrieben an die Druckerei gelangten Form dem
Uebrigen nachträglich zu akkomodiren. Dies oder mit Schröer
einen Druckfehler im Zweifel anzunehmen, erscheint weniger
gewagt, als hier, wo es sich darum handelt, zwischen zwei
Bedeutungen zu wählen, statt des Bekannten das Unbekannte
zu vermuthen und im Wege der C'onjektur ein una^ HQt]f.iivov
zu schaffen. Denn der Gebrauch des Hybriden-A\'orts »fidel«
ist (ioethe sonst weder in den Werken, noch in den Briefen,
noch in mündlicher Rede nachzuweisen. Soll das Wort ihm
hier zugeschrieben werden, so muss es in seiner Form min-
destens zweifellos sein und dem Sprachgebrauch entsprechen,
dagegen ist die Conjektur nach allen Regeln methodischer
MiSCELLEN. 443
Auslegung hinfällig, sobald Raum für eine andre Bedeutung
bleibt.
Wenn mein Herr Gegner mir den Beweis darüber zuschiebt
»dass die fragliche Strophe auf einen im fidelen Zustand
befindlichen Zuschauer nicht passe«, so ist ein solcher Beweis
sehr leicht. Nicht, wie derselbe ferner behauptet, »giebt sich
der Sprechende durch die burschikosen Ausdrücke, zu welchen
er in seinem behaglichen Spotte greift, als Fideler zu erkennen«.
Vielmehr zeigt die nüchterne und verstandesmässige Reflexion
über die Umgebung den Sprechenden eben als nicht fidel im
studentischen Sinne. Die Qualifikation jener Umgebung als
»Lumpenpack« und »Bestien« drückt nicht behaglichen Syjott,
sondern bitterste Verachtung aus und wäre im Munde eines
mit der Rolle eines lustigen Bruders Betrauten schlechthin
unmöglich. Ein solcher würde sich hingebend äussern und
die ganze Welt, selbst Lumpen und Bestien, umarmen wollen.
In der Hingabe an Andre in besonders erregten Momenten
besteht grade Fidelität. Ich weiss weder, wie Spott für eine
solche Stimmung passen, noch wüe der Ausdruck der Stro])he
burschikos sein soll. Wahre Fidelität, edle Heiterkeit bleiben
jenen Zauberhohen ewig fern, banale Lustigkeit und toller
Galgenhumor sind dagegen Attribute aller dort Heimischen,
eignen sich daher nicht zur Rolle eines Einzelnen.
Endlich liefe der Gebrauch des Worts an dieser Stelle
nicht nur dem Goetheschen, sondern überhaupt dem Sprach-
gebrauch zuwider. Der Dichter benennt seine Personen nach
ihren Eigenschaften wohl als: die Unbehülflichen, die Ge-
wandten, die Massiven, aber nicht: Unbehulflichr/- u. s. w.
So wäre auch hier : Lustiger ganz undeutsch. Soll dagegen
ein Zustand ausgedrückt werden, so kann der Artikel weg-
bleiben : die Ueberschriften : Kranker, Verwundeter, wären
zulässig. So nennt auch Goethe im zweiten Theile des Faust
eine Person schlechthin : Trunkener. Beide Fälle sind ganz
verschieden. Man kann sagen : ich bin heute einem Trunkenen
begegnet, auf der Strasse waren viele Betrunkene , nicht aber :
ich bin heute einem Fidelen begegnet, auf der Strasse waren
viele Fidele. Der Ausdruck verlangt durchaus eine Vermitt-
lung, ein Substantiv, man kennt nur Leute, die fidel sind.
Streng genommen setzt die fidelitas, nach ihrer ursprünglichen
Bedeutung, Cregenseitigkeit, daher eine Mehrheit voraus, (xe-
nossen, fratres fideles. So ein einzelner Fideler spielte eine
traurige Figur. Xicht Goethe's feinem Sprachsinn ist ein
Missbrauch des Worts in seiner Blocksbergdichtung, viel
eher Taylors Sprachgefühl im Deutschen ein Irrthum zuzu-
444 MiSCELLEN.
trauen. Auf Taylor kann ein Deutscher sich nicht verweisen
lassen.
(i. V. LoKl'KR.
4. Zuni Faust. Scherer hat in der Schrift »Aus Goethe's
Frühzeit« (S. 150) Shakespeareschc Motive im Faust nach-
gewiesen : Hexen, Geister. Schauspiel im Schauspiel. Auch
die Analogie von 0])helia und Gretchen hat er von Neuem
betont. Ich glaube in Bezug auf (ircti hcn eine weitere
Analogie constatiren zu können, die, so viel ich sehe, noch
nicht anderweitig bemerkt worden ist : Gretchen verhält sich
zur Marthe, genau wie Julia zur Amme. Und zwar denke
ich dal)ei weniger an äussere Uebereinstimmungen, als an die
Stellung, welche die Figuren in der Oekonomie des Dramas
einnehmen: die Gestalt der Marthe leistet dem Dichter die-
selben Dienste wie jene der Amme, durch ihre Einwirkung
erst , durch die Einwirkung , welche Marthe auf Gretchen,
welche die Amme auf Julia genommen, wird es begreiflich,
dass Gretchen und Julia in so rückhaltsloser Schnelle den
Geliebten sicli hingeben. »Das ist ein Weib wie auserlesen
zum Kuppler- und Zigeunerwesen !« — das Wort Mephisto's
passt auf beide Gestalten : beide haben stärkern Einfluss auf
ihre Schützlinge, als die eigene Mutter, welche mehr in den
Hintergrund gedrängt und unter Beihilfe jener betrogen wird :
»die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor«,
auch dieser Vers würde auf die Amme passen. Aeussere
Uebereinstimmungen, wie gesagt, möchte ich nicht aufweisen,
obgleich sich wohl einiges ausfindig machen liese : die Amme
ist so durchaus und specifisch Shakespearisch, dass von einer
Nachahmung der Gestalt als solcher nicht wohl die Rede
sein kann.
Scherer (a. a. O. S. 86) meint Stücke des vermutheten
Prosa-Faust in der Katechisations-Scene zu erkennen, in den
Zeilen »Der Allumfasser, Der Allerhalter« u. s. w. Dazu stimmt,
dass die Verse:
Schau ich nicht Aug" in Auge dir.
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir.
Und webt in ewigem Geheimniss
Unsichtbar sichtbar neben dirV
so wie sie jetzt vorHegen . dur( li das dreimal kurz hinter
einander den Vers beschliessende »dir« etwas niclit nur auf-
MiSCELLKN. 415
fallendes, sondern unbedingt unschönes haben. Lässt sieh bei
Goethe auch in anderen Fällen, dort, wo er von vornherein
in Versen dichtete, ein (Ueiihes oder Aehnliches nachweisen?
Ich glaube nicht, und möchte also vermuthen, dass nur durch
das nachträgliche Umschreiben der ursjjrünglich prosaischen
Zeilen diese unleidlichen Versschlüsse entstanden sind. Scherer
hat die Zeilen a. a. C). im andern Sinne deuten wollen, schlicsst
sich aber jetzt meiner Erklärung an.
Orio bkAiiM.
5 Zum njahnitarktsfest zu Pluiidcrswcilcrim. Scherer
lässt (aus (.ioethe's Frilhzeit, S. 28 f.) den Besenbinder unge-
deutet : Wilmanns denkt an Herder ; wir müssen einen Schwaben
dahinter suchen, denn das Besenbinden gilt im vorigen Jahr-
hundert, wie das Schneckenklauben als charakteristisch für
das »Schwabaland« :
»im Sommer Schnecken klaube, im Winter Besen binden.
Nein Baur ! Dass ist zu hart ich kan mich drein nicht finden«,
heisst es in »Der ^\'ienerische Hannsswursl oder lustige Reyse-
beschreibung aus Salzburg in verschiedene Länder. Heraus-
gegeben von Prehauser. Pintzkerthal« (o. J.). S. 43 und folg.
wird erzählt . wie Hannswurst nach Schwaben kommt, sich
bei einem Bauern verdingt und da er einmal die Schnecken
selber verzehrt, von seinem Herrn angeschrieen wird : »Du
solst mir vor das Schnecken-Klaube die Bese z'samm binden,
da müst ich erst wieder recht sitzen und Schwitzen, 25000
Bese zu binden in einem Tag, dass war ein unerträgliche
Plag, die dicke Widi; haben mir die Hand alle zerschnitten,
Nein! Nein! das gieng nicht an, ich brächt mit der Zeit aus
Schwabaland kein Hand mehr davon, hab also das völlige
Ober-Land verlassen, begab mich wieder auff ein andere
Strassen . . . « Schubarts »Deutsche Chronik« erschien erst
seit 1774.
R. M. Wl-KNEK.
6. Zur Aujführung des zweiten Theils von Faust. Die
Versuche, den zweiten Theil des Faust für die Bühne zu
gewinnen, haben sich in neuester Zeit wiederholt. Nac:hdem
in Weimar die Bearbeitung von O. Devrient seit mehreren
lahren eine wohlverdiente Anerkennimg errungen, die im
Sommer des laufenden Jahres 1880 in Berlin die lebhafteste
Zustimmung gefunden, hat man in Dresden im September sich
446 MlSCELLEN.
veranlasst gesehen, auf die alte, schon vor mehr als 30 Jahren
in Hamburg versuchte Bearbeitung des Herrn Wollheim da
Fonseca zurückzukommen, und dieselbe mit einigen Aende-
rungen des Regisseurs Marks auf die Bühne zu bringen.
Wir wissen aus Eckermanns Gesprächen mit Goethe, dass
der Dichter sich lebhaft mit dem Gedanken beschäftigte, den
ganzen Faust auf die Bühne gebracht zu sehen. »Es ist alles
sinnli(^h((, sagte er, »und wird, auf dem Theater gedacht,
jedem gut in die Augen fallen. Und mehr habe ich nicht
gewollt. Wenn es nur so ist, dass die Menge der Zuschauer
Freude an der Erscheinung hat ; dem Eingeweihten wird zu-
gleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei
der Zauberflöte und andern Dingen der Fall ist«.
Wiederholt kommt die Unterhaltung auf den zweiten
Theil des Faust zurück, und Eckermann fand sich zu ver-
schiedenen Malen angeregt und selbst vom Dichter aufgefordert.
über Einzelnes was ihm nicht sofort klar geworden war, selb-
ständig nachzudenken und Erklärung zu versuchen. Eine
derartige Betrachtung theilt er mit in Betreff der »Mütter«.
Es ist nun nicht wohl erklärlich warum er einen andern
Punkt, der ihn lebhaft zu jener Zeit beschäftigte, nicht auch
in sein Tagebuch mit aufgenommen hat. Es betrifft den
schroffen, gänzlich unvermittelten Sprung, der sich zwischen
der ersten und der zweiten Scene des ersten Akts zweiten
Theils befindet. In der ersten Scene, Fausts Schlaf. bewa<ht
von den Elfen ; dann sein Monolog mit Reflexionen über
das Leben. Loeper bezeichnet diesen »Prolog« als entbehr-
lich. Das ist er jedoch für den Zweck einer theatralischen
Aufführung durchaus nicht : er macht im Gegentheil die
grösste Wirkung und bietet dem Komponisten den reichsten
Stoff zur Entfaltung seiner Kunst. Unmittelbar darauf aber
finden wir uns an den Hof des Kaisers versetzt, ohne zu
wissen, weshalb und wie Faust dorthin gerathen ist.
Diese Lücke gab Eckermann viel zu bedenken, der sich
1830 und 31 mit einer Einrichtung des ersten Aktes für die
Bühne beschäftigte, zu derselben Zeit da Goethe selbst noch
an der Beendigung des 4. und 5. Aktes arbeitete. Er ent-
schloss sich endlich kurzweg, eine Zwischen-Scene zu dichten,
welche den Uebergang an den Hof motiviren sollte. Nach
der Beendigung des Monologs:
»Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:
Am farb'gen Abglanz haben wir das Leben«
MlSCELLEN. 447
entfernt Faust sich nicht, sondern Mephisto tritt zu ihm,
umherspürend :
Was wiire nun des strengen Herrn Beheben V
Faust.
Du hast di( h lang umhcrgetrieben.
Mephisto.
Die holde Nacht, die einzge Zeit zu Thaten,
Die schwache Sterbliche im Schlaf verlieren,
Sie ist auch diesmal mir gerathen.
Um dies und jenes zu vollführen.
Ich habe fern bis an des Meeres Wogen
Und hin und her das weite Land durchzogen ;
Da gab es denn in mancherlei Bezirken
Hier dies, dort jenes zu bewirken :
Zu bessrem Aufschwung edler Seelen.
Soll ich dir etwa dies und das erzählen?
Faust.
Verschone mich, ich mag davon nichts hören !
Ich hasse dich und dein Begehren;
Ich kenne ganz die Richtung deiner Macht.
Gewiss ! wie du seit vielen tausend Jahren
Mit dem Geschick der Sterblichen verfahren,
So triebst du es auch diese Nacht.
Ward irgendwo ein junges Weib verführt,
Ein Jüngling um sein bessres Selbst betrogen.
Des Aufruhrs Flamme tückisch angeschürt.
Und Stadt und Schloss ein Raub der Feuerwogen;
Floss irgendwo in mitternächt'ger Stunde
Ein edles Blut aus falschen Dolches Wunde,
So kann man, ohne mehr zu wissen,
Getrosst auf dich und deine Thaten schliessen.
Mephisto.
Du warst indess, wie ich vernommen,
Umgeben von der Schaar der Frommen.
Sie waren hübsch, man muss gestehn.
Besonders wie sie sich im Tanze drehn.
44^ MiSCELLEN.
Sie schienen ganz nach deiner Laune :
Es waren Blonde, waren Braune,
Und alle liebevoll um dich bemüht.
Auf blum'gem Rasen war dir weich gebettet,
Mit Blumen warst du angekettet,
A( li I und sie sangen welch' erbaulich Lied!
Du warst wohl ganz im süssen Traum verloren,
Du weisst wohl kaum wie dir geschehen"?
Du hast wohl nichts von alle dem geseh'n V
Allein gesteh : du bist wie neu geboren I
Du fühlest neues Leben, neue Stärke I
Faust.
Ich fühle Kraft zu jedem guten Werke. —
Sei das Vergang'ne hinter mir gethan I
Was ich erduldet sei vergessen.
Verschmerzet jedes Glück das ich besessen,
Betref ich nun die neue höh"re Bahn.
Mephisto.
Ich denke gern vergangner Zeit ;
Ich kenn ein Lied und werd' es treu erfüllen :
»Lass in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen !«
Nicht wahr? es ging in diesem Ton.
Sei ohne Furcht, ich werd' es nie vergessen,
Dein ganzes Glück, so wie du es besessen,
Es blüht noch irgendwo, wir finden's schon.
Faust.
Scheinst du doch blos zur Qual mir beigegeben!
Mein bess'res Selbst, mein höh'res Streben
Wird nie von dir begriffen und gefasst,
Ich hab' erprobt, was du gewähret ; —
Doch durch Vergangnes längst belehret.
Ist deine Leitung mir fortan verhasst.
Zu Hexenküchen, wüsten Brocken-Scenen.
Zu Trinkgelagen, junger Mädchen Brust
Und dunkler Sinne ähnlich wildem Wust
Werd' ich hinfort mi( li nicht betjuemen.
MiSCELLEN. 449
Mephisto.
I^a hältst du wolil dein Leben für verloren y
Wie schade, dass du nicht zum Thron geboren.
Faust.
Wenn auch nicht das, doch will icli dir gestehn,
Dass ich was Aehnliches im Sinne trage.
Die Thaten, die vom Throne aus geschehn,
Sie sind im Volk, nur eine dunkle Sage,
Der Glocke ähnlich die man hört,
Vom inn'ren Trieb und Wirken unbclehrt.
Mephisto.
'So geht dein Trachten nach der Kön"ge Tischen,
Ganz nah zu sehn, wie sich die Karten mischen.
Faust.
Ein müssig Zusehn wird mir nie genügen.
Mitwirkend mich den Ersten anztifügen
Das wäre so nach meinem Plan;
Es knüpften wohl sich grosse Folgen dran.
Doc;h, was ich denke wie dies kann geschehn,
Wohin zunächst beschlossen ist zu gehn,
Verberg" ich noch in meiner Seele ;
Komm, und vollbringe was ich dir befehle.
(ab.)
Mephisto.
Als wüsst" ich nicht, was er im Schilde hat !
Er fühlt sich wundergross und wunderweise ;
Auf gradem \\'eg geht's nach der Kaiserstadt !
Ich wünsch" ihm Cilück zu dieser neuen Reise.
(ab.)
Verwandlung.
Kaiserliche Pfalz u. s. w.
Mit diesem Dialog, nach der weitem l^inrichtung von
Eckermann, und mit Musik von Eberwein, ward der erste
Goethe-Jahrblch II. 29
450 MiSCELLEN.
Akt am 24. Juni 1856 in ^^■eimar aufgeführt, im ]>aufe eines
Jahres unter allseitiger lebendiger Theilnahme mehrfach wieder-
holt, bei der diesjährigen Aufführung aber leider nicht beachtet.
C. V. Beaulieu-Marconnay.
Zusätze und Berichtigungen zum l Band.
S. 119. ff. Ein Alexandriner in Tasso IL, 3: Rückhalten
durff ich nicht, j j Antonio doch gewiss.
S. 258. Mit »B. J. Schüz« ist vielleicht der B(ade)-
I(nspektor) Schütz in Berka an der Um gemeint. Heinrich
Friedrich Schütz war ausserdem Organist und Mädchenlehrer
und starb am 6. Nov. 1829, 50 Jahr alt. W. von Biedermann
verweist in der Hempelschen Croethe-Ausgabe XXVII, 483.
über ihn auf Riemer I. 266 ff., Genast L, Cap. 10, und das
'\^'eimarer Sonntags-Blatt II, 226. Man vergl. auch noch
R. Springer, l^ie klassischen Stätten von Jena und Ilmenau,
S. 52. " R. K.
S. 283. A'^on Goethe's Neigung zu Minchen Münchhausen
gibt das an sie gerichtete Gedicht: »Der zierlichsten Undine«
(Hempel II. 434.) vom J. 181 7 Zeugniss.
S. 287. Das Gedicht, dessen Verbreitung dem Kanzler
Müller nachgesehen wird, ;)da es mir ja zu Ehre und Freude
gereicht, wenn jene dort symbolisch angedeutete folgenrechten
Zustände, von denkenden Männern gebilligt werden« ist das
Logengedicht, 1830: »Fünfzig Jahre sind vorüber« (Hempel III.
361.), welches wohl durch Kanzler Müllers Veranstaltung 1831
schon in zwei Taschenbüchern weiter verbreitet wurde : dann
sind die symbolisch-angedeuteten Zustände eben die Freimaurerei.
S. 321. Z. 12 ist 1798 St. 1797 zu lesen. [Der Brief also
S. 322 nach den des Buchhändlers Unger zu setzen]: (ioethe's
Aufenthalt in Zürich fiel bekanntlich 1797.
S. 371. Z. I ff. Die Strophe ist dem Gedichte »Der
Kölner Mummenschanz« (Hempel II. 275.) entnommen.
S. 371. Z. 25. Durch das Protokoll der physikalischen
Gesellschaft inZürich ist ein authentisches Datum (26. Juni 1775)
über das Ende und dadurch überhaupt über die Dauer \on
Cxoethe's erster Alpenreise gegeben.
MiSCELLEN. 45 1
S. _^S2. Z. 12 \. 11. i'\'. Die in tlein Gedichle »Masken-
zilgeu (Hempcl II. 435) Angesungene spielte in dem Fest-
spiel von 18 18 den Tag: die Pointe des (ledichts ist daher
der Schluss : »Holder Tag im liohen Saale«.
S. 383. Z. 2 V. 11. »Einer viel früheren l^eriode« ist nicht
richtig; die Ortsangabe »Mannheim« verweist klar auf die
letzten Tage Septembers 1815. welche (ioethe mit seinem
C.rossherzoge, und der Frau von Heygendorf nebst Schwester
dort von Heidelberg aus zubrachte.
S. 385. M. Koch (in der Besprechung desG. J. inder Allg. Z.)
protestirt gegen die Veränderung »licht« für »leicht«. Absichtlich
sei der leichte, d. h. das Herz erleichternde, lei<ht machende Tag
vom Dichter der schweren, d. h. auf dem beklemmten Herzen
schwer lastenden Dämmerung gegenübergestellt.
S. 408. Die Stelle »Mich dünkt« (20. März 1783) steht
schon, mit geringen Abweichungen in : Aus Herders Nach-
lass I., 72 fg.
S. 417. Muss ein Brief Goethe's an Lili, 1801 März 30.,
aus dem Dürkheim'schen Ikiche, vgl. I., S. 444. nadigetragen
werden.
S. 429. Der Brief an Göttling 17. Sept. 1831 ist, frei-
lich mit einzelnen Auslassungen, in der Berliner Sammlung
der Goethebriefe III., S. 1567 abgedruckt.
S. 445. Das Urtheil über das Schwarz'sche Buch ist zu
berichtigen: das biographische Material über Lila (Frl. v.
Ziegler) ist ziemlich reichhaltig.
S. 360 ff. Ueber die Familien Stock und Moritz und
ihre Beziehungen zur Familie Goethe vgl. Briefw. zw. Goethe
u. Marianne von ^^"illemer und die B. z. Allg. Z. 1878 Nr. 74.
S. 363. Das So/intagski/id — Fritz/acobi hQzm\\t sich ver-
muthlich auf das Singspiel »das neue Sonntagskind«. F. H.
Jacobi hielt sich im Sommer 1805 auf der Reise von Eutin
nach München eine Zeit lang in Frankfurt auf.
S. 366. Die »Rössergerv, scherzhafter Ausdruc k für irgend
eine Münzgattung. In Frankfurt cursirten , so viel ich weiss,
keine Münzen, auf denen, wie z. B. auf den Braunschweigischen,
ein Ross abgebildet gewesen wäre.
W. Crkizenach.
29
2. Chronik.
Im Bonner Biidungsverein wurde der interessante Ver-
such gemacht, in einem zum Besten der Volksbibliotliek ver-
anstalteten Cykhis von Vorträgen Goethe zum Mittelpunkt-
derselben zu machen. Uebernommen wurden folgende Vor-
träge : Prof. Arnold Schäfer über Goethe's Stellung zur deut-
schen Nation; Privatdocent Dr. Lipps über Goethe's Eigenart
im Dichten und Denken ; Sr. Magnificenz Prof. von Hanstein
über Goethe als Naturforscher ; Stadtbaumeister von Noel
über Goethe's Verhalten zur Baukunst, besonders zur deut-
schen Baukunst ; Musikdirector von Wasielewski über Goethe's
Verhalten zur Musik, besonders über das Musikalische in
seinen Liedern (mit nachfolgendem Solo- und Quartett-Gesang
zur Erläuterung); Prof. Meyer über (ioethe's Ansicht vom
Menschenleben und Lebensglück.
Der erste dieser Vorträge wurde am 29. Jan. 1880 ge-
halten, der letzte 5. März; an Stelle Hansteins sprach Prof.
Jürgen Bona Meyer über (roethe's Naturliebe und Natur-
ansicht im Verhältnisse zur Naturphilosophie seiner Zeit.
Am 2. März starb in Bremen y^^/^ Willi. Schäfer. Er war
am 17. Sept. 1809 in Seehausen bei Bremen geboren, besuchte
die Schule in Bremen, wohin sein Vater 1823 berufen wurde
und bezog 1827 — 31 die Universität Leipzig, auf der er, nach-
dem er die Theologie aufgegeben, philologische und historische
Studien, besonders unter Gottfr. Hermanns, \\ . W'achsmuths
und Hasse's Leitung betrieb. Erst auf der Universität wurde
er mit Goethe's Schriften bekannt; durch die Lektüre von
»Dichtunn uiul Wahrheit^ wurde ilim. wie er selbst berichtet,
Chronik. 453
»nicht Goethe allein, die ganze Literatur des Jahrhunderts
ward mir auf einmal klar. Dies Werk hat mich zum Literatur-
historiker gemacht«. Bedeutenden Eindruck machten auf ihn
Werther. ^\'ilhclm Meisters Lehrjahre, die dramatischen ^\'erke,
namentlich Faust, dessen erster Auffuhrung er am 25. Aug. 1829
beiwohnte : er bildete mit wenigen seiner Genossen eine
kleine (Gemeinde, stets bereit den von ihm Verehrten gegen
die grosse Menge seiner Angreifer und .Ankläger in Schutz
zu nehmen; er wünschte sehnlichst, eine Wallfahrt nach Weimar,
wohin ihn sein Gönner Amad. Wendt. der Herausgeber des
Musen-Almanachs für das Jahr 1831, in welchen Goethe einige
Beiträge geschickt hatte (Hirzel, Verzeichniss S. 100), em-
pfehlen wollte, zu unternehmen, musste aber aus Scheu vor
den Reisekosten, diesen Lieblingsplan aufgeben. Im Jahr 1831
wurde Schäfer Lehrer in Bremen und hat seit 1835 an der
Handelsschule in Bremen 41 Jahre gewirkt. Schäfer war
literarisch eifrig thätig. Er schrieb eine grosse Anzahl von
Gedichten, die meist ungedruckt geblieben sind, eine Reihe
Schulschriften, besonders aber literar- historische Arbeiten.
Unter diesen sind die bekanntesten der »(irundriss der Ge-
schichte der deutschen Literatur«, dessen erste Auflage 1836,
dessen zwölfte 1876 erschienen sind und »Leben Goethe's«,
das in 3. Aufl. 1877, 2 Bände, vorliegt, letzteres ein sehr
fleissig und umsichtig gearbeitetes Werk, das mit redlichem
Bemühen seine Aufgabe zu bewältigen sucht und in den
späteren Auflagen mit sorgfältiger Treue die reich angewachsene
Literatur zu benutzen und zu verwerthen strebt. Daneben
veröffentlichte er Schulausgaben von Classikern mit Einlei-
tungen und Anmerkungen, u. a., auch einige Dramen Goethe"s
und eine Auswahl aus seiner Prosa. Im Jahr 1876 wurde er
in den Ruhestand versetzt: 5. Dez. 1879 feierte er sein
5ojähriges Doctorjubiläum und mit Recht konnte die Leip-
ziger Fakultät in dem erneuerten Diplom, das sie ihm zu-
schickte, bemerken : qui non solum in erudiendis scholae
commercialis Bremensis discipulis per longem annorum seriem
diligentissime et integerrime versatus est sed etiam libris de
litterarum germanicarum historia deque Goethii summi poetae
vita editis praecjare de litteris meruit. '
Ich hatte mich auch an den Verstorbenen gewendet, ihn
zur Mitarbeiterschaft am Jahrbuch aufgefordert und erhielt
' Meist nach einem Artikel der Weser-Zeitung, April 1880; ein
anderer Nekrolog von Brenning mit Bild Illustr. Ztg. 17. April, Bd. 74,
Nr. 1920.
454 Chronik.
von ihm (ii. Sept. 1879) folgende Zeilen : »Bei der Rückkehr
von einer Sommerreise finde ich Ihre freundliche Zuschrift
vor, welche mir Ihre Unternehmung eines Goethe-Jahrbuchs
meldet, der ich nur meinen vollen Beifall schenken kann :
ein solches Buch fehlte unserer Literatur. In jüngeren Jahren
wäre ich ein fleissiger Mitarbeiter gewesen. Was jetzt die
Kräfte der vorgerückten Jahre erlauben, wage ich nicht zu
bestimmen. Zur Förderung des Buches trage ich gern, wo
sich eine Gelegenheit bietet, bei«. Es ist ihm leider nicht
mehr vergönnt gewesen an dem gemeinsamen Werke mitzu-
arbeiten; er hat das Erscheinen des ersten Bandes niclit mehr
erlebt.
Edward Dowden. Professor der englischen Literatur an
der TTniversität Dublin, der in der Academy vom 30. Oct. 1880
dem ^isten Band des Goethe- Jahrbuchs eine sehr anerkennende
Besprechung gewidmet, hat vom 10. April bis 15. Mai im
Trinity-College in Dublin 6 Vorlesungen über Goethe gehalten,
deren Titel folgendermassen lauten: Goethe andhistime; the
early works of Goethe: Goethe and Frau von Stein; Goethe
in Italy ; Goethe and Schiller: Wilhelm Meister, Faust. Der
Autor, der auch in Deutschland durch sein Buch über Shake-
speare (in der Uebersetzung von W. Wagner) Verdientermassen
bekannt ist, beabsichtigt in der nächsten Zeit ein ähnliches
Buch über Goethe zu veröffentlichen, dem man mit freudiger
Erwartung entgegensehen darf.
Am 2. Juli 1880 fand unter Assistenz vieler durch ihre
Leistungen auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft her-
vorragender Männer die Enthüllung des von dem Bildhauer
Fritz Schajjer vollendeten Goethedenkmals statt.
Einige U'orte über die Geschichte des Denkmals mögen
der Schilderung der Festlichkeit vorangehn. Im Jahre 1859,
nachdem von dem Comite zur Säcularfeier von Schillers Ge-
burtstage die Errichtung eines Schillerdenkmals vor dem könig-
lichen Schauspielhause in Berlin angeregt worden war, erschien
eine kleine Schrift: ))^'orschlag zur Errichtung einer Reihe
von Denkmälern berühmter deutscher Männer unter den Linden
in l^jerlin«. Berlin, E. H. Schroeder 1859, 8 S. 8°., verfasst von
H. Kaiser, welche den Vorschlag machte, unabhängig von
dem projectirten Schillerdenkmal. C'olossal-Büsten von (joethe.
Schiller, Lessing. A. v. Humboldt in der Strasse »Unter den
Chronik. 455
Linden« aufzustellen, die für dieselben nöthigen Küsten dunh
eine alljährliche Sammlung autzubringen und die Namen der
späterhin noch durch ein Denkmal zu Ehrenden dur( h die
Akademie der Wissenschaften festsetzen zu lassen.
Der so formulirte Gedanke fand von manchen Seiten Zustim-
mung wurde aber nicht ausgeführt. Wohl ward jedoch bei Vielen
die Ansicht rege, dass eine Stadt, der ein Sihiller-Standbild ge-
sichert sei, eines Goethe -Denkmals tüglich nicht entbehren
könne; F. A. Märcker war der Erste, der diesem Gedanken Le-
ben zu geben wusste und, seiner Anregung ist es zu danken,
dass 64 den verschiedensten Ständen und Berut'sarten an-
gehörige Männer: Kaufleute, Industrielle, Maler, Archi-
tekten . Musiker , Schulmänner , L'niversitätsprofessoren und
höhere Beamte zusammentraten, sich (27. Januar 1860) an
den damaligen Prinzregenten mit dem Gesuche wandten, die
Errichtung eines gesonderten Denkmals Goethe's neben dem
Schillers auf dem Gensdarmen-Markte zu gestatten, den Unter-
zeichneten die Erlaubniss zu gewähren sich als Comite zu
konstituiren und »im erspriesslichen Einvernehmen mit dem
zur Ausführung des Schiller-Denkmals niedergesetzten Comite'«,
für die Erfüllung ihres Planes zu arbeiten. Die erbetene
Erlaubniss wurde ertheilt (Schreiben desCultusministers v. Beth-
mann-Hollweg, 27. Febr. 1860); das Comite trat zusammen
(10. Mai 1860), Vorsitzender wurde Jakob Grimm, und erliess.
nachdem man die Nachricht von einem Beitrage des Prinz-
regenten in der Höhe von zehntausend Thalern erhalten
hatte, folgenden »Aufruf zu Beiträgen für Goethe's Standbild«
(ig. Juli 1860), welcher Jakob (irimm zum Verfasser hatte:
»Die Feier des zehnten Novembers hat tiefen P2indruck
hinterlassen. Unwillkürlich keimten Wünsche und stiegen Ver-
langen auf , die bald nachher sich als laute Wünsche und
Verlangen kundgaben. Allen Freunden deutscher Poesie musste
auf das Herz fallen, während Schillers Bildsäule mit lobens-
werthem Eifer aufzurichten beschlossen wurde, Goethe, dessen
Andenken in den ringenden \\'irren des Jahres neun und
vierzig nur matt und trüb leuchtete, vorbeigegangen zu sehn.
Es wäre ungeschickt und ungerecht, da, wo uns anliegt
unsere beiden grössten Dichter zu ehren, sie sich gegenüber
zu stellen und abzuwägen, ob und wo der eine den andern,
um Armlänge oder Handbreite, überrage. Im Leben haben
sie zusammen gestanden, sich einander erhöhend, ergänzend,
erfüllend, beide die göttliche Gabe vor der Welt entfaltet,
die ihnen innewohnte. Nur das ist nicht zu verkennen, dass
45 6 Chronik.
wie Goethe S( hillern zehn Jahre vorausging, er ihn beinahe
noch dreissig Jahre lang überlebte. Gegen Schillers auf
kürzere Frist gedrängte, um so gewaltigere und unaufli altsame
Laufbahn, erscheint Goethe's Einwirkung ruhiger, dauernder.
Eines grossen, der Nachwelt geheiligten Mannes Stand-
bild soll im Angesicht der täglic'h vorüberwandelnden Menge
da, wo sich zahllose Schritte begegnen, auf Plätzen volkreicher
Städte errichtet werden. In IJerlin, der Königstadt, wenn
sich an ihrem weitesten öffentlichen Räume Schillers Denk-
mal erhebt, darf das von Goethe nicht unerhoben bleiben
und die Kraft, welche jenes hervorruft, wird auch diesem nicht
fehlen. Das fühlen alle, nicht nur in Preussen, in ganz Deutsch-
land. Denn vor diesen Dichtern, die l)eide unserer Si)rache
ein fernreichendes Gebiet erobert und sie für immer vergeistigt
haben, weicht aller landschaftliche Unterschied zurück. Durch
sie sind wir ein vorangehendes Volk geworden. Jahrhunderte
rollen dahin, wenn alles was uns jetzt drückt und hebt längst
vergessen ist , werden diese Bilder stehen , unerlöschenden
Glanz spreiten und, hoffen wir, auf ein glückliches Reich in
alles Friedens Segen niederschauen.
Sobald die Kosten sich decken, die ein würdiges Denk-
mal erheischt, können Künstler auserlesen werden und zu
schaffen beginnen. Des Prinz Regenten Gnade hat bereits
einen ansehnlichen Beitrag verwilligt, der als Grundlage aller
weiteren muss angesehen werden. Zu diesen aber darf selbst
in unserer Zeit, die mehr als ein Standbild im Auge hat und
damit alte Schulden abträgt, vertrauensvoll aufgefordert werden,
weil wir an die Haujjtschuld mahnen. Möge die erwünschte
Unterstützung, wie nach langer Dürre erquickender Regen
trieft, mild und freigebig zufliessen«.
(Dieses und die im Vorstehenden benutzten Dokumente
sind einer Schrift entnommen u. d. T. : Vier Aktenstücke
betreffend die Errichtung eines Denkmals für Goethe in Berlin
nebst der l-ebersicht der Ordnung des Comite nach den Be-
schlüssen der begründenden Versammlung vom lo. März und
der Versammlung vom 28. Juli 1860. Berlin 1860. Druckerei
von (i. Lange, 23 S. in 8". Erwähnung verdient ferner die
Schrift : Goethe's nationale Stellung und die Errichtung
seiner Statue in Berlin von Ferdinand Piper, der Theologie
Dr. und Professor. Berlin E. H. Schroeder 1860, 63 S. S°;
erweiterter Abdruck eines am 15. März im wissenschaftlichen
Kunstverein zu Berlin gehaltenen Vortrags.)
Die Sammlungen, zu denen auch der Täcrlincr Magistrat
einenBeitrag von zehntausend Thalern leisten /u wollen erklärte.
Chronik. -)57
iialimcn ilucn Fortgang. Neben der Sanuiilung tVeiwilliirer
Beiträge mittelst Listen wurden mehrere Bühnen angegangen.
^^orstellungen zum Besten des Denkmals-Fonds zu veranstalten.
Die Hoftheater in Berlin, München, Karlsruhe, Weimar, so-
wie die Berliner Privatbühnen: Friedrich -Wilhelmstadt,
A\'allner-Theater, Viktoria-Theater kamen dieser Bitte l)ereit-
willigst nach. (Reinertrag in Summa 1660 Thlr.)
Im Frühjahr 1861 wurden ferner auf Veranstaltung des
Cümite"s im Saale der Singakademie sechs stark besuchte
^'orträge gehalten :
1. Prof. ^'ir(■hc)w. Goethe als Naturforscher, besonders
als Anatom.
2. Prot. Hettner aus Dresden : Goethe's Iphigenie in ihrem
Verhältnisse zur Bildungsgeschichte des Dichters.
3. P)r. B. Auerbach. Goethe und die Erzählungskunst.
4. Hofrath Scholl aus Weimar, Goethe als Staatsmann.
5. Hermann Grimm, Goethe in Italien.
6. Prof. Hotho, Goethe und Schiller als Dichter.
Der Reinertrag dieses Cyclus betrug 512 Thlr.
Endlich wurde die Goethe-Ausstellung eröffnet , deren
Catalog »Verzeichniss von Goethe's Handschriften, Zeich-
nungen und Radirungen, Drucken seiner Werke, Compositionen
und Illustrationen seiner Dichtungen, Büsten, Medaillen und
Ciemälden, Porträts aus seinem Freundeskreise, Andenken und
Erinnerungszeichen, welche im Concertsaale des königlichen
Schauspielhauses vom 19. Mai 1861 an ausgestellt sind. Mit
zwei Schrifttafeln. Berlin 1861. E. H. Schröder, 73 S. 8°« ',
namentlich dessen zweite Abtheilung S. 14 — 40 : »Handschriften
von Goethe, von seiner Familie und seinen nächsten Freunden«,
noch heute eine reiche Quelle der Belehrung bildet. Das
Verzeichniss der 206 Handschriften nämlich — und zwar
IG Stücke aus grösseren Dichtwerken, 52 Gedichte, 22 Prosa-
Aufsätze. 108 Briefsammlungen oder einzelne Briefe Goethe's
von 1769 bis 10. März 1832: die Ul)rigen 15 Nummern sind
Briefe der Eltern. Schwester, Frau, des Sohnes Goethe's, ferner
des Grossherzogs Karl August und der Herzogin Amalia von
Weimar, der Friederike Brion, Lilli, Charlotte v. Stein, Wieland
' Die beiden Schrifttafeln enthalten die Gedichte: »Und wenn
mich am Tag die Ferneo (Hempel III., 166) und »Wenn einst nach
übcrstandnen Lebensmüh" und Schmerzen« (das. III., 315), also zwei
Gedichte, die in Folge ihrer Entstehungszeit. 18^0 und 1773. fast die
literarische ^\'irksamkeit Goethe's begrenzen.
458 Chronik.
und Jerusalem — gibt nicht bloss Adressaten, Datum und
Besitzer der einzelnen Stücke an, sondern vielfach auch den
Inhalt derselben, einzelne Stellen oder die vollständigen Briefe
im Wortlaut. Fragmente namentlich aus den Briefen an
Sophie V. Laroche : ganze Briefe an Helene Elisabeth Jacobi
6. Febr. 1775, ^^ Lavater 28. Nov. 1783, an Elisa v. d. Recke
8. Nov. 1811, an Gräfin Caroline v. Egloffstein 7. Dec. 1830.
Auch einige Verse z. B. : »Ein Zauber wohl ziehet nach
Norden« und »Ein Füllhorn von Blüten« (jetzt Hempel III.
340, 360) waren in dieser Abtheilung zum ersten Male abge-
druckt worden. Der materielle Erfolg der Ausstellung war
freilich sehr gering.
Jedoch , noch bevor die Sammlungen ihren Abschluss
erlangt hatten, musste der ursprüngliche Plan aufgegeben
werden. Der Absicht nämlich, das Goethe - Denkmal neben
die Statue Schillers vor das Schauspielhaus zu setzen, wider-
setzte sich das Schiller- Comite, das nicht zu bewegen war,
dem Grundstein von Schiller's Standbild eine andere Stelle
anzuweisen. Durch diesen Widerspruch schien das ganze
Unternehmen gefährdet. Da erschien eine Schrift (anonym ;
von Bloemer, Obertribunalsrath und Mitglied des Abgeordneten-
Hauses): »Drei Dichter - Statuen in Berlin. Ein \A'ort zur
Einigung. Als Manuscript gedruckt. Berlin 1861«, in welcher
der Vorschlag gemacht und begründet wurde, dass der Grund-
stein für Schiller belassen, zur Seite des in der Mitte des
Platzes aufzustellenden Denkmals zwei andere, Goethe und
Lessing gewidmete Standbilder errichtet werden sollten. Diese
Schrift hatte zwei Folgen, die eine, dass sich alsbald ein
Lessing-Comite bildete, welche die für das neue Denkmal noth-
wendigen Kosten aufzubringen versuchen wollte, die andere,
dass das Schiller-Comite die neue Wendung der Dinge begierig
ergriff und die städtischen Behörden veranlasste, das Goethe-
Comite zu einer Aeusserung über das neue Projekt, bez. zu
einer Zustimmung zu demselben aufzufordern. Eine solche
Zustimmung erfolgte denn auch in der That in einer sehr
schwach besuchten (18 von 64 Mitgliedern) Generalversamm-
lung am 16. Juli 1861 mit 10 gegen 8 Stimmen, trotzdem
Jakob Grimm schon am 2g. Mai, noch 11 Tage vor dem
ersten Aufrufe des Lessing-Comite's in einem ausfuhrlichen, an
den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Simson, gerichteten
Schreiben, sich gegen Bloemer"s Plan erklärt und seine geist-
volle und poetische Darlegung in dem Satz susammengefasst
hatte: »Die vorgeschlagene Trilogie, ich gestehe es, scheint
mir unfähit( praktisch "eltend iremacht zu werden«, trotzdem
Chronik. 459
auch die künstlerische Abtheilung des Goethe-Comite's be-
schlossen hatte, an dem alten Plane festzuhalten und auf den
neuen nicht einzugehn. Unmittelbar nach diesem Beschlüsse
erfolgte die Zustimmung der städtischen Behörden zu dem
Drei-Statuen-Projekte und die Gutheissung des Königs, welchem
der neue Plan vorgelegt wurde. Unmittelbar nach dem Be-
schlüsse erfolgte aber auch, zuerst in einem Schreiben an den
interimistischen Vorsitzenden, sodann in einer Anzeige der
Vossischen Zeitung, die Mittheilung Jakob Cirimms, dass er
aus »dem Comite für ein Cioethe-Denkmal« getreten sei.
Diese Erklärung hatte einen Schriftenwechsel zur Folge,
der wegen der Correspondenten erhalten zu werden verdient.
Einer der Betheiligten F. A. Märcker hat erst neuerdings
öffentlich davon gesprochen. In einem Artikel der Voss. Zeitg.
2. Juli 1880 (»Ein Brief von Jakob Grimm bei seinem Aus-
scheiden aus dem (roethe-Comite vom 26. Juli 1861«) erzählt
er die im Vorstehenden erörterten Vorgänge und theilt zwei
Sonnette mit, die er an Jakob (Jrimm richtete und des Letztem
Antwort, die so lautet :
»Hochgeehrter Herr Professor, gestern konnte ich
vor lauter correcturen und manuscriptenrüstung nicht
dazu kommen Ihnen zu danken.
Die beiden übersandten gedichte sollen mich noch
späterhin beschwichtigen und fühlen lassen, dass meine
gesinnung und mein streben nicht von allen verkannt
sind, es wird noch viel ungeduldiges wasser die Spree
hinablaufen, ehe hier das land für deutsche arbeit reift,
und ehe nichts anderes mehr geschieht als was ihr ent-
spricht.
Erhalten Sie dem verein Ihre rege thätigkeit, es soll
mich freuen aus Ihrem munde von zeit zu zeit zu ver-
nehmen, wie die angelegenheit steht und sich fortbewegt.
Hochachtend und ergebenst Jac. Grimm.
26 juli 1861.«
So schien das Schicksal des Denkmals besiegelt. Doch
die durch eine zufällige Majorität Geschlagenen gaben sich
nicht besiegt. Vielmehr veröffentlichte ein Ungenannter eine
Schrift : »Das Drei-Statuen-Projekt. Als Manuscript gedruckt.
Berlin E. H. Schroeder 1862. 15 SS. in 8°«. in der er an
die Freunde des Lessing-Denkmals die Mahnung richtete, von
ihrem Plane, der die Einheit gefährdet habe, abzustehn und
durch diese Entsagung die Durchführung des ursprünglichen
Planes möglich zu machen, und Herman Grimm Hess eine
460 Chronik.
Schrift vertheilen : »Zur Begründung des in der Sitzung des
Goethe-Comite's am 7. April 1862 von Hotho, v. d. Hude
und H. (jrimni eingebrachten Antrags. Als Manuscript gedruckt.
Berlin. Gustav Schade. 1862. 16 SS. 8°«. Der Antrag lautete:
»In Anbetracht, dass durch die am 18. Juli 1861 gefassten
Beschlüsse die wahren Grundlagen des Goethe-Comite's als
beseitigt anzusehn wären, beschliesst das Goethe-Comite, \on
seinem Plane die Goethe-Statue auf dem Gensdarmenmarkte
aufzustellen, abzugehn, mit allen ihm zu Gebote stehenden
Mitteln dahin zu wirken, einen anderen, des Dichters würdigen
Platz zu gewinnen und mit allen Kräften die Ausführung der
Statue zu betreiben«. Er wurde von der Generalversammlung
an den Central-Ausschuss zu vorheriger Begutachtung über-
wiesen. Die von diesem befragte Kunstabtheilung des Cornite's
erklärte sich für den Antrag', dem sie nach dem Worte
»Beschlüsse« den Zusatz beifügte : »das Gelingen der künst-
lerischen Wirkung des Goethe-Denkmals unmöglich gemacht
zu Averden scheint und somit« und beantragte, als Platz für
das Goethe - Denkmal die Mitte des Opernplatzes , zwischen
dem Opernhause und der Bibliothek und als Platz für ein
Lessing-Denkmal den Platz vor der Universität, innerhalb der
beiden Flügel derselben vorzuschlagen. Diese Anträge wurden
von der am 23.. April 1862 stattgehabten Generalversammlung,
die zunächst den Prof. Hotho an Stelle des ausgeschiedenen
Jakob Grimm zum Vorsitzenden wählte, angenommen.
Nun aber trat in der Geschichte des Denkmals eine etwa
achtjährige Pause ein. Erst nach der Enthüllung der Schiller-
Statue genehmigte der Kaiser, mittels Kabinets - Ordre vom
II. September 1870, den jetzigen Platz zur Aufstellung des
Goethe-Denkmals.
Im September 1871 erliess nunmehr das Comite den Auf-
ruf zu Goncurrenz-Entwürfen. Aus dieser Goncurrenz wurden
im Juli 1872 vier Entwürfe mit Prämien (ä 228 Thlr.) bedacht,
es waren dies die Arbeiten von Schai)er, Calandrelli, Donn-
dorf (in Dresden) und Siemering.
Aus einer engern Goncurrenz ging Schajjer als Sieger
hervor, dem nunmehr mittels Vertrages vom 23. März 1874
' Die BerathuncTcn und Beschlüsse sind nebst einem ^"orwort,
einer geschichtlichen Darstellung und 11 aktenniassigen i^eilagen (Briefe,
Gutachten von liildliauern, Architekten, Kunstkennern) mitgetheilt in
der Schrift (von F. A. Märcker) : »Gutachten der Kunstabtheilung des
Goetlic-Coniite über die Aufsteilung der drei Standbilder von Schiller,
Goethe und Lessing auf dem (iensdarmenmarkte in Berlin. Nebst Bei-
lagen. Berlin 1862. E. H. Schroedcr. 28 SS. 8°«.
Chronik. 461
die Ausführung des Denkmals tür die runde Summe \on
90,000 Mark, übertragen werden konnte.
Obwül dem Comite inz\vi.s(:hen auch ein Zinsgenuss von
ca. 4700 Thlr. zugeflossen war und somit die Gesammt-Ein-
nahme die Summe von 90,000 Mark erreicht hatte, so ergab
sich doch, dass die Gesammtkosten für das Denkmal durch
die nöthigen Aufwendungen für Fundamentirung, (iitter. Auf-
steHung, EnthüHung und eine ganze Reihe kleiner L'nkosten
aller Art den Voranschlag weit überschritten und auf circa
120,000 Mark gestiegen waren. Es stellte sich nach der Ent-
hüllung ein Defizit von ca.. 28,000 Mark heraus, welche Summe
indessen innerhalb weniger Wochen durch die erfreuliche,
dankbar anzuerkennende Ketheiligung der Berliner Bürger
zusammengebracht wurde.
So konnte endlich am 2. Juni i88o die Enthüllung statt-
finden. Die bei derselben gehaltene Rede des Geh. Raths
V. Loeper lautete folgendermasen :
»Verehrte Anwesende !
Unsere Schwesterstadt Wien hat bereits in diesem Früh-
ling dem Rheinländer Beethoven und das Rheinland dem
Sachsen Robert Schumann in Bonn ein Denkmal erri( htet.
Sie sind eingeladen, der Enthüllung des Denkmals bei-
zuwohnen, welches Berlin dem Frankfurter und wir können
doch sagen seinem (ioethe widmet.
Wie auf der Wiener Statue Beethovens werden Sie auf
unserem Denkmal nur den Namen des Gefeierten lesen, in-
dem nur dieser erschöpfend erschien und alle, selbst die
schönsten, tiefsinnigsten, persönlich zutreffendsten Sprüche des
1 )ichters selbst :
oder
oder;
Denn ich bin ein Mensch gewesen,
Und das heisst ein Kämpfer sein,
Pfeiler, Säulen kann man brechen,
Aber nicht ein freies Herz,
Es kann die Spur von meinen Erdentagen,
Nicht in Aeonen untergehn.
indem, sage ich, alle diese und ähnliche Sprüche alsbald das
Gefühl hinterliessen, als enthielten sie nicht voll und ganz,
was der Name ausdrückt.
Wenn wir nun heute, in dieser schönen Jahreszeit, hier,
vor diesen Baumgruppen, in dieser gewählten Versammlung
462 Chronik.
und unter den Augen unseres allveiehrten Kaisers und Königs
zu der Enthüllung des Goethe-Denkmals schreiten, so geschieht
es mit dem Ausdruck des aufrichtigsten Dankes an die hohen
Staats- und Stadtbehörden, sowie an das Publikum, welches
unser Unternehmen so reichlich unterstützt hat, zugleich mit
dem (lefühl der höchsten Befriedigung, dass unsere mehr als
zwanzigjährigen Bemühungen endlich ihr Ziel erreicht haben:
dass der Dichter des Faust, in welchem, Avie in Schiller, die
Deutschen selbst im fernsten Welttheil sich als Eines em-
pfanden und empfinden werden, hier in der neuen Hauptstadt
des deutschen Reichs, wo alles Herrlichste und Höchste der
Nation wenigstens im Bilde, im Symbol, vereinigt sein muss,
gleich den Fürsten, Feldherren, Staatsmännern, verdienten
Bürgern, deren Denkmäler unsere öffentlichen Plätze so zahl-
reich schmücken, aufgestellt werden soll.
Mit solcher Aufstellung lösen wir eine Aufgabe, welche
uns von den edelsten Männern der Nation, einem Jakob
(irimm, einem Boeckh, an der Spitze fast des ganzen geistigen
Berlins der fünfziger und sechziger Jahre, als theures Ver-
mächtniss hinterlassen worden, und zwar in den Worten,
welche Jacob Grimm im Januar 1860 an des Kaisers Ma-
jestät, damaligen Prinz-Regenten richtete und welche die
Allerhöchste Zustimmung fanden :
,dass Berlin einen gerechten A'orwurf auf sich laden
würde, wenn es nicht (ioethe neigen Schiller eine Statue
errichtete"
und in den ^^'orten desselben in einem öffentlichen Aufruf
vom ]uli 1860:
, Eines grossen, der Nachwelt geheiligten Mannes Stand-
bild soll im Angesicht der täglich vorüberwandelnden Menge,
da, wo sich zahllose Schritte begegnen, auf Plätzen volkreicher
Städte errichtet werden.
In Berlin, der Königstadt, wenn sich an ihrem weitesten
öffentlichen Räume Schillers Denkmal erhebt, darf das von
Goethe nicht unerhoben bleiben. Das fühlen alle, nicht nur
in Preussen, in ganz Deutschland. Denn vor diesen Dichtern,
die beide unserer Sprache ein fernreichendes Gebiet erobert
und sie für immer vergeistigt haben, weicht aller landschaft-
liche Unterschied zurü-'k. Durch sie sind wir ein voran-
gehendes Volk geworden. Jahrhunderte rollen dahin; wenn
Alles, was uns jetzt drückt und hebt, längst vergessen ist,
werden diese Bilder stehen, unerlöschenden Glanz spreiten.
Chronik. 463
und, hoffen wir, auf ein glückliches Reich in alles Friedens
Segen niedersrhauen'.
Das waren prophetische Worte ! In ihrem Sinne sind wir
bisher thätig gewesen, und in ihrem Sinne bitten wir die Ver-
treter unserer Stadt, welche wir hier zu begrüssen die Ehre
haben, nach geschehener Enthüllung dieses mit so viel Liebe
und Hingabe von dem Künstler geschaffene ^^'erk in Em-
pfang zu nehmen, sowie die hohen Staatsbehörden, insbe-
sondere die königliche Thiergarten -Verwaltung und die ge-
sammte Einwohnerschaft Berlins, dem \\'erke Schutz zu ver-
leihen und seine edlen Formen vor Entweihung zu bewahren.
]3arum bitten wir.
Es ist errichtet nicht etwa zur Erinnerung an persön-
liches Schalten und Walten an dieser Stätte, in dieser Stadt,
welche der Fuss des Dichters nur einmal flüchtig berührt hat :
sondern als Huldigung dem nationalen CJenius, dessen hoher
Baum, mit Jean Paul zu reden, die Wurzel tief in Deutsch-
land treibt, den BlUthenüberhang aber ins griechische Klima
senkt, es ist errichtet zu unserer eigenen Ehre, aus eigener
Selbstachtung : nicht aus Dankbarkeit für dem Lande oder
der Stadt in Krieg und Friede geleistete Dienste äusserer,
weltlicher Art, sondern als ein Leuchtthurm des Geistes, den
die Wogen der Zeit nicht zerstören werden und zu dessen
stillleuchtender Flamme wir und die nach uns kommenden
Geschlechter im Dunkel, im Sturm, selbst im zerbrechlichsten
Nachen vertrauensvoll hinauf blicken mögen.
Und so im Namen und Auftrage des Comite's ertheile
ich das Zeichen, dass die Hülle falle und übergebe dieses
nun vor uns stehende Denkmal Ihnen, den Vertretern der
Haupt- und Residenzstadt Berlin als dauerndes städtisches
Eigenthum.«
Auf den Wink des Redners fiel die Hülle herab.
Die Antwort des Herrn Oberbürgermeisters v. Forcken-
beck lautete:
»Angesichts des jetzt in seiner vollen Schönheit stehen-
den Denkmals spreche ich dem rastlos thätigen Comite, dem
Künstler, der so Herrliches geschaffen, unsern tiefempfundenen
Dank aus. L'nmittelbar nach wieder errungener Peinigung
unserer Nation, unter dem mächtigen Schutz von Kaiser und
Reich, enthüllten wir mitten im Gewoge der Hauptstadt am
IG. November 1871 Schillers Denkmal. Heute, an einem ruhigen,
still beschaulichen Platze findet die Enthüllung des (ioethe-
Denkmals statt. Dank den Bestrebungen, die dahin führten.
464 Chronik.
dass Berlin jetzt die Denkmäler der beiden grössten Dichter
und Denker der Nation in so herrlicher Gestaltung besitzt !
Und so übernehme ich Namens der Stadt für die Stadt und
zum Eigenthum der Stadt auch dieses Denkmal. Beide Denk-
mäler wollen wir in nie erkaltender Dankbarkeit für die
idealen Güter, welche die eng verbundene Kraft beider Dichter-
fürsten errungen hat, in alle Zukunft mit liebevoller Sorgfalt
pflegen und erhalten, kommenden Geschlechtern zur stets
lebendigen Mahnung, dass das geeinigte Volk un energischen
Streben und Ringen für die höchsten Cniter nie erlahme und
ermatte.«
Das Denkmai, aus carrarischem Marmor, ist im Thier-
garten zwischen dem Brandenburger Thor und der Lenne-
strasse aufgestellt und steht mitten unter schönen Baum-
gruppen.
Die Festlichkeiten hatten mit der Enthüllung des Denk-
mals noch nicht ihr Ende erreicht. Um die 6. Nachmittags-
stunde fand in den Räumen des »englischen Hauses« ein
Festmahl statt, an welchem etwa 100 Personen, zumeist den
Gelehrten- und Künstlerkreisen der Residenz angehörend,
theilnahmen. Die festliche und frohe Stimmung der Ver-
sammelten fand in Reden und Gesängen, meist Zelter"schen
Compositionen Goethe'scher Lieder ihren würdigen Ausdruck.
Unter den eingelaufenen und beim Festmahl verlesenen Zu-
schriften sei diejenige der deutschen Kaiserin erwähnt, welche
lautet :
»Dem Dichterfürsten an der in Berlin gewidmeten Stätte
nicht huldigen zu können, wie dereinst in Weimar, wo
sein Standbild die Blüthezeit deutscher Poesie vertritt,
verhindert zu sein, dankbare Erinnerungen Meiner Kind-
heit mit der Anerkennung zu verbinden, welche der Ent-
stehung und Vollendung eines nationalen Werkes entspricht ;
mithin Verzicht auf Meine Gegenwart bei der Enthüllung
des Denkmals Goethe's leisten zu müssen, kann nur durch
Gesundheits-Rücksichten geboten werden, die Ich um so
mehr bedauere, als ich weiss, welches Lob dem Komitee
gebührt, und welchen hohen Werth auf geistigem Gebiet
diese Feier in sich trägt.
Raden-Baden, den 30. Mai 1880.
.\ugusta«.
Von den Reden, die des Hr. Geh. R. v. Loeper, welcher
der vielen durch den Tod abberufenen Comite-Mitglieder, vor
Allem lakob (rrimm's und Hotho's gedachte, und die des
Chronik. 465
Hrn. Prof. Herman Grimm, welcher anknüpfend an die hinter
ihm postirte Raucli'srhe Goethe-Büste folgendermassen sprach:
»Meine Herren, als vor nun fast fünfzig Jahren Goethe
gestorben war, stand sein Bild in den Zügen Allen vor Augen,
wie es Rauch, unser grosser Mitbürger, in seiner bewund-
rungswürdigen Büste geschaffen hatte. (Joethe war der Greis,
der Altvater, der in Weimar thronende »Kunstpapst«, und in
dieser Gestalt hat man ihn lange erblickt. Bis dann eine
Aenderung eintrat. Mehr und mehr wurde von seinen Jugend-
briefen herausgegeben, die ächten Briefe W'erthers erschienen.
Trippels in Rom gemachte Büste des jungen (ioethe wurde
wieder bekannt und endlich drückte Hirzel — den wir, wenn
er noch lebte, so gern hier unter uns gesehen hätten durch
seine Publikation der Werke des »Jungen Goethe« dem Bilde
des »Jungen Goethe« den letzten Stempel auf. Nun hatten
wir zwei Goethes nebeneinander, den jungen und den alten,
gleichsam sich gegenüberstehend in unserer Phantasie : da
kam Schaper und schuf in seiner Goethe-Statue das Bild
Goethe's, das beide Anschauungen versöhnte, weil es beide
enthielt. Schapers Goethe ist nicht der junge und nicht der
alte Goethe, es ist der junge und alte zugleich, es ist nicht
der Dichter des ersten Theiles des Faust , nicht der des
zweiten Theiles : es ist der Dichter des ganzen Faust, es ist
in einem einzigen Anblicke der, den wir meinen, wenn wir
mit einem einzigen Worte »Goethe« sagen.
Meine Herren ! wir haben Professor Schaper für diese
Schöpfung zu danken. Er ist noch jung, sein Werk ist nicht
die Blüthe langer Thätigkeit, sondern bezeichnet erst den
Beginn seiner Laufbahn. Möge es ihm noch oft vergönnt
sein, mit seinen künstlerischen Schöpfungen so die Dank-
barkeit und den Enthusiasmus des Volkes herauszufordern
wie er es mit seinem (joethe heute gethan hat. Schaper
lebe hoch !«
Den Schluss der Festlichkeiten machte die Aufführung
des Faust (i. Theil) im kgl. Schauspielhause, wel<-her ein von
Hofr. Adami gedichteter Prolog voranging.
Auch von der Presse der Hauptstadt wurde der Tag
begangen. Die »Nationalzeitung« widmete ihm ihr Feuilleton,
dessen bei weitem grösserer Theil von einem Aufsatze Julian
Schmidts angefüllt war: »Goethe in Berlin, 2. Juni 1880«, den
kleinern bildete ein »Hymnus auf Goethe, zur Feier der Ent-
hüllung seiner Statue zu Berlin, am 2. Juni 1880« von F. A.
Märcker, die »Vossische Zeitung« brachte zu Ehren des Tages
Goethe-Jaurbich II. ^O
466 Chronik.
H. Pröhle's Besprechung des Goethe - Jahrbuchs, Bd. L, das
»Tageblatt« einen poetisch empfundenen, schön geschriebenen
Leitartikel : »Vor dem Goethe - Denkmalo ; die »Post« ein
grosses Feuilleton Adolf Rosenberg's: »Das Goethe-Denkmal
von Fritz Schaper«. Die Abendblätter der grösseren Zeitungen
und die kleineren Blätter, welche am Morgen des 3. Juni
erschienen, brachten fast ausnahmslos ausführliche Besprechung
der Enthüllungsfeier, des Festmahls und der Fest-Vorstellung.
Drei kleine Festschriften wurden in der Nähe des Fest-
Platzes von fliegenden Buchhändlern verkauft, alle drei mit
sehr fragwürdigen Abbildungen des Denkmals geziert: i. Zur
Erinnerung an die Enthüllung des Goethe-Denkmals in Berlin
am 2. »Juni 1880, hgg. von R. Gnevkow. Druck und Verlag
von Nauck und Hartmann (4 SS. fol.), (enth. Festgruss,
Würdigung des Denkmals, Beschreibung des Denkmals, Bio-
graphie des Künstlers, Festprogramm); 2. Das Goethe-Denk-
mal im Thiergarten zu Berlin. Druck und Selbstverlag von
Adolf Schulze. 16 SS. 8° (enth. auf dem Umschlag vorn:
Bild Goethe's, hinten: Denkmal, dasselbe nochmals im Heft,
sowie die drei Gruppen am Fusse desselben einzeln; ferner:
Beschreibung des Denkmals und : Aus dem Leben Joh. Wolfg.
Goethe's, mit besonderer Berücksichtigung der Jugendzeit und
der Liebschaften) ; 3. Das Goethe-Denkmal im Thiergarten
zu Berlin. Enthüllt am 2. Juni 1880. Selbstverlag von A. G.
Knopf. 15 SS. 8° (enth. Programm der Enthüllungs-Feierlich-
keit, Biographie des Dichters, Beschreibung des Denkmals).
Eine würdigere Festschrift ist diejenige O. Brahm's vgl.
unten Bibliographie.
Am 7., 17. und 19. Juli fanden in München Muster-Vor-
stellungen dreier Goethe'scher Dramen, Clavigo, Tasso, Egmont,
in dem durch den Direktor E. Possart eingerichteten Gesammt-
Gastspiel bedeutender deutscher Bühnenkünstler statt.
Frideriken-Feier. Der auch im Goethe-Jahrb. I., 392 fg.
abgedruckte Aufruf, Geldmittel zum Ankauf des Hügels in
Sesenheim zusammenzubringen, auf welchem Goethe mit Fri-
derike Brion öfters geweilt, hatte derartigen Erfolg, dass als-
bald der Hügel angekauft und eine Laube errichtet werden
konnte. Die feierliche Einweihung derselben und ihre Ueber-
gabe an die Stadtgemeinde fand am 18. Juli statt. In der
Laube ist eine Tafel angebracht mit der Inschrift: »1770 — 71.
Chronik. 467
Frideriken-Ruh. 1880«. Die Feier, an welcher namentlich
auch Strassburger Professoren und Studenten theilnahmen, war
eine durchaus würdige. Nachdem der akademische Ciesang-
Verein ein Goethe'sches Lied gesungen hatte, hielt Prof. Erich
Schmidt die Festrede.
Nach der Rede erzählte Oberlehrer A. (Irün die (ieschichte
der Laube und übergab im Namen des Comite's der Gemeinde
Sesenheim das Eigenthumsrecht über die neue Schöpfung, unter
der Bedingung, dass die sämmtlichen Anlagen dauernd erhalten
blieben. Der Bürgermeister erklärte sich mit dieser Ikdingung
einverstanden, nahm die Schenkung an und ein zweiter Gesang
beschloss die Feier.
Zur Erinnerung an Goethe's Besuch des Adersbacher
Felsen im Jahre 1790 (3. Aug. vgl. Wenzel, Goethe in Schlesien
S. 67: ferner Annalen, Hemjjel 27, 11) wurde am 25. Juli
eine von einer Gesellschaft aus Trautenau und Marschendorf
gestiftete Gedenktafel in Adersbach enthüllt.
Am 28. August wurde in Goethe's Vaterstadt Frankfurt a. M.
von dem »Freien Deutschen Hochstift für Wissenschaften, Künste
und allgemeine Bildung in Goethe's Vaterhause« Goethe's Ge-
burtstag feierlich begangen.
Die Feier betand ähnlich wie die des Jahres 1879 in einer
Bekränzung des Grabes der Frau Rath auf dem alten Peters-
kirchhof, (27. August, Abends) in einer Ausschmückung des
Goethehauses, Entgegennahme von Kränzen und feierlicher
Sitzung des Hochstifts (28. Aug.) und einem Waldfest (29. Aug.),
zu welchem sich mehr Neugierige als Theilnehmende einfanden.
Das Hochstift hatte vorher in Frankfurter Blättern und ausser-
frankfurtischen Zeitungen Aufrufe zur feierlichen Begehung des
Goethetages veröffentlicht.
Aber nicht diese Feier von Goethe's Geburtstag allein gibt
Veranlassung vom »Freien Deutschen Hochstift« zu reden : zu
einer solchen Aussprache werde ich vielmehr gedrängt durch
die allgemeine Erwägung, dass es als eine Verpflichtung für
das Goethe-Jahrbuch erscheint, von einer Institution zu reden,
die sich mit Cioethe's Namen brüstet und in seinem Vater-
hause ihren Sitz hat, und durch die besondere Thatsache,
dass kürzlich die Berichte jenes Vereins erschienen sind, welche
von seiner Thätigkeit ein anschauliches Bild geben. (Vgl.
unten S. 495 fg.) Freilich dieses Bild ist kein erfreuliches. Denn
^0*
468 Chronik.
nun kann ein Jeder, welcher durch die Gunst eines Stiftge-
nossen oder nach Erlegung von 8 Mark sich das Buch verschafft
hat, die Ueberzeugung erlangen, dass dieser Verein, bei allem
gutem Willen, redlichen Streben, guter Gesinnung doch nur
höchst winzige Leistungen aufzuweisen hat und an einem
unheilbaren Dilettantismus krankt. Das Hochstift hatte sich
eine dankenswerthe Aufgabe gestellt, nämlich die Erwerbung
des Goethehauses, und durch die Erfüllung dieser Aufgabe,
die freilich mit etwas geringerem Lärm und etwas grösserer
Bescheidenheit hätte vor sich gehen können, den Dank der
Nation verdient ; es hätte sich diesen Dank dauernd zu erhalten
vermocht, wenn es sich nach Erfüllung dieser Leistung bescheiden
in den Hintergrund zurückgezogen und seine Thätigkeit einzig
und allein auf die Pflege des von ihm erworbenen Guts
beschränkt hätte. Einem derartigen vernünftigen Handeln
hätte allgemeine Zustimmung nicht gefehlt ; das prahlerische
Gebahren einiger Männer dagegen, die sich gern zum Mittel-
punkt deutscher Gesammtkultur gemacht hätten, musste den
Widerspruch aller Vernünftigdenkenden hervorrufen und den
Fluch der Lächerlichkeit auf sich laden. Die Gesellschaft
bildet sich aus Stiftsgenossen, die sich melden und durch einen
jährlichen Beitrag von mindestens 6 Mark ihre Fähigkeit
bekunden, die Interessen deutscher Cultur zu fördern : die
Gesammtheit der Genossen wählt zu Meistern diejenigen,
»welche sich als Vertreter und geistige Förderer irgend eines
Zweiges der Wissenschaft , der Kunst und der allgemeinen
Bildung bethätigt haben«. Man bedenke : eine Hand voll
Leute — denn wenn auch die Mitglieder nach Hunderten
zählen mögen, so sind doch die Sitzungen, in denen derartige
Beschlüsse gefasst werden, erfahrungsmässig nur von Wenigen
besucht — eine Schaar, die sich zusammensetzt aus Gelehrten,
Künstlern, aber ebensowohl aus Fabrikanten, Kaufleuten, Hand-
werkern, Männern, von denen gewiss Jeder in seinem Berufe
wacker und tüchtig, aber weder befähigt noch befugt ist, über
die Leistungen auf anderen Gebieten zu urtheilen, vertheilt
Grade und Würden , welche sie in prahlerischer Weise den
akademischen Würden gleichzustellen oder gar über dieselben
zu erheben meint. Man denke nicht, dass ich übertreibe ;
lautet ja doch die ausdrückliche Versicherung des Hochstifts,
dass »es eine offene Vertretung des gesammten freien deutschen
Geisteslebens bilde« und heisst es in einem Artikel, den man
als eine Art offiziellen Programmes des Vereins auffassen
kann: »Durch die allen Mitgliedern satzungsgemäss gewähr-
leistete Lehr- und Lernfreiheit bir^rt die Genossenschaft in
Chronik. 469
sich das Kleinod einer freien gesammt - deutschen Hoch-
schule«.
Unter der Zahl der Meister finden sich neben durchaus
untergeordneten Männern Schriftsteller und Künstler ersten
Rangs. Auch während des Zeitraums, über wehhen der vor-
liegende Bericht handelt, sind viele Meister creirt worden
u. A. ein Musiklehrer der Stadt Frankfurt und ein Capitain,
der bei dem Untergang eines ihm anvertrauten Schiffes grossen
Heldenmuth bewies.
Ganz besonders bemuht man sich das Interesse von Fürsten
für die Vereinigung zu gewinnen, ein Streben, gegen das gewiss
nichts einzuwenden wäre, wenn nicht der Verein bei anderen
Cielegenheiten so laut auf seine Unabhängigkeit pochte. Da
dieses Rühmen aber bekannt ist, so wird allerdings durch
eine sechsseitige Schilderung eines Besuches des Königs Oscar
von Schweden im Goethehause, der später eine 5 Seiten lange
Aufzählung seiner Schriften folgt — selbstverständlich konnte
auch dieser König dem verhängnissvollen Geschenk eines
Meisterdiploms nicht entgehen — eine seltsame Empfindung
hervorgerufen. Auch der König der Belgier wird zum Meister
ernannt, durchreisende oder in der Nähe Frankfurts weilende
Fürsten werden zum Besuche eingeladen. Jubiläen deutscher
und fremder Könige gefeiert, und die staunenswerthe Unpartei-
lichkeit des Vereins durch die Thatsache dargelegt, dass dem
Bericht über einen Glückwunsch an den Kaiser Wilhelm un-
mittelbar die Notiz über eine Beileidsadresse an die Wittwe
des Königs Georg von Hannover folgt.
Auch sonst fehlt es diesmal nicht an hervorragenden
INIännern z. B. Palmieri und Kraszewski, die mit dem Meister-
schaftsdiplom beehrt werden, und sich für diese Uebersendung
in einer Weise bedanken, als hätte ihnen Alldeutschland die
Ehre einer Krönung zu Theil werden lassen. Eine solche
Handlungsweise kann man bei Ausländern, die deutsche Verhält-
nisse nicht kennen, begreiflich finden, seltsam bleibt es aber,
dass sie auch bei Deutschen vorkommt. Zwar kann man
verstehn, dass manche der durch die Gesellschaft ausgezeich-
neten Deutschen artig genug sind, die Diplome nicht geradezu
zurückzuschicken oder sogar so höflich , mit einigen freund-
lichen Worten die Annahme derselben anzuzeigen; aber unbe-
greiflich erscheint, dass einige bedeutende Männer durch
Büchersendungen oder ähnliche Gefälligkeiten sich als Ange-
hörige der Gesellschaft bekunden , dass es in einer Stadt,
Regensburg, eine Hochstiftsgenossenschaft gibt, die sich der
Frankfurter anschliesst und unterordnet : dass es ferner Leute
470 Chronik.
gibt, freilich solche, bei denen man vergeblich fragt, welches
literarische Verdienst ihnen Anrecht auf die Meisterwürde ver-
schaift habe, welche dem Hochstifte Schriften widmen; ja
dass endlich — ein freilich in unserm titelsüchtigen Deutsch-
land nicht vereinzelt dastehender Fall — Nichtstiftsgenossen
sich um die Aufnahme in die Meisterschaft bewerben.
Fragt man nun, was diese Gesellschaft, die sich z. B. bei
der letzterwähnten Angelegenheit durch den Mund ihres Ob-
manns charakterisiren lässt als »eine nicht von staatlicher
Fürsorge bestellte und keine staatlichen Versorgungen in
Aussicht stellende, unabhängige und einzig aus freier Begeiste-
rung und Erhebung ihre Berufung ableitende Vereinigung«
leistet , so muss man antworten : nichts,, als was jeder der
zahllosen literarischen Vereine in kleinen Provinzstädten auch
thut. Die Mitglieder kommen zusammen, um Verwaltungs-
geschäfte zu erledigen, neu erschienene Bücher anzusehen und
Vortage anzuhören. Jedes dieser Bücher wird in dem Berichte
genannt : es ist eine stattliche Reihe, nur schade, dass von
Vollständigkeit in irgend einer Disciplin nicht die Rede sein
kann, da die Gesellschaft in der Ergänzung ihrer Bücherei
(»Completirung der Bibliothek« zu sagen, wäre in den Augen
der Stiftsgenossen ein Verbrechen) auf die Gnade der Verleger,
Mitglieder oder Gönner angewiesen ist. Manchmal begnügt
sich der Berichterstatter nicht mit der blosen Nennung der
Bücher, sondern referirt auch über den Inhalt. Solche Referate
mögen die Vereinssitzungen passend ausfüllen und für die
Hörer nicht ohne Interesse sein ; zu welchem Zwecke aber
derartige Mittheilungen aus einer Schrift über Keltische Königs-
höfe in Schlesien und über eine Vorrichtung zur Ueberwachung
der Leuchtfeuer und viele andere gedruckt werden, ist uner-
findlich. Schon die obenerwähnte Notiz legt Zeugniss von
dem vielseitigen Interesse der Gesellschaft ab, aber die Viel-
seitigkeit ist noch weit grösser als man aus dem Mitgetheilten
schliessen möchte; die Herren kümmern sich z. B. um Buch-
drucker- und Buchbinderarbeit, um Leseclaviere, veranstalten
Lehrmittelausstellungen und bemühen sich den Ankauf der
Ueberreste des Archäopteryx zu Stande zu bringen, sie geben
ihre Ansicht kund über Glockenmusik und sind sehr ärgerlich,
wenn »die nur zur Verbrämung auf Einrückungsgebühren
berechneter Geschäftsunternehmungen dienende 'lagespresse
öffentliche Anregungen der Förderung des Schönen« nicht
unterstützt; sie sind selbstverständlich gegen den Impfzwang
als gegen eine die Freiheit des Einzelnen gefährdende f2in-
richtung und haben kein Wohlgefallen an den Naturforscher-
Chronik. 47 1
Versammlungen, über welche sie ihr Gesammturtheil mit den
mehr kräftigen als wahren Worten abgeben : »Lorenz Oken
würde an einer Versammlung weniger wirklicher Forscher und
Gelehrten mit einer überwiegenden Schaar jubilirender Pläsir-
michel (der germanische Zorn hat hier wohl das Fremdwort
hervorgerufen), wie solche jetzt alljährlich in seinem Namen als
.Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte' tagt, wenig
Gefiillen fmden«. Auch die moralischen Zustände »können der
Aufmerksamkeit des F. 1). H. nicht entgehn« : man beschäftigt
siih mit Schülerverbindungen, Doktorfal)riken u. ä.
Bei einem solchen vielseitigen Interesse ist es erklärlich,
dass Gespräche der Mitglieder und Vereinssitzungen nicht
ausreichen, sondern dass auch Correspondenzen nothwendig
sind. Von dem in dieser Beziehung entfalteten Eifer wird ein
Beweis durch die Thatsache geliefert, dass in einem Monat
183, in einem Jahre 2096 Zuschriften abgesendet werden.
Aber das Hochstift in seiner weltbewegenden Thätigkeit darf
sich nicht auf Privatkundgebungen beschränken , es muss
Organe haben, durch deren Vermittlung es wirkt und spricht.
Drei der grössten deutschen Buchhandlungen : F. A. Brock-
liaus, J. G. Cotta, Wilh. Braumüller erhalten daher die »Be-
rechtigung«, sich als »Buchhandlungen des Freien Deutschen
Hochstiftes« zu bezeichnen, und zwar — man muss die hoch-
tönenden Worte selbst lesen — »in voller Würdigung der
hohen Bedeutung, welche für das Gedeihen deutscher Geistes-
arbeit der nach höheren Grundsätzen geführte deutsche Buch-
handel stets gehabt hatte, noch gegenwärtig besitze und in
noch vermehrtem Masstabe wieder gewinnen müsse , zur
Kundgebung der vollsten Anerkennung des gesammten Ge-
schäftszweiges, wie insbesondere der hervorragenden Ver-
dienste der demselben die ehrenvollsten Vorbilder gewähren-
den weltberühmten Hauptgeschäfte«. Die Naivetät, die in
dieser Ernennung und der Motivirung derselben liegt, ist
bewunderungswürdig ; seltsam genug bleibt aber auch, dass
die genannten Buchhandlungen jene Ernennung annahmen
und, um wiederum in der Hochstift-Sprache zu reden, »für
die denselben gewährte Bevorzugung und ehrenvolle Würdigung
ihren wärmsten Dank aussprachen und in wahrhaft genug-
thuender Weise zu erkennen gaben, dass denselben eine solche
Anerkennung bisheriger Bestrebungen ein neuer Sporn sein
werde, ihrer grossen Ueberlieferungen eingedenk, auch ferner
das Cxute, Wahre und Schöne werkthätig zu fördern«.
Nicht ohne Grund habe ich im Vorstehenden manche
Proben der Hochstift-Sprachc mitgetheill ; gehört es ja mit zu
472 Chronik.
den Aufgal)en des Vereins, die deutsche Sprache zu reinigen
und namenthch von allen Fremdwörtern zu befreien. Dieses
Streben führt natürlich zu grossen Seltsamkeiten : ihre Bücher
erscheinen nicht in Commission, sondern in »Besorgung bei
F. A. Brockhaus« ; sie legen ihre Briefe nicht in Couverts,
sondern in »Briefhülsen«, sie lassen sich von ihren Schriften
keine Correkturen, sondern »Verbesserungsabzüge« schicken und
lassen dieselben statt in Oktav, in »Achtelbogen« abdrucken:
sie sagen statt der undeutschen Redaktion: »Herausgeberschaft«,
und sprechen von ;nvissenschaftlichen Bewerbungs-Abhand-
lungen« (Dissertationen) und »Theilkünstlern« (Spezialisten).
Alle diese und ähnliche Bestrebungen finden bei Meistern
und Genossen selbstverständlich die höchste A\'ürdigung;
unglücklicherweise gehört aber nur ein kleiner Theil der
Deutschen in einer der genannten Eigenschaften dem Bunde
an. Wagt nun ein Aussenstehender Tendenz oder Thätigkeit
des Bundes zu bekritteln, so wird er verfehmt; Beweis dafür
z. B. die Auslassungen gegen die Tagespresse (S. 435 bis
439' 515 ^^1^517,) die sich überhaupt keiner liebenswürdigen
Beachtung erfreut.
Der Urheber solcher Bemerkungen, wie überhaupt der
geistige Vater der ganzen Gesellschaft ist der Obmann. Hr.
Dr. Otto Volger. Er ist nicht blos auf die Verbreitung des
Ruhms des Vereins, sondern auch seines eignen bedacht. Er
hatte den Versuch gemacht, Frankfurt mit Quellwasser zu
versorgen und benutzt, da Quellwasser wohl auch zur allge-
meinen Bildung gehört, die Berichte des Hochstifts dazu, um
die zustimmenden Aeusserungen in- und ausländischer Gelehrten
mitzutheilen und die Gegner gebührend abzustrafen (vgl. z. B.
S. 99 — 103, i26fg., 327), er verbreitet sich gern über sich
und seine Verdienste, und gebraucht diese Berichte gleichsam
als Familien-Archiv, in das er Nachrichten über seinen ver-
storbenen Vater niederlegt (S. 254 ff.. 342 ').
Man wird aus der vorstehenden Erörterung die Ueber-
zeugung gewinnen, dass das Hochstift, trotz seiner pomj)-
haften Reden weder befähigt noch befugt ist, die Aufgaben
zu lösen, zu deren Erfüllung es sich unberufenerweise heran-
drängt. Die Goetheforscher und — Verehrer, welche dem
Hochstift für die Erwerbung des Goethehauses dankbar sind.
' BciläLitig sei bemerkt, dass Hr. Dr. Otto A'olger in der Einleitung
S. XIV sich sehr mit Unrecht eines »fehlerfreien« Drucks rühmt. So
heisst es z. B. einmal: Bernay's st. Bernavs, S. 174 A. steht: 1839 st.
1859, S. 485 Z. 6: 1799 St. 1779, 484 A. Z.'8 v. u. : 1844 st. 1874 u. s. w.
Chronik. 473
können unmöglich das Gebahren jenes Vereins billigen. Und
eben darum hielt ich es für meine Pflicht, grade im Cioethe-
Jahrbuch meine Meinung über den Verein zu sagen, jeden
Zusammenhang mit demselben abzulehnen, um nicht durch
Stillschweigen die irrige Meinung zu erwecken, als billigte
ich sein Streben und sein \'erfahren.
Während der Versammlung des deutschen Schriftsteller-
tages in Weimar (25.-27. Sept.), waren (loethe"s Wohn-
zimmer und Sammlungen im (loethehause zu U'eimar, sowie
das Gartenhaus den Theilnehmern an jener Versammlung
geöffnet. Auch dem Herausgeber dieses Jahrbuchs, der sich
seitens der Enkel des Dichters einer sehr zuvorkommenden
Aufnahme zu erfreuen hatte, war es vergönnt, die Räume zu
betreten und mit den Uebrigen die Pietät zu bewundern, mit
welcher die Nachkommen jene Stätten in ihrem ursi)rüng-
lichen Zustande zu erhalten bestrebt sind.
Zu derselben Zeit wurde im Grossherz. Museum von dem
Direktor desselben, Hofrath Ruland, eine Ausstellung von
Bildern, Zeichnungen und Münzen veranstaltet, welche grössten-
theils auf (ioethe Bezug hatten. Von Goethe-Bildern waren
ausgessellt: i. Das Gemälde von G. M. Kraus: Goethe,
sitzend, die Silhouette der Frau von Stein in der Hand (im
Besitze des Hrn. Dr. Vulpius in \\'eimar); 2. von demselben
Porträt auch die Bleistiftskizze: 3. Goethe in sinniger Be-
trachtung unter römischen Antiquitäten, Stahlstich : 4. von
demselben eine farbige Skizze, von Buri gezeichnet, von
H. Meyer colorirt, die Landschaft von C. G. Schütz hinzu-
gezeichnet; 5. Zeichnung von Schmeller : 6. Studien zu
H. Meyers lebensgrossem Aquarellporträt: 7. Photographie
nach dem grossen Oelgemälde von May; 8—11. 4 Kupfer-
stiche aus älterer Zeit, einer nach G. M. Kraus 1776, mit
der Unterschrift: D. J. W. Göthe; 12. Kupferstich 7. Nov. 1825,
mit der Unterschrift : Liegt Dir gestern klar und offen ;
13. Kupferstich von Sichling, nach dem Gemälde von Sebbers
1826: 14. Stahlstich: Goethe Karl August Vortrag haltend
(1860). beide sitzend; 15. Kupferstich von C. A. Schwerdt-
geburth 1832 ; 16—19. 4 Stiche von Schwerdtgeburth, 3 davon
nach der Medaille 1825. einer derselben mit der Unterschrift :
Am siebenten November. Meinen feierlich Bewegten u. s. \v. :
der 4. mit der Unterschrift: Goethe in seinem 27. Jahre
nach dem Gemälde von Kraus 1776: 20. eine Art Carricatur:
Goethe spazierengehend, in etwas gebeugter Haltung, den
474 Chronik.
Hut auf dem Rücken haltend, 1839 gezeichnet von einem
Major, der Goethe in dieser Stellung oft gesehen hatte.
Von Münzen, Medaillen etc. zeigte die Ausstellung:
Hautrelief von J. P. Melchior 1775, nach dem Leben gear-
beitet ; Medaille von H. Boltschauser c. 1780 ; von J. G. Hilpert
c. 1780; Büste in Biscuit aus der Braunschweiger Porzellan-
manufaktur 1786; Hautrelief in Wachs nach dem Leben
modellirt von Schadow 1816; Medaille von A. Bovy 1824;
die zwei Jubiläumsmedaillen von Brandt 1825, von denen
die erste verworfen, die zweite genehmigt wurde ; von A. Facius
1825; F.König 1826 und 1832; A. Bovy 1831; von Sebald
1858 (Abbildung des Goethe-Schillerdenkmals in Weimar),
grosse Medaille mit der Umschrift: Erinnerung an Goethe's
Geburtshaus ; Goethe und Schiller geschnitten von F. Hirsch
in Stuttgart (Siegelabdruck).
Von Goethe's eignen Zeichnungen und Radirungen : Porträt
Wielands; Das Heidelberger Schloss, 23. Sept. 1779; Im Park
zu Weimar; Gebirg am See nach F. Kobell, Febr. 1780; Die
Kegelbrücke von der Spitze des Stern ; Die Wallersdorfer
Mühle ; zwei der veröffentlichten Radirungen, die eine, nach
dem Gemälde von Thiele, mit der Unterschrift : dedie ä Mr.
Goethe conseiller actuel . . . par son fils tres-obeissant. So-
dann Goethe's Frau und Sohn, Zeichnung zu einem Aquarell-
gemälde von H. Meyer, im Besitze der Goethe'schen Familie ;
Goethe's Enkelin Alma von Louise Seidler 1834 gezeichnet.
Endlich gehören hierher die Goethehäuser, i. das Weimarer
Haus, Stahlstich mit der Unterschrift: Was stehn sie davor?
u. s. w. 2. Das Stammhaus der Goethe'schen Familie in Artern
(Photographie 1879); 3. Goethe's Gartenhaus. Stahlstich mit
der Unterschrift : Übermüthig siehts nicht aus u. s. w. 4. Der
Brunnen in Goethe's Vaterhaus in Frankfurt. Stahlstich mit
der Unterschrift : Im grossen Hirschgraben zu Frankfurt a. Main
Lit. F. Nro 74, der goldenen Federgasse gegenüber.
Eine Reihe anderer Bilder diente zur Illustrirung der
Goethe'schen Zeit, genannt seien 3 Bilder von G. M. Kraus:
Der Jahrmarkt zu Plundersweilern 1780; Aufführung der
Fischerin im Park zu Tiefurt: das belagerte Mainz 1792;
ein Bild von G. Schütz : Anna Amalia mit Herder u. A.
Rom 1789; ferner: Selbstporträt der Corona Schröter; dieselbe
(zeichnend) Aquarelle von G. M. Kraus 1785; sodann: H.
Meyers Costümzeichnungen zu Paläophron und Neoterpe,
Illustrationsentwürfe zu den Gedichten, Entwürfe zu den Fresken
im Römischen Haus, Selbstporträt. Carricatur auf Bertuch:
Zeichnungen von Geser und Lips: 18 Stiche Sch\verdtgel)urths
Chronik. 4^5
zu Goethe's Leben und Werken; endlich Zeichnungen Ver-
schiedener, Carl Auaiust, Herder, Schiller darstellend.
Bei der Versammlung des Historischen Vereins für das
württembergische Franken, welche am 4. October 1S80 in
Oehringen tagte, wurde eine Sammlung Hohenlohischer Be-
amtenbildnisse vorgezeigt, darunter das Bildniss von Goethe's
Urgrossvater Te.xtor f 1701. Die Sammlung gehört Sr. D.
dem Fürsten von Hohenlohe-Waldenburg. A. v. K.
Goethe -Vorlesungen auf deutschen Universitäten. Sommer
1880. Berlin: Scherer, über Goethe's Leben und Schriften,
r775— 1832 (3 Std., priv.); Breslau: Bobertag, über Ursprung
und Entwicklung der Faustsage (2 St. off.): Kiel: Klaus Groth,
über Goethe und seine Zeit (off.) ; Leipzig: Creizenach, über
Goethe's Faust (öff.) ; Marburg : Koch , ausgewählte Jugend-
gedichte Goethe's (i St. öff.); München: Bernays, Schillers
und Goethe's Zusammenwirken 1794 — 1805 (4 St. priv.) ;
Tübingen : Köstlin, Goethe's Faust i . und a.Thell nebst Einleitung
in die Faustsage und Faustliteratur (3 St. priv.); Würzburg:
Seuffert, deutsche Literatur von Goethe's Jugend bis Schillers
Tod (4 St. priv.); Basel: St. Born, Goethe und Schiller, ihr
Leben und ihre Werke (2 St. öff.); Zürich: Honegger, deutsche
Literatur in der classischen Periode, Goethe -Schiller- Zeit
(3 St. priv.); Prag: Lambel, Erklärung ausgewählter Dichtungen
Goethe's (2 St.).
Winter 1880/81. Berlin: Scherer, Geschichte der deutschen
Dichtung von Schillers Tod bis zu Goethe's Tod (3 St. priv.) ;
Bonn : Birlinger, Goethe's Faust (2 St. öff.) ; Göttingen : Goe-
deke, über (ioethe's Leben und Schriften (i St. öff.); Jena:
Boehtlingk , über Goethe's Leben und Schriften (2 St. priv.) ;
Lei])/.ig: Hildebrand, Goethe's Lieder und (Gedichte erklärt,
zugleich als Einführung in das tiefere Verständniss des Dichters
überhaupt (3 Std. priv.) ; Arndt , Goethe's Leben und Werke
1. Abschn., die Jugendzeit (i St. öff.); Creizenach, Uebungen
der lit.-hist. Gesellschaft: Interpretation des 2. Theils des Faust
(öff.); München: Carriere, Goethe's Faust (i St. öff.); Bernays,
Gesch. der deutsch. Lit. von Schillers Tod bis Goethe's Tod
(4 St. priv.); Basel: St. Born, Gesch. der neuern deutschen
Lit., Goethe und Schiller, die Periode des klassischen Idealis-
mus (2 St. öff.): Dorpat: Masing , über Goethe's Gedichte.
Bibliographie.
I. Schriften.
A. Ungrdrucktes.
I. GEDICHTE.
Zum Acht und Zwanzigsten August 1880. Erster Druck einer
gereimten Epistel Goethe's. Berlin 1880. Druck von
G. Bernstein. 4 unpagg. SS. (G. v. Loeper. Vgl. oben
S. 225 fg.)
G. Weisstein. Goethe-Findlinge. Berliner Tageblatt. 29. Aug.
1880. Erstes Beiblatt.
Theilt folgende Ins( hrift mit, die Goethe an ein Fenster
in dem W'erther-Hause in Wetzlar geschrieben haben soll :
L"amour et la mort sont deux canailles ;
L'un gäte les coeurs et l'autre les entrailles
ferner aus dem Notizbuch der schlesischen Reise (1790.
Hirzels Bil)liothek) die älteren Fassungen der Venediger
Epigramme 55 und 57, die sich deutlicher als die späteren
Abdrücke auf I,avater beziehen: endlich die gleichfalls auf
Lavater bezüglichen oben S. 231 von Loeper wiederholten
4 Verse: »Guten ein Thor«.
BiBLIOGRAPHIL.
1. p. Rinri-.
I. S( hriftcn. in denen die Briefe entlialten sind.'
■' Härtung = Einige Briete von Goethe. Mit einer Musik-
Beilage von Corona Srhröter. Manuscript für Hrn.
Professor Lobe zum 30. Mai 1S79. 15 pixgg. und 3
unpagg. SS. Leipzig. Druck von Hundertstund und
Pries.
Die Vorrede (unterzeichnet H. Hartung)gibt l-5iograi)hisclies
über Lobe, den Musiker, der in (ioethe's Hause und im Theater
musikahsch thätig war. Enthält 7 Cioethe-Briefe, von denen
2 . nämlich an Kirms 4. März 1799, an J. E. Müller 7. Mai 1810,
bereits gedruckt waren und Corona's Composition vom ersten
Verse des Erlkönigs, sowie den dazu gehörigen Theaterzettel
(1782J.
* Weissstein = Zu Goethe's hundertunddreissigstem Geburtstag
(28. Aug. 1879) in: Neues Tagblatt, Stuttgart 29. Aug. 1879,
S. 3. 4-
Notizen über CJoethe's W'rhältniss zu Stuttgart und Stutt-
gartern, besonders zum Hofbaumeister Nik. Fr. Thouret. Ein
Briefchen an ihn, 30. Jan. 1800 wiederholt, ein anderes, auf
den Umbau des Weimar'schen Residenz-Schlosses bezüglich,
vgl. unten. 16. Juni 1800, zum ersten Male gedruckt.
Deutsche Revue = Zwei ungedruckte Briefe Goethe's, mit-
getheilt von Prof. Eritz Schultze in Dresden. Deutsche
Revue IV., H. 11, S. 207 — 209.
Arndt = Zu Goethe's Geburtstag 1880. Sonderabdruck aus
den Grenzboten 16 SS. 8°.
Enthält 12 Goethe-Briefe von 1780— 1829, theils aus der
HirzeKschen Goethe-Bibliothek, theils aus Privatsammlungen.
W". v. Biedermann = W'issensch. r)eil. der Leipziger Zeitung
Nr. 76.
Biedermann IL = \\ issensch. Beil. zur Leipziger Zeitung
Nr. 104, 105, 25. und 30. Dez.
' Das * vor einem in der ßibliograpliic angeführten Werke be-
deutet, dass es schon im Jaiir 1879 erschienen ist.
478 Bibliographie.
Eggers = Briefe von Goethe an Rauch, mitgetheilt von Dr.
Karl Eggers. Mit einem Lichtdruck. In: Zeitschrift
für bildende Kunst. Leipzig, E. A Seemann 1880.
Bd. 15, S. 360—364. 392-400.
Enthält 18 Briefe Goethe's, mit erläuternden Bemerkungen
des Herausgebers. Der Lichtdruck gibt die Medaille auf K.
August zum 5ojähr. Regierungs-Jubiläum und die Medaille
auf Goethe zum 7. Nov. 1825. Am Schluss (S. 400) Gruppe
vom Goethe-Denkmal in Berlin. — Erschien auch in einem
Separat- Abdruck bei demselben Verleger: 15 SS. in 4^^; ohne
die Abbildungen.
IL R e g e s t e n.
(An Lavater. IVeimar 28. August lySo.)
»Der Rath Bertuch« werde an L. wegen der von ihm
gewünschten tausend Thaler schreiben. Die überschöne Bran-
coni sei in W. gewesen.
Arndt S. 2.
(An Prinz Atigust von Gotha. IVeimar 2. April 17 81.)
»E. D. dancke auf das lebhafteste«, sendet eine zu
übersetzende Schrift, ferner seine Büste, endlich die Vögel.
»Es ist freylich nur der erste Ackt, und die übrigen sind
noch in Petto , vielleicht lockt die nächste Jahrszeit des
Gefieders, auch diese merkwürdigen Geschichten hervor«.
Arndt S. 3.
(An Prinz August von Gotha. Weimar ly. Sept. 17 81.)
»E. D. nochmals meine Freude über die glückliche Be-
gegnung in Erfurt zu versichern«. Sendet »Wilhelm Meisters
theatralische Sendung I. Th. i. Buchs« und Bruchstücke aus
den Briefen von der Schweizerreise 1779. Hat dem Grafen
Schuwalow in Weimar zum Geleitsmann gedient
Arndt S. 3. 4.
(An Michael Saloni. IKeiniar 20. Februar 1782.)
»Auf Ihr gefälliges Schreiben, dem Sie eine Probe der
Übersetzung meines Werthers bey fügten«. Lobt dieselbe,
wünscht sie durchzugehn und seine Bemerkungen darüber zu
Bibliographie. 479
machen. Will sich dazu der Hilfe eines Weimar'schen Ge-
lehrten bedienen, der lange in Italien gewesen. Ermuntert
zur Fortsetzung der Uebersetzung.
Arndt S. 5. 6.
(An Gosche fi. Rom 20. Februar i~8j.)
»Die vier ersten Bände sind nun bey Ihnen und ich wünsche
zu dem Unternehmen Glück«. Ist mit den folgenden Bänden
beschäftigt, arbeitet an Tasso, später Egmont. hofft Michaelis
2 Bände zu liefern, sendet durch Herder eine Nachricht fürs
Publikum. »Meine Reise giebt mir neuen u wenn ich mein
Leben u meine Lebensart betrachte unendlichen Stoff, mit
dessen Verarbeitung ich auch nicht säumen werde. So scheint
es mir gleich jetzt dass wir statt 8 Bänden 10 haben werden«.
Bestimmung über die ihm zukommenden Exemplare und
über 60 Thlr.. die ihm Plessing in Wernigerode zurückzu-
zahlen habe.
Arndt S. 6. 7.
(An Kirms. Weiinar i. oder 2. Dezember ijgj.)
»Herr Hofrath Schiller wird das Stück nächstens schicken.
Herrn v. Einsiedel könnte man antworten, dass man nicht
abgeneigt sey, das Stück für den nächsten Winter zu acquiriren.
nur wünsche man vorher das Personal mit Bemerkung der
Stimmen zu erhalten , um die Besetzung für das hiesige
Theater beurtheilen zu können«.
Härtung S. 7.
(An Kirms. Jena 26. N^ovcmber ijgg.)
»Haben Ew. ^^■ohlgeb. die Gefälligkeit«. Abweisung
einer Schauspielerin. »Herr Hofrath Schiller wird seine am
Körper zwar leidlich gesunde, doch am Gemüth noch kranke
Gattin bald nach Weimar schicken ; ich denke ihm bey seinem
Demenagemcnt noch beyzustehn und ihn alsdann nach
Weimar zu begleiten«.
Härtung S. 8.
(An Kirms. Weimar 20. April 1800.)
»Ich sende vorläufig das Concept eines Briefes« an den
Sänger Hassloch, das vielleicht noch geändert werden kann.
Komiker Beck sei abzuweisen.
Härtung S. 9.
480 Bibliographie.
(An Kinns. Weimar 12. Dezember ijpp.)
»Der Verfasser der ,Ortavia« verzeihe" (nämlich Kotze-
bue) die verzögerte Rücksendung. Sie habe ihren Grund
darin, dass man die Frage entscheiden musste, ob die poeti-
schen und rednerischen Verdienste des Trauerspiels den Mangel
dramatischer Eigenschaften überragen [so muss es wohl statt
»übertragen« heissen] könnten«.
Biedermann II.. S. 622.
(An Thoiiret. Weimar 16. Juni 1800.)
»Da mit jedem Tage das Bedürfniss neuer Zeichnungen
dringender wird, indem die Arbeiten der Quadratoren und
Stukatoren nach und nach zu Ende geht ; so habe ich durch
gegenwärtiges anfragen sollen : ob Sie, werthester Herr Hof-
baumeister, uns nicht bald einige ausgearbeitete Zeichnungen
überschicken könnten? | Auf alle Fälle ersuche ich Sie um
die Gefälligkeit mir baldmöglichst zu schreiben, was wir er-
warten dürfen, damit ich Durchl. dem Herzog, der mich
selbst, durch wiederholte Nachfragen, zu dem gegenwärtigen
Briefe veranlasst, davon aufs baldigste Relation thun könne.
Ich hoffe, dass Sie sich recht wohl befinden und empfehle
mich zu geneigtem Andenken».
Weissstein S. 4.
(An Henriette v. Egio ff stein. Weimar 10. November 1801 .)
»Meine Ankunft zu notifiziren«, die liebe Gesellschaft
finde morgen Abend alles bereit.
Biedermann IL, S. 630.
{An Kirms. lieimar 28. Februar 1802.)
»Es thut mir leid, dass ich in der Angelegenheit der
»Kleinstädter« nicht von der Meinung des Verfassers sein
kann«. Die Regieen hätten sich das Recht des »Streichens«
angemasst, den Autoren das Ausfüllen der Lücken überlassend,
er könne von jener ersten Redaction »um so weniger abgehen,
als ich mir fest vorgenommen habe, auf dem Weimarischen
Theater künftighin nichts mehr aussprechen zu lassen, was
im Guten oder Bösen einen persönlichen Bezug hat, noch
auf neuere Literatur hinweist, umsomehr da hier auch nur
meistens persönliche Verhältnisse berührt werden«. Die von
BlBLlOGKAPHIt. 481
K.. gerügte Stelle in den »Theatralischen Abenteuern«, (ko-
mische Oper von Vulpius) werde er glei( hlalls streichen.
Biedermann II.. S. 623.
(A// Kir/Jis. fciui y. May 1802.)
»Inliegendes war schon gestern zugesiegelt«. (Geschäft-
liches über Tanzstunden, Zimmermann, IJacker. »Lassen Sie
Mme. Vohs weiss gehen wie sie will. Diese (>es])ensternarr-
heit ist einmal den Weibern imserer Zeit nic.ht aus dem Sinn
/u bringen. Suchen Sie nur das übrige, nach der Angabe de>
Professor Meyer, einzurichten, besonders dass keine Seide in
dem Stück ersclieine«. Möge das zu lJesi)rechende ])unki\veise
aufzeichnen.
Härtung S. 10.
{An Eiclistädt . Weimar 8. September JSoj.)
»E. \V. kann heute nur mit wenigen Worten versichern.
dass ich mich des Geschäffts die allgemeine J.itteraturzeitung
betr. mit Eifer annehme und den besten Erfolg hoffe«. Die
übrigen Akademika sollen (leli. Rath X'nigt dircd mitge-
theilt werden.
Arndt S. 8.
{An Friedrieh Vogt. Weimar 20. Dezember j8o6.)
»Es wird Fürstl.Commission« : möge Hn. Meunier i)ri\'atim
antworten. »Wenn Sie bey Entfaltung des Typus alle Bücher
bey Seite legen und sich blos an die Natur halten, so werden
Sie gewiss Alles durchdringen. Zu dem Gedanken das os
temporvnii mit der scapula zu vergleichen gratulir ich. Die
basis cranii werden Sie gewiss auch bald entwickelt haben,
wie ich denn auch besonders das os ethmoideum, das Sieb-
chen selbst, die conchas und den vomer empfehle, an welchem
die Gnmdgestalt sich am wimderbarsten aufschliesst , dem
Auge ganz verschwindet und nur vom (leiste verfolgt werden
kann«. Grüsst Knebel und Frau.
Deutsche Revue. S. 209.
{An Luden. Weimar 18. Oktober j8oj.)
»E. W. sagen vielen Dank für die übersendeten Bände«.
(»Kleine Aufsätze geschichtlichen Inhalts«.) Theilnahme an
Goethe- ).^HKBLCH 11. 5I
482 Bibliographie.
seinem unglücklichen Schicksal. (vgl. oben S. 261.) Kitte,
unangemeldet mit der Frau zu Tisch zu k(jmmen. l'eber
die Biographie des Herzogs Bernhard.
.\rndt S. 8. 9.
(An Zelter. Weimar J4. März iSii.)
»Der Stier ist ausgepackt und steht vor unsern .\ugen
da«. JJankt Hn. Friedländer für denselben, will etwas Anders
zum Tausch schicken, maclit einige Bemerkungen über das
Kunstwerk und will die Weimarischen Kunstfreunde zu einer
umständlichen Recension veranlassen. »Nächstens mehr, mein
Kunst- und Leidensbruder. Das Rechte will die ganze Welt,
aber mit Pfuschen soll es erreicht werden«.
Arndt S. 9, lo.
{An Sehlichtegroll. Weij/uir j/ . Ja/iiiar 1S12.}
»E. W . freundliches Schreiben \'om 15. Nov.« ist noch
unbeantwortet , sendet einige erbetene Inschriften für ein
Gartenhaus , es gehöre angebornes Talent dazu , neue zu
finden »in welchem Fall Hr. von Birkenstock war, der gleich-
sam im Lapidarstyl dachte«. Grüsst den Freund F. H. Jacobi,
über dessen Werk: »Von den göttlichen Dingen und ihrer
Offenbarung« er seinen Widerspruch nicht zurückhält. Erbittet
Schwefelabgüsse von Münzen aus der Münchener Sammlung,
besonders aus der Zeit zwischen Phidias und Lysippus. Rühmt
die Musiker K. M. v. \\'eber und Bärmann. Bittet um Be-
reicherung seiner Autographensammlung durch Handschriften
von Baiern. »Sollte nicht von dem wackern Aventin eine
Zelle vorhanden seyn?«
Arndt S. 10 — 12.
{An':' Weimar 2j. April 1814.)
»E. W. geben mir durch Ihren freundlichen Brief«. Dank
für seine Zeitschrift. Ihm fehle das 12. Stück des vorigen
Jahres. Lobt die Register. Bespricht einzelne .\rbeiten,
freut sich seiner Uebereinstimmung mit »imserm vortrefflichen
Kant«, stellt seine Mitarbeiterschaft nicht in sichere Aussicht,
hofft aber durch Seebeck und Döbereiner in nähere Ver-
bindung mit dem Adressaten zu kommen.
R. Ho\l)ergcr im Archiv f. Literaturgesch. IX.. 334. 335-
Bibliographie. \S^
(All Sc/i/ic/i/t\i:;ro//. W't'i/iiiir 24. Jiily 1^14.1
»F. \\ . tVeundlii hc Ziis( luift sowohl als der heygeschlossene
Briet einer verdienstvollen Künstlerin hat bey mir man<he
bedauerliche Betrat htung rege gemat ht.« JJedauert sie nicht
am Theater anstellen zu können. Ist im Begriff nach Frank-
fiM't und \N'iesbaden zu reisen. Freund Meyer ist entzückt
von seinem Münchener Aufenthalt.
Arndt S. 13. 14.
{An Kinns. Wr/n/ar S\ Mnrz iSiß.)
»Möchten F. W . lleikonnnendes . . an II. I)un< ker ab-
gehen lassen«. (Fpimenides Frw achen) . . »hh habe, was er
wünscht, zum Manuscript hinzugefügt, und schick es ihm zurück
mit der Zusage seines Verlag-Rechts bis Michael dieses Jahrs«.
\\"ünscht von 1). baldigst eine .Mischrift der l'artitur für Weimar.
Härtung S. 11.
{An JSochdcn. U'cinuir ^. A/nr: j.S'jj.)
»E. \V. empfangen geneigtest die Erwiederung«. Dankt
für die Mittheilungen über den Triumphzug des Mantegna.
die in K. u. Alt. verwerthet werden sollen, fragt an i. wie die
Bilder nach England gekommen sind, 2. ob sich auf dem Bilde
das Aufstreben eines Knaben, der sich verletzt hat, zur Mutter
erkennen lässt, 3. ob das Wickelkind dieser Frau oder der
dahinterstehenden. Frau angehört.
Im neuen Reich Nr. 40. S. 508. 509.
(An Rauch. ll'einiar 26. Juni 1824.)
»Man wünsi Iit das Bevorstehende«. Bestimmungen über
die Medaille für den Grossherzog : ^'eral)redungen werden
verlangt mit dem Bildhauer Tiek und dem Medailleur Brand.
Eggers S. 361, 362.
(An Rauch. Weimar 2j. August JS24.)
»In Erinnerung so mam her angenehmen Stunde«. Dankt
für das 5. Heft der SchinkePschen Sammlungen und das
Blücher'sche Modell, sendet die Festgedichte von 1819 und
einen Abdruck der Taufschale, (hüsst die Tochter.
Eggers S. 362.
484 Bibliographie.
(A/f Weiler. Weimar 21. März 1825.)
»Mögen Sie, mein Wcrthester«. Bitte. Prof. (jöttling zu
ermahnen, da Osann verreist sei, seine Meinung über eine
für ein architektonisches liilcl bestimmte lateinische Inschrift
zu sagen, (iruss an Knebel.
Biedermann S. 450.
{Au RaucJi. ]]'ci)iidr 20. Juni 182 j.i
»Geneigtest zu gedenken«. Genehmigt den Vorschlag
der Berliner, »das aus den Wellen hervorsteigende Vierge-
spann auf die Rückseite der Medaille zu bringen«, wünscht
die Figuren des Ihierkreises beizubehalten , bewilligt das
Honorar, von 100 Dukaten. Bemerkung über Farbe und Preis
der einzelnen (Silber-Bronze) Medaillen.
Eggers S. 362, 363.
(All Raiicii. Weimar 2J . Aitgiisf iS2^.)
»E. W. darf die glückliche Ankunft der Medaillen nicht
unangezeigt lassen, so wenig als den Ausdruck der Freude
verschweigen, welche das so wohl gerathene Kunstwerk vor-
erst im Innern des Vereins erregt hat« , dankt ihm, Brandt
imd Tiek. Wünscht Glück zu dem entstehenden Verein der
Kunstfreunde im preussischen Staate. Bittet ihn, bei einer
Reise, sollte, wie es scheint, die Statue für Frankfurt ernstlich
\ erlangt werden, mit der Tochter 8 Tage in Weimar zu ver-
weilen und von der für ihn xorhandenen Liebe und Aner-
kennung sich zu überzeugen.
Eggers S. 363.
{An Frau von Lcvetzou'. Jl'rin/ar Ol^tobcr 182 j.)
»Mit vieler Freude erhalte ich« ihren Brief, der ihre
(ienesung mittheilt, wünscht Glück dazu, freut sich über das
»holde Geschick Amaliens«. »In Gedanken spazierte gar oft
mit unserer lieben Aeltesten auf der Terrasse hin und wieder«.
Musste wegen des Jubelfestes in Weimar bleiben und wird
das erste Exemplar der gesammelten Gedichte der Freundin
seiiden, erinnert sich mit Freude der früher gemeinsam ver-
brachten Tage.
Arndt S. 14. 15.
BiBLIÜGKAPHlt. 48;
(Äff Rektor der UtfiTersität Jetfa. U'eiffiar 6. Dez. iSj^.t
»E. \\ . danke /.iivorderst für den mir neuerlicli cr/.cij^acn
])ersönlichen Anthcil an dem ehrenvollen Feste« (vom 7. No\.).
dankt für das ('redicht und bittet die »beyliet^enden Schreiben«
den einzelnen Fakultäten zu ül)erreichen.
Deutsche Re\'iie S. 20g.
{All Kiiiii/i. ll'iiiiiar j6. Dcziiiibtf iS2j.)
wE. \\ . liebwerthe Schriftzüge (Brief Rauchs vom 30. Nov.:
nach dem Concept abgedruckt: Eggers S. 363, 364) nach so
geraumer Zeit wieder zu erblicken, war mir höchst angenehm«.
Hat Rauchs Bemerkungen zur Goethe-Medaille der damit
beauftragten ("ommission mitgetheilt, freut sich des Rauch
\ on Hrn. v. Bethmann ertheilten Auftrags, eine Goethe-Statue
für Frankfurt herzustellen, wünscht ihn aber wegen derselben
nochmals zu sprechen. Freut sich Rauchs grosser Thätigkeil :
»der Waisenvater Franke und der A^ölkervater Maximilian
erscheinen durch Sie auf gleiche U'eise der Nachwelt em])fohlen«.
Grüsst Tiek. »Sollte der neu angekommene Ajjollo Kopf
geformt werden so gedenken Sie mein. Es ist mir allzu-
wohlthätig, wenn ich mich von Zeit zu Zeit wieder aufgefrischt
fühle und ich veranlasst bin, ein höheres Bedürfniss in dem
.\ugenblick, da es befriedigt wird, in mir hervorzurufen«.
Eggers S. 364.
(A/i Rauch. Weimar 3. No7'e)nhcr 1826.)
»E. \< . bin in dem Lauf der letzten Monate«. Dank
für die Medaille: es »sey mir erlaubt, eine allgemeine Re-
flexion hier beyzufügen : dass man in einem langen Leben
durch manche Schicksale geprüft sein muss, um von einer
solchen Gabe sich nicht erdrückt zu fühlen«. Dankt Hrn.
Brand, grüsst Tiek und Schinkel und l)ittet um des Letztern
architektonische Entwürfe. Heft 1.
Eggers S. 392.
(All Rauch. Jl'e/u/ar 2J. März /82y.)
»E. W . nehmen Überbringerin« Frl. Facius. die mit
Medailleur Posch nach Berlin gehe, freundlich auf. Versicherung
der Theilnahme an »Ihren herrlichen Werken«.
Eggers S. 392.
4^6 BlBLIÜGKAl^HIH.
(An Rauch. IVc/iiiar i8. Sept einher 182J.)
»E. \\'. (Geneigtheit gegen die hübsche kunstreiche Facius
ihut sich sehr klar aus der eingesendeten Büste hervor«.
Dankt für die Unterstützung, empfiehlt den Sohn des Dr.
N. Meyer in Minden, der eigens zu Rauch lun h Berlin ge-
schickt werde, dankt für Begas' höchst gelungenes Porträt
Zelters, rühmt Zahn und Cassel, der ihn eben verlasse, um
nach Kerlin zu gehn.
Kggers S. 393.
{An Raticli. Weimar 21. Oktober 182J.)
»Dass Sie, theurer verehrter Mann, im Augenblick eines
herben Schmerzes Ihre Gedanken mir zuwenden und mit mir sich
unterhaltend, einige Erleichterung fühlen, dies gibt die schönste
Ueberzeugung eines innig geneigten Wohlwollens, eines zarten
traulichen Verhältnisses , wie ich von je auch gegen Sie
empfinde«. Trostreiche Ermahnungen, nur in der Thätigkeit
sei ein Mittel zu finden, um im Gleichgewicht zu bleiben :
Hinweis auf eigne ähnliche Erfahrungen. »Viele Leidende
sind vor mir hingegangen, mir ah.er war die Pflicht auferlegt
auszudauern und eine Folge von Freude und Schmerz zu
ertragen. wo\on das Einzelne wohl schon hätte tödtlich sein
können«.
Eggers S. 393. 394.
{An Rauch. Ilein/ar 3. Noi'cuiber 182J.}
»Lassen Sie mich nun, theuerster Mann, von Künstlern
imd Kunstangelegenheiten das Weitere verhandeln«, ^^'ieder-
holte Empfehlung des Frl. Facius und des jungen Meyer ;
wünscht von den U'erken der HH. Brand und Tiek Kenntniss
zu nehmen; würde sich freuen, wenn das Denkmal in Frank-
furt, trotz des Todes des Hrn. v. Bethmann, zu Stande komme;
kennt die Bestrebungen des Hrn. Beuth ; würde gern von
Rauch den von Hn. Kohlrausch gezeigten Kopf des Antinous
von Mondragone besitzen; fragt an, ob nicht ein Abguss eines
Theils der Rauch"schen Basreliefs am fJlücher'schen Monument
zu erlangen sei. Schickt den Fhief durch .\lfr. Xicolo\ius.
(iruss an die Tochter.
Eggers S. 394, 395.
Bibliographie. 487
(A/i Rauch. IVei/nar 11. März 182S.)
))E. \\'. nach Ihrer Rückkehr nach IJcrhn rrcundiichsi
begrüssend« hat das Trauerspiel von Beer bekommen und
Holtei, der hier allgemein erwünschten Beitall finde, übergeben.
Dankt Rauch für die (Blücher'schen) Reliefs und Tiek für
eine Statue , möchte Nachrichten über das von Rauch in
München und Nürnberg Veranstaltete haben, wünscht Glück
zur Vollendung des 2. Bildes der Königin Luise; theilt mit,
dass er seine vom jungen Meyer, an den er einen Brief bei-
legt, gefertigte Büste bekommen, wünscht die Skizze zur Hum-
boldtischen Medaille zu erhalten und grüsst die Tochter.
Eggers S. 395. 396.
(All Rauch. Weimar 2'j^. März 1828.)
»In meinem letzten Schreiben vom n. Märzcc. Emjifiehlt
Frl. Fac:ius zur Aufnahme ins Rauc-h'sche Atelier.
Eggers S. 396.
(An Rauch. Weimar 2J . April 1828.)
»Bei der vor einiger Zeit mir gefällig zugegangenen höchst
ehrenvollen Einladung empfand ich ein innigstes Bedauern, dass
meine hohen Jahre mich verhinderten, derselben Folge zu
leisten und an einem so schönen Feste mich theilnehmend
einzustellen«. Hätte gern die alte ehrwürdige Stadt (Nürnberg?)
wieder besucht und in das Hoch auf den König, »welchem
ich so vielfach dankbar verpflic:htet bincc eingestimmt.
Eggers S. 396.
(Au Rauch. Weimar 4. November 1828.)
»E. W. wieder einmal auf das freundlichste zu begrüssencc,
wünscht von seiner Juljiläumsmedaille 10 silberne und 50
bronzene Exemplare , bittet Hrn. Brand , das Verlangte zu
sc:hicken. hatte von den »zurückkehrenden naturforschenden
Freunden« Erfreuliches über Rauch geliört.
Eggers S. 397.
{An Rauch. Weiuiar /. Dezemher J828.)
»E. W. habe ui)ter clem 4. Nov.«, erneuert die Bestellung,
meldet, »dass die Durchzeichnung des Peter Fischers in .\rbeit
sei«, grüsst ihn und die Tochter.
Eggers S. 398.
488 Bibliographie.
(An Rtxitch. Weimar R. Dezember 1828.)
»E. W . übersende die gewünschte Durrhzeichnung«, er-
wartet die bestellten Medaillen, wünscht eine Nachbildung
des Tele])hiis mit der Ziege und erbittet Rauchs und der
Tochter Besuch bei ihrer Durchreise nach München.
Eggers S. 398.
(All Rauch. Weimar 24. Mai 182g.)
»Ungeduldig über mancherlei Hindernisse« wünscht (ilück
zur Vermählung von Rauchs Tochter, dankt Schinkel. bittet
um vorherige Anmeldung seines Besuches.
Eggers S. 398.
{An Weller. IVeimar 12. August 182g.)
«Mögen Sie wohl, mein Verehrtester« Prof. (iöttling zur
Rücksendung des Manuscripts ermahnen.
Biedermann S. 450.
{All Frau v. Levetzow. Weimar 2. Septemlier i82(^.}
»Es ist nun jährig, dass Sie als theure geprüfte Freundin,
mir Ihren Antheil zu erkennen gaben bei dem schweren
Geschick das mich betroffen, denjenigen vor mir hingehen
zu sehen, dem ich dem Laufe der Natur und meinen AA'ünschen
gemäss in jene Gegenden hätte vorantreten sollen«, ^^'ünscht
Glück zu der Vermehrung der Familie, sendet Frl. Ulrike
den »treulichsten Gruss«.
Arndt S. 15, 16.
(All Kau eil. Weimar 20. Februar 1832.)
»Heute ist unsere gute Doris Zelter mit der kleinen
Facius abgereist«, dankt für den IJrief, freut sich Rauch
wieder in PJerlin zu wissen. »Ich lebe dort mehr als ich
sagen kann und vergegenwärtige mir möglichst das mannig-
faltige Grosse, was für die Königsstadt, für Preussen und für
den ganzen Umfang der Kunst und Technik, der \\'issenschaft
und der Geschäftsordnung geleistet und gegründet wird«.
Empfiehlt nochmals Frl. Facius und spricht ausführlich über
ein von ihr in Stein zu schneidendes Bild. \A'üns('ht, dass
Rauch mit Tiek und Beuth sich für Errifhtung eines Instituts
lilBLIOGRArilll . }S9
für plastische Anatomie interessirte, das er »als eine Welt-
angelegenheit« ansehe. »Vers(h\\ eigen kann i< h jedoch nicht,
dass ich mir manchmal selbst hiebey wunderlich \ orkomme.
denn ich fintic mi( h fast /um ersten Male auf ])roi)agandisti-
schcm Wege. Sonst stellte ich meine Überzeugungen hin
und liess sie gewähren : diessmal mö.ht ich sie lel)endig durch-
geführt sehen. Es scheint das Alter wird ungeduldig, wo die
Jugend langmüthig war«. Grüsst Schinkel und sendet Cou-
drays Grüsse an denselben.
Eggers S. 399. 400.
H. XEIE AUSCiAllKN DER WERKE.
lugendbriefe Goethe"s. Ausgewählt und erklän \ on Dr. Wil-
helm Eielit/. Oberlehrer am Ciymnasium zu Wittenberg.
Berlin. Weidmann. XII. und 307 SS.
\\'iederabdruck von 204 Briefen, vom 2^. Mai 1764 an
bis 3. September 1783. In drei Abtheilungen, r. Frankfurt.
Leipzig, Frankfurt, Strassburg. 2. Frankfurt. Wetzlar, Frankfurt.
3. Weimar. Der .\nhang enthcält: .Aus Goethe's Weimarer
Tagebuch : Personenverzeichniss. Die beiden ersten Abthei
lungen wiederholen zumeist das im »Jungen Goethe« mit-
getheilte Material, vermehrt mit einigen Briefen an Sophie
La Roche; die dritte bringt Briefe an Frau v. Stein, an Kraft.
Johanna Fahimer u. .\. Die Briefe sind durch einen bio-
graphischen Text mit einander verbunden ; die Anmerkungen
enthalten sachliche (literar-historische u. s. w.) Erklärungen.
Die Briefe sind mit wenigen Ausnahmen unverkürzt mitgetheilt :
Orthographie und Interpunktion sind vollkommen modernisirt:
nur an drei Stellen ist der Text durch Conjektur geändert.
Unter den neuen Beiträgen zur Erklärung sei die Notiz
(S. 125) hervorgeholten, dass Unterhaltungen über den Selbst-
mord (mit Johanna Fahimer) vielleicht anknüpften an gemein-
same Lektüre des Vikars of Wakefield.
(ioethe's Briefe an die (iräfin Auguste zu Stolberg, verwittwete
Gräfin von Bernstorfif. Zweite Auflage, mit Einleitung
und Anmerkungen. Leipzig. F. A. Brockhaus 1881.
XL und 166 SS. kl. 8°.
Herausgeber ist W. .\rndt in Leipzig. \'on ihm rühren
Vorwort. Einleitung und die Anmerkungen S. 81-166 her.
_j.t)0 BlHLlOGKAl'HIH.
Die Briefe Goethe's, zum ersten Male 1839 von A. v. Binzer
herausgegeben, sind mit den Originalen collationirt ; die im
Besitz der Uittwe des ersten Herausgebers durch M. Carriere,
2 in der Sammlung des Freien Deutschen Hochstifts durch
\\'. Oeizenach. 6 in Leipzig (Sammlung von R. Brockhaus
und Hirzel'sche Bibliothek). Die 20 ersten Briefe vom
26. Januar 1775 bis 4. März 1782: IJrief 22 vom 17. April
1823 als Antwort auf Augustens Brief vom 15. Oktober 1822.
Die Einleitung gibt eine Biographie der Adressatin und eine
kurze Charakteristik der Briefe. Die sehr ausführlichen An-
merkungen geben Erklärungen im Einzelnen, chronologische
Untersuchungen, mancherlei Vermuthungen, z. B. dass das
Lied (iretchens »Meine Ruh ist hin« vor dem 25. März 1775
gedichtet und an Auguste geschickt sei; der Anhang enthält
einen Brief der Auguste an Klopstock und Johanna Elisabeth
von W'inthem 25. A\m] 1776. - Die Ausstattung ist sehr zierlich.
Die Leiden des jungen Werthers von J. W. Goethe. Gedruckt
in der \\'erkstatt der Heinzelmännchen, getreu nach
der ersten Ausgabe \on 1774. München. Adolf Acker-
mann. 224 SS. des kleinsten Formats (64°).
Allerliebste Spielerei, nach Art des vor einigen Jahren
in Italien erschienenen kleinen Dante. Dieselbe Verlags-
Handlung hatte das Jahr vorher eine ähnliche Ausgabe von
Schillers Räubern herstellen lassen. Die Herstellung ist eine
photographische, keine typographische, die Buchstaben sind sehr
klein, trotzdem ziemlich scharf. Auf dem Titelblatt, am An-
fang der Einleitung und der Briefe , sowie am Schlüsse sind
die kleinen Vignetten der Original-Ausgabe nachgebildet, oben
an der Seite die verzierten Striche , unten die Paginirung
\i — 8 u. s. w. und die Hinweisungen auf das Anfangswort der
folgenden Seite. Schnitt des Buches, die roth und weiss
gepressten Decken und der goldverzierte Deckel des Einbandes
sind überaus anmuthig und zierlicli.
(loethe's Hermann und Dorothea, mit 8 Bildern von Arthur
Freiherr von Ramberg, nach den Original -Oelgemälden
in Lichtdruck hergestellt von Friedrich Bruckmann.
Mit Ornamentstücken von Adolf S(-hill. Neue Ausgabe.
Dritte Auflage. Berlin, (i. (bote'sche Verlagshand-
lung 1881. kl. fol. 67 SS.
Die neue Ausgabe wird auch als Volksausgabe bezeichnet
und empfiehlt sich durcli ihre herrliche Ausstattung und ihren
BlBLlOGRAI'Hlb. 491
massigen Preis. Die acht genialen Bilder Rambergs, deren
photographische Wiedergabe gradezu meisterhaft ist, erregen
ausser durch iliren unvergleichlichen Kunstwerth noch durch
den Umstand besonderes Interesse, dass sie in den Gestalten
Hermanns und der Mutter (ioethe und P>au Rath re])räsentiren.
Die Bilder stellen dar: 1. Die beiden Alten unterm Thorweg:
2. Der Zug der Auswanderer: 3. Hermann und die 'lö< hier
des Nachbars: 4. Hermann und die Mutter unterm Hirnbaum ;
5. Dorothea und die Wöchnerin: 6. Hermann und Dorothea
am Brunnen: 7. Heimkehr beim Anzüge des Gewitters; 8. Die
HeimÜihrung. Die Ausgabe enthält blos den Text, ohne
Einleitung und Anmerkungen.
Hermann und Dorothea. \'on Goethe. Leijizig. (roldhausen's
Verlag. 78 SS. 12°.
Titel-Auflage des bereits 1878 in der »Cienossenschafts-
Buchdruckerei« erschienenen Bändchens. 'I'ext-Abdruck mit
kurzer Vorbemerkung über Entstehung des (iedichts. Bildet
das 3. Bändchen der »Hausbibliothek. Auslese von Werken
der bedeutendsten Schriftsteller des In- und Auslandes«.
Deutsche Dichtung im Liede. (Jedichte literaturgeschichtlichen
Inhalts, gesammelt und mit Anmerkungen begleitet von
Dr. J. Imelmann . Prot". Berlin. Weidmann. XXV. und
619 SS. Lex.-8".
(ioethe'sche (iedichtc sind niitgetheilt über : König Rüther,
Nibelungenlied. Otnit (Stellen aus dem Ma-kenzug 18 10),
Reineke Fuchs. Hans Sachs (2), Geliert. Klopstock. Wieland
(3). Herder (2), Voss. Bürger. Schiller (5). Kotzebue : über
Goethe zunächst 14 Gedichte zur Selbstcharakteristik, sodann
(iedichte von Beer. Dingelstedt, Geibel, (deim. (xrillparzer (2),
Grün. Hebbel (2), Immermann (2j, Mörike, Platen, Rückert
(8), Schenkendorf, Schiller. Schlegel (3), Simrock, 1). F. Strauss,
V. Strauss, Tieck, Uhland (3), Wackernagel, Zedlitz. — Die
Gedichte über Goethe S. 277 — 338; Anmerkungen dazu
S. 604 — 606. z. B. über das (iedicht »Deutscher Parnass«.
*Altclassisches Lesebuch. Musterstüc:ke aus den griechischen
und lateinischen Classikern in deutscher Uebersetzung
von Klopstock, Lessing, Wieland, Herder, Goethe,
Schiller u. A., herausg. von Albert Wittstock. H alle a. d. S.
Buchhandlung des ^^ aisenhauses (1879). VIII. u. 696 SS.
492 ßll',Ll(K;KAI'lllK.
Enthält von Goethe S. 32 : Anakreon an die Cicade
(Werke. Hempel 2, 462): S. 132 — 141: Euripides, Phaeton,
VcrsiK h einer \\iederherstellung aus den Bruchstücken; S. 161
l)is 164: Euripides Bachantinnen (die l)eiden letzteren Hem-
])el 29. S. 500-519).
Eaust und I])hii,renie s. unten Dramen (Schröer, Vockeradt).
Museum. Sammlung literarischer Meisterwerke. Nr. 3. 8, 9,
14. Faust. Eine l'ragödie von Wolfgang von Goethe.
Erster Theil : Hermann und Dorothea; Iphigenie auf
Tauris ; Tortjuato Tasso. In neuer Rechtschreibung.
Billigste Ausgabe in eleganter Ausstattung. Elberfeld.
Eduard Lolls Nachfolger, ^'erlagshandlung. 123, 56.
60. 90 S. gr. 8°.
Zu unglaul)lich billigen Preiseii (Heft 20 bis 30 Pf.) : mit
schönem Druck und Papier. Nr. 8, 9, 14 auch cartonnirt
u. d. T. : Schulausgabe, sonst ganz in derselben Ausstattung
zu etwas erhöhtem Preise. Die Schulausgaben etwas verändert;
H. u. D. : Euterpe fehlen z. B. nach Cholevius' Vorgang
die 2 Verse: Dass Dir werde die Nacht bis: freier und eigener
werde.
Faust. Eine Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe.
Erster Theil. lUustrirt in 50 Compositionen von Alexan-
der Liezen Mayer, Direktor der kgl. Kunstschule in
Stuttgart. Mit Ornamenten von Rudolf Seitz. Ausge-
führt in 9 Radirungen xon W. Hecht und ^^". Kraus-
kopf und in Holzschnitten von \N'. Hechts xylogr. Anstalt.
Gedruckt bei Gebrüder Kröner in Stuttgart auf Papier
der G. Schauffelen'schen Fabrik zu Heilbronn. München.
Theodor Stroefer's Kunstverlag. 254 SS. in 4'\
Ausser den im Titel genannten Radirungen enthält das
wundervolle Prachtwerk 8 ganzseitige und 33 mittelgrosse
Holzschnitte nebst vielen ornamentalen Illustrationen. Auch
der Tt\{ ist reich verziert. Einstweilen liegt nur der erste
Theil vor : der zweite Theil. von Max Klinger illustrirt, soll
bis Mai 1881 vollendet sein. Der Text ist ohne jede Ein-
leitung und Bemerkung. Die Scenen sind nummerirt (1—25);
zur Unterscheidung der einzelnen sind erklärende \\'orte in
Klammern beigefügt z. B. Studirzimmer (Beschwörung), Studir-
zimmer (Bündniss) u. a.
Mll«LIÜGK.\l-Hlt. 493
Goethe (iedenk-Hiuh. Hie hin ich! Dass Freunde seiner
schonend sich erfreirn, So kann ich auch nur sagen :
Nimm' es hin. Tasso. | W'ilhchn Fric<h-ich. Leipzig.
Universalbuchhandkmg. 277 SS. in \ 2".
In Monate und Tage getheiU. jedem M(jnat ist aul einer
hcsundern Seite ein Goethe'st'her Vers vorangestellt, tlem
P^ebruar z. B. : Vom Eise befreit sind Strom und IJäche (Faust) ;
Oktober: Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein, Der
schäumend wallt und brausend überschwillt. (Tasso.) Jedes
Blatt ist sodann drei Monatstagen bestimmt auf der linken
Seite drei Stellen Goethe's (bei Epen und I )ramen .uisser
dem Werke auch die Person genannt, welche jene W orte zu
sprechen hat), mit Angabe des Stücks, aus welchem die Stelle
entlehnt ist. Selten fehlt das Citat z. B. S. 184; nicht seilen ist
es ungenügend z. B. S. 244: »Distichen«; häufiger: «Eigenes
und Angeeignetes« statt Sprüche in Prosa; auf der rechten
Seite drei leere Abschnitte, mit den Monatstagen bezeichnet,
zum Einschreiben von Bemerkungen bestimmt. Nach welchem
Grundsatz der Herausgeber bei der Anordnung der Bknnen-
lese verfahren, ist nicht zu enträthseln. Sehr komisch ist der
Druckfehler (S. 24.) in der Unterschrift des (redic-htchens
»Immer niedlicli«: Chenup statt Genug. (Hempel II. 270.)
Goethe-Buch. Goethe'sche I^ebens- und W cisheitssprüche zur
Einführung in des Dichters Denk- und Simiesweise nach
denTagen des Jahres zusammengestellt und mitCommen-
tar , Gedenkbuch , sowie Personen- und Sachregister
versehen vcjn Paul Knauth, Gymnasialoberlehrer. Zweite
Ausgabe. Leipzig. Commissionsverlag xon Wilhelm
Friedrich 1881. 184 SS. in 8°.
S. I — 136: Goethe'sche Sentenzen fiu- jeden Tag, (an
manchen Tagen mehrere) : rechts der Name berühmter Männer,
welche an den betreffenden Tagen geboren oder gestorben
sind, ■/.. B. 1.^4. Januar : Zwingli und Murillo, Byron, Cicero.
J. Grimm, mit Angabe der Jahreszahlen, links Daten aus
Goethe's Leben und Hterarischer Thätigkeit, z. 1!. 7. April :
(1808 Faust I. Theil erscheint). Der F'undort der Sprüche und
(iedichtstellen ist nicht regelmässig angegeben, S. 137— 161:
Erläuterungen (im Ganzen 1 70) mit Hinweisung auf andere
ähnlich lautende Worte Goethe's und Parallelstellen anderer
Dichter mit Auseinandersetzungen über Pessimismus, die wohl
an einen passendem Ort hiitten verwiesen werden können.
S. 162 — 171: »Anmerkungen zum Getlenkbuche« (XXV.)
494 Bibliographie.
Aussprüche Goethe's und Anderer über die in den Tages- und
Jahresdaten erwähnten Personen z. 15. über Lessing. Herder,
u. A. S. 172 — 179: Sachregister; S. 179: Erklärung der
Abkürzungen: S. iSo — 184: Personenregister.
C. U E 15 E R S hVrZUN ( ] EN .
*Le Faust de Cioethe, traduit cn \ers francais par M. Marc-
Monnier. Paris. Sandoz et Fischbacher. 12". 1879.
Als meisterhaft characterisirt . mit einzelnen Proben.
Mag. f. Fit. d. Ausl. 1879, Nr. 49, S. 749 ff.
(roethe. Faust. Premiere partie. Prefac e et traduction de
H. Blaze de Bury. onze eaux-fortes de Lalauze. (ira-
vures de Meaulle d"apres Vogel et Scott. Paris.
A. Quantin. imprimeur-editeur 7. rue Saint-Benoit 1880.
XLIX. und 274 SS. kl. fol.
Glänzend ausgestattetes Werk. Die 11 Kupferstiche sind:
Portrait de Goethe (darunter: Jean Wolgang (!) G.) : Gabinet
de Faust: La Sensation: Chez la sorciere : La rencontre :
Dans le jardin ; Mort de Valentin; Le sabbat; Dans la prison.
Zu diesen ausgezeichnet ausgeführten Blättern kommen am
Anfang und Ende jeder einzelnen Scene Textillustrationen
oder Vignetten: Darstellung der Häuser. Strassen. Schmu(-k-
gegenstände. Kopf des Mephistopheles u. a. m. Die Ein-
leitung, die auch auf H. Grimms Vorlesungen und \. Loepers
Ausgabe Bezug nimmt, handelt über die Entstehungsgeschichte
des Faust, Gharacteristik von Gretchen und Mephisto, (ioethe's
Stellung zur Religion, Philosopie, Politik u. s. w. Die Uel)er-
setzung (seit 1840 zum 14. Male gedruckt) enthält Prosa und
Poesie in seltsamer Mischung; dem Texte sind nur in der
\\'alpurgisna< ht einige Anmerkungen beigegeben. Auf die
Uebersetzung folgt Notice bibliographique und zwar: über
Behandlung der Faustsage vor (ioethe: .Ausgaben des Goethe'
sehen Faust; französische Uebersetzungen in Prosa (11 von
1827— 1878), in Versen (7 von 1840—1875): Nachahmungen
(besonders Oi)ern): Abhandlungen (letzteres Verzeichniss un-
gemein dürftig). Den Schluss (p. 263 — 271) macht eine
Notice artistitpie von A. |. Pons, in welcher die bildlichen
Darstellungen von Faust und Gretchen durch Gornelius,
E. Delacroix . .\ry Scheffer u.a. besonders behandeil werden.
BlBLIÖGRAPHIl.. \ij
* Faust. A Trat,fedy. By (iocthe. J'ranslatcd im«) l",n-lisli
vcrsc by William Dalton Skooncs, 15. A. London,
riühncr \- Co., Liidt^^atL- Hill. 1.S79 2;,o .SS. kl. .S'\
Nur febcrscl/uni; dos ersten Theils mit Witiniuni;. dem
Vorspiele auf dem Theater und im Himmel. Dem ( )riginal
entsprechend sind nur die beiden Sc enen : »TrCiber 'l'ag. Feld:
Nacht, offen Feld" in Prosa: alles Uel)ri.i,'e ist in ^^ereimten
Versen.
Frames«) Mustogiuri : l.'elezione et bin« oronazione di un re
dei Romani, Ricordo giovanile di W. (loethe. (Nuo\a
.\ntologia, anno 15. vol. XXII. tasc 16 S. 619 648).
S. 633 647 italienische Ueberset/.ung der bekannten
KrönungsschilderunL; aus 1 ). u. W. mit mandierlei historiM'hen
.\nmerkungen.
Iphigenie in Tauris. Uel)ersetzung ins Polnische von Marie
Ivurtzmann. Tarnöw. Verlag der Bibliotheka Uni-
wersalno. 1880.
Im »Mag. f. Fit. d. .\usl.« S. 504 als treu gerühmt.
aber »zu viel Zartheit und Weichheit au« h in ])athetischen
Scenen.««
1). KlNZELSCH RIFFEN UND J-RFAÜ rFRUN( ; FN.
I. A i.bc-i;M i:iN i-;s.
Berichte des Freien Deutschen Hoilistiftes tür \\issens«haften.
Künste und allgemeine Bildung in Ooethe's Vaterhause.
Vom Lenzmonate 1878 bis zum Wintermonate 1879.
Frankfurt am Main. Freies Deutsches Hochstift. In
Besorgung bei F. A. Brockhaus in Leipzig. XVI. und
575 SS.
Vgl. oben S. 467 ff. In den Mittheilungen über die
eingegangenen Neuigkeiten sind viele der 1878 und r879
erschienenen Abhandlungen und Schriften über Coethe ge-
nannt: unter den aufgezählten Geschenken finden sich viele
Goethe - Schriften und Ausgaben. Sodann zahlreiche Mit-
theilungen über die Schicksale des Vaterhauses Goethe's und
des Grabes der Frau Rath. Von literarischem Werthe sind
die Notizen S. 16 über ein von Th. Vollmer überreichtes
496 Bibliographie.
handschriftliches Werk : »Chronologisches Verzeichniss der
Aufführungen Goethe'scher Stücke auf dem Stadl -Theater in
Frankfurt am Main, beginnend mit dem Jahre 1793 und
fortgeführt bis zum Jahre 1878«, S. 27 fg. über den Plan,
»ein würdiges Sammelwerk aller, oder wenigstens der vor-
züglicheren Bildnisse (roethe's in möglichst gleichmässigen
lichtkünstlerischen Vervielfältigungen der unmittelbar nach
dem lieben entnommenen Kunstwerke (mit strengem Aus-
schlüsse aller mittelbaren Nachbildungen) zu veranstalten und
herauszugeben«. Ueber dies Werk und C/oethe-Bildnisse über-
haupt S. 299 fg., 411 — 433. S. 38: Mittheilung über eine in
Upsala 181 1 — 1820 in 19 Bänden erschienene (lOethe-Ausgabe.
- S. 238: Goethe-Urkunde 17. Juli 1831: Kauf eines am
Frauenthor in Weimar belegenen Wohnhauses. S. 239:
Notizen über 3 Briefe der Lilli : 16, 36., 28. September 1810.
S. 300 fg. : CJedenkblatt Goethe"s an Frau v. Berg. Weimar
20. ]uli 1809 : ^\'ie es dampft und braust und sj^rühet (Hem-
pel III, 330). S. 320: Andeutung von Dr. Volgers Forschungen
über AVillemer und sein Haus, welche der Veröffentlichung
harren, vereinigt mit einer reichen Sammlung von Ergänzungen
und Berichtigungen zu dem Briefwechsel mit Marianne. S. 444 :
Das Gedicht: Im Athemholen sind zweyerlei Gnaden (Hempel
IV, ig) als Stammbuchspruch an G. R. v. Poletika (Wei-
mar April 1825) übergeben, der seit langer Zeit an Asthma
litt. S. 375— 407: Feier von Goethe's Geburtstag 1879.
S. 456 — 492: »Jahrhundertfeier des Besuches des Herzoges
Carl August zu Sachsen-Weimar in Goethe's Vaterhause vom
18. bis 22. Herbstmonates 1779« (vgl. (roethe-Jahrb. I.. 389
und unten.
Wold. Frhr. \. Biedermann: Vierte Forlsetzung der Nach-
träge zu Hirzels : Neuestem Verzeichniss einer Goethe-
Bibliothek. (Archiv für Literaturgesch. IX. 552 — 559.)
Gibt Nachträge aus den Frankfurter gel. Anzeigen (nach
Biedermann. Goethe-Forschungen S. 344 ff. ;) ferner aus den
Jahren 1825, 1839, 1845, 1852, 1854, 1855, 1870, 1874, 1876.
1877, 1878 und ein Verzeichniss der Goetheinedita enthaltenden
Publikationen des Jahres 1879, ^^^ zumeist in der vorjährigen
üibliographie gleichfalls erwähnt sind: einzelne damals über-
gangene sind in der diesmaligen nachgetragen.
K. M. Werner: (ioethe - 1 ,iteralur (seit dem Aufhören des
I^rivilegs). [Jahres-Supplement zu Meyers Conv.-l.ex. II.
43^- 444-]
BlBLlOGRAPHIt. 497
Zusammenstellung und kurze Besprechung der Literatur
nach folgenden Rubriken : Bibliographisches, Textrevision,
Einzehverke. Ungedru< ktes, zu Cloethe's Leben und Zeitge-
nossen. Au( li dem Cioethe-Jahrb. sind einige freundli( he \\ orte
gewidmet. Die Zusammenstellung ist übersi« htli( h. das L'rtiieil
ruhig und gerecht.
(]. V. Loeper : Mist eilen. Die (Jegenwart. Bd. W'll. Nr. 25.
S. 399. Vgl. oben S. 450. Berichtigungen zum 1. Band
und zwar zu S. 287, 321, 371. ;^ii^.
Studien zur (Joethe-Philologie von J. Minor und .\. Sauer.
Wien. Karl Konegen (Franz Leo u. Comp.) IX. u.
292 S.
Enthält 4 grössere Abhandlungen über den jungen (Joethe
bis zum Jahre 1773: i. Goethe's älteste J.yrik. 2. Herderund
der junge Goethe, 3. Die zwei ältesten Bearbeitungen des
Götz von Berlichingen, 4. Götz und Shakespeare, i. gibt
eine Untersuchung über die frühesten Lieder Goethe"s, eine
Vergleichung ihres Sprachschatzes mit dem der damaligen
Anakreontiker und einen historisch -kritischen Commentar;
2. soll zeigen, wie Goethe in der nach-strassburger Zeit die
von Herder durch Schriften und Gespräche in ihn gepflanzten
Ideen weiter in sich ausgebildet, wie er sie in Leben und
Dichtung praktisch verwerthet hat (Faust , Kunstansichten.
Sprache. Verskunst. Volkspoesie, Homer, griechische und
biblische Studien): 3. vergleicht die ersten Ausgaben 1771
und 1773, beide im »Jungen Goethe« Bd. II. abgedruckt
(Einheit, Concentration der Handlung, gestrichene Scenen,
Adelheidscenen in B, Motivirung, Aenderungen veranlasst
durch persönliche Erlebnisse, Characteristik, politische Ten-
denz, Stiländerung und Sprache), 4. zeigt die Verehrung und
Würdigung Goethe's durch die einzelnen Mitglieder des Strass-
burger Kreises: Beeinflussung des Götz in Bezug auf Charac-
tere und sprachliche Eigenthümlichkeiten.
Miscellanea Goethiana von Herman Wentzel. XVI SS. in 8°.
Separatdruck aus : Viro illustrissimo atcpie doctissimo
Augusto Stinner . . summos in philosophia honores
ante 50 annos collatos . . congratulatur Philomathia üp-
poliensis. Oppeln. J. Raabe 1880. XXXIII SS.
Lateinisch. Der Name »Werther« sei gewählt wegen
seiner Bedeutung = mehr werth (carior) : zur Begründung werden
Goethe-Jaukbucil II. 3 2
498 BlBLIOGRAPHIl-
Stellen, Hempel 81, 87, 11 1 angeführt. 2. Der Name Ogon, mit
welchem Charlotte v. Stein in ihrem Trauerspiel »Dido« (ioethe
bezeichnet, sei aus den englischen Worten ogre (Werwolf)
und gone (gegangen) entstanden, sei also eine freie ^^'ieder-
gabe des Namens Wolfgang. 3. Das Lied »Ueber allen
Gipfeln« sei keineswegs, wie Kuhn (Germania 1843) bemerkt
habe, Nachahmung eines schlesischen Volksliedes, biete aber
Anklänge an Verse des griechischen Lyrikers Alkman, welche
Goethe durch den berühmten französischen Philologen Vil-
loisin, der sich 1782 fg. am Weimarer Hofe aufhielt, kennen
gelernt haben mag.
J. ImehiKinn: Anmerkungen zu deutschen 1 )ichtern. (Separat-
druck aus »Symbolae Joachimicae «. Festschrift des
königl. Joachimsthal'schen Gymnasiums. Aus Anlass der
Verlegung der Anstalt veröffentlicht von dem Lehrer-
Collegium des k. J. G. i.Theil. f>erlin. Weidmann'sche
Buchhandlung.) 38 SS. Lex. -8°.
S. 22—36: Goethe. 1. Die Worte Marianne's (»Die
Geschwister«), »dass ichs eben so mehr auch gestehe« sind
Frankfurter Provinzialisiiius. 2. Erwin und Elmire (Hempel IX.,
28) statt: »Wendet sie Schmerzen tief in der Brust« zu lesen:
»wecket«. 3. Uebereinstimmung mit Menander in der Ab-
neigung gegen die Heautongnosie. 4. Die in den Sprüchen
mehrfach gelehrte »Einfachheit der \\'ahrheit« knüpft an eine
Betrachtung des Euripides an. 5. Spruch 826 erinnert an
Larochefoucauld. 6. Der Keim der Elegie »Amyntas« ist in dem
Epigramm des Antipater von Sidon (griechische Anthologie).
7. Uebereinstimmung des Hauptmotivs der Iphigenie mit dem
des sophokleischen Philoktet. 8. »Deutscher Parnass« richtet
sich gegen Gleims Antixenie (s. Jahrb. 1.. S. 438 fg.). 9. Zusammen-
stellung Goethe'scher Dichtworte mit denen Früherer: Logau,
Milton , Klopstock und Späterer: Uz, Chronegk . Schiller,
Kerner. gleichsam um A'orbildungund Nachwirkung zu erweisen.
jalirbuch für das deutsche Theater. Von Joseph Kürschner.
Leipzig. L. E. Foltz. VIII und 384 SS.
Enthält au( h \ iele Mittheilungen zur Goethe - Literatur.
Zur Ergänzung der Bibliographie im Goethe-jahrb. ist Kürsch-
ners Zusanunenstellung S. 288 wichtig. Sonst verdient Her-
vorhebung S. 88-90: Bericht über die erste Faust -Auf-
führung in Braunschweig, 19. Januar 1829, und die Jubelfeier,
18. Januar 1879: gofg. : Der (nicht gefeierte) Säkulartag der
Bibliographie. 49^
Iphigcnic (5. April; worüber zu vgl. Aufsätze \ on Kol). Keil:
(iartenlauhe Nr. 15 und .M. .Martersteig: Deutsche Hühiien-
(ienossenschaft Nr. 15), S. 9i> fg. Noti/eu (Iber (loethe-l )enk-
male. 277 fg. über (loethe-l>ilder.
Julian Schmidt: (loetheana.
(»Im neuen Reich« Nr. 24. S. 939 — 94.V)
I. 1 )er S( huhu in den »X'ügelnu nii ht, wie !•". H. la« obi
meinte, Klopstock , sondern ])rofessioneller Rec ensent über
literarische und politische Dinge, unter dem ersteren vielleicht
Nicolai verstanden, unter dem letzteren Schlö/er. 2. Das
Gedicht vom »ewigen Juden«, vollendet Frühling 1774. steht
in merkwürdigem Widerspruch mit der in «Dichtung und
Wahrheit« gegebenen Erzählung von Ahasver.
H. Pröhlc : Zur (loethe-Literatur.
|\'oss. Zeitg. Sonntagsbeil. Nr. 17. i^, 19.)
I. Besprechung von Biedermanns Cloethe - Forschungen,
mit einigen Einzelheiten über (joethe's Yerhältniss zur Frei-
maurerei (Bode) und zu Helmine v. Chezy. 2. Ueber (ioethe's
Besuch in Helmstedt, nach der von Pröhle (Feldgarten) und
Varnhagen mehrfach benutzten und theilweise abgedruckten
Selbstbiographie W'eitze's (1783 — 1840). Zweimaliger Verkehr
(ioethe's mit Lafontaine, 1802 und 1803 (Goethe irrthümlich
als Kaufmann angesehn). 3 . Nochmaliger Versuch, ohne
Beibringung neuen Materials »Satyros« auf Basedow zu be-
ziehen. (Darauf, wie auf andere Einzelheiten bezieht sich
auch l'röhle"s Besprechung des Goethe- [ahrbuchs, s. oben S. 466.)
F. Meyer von\\alde(k: ( ioethe-l.iteratur 1. Zu dvn Werken
und Briefen. Aus (ioethe"s Freundes- und Bekannten-
kreise.
(Literaturblatt für german. und roman. l'hilologie 1880.
Nr. 5. 7. S. 172—175. 243-246.)
Ausführli( he Besprei hung \ 011 Sabells Fe>tschntt, Scherers
Frühzeit. Biedermanns Forschungen, ( Joethe-(Jottling-Brief-
wechsel ((ioethe-Jahrb. I. 394, 4190"., 431 ff.), ferner des franzö-
sischen Schriftchens: La Marguerite de Faust. Meditation sur le
[)oeme de Cioethe. .\ve( une preface en vers de M. Emile
La bededolliere. Paris. .A. Ghio 1879.
500 Bibliographie.
W. V. Biedermann: Die (loethe-Literatur von 1880 bis Jahres-
mitte.
(\\'issens( li. l!cil. der Leipziger Zeitung Nr. 76. S. 449 — 454.)
Besprechung von JJüntzers Biographie, Goethe-(iöttHng-
Briefwechsel; Jahrbuch: Schrift von Pietsch (s.u.), mit werth-
vollen Berichtigungen und Mittheilungen von Notizen aus
dem Tagebuch (28. Oktober 1826, 18. März 1829) und
2 Briefen: 21. März 1825: 12. August 1829 (vgl. oben
Regesten).
Gustav Karpeles : Goethe-Frühling.
(Westermanns Monatshefte Bd. XLMIL, Nr. 288 S. 784 — 792.)
Besprechung von U. Brahms Schrift, der Hemperschen
Ausgabe der Werke, des Schaper'schen Denkmals, der Devrienf-
schen Faustbearbeitung und der Berliner Aufführung der-
selben.
^\'. Buchner: Zur Goethe- und Sirhiller-Literatur.
(Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 38. 39 S. 593
bis 598, 61 1 — 617.)
Bespricht 1 1 Goethe betreffende Schriften und zwar
Scherer: Frühzeit; Bernays , Düntzer : Biographie: Sabell ;
Bielschowski ; (jnad : Semler vgl. Goethe- Jahrb. I., 431, 441,
442, 394, 443, 439, 435; ferner: Düntzer Faust 3. Aufl.
2. Theil, Leipzig 1879; ausserdem (vgl. unten) Grimm, Vor-
lesungen, 2. Aufl.; Lobstein.
2. D R A M E X.
Goethe's Faust. Neue Beiträge zu Kritik des Gedichts von
Friedrich Vischer. O, dass dem Menschen nichts Voll-
kommnes wird. Empfind ich nun ! Stuttgart. A'erlag
von Adolf Bonz u. Comp. XVl u. 368 SS.
Neue (Titel) Auflage des bereits 1876 veröffentlichten
Buches. Eben der Umstand, dass das Buch nicht neu ist,
rechtfertigt die blosse Nennung des Titels und den Hinweis
darauf, dass es in zwei grosse Abschnitte zerfällt: i. Die
lange Säumniss und ihre Ursachen. 2. Die inhaltschweren
Stellen des (iedichts.
Bi)fLiO(;KAi'nii.. 501
Fr. Vischer: 7,ur \'ertheidigiing meiner S( lirit't: (ioethc's Faust.
Neue Beiträge zur Kritik des (ledichts 1S75.
(Deutsche Revue über das ges. nat. Leben, herausg. \()n
R. Fleischer: Berlin. Janke. IV. Jahrg. 11. Hd. S. 178
("<"•: 319 ,vU-)
Wendet sich besonders gegen Kuno Fischer, \er\virtt
dessen Einwände und Erklärungen über die Stelle im Prolog:
So lang" er auf der Erde lebt. So lange sei dir"s nicht
verboten, Es irrt der Mensch, so lang" er strebt: ferner über
mehrere Worte des Mephistopheles.
K. I. Schröer: Literarische l'nterlialtungen.
(Klätter f. lit. Unterhaltung Nr. 15, S. 225 229.)
Anknüpfend an den frühern Aufsatz (Jahrb. L. S. 434)
versucht er den Nachweis, dass auch der zweite Monolog,
der nicht im Faustfragment von 1790 steht, in die Jugendzeit
zu setzen sei; auch die Domscene nur die Zeile: »Auf Deiner
Schwelle wessen Blut"?« 1800; die Kerkerscene sei nicht 1798
entstanden . sondern damals sei nur der Versuch gema< ht
worden, die Prosascene in Verse zu bringen.
(loethe's Faust erster und zweiter Theil, erklärt von Oswald
Marbach. Stuttgart. (L J. Göschen"sche \'erlagshand-
lung 1881. XIII und 481 SS. gr. 8^
Aus \'orlesungen entstanden, welche der Verf vor etwa
40 Jahren an der Universität Leipzig begonnen und seit 1875
wieder aufgenonimen hat. Das Buch enthält nur einen Com-
nientar nicht einen Textabdruck, gibt aber bei den 52 Scenen
der Dichtung (der Verf. zählt 25 solcher Scenen im ersten,
27 im zweiten Theile und etwas abweichend von Loeper
12089 Verse) kurz den Inhalt an. Das Buch beginnt mit
einem Gedichte: »Den Manen Goethe's zum Johannisfest
1880«, enthält in einer Einleitung die Skizzirung der .Auf-
gabe : erzählt »eine Episode aus meinem Leben«, einen Be-
such des Verfs. in \\'eimar (1829), bei w-elchem er Goethe
nicht sah, eine kurze Abhandlung »das Böse und der Böse«,
sodann die Erklärung im Einzelnen: Erster Theil S. 17 — 141;
zweiter I heil bis S. 411: den Schluss (S. 411— 481) macht
ein sehr ausführlicher Index. — Der Verf. polemisirt gegen
die gelehrte Art der Erklärung, ferner gegen die Suc-ht der
Commentatoren. Ereignisse aus dem Leben des Dichters zur
502 Bibliographie.
Erklärung des Dichtwerks herbeizuziehen, und endlich gegen
das Bestreben derselben. Irrthümer Anderer aufzuzählen und
zu widerlegen : er will vielmehr das Dichtwerk »so comnien-
tiren. dass ich lediglich tien Inhalt aufsuche und alles Störende,
ohne mich auf persönliche Polemik einzulassen, fernhalte und
ablehne, um mich mit meinen Lesern der lauteren Geistes-
freude an dem Schönen und Herrlichen hinzugeben, was der
grösste Dichter unseres Volkes uns dargeboten hat. um uns
und mit uns, in uns und durch uns die Menschheit zu fördern
in der Entwicklung ihres Culturlebens«. P>eilich hat sich
der \"erf. trotz seines Versprechens nicht ganz der polemischen
Bemerkungen enthalten (vgl. S. 306 fg.). Auch manche andere
Bemerkungen reizen zum Widerspruch : an sehr vielen Stellen
hat man Fleiss, Grinidlichkeit und Scharfsinn des Commen-
tators zu loben; die Bibliographie indessen ist nicht der Ort,
Anerkennung oder Tadel näher zu begründen.
Faust von (ioethe. Mit Einleitung und fortlaufender Erklä-
rung, herausgegeben von K. j. Schröer. Erster Theil.
Verlag von Gebr. Henninger i88r. LXXXA'I und
303 SS. kl. 8".
Für den Abdruck des Textes ist keine Vergleichung der
Handschriften angestellt (nur S. IX Anm. wird ein Stückchen
aus dem 2. Theil, 3. Akt nach dem Autograph des Dichters,
in Loepers Handschriftenverzeichniss Nr. 12, 13 mitgetheilt),
sondern der A'ersuch gemacht »nach den mir erreichbaren
Mitteln einen Text zu geben, der so-conser\ativ als möglich
bestrebt ist, des Dichters Wortlaut wiederzugeben. Loeper
und Düntzer gegenüber bin ich mehrmals auf die ursprüng-
liche Textgestalt zurückgegangen«. Die Einleitung enthält
folgende Abhandlungen : Die Entstehung von Goethe"s Faust
(im Wesentlichen ein Abdruck der Goethe-Jahrl). I. S. 434 und
oben S. 50 1 angeführten Aufsätze): dieVerszählung ; der Alexandri-
ner (mit Hinweis auf Bartsch's Aufsatz, Goethe-Jahrb. I. S. 1 19);
Faust in Prosa : (polemisirt gegen Scherers Vermuthung von
dem Prosaentwurf des Faust 1771/72); die ersten Aufführungen
von Goethe's Faust : (Nachträge zu Enslins Schrift aus Holtei's
und Laroche's des noch lebenden Schauspielers Mittheilungen):
S. I — 287 Text und Erklärung, letztere unter dem Text:
S. 288 bis Schluss : Register. Die Erklärung sprachlich und
sachlich, mit vielen literarischen Hinweisungen und polemi-
schen Bemerkungen. S. 255, 256 eine längere Bemerkung
ȟbei die \on Eoe])er beigel)rachten handschriftlichen Les-
BiBLIOGRAPHIt. 50^
arten zu Scene 18 20«. Die Erklärung geht manchmal gar
zu sehr ins Einzelne und gibt Selbstverständliches oder Ueber-
flUssiges; Interpunktionsänderungen (z. H. S. 30) hätten be-
gründet, nicht nur registrirt werden müssen. - Vielleicht
findet sich Gelegenheit, in einem der nächsten Bände des
Jahrbuchs den Schröer'schen Commentar und die übrigen
neuesten Fausterklärungen eingehender zu würdigen.
Heinrich Düntzer: Die vorgebliche erste prosaische Fassung
von (Joethe's Faust.
(Archiv für Literatur-Geschi<hte IX.. 529 — 554.)
Behauptet, mit Bezug auf Riemers Angabe ( Mittheilungen I.,
S. 348 fg.), er habe eines Morgens die Scene »Trüber Tag,
Feld« unmittelbar nach der Conception auf Goethe's Diktat
niedergeschrieben, dass ein früheres (Prosa)concept nicht
existire und versucht die einzelnen von S<herer (Aus Goethe's
Frühzeit) geäusserten sprachlichen Vermuthungen (Parallelen
mit (iütz) zu widerlegen. Er zieht den Schluss : »Von einem
Versuche der Ausführung des »Faust« im Jahre 1773 findet
sich durchaus keine Spur: wir müssen diese in den Herbst
1774 setzen«. (Ist es aber billig und würdig, dass Polemiken,
welche wissenschaftliche Dinge betreffen, in so heftigem,
persönlichem Tone geführt werden V)
Adolph Enslin : 1 )ie ersten Aufführungen des Goethe'schen
Faust. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen
Theaters. Berlin. Gebrüder Paetel. 70 SS. und 2
unpagg. Bll.
(Auch vorher schon in: Deutsche Rundschau. 6. Jahrg.,
IG. Heft, S. 95 — 114.)
Bespricht (Joethe"s geringe Neigung, den Faust auf die
Bühne zu bringen oder aufgeführt zu sehn : die Compositionen
des Fürsten Radziwill (Abdruck der betr. Briefstücke Zelters
und der von (Joethe gedichteten Zusätze : Geisterchöre, Garten-
scene ; Besprechung der .,Scenen aus Goethe's Faust«, Litho-
graphien): Karl v. Holtei und dessen Faust; Holtei's Versuch
im Königstädtischen Theater in Berlin den Faust in selbst-
ständiger Bearbeitung u. d. T. : »Des weltberühmten Erz- und
Schwarzkünstlers Doctor Faust Pactum mit der Hölle. Melo-
drama in 3 Acten und einem Vorspiel nach (ioethe mit des
Dichters Bewilligung für die Bühne eingerichtet von Holtei«
aufzuführen, scheiterte an dem Widerspruch des Dichters und
504 Bibliographie.
des Intendanten der k. S* hauspiele und Holtei verfasste daher
selbst ein Drama : »Doctor Johannes Faust, der wunderthätige
Magus des Nordens« das am 10. Januar 1829 aufgeführt wurde;
Angabe von dessen Inhalt: Klingemann und die erste Faust-
Aufführung in Braunschweig (Inhalts -Angabe von August
Klingemanns Bühnenstück: »Faust, eine dramatische Legende
in 5 Akten« ; das Cioethe'srhe Stück in seiner Bearbeitung,
am 19. Januar 1829 zuerst autgeführt: Notizen über einige
Darsteller) : Goethe's achtzigster Geburtstag. Dresden, Leipzig,
^^'eimar (Faust -Aufführungen als Huldigung für den greisen
Dichter, in Dresden durch Tieck, 27. und 29. August 1829,
Leipzig 28. August, Weimar 29. August: Notizen über die
Schauspieler, über die am Faust geübte Censur (S. 51):
Spätere Aufführungen (München 12. April 1830. Wien 29. Mai
1839, Berlin 15. Mai 1838). Der zweite Theil des Faust
(Mittheilungen aus Schöne's Fortsetzung und F. Vischers
Parodie; Notizen über die ersten Aufführungen). Den Anhang
bilden photolithographische Abbildungen in verkleinertem
Masstabe der Theaterzettel der ersten Aufführung in Braun-
schweig und Weimar 1829. Dieser Anhang, sowie einzelne
x\nmerkungen sind im Separatdruck neu.
Der Biblische und der (ioethe'sche Faust. Vortrag gehalten
von Oberrabbiner Dr. J. Hollander. Der Reinertrag
ist für die innere Ausschmückung der hiesigen Synagoge
bestimmt. Trier. Commissionsverlag von Heinrich
Stephanus 1881. 24 SS. 8°.
Inhaltsangabe des Buchs Koheleth »des biblischen Faust« ;
Parallelisirung einzelner Stellen mit Goethe'schen. Der Verf.
findet u. A. einen Vorzug des erstem darin, dass der Ver-
zweifelnde ein mächtiger reicher König und nicht ein armer
Gelehrter ist. Er meint ferner, dass »in der Verwandtschaft
des deutschen und israelitischen Faust die enge Geistesver-
wandtschaft der deutschen mit der israelitischen Nation als
nachgewiesen betrachtet sei«.
Sul tipo del Mefistofele e suU" ideale della Margherita nella
tragedia Faust di \A'. Goethe. Genni filosofico-critici
del Dr. Niccolo" Franzutti. Lodi. Tipografia editrice
Costantino dell" Avo. 31 SS. in 8°.
Mit Berücksichtigung des Gounod'schen Faust. Einzelne
Stellen des Goethe'schen Textes sind getreu nach dem Original
in italienische Prosa übersetzt. Mei)histopheles sei die Personi-
BlBLlOGRAI'HIK. 505
fikation des Hiob der lübcl. des Falstiiff hei Shakespeare
und des Thersites in den homerischeh Cledichten ! Margaretlie
sei das Ideal des Weibes schlechtweg. Ein Appendice (S. 27 — 31)
handelt sui traduttori di Poeti inglesi e tedeschi in italiano e
viceversa. wo /.. B. Maffei getadelt wird, dass er zur Ueber-
setzung des Verses: »Das Aechte bleibt der Nachweh unver-
loren« (Faust, Vorsp.) einen Dante'schen Vers (Par. X\'II.,
S. 149) zu Hilfe genommen und dadurch, wie an vielen
anderen Stellen die Kintachheit seiner Uebersetzung geschä-
digt habe.
Faust. skärskAdad i Spiritismens l,ju>. Nägra anteikningar
af |. F. Fröleen. Stockholm. Ebeling und C!omp.
Will zunächst zeigen, »wie die spiritistischen Phänomene
der Gegenwart' in vielen Theilen mit den VVunderthaten,
welche Faust vollbracht hat, übereinstimmen, Avenn auch die
letzteren die ersteren bei weitem übertreffen«, ist aber auch
literarisch nicht uninteressant durch eine Zusammenstellung
der Faustliteratur von 1587 bis Gounods Faust und durch
Inhaltsangabe der Schrift »Doctoris Johannis Fausti Manual -
Höllenzwang« (sie!). (Vgl. Poestion im Mag. f. Tat. d. Ausl.
1880 Nr. 46, S. 652.)
Essai sur le Faust de Goethe par J. Ehni, Dr. ph. anc. past.
(ieneve. Imprimerie Charles Schuchardt (libr. J. Sandoz).
165 SS.
Die Einleitung handelt über die Faustsage, das Eeben
Goethe's, die Composition des Faust (drei Fassungen : 177 1—75
veröffentlicht 1790, 1797 — 1806 veröffentlicht 1808, 1824 — 1831
\eröffentlicht 1832 als 2. Theil). Die Erklärung bespricht
ausführlich die beiden Prologe und unterscheidet dreiTheile:
Faust allein ; Faust in Verl)indung mit Me])histopheles (Wissen-
schaft und Genüsse der Welt): Fausts Thätigkeit gefördert
durch Mephistopheles (2. Theil). Sehr viele einzelne meist
ganz kleine Stellen sind in französis< he Verse übertragen.
Katalog Nr. 70 von Theodor Ackermann in München. Faust-
Literatur 1494—1880. IV und 42 SS.
Enthält 1059 Nummern in 20 Abschnitte getheilt: Ein-
leitendes über die Faustsage: Volksbuch vom Dr. Faust
(darunter eine bisher so gut wie unbekannte Ausgabe aus
dem Jahre 1596): Das grosse Faustwerk von J. Scheible ;
5o6 Bibliographie.
Christoph Wagner, Fausts Famulus; Magische Werke, welche
Dr. Faust verfasst und hinterlassen haben soll : Dramatische
Bearbeitung der Faustsage: Volksschauspiel, Marlowe : Weitere
Bearbeitungen vor Croethe; Cioethe"s Faust: Fortsetzung des-
selben von anderen Dichtern: Ucbersetzungen; Erläuterungen
(und zwar: in selbstständigen Schriften, in anderen Werken,
in Zeitschriften) : Musikalische Bearbeitungen. Parodieen, Illu-
strationen; Dramatische Bearbeitungen nach 1790; Faust als
Ballet; Die Faustsage als (redicht, Roman, Novelle; Ver-
mischtes; Nachtrag. Werthvolle Zusammenstellung, freilich sehr
vieles Kleinliche (unbedeutende Besprechungen einzelner Auf-
führungen: Schriften in denen einzelne Verse citirt sind) und
mancherlei Ungehöriges enthaltend. Cileich die erste Nummer:
P. Fausti Andreiini elegiae Paris 1494 gehört durchaus nicht
hierher: F. Andrelinus aus Forli war ein sehr bekannter
italienischer in Frankreich lebender vieldichtender Humanist,
der mit der Faustsage in gar keiner Beziehung steht.
Adalbert Rudolf: Der Name Mephistopheles.
(Herrigs Arch. f. d. Stud. neuerer Sprachen LXIL, S. 289
bis 318.)
Weitere Ausführung der (Joethe -Jahrb. I.. S. 385 ange-
deuteten Vermuthung. Die Abhandlung zerfällt in folgende
Abschnitte: 1. Hölle, Lucifer: 2: Faust und Mephistopheles.
Heinrich J )imtzer : Zu (ioethe"s Faust.
(Arch. f. I.it.-Oesch. IX.. S. 439. 440.)
In der Stelle (2. Theil, 4. Akt): »Das heiss ich endlich
vorgeschritten«, sei endlich = doch, vorgeschritten = tüchtig
vorwärtsgekommen zu nehmen.
Faust. Eine Satire von H. E. Jahn. Rostock. (". Meyers
Buchhandlung. 15 SS. 16".
Soll eine Satire auf die »tintenblufgen, wilden Bücher-
wUrger« sein, die mit Faust »einem halbverhungerten Dichter«
und Mephistopheles »einem wohlgenährten Kritiker« auf dem
Bloxberg zusammenkommen, ist aber eine ganze tolle Zu-
sammenstellung witzloser Bemerkungen , unter denen selbst-
verständlich solche gegen die Juden nicht fehlen.
Bibliographie. )0~
* Arnold Wellmer: Goethe und seine Festspiele.
(Magdeburgische Zeitung 1879 Nr. 375. 577, 379. jjSi. ,^83.)
Ftlnf grosse Artikel, oft von ermüdender \\'eits< hweifig-
keit und lästigem Kreittreten häufig gesagter Dinge ((Icdichte
Wielands. Einsiedeis. Hriefexcerpte), beginnend mit der \uf-
filhrung von Paläophron unil Neoterpe (Berlin Sylvester 1878).
Dann: Corona Schröter. Darstellimgen von l.ila. Krwin und
Elniire. geflickte Braut, Jahrmarktstest von IMuntlersweilern,
Iphigenie. Verhöhnung von W'oidemar (Wellmer schreibt
beständig: \\'aldeniar) und Alceste ; Seckendorfs Kallisto : die
Vögel; das Neueste von Plundersweilern: Maskenzug 1781
und Berliner Prolog 1817. Im Einzelnen vielfache Unrichtig-
keiten und .-Vuslassungen. die nicht alle erwähnt werden können.
Anton Bettelheim: Beaumarchais über (ioethe's ("lavigo.
(Die (regenwart. Band XVII.. Nr. 25. S. 396 — 398.)
Theilt eine Ansicht Lomenie"s (Beaumarchais et son
tempsll.. 343), Beaumarchais habe sic-,h um ausländische Stimmen
über sein Wirken wenig bekümmert, berichtigend, einen Brief
Beaumarchais an Marsollier (29 germinal, an VII.) mit. der noch
vor (Joethe das Fragment eines spanischen Reisetagebuchs
dramatisirt hatte, in welchem er u. A. von der Aufführung
des Goethe'schen Clavigos in Augsburg, der er selbst bei-
gewohnt habe, erzählt und fortfährt: »Mais l'.Mlemand avait
gäte Tanecdote de mon memoire en la surchargeant d"un
combat et d"un enterrement, additions cpii montraient plus
de vide de tete cpie de talent.
(lot^the's Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Für die Zwecke
der Schule erläutert und methodisc h bearbeitet von
Dr. H. Vockeradt. Paderborn. Ferd. Scliöningh. \'\
und 185 SS.
S. 1 — 132 Abruck des Textes mit sprac hlic:hen, sach-
lichen, historischen Anmerkungen. Von S. 132 Methodischer
Anhang. I. Fragen zur Vermittlung des Verständnisses der
Auftritte und Aufzüge. Durchnahme jedes einzelnen Auftritts
in Fragen nach i. Inhalt. 2. (diederung, 3. Charakteristik,
4. Kunst der Comjjosition, 5. Sprachlicher Darstellung. Am
Schlüsse eines jeden Aufzugs allgemeine Fragen über denselben
und Zusammenstellung der aus ihm zu entnehmenden Themata
für Aufsätze und Vorträge: zuletzt allgemeine Fragen iU)er
508 BiBLIOGKAl'HIE.
das ganze Thema und nochmals Themata und zwar 41.
Darauf (34) Sentenzen des Dramas als Aufsatzthemata und
zum Auswendiglernen. II. Die Quelle des in der Iphigenie
bearbeiteten Stoffes und die Benutzung derselben. III. Die
Geschichte der Cioethe'schen Iphigenie. - Das Werkchen
bildet einen Theil (den 4.) von Schöninghs Ausgaben deut-
scher Classiker mit Commentar ; in dieser war schon früher
ein Werk Goethe"s erschienen, nämlich Hermann und Dorothea
von Funke.
Paul Stapfer. L'Iphigenie en Tauride de (ioethe.
(Re\iie politique et literaire de la France et de l'etranger.
10 annee. 2 serie. Nr. 7. 14 aout. S. 145— 151.
Betont das griechische Moment in Cioethe's Iphigenie,
im Gegensatze zu den ähnlichen Stücken französischer Dichter;
selbständig sei bei Cioethe der Ausgang des Stücks und der
Character der Heldin. Die moralische Grösse der Ijihigenie
bestehe in »abnegation«. Prosaische Uebersetzung einzelner
Stellen aus den letzten Reden der Iphigenie und des Orestes.
Zur fünfzigjährigen Wiederkehr des Tages welcher einst Karl
August Hase der Universität Jena zuführte zum
15. Juli 1880 widmet innige Glück- und Segenswünsche
der freundschaftlich Zugethane. (Friedr. Zarncke.) Leip-
zig, Druck von W. Drugulin. 14 SS. kl. fol. Abgezogen
in 50 bezifferten Exemplaren.
Ueber Elpenor. Das Stück, zu dem ersten Ausgang der
Herzogin Luise, nach der Geburt des Erbprinzen (1783)
bestimmt, sei mit Anlehnung an eine von Hyginus erzählte,
von Euripides in einem fragmentarisch erhaltenen Drama
bearbeitete Geschichte gedichtet. Elpenor sei der Sohn
Antiopens ; Plan der Fortsetzung sei etwa der gewesen, dass
Lykos den bei den Hirten verborgenen Knaben für den Sohn
der Antiope haltend, denselben getödtet, zu spät bemerkt
habe, dass er sein eigenes Kind umgebracht und aus Schmerz
und Reue sich selbst den Tod gegeben habe.
^^'. V. Biedermann: Goethe's Caesar.
(Wissensch. Beil. der Lei])z. Zeitg., Nr. 30, 11. April 1880,
S. 176 178.)
Nachrichten über eine Bearbeitung dieses Stoffes i 770 - 17 78,
Anregung dazu durch Shakesjjeare, hohe Meinung von Caesar;
Bibliographie. 5^9
Zusammenstellung der wenigen bei S( hüll mitgetlieilten Stellen
des Fragments: der Plan wird fallen gelassen, weil der (be-
danke an nKgm(uit(( u. a. aiittauiht.
Götz V. Kerlic hingen in : Das deutsrhe Ritterdrama des i8. Jahr-
hunderts. Studien über Joseph August von Törring,
seine \'orgänger und Nachfolger von Otto lirahni.
Strassburg. Karl J. Trübner. X u. 235 SS. 8".
(Quellen u. Forschungen, Heft 40.)
Hespricht im vierten .\bschnitt (S. 69 — 103): Die ersten
Wirkungen des (]ötz und geht dabei besonders auf Klingers
Otto, Maiers Sturm von Bo.xberg, Hahns Robert von Hohen-
e<ken ein. .\uch sonst: S. 142 Götz v. Herlichingen als
Vorbild für L. Tiecks Karl v. Berneck, S. 143 fg. : .Anklänge
an Götz V. Berlichingen in Schiller'schen Dramen. In der
2. Beilage: Stilistische Beobachtungen (S. 204 ff.) fuiden sich
zahlreiche Bemerkungen über den Stil in Götz v. licrlichingen
und anderen (iüethe"schen Werken.
Jacob Minor: (joethe"s Apotheose des Künstlers.
(Neue freie Presse, 12. Okt. 1880.)
Vergleich zwischen »Des Künstlers Apotheose« veröffent-
licht 1789 und der altern Fassung desselben Dramas »Des
Künstlers Vergötterung« vgl. Goethe- Jahrb. I.. S. 393. In
der Vergötterung »ein von der Empfindung volles Herz
macht den Künstler«; in der Apotheose »der angehende
Künstler, dem gerathen und geholfen werden soll , bleibt
über all dem Rathen und Helfen dumm« ; in der Vergötterung
sollte wohl »der verstorbene Künstler an der Hand der Muse
erscheinen und durch die vergötternde Hingebung des Jüngers
und Meisters, überhaupt der Nachwelt gefeiert werden « ; in
der Apotheose ist an Stelle der \'erklärung die Ironie getreten.
3. (;!•: DICHTE.
R. M. ^^'erner : Zum Leipziger Liederbuche (ioethe's.
(Archiv für Literaturgeschichte X., S. 75 — 82).
Weist na<h, dass das Lied: »Einst ging ich meinem
Mädgen nach« nicht nach dem Vorbild von Weisse's Gedicht :
Die »Vorsicht«, sondern nach dem zweier anderen desselben
510 Bibliographie.
Verf. »Der Kuss« und »der Wald« entstanden, und dass
dasselbe Moti\ \on früheren und späteren deutschen Dichtern
mehrfach behandelt worden sei.
Robert Hein: Nachträge zu Hoffmann \-. l''allersleben : Unsere
\ olksthümlichen Lieder. 3. Aufl. 1859.
(.\rchiv für 1 .itcraturgesch IX.. 225 — 250.)
S. 232 tg. Das Gedicht »Das \'eilchen « 1773 gedichtet,
nicht 1775; ^- -35%- Bemerkungen über die (Gedichte : Ergo
bibamus, Rattenfänger, Vanitas vanitatum vanitas. (lewohnt,
gethan: Marmottenlied aus dem »Jahrmarktsfest«: Bundeslied;
Offene Tafel : nur Zusammenstellung der bekannten Literatur.
C. E. Putsche: Eine Lischrift (ioethe's aus dem Forstrevier
Waldeck l)ei Bürgel.
( W'eimarische Zeitung 20. |uli.)
N'ermuthet, dass die Inschrift, welche (loethe am ange-
gebenen Ort, während seines dortigen Aufenthalts mit Kalb.
Einsiedel und PJertuch auf eine Forsttafel geschrieben haben
soll, ni( ht wie bisher cltirt : »Nur Luft und Licht und Freundes-
liebe I Ermüde nicht, wenn dies noch bliebe ! ' oder : Ermüde
nicht, wenn dies dir bliebe«, sondern: »Nur Luft und Licht
und Freundeslieb' Ermüde nicht, wem dies noch blieb«
gelautet habe.
Ludolf Parisius : Zur Vorgeschichte von (ioethe's Hermann
und Dorothea.
(Didaskalia. Frankfurt a. M. 15.. 17.. 18. Februar.)
.Anknüpfend an eine Aeusserung des Abgeordneten Freytag
in der bayri.schen Kammer (13. Januar), die Stellung der
These: »Vorgesc-hic:hte des Oedichtes Hermann und Dorothea
von Goethe« als Seminaristen -Arbeit, sei ein Zeichen der
überspannten Lehrer-Bildung, eine Aeusserung, welche eine
kleine Deljatte hervorrief, gibt Parisius .A.uszüge aus der
bekannten Quelle (ioethe's: ».Ausführliche Historie derer
Emigranten« Leipzig 1732 mit einigen literarhistorisc-hen
Bemerkungen und \'erweisen.
»Cilück und Frieden!« (ioethe's Hermann und Dorothea ethisch
ausgelegt von Karl Weiss. Direktor der Frauen-Industrie-
und Bildungs-Schulen \on P>furt, Strassburg im Elsass,
BiBLIOGRAHHII.. ) I I
Magdeburg, Halle a. d. S., l'hcinnitz i. S. und Haiher-
stadt. Berlin. F. < )chmigkes Verlag (R. A])pelius).
Sehr wortreic he. oratorisch gehaltene Auslegung der (le-
danken und Charakterisirung der einzelnen Personen des
(iedichts nach folgenden Abschnitten: \\'elt und Zeit: Alltag
und Masse: Ideal und Leben; Die Religion und ihr Diener;
Zeit und Ewigkeit. Ob wirklich derartige phrasenhafte oft
vulgäre Ausführungen den vom Verfasser angestrebten Zweck
erreichen, dass »Lehrer der Literatur ein Vorbild darin finden
mögen, wie man unsere Classiker in das Herz des Volkes
])fianzen soll« V Ich zweifle daran.
Zu (ioethe's römischen Elegieen. Xon V. (Aus der Schweiz).
(Augsburger Allg. Zeitung Nr. 58, Beil., 27. Februar.)
Elegie 15: »Wie es Dein Priester Horaz«, spielt an auf
Horaz. Carmen saeculare V. 9, nicht auf Properz, wie Gött-
ling wollte. Elegie 5 : »Amor schüret die Lamp" indess und
denket der Zeiten, Da er nämlichen Dienst seinen 'Iriumvirn
gethan«, müsse auf die politischen Triumvirn, nicht etwa auf
die drei grossen römischen Lyriker gedeutet werden.
Die olympische (iesellsc haft zu Köln. Ein Beitrag zur Kölner
Literatur-Cicschichte der Neuzeit. Von Hubert Ennen.
Würzburg. Stuber. 30 SS. 8°.
S. 26 — 28: Zwei Briefe des Stadt - Sekretärs Fuchs aus
Cleve (23. Juni und 22. Dezember 1811) über das Denkmal
der opferfreudigen und unglücklichen Johanna Sebus. In
einem kommt die Stelle vor: »Auf Betrieb des Hrn. \on
Keverberg hatte Goethe ein Gedicht über die ganze Begeben-
heit verfertigt, welches von Zelter in Musik gesetzt, hier in
Cleve mehrmals aufgeführt worden«. (Die Composition schickt
Zelter 17. F"ebruar 1810, Zelter L, 386 ff., nachdem schon
vorher von dem (iedicht mannigfach die Rede gewesen; von
der ersten Aufführung berichtet (ioethe am 18. November 18 10
daselbst S. 418. ^'gI. auch Annalen. Hempel, Absihn. 757).
Das lagebuch. Noch nicht gedrucktes Gedicht von Goethe.
Berlin. Th. Lemke. Ritterstr. 27. 8 SS. in 8°. Erste
bis vierte Auflage.
Längst gedruckt vgl. Jahrb. I.. S. 437 fg. Die Lorbeeren
der Carlsbader und Wiener Collegen haben den Berliner
Buchhändler nicht ruhen lassen.
512 Bibliographie.
4. P R O S A S C 11 R I F T H N.
Werther: (Grenzboten 1880, IL, Ö. 35ofg. : Besprechung des
(ioethe-Jahrb. 1.).
Im Briefe vom 4. Mai: »Ich habe meine Tante ge-
sprochen und bei Weitem das böse Weib nicht gefunden,
das man bei uns aus ihr macht« ist (loethe's Tante, die Frau
Geheimräthin Lange gemeint.
Werther : Briefe von Herzog Karl .\ugust und Herzogin
Amalia von Sachsen- Weimar an Prof. J. C. Majer.
(Aus dem WUrtemb. Vierteljahrsheft für Landesgesch. in:
Weimarische Zeitung, Sonntagsbeilage 4. Juli.)
J. C. Majer 1741 — 1811, hielt 1772 — 1774 dem Prinzen
Carl August Vorlesungen über deutsche Reichsgeschichte und
Staatsrecht und blieb auch weiter in gutem Einvernehmen
mit ihm. Carl August schreibt 6. Nov. 1774: »Sehr erfreut es
mich, dass Malchen, ihre Parcen und ihr Staatsrecht, ihnen
noch so viel Lebens-Geister übrig gelassen dass Sie noch mit
mir die Schönheiten der Leiden und die edle Tugend der
Geliebten des Unglücklichen Werthers fühlen könnnen. j| Oh!
welch ein Glück eine Lotte zu lieben, welche die Ermunterung,
die Begeisterung zu allen Geschäften giebt«. Ein anderer
Brief vom 7. März 1782 und ein Brief der Herzogin Amalia
vom 4. Nov. 1798 enthält wenige rein persönliche Mittheilungen.
H. M. Richter : Der junge Werther in Wien und Wien in
der Werther-Epoche. Antiquarische Studien.
Deutsche Revue, 4. Jahrg. Heft 8, 9. S. 164 — 181, 290 — 308.)
Literarische Bewegung Wiens vor Werther: Begeisterung
für Lessing; geistige Annäherung Oesterreichs an J)eutsch-
land : Buchhandel und Leselust ; Betheiligung an Sturm und
Drang: Lavater; Beurtheilung von Jacobi's Woldemar : »Man
sieht, dass er den Herrn Göthe nachpoetisiren will«; Theil-
nahme am Rührenden, so dass z. B. eine Zeitschrift (1776)
opponirt: »Es ist leichter die Menschen zu verzärteln, als
ihnen überlegende Vernunft, Stärke des Geistes, Standhaftigkeit
und Grösse einzuflössen. Darum ist es nicht gut, wenn der
Geschmack am Rührenden so die Oberhand gewinnt, dass
er beinahe ein ausschliessendes Recht bekommt«. Nach-
ahmungen des Werther: Sigwart : Werther-L'ieber. Drama 1785;
Bibliographie. 5^3
Bretschneiders Parodie; Ratschky's Verse. Bekanntsein Goethe's
in Wien: Beurtheilungen und Aufführungen seiner Dramen.
Der Werther nicht erst durch ein Feuerwerk den Wienern
bekannt geworden; dieses 22. Juni 1781 abgebrannt u. d. T. :
Werthers Zusammenkunft mit Lottchen im Elysium hat mit
der Goethe'sclien Erzähkmg nichts /u ihun. Die Sage durch
Andeutungen Nicolai"s entstanden.
Wilhehn Herbst: Wetzlar und die Wertherperiode.
(»Daheim« XVI., Nr. 28, 29, S. 448 — 451, 458 — 461 j.
Darstelkmg von Goethe's Stimmung und Erlebnissen in
jener Zeit: Lotte, Maxe Brentano (von der letztern entlehnt
die schwarzen Augen der Lotte Werthers); den Motiven der
Dichtung : Liebe und Ehre : Schilderung von Goethe's damaliger
Dichterarbeit: Scherers Annahme eines Prosa-Faust im Jahre
1772 etc. sei unbeweisbar »um so fester aber steht die An-
nahme, dass die Faustidee überhaupt bereits vor und in die
stillbewegte Zeit jenes Wetzlarer Sommers fällt«. Andeutung
der Wirkung Werthers. Feier für Jerusalem 1776.
R. M. Werner: Goethe als Märchenerzähler.
(Neue fr. Presse. Wien 9. Juni.)
Besprechung und \'erurtheilung des Meyer v. \\ aldeck'schen
Buches (vgl. Jahrb. L, S. 439J. Einzelne Scenen des »Neuen
Paris« erinnerten an das 3. Gesicht des Philander v. Sittewald.
H. Düntzer: (ioethe's Märchen ; Der neue Paris und die neue
Melusine.
(Westermann's Monatshefte N. F. XLVIL, Nr. 281, S. 634
bis 641.)
Der neue Paris, dictirt 3. Juli 181 1 (»nach einer noch
nicht benutzten Angabe in Goethe's Tagebuch«.) Besprechung
beider Märchen, mit Berücksichtigung und theilweiser Wider-
legung der Schriften von Meyer v. Waldeck (Goethe-Jahrb. L,
S. 439) und Bielschowki (daselbst S. 443 fg.).
H. Düntzer: Goethe und Tristram Schandy.
(Archiv für Literaturgesch. IX., S. 438 — 439.)
Die Stelle, Briefe an die Fahimer (S. 92 fg.): »Verworren-
heiten des Diego und Juliens« u. s. w. aus T. S. c. 87 ;
Tagebuch 4. April 1777 fnudiSu/.Toc zu lesen aus das. c. 19.
Goethe- Jahrbuch IJ. 55
514 Bibliographie.
H. Brunn : Laokoon. Zum Andenken an Karl Bernhard Stark.
(Archäologische Zeitung XXXVII. , 1879, S. 167 — 170.)
Geht von Goethe's Bemerkungen (Dichtung und Wahr-
heit, 1 1 . Buch, Ende) aus ; »auch in dem vorliegenden Falle
erweisen sich die Erörterungen Goethe's erst recht fruchtbar,
indem sie dem äusseren Zeugnisse die tiefere, innerliche
Begründung hinzufügen«.
H. Pröhle : Geflügelte Worte. II \\ekliche Citate. mit beson-
derer Rücksicht auf Goethe's Büchertitel »Dichtung
und Wahrheit«.
(Vossische Zeitung, 5. September, Sonntagsbeilage Nr. 36.)
Der Titel stamme aus einem Aufsatze J. G. Jacobi's in
der »Iris« 1774 »Dichtkunst. Von der poetischen Wahrheit«.
II. Biographisches.
A. ALLGEMEINES.
Goethe. Vorlesungen gehalten an der Kgl. Universität zu
Berlin von Herman Grimm. Zweite durchgesehene
Auflage. Berlin, Wilhelm Hertz, 1880. VIII und 524 SS.
Neu sind die Beilagen S. 489 : Wichtigste Ausgaben :
S. 490—492 : Goethe's Briefe, Sprüche, Verhältnisse zu Per-
sonen und Orten; S. 492 — 495 : Erläuterungsschriften (alpha-
betisch nach dem Namen der Autoren); S. 496 — 503: Zeit-
tafel, beginnend: 1474— 1533 Ariost, schliessend: 1880 Ent-
hüllung des Goethe-Denkmals in Berlin, ausführlich ist die
Zeit von 1759— 1832 behandelt: S. 504—524: Register, über
Goethe speciell : S. 509 — 513: Leben: Italien; Familie; Briefe;
Aeusserungen: Eigenschaften; Styl, Sprache, Metrik; Allge-
meines: Werke. — Der Text des Buches ist im Ganzen
unverändert der der ersten Auflage (2 Bände. Berlin 1877).
*Studies in German Literature by Bayard Taylor. \\ ith an
introduction by George H. Boker. New-York. G. P.
Putnams Sons 1879. IX u. 418 SS.
S. 304—337: (ioetlie: S. 337 — 388: Goethe's Faust.
Der erste Artikel eine biographische Skizze mit Würdigung
Bibliographie.
)M
der Hauptwerke, Vergleichung mit Shakespeare; der zweite
eine Gesthichtc der Faust-Legende und des Goethe'schen
Faust. Darlegung des Inhalts mit Uebersetzung vieler einzelner
Stellen beider Theile. ((Gegenüberstellung von Original und
Uebersetzung.) \'on den anderen Aufsätzen des 'J'aylor'schen
Bandes sind 6 der deutsi;hen Literatur bis zum 17. Jahrh.
einschl.. die 4 übrigen: Lessing: Klopstock. W'ieland. Herder:
Schiller: Jean Paul gewidmet.
j. Harl)ey d"Aureviliy: Goethe et Diderut. bonuc laste. Paris.
E. Dentu. XXIII u. 290 SS.
Jämmerliches Machwerk I Ein kindischer, ohne jede Spur
von LTrtheil und Kenntniss unternommener A'ersuch, Goethe
zu vernichten. In S Capiteln S. i — 119 wird: Theater, Poesie,
Philosophie, Roman, Kunst und Reisen, Wissenschaft behandelt.
In dem Schlusswort meint der Verf.: man sehe in Goethe
nur: mesquinerie egoisme, bourgeoisisme. und bemerkt: On
ne le lit guere dejä, bientot, on ne lira plus! In der Bio-
graphie Diderots S. 119 — 265 ist von Urtheilen Goethe's über
Diderot, von seiner Uebersetzung des Neffen Rameau's nicht
die Rede, der Schluss (S. 263 — 265) ist nur eine Wiederholung
unflätiger Schimpfereien. Einen ähnlichen Charakter trägt
die Schlussabhandlung (S. 267 — 288), eine Besprechung der
französischen L^ebersetzung der Gespräche zwischen Goethe
und Eckermann, in welcher einige Urth'eile Goethe's über
französische Literatur hervorgehoben und in der Manier des
Verf. behandelt werden.
Literaturbilder. Klopstock. Lessing. Wieland. Herder. Die
Göttinger. Goethe. Schiller. Von Joseph Lerique. Mit
10 Porträts. Düsseldorf. L. Schwann 'sehe Verlags-
handlung. 1881. VIII und 382 SS.
Die Bilder sind gezeichnet auf »Grundlage christlicher
Weltanschauung«. Goethe S. 213 — 309. Porträts: Goethe
nach dem Porträt von May aus dem Jahre 1779, Goethe
nach der Rauch'schen Büste. Behandelt i. Goethe's Leben
und Schriften 2. Goethe's Literarische Bedeutung. Die
Darstellung ganz sorgsam, wenn auch mit mancherlei Fabeln
gemischt (sehr heftig gegen Christiane) ; die Beurtheilung der
lyrischen, epischen, dramatischen Arbeiten meist würdig. An
die Besprechung schliesst sich die Mittheilung längerer Stellen
aus Götz, Iphigenie. Tasso, Faust.
35*
5l6 Bibliographie.
B. BIOGRAPHISCHE EINZELHEITEN.
Zur Geschichte der Famüie (ioethe.
(Frankfurter Nachrichten. Beilage zum Intclligenzblatt
14. 18. 19. Juni. S. i6i8fg., 1653 fg., 1663 fg.)
Der ungenannte \'erfasser weist aus den EeedebUchern
Frankfurts nach, dass Goethe's Grossvater, der Schneider-
meister Friedr. Georg Goethe 1687 mit einem Vermögen von
300 fl. verzeichnet ist, Ende 1704 dagegen von einem Ver-
mögen von 15000 fl. besteuert wurde, dass also das Ver-
mögen nicht erst durch die Verheirathung mit der Wittwe
Schelhorn entstanden ist. Notizen über die Kinder, das
Testament vom 17. Okt. 1729, aus dem hervorgeht, dass Joh.
Caspar eine Summe von etwa 15000 fl. aus dem väterlichen
Vermögen erhalten haben muss: zuletzt ein »Stammbaum der
Familie Goethe in Frankfurt: neu revidirt nach den Kirchen-
büchern«.
^^'. Stricker: Zu Goethe's Leben und Werken.
(Im neuen Reich. Nr. 14, S. 549 — 553-)
I. (ioethe als Schlittschuhläufer auf den Rödelheirner
Wiesen (22. od. 23. Jan. 1774). 2. Goethe's zweimaliger
Besuch in seiner Vaterstadt vor und nach der zweiten
Schweizerreise 1779 und 1780: i.: 19 — 2^. Sept.: 2.: Ende
Dezember und Anfang Januar. 3. Goethe's Frankfurter und
Thüringer Idiotismen. Aufzählung einer Reihe von Formen
und Zetteln. 4. Ein Billet Goethe's.
W. Scherer: (iretchen.
(Z. f. d. A. N. F. Bd. XIL S. 231-235.)
Goethe's Liebesverhältniss zu Ciretchen beruhe nicht auf
eigner Erfindung, vielmehr sei Gretchen mit der A\'. zu
identificiren. von der Goethe i. Okt. 1766 an Moors schreibt,
dies W. = Wagner (Kriegk, Senckenberg 326), das Lustspiel
»Die Mitschuldigen« sei ein Niederschlag dieser Verbindung.
W . Lang: Herder und (ioethe in Strassburg.
(Im neuen Reich. Nr. 25, S. 975 — 986.)
Besprechung in Anknüpfung an Hayms Herderbiographie
(S. 979 A. Rücksichtnahme auf Goethe-Jahrb. L, 144 ff".;
S. 984 Hinweis aufSatyros-Herder. ohne bestimmte Parteinahme).
Bibliographie. 517
A. Schneegans: Friderike Brion von Sesenheim 1770— 18S0.
(Die (iegenwart Nr. 35, S. 155—138.)
Erzählt die CJeschichte des Autograplis der »Mitschuldigen«
(Hirzel'sche Sammlung), das ursprünglich im Besitz der Brion"-
schen Familie war, und versucht den Nachweis, dass das
angebliche Bild Friderikens ein Porträt einer Hürgerfrau aus
dem Anfang des 18. Jahrhunderts sei.
* \N'. V. liiedermann : (loethe zu Frau von l,a Roche, deren
Tochter und Enkelin, sowie zu Schlossers.
(Wissensch. Beil. der Leipziger Zeitung, 6. März 1879,
Nr. 19. S. 1 13 — 1 15.)
Enthält eine Besprechung der im (iocthe- Jahrb. I. excer-
pirten v. Loeper'schen Briefpublikation: theilt eine (bisher
ungedruckte) Stelle aus Croethe's Tagebuch, 3. bis 10. Sept. 1826
mit, aus welcher hervorgeht, dass damals eine Wiederannäherung
mit Bettina v. Arnim stattgefunden hat.
Wilhelm Fielitz : Goethe und Sophie La Roche.
(Archiv für Literaturgesch. X.. S. 83 — 96.)
Andere Datirung einiger der von Loeper edirten Briefe.
Goethe-Jahrb. I., 399, Nr. i, nicht August 1773, sondern
Februar/März 1874: daselbst Nr. 2 nicht Ende August 1773.
sondern Februar/März 1775: daselbst Nr. 5 nicht 22. Januar 1774,
sondern Sommer (d. h. Juli) desselben Jahres : in dieselbe
Zeit daselbst Nr. 6 und S. 400. Nr. 4.
Paul Stapfer: Goethe et Lessing.
(Revue politi(|ue et literaire Nr. 31 : 31 janv.. S. 720 — 727.)
Unterschiede beider Persönlichkeiten, Lessing combattant,
Goethe artiste ; ausführlichere Besprechung von Goethe's
dramatischem Entwicklungsgang (l'ebersetzung eines Theils
der Shakespeare-Rede), Parallele zwischen beider Ansichten
über Religion und Politik.
Ed. S(ack) : Goethe und Lessing.
(Frankfurter Zeitung. 26. und 27. Oktober, 2 Artikel.)
Sehr harte Kritik gegen v. Biedermanns Ausführungen
im Goethe-Jahrb. L. S. 17 — 44. Dem Autor werden Auslassungen
in den \on ihm citirten Stellen, Veränderungen einzelner
5 1 8 Bibliographie.
^^'orte vorgeworfen und das Bestreben Schuld gegeben. Lessing
gegen Goethe herabzusetzen. — Ich registrire diese Aus-
lassungen, ohne über ihren Werth und Unwerth mich zu
äussern. Noch weniger gedenke ich meine persönliche Meinung
über Aufsätze des Goethe-Jahrbuchs zu sagen, welche hoch-
achtbare Männer von wohlverdientem literarischen Rufe ge-
schrieben haben und mit ihrem Namen zu vertreten wohl
geeignet sind. Nur muss ich zweierlei erklären: i. dass der
Ton , in welchem Hr. E. S. seine Angriffe erhebt , ein in
anständiger Gesellschaft durchaus unerhörter ist, ein Ton, der
vielleicht einem Dorfschulmeister seinen unerzogenen Schul-
kindern, aber gewiss nicht einem dilettirenden Feuilletonisten
einem verdienten Gelehrten gegenüber zukommt, und 2. dass
sowohl ich, als alle diejenigen, die es mit Cioethe ernst meinen,
aufs Entschiedenste gegen die uns von Hrn. S. gemachte
Unterstellung protestiren, als wollten wir »Goethe, den Dichter
und den Menschen zu einem Abgott zu erheben suchen, an
dem nur Tugend und (ienie, aber keine Fehler, Schwächen
und Sünden bemerkt werden dürfen« und ferner, »neben
Goethe jeden Andern klein, dürftig und mit allerlei Sünden
und Gebrechen behaftet erscheinen« lassen. Wir wollen viel-
mehr, so hoch wir und mit uns alle Gebildete Goethe's
Genie und Charakter verehren, unpartheiisch urtheilen, Jedem
das ihm gebührende Verdienst gerne gewähren und als echte
und treue Diener der \\ issenschaft vorurtheilslos den Mann
und seine Werke betrachten. Nur eins möge uns Hr. S. für
jetzt und in alle Zukunft gestatten, dass wir den Kritiker der
Frankfurter gelehrten Anzeigen von 1772 in jeder Beziehung
höher stellen, als den Kritiker der Frankfurter Zeitung von 1880.
Goethe's Verhältniss zu Klopstock. Inaugural - Dissertation
zur Erlangung der Doctorwürde bei der philosophischen
Facultät der Universität Leipzig, eingereicht von Otto
Lyon, Oberlehrer an der Kgl. Realschule i. Ordnung
in Döbeln. Döbeln. Druck von J. W. Thallwitz. 134 SS.
Beeinflussung Goethe"s durch Klopstock. Nachweis im
Einzelnen, dass die »Höllenfahrt Christi« viele Ausdrücke und
Bilder aus dem »Messias« entnommen ; der Darmstädter Kreis
weist wieder auf Klopstock hin : Goethe's »Elysium« anknüpfend
an Klopstocks »Der Zürchersee«. 6 Punkte zusammengestellt,
die das »Vortreffliche« Klopstocks enthalten, welches Goethe
auf sich wirken Hess : Durchbrechen zum vollen Leben,
Empfindung etc. Die Einwirkung gehört den Jahren 1770
Bibliographie. 519
bis 1775 an; Zerwilrfniss 1776; Literarische Angriffe: Epi-
gramme 1795, 1796, Briefstellen aus den folgenden Jahren;
gerechte Würdigung, die Goethe dem Todten angedeihen Hess.
Julian Schmidt: Goethe's erstes Jahr in Weimar (i 775 — i 777).
(Preuss. Jahrb.. Hand XLVI., S. 515 — 543.)
Nach kurzer Einleitung folgt eine Zusammenstellung von
Brief- Auszügen Goethe's, Wielands, Einsiedeis, Herders u. A. ;
Schilderung der Frau v. Stein, Lenz, Klopstock und Goethe ;
Corona Schröter; Jacobi's Alhvill.
Bayard Taylor: Weimar im luni (Deutsch von Marie Hansen-
Taylor.)
(Deutsche Revue, IV. Jahrg., 10. Heft, S. 56 — 66.)
Bringt u. -\. Mittheilungen aus Gesprächen der Alwine
Frommann über Goethe und seinen Kreis, mit mancherlei Re-
miniscensen und Anekdoten aus der Weimarischen (jlanzzeit.
Goethe und p]erlin. Festschrift zur Enthüllung des Berliner
Goethe-Denkmals von Otto Brahm. Berlin. Weidmann.
36 SS. 8°.
Goethe in Berlin (1778), bewundert Friedrich d. Gr.,
wird von Prinz Louis Ferdinand angestaunt, von Friedrich
\\ ilhelm IIL und den übrigen Mitgliedern des königlichen
Hauses geehrt. Die Bewunderung in Berlin seit 1790 von
grossen Kreisen ausgehend, dem Rahel'schen, etwas abseits
Zelter. Der Goethecultus ; drei Epochen: Rahel, ältere Roman-
tiker (Tieck, Schlegel), jüngere (Bettina) ; als Vorläufer Moritz.
Die 3 Epochen eingehender geschildert, Zelter als Vermittler
zwischen Goethe und Berlin, des Erstem ungünstiges Urtheil
allmählich umgestaltend.
K. N.-St. (Karl Neumann-Strela): Goethe und Schiller in Berlin.
(Voss. Zeitg., Freitag 10. September 2. Beil.)
Wiederholung allbekannter Thatsachen über Goethe's
Besuch 15. Mai ff. 1778. —
Carl August in Frankfurt a. ^L und die glücklichsten Tage
im Leben der Eltern Goethe's i8. bis 23. Herbst-
monates 1779. Bericht über eine Feier in Goethe's
Vaterhause, veranstaltet vom Freien Deutschen Hoch-
520 Bibliographie.
stifte für A\'issenschaftt'n, Künste und allgemeine Bildung
daselbst am 19. Herbstmonates 1879. Sonderabdruck
aus den Berichten des Freien Deutschen Hochstifts
1878/79. Mit \ier Bildnissen — einem der Herzogin
Anna Amalia , einem des Prinzen Constantin und
zweien des Herzogs und Grossherzogs Carl August —
in Lichtdruck. Frankfurt a. M. Freies Deutsches
Hochstift. In Besorgung bei F. A. Brockhaus in Leipzig.
4 unpagg. Bll., 4 Bilder, 36 SS. in 8°.
Der Inhalt ist in dem langathmigen Titel angegeben :
vgl. übrigens oben S. 467, 495 fg., der Brief der Frau Rath (S. 24
bis 27) oben S. 310 — 312, die unpagg. Blätter enthalten Vor-
wort, kleine Gedichte und A\'idmung an den Grossherzog Karl
Alexander. Die Originale (Hr. Volger schreibt Vorbilder)
von I, 3 und 4 (Anna Amalia; Carl August als Jüngling und
als Greis) befinden sich im Grossherzoglichen Schloss zu
Weimar : nur Nr. 4 ist mit einem Künstlernamen : Bruni
bezeichnet ; das Original des Bildes des 1 1 jährigen Prinzen
Constantin (S. 35 irrthümlich gleichfalls als Bild des jugend-
lichen Carl August bezeichnet) gemalt von Zieseniss ist Eigen-
thum der Kestner'schen Familie in Hannover. Auf der
Rückseite des Umschlags eine Abbildung von Goethe's Vater-
haus in Frankfurt mit mancherlei Verzierungen.
(Lothholz): Italien und Goethe.
(Blätter für Handel, Gewerbe und sociales Leben, Beibl.
zur Magdeb. Zeitg. Nr. 31, 32. S. 242 — 244, 249, 250.)
Goethe's Kunstbildung in Frankfurt. Leipzig, Düsseldorf:
Verhältniss zur Natur, Eindruck und Wirkungen der italieni-
schen Reise.
Julian Schmidt : Aus der Blüthezeit der deutschen Dichtung.
Die Vollendung des Tasso. Goethe und Schiller 1788 — 89.
(Preuss. Jahrbücher Bd. 46 H. 2. S. 174 — 213.)
Stimmung in und über Italien. Studien für Tasso, gemischt
mit persönlichen Beziehungen: Lenz, Frau von Stein. Schillers
Eintritt in Weimar; Beziehungen zu Frau v. Kalb und Char-
lotte v. Lengefeld, Verhältniss zu Goethe und Moritz; Gedicht
»die Künstler« ; Vollendung des Tasso, Würdigung desselben.
Herder in Italien; Schillers Verhältnisse zu den Frauen,
Goethe's zu Christiane. Schillers \^erlobung. (Das Ganze
im U'esentlichen eine Aneinanderreihung von Briefstellen der
Betheiligten.)
BlBLIOGRAPHlL. ^21
* Alfred Mosrhkau : Goethe und Karl August auf dem Oybiii
l)ci Zittau vom 28. bis 29. Sept. 1790. Eine Eriimerung
für Verehrer (ioethe's und Karl Augusts und fUr Re-
surher des Oybin. Mit einem Kui^ferstiche. das alte
Gesellschaftshaus auf dem Oybin darstellend: nebst
mehreren ungedruckten Handschriften Grocthe's. Leipzig.
Louis Senf 1879. \'III und 30 SS.
Berichtet über Goethe"s Hesuc h an genanntem Orte von
Schlesien aus, über den dortigen komischen Schulmeister
Johann Hübel und (ioethe's an ihm geül)ten Scherz (ein Brief
an denselben, nur durch die Tradition bezeugt, ist bisher
nicht aufgefunden). S. 2, 3 Notizen aus dem (in Hirzels
Sammlung befindlichen) Reisetagebuch Goethe's in Schlesien.
S. 29 fg. Neudruck des Briefes an Döbereiner 28. März 1814:
S. 30 : ein kurzes Billet an den Herzog ('I'heaterangelegenheit)
27. ALirz 1807.
Robert PJoxberger : Die \'erunti'euung des Manuscriptes \-on
Wallensteins Lager.
(Archiv f. Literaturgesch. IX. S. 339 353-)
Wiederholt die »Weimarer Sonntagsblatt« 1856, »Grenz-
boten« 1857 mitgetheilten Briefe (ioethe's an Kirms, 15. Ok-
tober 1798, 4. März, 26. März. 2. April 1799, die Verord-
nungen vom II., 16. März 1799, welche den »Theaterwöchnern«
das Verleihen von Handschriften untersagen, Böttigers Be-
sprechung der Piccolomini und einen ungedruckten Brief der
Friderike Brun an Böttiger (19. März 1799), welchen sich
Ivetzterer schreiben Hess, um die Veruntreuung zu bemänteln.
Sicher hat Böttiger sich die Abschrift durch seine Schüler
machen lassen.
Bei Goethe. (Otto Glagau, Der Culturkämpfer, Sept. -Heft.)
Bericht Wilh. Zahns über seinen Besuch bei (ioethe,
7. Sept. 1827 ff., dem Herausgeber mündlich mitgetheilt im
Frühjahr 1877, über die Mittagsgesellschaft: Meyer, Ecker-
mann, Riemer, den später eintretenden Grossherzog und
Goethe's La-theile über Zahns Zeichnungen nac h Pompejani-
schen Gemälden. (Vgl. Didaskalia, 26. Sept., Nr. 269.)
R. S . . r (Robert Springer?). Wie Goethe wohnte.
(Deutsche Lesehalle. Sonntagsbeil, zum Ikrlincr Tage-
blatt. Nr. 25. 20. luni, S. 196 fg.)
522 Bibliographie.
Beschreibung des Goethehauses in Weimar mit manchen
falschen Angaben: die Uhrgeschichte vgl. oben S. 331, wird
dem Herzog von Coburg statt dem von Mecklenburg zuge-
schrieben, in eine unrichtige Zeit verlegt und feuilletonistisch
ausgeschmückt.
Goethe's Stellung zur deutschen Nation von Arnold Schäfer,
Prof. in Bonn, (Frommel u. Pfaff, Sammlung von Vor-
trägen III., 3.) Heidelberg. Carl Winters Universitäts-
buchhandlung. 24 SS. in 8°.
Ciehört zu den oben S. 452 erwähnten Vorträgen.
Schilderung der Zeit und des Ortes, in denen Goethe auf-
Avuchs ; geringe Befriedigung in der Gegenwart, Verehrung der
früheren Zeit, besonders deren Kunst. Götz v. Berlichingen.
Politische Thätigkeit in Weimar, Betheiligung an den deut-
schen Ereignissen : Fürstenbund ; Krieg gegen Frankreich ;
Theilnahmlosigkeit während der Befreiungskriege. »Goethe's
Stellung zur deutschen Nation nach seinen letzten Lebens-
jahren bemessen zu wollen, würde ungerecht sein«.
Goethe's deutsche Gesinnung. Ein Beitrag zur Geschichte seiner
Entwicklung. Inaugural - Dissertation zur Erlangung
der philosophischen r3octorwürde an der Universität
Leipzig , eingereicht von Friedrich (iotthard U'inter
aus Schwarzenberg. Leipzig. Rossberg"sche Buch-
druckerei. 91 SS.
Nur I. 'l'heil : Von Goethe's Jugend bis Ende der Freiheits-
kriege. Quellen : Goethe's Werke und Handschriften der
Hirzel'schen Bibliothek. Hinweis auf Goethe's Bewunderung
für Friedrich d. Gr., deutsches Volkslied, Gothik, Götz ; über
Bardenpoesie ; Thätigkeit in \\ eimar ; Fernhalten von Politik ;
Stimmung in den Freiheitskriegen : Epimenides.
Jürgen Bona Meyer : Goethe's Naturliebe.
(Deutsche Revue, IV. Jahrg., Heft 11., S. 166—178.)
Naturbetrachtung der Dichter des 18. Jahrhunderts: Haller.
Klopstock ; im Gegensatz dazu: Goethe; Frankfurt, Wetzlar,
besonders Schweiz (grosse Auszüge aus den Reisebriefen).
Einwirkung Rousseau's ; Weimar (Gartenhäuschen); Ilmenau
»Goethe ist der Dichter, der nicht melir die Natur nur sucht,
er ist der Dichter, der sie hat und der selbst Natur ist«.
BiBLIOGRAPHIt. 523
Johann Wolfgang v. Goethe als Freimaurer. Festschrift zum
23. Juni 1880, dem hundertjährigen Freimaurerjubiläum
(roethe's von I. Pietsch. Lei|)zig. IJruno Zeche!.
63 SS.
Nennt S. 5 eine Anzahl wenig bekaniUc tVeiinaurcris« lie
Schriften über (ioethe, Aufnahme in den Hund, Meister (iJriefe
an Fritsch), Auflösung der Loge Amalia und Wiedereröffnung
derselben (1808), S. 20 fg.: Mitgliederliste, 1809: Ablehnung
der Würde des Meisters vom Stuhl, 1830: Feier des fünfzig-
jährigen Jubiläums (S. 29 fg.: Ehrendiplom). — Freimaurerische
Gedichte und Werke: Loge; Cieheimnisse; auch in anderen
Gedichten sei Maureris<:hes enthalten (doch hat der Verfasser
sehr Unrecht, alle Verse in den »Zahmen Xenien«, in denen
das Wort »Orden« vorkommt, hierher zu rechnen) ; der »Divan«
sei das »freimaurerische Glaubensbekenntniss« (loethe's; Gross-
kophta, ^^'ilhelm Meister, Faust. Zauberflöte, zweiter Theil.
Nicht blos als Dichter, sondern au<h als Privat- und Staats-
mann habe Goethe sich als durchdrungen von freimaurerischen
Ideen gezeigt. - Die literarisch-kritischen Bemerkungen des
Verfassers sind dürftig und unreif.
Jakob Auerbach: Rede über Goethe als Freimaurer.
(Bauhütte, Nr. 35, S. 277 — 279. Au( h in sehr wenigen
Abzügen gedruckt, 8 SS. in 8°.)
Sehr schöne Würdigung von Goethe's inneren Beziehungen
zur Maurerei ; spricht sich (ohne Namen zu nennen) gegen
die Uebertreibungen Pietschs und Anderer aus, welche der
Freimaurerei eine tiefere Einwirkung auf Goethe zuschreiben
und auch in vielen seiner Gedichte, die auf die Loge gar
keinen Bezug haben , maurerische Andeutungen zu finden
meinen.
Freimaurerische Vorträge, Ansprachen, (iedichte und Tafel-
reden. L Aus dem Nachlasse von Br. Heribert Rau.
IL Zur Säkularleier der Aufnahme Goethe's in die
Loge Amalia zu ^^"eimar am 23. Juni 1780. Festvortrag
und Festlieder von Br. Putschke , Mstr. v. St. und
Br. L^nrein, Secr. der Loge Amalia. III. Tafelreden,
Ansprachen, Lieder und Gedic-hte. Frankfurt a. M.
W. Rommel. VIII u. 240 SS.j
Enthält S. 141 — 160 u. d.T.: »Zweite Abtheilung : Goethe's
Maurerberuf und dessen Beglaubigung schon durch sein Auf-
524 HliiUOGKAPHlt.
nahmegesuch«, die von dem auf dem Haupttiiel Genannten
herrührenden Lieder und den Vortrag bei der Säkularfeier.
In der Rede sind u. A. Briefe von und an Fritsch über
Goethe's Aufnahme in den Freimaurerbund und in das Minister-
consci! zum erneuten Al)dru(k L^ebracht.
Aurea catena Honieri. Von Hermann Kopp. Braunschweig.
Friedr. Vieweg u. Sohn. XII u. 50 SS.
Bespricht CJoethe"s Betheihgung an hermetischer C'hemie,
die Nachwirkung der dabei in seiner Jugend empfangenen
Eindrücke in späterer Zeit, namenthch das Buch, von welchem
Goethe bekannt hat, dass es ihm damals besonders gefallen;
Aurea catena Homeri (S. 5 fg. Anm. ül^er encheiresis naturae
vgl. Goethe- Jahrb. L, S. 435). Ausgaben des Buches, Skizzirung
des Inhalts ; Versuch, den Oesterreicher Ant. Jos. Kirchweger
als Verfasser, das erste Decennium des 18. Jahrh. als Abfassungs-
zeit zu erweisen.
R. Steck : Goethe's religiöser Entwicklungsgang. (Abgedruckt
aus der Protestantischen Kirchenzeitung 1880, Nr. 22
u. 23.) Berlin. G. Reimer. 38 SS.
Unterscheidet vier Perioden: i. Jugendzeit. Erste Ein-
drücke. Religionsunterricht. Bibelkenntniss. 2. Die Jahre
der fortschreitenden Entwicklung. Fräulein von Klettenberg.
Lavater. 3. Die Mannesjahre. Italienische Reise. Abkehr
vom Christenthum. 4, Das Alter. Rückkehr zum Christen-
thum und betrachtet in zwei Schlussabschnitten. 5. Verhältniss
zur Kirche. Unsterblichkeitsglaube. 6. Die Hauptwerke. Fasst
als Resultat zusammen : »Wenn jenes enge ängstliche Wesen,
das von der Welt scheu sich abwendet, das der Wunder nicht
entbehren kann, das in pietistischer Gefühlsschwärmerei mit
Christi Blut und Wunden spielt, das wahre Christenthum ist,
dann ist Goethe kein Christ gewesen. Fassen wir aber das
Christenthum in seiner ursprünglichen und reinen Gestalt,
stellen wir das Bild Jesu in seiner geschichtlichen Klarheit
vor unser Auge und fragen wir dann, ob (loethe's Dichten
und Denken sich hiermit vertrage, so müssen wir mit einem
bestimmten Ja antworten«.
Goethe als Pädagog. Vortrag, gehalten im Ihlinner Lehrer-
vereine am 20. März 1880. ^"on Wilhelm C. Schräm,
Lehrer der klassischen Philologie. Leipzig. Heinrich
Pfeil. 29 SS. 8°.
Bibliographie. 525
Goethe als Erzieher des jungen v. Stein ; Zusammen-
stelhing pädagogischer Aeusseningen aus »Hermann und
Dorothea: Wahlverwandtschaften: Wilhelm Meister«; erste
Erziehung der Kinder aus Werther und Dichtung und Wahr-
heit, Sprüche in Prosa und in Reimen ; Mäd<henerziehung ;
Vorschriften für die Bildung zur Religion und Sittlichkeit:
Material des Unterrichts: Hihel, griechische Classiker. neuere,
insbesondere deutsche Literatur; (leschichte; Naturwissensc haft;
Zeic:hnen ; Singen : ȟber die physis( hc Erziehung hat sich
leider unser Dichter fast gar nicht mitgetheilt«. Das Schrift-
chen endet mit dem hübschen Satz: »Wer si( h in (ioethe"s
Eeben und \\'erke vertieft, wird bald ein anderer«.
Eugen Dreher, Privatdozent an der Universität Halle-\Vitten-
berg. (ioethe's Bedeutung als Naturforscher. Vortrag,
gehalten in der »Deutschen (Gesellschaft« zu Berlin.
(Die Natur, herausg. von Karl Müller. XXIX. Nr. 41.
S. 516-519.)
Goethe's Farbenlehre beruhe auf unrichtigen Folgerungen;
die J,eistungen in Botanik und Zoologie bedeutend; Richtung
als Naturforscher : »die Geheimnisse der Natur offenbaren sich
nach ihm von selbst den gesunden Sinnen und dem klaren
Verstände« : kein Sinn für metaphysische Weltanschauung.
Dr. S. Kalischer: Bemerkungen zu Hrn. Dr. Drehers Vor-
trag: Goethe's Bedeutung als Naturforscher.
(Die Natur. XXIX. Nr. 48, S. 606. 607. j
Verwirft Drehers ^'erurtheilung von (ioethe's P\arljenlehre
als unrichtig.
Prof. Franz 'l'oula : (ioethe als Geologe. Zum 28. August,
dem Geburtstage Goethe's 1749— 1880.
(Die Natur. XXIX. Nr. 46, 47, S. 581, 582, 587 — 590.)
Literatur über diesen Gegenstand : chronologische Zu-
sammenstellung der Cioethe'schen Aufsätze und Entdeckungen;
Besprechung des Aufsatzes »Joh. MüUer'sche Sammlungen
1807«; der Theilnahme Goethe's an dem Streit über die
»erratischen Blöcke^' (Stellen im Faust, den Briefen). — Mit-
theilungen aus Goethe's Sprüchen und Cxesprächen über die
Art und Entwicklung seines geologischen Studiums.
526 BlBLlOGKAPHIE.
Dr. S. Kalischer: Noch einmal Goethe als Geologe. Mit
Bezug auf den gleichnamigen Aufsatz des Hrn. Prof.
Franz Toula in Wien.
(Die Natur. XXIX. Nr. 52, S. 654. 655.)
Berichtigung eines Irrthums 'l'oula's, Croethe habe aller-
dings das Herkommen der erratischen Blöcke aus über-
baltischen Regionen angenommen.
W. V. Biedermann: Goethe und Kotzebue.
(^^'issenschaft]. Beil. z. 1-eipz. Zeitg. 25. und 30. Dez-
Nr. 104. 105. S. 621 --625, 629 — 634.)
Stellt die lobenden Aussprüche über Kotzebue's Talent,
den Tadel gegen seine Rührseligkeit zusammen. Mittheilungen
über die Aufführung Kotzebue'scher Stücke in Weimar, er-
leichtert durch des Verf. Verzicht auf Honorar. Bearbeitung
einzelner Stücke, z. B. des Schutzgeistes, eines Stückes »das
Goethe sehr liebte« , bisher nicht bekannt : Aenderungen in
»Die deutschen Kleinstädter«, Streichung der Anspielungen
auf Vulpius und Schlegel. Brief Schillers, Kotzebue zieht das
Stück zurück, die Affaire Veranlassung zu der von Kotzebue
projectirten, aber verhinderten Schillerfeier : Cioethe bezeigt
dabei keine Feindseligkeit gegen Schiller. Ausfälle des Frei-
müthigen gegen Goethe, Reime Goethe's gegen Kotzebue,
erst nach dessen Tod veröffentlicht : Urtheile über seine Er-
mordung. (Mittheilung dreier Briefe, 12. Dez. 1799, ^°- Nov.
1801, 28. Febr. 1802 s. oben Regesten.)
De botulo sive sanguiculo insaniente tractatus d. i. die Ab-
handlung von der wahnsinnigen Blutwurst. Von Mi-
nutius Quisquilius v. Pimperling, Doctor. Professor,
Akademiker, Geheimrath, Ritter des hohen Ordens
vom güldenen Maulkorb 3. Klasse mit Humboldtfedern
am Ringe u. s. w. Ein unentbehrlicher Beitrag zur
Goethe-Literatur. Nach Vergleichung sämmtlicher Hand-
schriften edirt von Johannes Scherr.
(Gegenwart. Nr. 21. S. 324 — 328.)
Will in der bekannten plumpen und burschikosen Manier
des Verfassers eine Verspottung der Goetheforschung sein.
Ein Eingehen auf den Aufsatz und eine Wiederlegung der
BlBLIOGRAPHIh. 527
darin ausgesprochenen Ansichten würde der Wurde des Jahr-
buchs zu nahe treten.
Herder nach seinem Lehen und seinen Werken dargestellt
von R. Haym. Berlin. Rudolph Ciärtiicr. I. IJand.
XIV und 748 SS.
Schilderung der Zeit \ or Herders Ankunft in Weimar.
S. 380 — 450: Strassburg, ausführliche Darlegung des Einflusses,
welchen Herder auf Goethe übte; S. 523: Goethe. Caroline
Flachsland und Lila (aus ungedruckten Briefen der I-etztern).
S. 530: Pater Brey (vgl. Goethe-Jahrb. L. 115 ff, daselbst
auch über die Erwähnung des Satyros bei Haym, S. 375).
S. 736 ff. : erste Anknüpfung mit und schliessliche Berufung
nach Weimar: Erwähnung und Beurtheilung xon (ioethe's
Jugendwerken, Goethe's Zettelbriefe an Herder.
J. Fr. Lobstein sen. Professor der Anatomie und Chirurgie.
Ein Lehrer Goethe's in Strassburg. Von Dr. med.
Ed. Lobstein Mr. F. D. H. Nebst einem Anhang:
Zur Geschichte des Bürgerhospitals von Strassburg.
Heidelberg. Carl Winters Universitätsbuchliandlung.
VII u. 94 SS.
Pietätsvolle Biographie J. Fr. Lobsteins, geb. zu Lampert-
heim, 30. Mai 1736, gest. in Strassburg 11. Okt. 1784, mit
vielen Notizen und Excursen zur Gelehrtengeschichte des
18. Jahrhunderts. Ueber Goethe S. 33 — 35- doch nur das
aus »Dichtung und Wahrheit« Bekannte.
Christian Felix Weisse und seine Beziehungen zur deutsclien
Literatur des 18. Jahrhunderts. Von Dr. J. Minor.
Innsbruck, "\^'agner'sche Universitätsbuchhandlung. ^'III
u. 406 SS.
S. 49: Goethe versucht Weisse zu besuchen (1776): S. 91 :
ergötzt sich über das Lustspiel : »Der Leichtgläubige« ; S. 94 :
Goethe's Brief über Gottsched (1765) Copie einer Stelle aus
einem komischen Heldengedicht Weisse's; S. 109 fg.: Lustspiel
Amalia Vorbild von Stella: S. 198 fg. : Goethe durch den
Verkehr mit Andre auf das französische Singspiel hingewiesen :
S. 234. 243: Ueber Weisse's Romeo und Julie: S. 295 fg. :
aus einem ungedruckten Briefe Weisse's an Blankenburg
(20. Mai 1775) ü^"^'' Lessings Grimm gegen Goethe (Jerusalem.
Werther): S. 328 ff. : Abdruck aus »Bil)liothek der schönen
528 Bibliographie.
Wissenschaften« der Wezel'schen Antwort auf die Sprikmann"-
sche Frage : »Was heisst göthisiren y« ; S. 356 — 339: über die
Beurtheilungen ders. Bibl. : Deutsche JJaukunst, Werther.
Gösrhen'sche Ausgabe der Werke.
Klinger in der Sturm- und Drangperiode, dargestelk von
M. Rieger. Mit vielen Briefen. Darmstadt. Arnold
Bergsträsser. Xll u. 438 SS.
Vorn Bild Klingers nach einer Kreidezeichnung (ioethe"s
Jan. 1775. S. 9fr., 18 — 23: Jugendbeziehungen zu Goethe;
S. 26 fg. : Goethe überlässt ihm seine Fastnachtsspiele zum
Verkauf; S. 62 fg. : über Werther; S. 147—178: Klinger in
\^'eimar. Die Darstellung theils nach bekanntem Material, theils
nach 15 im Anhang abgedruckten Briefen Klingers aus Weimar
(12. Juni bis 25. Sept. 1776) an Mutter und Schwester,
Schleiermacher, Kayser, die für das damalige Weimarer Leben
und für Goethe von grossem Interesse sind. (Vgl. besonders
37I' 375i 379i 381 (Stella), 384 (Wallfahrt nach Wetzlar),
385, 389. 431 (Kayser über (Joethe).
H. Hettner : Aus Wilh. Heinse's Nachlass 1.
(Archiv für Literaturgeschichte X., S. 39 — 73.)
AN'iederholt 3 Briefe Klingers an Heinse (s. Rieger),
2 Heinse's an Klinger (Frankfurter Buchdruckergedenkbuch
1840), publicirt zum ersten Male 6 sehr interessante Briefe
des Malers Müller an Heinse. S. 55 (Rom 17. April 1787)
heisst es : »Dass Goethe hier war, wirstu ^^ermuthlich schon
wissen — er logirte beym Mahler Tischbein, schien ein Staats-
gefangner vom neugebacknen Anticiuar Hirt (ein erbärmlicher
Prinz), Schüz, Pirry (gemeint ist : Bury) etz. zu seyn. ]3iese
machten seine Leibguarda aus und es schien mir immer wenn
ich den starcken Goethe unter den Schaalen Schmachtlappen
so herum marschiren sah, als erblickt ich den Achilles unter
den Vozen von Sciros — ich sah ihn nicht als nur in den
letzten Tagen seines Hierseyns da traffen wir uns auf der
Villa Medicis und sprachen auf einige Augenblicke miteinander«.
Erich Schmidt: Satirisches aus tler (ieniezeit.
(Archiv für Literaturgesch. IX., S. 179 — 199.)
S. i88fg. : In (C. G. Contius) »Wieland und seine Abon-
nenten« wird Goethe wenigstens genannt : in der Schrift
BlBLIOGKAPHn.. 529
(vielleicht von Cranz V) »Condolenzsrhreiben an die grossen
Geister Teutschlands, Hn. Lessing, Hn. (ioethc und ihre-
Cameraden bey dem 'l'od der Hmilia (Jalotti. der Mina \on
Uarnhelm und des (lötz v. Üeriichingen, da diese Stücke
durch den unsterblichen Dichter H. H. Möller Mitglied der
Seilerschen (Gesellschaft ins Reic h der Vergessenheit und Ver-
moderung abzugehn gezwungen wurdencc kommt (ioethe gegen
den Dichterling und Si;hausi)ieler M.. der durch seine werth-
losen Stücke das Publikum ent/iic-kte, zu Khren.
Ansichten über Aesthetik und Literatur von Wilhelm v. Hum-
boldt. Seine Briefe an Chr. (r. Körner (1793— 1830).
Herausgg. von F. Jonas. Berlin. 1,. Sr.hleiermac:her.
XI und 190 SS.
Enthält auch über Goethe"s Werke : Egmont, italienische
Reise, Hermann und Dorothea interessante Urtheile, jedoch
keine neuen Mittheilungen. Seltsam ist die Notiz S. 150
(4. April 1830): »Schiller und (lOethe tranken immer Bier
und (joethe thut es auch jetzt o/i/zr alle Scliaiii^ ^\enn auch
Leute dabei sind«.
(Dietrich Schäfer): Heinrich Luden.
(Preussische Jahrbüc:her S. 379 — 400.)
Sehr anziehende Schilderung von Ludens Leben und
Bedeutung. Beziehungen zu (ioethe: S. 381, 385 fg., 392
(Nemesis). 399 (Verlangen an die »Immediatcommission für
Wissenschaft und Kunst« Rechenschaft im Landtage abzulegen.)
Vgl. übrigens auch oben S. 258.
Alexander Ecker : Lorenz Oken. Line biographische Skizze.
Gedächtnissrede zu dessen hundertjähriger (Geburtstags-
feier, gesprochen in der zweiten öffentlichen Sitzung der
52. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
zu Baden-Baden am 20. September 1879. Durch
erläuternde Zusätze und Mittheilungen aus (Jken's Brief-
wechsel vermehrt. Mit dem Porträt Okens und einem
Facsimile der Nr. 195 des L Bandes der Isis. Stuttgart.
C. Schweizerbarfsche Verlagshandlung (E. Koch). VIII
und 220 SS.
Manche neue Briefstellen über Goethe, welche in den
»Mittheilungen über Goethe« abgedruckt werde» sollten, aber
aus Mangel an Raum zurückgelegt werden mussten.
Goetiie-Jahrblch II. 54
530 Bibliographie.
Herr Alexander Ecker über Oken und Goethe.
(Im neuen Reich Nr. 41. S. 537 — 546.)
Sehr heftige Polemik gegen Eckers Vertheidigung Okens
in dem Prioritätsstreit mit (ioethe und gegen manche
Aeusserungen Eckers über Goethe, namentlich in Bezug auf
das Ckitachten über die Isis. — Die Sprache des Einsenders
ist über Gebühr scharf; der Ausruf »Schande über Deutschland«,
wenn nämlich in der Naturforscher -Versammlung kein Protest
oeo-en Eckers Aeusserungen sich erhohen, sehr übertrieben.
A. B — m. (Bettelheim): Cioethe und Zacharias \\erner.
(Im neuen Reich Nr. 35. S. 335. 336.)
Wiederholung des Briefs (ioethe-Jahrb. I., S. 239. Hin-
weis auf demnächst von Bratranek zu publicirende Briefe
von Werner an Goethe : Goethe"s Briefe an ^^■erner im Archiv
der Wiener Redemptoristen?
A. T. Brück: Karl Beruh. Trinius in Petersburg.
(Gegenwart Nr. 12, S. 180 ff.)
Brück (s. Jahrb. L, S. 443) war 1825 in der Absicht,
Deutschland zu verlassen und nach Petersburg zu gehn, nach
\\'eimar gegangen und hatte durch Eckermanns Vermittlung
freundliche Worte erhalten . darunter auch folgende auf sein
Vorhaben bezügliche : »Ja als ich jung war , war Deutschland
auch noch jung, und wer Talent hatte, konnte etwas erreichen :
jetzt wüsste ich selbst nicht, was anzufangen«.
=M>riefe an Ch. de Villers, hgg. von M. Isler. Haml)urg. 1879
(vgl. Jahrb. L, S. 417.)
S. 170. F. H. Jakobi schreibt (26. März 1801): Vous
avez raison en trouvant que (ioethe dans les Propylees trans-
cendentalise un peu. Derselbe berichtet 20. Januar 1808:
Goethe m'a ecrit sur cette production (die akademische Rede:
Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck) avec
enthousiasme. (Vgl. Goethe's Brief vom 16. Dezember 1807
im Briefwechsel mit Jacobi S. 237-239.) S. 297. Frau
V. Stael schreibt den 28. Dezember 1803: Je passe ma vie
avec Goethe, Schiller et Vieland, et certainement des honimes
plus distingues ne se trouvent nulle part, mais ils sont beau-
coup plus severes sur tout que vous ne nie le disiez et nous
sommes tres pres de nous entendre sur tous les ]K)ints.
Bibliographie. 331
Aus dem literarischen Narhlass von Tf>li. T.udw. Mosle. Grossli.
( )ldenl)urgis( licn ( leneralniajor. < »denhiiri;. Schulze'schc
Hotbur.hhantlluni:. ((). j. 1S79.) I\' und 255 SS.
Mosle, geb. 2. Januar 1794. gest. 24. ( )kl()l)er 1877 erzählt
S. 35 ff., dass er als Freiwilliger am 21. Oktober 1813 nach
Weimar gekommen, mit Hilfe der Dienerschaft des Krbjjrinzen
von Oldenburg ins Schloss gelangt sei. »Ich wurde auf die
Oallerie des grossen und prachtvollen Saales geführt und ein
anwesender VVeimaraner zeigte mir an der langen jjrächtig
besetzten Tafel den Minister (loethe gegenüber dem Kaiser
von Russland, der sich fortwährend mit ihm unterhielt. I< h
konnte mi( h nicht satt sehen und au( h die anderen vielen
Fürsten. (Generale und Minister wurden gemustert und mir
genannt«. Abends im Theater, wo «eine grosse 0])er(( gegeben
wurde: »ich heftete meine Augen auf Ooetlie. mit wcL hciii
der Kaiser und König viel sprachen«.
Briefe Alex, von Humboldt an seinen IJruder Wilhelm.
Hrsg. von der Familie \. Humboldt in Ottmac hau.
Stuttgart. Cotta. YU u. 228 SS.
S. 142 fg. steht ein Brief, Weimar 13. Dezember 1826.
Darin heisst es: Je ne puis te decrire la bienveillanc e avec
laquelle j"ai ete recu ä la cour de \\ eimar. < hez Cloethe etc.
On ne m'a pas laisse respirer un instant . . . Goethe est ä
merveille, plein de vigueur et d'amabilite. Tout le monde
se rejouit ici de ton arrivee prochaine. S 144: Paris 24. Januar
1827. Jai hl avec le plus vif plaisir la lettre de la bonne
Li (Caroline, ^^'ilhelms Frau) et celle que tu m'as adressee
de \N"eimar. Tant ce que tu me dis de Goethe et d"Helene
et du fils de Faust devenu Mylord m'a infmiment interesse.
S. 148, Paris 3. Febr. 1827: Fottum passe par ici. je lui ai
donne une lettre pour Goethe. Dieser Brief ist in (loethe's
Jjriefwechsel mit den (iebrüdern von Humboldt S. 319 fg.
abgedruckt : über den Aufenthalt der Brüder in Weimar
daselbst S. 281. 318 f. und S. 353. an letzterm Orte Stelle aus
Eckermann und Boisseree : vgl. ferner an Zelter lY., 233 fg.
O. F. Gensichen : August von Goethe. Ein Gedenkblatt zu
seinem fünfzigsten Todestage.
(National-Zeitung 27. Oktober ff. Nr. 503 ff.
34*
532 BiHLlOGRAPllIH.
Zusammenstellung nach längst bekannten Quellen mit
vielen überflüssigen Abschweifungen und oberflächlichen oder
böswilligen Urtheilen. Wäre es nicht gerathener, biographische
Darstellungen jedweder Art über August v. Goethe so lange
zu vertagen, bis die bisher gänzlich unbekannten verschlossenen
Quellen zur Erkenntniss seines Wesens, seine Tagebücher und
seine Briefe zugänglich sind? Es erscheint überflüssig, ja
geradezu unwürdig, immer und immer wieder den Klatsch
iler Bewohner und Bewohnerinnen Weimars über Christiane
zu wiederholen und den Ausgangspunkt für die Beurtheilung
des Sohnes in der Erzählung der Charlotte von Stein zu
nehmen, dass der elfjährige Knabe einmal i 7 Glas Champagner
getrunken habe. — Neu ist die Vermuthung, dass Goethe
bei der Schilderuug des Euphorion auch an seinen Knaben
gedacht, der 1799 bei einem der Frau v. La Roche zu Ehren
veranstalteten Feste als Amorino aufgetreten sei.
c. S'JWTUEN, Bilder, Kunst, Verschiedenes.
Das (joethe-Schiller-Denkmal in Weimar. Briefe von Ernst
Rietschel an Eduard Devrient.
(Deutsche Rundschau, 6. Jahrgang. 8. Heft. S. 304 — 311.)
Fünf Briefe vom 12. Nov. 1852 bis 7. Febr. 1857, die
ganze Zeit der Arbeit an dem genannten Denkmal umfassend,
zu welcher sich Rietschel 8. Juli 1852 verpflichtet und zu
welchem Devrient in der Schiller-Kleidung, Ernst Walter im
Goethe-CostUm »durch die dramatische Vorstellung der Gruppe
die Ueberzeugung ihrer plastischen Darstellbarkeit bei dem
Künstler führten«. Sehr interessante Einzelheiten über die
Gedanken des Künstlers und die Ausführung des Werkes.
Goethe et la nuisique. Ses jugements, son influence, les Oeuvres
qu"il a inspirees. Par Adolphe Jullien. Paris. Sandoz
et Fischbacher. 311 SS.
(iehürt weit mehr der Musik, als der (loetheliteratur an.
Denn der Haupttheil, von S. 65 an Les traductions musicales
des Oeuvres de Goethe bespricht theils die Compositionen
zu Goethe"s Faust, Egmont, Mignonlieder, theils die durch
diese l^ichtungen angeregten musikalischen \\erke, z. B. die
verschiedenen deutschen und französischen Faust- und Mignon-
BlBLIOGRAPHll 533
C^licrn : der erste kleinere Tlieil : l.e Peiiser de ("loetlie sur
hl musi(jue bespriclit i)ersöiili( he He/,ieluinL,fen zu Musikern :
Mendelssohn und Zelter (Kayser wird nur gelege?itli(h S. 57
erwähnt, lUirkhartlts Buch, Jahrh. 1., S. 396 ist nicht benutzt):
(ioethe's Urtheile über Musik uu(i ( )i»ern. speciell Mo/art:
Musikgesellschaften in seinem Hause (sehr fl(lchtig): musikalische
Kindrücke der Reise nach Italien. — Das sehr schön ausge-
stattete Buch, dessen einzelne Theile schon vorher in der
Revue et Clazette musicale abgedruckt gewesen waren, ist
Krau Clara Schumann gewidmet.
W . j. \un \\ asielewski : (ioethe"s \'erhältniss zur Musik. (Samm-
lung musikalischer Vorträge \r. 18) Leipzig. Breitkopt"
und Härtel. 20 SS. (Bd. IV.. S. 181 200.)
Kiner der oben S. 452. erwähnten \'orträge. .Musik-
unterricht in der Jugend: Weimars musikalisches Leben; \n-
fragen über Theoretisches bei Zelter: Bemerkungen über Musik
in den »Maximen und Reflexionena. - Musikalisc he .Xbende;
Zelter, F"elix Mendelssohn, Unempfänglichkeit für Beethoven,
A'erehrung Mozarts; Interesse für die Oper: C'om|)Ositionen
Goethe'scher Lieder. Neues Material, wie die Briefe Kelix
Mendelssohns, Burckhardts (ioethe und Kayser, ist sehr unge-
nügend benutzt. Von (loethe werden Worte nach »Supple-
mente zu sämmtlichen Werken. Altenburg, Pierer« citirt I
W. Lang: (joethe und die Musik.
(Im neuen Reich Nr. 35, S. 313 — 326.)
Darstellung aus den Quellen: Verhältniss zur, Urtheile
über Musik. (Mit Hinweis auf W. v. Bocks Schrift: (Goethe
in seinem Verhalten zur Musik. Berlin, 1871 und Verurtheilung
der Schrift von lullien.) Besonders die mit Zelter erwogenen
theoretischen ?>agen.
Kriedrich Zarncke : Eine verschollene und wiedergehuidene
Goethe -Statuette von Rauch.
(Augsb. Allg. Zeitg. 2. Aug. Nr. 215, S. 3146, 3147.)
Unterscheidet die berühmte Büste 1820, 3 Entwürfe zum
beabsichtigten Krankfurter Monument 1823 — 25, Statuette 1849,
die Entwürfe aller im Rauchmuseum zu Berlin. Von einer
andern Statuette »Cioethe, barhaupt, in langem schön sich
anschmiegenden Mantel und Schnürstiefeln dastehend, antik
und doch zugleich mcjdern. den \ollen Kranz der Dichtung
534 Bibliographie.
in der einen Hand haltend«, war bekannt, dass sie 1826 auf
der Berliner Ausstellung gewesen ; durch die Forschungen
Zarncke's. Eggers". Halms ist nun herausgebracht, dass die
Statuette nach mannigfa« hen Besitz Veränderungen im Besitz
des Dr. Em. Daxenberger in München sich befindet. Sie
wurde Anf. 1823 begonnen, 18. Juni 1825 gegossen, 50,5 Centim.
hoch. »Eine reichgehaltene Toga über einer Tunika umhüllt
den Körper, aber sie ist straff angezogen, so dass sie die
Gestalt fast schlank erscheinen lässt. ])ie rechte Hand stützt
sich auf einen Altar, die linke hält einen vollen 1-orbeerkranz
erhoben. Der Kopf ist etwas geneigt, das Profil ausser-
ordentlich fein behandelt«.
Robert Springer: Sulpiz Boisseree. Goethe und der Kölner
Dombau. (National-Zeitung, 7. ()ktol)er, Nr. 469.)
Kurze Biographie Boisseree's, Eifer für Vollendung des
Kölner Doms, Beziehungen zu Goethe: allmählich erwachendes,
aber immer eifriger werdendes Interesse für die altdeutsche
Kunst. - (iute Zusammenstellung nach bekannten (Quellen.
Die Feier des Goethe-Tages als erbauendes und veredelndes
Volksfest. Ein Bericht über die Feier des 130. Geburts-
tages Goethe's, nebst einem Beitrage zur Kenntniss der
nach dem Leben gemalten Goethe-Bildnisse. Sonder-
Abdruck aus den Berichten des Freien Deutschen
Hochstifts 1878/79. Mit vier Goethe- Bildnissen in
Lichtdruck. Frankfurt a. M. Freies Deutsches Hoch-
stift. In Besorgung bei F. A. Brockhaus in Leipzig.
Vin, 59 SS. und 4 photographische Tafeln.
Leber den Inhalt vgl. oben S. 467. Das Vorwort und
Nachwort gibt einige Ergänzungen zu der Herkunft der mit-
getheilten Bilder und zu der Goethe-Bilder-Literatur überhaupt.
Aus diesen Mittheilungen sei erwähnt, dass in der Neuen
Dorpat'schen Zeitung 1879, 12. Juli bis 19. August, Nr. 149,
151, 155, 177 und 181 Mittheilungen über die Kügelgen'schen
(ioethe-Bildnisse von Hn. v. Seidlitz und Prof. L. Stieda und
in den »Sitzungsberichten der Gelehrten esthnischen (Gesell-
schaft 1879« (Dorpat 1880) S. 164 — 165, eine Uebersicht des
Letztgenannten über den Stand dieser Kügelgen-Bildniss-Frage
sich finden. Die 4 Photographien sind i. nach dem Gemälde
von (i. M. Kraus (Goethe mit der Silhouette der Frau von
Stein in der Hand); von dem Bilde sind 3 Wiederholungen
bekannt: im Besitze des Hrn. v. Bernus. des Dr. Vulpius und
Bibliographie. 535
der Enkel (xoethe's; 2. nach dem ersten (leinälde (Gerhards
\on Kügelgen 1808, Original im Besitz der kaiserl. russischen
Höchst hiile in Dorpat : 3. nach dem zweiten Gemälde des
(ierhard von Kügelgen 1810, Original, im Auftrag (ioethe's
für Fritz Schlosser gemalt, im Besitze des Hrn. v. Bernus:
4. nach der eigenhändigen Wiederholung des zweiten Gemäldes
(lerhards von Kügelgen 18 10. nach dem Original im Besitz
der Frau Maria von Dehn in Esthland. — Die Schrift ist
der Kaiserin Augusta gewidmet. Auf der Rückseite des
Umschlages Abbildung des Goethe-Hauses in Frankfurt.
Goethe. Xac h einer bis jetzt unbekannt gebliebenen Original -
Kreidezeichnung von Gerh. v. Kügelgen. Photugraphirt
von H. Fritz in (ireiz. 1881. Oldenburg u. Leipzig,
Commissions-Verlag von Theodor Keppel.
Die Kreidezeichnung, bisher völlig unbekannt, wurde von
Cioethe dem Hofrath Rochlitz geschenkt, von diesem testa-
mentarisch dem Geh. Kirchenrath Meissner in Dresden ver-
macht und von diesem auf seine Tochter Frau Pastor Engel
vererbt, die dem Photographen die Vervielfältigung gestattete.
Eine genaue Vergleichung dieser merkwürdig ausgeführten
Kreidezeichnung mit den Photographien der Kügelgen'schen
Bilder (oben S. 534 fg.) lehrt, dass dieselbe nur Vorlage des
ersten Gemäldes gewesen sein kann, mit welchem Zug für
Zug des Gesichtes stimmt, wenn auch freilich die Augen der
Zeichnung nicht so starr sind, wie die des Bildes : auch die
Kleidung beider stimmt genau überein, mit dem einzigen
Unterschiede, dass der über den Rock geschlungene Mantel,
der auf dem Oval des Bildes ein klein wenig zum Vorschein
kommt,, auf dem Viereck der Zeichnung nicht mehr sicht-
bar ist.
(ioethe in Italien. Nach dem Originalgemälde von H. ^^■.
Tischbein. Photographirt von J. Schaefer, Frankfurt a. M..
Verlag: Literarische Anstalt, Rütten &: Loening. Frank-
furt a. M. Aufgezogen auf grauen Karton, 48x62 cm.
Zarncke urtheilt darüber im Lit. Centralbl. 4. December
folgendermassen : »Das Bild von Tischbein ist seinem Ent-
würfe nach zweifelsohne das grossartigste aller Goethe-Bildnisse.
Während alle übrigen in Lebensgrösse entworfenen (mit Aus-
nahme des Kolb'schen) sich auf den Oberkörper des Dichters
beschränken, lieferte Tischbein ein wirkliches Gemälde in
grossem historischen Stil. Cioethe ist in ganzer Figur dargc-
536
Bibliographie.
stellt, inmitten der Campagna hei Rom. auf den Trümmern
eines altrömischen Bauwerks, malerisch hingestreckt in faltigem
hellem Mantel , eine bedeutende an Alterthümern reiche
Landschaft zu beiden Seiten, die dem Blicke eine weite Per-
spective auf die fernen im blauen Duft verschwindenden Berge
gewährt. Es ist Goethe auf der Höhe seines Lebens, wie
ihm selbst sein Aufenthalt in Italien stets erschienen ist,
umgeben \on allen characteristischen Merkmalen, die diesem
Aufenthalt seine Bedeutung verliehen : ernstdenkend , fast
schwermüthig schaut das tiefschwarze Auge hinaus in die
Landschaft«.
Anzeigen.
F^ROSPEIvT.
5m l^erlai^c uoii 0'^nflal) .Ocmpcl in iycrliii crfd)cint unb
luirb bie cvftc iiiefcniiii] uoii jcbcr iMidjljaiiMuiuj bercitunUiijjt
jur 5(nfid)t inittjeü)cilt :
Scr^eidjuii) berfclbcu
unter ^uijalif uuii (^ucUc, ©rt, gntHiu uiu'» ^nfauö5utintfit.
Ueberrtd)tlid)
nat^ bcn G'nUjfängcrn gcorbnct, mit einer furjcii Torftellung be§
li>crl)ältnijje-3 (9oct()c'tf ju bicjcn
unb unter ?3iittf)ei(ung
Gearbeitet
mm
3tr. gtrcOfßc.
©r[d)eiiit in Lieferungen ä 1 3)?ar!.
S)en fielen gteunben, SSere^tctn unb ^ennetn
ßoet^e-§, fotüie benen, ttJcIc^e i§n unb feine äßer!c jum
©egenftanbe bet gorfc^ung ober 3ur ©nmblagc tüiffcn^
fc^aftlicf)cr Sefcfjäftigung machen, tüitb eine lange t)or=
bereitete ^Irbeit tüiKfommcn fein, bie bcftitnmt ift, einen
.:pta!tif(^en ßcitfaben für ein tucitöer^tüeigtcg ©ebict
ß)oetI)ifc^er Xfjätigfeit 3U geben. G» finb im Sanfe bcr
Seit me^r al§ 9000 Briefe ©oetfjcg befannt gen^orbcn
unb ba biefelben in etftia brei^unbert 2Ber!cn, ^dt-
fdjriften k. serftreut finb, fo ift e» gerabcju unmögli(^,
o^ne anbetlticitige §ülf§m{ttel einen UcBerHitf ü6et ba§
©anje gu Beljaltcn unb ein @in3elne§ öotlommeuben
galig auöfinbig au macfjen.
2)ic crftc Sieferung bc§ 2öet!e§, tt)el(^e§ ein folcC)c§
§ü(ismittcl Bieten foE, ift fo eBen erf(^ienen unb !ann
bui-(^ jebe Suc^Ijanblung p geneigtex ^Prüfung Belogen
njexben. 2Ba§ baffelBc entljaltcn it)ixb, ift in ^l^üx^e f(^on
auf bem 2:itel gefagt. 3n SBctxcff bcx innexen ßinxic^tung
f(^ien c§ am S^Jecfmägigften, ba§ Sxiefüexaeic^nig al^^i^
Betifc§ na(^ ben @m|)fängexn 3U oxbnen unb e§ mit htx
Unhxit bex aa'^lxeii^en SBxicfe an UnBc!annte aBaufi^Iie^en,
6in c^xonologifi^ angeoxbnete§ S}cx3ei(^ni6 , n?el(^e§ ja
autf) Ijätte gegeBen tüexben !i)nnen, njüxbe p)ax aEe§
gcitlid) Siifö^^^s^Ö^^^^^ge üBexfe^en laffen, aBex be»
S^oxt^eily entBel^xen, ha^ man fi(^ au§ bemfelBen mit
Sei(^tig!eit üBex ba§ SSex^ältni^ ©oet§e§ 3U ixgenb einem
feinex Seitgenoffen untexxii^tcn unb ^HIe§ ^iexauf SBe--
güglic^e gufammenfinben !ann. S)ie 3U biefem 3tt)ecfe
einem jeben 5lxti!el Ijinaugefügte fuxge S)axfteEung bcx
^eaiet^ungcn ©oet^e'g gu bem ^xiefem^fängex tt)ixb Be-
fonbex§ benen exn)ün|d)t fein, tücld^e bem gxöBtcn beutfc^cn
S)i(^tcx !ein eingeljcnbcö Stubium tnibmcn tonnen, ^a-
gegen ift bie 5lngaBe bex QucKen fotXJO^I im ^IKgemeinen
aU au(^ füx ieben 23xief in§Befonbexe me'^x au§ tüiffen^
fc^aftlic^em ^ntexeffe gef(^el)en; c§ mußte einmal bie
Slufnaljmc be§ Betxeffenben 6(^xiftftüiie§ gexei^tfextigt,
bann aBex anä) 5lnbexn ba§ SOUttel 3UX ^xüfung bcffelBcn
geBoten ipexben. S)en Beiben oBen angegeBenen ^tx-
fi^iebenen ^ntexeffen tüixb bann \mhn 3U glei(^ßx Qdi
babuxc^ genügt, baß eine gxoße ^naaljl t)on Sxiefen in
tüöxtlicfiem SlBbxud Slufnal^me finben, bie cnttpebex Big^ex
üBcx(jau)3t nocfj uicfjt öebvutft finb obex bcxen 5lBbxuc^
Bcfonbcx» ftfjtDex 3U Befd^affen ift.
Qim njcfcnttid^c §ülfc Bei bct 5l6faffiing bicfc§
äöcrfcä gcunitjrtc bic tu tneniöcn Ijanbfc^i-iftlictjeu (vjem-
plai'cn Dcr6rcitctc 5lr0cit bc» t)or einigen ,3^1^}^^^^ ^ct:
ftor6cncn 33udj(jänblcx§ (s. %. Sichel in Glftcrdcrg,
beten litcratifcf^Cö GiQcutljiim Don bcr untcr^cidjncten
S}ei*Iag§I}anbIung extüorBcn n^ntbc. S>on einer S^ep
öffentüc^ung bcrfdöcn mnfjtc jcbod) Im bcn tDcitcr Qc'^cnben
3if edcn, iDclcfjc ba§ norlicgcnbc 2Bcrf öerfolgt, a6öe|cf)en
njcrben; bcnn bajiciöc liefert nur literari|d;cy ältaterial,
ol^ne trgenb h)el(^e Ülefultate barau§ gu gieljen.
23ei ^nfüljrung ber Duetten unb 5lufftettung be§
SriefDer3ei(^ni]fe§ ift ])X)ax bie grö6tmi3t3licf)ftc 3>ottftän:
big!eit ongeftreBt tnorben, inbeffcn liegt c§ in ber Statur
ber Sa(^c, ha^ bicfelOc cinftiDeilen nur eine relatiöe fein
!ann. ^oä) immer Jx)irb, oft gan^ unertuartet, 5^eueö
3U 2^age geförbert, tüä^renb 3ngleicf) nitfjt aBsufe^cn ift,
tt)ann bie längft Belannten Bi§ je^ nocfj berfc^Ioffenen
Duetten fi(^ öffnen tüerben. Suätüifc^en fotten 5tac§ =
träge, tüelc^e 3U biefem äßer! t)on Qäi 3U 3^^^ ^r^
fc^einen tüerben, etlnaige neue 2)litt§eilungen t)on Briefen
regiftriren, fotüic aucf) S3eric§tigungen unb Ermittelungen,
namentli(^ in SBe^ug auf bie unbatirten Briefe, aufnel§men
unb S}crfaffer unb Sjerlegcr tüerben für jebe berartigc
3}litt§ eilung, bie il^nen gemacht tnirb, banfBarfein.
3}löge benn ba§ Tjicrburc^ angetünbigte äßer! fic^
t)iele greunbe ertüerBen unb atten bcnen, tuelc^e fi(^ mit
©oet^e unb bem 8tubium beffelBen Bef (^äf tigen , t)on
5lu^en fein!
S3erlin, 5luguft 1881.
DetfagsfiQiuffuug uoa ®u|!au ^ßernpcf.
§flij-, |lruilt- uitb llnpicrprobc.
S3et^mann, g^vicberife SUigufte Äüiivabiiic, geb. gdttiier. 59
5hiöfid^ten auf bie Sn^unft. — SSenuaubten 3"t;alti3, aber tiefer in bie
gan^e (ärjietjiingSfrage eingeljenb, ift ber ätüeite bioljev ungebrurfte iBrief,
ber beSljdb unten niitgetljcilt initb. — S^er bvitte ^rief enblicE) I;ängt
mit bem am 22. (September 1814 erfolgten 2:obc 3ff^anb'3 jnjammen.
%xan Setf^mann l^atte ©oettje gebeten, 5um 33e[ten eineö für Stl^anb
3U erric^tenben 2!en!mal<3 [i(^ fomoljl mit einer ®ic^tnng aU einer %ep
liorfteEung be^S SBeimarifdEien Sll)eater!3 jn betl;eiligen. S^iefer, erft t}or
gmei Sod)en non einem längeren 3lnfent(jn(te am dHjdn 3urürf'ge!ef)rt
unb bur(^ ©efc^äfte mib ^läne mannigfacher 2lrt noüftänbig in 9ln=
fpruc^ genommen, leljnt baö (Srfte bebingt, ba§ S^ueite aU ben 3QBei=
marifd^en 2;^eatergrnnbfä^en unberfprec£)enb unbebingt ab. „^ebenfen
(Sie meiner ju gntcr (Stnnbe", j(i)Iie|^t er, „nnb oerjeiljen <Sie ha^j bop=
pelte 9tein, melrf)e§ (Sie hoä) aib$ meinem 33riefe Ijeranötjöreu mürben,
iüenn i(^ c§> auä) mit nod) fo öiel glatten Sorten umfleiben moüte."
QucEcii :
SScvjeic^niB einer @oet^e=S3tWtot:^cI (C 17 c); ©rcnabotcn (D 23). — Älcinjler
mma'ä Strd^to (II. A 5). — ©ovo», Äriefl, Sttevatur unb S^entcv (C 49).
SJBeimov, 2. 12. 1802. ^i)x Sö^ulein, meine liebe «eine j ^ ^^ ^ ^3. ^^qc, 5.^ 20
fjveunbin. \
t „ 14. 3. „03. ®ie Ijabcn uiic^, liebe ücine ( ^^ . ,
jjveuitbin. \
„ 12. 11. „14. 9(uf itjre freunblicfie 3utraulirf)e. c 40. ©. 283,
SBiefjcr ungcbrucfter IBricf:
(Sie l^aben mid), liebe Heine greunbin, buvd) ^f)X föftlic^eg ©ef(})enf auf»
angenel^niftc übervafd)t, inbcnt (2ic mir juglcid) einen ^öemciö Jf)ver Dieigung
unb eine muftcvf)afte 5(rbeit überfd^icfen. D.Uan fiel)t ntd)t Icid}t an gorm,
garbe, 55ergulbung, 23el^anblung etmaö fo ooUenbetcö. -j
S)a§ Sie iii isovfteUung bcv 3pl}tgcnia eine fatte ^ax'bc an ber .ft^Ieibung
mit gcbvaud)t, erfreut niid) fcljv. ©aö fd^recflid)e , Iccrc, nteland)plifd^e 2SeiB
oerfolgt unö uont S(ugenblic! bc6 Scegligccö biß juv I)i)d)ften 9{epräfciitation.
gjJan fliegt bie gavben, weit eö fo fd)iocv ift, fid) ifjvcr mit ©efc^madt unb
Stnmutf) ju bebieuen.
9Jtit Sfjvcnt ©ö^nlein werben Sie ©ebulb l^abcn, wenn mand^mal bie
9{ad)vid)t einer tleinen llnoorfid)tigfeit ju Jifj'icn gelaugt. SoId)c Äiuber, in
frcmbc 5Bcvr)äItni|fc oerfc^t, fonuucn mir oov wie ä^ögel, bie man in einem
3inimer fliegen lä^t, fie fafjren gegen alle ©d)cibcu unb cS ift fc^on ©lütf
genug, wenn fie fid) uid)t bie 5vöpfe einfto^en, cf)e fie begreifen lernen, i>a^
uid)t altce buvd)fid)tigc burd)bvinglid) ift.
^sd) tcunc baö ^4>ii'^^"'ilt'9Mf')^ übcvfjiiupt unb bcfcubcvS bie 2f)eatcr»
piibagogif gut genug, um ju wiffen, bafj ctgcntlid) I)auptfäd)lid) aUeö barauf
Irucf ton («. 33 e ruft ein in 53crlin.
Lri i-.K.\Kisc,ni Anstai.'i , Kltti.n c\ L()i;mn(,, I-kanki i k r a. M.
Verlagsbuchhandlung.
Goethe-Jahrbuch
Hcrausi^cgcbcn
Dr. Ludwig (i e k; k k
= Erster Band 1880. =
Gi'hnndt-n in Halbfranz Mark 12. )0, gthiiiulfit in Lcinnwul Mark 10.
Mit Ik'itnigcn von :
Herman Gkimm, W . \-. l5ii.ni;KMANN, S(:iii;ki:k, Baktsch, Düntzhk,
WiLMANNs, GoKDHKi;, G. V. Loiii'LK, liKicH ScHMior. Ckki/.knac;h,
HiRZKL, HuF.ITIlK, UkLICHS, BURCKIIAKDT LI. A.
Beim Hrschoiiicn des zweiten Jalirgangs Ireut es uns constatireii /.\x
können, dass das »Goethe-Jahrbuch« bei dem ifebildeten Publikum ein
so reges Interesse gefunden, wie wir es kaum zu hotlen wagten; ebenso
haben aber auch die berufensten Kritiker das Unternehmen »ah die
Erfüllung eines lang gehegten IVnnsches der Goelhefreuudea , ja \tir dürfen
sagen, geradezu als »freudiges liierarisches Ereigniss« begrüsst und an-
erkannt. Diese allseitigen Beweise thatkriiftiger Antheilnahme machen
es dem Herausgeber wie der Verlagshandlung zur Pflicht, auf dem
beschrittenen \Veg weiter zu gehen und wir glauben mithin dem
.>Goethe-JahrbucH(< dauernden Bestand in unserer Literatur verspreciien
zu dürlen.
^3Ä mSge-
Goethe in Italien.
ORlCilNAL-PHOTOCiRAPHlJ- NACH DEM GEMALD]-.
Von
H. w. Tischbein.
Aufgewogen auf grauen Karion (48 X 62 cm.) M. 10.
Die Verlagsiiandlung hofft mit der Verofientlichung dieses interes-
santen Bildes, das Goethe »in sinniger Betrachtung unter römischen
Alterthümern« darstellt und das wie kein anderes Goethe's edle Gesichts-
züge getreu wiedergibt, allen Kennern und Freunden des Dichters eine
wirkliche Freude zu bereiten. »Das Bild von Tischhein« — sagt Zarncke —
»ist seinem Entictirfe nach :^Lveifel söhne das grossartigste aller Goethe-Bildnissen.
Und Goethe selbst schreibt darüber aus Rom, 27. Juni 1787: »Mein
Portrait icird glücklich, es gleicht sehr und der Gedanke gefällt Jederniannu.
^=z ^'e■rg]. Bibliographie Seite 55). =
-^ 4 ^-
LiTERARisciü- Anstalt, RCtti:x & Lokning, 1-kankilrt a. M.
Verlagsbuchhandlung.
Goethe -Forschungen
XON
WOLDEMAR FRHlHliRR VON BIEDERMANN.
Gebitiidi'H Mark ij. —
«Wer sich irgend eingehender mit Goethe beschäftigt hat« —
sagt Julian Schmidt in einer Besprechung — »kennt den Verfasser als
einen der einsichtvollsten Forscher in dieser Richtung und wird sich
freuen, diese Aufsätze, die sich über alle möglichen Zweige der Goethe-
Literatur verbreiten, nun zusammen zu haben.« Zeugen dieselben von
gründlichen, wissenschaftlichen Studien, so wollen sie doch keineswegs
ausschliessend oder auch nur vorwiegend dem wissenschaftlichen Gebrauch
dienen und gewiss werden dieselben nicht blos von Literaturkennern
im engeren Sinne willkommen geheissen werden, sondern literarisch
Gebildeten überhaupt eine angenehme Lektüre bieten.
Goethe'S Faust
ALS
Bühnenwerk
Wilhelm Creizenach.
Gehcßcl ca. i^Cark 2.
Die Frage, in wie weit Goethe's Faust auf die Bühne gebracht
werden könne und solle, ist in der letzten Zeit viel erörtert worden,
und hat das lebhafte hiteresse der weitesten Kreise erregt. Der Ver-
fasser hat sich bestrebt, das ganze auf diese Frage bezügliche, weit-
zerstreute Material klar und übersichtlich zusammenzustellen, die mannig-
fachen Schicksale Faust's auf der Bühne anschaulich zu schildern und
hat namentlich auch die bisher gar zu wenig in Betracht gezogene
Vorfrage, in wie weit Goethe selbst den Faust als Bühnenwerk betrachtet
wissen wollte, zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung gemacht.
LiTKRAKist.iii; Anstalt, KCttkn i^: Lot;nin(. 1'kankilkt a. M.
Verlagsbuchhandlung.
MOLIERE,
SEIN LEBEN \:\D SE1N1{ WERKE.
VON
1-i:rdina\i) Lothhissen.
Mit dorn Bildniss Molicrc's in Radirung nach dem Origiiial-CJcnialdc im
Besitze des Herzogs von Aumale.
Gebunden in Leinwil. M. lo, in Halbfranz M. 12.
»Lotheisscns Buch« — sagt Heinrich Laube in einer Bospreciiung —
»Hest sich, natürlich fliessend geschrieben, wie ein Unterhahungsbuch
und ent\vici<eh doch die ganze Geschichte des französischen Theaters,
die ganze Lebensgeschichte Molicre's. Diese Lebensgeschichte des grossen
Schauspielers und Comödien-Dichters, welcher das iVanzösisciie Lustspiel
begründet hat, ist interessant wie ein Roman. Lotheissen bringt Aul-
klärungen über Moliere's Privatveriiältnisse, welciie zum Theil aucii den
Franzosen neu sein werden . . .« Und die Kölnische Zeitung sagt u. a.:
»Das Buch ist eine der werthvollsten Bereicherungen der französischen
Literaturgeschichte die seit Jahren erschienen ist.«
Dante Alighieri.
SEINE ZEIT, SEIN LEBEN UND SEINE \\1-RKE.
JüH. Andr. Scartazzixi.
Ziveite mit Nachträgen versehene Ausgabe.
Gebunden Mark 9,
In allgemein tesselnder und anrei^^cnder Form gibt das vorstehende
Werk ein vollständiges (^liarakterbild Dante's, des grössten und gelehr-
testen Dichters des Mittelalters, des Schöpfers der italienischen Literatur.
Dabei versäumt der Verfasser nicht ein eindringliches Bild zu entwerlen
jener überaus interessanten Flpoche italienisciier Geschichte, von Zeit und
Volk, von Famihe und Staat, die die Bedingungen waren, unter denen
ein so eminenter Geist sich entwickelte.
_^ 6 ^-
lltkrarischh anstalt, rütthn & lohxing, frankfurt a. m.
Verlagsbuchhandlung.
Lessings
PERSÖNLICHES UND LITERARISCHES \'ERHÄLTXIS
ZL"
Klopstock.
Dr. FRANZ MUN'CKHR
Privatdocent a. d. Universität Mlxciiex.
Geheftet Mark /. —
^\ ie mit Klopstock die deutsche Poesie im engeren Sinne, so beginnt mit Lessin"
nnsere neuere grosse Literatur überhaupt; dem ersten wahrhaften Dichter tritt der grösste
Kunstrichter aller Zeiten zur Seite: die Werke, mit welchen Klopstock unsere neuere Poesie
erörtnet, wählt I.essing zum Gegenstand seiner Besprechung und begründet damit die ästhe-
tische Kritik. Von diesem Gesichtspunkt behandelt der Verfasser die Beziehungen beider
Geisiesheroen, unter deren gemtinschaftlichem Wirken sich unsere gesaramte Literatur so
erfolgreich entfaltet hat.
Johann Georg Hamann
IN SEINER BEDEUTUNC;
FÜR DIE
STURM- UND DRANGPERIODE.
vox
Dr. JACOB MINOR
Privatdocent a. d. Universität \\ H.n.
Geheftet ca. Mark 2.
In Form eines literarhistorischen Hssavs und frei von jedeni
gelehrten Beiwerk gibt der ^'er^asser einen charakteristischen Ueberblick
über jenen geistreichen und eigenthünilicli tiefen Denker, der in seinen
tietsinnigen Schriften, die noch heute eine »Fundgrube nicht nur wichtiger
Hinsichten, sondern ganzer Tendenzen« bilden, die Ideen vergeistigte,
von weichen die Sturm- und Drangzeit ertüllt war, und der wohl der
i> Vater der Sturm- inni Dran^f^eriodeu genannt zu werden \-erdient.
L.TFRARISCHE AnSTAL P, KuTTHN Cv LoKNINC 1-RANKI LRT A. M.
Verlagsbuchhandlung.
Beiträge zur Textkritik und Ciir(^\(M.(x;ii:
DER -DICHTUNGEN
JOHANN CHRISTIAN GÜNTHERS
BKRTHOIJ) LITZMANN.
G,h,-ßel Mark ;. bo.
JoHANX Christian Günther, der iiacli dem Ausspruch Golthf.'s
»ein Poet in vollem Sinn des Worts 'genannt werden darfu, hat neuerdings
durch die in der Stadtbibhoihek zu Breslau auff=;et'undenen Original-
Manuscripte vieH'ach das hiteresse der Literaturliistoriker in Ansprucli
genommen. Eine mehrjärige Beschäftigung mit dem Leben und den
Schritten Günthers hat den Verfasser obiger Sclirift dazu geführt, eine
kritische Sichtung der überHeferten Texte seiner Dichtungen vorzu-
nehmen und an der Hand des neuentdeckten Materials die dadurcli
erziehen Resultate für die Wissenschaft festzustellen.
ABHANDLUNGEN
UllKK
Dante Alighieri
JOH. ANDR. SCARTAZZINI.
Geheftet Marl; ;. —.
Gelegentlich einer Besprechung der neuen Ausgabe von Scartazzini"s
Dante-Biographie kündigt Karl Witte das bevorstehende Erscheinen dieser
Abhandlungen wie folgt an: »Jeder Dante-Forscher wird die verheissene
Arbeit mit Ungeduld erwarten, Scartazzini's unerreicht dastehende Um-
sicht schützt ihn vor leichtfertigen Hvpothesen . . .; sein Scharfsinn
hat ihn schon so oft kaum wahrnehmbare und doch wichtige Eiiden
des Zusammenhangs erkennen lassen, dass seine Schritt zweilellos eine
reiche Eülle von Belehrendem und Anregendem darbieten wird«.
B&B&^&Be^r^-'riy:^m'm'r'^-^=mm?~mm^':<^i'^^^
Soeben erscliien unser sehr reichhaltiger antiquarischer
LAGER-C ATALOG 8q:
Deutsche Literatur- und CJelehrteni^eschichte.
20ÖJ Xiinuiieni.
(Die Abtheilung »Goethe« 170 Piecen, diejenige der »Briefwechselo,
darunter viele von Goethe, 102 Nummern umfassend.)
Derselbe steht gegen Einsendung von 10 Pf. für Francatur zu Diensten.
Frankfurt a. M., März iSSr. JOSEPH BaER & CO.
-^ 8 ^-
Verlag \on Carl Conkadi in Siutt(;art.
Biographische und erläuternde Schriften
über
Goethe und Schiller
DiRhXTOR Heinrich Viehoff.
GOETHE'S LEBEN, Geistesenhuickelnng und Werke. 4. imigearb. Auflage.
4 Theile. 8°. (1877). In i Band brochirt Mark 9. — In 1 eleg.
Leinwandbd. Mark 10. —
SCHILLER'S LEBEN, Geistesenkvickclnug und IVerkc, auf Grundlage
der Karl HoffmeLster'schen Schriften neu bearbeitet (1875).
5 Tille. In I Bd. brocli. M. 7. 50. In i eleg. Leinwandbd. M. 8. 50.
GOETHE'S GEDICHTE, erklärt und auf ihre Veranlassungen, Quellen
und \"orbilder zurückgeführt nebst Variantensammlung. 3. Auflage.
2 Bde. kl. 8°. (1876). Brochirt Mark 6. - In i eleg. Leinwandbd.
Mark 7. —
SCHILLER'S GEDICHTE, ebenso, 5. Auflage. 5 Bde. kl. 8°. (1876.)
Brochirt Mark 6. — In i eleg. Leinwandbd. Mark 7. —
Im Verlage von Carl Konegen (Franz Leu &: Co.) in Wien ist
erschienen inid durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
J. Minor und A. Sauer.
Studien zur Goethe-Philologie
19 Bogen, gr. 8°. Preis eleg. broch.: fl. 3. — = M. 6. —
Verlag von Bkeitropf und Hartkl in Leipzig.
Leipzig und seine Universität vor
hundert Jahren.
.\iis den glcich/citigen AiitV.eichnungcn eines Leipziger
Studenten.
Mit J'ili/l'i/d, Plan von Leip::i!J[ und KarU der L'w^e^end.
1S79. XII. i;S S. p,r. S». Brodi. M.irk 5. Hlcg. geb. .Mark 4.
—h 9 ^-
Verlag von Theodor Hüfmann in Berlin.
Gotthold Ephraim Lessing,
Sein Lhbhx und siiixi-: Whrke.
VON
^H. 6W. 3DANZEL und (^. E;. C^UHRAUEF^.
/Cxvi'ili hi-riihliglf und vtnnthrte Aufingi-.
Herausgegeben von
SW. V. '^VtALTZAHN und «R. «BOXBERGEF^.
Zivei Bämh: — Eleg. brochirt Mark ;/, i^ebiiihicit Mark iS. 60.
«Zum Schlüsse unseres Rcchcnschaftsbericlnes dürtcn wir aber nicht
unerwähnt lassen, dass Lessings Andenken in Deutsch/and durch ein
Denkmal geehrt worden ist, wie keine Kaiion einem ihrer grossen Geister
eines errichtet hat: wir meinen: Dan-el-Giihrauers Biographie Lessings,
ein Werk, dessen wissenschaftliche Gründlichkeit, feine Kritik und
glänzende Stilistik ihm unter den mustergiltigen Erzeugnissen deutscher
Literatur einen hervorragenden Kiiirenplatz sichern.«
(X'ossisclie Zcitg. vom 22. Jan. iSSi.)
Verlag von Ls. Ehlermann in Dresden.
GOEDEKE, Dr. K., Gniudriss iiir Geschichte der deutschen
Dichtung. Aus den Quellen. Bd. I. II. III. 1-6. gr. 8°.
broch. (Das Schliissheft wird im März ds. Js. erscheinen.)
Mark 32. 40
))Es ist bek.-inut mit wekliem ausnehmenden Fleisse dieicr GrunJriss gearbeitet, wie
er fast erschöpfend zu nennen ist in Bezug auf die dii minorum und minimarum gentium
der Literatur, somit über die Grenze hinaus, wo die Nationalliteratur aufhört, und die
Bibliographie anfangt, noch genaue Daten bietet ; doch auch die Urtheile über hervorragende
Dichter sind wohlbegründct, und das V'erzeichniss ihrer Werke ist durchaus vollständig«.
(Butler f. Uli-rar. Unterhalt. iSSt, \r. 4.)
uEin Riesenwerk echt deutscher Arbeit, eines nicht genug zu rühmenden Flcisses, einer
gewissenhaften Gründlichkeit, der wir nicht nur unsere Bewunderung zollen müssen, die
wir auch durch Einverleibung des Werkes in unsere Bibliotheken ehren sollten".
(DiJaskalia. iS'S. AV. 2. }.)
"Dieses eminent gelehrte Werk, das sich bescheidener Weise einen Grundriss nennt,
das aber bezüglich der Vollständigkeit der Bibliographie nicht nur in Deutschland, sondern
überhaupt ganz einzig dasteht, ist für alle Diejenigen unentbehrlich, die sich näher mit
deutscher Literaturgeschichte oder einer Spezialität derselben beschäftigen wollen«.
(Der BiinJ [Bern] tSjS. AV. }.)
GOEDEKE, Dr. K., Die deutsche Dichtung im Mittelaller.
2. verm. Juli, mit vollst. Sachregister von A". G. u. Buch XII, enth. :
Niederdeutsche üiclituiig im Mittelalter von H. Oesterley. Lex. -8°.
(LXIX) u. 1088 S. ■ broch. Mark 13. —
GOEDEKE, Dk. K., Goethe und Schiller. Biographien. 2. Aufl.
broch. 2. 80. geb. Mark 5. 80
Goethe-Jaukblcu 11. 5)
— ^ 10 +4—
Verlag der G. J. GöscHEN'schen Verlagshandlung in Stuttgart.
GoETHE's Faust
erster und zweiter Theil
erkliirt von
OSirALD MAR BACH.
5 1 Bogen 8°. M. 8.
Das Werk ist hervorgegangen aus Vorlesungen, welche der Verfasser (ord. Professor an der
Universität Leipzig) über Goethe's Faust gehalten hat. Dasselbe bringt eine Analyse des
Dichtwerkes Scene für Scene. Alles zum Verständnisse der Dichtung Nichtnothige, Ueberflüssige
und Störende ist vermieden, dagegen alles zum Verständniss Erforderliche eingellochtcn, inden;
an vom Dichter Vorausgesetztes erinnert, Dunkles aufgeklärt, überhaupt die Seele des Lesers
vorbereitet, der geistige Sinn erschlossen und so in die Gedankenkreise des Dichters eingeführt wird.
Im Verlage von A. Deichert in Erlangen ist erschienen :
GoETHE's Faust.
ERSTER UND ZWEITER THEIL.
Text und Erläuterung
in
VORLESUNGEN
von
ALEXANDER FON OETTIXGEN.
I. (XVI u. 506 S.) Mark 5. -, eleg. geb. Mark 6. 50.
II. (IV und 564 S.) Mark 6. -. eleg. geb. Mark 7. 50.
Verlac; von Theodor Keppel, Oldenburg.
Goethe.
Photographie von Hotphotograph Fritz in Greiz nach
einer bis jetzt gänzlich unbekannt gebliebenen Original-
Kreidezeichnung von Gerb, von Kilo eigen, uus dem Jahre 1808.
Das »Freie deutsche Hoclistift« zu Frankfurt a. M. sagt
über dieses Portrait : Das Gocllw-Bildiiiss ist (hisserst will-
kommeii. Die Kreide:^eichnnng iiiiiss ofenbar von Ki'igelgen
mit grosscDi Fleisse liebevoll ausgeführt sein. Das rorhanden-
sein einer solchen war bisher völlig unbekannt.
Preis der Photographie in ( 'abinetformat Mark i. 20.
Quart Mark 3. 50, Folio Mark 5. —
Zu beliehen diiid> alle Biicl.i- und Kuiistl.HVidhiiigcii.
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Cette edition est la premiere edition d'amateur du chef-
d'oeuvre de Goethe. Les eaiix-fortes de Lalauze seront com-
parees avec interet au.x illustrations de Tony Johannot et
d'Eugene Delacroix. Le texte est imprime avec le plus grand
luxe, sur du papier ä la cuve fabrique specialement pour cet
ouvrage. Des notices bibliographiques et artistiques des plus
completes terminent le volume.
— ^ 12 +4—
Soeben erschien das dritte Heft von :
GESCHICHTE
DLR
DEUTSCHEN LITTERATUR
Dr. Wilhelm Scherer,
o. ö. Professor der Deutschen Litteratiirgesjhichte an Jer Universität Berlin.
Der Umfang des Buches ist auf ca. 40 Bogen berechnet,
die in etwa acht Heften ä i Mark zur Ausgabe kommen.
Das erste Heft ist durch alle Buchhandlungen zur Ansicht
zu erhalten.
BERLIN.
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.
L. M. Glogau Sohn, Buchhandlung und Antiquariat
in Hamburg und Fih'ale m Leipzig, Hefern:
LAPPENBERG, J. M. Reliquien des Frl. Sus. Catharina
V. Klcttenberg, nebst Rrlaiiterungen zu den Bekenntnissen
einer schönen Seele. Hamburg. 308 S. broch. Mark 2. 50.
KELLNER, E. Goethe und das Urbild seiner Suleika. {Marianne
i'. Willemer.) Eleg. broch. nur Mark 2. —
SYNTAX, PEREGR. Reimlexicon. 2 Bde. Leipzig (statt Mark 18)
Mark 9. —
JENSEN, ^^'ILH. Nach Sonnenuntergang. Roman. 2 Bde.
Berlin, 1879. Eleg. broch. (statt Mark 10) Mark 2. 50.
PASQUE, E. Goethe's Theaterleitung in Weimar. 2 Bde.
Leipzig, 1863. broch. (statt 9 Mark") Mark 4. 50.
Cala/oijc über das reichhaltige aiititjiiarische Bücher-Lager piibliciren
mein Uamhurger und Leipziger Hans.
Bibliotheken wie einzelne JFerke werden stets -» höchsten Baarpreisen
angekauft.
L. M. Glogau Sohn, Hamburg und Leipzig.
Verlag von Gf.br. Hf.nninoer in HKii.r.RnNN a. N.
\'nr kur/cm crsihicn:
1 ^ATTCnf^ ^ *'" (joethe. Mit Einleitung und tort-
|~^ ^ ^^ *■ ' laufender Erklärung, herausgegeben von
l'rot'. 1 )r. K. J. Schröer (Wien). Erster 'Vh^W. Eleg. geh.
Mark 3. 75. In höchst elegantem l.einwandluind mit S( hwar/.-
und ( loldpressung Mark 5.
In einem austührlichen Artikel der »Ciegenwart« 1881,
Nr. 2 schreibt Prof. Dr. Karl Bartsc h über d'e Schröer'sche
Ausgabe unter dem Titel »Ein neuer Eaustcommentar« u. A. :
»Scliröers Arbeit liegt ihrem (^iianiktcr nach in der Mitte zwischen
beiden (Loeper und Düntzcr). \\'enigcr das gelehrte Iilement in den
Vordergrund stellend, als Düntzor gethan, geht er doch tiefer in die
Sache ein als Loeper und berührt eine Menge Punkte, die Loepers
Commentar mit Stillschweigen übergeht. \\'er in ein tieferes Verstandniss
der Goethc'schen Dichtung einzudringen versucht, wird in dem Buch
von Schröer reichen Gcnuss und Anregung linden. Denn nicht nur
der Erklärung bedürftige Einzelheiten werden hier erläutert, sondern
der Commentar reiht an einen geistigen Faden die Gedankenentwickelung
der Dichtung. — — Es sei daher allen Goethefreunden, und deren
Zahl wächst ja in erfreulicher Weise, auls wärmste empfohlen, um so
mehr, als auch die Ausstattung bei billigem Preise eine sehr gefällige ist.
(Der zweite Theil erseheiiif im Sommer 1S81.)
aS^. vJ-a A.d- oJ^ äS-t H^A äS-i'i H^A ^5-^*1 H^A ^y-p *i^A jy^*! M^*. aX.j' *^y^ äS^, *4^A ^S-i', **^ ^Sai'. **^-*-
Im unterzeichneten Verlage ist erschienen und durch
alle Buchhandlungen zu l^eziehen :
GOETHE-GliDENK-BUCH.
kl. 8°. Mark i. 50.
GOETHE-BUCH.
lierausgegeben von
PAUL KNAUTH.
kl. so. .Mark 2.
LEIPZIG.
Wilhelm Friedrich. Verlagsbuchhandlung.
-4* ij ^-
Verlag von Wilhelm Hertz in Berlin
(Besser' sehe Biichbainlhini^) ■
GOETHE
Vorlesungen gehalten an der K. Universität zu Berlin
Herman Grimm.
Zweite durchgesehene Auflage. 8°.
Proi, eles;. .geh. 6 M.irk, geb. 7 Mark, in H.ilblVanz sjeb. 9 Mark.
BRIEFE GOETHE'S
an Sophie von T.a Roche und Bettina Brentano
nebst dichterischen Beilagen,
lii;rau^s;egeben von
G. von Loeper.
8". Elegant gehefttt 6 Mark. Gebunden 7 Mark.
Erinnerungen und Leben der Malerin
LOUISE SEIDLER.
Aus haiidschrift/icbeiii Kachlass -iisaiiiiiieiii^eslel/l und bearbeite!
von
Hermann Uhde.
Zweite umgearbeitete Auflage. 8°.
Eleg. geb. 7 Mark, geb. 8 M.irk.
Verlag von F. A. Brockh.^ius in Leipzig.
Soeben erschien :
GoETHE's Briefe
an die
Gräfin Auguste zu Stolberg,
verwitwete GräTm von BernstoriV.
Z-iveile Auflage, viil Einleitung und Anmerkungen.
S". Geh. Mark 2. ;o. Gart. Mar'; 5.
Goethe's Briete an die Griihn Auguste zu Stoiberg, einer der
wichtigsten Beiträge zur Cliarakteristik des jungen wie des alten Goethe,
waren schon seit mehreren Jahren vergriflen. Vorliegende neue gelällig
ausgestattete Ausgabe, von Professor Dr. IF. Arndt herausgegeben und mit
werthvollen literar-geschichtliclicn Hxcursen versehen, entspricht einem
lebhaft empfundenen Bedürlniss der Goethe-Sammler und Literaturfreunde.
/ / fl}.
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